Geschichte der protestantischen Dogmatik in ihrem Zusammenhange mit der Theologie überhaupt: Band 3 Die Zeit des Uebergangs 9783111450018, 9783111082769

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Geschichte der protestantischen Dogmatik in ihrem Zusammenhange mit der Theologie überhaupt: Band 3 Die Zeit des Uebergangs
 9783111450018, 9783111082769

Table of contents :
Vorwort
Inhalt
Die Zeit des Uebergangs
Einleitung
Erster Abschnitt. Der jüngere Pietismus
Zweiter Abschnitt. Der Kampf mit der Philosophie
Dritter Abschnitt. Fortbildung der theologischen Wissenschaften
Vierter Abschnitt. Fortsetzung
Fünfter Abschnitt. Die reformirte Theologie
Register. Berichtigung

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Geschichte der

Protestantischen Dogm atik in ihrem Zusammenhange mit der

Theologie überhaupt. Bon

Dr. W. Gaß, ordentlichem Professor der Theologie nn der Ludw igs-U niversität ;u Gießen.

D r it t e r B a n d . D i e Z e i t deS U e b e r g a n g s .

Berlin. Druck und Verlag von Georg Reimer. 1862.

Seinem theuren Schwager

H e r r n Dr. C. G. S c h ö n b o r n , Direclor des Gymnasiums zu M aria Magdalena in Breslau,

in Liebe und Dankbarkeit

gewidmet

vom

V erfasser.

Vorwort.

SOZitten unter den Arbeiten, welche das erste Semester einer neuen akademischen Amtsthätigkeit m ir auferlegt, kann ich diesem Bande mir das Nöthigste in kurzen W orten vor­ anschicken.

D ie Vollendung des M annscripts nnd die Leitung

des Drucks sind mir sehr schwer geworden, denn sie fielen in die für zusammenhängende Arbeit höchst ungünstige Zeit meiner Uebersiedelung von Greifswald, in eine Zeit der Unruhe und Zerstreuung. Nicht besser geeignet waren die ersten M o ­ nate meines Aufenthalts in Gießen, weil sie fast alle Auf­ merksamkeit und Kraft für das m ir zunächst Obliegende in Anspruch nahmen.

Gleichwohl durfte ich nach einer ohnehin

bedeutenden Pause die Fortsetzung des W erks nicht noch län-

ger hinausschieben, um so weniger da ich mich entschlossen hatte,

den Schluß des Ganzen einem vierten Bande vorzu­

behalten. D er

nachfolgende T h e il

enthält

die

zwischen

Spener

und S e m le r liegende Epoche der Uebergangstheologie, welche in

sich selbst so eng verbunden ist, daß sie in ein einziges

„sechstes B u c h " zusammengefaßt

werden

mußte.

die Grenzen streng innegehalten und m ir griffe in

die Z ukunft

erlaubt.

D er

Ic h

habe

n ur wenige V o r ­

gewöhnliche Charakter

aller Uebergangszeiten haftet auch an dieser, denn sie ist ganz e rfü llt m it den Zeichen einer wachsenden Unbefriedignng und endigt m it Verlegenheit und sie daher

wie

ein dürres

flächlich angesehen.

Und

ungewisser Aussicht; meist w ird Feld

wie fü r

mehr wie bisher m it

ma's

sich und

sind

D ie Theologie w ar nicht m it

der Kirche

alle in ,

sie

eine allgemeinere Bewegung des Geistes und der zu werden

D a s Interesse fü r die Einzelbestimmungen des D o g mochte

handen sein; um

ober­

alle früheren vom

Wissenschaft aufgenommen, die immer unruhiger drohte.

und

Geist und Leben fehlen auch hier nicht,

aber anders vertheilt und geartet.

wurde in

geachtet

doch muß ich m ir fü r diesen A b ­

schnitt ganz dieselbe Theilnahm e Leser erbitten.

gering

die

in

vielen

M ä n ne rn

noch so vollständig

vor­

dennoch wurde es durch die allgemeine S orge

Sicherheit des

religiösen

Glaubens

allmählich

ge-

mindert oder umgestaltet.

Schon der Pietism us hatte F ra ­

gen in die M itte gestellt, die sich mit den einfachen Kategorieen des Kirchlichen oder Nichtkirchlichen nicht mehr abthun ließen, für deren Beurtheilung die richtigen Gesichtspunkte erst gesucht werden mußten.

D em Studiunl thaten sich

neue Richtungen auf, es war nöthig, die systematischen B e­ griffe denselben anzupassen.

D ie V ernunft forderte und er­

langte mehr oder minder statt der bloß dienenden eine mit­ berechtigte Stellung.

Unter diesen Schwierigkeiten bildete

sich eine Theologie tut n e u e r e n , wir dürfen auch sagen, im h ö h e r e n S in n , und wer eine solche liebt, die sich nicht lediglich als gelehrtes Kirchenamt betrachtet noch der P h i­ losophie in die Arme w irft, sondern auch eigene Zwecke ver­ folgt, der wird die Entwicklung dieses Zeitalters mit Auf­ merksamkeit betrachten. Und gleiche Aufmerksamkeit verdienen die handelnden Personen, schon weil sie sich bei geringerer Abhängigkeit von der kirchlichen A uctorität eigenthümlicher bewegen und ausprägen können; die Freiheit ihrer Wechsel­ wirkung ist für mich ein Schauspiel voll Anziehungskraft und W ahrheit. Blicken wir dagegen auf den dogmatischen In h a lt: so können wir uns nicht verhehlen, daß sich derselbe am Ende unserer Periode in einer gefährlichen Krisis befand.

D as

D ogm a war im Feuer der Polemik gehärtet, in der kühlen

Lust der Toleranz erschlaffte es.

D er Glaube lebte nicht

mehr in ihm sondern in allgemeineren Religionswahrheiten, er überließ es dem philosophisch geschulten Verstände, durch möglichst deutliche und zweckniäßige Allseinandersetzungen, durch Ablehnung von Mißverständnissen und Verknüpfung mit den Ergebnissen der natürlichen Theologie die Lehre annehm­ lich zu machen.

D ie innere Spannkraft des dogmatischen

Körpers ließ nach; noch weiter sollte er nicht ausgebildet werden, und doch fehlten die M ittel, ihn mit Sicherheit zu berichtigen, was ohnehin nur von , In n e n heraus gelingen konnte.

D a s Verhältniß zu dem überlieferten Lehrstoff

wurde ein passives.

M änner wie Baum garten leisteten

noch immer Treffliches für ihre Z eit; aber indem sie auf die Verdeutlichung und nlöglichste Begründung des Einzel­ nen die größte S orgfalt verwandten, ging in ihrer D a r­ stellung der Eindruck eines religiösen Ganzen verloren. D ies gilt von den S y s te m a tik e r n .

D ie bi bl i sc he Richtung

litt nicht an dem genannten F ehler, sie war innerlich be­ theiligt und durchdrungen, aber außer S ta n d e , die syste­ matische zu ergänzen, weil sie sich von der wissenschaftlichen M e t h o d e zurückzog.

D ie Einen hatten den In h a lt, we­

nigstens den Geist, absterben lassen, die Andern hatten kei­ nen S in n für die Forni.

Unter diesen Umständen konnte,

wie auch oft ausgesprochen worden ist, der Theologie nur

durch eine frische Kritik geholfen werden; cs wurde nöthig, den W eg, auf welchem der vorhandene Lehrbestand erwachsen w a r, durch Untersuchung aller Schritte znrttckzumessen.

D ie

Boranstalten dazu waren schon damals gegeben; die Kirchenund Dogmengeschichte hegte bereits eilt starkes Verlangen, das Ursprüngliche zu finden, von welchem aus die G ründe kirchlicher Entscheidungen und der G rad ihrer Berechtigung a u fs Neue geprüft werden könnten; die heilige Schrift aber war durch mancherlei Studien und Erklärungsversuche un­ mittelbarer als früher vor die Augen der religiösen und wis­ senschaftlichen Erkenntniß gerückt wordett.

W ir befinden uns

also an der Grenze, wo das ndrra öoxijLiaCere, die unge­ hemmte Schrift- und Geschichtsforschung in den Bereich der protestantischen Wissenschaft eintritt, und zwar nicht als eine Krankheit und A usartung wie in der katholischen Kirche, sondertl als ein atts betn allgemeinen Wesen des Protestan­ tism us hervorgehendes Recht und zugleich als wissenschaft­ liches Reinigungsm ittel, welches der Geist der vorangegan­ genen Periode dringend nothwendig gemacht hatte.

Indem

wir dies sagen, erkennen wir damit die k ritisc h e Aufgabe des R ationalism us vollständig an, aber darum noch nicht die r e lig iö s e und sy ste m a tisc h e Lösung, welche das nächste Zeitalter an's Licht stellte.

D en Kampf der Principien ha­

ben wir in einigen Punkten schon berühren müssen, tiefer

wird uns erst der weitere Verlauf hineinführen.

F ü r jetzt

genügt e s, daS Bedürfniß einer wissenschaftlichen Läuterung, auf welches die gegenwärtige Entwicklung hindrängt, als histo­ rische Thatsache zu constatiren. D ie Resultate, welche sich mir im Einzelnen dargebo­ ten haben, will ich hier nicht im V oraus bezeichnen.

M an

wird daS historische Verfahren dem bisher von mir einge­ schlagenen entsprechend finden.

Außer den beiden H anpt-

streitigkeiten dieser Periode ist die Fortbildung besonders der Glaubenslehre verfolgt, aber auch die der historischen, ethi­ schen und biblischen Studien ziemlich gleichmäßig berücksichtigt w orden; doch wollte ich nicht alles Literarische ausbeuten, um dem Wichtigen und Hauptsächlichen desto gründlicher ge­ recht zu werden.

F ü r den Abschnitt über die schweizerische

Theologie standen mir nur wenige H ülfsm ittel zn Gebote, daher mußte ich mich hier im Anschluß an Schweizer und Hagenbach kur; fassen.

M it dem letzten Abschnitt über die

englische Theologie und den D eism us beabsichtigte ich eine Lücke zn ergänzen, welche, wie von H errn D r. D örner ge­ rügt w orden, der zweite B and offen gelassen hatte.

Eine

im Herbst 18 6 0 unternommene Reise nach England und ein mehrwöchentlicher Aufenthalt in London ließen mir zwar we­ nig Zeit zu speciellen S tu d ie n , gaben mir aber doch Gele­ genheit, eine Uebersicht der englischen theologischen Literatur

und ein Urtheil über ihren Charakter zn gewinnen. D er G e­ genstand selbst erlaubt freilich eine viel umfassendere Behand­ lung als sie für meinen Zweck zuläßig w ar und erforderlich schien.

O b ich zum Schluß noch die schottische und ame­

rikanische Theologie berücksichtigen werde, wird von der lite­ rarischen Möglichkeit abhängen, denn die Herbeischaffung des M aterials hat mir schon M ühe genug gekostet.

Dienste ge­

leistet haben mir diesmal einige M onographien! wie die von Engelhardt über Löscher, von Bnrk über Bengel, von A nberlen über O etinger, von Lechler über den D eism us, wäh­ rend ich manche andere Kapitel wie das über W olf und die Wölfische Theologie fast ohne Beihülfe aus den Q uellen zu bearbeiten hatte.

D er historische Abschnitt in H errn

D r. K ahm s' kürzlich erschienener Lutherischer Dogmatik konnte, da der Druck fast vollendet w ar, nicht mehr verglichen werden. F ü r den vierten und letzten B and bleibt mir nun noch die zweite Hälfte des vorigen Jahrhunderts und ein Theil des jetzigen übrig.

Ueber Schleiermacher hinaus werde ich

die Darstellung gewiß nicht fortführen; diesen aber möchte ich, so G ott will, noch aufnehmen, weil dieser Schlußpunkt theils meiner Neigung entspricht, theils für die überwiegend historische H altung des Werks angemessen erscheint.

D ie

baldige Vollendung des Ganzen kann Niemand dringender

als ich selber wünschen, während ich sie doch nicht über ein gewisses M aaß zu beschleunigen vermag.

G ott wolle inzwi­

schen auch diese Arbeit segnen, wie E r die frühern nicht ohne Segen gelassen hat. Gießen, im Februar 1862.

D e r V e rfa sse r.

Inhalt. Seite.

Sechstes Buch. E inleitung.

Die Zeit des Uebergangs.

Allgemeiner Charakter dieser Epoche fü r Theologie und

Kirche.

D a s Ende der Verfolgungen.

Missionen. h ältniß

Ausbreitung durch

Z u t r it t neuer Kirchenparteien und deren V e r­

zu den alten.

D as

Aufhören

der Religionsge-

spräche und Wichtigkeit der Z e its c h rifte n ................................... Erster Abschnitt.

3 — 11.

D er jüngere P ietism us.

I. V o r b e m e r k u n g e n . Spener's Tode.

Veränderte Lage de r-D ing e nach

S te llu n g

der Parteien und Fortdauer

der Pietistischen Unruhen in D e u t s c h la n d ....................... I I . Löscher

und

Löjcher's

und

s e in

G e g n e r.

sein Verhältniß

Leben und

12 — 16.

Schriften

zur älteren Orthodoxie.

E r n im m t den K am pf gegen den P ietism us in verän­ derter F o rm

auf. —

an der Spitze. lauf.

D ie Hallische Schule und Lange

Allsbruch deö Kampfes und dessen V er­

Tim otheus

V erinus

und

Lange'-

A ntw orten.

Versuch einer Friedensstiftnng durch Buddeus. diger Tim otheus V erinus. III. D e r I n h a lt

des

Vollstän­

Gespräch zu Merseburg .

S tr e its .

D ie

.

16 — 37.

orthodoxe K ritik

w ird durch neue Gefahren bestimmt und herausgefordert. Löscher's Generalpolemik und Praenotiones theologicae. Allgemeine B eurtheilung des Pietism us.

tisticum.

Malum pie-

D ie Merkmale desselben werden im T im o ­

theus V erinus aufgezählt.

Verhältniß der Frömm igkeit

zur Lehre.

Langes

eine Fabel.

Gegenseitige Anklagen des Fanatism us und

B arb arism u s.

Verantw ortung.

D e r P ietism us

Hauptstreitpunkt über Erleuchtung, B e ­

kehrung und W iedergeburt.

D e r thätige G laube und

A ntheil der geistlichen E r f a h r u n g ........................................

37 — 62.

xiv

I n h a lt. Seile.

IV. E r g e b n iß . Abklärung der älteren Controverse, die aber doch kein einfaches Resultat liefert. Praktische B e­ deutung des P ietism us. Urtheile über S pener . . .

62 - 69.

V. F o r t g a n g d e r U n i o n s fache. Einignngsversuche zwischen Preußen und England 1703. Schriftwechsel über das Unionscollegium und Angriffe Löscher's. — Größere von W ürtem berg ausgehende Unternehmung an­ geregt durch Pfaff. Dessen kirchliche Richtung und ge­ lehrtes Verdienst. Resormirte Stim m en. Entgegnung Cyprian's. D a s P rogram m des Corpus Evangelicorum von 1719. G ründe des Fehlschlagens. Urtheil des B u d d e u s .....................................................................

69 — 83.

V I. Z i n z e u d o r s u n d di e B r ü d e r g e m e i n d e . In n e re r Zusammenhang Zinzendorf's mit dem P ietism us. B e ­ rührung mit Löscher, Lange, D ippel, Bengel. Dippel im Gegensatz zu Zinzeudors. Grundrichtung und M it­ telpunkt seiner Religion und Frömmigkeit im Verhältniß zu seiner Persönlichkeit. Die Bluttheologie. D a s E i­ genthümliche der Brüdergemeinde und ihre S tellun g zu den Confessionen. W ürdigung und Urtheile der Zeitge­ nossen .........................................................................

8 3 -1 0 4 .

Zw eiter Abschnitt. D er Kampf m it der Philosophie. I. Lei bni t z. Eröffnung der deutschen Philosophie. Leibnitz als christlicher Philosoph und im Einklang m it den reli­ giösen Voraussetzungen. G rundlinien seines System s. Theodicee, sittliche Weltansicht und O ptim ism us . . .

1 0 5 -1 1 0 .

II. C h r i s t i a n W o l f u n d d e s s e n n a t ü r l i c h e T h e o l o ­ g i e . Technische und systematische Bearbeitung der Leib­ nitzischen Philosophie, deren Tugenden und M ängel. W ols's Religionsphilosophie im Anschluß an die Offen­ barung. Besonders wichtig für Kosmologie, Psychologie, Lehre von der Sünde und dem U e b e l .......................

110 - 122.

III. D e r Wö l f i s c h e S t r e i t . W ols's Stellung in Halle durch den Geist der dortigen Theologie erschwert. An­ griff gegen Wolf und dessen Verweisung. D ie literari­ sche Fehde in Schriften von Lange, B uddeus, Walch, T h um m ig, Steinw ehr u. A. W olf verantwortet sich und findet Anhänger wie Neinbeck, Köthen, Ludovici. Darstellung der Anklagepunkte. M angelnde Beweise des Daseins Gottes und des W eltanfangs. Ncccssitas physica znm Schaden der menschlichen Freiheit. D ie prä-

xv

I n h a l t .

Seite.

stabilste Harmonie allgemein bestritten.

D ie moralische

Controverse. Vereinbarkeit der besten W elt m it der Sünde. V om zureichenden Grunde. D ritte r Abschnitt.

D ie Fortbildung der theologischen Wissenschaft.

I. D o g m a tis c h e an

122— 146.

R e s u lta t..................................

das

R ic h tu n g .

vorige

B uddeus.

Jahrhundert.

S e it

Anknüpfung

Hollaz

Schriftsteller der systematischen Methode.

zahlreiche

Buddeus als

Dogmatiker schreibt unter E influß des P ietism us in ver­ m ittelnder S tellung . W erk,

Glückliche Anregungen in

seinem

besonders in der Lehre vom Menschen und der

Sünde.

Erbsündentheorie.

Psaff und WeiSmann als

146 - 159 .

D o g m a tik e r................................................................................

I T . D ie

W o ls is c h e

S c h u le .

E rklärung

dieser Philosophie auf die Theologie.

des Einflusses

D ie Anhänger fin ­

den sich leichter auf der orthodoxen als der Pietistischen Seite. Religiöser E m pirism us und N ationalism us. F o rt­ schritte in der wissenschaftlichen Construction des Christen­ thums.

Religiöse Grundwahrheiten.

Zweckbegriffs in der Theologie. lichen Lebensansicht.

Anwendung

des

Erheiterung der christ­

Friedliches Verhältniß der Philoso­

phie und T h e o l o g i e ............................................................... Einzelne W olfianer, Schubert. ausgebildetes System. Sünde

und

in.

Carpov, dessen scholastisch

Canz und Reusch über Freiheit,

Zulassung. —

Reiubeck's Betrachtungen. Gedanken.

Populäre V e rn u n ft-

Glaubenslehrer. und schriftmäßige

Gottscheds Gründe der W eltw e is h e it.

S ie g m u n d

J a k o b B a u m g a rte n .

.

.

Baum garten's Tüchtigkeit

als

Seine Glaubenslehre

Gelehrter

und

Docent.

169 - 185 .

D am aliger Z u ­

stand der Theologie in Halle. größter Deutlichkeit,

160 - 169.

in

Zweckmäßigkeit und Nüchternheit.

Handhabung der Polem ik, die sich schon der vergleichen­ den Darstellung nähert.

Bekämpfung der Socinianer.

Lehre von der G e n u g th u u n g .............................................. V ierte r Abschnitt.

Fortsetzung.

I. H is to ris c h e

R ic h tu n g .

theologischer Charaktere. Löscher.

185 - 203 .

E th ik .

B ild u n g

historisch­

Leistungen von Buddeus, P faff,

I . G. Walch in Jena und seine Verdienste um

Literaturgeschichte und S ym bolik. Dogmenhistoriker.

Chr. F r. Walch

als

A lle überstrahlt L. v. M o s h e im , der

Anfänger der neueren Kirchengeschichtschreibung. Religiöse Gesinnung und S tandpunkt M o ö h e im s .............................

204 - 213 .

xvi

I n h a l t. Seite.

Fortbildung der Ethik durch D ü rr, M eier, Rixuer. Em an­ cipation von der Theologie. Buddens' M oral. M osheim's Sittenlehre, deren Schwächen und Tugenden. E in ­ fluß des W olfianism us auf die M oral. Canz, Reusch, Baum garten rc.............................................................

213- 224.

II. B i b l i s che N ic h tn n g .

D ie B ib e lw e r k e . D as B e ­ dürfniß erneuerter Schriftstndien. E s beginnt ein u n ­ m ittelbares Verhältniß zur h. Schrift. Alle Parteien, wollen die Bibel an sich heranziehen. Zahlreiche A us­ gaben "und Erklärungen. W ertheimer Uebersetzung und deren Beschaffenheit und Bestreitung. Zinzendorf's B e a r­ beitung des N . T . D ie Berlenburger Bibel. D as eng­ lische Bibelwerk . ...................................................

2 2 4 - 236.

N i. E x e g e s e ltitb K r i t i k . A. B e n g e l. Gewöhnliche hermeneutische Grundsätze. Rambach. Auftreten des Pietism us in W iirtemberg. Bengel der M ittelpunkt des dortigen Kreises. I n ihm versöhnt sich diese Richtung mit der kirchlichen. Bengel'ö Persönlichkeit und S tudien. Kritik der Brüdergemeinde.- Seine biblisch-kritischen A r­ beiten im Verhältniß zu Wettstein. Auslegung der Apo­ kalypse ................................................... ....

236- 252.

IV. O e t i n g e r 's T h e o s o p h ie .

Dieser von Bengel ange­ regt gelangt zu einer gnostischen philosophia sacra. Grundzüge seiner Theosophie. V erw erfung der Wölflschen Lehre. Sensus communis. D ie Theologie aus der Idee des Lebens. Erklärung der Sacram ente und der letzten D i n g e .......................................................

253—262.

V. Schluß. Resultate der bisherigen Entwicklung. Die ge­ lehrten S tud ien werden unabhängiger vom Dogm a. E r­ weiterung der Theologie, aber auch M ißverhältniß von Stofs und Kraft. Verhältniß der einzelnen Richtungen zu einander. Wahrscheinlichkeit eines Wendepunkts . .

263- 266.

Fünfter Abschnitt. D ie reform irte Theologie. I. S c h w e iz u n d N ie d e r l a n d e . D ie reform irte Theo­ logie in diesem Z eitalter weniger reichhaltig. D ie Schweiz übernim m t die Hegemonie. D er Kamps um das P rincip orthodoxer Kirchlichkeit. D er P ietism us hier ohne Bedeutung. Dagegen Auslehnung gegen die Herrschaft der Consensussormel. Sendschreiben von Preußen und England. E rneuerter Sym bolstreit. D ie Verpflichtung nicht d u r c h g e f ü h r t................................

267—275.

I n h a l t .

D er Proceß gegen Wettstein. D ie wissenschaftliche Lite­ ra tu r und die Wölfische M ethode................................ D ie Uebergangstheologie und das schweizerische T riu m ­ virat. Osterw alo, T u rre tin und besonders WerenfelS. M ittheilungen au s dessen Schriften. D eutung der P r ä ­ destination. Hermeneutische R a th s c h lä g e ................... Betrieb der Schultheologie in den Niederlanden. Leydecker und dessen ökonomische Methode. V itringa als Gelehrter und Ausleger der Apokalypse. Zunehmende M einungsfreiheit. D ie A rm inianer Limborch und Clericus. Bayle von I u r ie u bekämpft. Dessen Verdienst und T e n d e n z ...........................................................

XVH Seite. 275 - 279.

279— 289 .

289— 296.

II. D i e T h e o l o g ie in E n g l a n d .

D er G ang der R e­ form ation und kirchlich-politischen Umwälzung in E n g ­ land. G rundlagen der englischen Kirche und kirchliches Bekenntniß. Allgemeine Eigenschaften der Theologie. Reichthum der biblischen und patristischen S tu d ien und M angel der Dogmatik. P e a rso n ................................

296 - 306.

Theologische Streitigkeiten. Abneigung gegen die strenge Prädestination. Westminster-Confesfion. Vermeidung des einseitigen P au lin ism u s. Antinomi et Neonomi. D ie Latitudinarier H ales, Chillingworth n. A. G arden's comparative Theologie. Arianischer S tre it gegen Clarke .und Whiston. D ie anthropologische Frage durch W hitby angeregt, dessen Kritik der Erbsündenlehre. H. Dodwell der Episkopalist und seine M einung über Unsterb­ lichkeit und Taufe. Hoadley und der Bangorische S tre it. M i d d le to n ................................................................

306—329.

III. D eism u s und A ntideiöm us.

Allgemeiner Charakter und Verlaus dieser Bewegung und deren Ursachen. D ie Form deS D eism us und ihr V erhältniß zur Philosophie. Höhepunkt des S tre its und dessen Eintheilung . . .

329 — 338.

Erste G ruppe, die eigentlichen Deisten. Cherbury als reiner N aturalist. Hobbes, T o lan d, T ind al. D a s Christliche m it dem Natürlichen indentificirt. M o ra li­ scher Standpunkt des S haftesbury. — Zweite G ruppe, die kritischen Deisten. B lou nt. Chubb, ethischer Zweck deö Christenthums. Streitigkeiten über W under und Weissagungen. Woolston und Collins. Dessen P rincip des Freidenkens. D er S tre it über die W ürde des A l­ ten Testam ents, M organ und W arburton. Allgemeines Urtheil über den D e i s m u s ........................... .... . .

338 - 357.

XVIII

I n h a l t .

S e ite .

Bestreitung des D eism us. Ein Theil der Apologeten knüpft an das rationale P rincip der Deisten an, Boyle, Bentley, Lardner. D ie orthodoxen Gegner V aterlan d, Chandler, Sherlock vollenden den Bruch. Standpunkt und B ew eism ittel dieser Apologetik nachgewiesen an I . B utler. S c h l u ß ...................................................

357 - 373 -

sechste* Bueh. Die Zeit des Uebergangs.

Einleitung. 9 ß t r haben die P eriod e, welcher der nächstfolgende T heil unserer Darstellung gewidmet ist, darum eine Zeit des Uebergangs genannt, weil sie ohne einen eigentlichen Abschluß oder Höhepunkt darzubieten, in einer Reihe fortschreitender Bewegungen verläuft, welche entweder durch das Vorangegangene bestimmt waren, oder sich als Vorbereitungen der Zukunft betrachten lassen. I h r Character ist weder der einer Reform noch einer Reaction, sondern aus beiden Richtungen gemischt; ihr Geist den verschiedensten Einwirkungen ausgesetzt folgt allmählich dem Zuge einer neuen Entwicklung. E s w äre verkehrt, dieser Epoche, weil sie keine speciellere Ueberschrift für sich fordert, deshalb ihren eigenthümlichen W erth absprechen zu wollen, den wir vielmehr im Folgenden recht deutlich zur An­ schauung bringen möchten. Auch verhehlen w ir uns nicht, daß, hätten w ir eine allgemeine protestantische Religionsgeschichte zu schreiben, der Name U e b e r g a n g s z e it schwerlich ausreichen würde. Schon am Anfange des achtzehnten Jah rh u n d erts finden w ir in einzelnen Gebieten und Erscheinungen einen B ru c h mit der V er­ gangenheit; im Umkreise des religiösen Lebens zeigten sich hier und da Gegensätze, so tief und unausfüllbar, wie sie die Neuzeit nur irgend hervorgebracht. Dogm a, G laube und Kirche behaupteten sich nicht allseitig als höchste gebietende Mächte über Geist und G e­ wissen, B ildung und Wissenschaft; nicht W enige warfen diese Fesseln mit Haß und Verachtung von sich, Andere ließen sie gleichl *

4

Sechstes Buch.

Einleitung.

g ültig fallen oder erkannte» sie n ur zum Scheine an, indem sie selber einem andern Gesetz oder einem vö llig gesetzlosen D range, das Irdische zu genießen und auszubeuten, sich überließen.

P h i­

losophie, Naturkunde und praktische Wissenschaft machten der R e­ lig io n ihre bisherige Herrschaft streitig, und ih r E rtra g schien der menschlichen Gesellschaft ein leichteres Dasein zu verheißen, frei von den Beschränkungen und Mißhelligkeiten, welche der kirchliche Hader unablässig erzeugt hatte.

Kaum hatte die evangelische C h ri­

stenheit in der Ueberwindung der W e lt und Weltlichkeit das echte Kennzeichen ihres Wesens wiederzugewinnen gesucht:

so erwuchs

aus dieser Weltlichkeit selber ein Lebensprincip, welches die höheren Schichten der Gesellschaft an sich zog, und von dem gerühmt ward, daß es den Geist nicht schwäche, sondern

bilde und verfeinere.

Dieser Wechsel in den allgemeinen Lebensansichten deutet auf den G ang der neueren Weltgeschichte, welcher sich nur von einem um ­ fassenden Standpunkte aus begreifen lä ß t,

wenn anerkannt w ird ,

daß allerdings ein neues S ta d iu m der W eltbildung damals nöthig wurde, um Aufgaben zu löse», welche die bisherige christliche E n t­ wicklung auch nicht

entfernt gelöst hatte.

D er Protestantismus

hat die religionsfeindlichen Gesinnungen keineswegs ausschließlich, ja nicht zum größten Theile verschuldet, — denn in ihrer schlimm­ sten Gestalt stammten sie ans dem Schovße der Priesterherrschaft und des Jesuitism us: — doch hat er durch das lange Regiment einer formelhaften Lehreinheit an der Schuld der Abkehr von der Re­ lig io n wirklich T h e il genommen, und er mußte jetzt diesen Gegen­ sätzen diejenige Gestalt geben, welche seinem eigenen Wesen ent­ sprach, und durch die sich alle protestantischen Glaubens k ä m p f e von den religiös-sittlichen K r a n k h e i t e n unterschieden haben.

der katholischen Kirche

Aber so frühzeitig und stark auch diese gegen­

sätzlichen Regungen innerhalb der Literatur und der religiösen B i l ­ dung auftreten mochten: die Theologie als solche und zumal die deutsche w ar noch nicht lebensgefährlich von ihnen ergriffen, ihre eigne

innere

Consistenz leistete nachhaltigen

werden dieselbe zwar in

Widerstand.

W ir

jedem Augenblick durch innere Conflicte

bewegt, durch Symptom e eines religiösen Nothstandes beunruhigt

Allgemeine kirchl. BerhSltnisse.

5

finden, aber doch immer so, daß sie ihre eigenen Angelegenheiten stetig fo rtfü h rt und durch eine Anzahl neuer Erfahrungen und Erkenntnisse, durch schonende Reinigung ihrer alten Theorieen den Forderungen einer anders gearteten Zeit nachzukommen sucht.

D ie Theologie

befindet sich also wirklich in dem Zustande eines Uebergangs. V on

der allgemeinen Beschaffenheit der kirchlichen V e rh ä lt­

nisse w ird hier nur W eniges in Erinnerung zu bringen sein.

Es

ist bekannt, daß die Kirchcngeschichte, je mehr sie sich der neueren Zeit nähert, desto geistiger, friedlicher und wissenschaftlicher w ird . V on B lu t

und Verfolgung

hat sie W enig

mehr

zu erzählen.

Frankreich erlebte noch am Anfange dieses Jahrhunderts die Schreck­ nisse eines Religionskrieges; die Fortdauer der reform irtcn G e­ meinden, die m it dem J a h r 1744 in erneuerte Synvdalverbindung traten, konnte trotz aller Zw angsm ittel nicht unterdrückt werden. D ie Auswanderung der S alzburger (1 7 3 1 ), die Bloßstellung der protestantischen Stände in Ungarn (1 7 1 5 ), die Berweisung der evangelischen Oesterreicher nach Siebenbürgen waren O pfer des Glaubensdrucks,

wie

sie sich später

nicht in gleichem Umfange

w iederholt haben, so lange auch die Unthaten und Kunstgriffe der Jesuiten in manchen Ländern fortwirken mochten.

Polen, der alte

Sammelplatz der Glaubensparteien, hielt sich nicht in diesem B e ­ r u f ; dafür öffneten sich andere Freistätten in den Niederlanden, in England und in Preußen, und sogar die griechische Kirche R uß ­ la n d s, obwohl weniger verfolgungssüchtig, aber auch steifer und unbiegsamer als die Römische, entschloß sich zu einer gesetzlich ge­ regelten Aufnahme der Dissidenten.

D ie Lutherischen und refor-

mirten Gemeinden deö russischen Reiches datiren zwar theilweise aus früherer Z e it,

die

meisten aber sind erst unter Peter dem

Großen gegründet worden, und das J a h r 1723 brachte ein Edict, welches im ganzen Lande ein freies „R eligionserercitium " zugesteht und ernstlich verbietet, zu beeinträchtigen.

einen Unterthanen aus Glanbensgründen

D a s Zeitalter der V e r f o l g u n g e n

geht zu

Ende, es w ar nicht bloße Toleranz, sondern es waren entscheidende politische Ereignisse und der veränderte Zustand der S itte n , die ihnen ein Z ie l setzten.

6

Sechstes Buch.

Einleitung.

Den protestantischen Kirchen würde man Unrecht thun, w ollte man sie einer bloßen Abkühlung und allseitig nachlassenden B e ­ triebsamkeit beschuldigen.

Dagegen spricht schon die damals so

lebhaft erwachende Sorge um A u s b r e i t u n g Christenthums,

welche

hervorbrachte.

Der

einen alte

neuen Zweig

des evangelischen

religiöser

Confcssionalismus

hatte

Thätigkeit

die Kirchen

selbstisch gemacht, so daß sie in dem engen angestammten H a u s ­ halt und leidigen Hauskrieg ihre Kräfte verzehrten. D ie M issions­ unternehmungen, welche von Dänemark und England eröffnet auf Deutschland übergingen und durch den steigenden W eltverkehr er­ leichtert zahlreiche K räfte an sich zogen, gaben nothwendig dem christlichen Interesse einen allgemeineren und mehr praktischen A u s ­ druck.

Z w a r stellten sich auch die Missionen in den Dienst des

heimischen Bekenntnisses, die Kirchen wollten ih r besonderes Wesen auf den neuen Boden verpflanzen; dies w a r aber nur annäherungs­ weise möglich, und zugleich trat durch die B ild u n g von Missionögesellschaften und von Anstalten wie die Hallische ein neues Ele­ ment in das kirchliche Leben.

Eine Lutherische Mission in G rö n ­

land konnte nicht das volle Gepräge der Mutterkirche an sich tragen, und wenn sich R eform irte, Lutheraner, Epiökopalisten, Katholiken in P ennfylvanien begegneten:

so wurden sie sofort

bürgerliche Gesetz der Verträglichkeit gestellt in

der neuen W elt

das

und zu einer mehr

praktischen als polemischen Wirksamkeit angeleitet. Pflanzungen

unter

D ie kirchlichen

empfingen ein oberflächlicheres

aber leichteres und freieres Dasein, da sie von dem Staatskirchen­ thum abgelöst waren und nicht die Last der heimischen T ra d itio n en auf ihnen ruhte.

Wenn auch dieses Wachsthum der protestanti­

schen Christenheit die kirchlichen Verhältnisse der S tam m länder nicht wesentlich geändert h a t: so mußte es doch au f die in ihnen v o r­ handene religiöse S tim m u n g erweiternd und belebend zurückwirken. S ie lieferten den B e w e is , daß religiöser E ife r und unbeschränkte Bekenntnißfreiheit nicht unvereinbar seien.

Dazu kam noch, daß

das Missionswerk in den überseeischen Gegenden m it dem meisten E rfo lg

von den Herrnhutern

und Methodisten betrieben wurde,

also von Solchen, deren Eigenthümlichkeit mehr von subjektiv-re-

7

Kleinere Parteien.

ligiösen M otiven als

von dem Verlangen nach doctrinaler Ab­

geschlossenheit bestimmt w a r. D ie kleineren K i r c h e n p a r t c i e n

hat unser Z eitalter theils

aus dem vorigen fortgeführt, theils m it neuen und bedeutenden vermehrt;

uns ist von W ichtigkeit,

Unterscheidende kennen zü lernen.

in dem Neuen zugleich das

D ie S ocinianer zerstreuten und

vereinzelten sich, ihre Gemeinden verfielen, während ihre Lehre durch

namhafte Schriftsteller vertreten erneute kritische Aufmerk­

samkeit erregte.

Aehnliches g ilt von den Remonstranten, deren

Duldsamkeit und dogmatische M ild e auf die Kirchen hier und da überzugehen geräuschlosen

begann. Eristenz,

D ie

Taufgesinntcn erhielten

obwohl

ihnen

sich in ihrer

Socinianische Meinungen

mancherlei Dem üthigung an verschiedenen O rten wie in H olland und F riesland zugezogen haben.

Jnspirirte tauchten

in großer

Anzahl und seltsamer Gestalt a u f als Sym ptom e religiöser Selbst­ überhebung; in ihnen wiederholt sich ein älterer schwärmerischer P rophetism us, doch stehen sie nachweislich auch m it den Erweckun­ gen des P ietism us in Zusammenhang.

W enn nun aber die älteren

Secten durch feindlichen Widerspruch und strenge Absonderung ent­ standen w aren, wenn sie der größeren Kirche,

deren entstellende

Abbilder sie w aren, scharf entgegentraten: so sehen w ir jetzt zwei Sondergemeinschaften, welche i n m i t t e n der Kirchen und f ü r die sie umgebende Christenheit leben und wirken wollen.

Genossen­

schaften wie die der H errnhuter und Methodisten würden hundert Jahre früher nicht möglich oder doch nicht wirksam gewesen sein, w eil die Kirchen nur zwischen völliger Scheidung oder verfassungs­ mäßigem Anschluß die W a h l ließen, ein V erhältniß freier Anleh­ nung aber auf keine Weise gestatteten.

Erst jetzt hatte das kirch­

liche Leben sich dergestalt erweicht, daß der Versuch einer friedlichen und zugleich zweckvoüen Einfügung dieser eigenthümlichen Gemein­ schaften wenngleich unter starkem Gegenstreben gemacht werden konnte. Anderen und älteren Ursprungs waren die Quäker. D e r M ethodis­ mus enthielt sich anfangs bedeutender Lehrabweichung, er stellte nur ein überspanntes K rite riu m hin, an welchem sich alle wahre christ­ liche H eilsw irkung offenbaren sollte.

Wenn seine Tendenzen von

8

Sechstes Buck-.

Einleitung.

der Ueberzeugung ausgingen, daß die erschlaffte Kirche m it ihren gewöhnlichen M itte ln den Zweck der Beseligung durch die wahre Buße nicht erreiche: so hatte in dem Quäkerthum ein fast radikales Heraustreten aus den kirchlichen Ordnungen gelegen, eine Flucht in das unbegrenzte P rin c ip des Geistes und der religiöse» Selbst­ erleuchtung; die ganze S te llu n g der Quäker zeugte von dem Z u ­ stande der heftigsten kirchlichen A ufregung, aus der sie hervorge­ gangen waren.

Doch traten sie in unserer Periode in ein zweites

und besseres S ta d iu m ,

und ih r neues Gemeindeleben zeigte bei

größter Freihcitsliebe einen G rad von Ehrbarkeit und Ernst, wie er ähnlichen Erscheinungen noch nicht nachzurühmen gewesen. — I n Swedenborgs System endlich verbindet sich die moderne N a tu r­ wissenschaft m it einem alten

nie abgerissenen Faden der Gnosis

und Theosophie; es scheidet von dem überlieferten Dogma und Kirchenthum die wahre Christusreligion, welche fü r das gesammte N a tu r- und Geistesleben die Lösung der göttlichen Geheimnisse darbieten und alles Irdische m it dem Himmlischen einigen soll. So

stellt uns das Parteiwesen abermals jede religiöse A rt

und A bart vor Augen, aber ein M erkm al fortschreitender R e i n i ­ gung sie nun

ist unverkennbar; die Scctcn und Gemeinschaften, mochten den Kirchen widerstreben

oder ergänzend sich ihnen an­

schließen, bewegten sich in den Formen einer milderen Gesittung, welche das Jahrhundert zur Bedingung alles öffentlichen Lebens in S ta a t und Kirche erhob.

In d e m

die S itte

befreite sie nach In n e n , und der S p ie lra u m stimmung erweiterte sich.

äußerlich band,

religiöser Selbstbe­

D a m it hängt aber noch etwas Anderes

zusammen, w orauf w ir besonders Gewicht legen müssen, das V e r­ hältniß des E in z e ln e n zu dem G a n z e n , welchem er angehören w ill. in

Z w a r haben w ir früher nachzuweisen gesucht, daß selbst

den Zeiten

des härtesten Consessionalismiis

die herrschenden

Principien sich in den ihnen dienenden In d iv id u e n m annigfaltig ausprägen:

doch w ar dies von nun an bei der nachlassenden K ir ­

chenherrschaft in ungleich höherem Grade der F a ll, und die U r­ sachen der zunehmenden Freiheit des religiösen Bewußtseins hän­ gen m it den erweiterten Rechtsbegriffen nach allen Seiten zusammen.

Kirchenrechl. Keine Religionsgespräche.

9

Das Ansehen des überlieferten Kirchenrechts w a r erschüttert. D a s Aufkommen des Collegialsystems beweist, daß die Kirche mehr als freie Gesellschaft gedacht w urde, nicht lediglich als eine Bekennt­ n iß - und Cultusanstalt, welche das Betragen ihrer thätigen M i t ­ glieder scharf umgrenzt, selbst aber durch die Oberaufsicht des S t a a t s und des Landesherrn regiert wird. V on Thomasius und Pufendorf w aren Theorieen ausgegangen, welche den Schwerpunkt des kirchlichen Lebens von der Lehre auf die christliche Tugend und Gottseligkeit verlegen wollten, ohne jedoch die Oberhoheit der Fürsten anzutasten. Z w a r blieben die Verfassungen ungeändert, Versuche einer selbständigeren kirchlichen Gestaltung schlugen fehl. Aber so streitig die modernen Grundsätze noch sein m ochten'): so wurde ihnen doch durch Schonung der Gewissen und G ew ährung eines freien M einungsaustausches Rechnung getragen. Die Eingriffe des S t a a t s wurden seltener, und einigemal fielen sie gerade zu Ungunsten der orthodoxen oder beschränkenden Richtung a u s. Die Literatur wurde meist sich selber überlassen. Gefährliche Bücher gab es viele, aber nur sehr wenige wurden verboten, daher die Klagen über Preßfrevel und Vernachläßigung der Censur. D a s Corpus Evangelicorum w a r viel zu unkräftig geworden, um die evangelischen Religionöinteressen mit Erfolg zu überwachen; selbst die V erbannung der S alzb u rg er hatte es nicht verhindern können. M erk­ würdig ist ferner das Aufhören der R e l i g i o n s g e s p r ä c h e ; diese waren zwar zur B eförderung der Eintracht und M äß ig u n g ver­ anstaltet worden, aber ganz abhängig von den kirchlichen Behörden und in steife Formen gebannt hatten sie nicht den W erth freier V erhandlungen. D a s letzte Beispiel dieser Art, das un s bald be­ gegnen w ird , zeigt schon einen verkleinerten M aaßstab und konnte zur W iederholung keinen M u th machen. Auf der andern Seite erscheint als neues Anregungsmittel die Entstehung mehrerer theologischen Z e i t s c h r i f t e n besonders wichtig, weil diese unge­ rechnet ihre sonstige Nützlichkeit Gleichdenkende frei vereinigten, Kräfte heranzogen und öffentliche Urtheile ohne amtliche Auctorität ) Richter, Geschichte der evangelischen Kirchenverfassung, S . 228 ff.

10

Sechstes Buch.

nachdrücklich vertraten.

Nehmen

Einleitung.

m ir dies Alles zusammen: so

ergiebt sich daß der freien Wechselwirkung ein größerer Raum ge­ geben w a r, daß viele Einflüsse, von denen die B ild u n g der re­ ligiösen und theologischen Charaktere abhängig gewesen w a r, jetzt wegfielen und neue von anderer Beschaffenheit an die S telle traten. F rüher w ar der Einzelne

von seiner Confesflon oder von dem

S tandpunkt der Landeskirche getragen und

nach diesem Maaße

entwickelt worden, jetzt muß er sich auch selbst tragen lernen; durch persönliche Selbständigkeit und freien Anschluß muß er erringen, was

die A uctorität

ihm

nicht mehr

vollständig zuführt.

Der

kirchliche K örper, welchem er angehört, besitzt nicht mehr die alte Festigkeit.

F ü r die academischen Lehrer lag in den Universitäten

und Facultäten, die ebenfalls weniger streng beaufsichtigt wurden, eine bildende K ra ft.

Wenn die religiösen Mächte im Großen nicht

so fest zusammenhielten, noch so stark gegen einander anliefen: so wuchs doch die Z ahl der engeren Verbindungen, der persönlichen Wechselwirkungen und Reibungen.

A ls einst Lutherische D eputirte

zum T horner C olloquium reisten, vermieden sie noch jedes gesellige Zusammentreffen m it den R eform irten, und dem C a lirt ward es verübelt, daß er sich unterweges B e rg iu s als Tischgenossen ge­ fallen ließ.

Solche Aengstlichkeit duldete der Zustand der Dinge

nicht mehr, die größere Ungcbundenheit des Verkehrs führte zu mannigfaltigen Begegnungen. schiedenen Stellen

sich

D ie Persönlichkeiten müssen an ver­

anziehen

oder

abstoßen;

entgegengesetzte

Geister werden auf überraschende Weise einander nahe gebracht und ähnliche sich entfremdet, und es macht einen bedeutenden sitt­ lichen Eindruck, wenn w ir sehen, wie die Leistungen höchst ver­ schieden gesinnter M änner sich doch wissenschaftlich vertragen oder ergänzen.

Dies A lles waren Fortschritte der B ild u n g

und der

F orm , die aber auch au f den religiösen In h a lt nicht ohne E influß blieben. V o n der Theologie sagen w ir n u r im Allgemeinen, daß sic in ihrem wissenschaftlichen Verfahren besonnener, in ihren B e w e is­ führungen

vorsichtiger

w urde, im S tudium

und

re ife r,

in

der Polemik anständiger

selber aber ungemeine Fortschritte machte.

Die Theologie im Allgemeinen.

H

Diese Vorzüge sind gewiß anzuerkennen, auch wenn w ir uns nicht über die erhöhten Schwierigkeiten täuschen, welche ihr aus dem Verhältniß zu ihrer Vergangenheit sowie zur damaligen Wissen­ schaft und selbst zur öffentlichen Meinung, die schon auf Berückstchtigung Anspruch machte, erwuchsen. Die wissenschaftliche E r­ müdung und religiöse Nüchternheit, die allmählich eintraten, werden sich in ihren tieferen Gründen weiterhin erklären.

W ir werden zu­

nächst die beiden wichtigsten Streitigkeiten der deutschen Theologie zur Darstellung bringen und dann den Gang der einzelnen D is ­ ciplinen literarisch vorführen.

Erster Abschnitt. Der

jüngere

Pietismus.

I. V o r b e m e r k u n g e n . $ ) t c zweite Epoche der Pietistischen Streitigkeiten, mit welcher w ir dieses Buch eröffnen, füllt die ersten Jahrzehnte des vorigen Ja h rh u n d e rts a u s , — ein Abschnitt, der wie das ganze Zeitalter meist oberflächlich betrachtet und kurz behandelt zu werden pflegt. E s ist w a h r , daß derselbe wenig neue M omente in den S tr e it einführt, gleichwohl hat er seine selbständige B ed eutu n g, weil er zeigt, wie der vorhandene Gegensatz nochmals nach allen Seiten geprüft, gesichtet und von Nebendingen befreit wurde, und weil er die kämpfenden P arteien in ein anderes Verhältniß zu der Wissen­ schaft im G roßen und den allgemeinen kirchlichen Verhältnissen eintreten läßt. M i t S p e n e rs Tode verlor der P ie tism u s ein H a u p t, wie er es z u nä c h s t nicht wieder erlangen sollte; kein Schüler legte diesen G ra d religiöser Gediegenheit und persönlicher W ürde in die Wagschaale. Auch die allgemeine Lage des P ie t i s ­ m us w ar eine andere geworden. Die von S p e n e r ausgegangene Reform hatte im V erhältniß zu dem gewöhnlichen Lehrbetrieb ihre innere Berechtigung dargethan. Die Orthodoxie wollte von dieser W ahrheit Nichts wissen ,uttb verschmähte die umbildenden An­ regungen. Dadurch w ar die Spenersche Richtung in die S tellu ng einer besonderen Schule zurückgedrängt worden. Und indem sie sich nun in dieser nicht ohne anmaßlichen S to lz befestigte und zu­ gleich von weit geringeren Geistern vertreten w urde, zeigte sich,

D er jüngere Pietismus.

Vorbemerkungen.

daß sie fü r sich allein unmöglich genügen konnte.

13

A u f der andern

Seite setzte die kirchliche Gegenpartei ihre Angriffe fo rt, aber ob­ gleich fortdauernd im Besitz kirchlicher Vorrechte und

über

die

große M ehrzahl der öffentlichen Lehrkräfte verfügend, mußte sie doch allgemach von dem sichern Trotz abstehen, m it dem sie bis­ her alles

ih r

Widerstrebende niedergetreten

hatte.

V on

ver­

schiedenen Anfeindungen bedroht, von philosophischen Regungen, religiösen Ausschreitungen und wissenschaftlichen Neuerungen be­ u n ru h ig t, sah sie sich in ein S ta d iu m

der Gefahr versetzt, und

der. erschwerte S tand der Dinge hat auf ih r sittliches Verhalten und die A rt der V ertheidigung gewirkt.

ihres Standpunkts

vortheilhaft

Es blieb nicht verborgen, daß die Kirche in ihren p r a k ­

tischen Grundsätzen einen gesunden Kern in sich tru g , während die P r a x i s

des P ietism us

in

krankhafter

Einseitigkeit sich vom Rechten abwandte. der Parteien w ird

Uebertreibung

und

Gerade in den Häuptern

dieser veränderte Eindruck erkennbar,

so daß

wenn w ir persönlich zwischen Löscher und L a n g e , die uns dem­ nächst beschäftigen werden, zu wählen hätten, w ir ohne Zaudern fü r den Ersteren, den orthodoxen Repräsentanten, uns entscheiden müßten. D e r Anblick der L ite ra tu r giebt schon jetzt von einem stetigen Fortschritt Zeugniß.

D e r Gesichtskreis der Wissenschaft erweitert

sich und beschränkt zugleich die Vorherrschaft der lediglich dogma­ tischen Interessen.

D ie Verfeinerung der S itten w irkt mildernd

auf die literarische Discussion, daher der Ton der Polemik, wenn auch immer noch bitter und gehässig, doch die Grenzen der Schick­ lichkeit weniger überschreitet.

D ie deutsche Sprache, durch S p e n e r

in der theologischen Literatur eingebürgert, kommt allgemeiner zur Anwendung, und bei aller ih r noch anhaftenden S te ifh e it und Un­ reinheit gewinnt sie doch in der ersten H älfte dieses Jahrhunderts bedeutend an Gewandtheit und Fluß.

In

der strengen Systematik

der Theologie und Philosophie überwiegt noch das Lateinische.

An

dem großen Fehler stilistischer B reite und wiederholender W e it­ schweifigkeit leiden noch fast alle Schriftsteller; aber während die verschiedenen Fächer, das exegetische und historische wie das syste-

14

Sechstes Buch. Erster Mschnitt.

malische, gleichmäßiger als früher bedacht w urden, kam zugleich eine leichtere Oekvnomic in der Aufnahme und V erm ehrung des S toffes und ebenso eine raschere Uebersicht über das Geleistete in G ang. Z u Beidem haben aberm als die Zeitschriften mitgewirkt, a ls die T räger des gelehrten M aterials und die immer bereiten Handhaben der Kritik und der literarischen V erhandlung. Die Acta Eruditorum dienten seit Ende des vorigen Jah rhu nd erts durch kritische Berichte der Gelehrsamkeit im G ro ß en ; etwas später folg­ ten die „Unschuldigen Nachrichten," welche als erste theologische M onatsschrift zu einer wichtigen Fundgrube theologischer Zeitge­ schichte anwachsen sollten. Z w ar dienten sie zunächst ihrer P artei, so gut wie die ihnen entgegenstehenden Observationes Halenses der ihrigen, hatten jedoch zugleich die Bestim m ung, das Neueste des theologischen M arktes zur Kenntniß und Altes in Erinnerung zu bringen und dieser referirende Zweck brachte eine objectivere H altung in alle M ittheilungen. Und wie viel gewann die gelehrte B ildung, wenn jeder Lernbegierige in die Producte der einheimischen wie der fremden und katholischen Kirche einen so leichten Einblick erhielt! Freilich lehrte diese Umschau auch die wachsenden G efahren kennen, und gerade in Zeitschriften zeigt sich, wie sehr die kirchliche Theologie durch die Sym ptom e einer Aufregung im Reiche der Wissenschaft beunruhigt wurde. S p i n o z a 's Schriften wurden eifriger gelesen, au s England und den Niederlanden verbreitete sich die Kunde der deistischen Irrleh re n eines H o b b e s , Ac o s t a , B e v e r l a n d und Anderer, welche in Reihe und Glied mit D i p p e l und den Anführern des ertrcmcn P ietism u s und M ysticism us traten. D ie Anklagen verwandeln sich bei der M enge der auf­ keimenden Neuerungen in Klagen, und Nichts ist gewöhnlicher als daß die kirchlichen Schriftsteller über die Maaßlosigkeit der Geister und über das Lob, welches der Schwärm erei und Zweifelsucht zum Verderben des G laubens gespendet w urde, die bitterste B e­ schwerde führen. W ir haben früher der Einzelfehden gedacht, die durch das Auf­ treten der pietistischen Frömmigkeit in verschiedenen Theilen Deutsch-

Der jüngere Pietismus.

lands erregt worden.

Vorbemerkungen.

15

Aehnliche Händel nahmen noch jetzt ihren

Fortgang, nachdem die genannte Schule in der Universität Halle eine gesicherte Stätte gefunden hatte. I n den Rheingegenden, in Westphalen und vielen Städten wie Straßburg, Wetzlar, Gotha, Jena, Gießen, Arnstadt, Bremen, Riga und anderweitig sammelten sich Erbauungskreise oder folgten einzelne Prediger und Theologen der neuen Richtung, meist unter dem Widerspruch der Mehrzahl. D as Gleiche geschah in Holstein, Würtemberg, Magdeburg und besonders im Waldeckischen, wo 1711 der Kampf länger andauerte und mehrere Facultäten zur Theilnahme nöthigte.

Die Phantaste­

rei eines P e te rs e n und D ip p e ls abcntheuerliche Schicksale schie­ nen Jedermann handgreiflich zu machen, wohin das Unwesen führe. D ie Regierungen blieben ungünstig gestimmt, und von 1700 bis 1714 wurden in Lüneburg, Kassel, Hannover, Bremen, Nürnberg, Anhalt-Zerbst, Breslau, Eisenach eine Reihe von Edicten veröffent­ licht, welche die Conventikel untersagten und gegen die neu auf­ gebrachten enthusiastischen Meinungen, die Verdunkelung der Leh­ ren von der Rechtfertigung und Heiligung,

die Vernachläßigung

der symbolischen Bücher, die Herabsetzung des Bekenntnisses und des geistlichen Amtes die schon bekannten Abmahnungen wieder­ holten. Von den deutschen Universitäten standen mehrere der Sache fern, doch außer Halle neigte sich noch Gießen auf die Seite des Pietismus, welcher dagegen von Wittenberg, Straßburg, Ro­ stock am Eifrigsten bestritten wurde.

F ech t, För tsch, S o n n t a g ,

D a s s o v i u s , S t o l t z e , S c u l t e t u s , W e r n s d o r f waren stand­ hafte Widersacher der Partei, als Anführer in verschiedener Weise sind J o h a n n G e o r g Rose n b ac h , H e i n r i c h K r a f t , S t r u v e , S c h i l l i n g , M u h l i u s , Z i e r o l d , Lysius, F re ilin g h a u se n zu nennen '). Aber diese kleineren Angriffe und Verantwortungen stehen weit an Wichtigkeit zurück gegen den m it großer Ausdauer zwischen Löscher und Lange geführten S treit, in welchem sich die namhaftesten beiderseitigen Talente einander entgegenstanden, und

')

V g l.

zu dieser Uebersicht die

aussührlichen M itth eilu n g e n Löschers im

Vollständigen Tim o theus B e r in u s , T h . I I .

Sechstes Buch.

16 der uns

das zweite S ta d iu m

Erster Abschnitt

der ganzen kirchlich - theologischen

Bewegung vor Augen stellen w ird .

Zwischen ihnen handelte es

sich nicht um diese oder jene praktische oder theoretische Einzelnheit, sondern um den beiderseitigen religiösen und theologischen Kern.

II. Löscher und sein Gegner. V a le n tin

Ernst

Löscher ' )

w a r am 29. Dec. 1673 zu

Sondcrshausen geboren, woselbst sein V a te r, C a s p a r Löscher, nachheriger Professor in W ittenberg und ebenfalls als Schriftsteller nicht unbekannt *2) ,

damals Superintendent w a r.

Ungewöhnliche

Talente bestimmten ihn frühzeitig zum Gelehrten.

Seine S tudien

in W ittenberg unter H a n n ec k e n , D e u t s c h m a n n , W a l t h e r und Löscher dem Vater, der 1687 dorthin berufen worden, erstreckten sich w eit über die Theologie hinaus auf schöne Wissenschaften, A n ­ tiquitäten und selbst genealogische und numismatische Untersuchungen, welchen er auch später nicht entsagt hat.

Nach glücklichen acade-

mischen Anfängen in der philosophischen F acultät zu Wittenberg tra t er seit 1692 den kirchlichen Interessen näher; in dieser Rich­ tung, aber auch in der Abneigung gegen die damals überall be­ sprochenen Tendenzen

des Pietism us

und Alles

was

denselben

ähnlich schien, befestigte ihn ein längerer Aufenthalt zu Jena und eine mehrjährige Reise.

Seine

Jugendschristen 3) beweisen, daß

er sich m it einiger Schwierigkeit von den mancherlei E ntw ürfen einer vielseitigen historischen Forschungslust auf enger umgrenzte *)

A usführlich handelt von Leben und T h ätigke it dieses M annes M . von

Engelhardt in der mehrfach zu erwähnenden von streng lirchlichem S tandpunkte gearbeiteten S c h rift: V a l. Ernst Löscher nach seinem Leben und W irken, 2ter durch­ gesehener Abdruck, S tn ttg . 1856.

Dazu vgl. Tholuck, der Geist der Theologen

W ittenbergs S . 297.

2) Dieser schrieb unter Anderem : Nncleus theologiac, Vitemb. 1094. Theologia thetica, ibid. 1701. Consensus orthodoxus sive hannonia ecclesiastica in loco de Christo, ibid. 1698. Ob ex Calvinianorum syncretismo positus, Lips. 1609. 3) D ie früheste theologische ist Exercitatio de Claudii Pajonii doctrina et fatis, Vitemb. 1692. D a n n folgten Arcana literaria und Initia literaria, 1700. etc. V gl. Engelh. S . 60 ff.

Löscher'S Charakter und Schriften.

Bestrebungen zurückgezogen hat.

17

Entschieden wurde dieser U m -

fchwung durch die B eru fu n g als Superintendent nach Weißenfels (1 6 9 8 ), denn von nun an diente er seiner Kirche und deren Zwecken, wie sie die Z eit ihm darbot und

der eigene Standpunkt firirte ,

als treuer Seelsorger und als unermüdlicher Schriftsteller. L öscher ist niemals ein eigentlicher Zänker noch ein selbstsüchtiger Hierarch geworden, er w ar und blieb ein ehrenhafter Mensch und religiöser Charakter, aber allerdings von höchst nüchtern verständiger Geistes­ a rt, wie

sich ergeben w ird .

Je länger je mehr bannte er sein

Denken in feste Schranken der Satzung und sträubte sich gegen jede ungewisse Borstellungsweise, gegen alles Unsaßliche, Fließende und Ueberschwengliche.

Wenn er es als sein tiefstes Streben hin­

stellt, „zu haben das Geheimniß des Glaubens in reinem Gewissen und nach dem Bermögen, das G o tt ihm gegeben, die Vermehrung seiner Ehre und Ausbreitung seines Reiches zu suchen": so nahm dieses Verlangen durchaus die Gestalt Lutherischer Kirchlichkeit in ihm an; der W ille des Glaubens und reinen Gewissens fiel zusammen m it der Anschließung an diese Kirche und deren symbolische Normen, und niemals hat er einer Unterscheidung beider Zwecke Raum ge­ geben.

A llein er w ar scharfsichtig genug, um die Bedingungen,

von denen die Festigkeit des Lutherischen Glaubcnssystems abhänge, vollständig zu übersehen und die Stellen anzugeben, wo dieser V e r­ band von Unten herauf wie von Oben herab gelockert werde.

Be­

zeichnend fü r ihn und seine Z e it sind einige gelehrte Aufgaben, die schon 1700 dringend von ihm zur Bearbeitung empfohlen w u rd e n '). E r wünschte eine Phraseologia sacra, d. h. eine Feststellung des dogmatischen Gehalts in dem biblischen W ortsinn, damit die N a ­ turalisten nicht länger behaupten dürften, daß es sich in der B ib e l gar nicht um Glaubenssachen handle, noch die Enthusiasten, daß wenigstens die kirchlichen Lehrartikel der biblischen Ausdrucksweise fremd seien.

E r dachte zweitens an eine a llg e m e in e

th e o lo ­

gische P o le m ik , welche dem Umstande angepaßt werden sollte, daß jetzt nicht mehr wie früher n ur einzelne Lehren bestritten, son') Lvfcher's Vorschlag und Specimen dreier höchstnöthiger Schriften 1700. d. Protest. Dogmatik III. 2

Gesch.

18

Sechste» Buch. Erster Abschnitt.

der» die allgemeinen G rundlagen der Kirche, ihr religiöser Ursprung und Zweck in Frage gestellt würde», weshalb es um so nöthiger sei, diesen Vorurtheilen einen Dam m entgegenzustellen. Die dritte Auf­ gabe nannte er theologia mystica orlhodoxa, er verstand darunter eine A rt von kirchlicher Aneignung des Gesunden an der Mystik, welche von den Evangelischen zu gering geschätzt und deren Pflege doch wie F e n e l o n 's Beispiel beweise, dem Papstthum nicht V o r­ schub leisten, sondern entgegenwirken werde. L öscher faßte also die kirchlichen Zeitverhältniffe frühzeitig und scharf ins Auge, und zur Verwirklichung seiner literarischen Vorschläge legte er selber H and an 's Werk D ie Lutherische Kirche, vollkommen in der T heorie, soll sich doch theils ergänzen in dem, woran sie M angel hat, theils neu befestigen, denn nach allen S eiten und bis an die Grenzen alles christlichen Religionsbewußtseins zittert der Boden unter ihr. D ie alte sich im Gleichklang eintöniger Artikel wieder­ holende Polemik genügt nicht m ehr, weil die Voraussetzungen, welche Gegner und Vertheidiger so lange mit einander getheilt, wankend zu werden anfangen. G erade der W eg von den Anfängen des religiösen G laubens zur heiligen S chrift und von dieser zum D ogm a bedarf der sorgfältigsten Behütung, wenn er nicht an ent­ scheidenden Stellen durchbrochen werden soll. I n dieser Erkennt­ niß suchte sich Löscher und zwar mit seltener Geschicklichkeit den damaligen Bedürfnissen des kirchlichen orthodoren Standpunktes anzubilden. M änner wie C a l o v und Q u e n s t e d t übertrifft er nicht allein weit an historischer B ildu ng , sondern besitzt auch eine viel größere Leichtigkeit in der B ehandlung des S toffes, da ihm auch ohne scholastischen Aufwand schwierige Auseinandersetzungen gelingen; und wenn jene überall bedacht waren, die Z ahl der Ab­ weichungen zu vergrößern: so vermag er unter Umständen selbst an sich zu halten, wohl wissend, daß ihm die wirklich vorhandenen Gegensätze hinreichend zu schaffen machen werden. Und doch theilte er, je mehr er sich zum öffentlichen Sprecher erhob, um so voll>) Hierher gehören die 1701 von ihm herausgegebenen „edeln Andacht«früchte" so wie die Pia desideria von 1703, welche kirchliche Verbesserungsvor­ schläge enthalten, Engelhardt S . 83 ff.

Löscher's Thätigkeit und Schriften.

19

ständiger m it ihnen jene scharfe Unterscheidungsgabe fü r Alles, was in den Lehrkreis des überlieferten Lutherthums gehört oder nicht ge­ hört.

Selbst wo er diesen scheinbar überschreitet und Concessionen

macht, geschieht es m it äußerster Schonung des Lutherischen G la u bonSquantums, welches nach Artikeln zu bemessen und m it verständi­ ger Umsicht zu verwalten, er nach wie vor fü r die heiligste Pflicht hielt.

D er Gesinnung nach hatte er m it den alten Jenensern mehr

Aehnlichkeit als er m it den alten Wittenbergern, und wie J o h . G e r ­ h a r d verfolgte er den Grundsatz, die doctrinalen Irrth ü m e r nach dem Defect und dem Erceß zu beurtheilen, die Lutherischen B e ­ stimmungen aber in die M itte zu stellen ’) . Z u r akademischen Lehrthätigkeit kehrte Lö s c h e r , nachdem er seit 1701 als Pastor und Superintendent in Delitzsch gewirkt, noch­ mals 1707 nach W ittenberg zurück, wo er in G o t t l i e b W e r n s ­ d o r f einen eifrigen M ita rb e ite r fand, wurde aber 1709 zum G eneralsuperintendenten und M itg lie d

des Oberconsistoriums

nach

Dresden berufen und hat diese S tellung bis zu seinem Tode 1749 i n n e g e h a b t D e r eingeschlagene Weg forderte angestrengte T h ä tig tigkeit von ihm .

B e i umfassender Schriftstellerei genügte er w e itlä u fi­

gen Amtsgeschäften und behielt Zeit übrig fü r Armenpflege und Schu­ len, B ild u n g der Kandidaten und Verbesserung des Unterrichts zu sorgen, überhaupt das praktisch-kirchliche Leben zu fördern, dessen B lü th e er keineswegs im Alleinbesitze des P ietism us lassen w o llte *2 3) . In

der eigenen Lebensführung erschien er ernst und unbescholten,

ohne pietistische Pedanterei. W ollen w ir

von Lösch e r ' s

speciell gelehrten Arbeiten ab­

sehen 4) : so verdienen doch seine Beiträge zur Kirchengeschichte E r ­ wähnung.

W er kennt nicht die höchst verdienstliche, noch heute

*) Engelhardt, der Lobredner Löscher's, hebt S . 55 diesen Gesichtspunkt rich­ tig hervor, unterlässt aber zu bemerken, daß derselbe schon w eit srüher von G er­ hard m it großem Fleiße durchgeführt worden.

S . B d. I , S . 280.

2)

Engelhardt, 6 . 6 2 ff.

3)

V g l. Tholnck, Geist der Theologen W ittenbergs, S . 295.

4)

Z . B . De causis linguae Hebraeae, s. Schroeckh, K. -G . s. d. Res. V I I .

S . 582.

Engelhardt a. a. O . S . 86.

20

Sechstes Buch.

Erster Abschnitt.

nicht zu entbehrende S am m lung der Reform ationsacten! D a s zweite Hauptwerk, die Historia rnotuum hängt enger m it der Parteistellung des Verfassers zusammen

E r stellt sich, —

erfahren in welcher Veranlassung, —

und w ir

werden

den historischen Nachweis

zur Aufgabe, daß die Lutherische Religion von Ansang an als ein einheitlicher Körper sich gegründet und gegenüber den wandelbaren und vielartigen Gestalten des reformirten Wesens erhalten habe, daß sie die frühere und ursprüngliche, aber durch das Eindringen der Reform irten und noch mehr durch die Entstellungen eines fa l­ schen Calvinisirenden Lutherthums bedeutend in ihrem rechtmäßigen Besitz beeinträchtigt worden sei.

W ie dem Lutherthum allein ein

w ahrhaft

einwohne:

katholischer Charakter

so habe auch

aller

Verlust und Nachtheil der evangelischen Kirche m it dem A b fa ll von dem Ursprünglichen begonnen, und allen reform irten Lehren liege ein gemeinsam Lutherisches, dann aber von Z w i n g l i und C a l ­ v in Aufgegebenes oder von B u c e r , V erm ittlern

Verunreinigtes

zum

M e l a n c h t h o n und andern

Grunde.

W ir

begegnen hier

den oft gerügten einseitigen und unrichtigen U rth e ile n ; auch ist, was Löscher w ill, eigentlich nichts Anderes als w a s H u t t e r und C a l o v m it ihren Confessionsgeschichten ebenfalls bezweckt, und P rin c ip ebenso erclusiv

wie das der Anderen.

sein

Aber wenn diese

sich begnügen, nach dem beschränktesten P ragm atism us eine Reihe von Urkunden und Thatsachen zusammenzustellen und m it bitteren Bemerkungen über die Gegenpartei zu durchflechten: so empfangen w ir von Löscher die erste Bearbeitung dieses Gegenstandes in historischem Geist und m it derjenigen B illig k e it,

welche in

der

Verunglim pfung der Personen keine Ehre sucht. — Nicht minder *)

Ausführliche

H istoria motuum zwischen den Evangelisch - Lutherischen

und den R eform irten, T h . 1, Vpz. 1707. T h . 2, 1708, beide Theile verbessert 1722, ein d ritte r T h eil, der aber auch n u r bis 1580 reicht und in welchem H oßpinian, A rn o ld und A. bestritten w erden, kam 1724 hinzu. anlassung des Werks w ird unten die Rede sein.

V o n der besonderen V e r­

V g l. W a lc h , Bibi, theol. II.

p. 376 und die Charakteristik von Engelhardt, S . 119 — 21. 2) Engelhardt a. a. O . bemerkt von seinem S ta n d p u n k t: "A ber es ist nicht die E xklusivität sectirerischer Beschränktheit, sondern vielmehr diejenige, welche nothwendige Folge eines katholisch-kirchlichen Standpunktes ist."

21

D ie „Unschuldigen Nachrichten".

steht die Herausgabe der „Unschuldigen Nachrichten" m it L ö s c h e r ' s kirchlicher Tendenz in V erbindung.

D er Zweck w ar christlich, con-

sessionell und wissenschaftlich zugleich.

D ie Vorrede geht von der

Nothwendigkeit aus, dem Verderbniß der Literatur und dem ein­ reißenden Mißbrauch der R ede- und Druckfreiheit durch Errichtung einer regelmäßigen „C e n su r" zu steuern. gische Literatur kritisch begleitet,

D aher soll die theolo­

es sollen die wichtigeren Ereig­

nisse alljährlich verzeichnet, zugleich durch M itth e ilu n g älterer Actenstücke und B riefe der Schatz der Gelehrsamkeit bereichert und zugänglich gemacht werden, Alles m it dem Bestreben die Schäden des Protestantismus zu rügen und

das Heilsame innerhalb der

katholischen Kirche nicht unbeachtet zu lassen ’) .

M it

kurzen oft

oberflächlichen Anzeigen verbindet sich eine stetige Aufmerksamkeit auf alle Erscheinungen.

Löscher

blieb lange Zeit die Seele des

Unternehmens, von ihm geleitet behalten die Nachrichten das ganze Heer der Widersacher und der zweifelhaften Freunde im Auge. Durch alle Hefte geht der Fehderuf w ider die drohenden Geister der Schwärmerei, des Jndifferentism us und Fanatism us, die Ab­ lehnung aller Unionsversuche, vor Allem aber die strengste K ritik aller p i e t i s t i s c h e n S c h r i f t e n und Erscheinungen, deren ganze Reihe w ir aus diesen Berichten kennen lernen.

D e r Leser w ird

lebhaft in die Sorgen einer unbefriedigten, über ihre Zukunft unge­ wissen Uebergangszeit versetzt*2) . *)

D er

D er Ton

der Polemik ist im

ursprüngliche T i t e l : „Altes und Neues aus dem Schatze theol.

Wissenschaft", ging schon 1702 in den bekannten „Unschuldige Nachrichten von alten und neuen theol. Sachen" über, und 17 2 0 , als Löscher die Redaction an Heinrich Reinhard abtrat, wurde äußerer Umstände halber der N am e.in „F o rt­ gesetzte Sam m lung von alten und neuen th. S .„ verändert. nahm L. nochmals die Redaction.

S eit 1731

über­

S . Engelhardt. S . 68.

2) Unter den mancherlei Schutzmitteln wider die Zeiteinflüsse wird in dem U. N . 1703 S . 585 eine Societas theologica consultatoria nach dem Vorbild ärztlicher Vereine in Vorschlag gebracht.

Foret haec societas consulendique

ratio cum primis necessaria nostro aevo, quo m ulta noviter moventur dubia a fanaticis atquc atheis, ad quae cum rcspondendum sit, plurcsque oculi plura equidem uno videant, omnium optime collatis antea piorum ac in verbo D e i exercitatorum sententiis responderetur, ne unus in re nova sibi nim ium fidens in ecclesiae dedecus hallucinetur.

22

Sechste« Buch,

Erster Abschnitt.

Ganzen anständig, und wenn bei der E röffnung verheißen w ird , daß alle „gehässigen Persönlichkeiten, alle Schmeichelei, Menschensurcht, Ostentation und gelehrte P ra h le re i" gemieden werden soll: so sind w ir den M ita rb e ite rn das Zeugniß schuldig, daß sie dieses Versprechens meist eingedenk geblieben sind. S o w e it erscheint L ö s c h e r mehr als Verfechter kirchlicher P r i n ­ c ip ie n denn als eigentlicher Dogmatiker. zeitgemäß,

E r fand es nicht mehr

sich in die Einzelheiten des D ogm a's

zu

vertiefen,

sondern weit nöthiger, den alleinigen Vorzug seiner Kirche im G ro ­ ßen zu vertheidigen,

den Boden der Kirche gegen A ngriffe aus

der Nähe und Ferne zu schützen, das Feindliche aufzudecken und historisch an's Licht zu ziehn, und unter so drangvollen V e rh ä lt­ nissen nach allen Seiten gerüstet dazustehn. rischen V o r s t u d i e n

Diesen kirchlich-histo­

und dogmatischen V o r b e g r i f f e n ,

die zu

einer allseitigen Polemik und kirchlichen Apologetik das M a te ria l geben sollten, sind seine wichtigeren Abhandlungen g e w id m e t')D e r Römischen Kirche gegenüber zeigte er eine löbliche Tapferkeit. D ie große Z a h l der U ebertritte, die G ründung der katholischen Dynastie in Sachsen (1 6 9 7 ) , die zunehmende Gleichgültigkeit in den höheren Ständen geboten Vorsicht, während auf der anderen S eite die lebhafte Theilnahme an dem Neformativnssest von 1717 trotz aller Spöttereien der Jesuiten einen ermuthigenden Eindruck machte.

In

der Sprache eines Löscher ist der Papst nicht mehr

in Bausch und Bogen der Antichrist, aber das Papstthum ficht immer noch m it den W affen des S a ta n und der Lüge, und die „Geschichte des Römischen H urenregim ents" sollte ein Stück seines alten Vxrdcrbens an's Licht ziehen *2) .

')

D ie

geläufigen Täusche-

Eine Reihe gemischter, z. T h . historisch theologischer Aussätze sind verbuu-

den in Loescheri Stromata, sive dissertationcs, V item b. 1724, wichtiger aber die Praenotioncs theologicae, Vitem b. 1708.

E in dogmatisches Compendium,

Theologia preciosa, w urde nach L's. Tode von B . V ie le r Ham b. 1750. Vitem b. 1755 herausgegeben. 2)

Historie des Römischen Hureuregim ents, Lpz. 1705.

Gerichte Gottes über das Papstthum, Lpz. 1760.

Desselben Geheime

23

Löscher und der P ie tis m u s .

m en und Künste der Jesuiten hat Löscher gut bloßgestellt *)> wie er auch w ohl einsah,

daß der heillose Schaden der katholischen

Kirche nicht in der Richtung der R eligiosität zu suchen sei, die ja auch gute Früchte bringe,

sondern

in

der Hierarchie und

dem

Pfaffenthum *). Z u allen diesen gelehrten Leistungen, zu den Ausübungen eines kirchlichen Wächteramts gegen Union, reform irte und römische Kirche und jede Verwischung kirchlicher Grenzen kam nun die H a u p t­ sache, die frühzeitig in 's Auge gefaßte und J a h re lang fortgesetzte Bekämpfung des P ie t is m u s .

F ra g t man, w arum Löscher ge­

rade diesen Feind eifriger als jeden andern verfolgt habe: so liegt die Erklärung in dessen eigenthümlicher N a tu r, welche die Kirch­ lichen ihrer eigenen Gesinnung zugleich verwandt und entfremdet fanden. Kein kirchliches Uebel schien tiefer in das Lutherthum ein­ gedrungen, keines schien bei gleichem Anspruch auf Christlichkeit so viel innere Bedenken zu vereinigen verfeinerten

Auszug

desselben

als

fanatischen

dieses, welches einen und

indifferentistischen

Geistes darstellte, der übrigens das religiöse Leben allerw ärts um ­ schwärmte.

Auch fand Löscher sein historisch-kritisches T a le n t her­

ausgefordert, er suchte, und dies geschah m it Schonung S p e n e r 's , den Keimen der Krankheit nachzuspüren und sammelte a u f diese Weise die M a te ria lie n zu dem M anifest, das er in dem Tim o­ theus Verinus aufgestellt hat. Wenden w ir uns jetzt zu der eben erwähnten Gegenpartei: so ist erinnerlich, daß die Spenersche Schule in H alle einen festen S itz gewonnen, woselbst sie unter A n to n B r e i t h a u p t , m a s iu s

und L a n g e

eine ausgedehnte

Tho-

Wirksamkeit entwickelte.

Durch Beseitigung des Ertremen und A uffälligen gab sie sich eine

') V orred e

Gründliche Borstellung von der R . Kirche Unfehlbarkeit, — H e rrn

B . E . 2 '« ,

vorgehalten w ir d ,

alle

Lpz. 1 7 2 4 ,

wo den Jesuiten

nebst einer

die Unanständigkeit

längst abgethane ConlroverSschristen nach viele» Jah ren

wieder als neu abdrucken und ausgeben zu lassen. 2) D erg l. Eng elhard t'« Auszüge aus einigen m ir nicht zugänglichen Schriste n : 1713.

Ueber die Entwicklung der kirchl. H ierarchie, 170 8 . Römisch - katholische D iscurse, 1 7 1 7 .

Abgewiesener D em as,

Sechstes Buch,

24 gemäßigte H altung.

An

Erster Abschnitt.

die Stelle

des verpönten Conventikel-

wesens trat eine geordnete kirchlich-academischeThätigkeit, verbun­ den m it blühenden Erziehungs- und Schulanstalten.

D ie großen

E rfolge fü r praktisches Christenthum, Seelenpflege und Pädagogik sicherten das öffentliche Ansehen der U niversität; die exegetischen S tudien blühten, dem V o rtra g des Systems fehlte die philosophi­ sche B ild u n g ; der theologische Geist, nicht mehr getragen von her­ vorragenden Persönlichkeiten, vermochte nicht eines selbstgefälligen P a rticu la rism u s H err zu werden, der sich Allem ebenbürtig glaubte und doch nicht Alles leistete.

An derselben Beschränktheit lit t auch

der berühmte und berufene J o a c h im L a n g e , das damalige H aupt der Hallischen Facultät.

Denn wenn auch A n t o n als Lehrer wie

als Charakter die meiste Achtung und selbst einiges Vertrauen von Seiten der W ittenberger genießen mochte: so übertraf ihn doch der Andere an R u f und W irksam keit') .

L a n g e *2) , geboren 1670 zu

Gardelegen in der A ltm a rk, w ar ganz aus dem Kreise S penerischer Genossen und Schüler hervorgegangen.

Schon in Leipzig seit

1689 von Francke und T h o m a s i u s angezogen, dann in E rfu rt und H alle dem Ersteren verbündet, empfing er im Hause des D ich­ ters K a n i t z

zu B e rlin

ähnliche Anregungen;

sowie

im Umgang

m it S p e n e r

selbst

er konnte daher, als er nach verschiedenen

Anstellungen im Schulfach als Professor nach H alle 1709 berufen wurde, ganz in den dort herrschenden Geist eingehen.

Seine fo l­

gende Wirksamkeit, — er starb 1744, — bewegte sich in gleicher Rich­ tung.

An allgemeiner und historischer Wissenschaft stand er w eit

gegen Löscher zurück, übertraf ihn aber als gelehrter Philologe, Gram m atiker und O rie n ta lis t3) .

E in guter Docent ist er niemals

gewesen, daran hinderte ihn seine unabläßige Vielschreiberei, ein Philosoph noch weniger.

Doch erhob er sich zu Einem der nam-

*) Tholuck, Geist der Theologen Wittenbergs, S . 307. 2) Außer Lange'S Selbstbiographie, Halle n. Lpz. 1744, vergl. über ihn Walch's Einleitung in die Rel. Strtgk. I, S . 844. Engelhardt, Tholuck, a. a. O. 3) Große Verbreitung fanden seine philologischen Bücher: Gramm. hebr. nucleus, Berol. 1706.

Clavis hebraei codicis, H a i. 1707.

logia, Berol. 1708 U. A.

Latin itatis antho-

Lange'S S chriften und Wirksamkeit.

25

Haftesten Schriftsteller seiner Z eit, nicht allein weil er nach zwei S eiten unabläßig focht und als Gegner Lösch e r ' s und W o l f ' s Orthodoxie und Philosophie aus dem Felde schlagen wollte, son­ dern auch durch den Erfolg seiner B i b e l w e r k e S e i n e Erklä­ rungen der Paulinischen B riefe, noch mehr das umfangreiche „Licht und Recht", haben die guten Eigenschaften der Schule. M it er­ baulicher B reite und gemüthlicher Weitschweifigkeit verbinden sie doch auch viel exegetische Gew andtheit und die Fähigkeit, die or­ ganischen Bestandtheile des Schriftganzen lebendig zu reproducire n ; sie dienten zur Vorbereitung auf selbständige Bibelstudien und sind bis zum Ende des Jah rh u n d erts gelesen worden. S eine zahlreichen Streitschriften zeigen von Scharfsinn und T alen t, die aber durch persönliche Eigenliebe und Engherzigkeit verdunkelt werden; denn wie man sich auch zu seinem Standpunkt verhalten m ag: die widerwärtige Eitelkeit und der hämische hochfahrende T on seiner Angriffsweise müssen ihn als einen unechten Schüler S p e n e r ' s bezeichnen. D a s S ig n a l des langwierigen Federkrieges ist nicht unmittel­ bar von Halle aus gegeben worden, cs geschah noch zu S p e n e r ' s Lebzeiten. E s ist ungewiß und nicht wahrscheinlich, daß die 1701 anonym erschienene Schrift Orthodoxia v a p u l a n s wirklich von L a n g e herrührte*), es w ar aber ein Seitenstück des Di ppe l ' s c he n P a p i s m u s v a p u l a n s , gerichtet gegen die u n b e k e h r t e Rechtgläubig­ keit der W ittenberger Facultät und voll von ausfälligen R edens­ arten. D ie Orthodoxie ist die große D ian a der Ephesier, ihr *) Comment, in histor. de vita et epist. Pauli, Hai. 1718. Exeg. epp. Petri et Johannis. Hai. 1712. 13. Biblia parenthetica, Lips. 1743. D a s

„Licht und Recht" erschien 1 7 29 — 38 in verschiedenen Abtheilungen als M o ­ saisches, Biblisch-Historisches, D avidisch-Salom onisches, Prophetisches, E vangeli­ sches, Apostolisches und Apokalyptisches. 2) D ie Schrift wird in den U. N. 1701, S . 163 und im Tim. Vcrin. II, S . 278 Lange beigelegt, findet sich aber im Verzeichniß seiner Schriften nicht aufgeführt, und Lange hat sich niem als zu ihr bekannt. A ls Verfasser wird er aber vorausgesetzt in der Gegenschrift: E ines Anonymi A ntw ort auf das u n ­ verschämte und gottlose Scriptum M, Joachim Langens Orthodoxia vapulans betitelt, 1 716.

26

Sechste« Bach. Erster Abschnitt.

M erktnal die Gottlosigkeit. Als sich T h o m a s iu s bald darauf mit den Leitern des W aisenhauses verfeindete: setzte ihn L a n g e zur Rede und erließ einen ersten Fehdebrief gegen die Philosophie, von welcher nur Physik und biblische Ethik, nicht aber Logik und Metaphysik öffentlich gelehrt werden sollten ') . S o früh also und längst vor seiner B erufung dorthin führte L a n g e die Sache der Hallischen P artei. S eine nächstfolgenden Angriffe auf Z ie r v ld und S c h e lw ig glichen ganz einer Vergeltung früherer V orw ürfe; die alte kirchliche Lehrform erhielt selber den Nam en einer f u n d a ­ m e n ta le n K e tz e re i, mit dem sie selbst bisher so freigebig ge­ wesen w ar 8) . Auf alle diese Unbesonnenheiten antworteten die Unschuldigen Nachrichten streng und empfindlich und nöthigten L a n g e , auch seinerseits neue Waffen zu ergreifen; dies geschah seit 1707 durch Eröffnung einer ähnlich benannten Zeitschrift8) , und „Theologische Annalen" kamen au f der andern S eite hinzu. L öscher hatte alle Ursache, sich über die „ungezäumten Federn" zu beschweren, denn der L ange'schen „A natvm irung" der O rthodorie und seiner Kritik der entarteten Cathedra Lutheri fehlt es sehr an Zaum und M aaß . D er I n h a lt dieser Opposition kam vollständig in dem Antibarbarus zum Vorschein, welches Werk zu B erlin begonnen und in Halle vollendet den Uebergang des V er­ fassers auf diese Universität bezeichnet; gerichtet ist es gegen S c h e lw ig und die P a rte i der Unschuldigen Nachrichten^). M an beachte besonders den absichtlich gewählten T ite l, denn mit dem Neunen B a r b a r i s m u s w ar der V o rw urf deö F a n a t i s m u s , der von den Orthodoxen erhoben w urde, zurückgegeben und es w ar ein Stichw ort gefnnden zur Bezeichnung des Rohen, Aeußerlichen und Hohlen an dem kirchlichen Schulglauben. Uebrigens 1) Lange'- Gewissen Sri! ge an H. Dr. ThomasiuS, 1702, beff. Medicina mentis, Bcrol. 1704. Gegenschrift von gerbet. 2) Lange, Idea tlieol. Schelwig. 1706. Oratoria sacra ab artis homileticae vanitate repurgata, 1707. Ejusdem idea et anatome pseudorthodoxiae, 1707. 3) Aufrichtige Nachrichten von der Unrichtigkeit der sogenannten unsch. N. 10 Thle. seit 1707. 4) Dagegen U. N . 1712, p. 1048. Schelwig, Vindiciae articuli de justificatione, die übrigen Entgegnungen im Tim. Verin. II, p. 283.

Lange und Löscher wider einander.

27

bemühte sich L a n g e , sich und die ©einigen in diesem W erk von gewissen Auswüchsen des P ietism u s zu reinigen, und noch mehr schlug er, — um von Nebenschriften zu schweigen, — bald darauf den ausdrücklichen W eg einer „M ittelstraße" ') ein, indem er sich aus die inneren dogmatischen Eigenthümlichkeiten seiner G laubens­ auffassung beschränkte und weitführende oder den G lauben als solchen antastende Folgerungen zurückwies. I n dieser M äßigung w ar auch der Geist seiner F acultät ausgesprochen. N u r in ne­ gativer Beziehung wiederholte er immer dasselbe T hem a: völlige Freisprechung S p c n e r ' s , W eheruf über die Larve und den gleißen­ den Schaafpelz der falschen Propheten oder sogenannten O rtho ­ doxen, die im Geiste der alten Pharisäer mit G ottes W ort wider Christum und wider G ottes W o rt unverständig eifern *23). Löscher hatte bisher mit Recensionen und kürzeren E rw iderun­ gen sich begnügt; setzt führte er 1711 einen Hauptstreich durch H erausgabe des ersten Theiles des „ T i m o t h e u s V e r i n u s " 2) als einer „Bekenntniß- und W arnungsschrift", welche nachher zu zwei B änden angewachsen uns besser als irgend etw as Anderes mit dem Geist und Standpunkt ihres Urhebers bekannt macht. D as Werk ist bei aller leidenschaftlichen Erregung anständig ge­ schrieben, ohne jedoch den G egner zu derselben Tugend nöthigen zu können. D enn L a n g e ließ nun jede Schonung fahren und richtete alle Pfeile gegen Löscher allein; er antw ortete in der „G estalt des Kreuzreichs" und zwei anderen Gegenschriften4) , *) Richtige Mittelstraße u. s. w. 4 Theile, Halle 1712 — 15. Auszug aus der richtigen Mittelstraße in der E rläuterung der neuesten Kirchenhistorie. Ebendas. 2) S . Engelhardt, a. a. O. S . 133. 3) Timotheus Verinus oder treugemeintes Zeugniß vor die Wahrheit über die bisherigen Streitigkeiten und schweren Zerrüttungen unserer Kirche, zuerst in den Unschuldigen N. 1711 und 12, dann erweitert u. d. T. Vollständiger Timoth. Ver. oder Darlegung der Wahrheit und des Friedens in den bisherigen pietistischen Streitigkeiten, Th. 1. Wittenb. 4718 und 1726. Ein zweiter Theil wurde 1722 hinzugefügt. S . Walch, Bibi, tlieol. II, p. 7 0 5 — 7, woselbst auch die Schutzschriften von D . Steuckard u. A. 4) Lange, die Gestalt des Kreuzreichs Christi in seiner Unschuld mitten unter den falschen Beschuldigungen und Lästerungen sonderlich unbekehrter Lehrer etc. Halle, 1713. Dess. Abgenöthigte völlige Abfertigung des vollständigen Tim.

28

Sechstes Buch. Erster Abschnitt.

von denen jener bemerkt, man werde nicht leicht ein „Erem pel von einem solchen acharnement und erpichtem G rim m unter G e­ lehrten geschweige unter Theologen finden, als er an ihm erwiesen". Wirklich wird dieses Urtheil durch ein ganzes Verzeichniß L a n g e ­ scher T ad el- und Schim pfwörter, wie satanisches Blendwerk, him­ melschreiende Gottlosigkeit, Heuchelwesen, B etrug und Arglistigkeit, päpstlicher Geist und S in n , unverschämte Lügenstirn, Schwindel­ geist, untheologisches Taschcnspiel, äthiopische N a tu r, reißender Kirchenwolf — sattsam belegt, und L a n g e hätte kein ähnliches Verzeichniß empfangener Ehrenprädicate aufweisen können **)♦ D ie Rollen waren getauscht, der Geist eines M a y e r und S c h e lw ig schien in dem Pietisten, der Ernst S p e n e r ' p in dem O rthodoren laut geworden zu sein. Beide S treite r glaubten die Sache G o t­ tes zu führen, der Eine heftig scheltend und mit persönlicher G e­ reiztheit, der Andere mehr im bangen G efühl eines schweren die Kirche heimsuchenden Ungemachs. L a n g e redet in der Ueber­ zeugung, daß der von ihm und den S einigen erkannten wahren Gottseligkeit nur von wenigen hartnäckigen Köpfen widerstanden w erde, und gesteht unter diesen Lös cher den V orrang an T alent und gelehrten Eigenschaften zu. D er Letztere glaubte in statu confessionis zu stehen und nicht schweigen zu dürfen. E r bekennt sehr wohl zu wissen, daß er es nicht mit notorischen Ketzern» son­ dern nur mit verdächtigen Lehrern zu thun habe, deren schädliches und doch so sicher auftretendes Verfahren mit einer inneren Un­ gesundheit der Kirche zusammenhänge. Denn der normale Zustand der Kirchengemeinschaft hängt von dem rechten Zusammenwirken der drei in ihr vorhandenen S tän d e, der Lehrer, der Regenten und der Gemeinden oder des Hausstandes ab. W o die Lehrer B er. etc. 1719. Erläuterung der neuesten Historie beider evang. Kirchen von 1689 bis 1719. Halle, 1717. A b gen ötigtes aberm aliges Zeugniß der W ahr­ heit und Unschuld etc. Halle, 1722. Unbedeutender sind die Streitschriften gegen N eum ann und Iah n , Förtsch und W ernsdorf; einiges Andere z. B . die Oeconomia salutis und die W arnung vor der Herruhutischen Kirchenform wird später be­ rücksichtigt werden. *) Vgl. die Nachweisung im Timoth. Ver.II, S . 287 ff.

Standpunkt des Timotheus Verinus.

29

allein regieren, entsteht die G efahr der Priesterherrschaft und des P a p ism u s; wo die Obrigkeit sich ihres Amtes überhebt, wird der Jndisferentism us, wo aber der H ausstand sich selbst überlassen wird, Schwärm erei die Folge sein. I m gegenwärtigen Falle w ar L öscher der M einung, daß theils die Regierenden gleichgültig das Ih rig e versäum t, theils der H ausstand sich bedachtlos dem neuen Geiste hingegeben habe, und Beides im bedenklichsten G rad e, so daß es nun gar dem geordneten Lehrstande verübelt werde, wenn er mit einer scharfen Zurechtweisung dazwischen trete über Dinge, welche man fälschlich für Kleinigkeiten ober falsche Gerüchte a u s­ gebe l) . S o stellt sich im Allgemeinen T i m o t h e u s V e r i n u s zu dem Vorkämpfer der Hallischen F aeultät. W ir vernehmen von dem Letzteren eine kecke herausfordernde S prache, von jenem den T on richterlichen T ad els im Bewußtsein des Rechts und des kirch­ lichen Nothstandes. Um so bemerkenswerther ist es n un, daß Löscher mehrfach zögerte, in der W iderlegung des P ietism us fortzufahren, und daß er mitten in der größten S pannung der Geister auf eine friedliche Beilegung des H aders Bedacht nahm . W ie sehr hatte sich die Lage der D inge geändert, wenn die kirch­ lichen O rgane einer Erw ägung der Zeitumstände Gehör gaben, wenn die Vergleichung größerer Gefahren mit den geringeren sie zur Versöhnung stimmte! B ald nach Erscheinung des so ausfällig geschriebenen Kreuzreichs setzte sich Lös cher mit seinen Freunden l ) D iese A eußerungen finden sich in dem Vorbericht des V ollst. Timoth. Ver. und in der V orrede des zw eiten T h eils. D e r V erfasser Lernst sich für die B e ­ rechtigung seiner K lagen auf ein briefliches Z eu gn iß des inzwischen verstorbenen Fecht: Tecum, vir optime, luctantem quasi cum desperatione ecclesiae nostrae

statum cum gernitu lacrumisque deploro. Legi pridem Timotheum tuum Verinum: nihil incognitum ante mihi fuerat earum novitatum, quas in cumulum quendam congessisti. Quis ad monstrosam ecclesiae nostrae faciem non exhorrescat? — — Evigilate tandem, ecclesiae patroni, et memores commissi vobis a Deo officii ecclesiae pristinum reddite splendorem! Quis has de dissensionibus in infinitum hodie numerum multiplicatis querelas non majori longe jure ingeminet? Quis exstinctum omnem medendi desperatis morbis nostris ardorem non deploret?

30

Sechstes Buch. Erster Abschnitt.

in Rostock, W ittenberg und Leipzig in Einvernehmen und fand zur mündlichen Unterhandlung mit den Hallischen in B u d d e u s eine geeignete M ittelsperson ‘) . Diesen ausgezeichneten Gelehrten werden wir noch m ehrm als, obgleich nicht immer gleich rühmlich zu nennen haben; hier begegnet er uns als ein Freund des Friedens. E r w ar der Gem äßigten Einer, die um ungestört zu studiren, lieber nicht Alles hören noch Alles beantworten als das Geräusch der Stim m en vermehren wollen. Von Halle nach Je n a übergesiedelt, kam er dort in V erdacht, es mit den Pietisten zu halten. Eine Abhandlung gegen den Osiandrischen Irrth u m des P ietism us zählte auch ihn zu dessen geheimen Freunden; noch andere A us­ stellungen wurden gemacht, namentlich daß er Erkenntniß göttlicher D inge habe finden wollen in der jüdischen Philosophie oder Kab­ b a la , die sogar im N . Testament benutzt w erde, und welche ge­ wisse Züge der W ahrheit in sich trage, wenn sie auch immer mehr verschlechtert und zur Q uelle gnostischer Verirrungen geworden sei. B u d d e u s verantwortete sich unter einem gesuchten juristischen T i t e l s , verhehlte indessen nicht, daß in so streitlustiger Zeit der Gemäßigte nicht jeden Handschuh aufzunehmen, noch aus Alles, w as ihm nachgesagt w erde, Rede zu stehen habe. Richt Alle waren mit dieser Rechtfertigung zufrieden, ja es hieß, die lenitas plane Philippica dieses M annes komme auf den Kunstgriff derer hinaus, welche bei auferlegter Vertheidigung ,,die Hauptsache ver­ beißen, sich wie ein Aal hin und her w inden, skcptisiren und auf allen Seiten Ausflüchte suchen, daß man die rolundam sentenliam ') S , Letztes Ehreugedächtnis; des Herrn I . F . B uddeus, Jen . 1 7 3 1 , und den Artikel von E. Schw är; in Herzogs Encyklopädie. Mehr über ihn unten. 2) I. F. Buddei disquisitio theologica de moderaminc, inculpatae tutelae in certaminibus theologicis, Jen. 1708. Er sagt hier nach Auseinandersetzung der theologisch-kirchlichen Verhältnisse p. 24: Haec omnia diligentius mecum reputans praesertim cum ad docendam in hac academia theologiam evocarer, firmiter mecum statuebam, ab intestinis cum aliis nostrae ecclesiae theologis contentionibus, quantum salva veritate divina fieri posset, mihi temperare. Decemebam etiam animo, si quis me vel maxime ad certamen velut provocaret, tacere et quiescere, nisi summa tandem necessitas ad arripiendum calamum me compelleret.

31

BuddeuS als Mittelperson.

rein herauszusagen überhoben werde unter dem V orw ände, man habe gar nicht Lust zu zanken" *).

D a s waren bittere Antworten,

sie beweisen ein starkes M iß trauen gegen den allzu unbefangenen Literaten, und nur die bedeutende Wirksamkeit des B u d d e u s im historisch-theologischen und im dogmatischen Fach konnte den T a d ­ lern Stillschweigen auferlegen. vergangen; B u d d e u s ,

Jahre waren seit diesem Handel

ohne wirklicher Parteigänger der Hallenser

zu sein, stand ihnen jedenfalls näher und konnte zu dem erwähn­ ten Vorhaben die Hand bieten.

Ih m

wurde daher durch Löscher

nach brieflicher Verhandlung eine Anzahl von Thesen vorgelegt, auf

deren Annahme

man

zu schließen bereit se i2) .

m it

Lange

und

Genossen

Frieden

D a s w a r indessen Z u v ie l zugemuthet.

M a n könnte fragen, w arum nicht das Uebereinkommen wie ähn­ liche früher auf die Basis der Augsburgischen Confession zurück­ geführt w urde; dies ließe sich jedoch aus der eigenthümlichen N a ­ tu r des S tre its

sehr w ohl vertheidigen, sobald nur die Anträge

selber anders eingerichtet gewesen wären.

E in T h e il der P ro -

positionen befremdete dadurch, daß er Streitloses hinstellte, was die Hallischen niemals geleugnet hatten; in andern und entscheiden*) H errn B uddei Moderamen inculpatae tutelae, gründlich untersucht etc. 1708.

V ertheidigt w ird B . in

der A ussührl. A bfertigung

derer unbefugten

Beschuldigungen, w o m it ein Anonymus etc. von einem Liebhaber der W a h r­ heit, Jeu. 1709. 2) D ie Friedensartikel finden

sich vollständig

im

T . V. I I , p. 77, in t Auszüge bei Engelhardt S . 196.

Anhange

zum

Vollst.

S ie enthalten die A b ­

schnitte I , Circa dogmata,

De gratia et illuminatione, De ministerio ecclesiastico, theologis et theologia, De justificatione, fide et bonis operibus, De statu renovati et adiaphoris civilibus, De doctrinis mysticis, Miscella. I I , Circa praxes. H ier finden sich unter andern die S ätze: Niemand soll P o n tific ie r, Resormirte oder A rm in ia n e r fü r B rü d e r in Christo halten.

M an

soll aufhören, die Vertheidiger der evang. R eligion m it dem V o rw u r f der Pseudo­ orthodoxie zu belegen.

D ie systematische Lehrweise und der Elenchus sollen nicht

verächtlich gemacht werden, die Anklage des Buchstabendienstes aufhören, ebenso die Klagen über M ißbrauch des W o rts und Sacram ents, über fleischlichen G la u ­ ben und pu tative Gerechtigkeit,

über S y m b o lo la trie , ferner die unbeschränkte

E mpfehlung einer mystischen Theologie und der dogmatischen Kabbala.

S ä m m t­

liche A rtik e l gehen dergestalt in 's Einzelne, daß der E in ig u n g selber gar keine Frucht und W irk u n g mehr überlassen w ird .

32

Sechstes Buch.

Erster Abschnitt.

den Sätzen über G nade und Erleuchtung, über das kirchliche Amt und dessen von der Beschaffenheit des In h a b e rs unabhängigen S egen und über die wahre Theologie w ar die orthodore M einung vollständig aufrecht erhalten und von den Gegnern einfache Z u­ rücknahme der eigenen gefordert. Auch verlangte man nicht nur mit vollem Recht, daß die Schmähungen der Orthodoxie aufhören sollten, sondern ließ sich unkluger Weise auf historische und per­ sönliche Urtheile ein: S p e n e r dürfe nicht von jedem Irrth u m freigesprochen, A r n d t nicht überm äßig gelobt w erden, und ganz verwerflich seien P e t e r s e n , D i p p e l und A rn o ld . I n solcher Fassung fand die von zwölf strenggläubigen Theologen genehmigte V orlage die ungünstigste Ausnahme in Halle. Die G efragten wiesen jedes Eingeständniß bisheriger Irrth ü m e r, welches den O rthodoren nur einen unverdienten T rium ph bereiten könne, zurück, und B u d d e u s erklärte sehr richtig, daß sich überhaupt kein Friede erreichen lasse, sobald nicht einige Meinungsverschiedenheiten als untergeordnet anerkannt, also freigegeben würden ') . D enn w as hier angeboten w urde, durften die Pietisten eher für eine Auf­ zählung ihrer S ünden als für den E ntw urf eines Friedensver­ trages ansehen. D er P la n scheiterte also und Löscher litt schwer unter dieser Vereitelung, konnte aber nicht umhin, nach dem Ja h re des Ju biläu m s 1717 mit der Vollendung seiner Charakteristik des P ie tism u s, d. h. mit dem V o l l s t ä n d i g e n T i m o t h e u s V e r i n u s hervorzutreten. E r goß damit O el in die F lam m en, ob­ gleich die ganze H altung seines Werkes beweist, daß er von der schwierigen Lage seiner Confession, deren ältere Vorkämpfer immer m ehr zusammenzuschmelzen drohten, tief ergriffen war, weshalb er denn auch am Schluß wieder die Möglichkeit einer Verständigung 1) Vgl. Über die axtaygccq-ict reconciliationis inter thcologos Wittebergenses, Rostochienses et Halenses den Anhang zum Tim. Ver. II, p. 67,

Löscher's und B uddeus' Briefe von 1715 u. 16.

Buddeus schreibt hier p. 92:

Quamdiu necessaria seu ad fundamentum fidei spectantia a reliquis, in quibus tolerationi cuidam locus esse potest, non discernuntur, quamdiu cum veritatis Studio sincero caritas, quae suspicionis expers est, non conjungitur, nullam fere superesse spem, ut controversiae istae, ex quibus magna ad ecclesiam nostram redundant incommoda, componi atque finiri queant.

Anklagen gegen Löscher.

33

offen l i e ß D i e Folge w ar, daß die Angegriffenen sich aberm als und m it aller M acht zur W ehre setzten, weil sie nicht ohne G ru n d um den R u f ihrer Hochschule besorgt w aren. L a n g e antw ortete im N am en und Austrage seiner F acu ltät durch die „V öllige Ab­ fertigung" von 1719 und durch die „E rlä u te ru n g e n ", und verfiel in den alten hochmüthigen T o n . Diese Schutzschriften verfolgen zuerst die im T im otheus V erin u s gegebene Geschichte des P ie tis­ m us und gehen dann zur W iderlegung der einzelnen Streitpunkte über. L öscher m uß sich unter Anderem sagen lassen: „ D a der h. Geist zur V erklärung und zum Lobe G ottes des V aters von diesen dreißig Ja h re n her in seinen für Pietisten gescholtenen Knechten und Kindern sein Lehr- S t r a f - und T ro st-A m t gar kräftig und nachdrücklich geführt hat, H e rr D r. L öscher aber dies fü r ein rnalum h ä lt: so w ill ich alle christlichen Leser urtheilen, am M eisten aber es G o tt selbst überlassen, wie es w ohl um ihn und den G ra d seiner V ersündigung stehen m üsse." Solche V o r­ haltungen finden sich häufig, und vergleichen w ir sie m it den E r­ m ahnungen L ö s c h e r s : so erhellt, daß der Letztere seinem G egner sagen w ill: laß ab von deinen kirchlichen I r r t h ü m e r n , der A n­ dere dagegen: bekehredich und thue B u ß e . — B eides w ar kon­ sequent, weil dort ein M an g el an G l a u b e n s e r k e n n t n i ß , hier an G o t t s e l i g k e i t a ls Schuld angenom m en w ird. E s gereicht indessen Löscher zur E hre, daß er auch unter so erschwerenden Umständen die Möglichkeit eines friedlichen UebereinV) V ollst. T im . V er. I , S . 821. Schlnß kapitel: , M ) w ie gern hätte ich die ohnedem überflüssig gekränkte evangelische .Kirche m it dieser kläglichen V o r ­ stellung verschont! — Ich habe in diesem ersten T h eil hoffentlich soviel gezeigel, daß die Pietistische Streitsache gar viel ans sich habe, und es m it der schlechten T oleranz oder bloßen anmestia nicht ausgerichtet sei. O daß ich der noch rück­ ständigen völligen A u sfü h ru n g dieses W erks könnte überhoben se in , und es sich durch G ottes S e g e n so fügen w ollte, daß der Ueberrest nachbleiben oder in einerfröhlicheren und angenehm eren F orm könnte abgefasset w erden. Ich m üßte sonst in solchem andern T h eil eine völlige D em on stration geben, daß das malum Pietisticum öffentlich anzugreifen sei, und daß die H erren Prof. Theol. zu H alle daran große Sch u ld haben, und sonst der Sache noch näher kom m en, welches nicht ohne W ehm uth m eines H erzens geschehen w ird." Gesch. d. Protest. Dogmatik III.

3

Sechste» Buch.

34

Erster Abschnitt.

kommens m it den Hallensern nicht fallen ließ.

A n to n und F ra n cke

waren weniger schwierig als ih r College, sie zeigten sich zur U n­ terhandlung geneigt. Löscher

Durch ihre V erm ittelung wurde das von

gehegte P rojekt einer persönlichen Zusammenkunft und

Unterredung eingeleitet, die denn auch im M a i 1719 zu Merseburg wirklich zu Stande k a m ') .

F ra n c k e , H e rre n s c h m id t und von

der andern S eite Löscher waren die M itg lie d e r der Conferenz, und diese läßt sich als ein Schlußpunkt oder letzter Nachtrag zu der langen Reihe vorangegangener Religionsgespräche betrachten. M a n beabsichtigte nur ein vorbereitendes Privatgespräch, welches weniger a u f die dogmatischen Streitpunkte zurückgehen als W erth sollte.

oder Unwerth

der

gegenseitigen Beschuldigungen

den

prüfen

W äre man streng bei diesem Program m geblieben, — w o­

zu allerdings

ein ziemlicher G rad von

christlicher Willensstärke

und Geistesklarheit gehörte, — hätte man sich n ur unter V o ra u s ­ setzung

eines

wesentlich

übereinstimmenden

Glaubens

zu v e r ­

s ö h n e n , nicht zu e in ig e n

bestrebt: so wäre ein günstiger A u s­

gang zu erzielen gewesen.

W as

w ir von dem Gang der V e r­

handlungen erfahren, macht den Eindruck einer höchst unfreien und ungewissen H a ltu n g ; denn es beweist, daß die Redenden in alte

polemische und

die

apologetische Gründlichkeit ihrer Vorfahren

nicht verfallen w ollten, daß sie aber zu einem wesentlich.anbetn Standpunkt der B eurtheilung sich ebenso wenig erheben konnten. Löscher verrieth vie l guten W ille n , fand aber seine Gegner vo r­ nehm und stolz.

E r machte im Einzelnen starke Zugeständnisse *),

allein zu demjenigen, w as vo r Allem nöthig gewesen w äre, zu der Anerkennung, daß die S p e n e r i s c h e P a rte i ungeachtet ihres Widerspruchs ')

gegen

die orthodore ihre

christliche und kirchliche

Ueber die einzelnen Umstände 's. E n g e lh a rd t, a. a. O . S . 2 4 6 ff.

V e rla u f der sächlich au»

am

10. bi» 12. M a i

gehaltenen Unterredung kennen w ir

dem Bericht Herrenschmidt'S in

getheilt von Tholnck, Theol. W itten b e rg s,

dessen Schreiben S . 3 1 4 — 3 82 .

D en Haupt-

an Löscher, m it­ S.

auch Hostbach,

a. a. O . I I , S . 191 und Lutherische Zeitschrift von Rudelbach, 1 86 0 . 1) E r räum te e in ,

daß er Voreiligkeiten in der B eu rth eilun g des P ie tis -

m u« begangen, auch daß S p e n e rn und den Hallensern „keine secta oder factio oder schisma activum m it Recht im p u tirt werden.

Engelhardt, S . 251. 53.

Das Gespräch zu Merseburg.

35

Berechtigung habe, verstand er sich nicht, ja nicht einmal zu der Anerkennung S p e n e r ' s selber, dem er das P rädicat selig vorent­ hielt. ' )

W a s konnten also die einzelnen Concessionen fruchten?

Hatte man einm al angefangen, über die Lehre von der Erleuchtung und von den M itteldingen zu d isp u tiern : so w a r es nicht mehr zu hindern, daß auch sämmtliche andere im Tim otheus B e rin u s aufgeführte Anklagepunkte nach einander durchgegangen w urden; eS geschah kurz und flüchtig und blieb resultatlos, w eil der E n t­ schluß, Grenzpunkte der Ueberzeugung festzustellen und offne F ra ­ gen zu gestatten, gänzlich fehlte.

D a s Gespräch Hatto die Geister

weder hart gegen einander, noch a u f einem tieferen Boden zu­ sammen geführt, sondern nur in schwankender A b - und Zuneigung verharren lassen.

D e r M a n g e l eines Resultats kam zu Tage, a ls

nachher schriftliche Verhandlungen wieder an die Stelle der münd­ lichen traten.

Löscher stellte mehrere Gesichtspunkte eines etw ani.

gen Einverständnisses zusammen, die aber nur als neue Aufbürdun­ gen und falsche Zumuthungen aufgenommen wurden.

D ie Gegner

enthielten sich nicht, von der Sache wieder auf die Person zurück­ zugreifen, und forderten förmliche Buße und Geständniß des be­ gangenen Unrechts von Löscher, ehe an die Aufrichtigkeit seiner Anträge

geglaubt werden

könne,

bis

diese Correspondenz nach

einigen Jahren einschlief. 2) D ie öffentliche Fehde erlangt in den nächstfolgenden Jahren *) Lange bemerkt in der Zuschrift der ,,E rlä u te ru n g der neuesten K. G ." , daß Löscher im T im . V er. mehrere hundert M a l S pener genannt, aber niem als m it dem sonst gewöhnlichen etwa dafür

halten m uß,

„ V o r w o r t eines S eligen beehrt" habe, „w e il er

daß er nicht

selig gestorben

sei,

gleichwie der von

D r. Löscher so hoch gehaltene Theologe H . D r. Fecht in einer öffentlichen D is ­ p u tation De beatitudine in domino dcfunctorum , nach dem supposito, wenn Spener sich v o r seinem Tode nicht noch bekehrt habe, noch hat erhärten w ollen." Löscher selbst bekennt, daß er Spener zwar nicht verdamme, aber selig zu nennen Anstand nehme.

„D e n n die dogmata und die facta doctrinae machen hier den

Unterschied, wenn ein Theologe in einem theologischen Werke Jemand selig nen­ nen soll.

T ie allgemeine Versicherung, daß Spener seine Lehre und Lehrfacta

bis auf den letzten Augenblick fü r gut ausgegeben habe, macht mich wahrhaft im Gewissen un ru h ig , wenn ich ihn selig nennen soll." 2) E ngelhardt, S . 254 ff.

Sechstes Buch.

36 ihren Abschluß.

Erster Abschnitt.

Löscher edirte 4722 den zweiten T h e il des v o ll­

ständigen Tim otheus V c rin u s , welcher die K ritik des P ie tism u s theils historisch ergänzt, theils die Nothwendigkeit der Bekämpfung nochmals begründet.

S ta tt ohne Weiteres im Namen der Kirche

zu richten, erklärt der Verfasser m it Schonung, daß er das Recht der öffentlichen Rüge und des Elenchus in Anspruch nehmen müsse in einem F alle, wo die Gegner ohnedies des Sieges sich rühmen w ürden;

er w ar sich bewußt, den Bogen nicht überspannen zu

d ü r fe n .')

Lange

fertigung. 2 1)

antwortete m it einer zweiten und letzten Ab­

Wenn dieser früher gesagt hatte, daß die W id e r­

sacher des P ietism us sich fast A lle „eines Bessere» besonnen und zurückgezogen, die F a b u la n t e n

aber befürchteten sich selbst, sie

würden vollends allen B e ifa ll verlieren

und seien des S treites

m üde" : 3) so w ar daran etwas W ahres, was sich dadurch bestätigte, daß Keiner fü r Löscher mehr in die Schranken trat, obgleich die­ ser den kirchlich-orthodoxen Standpunkt einer einzelnen Facultät vertrat.

überhaupt,

nicht den

Selbst der H o f von Dresden be­

günstigte seine Sache nicht, die natürlich in B e rlin , woselbst die Halle'sche Facultät noch in gutem Ansehen stand, noch weniger B e i­ fa ll fa n d ; nach Verabredung beider Regierungen wurden die „U n ­ schuldigen Nachrichten" untersagt, und Löscher durfte seine Z eit­ schrift nur unter verändertem T ite l fortsetzen. — D ie sachverwandten kleineren Discussionen hatten meist früher ih r Ende gefunden. In

den Jahren 1709 und 10 verhandelten Fecht und B r e i t -

haupt,

gleichzeitig M i c h a e l F ör t s c h und L a n g e

über geist­

liche Erkenntniß derNichtwiedergcborenen, O l e a r i u s und Löscher über das V erhältniß der buchstäblichen zur geistlichen Erkenntniß, M a ju s Theodor

und S i g w a r t Dassov

und

über

praktische Ketzerei,

M u h liu s

bald

über Reinheit

daraus

der Lehre,

C h r i s t o p h B r a n d e s und W e r n s d o r f über Gewissen und H e ils 1)

S . die Borrede zum zweiten T h eil des T im . Ber.

2) A bgenötigtes Halle 1722.

abermaliges Zeugniß

Dagegen:

lichen Standes rc.

der

W ahrheit

und

Unschuld

:c.

S ehr unterschiedene Gedanken zweier Personen w e lt­

1723.

3) Löschers Vorrede a. a. O. und Lange's E rlä u te ru n g S . 627.

Vergleichung m it dem älteren Pietismus.

weg, G e b h a r d i fertigung.

37

und W ü r f f e l in G re ifsw a ld über die Recht­

Um dieselben Themata drehten sich die Streitschriften

von M a r p e r g e r und N e u m e is te r , K o p p e n und E d z a r d i *). D ie Verdrießlichkeit der stets wiederholten Beschuldigungen hatte zur Folge,

daß an manchen O rten wie in Chursachsen (1 7 2 7 )

der Gebrauch des Scheltworts P ie tis t und P ie t is m u s verboten und selbst dem kirchlichen S tra fa m t Schranken gesetzt w u rd e n .2)

III.

Der

In h a lt

des S t r e i t s .

Uebergehend zu dem sachlichen Gehalt und den Resultaten der vorgeführten S tre itlite ra tu r haben w ir die schwere Aufgabe, dem Leser fü r meist schon bekannte D inge ein erneutes Interesse abzu­ gewinnen,

und

diese kann uns

n ur

gelingen,

wenn

w ir alle

Merkmale einer stetigen Entwickelung und fortschreitenden Geistes­ bewegung scharf in'ö Auge fassen. D a s historische B ild w ird nicht lediglich durch gewisse wiederkehrende Typen, es w ird durch Licht und Schatten, durch Annäherung oder Entfernung der Gestalten und durch den umgebenden Rahmen bedingt.

Dieselben Fragen

und Gegensätze ziehen sich fast durch ein halbes Jahrhundert der deutschen Kirche fo r t,

aber sie treten 1720 anders auf als 1680

und wirken anders, w eil inzwischen eine andere G ru p p iru n g und O rdnung der religiösen Erscheinungen sich gebildet hatte.

Spener

und seine Schüler hatten innere B elebung, R einigung, B ethäti­ gung des Glaubens und der Kirche bezweckt; ihre Bestrebungen form ulirten sich genauer, nachdem sie von der Kirche verdächtigt und dann verketzert worden.

D ie neue Richtung erhielt das A n­

sehen einer gefahrvollen, willkürlichen, Wissenschaft und Kirche ver­ fälschenden A usartung. ')

D ie

Aber derselben Ansicht w ard in den fo l-

hierher gehörigen Abhandlungen finden sich aufgezählt in Walchs

Einleitung, Jena 1730, S . 923. bach, a. a. O . I I , S . 193.

B ibi, theol. Selecta I I , p. 713. 735.

Hoß-

Mehrere« Einzelne wird unten noch Erwähnung

finden. ») Walch, «. a. O . @ .1 0 1 3 .

Sechstes Buch.

38

Erster Abschnitt.

genden Jahrzehnten Z e it gegeben, in sich selbst zur Ruhe zu kom­ men, sich von den Sym ptom en eines unbegrenzten religiösen S u b ­ jektivism us wenigstens theilweisc loszumachen und zugleich Früchte zu bringen, deren christlicher Werth nicht geleugnet werden konnte. Folglich

erscheint der P ietism us zweiter Periode m it dem älteren

verglichen theils mehr c o n c e n t r i r t Lehrform

bestimmter

abgelöst,

und von

theils faktisch

als eigenthümliches Element in den kirchlichen Verkehr aufgenommen. Form

der altgläubigen g e s i ch e r t

D a m it hängt denn auch die veränderte

der gegenseitigen Bekämpfung zusammen.

Welche P feile

waren auf S p e n e r und die Seimgen von rohen Händen schleudert worden!

und

und literarischen

ge­

Diese W uth der Speneromastiges endete m it

S c h e l w i g ; Löscher wollte und konnte sie nicht nachahmen, da er den P ie tism u s,

von dem er in der S tille gelernt, nicht bloß

züchtigen, sondern durch W iderlegung gewinnen wollte.

A ndrer­

seits w ar der M u th der ganzen P artei durch die Halle'sche Facultät bedeutend gewachsen. gangen;

Diese ist daher a n g r e i f e n d zu Werke ge­

ihre Entgegnungen gingen über das M aaß der bloßen

Abwehr und V erantw ortung weit hinaus, und sie w ar der Ueber­ zeugung, daß nicht die Kirche als Ganzes sondern nur eine Faction eigensinniger B u c h s t ä b l e r und S y s t e m a t i k e r ih r gegen­ überstehe. W erfen w ir einen B lick auf die allgemeinen Zurüstungen der orthodoren K ritik.

In

den Freunden des kirchlichen Rechtsbestan­

des drängte sich, wie w ir oben sahen, die V orahnung eines an­ deren religiösen Zeitgeistes hervor.

Löscher hat nur Klagen im

Hinblick auf die letzten Decennien, nur Lobeserhebungen wenn er weiter zurücksieht.

E r preist das Jahrhundert des kirchlichen F rie ­

dens seit'dem Abschluß des Concordienwerks: aber seit 1660 seien die Freigeister geduldet und dann beifällig gehört worden, und seit dreißig Jahren habe der öffentliche oder heimliche, grobe oder subtile „E nthusiasm us" was noch gut w a r ,

eingenommen und fast ver­

schlungen, und es sei nicht zu sagen, wie P ila tu s und Hervdes, näm ­ lich der N aturalism us und Enthusiasmus, Freunde geworden seien zum Unheil der Kirche.

„W eltliche Häupter, Lehrer und Zuhörer

sind großentheils des Evangelium s müde gew orden." ‘) D ie G ei­ ster setzen sich über alles Gegebene hinweg und verlieren den S in n für die Wichtigkeit rechtsgültiger Lehren, keine Censur und O brig­ keit weist sie nachdrücklich in ihre Schranken. Die bestehenden Lehrartikel und S treitfragen werden für Logomachieen ausgegeben, und Schriftsteller wie B a y l e , Locke, H o b b e s , — auch D o d w e ll und C l e r i c u s werden hinzugefügt, — N aturalisten, Kabbalisten, Spinozisten behalten kaum noch irgend eine gemeinsame W ahr­ heit in H änden. D ie Kirche hat daher nicht allein die Pflicht, den ganzen Umfang dieser sie umgebenden Feindschaft zu über­ sehen, sondern auch die Vorbegriffe festzustellen, die deren E indrin­ gen in die G rundlagen christlicher Ueberzeugung verhindern sollen. D a s ist der Zweck der allgemeinen Polemik Löschers und seiner Praenot i ones t heologi cae. D er Reihe nach werden hier alle Formen der Hinwegsetzung über das Positive durchgegangen und die Stellen bezeichnet, wo die W ahrheit von einem bloßen Schein ver­ drängt w ird. D er Verfasser classificirt mit Geschicklichkeit und be­ ginnt mit den äußersten Ertrem en. D er theoretische Atheismus scheitert an einem theologischen Vorbegriff, nach welchem die schöpfe­ rische Ursache der D inge sich außerhalb des Verursachten befinden m uß; indem der At h e i s t von G ott auf eine immanente Causalität znrückflieht, hebt er nicht eine Nebenbestimmung der G ottesidee sondern diese selber a u f .') Vergebens verdünnen die D e i s t e n das höchste Wesen zu einem müßigen Gedankending, oder andere Universarier wie S p i n o z a verlegen alles Nothwendige in die ') Vollst. Tim. Ber. 1, S . 1— 3. Ejuscl. Praenott. theol. ab init. Si reliqua, quae nunc exstant, orjjAtia twv xatQÖJV conferam, non possum non difficultatcm temporum agnoscerc. Ejusd. Init. academ. Viteb. 1707. Bone D e u s, quanta vanorum verborum saburra ab aliquot lustris navem Christi vexavit, quid non absuvdissimarum sententiarum publicis hactenus chartis est defensum! — A. Bergius , De hodierna sentiendi circa sacra libertate, Rostoch. 1721. 2) Praenott. theol. 1— 6, contra Atheos explicitos. — Non ludat voce causae et causam immanentem ex Spinozae schola arcessat, sed efficientem vere talem intelligat. — Itaque ideam ipsam D ei, non saltem aliquod ejus adjunctum impugnant Athei.

40

Sechster Buch. Erster Abschnitt.

Unendlichkeit der absoluten Substanz, denn wenn sie die W ahrheit der göttlichen Zwecke leugnen, fallen auch Schöpfung und Vorsehung dahin. ') D a s Wechselverhältniß zwischen G ott und der Mensch­ heit aber darf nicht zu den vergänglichen Form en, noch der C ultus zu den zufälligen Aeußerungen der Religion gezählt werden, denn darauf beruht sie und kann nicht bestehen, sobald entweder G ott in die W elt oder Weltseele versenkt oder nur als todter mecha­ nischer Ausgangspunkt au s ihr herausgerückt w ird. Diese P r ä ­ notion gilt gegen die Klasse der J r r e l i g i o n a r i e r . *) D ie I n ­ d i f f e r e n t s t e n aber sind Solche, die zufrieden mit dem Dasein religiöser Vorstellungen jeder für sich gleichen W erth geben, H ä ­ resie und Orthodoxie durcheinanderwerfen, alle Satzungen einander gleichstellen, weil keine sich jem als allgemeiner Beistimm ung er­ freut h a b e .*23) Ihn en wird das Kriterium der W ahrheit entge­ gengehalten, daß es ein bestimmtes Wissen gebe und geben müsse, das weder durch die S in n e noch durch bloße Reflerion gewonnen w ird. Dieselbe Bestimmbarkeit des religiösen Wissens oder G la u ­ bens wird auch von den M y s tik e rn aufgehoben, welche dasselbe aus dem O rgan der Erkenntniß in das des G em üths oder W illens, ja in den inneren S in n und Geschmack herabversctzen, in dessen Abgrund jede deutliche Aussage erlischt.4) Die B ew eisführung schreitet weiter zu denen fort, die zwar nicht die Offenbarung als solche, aber deren biblische Niederlegung leugnen; ihnen gegenüber ist der göttliche Ursprung des Kanons festzuhalten, damit sich Nie­ mand auf G rund von angeblichen Widersprüchen und UngereimtJ) Praenott. p. 25 sqq. 2 ) Ibid. p. 57 — 67. Contra Irreligionarios. — Religionem nec a melancbolia nec a politicis causis oriri, non esse rem mediam etc, 3) Ibid. p. 123. Contra Indifferentistas fanaticos. Orthodoxiam nauci faciendam, aequalia omnia, etiam confessionem veritatis ad salutem et indolem Christianismi nihil facere, haeresim chimaericum ens esse, in qua vis religione salutem aetcrnam obtineri posse, ad solam voluntatis rectitudinem et vitae pietatem omnia redire, controversias omnes inutiles esse. 4) Ibid. p. 139. Veram imo et purissimam cognitionem in intellectu tieri, non in „fundo m entis“ , facultate ab intellectu multum diversa et Omnibus ideis vacua.

heilen aller Auctorität des Geschriebenen entziehe. Andere wieder, wenn sie auch der h. S chrift trauen wollten, sind doch gegen die dogmatische Lehrform dergestalt eingenommen, daß sie alle einzel­ nen Behauptungen in philosophische Allgemeinheiten auflösen möch­ ten. Gegen diese A n t i d o g m a t i k e r spricht das V orurtheil, daß sich die christliche W ahrheit nur in einer Reihe von Artikeln auSsprechen läßt, und zwar muß deren Erforschung ein S tudium for­ dern und verlohnen, dam it sich die Feinde aller theologischen Systematik nicht wie von einer unfruchtbaren Grübelei abwenden dürfen. ') Auch D o g m a t i s t c n nennt Lös cher in diesem Z u­ sammenhang und meint dam it sehr abweichend von dem neueren Sprachgebrauch gerade Kritiker, die manche biblische Angaben wie von Engeln und Däm onen als unznvcrläßig beseitigen. *) E nd­ lich geschieht auch der Rationarii, d. h. der Rationalisten E r­ wähnung, wobei bemerkt werden muß, daß diese in damaliger Zeit wohl zuweilen als einzelne Denker, aber nirgends als bestimmte Richtung und Schule genannt w erd en .3) Uebrigens definin sie Löscher in dem später gewöhnlichen S in n als diejenigen, die der h. Schrift die Vernunft zur S eite stellen ohne zu bedenken, daß Niem and aus eigenen Kräften der N atur die wahren Begriffe göttlicher Mysterien zu fassen, noch weniger die vollständige O rthodorie zu besitzen verm öge.4) Eine G eneral-P olem ik dieser Art ist uns in der bisherigen Literatur noch nicht vorgekommen, und sie ist, so sehr auch Lös cher die G efahr überschätzte, doch aus einem G efühl des Bedürfnisses i) Ibid. p. 179. Non igitur uno s alt ein artieulo divinam verilatem contineri sed plures requiri. — Contra per vulgatum praejudicium religionem facillimam esse debere p. 187. Eam esse indolem doctrinarum fidei, ut Studium accuratae investigationis cum fruetu circa illas impendi possit. a) Praenott. theol. p. 241. *) Ibid. p. 245 sqq.

4) Z n den B eispielen des religiösen In d iffe r en tism u s gehörte die F lu g ­ schrift: Pense'es libres sur la religion, l’eg lise . et le bonbeur de la religion, 1722, woselbst ausgeführt w ir d , daß die R eligio n dem gem einen W esen n u r so w eit dienlich sei, als sie zu dem G lauben an eine oberste Kraft anleitet und gute M o ralien vorschreibt. A lles A ndere dürfe m an füglich auf sich beruhen lassen. D a z u bemerkt Löscher in den „ N ö th ig en R eflexion es e t c ." W ittenberg 1 7 2 4 :

42

Sechstes Buch.

hervorgegangen.

Erster Abschnitt.

Hatte man so lange Z e it die Reihe der S p e cia l­

häretiker von den A rianern abwärts aufgezählt: so kam es a ll­ gemach darauf an,

die allgemeinen Anläufe

gegen das Wesen

oder die P ositivität der R eligion in 's Auge zu fassen, welche bis­ her in der E inleitung zur Dogmatik kurz berücksichtigt und abgefertigt zu werden pflegten.

Wenn Löscher ein selbständiges S tu d iu m

auf diese theologischen Borbestimmungen wie auf die Feststellung der dogmatischen Wortbedeutung in der h. S c h rift verwendet: so bezeugt er dam it, w ieviel an diesen Vorarbeiten und Vorbegriffen gelegen sei, und w ir finden ihn wie andere Gleichzeitige sehr em­ pfindlich gegen die allgemeine Erschütterung des religiösen Bodens. E in schrankenloser Weltgeist droht sich von allen Seiten zu nähern, und an den Grenzen und Außenwerken muß er gebannt werden. A lles ist an der W ahrung der rechten Grenzen gelegen, denn wo diese überschritten sind, verfallen w ir den fremden Mächten des Enthusiasmus, welche nur die Scheingestalt von der R eligion b o r­ gen, während ih r In h a lt verflüchtigt w ird .

Gerade diese Namen

führen Löscher und Genossen unaufhörlich im Munde, m it Recht, da sie selber das völlige Gegentheil jenes Geistes darstellen.

Der

kirchliche S tandpunkt, wie er in ihnen ausgeprägt w ird , ist der eines verständigen J n t e l l e c t u a l i S m u s ,

k la r, nüchtern, selbst­

gewiß und ungleich faßlicher als dieselbe O rthodorie im vorigen Jahrhundert erscheint.

Denn so streng auch von ihnen das G e-

heimnißvvlle des christlichen Glaubens gewahrt und dieser über das menschliche Denken hinauögerückt w ird : rationaler Form

erfaßt

und

in

einem

so soll er doch in

gegebenen Umfang

von

Sätzen m itgetheilt werden, und eben diese verständige M itth e ilb a r­ keit geht unter mystischer und phantastischer Ungewißheit oder spe­ kulativer Eigenmächtigkeit zu Grunde.

W ahrheit und F röm m ig-

„Vielleicht hat der A u to r nöthig gehabt, dam it die T re n n u n g zwischen den E p is kopalen

und Nonconsormisten

hoben werde, also zu schreiben. braucht m an

noch nicht

da» Land gehen zu lassen.

oder Presbyterianern

in G roß britannien

aufge­

Aber um eine angesteckte B auernhtitlc zu löschen,

alle Schleusen zu öffne« und die ganze Seefluth über S o l l ich darum einen A rm

m ir der flehte Finger nicht wehe th u e? "

abhauen

lassen,

dam it

D e r Pietismus ein Kirchenübel.

43

feit finden innerhalb dieser Schranken des Lehrbaren allein B e ­ friedigung. Lösch e r ' s theologische Pränvtionen haben uns den Weg ge­ bahnt zu dessen B eurtheilung des jüngeren P ie tism u s, also zum Tim otheus V e rin u s ,

denn eine bessere Gegenschrift als diese hat

die orthodore P artei nicht aufzuweisen.

D a s Werk vereinigt die

oben angegebenen Eigenschaften seines Urhebers, und abgesehen von einigen S tellen, die allzusehr in 's Klagende fallen, und wo der Verfasser bekennt, seine Feder in Thränen getaucht und unter un­ zähligen Seufzern über das E lend, das in der Kirche entstanden sei und vermuthlich noch m e h r.anwachsen w e r d e ') ,

geführt zu

haben, — behauptet es eine ernste, gewissenhafte und gründliche H a l­ tung.

Auch verdient es schon den Namen einer K r i t i k , statt bloßer

Anhäufung von V o rw ü rfe n und Mäkeleien.

D er P ietism us steht

als in sich zusammenhängende Erscheinung da, und so w ird er in Untersuchung gezogen.

Z w a r wie ihn

die Hallischen vertreten,

greift er nicht direct die christlichen Vorbegriffe an, hüllt sich vie l­ mehr sorglich in das christliche und kirchliche Gewand, hängt aber doch

innerlich

m it

den Verderbnissen

der Indifferenz

und

des

Enthusiasmus, kurz m it der religiösen Ausschreitung zusammen. H ier paßt weder der Name einer Secte noch einer Ketzerei, es ist ein

m a lu m

P ietisticum , ein

K ir c h e n ü b e l

und Unkraut,

das

neben den schönsten Gewächsen wuchernd desto eifriger ausgejätet werden m u ß .2)

Geringschätzung der göttlichen O rdnung , unge-

meffenes Streben nach Vollendung, einseitige Verschwendung der Gemüthskräfte, Ungebundcnheit der E inbildungskraft, Vermischung ungleichartiger D inge sind tief in der menschlichen N a tu r begrün­ dete Unarten und haben zu dieser Ausgeburt, so christlich sie auch scheinen mag, beträchtlich mitgewirkt. von diesen Flecken von Anfang an

D ie Lutherische Kirche ist nicht fre i

geblieben.

Von

L u th e r selbst behauptet L ö sch e r, daß er sich allzu sehr m it mysti­ schen Scribenten beschäftigt, „d ie deutsche T heologie", den T a u le r und T h o m a s

a Kem pis

überschätzt; von dem S tu d iu m

') Vollst. Tim. Per. I, S. 754. ') Vollst. Tim. Ver. 1, Cap. 1.

die-

Sechstes Buch.

44

ser sowie des A u g u s tin

Erster Abschnitt.

und der Scholastiker

sei ihm

einiges

Unklare und nicht Nachzuahmende hasten geblieben, was gewisse Nebensätze seiner Lehre getrübt habe.

V o m Buchstaben und Geist,

von geistlicher E rfa h ru n g , V e rn u n ft und Philosophie haben sich Reste einer falschen Ueberschwenglichkeit wie

zukünftiger unheil­

voller Erneuerung eingeschliche». ' ) Eine

doppelte

nöthig sein.

Zwischenbemerkung möchte an

Es ist der erste F a ll,

männern ein M ittle re s wahrem

dieser S telle

daß von strengen Kirchen­

statuirt w ird , zwischen Kirchlichkeit oder

Christenthum

und

Häresie.

Wenn

Löscher

bekennt,

daß er S p e n e r weder verdammen w o lle , noch selig zu nennen sich

überwinden

v ö llig

könne:

so w ar

unhaltbares M itte ld in g ,

dies ein

in

der

Anwendung

ein

unprotestantisches Fegefeuer.

W ichtiger erscheint die

von ihm gebrauchte allgemeine Kategorie

eines K i r c h e n Ü b e l s .

Denn wenn er gelegentlich auch die M e -

lanthonische

Richtung

als

malum

Philippicum

bezeichnet:

so

möchte dieser Name ungefähr dem entsprechen, was man später H e t e r o d o r i e *) nannte, und was von dem überlieferten S ta n d ­ punkt w ohl bestritten, aber nicht ausgewiesen werden darf.

Ohne

es irgend zu wollen, hat also Löscher dem Dasein einer Neben­ richtung Raum gegeben, welche eben darauf, daß sie kein Anathem

')

Löscher, a. a. O . Lp. 1. S . 30 ff.

2) D ie alte Theologie hat den Unterschied zwischen häretisch und heterodox nicht anerkannt. desselben, damnant.

Z w a r enthält

da sie im

die Augsburgische Confession eine Andeutung

zehnten A rtikel sagt im p r o b a n t secus docentes,

sonst

Aber diese D ifferenz ist m it der Unterdrückung deö M e lanthonism tts

gänzlich verwischt w orden; Jah rhun derts

eigentlich

auch w a r es

fü r

das Lutherthnm

eine müßige D istinction.

deö siebzehnten

D enn nachdem das

ganze

D ogm a fü r consessionell nothwendig und fundam ental erklärt w orden, stand es n u r dem Häretischen gegenüber, und eL w ar kein G ru n d , etwanige Nebenfragen überhaupt zu dem rechtgläubigen S tandpunkt als solchem in V erhältniß zu setzen. N u r vom S y n k re tis m u s G eltung

läß t sich sagen, daß er dem B e g riff des Heterodoxen

zu verschaffen suchte.

D enn er bezweckt Läuterung des Lehrbegriffs

und unterscheidet zwei Richtungen derselben kirchlichen Gemeinschaft, deren eine zwar vo rlä u fig die stärkere A u c to ritä t für sich habe,

dennoch aber von der an­

deren geprüft und berichtigt werden dürfe, also daß das Resultat der Z u kunft überlassen bleibt.

45

Was tadelt Löscher an Luther?

K D , das Recht ihrer Eristenz gründen w ird .

Geschieht dies m it

einigem E rfo lg : so kann sich das Orthodoxe nicht mehr m it dem ganzen Umfang

des Kirchlichen

identificiren. —

Zweitens

aber

liegt in L ö sc h e r ' » Bemerkungen über Luther wieder ein Ansatz zur K ritik der R eform ation, und wer hundert J a h r früher sich Aehnliches erlaubt hätte, würde als C alvinist verschrieen worden sein.

H atte S p e n e r den prophetischen Geist an L u t h e r verm iß t:

so findet Löscher ständige M a n n

gerade zuviel Antheil an der M ystik; der ver­

rügt dasjenige, w o rin Neuere m it Recht die re­

ligiöse Tiefe des Reform ators, seine weitreichende Empfänglichkeit erblickt, was w ir selbst zur Erklärung der Lutherischen Lehre mehr­ m als in Betracht gezogen haben.

Aber auch diese Rüge erweiterte

doch den historischen Blick in die evangelische Christenheit, welche bei ihrer resormatorischen G ründung schon mehr in sich aufgenom­ men hat, als das erclusive Dogma genehmigen wollte.

Ueber-

haupt wurde das V erhä ltn iß L u t h e r ' s zur Lutherischen Kirche von verschiedenen Seiten geprüft.

Einige machten ihn zum Antipietisten,

Andere zum Vorgänger S p e n e r ' s , und es hielt nicht schwer, ganze Satzreihen zusammenzustellen, in welchen vom allgemeinen Priester­ thum, von der religiösen E rfahrung und Frömmigkeit wie von der Gesetzeserfüllung ähnlich wie von dem Letzteren geredet w a r. Hauptgewinn dieser Vergleichungen w ar

Der

die unbefangenere B e ­

urtheilung des R eform ators im V erhältniß zu der »ach ihm be­ nannten Confession

oder die Erkenntniß,

daß es schwierig und

unthunlich sei, den Anfänger der Bewegung nach späteren Gesichts­ punkten zum orthodoxen oder pietistischen Parteim ann zu stempeln W ir kehren in den Zusammenhang zurück.

Nach solchen Z u ­

geständnissen fährt der Schriftsteller desto sicherer m it dem Bemerken ’ ) Hierher gehören die S treitschriften: M . W . Wagner, Lutherus Antipietista, Vitemb. 1716 (praeside Loeschero), dess. Spiritus erroris a spiritu vcritatis cognitus ac detectus etc. Vitemb. 1720. Dagegen: I . U. Schwentzel, Lutherus S peneri V orgänger und dieser jenes treuer Nachfolger, B e rlin 1719. Desselben P rü fu n g des in den Unsch. Nachr. unlängst ertheilten Berichtes von dem spiritu erroris, Halle 1724.

D ie Verhandlung bezog sich auch auf exegetische

F ra g e n , ob z. B . Spener Rom. 7 fälschlich vom verstanden habe.

unwiedergeborenen Menschen

46

Sechstes Buch.

fo r t,

Erster Abschnitt.

daß die Gebrechen, von denen selbst L u t h e r nicht fre i ge­

wesen, nachher in höherem Grade zum Vorschein kamen. A r n d t und A n d r e a , ein M e y f a r t , M ü lle r

sind die V erbreiter

des

T a rn o v

E in

und H e in r ic h

schleichenden Uebels,

welches

schon in S p e n e r eine bedenkliche Höhe erreicht hat, um in seiner Schule

dann

zum Verderben

auszuarten.

D ie

„unbehutsame"

Lehrart wurde fü r die wahre und befriedigende ausgegeben.

DaS

sogenannte

dem

t h ä t ig e

Christenthum löste sich gleichsam von

le h r h a f t e n ab, und es entstand die M e in u n g , daß man im p a ränetischen V ortrage Sätze aufstellen dürfe, die in dem akroamatischen und systematischen nicht die Probe halten, w ie einige R eform irte behaupten, um ermuthigend zu wirken, müsse man Pelagianisch predigen.

Aus

dem sludium pietalis wurde

ein

unordentliches

Treiben, welches auf der einen Seite jede Lockerung der kirchlichen Lehre freigab, während auf der andern das sittliche Betragen der Anhänger pedantisch eingeengt wurde *)♦ D a s ist die historische Deduktion des Tim otheus V erinus, w ir sehen,

daß

sie aus

s ch lo sse nh e it

den Voraussetzungen

der Kirche

dogmatischer

Abge­

und Theologie konsequent hervorgeht.

Um nun das volle Charakterbild des P ietism us zu zeichnen, w e r­ den nicht weniger als d re iz e h n Merkmale aufgeführt als Summe seiner abnormen Neigungen, —

und dieses ansehnliche Berzeich-

niß z) ist vorsichtiger Weise so gewählt, daß es keinen gewöhnlichen Ketzernamen enthält.

Eine Beleuchtung der wichtigeren Momente

muß fü r unsern Zweck genügen. J n d iffe r e n tis m u s ,

denn aus

Zuerst also der frommscheinende ihm stammt jenes Pochen auf

Kraft-Christenthum , jenes Herabsehen auf die „seligmachende Lehre", als ob sie lediglich in logischen H irnw ahrheiten bestehe, jene stolze Hinwegsetzung über ein Christenthum, welches in einem abgemessenen V o rra th von Glaubenspunkten seine Sicherheit sucht.

M a g dieser

Jndifferentism us nun gerade heraussagen, es gebe nur Eine Re­ lig io n , die der P ie tä t, alles Andere sei T and und B ild e rkra m , oder sich vorsichtiger dahin ausdrücken, daß n ur gewisse H a u p t-

') Vollst. Tim. Ver. I, S. 38 ff. ') Ebendas. S. 174.

lehren Nothwendigkeit haben, die jedoch ebenfalls erst durch leben­ dige Anwendung fruchtbar werden, daß aber der Gnadenstand auch m it starken Irrth ü m e rn , folglich m it verschiedenen christlichen B e ­ kenntnissen verträglich sei: so lä u ft es doch stets auf dasselbe h in ­ aus ' ) .

E in

zweites Abzeichen

nennt

der Verfasser G e r i n g ­

schätzung des geschriebenen W o rts und der Gnadenmittel.

D a h in

gehören die oft wiederholten Sätze, daß die wahre Lehre n u r in den Frommen wirklich vorhanden sei, w eil sie lediglich in ihnen die K ra ft gewinnt, ohne welche n ur etwa von der Wissenschaft und Kenntniß der Lehre, nicht von der ganzen W ahrheit die Rede sein könne.

D a m it werde den Gnadenmitteln keine K ra ft zugeschrieben

als diejenige, die sich in den Gottseligen selbst äußert und aus ihrer P ietät herfließt.

Ungeachtet aller Lange'schen Winkelzüge er­

geben sich zwei Irrth ü m e r aus seiner E rklä ru n g , erstens daß das Annehmen und Verstehen der reinen Lehre v o r dem E in tritt der vermeintlichen rechten W eihe bloßes N aturw erk sei, und zweitens daß die eigentlich bekehrende H ü lf e

aus einer besondern „ E in ­

gießung evangelischer S üßigkeit", nicht schon aus dem offenbarungs­ gemäßen Sakrament des W ortes herstam m e'). M e rkm a l,

Ueber das d r i t t e

E n t k r ä f t u n g des g e is tlic h e n M i n is t e r iu m s oder

der A m t s g n a d e erklärt sich Löscher m it Geschicklichkeit.

Nach

kirchlichen Grundsätzen soll man dem Am t seinen m it der göttlichen Einsetzung verbundenen W erth belassen, denn dieser und die m it ')

S . 173 ff.

2)

Ebendas. S , 192. 2 0 7 ff.

D ie

genauere Auseinandersetzung

V e rh ä ltn iß von W o r t und K ra ft f. S . 2 24 . Lehre hö re t, auswendig le rn e t,

über

da«

„ D a ß n u n Jem and z. E . die reine

dam it umgehet, solches ist, wenn der göttliche

Ursprung und Erhaltun g dieser Lehre zuvor ausgesetzet w ird , paedagogium und natürlich, und dieses nennen w ir praesentiam medii nondum recepti exteriorem, welche von der allgemeinen Providenz Gottes, sofern sie über die Kirche wachet, herrühret und doch nicht zum N aturreich oder ersten Artikel schlechterdings ge­ höret.

D a ß aber die rechte reine Lehre aus der S c h rift von Jem and verstanden

und angenommen werde, solches ist praesentia medii recepti et interior, wel ches nim m erm ehr ein bloßes W erk natürlicher K rä fte heißen kann, und deswegen nennen w ir

sie ein Gnadenwerk" etc.

M an

sieht aus dieser S te lle , daß doch

selbst Löscher nicht ohne Distinctionen sich und seinen Standpunkt aus der Schwie­ rigkeit herausziehn konnte.

48

Sechstes Buch. Erster Abschnitt.

ihm verbundene segnende Wirksamkeit bleibt den rite Berufenen und richtig Lehrenden unter allen Umständen gewiß, selbst bei an­ stößiger persönlicher Lebensführung. M it Unrecht leugnen es die G egner. Allein dieses relative Unabhängigsein der Amtsgnade von der Würdigkeit ihrer In h ab er bildet nur eine thesis provisionalis oder nöthigen Nebensatz; es wird nicht der Gottlosen sondern um der Sache willen behauptet, weshalb es auch keineswegs ver­ hindert, vor unheiligen M itgliedern des M inisterium s gerechter Weise zu warnen, gleichwie die Lutherische Kirche ihren Satz, daß auch die Gottlosen das Abendmahl genießen, nur darum festhält, weil sonst die W ahrheit dieses Genusses überhaupt nicht unbedingt gesichert sein würde. L a n g e aber muß die N atu r und Verheißung des geistlichen B eru fs selber antasten, wenn er bei unlauterem W andel nur die Schaale und den Buchstaben derselben ohne jede Fruchtbarkeit übrig lassen will Dogmatisch wichtig ist wieder der f ü n f t e Punkt, die V e r m e n g u n g d e r G l a u b e n s g e r e c h ­ t i g k ei t m i t d e n W e r k e n . Hier wiederholt der Verfasser freilich Altes und Längstbekanntes, doch folgt man ihm mit Interesse, weil er den Fragepunkt gut herausschält. D ie Pietisten wollen nun einmal sich selbst und ihre Tugend.geltend machen in de m, w as nicht ihnen gehört; sie wollen dem eigenen T hun in der Recht­ fertigung eine Stelle geben. Aber sobald dies geschieht, hört dieser Aet nothwendig auf fundam ental und übermenschlich zu sein, er wird ein aclus xaxTixög, ein Stück der im In n e rn des Menschen erfolgenden Vorgänge, — ganz im Widerspruch mit den symboli­ schen Bestimmungen. S o lange der Artikel von der Justificativn für sich allein steht, ist es unberechtigt, dessen Bedeutung mit praktischen Momenten zu verunreinigen, mögen auch vocabula activa in demselben vorkommen; Thun und Empfangen schließen sich in dem grundlegenden H eilsact gegenseitig aus *2) . W ird er *) Tim. Ver. I, S . 334 ff. 2) Ebendas. S . 389. Fides non est practica quatenus justificat, fides non justificat quatenus est practica. Praxis fidei non ingreditur in opus et articulum justificationis. Zur Aufklärung dienen S . 396 folgende zu bejahende

Fragen: Ob die Rechtfertigung des Sünders, dessen Glaube noch nicht der S ieg

49

Falsche Erklärung des Geistes.

aber mit seinen Folgerungen verbunden: so muß der G laube, den der h. Geist wirkt, allerdings ein thätiger sein. Aber dadurch ist noch nicht entschuldigt, daß jene eine doppelte Justification von passiver und activer Art annehmen, oder daß sie ohne höchst nöthige Restriction lehren, der G laube oder glaubende Mensch habe ein geist­ liches Leben, ehe er Christum ergreift, ja eben darum ergreife er Christum zur Gerechtigkeit, oder daß eine gewisse H eiligung der Rechtfertigung vorangehe Liegt darin eine unevangelische S elbst­ überhebung, so nicht minder in der Zulassung mystischer Vorstel­ lungen. D er M y s t i c i s m u s *23) ist alt und heidnisch, von jeher hat er sich in 's Ungemeffene verstiegen und den Abstand des I r ­ dischen und Ueberirdischen überspringen w ollen. D er P ietism u s giebt , diesem S treben nur ein christliches G ew and, und die Brücke, aus welcher das Göttliche in das Menschliche verstohlen herabge­ leitet wird, ist der G e ist. Freilich ein sehr verführerischer N am e, wenn man dessen biblische Bedeutungen nicht zu übersehen weiß 3) ! D ie Pietisten sind unklare Geisttreiber; sie mengen allerhand un­ gewisse menschliche Regungen ein, die Affecte der Phantasie, die guten sittlichen Bewegungen, die Frömmigkeit und Liebe, und das um so geflissentlicher, damit sie die orthodoxe Wissenschaft vom Gesetz und Evangelium dem Buchstaben überweisen können. S o werden wieder die Grenzen verrückt, das Geistliche unzeitig in die N atu r hineingetragen, das Verhältniß zur G nade entstellt, der Über die Welt ist und der noch keine inhaerentem justitiam hat, gleichwohl die wahre rechte und völlige Rechtfertigung sei? Ob nicht diejenige Ergreifung Christi, da der Glaube eines heiligen Menschen Christum zum Siege und zur Freiheit ergreifet, der rechte Grund des Heils und dasjenige fei, dadurch man im göttlichen Gericht bestehet? ’ ) Ebendas. S . 344. 423 ff. 2) Ebendas. Cap. 9 , S . 488. Ueber die historische Anschauung Löscher's s. dessen Historia enthusiasmi philosophici in Stromateus, sect. XII. 3) Ebendas. I, S . 537. Der Verfasser giebt fleißige biblische Bemerkungen über die Begriffe Fleisch, Buchstaben und Geist, welchen letzteren er jedoch ungenügend besinnt: „Und ist demnach die wahre Notion und der eigentliche Concept des Geistes in unserem Forum , daß es sei etwas von der Gnade des dreieinigen Gottes herrührendes Edles und Innerliches, welches zum Guten innerlich und äußerlich treibt und seine Consipenz und Währung dabei hat." Gesch. d. Protest. D ogm atik 111.

4

50

Sechstes Buch. Erster Abschnitt.

Fehler der Buchstäblichkeit und Fleischlichkeit aber in dasjenige ver­ legt, w as des Geistes ist. D arau s fließt die verderbliche M einung, daß in allen Menschen, — S ü n d er wie sie sind, — mit dem Geiste auch ein natürlicher Funke w ahrer H um anität und gött­ lichen G epräges, ein göttlicher S aam e als Princip der W ieder­ geburt enthalten, Christus auch in den Heiden verborgen sei und in uns geboren werden, leiden und sterben müsse. D a r­ au s entwickeln sich eine M enge unbesonnener Redensarten von der wahren au s G ott geflossenen Menschheit, von der Vergöttlichung der From men, von der Besitzung und G enießung göttlicher Eigen­ schaften, von der geistlichen Empfindung und Erfahrung undA ehnliches, w as sich in großer Anzahl in B r e i t h a u p t 's , F r a n k e 's , Z i e r o l d 's und F r e y l i n g h a u s e n 's Schriften beisammenfindet *), D a s göttliche Ebenbild wird m aaßlos übertrieben, es soll eine Participation aller göttlichen Eigenschaften, ja vor dem Falle Christus selber sein und noch jetzt in den Frommen leben. — W ie kann das aber auch anders sein, wo die kirchlichen Hülfsm ittel geringgeschätzt, die symbolische N orm als Buchstabenvergötterung verpönt, die öffentliche Polemik untersagt, die Secten- und Ketzer­ namen in Vergessenheit gebracht werden, wo endlich herausgesagt w ird, man dürfe Niem anden für einen Häretiker ausgeben, als wer aus bösem W ille n und in schlechter Absicht bei falschen M ei­ nungen b e h a rre '). D a s nennt Löscher an z e h n te r S telle die V e r n i c h t u n g der subsidiorum r e l ig i on i s. Die Waldecki­ schen Pietisten und selbst die Hallenser sind so weit gegangen, die Obrigkeit zur Verhinderung der kirchlichen Polemik aufzufordern. Gleiche Verwerfung trifft die philosophischen Hülfswissenschaften, die Logik und Metaphysik, — natürlich weil die Unterscheidung des W ahren und Falschen gar nicht im Verstand und der Theorie gesucht w ir d ') . Löscher macht in Bezug auf die altkirchliche B e ') Ebendas. @ .5 4 9 .

2) Breithaupt, Observatt. de haeresi p. 7. Haereticus ut talis haberi nequit, nisi apud quem circa negandam veritatem divinam explorata ait voluntatis perversitas.

a) Vollst. Tim. Ver. I, S. 580 ff.

51

Verhältniß der Frömmigkeit zur Lehre.

Handlung des Häretischen einige Zugeständnisse,

erklärt sich aber

gegen alle beschränkenden oder zweideutigen F orm eln in der S y m ­ bolverpflichtung.

M an. hänge sich, sagt er, n ur nicht an den Namen

der O r t h o d o x i e , der füglich wegfallen könnte, nachdem man ihn völlig zum Schim pf- und Ekelnamen gemacht und m it allen ehren­ rührigen Prädicaten überhäuft hat. die Orthodoxie im

technischen S in n e

Auch ist einzuräumen, daß als gelehrte Vortragsweise

n u r den Theologen zustehe; der Sache nach d a rf sie aber nicht wie ein Absonderliches, Gemachtes, aus Buchstäbelei und Menschenwitz Gewordenes angesehen werden,

sondern fä llt

m it dem wahren

Christenglauben zusammen und ist kein Menschenwerk *). — E s ist nicht nöthig, auch die übrigen Charaktcrzüge des pietistischen Kirchen­ übels nach Löscher zu beschreiben, nämlich den C h il ia s m u s , der zur Zeit nur wenig Anklang fa n d , den T e r m i n is m u s , den P r ä c is is m u s , d. h. die moralische R igorosität, die auch unschul­ dige Vergnügungen untersagt oder gar Alles verbieten möchte, was der Mensch im fe c t is m u s

Stande der Unschuld nicht getrieben, den P e r -

oder das übermäßige Streben nach V ollendung, den

R e f o r m a t is m n s setzte Umwälzungen

oder das fanatische V erlangen, durch fortge­ eine Kirche der

Vollkommenen in 'ö Dasein

zu rufen *)♦ In

dem B isherigen werden offenbar die kirchlichen Anklagen

gegen die neue Schule bündiger zusammengefaßt und wissenschaft­ licher begründet, als dies früher geschehen w ar.

D as Werk hat

jedoch noch ein zweites Verdienst; indem es der bestrittenen Theo­ logie der F r ö m m ig k e it die der L e h r e entgegenstellt, dringt eS in die N a tu r des vorhandenen Gegensatzes ein *2 3) .

Z w a r scheint

es auf einen sehr äußerlichen Fingerzeig der Benennung hinaus­ zulaufen, wenn Löscher meint, daß die Gegner m it Recht Pietisten heißen, da sie sich auf die P i e t ä t stützen, während zugleich die >) Ebendas. S . 631 ff. 2) V g l. unseren zweiten B and, S . 440 ff. 473. 3) Derselbe C onlroverspunkt ist schon in dem ersten Theile der pietistischen Streitigkeiten milgesetzt, w ird aber erst von Löscher m it vo lle r Schärfe entwickelt. S . B d. I I , S . 471. 479 ff.

Sechstes Buch.

52

Erster Abf»nitt.

in I s m u s

ausgehenden Endungen immer ein gewisses M a lu m

bezeichnen.

Aber dam it verbindet sich auch eine sachliche Einsicht.

Z um ersten M a l gelangt dieser Name zu einer principiellen W ich­ tigkeit in der protestantischen Theologie; bisher w ar die Fröm m ig­ keit entweder der H abitus und die natürliche Neigung zur R eligion und Theologie und gehörte dann in die theologische Methodik, oder sie w ar die Frucht und W irkung des rechten Glaubens oder zu­ weilen nur ein anderer Name fü r den G laubensinhalt selber.

W as

aber, fra g t Timotheus V erinus, haben die Pietisten aus der P ietät gemacht? ‘)

S ie ist ihnen ein praktisch religiöses Verhalten, w e l­

chem sie aber durch Einmischung in den Lehrgehalt einen falschen und übersteigenden W erth beilegen.

Denn behauptet man einmal,

daß die O ffenbarung, die gewußt und erlernt werden soll, in der Frömmigkeit ihren festen Bestand habe: so kehrt man das Sachverhältniß um und erhebt das Abgeleitete zum Grunde und zur N o rm .

S o fo rt entsteht die Consequenz, daß in rein doctrinaler

Richtung leicht zuviel, in der anderen nie genug geschehen könne; die Freunde der Lehre erscheinen wie Feinde der R eligiosität, ja sie müssen sich gefallen lassen, Patrone der Gottlosigkeit zu heißen.*2) Auch diese Verkehrtheit erlaubt wieder Abstufungen und G rade. E inige bekämpfen m it ihrer P ietät nur das Uebergewicht des stren­ gen D o g m a 's, Andere lassen die Rechtgläubigkeit» soweit sie noch gelten soll, von der Frömmigkeit abhängen, bis wieder Andere es dahin bringen, daß D ogm a und Gnadenm ittel von der an die S telle tretenden allwirksamen P ietät unkenntlich gemacht und ver­ schlungen werden. Durchgreifender konnte sich das orthodoxe P rin cip nicht aus­ sprechen.

D ie Autonomie der Lehre erlaubt keinen Abzug, unter

welchem T ite l er sich auch empfehlen möge.

W ie einst der S y n ­

kretism us verworfen w a rd , w eil er einem offenen Grabe gleiche, in welches die confessioncllen Lehrunterschiede herabgezogen werden, um bald ganz in ihm zu versinken: so ist es nun die subjective *)

T im . S e r. I , S . 7 8 2 .

D a s ganze fünfzehnte K apitel behandelt diesen

Punkt. 2) Vollst. T im . S e r. I I , S . 22.

Fröm m igkeit und Lehre.

53

Lebendigkeit der R e lig io n , die A lles zu verschlingen droht, was gestaltend und bestimmend über ih r stehen s o llte .l2 )

Oeffnet nur

dieser absorptiven Frömmigkeit die T h ü r, und bald w ird sie euch in die unm ittelbare Nähe der schlimmsten Freigeister, Gichtelianer, P oiretianer und Jnspirirte n geführt haben.

Dasselbe im Großen

in die Theologie eingeführte M iß ve rh ä ltn iß äußert seinen E influß auch auf wichtige Einzelbestimmungen.

D a h in gehört die irre ­

führende Voranstellung des W ille n s vo r dem In te lle k t.

W e r d a rf

leugnen, daß umgekehrt der Verstand eine magnetische K ra ft hat, von welcher der W ille abhängig b le ib t,

da er die empfangenen

Eindrücke des Wissens höchstens zu schwächen, nicht aufzuheben vermag?

Weiß Jem and, daß er G ift vo r sich h a t, sollte er sich

nicht dadurch bestimmen lassen? wahre Erleuchtung

Und ebenso die vermeintlich

der Pietisten kommt dadurch zu S tande, daß

der Frömm igkeit und dem W ille n die erste S telle eingeräumt w ird , obgleich sie doch erst aus der Erkenntniß des Buchstabens hervor­ gegangen sein können. das U rth e il

Nach allen übrigen Aussagen kommt also

des Tim otheus V e rin u s darin zum Abschluß,

von der Gegenpartei der ganze habi lus

religionis

daß

ad r e -

l i g i o n e m et salirtem v e r k e h r t w o r d e n se i. Nach so gründlichen Angriffen muß man auf die Antikritik und Selbstvertheidigung der Hallischen Theologie gespannt sein, zumal wenn sie von der Hand eines M annes ausging, welcher an wissen­ schaftlicher D urchbildung dem orthodoxen Vorkämpfer nachstand.3) >) C a lix ts Gegner urtheilten über die Abstufungen eines syncretismus temperativus, conservativus, absorptivus, f. B d .1 l, S . 185. Ebenso unterscheidet Löscher einen pietismus pugnae, dependentiae, absorptivus oder destmctivus, m it dem Zugeständniß, daß der letztere nicht gerade von den Hallischen geübt werde.

A. a. O . I, S . 770. I I , S . 66.

2) Löscher, Initia academica, Vitemb. 1709. Praeclara ergo in negotio conversionis ac sanctificationis intellectus a Deo illustrati rnunia sunt, atque si recte rem capiamus, ab illo ad voluntatem salutiferae Dei operationes transeunt. 3) A u f Lange'ö Gegenschriften haben w ir

um

so mehr einzugehen,

als

Engelhardt zwar S . 203 — 46 den In h a lt des T im othe us V e rin u s sehr genau und vollständig wiedergegeben, die V ertheidigung des A ndern aber gar nicht be­ achtet hat.

54

Sechste« Buch. Erster Abschnitt.

Z w ar in historischer Beziehung hatte er leichtes S p ie l, und die ganze M enge der an S pener und den ©einigen begangenen S ü n ­ den gab ihm Waffen in die H and. Doch muß er nach dem er­ sten sehr selbstgewiffen Auftreten der ganzen Schlachtordnung seiner P artei durch Ablösung des linken Flügels eine gesicherte Stellung geben, um von hier aus die Feinde „abfertigen" zu können. Seine Gegenreden zerstreuen sich in zahlreiche Einzelnheiten, die nur im A ntibarbarus und in der „M ittelstraße" zu einiger O rdnung ge­ sammelt sind. D er P ietism u s ist ein Kirchenübel, hatte L öscher behauptet. N ein, antwortet L a n g e , er ist nur eine F a b e l ') , entstanden in den Köpfen einiger eigensinnigen Systematiker. N ur Einbildung und fabelhaftes Gerede hat die Spenerische Schule einer unkirch­ lichen Richtung zeihen können, und die O rthodorie, die sich dessen vermißt, ist die Scheingestalt ihrer selbst. S ta tt sich bekehren und in das rechte Wesen des Kreuzreichs einführen zu lassen, beharren diese Pseudorthodoren nur bei ihrer altgewohnten Construction; es ist die äußerliche Art der Beurtheilung, es ist der B a r b a r i s m u s , der sie überall Fanatisches und Enthusiastisches wittern läßt. Non pie vivitur, ubi in fundamentalibus non recte creditur.

Fundam ental aber ist diejenige Lehre, welche unsere S eele in ihrer Unsterblichkeit führet auf die nöthige Erkenntniß des dreieinigen G ottes und die ewige Seligkeit, die ferner dem ebenbildlich er­ schaffenen aber gefallenen Menschen seine geistliche Seelenkrankheit zum vollen Bewußtsein bringt, die drittens Christus als Seelen» arzt in seinem dreifachen Amt und doppelten S ta n d vorstellt, und die endlich anzeiget, wie die erkannte Seelenarzenei in der O rd ­ nung der B uße, Rechtfertigung und Erneuerung zur wahrhaftigen Genesung wohl angewendet werden m üsse.2) Diese Sum m e um ­ faßt ungefähr das kirchlich Fundam entale, doch mit ungleicher B e') Daher heißt e« auf dem Titel des zweiten Bande« des Antibarbaras: solide demonstratur, Pictisinum non esse sectam sed fabulam , ebenso auf dem Titel der Neuesten Historie: zur erwünschten Erledigung deS Pietistischen Fabelwesens. J) Vgl. den Auszug au» der Mittelstraße S . 98.

Lange's Programm summarisch rechtgläubig.

55

tormrig der vier Hauptstücke desselben. Beachten w ir, daß die theologischen und schwierigeren christologischen Glaubenspunkte kurz berührt die H eilslehre aber nachdrücklich ausgesprochen, daß in der Heilung der sündhaften Menschenkrankheit und in der Erlösung, Heiligung und Ablegung alles ungöttlichen W esens der rechte End­ zweck des Evangelium s gefunden w ird: so werden w ir in solchen Aufstellungen theils eine Zusammenziehung des Fundamentalen, theils eine ethisch und pathologisch gefärbte Auffassung desselben nicht verkennen. L a n g e 's Program m ist ein su m m a risc h rech t­ g l ä u b i g e s , giebt aber alle genaueren Nebenbestiminungen sowie die feste Z ählung der Artikel frei und grenzt somit auf allen S e i­ ten an diejenige Indifferenz, die sich von selber einstellen wird, wo der W erth des erdeten G laubens w isse n s als solchen herab­ gesetzt w ird. Und das ist eben die B arb arei, gegen welche der A ntibarbarus so heftig zu Felde zieht, das eitle B em ühen, den G lauben wie einen W issensvorrath schulgerecht und form elhaft zu überliefern. D a s eben genannte Werk verläuft thetisch und antithetisch; barbarische und antibarbarische Sätze, S to ff und Kraft, Fach- und Lebenstheologie streiten wider einander, und der Schriftsteller zieht die G renze. Selbst in der h. Schrift wird ein zwiefacher S in n , ein natürlicher und übernatürlicher unterschieden, jener ist das M aterielle, w oran die Buchstäbler und die Unfrommen sich abarbeiten mögen, während ihnen der tiefere Geist verloren geht Eben weil die Religion den ganzen Menschen ergreifen und um ­ gestalten soll, kann sie nicht früher als bis dies geschieht, wirklich vorhanden sein, noch ebenso die Wissenschaft von ihr die rechten O rgane gefunden haben. Ein schlechter Christ wird kein w ahrer Theologe sein. Dieses Wesen der Theologie läßt sich nicht anders wahren als in dem Hauptsatz von der U n t r e n n b a r k e i t d e r E r l e u c h t u n g u n d W i e d e r g e b u r t , welcher von orthodorer S eite verworfen w ird, zu dessen B egründung sich aber alle E r­ gebnisse der Schrifterkenntniß, der E rfahrung und des menschlichen Bewußtseins vereinigen. W as Licht ist, muß erwärmen indem ') Lange Antibarbarus, I, p. 4sqq.

56

Sechster Buch.

Erster Abschnitt.

es e r h e l l t Nicht umsonst beginnt das Evangelium mit der Auf­ forderung zur B uße, mit der V erheißung, daß die Herzensreinen und keine Anderen G ott schauen werden 4) . Dem verderbten M en­ schen kann die bloße M ittheilung doctrinaler Wissenschaft nicht frommen, folglich erleuchtet sie ihn auch nicht, so lange sein Geist unter der Botmäßigkeit einer verkehrten Neigung und W illens­ richtung steht. E s w äre durchaus Pelagianisch, die bloße An­ füllung des Verstandes mit geoffenbartem In h a lt schon für erleuch­ tende Gnade erklären zu wollen, und unevangelisch, von dem h a b i t u s cognoscendi, also von dem V erhalten des S ubjects zu den mitgetheilten Glaubensm aterien abzusehen 3) . Haben doch alle gläubigen Kirchenlehrer die Art und W irkung eines Wissens, nicht dessen nacktes Dasein im Menschen, als unentbehrliches Kriterium des Religiösen und Theologischen festgehalten. W er diese W esens­ bestimmung fallen läß t, hat keine W affe mehr gegen den Schein und die Heuchelei und muß zuletzt Kain und Abel, P au lu s und J u d a s Jscharioth als Erleuchtete zusammenstellen, weil sie das Princip geoffenbarter Kenntniß mit einander gemein haben. M an braucht nur eine Erleuchtung ohne zutretenden B ew eis der P ietät anzuerkennen: so werden vollends auf dem praktischen Gebiet alle Zügel des geistlichen Amts und der akademischen W ürde fallen; Jederm ann darf sich, falls er wortgetreu zu dociren w eiß, für einen Theodidakten ausgeben. Folglich beruht die orthodore An­ sicht auf einem fundamentalen Irrth u m , der nur berichtigt wird in der B ehauptung, daß die E r l e u c h t u n g i n u n d m i t d e r W i e d e r g e b u r t b e g i n n t und in der Erneuerung fortschreitet, dagegen bis auf ihr werthloses Scheinbild erlöschen m uß, sobald jene Verbindung zerrissen wird 4) . Heutige Leser werden kaum begreifen, welchen W erth die ') Ibid. p. 42, 2) Ibid. p. 49 sqq. 3) Ibid. p. 37. 61. propoß. 6, p. 105 sqq. 4) Antibarb. 1, p. 104. 107. 117. Sententia de veva impiörum illuminatione est apostatica et summe noxia, — error fundamentale, — absurdissima, barbarismis et soloecismis seatens. D agegen Löscher, De illuminatione, Stromateus, sect. 4.

Hauptfrage über die Erleuchtung.

57

Streitenden d arauf legten, ob die Erleuchtung als selbständiger Factor des Heilsprocesses voranstchen müsse, oder nur in V erbin­ dung mit der W iedergeburt und Bekehrung R ealität habe. Und doch erhitzten sich an dieser Stelle die Geister am Heftigsten. D ie illuminatio irregenitorum ist nach L a n g e das eigentliche caput mortuum der Orthodoxie, sie zeigt den unerträglichen Widerspruch, die klaffende W unde einer D octrin, die alle Einheit des religiösen L e b e n s zerreißt. Umgekehrt schien, wie wir sahen, durch die ent­ gegengesetzte Form el alle objective Einheit und Selbstkraft der L e h r e gespalten zu werden. Nicht nur verwendet L a n g e alle seine W affen auf die Vertheidigung seiner Thesis, sondern diese hat auch um 1714 zwischen Fö r t s c h , Fecht , N c u m a n n , B r e i t ­ h a u p t , Z i e r o l d , B ü c h n e r den eifrigsten Federkrieg hervorge­ rufen S te ts wiederholen sich auf S eiten deö P ietism us die­ selben A usrufungen, daß die B ehauptung einer Erleuchtung ohne Bekehrung und W iedergeburt für ein leeres Gedankending zu Felde ziehe. Barbarisch sei es, geradehin zu leugnen, daß die Fröm m ig­ keit mit der reinen Lehre schon im B unde sei und ihr Gegentheil der Häresie und Heterodorie anhafte. E s sei frevelnder Leichtsinn, den unfrommen Diener der Kirche einem W egweiser zu vergleichen, der den Weg richtig anzeigt ohne ihn zu betreten, oder etwa an die Fruchtbarkeit des guten S am e n s zu denken, bei welchem Nichts daran gelegen ist, von welcher H and er ausgestreut wird *). Von selbst ergiebt sich aus dem Obigen das nächste psycholo­ gisch wichtige M om ent. Die mit Erleuchtung verbundene B e k e h ­ r u n g geht zugleich vom Verstand und W illen a u s ; groß ist der *) M a n s. die L iteratur in Walch, Bibi, theol. II, p. 745 .sqq. 2 ) Andere zum T h eil sehr läppische V ergleichungen, m it denen m an die Nützlichkeit eines richtigen G laubensunterrichts ohne entsprechendes gu tes B e i­ spiel zu veranschaulichen suchte, finden sich ausgeführt in Lange's E rlä u teru n g der neuesten H istorie, S . 1 0 1 . Lauge bleibt sich jedoch in seiner Erklärung nicht gleich. B a ld leugnet er sogar, daß der Unbekehrte den Buchstaben rein wieder­ geben könne, bald entzieht er ihm n u r den Besitz deö G otteS w orles und w ahren G n ad en lich ls, doch im m er w ird einem S olch en m it der thätigen A u sü b u n g der Lehre auch deren tieferer G eist und G eh alt abgesprochen, w eil eben inter himen medii et fructuum nicht unterschieden werden soll.

58

Sechstes Buch.

Erster Abschnitt.

Antheil des ersteren, größer der des letzteren, denn es handelt sich um ein eingreifendes Wissen, das der W ille allein aneignen und zur kräftigen Erkenntniß erheben kann Die M itwirkung des W illens wird von den G egnern viel zu gering dargestellt, und er ist kein bloßer D iener des Verstandes. M it einigem Recht mag der B arb arism u s seine alte Einwendung wiederholen, nach welcher, wie selbst S p e n e r eingeräum t, der W ille gar nicht anders als durch eine vorangehende Aufklärung berührt und bestimmt werden kann. Ganz w ohl, allein diese P rio rität gilt theils der N atur nicht der Zeit nach, theils lediglich in so weit, als blinde und be­ wußtlose Zustände überhaupt ausgeschlossen werden. D ie S eele wird in der Form des Wissens ergriffen, allein zu einer E nthal­ tung und Ausbreitung der neuen Erkenntniß kommt es erst, indem der W ille die B ahn frei macht und die Hindernisse einer w ider­ strebenden Sinnlichkeit und Leidenschaft hinw egräum t*2) . Ü b e r­ haupt ist die menschliche Seele ein lebendiges Ganze, als erkennende, wollende und begehrende; ihre Thätigkeiten bilden keine stetige Aufeinanderfolge, folglich ist kein Stück des Heilsproceffes ohne Z u ­ sammenwirken aller Functionen erreichbar3) . I n denselben Proceß gehören aber auch die mit Unrecht verschmähten M omente einer geistlichen E r f a h r u n g . D a s Göttliche fordert seinen Geschmack, es läßt sich nicht aufnöthigen und andemonstriren, und der Unein­ geweihte redet wie der B linde von der F a rb e 4) . G anz ähnlich verläuft die andere Entgegnung über das V er­ hältniß von Rechtfertigung und H eiligung oder Werkthätigkeit. *) Antibarb. I, p. 104. 2) Antibarb. I, p. 37. 3) Antibarb. I, p. 158. Diversae quidem sunt animae facultates, tota tarnen anima vult et desiderat, tota intelligit etc. — Nihil esse in voluntate, quod non prius fuerit in intellectu, intclligi potest sano sensu, scilicet de prioritate non temporis sed naturae, et quidem non simpliciter sed tantum hoc respectu, quo recte dicitur, ignoti nullam esse cupidinem. — In Ulis, qui convertuntur et via apostolica conversi leguntur, intellectus quidem est 7iQ(07Öv JtxTixov 70v nrj70v, sed statim tarnen simul excitantur sancti motus voluntatis. 4) Ibid. p. 130 — 36. Buddeus, De criterio veritatis in moralibus, in Observ. Hai. V, obs. 9.

Verhältnis; von Rechtfertigung nnd Heiligung.

59

S p e n e r hatte, wie uns erinnerlich, gegen eine fides mortua pole­ misier, gegen ein m üßiges sich Getrosten, das durch die schulmäßige Definition des G laubens begünstigt werde, aber viel zu wohlfeil zu erlange» sei, um dem Menschen den vom D ogm a vorausgesetz­ ten Dienst wirklich zu leisten; und an diesen Punkt knüpft L a n g e seine B e w e i s f ü h r u n g D e r rechtfertigende G laube, wie ihn die Gegner vorstellen, kommt auf ein „menschliches Gewirke" und Phantasiegebilde hinaus. W ie sich Licht und W ärm e, Wissen und Wollen nicht scheiden lassen, so auch nicht Empfangen und T hun. Die Rechtfertigung ist nicht der H cilsgrund selber, sondern dessen gnädige Uebcrtragung aus den S ü n d er, folglich allerdings ein actus taxTixog und der G laube dessen W erkzeug. Dieser ab er, um seinem Zweck zu entsprechen, hat nothwendig eine organische oder instrumentale Activität, er darf sich keiner kontemplativen R uhe überlassen, sondern bedarf der Anspannung, die ihn allein befähigt, das Verdienst Christi zu ergreifen. Dadurch wird weder die Werk­ heiligkeit eingeführt, noch die verdienstlose S tellung des G läubigen zur göttlichen Gnade alterirt. E s ist thörigt, dieses innere G e­ schäftigsein des G laubens zu leugnen, und die Polemik gegen den thätigen Glauben loset sich in einen bloßen M ißverstand au f, der aber doch stark genug ist, um einen Schatten an die Stelle des Wesens zu setzen 2) . N u r die wirksame A usübung der G laubens­ fähigkeiten (e.xertio facullalum fidei effecliva) gehört nicht in den Act der Rechtfertigung, wohl aber muß dieser auch von S eiten des Menschen ein lebendiger, kämpfender und siegender sein, und der „geistliche H unger" nach der Gerechtigkeit ihm einwohnen. D a nun ferner der rechtfertigende G laube au s der Bekehrung stammt und in Verbindung mit ihr erzeugt w ird: so darf gesagt werden, daß in gewissem S in n e eine Heiligung ihm v o r a n g e h e , wenn er auch dann wieder in diese und deren Verwirklichung hincin') Lange, Erläuterung der neuesten Historie, S . 267 ff. Antibarb. 11, p. 30. *) Erläuterung ( Fernere völlige Abferlignug) S . 278 — 280. „ D e r ge« rechtmachende Glaube gehört zur geistlichen Erfahrung und muß nach der Norm der h. Schrift in der O rdnung der wirklichen Erfahrung recht erkannt und be­ urtheilt werden, nnd kann dieses außer dieser Erfahrung nicht geschehen."

60

Sechstes Buch.

fü h rt.

Erster Abschnitt.

W as ist Christi Verdienst umfassen Anderes als ihn selber

ergreifen?

Es

ist

ganz

falsch,

daß bei dieser Auffassung

eine

doppelte Rechtfertigung oder ein Charisma inhaesivum angenommen werde.

Gegen die A ufbürdung, daß von ihm

die guten Werke

zur Seligkeit einfach nothwendig erklärt würden, sträubt sich L a n g e durchaus und räum t nur

die Zuläßigkeit des guten Sinnes

der sich auch m it diesem Satze verbinden lasse.

ein,

Wenn man aber

m it Löscher sich höchstens entschließen kann zu sagen, daß der­ jenige G laube, der ohne Werke sei, in großer Gefahr stehe, die Gerechtigkeit und Seligkeit zu verlieren: so hat man der Sache nach nicht genug gethan D e r thätige Glaube und die Erleuchtung der Bekehrten sind Vorstellungen, die wenigstens theilweise aus einer psychologischen Anschauung beruhten; folglich hätte auch das von Löscher ange­ fochtene V erhältniß der Frömmigkeit zum N e lig io n sin h a lt psycho­ logisch gerechtfertigt werden müssen.

A llein L a n g e begnügt sich

hier und in andern Fällen m it Ablehnungen, statt der Schwierigkeit gründlicher nachzuforschen.

E r w ill Nichts wissen von irgend einer

dem In h a lt der Offenbarung Gefahr bringenden „P ie tä t".

N ein,

das „rechtschaffene Wesen" ist nicht die N orm der Lehrsätze sondern umgekehrt; wohl aber soll dem scholastischen Mißbrauch der Lehr­ sätze durch Pietät, Selbstverleugnung, geistliche A rm uth und lin d ' ) Ebendas. S . 307 ff.

W er von Beiden hat nun Recht?

fertigung ein actus raxir/og oder nicht?

I s t die Recht­

D ie orthodoxe Lehre konnte sie nicht

fü r einen solchen erklären, denn ih r zufolge ist die Iu s tific a tio n n u r eine E r ­ klärung L o tte s über den S ü n d e r, und der Glaube, durch welchen sie ve rm itte lt w ird , ist vom heiligen Geiste erzeugt, gehört also dem Menschen noch nicht an, sondern soll erst allmählich von ihm ergriffen und angeeignet werden. A ct schwebt absolut ü b e r

der Reihe

der Heilssortschritte.

Dieser

Dagegen geht die

pietistische Ansicht darauf h ina us, den Glauben als eine K ra ft menschlich und psychologisch denkbar zu machen, so daß er dem Keime nach dasjenige schon ent­ hält, was sich nachher aus ihm entwickeln soll.

In d e m dies geschieht, kann auch

die Rechtfertigung als ein actus raxnxos angesehen werden.

A u f dem letzteren

Wege ist im Ganzen auch das neuere Dogm a geblieben und m it gutem G ru n d nicht mehr zu der alten Lehrform zurückgekehrt. auch in

altorthodoxen Werken

Uebrigens w ird die Rechtfertigung

wie bei Quenstedt dergestalt m it den übrigen

Stücken der H eilsordnung verarbeitet, daß ih r selbständiger W erth leicht verwischt und undeutlich gemacht w ird.

61

D e r V o rw u rf des Mysticismus.

liche Demuth gesteuert werden,

und Löscher würde das ganze

„ungeistliche Gezänk" nicht erhoben haben, wenn er selber recht geistlich, bekehrt und erleuchtet w ä r e ') .

D a m it hat Lange, w ie

er mußte, einen m ä ß ig e n d e n E in f lu ß der Frömmigkeit a u f den Lehrbetrieb und die Polemik und alles m it ih r Zusammenhängende angenommen.

Noch weniger soll an dem V o rw u rf des M ysticism us

etwas Wahres

sein.

D ie

ganze christliche R e lig io n ,

L a n g e , ist ein vielfaches M yste riu m ;

bemerkte

die menschliche V e rn u n ft

kann sie weder erfinden, noch die durch Offenbarung erleuchtete sie vollständig ausdenken und ergründen, „w ie w o h l doch, wenn die V e rn u n ft sich aus dem W orte Gottes nur in rechter O rdnung der Buße erleuchten lä ß t,

die göttlichen Geheimnisse also beschaffen

sind, daß sie daran gar nichts Contradictorisches oder sonst etwas Ungereimtes und Unanständiges findet" *2) . orthodoxer

Lehrer

eine andere.

sprechen können,

M ag

S o hätte w ohl auch ein

aber

Auslegung

war

jede Theologie schon wegen der Höhe

die

und

Tiefe ihres Gegenstandes eine theologia mystica genannt werden: so soll sie doch durch das Dogma faßlich und lehrbar werden, V ernunft und Glaube haben sich lediglich in der Annahme dieser Bestimmungen zu befriedigen.

Nach der Denkart des P ie tism u s

jedoch ist das Dogm a ja nicht der einzige Träger des Geheimniß­ vollen, sondern es gehört zur Sache, daß auch die N a tu r, d. h. die wiedergeborene N a tu r und V ernunft der Gnade au f eigen­ thümliche Weise

genähert werden.

E in T h e il des M ysterium s

fä llt also in den Menschen,

wie

dergeburt

Lange

neu bereitet

ist.

er durch den Geist der W ie ­ nennt

sehr bestimmt,

was

seine Gegner nicht gethan haben w ürden, auch die christliche E r ­ kenntnißw eise, den modus cognoscendi einen mystischen, da er nicht ohne die O rdnung der Buße und der Erneuerung „geistlich" von S tatten g e h t') ; und aus dieser Bedingung besteht er überall, ohne daß ihn die Einreden L ö s c h e r ' s zu einer E rklärung darüber genöthigt hätten, was unter dem Haben des „Geistlichen" oder *) Lange, Abgenöthigtes abermaliges Zeugniß etc. S . 8. 2) Erläuterung, S . 401 ff. ») Ebendas. S . 402.

62

Sechstes Buch.

Erster Abschnitt.

dessen E rfahrung eigentlich gemeint sei. K ritik und A ntikritik gehen an diesem Punkte um einander herum, ohne ssch über die Grenzen des M ysticism us zu verständigen. —

D ie

übrigen Anklagen be­

antwortet L a n g e einfach damit, daß er in dem vermeintlichen P e rfectismus und PräcisismuS der kirchlichen M ittelm äßigkeit gegen­ über einen sehr berechtigten Fortschritt zum Besseren nachzuweisen sucht. ' ) IV . Um nach dieser etwas

E r g e b n iß . schwierigen Auseinandersetzung

der

beiderseitigen Entgegnungen endlich einen Ruhepunkt zu gewinnen, versuchen w ir noch über den historischen E rtra g des S treites uns Rechenschaft zu geben und glauben dazu hinreichend vorbereitet zu s e in .4)

Es ist häufig geurtheilt worden, der P ietism us habe der

Kirche hauptsächlich in

praktischer Beziehung durch Verschärfung

des fittlichen Gewissens und christlichen Lebenswandels sowie durch Anregung christlicher Werke Nutzen geschafft, durch seine theoretischen Neuerungen aber lediglich V erw irrungen angerichtet oder wissen­ schaftlichen Rückschritt veranlaßt.

W ir pflichten dieser Auffassung

nicht bei, und schon in Bezug auf E p e n er glaubten w ir sie be­ richtigen zu müssen. auch im Ganzen

Gew iß d a rf an dem P ie tism u s, wenn er

praktisches Christenthum bezweckte, eine werk-

thätige und eine mehr religiöse oder theologische S eite unterschieden werden.

D ie Werkthätigkeit der Hallischen S c h u le *2 3) und

ihrer

Geistesverwandten, obwohl ausgezeichnet und fü r die Zukunft der evangelischen Christenheit sehr bedeutend, hatte doch einen Anstrich von dem, was man Fröm m elei nennt; sie w a r asketisch und sen­ tim ental,

nicht ohne Kopfhängerei und Eitelkeit,

und

derselbe

Charakter prägte sich dem sittlichen Betragen und der Tugend auf. *)

Ebendas. @ .3 7 4 ,

B ea n tw o rtu n g des achten und bcr folgenden K apitel

des T im . V erinuS . 2) V g l. m it dem O bigen unsere frühere B eu rth eilu n g B d . I I , S . 4 7 9 und dazu D ö rn e r, S lu d . und K rit. 1 83 5 und Deutsche Zeitschrift fü r chrl. W . 1 8 5 3 . 3) D ie Verdienste der Universität in

der

gestellt.

„ E r lä u te r u n g "

und F a c u ltä t

@ . 5 6 9 fs. und

6 3 0 ff.

m it

werden von Lange selbst Ruhmredigkeit in'S Licht

Praktische Richtung des P ietism u s.

63

Gerade darin wurde sie von der kirchlichen P artei, die sich in sitt­ lichen D ingen einen richtigen Takt bewahrt hatte, entschieden über­ sehen, und Lös c he r s Kritik der Enthaltung von Lusthandlungen ist siegreich D agegen behaupten auch in dieser Periode die ge­ lehrten zumal sprachlichen und exegetischen S tu dien des P ietism u s und dessen religiöse Bestrebungen einen universellen W erth, und ihre Wirkung konnte nicht lange auf einzelne Kreise beschränkt bleiben. Um eigentliche Lehren handelt es sich nicht, sondern um Folgerungen religiöser R eflexion, welche sich zwischen Schrift und S y m b o l, zwischen G lauben und W erk, D ogm a und Frömmigkeit, Wissenschaft und G em üthserfahrung stellt, um an der überlieferten Gestalt der christlichen R eligion eine Anzahl leiser Veränderungen anzubringen. L a n g e w ar ungeachtet seiner Charakterfehler ein lebhafter und beredter Verkündiger dieses Eigenthümlichen, und Löscher hielt ihm nur dadurch S ta n d , daß er Nichts von dem l) S eh r characteristisch sind für beide Theile die Aeußerungen über das Hallische W aisenhaus. Francke selbst hatte das letztere für ein göttliches Werk erklärt, dem G ott sein Siegel aufgedrückt und an dessen E rhaltung seine Ehre hänge. Lange aber sagt von demselben, daß es unter der „ganz sonderbaren und außerordentlichen Providenz und S e g en s-H a n d G ottes bisher gestanden und noch stehe", „dergleichen Exempel einer dabei augenscheinlich waltenden be­ sonderen Providenz G ottes noch in keiner Historie zu finden ist." Löscher wollte in diese unbedingte Lobpreisung nicht einstimmen und bemerkt, „hieraus entstehe die gefährliche Einbildung, daß Alles, w as die H errn Professores zu Halle v or­ nehmen, alsbald causa Dei sei, und wer ihnen darein rede, der streite wider G o tt." „ E s finden sich Leute, die jährlich nach Halle reisen, den Segen einmal da zu holen, und die m an in solcher Einbildung stärkt, da man sie vielmehr vor menschlichem Ankleben w arnen und an ihre ordentlichen Lehrer weisen sollte." Noch kühler drückten sich die Unsch. Nachr. aus. S ie wollten die Anstalt n u r als ein „ a u s den weisesten Absichten von G ott zugelassenes Menschenwerk" gelten lassen und nahmen m ehrm als Gelegenheit, Nachtheiligeö über die Einrichtungen der Anstalt und den dortigen Vertrieb der Bücher und der dam als weltberühm ­ ten Hallischen M edicin anzuführen. D aß Eifersucht in diesen Gerichten mitspricht, ist klar. Bedenkt m an aber, daß solche öffentliche Zeugnisse vom Hallischen Werke G ottes häufig herausgegeben wurden und alle dieselbe verherrlichende Sprache führten: so bars m an Löscher d araus gewiß keinen B o rw urf machen, wenn er sie m it kritischen Augen las und vor Uebertreibung und Ruhm redig­ keit w arnte. Vgl. Vollst. T im . Ver. I, S . 811. Lange, E rläuterung S . 575. U. Nachr. 1707. S . 898. 1709. S . 103 u. a.

64

Sechstes Buch.

©einigen preisgab.

Erster Abschnitt.

D e r s ittlic h e

P ietism us verengt und fü h rt

zur Absonderung von der W e lt, der r e lig iö s e erweitert und be­ lebt.

V on den literarischen Verdiensten dieser Schule lassen sich

die ebenfalls ausgezeichneten um die kirchliche L y r ik nicht auf die praktische Seite allein Geist und Leben an

stellen, sondern sie gehören dem religiösen D ie s vorangeschickt w ird sich der S tre it

selbst noch unter folgende Gesichtspunkte stellen. 1.

D aß durch Löscher und L a n g e

die ältere Controverse

abgeklärt und beide Richtungen gegen einander is o lirt und eoncentrirt worden, hat sich ergeben.

I h r S tre it glich dem Schwan­

ken einer W age, die m it Lasten verschiedener A rt beschwert w ird . D e r Eine verlangt das alte dogmatische Vollgewicht des materiellen Glaubens als einziges E rw erbsm ittel der S eligkeit, der Andere fordert ein geringeres Q uantum , das aber m it Zuthaten religiöser Gesinnung und sittlicher Strenge ergänzt w ird .

Beide klagen sich

also der Indifferenz an , sei es in dogmatischer oder in sittlich­ asketischer Hinsicht, und Beide der Ueberschätzung dessen, was der Andere fü r untergeordnet hält.

D as V erbot der Lusthandlungen

auf Seiten L a n g e 's ist das Gegenstück zu L ö s c h e r's Lehrstrenge oder zu seiner V erw erfung dogmatischer M itte ld in g e .

Wenn also

die kirchliche P artei nicht oder nicht vollständig durchdrang: so w a r die F olge, daß der Glaube aus der A b g e s c h lo s s e n h e it d e s S y s te m s

herausgezogen und

zu demjenigen,

was K ra ft

und

T h a t, W ille und Geist heißt, in Fluß gesetzt wurde. 2.

Dasselbe V erh ä ltn iß wiederholt sich, wenn w ir F r ö m ­

m ig k e it und L e h re statt G la u b e n und T h u n aufeinander be­ ziehen wollen.

D er orthodore Standpunkt objeetivirt das O ffen­

barte vollständig und läßt es dergestalt durch sich selbst wirken, daß es von dem Subject lediglich

anzunehmen und dann thätig

zu verwenden ist; durch die religiöse Stärke der Aneignung w ird dem Gegebenen Nichts hinzugefügt, durch unfromme Aufnahme nichts Wesentliches

entzogen.

D er

Standpunkt des Pietism us

protestirt heftig gegen den V o rw u rf einer Antastung oder V e r>) Vgl. über diese kirchlich - poetische Literatur und deren ungemeine Fruchtbarleit Koch, Geschichte des Kirchenliedes, Th. II.

Heiligung und thätiger Glaube.

65

flüchtigung der Lehrnorm , muß aber auch demjenigen einen ob­ jectiven W erth geben, was er in besonderem G rade zu besitzen glaubt, und w o rin Lehre und Glauben erst lebendig werden, in dem V erhallen

der Frömmigkeit.

R eligion

und Theologie sind

m it urkundlicher Darlegung ihrer Quellen und Normen noch nicht vollständig gegeben, sondern realisiren sich erst in dem ihnen ent­ sprechenden subjektiven H abitus.

Daher mußte Löscher zur B e ­

gründung seiner Ansicht sich auf die allgemeine N a tu r des Wissens und aller Wissensangelegenhciten berufen, welche ihre W ahrheit in sich selbst tragen, mögen sie richtig beherzigt werden oder nicht, während L a n g e

seine Beweise aus der besonderen N a tu r des

r e lig iö s e n Ergriffenseins schöpfte, aus D ingen, die sich nicht demsnstriren aber postuliren lasse».

D ie G efahr in persönliche A n ­

fechtung zu verfallen, w eil die Gegner das „Geistliche" niemals w ahrhaft geschmeckt hätten, lag daher auf der letzteren S e ite näher. 3.

M a te rie lle r w ird

der S tre it in

den Einzelfragen

über

Erleuchtung und Rechtfertigung, aber es ist immer n ur dieselbe N a tu r beider Richtungen, welche in diesen Punkten durchgreifend zum Vorschein kommt.

D ie im Allgemeinen vom P ietism us er­

strebte Frömmigkeit steigert sich zur H e il ig u n g borenen,

und

die allgemein

der Wiederge­

gedachte Glaubenskraft

„ t h ä t i g e n " G la u b e n in der Rechtfertigung.

w ird

zum

Nach überlieferter

Theorie zerfällt die Heilslehre in einen uns wohlbekannten Proceß auf einander folgender Bestimmungen.

D aö Hören und Annehmen

des Evangelium s beginnt die Reihe,

die praktische Bethätigung

desselben beschließt sie.

Es w ird dafür gesorgt, daß kein S ta d iu m

dem anderen vorgreife, nicht minder daß der menschliche Antheil an dem W erk der Wiederherstellung möglichst spät eintrete.

H ie r

lebt also nur der göttliche Factor des W o rts , der Lehre und des D ogm a's. Aber auch der Mensch w ill leben, selbst wo er ein Neues, seiner sündhaften Beschaffenheit Fremdgewordencs empfangen soll; und der P ietism us sucht daher dem menschlichen Subject zu dieser eigenen allseitigen und freithätigen Regsamkeit wieder zu verhelfen. V on diesem Standpunkt werden daher die Katcgorieen der H e ils vrdnung zwar einzeln unverändert angenommen, aber sie werden Gesch. i . Protest. Dogmatik 111, 5

66

Sechstes Buch.

in das

Licht

L a n g e 's fle ctirt;

einer

freieren

Erster Abschnitt.

psychologischen Anschauung

gestellt.

und der Seinigen Lehrvorstellung ist psychologisch kestatt jene Stücke einfach an einander zu hängen, fügt sie

dieselben vielmehr

in

einander

ohne ängstliche Sorge

um

die

Skdenge der D e fin itio n , und läßt sie wie in einen Knoten zusam­ menlaufen.

E ins soll in das andere fließen und zurückgreifen, das

W ollen in das Wissen, die Bekehrung in die Erleuchtung, und selbst die Rechtfertigung muß was sie vo r sich hat, zugleich schon hinter sich haben,

damit die innere Verbundenheit der Seelen-

functionen gewahrt werde. liche Subject dem D o g m a

Hatte die ältere Theorie das mensch­ und der aus ihm entwickelten Con-

struction der H eilsordnung unterw orfen: so soll nun vielmehr die letztere dem M enschen

angepaßt werden, zumal dem seelischen

Menschen, wie die R elig io n ihn fordert.

Zunächst erklärt sich dar­

aus der V o rw u rf des P elagianism us, welchen L a n g e und die Seinigen wegen allzu starker Geltendmachung der menschlichen G e­ sichtspunkte hinnehmen mußten, zurückgaben.

und den sie in anderem S inne

W ird jedoch diese Tendenz allgemeiner gefaßt: so

kündigt sich in ih r die Erkenntniß an, daß d ie R e li g io n den M e n sch e n sei,

fü r

daß sie, um den neuen Menschen zu er­

zeugen, selbst dem Leben angehören und als eine heiligende und wiederherstellende K ra ft tu ihm walten müsse, dieselbe Erkenntniß, welche w ir früher in S p e n e r 's Theologie wahrgenommen haben In

dieser allgemeineren religiös-anthropologischen Bedeutung er­

kennen w ir das wahre p ra k tis c h e W e s e n des P ietism us an. 4.

Sollten w ir nun zwischen beiden Darstellungen, sowie sie

von Löscher und L a n g e vorgetragen werden, w ählen: so müßten w ir, die b l o ß e L e h r e ang e s e h e n , der des Ersteren den Vorzug geben.

Denn diese ist in sich selber klar und sicher und bleibt ihrer

eigenen Anlage bis in alle Folgerungen getreu. Die Lehrform der Höllischen w ill, nachdem sic sich von früheren Auswüchsen gereinigt hat, orthodor sein, ohne doch ihrem eigenen Anspruch gerecht wer­ den zu können.

D aß es so sei, brauchen w ir n ur kürzlich aus-

•) Vgl Bd. II, S . 471.

Allgemein« Beurtheilung des Pietism us.

67

zuführen. D ie Haitische Schule w ar völlig berechtigt, V eränderun­ gen im D ogm a vorzunehmen und durfte ihren theologischen B il­ dungstrieb an den W illen der Reform atoren anknüpfen. Aber statt dies mit klarem Bewußtsein zu thun, hatte sie die Neigung, die aufgedeckten Differenzen zu verwischen, und die Erklärung, daß der P ietism u s eine F a b e l sei und seinen angeblichen Vertretern nur ein Pseudos der O rthodorie gegenüberstehe, w ar nicht haltbar und zur Herbeiführung einer klaren Einsicht in die Sachlage ganz ungeeignet. Dazu kommt, daß sie ihre Richtung nur auf einen Theil des kirchlichen System s wirken ließ. D ie Theologie der Erleuchtung und Frömmigkeit ist wesentlich H eilslehre, in andern Stücken wie den Lehren von G ott, der T rin ität und Person Christi, bleibt es bei dem Bestehenden, d. h. also es bleibt bei demjenigen, w as sonst Buchstabentheologic genannt wird, oder dieses wird nur einfacher aber auch ungenauer und unwissenschaftlicher vorgetragen. S ie muß zugeben, w as sie eigentlich bestreiten möchte, daß der unwiedergeborene Theologe in gewissen H au pt­ sachen ebenso lehren wird wie der wiedergeborene. Dadurch er­ hält sie einen ungleichmäßigen Charakter, weil es ihr an K raft fehlt, an den ganzen In h a lt des System s im Interesse der F röm ­ migkeit eine bessernde Hand anzulegen. Diese Ungleichartigkeit ging nach einer Seite in Beschränkung über, unter Einfluß der von S p e n e r auf dessen S chüler und die Hallenser Theologen vererbten Abneigung gegen die Philosophie. D er Kampf zwischen W o l f und L a n g e wird in dieser Hinsicht unsere Charakteristik ergänzen und den B ew eis liefern, daß der P ietism u s dem Aufstreben der neueren Philosophie einen schrofferen und unbesonneneren W ider­ stand entgegensetzte, als die orthodorc Schule würde gethan haben und als sie wirklich that. — H ierau s ist ersichtlich, daß und warum die Richtung Lange's und der Genossen die O rthodorie zwar innerlich zu schwächen, aber nicht sich an deren Stelle zu setzen vermochte. I h r Uebergewicht und ihre W ahrheit lag nicht in der D octrin als solcher, ebenso wenig wie in den werkthätigen Leistungen, es lag haupt­ sächlich in dem, w as sich zwischen Dogm a und P rax is bewegt, in den allgemeineren von ihr wachgerufenen Gedanken, in der E r5*

Sechstes Buch.

68

weckung des religiöse» S innes

Erster Abschnitt.

und seiner Antriebe und in

der

Vergegenwärtigung des letzten Endzwecks der christlichen R eligion. 5. behalten.

Noch eine Bemerkung haben w ir uns zum Schluß vo r­ Es ist fast das letzte M a l, daß eine so positiv gläubige

P a rte i wie die Langischc von dem kirchlichen Standpunkte so scharf unterschieden, ja als demselben gefährlich befehdet wurde.

S p ä te r­

hin ist das selten oder nie geschehen. D e r Name P ietism us blieb ein Tadelname, aber im M unde derer, die m it ihm eine allzu schroffe oder einseitig kirchliche Richtung bezeichneten. folgenden Z eitalters

sprach entweder n u r

D ie Orthodoxie des

im

historischen S inne

vom P ietism us oder hörte doch auf über ihn zu klagen, den sie w eit eher m it sich zu versöhnen als zurückzuweisen Ursache hatte. Beide hatten gemeinschaftliche Widersacher, welche, wenn sie nicht geradezu E ins m it dem Andern zusammenwarfen, doch sich ge­ wöhnten, in dem Pietistischen nur eine besondere Färbung oder Verschränkung des orthodoxen Standpunktes zu erblicken.

Jeder

Kundige weiß, daß die folgende Geschichte der Theologie an dieser S telle eine Ausgleichung der Gegensätze gestiftet hat, wie sie zwischen Löscher und L a n g e vergeblich versucht w urde, und nicht minder daß ihnen gegenüber eine größere K lu ft entstand; aber nicht immer ist man sich dieses grellen Wechsels bewußt geblieben.

Derselbe

S p e n e r , w el c hen Löscher s e l i g zu n e n n e n B e d e n k e n t r u g , wie oft ist er nicht später und in

unserem Jahrhundert als einer

der herrlichsten Verkündiger des evangelischen Christenthums ge­ priesen worden, gerade von denen, welche der Kirche und ihrem Glauben durchaus angehören w o l l t e n ' ) !

Lös c her ' s scharfe K ritik

des P ietism us enthält Mancherlei der nachherigen strenggläubigen Gesinnung

Widerstrebendes.

Seine

spröde Zurückweisung

alles

dessen, was E rfahrung oder Genuß des Göttlichen genannt wurde, die scheue Abwendung von jeder M ystik als einem aus der Fremde in das Lutherthum eingedrungenen Zusatz würden fünfzig Jahre später weit eher einem Rationalisten als

einem Beschützer des

kirchlich überlieferten Glaubens zugetraut worden

sein.

Erst in

) Man denke an Feldner'S Ausgabe der P ia desideria, Dreöd. 1846.

Fortgang bet UnionSsache.

69

unseren Tagen hat sich das B la tt wieder gewendet; von kirchlichen Stim m führern wird S p e n e r ' s Andenken mit großem V orbehalt geschätzt. Doch lassen wir die Zeiten herankommen, statt ihnen vorzugreifen. E n g e l h a r d t s bemerkt mit Recht, daß der Kampf zwischen P ietism us und Kirche dam als aufgehört habe, ohne ab­ geschlossen zu sein. Zum sachlichen Abschluß freilich hatte auch der Synkretism us nicht geführt so wenig als eine andere die­ ser größeren Religionsstreitigkeiten, sondern nur zu einem Ende durch Entkräftung der einen oder anderen P artei oder durch Aen­ derung der mitwirkenden Verhältnisse. Nicht handgreifliche Resul­ tate liegen dem Historiker vor Augen, wohl aber darf er die Früchte einer wachsenden Erkenntniß abpflücken, während er wahrnim mt, daß ein anderer Theil des streitigen In h a lts als unreifer und un­ erledigter Rest unvermerkt in die folgende Bewegung übergeht. V. D e r F o r t g a n g d er U n i o n s s a c h e . W ährend D ogm a und Frömmigkeit mit einander kämpften, standen auch andere kirchliche Interessen nicht still. D ie kirchlichen E i n i g u n g s v e r s u c h e , die wir nicht aus dem Auge verlieren dürfen, sind in diesem Zeitabschnitt an mehreren O rten und in höheren und niederen Kreisen lebhaft fortgeführt worden, um zu­ letzt ohne sichtbaren E rtrag zu scheitern. An Wunsch und Neigung für das Unternehmen fehlte es nicht. Die Z ahl der G egner kirch­ licher Abgeschlossenheit w ar im Wachsen, aber ihre Beweggründe gingen weit auseinander. D er P ietism u s, obwohl innerlich dem Streben nach Erw eiterung der dogmatischen Schranken verwandt, schlug nicht entschieden den Weg der Union ein, die Freunde der Philosophie noch weniger. D ie bestimmteren V erhandlungen wurden theils in höfischen, theils in kirchlichen Kreisen, theils in der Lite­ ratu r gepflogen; aber indem man jetzt verschiedene Gesichtspunkte aufstellte und bald von der Verfassung und dem C ultus, bald von der M aaßbestim mung des G lau ben s, bald von der praktischen Kirchengemeinschaft das Einigende hernahm , theilte sich die Rich') A. a. O. S . 262.

70

Sechste« Buch. Erster Abschnitt.

timg in mehrere W ege, die dann vom Standpunkt der Orthodorie sämmtlich als Abwege entweder der religiösen Indifferenz oder der politischen Klugheit zurückgewiesen werden konnten. W ir haben den Faden bei S p e u e r 's Tode fallen lassen. S p e n e r 's Wunsch, daß fromme Fürsten das Unternehmen in die Hand nehmen möchten, blieb nicht unerfüllt. D er König von P re u ­ ßen, sehr eingenommen für die Sache, ließ schon 1703 zu B erlin ein Unionscolleginm zusammentreten, an welchem außer den B i­ schöfen U r s in u s und J a b l o n s k i noch J o s e p h W in c k le r , Domprediger zu M agdeburg, und von reform irter S eite S a m u e l S t r i m e s i u s in Frankfurt Theil nahmen. J u l i u s L ü tk e n s au s Cöln w ar gleich Anfangs zurückgetreten, nachdem der ebenfalls aufgeforderte S p e n e r jede Theilnahme abgelehnt hatte. D ie Unterhandlungen gingen bald in eine literarische DiScussion über, in welcher die gemachten Vorschläge sich gegenseitig durchkreuzten und schwächten. Denn nachdem schon 1702 eine von Halle a u s­ gegangene „gründliche Vorstellung" die unveränderte Augsburgische Confessio» als einigende Norm für alle d r e i Confessivnen hinge­ stellt hatte, wollte ein anderes Friedcnsprvfect von 1703 die K a­ tholiken ebenfalls hinzuziehen und beantragte ein Collegium von Theologen dreier R eligionen, welches die Controversen mildern und die Verfassung nach katholischem V orbilde vereinbaren sollte **)• D en Glauben wünschte man mehr von der evangelischen, die V er­ fassung von der andern S eite hergenommen zu sehen. Anders lautete ein 1703 von reform irter H and abgefaßter E n tw u r f s , welcher von der Ausgleichung der gottesdienstlichen Form en das H eil erwartete, diesm al aber ohne Rücksicht auf die Römische Kirche. D a s meiste Aufsehen erregte W i n k l e r ' s S ch rift, deren T itel Arcanum regium an die Via regia G e o r g W i c e l ' s erin­ nert M an vermuthete dam als, daß dieses dem Könige als ') S . die Titel in W alchs Einltg. in die Relig. Streitig!.

ist Gnosis, w eil sie die Grenzen naturwissenschaftlicher, philosophi­ scher und religiöser Erkenntniß ve rw irrt, gnostisch namentlich seine Vorstellungen von dem Hervorgehen der Creaturen aus G o tt, von der ') Man lese die spitzen Bemerkungen Dippel'S über Zinzendorf in Karl Bnchner'S Aussatz über Dippel, Räumers Histor. Taschenb. 1858. S . 820 ff. UebrigenS sind diese Zusammenküuste Zinzendors sehr verübelt worden, s. dessen Kleine Schriften, Frkf. 1740, S . 243 ff. 2 ) Vgl. zu dem Folgenden die gründliche Zusainmenstellung der Dippel'sche» Ansichten von Klose in Niedner'S Zeitschrift, Bd. XV, 1851.

87

Lehre und Ansichten Dippel'r.

Sünde und dem natürlichen Fluche, der a u f den S ündenfall unter dem Regiment des Lucifer

und

der Gestirne folgte.

A llein er

stellte auch großartige Ideen hin wie die, daß alle Bewegung aus einem geistlichen G runde

herstamme und alles Leibliche W irkung

des Geistes sei, und daneben die andere, daß alle christliche E rlö ­ sung den W eg des Kreuzes und der Verleugnung des Irdischen einschlagen müsse.

In

Christus w ird das ewige W o rt des V aters

angeschaut, und D i p p e l nennt ihn die „w ahre geistliche U niversalT in ctu r zur W iederbringung des menschlichen Geschlechts."

Doch

ist die Menschwerdung Christi nicht iso lirt zu fassen, sondern eine universelle Einw ohnung des Logos in

der Menschheit und

ein

fortgehendes Geborenwerden Christi in den Gläubigen steht ih r zur S eite, so daß die Form eln der T rin itä t sich in S abellianism us und M o d a lism u s

auflösen müssen.

D ie W iedergeburt geschieht

nach D i p p e l durch den Bruch des E ig e n w ille n s; sie ist die reine Unterwerfung unter den Gehorsam des G laubens, welcher selbst die größte innere Freiheit fü r sich fordert.

Aber der W ille

muß

zuerst von den Lüsten der W e lt losgerissen sein, ehe die V ernunft die rechte Erleuchtung annehmen w ird , — und in diesem V e rh ä lt­ niß zeigt sich wieder der E influß der

pietistischcn Schule.

Am

Wenigsten konnte sich D i p p e l in die Lehre von der Rechtferti­ gung, wie er sie vorfa n d , hineindenken.

In d e m er sie durchaus

nur als Zurechnung faßte, schien sie ihm einen leeren Act der Uebertragung auszudrücken, einen fingirten Rechtsspruch, der keine W ahrheit hat, ehe er sie nicht aus der erst bevorstehenden w irk­ lichen Um wandlung des S ünders empfängt, und er unterließ es, das ethische M om ent des wendung zu bringen.

ergreifenden Glaubens dabei in A n­

D e r Glaube ist volle ganze Hingebung an

G ott. Indem er sich auf Leiden und Tod Christi hinwendet, empfängt er den größten vorbildlichen und reinigenden Eindruck; die heilige W irkung desselben stellt sich dem Sündhaften in uns gerade ent­ gegen, sie ist eine sü n d e n tilg e n d e und soll sich als unmittelbares E n t k r ä f t u n g s m i t t e l der Sünde im Menschen erweisen. Folg­ lich hat es keinen S in n , wenn diese dem göttlichen Endzweck allein entsprechende innere

U m wandlung

m it der

bloßen D eklaration

Sechstes Buch.

88

Erster Abschnitt.

eines gar noch nicht realisirten Verhältnisses vertauscht w ird . Z u w e i­ len nähert sich jedoch auch D i p p e l dem kirchlichen Dogm a wieder. E r behauptet selber ein mittlerisches Verdienst Christi und räum t ein, daß Christi Gehorsam den Gläubigen zu Statten komme und seine Genugthuung die ihnen noch anklebende Sünde bedecke; allein dies geschieht immer n ur s o , daß die Rechtfertigung nicht mehr nach A rt des actus foren sis auf die Im p u ta tio n allein gegründet w ird , vielmehr muß die Verzeihung schon hinter uns liegen und die W iedergeburt im

Werden sein,

ehe die Rechtfertigung d. h.

G e r echtm ach u n g wirklich zu Stande kommen kann.

D ie letztere

geht also aus der H eiligung hervor, nicht diese aus jener.

„Keinem

Wiedergeborenen, sagt D ip p e l , w ird in der S c h rift das P rädicat S ün d e r beigelegt, w eil der alte Mensch gleichsam außer ihm ist; der Wiedergeborne muß m it ihm kämpfen gleichwie m it dem Teufel, das schadet aber nicht, w eil er ihn als Feind erkannt h a t."

„S o

ist nun die Rechtfertigung von der W iedergeburt nicht ganz und gar unterschieden, ist auch kein actus m e re fo ren sis, da G o tt den S ünder nur von seinen Sünden absolvirt, sondern sie w ähret, so lange E tw as von der verlorenen Herrlichkeit wieder zu bringen ist, so lange der alte Mensch nicht völlig ausgezogen ist" bloß zugesprochene Gerechtigkeit aber,

D ie

die aus einen G o tt des

Zornes zurückweist, bleibt ein Greuel, und D i p p e l beschuldigt deren Bekenner geradezu des Aberwitzes.

Gegen die übliche Theorie

der In s p ira tio n sagt er manches Treffende und bemerkt z. B ., daß der Kanon des N . T . den Glauben und Geist, welchen es enthält, schon in der Kirche voraussetze, also nicht fü r Ungläubige geschrieben sei.

M e h r oder minder lagen diese Sätze au f dem Wege einer

scharfen P rü fu n g der kirchlichen Lehrbestimmungen,

wenn es zu

einer solchen überhaupt kommen sollte; Niemand w ird ihnen, waren sie auch keineswegs sprechen

')

,

abschließend, ihre kritische Berechtigung ab­

und sie würden selbst dam als mehr gewirkt haben,

Klose, a. a. O . S . 490.

2) D a ru m u rth e ilt Hagenbach in dem A rtikel der Herzog'schen Encyklopädie zu ungünstig über ih n , da er sein kritisches T a lent nicht hinreichend anerkennt.

89

D ip p e l als Gegensatz zu Zinzendorf.

wären sie nicht in einer wüsten Ungestalt vorgetragen worden und m it der rohesten Polemik und vielen über

kirchliche

O rdnung

und

verächtlichen Aeußerungen

Sacramente

verbunden

gewesen.

D ip p e l ist auch von derjenigen Richtung, der er sich noch am E r­ sten anschloß, verstoßen worden.

D ie Hallische Schule zählte ihn

nicht zu den Wiedergeborenen, konnte ihm also auch kein theolo­ gisches Verdienst nach ihrem Maaßstabe zuerkennen. Und nun welch ein W iderspiel zu Z i n z e n d o r f !

D ie Ten­

denz des Einen ging offenbar dahin, das Christliche ethisch und philosophisch zu erweitern; von dem Andern muß umgekehrt gesagt werden, daß er es religiös zu concentriren und zu verengen suchte. D e r Verband m it den allgemeinen Religionswahrheiten und m it der Wissenschaft wurde von ihm w eit mehr als von den Pietisten, die doch im m er noch Gelehrte sein wollten, gelöst. seinen Glauben

ganz von

den M itte ln

Z i n z e n d o r f zog

und Bedingungen einer

gelehrten Vertheidigung zurück; er bekennt nur das Nöthige und Nützliche zu wissen und meidet den S tre it.

S e in Christenthum

hört auf lehrbar zu sein, es beruht au f dem Factum einer B e ­ k e h r u n g und S e e l e n f ü h r u n g ,

und diese w a r in Zinzendorf

so frühzeitig angelegt, daß sie beinahe in der Ursprünglichkeit einer Naturgabe auftrat, während sie von Anderen erst durch schwierige Kämpfe angeeignet wurde

An die S telle der Belehrung trat

fü r ihn eigentlich die unmittelbare W a hrheit dieser subjektiven T h a t­ sache verbunden m it dem S treben, in Anderen ähnliche Spuren hervorzulocken und ähnliche Funken zu entzünden.

Andrerseits aber

mußte diese innerste Herzensangelegenheit, indem sie biblisch ge­ rechtfertigt sein w o llte , in einem L e h r g e b i e t sich bewegen; denn Zinzendorf'S Gläubigkeit steht nicht ü b e r der Lehre, sondern ergiebt sich in E i n e m Punkte derselben desto unbedingter und u n w illkü r­ licher,

je mehr sie in vielen anderen m it deren Schwierigkeiten

verschont sein w ill.

Nachdem schon der P ietism us unter Bernach-

läßigung der allgemein christlichen Gottesanschauung die specielle ')

V g l. Zinzendorf'« Theologische und dahin einschlagende Bedenken etc. m it

einer Vorrede P olykarp! M ü lle r '« , B üdingen 1 7 4 2 , 3. A bth. S . 86.

„M e in e

Seelenführung ist G ottlob in der Hauptsache gleich aber stnfenweise gegangen."

90

Sechste« Buch.

Erster Abschnitt.

Heilslehre m it Borliebe bearbeitet hatte: vertieft sich die H e rrn ­ hutische Frömmigkeit noch w eit einseitiger in das P rin cip der V e r­ ehrung Christi als des Gottmenschen.

„ I c h habe, bekennt Z i n -

z e n d o r f , von Kindheit auf ein Feuer in meinen Gebeinen, die ewige Gottheit Jesu zu predigen ohne Asfect gegen Andere, in herz­ licher Liebe,

aber m it einer hinreißenden Bewegung meines eige­

nen Herzens, welches lebt wenn es davon h ö rt." ' )

In

diesem

Einen findet er Alles und daran hängen alle anderen W ahrheiten des E vangelium s.

Diese G ottheit aber ist nicht etwa die eines

unsichtbaren jenseitigen Logos, sondern des menschgewordenen H e i­ lands, von welchem gar nicht gefragt w ird , ob und wie das G ö tt­ liche in ihm absolut offenbar geworden.

„C hristus ist lauter Licht,

Leben und Vergnügen, vor seinen Augen schweben ist wahre S e ­ ligkeit ; seine Erkenntniß dünkt uns ein M eer der Vollkommenheit, und seine Liebe, die in dem Geheimniß der Versöhnung das schönste Ansehen hat, davon sich alle Heiligen im H im m el nicht satt w un­ dern und satt singen können, das ist unsere ewige M a te rie ." 2) Fragen w ir w e ite r, was an Christus die Seele am Meisten an­ ziehen soll: so ist es nicht der Erschienene überhaupt noch der Act der Menschwerdung, noch der Schöpfer und Lehrer des G ottes­ reiches oder Zeuge der G ottheit, sondern es ist der l e i d e n d e u n d s t e r b e n d e E r l ö s e r , in dessen geheimnißvollem Gottestode die ganze unendliche Spende der Versöhnung und Gnade ausgegossen ist.

D a m it haben w ir den Kern seiner religiösen Richtung aus­

gesprochen.

D ie Anschauung des Christenthums zieht sich von ihrem

allgemeinsten Umfang au f einen immer engeren»zusammen, bis sie an das Concreteste, Schärfste, Ergreifendste, an den Schlußpunkt des D ra m a 's der Erscheinung Christi sich angeheftet hat, welcher unm ittelbar und vor jeder Erklärung auf den Betrachter w irkt. Alle Schriften Zinzendorfs sind voll von der Verherrlichung dieses E inen, und niemals ist es einfältiger und kindlicher verkündigt, ')

Ebendas. 4. Abth: S . 122. 3. Abth. S . 87.

„Ich habe die Generalabsicht,

dem Heiland mich mit ganzer Seele auszuopsern und Christum öffentlich zu pre­ digen und zu recommandiren, schon zwanzig Jahre." »)

Ebendas. S . 45. 206.

91

Zinzendorf im Gegensatz zu Dippel.

aber auch nicht leicht auf eine so s in n lic h -g e fü h ls m ä ß ig e Weise gepriesen worden als von ihm.

D a s Reich Jesu ist ein stilles

sanftmüthiges Kreuzreich im Gegensatz zu dem mächtigen und prah­ lenden Reich der Eitelkeit und des Teufels

D ie wahre S e lig ­

keit ist, sich einzig zu rühmen der blutigen W unden, die Jesus an Händen und Füßen getragen;

in diese sollen die Gläubigen sich

wickeln, um recht heilig zu leben, sie sollen ausharren in der B e ­ trachtung der Nägelmahle und L a m m e s.**3)

gewaschen werden im B lu te des

Z i n z e n d o r f sagt: „ D e r Leidenspunkt, die B lu t ­

theologie ist m e in ; w ir sind die cruciata, die Kreuzgemeinde, A n ­ dere haben die unblutige, w ir die blutige Gnade," — w ir das Lamm Gottes „ in th r o n is ir e n " .3)

so wollen

Solche überall wie­

derkehrende Stellen geben bekanntlich den T on an fü r die nach­ folgende fromme Sprache der Brüdergemeinde. diese Gemeinplätze

Und zwar sind

nicht etwa der poetisch-affectvolle Nachklang

einer vorangestellten Erklärung von der Nothwendigkeit des ver­ söhnenden Leidens C hristi, sondern sie treten an die S telle dersel­ ben.

D ie Lehre w ird vorausgesetzt oder n u r einfach m it B ib e l­

stellen belegt; aber ehe deren Zusammenhang übersehen w ird , hat sich das Gemüth schon in das Leidens- und Versöhnungsbild ver­ tieft, um lieber zu m a l e n und sinnlich zu vergegenwärtigen, waS es nicht denken w ill.

M a n könnte behaupten, daß Zinzendorf's

ganze R eligion n u r in der liebevollen und sehnsüchtigen Betrach­ tung des Leidensbildcs Christi und in der Empfänglichkeit fü r die von demselben ausgehenden Mahnungen bestanden habe, wenn er nicht gegen Andersdenkende wieder den Lehrpunkt so scharf heraus­ gekehrt hätte.

Dieses Zurückführen des christlichen Glaubensgehalts

auf das W under der Versöhnung durch

den Gekreuzigten

steht

dem zuvor bezeichneten Standpunkt D i p p e l s diam etral entgegen. D o rt hat das O pfer Christi keine G eltung, ehe es nicht durch sitt­ liche Nachahmung der Gläubigen sich bewahrheitet; hier tr itt es grell und ohne alle ideelle Um hüllung vor den Beschauer.

D er

') Bedenken, S. 29 der 1. Abth. -) Ebendas. S. 64. 118. 166. 3) S . die Stellen in Bengel's Abriß der Brüdergemeinde, Th. 1. cp. 1. 14.

92

Sechstes Buch. Erster Abschnitt.

Eine verwirft den objectiven Act der Genugthuung, dem Andern gilt er sinnlich angeschaut als alleiniges Trost- und Erweckungs­ mittel des neuen Lebens, und keine Theologie ist die rechie, die nicht das Zeugniß des B lu ts an die Spitze stellt. D a s ist, be­ merkt Z i n z e n d o r f , das nothwendige in den letzten fünfzig Jah ­ ren vernachläßigte Requisit, und wenn Alle bisher der Meinung gewesen, am Glauben fehle es nicht, wenn wir nur darnach han­ delten: so soll jetzt die „Katholicität der Lcidenslehre Christi als eine Universaltheologie in Theorie undPraris eingeführt werden"'). Der erste Artikel des Sym bols wird daher bei Weitem von dem z w e i t e n überstrahlt; so wollte es Z i n z e n d o r f , und es ist be­ kannt, daß er sich über den christlichen Universalglauben wie über eine schwächliche „Gottvater-Religion" geringschätzig genug ausge­ lassen hat. Ebenso ging seine Absicht nicht dahin, einem formulirten Lehrchristenthum Bekenner zuzuführen, sondern Seelen dergestalt zu erwecken und zu sammeln, daß sie als begnadigte Kinder Gottes dem Gekreuzigten vollkommen angehören. Auch die W elt- und Selbstverleugnung, die er von ihnen fordert, erscheint demgemäß in einem besonderen Licht; sie wird nicht als Folge des neuen sitt­ lichen W illens, wie er sich aus dem Princip der Rechtfertigung entwickeln soll, angesehen, sondern mehr wie ein Uebertrag des Kreuzcharakters von Christo auf die ©einigen, wie ein unfehlbares Kennzeichen derer, die mit dem Herrn und mit dem Segen seines Leidens verwachsen sind. Und diesem also v e r e n g t e n Evangelium hat Z i n z e n d o r f nicht allein von ganzem Herzen angehangen, er hat zugleich im Verkehr mit Anderen eine M ilde und Sanftmuth bewiesen, deren bis jetzt weder ein Orthodorer noch ein Pietist fähig gewesen war. D ies ist das Ausgezeichnete an ihm, aber es ist nicht das Beste. W ir wenigstens finden seine Tugend vornehmlich darin, daß ein Mann, dessen religiöse Subjektivität zum Betstundenchristenthum *2) ') 2) sich in daraus

Bengel, a. a. O. Hagenbach, a. a. O . S . 428. M an siehe die interessante Stelle in den Bedenken S . 62: „Nehmen sie ihren Versammlungen in Acht, daß ja kein Betstunden- Christenthum werde, da man sich entweder aus wollüstiger Andacht mit schönen Vor-

Zinzendors's Frömmigkeit und deren Princip.

93

und andächtigen Genusse neigte, und der wirklich eine höchst weichmüthige Lyrik in Gedanken und W orten auf die ©einigen vererbte, dieser G efahr doch nicht erlegen ist, sondern daß er die praktische Ausgabe seines Lebens von Anfang an unter Anfechtungen und Gefahren m it großer A usdauer durchgeführt hat. Versuchen w ir jedoch in das Wesen dieser Frömmigkeit noch genauer einzugehn. D er von uns gefundene M ittelpunkt enthält zwei M omente, die A n e r k e n n u n g des Gottmenschen, ohne welche dem evangelischen G lauben die Festigkeit abgehen würde, und die andere seines leidenden V e r d i e n s t e s . Auch der letztere Punkt ist keine Lehre, sondern eine einfältige Kunde, die sich Niemand durch Nachsinnen aneignet. D a s B lu t Christi ist das P r i n c i p der H errn­ hutischen Theologie. E s giebt gewisse G rundw ahrheiten, in denen Keiner au s M angel des Verstandes sondern bloß durch Verleitung seines todten ungebrochenen und niem als im B lute des Lammes gewaschenen Herzens irre t, und so zu irren , ist die Hauptsünde, gegen welche die Predigt des heiligen Geistes Jv h . 16, 8. 9 streitet. E s ist unmöglich, diese W ahrheit m it offenen Ohren zu vernehmen und nicht begnadigt und bekehrt von dannen zu gehen; denn ein Solcher muß wissen, daß der Heiland dem V ater jede S eele an­ zeigt, daß er für sie genug gethan, und wer es nicht wissen w i l l , hat nicht etwa bloß eine Ueberzeugung w eniger, sondern es fehlt ihm das Merkzeichen, welches die Erweckten von den W eltkindern unterscheidet') . Folglich ergiebt sich drittens als nothwendige Frucht trägen, schönen Büchern, schönen Liedern divertirt, ober aus cholerischer M unter­ keit mit den Werken und Thaten Gottes breit macht und sich mit erbaulichen Nachrichten aus dem Reiche Christi die Zeit vertreibt, oder aus melancholischer Verdrießlichkeit Obrigkeiten, Psarrer »nd alle Stände ohne Verbesserung durch­ hechelt und die göttliche Gerichte über das menschliche Geschlecht aus allen Zei­ tungen herausklaubet, oder au« phlegmatischer Tändelei mit Hintansetzung aller leiblichen Arbeit fromme Assembläen vor den weltlichen erwählet, weil man sich nicht weiter weiß in der Welt und dabei die ruhigsten Tage hat: — wel­ ches Alles Dinge sind, die nach Gelegenheit den Jungsrauen und jungen Wittwen, die vor Hoheit und guten Tagen bei Christo lüstern werden, oder H aushaltun­ gen, die in ihren weltlichen Umständen zurückgekommen, oder alten wohlhabenden Leuten sehr anzuhängen pflegen." *) Bedenken, 4te Abth. S . 90. 91.

94

Sechstes Buch.

jener Kunde auch die F r u c h t

Erster Abschnitt.

der Versöhnung

in

den Herzen,

welche umgeschmolzen werden, so daß sie nicht anders können als ihrer S a lb u n g

folgen und in der Gemeinschaft des Heilands

ohne Unterlaß wandeln.

Denn S albung ist der rechte Geschmack

von geistlichen Dingen, zumal von Christo

Zuweilen entschließt

sich Z in z e n d o r f zu mehr doctrinalen Bemerkungen über diesen H eilsw eg.

In

solchen Fällen zieht er die Rechtfertigung auf's

Engste m it dem Verdienst Christi zusammen, als umbildende G n a ­ dengabe und Ausfluß des göttlichen Erbarmens.

D a s Wesen der

H eiligung aber besteht in der fortschreitenden Bewahrung der Ge­ meinschaft Christi, und sie muß so hoch getrieben werden, daß die Seele ih r eigenes S e in immer mehr aufgiebt und „e in inniges Sehnen nach dem ewigen G u t , ein herzliches Dursten nach dem Punkte der Freiheit, ein zitterndes Verlangen nach dem Geschmack des B rodtes Gottes und der Vereinigung m it dem M anne der Seelen, endlich ein Geschäftigsein ohne U n te rla ß " an die S telle tritt 8) . Denn die Seele hat zwei Arm e, Beugung um die Gnade und K r a ft, um den wesentlichen Glauben zu ergreifen.

D er Jünger

ist nicht ü b e r seinen M eister, das ist der G rund zur täglichen Submission der Seele unter C hristum ; der fe rtig gemachte Jünger ist w ie thum.

sein M eister, das ist der G rund zum täglichen Wachs­ Zwischen dem Beginne der Umkehr und dem Siege der

H eiligung

liegt ein weiter Zwischenraum, welcher m it gewissen

S tadien *2 3) einer psychologischen Mystik ausgefüllt w ird . Christus also, das Geheimniß der Versöhnung und die E r­ weckung der Seelen zur Hingebung an ih n , sind die drei Angel­ punkte, um welche sich Z i n z e n d o r f s Herzenstheologie dreht; von ihrer Annahme hängt die Seligkeit ab, nicht w eil die Verw erfung ')

Z .' 8 Kleine S chriften, I, S . 234.

2)

Ebendas. S . 130 ff.

Nachlese IV . S a m m lu ng.

V g l. auch Z . 's Kleine S chrifte n, der fre iw illige n Rede über M a tth . 5, S . 401 ff.

3) Bedenken S . 45. 46. „A ngst und Klage, die in H offnung, Gleichgültigkeit gegen alles Irdische, H unger liitb D u rs t nach der Gerechtigkeit, so sich in S a ttfe in endigt, Begierde andern Seelen zu helfen, äußere und innere Schmelzung von allen Schlacken, kindliche und ganz einfältige Liebe gegen Jedermann, Pfeilerfeste G ewißwerdung, so sich im Siege endigt."

95

Zinzendors's Frömmigkeit characterisirt.

irrtü m lic h sein würde, sondern w eil die Gnade, deren Besitz alles Seligwerden bedingt,

nur durch

gungen verliehen w ird .

das M edium dieser Ueberzeu­

Einwendungen der V e rn u n ft kommen in

den Hauptfragen gar nicht in Betracht, denn, — wie sich Z in z e n d o r f sehr stark ausdrückt, — die eitle V ernunft, die nicht ver­ steht was Durchbrechen der Gnade heißt, m it Füßen treten und dem gekreuzigten

Jesu

zu Füßen

liegen,

sind

compatibilia ') .

Schwerlich w ürde sich damals ein Orthodoxer einen solchen A us­ spruch erlaubt haben.

Es ist dies dieselbe naive und unvermittelte

P o sitivitä t, wie sie sich auch in Z i n z e n d o r s ' s Bearbeitung des Lutherischen Katechismus findet, einem Büchlein das ausgezeichnet durch kindliche Gcmüthssprache und doch wieder w eit hinausgehend über den Standpunkt des Jugendunterrichts die Frage beantworten soll, wie eine „S eele ohne Umschweife selig werden kann."

D er

religiöse Character ist an leisen Zügen erkennbar, und man kann sich nicht verhehlen, daß hier jede Möglichkeit verschwindet, a ls könne die menschliche Wissenschaft zur A ufklärung des Menschen über seine letzten Lebenszwecke nur das Geringste beitragen, so aus­ schließlich und unm ittelbar soll Alles aus dem geschriebenen „B rie fe Gottes an die Menschheit geschöpft werden" *)•

W ie weit aber

sind w ir schon von der älteren streng kirchlichen Lehrweise entfernt! B o r wenigen Jahrzehnten wurde die christliche W ahrheit in einer Reihe scharf sorm ulirter Sätze eingeprägt; hier w ird sie wie eine G n a ­ dengabe und eine Herzenseigentbum angesehen, aus wenigen Stücken bestehend, während in anderen der Einzelne immerhin seinem Nach­ denken folgen darf.

D a m a ls nährte sich die Theologie jeder Farbe

von der D is p u ta tio n ; jetzt bekennt der A nführer einer bedeutenden religiösen B ewegung: ')

Ebendas. S . 173.

„ich kann nicht disputiren und Controver„W a s soll man sagen von dem G ru n d - und H a u p t-

Text aller unserer Predigten, dem B lu t des Lammes Gottes fü r die S ünde der W e ll vergossen, — welches kein P la to noch S okrates, kein G ro tiu s noch Leibnitz noch N ew ton in

eine vernünftige Eonnexio» m it der Liebe und

Gottes bringen können."

Gerechtigkeit

D a s klingt beinahe wie eine Iro n ie aus das Dogm a,

welches den T od C hristi m it der göttlichen Gerechtigkeit und Liebe in eine sehr rationale ja spllogistische B erb in dun g gebracht hatte. 2) G ru n d christlicher Lehre.

M i t einer Vorrede Melchior Scheffers, 1735.

96

Sechstes Buch.

Erster Abschnitt.

sien lese ich nicht weder pro noch contra"

Folglich, hätte man

ihm geantwortet, darfst du gar nicht mitsprechen.

Genauigkeit war

damals die erste Tugend aller Dialektik in Glaubensangelegen­ heiten und das wichtigste Schutzmittel gegen falsche Meinungen; hier heißt es dagegen, daß zu Zeiten wo die göttlichen Wahrheiten kaltsinnig aufgenommen werden,

gewisse

Ausdrücke nothwendig

p a r a d o x und i n c o r r e c t gewählt sein müssen, weil sie sonst nicht tief genug einschneiden 8) . Z i n z e n d o r f äußert sich scheu vor den Gefahren gelehrter Grübelei und mißtrauisch gegen die H altbar­ keit dogmatischer Definitionen.

Daher die häufigen Warnungen,

nicht zuviel Studium und Verstand einzumischen 3) , die Ungenirtheit, m it der er den Ketzermachern in's Garn läuft, und sein Schelten über „die barbarische Methode der W elt", m it Irrenden umzugehn4) ,

Durch freie Aeußerungen über die Jnspirationslehre

entbindet er sich von deren theoretischer Schroffheit5) .

E r nimmt

die Erbsünde unter Beschränkungen an und läßt manche Zweifel

*) M a n vergl. das Antwortschreiben an einen berühmten U n ita rie r, B e ­ denken S . 121— 26. 2) S o erklärt sich m it vieler Feinheit der Bischof Polykarp M ü lle r in der Vorrede zu unseren Bedenken §. 14.

Ausdrücke wie G ottesblut oder G o tt selbst

ist todt, seien paradox aber fü r das Herz gewählt.

D enn bei gewöhnlicher B e ­

zeichnung des Glaubens sei der assensus verbalis zu leicht zu erlangen, wenn auch die Sache nicht angenommen werde.

B ei paradoxem Ausdruck aber stelle

sich der dissensus verbalis sofort heraus, und dann sei es Z e it, bis zu dem sachlichen consensus oder dissensus m it E rfolg fortzuschreiten, wobei sich dann die genaue und wohl bemessene Ansdrncksweise von selbst ergeben werde. — F ü r G e m ü t h sfragen gewiß eine wahre Bemerkung. 3) Bedenken, S . 91. 4) „ I c h bin lebenslang gern m it Irre n d e n umgegangen. — D a hat's denn geheißen, ich sei der Irre n d e n Geselle, d. i. selbst ir r ig . " 5) Bedenken, S . 173.

Ebendas. S . 64.

„E s ist eine unverantw ortliche T h o rh e it, die B ibel

so anskünsteln, daß man w ider allen S in n und Verstand glauben soll, daß sie gelehrt, zusammenhängend, nach unserer A r t methodisch geschrieben sei; da doch ih r göttlicher Geist und Leben in die Gestalt und F o rm eines miserabeln H irte n -, Fischer- und V is ita to r-S tili, oder welches noch unangenehmer vor die Ohren ist, in eine classtcalische Düsterheit und Schulterm inologie der alten Rabbinen ein­ gewickelt ist."

Hierher gehört auch Polyc. M üller, De Tentamine novae noyi

Test, metaphraseos Zinzendorfiana disquisitio, 1743.

Zinzendors'» Verhältniß zu den Tonfejsionen.

97

laut werden ohne Rücksicht d a ra u f, ob sie ihm als Ketzereien ge­ deutet werden ') .

Ueberhaupt aber erkannte e r, daß es schwierig

sei, auch nur die M itg lie d e r Einer Gemeinschaft auf die D auer unter d a s se l b e

Symbol

zu bannen.

haben nicht v ö llig denselben S in n

Denn die Nachkommen

wie ihre V o rfa h re n , oder sie

glauben nicht daran, daß gewisse vorgeschriebene Sätze ihre eigene M einung noch wiedergeben,

und das ist die eigentliche Ursache,

„w a ru m bei den weltberühmten symbolischen Streitigkeiten, sonder­ lich bei Leuten, da es im Herzen überein aussieht, sie doch nicht so leicht quia als qualenus sagen können" ä) . In

gewissem Grade

also erhebt sich Z i n z e n d o r s über die

Schranken aller Confession, deren Schwächen er wie die M ängel der gelehrten Schulsystematik durchschaute, in anderer Beziehung schließt er sich ih r wieder an. S inne.

Jenes wie dieses folgt aus seinem

D e r Protestantismus hatte es noch nicht erlebt, daß ein

religiöser V erein von kräftig vordringender Selbstbestimmung den Umkreis eines unerläßlichen Fundamentalglaubens f ü r

sich fest­

stellte und gleichwohl die Ȋchststehende Kirche anerkannte und von ih r Anerkennung beanspruchte.

Gerade diese f r e i e Anschließung

an die Confession, zunächst die Lutherische und dann die reformirte, gerade diese Fähigkeit, verschiedenen Lehrtropen in sich selber Z u ­ gang zu verstatten

ohne Lösung des gemeinschaftlichen Bandes,

bezeichnet die S tellung Wirksamkeit.

der Brüdergemeinde

und

bedingt

deren

Z i n z e n d o r s ging auch darin m it seiner persönlichen

Entscheidung voran.

E r versichert, allen einfältigen Lehren, wie

sie in der heil. S ch rift und den symbolischen Büchern niedergelegt sind, aufrichtig ergeben zu sein.

M i t Anerkennung der A ugsbur­

gischen Confession nennt er sich und seine Gemeinde evangelisch und Lutherisch^) in der T h e o r i e .

E r überläßt der Kirche, was er

J) Bedenken, S . 64. 2) Zinzendorf's neueste theol. Bedenken, S . 116. 3) V o n der Lutherischen Kirche u rth e ilt Zinzendors in seiner Weise scharf und empfindlich, baß sie entweder sehr hoch oder sehr niedrig stehe. „ E in unbekehrter Lutheraner ist ein ekelhast D in g , das einem Laodicäer, einem ausgespieenen oder auszuspeienden lauen Wasser gleicht, als ein T ro p f dem andern. Gesch. d. prvtest. Dvgmatit 111.

7

Ursach: in den

98

Sechstes Buch.

Erster Abschnitt.

selbst m it bett ©einigen nicht wesentlich zu fördern W ille n s w ar, System, Theologie und Wissenschaft') . nem Unternehmen

Zugleich aber lag in sei­

die thatsächliche Erklärung der Unzulänglichkeit

der Kirchen fü r den Zweck der christlichen Seelengewinnung, und m it großem Nachdruck w ird gerühm t, daß unter allen von G o tt veranstalteten „Erweckungen" keine einfacher und regelmäßiger ver­ laufen, von inneren Unruhen freier geblieben sei und sich den be­ stehenden kirchlichen und bürgerlichen Verhältnissen friedlicher an­ geschlossen habe als

diese.

bedeutende Nichtschätzung der

M it

der

Schätzung ist

also eine

Confessionen verbunden, und

dieser

Widerspruch löst sich n u r dadurch, daß Zinzendorf die N othw en­ digkeit der neuen Gemeinde eben an die praktisch-religiösen Zwecke knüpfte, also die Aussicht offen ließ , daß dereinst die evangelische Kirche diese apostolisch norm irte Nebenanstalt in sich werde zurückziehn dürfen *1 2) . würden

Aber auch

in dieser zeitweiligen Bestimmung

sich die H errnhuter nicht innerhalb der Kirche erhalten

haben, wären sie nicht durch ihre ausgezeichnete religiöse Gesell­ schaftsform unterstützt worden.

Zinzendorf erklärt die mährischen

B rü d e r fü r eine heilige, bischöfliche ja apostolische Kirche, die der protestantischen R eligion in der Richtigkeit der Lehre Nichts nach­ gebe, in der Kirchenzucht aber wie dem A lte r nach w eit vorangehe. Unter ihnen glaubte er wieder zu finden, w as er in dem bestehen­ den Kirchenthum verloren, und mehr als d a s; sie gewährten den neutralen und durch historische W ürde geheiligten Boden, auf w el­ chem es möglich wurde, den Umgang m it allen, auch den irrig e n

andern Religionen ist noch E tw a s , in der papistischen Werkheiligkeit, in der resorm irten V e rn u n ft;

bei uns

aber,

wenn w ir

nichts Wahres

haben, nichts

Lebendiges, ist ein todter Glaube und weiter N ic h ts ." 1)

Bedenken, S . 93.

2) I n

welchem S in n e Z . die Mission unter den Heiden in 's Auge faßte,

beweist sein Schreiben an etliche Prediger in Schweden v. 1735.

„ I c h achte es

fü r eine kostbare Sache, einigen hundert Seelen zu predigen, die noch nicht recht h u ngrig gewesen

sind.

Da

lassen sich Progressus machen unglaublich.

D er

H eiland mache mich so glücklich: so soll er Seelen kriegen, wie er ih re r denn in H e rrn h u t h a t."

SS

Zinzenbors's religiöser ParticulariSmu».

R eligionen vorzubehalten.

Durch Annahme dieser Verfassung

trat freilich in seine kirchliche Anschauung etwas Aeußerliches, S ta ­ tutarisches, w ir müssen sagen K a t h v l i s i r e n d e s ,

denn er giebt

nicht undeutlich zu verstehen, daß die den B rü d e rn von allen K ir ­ chen zugestandene bischöfliche Succession nicht allein höchst werth­ voll sei, sondern auch fü r das „W e rk des H e ila n d s " sehr in B e ­ tracht kom m e.') W ir brechen ab, indem w ir die weitere Entwicklung des Ge­ genstandes ihrem eigenen Gebiet überlassen.

D er persönliche

Gegensatz, von dem w ir ausgingen, bat sich nunmehr auch sach­ lich ausgesprochen.

D er P ietism us ist z w i e s p ä l t i g geworden,

j f nachdem er verschieden ergriffen w ard.

D ie eine Richtung hat

in Zinzendorf ein Endziel erreicht, sie w ird durch Erneuerung der B ruderunität aus den Schicksalen der Kirche und Theologie h e r ­ a u s g e s t e l l t und gleichsam aufbewahrt fü r ein Gesammtbedürfniß her evangelischen Christenheit; ihre Losung ist Gnade und V e r­ söhnung.

D ie Losung der andern, die w ir wenn auch nur ver­

einzelt in D i p p e l dargestellt fanden, ist sittliche Wiedergeburt und Erkenntniß; und diese sollte im S trom e stehen bleiben und von dem Fortschritt der Wissenschaft ergriffen werden. — w ir nun

W as haben

zuletzt über Zinzendorf's Glaubensweise zu urtheilen,

ganz abgesehen von den persönlichen Eigenschaften desselben fü r die Gemeindeleitung und von der außerordentlichen Fruchtbarkeit seiner Bestrebungen? zes u n d

E r wollte ein E v a n g e l i u m

d er G n a d e ,

de s K r e u ­

herzlich, innig und werkthätig zugleich.

Aber welche Ansicht wurde dabei aus dem Herzen in den Verstand hinübergenommen?

Diese w a r , wie w ir gesehen, theils einseitig

b e s ch rä n k t , theils sinnlich g e f ä r b t .

Es ist nicht der S in n des

Christenthums, den H eiland als den menschlich erschienenen G o tt an die S telle des unsichtbaren treten zu lassen, es ist richtig ver­ standen nicht einmal die Absicht der orthodoxen Kirchenlehre. Und *) Zinzendors'S abermalige E rkläru ng seines S in n e s und Grundes vor die

tu. Kirche 1 7 3 7 .

Bedenken S . 1 02 . 3 . 108 u. 9. 120. 137 u. a.

Vorrede 8 . 5 ff. ’ ) Ebendas. S . 139.

Auch M ü lle r'«

100

Sechster Buch.

Erster Abschnitt.

ebenso wenig soll der T od Christi den G läubigen zum sinnlichen Seelengenusse dargeboten werden. Denn wenn es auch vollkommen christlich und biblisch ist, daß Christus in ben ©einigen durch sich selber fo rtw irk t: so darf doch diese Gegenwart nicht zu einem fortdauern­ den Nachsterben und Nachleiden, zu einem bloßen Nachempfinden des Todes Christi und seiner Wirkungen verengt werden,

denn

sonst bewegt sich die ganze Frömmigkeit in dieser Richtung, und es entsteht ein mystischer K atholicism us, in welchem das Versöhnungsopser auf dem A lta r der Seelen wiederholt w ird . vor jedem philosophischen

Fliehend

und universell-christlichen R eligions­

bewußtsein stürzt sich Zinzendorf's Glaube m it liebender Begierde auf das W under der Menschwerdung C hristi; er w ill von deren Schranken umgeben, von deren Opferzeichen e rfü llt und gesättigt sein und alles Leben unter die besondere durch apostolische In s titu ­ tionen vermittelte Regierung des Heilands gestellt sehen.

S o ge­

fe s s e lt von dem Erschienenen findet er den Aufschwung in das Unendliche göttlicher Wirksamkeit nicht m ehr, oder wenn er ihn findet, muß er doch sofort wieder in die irdisch bereitete W ohn­ stätte herabsinken.

D a m it geht aber der letzte W erth der Erschei­

nung Christi verloren; denn diese w ill sich s e lb e r n ic h t d ie n e n , sie ist so durchsichtig und klar, daß sie jeden Gedanken des Glaubens und der Liebe nicht allein an sich heranzieht, sondern auch durch sich hindurch läßt, damit er belebt von dem empfangenen Eindruck auch nach Oben hin K ra ft gewinne und das Absolute in diesem Licht betrachten und die göttliche W eltregierung durchwandeln lerne. Denn in dieser letzteren Richtung bleibt die Herrnhutische F röm ­ migkeit und die aus ih r hervorgegangene Lyrik und Liederpoesie matt, sie verharrt innerhalb der Christus- und B luttheologie, welche doch auf eine andere hinleiten soll, wie Christus auf den V a te r. D a s ist der religiöse P a r t i c u l a r i s m u s ,

der nur in den en­

geren Grenzen einer Gemeinde sich durchführen ließ und Früchte bringen konnte.

Dieser C ultus des Gekreuzigten fü h rt zu einer

Zeugenschaft des B lu ts .

Zinzendorf

selbst giebt sich selbst den

Namen eines Blutzeugen, und dieses M ä rtyre rth u m des Herzens hat sich in dem religiösen Leben der Herrnhuter in

sanfter und

Gefahren in Z in je n d o rf's Fröm m igkeit.

101

weichlicher Form , wie bei den Methodisten mehr m it heftiger Lei­ denschaft verbunden abgespiegelt. ')

M it diesem Standpunkt ver­

bindet sich noch eine andere G e fa h r, so wenig auch der S tifte r selbst ih r unterlegen ist.

Eine Andacht, die sich wesentlich in den

Gefühlen der Sünde und Versöhnung bewegt, w ird gern an der Grenze verweilen, die von der einen zur andern hinüberführt.

D as

Gemüth gewöhnt sich an diesen tröstlichen Uebergang, es beugt und demüthigt sich ohne Widerstreben in der Gewißheit der folgenden Erhebung.

Diese S tim m ung aber ist darum gefährlich, w eil sie

leicht den s ittlic h e n Haß gegen die Sünde und die ernste V e r­ werfung der e ig e n e n Schuld verm indert, wenn nicht gar in ein geheimes Wohlgefallen verkehrt.

B e i aller Ehrbarkeit und stren­

gen Zucht, welche die Herrnhuter im Allgemeinen auszeichnet, ver­ rathen sich doch zahlreiche S puren jener weichlichen Sittlichkeit, welche den W iderw illen und die Scheu vor dem Unreinen durch

l)

Unter den Herrnhutischen Lehrschriften möge noch Spangenberg's Idea

fidei (B a rb y 1779) erwähnt werden. tic u la ris m u s weniger einseitig h e rv o r, zu einer gleichmäßigen W ärm e

In

ih r t r it t der erwähnte religiöse P a r-

der erste E ifer der Fröm m igkeit hat sich

gemildert.

D as Ganze ist ein leichtverständ­

licher U nte rricht, in welchem sich A lles aus den einfachsten Folgerungen ergiebt, beinahe eine Erzählung des G laubensinhalts m it betrachtenden und p a rteiische n Ruhepunkten.

D ie

allgemeinen R eligionswahrheiten werden nicht verabsäumt,

und die D arstellung ist in sich selbst um so wahrer und übereinstimmender, da sie m it der Theologie als solcher nirgends anbindet. halb, dogmatische B egriffe fochten.

D ie Lehre

A lles Gelehrte bleibt außer­

wie die Erbsünde werden weder erläutert noch ver­

von der Genugthuung kleidet sich in die einfache E rk lä ­

ru n g , daß G ott die „grausame Todesstrafe, die Christus ebenso ausiehet, als wenn w ir sie ansgestanden hätten."

fü r uns erlitten hat, D e r größte Nachdruck

liegt nicht eigentlich a u f dem Abschnitt von Christo und seinen Leiden, sondern vielmehr da, wo als das alleinige R ettungsm ittel der G laube wie ein vertrauen­ des Hinblicken oder wie ein rasches zuversichtliches E rgreifen m it eindringenden W orten geschildert w ird.

D e r Nedeton des Buchs kann aus der S telle S . 80

ersehen w erden: „W a s hat dann n u n G o tt davon, daß E r sich m it einem jeden Menschen so wie m it allen Vögelein und W nrm lein.gleichsam mühet und fü r sie sorget?

V on den allermeisten Menschen hat E r schlechten D ank, den wenigsten

kann er es rechtmachen."

Oder

aus der andern S . 160:

„Gegen die Leute,

die G o tt gleichsam zur Rede stellen, w arum E r seinen S o h n den Unschuldigen m it dem Tode bestraft und den Menschen, die den Tod verdient haben, die S tra fe erläßt, wenn sie an Jesum glauben, ist nicht zu d is p u tire n ."

102

Sechstes Buch.

Erster Abschnitt.

ein schon erlangtes G efühl der Sicherheit nicht geschärft sondern abgestumpft werden lä ß t . ') D ie Urtheile der Zeitgenossen und besonders der kirchlichen Organe liegen uns in entgegengesetzter Richtung reichlich vor A u ­ gen.

In

den Augen der Kirche kam der Gemeinde theils Luthcr's

günstiges Zeugniß fü r die mährischen B rü d e r theils das Gutach­ ten der W ittenberger Theologen von 1575 vortheilhaft zu Statten. D a ra u f fußend und geleitet von ihrer damaligen unbefangenen Ge­ sinnung konnte die Tübinger Facultät 1735 nachweisen, daß eine Gemeinschaft,

die vor Allem

dem W orte Gottes

und heiligen

Wandel treu bleibe, unter Voraussetzung ih re r Uebereinstimmung m it der evangelischen Lehre immerhin fortbestehen, ihre abweichende D is c ip lin beibehalten und den Verkehr m it der Kirche fortsetzen d ü rfe *2) .

Denn ihre christlichen Grundsätze stellen sie in die Ge­

meinde der Heiligen, und dieses auf W o rt und Sakrament gegrün­ dete Recht w ird durch die Eigenthümlichkeit der Verfassung nicht aufgehoben. Leipzig.

S ehr

entgegengesetzt erklärten

sich Wittenberg

und

V on dort aus wurde das Tübinger Gutachten öffentlich

widerlegt, und w ir hören eine erneuerte und verschärfte K ritik des P ietism us, in welcher den Herrnhutern eine systemlose Theologie, V e rw irru n g der Geister, mystische und schwärmerische Ausartung, falsche Empfindelei, Einmischung katholischer Gebräuche und S ch lim ­ meres, was auf einzelnen anstößigen V o rfä lle n beruhte, zum V o r ­ w u rf gemacht w ird 3) . D ie heftigsten Gegenschriften über Person, Schriften und U n­ ternehmen Zinzendorf's fallen in die Jahre 1737 bis 4 1 , und sie beweisen auf *)

den ersten B lick,

wie ungezügelt sich die kirchlich

A u f die speciellen Schwächen der Herrnhntischen S ittlichkeit brauchen

w ir hier nicht einzugehen, vgl. Tholuck's Anzeige von Varnhagen'ö B iographie, Derm. S chriften, I , S . 453 ff. 2) D e r theol.

F a cultät zu Tübingen Bedenken über die Frage,

ob die

mährische Brüdergemeinde zu H e rru h u t — bei ihren Einrichtungen verbleiben und dennoch ihre Connexion m it der evangelischen Kirche behaupten könne und solle. T ü b . 1735. 3) Vollständige Nachricht von der Herrnhutischen Bruderschaft — nebst Re­ fu ta tio n des Tübinger Bedenkens, Frkf. u. Lpz. 1735.

Urtheile der Zeitgenossen über Zinzendorf.

103

Lutherischen Kritiker ihrem W iderwillen überließen. W ir beziehen uns namentlich auf die Schriften von W i n k l e r , S uperintenden­ ten zu S to lb e rg , der wie der Pastor S t r u e n s e e noch durch per­ sönliche Mißhelligkeiten herausgefordert w ar, und von F r ö r e i ß e n , den P räses des Kirchenconvents zu Frankfurt *). B eide vertreten den confessionellen Standpunkt. Nach ihren Schilderungen bleibt an der Brüdergemeinde und ihrem S tifter wirklich kein gutes H aar. Z i n z e n d o r f selbst heißt der „H erostratos dieser Zeiten, welcher den marmorsteinernen Tempel der christlichen Kirche in die Asche legen, an dessen S telle eine S trohhütte bauen und sich dadurch einen ewigen Nam en machen w ill." J n 's Gesicht wird ihm ge­ sagt, er sei der „größte P hantast oder der größte Jm postor in der W elt oder vielleicht B e id e s ." ^ I n ihm ist S c h w e n k f e l d wieder erstanden. Seine Gemeinde ist eine „R o tte", seine Seelen­ sammlung ist „Seelenpest", seine W elt- und Kirchen-Beunruhigung „abentheuerlich und gefährlich", nicht allein in Ansehung ihrer bösen Absichten, sondern auch so vieler „höchst abscheulicher Irrth ü m e r" . D ies Alles und Aehnliches galt einem M anne, der in unserem Jah rhu nd ert zuweilen zu den G roßen gezählt worden, und welchem man in seiner Richtung eine religiöse G enialität nicht absprechen kann. D ie böse Absicht wird ohne W eiteres in der Befriedigung des Hochmuths und der Herrschsucht, in der Geringschätzung des J) V g l. P . S . Winckler's W iderlegung zweier Z.scher B riese, ferner B e ­ leuchtung der in den Biidingischen S am m lu n gen beigefügten Vorrede rc. Lpz. 1741. A. G roß, Vernünftiger und unparteiischer Bericht über die neu aufkommende H.sche Gemeinde. Frkf. und Lp;. 1 7 40 . I . L. Fröreißen's Rede nebst dessen S e n d ­ schreiben an den G r. v. Z . Frkf. 1 7 4 1 . Dess. W ohlgemeinte W arnung vor der Z.schen Seelenpest, Frkf. und Lpz. 1742. Dess. Diss. de temeraria provocatione ad primitivam eccl. Argent. 1741. Chr. M. Kromayer's Symphonia Schwenckfeldii atque Z.ii, S tra ß b . 1742. D azu L. v. Z .'s Erwartete Erklä­ rung über den unparteiischen Bericht, B üding. 1740. 2) S . F röreißen's Rede S . '29 und dessen Sendschreiben z. A. ,,W ann einmal die Nachwelt lesen w ird , daß ein G raf in der W elt gewesen, der ein V agabond, ein Irrwisch und in der W elt herumziehender theologischer Markt­ schreier w orden, der nach seinem W ohlgefallen Z im m erleute, Peruquenmacher, Heydncken, Schuhknechte und dergleichen zu Bischöfen gemacht, so wird sie nicht glauben können, daß solches möglich gewesen."

104

Sechstes Buch.

Erster Abschnitt.

geistlichen S tan d es und in der Ablösung des Herrnhutischen V er­ eins von der kirchlichen Oberaufsicht der Obrigkeit gefunden. Z w ar bemerken diese Kritiker auch viel Treffendes, die schwache S eite jener Frömmigkeit bleibt ihnen nicht verborgen, daß sie sich näm ­ lich die E rlangung der W iedergeburt zu leicht macht, da ja auch ungebesserte Gem üther nach einer sinnlichen und selbstgemachten E r­ weckung „in Einem Athem" herzusagen und zu rühmen vermögen, „wie man durch Christi B lu t Gerechtigkeit und Friede gewinne und nicht mehr sündigen könne". ') I m Ganzen aber laufen ihre Urtheile doch darauf h in au s, daß der neuen Gemeinschaft jede W ahrheit und Zukunft und fruchtbare Eigenthümlichkeit abgesprochen w ird. Und der heftigste Widerspruch trifft gerade dasjenige, w as an den H errnhutern das Bedeutende w ar, ihre leichte Bewegung in der kirchlichen W elt und ihr freies V erhältniß zu den Confessionen. Denn darin sieht Wi n c k l e r Nichts als leichtfertige Unionsaffecte; er folgert, wie wenig es ihnen überhaupt Ernst sei, da sie mit den Confessionen nur spielen um das Vergnügen zu haben, sich allerw ärts bald für Lutherisch bald für reform irt a u s­ zugeben. *) D aher glaube auch Z i u z e n d o r f in wenigen S tu n ­ den jeden Differenzpunkt ausgleichen zu können, und dies Geschäft gleiche einem Kamm m it ausgebrochenen Z äh n en , der leicht aber ungründlich arbeitet. J a w ir lesen einm al, die neue Religion der Zinzendorfischen Rotte sei nur die Religion der Klugen, der subti­ len Atheisten, die eigentlich gar keine haben *3) . S o wurde an Z i n z e n d o r f ganz dieselbe beschränkte Absprecherei geübt, die einst S p e n e r erfahren hatte, doch konnte sie nicht in gleichem G rade durchdringen. Viel bescheidener, wahrer und eindringender erklärte sich später B e n g e l , dessen Urtheil wir aber lieber zu seiner eige­ nen Charakteristik benutzen wollen. *) Groß, Bernünfliger Bericht, §. 25 fl. *) Winckler'« Widerlegung, S. 69. 95 ff. 119. 3) Kromayer, Symphonia Sehwenckfeldii etc. p. 22.

Zweiter Abschnitt. Der Kampf mit der Philosophie. I. ^ )e x

L e ib n itz .

Gang der D inge treibt uns rastlos von einer zur an­

dern Richtung, und fast möchten w ir den Leser bitten, daß er das V orige vergesse, um n ur Aufmerksamkeit zu gewinnen fü r die nächstfolgende Bewegung, welche sich doch m it der eben verlasse­ nen nach Z eit und Schauplatz berührt.

D ie Philosophie haben

w ir eine W eile aus dem Auge verloren,

obgleich w ir uns schon

früher überzeugten, daß dieselbe bei wachsender Selbständigkeit zu­ gleich ein inneres V erhältniß zur Religion Geist einnehmen sollte.

und zum christlichen

Nachdem der Cartesianismus in den N ie ­

derlanden P a rte i gemacht, nachdem Spinoza ohne Nachfolger und Schule in die wachsende Z a h l der Z w eifler und Freidenker ver­ wiesen worden: begann die deutsche Philosophie m it L e i b n i t z ihre große Laufbahn, um sie fortan m it nachhaltiger K ta ft zu verfol­ gen.

D e r Wölfische S tre it,

der uns zunächst begegnet und der

jene Cartcsianischen Händel jedenfalls an Wichtigkeit ü be rtrifft, weist von dem Schüler auf den M eister zurück.

B is

jetzt hatte der

deutsche Protestantismus noch keinen Forscher von so universeller B ild u n g und Geisteskraft besessen. Geister in

Leibnitz stand wie sehr wenige

der M itte der wirklichen und der ideellen W e lt und

Wissenschaft und ließ sie von allen Seiten auf sich wirken.

Durch

freie Theilnahme an den D ingen, durch großartige Umschau und geniale M ita rb e it an den entlegensten Wissenschaften, endlich durch

106

Sechstes Buch.

Zw eier Abschnitt.

praktisch eingreifende Wirksamkeit in Kirche und S ta a t wollte er in der philosophischen Denkthätigkeit nicht gestört sondern gefördert und befruchtet sein. D ie Kirche und Christenheit hat ihn nicht ver­ schmäht, w e il er selber sie gelten ließ.

Welch' ein Abstand zw i­

schen ihm und S p i n o z a dem einsamen D enker, der sich und die W elt über' der gewaltigen Strenge seiner Construction vergißt! W ie abgeschlossen und unerbittlich erscheint das System des Letz­ teren, wie unvollendet und lose verbunden der Gedankenentwurf des Andern, aber auch wie geeignet, alles Erkennbare in weitge­ faßtem Nahmen aufzunehmen!

Leibnitz hat um so anregender ge­

w irkt, je milder er sich auch zu fremden Ansichten stellte; der E in ­ druck seiner Philosophie ist wohlthuend und versöhnlich, w e il sie aus der freudigen Empfänglichkeit eines Geistes hervorgegangen w ar, welcher sich von dem unendlichen Reichthum der Erscheinun­ gen fortziehen läß t, ohne darüber den G rund und das Wesen zu verlieren.

Spinoza w ill n u r das Eine und Ewige zur Erkenntniß

bringen, Leibnitz läßt sich von dem Endlichen festhalten und ver­ w e ilt in diesem Universum , aber er gestaltet es so, daß er dem­ selben einen gotteswürdigen und zugleich der irdischen Unvollkom­ menheit entsprechenden Ausdruck giebt und von jedem Punkte der W e lt aus einen Aufblick zu G o tt offen erhält. S ta tt einer allgemeinen Charakteristik dieser Philosophie *) möge hier nur ein kurzes U rth e il über ihre religiöse und theologische A n ­ wendbarkeit Platz finden. I n ihren Grundvoraussetzungen befand sich die christliche R eligion durchaus im Einklang m it dieser W eltweisheit, denn sie trennt G o tt und W e lt wie Absolutes und Geschaffenes und verbindet sie wieder wie Wirkendes und Gew irktes, und sie sucht die Einheit B eider d a rin , daß die höchsten menschlichen B e ­ strebungen m it den letzten göttlichen Endzwecken zusammentreffen. D a s Universum ist das unendliche Reich der Monaden, es hat sich in doppelter Stufenreihe hier als physisches und dort als bewußtes und thätiges Leben entfaltet, welche beide wieder durch die kleinsten ') Fischer,

V g l. R itte r, Geschichte der christl. Philosophie B d . V I I I , S . 47. Geschichte der neueren Philosophie, B d . I I ,

G enius der vermittelnden A ufklärung dargestellt w ird .

K uno

woselbst Leibnitz als der

107

Allgemeines über Lcibnitz'S Philosophie.

Entfernungen und Uebergänge zu einer allumfassenden W e lth a rmonie verbunden werden.

D ie niedere physische und mechanische

W elt ist um der höheren moralischen willen da, in jener herrschen die wirkenden, in dieser die Zweckursachcn, während beide auf den­ selben ursprünglichen Schöpfungsact zurückgehen.

M it denen w ill

er sich nicht einlassen, welche G o tt n ur als höchste K ra ft denken, „von welcher Alles ausgehe, aber unterschiedslos, m it einer ge­ wissen Nothwendigkeit des Daseins, ohne W a h l des Schönen und G uten,

gleich als wären diese B egriffe theils w illkürlich theils

nicht wirklich sondern nur in menschlicher E inbildung vorhanden" *). L e ib n itz hat also den Z w e c k b e g r i f f , welchen S p i n o z a ver­ w arf, wieder vollständig zu Ehren gebracht und das P rin c ip der T e l e o l o g i e zu einem der vornehmsten E rklärungsm ittel des W e lt­ lebens erhoben.

Um so leichter konnte sich der religiöse Standpunkt

in dieser Betrachtung zurechtfinden, welche ja nur G o tt und der N a tu r ihre S te llu n g gab und das Gesetz ih re r Wirksamkeit aner­ kannte.

Schwierigkeiten mochten sich erst bei genauerer Vergleichung

ergeben; denn erwägen w ir w eiter, wie streng der Philosoph den ursprünglich gesetzten Causalnerus verfolgt, wie er den natürlichen Mechanismus als ein Continuum

denkt,

in welchem es weder

Gegensatz noch S p ru n g noch Unterbrechung des gesetzlichen Z u ­ sammenhangs geben soll: so zeigt sich, daß der W e lt eine größere Selbständigkeit gegeben w ird , als sie das entsprechende theologische Kapitel ih r bisher

eingeräumt hatte.

wiederholte sich in der Anthropologie.

E in

ähnliches V erhältniß

D er Mensch ist die edelste

M onade, er ist der vornehmste Repräsentant der Schöpfung und S piegelbild G ottes; seine Gottähnlichkeit b ringt die G ottheit der W e lt nahe, sein Selbstbewußtsein trägt das Gottesbewußtsein in sich.

D a s hatte die Theologie längst gewußt, die christliche E r­

kenntniß hatte es dem Philosophen in den M u n d gelegt.

An diese

Hauptsätze schließen sich aber schwierigere psychologische Folgerungen, die aus der Anwendung der ganzen Monadenlehre a u f das Wesen

') S . Liebnitz'S theolog. System nach dem Manuskripte der Staatsbiblio­ thek zu Hannover, von C. H aas, Tüb. 1860. S . 1 ff.

Sechstes Buch.

108

des Menschen hervorgehen.

Zweiter Abschnitt.

Als Mikrokosmus theilt der Mensch

die allgemeine Natur des Universums; er vereinigt in sich die beiden Hälften des leiblichen und psychischen Organismus, welche jede nach eigenem Gesetz in Bewegung erhalten werden.

Wie der

Körper seinem natürlichen Mechanismus folgen muß: so entwickelt sich die Seele in einer Reihe von Wendungen und Dispositionen, die in

der Eigenthümlichkeit einer ersten Anlage ihre Schranke

haben; eine Neigung folgt der andern, und der W ille befindet sich weder jemals in einem Jndifferenzpunkte, noch gelangt er zu einer unbedingt freien Selbstbestimmung.

Daß aber diese Factoren in

gegenseitiger Uebereinstimmung verharren, ist die Folge eiues ur­ sprünglich ihnen eingeprägten harmonischen Parallelismus.

Auch

diese Psychologie bot der religiösen Auffassung brauchbare Gesichts­ punkte dar, zumal in der Hinweisung auf ein sittliches Naturell und auf das natürliche Streben nach Glückseligkeit.

S ie führte

indessen zu dem doppelten Bedenken, daß auf diese Weise das Band zwischen Leib und Seele gelöst, und daß ferner der letzteren eine zu geringe Freiheit und Selbständigkeit zuerkannt werde, wie die der W elt eine zu große sei.

Vielleicht hätte also die M ona­

denlehre und Psychologie, da sie so viel Auffälliges und Schwer­ verständliches enthielt, noch keinen nachhaltigen Eindruck auf die theo­ logischen Studien zurückgelassen, wäre sie nicht durch die T heodicee und durch zahlreiche Erklärungen über Dogma und Lehre unter­ stützt worden.

Hier lieferte Leibnitz einen Entw urf der natürlichen

Theologie ‘) mit mehr Begeisterung und Schwung, als die D og­ matiker sie damals aus der geoffenbarten schöpften, und zu lehr­ reich und fruchtbar in ihrer Ausführung um verschmäht zu werden. Die natürliche Theologie ist eine Psychologie Gottes. Die Gottcserkenntniß w ird durch den Maaßstab der Gottähnlichkeit theils be­ wahrheitet theils begrenzt.

Alle Erfahrung führt nach dem Satz

des zureichenden Grundes zum Glauben an den höchsten Urheber; alle Vernunftwahrheit sucht ein Nothwendiges und Ewiges ober­ halb des Bereiches der zufälligen Dinge, und Beides sind Schlüffe, ) St. Fischer, a. a. O. S . 401 ff.

Leibnltz's Theodicee.

109

welche dem unmittelbarsten und sichersten Zuge menschlicher E r­ kenntniß folgen.

In

G o tt ist die höchste Freiheit m it der N oth­

wendigkeit des Guten verbunden; wenn von diesem höchsten Punkte abw ärts geschlossen w ird : so ergiebt sich, daß alles Weltliche im göttlichen Verstände seine ideelle Möglichkeit hat, welche der W ille zur A usführung bringt.

D e r W ille als das ewige Beharren im

Guten w ird zur W eisheit, er muß daher in der W a h l der W e lt daS Gute verwirklichen, soweit es in der an sich beschränkten Form des Creatürlichen überhaupt verwirklicht werden kann.

D ie beste

W e lt ist immer nur eine metaphysisch unvollkommne, sie rechtfertigt Gottes Güte und W eisheit, mahnt aber zugleich an das V o rh a n ­ densein des Uebels, aus welchem sich die sittliche Krankheit der Sünde so leicht entwickelt.

In

der berühmten A usführung dieser

S ä tz e l 2 ) lebt ein starker Schwung allgemein religiöser, aus tiefem menschlichen Bewußtsein und großartiger Weltanschauung entsprun­ gener Begeisterung;

sie enthält aber auch einen Zug christlicher

D em uth, und so mag es sich erklären, daß die Theodicee in dem orthodoren Löscher den ersten Lobredner unter den deutschen Theo­ logen fand ä) .

Bekannt ist auch das zweideutige Lob der Jesui­

ten, das uns jedoch nicht verleiten d a rf, das Werk des P h ilo ­ sophen fü r ein accommodirendes Kunststück anzusehen.

Und ebenso

wenig w ar es bloße Accommodation, wenn Leibnitz auch a u f die speciellen Fragen der Theologie sich einließ, wenn er über T rin itä t, Abendmahl und Erbsünde günstige Erklärungen gab, wenn er über­ haupt vor dem Dogmatischen und Kirchlichen Ehrfurcht bezeugte wenn gleich m it Erhebung über dessen erclusive Schranken. Denn wo er auf das kirchliche System genauer eingeht, läßt er das alte Dogma von der D re ih e it und der Menschwerdung wenigstens sei­ nem S inne nach bestehen und sucht nur den anthropologischen und soteriologischen Sätzen eine allgemeinere dem kirchlichen Frieden günstige Fassung zu geben 3) .

Dazu nöthigte ihn seine historische

>) Fischer, a. a. O. @. 470 ff. 2) Vgl. Ludovici, Entwurf einer Geschichte der Leibnihischen Philosophie, S. 381. Unsch. Nachr. 1710. S. 407. *) L.'S Theolog. System von Haas, S. 17 ff.

110

Sechstes Buch. Zweiter Abschnitt.

S tellung wie sein umfassender W ahrheitssinn; er wollte alle Q u e l­ len des Geisteslebens strömen lassen, und indem er auch andere Richtungen der Forschung ohne Geringschätzung gelten ließ, berei­ tete er sich selbst und seinem Gedankenkreis ein allgemeineres Feld der Wirksamkeit. D a s sind die Propyläen der Leibnitzischen Philosophie, und sie waren weit und einladend genug, um auch die Theologen a u f­ zunehmen, ja um ein organisches V e rh ä ltn iß der natürlichen Theo­ logie zur geoffenbarten m it erneutem Vertrauen zu eröffnen. Welche Kämpfe der E in tritt kostete, w ird die Folge lehren. N u r das Eine haben w ir noch zu bevorworten, daß die principielle Frage nur von Wenigen scharf in'S Auge gefaßt wurde.

Ob ein philosophi­

scher Id e a lis m u s und R a tio n a lism u s, welcher von der G ru n d ­ wahrheit des D e n k e n s nicht der E rfahrung ausgeht, überhaupt kirchlich zu gestatten sei, blieb in der Regel unerörtert, w eil den Meisten der philosophische In h a lt und das Resultat näher lag als das P rin c ip , w ir setzen hinzu, w eil die Theologie jetzt wie vo r­ m als durch eine richtige Scheu abgehalten wurde, über die ver­ schiedenen Methoden und Ausgangspunkte des philosophischen D en­ kens maaßgebend abzuurtheilen.

II. C h r is t ia n W o l f un d dessen n a tü r lic h e T h e o lo g ie . Gründlicher als L e i b n i t z haben w ir dessen bedeutendsten deut­ schen Schüler in 's Auge zu fassen, w eil durch ihn erst die metaphysi­ schen Principien und religiösen Anschauungen des Meisters schul­ mäßig vorgetragen und der theologischen K ritik ausgesetzt, aber auch fü r eine nachhaltige Wirksamkeit innerhalb der Theologie zu­ bereitet wurden.

E r w a r der technische K o p f, welcher den Leib­

nitzischen Ideen an methodischer Deutlichkeit zurückgab, was er ihnen an Reiz und G e n ia lität entzogen hatte.

W er sich m it C h r is t ia n

W o l f ' 6 *) Schriften genauer beschäftigt,

')

w ird ihm noch heute

Geb. zu B re s la u 24. J a n . 16 79, gest. zu H alle am Charfreitage 1754.

B ergt, über sein Leben das wohlgelungene biographische Denkm al von Kluge

Hl

Wols's Verdienst und Bedeutnug.

große Achtung zollen, nicht n u r als

einem Ehrenmann, sondern

auch alS einem höchst scharfstnnigcii und gründlichen Denker und fü r seine Z eit ausgezeichneten Schriftsteller und Lehrer.

S o abhängig

er auch von seinem Meister erscheint und so w ahr eö ist, daß sein System der höheren E inheit ermangelt, w eil es zwischen E m p iris ­ mus und N ationalism us schwankt: E in Verdienst w ird ihm jederzeit unbestritten bleiben, das der methodischen Bearbeitung der einzelnen philosophischen D isciplinen, und ein zweites der glücklichen A usbildung der deutschen Sprache fü r den philosophischen Gebrauch.

Leibnitz's

umfassender Geist hatte die Gebiete der Forschung nach allen S e i­ te» erw eitert; aber sie bedurften der Eintheilung und systematischen Gliederung, um übersichtlich zu werden.

Psychologie, Logik, O n to ­

logie, Kosm ologie, E th ik, Naturrecht hat kein Neuerer vor W o lf in dieser Faßlichkeit deutsch oder lateinisch als gelehrt.

D aß er von der M athematik

besondere Fächer

ausging,

verlieh seinen

Werken eine methodische Strenge und gleichförmige Verständigkeit; daß er in das Gebiet der R eligion und Theologie m it Entschie­ denheit eindrang, erm uthigt von dem Verlangen derer, die damals la u t riefen, eö sei endlich Zeit, die theologischen W ahrheiten gründ­ licher als bisher vorzutragen, stungen um das Doppelte.

erhöhte die Wichtigkeit seiner Lei­

Nach den S tudienjahren zu Jena zer­

fä llt sein unermüdliches Arbeitsleben in die auf einander folgen­ den Lehrämter zu Leipzig (1 7 0 4 ), H alle (1 7 0 6 ), M a rb u rg (1 7 2 1 ) und abermals H alle, wo er die letzten vierzehn Jahre seines W ir ­ kens (1 7 4 0 — 5 4 ) zugebracht hat.

Z u den verstoßenen Philosophen

d a rf W o lf wahrlich nicht gerechnet werden.

W a s er in H alle er­

lit t, hat seine spätere Rückbcrufung, haben andere von allen Seiten ihm zufließende Anträge und Ehrenerweisungen reichlich ausgewo­ gen, so bitter und kränkend es auch w a r.

Gerade darin zeigt sich

der Umschwung der öffentlichen M e in u n g ,

daß ein Denker,

w el­

chen eine theologische Facultät als unchristlich verw orfen, sofort anderwärts die willkommenste Aufnahme fand und bald von V o r-

(Gymnasialprogramm des Magdalenänms in Breslan v. 1831) und WolstS eigene Lebensbeschreibung heranSg. v. H. Wuttke, Lpz. 1841.

112

Sechstes Buch. Zweiter Abschnitt.

nehmen und Fürsten wetteifernd umworben w urde, daß derselbe König Friedrich W ilhelm I, der ihn nach langem Widerstreben ver­ bannt hatte, sich nachher angelegentlich um seine Rückkehr bemühte, welche dann unter seinem Nachfolger gelang. Selbst Leibnitz, ob­ wohl gesicherter gegen theologische Anfechtung, hat doch die Gunst der G roßen nicht in höherem G rade als sein Schüler genossen. V on W ols's S chriften, die an B reite leiden, so wie er des Schreibens überhaupt sich allzusehr befleißigt hat, liegen die „V er­ nünftigen Gedanken" ') und die später in großem Umfang bear­ beitete Theologia naturalis *) unseren Zwecken am Nächsten. D a s letztgenannte Werk ist der erste Versuch einer R e l i g i o n s p h i ­ lo s o p h ie in systematischem Zusammenhange und demonstrirender F orm , schon darum verdient es unsere Aufmerksamkeit. Auch zeigt sich die philosophische Kunstfertigkeit des Verfassers, wenn er in den beiden Abtheilungen seiner natürlichen Theologie fast die­ selbe Gedankenreihe zweimal hintereinander entwickelt, zuerst an s dem S atz des zureichenden G rundes und dann aus der Id e e des vollkommensten W esens. G ott ist nach W olf ein G ott des G ru n ­ des, dessen nothwendiges S ein und Dasein w ir setzen müssen, wenn das zufällige der Dinge und unserer selbst erklärlich werden soll. G ott ist entweder, oder es giebt überhaupt kein Erstes, Einfaches, Allgenugsames und Unbedingtes. >■ Und wenn G ott ist: so ist er schlechthin und durch sich selbst. Ih m gegenüber tritt die W elt in die Kategorie des M ö g lic h e n , weil ihre Gesetze und Bew egun­ gen auch anders beschaffen sein könnten. D a nun alleö Wirkliche nur ein Einzelnes und R elatives ist, dessen Wesen sich au s dem des Urgrundes nicht unmittelbar ergiebt: so ist es von unendlich vielem Anderen, w as ebenfalls hätte wirklich werden können, also von dem Möglichen nach allen S eiten umgeben. D ies Alles hat G ott vor sich gehabt, er hat es sich vergegenwärtigt, ehe er sich zur Ursache des vorhandenen Wirklichen machte; er ist folglich zu!) Vernünftige Gedanken von G ott, der Welt und der Seele des M en­ schen 2c. Halle, 1720. 2) Theologia naturalis methodo scientifica pertractata. nova, Francof. et Lips. 1739.

Tom. I. II. ed.

Molf'S natürliche Theologie.

113

erst der Wissende, dann der W o llen d e'). D a ferner das ge­ samt« te Mögliche sich systematisch ordnen muß und alle Arten der D inge nebst den ihnen anhaftenden Attributen und Wechselbezie­ hungen nach den Verhältnissen des R aum es und der Zeit in sich begreift: so wird dadurch der Kreis des W ißbare» vollständig ausgefüllt. Gottes Wissen wie seiner selbst so auch des Anderen ist ein unendliches; es ist aktuell, nicht bloß facultativ und enthält die Id e e der W elten, au s deren unbegrenzter M enge die wirkliche herausgetreten ist. Auf sie, auf ihre Substanzen und die Reihenfolge ihrer Veränderungen muß das göttliche Wissen in gleicher A us­ dehnung übertragen werden. I n der weiteren Entwicklung des göttlichen Intellekts s) bedient sich der Philosoph der dogmatisch überlieferten Nam en scienlia simplicis intelligentiae und visionis, praescientia, und er fügt sogar eine recordalio hinzu. Ind em V ergangenes und Künftiges gleichmäßig von G ott vergegenwärtigt werden, ergiebt sich der naiv ausgedrückte S atz: Deus est hisloricus absolute summus. Ebenso naiv aber bedeutender erscheint eine zweite Behauptung. I n der Fülle ihrer Erscheinungen ist die W elt die sinnliche (sensibilis), nach ihrer inneren O rdnung und Gesetz­ mäßigkeit aber die intelligible. Und blicken w ir auf die allgemeinen Wesenheiten hindurch, die dem Sinnlichen und Jntelligibeln zum G runde liegen: so ist sie die »m itinfttge (mundus rationalis), und diese vernünftige W elt ist ganz in die sinnliche und intelligible versenkt (immersus), G ott erkennt die W elt in ihrer V ernünf­ tigkeit, d. h. in der Sum m e ihrer allgemeinen W ahrheiten, welche sie sammt allen ihr zugehörigen Attributen und Formen von je­ der andern unterscheiden; er weiß sie philosophisch, und es muß gesagt werden: Deus est philosophus absolute summus**3) . I n dem Wissen der W elt nach ihrer Vernünftigkeit muß der Schöpfer *) Theol. nat. I, p. 99. 100. ') Ibid. cp. 2. p. 100— 170. 3) Ibid. p. 240—44. § 268. Cave ne nomen philosophi Deo indignum pronuncies, propterea quod abjecte de philosophia sentias, philosophiam aestimans vel ex cognitione eorum qui dicuntur philosophi, vel ex monito apostoli Col. 2, 8 male intellecto et applicato. Gesch. d. Protest. Dogmatik 111.

114

Sechstes Buch. Zweiter Abschnitt.

seine Absichten wieder erkennen, sich selbst also befriedigt finden, daher wird auf diese Weise der nächstfolgende Abschnitt vom gött­ lichen W ille n vorbereitet. D er W ille, wenn gleich in sich selbst unendlich und unerfaßlich, reicht doch nicht so weit als das Wissen, sondern er greift frei wählend und entscheidend in den gesammten Umkreis des gewußten Möglichen. I n seiner Richtung auf eine bestimmte W elt aber kann ihn kein anderes M otiv geleitet haben als das aus dem Wissen hervorgegangene, welches nach Verglei­ chung gerade dieser W eltidee mit jeder anderen dem relativ V oll­ kommensten den Vorzug geben muß. D ie W elt ist folglich die b e s t e ') . M it Recht macht die Entwicklung hier einen bedeutenden Ruhepunkt; von hier au s sollen die ethischen Eigenschaften G ottes erkannt und die M ängel des Irdischen, welche dem B egriff der besten W elt G efahr drohen, beurtheilt werden. Alles irdische G e­ schehen schreitet in sicherer Reihenfolge v o rw ärts, die Reihe der V eränderungen ist unverrückbar, da jedes G lied von der ihm an­ erschaffenen W irkung des vorangehenden abhängt. Alles Weltliche ist als solches zugleich ein Beschränktes und erlaubt nur einen gewissen G rad der Vollendung; allein diesen M angel hinwegwünschen hieße so viel als Endliches und Unendliches zugleich wollen. D a s m e ­ ta p h y s is c h e U e b e l ist daher unausbleiblich; es bringt nur eine fremde und absolute und keine dem Wesen des Endlichen entspre­ chende Vollkommenheit in Abzug; es ist nur der allgemeine M an ­ gel endlicher Dinge, der auch an dem größten Werke der Allmacht h aftet"). G eringere Nothwendigkeit hat das p h y sisch e Uebel, nämlich die Schädlichkeit gewisser Naturwirkungen, aber auch dieses dient im Großen der N aturordnung und stört dieselbe nur in ein­ zelnen Erscheinungen, in denen es auch aufgehoben oder erm äßigt werden kann. D a s dritte oder s ittlic h e endlich w ar von vorn herein nicht da, sondern erst mit dem M ißbrauch der Freiheit gegeben. Auch dieses aber kann aus den Grenzen crcatürlicher Wesensbe­ stimmung nicht heraustreten, es ist verflochten mit der Reihenfolge der D inge und verm ag die Vvrtrefflichkeit der W elt nicht aufzu>) Ibid. p. 323 sqq. § 324—26. *) Ibid. p. 353. § 375—78. 548.

Drei Gattungen des Uebel».

115

heben, noch ihr den Nam en der besten zu entreißen. I m R athschlüsse G ottes müssen diese drei G attungen des Uebels auf dreifache Art gesetzt sein: die erste metaphysische fällt mit dem Schöpfungswillen schlechthin zusammen, die zweite ist bedingter Weise und im Großen m it ihm verbunden und nur in einzelnen Erscheinungen trennbar, in welchen allein sie als wirkliches Uebel gelten darf. D ie dritte kann in diesem Nathschluß weder ignorirt poch verursacht sein, sie hat eine mittlere Stellung zwischen dem Nichtwissen und dem W ollen, wofür sich die Kategorie des G e ­ s c h e h e n la s s e n s oder E r l a u b e n s von selbst b a r b i e t e t G ott konnte die W elt ebenso wenig um des Bösen willen, das in ihr entstehen sollte, erwählt haben, als er sie au s diesem G runde un­ geschaffen ließ. W o lf leugnet keinesweges die mit dem Eintreten der sündhaften Handlungen gegebene Verschlechterung und will nur beweisen, daß durch sie die Weltanschauung des O ptim ism us nicht aufgehoben werde. Nach dem System des „physischen Einflusses" oder der „gelegentlichen Ursachen" wird durch sie die gewöhnliche O rdnung gestört und unterbrochen, während nach dem System der prästabilirten Harm onie Alles naturgem äß erfolgt, selbst die S ü n ­ den, weil sie physisch angesehen Bewegungen sind, welche den W illensacten und Begehrungen der Seele entsprechen *). Um aber darzuthun, daß sogar das sittliche Uebel zwar ein w ahres sei, doch aber nur einer accidentellen Unvollkommenheit g leich es, muß er den E nd zw eck zu Hülfe rufen. Ueberhaupt wird der Z w e c k b e g riff von ihm und von L eibnitz eben so stark benutzt und ausgebeutet, wie er von C a r te s iu s zurückgewiesen w ar; alles Geschehende tritt abwechselnd in das Licht der wirkenden und der Zweckursache, und die letztere muß aufklären, w as die andere noch dunkel läßt. D as P rincip des zureichenden G rundes ist eine un') -) 3) mahnn ceteris potest,

P .I, p. 531. § 580 sqq. P. I, p. 522. §573. P .I, § 576.77.589. Mundus hic Deo non magis placet ceteria ob morale, quod in eo datur; hoc tarnen non obstat, quo minus magis placeat. § 581. Deus malum morale veile nequit, aut fieri non ut Deus malum morale velit.

H6

Sechstes Buch. Zweiter Abschnitt.

aufhörliche Anrufung der Zweckursache. D er Zweck der W eltbe­ wegung ist die Verherrlichung G o ttes; Alles dient seinem R u h m e als dem Inb eg riff «ller göttlichen A ttribute, soweit sie von der vernünftigen C reatur erkannt werden. S o ll es sich so verhalten: so muß auch von dem Schlechten gelten: dirigit in bonum finem, so müssen die unsittlichen Handlungen m it der Erreichung des Endzwecks dergestalt verwebt sein, daß dieser ohne jene nicht in gleicher Weise verwirklicht werden kann Diese Auffassung hat nur da keine Stelle, wo das M angelhafte mit dem Endlichen zu­ sam m enfällt; die metaphysischen Uebel dürfen nicht, die übrigen aber m ü sse n aus dem Gesichtspunkt des Endzwecks betrachtet werden *). S o allein versöhnt sich die Id e e der besten W elt m it der E rfahrung eines gemischten moralischen Zustandes, weil das höchste Ziel auch die volle Schwierigkeit des W eges, also das Dazwischentreten von sittlichen Gegensätzen und Hindernissen wenn nicht fordert doch gestattet. D a s christliche Interesse hat sich vor dieser Ansicht um so weniger zu scheuen, da ihm sofort der positive Zweck der Erlösung entgegenkommt, tun deren willen die S ün de zu­ gelassen s e i*23) . Andererseits muß auch die subjective Erklärung der S ün de das Ih rig e dazu beitragen, tun deren Vorhandensein mit der Herrschaft des G uten zu vereinbaren. Nach W ö lfis c h e r Psychologie ist jeder W illensart dem Verstände unterw orfen, und dieser verfährt jederzeit urtheilend und w ählt das Bessere oder doch ihm besser Dünkende; folglich wird kein Schlechtes als solches, sondern immer nur sub ratione boni ausgeübt, kein G utes anders als sub ratione mali gemieden 4) . >) Ibid. p, 631. § 674. 2) Ibid. p. 582. 5 9 2 -6 3 1 . 3) Leibuitz's Theol. System, S . 7. Deus mahnn quod in nonnullis intercurrere praevidebat permittcbatquc, vertere noverat in bonum multo majus quam quod futurum erat sine hoc malo, ita ut series ista denique in summa perfectior futura esset aliis omnibus. 4) Ibid. p. 873 sqq. Malum morale ex limitationibus originariis oritur seu per limitationes originarias fieri potest, ut actiones hominis sint moraliter malae. — Malum non appetimus nisi sub ratione boni, nee bonum aversamur nisi sub ratione mali. — Malum morale oritur ex limitationibus facultatis cognoscitivae ac imprimis intellectus, cujus est judicare.

Eine Dogmatik ohne Offenbarungslehre.

117

F ür uns haben diese Consequenzen keine Schwierigkeit. E s ist leicht zu rathen, wie demgemäß über die Eigenschaften der G üte und W eisheit, über Schöpfung, Erhaltung und Vorsehung weiter philosophirt wird. D ie B ildung der Seelen wird creatianisch ge­ dacht, so daß diese in den organischen Körperchen, welche der G e­ burt vorangehen, ihre Präeristenz haben. D ie Gesetze des N atu r­ lebens sind zugleich mit der Schöpfung gegeben; die W elt besteht vermöge der ihr eingepflanzten bewegenden K raft (vis molrix) und folgt in jedem Augenblick der unverrückbaren O rdnung des C ausal­ und F inalnerus E rhaltung ist fortgesetzte Schöpfung und wie diese ein W under. Alle Substanzen, also auch die Menschenseelen werden von G o tt, die Accidenzen von der N atur erhalten. D er göttliche Concursus begleitet alle freien Handlungen nach ihrem physischen, nicht alle nach ihrem formellen und moralischen Antheil. G ott regiert, indem er Alles unter sich verknüpft und zum bestimm­ ten Ziele hinleitet *)• D ie höchste Oberherrlichkeit des Schöpfers begründet das Recht der Gesetzgebung und der V erwaltung seiner Vorschriften nach den Principien der Heiligkeit und Gerechtigkeit. D ie höchste Glückseligkeit besieht in dem fortschreitenden Antheil an derselben Vollkommenheit, in welcher G o tt sein eigenes Wesen besitzt und genießt, und sie laßt je nachdem sie erreicht w ird, eine Aehnlichkeit der Seelen mit ihrem absoluten Urbilde offenbar werden *3) . Dieser Abriß, der au s Lehrsätzen der Metaphysik und Psycho­ logie leicht ergänzt werden könnte, zeigt hinlänglich, daß W o l f 's Werk einen theologischen Zuschnitt h at; b is jetzt gleicht eö einer Dogmatik ohne Offenbarungslehre. Zahlreiche Sätze von G ott und der W elt könnten selbst ohne Aenderung des Ausdrucks in der kirchlichen Theologie dam aliger Zeit Platz finden. D er religiöse Standpunkt des Verfassers schließt sich in einigen Lehrstücken, wie ') Ibid. p. 832. a) Ibid. p. 892. §. 918 sqq. Deus vult, ut homo dirigat actiones suas liberas ad manifestationem gloriae divinae et ad perfectionem totius universi. 3) Ibid. p. 1049. Summa beatitudo eonsistit in non impedita possessione ac fruitione perfectionum absolute summarum.

118

Sechstes Buch. Zweiter Abschnitt.

von der Freiheit und Zulassung, der Lutherischen Ausdrucksweise a n ; doch wird zugleich das Actuelle des göttlichen Erkennens und W ollens, das Decret und die gloria Dei so stark betont, daß w ir dann wieder an das reformirte Denken erinnert werden. I n einigen andern Abschnitten lehnt sich der Philosoph noch bestimmter an das Positive, indem er der Offenbarung nicht vorgreifen, aber vor­ arbeiten und den B oden ebnen will. Beide Arten der M ittheilung, die positive und die natürliche, während sie im In h a lt großentheils parallel gehen, bleiben methodisch scharf geschieden. D ie eine ruht au f dem Glauben an das lebendige Subject der G ottheit, wie es sich in der heil. Schrift über sich selbst erklärt, und alle Zeugnisse werden durch die unmittelbare Auctorität des Redenden gestützt; die andere muß von einer Verbaldefinition deS höchsten W esens ausgehen, welche erst im V erlauf einen nothwendigen und demonstrabeln In h a lt empfängt ')* F ragt man ferner nach dem Recht und der inneren Haltbarkeit der O ffenbarung: so giebt W o l f die unumwundenste A ntwort. D aß G ott dem Menschen ein Wissen kundgiebt, welches er selbst nicht zu erlangen verm ag, dessen er aber seiner höchsten Bestim mung nach bedarf, — ist möglich, aber es ist ein W u n d e r und nur durch das W under a u s f ü h r b a r ') . Denn es werden damit der Seele Ideen zugeführt, welche in der allgemeinen Vergegenwärtigung der W elt, die allein die Thätigkeit der Seele ausmacht und begrenzt, noch nicht enthalten sind. D a s Offenbarte muß zu wissen nöthig und zugleich über die S p h äre der „vernünftigen W elt" als ein UebernatürlicheS hinausliegen 123) . M ag es einzelnen Erkenntnissen oder E rfahrungen der V ernunft, 1) P. I, Prolegomena, § 5 — 9. 2) Ibid. p. 419. § 450. Leibnitz's Theol. System, S . 15. Omnis nota divinae revelationis ( praeter doctrinae ipsius excellentiam) huc redit, ut miraculo seu circumstantia quadam eventuve aut consensu admirabili et inimitabili, quem casui ascribere non licet, confirmetur. 3) § 454 sqq. Supra rationem esse dicitur, quod ex* principiis rationis indemonstrabile est: contra rationem esse dicitur, quod principiis rationis repugnat seu contradicit. Quod supra rationem e s t, in mundo rational! non continetur, — et uno nomine mysterium dicitur. Theol. nat. P. II p. 563. Religio revelata naturali non contradicit, sed ex principiis rationis indemonstrabilia euperaddit.

Natürliches und Übernatürliches nach W olf.

119

sobald sie absolut gefaßt werden, zuwiderlaufen: m it den a l lg e ­ m e in e n

V ern u n ftw a h rh e ite n

w ird

doch

kein Widerspruch

stattfinden, welcher ja in die göttliche» A ttribute selber hineingreifen würde.

D ie Offenbarung

überbietet die V e rn u n ft,

statt sie zu

verdrängen, und sie hat ih r Eigenthümliches in dem ra tio n a l nicht erweislichen M ysterium und W under. stufenmäßiges Gleichgewicht.

Diese Theorie bezweckt ein

W ie sie die W under durchaus an

ihre außerordentlichen Zwecke bindet und jede grundlose Anhäufung derselben als unverträglich m it der göttlichen Oekonomie zurück­ weist ' ) : so ist sie ernstlich bereit, Beides zur Anerkennung zu bringen, sowohl was die christliche R eligion m it der natürlichen Theologie gemein, als auch was sie vo r dieser voraus hat. D ie letztere läßt daher jene in allen Fällen beiderseitiger Berechtigung mitsprechen, legt sich selber aber sofort Stillschweigen auf, wo die Offenbarung allein zu sprechen hat.

Erst wenn w ir diese drei Momente zusam­

menfassen, erstens die durchgängige Verschiedenheit der Methode in der demonstrativen B ew eisführung, zweitens die theilweise Ge­ meinsamkeit des In h a lts , und drittens das besondere und über­ natürliche Eigenthum der Offenbarung, welches von der natürlichen Wissenschaft n u r geschont und gleichsam ausgespart, nicht erwiesen werden kann, — deutlich.

w ird

der

vorliegende Standpunkt vollkommen

ES erklärt sich, w arum der Schriftsteller bei allen Ruhe­

punkten kleine biblische Abschnitte einschaltet, welche die W ahrheit des eben Dcmonstrirten m it der christlichen A ü cto ritä t belegen sollen, und warum

er fü r die Dogmen im

offenen R aum läßt.

engeren S in n

geflissentlich

D ie natürliche Theologie ist somit in vielen

Punkten z u g l e i ch eine positive und w ird daher zuerst philosophisch ausgeführt, dann biblisch belegt; in andern bleibt sie aus sich selbst beschränkt.

D ann

entstehen Lücken und offene S te lle n ,

wo das

Geoffenbarte ergänzend eintreten, die a rticu li puri in die Reihe der m ixti w ird

eingeschoben

werden

sollen.

Diese

Ungleichmäßigkeit

einigermaßen von der Darstellung verdeckt; auch weiß der

Verfasser innerhalb des Natürlichen gewisse M ittelglieder und Ä n ) Ibid. §456—03.

Sechstes Buch.

120

Zweiter Abschnitt.

knüpfungspunkte zu finden; dahin gehört der T ra u m , die Vision und Ekstase, Zustände welche ohne wunderhaft zu sein, doch V e­ hikel außerordentlicher Kundgebung sein können

Im

Ganzen

bleibt jedoch die A rt der Abgrenzung des Natürlichen und Uebernatürlichen eine sehr äußerliche;

zwei Stücke sollen ein Ganzes

bilden, jedem das ©einige zukomme», nicht weniger noch mehr als ihm gebührt. D ie aufrichtige Hochachtung vor dem Offenbarten geht in eine kleinliche Ueberwachung desselben über. Es w a r gut gemeint, cS kommt aber äußerst nüchtern und schulmeisterlich heraus, wenn der biblischen Verkündigung gewisse Regeln gegeben werden, daß in ih r nicht mehr noch weniger W orte vorkommen dürfen, als zum Verständniß des In h a lts hinreichend sind, und ebenso nur solche, die das Verständniß m it Sicherheit erzielen, daß der offenbarende G o tt nur die im menschlichen Geiste schon vorhandenen und von der gegenwärtigen Weltkenntniß abstrahirten B egriffe und W o rt­ bedeutungen voraussetze, daß die biblische Sprache den allgemeinen Regeln der G ram m atik und Rhetorik nothwendig unterworfen sei, welches Letzte freilich noch keine »»nöthige V orschrift w ar Noch am Schluffe giebt sich die bisher nachgewiesene H altung des Werks eigenthümlich zu erkennen. D ie wahre natürliche Theo­ logie stellt sich der falschen entgegen, ähnlich wie die D ogm atik den Häresieen, endigt also m it der K ritik der philosophischen Ketze­ reien, des Atheismus, D eism us, N a tu ra lism u s, Id e a lis m u s u . a . *2 3) . A ls D eism us bezeichnet W o lf diejenige falsche W eltweisheit, welche nicht die G ottheit, wohl aber jede Abhängigkeit von derselben leug­ net; und diese ist irre lig iö s

an sich und kann m it Schriftstellen,

die im m er schon R eligion zur Voraussetzung haben, niemals w ider­ legt werden 4) .

Dagegen ist der P a g a n is m u s , w ohl zu unter-

*) Ibid, § 475 sqq. 2) Ibid. § 455.492 — 96. In revelatione divina non plura occurrunt verba nec pauciora, quam quae ad mentem Dei revelantis intelligendam sufficiunt, et ea seliguntur verba, quorum beneficio eandem assequi certo datur ei, cui fit revelatio. 3) Theol. nat. P. I I , sect. 2. 4) P. I I , p. 531 sqq. Deista omnis irreligionarius est et argumentis e scriptura sacra petitis refutari nequit.

121

Falscher B o rw u rs des S p in o z is m u s .

scheiden vom D eism us und Atheismus, als solcher nicht antireligiös, wenn er es auch werden kann l) .

Unter Id e a lis m u s

w ird hier

eine Hypothese verstanden, nach welcher die vermeintliche K örper­ welt lediglich in den Seelen der Menschen R ealität haben soll. Am Längsten hält sich W o l f bei dem S pinozism us auf, und er hat keine S chuld, wenn gerade diese Anklage a u f ihn selber zurück­ gefallen is t ') . P. I I . sect. 2. cp. 4.

*)

a) P. I I , §671 sqq.

P rin c ip ie ll muß sich das Wölfische System im

d i-

recten Gegensatz zum S pinozism us befinden, wie schon der Anfang der hier geübten K ritik zeigt.

Nach S pinoza ist G o tt die absolute Substanz von unend­

lichen A ttrib u te n , er ist auch das in sich und aus sich Seiende, waö n u r durch sich, nicht von einer vorangehenden Vorstellung erfaßt werden kann.

A ttrib u t

aber ist dasjenige, was die V e rn u n ft von der Substanz als sie constituircnd aussagt.

A lle in Spinoza, w ird hier erwiedert, begeht schon da rin einen Fehler,

daß er auch die A ttrib u te durch sich selbst gedacht werden lä ß t, obgleich ihnen die Substanz als das P rim ä re vorangeht, daß er sie m it den Wesensbestimmun­ gen der Substanz vermischt. bute.

E s t r it t dadurch etwas Substantielles in die A t t r i ­

E in ähnlicher G ru n d irrth u m liegt in der D e fin itio n der Substanz, welcher

ein nothwendiges AuSsichsein zugeschrieben w ird , während doch diese Aseität eben n u r dem ens a se zukommt werden kann.

und

nicht

auf anderes Substantielle

Ferner soll dem Unendlichen das Endliche in

übertragen

seiner doppelten

Richtung als Denken und Ausdehnung gegenübertreten; aber Spinoza ir r t aber­ m a ls, wenn er behauptet, daß jedes einzelne Denkende oder Ausgedehnte n u r durch ein Anderes von gleicher A r t beschränkt werde, als ob nicht die Seele vielmehr an dem körperlichen O rg a n ism u s ih r Begrenzendes hätte.

Auch sind

die beiden A ttrib u te Denken und Ausdehnung von ungleichem W e rth ; w ird also, wie Jener w ill,

auch die letztere zum göttlichen A ttrib u t erhoben: so heißt das

soviel als der Ausdehnung eine R ealitä t beilegen, die sie nicht besitzt, sowie auch ihre Unendlichkeit unerweislich bleibt.

Und wenn wirklich ans dem A ttrib u t der

Ausdehnung die Körper dadurch hervorgehen, daß sie von der göttlichen M acht so wäre die potentia D e i n u r eine modificatrix , eine gestal­

m odisicirt w ird : tende N aturkrast. nicht bestehen.

B e i so unhaltbaren D efinitionen kann da« System Spinoza'S

ES fü h rt dahin, daß das w ahrhaft Göttliche, das ens a se, m it

der Substanz als solcher vermischt und zu ih r herabgesetzt, diese aber m it gö tt­ lichen P rädicaten ausgestattet und fü r ein in sich Einiges, Unendliches und N oth­ wendiges erklärt w ird ;

es fü h rt zur Zusammensetzung Gottes aus Körperlichem

und Geistigem, zur Annahm e einer fatalistischen Nothwendigkeit und zur A u f­ hebung aller Endursachen.

D ie denkenden D inge können gleichfalls nicht

aus

der M o d ific a tio n des unendlichen Denkens als eines göttlichen A ttrib u ts e rk ä rt, noch fü r desien M o d i ausgegeben werden, w eil sonst die unendliche R ealität

aus

122

Sechstes Buch.

Zweiter Abschnitt.

III. D e r W ö l f i s c h e S t r e i t . W o lf

wurde

also der G ründer einer Religionsphilosophie,

welche indem sie sich dem In h a lt des christlichen Glaubens an­ schloß, zugleich ganz vernünftig und demonstrabel zu sein behaup­ tete und daher zu den Abirrungen der Philosophie ein ähnliches V erhältniß einnahm, wie die Theologie zu den Häresieen.

Er

w ollte die Feinde der R eligion bekämpfen, die Abwege antichrist­ licher Denker aufdecken und widerlegen.

W enn der allgemeinere

I n h a lt der heil. S ch rift auch philosophisch bewiesen werden kann: so erhellt, daß die Offenbarung die wissenschaftlich ausgebildete V e rn u n ft nicht außer sich h a t; sie muß die Uebereinstimmung m it derselben zu ihren Requisiten zählen, w eil sie dadurch an eigner Evidenz nur gewinnt. D ie Göttlichkeit der heil. S ch rift w ird nach­ weisbar, ih r Eigenthümliches ru h t auf wissenschaftlich erkennbaren W ahrheiten.

Z w eifler werden auf diesem Wege gewonnen, N icht­

zweifler

dem W erth

von

der natürlichen Erkenntniß überzeugt.

D a s M o tto la u te t: Theologia naturalis inservit d ivin ita li scriptu-

rae sacrae evincendae ') .

Z w a r verschmähte die positive Theo­

logie die ih r von der natürlichen angebotene H ü lfslcistu n g ; aber die Theologen verurtheilten W o l f ,

um sich nachher großentheils

m it ihm auszusöhnen, und die heftige Feindschaft führte zu einem Einverständniß dauernder als dasjenige, welches der Cartesianis­ mus sich früher erworben hatte.

D e r Wölfische S tre it ist darum

einer der merkwürdigsten dieses Jahrhunderts, w e il der Zeitgeist ihn schlichten half und w e il die schwachen Stellen dieses Systems durch ähnliche Einseitigkeiten des herrschenden sittlichen und wissenschaft­ lichen S innes allmählich alles Bedenkliche verloren, die Stärken aber endlichen Realitäten, die ih re r Z a h l nach unendlich sind, bestehen oder zusammen­ gesetzt sein w ürd en, was unmöglich ist. — W er so a rg n m e n tirt, kann n u r aus Mißverstand oder in einer sehr vereinzelten Beziehung selber des S pinozism uS bezüchtigt werden.

J) Wolf, Theol. nat. I , p. 19. Quamobrem cum in ipsa theologia na­ tural! demonstretur, consensum hunc theologiae naturalis cum scriptura s. esse aliquod requisitum divinae revelationis, per eundem probabilis fit scripturae s. divinitas.

Die Hallische Facultät im Verhältniß zu Wolf.

123

dem B edürfniß der M ehrheit entgegenkamen, freilich erst nachdem man sich in V orwürfen aller Art erschöpft hatte. Hätte W o lf nicht gerade in Halle gewirkt, gewiß würde dieser Kampf glimpflicher verlaufen sein. I n Halle w ar die durch S p e n e r dem P ietism u s eingepflanzte antiphilosophische Sprödigkeit selbst durch den a u fk lären d e n T h o m a siu s nicht erweicht worden. W o l s 's Auftreten daselbst und seine immer glücklichere academische T hätig ­ keit seit 1706 bezeichnen daher einen Wendepunkt in der Geschichte dieser U niversität, welcher für deren zukünftige Stellung sehr be­ deutungsvoll werden sollte. D er Standpunkt der theologischen F a ­ cultät w ar bei aller Ungleichheit der Persönlichkeiten wesentlich derselbe, sie forderte einen biblisch vereinfachten, aber unbedingten und unvermittelten G lauben. Dieselben M änner, die w ir als kräf­ tige Gegner der O r t h o d o r i e schon kennen, und die der Allein­ herrschaft des scholastischen Lehrzwanges so freimüthig widerstan­ den, sollten gleichzeitig einem von anderer S eite eindringenden w isse n sc h a ftlic h e n Fortschritt unter sich R aum geben; sie sollten ihrerseits die D uldung und Unbefangenheit üben, die sie von den kirchlichen Theologen selbst für sich in Anspruch nahmen. S ie unter­ lagen in dieser P rüfung. D er P ietism u s, obgleich freier und weicher im D o g m a , behauptet desto strenger die Unbedingthcit des G l a u ­ b e n s . D a s P rincip des W issens, wenn auch von christlichem Interesse geleitet, stößt ihn zurück, am Wenigsten will er mit einem so selbstgewiß verfahrenden philosophischen Standpunkte sich be­ freunden. Dieser merkwürdige Widerspruch eines erweiternden und zugleich schroff erclusiven Bestrebens erklärt sich aber nicht allein daraus, daß von der neuen Philosophie G efahr für Religion und Christenthum überhaupt gefürchtet w urde, sondern auch aus dem­ jenigen, w as W o lf mit einem L öscher und andern gleichartigen Theologen g e m e in hatte, — die methodische S treng e und wissen­ schaftliche Form . D ies w ar die allgemeine Lage der Sache, von welcher w ir weiter unten noch eine wichtige Anwendung zu machen gedenken. D azu kam aber J o a c h im L a n g e 's persönliche Herrsch­ sucht und Eitelkeit, welcher an der Spitze seiner Facultät stehend es übel empfand, daß W o l s 's V orträge weit über dessen nächstes

Fach der Mathematik und Physik hinausgingen.

A ls vorzüglicher

Docent verdunkelte der Letztere die M ehrzahl seiner College«, am Meisten L a n g e selbst, und viele junge Theologen wurden fü r die Gründlichkeit und Folgerichtigkeit seines Unterrichts eingenommen S o wuchs die Mißgunst und erreichte unter W o l f ' s Prorectorat 1720 den höchsten G ra d .

Den Ausschlag gab bekanntlich dessen

Abgangsrede über die M o ra l des C o n f u c i u s im J u li! 7 2 1 . D ie Theologen hielten sich nicht mehr länger. Schon am nächsten Sonntage eiferte B r e i t h a u p t von der Kanzel gegen die frevelhafte Gleichstel­ lung christlicher und heidnischer S ittlichkeit; F r a n c k e eröffnete im Namen der Facultät eine V erhandlung, der sich jedoch W o l f im Bewußtsein seines Rechtes entzog.

W ir schweigen von den ärger­

lichen Zwischenfällen m it S t r ä h l e r , von

den

mehrmaligen

B edrohten,

königlichen

T hum m ig

Bescheiden

und H a u p t ,

zu Gunsten

des

von den poetischen Neckereien zwischen H a u p t und

L a n g e ' s S ohn.

L a n g e selbst, der Nachfolger im Prorectorat,

w a r sofort als Ankläger bei der Behörde aufgetreten, aber nicht eher schlugen seine Angebereien durch, als bis er den Philosophen als gefährlichsten F a t a l i s t e n abgeschildert hatte, w o ra u f dann die königliche Resolution vom November 1723 folgte, welche W o l f zur Uebersiedelung nach M a rb u rg nöthigte *). Unsere Sache ist es hauptsächlich, den literarischen S c h rift­ wechsel, welcher in die Jahre 1723 und 24 fä llt, zu beleuchten. D ie damalige Polemik verglichen m it der älteren bewegt sich meist in anständigen Formen, greift aber sehr gern nach den W affen der

*) V g l.

den unparteiischen B ericht: V ernünftige und bescheidene A nm e r­

kungen über die wider die W.sche Ph.

geführten S treitigkeiten.

Franks,

und

ries von

der

Lpz. 1726. a) S . Kluge a. a. O . S . 16 ff.

D e r saustmüthige Francke

Kanzel dem Verbannten ein Wehe nach, dessen Unzarrheit heutigen Tages völlig unbegreiflich erscheint.

D aß er jedoch aus Ueberzeugung handelte, beweist seine

E rk lä ru n g : "D a v o n habe ich noch niem als.die geringste Anfechtung gehabt, daß w ir W o lf zuviel gethan h ä tttn , aber bei seinen Zunöthigungen und V erführungen öfters davon, daß w ir zn wenig thaten." Kluge S . 23.

S . Ludcvici'ö E n tw u rf, 1, S . 284,

Ueber W o lf's Leben in M a rb u rg vgl. Gottfched's Lobschrist, Lpz.

1755, S . 94 der Beilagen.

Lange'- und Buddeus' Angriffe.

125

Ir o n ie und der satirischen B itterkeit oder deckt sich m it dem Schilde der Anonym ität und Pseudonymität;

wer sollte darin nicht den

Uebergang zur neueren Z e it erkennen!

Nach vorangeschickten „A n ­

merkungen" der theologischen Facultät richtete L a n g e seinen ersten noch verdeckten A n g riff ohne Nennung der Person m ir gegen Pseudo­ philosophie,

S to icism u s und S pinozism us und ließ dann zwei

andere gemäßigtere K ritiken folgen ') .

A ls angesehener S c h rift­

steller und Anverwandter der Hallischen Richtung fand sich auch Buddeus

in Jena au f L a n g e ' s Zureden zu einer Entgegnung

bewogen, die ohne seine E in w illig u n g gedruckt wurde. Daß er sich dazu hergab, daß er L a n g e ' s V o rw ü rfe lediglich bestätigte und w ie­ derholte, w ar eine Schwäche des guten B u d d e u s ,

die nicht aus

seinem Herzen kam und seinen Verstand nicht in günstigem Lichte zeigt.

E r erfuhr von S eiten W o l f ' s

dafür eine ungemein ge­

schickte aber auch höchst empfindliche Abfertigung und wurde der­ gestalt eingeschüchtert, daß er seinem Schwiegersohn I . G . W a lc h die A n tw o rt überließ, die dann auch w eit besonnener als seine eigene Anklage a u s fie l2) . H alle schon verlassen. setzte von M a rb u rg

D ie s geschah, nachdem der Philosoph

Schweigen hatte W o l f nicht gelernt, er aus seine Vertheidigung fo r t;

daher traten

auch immer neue Gegner, verkappte und offenkundige, aus den Kampfplatz 3) . *)

Weise wurden

von Unmündigen

beschämt,

ein

Lang e, Causa D ei et religionis naturalis ad versus atheismum etc.,

bald d a ra u f desselben Modesta disquisitio u n b Placidae vindiciae etc. H a i. 1723.

W olf stellte dagegen die Luculenta cornmentatio und das Monitum.

H ai. 1723

u n d 24.

2) Buddei Bedenken über die Wölfische Ph. wurde m it Anmerkungen erläutert herausgegeben von W. selbst, Frkf. 1724. A u f Eines Ungenannten (Walch's) bescheidene Antw ort etc. Jen. 1724, antwortete W olf in der Nöthigen Zugabe zu den Anmerkungen Frkf. 24 und hieraus Walch in dem Bescheidenen Be­

weis etc. Jen. 25. 3) Die lange Reihe der polemischen und apologetischen Abhandlungen von Andala, Thum mig, Tilesius, S trä h le r, A rin u s , Jd irp iu s , Carpov, Hieronymus AlethophiluS, Eleutherus a BerimontibuS u. A. findet sich ausge­ zählt in Ludovici's E ntw urf einer vollständigen Historie der W.'schen Ph. T h. I, Cap. X IV , und desselben Sammlung und Auszüge der sämmtl. Streitschriften wegen der W.'schen Ph. Th. 1, S . 1737. Aus I . G. Walch, Bescheidener Be-

126

Sechstes Buch.

Z w e ite r Abschnitt.

S c h m id t aus Schmalkalden e rg riff offen fü r ihn P a r te i') . D a g e ­ gen sprachen sich 1725 in Tübingen beide Facultäten verwerfend aus, die philosophische gelinder, die theologische strenger, deren V otum von P s a f f , H o s fm a n n , O s ia n d e r und W e is m a n n unterzeichnet w ar, und nicht anders lautete das amtliche Gutachten von Jena. Schon damals zog die Sache die ernsteste Aufmerksamkeit -nicht Deutschlands allein sondern E uropa's

a u f sich, und da in den

nächsten Jahren entschiedene Anhänger der neuen Philosophie wie T h u m m ig , B u l f f i n g e r , S t e in w e h r an verschiedenen O rten sich hervorthaten: so mußte der zweite Act der literarischen Fehde gegen den nunmehrigen Regierungsrath in M a rb u rg ein anderes Ansehen gewinnen.

In

H alle w a r die verpönte Lehrweise nicht ohne Nach­

wirkungen geblieben.

D e r König warnte in einem ernsten S chrei­

ben von 1736 vor philosophischen „S u b tilitä te n und Fratzen" und ermahnte die Hallenser zum Schriftstudium s) .

L a n g e in gerechter

Besorgniß, daß das B la tt sich wenden könnte, nahm sogleich das W o rt, indem er das königliche M a n d a t in seinem S inne auslegte und dessen Berechtigung nachwies.

D ie alten Anklagen der A thei-

sterei und des F atalism us wurden auf'S Neue la u t 3) der Angegriffene auch warme Fürsprecher in Preußen. flußreiche und

allgemein

geachtete Propst und

Doch fand D e r ein­

Consistorialrath

R ei nbec k urtheilte m it Unbefangenheit und schlug sich bald fre i­ m üthig auf W o l f ' s S eite. D ie auf königlichen Befehl niedergesetzte Untcrsuchungscvmmission (1 7 3 6 ) führte ebenfalls zur Vertheidigung, sie lieferte mehrere günstige V ota von W i e d e n b u r g ,

S to lle n ,

Rei nbeck, C a r s t e d t und N o l t e n , S tim m en welche den früheren weis, daß B nddei Bedenken noch feststehe, Jen. 1725, antwortete W ols in dem K laren Beweis daß H. D . Budde die ihm gemachten V o rw ü rfe einräumen und gestehen muß. *) 3 . V . W agner, Bescheidene Entscheidung einige zw. L. und W . entstan­ dene ph. S tre itig k . betr. 1724, desselben D ie auf einen Felsen gegründete P y ra ­ mide der W.'schen Philosophie, F rkf. 1731. 2) Ludovici's S a m m lu n g und Auszüge, I, S . 1. 3) Lange, Kurzer A b riß derjenigen Lehrsätze, welche in der W.schen PH. der n a tn rl. und geofsenb. Rel. nachtheilig sind, H alle 1730. nächstfolgenden Schristen Lu dovici I , S . 14 ff.

D arü ber und über die

Untersuchungen und Bedenken gegen Woks.

127

Facultätsbedenken von Tübingen und Jena ein starkes Gegengewicht gaben

Z w a r auch die m ilder Gesinnten schüttelten den Kopf

über die heillose V e rw irru n g , welche durch eine gänzlich unerhörte und m it fremdartigen Definitionen angefüllte Theorie in den Köpfen der Jugend angestiftet w erde,

und fürchteten den nachtheiligsten

E influß auf die Ungeübten und Anfänger.

Aber W o l f protestirte

abermals wider die „Kunstgriffe des Hallischcn A p o ste ls"*2 3) ,

und

K ö t h e n , ein evangelischer Prediger in G enf, behauptete offen den „vortrefflichen Nutzen" der neuen Lehre.

Denn eine Philosophie,

welche gegen Skepticismus, M a te ria lis m u s , F atalism us, S p in o zism us, —

der hier schon als besonderer Standpunkt vorgeführt

w ird, — in die Schranken tr itt und dem „verfluchten Ir r t h u m " des D eism us die T h ü r verschließt, und welche von der V o ra u s­ setzung ausgeht, daß der G laube weder die S in n e noch die V ernunft entkräftet sondern beide zu einem höheren Gebrauch erhebt, und m it diesem harmonischen V erhältniß zur Offenbarung zugleich eine höchst brauchbare „demonstrativische" Methode fü r die schwierigsten M a ­ terien darbietet, — verdient empfohlen, nicht von Halbwissern und Uebelwvllenden verdächtigt zu werden 3) .

Solche Urtheile kreuzten

sich heftig und unaufhörlich in den Jahren 1736 und 37 4) . Professor L u d o v i c i

D er

in Leipzig, ohne blinder W olfianer sein zu

wollen, trat doch entschieden zu deren P artei und widmete der E n t­ wicklung und Verbreitung des Wölfischen Systems mehrere Werke, die uns als vollständige literarische S am m lungen noch heute Dienste leisten.

B itte r spottete nun ein Gegner über diesen panegyrischen

H istorien- und Legcndenkram sowie das Ueberhandnehmen einer

')

Sämm tliche Aktenstücke im Auszüge bei L u d o v ic i, S . 126 ff.

bemerkt am Schluffe feines Erachtens:

Neinbeck

„ D a ich denn fü r meine Person da für

halte, daß in W .'S Schriften viele schöne und in der Gottesgelahrtheit brauchbare Gedanken zn finden find, daher es Schade w äre, wenn dieselben länger confisc irt bleiben sollten." 2) W .'s ausführt. B eantw ortung bei Ludovici S . 56 ff. 3) Köthen's Vortrefflicher Nutzen etc. S . 127 bei Ludovici. S . 155 die Bedenken der Fakultäten. 4) Siehe die Belege in Ludovici'S S a m m lu n g T h . 1. 2.

Ebendaselbst

128

Sechstes Buch.

nachbetenden S c h u le ') .

Zweiter Abschnitt.

W a s nicht Wölfisch klingt, ru ft er, w ird

schlecht gemacht, jede Entgegnung aus persönlicher Feindschaft gegen R e i n deck oder aus Bestechung von L a n g e , dem „großen Theo­ logen", erklärt.

Wehe über diejenigen, welche die neue W eisheit

nicht kanonisiren, das goldene Kalb nicht anbeten noch vo r den R itte rn der prästabilirten H arm onie, dieser „neuen W in d w a g e ", fich beugen w olle»!

Ih n e n droht der B ann und die Ercom m uni-

cation aus dem Reiche der V e rn u n ft.

In

der besten W e lt mag

es M ode sein, daß Freunde und Geliebte einander Backenstreiche in

die Wette versetzen; doch haben jene Verehrer es zu verant­

worten, daß jetzt so vieles Unverdaute von den Kanzeln der jungen Theologen gepredigt w ird . — Aber so heftig auch L a n g e und seine Genossen sich fortdauernd zur Wehre setzten: W o l f ' s öffentliche A n ­ erkennung w ar zu sehr im Steigen, als daß des Königs edler E n t­ schluß, eine frühere Ucbereilung gut zu machen, hätte hintertrieben werden können').

W olf

blieb im Laufe dieser Streitigkeiten sich

selber treu, schlagfertig, ernst, ehrenhaft; der Eine V o rw u rf tr ifft ih n , daß er sich zuweilen ruhmredig über seine Feinde erhob und die Gunst der Großen und Vornehmen zur Schau tru g .

Eben

diese Verbindungen m it vornehmen Gönnern und theilweise katho­ lischen Kirchenfürsten nährte eine Zeit lang den Verdacht seines bevorstehenden U ebertritts zu dieser Kirche.

E s sei, meinte man,

nicht ohne G ru n d , daß die Jesuiten großes Wohlgefallen an der neuen Philosophie bezeigt, und vielleicht hätten die schlauen Patres in ih r etwas Neues zur Unterstützung ihrer durchtriebenen M o ra l entdeckt oder gefunden, daß W o l f ' s Metaphysik ihnen in dem A r ­ tikel von der Transsubstantiation die Arbeit um ein Großes er­ leichtert habe.

Dieser B e ifa ll der Jesuiten hatte sicherlich andere

G ründe und galt besonders der logisch demonstrativen M ethode..

*) V gl. Deramander'S Anmerkungen über die in der L.'fchen und W.'schen Streitigkeit aus königlichen Befehl 1736 abgefaßten Schriften ( abgedr. in der Vollständigen Sam m lung aller der Schriften etc. M a ib . 1737), Abgedrungene Abfertigung

einiger W.'schen

Bremen 1738, bei Ludovici Bd. II . 2) Kluge, a. a. O . S . 2 9 — 32.

und B ertram ,

Legenden, und Historienschreiber,

129

Anklagepunkte gegen W o lf.

Es bleibt m erkw ürdig, daß nachdem Cartesius als Katholik auch der protestantischen Wissenschaft große Dienste geleistet, den beiden Nachfolgern, L e ib n itz und W o l f , der leidige Argwohn nachschlich, es werden zu wollen W ir haben den V e rla u f dieses philosophisch-theologischen P ro ­ cesses kennen gelernt; es ist nöthig, nun auch dessen In h a lt und Thatbestand zu prüfen.

D ie Anklagepunkte, wie sie von L a n g e

aufgestellt, von B u d d e u s bestätigt und dann in den verschiedensten Wendungen vielfach wiederholt wurden, kommen a u f Folgendes hinaus ä) .

W o l f hat die meisten und besten Beweise fü r das D a ­

sein Gottes bei S eite gesetzt und dadurch dem ohnehin einreißenden A t h e i s m u s neue W affen in die Hand gegeben; selbst von dem Zeugniß des menschlichen Bewußtseins w ird kein Gebrauch gemacht. J a es werden die Naturgesetze im engeren S in n e , sofern sie einen Gesetzgeber nothwendig voraussetzen, verw orfen; dagegen aber soll das sittliche Naturgesetz auf seiner eigenen inneren W ahrheit ruhen, es soll durch sich selbst Bestand haben, auch wenn kein G o tt ge­ glaubt w ir d ; beides sind Folgerungen, die jeder R eligion ein Ende machen.

E r hat ferner denen, welche die Providenz leugnen, durch

seine Beschreibung Gottes und der göttlichen Causalität Vorschub geleistet.

D ie Annahme eines W eltanfangs läßt er als unerweiölich

auf sich beruhen, und zugleich hat er dem natürlichen V e rla u f und Caufalnerus der D inge eine Nothwendigkeit v in d ic irt, welche jede freie Bewegung der Creaturen aufhebt.

D ie

Behauptung, daß

eine W elt, in welcher das Böse unausbleiblich zum Vorschein kommt, dennoch als die beste von G o tt erw ählt sei, nöthigt auch zu der ')

V g l.

über dieses Gerede Kluge'S richtiges U rth e il a. a. O . S . 25. 26,

D azu W a lth e r's G rü n d ! Untersuchg. der L.'scheu und W.'schen G ründe der W e lt­ weisheit, M agd, und Lpz. 1737, S . 2 7 .2 8 , woselbst m it vieler M ühe herausge­ bracht w ird , daß die prästabilirte H arm onie zum Beweis der TranSsubstantiation Dienste leiste. * ) M a n bezog sich dabei aus die "V ern ünftig en Gedanken« und einige A b ­ handlungen: Ratio praelectionum Wolfianarum in mathesin et philosopbiam

universalem, Hai. 1718 — Commentatio luculenta de differcntia nexus rerum sapientis et fatalis neccssitatis, Hai. 1720. — Monitum ad commentationem luculentam etc. Hai. 1724. Besch, d. Protest. Dogmatik III.

9

130

Sechstes Buch. Zweiter Abschnitt.

Annahme einer göttlichen Urheberschaft der S ü n d e. W ährend uns diese Philosophie das Recht entziehen will, von dem sittlich Guten auf G ott als dessen alleinige Q uelle mit Sicherheit zurückzuschließen: läßt sic uns für die Erklärung der S ünde nur den Ausweg» bteselbc au s göttlicher Veranstaltung herzuleiten. Ebenso gefährlich wie diese vermeintliche Theodicee ist die Lehre von der p r ä s t a b i l i s t e n H a r m o n ie , weil sie den menschlichen Leib lediglich von Außen her zu seinen Bewegungen bestimmt und mechanisch determ inirt werden läßt, die S eele aber gleichfalls einer unveränderlichen Reihenfolge von Vorstellungen unterw irft. D am it verträgt sich weder Freiheit noch Zurechnung, denn so wenig ich ein Uhrwerk strafen oder belohnen kann, so ungereimt würde es sein, wenn G ott an den Menschen Vergeltung üben wollte, falls sic von Seiten ihrer Seele nicht frei betheiligt sind, sondern verrichten müssen, w as der nexus causarum naluralium ihnen ausnöthigt. Bedenklich ist die Erklärung der göttlichen W underwerke, bedenklich die D e­ finition der Gottheit a ls einer subslanlia omnia universa simul distincte sibi repraesentans , weil auch die Seele für eine das Universum repräsentirende Substanz angesehen, also ein bloßes G radverhältniß ihrer Vollkommenheit zu der des Absoluten statuirt w ird. M it Einem W ort die Wölfischen Principien verstoßen der­ gestalt wider alle Sittlichkeit, daß mit ihnen „nicht einmal eine heidnische Religion, vielweniger eine christliche bestehen kann". W er sieht nicht, daß diese Kritik ganz an Einzelheiten haftet und weder die Methode noch die Endzwecke des Wölfischen System s berücksichtigt. W o lf konnte mehrere dieser Ausstellungen einfach als Mißverständnisse zurückweisen, andere ließen sich wenigstens in ein günstigeres Licht stellen. W enn einige herkömmliche Gotteöbeweise in der Metaphysik übergangen werden, weil sie nicht stringent sind oder zu Weitläuftigkeiten führen: so heißt d as, antwortet W o l f , nicht dem Atheism us das Feld räum en, es heißt vielmehr eine gesicherte S tellung ihm gegenüber aufsuchen, denn unw ider­ leglich ist nur der Schluß von der Zufälligkeit der W elt (a co nlingenlia m undi). W a s eingepflanztes Gottesbewußtsein genannt w ird, gehört nicht unter die Beweism ittel der natürlichen Theo-

131

Verantwortung Wols'S.

yogte, da sich Atheisten davon nicht überzeugen lassen demvnstrirt w ir d , daß alles

göttliche Regiment durch

W enn natürliche

Mittelursachcn hindurchgehe: so ist daS keine Bestreitung der P ro videnz, sondern Aufklärung über ih r wirkliches Geschehen.

M ag

C a r te s iu s noch so zuversichtlich den Satz hinstellen, daß die Idee des vollkommensten Wesens auch dessen Dasein unm ittelbar fordere und in sich schließe: wer sicher argumentiren w ill, w ird ihn lieber nicht nachsprechen.

Wenn nachgewiesen w ird , daß in der mensch­

lichen Seele ihrer Wirksamkeit nach das Universum repräsentirt sei, von G o tt aber alle möglichen W elten m it vollendeter Deutlichkeit vergegenwärtigt werden: so enthalten diese Definitionen ein V e r­ hältniß des Endlichen zum Unendlichen, das keineswegs gradueller A rt ist.

W as

die Weltschöpfnng b e trifft:

so räum t W o l f ein,

daß er einen B eweis eines zeitlichen Anfangs der Dinge wenn nicht fü r unmöglich doch fü r schwierig halte, wie schon T h o m a s

von

A q u i n o gefunden, dessen Ansicht man nicht als scholastische G rille verachten b ü rfe 1 2) .

Aber bedürfe es überhaupt eines solchen B ew ei­

ses? S e i es nicht hinreichend, die Abhängigkeit der W e lt überzeugend darzuthun, und sei nicht der religiösen G efahr schon dadurch v o r­ gebeugt, wenn man das Ewige a u ß e r der Z e it, das allein G o t eignet, von jedem anderen, wenn auch Anfangslosen doch immer Zeitlichen unterscheide? 3)

B e i der oberflächlichen Beschaffenheit

des A ngriffs genügten diese Antw orten.

Z w a r b ringt die K ritik

auch tiefer und in der Schutzschrift fü r B u d d e u s w ird im Allge­ meinen und m it Recht hervorgehoben, daß der Standpunkt W o l f ' s ein mathematischer sei,

durch welchen der philosophische W erth

einer moralischen Gewißheit zu leicht genommen und das nicht mathematisch Stringente unterschätzt werde: aber dergleichen ver1)

S . W o ls ö A n m erku n g en zu B u d d e u s ' Bedenken S . 26. 31.

2 ) Ebendas. S . 3 8 ff. 3)

Ebendas. © . 5 6 ff.

,, M a n

das ganze menschliche Geschlecht von

kann a us der V e rn u n ft nicht erweisen, daß zwei

Personen

hergekom m en;

es aber durch den G la u b e n , den w ir a us der S c h r ift haben. nach der Um stand der S c h ö p fu n g , daß sie in der V e rn u n ft sorgen."

erwiesen

w erden

ka n n ,

so

ist

w ir

wissen

W enngleich dem­

der Z e it geschehen sei, nicht a us w e n ig

G e fa h r

d a ra u s

zu

be­

132

Sechstes Buch. Zweiter Abschnitt.

einzelte Bemerkungen konnten noch keine gründliche Untersuchung nach dieser Beite anregen. Schwieriger als die Gottesidee erweist stch die W elt- und N a ­ turbetrachtung, obwohl in der K o s m o l o g i e die eigentliche Stärke dieser Philosophie liegt. Die W elt, obgleich ihrem Wesen nach zufällig, hat doch relative Selbständigkeit und folgt dem ihr m it­ getheilten Gesetz der Bewegung. H iervon ausgehend ergiebt sich ein natürlicher Causalzusammenhang aller D inge, und W o l f hatte denselben so unerbittlich streng durchgeführt, daß seine Theorie die W elt von G ott abzulösen und alles freie Leben zu verschlingen drohte. Ungeübtere Denker, wie sie zuerst das W ort nahmen, folgerten, daß durch dieses Princip jedes metaphysische physische und ethische Verhältniß dem gleichen uhrwerkähnlichen W eltgetriebc unterworfen werde, — ein F atalism u s, der wie er auch zusammen­ h äng e, dem W ahne des S p i n o z a doch an Verderblichkeit Nichts nachgebe. W o l f ' s Rechtfertigung sucht nun erst die nöthige K lar­ heit in das S treitige zu bringen. Ursachen und W irkungen sind in allem irdischen V erlau f unlösbar verbunden; E ins folgt aus dem Andern, E ins ist um des Andern willen da. Nimm Ein Glied a u s der Kette h erau s, und alle folgenden müssen sich au f andere Weise verknüpfen. D a s ist die necessitas physica, die aber nur hypothetischer Art ist, weil sie lediglich unter der Bedingung gewis­ ser von G ott gegebener und von ihm abhängiger Grundkräste statt­ findet; nur M ißverstand oder Unkenntniß können sie bezweifeln Selbst ein Wunderwerk läßt sich in der S tru c tu r der W elt nur dadurch einfügen, daß der natürliche V erlauf an einer Stelle abgebrochen wird, dann aber in irgendwie anderer Weise fortgeht; — nicht als ob S on ne und M ond dadurch aus der S telle gerückt würden, aber es müssen doch gewisse Folgen eintreten, die sonst nicht in der „ S u ite der D inge" gelegen haben würden, und die w ir nur unserer beschränkten ') W .'S Nöthige Zugabe zu den Anmerkungen überBuddeus' Bedenken, S . 87 ff. Spötter carricirten dieses Gesetz der Kausalität. „ E s gehört, sagten sie, unstreitig in den Zusammenhang der Ursachen, daß Jemand irgend einmal vier Nüsse aus­ knackt; denn hätte er statt dessen nur drei ausgeknackt: so hätten wir gleich eine andere W elt."

D ie kosmologischen Streitpunkte.

133

Kenntniß wegen nicht übersehen ')• M itten in diesem Getriebe des Wirkenden und Gewirkten steht der Mensch, der intellectuelle S pieg el des Universums, welchem mit der unendlichen Wirksamkeit selber auch deren Zweckmäßigkeit vor Augen steht. Auch der Mensch empfängt in jedem Augenblicke Eindrücke von A ußen, und so weit sie aus der Eigenschaft des W irkenden hervorgehen, geschehen sie unfehlbar ge­ w iß, sie bestimmen oder afficiren ihn mit Nothwendigkeit. S o weit läßt sich W o l f die Cvnsequenzen der Ankläger gefallen; desto stolzer sträubt er sich gegen die Aufbürdung des B uddeus, als ob dieser M echanism us alle Selbstbestimmung vernichte und nur durch Inkonsequenz des System s erträglich gemacht werde *). Nein, die natürliche Gew ißheit der Affectionen begleitet den Menschen ununterbrschen, aber sie beherrscht ihn nicht. D enn erstens kann die Seele den S ta n d des Leibes durch freiwillige Bew egung ändern, wodurch sie in eine zum T heil selbstgewählte Reihe von Empfin­ dungen eintritt, und zweitens liegt überhaupt der W illensact außer­ halb der physischen D eterm ination, weil er von der U e b e r le g u n g ausgeht. D er W ille w ird durch den G ang der Dinge nicht ge­ nöthigt, nur v eranlaß t, indem er selber dem Urtheil folgt. H ier tritt der Wölfische Hauptsatz in K raft, daß der Mensch n u r f r e i ist, w e i l er v e r n ü n f t i g ist, daß alles W ollen ein W ählen nach Vernunftgründen sei, welche wieder durch Vorstellungen über die Beschaffenheit der H andlungen und deren Folgen bedingt werden. S o zu verfahren ist die N atu r des W illens, nach göttlichem R athschlusse dem Menschen anerschaffen. Geordnet ist derselbe wie die N atur, aber die Gewißheit und Reihenfolge seiner Acte folgt einer ') Anmerkungen zu B uddeus, S . 73 ff. BuddeuS folgerte, es würde auf diese Weise die Welt durch ein Wunder in ihren Begebenheiten verschlimmert. Nein, antwortet W olf, „beim wenn Gott ein Wunder thut und durch ein zwei­ ter nicht wieder in den vorigen Stand setzt, war Veränderlicher dadurch in die Welt kommt: so muß er diese, d. i. die ganze S u ite der Dinge für besser be­ funden haben, wenn sie nicht bloß natürlicher Weise fortginge, sondern in dem Geschehenen eine Aenderung erlitte." Nöthige Zugabe, S . 146. 2) Nöthige Zugabe, S . 128 ff. Hierher gehört besonders das Monitum ad commentationem luculentam de differentia nexua rerum sapientis et fatalie necessitatis.

Sechstes Buch.

134

Zweiter Abschnitt.

andern Regel als an welche der umgebende physische Zusammen­ hang gebunden ist.

„Ic h

leite aus der N a tu r des W ille n s her

was in der Seele seine detcrminirte W ahrheit hat, gleichwie ich aus der N a tu r und dem Wesen der Körper die detcrminirte W a h r­ heit herleite,

die in ihrer Beschaffenheit

gegründet i s t D e r

V o rw u rf einer Aufhebung a l l e r Freiheit w a r damit zurückgewiesen. Denn W o lf stellt ja zwei Bcwcgungsrcihen neben einander, deren eine von der Causalität der N aturw irkungen, die andere von der B crnunftthätigkeit und ihren sclbstcrwählten also freien Entschei­ dungen bestimmt w ird ; er sondert also beide Gebiete und läßt sie nur durch den allgemeinen Gang der sinnlichen Empfindungen in Verbindung treten.

Dessen ungeachtet

Gegner ihren guten G ru n d .

haben die Bedenken

der

W o l f ' s Ansicht von der menschlichen

Freiheit ist eine Herabsetzung derselben; er findet sie lediglich darin, daß die Seele sich nach dem Gesetz der V e rn u n ft und in der Form des W ille n s fortbewegt.

D ie Seele muß nach seiner Lehre in der

Abfolge ihrer Empfindungen Nerven anschließen,

sich dem körperlichen Zustande der

ist aber auch im Stande sich anderen W ir ­

kungen a ls den von dieser S eile gebotenen auszusetzen oder den G ang derselben zu verändern;

damit w ird

anerkannt und wieder beschränkt.

D ie

ihre Freiheit zugleich

fernere B ehauptung, daß

alles W ollen der vorangegangenen Ueberlegung nachgehe, w ider­ sprach nicht allein dem Standpunkt des P ie tism u s, welcher die entgegengesetzte Abhängigkeit angenommen hatte, sondern sie genügte überhaupt nicht, w e il sie einfach D e n k- und Willensacte an ein­ ander hängt,

ohne das Jneinanderscin und

beider Functionen zu ihrem Rechte zu bringen.

die Wechselwirkung S o gedacht ähnelte

das Leben der Freiheit immer noch einem mechanischen Proceß, die wahre N a tu r des W ille n s , auf die sich W o lf berufen hatte, w ird nicht ausgesprochen.

V om psychologischen Standpunkte aus

mußte erw idert werden, daß der Mensch, statt der Nöthigung eines vorangehenden U rtheils Regungen offen steht.

jederzeit zu folgen, D e r W ille

geht nicht

' ) Wols'S Nöthige Zugabe, S . 128.137 ff.

auch unmittelbaren ohne Rest in

die

Freiheit und prSstabilirte Harmonie.

135

Bernunftthätigkeit a u f, so wenig als diese von den Rückwirkun­ gen jenes freibleibt; menschliche Handlungen geben die Einge­ bung des Denkens meist nicht w ieder, ohne sie mit einem M o ­ ment der W illkür zu versetzen. D er W ille leitet, indem er geleitet wird. I m Hintergründe steht alsdann die allgemeine F rage nach dem V erhältniß des Ethischen zum Intellektuellen; auch dieses wird durch die Form el, daß jenes, also das freie H andeln, nur um des Letzteren willen da sei, nicht in seiner W ahrheit erkannt, da die höchsten Zwecke der Freiheit sich der Vcrnunstthätigkeit wieder überordnen und sie in sich aufnehmen. B is zu diesem Höhepunkt gelangte jedoch der damalige S treit nicht, die Kritiker begnügten sich mit Erfahrungssätzen und citirten das video meliora proboque, deteriora sequor, zum B ew eis daß die Erkenntniß nicht nöthigend auf den W illen wirke. S ie empfanden aber richtig den M angel einer Anschauung, welche in den freien Handlungen eine gleichmäßige galvanische Kette von bestimmenden V ern un ft- und dienstbaren W illensacten erblickt und diesen Proceß intellektueller Determ ination durchgängig an den entsprechenden N aturverlauf angeknüpft und ihm zur S eite gestellt hatte Den eigentlichen E risapfel der V erhandlungen bildet die Lehre von der p r ä s t a b i l i r t e n Harm onie. I n ihr sollte sich der F a ta ­ lism us und M echanism us des Philosophen vollständig enthüllen, und W olf w ard mit unabläßigen V orw ürfen für eine Ansicht ver­ antwortlich gemacht, die er nicht, erfunden, die er nicht unbedingt zu vertheidigen geneigt w ar. Von Anfang an hatte sich die neuere Philosophie m it dem Problem der Gemeinschaft zwischen Leib und Seele beschäftigt. D ie gewöhnliche aus dem A r is to te le s vererbte Auffassung, nach welcher der Leib einfach von der Seele in B e ­ wegung gesetzt wird und auf diese zurückwirkt, das sogenannte systema influxus physici, w ar von C a r t e s iu s deshalb aufgegeben, weil eine unm ittelbare Einwirkung des Im m ateriellen auf das M aterielle oder umgekehrt nicht denkbar sei. C a r t e s i u s brach die Brücke des „physischen Einflusses" ab ; um aber das Zusammen') Bescheidene Anmerkungen zn BuddeuS' Bedenken, © . 55 ff.

136

Sechstes Buch.

Z w eiter Abschnitt.

gehen beider Theile zu erklären, nahm er an, daß die Vorstellungen m aterieller D inge, welche die Seele

von

Seiten

des

Körpers

empfangen soll, durch eine unerschaffene K ra ft Gottes in ih r erzeugt werden. mus.

Eine andere Auskunft tra f die Theorie des Occasionalis-

Kühner und philosophischer sah L e ib n itz in dieser Gemein­

samkeit eine Urthatsache

der Schöpfung,

eine ursprüngliche die

Allmacht Gottes großartig offenbarende M itgabe der Menschennatur. Dem zufolge ist es die Seele selber, welche die materiellen V o r­ stellungen

in gleicher O rd n u n g ,

wie sie dem Körper

zugeführt

werden, a u s e ig e n e r K r a f t hervorbringt; sie bleibt also durch­ aus

selbstthätig, indem

ihre

inneren Bestimmungen in

O rdnung m it der entsprechenden fortlaufen.

Sinnenbewegung des

gleicher Körpers

D ies die prästabilirte H a rm onie, so weit sie n u r den

Menschen als Doppelwesen zum Gegenstände hat.

W o l f behan­

delte dieselbe als einen brauchbaren Lösungsversuch des P roblem s. „E s ist zu merken, sagt er, daß die Veränderungen in der W e lt alle in einer unverrückten O rdnung aus einander erfolgen, und w e il gleichfalls in der Seele d er vorhergehende Zustand den G ru n d von dem folgenden in sich enthalten m uß, die Empfindungen der Seele

eine ebenso unverrückbare Reihe bilden."

Da

nun

diese

Empfindungen aber die Veränderungen in der W e lt v o r s t e l l e n : so ist n u r nöthig, daß sie im Anfang einmal m it einander in eine H arm onie gebracht werden, und es kann dieselbe nachher beständig fo rtd a u e rn '). In d e m W o l f diese Erklärung in einige T heile der Metaphysik einflocht, um seine mechanische N aturordnung m it dem selbsteigenen Handeln der Seele in Einklang zu bringen: schien er seinem System die Krone aufzusetzen. K ritik e r,

D a haben w ir ,

erst die volle Consequenz seines

rufen die

fatalistischen Systems,

die dam it endet, daß Leib und Seele wie zwei gleichzeitig aufge-

')

V g l. W ols'S deutsche Metaphysik Z. 767. Ludovici's S a m m lu n g I , S . 2 0 7 .

» G o tt hat vorausgesehen, in w a s fü r äußerliche Umstände der reib eines jeden Menschen von M in u te zu M in u te kommen werde.

D a hat nun G o tt die mensch­

liche N a tu r so eingerichtet, daß sie alle sinnliche Em pfindungen und Vorstellnngen durch ihre eigene und

wesentliche K ra ft in eben

einer solchen O rd n u n g hervor­

bringe als die D in g e von A ußen nach »nd nach den Leib berühren.»

137

Bestreitung der g-riistabilirten H arm onie.

zogene Uhrwerke sich unabänderlich forttreiben.

Es ist n ur Schein,

wenn der Seele noch eine Selbständigkeit beigelegt w ird ; in der T h a t muß sie dem B a n n ihres leiblichen Begleiters folgen und ih r Lied gleichsam nach von vorn herein vvrgezeichneten Noten ab­ singen.

D ie uralte W a h rh e it, daß die Seele auf den Leib ein­

wirken könne, w ird werde,

n u r deshalb umgestoßen, damit es möglich

die Seele dem ganzen Getriebe der Weltveränderungen

zu unterwerfen.

D er G ru n d , w arum ihre Vorstellungen so und

nicht anders ausfallen, soll in ihrer unveränderlichen Einrichtung liegen.

D a sie aber nach dieser Ansicht nichts Anderes zu thun

h a t, als die natürlich

fortlaufende und in der K örpcrw elt schon

enthaltene Empfindungsreihe vorstellend wiederzugeben, da es schließ­ lich dabei bleibt, daß alle unsere B egriffe ihren Ursprung in den S innen haben und w ir ebendaher zu den Abstraktionen gelangen, welche den G ip fe l unserer Erkenntniß ausmachen: so ist der Gang der Seele vollständig determ inirt.

Und in welchem Widerspruch

m it der E rfahrung!

Verhielte es sich wirklich so: so müßte ja

die Seelenbewegung

ein

getreues Abbild

paralleler

körperlicher

und weltlicher Veränderungen sein, und zugleich müßten die V o r ­ stellungen, welche die Seele gleichsam aus sich herauswickeln soll auch ebenso in einander gegründet sein, wie die Begebenheiten der W e lt.

Beides ist thatsächlich nicht der F a ll.

Und wie kann noch

eine selbständige hervorbringende K ra ft fü r dasjenige angenommen werden, das zuletzt nur den Stempel einer fremden O rdnung tra ­ gen soll! D as Ganze ist n ur ein E in fa ll, ein künstlicher V ogel, den der Philosoph verfertigt und ihm nachher selbst die Flügel beschnit­ ten hat ES wurde also ein förmlicher Feldzug gegen diese Lehre auf­ geboten und W iderlegung.

alle

theologischen S tre itkrä fte

arbeiteten

S ie hatte ihre Bedeutung im Zusammenhang m it ')

BnddeuS' Bedenken, S . 96 ff.

m ander's

an

Anmerkungen

in

Ludovici'S

Bescheidene A n tw o rt, S a m m lu n g I ,

dem S . 9 0 ff.

S . 207. 217 .

Ulmigenae Sendschreiben an einen guten F reund von dem Wölfischen Brem en 1737.

ihrer

D ie prästabilirte Harm onie konnte sich nicht halten. kühnen V e ra E u s e b ii

Fatum,

138

Sechstes Buch.

Zweiter Abschnitt.

Id e a lism u s und der Monadenlehre des L e ib n itz , welcher die W e lt in eine doppelte Sphäre des Materiellen und Im m ateriellen getheilt hatte, um dann beide durch ein ursprüngliches Gesetz der Eintracht zu verbinden.

W o l f dagegen gab die Monadenlchre a u f, seine

Metaphysik und Psychologie hatte ein eractcs und empirisches A n ­ sehen.

E r vindieiirte zwar der Seele ein eigenes Wesen, vermöge

deffen sie im Stande sei, Alles aus sich selber zu produciren, ge­ rade a ls wenn kein Körper vorhanden w äre; aber er behauptete zugleich, daß sie nach dem Gange des G ehirns und der Nerven­ thätigkeit sich richten muffe.

Dadurch wurde

die

angenommene

T heilung wieder schwankend, die prästabilirte Harmonie tra t bei W o l f in zweifelhafter und inconsequenter Gestalt auf.

Nach der

Deutung der Gegner aber, welche folgerten, daß die M einung nur ersonnen sei, um die Seele recht vollständig dem weltlichen M e ­ chanismus zu unterwerfen, die überhaupt alles Gewicht auf das M om ent der P rä sta b iliru n g , nicht auf das der Harmonie legten, erscheint die Hypothese v ö llig unhaltbar

und gewährte n ur das

B ild einer leblosen Abwickelung des Gedankenfadens. Indessen ließ sich an dieser S telle der S tre it nicht ausfechten. D ie Gegner lenkten einfach auf die gewöhnliche Vorstellung vom physischen E influß zurück. Freunde W o l f ' s wie R e i n deck verthei­ digten seine Ansicht m it der Beschränkung, daß sie die Nothwen­ digkeit der Harmonie n ur auf das Gebiet der Empfindungen und V orstellungen,

nicht

a u f das

W o l f selbst antwortete,

der

Entschließungen

ausdehnten.

daß die Hauptzüge seiner G ottes-

und

W eltlehre nicht auf einer Annahme beruhen, welche er nur als brauchbare Hypothese fü r die Psychologie adoptirt habe.

D aß in

dieser zufälligen W e lt alle natürlichen Dinge ihre Ursachen haben und E in s um des Andern w illen geschieht, daß alle Begebenheiten von dem Wirkenden einerseits und den letzten Zwecken andrerseits bedingt werden,

daß G o tt

auch das freie Leben der Menschen

seinen Absichten unterworfen habe, W under aber n u r vorkommen, wo der natürliche V e rla u f nicht zum Ziele fü h rt, daß die gegen­ w ärtige W e lt darum so und nicht anders beschaffen sei, w eil die Creaturen Spiegel der göttlichen Vollkommenheit sein und zur E r -

D er moralische Controverrpunkt.

139

kenntniß der Eigenschaften Gottes A nleitung empfangen solle», — dies Alles behauptete er aus allgemeinen metaphysischen P rincipien, zumal dem Satz vom zureichenden Grunde, hergeleitet zu haben, unabhängig davon ob über daö Wcchselverhältniß von Leib und Seele so oder anders geurthcilt werde.

D ie Bedenke» gegen seine

Freiheitslehre hingen nicht lediglich m it der prästabilirten H arm onie zusammen.

Dieses psychologische Problem

Jahren 1736 — 38 mer, M ö l l e r ,

wurde

von R e i n b c c k , B e r t r a m ,

noch in

den

N lric i, C ra-

S c h u b e r t leidenschaftlich verfochten und bestrit­

ten 0 , trat aber alsdann aus der Reihe der integrirenden Bestandtheile der Wölfischen Philosophie zurück.

O ffenbar gingen damals

die Theologen sehr weit, indem sie sich so tie f in eine philosophische Specialuntersuchung einließen. S ie veranlaßten dadurch W o l f zu der Erw iderung, daß rein philosophische Hypothesen überhaupt nicht in die Theologie gehören, wie es ih r auch nicht znstehe, den T ra d u cianismus als die einzige theologisch zuläßige Ansicht vom Ursprünge der Seelen in Beschlag zu nehmen 2).

W ir brauchen nicht zu sa­

gen, wie wichtig diese Behauptung von den Grenzen des theolo­ gischen Untersuchungs- und Entscheidungsrechts fü r die Zukunft werden sollte. Endlich ist noch der m o r a l i s c h e C o n t r o v e r s p u n k t ü b rig , obwohl derselbe in dem Obigen schon mitcnthaltcn w a r.

D ie sitt­

liche Weltanschauung W o l f ' s zeichnet sich durch eine klare V e r­ ständigkeit aus und sie verficht kräftig den sittlich-religiösen W e lt­ zweck gegen alle Schwierigkeiten; aber sie führte zu einer n a tü r­ lichen M o r a l, welche m it der vorhandenen theologischen nicht in Uebereinstimmung befunden wurde. ‘)

Gutes und BöscS gehören zur

Hierher gehören die S tre itsch rifte n : Reinbeck'S E rö rte ru n g der philoso­

phischen M e in u n g von der sogenannten H . pr. V e rl. 1736. — I . Belenchtnng

der

neugetünchten M e in u n g

von der H . pr.

F. B e rtra m 's

Brem en 1737. —

U lric i, Bew eis daß die II . pr. dem Satz des Widerspruchs und des zureichenden G rundes

zu nahe trete, S o ra u 1738. —

D ie übel gestimmte H . pr. Franks,

und Lpz. 1737. — I . U. C ra m e r, die von einem Anonymo übel gestimmte, nunm ehr aber wieder recht gestimmte II . pr. M a rb . 1737. — G . F. M ö lle r's Untersuchung der Bertramischen Beleuchtung etc. 2) Ludovici'ö S a m m lu n g , I I , S . 59.

M a rb . 1738.

140

Sechstes Buch. Zweiter Abschnitt.

natürlichen W elt, sie sind in ihrer Wirklichkeit von G ott gedacht, jenes durch den bestimmenden, dieses durch den zulassenden W illen. E s giebt zunächst eine o b j e c t i v e M o r a l i t ä t , eine innere S i tt ­ lichkeit oder Schimpflichkeit gewisser H andlungen, welche feststeht, ehe diese noch als göttliche Gebote oder Verbote anerkannt sind. Ausdrücklich versicherte W o l f , daß er das Gesetz G ottes von jener natürlichen M o ral nicht scheiden sondern in ihr wiederfinden wolle, und berief sich auf kirchliche Theologen wie M u s ä u s , G e r h a r d , B e c h m a n n , A l b e r t i , welche sämmtlich die actiones per se honestas oder turpes angenommen und sogar gegen P u f f e n d o r s eifrig vertheidigt hatten. E r hätte sich einfach auf die Kategorie der juslilia civilis, die Niemand leugnete, stützen können, wenn er nicht unter seinem Natürlichen mehr als eine bloß äußerliche und bürgerliche Ehrbarkeit verstanden hätte. G erade weil er demselben einen mo­ ralischen W erth beilegte, fruchteten seine B erufungen nicht. Nein, antw orten die B u d d e u s , L a n g e u. A. , auch dies ist nur eine religionsfeindliche Erfindung, ein Zugeständniß an den Atheism us. W ie W o l f in dem Einen verderblich ir r t, daß er das Wesen der D inge au s dem göttlichen Verstände herleitet und den W illen erst an zweiter Stelle hinzutreten läß t: so nicht weniger in dem An­ deren, daß er eine an sich seiende Verbindlichkeit gewisser sittlicher Handlungen v o r der Anerkennung des höchsten Gesetzgebers ein­ führt und genehmigt D a s brauchen die Gottlosen nur zu hören, um m it ihrer glaubenslosen Tugend zufrieden zu sein; eben da­ durch wird die chinesische Sittlichkeit der christlichen gleichgestellt und alle Verpflichtung aufgehoben, das G ute im Lichte der R eli­ gion zu thun und zu üben. Dazu kommt ferner die gefährliche Auffassung der S ün de in ihrem V erhältniß zur Tugend und F rei­ heit. W ie das Gute als solches gelten soll, noch ehe es auf sei­ nen alleinigen Urquell zurückgeführt w orden: so soll es sich mit seinem Gegentheil gewissermaßen ausgleichen und zusammendenken lassen. W ir sahen oben, wie W o l f das moralische Uebel zwar streng von dem physischen und metaphysischen scheidet, alle drei aber ■) Buddeus' Bedenken, S . 31 ff. Nöthige Zugabe, S . 97 ff.

141

Bedenken gegen den O p tim is m u s .

m it der höchsten Bestimmung des Lebens, sofern sie zu deren E r ­ füllung

dienen, verträglich

darstellt.

D ie Id e e der besten W e lt

fo lg t aus der W eisheit des freien, den ganzen Umkreis creatürlicher Möglichkeit überschauenden Urhebers; sie w ird nicht begrün­ det, aber auch nicht aufgehoben durch das Vorhandensein der Sünde, vielmehr muß das A ttrib u t, das der W e lt vermöge ihrer G ottes­ w ürdigkeit zukommt, auch unter der Voraussetzung der beigemisch­ ten Sünde w ahr bleiben, ohne daß darum G o tt an dieser letzteren selbst einen sachlichen A ntheil h ä t t e D e n Theologen w a r jedoch auch diese Anschauung ungewohnt und in ihren Folgerungen an­ stößig.

Z w a r des C alvinism us konnten sie den Philosophen nicht

w ohl beschuldigen, da er immer n ur von göttlicher Zulassung und Voraussicht sprach, w ohl aber dessen, daß er die Sünde zu be­ stimmt in den sittlichen W eltorganism us und dessen zweckvolle V o ll­ kommenheit aufgenommen hatte.

W as diese Vollkommenheit nicht

aufhebt, muß sie in gewisser Richtung gerade offenbar werden las­ sen, w eil die R ealität des Bösen zu stark ist, um nicht den End­ zweck wesentlich zu bedingen.

Kann überhaupt der S ündenfall der

Menschen m it der Vorstellung der besten W e lt zusammenbestehen? DaS bisherige Dogma hatte eine Verbindung beider B egriffe nicht nachgewiesen, es fand die Theodicee theils in der ersten noch unbe­ fleckten Schöpfung, theils in der Wiederherstellung durch Christum, verzichtete aber auf die

sittliche Schätzung der innerhalb dieser

Grenzpunkte befindlichen abgefallenen Menschheit, sofern sie nicht durch die allgemeine Vorsicht und die heilige Geschichte noch m it G o tt in Verbindung erhalten worden.

Z u gewaltig ist der R iß

der S ünde,

er beraubt die W e lt des Lobes,

vorn

des Schöpfers

herein

so w ü rd ig

welches

gemacht,

und

sie von läßt ih r

n u r die Fähigkeit, durch den Schauplatz des H eils wieder theilweise zu ihrer Vollkommenheit erhoben zu werden.

Am W enig­

sten mochten die Anhänger der Hallischen Schule, w eil sie W e lt >) W o lf zu Budde»«' Bedenken S . 53.

„ E in

Anderes ist zugeben, daß

auch in der besten W e lt BöseS Platz finden könne; ganz etwas Anderes aber, daß die beste W elt diejenige fei, darinnen das G ute nnd Böse m it einander ver­ mischet ist.

M a n siehet aber leicht, w aru m H e rr Buddeus Alle» verkehrt."

142

Sechstes Buch.

Zweiter Abschnitt.

und Weltlichkeit zu identificiren gewohnt w a re n , m it der streitigen Bezeichnung sich befreunden

Wenn W o l f zu argumentiren fo rt­

fuhr, die Güte der W e lt erleide durch den E in tritt des Böse» um so weniger Abbruch, da dieser S ü ndenfall ja auch das W erk der Erlösung herbeigeführt, also mehr göttliche Herrlichkeit offenbart, als sich je in einer W e lt ohne Sünde hätte entwickeln können: so protestirten sie gegen diesen Schluß, w e il er das Böse um des Guten, dessen Anregungsm ittel cs w ird , gleichsam adelt und ent­ schuldigt, und w eil von Seiten Gottes eine solche z w e c k v o l l e Zulassung der Sünde von einer Beabsichtigung derselben nicht mehr zu unterscheiden sei. W ie, erwidert W a lc h in B u d d e u s ' Namen, hat derjenige Fürst einen vollkommneren S ta a t, den seine rebelli­ schen Unterthanen zur strafenden Gerechtigkeit wie zurNachsicht, also zur vielseitigsten Ausübung der Regententugcnden nöthigen, deren mehrere er bei friedlichen und gehorsamen Untergebenen allerdings nicht würde anwenden könnend

Oder ist deshalb ein kranker und

nothleidender Zustand dem gesunden vorzuzichn,

w eil jener den

Beistand und die Liebeserweisung Anderer theils in höherem Grade fo rd e rt, theils stärker fühlbar macht als dieser?

Beide V e rglei­

chungen hinken zwar beträchtlich, denn es handelt sich gar nicht um bessere oder schlechtere Zustände, sondern um die Frage, ob ein sittlicher Proceß und Lebenskampf mehr Vollkommenheit der W e lt offenbaren würde als ein bloßer Zustand, wie der deö unverän­ derlich Guten sein würde.

Indessen auch bei richtigerer Fassung

enthielt die Betrachtung W o l f ' s immer den S krupel, ob der menschlicherseits verwerfliche S a tz, daß das Dasein der Sünde daraus irgend welche Rechtfertigung empfange, w eil es Folie der Tugend ')

W o lf bemerkt sehr bitter a. a. O . S . 9 5 , daß die Eklektiker im m er das

Schicksal haben, das Schlimmste zu erwählen, w e il sie sich fürchten, ihre Freiheit zu verlieren y iib in F a ta litä t zu verfallen, wenn sie nach dem Besten greifen. „ W i r haben oben gesehen, daß H . Budde nicht leiden kann, daß ein freies Wesen nach dem Besten greifen soll; deswegen ist ihm die beste W elt so verhaßt.

Er

n im m t das Schlimmste, auch wenn er w eiß, daß es nicht das Beste ist, dam it er ein freier M a n n bleibe." 2)

Walch, Bescheidener B ew eis, daß des B uddeus Bedenken noch feste stehe,

wider W o lfs nöthige Zugabe, Jena 1725.

143

W olf's Ethik und deren Schwierigkeiten.

oder Vorstufe der Erlösung werden kann, — ob derselbe vom ab­ soluten Standpunkte Gottes und der göttlichen Weltzwecke gleich­ w ohl seine W ahrheit habe.

Und dieses Bedenken wurzelte so tief

in der theologischen M o ra l der Gegner, daß w ir deren E inw en­ dungen als ernst und wichtig gelten lassen müssen. W ir

begegnen

also

hier

z w e i bedeutenden

Problem en,

welche w eit über die historischen Grenzen des Wölfischen S treites hinausreichend in jedem S ta d iu m der neueren Wissenschaft wieder aufgenommen werden. D as e i n e betrifft das V erhältniß des Re­ ligiösen zum S ittlichen.

E s ist der eigenste Berns der Theologie,

das Letztere auf den tiefsten G rund des Ersteren zurückzuführen und jeder Zerreißung B eider entgegenzutreten, welche auf den Abweg einer religionslosen bürgerlichen M o ra l hinweist.

D ie Theologen

waren also hier zum Widerspruch gedrängt; allein sie verkannten zugleich diese Controverse. W o l f beabsichtigte zunächst n ur zu zei­ gen, daß alle sittlichen Handlungen E tw as m it einander gemein haben, w orauf ihre moralische R e a litä t beruhe.

D ie Behauptung

einer gemeinsamen selbständigen N a tu r der sittlichen Handlungen ließ sich noch nicht als antireligiös zurückweisen, so lange es fest­ stand, daß das moralische Wesen in G o tt seine alleinige Quelle habe; sie regte aber schwierige und tiefe Fragen an, durch welche die späteren wissenschaftlichen S tudien der Ethik eingeleitet worden sind. Und eben so drohte die Erklärung der besten W e lt m it einem seichten moralischen O p tim is m u s , welcher m it den Sünden der Menschen um des Guten w ille n , das sie einkleiden, einen bequemen V ertrag eingehen möchte; aber dieses z w e i t e Problem nöthigte zugleich zu einer in 's Große gehenden Weltbetrachtung.

D a s theologische U r­

theil hält sich streng innerhalb der Gegensätze, welche das Leben durchschneiden.

D a s W e ltb ild zerfällt, wenn je nachdem Licht und

Schatten wechseln, dort n u r göttliche Veranstaltung,

hier n u r

menschliche Verschuldung gefunden w ird ; die Zulassung der S ünde bleibt ein leeres Factum , wenn einfach gesagt w ird , daß sie aus der gottgewollten Freiheit hervorgegangen sei, ihre Folgen aber lediglich den A bfall von G ott zur Darstellung bringen.

S o llte

also ein allumfassender und einheitlicher W eltbegriff anerkannt w er-

144

Sechstes Buch. Zweiter Abschnitt.

den: so w ar dies n u r möglich durch Aufstellung eines höchsten Endzweckes, welcher die weltliche Entwicklung tro tz ihrer sittlichen Gegensätze innerlich zusammenhält und einem gotteswürdigen Ziele zuführt. D ie Wölfische Theodicee hatte also eine richtige T e n ­ d e n z , die sich mit einzelnen Gegengründen noch nicht beseitigen ließ. B e r t r a m , ein eifriger Widersacher W o l f s , stellte dem Satz des O ptim ism us den anderen entgegen, daß die W elt n ic h t m e h r d i e beste sei. E s wurde ihm geantw ortet, daß er die ganze Thesis nicht verstehe, welche ja nicht auf den jeweiligen Z u s t a n d der W elt sondern auf deren G a n z e s bezogen werden müsse, fer­ ner aber daß er mit seiner Gegenthesis gleichfalls nicht au f's R eine kommen werde. D enn die Annahme einer nicht mehr besten W elt lasse G ott als guten Schöpfer aber schlechten E rhalter erscheinen, oder sie mache ihn, falls man nicht Manichäisch ein böses Princip statuiren wolle, erst recht zum Urheber der S ü n d e l) . W ir übergehen in dieser Uebersicht einzelne in Verbindung mit dem W olfianism uö auftretende literarische Erscheinungen wie die Wertheimische Bibelübersetzung, welche den Anstoß beträchtlich verm ehrte, aber auch sehr ungleiche Standpunkte unter den An­ hängern der neuen Philosophie bemerklich werden ließ. D er M ehr­ zahl nach waren die theologischen Kritiker ihrer Aufgabe nicht ge­ wachsen. Denn statt auf die demonstrative und mathematische M ethode W o l f ' 6 und die Inkonsequenzen seines Id e alism u s ein­ zugehen, hingen sie sich an gewisse halbverstandene Resultate oder suchten einzelne Principien ad absurdum zu führen. S ie beherrsch­ ten am Wenigsten d as metaphysische und kosmologische Gebiet, besser daS ethische, da es ihnen gelang, den Fehler der F reiheits­ lehre an'S Licht zu stellen. Einige wie S c h a u b verlegten sich auf eine weit ausgeführte Kritik des P rincips vom zureichenden G ru nd e; aber um dessen gänzliche Falschheit zu beweisen, verstanden sie das P rincip dahin, daß der zureichende G rund die hervorbringende U r­ sache und die W irkung überhaupt ausschließe und bei konsequenter ') Bgl. 6es. Bertram'« Beleuchtung und das gründliche Sendschreiben an ihn von G. F. Möller, Berl. 1737.

Brauchbarkeit des Satze« vom zureichenden Grunde.

145

Anwendung zu Folgerungen triebe, nach welchen gar Nichts mehr eristiren könne, weder G ott noch W elt; so wenig sei es möglich, einen Skeptiker oder Atheisten mit dieser W affe zu besiegen *). — W ie w ar es nun möglich, daß auf so tödtliche Angriffe dennoch eine gründliche Befreundung folgte? Dies konnte um so leichter geschehen, se übertriebener und maaßloser die ersten Anklagen gewesen und je einseitiger sie von der Hallischen Schule ausgegangen w aren. D er specielle In h a lt der Wölfischen Religionsphilosophie, wie w ir ihn oben kennen gelernt, wurde allmählich mit Unbefangenheit betrach­ tet, und statt ihn mit dem absonderlichen Einfall der prästabilirten Harm onie zusammenzuwerfen, gewann man Augen für die zahl­ reichen dogmatischen Anknüpfungspunkte dieser theologia naturalis und für die in ihr dargebotene G rundlage allgemein religiöser W ah r­ heiten. Die Theologie, und gerade die. kirchliche, w ar nicht mehr in dem Falle, diesen Beistand von der Hand zu weisen, so wie sie auch für die erakte demonstrative Darstcllungsmethode nicht den S in n verloren hatte. W ie verschieden aber dieser Anschluß ausfiel, und welche Wirkungen aus der B ildung einer Wölfischen Schule inner­ halb der Theologie hervorgingen, wird unten zur Sprache kommen. >) Chr. Fr. Schaub, Vernliuslige Gedanken von dem Satz des zureichen­ den Grundes in der W.'schen Philosophie, Lpz. 1737. Desselben Zusätze zu den verniinstige» Gedanken, Lpz. 1738.

Äesch. d. Protest. Dogmatik 111.

io

Dritter Abschnitt. Fortbildung der theologischen Wissenschaften. I.

D o g m a tis c h e R ic h tu n g .

B uddeus.

!£ ) te M acht des praktischen Glaubens und der geläuterten Wissenschaft dringen nach einander-auf die kirchliche Theologie ein, um sie nach ihren beiderseitigen Interessen umzubilden.

S ie selbst

bleibt unter diesen Bewegungen nicht unerschüttert, aber sie läßt auch nicht ab von der Aufgabe, den überkommenen In h a lt einem Z eitalter mitzutheilen, welches denselben nicht mehr in der glei­ chen Unbedingtheit anzunehmen geneigt w a r. Nach der Darstellung der beiden wichtigsten Streitigkeiten, von denen dieses Zeitalter bewegt wurde, versuchen w ir jetzt dem Leser den stetigen Fortgang der Theologie in ihren vorzüglicheren Lei­ stungen vorzuführen und beginnen m it der s yst emat i schen L i t e ­ ratur.

D ie kirchliche D o g m a t i k , —

H ollaz, —

und w ir kennen sie bis

hat sich bis nach der M itte des Jahrhunderts ohne

auffallenden Bruch und Gegensatz fortgesetzt und dadurch die Lehre in überwiegend gleicher Gestalt aufrecht erhalten. Mochte sich der Geist der Schulen in der Bearbeitung des Lehrstoffs verschiedent­ lich ausprägen: das Gemeinsame am D ogm a bildete im m er noch einen Körper stark genug, um durchgreifenden Veränderungen zu widerstehen, und die Menge der anderweitig im P ublicum a u f­ tauchenden freien M einungen drängte die Theologie auf die kirch­ liche Ueberlieferung zurück.

W as aber die dogmatischen S c h rif­

ten von den früheren fast durchgängig unterscheidet, ist theils das

147

Dogmatische Lite ra tu r im Allgemeinen.

Nachlassen des polemischen Eifers, theils die einfachere Methode, wenn gleich durch die Wolfianer ein neuer Formalismus in Umlauf gesetzt w urde, theils endlich das Bemühen den Glaubensinhalt faßlich und zugänglich zu machen.

Nachdem der dogmatische V o r­

trag so lange Zeit über lauter Höhen und Tiefen sich fortgear­ beitet hatte, ebneten sich jetzt seine Wege, die alte G ravität der Satzung m it ihren scharfen.Thesen und Antithesen wich einerleich­ teren und

glimpflichen Form der Darlegung, einer schonenden

Sprache, die selbst wieder auf Schonung Anspruch machte.

D ie­

ser Wechsel gab dem System eine mäßigere aber unkräftige H a l­ tung und ließ voraussetzen, daß es sich durch sich selber und ohne Zuziehung anderer M itte l nicht auf die Länge behaupten werde. B e i der Durchsicht der ersten Jahrzehnte der deutsch-Lutheri­ schen Literatur begegnen uns zahlreiche meist verschollene Namen, eines Z a c h a r i a s G r a p i u s ,

Samuel

Großer,

Christian

Loeber, Heinrich M a i , Jo ha nn S a m u e l T r o m s d o r f , C h r i s t i a n W i l k e , B e r n h a r d von S a n d e « , W o l f g a n g Jaeger,

G ottfried

Hofmann,

Georg

Roth,

Conrad

Schramm, Lorenz R e in h a rd , Friedrich B u r g , W ilh e lm Löper, M a r t i n G r ü n e r , Jo ha nn Franz S t a h l , M a r c u s W ö l d i c k e '), Anderer nicht zu gedenken. Etwas genannter als diese ist I . P . Hebenst r ei t in Jena, dessen System sich an B a i e r ' s Compendium anschließt und von M n säus durch allerhand kleinere D if­ ferenzen unterscheidet*). Alle Universitäten lieferten ihre dogmatischen Beiträge; Halle blieb bis zu B a u m g a r t e n seiner Schule treu, und fü r den dogmatischen V ortrag bot L an ge 's Oeconomia salutis*2 3) *) Zach. Grapii Compend. tlieol. univ. Rostoch. 1706. Sam. Grosser, Theol. thetica, Goerl. 1707. Christ. Loeber, Lehre der W ahrheit zur G o tt­ seligkeit, d. i. theologia deutsch, Altenb. 1711. Job. Henr. Maji Synopsis theol. Christ, ex solis verbis Christi relatis ab evangelistis eruta atque monstrata, Francof. 1708 (cf. Fabric. Histor. hihi. IV , p. 288). Sam. Tromsdorf, Theol. dV oktytov cum praefatione Buddei, Hannov. 1708 imb oft wiederholt.

2) J. P. Hebenstreitii Systema theol. controversiis cum antiquioribus tum recentioribus accommodatum atque in tres partes divisum, Jen. 1707 — 17. 3) Conf. Walch, Bibi, theol. I, p. 42. I I , p. 1008.

148

Sechstes Buch,

Dritter Abschnitt.

nebst F r e y l i n g h a u s e n 's „G rundlegung" und B r e i t h a u p t 's The­ ses noch einige Zeit den gewöhnlichen Leitfaden. D ie Jenenser, stets auf gelehrte Gründlichkeit bedacht, hielten sich in gemäßigt kirchlicher S tellu n g ; in Tübingen waren biblische und unionistische Rich­ tungen vertreten, auch G reifsw ald hat sich durch einige M änner geltend gemacht I n Göttingen sollte etw as später ein neuer und höchst fruchtbarer Zw eig deutscher Wiffenschaft emporwachsen. D en theologischen Neuerungen aber, wie w ir in Lösch e r 's Geschichte bemerkten, w ar Rostock am Entschiedensten abgeneigt. Hier wirkte namentlich J o h a n n F ech t, geb. 1636, gest. 1716, E iner der frucht­ barsten und kenntnißreichsten Theologen, auch als Dogm atiker noch lange nach seinem Tode vielgelesen *2) . D en Hallischen gegenüber zeigte er sich als unerbittlichen Systematiker und wachte ebenso streng über der Symbolverpflichtung wie über dem Gesetz der wörtlichen Schrifteingebung. E r behauptete fest: Credendum est, terram consislere el sidera m overi ; von Socinianern, die zur Kirche übertraten, forderte er die T aufe. Auch daß noch zuweilen K ö n i g 's Compendium Schriften oder Vorlesungen zum Grunde gelegt w u r­ den, mag die Fortdauer der streng dogmatistischen Lehrform beweisen. Nehmen wir die Hallesche Richtung und die bald auftretende und in sich selbst wieder abgestufte Wölfische Schule hinzu: so haben w ir den allgemeinen R ahm en, innerhalb dessen die dogmatische B ildung sich bewegt, vor Auge». Geist und innere Entwickelung mögen aus einzelnen Leistungen, unter welchen wir die des B u d d e u s voranstellen, erkannt werden. ') Hier wirkten nach M ayer die Theologen Gebhardi, R u m p ä u s, P ritiu S , Q uade, W ürfel, R nSm eyer, besonders aber I . H. B althasar, A. I . Krakewitz, T . Lütkemann, L. Stenzler und I . E. Schubert. S . Kosegarten's Geschichte der Universität G reifsw ald , II, S . 277. 2 8 8. 297. 2) «loh. Fechtii Lectiones thcoll. cd. Gr. F. Fecht, Rost. 1722, conf. p. 31. 47. 89. 103. 159. Ejus dem Compendium univcrsam theol. theticam et polemicam complectens, Rost. 1739. 44. S e in e übrigen Schriften sind po­

lemisch und exegetisch und erstrecken sich über alle Theile der Theologie. Ueber seine antipietistische S tellu n g vergl. z. B. seine Abhandlungen: Examen libelli Licht und Recht, 1 7 0 4 ; Consectaria periculosa ex doctrina novaturiente de falsa irregenitorum circa res sacras notitia, 1709.

Franz Buddeus als Gelehrter.

149

J o h a n n F r a n z B u d d e u s ') muß hier zum zweiten M al und zwar weit ehrenvoller als es oben geschehen konnte, erwähnt werden. I n Halle w ar seine Stellung schwierig, weil er ans der philosophischen Facnltät in die Theologie übergreifend, in dieser doch als halber Freund des P ietism u s keine rechte Anerkennung fand. Erfolgreich wurde seine Wirksamkeit erst in Jen a, wo er in die Reihe derer eintrat, welche der theologischen Facultät daselbst ihren Charakter religiöser Aufrichtigkeit, theologischer M ilde und vielseitiger Gelehrsamkeit gestchert haben. W ie P f a s f so wurzelt auch B u d d e u s mit seiner B ildung noch im vorigen Ja h rh u n ­ dert, die er aber den Fortschritten des fetzigen anzupassen weiß. S eine Schriften sind ungemein zahlreich und vielartig 8) , zu viel­ artig um in einer einzelnen Richtung B ahn zu brechen, wozu es ihm auch an productiver Geisteskraft fehlte; sie umfassen P h ilo ­ sophie, G laubens- und Sittcnlehre, Kirchen- und Literaturgeschichte und beweisen, daß dieser Schriftsteller das Christliche mehr in seiner historischen Größe bearbeiten, in der Fülle seiner geistigen H er­ vorbringungen übersehen und beleuchten als einem ausschließlichen theologischen Standpunkt Recht verschaffen wollte. Historische D a r­ stellungen, wie er sie der Philosophie, der K abbala und dem apo­ stolischen Zeitalter widmete, gelangen ihm vorzüglich in Beziehung auf das Literarische, und seine berühmte Introrluctio *23) haben die Kundigen bis heute neben dem ähnlichen Werk von P f a s f als höchst werthvolles Nachschlagebuch benutzt; die beiden W a lc h s haben in ihm ihren besten V orgänger. M änner von so bedeutender gelehrter Ausbreitung sind in der Regel nicht zum Philosophiren geeignet, weil ihre vielseitige dem Besondern gewidmete Aufmerksamkeit die allgemeine und freigestal*) Geb. 1667 zu Anklam, ftubivte in G reifsw ald und W ittenberg und be­ gann hier zu dociren; daun ging er nach Halle und K oburg, war 1693 — 1705 Professor der M oralphilosophie in Halle und wurde alsdann in die theologische F acultät zu J en a versetzt, wo er den wichtigsten Theil seines unermüdlichen Arbeitslebens ( t 1729) zubrachte. Vgl. den Artikel von E. Schwarz bei Herzog. 2) Notitia scriptomm J. F . Budclci, Jen. 1728. Letztes Ehrengedächtniß des I . F . B uddeus. Jen. 1731. 3) Isagoge histor. theol. ad thcologiam universalem, Lips. 1727. 1730.

150

Sechstes Buch. Dritter Abschnitt.

tende Denkthätigkeit erschwert. B u d d e verschmähte jede S c h u l ­ p h i l o s o p h i e , sein „theoretisches" Lehrbuch gelangt zu dem R e­ sultat, daß es dem W eisen wohl anstehe, sich selbst durch eigenes Nachdenken und freie Weltbetrachtung gewisse G rundlagen zu bil­ den und diese dann ohne schulmäßige Abhängigkeit mit den besten Forschungen anderer Geister zu vervollständigen *). W ie wenig aber dieser Eklekticismus im Wölfischen Streite durchdringen konnte, hat sich gezeigt. W ir brauchen daher B u d d e u s nur kennen zu lernen, wo er die bestimmter umschriebenen D isciplinen mit G e­ schicklichkeit und Scharfsinn und in sicherem Verständniß dessen, w as seiner Zeit frommte und w orauf der letzte Parteikampf hin­ leiten mußte, fortgebildet hat. D ie rechte T heologie bewegt sich zwischen den Ertremen des R ation alism us d. i. N atu ralism u s und F a n a tism u s, ähnlich w ie die Philosophie zwischen den Grenzen des Aberglaubens und des A theism us. D ie christliche Offenbarung streitet nicht w i d e r die V ernunft, obwohl sie Uebersteigendes und Uebervernünftiges mit­ theilt, man darf daher die Mysterien weder verwerfen noch durch neue vermehren. D ie Lutherische Lehre hat sich unter glimpflichem T adel der reformirten in ihrer W ahrheit zu behaupten, aber sie bedarf der verdammenden Fingerzeige nicht mehr, ohne welche sonst kein dogmatischer Satz ausgesprochen wurde. D a s Wesen der R e­ ligion enthält eben die d o p p e l t e Forderung des G l a u b e n s und des T h u n s , beide ruhen auf demselben göttlichen Recht; cs ist verkehrt die letztere zu streichen, w ie es auch verkehrt ist, zwischen die zwei nothwendigen Vermögen des Verstandes und W ollens ein drittes des Urtheilens einzuschieben. D en prakti­ schen Endzweck in eitler Genügsamkeit des Wissens verkennen, ist völliges M ißverständniß der T heologie, und derselbe G eist, den sie erzeugen soll, wird auch in ihren Bearbeitern vorausgesetzt*). M an sieht aus diesen encyklopädischen S ätzen , w orauf B u d J) Elementa philosophiae theticae , ed. nova Hai. 1735. 2 ) Isagog. lib. I, cp. 1. §. 11. 12. Qui in nuda rerum divinarum cogni« tionc subsistimt, idco quod vana persuasione ducti hanc sufficcre arbitrantur, — lioc ipso tcstantur, se indolem et naturam theologiae proreus ignorare.

Theologische Richtung beS BuddeuS.

151

d e u s hinauswill, nämlich auf zeitgemäße Verbesserung aus dem gesunden Einfluß des Pietism us so wie durch wissenschaftliche Durchsicht und Prüfung. D ie Dogmatik darf sich nicht wie der ganze Körper der Theologie betragen wollen, die M oral steht ihr zur S eite sammt der Mystik in ihren reineren Elementen; dann folgt die kirchliche Jurisprudenz, die Polemik und Kirchen­ geschichte, endlich die Eregese, — eine Reihenfolge die noch an die ältere Fachordnung erinnert. D ie Bildungsmittel eines Theologen erstrecken sich allseitig auf die Gebiete der Geschichte, Literatur und Philosophie. D as Verhältniß zur natürlichen Theologie gestaltet sich friedlich, so lange die letztere ihrem gesunden Wesen treu bleibt, denn dann wird sie auch mit den Grundlagen der positiven zu­ sammentreffen D ie Befreiung von scholastischem Ballast ist ein protestantisch nothwendiges, in der katholischen Kirche stets miß­ lungenes Streben. Symbolische Bücher sollen nicht zur Kirchenherrschaft und Unterdrückung der Gewissen gemißbraucht werden; bei richtiger Anwendung stellen sie eine Lehreinheit dar, welcher sich der Einzelne nicht beliebig entziehen d a r f2) . Alle diese Erklärungen enthalten leise Zugeständnisse an die Forderungen der Zeit, und dieselbe Sorge für religiöses und wis­ senschaftliches Gleichgewicht begleitet den Schriftsteller durch sein d o g m a t i s c h e s We r k, welches ohne tief und original zu sein, sich doch durch große Faßlichkeit und Umsicht auszeichnet und deut­ lich verräth, nach welcher Seite hin ein freierer Spielraum nöthig war. W ir werfen einige Blicke in dieses vermittelnde System. Ueberall klingt die Warnung hindurch, daß man den Glauben nicht andemonstriren, nicht verkünsteln und überladen soll, daß andrerInstit. theol. dogm. lib. II, cap. 3. §. 5. Cognitio utique mere theoretica atque speculativa neminem beatum reddit. Potest enim aliquis miserrimus esse, etsi praestantissima adcuratissimaque multarum rerum scientia sit instructus. l) Ibid. §. 30. Imo eiusmodi haec sunt (nämlich die Erkenntnisse der natürlichen T heologie), ut certa inde criteria fluant, quibus veram revelationem a falsa quodammodo discernere licet. Simul tarnen paedagogiam quandam ad revelationem investigandam et agnoscendam exhibet. a) Ibid. lib. II, cp. 2. §. 15.

152

Sechste» Buch.

Dritter Abschnitt.

feite mit dem Lebendig- und Thätigsein der Erkenntniß sich noch kein falsches Selbstvertrauen einschleichen müsse. Die allgemeine G otteslehre ist völliger ausgeführt, so daß sie gegen die trinitarischen Ausführungen weniger zurücksteht. Z w ar wird das G lau ­ bensinteresse gewahrt und jede speeulative Kühnheit abgeschnitten, aber doch eingestanden, daß E tw as an dem D ogm a von der T ri­ nität auf einen modus loquendi hinauslaufe *). Dagegen weist B u d d e u s alle Anfänge einer biblischen Kritik noch weit von sich, er widerlegt die eregetischen Künste B e k k e r ' s und fahrt fort, D ä ­ monen und Engel ganz eigentlich zu den G e g e n s t ä n d e n eines geoffenbarten Wissens zu rechnen 8) , — Seinem Standpunkte ge­ mäß muß B u d d e u s der a n a l y t i s c h e n M e t h o d e folgen, also neben den Anfang sogleich das Ende stellen. Und darin ist er vollkommen mit sich einig, daß er das Ziel des höchsten G utes ethisch und mystisch, nicht speeulativ beschreibt. I m inneren S in n , in der Richtung des W illens wird das Göttliche angeeignet; Liebe G ottes mit vollendeter Freiheit verbunden ist Gottähnlichkeit und höchste Lust 3) . Diese V oranstellung eines praktischen Lebenszwecks soll den Geist alles Folgenden bezeichnen; doch wird der V ortheil dieser Anordnung dadurch sehr gestört, daß der Verfaffer die ganze Eschatologie hierherzieht, obwohl sie doch erst aus dem nachfol­ genden Proceß der S ün de und Erlösung verständlich w ird. I n der Anthropologie haftet B u d d e u s noch an den Vorstellun­ gen der altorthodoren Dogmatiker, die er jedoch im Einzelnen wieder zu modificiren und zu halbiren sich genöthigt sieht. Den ersten Menschen muß die höchste Gotteserkenntniß sammt einem Wissen der T rin ität beigelegt werden, mag es ihnen von N atur mitgege­ ben oder durch besondere Offenbarung zugeflossen sein. Ausgezeich­ net w ar ihre Anschauung des Göttlichen und Menschlichen und verbunden mit Reinheit des W illens, jedoch freilich von gewissen Grenzen beschränkt, wie der Ausgang lehrte, nur nicht so niedrig *) Theol. dogm. lib. II, cp. 1. §. 51. ') Ibid. lib. II, cp. 2. ') Ibid. lib. II, cp. 3.

Dogmatik de« Buddeu». Anthropologie.

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stehend wie die Socinianer behaupten ') . M it dem Dasein des ge­ schlechtlichen Verhältnisses w ar auch dessen Gebrauch in der Ehe und Fortpflanzung natürlich gegeben, ohne daß diese durch den Sündenreiz erst hätten veranlaßt werden müssen: der Tod dagegen w ar au s N aturgründcn nicht nothwendig, und in dem Schlafe des Adam während der Erschaffung der Eva darf noch kein Sym ptom eines au f Sterblichkeit angelegten Zustandes gesehen werden. S o rechnet der Verfasser das menschliche G eschlecht und dessen A us­ breitung zu dem ursprünglichen noch nicht durch die S ün de um ­ gelenkten W illen der Schöpfung, aber er zerreißt zugleich w as innerlich zusammengehört, ja w as in der Erzählung der Genesis auf einander hindeutet, die Erhaltung der G attung und die irdische Sterblichkeit des Einzelnen. Diese S p altu n g mußte immer größere Schwierigkeiten bereiten, je mehr das Naturgesetz des Lebens und der geschichtlichen D auer der Menschheit als ein Ganzes erfaßt wurde. I m Nächstfolgenden schließt sich B u d d e u s an die G rund­ gedanken des F öderalism us. D a s Gesetz ist ein positives und jede S ün de zugleich Uebertretung; wenn die Philosophen behaup­ ten, daß alle M oralität in der sittlichen N atur als solcher gegrün­ det sei: so wird geantwortet, das höchste Gesetzliche sei ja nur der Ausdruck des heiligen W esens G ottes, die Positivität der göttlichen Gebote also keine leere, sondern mit dem Naturrecht alles S itt­ lichen zusammentreffend. D er urbildlichen Erschaffung des M en­ schen w ar auch das höchste Gesetz eingeprägt; zwar ging es mit der S ün de verloren, doch blieb auch dem Sündhaften eine natürliche Kenntniß der praktischen Principien, so daß er nicht nur Recht und Un­ recht an seinen Merkmalen unterscheidet, sondern selbst den erkannten W ahrheiten durch eigene Zuneigung beizustimmen getrieben wird *2) . Folglich ist die natürliche Gesetzeserkenntniß durch die göttliche Le*) Ibid. lib. III, cp. 1. § .4 . Erat tarnen hacc sapientia aeque ac ipsa cognitio finita suisque circumscripta limitibus, uti eventus docuit. Non ergo ultra quam par est extendenda, nec tarnen extenuanda nimis aut omnino primis parentibus deneganda. 2) Ibid. lib. II I, cap. 2 §.3. p. 550. Kemansit tarnen naturalis principiorum practicorum notitia.

154

Sechstes Buch. Dritter Abschnitt.

gislation nur sirirt und gestärkt worden, und der Dekalog erscheint als S anction des Naturgesetzes. S e h r wohl, aber wie stimmt zu diesem starken Zugeständniß die Annahme eines angeborenen und alle Geistesfunctionen durchdringenden sündhaften Verderbens? B u d d e u s fühlt sich hier, wie aus der Unsicherheit seiner Dialek­ tik hervorgeht, nach zwei S eiten g ehem m t'). S ta tt von einer unmittelbaren Verfinsterung der Vernunft zu reden, erläutert er, daß und w arum das höhere Denkvermögen unter den Schwankungen eines eigenmächtigen W illens die Richtung auf das Ewige nicht inne­ halte. T horheit, Unwissenheit und Verblendung sind großentheilö Folge einer vom E goism us beschränkten, bald vernünftiger bald sinnlicher und irrationaler Regung unterworfenen W illensbewegung, und fe häufiger diese leidentlich bestimmt wird, desto nothwendiger muß sie in der Intelligenz eine T rübung absetzen; auf diesem W ege wird dann die s u b s e c t i v e V ernunft angesteckt, wenn gleich deren objective Principien in ihrer W ahrheit fortdauern. E s ist nicht genug zu sagen, daß die niederen Seelenkräfte den höheren widerstreben, noch daß der Körper sich gegen den W illen sträubt, sondern dieser liegt mit sich selbst im S treite, da er von der V er­ nunft und von dem leiblichen O rg anism us an s nach entgegenge­ setzten Seiten gedrängt wird *). D ies führt dann immer tiefer in psychologische Erklärungen, aber der Verfasser ist nahe daran, die erbliche S ün de in dem Seelenleben der Einzelnen sich erzeugen zu lassen, während sie doch vor aller Entwicklung schon vorhanden sein soll. W ir unsererseits haben zwar Nichts dagegen einzuwenden, wenn die Erbsünde als die w e r d e n d e Macht der S ün de aufgefaßt w ird, wir verhehlen uns aber auch nicht, daß die kirchliche Form des D o gm a's, welches dieselbe für etwas schlechtweg S e i e n d e s und zu') M an Bergt, die schwankenden Bestimmungen üb. IIT, cp. 3. §. 15— 17. 2) Ibid. cp. 2. §. 20. Pugna rationis et appetitus sensitiv! non in eo, quod partes inferiores cum superioribus pugnent, ut sebolastici doctores sentiunt, nee in eo, quod voluntas cum motibus corporis colluctetur, quae Cartesii cst scntentia, sed in eo consistit, quod ipsa voluntas velut secum ipsa luctatur, dum hinc a rebus corporeis — illinc a ratione in diversas partes trahitur.

Erklärung der Erbsünde bei BuddeuS.

155

gleich Natürliches und S ündhaftes erklärt, damit nicht bestehen kann. Gleich darauf ist der Dogmatiker aberm als in Verlegenheit. E s soll stehen bleiben, daß die S ün de Adams durch das M edium der natürlichen Fortpflanzung erblich geworden: allein die Art der Uebertragung hat große Schwierigkeit, da die traducianische An­ sicht dem Wesen der Seele zu widersprechen scheint, die creatianische aber zu der Vorstellung einer unreinen Erschaffung oder einer körperlichen Ansteckung, — Beides unvereinbar mit der G e­ rechtigkeit und G üte G o tte s, — h i n t r e i b t D a h e r muß der M odus des Nebergangs auf sich beruhen, und w ir haben uns nur im Allgemeinen an das Wesen des Natürlichen zu halten, wel­ ches durch Zeugung sich selber wiederholt, also eine empfangene innere Verschlechterung in gleicher Q u alität fortpflanzt. D as an­ geerbte S ündhafte würde nun lediglich als Uebel und Elend er­ scheinen, wenn sich nicht der erste Mensch zugleich als B undeshaupt betrachten ließe, von welchem das nachfolgende Geschlecht mit der S ün de auch deren Schuld und Strafbarkeit empfängt. Nach zwei S eiten also ist B u d d e u s schon auf dem W ege, den dogmati­ schen B ann zu überschreiten, indem er sich zugleich gewisse Neben­ bestimmungen der Bew eisführung erläßt; doch lenkt er bei Zeiten wieder um. Zuletzt behalten w ir wieder die wesentlichen Bestim­ mungen der kirchlichen Lehre in Händen, und sie werden verfochten gegen die A rm inianer, welche die habituelle S ü n d e auö dem n a­ türlichen Ueberwiegen des Thierischen ableiten, das jede menschliche Entwicklung störend begleitet, gegen B a y l e , welcher die Annahme des S ündenfalls theils mit der W illensfreiheit theils mit der göttlichen Gerechtigkeit und G üte in Widerspruch setzt, und selbst gegen Lei bni t z, wenn er dem sittlichen Uebel in der Vollkommen­ heit der W elt seine S telle anweist *2) . M an fühlt jedoch, daß von den bekämpften Abweichungen E tw as in der Seele des D ogm a­ tikers haften geblieben ist. D a s Förderliche seiner Auseinander') Ibid. §. 24. p. 587. 2 ) Ibid. p. 6 4 5 — 49. Bestritten wird hier auch die kritische Schrift von Daniel Witby, Tractatus de imputatione divina peccati Adami posteris ejus univeieis in reatum etc. Lond. 1711.

156

Sechstes Buch.

Dritter Abschnitt.

setzmig finden wir darin, daß Erbsünde und Thatsünde durch psy­ chologische Gesichtspunkte einander angenähert und die erstere aus dem B egriff des bloßen H abitus und der an sich seienden Q u a li­ tät mehr in den eines W erdens gezogen w ird. F rüher wurde erwähnt, daß die reform irte Bundestheorie in vereinfachter Form auch unter den Lutheranern Aufnahme gefun­ den hat. Auch B n d d e u s bedient sich dieser Vorstellung und stellt Christus als M ittler eines Gnadcnbündniffes hin, welches die ganze T rinität vergegenwärtigt; und wie schon P u f f e n d o r f von diesem Punkte aus gegen die absolute G nadenw ahl operirt hatte: so weist auch er nach, daß in dem Rathschluß des V erleihers Nichts weiter enthalten sein dürfe, als w as der V ertrag fordert, G laube und heiliger W andel als Bedingungen des rechtmäßigen Antheils an den verheißenen G ütern des ewigen Lebens; durch jede Verengung oder anderweitig hinzutretende Beschränkung des göttlichen W illens leidet das in der Id ee eines B undes gegebene Gleichgewicht D aß B u d d e u s den modernen Einflüssen sich nicht verschlie­ ßen w ill, daß er das W ahre des P ietism u s in höherem G rade als H o l l a z anerkennt, davon treten uns noch mancherlei Beweise entgegen. S a g t er doch geradezu, die Lehre Christi werde nicht w ahrhaft v e r s t a n d e n , wenn sie nicht auch g e ü b t werde, wenn w ir uns nicht bemühen, durch sittliche und religiöse Verähnlichung das B ild des Herrn in uns wohnhaft zu machen; mit Unrecht haben Viele das Wissen und Verstehen von der praktischen Aneignung unabhängig machen wollen. W enn der heilbringende G laube au s den bekannten Stücken Wissen, Beistimmung und V ertrauen besteht: so fügt B u d d e u s absichtlich zu dem assensus generalis noch einen specialis hinzu, di h. einen Act subjectiver Betheiligung, welcher au s der abstracten W ahrheit erst die lebendige Beziehung auf den Gläubigen selber herausnim m t. Niemand ist ein G lä u ­ biger, der es nicht gleichsam zu eigenem B edarf sein will 2) . S o >) Ibid. lib. IV, cap. 1. p. 657 — 71. a) IV, cap. 3. §. 7. 15. Scd specialis in super requiritur, quo quis firmiter quae generatim de gratia D e i -------scriptura s. tradit, ita ad se quoque

Einfluß des Pietismus auf BnddeuS.

157

weit ist es richtig, daß nur der W iedergeborene der rechte Theo­ loge sei, als wir die innere Wirksamkeit des religiösen Verständniffes mit zu dessen W ahrheit zu rechnen die Berechtigung haben. Ebenso absichtlich wird das „ g e is tlic h e L e b e n " mit dem G l a u ­ ben selber in E ins gesetzt; denn soviel soll man doch von der neueren Schule gelernt haben, daß es diesem nicht erst folgt, son­ dern angehört, und wiederum daß die Erleuchtung nicht das P riu s des G laubens sondern dessen integrirendcr Theil ist. Auch die W iedergeburt wird daher nicht von der Erleuchtung angeführt, sondern anthropologisch betrachtet kommt sie in und mit dieser erst zu S tan d e, wie die V ernunft in und m it dem W illen, nicht immer v o r diesem, für das Göttliche gewonnen wird ') . Nach Beseiti­ gung der falschen Theilungen soll die ganze H cilslehre, welche noch H o l l a z mit orthodoxer Künstlichkeit vorgetragen hatte, eine weit einfachere Gestalt erhalten. B u d d e u s nimmt nur z w e i H aupt­ stadien an, das des E i n t r i t t s in das christliche Wesen und das andere der freien F o r t b e w e g u n g in demselben. D a s erste ent­ hält die W i e d e r g e b u r t , welche, indem sie den Glauben erzeugt und durch ihn die Rechtfertigung und Aufnahme in die Kindschaft herbeiführt, sachlich mit der Bekehrung zusam mentrifft*23) . Auf dieser S tufe erscheint der Mensch vom Standpunkt der göttlichen Wirksamkeit aus betrachtet zwar als E m pfänger, sein subjektives Verhalten aber ist desto weniger ein bloß passives, da er ja ein D a r­ gebotenes ergreifen und an der nothwendigen Bewegung und Akti­ vität des G laubens selber T heil haben muß 3) . I n der Rechtpertinere credit. — M ortu a itaque fides est ( m an denke an diese schon von S p e n e r aufgestellte K ategorie) , quae adsensu divino et vera fiducia destituitur. *) cp. 3. p. 884. Unde sequitur, non posse aliquem regencratum dici ratione intellectus, nisi et ratione voluntatis idem sit regenitus. V ergl. über diesen P unkt auch Buddei Instit. theol. mor. I, cp. 1. sect. 2. §.40 — 53. 2) Ibid. p. 928. Cum regeneratio in fidei productione consistat et si rem ipsam spectes, a conversione non differat. 3) Ibid. p. 949. 974. 75. ln fide omnino actio quaedam concipienda, cum meritum Christi adprehendat. Jam vero adpreliendere, adplicare, suuin facere sunt citra controversiam actiones. — Qui fidem active se habere negant, id saltem spectant, quod ad ipsam justificationem ceu actio vel opus aliquod non concurrat, et id quidem recte se habet.

158

Sechster Buch.

Dritter Abschnitt.

fertigung ist der M odus einer Verleihung, in welcher sich Em­ pfangen und Thun berühren, ausgedrückt, und wenn das ältere Dogma diesen Act aus zwei Stücken, Nichtanrechnung der Sünden und Uebertragung der Gerechtigkeit Christi bestehen läßt: so macht B u d d e u s die gute Bemerkung, das Letztere gehöre nicht in die F orm der Justification, welche ja schon auf dem Grunde des Ver­ dienstes Christi beruhe D ie Rechtfertigung sei also nur B e­ gnadigung oder Lossprechung des Sünders a u f G ru n d des Ver­ dienstes Christi, wodurch das Dogma offenbar faßlicher wird. Denn dann ist Rechtfertigung wirklich ein Act freier Gnade, welche den Sünder wohlgefällig annimmt und annehmen kann, weil er mit dem Glauben auch den Keim einer neuen Gerechtigkeit in sich trägt; das Verdienst Christi aber ist der grundlegende Wendepunkt, welcher die Gnade gleichsam sich selber zurückgiebt und von der unnachsichtlichen Forderung des Gesetzes erlöst. D a s zweite S ta ­ dium begreift natürlich die H e i l i g u n g , und in ihm werden die Bedingungen eines stetigen alle Geisteskräfte des Menschen durch­ dringenden Fortschritts im neuen Leben umfänglich zur Geltung gebracht. Dem ganzen Lehrstück aber gab diese Behandlung einen einfacheren Charakter. E s muß uns genügen, Stellung und Verdienst dieses Theo­ logen aus solchen Einzelnheiten erkannt zu haben. Verglichen mit H o l l a z führt uns B u d d e u s einen Schritt weiter; durch ihn ist eine gemilderte kirchliche Dogmatik in den ersten Jahrzehnten dieses Jahrhunderts eingebürgert, die analytische Methode fortgeführt, die reformirte Bundesvorstellung mit Glück zu Hülfe genommen worden. Seine vielerlei kleinen Zugeständnisse gelten meist dem Pietism us und betreffen die Anthropologie und Soteriologie, ganz besonders die tiefere Erfassung des religiösen W illens. S ie machten es diesem Standpunkt möglich, ein allmähliches Fortgehen mit den Bedürfnissen der Zeit zu vermitteln. Conservative friedliche G ei­ ster, bereit auch von Andersdenkenden zu lernen, aber auch zähe genug, nicht ohne Noth das Ueberlieferte aufzugeben, haben sich ) Ibid. p. 975.

BildbeuS und Pfaff als Dogmatiker.

159

ihm in großer Z a h l zur S e ite gestellt, und in ihm keimte die E r ­ kenntniß, daß was er selber Ketzerei und verderblichen Ir r th u m nannte, sich weit leichter verdammen als entbehren lasse, w eil es zur allseitigen Untersuchung des W ahren die wichtigsten Dienste leiste.

E r wollte die Theologie

nicht verleiden sondern fü r sie

einnehmen, weshalb er den Gedanken a u s fü h rt, daß von ih r die höchsten, wundervollsten und schönsten Züge menschlicher und gött­ licher D in g e der Betrachtung nahe gebracht w e r d e n —

Auch

C h r is to p h M a t t h ä u s P s a f s ist als D ogm atiker nennenswerth, die wissenschaftlichen Tugenden der Umsicht und K larheit und die sittlichen des Freimuths und der Bescheidenheit finden sich in sei­ nem dogmatischen Hauptwerk *) wieder, welches auch den S to ff der M o r a l und

schätzbare

dogmenhistorische Ercurse einschaltet.

D as aber unterscheidet ihn von jenem, daß er mehr die confessionelle E rw eiterung sich zur Aufgabe stellte; und wie B u d d e u s an den Unionsversuchen keinen T h e il nahm : P ietism us nicht das W o rt geredet.

so hat P f a f f dem

Beide Interessen hielten sich

noch jetzt in ihrer Verschiedenheit fest, und bald sollte in B e n g e l ein Freund des einen, nämlich des pietistischen, sich als Gegner der synkretistischen Richtung darstellen. —

Am Wenigsten geschah

noch fü r die Bearbeitung des Biblischen innerhalb der D ogm atik etwas Gründliches, doch machte C h r is t ia n

Eberhard W e is ­

m a n n in Tübingen den A nfang, die dogmatischen Beweisstellen genauer zu erklären,

während er das Theoretische zugleich

m it

praktischen Erläuterungen verband 3) , 1) Buddei Commentatio de eo quod in theologia pulchrum sit, Jen. 1725. Z u nennen ist auch noch Ejusd. Compendium institutionum theol. dogmaticae

brevioribus observationibus illustratum, Lips. 1724. 31. An Budde schließt sich ungefähr an J. F. Burgii Institt. theol. theticae, Vratisl. 1738, s. Uusch. Nachr. 1741, S . 72.

2) Pfaffii Institutt. theol. dogin. et moralis, Tub. 1720. Francof. 1721, im Auözug Aphorismi theol. dogm. et moralis, Tub. 1723 (Lilienthal, theol. B ibl. I , S . 487).

Auch der Vater des Genannten, Johann Christoph Pfaff

in Tübingen, schrieb Einiges für Kirchenrecht und Dogmatik: Dogm ata prote-

stantium ex jure Canonico et conciliis deducta, Tub. 1712, Ejusd. Sylloge quaestionum theologicarum denuo tritiorum, Alt. 1720. 3) Weismanni Institt. theol. exegetico- dogmaticae, Tub. 1739.

160

Sechstes Buch, Dritter Abschnitt.

II. D ie W ö lfis c h e S c h u le . H atte B u d d e u s mit seiner Dogmatik die gerechte» F orde­ rungen des P ietism us befriedigen wollen: so gaben Andere bald darauf denen der neuen Philosophie nach. D er Einfluß der W ölfischen M ethode auf die Theologie ist durch den Hallischen S tre it und die V erdam m ung ihres Urhebers eher gefördert als gehemmt w orden; er läßt sich etwa von 1730 an durch mehrere Decennien verfolgen und ist für die Lutherische Lehrform, die sol­ chen Eingriffen bisher widerstrebt hatte, mindestens ebenso wichtig geworden als der des Cartesianism us für die reformirte. I s r a e l G o ttlo b C a n z , J a c o b C a rp o v , B e r n h a r d B ilf in g e r , P e t e r R eu sch , G . H a n sc h , G . H. R i b o v , I . E . S c h u b e r t bilden eine Schule von abhängigeren oder freieren W olfianern, und Manche wie J o h a n n G u s ta v R ein beck folgten im Allge­ meinen dieser Richtung, deren P arteinam en sie von sich wiesen. Auf reform irterSeite sind B e r s a n , S t a p f e r und W y tte n b a c h als Anhänger zu bezeichnen, und unter den Bestreitcrn stehen C h r i s t i a n A u g u st C r u s i u s in L eipzig') und die Fortsetzer der Unschuldigen Nachrichten voran. E s kann auffallen, daß eine Philosophie, die im Kampfe mit religiöser Beschränktheit ein so starkes Selbstgefühl entwickelt hatte, sich von ihren Freunden meist so conservativ zum dogmatischen G lauben stellen ließ: allein ganz abgesehen von W o l f 's persönlicher Frömmigkeit w ar dies die B edingung ihres allgemeineren öffentlichen W irkens. W ir haben bereits darauf hingewiesen, daß gerade die Orthodoxie mit dem W vlfianism us E in wichtiges Interesse gemein hatte. D er den­ kende Geist des Z eitalters hatte eine doppelte Richtung eingeschla­ gen; er wollte entweder aus der W ahrheit der V ernunft die G rundlagen der Erkenntniß gewinnen oder schöpfte sic aus E r­ fahrung, er entwickelte sich als R a t i o n a l i s m u s oder a ls E m E) V ergl. dessen S c h r ifte n : Praecipua cognoscendae veritatis obstacula, Lips. 1737. De usu et limitibus principii rationis determinantis vulgo sufficientis, ibid. 1743. De corruptelis intellectus a voluntate pendentibus, ibid. 1740.

Religiöser Empirismus und Rationalismus.

p ir is m u s .

161

A u f dem philosophischen Gebiet ist dieser Gegensatz

der Systeme längst anerkannt und vielfach durchgeführt, au f dem religiösen, wo er gleichfalls stattfindet, ist er zu wenig beachtet worden.

D er P ietism us ist ein religiöser E m p i r is m u s , wel­

cher den wahren Glauben seiner innersten N a tu r nach erfahren, genießen und erleben w ill.

D ie Orthodoxie behauptet sich ihm

gegenüber in der Strenge des b e g r if f lic h e n D e n k e n s u n d d e r D e fin it io n ,

sie stellt jeder subjectiven E rfahrung eine objective,

auf sich selbst d. h.

auf der

Offenbarung

ruhende Gewißheit

v o ra n , ist also Jntcllectnalism us oder, wenn man den Ausdruck gestatten w ill, R ationalism u s.

Im

Gegensatz zu der Hallischen

Schule w ar jenes einseitige Dringen a u f theologisches Wissen und scharfes Feststellen des Glaubens auf's Neue befestigt worden, moch­ ten dann auch die praktischen Endzwecke der Theologie nach wie vor anerkannt bleiben.

B e i dieser Sachlage w a r es natürlich, daß

in dem dargestellten S tre it die Theologie des religiösen E m p iris ­ mus vollständig

m it der Wölfischen Philosophie brechen mußte,

während die andere durch die wissenschaftlichen und methodischen Tugenden der letzteren sich eher angezogen finden konnte.

D ie

Möglichkeit einer solchen Wendung scheint sich frühzeitig in ein­ zelnen öffentlichen Urtheilen anzukündigen.

Löscher rühmte 1710

die eben erschienene Theodicce als ein artiges den Meister loben­ des Werk und ein cornu copiae von allerhand schönen Anmerkungen,' das um so mehr B e ifa ll verdiene, da in ihm das stoische und türkische Fatum vortrefflich widerlegt und B a y l e ' S Behauptungen von dem wahrhaften Widerspruch der V e rn u n ft wider den Glauben siegreich entkräftet würden

B a ld

nachher

äußerte umgekehrt

L e i b n i t z von L ö s c h e r ' ö „theologischen P rä n o tivn e n " daß er sie m it B e ifa ll

gelesen und ihre Tendenz m it

den Absichten seiner

Thevdicee meist in glücklicher Uebereinstimmung finde. W olf

wurde Lösc her ,

ebenfalls gerühmt.

Zwar

der

Gegner seines bittersten

Und von Feindes,

sollte diese gegenseitige Achtung nicht

fortbestehen, denn Löscher sah späterhin der sicheren Ausbreitung der neuen W eltw eisheit m it steigendem Bedenken zu, bis er in !) Unsch. Nachrichten, 1710, S. 405). Gesch. d. Protest. Dogmatik I I I .

Sechstes Buch.

162

Dritter Abschnitt.

einer Reihe von Aufsätzen der Jahre 1735 — 39 seinem Herzen Luft machte. D ie Anklagen des B u d d c u s werden hier in geschickter Weise

aufgenommen;

Löscher

v e rw irft

den

O ptim ism us

der

Weltbetrachtung, w eil derselbe weder den Verlust einer größeren V o ll­ kommenheit der W elt anerkenne, noch die Aussicht in ein höheres Jenseits offen lasse; er bestreitet die schroffe Durchführung eines Mechanismus

der Ursache», welcher der Vorsehung allen Raum

entziehe, nicht minder den processus in Infinitum, w eil er zur A n ­ nahme einer ewigen W e lt fü h rt, und zeigt die Gefahren, welche in der philosophischen Lehre vom Gewissen als einem Triebe zur Vollendung liegen.

J a er sagt gerade zu,

daß die geoffenbarte

R eligion sich überhaupt m it keiner Philosophie recht vertragen könne, am Wenigsten m it einer solchen, welche sich selbst genug a p rio ri ein Gebäude der Erkenntniß aufzurichten oder aus dem P rin c ip deS zureichenden G rundes Alles zu begreifen den Anspruch macht Löscher greift

also

die Sache an der W urzel

an;

indem

er

jedoch die besondere Richtung der L e i b n i t z i s c h - W o l f i s c h e n P h i­ losophie vor Augen hat, geht er zugleich soweit, das P rin c ip des Id e a lis m u s überhaupt anzutasten und als unverträglich m it den Voraussetzungen der Theologie zu bezeichnen,

eine Behauptung

die sich dogmenhistorisch nicht durchführen läßt.

Aber solche W a r­

nungen konnten den eingedrungenen Feind, der Vielen schon ein Freund zu werden versprach, nicht mehr bannen.

D ie methodische

Verwandtschaft der W ö l f i s c h e n Lehre m it den doktrinären Formen der Theologie mochte selbst Löscher nicht ableugnen, und die p rin ­ cipielle Frage nach dem Recht der Philosophie wurde durch deren thatsächliche Brauchbarkeit

und

durch

das

dringende B edürfniß

einer gründlicheren philosophischen B ild u n g zurückgedrängt. D e r allgemeine E in flu ß des W olfianism uS auf die Theologie ist leicht erkennbar.

D a s materielle S tu d iu m

hat derselbe nicht

gefördert, denn die Anhänger dieser Schule sind schlechte Eregeten und Historiker gewesen, aber er hat a u f die wissenschaftliche Construction des Christenthums und der Theologie aufklärend und in

) Engelhardt, Val. Löscher, S . 281 ff.

Theologischer WolfianismuS.

163

mancher Hinsicht auch fruchtbar eingewirkt als eine Wcltweisheit, welche G ott und Welt in ihrem Grundverhältniß verstehen lehrt. Die allgemeinen religiösen und sittlichen Wahrheiten umfaßt sie m it Liebe, die besondern Glaubenssätze läßt sie gewähren.

Die

einleitenden Untersuchungen der Dogmatiker gewinnen an Schärfe und Gründlichkeit, die Lehren von G ott, den göttlichen Eigen­ schaften,

der Vorsehung

und Unsterblichkeit gehen stark in

die

B reite, der Kosmologie und Anthropologie werden neue und von der bisherigen Ueberlieferung unabhängige Betrachtungen zugeführt. Wurden diese M itte l in christlichem Interesse verwendet: so erhielt dadurch die A p o lo g e tik , eine D isciplin die lange geruht hatte, neuen Anstoß l) , und das Christenthum vertheidigen hieß soviel, als es in seiner vernünftigen Haltbarkeit begreifen und darlegen. M it

dieser w issen scha ftliche n

andere ethische.

Die

Einwirkung

verband sich eine

christliche Lebcnsansicht e rh e ite rte sich,

der Optimismus lichtete die Schatten, welche auf der theologischen Beurtheilung der irdischen Dinge geruht hatten. Und was der Optimismus beleuchtet hatte, lehrte der Satz vom zureichenden Grunde im Einzelnen erklären und herleiten. Nichts ist von sich selber, Alles muß Zeugniß geben von einer der höchsten hervor­ bringenden Ursache würdigen Zweckmäßigkeit.

Wie mühsam, aber

auch m it welcher Kleinmeisterci alle Theile der Natur von diesem Gesichtspunkt aus und zwar im theologischen Interesse durchge­ mustert wurden, davon haben w ir aus den Jahren 1740 und folgenden die schlagendsten Beispiele vor Augen.

Die Vögel sind

ein Meisterwerk der Schöpfung, ein Stück des yvwozov zov &eov, wie in der Vögeltheologie von I . H. Z o r n des Genaueren nach­ gewiesen w ird. Gleichermaßen empfangen die Jnsecten, die Muscheln, die Steine, die ganze Arche des Noah ihren theologischen Com­ mentar, und Neinbeck hat in seine Betrachtungen über die Augs­ burgische Confession ein ausführliches astronomisches Kapitel auf* ) Apologetische Schriften treten von nun an in größerer Anzahl auf, wie die von G . O learins, Pieletns, T n r r e tin , I . Bernard (V o n der Vortrefflich­ keit der christlichen Religion, aus d. gran$. Nndolst. 17 2 0 ), Cbr. Kortfeld, I . E. Schubert, Henke n. A.

Conf. W alch , Bibi, theol. I, p. Bol.

164

Sechstes Buch.

Dritter Abschnitt.

genommen ') . D ie W elt als großartiges Kunstwerk erlaubt und erfordert eine unendliche Zergliederung, und doch ist sie nur zu­ fällig, nur der bestgewählte Ausdruck des Nothwendigen und Absoluten. Als ein Geschaffenes hängt sie unwidersprechlich an G ott und zeugt von ihm in ihrem D a s e in , während sic in ihrer B e w e g u n g sich selber zu folgen scheint. D ie Bew underung des W eltalls in seiner kunstvollen Herrlichkeit w ar ein auch für die Theologen wohlthätiges P a th o s; ein frischer, freier Natursinn wurde zur Begeisterung angeregt, wenn er im Kleinen das G roße und Ganze w iederfand: dem zergliedernden Verstände dagegen blieben stets nur die T heile, nur die nächsten Nützlichkeitsgründe in der H and, und man w eiß, daß diese Anatomie alle großartige Naturanschanung verflacht und entgeistigt hat. M an gewöhnte sich an den Kanon der Zweckmäßigkeit und gelangte zu den naivsten Gemeinplätzen, wie etwa daß der S atz: es ist ein G ott, in der W elt eine höchst nöthige und nützliche W ahrheit sei, daß die christ­ liche Offenbarung aus zahlreichen Gründen wünschenöwerth und wohlthätig erscheine. D as wissenschaftliche Verhältniß der Philosophie zur Theo­ logie *), wie es von C a n z , C a r p o v , L u d o v i c i setzt entwickelt w ird, ist ähnlich dem des Cartesianism us ein V erhältniß des Gleich­ gewichts. Zunächst wird der Offenbarung gleichsam ihr Pensum vorgeschrieben. S ollen ihre M erkmale dem Zweck entsprechen: ') I - H- Zorn, P e tiiio .Theologie oder Versuch, durch nähere Betrachtung der Vögel zur Bewunderung, Liebe und Verehrung ihres Schöpfers aufzu­ muntern, mit einer Vorrede von I . P. Renschen, Pappenh. 1742. 2 B de, eine vollständige und mit mancherlei seinen Beobachtungen ausgestattete Naturbeschrei­ bung der Vögel. Ebendahin gehören William Derham, Astrotheologie und Physicotheologie, Fabricii Pyrotheologie und Hydrotheologie, Lesser'ö Lithotheologic, Insectotheologie, Testaceotheologie , Rohr s Pbytotheologie , Alles aus den genannten Jahren. Andere Schriften, z. B . von den Absichten Gottes bei Darstellung der Blumen und den daher entstehenden Pflichten der Menschen, s. bei Ludovici, Neueste Merkwürdigkeiten der L. W.'schen W eltweisheit, Frks 1738, S . 201— 301. s ) Vgl. hes. Isr. Theoph. Canz, Philoaophiae uaus in tlieologia, Francof. et Lips. Edit. nova. Ejuad. Compend. tlieol. purioria Tubing. l 752, 50. Ejusd. Aduott. ad comparandam tbeol. puriorem, Tubing. 1757.

so muß sie solche Stücke des göttlichen W illens kundthun, die N ie­ mand au s bloßer V ernunft ersinnen kann, und zwar sehr wichtige D inge, nicht Kleinigkeiten, deren M ittheilung den Lauf der N atu r ohne Noth unterbrechen w ürde; und sie darf zweitens dem schon anerkannten In h a lt der V ernunft und des W illens G ottes nicht zuwiderlaufen. „W ie G ott dem menschlichen Körper zwei Augen geschenkt: so hat er auch die Seele mit zwei O rganen, V ernunft und G lauben begnadigt; keines von beiden darf verachtet werden, wenn man nicht die M ajestät G ottes beleidigen w ill." Auch die V ernunft ist O ffenbarung, sie giebt Rechenschaft von dem, w as G ott in den menschlichen Geist gelegt. Ein S tre it derselben wider das historisch Offenbarte w äre nur ein Widerspruch G ottes mit sich selbst; der G laube an die innere Uebereinstimmung dieser E r­ kenntnißmittel ist besser begründet als die übereilte Entscheidung nach der einen oder andern S eite. E s w ar nicht schwer, diese allgemein hingestellten Behauptungen nachzusprechen, aber indem man sie weiter verfolgte, mußte das angenommene Gleichgewicht wieder in eine Unterordnung der V ernunft übergehen, die jedoch keinen unlösbaren Widerspruch enthalten sollte. D a ra u s ergab sich die bekannte Unterscheidung des U e b e r v e r n ü n f t i g e n und W i ­ d e r v e r n ü n f t i g e n , eine Ausgleichung der V ernunftw ahrheit m it dem Vorrechte der Offenbarung *). Schon im vorigen Ja h rh u n ­ dert w aren M änner wie M u s ä u s der Ueberzeugung gewesen, daß durch den Glauben die menschliche Vernunft nicht geknechtet, sondern nur im Bewußtsein ihrer Schwäche erhalten werde: jetzt aber wandten sich die meisten denkenden Theologen und alle W olfianer entschieden davon a b , einen Widerspruch der n a ­ türlichen Erkenntniß gegen die positiv mitgetheilte im P rincip J) Ganz, Philos. usus etc. cp. 1. De harmonia rationis cum revelatione.

D ie V ern u n ft ist Einsicht in den Zusam m enhang der W ahrheiten, vernu nftge­ m äß also, w a s a n s den erforschten W ahrheiten der Philosophie oder dem n a tü r ­ lichen D enkverm ögen m it Sicherheit hervorgeht, v er n u n ftw id r ig , w a s dem schon Erkannten schlechthin widerspricht, w ährend S ä tze, die zw ar nicht a u s den n a tü r ­ lichen W ahrheiten erhellen, diesen aber auch nicht entgegenstehn, a ls übervernünftig oder die V ernnnst übersteigend angesehen werden m üssen, w eil sie auf einen höheren U rsprung zurückweisen.

166

sech stes Buch.

D ritter Abschnitt.

für möglich zu halte», und selbst die Pietisten hatten die Vernunft zu oft im M unde geführt, um sic gering zu achten. O ffenbar wurde die Kategorie des Uebervernünftigen im Interesse der V er­ nunft selber aufgestellt, und sic verhält sich zu der andern des Uebernatürlichen wie das Subjective zum Objectiven. Jenes deutet auf einen unendlichen Gegenstand des D e n k e n s , dieses, wie es von B a u m g a r t e n besinnt w ird, bezeichnet eine E r s c h e in u n g , die zwar innerhalb der endlichen W elt hervorgetreten, doch ihren hinreichenden G rund unm ittelbar in G ott h at, also nur aus einer eingreifenden göttlichen Wirkung sich erklärt. Aber wie das Uebernatürliche der N atu r ähnlich ist: so hält sich das Uebervcrnünftige in der Verwandtschaft der Vernunft, statt ihr spröde und feindlich entgegenzustehn. C a n z , der eifrige W olfianer, bemüht sich, diese Distinction sowohl gegen H u e t i u s , den Verächter natürlicher Wissenschaft, als auch gegen B a y l e , den Skeptiker, zu vertheidigen. D er Letztere will von keiner Vermittelung wissen; denn wenn m an, behauptet er, dabei eine abstracte und absolute V ernunft im S inn e habe: so müsse für eine solche a lle W ahrheit offen liegen und jeder Unterschied deö W ider und Ueber hinweg fallen; denke man aber an die bekannte menschliche: so werde diese Alles, w as sie übersteigt, auch ihr widerstrebend und entgegen­ gesetzt nennen müssen. Allein es ist nicht an dem, daß jede I n ­ kongruenz dem absoluten Widerspruch gleichsteht, da sie ja auch in der bloßen Unzulänglichkeit des auffassenden O rg ans ihren G rund haben kann. W enn ferner B a y l e bemerkt, die Unterscheidung sei lediglich der Mysterien halber ersonnen, welche doch nur darum Mysterien seien, weil sie ohne Rücksicht auf ihr Verhältniß zum Denken dem Glauben allein dargeboten w ürden: so sei das zwar einzuräumen, aber cs schließe doch keineswegs au s, daß die V er­ nunft auch mit diesem Gehcimnißvollen eine innere Verbindung suche und es wenn nicht zu begreifen, doch im Allgemeinen anzu­ erkennen und gegen unberechtigte Angriffe zu vertheidigen sich bemühe ’)♦ *) Canz, 1. c. cap. 1. Conf. Carpov, Theol. revel. I, p. 20 — 22. Veritas supra rationem est, quae ox principiis rationis cognosci nequit, at contra

An sich ist die Kategorie des Uebervernünftigen durchaus nicht sinnlos noch w illkürlich, sie hat ihre gute S telle in aller Theologie, wo es sich um absolute Größen handelt, um unendliche, welche die V ernunft zwar fassen aber nicht erfassen kann.

Schwierig wurde

sie erst in der Anwendung auf das strenge und eomplicirte Dogma, und hier blieb B a y l e unwiderlegt wenn er sagte, daß das supra

ralionem zum contra rationem werde.

A lle in auch zu diesem ver­

hielt sich die Theologie nicht mehr einfältig glaubend, schon zu viele Denkbestimmungen

sie hatte

eingemischt, um der V ern u n ft

allen Zugang zu dem In h a lt des Dogm a zu verschließen, und die W o lfia n cr dursten dies am Wenigste».

Folglich geht der S in n

der ganzen Aufstellung dahin, daß V e rn u n ft und Offenbarung durch eine innere Ebenmäßigkeit verbunden werden,

welche stärker sei

und mehr G ültigkeit habe, als die etwanigen (conlingentes) unter ihnen hervortretenden Widersprüche.

Und diese Auffassung w ar

religiös betrachtet wohl berechtigt, fü r die Wölfische Schule aber, wenn sie ih r Interesse an der natürlichen Theologie nicht aufgeben wollte, unentbehrlich. Anläufe F o rm ,

eines dem

S ie gewährte Schutz gegen die feindseligen

B a yle ,

sie

wissenschaftlichen

diente Denken

aber

auch

eine

digkeit innerhalb der Theologie zu sichern.

als

schonende

größere

Selbstän­

Denn nunmehr wurde

weiter und richtig gefolgert: es giebt nur Eine V e rn u n ft, diese ist im Menschen au f endliche Weise gesetzt. Wiedergeborenen

werden

und

Auch in dem

keine neuen Denkgesetze, noch andere

Fähigkeiten des Urtheilcns und Schließens erzeugt

der Unter­

schied kann lediglich in den zufälligen Bewegungen des Denkens liegen, welches von allerhand Fehlgriffen und voreiligen Annahmen rationem esse d ic itu r, quod principiis rationis repugnat seu contradicit. — E x ipso contradictionis principio patet, vcritates contrarias esse non posse. — Ne pro ipsa revclationc habeatur, quod non est nisi interpretis explicatio vel commentum.

Ne pro veritate rationis habeatur, quod talis non est sed

tantum placitum cujus dam philosophi.

Ne pro contradictione vera habea­

tur, quod nonnisi apparens est. *) G anz, 1. c. p. 32. Non gcneratur ergo nova ratiocinandi vis; ralis

natu-

illa veri perspicientia cxtollitur ad sublimiorem in fidei articujis

gnoscendis usum.

) Ev. Glaubenslehre mit einigen Anmerkungen, Vorrede und histor. Eiultg. herausg. v. I . S . Sem ler, Bd. 1 — 3. Halle 1759. 60. D ie Vorrede berichtet über die Herstellung der Ausgabe aus den durch M ag. Bertram besorgten Nach­ schriften (s. dessen Bericht Bb. I , S . 26). Auch einige eigene Handschrtsten B.'S sind benutzt worden, und jedem Abschnitt steht eine lateinische Thesis voran. a) Semler'» Lebensbeschreibung von ihn« selber S . 95 „Meine Blicke waren gleich­ sam in seine Augen geheftet, so oft sie auch ehrerbietig sich wieder zurückwandten. D er Dortrag erfüllte uns mit ganz anderen Empfindungen über so viele Sachen, wenn gleich unsere Liebe zu Knapp nicht abnahm, dem wir wieder eine wahre Seelengröße in anderer Abficht zutheilten.-- — E s verdient bemerkt zu werden, daß die Liebe zu Baumgarten's Schriften, wie ich aus Erfahrung weiß, auf manche Prediger und Theologen noch dieses Jahrhunderts übergegangen ist.

188

Sechste» Buch. Dritter Abschnitt.

Vorlesungen an L a n g e 's Oeconomia salutis oder F r e y l i n g h a u s e n 's „G ru nd legu ng " anzuknüpfen; auch verschmäht er die erbauliche Anwendung nicht, denn alle Abschnitte schließen ähnlich wie bei F r e p lin g H a u s e n m it den aus jedem Lehrstück fließen­ den „Trostgründen und Obliegenheiten." Allein diese oft treffend und geschickt, oft äußerst pedantisch ausgedrückten frommen E in ­ schaltungen können den strengen Charakter der Lehrentwicklung nicht ändern. D a s Ganze verläuft in einem überall wiederkehrenden vieltheiligen S chem atism us, der auf jeder S eite Nummern und Römische, griechische und hebräische Alphabete in Anspruch nimmt. W enig Kunstworte und Kategorieen, denn darin w ar die dogma­ tische S prache viel einfacher geworden, aber immer neue Unter­ abtheilungen, bei deren jeder es Z w ei-un d D reierlei zu bemerken giebt. Ein solcher V ortrag mußte sich vor den Augen der Zuhörer wie ein unübersehliches, doch aber die Sehkraft in jedem Augen­ blick beschäftigendes Feld entfalten. Definition, biblische Beweise, unterstützende G ründe, Schlußfolgerungen und paränetische Zusätze folgen au f einander und lassen das Exegetische, Dialektische, P h i­ losophische und Historische gleichmäßig in Betracht kommen. E in ­ gehende biblisch-theologische Erörterungen treten fast zum ersten M a l an die Stelle gehäufter Citate, und obgleich B a u m g a r t e n kein starker Ereget w ar: so macht er doch endlich einmal Ernst m it den sachlichen Forderungen der Untersuchung. W orin liegt nun die e in s e itig e Richtung des W erks? W ir finden sie gerade in dem ernsten B em ühe», nie einseitig werden, jedem Oberflächlichen oder Gew agten durch verständige Ausein­ andersetzung vorbeugen zu wollen. D er I n h a lt ist gegeben, der Lehrer aber will Alles an ihm verdeutlichen und sicher stellen. Theologie ist die geoffenbarte Lehre von unserem V erhältniß zu G o tt o d e r von der Vereinigung der Menschen mit ihm. D er letzte Zusatz weist auf das praktische Endziel, weshalb denn auch B a u m g a r t e n der a n a l y t i s c h e n O rdnung gewissenhaft treu geblieben ist Gleichwohl wird unter seinen Händen die Theo*) Glaubenslehre Bd. I , @. 5 ff. 96. Daher die Eintheilmig de» Ganzen: I ) Von dem Endzweck der ganzen Theologie, der finis objectiv ua ist Gott, der

Baumgarten'« System der Glaubenslehre.

189

logte immer nur zur Theorie und Lehre, und a ls solche um so faßlicher, je mehr sie das Vernünftige neben dem Geoffenbarten be­ rechtigen will und aus dem Einen in das Andere mit leichten Schritten übergeht. D ie natürliche Theologie ist darum noth­ wendig, weil aus ihr der vollständige Wiffenschaftsbeweis der Göttlichkeit der h. Schrift hergeleitet werden muß, weil selbst die Auslegung der letzteren auf eine der natürlichen Erkenntniß Gottes gemäße Weise anzustreben ist und ihr nicht widersprechen darf, weil endlich die Einschränkung und gehörige Bestimmung mancher Lehrsätze insonderheit bei gemischten Wahrheiten auf der Einsicht der natürlichen Theologie beruhet *). Darin hat der Verfasser gewiß Recht. Und fragen wir weiter nach der Offenbarung: so hat sie die V o r z ü g e theils der größeren Bequemlichkeit und leichteren Brauchbarkeit für Jedermann, theils der größeren Hinlänglichkeit zur Erreichung des Endzwecks, theils der untrüglichen Gewißheit über viele Wahrheiten, deren Kenntniß den menschlichen Willen bestimmen soll. Auch dies ist ganz verständig geurtheilt, zeigt aber doch, daß B a u m g a r te n ein q u a l i t a t i v e s Verhält­ niß von Vernunft und Offenbarung so wenig als seine Vorgänger sich klar gemacht hatte. E s bleibt unberücksichtigt, daß beide Größen ihrer A rt nach verschieden sind und daß die Offenbarung durch historische Erscheinungen in das Leben eingetreten, um sich dann innerhalb desselben als Lehre auszubilden; sie erscheint von vorn herein als Wissensquantum, welches mit dem Quantum des natür­ lichen Erkennens verglichen, dieses an Vollständigkeit und Sicher­ heit übertrifft. Ungefähr kommt diese Abwägung auf den Gedanken hinaus: die Vernunft oder natürliche Theologie ist gut, die ge­ offenbarte ist besser und gewisser, und das Richtigste liegt in der angemessenen Verbindung Beider. B a u m g a r te n ist vom kirch­ lichen Standpunkte der Dogmatiker einer v er stä n d ig e n und le h r finis formalis die Seligkeit des Menschen, aus deren Endzweck die übrige B e­ arbeitung und Znrechtbringung des Menschen abzielet. II) Von dem Subject der Vereinigung mit G ott, von dem Menschen; III) Bon den Gründen und M it­ teln dieser Vereinigung. ') Ebendas. I , S . 53 fs.

490

Sechstes Buch.

h a fte n Z w e c k m ä ß ig k e it.

D ritter Abschnitt.

E r gestaltet Alles zur faßlichen und

wohlbegründeten Lehre, er ist treulich überzeugt, daß deren gesammter In h a lt zur Bereinigung des Menschen m it G o tt hinführen s o lle , dazu aber auch dienen k ö n n e , sobald nur die jedem Lehr­ stück anhaftenden Trostgründe und Obliegenheiten beherzigt werden. D ie Ausführung des Einzelnen verräth ungemeine Sicherheit in der Beherrschung des S to ffe s.

In

den gemischten Wahrheiten

bewegt sich B a u m g a r t e n m it Scharfsinn, der aber auch in Nüch­ ternheit und Pedanterei ausartet.

D ie Eigenschastölehre wie bei

andern Wölfisch Gebildeten ist vortrefflich, a u f starkes Abstrak­ tionsvermögen gebaut und zur Entfernung alles Anthropopathischen und Endlichen aus dem Gottesbegriff e i n g e r i c h t e t D i e Eigen­ schaften Gottes unterliegen nach B a u m g a r t e n

einem dreifachen

Eintheilungsgrunde, aus dessen Anwendung sich scharfe Bestimmun­ gen ergeben.

S ie sind positiv oder negativ, ruhend oder über­

gehend, natürlich

oder moralisch;

hiernach die Ewigkeit positiv,

ruhend und natürlich, die Allwissenheit positiv, thätig und n atür­ lich *).

In

der Ewigkeit liegt unendliche D auer und Nothwendig­

keit dieser D auer, also Abwesenheit jeder inneren Aufeinanderfolge und doch zugleich Coeristenz m it aller zeitlichen Abfolge. V erhalten

In

dem

des Ewigen zu den zufälligen Dingen muß es fre i­

lich «in Früher und S p ä te r geben, das n u r zeitlich vorstellbar ist; dieses aber hat auch n u r in der Beziehung a u f das Endliche seine S te lle , verschwindet also an der Grenze des Zeitmaaßes, da es dem E w igen fü r sich allein nicht einwohnen kann.

S tillstand und

Ausdehnung scheinen in dem B e g riff des Ewigen zusammenzufal­ le n ; das Unbewegliche nim m t die Form eines Fortgangs an, w e il eö m it einer ihm gegenüberstehenden Zeitbewegung verglichen und vom Standpunkte derselben betrachtet werden soll. Dennoch drücken sich die Scholastiker nicht richtig a u s ,

wenn sie die Ewigkeit fü r

den schwebenden Punkt erklären, der Vergangenes und Künftiges z u s a m m e n f a ß t , sondern sie schließt ihrem Wesen nach dieseD if-

')

Glaubenslehre I , © .2 1 9 ff.

») Ebendas. S . 244. 281.

B aum garten's P rin c ip der Zweckmäßigkeit.

191

ferrnzen aus und w ird n u r relativ und gleichsam von Außen her durch das geheimnißvolle Wechselverhältniß einer zeitlichen und u n zeitlichen D auer in dieselben hineingezogen. DaS Positive der Ewigkeit besteht d a rin , daß sie die höchste Selbständigkeit Gottes bezeichnet, dessen Daseinsgrund er selber ist und bleibt.

D ie Allwissenheit

kann als unendliche K ra ft und Thätigkeit der Vergegenwärtigung gar nicht vollkommen genug gedacht werden; doch darf man dabei das Wissen nicht begrifflich überschreiten, zu dessen Wesen es ge­ h ö rt, die Dinge zu n e h m e n statt sie zu m a ch e n , so daß aus dem V orherw iffen ein nöthigender Einfluß niemals hergeleitet wer­ den kann. —

D ie Lehre von der Vorsehung

nebst den U nter-

abtheilungen der E rh a ltu n g , M itw irk u n g und Regierung erlaubte einem M anne wie B a u m g a r t e n , sich m it umständlicher B re ite zu ergehen.

H ie r kam neben dem Vermögen der Abstraction auch die

W e lt- und Naturansicht in 's S p ie l, welche, wie sie damals w ar, den empirischen Zusammenhang zu zerlegen und bis in 's Kleine zu verfolgen p f l e g t e D e r Schriftsteller w ill, daß man die V o r­ sicht weder deistisch verdünne, noch fatalistisch überspanne; von ihm selbst aber w ird sie verstandesmäßig zerstückelt und triv ia lis irt, w eil dem lieben G o tt alle seine Beweggründe nachgerechnet und alle Handlungsweisen vorgehalten werden. E r z ä h lt die Mittelursachen der Providenz und hält sich besonders an gewisse lebendige W erk­ zeuge, an Obrigkeiten, Hausväter, Lehrer; er weiß v ie r Ursachen, w arum G ott öfters das natürliche Leben der Fromm en, vier an­ dere weshalb er das der Gottlosen zuweilen verkürzt oder ver­ lä n g e r t').

Zweckmäßig sind diese Gründe gewiß alle.

l ) Ebendas. I , S . 7 8 7 — 79 1, wo m it pedantischer Pünktlichkeit die einzel­ nen Stücke des irdischen Daseins G o tt unter Aufsicht gestellt werden. z. B . :

Es heißt

„F olglich beschäftigt sich die göttliche Norsehung m it der Bequemlichkeit

sowohl als der unm ittelbaren N othdurst des Menschen, erstrecket sich auf alle be­ sonderen Theile und A rten der Bedürfnisse unseres gegenwärtigen Zustandes. — D ie E rha ltung ist nach dem jedesmaligen Gegenstände, der Beschaffenheit der Geschöpfe und ih re r gegenseitigen Verhältnisse eingerichtet, ohne unsern Leib u n ­ m ittelbar gegen die Beschwerden der W itte ru n g durch ein Wunderwerk zu ver­ w ahren." - ) Ebendas. S . 7 9 7 — 825.

192

Sechstes Buch. Dritter Abschnitt.

W enn also die allgemein religiösen Sätze oft allzusehr zurecht­ gebracht und in die gemeine Deutlichkeit der Dinge herabgezogen w erden: so w ar dagegen B a u m g a r t e n sehr geneigt, die speciell dogmatischen mit zarten Händen anzufassen. D as Geheimnißvolle des G laubens bleibt stehen und der Dogmatiker glaubt daran, so wie er sich von den schärfsten trinitarischen Unterscheidungen eigentlich Nichts erläß t; aber er glaubt nicht mehr ganz an die W ahrheit des W orts im Verhältniß zur Sache, die dogmatische S p r a c h e genügt ihm nicht. Namen wie U biquität werden als untauglich abgestellt, und von der Schöpfung aus Nichts sollte man nicht reden; selbst die Namen der Zeugung und des A us­ gangs des h. Geistes sind nur der bequemste Ausdruck für gewisse göttliche Handlungen und dienen dazu, das Unbegreifliche, wenn gleich der Vernunft nicht Widersprechende, durch analoge oder symbolische „ R e d en sarten " dem menschlichen Denken näher zu rücken ‘). D ie Kenntniß der T rinität muß natürlich wie alles Andere ihren Zweck haben, und zwar der Lehre von der ^Versöhnung wegen „ist sie zu offenbaren von G ott für gut befunden, um begreiflich zu machen, wie auf eine G ott anständige Weise diese Versöhnung durch ein gültiges Lösegeld geschehen sei." Solche Erklärungen brauchen w ir nur zu lesen, um den Abstand von den alten Zeiten zu empfinden, als das D ogm a wörtlich und sachlich gleich gesichert jede Frage nach der Nützlichkeit durch sich selber zu­ rückwies. I n der Christologie, welche die ganze Id io m en - und Ständelehre um faßt und alle propositiones personales mit größ­ ter Genauigkeit durchgeht, finden w ir den Fortschritt d arin , daß der B ew eis der M essianität Jesu gründlicher geführt und dadurch die biblischen Begriffe mehr zu ihrem Rechte gebracht werden *2) . Häufiger können in den Lehrstücken der Anthropologie und S o te*) Ebendas. S . 604. 464. 470. S ta tt der früheren Ueberladung mit latei­ nischen Kunstausdrncken bemerken wir einen deutschen P u rism us in Worten wie Haushaltnngswerke (opera oeconomica), Bestehungsart (ipoTio; v t iü q 'U iuf). 2) Glaubenslehre Bd. IX, S . 142 ff. 217. „Alle Eigenschaften Gottes kön­ nen aus der Veranstaltung dieser Versöhnung der Menschen durch Christus er« läutert und besser verstanden werden."

Baumgarten. Psychologische Erklärung der Sünde.

193

riologie die leisen Einflüsse der philosophischen B ildung sowie auch das wachsende Streben nach Faßlichkeit wahrgenommen werden. D er ursprüngliche und ebenbildliche Mensch nach Wölfischer Psychologie ist der von der V ernunft Beherrschte, in welchem die niede­ ren Seelenkräfte theils unter sich harm vniren, theils den oberen also dem Verstand und W illen stets zu ungehemmtem Gebrauche dienstbar sind ') . D ie Folgen des ersten Ungehorsams oder der Verlust des Ebenbildes können also nur in dem Eintreten einer inneren U nordnung, in der beginnenden O bergew alt der sinnlichen Funktionen, deren Uebergreifen die sittliche Vorstellungskraft ver­ w irrte und zerrüttete, bestanden haben. W as weiter hinzukam, w ar göttliche S tra fe . I m Falle daß Adam, der „Gevollm ächtigte" der Menschheit, das „B undesverhältniß" brechen sollte, ist es die gött­ liche Absicht gewesen, diese Handlung allen Nachkommen zuzurech­ nen, bloß damit die Zurechnung des Verdienstes Christi in ent­ sprechender Weise, also nicht ans nöthigenden Gründen der G e­ rechtigkeit, erfolgen könne. D as innere Uebel der vererbten Sündhaftigkeit aber beruht auf dem N aturverbande des Geschlechts und ist durch die Im p utatio n nicht, gesteigert worden. D ie E rb­ sünde bleibt ein malum privativum. Die wirksame Veränderungskraft, welche die N atur der zufälligen Dinge ausmacht, kann nicht ohne Einschränkung, M odification und Restriction bleiben und ohne eine darin begründete Art und Beschaffenheit. Is t nun in dieser E in ­ schränkung E tw as mangelhaft und dem Endzweck des Geschöpfs nicht gemäß: so muß die Fortpflanzung und V ervielfältigung dieser Q u alitä t in den einzelnen ihr angehörigen Individuen denselben M angel an sich tragen. D aß es sich so verhalte, erhellt thatsäch­ lich au s der Uebereinstimmung, mit welcher 'die Menschen aller Zeiten und bei aller Verschiedenheit der E ltern und Erzieher zur S ü n d e neigen und zwar so frühzeitig, daß dieser H ang nicht von außen hervorgebracht oder erlernt und angenommen sein kann**). D ies die Erklärung der Erbsünde, und sie ist unstreitig halt') Ebendas. S . 453 ff. *) Ebendas. S . 477. 532. 572. Gesch. d. Protest. D ogmatik 111.

13

194

Sechste« Buch.

D ritter Mschnitt.

barer als die alte, dem D ogm a jedoch leistet sie nicht mehr Genüge. D er natürliche N ervs wird von dem bloß moralischen der I m ­ putation scharf geschieden. W enn das letztere M om ent nur so ausgedrückt w ird, daß G ott für gut befunden, in Adam das H aupt und den Gevollmächtigten eines V ertrages oder einer „ F ö ­ deralconstitution" zu sehen und dessen Vergehen den Nachkommen anzurechnen: so wird dam it die Annahme einer Erbschuld er­ leichtert. W as ferner der Verfasser über die natürliche F ort­ pflanzung der S ün de bemerkt, führt imm er nur zu dem R esultat einer Verstimmung oder unregelmäßigen Beschränkung, keineswegs einer wirklichen Verderbung des sittlichen N aturorganism us. Und endlich hat Adam mit der T h at gesündigt; liegt es also im Wesen der Fortpflanzung, daß sie den in dem Anfänger eingetretenen M ißbrauch in allen Nachfolgern wiederkehren läß t: so folgt d ar­ au s, daß diese sämmtlich S ünder sein werden, aber die Vererbung findet dann noch nicht in der bloßen N atu r, sondern erst mit ihrer jedesmaligen Entwicklung unter Z utritt der Freiheit statt. B a u m ­ g a r t e n selbst legt nach dieser vorangeschickten scharfsinnigen ratio ­ nalen B egründung wieder auf Schriftstellen wie Gen. 8 , 21. Ps. 5 1 ,7 . Hiob. 1 4,1 4. E p h .2 ,3 . J o h .3 ,6 . Rom. 3 ,1 9 . 5 ,1 2 — 16 das meiste Gewicht W ir wollen die Eigenschaften B a u m g a r t e n 's auch da kennen lernen, wo er den kirchlichen Lehrbegriff gegen Irrth ü m e r aller Art zu verfechten unternim mt. Die P o le m ik *) als besondere D isciplin hatte einst von Chemnitz ihren literarischen Ausgang ge­ nom m en; nachher w ar sie mit der Dogmatik verwachsen, aber auch außerhalb derselben von G e r h a r d , C a lo v , M u s ä u s , ') Glaubenslehre Bd. II, S . 572 ff. Ueber Erleuchtung und Rechtfertigung s. S . 720. 789. 804. D er Glaube ist allerdings das Zneignungsmittel, oyynvoy Xrjnuxov, der Rechtfertigung; aber mit ihm ist zugleich eine sittlich-gerichtliche Veränderung gegeben, denn er macht den Menschen fähig und empfänglich und erzeugt die aufrichtige Entschließung zum thätigen Gehorsam gegen Gott. J) Baumgarten's Untersuchung theol. Streitigkeiten, mit einigen Anmer­ kungen, Vorrede und fortgesetzter Geschichte der christl. Glaubenslehre, herausg. v. Seniler. Bd. 1 - 3 . 1762—04.

B rnm garten's polemisches Verfahren.

195

B e c h m a n n , J o h . F a b r i c i u s , zuletzt von R e u sc h , S c h u b e r t, O l e a r i u s , R e u m a n n , B u d d e u s und P f a f f ' ) bearbeitet worden. S ie w ar das beständige Reiz- und N ahrungsm ittel des kirchlich-orthodoren Selbstgefühls. W enn nun bei wachsender G e­ schicklichkeit in der Form der Geist der Polemik schon während der letzten Jahrzehnte beträchtlich gemildert w orden: so geht B a u m g a r t e n soweit, sie für ein n o t h w e n d i g e s U e b e l zu erklären. D enn, sagt er, sie hat oft genug geschadet, indem sie bloße Zank­ sucht, Hochmuth und Selbstüberhebung zum Nachtheil der gesell­ schaftlichen Pflichten begünstigte und besonders dem Irrth u m V or­ schub leistete, als ob die geistliche Besserung aus bloßer W ider­ legung von Irrthü m ern von selber folgen müsse. S ta tt dessen kann und soll sie nutzen, indem sie mit S anftm uth und Bescheiden­ heit betrieben w ird. S ie soll prim äre und secundäre, sachliche Controversen und Logomachieen unterscheiden lehren und die E r­ kenntniß des Gemeinsamen mehr als die des S treitigen fördern. D er Satz des W iderspruchs, auf dem alle Polemik logisch beruht, ist nicht so einfach wie er scheint. Denn unter contradictorischen Gegensätzen muß freilich der eine Satz jederzeit W ahrheit haben, aber nicht unter conträren, wo beide Theile . Recht oder Unrecht haben können. Auch hat der S tr e it, sofern er mit G ründen ge­ führt w ird, überhaupt seine Grenzen, und wo die Ansichten all­ zuweit von einander abstehen, berühren sich auch die beiderseitigen G ründe nicht mehr, und es bleibt nur übrig, auf den W illen und das ganze V erfahren der Gegner einzuwirken 2) . D ie letztere E r­ kenntniß schöpft B a u m g a r t e n aus dem P ietism u s, er ist zugleich aufrichtig genug, das Unwahre und Gemachte hervorzuheben, w as *) Bechmanni Theologia polemica, Jen. 1702. 1710. Joh. Fabricii Consideratio variarum controversiarum Heimst. 1704. Pauli Antonii Collegium antitheticum, Hai. 1732. J. P. Eeuschii Theol. polem. Jen. 1754. J. E. Schubert Institutiones theol. polem. Jen. 1756. J. Gr. Neumanni Theol. aphorist. Vitemb. 1710. 1735. J. Olearii Synopsis controversiarum, Lips. 1710. Chr. Matth. Pfaff, Plan von Grundfragen über die theologiam polemicam oder die Religionsstreitigreiten, Tüb. 1752. Vgl. Walch, Bibi, theol. I, p. 648. -) Polemik, Bd. I, S . 5 ff. 47.

196

Sechstes Buch. Dritter Mschnitt.

sich bloß durch polemische Ueberbietung in den S treit der P arteien eingeschlichen habe, und wir brauchen nicht nachzuweisen, wie Vieles sich unter die von ihm gebrauchte Kategorie einer äv&olxrj sUyxov, eines überspannten Gegendrucks, bringen ließe. — Dieser Absicht einer leidenschaftlosen Erm ittelung und rechtmäßigen Begründung der Lehrdifferenzen ist unser Schriftsteller durchgängig treu ge­ blieben. S eine Polem ik, höchst lehrreich für die damalige Zeit und selbst heutigen Lesern noch nützlich, ist das Gegentheil der so lange herrschenden und von Löscher noch vielfach geübten Consequenzmacherei; und indem sie überall M ißverständliches zu ent­ fernen sucht und jede abweichende Ansicht urkundlich belegt, leitet sie schon auf dasjenige, w as nachmals au s der Polemik geworden ist, auf die v e rg le ic h e n d e D a r s te ll u n g . W ir gehen aber noch weiter und behaupten, daß es überhaupt nicht mehr das kirchliche P rincip als solches ist, w as von B a u m g a r t e n polemisch durch­ geführt w ird. Denn obgleich Lutherische Sätze in jedem Punkte Recht behalten, wird doch der confessionelle Zusammenhang gänz­ lich aufgegeben. D a s Katholische und Reform irte tritt nicht mehr als G anzes noch als feindliche Macht in den V ordergrund; die kirchlichen Abweichungen werden einzeln beleuchtet und durch den stärkeren Gegensatz zu den S ocinianern, m it welchen das Werk sich sehr geflissentlich beschäftigt, weit überwogen und zurückgedrängt. D ie polemische Schlachtordnung beginnt sich zu verändern, da die­ jenigen Feinde, welche bisher in der Ferne gestanden oder in be­ sonderen Angriffen au s dem Felde geschlagen worden, wie zu einem Hauptkampfe heranrücken. D ie bloßeIHerkunft einer Abweichung au s dem resormirten Lehrzusammenhang reicht nicht a u s , erst der I n h a lt u n d ;d ie Wichtigkeit des Streitigen beschäftigt den P o le­ miker. D ie ganze V erhandlung, nicht mehr beherrscht von der inneren Consequenz kirchlicher Scheidungen, bewegt sich allgemach einem allgemein christlichen und theologischen Felde zu und wird erst da recht lebendig, wo durchgreifende G laubensfragen zur Sprache kommen. W ie sehr hatte man sich einst über die scientia media, ü6er voluntas antecedens et consequens und ähnliche Nebenbe­ stimmungen ereifert! B a u m g a r t e n giebt dem ersten Punkt einen

197

Baumgarten'S Polemik gegen die Socinianer.

lediglich methodischen W erth und begnügt sich, in dem zweiten eine höchst brauchbare Lutherische Unterscheidung anzuerkennen. E r über­ läßt es einer unbefangenen Eregese, die Naturseite der Schöpfungs­ lehre aufzuklären oder a u f ein einfaches Facit zurückzuführen; er stellt es der Philosophie, anheim, das Problem einer Realdefinition des Wesens Gottes selbständig fortzuführen

S o verengt sich

das Feld der Polem ik, indem es solche M aterien von sich aus­ schließt, die mehr durch erneute, sei es nun biblische oder p h ilo ­ sophische, Untersuchung als durch voreiligen S tre it gefördert werden. D ie Bestreitung des S o c in ia n is c h e n Lehrsystems gehört zu den vorzüglichsten Interessen dieser Polemik

und

steht offenbar

dam it im Zusammenhang, daß die Schriften eines C r e l l , V ö lk e l, O s t o r o d t auch innerhalb

der kirchlichen Theologie mehr hervor­

gezogen, beachtet, der P rü fu n g oder W iderlegung ebenso w ü rd ig als bedürftig gefunden wurden.

B a u m g a r t e n hört nicht allein

ihre G ründe treu und vollständig ab,

sondern beurtheilt scharf­

sinnig ihren religiös-philosophischen Standpunkt auch in denjenigen Punkten, die sie m it dem Kirchenglauben konnte er ihnen beikommen.

gemein hatten.

H ie r

D ie Theologen dieser P a rte i erklären

z. B . die Ewigkeit bloß fü r eine unbegrenzte Fortdauer, und zwar w e il es ungereimt sei, eine D auer ohne innere Folge und Z eit­ unterschied in G o tt anzunehmen, und w e il sonst ein Augenblick so groß sein würde als ganze Aeonen und alle Dinge zugleich ge­ schehen müßten.

S ie behaupten ferner von ihrer Ew igkeit, daß

sie kein ausschließliches M erkm al des wahren Gottes sei, sondern auch einigen anderen Dingen zukomme, und sie lehren endlich, daß G o tt n u r

was aus den Bewegungsgesetzen der Körperwelt her­

vorgeht, m it untrüglicher Sicherheit vvra u sw iffe , nicht aber die freien Handlungen der Menschen, die er gleichsam erst wissend be­ gleite,

indem sie geschehen;

denn was n ur bedingter Weise ein

Zukünftiges sei (fu tu ra c o n tin g e n lia ),

könne überhaupt keinem

Wissen in unbedingter Weise gegenständlich werden. D ie V o ra u s ­ sicht freier Handlungen, die eben darum fre i sind, w eil sie sich nicht

) Polemik, 93b. I, S . 407. 447.

i 98

Sechstes Buch.

Dritter Abschnitt.

berechnen lassen, ist ein oidrjqogvlov, das sich selbst widerspricht **). Diese Abweichungen sind nicht ohne E influß auf gewisse Folge­ rungen in der T rin itä ts le h re und Christologie; sie stammen aber, wie B a u m g a r t e n durchgeführten P rin cip Glaubens.

antw ortet,

aus dem von den S ocinianern

einer völligen Begreiflichkeit des religiösen

M i t gutem Recht v e rw irft der Polemiker die beschränkte

Verstandesconsequenz; er beruft sich auf tiefere Gründe, a u f F o r­ derungen einer im Wesen des Absoluten liegenden Nothwendigkeit, welche einen Glauben, selbst wenn er einiges fü r menschliche B egriffe Unerreichbare enthält, m it der V e rn u n ft zu vermitteln im Stande sind.

Diesen S in n haben B a u m g a r t e n ' s Antw orten, obwohl

sie von dem Unterschied zwischen Verstand und V ernunft keinen Gebrauch machen. W ir bemerken an dieser Stelle die

besondere Schärfe aber

auch S te ifh e it der Socinianischen Lehre. D ie p o s i t i v en Ansichten der Socinianer waren starr, barock und verfehlt, und der M a n g e l einer in 's Große gehenden Entwicklung hatte dieselben in schul­ mäßiger Gleichheit fortbestehen lassen. W ie sie gleich Anfangs ih r Unterscheidendes zum

völligen System

ausgearbeitet hatten:

so

mußten sie nun auch umgekehrt einzelnen systematischen oder theo­ retischen Nebenbestimmungen einen symbolischen W erth beilegen. Schwerer w ird es B a u m g a r t e n

natürlich, gegen den S o -

cinianism us standzuhalten, wo derselbe, statt eigene positive A n ­ sichten vorzutragen, eigentlich nur in der kritischen Zersetzung der Kirchenlehre besteht.

W ir wählen als Beispiel das Dogma von

der G e n u g t h u u n g , das bisher n u r vereinzelte A ngriffe erfahren hatte. Nach der B e ru fu n g a u f Bibelstellen wie Rom. 3, 24—27. 5,10. Job. 2, 12. Hebr. 1, 3. 2,17. 7, 26. 27. 2 Cor. 5, 19—21. 1 Tim . 2, 5 .6 , folgt eine Reihe von Gegengründen und E rw id e ­ rungen, die w ir in 's Kurze gezogen so w ie d e rg e b e n '):

1. D ie

orthodore Lehre besagt, daß alle S ü n d e r durch Zurechnung genugthuenden Verdienstes Christi Vergebung erhalten haben.

') Polemik, Bd. II, S. 68—110. *) Vgl. Baumg. Polemik II, S. 174 ff. rau«, Th. 2.

des Nach

Dazu O. Fock, der Socinianis-

Vertheidigung der Genugthuungslehre.

der S ch rift aber werden

Verzeihung

Gnaden geschenkt, nicht durch

und

199

Seligkeit

frei

aus

rcchtsgemäße Uebertragung zuge­

sprochen. — Dagegen: Beides widerspricht sich nicht; ein Almosen bleibt stets ein Almosen, auch wenn ein Fond vorhanden ist, aus welchem es rechtlicher Weise geschöpft w ird . —

2. D a s Dogma

ist unvernünftig, — ein E in w u rf, den B a u m g a r t e n principiell stets gelten läßt und nur in der Anwendung zu entkräften sucht. Nach kirchlicher Voraussetzung hätte Christus einen e w i g e n Tod erdulden, sein Leiden hätte, um als vollgültiges Lösegeld und Aequivalent zu dienen,

der Sum m e der von allen Menschen ver­

wirkten S tra fe gleich sein müssen.

Dagegen:

D a s würde doch

nur folgen, wenn dieses In d iv id u u m denen, an deren S telle es tra t, ganz homogen gewesen wäre.

Auch hat Christus zwar nicht

der D auer nach, w ohl aber nach A rt einer intensiven Gleichheit m it der verwirkten S tra fe wirklich das S tra fü b e l eines ewigen Todes

erlitten. —

würden Seligkeit sein. der

3.

w ir G o tt, bleibt,

Dagegen: Annahme

G ottes. —

W äre

jene Lehrform

die richtige:

der doch der nothwendige Urheber

weniger

a ls Christus

zum

Diese absurde Folgerung einer

wesentlichen

Danke

verpflichtet

beruht lediglich

Verschiedenheit

so

unserer

Christi

auf und

4. D ie ganze kirchliche Vorstellung w irkt dadurch so­

gar schädlich, daß sie m it der Lossprechung von aller Schuld und S tra fe

auch die Verbindlichkeit und

W andel hinwegnim m t.

den Antrieb

zum heiligen

Dagegen: M i t nichte», denn es bleiben

noch ganz andere Beweggründe zur H eiligung übrig als die V e r­ meidung der S tra fe Gnade. —

oder gar

die verdienstliche Erwerbung

der

5. Wenn schon ein Mensch ohne Genugthuung dem

Andern die Schuld erlassen kann: w ieviel weniger ist von G o tt zu behaupten, daß er an die absolute Forderung eines Aequivalents oder sühnenden O p fe rs fü r die verwirkte S tra fe gebunden sei!

Dagegen: M a n darf die Leichtigkeit des Verzeihens nicht so

schlechtweg zum Gradmesser der Vollkommenheit machen.

E s hängt

von Bedingungen ab, ob diese unbeschränkte B ereitw illigkeit, Sünden ohne Buße zu erlassen, wirklich Tugend sei; sie ist nur eine m it der Beschränktheit

des Menschen zusammenhängende Ersatzvoll-

200

Sechstes Buch.

Dritter Abschnitt.

kommenheit und deshalb auf das unendliche Wesen Gottes nicht zu übertrage». D azu kommt noch, daß selbst innerhalb der mensch­ lichen und christlichen Gesellschaft die freie Vergebung n ur in P r i­ vatangelegenheiten, nicht in öffentlichen noch bei Verletzungen des gemeinen Wesens ihre rechte Stelle hat. — . 6. Wenn das kirch­ liche Dogm a genau construirt w ir d : so kommt heraus, daß Christus sich s e lb e r genug gethan hat, denn d u rc h

ih n ist die Versöh­

nung vollbracht, während er doch als Person der G ottheit deren Empfänger ist.

D as erstere M om ent,

a u f dem doch der ganze

S in n der Lehre beruht, w ird also durch das letztere aufgehoben. D agegen:

Dieser Widerspruch gleicht sich aber durch

schiedenheit der Beziehungen,

die V e r­

welche jedes Stück des D ogm a's

bewahrheiten und begrenzen, wieder aus.

Christus erscheint nicht

fü r sich allein als die beleidigte P a rte i, sondern die ganze T r i ­ n itä t,

und er hat nicht in demselben V e rh ä ltn iß und der Absicht,

in der er die Genugthuung leistete, dieselbe auch angenommen. — 7. D ie kirchliche Theorie streitet wider die vorbildliche Bedeutung des Todes Christi (1 P elii 2, 2 1 ).

Dagegen: Diese Bedeutung

bleibt stehen, hat aber niem als allein gegolten; die Ausschließung anderer Ursachen und Endzwecke w ird unrichtig von den Gegnern eingeschaltet. — 8. D ie h. S c h rift macht die Buße zur unerläß­ lichen Bedingung der Sündenvergebung, was nicht geschehen würde, wenn sie von der Annahme einer sündentilgenden W irkung des Todes Christi ausginge. Dagegen: Z u r Erwerbung des Sünden­ erlasses oder der Gnade ist freilich keine Buße erforderlich, w ohl aber zur gläubigen Aneignung

und B ew ahrung

derselben.

ES

w ird fälschlich geschloffen a negata necessilale meritoria sive acquisitoria ad necessitalem in genere. —

9. Wenn die göttliche

Verzeihung auf der S a tisfa ktio n des O pfers Christi beruhen sollte: so hätte G o tt im Alten Testament überhaupt keine Sünden ver­ geben können.

Dagegen: Dieser E in w u rf beruht auf dem V o r-

u rth e il, daß die Genugthuung nicht schon ehe sie vollbracht w ar, fü r die Erweisungen

der göttlichen Liebe

hätte in K ra ft

treten

können. — 10. D ie ganze Lehre endlich b ringt die Absurdität m it sich, daß eine unsündliche Person, sei sie der Gottmensch oder ein

201

Abwägung der Socinianischm Kritik.

unsündlicher Mensch, zum S ünder gemacht und demgemäß von G o tt behandelt sein sollte.

Dagegen: D e r E in w u rf folgert zuviel;

es w ird Christo keine innere Sündlichkeit, von welcher er fre i w a r, beigelegt, sondern nur eine fremde Verschuldung declaratorisch a u f ihn geworfen und zwar m it seiner eigenen fre iw illig e n Genehm­ haltung. Ueberblicken w ir diese Reihe von A ngriffen und Entgegnungen: so zeigt sich wieder, welches endlose S tre itm a te ria l gerade dieses Lehrstück darbot, wenn es stückweise verhandelt wurde.

Baum -

g a r te n antwortet schlagfertig und geschickt, er weist mehrere I n ­ stanzen, — man erwäge den 3. 4. 7. 8ten Punkt, — gut zurück, da sie fü r sich allein keine G eltung haben. auf seinem Standpunkte,

Aber er bleibt vö llig

statt auf den der Gegner einzugehen.

S ein Verfahren' ist so beschaffen, daß er von den zusammenge­ setzten Bestimmungen kehrt,

des D ogm a's

welche der Gegengrund

m it erfaßt hatte,

wodurch

der

jedesmal diejenige heraus­ Socinianischen K ritik

die Einwendungen

nicht

der letzteren nach

ihrem nächsten In h a lt allerdings abgelehnt und gleichsam zuge­ deckt werden, ohne erledigt zu sein.

S o bemerkt er zu N r . 5.

rich tig , daß die unbegrenzte Freiheit des Berzeihens auf öffent­ liche Rechtsverhältnisse keine Anwendung erleidet, unterläßt aber zu fragen, ob nicht die Lehre von der Genugthuung doch über­ wiegend aus

der Id e e der freien Liebe G ottes hervorgegangen

sei, das M om ent der Gerechtigkeit aber subsidiarisch hinzugenommen habe, so daß das D ogm a aus dem bloßen Rechtsverhältniß, auf welches die Nothwendigkeit der Sühne gebaut w ird , heraustritt.

doch wieder

D ie E rklärung, daß die Freiheit des Vergebens, das

schöne E rbtheil der K inder G ottes, n ur eine menschliche Ersatz­ tugend sei, w ird Niemanden befriedigen, und w ir möchten eher von der strafenden Gerechtigkeit behaupten, sie sei der christlichen Ge­ meinschaft zum Ersatz und zur Ergänzung anvertraut, w eil sie selbst als eine christliche die göttliche O rdnung nicht m it bloßen M itte ln der Liebe erhalten, noch die Sünde beherrschen kann.

Wenn das

D ogm a an das menschliche Bewußtsein der Gerechtigkeit und das B edürfniß der S tra fe anknüpft: so folgt daraus nicht, daß die

SOS

Sechstes Buch.

Genugthuung muß.

auch fü r

G o tt

Dritter Abschnitt.

unbedingte Nothwendigkeit haben

Wenn der S in n der Socinianischen K ritik darauf hinaus­

lä u ft, daß der Tod C hristi a u f keine Weise in das Licht eines ver­ söhnenden Opfertodes oder einer Paulinischen evdeigig dixaioavvrjg gestellt werden d ü rfe : so läßt sie sich m it B a u m g a r t e n 's E n t­ gegnungen

w ohl zurückweisen.

Aber keineswegs genügen

diese

Gegengründe, um die kirchliche Construction als solche zu recht­ fertigen und als a l le i n r ic h tig e hinzustellen; die Bedenken bleiben stehen und werden dadurch noch angeregt,

daß B a u m g a r t e n

seine Lehre nicht auf unmittelbaren Glauben gründet, sondern einer ruhig abwägenden P rü fu n g unterzieht.

W a s aber B a u m g a r t e n

sowohl als seinen Gegnern abgeht, ist das Verständniß eines histo­ rischen Hintergrundes, ohne welches die biblische Anschauung des Todesopfers Christi nicht gewürdigt werden kann B a u m g a r t e n behauptet sich also au f dem Standpunkt einer leidenschaftslosen, abgekühlten, vernunftgemäßen, d. h. der V e r­ n unft nicht durchaus widersprechenden Kirchlichkeit;

er bezeichnet

den Zeitpunkt, wo die Lehre von den Schranken des P ietism us befreit, wieder vollständig zur Lehre w urde, wo sie aber, statt in die alte bewegungslose S ta rrh e it zurückzufallen, zugleich einer er­ höhten Selbständigkeit des U rtheils R aum gab.

D ie Abhängigkeit

*) Unbedeutender ist die B ea n tw o rtu n g der E in w ü rfe C hristi, Polemik I , S . 223 ff.

gegen die G ottheit

Zunächst ist die Gleichstellung des Wesens C hristi

m it dem deö V aters nicht w ider die V e rn u n ft, denn die Prädicate G o tt und Mensch werden Christo zw ar m it gleichem Recht aber in ungleicher Beziehung (non eodem respectu et eadem restrictione) beigelegt, also ohne sich gegenseitig aufzuheben.

Hauptsächlich streiten die S o cin ia n e r m it Stellenbeweisen.

S ie be­

rufen fich aus Job. 17, 3 ; allein hier gehört das (xovov nicht zum S ubject des Satzes, sondern zum P räd ica t

und w ir haben zu übersetzen: daß der V ater

sei der alleinige wahre G o tt, und ferner auch daß den er gesandt, ebenfalls dazu gehöre.

Ferner auf Eph. 4,

6

, wo aber das dg (Dtog x a l nctirjQ) nicht aus-

schließnngsweise sondern zusammenfassend fü r alle drei göttlichen Personen zu nehmen ist; aus 1 Cor. 8, 6, wo ebenfalls das dg zum P rädicat nicht zum S u b ­ ject gehört, oder auch der Ausdruck G ott und V ater wesentlich statt persönlich verstanden werden kann, ebenso wie 1 T im . 2, 5.

M a n sieht es diesen B em er­

kungen an, daß fie aus keiner gründlichen Einsicht in Sprache hervorgegangen waren.

die biblische Lehre und

Allgemeine« U rth eil über B au m g arten.

203

von der Wölfischen Schule hat sich in B a u m g a r t e n ermäßigt und m it der theologischen B ild u n g ausgeglichen.

In d e m er das

Alte schützen w ill, ist er zu kleinen M ilderungen und Besserungen geneigt.

Ohne irgend einen Schatten auf des M annes Charakter

zu werfen, dürfen w ir daher seinem Schüler S e m l e r glauden, wenn er von ihm sagt, daß er zuweilen im

vertrauten Gespräch

auf freiere Ansichten eingegangen sei, als sie in Schriften von ihm vorgetragen werden.

Vierter Abschnitt. Fortsetzung. I. $ ) ie

H is to ris c h e R ic h tu n g .

E th ik .

historische Theologie hat nicht allein das Wissen der

Christenheit um den ganzen In h a lt und Zusammenhang ihrer V e r­ gangenheit zu pflegen und zu vervollständigen, sie w ird zugleich, indem sie dieser Ausgabe nachkommt, eine eigene S tim m ung unb Gesinnung, welche aller historischen Betrachtung eigen zu sei» pflegt, vertreten müssen.

Denn das historische S tu d iu m fordert Ausdauer

und Hingebung m it größter Aufmerksamkeit verbunden; die Zwecke, die der Forscher m itb rin g t, giebt es ihm erweitert und gereinigt zurück, schiebt sie auch w ohl w eit hinaus, indem es ihm zumuthet, inzwischen in der Forschung selber B efriedigung zu finden.

Je

mehr der historische S to ff anwächst, desto mehr sträubt er sich gegen eine kleinliche und parteimäßige Verwendung, desto tiefer zieht er den Betrachter in die Fülle der individuellen Erscheinungen hinein und nöthigt ih n ,

sein U r t h e i l in großen Zügen niederzulegen,

während er m it der E r k e n n t n i ß und B ew ältigung des Einzelnen überreich beschäftigt ist.

S e it C a l i r t ' s

Zeiten w ar das histo­

rische M a te ria l ungemein vermehrt, aber meist fü r die Zwecke der confessionellen oder anticonfessionellen Polemik ausgebeutet w orden; auch A r n o l d ' s

berühmtes Werk haben w ir

kennen gelernt.

Gelehrte Kenner der Kirchengeschichte hatte der

Protestantismus von Anbeginn

gehabt,

als Tcndenzschrift

aber wenig h i st o r i s c h ­

t h e o l o g i s c h e C h a r a k t e r e , wie sie jetzt aus der wissenschaftlichen

Historisch, theologische Charaktere.

Richtung der Zeit hervorgehen sollten.

Walch.

205

W ir brauchen uns nur zu

erinnern, daß zu tieferem Eindringen in die Geschichte des christ­ lichen Alterthums vor Kurzem noch die Vorarbeiten gefehlt hatten. Jetzt erst waren durch die gewaltigen Anstrengungen theils der Benediktiner, theils anderer gelehrten Engländer, Italiener und Deutschen von allen Confessionen die Schriften der Kirchenväter, die Concilienacten und kirchlichen Alterthümer vollständig aufgethan und damit ein Feld eröffnet, welches den Eifer eines leiden­ schaftslosen Sammelns, Prüfens und Vergleichens m it großen Erfolgen belohnte.

H u e t 's ,

de l a . R u e 's , M o n ts a u c o n 's

Arbeiten wurden mustergültig fü r die Patristik, B in g h a m 'S treff­ liches Werk fü r die Archäologie.

Wenn selbst Katholiken unter

solchen Untersuchungen zuweilen ihres Dogma's vergaßen, wieviel mehr mußten Protestanten zu gelehrter Unbefangenheit gestimmt werden.

Für Deutschland denke man an J o h a n n A lb e r t F a -

b r ic iu s und dessen unermeßliche, auch für die Theologie so wich­ tige gelehrte Thätigkeit; Studien wie die seinigen waren unent­ behrlich geworden und konnten doch nur gelingen, sobald sie sich zu den systematischen Interessen in einige Entfernung stellten. Es war noch nicht der todte Punkt der Gleichgültigkeit und ebenso wenig der Eifer der negativen K ritik, es war vielmehr eine maaßvvlle und doch der religiösen Wärme keineswegs entfremdete wissen­ schaftliche Haltung, welche auf diese Weise in die historische Rich­ tung der Theologie eingeführt wurde. Z u r Beförderung dieses literarisch-wissenschaftlichen Geistes war bereits durch B u d d e u s , P f a f f und Löscher sehr Vieles geschehen, hauptsächlich aber ist derselbe durch drei Männer ver­ treten worden, deren Schriften bis auf die Gegenwart gelesen werden, durch die beiden W a lch und M o s h e im . Durch J o h a n n G e o rg W a lc h ') ist Jena's literarischer R u f und kirchliche Gesinnung auf mehr denn ein Menschenalter

>) V g l. Leben und Charakter de« wahlseligen H e rrn Kirchenraths I . G . W . J en a 1 7 7 7 .

Geboren zu M e iningen 1 6 9 3 und S o h n des dortigen S u p erin ten ­

denten Georg W alch; er studirte in Leipzig und wurde 1 7 1 8 Professor der P h i-

206

Sechstes Buch.

Vierter Abschnitt.

fortgepflanzt w orden; denn hier hat er vierzig Ja h re lang Kirchenund Literaturgeschichte, Sym bolik und Dogmatik gelehrt und bei unabläßiger Schriftstellerei noch Zeit für die Kanzel und für den speciellen Verkehr mit den Studirenden übrig behalten. F ür Fleiß und T reue hat er auch reichliche Liebe und Ehre geerndtet. W as dieser ehrwürdige M ann gewesen und gewollt, ist deutlich in seinen Werken niedergelegt; man braucht seine Ausgabe der Werke Luthers, die gelehrte Einleitung in die Lutherischen Symbolschristen, die bekannten dogmenhistorischen „E inleitu ng en", die Geschichte der Lehre vom Ausgange d e s.h . G eistes, die Bibliotheca theologica und patristica, — nur zu nennen: so muß jeder Kundige die pflichtmäßigen Betrachtungen anstellen. Ich selbst, indem ich schreibe, gedenke der hundert kleinen und größeren H ülfen, die ich seiner literarischen S o rg falt verdanke. „ E r drang, wie von ihm gesagt wird, auf das Ganze des Christenthums, auf ein wirksames E in ­ gehen alles G laubens in die sittliche G esinnung". S eine Denk­ art w urde durch die der Lehrer B u d d e u s und O l e a r i u s be­ stim m t; daher w ar er dem biblischen P rincip streng Unterthan, praktisch-from m , kirchlich m ilde, ja fast untauglich zur Polemik und stets bereit, die Sache von der Person zu unterscheiden. W a l c h ' S wichtigste Verdienste gehören der Sym bolik, die von ihm mit überreichem A pparat ausgestattet wurde, und der Dogm en­ geschichte an. D ie beiden Einleitungen in die neueren R eligions­ streitigkeiten ') waren um so nützlicher, da er sie bis auf seine Zeit herabführte, also den Zeitgenossen die ganze Reihenfolge der inneren Fehden des Protestantism us, die so unsäglich viele B itter­ keiten erzeugt und genährt hatten, nun mit einer gelehrten B olllologie und 1724 der Theologie in Je n a , wo er bis zu seinem Tobe 1775 ge­ blieben ist. Die genannte Schrift enthält ein Verzeichniß seiner Schriften, A us­ gaben, Abhandlungen, Programme und Vorreden, welches 287 Nummern umfaßt. ') Historische n. theol. Einleitung in die Rel. Streitigk. außerhalb der Lutherischen Kirche (der erste Band ans Buddei Collegio), 1724—1736. 5 Bde. — Einleitung in die Rel. Streitigk. der ev.-luth. Kirche, 1730 — 3 9 , 5 Bde. Ueber die damaligen Pietistischen Angriffe gegen das letztere Werk siehe: Leben und Charakter re. S . 54. Von der Historia eccl. N. T. variis observationibua illuatrata, Jen. 1744 ist nur der erste Band erschienen.

Historiker.

Walch, Vater und Sohn.

ständigkeit und Gelassenheit

207

wiedererzählte, die nur selten von

W orten des Tadelsoder einer mäßigen K ritik unterbrochen w ird . Fragen w ir

aber,

ob eine solche Geschichte ganz w ahr sei:

müssen w ir dies verneinen;

dazu ist sie viel zu buchmäßig,

so sie

verdeckt durch B üchertitel und Auszüge das innere Getriebe der Bewegung und läßt die heftige G lu t vergangener Kämpfe aus der Kühle ihrer Berichterstattung nicht mehr fü hlbar werden. F ü r die Folgezeit sind bekanntlich W a lc h 's Schriften sehr gefährlich ge­ worden als willkommne N ahrung fü r quellenscheue Compilatoren, die nicht leicht eine Wiese fanden, wo sie bequemer hätten grasen können. Derselbe Geist ging a u f seinen Sohn, C h r is t ia n W i lh e l m F r a n z W a lc h ' ) über, der weniger talentvoll und fruchtbar, doch als M v s h e im 's Schüler und Genosse in mancher Hinsicht reifer und

wissenschaftlicher erscheint.

durch

Erforschung

W as

ihm

der vorreformatorischen

hauptsächlich zufiel, Religionsstreitigkeiten

gleichsam den Unterbau zu dem Werke seines V a te rs zu liefern, das hat er m it seltener Ausdauer geleistet.

W er kennt nicht seine

„H isto rie der Ketzereien" wie sie ist, nämlich reizlos, weitschweifig, von ermüdendster B reite und unmethodisch, a b e r ---------gründlich und darum die Basis der neueren dogmenhistorischen Untersuchungen. Z w a r geht auch dieser M a n n von

einer beschränkten Grundaw-

schauung au s; er w ürd ig t den historisch menschlichen B e ru f christ­ licher Erkenntniß nicht, welche nicht ohne Gegensätze sich fortschrei­ tend entwickeln konnte, oder bedenkt nicht, daß, wie einst O r ig e n e s dem C e ls u s antwortete, n ur über geringe D inge kein S tre it unter den Menschen entstanden ist.

D a ru m stellt er den allgemeinen

Satz an die Spitze, daß wenn die Bekenner der christlichen Re­ lig io n der W ahrheit und Liebe treu geblieben wären, die N oth­ wendigkeit einer mühevollen Geschichte der Spaltungen und Ketze') Geb. 1726 in Jena, Professor der Philosophie und Theologie und Con« flstorialrath in Göttingen, gest. 1785.

Außer dem Hauptwerk: E ntw urf einer

vollst. Historie der Ketzereien re. Leipzig 1762, 13 Bde. ist nennenSwerth die Geschichte der Päpste und Concilien u. die Bibi, symbolica, Lemgov. 1770, die erste genaue Vergleichung der alten Symbolsormeln.

208

Sechstes Buch. Vierter Abschnitt.

reten überhaupt nicht eingetreten sein würde. D a s aber sah er wohl ein, daß dem Interesse für die Ketzergeschichte weder leere Neugierde noch Tadelsucht zum Grunde liegen dürfen, da ja die Kirchenlehre selber unter dem Einfluß jenes gegensätzlichen An­ hangs sich gebildet hat, also auch nicht ohne Kenntniß der Abwei­ chungen beurtheilt werden kann. Auch wird der B egriff der Ketzerei von ihm scharf nach beiden S eiten begrenzt. Ein Häretiker ist ein Irre n d e r, der von einer christlichen G rundw ahrheit abweicht, aber er ist es nur dann, wenn er an der h. S chrift als Erkennt­ nißquelle festzuhalten behauptet und wenn er zugleich einen m ora­ lischen Unterschied zwischen W ahrheit und Irrth u m annimmt. W eder Gleichgültige noch Unchristen sind den Häretikern beizuzählen und ebenso wenig Solche, die im theologischen S tre it über nichtfundamentale D inge die eine oder andere Ansicht vertheidigen. D am it w ar schon gesagt, daß die Häresie zum Christenthum gehört, und der Histo­ riker hat die Pflicht, ihr diesen Antheil zurückzugeben, womit zu­ sammenhing, daß untergeordnete Controversen und daß nament­ lich der Lutherisch-reform irte Confessionsstreit von den Grenzen des Häretischen ausgeschlossen werden m u ß t e U n d wie lange w ar es her, als den Reform irte» noch die christliche Bruderge­ meinschaft versagt wurde! Zwischen beiden M ännern steht der D ritte und G rößere, der eigentliche Anführer der neueren Kirchengeschichte. Niemand wird ihm diesen Ruhm bestreiten, und wir glauben sogar, daß kein späterer deutscher Kirchenhistoriker, N e a n d e r und G ie s e le r nicht ausgenommen, so viele Eigenschaften eines Forschers, eines Schrift­ stellers und einer religiösen Persönlichkeit in sich vereinigt habe als L o r e n z v o n M o s h e i m ' ) . Helmstädt, wo er 24 Ja h re wirkte und mit Ehren und W ürden überhäuft wurde, besaß in ihm seinen >) S - Entwurf der Historie d. Ketz. I, VorbereitungSgrimdsätze. 2) Geb. 1693 oder 94 zu Lübeck, wurde 1718 Magister ». 1719 Assessor in der philos. FacultLt zu Kiel. S ein frühes Auftreten als Schriftsteller und Prediger veranlaßte 1723 die Berufung nach Helmstedt, woselbst ihm jede nur mögliche amtliche Auszeichnung z„ Theil geworden ist. Nach langem Wider» streben ließ er sich 1747 für Göttingen gewinne», wurde Kanzler daselbst und

Kirchengeschichte durch Mosheim bearbeitet.

209

letzten hellleuchtenden S te rn und Göttingen einen der ersten, durch welchen der G lanz der Universität eröffnet und die B a h n , welche sie wissenschaftlich einschlagen sollte, im Allgemeinen bezeichnet wurde. Schon literarisch angesehen, knüpft sich an ihn ein merkwürdiger Uebergang, denn er ist ein öiyXwaaog. D a s Lateinische ist ihm nicht nur geläufig, sondern er weiß es mit einer Geschicklichkeit, die unter späteren Theologen wenig Beispiele h at, zu hand­ haben. D a s Deutsche aber, das vor Kurzem gerade zum V er­ ständlichwerden hingereicht hatte, gewinnt in seinen Schriften und Predigten schon eine wohlgefällige Leichtigkeit und Freiheit des Ausdrucks, welche die Nähe des klassischen Aufschwungs voraus­ sehen laffen; bald sollte es auch in der Wissenschaft herrschend werden. M o s h e i m 's Verdienste aufzuzählen, liegt uns hier nicht ob; Niemand wird noch heute zum Kirchenhistoriker, ohne sich gründlich von denselben unterrichtet zu haben, und w as er auch nachschlagen möge, die lehrreichen S tudien über T ertullian, über die O phiten, über die Ursachen der frühesten literarischen Fälschung oder S ervet und die Beguinen, oder sei es der vortreffliche Commentarius de rebus Christianorum : — Feinheit der Untersuchung, Leichtigkeit der Darstellung und völlige Beherrschung des Stoffes wird er überall bewundern müssen. W enn durch W a lc h , V ater und S o h n , der S to ff der Dogmengeschichte herbeigeschafft w urde: so hat M o s h e i m zuerst gezeigt, wie er mit methodischer.Klarheit, mit scharfsinniger Aufmerksamkeit auf den inneren Zusammenhang und jede religiöse und philosophische Eigenthümlichkeit zu bear­ beiten sei. S ei» Lehrbuch gab der Kirchengeschichte eine Gestalt, in welcher sie bisher noch nicht vorgetragen worden I n einer Gründer der theologischen Facultäl, gest. 1755. S ein e älteren Schriften finden sich genannt in Notitia scriptorum et dissertationum a Moshemio editorum, Heimst. 1731. Vgl. den sehr guten Artikel 'von Henke in Herzog'S Encyklopädie, woselbst die übrigen biographischen Abhandlungen von G ölten, G esner, Lücke (Narratio de Moshemio) u. A. aufgeführt sind. *) Institutiones hist. eccl. N. T. zuerst 1726, zuletzt 1755. I n deutscher Bearbeitung: Vollständige K. G. des N . T . fortgesetzt v. Schlegel, 1 77 0 — 88. 6 Bände. Gesch. d. Protest. Dogmatik III.

210

Sechstes Buch.

P redigt sagt M o s h e im

Vierter Abschnitt.

gelegentlich, die Geschichte der Mensch­

heit dürfe fast eine Geschichte des S tre its zwischen der Liebe Gottes und der U nart der Menschen heißen und diese W e lt ein K am pf­ platz, auf dem die Erbarm ung des Höchsten und der Eigensinn der Menschen, die Treue Gottes u n d .d ie Untreue seiner Kinder sich gegenseitig zu ermüden und zu besiegen suchen ') • ein W o rt aus dem Herzen des M annes.

W ir hören

Wenn er als Prediger

bemüht w a r, m it andringender W ärm e die Menschen von ihren Unarten zurückzubringen: so hat er als Historiker w ohl erkannt, daß jene unendliche Reihe von menschlichen Wegen und Abwegen, Einfällen, M iß g riffe n , Fortschritten und geistigen Hervorbringungen, so ermüdend sie auch immer erscheinen mag, doch höchlich verdiene erforscht und fü r die christliche Erkenntniß verwerthet zu werden. D en religiösen und wissenschaftlichen A ntheil, welchen er der christ­ lichen Geschichte zollte, konnte er n u r also in sich festhalten, daß er sich über den schwierigen und wechselvollen V e rla u f der D inge erhob, m it reinem Gemüth auffassend und stets geneigt, das Gute in allen Gestalten gelten zu lassen, aber auch immer d arauf ge­ faß t, daß es sich nirgends als ein Unbedingtes und Ausschließ­ liches habe behaupten können.

Z um vordringenden Dogmatiker,

sei es in kritischer oder kirchlich polemischer Richtung, w a r er unter diesen Umständen nicht geeignet, denn er haßte, wie sich H enke ausdrückt, die „Beschränktheit und Knechtschaft des P arteinam ens" und begnügte sich, das vorhandene Lutherische einfach bestehen zu lassen, und schwerlich waren es die Häretiker allein, von welchen er nach seiner E rklärung annahm, daß sie Solche gewesen, die „durch eigene oder fremde Schuld zu Kriegen und Uneinigkeiten unter den Christen Gelegenheit gegeben"*). M o s h e im 's Gesinnung läßt sich jedoch noch mehr verdeut­ lichen.

D ie Geschichte der Kirche w ird

unter seinen Händen zu

einer warnenden und ermuthigenden aber stets versöhnlichen Leh­ re rin , denn schroffe und trostlose Resultate wollte er ih r nicht ab-

>) Heilige Reden über wichtige Wahrheiten der Lehre Jesu, Hamb. 1736. -) Kirchengeschichte de« N. T . Thl. I. § 11.

MoSheim gegen Einmischung der Philosophie. gewinnen l) .

211

W as er höchstens wollte und w as in seinen Schriften

vielfach wiederklingt, w a r zwar nicht Abneigung gegen das Dogma überhaupt, w ohl aber die Ueberzeugung, „d a ß man jederzeit der menschlichen Gelehrsamkeit und Philosophie mehr G ew alt über die göttlich geoffenbarte W eisheit eingeräumt, als es die Beschaffen­ heit und die verschiedene N a tu r beider Dinge vertragen habe" 2) . O ffenbar wünschte er eine

einfachere, zu dogmatischen V e rw ir­

rungen weniger Anlaß gebende Fassung des Glaubens als er sie selbst in seiner Kirche vorfand.

Ganz

besonders w ar er gegen

die m it der Platonischen Philosophie zusammenhängende dogma­ tische S peculation des dritten Jahrhunderts eingenommen, er be­ zeichnet sie geradezu als verderblichen Abweg und philosophische Vermessenheit,

welche viele Hauptstücke der R eligion, die sonst

einfältig und deutlich gewesen, in philosophische Finsterniß einge­ h ü llt und jenen unglücklichen Krieg zwischen Glauben und V e r­ n u n ft, zwischen R e lig io n und Philosophie, der durch alle J a h r­ hunderte bis auf die Gegenwart herabreicht, eröffnet habe3) .

Zur

Begründung seiner Ansicht bezieht er sich au f den Neoplatonism us des A m m o n iu s S a k k a s

und die von

ihm

eingeführte V e r­

mischung religiöser und philosophischer Sätze, au f die allegorischen Künste des O r i g e n e s ,

die Unterscheidung einer geheimen und

öffentlichen Lehrform und die asketische Neigung der A lerandriner In

dieser, bescheidenen Anwendung konnte sich jeder V ernünftige

M osh eim 'ö

Behauptung gefallen lassen.

Schärfer gefaßt lag

*) Ebendaselbst § 1. „ D i e K . Geschichte des N . T . ist eine deutliche und aufrichtige E rzählung der äußerlichen und innerlichen Begebenheiten in der Ge­ sellschaft der Christen, in einer solchen V erbindung der geschehenen D inge m it ihren Ursachen vorgetragen, daß w ir die göttliche Vorsehung bei ih re r S tiftu n g und E rha ltung daraus einsehen und weiser und from m er werden können". a) Ebendas. § 15. * ) Lehrbuch der K . G . I , S . 226.

*) Commentarius de rebus Christianorum, p. 303. Pauci sunt christianae theologiae loci, quos intactos doctores hi reliquerunt, quos cupido inflaverat christianam sapientiam cum philosophia sociandi. Vgl. die Ab­ handlungen : De Studio Ethnicorum Christianos im itandi, und De turbata per recentiores Platonicos ecclesia, in M osheim 'S Dissertt. ad hist, eccl, pertinentes, auch hinter Cudworthi systema intellectuale tom. I I .

14*

SIS

Sechstes Buch. Vierter Abschnitt.

aber darin ein dunkler Punkt für die historische K ritik; denn dasselbe Zeitalter, in welchem M o s h e im die philosophischeVerderbniß und Verdunkelung beginnen läßt, w ar doch für die Gestaltung der patristischen Theologie von größter Wichtigkeit gewesen, und räum te man einmal einen philosophischen Einfluß ein: so fragte sich weiter, ob derselbe auf den I n h a lt z. B . der T rinitätslehre auszudehnen sei und welche „Einfältigkeit" und „Deutlichkeit" des G laubens übrig bleibe, sobald diese Einwirkung in Abzug gebracht w ird. Und dam it hing ferner die ganze Werthschätzung des spekulativen D vgm a's zusammen, wenn man untersuchte, ob die griechische Philosophie, welche jene Denkformen begünstigte, als fremdartiges Beiwesen zu betrachten sei, oder ob sic eben d azu'habe müssen herangezogen werden, um die christliche Lehre mit dem wissenschaftlichen Geiste der W elt auszusöhnen. V iel früher schon hatte der Arminianisch gesinnte Prediger S o u v e r a i n s die Logoslehre der alten Apolo­ geten und A lerandriner als eingeschlichenes Product des P lato ­ nism us beseitigen wollen und damit die T rinitätslehre angetastet. Auf diese radikale Kritik des Platonisme devoile (1700) ') waren B a y l e und C l e r i c u s aufmerksam geworden, M o s h e im eignete sie sich nicht a n ; aber er hat doch durch Hindeutung auf den phi­ losophischen Antheil der Kirchenlehre den W eg in das In n ere dogmen­ historischer Untersuchungen als Einer der Ersten gezeigt. W eil er in der scharfen Zergliederung des Göttlichen das W agniß einer von der Schulsprache der Philosophen gesteigerten W ißbegierde er­ blickte: so wandte er sich in seinen Predigten um so lieber von der gelehrten Verschärfung des D vgm a's ab und ließ die Schw ierig­ keiten hinter sich liegen, die er als Historiker wie als Kritiker ') I n deutscher Bearbeitung: „Versuch über den Platonism us der Kirchen­ väter oder Untersuchung über den Einfluß der platonischen Philosophie auf die Dreieinigkeitslehre in den ersten Jahrhunderten, 1782. D a s Resultat ist nament­ lich gegen GK Bulli Defensio fidei Nicaenae, Oxon. 1685 gerichtet und kommt darauf hinaus, daß die Lehre von der Präexistenz und Persönlichkeit des Logos und demgemäß auch die Nicänische und Arianische Vorstellung aus mißverstan­ denen Platonischen Ideen hergeleitet wird. S . die Vorrede der deutschen B ear­ beitung.

philosophischer Systeme m it Aufbietung aller Kräfte zu ermitteln und in 's Licht zu stellen beflissen w ar W ollen w ir noch auf M o s h e im 's S it t e n l e h r e *2J , seinen einzigen B e itra g zur systematischen Theologie, Rücksicht nehmen: so geschieht es, um dam it eine kurze Bezeichnung des Ganges zu verbinden, welchen die Entwicklung dieser D is c ip lin seit C a l i r t genommen hat.

C a lir t 's

Versuch fand baldige Nachfolge; zahl­

reiche Beiträge zur S ittenlehre beweisen, Interesse in

wie sehr das ethische

der R eligion im Steigen w ar.

W ährend aber die

nächstfolgenden Bearbeiter wie D ü r r , M e i e r , R ir n e r sich nicht ohne Geschick an den gegebenen E n tw u rf anschlossen: zeigten sich doch die eigenthümlichen Schwierigkeiten zugleich theologischen M o r a l. leichter herstellen D ogm atik.

einer selbständigen und

Eine n a t ü r lic h e E th ik ließ sich

als eine sogenannte natürliche Theologie oder

Indem das wissenschaftliche Bewußtsein aus den kirch­

lichen Schranken heraustrat, konnte es den S to ff der M o r a l durch Verschmelzung m it Philosophie und Rechtslehre leichter als den der Dogmatik an sich heranziehen.

D ie

Theologie sträubte sich

gegen diese Ablösung, erschwerte aber gleichzeitig die selbständige Behandlung einer D is c ip lin , welche doch mehr werden sollte als ein bloßer Anhang und Anwuchs der Glaubenslehre.

W ir sehen

sie daher nach entgegengesetzten Richtungen entweder in völliger oder in

allzu

geringer

Unabhängigkeit sich entwickeln.

Einige

Schriften bezwecken gänzliche Em ancipation von der Theologie und Entwicklung einer menschlichen Sittenlehre lediglich aus dem N a tu r­ gesetz; die meisten wollen innerhalb der theologischen Grenzen ver­ bleiben.

P u f e n d o r f ° ) z. B .

gehört in die erstere Klasse, er

geht von dem allgemeinen Wesen der menschlichen Handlungen und den Bedingungen moralischer Zurechnung aus; hierauf giebt er eine Pflichtenlehre, gegründet auf die gemeingültigen O bliegenJ) $ßLnod)Moshemiidiss. D e Christo unicctheologoimitando, Heim st. 1723. 2

) Sittenlehre der h. Schrift, Helmst. 1735 — 5 3 ,

9 Bde, die vier letzten

von I . P . M ille r hinzugefügt. 3) Sam. Pufendorf, D e officio hominis et civis secundum legem natu­ ralem lib ri duo, Lips. 1726.

214

Sechste« Buch.

Vierter Abschnitt.

Herten des Einzelnen gegen sich selbst, gegen G ott und die um ­ gebende Gesellschaft, sodann au f die besondern Pflichten des b ü r­ gerlichen und des Familienlebens, einem Status naturalis ,

w eil Jeder sich nicht n u r in

sondern auch adventitius befinden muß.

Oberster Grundsatz ist die Förderung des Gemeinwohls. Darstellungen enthielten

keineswegs was

Solche

sie beabsichtigten,

ein

bloß natürliches Moralsystem, aber sie knüpften n ur oberflächlich an die christliche Idee und konnten die theologische M o r a l nicht ersetzen, welche sich nun v ö llig unverm ittelt neben sie stellte.

V om

P ietism us bemerken w ir hier, daß er allerdings den Glauben sitt­ licher gemacht und fü r das sittliche M om ent erschlossen, aber fü r die A usbildung

einer

theologischen Ethik Nichts

geleistet hatte,

offenbar w eil es ihm an systematischer K ra ft gebrach.

Indessen

hängt doch B u d d e u s m it dieser Schule zusammen, welcher auch a ls

M vraltheologe

zu bedeutendem

Evangelium , so beginnt B u d d e u s aber rrjs *) Berleb. Bibel, V, S . 5. 201. *) Bergt, die Vorrede des ersten Bandes.

Alle theo-

Sechstes Buch.

23 6

Vierter Abschnitt.

logischen Parteien und Standpunkte, der moderne Freidenker, der Gelehrte, der gläubige Ereget, der kirchliche Praktiker suchten wett­ eifernd die B ib e l an sich zu ziehn, sie fü r sich und ihre Interessen zu gewinnen. S o zugänglich, so wenig von confessionellen Satzungen umstellt w ar die h. S ch rift zwei hundert Jahre lang nicht gewesen, aber auch nicht so sehr in den S ta n d gesetzt, neue und immer neue Forderungen fü r ihre Erforschung geltend zu machen.

Und was

lernte die Theologie aus diesen, sei es populären sei es wissen­ schaftlichen Bibelwerken?

Ic h

glaube sie wurde

geübt in

der

schweren P flicht, den Buchstaben, welcher den Einen zu viel den Andern zu wenig darzubieten begann, a ls la sse n . wahres

solchen bestehen zu

Denn dieser biblische Buchstabe offenbarte erst dann sein und

unverändertes

G epräge,

als

ihn

so verschiedene

Hände bald zu erweichen und umzugießen, bald härter oder künst­ licher zu machen suchten.

An der großartigen Einfachheit der h.

S c h rift stärkte und belebte sich die religiöse Geistesthätigkeit des P rotestantism us;

ih r unerschöpflicher Reichthum aber weckte die

Erkenntniß, daß das Geschäft der In te rp re ta tio n , statt beendigt zu sein, in vielen Stücken von vorn anfangen müsse.

III. E x e g e s e

und Kritik.

A l b r e c h t B e n g e l. Nachdem die allgemeinen sprachwissenschaftlichen Bibelstudien ' ) schon früher einen großen Umfang gewonnen hatten, wurden sie fetzt unter V iele getheilt und gründlicher

durchgeführt.

wie A . S c h a l t e n s , E r p e n i u s , R e l a n d , I .

M änner

Chr. M ic h a e lis

betrieben die semitischen Dialekte m it philologischem Geist, während Andere wie S c h ö t t g e n die rabbinische und jüdische Literatur im Interesse

der

Theologie

ausbeuteten.

D ie

Verwandtschaft der

alten Uebersetzungen, der W erth der S eptuaginta, die heraplarischen Reste und die J ta la , — gaben,

Alles

enthielt dankbare gelehrte A u f­

an denen sich der kritische Scharfblick ungehindert üben

*) Bergt. Meyer'S Geschichte der Schristerklärung, Th. 4.

Biblische Wissenschaft und Hermeneutik.

konnte.

237

D a s Ansehen der alerandrinischen Uebersetzung sank, ihre

historische Merkwürdigkeit wuchs durch genauere E rm ittelung ihres Ursprungs.

M i t der erkannten Abhängigkeit vieler neutestament-

lichen Citate von der S eptuaginta tra t ein unverleugbares menschli­ ches Element in den B ib e lte rt.

D e r handschriftliche Apparat des

N . T . w ar schon gewaltig angewachsen, ehe der des A . T . her­ beigeschafft w urde;

doch

geschah das Letztere m it

der

größten

Energie, und K e n n ic o t t 's Unternehmen erhielt durch den E ife r, m it dem es in den Jahren 176 0 — 70 an allen O rten unterstützt w urde,

den glänzendsten E r f o l g D e r

S ta n d

der

biblischen

Jsagogik w ird durch I . G . P r i t i u s und mehr noch durch den hochverdienten I . D . M ic h a e lis

bezeichnet,

obwohl das Werk

des Letzteren erst in der späteren Bearbeitung, deren w ir gedenken werden, Epoche gemacht h a t *2) . Aufmerksamkeit verdienen die hermeneutischen Grundsätze dieser Uebergangszeit, w eil sie am Alten noch festhaltend schon durch kri­ tische Anläufe wankend gemacht wurden.

Der P ietism us w a r auf

Abwege gerathen, w eil er sein besonderes Verständniß der B ib e l nur innerhalb des O rgans

der Erleuchtung

hatte gelten lassen

w o lle n ; dies führte zu einer doppelten Auffassung, und F rancke läßt wirklich die Unterscheidung des buchstäblichen von dem geist­ lichen Schriftsinn

in

die Hermeneutik übergehen.

ging Jos. Jak. R a mb a c h 3) ,

Noch weiter

ein übrigens verdienter und kennt-

nißreicher M a n n und bekannter Liederdichter, der ungeachtet seiner praktisch-erbaulichen Gcmüthsrichtung sich doch einen höheren G rad ')

F r. Walch, Neueste Religionsgeschichte, I, ) Ibid. cp. X, p. 121. 4) Ibid. cp. XI, p. 129. We shall generally find those ecclesiastics, who inveigh most against freethinking, are the real enconragers of immorality. — p. 133. The non distinguishing means from ends has been the occasion of endless Superstition. — Among the protestants of what deno-

346

Sechstes Buch. Fünfter Abschnitt.

I n solchen Gemeinplätzen und leichten Schlußfolgerungen verläuft die H älfte des Buchs. Ein anderer Abschnitt soll nachweisen, daß auch die Ausübung der positiven Religion mit den Principien der V ernunft und dem Wesen der Sittlichkeit im B unde bleiben, der Geist den Buchstaben überwinden muß und das Recht der P r ü ­ fung nicht aufgegeben werden darf, daß die Seligkeit nicht von Dingen abhänge, die von W enigen verstanden werden oder einer geringen P artei angehören, daß die Grundsätze des Evangelium s nicht dazu dienen sollen, um das Volk in ein partikulares und unfruchtbares Bekenntniß hineinzuzwingen. **) I n diesem S inn e wird auch G utes und Treffendes ausgesprochen, und es fehlt nicht an gelehrten Zwischenbemerkungen, z. B . daß in den Allegvrieen des O r i g e n es schon ein ältestes M ittel der Kritik und der Erhebung über einen unannehmbaren Buchstaben enthalten ge­ wesen. Doch sucht man vergebens nach einer gründlichen B e ­ trachtung der christlichen Lehre und Kirche, und selbst eine be­ stimmte Unterscheidung der Religionen und Confessionen wird nirgends gegeben, sondern unter bunten Citaten aus alten und neuen Schriftstellern, unter gehässigen Anspielungen auf falsche Schrifterklärung, Buchstäbelei und Dogmenwesen wiederholt der Verfasser stets sein altes T hem a, daß das Christenthum nur als Prom ulgation der natürlichen Religionssätze zu betrachten und so­ weit es in dieser aufgeht, auch aufrecht zu erhalten sei. D er I n ­ halt dieser Naturtheologie kommt etwa auf dasselbe wie bei E h e rb u ry hinaus. E s braucht nicht gesagt zu werden, daß auch dieses deistische M anifest macherlei W ahres und Zeitgemäßes enthält; allein es beruht doch auf einer doppelten Täuschung. D enn weder ist das mination soevcr, thcy who lay the greatcst stress on useless speculations, rites, modes and eeremonies, are for the most part sour, ill natured persons, ready to corae into any persecuting measures for their sake: but nothing has done so imich mischief as that most monstrous opinion of imperium in imperio. *) Christianity as old. etc. cp. XIII. a) Ibid. cp. XII, p. 183.

Tindal tt, Tvllins. Princip des Freidenkens.

347

Natürliche schon so christlich, noch das Christliche so unmittelbarer N aturausdruck, wie T i n d a l will. Jedenfalls ist sein Christen­ thum , wie er es darstellt, doch j ü n g e r als die Schöpfung, und die natürliche Religion würde er nicht so tapfer loben können» wenn er sich nicht Herausnahme, sie mit Bibelsprüchen zu intet» pretiren. T i n d a l s i r i r t und c h r i s t ia n i s i r t also das N atu r­ princip, um das andere des positiven G laubens zu e n tle e r e n , damit sich ergebe, daß das eine lediglich in dem andern erneuert w erde; das innere Verhältniß des Natürlichen und Geschichtlichen bleibt im Dunkeln. Anerkennung verdient die Tendenz, in alle Endzwecke der Religion Einheit zu bringen; aber sie tritt in der schlechtesten G estalt auf, und wenn T i n d a l so oft behauptet, daß aller christliche G laube von dem Vernünftigen und Sittlichen im Menschen abhängig sein müsse: so w ar damit zunächst nur gesagt, daß der Mensch nur als ein sittlicher und vernünftiger Religion habe, w as auch die Gegner einräum ten. D ie Kritik bleibt ober­ flächlich, weil sie mit allgemeinen G rößen und G ründen handelt, die entweder Zuviel oder nicht genug beweisen. D a s V ernunftprin­ cip aber, welches T i n d a l in dem Natürlichen und Ursprünglichen wiederfindet, trifft ungefähr zusammen mit dem des F r e i d e n ­ k e n s , welches gleichzeitig von A n to n y C o l l i n s (gest. 1729) auf die Fahne der P artei geschrieben wurde. ‘) Auch dieses freethinking ist ein gestaltloses D in g , und die von C o llin s ge­ gebene Erklärung geht in 's Ungewisse. Denn es wird zur H älfte so beschrieben, daß es als einziges M ittel aller Erkenntniß mit dem Denken selber zusam m enfällt/) zur andern Hälfte steht es dem G lauben und Aberglauben in Bausch und Bogen gegenüber. D a s unfreie Denken wird unbesehen mit dem Aberwitz und der 1) A discourse on freethinking, Lond. 1713. Lechler a. a. O. S . 222. Von C ollin s handelt der erste B and in Thorschmid's Bibliothek. 2) „U nter Freiheit des Denkens verstehe ich denjenigen Gebrauch des Ver­ standes, da m an sich bemühet, den wahren S in n eines jeglichen Satzes zu ent­ decken, A lles zu erwägen, w as für oder wider die Gewißheit desselben ist und entweder nach der Stärke oder Schwäche der darin befundenen Gewißheit sein Urtheil über einen solchen Satz zu fällen." S . Thorschmid, I, S . 83.

Sechster Buch. Fünfter Abschnitt.

348

Superstition und mit den Hirngespinsten einer herrschsüchtigen P rie ­ sterkaste identificirt, das freie aber doch wieder für die R eligion in Anspruch genommen, ja aus der Schrift hergeleitet, und so hat es der Schriftsteller in der H and, wo er die Grenzen ziehen und wie weit er sich von der Auctorität lossagen will. Wissenschaftlich betrachtet bleibt also der Begriff des Freidenkenö unbestimmt und dehnbar, nur praktisch macht es C o l l i n s zu einer bequemen W affe, um das ganze Heer der Theologen und Hierarchen au s dem Felde zu schlagen. S o g a r die Mill'sche Ausgabe des N . T . wird wegen ihrer massenhaften Variantensam m lung für ein trü ­ gerisches S p ie l ausgegeben, wie es nur die Theologen zu W ege bringen. Ernsten und maaßvollen G egnern, wie sie hier das W ort nahmen, konnte es jedoch nicht schwer werden, die Religion gegen solche Anklagen der Unvernunft und Gedankenlosigkeit zu schützen. W ir erwähnen in diesem Zusammenhange noch den geistreichen G rafen A s h le y C o o p e r v o n S h a f t e s b u r y ( t 1713). Dieser zeigt sich als ein vornehmer M an n , ein Schriftsteller von G e­ schmack und umfassender B ild u n g , der ab er, statt ernstlich aus die religiösen Fragen einzudringen, vielmehr mit leichten satirischen Blicken über die kirchlichen Erscheinungen hinschweift. Z w ar h a­ ben seine vielgelesenen „Charakteristiken" ') einen bedeutenden K ern; denn wie C o l l i n s das Denken auf sich selbst stellt: so will S h a f t e s b u r y das Handeln von dem Gängelbande der Religion befreien. E r verficht durchaus die Selbständigkeit der M o ral und läßt nur die allgemeinsten Vorstellungen von G ott und W eltord­ nung a ls berechtigte M otive für die Tugend ü brig; jede andere Abhängigkeit führt zur Schwäche und Untugend. W ie übrigens die beliebten deistischen S tich- und Schreckworte von ihm ausge­ beutet werden, beweist z. B . die Abhandlung über den „E nthu­ siasm us". I n diese Kategorie läßt er nahezu jede Art des reli­ giösen Eifers fallen; alle unheimlichen Geister werden hineingebannt, bis am Ende — nur die M usen außerhalb bleiben. Die Reforl )

3 voll.

Charakteristics of men, mann erg, opinions, times etc.

Basil. 1790.

Shaftesbury über bett Enthusiasmus.

349

matoren waren meist wenig besser als Enthusiasten, die Priester aber haben die Liebe zum Blutvergießen jeder andern Leidenschaft vorgezogen. Ein guter Christ ist, wer leicht dahin kommen kann, außer allen biblischen und traditionellen W undern noch ein gutes Theil von Altweibergeschichten zu g la u b en .') M it solchen T ira den versetzt S h a f t e s b u r y seine zuweilen ernste und wohlgemeinte Rede» mit solchen Uebertreibungen begleitet er die Empfehlung des „guten H um ors und der Heiterkeit", die an, die Stelle des melan­ cholischen Betriebes der Religion (Ihe melancholy way of treating religion) treten sollen. Tragisch ist natürlich für S h a f t e s b u r y der Eindruck der Kirchengeschichte, denn sie wimmelt von den Früch­ ten des „E nthusiasm us". Gegen diesen Feind und gegen den an­ dern der Superstition kann uns nur die freie Untersuchung schützen, und wenn w ir diese nicht selbst auf die F rage nach dem Dasein G ottes ausdehnen wollen aus Furcht dessen S tra fe zu verwirken: so tasten w ir schon die G üte des höchsten W esens an .") Hinzu­ fügen müssen w ir noch, daß sich S h a f t e s b u r y nicht gab wie er w ar. Denn neben seinen zahlreichen tadelnden Aeußerungen finden sich S tellen , in denen er seine feste O rthodorie und B ei­ stimmung zu der gesammten kirchlichen Lehre bekennt. Gew iß würde er daher als verkappter Atheist angeklagt worden sein, wenn ihn nicht sein hoher R ang gegen die harte B ehandlung, welche Andere erleiden mußten, sichergestellt hätte.") S o v iel von den Deisten im engeren S in n , deren D arstellun­ gen mehr über den Dingen schweben als gründlich in sie eindringen, weil die Scheu vor allem Geistlichen und Theologischen sie an unbefangener Betrachtung hindert. W ir zählen besonders C h e r l ) Characteristics I, p. 3. 4. 23. a) Bgl. ebendas, p. 26. 30, wo Shaftesbury das sogenannte argumentum a tuto alS the most beggarly refuge imaginable bestreitet: That they should strive to have faitli and believe to the utmost: because if after all there be nothing in the matter, there will be no härm in being thus deceived, but if there be any thing, it will be fatal for them, not to have believed to the full. S . auch Characteristics II, The moralists. 3) Characteristics, III, p. 315. Paddison, p. 311.

Sechstes Buch.

350

Fünfter Abschnitt.

b u r y , T i n d a l und C o l l i n s während H o b b e s

zu diesen u n f r e ie n Freidenkern,

und T o la n d ernstlicher zu Werke gehen und

daher eine positive Betheiligung legen.

D ie

Letzteren

am Christenthum

bezeichnen

zugleich

die

an den T a g

k ritis c h e

Rich­

tung des D e is m u s , die selbst wieder m it sehr ungleichen Gesin­ nungen verbunden auftreten konnte.

C h a r le s B l o u n t , ' ) gest.

1693, übersetzte die ersten Bücher des P h ilo stra tu s; bei die F ig u r des A pollonius von T yana

wenn er da­

m it Seitenblicken auf

Christus idealisirte, und wenn er außerdem die bessere R e lig io n s­ philosophie der Heiden über den christlichen Glauben erhob: waren dies schwächliche Plänkeleien. m as

C hubb,

der sich durch seine niedrige Herkunft von

M ehrzahl unterscheidet.") daß

der

D ie Gesinnung dieses M annes ist ernst,

sein Scharfsinn unverkennbar. B lick gethan,

so

W e it bedeutender ist T h o ­

Und darin hat er einen richtigen

er das Wesen der christlichen R eligion

als

höchste s ittlic h e W a h r h e it u n d K r a f t aus den bloßen Wissens­ angelegenheiten, m it denen es die M ehrzahl vermengte, herauszog. Z u r Rettung des Menschengeschlechts, zur Erlösung von der S ünde ist der H eiland erschienen, darum fordert er Unterwerfung unter das göttliche Gesetz, empfiehlt die Buße und droht m it dem gött­ lichen Z orn und Gericht.

Nach so vielen unfruchtbaren und natu­

ralistischen Gemeinplätzen ist es eine W ohlthat, de» ethischen Kern des Christenthums kräftig hervorgehoben zu sehen, und C h u b b hatte den guten W illen, der christlichen Gesellschaft dadurch aufzu­ helfen,

daß er sie an die einfachen Pflichten des Evangeliums

band.

V o n Christus aber sagte e r:

Leben und lebte seine eigene Lehre." H e rrn w ar er also ergriffen. nun

„ E r predigte sein eigenes

V on der sittlichen Größe des

A llein diese M änner wollten sich

einmal jeder dogmatischen Unbequemlichkeit

entledigen;

sie

waren aller lehrhaften Ausbildung der christlichen Id e e so abhold, *) Blount, De anima mundi, The two first books of Philostratus, Miscellaneous works, Lechler, S . 115 ff. a) Chubb, The true gospel of Jesus Christ asserted, Lond. 1738. Ueber die verwandte Schrift des Anton B u ry The naked gospel s. Lechler, S . 145.

351

Chubb u . Woolston.

daß sie auch ihre richtigen Erkenntnisse nur in radikaler Weise aus­ beuteten.

Auch C h u b b verflacht die von ihm ausgestellten G ru n d ­

sätze in der E rklärung wieder, so daß sie auf allgemeine Recht­ schaffenheit und Vernünftigkeit h in a u s la u fe n .') wurde

er immer destructiver.

Schriften geübte K ritik ist roh.

D ie von

ihm

Nach und nach in

nachgelassenen

Nicht genug daß alle doctrinalen

Folgerungen, die über das angegebene M aaß hinausgehen, ohne Weiteres beseitigt und die Dogmen als antichristliche Verderbnisse behandelt werden, sondern auch von der evangelischen Geschichte bleibt wenig Sicheres übrig als die nackte W ahrheit, daß Christus gelebt habe.

Indessen finden sich in seinen desultorischen Bew eis­

führungen auch einige wichtige Gesichtspunkte, die von dem deut­ schen R ationalism us später wieder aufgenommen wurden, wie die Unterscheidung der Lehre Christi von der apostolischen. In

eine dritte Kategorie stellen w ir die speciellen Verhand­

lungen über Wunder und Weissagungen und über das V erhältniß des Alten Testaments zum Neuen.

D ie englische Theologie hat

auf diese historischen B ew eism ittel jederzeit den größten W erth gelegt, einen größeren a ls die deutsche selbst im Z eitalter der O r ­ thodoxie.

Behauptete doch selbst H o b b e S , daß die Offenbarung

nur auf e m p iris c h e m Wege also durch W under als solche d a rgethan werden könne,') und S h a f t e s b u r y ' s

religiöse Em anci­

pation besteht großentheils in der Lossagung von dem alten w ie von dem modernen W underglauben. ebenso groß wie der öffentliche Anstoß.

D a s Reizmittel w a r also Von T h o m a s W o ö l ­

st o n s ' ) W underkritik als einem V orspiel der späteren natürlichen oder mythischen Erklärungen ist in unserer Z e it mehrfach die Rede gewesen.

Es w ar indessen keine reine K ritik , sondern versetzt m it

einem willkürlichen A llegvrism us und O rigenism us, von welchem W o o l s t o n ausgegangen w a r, und m it dessen H ü lfe er dem dog' ) W eshalb Lechler auch seinen S tandpunkt als moralisches Seitenstück zu dem de» T in d a l bezeichnet S . 343. - ) Lechler, S . 86. * ) Geb. zu C am bridge, gest. nach schweren Bußen 1731 im P g l. S tra u ß , Leben Jesu I I , S . 6 7 6 ff.

Gefängniß.

352

Sechste« Buch.

matischen Formelwesen w ollte.

Fünfter Abschnitt.

und der Buchstabenknechtschaft vorbeugen

Unstreitig kritisirt

er die neutestamentlichen W under m it

Scharfsinn; allein er sucht sich auch solche aus, die sich am Leich­ testen anfechten lassen wie die von der Verfluchung des Feigen­ baums, vom Teiche zu Bethcsda und von der Auferweckung des Lazarus, und er stellt Forderungen an die biblischen Berichte, bei denen von dem E influß religiöser Auffassung und Ueberlieferung vollständig abgesehen w ird .

D ie W under werden nur als nackte

Vorgänge beurtheilt ohne Rücksicht auf den Geist, der sie umgiebt, und den Zweck, welchem sie dienen, und diese Behandlungsweise treibt entweder auf den alten mechanischen W underbegriff zurück, oder sie fü h rt zu gänzlicher Zerstörung.

D a die biblischen Erzäh­

lungen den Bedingungen historischer Deutlichkeit nicht genügen: so macht er sie zu thörichten Romangeschichten, welchen erst die A lle­ gorie eine Bedeutung geben kann.

Zuletzt läßt W o o ls to n wie

einst C e ls u s einen Juden, so einen Rabbinen in die Schranken treten, welcher die Geschichte der Auferstehung Christi theils auf Täuschung theils auf B e tru g der Jünger zurückführt.

D a s letzte

Resultat w a r also das anstößigste, und es erklärt ebenso den un­ geheuren Absatz des Discourse on the miracles of our saviour, wie

die

unerhörte

Menge

der W iderlegungen.')

bleibt es aber und fü r die B ild u n g

M erkw ürdig

der Deisten charakteristisch,

daß in einem so wilden K ritike r die Geringschätzung des Biblischen m it einer schwärmerischen Verehrung der Kirchenväter zusammen bestehen konnte. — I n

engem Zusammenhang m it dieser Debatte

steht die andere über die Weissagungen, und dieser legen w ir einen ungleich

höheren

theologischen

W erth

bei.

C o llin s,

der

oben erwähnte Apostel des Freidenkens, w a r durch die seltsamen

*) D ie S c h rift erschien Lond. 1729 und w urde nachher vielfach ausgelegt und in einem Defence des Verfassers vertheidigt.

U nter den Gegenschriften ist

die von S herlock: T h e tryal of the witnesscs of the resurrection of Jesus, Lond. 1729, die berühmteste. laßt durch die S c h rift:

Eine Fortsetzung desselben S tre its wurde veran­

The resurrection of Jesus considcred — h y a moral

philosopher (Peter Annet), 3 edit. Lond. 1744. in dem Leben des P a u lu s s. Lechler S . 315 fs.

Ueber die K ritik der W under

Urtheile über den Weissagung-beweis.

353

kritischen E infälle des W . W h is to n in Cambridge, welcher die Septuaginta und den Urtext des A . T . fü r verfälscht ausgegeben hatte, auf die Untersuchung der neutestamentlichen Citate hinge­ führt worden.

E r verglich W under und Weissagungen und fand

die stärkere Beweiskraft in den letzteren, w eil sie b le ib e n d e W u n ­ der seien, deren Nachweisbarkeit nicht m it dem Factum der A us­ führung verschwindet.

D a ra u s wurde nun eine K ritik der Weissa­

gungen, aber eine destructive, die m it der Verw erfung der bisher angenommenen Prophetie endigte.

C o llin s

h ie lt sich durchaus

an die Citate im N . T ., und indem er zeigte, daß wie der P ro ­ phet Jes. 7 ,1 4 nicht die G eburt Christi vor Augen gehabt, ebenso auch die übrigen prophetisch angezogenen Stellen in ihrem eigenen Zusammenhang einen andern S in n ergeben als in welchem sie be­ nutzt werden: machte er den Schluß, daß das ganze V erhältniß lediglich auf Analogieen und Typen beruhe, n ur allegorisch oder typisch sei das A. T . im N . enthalten oder e rfü llt.

Eigentlich kam

diese Untersuchung zu frü h , denn sie fand die exegetische Wissen­ schaft nicht vorbereitet; gleichwohl wurde sie m it Scharfsinn und E ifer aufgenommen, und die zahlreichen Gegner vertheilten sich unter diejenigen S tellungen, welche die eigenthümliche Sachlage erlaubte, blieb.

so daß kein an sich möglicher Standpunkt unvertreten

Einige wie C h a n d le r blieben unerschüttert,

sie behaup-

teten m it orthodoxer Strenge, daß Weissagung und E rfü llu n g sich decken und die angezogenen Stellen Alles leisten, was die Citate ihnen zumuthen, wenngleich das Vorkommen typischer Anwendun­ gen einzuräumen sei.

Diesen entgegengesetzt wollten Andere die

ganze Verbindung m it dem A . T . lieber fallen lassen, als sie von problematischen Beweisen abhängig machen;

sie leugneten also,

daß das Evangelium und die W ürde Christi a u f alttestamentlichen V orbegriffen ruhen, und urtheilten von den C itaten, daß sie den Aposteln nur zur Entkräftung jüdischer V o ru rth e ile gedient. diese M einung

ließ

sich nicht befriedigend durchführen.

stellten sich Einige wie namentlich J e f f r e y

Auch Daher

m it richtiger Einsicht

über beide einseitigen Annahmen; sie hielten fest an der religiösen Gesch. t. tu'i'teft. Dogmotli

111.

23

Sechstes Buch.

354

Fünfter Abschnitt.

W ahrheit der P rophetie, waren aber auch ehrlich und besonnen genug einzuräumen,

daß

in diesen biblischen Wechselbeziehungen

sehr verschiedene Verhältnisse stattfinden und selbst Irrth ü m e r von Seiten der Citirenden vorkommen können.

D ie ganze Frage über

das V erhältniß der Weissagung zur E rfü llu n g wurde also m it achtungswerther Gründlichkeit und nicht ohne guten Gewinn er­ örtert, so daß die spätere deutsche K ritik in jener Debatte eine in ­ teressante V o ra rb e it h a t. ') Urberhaupt ergiebt sich an dieser S te lle , wie tie f der deistische S tre it, der m it philosophischer Abstraktion begonnen hatte, zuletzt in

die Schwierigkeiten der biblischen Specialforschung einführte.

M itte n unter abentheuerlichen Einfällen

und kecken Absprechereien

thaten die Deisten auch richtige G riffe .

M e T o la n d und M o r ­

gan

die kritische Frage über die Abfassung des Pentateuchs an­

regten: so hat C o l l i n s fast ohne Anleitung die spätere Entstehung des D a n ie l verm uthet; er hat den G alaterbrief m it der Apostel­ geschichte verglichen und die Schwierigkeiten in der Vereinbarung der den Apostel P a u lu s betreffenden historischen Notizen gezeigt. Auch a u f das nachapostolische Zeitalter erstreckte sich diese kritische Durchsicht.^)

Ueber die Schätzung des A . T . gerieth man um so

leichter in Verlegenheit, da sich nicht leugnen ließ, daß dasselbe im Neuen ausdrücklich als N orm anerkannt werde.

Verdiente es nun

diese norm ative A uctorität in jeder Beziehung?

D a s wurde da­

m als von T h o m a s M o r g a n in höchst auffälliger Weise bestritten. Dieser

1743

gestorbene Prediger einer Dissentergemeinde schien

alle verkehrten Meinungen der Vorgänger in sich vereinigen zu w ollen.

E r prvclam irte gleichfalls die absolute U r- und N a tu r­

re lig io n , welche im Christenthum n ur ihre Wiederherstellung ge­ funden, er sah in dem D ogm a nur eine frühzeitig mißverstandene und falsch angewendete Allegorie.

W as ihn aber besonders unter­

scheidet, w ar eine geradezu gnostische Herabsetzung des Alten Testa-

' ) M a n vgl. die wohlgelungene Auseinandersetzung von Lechler S . 2 6 6 bis 288, die zu den besten Abschnitten des ganzen Buchs gehört. ») V g l. Lechler, S . 200. 283.

M organ.

mentS.

M o rg a n ')

355

Warburton'S Sendung Mosis.

w a r ein moderner M a rc io n ,

welcher die

Religion Is r a e l's fü r ein gemischtes und demiurgisches Erzeugniß ausgab; denn von Dämonen entstellt sei sie schon unter Moses zu einem Werkzeug der Volksbeherrschung und noch mehr durch das folgende Priester- und Levitenthum zu einem unerträglichen Joche der Satzung geworden und liege uns außerdem in den biblischen Büchern nur in mythischer Einkleidung vor Augen. Is r a e l's G ott.

ist nur ei» untergeordneter D e m iu rg ,

D er G o tt

nicht der höchste

Wenn sich zwar die Propheten über die Schranken der

falschen Hierarchie und des Aberglaubens erhoben haben: so haf­ ten doch selbst an P a u lu s die Schlacken des alten J u d a ism u s. A ls Beweis fü r den ungöttlichen Charakter des M osaism us be­ nutzte M o r g a n den M angel des Glaubens an Unsterblichkeit und Vergeltung, denn wo dieser fehle, werde auch das Gesetz immer n u r bürgerliche und äußerliche Tugenden hervorbringen.

Es ver­

hielt sich m it dem A n g riff M o r g a n 's wie m it anderen, die das K ind m it dem Bade ausschütteten; sein Werk durch die gewöhn­ liche unhistorische Auffassung des Alten Testaments veranlaßt, gab selbst wieder die ärgsten Blößen und nöthigte zur W iderlegung. W i l l i a m W a r b u r t o n , ein ausgezeichneter Schüler Locke's und Bischof von G lvcester*), hat sich dadurch einen Namen in der Literatur gestiftet, daß er trotz des im Pentateuch fehlenden U n­ sterblichkeitsglaubens die „göttliche Sendung M o s is " vertheidigte; er leugnete also nicht das Factum, auf das sich M o r g a n haupt­ sächlich berufen hatte, sondern n ur die daraus gezogene Schluß­ folgerung.

Allerdings

ist die Hinweisung

au f eine Vergeltung

nach dem Tode zum sittlichen H e il der Gesellschaft erforderlich und daher auch von den gebildetsten Völkern des Alterthum s einstim­ m ig anerkannt w orden; aber gerade w e il Moses ohne dieses H ü lfs ­ m ittel der Tugend so Großes leistete, w e il er solche Früchte des *) Morgan, The moral philosopher in a dialogue between Philalethes and Theophanes, 3 voll. Lond. 1737— 40. Lechler, 370 ff. a) Warburton, The divine legation of Moses demonstrated on the prim ciples of a religious Deist etc. Lond. 1738. 4 L Die übrige Literatur bei Lechler, S . 388.

Sechste» Buch. Fünfter Abschnitt.

856

Gehorsams und der Gottseligkeit hervorbrachte: beweist dieser U m ­ stand, daß seine S tiftu n g höheren Ursprungs gewesen und unter einer außerordentlichen Leitung der göttlichen Vorsicht gestanden haben müsse.

L e c h l c r rühm t m it Recht die scharfsinnige Durch­

führung dieses Grundgedankens, an dem unstreitig soviel w ahr ist, daß der M angel jenes Glaubens nach dem ganzen Wesen und W irken der Mosaischen Theokratie, nicht diese lediglich nach jenem zu beurtheilen ist, sowie w ir auch noch hinzusetzen, daß die E r­ w artung des zukünftigen Lebens noch eine andere Schätzung als die in diesem S tre it vorausgesetzte moralische und bürgerliche ver­ langt.

Wenige unter

den damaligen Apologeten haben größere

Anerkennung bei den Zeitgenossen gefunden als W a r b u r t v n . W ir übersehen hierm it die deistische Literatur in hinreichen­ dem Umfange.

D ie Gedanken dieser M änner reichen w e it,

weiter als die K ra ft sie zu beherrschen.

viel

Ih r e Schriften setzen die

ganze christliche Gedankenwelt in Aufregung, führen aber an keiner S telle zu einer stetigen wissenschaftlichen Ueberlegung.

E in stür­

misches Verfahren, ein eilfertiger D ra n g , in der Religion und dem Christenthum aufzuräumen und m it allem Beengenden und Unbe­ quemen fertig zu werden, ist allen ihren Angriffen V on

gemeinsam.

lustigen Abstraktionen ausgehend wurden sie im Laufe der

Z eit in Spccialuntersuchungen verflochten, welche ihnen nach ihren anfänglichen Grundsätzen hätten gleichgültig sein können, B eweis genug, daß das Concrete und Einzelne auch diejenigen heranzie­ hen w ird, welche sich von vornherein dagegen sichergestellt zu haben meinen.

D ie p r i n c i p i e l l e Richtung des D eism us leidet an dem

Absolutism us einer V ernunft, die doch wieder keine rechte V ernunft ist, w eil sie sich aus dem historischen Proceß der R eligion heraus­ w ir ft und von den in ihm wirkenden Geistesmächten innerlich lo s ­ sagt.

Es ist der schlechteste R a tio n alism u s, welcher dem Positiven

Nichts mehr verdanken w ill, indem er darüber abspricht, ohne es verstanden und gewürdigt zu haben.

Oben bemerkten w ir, daß

*) Paddison a. a. O . S . 2 8 2 . 8 3 macht daraus aufmerksam, daß der deistische S t r e it

während

der Hauptperiode sich nicht um bloße C h im ä re n , sondern um

Allgemeines über den D eism u s.

357

selbst die allgemeinsten Religionssätze der N aturalisten den christ­ lichen Einfluß nicht verleugnen konnten. I h r N aturalism us w ar also christlicher als er sein sollte, während die Betrachtung des Christlichen und H i s t o r i s c h e n sofort wieder ganz in's Abstrakte und Allgemeine umschlug. Einigemal wurde versucht, die religiöse Idee innerhalb des positiv Christlichen wiederzufinden und B eides mit einander auszusöhnen; daraus ergaben sich, wie namentlich bei C h u b b , t i e f e r e e t hi s c he Auffassungen des Christenthums, die aber von ihren Urhebern nicht festgehalten w urden. Eine irgendwie befriedigende Erscheinung kann sich daher in diesem Literaturkreise nicht vorfinden, und der gediegenste M ann der gan­ zen Reihe, J o h n Locke, gehört nicht in den engeren Kreis der Deisten. Vergeblich aber und nichtig ist darum der D eism us keineswegs gewesen. Und sollen wir sagen, w as er geleistet: so müssen w ir auf die mancherlei kritischen Griffe und Uebergriffe verweisen, die zunächst in Vergessenheit geriethen, später aber auf deutschem Boden in verbesserter G estalt wieder aufgenommen w ur­ den. Aber selbst das Princip des „Freidenkens" bei aller Unge­ stalt und Verkehrtheit, in der es sich darstellte, hat doch immer ein inneres Verhältniß zu dem allgemeinen Wesen des Protestan­ tism u s; denn dieser erklärt die Auctvrität des Geschriebenen als solche nicht für das Höchste und Letzte in Glaubensangelegenheiten, kann daher auch die Freiheit der Forschung von seinem Gebiet nicht ausschließen. E s bleibt uns übrig, die B e s t r e i t u n g d e s D e i s m u s und die Nächstliegende Apologetik kennen zu lernen. D ie V erw irrung der M einungen w ar außerordentlich groß, zu den deistischen kamen noch die oben erwähnten theologischen und dogmatischen Discussivernste und der B eantw ortung würdige G ründe gedreht habe und darum keine frivole Debatte gewesen sei. Er beurtheilt denselben als daö Resultat einer commonsense- philosophy, welche mit ihrer Arbeit und ihrem Gegenstände fer­ tig ZU sein glaubte. The philosophy of commonsense had done its own work; it attempted more only to show, by its failurc, that some higher organon was needed for the establishment of supernatural truth. — The defect of the 18th Century theology was not in having too much good sense, b u t in h a v in g n oth in g besides. p. 297.

Sechste« Buch.

358 ttett.

D as

Fünfter Abschnitt.

kirchliche Leben forderte Wiederherstellung, und

die

Feindseligkeiten des D eism us vereinigten nach und nach die h a l­ ben und ganzen Gegner zu gemeinschaftlicher Abwehr.

Unter den

Volkskreisen bewirkte der M ethodism us eine Erneuerung des christ­ lichen Glaubens, und dieser unterschied sich merklich von der sanf­ teren und friedlicheren Frömmigkeit der H e rrn h u ter; er nahm die brennendsten Farben christlicher Erweckung an, w eil er mitten im Schovße religiöser Entfremdung entstanden w a r. logie blieb der M ethodism us unfruchtbar,

F ü r die Theo­

erst gegen Ende des

Jahrhunderts knüpften sich an den Streitpunkt der Gnadenwahl schwierige doctrinale Verwicklungen, die jedoch meist n ur der inne­ ren Geschichte dieser P a rte i angehören. Ueberblicken w ir die gelehrte und kirchlich-theologische Lite­ ra tu r: so werden w ir alle Grade der Bekämpfung der Freidenkerei nebst bedeutender Annäherung an dieselbe vertreten finden.

Daß

auch heitere Geister a u f der kirchlichen S eite stehen blieben, be­ weist A d d is o n , der bekannte Apologet und Spectator, noch mehr der Dechant S w i f t ,

denn dieser meinte es m it seiner satirischen

Abhandlung vom 1 . 1 7 0 8 : „daß die Abschaffung der christlichen Re­ lig io n verschiedene Nachtheile bringen und vielleicht einige von den V ortheilen n ic h t haben werde, die man sich allgemein davon ver­ spricht," ' ) soweit gewiß ernstlich, als er überzeugt w ar, daß man m it dem positiven Christenthum nicht so geschwind fertig werden könne. W a s A d d i s o n leistete, w a r keine doctrinale Entgegnung, sondern nur eine Zusammenstellung von historischen Zeugnissen, welche vor der W ürde des Urchristenthums Achtung einflößen sotten. *)

Doch

fließen dabei auch starke Irrth ü m e r ein, z. B . daß der B rie f des Königs Abgarus bei E u s e b i u s Weitesten

fü r echt ausgegeben w ird .

kamen diejenigen Vertheidiger

welche zunächst n u r

den

wieder beleben wollten.

dem

Feinde

Am

entgegen,

erschlafften religiösen Geist im Volke S ie suchten geflissentlich das Feld freier

') Swift, Works Miscellanies, V I eclit. vol. I, p. 88, Lond. 1751. 2) Addison's E ntw urf von der Wahrheit der christlichen Religion u. s. w. übersetzt m it einer Borrede des Abts Jerusalem. Hamb. u. Leipz. 1782. S . 61. 71. Tholuck, Vermischte Schriften, Th. I.

Die Apologeten. Addison, Boyle.

359

N atm betrachtung auf» in der Ueberzeugung daß die tiefere E r­ kenntniß des Natürlichen auch die des Christlichen fördern und unterstützen w erde; und dam it verfolgten sie ein Interesse, das der M ehrzahl gemeinsam w ar und sich als ein stetiger Charakterzug der englischen Religiosität ziemlich bestimmt nachweisen läßt. I n diesem S in n e wirkten schon im siebzehnten Jah rh u n d ert R o b e r t B o y l e (geb. 1627, gest. 1 691), der fromme Physikotheologe und G ründer der Royal Society (1 6 4 5 — 6 0 ). D ie von ihm testamen­ tarisch gestifteten acht jährlichen Predigten hatten den Zweck, die christlichen G rundwahrheiten durch M ittel der Naturanschauung und des Denkens zu begründen, doch mit Uebergehung aller unter den Theologen obschwebenden S treitfragen , omissis omnibus iis, de quibus disceptant Chrisliani. F ür den Volksglauben mögen diese Reden W enig geleistet haben, aber sie beschäftigten doch die ausgezeichneten Talente eines B e n t l e y , C l a r k e , W . W h i s t o n , und ihre Aufgabe ist bis herab zu den B ridgew ater-Büchern jeder­ zeit als vollberechtigt und unentbehrlich anerkannt w orden.l) W ie auf dem neutralen Gebiet der Naturforschung, so begegneten sich viele Theologen auch auf dem noch allgemeineren des wissenschaft­ lichen Nachdenkens über die Religion und trafen zusammen in der Anerkennung eines G lau ben s, welcher die V ernunft im tiefsten G runde für sich, nicht wider sich habe. A n g e b o r e n e Feindschaft beider Mächte w ar ihnen wie so vielen tieferen Geistern des Zeit­ alters ein unerträglicher Gedanke. D as philosophische Princip des D eism us wird freigegeben, dessen leichtsinnige H andhabung ver­ worfen. Locke w ar mit seinem Beispiel vorangegangen, indem er behauptete, daß wer die V ernunft verdränge, um der Offenbarung den W eg zu bereiten, das Licht beider auslösche; aber er hatte zugleich seinem Christenthum in dem biblischen G lauben an Christus den W eltheiland, au s welchem einzigen Fundam entalartikel alle beseligenden W irkungen des Evangelium s herzuleiten seien, einen *) Boyle'S Schriften wurden 1744 von Birch herausgegeben. Vergleiche G. Burnet, A defence on natural and revealed religion, Lond. 1737. Lechler, a. a. O. S. 215. 230. Schröckh, Neuere K. G. VI, 224. Alberti, Briese bete. den neuesten Zustand der Rel. in Großbril. I, S. 54.

360

Sechste- Buch. Fünfter Abschnitt.

ernsten In h a lt gegeben. B on diesem Standpunkte aus ließ sich nach entgegengesetzten S eiten ausbeugen, daher finden wir gerade unter den Conservativen mehrere und gediegene Schüler L ocke's. S o bestreitet B e n j a m i n J b b o t als Gegner von C o l l i n s nicht das Recht des freien Denkens als solches, sondern nur dessen gewaltsam e, befangene und von der rechten W ahrheitsliebe ent­ blößte Anwendung, welche die Religion für die Fehler ihrer B e­ kenner büßen lasse.l) Aehnlich und mit achtungswerther G rü nd ­ lichkeit entwickelt C o n y b e a r e gegen T i n d a l , daß die natürliche Religion allerdings W ahrheit habe, nur keine unbedingte; denn weder könne dem bloßen Naturgesetz eine klare S anction oder ein unwidersprechlicher In h a lt einwohnen, noch erreiche die vernünf­ tige Thätigkeit jem als das Vollkommne, sei vielmehr stets den Schranken menschlicher Entwicklung und individueller Darstellung unterw orfen; und darin hatte er, wie es die Deisten so oft for­ derten, das Denken wieder mit Denken beantw ortet.2) Ueber den M angel des Naturgesetzes erhebt sich das geoffenbarte durch den G rad seiner Sicherheit und weil es allein über die sittliche S te l­ lung des Menschen und dessen Heilöbedürfniß Aufschluß giebt. Die natürliche Religion ist also nach C o n y b e a r e nicht eine bloße Voraussetzung des christlichen G laubens, welche gar nicht hätte entstehen können, wenn nicht der letztere auf sie hingeführt hätte, sondern besitzt eine selbständige aber untergeordnete R ealität, erst durch die Zuthat (superachlition) des Geoffenbarten entsteht ein vollkommnes und haltbares G ebäude. S o urtheilten auch L a r d n e r , C l a r k e , J e f f e r y u. A., auch sie gingen bedeutend auf den S ta n d ­ punkt der Gegner ein, während sie an der Absolutheit der christ­ lichen Religion festhielten und das ihr Eigenthümliche streng posi­ tiv und dogmatisch form ulirten. I h r Standpunkt ist der eines rationalen S u p ran atu ralism u s. S o allgemein w ar also dam als die Anerkennung, daß die religiösen Grundbegriffe wirklich schon ') Lechler, S . 231. a) John Conybeare, A defence of revealed religion against the exceptions of a late writer etc. Lond. 1732 , Deutsch Berl. 1759. — Jeffery, Christianity the perfection of all religion, 1728.

Bentley gegen TollmS.

Lardner.

361

im Bereich des natürlichen Denkens liegen. E s schien nicht ge­ fährlich, den Deisten diese W ahrheit zuzugestehen, um sie der hö­ heren Gewißheit» welcher sie sich entzogen hatten, aufs Neue zu­ zuführen. Auf der andern Seite w ar die philologisch-gelehrte Seite der Theologie stark herausgefordert worden, aber in dieser Beziehung konnten die Deisten keine Eroberungen machen. Ih re Angriffe waren zu tumultuarisch und stellten auch dasjenige, w as sie Rich­ tiges enthalten mochten, in das Licht eines verwegenen M iß ­ griffs. C o ll i n s hatte die Sicherheit des B ibeltertes angefochten und sich erlaubt, die Sam m lungen der V arianten als eine eitle S pielerei der Orthodoxen zu bezeichnen; dafür überschüttet ihn R o b e r t B e n t l e y , nachdem er ihm die sonstige Leichtfertigkeit seiner M ethode vorgehalten, förmlich mit den Geschossen seiner G elehrsam keit.') B e n t l e y ' s W iderlegung w ar geradezu ver­ nichtend, obgleich sie die principielle Frage nicht zur Sprache brachte. T o l a n d hatte im „A m yntor" zwar nicht den ganzen Kanon des N . T . umgestoßen, aber doch im Einzelnen zeigen wollen, wie dunkel seine Entstehung sei und wie wenig V er­ trauen die älteste kirchliche Literatur der apostolischen V äter ver­ diene. D ie gründlichste Entgegnung, die er dadurch hervorrief, w ar ohne Zweifel N a t h a n a e l L a r d n e r ' s , des berühmten Dissen­ ters (gest. 1768), „G laubw ürdigkeit der evangelischen Geschichte/") für seine Zeit ein Werk von ausgezeichnetem Verdienst und die erste sorgfältige Zusammenstellung des die B ildung des Kanons ') S ein e Gegenschrift erschien anonym : Remarks upon a late discourse of freethinking by Phileleutherus Lipsiensis, 1713, deutsch von Nambach 1745. Hierher gehört auch Rieh. Bentleji Stultitia et irrationabilitas Atheismi, Berol. 1696. Vgl. Paddison p. 308. 2) The credibility of the gospel-history etc. Lond. 1747—57. Kurz zusammengefaßt finden sich Lardner's Ansichten in Fides historiae evangeli« cae, Brem. 1733, cum praefatione Wolfii. W ie frei er in dogmatischer B e ­ ziehung urtheilte, beweist seine Erklärung des Logos; siehe den Artikel von Schöll bei Herzog. Von Deutschland aus wurde T olan d 's Am yntor von M o s­ heim beantwortet: Consideratio objectionum in Amyntore jpropositarum etc, 1722.

362

Sechste» Buch.

Fünfter Abschnitt.

betreffenden M aterials. Nach einem so achtunggebietenden V or­ gänge blieb die strenge Gelehrsamkeit größtentheils mit der positi­ ven Theologie im Bunde. Von einem großen Theile der Apologeten darf also gesagt werden, daß sie ein gemeinsames Feld mit den Gegnern aufsuchten und an deren Principien anknüpften; in ihren Schriften gehen rationalistische und supranaturalistische Ansichten in einander, ohne methodisch abgegrenzt zu werden. Andere dagegen enthielten sich jeden Entgegenkommens, ihre Vertheidigung w ar lediglich Polemik. Völlig entschieden wurde der Bruch mit den Deisten durch die bib­ lisch und kirchlich orthodoxen Vorkämpfer. I n dieser Richtung sammelten sich zahlreiche und bedeutende Streitkräfte. T h o m a s S h e rlo c k , gestorben 1748 als Bischof von London, E d w a r d C h a n d l e r , Bischof von D urham (gest. 1750), S a m u e l C h a n d l e r , der Presbyterianer (gest. 1760), pflegen in erster Reihe als streng kirchliche Apologeten genannt zu w erden; ' ) sie warfen sich mit aller Anstrengung auf die Rechtfertigung der biblischen W eis­ sagungen und W under, und namentlich erndtete S h e rlo c k den größten B eifall durch seine mit großer Genauigkeit geführte bib­ lische B ew eisführung der Auferstehung Christi.^) E r gab seiner Schrift die Form eines gerichtlichen Zeugenverhörs, welches nach S am m lung und Untersuchung aller Stellen mit einer feierlichen Freisprechung des biblischen Berichts von jedem Verdachte der T ä u ­ schung oder des T ruges abschließt. E d u a r d S t i l l i n g f l e e t , Bischof von Worcester (gest. 1699), Einer der schroffsten aber auch gelehrte­ sten englischen Polemiker, vertheidigte das T rinitätsdogm a mit dem größten Aufwande, der aber philosophische M änner wie Locke nicht l ) Sam. Chandler, A vindication of Christian religion, 1725. A vindication of the history of the old T. Lond. 1741. 43 (gegen Morgan). — Edw. Chandler, A dcfence of Christianity from the prophecics of the old T. 1725—28. — Sherlock, The use and intent of prophecy in the several ages of the church, 1724. Vgl. Lechler, S . 276. 282—84. 3) The tryal of the witnesses of the resurrection of Jesus, Lond. 1728. I n vierzehn rasch auf einander folgenden Ausgaben wiederholt. Paddison,

p. 303.

363

Erfolg« bet englischen Apologeten.

befriedigte.' )

In

zahlreichen andern polemischen Schriften ent­

wickelte derselbe M a n n und

einen ungewöhnlichen G ra d

archäologischer Kenntniß

und

gelehrter Umsicht.

historischer D a n ie l

W a t e r la n d , Kaplan des Königs W ilh e lm und Gegner C la r k e 's in der T rinitätslehre, schlug jede freidenkerische Neigung m it den Waffen des D ogm a's und der unbedingten In s p ira tio n zurück.') W ir verdanken dem Letzteren, wie bemerkt, die ersten gründlichen Untersuchungen über den Ursprung der Athanasianischen Formel, welche wie die etwas spätere Geschichte des apostolischen S ym bols von K in g (1 7 5 0 ) noch jetzt ihren literarischen W erth behaupten. D as waren die strengen Wächter der Kirche, reichlich ausgestattet m it den M itte ln der E ru d itio n, aber auch an alle Schranken kirch­ licher und dogmatischer Ueberlieferung gebunden. V iele

andere M änner und Schriften könnten noch erwähnt

werden, aber schon die Genannten vergegenwärtigen uns einen be­ deutenden G rad

von religiösem E ife r

und

gelehrter Thätigkeit.

D ie Apologeten haben lange nicht Alles bewiesen oder widerlegt, was sie wollten, aber sie haben doch E tw as erreicht, was w ic h ­ t i g e r w a r a ls a lle e in z e ln e n S t r e i t f r a g e n ;

sie haben im

Gegensatz zum Deism us die noch sehr divergirenden theologischen Farben und Richtungen geeinigt und in der Liebe zur Kirche und zum Christenthum neu befestigt und dadurch einen stetigen F o rt­ gang der Theologie möglich gemacht.

A llerdings hat dieser Rück­

schlag, wie in der Regel in solchem Falle, zu stark gewirkt.

D ie

nächstfolgende Periode w ar der von uns dargestellten höchst unähn­ lich, sie hatte zu wenig von dem, woran jene übermäßig reich ge­ wesen.

D ie englische Theologie zog sich von kritischen und philoso­

phischen Forschungen gänzlich zurück; indem sie die Methode biblisch1) Stillingfleet, Vindication of the doctrine of the Trinity, Lond. 1607. Lechler S . 198.

V on seinen übrigen apologetisch-biblischen Werken sind das be­

deutendste die Origines sacrae, Lond. 1662, welche vielfach edirt und in andere Sprachen

übergegangen den R uhm

des Verfassers fü r die Folgezeit begründet

haben. Seine S chriften erschienen gesammelt Lond. 1706, V I voll. fol. den A rtikel bei Herzog.

V g l.

2) Waterland, A defence of revealed religion etc. Lond. 1732, gegen

Tindal.

364

Sechstes Buch.

Fünfter Abschnitt.

historischer und symbolischer Bew eisführung einseitig fortsetzte, blieb sie hinter der lebendigen Productivität zurück, welche sie im Zeit­ alter des Kampfes so sehr ausgezeichnet h a tte .') D er In h a lt der geschilderten apologetischen Literatur ist n atür­ lich sehr m annigfaltig, läß t sich aber doch auf ein doppeltes I n ­ teresse zurückführen. E s kam erstens darauf a n , die Unzuläng­ lichkeit der natürlichen und zweitens die Glaubhaftigkeit d. h. B e ­ weisbarkeit (credibility) der christlichen Religion in irgend einer Beziehung darzuthun. D ie erste Kategorie bezog sich mehr auf den allgemeinen und ideellen, die andere auf den biblischen G e­ genstand des S tre its . U n e n tb e h rlic h k e it und E r w e is lic h k e it sind die beiden T hem ata, in deren B eantw ortung sich der Fleiß der Apologeten erschöpfte; sie bewegten sich daher in einem be­ schränkten Kreise, und es konnte nicht hinreichen, wenn alle Auf­ merksamkeit nur von diesem Gesichtspunkt geleitet w a r .2) Denn wer das Christenthum kennen w ill, soll nicht allein fragen, ob es beweisbar sei, sondern es ist sehr nöthig, ihm auch über dessen Wirksamkeit und Geist Aufschluß zu geben. Dazu aber wird selbst in den besten Leistungen zu wenig Anstalt gemacht, da sie meist einseitig bei der Sicherstellung eines gegebenen und demonstrabeln In h a lts, der zu dem natürlichen hinzutreten müsse, stehen bleiben. Um dies zu erläutern, möchten w ir dem Leser schließlich noch Einen der edleren Repräsentanten der englischen Apologetik vor­ führen. W ir wählen J o s e p h B u t l e r , welcher 1751 als Bischof von D urham gestorben schon den Ausgang des deistischen S tre its bezeichnet. Den Ruhm und B eifall, welcher B u t l e r bis auf die G egenw art herab unter den Engländern geblieben ist, hat er verdient a ls ein M ann von religiösem Geist und Scharfsinn, dessen Denkfähigkeit sich auch in der Darstellung gewöhnlicher !) P ad d ison a. a. O . S . 2 6 0 unterscheidet beide P erioden so, daß die unserige sich mehr m it der in n eren , die folgende von 1 7 5 0 beginnende sich vorzugsw eise m it der äußeren und historischen G laubw ürdigkeit des C hristenthum s beschäf­ tigt habe. a) Dies wird von Paddison richtig hervorgehoben a. a. O. p. 260 . The only quality in scripture, which was dwelt upon, was its „credibility.”

Analogie der natürlichen und geoffenbarten Religion. M aterien nicht verleugnet.

365

Auch ist er ein leidenschaftsloser D en­

ker, manche Zeitgenossen vermißten sogar den rechten E ifer an ihm. Ohne polemische A usfälle und

m it Uebergehung jeder gelehrten

Umständlichkeit faßt er die allgemeinen Ideen, welche die vergan­ genen Streitigkeiten in U m la u f gesetzt hatten, von einem bestimmten Gesichtspunkt aus in ein Ganzes zusammen.

Nach seiner Ueber­

zeugung d a rf die natürliche Religion so wenig als die geoffenbarte aufgegeben werden; aber sie muß ihren alten Haß gegen die letztere ablegen, und das w ird sie, wenn nachgewiesen ist, daß sie ih r in ­ nerlich entspricht.

Denn wirklich stehen diese Größen, obgleich sehr

verschieden an In h a lt und an W irku n g , doch theils zu einander theils zu der allgemeinen W e lt- und N atu ro rd nu n g ,

in die sie

eingetreten sind, in „ A n a lo g ie " ; daher müssen sich bei ihrer V e r­ gleichung die wichtigsten Anknüpfungspunkte und Wechselbeziehun­ gen ergeben.

D ies das Thema der vielgelesenen und

Deutschland verbreiteten S c h rift B u t l e r ' s ' ) , gemäß in zwei H älften zerfällt.

auch in

welche der Anlage

D e r N aturglaube hat in

den

Ideen von G ott, Unsterblichkeit, sittlicher W eltordnung und F re i­ heit seine unverlierbaren Bestandtheile.

F ü r Unsterblichkeit giebt

es keine zwingenden Beweise, aber die Erkenntniß des N a tü r­ lichen fü h rt uns doch a u f Lebenspvtenzen (liv in g agents), welche in den irdischen Proceß der W andelung und Zerstörung nicht ein­ gehen.

Wenn irgend eine, so ist die Seele eine solche, w eil sie

unter den Wechselsällen des Körperzustandes ihre Selbständigkeit behauptet, w eil ihre Functionen wesentlich Geist und Freiheit und über thierisches Vermögen specifisch erhaben sind.

D e r Tod würde

zugleich ihre höchsten Zwecke vernichten, wenn sie selbst ihm unter­ worfen wäre.

Während der Mensch sich in der doppelten W e lt

der Sensation und der R eflerion bewegt, kann es ihm nicht ent-

*) Jos. B u tle r, The analogy of religion natural and revealed to the Constitution and course of n a tu re , zuerst London 1736. neuere Ausgabe Lond. 1838 vor. R eligion rc.

Lpz. 1756.

M i r liegt

eine

Deutsch: Bestätigung der n a tü rl. u. geofsenb.

Paddison a. a. O . p. 294. 306 fü h rt einen Ausspruch

von P itt über dieses Werk a n : Th e , , analogy” is a dangerous book, it raises more doubts than it solves.

366

Sechstes Buch. Fünfter Abschnitt.

gehen, daß jeder dieser Kreise trotz allen Jneinandergreifens seinem eigenen Gesetze folgt. Daher werden nicht beide das gleiche Schicksal haben, und es hat keine Wahrscheinlichkeit, daß der phy­ sische Tod das Seelenleben seinem Kerne nach auflösen werde. D er Tod mag in gewisser Hinsicht der Geburt entsprechen, welche die schon dem Ungeborenen eingepflanzten Fähigkeiten nicht auf­ hebt, sondern mit bedeutenden Veränderungen und in einem neuen Zustande fortbestehen läßt. Diese Glaubwürdigkeit des künftigen Lebens mag unserer Wißbegierde nicht genügen, leistet aber doch hei religiöser Empfänglichkeit den Dienst eines Beweises. — B ei der zweiten Frage vertieft sich B u t l e r absichtlich in das dunkle Gebiet der sittlichen Erfahrungen, um desto gründlicher zu dem Glauben an göttliche Ordnung und moralische Regierung der D inge emporzukommen. W ohl und Wehe, Segen und Unsegen, Lohn und S trafe, Versuchung und Prüfung als Vorzeichen oder Folgen unserer Handlungen gedacht, sind keine Fickionen, sondern werden durch Vergleichung des einzelnen und des Gesammtlebens bestätigt; der ganze W eltlauf gewinnt aus diesen Merkmalen die Grundlage einer leitenden Zucht und vergeltenden Gerechtigkeit. Der Mensch ist der sittliche Empfänger dieser Anleitungen, er ist jeder Gefahr des Falles ausgesetzt, aber auch befähigt für das Gute zu wirken, und darf glauben, so lange er ihm treu bleibt, auf der S eite des göttlichen Regiments zu stehen. Er befindet sich unter einer providentiellen Zucht, welche gleich der Aussicht auf Unsterblichkeit selbst wieder auf einen höheren Zustand des Jenseits hindeutet, da es wahr schei nl i ch ist, daß ein Verfahren der Weltregierung, welches so augenscheinlich jetzt begonnen, auch dereinst fortgesetzt und vollendet werden wird. D a s Princip der Freiheit aber knüpft der Schriftsteller so bestimmt an die sittlichen und vernünftigen Bedingungen des Lebens und schließt die ältesten religiösen Ueberlieferungen so entschieden von dem System der Nothwendigkeit aus, daß er in jedem principiellen Determinismus nur killen Widerspruch gegen das Grundgesetz der Natur finden muß.') *) Analogy, p. I, pag. 170. The opinion of necessity is a contradiction to the whole Constitution of nature.

Joseph Butler als Apologet.

387

D ies Alles bildet ein S c h e m a n a tü r lic h e r R e l i g i o n s w a h r ­ h e i t, aber ein in der Entwicklung begriffenes und nur unvollkom­ men faßliches. — Und nun ist leicht zu rathen, wie B u t l e r wei­ ter fortfährt, um seinen zweiten Theil zu einem Seitenstück des ersten zu machen. D ie nachfolgende Entwicklung wird der ersten mit großer Geschicklichkeit angepaßt. D er I n h a lt der O ffenbarung ist weder absolut neu, noch vor und außer ihr soweit gegeben, daß über den W erth dieser Ergänzung Zweifel entstehen könnten?) D a s Christenthum ist W ie d e r v e r k ü n d ig u n g (repuM ication) d e s N a t u r g l a u b e n s , es ist aber zugleich eine a u c t o r i t ä t s m ä ß ig e Kundmachung desselben, welche ihre eigene Z uverläßigkeit durch directe Beweise darzuthun h a t.*2) D er christliche G laube bemächtigt sich aller B egriffe, die ihm von dem natürlichen d ar­ geboten werden, und wo der letztere in undeutliche Vorstellungen verklingt, tritt der andere mit seiner volleren Sprache, mit gestal­ tender D eutung, Erklärung und Schlußfolgerung ergänzend ein. An dieser S telle betritt B u t l e r das eigentlich dogmatische G e­ biet. E r stellt als christlich nur das überlieferte Lehrsystem und zwar ohne weitere P rüfung h in ;') dieses aber weiß er im Anschluß an die schon vorhandenen Begriffe von Schuld,- Verbind­ lichkeit und Vergeltung gut zu entwickeln. Denn er schildert mit Lebhaftigkeit, wie der Gedanke der Erlösung mitten in die Zweifel des menschlichen Bew ußtseins erklärend und aufhellend eintritt. D a s unbestimmte B ild der sittlichen O rdnung nimmt Gestalt a n ; die allgemeine Frage über die Möglichkeit, die einge*) Ibid. pag. 194. And indced it is certain, no rcvelation wonld have been given , bad the light of nature been sufficient in such a sense, as to render one not wanting and useless. 2) Analogy, II, cp. 1. Christianity is a rcpublication of natural religion. It instructs mankind in the moral System of the world, that it is the work of an infinitely perfect being and under bis government, that virtuc is his law and that he will finally judge mankind in righteousness etc. — Revelation is farther an authoritative publication of natural religion and so affords the evidences of the testimony or the truth of it. *) Analogy, p. II, cp. 4.

368

Sechstes Buch.

Fünfter Abschnitt.

tretene Entfremdung bet Menschen von G o tt aufzuheben, drängt von einem bestimmten Punkte aus zur Lösung; w ir erhalten A u f­ schluß darüber,

daß die Regeln

der moralischen W eltregierung

nicht so hart sind, um zur Abwendung der verderblichen Folgen der Sünde keine göttliche Dazwischenkunst zu gestatten, aber auch nicht so weich, um den Zugang zur Gnade form los und ohne be­ sondere Veranstaltung zu eröffnen.

S o steigert sich im Christen­

thum die allgemein anerkannte Vorsehung zu einer außerordent­ lichen, dem Bedürfniß des Menschen angepaßten wiederherstellenden göttlichen D a rb ie tu n g .l)

erlösenden und

Es kommen Lehren

hinzu, welche nicht innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft liegen; auch diese aber entwickeln großen E influß auf unser sitt­ liches Verhalten, sowie sie außerdem zu gewissen unveräußerlichen Forderungen der V ernunft in Beziehung stehn.

Fragt man nun,

durch welche G ründe die A u c t o r i t ä t der christlichen Offenbarung in ihrer Verbindung m it dem natürlichen Wissen sichergestellt wer­ den soll: so antwortet B u t l e r m it den meisten Apologeten: W u n ­ der und Weissagungen sind die einzigen f u n d a m e n t a l e n B e ­ weise

und jedes andere Argument kann nur im Anschluß an sie

K ra ft haben.

N u r verlange man nicht, daß der auf diese Weise

b e w i e s e n e christliche In h a lt keine Schwierigkeiten fü r unser V e r­ ständniß übrig lassen solle. Denn darin zeigt sich zuletzt die innere Correspondenz beider Jdeenkreise, des natürlichen und offenbarten, daß auch der letztere als ein unvollkommen (as a scheine or Constitution im perfectly vor Augen steht.

begriffenes System comprehended)

uns

Auch in ihm tr itt uns eine geheimnißvvlle gött­

liche V erw altung der menschlichen Dinge entgegen. dies ist ein bedeutender Satz B u t l e r ' s ,



Aber, — und

das M y s t e riu m

d e r N a t u r ist ebenso g r o ß a l s d as d e r c h r i st l i c h e n V e r -

*) Ibid. p. II, cp. 1. Christianity is a particular sheme under the general plan of providence. 2) Analogy p. 307. These two are its direct and fundamental proofs, and those other things, however considerable they are, yet ought never to be urged apart from its direct proofs but always to be joined with them.

Der Berührungspunkt mit dem Deismus.

369

k ü n d ig u n g und kann ebenso leicht wie jenes bezweifelt und bestritten werden. W enn also die Gegner die M angelhaftigkeit christlicher Erkenntnisse dazu benutzen, um die Offenbarung zu verwerfen: so zeugen sie wider sich selbst, und ihre G ründe sind von der Art, daß sie auch gegen die natürliche Religion angewen­ det werden können, weil beide sich in Uebereinstimmung mit der Grundeinrichtung der irdischen D inge halten müssen und mit deren Schranken und Dunkelheiten jederzeit behaftet bleiben. Auch B u t l e r 's Schrift w ar eigentlich keine W iderlegung des D eism us, aus dessen einzelne S treitfragen sic nicht einging, wohl aber eine in ihren G r u n d l a g e n gesunde und gehaltvolle E nt­ wicklung der christlichen Ideen und daher geeignet, die religiöse Denkart der Gegner in ihrer Schwäche darzustellen. F ür unsern Zweck ist diese Apologie um so merkwürdiger, da sie den W ende­ punkt, wo die feindlichen Ansichten sich begegneten, scharf bezeich­ net. H ier werden die scheinbar widerstrebenden Factoren mit Ueberzeugung verbunden und der stärkste Bew eis au f deren innere Verwandtschaft gebaut. D er christliche G laube flieht nicht nur nicht vor der natürlichen Erkenntniß, sondern zieht sie an sich heran und will seine eigene W ahrheit au s gleichem Gesichtspunkt wie die der andern beurtheilt sehen. B u t l e r 's zweiter Theil ist biblisch und symbolisch orthodox, sein erster enthält allgemeine W ahrheiten von G ott und Unsterblichkeit, Tugend und Vergeltung, welche die D e­ isten ergriffen und schon C h e r b u r y als Kern der Religion auf­ gestellt hatte. Zwischen diesen beiden Hälften steht a ls Bindeglied der S atz: Cliristianity is a republication of natural religion, der­ selbe Satz, welchen wir fast gleichlautend bei T i n d a l vorgefunden haben. B u t l e r entlehnt also einen Hauptgedanken aus jenem deistischen M anifest, um ihn entgegengesetzt zu verwerthen. D er genannte S atz, indem er von Freund und Feind in den M und genommen wurde, besagte zunächst, daß die christliche Religion eine W iederaufnahme der natürlichen sei; dies ließ sich aber verschic*) Ibid. II, cp. 4. p. 254, in Cliristianity. Gesch. d. Protest. D o g m u tik I I I .

But tlie mystcry is as great in nature as

24

370

Sechstes Buch.

Fünfter Abschnitt.

den erklären, entweder dahin, daß die erstere da fo rtfä h rt, wo die letztere endigt und verklingt, oder bloß dahin, daß die christliche an die natürliche anknüpfen soll, um sie zu bestätigen.

Je nach­

dem sie so oder anders verstanden wurde, bildete also die Thesis entweder die Brücke zwischen der natürlichen und der positiven Seite oder die Grenzlinie b e id e r.')

D er ganze S tre it drehte sich

dann wieder um die Frage nach der Zulänglichkcit (sufficiency) dessen, was im Christenthum theils bestätigt theils ergänzt w ird . D e r D eism us benutzte jene E rklärung, um Alles zu beseitigen, was er sich nicht schon als natürliches angeeignet hatte, der A ntideis­ mus um eine Unterlage zu gewinnen, an deren A rt und Beschaf­ fenheit sich gerade die Nothwendigkeit einer positiven Z uthat in der christlichen Lehre darstellen sollte.

D ie Einen zogen sich scheu

an jener Grenze zurück, die Andern wagten m it Recht den S c h ritt; aber sie unterließen auch nicht, auf den Boden des Deism us zu­ rückzukehren, um das Naturgebiet der R e lig io n im ganzen U m ­ fange zu retten und zugleich den christlichen Glauben nicht aus dem Verbände m it dem vernünftigen Bewußtsein heraustreten zu lassen.

Eine gänzliche Scheidung beider Standpunkte hat also hier

nicht stattgefunden.

B u tle r

wendet die größte Aufmerksamkeit

auf die inneren Wechselbeziehungen in demjenigen, was die Geg­ ner als fremdartig und gegensätzlich zerrissen hatten; ja er geht so weit, den Charakter des Gcheimnißvollcn, welcher der geoffenbar­ ten Lehre allein beigelegt zu werden Pflegt, auch au f die n a tü r­ liche zu übertragen, w om it er wirklich eine W ahrheit ausgesprochen

!) Paddison 1. c. p. 270. Tliis was the point whicli the Christian defenders laboured most, to construct the bridge whicli should unite the revealed to the natural. They ncver denuir to making the natural the basis on whicli the Christian rests; to considering the natural knowledge of God as the starting point both of the individual mind and of the human race. This assumtion is ncccssary to theil scheine, in whicli rcvelation is an argument addressed to the rcason. Christianity is a re'sume of the knowledge of God already attained by rcason and a disclosure of further truths. These further trutlis could not havo been tliought out by rcason; but when divinely communicated, they approve thcmselves to the same reason, which has already put us in possession of so mucli.

371

Tugend und Fehler dieser Apologetik.

hat.

D aß B u t l e r

außerdem bei der gewöhnlichen Lehrtheorie

nicht stehen blieb, sondern eine sittlich umbildende K ra ft aus allem Christlichen herleitete, w a r eine Tugend, die ihn vor andern S c h rift­ stellern dieser G attung auszeichnete.

In

diesem allgemeinen S tre ­

ben nun finden w ir das Recht und die W ahrheit der Apologetik, daß sie nämlich Natürliches und Christliches wie ein gemeinsames der Menschheit anvertrautes großartiges H eilsgut zusammenfaßte, daß sie Zweck und W erth der Offenbarung auf die tiefsten B e ­ dürfnisse des menschlichen Geistes anwendete und gegen jede von den Gegnern w illkürlich und vo re ilig unternommene Absperrung der einen oder andern S eite Einspruch that.

N ic h t befriedigend

ist dagegen die A rt, wie der geoffenbarte und der natürliche R elig iv n s in h a lt in sich selbst beurtheilt werden.

Denn es bleibt stets

eine unvollkommene Vorstellung, wenn diese Factoren lediglich wie N a tu r und U ebernatur,

N aturdogm a

und

göttlich

verkündigtes

D ogm a angesehen und neben einander gestellt werden.

S ie er­

scheinen alsdann als fertige G rößen, ih r V erhältniß ist äußerlich und quantitativ, und es kann sich nur darum handeln, ob der eine Bestandtheil ohne den andern oder nur m it diesem h in lä n g lic h sei.

D ie Vertheidiger nahmen die S tre itfra g e in derselben Form

aus, wie sie die Gegner hingeworfen hatten und wurden darin von ihnen abhängig.

W as bei ihrer Betrachtung zu kurz kommt, ist

ein dritter m ittlerer Factor, den w ir das christlich Historische nen­ nen möchten; denn dieses schließt sich gleichzeitig nach der Seite des Natürlichen wie des Positiven auf und enthält

in sich die

kräftigsten M o tiv e , den N aturglauben über sich selbst hinaus zu treiben.

W ir bemerken hier denselben M angel, den w ir an andern

doctrinalcn Darstellungen dieses Zeitalters nachgewiesen haben, daß sie die christliche W ahrheit nur als Lehrsumme nicht als schöpfe­ rische Lebenserscheinung anschauen; hier aber tr itt uns diese E in ­ seitigkeit besonders deutlich vo r Augen. Es ist der Zweck der vorstehenden A bhandlung, die allge­ meinen Eigenschaften der kirchlichen Frömmigkeit und der Theolo­ gie in England in und m it dem deistischen S tre it und der gelehr­ ten Literatur zur Anschauung zu bringen.

D er Ernst und

24*

die

372

Sechstes Bnch.

Fünfter Abschnitt.

sittliche Strebsamkeit der ersteren und die gelehrte Strenge

der

andern sind hoffentlich gebührend von uns anerkannt worden. S ie leisteten Treffliches in demjenigen, was sich m it eracten M itte ln leisten ließ ; ihre Wissenschaft w a r eine scharfe biblisch-dogmatische Demonstration von verständigem U rtheil geleitet, aber der idealen S eite

des Christenthums wenig

kritischen Untersuchungen und

radikal

aus.

zugewendet.

überließen,

A u f zwei Punkte

ders aufmerksam machen.

fielen

Wo

sie sich aber

dieselben

möchten w ir

leicht

roh

noch beson­

Eine Tugend nennen w ir den hohen

G rad von Empfänglichkeit fü r die religiöse N a tu r- und Lebens­ betrachtung,

welcher die Engländer jederzeit auszeichnet und der

m it dem Interesse an dem Positiven n u r bei den Deisten unver­ einbar, sonst aber w ohl verträglich erscheint; ein M a n g e l dagegen zeigt sich in der gewöhnlichen Anwendung der dogmatischen B e ­ w eism ittel (cvid e n ccs). geten in

Diese letzteren werden von den A polo­

der Regel verstandesmäßig aufgefaßt und geschätzt, es

w ird ihnen eine eigentlich demonstrative K ra ft beigelegt.

W enn

B u t l e r behauptet, daß W under und Weissagungen die einzigen fundamentalen Beweise des Christenthums seien und alle andern nur im Anschluß an diese eine Bedeutung haben werden: so kön­ nen w ir nicht um hin, von diesem U rtheil aus au f die allgemeine Richtung

der deutschen Theologie

hinzublicken.

R un

mag

cs

schwierig sein, der deutschen Theologie überhaupt eine gemeinschaft­ liche Gesinnung in solchen Fragen beizulegen; aber soviel dürfen w ir w ohl von ih r aussagen, daß sie jene Argumente niemals is o lirt hingestellt, daß sie sich von jedem empirischen B ew eism ittel stets einen Rückgang auf das Zeugniß des heiligen Geistes und auf den B ew eis des Geistes und der K ra ft offen erhalten hat. in

Selbst

dem Z e italter, von dem w ir eben gehandelt, verleugnet sich

diese Neigung nicht, die freilich späterhin weit entschiedener her­ vorgetreten ist.

D aher w ird auch, w ie w ir glauben, die M e h r­

zahl der deutschen Theologen bereit sein, B u t l c r ' 6 Satz dahin umzukehren, daß Wunder und Weissagungen n u r im Anschluß an andere G ründe und an einen ideellen und geistigen Zusammenhang ihre Bedeutung haben.

D a m it hängt denn auch eine allgemeinere

373

Tendenz der UebergangStheologie.

Ansicht zusammen, die w ir gleichfalls der deutschen Innerlichkeit zuzuschreiben berechtigt sind, nach welcher sich überhaupt die W a h r­ heit des Christenthums zwar begründen und entwickeln, aber nicht beweisen läßt. W ir scheiden von dieser Epoche der Uebergangstheologie. I h r Geist hat sich uns als ein gemischter dargestellt.

S ie stützt sich

nicht auf den Glauben und das Dogma allein, noch auf die V e r­ nunft allein, sondern trachtet nach einem Gleichgewichte beider. S ie ist unabläßig bemüht, diese Größen stets au f's Neue zu verknüpfen und abzuwägen; aber sie nim m t dabei den B e g riff wie der V e r­ nunft so der Offenbarung nur in seiner Allgemeinheit und als einen feststehenden hin und versteht unter der letzteren ein göttlich mitgetheil­ tes Wissen, welches zu demjenigen, was der Mensch schon besitzt oder aus eigener K ra ft zu erlangen vermag, noch hinzukommen muß. Und in solcher Allgemeinheit und Unbestimmtheit ist der B e g r i f f der Offenbarung deren I n h a l t

auch auf die Folgezeit übergegangen, in

einen neuen religiösen

Proceß aufgenommen wurde.

und

während

wissenschaftlichen

R e g i st e r. (Die beigefügten Zahlen sind die bezüglichen Seilen des Textes.) Äddison als Apologet gegen den D eism us, 358. Andala, niederländischer Theologe, 290. Antibarbarus, s. Lange, 26. Antinomi und Neonomi in England, 311. Anton in Halle, 34. A rianism us in England, 316. 39 Artikel der englischen Kirche, 299. B a le in England, 301. Balthasar in Greifswald, 81. Baum garten in Halle als Repräsentant seiner Zeit, Dogmatiker und Polemiker, 166. 185 ff. BaSnage, 290. Bayle in den Niederlanden, 39. 155. 161. 166. 167. 293 f. Beck, reformirter Theologe, 278. Becon in England, 302. Benoit, 290. Bedenken von Tübingen und Wittenberg über die Brüdergemeinde, 102. Bengel als Persönlichkeit und Schriftsteller, seine Verdienste um Kritik und A us­ legung, 84. 235 ff. 247 ff. Bennet in England, 319. Bentley als Gegner von Collins, 359. 361. Berleburger Bibel, 231 ff. Bernard, 295. Bernsan, reform irter Theologe, 290. Bertram , 128. 139. 229. Bibelwerke, deren Charakteristik, 224 ff. Le Blanc, 296. Bolingbroke, englischer Deist, 334. Boyle, der Apologet, 359.

R

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.

375

Buddeus in Jen a, seine Theilnahme am UniouSstreit und am Wölfischen S treit. Seine S tellung zwischen Pietism us und Orthodoxie. Dogmatiker und Ethifev, 30—32. 124. 149 ff. 129. 214. Büchner, 57. Bulfinger, 126. 177. 241. Breithaupt als Dogmatiker, 23. 148. 185. Brücker, 235. G. B ull in England, 309. 310. 320. Burg, Lutherischer Dogmatiker, 147. G. B urnet in England, 309. 313. Th. B urnet, englischer Dogmatiker, 181. 306. B utler, englischer Apologet gegen den D eism us, 364. C anz, theologischer Wolfianer, 164. 220. Carpov, W olfianer, sein dogmatisch-scholastisches System, 164. 169 ff. 229. Carstedt, 126. Cattenburgh, 293. E. Chandler, englischer Apologet, 353. 362. S . Chandler, Apologet, 362. Cherbury, Deist und N aturalist, 333. Chillingworth in England, Latitudinarier, 312. 332. Chubb, englischer Deist, 357. S . Clarke in England, dessen Arianische Ansicht, 316. 360. Claude, 290. Clericus, der Arminianer und dessen Verdienste, 212. 239. 293. Collins, englischer Deist, 361. Conybearn, Apologet, 360. Th. Cranm er, der englische Reformator, 302. Cremerus in Holland, 290. Ch. A. Crnsius, W olf's Gegner, 221. Cudworth, Platoniker und Religionßphilosoph in England, 319. 335. Deisten und Antideisten in England, 330 fs. Deusing, 292. Dietelmaier, 235. Dippel, dessen Ansichten und Verhältniß zu Zinzendors, 84 ff. H. Dodwell, englischer Theologe und Epislopalist. S ein S tre it über die Taufe, 39. 327. Dodwell der Jüngere, 334. Edzardi, 37. Englisches Bibelwerk, 235. Erbsünde und Sünde, Erklärungen und Beurtheilungen, 175. 193. 321 ff. Fecht, Dogmatiker in Rostock, 36. 148. Förtsch, 36. 81. 242. Formula conscnsus H dvctici, deren Bestreitung nnd Vertheidigung, 268. 273 ff. H. Francke, 34, 185.

376

R e g i st e r.

Aegid. Francke, 21)0. Freylinghausen, 148. 185. 188. Friedrich Wilhelm I., König von Preußen, Verhandlungen m it den Schwei­ zern, 272. Garden, comparative Theologie, 315. Genugthuung Christi, Bamngarten's Vertheidigung deö Dogma's, 198. Georg, König von England, Verhandlungen m it der Schweiz, 272. GerdesiuS, 290. Gernler in Basel, 270. 281. Golsched's Gründe der LLeltweiöheit, 181. 182. Gousset, 292. Grabe, englischer Gelehrter, 303. G rapius, Dogniaüker, 147. Großer, Dogmatiker, 147. Grüner, 147. G ürtler, 290. HaleS, Latitudinarier in England, 312. Haupt, 124. Hebenstreit, Dogmatiker, 147. 169. I . H. Heidegger, schweizerischer Theologe, 270. 274. 281. Heterodoxie, Begriff derselben im Pietistischen S tre it, 44. Hoadley, Bischof von Baugor, 327. Hobbeö, englischer Deist, 39. 322. Hochstetter, 240. G . Hoffmann, Dogmatiker, 147. v. d. Honert, reformirter Theologe, 290. I . I . Hottinger, schweizerischer Theologe, 78. 281. Hutchinson in England, 302. Jablonöki, 70. 74. Iaeger, 147. 242. Iaqnelot, 295. Ib b o t, Gegner von Collins, 360. Jeffrey, 353. 360. Iew el, englischer Theologe, 302. Illuminatio, Controverse deö Pietismus, 57. Io n co u rt, 292. Ise lin , 276. In rie u , der Gegner Bayle's, 291. Kennikott'ö handschriftlicher Apparat des A. T ., 237. W . King, englischer Theologe, 295. Kirchenparteien dieses Zeitalters im Allgemeinen, 7. Kirchenrecht, 9. I . G. Knapp, 185. Köthen, Vertheidiger der Wölfischen Philosophie, 127.

Re gi s t er .

377

I . Lange, H aupt der Hallischen Schule, dessen Schriften und Wirksamkeit. V or­ kämpfer des Pietism us gegen Löscher, 23 ff. 84. S e in Angriff gegen Wolf, 124. 129. 147. 188. Lardner's Glaubwürdigkeit der evangelischen Geschichte, 361. Latitudinarier in England, 314. W. Land, englischer Bischof, 312. Leibnitz, Anführer der deutschen Philosophie, sein Einfluß aus die Theologie. O ptim ism us und Theodicee, 105 ff. M . Leydecker, reformirter Dogmatiker. Dessen ökonomische Methode, 290. PH. Limborch, der Dogmatiker der Arminianer, 293. Locke und dessen Verhältniß zum D eism us, 39. 336. 357. Löber, Dogmatiker, 147. Löper, 147. Löscher, Leben und Wirksamkeit. Vornehmster Gegner des Pietism us, 16 ff. 21 ff. Verhältniß zu Zinzendorf, 84. Sein Urtheil über Leibnitz und die Philosophie überhaupt, 161. Ludovici, Anhänger der Leibnitzischen Philosophie, 126. 164. M a i, Dogmatiker, 147. Mark, reformirter Dogmatiker, 293. M ethodismus, 7. I . D . Michaelis, 185. 235. I . H. Michaelis, 185. Middleton und dessen Meinungen, 329. Missionen, deren allgemeine Bedeutung, 6. M organ, S tre it über das A. T ., 355. I . I . von Moser, 241. Mosheim als Kirchenhistoriker und Moralschriftsteller, 208 ff. 217. Mykoniuö, 284. Mysticismus, 49.

N audäus, 295. Neumann, 57. NicholS, englischer Kirchenschriststeller, 309. Nolten, 126. O etinger's Theosophie, 253. O ptim ism us und Verhandlungen über denselben, 141. Orthodoxia vapulans, 25.

Osiander, 126. Osterwald in der Schweiz, Anführer einer theologischen W endung, sein Kate­ chismus, 279. P arker in England, 302. P aulus und Iakobus, Harmonie zwischen Beiden, 311. Pearson, englischer Dogmatiker, 305. 327. PerkinS in England, 307. Petersen, 15.

378

Register.

Pietism us zweite Epoche, 12 ff. 43. Malum pietisticum, Begriff der Pietät, 41. Auftreten des Pietism us iu Würtemberg, 240. Pictetus, reformirter Dogmatiker, 278. Pfaff in Tübingen, Schriftsteller der Union und ausgezeichneter Gelehrter, 74 ff. 126. 149. 159. 242. la Placette, 295. Polemik und deren Literatur, 17. 195. Prädeflinationslehre, 285, in England, 307. Prästabilirte Harmonie, 130. 135.' PritiuS, 237. Pufendorf als Moralist, 213. Puritanism us und Independententhum, 298. Nambach und dessen hermeneutische Grundsätze, 237. Rationarii, Rationalisten, 41. Religiöser und philosophischer Rationalism us, 160. 161. Vernunftrechte in der Theologie, 165 ff. Reinbeck, vermittelnder Wolfianer, 126. 138, dessen Betrachtungen, 178 ff. Reinhard, 147. Religionsgespräche, 9. 10. Gespräch zu Merseburg, 33 ff. Reuchlin, 240. 242. Reusch, theologischer Wolfianer, 177. 220. Rixner, 213. Roth, 147. Ruß, 229. Sanden, 74. S au rin , 290. Schaub, 144. Schelwig, 28. Schmid von Schmalkalden, 124. I . L. Schmidt, Verfasser der Wertheim. Bibel, 227. Schramm, Dogmatiker, 147. Schubert in Greifswald, orthodoxer Wolfianer, 180. Sem ler, Baum gartens Schüler, 185. Sherlock, englischer Apologet, 362. Sinnhold, 229. Souverains über den Platonism us der Kirchenväter, 212. Spangenberg, Idea fidei, 101. Spener, Urtheile über ihn, 35, 68. Spinoza, 14. 39. 121. S tahl, 147. Stapfer, reformirter Dogmatiker, 278. Starke'« Bibelwerk, 235. Steinwehr, 126. Stillingfleet, Polemiker und Apologet in England, 362. Stollen, 126.

R e g i s t e r .

379

Strähler, 124. Strim esius, 73. Struensee, Gegner Zinzendors's, 103. Snicer, schweizerischer Gelehrter, 271. S w ift als Vertheidiger gegen den D eism us, 358. Symbolstreit in der Schweiz, 270 ff. R. T eller, Bibelwerk, 235. ThvmasiuS, 23. 77. Thummig, 124. 126. Tillotson, Latitudinarier in England, 314. 332. Timotheus VerinuS, 27. 29. 46, s. Löscher. Tindal, englischer Deist, 343 ff. I . G. Töllner, Moralschriststeller, 221. Tolaud, englischer Deist, 333. 361. Tromsdors, Dogmatiker, 147. T urner, englischer Theologe, 327. I . A. T urretin und F. T urretin in der Schweiz, 73. 78. 239. 270. 280 ff. Unionsverhandlungen dieses Zeitalters, 69 ff. Unschuldige Nachrichten, deren Stellung und Wirksamkeit, 14. 21. Ursinus für die Union, 70. V eram ander gegen Wolf, 128. Vitringa und dessen exegetische und dogmatische Verdienste, 291. A. Voget, niederländischer Theologe, 290. W arb u rto n , die Sendung Mosis, 255. Waisenhaus in Halle, Anfeindung und Vertheidigung desselben, 63. I . G. Walch tritt gegen Wolf auf, 142. Seine kirchen- und dogmenhistorischen Schriften, 205 ff. 229. Chr. W . F r. Walch als Dogmenhistoriker, 207 s. Waterland, kirchlicher Theologe in England, 319. 363. W eismann als Dogmatiker, 159. 241. S . Werensels, ausgezeichneter schweizerischer Theologe. Standpunkt eines ge­ mäßigten Fortschritts, 73. 277. 281 ff. W ernsdorf, 19. 81. Wertheim er Bibelübersetzung und Kritik derselben, 227. Westminster-Confession, 308. Jak. Wettstein als biblischer Kritiker, 239, sein Proceß, 275 ff. I . R. Wettstein, 271. 281. Whitacker in England, 308. Whiston und dessen A rianism us und andere Meinungen, 316. 353. D . Whitby in England, Arianer, seine Kritik der Erbsünde, 320 ff. Wiedenburg, 126. Wightgist in England, 302. Witte, 147. Winckler's UnionSschrift Arcanum regium, 70.

380

Re gi s t e r .

H. WitsiuS, niederländischer Theologe, 292. Wöldicke, 147. Chr. W olf alö Philosoph und Schiller Leibnitz's. Dessen Persönlichkeit und Schicksale. Darstellung der natürlichen Theologie, 110 ff. Seine Verbannung, 124. Der Wölfische S tre it, 122. Verhältniß zu Spinoza, 121. Theologischer W olfianiSmus, 162. Wood, Latitudinarier in England, 312. Wotton, 327. D . Wyttenbach in Bern, 278. Zeitschriften und deren literarische Wichtigkeit und Wirkung, 9. Zierold, 57. Zinzendors und die Brüdergemeinde. Charakteristik und allgemeines Urtheil, 83. 89. 99. Bengel s K ritik, 245. Zinzendors's Bibelwerk, 230. Zorn'S Vögeltheologie und Aehnlicheö, 163. Zwinger in Basel, 281.

Berichtigung. S . 73 ist in der Ueberschrift statt R e lig io n zn lesen U n io n .