Der Einfluss des Europäischen Beihilferechts auf nationale Steuervergünstigungen: Eine darstellende Analyse unter besonderer Berücksichtigung von Tax Rulings und Gewinnverlagerungen [1 ed.] 9783428582150, 9783428182152

Gegenstand der Untersuchung ist das Zusammenspiel von europäischem Beihilferecht und nationalem Steuerrecht unter besond

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Der Einfluss des Europäischen Beihilferechts auf nationale Steuervergünstigungen: Eine darstellende Analyse unter besonderer Berücksichtigung von Tax Rulings und Gewinnverlagerungen [1 ed.]
 9783428582150, 9783428182152

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Schriften zum Steuerrecht Band 162

Der Einfluss des Europäischen Beihilferechts auf nationale Steuervergünstigungen Eine darstellende Analyse unter besonderer Berücksichtigung von Tax Rulings und Gewinnverlagerungen

Von

Florian Ferrenberg

Duncker & Humblot · Berlin

FLORIAN FERRENBERG

Der Einfluss des Europäischen Beihilferechts auf nationale Steuervergünstigungen

S c h r i f t e n z u m St e u e r r e c ht Band 162

Der Einfluss des Europäischen Beihilferechts auf nationale Steuervergünstigungen Eine darstellende Analyse unter besonderer Berücksichtigung von Tax Rulings und Gewinnverlagerungen

Von

Florian Ferrenberg

Duncker & Humblot · Berlin

Die Fakultät für Rechtswissenschaft und Volkswirtschaftslehre der Universität Mannheim hat diese Arbeit im Jahr 2019 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2021 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: 3w+p GmbH, Ochsenfurt-Hohestadt Druck: CPI buchbücher.de GmbH, Birkach Printed in Germany ISSN 0582-0235 ISBN 978-3-428-18215-2 (Print) ISBN 978-3-428-58215-0 (E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Dezember 2019 von der Juristischen Fakultät der Universität Mannheim als Dissertation angenommen. Literatur und Rechtsprechung sind bis Juli 2020 berücksichtigt. Zum Abschluss der Promotion möchte ich die Gelegenheit nutzen, einigen Personen zu danken. Zunächst danke ich meinem Doktorvater Prof. Dr. Thomas Fetzer, LL. M. für die Betreuung und die Möglichkeit der Mitarbeit an seinem Lehrstuhl. Diese sehr lehrreiche Zeit wird mir in beruflicher und persönlicher Hinsicht immer in guter Erinnerung bleiben. Ebenfalls danken möchte ich Herrn Prof. Dr. Holger Jenzen für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Mein besonderer Dank gilt meinen Freunden und langjährigen Lehrstuhlkollegen Rowena Lipp, Dr. Jochen Schöfthaler, Eric Niederprüm, Markus Kohlmann und Carsten Zahn für unzählige Gespräche und Hilfestellungen sowie die notwendigen Ablenkungen. Des Weiteren danke ich Anita Rodgers, Jens Buchholz, Carsten Meyers, Sven Maier, Tobias Böser und Philipp Hasbach für ihre hilfreichen Korrekturanmerkungen. Last but not least gilt besonderer Dank meiner Familie, der diese Arbeit gewidmet ist. Meinen Eltern Viola und Rolf Ferrenberg danke ich für den stets bedingungslosen Rückhalt und ihre Förderung. Sie haben meine Ausbildung und diese Promotion überhaupt erst ermöglicht. Ganz besonderer Dank gebührt meiner Frau Sarah Ferrenberg für ihren Beistand, ihre Ermutigungen und nicht zuletzt ihre Geduld. Sie hat mich in all unseren gemeinsamen Jahren immer bedingungslos und aufopferungsvoll unterstützt. Meine Dankbarkeit dafür lässt sich kaum in Worte fassen. Bad Homburg, Februar 2021

Florian Ferrenberg

Inhaltsverzeichnis Kapitel 1 Einführung

19

A. Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 B. Europäisierung des Steuerrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 I. Staatliche Souveränität und Steuerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 II. Europäische Integration und Steuerhoheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 III. Die Europäische Union zwischen (Steuer-)Harmonisierung und Wettbewerb . . . 25 1. Harmonisierung direkter Steuern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 2. Harmonisierung indirekter Steuern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 C. Das Europäische Beihilferecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 I. Ökonomische Bedeutung von Beihilfen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 II. Funktion des Beihilferechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 III. Das Steuerrecht als Anwendungsgegenstand des Beihilferechts . . . . . . . . . . . . . . 33 IV. Grenzen des Beihilferechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 V. Wirtschaftliche Bedeutung steuerlicher Beihilfen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 D. Zielsetzung und Aufbau der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38

Kapitel 2 Die Beihilfekontrolle

39

A. Das Verfahren bei der Überprüfung staatlicher Beihilfen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 I. Verfahrensbeteiligte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 II. Präventive Kontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 1. Informelle Vorabkontakte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 2. Das Vorprüfungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 3. Das Hauptprüfungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 III. Repressive Kontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 IV. Informations- und Überwachungsrecht der Kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 V. Freistellungen vom Genehmigungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 1. De-minimis-Beihilfen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45

8

Inhaltsverzeichnis 2. Gruppenfreistellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46

B. Die Nichtigkeit des Gewährungsaktes als Folge eines Verstoßes gegen das Durchführungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 I. Exkurs: Zivilrechtliche Beihilfengewährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 II. Verwaltungsakte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 C. Die Rückforderung rechtswidrig gewährter Beihilfen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 I. Verwaltungsrechtliche Rückabwicklung durch den Mitgliedstaat . . . . . . . . . . . . . 52 1. Effektivitätsgrundsatz, Art. 4 Abs. 3 EUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 2. Rückwirkungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 3. Unverhältnismäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 4. Ermessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 5. Sonstige verwaltungsrechtliche Hindernisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 6. Grenzen der Rückforderungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 II. Rechtsgrundlage im deutschen Steuerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 1. Korrektur von Gewährungsbescheiden bei Leistungssubventionen . . . . . . . . . 60 2. Korrektur noch nicht bestandskräftiger Steuerbescheide . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 a) Vorbehalt der Nachprüfung, § 164 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 i. V. m. § 172 Abs. 1 S. 1 AO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 b) Vorläufige Festsetzung, § 165 Abs. 1 S. 1, Abs. 2, § 172 Abs. 1 S. 1 AO 62 3. Bestandskräftige Steuerbescheide . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 a) Schlichte Änderung, § 172 Abs. 1 S. 1 Nr. 2a AO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 b) Änderung wegen neuer Tatsachen, § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO . . . . . . . . . . . . . 63 c) Korrektur gemäß § 175 Abs. 1 AO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 aa) § 175 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 bb) § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 d) Anwendung von § 130 AO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 4. Zusammenfassende Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 III. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 D. Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 I. Aufgabenverteilung zwischen Kommission und Gerichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 II. Rechtsschutzmöglichkeiten eines gewährenden Mitgliedstaates . . . . . . . . . . . . . . 73 III. Rechtschutzmöglichkeiten eines begünstigten Unternehmens . . . . . . . . . . . . . . . 74 1. Gegen den Kommissionsbeschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 a) Hauptsacheverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 b) Einstweiliger Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 2. Gegen die Rückforderung von Beihilfen durch nationale Behörden . . . . . . . . 76 3. Schadensersatzanspruch gemäß Art. 340 Abs. 2 AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 4. Schadensersatzansprüche gegen den Mitgliedstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77

Inhaltsverzeichnis

9

IV. Rechtsschutzmöglichkeiten eines konkurrierenden Wirtschaftsteilnehmers . . . . . 78 1. Gegen den Kommissionsbeschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 a) Nichtigkeitsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 b) Untätigkeitsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 c) Einstweiliger Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 2. Gegen die Beihilfegewährung durch den Mitgliedstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 a) Öffentlich-rechtliche Konkurrentenklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 b) Auskunftsanspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 c) Feststellungsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 d) Verpflichtungsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 e) Einstweiliger Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 3. Unterlassungsklagen gegen den Beihilfeempfänger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 a) § 8 Abs. 1 S. 2 UWG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 b) § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB analog . . . . . . . . . . . . . 85 4. Schadensersatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 a) Schadensersatzansprüche gegen den Mitgliedstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 aa) Staatshaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 bb) Anspruch aus § 9 UWG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 b) Schadensersatzansprüche gegen die Europäische Kommission . . . . . . . . . . 89 c) Schadensersatzansprüche gegen den Beihilfeempfänger . . . . . . . . . . . . . . . 89 aa) Anspruch aus § 9 S. 1 UWG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 bb) § 823 Abs. 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 V. Rechtsschutzmöglichkeiten der Europäischen Kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 VI. Rechtsschutzmöglichkeiten der anderen Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 1. Rechtsschutz vor den europäischen Gerichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 2. Anwendung innerstaatlicher Missbrauchsvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 VII. Fazit zum Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 E. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97

Kapitel 3 Materielle Voraussetzungen des Beihilfetatbestandes

98

A. Begünstigung eines Unternehmens oder Produktionszweiges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 I. Leistungs- und Verschonungssubventionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 II. Ebenen der Steuerbegünstigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 III. Umfang der Begünstigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 IV. Market Economy Operator Test . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 1. Das Privatgläubigerprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105

10

Inhaltsverzeichnis 2. Anwendung des Privatgläubigerprinzips auf hoheitliche Maßnahmen . . . . . . . 107 a) Fehlende Vergleichbarkeit aufgrund fehlenden Marktes für Steuerschulden 108 b) Fehlende Vergleichbarkeit aufgrund der Renditeorientierung . . . . . . . . . . . 110 c) Fehlende Vergleichbarkeit aufgrund der Größe des Staatshaushaltes . . . . . 112 d) Fehlende Vergleichbarkeit aufgrund der Einseitigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 e) Fehlende Vergleichbarkeit aufgrund der Grundrechtsbindung . . . . . . . . . . . 114 f) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 3. Das Privatgläubigerprinzip und die Selektivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 4. Das Privatgläubigerprinzip bei der Rückforderung rechtswidriger Beihilfen 117 V. Fazit zur Begünstigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118

B. Staatliche Mittelzuführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 C. Zurechnung an den Staat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 D. Selektivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 I. Regionale Selektivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 1. Institutionelle Autonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 2. Prozedurale Autonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 3. Wirtschaftliche Autonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 4. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 II. Materielle Selektivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 1. Dreistufige Prüfung der materiellen Selektivität bei Steuermaßnahmen . . . . . 134 a) Der Referenzrahmen und die Vergleichsgruppenbildung . . . . . . . . . . . . . . . 134 aa) Kleinräumig-induktiver Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 bb) Global-deduktiver Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 cc) Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union bzgl. der Sanierungsklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 dd) Rechtsache C-6/12 – P Oy . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 ee) Entscheidung bzgl. des Konzernprivilegs gemäß § 6a GrEStG . . . . . . . 139 ff) Systemwidrige Differenzierung als ausschlaggebendes Kriterium . . . . 140 gg) Bestimmung des Referenzrahmens im Hinblick auf die Vergleichsgruppenbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 hh) Unbeachtlichkeit von Wettbewerbsverhältnissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 b) Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 aa) Von der Kommission anerkannte Rechtfertigungsgründe . . . . . . . . . . . 145 bb) Entscheidung bzgl. des Konzernprivilegs gemäß § 6a GrEStG . . . . . . . 147 cc) Bewertung externer Ziele durch die europäischen Gerichte . . . . . . . . . 147 dd) Bewertung im juristischen Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 ee) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 2. Entscheidung des Gerichtshofs in der Rechtsache Gibraltar . . . . . . . . . . . . . . . 154

Inhaltsverzeichnis

11

3. Die Selektivitätsprüfung seit dem Gibraltar-Urteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 a) De-jure und de-facto Selektivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 b) Folgerungen für die Selektivitätsprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 aa) Prüfsystematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 bb) Herausgehobene Bedeutung der Vergleichbarkeitsprüfung . . . . . . . . . . 160 cc) Die Selektivität als steuerliche Differenzierungsprüfung . . . . . . . . . . . . 162 (1) Keine per se Selektivität von steuerlichen Differenzierungen . . . . . 162 (2) Bedeutung der Systemimmanenz für die Differenzierung . . . . . . . . 163 dd) Selektivität und spezifische Eigenart der Unternehmen . . . . . . . . . . . . . 165 III. Fazit zur Selektivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 E. Verfälschung des Wettbewerbs und Beeinträchtigung des Handels . . . . . . . . . . . . . . . 171 I. Bisherige Rechtsprechungspraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 II. Keine Rechtfertigung durch Maßnahmen anderer Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . 174 III. Trennung beider Kriterien erforderlich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 1. Wettbewerbsverfälschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 a) Wettbewerbsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 b) Geographische Begrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 c) Potenzielle Wettbewerbsverfälschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 2. Handelsbeeinträchtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 F. Legal- und Ermessenausnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 G. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183

Kapitel 4 Tax Rulings als Anwendungsgegenstand des Beihilfeverbotes

186

A. Tax Rulings . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 I. Sinn und Zweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 II. Advanced Pricing Agreements und Verrechnungspreise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 1. Verrechnungspreise und ihre Bedeutung für die Konzernbesteuerung . . . . . . . 189 a) Bedeutung für die nationalen Fisken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 b) Bedeutung für Konzerne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 aa) Steuerplanung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 bb) Konzernsteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 c) Betriebsstättenkonzern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 d) Preisbestimmung und Fremdvergleichsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 aa) Fremdvergleichsgrundsatz und staatliche Steuersouveränität . . . . . . . . 197 bb) Fremdvergleichsgrundsatz und Steuergerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . 198 (1) Internationale Steuergerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198

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Inhaltsverzeichnis (2) Nationale Steuergerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 cc) Fremdvergleichsgrundsatz und Rechtssicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 dd) Fremdvergleichsgrundsatz und Planungssicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . 200 ee) Schwächen des Fremdvergleichsgrundsatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 (1) Dogmatischer Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 (2) Grenzüberschreitende Tätigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 (3) Aufteilung der strategischen Rente bzw. des Mehrgewinns . . . . . . . 202 (4) Zunehmende Bedeutung immaterieller Wirtschaftsgüter . . . . . . . . . 202 (5) Zeitliche Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 ff) Alternative: Indirekte Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 2. Advanced Pricing Agreements als Mittel der Steuerplanung . . . . . . . . . . . . . . 205 3. Inhalt eines Advanced Pricing Agreements . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 4. Uni- und bilaterale Advanced Pricing Agreements . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 III. Tax Rulings in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 1. Verbindliche Auskunft, § 89 Abs. 2 AO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 2. Verbindliche Zusage nach einer Außenprüfung, § 204 AO . . . . . . . . . . . . . . . . 212 3. Tatsächliche Verständigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 4. Verständigungen im Gerichtsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 5. Tax Rulings auf Grundlage von Doppelbesteuerungsabkommen . . . . . . . . . . . 215

B. Tax Rulings und das Beihilfeverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 I. Untersuchungen der Europäischen Kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 II. Keine per se Beihilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 III. Vorteilsgewährung zulasten des öffentlichen Haushalts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 1. Planungs- und Rechtssicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 a) Keine beihilferechtliche Relevanz von Planungs- und Rechtssicherheit . . . 222 b) Bedeutung der Laufzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 2. Verrechnungspreisdokumentationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 3. Vorteilsgewährung durch Abweichungen vom Fremdvergleichsgrundsatz . . . . 225 a) Steuerrechtliche Trennung: Die Konzerneinheiten als Vorteilsempfänger 226 aa) Vorteilsbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 (1) Zu niedriger Verrechnungspreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 (2) Zu hoher Verrechnungspreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 (3) Mittelbare Vorteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 (4) Gewinnverlagerungen als verdeckte Gewinnausschüttungen . . . . . . 230 bb) Bestimmung der Haushaltsbelastung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 (1) Exkurs: Reine Inlandssachverhalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 (a) Tatsächlicher Mittelabfluss im öffentlichen Haushalt ist entscheidend . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 (b) Bedeutung von Verlusten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233

Inhaltsverzeichnis

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(2) Grenzüberschreitende Sachverhalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 (a) Bedeutung des Steuerniveaus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 (b) Ansässigkeitsstaat der die Zahlung erhaltenden Konzerneinheit 234 (c) Saldierung der Haushalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 (aa) Kein grenzüberschreitender Steuervorteil . . . . . . . . . . . . . . 234 (bb) Trennung der staatlichen Haushalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 (d) Erfassung sämtlicher Erträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 (aa) Abweichung durch ein Tax Ruling . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 (bb) Beihilfewidrige Gesetzeslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 (e) Ansässigkeitsstaat der zahlenden Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . 240 (aa) Der Fall Luxemburg/Amazon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 (bb) Der Fall Irland/Apple . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 b) Wettbewerbsrechtliche Betrachtung: Der Konzern als Vorteilsempfänger 243 aa) Funktionaler Unternehmensbegriff und Konzernbegünstigung . . . . . . . 244 bb) Abgrenzung zur mittelbaren Vorteilsgewährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 cc) Bestimmung des Konzernvorteils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 (1) Bedeutung des internationalen Steuergefälles für die Vorteilshöhe 247 (a) Doppelbesteuerung oder Nullsummenspiel . . . . . . . . . . . . . . . . 248 (b) Bedeutung latenter Steuern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 (c) Bedeutung des Prinzips der Einmalbesteuerung für die Vorteilsbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 (d) Implikationen für die Freistellungsmethode . . . . . . . . . . . . . . . . 255 (2) Fremdvergleichsgrundsatz als Verteilungsmaßstab . . . . . . . . . . . . . 257 (a) Abweichung vom Fremdvergleichsgrundsatz und Prudent Operator Principle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 (b) Bisherige Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zur Bildung von Verrechnungspreisen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 (c) Der wettbewerbsrechtliche Fremdvergleichsgrundsatz . . . . . . . 262 (d) Exkurs: Verhältnis zur Gemeinsamen Körperschaftsteuerbemessungsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 dd) Bestimmung der Haushaltsbelastung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 ee) Begrenzung der Kommissionspraxis durch das unionale Kompetenzgefüge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 c) Internationale Steuerharmonisierung und Beihilferecht . . . . . . . . . . . . . . . . 270 aa) Mangelnde Steuerharmonisierung als beihilferelevanter Vorteil . . . . . . 270 bb) Zurechnung der fehlenden Harmonisierung an einen Mitgliedstaat . . . 272 (1) Zuweisung durch die Kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 (2) Zuweisung anhand abstrakter Rechtsprinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . 273 (3) Beihilfe durch Unterlassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 cc) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 d) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276

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Inhaltsverzeichnis IV. Selektivität des Vorteils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 1. Begrenzung des Adressatenkreises . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 2. Behördenermessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 3. Abweichung vom Referenzsystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 a) Referenzsystem und Ausnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 aa) OECD-Verrechnungspreisleitlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 bb) Nationales Steuerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 (1) Auffassung der Europäischen Kommission: Allgemeines nationales Körperschaftsteuerrecht als Referenzrahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 (2) Kritische Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 (a) Die nationalen Verrechnungspreisvorschriften als maßgeblicher Referenzrahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 (b) Implikationen für die Kommissionspraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 (c) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 b) Vergleichsgruppenbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 aa) Selbstständige Unternehmen oder Konzerne als Vergleichsgruppe . . . . 290 (1) Auffassung der Europäischen Kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 (2) Fehlende Vergleichbarkeit von Konzernen und unabhängigen Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 (a) Fehlende Vergleichbarkeit aufgrund der Eigenschaft als Konzern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 (b) Fehlende Vergleichbarkeit durch drohende Doppelbesteuerung 293 (aa) Tatsächliche Doppelbesteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 (bb) Virtuelle Doppelbesteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 (cc) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 bb) Selektivität aufgrund der Natur als Einzelmaßnahme . . . . . . . . . . . . . . 299 cc) Steuergesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 c) Begünstigung bestimmter Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 d) Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304 4. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 V. Wettbewerbsverfälschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 1. Keine Entlastung aufgrund möglicher Folgeentwicklungen oder durch das Verhalten Dritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 2. Differenzierung zwischen den Begünstigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 3. Unbeachtlichkeit von Wettbewerbsverzerrungen außerhalb des Binnenmarkts 309 VI. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310

C. Der Einfluss des Beihilferechts auf Doppelbesteuerungsabkommen . . . . . . . . . . . . . . 312 I. Keine intrinsische Selektivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312 II. Abweichungen von Doppelbesteuerungsabkommen als Beihilfe . . . . . . . . . . . . . 313 1. Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313

Inhaltsverzeichnis

15

2. Rechtliche Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 D. Beihilferelevanz deutscher Rechtsinstitute . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 I. Verbindliche Auskunft, § 89 Abs. 2 AO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 1. Entschließungsermessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 2. Auswahlermessen und unbestimmte Rechtsbegriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 3. Verbindliche Auskunft und Steuersparmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 4. Bedeutung der föderalen Verwaltungsstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322 II. Verbindliche Zusage nach einer Außenprüfung, § 204 AO . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 III. Tatsächliche Verständigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 E. Sonstige Maßnahmen gegen Steuervermeidung und Gewinnverlagerungen durch Tax Rulings . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 I. Automatischer Informationsaustausch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 1. Informationsaustausch im Rahmen des BEPS-Projekts . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 2. Informationsaustausch innerhalb der Europäischen Union . . . . . . . . . . . . . . . . 329 3. Maßnahmenpaket zur Bekämpfung der Steuervermeidung . . . . . . . . . . . . . . . 330 II. Transparenz und Konkurrentenklagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330 III. Gemeinsame konsolidierte Körperschaftsteuerbemessungsgrundlage . . . . . . . . . 332 IV. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333 F. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334

Kapitel 5 Der internationale Steuerwettbewerb und sein Verhältnis zum Beihilferecht

337

A. Wettbewerb der Steuersysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 I. Begriffsbestimmung und grundlegende Strukturelemente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 338 II. Nutzen und Wirkungen des Steuerwettbewerbs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340 III. Wettbewerb um Steuersubstrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 1. Neuansiedlungswettbewerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342 2. Steuerzuordnungswettbewerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343 3. Bedeutung der effektiven Steuerbelastung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344 IV. Schädlicher Steuerwettbewerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345 B. Europäischer Steuerwettbewerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 348 I. Intensität des Europäischen Steuerwettbewerbs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 348 II. Europäische Grundfreiheiten und Wettbewerb der Steuersysteme . . . . . . . . . . . . 349 III. Schädlicher Steuerwettbewerb innerhalb der Europäischen Union . . . . . . . . . . . . 351 IV. Bedeutung einer gemeinsamen konsolidierten Körperschaftsteuerbemessungsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353

16

Inhaltsverzeichnis V. Europäischer Verhaltenskodex . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354 1. Historische Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354 2. Klassifizierung schädlicher Steuermaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356 VI. Europäisches Beihilferecht und Standortwettbewerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357 1. Das Beihilferecht als Instrument gegen schädlichen Steuerwettbewerb . . . . . . 358 2. Europäisches Beihilferecht und Europäischer Verhaltenskodex . . . . . . . . . . . . 360 a) Kompetenzrechtlich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361 b) Materiell-rechtlich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361 aa) Rechtsnatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 362 bb) Zielsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 362 cc) Rechtsfolgen eines Verstoßes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 364

C. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 365

Kapitel 6 Schlussfolgerungen

368

Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 376 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393

Abkürzungsverzeichnis a. A. ABl. Abs. AEAO AEUV AO Art. AStG Az. BEPS BFH BFHE BGB BGH BGHZ BMF bspw. BStBl. BT-Drs. BVerfG BVerfGE DBA ECLI EU EuG EuGH EuGHVfO EUV ff. GG GKKB Hrsg. i. S. d. i. S. v. i. V. m. IP LG MA Nr. OECD OLG

andere Ansicht Amtsblatt Absatz Anwendungserlass zur Abgabenordnung Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union Abgabenordnung Artikel Außensteuergesetz Aktenzeichen, Aktenzeichen Base Erosion and Profit Shifting Bundesfinanzhof Entscheidungen des Bundesfinanzhofs Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen Bundesministerium der Finanzen beispielsweise Bundessteuerblatt Bundestagsdrucksache Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Doppelbesteuerungsabkommen European Case Law Identifier/dt. Europäischer Rechtsprechungs-Identifikator Europäische Union Gericht der Europäischen Union Gerichtshof der Europäischen Union EUGH-Verfahrensordnung Vertrag über die Europäische Union folgende Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland Gemeinsame konsolidierte Körperschaftsteuerbemessungsgrundlage Herausgeber im Sinne des im Sinne von in Verbindung mit Intellectual Property Landgericht Musterabkommen Nummer Organisation für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit Oberlandesgericht

18 Rn. Rs. S. S.à.r.l. SA. SAM Slg. sog. StAuskV StVergAbG u. a. USA UWG v. VerfVO Vgl VwGO VwVfG z. B. Zif. ZPO

Abkürzungsverzeichnis Randnummer Rechtssache Seite Société à responsabilité limitée (Luxemburg) State Aid/dt. Staatliche Beihilfe State Aid Modernisation Sammlung der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union sogenannte/sogenannter/sogenanntes Steuer-Auskunftsverordnung Steuervergünstigungsabbaugesetz und andere Vereinigte Staaten von Amerika Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb vom Verfahrensverordnung Vergleiche Verwaltungsgerichtsordnung Verwaltungsverfahrensgesetz zum Beispiel Ziffer Zivilprozessordnung

Kapitel 1

Einführung A. Vorbemerkung Das Verhältnis von primärem Unionsrecht und nationaler Steuergesetzgebung ist bereits seit vielen Jahren eines der dynamischsten Spannungsfelder des Europarechts. Aufgrund der beschränkten Kompetenzen der Europäischen Union für steuerliche Angelegenheiten sind Verordnungen und Richtlinien dabei grundsätzlich nur von untergeordneter Bedeutung. Von ungleich größerer Bedeutung sind hingegen das primäre Unionsrecht und die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs bezüglich der Vereinbarkeit nationalen Steuerrechts mit dem Unionsrecht. Insbesondere der Einfluss unionaler Grundfreiheiten auf die mitgliedstaatlichen Steuersysteme ist daher bereits seit langem ein Kernbereich des Europäischen Steuerrechts. Die Anwendbarkeit primären Unionsrechts auf die nationale Steuergesetzgebung ist dabei jedoch nicht auf die Grundfreiheiten beschränkt. Auch die Bedeutung des europäischen Beihilferechts für die nationale Steuergesetzgebung ist bereits seit einigen Jahren Gegenstand intensiver Diskussionen. Die Bedeutung und Tragweite des Beihilferechts wurde dem deutschen Fachpublikum bereits vor einigen Jahren durch den Beschluss der europäischen Kommission zur Verlustabzugsbeschränkung nach § 8c KStG („Sanierungsklausel“) offenbart.1 In den Blickpunkt der breiteren (juristischen) Öffentlichkeit rückte es jedoch erst im Juni 2013 mit der Entscheidung der Kommission, die verbindlichen Steuerauskünfte von sieben Mitgliedstaaten (Irland, Luxemburg, Malta, die Niederlande, das Vereinigte Königreich, Belgien und Zypern) auf ihre Vereinbarkeit mit dem EU-Beihilferecht zu überprüfen.2 In engem Zusammenhang dazu steht die bereits zuvor aufgekommene öffentliche Kritik an (insbesondere US-amerikanischen) Konzernen aufgrund ihrer niedrigen ausgewiesenen Steuerbelastung.3 Nach Veröffentlichung der sog. „Luxembourg Leaks“ im November 2014 hat die Kommission ihre beihilferechtlichen Ermittlungen nochmal

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Pressemitteilung der Kommission v. 26. 01. 2011 – IP/11/65. Die Europäische Kommission hat ihre diesbezügliche Kontrolle danach auf sämtliche Mitgliedstaaten ausgeweitet. Siehe: Pressemitteilung der Kommission v. 17. 12. 2014 – IP/14/ 2742. 3 Zur durchaus pikanten Steuergestaltung US-amerikanischer Konzerne und deren Praxis der Steuerminimierung vgl. ausführlich: Richter/Hontheim, DB 2013, S. 1260 – 1264; Pinkernell, StuW 2012, 369 – 374. 2

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Kap. 1: Einführung

ausgeweitet.4 Darauf aufbauend hat sie Prüfverfahren hinsichtlich der Vereinbarkeit von Tax Rulings und Art. 107 Abs. 1 AEUV eingeleitet. Von öffentlichem Interesse sind die Verfahren dabei nicht zuletzt aufgrund der Bekanntheit der betroffenen Unternehmen (die prominentesten Verfahren betreffen z. B. Apple, Amazon, Starbucks und McDonalds).5 Zwar beschäftigt sich die Kommission in den genannten Fällen vorwiegend mit der Beihilfewidrigkeit sog. Tax Rulings, also verbindlichen Steuervorentscheiden, allerdings ist im Zuge dessen auch die Problematik der europaweiten Unternehmensbesteuerung und der Wettbewerb der nationalen Steuersysteme im Generellen stärker in den Fokus von Politik und Medien gerückt.6 In Zeiten klammer öffentlicher Haushalte und hoher Staatsverschuldung ist die Frage der Steuervergünstigungen für multinationale Konzerne von besonderer Brisanz und Tragweite. Die Entwicklung und Durchsetzung eines transparenten und fairen Steuersystems ist für Staaten dabei essenziell. Intransparenz und Ungerechtigkeiten hinsichtlich der Besteuerung von Unternehmen führen nicht selten zu einem erheblichen Vertrauensverlust des Staates bei seinen Bürgern. Die angemessene Beteiligung von Unternehmen, insbesondere multinationaler Großkonzerne, an den Staatskosten ist folgerichtig von besonderer Wichtigkeit für jeden Staat. Gerade Großunternehmen versuchen jedoch häufig ihren erwirtschafteten Gewinn durch geschickte Konzernstrukturen in niedrig besteuernde Länder (sog. Steueroasen) zu verschieben, um so Steuern zu sparen.7 Während die grundsätzliche Intention der Unternehmen, nicht mehr Steuern zu zahlen als notwendig ist, aus betriebswirtschaftlicher Sicht durchaus verständlich und sinnvoll ist, so hat aber die aggressive Steuergestaltung einiger Unternehmen teilweise zu einer massiven Verringerung der Konzernsteuerquote und damit auch der Einnahmen der jeweiligen Staaten geführt.8 In Anbetracht ständig steigender Unternehmensgewinne einerseits und wachsender Staatsdefizite andererseits, insbesondere in süd- und osteuropäischen Ländern, kann eine solche Entwicklung auf Dauer aber weder gut noch richtig sein. Die Problematik der Steuervermeidung durch multinationale 4 Insgesamt untersuchte die Kommission in diesem Zusammenhang mehr als 1.000 Tax Rulings, insbesondere im Bereich der Verrechnungspreise. 5 Bekanntmachung der Kommission in Sachen Apple v. 17. 10. 2014, ABl. EU 2014 Nr. C 369/22; Bekanntmachung der Kommission in Sachen Amazon v. 06. 02. 2015, ABl. EU 2015 Nr. C 44/13; Bekanntmachung der Kommission in Sachen Starbucks v. 19. 12. 2014, ABl. EU 2014 Nr. C 460/11; Bekanntmachung der Kommission in Sachen McDonalds v. 15. 07. 2016, ABl. EU 2016 Nr. C 258/11. 6 Vgl. Berichterstattung in der Presse: z. B. Die Welt v. 12. 06. 2014; Der Spiegel v. 17. 12. 2014; FAZ v. 17. 12. 2014; Der Betrieb v. 20. 06. 2014, Heft 25, S. 11; Der Betrieb v. 20. 06. 2014, S. 12 – 13. 7 Vgl. dazu grundlegend: Schröder, Probleme der Gewinnverlagerungen Multinationaler Unternehmen – Konzerninterne Verrechnungspreise und deren wirtschaftspolitische Wirkungen. 8 Vgl. z. B. Handelsblatt v. 15. 01. 2013; abrufbar unter http://www.handelsblatt.com/poli tik/deutschland/schaeuble-legt-sich-mit-amazon-und-co-an-steuertricksern-das-handwerk-le gen-/7632762.html (zuletzt abgerufen am 24. 08. 2020).

A. Vorbemerkung

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Konzerne an sich ist dabei keine neue Entwicklung. Neu ist hingegen, dass die Europäische Kommission dagegen in großem Umfang mit seinem „schärfsten Schwert“9, dem Beihilferecht vorgeht. Missverständlich ist dabei die häufig anzutreffende Aussage, die Kommission gehe mit Hilfe des Beihilferechts gegen Steuervermeidung der Unternehmen vor. Ihr Vorgehen richtet sich vielmehr gegen die EU-Mitgliedstaaten sowie deren nationalen Steuergesetze und -praktiken. Durch die Anwendung des Beihilferechts möchte die Kommission nicht verhindern, dass Unternehmen bestehende Steuersparmodelle anwenden und Lücken nutzen, sie will vielmehr verhindern, dass die Mitgliedstaaten – respektive deren Steuergesetze – überhaupt solche Lücken aufweisen bzw. gezielte Schlupfwinkel bieten.10 In Anbetracht der hohen politischen Brisanz,11 den immensen Folgen für betroffene Unternehmen und der hohen Subventionssummen sieht die Kommission in der Nutzung des Beihilferechts im Kampf gegen Steuervergünstigungen mittlerweile einen Schwerpunkt der Wettbewerbsaufsicht und hat folglich in den letzten Jahren begonnen systematisch gegen Steuervergünstigungen in den Mitgliedstaaten vorzugehen.12 Sie befürchtet, dass Steuerdumping und Steuervermeidung den Zusammenhalt und Wohlstand in der Europäischen Union gefährden und zu einer ungerechten Verteilung der Steuerlast führen. Zahlreiche empirische Studien belegen, dass internationale Gewinnverlagerung durch multinationale Unternehmen keineswegs ein Phantom ist, sondern ein real existierendes Problem darstellt.13 Die negativen Folgen liegen dabei auf der Hand: Neben den daraus resultierenden Steuerausfällen sind Wettbewerbsverzerrungen und negative Auswirkungen auf die Steuermoral der übrigen Steuerzahler zu befürchten. Zwar richtet sich das Vorgehen der Europäischen Kommission letztlich auch dagegen, in erster Linie geht es ihr jedoch nicht um drohende Steuerausfälle oder um Steuergerechtigkeit. Ihr Vorgehen ist vielmehr von der Sorge vor Wettbewerbsverzerrungen auf dem gemeinsamen Binnenmarkt getrieben. Auf Grundlage der Beihilfevorschriften prüft die Kommission daher, ob bestimmte nationale Steuervorschriften und -praktiken (in Verbindung mit der aggressiven Steuerplanung einiger Unternehmen) mit dem Unionsrecht vereinbar sind.14 Die Konsequenzen für die beteiligten Akteure bei einem Verstoß gegen das Beihilferecht sind dabei enorm. Wird eine Steuervergünstigung von der Kommission als rechtswidrige Beihilfe i. S. v. Art. 107 AEUV eingeordnet, muss die Vergünstigung rückabgewickelt werden. Der unionsrechtswidrige Zustand muss beseitigt, die bisher nicht erhobenen Steuern also nachträglich eingetrieben 9

Blumenberg/Kring, Europäisches Beihilferecht und Besteuerung, S. 79. Brandau/Neckenich/Reich/Reimer, BB 2017, 1175 (1175). 11 Vgl. zu den politischen Folgewirkungen: Schön, ZHR 2019, 393 (393). 12 Die Kommission scheint im Beihilferecht eine Art Allheilmittel für die Kontrolle nationaler Steuergesetzer und Bekämpfung unerwünschter Gestaltungen zu sehen. Vgl. Hummel, GmbHR 2019, 390 (390); Grube, DStZ 2007, 371 (374). 13 Vgl. diesbezüglich z. B. Huizinga/Laeven, Journal of Public Economics 2008, 1164 – 1182; de Mooij/Ederveen, Oxford Review of Economic Policy 2008, 680 – 697; Egger/Eggert/ Winner, Journal of International Economics 2010, 99 – 108. 14 Linn, IStR 2015, 114 (114). 10

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Kap. 1: Einführung

werden. Für die einzelnen Unternehmen kann dies Steuernachzahlungen in Milliardenhöhe bedeuten.15

B. Europäisierung des Steuerrechts Steuerrecht und Unionsrecht wurden lange Zeit als getrennte, voneinander vollständig unabhängige Rechtsgebiete angesehen.16 Dies liegt nicht zuletzt auch daran, dass die Europäischen Verträge keinen selbstständigen Abschnitt zum Steuerrecht enthalten – trotz dessen immenser Auswirkungen. Nur an wenigen Stellen werden Steuern explizit angesprochen und dies auch nur, soweit sie mit dem Funktionieren des Binnenmarktes in Verbindung stehen.17 Das Vertragswerk ist von wirtschaftlichen Aufgaben und Zielsetzungen bestimmt. Diese Zielsetzungen werden ihrerseits vom Leitbild der Steuereffizienz und Steuerneutralität flankiert. Aufgrund dessen lassen sich aus den primärrechtlichen Grundlagen für den Binnenmarkt, auch ohne eine Vielzahl expliziter Regelungen, Anhaltspunkte für die Ausgestaltung der nationalen Besteuerungssysteme ableiten.18

I. Staatliche Souveränität und Steuerrecht Zwar existiert staatsrechtlich keine allgemein gültige Definition des Staatsbegriffs, nach der vorherrschenden Drei-Elemente-Lehre sind für einen Staat aber drei Merkmale konstituierend: Es bedarf eines Staatsgebietes, eines Staatsvolkes und einer Staatsgewalt.19 Entscheidend für die Staatsgewalt ist dabei, dass diese nicht nur formell vorhanden ist. Charakteristisch für staatliche Souveränität ist, dass die Staatsgewalt die Letztentscheidungsbefugnis innehat und sich gegen möglicherweise ebenfalls vorhandene Mächte, bspw. Parteien, Gewerkschaften, Verbände und Medien, durchzusetzen vermag. Staatliche Souveränität offenbart sich am sichtbarsten, wenn der Staat seine Hoheitsmacht tatsächlich durchsetzt. Als prominenteste Beispiele drängen sich hier sofort militärische und polizeiliche Einsätze sowie die Vollstreckung von Hoheitsakten in jeder Form auf. Zwar mag die klassische Durchsetzung von Hoheitsakten die anschaulichste und einprägsamste Ausprägung von Staatssouveränität sein, sie bildet aber nur Ultima Ratio des Rechtsstaates und ist 15 Vgl. etwa die von Apple geforderte Steuerrückzahlung in Höhe von bis zu 13 Mrd. Euro. Siehe: Pressemitteilung der Europäischen Kommission v. 30. 08. 2016 – IP/16/2923. 16 Kokott/Ost, EuZW 2011, 496 (496). 17 Lediglich für die Warenverkehrsfreiheit wurde mit Art. 100 AEUV eine explizite Steuernorm geschaffen. Diese besagt im Wesentlichen aber nur, dass ausländische Waren nicht höher besteuert werden dürfen als inländische. 18 Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung, S. 112. 19 Zur Drei-Elemente-Lehre und dem juristischen Staatsbegriff vgl. Jellinek, Allgemeine Staatslehre S. 183 ff.

B. Europäisierung des Steuerrechts

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innerhalb der Rechtsordnung mehr Ausnahme denn Regel. Staatliche Hoheitsgewalt zeigt sich vielmehr vornehmlich bereits in der Normgebung selbst.20 Der Rechtsstaat geht in seiner Grundannahme von der Befolgung seiner Regeln aus und greift nur in Ausnahmefällen zur zwangsweisen Durchsetzung. Obwohl das Steuerrecht als Ausprägung staatlicher Souveränität zunächst scheinbar unauffällig und unbedeutend erscheint, so zeigt sich doch, dass es ein ganz wesentlicher Teil davon ist. Das Steuerrecht beruht unmittelbar auf der nationalen Staatssouveränität („the power to tax is the power to govern“21) und gehört damit zu den Kernkompetenzen staatlicher Hoheit.22 Dass Steuerrecht und Staatsgewalt gemeinhin nicht in einen engeren Zusammenhang gestellt werden, mag ebenso am Image des Steuerrechts als langweilige und „graue“ Materie liegen wie an der Tatsache, dass es bei Weitem nicht so spektakulär in Erscheinung tritt wie das Polizei- oder das Strafrecht. Im Gegensatz zu diesen beiden hat das Steuerrecht aber eine deutlich größere Breitenwirkung und wirkt weniger punktuell. Es betrifft eine viel größere Personenanzahl (nicht nur jeden Straftäter bzw. Störer, sondern jeden Steuerpflichtigen) mit einer viel größeren Häufigkeit (z. B. die Umsatzsteuer bei fast jedem Verkehrsgeschäft). Es greift jeden Tag – in einem nicht unerheblichen Umfang – in die finanzielle Freiheit eines jeden Steuerbürgers ein.23 Die Natur des Steuerrechts als Vehikel zur staatlichen Mittelbeschaffung bedingt dabei zugleich die sonstigen Ausprägungen von Staatsgewalt sowie das Bestehen des Staates selbst. Ein Staat, dem es nicht gelingt eine (effiziente) Besteuerung seiner Bürger aufzubauen und aufrechtzuerhalten hat auf Dauer nicht ausreichend Mittel um seine Staatsgewalt auf anderen Gebieten durchzusetzen und wird auf lange Sicht letztlich scheitern.24

II. Europäische Integration und Steuerhoheit Die Idee eines vereinten Europas fußt zwar zunächst auf dem Abbau nationaler Ressentiments und der Abkehr von Feindschaft und Krieg, aber auch auf einer immer weiter fortschreitenden (wirtschaftlichen) Integration. Das Wesen dieser Integration ist durch das Zusammenführen nationaler Hoheitsträger und der Vereinheitlichung von Rechtsordnungen gekennzeichnet.25 Die Europäische Union war ursprünglich als reine Wirtschaftsgemeinschaft konzipiert, bei der der Abbau von Handelshemmnissen und die Errichtung eines einheitlichen Binnenmarktes an erster Stelle 20

Ebenso aber auch in der Verwaltungsmacht und in der Rechtsprechung als Kontrollmacht. Vgl. Tiedtke/Mohr, EuZW 2008, 424 (425); Birk, FR 2005, 121 – 127; Terra/Wattel, European Tax Law, S. 7 22 Vgl. dazu auch: BVerrfG, Urteil v. 30. 06. 2009 – 2 BvE 2/08 –, BVerfGE 123, 267 (361, 362). 23 Kirchhof, in: Brandt (Hrsg.), Europäische Perspektiven im Steuerrecht, S. 23. 24 Birkenmaier, Die Vorgaben der Beihilfevorschriften des EG-Vertrages für die direkte Unternehmensbesteuerung, S. 54. 25 Kirchhof, in: Brandt (Hrsg.), Europäische Perspektiven im Steuerrecht, S. 24. 21

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standen.26 Durch diese stetige Integration ist die Europäische Union heute realwirtschaftlich in weiten Teilen geeint. Trotzdem kommt der Europäischen Union selbst keine Staatsqualität zu. Sie stellt insbesondere keinen eigenständigen europäischen Bundesstaat dar und verfügt daher über keine eigene Staatsgewalt. Die weiterhin souveränen und auf ihre Eigenständigkeit bedachten Mitgliedstaaten bleiben die eigentlichen Träger der Staatsgewalt.27 Die Union leitet Hoheitsgewalt nur von ihnen ab (vgl. Art. 5 EUV). In Art. 5 Abs. 1 und 2 EUV ist der Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung geregelt. Nach diesem wird die Union nur innerhalb der Grenzen der ihr von den Mitgliedstaaten in den Verträgen (EUV und AEUV) übertragenen Zuständigkeiten tätig. Ihre Handlungsfreiheit wird durch diese Kompetenzverteilung beschränkt. Die Mitgliedstaaten waren und sind umgekehrt bereit in bestimmten (Teil-)Bereichen ihre Souveränität zurückzunehmen und Kompetenzen auf die Union zu verlagern. In anderen Bereichen sind sie hingegen bemüht ihre Identität und Selbstständigkeit zu wahren. Das gilt insbesondere auch für das Steuerrecht. Nicht zuletzt aufgrund der engen Verknüpfung von Staatsgewalt und Steuerhoheit hat die Union hier nur sehr begrenzt Kompetenzen übertragen bekommen.28 Sie darf Steuern weder einführen noch sie erheben.29 Ihr obliegen lediglich zum Schutz des Binnenmarktes bestimmte Harmonisierungskompetenzen. Obwohl der Europäischen Union keinerlei „Kompetenz-Kompetenz“ zusteht, zog der Einfluss des Unionsrechts im Laufe der Jahre immer weitere Kreise.30 Die Vorgaben des Europarechts setzten dabei den mitgliedstaatlichen Gestaltungsspielräumen Grenzen. Dies gilt auch für Rechtsgebiete in denen die Union keine oder nur sehr begrenzte Befugnisse besitzt.31 Jede nationale Rechtsnorm muss sich an primärem Unionsrecht messen lassen.32 Das Unionsrecht umrahmt insoweit die nationalen Rechtsordnungen.33 Dieser Effekt betrifft auch das Steuerrecht und kann hier anhand der Grundfreiheiten bereits seit längerem beobachtet werden.34 Nicht 26

Geisenberger, Der Einfluss des Europarechts auf steuerliches Verfahrensrecht, S. 29. Kirchhof, in: Brandt (Hrsg.), Europäische Perspektiven im Steuerrecht, S. 25. 28 Zur Kompetenz der EU zur Ausgestaltung und Vereinnahmung von Steuern vgl. ausführlich: Kube, in: Lang (Hrsg.), Europäisches Steuerrecht, S. 74 ff. 29 Seiler, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union Art. 113 AEUV Rn. 9. 30 Schätzungen gehen davon aus, dass bis zu 80 % aller Gesetze in Europa heute durch das Unionsrecht bedingt sind. Vgl. Geisenberger, Der Einfluss des Europarechts auf steuerliches Verfahrensrecht, S. 29. 31 EuGH, Urteil v. 24. 11. 1998, Rs. C-274/96, ECLI:EU:C:1998:563, Rn. 17 – Bickel und Franz; Urteil v. 23. 11. 2000, Rs. C-135/99, ECLI:EU:C:2000:647, Rn. 33 – Elsen; Urteil v. 02. 10.2003, Rs. C-148/02, ECLI:EU:C:2003:539, Rn. 25 – Garcia Avello; Urteil v. 12. 07. 2005, Rs. C-403/03, ECLI:EU:C:2005:446, Rn. 19 – Schempp; Urteil v. 18. 12. 2007, Rs. C-341/05, ECLI:EU:C:2007:809, Rn. 87 ff. – Laval; Urteil v. 02. 03. 2010, Rs. C-135/08, ECLI:EU:C: 2010:104, Rn. 41 – Rottmann. 32 Stuart, EStAL 2017, 209 (210). 33 Stewen, EuR 2008, 445 (446). 34 Vgl. beispielhaft: EuGH, Urteil v. 14. 02. 1995, Rs. C-279/93, ECLI:EU:C:1995:31, Rn. 31 bis 33 – Finanzamt Köln-Altstadt/Schumacker; EuGH, Urteil v. 11. 08. 1995, Rs. C-80/ 27

B. Europäisierung des Steuerrechts

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selten berühren nationale Steuerrechtsvorschriften die Schutzbereiche von Niederlassungs- und Kapitalverkehrsfreiheit oder eben auch des Beihilferechts. In gefestigter Rechtsprechung misst der Europäische Gerichtshof dabei nationales Steuerrecht am einschlägigen Primärrecht und verlangt für eventuell erfolgte Verletzungen eine Rechtfertigung.35 Obwohl die Union also keine Kompetenz hinsichtlich der Implementation neuer Steuervorschriften oder ihrer verwaltungsrechtlichen Durchsetzung innehat36 und die Mitgliedstaaten ihr Steuersystem grundsätzlich frei ausgestalten können, verhindert das Europarecht so seinerseits eine unionsrechtswidrige Ausgestaltung des nationalen Rechts.

III. Die Europäische Union zwischen (Steuer-)Harmonisierung und Wettbewerb Die Kompetenzverteilung zwischen Europäischer Union und den Mitgliedstaaten ist kennzeichnend für dieses Spannungsverhältnis. Einerseits hat die Union das Recht Steuern zu harmonisieren soweit das Funktionieren des Binnenmarktes dies erfordert, anderseits bleibt die Ausgestaltung der Steuersysteme weiterhin Aufgabe der Mitgliedstaaten. Die fehlendenden Kompetenzen der Union haben zur Folge, dass die mitgliedstaatlichen Steuerordnungen in weiten Teilen nicht aufeinander abgestimmt sind. Die Mitgliedstaaten können ihre Steuersysteme, unabhängig von anderen Mitgliedstaaten, ausrichten oder anpassen. Sie können diese sogar dazu nutzen Steuerpflichtige – auch aus anderen Mitgliedstaaten – anzulocken. Folge ist ein, im europäischen System selbst angelegter und durch die Steuervielfalt bedingter, Wettbewerb der Steuerordnungen.37 Zwar verfügt die Europäische Union im Steuerrecht über keine eigene Gesetzgebungskompetenz, die europäische Integration hat jedoch einen anderen Weg gefunden, das Steuerrecht in den Einigungsprozess einzubeziehen. Die Union besitzt bestimmte, wenn auch begrenzte, steuerliche Harmonisierungskompetenzen. Die Harmonisierung hat sich dabei als souveränitätsschonender Ansatz zur Europäisierung des Steuerrechts erwiesen. Um ein einwandfreies Funktionieren des Binnenmarktes sicherzustellen, wirkt die Union auf eine möglichst weitgehende An94, ECLI:EU:C:1995:271, Rn. 18 – Wielockx/Inspecteur der directe belastingen; EuGH, Urteil v. 27. 06. 1996, Rs. C-107/94, ECLI:EU:C:1996:251, Rn. 41 – Asscher/Staatssecretaris van Financiën; EuGH, Urteil v. 22. 03. 2007, Rs. C-383/05, ECLI:EU:C:2007:181, Rn. 19 – Talotta; EuGH, Urteil v. 16. 10. 2008, Rs. C-527/06, ECLI:EU:C:2008:566, Rn. 59 – Renneberg; EuGH, Urteil v. 17. 11. 2009, Rs. C-169/08, ECLI:EU:C:2009:709, Rn. 33 ff. – Presidente del Consiglio dei Ministri/Regione Sardegna. 35 Zur Rolle der Rechtsprechung des EuGHs im Bereich des Ertragsteuerrechts, vgl. Stewen, EuR 2008, 445 – 467 ff. und Ahmann, DStZ 2005, 75 – 80 ff. 36 Eine (unbedeutende) Ausanhme bildet dabei insoweit die Einnahmesteuer auf Gehälter von EU-Beamten. 37 Vgl. zum Themenkomplex Steuerwettbewerb Kapitel 5, S. 335 ff.

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Kap. 1: Einführung

gleichung der nationalen Steuersysteme hin.38 Die Harmonisierung wird dabei häufig als Gegenmodell zum Wettbewerb der Steuersysteme angesehen.39 Während im Systemwettbewerb die Staaten ihre Steuerrechtsordnung autonom festlegen und damit einen gewissen Wettbewerbsdruck erzeugen, koordinieren sie sich bei Harmonisierungen auf europäischer Ebene. Die Harmonisierung ist aber kein Selbstzweck oder soll ein europaweit einheitliches Steuerregime etablieren, sondern dient vielmehr der Verhinderung steuerlich bedingter Wettbewerbsverzerrungen im Binnenmarkt und somit der Sicherstellung seiner Funktionsfähigkeit.40 Sie ermöglicht es einerseits europaweite Standards festzulegen, gibt den Mitgliedstaaten aber andererseits weiterhin ausreichend Freiraum zu punktuellen Anpassungen und zur sinnvollen Integration in ihr nationales Steuerrecht.41 Bei der europaweiten Harmonisierung des Steuerrechts muss aufgrund ihrer unterschiedlichen Bedeutung für den Binnenmarkt und der bestehenden Unterschiede im Integrationsgrad zwischen direkten und indirekten Steuern unterschieden werden.42 1. Harmonisierung direkter Steuern Als äußerst facettenreich erweist sich die Harmonisierung der direkten Steuern. Direkte Steuern sind solche, die vom Steuerschuldner unmittelbar an den Staat entrichtet werden. Steuerschuldner und Steuerträger sind identisch.43 Aufgrund ihrer Standortbezogenheit stehen direkte Steuern in enger Verbindung mit der Staatshoheit und der nationalstaatlichen Souveränität.44 Durch diesen engen Zusammenhang müssen bei einer Harmonisierung insbesondere die Grundsätze der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit gewahrt werden.45 Zwar wirken sich direkte Steuern nicht so unmittelbar auf den Handel und den Wettbewerb aus wie indirekte Steuern, sie können aber gleichfalls wettbewerbsverzerrende Wirkung haben. Sie wirken sich auf den Gewinn eines Unternehmens und dessen Profitabilität aus. Die Steuerlast schmälert den finanziellen Handlungsspielraum und damit die Möglichkeit eines Unternehmens zu Expansion und Innovation. Wird die Steuerlast gesenkt, vergrößert sich der Handlungsspielraum und die Wettbewerbsposition des Unternehmens ver-

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Piperi, Die Harmonisierung der direkten Steuern durch den Gerichtshof der Europäischen Union und das nationale Steuerverfahrensrecht, S. 21 ff. 39 Lampert, EuZW 2013, 493 (497). 40 Laule, IStR 2001, 297 (298); Endres, RIW 1994, 572 (573). 41 Kirchhof, in: Brandt (Hrsg.), Europäische Perspektiven im Steuerrecht – Steuergerechtigkeit und Steuervereinfachung, S. 26. 42 Strüber, Steuerliche Beihilfen, S. 52. 43 Piperi, Die Harmonisierung der direkten Steuern durch den Gerichtshof der Europäischen Union und das nationale Steuervefahrensrecht, S. 26. 44 Vgl. Tiedke/Mohr, EuZW 2008, 424 (425); Terra/Wattel, European Tax Law, S. 7. 45 Englisch, in: Tipke/Lang (Hrsg.), Steuerrecht, § 4 Rn. 68.

B. Europäisierung des Steuerrechts

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bessert sich.46 Dabei ist offensichtlich, dass die aus dem Zusammentreffen unterschiedlicher Steuersysteme drohende Minder- bzw. Doppelbesteuerung der Verwirklichung eines gemeinsamen Binnenmarktes in besonderem Maße zuwiderlaufen.47 Im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) finden sich keine speziellen Vorschriften für die Harmonisierung von direkten Steuern. Als mögliche primärrechtliche Grundlagen einer Harmonisierung kommen nur Art. 114 und 115 AEUV in Betracht. Die in Art. 114 Abs. 1 AEUV festgelegte allgemeine Harmonisierungskompetenz findet allerdings gemäß Abs. 2 auf Steuern gerade keine Anwendung. Daher verbleibt für eine Rechtsangleichung allenfalls ein Rückgriff auf Art. 115 AEUV, wenn und soweit sich direkte Steuern unmittelbar auf die Errichtung bzw. das Funktionieren des Binnenmarktes auswirken. Damit besitzt die Kommission zwar potenziell eine Harmonisierungskompetenz für direkte Steuern, in der politischen Realität wird diese Harmonisierung jedoch durch das Einstimmigkeitserfordernis des Art. 115 AEUV stark eingeschränkt.48 Auch aufgrund des bestehenden Steuerwettbewerbs sind Harmonisierungsbestrebungen bisher häufig an den gegenläufigen Interessen der Nationalstaaten gescheitert und waren insgesamt nur wenig erfolgreich.49 Obschon dieser realpolitischen Unwägbarkeiten sind auf Grundlage von Art. 115 AEUV einige für die direkten Steuern bedeutsame Harmonisierungsrichtlinien erlassen worden. Dabei ist aber kein umfassendes, systematisches Gesamtkonzept entstanden. Vielmehr hat sich die Europäische Kommission auf die politisch durchführbaren Ziele beschränkt.50 Zu nennen sind hier insbesondere die Amtshilferichtlinie51, die Mutter-Tochter-Richtlinie52, die Zinsrichtlinien53 und die Fusionsrichtlinie54. Diese Richtlinien enthalten keine grundle46 Lehnert, Die Korrektur von gemeinschaftswidrigen Beihilfen in Form von Steuervergünstigungen, S. 23. Zur wettbewerbsverfälschenden Wirkung von Beihilfen vgl. Kapitel 3, S. 173 ff. 47 Endres, RIW 1994, 572 (583). 48 Englisch, in: Tipke/Lang (Hrsg.), Steuerrecht, § 4 Rn. 69. 49 Lampert, EuZW 2013, 493 (493 ff.); Strüber, Steuerliche Beihilfen, S. 52. 50 Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung, S. 176. 51 Richtlinie 77/779/EWG des Rates v. 19. 12. 1977 über die Amtshilfe zwischen den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten im Bereich der direkten Steuern und der Steuern auf Versicherungsprämien, ABl. EG 1977 Nr. L 336/15. Diese Richtlinie wurde durch die neue Richtlinie 2011/16/EU des Rates v. 15. 02. 2011, ABl. EU 2011 Nr. L 64/1, mit Wirkung zum 01. 01. 2013 aufgehoben. Zuletzt geändert durch Art. 1 ÄndRL 2014/107/EU v. 09. 12. 2014, ABl. EU 2014 Nr. L 359/1. 52 Richtlinie 90/435/EWG des Rates v. 23. 07. 1990 über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten, ABl. EG 1990 Nr. L 225/6, zuletzt geändert durch Art. 9 Abs. 1 ÄndRL 2011/96/EU v. 30. 11. 2011, ABl. EU 2011 Nr. L 345/8. 53 Richtlinie 2003/48/EG des Rates v. 03. 06. 2003 im Bereich der Besteuerung von Zinserträgen, ABl. EU 2003 Nr. L 157/38, zuletzt geändert durch Art. 1 ÄndRL 2014/48/EU v. 24. 03. 2014, ABl. EU 2014 Nr. L 111/50; sowie Richtlinie 2003/49/EG des Rates v. 03. 06.

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Kap. 1: Einführung

genden, europaweiten Harmonisierungen von Ertragsteuern. Sie dienen lediglich der Vereinheitlichung grenzüberschreitender Steuerrechtsfälle und Erhebungsverfahren.55 Aufgrund des bisher nur geringen Harmonisierungsgrades ist für die direkten Steuern die Rahmensetzung durch das primäre Unionsrecht von besonderer Bedeutung. Der Gerichtshof geht davon aus, dass der „Bereich der direkten Steuern als solcher beim gegenwärtigen Stand des Unionsrechts nicht in die Zuständigkeit der Gemeinschaft fällt, die Mitgliedstaaten die ihnen verbleibenden Befugnisse jedoch unter Wahrung des Gemeinschaftsrechts ausüben müssen.“56 Diese Rechtsprechung ist bis heute Grundlage dafür, direkte Steuern mit wettbewerbsverzerrender Wirkung an den Vorgaben des europäischen Beihilferechts zu messen. 2. Harmonisierung indirekter Steuern Anders verhält es sich bei der Harmonisierung indirekter Steuern. Indirekte Steuern sind solche, die der Steuerträger mittelbar als Bestandteil seines Leistungsentgelts zahlt, ohne dabei selbst Steuerschuldner zu werden. Steuerträger und Steuerschuldner sind folglich nicht identisch.57 Der wettbewerbserhebliche Einfluss indirekter Steuern ist „klar sichtbar“, da diese unmittelbar am Leistungsaustausch ansetzen und damit direkt das Preis-Leistungs-Verhältnis beeinflussen.58 Für die indirekten Steuern enthält der Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union in Art. 113 AEUV eine Harmonisierungskompetenz. Ziel dieser Norm ist keine vollständige, umfassende, europaweite Harmonisierung, sondern die Angleichung der Rechtsgrundlagen, die sich auf die Preisbildung von grenzüberschreitenden Leistungen und damit auf den Binnenmarkt auswirken.59 Wichtigster Anwen2003 über eine gemeinsame Steuerreglung für Zahlungen von Zinsen und Lizenzgebühren zwischen verbundenen Unternehmen verschiedener Mitgliedstaaten, ABl. EG 2003 Nr. L 157/ 49, zuletzt geändert durch Richtlinie 2013/13/EU des Rates v. 13. 05. 2013, ABl. EU 2013 Nr. L 141/30. 54 Richtlinie 90/434/EG des Rates v. 23. 07. 1990 über das gemeinsame Steuersystem für Fusionen, Spaltungen, die Einbringung von Unternehmensanteilen und den Austausch von Anteilen, die Gesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten betreffen, ABl. EG 1990 Nr. L 225/ 1, zuletzt geändert durch Art. 17 ÄndRL 2009/133/EG v. 19. 10. 2009, ABl. EU 2009 Nr. L 310/34. 55 Kirchhof, in: Brandt (Hrsg.), Europäische Perspektiven im Steuerrecht – Steuergerechtigkeit und Steuervereinfachung, S. 29. 56 EuGH, Urteil v. 14. 02. 1995, Rs. C-279/93, ECLI:EU:C:1995:31, Rn. 21 – Finanzamt Köln-Altstadt/Schumacker. Vgl. dazu auch: EuGH, Urteil v. 04. 10. 1991, Rs. C-246/89, ECLI: EU:C:1991:375, Rn. 12 – Kommission/Vereinigtes Königreich. 57 Geisenberger, Der Einfluss des Europarechts auf steuerliches Verfahrensrecht, S. 29. 58 Lehnert, Die Korrektur von gemeinschaftswidrigen Beihilfen in Form von Steuervergünstigungen, S. 23. 59 Seiler, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, Art. 113 AEUV Rn. 4.

C. Das Europäische Beihilferecht

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dungsfall dieser Harmonisierungskompetenz ist die Umsatzsteuer, die als allgemeine Verbrauchssteuer jede Art von Konsum betrifft.60 Die Harmonisierung der indirekten Steuern hat bereits in den Frühzeiten der europäischen Wirtschaftsgemeinschaft begonnen und ist (insbesondere im Bereich der Umsatzsteuer) relativ weit fortgeschritten.61 Als wegweisende Richtlinien sind dabei insbesondere die Mehrwertsteuersystemrichtlinie62 und die Richtlinie betreffend die indirekten Steuern auf die Ansammlung von Kapital63 zu nennen.

C. Das Europäische Beihilferecht I. Ökonomische Bedeutung von Beihilfen Aus volkswirtschaftlicher Sicht sind Beihilfen und Subventionen keinesfalls sinnlos oder per se schädlich, sondern haben durchaus ihre Daseinsberechtigung. In ihrer Idealform korrigieren sie ein Marktversagen und internalisieren positive Externalitäten um die Gesamtwohlfahrt zu steigern.64 Trotzdem können Subventionen aber auch eine ganze Reihe unerwünschter Folgen haben. Die dauerhafte Subventionierung einzelner Wirtschaftsteilnehmer oder ganzer Branchen kann die Leistungsbereitschaft der Begünstigten reduzieren. Durch die staatliche Unterstützung verliert der Subventionsempfänger den Anreiz marktwirtschaftlich effizient zu agieren. Dabei droht ein subventionstechnischer Teufelskreis: Wird ein Unternehmen auf Dauer subventioniert, geht die Rückkoppelung von Angebot und Nachfrage verloren. Die Insolvenz ist natürlicher Bestandteil jeder Marktwirtschaft und ist zwingende Konsequenz fehlender Profitabilität. Diese Marktreinigung ist durch staatliche Hilfestellung auf Dauer weder vermeidbar, noch ist eine solche Verzögerung sinnvoll. Langfristig betrachtet werden durch dieses Verhalten nicht nur Steuergelder verschwendet, auch der Wettbewerb gerät aus dem Gleichgewicht. Der durch die staatliche Hilfestellung gewünschte Effekt wird ins Gegenteil verkehrt, die 60

Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung, S. 171. Strüber, Steuerliche Beihilfen, S. 52; Englisch, in: Tipke/Lang (Hrsg.), Steuerrecht, § 4 Rn. 66. Die erste Harmonisierung der Umsatzsteuer erfolgte bereits 1967. Vgl. Richtlinie 67/ 227/EWG des Rates v. 11. 04. 1967 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuer, ABl. Nr. L 71. Gleichwohl wurden erst zehn Jahre später einheitliche Regelungen für die Bemessungsgrundlage, den Leistungsort und die Grundstrukturen des heutigen Umsatzsteuerrechts festgelegt. Vgl. Richtlinie 77/388/EWG des Rates v. 17. 05. 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften über die Umsatzsteuern, ABl. Nr. L 145. 62 Richtline 2006/112/EG des Rates v. 28. 11. 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem, ABl. EU 2006 L 347/1, zuletzt geändert durch Art. 1 ÄndRL 2013/61/EU v. 17. 12. 2013, ABl. EU 2013 Nr. L 353/5. 63 Richtlinie 2008/7/EG des Rates v. 12. 02. 2008 betreffend die indirekten Steuern auf die Ansammlung von Kapital, ABl. EU 2008 Nr. L 46/11, zuletzt geändert durch Art. 1 ÄndRL 2013/13/EU v. 13. 05. 2013, ABl. EU 2013 Nr. L 141/30. 64 Für weitere Ausführungen vgl. Mankiw/Taylor, Grundzüge der Volkswirtschaftslehre, S. 235 ff. 61

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Kap. 1: Einführung

Volkswirtschaft als Ganzes verliert an Effizienz und nimmt Schaden.65 Der Marktmechanismus von Angebot und Nachfrage wird durch staatliche Einflussnahme wohlstandsmindernd gestört. Die „Unsichtbare Hand des Marktes“ greift nicht mehr. Statt eines marktgerechten Angebots wird durch das subventionierte Unternehmen ein politikgerechtes bereitgestellt. Das Überleben des Unternehmens fußt nun nicht mehr auf marktwirtschaftlichen Prinzipien, sondern allein auf politischer Intervention. Dadurch kommt es nicht nur zu Benachteiligungen nicht subventionierter Marktteilnehmer, sondern auch zu einer unwirtschaftlichen Ressourcenbindung. Ressourcen werden nicht mehr dort gebunden, wo sie für die Bevölkerung den größten Nutzen haben, also die größte Nachfrage besteht, sondern in subventionierten Unternehmen. Beihilfen verhindern also, dass ein permanenter Leistungsrückstand zur Insolvenz und damit zum Marktaustritt führt. Dadurch werden (insbesondere knappe) Ressourcen – wie Kapital oder Fachkräfte – bei unwirtschaftlichen Markteilnehmer gebunden. Auf diesem Wege behindern Subventionen das Wachstum leistungsfähiger Unternehmen und Wirtschaftsbereiche, die auf die knappen Ressourcen angewiesen sind. Auch die Volkswirtschaft als solche wird geschädigt.66 Doch Wettbewerbsverzerrungen können nicht nur bloße Nebeneffekte, sondern vielmehr sogar Hauptzweck von Beihilfen sein. Dabei greift der Staat in den Markt nicht zum Zwecke der Behebung von Marktversagen ein, sondern um Marktergebnisse in der von ihm gewünschten Weise zu beeinflussen. Nachvollziehbarerweise sind Staaten dabei insbesondere geneigt, die heimische Wirtschaft durch Subventionen schützen und stützen zu wollen. Das Beihilferecht steht daher im Kontext anderer Maßnahmen zur Verhinderung von Protektionismus, insbesondere des Zollverbots.67 Sinn und Zweck von Zöllen ist die Erzielung von Handelsvorteilen zu Lasten des Auslands. So soll die inländische Wirtschaft vor ausländischer Konkurrenz geschützt werden. Erheben die Mitgliedstaaten untereinander Zölle, wird der Handel zum Nachteil aller negativ beeinträchtigt. Doch Protektionismus beschränkt sich nicht auf Zölle. Auch durch Beihilfen ist Protektionismus möglich: Durch die gezielte Förderung der inländischen Wirtschaft wird diese ebenfalls vor ausländischer Konkurrenz geschützt. Das Ergebnis ist letztlich identisch: Der Handel wird zulasten aller negativ beeinflusst. Subventionen können folglich ebenfalls eine für den Binnenmarkt schädigende Wirkung entfalten.

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Lehnert, Die Korrektur von gemeinschaftswidrigen Beihilfen in Form von Steuervergünstigungen, S. 18. 66 Zu den wirtschaftlichen Wirkungen von Beihilfen vgl. ausführlich: Kortmann, Wissenschaftsdienst 2004, 462 (463 ff.). 67 Cremer, in: Callies/Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV, Art. 107 AEUV Rn. 5.

C. Das Europäische Beihilferecht

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II. Funktion des Beihilferechts Den soeben dargestellten negativen Effekten von Subventionen soll durch das Europäische Beihilferecht begegnet werden. Ziel des Beihilferechts ist dabei nicht der Schutz des Steuerzahlers, der für sämtliche Subventionen letztlich aufkommen muss, sondern die Verhinderung von Wettbewerbsverzerrungen. Die Wirtschaftspolitik innerhalb der europäischen Union ist auf einen offenen Binnenmarkt und eine freie Marktwirtschaft ausgerichtet (Art. 3 Abs. 3 EUV). Ziel ist es einen europäischen Raum ohne Binnengrenzen zu schaffen, in dem Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital frei zirkulieren können. Das Prinzip der Wettbewerbsfreiheit sichert dabei allen (potenziellen) Marktteilnehmern gleichermaßen die Freiheit zum Markteintritt und -austritt sowie zur freien Entfaltung auf dem Binnenmarkt zu.68 Ziel dieses freien Marktes ist eine optimale Ressourcenallokation innerhalb der Union.69 Bei der Errichtung des Binnenmarktes handelt es sich – trotz großer Fortschritte – nicht um eine abgeschlossene Aufgabe, sondern vielmehr um einen stetig fortwährenden Prozess. Die Verwirklichung des Binnenmarktes muss fortlaufend gesichert und ausgebaut werden.70 Bereits bei Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) war den handelnden Verantwortlichen bewusst, dass die Verwirklichung des freien Wettbewerbs im gemeinsamen Binnenmarkt (sog. level playing field) durch private aber auch durch staatliche Eingriffe empfindlich gestört werden kann.71 Es galt folgerichtig Instrumente und Mechanismen zu schaffen, die solche Störungen verhindern können. Dabei wird die Verwirklichung des Binnenmarktes traditionell primär mittels der Grundfreiheiten durchgesetzt. Die Grundfreiheiten dienen der Errichtung des freien Binnenmarktes und sollen vor unionsrechtswidrigen Diskriminierungen und Einschränkungen schützen.72 Jedoch entstehen Wettbewerbsverzerrungen nicht nur durch die Diskriminierung einzelner Marktteilnehmer, sondern ebenso durch die gezielte Begünstigung von bestimmten Unternehmen und Wirtschaftszweigen durch die Mitgliedstaaten.73 Zwar verbietet die Wettbewerbsfreiheit nicht jeden staatlichen Eingriff in die Wettbewerbsverhältnisse, die Wettbewerbsgleichheit gebietet dabei aber die grundsätzliche Wirkungsneutralität solcher Eingriffe.74 Das europäische Beihilfeverbot ist Ausdruck dessen und dient dazu, Eingriffe, die selektiv die Wettbewerbsposition bestimmter Unternehmen beeinflussen, zu verhindern.75 Im Kern beinhaltet das Beihilfeverbot

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Müller, Wettbewerb und Unionsverfassung, S. 114. Schön, IStR 2011, 777 (778). 70 Lehnert, Die Korrektur von gemeinschaftswidrigen Beihilfen in Form von Steuervergünstigungen, S.17. 71 Terra/Wattel, European Tax Law, S. 107. 72 Fetzer/Fischer, Europarecht, Rn. 414 ff. und 440 ff. 73 Terra/Wattel, European Tax Law, S. 108. 74 Müller, Wettbewerb und Unionsverfassung, S. 116. 75 Lovdahl/Gomersen, Journal of European Competition Law & Practice 2016, S. 5. 69

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Kap. 1: Einführung

folglich ein Gleichbehandlungsgebot.76 Zwar verschlechtert eine Beihilfe die Situation der Wettbewerber nicht unmittelbar, allerdings wird ein Konkurrent bevorzugt behandelt. Dadurch kommt es zu einer Verbesserung seiner Wettbewerbsposition und mittelbar doch zu einer Diskriminierung der Wettbewerber.77 Diese Verzerrung der wahren Marktlage führt dazu, dass marktwirtschaftliche Prozesse gestört und letztlich notwendige Marktanpassungen nicht vorgenommen werden.78 Als Rechtfertigung dafür wird in der Regel vorgebracht, dass eine Beihilfe zum Einsatz kommt, um unerwünschte Marktentwicklungen bis hin zum Marktversagen zu korrigieren.79 Dies mag im Einzelfall zwar durchaus richtig sein, sehr häufig werden hinter solchen Unternehmensbeihilfen aber weniger ökonomische Notwendigkeiten als vielmehr politische Überlegungen stehen. Aus einer kurzfristigen Perspektive betrachtet ist es dabei durchaus verständlich, dass Mitgliedstaaten versuchen in Schieflage geratene Unternehmen mit staatlichen Mitteln zu stützen. Es geht dabei nicht zuletzt um Arbeitsplätze und zukünftige Steuereinahmen, sondern auch um Wählerstimmen. Trotzdem müssen staatliche Subventionen mit sachlich nüchternem Blick betrachtet und analysiert werden. Das ist Aufgabe der Europäischen Kommission, die mit Hilfe des Beihilferechts die Auswirkungen von Beihilfen auf den Binnenmarkt untersucht und unerwünschte Folgen verhindern soll. In den Europäischen Verträgen bildet das Beihilferecht daher einen wesentlichen Abschnitt des Kapitels über den Wettbewerb innerhalb der Union. Während sich das Kartellrecht (Art. 101 ff. AEUV) vor allem gegen unerwünschte private Wettbewerbsbeeinflussungen richtet, besteht der Zweck des Beihilferechts darin, staatliche initiierte Wettbewerbsverzerrungen zu erkennen, zu verhindern und zu beheben.80 Das Wettbewerbsrecht bildet sprichwörtlich das Regelbuch für staatliches Verhalten auf dem Binnenmarkt.81 Im Bereich der Beihilfen ist die zentrale Norm dabei Art. 107 Abs. 1 AEUV. Danach ist die Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige durch die Gewährung von Beihilfen gleich welcher Art verboten, sofern der Wettbewerb bzw. der Handel durch sie verfälscht wird, oder zu verfälschen droht. Von dem grundsätzlichen Verbot von Beihilfen aller Art werden in Art. 107 Abs. 2 und Abs. 3 AEUV zwei Ausnahmen statuiert: Legal- und Ermessensausnahmen. Maßnahmen, die eigentlich eine Beihilfe darstellen und damit grundsätzlich unionsrechtswidrig sind, können demnach von der Europäischen Kommission genehmigt und mit dem Binnenmarkt als vereinbar erklärt werden.82 Ziel des Beihilfeverbotes bleibt es aber, durch ein weitreichendes Verbot eine effiziente Allokation 76

Kokott, in: Lang (Hrsg.), Europäisches Steuerrecht, S. 536. Dies gilt insbesondere für rein nationale Sachverhalte, auf die die Grundfreiheiten gerade keine Anwendung finden. Vgl. Linn, IStR 2008, 601 (605). 78 Behrens, in: Birnstiel/Bungenberg/Heinrich (Hrsg.), Europäisches Beihilfenrecht, S. 87. 79 Sutter, EG-Beihilfenverbot und sein Durchführungsverbot in Steuersachen, S. 22; Behrens, in: Birnstiel/Bungenberg/Heinrich (Hrsg.), Europäisches Beihilfenrecht, S. 89. 80 Soltész, NJW 2014, 3128 (3129). 81 Geisenberger, Der Einfluss des Europarechts auf steuerliches Verfahrensrecht, S. 30. 82 Englisch, in: Schaumburg/Englisch (Hrsg.), Rn. 9.46 ff. 77

C. Das Europäische Beihilferecht

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von knappen Ressourcen in einem von staatlichen Einflüssen weitestgehend freien Markt zu verwirklichen.83 Elementares Ziel der Europäischen Kommission ist es daher jede Form der Unternehmensbegünstigung auf ihre Vereinbarkeit mit dem europäischen Beihilferecht und dem Binnenmarkt zu überprüfen.

III. Das Steuerrecht als Anwendungsgegenstand des Beihilferechts Für Unternehmen stellen Steuern einen betriebswirtschaftlichen Kostenfaktor dar, der ihren Gewinn schmälert. Für sie gilt es daher, die Steuerbelastung immer so gering wie möglich zu halten.84 Mit der Auferlegung (direkter) Steuerpflichten greift der Staat in den freien Markt ein und legt den handelnden Akteuren Zahlungspflichten auf. Diese Zahlungspflichten beeinflussen schon ihrer Natur nach die Wettbewerbsposition der Wettbewerber.85 Je höher die Zahlungspflicht, umso stärker wird die Wettbewerbsposition geschwächt. Die Besteuerung greift damit zwar in die Wettbewerbsposition jedes einzelnen Marktteilnehmers ein, wirkt aber nicht per se wettbewerbsverzerrend. Zu einer solchen Wettbewerbsverzerrung kommt es vielmehr nur, wenn in die Wettbewerbsposition unterschiedlich stark eingegriffen wird, ein Markteilnehmer also im Vergleich zu seinem Konkurrenten überproportional stark belastet wird.86 Das Steuerrecht87 wirkt dabei schon seiner Natur nach belastend für den Steuerbürger und greift in dessen Freiheit ein. Dem Steuerrecht wird aber seinerseits durch die Verbürgungen persönlicher Freiheiten im europäischen Primärrecht Grenzen gesetzt.88 Dieses Umrahmungsprinzip gilt wie gesagt nicht nur für die Grundfreiheiten, sondern vielmehr für jegliches primäres Unionsrecht und damit auch für die Vorschriften des Beihilferechts. Da dieser Umrahmungseffekt aber auch Rechtsgebiete umfasst, auf denen die Union nur über begrenzte Kompetenzen verfügt – wie z. B. das Steuerrecht – sind Spannungen und Kompetenzstreitigkeiten unvermeidlich. Die innerstaatliche Steuerordnung gehört zwar zu den Kernkompetenzen jedes Mitgliedstaates, es obliegt aber den Organen der Union die Einhaltung der Wettbewerbsvorschriften zu überwachen, die wiederum die nationalen Rechtsordnungen begrenzen. Während die Nationalstaaten auf die ihnen zustehenden Kompetenzen und Gestaltungsspielräume pochen, forcieren die Unionsorgane 83 Kellersmann/Treisch/Lampert/Heinemann, Europäische Unternehmensbesteuerung I, S. 171. 84 Kellermann/Zitzler (Hrsg.), Steuern im europäischen Wettbewerb, S. 2. 85 Zur folgerichtigen Ausgleichsbewegung der Unternehmen und dem so entstehenden Wettbewerb der Steuersysteme vgl. Kapitel 5, S. 335 ff. 86 Birkenmaier, Die Vorgaben der Beihilfevorschriften des EG-Vertrages für die direkte Unternehmensbesteuerung, S. 55. 87 Ebenso wie auch das Abgabenrecht. 88 Grube, Der Einfluss des unionsrechtlichen Beihilfenverbots auf das deutsche Steuerrecht, S. 28.

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Kap. 1: Einführung

hingegen eine möglichst weitgehende und umfassende Anwendung der Europäischen Verträge. Dieses Spannungsfeld muss vor dem Hintergrund der Funktion des Steuerrechts als Vehikel staatlicher Mittelbeschaffung gesehen werden. Moderne, marktwirtschaftlich geprägte Staaten finanzieren sich nur durch die Steuererhebung, nicht durch eigene wirtschaftliche Tätigkeitsentfaltung. Staat und Wirtschaft sind konzeptionell voneinander getrennt. Zur Steuererhebung benötigt der Staat aber Unternehmen, die sich ihrerseits wirtschaftlich betätigen. Diese brauchen für ihre Betätigung einen freien Markt und damit Wettbewerbsregeln. Der Steuerstaat und das Prinzip der Marktwirtschaft und Wettbewerbsfreiheit bedingen sich folgerichtig gegenseitig.89 Neben diesem kompetenzrechtlichen besteht ein weiterer, materiellrechtlicher Konflikt. Dieser ergibt sich aus der Anwendung eines wettbewerbsrechtlichen Rechtsinstruments auf Sachverhalte des Steuerrechts. Nachvollziehbarerweise kommt es dabei, bedingt durch die unterschiedlichen Zielsetzungen und Wertungen, zu Kollisionen.90 In diesem Spannungsfeld bewegt sich die Anwendung der Beihilfevorschriften auf die nationalen Steuerrechtsvorschriften. Weder die europäischen Verträge selbst, noch die Europäische Kommission oder die Gerichte haben eine umfassende und abschließende Definition des Beihilfebegriffs vorgenommen. Vielmehr verbietet Art. 107 Abs. 1 AEUV schlicht jede Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige durch die Gewährung von Beihilfen gleich welcher Art, sofern der Wettbewerb durch sie verfälscht wird bzw. zu verfälschen droht oder der Handel zwischen den Mitgliedstaaten beeinträchtigt wird. Das Beihilferecht begründet dabei jedoch keinerlei Sachkompetenz der Union auf dem Gebiet des Steuerrechts. Vielmehr lässt sich aus dem Merkmal „gleich welcher Art“ schlussfolgern, dass es für die Einordnung einer Maßnahme als Beihilfe weder auf die Art der Begünstigung, noch auf die Absicht des Begünstigenden ankommt.91 Maßgeblich ist vielmehr alleine die begünstigende Wirkung für die Unternehmen.92 Bereits seit langem ist daher unbestritten, dass auch Steuervergünstigungen eine wettbewerbsverzerrende Beihilfe i. S. v. Art. 107 Abs. 1 AEUV darstellen können.93 Im Ergebnis macht es keinen Unterschied, ob ein Unternehmen zunächst in vollem Umfang Steuern zahlt und im Anschluss einen (wie auch immer gearteten) finanziellen Zuschuss erhält oder direkt weniger Steuern zahlt.94 Neben gesetzlichen Steuervergünstigungen können dabei aber auch eine Verwaltungspraxis oder bestimmte Einzelmaßnahmen im Steuervollzug ausgewählte Unternehmen bevorzugen 89 Birkenmaier, Die Vorgaben der Beihilfevorschriften des EG-Vertrages für die direkte Unternehmensbesteuerung, S. 54. 90 Strübe, Steuerliche Beihilfen, S. 49. 91 Birkenmaier, Die Vorgaben der Beihilfevorschriften des EG-Vertrages für die direkte Unternehmensbesteuerung, S. 53. 92 Fetzer/Fischer, Europarecht, Rn. 711. 93 Lang, IStR 2015, 369 (370); Sutter, EG-Beihilfenverbot und sein Durchführungsverbot in Steuersachen, S. 72 ff. 94 Kokott, in: Lang (Hrsg.), Europäisches Steuerrecht, S. 537. Auch wäre andernfalls eine Umgehung des Beihilfeverbots leicht möglich. Vgl. Soltész, BB 2019, 1687 (1687).

C. Das Europäische Beihilferecht

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und damit eine beihilferechtliche Relevanz entwickeln.95 Der Begriff der Beihilfe umfasst folglich nicht nur klassische Leistungssubventionen, sondern vielmehr auch Verschonungssubventionen.96 Dieses Verständnis lässt sich auch anhand der Beihilfepraxis der Kommission nachvollziehen. Historisch betrachtet hat sich die Beihilfenpraxis zunächst auf die Kontrolle direkter Subventionen an einzelne Unternehmer konzentriert.97 Dies hat sich jedoch bereits Ende der 1990er Jahre mit dem Verhaltenskodex für die Unternehmensbesteuerung (1. 12. 1997)98 und der Mitteilung der Kommission zur Anwendung der Vorschriften über staatliche Beihilfen auf das Unternehmenssteuerrecht (10. 12. 1998)99 geändert. Diese Entwicklung muss dabei auch vor dem Hintergrund eines politischen Stillstands bei der Harmonisierung der europäischen Steuerrechtsregime gesehen werden.100 Seitdem überprüft die Kommission verstärkt auch die gezielte Förderung bestimmter Unternehmen durch die Absenkung der individuellen Steuer- und Abgabenlast am Maßstab des Beihilferechts. Besonderen Schub erlangte die steuerliche Beihilfekontrolle seinerzeit mit dem Wechsel des damaligen Steuerkommissars Mario Monti in das Wettbewerbsressort.101 Bis heute sind eine Vielzahl von Entscheidungen der europäischen Gerichte und der Europäischen Kommission zu steuerlichen Beihilfen ergangen. Die dabei fehlende Stringenz in der Beschlusspraxis der Kommission und der Rechtsprechung der Gerichte lässt ein Muster zur Identifikation von Steuerbeihilfen nicht zu – erkennbar ist lediglich eine Tendenz zur stetigen Ausweitung des Beihilfebegriffs bzw. der Beihilfeaufsicht als solches. Auch deswegen hat die Kommission bereits im Jahr 2012 den Reformprozess der Beihilfeaufsicht gestartet.102 Dieser verfolgt das Ziel, mehr Transparenz zu schaffen, also die Vorhersehbarkeit der Beihilfeentscheidung zu erhöhen sowie die administrative Effizienz zu erhöhen. Am 19. 07. 2016 hat sie schließlich eine Bekanntmachung zum Begriff der staatlichen Beihilfe herausgegeben und dabei auch Klarstellungen zu Steuerbeihilfen getroffen. Trotz dieser Initiativen ist weiterhin nicht klar definiert, welche steuerlichen Regelungen als Beihilfen zu werten sind. Als besonders schwer erweist sich insbesondere eine Abgrenzung von steuerlichen Subventionen, die eine Wettbewerbsverzerrung hervorrufen und Maßnahmen, die die Effizienzkosten der Besteuerung geringhalten sollen. Diese sollen, ausgehend von der Idee der Optimalsteuerlehre, die Steuerlast durch spezifische Regelungen differenzieren, aber nicht um Wettbe95

Englisch, in: Schaumburg/Englisch (Hrsg.), Rn. 9.4. Blumenberg/Kring, Europäisches Beihilferecht und Besteuerung, S. 11. 97 Grube, DStZ 2007, 371 (373). 98 Schlussfolgerungen des Rates „Wirtschafts- und Finanzfragen“ v. 01. 12. 1997 zur Steuerpolitik, ABl. EG 98 Nr. C 2/01. 99 Mitteilung der Kommission v. 10. 12. 1998 über die Anwendung der Vorschriften über staatliche Beihilfen auf Maßnahmen im Bereich der direkten Unternehmenssteuerung, ABl. EG 1998 Nr.C 384/3. 100 Stuart, EStAL 2017, 209 (228). 101 Stuart, EStAL 2017, 209 (209). 102 Vgl. http://ec.europa.eu/competition/state_aid/modernisation/index_en.html (zuletzt abgerufen am 31. 10. 2020). 96

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Kap. 1: Einführung

werbsverzerrungen herbeizuführen, sondern um im Gegenteil, Wettbewerbsverzerrungen abzubauen.

IV. Grenzen des Beihilferechts Obwohl das primäre Unionsrecht das nationale Steuerrecht umrahmt und ihm Grenzen setzt, bedeutet dies keineswegs, dass sein Einfluss grenzenlos ist. Ziel des Beihilferechts ist die Verhinderung von staatlichen Wettbewerbsverzerrungen gleich welcher Art. Übertragen auf das Steuerrecht bedeutet dies, dass originäres Ziel des Beihilferechts die Gewährleistung von Wettbewerbsneutralität der mitgliedstaatlichen Steuerregelungen ist. Folgerichtig sind sämtliche Fragestellungen, die den Steuerstaat als solches und seine Grundkonzeption betreffen, dem Beihilferecht grundsätzlich entzogen. Welche Arten von Steuern erhoben werden, welche Anknüpfungspunkte ein Staat wählt und wie die Steuerlast zwischen den Steuersubjekten verteilt wird, ist der beihilferechtlichen Kontrolle entzogen. Diese Grundsatzentscheidungen gehören zum Kernbestand staatlicher Selbstbestimmung und zu den originären Hoheitsrechten der Mitgliedstaaten.103

V. Wirtschaftliche Bedeutung steuerlicher Beihilfen Die Bedeutung steuerlicher Beihilfen für die Mitgliedstaaten, aber auch für die Marktteilnehmer selbst, darf nicht unterschätzt werden. Vor allem in Krisenzeiten sind Staaten versucht, ihren „heimischen Markt“ und die „eigenen Unternehmen“ zu schützen und zu unterstützen. Das Unionsrecht und die Vorschriften des Binnenmarktes zwingen sie dabei aber grundsätzlich ihre Regulierung neutral zu halten und verhindern eine Diskriminierung ausländischer Unternehmen. Als letztes Förderinstrument verbleibt ihnen nur noch das Beihilferecht. Durch die gezielte Gewährung von Subventionen ist es ihnen weiter möglich bestimmte Wirtschaftsteilnehmer zu fördern.104 Dies ist auch im Wege von Steuervergünstigungen denkbar. Die Volumina staatlicher Beihilfen sind dabei enorm: Alleine die aus Bundesmitteln gewährten Beihilfen betrugen laut Bundesregierung im Jahr 2020 über 31,4 Mrd. Euro.105 Je nach Definition betrugen die Subventionen in Deutschland im Jahr 2018 bereits sogar knapp 180 Milliarden Euro.106 Die Entwicklung in der Beihilfengewährung weg von der klassischen Beihilfe hin zur verstärkten Verwendung von Verscho103 Birkenmaier, Die Vorgaben der Beihilfevorschriften des EG-Vertrages für die direkte Unternehmensbesteuerung, S. 54. 104 Geisenberger, Der Einfluss des Europarechts auf steuerliches Verfahrensrecht, S. 33. 105 27. Subventionsbericht – Bericht der Bundesregierung über die Entwicklung der Finanzhilfen des Bundes und der Steuervergünstigungen für die Jahre 2017 bis 2020, S. 14. 106 Vgl. Kieler Beiträge zur Wirtschaftspolitik: Subventionen in Deutschland bis zum Jahre 2018.

C. Das Europäische Beihilferecht

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nungssubventionen darf mittlerweile getrost als langfristiger Trend angesehen werden. Diese Form der Subvention weist dabei für den handelnden Hoheits- und Entscheidungsträger im Wesentlichen drei Vorteile gegenüber Direktzahlungen auf. Alle drei stehen miteinander in engem Zusammenhang und drehen sich um die Fragen der Beihilfekontrolle und der politischen Durchsetzbarkeit bzw. des drohenden „politischen Schadens“. Zunächst lassen sich Steuerbeihilfen häufig sehr viel schwerer identifizieren und verfolgen als Leistungssubventionen. Das Risiko, aufgrund der Gewährung rechtswidriger Direktzahlungen bei der Verletzung der Europäischen Verträge ertappt zu werden ist nicht gering. Aufdeckung droht nicht nur von der immer feinmaschigeren Kontrolle der Kommission, sondern auch durch Wettbewerber, Presse von der Öffentlichkeit. Der dabei drohende politische Schaden kann mitunter enorm sein. Damit einher geht der zweite Grund: Die schwer sichtbare Belastung des Staatshaushaltes. Im Gegensatz zu direkten Finanzhilfen kommt es durch Steuervergünstigungen nicht zu einem unmittelbaren Abfluss von Steuermitteln aus dem öffentlichen Haushalt. Es müssen keine Gelder zur Verfügung gestellt, ausgewiesen oder umverteilt werden. Es findet „schlicht“ eine Mindereinnahme der Staatskasse statt. An dieser Stelle geht es häufig weniger um die Beihilfekontrolle der europäischen Union als um die politische Durchsetzbarkeit geplanter Beihilfen. Die handelnden Entscheidungsträger werden versucht sein, den Vorwurf der Klientelpolitik und damit drohenden politischen Schaden zu vermeiden.107 Das Steuerrecht gibt ihnen die Möglichkeit Beihilfen im komplexen Steuersystem zu verstecken. Dies gilt umso mehr, wenn sich der Staat indirekter Beihilfen bedient. Zuletzt liegt in der Gewährung steuerlicher Vorteile der besondere Anreiz der Freiwilligkeit des intendierten Verhaltens. Zwar ist die Erschließung von Einnahmequellen und damit die Staatsfinanzierung der Hauptzweck des Steuerrechts, daneben werden mit ihm aber auch wirtschaftspolitische Lenkungsziele verfolgt.108 Obwohl sich Leistungs- und Verschonungssubventionen in ihrer Wirkung in nichts nachstehen und zur Wirtschaftslenkung gleichermaßen geeignet sind, so geht doch von Verschonungssubventionen ein scheinbar „sanfterer Druck“ aus als von direkten Geldzahlungen. Obgleich der Staat auch hier lenkend in menschliche Verhaltensweisen eingreift, wohnt der Steuervergünstigung scheinbar ein höheres Maß an individueller Freiheit inne. Der Steuerpflichtige bekommt hier weniger das Gefühl, eine vom Staat vorgegebene Entscheidung zu treffen und dafür mit Geld entschädigt zu werden. Er hat vielmehr das Gefühl, er träfe eine selbstbestimmte und richtige Entscheidung und würde durch die Vergünstigung dafür belohnt werden.109

107 Als, wenn auch „gescheitertes“, Beispiel sei hier auf die Absenkung der Mehrwertsteuer für Hoteliers (sog. „Bettensteuer“) verwiesen, die die Bundesregierung Anfang 2010 eingeführt hat und für die vor allem die FDP politisch abgestraft wurde. 108 Sutter, EG-Beihilfenverbot und sein Durchführungsverbot in Steuersachen, S. 21. 109 Vgl. dazu: Geisenberger, Der Einfluss des Europarechts auf steuerliches Verfahrensrecht, S. 33.

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Kap. 1: Einführung

D. Zielsetzung und Aufbau der Arbeit Mit der fortschreitenden europäischen Integration wird das Unionsrecht für alle Rechtsgebiete zunehmend bedeutsam. Dies gilt nicht zuletzt auch für Rechtsgebiete, die von den Mitgliedstaaten als primär nationales Terrain begriffen werden und für welche die Union ursprünglich keine Kompetenzen hatte. Zu diesen Rechtsgebieten gehört auch das Steuerrecht. Ziel dieser Arbeit ist es, einen fundierten und verständlichen Überblick über das System und Verfahren des europäischen Beihilferechts im Bereich des Steuerrechts zu geben und die Bedeutung des europäischen Beihilferechts für das nationale Steuerrecht, insbesondere für Steuervergünstigungen, zu geben. Gegenstand der Arbeit ist dabei auch die Darstellung aktueller Entwicklungen, insbesondere im Bereich von Tax Rulings und Verrechnungspreisgestaltungen. Für das grundlegende Verständnis dieser Problemstellungen erfolgen dazu im ersten Teil eine einleitende Darstellung des Beihilferechts und der Beihilfeaufsicht der Europäischen Kommission. Neben der Rückforderung rechtswidriger Beihilfen stehen dabei auch die bestehenden Rechtsschutzmöglichkeiten der beteiligten Parteien im Mittelpunkt der Untersuchung. Schwerpunkt der Arbeit bildet die Einordnung von staatlichen Steuervergünstigungen als (unionsrechtswidrige) Beihilfen gemäß Art. 107 Abs. 1 AEUV. Dabei werden die bestehenden beihilferechtlichen Kriterien, insbesondere das der Selektivität dargelegt. Die bestehende Rechtsprechungspraxis der europäischen Gerichte insbesondere zur Selektivität wird ebenso dargestellt wie die daran bestehende Kritik. Dabei sei bereits an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass hier eines der Grundprobleme die Begründungskultur der europäischen Gerichte ist. Diese argumentieren und urteilen häufig deutlich stärker fallbezogen als man dies von vergleichbaren deutschen Gerichten gewohnt ist. Als Konsequenz steht die Einzelfallgerechtigkeit stärker im Mittelpunkt der Argumentation. Eine, vor allem von deutschen Juristen gewünschte, dogmatisch umfassend ausgearbeitete und sämtliche denkbare Probleme weitestgehend abdeckende Entscheidung erfolgt in der Regel nicht.110 Im Weiteren erfolgt eine Darstellung und Analyse der Beschlusspraxis der Kommission hinsichtlich Tax Rulings. Dabei soll insbesondere der Frage nachgegangen werden, inwieweit Gewinnverlagerungen durch geschickte Verrechnungspreisgestaltungen eine selektive Beihilfe darstellen können. Im Rahmen der Arbeit soll nicht der Frage nachgegangen werden, ob Steuervermeidung und Gewinnverlagerungen durch Staaten bekämpft werden sollten oder nicht, sondern vielmehr, ob es sich dabei um eine Beihilfe im Sinne des Art. 107 AEUV handelt oder nicht, bzw. ob das Beihilfeverbot ein Instrument dagegen darstellen kann. Darauf aufbauend erfolgt eine Analyse zur Rolle des Beihilferechts im Kampf gegen den sog. schädlichen Steuerwettbewerb.

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Musil, DB 2011, 2451 (2454).

Kapitel 2

Die Beihilfekontrolle A. Das Verfahren bei der Überprüfung staatlicher Beihilfen I. Verfahrensbeteiligte Bei dem Prüfverfahren der Europäischen Kommission handelt es sich um ein bipolares und kontradiktorisches Verfahren zwischen Kommission und Mitgliedstaat. Nur zwischen diesen beiden kommt ein Verfahrensverhältnis zustande111 und nur ihnen kommen während des Verfahrens originäre Rechte und Pflichten zu.112 Alle anderen Beteiligten, insbesondere andere Mitgliedstaaten, der Beihilfeempfänger selbst oder Mitbewerber sind nicht im eigentlichen Sinne Verfahrensbeteiligte. Sie besitzen als sog. sonstige Beteiligte113 lediglich beschränkte Verfahrensrechte, vornehmlich das Recht zur Stellungnahme nach Art. 20 VerfVO.114 Sie dienen der Kommission während des Verfahrens hauptsächlich als Informationsquellen.115 Durch diese grundsätzliche Bipolarität unterscheidet sich die Beihilfeaufsicht nach Art. 108 AEUV grundlegend von der Wettbewerbsaufsicht nach Art. 101, 102 AEUV.116 Hintergrund dieses in spezieller Weise ausgebildeten Kontrollrechts ist, dass die Beihilfeaufsicht von ihrer rechtsdogmatischen Systematik ein Vertrags111 EuGH, Urteil v. 06. 10. 2005, Rs. C-276/03 P, ECLI:EU:C:2005:590, Rn. 33 – Scott/ Kommission. 112 So hat ein Mitgliedstaat z. B. das Recht und die Pflicht eine Maßnahme anzumelden, die Kommission wiederum das Recht und die Pflicht über sie zu entscheiden und den Mitgliedstaat über die Entscheidung zu informieren, siehe dazu: EuGH, Urteil v. 02. 04. 1998, Rs. C-367/95 P, ECLI:EU:C:1998:154 – Kommission/Sytraval und Brink’s France. 113 Art. 1 lit. h) der Verordnung (EG) Nr. 794/2004 der Kommission v. 21. 04. 2004 zur Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 659/1999 des Rates über besondere Vorschriften für die Anwendung von Artikel 93 des EG-Vertrages, ABl. EG 2004 Nr. L 140/1 definiert als Beteiligte Mitgliedstaaten, Personen, Unternehmen oder Unternehmensvereinigungen, deren Interesse aufgrund der Gewährung der Beihilfe beeinträchtigt sein können, insbesondere der Beihilfeempfänger, Wettbewerber und Berufsverbände. 114 Vgl. Bartosch, EStAL 2007, 474 (476); zur Stellung Dritter bei der Beihilfekontrolle siehe grundlegend: Lumma, EuZW 2004, 457. 115 EuGH, Urteil v. 17. 07. 2008, Rs. C-521/06 P, ECLI:EU:C:2008:422, Rn. 38 – Athinaiki Technik; EuGH, Urteil v. 08. 05. 2008, Rs. C-49/05 P, ECLI:EU:C:2008:221 – Ferriere Nord/ Kommission; zur Rolle von Konkurrenzunternehmen im Beihilfeverfahren siehe grundlegend: Buendia Sierra, EStAL 2015, 451 (451 ff.). 116 Siehe dazu: Mederer, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje (Hrsg.), Europäisches Unionsrecht, Art. 108 AEUV Rn. 86.

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Kap. 2: Die Beihilfekontrolle

verletzungsverfahren ist. Diese Rechtsnatur bedingt es, dass das Verfahren grundsätzlich auf einen „Zweikampf“ zwischen Kommission und Mitgliedstaat hinausläuft.117 In ihrem Verhaltenskodex empfiehlt die Kommission den Mitgliedstaaten zwar die Einbeziehung des Beihilfeempfängers in das Verfahren,118 einen Anspruch darauf hat dieser jedoch nicht. Dies spiegelt leider die wirtschaftliche Realität und die mögliche Betroffenheit der Beteiligten prozessual nur unzureichend wider. Die Frage, ob und in welcher Höhe ein Konkurrent eine Beihilfe erhält, ist für einen Wettbewerber von immenser – ggf. sogar existenzieller – Bedeutung. In der Kontrollpraxis der Kommission kommen dem Beihilfeempfänger und den tatsächlich handelnden Stellen, allerdings auch ohne verfahrensrechtliche Absicherung, entscheidende Rollen zu.119

II. Präventive Kontrolle Der Schwerpunkt der Beihilfekontrolle der Europäischen Kommission liegt in der präventiven Beihilfekontrolle, also der Kontrolle neuer Beihilfen.120 Art. 108 Abs. 3 S. 1 AEUV verpflichtet die Mitgliedstaaten sowohl die Einführung neuer Beihilfen als auch die Umgestaltung bestehender Beihilfen rechtzeitig bei der Kommission anzumelden (Notifizierung). Die präventive Kontrolle erstreckt sich dabei zwar auf Einzelbeihilfen und Beihilferegelungen, nicht aber auf eine Einzelbeihilfe, die auf der Grundlage einer bereits notifizierten Beihilferegelung durchgeführt wurde.121 Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV statuiert dabei ein Durchführungsverbot, das es dem betreffenden Mitgliedstaat verbietet, die beabsichtigte Maßnahme durchzuführen, bevor die Kommission ihren endgültigen Beschluss erlassen hat. Dieser Stillhaltepflicht kommt unmittelbare Wirkung zu, sodass sich auch Mitbewerber vor nationalen Gerichten darauf berufen können.122 Ein Verstoß gegen die Anmeldepflicht führt zwar zur formellen Rechtswidrigkeit der Beihilfe, die Kommission muss (später) aber dennoch ihre Vereinbarkeit mit dem Binnenmarkt kontrollieren.123 Art. 2 Abs. 2 VerfVO verpflichtet die Mitgliedstaaten für die Kontrolle alle sachdienlichen Auskünfte an die Kommission weiterzugeben. Diese Verpflichtung er117 Maxian Rusche, in: Immenga/Mestmäcker (Hrsg.), Wettbewerbsrecht, Art. 108 AEUV Rn. 18. 118 Verhaltenskodex für die Durchführung von Beihilfeverfahren v. 16. 06. 2009, ABl. EG 2009 Nr. C 136/13, Rn. 15. 119 Rosenfeld, in: Schulte/Kloos (Hrsg.), Handbuch Öffentliches Wirtschaftsrecht, § 3 Rn. 79. 120 Mederer, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje (Hrsg.), Europäisches Unionsrecht, Art. 108 AEUV Rn. 11. 121 Vgl. EuGH, Urteil v. 30. 06. 1992, Rs. C-47/91, ECLI:EU:C:1994:358 – Italien/Kommission. 122 Strenz, Europarecht, § 15 Rn. 1029. 123 EuGH, Urteil v. 21. 11. 1991, Rs. C-354/90, ECLI:EU:C:1991:440, Rn. 14 ff. – FNCE/ Frankreich.

A. Das Verfahren bei der Überprüfung staatlicher Beihilfen

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streckt sich nur auf Maßnahmen, die tatsächlich eine Beihilfe i. S. v. Art. 107 Abs. 1 AEUV darstellen. Die Mitgliedstaaten sind hingegen nicht verpflichtet, Maßnahmen anzumelden, die nur vielleicht oder wahrscheinlich eine Beihilfe sein könnten.124 Da endgültige Gewissheit über das Vorliegen einer Beihilfe allerdings nur die Kommission und nicht der Mitgliedstaat selbst geben kann, tragen die Betroffenen dann das Risiko, dass die nicht angemeldete Maßnahme später doch als Beihilfe eingeordnet wird. Für die Anmeldepraxis der Mitgliedstaaten empfiehlt es sich daher bei schwer zu beurteilenden Sachverhalten auch eine „Nicht-Beihilfe“ anzumelden, sofern die Möglichkeit besteht, dass es sich entgegen der Auffassung des Mitgliedstaates doch um eine Beihilfe handeln könnte.125 1. Informelle Vorabkontakte Zwar können sich Mitgliedstaaten auch im Wege einer sog. Voranfrage informell an die Kommission wenden, Rechtsicherheit bringt jedoch nur die offizielle Anmeldung gemäß Art. 108 Abs. 3 S. 1 AEUV.126 Informelle Vorabkontakte sind weder verbindlich noch verpflichtend. Sie sollen der Kommission vor allem die Möglichkeit geben, eine erste Einschätzung der Handlungen des Mitgliedstaates vornehmen zu können.127 Letztlich dienen sie dem Ziel, eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Kommission und Mitgliedstaat zu ermöglichen, und sollen nach Möglichkeit das formelle Prüfverfahren beschleunigen. 2. Das Vorprüfungsverfahren Die eigentliche Kontrolle der Kommission besteht aus einem zweistufigen Verfahren. Es ist aufgeteilt in Vor- und Hauptprüfungsverfahren. Nach der Anmeldung der Beihilfe durch den Mitgliedstaat prüft die Kommission im Vorprüfungsverfahren innerhalb von zwei Monaten, ob überhaupt eine Beihilfe vorliegt, Art. 4 Abs. 5 VerfVO. Bejahendenfalls prüft sie zusätzlich, ob eine Ausnahmemöglichkeit vom grundsätzlichen Verbot einschlägig ist. Das Vorprüfungsverfahren soll der Kommission eine Einschätzung der vom Mitgliedstaat vorgesehenen Maßnahme ermöglichen.128 Es ist inhaltlich auf die rasche Klärung der Frage beschränkt, ob die 124 EuGH, Urteil v. 14. 07. 2004, Rs. C-345/02, ECLI:EU:C:2004:448, Rn. 31 bis 40 – Pearle u. a. 125 Rosenfeld, in: Schulte/Kloos (Hrsg.), Handbuch Öffentliches Wirtschaftsrecht, § 3 Rn. 82. 126 Blumenberg/Kring, Das europäische Beihilferecht und Besteuerung, S. 28. 127 Verhaltenskodex für die Durchführung von Beihilfeverfahren v. 16. 06. 2009, ABl. EG 2009 Nr. C 136/13, Rn. 16. Die Verfahrensordnung knüpft dabei an die sog. Lorenz-Rechtsprechung des Gerichtshofs an. Vgl. EuGH, Urteil v. 11. 12. 1973, Rs. 120/73, ECLI:EU:C: 1973:152 – Lorenz GmbH/Bundesrepublik Deutschland u. a. 128 EuGH, Urteil v. 11. 12. 1973, Rs. 120/73, ECLI:EU:C:1973:152 – Lorenz GmbH/Bundesrepublik Deutschland u. a.; EuG, Urteil v. 10. 02. 2009, Rs. T-388/03, ECLI:EU:T:2009:30,

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Kap. 2: Die Beihilfekontrolle

Maßnahme überhaupt eine Beihilfe i. S. d. Art. 107 Abs. 1 AEUV darstellt und ob es Bedenken hinsichtlich der Vereinbarkeit mit dem Binnenmarkt gibt. Hält die Kommission die geplante Maßnahme nicht für eine Beihilfe (Art. 4 Abs. 2 VerfVO) oder für eine mit dem Binnenmarkt vereinbare Beihilfe (Art. 4 Abs. 3 VerfVO), genehmigt sie die Maßnahme und setzt den Mitgliedstaat davon in Kenntnis.129 Aus Gründen der Transparenz werden die Beschlüsse der Kommission im Amtsblatt (Nr. C) der Union in verkürzter und tabellarischer Form veröffentlicht. Kommt die Kommission innerhalb von zwei Monaten zu keinem Ergebnis, gilt die Genehmigung gemäß Art. 4 Abs. 6 VerfVO als erteilt.130 Die Frist beginnt erst ab dem Vorliegen der vollständigen Anmeldung.131 In der Praxis braucht die Kommission zu einer Beurteilung aber häufig weitere Informationen. Dafür erlaubt ihr Art. 5 Abs. 2 VerfVO von den Mitgliedstaaten diese Informationen anzufordern. Das Vorprüfungsverfahren dauert dadurch in der Regel länger als die geplanten zwei Monate. 3. Das Hauptprüfungsverfahren Kommt die Kommission im Vorprüfungsverfahren zu dem Ergebnis, dass bezüglich der geprüften Maßnahme Bedenken hinsichtlich der Vereinbarkeit mit dem Binnenmarkt bestehen (Art. 4 Abs. 4 VerfVO), eröffnet sie durch Beschluss (sog. Eröffnungsbeschluss) das förmliche Prüfungsverfahren (sog. Hauptprüfungsverfahren).132 Bei dieser Beurteilung verfügt die Kommission über keinen Beurteilungs- oder Ermessensspielraum. Sie orientiert sich an einem objektiven Maßstab, sodass ihr Beschluss vollumfänglich gerichtlich überprüfbar ist.133 Der Kommissionsbeschluss bindet die nationalen Gerichte unmittelbar.134 Er wird mittels Veröffentlichung im Amtsblatt den betroffenen Mitgliedstaaten und anderen Beteiligten

Rn. 41 – Deutsche Post und DHL/Kommission. Die überwiegende Anzahl an Verfahren erledigt sich dabei bereits in diesem Stadium, da die Kommission keine Einwände gegen die Maßnahme hat. Vgl. Soltész, in: Müller-Graff (Hrsg.), Europäisches Wirtschaftsordnungsrecht, § 15, Rn. 23. 129 EuGH v. 11. 12. 1973, Rs. C-120/73, ECLI:EU:C:1973:152, Rn. 5 – Lorenz GmbH/ Bundesrepublik Deutschland u. a.; EuGH, Urteil v. 20. 03. 1984, Rs. C-84/82, ECLI:EU:C: 1984:117, Rn. 12 – Deutschland/Kommission. 130 Blumenberg/Kring, Das europäische Beihilferecht und Besteuerung, S. 28. 131 EuGH, Urteil v. 15. 02. 2001, Rs. C-99/98, ECLI:EU:C:2001:94, Rn. 52 bis 56 – Österreich/Kommission. 132 Darüber hinaus sieht die Durchführungsverordnung schon seit einigen Jahren ein vereinfachtes Verfahren vor. Siehe dazu: Mederer, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje (Hrsg.), Europäisches Unionsrecht, Art. 108 AEUV Rn. 30. 133 Vgl. EuG, Urteil v. 15. 03. 2001, Rs. T-73/98, ECLI:EU:T:2001:94, Rn. 47 – PrayonRupel/Kommission. 134 EuGH, Urteil v. 21. 11. 2013, Rs. C-284/12, ECLI:EU:C:2013:755, Rn. 45 – Deutsche Lufthansa. Dazu kritisch: Taupel/Jennert, EWS 2014, 1 (3).

A. Das Verfahren bei der Überprüfung staatlicher Beihilfen

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mitgeteilt.135 Eine darüber hinausgehende individuelle Benachrichtigung erfolgt nicht.136 Im Hauptprüfungsverfahren führt die Kommission ein Anhörungsverfahren mit dem betroffenen Mitgliedstaat und den anderen Beteiligten, insbesondere Konkurrenzunternehmen, durch. Dabei werden alle wesentlichen Sach- und Rechtsfragen erörtert. Das Hauptprüfungsverfahren ist zwar nicht fristgebunden, gemäß Art. 7 VerfVO ist die Kommission aber dazu angehalten 18 Monate nicht zu überschreiten.137 Im Hauptprüfungsverfahren fordert die Kommission alle Beteiligten zur Stellungnahme auf, um sich so ein möglichst umfassendes Bild der geplanten Maßnahme machen zu können.138 Das Hauptprüfungsverfahren wird durch einen förmlichen Beschluss der Kommission gegenüber dem betroffenen Mitgliedstaat abgeschlossen. Die Kommission kann dabei zu dem Ergebnis kommen, dass die fragliche Maßnahme überhaupt keine Beihilfe darstellt (Art. 7 Abs. 2 VerfVO), dass die Maßnahme eine Beihilfe darstellt, die aber – ggf. unter Auflagen und Bedingungen – mit dem Binnenmarkt vereinbar ist (sog. Positivbeschluss, Art. 7 Abs. 3 und Abs. 4 VerfVO), oder dass eine mit dem Binnenmarkt unvereinbare Beihilfe vorliegt (sog. Negativbeschluss, Art. 7 Abs. 5 VerfVO). Die Kommission macht von der Möglichkeit der Auflage oder Bedingung vergleichsweise häufig Gebrauch,139 wobei es sich bei der Bedingung häufig nur um eine einfache Benachrichtigungspflicht des Mitgliedstaates handelt.140 Allerdings kann die Kommission aufgrund der Deggendorf-Rechtsprechung141 des Europäischen Gerichtshofs die Genehmigung davon abhängig machen, ob der Begünstigte eine in der Vergangenheit erhaltene rechtswidrige Beihilfe bereits zurückgezahlt hat.142 Bis zum Beschluss der Kommission verhindert die Sperrwirkung des Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV die Durchführung der Beihilfe. Erst mit der Genehmigung wird die Beihilfe unionsrechtlich legitimiert und der Mitgliedstaat darf die geplante Maßnahme 135 Gemäß Art. 20 Abs. 1 S. 1 VVO bittet die Kommission in ihrem Beschluss gleichzeitig die Beteiligten um ihre Stellungnahmen. 136 EuGH, Urteil v. 14. 11. 1984, Rs. 323/82, ECLI:EU:C:1984:345, Rn. 16 und 17 – Intermills/Kommission. 137 Diese Bemühensklausel setzt dem Vorgehen der Kommission in der Praxis allerdings keine wirksame zeitliche Begrenzung. Mehrjährige Verfahren sind eher Regel als Ausnahme. Sie dazu: Rosenfeld, in: Schulte/Kloos (Hrsg.), Handbuch Öffentliches Wirtschaftsrecht, § 3 Rn. 92. 138 Mederer, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje (Hrsg.), Europäisches Unionsrecht, Art. 108 AEUV Rn. 35 – 39. 139 Zur Auflage im europäischen Beihilferecht siehe grundlegend: Bleckmann, NVwZ 2004, 11 – 16. 140 Siehe dazu: Mederer, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje (Hrsg.), Europäisches Unionsrecht, Art. 108 AEUV Rn. 41. 141 EuG, Urteil v. 13. 09. 1995, Rs. T-244/93 und T-486/93, ECLI:EU:T:1995:160 – Textilwerke Deggendorf/Kommission; bestätigt durch EuGH, Urteil v. 15. 05. 1997, Rs. C-355/95 P, ECLI:EU:C:1997:241 – Textilwerke Deggendorf/Kommission. 142 EuG, Urteil v. 13. 09. 1995, Rs. T-244/93 und T-486/93, ECLI:EU:T:1995:160, Rn. 56 – Textilwerke Deggendorf/Kommission; bestätigt durch EuGH, Urteil v. 15. 05. 1997, Rs. C-355/ 95 P, ECLI:EU:C:1997:241, Rn. 27 – Textilwerke Deggendorf/Kommission.

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Kap. 2: Die Beihilfekontrolle

durchführen. Wird keine Genehmigung erteilt bzw. die Unvereinbarkeit der Maßnahme mit dem Binnenmarkt festgestellt, ordnet die Kommission gegenüber dem Mitgliedstaat an, die geplante Maßnahme nicht durchzuführen. Sind, entgegen dem Durchführungsverbot, bereits Vergünstigungen gewährt worden (sog. rechtswidrige Beihilfen), müssen diese aufgehoben und ex tunc zurückgefordert werden.143

III. Repressive Kontrolle Gemäß Art. 108 Abs. 1 S. 1 AEUV werden bereits genehmigte, ebenso wie vor dem Beitritt des Mitgliedstaates in die Union oder vor dem Inkrafttreten der Europäischen Verträge eingeführte Beihilfen, von der Kommission unter Mithilfe der jeweiligen Mitgliedstaaten fortlaufend kontrolliert. Die Kommission überprüft dabei, ob die bestehenden Beihilfen keine für den Binnenmarkt schädliche Wirkung entfalten, also weiterhin vertragskonform sind. Die Verfahrensverordnung sieht auch hier ein zweistufiges Verfahren vor: Kommt die Kommission bei der Überprüfung bestehender Beihilfen zu dem Ergebnis, dass diese nicht mehr mit dem Binnenmarkt vereinbar sind, schlägt sie dem betroffenen Mitgliedstaat in einem ersten Schritt zweckdienliche Maßnahmen, etwa ihre inhaltliche Abänderung, vor, um eine Vereinbarkeit der Maßnahme mit dem Binnenmarkt herzustellen (Art. 18 VerfVO). Sofern der Mitgliedstaat dem Vorschlag der Kommission zustimmt, ist er verpflichtet, die Maßnahme wie von der Kommission vorgeschlagen umzusetzen (Art. 19 Abs. 1 VerfVO). Stimmt der Mitgliedstaat der vorgeschlagenen Maßnahme hingegen nicht zu, leitet die Kommission das förmliche Prüfverfahren ein (Art. 19 Abs. 2 VerfVO). Im Gegensatz zu geplanten Beihilfen entfaltet das Verfahren hier jedoch keine Sperrwirkung, sodass die Beihilfe trotzdem weiter durchgeführt werden kann und Dritte (z. B. Wettbewerber) aus der bloßen Eröffnung eines solchen Verfahrens keine eigenen Rechte ableiten können.144

IV. Informations- und Überwachungsrecht der Kommission Um der Kontrolle zukünftiger und bestehender Beihilfen effektiv nachkommen zu können, benötigt die Kommission bestimmte Überwachungsrechte gegenüber den Mitgliedstaaten. Diese sind daher verpflichtet, der Kommission jährlich einen Bericht über die Anwendung bestehender Beihilfen vorzulegen (Art. 21 VerfVO). Diese Verpflichtung wird durch Art. 3 der Ermächtigungsverordnung auch auf die Durchführung von Gruppenfreistellungen erstreckt. Hat die Kommission ernsthafte 143 Siehe: EuGH, Urteil v. 15. 03. 1994, Rs. C-387/92, ECLI:EU:C:1994:100, Rn. 21 – Banco Exterior de Espana/Ayuntamentieo de Valencia. Vgl. auch: Blumenberg/Kring, Das europäische Beihilferecht und Besteuerung, S. 29; Grube, Der Einfluss des unionsrechtlichen Beihilfenverbots auf das deutsche Steuerrecht, S. 62. 144 Bieber/Epiney/Haag/Kotzur, Die Europäische Union, § 13 Rn. 29.

A. Das Verfahren bei der Überprüfung staatlicher Beihilfen

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Zweifel hinsichtlich der Einhaltung einer genehmigten Maßnahme, ist auch eine Nachprüfung vor Ort denkbar (Art. 22 VerfVO). Innerhalb des förmlichen Prüfverfahrens hat die Kommission außerdem die Befugnis, auch von Dritten im Wege des Auskunftsverfahrens Auskünfte einzuholen. Dies betrifft vor allem Mittbewerber, andere Mitgliedstaaten sowie Unternehmens- und Interessenverbände.

V. Freistellungen vom Genehmigungsverfahren 1. De-minimis-Beihilfen Obwohl es grundsätzlich weder auf die Größe noch auf die Bedeutung oder Spürbarkeit einer Begünstigung ankommt,145 fallen bestimmte Beihilfen nicht unter den Tatbestand des Art. 107 Abs. 1 AEUV. Die Kommission hat bereits 1992 erstmals beschlossen, dass Beihilfen, die einen bestimmten Betrag nicht überschreiten, als unerheblich eingestuft werden und daher von der Anmeldpflicht befreit sind.146 Damit werden geringfügige Subventionen der Kontrolle entzogen. So sollen sowohl Ausuferung der beihilferechtlichen Kontrolle verhindert als auch eine administrative Überlastung der Kommission vorgebeugt werden. Seitdem legt die „De-minimis“Verordnung147 fest, dass solche Beihilfen nicht unter den Anwendungsbereich des Art. 107 Abs. 1 AEUV fallen, wenn sie eine Förderhöhe von 200.000 Euro in einem Zeitraum von drei Jahren nicht überschreiten.148 Dabei muss aber beachtet werden, dass eine Beihilfe in ihrer Gesamtheit an der 200.000-Euro-Grenze gemessen werden muss. Für Beihilferegelungen jeglicher Art (und damit ggf. auch Steuernormen) bedeutet dies, dass nicht jede Vergünstigung isoliert betrachtet werden darf, sondern dass die Gesamtheit der auf einer staatlichen Maßnahme beruhenden Vergünstigungen 200.000 Euro nicht überschreiten darf.149

145 Zur ständigen Rechtsprechung vgl.: EuGH, Urteil v. 21. 03. 1991, Rs. C-305/89, ECLI: EU:C:1991:141, Rn. 26 – Alfa Romeo; EuGH, Urteil v. 21. 07. 2005, Rs. C-71/04, ECLI:EU:C: 2005:493, Rn. 41 – Xunta de Galcia; EuGH, Urteil v. 15. 06. 2006, Rs. C-393/04 und C-41/05, ECLI:EU:C:2006:403, Rn. 36 – Air Liquide Industries Belgium. 146 Mitteilung der Kommission v. 20. 05. 1992 über den Gemeinschaftsrahmen für staatliche Beihilfen an kleine und mittlere Unternehmen, ABl. 1992 EG Nr. C 213/2, Zif. 3.2. 147 Verordnung (EG) Nr. 1998/2006 der Kommission v. 15. 12. 2006 über die Anwendung der Artikel 87 und 88 EG-Vertrag auf „De-Minimis“ Beihilfen, ABl. EU 2006 Nr. L 379/5. 148 Bis zum 31. 12. 2011 wurde die Schwelle kurzzeitig zur Bewältigung der Finanz- und Wirtschaftskrise auf einen Betrag bis 500.000 Euro über drei Jahre erhöht. Siehe dazu: Mitteilung (2009/C 16/01) der Kommission v. 22. 01. 2009 – Vorübergehender Gemeinschaftsrahmen für staatliche Beihilfen zur Erleichterung des Zugangs zu Finanzierungsmitteln in der gegenwärtigen Finanz- und Wirtschaftskrise, ABl. EU 2009 Nr. C 16/1, Zi ff. 4.2.2. 149 EuGH, Urteil v. 15. 12. 2005, Rs. C-148/04, ECLI:EU:C:2005:774, Rn. 69 – Unicredito Italiano. Vgl. auch: Grube, Der Einfluss des unionsrechtlichen Beihilfenverbots auf das deutsche Steuerrecht, S. 66; Blumenberg/Kring, Das europäische Beihilferecht und Besteuerung S. 21.

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Kap. 2: Die Beihilfekontrolle

Zum 01. 01. 2014 hat die Kommission im Rahmen des State-Aid-ModernisationProjekts (SAM-Projekt)150 zwar eine neue De-minimis-Verordnung151 erlassen, entgegen früherer, anderslautender Andeutungen wurde die maximale Förderobergrenze dabei aber nicht angehoben. Allerdings findet sich in der Verordnung nicht mehr, wie bisher, ein allgemeines Verbot der Beihilfegewährung an Unternehmen in Schwierigkeiten.152 Darüber hinaus wurden die Voraussetzungen an zulässige Deminimis-Beihilfen in formal-juristischer Hinsicht geschärft. Die Kommission geht davon aus, dass die De-minimis-Verordnung den Anwendungsbereich der Beihilfekontrolle einschränkt.153 Das Durchführungsverbot findet daher in diesem Rahmen auf Beihilfen keine Anwendung. Sie widerspricht damit in gewisser Weise der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, der eine Spürbarkeit oder einen Mindestbetrag einer Begünstigung gerade ablehnt. Durch ihr Vorgehen entzieht sie bestimmte Konstellationen, bei denen anzunehmen ist, dass der Tatbestand des Art. 107 Abs. 1 AEUV ohnehin nicht vollständig erfüllt ist, von vornherein der Beihilfekontrolle. Aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung sieht sie dabei von einer Prüfung im Einzelfall ab und orientiert sich an der pauschalen Grenze von 200.000 Euro im Zeitraum von drei Jahren. Zwangsläufig stellt sich hier die Frage, ob und inwieweit ein von der Kommission erlassenes Sekundärrecht die auf das Primärrecht des Art. 107 Abs. 1 AEUV gestützte Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshof aushebeln kann. Bis zu einem gewissen Grad handelt es sich dabei aber lediglich um ein Scheinproblem, da der Europäische Gerichtshof zwar von dem Grundsatz ausgeht, dass es grundsätzlich nicht auf die Höhe der Begünstigung ankommt, um unter den Tatbestand des Art. 107 Abs. 1 AEUV zu fallen, dies aber nicht bedeutet, dass jede noch so geringe staatliche Begünstigung auch tatsächlich den Tatbestand des Art. 107 Abs. 1 AEUVerfüllt. Vor dem Hintergrund der geringen praktischen Bedeutsamkeit und unter Berücksichtigung, dass in den meisten Fällen die Annahme begründet sein dürfte, dass die Einzelfallprüfung des Gerichtshofs und die pauschale Orientierung der Kommission zum gleichen Ergebnis führen, wird man dieses Vorgehen der Kommission letztlich zwar hinnehmen müssen, in Zweifelsfällen ist es jedoch wünschenswert, dass sie trotz allem eine Einzelfallprüfung vornimmt. 2. Gruppenfreistellungen Ebenfalls aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung hat der Rat auf Grundlage von Art. 109 AEUV die Kommission dazu ermächtigt, bestimmte Gruppen von 150

Zum SAM-Projekt siehe: Buts, EStAL 2015, 1 – 2. Verordnung (EU) Nr. 1407/2013 der Kommission v. 18. 12. 2013 über die Anwendung der Artikel 107 und 108 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf Deminimis Beihilfen, ABl. 2013 Nr. L 352/1. 152 Vgl. Soltész, NJW 2014, 3128 (3130). 153 Rosenberg, Das beihilferechtliche Durchführungsverbot im Steuerverfahren, S. 99. 151

A. Das Verfahren bei der Überprüfung staatlicher Beihilfen

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Beihilfen durch Verordnung für mit dem Binnenmarkt vereinbar zu erklären und damit von der Notifizierungspflicht nach Art. 108 Abs. 3 AEUV zu befreien.154 Angeregt durch den Aktionsplan Staatliche Beihilfen155 hat die Kommission auf Grundlage der Ratsverordnung eine allgemeine Gruppenfreistellungsverordnung156 erlassen. Diese umfasst unter anderem Beihilfen zugunsten der Forschung und Entwicklung, des Umweltschutzes und zugunsten kleiner und mittlerer Unternehmen (sog. KMU-Beihilfen) sowie Beihilfen zugunsten von Beschäftigung und Ausbildung. Im Jahr 2013 hat der Rat eine Ermächtigungsverordnung157 verabschiedet, die die Kommission dazu befugt, Gruppenfreistellungsverordnungen für Beihilfen mit geringen Auswirkungen auf den Binnenmarkt vom Prüfverfahren auszunehmen. Im Zuge der Modernisierung des Beihilferechts ist die Gruppenfreistellungsverordnung mit Wirkung zum 01. 07. 2014 überarbeitet und ausgeweitet worden.158 Ziel der Ausweitung ist es „gute Beihilfen“ zu fördern, also solche, die z. B. Wirtschaftswachstum oder die Schaffung von Arbeitsplätzen zum Ziel haben.159 Der grundlegende materiell-rechtliche Unterschied zu De-minimis-Beihilfen liegt darin, dass De-minimis-Beihilfen nicht in den Anwendungsbereich von Art. 107 Abs. 1 AEUV fallen. Beihilfen, die von einer Gruppenfreistellung erfasst werden, fallen zwar in dessen Anwendungsbereich, sind aber vom förmlichen Prüfungsverfahren ausgenommen.160

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Bieber/Epiney/Haag/Kotzur, Die Europäische Union, § 13 Rn. 31. Aktionsplan staatliche Beihilfen – Weniger und besser ausgerichtete staatliche Beihilfen – Roadmap zur Reform des Beihilferechts 2005 – 2009 (nicht im Amtsblatt veröffentlichtes Konsultationspapier). 156 Verordnung (EG) Nr. 800/2008 der Kommission v. 06. 08. 2008 zur Erklärung der Vereinbarkeit bestimmter Gruppen von Beihilfen mit dem Gemeinsamen Markt in Anwendung der Artikel 87 und 88 EG-Vertrag (allgemeine Gruppenfreistellungsverordnung), ABl. EG 2008 Nr. L 214/3. 157 Verordnung (EU) Nr. 733/2013 des Rates v. 22. 07. 2013 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 994/98 v. 07. 05. 1998 über die Anwendung der Artikel 92 und 93 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft auf bestimmte Gruppen horizontaler Beihilfen, ABl. EU 2013 Nr. L 204/11. 158 Verordnung (EU) Nr. 651/2014 der Kommission v. 17. 06. 2014 zur Feststellung der Vereinbarkeit bestimmter Gruppen von Beihilfen mit dem Binnenmarkt in Anwendung der Artikel 107 und 108 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union, ABl. EU 2014 Nr. L 187/1. 159 Zum Anwendungsbereich der Allgemeinen Gruppenfreistellungsverordnung siehe ausführlich: Rosenfeld, in: Schulte/Kloos (Hrsg.), Handbuch Öffentliches Wirtschaftsrecht, § 3 Rn. 39 ff. 160 Vgl. Grube, Der Einfluss des unionsrechtlichen Beihilfenverbots auf das deutsche Steuerrecht, S. 65. 155

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Kap. 2: Die Beihilfekontrolle

B. Die Nichtigkeit des Gewährungsaktes als Folge eines Verstoßes gegen das Durchführungsverbot Zwar hat das beihilferechtliche Durchführungsverbot des Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV unmittelbare Wirkung für die nationalen Gerichte, die handelnden Behörden sowie für alle sonstigen Marktteilnehmer; anders als Art. 101 Abs. 2 AEUV besagt es aber nicht, dass Rechtsakte, die gegen das Durchführungsverbot verstoßen, zwingend nichtig sind. Die Norm schließt ein solches Verständnis jedoch auch nicht aus.161 Auch der Europäische Gerichtshof hat bisher eine solche Nichtigkeit nicht zwingend angeordnet. Er geht in seiner Rechtsprechung davon aus, dass es Aufgabe der nationalen Gerichte ist, aus dem Verstoß gegen das Durchführungsverbot die entsprechenden Schlussfolgerungen hinsichtlich der Wirksamkeit der Rechtsakte zu ziehen. Die Rechtsfolgen bestimmen sich folglich nach nationalem Recht, wobei den Gerichten der Mitgliedstaaten ein gewisser Gestaltungsspielraum bleibt.162

I. Exkurs: Zivilrechtliche Beihilfengewährung Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes führt ein Verstoß gegen das Durchführungsverbot in Deutschland zivilrechtlich zwingend zur Nichtigkeit des zugrundliegenden Rechtsgeschäfts nach § 134 BGB.163 Die gewährten Vorteile sind gemäß § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB zurückzufordern.164 Um eine Rückabwicklung zu verhindern, müssen die beteiligten Parteien den nichtigen Vertrag unter unionsrechtskonformen Bedingungen bestätigen.165 Diese Rechtsprechung ist in der Literatur auf große Kritik gestoßen, da das Beihilferecht gerade keine Nichtigkeit verlangt.166 Es wird vorgebracht, dass außer der schlichten Verpflichtung zur Rück161

Tilmann/Schreibauer, GRUR 2002, 212 (213). EuGH, Urteil v. 21. 11. 1991, Rs. C-354/90, ECLI:EU:C:1991:440, Rn. 10 ff. – FNCE/ Frankreich; EuGH, Urteil v. 11. 07. 1996, Rs. C-39/94, ECLI:EU:C:1996:285, Rn. 40 – SFEI u. a. 163 Ständige Rechtsprechung des BGH: BGH, Urteil v. 04. 04. 2003 – V ZR 314/02 –, EuZW 2003, 444 (445); BGH, Urteil v. 24. 10. 2003 – V ZR 48/03 –, zitiert nach juris, Rn. 9; BGH, Urteil v. 20. 01. 2004 –XI ZR 53/03 –, NVwZ 2004, 636 (637); BGH, Beschluss v. 13. 09. 2012 – III ZB 3/12 –, zitiert nach juris, Rn. 19; BGH, Urteil v. 05. 12. 2012 – I ZR 92/11 –, BGHZ 196, 254 (260), Rn. 34. Dieser Rechtsprechung zustimmend: Kühling, ZWeR 2003, 498 (502); Martin-Ehlers WM 2003, 1598 (1603); differenzierend: Schmidt-Räntsch, NJW 2005, 106 (108); kritisch: Heidenhain, EuZW 2005, 135 (135 ff.); Quardt/Nieland, EuZW 2004, 201 (201 ff.); Bartosch, EuZW 2001, 650 (650 ff.). 164 Ohne dass der Beihilfeempfänger den Einwand aus § 817 BGB erheben kann. 165 Vgl. Schmidt-Räntsch, NJW 2005, 106 (107). Eine erneute Vornahme des gesamten Rechtsgeschäfts ist dagegen nicht erforderlich: Busche in Münchner Kommentar zum BGB, § 141 Rn. 1. 166 Siehe zu den bestehenden Meinungen ausführlich: Cranshaw, WM 2008, 338 (344); Schmidt-Räntsch, NJW 2005, 106 (108); Tilmann/Schreibauer, GRUR 2002, 212 (214); Bartosch, EuZW 2001, 650 (655). 162

B. Die Nichtigkeit des Gewährungsaktes als Folge eines Verstoßes

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zahlung mit der Rückforderungsanordnung keine darüber hinausgehende Sanktion verhängt werden soll.167 Die Nichtigkeitsfolge sei unionsrechtlich auch nicht zwingend geboten, da sich Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV nicht gegen das Grundgeschäft oder die Transaktion als solches, sondern vielmehr nur gegen das Beihilfeelement richtet. Der Rückforderungsbeschluss der Kommission verlange also nicht die Rückabwicklung des rechtsgeschäftlichen Synallagmas, sondern lediglich die Rückzahlung des Beihilfeelements. Durch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes komme es außerdem zu einem Auseinanderfallen der Rechtsfolgen nach deutschem und europäischem Recht, wenn die Maßnahme zwar unter Verstoß gegen das Durchführungsverbot erlassen wurde, sie materiell aber von der Kommission als mit dem Binnenmarkt vereinbar angesehen wurde.168 Da die Nichtigkeit des Grundgeschäfts vom Unionsrecht weder vorgegeben noch bezweckt ist, wird in der Literatur eine schwebende Unwirksamkeit des Rechtsgeschäfts als ausreichend angesehen.169 Die Nichtigkeitsrechtsprechung des Bundesgerichtshofes gilt ausdrücklich nur für Zwei-Personen-Verhältnisse, nicht jedoch in Dreiecksverhältnissen (z. B. Bürgschaften). Die Fragen, ob und in welchem Umfang die jeweiligen Rechtsverhältnisse nichtig sind, wurden dabei vom Bundesgerichtshof ausdrücklich offengelassen.170 Mit dem Problem der Dreiecksverhältnisse hat sich jedoch der Europäische Gerichtshof in der Rechtssache Residex171 auseinandergesetzt. Der Gerichtshof stellte dabei fest, dass das Unionsrecht auch hier hinsichtlich der Nichtigkeit keine ausdrücklichen Vorschriften mache und die nationalen Gerichte daher in der Wahl ihrer Mittel frei seien, solange die Maßnahmen geeignet seien, die Wettbewerbslage vor der Beihilfengewährung wiederherzustellen.172 In diesem Zusammenhang bejahte der Europäische Gerichtshof auch die Möglichkeit der Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts, solange keine weniger einschneidenden Handlungsoptionen gegeben seien.173 Bei Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes steht der Europäische Gerichtshof der Nichtigkeit folglich nicht entgegen.

167

EuGH, Urteil v. 17. 06. 1999, Rs. C-75/97, ECLI:EU:C:1999:311, Rn. 65 – Belgien/ Kommission; grundlegend: EuGH, Urteil v. 04. 04. 1995, Rs. C-350/93, ECLI:EU:C:1995:96, Rn. 22 – Kommission/Italien. Siehe auch: Linn, IStR 2008, 601 (604). 168 Rosenfeld, in: Schulte/Kloos (Hrsg.), Handbuch Öffentliches Wirtschaftsrecht, § 3 Rn. 109. 169 Cranshaw, WM 2008, 338 (344); Schmidt-Räntsch, NJW 2005, 106 (108); Heidenhain, EuZW 2005, 135 (138); Quardt/Nieland, EuZW 2004, 201 (204); Bartosch, EuZW 2001, 650 (655). 170 BGH, Urteil v. 12. 10. 2006 – III ZR 299/05 –, VersR 2007, 367. 171 EuGH, Urteil v. 08. 12. 2011, Rs. C-275/10, ECLI:EU:C:2001:814 – Residex Capital IV. 172 EuGH, Urteil v. 08. 12. 2011, Rs. C-275/10, ECLI:EU:C:2001:814, Rn. 45 – Residex Capital IV. 173 EuGH, Urteil v. 08. 12. 2011, Rs. C-275/10, ECLI:EU:C:2001:814, Rn. 49 – Residex Capital IV. Zur Bewertung dieser Rechtsprechung im Schrifttum vgl.: Rosenfeld, in: Schulte/ Kloos (Hrsg.), Handbuch Öffentliches Wirtschaftsrecht, § 3 Rn. 114 bis 116.

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Kap. 2: Die Beihilfekontrolle

II. Verwaltungsakte Anders verhält es sich hingegen bei hoheitlichen Handlungen, insbesondere Verwaltungsakten. Wie bei zivilrechtlichen Handlungen bestimmt sich die Wirksamkeit eines Verwaltungsaktes nach dem jeweils einschlägigen nationalen Recht. Für Steuerbescheide ordnet die Generalklausel des § 125 Abs. 1 AO an, dass ein Verwaltungsakt nichtig ist, sofern er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und diese besondere Fehlerhaftigkeit offenkundig ist. Besonders schwerwiegend sind solche Fehler, die unter keinen Umständen mit der Rechtsordnung vereinbar sind. Die Art und das Ausmaß des Fehlers müssen den Verwaltungsakt schlechterdings unerträglich erscheinen lassen.174 Der Grundsatz der Offenkundigkeit fordert dabei, dass jeder verständige Dritte bei Kenntnis aller Umstände die besondere Schwere des Fehlers erkennen kann.175 Die Hürden für eine Nichtigkeit sind damit hoch angesetzt. Ein Verstoß gegen materielles Recht an sich begründet in der Regel keine Nichtigkeit des Verwaltungsakts.176 Für Verstöße gegen das Unionsrecht ergeben sich insofern keine Besonderheiten.177 Für unionsrechtswidrige, aber bestandskräftige Steuerbescheide hat der Europäische Gerichtshof entschieden, dass sie zwar nicht zwingend aufgehoben werden müssen, eine solche Aufhebung aufgrund des unionsrechtlichen Effektivitätsgrundsatzes trotz Bestandskraft aber trotzdem geboten sein kann.178 Er geht folgerichtig nicht von einer automatischen Nichtigkeit eines solchen Steuerbescheids aus. Auch für beihilfewidrige Leistungsbescheide hat er aufgrund des Vorrangs des Unionsrechts eine in der Regel zwingende Aufhebung angeordnet,179 geht aber auch hier von der Wirksamkeit des Gewährungsaktes aus. Leistungssubventionen müssen aufgrund der effektiven Durchsetzung des Unionsrechts zurückgefordert werden.180 Die nationalen Behörden sind selbst dann zur Aufhebung solcher Leistungssubventionen verpflichtet, wenn die nationalen Rückforderungsvorschriften einer solchen Aufhebung entgegenstehen.181 Der Effektivitätsgrundsatz verpflichtet den Mitgliedstaat, alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um die Durchführung des Kommissionsbeschlusses zu 174

Fritsch, in: Koenig: (Hrsg.), AO, § 125 AO, Rn. 10. Fritsch, in: Koenig: (Hrsg.), AO, § 125 AO, Rn. 21. 176 Vgl. BFH, Beschluss v. 01. 10. 1981 – IV B 13/81 –, BFHE 134, 223 (226), BStBl. II 1982, 133 (134). 177 Ratschow, in: Klein (Hrsg.), AO, § 125, Rn. 12. 178 EuGH, Urteil v. 13. 01. 2004, Rs. C-453/00, ECLI:EU:C:2004:17, Rn. 28 – Kühne & Heitz; EuGH, Urteil v. 12. 02. 2008, Rs. C-2/06, ECLI:EU:C:2008:78, Rn. 19 – Kempter. 179 EuGH, Urteil v. 14. 01. 1997, Rs. C-169/95, ECLI:EU:C:1997:10, Rn. 47 ff. – Spanien/ Kommission. 180 z. B. BVerfG, Beschluss v. 17. 02. 2000 – 2 BvR 1210/98 –, IStR 2000, 253 (254); BVerfG, Beschluss v. 03. 07. 2001 – 1 BvR 382/01 –, zitiert nach juris, Rn. 11. Siehe auch: Blumenberg/Kring, Das europäische Beihilferecht und Besteuerung, S. 31. Zu den Möglichkeiten zur Durchbrechung der Bestandskraft von Steuerbescheiden siehe grundlegend: Schacht/ Steffens, BB 2008, 1254 – 1261. 181 BVerfG, Beschluss v. 17. 02. 2000 – 2 BvR 1210/98 –, IStR 2000, 253 (254). 175

C. Die Rückforderung rechtswidrig gewährter Beihilfen

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gewährleisten. Dies geht soweit, dass gegebenenfalls entgegenstehendes nationales Recht unangewendet bleiben muss.182 Im Falle von Leistungssubventionen treten folglich die Bestandskraft eines Verwaltungsakts und das darin verankerte Prinzip der Rechtssicherheit vollkommen hinter das unionsrechtliche Effizienzgebot zurück.183 Um den Gleichlauf zwischen Leistungs- und Verschonungssubventionen zu gewährleisten, muss dies auch für begünstigende Steuer- und Abgabenbescheide gelten. Davon ausgehend kann folglich festgehalten werden, dass gegen das unionsrechtliche Beihilfeverbot verstoßende Steuerbescheide nicht nichtig, sondern lediglich rechtswidrig und damit wirksam sind.184 Steuerbescheide, die einem bestimmten Unternehmen einen Vorteil gegenüber seinen Wettbewerbern geben, müssen folglich nach dem einschlägigen, nationalen Steuerverwaltungsrecht aufgehoben bzw. abgeändert werden. Die Beihilfe muss im Anschluss zurückgezahlt werden.

C. Die Rückforderung rechtswidrig gewährter Beihilfen Wurde eine rechtswidrig gewährte Beihilfe noch nicht ausgezahlt, so bedarf es keiner Rückforderung, da die Zuwendung nie in das Vermögen des Beihilfeempfängers gelangt ist.185 Wurde hingegen die Beihilfe bereits ausgezahlt und kommt die Kommission zu der Auffassung, dass die Gewährung unionsrechtswidrig ist, stellt die Rückforderung die logische Folge dieser Entscheidung dar.186 In solchen Fällen verbindet die Kommission ihren Negativbeschluss mit einem Rückforderungsbeschluss. In diesem fordert sie den Mitgliedstaat auf, alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um die Beihilfe vom Empfänger zurückzuerhalten. Die Kompetenz der Kommission, unvereinbare Beihilfen zurückzufordern, wurde vom Europäischen Gerichtshof bereits 1973 festgestellt187 und ist heute in Art. 19 Abs. 1 der Verfahrensordnung geregelt. Diese Rückforderungsbefugnis ist notwendig, da nur so die Aufforderung zur Aufhebung bzw. Umgestaltung der Maßnahme praktische Wirk182 BVerfG, Beschluss v. 17. 02. 2000 – 2 BvR 1210/98 –, IStR 2000, 253 (254), Rn. 23; BFH, Urteil v. 30. 01. 2009 – VII B 180/08 und VII B 181/08 –, BFHE 224, 372 (378). 183 So auch: Jahndorf/Oellerich, DB 2008, 2559 (2560). 184 Zum selben Ergebnis kommend: Krumm, in: Lang (Hrsg.), Europäisches Steuerrecht, S. 567. 185 Tilmann/Schreibauer, GRUR 2002, 212 (214). 186 EuGH, Urteil v. 14. 01. 1997, Rs. C-169/95, ECLI:EU:C:1997:10, Rn. 47 – Spanien/ Kommission. Darüber hinaus kann die Kommission auch im Falle einer missbräuchlichen Anwendung von Beihilfen eine Rückforderungsentscheidung erlassen, Art. 16 VVO. Vgl. Bieber/Epiney/Haag/Kotzur, Die Europäische Union, § 13 Rn. 28. 187 EuGH, Urteil v. 12. 07. 1973, Rs. C-70/72, ECLI:EU:C:1973:87, Rn. 13 – Kommission/ Deutschland; EuGH, Urteil v. 26. 06. 2003, Rs. C-404/00, ECLI:EU:C:2003:373, Rn. 20 – Kommission/Spanien.

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Kap. 2: Die Beihilfekontrolle

samkeit entfalten kann. Ziel der Rückforderung ist es, den unionsrechtswidrigen Zustand zu beseitigen. Ein darüber hinausgehender Sanktionscharakter ist mit ihr nicht verbunden.188 Schuldner der Rückforderung ist das Unternehmen, das den tatsächlichen Nutzen aus der Beihilfe gezogen hat.189 In ihrem Rückforderungsbeschluss gibt die Kommission grundsätzlich den zurückzufordernden Betrag inklusive Zinsen an. Allerdings kann die Kommission, insbesondere bei Steuervergünstigungen, im Einzelfall nicht immer feststellen, welches Unternehmen in welcher Höhe von einer Vergünstigung profitiert hat. In solchen Fällen fordert sie den Mitgliedstaat schlicht dazu auf, sämtliche gewährten Beihilfen zurückzufordern und überlässt ihm die genaue Bezifferung.190

I. Verwaltungsrechtliche Rückabwicklung durch den Mitgliedstaat Bei der Rückforderung geht die Kommission selbst nicht unmittelbar gegen den Begünstigten vor, sondern ordnet gemäß Art. 108 Abs. 2 AEUV i. V. m. Art. 7 Abs. 5 VerfVO die Rückabwicklung durch den betroffenen Mitgliedstaat an.191 Dieser muss aufgrund von Art. 14 S. 1 VerfVO i. V. m. Art. 288 Abs. 4 AEUV und Art. 4 Abs. 3 EUV dieser Anordnung nachkommen und die gewährten Beihilfen innerhalb von vier Monaten zurückfordern.192 Das Unionsrecht selbst macht keine Vorgaben für die Rückforderung oder sonstige verfahrensrechtliche Vorschriften. Art. 14 Abs. 3 VerfVO verweist insoweit auf das Verfahren der jeweiligen Mitgliedstaaten.193 Die

188 EuGH, Urteil v. 17. 06. 1999, Rs. C-75/97, ECLI:EU:C:1999:311, Rn. 65 – Belgien/ Kommission; grundlegend: EuGH, Urteil v. 04. 04. 1995, Rs. C-350/93, ECLI:EU:C:1995:96, Rn. 22 – Kommission/Italien. Siehe auch: Linn, IStR 2008, 601 (604). 189 EuGH, Urteil v. 21. 03. 1991, Rs. C-303/88, ECLI:EU:C:1991:136, Rn. 57 – Italien/ Kommission; EuGH, Urteil v. 29. 04. 2004, Rs. C-277/00, ECLI:EU:C:2004:238, Rn. 75 – Deutschland/Kommission („SMI“); ebenso Bekanntmachung der Kommission, Rechtswidrige und mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbare staatliche Beihilfen: Gewährleistung der Umsetzung von Rückforderungsentscheidungen der Kommission in den Mitgliedstaaten, ABl. EU 2007 Nr. C, 272/4, Rn. 32. 190 Rosenberg, Das beihilferechtliche Durchführungsverbot im Steuerverfahren, S. 156. 191 EuGH, Urteil v. 12. 07. 1973, Rs. C-70/72, ECLI:EU:C: 1973:87, Rn. 13 – Kommission/ Deutschland; EuGH, Urteil v. 14. 01. 1997, Rs. C-169/95, ECLI:EU:C:1997:10, Rn. 47 – Spanien/Kommission. 192 EuGH, Urteil v. 26. 06. 2003, Rs. C-404/00, ECLI:EU:C:2003:373, Rn. 21 – Kommission/Spanien; Bekanntmachung der Kommission, Rechtswidrige und mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbare staatliche Beihilfen: Gewährleistung der Umsetzung von Rückforderungsentscheidungen der Kommission in den Mitgliedstaaten, ABl. EG 2007 Nr. C 272/4, Rn. 42. 193 Grube, DStZ 2007, 370 (377).

C. Die Rückforderung rechtswidrig gewährter Beihilfen

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verwaltungstechnische Rückabwicklung selbst richtet sich folglich nach dem jeweiligen nationalen (Steuer-)Verwaltungsrecht.194 1. Effektivitätsgrundsatz, Art. 4 Abs. 3 EUV Kommt es bei der Rückforderung der Beihilfe zu Schwierigkeiten, so verpflichtet der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit den Mitgliedstaat dazu, dies der Kommission mitzuteilen und darüber hinaus mit dieser aktiv auf die Überwindung jeglicher Schwierigkeiten hinzuarbeiten.195 Der betroffene Mitgliedstaat muss, seiner nationalen Rechtsordnung entsprechend, alles Erforderliche tun, um die tatsächliche und sofortige Vollstreckung des Kommissionsbeschlusses zu betreiben.196 In der Wahl seiner Mittel bleibt der Mitgliedstaat dabei zwar frei, Einschränkungen ergeben sich aber aus dem Erfordernis der sofortigen und tatsächlichen Umsetzung.197 Die zuständigen Behörden des betroffenen Mitgliedstaates müssen bei ihrer Entscheidung hinsichtlich der Rückforderungen von Beihilfen in der Regel eine Abwägung zwischen den bestehenden öffentlichen Interessen an der Rückforderung und dem Interesse des Beihilfeempfängers am Fortbestand der Steuervergünstigung treffen. Dieser wird sich insbesondere auf die Wahrung der Verhältnismäßigkeit, des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit berufen.198 Diese Prinzipien sind in den nationalen Rechtsordnungen, in Deutschland in Art. 20 Abs. 3 GG, als Teil des Rechtsstaatsprinzips verankert.199 194 EuGH, Urteil v. 20. 03. 1997, Rs. C-24/95, ECLI:EU:C:1997:163, Rn. 24 – Land Rheinland-Pfalz/Alcan Deutschland. Siehe auch: Linn, IStR 2008, 601 (604); Blumenberg/ Kring, Das europäische Beihilferecht und Besteuerung, S. 31; Rosenfeld, in: Schulte/Kloos (Hrsg.), Handbuch Öffentliches Wirtschaftsrecht, § 3 Rn. 103. 195 EuGH, Urteil v. 02. 02. 1989, Rs. 94/87, ECLI:EU:C:1989:46, Rn. 9 – Kommission/ Deutschland („Alcan I“); EuGH, Urteil v. 26. 06. 2003, Rs. C-404/00, ECLI:EU:C:2003:373, Rn. 47 – Kommission/Spanien; EuGH, Urteil v. 13. 11. 2008, Rs. C-214/07, ECLI:EU:C:2008: 619, Rn. 45 – Kommission/Frankreich; Urteil v. 12. 05. 2005, C-415/03, ECLI:EU:C:2005:287, Rn. 42 – Olympic Airways; EuGH, Urteil v. 04. 04. 1995 in der Rs. C-348/93, ECLI:EU:C: 1995:95, Rn. 17 – Kommission/Italien. 196 Z. B. kann das Erfordernis der sofortigen und tatsächlichen Vollstreckung in Deutschland die Anordnung der sofortigen Vollziehung des Rückforderungsbescheids nach § 80 Abs. 4 VwGO erforderlich machen. Siehe dazu ausführlich: Rosenfeld, in: Schulte/Kloos (Hrsg.), Handbuch Öffentliches Wirtschaftsrecht, § 3 Rn. 103 bis 105. 197 Bekanntmachung der Kommission – Rechtswidrige und mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbare staatliche Beihilfen: Gewährleistung der Umsetzung von Rückforderungsentscheidungen der Kommission in den Mitgliedstaaten, ABl. EG 2007 Nr. C 272/5, Rn. 21 ff.; EuGH, Urteil v. 05. 10. 2006, Rs. C-232/05, ECLI:EU:C:2006:651, Rn. 42 und 49 – Kommission/Frankreich; EuGH, Urteil v. 12. 05. 2005, Rs. C-415/03, ECLI:EU:C:2005:287, Rn. 32 ff. – Olympic Airways. Siehe auch: Rosenberg, Das beihilferechtliche Durchführungsverbot im Steuerverfahren, S. 158. 198 Blumenberg/Kring, Das europäische Beihilferecht und Besteuerung, S. 37; Grube, Der Einfluss des unionsrechtlichen Beihilfenverbots auf das deutsche Steuerrecht, S. 77. 199 Vgl. BVerfG, Beschluss v. 17. 02. 2000 – 2 BvR 1210/98 –, IStR 2000, 253 (254).

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Kap. 2: Die Beihilfekontrolle

2. Rückwirkungsverbot Die nach nationalem Recht regelmäßig bestehende Bestandskraft von Verwaltungsakten oder grundrechtlicher Vertrauensschutz bzw. ein Rückwirkungsverbot können der Rückforderungsverpflichtung nicht entgegengehalten werden.200 In einigen Mitgliedstaaten verhindert das aus dem allgemeinen Rechtsstaatsprinzip abgeleitete Rückwirkungsverbot gewöhnlich eine spätere Abänderung von Begünstigungsnormen, soweit der begünstigte Bürger bzw. das begünstigte Unternehmen bereits im Vertrauen auf den Bestand Dispositionen getroffen hat.201 Im Gegensatz dazu kennt das Unionsrecht in Bezug auf Beihilfen kein solches Rückwirkungsverbot. Allerdings wird auch durch das Rechtsstaatsprinzip in der Regel kein absolutes Rückwirkungsverbot statuiert. So können z. B. in Deutschland selbst sog. echte Rückwirkungen202 durch überwiegende, zwingende Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt sein.203 Der Bundesfinanzhof sieht dabei ein bei unterlassener Rückforderung drohendes Vertragsverletzungsverfahren gemäß Art. 258 AEUV als solchen Grund an und hat folglich die Durchsetzung der Rückforderung auch bei einer echten Rückwirkung zugelassen.204

200 Vgl. z. B. BVerfG, Beschluss v. 17. 02. 2000 – 2 BvR 1210/98 –, IStR 2000, 253 (254); BVerfG, Beschluss v. 03. 07. 2001 – 1 BvR 382/01 –, zitiert nach juris, Rn. 11. Siehe auch: Schönfeld/Ellenrieder, IStR 2018, 444 (445); Schnittger, IStR 2017, 421 (427); Blumenberg/ Kring, Das europäische Beihilferecht und Besteuerung, S. 31. Zu den Möglichkeiten zur Durchbrechung der Bestandskraft von Steuerbescheiden siehe grundlegend: Schacht/Steffens, BB 2008, 1254 – 1261. 201 Dabei ist zu beachten, dass das Rückwirkungsverbot nur auf Begünstigungen und Rückforderungen in Gesetzesform anwendbar ist. Für schlichtes Verwaltungshandeln findet vielmehr der ebenfalls aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitete Grundsatz des Vertrauensschutzes Anwendung. 202 Eine echte Rückwirkung liegt vor, wenn ein Gesetz nachträglich ändernd in bereits abgewickelte, der Vergangenheit angehörende Tatbestände eingreift. Wird dagegen auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte bzw. Rechtsbeziehungen für die Zukunft eingewirkt, so handelt es sich lediglich um eine unechte Rückwirkung. Vgl. Grzeszick, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Art. 20, Rn. 76 bis 78. 203 Eine echte Rückwirkung ist grundsätzlich unzulässig und nur durch zwingende Gründe des Gemeinwohls zu rechtfertigen. Bei unechter Rückwirkung ist im Einzelfall zu prüfen, mit welchem Gewicht das Vertrauen in die bestehende günstige Rechtslage schützenswert ist und ob die öffentlichen Belange, die eine nachteilige Änderung rechtfertigen, dieses Vertrauen überwiegen. BVerfG, Beschluss v. 14. 05. 1986 – 2 BvL 2/83 –, BVerfGE 72, 200 (254), BStBl. II 1986, 628 (641); siehe auch: BFH, Urteil v. 21. 04. 2005 – III R 10/03 –, BFHE 210, 94 (98), BStBl. II 2005, 718. 204 BFH, Urteil v. 12. 10. 2000 – III R 35/95 –, BFHE 193, 204 (213), BStBl. II 2001, 499 (503); bestätigt durch: BFH, Urteil v. 03. 03. 2005 – III R 46/03 –, zitiert nach juris und BFH, Urteil v. 21. 04. 2005 – III R 10/03 –, BFHE 210, 94 (99), BStBl. II 2005, 718, Rn. 28. Einschränkend hingegen: FG Sachsen-Anhalt, Urteil v. 20. 12. 2007 – 1 K 290/01 –, DStRE 2009, 940 (945); differenzierend: de Weerth, IStR 2010, 172 (174).

C. Die Rückforderung rechtswidrig gewährter Beihilfen

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3. Unverhältnismäßigkeit Da die Rückforderung der Beihilfe lediglich die Kehrseite der Gewährung darstellt, kann grundsätzlich auch nicht von einer unverhältnismäßigen Maßnahme ausgegangen werden.205 Dass die betroffenen Unternehmen durch die Rückforderung mitunter schwerwiegende Konsequenzen206 bis hin zur Insolvenz tragen müssen, ist dabei unerheblich.207 Wird ein Unternehmen durch die Rückforderung zahlungsunfähig, stellt die Liquidation eine ausreichende Alternative zur vollständigen Rückzahlung dar. Der Effektivitätsgrundsatz überwiegt auch hier das Interesse des Beihilfennehmers am Fortbestand seiner Unternehmung. Die nationalen Insolvenzordnungen müssen dabei gegebenenfalls unionsrechtskonform ausgelegt werden. Dass die Selektivität einer Steuervergünstigung für die Betroffenen häufig – wenn überhaupt – nur schwer erkennbar ist, ist ebenfalls nicht von Belang. Die fehlende Erkennbarkeit einer Beihilfe kann deren Rückforderung nicht hindern. Im Ergebnis wird somit vom Beihilfeempfänger juristische Unfehlbarkeit bei der Auslegung von Art. 107 Abs. 1 AEUV erwartet.208 4. Ermessen Der Effektivitätsgrundsatz ersetzt zudem auch ein eventuell bestehendes Ermessen der nationalen Verwaltungsbehörden. Diese verfügen über keinerlei Beurteilungs- oder Ermessensspielraum bei der Rückforderung unionsrechtswidriger Beihilfen.209 Die zuständige nationale Behörde ist selbst dann zur Rückforderung verpflichtet, wenn die nationale verwaltungsrechtliche Verjährungsfrist verstrichen 205

Vgl. EuGH, Urteil v. 14. 01. 1997, Rs. C-169/95, ECLI:EU:C:1997:10, Rn. 47 – Spanien/Kommission; EuGH, Urteil v. 15. 12. 2005, Rs. C-148/04, ECLI:EU:C:2005:774, Rn. 113 – Unicredito Italiano; EuGH, Urteil v. 21. 03. 1990, Rs. C-142/87, ECLI:EU:C:1990: 125, Rn. 66 – Belgien/Kommission; EuGH, Urteil v. 14. 09. 1994, Rs. C-278/92 bis 280/92, ECLI:EU:C:1994:325, Rn. 75 – Spanien/Kommission. 206 Die erheblichen finanziellen Konsequenzen der Rückforderung ergeben sich nicht zuletzt auch aufgrund der Vollverzinsung mit 6 % p. a. gem. §§ 233a, 238 AO. Zur Realitätsgerechtigkeit des Zinssatzes der Vollverzinsung vgl. Zahn, DStZ 2020, 573 – 581. 207 Siehe dazu z. B. das Verfahren „Neue Maxhütte“, EuGH, Beschluss v. 03. 05. 1996, Rs. C-399/95 R, ECLI:EU:C:1996:193, Rn. 80 – Deutschland/Kommission, in dem der EuGH einen Antrag auf Aussetzung eines Kommissionsbeschlusses, der eine Beihilfegewährung für rechtswidrig erklärt hatte, abgelehnt hat, obwohl das betroffene Unternehmen im Falle der Rückforderung der Beihilfen die Insolvenz drohte. Auch der damit verbundene Wegfall von Arbeitsplätzen muss in der Abwägung zurücktreten, wenn die Erfolgsaussichten in der Hauptsache nur äußerst gering sind. Der Beschluss erging zwar im Anwendungsbereich des EGKS-Vertrags, zeigt aber die grundsätzlich sehr restriktive Position des EuGH zur Rückforderung von Beihilfen. Vgl. auch Hakenberg/Tremmel, EWS 1997, 217 (223). 208 Schönfeld/Ellenrieder, IStR 2018, 444 (445). 209 Vgl. EuGH, Urteil v. 20. 03. 1997, Rs. C-24/95, ECLI:EU:C:1997:163, Rn. 34 – Land Rheinland-Pfalz/Alcan Deutschland.

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Kap. 2: Die Beihilfekontrolle

ist210 oder die nationale Regelung die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs vorsieht, das Unionsrecht aber die sofortige Rückerstattung fordert.211 5. Sonstige verwaltungsrechtliche Hindernisse Andere verwaltungstechnische Schwierigkeiten werden vom Europäischen Gerichtshof ebenso wenig als legitimer Einwand gegen die Rückforderung angesehen wie sonstige administrative Unwägbarkeiten, wie etwa die Belastung der Finanzverwaltung.212 Auch die Berufung auf Treu und Glauben und die Einrede der Entreicherung wurden vom Europäischen Gerichtshof zurückgewiesen.213 Das nationale Verwaltungsrecht darf weder der Trageweite noch der effektiven Durchsetzung unionsrechtlicher Forderungen im Wege stehen.214 6. Grenzen der Rückforderungspflicht Die Rückforderungspflicht entfällt aber ausnahmsweise, wenn entweder die zehnjährige Ausschlussfrist abgelaufen ist (Art. 15 Abs. 1 VerfVO) oder die Rückforderung nicht nur gegen nationale Grundsätze, sondern gegen einen allgemeinen Grundsatz des Unionsrechts, z. B. den unionsrechtlich garantierten Vertrauensschutz 210 EuGH, Urteil v. 20. 03. 1997, Rs. C-24/95, ECLI:EU:C:1997:163, Rn. 35 bis 38 – Land Rheinland-Pfalz/Alcan Deutschland. Das BVerfG hat in der Nicht-Berücksichtigung der Jahresfrist nach § 48 Abs. 4 S. 1 VwVfG eine – aufgrund des Vorrangs des Unionsrechts – verfassungsrechtliche nicht zu beanstandende Auslegung einfachen Rechts gesehen, BVerfG, Nichtannahmebeschluss v. 17. 02. 2000 – 2 BvR 1210/98 –, IStR 2000, 253 (254). Auch der BFH hat diese unionsrechtlichen Vorgaben umgesetzt und entschieden, dass die Rückabwicklung einer rechtswidrigen Beihilfe auch durch steuerliche Normen aufgrund zwingender Gründe des Gemeinwohls geboten ist. Die effektive Durchsetzung des Unionsrechts gebietet es dabei sogar die Festsetzungsverjährung nach § 169 AO unangewendet zu lassen, BFH, Urteil v. 30. 01. 2009 – VII B 180/08 –, BFHE 224, 372 (378). Zur Kritik an dieser Rechtsprechung siehe: de Weerth, DB 2009, 2677 (2679). 211 EuGH, Urteil v. 05. 10. 2006, Rs. C-232/05, ECLI:EU:C:2006:651, Rn. 51 bis 53 – Kommission/Frankreich. 212 EuGH, Urteil v. 29. 01. 1998, Rs. C-280/95, ECLI:EU:C:1998:28, Rn. 23 – Kommission/Italien; EuGH, Urteil v. 19. 05. 1999, Rs. C-6/97, ECLI:EU:C:1999:251, Rn. 32 bis 34 – Italien/Kommission. 213 EuGH, Urteil v. 20. 03. 1997, Rs. C-24/95, ECLI:EU:C:1997:163, Rn. 34 bis 41 und 50 bis 52 – Land Rheinland-Pfalz/Alcan Deutschland. 214 EuG, Urteil v. 08. 06. 1995, Rs. T-459/93, ECLI:EU:T:1995:100, Rn. 82 – Siemens/ Kommission; EuGH, Urteil v. 20. 03. 1997, Rs. C-24/95, ECLI:EU:C:1997:163, Rn. 24 – Land Rheinland-Pfalz/Alcan Deutschland; EuGH, Urteil v. 21. 03. 1990, Rs. C-142/87, ECLI:EU:C: 1990:125, Rn. 61 – Belgien/Kommission, EuGH, Urteil v. 20. 09. 1990, Rs. C-5/89, ECLI:EU: C:1990:320, Rn. 12 – Kommission/Deutschland; EuGH, Urteil v. 21. 09. 1983, Rs. C-205/82 bis C-215/82, ECLI:EU:C:1983:233, Rn. 22 – Deutsche Milchkontor GmbH. Siehe auch: Linn, IStR 2008, 601 (604); Blumenberg/Kring, Das europäische Beihilferecht und Besteuerung, S. 31.

C. Die Rückforderung rechtswidrig gewährter Beihilfen

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verstößt (Art. 16 Abs. 1 S. 2 VerfVO).215 Der Europäische Gerichtshof ist bei der Anwendung dieser Grundsätze aber sehr restriktiv.216 Vertrauensschutzüberlegungen greifen bei gewährten Beihilfen nur in engen Grenzen.217 Der Gerichtshof geht in seiner Rechtsprechung davon aus, dass ein Unternehmen sich zumindest dann nicht auf den Vertrauensschutz gegenüber der Rückforderung berufen kann, wenn das Notifizierungsverfahren nicht durchgeführt worden ist.218 Der Begünstigte darf nur dann auf die Ordnungsmäßigkeit einer Beihilfe vertrauen, wenn die unionsrechtlichen Vorgaben eingehalten wurden.219 Es kann daher davon ausgegangen werden, dass eine Berufung auf Vertrauensschutzerwägungen bei Nichteinhaltung des Notifizierungsverfahrens faktisch ausgeschlossen ist.220 Dies liegt auch daran, dass das begünstigte Unternehmen grundsätzlich die Obliegenheit trifft, sich über die erfolgte Notifizierung zu informieren.221 Von einem sorgfältig handelnden Unternehmen kann erwartet werden, dass es sich der Einhaltung des vorgegeben Verfahrens vergewissert.222 Eine nicht nach unionsrechtlichen Vorgaben gewährte Beihilfe kann für das betroffene Unternehmen folgerichtig keinen Vertrauensschutz begründen.223 Es liegt daher auch im Interesse der Unternehmen, die Anmeldung der Beihilfe durch den Mitgliedstaat zu kontrollieren und ggf. zu forcieren.224 Zwar können nationalstaatliche Handlungen beim Beihilfeempfänger also durchaus die Erwartung wecken, dass die Gewährung der Beihilfe rechtskonform war und ist, ein schutzwürdiges Vertrauen kann jedoch durch die Handlungen der Mitgliedstaaten bzw. deren

215

Krumm, in: Lang (Hrsg.), Europäisches Steuerrecht, S. 575. Zum Vertrauensschutz bei steuerlichen Beihilfen vgl. ausführlich Schönfeld/Ellenrieder, IStR 2018, 444 – 451. 216 Bekanntmachung der Kommission, Rechtswidrige und mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbare staatliche Beihilfen: Gewährleistung der Umsetzung von Rückforderungsentscheidungen der Kommission in den Mitgliedstaaten, ABl. EU 2007 Nr. C 272/4, Rn. 17. Siehe auch: Rosenberg, Das beihilferechtliche Durchführungsverbot im Steuerverfahren, S. 157. 217 Schön, ZHR 2019, 393 (393). 218 EuGH, Urteil v. 20. 09. 1990, Rs. C-5/89, ECLI:EU:C:1990:320, Rn. 14 – Kommission/ Deutschland. 219 Ständige Rechtsprechung: EuGH, Urteil v. 20. 09. 1990, Rs. C-5/89, ECLI:EU:C:1990: 320, Rn. 14 – Kommission/Deutschland; EuGH, Urteil v. 14. 01. 1997, Rs. C-169/95, ECLI: EU:C:1997:10, Rn. 51 – Spanien/Kommission; EuGH, Urteil v. 20. 03. 1997, Rs. C-24/95, ECLI:EU:C:1997:163, Rn. 25 – Land Rheinland Pfalz/Alcan, EuG, Urteil v. 12. 09. 2007, Rs. T-239/04 und T-323/04, ECLI:EU:T:2007:260, Rn. 149 – Italien und Brandt Italia. 220 Arhold, EStAL 2011, 71 (78). 221 EuGH, Urteil v. 20. 03. 1997, Rs. C-24/95, ECLI:EU:C:1997:163, Rn. 25 – Land Rheinland Pflaz/Alcan Deutschland. EuGH, Urteil v. 14. 01. 1997, Rs. C-169/95, ECLI:EU:C: 1997:10, Rn. 51 – Spanien/Kommission. 222 Arhold, EStAL 2011, 71 (78); de Weerth, DB 2009, 2677 (2679). 223 EuGH, Urteil v. 15. 12. 2005, Rs. C-148/04, ECLI:EU:C:2005:774, Rn. 104 – Unicredito Italiano; ebenso: BVerfG, Beschluss v. 17. 02. 2000 – 2 BvR 1210/98 –, IStR 2000, 253 (254); BVerfG, Beschluss v. 03. 07. 2001 – 1 BvR 382/01 –, zitiert nach Juris, Rn. 11. 224 Vgl. Herdegen, Europarecht, § 22 Rn. 55.

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Kap. 2: Die Beihilfekontrolle

zuständigen Behörden nicht begründet werden.225 Anders zu bewerten sind hingegen die Handlungen von Unionsorganen. Der Europäische Gerichtshof hat ein schutzwürdiges Vertrauen des Beihilfeempfängers anerkannt, sofern im Vorhinein eine begründete Erwartung in Form einer Zusicherung durch ein Unionsorgan (insbesondere durch die Kommission) geweckt wurde.226 Davon kann im Einzelfall jedoch nicht ohne Weiteres ausgegangen werden. Sogar in Fällen, in denen die Beihilfe von der Kommission als mit dem Binnenmarkt vereinbar eingestuft wurde (Positivbeschluss), der Europäische Gerichtshof im Rahmen einer Konkurrentenklage jedoch zu einer anderen Auffassung kam, wurde eine Berufung auf den Grundsatz des Vertrauensschutzes abgelehnt. Der Gerichtshof vertrat dabei die Auffassung, dass ein Fehlverhalten der Kommission das Fehlverhalten des Mitgliedstaates nicht beseitigen kann227 und dass der Beihilfeempfänger in einem solchen Fall kein schutzwürdiges Vertrauen in das Fortbestehen einer Beihilfe haben kann.228 Der Mitgliedstaat kann dem Rückforderungsbeschluss allerdings die objektive Unmöglichkeit der Durchsetzung einwenden.229 Da die betroffenen Unternehmen 225 EuGH, Urteil v. 14. 01. 1997, Rs. C-169/95, ECLI:EU:C:1997:10, Rn. 47; EuGH, Urteil v. 20. 09. 1990, Rs. C-5/89, ECLI:EU:C:1990:320, Rn. 17 – Kommission/Deutschland; vgl. auch: Blumenberg/Kring, Das europäische Beihilferecht und Besteuerung, S. 40; Soltész/ Kühlmann, EWS 2001, 513 (514). 226 EuGH, Urteil v. 01. 02. 1978, Rs. C-78/77, ECLI:EU:C:1978:20 – Lührs/Hauptzollamt Hamburg-Jonas; EuGH, Urteil v. 11. 03. 1987, Rs. 265/85, ECLI:EU:C:1987:121, Rn. 44 – Van den Bergh en Jurgens und Van Dijk Food Products/Kommission; EuGH, Urteil v. 24. 11. 2005, Rs. C-506/03, ECLI:EU:C:2005:715, Rn. 58 – Deutschland/Kommission; EuGH, Urteil v. 22. 06. 2006, Rs. C-182/03 und C-217/03, ECLI:EU:C:2006:416, Rn. 147 – Belgische Koordinationszentren; vgl. auch. Arhold, EStAL 2011, 71 (78). Zu nennen sind aber auch Fälle, in denen die Kommission ihre Auffassung zur Beihilfequalität einer Maßnahme geändert hat oder der Beihilfeempfänger aufgrund des Wortlauts einer Entscheidung des EuGH berechtigterweise davon ausgehen durfte, dass eine bestimmte innerstaatliche Maßnahme nicht selektiv und damit keine Beihilfe ist. Vgl. Entscheidung Nr. 2005/565/EG der Kommission v. 09. 03. 2004 über eine durch Österreich angewendete Beihilferegelung betreffend die Energieabgabenvergütung auf Erdgas und Elektrizität in den Jahren 2002 und 2003, Az. K(2004) 325, ABl. EG 2005 Nr. L 190/13, Rn. 66. 227 EuGH, Urteil v. 14. 01. 1997, Rs. C-169/95, ECLI:EU:C:1997:10, Rn. 53 – Spanien/ Kommission. Vgl. auch Grube, DStZ 2007, 370 (378). 228 EuGH, Urteil v. 14. 01. 1997, Rs. C-169/95, ECLI:EU:C:1997:10, Rn. 53 – Spanien/ Kommission; EuGH, Urteil v. 26. 06. 2003, Rs. C-404/00, ECLI:EU:C:2003:373, Rn. 45 – Kommission/Spanien; EuGH, Urteil v. 12. 02. 2008, Rs. C-199/06, ECLI:EU:C:2008:79, Rn. 65 bis 67 – CELF; siehe auch: EuGH, Urteil v. 29. 04. 2004, Rs. C-91/01, ECLI:EU:C: 2004:244, Rn. 66 – Italien/Kommission. 229 EuGH, Urteil v. 15. 01. 1986, Rs. 52/84, ECLI:EU:C:1986:3, Rn. 14 – Kommission/ Belgien; EuGH, Urteil v. 02. 02. 1989, Rs. 94/87, ECLI:EU:C:1989:46, Rn. 8 – Kommission/ Deutschland; EuGH, Urteil v. 07. 06. 1988, Rs. 63/87, ECLI:EU:1988:285, Rn. 14 – Kommission/Griechenland; EuGH, Urteil v. 23. 02. 1995, Rs. C-349/93, ECLI:EU:C:1995:53, Rn. 12 – Kommission/Italien; EuGH, Urteil v. 04. 04. 1995, Rs. C-348/93, ECLI:EU:C:1995: 95, Rn. 16 – Kommission/Italien; EuGH, Urteil v. 22. 03. 2001, Rs. C-261/99, ECLI:EU:C: 2001:179, Rn. 23 – Kommission/Frankreich; EuGH, Urteil v. 02. 07. 2002, Rs. C-499/99, ECLI:EU:C:2002:408, Rn. 21 – Kommission/Spanien; EuGH, Urteil v. 26. 06. 2003, Rs. C-404/ 00, ECLI:EU:C:2003:373, Rn. 30 – Kommission/Spanien.

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grundsätzlich sämtliche Konsequenzen der Rückforderungen bis hin zur Insolvenz230 tragen müssen, sind solche Fälle in der Praxis allerdings nur schwer vorstellbar.231 Die Rückforderungsverpflichtung entfällt aber ausnahmsweise, wenn die Beihilfe nur formell, nicht aber materiell rechtswidrig ist; sie also mit dem Binnenmarkt vereinbar ist, aber nicht nach Art. 108 Abs. 3 AEUV notifiziert wurde.232 Die Rückforderungsverpflichtung des Mitgliedstaates entfällt damit aber erst ab dem Zeitpunkt der Genehmigung. Im Zeitraum zwischen der Beihilfegewährung und dem positiven Kommissionsbeschluss bleibt der Mitgliedstaat aufgrund des Verstoßes gegen Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV und dessen unmittelbarer Wirkung zur Rückforderung verpflichtet. Diese Verpflichtung schließt auch die Ergreifung vorläufiger Maßnahmen ein.233

II. Rechtsgrundlage im deutschen Steuerrecht Kommt die Kommission zum Ergebnis, dass es sich bei einer Steuervergünstigung um eine mit dem Binnenmarkt unvereinbare Beihilfe handelt, muss diese zurückgefordert werden. Für Steuervergünstigungen bedeutet dies, dass die nicht erhobenen Steuern nachgefordert werden müssen. Gemäß Art. 14 Abs. 1 S. 1 VerfVO erfolgt die Rück- und Nachforderung beihilfewidriger Steuervergünstigungen nach dem jeweiligen nationalen Steuerverwaltungsrecht. Da in Deutschland bei Steuerbeihilfen die Vergünstigungen auf individueller Ebene letztlich durch Steuerbescheide gewährt werden, erfolgt die Nachforderung nach den Vorschriften über die Aufhebung und Abänderung von Steuerbescheiden.234 Ein Steuerbescheid ist ein Verwaltungsakt, durch den der Steueranspruch festgesetzt wird, § 155 Abs. 1 S. 1 AO. Von besonderer Bedeutung ist dabei die Frage, ob ein solcher Bescheid bereits Bestandskraft erlangt hat. Während noch nicht bestands230 Siehe dazu z. B. das Verfahren „Neue Maxhütte“, EuGH, Beschluss v.03. 05. 1996, Rs. C-399/95 R, ECLI:EU:C:1996:193, Rn. 80 – Deutschland/Kommission, in dem der EuGH einen Antrag auf Aussetzung eines Kommissionsbeschlusses, der eine Beihilfegewährung für rechtswidrig erklärt hatte, abgelehnt hat, obwohl das betroffene Unternehmen im Falle der Rückforderung der Beihilfen die Insolvenz drohte. Auch der damit verbundene Wegfall von Arbeitsplätzen muss in der Abwägung zurücktreten, wenn die Erfolgsaussichten in der Hauptsache nur äußerst gering sind. Der Beschluss erging zwar im Anwendungsbereich des EGKS-Vertrags, zeigt aber die grundsätzlich sehr restriktive Position des EuGH zur Rückforderung von Beihilfen. Vgl. auch Hakenberg/Tremmel, EWS 1997, 217 (223). 231 Rosenfeld, in: Schulte/Kloos (Hrsg.), Handbuch Öffentliches Wirtschaftsrecht, § 3 Rn. 102. 232 Blumenberg/Kring, Das europäische Beihilferecht und Besteuerung, S. 30. 233 Nach deutschem Recht kommt daher bei öffentlich-rechtlichen Beihilfeakten die Anordnung der sofortigen Vollziehung des Rückforderungsbescheids in Betracht. Bei zivilrechtlicher Gewährung ist ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung (§§ 935 ff. ZPO) denkbar. 234 Vgl. Blumenberg/Kring, Das europäische Beihilferecht und Besteuerung, S. 32.

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Kap. 2: Die Beihilfekontrolle

kräftige Steuerbescheide jederzeit unproblematisch korrigierbar sind, können bestandskräftige Steuerbescheide in Deutschland nur unter bestimmten verfahrensrechtlichen Voraussetzungen abgeändert oder aufgehoben werden. 1. Korrektur von Gewährungsbescheiden bei Leistungssubventionen Solange keine spezialrechtlichen Korrekturvorschriften greifen, erfolgt die Korrektur von Leistungssubventionen gemäß § 48 VwVfG. Nach dieser korrekturrechtlichen Generalklausel können rechtswidrige Verwaltungsakte mit Wirkung ex tunc korrigiert werden. Die Rechtswidrigkeit ergibt sich hierbei aus dem Verstoß gegen das Beihilfenverbot bzw. gegen das Durchführungsverbot. Die Rechtswidrigkeit der Beihilfe steht mit dem Beschluss der Kommission verbindlich fest und kann durch das nationale Gericht nicht mehr geprüft werden.235 Die Aufhebung eines Verwaltungsaktes kann gemäß § 48 VwVfG ausnahmsweise ausgeschlossen sein, falls das Vertrauen des Begünstigten schutzwürdig ist, die Jahresfrist (§ 48 Abs. 4 VwVfG) nach Kenntniserlangung der Behörde verstrichen ist oder die Behörde im Rahmen ihrer Ermessensausübung zu der Entscheidung kommt den Verwaltungsakt nicht aufzuheben. Diese Ausnahmen wurden, basierend auf dem Effektivitätsgrundsatz, durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs stark eingeschränkt. Das nationale Verwaltungsrecht darf der praktischen Wirksamkeit und Durchsetzung des Unionsrechts nicht im Wege stehen (Effektivitätsgrundsatz, Art. 4 Abs. 3 EUV). Entgegenstehende nationale Vorschriften müssen im Zweifel unionsrechtskonform ausgelegt und interpretiert werden. Der Gerichtshof hat dabei in seiner Rechtsprechung geurteilt, dass weder der Ablauf der Jahresfrist, noch Vertrauensschutzerwägungen einer Korrektur entgegenstehen dürfen.236 Außerdem muss das Ermessen der Behörde unter Berücksichtigung des Effizienzgebots so ausgeübt werden, dass der Bescheid zu korrigieren ist (sog. Ermessensreduktion auf Null).237 Rechtsfolge der Aufhebung des Leistungsbescheids ist ein Erstattungsanspruch in Höhe der gewährten Leistung (§§ 48 Abs. 2, 49a VwVfG). Dessen Umfang richtet sich dabei grundsätzlich nach den zivilrechtlichen Bereicherungsvorschriften der §§ 812 ff. BGB.238

235

EuGH, Urteil v. 09. 03. 1994, Rs. C-188/92, ECLI:EU:C:1994:90, Rn. 10 ff. – Textilwerke Deggendorf. 236 Vgl. dazu beispielhaft: EuGH, Urteil v. 20. 03. 1997, Rs. C-24/95, ECLI:EU:C:1997: 163, Rn. 25 und 38 – Land Rheinland-Pfalz/Alcan Deutschland. 237 Vgl. zur Rückabwicklung von Leistungssubventionen ausführlich: Lehnert, Die Korrektur von gemeinschaftswidrigen Beihilfen in Form von Steuervergünstigungen, S. 141 bis 156 und Koenig/Kühling/Ritter, EG-Beihilfenrecht, S. 305. 238 Jestaedt/Loest, in: Heidenhain (Hrsg.), Handbuch des Europäischen Beihilfenrechts, § 52 Rn. 20.

C. Die Rückforderung rechtswidrig gewährter Beihilfen

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2. Korrektur noch nicht bestandskräftiger Steuerbescheide Ein Steuerbescheid wird grundsätzlich mit Ablauf der einmonatigen Einspruchsfrist bestandskräftig. Er kann jedoch auch nach Fristablauf noch ohne Bestandskraft sein, wenn er unter dem Vorbehalt der Nachprüfung steht (§ 164 AO) oder nur vorläufig ergangen ist (§ 165 AO). a) Vorbehalt der Nachprüfung, § 164 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 i. V. m. § 172 Abs. 1 S. 1 AO Solange der Steuerfall nicht abschließend geprüft ist, kann die Finanzverwaltung den entsprechenden Steuerbescheid gemäß § 164 Abs. 1 AO unter dem Vorbehalt der Nachprüfung erlassen, ohne dass dies einer Begründung bedarf. Gemäß § 164 Abs. 3 S. 1 AO kann die Steuerfestsetzung solange aufgehoben oder geändert werden, wie der Vorbehalt wirksam ist. Die Anwendung dieser Vorschrift auf Beihilfen in Form von Steuervergünstigungen stößt im Schrifttum jedoch auf unionsrechtliche Bedenken. Der Grund ist in einem Widerspruch der Norm zum unionsrechtlichen Durchführungsverbot des Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV zu sehen. Dieser verbietet die Gewährung von Beihilfen vor der endgültigen Entscheidung durch die Kommission. Im Gegensatz dazu erlaubt § 164 Abs. 3 S. 1 AO den deutschen Finanzbehörden, die Steuerlast während eines schwebenden Genehmigungsverfahrens festzusetzen und die Beihilfe damit zu gewähren. Ein derartiges Vorgehen ist mit dem Anwendungsvorrang des Unionsrechts und dem Effektivitätsgrundsatz unvereinbar. Im Schrifttum wird daher zum Teil davon ausgegangen, dass die Vorschrift bei steuerlichen Beihilfen bis zu einem Beschluss der Kommission generell unanwendbar ist, sodass sich damit dann auch die Frage der Rückforderung erledigt hat.239 Dem ist in dieser Pauschalität jedoch nicht zuzustimmen. Die Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung erfolgt ihrerseits durch einen Verwaltungsakt240 und steht im pflichtgemäßen Ermessen der zuständigen Behörde.241 Diese muss bei ihrer Ermessensausübung alle Besonderheiten des Einzelfalls, insbesondere eventuelle unionsrechtliche Verpflichtungen, in ihre Abwägung mit einbeziehen. Der Anwendungsvorrang des Unionsrechts und der Effektivitätsgrundsatz verhindern dabei nicht nur eine Ermessensausübung, die es den nationalen Organen unmöglich macht, eine Entscheidung zu treffen, sondern auch eine solche, die die Durchsetzung des Unionsrechts verhindert oder erschwert. Eine Aufhebung des Prüfungsvorbehaltes während eines schwebenden Kommissionsverfahrens stellt eine Erschwernis der Durchsetzung des Unionsrechts und damit im Ergebnis eine fehlerhafte Ermessensentscheidung der Behörde dar. Erlässt die Behörde doch einen solchen uni239

Lehnert, Die Korrektur von gemeinschaftswidrigen Beihilfen in Form von Steuervergünstigungen, S. 177; Grube, Der Einfluss des unionsrechtlichen Beihilfenverbots auf das deutsche Steuerrecht, S. 72. 240 Vgl. Rüsken, in: Klein (Hrsg.), AO, § 164 AO Rn. 44. 241 Cöster, in: Koenig (Hrsg.), AO, § 164 AO Rn. 62.

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onsrechtswidrigen Verwaltungsakt, muss dieser aufgehoben werden. Mit der Aufhebung des Änderungsbescheids wird auch die Aufhebung des Vorbehalts wieder beseitigt, sodass der ursprüngliche Vorbehalt wieder wirksam wird.242 b) Vorläufige Festsetzung, § 165 Abs. 1 S. 1, Abs. 2, § 172 Abs. 1 S. 1 AO Soweit ungewiss ist, ob die Voraussetzungen für die Entstehung einer Steuerschuld eingetreten sind, kann sie gemäß § 165 Abs. 1 S. 1 AO vorläufig festgesetzt werden. Solche vorläufigen Steuerbescheide können, ebenso wie Steuerbescheide, die unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehen, jederzeit bis zum Ende der Festsetzungsverjährung gemäß § 165 Abs. 2 bzw. § 164 Abs. 2 AO geändert werden. Vorläufige Steuerbescheide bleiben nur in bestimmten Punkten offen, in allen übrigen ist der Steuerbescheid nach Ablauf der Einspruchsfrist bestandskräftig. Grund und Umfang der Vorläufigkeit müssen von der zuständigen Behörde stets angegeben werden. Die Ungewissheit muss sich dabei auf Tatsachen beziehen. Unsicherheit in der steuerrechtlichen Beurteilung eines feststehenden Sachverhalts oder die Absicht, höchstrichterliche Rechtsprechung abzuwarten, rechtfertigen keine vorläufige Festsetzung nach § 165 Abs. 1 S 1 AO.243 Unsicherheiten in der Beurteilung außersteuerlicher Rechtsfragen lassen einen Vorbehalt jedoch zu.244 Durch die vorläufige Festsetzung ist es der Finanzverwaltung somit möglich, die Steuerlast eines Unternehmens unter Berücksichtigung der fraglichen Beihilfe vorläufig festzusetzen, um dann den Kommissionsbeschluss abzuwarten. Das schwebende Verfahren stellt dabei einen berechtigten Grund für die Vorläufigkeit dar.245 Fällt die Kommission dann einen Negativbeschluss, kann die zuständige Finanzbehörde die entsprechende Steuerfestsetzung nach § 165 Abs. 2 AO abändern. § 165 AO kann allerdings nur auf vom Mitgliedstaat angemeldete, steuerliche Beihilfen Anwendung finden, denn nur hier kann die zuständige Finanzbehörde den Steuerbescheid unter Hinweis auf das schwebende Verfahren vorläufig erlassen. Für bereits gewährte Vergünstigungen und nicht angemeldete Beihilfen findet die Norm keine Anwendung. 3. Bestandskräftige Steuerbescheide Mit Ablauf der einmonatigen Rechtsbehelfsfrist wird der Steuerbescheid bestandskräftig, § 355 AO. Der Verwaltungsakt wird damit erstens unanfechtbar 242 BFH v. 17. 02. 1982 – II R 176/80 –, BFHE 135, 234 (236), BStBl. II 1982, 524 (525). Siehe auch: Rüsken, in: Klein (Hrsg.), AO, § 164 Rn. 37 ff. 243 BFH, Urteil v. 25. 04. 1985 – IV R 64/83 –, BFHE 143, 500 (501), BStBl. II 1985, 648 (649). Eine Ausnahme gilt insoweit für Musterverfahren zur Vereinbarkeit einer Steuernorm mit höherrangigem Recht. Vgl. Rüsken, in: Klein (Hrsg.), AO, § 165 AO, Rn. 23 ff. 244 Vgl. BFH, Beschluss v. 13. 01. 2000 – III B 65/99 –, BFH/NV 2000, 855. 245 Lehnert, Die Korrektur von gemeinschaftswidrigen Beihilfen in Form von Steuervergünstigungen, S. 176.

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(formelle Bestandskraft) und zweitens inhaltlich verbindlich (materielle Bestandskraft). Die zuständige Behörde darf nun nicht mehr ohne Weiteres, sondern nur bei Vorliegen einer entsprechenden Rechtsgrundlage den Inhalt abändern (sog. Abweichungsverbot). Die Abgabenordnung enthält keine explizite Rechtsgrundlage für die Korrektur bestandskräftiger unionsrechtswidriger Steuerbescheide. Auch fehlt es für Steuerbescheide an einer § 48 VwVfG entsprechenden Generalklausel. Die bestehenden Rechtsgrundlagen müssen daher einzeln auf ihre Anwendbarkeit überprüft werden. a) Schlichte Änderung, § 172 Abs. 1 S. 1 Nr. 2a AO Auf Antrag des Steuerpflichtigen kann ein Steuerbescheid zu dessen Gunsten oder Ungunsten abgeändert werden. Aus offensichtlichen Gründen wird bei bereits gewährten Beihilfen von dieser Möglichkeit in der Praxis wohl kaum Gebrauch gemacht. Ein begünstigtes Unternehmen wird nach einem Negativbeschluss der Kommission kein Interesse daran haben, der nationalen Finanzbehörde bei der Nachforderung der Steuern zu helfen.246 Ohne dessen Antrag ist eine schlichte Änderung nach § 172 Abs. 1 S. 1 Nr. 2a AO aber nicht möglich. Aus einem widersprüchlichen Verhalten des Beihilfeempfängers kann ebenso wenig eine Antragsund Zustimmungspflicht des Empfängers hergeleitet werden wie aus dem Grundsatz von Treu und Glauben.247 Denkbar, wenn auch zugegebenermaßen unwahrscheinlich, ist der umgekehrte Fall: In diesem hat die zuständige Finanzbehörde die Steuerlast des Unternehmens unter Ausschluss der Beihilfe festgesetzt, um zunächst den Kommissionsbeschluss abzuwarten. Kommt die Kommission dann zum Ergebnis, dass keine Beihilfe oder eine mit dem Binnenmarkt vereinbare Beihilfe vorliegt, kann die Behörde auf Antrag des Unternehmens den Steuerbescheid nachträglich zu dessen Gunsten abändern. b) Änderung wegen neuer Tatsachen, § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO Gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO sind Steuerbescheide aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen. Bei einem negativen Kommissionsbeschluss müsste es sich demnach um eine neue Tatsache im Sinne von § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO handeln. Nach ständiger Rechtsprechung sind Tatsachen Lebensvorgänge, die insgesamt oder teilweise einen gesetzlichen Steuertatbestand oder ein einzelnes Merkmal des Tatbestands erfüllen.248 Davon abzugrenzen sind bloße Schlussfolgerungen, die die 246

Grube, Der Einfluss des unionsrechtlichen Beihilfenverbots auf das deutsche Steuerrecht, S. 72. 247 Geisenberger, Der Einfluss des Europarechts auf steuerliches Verfahrensrecht, S. 107. 248 Vgl. ständige BFH-Rechtsprechung: BFH, Urteil v. 13. 05. 2004 – IV R 11/02 –, BFH/ NV 2004, 1400 – 1401; BFH, Urteil v. 11. 06. 1997 – X R 242/93 –, BFHE 183, 427 (428, 429),

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steuerrechtliche Würdigung des Sachverhalts betreffen.249 Eine unangreifbare höchstrichterliche Rechtsprechung stellt keine Tatsache im Sinne der Norm dar.250 Diese Rechtsprechung überzeugt vor dem Hintergrund, dass es sich bei Urteilen weniger um tatsächliche Lebensvorgänge, sondern mehr um Fragen der rechtlichen Würdigung handelt. Auch im Schrifttum wird daher in Teilen, meiner Ansicht nach berechtigterweise, davon ausgegangen, dass es sich auch bei Beschlüssen der Kommission oder Urteilen der Gerichte der Europäischen Union nicht um Tatsachen im Sinne von § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO handelt.251 Jedoch fallen auch die für eine steuerrechtliche Vorschrift vorgreiflichen Rechtsverhältnisse aus einem anderen Rechtsgebiet sowie ein Rechtsstreit darüber unter den Tatsachenbegriff.252 Teilweise wird daher angenommen, bei einem Negativbeschluss handele es sich um eine Tatsache i. S. v. § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO.253 Selbst wenn man jedoch annimmt, dass es sich bei einem Beschluss bzw. um ein ablehnendes Urteil der europäischen Gerichte um eine Tatsache im Sinne von § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO handelt, so liegt jedenfalls keine „neue“ Tatsache vor. Eine solche ist nämlich nur gegeben, wenn sie ursprünglich zwar vorhanden war, aber erst später bekannt wurde. Einen Kommissionsbeschluss, ebenso wie ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs, war aber bei Festsetzung der Steuer und damit bei Gewährung der Beihilfe nicht vorhanden, sondern erging erst im Nachhinein. Dazu kommt, dass ein Negativbeschluss der Kommission keinerlei konstitutive Wirkung entfaltet. Er ist vielmehr lediglich deklaratorischer Natur. Eine Beihilfe verstößt nicht aufgrund des Beschlusses der Kommission gegen das Beihilfeverbot und sein Durchführungsverbot. Sie verstößt gegen den Tatbestand des Art. 107 Abs. 1 AEUV und ist deswegen rechtswidrig. Die Kommission stellt lediglich fest, dass ein Verstoß vorliegt. Eine Anwendung von § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO muss meiner Ansicht nach daher ausscheiden.254 c) Korrektur gemäß § 175 Abs. 1 AO Denkbar erscheint auch eine Aufhebung des Bescheids gemäß § 175 Abs. 1 AO.

BStBl. II 1997, 612 (613); BFH, Urteil v. 19. 02. 2013 – IX R 24/12 –, BFHE 240, 265 (268), Rn. 9, BStBl. II 2013, 484 (485). 249 Seer, in: Tipke/Lang (Hrsg.), Steuerrecht, § 21 Rn. 409. 250 Vgl. etwa BFH v. 12. 05. 2009 – IX R 45/08 –, BFHE 225, 299 (301) und BFH v. 21. 03. 1996 – XI R 36/95 –, BFHE 179, 563 (567), BStBl. II 1996, 399 (401). 251 Krumm, in: Lang (Hrsg.), Europäisches Steuerrecht, S. 594; Grube, Der Einfluss des unionsrechtlichen Beihilfenverbots auf das deutsche Steuerrecht, S. 74; Blumenberg/Kring, Das europäische Beihilferecht und Besteuerung, S. 32. 252 Vgl. Seer, in: Tipke/Lang (Hrsg.), Steuerrecht, § 21 Rn. 408. 253 Geisenberger, Der Einfluss des Europarechts auf steuerliches Verfahrensrecht, S. 131. 254 So auch: de Weeth, DB 2009, 2677 (2678); Geisenberger, Der Einfluss des Europarechts auf steuerliches Verfahrensrecht, S. 133.

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aa) § 175 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AO Der Negativbeschluss wird zum Teil als Grundlagenbescheid mit Bindungswirkung gemäß § 175 Abs. 1 Nr. 1 angesehen.255 Dadurch könnte der Steuerbescheid nach dem Beschluss der Kommission aufgehoben oder geändert werden. Eine solche Einordnung ist vom Sinn und Zweck eines Grundlagenbescheids gedeckt. Grundlagenbescheide dienen dazu, dass verbindliche Regelungen anderer Behörden von den Steuerbehörden beachtet werden müssen, um zu verhindern, dass in derselben Sache durch unterschiedliche Behörden widersprüchliche Entscheidungen getroffen werden. Grundlagen- und Folgebescheid stehen im Verhältnis der Akzessorietät zueinander.256 Die Kommission entscheidet in ihrem Beschluss für die Mitgliedstaaten und deren Steuerbehörden verbindlich, ob eine geplante Beihilfe mit dem Binnenmarkt vereinbar ist oder nicht. Insoweit besteht eine vergleichbare Sach- und Interessenlage. Bei unionsrechtskonformer Auslegung lässt sich die Europäische Kommission als Behörde i. S. d. § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO einordnen. Ein Beschluss der Kommission entspricht dabei aufgrund seines konkret-individuellen Charakters einem Verwaltungsakt. Die Einordnung des Kommissionsbeschlusses als Grundlagenbescheid ist folgerichtig möglich.257 Eine Rückforderung gemäß § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO ist aber nur dann möglich, wenn die Kommission überhaupt einen Beschluss über die Maßnahme getroffen hat. Rügt z. B. ein Mitgliedstaat mittels einer Konkurrentenklage einen Verstoß gegen das Durchführungsverbot des Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV und kommt das Gericht zur Auffassung, dass ein Verstoß gegeben ist, so liegt ein Verstoß auch ohne einen Beschluss der Kommission vor. bb) § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO Ein Negativbeschluss könnte auch als rückwirkendes Ereignis im Sinne von § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO anzusehen sein. Die Norm erlaubt die Abänderung von Bescheiden, deren Sachverhalt zwar ursprünglich korrekt ermittelt wurde, sich aber aufgrund eines später eingetretenen, rechtserheblichen Ereignisses rückwirkend verändert. Das Ereignis muss aber nach Erlass des Bescheids eingetreten sein, um von der Norm

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Härtwig, ISR 2019, 17 (22); Geisenberger, Der Einfluss des Europarechts auf steuerliches Verfahrensrecht, S. 135 ff.; Lehnert, Die Korrektur von gemeinschaftswidrigen Beihilfen in Form von Steuervergünstigungen, S. 195 256 Seer, in: Tipke/Lang (Hrsg.), Steuerrecht, § 21 Rn. 432. 257 Zustimmend: Härtwig, ISR 2019, 17 (22); Geisenberger, Der Einfluss des Europarechts auf steuerliches Verfahrensrecht, S. 152; Lehnert, Die Korrektur von gemeinschaftswidrigen Beihilfen in Form von Steuervergünstigungen, S. 212. Ablehnend: Krumm, in: Lang (Hrsg.), Europäisches Steuerrecht, S. 595; Blumenberg/Kring, Das europäische Beihilferecht und Besteuerung, S. 32; Jochum, Die Steuervergünstigung, S. 440; Grube, Der Einfluss des unionsrechtlichen Beihilfenverbots auf das deutsche Steuerrecht, S. 74.

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erfasst zu werden.258 Der Begriff des Ereignisses umfasst dabei aber nur sachverhaltsändernde Vorgänge, insbesondere Tatsachen.259 Jedoch stellen spätere Sachverhaltsbeurteilungen und damit auch höchstrichterliche Urteile nach herrschender Meinung gerade kein solches Ereignis dar.260 Es erscheint daher nur konsequent, auch Kommissionsbeschlüsse oder Urteile der Unionsgerichte als nicht von § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO erfasst anzusehen.261 Außerdem kommt es bei einem Negativbeschluss auch zu keiner Änderung des Sachverhalts. Ohne Anmeldung oder vor Genehmigung durch die Kommission ist die Durchführung einer Beihilfe gemäß Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV unionsrechtswidrig. Stellt die Kommission später die Unvereinbarkeit der Maßnahme mit dem Binnenmarkt fest, ändert sich Sach- und Rechtslage insoweit nicht. Eine Anwendung von § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO scheidet daher aus.262 d) Anwendung von § 130 AO Im Schrifttum wird zum Teil auch eine unmittelbare Anwendung von § 130 AO befürwortet.263 Andere sehen hingegen im Falle einer unionsrechtswidrigen Beihilfe keinen der in § 130 Abs. 2 AO aufgeführten Fälle als einschlägig an.264 Letzterer Ansicht kann jedoch nicht zugestimmt werden. Für Steuerbescheide, die unter Verstoß gegen das Durchführungsverbot des Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV erlassen wurden, ist eine Verletzung von § 130 Abs. 2 Nr. 4 AO denkbar. Danach kann ein begünstigender, rechtswidriger Verwaltungsakt zurückgenommen werden, wenn seine Rechtswidrigkeit dem Begünstigten bekannt oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht bekannt war. Die Vorschrift stimmt insoweit mit § 48 Abs. 2 S. 3 Nr. 3 VwVfG überein. Um einen Gleichlauf von Leistungs- und Verschonungssubventionen zu gewährleisten ist es notwendig, bei der Auslegung und Interpretation der Norm dieselben Maßstäbe anzulegen.265 Das Vertrauensschutzinteresse des Begünstigten 258 Lehnert, Die Korrektur von gemeinschaftswidrigen Beihilfen in Form von Steuervergünstigungen, S. 199. 259 Seer, in: Tipke/Lang (Hrsg.), Steuerrecht, § 21 Rn. 434. 260 BFH, Urteil v. 12. 05. 2009 – IX R 45/08 –, BFHE 225, 299 (301). Siehe auch: Lehnert, Die Korrektur von gemeinschaftswidrigen Beihilfen in Form von Steuervergünstigungen, S. 197 – 200; Seer, in: Tipke/Lang (Hrsg.), Steuerrecht, § 21 Rn. 434. 261 So auch: Krumm, in: Lang (Hrsg.), Europäisches Steuerrecht, S. 595; Grube, Der Einfluss des unionsrechtlichen Beihilfenverbots auf das deutsche Steuerrecht, S. 74; Blumenberg/Kring, Das europäische Beihilferecht und Besteuerung, S. 32. 262 Vgl. Jochum, Die Steuervergünstigung, S. 440; Jahndorf/Oellerich, DB 2008, 2559 (2563 ff.); Schacht/Steffens, BB 2008, 1254 (1257). 263 Jahndorf/Oellerich, DB 2008, 2559 (2559 ff.); Schacht/Steffens, BB 2008, 1254 (1257). Diese Ansicht als herrschend ansehend, sich selbst aber nicht festlegend: Krumm, in: Lang (Hrsg.), Europäisches Steuerrecht, S. 603 ff. 264 Grube, Der Einfluss des unionsrechtlichen Beihilfenverbots auf das deutsche Steuerrecht, S. 74; Blumenberg/Kring, Das europäische Beihilferecht und Besteuerung, S. 32. 265 So auch: Lehnert, Die Korrektur von gemeinschaftswidrigen Beihilfen in Form von Steuervergünstigungen, S. 162.

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muss in beiden Fällen grundsätzlich hinter das Rücknahmeinteresse zurücktreten. Schutzwürdiges Vertrauen wird grundsätzlich nur bei Einhaltung der Notifizierung begründet. Ein sorgfältiger Unternehmer hat die Pflicht, sich über die Einhaltung des Notifizierungsverfahrens zu informieren,266 sodass mit einem Notifizierungsverstoß grundsätzlich eine Sorgfaltswidrigkeit einhergeht. Zwar muss das Vorliegen grober Fahrlässigkeit anhand eines individuellen Maßstabs festgestellt werden,267 vor dem Hintergrund der seit langem bekannten, einschlägigen Rechtsprechung kann aber grundsätzlich von grober Fahrlässigkeit ausgegangen werden, wenn ein Unternehmer auf die Kontrolle der Einhaltung des Notifzierungsverfahrens verzichtet. Dabei gilt: Je größer das betroffene Unternehmen und die gewährte Vergünstigung sind, desto größer ist auch die Informationspflicht und damit die Wahrscheinlichkeit, dass grob fahrlässiges Handeln gegeben ist.268 Ein Unternehmen, das grob fahrlässig gegen seine Informationspflicht verstößt, fällt folglich grundsätzlich unter § 130 Abs. 2 Nr. 4 AO. Obwohl die Voraussetzungen zu passen scheinen, könnte die Anwendbarkeit der Norm als solches aufgrund systematischer Überlegungen ausgeschlossen sein, denn § 130 AO gilt gemäß § 172 Abs. 1 Nr. 2d AO gerade nicht für Steuerbescheide, sondern folgerichtig nur für Verwaltungsakte ohne Steuerfestsetzung.269 Die Abgabenordnung ist durch einen Dualismus der Korrektursysteme geprägt. Für Steuerbescheide gelten die §§ 172 bis 177 AO, für sonstige Steuerverwaltungsakte §§ 130, 131 AO.270 Eine unionsrechtswidrige Steuervergünstigung, die nicht durch Steuerbescheid gewährt wird, kann jedoch unstreitig nach § 130 AO aufgehoben werden. Neben der unmittelbaren wird daher auch eine analoge Anwendung angedacht.271 Für eine solche müssen aber eine vergleichbare Interessenlage und eine planwidrige Regelungslücke gegeben sein. Insbesondere das Vorliegen einer planwidrigen Regelungslücke erscheint jedoch fraglich. Zunächst erscheint es rechtsdogmatisch äußerst fragwürdig, ob und inwieweit eine durch § 172 Abs. 1 Nr. 2d AO vorgegebene Sperrwirkung mittels einer Analogie überwunden werden kann. Außerdem besteht die Rechtsprechung des Gerichtshofs zur Rückforderung von Beihilfen im Generellen, insbesondere zur Rückforderung von steuerlichen Beihilfen und zur Aufhebung von Steuerbescheiden bereits seit Jahren. Der deutsche Steuergesetzgeber hatte ausreichend Gelegenheit eine unionsrechtsspezifische Berichtigungs266 Zur Abwägung zwischen Rücknahmeinteresse und Vertrauensschutz vgl. BVerwG, Urteil v. 17. 02. 1993 – 11 C 47/92 –, BVerwGE 92, 81 (86). Vgl. auch: de Weerth, DB 2009, 2677 (2679). 267 So auch: Lehnert, Die Korrektur von gemeinschaftswidrigen Beihilfen in Form von Steuervergünstigungen, S. 145. 268 Lehnert, Die Korrektur von gemeinschaftswidrigen Beihilfen in Form von Steuervergünstigungen, S. 162. 269 Grube, Der Einfluss des unionsrechtlichen Beihilfenverbots auf das deutsche Steuerrecht, S. 75. 270 Geisenberger, Der Einfluss des Europarechts auf steuerliches Verfahrensrecht, S. 39. 271 Schacht/Steffens, BB 2008, 1254 (1256); Jahndorf/Oellerich, DB 2008, 2559 (2563); Delbrück/Hamach, IStR 2007, 627 (628).

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Kap. 2: Die Beihilfekontrolle

vorschrift zu installieren. Die Planwidrigkeit kann daher nicht als gegeben angesehen werden. Eine analoge Anwendung ist daher meiner Ansicht nach ausgeschlossen.272 Einer Analogie bedarf es jedoch auch nicht, da die Anwendung von § 172 Abs. 1 Nr. 2d AO auf unionsrechtswidrige Steuerbescheide fraglich erscheint. Zwar ist die nähere Ausgestaltung der Rücknahmevorschriften der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten überlassen, dies bedeutet jedoch nicht, dass sie dabei vollkommen frei sind. Vielmehr müssen sie sich auch hier an die grundlegenden Vorgaben des Unionsrechts halten. Die Verwirklichung des europäischen Beihilferechts darf durch das nationale Verwaltungsrecht nicht praktisch vereitelt oder übermäßig erschwert werden. Dem sich aus dem Unionsrecht ergebenden materiell-rechtlichen Anspruch muss Geltung verschafft werden; er darf nicht durch nationale Sperrregelungen vereitelt werden. An diesen Vorgaben müssen sich auch die Vorschriften zur Bestandskraft, Korrektur und Aufhebung von Steuerbescheiden messen lassen. Eine Bestandskraftdurchbrechung wäre nach deutschem Recht gemäß § 130 Abs. 1 AO möglich, wird aber durch § 172 Abs. 1 Nr. 2d AO verhindert. Dadurch wird die praktische Wirksamkeit des Unionsrechts eingeschränkt. In der Norm ist folgerichtig ein Verstoß gegen den unionsrechtlichen Effektivitätsgrundsatz zu sehen. § 172 Abs. 1 Nr. 2d AO muss daher in Fällen mit unionsrechtlichen Bezug unangewendet bleiben.273 Dem kann zwar entgegnet werden, dass durch eine so weitreichende Auslegung die Sperrwirkung des § 172 Abs. 1 Nr. 2d AO gegenstandslos wird. Diese – auf den ersten Blick berechtigte – Kritik greift jedoch nicht zur Gänze durch. Bei der Durchsetzung unionsrechtlicher gebotener Entscheidungen kann entgegenstehendes nationales Recht unangewendet bleiben.274 Die traditionellen Grenzen der Normauslegung und Interpretation, wie die Wortlautgrenze, gelten bei unionsrechtlichen Sachverhalten nicht oder nur eingeschränkt.275 § 130 AO kann daher auf unionsrechtswidrige Steuerbescheide unmittelbar angewendet werden. Um bei der Anwendung von § 130 AO dem Anwendungsvorrang des Unionsrechts zur Gänze gerecht zu werden und ein Gleichlauf zwischen Leistungs- und Verschonungssubventionen sicherzustellen, muss ein Verstoß gegen die Obliegenheit des Unternehmens, sich über die Einhaltung des Notifizierungsverfahrens zu informieren, einheitlich als grobe Fahrlässigkeit interpretiert werden.276 272

So auch: Blumenberg/Kring, Das europäische Beihilferecht und Besteuerung, S. 32. Für eine unionsrechtskonforme Auslegung des § 172 Abs. 1 S. 1 AO plädierend: Hahn, DStZ 2002, 632 (639). Eine unionsrechtskonforme Auslegung des Begriffs Steuerbescheid in § 155 Abs. 1 AO andenkend, eine Anwendung von § 130 AO im Ergebnis aber ablehnend: Geisenberger, Der Einfluss des Europarechts auf steuerliches Verfahrensrecht, S. 98 und S. 107. 274 Siehe auch: BVerfG, Beschluss v. 17. 02. 2000 – 2 BvR 1210/98 –, IStR 2000, 253 (254); BFH, Urteil v. 30. 01. 2009 – VII B 180/08 und VII B 181/08 –, BFHE 224, 372 (378). 275 Vgl. BGH, Urteil v. 26. 11. 2008 – VIII ZR 200/05 –, BGHZ 179, 27 (34), Rn. 20 ff. 276 Vgl. zur Pflicht des Beihilfenehmers: EuGH, Urteil v. 20. 03. 1997, Rs. C-24/95, ECLI: EU:C:1997:163, Rn. 25 – Land Rheinland Pflaz/Alcan Deutschland. EuGH, Urteil v. 14. 01. 1997, Rs. C-169/95, ECLI:EU:C:1997:10, Rn. 51 – Spanien/Kommission; BVerwG, Urteil 273

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4. Zusammenfassende Stellungnahme Für die Aufhebung der Vergünstigung nach deutschem Recht ist die Unterscheidung der Gewährungsart sowie die Frage der Bestandskraft essenziell. Während der Einspruchsfrist können Steuerbescheide ohne weitere Voraussetzungen aufgehoben oder geändert werden. Danach ist eine Korrektur nur noch mit entsprechender Ermächtigungsgrundlage möglich. Dabei fällt es schwer, einen Beschluss der Europäischen Kommission bzw. ein entsprechendes Urteil der europäischen Gerichte unter die Korrekturvorschriften der Abgabenordnung zu subsumieren. Diese Schwierigkeiten führen im Schrifttum zu lauten Forderungen, de lege ferenda einen neuen unionsrechtlichen Korrekturtatbestand zu schaffen, da bisher eine Aufhebung bestandskräftiger unionsrechtswidriger Steuerbescheide mangels Rechtsgrundlage schlicht unmöglich ist.277 So ging auch der Bundesfinanzhof in der Vergangenheit davon aus, dass, auch unter Berücksichtigung von Art. 4 Abs. 3 EUV, eine Rückforderung nicht erfolgen kann, sofern das mitgliedstaatliche Recht hierfür keine explizite Norm bereithalte.278 Diese Auffassung überzeugt jedoch nicht. Zwar wäre es durchaus wünschenswert, dass der deutsche Gesetzgeber bei der Aufhebung unionsrechtswidriger Steuerbescheide nachbessert, der bloße Ruf nach gesetzgeberischer Tätigkeit greift aber zu kurz. Auch ohne eine explizite Befugnisnorm muss eine Rückforderung in europarechtlichen Sachverhalten möglich sein; andernfalls läge es letztlich in der Hand des mitgliedstaatlichen Gesetzgebers, ob und inwieweit er dem Unionsrecht zur Geltung verhilft. Mittels unionsrechtskonformer Auslegung lassen sich auch nach der bestehenden Rechtslage bereits Lösungen finden, die der Bedeutung und Tragweite des europäischen Beihilferechts gerecht werden. Eine Aufhebung des Steuerbescheids ist dabei sowohl über eine unionsrechtskonforme Auslegung von § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO als auch von § 130 AO denkbar. Die zu präferierende Lösung für die Aufhebung von Steuerbescheiden in Deutschland ist meiner Ansicht nach eine unmittelbare unionsrechtsfreundliche und konforme Anwendung von § 130 AO. § 172 Abs. 1 S. 1 Nr. 2d AO findet dabei wegen des Vorrangs des Unionsrechts auf europarechtliche Sachverhalte keine Anwendung. Eine Aufhebung nach § 130 Abs. 1 AO führt zwar lediglich zu einer Ermessensentscheidung der zuständigen Finanzbehörde, im Falle einer beihilfewidrigen Steuerfestsetzung dürften jedoch aufgrund des unionsrechtlichen Effektivitätsgrundsatzes regelmäßig die Voraussetzungen für eine Ermessensreduktion auf Null gegeben sein, sodass die Finanzbehörde den Bescheid letztlich aufheben muss.279 Diese Lösung bringt den Vorteil eines weitestgehenden Gleichlaufs zwischen der v. 17. 02. 1993 – 11 C 47/92 –, BVerwGE 92, 81 (84 ff.); BVerfG, Beschluss v. 17. 02. 2000 – 2 BvR 1210/98 –, IStR 2000, 253 (254). 277 Siehe: Geisenberger, Der Einfluss des Europarechts auf steuerliches Verfahrensrecht, S. 168 unter Verweis auf Remlinger, Die Einwirkung des Gemeinschaftsrechts auf die Rückabwicklung rechtswidriger Beihilfeverhältnisse, S. 206. 278 BFH, Urteil v. 23. 11. 2006 – V R 67/05 –, BFHE 216, 357 (363), BStBl. II 2007, 436 (439). 279 Vgl. Jahndorf/Oellerich, DB 2008, 2559 (2565).

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Korrektur von Steuersubventionen durch § 130 AO und der Korrektur von Gewährungsbescheiden bei Leistungssubventionen über § 48 VwVfG mit sich. Sie ist daher auch vor diesem Hintergrund vorzugswürdig. Nichtsdestoweniger wäre eine Anpassung des nationalen Steuerverwaltungsrechts hinsichtlich unionsrechtswidriger Steuerbescheide perspektivisch wünschenswert. Teile des Schrifttums würden einen solchen Anspruch lieber auf europäischer Ebene ansiedeln,280 während andere, auch aus politischen Praktikabilitätsgründen, eine nationale Lösung bevorzugen.281 Obwohl eine europäische Lösung den Vorteil der europaweiten Vereinheitlichung mit sich brächte, ist eine nationale Lösung zu bevorzugen. Die verwaltungsrechtliche Rückabwicklung bemisst sich nach den jeweiligen nationalen Rechtsvorschriften. Es erscheint daher sachgerechter, eine nationale Lösung anzustreben, die sich stimmig in die bisher bestehenden, nationalen Systematiken einordnet. Auch erscheint es unnötig und systemwidrig, verwaltungsrechtliche Kompetenzen vom nationalen Gesetzgeber an die Union abzugeben.

III. Fazit Aus der bestehenden Rechtsprechung der europäischen Gerichte zeigt sich, dass bei der Rückabwicklung beihilfewidriger Bescheide und der dabei gebotenen Interessenabwägung dem unionsrechtlichen Interesse an der Rückforderung regelmäßig Vorzug vor den Interessen des Beihilfeempfängers eingeräumt wird. Nur in atypisch gelagerten Sonderfällen erscheint es möglich, dass von der Rückforderung abgesehen wird.282 Die Verwirklichung des europäischen Beihilferechts darf dabei durch das nationale Verwaltungsrecht nicht praktisch vereitelt oder übermäßig erschwert werden. An diesen Vorgaben müssen sich auch die nationalen Vorschriften zur Bestandskraft, Korrektur und Aufhebung von Steuerbescheiden messen lassen. Bei der Rücknahme von Abgabenbescheiden lässt sich in der bisherigen Rechtsprechung der europäischen Gerichte kein klares dogmatisches Gesamtsystem erkennen oder stringente Leitlinien ableiten,283 auffallend ist hier insbesondere der erhebliche Unterschied zwischen der strengen Rechtsprechung des Gerichtshofs zur Aufhebung von begünstigenden Leistungsbescheiden und der uneinheitlichen 280 So etwa: Blumenberg/Kring, Das europäische Beihilferecht und Besteuerung, S. 32 unter Verweis auf Remlinger, Die Einwirkung des Gemeinschaftsrechts auf die Rückabwicklung rechtswidriger Beihilfeverhältnisse, S. 206. 281 So etwa: Geisenberger, Der Einfluss des Europarechts auf steuerliches Verfahrensrecht, S. 168. 282 Vgl. Grube, Der Einfluss des unionsrechtlichen Beihilfenverbots auf das deutsche Steuerrecht, S. 79; Soltész/Kühlmann, EWS 2001, 513 (513). 283 Jahndorf/Oellerich, DB 2008, 2559 (2560). Zur Bestandskraft von deutschen Steuerbescheiden bei der Durchsetzung von Unionsrecht siehe grundlegend: de Weerth, DB 2009, 2677 – 2681.

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Rechtsprechung bezüglich der Rücknahme belastender Abgabenbescheide. Es lässt sich hier zunächst nur grundsätzlich feststellen, dass die nationalen Regelungen zur Bestandskraft von Abgabenbescheiden bei Verstößen gegen das Unionsrecht nicht zwingend durchbrochen werden müssen, dass eine Aufhebung aber möglich sein muss und das unionsrechtliche Effektivitätsgebot eine solche Aufhebung erfordern kann.284 Für beihilfewidrige Steuerbescheide muss außerdem ein Vergleich zur Rückabwicklung von Leistungssubventionen gezogen werden. Vor dem Hintergrund des wirkungsorientierten Beihilfenverständnisses des Europäischen Gerichtshofes erscheint es naheliegend und auch geboten, für steuerliche Begünstigungen von einer Anwendung seiner strengen Rechtsprechung hinsichtlich der Rücknahme begünstigender Leistungssubventionen auszugehen. Andernfalls könnte der betreffende Mitgliedstaat die Wirksamkeit der unionsrechtlichen Beihilfekontrolle mittels gezielter Auswahl seines Handlungsinstrumentes einschränken. Bei Verstößen gegen die europarechtlichen Beihilfevorschriften ist damit in der Regel von einer zwingenden Aufhebung und Rückabwicklung auszugehen, unabhängig von Leistungsoder Verschonungssubvention und unabhängig von der genauen Form der Gewährung.

D. Rechtsschutz Angesichts der Vielzahl der beteiligten Parteien und der – vor allem für die begünstigten Unternehmen und deren Konkurrenten – immensen wirtschaftlichen Bedeutung ist der Rechtsschutz im europäischen Beihilfeverfahren von besonderer Relevanz. Im Folgenden sollen die bestehenden Rechtsschutzmöglichkeiten für die an einem Beihilfeverfahren Beteiligten näher beleuchtet werden.

I. Aufgabenverteilung zwischen Kommission und Gerichten Ebenso wie im Europäischen Kartellrecht muss auch im Beihilferecht grundsätzlich zwischen dem Rechtsschutz vor den europäischen Gerichten und dem vor den nationalen Gerichten unterschieden werden.285 Allein die Kommission ist dazu befugt, das Vorliegen einer Beihilfe und deren Vereinbarkeit mit dem Binnenmarkt zu beurteilen, und nur die Unionsgerichte haben die Kompetenz, deren Beschluss zu überprüfen. Das Unionsrecht sieht dabei einen Numerus clausus an Rechtsbehelfen

284 Vgl. EuGH, Urteil v. 13. 01. 2004, Rs. C-453/00, ECLI:EU:C:2004:17, Rn. 28 – Kühne & Heitz; EuGH, Urteil v. 12. 02. 2008, Rs. C-2/06, ECLI:EU:C:2008:78, Rn. 19 – Kempter. Siehe auch; Jahndorf/Oellerich, DB 2008, 2559 (2561). 285 Hakenberg/Tremmel, EWS 1997, 217 (220). Zur Rolle des EuGHs als Teil der Finanzgerichtsbarkeit vgl. Dobratz, IWB 2015, 634 – 641.

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vor, die an enge Zulässigkeitsvoraussetzungen gebunden sind.286 Da die Umsetzung eines Kommissionsbeschlusses aber nach nationalem Verfahrensrecht erfolgt, eröffnen sich den beteiligten Parteien auch Rechtsschutzmöglichkeiten vor den nationalen Gerichten. Auch der Europäische Gerichtshof hat wiederholt festgestellt, dass sowohl die Kommission und die Unionsgerichte als auch die einzelstaatlichen Gerichte bei der Durchsetzung des Beihilferechts eine wesentliche Rolle spielen, sie aber unterschiedliche, sich ergänzende Aufgaben haben.287 Die Aufgabe der Kommission besteht darin, anhand der Kriterien von Art. 107 Abs. 1 AEUV die Vereinbarkeit der geplanten Beihilfemaßnahmen mit dem Binnenmarkt zu überprüfen. Diese Kontrolle fällt in die alleinige Zuständigkeit der Kommission und unterliegt der Überprüfung durch die Unionsgerichte. Einzelstaatliche Gerichte werden hingegen angerufen, wenn eine nationale Behörde eine Beihilfe unter Missachtung des Durchführungsverbots gewährt hat oder es um die Durchsetzung von Rückforderungsbeschlüssen nach Artikel 14 Abs. 1 VerfVO geht.288 Die Kommission geht davon aus, dass die nationalen Gerichte dabei insbesondere für folgende Verfahren zuständig sind:289 - Verhinderung der Auszahlung rechtswidriger Beihilfen - Einstweilige Maßnahmen gegen rechtswidrige Beihilfen - Rückforderung rechtswidriger Beihilfen - Verfahren bezüglich der Zahlung sog. Rechtswidrigkeitszinsen - Schadensersatzverfahren der Mitbewerber oder anderer Dritter Diese komplementäre Aufgabenverteilung zwischen nationalen Gerichten und Kommission in Verbindung mit der unmittelbaren Wirkung des Durchführungsverbots führt dazu, dass die nationalen Gerichte bis zu einem endgültigen Beschluss die Rechte der Wettbewerber schützen.290 Der Schutz individueller Rechte vor Beeinträchtigungen durch rechtswidrige Beihilfen stellt folglich die zentrale Aufgabe der nationalen Gerichte dar.291 Dieses Nebeneinander der Gerichtsbarkeiten führt 286 Die Art. 251 ff. AEUV enthalten die wesentlichen primärrechtlichen Rechtsgrundlagen der Klagearten. Vgl. Soltész, in: Müller-Graff (Hrsg.), Europäisches Wirtschaftsordnungsrecht, § 15 Rn. 6 ff. 287 EuGH, Urteil v. 11. 07. 1996, Rs. C-39/94, ECLI:EU:C:1996:285, Rn. 41 – SFEI u. a.; EuGH, Urteil v. 21. 10. 2003, Rs. C-261/01 und C-262/01, ECLI:EU:C:2003:571, Rn. 74 – Van Calster und Cleeren; EuGH, Urteil v. 05. 10. 2006, Rs. C-368/04, ECLI:EU:C:2006:644, Rn. 37 – Transalpine Ölleitung in Österreich; EuGH, Urteil v. 05. 10. 2006, Rs. C-232/05, ECLI:EU:C:2006:651, Rn. 54 ff. – Kommission/Frankreich. 288 Bekanntmachung der Kommission über die Durchsetzung des Beihilfenrechts durch die einzelstaatlichen Gerichte, ABl. EG 2009 Nr. C 85/1, Rn. 19 bis 23. 289 Bekanntmachung der Kommission über die Durchsetzung des Beihilfenrechts durch die einzelstaatlichen Gerichte, ABl. EG 2009 Nr. C 85/1, Rn. 26 ff. 290 Soltész, EuZW 2001, 202 (204). 291 EuGH, Urteil v. 16. 12. 1992, Rs. C-144/91 und C-145/91, ECLI:EU:C:1992:518, Rn. 26 – Demoor u.a/Belgischer Staat. Vgl. auch: Lessenich, in: von der Groeben/Schwarze/

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dabei solange nicht zu Überschneidungen der Zuständigkeiten, wie sich jeder auf seine ihm zugewiesene Rolle beschränkt und die Kompetenzen des jeweils anderen respektiert. Ein Entscheidungskonflikt kann jedoch entstehen, wenn das nationale Gericht im Rahmen eines möglichen Verstoßes gegen Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV entscheiden muss, ob eine Beihilfe vorliegt, da nur so ein Verstoß gegen das Durchführungsverbot vorliegen kann, die Kommission dazu aber noch keinen Beschluss getroffen hat.292 In solchen Fällen kann das nationale Gericht selbst untersuchen, ob eine Beihilfe i. S. d. Art. 107 Abs. 1 AEUV vorliegt. Die Kommission ist dabei nachvollziehbarerweise nicht an die Feststellung des nationalen Gerichts gebunden. In Zweifelsfällen kann eine Kompetenzüberschreitung des nationalen Gerichts vermieden werden, indem es das Verfahren aussetzt und die Kommission um Erläuterungen bittet bzw. einen Beschluss der Kommission abwartet (Art. 23a Abs. 2 VerfVO).293

II. Rechtsschutzmöglichkeiten eines gewährenden Mitgliedstaates Dem betroffenen Mitgliedstaat steht es offen, gegen einen Negativbeschluss der Kommission beim Gericht der Europäischen Union (EuG)294 eine Nichtigkeitsklage gemäß Art. 263 Abs. 2 AEUV i. V. m. Art. 256 Abs. 1 AEUV einzureichen. Die Nichtigkeitsklage nimmt im System der Rechtsbehelfe vor den europäischen Gerichten eine zentrale Stellung ein. Der Mitgliedstaat ist dabei, unabhängig von einer unmittelbaren und individuellen Betroffenheit, klagebefugt (sog. privilegierter Kläger).295 Diese pauschale Klagebefugnis gilt zwar nur, sofern der Mitgliedstaat als Gesamtverbund klagt, aber auch ein Bundesland kann gemäß Art. 263 Abs. 6 AEUV klagebefugt sein, sofern der Beschluss der Kommission eine Beihilfe betrifft, die wenigstens teilweise aus den Mitteln des Bundeslandes finanziert wurde.296 Die Klage muss innerhalb von zwei Monaten nach Bekanntgabe der Mitteilung erhoben

Hatje (Hrsg.), Europäisches Unionsrecht, Art. 108 AEUV Rn. 145; Krumm, in: Lang (Hrsg.), Europäisches Steuerrecht, S. 567. 292 Vgl. Soltész, EuZW 2001, 202 (205). 293 z. B. OLG Schleswig-Holstein v. 20. 05. 2008 – 6 U 54/06 –, Rn. 43, zitiert nach juris. Vgl. auch: Lampert, EWS 2001, 357 (364). 294 Vor dem Vertrag von Lissabon Gericht Erster Instanz (GEI) genannt. 295 Vgl. Blumenberg/Kring, Das europäische Beihilferecht und Besteuerung, S. 32; Grube, Der Einfluss des unionsrechtlichen Beihilfenverbots auf das deutsche Steuerrecht, S. 97. 296 EuG, Urteil v. 15. 12. 1999, Rs. T-132/96 und 143/96, ECLI:EU:T:1999:326, Rn. 84 ff. – Freistaat Sachsen/Kommission; EuG, Urteil v. 30. 04. 1998, Rs. T-214/95, ECLI:EU:T:1998:77, Rn. 28 bis 30 – Vlaamse Gewest/Kommission; EuG, Urteil v. 04. 04. 2001, Rs. T-288/97, ECLI:EU:T:2001:115, Rn. 31 – Regione autonoma Friuli-Venezia Giulia/Kommission. Vgl. auch: Bieber/Epiney/Haag/Kotzur, Die Europäische Union, § 13 Rn. 27.

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werden. Gegen ein später gegebenenfalls abweisendes Urteil des Gerichts können die Mitgliedstaaten Revision beim Gerichtshof einlegen.

III. Rechtschutzmöglichkeiten eines begünstigten Unternehmens 1. Gegen den Kommissionsbeschluss a) Hauptsacheverfahren Gegen einen Negativbeschluss, gegen eine mit Auflagen oder Bedingungen versehenen Beschluss und gegen Rückforderungsbeschlüsse der Kommission kann sich ein (potenziell) begünstigtes Unternehmen innerhalb einer Frist von zwei Monaten durch eine Nichtigkeitsklage zur Wehr setzen, Art. 263 Abs. 4 AEUV. Anders als der betroffene Mitgliedstaat ist das Unternehmen dabei kein privilegierter Kläger nach Art. 263 Abs. 2 AEUV und damit nicht automatisch klagebefugt. Allerdings ist gemäß Art. 263 Abs. 4 AEUV jede natürliche oder juristische Person klagebefugt, sofern sich entweder die fragliche Handlung unmittelbar gegen sie richtet, die angegriffene Maßnahme Verordnungscharakter hat oder sie individuell betroffen ist. Beihilfebeschlüsse haben jedoch keinen Verordnungscharakter und ergehen nicht gegenüber dem betroffenen Unternehmen, sondern gegenüber dem jeweiligen Mitgliedstaat.297 Die Klagebefugnis ist damit nur bei unmittelbarer und individueller Betroffenheit gegeben. Unmittelbare Betroffenheit liegt nur vor, wenn der Kommissionsbeschluss unmittelbare Folgen für die Rechtslage des Klägers hat und der umsetzende Mitgliedstaat über kein Ermessen verfügt.298 Da die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung des Beschlusses keinerlei Ermessen haben299 und es durch die Rückforderung in der Regel zu erheblichen Auswirkungen auf die Rechtslage kommt, ist die unmittelbare Betroffenheit für (potenziell) begünstigte Unternehmen gegen Kommissionsbeschlüsse regelmäßig unproblematisch gegeben.300 Schwieriger zu beurteilen ist die individuelle Betroffenheit. Diese richtet sich nach der sog. Plaumann-Formel.301 Demzufolge können Kläger nur geltend machen, von einer Maßnahme betroffen zu sein, sofern sie der Beschluss „wegen bestimmter persönlicher Eigenschaften oder besonderer, sie aus dem Kreis aller übrigen Personen heraushebender Umstände berührt und sie dadurch in ähnlicher Weise individualisiert werden wie ein Adressat.302 Bei Beihilfen in Form einer Beihilfenregelung ist dies gewöhnlich der Fall, wenn das Unternehmen die Begünstigung schon erhalten 297

Blumenberg/Kring, Das europäische Beihilferecht und Besteuerung, S. 33. EuG, Urteil v. 20. 09. 2007, T-136/05, ECLI:EU:T:2007:295, Rn. 76 – Salvat père & fils u. a./Kommission. 299 Vgl. S. 53. 300 Vgl. Blumenberg/Kring, Das europäische Beihilferecht und Besteuerung, S. 36. 301 EuGH, Urteil v. 15. 07. 1963, Rs. 25/62, ECLI:EU:C:1963:17 – Plaumann/Kommission. 302 EuGH, Urteil v. 15. 07. 1963, Rs. 25/62, ECLI:EU:C:1963:17, Rn. 121 – Plaumann/ Kommission. 298

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hat und der Negativbeschluss der Kommission daher mit einem Rückforderungsbeschluss verbunden ist.303 Hier hebt sich das betroffene Unternehmen durch seine Eigenschaft als Schuldner der Rückforderung aus dem Kreis der Allgemeinheit in besonderer Weise hervor.304 Hat das klagende Unternehmen dagegen den Steuervorteil noch nicht erhalten, so ist regelmäßig keine unmittelbare und individuelle Betroffenheit gegeben, da die bloße Eigenschaft als betroffener Marktteilnehmer nicht ausreicht, das Unternehmen aus dem Kreis der Allgemeinheit herauszuheben.305 Die Klagebefugnis kann generell angenommen werden, wenn eine Beihilfe nicht in Form einer Beihilferegelung, sondern als Einzelbeihilfe (z. B. in Form eines Tax Rulings) gewährt wird, da das klagende Unternehmen hier unstreitig unmittelbar und individuell betroffen ist.306 Die Zuständigkeit für Klagen des Beihilfeempfängers gegen Kommissionsbeschlüsse liegt beim Gericht. Gegen das Urteil des Gerichts kann der Kläger Rechtsmittel beim Gerichtshof einlegen.307 b) Einstweiliger Rechtsschutz Die Nichtigkeitsklage des betroffenen Unternehmens hat gemäß Art. 278 S. 1 AEUV per se keine aufschiebende Wirkung, sodass die nationalen Behörden dazu verpflichtet sind, die Rückforderung ungeachtet des Rechtsmittels nach innerstaatlichem Recht umzusetzen (Art. 14 Abs. 3 S. 1 VerfVO). Das Unternehmen kann jedoch gemäß Art. 278 S. 2 AEUV im gerichtlichen Eilverfahren die Aussetzung des Kommissionsbeschlusses beantragen. Der Antragsteller muss dabei aber die besondere Dringlichkeit der Rechtssache beweisen. Er muss darlegen können, dass er eine Entscheidung in der Hauptsache nicht abwarten kann, da ihm dabei ein schwerer und irreparabler Schaden droht.308 Für den Nachweis eines schweren und irreparablen Schadens ist es nicht erforderlich, dass der Eintritt des Schadens mit absoluter Sicherheit erfolgt, es genügt vielmehr, dass dieser mit einem hinreichenden Grad an 303 EuGH, Urteil v. 19. 10. 2000, Rs. C-15/98 und C-105/99, ECLI:EU:C:2000:570, Rn. 34 – Italien und Sardegna Lines/Kommission; vgl. auch EuGH, Urteil v. 29. 04. 2004, Rs. C298/00 P, ECLI:EU:C:2004:420, Rn. 37 bis 39 – Italien/Kommission; EuG, Urteil v. 20. 09. 2007, T-136/05, ECLI:EU:T:2007:295, Rn. 68 bis 73 – Salvat père & fils u. a./Kommission. 304 Vgl. Krumm, in: Lang (Hrsg.), Europäisches Steuerrecht, S. 587 ff.; Blumenberg/Kring, Das europäische Beihilferecht und Besteuerung, S. 34; Grube, Der Einfluss des unionsrechtlichen Beihilfenverbots auf das deutsche Steuerrecht, S. 100. 305 Blumenberg/Kring, Das europäische Beihilferecht und Besteuerung, S. 36. 306 Vgl. EuGH, Urteil v. 17. 09. 1980, Rs. C-730/79, ECLI:EU:C:1980:209 – Phillip Morris/Kommission; Blumenberg/Kring, Das europäische Beihilferecht und Besteuerung, S. 37. 307 Rosenfeld, in: Schulte/Kloos (Hrsg.), Handbuch Öffentliches Wirtschaftsrecht, § 3 Rn. 118. 308 Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofes v. 06. 02. 1986, Rs. 310/85 R, ECLI:EU:C: 1986:58, Rn. 22 – Deufil/Kommission; Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofes v. 15. 06. 1987, Rs. 142/87 R, ECLI:EU:C:1987:281, Rn. 26 – Belgien/Kommission; Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofes v. 14. 12. 1999, Rs. C-335/99 P (R), ECLI:EU:C:1999:608, Rn. 67 – HFB u. a./Kommission.

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Wahrscheinlichkeit vorhersehbar ist.309 Ein solch schwerer und irreparabler Schaden ist etwa bei einer drohenden Insolvenz denkbar.310 Er muss außerdem darlegen, dass es auch die ihm nach nationalem Recht zustehenden Rechtsschutzmöglichkeiten nicht ermöglichen, den Schadenseintritt abzuwenden.311 Gelingt ihm ein solcher Nachweis, setzt das Gericht den Vollzug des Beschlusses bis zur Entscheidung über die Nichtigkeitsklage aus. 2. Gegen die Rückforderung von Beihilfen durch nationale Behörden Da der Vollzug des Kommissionsbeschlusses durch die nationalen Verwaltungsbehörden erfolgt, steht es dem betroffenen Unternehmen auch frei, sich gegen das Verwaltungshandeln der zuständigen Behörden zur Wehr zu setzen. Seine Rechtsschutzmöglichkeiten richten sich dabei nach dem einschlägigen nationalen Recht. In Deutschland kann sich der Begünstigte mit einer Anfechtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 VwGO oder einer einstweiligen Anordnung gemäß § 80 Abs. 5 VwGO verteidigen. Dabei ist jedoch zu beachten, dass die möglichen Einwendungen des Betroffenen begrenzt sind. Wie bereits dargelegt, darf das nationale Verwaltungsrecht die Bedeutung und Tragweite des Europarechts nicht unterminieren (Effektivitätsgrundsatz), sodass allgemeine nationale Rechtsgrundsätze wie Bestandsschutz, verfassungsrechtlicher Vertrauensschutz, der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit oder das Rückwirkungsverbot regelmäßig ebenso unbeachtlich sind wie nationale Verjährungsregelungen.312 Aus verfahrensrechtlicher Sicht ist außerdem die Verzahnung der nationalen Rechtsschutzverfahren zu beachten. Der Bundesfinanzhof hat in zwei Urteilen bezüglich des einstweiligen Rechtsschutzes gegen Rückforderungen angenommen, dass im Rahmen des summarischen Verfahrens grundsätzlich von einer richtigen Bewertung der Kommission hinsichtlich der Beihilfequalität ausgegangen werden kann, wenn sich die davon betroffenen Parteien nicht vor den europäischen Gerichten gegen den Beschluss der Kommission zur Wehr setzen.313 Betroffenen Unternehmen ist folgerichtig zu raten, vorsorglich gegen den Kommissionsbeschluss Nichtig309 Vgl. Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofes v. 14. 12. 1999, Rs. C-335/99 P (R), ECLI:EU:C:1999:608, Rn. 67 – HFB u. a./Kommission; Beschluss des Präsidenten des Gerichts Erster Instanz v. 03. 12. 2002, Rs. T-181/02 R, ECLI:EU:T:2002:294, Rn. 83 – Neue Erbra Lautex/Kommission. 310 Lumman, EuZW 2004, 457 (460). 311 Der nationale einstweilige Rechtsschutz geht dem europäischen also insoweit vor. Siehe dazu: Beschluss des Präsidenten des Gerichts v. 21. 06. 2011, Rs. T-209/11 R, ECLI:EU:T: 2011:297, Rn. 46 ff. – MB System/Kommission; Beschluss des Präsidenten des Gerichts Erster Instanz v. 03. 12. 2002, Rs. T-181/02 R, ECLI:EU:T:2002:294, Rn. 109 – Neue Erbra Lautex/ Kommission. 312 Siehe auch: Blumenberg/Kring, Das europäische Beihilferecht und Besteuerung, S. 38. 313 BFH, Beschlüsse v. 30. 01. 2009 – VII B 180/08 und VII B 181/08 –, BFHE 224, 372 (375).

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keitsklage (inklusive Stellung eines Antrags auf Aussetzung der Vollziehung des Beschlusses gemäß Art. 278 S. 2 AEUV) zu erheben.314 3. Schadensersatzanspruch gemäß Art. 340 Abs. 2 AEUV Dem Beihilfeempfänger steht es offen, gegen die Europäische Kommission eine Schadensersatzklage aufgrund eines rechtswidrigen Negativbeschlusses gemäß Art. 268, 340 Abs. 2 AEUV zu erheben. Aufgrund der hohen Anforderungen, die an das Vorliegen eines solchen Anspruchs gestellt werden, ist sein Anwendungsbereich aber sehr gering.315 4. Schadensersatzansprüche gegen den Mitgliedstaat Auf den ersten Blick erscheinen im Falle rechtswidrig gewährter Beihilfen auch Schadensersatzansprüche316 des Unternehmens gegen den Mitgliedstaat möglich.317 Unabhängig davon, ob ein solcher Anspruch auf einen nationalen oder unionsrechtlichen Staatshaftungsanspruch oder nationale, einfachgesetzliche Rechtsinstitute, z. B. culpa in contrahendo, gestützt wird, müssen letztlich alle Ansprüche, unabhängig von der Rechtsgrundlage, scheitern, da es andernfalls gerade zu einem Mittelzufluss zum Unternehmen in Höhe der rechtswidrigen Beihilfe käme. Im Ergebnis würde dann der wettbewerbswidrige Zustand über den Umweg nationaler Schadensersatzansprüche erreicht. Ein solches Ergebnis kann vor dem Hintergrund des Effektivitätsgrundsatzes, der praktischen Wirksamkeit des Unionsrechts und dem Sinn und Zweck der Beihilfevorschriften jedoch nicht hingenommen werden.318 Daher müssen alle entsprechenden nationalen Anspruchsgrundlagen gegebenenfalls unionsrechtskonform ausgelegt werden um die Durchsetzung des Beihilfeverbots nicht „durch die Hintertür“ wieder einzuschränken.319 314

Blumenberg/Kring, Das europäische Beihilferecht und Besteuerung, S. 38. Gemäß Art. 104 § 1 Verfahrensordnung des Gerichts ist die Zulässigkeit eines solchen Antrags aber davon abhängig, dass das Unternehmen beim EuG Klage gegen die betreffende Maßnahme (also die Entscheidung der Kommission) erhoben hat. Vgl. auch: Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs v. 18. 10. 2002, Rs. C-232/02 P (R), ECLI:EU:C:2002:601, Rn. 32 – Kommission/ Technische Glaswerke Ilmenau. 315 Vgl. dazu: EuGH, Urteil v. 14. 07. 1967, Rs. 5/66, ECLI:EU:C:1967:31 – Kampffmeyer/ Kommission. 316 In Deutschland etwa § 839 BGB i. V. m. Art. 34 GG. 317 Ausführlich dazu: Soltész/Kühlmann, EWS 2001, 513 – 517. Einen Notifizierungsanspruch andenkend: Reimer, in: Lang (Hrsg.), Europäisches Steuerrecht, S. 613. 318 Zu den dazu bestehenden Ansichten siehe: Soltész/Kühlmann, EWS 2001, 513 (515). 319 In Deutschland kann etwa das Vorliegen einer drittschützenden Norm im Rahmen eines Anspruchs nach § 839 BGB i. V. m. Art. 34 GG mit der Begründung verneint werden, dass Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV zwar grundsätzlich drittschützende Wirkung entfalten kann, jedoch gerade nicht das begünstigte Unternehmen, sondern nur dessen Konkurrenten schützt.

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Anders zu beurteilen ist der Fall, wenn nicht das begünstigte Unternehmen, sondern ein Dritter eine Schadensersatzklage gegen den Mitgliedstaat erhebt. Hier käme es durch den Schadensersatzanspruch gerade nicht zu einer Umgehung des Beihilferechts, da der Mittelzufluss beim Dritten und nicht beim begünstigten Unternehmen eintritt. So hat auch der Bundesgerichtshof den Schadensersatzanspruch eines sicherungsgebenden Gesellschafters wegen Verschuldens bei Vertragsschluss anerkannt, da es die gewährende Anstalt unterlassen hatte, den Sicherungsgeber auf eine eventuelle Unverträglichkeit der Maßnahme mit den europäischen Beihilfevorschriften und der damit verbundenen Rückforderung hinzuweisen.320 Bemerkenswert ist dabei, dass der Bundesgerichtshof zwar eine Erkundigungspflicht des Sicherungsgebers angenommen hat, diese in Anbetracht der Verursachungsbeiträge aber nicht als ausreichend angesehen hat, den Anspruch im Rahmen von § 254 Abs. 1 BGB zu kürzen, da einen Dritten im Gegensatz zum Beihilfeempfänger gerade keine Erkundigungsobliegenheit hinsichtlich der Notifizierung treffe.321

IV. Rechtsschutzmöglichkeiten eines konkurrierenden Wirtschaftsteilnehmers Zwar ging man ursprünglich davon aus, dass die primäre Aufgabe des Beihilferechts die Begrenzung des Begünstigungs- und Akquisewettbewerbs der einzelnen Mitgliedstaaten ist, allerdings wird in jüngerer Vergangenheit auch der Schutz des freien Wettbewerbs als Hauptziel der Beihilfekontrolle angesehen; denn, obwohl es beim europäischen Beihilferecht in erster Linie um das Verhältnis zwischen dem Mitgliedstaat und dem begünstigten Unternehmen geht, wird mittelbar (und mitunter trotzdem erheblich) auch in das Verhältnis der konkurrierenden Unternehmen untereinander eingegriffen.322 Gewährt ein Mitgliedstaat einem Unternehmen eine selektive Beihilfe, lässt sich nachvollziehen, dass auch andere Beteiligte, insbesondere die nicht berücksichtigten Wettbewerber, ein erhebliches Interesse daran haben, die gezielte Begünstigung des Mitwettbewerbs zu verhindern. Sie werden daher folgerichtig um Rechtsschutz bei den europäischen und nationalen Gerichten ersuchen.323 Solche Konkurrentenklagen sind mittlerweile sehr häufig geworden. Die Rechtsprechung dazu hat sich im Laufe der Zeit gewandelt und ist nicht frei von

320

BGH, Urteil v. 06. 11. 2008 – III ZR 279/07 –, BGHZ 178, 243 (251, Rn. 17 ff.). BGH, Urteil v. 06. 11. 2008 – III ZR 279/07 –, BGHZ 178, 243 (255, Rn. 28 ff.). 322 Buendia Sierra, EStAL 2015, 451 – 452. 323 Zum Schutz von Konkurrenten im europäischen Beihilferecht vgl. grundlegend: PastorMerchante, EStAL 2017, 527 – 538. Zum Rechtsschutz des Konkurrenten vor nationalen Gerichten siehe ausführlich: Soltész, EuZW 2001, 202 – 207; Lampert, EWS 2001, 357 – 364 und BGH, Urteil v. 04. 04. 2003 – V ZR 314/02 –, EuZW 2003, 444 (445). Vgl. hierzu auch die Bekanntmachung der Kommission über die Durchsetzung des Beihilferechts durch die einzelstaatlichen Gerichte, ABl. EG 2009 Nr. C 85/1. 321

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Widersprüchen.324 Im Folgenden sollen die bestehenden Grundkonstellationen hinsichtlich beihilferechtlicher Konkurrentenklagen dargestellt werden.325 1. Gegen den Kommissionsbeschluss a) Nichtigkeitsklage Der Beschluss der Kommission, dass eine mit dem Binnenmarkt vereinbarte Beihilfe bzw. gar keine Beihilfe vorliegt, kann nicht nur von einem anderen Mitgliedstaat, sondern auch von einem Wettbewerber mittels Nichtigkeitsklage gemäß Art. 263 Abs. 4 AEUVangefochten werden.326 Ein Konkurrent – ebenso wie auch der Beihilfeempfänger – kann einen Kommissionsbeschluss nur anfechten, wenn er unmittelbar und individuell betroffen ist. Die Klagebefugnis kann dabei jedenfalls dann angenommen werden, wenn er das Beihilfeverfahren durch eine eigene Beschwerde veranlasst hat, das Verfahren durch seine Stellungnahmen beeinflusst hat und durch die genehmigte Beihilfe in seiner Marktstellung spürbar beeinträchtigt ist.327 Die Klagebefugnis ist jedoch nicht auf diese Kriterien beschränkt, sie kann ggf. durch andere besondere Umstände belegt werden.328 Es hat sich jedoch gezeigt, dass die europäischen Gerichte bei der Beurteilung unmittelbarer und individueller Betroffenheit von Konkurrenzunternehmen hinsichtlich Kommissionsbeschlüssen äußerst restriktiv urteilen. Dabei muss zwischen einer Klage gegen den Beschluss selbst und einer Klage gegen verletzte Verfahrensrechte unterschieden werden. Ist der Klagegegenstand der Beschluss der Kommission über die Vereinbarkeit der Beihilfe mit dem Binnenmarkt, so muss der Antragsteller darlegen können, durch den Beschluss in einem berechtigten Interesse verletzt zu werden.329 Darüber hinaus muss er sich bereits zuvor im Aufsichtsverfahren aktiv beteiligt haben.330 Dagegen reicht der 324

Soltész, in: Müller-Graff (Hrsg.), Europäisches Wirtschaftsordnungsrecht, § 15 Rn. 123 ff. Zum Rechtsschutz „sonstiger Beteiligter“ siehe: Erlbacher, in: von der Groeben/ Schwarze/Hatje (Hrsg.), Europäisches Unionsrecht, Art. 108 AEUV Rn. 122. 326 Beispiel: EuGH, Urteil v. 02. 04. 1998, Rs. C-367/95 P, ECLI:EU:C:1998:154, Rn. 40 – Kommission/Sytraval; EuGH, Urteil v. 13. 12. 2005, Rs. C-78/03 P, ECLI:EU:C:2005:761, Rn. 36 – Kommission/Aktionsgemeinschaft Recht und Eigentum; siehe auch: EuGH, Urteil v. 20. 03. 1984, Rs. 84/82, ECLI:EU:C:1984:117 – Deutschland/Kommission; und Bieber/ Epiney/Haag/Kotzur, Die Europäische Union, § 13 Rn. 27. 327 EuG, Urteil v. 15. 09. 1998, Rs. T-11/95, ECLI:EU:T:1998:199, Rn. 72 – BP Chemicals/ Kommission; EuGH, Urteil v. 12. 07. 1990, Rs. C-169/84, ECLI:EU:C:1990:301, Rn. 24 und 25 – Cofaz/Kommission. 328 EuG, Urteil v. 27. 04. 1995, Rs. T-435/93, ECLI:EU:T:1995:97, Rn. 64 – ASPEC u. a./ Kommission; EuG, Urteil v. 05. 11. 1997, Rs. T-149/95, ECLI:EU:T:1997:165, Rn. 34 – Ducros/Kommission. 329 EuG, Urteil v. 18. 12. 1997, Rs. T-178/94, ECLI:EU:T:1997:210, Rn. 52 und 53 – ATM/ Kommission. 330 EuGH, Urteil v. 22. 11. 2007, Rs. C-525/04 P, ECLI:EU:C:2007:698, Rn. 6 – Spanien/ Lenzing; EuGH, Urteil v. 12. 07. 1990, Rs. C-169/84, ECLI:EU:C:1990:301, Rn. 25 – Cofaz/ Kommission; siehe auch: EuG, Urteil v. 01. 12. 2004, Rs. T-27/02, ECLI:EU:T:2004:348 – 325

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Kap. 2: Die Beihilfekontrolle

Nachweis über eine Beeinträchtigung seiner Wettbewerbsstellung aus, wenn der Konkurrent nur seine Verfahrensrechte einklagen will (z. B. das Recht zur Stellungnahme im förmlichen Prüfverfahren nach Art. 20 Abs. 1 VerfVO).331 Dies ist dann der Fall, wenn die Kommission einen Beschluss über die Vereinbarkeit der Maßnahme mit dem Binnenmarkt getroffen hat, ohne ein förmliches Prüfverfahren einzuleiten.332 In diesem Fall prüft das Gericht nicht die Begründetheit des Beschlusses, sondern nur, ob die Kommission berechtigterweise davon ausgehen konnte, dass keine Zweifel an der Vereinbarkeit mit dem Binnenmarkt oder an der fehlenden Beihilfequalität bestehen.333 b) Untätigkeitsklage Bleibt die Kommission gänzlich untätig, kann auch eine Untätigkeitsbeschwerde erhoben werden.334 Diese ist aber nach Art. 265 Abs. 2 AEUV nur zulässig, wenn die Kommission zuvor zum Handeln aufgefordert wurde.335 Darüber hinaus sind nur solche Klagen von Wettbewerbern zulässig, die vom Beschluss der Kommission unmittelbar und individuell betroffen gewesen wären.336 Diese Begrenzung der Klagebefugnis ist richtig, da es andernfalls im Falle der Untätigkeit der Kommission zu einer signifikanten Ausweitung der Klagebefugnis käme.

Kronofrance/Kommission; EuG, Urteil v. 14. 05. 2005, Rs. T-88/01, ECLI:EU:T:2005:128 – Sniace/Kommission. 331 EuGH, Urteil v. 19. 05. 1993, Rs. C-198/91, ECLI:EU:C:1993:197, Rn. 23 bis 26 – Cook/Kommission; EuGH, Urteil v. 15. 06. 1993, Rs. C-225/91, ECLI:EU:C:1993:239, Rn. 16 bis 19 – Matra/Kommission; EuGH, Urteil v. 13. 12. 2005, Rs. C-78/03 P, ECLI:EU: C:2005:761, Rn. 35 – Kommission/Aktionsgemeinschaft Recht und Eigentum; siehe auch: Lumma, EuZW 2004, 457 (459). 332 Lumma, EuZW 2004, 457 (459). 333 EuGH, Urteil v. 09. 07. 2009, Rs. C-319/07 P, ECLI:EU:C:2009:435, Rn. 35 – 3F/ Kommission; EuG, Urteil, v. 18. 11. 2009, Rs. T-375/04, ECLI:EU:T:2009:445, Rn. 69 – 87 – Scheucher-Fleisch/Kommission; EuGH, Urteil v. 09. 09. 2010, Rs. T-359/04, ECLI: EU:T:2010:366, Rn. 58 und 59 – British Aggregates u. a./Kommission; EuG, Urteil v. 01. 07. 2010, Rs. T-568/08 und T-573/08, ECLI:EU:T:2010:272, Rn. 60 bis 144 – M6 und TF1/Kommission; EuG, Urteil v. 07. 11. 2012, Rs. T-137/10, ECLI:EU:T:2012:584, Rn. 66 – CBI/Kommission. 334 Grube, DStZ 2007, 382; Grube, Der Einfluss des unionsrechtlichen Beihilfenverbots auf das deutsche Steuerrecht, S. 102. 335 Da die Kommission in der Praxis zumeist auf derartige Aufforderung reagiert, ist der Anwendungsbereich der Untätigkeitsklage in der Praxis relativ begrenzt. 336 EuG, Urteil v. 15. 09. 1998, Rs. T-95/96, ECLI:EU:T:1998:206, Rn. 60 – Gestevisión Telecinco/Kommission; EuG, Urteil v. 10. 05. 1996, Rs. T-395/04, ECLI:EU:T:2006:123, Rn. 31 ff. – Air One/Kommission.

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c) Einstweiliger Rechtsschutz Dem Wettbewerber steht es – ebenso wie dem Beihilfeempfänger – frei, eine einstweilige Anordnung beim Gerichtshof zu beantragen. Solche Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nach Art. 278, 279 AEUV haben in der Beihilfepraxis bisher kaum eine Rolle gespielt und sind im Wettbewerbsrecht eine absolute Ausnahme. Das liegt nicht zuletzt an den hohen Hürden, die die Rechtsprechung an die Antragsbegründetheit stellt. Ein Wettbewerber müsste zunächst die prima-facieBegründetheit der Hauptsache aufzeigen und zusätzlich die besondere Dringlichkeit darlegen. Für beides trägt er die Beweislast. Darüber hinaus müsste in einer vom Gericht vorzunehmenden Interessenabwägung der vom Antragsteller zu erwartende Schaden bei Nichterlass der einstweiligen Anordnung den zu erwartenden Schaden bei Erlass überwiegen.337 2. Gegen die Beihilfegewährung durch den Mitgliedstaat a) Öffentlich-rechtliche Konkurrentenklage Die Rechtsmittel eines Wettbewerbers gegen den Vollzug einer Beihilfe durch den Mitgliedstaat richten sich nach den jeweiligen nationalen Rechtsordnungen. Die in der deutschen Praxis wohl etablierteste Rechtsschutzmöglichkeit gegen die Gewährung einer Beihilfe durch einen Mitgliedstaat ist die öffentlich-rechtliche Konkurrentenklage.338 Der Wettbewerber rügt dabei vor dem nationalen Verwaltungsgericht die formelle Rechtswidrigkeit der Beihilfe und verlangt deren (vorläufige) Rückforderung.339 Der Europäische Gerichtshof geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass die Sperrklausel nach Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV nicht nur eine bloße prozessuale Ordnungsvorschrift ist, sondern dass sie unmittelbare Wirkung zugunsten der Mitbewerber entfaltet. Diese können daher im einstweiligen Rechtsschutz340 und auch im Hauptsacheverfahren die Einstellung des Gewährungsverfahrens und Rückforderung der ausgezahlten Beihilfe fordern.341 Erhebt ein 337

Soltész, in: Müller-Graff (Hrsg.), Europäisches Wirtschaftsordnungsrecht, § 15 Rn. 157 ff. 338 Siehe dazu grundlegend: Tilmann/Schreibauer, GRUR 2002, 212 (218). 339 Streinz, Europarecht, § 15 Rn. 1032. 340 EuGH, Urteil v. 11. 12. 1973, Rs. C-120/73, ECLI:EU:C:1973:152, Rn. 8 – Lorenz GmbH/Bundesrepublik Deutschland u. a.; EuGH, Urteil v. 21. 11. 1991, Rs. C-354/90, ECLI: EU:C:1991:440, Rn. 12 bis 14 – FNCE/Frankreich; EuGH, Urteil v. 13. 01. 2005, Rs. C-174/ 02, ECLI:EU:C:2005:10, Rn. 17 bis 19 – Streekgewest. 341 Soltész, EuZW 2001, 202 (204); Blumenberg/Kring, Das europäische Beihilferecht und Besteuerung, S. 41; Lampert, EWS 2001, 357 (361); BGH, Urteil v. 04. 04. 2003 – V ZR 314/ 02 –, EuZW 2003, 444 (445). Vgl. hierzu auch die Bekanntmachung (2009/C 85/01) der Komission über die Durchsetzung des Beihilferechts durch die einzelstaatlichen Gerichte, ABl. EG 2009 Nr. C 85/1. Diese für Wettbewerber grundsätzlich attraktive Möglichkeit des Rechtsschutzes wird von den Unternehmen in der Praxis allerdings wohl nur selten genutzt. Siehe dazu: Martin-Ehlers/Stromayr, EuZW 2008, 745 – 751; Lampert, EWS 2001, 357 (364).

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Kap. 2: Die Beihilfekontrolle

Wettbewerber vor dem Verwaltungsgericht Anfechtungsklage gegen den – unter Verstoß gegen das Durchführungsverbot erlassenen – Zuwendungsbescheid, müssen die nationalen Gerichte die sofortige Rückforderung der Beihilfe anordnen, auch wenn die Kommission (oder ggf. das zuständige europäische Gericht) währenddessen noch die Vereinbarkeit mit dem Binnenmarkt überprüft,342 da nur so das aus Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV abgeleitete Individualrecht effektiv geschützt werden kann. Selbst ein nachträglicher Positivbeschluss heilt diesen Verstoß nicht.343 Allerdings führt sie dazu, dass die Beihilfe nur für den Zeitraum zwischen Gewährung und Positivbeschluss zurückgefordert werden muss, nicht aber für den Zeitraum nach Genehmigung.344 Eine Pflicht zur Rückforderung entfällt für die nationalen Gerichte auch dann, wenn der Rückforderung besondere Umstände, insbesondere die objektive Unmöglichkeit, entgegenstehen.345 b) Auskunftsanspruch Die Möglichkeiten eines Wettbewerbers Anfechtungsklage zu erheben und damit eine Begünstigung des Konkurrenten zu verhindern, gibt ihm zwar ein gewisses Maß an Rechtsschutz; sie alleine wird dem Rechtsschutzbedürfnis der Mitbewerber aber nicht gerecht. Häufig wird ein Unternehmen gerade keine Kenntnis über geplante und gewährte Begünstigungen zugunsten eines Konkurrenten haben. Dies gilt insbesondere für Beihilfen in Form von Steuervergünstigungen, da hier der „Deckmantel“ des Steuergeheimnisses als „Schutzschild“ genutzt werden kann. Die Rechtsprechung in Deutschland spricht daher Konkurrenzunternehmen (unter bestimmten Voraussetzungen) Auskunftsansprüche über die Besteuerung eines Wettbewerbers zu. Diese Ansprüche bestehen sowohl gegenüber dem Finanzamt346 als auch gegenüber den begünstigten Unternehmen selbst.347 342 EuGH, Urteil v. 11. 07. 1996, Rs. C-39/94, ECLI:EU:C:1996:285, Rn. 68 bis 70 – SFEI u. a.; EuGH, Urteil v. 21. 11. 2013, Rs. C-284/12, ECLI:EU:C:2013:755, Rn. 27 ff. – Deutsche Lufthansa. 343 EuGH, Urteil v. 21. 11. 1991, Rs. C-354/90, ECLI:EU:C:1991:440, Rn. 16 – FNCE/ Frankreich. 344 EuGH, Urteil v. 12. 02. 2008, Rs. C-199/06, ECLI:EU:C:2008:79, Rn. 46 ff. – CELF. 345 EuGH, Urteil v. 11. 07. 1996, Rs. C-39/94, ECLI:EU:C:1996:285 – SFEI u. a. 346 BFH, Urteil v. 05. 10. 2006 – VII R 24/03 –, BFHE 215, 32 (34 ff.), BStBl. II 2007, 243 (244). Mangels einfachgesetzlicher Grundlage wird ein solches Begehren auf das Rechtsstaatsprinzip i. V. m. der Berufsfreiheit, Art. 12 Abs. 1 GG und dem Prozessgrundrecht, Art. 19 Abs. 4 GG gestützt. Der den Auskunftsanspruch geltend machende Unternehmer muss „substantiiert und glaubhaft darlegen, dass er durch eine aufgrund von Tatsachen zu vermutende unzutreffende Besteuerung eines Konkurrenten konkret feststellbare, durch Tatsachen belegte Wettbewerbsnachteile erleidet“. 347 Vgl. BGH, Urteil v. 10. 02. 2011 – I ZR 213/08 –, zitiert nach juris, Rn. 23 bis 29. Siehe dazu auch: Gundel, EWS 2008, 161 (165); von Brevern/Gießelmann, EWS 2008, 470 (471); Martin-Ehlers/Strohmayr, EuZW 2008, 745, (748); Tilmann/Schreibauer, GRUR 2002, 212 (221); Koenig, BB 2000, 573 (577). Rechtsgrundlage für einen solchen Auskunftsanspruch sind demnach die §§ 1004, 823 Abs. 2 BGB i. V. m. Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV.

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c) Feststellungsklage Ein Wettbewerber kann auch Feststellungsklage gegen den betroffenen Mitgliedstaat erheben mit dem Ziel festzustellen, dass der Staat nicht zur Gewährung der Beihilfe berechtigt ist bzw. dass die Gewährung gegen Unionsrecht verstößt.348 Dies ist bereits vor der Gewährung durch eine vorbeugende Feststellungsklage möglich. Der Wettbewerber muss hierfür aber – wie beim vorbeugenden Rechtsschutz üblich – ein qualifiziertes Rechtsschutzbedürfnis nachweisen.349 Er muss mit hinreichender Bestimmtheit belegen, welche Verwaltungsmaßnahmen drohen und unter welchen Voraussetzungen sie ergehen. Für beihilferechtliche Sachverhalte wird in der Literatur, unter Verweis auf den Effektivitätsgrundsatz, eine unionsrechtskonforme Auslegung des § 43 VwGO und damit ein Verzicht auf die Voraussetzung des qualifizierten Rechtsschutzbedürfnisses gefordert.350 Eine solche Auslegung ist jedoch nicht zwingend erforderlich. Durch die Möglichkeit eines Auskunftsanspruchs sowohl gegen die handelnde Behörde als auch gegen den Mitgliedstaat wird der Wettbewerber regelmäßig in der Lage sein, die drohende Rechtsverletzung zu belegen und damit sein qualifiziertes Rechtsschutzbedürfnis zu beweisen. Für eine unionsrechtskonforme Auslegung von § 43 VwGO bleibt damit allenfalls noch in atypisch gelagerten Sonderfällen Raum. d) Verpflichtungsklage Ebenfalls denkbar ist, dass der nicht berücksichtigte Wettbewerber nach einem Negativbeschluss der Kommission gegen den Mitgliedstaat Verpflichtungsklage erhebt, um ihn so zur sofortigen Rückforderung der Beihilfe zu zwingen, sofern dieser nicht bzw. noch nicht die Durchsetzung des Kommissionsbeschlusses betreibt.351 e) Einstweiliger Rechtsschutz In Anbetracht der mitunter erheblichen Verfahrensdauer und der Bedeutung der fraglichen Beihilfen nicht nur für den Empfänger, sondern auch für dessen Mitbewerber, muss diesem die Möglichkeit des einstweiligen Rechtsschutzes eröffnet werden.352 Im Rahmen einer öffentlich-rechtlichen Konkurrentenklage stehen dem Konkurrenten die Rechtsschutzmöglichkeiten nach §§ 80a Abs. 2, 80 Abs. 2 Nr. 4 348

Kühling, ZWeR 2003, 498 (511). Vgl. zu den Voraussetzungen des vorbeugenden Rechtschutzschutzes: BVerwG, Urteil v. 19. 03. 1974 – I C 7.73 –, BVerwGE 45, 99 (105 ff.) 350 Soltész, EuZW 2001, 202 (204). 351 Lampert, EWS 2001, 357 (362). 352 EuGH, Urteil v. 19. 06. 1990, Rs. C-213/89, ECLI:EU:C:1990:257, Rn. 17 bis 23 – The Queen/Secretary of State for Transport, ex parte Factortame; EuGH, Urteil v. 11. 07. 1996, Rs. C-39/94, ECLI:EU:C:1996:285, Rn. 31 ff. – SFEI u. a. 349

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und § 123 VwGO offen.353 §§ 80a Abs. 2, 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO finden dabei Anwendung, sofern der Beihilfeempfänger bereits den begünstigenden Bescheid erhalten hat und der Wettbewerber dagegen mittels Anfechtungsklage vorgegangen ist. Die Anfechtungsklage führt grundsätzlich zur Aussetzung der Vollziehung des Verwaltungsaktes. Wurde jedoch die sofortige Vollziehung gemäß §§ 80 Abs. 2 Nr. 4, 80 Abs. 3 VwGO angeordnet, greift die Anfechtungsklage insofern zu kurz, als dem Beihilfeempfänger trotz anhängiger Klage die Beihilfe bis zu einem abschließenden Urteil gewährt wird. Der Wettbewerber kann daher nach §§ 80a Abs. 2, 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO die Aussetzung der Vollziehung beantragen. Ist der begünstigende Verwaltungsakt hingegen noch nicht ergangen, kann er den Erlass des Verwaltungsaktes mittels einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO verhindern, sofern der Erlass unmittelbar bevorsteht und er die Rechtswidrigkeit sowie die erforderliche Eilbedürftigkeit beweisen kann. Problematisch erscheint dabei zunächst, dass Subventionsgewährungen in der Regel im Ermessen der Verwaltung liegen, sodass das Gericht in der Regel nur einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Beurteilung feststellt. Nur in Ausnahmefällen ergeht ein Vornahmeurteil. Verstöße gegen das beihilferechtliche Durchführungsverbot führen jedoch aufgrund des Effektivitätsgrundsatzes und des Vorrangs des Unionsrechts zu einer Ermessensreduktion auf Null, sodass das Gericht in diesen Fällen die Ablehnung der Subventionsgewährung anordnen muss.354 3. Unterlassungsklagen gegen den Beihilfeempfänger Zivilrechtlich ist auch ein Unterlassungsanspruch gegen den Beihilfeempfänger denkbar. Diese sog. zivilrechtlichen Konkurrentenklagen unterscheiden sich durch ihre Stoßrichtung von den öffentlich-rechtlichen. Während sich letztere gegen den gewährenden Hoheitsträger richten, gehen erstere unmittelbar gegen den begünstigten Beihilfeempfänger vor.355 Dabei kommen sowohl Anspruchsgrundlagen aus dem Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb als auch aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch in Betracht. a) § 8 Abs. 1 S. 2 UWG Zunächst könnte in einem Verstoß gegen das Durchführungsverbot ein Rechtsbruch nach § 3a UWG zu sehen sein, mit der Folge eines Unterlassungs- und Beseitigungsanspruchs nach § 8 Abs. 1 S. 1 UWG.356 Dafür müsste es sich bei Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV um eine Marktverhaltensregelung i. S. v. § 3a UWG handeln. Das beihilferechtliche Durchführungsverbot schützt die am Binnenmarkt tätigen Un353 354 355 356

Siehe dazu grundlegend: Groeschke, BB 1995, 2329 – 2333. Groeschke, BB 1995, 2329 (2331). Groeschke, BB 1995, 2329 (2332). Vgl. zu § 1 UWG a. F. Groeschke, BB 1995, 2329 (2332).

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ternehmen vor Wettbewerbsverzerrungen, etwa durch die Gewährung rechtswidriger Beihilfen, und stellt damit eine Marktverhaltensregelung dar.357 Der Bundesgerichtshof hat folgerichtig dem Wettbewerber einen auf das UWG gestützten Unterlassungsanspruch zugebilligt.358 Ein Unterlassungsanspruch nach § 8 Abs. 1 S. 1 UWG kann auch als vorbeugende Unterlassungsklage im Rahmen eines Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung geltend gemacht werden. Im Gegensatz zum Antrag nach § 123 VwGO kommt es dabei nicht auf eine Ermessensreduktion auf Null an.359 b) § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB analog Als weiterer Unterlassungsanspruch kommt ein quasi-negatorischer Unterlassungsanspruch gemäß § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 1004 Abs. 1 BGB analog in Betracht. In der Literatur wird dem Wettbewerber mitunter ein Anspruch gemäß § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 1004 Abs. 1 BGB analog nicht gegen den Beihilfeempfänger, sondern auch gegen den Mitgliedstaat zugestanden.360 Ein solcher Anspruch gegen den Beihilfeempfänger sei demnach möglich, obwohl sich das Beihilfeverbot unmittelbar nur gegen den Mitgliedstaat selbst richtet. Da § 823 Abs. 2 BGB kein Wettbewerbsverhältnis voraussetzt, sei es auch möglich, den Mitgliedstaat – als primären Adressaten des Durchführungsverbotes – als Schuldner in Anspruch zu nehmen. Die Befürworter eines solchen Anspruchs stützen sich in erster Linie auf systematische Überlegungen. Genau wie Art. 101, 102 AEUV stellen die Beihilfevorschriften eine Konkretisierung von Art. 3 lit. f EUV dar und sollen den Wettbewerb auf dem Binnenmarkt schützen. Für erstere billigt die Rechtsprechung dem Konkurrenten zumindest bei bestimmten Verstößen einen Anspruch auf Unterlassung und Schadensersatz nach § 823, 1004 BGB zu.361 Die Rückgewährung des Vorteils durch die Anwendung von § 823 Abs. 2 BGB entspricht dabei insoweit der Mehrerlösabschöpfung bei einem Verstoß gegen Art. 101, 102 AEUV.362 Als zweite Stütze dient den Befürwortern die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, wonach den nationalen Gerichten die Aufgabe zukommt, bei Verstoß gegen das 357 Vgl. Köhler, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen (Hrsg.), UWG, § 3a UWG Rn. 2.75; Schaffert, in: Hermann/Schlingloff (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Lauterkeitsrecht, § 4 Nr. 11 Rn. 65; Koenig/Kühling/Ritter, EG-Beihilfenrecht, Rn. 431; Haslinger, WRP 2007, 1412 (1417). Eine solche Einordnung verneinend: Teplitzky, WRP 2003, 173 (180 ff.). 358 BGH, Urteil v. 10. 02. 2011 – I ZR 136/09 –, BGHZ 188, 326 (342, Rn. 53 ff.). Siehe auch: BGH, Urteil v. 21. 07. 2011 – I ZR 209/09 –, zitiert nach juris. Kritisch dazu: Ohly, in: Ohly/Sosnitza (Hrsg.), UWG, § 4 UWG, Rn. 91. 359 Groeschke, BB 1995, 2329 (2332). 360 So etwa: Tilmann/Schreibauer, GRUR 2002, 212 (221); vgl. auch Kühling, ZWeR 2003, 498 (510). 361 Siehe dazu: BGH, Urteil v. 12. 05. 1998 – KZR 23/96 –, GRUR 1999, 276 (277); BGH, Urteil v. 10. 02. 2011 – I ZR 136/09 –, BGHZ 188, 326 (337, Rn. 34); BGH, Urteil v. 21. 07. 2011 – I ZR 209/09 –, zitiert nach juris, Rn. 28 ff. 362 Tilmann/Schreibauer, GRUR 2002, 212 (221).

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Durchführungsverbot die Rechte des Einzelnen zu schützen.363 Zudem erscheint auch in anderen Mitgliedstaaten ein solcher Schutz auf der Basis zivilrechtlicher Anspruchsgrundlagen denkbar.364 Diese Überlegungen überzeugen jedoch nicht zur Gänze. Ihnen ist zunächst entgegenzuhalten, dass eine Haftung der handelnden Behörde nach § 823 Abs. 2 BGB im Anwendungsbereich von § 839 Abs. 1 BGB i. V.m Art. 34 GG ausgeschlossen ist. Letzterer verdrängt als lex specialis in seinem Anwendungsbereich alle Ansprüche mit Verschuldenshaftung bzw. Ansprüche mit vermutetem Verschulden.365 § 823 Abs. 2 BGB findet folglich bei Haftungsfragen im Verhältnis zwischen Bürger und der handelnden Behörde keine Anwendung. Es ist daher zweifelhaft, ob ein Anspruch, der für Schadensersatzfragen gerade keine Anwendung findet, zur Begründung eines dem Schadensersatzanspruch vorausgehenden Unterlassungsanspruchs herangezogen werden kann. Darüber hinaus ist für eine analoge Anwendung des § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB auf öffentlich-rechtliche Sachverhalte sowohl eine vergleichbare Interessenlage als auch eine planwidrige Regelungslücke erforderlich. Deren Vorliegen erscheint jedoch fraglich. Die analoge Anwendung von § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB soll dem Inhaber bestimmter absoluter Rechtsgüter die Möglichkeit geben drohende Beeinträchtigungen vor Schadenseintritt abzuwehren, statt abzuwarten und den Schaden dann zu liquidieren. Eine analoge Anwendung ist dabei erforderlich, da das Bürgerliche Gesetzbuch ansonsten nur wenige solche Unterlassungsansprüche kennt und insoweit eine Rechtsschutzlücke für absolute Rechtsgüter besteht. Für hoheitliche Eingriffe in Form von Verwaltungsakten gilt dies jedoch nicht. Das Öffentliche Recht hält mit dem Unterlassungsanspruch und dem einstweiligen Rechtsschutz bereits ausreichend Rechtsschutzmöglichkeiten offen, um sich gegen ein drohendes rechtswidriges Verwaltungshandeln zu wehren. Eine so weite analoge Anwendung eines zivilrechtlichen Anspruchs auf öffentlich-rechtliche Sachverhalte ist daher nicht nötig und muss ausscheiden. Der Bundesgerichtshof geht in seiner Rechtsprechung davon aus, dass Art. 108 Abs. 3 AEUV ein Schutzgesetz i. S. v. § 823 Abs. 2 BGB ist366 und damit zivilrechtliche Schadensersatz- und Unterlassungsansprüche unmittelbar gegen den Beihilfeempfänger nach § 823 Abs. 2 i. V. m. § 1004 Abs. 1 BGB analog möglich sind.367 Zwar richtet sich das Durchführungsverbot des Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV seinem Wortlaut nach in erster Linie an die Mitgliedstaaten, sodass eine Anwendung in rein zivilrechtlichen Streitigkeiten ausscheiden würde. Allerdings gebietet der Schutzzweck der Norm ebenso wie der europarechtliche Effektivitätsgrundsatz 363 Vgl. EuGH, Urteil v. 16. 12. 1992, Rs. C-144/91 und C-145/91, ECLI:EU:C:1992:518, Rn. 26 – Demoor u. a./Belgischer Staat. 364 Tilmann/Schreibauer, GRUR 2002, 212 (221). 365 Staudinger, in: Schulze (Hrsg.), BGB, § 839 BGB Rn. 47. 366 BGH, Urteil v. 10. 02. 2011 – I ZR 136/09 –, BGHZ 188, 326 (331, Rn. 18 ff.); BGH, Urteil v. 21. 07. 2011 – I ZR 209/09 –, zitiert nach juris, Rn. 22. 367 Vgl. BGH, Urteil v. 21. 07. 2011 – I ZR 209/09 –, zitiert nach juris, Rn. 17; BGH, Urteil v. 10. 02. 2011 – I ZR 136/09 –, BGHZ 188, 326 (335, Rn. 28).

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gerade eine Ausweitung auf privatrechtliche Streitigkeiten, solange eine entsprechende Anspruchsgrundlage im nationalen Recht gegeben ist. Die dafür erforderliche Vorschrift stellt das deutsche Recht mit § 823 Abs. 2 BGB, sodass ein Unterlassungs- und Beseitigungsanspruch unmittelbar gegen den Beihilfeempfänger möglich ist.368 4. Schadensersatz Über den Primäranspruch, die Verhinderung der Beihilfegewährung an einen Konkurrenten, hinaus sind auf sekundärer Ebene auch Schadensersatzansprüche durch Wettbewerber denkbar. Auch die Gewährung von Schadensersatz ist Bestandteil des effektiven Rechtsschutzes nach Art. 108 Abs. 3 AEUV. Die Ansprüche können sich sowohl gegen das zuständige Unionsorgan (insbesondere die Kommission) als auch den gewährenden Mitgliedstaat richten. Bei allen Schadensersatzansprüchen muss beachtet werden, dass ihnen eine spätere Genehmigung der Beihilfe durch die Kommission nicht die Grundlage entzieht. Die Ansprüche beruhen zunächst alleine auf einer Verletzung der unionsrechtlichen Notifizierungspflicht. Dieser Verstoß kann durch eine spätere Genehmigung nicht geheilt werden.369 Der Positivbeschluss der Kommission wirkt lediglich ex nunc und genehmigt die Beihilfe für die Zukunft. Sie führt letztlich also nur zu einer Begrenzung des zu ersetzenden Schadens auf den Zeitraum zwischen Durchführung und Genehmigung der Beihilfe, nicht aber zu einem kompletten Wegfall der Verletzung und damit des Schadens ex tunc.370 a) Schadensersatzansprüche gegen den Mitgliedstaat Ein Schadensersatzanspruch ist zunächst gegen den gewährenden Mitgliedstaat denkbar. Seinem Wortlaut nach richtet sich das Durchführungsverbot des Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV primär an die Mitgliedstaaten. aa) Staatshaftung Verletzt ein Mitgliedstaat Unionsrecht und beeinträchtigt so dessen Wirksamkeit, ist er entsprechend der Francovich-Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs dem Einzelnen gegenüber für die dadurch entstehenden Schäden haftbar.371 Dafür müsste der Mitgliedstaat durch einen hinreichend qualifizierten Verstoß gegen eine 368 BGH, Urteil v. 10. 02.2011 – I ZR 136/09 –, BGHZ 188, 326 (332, Rn. 19 bis 23); BGH, Urteil v. 21. 07. 2011 – I ZR 209/09 –, zitiert nach juris, Rn. 35 369 Soltész, EuZW 2001, 202 (206). 370 Siehe: BGH, Urteil v. 10. 02. 2011 – I ZR 136/09 –, BGHZ 188, 326 (349, Rn. 76). Vgl. auch: Soltész, EuZW 2001, 202 (206). 371 EuGH, Urteil v. 19. 11. 1991, Rs. C-6/90 und C-9/90, ECLI:EU:C:1991:428, Rn. 35 – Francovich und Bonifaci/Italien.

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drittschützende Norm beim Wettbewerber einen kausalen Schaden herbeigeführt haben.372 Wie bereits dargelegt, soll das Durchführungsverbot auch die Rechte der Mittbewerber sichern und wird daher als drittschützende Norm angesehen.373 Ein schuldhafter Verstoß wird zwar häufig nachweisbar sein, als problematisch erweist sich jedoch das Erfordernis des kausalen Schadens, da die vom Gerichtshof dazu aufgestellten Hürden hoch sind. Der Wettbewerber muss nachweisen, dass die Beihilfe für den entstandenen Schaden, z. B. einen Ertrags- oder Umsatzrückgang, ursächlich ist. Eine solche Beweisführung wird ihm in der Praxis regelmäßig nicht gelingen, da neben der Handlung des Mitgliedstaates auch immer sonstige Alternativursachen (z. B. geringere Wettbewerbsfähigkeit, allgemeine Marktlage, etc.) kausal sein können.374 Gelingt ein solcher Beweis ausnahmsweise doch, kann der gesamte Schaden, inklusive entgangenem Gewinn geltend gemacht werden.375 Selbige Problematik ergibt sich für einen Staatshaftungsanspruch nach § 839 BGB i. V. m. Art. 34 GG. Auch dessen Voraussetzungen werden zwar grundsätzlich gegeben sein,376 in der Praxis jedoch häufig am fehlenden Kausalitätsnachweis scheitern. bb) Anspruch aus § 9 UWG In der Literatur wird auch ein Anspruch aus § 9 UWG angedacht, wenn die gewährende Behörde sich der rechtswidrigen Beihilfegewährung bewusst ist und zielgerichtet den Empfänger fördern wollte.377 Zu ersetzender Schaden wäre hier der durch die nicht realisierten Umsätze entfallene Gewinn. Dafür müsste es sich bei der Beihilfegewährung allerdings um eine unzulässige geschäftliche Handlung handeln. Dies ist der Fall, wenn die Beihilfe zugunsten eines fremden Unternehmens erfolgt und in einem objektiven Zusammenhang mit der Förderung des Absatzes oder des Bezugs von Waren oder Dienstleistungen dieses Unternehmens oder mit dem Abschluss oder der Durchführung eines Vertrags über Waren oder Dienstleistungen steht. Andere Autoren lehnen einen solchen Anspruch ab. Zum Teil wird das Vorliegen einer geschäftlichen Handlung unter Verweis auf den hoheitlichen Charakter der Beihilfengewährung pauschal abgelehnt.378 Selbst wenn man der Ablehnung 372 Vgl. EuGH, Urteil v. 05.03.1996, Rs. C-46/93 und C-48/93, ECLI:EU:C:1996:79, Rn. 37 ff. – Brasserie du pêcheur; EuGH, Urteil v. 19.11. 1991, Rs. C-6/90 und C-9/90, ECLI:EU:C:1991:428, Rn. 31 ff. – Francovich und Bonifaci/Italien. 373 Vgl. EuGH, Urteil v. 21. 11. 1991, Rs. C-354/90, ECLI:EU:C:1991:440, Rn. 14 ff. – FNCE/Frankreich. 374 Soltész, EuZW 2001, 202 (206). 375 Papier, in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg (Hrsg.), Münchener Kommentar zum BGB, § 839 Rn. 295. 376 Lampert, EWS 2001, 357 (360). 377 Zur Möglichkeit eines solchen Anspruchs siehe grundlegend: Tillmann/Schreibauer, GRUR 2002, 212 (220). 378 Siehe z. B. OLG München, Urteil v. 15. 05. 2003 – 29 U 1703/03 –, GRUR 2004, 169 (171). Siehe auch: Ohly, in: Ohly/Sosnitza (Hrsg.), UWG, § 4 UWG Rn. 11.

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nicht in dieser Pauschalität folgt, muss die Beihilfengewährung trotz allem in objektivem Zusammenhang mit der Förderung des Absatzes, dem Bezug von Waren oder Dienstleistungen dieses Unternehmens oder mit dem Abschluss oder der Durchführung eines Vertrags über Waren oder Dienstleistungen stehen. Die Verbesserung der allgemeinen Wettbewerbsfähigkeit reicht dagegen gerade nicht aus.379 Jedenfalls für allgemeine steuerliche Beihilfen, die in der Regel gerade kein konkretes Projekt oder eine konkrete Maßnahme fördern, sondern vielmehr durch die Senkung der Abgabenlast die allgemeine Wettbewerbsfähigkeit stärken wollen, scheidet eine Anwendung von § 9 UWG daher aus. Selbst wenn man im Gegensatz dazu für Leistungssubventionen eine geschäftliche Handlung i. S. v. § 2 Abs. 1 UWG annimmt, wird aber auch dieser Anspruch regelmäßig den bereits dargestellten Beweisproblemen unterliegen.380 b) Schadensersatzansprüche gegen die Europäische Kommission Gegen die Kommission erscheint ein Anspruch gemäß Art. 340 Abs. 2 AEUV denkbar. Danach ersetzt die Union den von ihren Organen und Angestellten in Ausübung ihrer Amtstätigkeit verursachten Schaden. Einen solchen Schadensersatzanspruch gegenüber der Kommission hat das Gericht in der Rechtsache BAI II/ Kommission381 zwar im Ergebnis abgelehnt, dies geschah allerdings nur, weil es dem Kläger nicht gelungen war den Kausalzusammenhang zwischen behauptetem Schaden und vorgeworfener Tathandlung nachzuweisen. Ein Schadensersatzanspruch gegen die Kommission bei Verletzung ihrer sich aus Art. 107 Abs. 1 AEUV ergebenden Pflichten ist also grundsätzlich möglich.382 Die dargelegten Beweisprobleme hinsichtlich des kausalen Schadens machen aber auch seine Durchsetzung schwer. c) Schadensersatzansprüche gegen den Beihilfeempfänger Auch gegen den Beihilfeempfänger selbst sind Schadensersatzansprüche denkbar. Einen direkten, auf unionsrechtliche Grundlage gestützten Schadensersatzanspruch hat der Europäische Gerichtshof bisher zwar abgelehnt, aber auch darauf verwiesen, dass Ansprüche nach nationalem Recht durchaus gegeben sein können.383 Folglich wird einem Mitbewerber in der Literatur ein Schadensersatzanspruch gemäß § 9 S. 1 UWG und § 823 Abs. 2 BGB zugebilligt. 379

Siehe Köhler, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen (Hrsg.), UWG, § 3a UWG Rn. 2.75. Vgl. Soltész, EuZW 2001, 202 (206). 381 EuG, Urteil v. 28. 01. 1999, Rs. T-230/95, ECLI:EU:T:1999:11 – BAI/Kommission. 382 EuG, Urteil v. 28. 01. 1999, Rs. T-230/95, ECLI:EU:T:1999:11, Rn. 34 bis 40 – BAI/ Kommission. 383 EuGH, Urteil v. 11. 07. 1996, Rs. C-39/94, ECLI:EU:C:1996:285, Rn. 72 bis 74 – SFEI u. a. 380

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aa) Anspruch aus § 9 S. 1 UWG Gegen den Beihilfeempfänger ist zunächst ein Anspruch nach § 9 S. 1 UWG denkbar.384 Die Voraussetzungen entsprechen dabei jenen des Beseitigungs- und Unterlassungsanspruchs, § 9 S. 1 UWG. Allerdings ergeben sich daher auch hier die bereits dargelegten Beweisprobleme. Außerdem ist auch der Nachweis eines Verschuldens des Beihilfeempfängers notwendig. Der begünstigte Wettbewerber muss die Anstößigkeit seines Handelns erkannt haben oder bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt erkennen können.385 Der Beweis, dass er diese Umstände gekannt hat, wird in der Praxis kaum gelingen, sodass der Anspruch in dieser Form gegenstandslos sein dürfte. Anders verhält es sich hinsichtlich einer möglichen Fahrlässigkeit. Wie bereits dargelegt, verlangt der Europäische Gerichtshof von einem sorgfältig handelnden Unternehmer die Einhaltung des Notifizierungsverfahrens zu kontrollieren.386 Tut er dies nicht, handelt er folglich unsorgfältig und damit fahrlässig. Es erscheint daher richtig, zumindest dann einen Schadensersatzanspruch anzunehmen, sofern dem Begünstigten bewusst ist, dass er durch eine Beihilfe einen Wettbewerbsvorteil erhält und er die Rechtmäßigkeit dieser Beihilfe hinsichtlich Anmeldung und Notifizierung nicht überwacht. bb) § 823 Abs. 2 BGB Wie bereits dargelegt, hat Art. 108 Abs. 3 S. 3 BGB drittschützende Wirkung, sodass er grundsätzlich eine Schadensersatzpflicht nach § 823 Abs. 2 BGB auszulösen vermag. So geht auch der Bundesgerichtshof davon aus, dass Art. 108 Abs. 3 AEUV ein Schutzgesetz i. S. v. § 823 Abs. 2 BGB387 ist und damit ein Schadensersatzanspruch nach § 823 Abs. 2 BGB möglich ist. Vor dem Hintergrund des Schutzzweckes von Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV und dem unionsrechtlichen Effektivitätsgrundsatz billigt der Bundesgerichtshof dem benachteiligten Konkurrenten 384

So auch: Groeschke, BB 1995, 2329 (2332), Köhler/Steindorff, NJW 1995, 1705 (1709). Groeschke, BB 1995, 2329 (2332). 386 Ständige Rechtsprechung: EuGH, Urteil v. 20.09. 1990, Rs. C-5/89, ECLI:EU:C:1990:320; Rn. 14 – Kommission/Deutschland; EuGH, Urteil v. 14.01. 1997, Rs. C-169/95, ECLI:EU:C:1997: 10, Rn. 51 – Spanien/Kommission; EuGH, Urteil v. 20.03. 1997, Rs. C-24/95, ECLI:EU:C:1997: 163, Rn. 25 – Land Rheinland Pfalz/Alcan, EuGH, Urteil v. 12.09. 2007, Rs. T-239/04 und T-323/04, ECLI:EU:T:2007:260, Rn. 149 – Italien und Brandt Italia. 387 BGH, Urteil v.10. 02.2011 – I ZR 136/09 –, BGHZ 188, 326 (332, Rn. 19 ff.). Im vom BGH entschiedenen Fall fehlte es allerdings an Ermittlungen hinsichtlich des Vorliegens einer Beihilfe, sodass dem Anspruch des Klägers nicht stattgegeben werden konnte. Dass auf § 823 Abs. 2 gestützte Ansprüche aber möglich sind wurde anerkannt. Insoweit missverständlich: Lessenich, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje (Hrsg.), Europäisches Unionsrecht, Art. 108 AEUV Rn. 147. Vgl. auch: BGH, Urteil v. 21. 07. 2011 – I ZR 209/09 –, zitiert nach juris, Rn. 17. Ein Schutzgesetz bejahend: OLG Schleswig-Holstein v. 20. 05. 2008 – 6 U 54/06 –, zitiert nach juris. Die Einstufung als Schutzgesetz verneinend: OLG Koblenz v. 25. 02. 2009 – 4 U 759/07 –, zitiert nach juris; LG Potsdam v. 23. 11. 2006 – 51 O 167/05 –, zitiert nach juris; LG Bad Kreuznach v. 16. 05. 2007 – 2 O 441/06 –, zitiert nach juris. 385

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einen solchen Anspruch gegen den Beihilfeempfänger sogar zu, obwohl sich das beihilferechtliche Durchführungsverbot seinem Wortlaut nach nur an die Mitgliedstaaten richtet.

V. Rechtsschutzmöglichkeiten der Europäischen Kommission Führt ein Mitgliedstaat eine Beihilfe trotz Durchführungsverbot gemäß Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV durch, so kann die Kommission gegen den Mitgliedstaat eine Aussetzungsanordnung und eine Anordnung zur Auskunftserteilung erlassen (Art. 10 Abs. 3, Art. 11 Abs. 1 VerfVO). Auch eine einstweilige Rückforderungsanordnung ist möglich (Art. 11 Abs. 2 VerfVO). Ein Verstoß gegen die Notifizierungspflicht kann von der Kommission ebenfalls angegriffen werden. Setzt der betroffene Mitgliedstaat einen Negativbeschluss der Kommission nicht in der ihr vorgegebenen Frist um, kann die Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren vor dem Gerichtshof gemäß Art. 108 Abs. 2 UAbs. 2 AEUV i. V. m. Art. 258, 259 AEUVeinleiten. Gegenstand des Verfahrens ist dabei alleine die Frage, ob der Mitgliedstaat seiner aus dem Negativbeschluss resultierenden Rückforderungspflicht nachgekommen ist. Die Rechtmäßigkeit des Beschlusses selbst ist hingegen nicht Gegenstand des Verfahrens.388 Der Mitgliedstaat kann dieser Pflicht nur die absolute Unmöglichkeit der Umsetzung entgegenhalten.389 Ist der Mitgliedstaat seiner Rückforderungspflicht aufgrund einer Aussetzungsentscheidung durch ein nationales Gericht nicht nachgekommen, kann die Kommission beim Gerichtshof die Überprüfung des Vorliegens der dafür vorgesehenen Voraussetzungen beantragen.390 Kommt der betroffene Mitgliedstaat trotz eines Urteils des Gerichtshofs seiner Verpflichtung nicht nach, so kann die Kommission gemäß 388 EuGH, Urteil v. 30. 06. 1988, Rs. 226/87, ECLI:EU:C:1988:354, Rn. 14 – Kommission/ Griechenland; EuGH, Urteil v. 27. 10. 1992, Rs. C-74/91, ECLI:EU:C:1992:409, Rn. 10 – Kommission/Deutschland; EuGH, Urteil v. 27. 06. 2000, Rs. C-404/97, ECLI:EU:C:2000:345, Rn. 34 – Kommission/Portugal. 389 EuGH, Urteil v. 15. 01. 1986, Rs. 52/84, ECLI:EU:C:1986:3, Rn. 14 – Kommission/ Belgien; EuGH, Urteil v. 02. 02. 1989, Rs. 94/87, ECLI:EU:C:1989:46, Rn. 8 – Kommission/ Deutschland; EuGH, Urteil v. 07. 06. 1988, Rs. 63/87, ECLI:EU:1988:285, Rn. 14 – Kommission/Griechenland; EuGH, Urteil v. 23. 02. 1995, Rs. C-349/93, ECLI:EU:C:1995:53, Rn. 12 – Kommission/Italien; EuGH, Urteil v. 04. 04. 1995, Rs. C-348/93, ECLI:EU:C:1995: 95, Rn. 16 – Kommission/Italien; EuGH, Urteil v. 22. 03. 2001, Rs. C-261/99, ECLI:EU:C: 2001:179, Rn. 23 – Kommission/Frankreich; EuGH, Urteil v. 02. 07. 2002, Rs. C-499/99, ECLI:EU:C:2002:408, Rn. 21 – Kommission/Spanien; EuGH, Urteil v. 26. 06. 2003, Rs. 404/ 00, ECLI:EU:C:2003:373, Rn. 30 – Kommission/Spanien. 390 EuGH, Urteil v. 22. 10. 2010, Rs. C-304/09, ECLI:EU:C:2010:812, Rn. 45 ff. – Kommission/Italien. Zu den dafür zu beachtenden Voraussetzungen siehe: EuGH, Urteil v. 21. 02. 1991, Rs. C-143/88 und C-92/89, ECLI:EU:C:1991:65, Rn. 33 – Zuckerfabrik Süderdithmarschen und Zuckerfabrik Soest/Hauptzollamt Itzehoe und Hauptzollamt Paderborn; EuGH, Urteil v. 09. 11. 1995, Rs. C-465/93, ECLI:EU:C:1995:369, Rn. 51 – Atlanta Fruchthandelsgesellschaft u. a./Bundesamt für Ernährung und Forstwirtschaft.

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Art. 260 AEUV beim Gerichtshof die Verhängung eines Zwangsgeldes beantragen.391

VI. Rechtsschutzmöglichkeiten der anderen Mitgliedstaaten 1. Rechtsschutz vor den europäischen Gerichten Kommt ein Mitgliedstaat zu der Auffassung, eine von einem anderen Mitgliedstaat gewährte und von der Kommission genehmigte Beihilfe sei entgegen des Beschlusses der Kommission nicht mit dem Binnenmarkt vereinbar, so eröffnet ihm der Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union zwei Klagemöglichkeiten: - Nichtigkeitsklage gegen den Beschluss der Kommission nach Art. 263 Abs. 2 AEUV392 - Staatenklage gegen den gewährenden Mitgliedstaat gemäß Art 259 AEUV393 Beide Klagen haben zwar gemäß Art. 278 S. 1 AEUV keine aufschiebende Wirkung, der Gerichtshof kann nach Satz 2 aber die vorläufige Aussetzung der Maßnahme anordnen. Auch außerhalb der europäischen Gerichtsbarkeit haben Mitgliedstaaten die Möglichkeit Einfluss zu nehmen. Neben der politischen Einflussnahme steht es ihnen frei, bei Einleitung des Hauptprüfungsverfahrens durch die Kommission eine eigene Stellungnahme abzugeben, Art. 108 Abs. 2 AEUV i. V. m. Art. 6 Abs. 1 VerfVO. Auch in die fortlaufende Überprüfung bestehender Beihilfen sind sie gemäß Art. 108 Abs. 1 AEUV („in Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten“) eingebunden. Ein solches Mitwirkungsrecht gibt zwar kein Recht darauf, an einem Beschluss beteiligt zu werden, ein Verstoß stellt aber einen schwerwiegenden Verfahrensfehler dar, der sogar zur Nichtigkeit des Beschlusses führen kann.394 2. Anwendung innerstaatlicher Missbrauchsvorschriften Neben den bestehenden Rechtsschutzmöglichkeiten auf Unionsebene sind einige Mitgliedstaaten dazu übergegangen, mittels nationaler Missbrauchsvorschriften gegen steuerliche Beihilfemaßnahmen anderer Mitgliedstaaten vorzugehen. Bei391

Siehe z. B. EuGH, Urteil v. 11. 12. 2012, Rs. C-610/10, ECLI:EU:C:2012:781 – Kommission/Spanien; EuGH, Urteil v. 07. 07. 2009, Rs. C-369/07, ECLI:EU:C:2009:428 – Kommission/Griechenland. 392 Vgl. z. B. EuGH, Urteil v. 20. 03. 1984, Rs. 84/82, ECLI:EU:C:1984:117 – Deutschland/ Kommission; EuGH, Urteil v. 03. 05. 2001, Rs. C-204/97, ECLI:EU:C:2001:233 – Portugal/ Kommission. 393 Die setzt jedoch die vorherige Durchführung eines Prüfungsverfahrens durch die Kommission voraus, Art. 259 Abs. 2 AEUV. 394 Blumenberg/Kring, Das europäische Beihilferecht und Besteuerung, S. 42.

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spielhaft sei hier auf das Vorgehen der deutschen Finanzverwaltung und des Gesetzgebers gegen die Beteiligung von deutschen Unternehmen an Tochtergesellschaften im International Financial Service Center (IFSC) in Dublin (Irland) hingewiesen. Diese von der Kommission als mit dem Binnenmarkt vereinbar angesehene und daher genehmigte Beihilfe sollte, bis zu einer Verschärfung des Außensteuergesetzes,395 mit einer flächendeckenden Anwendung der generellen Missbrauchsvorschrift § 42 AO entgegengewirkt werden.396 Es liegt dabei auf der Hand, dass es zu Kollisionen kommt, wenn die Kommission Beihilfen genehmigt, die Mitgliedstaaten dann aber ihrerseits eigenmächtig mittels innerstaatlicher Missbrauchsvorschriften gegen diese vorgehen.397 Diese „nationale Selbstjustiz“ wird in weiten Teilen des Schrifttums kritisiert und als Verstoß gegen das unionsrechtliche Treuegebot nach Art. 4 Abs. 3 UAbs. 3 EUV gewertet.398 Das Gebot der Unionstreue verpflichtet die Mitgliedstaaten, die Union bei der Erreichung aller Ziele zu unterstützen und alle Maßnahmen zu unterlassen, die die Verwirklichung dieser Ziele gefährden können. Jeder Mitgliedstaat ist auf seine Mitwirkungsmöglichkeit im Rahmen des Beihilfeverfahrens und die bestehenden europäischen Rechtsschutzmöglichkeiten begrenzt. Eine Genehmigung durch die Kommission darf nicht durch die einseitige Anwendung nationaler Missbrauchsvorschriften unterlaufen werden.399 Wollen sich Mitgliedstaaten gegen genehmigte oder zu genehmigende Beihilfen zur Wehr setzten, stehen ihnen die dargelegten Rechtsschutzmöglichkeiten offen. Diese Auffassung überzeugt vollständig. Natürlich steht es den Mitgliedstaaten grundsätzlich frei, gegen steuerlichen Rechtsmissbrauch mittels nationalen Missbrauchsvorschriften vorzugehen. Bei diesem Vorgehen müssen aber europäische Kompetenzen und Verpflichtungen beachtet werden. Mitgliedstaaten dürfen Rechtsvorschriften erlassen und anwenden, soweit sie dabei nicht gegen unions395 Durch das Gesetz zur Entlastung der Familien und zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für Investitionen und Arbeitsplätze (Steueränderungsgesetz 1992) v. 25. 02. 1992 wurde der bis dahin geltende Abkommensschutz nach § 10 Abs. 5 AStG durch Einführung von § 10 Abs. 6 AStG für Einkünfte mit Kapitalanlagecharakter aufgehoben und darüber hinaus in § 20 Abs. 2 AStG eine Treaty-overriding-Klausel eingeführt. Vgl. hierzu: Seer, IStR 1997, 481 (Teil I) und 520 (Teil II); sowie Schollmeier, EWS 1992, 137 (140). Die Regelungen des § 10 Abs. 6 AStG wurden im Folgenden mehrfach verschärft und teilweise in einen neuen § 10 Abs. 7 AStG überführt und schließlich zusammen mit den §§ 10 Abs. 5 und 7 AStG durch das Gesetz zum Abbau von Steuervergünstigungen und Ausnahmeregelungen (Steuervergünstigungsabbaugesetz – StVergAbG) v. 16. 05. 2003 ersatzlos aufgehoben. 396 Eine ähnliche Problematik bestand im Hinblick auf Maßnahmen zur Bekämpfung von Gestaltungen, mit denen nichtanrechnungsberechtigte Steuerpflichtige mit Sitz in anderen Mitgliedstaaten in den Genuss der Anrechnung deutscher Körperschaftsteuer gelangten (sog. Dividenden-Stripping). 397 Blumenberg/Kring, Das europäische Beihilferecht und Besteuerung, S. 42. 398 Z. B. Rädler/Lausterer/Blumenberg, DB 1996, 1 (1 ff.). 399 Grube, DStZ 2007, 371 (381); Blumenberg/Kring, Das europäische Beihilferecht und Besteuerung, S. 42 ff.; Lehnert, Die Korrektur von gemeinschaftswidrigen Beihilfen in Form von Steuervergünstigungen, S. 99.

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rechtliche Vorgaben (Primär- oder Sekundärrecht) verstoßen. Bei Kollisionen geht das Unionsrecht dem nationalen vor und schränkt insoweit die isolierte Anwendung nationaler Rechtsvorschriften ein. Durch Art. 107 ff. AEUV ist der Kommission primär- und kompetenzrechtlich die Aufgabe der unionsweiten Beihilfekontrolle zugewiesen. Die Kommission (oder nach Klagen gegebenenfalls die Gerichte der Union) entscheiden abschließend und verbindlich, ob Beihilfen mit dem gemeinsamen Markt vereinbar sind oder nicht. Diese Bewertung darf nicht durch die unilaterale Anwendung nationalen Rechts ausgehebelt werden. Ergreift ein Mitgliedstaat einseitige Abwehrmaßnahmen gegen von der Kommission genehmigte Beihilfen eines anderen Mitgliedstaates, beeinträchtigt er die praktische Wirksamkeit des Unionsrechts und verstößt gegen seine Unterlassungspflicht nach Art. 4 Abs. 3 UAbs. 3 EUV. Diese Pflicht erstreckt sich auch auf die Mitgliedstaaten untereinander.400 Um einen solchen Verstoß zu verhindern, muss bei der Anwendung nationaler Missbrauchsvorschriften – beispielsweise bei der Bewertung, ob eine rechtsmissbräuchliche Gestaltung i. S. v. von § 42 AO vorliegt – folgerichtig die Bewertung der Kommission beachtet und respektiert und die Norm unionsrechtskonform interpretiert werden. Ist eine unionsrechtskonforme Auslegung nicht möglich, findet die Norm aufgrund des Vorranges des Unionsrechts keine Anwendung. Die in Art. 4 Abs. 3 EUV statuierte Pflicht zur Unionstreue verhindert folglich, dass genehmigte Beihilfen unter nationale Missbrauchsvorschriften subsumiert werden können.401 Nicht angemeldete oder nicht genehmigte Beihilfen können jedoch mittels nationaler Missbrauchsvorschriften angegangen werden. Bei der Einführung neuer Missbrauchsbekämpfungsvorschriften, ebenso wie bei der Anwendung bestehender Vorschriften, müssen auch die Wertungen und Vorgaben der europäischen Grundfreiheiten beachtet werden. Die Grundfreiheiten dürfen durch nationale Steuernormen nicht ohne anerkannte Rechtfertigung beschränkt werden. Mitgliedstaaten dürfen also Investitionen in andere Mitgliedstaaten nicht grundlos mittels Missbrauchsvorschriften weniger attraktiv machen als Investitionen im Inland.402 Als ungeschriebene Rechtfertigungsgründe im Bereich des Steuerrechts sind dabei anerkannt:403 - Wahrung einer angemessenen Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten404 - Kohärenz der Steuerregelung405 400 401

14. 402

Rädler/Lausterer/Blumenberg, DB 1996, 1 (1 ff.). Siehe auch: BFH, Urteil v. 25. 02. 2004 – I R 42/02 –, BFHE 206, 5 (11), BStBl. II 2005,

Englisch, in: Tipke/Lang (Hrsg.), Steuerrecht, § 4 Rn. 80 ff. Vgl. dazu: Englisch, in: Tipke/Lang (Hrsg.), Steuerrecht, § 4 Rn. 93 ff. 404 Grundlegend: EuGH, Urteil v. 13. 12. 2005, Rs. C-446/03, ECLI:EU:C:2005:763, Rn. 45 – Marks & Spencer. 405 Ständige Rechtsprechung: EuGH, Urteil v. 28. 01. 1992, Rs. C-204/90, ECLI:EU:C: 1992:35, Rn. 21 bis 23 – Bachmann/Belgischer Staat; EuGH, Urteil v. 28. 01. 1992, Rs. C-300/ 403

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- Symmetrie zwischen dem Recht zur Besteuerung der Gewinne und der Möglichkeit Verluste in Abzug zu bringen406 - Vermeidung von weißen Einkünften407 - Bekämpfung des Rechtsmissbrauchs und der Steuerflucht.408 Selbst wenn ein Rechtfertigungsgrund einschlägig sein sollte und damit kein Verstoß gegen europäische Grundfreiheiten vorliegt, bleibt ein Vorgehen gegen genehmigte Beihilfen ausgeschlossen. Das Zusammenspiel des Gebots der Unionstreue, den Kompetenzen der Kommission und dem Beschränkungsverbot der Grundfreiheiten zeigt meiner Ansicht nach eindeutig, dass den Mitgliedstaaten ein unilaterales Vorgehen gegen genehmigte Beihilfen untersagt ist.

90, ECLI:EU:C:1992:37, Rn. 14 bis 16 – Kommission/Belgien; EuGH, Urteil v. 11. 08. 1995, Rs. C-80/94, ECLI:EU:C:1995:271, Rn. 23 – 25 – Wielockx/Inspecteur der directe belastingen; EuGH, Urteil v. 07. 09. 2004, Rs. C-319/02, ECLI:EU:C:2004:484, Rn. 42 – Manninen; EuGH, Urteil v. 27. 11. 2008, Rs. C-418/07, ECLI:EU:C:2008:659, Rn. 43 – Papillion; EuGH, Urteil v. 01. 12. 2011, Rs. C-250/08, ECLI:EU:C:2011:793, Rn. 70 – Kommission/Belgien. Dieser Rechtfertigungsgrund wird vom Gerichtshof aber nur anerkannt, sofern vom Mitgliedstaat ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Steuervergünstigung und dem Ausgleich dieser Vergünstigung durch eine bestimmte Abgabe dargelegt werden kann. Siehe dazu: EuGH, Urteil v. 14. 11. 1995, Rs. C-484/93, ECLI:EU:C: 1995:379, Rn. 18 – Svensson und Gustavsson/ Ministre du Logement und de l’Urbanisme; EuGH, Urteil v. 27. 06. 1996, Rs. C-107/94, ECLI:EU:C:1996:251, Rn. 58 – Asscher/Staatssecretaris van Financiën; EuGH, Urteil v. 16. 07. 1998, Rs. C-264/96, ECLI:EU:C:1998:370, Rn. 29 – Imperial Chemical Industries/ Colmer; EuGH, Urteil v. 28. 10. 1999, Rs. C-55/98, ECLI:EU:C:1999:533, Rn. 24 – Vestergaard; EuGH, Urteil v. 21. 11. 2002, Rs. C-436/00, ECLI:EU:C:2002:704, Rn. 52 – X und Y; EuGH, Urteil v. 18. 09. 2003, Rs. C-168/01, ECLI:EU:C:2003:479, Rn. 29 – Bosal; EuGH, Urteil v. 28. 02. 2008, C-293/06, ECLI:EU:C:2008:129, Rn. 39 – Deutsche Shell. 406 EuGH, Urteil v. 13. 12. 2005, Rs. C-446/03, ECLI:EU:C:2005:763, Rn. 4 – Marks&Spencer, EuGH, Urteil v. 15. 05. 2008, Rs. C-414/06, ECLI:EU:C:2008:278, Rn. 33 – Lidl Belgium; EuGH, Urteil v. 25. 02. 2010, Rs. C-337/08, ECLI:EU:C:2010:89, Rn. 28 – X Holding. 407 EuGH, Urteil v. 18. 07. 2007, Rs. C-231/05, ECLI:EU:C:2007:439, Rn. 58 ff. – OY AA. 408 Ursprünglich sollte dieser Rechtfertigungsgrund nur bei „rein künstlichen Konstruktionen“ greifen. Siehe dazu: EuGH, Urteil v. 16. 07. 1998, Rs. C-264/96, ECLI:EU:C: 1998:370, Rn. 26 – Imperial Chemical Industries/Colmer; EuGH, Urteil v. 21. 11. 2002, Rs. C-436/00, ECLI:EU:C:2002:704, Rn. 61 – X und Y; EuGH, Urteil v. 12. 12. 2002, Rs. C324/00, ECLI:EU:C:2002:749, Rn. 37 – Lankhorst-Hohorst; EuGH, Urteil v. 11. 03. 2004, Rs. C-9/02, ECLI:EU:C:2004:138, Rn. 50 – De Lasteyrie du Saillant. Nach neuerer Rechtsprechung reicht es hingegen aus, dass die Norm dazu dient, Praktiken zu verhindern, deren einziges Ziel die Umgehung der Steuer ist, die normalerweise auf die durch Tätigkeiten im Inland erzielten Gewinne zu zahlen ist. Siehe dazu: EuGH, Urteil v. 13. 03. 2007, Rs. C-524/04, ECLI:EU:C:2007:161, Rn. 77 – Test Claimants in the Thin Cap Group Litigation; EuGH, Urteil v. 18. 07. 2007, Rs. C-231/05, ECLI:EU:C:2007:439, Rn. 54 ff. – Oy AA; EuGH, Urteil v. 08. 11. 2007, Rs. C-379/05, ECLI:EU:C: 2007:655, Rn. 58 – Amurta.

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Kap. 2: Die Beihilfekontrolle

VII. Fazit zum Rechtsschutz Die Folgen einer Rückzahlungsanordnung durch ein nationales Gericht und der Rückforderungsbeschluss durch die Kommission (Art. 14 VerfVO) unterscheiden sich aus Sicht eines Wettbewerbers kaum. Entscheidender Unterschied sind jedoch die mit den Verfahren verbundenen Voraussetzungen. Während eine Rückforderung durch die Kommission nur nach erfolgter und negativ ausgefallener Kompatibilitätsprüfung möglich ist, reicht für eine Anordnung durch ein nationales Gericht der Verstoß gegen die Notifizierungspflicht aus. Den Mitbewerbern des Beihilfeempfängers stehen auf nationaler und europäischer Ebene dabei zwar eine Reihe von Verfahren offen, die dabei bestehenden Beweisprobleme sollten jedoch nicht unterschätzt werden. Diese Beweisproblematik wird sich in einigen Fällen sogar als unüberwindbare Hürde darstellen. Theoretisch stehen Wettbewerbern also ausreichend Möglichkeiten offen, deren Umsetzung aber in der Praxis häufig schwer sein dürfte. Insbesondere die fehlende Transparenz und der bestehende Informationsrückstand erweisen sich dabei in der Regel als Problem.409 Dies gilt nicht nur für die Klagemöglichkeit von Konkurrenzunternehmen, sondern auch für die Beihilfekontrolle von nicht angemeldeten Maßnahmen durch die Kommission im Generellen. Vor diesem Hintergrund sind sämtliche Bemühungen mit dem Ziel, diesen Rückstand abzubauen, zu begrüßen. Hervorzuheben sind dabei die durch die Änderung der Verfahrensverordnung erweiterten Informationsverpflichtungen der Mitgliedstaaten und Wirtschaftsteilnehmer, ebenso wie die Rechtsprechung, die den einzelnen Wettbewerbern einen Auskunftsanspruch zubilligt. Auch die Rechtsprechung hinsichtlich Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV und der damit verbundene Individualschutz sind äußerst begrüßenswert. Die drittschützende Wirkung des Durchführungsverbots gibt den benachteiligten Wettbewerbern ein scharfes Schwert, um sich zumindest vor den nationalen Gerichten schnell und effektiv gegen die Vorteilsgewährung an einen Konkurrenten zur wehren. Der Auskunftsanspruch erlaubt es ihnen dabei, bisher verdeckte Beihilfen aufzudecken und so ihre Rechte effektiv zu schützen. Auch die bestehende Aufgabenverteilung zwischen Kommission und nationalen Gerichten ist sachgerecht. Sie wahrt das Recht des einzelnen Unternehmens auf effektiven Rechtsschutz vor nationalen Gerichten ebenso wie die Kompetenz der Kommission, über das Vorliegen von Beihilfen im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV zu entscheiden. Durch die Aussetzung des Verfahrens und die Möglichkeit der Stellungnahme durch die Kommission werden beide Verfahren gegebenenfalls gelungen verzahnt.

409 Zur Bedeutung der Transparenz im Wettbewerb und bei der Verfolgung von Beihilfen siehe: Müller, Wettbewerb und Unionsverfassung, S. 121 ff.

E. Fazit

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E. Fazit Das europäische Beihilferecht verpflichtet die Mitgliedstaaten, Regelungen jeder Art – also auch steuerliche Maßnahmen, die neu eingeführt werden und eine Beihilfe im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV darstellen – bei der Kommission anzumelden. Es obliegt dabei der Kommission, die Vereinbarkeit einer steuerlichen Maßnahme mit dem europäischen Binnenmarkt zu untersuchen und festzustellen. Hinsichtlich der Beihilfequalität einer Maßnahme und deren Vereinbarkeit mit dem Binnenmarkt kommt dem Kommissionsbeschluss faktisch damit überragende Bedeutung zu. Ist die Vereinbarkeit mit dem primären Unionsrecht gegeben, so genehmigt die Kommission die Beihilfe und der Mitgliedstaat darf die Maßnahme durchführen. Verweigert die Kommission diese Genehmigung, darf der Mitgliedstaat die Maßnahme nicht umsetzen und muss bereits gewährte Begünstigungen zurückfordern. Die Rückforderung richtet sich dabei zwar nach dem jeweiligen nationalen Verwaltungsrecht, dieses darf der praktischen Wirksamkeit des Unionsrecht dabei aber nicht im Weg stehen und muss daher im Zweifel unionsrechtskonform ausgelegt und interpretiert werden. Daher können der Rückforderung nur in sehr begrenztem Maß verwaltungstechnische Schwierigkeiten oder verfassungsrechtliche Hürden entgegengehalten werden. Der Beschluss der Kommission kann vom betroffenen Mitgliedstaat ebenso wie vom begünstigten Unternehmen angefochten werden. Bei Vorliegen von unmittelbarer und individueller Betroffenheit können auch Konkurrenten des begünstigten Unternehmens sowie andere Mitgliedstaaten klagebefugt sein. Die Einhaltung dieses Prozederes wird durch das beihilferechtliche Durchführungsverbot sichergestellt. Art. 108 Abs. 3 AEUV verbietet den Mitgliedstaaten dabei die geplanten Maßnahmen ohne Genehmigung durch die Kommission umzusetzen. Ein Verstoß gegen das Durchführungsverbot hat sowohl für den betroffenen Mitgliedstaat als auch für die begünstigten Unternehmen und deren Konkurrenten weitreichende Folgen. Eine unter Verstoß gegen das Durchführungsverbot gewährte Beihilfe ist rechtswidrig. Das Schicksal des Gewährungsakts bestimmt sich dabei nach dem anzuwendenden innerstaatlichen Recht. Steuerbescheide sind dabei als wirksam, aber rechtswidrig anzusehen und müssen in der Folge aufgehoben werden. Den beteiligten Parteien stehen auf nationaler und europäischer Ebene eine Reihe von Rechtsschutzmöglichkeiten offen. Dabei nimmt der Schutz von Wettbewerbern und deren Handlungsmöglichkeiten eine herausgehobene Stellung ein. Hervorzuheben ist dabei in besonderem Maße die Möglichkeit eines Konkurrenten, die Gewährung der Beihilfe durch die nationalen Gerichte zu verhindern bzw. deren Rückzahlung anordnen zu lassen. Durch den drittschützenden Charakter des Durchführungsverbots kommt den Wettbewerbern insoweit die Aufgabe einer Art dezentraler Beihilfekontrolle zu.

Kapitel 3

Materielle Voraussetzungen des Beihilfetatbestandes Der Begriff der Beihilfe wird in den Europäischen Verträgen zwar mehrfach verwendet, jedoch findet sich an keiner Stelle eine Legaldefinition des Begriffs. Was unter einer rechtswidrigen staatlichen Beihilfe zu verstehen ist, muss daher unmittelbar aus Art. 107 Abs. 1 AEUV abgeleitet werden.410 Danach sind – vorbehaltlich anderer Bestimmungen in den europäischen Verträgen – aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen gleich welcher Art mit dem Binnenmarkt unvereinbar, wenn durch sie bestimmte Unternehmen oder Produktionszweige begünstigt werden und soweit dadurch der Wettbewerb zwischen den Mitgliedstaaten verfälscht wird oder zu verfälschen droht bzw. soweit sie den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigen. Beihilfen der Mitgliedstaaten sind abzugrenzen von Unionsbeihilfen, die auf Rechtsakten der Union beruhen und von ihr finanziert werden.411

A. Begünstigung eines Unternehmens oder Produktionszweiges Konstituierend für den europäischen Beihilfebegriff i. S. v. Art. 107 Abs. 1 AEUV ist die Begünstigung eines Unternehmens oder Produktionszweiges. Die Begünstigung ist Kern des Beihilfebegriffs und kennzeichnet seine charakteristische Wirkung.412 Eine staatliche Maßnahme, die unter dem Verdacht steht, eine mit dem Binnenmarkt unvereinbare Beihilfe darzustellen, muss einem Unternehmen oder einem kompletten Produktionszweig413 einen finanziellen Vorteil gewähren. Unter den Begriff des Produktionszweigs fallen sämtliche Gewerbezweige, aber auch alle 410

Vgl. Lehnert, Die Korrektur von gemeinschaftswidrigen Beihilfen in Form von Steuervergünstigungen, S. 26. 411 Zur Unionsbeihilfe siehe: Blumenberg/Kring, Europäisches Beihilferecht und Besteuerung, S. 9. Zur Abgrenzung vgl. Englisch, EuR 2009, 488 – 513. Zur Kompetenz der Europäischen Union zur Vergabe von Beihilfen sowie zur europäischen Beihilfelenkungspolitik vgl. Müller, Wettbewerb und Unionsverfassung, S. 204 ff. 412 Sutter, Das EG-Beihilfenverbot und sein Durchführungsverbot in Steuersachen, S. 79; Lehnert, Die Korrektur von gemeinschaftswidrigen Beihilfen in Form von Steuervergünstigungen, S. 29; Koenig/Sander, EuR 2000, 743 (745). 413 Der sprachlichen Vereinfachung wegen wird zukünftig nur von Unternehmen gesprochen und auf die explizite Nennung des Produktionszweiges verzichtet.

A. Begünstigung eines Unternehmens oder Produktionszweiges

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freien Berufe.414 Wie der Begriff der Beihilfe wird auch der – vom Recht der Mitgliedstaaten unabhängige – Begriff des Unternehmens in den Verträgen nicht legal definiert. Nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes ist ein Unternehmen „jede eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübende Einheit, unabhängig von ihrer Rechtsform und der Art ihrer Finanzierung“.415 Das Kriterium wirtschaftliche Tätigkeit ist weit und funktional zu verstehen und umfasst „jede Tätigkeit, die darin besteht, Güter oder Dienstleistungen auf einem bestimmten Markt anzubieten“.416 Folglich fallen Vergünstigungen, die Privatpersonen und Endverbrauchern gewährt werden, grundsätzlich nicht unter den Beihilfebegriff des Art. 107 Abs. 1 AEUV. Die Gewinnerzielungsabsicht ist dabei für die wirtschaftliche Tätigkeit nicht konstituierend.417 Vom Unternehmensbegriff nicht umfasst sind jedoch Unternehmen ohne Erwerbscharakter wie Stiftungen oder Verbände, sofern sie tatsächlich keinen Gewinn erzielen können.418 Hingegen können Unternehmen, die nicht selbst am Markt, sondern lediglich vermögensverwaltend tätig sind, Beihilfeempfänger sein.419

I. Leistungs- und Verschonungssubventionen Art. 107 Abs. 1 AEUV untersagt staatliche Beihilfen gleich welcher Art. Aus dieser Formulierung lassen sich drei grundlegende Schlussfolgerungen ziehen. Sie bedeutet zunächst, dass das Beihilfeverbot der gewählten staatlichen Handlungsform keinerlei Bedeutung zumisst. Das Rechtskleid einer Begünstigung ist für deren Einordnung als Beihilfe irrelevant. Davon umfasst sind folgerichtig Einzelmaß414 Mit dieser Alternative sollen Begünstigungen ganzer Branchen verhindert werden. Vgl. Koenig/Kühling/Ritter, EG-Beihilfenrecht, Rn. 170. 415 Zu dieser Rechtsprechung vgl. u. a.: EuGH, Urteil v. 23. 04. 1991, Rs. C-41/90, ECLI: EU:C:1991:161, Rn. 21 – Höfner und Eiser; EuGH, Urteil v. 16. 03. 2004, Rs. C-264/01, C306/01, C-354/01 und C-355/01, ECLI:EU:C:2004:150, Rn. 46 – AOK Bundesverband u. a.; EuGH, Urteil v. 10. 01. 2006, Rs. C-222/04, ECLI:EU:C:2006:8, Rn. 107 – Cassa di Risparmio di Firenze. Der Unternehmensbegriff deckt sich insoweit mit dem des Kartellrechts (Art. 101 AEUV) und der Missbrauchskontrolle (Art. 102 AEUV). Vgl. Koenig/Förtsch, in: Streinz (Hrsg.), EUV/AEUV, Art. 107 AEUV Rn. 74; Koenig/Hellstern, in: Müller-Graff (Hrsg.), Europäisches Wirtschaftsordnungsrecht, § 14 Rn. 37. 416 EuGH, Urteil v. 18. 06. 1998, Rs. C-35/96, ECLI:EU:C:1998:303, Rn. 36 – Kommission/Italien; EuGH, Urteil v. 12. 12. 2000, Rs. C-180/98 bis C-184/98, ECLI:EU:C:2000:428, Rn. 75 – Pavlov u. a.; EuGH, Urteil v. 10. 01. 2006, Rs. C-222/04, ECLI:EU:C:2006:8, Rn. 108 – Cassa di Risparmio di Firenze. 417 Koenig/Hellstern, in: Müller-Graff (Hrsg.), Europäisches Wirtschaftsordnungsrecht, § 14 Rn. 40; Grotherr, EWS 2015, 67 (69). 418 Mitteilung der Kommission v. 10. 12. 1998 über die Anwendung der Vorschriften über staatliche Beihilfen auf Maßnahmen im Bereich der direkten Unternehmenssteuerung, ABl. EG 1998 Nr.C 384/3, Rn. 25. Zur Frage der steuerbegünstigten Tätigkeiten, die keine Beihilfe darstellen, siehe ausführlich: Rosenberg, Das beihilferechtliche Durchführungsverbot im Steuerverfahren, S. 41. 419 Rosenberg, Das beihilferechtliche Durchführungsverbot im Steuerverfahren, S. 41.

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Kap. 3: Materielle Voraussetzungen des Beihilfetatbestandes

nahmen (z. B. Steuerbescheide) genauso wie abstrakte Normen (z. B. Steuergesetze) oder schlichtes Verwaltungshandeln. Zweitens bedeutet es, dass Ziele, Absichten und Motive des handelnden Staates außer Acht gelassen werden müssen.420 Drittens bedeutet es schließlich, dass es bei der Begünstigung nicht darauf ankommt, in welcher Form diese gewährt wird. Während ursprünglich unter einer Beihilfe vor allem Leistungssubventionen, z. B. Zuschüsse, vergünstigte Darlehen, Bürgschaften oder Kapitalzuführungen verstanden wurden, so ist heute unbestritten, dass auch Verschonungssubventionen wie Steuer- und Abgabebefreiungen eine Beihilfe darstellen können.421 Dass auch steuerliche Maßnahmen grundsätzlich unter den Beihilfebegriff fallen können, wurde vom Europäischen Gerichtshof bereits 1961 in seinem Steenkolenmijnen-Urteil422 herausgearbeitet. Er erkannte dabei: „Der Begriff der Beihilfe ist jedoch weiter als der Begriff der Subvention, denn er umfasst nicht nur positive Leistungen wie Subventionen selbst, sondern auch Maßnahmen, die in verschiedener Form die Belastungen vermindern, welche ein Unternehmen normalerweise zu tragen hat und die zwar keine Subventionen im strengen Sinne des Wortes darstellen, diesen aber nach Art und Wirkung gleichstehen“.423 Diese Grundformel wurde seitdem vom Gerichtshof dazu verwendet, auch entlastende Maßnahmen wie Steuer- und Abgabenbefreiungen dem Beihilferegime des Art. 107 Abs. 1 AEUV zu unterwerfen.424 Auch Steuer- und Abgabenentlastungen können folglich eine Beihilfe darstellen, denn letztlich entscheidend für die Beurteilung einer Maßnahme als Beihilfe ist nicht deren Charakter oder die rechtliche Kon420 Zu dieser ständigen Rechtsprechung siehe: EuGH, Urteil v. 02. 07. 1974, Rs. C-173/73, ECLI:EU:C:1973:71 – Italien/Kommission; EuGH, Urteil v. 24. 02. 1987, Rs. 310/85, ECLI: EU:C:1987:96, Rn. 8 – Deufil/Kommisison; EuGH, Urteil v. 29. 02. 1996, Rs. C-56/93, ECLI: EU:C:1996:64, Rn. 79 – Belgien/Kommission; EuGH, Urteil v. 26. 09. 1996, Rs. C-241/94, ECLI:EU:C:1996:353, Rn. 20 – Frankreich/Kommission; EuGH, Urteil v. 17. 06. 1999, Rs. C75/97, ECLI:EU:C:1999:311, Rn. 25 – Belgien/Kommission; EuGH, Urteil v. 22. 12. 2008, Rs. C-487/06 P, ECLI:EU:C:2008:757, Rn. 85 und 89 – British Aggregates/Kommission; EuGH, Urteil v. 08. 09. 2011, Rs. C-279/08 P, ECLI:EU:C:2011:551, Rn. 51 – Kommission/ Niederlande; EuGH, Urteil v. 15. 11. 2011, Rs. C-106/09 P und C-107/09 P, ECLI:EU:C:2011: 732, Rn. 87 – Gibraltar. Vgl. auch: Bousin/Piernas, EStAL 2008, 634 (635). 421 Vgl. Lang, IStR 2015, 369 (370); Englisch, EuR 2009, 488 (489); Linn, IStR 2008, 601 (603); Grube, DStZ 2007, 370 (375); Frenz/Roth, DStZ 2006, 465 (465). 422 EuGH, Urteil v. 23. 02. 1961, Rs. 30/59, ECLI:EU:C:1961:2 – De gezamenlijke Steenkolenmijnen in Limburg/Hohe Behörde. 423 EuGH, Urteil v. 23. 02. 1961, Rs. 30/59, ECLI:EU:C:1961:2 (S. 42) – De gezamenlijke Steenkolenmijnen in Limburg/Hohe Behörde. 424 Vgl. zu dieser Rechtsprechung: EuGH, Urteil v. 15. 03. 1994, Rs. C-387/92, ECLI:EU: C:1994:100, Rn. 13 – Banco Exterior de España/Ayuntamiento de Valencia; EuGH, Urteil v. 01. 12. 1998, Rs. C-200/97, ECLI:EU:C:1998:579, Rn. 34 – Ecotrade/Altiforni e Ferriere di Servola; EuGH, Urteil v. 17. 06. 1999, Rs. C-75/97, ECLI:EU:C:1999:311, Rn. 23 – Belgien/ Kommission; EuGH, Urteil v. 08. 11. 2001, Rs. C-143/99, ECLI:EU:2001:598, Rn. 38 – AdriaWien Pipeline und Wietersdorfer & Peggauer Zementwerke; EuGH, Urteil v. 15. 06. 2006, Rs. C-393/04 und C-41/05, ECLI:EU:C:2006:403, Rn. 29 – Air Liquide Industries Belgium; EuGH, EuGH, Urteil v. 22. 06. 2006, Rs. C-182/03 und C-217/03, ECLI:EU:C:2006:416, Rn. 84 – Belgische Koordinationszentren; EuGH, Urteil v. 10. 01. 2006, Rs. C-222/04, ECLI: EU:C:2006:8, Rn. 131 – Cassa di Risparmio di Firenze.

A. Begünstigung eines Unternehmens oder Produktionszweiges

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struktion, sondern ausschließlich die entlastende Wirkung.425 Bei einer Verschonungssubvention wird der Begünstigte von seiner üblicherweise zu tragenden Abgaben- und Steuerlast ganz oder zumindest teilweise befreit. Die Subsumtion von Verschonungssubventionen unter den Beihilfebegriff ist nur konsequent. Bei ökonomischer Betrachtung macht es keinen Unterschied, ob ein Unternehmen vom Staat einen Vorteil im Sinne eines Mittelzuflusses, etwa in Form eines Kapitalzuschusses, erhält, oder ob seine gewöhnlich zu tragende Steuer- und Abgabenlast abgesenkt wird. Entscheidend ist in beiden Fällen die Entlastungswirkung beim Unternehmen.426 Auch durch die Modifikation des öffentlichen Steuer- und Abgabensystems lässt sich für den Beihilfeempfänger eine Situation schaffen, in der er sowohl im Hinblick auf seine Nettobelastung als auch auf mögliche Verhaltensanreize in die gleiche Situation gesetzt wird wie bei direkten Beihilfen. Dabei muss die Entlastungswirkung keineswegs projektbezogen oder punktuell erfolgen. Es reicht aus, dass die allgemeine Wirtschaftslage des Unternehmens verbessert wird.427 Im Bereich des Steuerrechts ist daher eine Begünstigung anzunehmen, wenn eine staatliche Maßnahme dazu führt, dass ein Unternehmen eine geringere als seine normalerweise anfallende Steuerlast zu tragen hat; unabhängig vom bestehenden Besteuerungsniveau in anderen Mitgliedstaaten. Auch die Europäische Kommission hat in ihrer Mitteilung über die direkte Unternehmensbesteuerung festgestellt, dass für die Anwendung der unionsrechtlichen Beihilfevorschriften der Charakter einer Maßnahme unerheblich ist.“428 Das europäische Beihilferecht versteht den Begriff der Steuervergünstigung als Ober- und Sammelbegriff für sämtliche die Steuerschuld mindernden staatlichen Handlungen.429 Sie sind grundsätzlich durch Steuergesetze, Verordnungen, aber auch insbesondere durch Einzelfallmaßnahmen und die Praxis der Finanzverwaltung denkbar. Gesetze können daher ebenso wie die Verwaltungspraxis eine unzulässige Beihilfe darstellen. Auch hier sei daran erinnert, dass Art. 107 Abs. 1 AEUV Beihilfen jeglicher Art unabhängig von ihrer rechtlichen Konstruktion verbietet, entscheidend ist die Absenkung der Steuerlast. Eine solche ist auf unterschiedlichsten Wegen denkbar:430 425

Blumenberg/Kring, Europäisches Beihilferecht und Besteuerung, S. 11. Rode, Steuervergünstigungen, Beihilfen und Steuerwettbewerb, S. 16; Strüber, Steuerliche Beihilfen, S. 81. 427 Sutter, Das EG-Beihilfenverbot und sein Durchführungsverbot in Steuersachen, S. 79. 428 Mitteilung der Kommission v. 10. 12. 1998 über die Anwendung der Vorschriften über staatliche Beihilfen auf Maßnahmen im Bereich der direkten Unternehmenssteuerung, ABl. EG 1998 Nr.C 384/3, Rn. 8. 429 Lehnert, Die Korrektur von gemeinschaftswidrigen Beihilfen in Form von Steuervergünstigungen, S. 38. 430 Vgl. Mitteilung der Kommission v. 10. 12. 1998 über die Anwendung der Vorschriften über staatliche Beihilfen auf Maßnahmen im Bereich der direkten Unternehmenssteuerung, ABl. EG 1998 Nr.C 384/3, Rn. 9. Sowie: Grotherr, EWS 2015, 67 (69). Für eine ausführliche Darstellung der möglichen Steuerbeihilfen siehe: Strüber, Steuerliche Beihilfen, S. 132 – 143 426

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Kap. 3: Materielle Voraussetzungen des Beihilfetatbestandes

- Minderungen der steuerlichen Bemessungsgrundlage (etwa durch Freibeträge, besondere Abschreibungsmöglichkeiten oder Steuerabzüge, Bildung steuerfreier Rücklagen, beschleunigte Abschreibungen) - Ermäßigung des Gesamtsteuerbetrages (z. B. Steuergutschrift, Steuerbefreiung) - Reduktion des Steuersatzes - Ermessensentscheidungen zugunsten eines Unternehmens - Besondere Verlustverrechnungsmöglichkeiten - Zumindest teilweise Steuerbefreiung von bestimmten Geschäftsvorfällen - Begünstigungen bei der Begleichung der Steuerschuld (z. B. Steuerstundungen) Die Tatsache, dass auch die Bildung von Rücklagen, die beschleunigte Abschreibung Anlage- oder Umlaufvermögens sowie besondere Zahlungsvereinbarungen bei der Begleichung der Steuerschuld eine Beihilfe darstellen können, zeigt, dass auch temporäre Steuererleichterungen von Art.107 Abs. 1 AEUV erfasst werden. Maßgeblich ist die tatsächlich entlastende Wirkung beim Unternehmen, auch wenn diese nur in Liquidations- oder Zinseffekten liegt.431

II. Ebenen der Steuerbegünstigung Steuerliche Begünstigungen sind sowohl auf Ebene der (Steuer-)Gesetzgebung, als auch auf Ebene des Steuervollzugs möglich. Auf Ebene der Steuergesetzgebung erlässt der Steuergesetzgeber gezielt Gesetze, die dazu dienen, bestimmte Wirtschaftsteilnehmer zu bevorzugen. So ist es möglich ein gewünschtes System staatlicher Subventionierungen durch eine entsprechende Gestaltung der Steuergesetze bzw. des Steuersystems zu schaffen; sei es durch offensichtliche Steuerausnahmen, reduzierte Steuersätze, verkleinerte Bemessungsgrundlagen oder ähnlichem. Die Frage einer Beihilfe kann dabei auch im Rahmen etwaiger Sonderbelastungen auftreten. Möglich ist aber auch eine Begünstigung auf der Ebene des Steuervollzugs. Dabei verzichtet die zuständige Finanzverwaltung auf die Eintreibung und Durchsetzung einer rechtmäßig festgesetzten Steuerschuld beim Steuerpflichtigen. Denkbar ist aber auch, die (gezielte) Ausnutzung von behördlichen Wertungs- und Ermessensspielräumen im Rahmen der Steuerfestsetzung.

und Lehnert, Die Korrektur von gemeinschaftswidrigen Beihilfen in Form von Steuervergünstigungen, S. 53 – 67. 431 Sutter, Das EG-Beihilfenverbot und sein Durchführungsverbot in Steuersachen, S. 83; Strüber, Steuerliche Beihilfen, S. 137 ff.

A. Begünstigung eines Unternehmens oder Produktionszweiges

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III. Umfang der Begünstigung Der Umfang der Begünstigung entspricht der Differenz zwischen der gezahlten und der eigentlich zu tragenden Steuerlast. Verzichtet ein Hoheitsträger gänzlich auf eine Forderung, entspricht die gewährte Begünstigung dem Nominalbetrag der Forderung zuzüglich der marktüblichen Zinsen auf diese Summe. Gewährt der Hoheitsträger hingegen Zinsvergünstigungen, hatte die Europäische Kommission angenommen, dass grundsätzlich die Differenz zwischen gewährtem Zinssatz und dem marktüblichen Zinssatz der Begünstigung entspricht.432 Der Europäische Gerichtshof ging in seinem Tubacex-Urteil433 dagegen davon aus, dass, sofern von Anfang an eine Zahlungsverpflichtung des begünstigten Unternehmens bestand, die darauf anfallenden Zinsen Verzugszinsen darstellen, da sie den Schaden abdecken, „der dem Gläubiger durch den vom Schuldner zu vertretenden Zahlungsverzug entsteht“.434 Folglich muss die Differenz zwischen dem erhobenen Zinssatz und dem bei einem privaten Gläubiger anfallenden Verzugszins (nicht der marktübliche Zinssatz) nachgefordert werden.435 Wird die Nichtdurchsetzung einer Forderung als rechtswidrige Beihilfe eingestuft und verstößt damit gegen das Durchführungsverbot des Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV, muss die gewährte Beihilfe in vollem Umfang rückabgewickelt und sämtliche erhaltenen Vorteile herausgegeben werden. Würden nur die nicht erhobenen Zinsen gezahlt, nicht aber die fällige Forderung als solche eingetrieben, wird zwar eine bereits eingetretene Marktverzerrung bereinigt, durch das Nichteintreiben kommt es jedoch in der Folgezeit erneut zu einer solchen Verzerrung. Richtigerweise muss daher bei Fälligkeit auch die Forderung in Höhe des Nominalbetrags eingefordert werden.436 Für die Berechnung der genauen Steuerschuld des begünstigen Unternehmens gilt das bisher Gesagte. Die letztliche Bezifferung obliegt dem Mitgliedstaat selbst.437 432 Entscheidung der Kommission v. 30. 07. 1996 über eine staatliche Beihilfe an die Compañía Española de Tubos por Extrusión S. A., Llodio (Älava), ABl. EG 1997 Nr. L 8/14 (21). 433 EuGH, Urteil v. 29. 04. 1999, Rs. C-342/96, ECLI:EU:C:1999:210 – Spanien/Kommission (Tubacex). 434 EuGH, Urteil v. 29. 04. 1999, Rs. C-342/96, ECLI:EU:C:1999:210, Rn. 47 und 48 – Spanien/Kommission (Tubacex). So auch: Koenig/Kühling/Ritter, EG-Beihilfenrecht, Rn. 151. 435 Die Kommission hat ihre Praxis dementsprechend angepasst. Vgl. Entscheidung der Kommission v. 20. 09. 2000 zur Änderung der Entscheidung 1999/395/EG der Kommission über Beihilfen Spaniens zugunsten der SNIACE SA mit Sitz in Torrelavega, Kantabrien, Az. K(2000) 2741, ABl. EG 2001 Nr. L 11/46; Entscheidung der Kommission v. 31. 10. 2000 zur Änderung der Entscheidung 97/21/EGKS, EG über eine staatliche Beihilfe an die Compañía Española de Tubos por Extrusión SA, Llodio, Álava, Az. K(2000) 3268, ABl. EG 2001 Nr. L 52/26. 436 So auch: Soltész/Makowski, EuZW 2003, 73 (77). 437 Es genügt, dass die Entscheidung der Kommission Angaben enthält, die es ihrem Adressaten ermöglicht, ohne übermäßige Schwierigkeiten diesen Betrag selbst zu bestimmen. In diesem Sinne: EuGH, Urteil v. 13. 07. 1988, Rs. C-102/87, ECLI:EU:C:1988:391, Rn. 33 –

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Kap. 3: Materielle Voraussetzungen des Beihilfetatbestandes

IV. Market Economy Operator Test Die Europäische Kommission nimmt grundsätzlich aber wiederlegbar an, dass eine Beihilfe nur dann gegeben ist, wenn ein Unternehmen staatliche Leistungen unter Bedingungen erhält, die besser sind als die marktwirtschaftlichen Bedingungen vergleichbarer Leistungen (sog. Market Economy Operator Test). Liegt ein marktmäßiges Äquivalent für die staatliche Begünstigung vor, handelt es sich bei der staatlichen Mittelzuführung nicht um eine Beihilfe, sondern lediglich um ein Entgelt für die erbrachte Leistung.438 Eine Beihilfe wird demnach nicht angenommen, wenn die Leistung (z. B. ein Darlehen) zu Konditionen (z. B. einem Zinssatz) angeboten wird, die marktüblich sind.439 Für Leistungssubventionen bedeutet dies, dass eine Beihilfe dann nicht anzunehmen ist, wenn staatliche Stellen Unternehmen Mittel unter Bedingungen zuführen, unter denen ein privater Investor ebenso gehandelt hätte (sog. Private Investor Test).440 Grundsätzlich keine Gegenleistung im Sinne eines marktmäßigen Äquivalents ist die Erfüllung volkswirtschaftlicher Erwartungen (z. B. höhere Steuereinnahmen zu einem späteren Zeitpunkt, Unterstützung strukturschwacher Regionen, Abbau der Arbeitslosigkeit). Zum einen ist in derartigen Konstellationen ein Vergleich zu einem privaten Marktakteur nur schwer vorstellbar:441 Ein marktwirtschaftlich handelnder Privater wird sich gerade nicht mit abstrakten volkswirtschaftlichen Erwartungen als Gegenleistung zufriedengeben. Zum anderen kann hier zumeist nicht genau bestimmt werden, ob der gewünschte Volkswirtschaftliche Effekt tatsächlich kausal auf der staatlichen Maßnahme beruht, also eine echte Konnexität von Leistung und Gegenleistung gegeben ist.442

Frankreich/Kommission; EuGH, Urteil v. 12. 10. 2000, Rs. C-480/98, ECLI:EU:C:2000:559, Rn. 25 – Spanien/Kommission. 438 Lehnert, Die Korrektur von gemeinschaftswidrigen Beihilfen in Form von Steuervergünstigungen, S. 29 ff. 439 EuGH, Urteil v. 21. 03. 1991, Rs. C-303/88, ECLI:EU:C:1991:136, Rn. 19 und 20 – Italien/Kommission; EuGH, Urteil v. 21. 03. 1991, Rs. C-305/89, ECLI:EU:C:1991:141, Rn. 19 und 20 – Alfa Romeo; EuGH, Urteil v. 14. 09. 1994, Rs. C-42/93, ECLI:EU:C:1994:326, Rn. 13 und 14 – Spanien/Kommission; EuGH, Urteil v. 14. 09. 1994, Rs. C-278/92 bis 280/92, ECLI: EU:C:1994:325, Rn. 21 – Spanien/Kommission; EuG, Urteil v. 25. 03. 1999, Rs. T-37/97, ECLI:EU:T:1999:66, Rn. 71 – Forqes de Clabeq. Siehe auch: Blumenberg/Kring, Europäisches Beihilferecht und Besteuerung, S. 13; Pape, Staatliche Kapitalbeteiligungen an Unternehmen und das Beihilfenverbot, S. 42. 440 Bartosch, EU-Beihilfenrecht, Art. 107 Abs. 1 AEUV Rn. 3 ff. 441 Die Anwendung daher von vornherein ablehnend: Sutter, EG-Beihilfenverbot und sein Durchführungsverbot in Steuersachen, S. 86. 442 Diese Konnexität von Leistung und Gegenleistung muss aber verlangt werden, da ansonsten dem Missbrauch Tür und Tor geöffnet würde.

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1. Das Privatgläubigerprinzip Da Art. 107 Abs. 1 AEUV Beihilfen gleich welcher Art und damit auch Verschonungssubventionen verbietet, wurde der Private Investor Test443 weiterentwickelt und auf Sachverhalte angewendet, in denen die öffentliche Hand als Gläubiger auftritt.444 Verzichtet ein Hoheitsträger auf die Durchsetzung seiner bestehenden Forderungen, wird dem betroffenen Schuldner ein – mitunter sehr diskreter – Vorteil gewährt.445 Der Staat verhält sich jedoch nicht wie ein Investor, der einem Unternehmen frisches Kapital zuführen möchte, sondern vielmehr wie ein Gläubiger, der die Begleichung ausstehender Verbindlichkeiten anstrebt.446 Ob das Gläubigerverhalten der öffentlichen Hand dabei zu großzügig war und damit einen Beihilfecharakter hat, wird ebenfalls anhand eines Vergleichs mit einem marktwirtschaftlich handelnden Privaten ermittelt.447 Mit dem Privatinvestorprinzip wird folglich ermittelt, ob eine staatliche Mittelgewährung eine Begünstigung darstellt, mit dem Privatgläubigerprinzip wird dagegen ermittelt, ob ein bestehender staatlicher An443 Zu den Anforderungen an den Private Investor Test im Beihilfenrecht vgl. Giesberts/ Streit, EuZW 2009, 484 – 488. 444 Vgl. u. a.: EuGH, Urteil v. 29. 04. 1999, Rs. C-342/96, ECLI:EU:C:1999:210, Rn. 46 ff. – Spanien/Kommission (Tubacex); EuGH, Urteil v. 29. 06. 1999, Rs. C-256/97, ECLI: EU:C:1999:332, Rn. 19 ff. – DM Transport; EuGH, Urteil v. 24. 01. 2013, Rs. C-73/11 P, ECLI: EU:C:2013:32, Rn. 72 – Frucona Kosˇice/Kommission. Ebenso Entscheidungen der Kommission: Entscheidung der Kommission v. 22. 07. 1993 über Beihilfen der spanischen Behörden zum Verkauf bestimmter ausgewählter Vermögenswerte von Cenemesa/Cademesa/Conelec an Asea-Brown Boveri, ABl. EG 1993 Nr. L 309/21; Entscheidung der Komission v. 30. 04. 1996 über die staatlichen Beihilfen zugunsten der La Seda de Barcelona S. A., ansässig in El Prat de Llobregat (Katalonien), und Alcalá de Henares (Comunidad de Madrid), ABl. EG 1996 Nr. L 298/14; Entscheidung der Kommissionv. 11. 04. 2000, über die staatliche Beihilfe die von Frankreich im Schweinesektor gewährt wird, Az. K(2000) 1169), ABl. EG 2000 Nr. L 326/65; Entscheidung der Kommission v. 16. 05. 2000 über die staatliche Beihilfe, die Spanien zugunsten des Unternehmens Asociación General Agraria Mallorquina SA (AGAMA SA) gewährt hat, Az. K(2000) 1401, ABl. EG 2000 Nr. L 267/53; Entscheidung der Kommission v. 31. 01. 2001 über die staatliche Beihilfe, die der Mitgliedstaat Spanien zugunsten des Konzerns Fesa-Enfersa (Fertiberia) durchgeführt hat, Az. K(2001) 324, ABl. EG 2002 Nr. L 165/1; Entscheidung der Kommission v. 24. 04. 2002, über die staatliche Beihilfe, die Belgien zugunsten der Unternehmensgruppe Beaulieu (Ter Lembeek International) durchgeführt hat, Az. K(2002) 1341, ABl. EG 2002 Nr. L 296/60. 445 Koenig/Schreiber, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 224; Koenig/Kühling/Ritter, EGBeihilfenrecht, Rn. 151. 446 Mestmäcker/Schweitzer, in: Immenga/Mestmäcker (Hrsg.), Wettbewerbsrecht, Art. 107 Abs. 1 AEUV Rn. 111; Soltész/Makowski, EuZW 2003, 73 (75). 447 Bekanntmachung der Europäischen Kommission zum Begriff der staatlichen Beihilfe im Sinne des Artikels 107 Absatz 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, ABl. EU 2016 Nr. C 262/1, Rn. 74; EuGH, Urteil v. 29. 04. 1999, Rs. C-342/96, ECLI:EU:C: 1999:210, Rn. 46 – Spanien/Kommission (Tubacex); EuGH, Urteil v. 29. 06. 1999, Rs. C-256/ 97, ECLI:EU:C:1999:332, Rn. 30 – DM Transport; EuGH, Urteil v. 05. 06. 2012, Rs. C-124/10 P, ECLI:EU:C:2012:318, Rn. 78 – EdF; EuGH, Urteil v. 24. 01. 2013, Rs. C-73/11 P, ECLI:EU: C:2013:32; Rn. 72 – Frucona Kosˇice/Kommission. Siehe auch: Mestmäcker/Schweitzer, in: Immenga/Mestmäcker (Hrsg.), Wettbewerbsrecht, Art. 107 Abs. 1 AEUV Rn. 111 und 112.

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Kap. 3: Materielle Voraussetzungen des Beihilfetatbestandes

spruch beihilfekonform durchgesetzt wird.448 Durch die Nichtdurchsetzung oder Anpassung (der Modalitäten) tatsächlich bestehender (Steuer-)Ansprüche bietet sich staatlichen Stellen ein eleganter und gleichzeitig diskreter Weg, Unternehmen einen finanziellen Vorteil zukommen zu lassen. Ein solches Verhalten unterscheidet sich in seinen wirtschaftlichen Auswirkungen nicht von einer (transparenten) Senkung der Steuerlast, weswegen auch Anpassungen bestehender Steuerschulden als staatliche Beihilfe angesehen werden können.449 Eine Anpassung im Sinne eines gegenseitigen Einverständnisses ist dabei gar nicht notwendig, vielmehr kann der Hoheitsträger einfach auf die Durchsetzung seiner Ansprüche verzichten. Dabei führt ein Verzicht auf die sofortige Durchsetzung eines Anspruchs, und damit eine Abweichung vom Normalfall, nicht automatisch zur Beihilfewidrigkeit des staatlichen Handelns. Eine Begünstigung eines Unternehmens ist nach dem Privatgläubigerprinzip nämlich gerade nicht gegeben, wenn sich der öffentliche Gläubiger so verhält, wie es auch ein hypothetischer privater Gläubiger in einer vergleichbaren Situation gegenüber seinem Schuldner getan hätte.450 Zwar wird ein privater Gläubiger im Regelfall die – notfalls zwangsweise – Durchsetzung seiner Forderungen betreiben, allerdings kann es auch für ihn unter besonderen Umständen sinnvoll sein, seinem Schuldner bei der Erfüllung seiner Verpflichtung entgegenzukommen, sofern dies dazu führt, dass seine Ansprüche letztlich in größerem Umfang oder mit größerer Sicherheit erfüllt werden können.451 Beispielsweise wird ein privater Gläubiger auf eine wahrscheinlich vergebliche Durchsetzung seiner Forderungen im Wege der Zwangsvollstreckung verzichten und stattdessen seinem Schuldner einen finanziellen Spielraum geben, in der Erwartung, später zumindest einen Teil seiner Forderung erfüllt zu bekommen.452 Bei realitätsnaher Betrachtung wird ein privater Gläubiger seinem Schuldner die Gegenleistung allerdings nicht ohne Weiteres stunden oder (teilweise) erlassen. Er wird vielmehr eine Gegenleistung, z. B. (weitere) Kreditsicherheiten (Bürgschaften, Hypotheken, etc.) oder für ihn verbesserte Kondition (z. B. höher Zinssatz, bevorzugte oder schnellere Rückzahlung) fordern.453 Entscheidend ist auch hier, ob ein privater Gläubiger in einer vergleichbaren Situation dieselbe

448

Koenig/Schreiber, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 224. Soltész/Makowski, EuZW 2003, 73 (75). 450 EuGH, Urteil v. 29. 04. 1999, Rs. C-342/96, ECLI:EU:C:1999:210, Rn. 46 bis 49 – Spanien/Kommission (Tubacex); bestätigt durch EuGH, Urteil v. 29. 06. 1999, Rs. C-256/97, ECLI:EU:C:1999:332, Rn. 22 bis 25 – DM Transport; EuGH, Urteil v. 22. 11. 2007, Rs. C-525/ 04 P, ECLI:EU:C:2007:698, Rn. 51 ff. – Spanien//Lenzing; EuGH, Urteil v. 24. 01. 2013, Rs. C73/11 P, ECLI:EU:C:2013:32; Rn. 72 – Frucona Kosˇice/Kommission. 451 Ein marktwirtschaftlich handelnder Wirtschaftsteilnehmer wird dabei Ertrag und Risiko immer abwägen und versuchen seine Verluste so gering wie möglich zu halten bzw. seinen Gewinn zu maximieren. Vgl. Nicolaides/Rusu, EStAL 2011, 237 (239); Lehnert, Die Korrektur von gemeinschaftswidrigen Beihilfen in Form von Steuervergünstigungen, S. 42. 452 Grundlegend zur Thematik Insolvenzplansanierung und EU-Beihilferecht: Fritze/ Heithecker, EuZW 2010, 817 – 820. 453 Köster/Möller, EuZW 2007, 534 (534). 449

A. Begünstigung eines Unternehmens oder Produktionszweiges

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Entscheidung getroffen hätte.454 Eine besondere Konstellation ergibt sich dann, wenn neben dem öffentlichen Gläubiger auch private Gläubiger vorhanden sind und ein Vergleich zu diesen privaten Gläubigern im konkreten Einzelfall gezogen werden kann. Auch die Europäische Kommission nimmt den Vergleich mit anderen Gläubigern als Indiz für den Beihilfecharakter des staatlichen Handelns. Verzichten andere private Gläubiger nicht im selben Maße auf die Durchsetzung ihrer Forderung wie die öffentliche Hand, so ist in der Regel von einer Beihilfe auszugehen.455 Dabei verbieten sich aber pauschale und verallgemeinernde Lösungen. Vielmehr muss im konkreten Einzelfall exakt ermittelt werden, ob sich die öffentliche Hand und der private Gläubiger in einer vergleichbaren Stellung befinden, denn trotz der gemeinsamen Stellung als Gläubiger können ihre Rechtspositionen durchaus unterschiedlich ausgestaltet sein.456 Um eine Vergleichbarkeit mit einem privaten Gläubiger herzustellen, müssen auch die besonderen Verpflichtungen des Hoheitsträgers für die Allgemeinheit außer Betracht gelassen werden.457 Dieser wird – im Gegensatz zu einem privaten Gläubiger – aus Gemeinwohlinteressen, sozialen, wirtschaftlichen oder sonstigen politischen Überlegungen möglicherweise bereit sein, eine Unternehmensinsolvenz zu verhindern.458 Ein rational handelnder Privater wird die Insolvenz eines Unternehmens durchaus hinnehmen, wenn dies zu seinem eigenen Vorteil ist.459 Auch mögliche Folgekosten für die Staatskasse, die ein privater Gläubiger nicht zu tragen hätte, (z. B. Arbeitslosengeld) bleiben unberücksichtigt.460 2. Anwendung des Privatgläubigerprinzips auf hoheitliche Maßnahmen Während – aufgrund der grundsätzlichen Vergleichbarkeit der Situationen – die Anwendung des Privatgläubigerprinzips bei der Durchsetzung staatlicher Darle454

Soltész/Makowski, EuZW 2003, 73 (75). Mitteilung der Kommission gemäß Artikel 6 Absatz 4 der Entscheidung Nr. 3855/91/ EGKS an die übrigen Mitgliedstaaten und anderen betroffenen Dritten über die Maßnahme Belgiens zugunsten des Stahlunternehmens Forges de Clabecq, ABl. EG 1996 Nr. C 301/4 (7). Siehe: Soltész/Makowski, EuZW 2003, 73 (76). 456 Von entscheidender Bedeutung ist dabei insbesondere die Frage nach bestehenden Sicherheiten der beteiligten Gläubiger. Zur Bedeutung von Sicherheiten für das Privatgläubigerprinzip vgl. z. B.: EuG, Urteil v. 11. 07. 2002, Rs. T-152/99, ECLI:EU:T:2002:188, Rn. 170 ff. – HAMSA/Kommission. 457 Bekanntmachung der Europäischen Kommission zum Begriff der staatlichen Beihilfe im Sinne des Artikels 107 Absatz 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, ABl. EU 2016 Nr. C 262/1, Rn. 77. 458 Lehnert, Die Korrektur von gemeinschaftswidrigen Beihilfen in Form von Steuervergünstigungen, S. 43. 459 Vgl. dazu: EuG, Urteil v. 17. 05. 2011, Rs. T-1/08, ECLI:EU:T:2011:216, Rn. 85 – Buczek Automotive/Kommission. Ebenso: Schlussanträge des Generalanwalts Jacobs v. 24. 09. 1997, Rs. C-256/97, ECLI:EU:C:1999:332, Rn. 36 – DM Transport. 460 Soltész/Makowski, EuZW 2003, 73 (76). 455

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hensansprüche unbestritten ist, erscheint seine Anwendung auf Steueransprüche fraglich. Im Gegensatz zu Kreditzinsen stellen Steuern gerade keine Geldzahlungspflicht für eine konkrete Gegenleistung dar. Das gemeinsame Element der Modifikation von Steuer- und Darlehensverbindlichkeiten ist trotz allem schnell gefunden: in beiden Fällen geht es um die Zahlungspflicht eines Unternehmens, der – unabhängig vom Gläubiger und dessen Handlungsform – nicht nachgekommen wird. Trotz dieser dem Grunde nach ähnlichen Ausgangslage wird in der juristischen Literatur seit langem davon ausgegangen, dass eine Anwendung auf hoheitliche und damit auch auf steuerrechtliche Maßnahmen grundsätzlich ausgeschlossen ist.461 Die Anwendung des Privatgläubigerprinzips auf die Durchsetzung von Steuerschulden stößt im Schrifttum auf eine Reihe von Bedenken. a) Fehlende Vergleichbarkeit aufgrund fehlenden Marktes für Steuerschulden Zunächst erscheint ein Vergleich mit einem hypothetischen privaten Gläubiger bei Steuervergünstigungen überhaupt nicht möglich, da Steuern ausschließlich von Hoheitsträgern erhoben werden, eine „marktübliche Besteuerung“ durch private Dritte also gerade nicht existiert. Bei einem derart engen Verständnis der Vergleichbarkeit wäre die Anwendung des Privatgläubigerprinzips mangels Marktüblichkeit folgerichtig ausgeschlossen. Zur Ermittlung eines normalen „marktüblichen Steuersatzes“ wäre allenfalls ein Vergleich des Besteuerungsniveaus mit demjenigen in anderen Mitgliedstaaten denkbar. Allerdings wird im Rahmen des Beihilferechts gerade nicht das Verhältnis der einzelnen Steuerregime der Mitgliedstaaten zueinander kontrolliert, sondern nur systemwidrige Abweichungen innerhalb des geschlossenen nationalen Steuersystems.462 Eine Marktüblichkeit der Besteuerung kann folgerichtig nicht durch eine länderübergreifende, europaweite Vergleichsanalyse ermittelt werden. Auf diesen Gedanken fußend wurde in der juristischen Literatur lange Zeit vertreten, der Privatgläubiger könne für hoheitliches Handeln keine Bedeutung entfalten463 und müsse insofern als Kriterium für eine Unternehmensbegünstigung bei Beihilfen in Form von Steuervergünstigungen ausscheiden.464 461 Schön, in: Koenig/Roth/Schön (Hrsg.), Aktuelle Fragen des EG-Beihilfenrechts, S. 117; Bartosch, EU-Beihilfenrecht, Art. 107 Abs. 1 AEUV Rn. 2 ff.; Kühling, in: Streinz (Hrsg.), EUV/AEUV, Art. 107 AEUV Rn. 33. 462 EuGH, Urteil v. 02. 07. 1974, Rs. C-173/73, ECLI:EU:C:1973:71, Rn. 36/40 – Italien/ Kommission; EuGH, Urteil v. 29. 04. 2004, Rs. C-298/00 P, ECLI:EU:C:2004:420, Rn. 61 und 62 – Italien/Kommission; EuG, Urteil v. 15. 06. 2000, Rs. T-298/97, ECLI:EU:T:2000:151, Rn. 100 – Alzetta u. a./Kommission; EuG, Urteil v. 29. 09. 2000, Rs. T-55/99, ECLI:EU:T:2000: 223, Rn. 85 – CETM/Kommission. 463 Entscheidung der Kommission v. 31. 01. 1996 über eine Kapitalaufstockung zugunsten der Fluggesellschaft Iberia, ABl. EG 1996 Nr. L 104/25 (37); Entscheidung der Kommission v. 27. 07. 1994 über die angemeldete Kapitalerhöhung von Air France, ABl. EG 1994 Nr. L 254/ 73 (80). Siehe auch: Soltész/Makowski, EuZW 2003, 73 (76). 464 Bär-Bouyssière in: Schwarze/Becker/Hatje/Schoo (Hrsg.), EU-Kommentar, Art. 107 AEUV Rn. 11; Bartosch, EU-Beihilfenrecht, 1. Aufl. Art. 87 Abs. 1 Rn. 2; Kühling, in: Streinz (Hrsg.), EUV/AEUV, Art. 107 AEUV Rn. 33.

A. Begünstigung eines Unternehmens oder Produktionszweiges

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Diese Auffassung wurde auch von Generalanwalt Philippe Léger in seinen Schlussanträgen in der Rechtssache Altmark Trans465 vertreten. Danach muss zwischen staatlichen Maßnahmen mit wirtschaftlichem Charakter und Hoheitsakten unterschieden werden. Das Privatgläubigerprinzip soll dabei nur auf die erste Gruppe anwendbar sein.466 Und auch das Gericht hat in seinem Ryanair-Urteil467 festgestellt, dass „im Hinblick auf die Feststellung, ob ein Vorteil im Sinne von Art. 87 Abs. 1 EG vorliegt, zwischen den Verpflichtungen zu unterscheiden ist, die der Staat als Anteilseigner einer Gesellschaft zu übernehmen hat, und den Verpflichtungen, die ihm als Träger der öffentlichen Gewalt obliegen“.468 Nur wenn der Staat als Investor, also wie ein privater Gläubiger, auftritt, kann sein Verhalten am Privatgläubigerprinzip gemessen werden. Eine Anwendung muss aber ausscheiden, wenn er als Träger öffentlicher Gewalt auftritt, da hier gerade kein Vergleich mit dem Privaten möglich ist.469 Der Europäische Gerichtshof hat diese Rechtsprechung zwar geteilt, in seinem EdF-Urteil470 aber auch darauf verwiesen, dass Art. 107 Abs. 1 AEUV alle aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen gleich welcher Art umfasst. Das Kriterium des privaten Kapitalgebers sei auch dann anzuwenden, wenn der Mitgliedstaat Mittel steuerlicher Natur einsetzt, wenn sich aus den Gesamtumständen ergibt, dass der Mitgliedstaat in seiner Eigenschaft als Anteilseigner gehandelt hat.471 Die gewählte Handlungsform ist unerheblich, entscheidend ist alleine der letztendliche Mittelzufluss. Entscheidendes Abgrenzungskriterium ist dabei folglich nicht die staatliche Handlungsform, sondern die Frage, ob die staatliche und die private Forderungsdurchsetzung vergleichbar sind.472 Entscheidend ist nicht die Frage, ob sich der private Gläubiger desselben Handlungsinstruments bedient hätte, sondern ob er dieselbe Entscheidung hinsichtlich der Durchsetzung einer Forderung getroffen hätte. Diese Auffassung deckt sich auch mit dem wirkungsorientierten Beihilfeverständnis. Danach ist die gewählte Rechts- und Handlungsform für die Beurteilung einer Beihilfe irrelevant. Die Tatsache, dass es sich um eine Steuerschuld handelt, schließt folglich nicht per se die Anwendung des Privatgläubigerprinzips aus.

465 EuGH, Urteil v. 24. 07. 2003, Rs. C-280/00, ECLI:EU:C:2002:415 – Altmark Trans und Regierungspräsidium Magdeburg. 466 Schlussanträge des Generalanwalts Philippe Léger v. 14. 01. 2003, Rs. C-280/00, ECLI: EU:C:2002:188, Rn. 20 bis 22 – Altmark Trans und Regierungspräsidium Magdeburg. 467 EuGH, Urteil v. 17. 12. 2008, Rs. T-196/04, ECLI:EU:T:2008:585 – Ryanair. 468 EuGH, Urteil v. 17. 12. 2008, Rs. T-196/04, ECLI:EU:T:2008:585, Rn. 84 – Ryanair. 469 EuGH, Urteil v. 17. 12. 2008, Rs. T-196/04, ECLI:EU:T:2008:585, Rn. 84 – Ryanair, so auch Schlussanträge des Generalanwalts Philippe Léger v. 14. 01. 2003, Rs. C-280/00, ECLI: EU:C:2002:188, Rn. 20 bis 23 – Altmarktrans. 470 EuGH, Urteil v. 05. 06. 2012, Rs. C-124/10 P, ECLI:EU:C:2012:318 – EdF. Vgl. zu diesem Urteil auch: Baeten/Gam, EStAL 2013, 546 – 550; Jaeger, EStAL 2012, 1 – 3; Köhler, EStAL 2011, 21 – 33; Szyszczak, EStAL 2011, 35 – 40; Bartosch, EStAL 2010, 679 – 683; Haberkamm/Kühne, EuZW 2010, 734 – 738. 471 EuGH, Urteil v. 05. 06. 2012, Rs. C-124/10 P, ECLI:EU:C:2012:318, Rn. 92 – EdF. 472 Zu anderen alternativen Abgrenzungskriterien vgl. Jaeger, EuZW 2012, 92 (96).

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Kap. 3: Materielle Voraussetzungen des Beihilfetatbestandes

Diese Feststellung erscheint auch dringend geboten, wenn man sich die Ausführungen der Kommission im Fall EdF vor Augen führt. Diese hatte angemerkt, dass sie zwar im vorliegenden Fall das Privatgläubigerprinzip nicht angewendet hat, es aber angewendet worden wäre, wenn die Steuern vom französischen Staat vollständig eingezogen worden wären und der Staat dann wieder in das Unternehmen investiert hätte.473 Ein solches Vorgehen erscheint nicht nur zu formalistisch, es ist auch unnötig umständlich und wird dem wirkungsorientierten Beihilfeverständnis in keiner Weise gerecht.474 Im Ergebnis werden auf diese Weise Empfänger von Direktinvestitionen und Schuldner sonstiger staatlicher Verbindlichkeiten gegenüber Steuerschuldnern besser gestellt, da hier das Market Economy Operator Prinzip angewendet würde. Im Ergebnis kann festgehalten werden, dass eine Vergleichbarkeit nicht aufgrund des steuerlichen und damit hoheitlichen Charakters der Maßnahme ausgeschlossen ist. b) Fehlende Vergleichbarkeit aufgrund der Renditeorientierung Zum Teil wird bisher auch angenommen, dass das Privatgläubigerprinzip aufgrund der unterschiedlichen Perspektiven von Privaten und Hoheitsträgern nicht angewendet werden kann. Während es einem privaten Gläubiger um kurzfristige Gewinnmaximierung ginge, sei bei staatlichen Steuerforderungen die langfristige gesamtstaatliche Wohlfahrtsmaximierung oberste Leitlinie. Diese gegenläufigen Betrachtungsweisen führen zu einer fehlenden Vergleichbarkeit.475 Diese Überlegungen können zwar in Einzelfällen durchaus richtig sein, es ist jedoch zweifelhaft, ob sie die Vergleichbarkeit grundlegend auszuschließen vermögen. Zwar ist es richtig, dass ein privater Gläubiger regelmäßig unternehmerisch – im Sinne von renditeorientiert – handeln wird, allerdings ist diese Handlungsweise keinesfalls reiner Selbstzweck. Ein marktwirtschaftlich handelndes Unternehmen wird wohl immer versuchen aus den ihm zur Verfügung stehenden Ressourcen den maximalen Profit abzuschöpfen, dies ist jedoch bei einem staatlichen Akteur keineswegs anders. Sowohl dem Staat als auch einem Unternehmen geht es darum, für die hinter diesen juristischen und politischen Gebilden stehenden natürlichen Personen einen möglichst großen Ertrag zu erwirtschaften. Ein Unternehmen durch Renditen für seine Gesellschafter, ein Staat für seine Bürger im Wege einer Wohlfahrtsmaximierung (in Form höherer Leistungen, z. B. Bildungsausgaben oder Sozialleistungen). Zudem verkennt diese Auffassung den beim Privatgläubigerprinzip anzuwendenden Vergleichsmaßstab. Es darf bei der Anwendung des Privatgläubigerprinzips nicht in pessimistischer Weise pauschal vom Verhalten eines rein kurzfristig orientierten 473 Vgl. dazu: EuG, Urteil v. 15. 12. 2009, Rs. T-156/04, Slg. 2009 II-04503, Rn. 164 ff. und 217 – EdF. Ein solches Investement würde dann am Privatinvestorprinzip gemessen werden. 474 Vgl dazu: Baeten/Gam, EStAL 2013, 546 (549). 475 So etwa: Jaeger, EuZW 2012, 92 (94).

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Investors ausgegangen werden. Es muss vielmehr vom „Verhalten einer privaten Holding oder einer privaten Unternehmensgruppe, die eine globale oder sektorale Strukturpolitik verfolgt und sich von längerfristigen Rentabilitätsaussichten leiten läßt“, ausgegangen werden.476 Zwar kann der Auffassung zugutegehalten werden, dass ein Hoheitsträger bei der Festlegung von Steuerschulden – im Gegensatz zu einem Privatgläubiger oder zur Vergabe eines Darlehens durch den Staat selbst – keine Bewertung des Einzelfalls vornimmt, sondern vielmehr abstrakte Überlegungen anstellt, die von gesamtwirtschaftlichen Interessen geleitet sind. Die entscheidenden Parameter werden also ohne Ansehung des konkreten Einzelfalls, sondern aufgrund makroökonomischer Gesichtspunkte festgelegt. Ein solches Vorgehen ist bei einem privaten Gläubiger so nicht denkbar. Die Konditionen eines Kredits bestimmen sich nach den marktüblichen Prinzipien von Angebot und Nachfrage. Von abstrakten Erwägungen geleitete konkrete Investitionsentscheidungen eines Unternehmens (z. B. einer Bank) sind zwar auch hier grundsätzlich möglich, in einer kapitalistisch organisierten Marktwirtschaft aber kaum sinnvoll und daher auch nur sehr schwer vorstellbar. Dem muss aber entgegengehalten werden, dass das Privatgläubigerprinzip gerade der Kontrolle staatlicher Forderungsdurchsetzung dient. Diese muss von der Entstehung des Steueranspruchs abgegrenzt werden. Bei gesetzlichen Festlegungen des Staates, die die Entstehung des Steueranspruchs betreffen (z. B. Bemessungsgrundlage, Steuersatz, etc.) nehmen staatliche Stellen tatsächlich keine konkrete Bewertung des Einzelfalls vor. Anders verhält es sich bei der Modifikation der konkreten Durchsetzung. Dabei handelt es sich ebenso um eine Einzelfallmaßnahme wie bei der Durchsetzung eines staatlichen Kredits. Einigt sich z. B. der Staat mit einem säumigen Steuerschuldner auf einen Zahlungsaufschub, so mögen dahinter zwar auch gesamtwirtschaftliche Interessen im Sinne einer Einnahmenmaximierung stehen, sie sind aber auch Erwägungen im konkreten Einzelfall, etwa einer Rentabilitätsanalyse, zugänglich.477 Die beihilfekonforme Durchsetzung von Steueransprüchen ist damit durchaus mit der Durchsetzung sonstiger fiskaler Forderungen vergleichbar. Der Kritikpunkt der fehlenden Vergleichbarkeit richtet sich letztlich nicht gegen die Anwendung des Privatgläubigerprinzips auf Steuerschulden, sondern gegen das Prinzip als solches. Sie kann eine unterschiedliche Behandlung von Steuer- und sonstigen Verbindlichkeiten folglich nicht rechtfertigen. Auch die Kritik am Privatgläubigerprinzip selbst geht fehl. Schlussendlich unterscheiden sich staatliche und private Forderungsdurchsetzung allenfalls durch ihre Prioritäten, nicht aber durch die zu wählende Perspektive.

476

Vgl. z. B. EuGH, Urteil v. 21. 03. 1991, Rs. C-305/89, ECLI:EU:C:1991:141, Rn. 20 – Alfa Romeo. 477 So auch: Rosenberg, Das beihilferechtliche Durchführungsverbot in Steuersachen, S. 52.

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Kap. 3: Materielle Voraussetzungen des Beihilfetatbestandes

c) Fehlende Vergleichbarkeit aufgrund der Größe des Staatshaushaltes Auch die fehlende Vergleichbarkeit aufgrund der unterschiedlichen Größen von Staatshaushalt und Unternehmensbudgets vermag eine Vergleichbarkeit der Sachverhalte nicht aufzuheben. Zwar kann gemeinhin angenommen werden, dass ein Staat über mehr Finanzkraft verfügt als ein Unternehmen, dies ist jedoch keinesfalls zwingend. So erwirtschaften multinationale Konzerne Milliardengewinne und übertreffen damit die Gesamtsteuereinnahmen kleinerer Staaten bei Weitem.478 Dies sind sicherlich atypisch gelagerte Sonderfälle, sie zeigen aber: Staatliche Haushalte sind keinesfalls zwingend größer als private. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass Steuergläubiger nicht immer der Zentral- oder Bundesstaat ist. Auch regionale Gebietskörperschaften können Besteuerungskompetenzen besitzen und damit Steuergläubiger sein.479 Diese regionalen Gebietskörperschaften werden regelmäßig über kleinere Haushalte und eine sehr viel begrenztere Finanzkraft verfügen. Als weiteres Indiz für die Vergleichbarkeit der Finanzkraft sei die Entwicklung am Finanzmarkt genannt. Dieser hat auf die Angleichung reagiert und unterscheidet bei der Bewertung der Bonität nicht grundsätzlich zwischen Staaten und Unternehmen. So hat beispielsweise Microsoft laut Moodys dieselbe Kreditwürdigkeit wie Deutschland (Aaa).480 Eine unterschiedliche Bewertung von privatrechtlichen und hoheitlichen Handlungen kann also nicht durch den pauschalen Verweis auf die staatliche Finanzkraft gerechtfertigt werden. Die hier genannten Beispielsfälle stellen zwar zweifelsohne Ausnahmefälle dar und regelmäßig verfügt ein Hoheitsträger auch über mehr Finanzkraft, aber auch dies ändert meiner Ansicht nach nichts an der grundsätzlichen Anwendbarkeit des Privatgläubigerprinzips auf Steuervergünstigungen. An dieser Stelle sei noch angemerkt, dass auch dieser Kritikpunkt nicht explizit die Anwendung des Privatgläubigerprinzips auf Steuerschulden, sondern vielmehr alle Formen des Market Economy Operator Tests gleichermaßen betrifft. Obwohl die unterschiedliche Finanzkraft durchaus ein Faktor hinsichtlich der Vergleichbarkeit mit einem privaten Gläubiger sein kann, ist ein pauschaler Ausschluss der falsche Weg. Vielmehr muss von einer generellen Anwendbarkeit ausgegangen werden und die Vergleichbarkeit der Situationen dann anhand des konkreten Einzelfalls ermittelt werden. Nur so ist eine sachgerechte Lösung des Einzelfalls möglich.

478 So hat z. B. Apple allein im 4. Quartal 2019 einen operativen Cashflow von 19,9 Milliarden Dollar erwirtschaftet und übertrifft damit z. B. das BIP von Malta (ca. 4,76 Milliarden US-Dollar) deutlich. Eigene Berechnungen nach http://epp.eurostat.ec.europa.eu und Eurostat Pressemitteilung 166/2019 v. 30. 10. 2019. 479 In Deutschland etwa die Gemeinden bei der Gewerbesteuer. 480 Stand Februar 2021.

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d) Fehlende Vergleichbarkeit aufgrund der Einseitigkeit Ausschlussgrund für die Vergleichbarkeit könnte aber die Einseitigkeit hoheitlicher Handlungen sein. Im Gegensatz zu den vorherigen Kritikpunkten setzt dieser unmittelbar am Unterschied zwischen Steuerschulden und sonstigen Verbindlichkeiten an. Eine Steuerschuld entsteht durch einen Hoheitsakt und nicht durch Vertrag. Die Festlegung des Steuersatzes oder der Bemessungsgrundlage werden einseitig durch den Hoheitsträger festgelegt, unabhängig vom Willen oder der Zahlungsbereitschaft des Steuerschuldners. Ein privater Kreditgeber kann dies nicht, er kann lediglich ein Kreditangebot abgeben. Den Schuldner trifft keine Pflicht mit ihm einen Vertrag abzuschließen, die Privatautonomie schützt ihn vor einem Kontrahierungszwang. Ein solcher Schutz besteht gegenüber dem Hoheitsträger als Steuergläubiger nicht. Insoweit scheint die Differenzierung anhand des einseitigen Charakters der Maßnahme durchaus zuzutreffen. Die Entstehung einer Schuld im Rahmen eines Über-/ Unterordnungsverhältnisses ist nicht mit der Entstehung in einem Gleichordnungsverhältnis vergleichbar. Diese Differenzierung betrifft jedoch zunächst ausschließlich die Entstehung der Schuld, nicht aber ihre Durchsetzung oder spätere Anpassung. Mit Hilfe des Privatgläubigerprinzips soll aber nicht die Entstehung der Steuerschuld kontrolliert werden, sondern deren beihilfekonforme Durchsetzung. Für die Durchsetzung der Steuerschuld erscheint es fraglich, ob der schlichte Verweis auf den hoheitlichen Charakter der Maßnahme eine Vergleichbarkeit zu beseitigen vermag. Ist eine Steuerschuld erstmal verbindlich festgestellt, so kann sie ebenso wenig einseitig zulasten des Schuldners abgeändert werden, wie dies bei einer Kreditschuld der Fall wäre. Dagegen muss zwar eingewandt werden, dass staatlich festgelegte Zahlungserleichterungen im Einzelfall ebenso einseitig und hoheitlich erfolgen können wie die Festlegung des Steuersatzes. Hier muss aber eine realitätsnahe Betrachtung und Berücksichtig der Prinzipien des Vertrauensschutzes und Privatautonomie vorgenommen werden. Beide Prinzipien haben hier ein verbindendes Element: Sie schützen den Schuldner vor negativer Anpassung seiner Verbindlichkeit durch den Gläubiger. Die Privatautonomie macht es erforderlich, dass es zu jeder Anpassung der Verbindlichkeit und des Vertrages als Ganzes einer Abrede der Parteien bedarf.481 Der Grundsatz des Vertrauensschutzes verhindert, dass der Staat rückwirkend in bereits abgeschlossene Sachverhalte eingreift.482 Eine einseitige für den Schuldner negative Abänderung seiner Verbindlichkeit ist folgerichtig in der Regel weder durch einen privaten Kreditgeber noch durch einen Hoheitsträger möglich. Auch bei späteren, für den Schuldner positiven Anpassungen ist eine Vergleichbarkeit gegeben. Ein privater Gläubiger kann – wie ein staatlicher – auf Teile seiner Forderung verzichten oder sie stunden. Im Falle einer Stundung bedarf es zwischen Privaten, im Gegensatz zur hoheitlichen Stundung, zwar eines Änderungsvertrages, regelmäßig wird sich aber kein Schuldner einer für ihn positiven 481

Zur Bedeutung der Privatautonomie: Köhler, BGB Allgemeiner Teil, § 5 Rn. 1 ff. Ist die Steuerschuld bereits verbindlich entstanden und in einem Steuerbescheid festgelegt, so kann diese grundsätzlich nur unter besonderen Voraussetzungen abgeändert werden. 482

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Stundung verweigern. Ebenso wenig wird er sich gegenüber dem Hoheitsträger auf einen etwaigen Vertrauensschutz stützen um eine sofortige Zahlungspflicht zu forcieren. Eine Stundung bedeutet nämlich nicht, dass der Schuldner erst später leisten darf, sondern dass er erst später leisten muss. Es bleibt ihm selbstverständlich unbenommen, seiner Leistungspflicht bereits vor Fälligkeit nachzukommen. Bei realitätsnaher Betrachtungsweise kann daher festgehalten werden, dass es bei der Begleichung von Verbindlichkeiten aus Schuldnersicht unerheblich ist, ob die Verbindlichkeit hoheitlich oder durch Vertrag entstanden ist. Entscheidend ist für ihn, dass er ihr nicht nachkommen kann. In beiden Fällen wird er sich einer positiven Anpassung seiner Schuld wohl nicht verwehren, und in beiden Fällen ist eine für den Schuldner negative Anpassung nicht ohne Weiteres möglich. Eine Vergleichbarkeit bei der Durchsetzung des Anspruchs ist folgerichtig nicht durch den hoheitlichen Charakter der Steuerentstehung ausgeschlossen.483 e) Fehlende Vergleichbarkeit aufgrund der Grundrechtsbindung Die Vergleichbarkeit könnte auch aufgrund der staatlichen Grundrechtsbindung bei hoheitlichen Maßnahmen ausgeschlossen sein. Dem Hoheitsträger ist es grundsätzlich erlaubt, seinen Verpflichtungen im Bereich der Leistungsverwaltung (und damit auch für Subventionen) auch in privatrechtlicher Weise nachzukommen. Einfachgesetzlich findet auf diese Handlungen dann zwar Zivilrecht anstatt Verwaltungsrecht Anwendung, auf die Grundrechtsbindung des handelnden Hoheitsträgers hat dies jedoch keine Auswirkungen. Die öffentliche Hand bleibt aber, obwohl sie privatrechtlich handelt, in vollem Umfang an die Grundrechte gebunden. Der Hoheitsträger kann sich seiner grundrechtlich verbürgten Verpflichtungen nicht durch eine geschickte Wahl der Handlungsform entziehen. Unabhängig von der Handlungsart (privat- oder verwaltungsrechtlich) und unabhängig davon, ob Eingriffs- oder Leistungsverwaltung, bleibt der Staat damit grundrechtlich gebunden. Jede Argumentation hinsichtlich einer staatlichen Grundrechtsverpflichtung richtet sich folgerichtig nicht gegen die Anwendung des Privatgläubigerprinzips auf Steuerschulden, sondern gegen die Anwendung sämtlicher Spielarten des Market Economy Operator Test auf staatliche Handlungen. Die bestehende staatliche Grundrechtsbindung hat folglich für die Erstreckung des Privatgläubigerprinzips auf sämtliche Steuerschulden keine Konsequenzen. Die Grundrechtsbindung, insbesondere der allgemeine Gleichbehandlungsgrundsatz, garantiert sogar, dass das Privatgläubigerprinzip stringent und einheitlich angewendet wird. f) Stellungnahme Die im juristischen Schrifttum vorgebrachten Argumente gegen eine Anwendung des Privatgläubigerprinzips auf Steuerschulden überzeugen letztlich nicht. Es er483

So auch Rosenberg, Das beihilferechtliche Durchführungsverbot in Steuersachen, S. 52.

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scheint falsch, eine grundlegende Unterscheidung anhand des hoheitlichen Charakters einer Maßnahme herbeizuführen. Dieser Unterscheidung muss zugutegehalten werden, dass sie versucht das Problem greifbar zu machen. Dies gelingt ihr zwar auch, allerdings erfolgt die Abgrenzung an der gewählten Handlungsform und damit im Ergebnis am falschen Kriterium. Ihr muss entgegengehalten werden, dass es bei staatlicher Forderungsverfolgung immer um fiskalische Maßnahmen mit wirtschaftlichem Charakter geht. Unabhängig von der Handlungsform betreffen sie sowohl die Einnahmesituation des Staates als auch die wirtschaftliche Situation des Schuldners. Eine starre Einteilung anhand der Hoheitlichkeit der Maßnahme führt schlicht zu unbefriedigenden Ergebnissen. Der Auffassung des Europäischen Gerichtshofs, dass die Anwendung des Privatgläubigerprinzips nicht schon allein aufgrund der steuerrechtlichen Natur der Maßnahme ausgeschlossen ist,484 ist daher zuzustimmen. Entscheidend ist alleine die grundsätzliche Vergleichbarkeit der Situationen, also die Frage, ob ein staatlicher Gläubiger mit einem privaten Gläubiger verglichen werden kann. Dies ist bei der Durchsetzung von Steueransprüchen zu bejahen. Die Entstehung der Verbindlichkeit mag auf unterschiedlichen Wegen zustande gekommen und wohl nicht vergleichbar sein. Ihre Durchsetzung ist es gleichwohl. Eine solche Vergleichbarkeit scheitert weder an der Rechtsform der Handlung, noch an der Größe des Staatshaushaltes, am fehlenden Markt für Steuervergünstigungen oder der ökonomischen Perspektive. Bei der Modifikation steuerlicher Schulden stellt sich letztlich allein die Frage, ob ein privater Gläubiger, unabhängig von der Handlungsform, dieselben Modifikationen zu denselben Bedingungen gewährt hätte.485 Auch das wirkungsorientierte Verständnis einer Beihilfe spricht für eine solche Anwendung. Unabhängig von der rechtlichen Konstruktion soll danach alleine die begünstigende Wirkung einer Maßnahme für die Einordnung als Beihilfe entscheidend sein. Wenn es für die Einordnung einer Maßnahme grundsätzlich nicht auf die gewählte Handlungsform ankommt, so muss aber auch für alle Begünstigungsformen der gleiche Rahmen bestehen. Würde das Privatgläubigerprinzip nicht auf alle Handlungsformen angewandt, würde die Gewährungsart – entgegen dem Gesagten – wieder ein entscheidender Faktor. Die Beteiligten könnten sich in bestimmten Konstellationen einer möglichen Charakterisierung als Beihilfe durch den Einwand des Privatgläubigerprinzips entziehen und in anderen nicht, obwohl die zugrundeliegenden Sachverhalte (z. B. Stundung einer Forderung) ansonsten identisch sind. Die Kommission sollte folglich das Privatgläubigerprinzip unabhängig von der gewählten Handlungsform anwenden und im Einzelfall prüfen, ob die Situation des öffentlichen Gläubigers mit der eines privaten Gläubigers verglichen werden kann.486 Dieser weitgehenden Anwendung des Privatgläubiger484

EdF. 485

EuGH, Urteil v. 05. 06. 2012, Rs. C-124/10 P, ECLI:EU:C:2012:318, Rn. 88 bis 93 –

Eine Anwendbarkeit auf den Sanierungserlass in diesem Sinne grundsätzlich annehmend: Glatz, IStR 2016, 447 (448). 486 EuGH, Urteil v. 05. 06. 2012, Rs. C-124/10 P, ECLI:EU:C:2012:318, Rn. 88 bis 93 – EdF.

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prinzips auch auf Steuerschulden sind leider Missbrauchsrisiken immanent. Oft wird sich nämlich hinter dem Vorbringen, dass ein Verzicht auf die Durchsetzung einer Steuerschuld langfristig zu einer Verbesserung der Vollstreckungsaussichten führt, lediglich eine reine Schutzbehauptung des öffentlichen Gläubigers verbergen. Die Anwendung des Privatgläubigerprinzips darf daher nicht zum Deckmantel für andere mit der Steuervergünstigung verfolgte Ziele, etwa dem Erhalt von Arbeitsplätzen, werden. In Anbetracht der ökonomischen Komplexität vieler Sachverhalte verbietet sich aber jede schematische Lösung. Die Ermittlung einer unter Abweichung vom Privatgläubigerprinzip selektiven Unternehmensbegünstigung erfordert die Einbeziehung und Abwägung aller Besonderheiten und Umstände des konkreten Einzelfalls. Vom handelnden Mitgliedstaat muss verlangt werden, dass er anhand eindeutiger, objektiver und nachprüfbarer Belege beweist, dass er sich wie ein privater Gläubiger verhalten hat. Gelingt ihm eine solche Beweisführung nicht, ist von einer reinen Schutzbehauptung auszugehen. Die hohen Anforderungen, die die Europäischen Kommission und die Gerichte an die Dokumentationspflichten der Mitgliedstaaten stellen, werden daher wohl einem Missbrauch weitestgehend vorbeugen können.487 3. Das Privatgläubigerprinzip und die Selektivität Die vorgeschlagene Anwendung des Privatgläubigerprinzips stärkt den Zusammenhang der Prüfungspunkte Vorteilsgewährung und Selektivität. Die Frage der Unternehmensbegünstigung und der Selektivität stehen traditionell besonders im Bereich der Steuervergünstigungen in besonders engem Zusammenhang. Sie müssen zwar grundsätzlich getrennt voneinander überprüft werden,488 weisen aber in bestimmten Konstellationen deutliche Überschneidungen auf.489 Bei der Frage der Unternehmensbegünstigung geht es darum, ob ein Unternehmen dadurch einen Vorteil erhält, dass es seine üblicherweise zu tragende Steuerlast nicht in vollem Umfang tragen muss. Mit der Selektivität wird bestimmt, ob diese Begünstigung dem Unternehmen einen Vorteil gegenüber Konkurrenten gibt, die sich rechtlich und tatsächlich in einer vergleichbaren Situation befinden. Der Vergleichbarkeit kommt bei beiden Kriterien eine entscheidende Bedeutung zu. Trotzdem sind sie nicht deckungsgleich. Mit dem Privatgläubigerprinzip wird kontrolliert, ob überhaupt ein staatlicher Vorteil vorliegt. Es wird der Frage nachgegangen, ob sich andere Gläubiger in einer vergleichbaren Situation ebenso verhalten hätten. Mittels der Selek487 Zu den hohen Nachweisanforderungen, die die Kommission zu Recht an die Mitgliedstaaten hat vgl.: Entscheidung der Kommission v. 12. 06. 2001 über die staatliche Beihilfe Deutschlands zugunsten der Technischen Glaswerke Ilmenau GmbH, Deutschland, Az. K(2001) 1549, ABl. EG 2002 Nr. L 62/30, Rn. 66 bis 83. Zu den Dikumentationspflichten vgl. auch: Koenig/Hellstern, in: Müller-Graff (Hrsg.), Europäisches Wirtschaftsordnungsrecht, § 14 Rn. 23 und 90. 488 Vgl. Iliopoulos, EStAL 2017, 263 (268); Gormsen, Journal of European Competition Law & Practice 2016, 369 (370); Moreno González, EStAL 2016, 556 (565). 489 Vgl. dazu auch Kapitel 3, S. 130 ff.

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tivität wird geprüft, ob der Hoheitsträger den Vorteil gleichermaßen auf sämtliche Schuldner verteilt hat. Die weitrechende Anwendung des Privatgläubigerprinzips brächte an dieser Stelle einen beträchtlichen Vorteil mit sich. Während für Beihilferegelungen aufgrund ihres abstrakten Charakters normalerweise eine Vergleichsgruppenbildung möglich ist,490 kann dies für steuerliche Einzelfallmaßnahmen (etwa eine Steuerstundung) mitunter schwierig sein. Das Privatgläubigerprinzip erlaubt hier einen Vergleich des Verhaltens bei der Steuerdurchsetzung auch gegenüber dem Verhalten des Hoheitsträgers bei der Durchsetzung sonstiger Verbindlichkeiten und auch gegenüber bereits in der Vergangenheit liegenden Sachverhalten. Die Marktüblichkeit staatlichen Handelns kann nämlich durchaus zweifelhaft sein, wenn sich andere oder sogar dieselbe Behörde in einer vergleichbaren Situation in der Vergangenheit anders verhalten hat oder wenn sie bei Schuldnern mit anderen Handlungsformen ein abweichendes Verhalten an den Tag gelegt hätten oder haben. Die Ausdehnung des Privatgläubigerprinzips auf sämtliche Steuerschulden erweitert damit das Vergleichsspektrum im Einzelfall erheblich.491 4. Das Privatgläubigerprinzip bei der Rückforderung rechtswidriger Beihilfen Vom bisher Gesagten grundsätzlich zu unterscheiden ist die Rückforderung von rechtswidrigen Beihilfen i. S. v. Art. 107 Abs. 1 AEUV durch den Mitgliedstaat. Eine von der Kommission einmal als rechtswidrig charakterisierte Beihilfe muss, sofern dies nicht absolut unmöglich ist, vom Mitgliedstaat zurückgefordert werden. Vor dem Hintergrund des Effektivitätsgrundsatzes hat der Mitgliedstaat dabei weder ein Ermessen, noch einen sonstigen Handlungsspielraum.492 Für die Anwendung des Privatgläubgerprinzips bleibt kein Raum, da die Rückforderung nicht dem Ziel der optimalen Gläubigerbefriedigung, sondern der Beseitigung der eingetretenen Wettbewerbsbeeinträchtigung dient.493 Das Privatgläubigerprinzip dient ausschließlich der Analyse, ob überhaupt eine Beihilfe vorliegt, nicht der Blockade ihrer Durchsetzung. Das Prinzip wird ad absurdum geführt, könnte sich ein Mitgliedstaat der Rückforderung einer Beihilfe unter Verweis auf das Privatgläubigerprinzip entziehen. Wären dessen Voraussetzungen gegeben, wäre schon keine Beihilfe gegeben. Der Einwand muss als eine reine Schutzbehauptung angesehen werden, um eine (politisch) nicht gewollte Rückforderung zu vermeiden. Die Kommission hat 490

Zur Vergleichsgruppenbildung vgl. Kapitel 3, S. 158 ff. Vgl. Bekanntmachung der Europäischen Kommission zum Begriff der staatlichen Beihilfe im Sinne des Artikels 107 Absatz 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, ABl. EU 2016 Nr. C 262/1, Rn. 106 ff. 492 Vgl. Kapitel 2, S. 51 ff. 493 Siehe dazu ausführlich: Köster/Möller, EuZW 2007, 534 (537); a. A.: Borchardt, ZIP 2001, 1301 (1302); Heidenhain, in: Heidenhain (Hrsg.), Handbuch des Europäischen Beihilfenrechts, § 4 Rn. 12; Koenig/Kühling/Ritter, EG-Beihilfenrecht, Rn. 471. 491

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zwar in einer Reihe von Entscheidungen ausgeführt, dass sich der Mitgliedstaat bei der Rückforderung wie ein marktwirtschaftlich handelnder Kapitalgeber verhalten muss, dies soll aber lediglich bedeuten, dass der Staat nicht Bemühungen unterlassen darf, die ein Privater ergriffen hätte, jedoch nicht, dass der Staat seinen Verpflichtungen bereits ausreichend nachgekommen ist, wenn er sich wie ein privater Gläubiger verhält.494 Der Europäische Gerichtshof hat folgerichtig die Entlastung mittels des Privatgläubigerprinzips bei der Rückforderung unionsrechtswidriger Beihilfen ebenso abgelehnt495 wie zuvor auch die Europäische Kommission.496

V. Fazit zur Begünstigung Art. 107 Abs. 1 AEUV umfasst Unternehmensbegünstigungen „gleich welcher Art“ und damit sowohl Leistungs- als auch Verschonungssubventionen. Die gewählte Regelungstechnik ist dabei genauso unerheblich wie das Rechtskleid der Begünstigung. Entscheidend ist allein die entlastende Wirkung beim begünstigten Wirtschaftsteilnehmer. Dies bedeutet folgerichtig, dass auch Steuervergünstigungen in jeglicher Form grundsätzlich vom Tatbestand des Art. 107 Abs. 1 AEUV erfasst werden. Diese Einordnung ist sinnvoll und konsequent. Für ein Unternehmen macht es schlicht keinen Unterschied, ob es seine normale Steuerlast trägt und im Gegenzug staatliche Leistungssubventionen erhält, oder direkt eine geringe Steuerlast zu tragen hat und dafür keine Leistungssubvention erhält.497 Beides bewirkt eine finanzielle Entlastung und gibt ihm gegenüber seinen Konkurrenten einen wirtschaftlichen Vorteil. Es kann also festgehalten werden, dass auch ein Einnahmeverzicht bzw. der Verlust von (Steuer-)Einnahmen der direkten Bezuschussung von Unternehmen gleichsteht.498 Solche Vergünstigungen können aber nicht nur bei der Entstehung der Steuerschuld (z. B. niedrigerer Steuertarif oder schmalere Bemessungsgrundlage), sondern auch bei ihrer Durchsetzung zu Tage treten. Während bei der Entstehung der Steuerschuld (z. B. der Festlegung des Steuertarifs) keine Vergleichbarkeit mit einem privaten Investor möglich ist, kann das Privatgläubigerprinzip auf die Durchsetzung 494

Vgl. Köster/Möller, EuZW 2007, 534 (536). EuGH, Urteil v. 12. 05. 2005, Rs. C-415/03, ECLI:EU:C:2005:287, Rn. 38 – Olympic Airways. Vorher missverständlich: EuGH, Urteil v. 08. 05. 2004, Rs. C-328/99 und C-399/00, ECLI:EU:C:2003:252, Rn. 68 – Italien und SIM 2 Multimedia/Kommission. 496 Siehe dazu: Entscheidung der Kommission v. 08. 07. 1999 über die staatliche Beihilfe, die Deutschland zugunsten der Gröditzer Stahlwerke GmbH und ihres Tochterunternehmens Walzwerk Burg GmbH gewährt hat, Az. K(1999) 2264, ABl. Nr. L 292/27, Rn. 100; Entscheidung der Kommission v. 30. 10. 2001 über die staatliche Beihilfe, die Deutschland zugunsten der Graf von Henneberg Porzellan GmbH, Ilmenau, gewährt hat, Az. K(2001) 3303, ABl. EG 2002 Nr. L 307/1, Rn. 144; Entscheidung der Kommission v. 02. 06. 1999 über die von Italien dem Unternehmen Seleco SpA gewährte staatliche Beihilfe, Az. K(1999) 1524; ABl. EG 2000 Nr. 227/24, Rn. 113. 497 Sutter, EG-Beihilfenverbot und sein Durchführungsverbot in Steuersachen, S. 72. 498 Vgl. Linn, IStR 2008, 601 (603). 495

B. Staatliche Mittelzuführung

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von Steueransprüchen grundsätzlich angewendet werden. Es sind letztlich keine Gründe ersichtlich, die eine grundlegende Ungleichbehandlung von Steuerschulden und sonstigen Forderungen der öffentlichen Hand rechtfertigen und die die Anwendung des Privatgläubigerprinzips auf Steuerschulden ausschlössen. Nicht die steuerliche Natur der Maßnahme ist entscheidend, sondern allein die Vergleichbarkeit der Situationen und die Entscheidung des Hoheitsträgers.

B. Staatliche Mittelzuführung Nicht jede Begünstigung eines Wirtschaftsteilnehmers führt automatisch zu einer Beihilfe im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV. Der gewährte Vorteil muss vielmehr auch aus staatlichen Mitteln stammen. Art. 107 Abs. 1 AEUV gibt vor, dass „staatliche oder aus staatlichen Mitteln“ stammende Beihilfen unzulässig sind. Das Kriterium der staatlichen Mittelzuführung grenzt die Vorschriften des Beihilferechts von anderen Teildisziplinen des Wettbewerbsrechts, insbesondere denen des Kartellrechts, ab. Während das Beihilferecht den Markt vor unerwünschten staatlichen Eingriffen schützen soll, dienen die Art. 101 ff. AEUV dazu, unerwünschte private Interventionen in das Marktgefüge zu unterbinden.499 Für die Einordnung als Beihilfe i. S. v. Art. 107 Abs. 1 AEUV ist es daher entscheidend, dass ein Transfer staatlicher Mittel zu einem Unternehmen stattfindet.500 Der Belastungsminderung zugunsten des Unternehmens muss ein korrespondierender Einnahmeverzicht des Staates gegenüberstehen.501 Die Begünstigung eines Wirtschaftsteilnehmers und die Belastung eines öffentlichen Haushaltes sind zwei Seiten einer Medaille. Liegt eine Belastung des öffentlichen Haushalts nicht vor, da es durch die Maßnahme ausschließlich zur Belastung privater Dritter kommt, ist folgerichtig keine Beihilfe gegeben.502 Aus dem reinen Wortlaut der Norm selbst lassen sich grundsätzlich zwei Alternativen für die Gewährung staatlicher Beihilfen herauslesen. Die erste Alternative deckt dabei die klassischen Beihilfen, insbesondere Leistungssubventionen, ab, wohingegen die zweite Alternative als allgemeiner Auffangtatbestand fungieren soll, um mögliche Umgehungsversuche über beteiligte Drittparteien zu erfassen.503 Der Europäische Gerichtshof hingegen interpretiert das Merkmal „Staatlichkeit der Mittel“ einheitlich und überprüft es anhand eines zweistufigen Prüfungsschemas. Erstens muss die Unternehmensbegünstigung aus staatlichen Mitteln oder unter 499 Schroeder, EuZW 2015, 207 (208); Rosenfeld, in: Schulte/Kloos (Hrsg.), Handbuch Öffentliches Wirtschaftsrecht, § 3 Rn. 8. 500 Blumenberg/Kring, Europäisches Beihilferecht und Besteuerung, S. 12. 501 Rosenberg, Das beihilferechtliche Durchführungsverbot in Steuersachen, S. 48. 502 So etwa bei der besonderen Einspeisvergütung für Strom aus erneuerbaren Energien, da sich die Abnahmeverpflichtung ausschließlich an private Versorgungsunternehmen richtet. EuGH, Urteil v. 13. 03. 2001, Rs. C-379/98, ECLI:EU:C:2001:160 – PreussenElektra; siehe dazu ausführlich: Blumenberg/Kring, Europäisches Beihilferecht und Besteuerung, S. 48. 503 Schroeder, EuZW 2015, 207 (208).

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Kap. 3: Materielle Voraussetzungen des Beihilfetatbestandes

Inanspruchnahme staatlicher Mittel gewährt werden. Zweitens muss die Gewährung einer staatlichen Stelle zurechenbar sein. Diese kumulative Prüfung wird vom Gerichtshof jedoch nicht stringent durchgehalten, je nach Einzelfall betont er unterschiedliche Aspekte. Im Ergebnis verzichtet er aber auf eine klare Trennung der Alternativen. Ebenso wie der Begriff der Beihilfe und des Unternehmens muss auch der Begriff „Mitgliedstaat“ weit ausgelegt werden. Eine staatliche Beihilfe kann nicht nur durch den Zentralstaat, sondern auch durch die jeweils bestehenden Gliedstaaten, sonstige staatliche Institutionen oder speziell für die Vorteilsgewährung errichtete privatrechtliche juristische Personen gewährt werden.504 Entscheidend ist, dass die Maßnahme zu einem staatlichen Mittelabfluss, also einer Belastung eines öffentlichen Haushalts führt.505 Belastung eines öffentlichen Haushalts bedeutet aber nicht ausschließlich, dass ein Mittelabfluss im Sinne eines Kapitalabflusses vorhanden sein muss.506 Der Begriff der Beihilfe umfasst sowohl Leistungs-, als auch Verschonungssubventionen. Bei Letzteren gibt es aber keinen Mittelabfluss im klassischen Sinne. Aus der spiegelbildlichen Anwendung des wirkungsorientierten Beihilfeverständnisses auf die Staatlichkeit der Mittel ergibt sich aber, dass auch Einnahmeverzichte der Staatskasse davon erfasst sind.507 Auch geringere als eigentlich zu erwartende Steuereinnahmen sind als staatlicher Mittelabfluss qualifizierbar.508 Welche Verwaltungsebene oder welche staatsrechtliche Untergliederung den Vorteil gewährt oder ob diese unmittelbar oder nur mittelbar aus dem Haushalt stammt, ist unerheblich, da andernfalls ein erhebliches Missbrauchsrisiko bestünde.509 Die Mitgliedstaaten würden dazu animiert, das Beihilfeverbot durch eine mittelbare Vorteilsgewährung über dritte Stellen zu umgehen. Es macht daher keinen Unterschied, auf welchem Weg die Beihilfe gewährt wird, entscheidend ist alleine, dass die Maßnahme letztlich auf Kosten eines staatlichen Haushalts erfolgt.510 Der von Mitgliedstaaten häufig vorgebrachte Einwand, dass durch Steuervergünstigungen (möglicherweise) neue Wirtschaftsteilnehmer und Unternehmen in den Mitgliedstaat gelockt werden und sich auf lange Sicht damit das Gesamtsteueraufkommen und damit die Staatseinnahmen sogar erhöhen, spielt bei der Bewertung keine Rolle. Eine solche Saldierung hat der Gerichtshof insbesondere aufgrund der unsicheren Prognose und der schweren oder sogar unmöglichen 504

Zu regionalen Beihilfen siehe Kapitel 3, S. 121 ff. Grube, DStZ 2007, 371 (375). 506 Dies ist besonders offensichtlich bei defizitären staatseigenen Unternehmen, bei denen regelmäßig ein Ausgleich des Saldos über den Staatshaushalt stattfindet. Siehe dazu: Fetzer, Staat und Wettbewerb in dynamischen Märkten, S. 155. 507 Lehnert, Die Korrektur von gemeinschaftswidrigen Beihilfen in Form von Steuervergünstigungen, S. 40. 508 Vgl. EuGH, Urteil v. 15. 03. 1994, Rs. C-387/92, ECLI:EU:C:1994:100, Rn. 14 – Banco Exterior de España/Ayuntamiento de Valencia. 509 Strüber, Steuerliche Beihilfen, S. 109. 510 Zum Sonderfall der mittelbaren Begünstigung vgl. Soltész/Hellstern, EuZW 2013, 489 – 493. 505

C. Zurechnung an den Staat

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Überprüfbarkeit nachvollziehbarerweise nicht erlaubt.511 Selbst wenn es zukünftig zu einer positiven Entwicklung der Staatsfinanzen kommen sollte, ist keineswegs sicher, dass dies tatsächlich adäquat-kausal auf die Beihilfe zurückzuführen ist. Der Einfluss anderer Faktoren kann nicht eingeschätzt und beziffert werden. Zukünftige volkswirtschaftliche Entwicklungen müssen daher bei der Bewertung der Maßnahme außer Acht gelassen werden. Entscheidend ist alleine eine auf das jeweilige Unternehmen und den konkreten Zeitpunkt bezogene individualisierte Betrachtungsweise.512 Muss dieses weniger als seine „normalerweise“ anfallende Belastung tragen, so erhält es einen Vorteil in Höhe der staatlichen Einbuße.513

C. Zurechnung an den Staat In Fällen, in denen die Begünstigung nicht unmittelbar vom Mitgliedstaat oder seinen Untergliederungen, sondern beispielsweise durch vom Staat errichtete Institutionen gewährt wurde, muss auch untersucht werden, ob sie dem Mitgliedstaat überhaupt zurechenbar ist.514 In der Vergangenheit wurde dabei angenommen, dass es für die Zurechenbarkeit genügt, dass die Institution vom Staat geschaffen wurde und er die Möglichkeit der Einflussnahme besitzt.515 Dieses Verständnis wurde vom Europäischen Gerichtshof in jüngerer Vergangenheit revidiert. Dieser hat in seinem Urteil in der Rechtssache Stardurst516 entschieden, dass staatliche Kontrolle und die Möglichkeit der Einflussnahme nicht mehr automatisch zur Zurechenbarkeit der Maßnahme führen. Vielmehr müssen staatliche Stellen tatsächlich in irgendeiner

511

Vgl. Rosenberg, Das beihilferechtliche Durchführungsverbot in Steuersachen, S. 49. Ausnahmsweise hat der EuGH eine Saldierung zugelassen, wenn eine staatliche Maßnahme im konkreten Einzelfall zu einem ökonomischen Vorteil des Staates führt. Hintergrund ist auch hier der Vergleich mit einem Privaten. Der positive Saldo muss sich aber durch eine positive Prognose im konkreten Einzelfall ergeben. Eine Saldierung mit eventuell später hinzukommenden Steuereinnahmen anderer Steuerpflichtiger ist hingegen unzulässig. Vgl. EuGH, Urteil v. 21. 03. 1991, Rs. C-305/89, ECLI:EU:C:1991:141, Rn. 19 bis 24 – Alfa Romeo. 513 EuGH, Urteil v. 22. 06. 2006, Rs. C-182/03 und C-217/03, ECLI:EU:C:2006:416, Rn. 129 – Belgische Koordinationszentren.Vgl. auch: Linn, IStR 2008, 601 (603); Roth, DStZ 2006, 464 (467). 514 Lehnert, Die Korrektur von gemeinschaftswidrigen Beihilfen in Form von Steuervergünstigungen, S. 33. Zum Tatbestand der staatlichen Zurechenbarkeit siehe grundlegend: Schroeder, EuZW 2015, 207 (209 ff.). 515 So z. B. EuGH, Urteil v. 22. 03. 1977, Rs. C-78/76, ECLI:EU:C:1977:52, Rn. 19 ff. – Steinike & Weinlig; EuGH, Urteil v. 30. 01. 1985, Rs. C-290/83, ECLI:EU:C:1985:37, Rn. 14 – Kommission/Frankreich; EuGH, Urteil v. 02. 02. 1988, Rs. C-67/85, ECLI:EU:C:1988:38, Rn. 35 bis 37 – Van der Kooy/Kommission; EuG, Urteil v. 12. 12. 1996, Rs. T-358/94, ECLI:EU: T:1996:194, Rn. 57 ff. – Air France/Kommission. 516 EuGH, Urteil v. 16. 05. 2002, Rs. C-482/99, ECLI:EU:C:2002:294 – Frankreich/Kommission. 512

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Kap. 3: Materielle Voraussetzungen des Beihilfetatbestandes

Weise am Erlass der fraglichen Maßnahme beteiligt sein.517 Die Zurechenbarkeit wird dabei im Einzelfall anhand der konkreten Indizienlage bestimmt, um zu verhindern, dass Beihilfen aufgrund intransparenter Beziehungen oder sonstiger Beweisschwierigkeiten nicht verfolgt werden können.518 Dass privates Handeln sehr häufig aufgrund einer gesetzlichen Regelung und damit letztlich auf staatlichem Zwang beruht, muss dabei außer Acht gelassen werden.519 Da Steuermaßnahmen ausschließlich durch den Zentralstaat selbst, seine Gliedstaaten oder die dafür zuständigen Organe erhoben werden können, sind solche Maßnahmen diesem auch unproblematisch zurechenbar. Das Kriterium der Zurechenbarkeit ist daher für Steuermaßnahmen grundsätzlich nur von untergeordneter Bedeutung.520

D. Selektivität Entscheidendes Kriterium bei der Einstufung einer Steuervergünstigung als Beihilfe ist in der Praxis häufig das Merkmal der Selektivität (teilweise auch Spezifität genannt).521 Die Selektivitätsprüfung ist „Dreh- und Angelpunkt“ bei der Beurteilung des Beihilfecharakters.522 Mit Hilfe der Selektivität sollen Beihilfen von – nicht unter den Tatbestand von Art. 107 Abs. 1 AEUV fallenden – unterschiedslos wirkenden, allgemein-wirtschaftspolitischen Maßnahmen abgegrenzt werden.523 Solche allgemeinen Maßnahmen werden aufgrund ihrer fehlenden wettbewerbsverzerrenden Wirkung nicht vom Beihilfeverbot erfasst.524 Bei der Abgrenzung müssen Kommission und Gerichte die Souveränität der Mitgliedstaaten und die von ihnen entwickelten nationalen Besteuerungssystematiken sowie deren 517 EuGH, Urteil v. 16. 05. 2002, Rs. C-482/99, ECLI:EU:C:2002:294, Rn. 37 ff. – Frankreich/Kommission. 518 Koenig/Hellstern, in: Müller-Graff (Hrsg.), Europäisches Wirtschaftsordnungsrecht, § 14 Rn. 34. 519 Vgl. dazu etwa: EuGH, Urteil v. 13. 03. 2001, Rs. C-379/98, ECLI:EU:C:2001:160 – PreussenElektra. 520 Lehnert, Die Korrektur von gemeinschaftswidrigen Beihilfen in Form von Steuervergünstigungen, S. 44. Anders für Abgaben oder Beiträge, die auch von öffentlich-rechtlichen Institutionen und Einrichtungen erhoben werden können. Zu solchen parafiskalischen Abgaben siehe: Rosenberg, Das beihilferechtliche Durchführungsverbot in Steuersachen, S. 54 ff. 521 Lang, IStR 2015, 369 (371); Grube, Der Einfluss des unionsrechtlichen Beihilfenverbots auf das deutsche Steuerrecht, S. 44; Grube, DStZ 2007, 370 (376); Mestmäcker/Schweitzer, in: Immenga/Mestmäcker (Hrsg.), Wettbewerbsrecht, Art. 107 Abs. 1 AEUV Rn. 214. 522 So treffend bezeichnet von Soltész, BB 2019, 1687 (1688). Zur Bedeutung der Selektivitätsprüfung vgl. auch: Schön, ZHR 2019, 393 (395). 523 Grube, Der Einfluss des unionsrechtlichen Beihilfeverbots auf das deutsche Steuerrecht, S. 44; Koenig/Hellstern, in: Müller-Graff (Hrsg.), Europäisches Wirtschaftsordnungsrecht, § 14 Rn. 44. 524 Für eine detaillierte Darstellung allgemeiner Maßnahmen siehe: Lehnert, Die Korrektur von gemeinschaftswidrigen Beihilfen in Form von Steuervergünstigungen, S. 46 ff.

D. Selektivität

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Grund- und Leitprinzipien respektieren.525 Aufgrund der fehlenden Harmonisierung der direkten Steuern steht es den Mitgliedstaaten frei, ihr Steuersystem zu ändern oder anzupassen. Sie müssen dabei wiederum den Rahmen des unionsrechtlichen Primärrechts respektieren, der auch das Steuerrecht umfasst. Steuervorschriften und –systeme, die bestimmte Wirtschaftsteilnehmer bevorzugen, können damit grundsätzlich eine selektive Beihilfe darstellen. Diese Wechselwirkung zwischen primären Unionsrecht und nicht harmonisiertem nationalem Steuerrecht ist prägend für die Beurteilung steuerlicher Beihilfen. Entscheidend für die Selektivität ist dabei weder die Intention des Gesetzgebers noch die gewählte Form, sondern alleine die Wirkung der Maßnahme.526 Dabei macht es keinen Unterschied, ob die Begünstigung durch einen gesetzlichen Tatbestand oder eine Verwaltungspraxis, respektive eine Ermessensentscheidung, gewährt wird.527 Auch die Art der Selektivität (regional oder materiell) ist unerheblich.528 Die Europäischen Verträge selbst sehen allerdings kein feststehendes Prüfungsschema für die Ermittlung der Selektivität einer Maßnahme vor. Anhand der Kasuistik des Europäischen Gerichtshofs haben sich jedoch über die Jahre Prüfungssystematiken zur Ermittlung von regionaler und materieller Selektivität herausgebildet.

I. Regionale Selektivität Einen ersten Anwendungsfall bildet die Fallgruppe der regionalen Selektivität (vereinzelt auch geographische Selektivität genannt).529 Zu dieser Fallgruppe gehören Regelungen, die nicht für das gesamte Staatsgebiet eines Mitgliedstaates gelten, sondern nur für Unternehmen in bestimmten Regionen. Eine staatliche Maßnahme kann dadurch einen selektiven Charakter erhalten, dass sie zwar Unternehmen unabhängig von Branche, Größe oder anderen unternehmensbezogenen 525

Ismer/Karch, IStR 2014, 130 (131). Zu dieser ständigen Rechtsprechung siehe: EuGH, Urteil v. 02. 07. 1974, Rs. C-173/73, ECLI:EU:C:1973:71 – Italien/Kommission; EuGH, Urteil v. 24. 02. 1987, Rs. 310/85, ECLI: EU:C:1987:96, Rn. 8 – Deufil/Kommisison; EuGH, Urteil v. 29. 02. 1996, Rs. C-56/93, ECLI: EU:C:1996:64, Rn. 79 – Belgien/Kommission; EuGH, Urteil v. 26. 09. 1996, Rs. C-241/94, ECLI:EU:C:1996:353, Rn. 20 – Frankreich/Kommission; EuGH, Urteil v. 17. 06. 1999, Rs. C75/97, ECLI:EU:C:1999:311, Rn. 25 – Belgien/Kommission; EuGH, Urteil v. 22. 12. 2008, Rs. C-487/06 P, ECLI:EU:C:2008:757, Rn. 85 und 89 – British Aggregates/Kommission; EuGH, Urteil v. 08. 09. 2011, Rs. C-279/08 P, ECLI:EU:C:2011:551, Rn. 51 – Kommission/ Niederlande; EuGH, Urteil v. 15. 11. 2011, Rs. C-106/09 P und C-107/09 P, ECLI:EU:C:2011: 732, Rn. 87 – Gibraltar. Vgl. Linn, IStR 2008, 601 (603); Bousin/Piernas, EStAL 2008, 634 (635). 527 Mitteilung der Kommission v. 10. 12. 1998 über die Anwendung der Vorschriften über staatliche Beihilfen auf Maßnahmen im Bereich der direkten Unternehmenssteuerung, ABl. EG 1998 Nr. C 384/3, Rn. 17 bis 22. 528 Siehe auch: Nicolaides/Rusu, EStAL 2012, 791 (792); da Cruz Vilaça, Estal 2009, 443 (448); Linn, IStR 2008, 601 (605). 529 Bartosch, EuZW 2010, 12 (12). 526

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Kap. 3: Materielle Voraussetzungen des Beihilfetatbestandes

Faktoren erfasst – also nicht materiell selektiv ist – allerdings nur auf einen bestimmten räumlichen Bereich begrenzt gilt und damit im Ergebnis die dortigen Unternehmen bevorzugt.530 Besonders anfällig für den Verdacht der regionalen Selektivität sind dabei – nachvollziehbarerweise – von einem Zentralstaat erlassene Gesetze, die Unternehmen in bestimmten Regionen gegenüber ihren Konkurrenten in anderen Regionen des Landes besserstellen. Aber nicht nur von einem gesamtstaatlichen Parlament erlassene Vorschriften können unter einen solchen Beihilfeverdacht geraten und müssen auf ihre selektive Wirkung überprüft werden; auch durch regionale Hoheitsträger im Rahmen ihrer Steuerrechtsautonomie ergriffene Maßnahmen können den Tatbestand des Art. 107 Abs. 1 AEUV erfüllen.531 Einige Mitgliedstaaten sehen durch ihre föderale Staatsstruktur in den einzelnen Regionen unterschiedliche Besteuerungsmöglichkeiten vor. Eine beihilferechtlich relevante Ungleichbehandlung kann dabei auf zwei Arten erzeugt werden. Zum einen kann es Regionen erlaubt sein, gesamtstaatliche Steuersätze für ihren Zuständigkeitsbereich zu modifizieren (sog. asymmetrische Devolution). In Spanien etwa ist es autonomen Regionen ermöglicht, Zuschläge auf bestimmte staatliche Steuern zu erheben und deren Steuersätze anzupassen. Ähnliches gilt in Belgien, wo die Regionen nicht nur befugt sind, den Steuersatz anzupassen, sondern auch die Besteuerungsgrundlage und die Befreiungen von den regionalen Steuern zu regeln.532 Zum anderen kann den Regionen selbst die Steuerhoheit zugewiesen sein. Sie verändern dann nicht kraft regionaler Autonomie gesamtstaatliche Steuern, sondern erheben ihrer Vorstellung entsprechend eigene Steuern und Abgaben (sog. symmetrische Devolution) bzw. legen den zu erhebenden Steuersatz frei fest. So erheben in Italien beispielsweise die Regionen eine Gewerbesteuer (IRAP) und können den Steuersatz erhöhen oder senken oder ihn auf bestimmte Sektoren, Zeiträume oder Gebiete begrenzen. Auch in Österreich gibt es eine Reihe solcher Landes- und Gemeindeabgaben für Unternehmen.533 Doch die Problematik regionaler Steuerbeihilfen betrifft nicht nur andere Mitgliedstaaten. In Deutschland haben die kommunalen Hebesätze bei der Gewerbesteuer eine beihilferechtliche Relevanz entwickelt und sind folgerichtig ins Blickfeld der europäischen Beihilfekontrolle geraten.534 Obwohl regionale und materielle Selektivität unterschieden werden müssen, bleiben sie doch miteinander verbunden. Auch bei regionalen Beihilfen kommt es letztlich darauf an, dass bestimmte Wirtschaftsteilnehmer gegenüber ihren Wett530

Zur Möglichkeit der Errichtung von „steuerlichen Sonderzonen“ zur Stärkung strukturschwacher Regionen in Europa vgl. Cipollini, Intertax 2020, 286 – 300. 531 EuGH, Urteil v. 06. 09. 2006, Rs. C-88/03, ECLI:EU:C:2006:511, Rn. 55 – Azoren; EuGH, Urteil v. 14. 10. 1987, Rs. C-248/84, ECLI:EU:C:1988:414, Rn. 17 – Deutschland/ Kommission. 532 Vgl. dazu im Einzelnen: Glaser, EuZW 2009, 363 (364). 533 Glaser, EuZW 2009, 363 (364). 534 Vgl. zur Vereinbarkeit der deutschen Gewerbesteuer mit dem europäischen Beihilferecht: Glaser, EuZW 2009, 363 (363); de Weerth, IStR 2008, 732 (734); Arhold, EuZW 2006, 717 (721).

D. Selektivität

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bewerbern selektiv begünstigt werden. Kritischer Punkt bei der Beurteilung regionaler Maßnahmen ist die Wahl des richtigen Referenzsystems bzw. der Vergleichsgruppe. Wählt man als Maßstab alle Unternehmen im Staatsgebiet, so ergibt sich aus dem bisher Gesagten, dass wohl alle regionalen (Steuer-)Maßnahmen eine Beihilfe darstellen, denn regional unterschiedliche Steuersätze führen immer zu einer unterschiedlich hohen Besteuerung von Unternehmen innerhalb des Gesamtstaates und damit zur Begünstigung der niedriger besteuerten Unternehmen. Diese Auffassung hat die Europäische Kommission in ihrem Beschluss über die Regelungen zur Anpassung des portugiesischen Steuersystems an die besonderen Bedingungen der autonomen Region der Azoren vertreten und gelangte folgerichtig zur Beihilfewidrigkeit der Maßnahme.535 Ihre Entscheidung hat die Kommission dabei vor allem auf die Überlegung gestützt, dass der Begriff der Beihilfe weit und objektiv interpretiert werden muss und letztlich alle staatlichen Eingriffe, die zu einer Begünstigung bestimmter Unternehmen führen, umfasst, unabhängig davon welche staatliche Institution den Vorteil letztlich herbeigeführt hat. Nach Ansicht der Kommission würde Art. 107 Abs. 1 AEUV jede praktische Wirksamkeit genommen, würde die Fläche der betroffenen Gebietskörperschaft als Bezugsrahmen gewählt536 Diese äußerst strikte Auffassung der Kommission besticht zwar durch ihre Einfachheit, in der praktischen Anwendung vermag sie jedoch nicht zu überzeugen. Der Gesamtstaat bildet zwar den maximalen, keineswegs aber den einzig denkbaren Bezugsrahmen. Die Beurteilung regionaler Selektivität muss vielmehr nach einer Analyse des konkreten Einzelfalls erfolgen. Auch der Zuständigkeitsbereich der jeweiligen autonomen Region kann den Maßstab bilden, ob ein Unternehmen gegenüber einem anderen einen Vorteil erhält. Regional divergierende Steuersätze können also nicht schon deshalb als Beihilfe angesehen werden, weil im bundesweiten Vergleich einige Unternehmen davon erfasst werden und andere nicht. Nur, wenn durch die regionale Steuervorschrift ein Unternehmen gegenüber einem ebenfalls in den Zuständigkeitsbereich des regionalen Normgebers fallenden Unternehmen unterschiedlich besteuert wird, ergibt sich eine beihilferechtliche Relevanz. Die mögliche Kollision von regionalen Steuerbefugnissen und europäischem Beihilferecht wurde auch vom Europäischen Gerichtshof erkannt; er hat in seinem Azoren-Urteil537 erstmals eingehend Stellung dazu genommen. Gegenstand des

535 Entscheidung der Kommission v. 11. 12. 2002 über den Teil der Regelung zur Anpassung des portugiesischen Steuersystems an die besonderen Bedingungen der autonomen Region der Azoren, der die Einkommensteuersenkungen betrifft, Az. K(2002) 4487, ABl. EG 2003 Nr. L 150/52, Rn. 24. 536 Entscheidung der Kommission v. 11. 12. 2002 über den Teil der Regelung zur Anpassung des portugiesischen Steuersystems an die besonderen Bedingungen der autonomen Region der Azoren, der die Einkommensteuersenkungen betrifft, Az. K(2002) 4487, ABl. EG 2003 Nr. L 150/52, Rn. 26 und 27. 537 EuGH, Urteil v. 06. 09. 2006, Rs. C-88/03, ECLI:EU:C:2006:511 – Azoren.

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Kap. 3: Materielle Voraussetzungen des Beihilfetatbestandes

Urteils war die Entscheidung der Europäischen Kommission über die Anpassung des portugiesischen Steuersystems durch die autonome Region der Azoren.538 Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde: Die autonome Region der Azoren hat von der ihr vom portugiesischen Zentralstaat übertragenen Kompetenz Gebrauch gemacht, die in Portugal anwendbare Einkommensteuer um bis zu 30 % abzusenken. Es wurde allen in der Region einkommensteuerpflichtigen Privatpersonen und Körperschaften eine Senkung der Einkommensteuer in Höhe von 20 % für Privatpersonen (15 % im Jahr 1999) und 30 % für Körperschaften gewährt. Die Kommission kam diesbezüglich zu der Auffassung, dass es sich bei der durch die Azoren durchgeführte Steuersenkung um eine selektive Beihilfe im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV handelt, da maßgeblicher Referenzrahmen für die Analyse der Selektivität das gesamte Staatsgebiet sei.539 Gegen den Beschluss der Kommission reichte die Republik Portugal, unterstützt durch das Königreich Spanien, das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland als Streithelfer, Nichtigkeitsklage gemäß Art. 263 AEUVein. Obwohl die Klage letztlich abgewiesen wurde, kann sie doch im Ergebnis als Erfolg der Mitgliedstaaten gewertet werden, da der Europäische Gerichtshof erstmals ausführlich Stellung dazu nahm, unter welchen Umständen eine regionale Steuermaßnahme als selektiv eingestuft werden kann. Dabei entschied sich der Gerichtshof dazu, bei der Beurteilung die nationale innerstaatliche Kompetenzverteilung zu berücksichtigen. Der Gerichtshof kam in dem Urteil zu der Einschätzung, dass ein von der Zentralregierung erlassenes Gesetz, das nur in einem räumlich begrenzten Gebiet Anwendung findet, nicht per se als selektiv angesehen werden kann. Er kam darüber hinaus zu der Einschätzung, dass, wenn sich Zentralstaat und Gebietskörperschaft die Steuerhoheit teilen (symmetrische Devolution), die lokale Gebietskörperschaft den Steuersatz also innerhalb ihrer Hoheitsbefugnisse frei festlegen kann, mangels vergleichbarem „normalen“ Besteuerungsniveau und damit mangels Bezugsrahmen nicht von regionaler Selektivität ausgegangen werden kann. Beihilferechtlich besonders kritisch zu beurteilen sind nach Auffassung des Gerichtshofs hingegen die Konstellationen, in denen eine regionale Körperschaft in Ausübung ihrer Befugnisse ein unter dem nationalen Steuersatz liegendes Besteuerungsniveau festsetzen kann.540 Im Fall einer solchen asymmetrischen Devolution soll als Bezugsrahmen das Zuständigkeitsgebiet der regionalen Körperschaft dienen. Allerdings kann nicht jede 538

Entscheidung der Kommission v. 11. 12. 2002 über den Teil der Regelung zur Anpassung des portugiesischen Steuersystems an die besonderen Bedingungen der autonomen Region der Azoren, der die Einkommensteuersenkungen betrifft, Az. K(2002) 4487, ABl. EG 2003 Nr. L 150/52. 539 Entscheidung der Kommission v. 11. 12. 2002 über den Teil der Regelung zur Anpassung des portugiesischen Steuersystems an die besonderen Bedingungen der autonomen Region der Azoren, der die Einkommensteuersenkungen betrifft, Az. K(2002) 4487, ABl. EG 2003 Nr. L 150/52, Rn. 24. 540 EuGH, Urteil v. 06. 09. 2006, Rs. C-88/03, ECLI:EU:C:2006:511, Rn. 63 bis 66 – Azoren. Insoweit missverständlich: Arhold, EuZW 2006, 717 (719).

D. Selektivität

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von einer regionalen Einheit autonom getroffene Entscheidung ohne Weiteres einer beihilferechtlichen Kontrolle entzogen werden. Andernfalls entstünde für den Zentralstaat ein Anreiz, bestimmte fiskale Kompetenzen an regionale Hoheitsträger abzugeben, um so die Beihilfekontrolle durch die Europäische Kommission zu vermeiden. Eine solche Kompetenzverlagerung wäre zwar realpolitisch zweifellos schwer umsetzbar, rechtlich möglich wäre sie trotzdem. Diese Gefahr wurde auch durch den Europäischen Gerichtshof erkannt. Er hat, ausgehend von den Schlussanträgen der Generalanwälte Geelhoed541 und Kokott,542 im Rahmen seiner Rechtsprechung in den Fällen Azoren543 und Unión General de Trabajadores de la Rioja544 Kriterien zur Prüfung aufgestellt, mittels derer eine Beurteilung, ob eine regionale Einheit „wirklich autonom“ ist, ermöglicht werden soll.545 1. Institutionelle Autonomie Die regionalen Gebietskörperschaften müssen zunächst eine verfassungsrechtlich verankerte Institution sein und Kraft dessen politisch und administrativ autonome Handlungen vornehmen können.546 Die institutionelle Autonomie ist Ausgangspunkt der Autonomieprüfung und konstituierend für alle weiteren Überlegungen. Die Europäische Union muss die verfassungsrechtlich verankerten Strukturen ihrer Mitgliedstaaten, ob föderal oder zentralistisch, respektieren und auch bei der Anwendung der europäischen Verträge, vorliegend Art. 107 Abs. 1 AEUV, beachten. Das nationalstaatliche Staatsorganisationsrecht ist der Einflussnahme durch die Union entzogen. Sie darf keinerlei Einfluss auf die mitgliedstaatliche Organisationsstruktur und Aufgabenwahrnehmung ausüben, sondern muss die verfassungsrechtlich vorgegebene Aufgabenzuweisung als gegeben hinnehmen. Die Union ist folgerichtig dazu gezwungen, verfassungsrechtlich garantierte, institutionelle Autonomien zu respektieren. Zwingende Voraussetzung für die Reduktion des Referenzrahmens auf das Hoheitsgebiet der Autonomieregion ist also die verfassungsrechtliche Zuweisung steuerrechtlicher Kompetenzen an die Gebietskörperschaft. 2. Prozedurale Autonomie Die institutionelle Autonomie stellt aber nur die notwendige, nicht aber die hinreichende Bedingung dar. Die zu untersuchende regionale Regelung muss darüber 541 Schlussanträge des Generalanwalts Geelhoed v. 20. 10. 2005, Rs. C-88/03, ECLI:EU:C: 2005:618, Rn. 54 – Azoren. 542 Schlussanträge der Generalanwältin Kokott v. 08. 05. 2008, Rs. C-428/06 bis C-434/06, ECLI:EU:C:2008:262 – Unión General de Trabajadores de la Rioja. 543 EuGH, Urteil v. 06. 09. 2006, Rs. C-88/03, ECLI:EU:C:2006:511 – Azoren. 544 EuGH, Urteil v. 11. 09. 2008, Rs. C-428/06 bis C-434/06, ECLI:EU:C:2008:488, Rn. 84 ff. – Unión General de Trabajadores de la Rioja. 545 Vgl. Glaser, EuZW 2009, 363 (365); da Cruz Vilaça, Estal 2009, 443 (449). 546 De Weerth, IStR 2008, 732 (733).

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Kap. 3: Materielle Voraussetzungen des Beihilfetatbestandes

hinaus gefasst worden sein, ohne dass die Zentralregierung des Gesamtstaates die Möglichkeit hatte, darauf Einfluss zu nehmen (sog. formelle Gestaltungsautonomie). Die Gebietskörperschaft darf auch nicht dazu verpflichtet sein, Belange des Zentralstaates in ihrer Entscheidungsfindung zu berücksichtigen (sog. materielle Gestaltungsautonomie). Darunter darf jedoch nicht verstanden werden, dass es zu keinem politischen Austausch zwischen der betroffenen Region und der Zentralregierung gekommen ist. In parteipolitisch geprägten Systemen, insbesondere in föderal organisierten Staaten, ist es selbstverständlich und im staatlichen System selbst angelegt, dass sich die einzelnen Entscheidungsträger (ggf. auch gerade auf Parteiebene) in gewissem Umfang austauschen und dass ihre Maßnahmen zumindest grundsätzlich aufeinander abgestimmt werden können. Die Zentralregierung darf dabei aber über kein Weisungs- oder Letztentscheidungsrecht verfügen. Eine, auch weitreichende, Kooperation ist daher zwar möglich, die letztliche Entscheidung über die Einführung eines Gesetzes oder die Umsetzung einer Maßnahme muss aber beim regionalen Hoheitsträger liegen. Eine besondere Rolle kommen dabei gesamtstaatlichen Vorgaben zur Ausgestaltung des Steuerrechts, z. B. dem Leistungsfähigkeitsprinzip oder dem Gleichbehandlungsgrundsatz zu. Diese, häufig unmittelbar aus der Verfassung abgeleiteten Grundsätze beeinflussen zwar die Ausgestaltung der Maßnahme bzw. des Gesetzes, sie nehmen aber keinen beihilferechtlich relevanten Einfluss auf den Entscheidungsprozess, sondern bilden vielmehr den grundlegenden (verfassungs-)rechtlichen Rahmen in dem der regionale Hoheitsträger seine Entscheidung treffen kann. Der Entscheidungsautonomie der regionalen Einheiten werden Grenzen aufgezeigt, ein einzelner Entscheidungsprozess aber nicht in einer bestimmten Weise beeinflusst.547 Auch die Tatsache, dass die Einhaltung dieser Grundsätze im Nachhinein durch Gerichte des Zentralstaates, z. B. dem nationalen Verfassungsrecht, überprüft wird, ändert an dieser Bewertung nichts.548 3. Wirtschaftliche Autonomie Abschließend muss die betroffene Gebietskörperschaft auch wirtschaftlich unabhängig sein. Dies bedeutet nicht, dass zwischen dem Zentralstaat und der autonomen Region keine Wirtschaftsbeziehungen bestehen dürfen. Allerdings dürfen die durch die Steuermaßnahme möglicherweise entstehenden Steuerausfälle nicht durch den Gesamtstaat ausgeglichen werden. Im Ergebnis muss also finanzielle Autonomie der regionalen Einrichtung bestehen. Dabei führt aber nicht jeder innerstaatliche Mitteltransfer zu einem Fehlen der wirtschaftlichen bzw. finanziellen Unabhängigkeit. Es reicht nicht aus, dass eine saldierende Betrachtungsweise von Finanzströmen zwischen Zentralstaat und Gebietskörperschaft darauf schließen lässt, dass der Zentralstaat die Gebietskörperschaft für ihr geringeres Steueraufkommen ent547

EuGH, Urteil v. 11. 09. 2008, Rs. C-428/06 bis C-434/06, ECLI:EU:C:2008:488, Rn. 102 und 103 – Unión General de Trabajadores de la Rioja. 548 EuGH, Urteil v. 11. 09. 2008, Rs. C-428/06 bis C-434/06, ECLI:EU:C:2008:488, Rn. 76 ff. – Unión General de Trabajadores de la Rioja.

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schädigt hat. Ein solcher Finanztransfer kann grundsätzlich vielfältige Gründe haben und erfolgt nicht automatisch wegen der geringeren Steuereinnahmen in einem Einzelfall. Es muss vielmehr ein Kausalzusammenhang zwischen der durch die Region erlassenen Steuerregelung, dem damit verbundenen Steuerausfall und der durch den Zentralstaat veranlassten Ausgleichszahlung bestehen. Das bedeutet, dass die Höhe der eingenommenen Steuern überhaupt in die Berechnung der Finanztransfers einbezogen wird, und dass eine Veränderung der Höhe der Einnahmen auch zu einer Anpassung der Höhe der Transfers führt.549 Zwar geht der Generalanwalt Geelhoed in seinen Schlussanträgen explizit nur auf mögliche innerstaatliche Kompensationszahlungen unmittelbar durch den Zentralstaat ein und beachtet Gebietskörperschaften-übergreifende Ausgleichsmechanismen nicht weiter.550 Der Gerichtshof nennt in seinem Urteil551 aber ausdrücklich auch finanzielle Zuschüsse aus anderen Regionen als Kriterium der wirtschaftlichen Autonomie.552 Solche nicht durch den Zentralstaat kompensierte, rein gebietskörperschaftsinterne Finanztransfers führen folglich ebenfalls zu einer Aberkennung der finanziellen Autonomie.553 Dies erscheint vor dem Hintergrund, dass solche Finanzausgleichsysteme politisch umstritten und praktisch nur schwer umsetzbar sein dürften, auf den ersten Blick nicht zwingend, vor dem Hintergrund ansonsten drohender Umgehungsfälle letztlich aber doch notwendig. Ansonsten könnte eine Umgehung durch die Zwischenschaltung bisher unbeteiligter dritter Gebietskörperschaften stattfinden, um so die vom Gerichtshof aufgestellten Voraussetzungen zu umgehen. Dabei würde eine Gebietskörperschaft für ihr geringeres Steueraufkommen von anderen Gebietskörperschaften entschädigt, die wiederum ihrerseits für ihre Kompensationszahlungen vom Zentralstaat entschädigt würden. Aus der Tatsache, dass andere Gebietskörperschaften in der Regel kein Interesse daran haben werden, sich an einer solchen Umgehung zu beteiligen, darf nicht fälschlicherweise der Rückschluss gezogen werden, dass eine Umgehung unmöglich ist und daher keine juristische Würdigung erfahren muss. Bei realitätsnaher Betrachtung werden andere Gebietskörperschaften zwar versuchen sich einer solchen Ausgleichsleistung zu entziehen, da sie sich häufig gerade selbst in einem Konkurrenzverhältnis zur anderen Gebietskörperschaft sehen. Das bedeutet aber nicht, dass es unter besonderen Umständen (möglicherweise auch durch Anreize des Zentralstaats) zu solchen Ausgleichsleistungen kommt. Im Sinne der Rechtssi549

Vgl. Schlussanträge der Generalanwältin Kokott v. 08. 05. 2008, Rs. C-428/06 bis C-434/ 06, ECLI:EU:C:2008:262, Rn. 106 bis 110 – Unión General de Trabajadores de la Rioja. Zustimmend: Glaser, EuZW 2009, 363 (365). 550 Schlussanträge des Generalanwalts Geelhoed v. 20. 10. 2005, Rs. C-88/03, ECLI:EU:C: 2005:618, Rn. 71 – Azoren. 551 EuGH, Urteil v. 06. 09. 2006, Rs. C-88/03, ECLI:EU:C:2006:511 – Azoren. 552 EuGH, Urteil v. 06. 09. 2006, Rs. C-88/03, ECLI:EU:C:2006:511, Rn. 67 – Azoren; bestätigt in EuGH, Urteil v. 11. 09. 2008, Rs. C-428/06 bis C-434/06, ECLI:EU:C:2008:488, Rn. 133 – Unión General de Trabajadores de la Rioja. 553 Vgl. Rust, Regionale Steuerautonomie vor dem europäischen Beihilferecht, S. 98.

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cherheit ist es daher sinnvoll, nicht nur missbrauchsträchtige Konstellationen, sondern alle innerstaatlichen Finanzströme an den vom Europäischen Gerichtshof aufgestellten Kriterien zu messen. Sämtliche nationale Ausgleichssysteme, z. B. der deutsche Länderfinanzausgleich, dürfen folglich weder unmittelbar noch mittelbar so ausgestaltet werden, dass geringere Steuereinnahmen letztlich durch eine höhere Kompensation des Gesamtstaats ausgeglichen werden.554 4. Stellungnahme Die vom Gerichtshof auf Grundlage der Schlussanträge der Generalanwälte aufgestellten Kriterien zur Beurteilung einer „wirklichen Autonomie“ bei asymmetrischer Devolution überzeugen. Die Urteile sind daher auch im Schrifttum weitestgehend positiv aufgenommen worden.555 Die vorherige Praxis der Kommission war letztlich in dieser Form unhaltbar, da sie es unmöglich machte, einer Gebietskörperschaft Steuerkompetenzen zu gewähren. Historisch gewachsene Kompetenzverteilungen und innerstaatliche Staatsorganisation wurden dabei zugunsten des Unionsrechts ignoriert. Durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs werden hingegen die widerstreitenden Interessen – die verfassungsrechtlich garantierten Aufgabenzuweisungen einerseits, die unionsrechtlichen Verpflichtungen der Mitgliedstaaten andererseits – in einen angemessenen Ausgleich gebracht. Würde allein der eingeschränkte territoriale Anwendungsbereich einer lokalen Steuerregelung zwingend zur Selektivität der Maßnahme führen, wäre das verfassungsrechtlich verankerte Kompetenzgefüge durch unionsrechtliche Anforderungen erheblich in Frage gestellt. Zwar sind die Anforderungen für den Nachweis „wirklicher Autonomie“ hoch, allerdings lassen sich wohl nur durch diese hohen Hürden drohende Umgehungsfälle wirksam bekämpfen. Bei geringen Anforderungen bestünde stets die Gefahr, dass Mitgliedstaaten versucht sein könnten, sich durch rein formale Zuständigkeitsverlagerungen ihrer „europarechtlichen Fesseln“ zu entledigen. Sind im Falle der asymmetrischen Verteilung der Steuerbefugnisse nicht alle Autonomiekriterien erfüllt, ist die Maßnahme selektiv. Wie im Falle der materiellen Selektivität führt dies jedoch nicht automatisch zur Unionsrechtswidrigkeit der Maßnahme. Vielmehr wird dem Mitgliedstaat eingeräumt, die Ungleichbehandlung durch bestehende Grund- und Leitprinzipien des Steuersystems zu rechtfertigen.556 Auch die Annahme, dass bei der symmetrischen Devolution mangels Bezugsrahmen keine Beihilfe vorliegen kann, überzeugt. In einem föderalen System sind regionale Unterschiede gewollt und im System selbst angelegt. Es wäre daher letztlich das Ende jedes föderal organisierten Steuersystems, wenn diese zwar durch 554

Vgl. Glaser, EuZW 2009, 363 (366). Zustimmend z. B.: da Cruz Vilaça, EStAL 2009, 443 (449 ff.); Stein, EWS 2006, 493 (493 ff.); Bartosch, EStAL 2006, 667 (668); kritisch hingegen: Lang, IStR 2010, 570 (574); Arhold, EuZW 2006, 717 (720). Vgl. für einen Überblick der Reaktionen im Schrifttum: Rust, Regionale Steuerautonomie vor dem europäischen Beihilferecht, S. 99 ff. 556 Rust, Regionale Steuerautonomie vor dem europäischen Beihilferecht, S. 98. 555

D. Selektivität

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die Verfassung Besteuerungsbefugnisse verliehen bekämen, das europäische Beihilferecht dann aber eine vollkommene Harmonisierung mit den anderen Gebietskörperschaften erzwingen würde. Zwar bleiben auch so Umgehungen grundsätzlich denkbar, z. B. indem Steuerbefugnisse bewusst vom Zentralstaat an die Gebietskörperschaften abgegeben werden, um diesen so die Möglichkeit zu geben niedrigere Steuersätze festzulegen. Diese neu festgelegte Kompetenzverteilung müsste im Ernstfall durch die Europäische Kommission respektiert werden. Allerdings ist die Gefahr solcher Umgehungen in der Praxis ohnehin wohl nur sehr gering. Ein solches Vorgehen dürfte politisch nur schwer umsetzbar sein, und auch die von den Gebietskörperschaften erlassenen Maßnahmen dürften innerhalb ihrer Zuständigkeit ihrerseits nicht selektiv wirken. Kritisch zu beobachten bleibt die Frage nach steuerpolitischen Maßnahmen eines Zentralstaates, die jedoch nur für bestimmte Regionen und Gebiete gelten sollen. Zwar hat der Gerichtshof in seinem Urteil in der Rechtssache C-156/98 – Deutschland/Kommission angenommen, dass eine Maßnahme insoweit, als sie in bestimmten Gebieten ansässige Unternehmen begünstigt und somit eine Charakterisierung als allgemeine steuer- oder wirtschaftspolitische Maßnahme ausscheidet.557 Ob dies jedoch so verstanden werden muss, dass jede Maßnahme eines Zentralstaates, die nur bestimmte Gebiete betrifft, automatisch als Beihilfe eingeordnet werden muss, erscheint fraglich.Zwar erläutert Generalanwalt Geelhoed in seinem Schlussantrag558 drei Szenarien für die Senkung des Satzes einer nationalen Steuer für ein bestimmtes geografisches Gebiet und hält die einseitige Absenkung des Steuersatzes für bestimmte Regionen durch den Zentralstaat für eindeutig selektiv; diese Auffassung hat der Gerichtshof in seinem Urteil so aber gerade nicht wiedergegeben. Zwar schließt er sich den Ausführungen des Generalanwalts hinsichtlich der Situationsbeschreibung an, die diesbezügliche Wertung einer eindeutigen Selektivität übernimmt er allerdings nicht.559 Dies deutet darauf hin, dass der Gerichtshof die Ausführungen seines Generalanwalts in dieser Pauschalität nicht teilt. Auch hat der Gerichtshof ausgeführt, dass sein in der Rechtsache C-156/98 Deutschland/Kommission gefälltes Urteil nicht so verstanden werden darf, dass eine Maßnahme, die nur Unternehmen in bestimmten Regionen begünstigt, allein deswegen selektiv ist.560 Beides zeigt, dass der Gerichtshof wohl nicht die Ansicht vertritt, dass eine von einem Zentralstaat erlassene, nur für bestimmte Regionen geltende Steuermaßnahme per se als selektiv anzusehen ist.561 Unabhängig von dieser Feststellung des Gerichtshofs sprechen auch gewichtige Gründe gegen eine solch 557 EuGH, Urteil v. 19. 09. 2000, Rs. C-156/98, ECLI:EU:C:2000:467, Rn. 23 – Deutschland/Kommission. 558 Schlussanträge des Generalanwalts Geelhoed v. 20. 10. 2005, Rs. C-88/03, ECLI:EU:C: 2005:618, Rn. 51 – Azoren. Zu den Ausführungen des Generalanwalts siehe auch: Bartosch, EStAL 2006, 667 – 668. 559 EuGH, Urteil v. 06. 09. 2006, Rs. C-88/03, ECLI:EU:C:2006:511, Rn. 64 – Azoren. 560 EuGH, Urteil v. 06. 09. 2006, Rs. C-88/03, ECLI:EU:C:2006:511, Rn. 61 – Azoren. 561 Insofern missverständlich: Arhold, EuZW 2006, 717 (720).

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starre Einteilung. Zwar können regional begrenzte Maßnahmen in der Art ausgestaltet werden, dass sie einem bestimmten Unternehmen oder Produktionszweig einen Vorteil gewähren. Eine automatische Selektivität ergibt sich daraus jedoch nicht.562 Auch der Wortlaut von Art. 107 Abs. 1 AEUV gibt keinen solchen zwingenden Rückschluss vor. Danach muss sich die Selektivität auf bestimmte Unternehmen und Produktionszweige und nicht auf bestimmte Regionen beziehen. Nur falls eine geographisch begrenzte Maßnahme zu einer Ungleichbehandlung von Unternehmen, die sich rechtlich und wirtschaftlich in einer vergleichbaren Lage befinden, führt, ist Selektivität anzunehmen. Eine solche Feststellung muss aber im konkreten Einzelfall getroffen werden und darf nicht durch eine nicht sachgerechte Pauschalierung vorweggenommen werden. Andernfalls würden zentralorganisierte Mitgliedstaaten systematisch diskriminiert, denn auch diesen muss es möglich sein, eine anreizbasierte Wirtschaftspolitik zu betreiben und strukturschwache Regionen mittels Steuervorteilen zu fördern. Würden solche Fördermaßnahmen pauschal als rechtswidrige Beihilfen eingestuft, verlören diese Mitgliedstaaten ein wichtiges Lenkinstrument ihrer nationalen Wirtschaftspolitik. Wenn es jedoch allen Unternehmen offensteht, einen Standort in der betroffenen Region zu eröffnen und so in den Genuss des Vorteils zu kommen, erscheint es nicht richtig, pauschal eine selektive Maßnahme anzunehmen. Selbst falls dies nicht möglich sein sollte, ist es sinnvoll zunächst zu überprüfen, ob sich die Unternehmen rechtlich und wirtschaftlich auch tatsächlich in einer vergleichbaren Situation befinden und dabei die Gegebenheiten des Einzelfalls zu berücksichtigen, statt im Vorhinein eine Allesoder-nichts-Lösung vorzugeben. Auch sind Szenarien denkbar, in denen es gerade keine vergleichbaren Unternehmen gibt, da es sich bei den Geförderten um Unternehmen mit regionalen Besonderheiten handelt. Auch hier erscheint es fraglich, wieso eine Selektivität angenommen werden sollte, wenn gerade keine Ungleichbehandlung gegenüber vergleichbaren Unternehmen vorliegt.

II. Materielle Selektivität Neben der regionalen Selektivität ist die materielle Selektivität der zweite Anwendungsfall. Das Kriterium der materiellen Selektivität ist für steuerrechtliche Maßnahmen das wohl umstrittenste, zugleich aber häufig auch das entscheidende Tatbestandsmerkmal des beihilferechtlichen Verbotstatbestandes.563 Materielle Selektivität liegt vor, wenn durch eine staatliche Maßnahme nur bestimmte, nicht aber alle Unternehmen oder Produktionszweige begünstigt werden.564 Das Kriterium der materiellen Selektivität erfordert dabei keineswegs eine namentliche Nennung, Beoder Kennzeichnung der begünstigten Unternehmen. Es genügt, dass das Unternehmen, die Unternehmensgruppe oder der Produktionszweig eingrenzbar und in562 563 564

Arhold, EuZW 2006, 717 (720). Bartosch, EuZW 2010, 12 (13). Zur Begünstigung ganzer Produkionszweige vgl. Reiter, EuZW 2020 312 – 316.

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dividualisierbar sind.565 Materiell selektiv sind sowohl staatliche Maßnahmen, die schon ihrem Tatbestand nach nur auf bestimmte Unternehmen Anwendung finden sollen (sog. de-jure-Selektivität), als auch solche, die zwar laut Gesetzeswortlaut auf sämtliche Unternehmen Anwendung finden können, faktisch aber eine bestimmte Gruppe von Unternehmen begünstigen, da sie nur auf diese tatsächlich Anwendung finden (sog. de-facto-Selektivität),566 da es für die Beurteilung der Selektivität einer Maßnahme nicht auf die Intention des handelnden Staates, sondern die faktische Besserstellung bestimmter Unternehmen und Produktionszweige gegenüber ihren Konkurrenten ankommt.567 Mithilfe dieses Kriteriums sollen selektive Unternehmensbegünstigungen von unterschiedslos wirkenden, allgemeingültigen Maßnahmen abgegrenzt werden.568 Solche Maßnahmen kommen allen Teilnehmern im betroffenen Wirtschaftsgebiet zugute und stellen daher eine allgemeine Maßnahme dar. Gemäß ihrer Mitteilung über die Anwendung der Vorschriften über staatliche Beihilfen auf Maßnahmen im Bereich der Unternehmensbesteuerung569 stellen folgende Maßnahmen keine selektiven Beihilfen dar, sofern sie für alle Unternehmen und Produktionszweige gleichermaßen gelten: - Maßnahmen, die rein wirtschaftspolitische Zielsetzungen verfolgen, indem sie die mit bestimmten Produktionskosten (z. B. Umweltschutz, Ausbildung & Beschäftigung oder Forschung & Entwicklung) verbundene Steuerbelastung verringern. - rein steuertechnische Maßnahmen wie die Festlegung von Steuersätzen, Vorschriften zur Vermeidung der Doppelbesteuerung oder der Steuerumgehung oder auch Vorschriften über Wertminderung und Abschreibung sowie von Vorschriften über den Verlustvortrag.570 Zwar fallen solche allgemein gehaltenen und geltenden Maßnahmen grundsätzlich nicht unter den Beihilfebegriff, sind sie aber im Einzelfall so ausgestaltet, dass sie faktisch nur bestimmten Unternehmen oder Produktionszweigen zugutekommen, kann dies zur materiellen Selektivität führen (de-facto Selektivität).571 565

Für Unternehmensgruppen genügt dabei eine gattungsmäßige Eingrenzung. Vgl. Sutter, Das EG-Beihilfenverbot und sein Durchführungsverbot in Steuersachen, S. 89. 566 Blumenberg/Kring, Europäisches Beihilferecht und Besteuerung, S. 14. 567 EuGH, Urteil v. 17. 06. 1999, Rs. C-75/97, ECLI:EU:C:1999:311, Rn. 25 – Belgien/ Kommission. 568 Vgl. Grube, Der Einfluss des unionsrechtlichen Beihilfeverbots auf das deutsche Steuerrecht, S. 44. 569 Bekanntmachung der Europäischen Kommission zum Begriff der staatlichen Beihilfe im Sinne des Artikels 107 Absatz 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, ABl. EU 2016 Nr. C 262/1, Rn. 122. 570 Mitteilung der Kommission v. 10. 12. 1998 über die Anwendung der Vorschriften über staatliche Beihilfen auf Maßnahmen im Bereich der direkten Unternehmenssteuerung, ABl. EG 1998 Nr. C 384/3, Rn. 13. 571 Lehnert, Die Korrektur von gemeinschaftsrechtswidrigen Beihilfen in Form von Steuervergünstigungen S. 47.

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Auch solche Regelungen, die zwar als allgemeine Vorschriften erscheinen, aber aufgrund des dabei bestehenden extensiven Ermessensspielraums der handelnden Behörden im Ergebnis derart unbestimmt sind, dass faktisch eine selektive Begünstigung bestimmter Unternehmen und Produktionszweige möglich ist, können selektiv sein.572 1. Dreistufige Prüfung der materiellen Selektivität bei Steuermaßnahmen Bei der Bewertung der Selektivität von steuerrechtlichen Maßnahmen hat der Europäische Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung573 ein dreistufiges Schema entwickelt, das so auch von der Europäischen Kommission übernommen wurde.574 Zunächst muss die im Mitgliedstaat allgemein geltende Besteuerung (sog. Normalbesteuerung) als Referenzsystem definiert werden. Danach muss geprüft werden, ob die fragliche Maßnahme zu einer Ausnahme von der allgemein geltenden Normalbesteuerung führt und dabei bestimmte Wirtschaftsteilnehmer begünstigt. Liegt eine solche Ausnahme von der Normalbesteuerung vor, ist grundsätzlich von einer rechtswidrigen Beihilfe auszugehen, es sei denn, es kann (im dritten Schritt) eine Rechtfertigung durch die Natur oder den inneren Aufbau des Steuersystems ermittelt werden (z. B. progressive Steuersätze).575 Diese Rechtfertigung muss dabei auf den dem nationalen Steuersystem innewohnenden Grundsätzen und Zielen beruhen.576 a) Der Referenzrahmen und die Vergleichsgruppenbildung Erster Schritt im dreistufigen Selektivitätsaufbau ist folglich immer die Bestimmung des nationalen Referenzsystems. Die zweite Stufe bildet die Analyse der 572 Bekanntmachung der Europäischen Kommission zum Begriff der staatlichen Beihilfe im Sinne des Artikels 107 Absatz 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, ABl. EU 2016 Nr. C 262/1, Rn. 123 ff.; Grube, Der Einfluss des unionsrechtlichen Beihilfeverbots auf das deutsche Steuerrecht, S. 45. 573 EuGH, Urteil v. 02. 07. 1974, Rs. 173/73, ECLI:EU:C:1973:71, Rn. 33 bis 35 – Italien/ Kommission; EuGH, Urteil v. 08. 11. 2001, Rs. C-143/99, ECLI:EU:2001:598, Rn. 41 – AdriaWien Pipeline und Wietersdorfer & Peggauer Zementwerke; EuGH, Urteil v. 29. 04. 2004, Rs. C-308/01, ECLI:EU:C:2004:252, Rn. 68 – GIL Insurance; EuGH, Urteil v. 06. 09. 2006, Rs. C-88/03, ECLI:EU:C:2006:511, Rn. 54 – Azoren; EuGH, Urteil v. 08. 09. 2011, Rs. C-78/ 08 bis C-80/8, ECLI:EU:C:2011:550, Rn. 49 – Paint Graphos. 574 Mitteilung der Kommission v. 10. 12. 1998 über die Anwendung der Vorschriften über staatliche Beihilfen auf Maßnahmen im Bereich der direkten Unternehmenssteuerung, ABl. EG 1998 Nr. C 384/03, Rn. 15 und 16. 575 Vgl. dazu: Lang, ÖStZ 2014, 277 (279); siehe auch: Grube, Der Einfluss des unionsrechtlichen Beihilfeverbots auf das deutsche Steuerrecht, S. 48; Lang, IStR 2015, 369 (371); Frenz/Roth, DStZ 2006, 465, (469); Mestmäcker/Schweitzer, in: Immenga/Mestmäcker (Hrsg.), Wettbewerbsrecht, Art. 107 Abs. 1 AEUV Rn. 220 ff.; Sutter, Das EG-Beihilfenverbot und sein Durchführungsverbot in Steuersachen, S. 96. 576 Nicolaides, Journal of European Competition Law & Practice 2015, 315 (316).

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Ausnahme von der Regelbesteuerung. Die fragliche Steuermaßnahme muss dazu führen, dass der betroffene Wirtschaftsteilnehmer eine geringere als die anhand des Referenzsystems ermittelte, „normale“ Besteuerung zu tragen hat und ihm dadurch ein selektiver Vorteil gewährt wird, den andere Wirtschaftsteilnehmer, die sich in einer vergleichbaren Situation befinden, nicht erhalten.577 Führt die untersuchte Steuermaßnahme zu einer solchen selektiven Begünstigung, ist prima facie von einer rechtswidrigen Beihilfe auszugehen.578 Der Frage, ob die Ausnahmevorschrift Rechtsfolgen herbeiführt, die man aus allgemeinen systematischen Erwägungen als „vernünftig“ beurteilen mag, wird dabei keine Beachtung geschenkt.579 Maßgebend ist alleine die Wirkung. Die Definition des richtigen Referenzrahmens ist von besonderer Wichtigkeit für die Prüfung der materiellen Selektivität. Das Vorliegen einer selektiven Vergünstigung kann in der Regel nur unter Bezugnahme auf die Normalbesteuerung ermittelt werden. Folgerichtig wird die Festlegung der Regel prägend für die weitere Prüfung und untrennbar mit der Suche nach der Ausnahme verbunden.580 Problematischerweise bestehen erhebliche Unklarheiten, wie Normalbesteuerung zu bestimmen ist. Es fehlt an klaren Kriterien, so dass ein hohes Maß an Rechtsunsicherheit besteht.581 Die Definition der „normalen Regelbesteuerung“ des Mitgliedstaates ist mit dem Beschluss der Kommission zur Sanierungsklausel des § 8c Abs. 1a KStG in den Blickpunkt der juristischen Literatur gerückt.582 Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde: Nach § 10d Abs. 2 EStG besteht für Unternehmen im deutschen Körperschaftsteuerrecht grundsätzlich die Möglichkeit des Verlustvortrags, d. h., die betreffenden Verluste können von den steuerpflichtigen Einkünften der folgenden Jahre abgezogen werden. Gemäß § 8 Abs. 1 KStG besteht die Möglichkeit des Verlustvortrags auch für Unternehmen, die der Körperschaftsteuer unterliegen. Zur Verhinderung von missbräuchlichen Gestaltungen in Zusammenhang mit Verlustvorträgen und Mantelkäufen (sog. schädlicher Beteiligungserwerb) verfällt die Möglichkeit des Verlustvortrags aber unter den Voraussetzungen des § 8c Abs. 1 KStG. Die Sanierungsklausel des § 8c Abs. 1a KStG gewährte dazu nun eine Rückausnahme, indem sie nun auch bei einem Wechsel des Anteilseigners dem angeschlagenen Unternehmen die Möglichkeit gibt seine in der Vergangenheit angefallenen Verluste gegen zukünftige Gewinne zu verrechnen.583 Die Bestimmung 577

Grotherr, EWS 2015, 67 (69); Mestmäcker/Schweitzer, in: Immenga/Mestmäcker (Hrsg.), Wettbewerbsrecht, Art. 107 Abs. 1 AEUV Rn. 228 ff. 578 Grube, Der Einfluss des unionsrechtlichen Beihilfeverbots auf das deutsche Steuerrecht, S. 52 579 Schnittger, IStR 2017, 421 (424). 580 Nicolaides, Journal of European Competition Law & Practice 2015, 315 (316); Brandau/ Neckenich/Reich/Reimer, BB 2017, 1175 (1175). 581 Fetzer/Böser, DStR 2019, 1177 (1177); Balbinot, FR 2018, 729 (733). 582 Zu den möglichen Referenzsystemen: Schnittger, IStR 2017, 421 (424). 583 Zum Hintergrund der Norm vgl. Fetzer/Böser, DStR 2019, 1177 (1179).

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des Referenzrahmens wird hier dadurch besonders erschwert, dass die Norm eine dreistufige Struktur aufweist.584 1) Den allgemeinen Grundsatz, dass Verluste abziehbar sind 2) Die Versagung der Abziehbarkeit von Verlusten im Fall des Mantelkaufs 3) Die Rückausnahme vom Verbot im Falle der Sanierung Zu klären war folglich, welcher Maßstab anzuwenden ist, also auf welcher Ebene der Referenzrahmen gebildet werden muss. aa) Kleinräumig-induktiver Ansatz In ihrem Beschluss zur deutschen Sanierungsklausel § 8c Abs. 1a KStG im Jahr 2011 hat die Kommission zur Bestimmung des Referenzsystems eine kleinräumig induktiv ausgerichtete Methode herangezogen. Obwohl sie offiziell keine konkreten Kriterien zur Bestimmung des Referenzsystems aufgestellt hat,585 verwendet die Kommission seit langem ein formales Regel-Ausnahmeverhältnis und überprüft, wie die Besteuerung des Begünstigten aussähe, wenn die fragliche Norm nicht existieren würde.586 Diese Betrachtungsweise stellt nicht auf das allgemeine System oder die grundlegenden Leitprinzipien, sondern vielmehr auf den konkreten Normenkomplex ab. So stellt die Sanierungsklausel für die Kommission eine selektive Beihilfe nach Art. 107 Abs. 1 AEUV dar. Ihrer Ansicht nach bildet § 8c Abs. 1 KStG den Referenzrahmen und § 8c Abs. 1a KStG davon eine systemwidrige selektive Ausnahme, da sich angeschlagene Unternehmen hinsichtlich des Zwecks des Steuersystems in einer rechtlich und tatsächlich vergleichbaren Situation wie alle sonstigen steuerpflichtigen Unternehmen befänden.587 Die Kommission hat folglich für die Bestimmung des Referenzrahmens maßgeblich auf die zweite Stufe der Normstruktur als das Verbot des Verlustabzugs bei Mantelkäufen abgestellt.588

584

Hackemann/Sydow, IStR 2013, 786 (789). Mitteilung der Kommission v. 10. 12. 1998 über die Anwendung der Vorschriften über staatliche Beihilfen auf Maßnahmen im Bereich der direkten Unternehmenssteuerung, ABl. EG 1998 Nr. C 384/3, Rn. 8 ff. 586 Beschluss der Kommission v. 26. 01. 2011 über die staatliche Beihilfe Deutschlands C 7/ 10 (ex CP 250/09 und NN 5/10) „KStG, Sanierungsklausel“, Az. K (2011) 275, ABl. EU 2011, Nr. L 235/26, Rn. 66 ff. 587 Vgl. Beschluss der Kommission v. 26. 01. 2011 über die staatliche Beihilfe Deutschlands C 7/10 (ex CP 250/09 und NN 5/10) „KStG, Sanierungsklausel“, Az. K(2011) 275, ABl. EU 2011 Nr. L 235/26, Rn. 66 ff. 588 Hackemann/Sydow, IStR 2013, 786 (789). 585

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bb) Global-deduktiver Ansatz Das Vorgehen der Kommission ist in der deutschsprachigen Literatur auf heftigen Widerstand gestoßen.589 Hier wird ein global-deduktiver Ansatz bevorzugt. Bezugspunkt der Ausnahme ist danach das allgemeine System bzw. Teilgebiet, z. B. das Körperschaftsteuersystem.590 Entscheidend ist demnach, ob sich die fragliche Regelung auf ein dem gesamten Steuerrecht oder einem Teilbereich davon zugrundliegenden Leitprinzip zurückführen lässt. Im Falle der Sanierungsklausel wäre dies die grundsätzliche Möglichkeit des Verlustvortrags. Diese sei Ausfluss des dem Körperschaftsteuerrecht zugrundeliegenden Trennungsprinzips und darüber hinaus Ausdruck des verfassungsrechtlich verankerten Leistungsfähigkeitsprinzips. Die Sanierungsklausel stellt demnach gerade eine von den Grund- und Leitprinzipien getragene systemwiederherstellende Rückausnahme dar. Nicht die Ausnahme § 8c Abs. 1 KStG soll den Referenzrahmen bilden, sondern § 8 Abs. 1 KStG in Verbindung mit § 10d Abs. 2 EStG. cc) Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union bzgl. der Sanierungsklausel Das Gericht der Europäischen Union hat sich in seinem Urteil591 im Ergebnis der Auffassung der Kommission angeschlossen. Das Gericht sieht zwar die allgemeine Möglichkeit des Verlustvortrags grundsätzlich als eine allgemeine Regel an, diese sei aber in der konkreten Konstellation gerade beschränkt bzw. ausgeschlossen. Es hat damit im Ergebnis den Untergang von Verlustvorträgen als steuerrechtlichen Normalzustand zugrunde gelegt.592 Im Hinblick auf diese Regelung, ebenso wie auch im Hinblick auf das mit der Regelung verfolgte Ziel der Missbrauchsbekämpfung, befinden sich sämtliche Unternehmen, deren Anteilseignerstruktur sich in dieser Weise ändert, in einer vergleichbaren rechtlichen und tatsächlichen Lage. Durch die Sanierungsklausel werden nun überschuldete bzw. zahlungsunfähige Unternehmen selektiv begünstigt, weil bei ihnen ein Verlustvortrag weiterhin möglich sein soll. Im Gegensatz dazu ist dies bei Unternehmen, die nicht überschuldet sind, nicht der Fall, selbst wenn alle übrigen Voraussetzungen der Sanierungsklausel erfüllt wären und damit die Missbrauchsgefahr gebannt ist.593 Die Differenzierung anhand des Kri-

589

Vgl. dazu: Ismer/Karch, IStR 2014, 130 (133). U. a. Balbinot, FR 2018, 729 (736); Grotherr, EWS 2015, 67 (70). 591 EuG, Urteil v. 04. 02. 2016, Rs. T-287/11, ECLI:EU:T:2016:60 – Heitkamp BauHolding/Kommission. 592 Soltész, BB 2019, 1687 (1688). 593 EuG, Urteil v. 04. 02. 2016, Rs. T-287/11, ECLI:EU:T:2016:60, Rn. 125 bis 138 – Heitkamp BauHolding/Kommission. 590

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Kap. 3: Materielle Voraussetzungen des Beihilfetatbestandes

teriums der wirtschaftlichen Not ist dabei nicht geeignet, eine bestehende Selektivität zu rechtfertigen, da es sich um ein rein externes Ziel handelt.594 Der Europäische Gerichtshof hat jedoch die erstinstanzlichen Urteile aufgehoben und zugleich den Beschluss der Kommission aus dem Jahre 2011 für nichtig erklärt.595 Nach Ansicht des Gerichtshofs haben Kommission und Gericht den selektiven Charakter der Sanierungsklausel anhand eines fehlerhaft bestimmten Referenzsystems beurteilt.596 Fehlerhafterweise hätten sie allein die Regel des Verfalls von Verlusten als maßgebliches Referenzsystem eingestuft und die allgemeine Regel des Verlustvortrags von diesem Referenzsystem ausgenommen.597 Im Ergebnis gibt der Europäische Gerichtshof damit dem großräumigen Verständnis des Referenzrahmens den Vorzug – jedoch ohne die Gelegenheit zu nutzen und weitergehende Vorgaben und Präzisierungen zur Bestimmung des Referenzrahmens zu machen.598 dd) Rechtsache C-6/12 – P Oy Der Europäische Gerichtshof hatte in der Rechtsache C-6/12 – P Oy599 über einen vergleichbaren Sachverhalt600 des finnischen Einkommenssteuergesetzes zu entscheiden. Auch hier war die wesentliche Frage, ob im Rahmen des Selektivitätskriteriums auf die Grundregel des Verlustvortrags oder auf die Vorschriften hinsichtlich des Anteilseignerwechsels abzustellen ist.601 Der Gerichtshof hat dabei aber auf eine Entscheidung hinsichtlich der Bestimmung des Referenzsystems verzichtet, jedoch angedeutet, dass das Kriterium der Selektivität wohl erfüllt wäre, wenn man die kleinräumig-induktive Vorgehensweise der Kommission als maßgeblich ansähe.602 Im Ergebnis scheint der Gerichtshof also der Auffassung der Kommission zuzuneigen.603 In selbigem Urteil verweist der Gerichtshof weiterhin darauf, dass es 594 EuG, Urteil v. 04. 02. 2016, Rs. T-287/11, ECLI:EU:T:2016:60, Rn. 161 bis 167 – Heitkamp BauHolding/Kommission. 595 EuGH v. 28. 6. 2018, Rs. C-209/16 P, ECLI:EU:C:2018:507, Rn. 99 – Deutschland/ Kommission. 596 Zur Problematik der passenden Bestimmung des Referenzrahmens im Fall des § 8c KStG vgl. Schön, ZHR 2019, 393 (396 f.). 597 Vgl. auch Soltész, BB 2019, 1687 (1688). 598 Vgl. Fetzer/Böser, DStR 2019, 1177 (1181). 599 EuGH, Urteil v. 18. 07. 2013, Rs. C-6/12, ECLI:EU:C:2013:525 – P Oy. 600 Auch im finnischen Einkommensteuergesetz ist für Unternehmen grundsätzlich ein Verlustvortrag möglich. Findet im Verlustjahr allerdings ein Wechsel des Anteilseigners statt, so wird dies von § 122 Abs. 1 TVL untersagt. Wovon § 122 Abs. 3 TVL eine Rückausnahme bildet, wenn der Verlustvortrag zur Fortsetzung der Tätigkeit der Gesellschaft notwendig ist. 601 Für eine tiefergehende Darstellung der Gemeinsamkeiten und Unterschiede der finnischen Regelung mit der deutschen Sanierungsklausel siehe: Hackemann/Sydow, IStR 2013, 786 (787). 602 EuGH, Urteil v. 18. 07. 2013, Rs. C-6/12, ECLI:EU:C:2013:525, Rn. 32 – P Oy. 603 Grotherr, EWS 2015, 67 (70); Ismer/Karch, IStR 2014, 130 (134); a. A. Hackemann/ Sydow, IStR 2013, 786 (789).

D. Selektivität

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neben dem Inhalt der Norm auch auf deren Reichweite ankommt.604 Die Bedeutung dieser kryptischen Passage wurde vom Gerichtshof in der Folge nicht näher erläutert. Im Schrifttum wird daraus teilweise herausgelesen, dass der Europäische Gerichtshof hier einen global-deduktiven Ansatz andeutet.605 Meiner Ansicht unterstreicht der Gerichtshof hier aber lediglich, dass es bei der Beurteilung der Selektivität nicht nur auf die gesetzestechnische Aktenlage, sondern vielmehr auf die faktischen Auswirkungen der Norm ankommt. Seine Ausführungen beziehen sich auch nicht nur auf die Bestimmung des Referenzrahmens, sondern auch auf die Ausnahme von diesem und damit auf die Selektivität als Ganzes. Dafür spricht, dass sie unmittelbar im Anschluss an die allgemeinen Ausführungen zur Selektivität und nicht bei den Ausführungen zum Referenzsystem erfolgen.606 ee) Entscheidung bzgl. des Konzernprivilegs gemäß § 6a GrEStG607 In seinem Urteil zur Konzernklausel des § 6a GrEStG hat der Europäische Gerichtshof – in Besetzung als große Kammer608 – erstmalig eine Regelung als gerechtfertigt angesehen. Im Verfahren stand die Frage zur Debatte, ob die Vorschrift des § 6a GrEStG eine selektive Begünstigung enthält. Gemäß § 6a GrEStG erfolgt eine Befreiung von der Grunderwerbsteuer, wenn ein Grundstückserwerb im Rahmen von konzerninternen Umwandlungsvorgängen stattfindet (sofern eine Beteiligung des herrschenden Unternehmens an der abhängigen Gesellschaft in Höhe von 100 % innerhalb von fünf Jahren vor dem Rechtsvorgang und fünf Jahren nach dem Rechtsvorgang besteht). Dabei kam der Europäische Gerichtshof zur Auffassung, dass § 6a eine Abweichung zu § 1 GrEStG darstellt und damit im Ergebnis die Grundnorm des Grunderwerbsteuergesetzes, wonach die Übertragung von Grundstücken steuerpflichtig ist zum Referenzsystem bestimmt.609 Leider hat es der Europäische Gerichtshof aber versäumt die Gelegenheit zu nutzen und Kriterien für die Bestimmung des Referenzrahmens aufzustellen. Es bleibt abzuwarten, ob das Urteil der Beginn einer Kasuistik sein wird, wonach das jeweilige steuerliche Teilrechtsgebiet maßgeblicher Referenzrahmen sein soll.

604

EuGH, Urteil v. 18. 07. 2013, Rs. C-6/12, ECLI:EU:C:2013:525, Rn. 20 – P Oy. Hackemann/Sydow, IStR 2013, 786 (789). 606 Zum selben Ergebnis kommend: Ismer/Karch, IStR 2014, 130 (135). 607 EuGH, Urteil v. 129. 12. 2018, Rs. C-374/17, ECLI:EU:C:2018:1024 – Finanzamt B/ABrauerei. 608 Die Tatsache, dass das Verfahren in großer Kammer geführt wurde, verdeutlicht die herausragende Bedeutung dieser Entscheidung. Vgl. Bärenbrinker/Butler, EWS 2020, 11 (16). 609 EuGH, Urteil v. 129. 12. 2018, Rs. C-374/17, ECLI:EU:C:2018:1024, Rn. 37 – Finanzamt B/A-Brauerei. 605

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Kap. 3: Materielle Voraussetzungen des Beihilfetatbestandes

ff) Systemwidrige Differenzierung als ausschlaggebendes Kriterium Gegen die global-deduktive Betrachtungsweise wird in Teilen vorgebracht, dass die Kommission als Hüterin der Verträge nur eine kleinräumige Überprüfung gewährleisten kann, wohingegen eine globale Betrachtungsweise so vertiefte Kenntnisse des jeweiligen Steuersystems erfordert, welches von der Kommission weder verlangt noch erbracht werden könne.610 Eine solche Argumentation überzeugt jedoch nicht. Zunächst ist zu beachten, dass die Europäische Kommission eine Institution mit großen Ressourcen sowohl finanzieller als auch personeller Art (ca. 32 900 Mitarbeiter) ist.611 Generell muss von der Kommission gefordert werden, dass, wenn sie Normen des Steuerrechts untersucht und gegebenenfalls als beihilfewidrig einstuft, sie das jeweilige Steuersystem und seine wesentlichen Grundprinzipien geprüft und verstanden haben muss. Andernfalls würde es an der Basis für eine sachgerechte und wirtschaftlich sinnvolle Entscheidungsfindung fehlen. Es erscheint, insbesondere vor den mitunter erheblichen wirtschaftlichen Folgen für die Beihilfeempfänger, auch nicht sachgerecht, die Schaffung eines wettbewerbsneutralen Steuersystems im Rahmen der Beihilfekontrolle an verwaltungstechnischen bzw. personellen Zwängen auszurichten. Auch die Bedeutung der verwendeten Begrifflichkeiten ergibt keinen eindeutigen Hinweis. Der Begriff „System“ deutet zwar auf ein weites Verständnis im Sinne von Gesamtsystem bzw. Gesamtheit der bestehenden Normenkomplexe hin. Zwingend ist ein solches Verständnis jedoch nicht, denn letztlich soll nur der Frage Ausdruck verliehen werden, was die konkrete Regel ist, von der eine Ausnahme gemacht wird. Insofern bedeutet System letztlich nur Rahmen oder Regel. Die Begrifflichkeiten werden synonym verwandt.612 Gegen die global-deduktive Herangehensweise wird auch die Missbrauchsgefahr angeführt. Es bestünde für Mitgliedstaaten der Anreiz, sich durch eine unübersichtliche Konstruktion von Ausnahmen und Gegenausnahmen einer beihilferechtlichen Kontrolle zu entziehen. Es würde sich für einen Mitgliedstaat anbieten, gezielt bestimmte Unternehmen durch die Rückausnahme von einer belastenden Ausnahme zu bevorzugen. Dem kann jedoch nicht gefolgt werden. An dieser Stelle sei angemerkt, dass bei näherer Betrachtung der anzuwendende Maßstab für die Beihilfewidrigkeit steuerlicher Differenzierungen letztlich keinen Unterschied machen kann. Unabhängig vom gewählten Maßstab muss die begünstigende Wirkung für bestimmte Unternehmen geprüft werden.613 Diese Begünstigungswirkung kann weder durch geschickte Wahl der Regelungstechnik noch durch Festlegung des Referenzrahmens umgangen werden. Denn die Selektivität kann sich eben nicht nur aus transparenten Ausnahmen einer Normalbesteuerung ergeben, sondern auch durch die Verknüpfung oder künstliche Verengung von Tatbeständen. Dies wird besonders offensichtlich in 610

Vgl. Ismer/Karch, IStR 2014, 130 (134). Angabe nach: http://ec.europa.eu/civil_service/docs/europa_sp2_bs_sexe_x_age_en.pdf. 612 Ismer/Karch, IStR 2014, 130 (134). 613 In diesem Sinne auch Fetzer/Böser, DStR 2019, 1177 (1179) die für eine streng wirkungsbezogene Betrachtung plädieren. 611

D. Selektivität

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Konstruktionen mit mehrfachen Abweichungen. Ob die Ausnahme mehr als Begünstigung einer Gruppe oder die Rückausnahme als Belastung gewertet werden mag, darf nicht maßgebend sein. Der Gerichtshof hat bereits festgestellt, dass eine Beihilfe nicht nur dann gegeben ist, wenn die wirtschaftliche Lage eines Unternehmens verbessert wird, es genügt, dass sie sich nicht in dem Maße verschlechtert wie bei den Wettbewerbern. Richtigerweise muss daher immer entscheidend darauf abgestellt werden, ob es durch die steuerliche Regelung zu einer wettbewerbsverzerrenden Ungleichbehandlung von Unternehmen kommt. Ob dies durch eine begünstigende Ausnahme oder eine Sonderlast geschieht kann dabei nicht ausschlaggebend sein. Darüber hinaus spricht auch die andernfalls bestehende Umgehungsgefahr für das Vorliegen einer Beihilfe. Subsumiert man selbst bei eindeutigsten Konstellationen die über eine Sonderlast erreichte Besserstellung nicht unter den Beihilfebegriff, so fordert man die Mitgliedstaaten faktisch dazu auf, die europäischen Beihilferegeln auf diese Weise zu umgehen. Der Gerichtshof hat hinreichend betont, dass die beihilferechtlichen Vorschriften nicht durch eine geschickte Wahl der Regelungstechnik umgangen werden dürfen. Entscheidend ist die systemwidrige Differenzierung vergleichbarer Sachverhalte und die damit verbundene wettbewerbsverzerrende Wirkung.614 Die Prüfung der Selektivität wird damit letztlich zu einer steuerlichen Gleichheits- und Differenzierungsprüfung.615 Entscheidendes Kriterium ist die systemwidrige Differenzierung. Das Unterlassen einer Besteuerung ist ebenso von beihilferechtlicher Relevanz wie die gezielte stärkere Besteuerung. Entscheidend ist die Abweichung von der systemimmanenten Regelbesteuerung.616 Nimmt man im Beispiel der Sanierungsklausel etwa einen globalen Maßstab, würden Unternehmen zwar keine von den Grundprinzipien des nationalen Steuersystems abweichende Begünstigung erhalten, im Ergebnis aber gegenüber einem nicht von der Rückausnahme erfassten Unternehmen begünstigt. Die Begünstigung ergibt sich aus der Belastung des Konkurrenten. Statt des direkten Vorteils muss nun die negative Abweichung auf ihre Sytemwidrigkeit geprüft werden. Ob Wirtschaftsteilnehmer explizit entlastet oder andere belastet werden, kann für die Beurteilung der Beihilfe keine Rolle spielen. Unabhängig vom gewählten Referenzrahmen ist das Ergebnis der Prüfung und die dahinterstehende Wertung folglich dieselbe.617 Ein Ergebnis, dass die Privilegierung der Mehrheit gegenüber der Minderheit legitimieren würde, wäre weder sachgerecht, noch entspräche es dem grundsätzlich wirkungsorientierten Beihilfeverständnis von Kommission und Gerichtshof. Für die jeweils betroffenen Unternehmen macht es keinen Unterschied, worauf ihre Diskriminierung bzw. ihr Vorteil beruht. Die Privilegierung 614 Richtigerweise ist das Gericht in seiner Entscheidung zur Sanierungsklausel auf die Vergleichsgruppenbildung in besonderem Maße eingegangen: EuG, Urteil v. 04. 02. 2016, Rs. T-287/11, ECLI:EU:T:2016:60 – Heitkamp BauHolding/Kommission. 615 Dobratz, in: Sieker (Hrsg.), Steuerrecht und Wirtschaftspolitik, S. 224. 616 Brandau/Neckenich/Reich/Reimer, BB 2017, 1175 (1176). 617 Gormsen, Journal of European Competition Law & Practice 2016, 369 (378); a. A. Ismer/Karch, IStR 2014, 130 (135).

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Kap. 3: Materielle Voraussetzungen des Beihilfetatbestandes

der Majorität wird für einen diskriminierten Unternehmer sogar wirtschaftlich schädigender sein, da der Kreis seiner privilegierten Konkurrenten größer ist und damit seine Marktposition deutlich akuter gefährdet wird als durch die gezielte Bevorzugung einiger weniger. gg) Bestimmung des Referenzrahmens im Hinblick auf die Vergleichsgruppenbildung Die Entscheidung des Gerichts zeigt deutlich, dass selbst eine formale Ausnahme vom Referenzsystem alleine keine Beihilfe begründen kann.618 Vielmehr ist darüber hinaus entscheidend, dass Unternehmen, die sich im Hinblick auf das mit der Maßnahme verfolgte Ziel in einer vergleichbaren Situation befinden, nicht in den Genuss gekommen sind. Die Bestimmung der Selektivität erhält so eine gleichheitsrechtliche Komponente.619 Die Vergleichsgruppe ist im Hinblick auf das mit der Regelung verfolgte Ziel zu bilden. Das Ziel der Maßnahme ist dabei auf Ebene des Referenzsystems und nicht der Ausnahme zu bestimmen.620 Der Streit um die richtige Bildung des Referenzsystems steht in engem Zusammenhang mit der Frage der korrekten Vergleichsgruppenbildung. Die Bestimmung des Regel-AusnahmeVerhältnisses wird damit zur notwendigen, nicht aber zur hinreichenden Bedingung einer Beihilfe. Entscheidend ist die tatsächlich selektive Wirkung.621 Entscheidend ist, dass es Unternehmen gibt, die im Hinblick auf das Ziel des Referenzsystems in einer vergleichbaren Situation sind, aber nicht davon erfasst werden. Diesen Unternehmen wird eine Ausnahme gewährt. Bei Bildung des Referenzrahmens erfolgt folglich mit Blick auf die Vergleichsgruppenbildung. Im Hinblick auf eine möglichst zielgenaue Vergleichsgruppenbildung erscheint dabei insgesamt eine möglichst kleinräumige Bestimmung sachgerecht. Die Vergleichbarkeit der Wirtschaftsteilnehmer ist naturgemäß höher, je feiner der angewendete Such- und Vergleichsmaßstab ist.622 Nur wenn sich die Wirtschaftsteilnehmer in einer rechtlich und tatsächlich vergleichbaren Situation befinden, führt eine Differenzierung zur Selektivität. Wird der Rahmen sehr weit definiert, werden auch Unternehmen erfasst, die sich überhaupt nicht in einer vergleichbaren Situation befinden. Es muss folglich mittels des kleinstmöglichen Maßstabs nach Unternehmen gesucht werden, die sich, im Hinblick auf das mit der Regelung verfolgte Ziel, in einer vergleichbaren Situation befinden. Dabei dürfen die tatsächlichen Umstände der Wirtschaftsteilnehmer nicht außer Acht gelassen werden. Diese können die notwendige Vergleich618 EuG, Urteil v. 07. 11. 2014, Rs. T-399/11, ECLI:EU:T:2014:938, Rn. 45 bis 48 – Banco Santander und Santusa/Kommission. 619 Balbinot, FR 2018, 729 (732). 620 Beschluss der Kommission v. 26. 01. 2011 über die staatliche Beihilfe Deutschlands C 7/ 10 (ex CP 250/09 und NN 5/10) „KStG, Sanierungsklausel“, Az. K(2011) 275, ABl EU 2011 Nr. L 235/26. Vgl. auch: Grotherr, EWS 2015, 67 (71). 621 Nicolaides, Journal of European Competition Law & Practice 2015, 315 (320). 622 Grotherr, EWS 2015, 67 (70).

D. Selektivität

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barkeit aufheben. Grundlegend unterschiedliche Sachverhalte müssen im Rahmen der Vergleichbarkeit ausgeschlossen werden. Beispielhaft sei auf die deutsche Sanierungsklausel verwiesen: Hier war letztendlich fraglich, ob sich Unternehmen, die nicht von einer Insolvenz bedroht sind und damit dem Verlustabzugsverbot unterliegen, im Hinblick auf das mit der Regelung verfolgte Ziel der Missbrauchsbekämpfung mit von Insolvenz bedrohten Unternehmen in einer tatsächlich vergleichbaren Situation befinden, oder ob die Insolvenzgefahr die Vergleichbarkeit grundsätzlich aufhebt. Letzteres wäre der Fall, wenn bei insolventen Unternehmen keinerlei Missbrauch möglich wäre. Da aber eine drohende Unternehmensinsolvenz in keinem größeren Verhältnis zur Missbrauchsgefahr steht und bei zahlungsunfähigen Unternehmen im selben Maße Missbrauch denkbar und möglich ist, wird die Vergleichbarkeit nicht aufgehoben.623 Folgerichtig wird von der Insolvenz bedrohten Unternehmen eine selektive Ausnahme gewährt. Die von der Literatur geforderte Suche nach einem Grund- oder Leitprinzip als Referenzrahmen ist weniger eine Frage des Referenzsystems, als vielmehr eine der Rechtfertigung. Wurde eine Gruppe von Wirtschaftsteilnehmern identifiziert, die gegenüber einer anderen Gruppe durch einen Tatbestand steuerlich privilegiert wird, ist prima facie von einer selektiven Begünstigung auszugehen. Lässt sich die Differenzierung auf ein Grund- oder Leitprinzip des Steuersystems zurückführen, z. B. das Leistungsfähigkeitsprinzip, ist die Maßnahme hingegen gerechtfertigt.624 Lässt sich hingegen keine Rechtfertigung ermitteln, bedeutet auch dies noch nicht, dass eine rechtswidrige Beihilfe vorliegt. Vielmehr muss im Rahmen der Wettbewerbsverfälschung noch geprüft werden, ob zwischen den steuerrechtlich vergleichbaren Wirtschaftsteilnehmern auch ein Wettbewerbsverhältnis vorliegt.625 Wird aber zwischen Unternehmen differenziert, die sich steuerrechtlich in derselben Situation befinden und zwischen denen ein Wettbewerbsverhältnis herrscht, ist es richtig von einer Beihilfe an die begünstigten Unternehmen auszugehen. hh) Unbeachtlichkeit von Wettbewerbsverhältnissen Mit Verweis auf das originäre Ziel des Beihilfeverbots, der Verhinderung von Wettbewerbsverzerrungen und Handelsbeeinträchtigungen, wird im Schrifttum teilweise gefolgert, dass die tatsächliche und rechtliche Vergleichbarkeit anhand eines erheblichen Wettbewerbsverhältnisses bestimmt werden muss.626 Durch diesen Ansatz wird die Vergleichbarkeits- und Selektivitätsprüfung eng mit der Frage der Verfälschung des Wettbewerbs verknüpft. Die Frage der Wettbewerbsverfälschung wird bei steuerrechtlichen Beihilfen in der Vergangenheit zu häufig unproblematisch 623 So auch EuG, Urteil v. 04. 02. 2016, Rs. T-287/11, ECLI:EU:T:2016:60, Rn. 127 ff. – Heitkamp BauHolding/Kommission. 624 Vgl. zur Rechtfertigung Kapitel 3, S. 143 ff. 625 Vgl. zum Wettbewerbsverhältnis Kapitel 3, S. 173 ff. 626 Lang, ÖStZ 2011, 593 (598).

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Kap. 3: Materielle Voraussetzungen des Beihilfetatbestandes

als gegeben angesehen und mit der Handelsbeeinträchtigung vermischt.627 Die Überlegung, der Wettbewerbsverfälschung innerhalb der Beihilfeprüfung wieder mehr Raum einzuräumen, ist daher durchaus begrüßenswert. Allerdings ist es verfehlt, die Selektivitätsprüfung vor dem Hintergrund dieser aktuellen Rechtsprechung mit wettbewerbsrechtlichen Facetten aufzuladen. In der Sache geht die mit wettbewerbsrechtlichen Fragen aufgeladene Vergleichbarkeitsprüfung fehl. Bei dieser muss es alleine um die sich aus den tatsächlichen Umständen der Wirtschaftsteilnehmer ergebenden (steuer-)rechtlichen Vergleichbarkeit gehen. Wettbewerbsrechtliche Fragen müssen an dieser Stelle ausgeblendet werden. Dabei mag es häufig der Fall sein, dass zwischen Unternehmen, die sich in einer objektiv vergleichbaren Situation befinden, auch ein Wettbewerbsverhältnis vorliegt. Notwendig für die Beurteilung der Selektivität ist dies jedoch nicht. Auch der Europäische Gerichtshof hat in seiner jüngeren Rechtsprechungspraxis die materielle selektive Wirkung einer Maßnahme – trotz unstreitig bestehenden Wettbewerbsverhältnisses – abgelehnt.628 Ob zwischen Unternehmen ein Wettbewerbsverhältnis besteht, das durch die Ungleichbehandlung gestört wird, ist keine Frage der Selektivität, sondern der Wettbewerbsverfälschung.629 Zur Vermeidung sinnloser Redundanzen und zur Entzerrung des „Konfliktfeldes Selektivität“ erscheint es richtig, die Frage des Wettbewerbsverhältnisses komplett von der Frage der Selektivität zu lösen und alleine in der Wettbewerbsverfälschung aufgehen zu lassen.630 Es muss daher unabhängig von einem Wettbewerbsverhältnis geprüft werden, ob Umstände gegeben sind, die eine Vergleichbarkeit der Unternehmen aufheben. Die Selektivität einer Maßnahme bestimmt dann lediglich, ob bestimmte Unternehmen oder Produktionszweige gegenüber anderen, die steuerrechtlich überhaupt vergleichbar sind, bevorzugt werden. Zur Vermeidung fehlerhafter Beurteilungen ist es dabei aber zwingend notwendig das Tatbestandsmerkmal der Wettbewerbsverfälschung generell wieder ernst zu nehmen und ins Zentrum der Beihilfeprüfung zu rücken.631

627 Siehe dazu: Kapitel 3, S. 171 ff. Zu den geringen Anforderungen, die die Gerichte an eine Wettbewerbsverfälschung oder eine Beeinträchtigung des Handels stellen vgl.: EuGH, Urteil v. 17. 09. 1980, Rs. 730/79, ECLI:EU:C:1980:209 – Philipp Morris; EuGH, Urteil v. 21. 03. 1991, Rs. C-305/89, ECLI:EU:C:1991:141, Rn. 26 – Alfa Romeo; EuGH, Urteil v. 21. 07. 2005, Rs. C-71/04, ECLI:EU:C:2005:493, Rn. 41 – Xunta de Galcia; EuGH, Urteil v. 15. 06. 2006, Rs. C-393/04 und C-41/05, ECLI:EU:C:2006:403, Rn. 36 – Air Liquide Industries Belgium; ebenso EuG, Urteil v. 15. 06. 2000, Rs. T-298/97, ECLI:EU:T:2000:151, Rn. 95 – Alzetta u. a./Kommission. 628 Siehe: EuGH, Urteil v. 04. 06. 2015, Rs. C-5/14, ECLI:EU:C:2015:354, Rn. 79 – Kernkraftwerke Lippe-Ems; EuGH, Urteil v. 14. 01. 2015, Rs. C-518/13, ECLI:EU:C:2015:9, Rn. 59 bis 61 – Eventech. 629 So auch: Bartosch, BB 2016, 855 (859). 630 Sutter, Das EG-Beihilfenverbot und sein Durchführungsverbot in Steuersachen, S. 101. 631 Vgl. dazu: Kapitel 3, S. 173 ff.

D. Selektivität

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b) Rechtfertigung Wie gesagt, führt die Feststellung eines Ausnahmecharakters der untersuchten Regelung nicht automatisch zur Bejahung der Selektivität und zum Vorliegen einer Beihilfe. Vielmehr kann die Ausnahme durch „die Natur oder den inneren Aufbau des Systems“ gerechtfertigt werden.632 Die dritte Stufe ist allerdings nicht als Rechtfertigung im Sinne einer Rechtfertigung nach deutschem Recht, sondern vielmehr als Tatbestandsbeschränkung zu verstehen. Beruht eine Ungleichbehandlung unmittelbar auf den inneren Grund- und Leitprinzipien des Steuerrechts, so liegt keine Rechtfertigung einer rechtswidrigen Beihilfe im Sinne des deutschen Rechts vor; es ist vielmehr schon keine Selektivität und damit keine Beihilfe gegeben.633 Die Beweislast im Rahmen der Rechtfertigung trägt dabei grundsätzlich der betroffene Mitgliedstaat.634 aa) Von der Kommission anerkannte Rechtfertigungsgründe Aufbauend auf der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs635 hat auch die Europäische Kommission in ihrer Mitteilung über die Anwendung der Vorschriften über staatliche Beihilfen auf Maßnahmen im Bereich der direkten Unternehmensbesteuerung die grundsätzliche Möglichkeit einer Rechtfertigung anerkannt, sofern sich die Selektivität aus der Natur oder dem inneren Aufbau des Steuersystems ergibt, die Maßnahme also systemimmanent ist.636 Sonstige Zielsetzungen politischer oder wirtschaftlicher Natur sind ihrer Meinung nach demgegenüber unbeachtlich. Wann genau ein Rechtfertigungsgrund von der Kommission tatsächlich als systemimmanent anerkannt wird, lässt sich aber nicht ohne Weiteres bestimmen. Die Kommission erkannte in ihrer Mitteilung, ebenso wie in ihrem Bericht über die Umsetzung der Mitteilung der Kommission über die Anwendung der Vorschriften

632 EuGH, Urteil v. 29. 04. 2004, C-159/01, ECLI:EU:C:2004:426, Rn. 43 – Niederland/Kommission. Vgl. auch: EuGH, Urteil v. 02. 07. 1974, Rs. 173/73, ECLI:EU:C:1973: 71, Rn. 33 – Italien/Kommission; EuGH, Urteil v. 17. 06. 1999, Rs. C-75/97, ECLI:EU:C: 1999:311, Rn. 33 – Belgien/Kommission; EuGH, Urteil v. 08. 11. 2001, Rs. C-143/99, ECLI:EU:2001:598, Rn. 42 – Adria-Wien Pipeline und Wietersdorfer & Peggauer Zementwerke; EuGH, Urteil v. 22. 12. 2008, Rs. C-487/06 P, ECLI:EU:C:2008:757, Rn. 88 – British Aggregates/Kommission; EuGH, Urteil v. 08. 09. 2011, Rs. C-78/08 bis C-80/08, ECLI:EU:C:2011:550, Rn. 64 und 65 – Paint Graphos. 633 Vgl. Lehnert, Die Korrektur von gemeinschaftsrechtswidrigen Beihilfen in Form von Steuervergünstigungen S. 51. 634 Nicolaides/Rusu, EStAL 2012, 791 (792). 635 Vgl. beispielhaft: EuGH, Urteil v. 02. 07. 1974, Rs. 173/73, ECLI:EU:C:1973:71, Rn. 33 – Italien/Kommission. 636 Bekanntmachung der Kommission zum Begriff der staatlichen Beihilfe im Sinne des Artikels 107 Absatz 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, ABl. EU 2016 Nr. C 262/1, Rn. 138 ff.

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Kap. 3: Materielle Voraussetzungen des Beihilfetatbestandes

über staatliche Beihilfen auf Maßnahmen im Bereich der direkten Unternehmensbesteuerung637 bisher eine Reihe von Rechtfertigungsgründen an: - Besonderheiten hinsichtlich landwirtschaftlicher Nutzflächen - Grundsatz der Steuerneutralität - Steuerumverteilungslogik (z. B. Progressive Steuertabellen) - Unterschiedliche Abschreibungs- und Bewertungsmethoden - Modalitäten bei der Einforderung von Steuerschulden - Fehlender Erwerbscharakter (z. B. bei Stiftungen oder Verbänden) In ihrer neusten Bekanntmachung zum Begriff der staatlichen Beihilfe hat die Kommission auch anerkannt: - die Beachtung besonderer Rechnungslegungsvorschriften - die Handhabbarkeit für die Verwaltung - der Grundsatz der Steuerneutralität - die Notwendigkeit der Vermeidung von Doppelbesteuerung - das Ziel der bestmöglichen Einziehung von Steuerschulden als Rechtfertigungsgründe anerkannt.638 Als Rechtfertigungsgrund zurückgewiesen hat die Kommission hingegen: - die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit bestimmter Unternehmen - die Anwendung objektiver Kriterien ohne Ermessensspielraum der Verwaltung In jüngerer Vergangenheit hat die Kommission erneut betont, dass eine Ungleichbehandlung nicht durch die Größe, Komplexität oder herausragende Bedeutung eines geförderten Vorhabens oder Unternehmens gerechtfertigt werden, solange dem nationalen Steuerrecht eine Anknüpfung an diese Kriterien inhärent ist.639

637 Bericht der Kommission vom 09. 02. 2004 über die Umsetzung der Mitteilung der Kommission über die Anwendung der Vorschriften über staatliche Beihilfen auf Maßnahmen im Bereich der direkten Unternehmensbesteuerung, ABl. EG 2004 434, Rn. 35 ff. Siehe auch: Grube, Der Einfluss des unionsrechtlichen Beihilfenverbots auf das deutsche Steuerrecht, S. 52. 638 Bekanntmachung der Kommission zum Begriff der staatlichen Beihilfe im Sinne des Artikels 107 Absatz 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, ABl. EU 2016 Nr. C 262/1, Rn. 139. 639 Vgl. dazu: Nicolaides, Journal of European Competition Law & Practice 2015, 315 (317).

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bb) Entscheidung bzgl. des Konzernprivilegs gemäß § 6a GrEStG In seinem Urteil zur Konzernklausel des § 6a GrEStG hat der Europäische Gerichtshof – in Besetzung als große Kammer640 – erstmalig eine Regelung als gerechtfertigt angesehen.641 Im Verfahren stand die Frage zur Debatte, ob die Vorschrift des § 6a GrEStG eine selektive Begünstigung enthält. Gemäß § 6a GrEStG erfolgt eine Befreiung von der Grunderwerbsteuer, wenn ein Grundstückserwerb im Rahmen von konzerninternen Umwandlungsvorgängen stattfindet (sofern eine Beteiligung des herrschenden Unternehmens an der abhängigen Gesellschaft in Höhe von 100 % innerhalb von fünf Jahren vor dem Rechtsvorgang und fünf Jahren nach dem Rechtsvorgang besteht). Die Regelung steht in Zusammenhang mit § 1 GrEStG. Die Norm sieht eine Besteuerung u. a. für Kaufverträge und andere ähnliche, auf Übereignung eines Grundstücks gerichtete Vorgänge vorsieht.642 Der Europäische Gerichtshof bejahte zwar die ersten beiden Stufen.643 Er ging aber davon aus, dass im Rahmen der dritten Stufe der Nachweis erbracht worden sei, dass diese Unterscheidung gerechtfertigt ist, „weil sie sich aus der Natur oder dem Aufbau des Systems ergibt, in das sich die Maßnahmen einfügen”,644 da sie der Vermeidung einer Doppelbesteuerung diene. Dieser Gedanke beruhe unmittelbar auf den Grund- oder Leitprinzipien des Steuersystems und sei hiermit ein dem Steuersystem selbst inhärenter Mechanismus, der zur Rechtfertigung dienen könne.645 Das Erfordernis der Mindesthaltedauer einer Beteiligung sei dabei dadurch gerechtfertigt, dass ungewollte Mitnahmeeffekte (und damit Missbrauch) verhindert werden soll.646 cc) Bewertung externer Ziele durch die europäischen Gerichte Während die europäischen Gerichte – in Einklang mit der Europäischen Kommission – davon ausgehen, dass selektive Maßnahmen durch systemimmanente Leitlinien gerechtfertigt werden können, war längere Zeit umstritten, ob eine selektive Maßnahme auch durch dem Steuerrecht nicht innewohnende externe Ziele gerechtfertigt werden kann. Die Linie der Unionsrechtsprechung war dabei lange 640 Die Tatsache, dass das Verfahren in großer Kammer geführt wurde, verdeutlicht die herausragende Bedeutung dieser Entscheidung. Vgl. Bärenbrinker/Butler, EWS 2020, 11 (16). 641 EuGH, Urteil v. 19. 12. 2018, Rs. C-374/17, ECLI:EU:C:2018:1024, Rn. 44 ff. – Finanzamt B/A-Brauerei. 642 Bärenbrinker/Butler, EWS 2020, 11 (15). 643 Der Gerichtshof bestätigte dabei ausdrücklich sein bisheriges dreistufiges Prüfungsschema, trotz vorgebrachter Kritik durch den Generalanwalt. Vgl. Bärenbrinker/Butler, EWS 2020, 11 (15). 644 EuGH, Urteil v. 19. 12. 2018, Rs. C-374/17, ECLI:EU:C:2018:1024, Rn. 50 ff. – Finanzamt B/A-Brauerei. 645 Siehe auch: Soltész, BB 2019, 1687 (1690). 646 EuGH, Urteil v. 19. 12. 2018, Rs. C-374/17, ECLI:EU:C:2018:1024, Rn. 53 – Finanzamt B/A-Brauerei.

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eindeutig: Da es für die Bewertung einer Maßnahme nicht auf die Zielsetzung, sondern alleine auf die wettbewerbsverzerrende Wirkung ankommt, kommt eine Rechtfertigung durch externe Zielsetzung nicht in Betracht.647 Der Europäische Gerichtshof hat aber in zwei richtungsweisenden Urteilen die Rechtfertigung einer selektiven Maßnahme durch externe Ziele nicht per se ausgeschlossen, sondern offengelassen. Zwar lehnte er im Urteil Maribel648 die vorgebrachte Argumentation, die geringeren Sozialbeiträge für bestimmte Sektoren seien aufgrund der Beschäftigungsförderung nötig und damit gerechtfertigt, ab, allerdings hat der Gerichtshof dabei keineswegs die generelle Möglichkeit der Rechtfertigung durch externe Ziele abgelehnt. Eine solche Rechtfertigung konnte vielmehr nur im konkreten Fall nicht greifen, weil die Maßnahme als einzige direkte Wirkung die ausschließliche Begünstigung der Empfängerunternehmen hatte. Die Maßnahme war folglich zur Erreichung des Ziels ungeeignet und konnte die selektive Wirkung damit nicht rechtfertigen.649 Er ließ damit offen, inwiefern eine Rechtfertigung über externe Ziele möglich ist, wenn die Wirkung der Maßnahme nicht nur die Begünstigung selektiver Unternehmen ist, sondern auch das externe Ziel in irgendeiner Form gefördert wird. In seinem Adria-Wien-Pipeline-Urteil 650 kam der Gerichtshof zu einem ähnlichen Ergebnis. Der betroffene Mitgliedstaat brachte hier vor, dass die erfolgte Ungleichbehandlung durch umweltpolitische Zielsetzungen gerechtfertigt sei. Diese Erklärung hat der Gerichtshof auch grundsätzlich akzeptiert, die Selektivität dann aber aufgrund einer letztlich inkonsequenten Zielverfolgung bejaht.651 Bemerkenswert ist dabei noch, dass der Gerichtshof hier von seiner bisherigen Formel („Wesen und Struktur“652) abgewichen ist und stattdessen angenommen hat, dass eine selektive Maßnahme mitunter „durch das Wesen oder den allgemeinen Zweck des Systems, zu dem sie angehört, gerechtfertigt ist“.653 Die Betonung des Zwecks des Steuersystems konnte durchaus als Hinweis verstanden werden, dass externe Zielsetzungen, die sich im Zweck des Steuersystems widerspiegeln, bei der Bewertung 647 Zu diesem wirkungsorientierten Beihilfeverständnis siehe: EuGH, Urteil v. 02. 07. 1974, Rs. C-173/73, ECLI:EU:C:1973:71 – Italien/Kommission; EuGH, Urteil v. 24. 02. 1987, Rs. 310/85, ECLI:EU:C:1987:96, Rn. 8 – Deufil/Kommisison; EuGH, Urteil v. 29. 02. 1996, Rs. C-56/93, ECLI:EU:C:1996:64, Rn. 79 – Belgien/Kommission; EuGH, Urteil v. 26. 09. 1996, Rs. C-241/94, ECLI:EU:C:1996:353, Rn. 20 – Frankreich/Kommission. 648 EuGH, Urteil v. 17. 06. 1999, Rs. C-75/97, ECLI:EU:C:1999:311 – Belgien/Kommission. 649 EuGH, Urteil v. 17. 06. 1999, Rs. C-75/97, ECLI:EU:C:1999:311, Rn. 37 bis 39 – Belgien/Kommission. 650 EuGH, Urteil v. 08. 11. 2001, Rs. C-143/99, ECLI:EU:2001:598 – Adria-Wien Pipeline und Wietersdorfer & Peggauer Zementwerke. Zu dieser Rechtsprechung vgl. Bousin/Piernas, EStAL 2008, 634 (637 ff.). 651 EuGH, Urteil v. 08. 11. 2001, Rs. C-143/99, ECLI:EU:2001:598, Rn. 52 und 53 – AdriaWien Pipeline und Wietersdorfer & Peggauer Zementwerke. 652 Vgl. EuGH, Urteil v. 17. 06. 1999, Rs. C-75/97, ECLI:EU:C:1999:311, Rn. 33 – Belgien/Kommission. 653 EuGH, Urteil v. 08. 11. 2001, Rs. C-143/99, ECLI:EU:2001:598 – Adria-Wien Pipeline und Wietersdorfer & Peggauer Zementwerke.

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einer Maßnahme Berücksichtigung finden können. Auch das Gericht der Europäischen Union argumentierte in seinen Urteilen Niederlande/Kommission654 und British Aggregates,655 dass eine Rechtfertigung mittels externer Zielsetzungen vor dem Hintergrund staatlicher Gestaltungsspielräume möglich sein muss.656 In beiden Fällen nahm das Gericht die grundsätzliche Möglichkeit einer Rechtfertigung mit externen Zielen an657 und untersuchte dann vor allem detailliert die konkrete Umsetzung.658 Letztlich kam es in beiden Fällen zu der Auffassung, dass eine Rechtfertigung durch externe Ziele gegeben ist.659 Der Europäische Gerichtshof hat sich jedoch wieder von einer Rechtfertigung mittels externer Ziele abgewandt. Sowohl das Urteil in der Sache Niederlande/ Kommission660 als auch das British Aggregates-Urteil661 des Gerichts wurden von ihm im Rechtsmittelverfahren aufgehoben. Hinsichtlich der Rechtssache Niederlande/Kommission662 merkte der Gerichtshof insbesondere an, dass der Umweltschutz nicht als Rechtfertigung einer selektiven Maßnahme dienen kann, da er bereits bei der Genehmigung einer Beihilfe Berücksichtigung findet.663Auch in seiner British Aggregates-Entscheidung664 lehnt der Gerichtshof eine Rechtfertigung über Umweltziele ab. Er widerspricht dem Gericht insbesondere darin, dass bei einer umweltpolitischen Zielsetzung wettbewerbsrechtliche Nebenziele unerheblich 654

EuG, Urteil v. 10. 04. 2008, Rs. T-233/04, ECLI:EU:T:2008:102 – Niederlande/Kommission. 655 EuG, Urteil v. 13. 09. 2006, Rs. T-210/02, ECLI:EU:T:2006:253 – British Aggregates/ Kommission. 656 Das Gericht stellte dabei in erheblichem Umfang auf die fehlende europarechtliche Harmonisierung des Umweltschutzes ab. EuG, Urteil v. 13. 09. 2006, Rs. T-210/02, ECLI:EU: T:2006:253, Rn. 115 ff. – British Aggregates/Kommission. 657 EuG, Urteil v. 13. 09. 2006, Rs. T-210/02, ECLI:EU:T:2006:253, Rn. 115 ff. – British Aggregates/Kommission; EuG, Urteil v. 10. 04. 2008, Rs. T-233/04, ECLI:EU:T:2008:102, Rn. 97 bis 99 – Niederlande/Kommission. 658 EuG, Urteil v. 13. 09. 2006, Rs. T-210/02, ECLI:EU:T:2006:253, Rn. 124 ff. – British Aggregates/Kommission; nicht so ausführlich: EuG, Urteil v. 10. 04. 2008, Rs. T-233/04, ECLI: EU:T:2008:102, Rn. 98 – Niederlande/Kommission. 659 EuG, Urteil v. 13. 09. 2006, Rs. T-210/02, ECLI:EU:T:2006:253, Rn. 134 – British Aggregates/Kommission; EuG, Urteil v. 10. 04. 2008, Rs. T-233/04, ECLI:EU:T:2008:102, Rn. 99 – Niederlande/Kommission. 660 EuG, Urteil v. 10. 04. 2008, Rs. T-233/04, ECLI:EU:T:2008:102 – Niederlande/Kommission. 661 EuG, Urteil v. 13. 09. 2006, Rs. T-210/02, ECLI:EU:T:2006:253, Rn. 115 – British Aggregates/Kommission. 662 EuGH, Urteil v. 08. 09. 2011, Rs. C-279/08 P, ECLI:EU:C:2011:551 – Kommission/ Niederlande. Vgl. auch: Nicolaides/Rusu, EStAL 2012, 791 (797). 663 EuGH, Urteil v. 08. 09. 2011, Rs. C-279/08 P, ECLI:EU:C:2011:551, Rn. 75 und 76 – Kommission/Niederlande. 664 EuGH, Urteil v. 22. 12. 2008, Rs. C-487/06 P, ECLI:EU:C:2008:757 – British Aggregates/Kommission. Zu dieser Rechtsprechung siehe ausführlich: Bousin/Piernas, EStAL 2008, 634 (643 ff.).

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seien.665 Beachtenswert ist darüber hinaus, dass der Gerichtshof zwar explizit an die Rechtsache Adria-Wien-Pipeline anknüpft, nun aber wieder darauf abstellt, ob eine Ausnahme „aus der Natur oder der Struktur der Regelung folgt, mit der sie in Zusammenhang steht“666, und damit insoweit wieder näher an seine ursprüngliche Formulierung anlehnt. dd) Bewertung im juristischen Schrifttum Basierend auf den Urteilen des Gerichts667 wurde zum Teil angenommen, dass eine Rechtfertigung prima facie selektiver Regelungen durch externe Ziele zwar grundsätzlich möglich ist, dabei aber der praktischen Umsetzung der Maßnahme entscheidendes Gewicht zukommt. Demnach stellt sich für externe Ziele das Rechtfertigungsschema wie folgt dar: - 1. Stufe: Wird mit der fraglichen Steuermaßnahme ein aus europa- und beihilferechtlicher Sicht legitimes Ziel verfolgt? - 2. Stufe: Stellt die Maßnahme und die damit vorgenommene Differenzierung eine konsequente, systemlogische und verhältnismäßige Umsetzung des legitimen Ziels dar? Nur wenn beide Stufen bejaht werden können, sollte eine Rechtfertigung durch externe Ziele gegeben sein.668 Ausgehend von der Bedeutung mitgliedstaatlicher Fördersysteme wird bis heute teilweise gefordert, zwischen beihilfeverbotsneutralen und beihilfeverbotsrelevanten Zielen zu unterscheiden. Ausgangspunkt dieser Überlegungen ist die im Einzelfall erforderliche Abwägung zwischen dem Interesse der Kommission einerseits, Wettbewerbsverzerrungen zu verhindern, und dem nationalstaatlichen Förderermessen andererseits. Beihilferelevant sind dabei nur solche Ziele, die auf die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit bestimmter Marktteilnehmer oder die Entwicklung bestimmter Regionen abzielen. Nur solche Zielsetzungen sollen das Tatbestandsmerkmal der Selektivität erfüllen. Für wettbewerbsneutrale Zielsetzungen, deren vorrangiges Ziel also nicht die Herbeiführung von Wettbewerbsverzerrungen ist, soll Art. 107 Abs. 1 AEUV keine Anwendung finden. Eventuell auftretende Wettbewerbsverzerrungen sollen dabei als bloßer Rechtsreflex unbeachtlich blei665 EuGH, Urteil v. 22. 12. 2008, Rs. C-487/06 P, ECLI:EU:C:2008:757, Rn. 88 – British Aggregates/Kommission; vgl. auch: Nicolaides/Rusu, EStAL 2012, 791 (795). 666 EuGH, Urteil v. 22. 12. 2008, Rs. C-487/06 P, ECLI:EU:C:2008:757, Rn. 83 – British Aggregates/Kommission. 667 EuG, Urteil v. 10. 04. 2008, Rs. T-233/04, ECLI:EU:T:2008:102 – Niederlande/Kommission; EuG, Urteil v. 13. 09. 2006, Rs. T-210/02, ECLI:EU:T:2006:253 – British Aggregates/ Kommission. 668 Bartosch, EuZW 2010, 12 (15); Ismer/Piotrowski, IStR 2015, 257 (262). Zur Bewertung externer Ziele im juristischen Schrifttum siehe zusammenfassend: Rosenberg, Das beihilferechtliche Durchführungsverbot in Steuersachen, S. 91 ff.

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ben.669 Diese Bewertung deckt sich auch mit der Bewertung des in der Rechtssache GIL Insurance670 zuständigen Generalanwalts Geelhoed, der in seinen Schlussanträgen hinsichtlich nicht harmonisierter Steuern eine Schwerpunktbetrachtung forderte.671 Mithilfe dieser Schwerpunktbetrachtung sollte der Ursprung der Wettbewerbsverzerrung ermittelt und danach zwischen einer Beihilfe und einer Steuer abgegrenzt werden. Für erstere steht der Kommission das Instrumentarium der Beihilfekontrolle, für zweitere dasjenige der Art. 116 und Art. 117 AEUV offen.672 Eine Unterscheidung wird in ähnlicher Weise auch von anderen gefordert. Hierbei wird aber eine gänzlich neue Systematisierung der Rechtfertigungsmöglichkeiten anhand des mit einem Steuersystem verfolgten Ziels vorgeschlagen. Es soll dabei eine Unterscheidung zwischen Steuersystemen, die schwerpunktmäßig der Einnahmeerzielung dienen und solchen, die Lenkungsziele haben, erfolgen (z. B. eine Ökosteuer). Bei ersteren soll die Besteuerung auf Grundlage des Prinzips der Leistungsfähigkeit erfolgen. Bei Steuern mit Lenkungszielen soll es hingegen auf die konsequente Umsetzung des Lenkungszwecks ankommen.673 Ausgehend von den bisher bestehenden Unwägbarkeiten bezüglich der Rechtsprechung des Gerichtshofs hinsichtlich der Rechtfertigung mittels externer Ziele gehen andere Teile der Literatur davon aus, dass es sich bei der Rechtfertigungsprüfung letztlich um eine Art faktischen Ermessensspielraum der Kommission handelt.674 Es sei ihr überlassen, ob sie nach Feststellung der prima facie Selektivität die vom Mitgliedstaat vorgebrachten Rechtfertigungsgründe akzeptiert und von einer Einstufung als selektive Beihilfe absieht oder nicht. Zu Recht wird hier jedoch kritisiert, dass ein solcher Ermessenspielraum von Art. 107 Abs. 1 AEUV nicht vorgesehen ist. Vielmehr sollen problematische Fälle bereits über das Kriterium der Ausnahme gelöst werden.675 ee) Stellungnahme Während in der juristischen Literatur die Frage hinsichtlich der Rechtfertigung selektiver Vergünstigungen mittels externer Ziele seit langer Zeit als unklar bzw. ungeklärt angesehen wird,676 bestehen meiner Ansicht nach in dieser Hinsicht keine 669

Vgl. dazu: Bartosch, EuZW 2015, 99 (101). EuGH, Urteil v. 29. 04. 2004, Rs. C-308/01, ECLI:EU:C:2004:252 – GIL Insurance. 671 Schlussanträge des Generalanwalts Geelhoed v. 18. 09. 2003, Rs. C-308/01, ECLI:EU: C:2003:481, Rn. 70 bis 77 – GIL Insurance 672 Bartosch, EuZW 2015, 99 (101). 673 Vgl. dazu: Rosenberg, Das beihilferechtliche Durchführungsverbot in Steuersachen, S. 93. 674 Jennert/Ellenrieder, EWS 2011, 305 (308); Linn, IStR 2008, 601 (604). 675 Jestaedt, in: Heidenhain (Hrsg.), Handbuch des Europäischen Beihilfenrechts, § 8 Rn. 18 bis 20; Jennert/Ellenrieder, EWS 2001, 305 (308). 676 Vgl. Rosenberg, Das beihilferechtliche Durchführungsverbot in Steuersachen, S. 94. 670

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Zweifel mehr. Die Europäische Kommission geht seit ihrer Kommissionsmitteilung ununterbrochen davon aus, dass alleine die Systemimmanenz eine selektive Maßnahme zu rechtfertigen vermag. Alle darüber hinausgehenden sonstigen (politischen) Zielsetzungen sind ihrer Auffassung nach irrelevant und für die Rechtfertigungsprüfung zu vernachlässigen. Dies ist wohl auch die aktuelle Auffassung des Europäischen Gerichtshofs. Trotz der in der Vergangenheit aufgetretenen Tendenz, eine Rechtfertigung auch durch externe Ziele zuzulassen, geht er in seinen neueren Urteilen eindeutig davon aus, dass eine Rechtfertigung aufgrund des externen Ziels des Umweltschutzes nicht möglich ist. Wenn schon ein solch legitimes und unionsrechtlich explizit unterstütztes Ziel677 nicht zur Rechtfertigung ausreicht, erscheint es ausgeschlossen, dass überhaupt ein externes Ziel als Rechtfertigungsgrund anerkannt werden wird.678 Dazu kommt, dass der Gerichtshof explizit festgestellt hat, dass Auswirkungen auf den Wettbewerb keinesfalls außer Acht gelassen werden dürfen,679 da eine Maßnahme nicht aufgrund ihrer Ziele, sondern nur aufgrund ihrer Wirkung beurteilt werden soll. Entscheidend ist für ihn alleine die wettbewerbsverzerrende Wirkung. Von dieser Prämisse ausgehend ist meines Erachtens keine Maßnahme denkbar, die zwar zwischen den Marktteilnehmern differenziert, aber keine Auswirkungen auf den Wettbewerb hat.680 Diese Auffassung des Gerichtshofs ist sachgerecht und folgt stringent dem wirkungsorientierten Beihilfeverständnis. Auch bei der Verfolgung externer Ziele kann es für die betroffenen Unternehmen zu erheblichen Belastungen kommen. Es erschließt sich dabei nicht, weshalb die für Beihilfen ansonsten maßgebende Wirkung nun allein aufgrund bestehender externer Ziele vollkommen zurücktreten soll. Externe Ziele können daher ausschließlich im Rahmen der Vereinbarkeitsprüfung gemäß Art. 107 Abs. 3 AEUV Beachtung finden.681 Auch die im Schrifttum geforderte Unterscheidung anhand einer Schwerpunktsetzung hat Schwächen und führt überdies zu erheblicher Rechtsunsicherheit. Dies gilt vor allem für Steuern, die von einem Motivbündel getragen werden. Hier stellt sich in besonderem Maße die Frage, wie stark und überwiegend ein wettbewerbsneutrales Ziel sein muss. Genügt es, dass es das stärkste vorhandene Motiv ist, oder muss es alle anderen zusammen überwiegen (also über 50 % ausmachen)? Woran würde eine solche Abgrenzung festgemacht bzw. wie würde die Motivation des Mitgliedstaates kontrolliert werden? Die Begründung des handelnden Mitgliedstaates schafft keine Abhilfe. Dieser wird immer behaupten, er wäre überwiegend von wettbewerbsneutralen Zielen geleitet. Zu diesen Abgrenzungsschwierigkeiten kommt weiterhin ein gewisses Missbrauchsrisiko. Die Mitglied677 Die Europäische Union verpflichtet sich gemäß Art. 191 AEUV ausdrücklich zum Umweltschutz. 678 Vgl. Rosenberg, Das beihilferechtliche Durchführungsverbot im Steuerverfahren, S. 90. 679 EuGH, Urteil v. 22. 12. 2008, Rs. C-487/06 P, ECLI:EU:C:2008:757, Rn. 88 – British Aggregates/Kommission. 680 Bartosch, EuZW 2010, 12 (16). 681 EuGH, Urteil v. 08. 09. 2011, Rs. C-279/08 P, ECLI:EU:C:2011:551, Rn. 75 und 76 – Kommission/Niederlande; EuGH, Urteil v. 22. 12. 2008, Rs. C-487/06 P, ECLI:EU:C:2008: 757, Rn. 92 – British Aggregates/Kommission.

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staaten der Union wären versucht, ihre wettbewerbsrelevanten Zielsetzungen mit wettbewerbsneutralen aufzuladen, um so ihre wahren Absichten zu verschleiern und eine Einordnung der Maßnahme als Beihilfe zu verhindern. Ein solches Vorgehen würde zusätzlich den Verwaltungsaufwand der Kommission und der Gerichte deutlich erhöhen, da es mitunter sehr schwierig wird, die Schwerpunkte korrekt und ganzheitlich zu beurteilen und die „echten“ und „falschen“ Beihilfen voneinander zu trennen. Die Schwerpunktbetrachtung widerspricht in diesem Teil aber auch der Rechtsprechung des Gerichtshofs; danach sollen Folgen für den Wettbewerb gerade nicht irrelevant sein.682 Auch Nebeneffekte und Rechtsreflexe sind beachtlich und können nicht einfach ausgeklammert oder als irrelevant betitelt werden. Insofern besteht meiner Ansicht nach derzeit kein Grund daran zu zweifeln, dass eine Rechtfertigung mittels externer Ziele letztlich aufgrund der bestehenden Nebeneffekte auf den Wettbewerb scheitert. Dies bedeutet jedoch nicht, dass der Gerichtshof nicht in Zukunft einen erneuten Richtungswechsel vollzieht. Externen Ziele kann bereits vor der Rechtfertigungsprüfung ausreichend Beachtung geschenkt werden. Der Europäische Gerichtshof betont in seiner AdriaWien-Rechtsprechung, dass sich die Unternehmen hinsichtlich des mit der Regelung verfolgten Ziels in einer vergleichbaren rechtlichen und tatsächlichen Position befinden.683 Über die Vergleichbarkeit kann dabei eine sachgerechte Entscheidung im Einzelfall sichergestellt werden (z. B. sind die Unternehmen im selben Maße schädlich für die Umwelt). Der Kommission und den Gerichten kommt dabei die Aufgabe zu, vernünftige Vergleichsgruppen zu bilden und so eine sachgerechte Differenzierung zu ermöglichen. Dadurch wird ein Rechtfertigungsbedürfnis mittels externer Ziele überflüssig. Befinden sich die Unternehmen in einer vergleichbaren Situation und werden ungleich behandelt, so ist es umgekehrt nicht ersichtlich, wieso dies über ein externes Ziel gerechtfertigt sein sollte. Befinden sie sich jedoch hinsichtlich des mit der Regelung verfolgten Ziels überhaupt nicht in einer vergleichbaren Situation, so ist eine Rechtfertigung mittels externer Ziele schlicht nicht erforderlich. Äußerst begrüßenswert ist, dass der Europäische Gerichtshof in seinem Urteil zu § 6a GrEStG erstmalig eine Steuerbeihilfe als gerechtfertigt angesehen hat und der bisher nahezu bedeutungslosen Rechtfertigungsebene neue Bedeutung verliehen hat. Selbst wenn eine differenzierende Maßnahme unmittelbar auf den Grund- oder Leitprinzipien des Steuersystems beruht, bedeutet dies aber keineswegs, dass die Maßnahme dadurch automatisch gerechtfertigt ist. Bereits in seinem Urteil Paint Graphos684 hatte der Europäische Gerichtshof bereits deutlich gemacht, dass er dabei nicht stehen bleibt. Danach reicht das Vorliegen eines Rechtfertigungsgrundes nicht 682 EuGH, Urteil v. 22. 12. 2008, Rs. C-487/06 P, ECLI:EU:C:2008:757, Rn. 88 – British Aggregates/Kommission. 683 EuGH, Urteil v. 08. 11. 2001, Rs. C-143/99, ECLI:EU:2001:598, Rn. 41 – Adria-Wien Pipeline und Wietersdorfer & Peggauer Zementwerke. 684 EuGH, Urteil v. 08. 09. 2011, Rs. C-78/08 bis C-80/08, ECLI:EU:C:2011:550 – Paint Graphos.

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aus, um die unterschiedlichen Rechtsfolgen zu rechtfertigen. Vielmehr muss zusätzlich darauf geachtet werden, dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt bleibt.685 Eine Rechtfertigung kommt damit im Ergebnis nur in Frage, wenn sich die Differenzierung unmittelbar auf die Grund- und Leitprinzipien des Steuersystems stützen lässt und gleichzeitig verhältnismäßig ist. Ob und wie diese Rechtsprechung weiter fortgeführt wird, ist bisher offen. Möglicherweise ist die Einführung einer Verhältnismäßigkeitsprüfung als Teil der Rechtfertigungsebene der Beginn eines Ausbaus dieser Ebene vergleichbar der Entwicklung der Rechtfertigungsebene bei Eingriffen in die Grundfreiheiten. 2. Entscheidung des Gerichtshofs in der Rechtsache Gibraltar In seinem Urteil in der Rechtssache C-106/09 P und C-107/09 P-Gibraltar686 hat der Europäische Gerichtshof seine Prüfung der beihilferechtlichen Selektivität neu interpretiert und dabei das bisher bestehende Prüfungsschema erheblich modifiziert. Der Entscheidung des Gerichts lag dabei folgender Sachverhalt zugrunde: Die Regierung Gibraltars hatte bereits im Jahr 2002 eine umfassende Reform ihres Körperschaftsteuersystems in die Wege geleitet. Das bisher bestehende System der Gewinnbesteuerung wurde vollständig aufgehoben und stattdessen ausschließlich drei gänzlich neue Steuertypen eingeführt: Eine Eintragungsgebühr, eine Gewerbenutzungssteuer sowie eine Lohnsummensteuer. Die Reformvorschläge wurden der Kommission durch das Vereinigte Königreich zur Notifizierung gemäß Art. 108 Abs. 3 AEUV zugeleitet. Diese kam im Jahr 2004 zu dem Ergebnis, dass die Reformvorschläge eine mit dem Binnenmarkt unvereinbare Beihilfe darstellen. Die Kommission nahm dabei sowohl die regionale als auch die materielle Selektivität der Reform an. Dabei wurde von der Kommission hinsichtlich der Selektivität festgestellt, dass die Gewerbegrundbenutzer- und die Lohnsummensteuer als selektiv einzustufen sind, da ihnen im Ergebnis nur solche Unternehmen unterliegen, die in Gibraltar Betriebsräume unterhalten bzw. Arbeitnehmer beschäftigen. Dadurch werden Offshore-Unternehmen, auch ohne ausdrückliche Ausnahmevorschrift, gezielt privilegiert.687

685 EuGH, Urteil v. 08. 09. 2011, Rs. C-78/08 bis C-80/08, ECLI:EU:C:2011:550, Rn. 75 – Paint Graphos. 686 EuGH, Urteil v. 15. 11. 2011, Rs. C-106/09 P und C-107/09 P, ECLI:EU:C:2011:732 – Gibraltar. 687 Entscheidung der Kommission v. 30. 03. 2004 über die Beihilferegelung, die das Vereinigte Königreich im Rahmen der Körperschaftssteuerreform der Regierung von Gibraltar beabsichtigt, Az. K(2004) 929, ABl. EU 2005 Nr. L 85/1. Vgl. dazu auch: Nicolaides/Rusu, EStAL 2012, 791 (799).

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Gegen den Beschluss der Kommission wurde durch die Regierungen von Gibraltar und des Vereinigten Königreichs688 Klage auf Nichtigerklärung vor dem Gericht erhoben. Das Gericht kam unter Anwendung der Autonomiekriterien689 zu dem Urteil, dass – entgegen der Auffassung der Europäischen Kommission – keine regionale Selektivität gegeben ist und alleine das Hoheitsgebiet Gibraltar den maßgeblichen Referenzrahmen bildet.690 Darüber hinaus kam das Gericht hinsichtlich der materiellen Selektivität zu der Auffassung, dass es der Kommission nicht gelungen ist die Selektivität der Steuerreform nachzuweisen.691 Dies machte das Gericht an der mangelhaften Prüfungsweise der Kommission fest, die in ihrer Entscheidung das bisher allgemein anerkannte dreistufige Prüfungsschema verlassen und damit ihre Kompetenzen überschritten hätte.692 Gegen das erstinstanzliche Urteil wurde durch die Kommission sowie Spanien Rechtsmittel eingelegt. In seinen Schlussanträgen schloss sich der zuständige Generalanwalt Jääskinen dem Urteil des Gerichts an. Er beantragte die Aufrechterhaltung des Urteils, da die Reform keine selektiven Merkmale aufweise. Die Reform begünstige nicht bestimmte Unternehmen oder Produktionszweige im Sinne eines Regel- und Ausnahmeverhältnisses und falle daher nicht unter den Tatbestand des Art. 107 Abs. 1 AEUV.693 Der Generalanwalt räumte dabei aber auch ein, dass der bisher praktizierte Ausnahmeansatz in der Praxis Probleme aufwirft und daher im juristischen Schrifttum durchaus kritisiert wird. Er bleibt letztlich aber dabei, dass der Ausnahmeansatz am ehesten der dem Beihilfebegriff zugrundeliegenden Logik entspricht und dabei die bestehende Kompetenzverteilung zwischen Union und Mitgliedstaat wahrt.694 Zwar hat der Generalanwalt wohl durchaus die Intention der Regierung von Gibraltar – die Schaffung eines selektiv begünstigenden, aber nicht beihilfewidrigen Steuersystems – erkannt, verweist jedoch darauf, dass das Beihil-

688 Seit 1713 ist Gibraltar ein Überseeterritorium des Vereinigten Königreichs Großbritanniens und Nordirlands, ist jedoch kein Teil des Vereinigten Königreichs im Sinne des innerstaatlichen Rechts. 689 Bezüglich der Autonomiekriterien vgl. EuGH, Urteil v. 11. 09. 2008, Rs. C-428/06 bis C-434/06, ECLI:EU:C:2008:488, Rn. 84 ff. – Unión General de Trabajadores de la Rioja; EuGH, Urteil v. 06. 09. 2006, Rs. C-88/03, ECLI:EU:C:2006:511, Rn. 57 ff. – Azoren. 690 EuG, Urteil v. 18. 12. 2008, Rs. T-211/04 und T-215/04, ECLI:EU:T:2008:595, Rn. 49 bis 117 – Gibraltar. 691 EuG, Urteil v. 18. 12. 2008, Rs. T-211/04 und T-215/04, ECLI:EU:T:2008:595, Rn. 170 – Gibraltar. Vgl. auch: Nicolaides/Rusu, EStAL 2012, 791 (799). 692 EuG, Urteil v. 18. 12. 2008, Rs. T-211/04 und T-215/04, ECLI:EU:T:2008:595, Rn. 174 – Gibraltar. 693 Schlussanträge des GA Jääskinen v. 07. 04. 2011, Rs. C-106/09 P und C-107/09 P, ECLI: EU:C:2011:215, Rn. 65 ff. und 239 – Gibraltar. 694 Schlussanträge des GA Jääskinen v. 07. 04. 2011, Rs. C-106/09 P und C-107/09 P, ECLI: EU:C:2011:215, Rn. 184 bis 189 – Gibraltar.

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Kap. 3: Materielle Voraussetzungen des Beihilfetatbestandes

ferecht nicht zur Bekämpfung des schädlichen Steuerwettbewerbs zwischen den Mitgliedstaaten missbraucht werden darf.695 In seinem Urteil ist der Europäische Gerichtshof der Auffassung seines Generalanwalts nicht gefolgt, sondern kam zu der Auffassung, dass die Steuerreform materiell selektiv ist.696 Er hob folgerichtig das Urteil des Gerichts auf.697 Er entwickelt dabei die von ihm geprägte langjährige Rechtsprechung hinsichtlich des dreistufigen Selektivitätsaufbaus für Steuermaßnahmen weiter.698 Entscheidend war für den Gerichtshof bereits vorher weniger die Suche nach einer Ausnahme von der Normalbesteuerung sondern mehr die Frage, ob eine Ungleichbehandlung von zwei Unternehmen vorliegt, die sich rechtlich und tatsächlich in einer vergleichbaren Situation befinden.699 In seinem Gibraltar-Urteil ging der Gerichtshof aber noch einen Schritt weiter. Ausgangspunkt des Gerichtshofs war auch hier, dass Unternehmen, die sich hinsichtlich des mit der Steuerreform verfolgten Ziels in einer rechtlich und tatsächlich vergleichbaren Lage befinden, ungleich behandelt werden.700 Richtigerweise erkannte der Gerichtshof dabei, dass – entgegen dem Vorbringen der Kläger – das Merkmal der Selektivität keineswegs ausschließlich anhand des Regel-Ausnahme-Verhältnisses bestimmt werden muss.701 Im Folgenden hat er daraufhin auf die Prüfung seines dreistufigen Aufbaus verzichtet und sich ausschließlich an einer faktischen Ungleichbehandlung von Unternehmen, die sich in einer vergleichbaren Situation befinden, orientiert. Der Gerichtshof sah im Ergebnis das komplette Körperschaftsteuersystem durch seinen Aufbau als intrinsisch selektiv an. Entscheidender Bedeutung kommt dabei der Feststellung des Gerichtshofs zu, 695 Schlussanträge des GA Jääskinen v. 07. 04. 2011, Rs. C-106/09 P und C-107/09 P, ECLI: EU:C:2011:215, Rn. 171 ff. – Gibraltar. 696 EuGH, Urteil v. 15. 11. 2011, Rs. C-106/09 P und C-107/09 P, ECLI:EU:C:2011:732, Rn. 183 bis 188 – Gibraltar. Da der EuGH bereits materielle Selektivität annahm, sind keine Ausführungen zur regionalen Selektivität gemacht worden. Vgl. zu diesem Urteil auch: RossiMaccanico, EStAL 2012, 443 (445); Nicolaides/Rusu, EStAL 2012, 791 (801); Temple Lang, EStAL 2012, 805 (807). 697 EuGH, Urteil v. 15. 11. 2011, Rs. C-106/09 P und C-107/09 P, ECLI:EU:C:2011:732, Rn. 191 – Gibraltar. 698 Vgl. EuGH, Urteil v. 02. 07. 1974, Rs. 173/73, ECLI:EU:C:1973:71, Rn. 33 bis 35 – Italien/Kommission; EuGH, Urteil v. 08. 09. 2011, Rs. C-78/08 bis C-80/8, ECLI:EU:C:2011: 550, Rn. 49 – Paint Graphos. 699 Zu dieser ständigen Rechtsprechung siehe: EuGH, Urteil v. 08. 11. 2001, Rs. C-143/99, ECLI:EU:C:2001:598, Rn. 41 – Adria-Wien Pipeline und Wietersdorfer & Peggauer Zementwerke; EuGH, Urteil v. 13. 02. 2003, Rs. C-409/00, ECLI:EU:C:2003:92, Rn. 47 – Spanien/Kommission; EuGH, Urteil v. 06. 09. 2006, Rs. C-88/03, ECLI:EU:C:2006:511, Rn. 56 – Azoren; EuGH, Urteil v. 11. 09. 2008, Rs. C-428/06 bis C 434/06, ECLI:EU:C:2008:488, Rn. 46 – Unión General de Trabajadores de la Rioja; EuGH, Urteil v. 22. 12. 2008, Rs. C-487/ 06 P, ECLI:EU:C:2008:757, Rn. 82 – British Aggregates/Kommission. 700 EuGH, Urteil v. 15. 11.2011, Rs. C-106/09 P und C-107/09 P, ECLI:EU:C:2011:732, Rn. 75 – Gibraltar. 701 Vgl. Nicolaides/Rusu, EStAL 2012, 791 (800); Rossi-Maccanico, EStAL 2012, 443 (446).

D. Selektivität

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dass eine Ungleichbehandlung auch erst durch die Verknüpfung und Anpassung mehrerer Steuervorschriften erreicht werden kann.702 Der Gerichtshof kommt daher zu dem Ergebnis, dass, auch wenn Besteuerungskriterien und Normen allgemein gehalten sind und sie damit individuell betrachtet nicht als selektiv anzusehen sind, sie doch durch ihre Verknüpfung selektive Wirkung entfalten können und damit eine Beihilfe im Sinne des Art. 107 Abs. 1 AEUV darstellen.703 Die Vergleichbarkeit der Unternehmen wurde dabei anhand des mit der Regelung verfolgten Ziels ermittelt: Ziel der Steuerreform war es, ein neues, allgemeines und für alle Unternehmen auf Gibraltar gültiges Steuersystem einzuführen. Im Hinblick auf dieses Regelungsziel befanden sich alle Unternehmen in einer vergleichbaren Situation. Durch die Auswahl und Verknüpfung der Steuerarten erhielten Offshore-Unternehmen innerhalb dieser Gruppe einen Vorteil. Allerdings reicht dem Gerichtshof die reine Anwendung allgemeiner Steuernormen nicht aus, um eine selektive Wirkung einer Beihilfe anzunehmen. Zusätzlich zu der faktisch-selektiven Wirkung müssen die Kriterien und Normen auch geeignet sein, die begünstigten Unternehmen anhand ihrer spezifischen Eigenarten als privilegierte Gruppe zu kennzeichnen. Ebendies sah der Gerichtshof als gegeben an, da die Nichtbesteuerung von Offshore-Unternehmen sich nicht als zufällige Folge der Regelung, sondern als unvermeidliche Konsequenz der gewählten Besteuerungsgrundlagen darstellt, da Offshore-Unternehmen typischerweise dadurch gekennzeichnet sind, dass sie weder Betriebsstätten unterhalten noch Personal beschäftigen.704 Dieser Vorhersehbarkeit der Folgen misst der Gerichtshof in seinem Urteil besondere Bedeutung bei.705 Folgerichtig werden Offshore-Unternehmen als spezifische Gruppe durch die gewählten Besteuerungsgrundlagen gezielt privilegiert. Die Steuerreform Gibraltars wurde folglich vom Gerichtshof als selektive Beihilfe eingestuft.706 Der Vollständigkeit halber sei hier noch angemerkt, dass der Europäischen Kommission nicht vorgeworfen werden kann, sie habe in ihrer Entscheidung ihre Kompetenzen überschritten. In ihrer Mitteilung über die Anwendung der Vorschriften über staatliche Beihilfen auf Maßnahmen im Bereich der direkten Unternehmensbesteuerung spricht sie die Möglichkeit eines Regel-Ausnahme-Verhältnisses zwar explizit an,707 damit ist aber keineswegs gesagt worden, dass die ma-

702

EuGH, Urteil v. 15. 11.2011, Rs. C-106/09 P und C-107/09 P, ECLI:EU:C:2011:732, Rn. 93 – Gibraltar. 703 EuGH, Urteil v. 15. 11.2011, Rs. C-106/09 P und C-107/09 P, ECLI:EU:C:2011:732, Rn. 101 – Gibraltar. 704 Temple Lang, EStAL 2012, 805 (809); Rossi-Maccanico, EStAL 2012, 443 (447). 705 Vgl. Nicolaides/Rusu, EStAL 2012, 791 (801). 706 EuGH, Urteil v. 15. 11.2011, Rs. C-106/09 P und C-107/09 P, ECLI:EU:C:2011:732, Rn. 104 ff. – Gibraltar. 707 Mitteilung der Kommission v. 10. 12. 1998 über die Anwendung der Vorschriften über staatliche Beihilfen auf Maßnahmen im Bereich der direkten Unternehmenssteuerung, ABl. EG 1998 Nr.C 384/3, Rn. 9.

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Kap. 3: Materielle Voraussetzungen des Beihilfetatbestandes

terielle Selektivität nur auf diese Art und Weise bestimmbar ist („vor allem“).708 Auch darf die Kommissionsmitteilung keineswegs derart verstanden werden, dass die Aufteilung der Steuerlast auf verschiedene Produktionsfaktoren709 komplett der beihilferechtlichen Kontrolle entzogen ist. Vielmehr können auch Vorteile, die sich aus einer grundsätzlich allgemeinen Maßnahme ergeben, selektive Wirkung entfalten.710 Die Kommission hat mit ihrem Vorgehen also zwar durchaus einen neuen Weg bei der Bestimmung materieller Selektivität von Steuervorschriften beschritten, ist dabei aber innerhalb ihres selbst gesteckten Rahmens geblieben. Gleichwohl hat das Urteil des Gerichtshofs letztlich im Ergebnis zu einer Einschränkung der mitgliedstaatlichen Hoheitsrechte und zu einer Ausweitung der Beihilfekompetenzen der Kommission geführt. 3. Die Selektivitätsprüfung seit dem Gibraltar-Urteil a) De-jure und de-facto Selektivität Die Selektivitätsprüfung lässt sich gedanklich in zwei Untergruppen teilen, die de-jure und die de-facto Selektivität. Eine Steuermaßnahme ist dabei de-jure selektiv, wenn sie schon ihrer Natur und Regelungstechnik nach bestimmten Unternehmen gegenüber ihren Konkurrenten eine Ausnahme von der Regelbesteuerung und damit eine Minderung ihrer gewöhnlich zu tragenden Steuerlast gewährt. Auch für Fälle, in denen solchen Unternehmen bereits unterschiedlichen Steuernormen unterliegen, ist eine Feststellung in der Regel durch Anwendung des dreistufigen Prüfungsschemas möglich. Durch die Vergleichbarkeitsprüfung hat der Gerichtshof in der Vergangenheit sein Prüfungsschema weiter ergänzt und sich von einem rein formalen RegelAusnahme-Verständnis entfernt. Schwieriger fällt die Einordnung von Maßnahmen, die zwar grundsätzlich alle Wirtschaftsteilnehmer gleichermaßen betrifft, also formal eine allgemeine Maßnahme ist, in ihrer Wirkung aber doch bestimmte Teilnehmer bevorzugt. Als de-facto selektiv sind solche staatliche Maßnahmen anzusehen, die ihrer Konzeption nach gerade nicht bestimmte Unternehmen bevorzugen. Ihrem Regelungsgehalt nach handelt es sich um allgemeine Maßnahmen, die in gleichem Maße alle Wirtschaftsteilnehmer betreffen. Unabhängig davon wirken sie sich aber faktisch begünstigend auf bestimmte Wirtschaftsteilnehmer aus oder betreffen bestimmte Wirtschaftsteilnehmer deutlich stärker, sodass es im Ergebnis doch zu einer selektiven Wirkung der Maßnahme kommt. Eine begünstigende Differenzierung findet 708 Vgl. dazu: EuGH, Urteil v. 15. 11.2011, Rs. C-106/09 P und C-107/09 P, ECLI:EU:C: 2011:732, Rn. 131 – Gibraltar. 709 Mitteilung der Kommission v. 10. 12. 1998 über die Anwendung der Vorschriften über staatliche Beihilfen auf Maßnahmen im Bereich der direkten Unternehmenssteuerung, ABl. EG 1998 Nr. C384/3, Rn. 14. 710 EuGH, Urteil v. 15. 11.2011, Rs. C-106/09 P und C-107/09 P, ECLI:EU:C:2011:732, Rn. 130 bis 132 – Gibraltar.

D. Selektivität

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durch die Maßnahme gerade nicht statt, und folgerichtig kommt es zum Versagen des traditionellen Prüfsystems. Dies gilt zunächst für Konstellationen – wie z. B. im Gibraltar-Urteil selbst – in denen die Selektivität durch die Verknüpfung mehrerer Normen erzeugt wird und es dadurch zu einer nicht zufälligen, sondern zu einer absehbaren Begünstigung einer identifizierbaren Unternehmensgruppe kommt. Auch die Untersuchungen der Kommission hinsichtlich der unterschiedlichen steuerlichen Behandlung bestimmter Sachverhalte gehen in diese Richtung.711 Wird anhand genannter Grundsätze eine de-facto Selektivität nachgewiesen, so ist im letzten Schritt die Rechtfertigung zu prüfen. Der Gerichtshof hat zwar seine Ermittlungsmethode hinsichtlich der Selektivität einer Maßnahme fortentwickelt, die möglichen Rechtfertigungsgründe sind jedoch gleichgeblieben. Trotz Ungleichbehandlung ist daher keine selektive Beihilfe gegeben, sofern die Ungleichbehandlung durch die Natur oder den inneren Aufbau des Steuersystems gerechtfertigt ist.712 b) Folgerungen für die Selektivitätsprüfung aa) Prüfsystematik In Teilen des Schrifttums wird aus der Gibraltar-Rechtsprechung des Gerichtshofs geschlossen, dass die Selektivitätsprüfung nur noch aus zwei Stufen besteht. Auf der ersten ist zu prüfen, ob zwei Unternehmen, die sich rechtlich und tatsächlich in einer vergleichbaren Situation befinden, durch die jeweils anzuwendenden Vorschriften steuerrechtlich ungleich behandelt werden. Auf der zweiten Stufe sei dann zu untersuchen, ob diese Ungleichbehandlung gerechtfertigt ist.713 Die beihilferechtliche Prüfung wird dabei letztlich zu einer besonderen Spielart der gleichheitsrechtlichen Prüfung.714

711 Vgl dazu: Entscheidung der Kommission v. 28. 10. 2009 über die steuerliche Abschreibung des finanziellen Geschäfts- oder Firmenwerts bei Erwerb von Beteiligungen an ausländischen Unternehmen C 45/07 (ex NN 51/07, ex CP 9/07) in Spanien, Az. K(2009) 8107, ABl. EU 2011 Nr. L 7/48. 712 In ständiger Rechtsprechung dazu: EuGH, Urteil v. 02. 07. 1974, Rs. 173/73, ECLI:EU: C:1973:71, Rn. 33 – Italien/Kommission; EuGH, Urteil v. 17. 06. 1999, Rs. C-75/97, ECLI:EU: C:1999:311, Rn. 33 – Belgien/Kommission; EuGH, Urteil v. 08. 11. 2001, Rs. C-143/99, ECLI: EU:2001:598, Rn. 42 – Adria-Wien Pipeline und Wietersdorfer & Peggauer Zementwerke; EuGH, Urteil v. 22. 12. 2008, Rs. C-487/06 P, ECLI:EU:C:2008:757, Rn. 88 – British Aggregates/Kommission; EuGH, Urteil v. 08. 09. 2011, Rs. C-78/08 bis C-80/08, ECLI:EU:C:2011: 550, Rn. 64 und 65 – Paint Graphos. Siehe auch: Lang, ÖStZ 2011, 593 (598). 713 Klemt, DStR 2013, 1057 (1058). 714 Lang, ÖStZ 2011, 593 (597); zustimmend: Grube, Der Einfluss des unionsrechtlichen Beihilfenverbots auf das deutsche Steuerrecht, S. 52. Zur Bedeutung des gemeinschaftsrechtlichen Gleichheitssatzes für Beihilfen siehe: Englisch, EuR 2009, 488 – 513. Für eine Abgrenzung des Beihilfenverbots von nationalen Gleichheitssätzen und den Europäischen Grundfreiheiten siehe: Sutter, Das EG-Beihilfenverbot und sein Durchführungsverbot in Steuersachen, S. 97 ff.

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Kap. 3: Materielle Voraussetzungen des Beihilfetatbestandes

Die europäischen Gerichte haben aber auch nach dem Gibraltar-Urteil weiter an einem dreistufigen Aufbau festgehalten.715 Es ist daher kein Grund ersichtlich, eine Abkehr vom bisherigen Prüfschema anzunehmen.716 Zu beachten ist aber, dass sich das Prüfungsschema dahingehend wandeln muss, dass Vorteil und Selektivität im Fall der steuerlichen Differenzierung durch einen gesetzlichen Tatbestand sehr häufig nicht vollkommen trennbar sein dürften. Zwar kann weiterhin festgehalten werden, dass die Vorteilsgewährung grundsätzlich von der Selektivität abgegrenzt werden muss;717 da es nicht auf die Regelungstechnik ankommt und bei der Bestimmung einer Beihilfe keine explizite Ausnahme von der für ein Unternehmen zu bestimmenden Regelbesteuerung nötig ist, kann sich die Bestimmung der normalen Steuerlast des Unternehmens als äußerst schwierig erweisen. Ein Steuervorteil ist nur gegeben, wenn die normalerweise zu tragende Steuerlast abgesenkt wird. Auch der Vorteil lässt sich folglich nur durch einen Vergleich mit der normalen Steuerlast ermitteln. Ohne explizite Ausnahme einer offensichtlichen Normalbesteuerung ist aber unklar, was genau dies ist. In Extremfällen kann der Vorteil nur durch die Bestimmung der Vergleichsgruppe und deren Steuerbelastung überhaupt ermittelt werden.718 Dabei muss in den ersten beiden Schritten die Steuerbelastung der begünstigten Unternehmen einerseits, sowie solcher, die sich in einer vergleichbaren Lage befinden, aber nicht von einer bestimmten Norm erfasst sind, bzw. die von einer anderen Norm erfasst werden andererseits, ermittelt werden. Der Vorteil ergibt sich dabei aus dem unterschiedlich hohen Besteuerungsniveau innerhalb der Vergleichsgruppe. In einem letzten Schritt ist dann zu prüfen, ob die Differenzierung möglicherweise gerechtfertigt ist.719 Vorteilsgewährung und Selektivitätsprüfung überschneiden sich in Extremfällen folgerichtig. bb) Herausgehobene Bedeutung der Vergleichbarkeitsprüfung Aufgrund der besonderen Bedeutung, die der Vergleichbarkeitsprüfung bei der Prüfung steuerlicher Beihilfen zukommt, geht die Generalanwältin des Gerichtshofs Kokott in ihren Schlussanträgen in der Rechtssache C-66/14 – Finanzamt Linz wohl sogar davon aus, dass es sich bei der Vergleichbarkeitsprüfung um eine neue, vierte Stufe in der Selektivitätsprüfung handelt.720 Unabhängig von der Frage, ob es sich bei der Vergleichbarkeitsprüfung tatsächlich um eine eigenständige, vierte Stufe in715

Vgl. z. B. EuG, Urteil v. 07. 11. 2014, Rs. T-399/11, ECLI:EU:T:2014:938, Rn. 33 ff.– Banco Santander und Santusa/Kommission. 716 Ebenfalls weiter einen dreistufigen Aufbau benutzend: Glatz, IStR 2016, 447 (449). 717 Vgl. beispielhaft: EuGH, Urteil v. 04. 06. 2015, Rs. C-15/14 P, ECLI:EU:C:2015:362, Rn. 59 – Kommission/MOL. 718 Vgl. dazu auch: Lang, ÖStZ 2014, 277 (280); Sutter, Das EG-Beihilfenverbot und sein Durchführungsverbot in Steuersachen, S. 100. 719 Ebenfalls eine stärker an der steuerlichen Differenzierung orientierte Beihilfeprüfung bevorzugend: Dobratz, in: Sieker (Hrsg.), Steuerrecht und Wirtschaftspolitik, S. 224. 720 Schlussanträge der Generalanwältin Kokott v. 16. 04. 2015, Rs. C-66/14, ECLI:EU:C: 2015:242, Rn. 85 und 109 – Finanzamt Linz.

D. Selektivität

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nerhalb des bekannten, bisher dreistufigen Schemas handelt, oder ob sie in die Suche nach dem Referenzsystem integriert wird, wird deutlich, dass der Vergleichbarkeitsprüfung herausragende Bedeutung zukommt. Sie ist Ausgangs- und Knackpunkt jeglicher Überlegung hinsichtlich der Selektivität einer Maßnahme. Die Ungleichbehandlung ist das kennzeichnende Wesensmerkmal der Selektivität. Ob eine Ungleichbehandlung vorliegt, kann weder abstrakt noch isoliert beantwortet werden, sondern muss im konkreten Einzelfall anhand des Sachverhalts und der tatsächlichen und rechtlichen Umstände überprüft werden.721 Bei der Beurteilung der Gleichbehandlung darf nicht nur die gesetzliche Ausgangslage analysiert werden. Vielmehr muss auch die gelebte Steuerpraxis miteinbezogen werden. Die konsistenteste Regelung ist gegenstandslos, wenn sie zu Gunsten bestimmter Unternehmen ungerechtfertigterweise durchbrochen wird. Die für Beihilfen nicht ausreichend ausgeprägte Rechtfertigungsebene führt dabei zu der Besonderheit, dass die Abgrenzung der Vergleichsgruppe sehr genau erfolgen muss, da sich eine nachträgliche Rechtfertigung als äußerst schwer erweist.722 Ungleichbehandlungen können bei Verletzungen der europäischen Grundfreiheiten ebenso wie im deutschen Verfassungsrecht (Art. 3 Abs. 1 GG) grundsätzlich auf zwei Arten legitimiert sein: Zum einen kann schon keine (objektive) Vergleichbarkeit fehlen und damit kein Eingriff vorliegen. Zum anderen kann die Ungleichbehandlung im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung als gerechtfertigt anzusehen sein. Die Vergleichbarkeit fungiert dabei im Wesentlichen als Grobprüfung, wohingegen über die Verhältnismäßigkeit die Feinjustierung erfolgt.723 Für das Beihilferecht ergibt sich nun die Besonderheit, dass diese Feinjustierung durch die Verhältnismäßigkeitsprüfung bisher nicht vorgesehen ist.724 Die Bestimmung der Vergleichbarkeit muss daher in besonderem Maße zielgenau erfolgen und wird letztlich zum „Nadelöhr“ der Prüfung. Der Vergleichsgruppenbildung kommt für die Selektivität daher ein erhebliches Gewicht zu.725 Diese Bedeutung wird vor dem Hintergrund der immer weiter reichenden Beihilfekontrolle der Kommission wohl sogar noch weiter zunehmen. Zukünftig wäre die Anerkennung weiterer Rechtfertigungsgründe wünschenswert. Durch die Ausdehnung der Eingriffsdefinition sah sich der Gerichtshof im Rahmen der Grundfreiheiten zur Anerkennung ungeschriebener Rechtfertigungsgründe gezwungen. Es stellt sich die Frage, ob dies in Anbetracht der 721

Lehnert, Die Korrektur von gemeinschaftswidrigen Beihilfen in Form von Steuervergünstigungen, S. 38. 722 In Teilen wird die Genehmigungsmöglichkeit durch die Europäische Kommission als Gegengewicht angesehen. Vgl. Lehnert, Das EG-Beihilfenverbot und sein Durchführungsverbot in Steuersachen, S. 104. Dem muss aber entgegengehalten werden, dass die europäischen Gerichte an diese Genehmigung nicht gebunden sind. Hier entfällt dieses Korrektiv. 723 Dobratz, in: Sieker (Hrsg.), Steuerrecht und Wirtschaftspolitik, S. 223. 724 Trotzdem hat der Gerichtshof in seinem Urteil Paint Graphos erstmals eine solche vorgenommen. Vgl. EuGH, Urteil v. 08. 09. 2011, Rs. C-78/08 bis C-80/08, ECLI:EU:C:2011: 550 – Paint Graphos. 725 So z. B. EuG, Urteil v. 04. 02. 2016, Rs. T-287/11, ECLI:EU:T:2016:60, Rn. 125 bis 138 – Heitkamp BauHolding/Kommission.

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Kap. 3: Materielle Voraussetzungen des Beihilfetatbestandes

Ausweitung des Beihilfebegriffs nicht mittlerweile ebenfalls angebracht wäre. Die Frage nach einer Ungleichbehandlung würde damit an Relevanz verlieren, weil sie durch eine sachgerechte Ausgestaltung steuerimmanenter Rechtfertigungsgründe gerechtfertigt werden könnte. Obwohl der Maßstab zwar möglichst klein angelegt werden muss, erfordert die Vergleichsgruppenbildung letztlich immer eine wertende Betrachtungsweise.726 Um zu einem sachgerechten Ergebnis zu kommen, muss die Vergleichsgruppe zwar einerseits möglichst eng abgesteckt werden, andererseits darf nicht durch die geschickte Wahl eines Differenzierungskriteriums jegliche Vergleichbarkeit abgelehnt werden. Es bleibt eine Gratwanderung. Die Tatsache, dass bei Vergleichbarkeit eine unterschiedliche Besteuerung stattfindet, genügt dabei zur Annahme einer selektiven Steuerregelung. Wettbewerbsgesichtspunkte bleiben außer Betracht. Zwar wird die Reichweite der Selektivitätsprüfung damit zunächst ausgeweitet, dies führt jedoch nicht automatisch zu einem massiven Anstieg rechtswidriger Beihilfen. Die uferlose Ausweitung des Beihilferechts wird durch eine korrekte Anwendung der Wettbewerbsverfälschung gesteuert. Entscheidend ist, dass es durch die steuerliche Ungleichbehandlung auch zu einer negativen Beeinflussung des Wettbewerbs kommt. cc) Die Selektivität als steuerliche Differenzierungsprüfung (1) Keine per se Selektivität von steuerlichen Differenzierungen Für den steuerpolitischen Handlungsspielraum der Mitgliedstaaten ist bei all dem von essenzieller Bedeutung, dass der Gerichtshof auch nach dem Gibraltar-Urteil steuerliche Differenzierungen anhand gesetzlich festgelegter Voraussetzung bisher nicht pauschal abgelehnt hat.727 Im Gegenteil, er hat in der Rechtssache C-6/12 – P Oy728 explizit betont, dass eine anhand von objektiven Kriterien erfolgte steuergesetzliche Differenzierung keineswegs zur Selektivität führen muss.729 Zwar sah er im genannten Urteil die Maßnahme letztlich als selektiv an, das lag aber nicht an der Differenzierung an sich. Auch im Fall der Sanierungsklausel hat das Gericht die Selektivität nicht per se aufgrund aufgestellter Tatbestandsvoraussetzungen angenommen. Die Frage nach einer unterschiedlichen Besteuerung anhand von Kriterien tritt auch bei der Besteuerung bestimmter Einkunftsarten im Rahmen einer Schedulenbesteuerung auf. Beispielhaft sei hier z. B. auf die steuerliche Privilegierung von Einnahmen aus Marken- und Patentrechten im Rahmen von sog. IP-Boxen verwiesen. Auch diese sind keinesfalls per se als selektiv anzusehen. Die Tatsache, 726

Sutter, in: Sieker (Hrsg.), Steuerrecht und Wirtschaftspolitik, S. 181. Vgl. EuGH, Urteil v. 29. 03. 2012, Rs. C-417/10, ECLI:EU:C:2012:184, Rn. 42 – 3M Italia. Dem Gedanken, alle Steuergesetze seien aufgrund der dort vorgenommenen Differenzierungen selektiv, entgegentretend: Kokott, in: Lang (Hrsg.), Europäisches Steuerrecht, S. 539. Vgl. auch: Schön, ZHR 2019, 393 (398 f.). 728 EuGH, Urteil v. 18. 07. 2013, Rs. C-6/12, ECLI:EU:C:2013:525, Rn. 26 und 27 – P Oy. 729 In der Rechtssache war dabei aber das bestehende, weite Ermessen der Behörden problematisch. 727

D. Selektivität

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dass bestimmte Einkunftsarten privilegiert werden, und dass daran Voraussetzungen geknüpft werden, vermag an sich keine Beihilfe zu begründen.730 (2) Bedeutung der Systemimmanenz für die Differenzierung Die Beihilfewidrigkeit einer Differenzierung ergibt sich folgerichtig nicht aus der Tatsache, dass überhaupt Voraussetzungen aufgestellt werden, sondern aus ihrer nicht beihilfekonformen Auswahl und Ausgestaltung. Das bringt die Frage mit sich, wie sachgerechte, steuerliche Differenzierungen und willkürliche Begünstigungen unterschieden werden sollen. Die Absicht des handelnden Hoheitsträgers kann dabei nicht als ausschlaggebendes Kriterium herangezogen werden. Es ist zwar richtig, zwischen sachgerechten Differenzierungen und willkürlichen Ungleichbehandlungen zu differenzieren, die Absicht des Gesetzgebers wird sich aber nur schwer ermitteln und beweisen lassen. Dieser wird im Zweifel bestreiten, dass die Maßnahme mit dem Ziel erlassen wurde, eine Wettbewerbsverzerrung zu erzeugen. Im Gegenteil: bei realitätsnaher Betrachtung werden die Mitgliedstaaten in diesen Fällen sogar geneigt sein, eben diese Absichten zu verschleiern. Zwar sollten Überprüfungs- und Umsetzungsschwierigkeiten in der Praxis einer sachgerechten Bewertung des Einzelfalls nicht im Weg stehen, hier wären aber so massive Beweisschwierigkeiten bis hin zur Unmöglichkeit gegeben, dass eine sachgerechte Bewertung nicht mehr gewährleistet werden könnte. Richtigerweise wird daher im Schrifttum dafür plädiert, dass die Bestimmung einer Beihilfe maßgeblich nach der Systemwidrigkeit beurteilt werden sollte; unabhängig von der Regelungstechnik oder der Perspektive. Ob man bestimmte Gruppen von Wirtschaftsteilnehmern eher als begünstigt oder andere als belastet ansieht, kann kein Kriterium sein. Entscheidend ist die systemwidrige Differenzierung. Sollten nach dem Aufbau und der inneren Logik des Steuersystems die nicht betroffenen Unternehmen grundsätzlich auch von der Sonderlast erfasst werden, oder umgekehrt die von der Sonderlast betroffenen Unternehmen nur von der Regelbesteuerung umfasst sein, dann ist von einer Beihilfe im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV auszugehen. Es erscheint daher nur richtig, diesen Rechtfertigungsgrund spiegelbildlich zu übertragen und auch Belastungen vom Beihilfebegriff auszunehmen, sofern dies nicht systemwidrig ist. Im Ergebnis kann daher festgehalten werden, dass nicht jede steuerliche Ungleichbehandlung unter den Tatbestand des Art. 107 Abs. 1 AEUV fällt. Spezifische Unternehmensbesteuerungen werden nicht automatisch unionsrechtswidrig; betroffen sind nur solche, denen die Begünstigung eines spezifischen Unternehmenskreises immanent ist und die daher ihrer Natur nach einen wettbewerbsverzerrenden Charakter haben. Die entscheidende Weichenstellung erfolgt immer über die Vergleichsgruppenbildung im Einzelfall. Damit wird 730 Dem deutschen Recht ist eine solche Aufspaltung der Einkunfstarten auch keinesfalls vollkommen unbekannt. Beispielhaft sei hier auf die unterschiedliche Besteuerung von Kapitaleinkünften und sonstigen Einkünften verwiesen. Vgl. Sutter, in: Sieker (Hrsg.), Steuerrecht und Wirtschaftspolitik, S. 225.

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Kap. 3: Materielle Voraussetzungen des Beihilfetatbestandes

verhindert, dass jede Belastung, die nur bestimmte Gruppen erfasst, zu einer rechtswidrigen Beihilfe wird, nur weil sie im Verhältnis zu anderen in irgendeiner Form schlechter gestellt werden.731 Eine Beihilfe ist nur gegeben, wenn sich die betroffenen Unternehmen auch in einer rechtlich und tatsächlich vergleichbaren Situation befinden und sofern sie das tun, die Ungleichbehandlung nicht durch den Aufbau und die innere Logik des Steuersystems gerechtfertigt ist. Werden hingegen sachgerechte Differenzierungen entlang einer nachvollziehbaren Trennlinie vorgenommen und diese stringent umgesetzt, kann nicht von einer Beihilfe ausgegangen werden.732 Die Orientierung an der Systemimmanenz deckt sich auch mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs in der Rechtssache C-6/12 – P Oy.733 Wie gesagt, war hier nicht die Differenzierung an sich problematisch. Entscheidend war vielmehr der systemfremde Einsatz des Steuerrechts als Mittel der Beschäftigungspolitik und der Arbeitsplatzsicherung.734 Der Gerichtshof sah für die gemachte Differenzierung keine originär steuerlichen Ziele gegeben. Ähnliche Überlegungen schimmern auch im Urteil des Gerichts im Fall der Sanierungsklausel durch. Auch hier wurde eine Selektivität der Maßnahme nicht daran festgemacht, dass die Möglichkeit des Verlustvortrags von Kriterien abhängig gemacht wurde. Die Tatsache, dass Unternehmen die Kriterien erfüllen und damit einen Verlust vortragen dürfen, während dies Unternehmen, die die Kriterien nicht erfüllen, verwehrt bleibt, wurde nicht per se als selektiv angesehen. Problematisch war vielmehr, dass die gewählten Kriterien das vorgetragene Ziel der Missbrauchsbekämpfung nicht sachgerecht widerspiegelten. Auch hier hat sich das Gericht nicht gegen die Ungleichbehandlung durch Kriterien im Generellen ausgesprochen, sondern gegen ihre nicht sachgerechte Umsetzung und die Verwendung des Steuerrechts als Mittel zur Arbeitsplatzerhaltung. Das Gericht hätte sich wohl originär steuerrechtlichen Differenzierungsgründen nicht in den Weg gestellt. Das hier keine originär steuerrechtlichen Kriterien als Differenzierungsgrund gewählt wurden, wird insbesondere deutlich, wenn man sich vor Augen führt, dass der Verlustvortrag auch Unternehmen verweigert wird, bei denen keine Missbrauchsgefahr vorliegt und die sogar – mit Ausnahme der Insolvenz – alle sonstigen Voraussetzungen der Rückausnahme erfüllt hätten.735 Es stellt sich daher notwendigerweise die Frage, wieso das Kriterium der Insolvenz zum „Zünglein an der Waage“ wird. Es steht in keinem Sachzusammenhang mit der 731

Frenz, DStZ 2016, 141 (148); Frenz/Roth, DStZ 2006, 465 (467). So wurde z. B. die in Deutschland eingeführte einseitige Erhebung einer Steuer auf die Verwendung von Kernbrennstoff für die gewerbliche Erzeugung von elektrischem Strom nicht als selektiv angesehen, obwohl eine vergleichbare Regelung für andere – mit Kernbrennstoff konkurrierende – Brennstoffe nicht existiert. Vgl. dazu: EuGH, Urteil v. 04. 06. 2015, Rs. C-5/ 14, ECLI:EU:C:2015:354, Rn. 69 bis 80 – Kernkraftwerke Lippe/Ems. Siehe auch: Frenz, DStZ 2016, 141 (148). 733 EuGH, Urteil v. 18. 07. 2013, Rs. C-6/12, ECLI:EU:C:2013:525, Rn. 26 und 27 – P Oy. 734 Sutter, in: Sieker (Hrsg.), Steuerrecht und Wirtschaftspolitik, S. 193. 735 EuG, Urteil v. 04. 02. 2016, Rs. T-287/11, ECLI:EU:T:2016:60, Rn. 133 – Heitkamp BauHolding/Kommission. 732

D. Selektivität

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Missbrauchsbekämpfung. Letztlich soll mit der Maßnahme nur erreicht werden, dass sich bestimmte Unternehmen am Markt halten können, indem ihnen der Verlustvortrag gestattet wird. Die Regelung begünstigt folgerichtig von der Insolvenz bedrohte Unternehmen gegenüber solchen, die nicht zahlungsunfähig sind, obwohl sich beide hinsichtlich der Gefahr des Missbrauchs von Verlustvorträgen in einer vergleichbaren Situation befinden. dd) Selektivität und spezifische Eigenart der Unternehmen Die Problematik der Selektivität von Differenzierungskriterien ist eng mit der Frage der faktischen Bevorzugung bestimmter Unternehmen verbunden. Wie bereits dargelegt, wird die Vergleichbarkeitsprüfung nach derzeitigem Stand zum Gradmesser der Selektivität. Zwar führen Tatbestandsvoraussetzungen nicht automatisch zur Selektivität einer Maßnahme, allerdings stellt sich die Frage, ob in einigen Konstellationen nicht doch bestimmte Wirtschaftsteilnehmer durch die Auswahl der Kriterien faktisch bevorzugt werden, die Kriterien also intrinsisch selektiv sind.736 Ob dies der Fall ist, muss in jedem Einzelfall geprüft werden. Besondere Aufmerksamkeit verdient hierbei das Vorgehen der zuständigen Generalanwältin Kokott in der Rechtssache C-66/14 – Finanzamt Linz.737 Ihr Vorgehen in genannter Sache ist dahingehend bemerkenswert, dass sie zwar die, aufgrund der spezifischen Gegeben- und Besonderheiten, getroffenen Aussagen und Wertungen des Gerichtshofs in der Rechtssache Gibraltar aufgreift und verallgemeinert, gleichzeitig aber deren Einschränkungen betont. Der Gerichtshof hat mit seiner Gibraltar-Rechtsprechung die Bedeutung faktischer Selektivität betont. Zentrales Element ist dabei die steuerliche Ungleichbehandlung vergleichbarer Unternehmen geworden. Würde man dem Urteil nur diese Grundaussage entnehmen, so würde eine uferlose Ausweitung des Beihilfebegriffs drohen. Zwar begrenzt die Vergleichbarkeitsprüfung selbst die Reichweite der de-facto Selektivität, es bedarf aber trotzdem darüber hinaus eines einschränkenden Korrektivs. Dieses besteht in der Kontrollüberlegung, ob tatsächlich bestimmte oder zumindest bestimmbare Wirtschaftsteilnehmer bevorzugt werden sollen, oder ob es sich nicht nur um zufällige Folgen einer Norm handelt. Bei Ersterem handelt es sich um eine Beihilfe, bei Letzterem gerade nicht. Ihr Vorgehen ist scheinbar vor der ernsten und berechtigten Sorge des uferlosen Beihilfebegriffs getrieben und vor diesem Hintergrund zu begrüßen.738 Es muss auch vor dem Hintergrund des derzeitigen Handelns der Europäischen Kommission gesehen werden. Diese hat ausgehend von der Gibraltar-Rechtsprechung ihre Beihilfekontrolle erheblich ausgeweitet. Besonders bedenklich erscheint dabei ihre derzeitige Tendenz, auch aus der allgemein-steuerlichen Bewertung bestimmter 736

So wie die Wahl und Verknüpfung der Steuerarten im Falle Gibraltars als intrinsich selektiv angesehen wurden. 737 Vgl. Schlussanträge der Generalanwältin Kokott v. 16. 04. 2015, Rs. C-66/14, ECLI:EU: C:2015:242 – Finanzamt Linz. 738 So auch: Sutter, in: Sieker (Hrsg.), Steuerrecht und Wirtschaftspolitik, S. 185.

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Kap. 3: Materielle Voraussetzungen des Beihilfetatbestandes

Vorgänge eine Beihilfe abzuleiten, sofern dies zur Bevorzugung bestimmter Unternehmen in irgendeiner Form führt. So stuft sie auch Maßnahmen, die allen Unternehmen offenstehen, als selektive Beihilfe ein, nur, weil manche Wirtschaftsteilnehmer – im Gegensatz zu anderen – einen Vorgang überhaupt oder mit größerer Wahrscheinlichkeit durchführen.739 Dies überzeugt nicht ohne Weiteres und muss vor dem Hintergrund der mitgliedstaatlichen Steuerhoheit besonders kritisch betrachtet werden. Die Verteilung der Steuerlast auf verschiedene Faktoren liegt in der Kompetenz der Mitgliedstaaten.Diese können durchaus die Besteuerung anhand verschiedener Faktoren ausrichten und so eine steuerliche Ungleichbehandlung von Unternehmen herbeiführen. In ihrer Mitteilung über die Anwendung der Vorschriften über staatliche Beihilfen auf Maßnahmen im Bereich der direkten Unternehmensbesteuerung740 hat die Kommission selbst erkannt, dass das Beihilferecht nicht die Befugnis der Staaten einschränken darf, die für sie vorteilhafteste Wirtschaftspolitik zu wählen, „insbesondere die Steuerbelastung so auf die Produktionsfaktoren zu verteilen, wie es ihren Vorstellungen entspricht“.741 Nutzen aber konkurrierende Unternehmen bestimmte Produktionsfaktoren unterschiedlich stark, so kommt es immer zu einer unterschiedlich hohen Steuerbelastung der Unternehmen. Alleine deshalb darf aber nicht von einer selektiven Beihilfe ausgegangen werden. So müssen z. B. die Energie- und Stromsteuer von Unternehmen in der Höhe entrichtet werden, wie sie einen tatsächlichen Verbrauch haben. Unternehmen mit einem geringeren Verbrauch tragen folglich auch nur eine geringere Steuerlast als Unternehmen mit einem hohen Verbrauch. Alleine durch die höhere Steuerlast kann daraus aber nicht automatisch eine beihilfewidrige Steuerlast werden.742 Diese grundlegende Kompetenzverteilung darf nicht dadurch umgangen werden, dass in der Festlegung der Kriterien selbst das Beihilfeelement vermutet wird. Ein solches Vorgehen hätte für die mitgliedstaatliche Steuerhoheit tiefgehende Umwälzungen zur Folge. Der Kommission kann grundsätzlich dahingehend zugestimmt werden, dass sich ein Mitgliedstaat der Einordnung einer Maßnahme als Beihilfe nicht durch den Verweis entziehen kann, die Vergünstigung stünde rechtlich allen Wirtschaftsteil739

Entscheidung (2011/5/EG) der Kommission v. 28. 10. 2009 über die steuerliche Abschreibung des finanziellen Geschäfts- oder Firmenwerts bei Erwerb von Beteiligungen an ausländischen Unternehmen C 45/07 (ex NN 51/07, ex CP 9/07) in Spanien, Az. K(2009) 8107, ABl. EU 2011 Nr. L 7/48, Rn. 83 ff. 740 Mitteilung der Kommission v. 10. 12. 1998 über die Anwendung der Vorschriften über staatliche Beihilfen auf Maßnahmen im Bereich der direkten Unternehmenssteuerung, ABl. EG 1998 Nr. C 384/3. 741 Mitteilung der Kommission v. 10. 12. 1998 über die Anwendung der Vorschriften über staatliche Beihilfen auf Maßnahmen im Bereich der direkten Unternehmenssteuerung, ABl. EG 1998 Nr. C 384/3, Rn. 13. 742 Auch wurde z. B. die in Deutschland eingeführte einseitige Erhebung einer Steuer auf die Verwendung von Kernbrennstoff für die gewerbliche Erzeugung von elektrischem Strom nicht als selektiv angesehen, obwohl eine vergleichbare Regelung für andere – mit Kernbrennstoff konkurrierende – Brennstoffe nicht existiert. Vgl. dazu: EuGH, Urteil v. 04. 06. 2015, Rs. C-5/ 14, ECLI:EU:C:2015:354, Rn. 69 bis 80 – Kernkraftwerke Lippe/Ems; siehe auch: Frenz, DStZ 2016, 141 (148).

D. Selektivität

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nehmern zu, wenn sie faktisch aber nur von bestimmten in Anspruch genommen werden kann, z. B. weil andere Unternehmen dafür langwierige Anpassungsprozesse743 durchführen müssten.744 So ist etwa die steuerliche Begünstigung einer Rechtsform für die Selektivität grundsätzlich kein Anknüpfungspunkt, solange sie grundsätzlich von sämtlichen Unternehmen (unabhängig von Größe, Branche, etc.) in Anspruch genommen werden kann.745 Auch ist der Kommission darin zuzustimmen, dass es für die Einstufung als Beihilfe nicht erforderlich sein darf, ob sich im Vorfeld der Maßnahme der Begünstigtenkreis klar abgrenzen lassen muss. Es muss aber im Gegenzug verlangt werden, dass sich die begünstigten Unternehmen überhaupt abgrenzen lassen. Entscheidend ist demnach in solchen Konstellationen nicht, ob es Unternehmen gibt, die einen Vorteil aus der Regelung ziehen, sondern, dass sich der Vorteil auf eine abgrenzbare Gruppe beschränkt. Die Bedeutung dieser Einschränkung für die Mitgliedstaaten darf nicht unterschätzt werden.746 Dabei kann es für die Annahme einer selektiven Wirkung auch nicht ausreichend sein, dass nur diejenigen Wirtschaftsteilnehmer, die die Voraussetzungen erfüllen, die Maßnahme in Anspruch nehmen können. In letzter Konsequenz würde dies dazu führen, dass alle Maßnahmen, die an Voraussetzungen gebunden sind, selektiv sind.747 Die durch die Maßnahme begünstigten Unternehmen müssen sich aber anhand ihrer spezifischen Charakteristika identifizieren und beschreiben lassen. Es muss daher von der Kommission gefordert werden, dass sie beweist, dass die fraglichen Transaktionen typischerweise von bestimmten, charakterisierbaren und identifizierbaren Wirtschaftsteilnehmern durchgeführt werden, sodass es sich letztlich um eine geplante und vorhersehbare – wenn auch verdeckte – Begünstigung dieser Wirtschaftsteilnehmer handelt.748 Aus rein zufälligen Folgen darf ebenso wenig eine Selektivität abgeleitet werden, wie diese an der schlichten Tatsache festgemacht werden darf, dass einige Unternehmen einen steuerbegünstigten Vorgang häufiger vornehmen als andere. Dieses Verständnis würde häufig zu der falschen Annahme einer Beihilfe für große Unternehmen führen, da bei diesen typischerweise sämtliche Transaktionen und Wirtschaftsvorgänge häufiger anfallen. Umgekehrt käme man bei belastenden Normen für Transaktionen zum Ergebnis der Beihilfe bei kleineren Unternehmen, da diese bestimmte Transaktionen typischerweise seltener durchführen. Daher ist es erforderlich, dass zusätzlich zur entlas743 Beispielhaft seien hier die Änderung der Gesellschaftsform, des Unternehmensgegenstandes oder die Verlegung des Unternehmenssitzes genannt. 744 Englisch, in: Brandt (Hrsg.), Europäische Perspektiven im Steuerrecht, Steuergerechtigkeit und Steuervereinfachung, S. 105. 745 Rode, Steuervergünstigungen, Beihilfen und Steuerwettbewerb, S. 325. 746 Nicolaides, Journal of European Competition Law & Practice 2015, 315 (322). 747 Dies ablehnend: EuGH, Urteil v. 29. 03. 2012, Rs. C-417/10, Rn. 42 – 3M Italia; EuG, Urteil v. 07. 11. 2014, Rs. T-399/11, ECLI:EU:T:2014:938, Rn. 72 – Banco Santander und Santusa/Kommission. 748 So auch der EuGH in der Rechtssache Gibraltar, in der er die Wichtigkeit der Identifzierbarkeit und der objektiven Vorhersehbarkeit der Begünstigung betont. Vgl. EuGH, Urteil v. 15. 11. 2011, Rs. C-106/09 P und C-107/09 P, ECLI:EU:C:2011:732, Rn. 101 – Gibraltar.

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Kap. 3: Materielle Voraussetzungen des Beihilfetatbestandes

tenden Wirkung der Begünstigtenkreis deutlich herausgehoben identifizierbar ist. Eine schlichte Identifizierbarkeit anhand der Merkmale „groß“ oder „kapitalstark“ reicht dabei grundsätzlich nicht aus. Das schließt nicht aus, dass nicht doch im Einzelfall eine missbräuchliche Gestaltung gewählt wird, um große Wirtschaftsteilnehmer bewusst zu bevorzugen, z. B. indem (willkürlich) hohe Grenzen gezogen oder Anforderungen gestellt werden, sodass es faktisch zu einem Ausschluss sämtlicher anderer Wirtschaftsteilnehmer kommt.749 In diesen Fällen muss dann aber verlangt werden, dass die Kommission aufzeigt, worin die missbräuchliche Gestaltung liegt, z. B. warum die gewählten Grenzen willkürlich und nicht sachgerecht sind. Der Europäische Gerichtshof selbst hat diesbezüglich bisher leider keine klare Linie verfolgt. So nahm er bei einer Steuerbefreiung für bestimmte Transaktionen im Bankensektor Selektivität an, da solche Unternehmen bevorzugt würden, die die erfassten Transaktionen durchführen.750 Eine selektive Steuervergünstigung ließ sich hingegen nach Ansicht des Gerichtshofs in einem anderen Fall nicht darauf stützen, dass sie faktisch bei bestimmten Unternehmen häufiger anfallen kann als bei anderen.751 In seinem Urteil bzgl. der sog. Spanischen Firmenwertabschreibungen hat er hingegen nun die Auffassung vertreten, dass nicht verlangt werden kann, dass die Kommission bestimmte typische und spezifische Merkmale ermittelt, die den vom Steuervorteil begünstigten Unternehmen gemein sind und aufgrund derer sie von denjenigen unterschieden werden können, die davon ausgeschlossen sind. Vielmehr kommt es tatsächlich auf deren begünstigende Wirkung an.752 Er hat damit seine in der Gibraltar-Rechtsprechung aufgestellten Grundsätze faktisch in Teilen zurückgenommen. Im Ergebnis hat er den Selektivitätsbegriff ausgeweitet und den Gestaltungsspielraum der Mitgliedstaaten beschnitten. Zwar ist dem Gerichtshof zuzustimmen, dass die begünstigende Wirkung entscheidend sein muss, allerdings bleibt fraglich, wie diese bestimmt werden muss, wenn eine privilegierte Gruppe gerade nicht definiert werden muss. Nach hier vertretener Ansicht ist die Abgrenzung einer tatsächlich begünstigten Gruppe unerlässlich für die Bestimmung der faktischen Selektivität. Ohne diese droht nicht nur ein uferloser faktischer Selektivitätsbegriff, sondern auch eine weniger objektive, dafür deutlich wertungsabhängi749 Die Abgrenzung des Begünstigtenkreises kann sich dabei durchaus durch Identifikation und Abgrenzug der ausgeschlossenen Gruppe vollziehen. So auch: EuG, Urteil v. 29. 09. 2000, Rs. T-55/99, ECLI:EU:T:2000:223, Rn. 39, 40 und 47 – CETM/Kommission. 750 EuGH, Urteil v. 15. 12. 2005, Rs. C-148/04, ECLI:EU:C:2005:774, Rn. 47 und 50 – Unicredito Italiano. Der Gerichtshof nahm ebenso Selektivität zugunsten von Unternehmen mit überproportional hohem weiblichem Beschäftigungsanteil an, bei der Übernahme der Kosten für Krankenversicherungen für weibliche Angestellte. Siehe: EuGH, Urteil v. 14. 07. 1983, Rs. 203/82, ECLI:EU:C:1983:21, Rn. 8 – Kommission/Italien. 751 EuGH, Urteil v. 19. 09. 2000, Rs. C-156/98, ECLI:EU:C:2000:467, Rn. 22 – Deutschland/Kommission. In diesem Sinne auch: Englisch, in: Brandt (Hrsg.), Europäische Perspektiven im Steuerrecht, Steuergerechtigkeit und Steuervereinfachung, S. 105. 752 EuGH, Urteil v. 21. 12. 2016 Rs. C-20/15 P, ECLI:EU:C:2016:981, Rn. 78 ff. – Kommission/World Duty Free Group.

D. Selektivität

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gere Selektivitätsprüfung. Die Folge ist größere Unsicherheit bei Mitgliedstaaten, Rechtsanwendern und Steuerpflichtigen.

III. Fazit zur Selektivität Das Kriterium der Selektivität bleibt nach wie vor das entscheidende Tatbestandsmerkmal des europarechtlichen Beihilfeverbots. Es ist für die Einordnung einer Steuermaßnahme als Beihilfe von universeller und grundlegender Bedeutung. Während die regionale Selektivität als umfassend aufgearbeitet erscheint, bleiben bei der materiellen Selektivität weiterhin Fragen offen. Dies liegt zum einen an den bisher nicht abschließend beantworteten Fragen bezüglich des Prüfungsschemas, zum anderen am Spannungsverhältnis, in dem sich nationale Souveränitätsrechte und unionale Kompetenzen begegnen, und dessen Konfliktpunkte häufig Fragen der Selektivität betreffen.753 Die materielle Selektivität setzt dem politischen und wirtschaftlichen Gestaltungsspielraum der Mitgliedstaaten Grenzen und wird damit auch zur wesentlichen Stellschraube in der Kompetenzverteilung zwischen Mitgliedstaaten und europäischen Institutionen.754 Das Selektivitätskriterium wird dabei vorwiegend durch die Rechtsprechung der europäischen Gerichte geprägt und konkretisiert. Diese Rechtsprechung ergibt weniger ein allumfassendes und abschließendes System zur Beurteilung staatlicher Maßnahmen, sondern vielmehr ein Stückwerk aus Einzelfällen. Jedes Urteil ist lediglich Fragment eines Puzzles und muss in das Gesamtbild eingeordnet werden. Der Trend geht dabei zur immer weiteren Einschränkung der steuerlichen Autonomie der Mitgliedstaaten. Insbesondere die Ablehnung jeglicher externer Zielsetzungen als Rechtfertigungsgründe durch Kommission und Gerichtshof haben dabei den Mitgliedstaaten Gestaltungsspielräume genommen. Damit geht das Problem der ständigen Zunahme von Steuernormen und Maßnahmen der Mitgliedstaaten einher. Die immer größer werdende Normenvielfalt macht es zunehmend schwierig, selektive und allgemeine Maßnahmen voneinander zu unterscheiden.755 Nicht nur die Festlegung von Regel- und Ausnahmebesteuerung, sondern auch die Unterscheidung von selektiven und allgemeinen Normen wird folgerichtig immer schwerer. Anhand der Grundsätze des Gibraltar-Urteils muss dabei auch überprüft werden, ob es sich um eine allgemein gehaltene, aber faktisch selektive Maßnahme handelt. Diese Rechtsprechung des Gerichtshofs greift sehr weit in die mitgliedstaatliche Steuerhoheit ein und dient in gewisser Weise als Auffangkriterium.756 Obwohl weitere Präzisierungen durch Kommission und Gerichte wünschenswert sind, wird dem Kriterium der Selektivität immer ein gewisses Maß an dogmatischer 753

Vgl. dazu ausführlich: Schön, ZHR 2019, 393 – 402. Bartosch, EuZW 2012, 12 (12). 755 Vgl. Schlussanträge des Generalanwalts Jääskinen v. 07. 04. 2011, Rs. C-106/09 P und C-107/09 P, ECLI:EU:C:2011:215, Rn. 178 – Gibraltar. 756 Ismer/Piotrowski, IStR 2015, 257 (259). 754

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Kap. 3: Materielle Voraussetzungen des Beihilfetatbestandes

Unschärfe innewohnen. Der Tatbestand des Art. 107 Abs. 1 AEUV muss einerseits konkret genug sein, um den Mitgliedstaaten und Unternehmen Sicherheit zu geben, andererseits muss er auch offen genug gehalten werden, um neuen Entwicklungen Herr werden zu können. Der Gerichtshof hat in seinem Gibraltar-Urteil757 deutlich gezeigt, dass er sich nicht durch Formalien und Prüfschemata einengen lässt. Er ist durchaus bereit, über diese hinauszugehen um unerwünschte und potenziell schädliche Gestaltungen zu bekämpfen. Dabei dürfte immer auch der allgemeine und wirtschaftspolitische Hintergrund staatlicher Maßnahmen Beachtung durch den Gerichtshof finden.758 Die Mitgliedstaaten der Union werden gezwungen, sich zukünftig stärker von formalen Betrachtungsweisen zu lösen und den möglichen Auswirkungen ihrer Steuermaßnahmen eine größere Bedeutung beizumessen.759 Mit dieser dogmatischen Unschärfe ist zwingend ein hohes Maß an Rechtsunsicherheit für die Mitgliedstaaten und die Wirtschaftsteilnehmer verbunden. Es obliegt in letzter Konsequenz der Europäischen Kommission und den europäischen Gerichten zu überprüfen, ob eine staatliche Maßnahme alle vergleichbaren Unternehmen rechtlich und faktisch gleich belastet. Diese können dabei zu einer vom Mitgliedstaat abweichenden Auffassung kommen, was die korrekte Vergleichsgruppe ist und ob eine Ungleichbehandlung stattfindet.760 Diese Rechtsunsicherheit ist dabei an sich kein beihilfespezifisches Problem, sondern wohnt unbestimmten Rechtsbegriffen und weitgefassten Tatbeständen generell inne. Im Europa- und insbesondere im Beihilferecht wird dies nicht zuletzt durch die Kompetenzverteilung zwischen europäischen Institutionen und den Mitgliedstaaten noch verstärkt. Das dadurch entstehende Spannungsverhältnis lässt sich nicht zur Gänze auflösen. Der schlichte Ruf nach unionsrechtlicher und höchstrichterlicher Präzisierung greift jedoch in jedem Fall zu kurz. Das Maß an Rechtsunsicherheit, insbesondere für betroffene Unternehmen, kann bereits gegenwärtig durch das Beihilfeverfahren selbst deutlich reduziert werden. Wo das materielle Recht variabel bleiben muss, kann Rechtssicherheit durch das Verfahrensrecht hergestellt werden.761 Das Beihilfeverfahren kann bei richtiger Handhabung ein hohes Maß an Planungssicherheit gewährleisten. Jedem Mitgliedstaat steht es offen, sich bereits frühzeitig – beispielsweise durch informelle Vorabkontakte – mit der Kommission in Verbindung zu setzten und sie über die geplante Maßnahme und die eigenen Beweggründe zu in-

757 EuGH, Urteil v. 15. 11. 2011, Rs. C-106/09 P und C-107/09 P, ECLI:EU:C:2011:732 – Gibraltar. 758 Lang, ÖStZ 2011, 593 (598). 759 Vgl. Nicolaides, Journal of European Competition Law & Practice 2015, 315 (315); Nicolaides/Rusu, EStAL 2012, 791 (802). 760 So auch: Koenig/Hellstern, in: Müller-Graff (Hrsg.), Europäisches Wirtschaftsordnungsrecht, § 14 Rn. 90. 761 Zweifelnd: Soltész, BB 2019, 1687 (1692).

E. Verfälschung des Wettbewerbs und Beeinträchtigung des Handels

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formieren.762 Diese Vorabkontakte erlauben beiden Parteien einen Austausch und geben Einblick in die Bewertungen der anderen. Dadurch kann bereits im Vorfeld einer Maßnahme ein weitreichender Gleichlauf zwischen den Rechtsauffassungen von Kommission und Mitgliedstaat erreicht werden, sodass die tatsächliche Unsicherheit über eine eventuelle spätere Beihilfewidrigkeit der Maßnahme auf ein Minimum reduziert wird.

E. Verfälschung des Wettbewerbs und Beeinträchtigung des Handels Aus der steuerlichen Ungleichbehandlung folgt nicht automatisch eine Beihilfe. Nicht jede steuerliche Ungleichbehandlung ist per se illegitim.763 Das Beihilfeverbot stellt keinen unbedingten und universell anwendbaren unionsrechtlichen Gleichheitssatz dar.764 Für die Einstufung als Beihilfe ist es vielmehr erforderlich, dass die selektive Unternehmensbegünstigung auch geeignet ist, sowohl den Wettbewerb zu verfälschen als auch den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen.

I. Bisherige Rechtsprechungspraxis Obwohl beide Alternativen im Tatbestand des Art. 107 Abs. 1 AEUV ausdrücklich getrennt genannt werden, findet in der Rechtsprechung heute keine Trennung der beiden Alternativen, sondern eine gemeinsame Prüfung statt.765 Das

762 Für eine engere Abstimmung zwischen Mitgliedstaat und Kommission bei der Einführung neu einzuführender Vorschriften (trotz aller damit verbundenen politischen Schwierigkeiten) plädierend: Schnittger, IStR 2017, 421 (436). 763 Lang, ÖStZ 2011, 593 (598). 764 Trotzdem ist die Wettbewerbsgleichheit eine besondere, auf Konkurrenzverhältnisse bezogene Ausprägung des allgemeinen Gleichheitssatzes. Vgl. Müller, Wettbewerb und Unionsverfassung, S. 116. Zum Unterschied zwischen EU-Grundfreiheiten, Beihilferecht und nationalem Gleichheitssatz vgl. Sutter, in: Sieker (Hrsg.), Steuerrecht und Wirtschaftspolitik, S. 188 ff. 765 Vgl. EuGH, Urteil v. 12. 12. 1967, Rs. 23/67, ECLI:EU:C:1967:54, S. 556 – Brasserie De Haecht/Wilkin Janssen EuGH, Urteil v. 17. 09. 1980, Rs. 730 – 79, ECLI:EU:C:1980:209, Rn. 11 – Philipp Morris Holland/Kommission; EuGH, Urteil v. 19. 09. 2000, Rs. C-156/98, ECLI:EU:C:2000:467, Rn. 31 bis 33 – Deutschland/Kommission; EuGH, Urteil v. 22. 11. 2001, Rs. C-53/00, ECLI:EU:C:2001:627, Rn. 21 ff. – Ferring; EuGH, Urteil v. 29. 04. 2004, Rs. C372/97, ECLI:EU:C:2004:234, Rn. 52 ff. – Italien/Kommission. Ebenso: EuG, Urteil v. 15. 06. 2000, Rs. T-298/97, ECLI:EU:T:2000:151, Rn. 91 – Alzetta u. a./Kommission. Vgl. auch: Rosenfeld, in: Schulte/Kloos (Hrsg.), Handbuch Öffentliches Wirtschaftsrecht, § 3 Rn. 28; Grotherr, EWS 2015, 67 (69).

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Kap. 3: Materielle Voraussetzungen des Beihilfetatbestandes

verbundene Tatbestandsmerkmal wird dabei traditionell sehr weit verstanden.766 Es genügt bereits die abstrakte Möglichkeit der Verfälschung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten bzw. die potenzielle Verfälschung des Wettbewerbs, wobei Nachweise für die tatsächlichen Auswirkungen der staatlichen Maßnahme ebenso wenig gefordert werden wie Abgrenzungen des relevanten sachlichen und räumlichen Marktes.767 Die Kommission ist vielmehr nur zu einer Darlegung der Umstände verpflichtet, die die Annahme begründet, dass eine Maßnahme den Wettbewerb verfälscht bzw. den Handel beeinträchtigt.768 Eine Wettbewerbsverfälschung ist anzunehmen, wenn die staatliche Maßnahme in ein bestehendes oder gerade entstehendes Wettbewerbsverhältnis eingreift und dabei die Chancengleichheit der Wirtschaftsteilnehmer beeinträchtigt.769 Eine Handelsbeeinträchtigung ist anzunehmen, wenn die staatliche Maßnahme zu einer Verschlechterung der Wettbewerbsposition von inländischen aber auch ausländischen Unternehmen führt, indem die Einfuhr oder die Ausfuhr erleichtert bzw. spiegelbildlich für die Konkurrenten erschwert wird.770 Dabei reicht es aus, dass das begünstigte Unternehmen wirtschaftlich auf einem Markt tätig ist, in dem Handel zwischen den Mitgliedstaaten besteht. Die Größe des Beihilfeempfängers, seine geringe Exporttätigkeit oder der geringe Marktanteil sind für die Einordnung einer Beihilfe irrelevant.771 Auch auf die Bedeutung, Größe oder „Spürbarkeit“ der Beihilfe beziehungsweise der tatsächlichen Wettbewerbsverzerrung oder Handelsbeeinträchtigung kommt es nicht an.772 766 Blumenberg/Kring, Europäisches Beihilferecht und Besteuerung, S. 17. In Teilen wurde sogar eine eigenständige Bedeutung der Wettbewerbsverfälschung abgelehnt. Vgl. dazu: Sutter, Das EG-Beihilfenverbot und sein Durchführungsverbot in Steuersachen, S. 130. 767 EuGH, Urteil v. 17. 09. 1980, Rs. 730/79, ECLI:EU:C:1980:209, Rn. 9 bis 12 – Philipp Morris; EuG, Urteil v. 15. 06. 2000, Rs. T-298/97, ECLI:EU:T:2000:151, Rn. 95 – Alzetta u. a./ Kommission. Vgl. auch: Rosenfeld, in: Schulte/Kloos (Hrsg.), Handbuch Öffentliches Wirtschaftsrecht, § 3 Rn. 28; Heidenhain, in: Heidenhain (Hrsg.), Handbuch des Europäischen Beihilferechts, 2. Kapitel, § 4 Rn. 61 ff. 768 Vgl. Pape, Staatliche Kapitalbeteiligungen an Unternehmen und das Beihilfenverbot, S. 151. 769 Koenig/Förtsch, in: Streinz (Hrsg.), EUV/AEUV, Art. 107 Rn. 102. 770 von Wallenberg/Schütte, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, Art. 107 AEUV Rn. 74; Bär-Bouyssière, in: Schwarze/Becker/Hatje/Schoo (Hrsg.), EU-Kommentar, Art. 107 AEUV Rn. 14. 771 Mitteilung der Kommission v. 10. 12. 1998 über die Anwendung der Vorschriften über staatliche Beihilfen auf Maßnahmen im Bereich der direkten Unternehmenssteuerung, ABl. EG 1998 Nr.C 384/3, Rn 11. Vgl. auch: EuGH, Urteil v. 13. 07. 1988, Rs. C-102/87, ECLI:EU:C: 1988:391, Rn. 19 ff. – Frankreich/Kommission; EuGH, Urteil v. 21. 03. 1990, Rs. C-142/87, ECLI:EU:C:1990:125, Rn. 43 – Belgien/Kommission; EuGH, Urteil v. 14. 09. 1994, Rs. C-278/ 92 bis C-280/92, ECLI:EU:C:1994:325 – Spanien/Kommission. 772 Zur ständigen Rechtsprechung vgl.: EuGH, Urteil v. 21. 03. 1991, Rs. C-305/89, ECLI: EU:C:1991:141, Rn. 26 – Alfa Romeo; EuGH, Urteil v. 21. 07. 2005, Rs. C-71/04, ECLI:EU:C: 2005:493, Rn. 41 – Xunta de Galcia; EuGH, Urteil v. 15. 06. 2006, Rs. C-393/04 und C-41/05, ECLI:EU:C:2006:403, Rn. 36 – Air Liquide Industries Belgium. Eine Ausnahme vom Beihilfeverbot gilt jedoch für sogenannte „De-minimis“-Beihilfen. Demnach sind Beihilfen, die ein Mitgliedstaat einem Unternehmen gewährt, dann nicht genehmigungspflichtig, wenn sie

E. Verfälschung des Wettbewerbs und Beeinträchtigung des Handels

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Diese Annahme ist zwar dahingehend konsequent, dass gerade auf sehr wettbewerbsintensiven Geschäftsfeldern auch sehr geringe Begünstigungen bereits zu Wettbewerbsverzerrungen führen können, es erscheint jedoch fraglich, ob bereits die bloß für möglich gehaltene, wenn auch plausible, Annahme einer Verfälschung ohne sachlichen Nachweis ausreichen kann, die erheblichen Rechtsfolgen der Beihilferückforderung zu rechtfertigen. Vom bisher dargelegten ausgehend, nimmt die Kommission an, dass eine Beeinträchtigung des Wettbewerbs und des Handels immer vorliegt, sofern es sich bei dem begünstigten Unternehmen um multinationale Konzerne handelt, die in nicht reglementierten Geschäftsfeldern tätig sind.773 Dabei ist es aber keineswegs zwingend erforderlich, dass das begünstigte Unternehmen grenzüberschreitend tätig ist, auch rein lokal tätige Unternehmen können Empfänger einer Beihilfe i. S. d. Art. 107 Abs. 1 AEUV sein.774 Für die Kommission und den Europäischen Gerichtshof reicht es aus, dass es durch die Begünstigung zu einer Verschlechterung der Chancen von tatsächlichen und potenziellen ausländischen Wettbewerbern auf dem inländischen Markt kommt.775 Staatliche Maßnahmen dürfen folglich den Marktzugang für neue Anbieter nicht überobligatorisch erschweren.776 Im Rahmen der Überprüfung steuerlicher Beihilfen wurde diese Vor-

einen Betrag von 200.000 Euro in drei Jahren nicht übersteigen. Hintergrund dieser Regelung ist, dass die gewährten Vorteile so geringfügig sind, dass von ihnen regelmäßig keine ernsthaften Auswirkungen auf Handel und Wettbewerb zu befürchten sind. Ausführlich zu Deminimis Beihilfen unter Kapitel 2, S. 43. 773 Bericht der Kommission vom 09. 02. 2004 über die Umsetzung der Mitteilung der Kommission über die Anwendung der Vorschriften über staatliche Beihilfen auf Maßnahmen im Bereich der direkten Unternehmensbesteuerung, C (2004) 434 entg. Rn. 22; Entscheidung der Kommission v. 17. 02. 2003 über die Beihilferegelung, die Belgien zugunsten von Koordinierungsstellen mit Sitz in Belgien durchgeführt hat, Az. C (2003) 564, ABl. EG 2003 Nr. L 282/25, Rn. 84. 774 Daher wurde bisher nur in atypisch gelagerten Sonderfällen nicht von einer Handelsbeeinträchtigung ausgegangen. Vgl. Pressemitteilung der Kommission v. 29. 04. 2015 – IP/15/ 4889; Entscheidung der Kommission v. 12. 01. 2001 über Beihilfen für das Freizeitbad Dorsten, ABl. EG 2001 Nr. C 172/16. Siehe auch: Mestmäcker/Schweitzer, in: Immenga/Mestmäcker (Hrsg.), Wettbewerbsrecht, Art. 107 Abs. 1 AEUV Rn. 319 ff. 775 Mitteilung der Kommission v. 10. 12. 1998 über die Anwendung der Vorschriften über staatliche Beihilfen auf Maßnahmen im Bereich der direkten Unternehmenssteuerung, ABl. EG 1998 Nr. C 384/3, Rn. 11; Bericht der Kommission v. 09. 02. 2004 über die Umsetzung der Mitteilung der Kommission über die Anwendung der Vorschriften über staatliche Beihilfen auf Maßnahmen im Bereich der direkten Unternehmensbesteuerung, ABl. EG 2004, 434, Rn. 21 sowie: EuGH, Urteil v. 17. 06. 1999, Rs. C-75/97, ECLI:EU:C:1999:311, Rn. 47 bis 49 – Belgien/Kommission; EuGH, Urteil v. 15. 06. 2006, Rs. C-393/04 und C-41/05, ECLI:EU:C: 2006:403, Rn. 35 – Air Liquide Industries Belgium; EuGH, Urteil v. 21. 07. 2005, Rs. C-71/04, ECLI:EU:C:2005:493, Rn. 40 bis 44 – Xunta de Galcia; EuGH, Urteil v. 24. 07. 2003, Rs. C280/00, ECLI:EU:C:2002:415, Rn. 82 – Altmark Trans; EuGH, Urteil v. 21. 03. 1991, Rs. C303/88, ECLI:EU:C:1991:136, Rn. 27 – Italien/Kommission. 776 Sutter, Das EG-Beihilfenverbot und sein Durchführungsverbot in Steuersachen, S. 135.

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Kap. 3: Materielle Voraussetzungen des Beihilfetatbestandes

aussetzung in der einschlägigen Judikatur daher bisher regelmäßig unproblematisch bejaht.777

II. Keine Rechtfertigung durch Maßnahmen anderer Mitgliedstaaten In der jüngeren Vergangenheit gab es wiederholt Versuche, die Einordnung einer steuerlichen Maßnahme als Beihilfe mit der Begründung zu verhindern, eine Steuervergünstigung diene nur dazu, eine Angleichung an die Abgabenlast konkurrierender Unternehmen in anderen Mitgliedstaaten der Union zu erreichen. Nach Argumentation der betroffenen Mitgliedstaaten führt die fragliche Maßnahme nicht zu einer Wettbewerbsverzerrung, sondern gleicht im Gegenteil eine bereits bestehende Verzerrung aus. Sie ist also positive Korrektur einer ohnehin bestehenden, negativen Fehlentwicklung. Derartige Einwände müssen zurückgewiesen werden.778 Im Rahmen der steuerlichen Beihilfekontrolle geht es, trotz des grenzüberschreitenden Bezugs durch die Handelsbeeinträchtigung, nicht um einen grenzüberschreitenden Vergleich der Steuerbelastungen, sondern um systemwidrige Abweichungen innerhalb der nationalen Steuerregime. Die bestehenden nationalen Steuersysteme werden von den Organen der Union als gegeben hingenommen.779 Ziel des Beihilferechts ist es nicht, gegen Normen vorzugehen, die im Vergleich zu Normen in anderen Staaten für Unternehmen günstiger sind, sondern vielmehr gegen solche Maßnahmen vorzugehen, die innerhalb des bestehenden nationalen Steuer- und Referenzsystems zu einer Ungleichbehandlung führen.780 Ein grenzüberschreitender Vergleich der Steuersysteme und Steuersätze findet nicht statt. Ein Wettbewerb der Steuersysteme ist gewollt und mangels Harmonisierung im europäischen System selbst angelegt.781 Derartigen Argumentationen muss außerdem entgegengehalten werden, dass für Selbstjustiz dieser Art in der Europäischen Union kein Platz ist. Hegt ein Mitgliedstaat den Verdacht, ein anderer Staat würde bestimmte Unter777

Kokott spricht daher richtigerweise von einer Gesamtvoraussetzung, die praktisch keine Rolle spielt. Vgl. Kokott, in: Lang (Hrsg.), Europäisches Steuerrecht, S. 549. 778 So auch die Rechtsprechung: EuGH, Urteil v. 02. 07. 1974, Rs. C-173/73, ECLI:EU:C: 1973:71, Rn. 36/40 – Italien/Kommission; EuGH, Urteil v. 29. 04. 2004, Rs. C-298/00 P, ECLI: EU:C:2004:420, Rn. 61 und 62 – Italien/Kommission; EuG, Urteil v. 15. 06. 2000, Rs. T-298/ 97, ECLI:EU:T:2000:151, Rn. 100 – Alzetta u. a./Kommission; EuG, Urteil v. 29. 09. 2000, Rs. T-55/99, ECLI:EU:T:2000:223, Rn. 85 – CETM/Kommission. 779 Siehe dazu: Bericht C(2004) 434 der Kommission v. 09. 02. 2004 über die Umsetzung der Mitteilung der Kommission über die Anwendung der Vorschriften über staatliche Beihilfen auf Maßnahmen im Bereich der direkten Unternehmensbesteuerung, Rn. 24. Vgl. auch: Mestmäcker/Schweitzer, in: Immenga/Mestmäcker (Hrsg.), Wettbewerbsrecht, Art. 107 Abs. 1 AEUV Rn. 314. 780 Grube, DStZ 2007, 370 (376). 781 Grube, Der Einfluss des unionsrechtlichen Beihilfenverbots auf das deutsche Steuerrecht, S. 57.

E. Verfälschung des Wettbewerbs und Beeinträchtigung des Handels

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nehmen in unionsrechtswidriger Weise subventionieren, so steht ihm der Rechtsweg offen.782

III. Trennung beider Kriterien erforderlich Vor dem Hintergrund der derzeitigen Rechtsprechung hinsichtlich der Wettbewerbsverfälschung bzw. der Handelsbeeinträchtigung und der zunehmenden Bedeutung der Vergleichbarkeitsanalyse besteht die Gefahr, dass diese zukünftig stärker mit wettbewerbsrechtlichen Fragen überfrachtet wird und die Kriterien Selektivität und Wettbewerbsverfälschung verschwimmen.783 Derartigen Bestrebungen muss entgegengetreten werden. Wettbewerbsverfälschung und Handelsbeeinträchtigung sollten zukünftig wieder stärker ins Zentrum der beihilferechtlichen Prüfung gerückt werden. Außerdem sollten beide Alternativen getrennt geprüft und ihre eigenständige Bedeutung stärker betont werden.784 Dabei muss zunächst festgestellt werden, ob eine Steuermaßnahme zu einer Wettbewerbsverfälschung führt. Im zweiten Schritt muss dann kontrolliert werden, ob diese Wettbewerbsverfälschung auch zu einer Beeinträchtigung des unionalen Handels führt. 1. Wettbewerbsverfälschung Im Rahmen steuerlicher Beihilfen muss eine grundsätzliche Neuinterpretation der Wettbewerbsverfälschung vorgenommen werden. Das Kriterium sollte von Kommission und Gerichten wieder als echtes Tatbestandsmerkmal wahrgenommen werden und geprüft werden, anstatt mit pauschalen per-se-Grundsätzen abgehandelt zu werden.785 Es mutet geradezu paradox an, dass originäres Ziel des Beihilferechts die Verhinderung von Wettbewerbsverfälschungen ist, die Kontrolle eben dieser in der Prüfungspraxis aber fast keine Rolle spielt. Ursprünglich nahm die Europäische Kommission bei der Frage der Wettbewerbsverzerrung an, dass es weniger auf die Frage nach einem tatsächlichen Wettbewerbsverhältnis, sondern auf eine Betrachtung des Wirtschaftszweiges ankommt.786 Mitunter wurde sogar bei jeder Beihilfe automatisch eine Wettbewerbsverfälschung angenommen.787 Seit ihrem Aktionsplan

782

Zu den bestehenden Rechtsmitteln anderer Mitgliedstaaten siehe Kapitel 2, S. 74 ff. Für eine mit wettbewerbsrechtlichen Fragen aufgeladene Selektivitätsprüfung vgl. Lang, ÖStZ 2011, 593 (596 ff.). 784 Zur eigenständigen Bedeutung der beiden Tatbestandsmerkmale siehe: von Wallenberg/ Schütte, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, Art. 107 AEUV Rn. 74. 785 Heidenhain, in: Heidenhain (Hrsg.), Handbuch des Europäischen Beihilferechts, 2. Kapitel, § 4 Rn. 63 ff. und 71 ff. 786 Koenig/Kühling, EuZW 199, 517 (518). 787 Sutter, Das EG-Beihilfenverbot und sein Durchführungsverbot in Steuersachen, S. 130. 783

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Kap. 3: Materielle Voraussetzungen des Beihilfetatbestandes

(State Aid Action Plan)788 verfolgt sie eine ökonomischere Vorgehensweise (sog. More Economic Approach789) und insgesamt eine stärkere Ökonomisierung des Beihilferechts.790 Dieser Paradigmenwechsel weg von einer stark formalisierenden Betrachtungsweise ist aber keineswegs abgeschlossen. Er muss weiter und noch deutlich stringenter verfolgt werden. Auch bei der Wettbewerbsverfälschung muss konsequent eine wirkungsbezogene Perspektive gewählt werden. Es ist daher elementar, sich auch bei der Bestimmung steuerlicher Beihilfen auf die Zielsetzung des Beihilferechts, der Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen, zurückzubesinnen. Trotz allem erfolgt in der Kontrollpraxis auch heute noch häufig nur eine unzureichende Wettbewerbsanalyse. Das Beihilferecht wird zunehmend als „scharfes Schwert“ im Kampf gegen unerwünschte und ökonomisch fragwürde Steuernormen eingesetzt. Originäres Ziel des Beihilfeverbots ist aber die Verhinderung von Wettbewerbsverzerrungen und Handelsbeeinträchtigungen, nicht die Erzwingung transparenter, systematischer und logischer Steuergesetzgebung.791 Nicht jede Ungleichbehandlung von Unternehmen, die sich im Hinblick auf das Regelungsziel – z. B. Umweltschutz – in einer vergleichbaren Situation befinden, führt zu einer Beihilfe. Art. 107 Abs. 1 AEUV ist gerade kein allgemeiner Gleichbehandlungssatz. Auch ist es nicht die Aufgabe der Kommission, die Steuersysteme auf ihre wirtschaftliche Sinnhaftigkeit zu überprüfen und gegebenenfalls mit ihren eigenen Vorstellungen zu überlagen und aufzufüllen. Es ist ausschließliche Aufgabe der Mitgliedstaaten, ihr Steuersystem nach ihren politischen und wirtschaftlichen Vorstellungen auszugestalten. Eine ökonomisch fragwürdige und europapolitisch unerwünschte Ausgestaltung führt nicht zur Unionsrechtswidrigkeit des Steuersystems. Das darf wiederum nicht zur Fehlannahme verleiten, die Mitgliedstaaten seien in der Ausgestaltung frei von jeglichen Vorgaben. Es bedeutet vielmehr, dass die Beseitigung von Wettbewerbsverzerrungen ausschlaggebendes Kriterium der steuerlichen Beihilfekontrolle sein muss. Dabei muss von der Kommission verlangt werden, dass sie durch Analyse des konkreten Einzelfalls und anhand der aus den anderen Teildisziplinen des Wettbewerbsrechts bekannten Marktabgrenzungsmethoden sowohl das Vorliegen eines (potenziellen) Wettbewerbsverhältnisses als auch die möglichen Störungen belegt.792

788

Aktionsplan staatliche Beihilfen – Weniger und besser ausgerichtete staatliche Beihilfen – Roadmap zur Reform des Beihilferechts 2005 – 2009 vom 07. 06. 2005, KOM(2005) 107. 789 Vgl. zum More Economic Approach und insbesondere zur Bedeutung der Effizienz dabei als Leitgedanke: Klemt, Wettbewerbsfreiheit, S. 258 ff. 790 Koenig/Hellstern, in: Müller-Graff (Hrsg.), Europäisches Wirtschaftsordnungsrecht, § 14 Rn. 48. 791 Damit sei keinesfalls gesagt, dass eine transparentere Steuergesetzgesetzgebung, etwa im Sanierungssteuerrecht, nicht wünschenswert ist. Vgl. dazu: Drüen, DStR 2011, 289 (294). 792 In der Vegangenheit so auch vom EuGH bereits gefordert. Vgl. EuGH, Urteil v. 17. 09. 1980, Rs. 730/79, ECLI:EU:C:1980:209, Rn. 9 – Philipp Morris. In diesem Sinne auch: Koenig/Kühling, EuZW 199, 517 (522); Koenig/Förtsch, in: Streinz (Hrsg.), EUV/AEUV Art. 107 AEUV Rn. 107 ff.; von Wallenberg/Schütte, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (Hrsg.), Das Recht der

E. Verfälschung des Wettbewerbs und Beeinträchtigung des Handels

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a) Wettbewerbsbegriff Da die Frage der Wettbewerbsverzerrung konsequent in den Fokus der Beihilfekontrolle gerückt werden muss, stellt sich naturgemäß die Frage, wann ein Wettbewerbsverhältnis überhaupt vorliegt.793 Letztlich konkurrieren alle am Binnenmarkt anbietenden Unternehmen um das nur begrenzt zur Verfügung stehende freie Einkommen der Unionsbürger, dies führt aber nicht dazu, dass sich alle Unternehmen in einem geforderten Wettbewerbsverhältnis befinden.794 Dies kann nur bei Bestehen eines echten Konkurrenzverhältnisses angenommen werden. In einer kapitalistisch geprägten Marktwirtschaft muss dieses in sachlicher Hinsicht anhand der Mechanismen Angebot und Nachfrage ermittelt werden. Es kann daher davon ausgegangen werden, dass ein solches Verhältnis jedenfalls dann immer gegeben ist, wenn die Wettbewerber auf demselben Markt agieren. Wettbewerbsverzerrungen können bei realistischer Betrachtung nur dort eintreten, wo Unternehmen desselben Marktes unterschiedlich besteuert werden, also bestimmte Unternehmen gegenüber ihren Konkurrenten zusätzlich be- oder entlastet werden.795 Ein Agieren auf demselben Markt setzt dabei voraus, dass die Wettbewerber ein vergleichbares Angebot bieten und dieselbe Nachfrage befriedigen möchten. Wesentliches Kriterium ist folgerichtig die Substituierbarkeit der Produkte und Dienstleistungen. Die funktionale Austauschbarkeit darf sich dabei nicht nur an technischen Gegebenheiten orientieren, sondern muss auch die wirtschaftlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen einbeziehen.796 Diese Herangehensweise zur Marktabgrenzung deckt sich mit der Rechtspraxis in anderen Bereichen des Wettbewerbsrechts, z. B. des Kartellverbots nach Art. 101 AEUV und der Missbrauchsaufsicht nach Art. 102 AEUV.797 Auch hier wird ein Bedarfsmarktkonzept zugrunde gelegt, das die funktionale Austauschbarkeit der Produkte und Dienstleistungen hinsichtlich ihrer Eigenschaften, Preise und ihres Verwendungszwecks in den Mittelpunkt der Betrachtung stellt. Entscheidend ist hierbei die Sicht der Konsumenten. Es befinden sich diejenigen Produkte auf einem Markt und damit in einem erheblichen Wettbewerbsverhältnis, die vom Verbraucher aufgrund der genannten Kriterien als austausch- bzw. ersetzbar angesehen werden.798 Europäischen Union, Art. 107 AEUV Rn. 67. Im Gegensatz dazu: EuG, Urteil v. 15. 06. 2000, Rs. T-298/97, ECLI:EU:T:2000:151, Rn. 95 – Alzetta u. a./Kommission. 793 Koenig/Kühling, EuZW 199, 517 (521). 794 Klemt, Wettbewerbsfreiheit, S. 80. 795 Nicolaides/Rusu, EStAL 2012, 791 (802). 796 Koenig/Kühling/Ritter, EG-Beihilfenrecht, Rn. 179 und Koenig, in: Koenig/Roth/Schön (Hrsg.), Aktuelle Fragen des EG-Beihilfenrechts, S. 20. 797 Auch die Kommission geht ihrerseits von einem für das Wettbewerbsrecht einheitlichen Marktbegriff aus. Siehe dazu: Bekanntmachung der Kommission v. 09. 12. 1997 über die Definition des relevanten Marktes im Sinne des Wettbewerbsrechts der Gemeinschaft, ABl. EG 1997 Nr. C 372/5. 798 Bekanntmachung der Kommission v. 09. 12. 1997 über die Definition des relevanten Marktes im Sinne des Wettbewerbsrechts der Gemeinschaft, ABl. EG 1997 Nr. C 372/5,

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Kap. 3: Materielle Voraussetzungen des Beihilfetatbestandes

Aufgrund der gemeinsamen Bezugnahme auf den Binnenmarkt und der gemeinsamen Marktabgrenzung erscheint es auf den ersten Blick naheliegend, neben dem Wettbewerbsbegriff auch das Merkmal der Wettbewerbsverfälschung im Sinne einer Wettbewerbsbeschränkung nach Art. 101 AEUVauszulegen. Dem steht jedoch die Verschiedenheit der Schutzrichtungen und Normadressaten entgegen.799 Bei der Fusions- und Missbrauchskontrolle dient die Marktabgrenzung dem Zweck, die Marktmacht bzw. den Beherrschungsgrad eines Unternehmens zu ermitteln. Für das Beihilferecht ist dies nicht erforderlich, es genügt die Feststellung eines (potenziellen) Wettbewerbsverhältnisses. Die unterschiedlichen Zielsetzungen bleiben auch für die Bestimmung der Austauschbarkeit nicht ohne Bedeutung: Zwar bleibt diese im Zentrum der Betrachtung, allerdings können nicht alle Mechanismen der Substituierbarkeit der anderen wettbewerbsrechtlichen Disziplinen angewendet werden.800 Zwar erfordert auch die Marktabgrenzung häufig eine Wertung und kann keine allgemein gültigen Pauschallösungen geben, sie bietet aber Leitplanken für eine Einteilung und ist eine sachgerechte Richtschnur.801 Die Unterlegung mit ökonomisch-empirischen Erkenntnissen beugt dabei einer willkürlichen Abgrenzung vor. Die letztliche Abgrenzung muss aber immer anhand des konkreten Einzelfalls vorgenommen werden. b) Geographische Begrenzung Darüber hinaus ist die korrekte Bestimmung des relevanten Marktes in räumlicher Hinsicht unabdingbar. Die Wettbewerbsverzerrung wird durch die kombinierte Würdigung des relevanten sachlichen und räumlichen Marktes bestimmt. Grundsätzlich stellt sich für das Beihilferecht die Frage, ob der relevante Markt national oder europaweit zu bestimmen ist. Für die Streitigkeit ursächlich ist die unklare Formulierung des Art. 107 Abs. 1 AEUV. Der geographisch relevante Markt umfasst dabei nach Ansicht der Kommission im Europäischen Wettbewerbsrecht grundsätzlich „das Gebiet, in dem die beteiligten Unternehmen die relevanten Produkte oder Dienstleistungen anbieten, in dem die Wettbewerbsbedingungen hinreichend

Rn. 15 ff. Vgl. auch: Koenig/Förtsch, in: Streinz (Hrsg.), EUV/AEUV, Art. 107 AEUV Rn. 107, 108; Koenig/Hellstern, in: Müller-Graff (Hrsg.), Europäisches Wirtschaftsordnungsrecht, § 14, Rn. 48; Sutter, Das EG-Beihilfenverbot und sein Durchführungsverbot in Steuersachen, S. 134; Strüber, Steuerliche Beihilfen, S. 73. 799 Mestmäcker/Schweitzer, in: Immenga/Mestmäcker (Hrsg.), Wettbewerbsrecht, Art. 107 Abs. 1 AEUV Rn. 306. 800 Zur Anwendbarkeit der fusions- und kartellrechtlichen Mechansimen auf das Beihilferecht sowie zum Erfordernis der Anpassung vgl. Koenig, in: Koenig/Roth/Schön (Hrsg.), Aktuelle Fragen des EG-Beihilfenrechts, S. 23 ff. 801 Koenig, in: Koenig/Roth/Schön (Hrsg.), Aktuelle Fragen des EG-Beihilfenrechts, S. 21.

E. Verfälschung des Wettbewerbs und Beeinträchtigung des Handels

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homogen sind und das sich von benachbarten Gebieten durch spürbar unterschiedliche Wettbewerbsbedingungen unterscheidet“.802 Gegen eine europaweite Ausdehnung spricht aber, dass dadurch die Grenzen zur Handelsbeeinträchtigung verwischen.803 Eine geographische Begrenzung auf das Hoheitsgebiet des handelnden Staates bzw. der handelnden Gebietskörperschaft ist vorzugswürdig. Das gilt vor dem Hintergrund der fehlenden unionsrechtlichen Steuerharmonisierung insbesondere für steuerliche Beihilfen. Nach derzeitiger Praxis bildet zwar das Staatsgebiet des Mitgliedstaates den maximalen Referenzrahmen der Steuermaßnahme, die Wettbewerbsverfälschung wird aber trotzdem europaweit ermittelt. Dabei genügt bereits die Verbesserung der Unternehmenssituation gegenüber ausländischen Wettbewerbern, um eine Wettbewerbsverfälschung anzunehmen, da es potenziell zu einer Verschlechterung der Marktzutrittschancen kommt.804 Folgerichtig führt dann aber jede Absenkung der direkten Steuerlast zu einer potenziellen Verschlechterung der Wettbewerbschancen ausländischer Konkurrenten, da sie in ihrem Sitzstaat weiterhin ihrer regulären Besteuerung unterliegen. Konsequent zu Ende gedacht stellt jede Änderung der mitgliedstaatlichen Unternehmensbesteuerung eine Wettbewerbsverzerrung dar. Ein solches Ergebnis ist jedoch weder sachgerecht noch wird es der Kompetenzverteilung von Union und Mitgliedstaaten gerecht. Wenn das Staatsgebiet eines Mitgliedstaates den maximalen Bezugspunkt für eine Steuermaßnahme darstellt, dann ist es meiner Ansicht nach geboten, dass eine mögliche Wettbewerbsverfälschung auch nur innerhalb dieses Bezugsrahmens untersucht wird. Aufgrund der Kompetenzverteilung innerhalb der Union und der damit verbundenen unterschiedlichen Steuerregime der Mitgliedstaaten bestehen naturgemäß Unterschiede in der Unternehmensbesteuerung. Steuerreformen, die alle im Inland ansässigen Unternehmen gleichermaßen betreffen und diesen gegenüber ausländischen Konkurrenten „Vorteile“ gewähren, mögen aus (europa-)politischer Sicht unerwünscht und vielleicht volkswirtschaftlich verfehlt sein, das führt aber nicht automatisch zu einer Wettbewerbsverzerrung im Sinne des Beihilferechts. Zwar mag an dieser Stelle durchaus eingewandt werden, dass es letztlich egal ist, ob eine Wettbewerbsverfälschung vorliegt, da sich Steuerinländer und Steuerausländer in der Regel nicht in einer vergleichbaren Situation befinden und eine Selektivität daher nicht gegeben ist. Trotzdem erscheint es unnötig, das ohnehin schon überladene Tatbestandsmerkmal der Selektivität weiter zu über802 Wohl auch deshalb wurde dem Kriterium in der Vergangenheit mitunter eine selbstständige Tatbestandswirkung abgesprochen. Vgl. Bekanntmachung der Kommission v. 09. 12. 1997 über die Definition des relevanten Marktes im Sinne des Wettbewerbsrechts der Gemeinschaft, ABl. EG 1997 Nr. C 372/5, Rn. 8 und 9. 803 Vgl. Sutter, Das EG-Beihilfenverbot und sein Durchführungsverbot in Steuersachen, S. 133. 804 Vgl zu dieser Praxis: EuGH, Urteil v. 19. 09. 2000, Rs. C-156/98, ECLI:EU:C:2000:467, Rn. 31 bis 33 – Deutschland/Kommission; EuGH, Urteil v. 22. 11. 2001, Rs. C-53/00, ECLI: EU:C:2001:627, Rn. 20 – Ferring; EuGH, Urteil v. 29. 04. 2004, Rs. C-372/97, ECLI:EU:C: 2004:234, Rn. 52 ff. – Italien/Kommission; Ebenso: EuG, Urteil v. 15. 06. 2000, Rs. T-298/97, ECLI:EU:T:2000:151, Rn. 91 – Alzetta u. a./Kommission.

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Kap. 3: Materielle Voraussetzungen des Beihilfetatbestandes

frachten. Die geographische Begrenzung des Wettbewerbs bietet eine sachgerechte und elegante Lösung. Es ist daher sinnvoll, die Wettbewerbsverfälschung durch Steuervergünstigungen anhand eines nationalen Maßstabs zu bestimmen. Der Kommission muss dabei auferlegt werden, eine Marktabgrenzung vorzunehmen und konkret zu belegen, wie die Steuermaßnahme zu einer Wettbewerbsbeeinträchtigung führt.805 Würde die Wettbewerbsverfälschung zukünftig in dem hier vorgeschlagenen Sinne interpretiert werden, würde das „Konfliktfeld Selektivität“ deutlich entzerrt und vereinfacht. An dieser Stelle müsste nur noch untersucht werden, ob es durch eine Steuermaßnahme zu einer steuerlichen Ungleichbehandlung von bestimmten Unternehmen kommt.806 Die Wettbewerbsverfälschung würde demgegenüber einen zentraleren Platz einnehmen und die Wirkung der Vergünstigung konsequent ins Zentrum der Betrachtung gestellt.807 c) Potenzielle Wettbewerbsverfälschung Das soeben Gesagte soll aber nicht den Blick dafür versperren, dass eine tatsächliche Wettbewerbsverfälschung gar nicht erforderlich ist. Vielmehr soll weiterhin eine potenzielle Wettbewerbsverfälschung ausreichend sein.808 Mit der Erfassung potenzieller Wettbewerbsverhältnisse werden auch Fallkonstellationen erfasst, in denen es zu einer Verschlechterung der Marktzutrittschancen kommt.809 Eine Beihilfe steigert ihrer Natur gemäß das Wettbewerbspotenzial des Beihilfeempfängers, auch ohne dass sich dies unmittelbar auf das derzeit bestehende Wettbewerbsverhältnis auswirken muss. Es ist nicht erforderlich, dass die Beihilfe zeitnah in einen Wettbewerbsvorteil umgesetzt wird. Die Beihilfe kann vielmehr auch als Reserve für wirtschaftliche Krisensituationen oder als zusätzliches Budget für Forschung und Entwicklung genutzt werden. So wird zwar der Wettbewerb kurz805 In diesem Sinne auch: Koenig/Förtsch, in: Streinz (Hrsg.), EUV/AEUV, Art. 107 AEUV Rn. 108. Diese stärkere Fokussierung auf tatsächliche Verfälschungseffekte deckt sich auch mit dem Aktionsplan der Kommisison für eine insgesamt stärkere Ökonomisierung des Beihilfenrechts. Vgl. Aktionsplan staatliche Beihilfen – Weniger und besser ausgerichtete staatliche Beihilfen – Roadmap zur Reform des Beihilferechts 2005 – 2009 vom 07. 06. 2005, KOM(2005) 107. 806 Die Feststellung, ob es zu einer Begünstigung bestimmter Unternehmen, die anhand ihrer spezifischen Charakteristika indentifizierbar sind, kann dabei schon Herausforderung genug sein. Vgl. Kapitel 3, S. 163 ff. 807 Ebenfalls für eine Aufwertung dieses Prüfkriteriums argumentierend: Blumenberg, Aktuelle Entwicklungen des EU-Beihilfenrechts im Bereich der deutschen Unternehmensbesteuerung, S. 67 808 Vgl zu dieser Praxis: EuGH, Urteil v. 19. 09. 2000, Rs. C-156/98, ECLI:EU:C:2000:467, Rn. 31 bis 33 – Deutschland/Kommission; EuGH, Urteil v. 22. 11. 2001, Rs. C-53/00, ECLI: EU:C:2001:627, Rn. 20 – Ferring; EuGH, Urteil v. 29. 04. 2004, Rs. C-372/97, ECLI:EU:C: 2004:234, Rn. 52 ff. – Italien/Kommission; Ebenso: EuG, Urteil v. 15. 06. 2000, Rs. T-298/97, ECLI:EU:T:2000:151, Rn. 91 – Alzetta u. a./Kommission. 809 Sutter, Das EG-Beihilfenverbot und sein Durchführungsverbot in Steuersachen, S. 135.

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fristig nicht verfälscht, der Empfänger erhält aber die Chance, größere Risiken einzugehen, ohne eine Insolvenz befürchten zu müssen, oder kann durch die risikofreie Forschung frühzeitig neue Produkte entwickeln und damit langfristig seine Wettbewerbsposition signifikant verbessern.810 Darüber hinaus wäre es juristisch und ökonomisch fragwürdig, würde von der Kommission verlangt, eine Beihilfe als mit dem Binnenmarkt vereinbar zu erklären, weil eine Wettbewerbsverzerrung noch nicht eingetreten ist, obwohl bereits abzusehen ist, dass diese zukünftig eintreten kann und wird. 2. Handelsbeeinträchtigung Kommt es innerhalb des Mitgliedstaates zu einer Wettbewerbsverfälschung, muss in einem zweiten Schritt bestimmt werden, ob auch der Handel zwischen den Mitgliedstaaten beeinträchtigt wird. Bei der Analyse, ob der unionale Handel beeinträchtigt wird, kann auf die bisherige Rechtsprechung zurückgegriffen werden. Wird der Wettbewerb in einem Mitgliedstaat durch eine Steuerbeihilfe verfälscht, so hat dies durch den sehr hohen Integrationsgrad des Binnenmarktes in der Regel auch auf den innerunionalen Handel negative Auswirkungen.811 Das gilt insbesondere in Geschäftsbereichen, in denen multinationale Konzerne konkurrieren. Dabei kann sowohl angenommen werden, dass die Gefahr droht, dass die im Inland benachteiligten Unternehmen weniger exportieren werden, als auch, dass ausländische Konkurrenzunternehmen schlechtere Markzutrittschancen erhalten. Eine Handelsbeeinträchtigung ist folglich anzunehmen, wenn die Beihilfe durch die wettbewerbsverfälschende Begünstigung bestimmter Unternehmen den Handel beeinflusst, indem die Einfuhr oder die Ausfuhr erleichtert bzw. spiegelbildlich für die Konkurrenten erschwert wird.812 Dabei ist eine Verminderung der Handelsvolumina selbst nicht erforderlich. Ausreichend ist vielmehr, dass sich der Handel aufgrund der Beihilfe anders entwickelt bzw. entwickeln wird, als er es ohne Beihilfe getan hätte.813 Insgesamt nur schwer denkbar sind daher Konstellationen, in denen zwar der innerstaatliche Wettbewerb verfälscht wird, dies aber keinerlei Auswirkungen auf den unionalen Handel hat.814 Trotzdem hat die Europäische Kommission eine Reihe von selektiven Begünstigung nicht als Beihilfen angesehen, da es ihnen an den 810

Pape, Staatliche Kapitalbeteiligungen an Unternehmen und das Beihilfenverbot, S. 130. Koenig, in: Koenig/Roth/Schön (Hrsg.), Aktuelle Fragen des EG-Beihilfenrechts, S. 26. 812 Vgl. von Wallenberg/Schütte, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, Art. 107 Rn. 74; Bär-Bouyssière, in: Schwarze/Becker/Hatje/Schoo (Hrsg.), EU-Kommentar, Art. 107 AEUV Rn. 14. 813 Pape, Staatliche Kapitalbeteiligungen an Unternehmen und das Beihilfenverbot, S. 156. 814 So wurde auch bisher nur in atypisch gelagerten Sonderfällen nicht von einer Handelsbeeinträchtigung ausgegangen. Vgl. dazu: Pressemitteilung der Kommission v. 29. 04. 2015 – IP/15/4889; Entscheidung der Kommission v. 12. 01. 2001 über Beihilfen für das Freizeitbad Dorsten, ABl. EG 2001 Nr. C 172/16. Siehe auch: Mestmäcker/Schweitzer, in: Immenga/Mestmäcker (Hrsg.), Wettbewerbsrecht, Art. 107 Abs. 1 AEUV Rn. 319 ff. 811

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Kap. 3: Materielle Voraussetzungen des Beihilfetatbestandes

Auswirkungen für den innerunionalen Handel fehlen würde.815 Die Verbesserung der Stellung einheimischer Unternehmen gegenüber ihren ausländischen Konkurrenten reicht trotzdem grundsätzlich weiterhin aus, um eine Handelsbeeinträchtigung anzunehmen;816 nicht aber für die Annahme einer Wettbewerbsverfälschung. Dabei ist es in keiner Weise widersprüchlich, hier nun doch auch auf die Verschlechterung der Marktsituation von ausländischen Unternehmen abzustellen. Für das europäische Beihilferecht ist schon seinem tatbestandlichen Wortlaut nach ein grenzüberschreitender Bezug notwendig (sog. Zwischenstaatlichkeitsklausel).817 Nur soweit Wettbewerbsstörungen den Handel zwischen den Mitgliedstaaten beeinträchtigen, unterliegen sie dem Anwendungsbereich des Unionsrechts.818 Durch die Benutzung eines nationalen Maßstabs im Rahmen des Wettbewerbsverhältnisses wird nur verhindert, dass schon jede Veränderung der eigenen Steuerbelastung zu einer wettbewerbsverzerrenden Schlechterstellung ausländischer Unternehmen führt.819 Durch die tatbestandliche Trennung von (nationaler) Wettbewerbsverfälschung und (unionaler) Handelsbeeinträchtigung wird den unterschiedlichen Anknüpfungspunkten von nationalem Steuerrecht und europäischem Wettbewerbsrecht in adäquater Weise Rechnung getragen. Nur wenn beide kumulativ gegeben sind, kann von einer steuerlichen Beihilfe im Sinne des Art. 107 Abs. 1 AEUV ausgegangen werden.

F. Legal- und Ermessenausnahmen Art. 107 AEUV enthält aber nicht nur das grundsätzliche Verbot staatlicher Beihilfen, sondern auch zwei Ausnahmen: Legal- und die Ermessensausnahmen. Die Legalausnahmen sind in Art. 107 Abs. 2 AEUV enthalten, wohingegen die Ermessensausnahmen in Art. 107 Abs. 3 AEUV geregelt sind. Beide weisen die Ge815

Vgl. Dekker, EStAL 2017, 154 – 163. Vgl. die ständige Rechtsprechung: EuGH, Urteil v. 12. 12. 1967, Rs. 23/67, ECLI:EU:C: 1967:54, S. 556 – Brasserie De Haecht/Wilkin Janssen; EuGH, Urteil v. 17. 09. 1980, Rs. 730/ 79, ECLI:EU:C:1980:209, Rn. 11 – Philipp Morris; EuGH, Urteil v. 22. 11. 2001, Rs. C-53/00, ECLI:EU:C:2001:627, Rn. 21 – Ferring; EuGH, Urteil v. 29. 04. 2004, Rs. C-372/97, ECLI: EU:C:2004:234, Rn. 52 – Italien/Kommission. 817 von Wallenberg/Schütte, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, Art. 107 AEUV Rn. 97. Die Zwischenstaatlichkeitsklausel ist jedoch nicht zuletzt aufgrund der Rechtsprechung des EuGH in den letzten Jahren so gut wie bedeutungslos geworden. So schon: Heidenhain, in: Heidenhain (Hrsg.), Handbuch des Europäischen Beihilferechts, 2. Kapitel, § 3 Rn. 1. 818 Vgl. auch: Vgl. die ständige Rechtsprechung: EuGH, Urteil v. 12. 12. 1967, Rs. 23/67, ECLI:EU:C:1967:54, S. 556 – Brasserie De Haecht/Wilkin Janssen. 819 Wie gesagt stellen Steuermaßnahmen, die im Inland alle betroffenen Marktteilnehmer gleichermaßen abdecken keine Beihilfe dar. Unabhängig davon, ob sich die Wettbewerbssituation ausländischer Unternehmer faktisch dadurch verschlechtert, dass ihre Situation unverändert bleibt. Derartige Gestaltungen mögen unerwünscht sein, sie müssen dann aber auf politischem Wege oder mittels anderer Rechtsinstitute angegangen werden. 816

G. Fazit

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meinsamkeit auf, dass hier zwar grundsätzlich der Tatbestand des Art. 107 Abs. 1 AEUV erfüllt ist, die Maßnahme aber mit dem Binnenmarkt vereinbar ist. Entscheidender Unterschied ist, dass bei den Legalausnahmen per se die Vereinbarkeit mit dem Binnenmarkt angenommen wird. Im Gegensatz dazu entscheidet die Europäische Kommission über die Einschlägigkeit der Ermessensausnahmen nach billigem Ermessen. Legalausnahmen haben für steuerliche Beihilfen kaum Bedeutung. Von größerer praktischer Relevanz sind die Ermessensausnahmen. Die Mitgliedstaaten tragen für beide Ausnahmeformen die Darlegungs-, und Beweislast.820

G. Fazit Die Einordnung von Steuervergünstigungen in das Beihilfeverbot gemäß Art. 107 Abs. 1 AEUV bleibt nach wie vor von hoher Brisanz. Dabei ist die Abgrenzung von allgemeinen Maßnahmen und Beihilfen bei Steuervergünstigungen von besonderer Bedeutung, da die sonstigen Tatbestandsvoraussetzungen aufgrund des Charakters steuerlicher Maßnahmen in der Regel gegeben sind. Das Merkmal der Selektivität ist daher für Steuermaßnahmen die entscheidende Stellschraube. Die Charakterisierung einer Maßnahme als Beihilfe kann sich dabei als durchaus schwierig und komplex erweisen, sodass sich pauschale und schematische Lösungen verbieten. Eine Vielzahl an Vergünstigungen wird als Teil eines abstrakten Normensystems in Erscheinung treten und damit ihrer Natur nach eine Bandbreite von Sachverhalten und Fallkonstellationen erfassen. Diese den Steuervergünstigungen innewohnende Breitenwirkung deutet zwar auf den ersten Blick auf eine allgemeine Maßnahme hin, zwingend ist ein solcher Schluss aber keineswegs. Im Rahmen der Begünstigung muss daher sorgfältig geprüft werden, ob ein Unternehmen eine geringere als seine gewöhnlich zu tragende Steuerlast zu tragen hat. Wird eine Steuervergünstigung nicht in Form einer formalen Ausnahme von der bei stringenter Anwendung der Normen anfallenden Steuerlast, sondern schlicht durch eine Anwendung abstrakter Gesetze gewährt, stellt sich die Frage, was die gewöhnliche Steuerlast eines Unternehmens überhaupt ist. Aufschluss gibt im Zweifel die Besteuerung vergleichbarer Unternehmen. Zur Feststellung, ob ein Unternehmen einen selektiven Vorteil erhält, bedarf es insoweit eines Vergleiches mit dem Besteuerungsniveau anderer Unternehmen, die sich in einer vergleichbaren Situation befinden.821 Folgerichtig hat der Europäische Gerichtshof in jüngerer Vergangenheit seine Prüfungsmethodik fortentwickelt und die Differenzierung zwischen vergleichbaren Wirtschaftsteilnehmern stärker ins Zentrum der Betrachtung gerückt. Die vom Gerichtshof in der 820

Vgl. Blumenberg/Kring, Europäisches Beihilferecht und Besteuerung, S. 20 ff. So auch: Mitteilung der Kommission v. 10. 12. 1998 über die Anwendung der Vorschriften über staatliche Beihilfen auf Maßnahmen im Bereich der direkten Unternehmenssteuerung, ABl. EG 1998 Nr. C 384/3, Rn. 9 und 12. 821

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Kap. 3: Materielle Voraussetzungen des Beihilfetatbestandes

Rechtssache Gibraltar822 aufgestellten Grundsätze dienen dabei als Leitprinzipien und müssen zukünftig flächendeckend auf alle als problematisch anzusehenden Fallkonstellationen angewendet werden. Die Orientierung anhand dieser Grundprinzipien ermöglicht es dabei, neue und eventuell unerwünschte Konstellationen stringent anhand ihrer Wirkung zu überprüfen. Gleichzeitig gibt sie ein gewisses Maß an Rechtssicherheit, da den Mitgliedstaaten besagte Rechtsprechung bekannt sein muss. Im Hinblick auf den vor allem von Unternehmen häufig vorgebrachten Vorwurf der Rechtsunsicherheit im europäischen Beihilferecht sei darauf hingewiesen, dass sich das primäre Unionsrecht generell ein höheres Maß an Flexibilität erhalten muss, als man das eventuell von den jeweiligen nationalen Rechtsordnungen gewohnt ist. Dies ist zum einen der Tatsache geschuldet, dass eine Vielzahl unterschiedlichster Sachverhalte aus unterschiedlichen Rechtssystematiken davon erfasst werden müssen; zum anderen an seiner deutlich geringeren Reaktionsfähigkeit und –geschwindigkeit.823 Die Verfahren zur Abänderung und Anpassung europäischen Primärrechts lassen noch immer – trotz Art. 48 AEUV – die für eine so weitreichend fortgeschrittene Integration des Binnenmarktes und eine solch umspannende Wirkung des Unionsrechts erforderliche Flexibilität vermissen.824 Das Beihilferecht unterscheidet sich hier nicht vom sonstigen Primärrecht. Die dadurch entstehenden Lücken werden durch Einzelfallentscheidungen des Europäischen Gerichtshofs geschlossen. Die Rechtsprechung im Beihilferecht ist dabei noch nicht soweit fortentwickelt wie in anderen Teilbereichen, insbesondere den Grundfreiheiten. Aufgrund der wachsenden Bedeutung des Beihilferechts auch für Steuervergünstigungen ist jedoch davon auszugehen, dass sich dies in Zukunft ändern wird. Das ist insbesondere für die betroffenen Unternehmen unbefriedigend, da sie die Kosten der Nachforderung tragen und über keine Instrumente verfügen, die Rechtsunsicherheit zu reduzieren. Sie können sich weder auf das bestehende Recht verlassen oder von ihren Finanzverwaltungen verbindliche Rechtsauffassungen erhalten,825 noch unmittelbar durch die Kommission Klärung herbeiführen. Um für sich und seine Wirtschaftsteilnehmer ein hohes Maß an Rechtssicherheit über eine mögliche Beihilfewidrigkeit zu erhalten, sei daher jedem Mitgliedstaat geraten, unter allen Umständen in einen frühzeitigen Dialog mit der Europäischen Kommission über die geplante Maßnahme zu treten. Versuche, die Entscheidungslogik der Beihilfekontrolle erahnen zu wollen, dürften hingegen kaum von Erfolg gekrönt sein. Das Verfahrensrecht kann hier zwar keine absolute Sicherheit bringen, aber die Rechtsunsicherheit auf ein erträgliches Maß reduzieren. Die Folge ist jedoch, dass 822 EuGH, Urteil v. 15. 11. 2011, Rs. C-106/09 P und C-107/09 P, ECLI:EU:C:2011:732 – Gibraltar. 823 So sind die Wettbewerbsregeln des AEUV im Wesentlichen seit den römischen Verträgen unverändert geblieben, während im gleichen Zeitraum etwa das deutsche GWB mehrmals tiefgreifend novelliert wurde. 824 Klemt, Wettbewerbsfreiheit, S. 263. 825 Vgl. dazu Kapitel 4, S. 184 ff.

G. Fazit

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die Mitgliedstaaten gezwungen sind, geplante Steueränderungen flächendeckend mit der Kommission abzustimmen – die nationalstaatliche Steuersouveränität wird massiv bedroht.

Kapitel 4

Tax Rulings als Anwendungsgegenstand des Beihilfeverbotes Im folgenden Kapitel soll untersucht werden, ob und unter welchen Umständen durch die Erteilung eines sog. Tax Rulings (auch als Advanced Tax Ruling, Ruling oder im Deutschen gerne als verbindlicher Steuervorbescheid bezeichnet)826 eine staatliche Beihilfe gewährt wird. Die beihilferechtliche Relevanz von Tax Rulings ist im Sommer 2014 durch die Einleitung zahlreicher förmlicher Prüfverfahren, z. B. gegen die Niederlande, Irland, Luxemburg und Belgien, schlagartig in den Blickpunt der Öffentlichkeit geraten.827 An sich sind Ermittlungen der Europäischen Kommission im Hinblick auf Tax Rulings keine Neuheit. Bereits in der Vergangenheit hat sie sich – wenn auch in viel geringerem Maße – mit dieser Thematik beschäftigt.828 Durch die Berichterstattung im Zuge der Luxemburg-Leaks-Affäre sah sie sich jedoch dazu gezwungen, die Steuervermeidung multinationaler Konzerne auch durch die nicht sachgerechte Nutzung von Tax Rulings verstärkt zu untersuchen. Im Zuge dessen hat die Kommission sämtliche Mitgliedstaaten aufgefordert, ihre Informationen über die von ihnen erteilten Rulings zur Verfügung zu stellen. Als Ergebnis ihrer Untersuchungen hat die Kommission festgestellt, dass einige Mitgliedstaaten dieses Instrument zur Gewährung selektiver Wettbewerbsvorteile an multinationale Konzerne verwenden.829 Bereits zuvor hatte sie mit ihrem Aktionsplan zur Verstärkung der Bekämpfung von Steuerbetrug und Steuerhinterziehung einen umfassenden Maßnahmenkatalog zur Vermeidung aggressiver Steuerplanung durch multinationale Unternehmen vorgestellt.830 Dabei wurde unter anderem eine Task 826

Auch die Europäische Kommission benutzt keinen einheitlichen Begriff. In ihren deutschsprachigen Veröffentlichungen übersetzt sie den Begriff uneinheitlich. Sie wechselt zwischen den Begrifflichkeiten „Steuervorentscheidung“, „Steuerentscheid“, „Steuervorabentscheidung“ oder „Steuervorbescheid“. 827 Pressemitteilung der Kommission v. 17. 12. 2014 – IP/14/2742. 828 Vgl. dazu: Luja, British Tax Review 2015, 379 (384). 829 Vgl. Beschluss der Kommission v. 11. 01. 2016 über die Beihilferegelung Belgiens SA.37667 (2015/C) (ex 2015/NN), Az. C(2015) 9837, ABl. EU Nr. L 260/61; Commission Decision of 30. 08. 2016 on State Aid SA.38373 (2014/C) (ex 2014/NN) (ex 2014/CP) implemented by Ireland to Apple, C(2016) 5605 final; Beschluss der Kommission v. 21. 10. 2015 über die staatliche Beihilfe der Niederlande SA.38374 (2014/C) (ex 2014/NN) zugunsten von Starbucks, Az. C(2015) 7143, ABl. EU 2017 Nr. L 83/38. 830 Mitteilung der Kommission v. 06. 12. 2012 an das Europäische Parlament und den Rat – Aktionsplan zur Verstärkung der Bekämpfung von Steuerbetrug und Steuerhinterziehung, COM (2012) final.

A. Tax Rulings

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Force eingerichtet, die sich speziell mit der Analyse von Verrechnungspreiszusagen an multinationale Konzerne auseinandersetzte. Beides kann heute wohl als „Startschuss“ für die großflächige beihilferechtliche Kontrolle von Tax Rulings durch die Kommission angesehen werden.831

A. Tax Rulings Eine Legaldefinition des Begriffs Tax Ruling existiert nicht. Die OECD definiert als Tax Ruling jede Auskunft, Information oder Zusage, die eine Steuerbehörde einem oder mehreren Steuerpflichtigen bezüglich seiner/ihrer steuerlichen Situation ausstellt und auf die diese(r) sich berufen kann/können.832 Diese sehr weit gefasste Definition umfasst sowohl Rulings an einzelne Steuerpflichtige, als auch solche an sämtliche Steuerpflichtige und auch verbindliche Zusagen aufgrund einer Vereinbarung mit einem anderen Staat. Die meisten Länder sehen in ihren Steuerrechtsordnungen grundsätzlich eine solche Verständigungsmöglichkeit vor, wobei diese im Hinblick auf ihre Voraussetzungen, Rechtsfolgen und Reichweite mitunter erheblich divergieren können.833

I. Sinn und Zweck Primär sollen Tax Rulings dazu dienen, für die Steuerpflichtigen Rechtssicherheit herbeizuführen. Insbesondere Unternehmen sollen im Vorhinein Gewissheit über die anzuwendenden Steuervorschriften und die Höhe der von ihnen zu entrichtenden (Körperschaft-)Steuer gegeben werden.834 Die so gewonnene Planungs- und Kostensicherheit stellt für Unternehmen ein hohes Gut dar. Die Kosten und damit die wirtschaftliche Sinnhaftigkeit von Transaktionen, wie z. B. Um- und Restrukturierungen, können häufig erst abschließend beurteilt und eingeschätzt werden, wenn die Finanzverwaltung eine verbindliche Auskunft über die steuerliche Bewertung des Vorgangs abgibt.835

831 Blumenberg, Aktuelle Entwicklungen des EU-Beihilferechts im Bereich der deutschen Unternehmensbesteuerung, S. 56. 832 OECD, Projekt Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung, Aktionspunkt 5 – Abschlussbericht 2015, S. 52. Diese Definition wird auch von der deutschen Bundesregierung so übernommen. Vgl. Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Thomas Gambke, Britta Haßelmann, Lisa Paus, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Bundestags-Drucksache 18/3346, Frage 2, S. 2. 833 Blumenberg, in: Lüdicke/Schnitger/Spengel (Hrsg.), Besteuerung Internationaler Unternehmen, S. 20. 834 Pressemitteilung der Kommission v. 11. 06. 2014 – IP/14/663. 835 Werder/Dannecker, BB 2014, 926 (927).

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Kap. 4: Tax Rulings als Anwendungsgegenstand des Beihilfeverbotes

Aber nicht nur den Unternehmen, auch den Finanzbehörden kann ein Ruling mitunter beträchtliche Vorteile bringen. So kann ein Steuervorbescheid dazu führen, dass den Behörden von den Unternehmen im Rahmen eines Kooperationsverhältnisses Informationen über geplante Steuergestaltungsmodelle übermittelt werden und die Behörden dadurch erst die Möglichkeit erhalten, ein komplexes Modell nachzuvollziehen und gegebenenfalls korrekt zu besteuern bzw. gegen unerwünschte Gestaltungen vorzugehen. Ohne Tax Rulings würde die Verwaltung erst nachträglich (im Rahmen der Außenprüfung) die Rechtmäßigkeit eines Steuermodells aufarbeiten können, womit sie aber aufgrund der Komplexität der Sachverhalte in der Praxis teilweise erhebliche Schwierigkeiten hat. Auch kann so dem Gesetzgeber seitens der Verwaltung frühzeitig Hilfestellung bezüglich der Anpassung von Steuernormen und der Vereinheitlichung von Gesetzesanwendungen gegeben werden. Da sich aber Versuche des Bundesgesetzgebers, den Finanzbehörden bei der Entdeckung von Steuersparmodellen zu helfen, als nicht ausreichend erweisen bzw. verfassungsrechtlich problematisch erscheinen,836 darf der praktische Wert dieser Vorabinformationen nicht unterschätzt werden. Nicht zuletzt ist das Instrument für Staaten auch ein Mittel, die eigene Standortattraktivität positiv zu beeinflussen. Die mit dem Ruling einhergehende Planungs- und Rechtssicherheit lässt den erteilenden Staat insgesamt zu einem attraktiveren Unternehmensstandort werden.

II. Advanced Pricing Agreements und Verrechnungspreise Tax Rulings haben vor allem im Bereich der konzerninternen Verrechnungspreise zunehmend an Bedeutung gewonnen. In diesem Bereich bieten sich Unternehmen eine Reihe von Gestaltungsmöglichkeiten, um Gewinne an verbundene Unternehmen (mit Sitz im Ausland) zu verschieben. Nicht zuletzt deswegen wird der Begriff Verrechnungspreis in der öffentlichen Wahrnehmung häufig ausschließlich mit der Steuervermeidung multinationaler Konzerne in Verbindung gebracht.837 Verrechnungspreise haben für Konzerne aber nicht nur positive Effekte. Bei Nichtanerkennung von Leistungsbeziehungen droht ihnen eine (wirtschaftliche)838 Doppelbesteuerung.839 Aus Gründen der Planungs- und Rechtssicherheit begehren multinationale Konzerne daher häufig bereits vor Verwirklichung des Steuersachverhaltes eine Übereinkunft mit der Finanzverwaltung über die korrekte Preisbildung hinsichtlich der konzerninternen Leistungsaustausche, ein sog. Advanced Pricing 836 Zur Verfassungswidrigkeit einer solchen Norm vgl. Kessler/Eicke, BB 2007, 2370 (2373). 837 Vgl. beispielhaft: Pressemitteilung der Kommission v. 11. 06. 2014 – IP/14/663. 838 Aufgrund der häufig fehlenden Subjektsidentität innerhalb des Konzerns handelt es sich in der Regel „nur“ um eine wirtschaftlich, nicht aber um eine rechtliche Doppelbesteuerung. Der sprachlichen Einfachheit halber wird im Folgenden für diese aber schlicht der Begriff Doppelbesteuerung, ohne Zusatz, verwendet. 839 Lang, IStR 2015, 369 (369); Rossi-Maccanico, EC Tax Review 2015, 63 (69).

A. Tax Rulings

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Agreement.840 Eine international einheitlich (legal) definierte Begriffsbestimmung existiert nicht.841 Nach allgemeinem Verständnis ist ein solches Agreement ein Verständigungsverfahren zwischen Finanzbehörde und Steuerpflichtigem zur Vermeidung künftiger Verrechnungspreiskonflikte. Es erstreckt sich inhaltlich im Wesentlichen auf die Festlegung einer bestimmten Verrechnungspreismethode, deren Anwendungsmodalitäten sowie auf die Gültigkeitsbedingungen, unter denen es für die Steuerverwaltungen Bindungswirkung entfaltet. Ziel ist die präventive Verhinderung nachträglicher, zeit- und kostenintensiver Verrechnungspreiskonflikte.842 Um die Bedeutung solcher Advanced Pricing Agreements für das internationale Steuerrecht richtig einordnen zu können, ist es zunächst notwendig, sich die Bedeutung der Verrechnungspreise für die Konzernbesteuerung vor Augen zu führen. 1. Verrechnungspreise und ihre Bedeutung für die Konzernbesteuerung Konzerne sind typischerweise dadurch gekennzeichnet, dass sie nicht nur aus einer einzigen (Kapital-)Gesellschaft, sondern aus einer Vielzahl solcher bestehen. Allgemein wird unter einem Konzern daher ein Zusammenschluss von Unternehmen verstanden, die rechtlich zwar selbstständig sind, wirtschaftlich aber eine Einheit bilden und dabei insbesondere unter einer einheitlichen strategischen Oberleitung stehen.843 Aus betriebswirtschaftlicher Sicht verlieren Gesellschaften im Konzernverbund zwar ihre Unabhängigkeit, dem Rechtskonstrukt Konzern selbst wird jedoch keine (steuerliche) Rechtspersönlichkeit zuerkannt. Das Konzernsteuerrecht orientiert sich an der Qualifikation als Rechts- und Steuersubjekt und nicht an betriebswirtschaftlichen Unternehmenskriterien.844 Kapitalgesellschaften und ihre Gesellschafter – die im Falle eines Konzerns häufig selbst Kapitalgesellschaften sind – besitzen weiterhin getrennte (Vermögens-)Sphären (sog. Trennungsprinzip).845 Als Konsequenz daraus bleibt jede einzelne Konzerneinheit als eigenständiges Steuersubjekt steuerpflichtig.846 Eine „Konzernsteuerpflicht“ existiert hingegen grundsätzlich nicht. Folglich muss für jede Gesellschaft, unabhängig von ihrer Stellung und Funktion im Gesamtkonzern, der erwirtschaftete Gewinn und daraus die zu 840 Zur historischen Entwicklung der Verständigungen über Verrechnungspreise vgl. Bär, Verständigungen über Verrechnungspreise verbundener Unternehmen im deutschen Steuerrecht, S. 62 – 73. 841 Greil, IStR 2017, 677 678). 842 Vgl. Vollert/Eikel/Sureth, StuW 2013, 367 (369); Bär, Verständigungen über Verrechnungspreise verbundener Unternehmen im deutschen Steuerrecht, S. 77; Kramer, IStR 2007, 174 (175); Grotherr, IStR 2005, 350 (350); Schnorberger/Wingendorf, DB 2004, 2234 (2234). 843 Zatloukal, in: Schuch/Zehetner (Hrsg.), Verrechnungspreisgestaltung im internationalen Steuerrecht, S. 95; van der Ham/Thier, IStR 2015, 168 (169). 844 Kessler, in: Kessler/Kröner/Köhler (Hrsg.), Konzernsteuerrecht, S. 2. 845 Hey, in: Tipke/Lang (Hrsg.), Steuerrecht, § 11 Rn. 1. 846 Greil, Advance Pricing Agreement – Ein Instrument zur Steigerung der Rechtssicherheit bei grenzüberschreitenden Geschäftsvorfällen zwischen verbundenen Unternehmen, S. 12.

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Kap. 4: Tax Rulings als Anwendungsgegenstand des Beihilfeverbotes

zahlende Körperschaftsteuer getrennt ermittelt werden.847 Die Steuerlast des Gesamtkonzerns ergibt sich dann aus der Addition der abgeführten Steuern der einzelnen Konzerngesellschaften. Steuerrechtlich prägend für den Konzern ist also die separate Steuerveranlagung aller Konzerneinheiten. Betriebswirtschaftlich ist ein Konzern im Gegensatz dazu durch seine Verbundenheit geprägt. Kennzeichnend dafür sind im Wesentlichen zwei Dinge: Zum einen die Schaffung konzernweiter Synergien über die parallele Nutzung bestimmter Einrichtungen und Institutionen (z. B. Marketing oder Forschungs- & Entwicklungstätigkeiten). Zum anderen die Integration der Tochtergesellschaften und Konzerneinheiten in den Gesamtkonzern. Diese Integration erfolgt häufig durch eine Funktions- und Prozessaufspaltung. Prozesse werden nicht mehr zur Gänze nur von einer Gesellschaft wahrgenommen; vielmehr wird der Prozess unter ökonomischen Gesichtspunkten in einzelne Bestandteile zerlegt und unterschiedlichen Konzerneinheiten zugewiesen. Die einzelnen Konzerngesellschaften werden so zu Dienstleistern innerhalb des Konzerns und erbringen sich wechselseitig bestimmte Leistungen (z. B. Lieferung bestimmter Produkte bzw. Einzelteile oder Dienstleistungen aller Art). Die Strukturen in internationalen Konzernen sind daher häufig durch starke Arbeitsteilung und hohe Spezialisierungsgrade geprägt.848 Wie auch gegenüber unabhängigen Gesellschaften werden die erbrachten Leistungen auch unter Konzerngesellschaften abgerechnet. Die für die konzerninternen Liefer- und Leistungen angesetzten Entgelte werden als Verrechnungspreise (oder auch Transferpreise) bezeichnet.849 Dabei verbucht die leistungserbringende Gesellschaft Einnahmen, während die zahlende Gesellschaft Ausgaben verbucht. Auf diese Weise wird Kapital innerhalb des Konzerns verlagert. Da innerhalb eines Konzerns eine Vielzahl solcher Leistungsaustausche stattfinden und die schuldrechtlichen Vertragsbeziehungen zwischen den verbundenen Unternehmen steuerrechtlich anerkannt werden, wird so zwangsläufig die steuerliche Bemessungsgrundlage der einzelnen Konzerngesellschaften maßgeblich beeinflusst.850 Die Anzahl und Komplexität der konzerninternen Leistungsbeziehungen haben dafür gesorgt, dass die steuerliche Gewinnabgrenzung heute als eines der größten Risiko- und Konfliktfelder der internationalen Konzernbesteuerung gilt.851 Ziel der Konzernbesteuerung ist es dabei, trotz der rechtlichen Vielfalt, die Besteuerung des Konzerns als wirtschaftliche Einheit zu verwirklichen. Solche Un847

In Deutschland wäre allenfalls eine Durchbrechung im Rahmen einer Organschaft gem. §§ 14 bis 19 KStG möglich. Diese bewirkt eine Zurechnung sämtlicher Gewinne und Verluste der Organgesellschaft (Tochtergesellschaft) zum Organträger (Muttergesellschaft). Beide Unternehmen erscheinen dadurch als ein einheitlicher Steuerpflichtiger, ohne ihre rechtliche Selbständigkeit zu verlieren. 848 van der Ham/Thier, IStR 2015, 168 (169). 849 Zatloukal, in: Schuch/Zehetner (Hrsg.) Verrechnungspreisgestaltung im internationalen Steuerrecht, S. 95. 850 Greil, Advance Pricing Agreement – Ein Instrument zur Steigerung der Rechtssicherheit bei grenzüberschreitenden Geschäftsvorfällen zwischen verbundenen Unternehmen, S. 12. 851 Niess/Karthaus, in: Kahle/Overesch/Ruf/Spengel (Hrsg.), Kernfragen der Unternehmensbesteuerung, S. 87.

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ternehmensverbindungen sollen gegenüber Unternehmen, die wirtschaftlich und rechtlich eine Einheit bilden (Einheitsunternehmen), weder einen Vor- noch einen Nachteil haben.852 a) Bedeutung für die nationalen Fisken Komplexe Konzernstrukturen sind häufig bei grenzüberschreitend aktiven Unternehmensverbänden anzutreffen.853 Kapitalgesellschaften bleiben unabhängig von ihrer Konzernzugehörigkeit als juristische Personen eigenständige Steuersubjekte. Für grenzüberschreitende Sachverhalte bedeutet dies, dass jede Konzerngesellschaft mit ihrem Einkommen der (unbeschränkten) Steuerpflicht in ihrem Ansässigkeitsstaat unterliegt.854 Die veranschlagten Verrechnungspreise beeinflussen dabei nicht nur die Gewinnzuordnung innerhalb des Konzerns, sondern auch die Aufteilung des Steuersubstrats zwischen den beteiligten Hoheitsträgern.855 Durch die Besteuerung als selbstständige Steuersubjekte muss bei jedem Konzernunternehmen nach den Gewinnermittlungsvorschriften des jeweiligen Staates die eigene steuerliche Bemessungsgrundlage und darauf aufbauend die zu entrichtende Körperschaftsteuer ermittelt werden.856 Verrechnungspreise dienen damit der korrekten Steuerzuordnung zwischen einzelnen Jurisdiktionen.857 Aus Sicht der Fisken wird dabei zum Problem, dass den verbundenen Unternehmen durch den konzerninternen Leistungsaustausch ein Instrument an die Hand gegeben wird, mit dem es möglich ist, Gewinne strategisch zu verschieben und dadurch Steuern zu vermeiden. So können z. B. zwischen den verbundenen Unternehmen überhöhte Verrechnungspreise vereinbart werden, wenn die Muttergesellschaft in einem Hochsteuerstaat und die Tochtergesellschaft in einem Niedrigsteuerstaat ansässig ist. Auf diese Weise wird der anfallende Gewinn bei der Muttergesellschaft überdimensional geschmälert. Bei der Tochtergesellschaft wiederum fällt ein Gewinn in einer Höhe an, der nicht den betriebswirtschaftlichen Realitäten entspricht. Obwohl die Erlöse des Konzerns dabei insgesamt gleich hoch bleiben, steigt der Gewinn nach Steuern. Bei umgekehrten Vorzeichen würde hingegen ein zu niedriger Preis vereinbart werden. In beiden Szenarien wird der Gewinn von einem Hochsteuer- in einen Niedrigsteuer852

Vgl. Scheffler, Besteuerung von Unternehmen I, S. 475. In der Praxis sind Konzernstrukturen oft nicht einfach zu durchschauen. Viele internationale Konzerne bestehen aus einem Gewirr verschiedenster Mutter- und Tochtergesellschaften. Ziel dieser häufig sehr komplizierten Strukturen ist nicht zuletzt eine Gewinnbesteuerung soweit wie möglich zu vermeiden. 854 Bei grenzüberschreitender Tätigkeit kommt ggf. noch eine beschränkte Steuerpflicht im Quellenstaat hinzu. 855 Vollert/Eikel/Sureth, StuW 2013, 367 (367). 856 Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung, S. 543. 857 Haslehner/Schwarz, in: Jaeger/Haslinger (Hrsg.), Beihilferecht Jahrbuch 2017, S. 333. Zur Kritik an der Verknüpfung von Gewinnzurechnungen an Konzerneinheiten mit der Zuweisung von Besteuerungsrechten vgl. Schön, in: Schön/Konrad (Hrsg.), Fundamentals of International Transfer Pricing in Law and Economics, S. 47 – 67. 853

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Kap. 4: Tax Rulings als Anwendungsgegenstand des Beihilfeverbotes

staat verlagert. Aus der Anerkennung konzerninterner Transaktionen folgt daher immer zwangsläufig die Gefahr von Gewinnverlagerungen.858 Stellen sich die Konzerneinheiten die Leistungen nicht zu sachgerechten, sondern zu überhöhten oder zu vergünstigten Preisen in Rechnung, wird damit der Gewinn zwischen den Einheiten verschoben. Dem Hoheitsträger kann folglich Besteuerungssubstrat durch die konzerninterne Verrechnungspreisgestaltung entzogen werden.859 Dem Interesse des Unternehmens an einer möglichst geringen Steuerlast steht das Interesse der Staaten an ihren Steueransprüchen entgegen. Jeder Staat hat in der Regel die Motivation, entweder möglichst viel Steuersubstrat seinem Steueranspruch zu unterwerfen oder zumindest aber einen angemessenen Anteil am Unternehmensgewinn besteuern zu können.860 Sowohl für den Gesamtkonzern als auch insbesondere für die nationalen Hoheitsträger ist es daher bedeutsam, bei welcher Konzerneinheit welcher steuerpflichtige Gewinn angefallen ist. Damit soll zwar keineswegs gesagt werden, dass konzerninterne Verrechnungspreise grundsätzlich zur Gewinnmanipulation eingesetzt werden. Allerdings hat sich, unterstützt durch diverse Rechts- und Steuerberatungen, diese Art der aggressiven Steuerplanung und Steuervermeidung unter multinationalen Großkonzernen in jüngerer Zeit zu einem großen Problem für viele Staaten entwickelt.861 Dies gilt insbesondere für die Mitgliedstaaten der Europäischen Union, da hier im Wege der Verwirklichung des Binnenmarktes und der Grundfreiheiten viele Barrieren für Unternehmen bereits abgebaut wurden und dadurch die Steuerlast ein noch größerer Faktor im Wettbewerb wurde.862 b) Bedeutung für Konzerne Nicht nur für den beteiligten Hoheitsträger, auch für die Konzerne selbst ist eine Gewinnabgrenzung der Konzerneinheiten sinnvoll. Dabei muss zwischen der Steuerplanung und der Konzernsteuerung unterschieden werden. aa) Steuerplanung Verrechnungspreise wirken sich, wie bereits gezeigt, über die Gewinnermittlung auf die Bemessungsgrundlage jeder Konzerneinheit aus. Diese werden grundsätzlich unabhängig voneinander besteuert. Da die Steuersätze weder weltweit noch innerhalb der Europäischen Union harmonisiert sind, ist es aber auch für den Gesamtkonzern interessant, in welchen Staaten der Gewinn letztlich anfällt. Aus steuer858

Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung, S. 646. Schön, IStR 2011, 777 (782). 860 Schreiber/Fell, in: Lüdicke/Schnitger/Spengel (Hrsg.), Besteuerung Internationaler Unternehmen, S. 387. 861 Pressemitteilung der Kommission v. 11. 06. 2014 – IP/14/663. 862 Vgl. dazu Kapitel 5, S. 335 ff. 859

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planerischer Sicht ist es dabei verständlicherweise erstrebenswert, möglichst wenig Steuern zu bezahlen; Gewinne also möglichst in Niedrigsteuerstaaten anfallen zu lassen und in Hochsteuerstaaten zu vermeiden.863 Ziel einer rationalen Unternehmensführung muss es immer sein, den Gewinn nach Steuern zu maximieren.864 Dies kann entweder durch eine Erhöhung der Einnahmen oder aber durch Ausgaben- und Kostenreduktion, wie insbesondere die Absenkung der Gesamtsteuerlast, geschehen. Verrechnungspreise stellen daher in der Praxis ein Mittel der Steuerplanung dar, das auch zur Steuerumgehung und –minimierung eingesetzt wird.865 bb) Konzernsteuerung Die Notwendigkeit der Gewinnabgrenzung begründet sich aber nicht nur aus dem Erfordernis der Steuerplanung, sondern auch aus dem Erfordernis der Konzernsteuerung.866 Für die Konzernleitung ist es eine strategische Notwendigkeit, die tatsächliche Leistungsfähigkeit der Konzerngesellschaften zu ermitteln und entsprechende Rückschlüsse für Umstrukturierungen, Zu- oder Verkäufe sowie sonstige betriebswirtschaftliche Anpassungen zu treffen. Innerhalb des Konzerns muss ein Koordinations- und Anreizsystem mit dem Ziel der konzernweiten Gewinnmaximierung installiert werden. Dafür muss zunächst der tatsächliche Erfolg der Konzerneinheiten, unabhängig von steuerstrategischen Verlagerungen, ermittelt werden. Aufgrund ihrer Funktion und Reichweite können konzerninterne Verrechnungspreise dabei für die Konzernsteuerung nutzbar gemacht werden.867 Dazu tritt die gesellschaftsrechtliche Funktion des Gläubiger- und Minderheitenschutzes im Hinblick auf die einzelne Konzerngesellschaft. Innerhalb eines Konzerns stehen nicht zwingend alle Tochtergesellschaften im 100 %igen Eigentum der Muttergesellschaft. Mitunter mag es auch Minderheitsgesellschafter geben. Diesen ist – mit Blick auf ihre Unternehmensanteile und Dividenden – ebenfalls an einer gerechten Abgrenzung des Erfolgs der einzelnen Gesellschaft gelegen.868 Die Zielsetzungen von Steuerplanung und Konzernsteuerung decken sich in Teilen, widersprechen sich aber auch. Ziel der Steuerplanung ist es, die Steuerlast so gering wie möglich zu halten und Verrechnungspreise so zu gestalten, dass die konzernweite Besteuerung möglichst gering ist. Im Gegensatz dazu ist für eine sachgerechte Konzernsteuerung eine möglichst realitätsgetreue Abbildung der tatsächlichen Leistungsfähigkeit der Konzerneinheiten erforderlich. Steuerrechtlich bedingte Verzerrungen erschweren dies. Hier stehen sich die Ansichten grundsätz863 Endres, in: Kahle/Overesch/Ruf/Spengel (Hrsg.), Kernfragen der Unternehmensbesteuerung, S. 75. 864 Scheffler, Besteuerung von Unternehmen III, S. 2. 865 van der Ham/Thier, IStR 2015, 168 (170). 866 Ditz/Bärsch/Kluge, IStR 2015, 819 (819). 867 van der Ham/Thier, IStR 2015, 168 (169) 868 Schön, IStR 2011, 777 (780).

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lich diametral gegenüber. Das dadurch entstehende Spannungsverhältnis ist in der unternehmerischen Praxis prägend für die Verrechnungspreisgestaltung.869 Allerdings ist oberste Prämisse der Konzernsteuerung die Maximierung des Konzerngewinns, wozu auch eine Minimierung der Steuerlast beiträgt, sodass insoweit wieder ein Gleichlauf besteht. c) Betriebsstättenkonzern Im Gegensatz zu rechtlich selbstständigen Kapitalgesellschaften bleiben Betriebsstätten Teil des Stammhauses. Betriebsstätten sind unselbstständige Organisationseinheiten, durch die das Unternehmen seine Tätigkeit ausübt.870 Kennzeichnend für Betriebsstättenkonzerne sind folglich die fehlenden rechtlichen Untergliederungsebenen.871 Ohne Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung unterliegen Gewinne aus ausländischen Betriebsstätten im Ansässigkeitsstaat des Stammhauses der Besteuerung (unbeschränkte Steuerpflicht). Im Ansässigkeitsstaat der Betriebsstätten wären diese ebenfalls (beschränkt) steuerpflichtig. Es käme zu einer Doppelbesteuerung. Um dies zu vermeiden, ist auch hier eine – anhand des Stammhauses und der Betriebsstätte orientierte – Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse erforderlich.872 Diese Notwendigkeit besteht unabhängig davon, ob ein Doppelbesteuerungsabkommen existiert oder nicht, da die Betriebsstätte stets Objekt der beschränkten Steuerpflicht im Ausland ist.873 Trotz der rechtlichen Unselbständigkeit stimmt bei internationalen Einheitsunternehmen die Grundausrichtung der zwischenstaatlichen Erfolgszuordnung im Bereich der direkten Besteuerung mit den für internationale Kapitalgesellschaftskonzerne geltenden Prinzipien überein. Die Besteuerung grenzüberschreitender Geschäftsvorfälle zwischen einer Betriebsstätte und dem übrigen Unternehmen erfolgt nach denselben Grundsätzen wie die Besteuerung entsprechender Geschäftsvorfälle verbundener Kapitalgesellschaften. Betriebsstätten sind für Zwecke der steuerlichen Erfolgszuordnung als wirtschaftlich unabhängige, selbständige Unternehmen anzusehen (sog. Functionally Separate Entity Approach).874 Einer (ausländischen) Betriebsstätte werden die Gewinne zugeordnet, die sie erzielt hätte, wenn sie ihre Tätigkeit als selbständiges Unternehmen ausgeübt hätte und im Verkehr mit dem inländischen Stammhaus völlig unabhängig gewesen wäre (vgl. dazu auch Art. 7 Abs. 2 OECD-MA). Der Unterschied zwischen Betriebsstätten und verbundenen Unternehmen ist zum einen darin zu sehen, dass aufgrund der fehlenden rechtlichen Eigenständigkeit die 869

van der Ham/Thier, IStR 2015, 168 (172). Vgl. Art. 5 OECD-MA und § 12 S. 1 AO. 871 Köhler, in: Kessler/Kröner/Köhler (Hrsg.), Konzernsteuerrecht, S. 307. 872 Rose/Watrin, Internationales Steuerrecht, S. 102. 873 Rose/Watrin, Internationales Steuerrecht, S. 274. 874 Der Functionally Separate Entity Approach (häufig als Authorized OECD Approach, AOA, bezeichnet) wurde durch das Amtshilferichtlinie-Umsetzungsgesetz in nationales Recht umgesetzt (§ 1 Abs. 4 S. 1 Nr. 2, Abs. 5 AStG). 870

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Trennung der Vermögenssphären nicht auf dem Trennungsprinzip beruht, sondern auf einem abgeschlossenen Doppelbesteuerungsabkommen.875 Zum anderen liegt der Unterschied darin, dass zwischen letzteren im Regelfall ein gültiger zivilrechtlicher Vertrag vorliegt, während im Falle von Betriebsstätten ein solcher Vertrag – aufgrund des Charakters als Insichgeschäft – nicht mit zivilrechtlicher Wirkung abgeschlossen werden kann. Es muss daher auf den wirtschaftlichen Vorgang abgestellt werden. Dabei müssen die durch die Betriebsstätte ausgeübte Tätigkeit, die genutzten Wirtschaftsgüter sowie die übernommenen Risiken berücksichtigt werden. Im Ergebnis wird die Betriebsstätte zur steuerlichen Gewinnermittlung weitgehend verbundenen Gesellschaften gleichgestellt.876 In den folgenden Abschnitten soll daher der Konzernbegriff grundsätzlich im Sinne eines Kapitalgesellschaftskonzerns verstanden werden. Sich für Betriebsstättenkonzerne ergebende Besonderheiten werden dann in der Folge erläutert. d) Preisbestimmung und Fremdvergleichsgrundsatz Das Spannungsverhältnis zwischen rechtlicher Selbstständigkeit und wirtschaftlicher Einheit prägt den Konzernbegriff und ist bei der Bestimmung konzerninterner Verrechnungspreise von besonderer Bedeutung. Zum entscheidenden Faktor wird dabei, dass es beim konzerninternen Leistungsaustausch – im Gegensatz zu unabhängigen Unternehmen – an der Gegenläufigkeit der Interessen fehlt. Bei nicht verbundenen Unternehmen kommt der Preis für die Leistungserbringung durch die „Kräfte des Marktes“, einem Wechselspiel zwischen Angebot und Nachfrage, zustande, wohingegen bei Konzernunternehmen zwar steuer- und gesellschaftsrechtliche Vielfalt, aber wirtschaftliche Einheit besteht (sog. Konzerndualismus). Während ein zwischen selbstständigen Unternehmen zustande gekommener Preis grundsätzlich als marktgerecht und „fair“ angesehen werden kann, ist davon bei verbundenen Unternehmen nicht ohne Weiteres auszugehen. Betriebswirtschaftlich werden Verrechnungspreise daher auch nicht als Marktpreis, sondern vielmehr als konzernintern festgelegter Wertersatz für bezogene Leistungen angesehen.877 Dieser Wertersatz wird mittels einer Verrechnungspreismethode bestimmt. Diese Methoden lassen sich ihrerseits in zwei Unterkategorien einteilen:878 Klassische Methoden und gewinnorientierte Methoden. Zu den klassischen Methoden zählen die Wiederverkaufs- und die Kostenaufschlagsmethode, wohingegen die transaktionsbezogene Nettomargen- bzw. die transaktionsbezogene Gewinnaufteilungsmethode die ge875 Wurde kein Doppelbesteuerungsabkommen geschlossen, kann ein Staat unilaterale Maßnahmen zur Vermeidung von Doppelbesteuerung treffen, z. B. die Anrechnung gezahlter ausländischer Steuern oder die komplette Freistellung. Vgl. zur Besteuerung ausländischer Betriebsstätten: Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung, S. 458. 876 Vgl. BMF-Schreiben v. 22. 12. 2016 über die Verwaltungsgrundsätze Betriebsstättengewinnaufteilung – VWG BsGa, IV B 5 – S 1341/12/10001-03. 877 Nicolaides, EStAL 2016, 416 (416). 878 Vgl. Ditz/Bärsch/Kluge, IStR 2015, 819 (820).

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winnorientierten Methoden darstellen.879 Mit der Wahl der Ermittlungsmethode wird jedoch noch keine Aussage über die Fairness und Sachgerechtigkeit eines Verrechnungspreises getroffen. Ob konzerninterne Verrechnungspreise angemessen sind, bestimmt sich international häufig nach dem von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung entwickelten Fremdvergleichsgrundsatz (sog. „arm’s length prinicple“).880 Dieses Grundprinzip zur Einkünfteabgrenzung wird in der OECD-Verrechnungspreisleitlinie für multinationale Unternehmen und Steuerverwaltungen beschrieben. Danach müssen bei (grenzüberschreitenden) Transaktionen von verbundenen Unternehmen die anfallenden Verrechnungspreise so festgesetzt werden, wie dies bei unabhängigen Unternehmen bei einem vergleichbaren Geschäftsvorfall der Fall wäre (sog. „dealing at the arm‘s length prinicple“).881 Diese Formulierung dient seit vielen Jahren als Generalklausel zur Kontrolle angemessener Verrechnungspreise.882 Nach dem Fremdvergleichsgrundsatz sind Unternehmen eines multinationalen Konzerns, trotz wirtschaftlicher Abhängigkeit, als eigenständige Unternehmen und nicht als Teil eines einheitlichen Gesamtunternehmens zu behandeln.883 Durch die Fiktion der Unabhängigkeit werden die fehlenden widerstreitenden Interessen der verbundenen Unternehmen simuliert und dem Verhalten tatsächlich unabhängiger Dritter gegenübergestellt. Wird dieser Grundsatz verletzt, kann die zuständige Finanzverwaltung ein Geschäft nach den Konditionen behandeln, wie sie zwischen selbstständigen Dritten vereinbart worden wären. Steuerlich werden die Leistungsbeziehungen also nicht nach den tatsächlich vereinbarten Konditionen, sondern anhand ermittelter marktgerechter Konditionen beurteilt.884 So kann z. B. die steuerliche Abzugsfähigkeit bestimmter Zahlungen für Rohstoffe oder Dienstleistungen auf einem marktkonformen Niveau gedeckelt werden. Im Wesentlichen beruht der Fremdvergleichsgrundsatz auf einem Vergleich (der Bedingungen) eines Geschäftsvorfalls zwischen verbundenen und nicht verbunde879 Zur Bedeutung des Fremdvergleichsgrundsatzes bei der Bestimmung der Verrechnungspreise vgl. Niess/Karthaus, in: Kahle/Overesch/Ruf/Spengel (Hrsg.), Kernfragen der Unternehmensbesteuerung, S. 93. 880 Dieser findet im deutschen Steuerrecht in § 1 Abs. 1 S. 1 AStG Niederschlag: „Werden Einkünfte eines Steuerpflichtigen aus einer Geschäftsbeziehung zum Ausland mit einer ihm nahe stehenden Person dadurch gemindert, dass er seiner Einkünfteermittlung andere Bedingungen, insbesondere Preise (Verrechnungspreise), zugrunde legt, als sie voneinander unabhängige Dritte unter gleichen oder vergleichbaren Verhältnissen vereinbart hätten (Fremdvergleichsgrundsatz), sind seine Einkünfte unbeschadet anderer Vorschriften so anzusetzen, wie sie unter den zwischen voneinander unabhängigen Dritten vereinbarten Bedingungen angefallen wären.“ 881 OECD-Verrechnungspreisleitlinien 2010, Kapitel 1, Punkt 1.3. 882 Niess/Karthaus, in: Kahle/Overesch/Ruf/Spengel (Hrsg.), Kernfragen der Unternehmensbesteuerung, S. 92. 883 OECD-Verrechnungspreisleitlinien 2010, Kapitel 1, Punkt 1.6. 884 Rossi-Maccanico, EC Tax Review 2015, 63 (74). Siehe auch: OECD Verrechnungspreisleitlinien 2011, Kapitel 1, Punkt 1.3. Zum Fremdvergleichsgrundsatz nach OECD und nach deutschem Recht siehe: Wellens, IStR 2010, 153 – 157 ff.

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nen Unternehmen. Damit ein solcher Vergleich überhaupt möglich ist, müssen die wirtschaftlich relevanten Gegebenheiten der Transaktionen grundsätzlich vergleichbar sein. Es darf keine Unterschiede derart geben, dass dadurch die Vergleichbarkeit dem Grunde nach aufgehoben wäre. Folgerichtig steht die Vergleichbarkeitsanalyse bei der Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes im Mittelpunkt der Betrachtung.885 Eine besondere praktische Schwierigkeit liegt darin, dass verbundene Unternehmen mitunter Geschäftsbeziehungen eingehen (können), die unabhängige Unternehmen nicht eingehen würden. Das ist häufig der Eingliederung in den Gesamtkonzern und der damit verbundenen Zielsetzung der Gewinnmaximierung auf Konzernebene, nicht auf Ebene der Tochtergesellschaft, geschuldet. Einzelne Konzerneinheiten werden daher mitunter Geschäftsbeziehungen zu Konditionen eingehen, die für sie selbst nicht unmittelbar vorteilhaft sind, für den Gesamtkonzern jedoch schon. Durch die Einbettung in den Konzern und dessen Ressourcen ist ihnen – im Gegensatz zu einem unabhängigen Dritten – dies auch finanziell möglich. Daher sollen und müssen Steuerverwaltungen bei der Beurteilung bestimmter Geschäftsvorfälle bei der Durchführung der Vergleiche auch die relevanten Unterschiede berücksichtigen. Ziel des Fremdvergleichsgrundsatzes ist es sowohl eine Doppelbesteuerung der betroffenen Konzerne zu verhindern als auch jedem Staat eine angemessene Besteuerungsgrundlage zuzusichern.886 In einer großen Mehrzahl der Fälle kann der Fremdvergleichsgrundsatz effektiv angewendet werden und bringt dabei das Bedürfnis nach Rechts- und Planungssicherheit der Unternehmen und das Bedürfnis nach adäquater Besteuerung und Kontrolle seitens der Steuerverwaltung zum Ausgleich.887 In der Praxis findet der Fremdvergleichsgrundsatz seine Konkretisierung in der fremdvergleichskonformen Umsetzung der anerkannten Methoden zur Verrechnungspreisbestimmung. aa) Fremdvergleichsgrundsatz und staatliche Steuersouveränität Das internationale Konzernsteuerrecht wird geprägt durch den Konflikt über die Verteilung der Besteuerungsansprüche zwischen den Hoheitsträgern. Ohne festgelegte Zuteilung der Ansprüche werden sowohl der Domizilstaat der Tochtergesellschaft, als auch der Residenzstaat der Hauptgesellschaft das erwirtschaftete Einkommen besteuern. Diese Überlappung der Steueransprüche liegt im Wesen des Konzerns, der rechtlichen Selbstständigkeit der Konzerneinheiten, und führt im Ergebnis zu Doppelbesteuerung. Besteuern aber beide Hoheitsträger gleichzeitig, wird eine grenzüberschreitende Investition aufgrund steuerlicher Hürden unattraktiver als eine vergleichbare inländische. Die Vermeidung von Doppelbesteuerung steht daher bereits seit den 1920er Jahren im Mittelpunkt der internationalen Steuerlehre. Zur Verhinderung der Doppelbesteuerung ist es erforderlich, dass die Staaten ihre Besteuerungsrechte koordinieren und teilweise zurücknehmen. Die Aufteilung 885 886 887

OECD-Verrechnungspreisleitlinien 2010, Kapitel 1, Punkt 1.33. OECD-Verrechnungspreisleitlinien 2010, Kapitel 1. OECD-Verrechnungspreisleitlinien 2010, Kapitel 1, Punkt 1.7.

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des Steuersubstrats wird seither mittels des Fremdvergleichsgrundsatzes geregelt. Dessen Besonderheit ist sein souveränitätsschonender Ansatz. Im Gegensatz zu anderen Ansätzen – z. B. der indirekten Methode888 – kommt er ohne Eingriffe in die staatliche Steuersouveränität aus. Die Staaten behalten trotz internationaler Koordination weiterhin die volle Souveränität über die Ausgestaltung ihres Steuersystems.889 bb) Fremdvergleichsgrundsatz und Steuergerechtigkeit (1) Internationale Steuergerechtigkeit Wie bereits ausgeführt, können Verrechnungspreisgestaltungen dazu genutzt werden, Gewinne innerhalb eines Konzerns und ggf. auch grenzüberschreitend zu verlagern. Dass diese Gefahr keineswegs nur abstrakt vorliegt, zeigen die Ergebnisse empirischer Studien.890 Damit eng verbunden ist die Folgefrage, welcher Anteil am Steuersubstrat als „fair“ anzusehen ist. Diese Frage geht Hand in Hand mit der Festlegung angemessener Verrechnungspreise. Werden Verrechnungspreise sachgerecht gebildet, sodass der tatsächliche Ertrag einer Gesellschaft sichtbar wird, kann die daran anknüpfende Besteuerung grundsätzlich als fair im Sinne einer angemessenen Aufteilung angesehen werden. Erfolgt hingegen keine sachgerechte Preisbildung, können Gewinne konzernweit verschoben werden, mit der Folge, dass ein Staat zulasten eines anderen einen überproportional hohen Anteil des Konzerngewinns besteuert. In seiner Funktion als Maßstab für die Angemessenheit von Verrechnungspreisen wird der Fremdvergleichsgrundsatz damit in grenzüberschreitenden Sachverhalten auch zum Maßstab für die faire Aufteilung von Steuersubstrat zwischen den betroffenen Fisken.891 Er vermittelt zwischen den beteiligten Staaten und weist jedem einen angemessenen Anteil am aufzuteilenden Steuersubstrat des multinationalen Konzerns zu. (2) Nationale Steuergerechtigkeit Der Fremdvergleichsgrundsatz ist aber nicht nur für die internationale, sondern auch für die nationale Steuergerechtigkeit von Bedeutung. In der Öffentlichkeit werden Gewinnverlagerungen multinationaler Konzerne gemeinhin als Verstoß gegen das Gebot der Steuergerechtigkeit wahrgenommen. Obwohl es aus betriebswirtschaftlicher Sicht nachvollziehbar ist, die eigene Steuerlast möglichst gering zu halten und es Unternehmen auch nicht pauschal vorgeworfen werden kann, geltendes Recht zu verletzen, kann doch erwartet werden, dass Unternehmen einen „fairen Anteil“ zum Steueraufkommen beitragen und sich dieser Verpflichtung nicht durch 888

Zur indirekten Methode siehe S. 201 ff. Rixen, in: Kellermann/Zitzler (Hrsg.), Steuern im Europäischen Wettbewerb, S. 6 ff. 890 Für eine empirische Analyse der Buchgewinnverlagerungen deutscher Unternehmen vgl.: Hackemeyer/Spengel, DB 2009, 133 (135). 891 Rödder, in: Tipke/Seer/Hey/Englisch (Hrsg.), Festschrift für Joachim Lang, S. 1153. 889

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die Anwendung von Steuervermeidungsstrategien entziehen.892 Für Konzerne bedeutet das, dass die Besteuerung am Ort der tatsächlichen Wertschöpfung erfolgen soll. Dieser Verpflichtung sollen sie sich nicht durch konzerninterne Buchgewinnverlagerungen in andere Staaten entziehen dürfen. Der Fremdvergleichsgrundsatz dient gerade der Verhinderung solch künstlicher Verlagerungen. Die Kontrolle von Verrechnungspreisgestaltungen multinationaler Konzerne dient also nicht nur der gerechten Steueraufteilung zwischen den Staaten, sondern mittelbar auch der sachgerechten Verteilung der Steuerlast auf die Steuerpflichtigen. Für Staaten darf diese Bedeutung des Fremdvergleichsgrundsatzes keinesfalls unterschätzt werden. Das Vertrauen in das bestehende Steuersystem und damit auch in den Staat an sich wird unterminiert, wenn es bestimmten Gruppen von Steuerzahlern gelingt, sich – mitunter auch im Einklang mit dem geltenden Steuerrecht, aber entgegen den Vorgaben des Fremdvergleichsgrundsatzes – dauerhaft der Besteuerung zu entziehen.893 cc) Fremdvergleichsgrundsatz und Rechtssicherheit Das Prinzip der Rechtssicherheit erfordert es, dass die Rechtslage für den Bürger ausreichend klar erkennbar sein muss. Die der Rechtsordnung unterworfenen Individuen müssen einschätzen können, ob ihr Handeln erlaubt ist oder nicht. Es muss ihnen möglich sein, ihr Verhalten an den bestehenden Gesetzen auszurichten. Dieses verfassungsrechtlich verankerte Prinzip gilt für sämtliche Teilgebiete des Rechts. Für das Straf-, ebenso wie für das Zivil- und auch für das Steuerrecht. Auch hier muss die Rechtslage für den Steuerpflichtigen eindeutig erkennbar sein, sodass er seine steuerlichen Angelegenheiten regeln und seine Steuerschuld (zumindest in gewissem Umfang) selbst berechnen kann.894 Für die Gestaltung von Verrechnungspreisen gilt insoweit nichts anderes. Auch hier muss es dem Steuerpflichtigen möglich sein zu bestimmen, wie er diese berechnen darf und welche Leistungsbeziehungen von den Finanzbehörden anerkannt werden. Dabei können Unternehmen und Steuerverwaltung über die Korrektheit konzerninterner Verrechnungspreise durchaus unterschiedlicher Auffassung sein. Der Fremdvergleichsgrundsatz gibt dem Steuerpflichtigen dabei aber Orientierung und gibt ihm vor, wie Verrechnungspreise grundsätzlich gestaltet werden müssen, um gesetzeskonform zu sein. Dem steuerpflichtigen Unternehmen ist es dadurch möglich, sich an einem Vergleich mit einem hypothetischen privaten Dritten zu orientieren. Der Steuerpflichtige wird dadurch in die Lage versetzt, die Handlungen anderer zu prognostizieren und auf dieser Basis 892 Zur moralischen Verpflichtung der Unternehmen „faire“ Steuern zu bezahlen vgl. Endres, in: Kahle/Overesch/Ruf/Spengel (Hrsg.), Kernfragen der Unternehmensbesteuerung, S. 59 ff. 893 Schreiber/Fell, in: Lüdicke/Schnitger/Spengel (Hrsg.), Besteuerung Internationaler Unternehmen, S. 387 ff. 894 Greil, Advance Pricing Agreement – Ein Instrument zur Steigerung der Rechtssicherheit bei grenzüberschreitenden Geschäftsvorfällen zwischen verbundenen Unternehmen, S. 9.

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Entscheidungen zu treffen. Neben der Anerkennung konzerninterner Leistungsbeziehungen gehört dazu auch die Einschätzung der Gestaltungsmöglichkeiten etwaiger Wettbewerber.895 Dem mag man durchaus entgegenhalten, dass ein solcher Vergleich mitunter schwierig ist und dass es trotz dieser Orientierungshilfe eine Reihe von Unwägbarkeiten und Abweichungsmöglichkeiten gibt. Gleichwohl bietet der Fremdvergleichsgrundsatz eine praxisnahe Orientierungshilfe für verbundene Unternehmen. Aufgrund seiner Komplexität eignet sich der Fremdvergleichsgrundsatz dabei nur schwer für eine detaillierte gesetzliche Kodifizierung. Die gesetzgeberischen Vorgaben werden daher von Rechtsprechung und Auslegungshilfen, z. B. BMF-Schreiben oder den OECD-Verrechnungspreisleitlinien, flankiert.896 dd) Fremdvergleichsgrundsatz und Planungssicherheit Eng mit der Bedeutung des Fremdvergleichsgrundsatzes für die Rechtssicherheit verbunden ist seine Bedeutung für die steuerliche Planungssicherheit für Unternehmen. In Anbetracht der derzeitigen Rahmenbedingungen und Steuerrisiken genießt die Planungssicherheit in der Praxis daher klaren Vorrang vor der Steuerminimierung. Die Risikovermeidung durch frühzeitige Sicherstellung steuerlicher Rechtssicherheit dominiert in den Konzernsteuerabteilungen mittlerweile deutlich die steuerliche Optimierung.897 Oberste Prämisse ist es dabei, steuerliche Risiken zu minimieren und Steuernachzahlungen nach Möglichkeit zu vermeiden.898 Die Bestimmung von Verrechnungspreisen ist jedoch keine exakte Wissenschaft. Auch unter Zugrundlegung des Fremdvergleichsgrundsatzes gibt es nicht einen einzigen korrekten Preis, sondern vielmehr eine ganze Bandbreite.899 Zwar bleiben so Spielräume und damit auch Unsicherheit, allerdings wird dem Steuerpflichtigen mit der Fremdüblichkeit zumindest eine Richtschnur gegeben.900 ee) Schwächen des Fremdvergleichsgrundsatzes Obwohl der Fremdvergleichsgrundsatz international seit Jahren anerkannt ist, steht er auch in der Kritik.901 Im Folgenden sollen kurz die wesentlichen Kritikpunkte sowie die Bestimmungsmöglichkeit nach der indirekten Methode dargestellt werden. 895 Schmidt/Wohlgemuth, in: Blanke/Scherzberg/Wegner (Hrsg.), Dimensionen des Wettbewerbs, S. 65. 896 Greil, Advance Pricing Agreement – Ein Instrument zur Steigerung der Rechtssicherheit bei grenzüberschreitenden Geschäftsvorfällen zwischen verbundenen Unternehmen, S. 20. 897 Vgl. Horvath/FGS, Spannungsfeld Transferpreise, S. 8. 898 Niess/Karthaus, in: Kahle/Overesch/Ruf/Spengel (Hrsg.), Kernfragen der Unternehmensbesteuerung, S. 88. 899 de Broe, EC Tax Review 2015, 290 (292). 900 Greil, Advance Pricing Agreement – Ein Instrument zur Steigerung der Rechtssicherheit bei grenzüberschreitenden Geschäftsvorfällen zwischen verbundenen Unternehmen, S. 20. 901 Vgl. grundlegend: Schön, IStR 2011, 777 – 782.

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(1) Dogmatischer Ansatz Einer der wesentlichen Kritikpunkte am Fremdvergleichsgrundsatz ist sein dogmatischer Ansatz, verbundene Unternehmen wie unabhängige Dritte zu behandeln. Das wird zwar der juristischen Unabhängigkeit der Gesellschaften, nicht aber der betriebswirtschaftlichen Realität gerecht.902 Ein Konzern wird eben wesentlich durch die Verbundenheit seiner Einheiten geprägt. Er ist mehr als die Summe seiner Einzelteile. Es gibt daher durchaus Gründe, warum innerhalb eines Konzerns Verbindungen zu nicht marktüblichen Konditionen eingegangen werden.903 Die in einem Konzern entstehenden Synergieeffekte wie niedrigere Transaktionskosten und Skalenvorteile können aber innerhalb des Fremdvergleichsgrundsatzes gerade keine Beachtung finden.904 Dies gilt auch für „unsichtbare“ oder „weiche Faktoren“ wie z. B. organisatorische Vorteile.905 Ziel der einzelnen Konzerneinheiten ist – im Gegensatz zu unabhängigen Dritten – eben nicht die Gewinnmaximierung der eigenen Einheit, sondern die des Gesamtkonzerns. Das bedeutet keineswegs, dass die eigene Gewinnmaximierung vollkommen irrelevant wäre. Sie ist aber kein Selbstzweck, sondern Mittel zum Zweck und tritt im Zweifel hinter das Ziel der konzernweiten Gewinnmaximierung zurück. Gelungene Konzernsteuerung zeichnet sich gerade dadurch aus, den Erfolg jeder Konzerneinheit steigern zu wollen, ohne dabei das Endziel, die Maximierung des Konzernerfolgs, zu gefährden.906 Der betriebswirtschaftlichen Sicht, die das Rechtskonstrukt als ein einheitliches Unternehmen ansieht, wird der Fremdvergleichsgrundsatz schon seinem dogmatischen Ansatz nach nicht gerecht. (2) Grenzüberschreitende Tätigkeiten Bei grenzüberschreitenden Tätigkeiten tritt darüber hinaus das Problem auf, dass mindestens zwei verschiedene nationale Steuerverwaltungen an der Bestimmung des Verrechnungspreises beteiligt werden müssen. Aus der Tatsache, dass es nicht nur einen richtigen Verrechnungspreis, sondern eine ganze Bandbreite davon gibt, folgt auch, dass sich die Finanzverwaltungen bei der Beurteilung eines Sachverhaltes nicht zwingend einig sein müssen. Zwar orientieren sich die meisten Staaten an den Leitlinien der OECD, doch auch hier bleiben verschiedene Auslegungsmöglichkeiten. Obwohl also ein einheitliches Grundverständnis existiert, können in der Praxis doch unterschiedliche Auffassungen aufeinanderprallen. Der Fremdvergleichsgrundsatz stellt keinen globalen und einheitlichen Gewinnaufteilungsmechanismus dar. Das Risiko der Doppelbesteuerung bleibt trotz aller Mühen beste-

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Schön, IStR 2011, 777 (778). Rossi-Maccanico, EC Tax Review 2015, 63 (74). 904 Luja, EC Tax Review 2016, 312 (323). 905 Niess/Karthaus, in: Kahle/Overesch/Ruf/Spengel (Hrsg.), Kernfragen der Unternehmensbesteuerung, S. 94. 906 van der Ham/Thier, IStR 2015, 168 (169). 903

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hen.907 An dieser Stelle sei auch nochmals auf den zwischen den einzelnen Hoheitsträgern bestehenden Konflikt hingewiesen. Den beteiligten Verwaltungen geht es nicht zwingend um eine möglichst neutrale und faire Aufteilung des Steuersubstrats, sondern unter Umständen vielmehr um eine für sie möglichst günstige. (3) Aufteilung der strategischen Rente bzw. des Mehrgewinns Eng mit der Frage nach dem dogmatischen Ansatz und grenzüberschreitenden Sachverhalten verbunden ist die Frage nach der Besteuerung der sog. strategischen Rente bzw. dem Mehrgewinn. Darunter versteht man die Differenz zwischen dem Konzernerfolg und dem Erfolg unabhängiger Gesellschaften. Wie gezeigt, ist ein Konzern mehr als die Summe seiner Einzelteile. Die Skaleneffekte und Synergieeffekte bedingen, dass der Gesamtgewinn größer ist, als es der addierte Gewinn unabhängiger Unternehmen wäre.908 Da der Fremdvergleichsgrundsatz diese Verbundenheit aber gerade nicht erfasst, bleibt die Frage nach der Aufteilung dieses Mehrgewinns durch ihn unbeantwortet. Die Zuteilung erfolgt im Ergebnis zufällig.909 In grenzüberschreitenden Konstellationen droht eine Doppelbesteuerung falls beide Hoheitsträger den Mehrgewinn für sich beanspruchen.910 Gleichzeitig ist auch eine doppelte Nichtbesteuerung denkbar, sofern kein Staat den Mehrgewinn besteuern sollte. (4) Zunehmende Bedeutung immaterieller Wirtschaftsgüter Die Beurteilung eines fremdvergleichskonformen Verrechnungspreises wird insbesondere bei immateriellen Wirtschaftsgütern problematisch. Bei diesen erweist sich schon die Abgrenzung einzelner Geschäftsvorfälle als schwierig. Darüber hinaus kann sich auch der Vergleich mit einem unabhängigen Dritten als nahezu unmöglich erweisen.911 Als besonders schwierig kann sich dabei die Ermittlung der für den Fremdvergleichsgrundsatz erforderlichen Vergleichsdaten erweisen. Die Bedeutung immaterieller Wirtschaftsgüter für den Konzernerfolg nimmt stetig zu.912 Je stärker der Konzernerfolg von der konzerninternen Bereitstellung immaterieller Wirtschaftsgüter dominiert wird, desto stärker fehlt es an den notwendigen Anwendungsvoraussetzungen für den Fremdvergleichsgrundsatz.913 Dessen Anwendung verliert damit zunehmend an Legitimität. 907

Seer, EWS 2013, 257 (265). Schön, IStR 2011, 777 (778). 909 Rödder, in: Tipke/Seer/Hey/Englisch (Hrsg.), Festschrift für Joachim Lang, S. 1158. 910 Niess/Karthaus, in: Kahle/Overesch/Ruf/Spengel (Hrsg.), Kernfragen der Unternehmensbesteuerung, S. 94. 911 So wird z. B. ein Konkurrent für den Inhalt bzw. die Nutzung eines für sein Produkt entscheidendes Patent bereit sein einen deutlich höheren, auch über dem Marktpreis liegenden, Betrag zu bezahlen. 912 Spengel/Braunagel, StuW 2006, 35 (49). 913 Rödder, in: Tipke/Seer/Hey/Englisch (Hrsg.), Festschrift für Joachim Lang, S. 1157. 908

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(5) Zeitliche Perspektive Eine weitere Schwäche des Fremdvergleichsgrundsatzes ist, dass eine Beurteilung der Korrektheit der Verrechnungspreise durch die Finanzverwaltung nicht im Vorhinein, sondern erst im Nachhinein – mitunter Jahre später – erfolgt. Der Steuerpflichtige muss hingegen ex-ante eine Entscheidung treffen. Dadurch entsteht eine ggf. jahrelange Sachverhaltsunsicherheit. Diese Unsicherheit wird dadurch noch verstärkt, dass sich die Einschätzung des Sachverhaltes im Zeitraum zwischen Transaktion und behördlicher Kontrolle – ggf. durch später hinzutretende Umstände – verändern kann.914 Für den Steuerpflichtigen erhöht sich hierdurch das Risiko späterer negativer Bewertungen.915 Ein Unternehmen steht dabei vor einer schweren Entscheidung. Plant es für unsichere Vorgänge keine Rückstellungen ein, trifft es später möglicherweise eine hohe Nachzahlung, für die es nicht ausreichend Liquidität besitzt. Trifft es hingegen Vorkehrungen und nimmt Rückstellungen vor, die sich später als überflüssig herausstellen, hat es deswegen möglicherweise wichtige Investitionen unterlassen, da ihm für beides das Kapital fehlte, oder es musste Fremdkapital aufnehmen und hat damit an Profitabilität eingebüßt.916 ff) Alternative: Indirekte Methode Als Alternative zum Fremdvergleichsgrundsatz wird häufig eine formelhafte Aufteilung des gesamten Unternehmensgewinns auf die einzelnen Teilgesellschaften vorgeschlagen (sog. indirekte Methode).917 Ausgangspunkt der indirekten Methode ist die wirtschaftliche Verbundenheit der Konzerngesellschaften als ein Unternehmen. Im ersten Schritt werden dafür die Gewinne der Konzerneinheiten addiert. Danach wird jeder Gesellschaft ein Anteil des weltweiten Unternehmensgewinns anhand einer im Vorhinein festgelegten, starren Formel zugerechnet.918 Die indirekte Methode betrachtet einen Konzern als eine Einheit mit organisatorischen Untergliederungen.919 Im Ergebnis führt die formelhafte Aufteilung zur Aufgabe des Grundsatzes der selbstständigen Gesellschaften.920 Befürworter betonen dabei, dass diese globale Formel nicht nur die wirtschaftliche Realität der Konzerne besser abbildet, sondern darüber hinaus den Unternehmen mehr Rechts- und Planungssi914

Greil, Advance Pricing Agreement – Ein Instrument zur Steigerung der Rechtssicherheit bei grenzüberschreitenden Geschäftsvorfällen zwischen verbundenen Unternehmen, S. 23. 915 Seer, EWS 2013, 257 (264). 916 Damit sei nicht gesagt, dass Rückstellungen zwingend unprofitabler sein müssen als Investitionen. Es wird lediglich die Möglichkeit aufgezeigt, dass es aufgrund gebildeter Rückstellungen zu einem Investitionsstau kommen kann. 917 Als Beispiel für eine indirekte Methode sei die geplante Gemeinsame konsolidierte Körperschaftsteuerbemessungsgrundlage (GKKB) in der Europäischen Union genannt. Vgl. zu dieser S. 320. 918 OECD-Verrechnungspreisleitlinien 2010, Kapitel 1, Punkt 1.16 ff. 919 Oestreicher, StuW 2002, 342 (348). 920 OECD-Verrechnungspreisleitlinien 2010, Kapitel 1, Punkt 1.29.

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cherheit bietet und für die Verwaltung weniger Kontrollaufwand (und damit ebenfalls geringere Kosten) bedeutet.921 Die globale Formel stößt in der praktischen Anwendung aber auf große Hürden. Zunächst ist zur Ermittlung des weltweiten Unternehmensgewinns und der angemessenen Anteile der jeweiligen Tochtergesellschaften ein Maß an internationaler Koordination, Abstimmung und Kooperationsbereitschaft erforderlich, das bei realitätsnaher Betrachtung nicht oder nur in äußerst seltenen Ausnahmefällen erfolgreich stattfinden wird. Selbst unter der Annahme, dass solche Abstimmungen möglich sein sollten, wären diese extrem zeitaufwendig und arbeitsintensiv, sodass von einer Ersparnis an Verwaltungsaufwand und -kosten nur schwer ausgegangen werden kann. Auch für die betroffenen Unternehmen kann es zu erheblichen Befolgungs- und Datenbeschaffungskosten kommen.922 Das beste Argument für die formelhafte Aufteilung ist die Verringerung von Schlupflöchern und die Bekämpfung von Steuervermeidung und Gewinnverlagerung. Der Erfolg ist hier aber keineswegs garantiert. So können Unternehmen versucht sein, das entsprechende Datenmaterial in einer für sich günstigen Weise zu beeinflussen. Solche Beeinflussungen – insbesondere rechtswidrige – sind kein Problem der indirekten Methode, sondern vielmehr bei jeder Methode problematisch. Allerdings sind Manipulationen der Verrechnungspreise die große Schwäche der direkten Methode. Es erscheint zumindest zweifelhaft dieses Problem durch einen Methodenwechsel lösen zu wollen, an dessen Ende wieder Manipulationen möglich sind, wenn auch auf andere Art. Zum anderen stellt sich die Frage nach Formelfindung als solches. Sämtliche beteiligten Hoheitsträger müssen sich auf die einzubeziehenden Faktoren und deren Gewichtung einigen. Einige Staaten werden dabei im Rahmen des Abstimmungsprozesses versucht sein, die verschiedenen Faktoren der Formel für sich positiv zu gewichten, um so die Universalformel in ihrem Sinne zu beeinflussen und damit letztlich ihre eigenen Steuereinnahmen zu maximieren.923 Daneben bleiben noch andere Fragen offen: Beispielhaft genannt seien das Problem der Wechselkursschwankungen924 sowie die Rechnungslegung durch Gesellschaften, die zwar nicht in die weltweite Gewinnermittlung des Konzerns miteinbezogen wurden bzw. werden müssen, jedoch trotzdem mit Unternehmen des Konzerns verbunden sind.925 Nicht zuletzt fehlt es mit dem Wegfall der transaktionsbezogenen Verrechnungspreise an Anknüpfungspunkten für andere Steuern und Abgaben, z. B. Mehrwertsteuern und Zölle.926 Für die beteiligten Hoheitsträger ist auch zu bedenken, dass eine 921

OECD-Verrechnungspreisleitlinien 2010, Kapitel 1, Punkt 1.22 bis 1.24. OECD-Verrechnungspreisleitlinien 2010, Kapitel 1, Punkt 1.27. 923 Zur Bestimmung der Aufteilungsformel vgl. Schreiber, StuW 2004, 212 (219 ff.); Wellisch, StuW 2004, 267 (267 ff.); Oestreicher, StuW 2002, 342 (350 ff.). 924 Siehe dazu ausführlich: OECD-Verrechnungspreisleitlinien 2010, Kapitel 1, Punkt 1.25 und 1.26. 925 OECD-Verrechnungspreisleitlinien 2010, Kapitel 1, Punkt 1.31. 926 Niess/Karthaus, in: Kahle/Overesch/Ruf/Spengel (Hrsg.), Kernfragen der Unternehmensbesteuerung, S. 98. 922

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Vereinheitlichung der Gewinne zwingend einen grenzüberschreitenden Verlustausgleich zur Folge hat. Wird der Konzern als einheitliches Unternehmen betrachtet und seine Gewinne als gemeinsamer Gewinn, müssen auch Verluste als gemeinsame Verluste gelten.927 Die indirekte Methode hat folglich nicht zwingend höhere Steuereinnahmen zur Folge.928 Und selbst falls doch, bleibt fraglich, ob diese nicht durch gestiegene Verwaltungskosten aufgezehrt würden. Insgesamt erscheint es daher fraglich, ob die Anwendung einer Universalformel wirklich genauso effektiv die einmalige Besteuerung der Unternehmensgewinne und die Vermeidung von Doppelbesteuerung sicherstellen kann wie der Fremdvergleichsgrundsatz. In Teilen wird die globale formelhafte Aufteilung daher weder für eine legitime noch für eine praktikable Alternative zum Fremdvergleichsgrundsatz gehalten.929 Der Fremdvergleichsgrundsatz erweist sich im Ergebnis als der bessere Ansatz. Er stellt dabei weitestgehend eine Gleichbehandlung multinationaler Konzerne gegenüber unabhängigen, grenzüberschreitend oder nicht grenzüberschreitend tätigen, Unternehmen sicher.930 Trotz seiner recht einfach anmutenden Grundformel bleibt die Bestimmung von marktgerechten Verrechnungspreisen eine komplexe Materie und bereitet in der Praxis mitunter große Schwierigkeiten.

2. Advanced Pricing Agreements als Mittel der Steuerplanung Die zunehmende Komplexität konzerninterner Leistungsbeziehungen macht es sowohl für die beteiligten Unternehmen, als auch für die besteuernden Staaten schwierig, den nach dem Fremdvergleichsgrundsatz korrekten Verrechnungspreis zu bestimmen und später zu überprüfen. Kommt die Finanzbehörde bei einer (möglicherweise Jahre) späteren Überprüfung zu der Auffassung, dass die verwendete Ermittlungsmethode nicht dem Fremdvergleichsgrundsatz entspricht, können auf die betroffenen Unternehmen mitunter erhebliche Folgekosten in Form von Steuernachzahlungen und Prozesskosten zukommen. Die Verrechnungspreise und damit auch die Steuerschuld werden nachträglich nach oben korrigiert.931 Aus Gründen der Rechtssicherheit begehren Konzerne daher oftmals bereits im Vorhinein verbindliche Verrechnungspreisvereinbarungen.932 Diese verbindliche Vereinbarung erfolgt im Rahmen eines Verständigungsverfahren zwischen einem oder mehreren steuer927

Niess/Karthaus, in: Kahle/Overesch/Ruf/Spengel (Hrsg.), Kernfragen der Unternehmensbesteuerung, S. 98. 928 Einschränkend sei hier angemerkt, dass eine Konsolidierung nicht zwingend ist. So ist z. B. statt einer gemeinsamen konsolidierten Körperschaftsteuerbemessungsgrundlage (GKKB) auch lediglich eine gemeinsame Körperschaftsteuerbemessungsgrundlage (GKB) denkbar. 929 So etwa Herzig/Wagner, DB 2005, 1 (9). 930 OECD-Verrechnungspreisleitlinien 2010, Kapitel 1, Punkt 1.8. 931 Zu den Grenzen der Korrektur von Verrechnungspreisen bei der Betriebsprüfung vgl. ausführlich: Hülster, IStR 2016, 874 – 881. 932 Gunn/Luts, EC Tax Review 2015, 119 (120).

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pflichtigen Unternehmen und einer oder mehrerer Steuerbehörden. Ziel des Verständigungsverfahrens ist es, bereits vor Durchführung einer grenzüberschreitenden konzerninternen Transaktion gemeinsam eine adäquate Methode zur Ermittlung der Verrechnungspreise festzulegen.933 Am Ende des Verständigungsverfahrens steht eine befristete Vereinbarung zwischen den beteiligten Finanzbehörden und dem Steuerpflichtigen, in dem die zu verwendenden Verrechnungspreismethoden für einen bestimmten Zeitraum festgelegt sind.934 Grundsätzlicher Zweck solcher Verständigungsverfahren ist es einerseits, international verbundenen Unternehmen mehr Rechtssicherheit zu bieten, andererseits Betriebsprüfungen durch die Finanzbehörde effektiver zu gestalten.935 Durch die dem Steuerpflichtigen gewährte Rechtssicherheit über die steuerrechtliche Behandlung von Geschäftsvorgängen soll auch die Gefahr späterer Rechtsstreitigkeiten über die Korrektheit der vorgenommenen Bewertungen minimiert werden.936 Unternehmen erlangen so bereits in einem frühen Stadium Planungs- und Kostensicherheit.937 Die Finanzverwaltung wiederum schont ihre Ressourcen, indem sie sich kostspielige und zeitaufwändige Prüfungen in Verrechnungspreisfällen erspart und stattdessen nur den korrekten Vollzug der Vereinbarung überprüft.938 Das gilt insbesondere vor dem Hintergrund zunehmend globaler und damit auch komplexer Sachverhalte. In solchen Fällen kann sich eine spätere Prüfung in besonderem Maße als schwierig erweisen. Ohne eine vorherige Vereinbarung können sich die unklaren Steuerlasten und Befolgungskosten sogar negativ auf die Investitionstätigkeit der Unternehmen auswirken.939 Da sich dies auch hemmend auf grenzüberschreitende Transaktionen und damit auf die Verwirklichung des Binnenmarktes auswirkt, wurden Advanced Pricing Agreements von der Kommission in der Vergangenheit sogar als Schlüsselelement für einen Binnenmarkt ohne steuerliche Hemmnisse angesehen.940 Verrechnungspreisvereinbarungen stellen sich somit letztlich als ein legitimes Instrument der Steuerplanung und des Steuerrisikomanagements dar.

933

Gormsen, Journal of European Competition Law & Practice 2016, 369 (371). OECD-Verrechnungspreisleitlinien 2010, Kapitel 4, Unterpunkt 4.123. 935 Vollert/Eikel/Sureth, StuW 2013, 367 (370). 936 OECD-Verrechnungspreisleitlinien 2010, Kapitel 4, Unterpunkt 4.142. 937 Moreno González, EStAL 2016, 556 (561). 938 OECD, Verrechnungspreisleitlinien 2010, Kapitel 4, Unterpunkt 4.144. 939 Vögele/Vögele, IStR 2002, 641 (641). 940 Daneben war auch für die Schiedsgerichtsverfahren sowie für die Dokumentationspflichten eine bedeutende Rolle vorgesehen. Vgl. Mitteilung der Kommission v. 23. 10. 2001 an den Rat, das Europäische Parlament und den Wirtschafts- und Sozialausschuss: Ein Binnenmarkt ohne steuerliche Hindernisse – Strategie zur Schaffung einer konsolidierten Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage für die grenzüberschreitende Unternehmenstätigkeit in der EU, KOM(2001) 582 endg. S.14. Zur Arbeit der Europäischen Kommission an Verständigungen über Verrechnungspreise vgl. auch: Bär, Verständigungen über Verrechnungspreise verbundener Unternehmen im deutschen Steuerrecht, S. 70 – 73. 934

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3. Inhalt eines Advanced Pricing Agreements Die Einigung zwischen der Finanzverwaltung und dem Antragssteller hat im Wesentlichen nur drei Punkte zum Gegenstand. Als Erstes erfolgt die Festlegung der Verrechnungspreise. Darunter darf nicht fälschlicherweise verstanden werden, dass ein expliziter Preis für die anfallenden Transaktionen bestimmt wird. Eine exakte Bestimmung des fremdvergleichskonformen Verrechnungspreises lässt sich aufgrund der Komplexität der Sachverhalte nicht verwirklichen. Denn zum einen werden die Prozesse an sich bereits zu komplex für eine eindeutige Bestimmung sein, zum anderen müssten die Preise dann über die gesamte Laufzeit (ggf. mehrere Jahre) stabil bleiben. Ebenso wenig wie bereits heute zukünftige Marktpreise exakt kalkuliert werden können, ist es möglich Verrechnungspreise zu prognostizieren.941 Eine vorherige Preisfixierung wird daher in nahezu allen Fällen schlicht unmöglich sein.942 Vielmehr geht es daher um die Festlegung einer geeigneten Methode zur Bestimmung der Verrechnungspreise. Dabei erfolgt nicht nur die Auswahl einer der anerkannten Standardmethoden, sondern auch eine Bestimmung der wesentlichen preisbestimmenden Faktoren. Diese können sowohl aus unternehmensinternen Größen (z. B. Kosten in jeder Form) als auch aus unternehmensexternen Faktoren (z. B. Zinssätze, Wechselkurse, Preise der Konkurrenz) bestehen.943 Da der korrekte Verrechnungspreis maßgeblich von diesen, sich mitunter ständig verändernden, Faktoren abhängt, ein Unternehmen aber nicht ständig – möglicherweise sogar im Tages- oder Stundenrhythmus – seine Preise anpassen kann, ist es in Rechtsprechung, Verwaltung und Literatur Konsens, dass nicht nur ein fremdvergleichskonformer Preis existiert, sondern vielmehr eine ganze Bandbreite. Zweitens erfolgt die Festlegung der Laufzeit. Diese beträgt in der Regel drei bis fünf Jahre. Eine absolute minimale oder maximale Laufzeit gibt es jedoch nicht.944 Als Letztes erfolgt die Definition von Kriterien, die über die Gültigkeit und Anwendbarkeit der Vereinbarung entscheiden (sog. Gültigkeitsbedingungen). Die Bedeutung dieser Gültigkeitsbedingungen darf nicht unterschätzt werden. Sie bestimmen, ob und unter welchen Umständen die festgelegte Verrechnungspreismethode Anwendung findet und anerkannt werden muss. Sind die Gültigkeitsbedingungen bei Transaktionen nicht erfüllt, ist die Vereinbarung nicht bindend und findet 941 Eine Besonderheit gilt für sog. Termingeschäfte bzw. Terminmärkte. Hier wird bereits zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses der Preis festgelegt. Dieser gilt unabhängig von der während der Laufzeit des Termingeschäfts eintretenden Preisentwicklung. Hier lassen sich zwar Preise im Vorhinein bestimmen und aushandeln, diese entsprechen aber zum letztlichen Lieferzeitpunkt nicht bzw. nicht zwingend dem tatsächlichen Zeitwert. Es besteht ein Marktpreisrisiko. Mit Termingeschäften kann also der tatsächliche Marktwert nicht vorherbestimmt werden. Sie werden dazu genutzt, Risiken, die mit der fehlenden Bestimmbarkeit einhergehen, abzufedern. 942 Zur Systematik der Schätzung von Verrechnungspreisen vgl. grundlegend: Vögele/ Bader, IStR 2002, 354 – 360. 943 Grotherr, BB 2005, 855 (856). 944 Grotherr, IStR 2005, 350 (359).

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keine Anwendung. Als Bedingungen sind konzernspezifische Kriterien, z. B. gleichbleibende Beteiligungsverhältnisse, denkbar, aber auch marktbedingte Kriterien wie stabile Marktbedingungen oder Marktanteile und sogar Regulierungen durch den Gesetzgeber, z. B. bestehende Im- oder Exportbeschränkungen.945 4. Uni- und bilaterale Advanced Pricing Agreements Advanced Pricing Agreements können sowohl uni-, als auch bi- und multilateral abgeschlossen werden, je nachdem, ob die Finanzbehörden mehrerer Länder an den Verständigungsverfahren beteiligt sind oder nicht.946 Bi- bzw. multilaterale Agreements zeichnen sich dadurch aus, dass nicht nur die Finanzverwaltung eines Staates, sondern die mehrerer Staaten beteiligt sind. Bei unternehmensinternen Leistungsbeziehungen sollten z. B. Finanzbehörden aus allen Ansässigkeitsstaaten der beteiligten Tochtergesellschaften beteiligt werden. Großer Vorteil einer solchen multilateralen Vereinbarung ist die internationale Koordination. Durch die grenzüberschreitende Abstimmung soll sichergestellt werden, dass der Vorgang in den verschiedenen Staaten einheitlich beurteilt wird. Insbesondere sollen möglicherweise bestehende Qualifizierungskonflikte bereits im Vorhinein ausgeschlossen und damit eine drohende Doppelbesteuerung bzw. eine doppelte Nichtbesteuerung verhindert werden.947 Der Nachteil einer solchen Vereinbarung liegt gleichwohl ebenfalls in der internationalen Koordination. Die Abstimmung mehrerer Verwaltungsbehörden ist häufig sehr aufwendig. Dieser Aufwand wird dabei je zeit- und kostenintensiver desto mehr Hoheitsträger beteiligt werden müssen. Der Abschluss setzt nämlich voraus, dass eine Verrechnungspreismethode gefunden wird, die dem nationalen Steuerrecht sämtlicher beteiligter Staaten gerecht wird. Auch aufgrund dessen haben sich multinationale Advanced Pricing Agreements in der Praxis bisher noch nicht durchgesetzt.948 Ein unilaterales Abkommen weist dagegen den Vorteil auf, dass sich die Absprache und Koordination mit lediglich einer staatlichen Stelle in der Praxis in der Regel als einfach erweist. Da die Finanzverwaltung eines anderen Staates nicht an den Verhandlungen beteiligt ist, wird das Advanced Pricing Agreement für diesen jedoch auch nicht bindend. Es schützt folgerichtig nicht vor der möglicherweise unterschiedlichen Behandlung desselben Sachverhalts in unterschiedlichen Ländern. Die Gefahr der Doppelbesteuerung besteht daher weiterhin.949 In Einzelfällen kann 945

Vollert/Eikel/Sureth, StuW 2013, 367 (371). Valente, Intertax 2020, 67 (68); Vögele/Vögele, IStR 2002, 641 (641). 947 Naumann, IStR 2011, 683 (686). Zu den Vorteilen von bilateralen Verrechnungspreiszusagen aus Sicht der Steuerpflichtigen vgl. ausführlich: Grotherr, BB 2005, 855 (865). 948 Bär, Verständigungen über Verrechnungspreise verbundener Unternehmen im deutschen Steuerrecht, S. 259. 949 Vor diesem Hintergrund rät die OECD nach Möglichkeit bi- oder multilaterale APAs den unilateralen vorzuziehen. Vgl. OECD-Verrechnungspreisleitlinien 2010, Kapitel 4, Unterpunkt 4.162. 946

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durch eine einseitige Verständigung die Gefahr der Doppelbesteuerung sogar noch vergrößert werden. Der nicht eingebundene Staat wird z. B. im Rahmen einer Betriebsprüfung der Überprüfung grenzüberschreitender Sachverhalte besondere Aufmerksamkeit schenken und unilaterale Agreements besonders kritisch prüfen, um nachteilige Auswirkungen für das inländische Steueraufkommen zu verhindern.950 Das Gefährdungspotenzial der Absprache kann dazu führen, dass sich die inländische Finanzverwaltung bei kritischen Fragen – in der Vermutung einer Steuervermeidung auf ihre Kosten – im Zweifel für die für sie günstigere Variante entscheidet, obwohl es so zu einer Doppelbesteuerung kommt.951 Eine unilaterale Vereinbarung hätte für den Steuerpflichtigen dann letztlich sogar eine nachteilige Auswirkung. Doch nicht nur für Unternehmen, sondern auch für die handelnden Finanzbehörden können einseitige Vereinbarungen unerwünschte Folgen bereithalten. Durch das unkoordinierte Vorgehen der beteiligten Staaten kann es nämlich nicht nur zu einer Doppel-, sondern auch zu einer doppelten Nichtbesteuerung und damit einem Ausfall an Einnahmen kommen.952 Wegen der Gefahren der doppelten Besteuerung bzw. Nichtbesteuerung sind multilaterale Verrechnungspreisvereinbarungen für grenzüberschreitende Sachverhalte vorzugswürdig. Wegen ihrer potenziell schädlichen Auswirkung haben sich daher sowohl die OECD als auch die Europäische Kommission gegen die Erteilung unilateraler Advanced Pricing Agreements ausgesprochen.953 Auch in der juristischen Literatur wird mitunter deren vollständige Abschaffung gefordert, da sie insgesamt als eher schädlich denn nützlich angesehen werden.954 Ihnen muss aber zugutegehalten werden, dass es zumindest in einem Land Steuernachzahlungen mit ggf. empfindlichen Strafzuschlägen verhindern kann. Hinsichtlich der Anwendungspraxis ergibt sich kein einheitliches Bild. Während einige Mitgliedstaaten der Union einen restriktiven Ansatz verfolgen, zeigen sich andere beim Abschluss und der Tragweite der Verrechnungspreisvereinbarungen äußerst flexibel. In Deutschland werden keine unilateralen Vereinbarungen getroffen, sofern ein Doppelbesteuerungsabkommen besteht und aufgrund dessen eine multilaterale Verständigung möglich wäre.955 Ohne Doppelbesteuerungsabkommen

950 Vgl. Vollert/Eikel/Sureth, StuW 2013, 367 (367); Naumann, IStR 2011, 683 (684); Kramer, IStR 2007, 174 (175). 951 Bär, Verständigungen über Verrechnungspreise verbundener Unternehmen im deutschen Steuerrecht, S. 79. 952 Vollert/Eikel/Sureth, StuW 2013, 367 (370). 953 Vgl. OECD-Verrechnungspreisleitlinien 2010, Kapitel 4, Unterpunkt 4.163; Grotherr, BB 2005, 855 (857). 954 Grotherr, BB 2005, 855 (857). 955 BMF-Schreiben v. 05. 10. 2006: Merkblatt für bilaterale oder multilaterale Vorabverständigungsverfahren auf der Grundlage der Doppelbesteuerungsabkommen zur Erteilung verbindlicher Vorabzusagen über Verrechnungspreise zwischen international verbundenen Unternehmungen, IVB 4-S 1341 – 38/06, Rn. 1.2.

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ist hingegen ein solcher Abschluss nicht möglich, da das Abkommen die notwendige Rechtsgrundlage darstelle.956

III. Tax Rulings in Deutschland Die Erteilung verbindlicher Steuervorbescheide ist in Deutschland nur in Grenzen möglich. Das in § 85 AO statuierte Legalitätsprinzip zwingt die Finanzverwaltung dazu, Steuern ausschließlich nach Maßgabe der geltenden Gesetze zu erheben. Eine Vereinbarung, die die Höhe der zu erhebenden Steuer mit dem Steuerpflichtigen „aushandelt“, ist daher ausgeschlossen.957 Das Bundesverfassungsgericht hat jedoch in der Vergangenheit gestattet, dass die Verwaltung bei ihrer Sachverhaltsermittlung die Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen hat, welche im Ergebnis Zweckmäßigkeitserwägungen gleichzustellen sind.958 Dabei kann auch abgewogen werden, ob der zu erwartende Aufwand für die Aufklärung des Sachverhaltes in einem angemessen Verhältnis zum steuerlichen Ertrag steht. Für Fälle erschwerter Sachverhaltsermittlung hat der Bundesfinanzhof zusätzlich außerdem festgestellt, dass es dem Rechtsfrieden dienlich ist, wenn sich die Beteiligten über eine bestimmte Sachbehandlung einigen können.959 Auch in Deutschland sind folgerichtig Verständigungen über bestimmte Sachverhalte möglich. Eine solche Vereinbarung zwischen Steuerpflichtigem und zuständiger Finanzverwaltung ist grundsätzlich auf mehrere Arten denkbar. Es existieren die verbindliche Zusage (§ 89 Abs. 2 AO), die verbindliche Zusage nach einer Außenprüfung (§§ 204 ff. AO), die tatsächliche Verständigung sowie verbindliche Auskünfte im Rahmen von Doppelbesteuerungsabkommen.960 Daneben existieren noch die verbindliche Zolltarifauskunft (Art. 12 Zollkodex) und die Lohnsteuer-Anrufungsauskunft (§ 42e EStG). An dieser Stelle soll zunächst ein Überblick über die möglichen Inhalte und Anlässe von Verständigungen gegeben werden, ohne dabei eine Aussage über deren jeweilige beihilferechtliche Zulässigkeit zu machen.

956

Vollert/Eikel/Sureth, StuW 2013, 367 (370). Vgl. auch: BMF-Schreiben v. 05. 10. 2006: Merkblatt für bilaterale oder multilaterale Vorabverständigungsverfahren auf der Grundlage der Doppelbesteuerungsabkommen zur Erteilung verbindlicher Vorabzusagen über Verrechnungspreise zwischen international verbundenen Unternehmungen, IVB 4-S 1341 – 38/06, Rn. 1.2. 958 BVerfG, Beschluss v. 20. 06. 1973 – 1 BvL 9/71, 1 BvL 10/71 –, BVerfGE 35, 283 (293), BStBl. II 1973, 720 (723). 959 BFH, Urteil v. 11. 12. 1984 – VIII R 131/76 –, BFHE 142, 549 (556), BStBl. II 1985, 354 (358). 960 Bär, Verständigungen über Verrechnungspreise verbundener Unternehmen im deutschen Steuerrecht, S. 93. Dazu auch: Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Thomas Gambke, Britta Haßelmann, Lisa Paus, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, BT-Drs. 18/3346, Frage 20, S. 6. 957

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1. Verbindliche Auskunft, § 89 Abs. 2 AO Das deutsche Steuerrecht ermöglicht es, ebenso wie die meisten anderen europäischen Rechtsordnungen, dass die zuständige Finanzbehörde bereits vor Abschluss eines Sachverhalts eine verbindliche Bewertung eines Vorgangs tätigt.961 Die verbindliche Auskunft ist im deutschen Recht in § 89 Abs. 2 AO geregelt.962 Gemäß § 89 Abs. 2 Satz 1 AO kann das zuständige Finanzamt963 auf Antrag verbindliche Auskünfte über die steuerliche Beurteilung von exakt bestimmten, aber noch nicht verwirklichten Sachverhalten erteilen, sofern daran im Hinblick auf die erheblichen steuerlichen Auswirkungen ein besonderes Interesse besteht. Es erfolgt eine Bestimmung im Einzelfall anhand der Wirtschaftskraft des jeweiligen Antragsstellers. Das besondere Interesse wird dabei regelmäßig bejaht, nur reine Bagatellfälle sind ausgeschlossen.964 Gemäß Tz. 3.4.2 S. 2 AEAO zu § 89 AO gilt ein Sachverhalt als noch nicht verwirklicht, wenn er „im Wesentlichen“ noch nicht verwirklicht ist und noch andere Dispositionen möglich sind. Entscheidend ist dabei, dass die abgefragte Steuerfolge nicht bereits eingetreten ist und dass sie aufgrund der noch möglichen Dispositionen auch nicht zwingend eintreten muss.965 Die Auskunft muss sich auf einen genau bestimmten, konkreten Sachverhalt beziehen. Eine verbindliche Auskunft für eine abstrakte Rechtsfrage ist ausgeschlossen.966 Für Unternehmen ist es in der Regel besonders interessant zu erfahren, welche Steuerpflichten eine bestimmte Gestaltungsvariante bei ihrer Durchführung auslöst.967 In der Praxis lehnen die Finanzbehörden jedoch solche Anfragen ab, bei denen es nur um die Kontrolle der Zulässigkeit von Steuersparmodellen beziehungsweise die „Feststellung der Grenzpunkte für das Handeln eines ordentlichen Geschäftsleiters“968 geht. Die Rechtsnatur der verbindlichen Auskunft war früher umstritten. Zu Beginn lehnte die Rechtsprechung eine Qualifizierung als Verwaltungsakt ab.969 Nachdem diese Auffassung im Schrifttum jedoch überwiegend abgelehnt wurde970 und selbst 961 Zur Bindungswirkung von Verständigungen im deutschen Steuerrecht siehe ausführlich: Englisch, Bindende „tatsächliche“ und „rechtliche“ Verständigungen zwischen Finanzamt und Steuerpflichtigen, S. 15 ff. 962 Darüber hinaus enthält die Steuer-Auskunftsverordnung (StAuskV) weitere Regelungen. Auch die verbindliche Auskunft fällt unter die Definition eines Tax Rulings. Vgl. dazu: Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Thomas Gambke, Britta Haßelmann, Lisa Paus, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, BT-Drs. 18/3346, Frage 17, S. 5. 963 In besonderen Fällen das Bundeszentralamt für Steuern. 964 Rätke, in: Klein (Hrsg.), AO, § 89 Rn. 19. 965 Werder/Dannecker, BB 2011, 2903 (2905). 966 Rätke, in: Klein (Hrsg.), AO, § 89 Rn. 17. 967 Vgl. Grotherr, EWS 2015, 67 (69). 968 AEAO zu § 89 Nr. 3.5.4. 969 BFH, Urteil v. 13. 12. 1989 – X R 208/87 –, BFHE 159, 114 (114 ff.), BStBl. II 1990, 274 (275). 970 Zum Meinungsbild im Schrifttum vgl. Wünsch, in: Koenig (Hrsg.), AO, § 89 Rn. 24.

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die Finanzverwaltung von einem Verwaltungsakt ausgeht,971 hat der Bundesfinanzhof in seiner neueren Rechtsprechung die verbindliche Auskunft als Verwaltungsakt anerkannt.972 Die verbindliche Auskunft muss vom Steuerpflichtigen schriftlich beantragt werden, oder es muss ein Fall von § 1 Abs. 2 oder Abs. 3 StAuskV vorliegen. Gemäß § 89 Abs. 3 bis Abs. 5 AO ist die verbindliche Auskunft gebührenpflichtig (Zusagegebühr). Die Gebühr erstreckt sich sowohl auf die Bearbeitung des Antrages (Bearbeitungsgebühr), als auch auf die Erteilung der Auskunft (Erteilungsgebühr).973 Bei der Erteilung der verbindlichen Auskunft kommt den staatlichen Stellen ein weites Ermessen zu. Sie können den Antrag einerseits komplett ablehnen („abgelehnte Zusage“), ihm zustimmen („positive Zusage“) oder aber auch von der Rechtsauffassung des Antragsstellers ganz oder teilweise abweichen (”negative Zusage”). Als Verwaltungsakt i. S. d. § 35 VwVfG bewirkt die verbindliche Zusage eine einseitige Bindung der Finanzbehörden. Wie bei Verwaltungsakten üblich sind auch rechtswidrige Zusagen wirksam, nur nichtige sind unwirksam (§ 124 AO). Bei der Bindungswirkung selbst muss zwischen zeitlicher, personeller, sachlicher und verfahrensrechtlicher Bindung unterschieden werden. Nur sofern sich der Sachverhalt auch wie beantragt verwirklicht und sich die Rechtslage zwischen Erteilungs- und Verwirklichungszeitpunkt nicht verändert hat, muss die Steuerbehörde ihre in der verbindlichen Auskunft geäußerte Rechtsauffassung im Steuerbescheid umsetzen (sachliche Bindungswirkung). Die verbindliche Auskunft gilt zwar grundsätzlich unbefristet (wobei die Finanzbehörde zusätzlich noch eine Befristung gemäß § 38 VwVfG anordnen kann), bindet die Behörde verfahrensrechtlich aber nur für spätere Steuerbescheide. 2. Verbindliche Zusage nach einer Außenprüfung, § 204 AO Darüber hinaus besteht gem. § 204 AO die Möglichkeit einer Zusage nach einer Außenprüfung. Im Rahmen der Außenprüfung kann die Finanzbehörde dabei dem Steuerpflichtigen zusagen, wie ein in der Vergangenheit angefallener und geprüfter Sachverhalt zukünftig behandelt werden wird.974 Grundvoraussetzung für die Erteilung ist daher ein enger zeitlicher und sachlicher Zusammenhang mit der erfolgten Außenprüfung.975 Außerdem muss die zukünftige steuerliche Behandlung für den

971

AEAO zu § 89 AO Nr. 3.5.5. BFH, Urteil v. 30. 04. 2009 – VI R 54/07 –, BFHE 225, 50 (56), BStBl. II 2010, 996 (998). Verwaltungstechnisch gesehen wäre jedoch der Begriff der Zusicherung i. S. v. § 38 VwVfG passender, da es sich gerade nicht nur um eine bloße Wissenserklärung, sondern um eine rechtsverbindliche Zusicherung handelt. Vgl.: Werder/Dannecker, BB 2014, 926 (927). 973 Diese sog. Wertgebühr ist dem Grunde und der Höhe nach verfassungsgemäß. Vgl. BFH, Urteil v. 30. 03. 2011 – I R 61/10 –, BFHE 232, 406 (412), Rn. 20, BStBl. II 2011, 536 (537 ff.). 974 Vögele/Vögele, IStR 2002, 641 (642). 975 BFH, Urteil v. 13. 12. 1995 – XI R 43 – 45/89 –, BFHE 179, 353 (359 ff.), BStBl. II. 1996, 232 (236 ff.). 972

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Steuerpflichtigen und seinen Geschäftsbetrieb von Bedeutung sein.976 In der Vergangenheit sollte die verbindliche Zusage auf Fragen der Verrechnungspreisgestaltung keine Anwendung finden.977 Das ist heute nicht mehr so. In geeigneten Fällen und bei berechtigtem Interesse des Steuerpflichtigen können einseitige verbindliche Vorabzusagen über Verrechnungspreise erteilt werden.978 Gemäß Tz. 5 zu § 204 AEAO bleiben Verrechnungspreisfragen bei unübersichtlichen Marktverhältnissen aber weiterhin ausgeschlossen. 3. Tatsächliche Verständigung Eine Verständigung zwischen Finanzverwaltung und Steuerpflichtigem ist auch im Rahmen der sog. tatsächlichen Verständigung möglich. Diese ist nicht gesetzlich geregelt, sondern beruht auf den Grundsätzen von Treu und Glauben.979 Im Gegensatz zur verbindlichen Auskunft nach § 89 AO bezieht sie sich ausschließlich auf abgeschlossene Sachverhalte.980 Wirkt sich der in der tatsächlichen Verständigung festgelegte Sachverhalt aber auch auf die Zukunft aus – und soll sie sich nach dem Willen der Beteiligten auch hierauf erstrecken – sind die Beteiligten bei gleichbleibenden tatsächlichen Verhältnissen insoweit ebenfalls gebunden.981 Die tatsächliche Verständigung ist nur im Bereich der Sachverhaltsermittlung zulässig.982 Sie ist daher ausgeschlossen, wenn sie den Eintritt bestimmter Rechtsfolgen, die Klärung zweifelhafter Rechtsfragen, die Anwendung bestimmter Rechtsvorschriften betrifft oder zu einem offensichtlich unzutreffenden Ergebnis führt.983 Zwar umfasst sie damit rechtlich nur die Sachverhaltsermittlung, allerdings ist eine Trennung zwischen Sachverhaltsermittlung und rechtlicher Würdigung nicht immer ohne Weiteres möglich.984 Die tatsächliche Verständigung erstreckt sich daher faktisch auch auf Rechtsfragen, wenn zwischen Tatsachen- und Rechtsfragen ein so enger 976

Greil, Advance Pricing Agreement – Ein Instrument zur Steigerung der Rechtssicherheit bei grenzüberschreitenden Geschäftsvorfällen zwischen verbundenen Unternehmen, S. 56. 977 BMF-Schreiben v. 29. 12. 2003, IV A 4-S 0430-7/03, Rn. 2.5; so auch schon BFMSchreiben v. 24. 06. 1987, IV A 5-S 0430-9/87. 978 BMF-Schreiben v. 05. 10. 2006, IV B 4-S 1341-38/06, Rn. 1.2. 979 Vgl. BFH, Urteil v. 08. 10. 2008 – I R 63/07 –, BFHE 223, 194 (196 ff.), BStBl. II 2009, 121 (123); BFH, Urteil v. 28. 06. 2001 – IV R 40/00 –, BFHE 196, 87 (92), BStBl. II 2001, 714 (716). 980 BFH, Urteil v. 06. 03. 1997 – IV R 21/96 –, DStRE 1997, 757 (759). 981 Vgl. Wegener, SteuK 2011, 31 (32). Offen geblieben in BFH, Urteil v. 13. 02. 2008 – I R 63/06 –, BFHE 220, 415 (423), BStBl. II 2009, 414 (418). 982 Ihre abstrakten Grenzen sind in der Rechtsprechung des BFH inzwischen in ausreichendem Maße geklärt. Vgl. BFH, Urteil v. 08. 10. 2008 – I R 63/07 –, BFHE 223, 194 (196 ff.), BStBl. II 2009, 121 (121); BFH, Urteil v. 13. 12. 1995 – XI R 43 – 45/89, XI R 43/89, XI R 44/ 89, XI R 45/89 –, BFHE 179, 353 (362), BStBl. II 1996, 232 (236). 983 BFH, Beschluss v. 25. 11. 2009 – V B 31/09 –, zitiert nach juris, Rn. 9 984 BFH, Beschluss v. 31. 08. 2009 – I B 21/09 –, zitiert nach juris, Rn. 10.

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Kap. 4: Tax Rulings als Anwendungsgegenstand des Beihilfeverbotes

Zusammenhang besteht, dass mit der Tatbestandsvereinbarung mittelbar auch immer der Tatbestand der Rechtsnorm betroffen ist.985 Die tatsächliche Verständigung ist ihrer Natur nach ein Instrument der Streitschlichtung. Sie kommt zum Einsatz, wenn sich Steuerpflichtiger und Finanzverwaltung uneinig sind, ob ein bestimmter Sachverhalt verwirklicht wurde oder nicht. In solchen Fällen lässt sich der Sachverhalt häufig nur sehr schwer und mit einem unverhältnismäßig hohen Aufwand aufklären.986 An dieser Stelle kommt die tatsächliche Verständigung zum Einsatz. Ihr Ziel ist es, einen Konsens zwischen Finanzverwaltung und Steuerpflichtigem hinsichtlich der Beurteilung des strittigen Sachverhalts zu erzielen.987 Sie kann in jedem Stadium des Veranlagungsverfahrens, insbesondere also auch anlässlich der Außenprüfung oder während des Rechtsmittelverfahrens Anwendung finden.988 Eine tatsächliche Verständigung empfiehlt sich vor allem in Fällen, in denen ein Beurteilungs-, Bewertungs- oder Beweiswürdigungsspielraum besteht.989 Sie kann auch dazu dienen, einen Beweisnotstand des Steuerpflichtigen zu beheben und einer andernfalls gebotenen Schätzung der Besteuerungsgrundlage (§ 162 Abs. 1 S. 1 AO) zu entgehen.990 Voraussetzung für die Anwendung der tatsächlichen Verständigung ist das Vorliegen eines Sachverhalts, der nur unter erschwerten Umständen ermittelt werden kann. Ein solcher liegt vor, wenn sich einzelne Vorgänge nur mit einem nicht mehr vertretbaren Arbeits- oder Zeitaufwand ermitteln lassen.991 Bei dieser Bewertung kann auch das Verhältnis von Arbeitsaufwand und steuerlichem Ertrag miteinbezogen werden.992 Die Tatsache, dass der Sachverhalt sehr komplex ist, reicht für sich genommen jedoch nicht aus.993 Ziel der tatsächlichen Verständigung ist zum einen die Herstellung von Rechtsfrieden. Zum anderen soll ein Anstieg ökonomisch möglicherweise sinnloser Rechtsbehelfsverfahren verhindert werden.994 Nach ihrem Zustandekommen bindet die Verständigung die beteiligten Parteien. Diese Bindungswirkung ergibt sich nicht erst aus dem auf der Verständigung beruhenden Steuerbescheid, sondern unmittelbar 985

BFH, Urteil v. 13. 08. 1997 – I R 12/97 –, zitiert nach juris, Rn. 12; BFH, Urteil v. 08. 10. 2008 – I R 63/07 –, BFHE 223, 194 (197), BStBl. II 2009, 121 (123). 986 Naumann, IStR 2011, 683 (684). 987 Vögele/Vögele, IStR 2002, 641 (642). 988 Siehez. B. BFH, Urteil v. 06. 02. 1991 – I R 13/86 –, BFHE 164, 168 (170 ff.), BStBl. II 1991, 673 (674); BFH, Urteil v. 31. 07. 1996 – XI R 78/95 –, BFHE 181, 103 (106), BStBl. II 1996, 625 (626). 989 Bruschke, DStR 2010, 2611 (2613). 990 Wegener, SteuK 2011, 31 (32). 991 Bspw. bei umfangreichen innergemeinschaftlichen Lieferungen ins Ausland, vgl. etwa FG Köln, Urteil v. 03. 11. 2010 – 4 K 4262/08 –, zitiert nach juris. 992 Das Bundesverfassungsgericht hat eine Modifikation des Legalitätsprinzips um Zweckmäßigkeitserwägungen in der Vergangenheit bereits gebilligt, BVerfG, Beschluss v. 20. 06. 1973 – 1 BvL 9/71, 1 BvL 10/71 –, BVerfGE 35, 283 (293), BStBl. II 1973, 720 (723). 993 Wegener, SteuK 2011, 31 (32). 994 Bruschke, DStR 2010, 2611 ff.; Wegener, SteuK 2011, 31 (32).

A. Tax Rulings

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aus der Vereinbarung selbst.995 Diese Bindungswirkung folgt dabei nach Auffassung des Bundesfinanzhofes aus dem Grundsatz von Treu und Glauben. Ein öffentlichrechtlicher Vertrag sei damit aber nicht verbunden.996 In der juristischen Literatur wird hingegen überwiegend von einem solchen ausgegangen.997 Dritte Parteien, z. B. andere straf- und ordnungsrechtliche Behörden, werden durch diesen jedoch nicht gebunden.998 In der Praxis erfreut sich die tatsächliche Verständigung großer Beliebtheit zum Abschluss steuerrechtlicher Streitigkeiten. Sie wird dabei gerne im Rahmen eines Schlussgesprächs bei der Betriebsprüfung zwischen Betriebsprüfer und Steuerpflichtigem angewandt, um als Verhandlungslösung ein für beide Seiten zufriedenstellendes Ergebnis zu erzielen.999 Ihre Anwendung empfiehlt sich insbesondere, wenn es mehrere strittige Punkte gibt. Die Verhandlungen sind dann häufig ein „Geben und Nehmen“, indem sich beide Parteien bezüglich der strittigen Sachverhalte jeweils entsprechend entgegenkommen. 4. Verständigungen im Gerichtsverfahren Auch vor Gericht sind Verständigungen zwischen Finanzbehörde und Steuerpflichtigem denkbar. So kann es im Rahmen eines Rechtsbehelfsverfahrens im sog. Erörterungstermin zu einer Einigung kommen. Häufig erfolgt dies sogar auf Anregung des Gerichts selbst. Auch in Steuerstrafverfahren ist eine Verständigung möglich.1000 5. Tax Rulings auf Grundlage von Doppelbesteuerungsabkommen In Deutschland sind weiterhin Vorabzusagen über Verrechnungspreise (Advanced Pricing Agreements) auf der Grundlage bi- und multilateraler Vorabverständigungsverfahren nach den jeweils gültigen Doppelbesteuerungsabkommen möglich. Bei diesen Vorabverständigungen handelt es sich aber nicht um unilaterale, sondern um bilaterale Verständigungsverfahren.1001 Hierbei geht es nicht um eine steuerliche Sonderbehandlung, vielmehr soll eine andernfalls drohende Doppelbesteuerung 995 BFH, Urteil v. 06. 02. 1991 – I R 13/86 –, BFHE 164, 168 (171 ff.), BStBl. II 1991, 673 (674); BFH, Urteil v. 16.11. 2000 – XI R 28/99 –, BFHE 193, 494 (498), BStBl. II 2001, 303 (305); Wegener, SteuK 2011, 31 (32); Bruschke, DStR 2010, 2611 (2614). 996 BFH, Urteil v. 16. 11. 2000 – XI R 28/99 –, BFHE 193, 494 (498), BStBl. II 2001,303 (305); dagegen offen gelassen in BFH, Urteil v. 01. 09. 2009 – VIII R 78/06 –, zitiert nach juris. 997 Seer, BB 2015, 214 (215 ff.). 998 BFH, Urteil v. 07. 07. 2004 – X R 24/03 –, BFHE 206, 292 (296 ff.), BStBl. II 2004, 975 (977) 999 Bruschke, DStR 2010, 2611 (2613). 1000 Englisch, Bindende „tatsächliche“ und „rechtliche“ Verständigungen zwischen Finanzamt und Steuerpflichtigen, S. 6. 1001 Die Bundesrepublik Deutschland schließt – mit einigen, wenigen Ausnahmen – grundsätzlich keine unilateralen Agreements ab. Vgl. Naumann, IStR 2011, 683 (684).

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Kap. 4: Tax Rulings als Anwendungsgegenstand des Beihilfeverbotes

verhindert werden. Bei dieser Art von Vorabzusagen sind schädliche Auswirkungen auf das Steueraufkommen anderer Staaten ausgeschlossen, da diese an den Verständigungsverfahren beteiligt sind. In Deutschland sind solche Verständigungen nach Maßgabe von Art. 9 Abs. 2 i. V. m. Art. 25 DBA-MA möglich. Art. 25 DBAMA steht dabei stellvertretend für die Verständigungsklauseln, die in den abgeschlossenen Abkommen enthalten sind, da die meisten dem DoppelbesteuerungsMusterabkommen folgen.1002 Die Erteilung selbst besteht dabei aus zwei verschiedenen Stufen: Der Verständigung zwischen den Staaten und der Zusage an den Steuerpflichtigen. Die zwischen der Bundesrepublik und dem anderen Staat getroffene Vereinbarung ist ein völkerrechtlicher Vertrag. Der Steuerpflichtige selbst ist hieran nicht unmittelbar beteiligt und wird durch den Vertrag nicht verpflichtet. Die Bundesrepublik wird durch die mit einem anderen Staat im Rahmen des Verständigungsverfahrens getroffene Vereinbarung jedoch gebunden.1003 Nach einem erfolgreichen zwischenstaatlichen Verständigungsverfahren wird die Verständigungsvereinbarung durch das zuständige Finanzamt im Wege der Vorabzusage in innerstaatliches Recht umgesetzt.1004 Die Finanzbehörde ist verpflichtet für den besprochenen Zeitraum der Vereinbarung entsprechende Steuerbescheide zu erlassen.1005 Diese Zusage ist ein (begünstigender) Verwaltungsakt, der mit einem Widerrufsvorbehalt versehen werden kann.1006 Die Finanzbehörden sind daran gebunden, sofern der zugrunde gelegte Sachverhalt erfüllt ist und die Gültigkeitsbedingungen eingehalten wurden. Sie sind nicht berechtigt, bei Prüfungen und Veranlagungen von Ergebnissen abzuweichen, die auf der zutreffenden Anwendung der Vereinbarung beruhen. Sie dürfen z. B. keine Änderungen der Verrechnungspreise aufgrund der Berechnungen mittels einer anderen Methode vornehmen. Werden die vereinbarten Gültigkeitsbedingungen nicht eingehalten, ist die Finanzverwaltung nicht an das Ruling gebunden. Das Verfahren zur Erteilung eines Advanced Pricing Agreements ist in Deutschland außerordentlich komplex. Es erfordert nicht nur eine enge Abstimmung zwischen dem Antragssteller und den beteiligten Staaten, sondern auch eine hohe innerstaatliche Kooperation; denn während in den völkerrechtlichen Verhandlungen die Vertretung der Bundesrepublik obliegt, erfolgt der steuerrechtliche Verwaltungsvollzug durch die Bundesländer. Für einen reibungslosen Vollzug ist daher ein ausreichendes Maß an innerstaatlicher Absprache unerlässlich.1007 1002

Lehner, in: Vogel/Lehner (Hrsg.), DBA, Art. 25 Rn. 54 und 126. Selbiges gilt natürlich für den anderen Staat. 1004 Kramer, IStR 2007, 174 (177). 1005 BMF-Schreiben: Merkblatt für bilaterale oder multilaterale Vorabverständigungsverfahren auf der Grundlage der Doppelbesteuerungsabkommen zur Erteilung verbindlicher Vorabzusagen über Verrechnungspreise zwischen international verbundenen Unternehmungen, IVB 4-S 1341 – d38/06. Rn. 6.3. 1006 Zum Widerruf bzw. zur Rücknahme einer Vorabzusage vgl. van der Ham/Voll/Wingen, IStR 2013, 861 (864 ff.). 1007 Kramer, IStR 2007, 174 (176). 1003

B. Tax Rulings und das Beihilfeverbot

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B. Tax Rulings und das Beihilfeverbot Wie eingangs angesprochen, sind Tax Rulings in der jüngeren Vergangenheit zunehmend unter den Verdacht der Beihilfewidrigkeit nach Art. 107 Abs. 1 AEUV geraten. Die Europäische Kommission hegt den Verdacht, dass unter dem Deckmantel des Steuergeheimnisses Unternehmen mittels Tax Rulings nicht nur Planungs- und Rechtssicherheit, sondern auch selektive Steuervergünstigungen gewährt wurden (sog. „Sweetheart Deals“ oder auch „Champagner-Rulings“ genannt1008). In ihrer Beihilfekontrolle hat sie sich daher in den vergangenen Jahren zunehmend mit der Praxis der Ruling-Erteilung der Mitgliedstaaten auseinandergesetzt.1009 Zwar ist auch diese Teil der nationalstaatlichen Steuersouveränität, gleichwohl werden auch Tax Rulings durch das primäre Unionsrecht „umrahmt“1010 und müssen diesem Genüge tun.1011 Die Besonderheit bei der beihilferechtlichen Analyse von Tax Rulings besteht in dem mitunter durchaus komplexen Zusammenspiel staatlicher und unternehmerischer Handlungen. Die Begünstigung ergibt sich erst durch die Kombination einzelner, voneinander grundsätzlich unabhängiger Handlungen. Daher sei hier erneut festgehalten, dass sich das Beihilfeverbot alleine gegen staatliche Handlungen, nicht aber gegen die Handlungen Privater richtet. Beihilfewidrig sind daher nicht die Maßnahmen eines Konzerns im Rahmen eines Steuersparmodells, sondern dessen steuerliche Legitimation durch einen Mitgliedstaat im Wege eines Tax Rulings. Das unternehmerische Handeln erfährt bei der Bewertung der Beihilfewidrigkeit der staatlichen Maßnahme keine unmittelbare Würdigung. Auch die Tatsache, dass ein Unternehmen keineswegs zur Inanspruchnahme dieses Instrumentariums verpflichtet ist und dass dessen Beantragung und Umsetzung auf einem freien Willensentschluss der Geschäftsleitung basiert und von dieser sogar forciert wird, ist irrelevant. An dieser Stelle sei ebenfalls noch einmal angemerkt, dass nicht erforderlich ist, dass sich die selektive Begünstigung aus einer formalen Regel-Ausnahme-Konstellation ergibt. Seit der Gibraltar-Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs ist unzweifelhaft, dass die Bewertung anhand einer Gesamtbetrachtung erfolgen kann. Die Selektivität kann sich gerade auch durch die Kombination mehrerer Normen und Vorschriften ergeben. Entscheidend ist nicht die Regelungsoder Gesetzestechnik, sondern vielmehr alleine die Wirkung der Maßnahme.1012 Im Gegensatz zu den bisherigen Fallkonstellationen und abweichend von besagtem 1008 Wattel, Intertax 2016, 791 (801); Hummelbrunner/Prickartz, in: Jaeger/Haslinger (Hrsg.), Beihilferecht Jahrbuch 2017, S. 285. 1009 Die Anwendung des Europäischen Beihilferechts auf Tax Rulings ist an sich jedoch keine vollkommen neue Entwicklung. Vgl. dazu ausführlich: Luja, British Tax Review 2015, 379 (383). 1010 Zum sog. Umrahmungsprinzip vgl. Kapitel 1, S. 31. 1011 Iliopoulos, EStAL 2017, 263 (266). 1012 EuGH, Urteil v. 15. 11. 2011, Rs. C-106/09 P und C-107/09 P, ECLI:EU:C:2011:732, Rn. 92 und 93 – Gibraltar.

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Kap. 4: Tax Rulings als Anwendungsgegenstand des Beihilfeverbotes

Urteil ergibt sich die selektive Begünstigung allerdings häufig nicht aus einer Verknüpfung von Handlungen desselben Organs (z. B. eines einzigen Parlaments) oder Handlungen derselben Rechtsform (z. B. mehrere einzelne Steuergesetze), sondern durch die Verknüpfung staatlicher Verhaltensweisen verschiedener Organe und Rechtsträger. Zum einen ist ein Akt des Gesetzgebers erforderlich, der das Instrument des Tax Rulings in das Steuergesetz einführt bzw. Steuervereinbarungen generell zulässt. Hinzu kommt eine Behördenentscheidung der zuständigen Finanzbehörde, die das Ruling im konkreten Einzelfall – ggf. beihilfewidrig – einsetzt. Das wirkungsbezogene Beihilfeverständnis gibt dabei vor, dass die Absicht der handelnden Stellen außer Betracht bleibt. Selbst wenn das Instrumentarium Tax Ruling an sich nicht dazu geschaffen wurde, selektive Steuervorteile zu gewähren, kann es trotzdem – alleine aufgrund seiner selektiven Wirkung – eine Beihilfe darstellen.

I. Untersuchungen der Europäischen Kommission Die Kommission hat in mehreren Verfahren die selektive Wirkung von Tax Rulings und dabei insbesondere von Advanced Pricing Agreements untersucht.1013 In ihren Beschlüssen geht sie davon aus, dass die von den Finanzbehörden angewandten Berechnungen der zu entrichtenden Steuern auf Verrechnungspreisvereinbarungen beruhen, die nicht dem Fremdvergleichsgrundsatz entsprechen und damit den betroffenen Unternehmen ein selektiver Vorteil gewährt wird.1014 Insbesondere sieht sie in der Abweichung vom Fremdvergleichsgrundsatz eine Diskriminierung rein national aktiver Unternehmen gegenüber internationalen Konzernen und belegt dies in den vorliegenden Entscheidungen unter Verweis auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs bezüglich der sog. Belgischen Koordinationszentren.1015 Diese Bewertung der Kommission ist in der Öffentlichkeit auf breite Zustimmung gestoßen. Nicht zuletzt aus Sicht der Steuerzahler, ebenso wie aus allgemein-wirtschaftspolitischer Sicht, ist ihr Vorgehen auf den ersten Blick als wünschenswert anzusehen. Gleichwohl muss, wie bei allen (vermeintlich) „normalen“ Steuerbeihilfen, auch hier die Unionsrechtswidrigkeit stringent anhand des Tatbestandes von Art. 107 Abs. 1 AEUV bewertet werden. Das Ergebnis der Prüfung erscheint bei erster Betrachtung dabei offensichtlich und eindeutig: Sofern durch die Anwendung eines Tax Rulings die von den betroffenen Unternehmen normalerweise zu tragende individuelle Steuerlast gemindert wird, ist darin ein Vorteil für das Unternehmen zu sehen. Die 1013 Für eine Darstellung der den Kommissionsbeschlüssen zugrundeliegenden Sachverhalten vgl. Tuttinger/Waldbauer, in: Jaeger/Haslinger (Hrsg.), Beihilferecht Jahrbuch 2017, S. 273 ff.; Schnittger, IStR 2017, 421 (428). 1014 Vgl. Commission Decision of 30. 08. 2016 on State Aid SA.38373 (2014/C) (ex 2014/ NN) (ex 2014/CP) implemented by Ireland to Apple, C(2016) 5605 final, Beschluss der Kommission v. 11. 01. 2016 über die Beihilferegelung Belgiens SA.37667 (2015/C) (ex 2015/ NN), Az. C(2015) 9837, ABl. EU Nr. L 260/61. 1015 EuGH, Urteil v. 22. 06. 2006, Rs. C-182/03 und C-217/03, ECLI:EU:C:2006:416 – Belgische Koordinationszentren.

B. Tax Rulings und das Beihilfeverbot

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damit verbundenen Steuermindereinnahmen gehen zulasten der öffentlichen Haushalte und erfüllen damit das Tatbestandsmerkmal der Staatlichkeit der Maßnahme. Da es sich bei den begünstigten Unternehmen ausschließlich um multinationale Konzerne mit grenzüberschreitender Tätigkeit handelt, kann, in Einklang mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, Selektivität sowie eine Gefahr der Verzerrung für den unionsinternen Wettbewerb oder einer Beeinträchtigung des Handels angenommen werden. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich jedoch, dass dieser Schluss keineswegs so eindeutig und offensichtlich ist, wie zunächst angenommen. Für die beihilferechtliche Einordnung jedes Tax Rulings muss dabei grundlegend zwischen zwei Szenarien unterschieden werden: Zunächst muss die Frage beantwortet werden, ob das nationale Steuerrecht, das im Tax Ruling umgesetzt wird, beihilferechtlich problematisch ist oder nicht. Ist das zugrundeliegende Recht selbst eine Beihilfe, ist die Beihilfewidrigkeit des darauf fußenden Tax Rulings die logische Folge. Beruht ein beihilferechtlich problematisches Tax Ruling auf einem beihilfewidrigen Steuergesetz, ist nicht in der Einzelmaßnahme, sondern in der Steuerregelung die Beihilfe zu sehen. Folgerichtig sind Tax Rulings an sich aus beihilferechtlicher Sicht unproblematisch, wenn es durch sie zu keiner Abweichung vom zugrundeliegenden Steuerrecht kommt.1016 Ist das zugrundeliegende Recht hingegen mit Art. 107 Abs. 1 AEUV vereinbar, muss untersucht werden, ob die Anwendung des Tax Ruling im konkreten Einzelfall eine Beihilfe darstellt.1017

II. Keine per se Beihilfe Die Europäische Kommission sieht das Instrument des Tax Rulings zwar nicht grundsätzlich als beihilferechtlich problematisch an, steht ihm aber mit Misstrauen gegenüber.1018 Diese Auffassung wird auch von der Bundesregierung geteilt.1019 Auch die OECD sieht Tax Rulings bzw. Advanced Pricing Agreements nicht per se als präferenzielle Regelungen an.1020 Dem ist zuzustimmen: Weder Tax Rulings noch Verrechnungspreise oder Advanced Pricing Agreements dienen ihrer Natur nach dazu, bestimmte Unternehmen gegenüber anderen zu bevorzugen.1021 Obschon Verrechnungspreise in Öffentlichkeit und Politik mittlerweile fast ausschließlich mit Kritik an den Gestaltungsspielräumen multinationaler Unternehmen zur Gewinnverlagerung verbunden sind,1022 dienen sie der steuerrechtlichen Gewinnabgrenzung 1016

Gunn/Luts, EC Tax Review 2015, 119 (120); Moreno González, EStAL 2016, 556 (561). Luja, EC Tax Review 2015, 312 (318). 1018 Vgl. z. B. Pressemitteilung der Kommission v. 11. 06. 2014 – IP/14/663. 1019 BT-Drs, 18/3662, S. 3 ff., Fragen 10 – 12, 17. 1020 OECD, Projekt Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung Aktionspunkt 5 – Abschlussbericht 2015, S. 52. 1021 Vgl. dazu: Cachia, EC Tax Review 2017, 23 (24). 1022 Siehe: Schön, IStR 2011, 778 (778). 1017

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Kap. 4: Tax Rulings als Anwendungsgegenstand des Beihilfeverbotes

innerhalb eines Konzerns. Sie sollen diesem keinen Vorteil gegenüber unabhängigen Unternehmen geben, sondern im Gegenteil die Konzerneinheiten abgrenzen und eine den nicht verbundenen Unternehmen entsprechende, eigenständige Besteuerung vorbereiten.1023 Auch Tax Rulings weisen keine intrinsische Selektivität auf.1024 Zwar gibt es gegen diese vor allem aus steuer- und rechtspolitischer Sicht eine Reihe guter Argumente: Vor allem die fehlende Transparenz bei der Beurteilung eines Sachverhalts erscheint problematisch. Tax Rulings fallen unter das Steuergeheimnis und daher sind durch Rulings gewährte Vergünstigungen sowohl für private Konkurrenten als auch für andere Mitgliedstaaten oder die Europäische Kommission nur schwer zu entdecken.1025 Zwar werden Wettbewerbern im Rahmen von Konkurrentenklagen durchaus Informationsansprüche sowohl gegen den möglicherweise begünstigten Wettbewerber als auch gegen die handelnde Behörde zugestanden;1026 dafür muss dieser aber zumindest den Verdacht der Ungleichbehandlung hegen. Eine eventuell bestehende Klagemöglichkeit wird also dahingehend wertlos, als dass der Konkurrent von der bestehenden Ungleichbehandlung in der Regel überhaupt keine Kenntnis hat. Weder wird ein Konkurrenzunternehmen gegen sämtliche Wettbewerber pro forma Klage auf Auskunft erheben, noch wären derartige Klagen „ins Blaue hinein“ zulässig. Obwohl die Europäische Kommission die Nichtveröffentlichung von Tax Rulings als Indiz heranzieht,1027 können die genannten Kritikpunkte für sich genommen aber keine Beihilfewidrigkeit begründen. Notwendige Voraussetzung ist immer auch eine tatsächliche Begünstigungswirkung durch die staatliche Maßnahme, nicht nur deren Intransparenz.1028 Dabei sei auch angemerkt, dass das Problem fehlender Transparenz nicht durch die Praxis der Tax Rulings und deren Wirkung, sondern durch die dem Steuerrecht für Dritte insgesamt innewohnende Undurchsichtigkeit entsteht. Wenn aber steuerrechtliche Vorgänge im Allgemeinen dem Steuergeheimnis unterliegen, kann die Tatsache, dass auch Tax Rulings geheim bleiben, keine beihilferechtlich relevante Ungleichbehandlung darstellen und damit auch keine Unionsrechtswidrigkeit begründen.1029 Damit sei keineswegs gesagt, dass diese Intransparenz unproblematisch ist, denn sie schafft ein Umfeld, das die Gewährung von selektiven Vorteilen begünstigt und deren Verfolgung erschwert. Für die Annahme einer Beihilfe müssen aber gleichwohl sämtliche Voraussetzungen des Art. 107 Abs. 1 AEUV erfüllt sein. Als beihilfewidrig können folglich nur solche Maßnahmen gelten, durch die im konkreten Einzelfall auf Kosten der Staatskasse 1023

Vgl. Kapitel 4, S. 187 ff. A. A. Kokott, ISR 395 (398), die annimmt, dass Tax Rulings per se Beihilfen sein können. 1025 Grotherr, EWS 2015, 67 (77). 1026 Siehe dazu: Kapitel 2, S. 80. 1027 Kommission, Entwurf einer Bekanntmachung zum Begriff der staatlichen Beihilfe v. 17. 01. 2014, Rn. 175. In der späteren Bekanntmachung wurde zwar auf die Transparenz als Indikator der Selektivität nicht eingegangen, das bedeutet jedoch nicht, dass die Kommission in ihrer täglichen Praxis den Indikator nicht benutzt. 1028 A. A. Kokott, ISR 395 (398). 1029 Lang, IStR 2015, 369 (371); Grotherr, EWS 2015, 67 (68). 1024

B. Tax Rulings und das Beihilfeverbot

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selektive Vorteile an bestimmte Unternehmen gewährt werden und die zu einer Verzerrung des innergemeinschaftlichen Wettbewerbs führen.1030

III. Vorteilsgewährung zulasten des öffentlichen Haushalts Zunächst muss auch hier die Vorteilhaftigkeit der Maßnahme für ein Unternehmen sowie deren haushaltsbelastender Charakter herausgearbeitet werden. Bereits an dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass die Europäische Kommission in ihrer bisherigen Beschlusspraxis die Trennlinie zwischen den Prüfungspunkten Vorteilsgewährung und Selektivität verwässert und mitunter sogar unter dem Punkt „selektiver Vorteil“ zusammenfasst.1031 Beide Punkte müssen aber voreinander getrennt werden, da ihnen unterschiedliche Fragestellungen zugrunde liegen.1032 Im Rahmen des Vorteils muss überprüft werden, ob durch ein Tax Ruling die Steuerlast gesenkt wurde, sie also nun niedriger ausfällt als ohne Genehmigung.1033 Nur wenn sich an dieser Stelle eine Differenz ergibt, ist ein Vorteil i. S. v. Art. 107 Abs. 1 AEUV gegeben. Bei der Selektivität wird hingegen geprüft, ob sämtliche Wirtschaftsteilnehmer, die sich in einer rechtlich und tatsächlich vergleichbaren Situation befinden, ebenfalls einen Vorteil erhalten haben.1034 Es ist also ebenso möglich, dass eine Maßnahme für ein Unternehmen einen Vorteil bringt aber mangels Selektivität keine Beihilfe darstellt, genauso wie es möglich ist, dass eine staatliche Maßnahme zwar selektiv ist, aber überhaupt keinen beihilferelevanten Vorteil gewährt. Bereits in der Vergangenheit ist die Kommission mitunter ähnlich unsystematisch vorgegangen und wurde seinerzeit dafür ebenfalls entsprechend kritisiert.1035 1. Planungs- und Rechtssicherheit Zunächst soll analysiert werden, ob in der den Tax Rulings innewohnenden Rechts- und Planungssicherheit ein beihilferelevanter Vorteil gesehen werden kann.

1030

Gormsen, Journal of European Competition Law & Practice 2016, 369 (371). Moreno González, EStAL 2016, 556 (561). 1032 Vgl. Iliopoulos, EStAL 2017, 263 (268); Gormsen, Journal of European Competition Law & Practice 2016, 369 (370); Moreno González, EStAL 2016, 556 (565). 1033 Vgl. z. B. EuGH, Urteil v. 04. 06. 2015, Rs.C-15/14 P, ECLI:EU:C:2015:362, Rn. 59 – Kommission/MOL. 1034 Vgl. Kapitel 3, S. 130 ff. 1035 Vgl. Stellungnahme der Niederlande zur Entscheidung der Kommission v. 08. 07. 2009 über die „Groepsrentebox“-Regelung, die die Niederlande durchzuführen beabsichtigen (C 4/ 07 (ex N 465/06)), Az. K(2009) 4511, ABl. EU 2009 Nr. L 288/26, Rn. 34 ff. 1031

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Kap. 4: Tax Rulings als Anwendungsgegenstand des Beihilfeverbotes

a) Keine beihilferechtliche Relevanz von Planungs- und Rechtssicherheit Zunächst kann festgehalten werden, dass die Kommission eine Beihilfe nicht bereits deshalb annimmt, weil Steuerbehörden vor Verwirklichung eines Sachverhalts über dessen steuerliche Behandlung Auskunft gegeben haben.1036 Die Planungsund Rechtssicherheit, die Unternehmen durch die Gewährung eines Tax Rulings erhalten haben, spielt für die Einordnung als Beihilfe keine Rolle. Auch der Wissensvorsprung, den Unternehmen dadurch erhalten und der ihnen die Möglichkeit gibt, frühzeitiger auf die anfallende Steuerlast zu reagieren und eventuell Rückstellungen zu bilden, bleibt außer Betracht. Diese rein monetäre Betrachtungsweise ist konsequent. Wie bereits dargelegt, stellt die Planungs- und Kostensicherheit unter betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten ein hohes Gut dar, dessen Einfluss auf unternehmerische Entscheidungsprozesse keinesfalls unterschätzt werden darf. Allerdings führt dieser Vorteil nicht zur Absenkung der individuellen Steuerlast. Kommt es zu einer solchen Minderung, steht dies aber nicht mit der gegenüber Konkurrenten gewonnenen Rechts- und Planungssicherheit in Zusammenhang, sondern mit dem Inhalt der getroffenen Vereinbarung.1037 Bei Tax Rulings, die nur Planungs- und Rechtssicherheit geben sollen, handelt es sich im Ergebnis nicht um eine Steuervergünstigung, da es zu keiner Veränderung der Abgabenlast kommt. Insofern mag zwar ein genereller Vorteil gegeben sein, jedoch keiner im Sinne des Beihilferechts. Es kommt zu keiner Absenkung der unternehmensspezifischen Steuerlast. Selbst unter der Annahme, dass die Planungssicherheit zwar kein originärer Steuervorteil, aber ein Vorteil i. S. v. Art. 107 Abs. 1 AEUV sein kann, muss dieser doch auch auf Kosten eines öffentlichen Haushaltes geschehen. Es müsste ein Mitteltransfer aus einem öffentlichen Haushalt zum begünstigten Unternehmen stattfinden. Zu einem Mittelabfluss kommt es aber nur, wenn durch das Ruling nicht nur Planungs- und Rechtssicherheit gewährt wurde, sondern die Steuerlast des Steuerpflichtigen gemindert wird. Rechts- und Planungssicherheit oder ein bestehender Wissensvorsprung belasten keinen öffentlichen Haushalt. Dies deckt sich auch mit der bestehenden Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs. Dieser fordert tatsächliche Mindereinnahmen der Staatskasse und sieht gerade nicht jeden durch staatliche Regulierung erhaltenen geldwerten Vorteil als ausreichend an.1038 Folglich unterliegt ein Tax Ruling, das nur die Anwendung des geltenden Steuerrechts auf einen bestehenden Sachverhalt wiedergibt, nicht dem Beihilfeverbot.1039

1036

Werder/Dannecker, BB 2015, 1687 (1693). Vgl. dazu: Luja, EC Tax Review 2016, 312 (318). 1038 EuGH, Urteil v. 13. 03. 2001, Rs. C-379/98, ECLI:EU:C:2001:160, Rn. 58 – PreussenElektra. 1039 Commission Decision of 30. 08. 2016 on State Aid SA.38373 (2014/C) (ex 2014/NN) (ex 2014/CP) implemented by Ireland to Apple, C(2016) 5605 final, Rn. 380. 1037

B. Tax Rulings und das Beihilfeverbot

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b) Bedeutung der Laufzeit In ihren Eröffnungsbeschlüssen gegen Irland und Luxemburg hat die Europäische Kommission auch die unübliche Länge der Laufzeit des Rulings angeprangert und als Indiz für eine Vorteilsgewährung gewertet.1040 Ihr Vorgehen stößt in zweierlei Hinsicht auf Bedenken: Fraglich ist zunächst die Bestimmung der üblichen Länge. Implizit vergleicht sie an dieser Stelle die Laufzeitlänge des fraglichen Tax Rulings mit Tax Rulings aus anderen Mitgliedstaaten. Im Rahmen der Beihilfeprüfung finden aber keine grenzüberschreitenden Vergleiche statt.1041 Entscheidend ist alleine die Sach- und Rechtslage innerhalb des Mitgliedstaates. Vorzunehmen wäre daher allenfalls ein Vergleich zu Unternehmen im selben Mitgliedstaat, die sich in einer rechtlich und tatsächlich vergleichbaren Situation befinden.1042 Die Kommission hat wohl auch deshalb ihren ursprünglichen Verweis auf die Laufzeit in anderen Mitgliedstaaten in ihren finalen Beschlüssen nicht wiederholt und lediglich allgemein auf die für sie unüblich lange Laufzeit verwiesen.1043 Zweitens stellt sich die Frage nach der Bedeutung der Länge für die Bestimmung des Vorteils. Eine längere Laufzeit bedeutet an sich nur größere Rechts- und Planungssicherheit für das betroffene Unternehmen. An der Steuerlast ändert dies jedoch nichts. Rechts- und Planungssicherheit und der sich daraus ergebende Wettbewerbsvorteil sind aber wie gezeigt für die beihilferechtliche Beurteilung irrelevant. Da es durch die Laufzeit nicht zu einer Absenkung der eigentlich zu tragenden Steuerlast kommt, ist diese grundsätzlich nicht von Bedeutung. Auch überlange Laufzeiten sind daher für die beihilferechtliche Beurteilung grundsätzlich ohne Belang. Das soeben Gesagte muss jedoch gleich wieder relativiert werden. Kommt es – bedingt durch die Länge des Tax Rulings – über die Jahre zu einem Auseinanderfallen der wirtschaftlichen Realität und der Vereinbarung und damit zu einem Abweichen von der eigentlich zu tragenden Steuerlast, kann ein beihilferelevanter Vorteil gegeben sein. Die Laufzeit trifft daran aber nur ein mittelbares Verschulden. Originäres Problem sind die fehlerhafte Vereinbarung und die nicht sachgerechte Prognose und damit die falsche inhaltliche Fixierung des Rulings, nicht dessen Laufzeit.

1040 Commission Decision of 30. 08. 2016 on State Aid SA.38373 (2014/C) (ex 2014/NN) (ex 2014/CP) implemented by Ireland to Apple, C(2016) 5605 final, Rn. 364 bis 368. 1041 Vgl. EuG, Urteil v. 07. 11. 2014, Rs. T-219/10, ECLI:EU:T:2014:939, Rn. 71 – Autogrill Espana/Kommission. Anknüpfend an die Vorwürfe der Kommission haben aber auch die betroffenen Unternehmen mit einem grenzüberschreitenden Vergleich geantwortet. Beschluss der Kommission v. 21. 10. 2015 über die staatliche Beihilfe SA.38375 (2014/C ex 2014/NN) Luxemburgs zugunsten von Fiat, Az. C(2015) 7152, ABl. EU 2016 Nr. L351/1, Rn. 173. 1042 EuGH, Urteil v. 15. 11.2011, Rs. C-106/09 P und C-107/09 P, ECLI:EU:C:2011:732, Rn. 92 – Gibraltar. 1043 Vgl. Beschluss der Kommission v. 21. 10. 2015 über die staatliche Beihilfe SA.38375 (2014/C ex 2014/NN) Luxemburgs zugunsten von Fiat, Az. C(2015) 7152, ABl. EU 2016 Nr. L 351/1, Rn. 173.

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Kap. 4: Tax Rulings als Anwendungsgegenstand des Beihilfeverbotes

2. Verrechnungspreisdokumentationen In ihrem Beschluss gegen Irland sieht die Kommission auch die fehlende Verrechnungspreisdokumentation als starkes Indiz für das Vorliegen eines steuerlichen Vorteils an.1044 Auch in ihrem Verfahren gegen die Niederlande und Starbucks werden Versäumnisse im Verrechnungspreisbericht explizit aufgeführt.1045 Auch hier scheint die Kommission eine Verbindung zwischen Verrechnungspreisdokumentation und Beihilfegewährung herzustellen. Zwar ist dieser Verdacht der Kommission nicht per se unbegründet, ein solches Indiz ist jedoch alleine nicht ausreichend. Die Kommission muss die tatsächliche Entlastungswirkung belegen und nicht nur auf Indizien verweisen. Fehlende Dokumentationen bedingen für sich genommen daher keine beihilferelevante Vorteilhaftigkeit. Bezüglich einer eventuellen Befreiung von bestehenden Dokumentationspflichten kann festgehalten werden, dass dadurch ebenfalls keine beihilferechtlich relevante Ungleichbehandlung gegeben ist. Die Befreiung wird zwar häufig mit einer mitunter erheblichen administrativen Entlastungswirkung für die befreiten Unternehmen verbunden sein. Die so freiwerdenden Ressourcen können anderweitig eingesetzt und so gegenüber Konkurrenten ein Vorteil erzielt werden. Dieser Vorteil mag zwar durchaus auch wettbewerbsverzerrende Wirkung haben, es handelt sich jedoch nicht um eine Steuervergünstigung. Der Vorteil verändert weder die Steuerlast des Unternehmens, noch geht er zulasten eines öffentlichen Haushaltes. Die Befreiung von Dokumentationspflichten mag zwar einen sonstigen Vorteil darstellen, für eine Beihilfe nach Art. 107 Abs. 1 AEUV ist es aber zwingend erforderlich, dass der Vorteil auch aus staatlichen Mitteln erfolgt.1046 Die durch fehlende Dokumentationspflichten frei werdenden Potenziale und mögliche Kosteneinsparungen erfolgen nicht auf Kosten des Staates und begründen in der Folge keine Beihilfe. Obwohl reine Indizien für die Begründung einer Beihilfe nicht ausreichen, empfiehlt es sich für Unternehmen aus praktischer Sicht die von der Kommission benutzten Indizien im Auge zu behalten und eventuell vorhandene Tax Rulings entsprechend zu überprüfen bzw. bei zukünftig zu beantragenden zu beachten, um nicht ins Blickfeld der Beihilfekontrolle zu geraten. Das Vorgehen der Kommission ist nur sehr schwer prognostizierbar. Auch ohne eingehende Prüfung eines Tax Rulings scheint die Kommission aber Rulings in den Fokus zu nehmen, die unter zweifelhaften Umständen erlassen wurden bzw. die bestimmte Merkmale aufweisen. Solche sind anscheinend: Tax Rulings, ohne nähere Erläuterungen bzw. Hilfestellung, insbesondere ohne Verrechnungspreisbericht; Tax Rulings mit langer bzw. 1044 Commission Decision of 30. 08. 2016 on State Aid SA.38373 (2014/C) (ex 2014/NN) (ex 2014/CP) implemented by Ireland to Apple, C(2016) 5605 final, Rn. 363. 1045 Beschluss der Kommission v. 21. 10. 2015 über die staatliche Beihilfe SA.38375 (2014/ C ex 2014/NN) Luxemburgs zugunsten von Fiat, Az. C(2015) 7152, ABl. EU 2016 Nr. L 351/1, Rn. 275 ff. 1046 EuGH, Urteil v. 13. 03. 2001, Rs. C-379/98, ECLI:EU:C:2001:160, Rn. 58 – PreussenElektra. Siehe auch: Bartosch, BB 2015, 34 (35).

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längerer Laufzeit (mehr als 3-5 Jahre) und ohne regelmäßige Kontrolle ihrer Anwendbarkeit bzw. Angemessenheit; Tax Rulings, die innerhalb eines sehr kurzen Zeitraums genehmigt wurden und denen es an einer ausreichenden analytischen Grundlage zu fehlen scheint. 3. Vorteilsgewährung durch Abweichungen vom Fremdvergleichsgrundsatz Entscheidend für die Bestimmung des Vorteils ist – wie bei jeder Steuerbeihilfe – die Analyse der Steuerlast. Entscheidend ist auch bei Tax Rulings, ob durch die staatliche Maßnahme die Steuerlast des Vorteilsempfängers gesenkt wurde.1047 Insoweit unterscheiden sich Tax Rulings nicht von sonstigen Steuerbeihilfen. Auch bei Tax Rulings kann die begünstigende Wirkung über mehrere Parameter erreicht werden: Denkbar ist dabei insbesondere auch eine Verkleinerung der Bemessungsgrundlage. Eine solche kann grundsätzlich auch durch Gewinnverlagerungen im Rahmen der Verrechnungspreisgestaltung erreicht werden. Die Natur von Tax Rulings als Einzelbeihilfe bedingt es dabei, dass grundsätzlich jedes Ruling individuell auf seine Beihilfequalität überprüft werden muss. Gleichwohl lassen sich aus den bisherigen Beschlüssen der Europäischen Kommission1048 und ihrer Bekanntmachung zum Begriff der staatlichen Beihilfe1049 Schlüsse über die Verwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes, dessen Bedeutung für die Vorteilsbestimmung sowie die Identität des Vorteilsempfängers ziehen. Im Folgenden soll daher untersucht werden, ob durch die Abweichung vom Fremdvergleichsgrundsatz ein beihilferelevanter Steuervorteil entsteht und wer dabei als Beihilfeempfänger anzusehen ist. Gewinnverlagerungen mittels Verrechnungspreisen sind grundsätzlich relativ einfach nachzuvollziehen: So können die Preise auf einem hohen – über dem Marktpreis liegenden – Niveau fixiert werden, um Gewinne von der kaufenden auf die verkaufende Konzerneinheit zu verlagern. Umgekehrt werden durch zu niedrige Verrechnungspreise Gewinne von der verkaufenden auf die kaufende Einheit verlagert.1050 Kennzeichnend für die Verkleinerung der steuerlichen Bemessungsgrundlage durch unsachgerechte Verrechnungspreise ist, dass – im Gegensatz z. B. zur Nutzung von Verlusten oder die Ausklammerung bestimmter Einkünfte aus der 1047 Vgl. z. B. EuGH, Urteil v. 04. 06. 2015, Rs.C-15/14 P, ECLI:EU:C:2015:362, Rn. 59 – Kommission/MOL. 1048 Beschluss der Kommission v. 11. 01. 2016 über die Beihilferegelung Belgiens SA.37667 (2015/C) (ex 2015/NN), Az. C(2015) 9837, ABl. EU Nr. L 260/61; Beschluss der Kommission v. 21. 10. 2015 über die staatliche Beihilfe der Niederlande SA.38374 (2014/C) (ex 2014/NN) zugunsten von Starbucks, Az. C(2015) 7143, ABl. EU 2017 Nr. L 83/38; Beschluss der Kommission v. 21. 10. 2015 über die staatliche Beihilfe SA.38375 (2014/C ex 2014/NN) Luxemburgs zugunsten von Fiat, Az. C(2015) 7152, ABl. EU 2016 Nr. L 351/1. 1049 Bekanntmachung der Europäischen Kommission zum Begriff der staatlichen Beihilfe im Sinne des Artikels 107 Absatz 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, ABl. EU 2016 Nr. C 262/1. 1050 Nicolaides, EStAL 2016, 416 (416 ff.).

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Kap. 4: Tax Rulings als Anwendungsgegenstand des Beihilfeverbotes

Bemessungsgrundlage – Erträge nicht innerhalb einer Konzerneinheit kleingerechnet, sondern von einem Rechtsträger auf einen anderen verschoben werden. Sowohl bei der Nutzung von Verlusten als auch bei der Gewinnverlagerung durch Verrechnungspreise kommt es zwar zu einer geringeren Besteuerung bis hin zur Nichtbesteuerung im Ansässigkeitsstaat, allerdings bleiben bei der Verlustnutzung Gewinne zunächst in der Konzerneinheit und werden dann später – ggf. teilweise – ausgeschüttet. Bei der Gewinnverlagerung bleiben sie hingegen nicht in der Einheit, sondern werden – zumindest bilanziell – auf eine andere verlagert. Dort werden sie nach dem jeweils geltenden Recht besteuert. Der Ertrag verbleibt also nicht in der Konzerneinheit.1051 Die Europäische Kommission sieht in ihren bisher veröffentlichen Beschlüssen nicht nur eine einzige Konzerneinheit als Begünstigten an, sondern betrachtet – auch im Falle rechtlicher Selbstständigkeit – den Konzern als wirtschaftliche Einheit als Begünstigten. Häufig „doppelt“ sie bei der Bestimmung des Begünstigten sogar und weist sowohl die einzelne Konzerneinheit, als auch den Gesamtkonzern als Begünstigten aus.1052 Im Folgenden soll daher untersucht werden, inwiefern einzelne Konzerneinheiten von Abweichungen vom Fremdvergleichsgrundsatz profitieren und ob darin eine Beihilfe gesehen werden kann. Anschließend soll selbiges im Hinblick auf den Gesamtkonzern betrachtet werden. An dieser Stelle sei nochmal darauf hingewiesen, dass im Rahmen der Arbeit nicht die Frage aufgeworfen werden soll, ob Steuervermeidung und Gewinnverlagerungen bekämpft werden sollten oder nicht, sondern ob es sich dabei um eine Beihilfe im Sinne des Art. 107 AEUV handelt oder nicht. a) Steuerrechtliche Trennung: Die Konzerneinheiten als Vorteilsempfänger Zunächst sollen die Auswirkungen von Gewinnverlagerungen auf einzelne Konzerneinheiten betrachtet werden. Dies entspricht insoweit dem steuerrechtlichen Grundverständnis und wahrt das Trennungsprinzip. Dieses gibt vor, dass der Konzern als Gebilde grundsätzlich unbeachtlich ist. Da dieser steuerrechtlich nicht existiert und auch nicht besteuert wird, muss er bei steuerrechtlicher Betrachtung als Empfänger des Steuervorteils ausscheiden. Selbstverständlich ist er zwar der letztendliche Profiteur der Gewinnverschiebung; dies erfolgt allerdings nur mittelbar über die 1051 Davon unabhängig ist die Frage, ob eine Gesellschaft auch nach der Gewinnverlagerung eine Zugriffsmöglichkeit auf die verschobenen Gewinne hat. Von Bedeutung ist alleine die bilanzielle Betrachtung. 1052 Vgl. beispielhaft: Beschluss der Kommission v. 11. 01. 2016 über die Beihilferegelung Belgiens SA.37667 (2015/C) (ex 2015/NN), Az. C(2015) 9837, ABl. EU Nr. L 260/61, Rn. 183 bis 186; Beschluss der Kommission v. 21. 10. 2015 über die staatliche Beihilfe der Niederlande SA.38374 (2014/C) (ex 2014/NN) zugunsten von Starbucks, Az. C(2015) 7143, ABl. EU 2017 Nr. L 83/38, Rn. 417 ff. Beschluss der Kommission v. 21. 10. 2015 über die staatliche Beihilfe SA.38375 (2014/C ex 2014/NN) Luxemburgs zugunsten von Fiat, Az. C(2015) 7152, ABl. EU 2016 Nr. L 351/1, Rn. 341 ff.

B. Tax Rulings und das Beihilfeverbot

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gesunkene (Gesamt-)Steuerbelastung seiner Konzerneinheiten. An dieser Stelle wird erneut das Spannungsfeld zwischen betriebswirtschaftlicher und steuerrechtlicher Betrachtung sichtbar. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht ist es erstrebenswert, die Konzernsteuerbelastung insgesamt zu senken. Maßgebend ist der Konzern als Ganzes. Gegensätzlich verhält es sich im Steuerrecht. Da dieses auf die Teilgesellschaften als selbstständige Einheiten abstellt, sind hier alleine diese maßgebend.1053 Bei Betriebsstätten ergibt sich die Trennung der Vermögenssphären nicht aus ihrer rechtlichen Eigenständigkeit, sondern aus der Notwendigkeit der Vermeidung von Doppelbesteuerung. Wird eine Gesellschaft in ihrem Ansässigkeitsstaat mit ihrem Welteinkommen besteuert und unterliegen die ausländischen Betriebsstätten in ihren Beliegenheitsstaaten gleichzeitig einer beschränkten Steuerpflicht droht eine Doppelbesteuerung. Daher findet gemäß dem Doppelbesteuerungs-Musterabkommen auch für Betriebsstätten eine Gewinnabgrenzung anhand des Separate Entity Approach statt.1054 aa) Vorteilsbestimmung (1) Zu niedriger Verrechnungspreis Werden Verrechnungspreise zu niedrig angesetzt und Waren und Dienstleistungen von einer Konzerneinheit an eine andere geliefert, ohne dass diese ein angemessenes Entgelt entrichten muss, wird der Gewinn, der die Zahlung erhaltenden Konzerneinheit, auf die zahlende Konzerneinheit verlagert. Duldet oder genehmigt ein Mitgliedstaat eine solche Gewinnverschiebung, erhält die zahlende Konzerneinheit einen wirtschaftlichen Vorteil. Diese erhält Leistungen (z. B. Dienstleistungen, Know-how, Patente) unterhalb des Marktpreises und steigert so ihre Profitabilität. Zwar steigt auch ihre Steuerlast an, da sie nur die geringeren Zahlungen steuerlich in Abzug bringen kann; das ändert jedoch nichts daran, dass insgesamt der Gesamtgewinn (vor und nach Steuern) gesteigert wird. Die Kapitalausstattung verbessert sich hierdurch und als Folge daraus die Wettbewerbsposition. Gestattet also ein Mitgliedstaat einer Konzerneinheit, geringere als fremdvergleichskonforme Verrechnungspreise zu bezahlen, wird dieser ein Vorteil gewährt. Umgekehrt verhält es sich hingegen bei der leistenden Konzerneinheit. Diese erhält für ihre erbrachten Dienste eine zu geringe Vergütung. Ihr Profit sinkt, auch im Vergleich zu einem unabhängigen Dritten, da dieser ein solch nachteiliges Geschäft nicht abgeschlossen hätte (obwohl es ihm gleichwohl theoretisch möglich wäre). Die leistende Gesellschaft steht damit im Ergebnis schlechter da, als bei einer sachgerechten Gestaltung des Verrechnungspreises.

1053 1054

Vgl. Kapitel 4, 187 ff. In Deutschland sieht §34c Abs. 1 EStG eine Anrechnung ausländischer Steuern vor.

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Kap. 4: Tax Rulings als Anwendungsgegenstand des Beihilfeverbotes

(2) Zu hoher Verrechnungspreis Werden die Verrechnungspreise hingegen zu hoch angesetzt, drehen sich die Vorzeichen um. Es wird Gewinn von der zahlenden (also die eine Leistung kaufende) auf die die Zahlung erhaltende Gesellschaft verlagert. Bei zu hohen Verrechnungspreisen ist die Annahme eines wirtschaftlichen Vorteils für die zahlende Konzerneinheit zweifelhaft. Dieser wird durch die Genehmigung bzw. Duldung lediglich gestattet, einen höheren als den sachgerechten Marktpreis zu bezahlen. Dadurch wird der Gewinn – unabhängig von der Steuerlast – insgesamt geschmälert. Mit dem sinkenden Ertrag sinkt auch die Wettbewerbsfähigkeit. Die zahlende Konzerneinheit erhält keinen Vorteil, sondern einen Nachteil. An dieser Stelle sei eine Vergleichsüberlegung zu einem unabhängigen Dritten gemacht: Bei einem solchen würde man die Bezahlung zu hoher Preise für Waren und Dienstleistungen wohl kaum als wirtschaftlich vorteilhaft, sondern vielmehr als nachteilig ansehen. Nichts anderes ergibt sich für die reine Bewertung der Situation der leistenden Konzerneinheit. Deren Ertrag wird durch überhöhte Zahlungen gesenkt und damit letztlich auch deren Wettbewerbsposition verschlechtert. Dass ihre Steuerbelastung geringer ausfällt, ist nur folgerichtig.1055 Die Situation der leistenden Konzerneinheit verbessert sich hingegen. Sie erhält für ihre Leistungen ein zu hohes Entgelt und ihre Profitabilität steigt entgegen der (sich am Marktpreis orientierenden) wirtschaftlichen Realität an. Einem unabhängigen Dritten wäre es nicht möglich gewesen, für eine vergleichbare Leistung einen solchen Ertrag zu erzielen. Da sich die Kommission bisher mit Gestaltungen mit zu hohen Verrechnungspreisen beschäftigt hat, soll im weiteren Gang der Untersuchung ebenfalls von der Annahme zu hoher Verrechnungspreise ausgegangen werden. (3) Mittelbare Vorteile Neben direkten (Steuer-)Vorteilen sind aber auch mittelbare Vorteile zugunsten Konzerngesellschaften, deren Gewinn verlagert wird, denkbar.1056 Zwar verschlechtert sich durch die Gewinnverlagerung ihre finanzielle Position, insgesamt könnte ihr aber ein Vorteil durch ihre Verbundenheit mit der nun finanzstärkeren Gesellschaft zukommen. Diese ist – ebenso wie der Gesamtkonzern – profitabler, als sie es bei einer fremdvergleichsgrundsatzkonformen Verrechnungspreisgestaltung gewesen wäre. Die insgesamt verbesserte Finanzlage und damit auch Wettbewerbsposition kann auch der individuell schlechter gestellten Konzerneinheit zugutekommen, z. B. durch größere Investitionsmöglichkeiten. Die Frage nach einer Unternehmensbegünstigung muss dabei, wie bei direkten Beihilfen auch, stringent wirkungsorientiert beantwortet werden. Es reicht aus, dass eine Konzerneinheit 1055

Nicolaides, EStAL 2016, 416 (418). Zum Begriff des mittelbaren Vorteils siehe: Bekanntmachung der Europäischen Kommission zum Begriff der staatlichen Beihilfe im Sinne des Artikels 107 Absatz 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, ABl. EU 2016 Nr. C 262/1, Rn. 115 und 116. 1056

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letztlich einen Vorteil erlangt hat. Auf die Absicht oder Intention der beteiligten staatlichen Stelle kommt es bei der Bewertung einer Beihilfe grundsätzlich nicht an.1057 Der geldwerte Vorteil muss dabei anhand objektiver Kriterien quantifizierbar sein. Rein ideelle Vorteile reichen insoweit nicht aus. Bei mittelbaren Begünstigungen kommt dabei aber erschwerend hinzu, dass hier eine Transferkette vorliegt, bei der staatlicher Mitteleinsatz und die letztliche Unternehmensbegünstigung in der Regel nicht stoffgleich sind.1058 In diesem Zusammenhang steht die Frage nach der staatlichen Haushaltsbelastung: In ihrer bisherigen Beschlusspraxis hinsichtlich mittelbarer Beihilfen durch Steuervergünstigungen hat die Kommission bei der Untersuchung der Staatlichkeit der Mittel nicht auf die vermehrten Investitionen durch die beteiligten Dritten abgestellt, sondern vielmehr rein auf den Verzicht von Steuereinnahmen. Ein solcher Verzicht geht unzweifelhaft auf Kosten eines öffentlichen Haushaltes und ist den zuständigen staatlichen Stellen auch zurechenbar.1059 Im Gegensatz dazu beruhen die Investitionsentscheidungen der privaten Investoren auf autonomen Entscheidungen, die dem Staat grundsätzlich nicht zurechenbar sind. Ein derartiges Vorgehen erscheint zunächst irritierend, da der mittelbar gewährte Unternehmensvorteil gerade nicht der Belastung des staatlichen Haushaltes entspricht, ist jedoch folgerichtig. Im Rahmen der Haushaltsbelastung muss geprüft werden, in welcher Höhe dem Staat Steuereinnahmen verloren gehen. Dieser Ausfall muss nicht zwingend dem Unternehmensvorteil entsprechen. Auch der Europäische Gerichtshof hat entschieden, dass es weder erforderlich ist, dass die Vorteilsgewährung der Belastung des Staatshaushaltes entspricht, noch, dass Vorteil und Last gleichwertig oder gleichartig sind.1060 Vielmehr reicht es aus, dass zwischen der Unternehmensbegünstigung und der Belastung des Staatshaushaltes ein hinrei-

1057 Zu dieser ständigen Rechtsprechung siehe: EuGH, Urteil v. 02. 07. 1974, Rs. C-173/73, ECLI:EU:C:1973:71 – Italien/Kommission; EuGH, Urteil v. 24. 02. 1987, Rs. 310/85, ECLI: EU:C:1987:96, Rn. 8 – Deufil/Kommisison; EuGH, Urteil v. 29. 02. 1996, Rs. C-56/93, ECLI: EU:C:1996:64, Rn. 79 – Belgien/Kommission; EuGH, Urteil v. 26. 09. 1996, Rs. C-241/94, ECLI:EU:C:1996:353, Rn. 20 – Frankreich/Kommission; EuGH, Urteil v. 17. 06. 1999, Rs. C75/97, ECLI:EU:C:1999:311, Rn. 25 – Belgien/Kommission; EuGH, Urteil v. 22. 12. 2008, Rs. C-487/06 P, ECLI:EU:C:2008:757, Rn. 85 und 89 – British Aggregates/Kommission; EuGH, Urteil v. 08. 09. 2011, Rs. C-279/08 P, ECLI:EU:C:2011:551, Rn. 51 – Kommission/ Niederlande; EuGH, Urteil v. 15. 11. 2011, Rs. C-106/09 P und C-107/09 P, ECLI:EU:C:2011: 732, Rn. 87 – Gibraltar. Vgl. auch: Bousin/Piernas, EStAL 2008, 634 (635). 1058 Koenig/Sander, EuR 2000, 743 (753). 1059 Entscheidung der Kommission v. 06. 09. 2005 über die Beihilferegelung, die Italien in Form steuerlicher Anreize zugunsten bestimmter Unternehmen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren eingeführt hat, die auf Anlagen in börsennotierten Gesellschaften mit geringer oder mittlerer Kapitalisierung spezialisiert sind, Az. K(2005) 3302, ABl. EU Nr. L 268/1, Rn. 44; bestätigt durch: EuG, Urteil v. 04. 03. 2009, Rs. T-445/05, ECLI:EU:T:2009:50 – Fineco; ebenso: Beschluss (2011/527/EU) der Kommission v. 26. 01. 2011 über die staatliche Beihilfe Deutschlands, Az. K(2011) 275, ABl. EU Nr. L 235/31 Rn. 50 – Sanierungserlass. 1060 EuGH, Urteil, v. 19. 03. 2013, Rs. C-399/10 P und C-401/10 P, ECLI:EU:C:2013:175, Rn. 110 – France Télécom.

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chend enger Zusammenhang besteht.1061 Schon vorher war der Gerichtshof davon ausgegangen, dass die autonom getroffene Entscheidung von privaten Investoren einen Zurechnungszusammenhang nicht entfallen lassen kann.1062 Nimmt man das Kriterium der Staatlichkeit der Mittel ernst, so kann aber eine Beihilfe auch nur in der Höhe vorliegen, wie sie den staatlichen Haushalt tatsächlich belastet. Andernfalls liegt keine Finanzierung auf Kosten des Staates vor. Erhält ein Unternehmen auf dem staatlichen Mitteleinsatz beruhende aber darüber hinausgehende Vorteile, so können diese mangels staatlicher Finanzierung nicht als Beihilfe gemäß Art. 107 Abs. 1 AEUV angesehen werden.1063 Dabei stellt sich jedoch ein wesentliches Problem: Die Frage nach der praktischen Quantifizierung der Vorteilshöhe. Wie gezeigt, reichen rein ideelle Vorteile nicht aus. Erforderlich ist vielmehr ein anhand objektiver Kriterien tatsächlich messbarer Vorteil. Die Konzerneinheit muss also tatsächlich in irgendeiner Form von der gesteigerten Konzernprofitabilität profitieren, z. B. im Wege eines Mittelrückflusses. Die reine Konzernmitgliedschaft alleine kann nicht ausreichen. Hier zeigt sich die Schwierigkeit des indirekten Vorteils bei Gewinnverlagerungen: Die Höhe des indirekten Vorteils muss unmittelbar an der indirekt begünstigten Konzerneinheit ermittelt werden. So kann ein Vorteil der ansässigen Tochtergesellschaft aufgrund der wirtschaftlichen Gesamtsituation des Konzerns verbesserte Konditionen bei Dienstleistern oder Lieferanten sein. In der Praxis erscheint es jedoch letztlich unmöglich, die Höhe eines solchen Vorteils zu bestimmen, da ein Vergleich nicht mit einem unabhängigen Dritten stattfinden darf, sondern mit der verbundenen Gesellschaft, aber ohne vorherige Gewinnverlagerung. (4) Gewinnverlagerungen als verdeckte Gewinnausschüttungen Eine Besonderheit ergibt sich, wenn es sich bei der zahlenden Konzerneinheit um eine Tochtergesellschaft der leistenden Einheit handelt. Hier hätte die Muttergesellschaft den bei der Tochtergesellschaft angefallenen Gewinn im Wege einer Gewinnabführung ohnehin erhalten, sodass sich insoweit keine Besonderheit ergibt. Das gilt zumindest, wenn die Tochtergesellschaft in ihrem 100 %igen Eigentum steht. Tut sie dies nicht, kann es passieren, dass durch die nicht sachgerechte Gestaltung von Verrechnungspreisen eine nicht der aktienrechtlichen Anteilsstruktur 1061 Da diese Heterogenität auf den ersten Blick daraufhin deutet, dass es sich bei einer mittelbaren Beihilfe gerade nicht um eine staatlich finanzierte Beihilfe handelt, ist das Gericht der Europäischen Union in der Vergangenheit vom Erfordernis der Deckungsgleichheit bzw. Gleichwertigkeit ausgegangen. EuG, Urteil, v. 21. 05. 2010, Rs. T-425/04, T-444/04, T-450/04 und T-456/04, ECLI:EU:T:2010:216, Rn. 297 – Frankreich/Kommission. Vgl. dazu auch: Reese, EuR 2013, 572 – 592. 1062 EuGH, Urteil v. 19. 09. 2000, Rs. C-156/98, ECLI:EU:C:2000:467, Rn. 26 und 27 – Deutschland/Kommission. Zu dieser Rechtsprechung vgl. auch: Rosenberg, Das beihilferechtliche Durchführungsverbot in Steuersachen, S. 61 ff.; Grube, Der Einfluss des unionsrechtlichen Beihilfeverbots auf das deutsche Steuerrecht, S. 59. 1063 Reese, EuR 2013, 572 (585).

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entsprechende Gewinnverteilung entsteht. Es kommt zu einer verdeckten Gewinnausschüttung.1064 bb) Bestimmung der Haushaltsbelastung Obwohl durch Gewinnverlagerungen die wirtschaftliche Situation einzelner Konzerneinheiten und des Gesamtkonzerns gezielt beeinflusst und verbessert werden kann und es dadurch zu einer Verbesserung ihrer Wettbewerbsposition gegenüber einem unabhängigen Unternehmen kommen kann, bedeutet das noch nicht, dass die Genehmigung solcher Gewinnverlagerungen eine Beihilfe i. S. v. Art.107 Abs. 1 AEUV darstellt. Es muss auch untersucht werden, ob der Vorteil zulasten öffentlicher Haushalte erfolgt. Es müssen Mittel nicht eingenommen werden, die dem Fiskus ohne die Maßnahme zur Verfügung gestanden hätten.1065 In ihren aktuellen Beschlüssen zu Tax Rulings sieht die Kommission dies als unproblematisch gegeben an und räumt dieser Problematik kaum Raum ein. Vielmehr schließt sie aus dem Vorliegen eines Vorteils unmittelbar auf die Haushaltsbelastung. Zwar weist die Frage der Haushaltsbelastung enge Verknüpfungen zur Vorteilsgewährung und auch zur Selektivität auf, sie sind jedoch nicht Deckungsgleich. Im Rahmen der Haushaltsbelastung muss vielmehr eigenständig überprüft werden, ob es bei nicht Vorliegen des Tax Rulings zu Mehreinnahmen der Fisken gekommen wäre.1066 (1) Exkurs: Reine Inlandssachverhalte Sieht man sich die eben geschilderten Verlagerungsmöglichkeiten an, dann wird augenscheinlich, dass bei reinen Inlandssachverhalten zwar zwischen den Einheiten Gewinne verschoben werden; damit wird aber letztlich die Steuerbelastung insgesamt nur verschoben, nicht gesenkt. Das gilt zumindest solange, wie sämtliche Ausgaben der einen Einheit bei der anderen als Einnahme verbucht und dementsprechend versteuert werden. Auch das Ergebnis des Gesamtkonzerns sowie dessen steuerliche Gesamtbelastung bleiben gleich. Insgesamt kommt es zu keinen Mindereinnahmen der öffentlichen Hand. Die Einnahmen bleiben konstant, lediglich der Anteil der einzelnen Steuerpflichtigen ändert sich. Es bleibt aber die Frage bestehen, 1064 Umgekehrt ist auch eine verdeckte Kapitaleinlage denkbar. Zur verdeckten Gewinnausschüttung und zur verdeckten Kapitaleinlage. Vgl. Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung S. 647 – 656. 1065 Beschluss der Kommission v. 11. 01. 2016 über die Beihilferegelung Belgiens SA.37667 (2015/C) (ex 2015/NN), Az. C(2015) 9837, ABl. EU Nr. L 260/61, Rn. 114; Beschluss der Kommission v. 21. 10. 2015 über die staatliche Beihilfe der Niederlande SA.38374 (2014/C) (ex 2014/NN) zugunsten von Starbucks, Az. C(2015) 7143, ABl. EU 2017 Nr. L 83/ 38, Rn. 226; Beschluss der Kommission v. 21. 10. 2015 über die staatliche Beihilfe SA.38375 (2014/C ex 2014/NN) Luxemburgs zugunsten von Fiat, Az. C(2015) 7152, ABl. EU 2016 Nr. L 351/1, 188; Commission Decision of 30. 08. 2016 on State Aid SA.38373 (2014/C) (ex 2014/ NN) (ex 2014/CP) implemented by Ireland to Apple, C(2016) 5605 final, Rn. 221. 1066 Vgl. zur Frage der Mindereinnahme durch Tax Rulings: Giraud/Petit, EStAL 2017, 233 (236).

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ob alleine die Tatsache, dass es bei einer Konzerneinheit zu Mindereinnahmen kommt, für die Annahme der Belastung eines öffentlichen Haushaltes ausreicht. (a) Tatsächlicher Mittelabfluss im öffentlichen Haushalt ist entscheidend Es stellt sich damit die Frage, ob die Steuerbelastung einer verbundenen Konzerneinheit bei der Beurteilung Beachtung findet oder nicht. An dieser Stelle sei daran erinnert, dass es nach bisheriger Rechtsprechung des Gerichtshofs grundsätzlich auf eine Betrachtung des einzelnen Steuersubjekts ankommt. Insbesondere der von Mitgliedstaaten häufig vorgebrachte Einwand, dass durch Steuervergünstigungen das Steueraufkommen kurzfristig zwar sinkt, aber auf lange Sicht steigt, spielt bei der Bewertung in der Regel keine Rolle.1067 Eine solche Saldierung ist nicht zuletzt aufgrund der unsicheren Prognose und der schweren oder sogar unmöglichen Überprüfbarkeit nachvollziehbarerweise nicht erlaubt. Selbst wenn es zukünftig zu einer positiven Entwicklung der Staatsfinanzen kommen sollte, ist keineswegs sicher, dass dies tatsächlich adäquat-kausal auf die gewährte Steuervergünstigung zurückzuführen ist. Der Einfluss anderer Faktoren kann nicht eingeschätzt und beziffert werden. Zukünftige volkswirtschaftliche Entwicklungen müssen daher bei der Bewertung der Maßnahme außer Acht gelassen werden.1068 Diese Rechtsprechung kann jedoch nicht ohne Weiteres auf die Bewertung inländischer Gewinnverlagerungen durch Verrechnungspreise übertragen werden. Die bisherige Rechtsprechung des Gerichtshofs bezieht sich auf ein bzw. mehrere unabhängige Steuersubjekte in einem Staat, nicht auf verbundene Subjekte. Bei Gewinnverschiebungen durch konzerninterne Leistungsbeziehungen kommt es zwar zur Minderung der Steuerbelastung einer Konzerneinheit, wie gezeigt wird dabei aber automatisch die Steuerbelastung der anderen beeinflusst. Eine diesbezügliche Prognoseunsicherheit gibt es nicht. Die Gewinnminderung einer Konzerneinheit führt gleichzeitig zur Gewinnerhöhung bei der anderen. Durch die Genehmigung der Gewinnverlagerung kommt es nicht zur Minderung der Staatseinnahmen. Auch andere Faktoren, wie z. B. die gesamtwirtschaftliche Entwicklung spielen keine Rolle. Die Mindereinnahmen korrespondieren mit den Mehreinnahmen – es besteht Konnexität. Der Gerichtshof hat eine Saldierung auch nicht per se ausgeschlossen, sondern sie in Ausnahmefällen zugelassen.1069 Bei der Belastung des öffentlichen Haushaltes muss streng auf den tatsächlichen Mittelabfluss bzw. dessen tatsächliche Mindereinnahmen in einem Mitgliedstaat abgestellt werden. Dies darf nicht mit der Vorteilsgewährung an die Konzerneinheit vermischt werden. Bei Letzterem muss auf den einzelnen Steuerpflichtigen abgestellt werden, bei Ersterem auf den Staats1067

Vgl. Rosenberg, Das beihilferechtliche Durchführungsverbot in Steuersachen, S. 49. Vgl. Kapitel 3, S. 117 ff. 1069 Ausnahmsweise hat der Europäische Gerichtshof eine Saldierung zugelassen, wenn eine staatliche Maßnahme im konkreten Einzelfall zu einem ökonomischen Vorteil des Staates führt. Hintergrund ist auch hier der Vergleich mit einem Privaten. Der positive Saldo muss sich aber durch eine positive Prognose im konkreten Einzelfall ergeben. Vgl. EuGH, Urteil v. 21. 03. 1991, Rs. C-305/89, ECLI:EU:C:1991:141, Rn. 19 bis 24 – Alfa Romeo. 1068

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haushalt als Ganzes. Die Belastung des Haushaltes muss im Mittelpunkt der Betrachtungsweise stehen. Kommt es durch eine staatliche Maßnahme nicht zu einer solchen Belastung, liegt keine Beihilfe vor – unabhängig davon, ob die Steuerlast eines Unternehmens gesenkt wurde. (b) Bedeutung von Verlusten Die Bewertung der Gesamtkonzernbelastung kann jedoch durch die Nutzung von Verlusten verändert werden. Durch Gewinnverlagerungen können unter Umständen Verluste nutzbar gemacht werden, die andernfalls keinen Nutzen mehr gehabt hätten. Hat z. B. die die Leistung erbringende Konzerngesellschaft Verlustvorträge angehäuft, erwirtschaftet jedoch keinen Gewinn, so kann es sinnvoll sein, Gewinne von einer profitablen Gesellschaft dorthin zu verschieben, um diese nutzbar zu machen. Umgekehrt kann es sinnvoll sein, größere Gewinne bei der zahlenden Gesellschaft zu belassen, sofern diese über Verluste verfügt, die andernfalls verfallen würden oder nicht genutzt werden könnten. Dient die Gewinnverlagerung der Verwendung von Verlustvorträgen, verändert sich die Einnahmensituation des Staates. Ein Teil der Gewinne wird verrechnet und nicht besteuert. Die addierte Steuerlast der beiden Konzerneinheiten (und damit auch die Gesamtsteuerlast des Konzerns) sinkt folglich. Spiegelbildlich erleidet der öffentliche Haushalt eine Einbuße, da nun die mit den Verlustvorträgen verrechneten Beträge nicht mehr besteuert werden können. (2) Grenzüberschreitende Sachverhalte Von reinen Inlandssachverhalten müssen grenzüberschreitende Fälle, also solche in denen Konzerneinheiten nicht im selben, sondern in unterschiedlichen Staaten ansässig sind, abgegrenzt werden. (a) Bedeutung des Steuerniveaus Grenzüberschreitende Gewinnverlagerungen innerhalb eines Konzerns sind aus betriebswirtschaftlicher Sicht insbesondere dann sinnvoll, wenn das Steuerniveau zwischen den Staaten divergiert.1070 Infolgedessen führt eine Gewinnverlagerung zu einer Veränderung der Gesamtsteuerbelastung des Konzerns. Solche Gewinnverlagerungen sind für multinationale Konzerne naturgemäß besonders sinnvoll.1071 Ist die Steuerbelastung im Ansässigkeitsstaat der zahlenden Gesellschaft höher, führt eine Verlagerung zur leistenden Gesellschaft – durch zu hohe Preise – zu Steuerersparnissen. Umgekehrt werden diese durch zu niedrige Preise erzeugt, sofern die Steuerbelastung im Ansässigkeitsstaat der zahlenden Gesellschaft niedriger ist.

1070 Eine solche Divergenz ist aufgrund unterschiedlich hoher Steuersätze oder unterschiedlicher Bemessungsgrundlagen denkbar. 1071 Iliopoulos, EStAL 2017, 263 (264).

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(b) Ansässigkeitsstaat der die Zahlung erhaltenden Konzerneinheit Zunächst soll die Situation des Ansässigkeitsstaats der die Zahlung erhaltenden Gesellschaft analysiert werden. Diese erhält durch die Gewinnverlagerung einen finanziellen Vorteil. Durch den zu hohen Verrechnungspreis entsteht ihr gegenüber ihren Konkurrenten ein (ungerechtfertigter) Wettbewerbsvorsprung.1072 Aus diesem Wettbewerbsvorteil alleine lässt sich jedoch keine Beihilfe ableiten. Der Ansässigkeitsstaat der die Zahlung erhaltenden Gesellschaft erfährt keine Belastung der Staatskasse. Ganz im Gegenteil: Die Steuerlast des Steuerpflichtigen erhöht sich durch die Mehreinnahmen sogar. Eine Maßnahme, die jedoch die Steuerpflicht nicht absenkt, sondern im Gegenteil erhöht, kann aber keine Beihilfe begründen.1073 Der Vorteil geht zulasten des Ansässigkeitsstaats der zahlenden Gesellschaft – dieser verliert Steuersubstrat zugunsten der ausländischen Konzerneinheit. Eine Belastung des öffentlichen Haushaltes in deren Ansässigkeitsstaat erfolgt jedoch nicht, solange alle Einnahmen dort dem nationalen Steuerrecht entsprechend verbucht und versteuert werden.1074 (c) Saldierung der Haushalte An dieser Stelle wird eine Unzulänglichkeit des Beihilferechts als Mittel gegen Gewinnverlagerungen offensichtlich: Bei Beibehaltung des Trennungsprinzips unterliegt es letztlich den Grenzen der mitgliedstaatlichen Steuerhoheiten. Es kann so zwar Wettbewerbsverzerrungen innerhalb der Hoheiten aufdecken, Gewinnverlagerungen sind aber gerade durch grenzüberschreitenden Bezug geprägt. Um Vorteilsgewährung und Haushaltsbelastung zusammenzuführen, stellt sich notgedrungen die Frage, ob ein Mitgliedstaat einer in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Gesellschaft einen Steuervorteil gewähren kann oder ob eine Saldierung der Staatshaushalte möglich ist. (aa) Kein grenzüberschreitender Steuervorteil Dabei stellt sich weniger die Frage, ob eine nichtansässige Gesellschaft von Steuermaßnahmen profitieren kann, denn dies kann sie offensichtlich. Entscheidend ist vielmehr, ob es sich dabei um eine Beihilfe im Sinne des Art. 107 Abs. 1 AEUV handelt. Das Trennungsprinzip verhindert eine solche Einordnung. Die Natur einer Steuervergünstigung ist die Verringerung der eigentlich vom Steuerpflichtigen zu tragenden Steuerlast und damit einhergehend die spiegelbildliche Belastung des Haushalts. Ist der Vorteilsempfänger jedoch gar nicht steuerpflichtig, dann unterliegt er auch keiner Besteuerung. Weder kann seine Steuerlast gemindert werden, noch kommt es zu Mindereinnahmen der öffentlichen Hand.

1072

Schröder, Probleme der Gewinnverlagerungen Multinationaler Unternehmen, S. 42. Nicolaides, EStAL 2016, 416 (424). 1074 Zu einer Beihilfegewährung an die die Zahlung empfangende Gesellschaft durch ihren Ansässigkeitsstaat siehe unten S. 235 ff. 1073

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Für Betriebsstätten ergibt sich insoweit die Besonderheit, dass es diesen an rechtlicher Selbstständigkeit fehlt. Sie bleiben Teil der Gesellschaft. Das bedeutet jedoch nicht, dass dem Ansässigkeitsstaat des Stammhauses zwingend ein Besteuerungsrecht hinsichtlich der Betriebsstätte zukommt. Ist die Gesellschaft mit ihren weltweiten Einkünften steuerpflichtig, ist ein solches zwar grundsätzlich gegeben, wurde dieses jedoch durch bilaterale Maßnahmen – z. B. ein Doppelbesteuerungsabkommen – eingeschränkt, so fehlt es hingegen an einem Besteuerungsrecht. Die Staaten sind dabei völkerrechtlich gebunden und können vom Doppelbesteuerungsabkommen grundsätzlich nicht unilateral abweichen.1075 Der Ansässigkeitsstaat des Stammhauses darf sich nicht einseitig über völkerrechtliche Vereinbarungen hinwegsetzten. Ihm steht kein Besteuerungsrecht (mehr) für die ausländische Betriebsstätte zu. Anders hingegen bei Fehlen eines Doppelbesteuerungsabkommens. Hier ist es dem Ansässigkeitsstaat zwar unbenommen ausländische Gewinne unilateral anzurechnen oder freizustellen, er ist dazu aber weder verpflichtet noch zukünftig gebunden. Ihm steht grundsätzlich ein Besteuerungsrecht zu. Insofern ist hier ein „grenzüberschreitender Vorteil“ grundsätzlich möglich. (bb) Trennung der staatlichen Haushalte Für eine Belastung staatlicher Haushalte wäre es auch denkbar, die Haushalte sämtlicher an der Gewinnverlagerung beteiligter Staaten zu saldieren. Dabei würde die Summe sämtlicher auf die Konzerneinheiten entfallender Steuereinnahmen ohne Gewinnverlagerungen mit der Summe der tatsächlich gezahlten Steuern verglichen. Die Differenz würde dann eine einheitliche Haushaltsbelastung darstellen. Solchen Überlegungen muss zweierlei zugutegehalten werden: Eine solche Saldierung ist vom Grundgedanken getragen, dass Gewinnverlagerungen vorgenommen werden, um das internationale Steuergefälle auszunutzen. Die Saldierung erfasst folglich das Wesen von Gewinnverlagerungen in ihrem Kern. Dafür spricht aber zweitens auch die ansonsten drohende Gefahr der Doppelbesteuerung. Würde bei der Bewertung des staatlichen Mittelabflusses nur auf eine Konzerngesellschaft abgestellt, ohne auf die kumulierten Haushalte zu achten und eine Beihilfe daher bejaht, müsste von dieser die Beihilfe zurückgefordert und damit der verschobene Gewinn nachversteuert werden. Wurde dieser Gewinn jedoch bei der anderen Konzerngesellschaft korrekt als Einnahme verbucht und dort folgerichtig versteuert, wird durch das Beihilferecht eine Doppelbesteuerung erzeugt. Diese Gefahr wurde wohl auch von der Europäischen Kommission erkannt. Diese geht in ihren derzeitigen Ermittlungen wohl davon aus, dass verschobene Gewinne zwar nachträglich besteuert werden müssen, sich diese Besteuerung aber verringern kann, sofern die Gewinne bei der 1075 Eine Abweichung ist allenfalls im Rahmen eines sog. Treaty Override möglich. Vgl. dazu und zur Verfassungsmäßigkeit eines solchen: Lehner, IStR 2016, 217 – 220. Innerhalb der Europäischen Union sind die Mitgliedstaaten zusätzlich durch Unionsrecht, z. B. die MutterTochter-Richtlinie oder die Zinsrichtlinie gebunden. So verhindert bspw. die Zins- und Lizenzgebührenrichtlinie die Erhebung von Quellensteuern auf Lizenzgebühren zwischen verbundenen Unternehmen und erlaubt so die Verlagerung von Lizenzgewinnen innerhalb der Union. Vgl. dazu Richter/Hontheim, DB 2013, 1260 (1262).

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anderen Konzerneinheit besteuert werden.1076 Dieser Kunstgriff vereint zwar Vorteilsgewährung und Haushaltsbelastung, ist im Ergebnis aber nur eine Umgehung des Trennungsprinzips. Statt die Steuerlast der Konzerngesellschaften zu saldieren und so eine Vorteilsgewährung durch den belasteten Staat zu konstruieren, werden nun schlicht die Haushalte saldiert und so eine Haushaltsbelastung kreiert, die mit der Vorteilsgewährung korrespondiert. Im Ergebnis wird eine Haushaltsbelastung bejaht, obwohl es zu einer solchen im Ansässigkeitsstaat der die Zahlung erhaltenden Gesellschaft gerade nicht gekommen ist. Bei Beibehaltung des Trennungsprinzips ist folglich eine Saldierung der staatlichen Haushalte ausgeschlossen. (d) Erfassung sämtlicher Erträge Eine Belastung des öffentlichen Haushaltes kann im Ansässigkeitsstaat der die Zahlung empfangenden Gesellschaft jedoch stattfinden, wenn dieser auf die Besteuerung der Einnahmen aus der Gewinnverlagerung verzichtet bzw. diese nicht in derselben Form besteuert wie sonstige Einnahmen. Die Folge sind Mindereinnahmen der Staatskasse. An dieser Stelle sei jedoch angemerkt, dass es sich dabei letztlich um ein von Gewinnverlagerungen losgelöstes Problem handelt, nämlich der schlichten Nicht- oder Minderbesteuerung bestimmter Einkünfte oder Einkunftsarten. Vor dem Hintergrund von Gewinnverlagerungen wird diese Problematik verstärkt, da nicht nur originär inländische Einkünfte nicht besteuert werden, sondern Unternehmen gezielt Gewinne aus anderen Ländern verlagern, um von der Nichtbesteuerung zu profitieren. Wie eingangs erläutert, sind hier grundsätzlich zwei unterschiedliche Fallgestaltungen denkbar: Einmal die Vorteilsgewährung unmittelbar durch ein Einzelruling sowie die Umsetzung eines beihilferechtlich fragwürdigen Gesetzes durch ein Tax Ruling. Die Nichterfassung sämtlicher Zahlungen kann folglich entweder durch ein Gesetz selbst angeordnet werden, oder ein Unternehmen kann im Rahmen eines Tax Rulings eine solche Befreiung erhalten. (aa) Abweichung durch ein Tax Ruling Zunächst ist eine Nichtbesteuerung durch eine Vereinbarung im Rahmen eines Tax Rulings denkbar. Dabei klammert die Finanzbehörde Teile der Einkünfte im Rahmen des Tax Rulings von der Bemessungsgrundlage aus. Besteuert werden so nicht die tatsächlichen Gewinne, sondern lediglich die vereinbarten. Beispielhaft sei hier auf den Beschluss der Europäischen Kommission gegen Luxemburg verwiesen. Gegenstand des Beschlusses ist ein von Luxemburg an die dort ansässige Fiat Finance and Trade Ltd. gewährtes Tax Ruling. Die Fiat Finance and Trade Ltd. ist eine zentrale Konzernfinanzierungsgesellschaft, die verschiedene Finanzierungsleistungen, z. B. Cash Pooling, Darlehen, etc., an verschiedene verbundene Unternehmen innerhalb Europas vergeben hatte. Mit dem von Luxemburg gewährten Advanced Pricing Agreement wurde nach Ansicht der Kommission eine Bandbreite von für angemessen befundenen Verrechnungspreisen vereinbart. Dabei wurde von der 1076

Pressemitteilung der Europäischen Kommission v. 30. 08. 2016 – IP/16/2923.

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Kommission auch die angewandte TNMM-Methode unter Anwendung des sog. Capital Asset Pricing Models kritisiert, im Ergebnis aber noch für vertretbar gehalten.1077 Als Verstoß gegen das Beihilferecht sah die Kommission hingegen die unter zweifelhafter Berücksichtigung des Funktions- bzw. Risikoprofils sowie des eingesetzten Kapitals starr vereinbarten Gewinne an. Im Ergebnis wäre der Fiat Finance and Trade Ltd. damit eine von ihren tatsächlichen Gewinnen unabhängige steuerliche Bemessungsgrundlage zugesichert worden.1078 Die Differenz aus der Vereinbarung und dem tatsächlichen Gewinn blieb nach Ansicht der Kommission unversteuert. Der Fiat Finance and Trade Ltd. wäre so ein steuerlicher Vorteil in Höhe der nicht veranlagten Körperschaftsteuer gewährt worden – bei gleichzeitigen Mindereinnahmen der Staatskasse. Zwar konnte Luxemburg die Kommission davon überzeugen, dass im fraglichen Ruling keine feste Bemessungsgrundlage vereinbart wurde, was die Kommission in ihrem endgültigen Beschluss auch einräumt, sie hielt jedoch an ihrer generellen Einschätzung als selektive Vorteilsgewährung fest.1079 Die Kommission erachtet das in Ansatz gebrachte hypothetisch regulatorische Eigenkapital sowie die Eigenkapitalrendite als nicht fremdvergleichskonform. Durch Abweichungen vom Fremdvergleichsgrundsatz wurde die Steuerbemessungsgrundlage von Fiat in Luxemburg verkleinert und so die Steuerlast verringert. Es kann folglich festgehalten werden, dass die nicht fremdvergleichskonforme Verbuchung eingenommener Verrechnungspreise und damit die Freistellung bestimmter Einkünfte einen Vorteil im Sinne des Art. 107 Abs. 1 AEUV darstellen.1080 (bb) Beihilfewidrige Gesetzeslage Ebenso denkbar ist aber, dass der Vorteil nicht durch ein unzulässiges Einzelruling gewährt wurde, sondern dass das Tax Ruling nur eine insgesamt beihilfewidrige Gesetzeslage widerspiegelt. Dies nimmt die Kommission im Falle der von Belgien erteilten sog. Excess Profit Rulings an.1081 Anders als in dem Verfahren gegen Luxemburg und Fiat geht es dabei aber nicht um eine Kontrolle von individuellen Tax 1077 Staatliche Beihilfe SA.38375 (2014/C) (ex 2014/NN) — Mutmaßliche Beihilfe für FFT: Aufforderung zur Stellungnahme nach Artikel 108 Absatz 2 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union ABl. EU 2014 Nr. C 369/37, Rn. 65 ff und Beschluss (EU) 2016/2326 der Kommission v. 21. 10. 2015 über die staatliche Beihilfe SA.38375 (2014/C ex 2014/NN) Luxemburgs zugunsten von Fiat, Az. C(2015) 7152, ABl. EU 2016 Nr. L 351/1, Rn. 241 bis 247. 1078 Der festgelegte Gewinn soll dabei 2.542.000 Euro (+/- 10 %) betragen haben. Vgl. Staatliche Beihilfe SA.38375 (2014/C) (ex 2014/NN) — Mutmaßliche Beihilfe für FFT: Aufforderung zur Stellungnahme nach Artikel 108 Absatz 2 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union ABl. EU 2014 Nr. C 369/37, Rn. 37. 1079 Beschluss der Kommission v. 21. 10. 2015 über die staatliche Beihilfe SA.38375 Luxemburgs zugunsten von Fiat, ABl. EU 2016 Nr. L 351/1, Rn. 232 und 233. 1080 Folgerichtig hat zwischenzeitlich das Gericht die Auffassung der Kommission bestätigt.Vgl. EuG, Urteil v. 24. 9. 2019, Rs. T-755/15 u. T-759/15, ECLI:EU:T:2019:670 Rn. 141 – Luxemburgund Fiat Chrysler Finance Europe/Kommission. 1081 Beschluss der Kommission v. 11. 01. 2016 über die Beihilferegelung Belgiens SA.37667 (2015/C) (ex 2015/NN), Az. C(2015) 9837, ABl. EU Nr. L 260/61.

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Rulings, sondern um die zugrundliegende Steuerregelung. Die Kommission hat ihr förmliches Prüfverfahren folglich gegen das Steuervorbescheidsystem als solches und nicht gegen Einzelmaßnahmen eingeleitet. Die beihilfewidrige Begünstigung wird also bereits in der Gesetzeslage selbst gesehen. Durch diese kommt es nach Auffassung der Kommission zu einer vorteilhaften Abweichung der Besteuerung nach den Grundsätzen des allgemeinen belgischen Körperschaftsteuerrechts.1082 Das belgische Steuerrecht erlaubt es verbundenen Unternehmen, sowohl Gewinnkorrekturen nach oben als auch nach unten vorzunehmen. Es setzt am beschriebenen Spannungsverhältnis eines Konzerns an: der rechtlichen Selbstständigkeit bei gleichzeitiger wirtschaftlicher Verbundenheit. Wie gezeigt, wird der Fremdvergleichsgrundsatz der wirtschaftlichen Verbundenheit nur unzureichend gerecht. Gewinne, die gerade aufgrund der Verbundenheit erzielt werden und von unabhängigen Dritten in dieser Form nicht realisierbar wären, können den Jurisdiktionen nicht oder nur zufällig zugewiesen werden. Es droht eine Doppelbesteuerung dieser Gewinne.1083 An dieser Stelle setzt die belgische Regelung an und vergleicht den Gewinn des Konzerns mit dem hypothetischen Gewinn eines unabhängigen Unternehmens in einer vergleichbaren Situation. Die Differenz – der sog. Mehrgewinn – kann von der Bemessungsgrundlage abgezogen werden und ist damit von der belgischen Besteuerung freigestellt.1084 Die Regelung verfolgt im Ansatz das Ziel Doppelbesteuerung zu verhindern.1085 Auf Grundlage von Art. 185 Paragraf 2 des CIR 92 ist für diesen Abzug die Verständigung mit der Finanzverwaltung im Rahmen eines Tax Rulings vorgesehen.1086 Die Kommission sieht in besagter Regelung einen Vorteil zugunsten multinationaler Konzerne.1087 Durch den Abzug des Mehrgewinns von der Bemessungsgrundlage würde diesen, im Vergleich zu unabhängigen Unternehmen, ein Steuervorteil gewährt. Belgien hingegen sieht darin keinen Vorteil an verbundene Unternehmen, sondern lediglich eine Angleichung an selbstständige Unternehmen. Ohne den Abzug des Mehrgewinns würden nämlich die aus dem Konzernverbund entstehenden Synergie- und Skaleneffekte dem belgischen Steuerrecht unterworfen. Belgien verweist folglich selbst explizit auf den Fremdver1082 Die Kommission sieht hier das allgemeine Körperschaftsteuerrecht auch als Referenzrahmen für die Selektivitätsprüfung an: Beschluss der Kommission v. 11. 01. 2016 über die Beihilferegelung Belgiens SA.37667 (2015/C) (ex 2015/NN), Az. C(2015) 9837, ABl. EU Nr. L 260/61, Rn. 121 ff. 1083 Zur Kritik am Fremdvergleichsgrundsatz vgl. Kapitel 4, S. 198 ff. 1084 Vgl. zur Regelung im Detail Hoffmann, ISR 2019, 165 (166). 1085 Dabei muss gleichwohl darauf hingewiesen werden, dass der Nachweis einer (erfolgten) Doppelbesteuerung gerade nicht notwendig war. Vielmehr wurde im Vorhinein im Rahmen des Tax Rulings ein fester Mehrgewinn bestimmt, der dann unabhängig von einer erfolgten Doppelbesteuerung freigestellt wurde. Für eine Beschreibung der Maßnahme vgl. Beschluss der Kommission v. 11. 01. 2016 über die Beihilferegelung Belgiens SA.37667 (2015/ C) (ex 2015/NN), Az. C(2015) 9837, ABl. EU 2016 Nr. L 260/61, Rn. 13 bis 22. 1086 Vgl. Eisendle/Henze, ISR 2020, 23 (33). 1087 Beschluss der Kommission v. 11. 01. 2016 über die Beihilferegelung Belgiens SA.37667 (2015/C) (ex 2015/NN), Az. C(2015) 9837, ABl. EU 2016 Nr. L 260/61, Rn. 187.

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gleichsgrundsatz; da bei einem hypothetischen unabhängigen Dritten solche Effekte gerade nicht vorkommen und diese daher auch nicht besteuert werden, würde mit dem Abzug des Mehrgewinns letztlich ein Gleichlauf in der Besteuerung von abhängigen und unabhängigen Unternehmen erreicht.1088 Die Annahme eines Vorteils zulasten des belgischen Haushalts durch die Kommission überzeugt. Der Gewinn eines Unternehmens ergibt sich grundsätzlich aus der Differenz zwischen sämtlichen Einnahmen und Ausgaben. Die Bemessungsgrundlage knüpft dabei an die Handelsbilanz an.1089 Das aus der errechneten Differenz gewonnene Ergebnis ist der steuerpflichtige Ertrag der Gesellschaft. Das gilt unabhängig von einer Konzernzugehörigkeit. Für Konzerngesellschaften sind Verrechnungspreise erforderlich, um den realen Gewinn ermitteln zu können. Davon stellt die Erlaubnis, Mehrgewinne von der Bemessungsgrundlage abzuziehen und damit im Ergebnis nicht zu besteuern, eine begünstigende Ausnahme zulasten des öffentlichen Haushaltes dar.1090 Dabei muss auch der Einwand Belgiens zurückgewiesen werden. Werden einzelnen Konzerneinheiten Gewinnmargen anhand eines Risiko- und Funktionsprofils zugewiesen und Verrechnungspreise darauf aufbauend festgesetzt, dann kommt es letztlich zu einer Gewinnallokation bei der Haupt- bzw. Muttergesellschaft. Diese Allokation erfolgt keineswegs zufällig oder willkürlich. Sie ist viel mehr Folge der Tatsache, dass die Hauptgesellschaft das wirtschaftliche Risiko trägt und Konzerneinheiten ggf. nur ausführende Tätigkeiten übernehmen. Trägt die Hauptgesellschaft das wirtschaftliche Risiko, ist es nur folgerichtig, dass sie auch die Gewinne abschöpft. Folglich werden die Gewinne auch bei ihr besteuert. Nichts anderes gilt für ein unabhängiges Unternehmen. Auch dies trägt die wirtschaftlichen Risiken, streicht den Gewinn ein und versteuert diesen. Zu einer fehlerhaften Allokation kommt es nur, wenn für die einzelnen Konzerneinheiten fehlerhafte Profile angelegt und nicht sachgerechte Verrechnungspreismethoden ausgewählt werden. Das vermag jedoch an der Tatsache, dass die Konzernüberschüsse bei der Hauptgesellschaft versteuert werden müssen, nichts zu ändern. Denkbar ist allenfalls, dass die in Belgien ansässige Konzerneinheit lediglich zu Steuervermeidungszwecken als Hauptgesellschaft deklariert wurde, während es sich dabei in Wahrheit lediglich um eine normale Konzerneinheit handelt. Insofern dürfte der Gewinn bei korrekter Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes überhaupt nicht der in Belgien ansässigen Gesellschaft zugewiesen werden. Wurde der Gewinn hingegen korrekterweise der belgischen Gesellschaft zugeschrieben ist dieser dort auch zu besteuern. Das Gericht hat den Gerichtsbeschluss jedoch aufgehoben. In seinem Urteil kommt es allerdings gar nicht zu der Frage, ob der Abzug der Mehrgewinne eine 1088 Zur Stellungnahme Belgiens vgl. Beschluss der Kommission v. 11. 01. 2016 über die Beihilferegelung Belgiens SA.37667 (2015/C) (ex 2015/NN), Az. C(2015) 9837, ABl. EU 2016 Nr. L 260/61, Rn. 13 bis 80 bis 86. 1089 Oepen, IStR-LB 2016, 25 (26). 1090 Beschluss der Kommission v. 11. 01. 2016 über die Beihilferegelung Belgiens SA.37667 (2015/C) (ex 2015/NN), Az. C(2015) 9837, ABl. EU Nr. L 260/61, Rn. 130 ff.

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Beihilfe darstellt. Das Gericht beanstandet, dass die Kommission eine Beihilferegelung angenommen. Die Vorschriften des belgischen Rechts belassen nach Ansicht des Gerichts den Behörden derart ausreichende Entscheidungsspielräume bei ihrer Anwendung im Einzelfall, dass eine Beihilferegelung ausgeschlossen sei.1091 Das Gericht begründet seinen Urteilsspruch leider ausschließlich formal und legt nicht näher da, an welchem Tatbestandsmerkmal des Art. 107 Abs. 1 AEUV die Prüfung letztlich scheitert. Es scheint als habe das Gericht – aufgrund der erforderlichen Zwischenschritte bzw. des bestehenden Entscheidungsspielraums im Einzelfall bereits das Vorliegen einer Begünstigung unmittelbar durch das Gesetz verneint. Das Urteil ist zwar ein Erfolg für die Steuerpflichtigen, dieser könnte jedoch im Ergebnis nur für kurze Dauer sein, da es der Kommission unbenommen bleibt gezielt einzelne Tax Rulings anzugehen.1092 (e) Ansässigkeitsstaat der zahlenden Gesellschaft In ihren Untersuchungen hat die Europäische Kommission aber nicht nur die Situation im Ansässigkeitsstaat der die Zahlung empfangende Gesellschaft analysiert, sondern auch die im Ansässigkeitsstaat der zahlenden Gesellschaft. Gestattet dieser der zahlenden Gesellschaft, die zu hohen Verrechnungspreise als Betriebsausgaben abzuziehen, so wird der Gewinn verlagert und der zu versteuernde Gewinn der Gesellschaft sinkt. Da die Steuereinnahmen des Ansässigkeitsstaates sinken, erfolgt eine Belastung des öffentlichen Haushaltes. Die Belastung eines öffentlichen Haushaltes ist insoweit unproblematisch gegeben. Problematisch ist aber, dass die ansässige Gesellschaft gerade keinen Vorteil erhält. Sie zahlt einen überhöhten Marktpreis und ihre Profitabilität wird gesenkt, nicht erhöht. Profiteur dieser Verlagerung ist die nichtansässige Gesellschaft sowie der Gesamtkonzern, sofern dass das Steuerniveau nach unten abweicht. (aa) Der Fall Luxemburg/Amazon Jedoch wurden auch die Ansässigkeitsstaaten der die Zahlung leistenden Unternehmen und sogar vom nationalen Steuerrecht als transparent angesehene Einheiten von der Europäischen Kommission als potenzielle Vorteilsgewährer identifiziert, so z. B. im Falle eines von Luxemburg an zwei mit Amazon verbundenen Gesellschaften gewährten Rulings. Dabei ging es um Lizenzeinnahmen von der in Luxemburg ansässigen Amazon EU S.à.r.l. an eine ebenfalls in Luxemburg ansässige Holdinggesellschaft. Diese wurden von der Amazon EU S.à.r.l. zwar als Betriebskosten von der Bemessungsgrundlage abgezogen, bei der Holdinggesellschaft konnten diese jedoch nicht versteuert werden, da diese steuerlich als transparent behandelt wird. Die Lizenzeinkünfte werden daher nur bei den in den USA sitzenden Gesellschaftern der Holding besteuert. Das amerikanische Steuerrecht sieht jedoch 1091

EuG, Urteil v. 14. 2. 2019, Rs. T-131/16 u. T-263/16, ECLI:EU:T:2019:91, Rn. 121 ff. – Belgien und Magnetrol International/Kommission. Vgl. auch Hoffmann, ISR 2019, 165 (166); Eisendle/Henze, ISR 2020, 23 (33). 1092 So auch Soltész, BB 2019, 1687 (1691).

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eine Besteuerung erst bei tatsächlichem Mittelfluss in die USA vor. Solange also die Einnahmen nicht in die USA transferiert werden, erfolgt im Ergebnis keine Besteuerung der Lizenzeinnahmen; weder durch Luxemburg noch durch die USA. Darüber hinaus kritisierte die Kommission die Höhe und die Ermittlungsmethode der Verrechnungspreise. Die Europäische Kommission sieht darin einen wirtschaftlichen Vorteil zugunsten Amazons. Allerdings ergibt sich auch hier die bereits beschriebene Problematik. Der steuerlich in Luxemburg ansässigen Lizenznehmerin entsteht kein wirtschaftlicher Vorteil. Sie zahlt einen zu hohen Preis für die Lizenzen und verlagert so ihren Gewinn auf die Holdinggesellschaft. Diese wiederum ist steuerlich transparent und wird nicht in Luxemburg besteuert. Steuerpflichtig sind vielmehr die hinter der Holding stehenden Gesellschafter, die allerdings in den Vereinigten Staaten und nicht in Luxemburg ansässig sind. Luxemburg gewährt der Lizenznehmerin keinen Vorteil und kann der Lizenzgeberin keinen gewähren. Die Wettbewerbsposition der Lizenznehmer verschlechtert sich durch den überhöhten Verrechnungspreis. Die der Lizenzgeberin verbessert sich, sie unterliegt jedoch nicht der luxemburgischen Steuerhoheit. Es kommt auch hier zum Auseinanderfallen von Ansässigkeit des Vorteilsnehmers und Belastung des Haushaltes. Auch hier vermag das Beihilferecht unter Beibehaltung der steuerrechtlichen Vermögenstrennung keine Abhilfe zu leisten. (bb) Der Fall Irland/Apple Im Falle Apples ging es dabei nicht um den Leistungsaustausch zwischen zwei verbundenen, aber rechtlich selbstständigen Gesellschaften, sondern um die gesellschaftsinterne Gewinnzuweisung zwischen Verwaltungssitz (in einer Steueroase) und der Betriebsstätte in Irland. Dabei liegt zunächst ein Auseinanderfallen von Verwaltungssitz (in einer Steueroase) und dem Ort der tatsächlichen wirtschaftlichen Tätigkeit (in Irland) vor.1093 Im Rahmen der vereinbarten Gewinnaufteilungsmethode wurde dann der größte Teil der Gewinne intern dem Verwaltungssitz zugeschrieben, obwohl dieser weder über Mitarbeiter noch über Geschäftsräume verfügte. Ihre Tätigkeiten bestanden lediglich in gelegentlichen Sitzungen des Board of Directors. Dagegen wurde – trotz der eigentlich in Irland stattfindenden wirtschaftlichen Tätigkeit – nur ein Bruchteil der Gewinne der irischen Zweigniederlassung zugewiesen und infolge dessen nur ein geringer prozentualer Anteil in Irland versteuert.1094 Die Kommission sieht darin einen Vorteil zugunsten Apples, da die akzeptierten Gewinnaufteilungsmethoden in künstlicher Weise eine erhebliche Verringerung der von Apple in Irland zu zahlenden Steuer bewirkt haben soll. Die Europäische Kommission stößt sich folglich an der Gewinnverteilung zwischen Hauptsitz und irischer 1093

Die Europäische Kommission hegt dabei zugleich den Verdacht, dass die Leitung der Gesellschaft nicht am Ort des Verwaltungssitzes, sondern in Irland erfolgt. Vgl. Pressemitteilung der Kommission v. 30. 08. 2016 – IP/16/2923. 1094 Vgl. Commission Decision of 30. 08. 2016 on State Aid SA.38373 (2014/C) (ex 2014/ NN) (ex 2014/CP) implemented by Ireland to Apple, C(2016) 5605 final. Siehe auch: Richter/ Hontheim, DB 2013, 1260 (1261 ff.).

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Niederlassung1095 Auch zwischen diesen soll die Zuweisung der Gewinne dem Fremdvergleichsgrundsatz entsprechend erfolgen. Die Kommission sieht den Vorteil letztlich darin, dass durch die nicht dem Fremdvergleichsgrundsatz entsprechenden Gewinnzuweisungen Gewinne in ein Niedrigsteuerland verlagert wurden. Die Kommission moniert insofern nicht unmittelbar die Ausnutzung bestimmter Steuerschlupflöcher, z. B. im Rahmen des sog. Double Irish with a Dutch Sandwich.1096 Dabei werden Gewinne unter Ausnutzung des irischen und niederländischen Steuerrechts sowie der entsprechenden Doppelbesteuerungsabkommen und der Zinsrichtlinie1097 zwischen Konzerngesellschaften verschoben.1098 Dabei kommt die Besonderheit des niederländischen Steuerrechts zum Tragen, das keine Quellensteuer bei Lizenzzahlungen kennt. Dieses Konstrukt gewährleistet im Ergebnis, dass die hohen Betriebseinnahmen der operativen (irischen) Gesellschaft, durch Betriebsausgaben – in Form von Lizenzgebühren – geschmälert und mittels einer niederländischen Zwischengesellschaft erneut an eine (andere) irische Gesellschaft weitergereicht werden. Der Kommission geht es vielmehr um die Gewinnzuweisung zwischen den Betriebsstätten (also innerhalb der irischen Gesellschaft), denn dort werden die Lizenzgebühren dem Ort der tatsächlichen Unternehmenskontrolle (also dem Verwaltungssitz) und nicht der Betriebsstätte in Irland zugeordnet. Insofern findet im Ergebnis eine Allokation in einer Steueroase statt und die Gewinne bleiben nahezu unversteuert.1099 Auch hier stößt man auf das Problem, dass die Gesellschaft in einem Drittland ansässig ist, aber nicht der dortige, sondern der irische Haushalt belastet wird. Vorteil und Haushaltsbelastung können aber versöhnt werden, wenn Irland ein über die Betriebsstätte hinausgehendes Besteuerungsrecht für die Gesellschaft als solches hatte. Die Gesellschaft ist unzweifelhaft mit ihrer Betriebsstätte in Irland steuerpflichtig. Diese Steuerpflicht wird durch nicht fremdvergleichskonforme Verrechnungspreise künstlich verringert. Die Betriebsstätte selbst hat aber keinen wirtschaftlichen Vorteil, die Gesellschaft hat sie. Eine Betriebsstätte ist jedoch keine selbstständige juristische Person, sondern Teil der Gesellschaft; sie sind rechtlich verbunden. Ein Gleichlauf von Vorteilsempfänger und Haushaltsbelastung ist daher gegeben, wenn die Gesellschaft selbst in Irland unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtig ist. In diesem Fall ist die Gesellschaft mit ihren sämtlichen Welteinkünften 1095

Wattel, Intertax 2016, 791 (799). Für eine detaillierte Darstellung des „Double Irish with a Dutch Sandwich” vgl. Richter/ Hontheim, DB 2013, 1260 – 1264. 1097 Vgl. Richtline 2003/49/EG des Rates v. 03. 06. 2003 über eine gemeinsame Steuerregelung für Zahlungen von Zinsen und Lizenzgebühren zwischen verbundenen Unternehmen verschiedener Mitgliedstaaten, ABl. EG 2003 Nr. L 157/49. 1098 Insoweit wurde Apple auch keinerlei Sonderbehandlung zuteil. Besagtes Steuersparmodell stand sämtlichen Unternehmen offen und wird bzw. wurde auch im großen Stil genutzt, z. B. durch andere US-amerikanische Konzerne wie Google. Vgl. dazu ausführlich: Pinkernell, StuW 2012, S. 369 – 374. 1099 Richter/Hontheim, DB 2013, 1260 (1262). 1096

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in Irland steuerpflichtig, nicht nur mit ihren Betriebsstättengewinnen. Eine Gesellschaft wird in Irland unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtig, wenn sie dort ansässig ist. Durch die Einführung des Finance Acts 1999 ist grundsätzlich jede Körperschaft, die in Irland gegründet wurde, dort unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtig. Die Begründung der unbeschränkten Steuerpflicht ist aber auch anhand des Kriteriums „Ort der tatsächlichen Leitung und Kontrolle“ möglich. Diese Bestimmung sollte eigentlich als Ausnahmekriterium dienen, fand aber in zahlreichen Fällen – auch bei Apple – Anwendung. Da die irische Gesellschaft durch eine Gesellschaft von den Britischen Jungferninseln kontrolliert wurde, wurde seitens der irischen Finanzverwaltung eine Ansässigkeit der Kapitalgesellschaft in Irland – trotz Gründung im Inland – abgelehnt. Die Gesellschaft als solches war damit nicht mit ihren gesamten Einkünften unbeschränkt steuerpflichtig, sondern nur mit ihrer in Irland tatsächlich ansässigen Betriebsstätte.1100 Folgerichtig kommt Irland kein Besteuerungsrecht hinsichtlich der Kapitalgesellschaft, sondern nur für die einzelne Betriebstätte zu. Wie bereits zuvor beschrieben, kommt es zu einem Auseinanderfallen von Vorteilsempfänger und staatlicher Haushaltsbelastung bei Beibehaltung des Trennungsprinzips.1101 b) Wettbewerbsrechtliche Betrachtung: Der Konzern als Vorteilsempfänger Die Europäische Kommission sieht in ihren bisher veröffentlichen Beschlüssen nicht nur eine einzige Konzerneinheit als Begünstigten an, sondern betrachtet – auch im Falle rechtlicher Selbstständigkeit – den Konzern als wirtschaftliche Einheit als Begünstigten.1102 Häufig „doppelt“ sie bei der Bestimmung des Begünstigten sogar und weist sowohl die einzelne Konzerneinheit, als auch den Gesamtkonzern als Begünstigten aus. Im Folgenden sollen daher die Auswirkungen von Gewinnverlagerungen auf den Gesamtkonzern untersucht werden. Dabei soll insbesondere untersucht werden, ob die Europäische Kommission in diesem zutreffend einen Begünstigten sieht oder ob ein Gesamtkonzern gar nicht Empfänger einer Steuervergünstigung sein kann.

1100

Richter/Hontheim, DB 2013, 1260 (1261). Demgegnüber kam das EuG zur Auffassung, dass die Kommission die Zuordnung von Einkünften an verschiedene Niederlassungen fehlerhaft beurteilt habe. Vgl. EuG, Urteil v. 15. 7. 2020, Rs. T-778/16 u. T-892/16, ECLI:EU:T:2020:338 – Irland/Kommission. Vgl. auch Soltész, NZKart 2020, 405 (406). 1102 Vgl. beispielhaft: Beschluss der Kommission v. 11. 01. 2016 über die Beihilferegelung Belgiens SA.37667 (2015/C) (ex 2015/NN), Az. C(2015) 9837, ABl. EU Nr. L 260/61, Rn. 183 bis 186; Beschluss der Kommission v. 21. 10. 2015 über die staatliche Beihilfe der Niederlande SA.38374 (2014/C) (ex 2014/NN) zugunsten von Starbucks, Az. C(2015) 7143, ABl. EU 2017 Nr. L 83/38, Rn. 417 ff. Beschluss der Kommission v. 21. 10. 2015 über die staatliche Beihilfe SA.38375 (2014/C ex 2014/NN) Luxemburgs zugunsten von Fiat, Az. C(2015) 7152, ABl. EU 2016 Nr. L 351/1, Rn. 341 ff. 1101

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aa) Funktionaler Unternehmensbegriff und Konzernbegünstigung Die Europäische Kommission sieht wie gesagt in den Gesamtkonzernen einen Begünstigten. Sie stützt sich dabei auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs, der für das Wettbewerbsrecht unter den Unternehmensbegriff eine wirtschaftliche Einheit fasst, auch wenn dieser rechtlich eigenständige Einheiten zugrunde liegen.1103 Das gilt zumindest solange, als dass eine Einheit, die Kontrollbeteiligungen an einer Gesellschaft hält, diese Kontrolle tatsächlich durch unmittelbare oder mittelbare Einflussnahme auf die Verwaltung der Gesellschaft ausübt.1104 Konzerne erfüllen grundsätzlich diese Voraussetzungen. Daher können ihre Untergliederungen zum Zwecke der Beihilfekontrolle als Einheit betrachtet werden. Dass das nationale Steuerrecht keine Konzerne kennt, vermag daran nichts zu ändern. Die nach nationalem Recht fehlende Rechtspersönlichkeit steht der Unternehmenseigenschaft nicht entgegen.1105 Folglich können auch Gebilde, denen nach nationalem Recht keine Rechtssubjektsqualität zukommt als Beihilfeempfänger angesehen werden. Im Gesamtkonzern den Begünstigten zu sehen ist für das europäische Wettbewerbsrecht kein gänzlich neues, für das Beihilferecht jedoch gleichwohl kein gewöhnliches Vorgehen.1106 Das gilt insbesondere für Steuerbeihilfen: Damit wird im Ergebnis die steuerrechtlich gebotene Trennung der Einheiten zugunsten einer wettbewerbsrechtlichen Gesamtbetrachtung aufgegeben. Der einheitliche und funktionale Unternehmensbegriff führt hier dazu, dass neben dem unmittelbaren Subventionsempfänger auch der Gesamtkonzern als Begünstigter angesehen werden kann. Der Gesamtkonzern unterliegt jedoch – wegen des Trennungsprinzips – gerade keiner eigenen, originären Steuerpflicht. Im Rahmen des funktionalen Unternehmensbegriffs kommt es so letztlich zu einer Steuervergünstigung, ohne originäre Steuerpflicht. An dieser Stelle kollidieren nationales Steuerprinzip und unionales Wettbewerbsrecht. Das Vorgehen der Kommission in der wirtschaftlichen Einheit, also dem Konzern im Ganzen, den Empfänger eines Steuervorteils zu sehen, erfasst das Wesen von Gewinnverlagerungen in ihrem Kern und ermöglicht es, gegen den Gesamtkonzern als tatsächlich Begünstigten vorgehen zu können. Übergeordnetes Ziel des funk1103

EuGH, Urteil v. 12. 07. 1984, Rs. C-170/83, ECLI:EU:C:1984:271, Rn. 11 – Hydrotherm; Urteil des Gerichts erster Instanz v. 14. 10. 2004, Rs. T-137/02, ECLI:EU:T:2004:304, Rn. 50 – Pollmeier Malchow/Kommission. Dieses Verständnis vertritt die Europäische Kommission auch in ihrer Bekanntmachung zum Begriff der staatlichen Beihilfe. Bekanntmachung der Europäischen Kommission zum Begriff der staatlichen Beihilfe im Sinne des Artikels 107 Absatz 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, ABl. EU 2016 Nr. C 262/ 1, Rn. 11. 1104 EuGH, Urteil v. 16. 12. 2010, Rs. C-480/09 P, ECLI:EU:C:2010:787, Rn. 47 bis 55 – AceaElectrabel Produzione/Kommission; EuGH, Urteil v. 10. 01. 2006, Rs. C-222/04, ECLI: EU:C:2006:8, Rn. 112 – Cassa di Risparmio di Firenze. 1105 Huber, in: Jaeger/Haslinger (Hrsg.), Beihilferecht Jahrbuch 2017, S. 382. 1106 Der funktionale Unternehmensbegriff entstammt nicht dem Beihilferecht, sondern wird für das gesamte Wettbewerbsrecht einheitlich verwendet.Vgl. Huber, in: Jaeger/Haslinger (Hrsg.), Beihilferecht Jahrbuch 2017, S. 381.

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tionalen Unternehmensbegriffs ist es den Gesamtkonzern als letztlich Begünstigten zur Zahlung zu verpflichten – also die wirtschaftliche Realität stärker abzubilden. Sei es im Wege einer Verpflichtung als unmittelbar Begünstigter, notfalls aber auch über den Umweg der Verpflichtung einzelner Konzerngesellschaften.1107 Aus rein nationaler Betrachtungsweise treten hier zwar Bedenken auf, da durch das nationale Gesellschafts- und Steuerrecht vorgegebene Wertungen und Prinzipien ausgehebelt werden, das vermag die Anwendung des funktionalen Unternehmensbegriffs jedoch nicht zu verhindern. Die europäischen Wettbewerbsvorschriften überlagern insoweit das nationale Recht und genießen Anwendungsvorrang. Es handelt sich dabei auch um keine Besonderheit des derzeitigen Kommissionsvorgehens. Sie bewegt sich hier vielmehr im eingangs beschriebenen Spannungsfeld zwischen unionaler Kompetenzen im Wettbewerbsrecht und mitgliedstaatlicher Kompetenz im Bereich direkter Unternehmensbesteuerung.1108 Obgleich die Mitgliedstaaten die Hoheit über die Ausgestaltung ihrer Steuersysteme haben, müssen sie deren Vereinbarkeit mit dem primären Unionsrecht beachten.1109 Dabei genießt das primäre Unionsrecht Anwendungsvorrang vor den nationalen Regelungen. Der Begriff des Unternehmens ist ein autonomer Begriff des Unionsrechts und insoweit vom nationalen Recht unabhängig.1110 Das im nationalen Steuer- und Gesellschaftsrecht festgelegte Trennungsprinzip wird insoweit durch den wettbewerbsrechtlichen Unternehmensbegriff überlagert und der Gesamtkonzern ist auch bei Steuermaßnahmen als Begünstigter anzusehen. bb) Abgrenzung zur mittelbaren Vorteilsgewährung Die Gesamtbetrachtung erinnert zum Teil an sog. mittelbare Beihilfen, die grundsätzlich ebenfalls unter das Beihilfeverbot fallen. Ähnlich der Bestimmung solch mittelbarer bzw. indirekter Beihilfen erfolgt die Begünstigung des Zweitempfängers nicht zufällig. Insbesondere bei einem Konzern ist objektiv vorhersehbar, dass Begünstigungen für einzelne Konzerneinheiten auf den Gesamtkonzern durchschlagen und bei diesem ebenfalls eine begünstigende Wirkung auslösen. Jede einzelne Einheit ist rechtlich und wirtschaftlich mit dem Gesamtgebilde verbunden. Dass dabei eine Handlungskette der begünstigten Konzerneinheit notwendig sein kann, vermag nichts zu ändern. Bei mittelbaren Beihilfen lässt sogar der Willensentschluss eines privaten Dritten den Zurechnungszusammenhang nicht entfallen.1111 Eine Entscheidung des Privaten kann von staatlicher Seite dabei nicht in jedem Fall zu 100 % garantiert werden, allerdings werden die vom Staat gewollten Folgen re1107 1108 1109

S. 291. 1110

Stuart, EStAL 2017, 209 (225). Siehe Kapitel 1, S. 21 ff. Hummelbrunner/Prickartz, in: Jaeger/Haslinger (Hrsg.), Beihilferecht Jahrbuch 2017,

Vgl. dazu: Soltész/Puffer-Mariette, EWS 2006, 438 – 445. EuGH, Urteil v. 19. 09. 2000, Rs. C-156/98, ECLI:EU:C:2000:467, Rn. 27 – Deutschland/Kommission. 1111

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gelmäßig wohl eintreten und die Maßnahme damit ihren initiierten Zweck erfüllen.1112 Dies muss erst Recht für Handlungen einer abhängigen und weisungsgebundenen Konzerneinheit gelten. Es erscheint hier sogar zweifelhaft von einem eigenen Willensentschluss der Tochtergesellschaft auszugehen. Darüber hinaus ist zu beachten, dass der Europäische Gerichtshof für mittelbare Beihilfen entschieden hat, dass zwischen Vorteilsgewährung und Haushaltsbelastung eine Stoffgleichheit nicht zwingend nötig ist.1113 Dass die öffentliche Haushaltseinbuße ggf. größer ist als der Mittelzufluss beim Gesamtkonzern, z. B. da noch eine Besteuerung der verlagerten Gewinne durch einen Drittstaat erfolgte, ist unerheblich. Trotz gewisser Überschneidungen, müssen mittelbare Beihilfen klar zu den vorliegenden Kommissionsbeschlüssen abgegrenzt werden. Zum einen ist auch die Konstruktion einer mittelbaren Beihilfe nicht passgenau. Mittelbare und indirekte Beihilfen sind dadurch gekennzeichnet, dass zwar ein Empfänger – in der Regel Verbraucher – begünstigt wird, der letztliche Endempfänger aber bestimmte Unternehmen sind. Es kommt zu einem „Durchschlagen“ des Vorteils. Im Gegensatz dazu geht die Europäische Kommission in ihren aktuellen Beschlüssen wohl davon aus, dass Konzerneinheit und Gesamtkonzern gleichzeitig begünstigt werden. Dabei sei daran erinnert, dass die gewinnverlagernde Konzerneinheit nach hier vertretenem Verständnis nicht zwingend einen Vorteil erhält. Ein Weiterreichen des Vorteils ist damit ausgeschlossen. Zwar müssen die Vorteile wie gezeigt gerade nicht stoffgleich sein, ob die Fallgruppe der mittelbaren Beihilfen aber auch eingreifen soll, wenn beim Erstempfänger überhaupt kein Vorteil vorliegt, erscheint zweifelhaft. Zum anderen ist anzumerken, dass die Kommission in ihrer bisherigen Beschlusspraxis keinerlei Ausführungen zu eventuellen mittelbaren Begünstigungen gemacht hat. Selbst unter Annahme indirekter Beihilfen wären die Beschlüsse der Kommission mangels diesbezüglichen Vortrags und Belegen als rechtswidrig anzusehen. Letztlich sieht sie im Gesamtkonzern einen unmittelbar Begünstigten und differenziert an dieser Stelle auch nicht weiter zwischen Konzern und Konzerneinheit.1114

1112 Rosenberg, Das beihilferechtliche Durchführungsverbot in Steuersachen, S. 61 ff.; Grube, Der Einfluss des unionsrechtlichen Beihilfeverbots auf das deutsche Steuerrecht, S. 59. 1113 Vgl. beispielhaft: EuGH, Urteil, v. 19. 03. 2013, Rs. C-399/10 P und C-401/10 P, ECLI: EU:C:2013:175, Rn. 110 – France Télécom. 1114 Vgl. Beschluss der Kommission v. 11. 01. 2016 über die Beihilferegelung Belgiens SA.37667 (2015/C) (ex 2015/NN), Az. C(2015) 9837, ABl. EU Nr. L 260/61, Rn. 183 bis 186; Beschluss der Kommission v. 21. 10. 2015 über die staatliche Beihilfe der Niederlande SA.38374 (2014/C) (ex 2014/NN) zugunsten von Starbucks, Az. C(2015) 7143, ABl. EU 2017 Nr. L 83/38, Rn. 417 ff. Beschluss der Kommission v. 21. 10. 2015 über die staatliche Beihilfe SA.38375 (2014/C ex 2014/NN) Luxemburgs zugunsten von Fiat, Az. C(2015) 7152, ABl. EU 2016 Nr. L 351/1, 341 ff.

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cc) Bestimmung des Konzernvorteils (1) Bedeutung des internationalen Steuergefälles für die Vorteilshöhe Zunächst ist es erforderlich sich das dem Kommissionsvorgehen zugrundliegende Problem näher anzusehen. Aus einer Gewinnverlagerung an sich entsteht noch kein monetärer Steuervorteil. Notwendig ist darüber hinaus, dass ein Gefälle im Besteuerungsniveau besteht. Nur wenn das Steuerniveau im den Gewinn aufnehmenden Staat geringer ist als im abgebenden, hat die Gewinnverlagerung eine entlastende Wirkung. Der monetäre Vorteil für den Gesamtkonzern lässt sich dabei leicht berechnen. Er entspricht der Differenz in der Besteuerung des verschobenen Gewinns. An dieser Stelle wird augenscheinlich, worin die Europäische Kommission das originäre Probleme sieht: im internationalen Steuergefälle und in der Besteuerungsmoral einiger Staaten. Wäre der Steuersatz in den beteiligten Staaten identisch oder zumindest ähnlich, würde es zwar wohl auch nicht zu einer Verschiebung kommen, die Kommission würde aber wohl auch bei einer Verschiebung nicht bzw. nicht automatisch von einer Beihilfe ausgehen.1115 Weder einzelne Konzerneinheiten, noch der Gesamtkonzern hätten gegenüber Unternehmen, die sich in einer vergleichbaren Situation befinden, einen selektiven Vorteil. Ist das Steuerniveau im Drittstaat jedoch niedriger, entsteht dem Gesamtkonzern ein wirtschaftlicher Vorteil. Besteuert besagter Staat die verlagerten Gewinne sogar überhaupt nicht, entsteht im Ergebnis Einkommen, das keinem Besteuerungsrecht unterworfen ist.1116 Obwohl das internationale Steuergefälle das Urproblem darstellt, ist es der Europäischen Kommission nicht möglich dagegen vorzugehen. Sie hat nicht die Befugnis die Entstehung bzw. das Fortbestehen von Steueroasen zu verhindern. Aufgrund ihrer sehr begrenzten Kompetenzen im Bereich des Steuerrechts kann sie nicht einmal innerhalb der Union eine Harmonisierung der Steuersätze herbeiführen – geschweige denn in globalem Kontext. Die Festlegung des nationalen Steuerniveaus ist alleine Sache der (Mitglied-)Staaten. Solange aber das Steuergefälle besteht, werden Unternehmen immer geneigt sein dieses auszunutzen, um so ihre Steuerlast zu verringern. Weder in ihren Beschlüssen, noch in ihrer Bekanntmachung zum Begriff der Beihilfe geht die Europäische Kommission explizit auf die Bedeutung des internationalen Steuergefälles ein. In ihren Ausführungen leitet sie den Vorteil daher vielmehr alleine aus der Abweichung vom Fremdvergleichsgrundsatz ab. Da es aber letztlich das Steuergefälle ist, das aus einer Verlagerung einen Vorteil macht, kann davon ausgegangen werden, dass die Europäische Kommission sämtlichen Überlegungen stillschweigend die Annahme zugrunde legt, dass Gewinnverlagerungen aus Hoch- in Niedrigsteuerländer vorgenommen werden. Um das Kommissionsvorgehen korrekt einordnen und bewerten zu können, ist es notwendig, sich das Kernproblem und die diesbezügliche Machtlosigkeit der Europäischen Kommission immer vor Augen zu führen. 1115 Zumindest solange sämtliche Gewinne vom anderen Hoheitsträger auch tatsächlich erfasst werden. Siehe S. 234 ff. 1116 Den Begriff des staatenlosen Einkommens prägend: Wattel, Intertax 2016, 791 (800).

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(a) Doppelbesteuerung oder Nullsummenspiel Obwohl sich die Vorteilshöhe grundsätzlich relativ einfach bestimmen lässt, besteht gleichwohl die Gefahr, dass sich die Kommissionspraxis letztlich als Nullsummenspiel oder unerwünschte Doppelbesteuerung entpuppen könnte.1117 Ist es einem multinationalen Konzern gelungen einen Teil seiner Gewinne aus einem Hochsteuerstaat zu verlagern und kommt die Kommission zu dem Ergebnis das staatliche Handeln des Hochsteuerstaates sei eine Beihilfe, muss dieser die gewährte Beihilfe zurückfordern. Im Ergebnis muss der Begünstigte im Hochsteuerstaat Steuern nachzahlen und hat möglicherweise gleichzeitig auf dieselben Gewinne Steuern in einem anderen Staat bezahlt (sofern sie dort Teil der Bemessungsgrundlage wurden). Das kann zwar vermieden werden, wenn eine korrespondierende Anpassung vorgenommen wird, dazu verpflichtet sind die Staaten jedoch nicht. Auch das Unionsrecht enthält für Mitgliedstaaten keine solche Verpflichtung. Es enthält keine Vorschriften zur Vermeidung von Doppelbesteuerung. In der Folge droht eine nicht gewollte und für den Binnenmarkt schädliche Doppelbesteuerung.1118 Dieses Problem wurde nicht nur von der Europäischen Kommission erkannt,1119 auch im juristischen Schrifttum wird eine Anerkennung bzw. Beachtung der im Ausland erfolgten Besteuerung zur Vermeidung von Doppelbesteuerung für dringend erforderlich gehalten.1120 Da die Kommission eine Korrespondenz nationaler Steuersysteme zur Vermeidung von Doppelbesteuerung nicht anordnen kann, versucht sie diese über Vorteilshöhe zu vermeiden. Sie nimmt daher an, dass die Höhe der Nachzahlung mit der Besteuerung im anderen Staat korrespondiert.1121 Steuerzahlungen in anderen Staaten beeinflussen demnach die Rückforderung und damit auch den Steuervorteil unmittelbar. Die Vorteilshöhe schrumpft also sofern andere Staaten eine Besteuerung vornehmen. Diese Feststellung der Kommission kann weitreichende Folgen haben. So bleibt, z. B. im Falle Apples offen, ob durch eine Kapitalüberführung (und damit das Auslösen der US-amerikanischen Körperschaftsteuerpflicht) die Steuernachzahlung verkleinert werden kann. Die dort zu entrichtende Körperschaftsteuer wäre dann auf die Vorteilssumme anzurechnen. Derzeit scheint die Kommission wohl anzunehmen, dass sich der Rückforderungsbetrag verkleinert, wenn die USA den Mutterkonzern zu höheren Forderungen für die Rechteüberlassung verpflichten würde. Ihre Feststellung ist nicht auf Mitgliedstaaten beschränkt und dient daher nicht dazu einen möglichst großen Anteil des 1117

Rossi-Maccanico, EC Tax Review 2015, 63 (64). de Broe, EC Tax Review 2015, 290 (292 ff.). 1119 Zur Gefahr der Doppelbesteuerung bei der Bekämpfung aggressiver Steuergestaltung vgl.: Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat v. 28. 01. 2016 – Maßnahmenpaket zur Bekämpfung von Steuervermeidung: nächste Schritte auf dem Weg zu einer effektiven Besteuerung und einer größeren Steuertransparenz in der EU, COM(2016) 23 final, S. 9. 1120 Luja, EC Tax Review 2015, 312 (322). 1121 Siehe: Pressemitteilung der Europäischen Kommission v. 30. 08. 2016 – IP/16/ 2923.Vgl. auch Stuart, EStAL 2017, 209 (223). 1118

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Konzerngewinns innerhalb der Europäischen Union zu besteuern. Daher kann davon ausgegangen werden, dass auch eine Besteuerung in den USA auf die Forderungshöhe durchschlägt.1122 Das bedeutet aber auch, dass die Rückforderungsbeträge letztlich deutlich geringer ausfallen könnten als die bisher genannten Beträge. Im Extremfall ist sogar denkbar, dass der Vorteil komplett aufgezehrt wird. In dieser Hinsicht droht das Kommissionsvorgehen daher zum Nullsummenspiel zu werden. In jedem Fall sind die Ausführungen der Kommission eine Aufforderung an sämtliche (Mitglied-)Staaten ihr Steueraufkommen (in diesem Fall zulasten Irlands) nachträglich aufzubessern. Eine solche Wechselwirkung und Verknüpfung staatlicher Haushalte ist jedenfalls ein bisher nicht gekannter Vorgang, verdeutlicht aber das Dilemma der Kommission. Will sie die für den europäischen Binnenmarkt schädliche Doppelbesteuerung verhindern, muss eine solche Verknüpfung der nationalen Fisken erfolgen und eine Gesamtbetrachtung der gezahlten Steuern der einzelnen Gesellschaften und der eingenommenen Steuern in den Staaten vorgenommen werden. Ein Nullsummenspiel droht aber nicht nur durch die Anrechnung ausländischer Steuern bei der Vorteilsbestimmung, sondern auch durch korrespondierende Verrechnungspreisanpassungen. Nachträgliche Erhöhungen der Bemessungsgrundlage durch eine Verrechnungspreiskorrektur im Wege der Beihilfekontrolle können zu korrespondierenden Anpassungen der Verrechnungspreise in einem anderen Mitgliedstaat führen. Im Ergebnis kommt es damit bloß zu einer Umverteilung des Steueraufkommens von einem auf einen anderen Mitgliedstaat, nicht aber zu signifikanten Mehreinnahmen. Als Beispiel sei der Beschluss im Falle Fiats genannt. Bei diesem geht es letztlich allein um die Frage, ob die Gewinne bei der Finanzierungsgesellschaft in Luxemburg oder bei anderen Konzerngesellschaften bzw. Betriebsstätten im europäischen Ausland besteuert werden.1123 Korrespondieren die Besteuerungen, wird jede Zunahme der Steuerbemessungsgrundlage in Luxemburg durch einen erhöhten Steuerabzug in anderen europäischen Ländern (insbesondere in Italien) kompensiert.1124 Letztlich wird so durch die Beihilferückforderung nur Steueraufkommen nach Luxemburg (zurück-)verlagert. Wie gesagt, ist die Europäische Kommission auf die Bedeutung des internationalen Steuergefälles nicht näher eingegangen; wohl auch, weil sie über kein Mandat im Hinblick auf das Steuerniveau der Mitgliedstaaten verfügt. Mit der Verknüpfung der Steuerzahlungen im Rahmen der Rückforderung offenbart sie aber, worin das originäre Problem liegt: Durch das Steuergefälle kann ein ansonsten identisches Tax 1122 Es ist wohl nicht zuletzt diese Verknüpfung, die von US-amerikanischer Seite mit Sorge betrachtet wird. Die USA befürchten offenkundig umgekehrt, dass eine nachträgliche Besteuerung in der EU zu Lasten amerikanischen Steuersubstrats erfolgt. 1123 Vgl. dazu Beschluss (EU) 2016/2326 der Kommission v. 21. 10. 2015 über die staatliche Beihilfe SA.38375 (2014/C ex 2014/NN) Luxemburgs zugunsten von Fiat, Az. C(2015) 7152, ABl. EU 2016 Nr. L 351/1, Rn. 177. 1124 Dabei sei aber angemerkt, dass die Kommission im Falle Fiats bisher keine Ausführungen zu eventuell bestehenden Wechselwirkungen gemacht hat.

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Ruling gleichzeitig einen beihilferelevanten Vorteil erzeugen und damit eine Nachforderungspflicht auslösen, wenn die Besteuerung im Drittstaat niedriger ist; und keine solche Pflicht auslösen, wenn das Steuerniveau im Drittstaat entsprechend hoch ist. Die Frage, ob es einen rückforderbaren Vorteil gibt, hängt also alleine von der Besteuerung im Drittstaat ab. Wäre alleine die Abweichung vom Fremdvergleichsgrundsatz im Rahmen des Tax Rulings das originäre Problem, müsste der Rückforderungsbetrag identisch bleiben. Entscheidend wäre demnach alleine, dass Gewinne verlagert wurden und dass so Steuern im Inland gespart wurden. Hängt die Forderungshöhe aber vom Drittstaat ab, zeigt sich, dass der Vorteil letztlich primär durch dessen Steuersystem erzeugt wird, nicht unmittelbar durch die Abweichung vom Fremdvergleichsgrundsatz. Im Ergebnis setzt die Europäische Kommission mit ihrem Vorgehen – insbesondere für Niedrigsteuerstaaten – gezielt einen Anreiz die Besteuerung von Konzernen zu erhöhen. (b) Bedeutung latenter Steuern Wie gezeigt, kann die ausländische Besteuerung für die Vorteilshöhe eine entscheidende Größe darstellen. Insbesondere im Zusammenhang mit den Vereinigten Staaten tritt dabei die Frage auf, ob auch eine latent auf den verschobenen Gewinnen liegende Besteuerung Einfluss auf die Vorteilshöhe haben kann. Das amerikanische Körperschaftsteuerrecht sieht eine Besteuerung erst bei einem Zufluss der Erträge in die USA vor. Bis dahin sind sie von der US-amerikanischen Besteuerung befreit. Gewinne werden in den USA also zwar voll und durchaus hoch besteuert, kommt es aber zu keinem Mitteltransfer, bleibt der Unternehmensgewinn (vorerst) unversteuert.1125 Dabei handelt es sich um ein Problem, das ausschließlich in Zusammenhang mit den Vereinigten Staaten aufgetreten ist, da nur deren Außensteuerrecht eine solche Lücke (bewusst) eröffnet hat. Das amerikanische Steuerrecht hat an dieser Stelle aus europäischer Sicht insoweit an einem strukturellen Mangel. Werden Gewinne in Zwischengesellschaften in Steueroasen gehalten, kommt es zu einem Aufschub der Besteuerung. Es entstehen ein attraktiver Steuerstundungseffekt und vorübergehend unversteuerte Gewinne.1126 Diese Lücke in der Zurechnungsbesteuerung (verbunden mit der hohen Besteuerung der Rückführung ausländischer Einkünfte in die USA)1127 führt zum Aufbau gigantischer, aber unversteuerter Auslandsvermögen amerikanischer Konzerne. Durch diese – von amerikanischer Seite durchaus tolerierte – Lücke ist es (insbesondere IP-lastigen) US-amerikanischen Unternehmen gelungen, ihre Dominanz weltweit auszubauen.

1125

Richter/Hontheim, DB 2013, 1260 (1263). Pinkernell, StuW 2012, 369 (374). 1127 Da solche immensen Auslandsvermögen auch aus Sicht der Vereinigten Staaten volkswirtschaftlich bereits früher als wenig sinnhaft angsehen wurden, wurde in der Vergangenheit im Rahmen des American Jobs Creation Act of 2004 durch sog. Tax Holidays versucht (vgl. § 965 IRC) eine Rückführung großer Auslandsvermögen zu erreichen. Vgl. Pinkernell, StuW 2012, 369 (374). 1126

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Schaubild 1: Auslandsvermögen amerikanischer Konzerne1128

Obwohl ein solcher Stundungseffekt unbestreitbar ist, lastet die amerikanische Körperschaftsteuer gleichwohl latent auf diesen Gewinnen. Es stellt sich daher zwangsläufig die Frage, inwieweit diese latente Steuerlast in die Vorteilsberechnung einzubeziehen ist. Gegen eine Einbeziehung zukünftiger Besteuerung spricht, dass es keineswegs garantiert ist, dass die Gewinne jemals in die USA überführt werden. Insbesondere wenn Gewinne thesauriert werden und weltweite Investitionen vorgenommen werden, kommt es zu keiner Besteuerung dieser Gewinne. Werden die latenten Steuern hingegen nicht angerechnet, droht eine – auch von der Europäischen Kommission nicht erwünschte – Doppelbesteuerung, falls die Gewinne doch in die USA überführt werden. Möchte man dies verhindern, erscheint eine Anrechnung unumgänglich. Offen bliebe dann nur die Höhe der anzurechnenden Steuer. Naheliegend erscheint der reguläre US-amerikanische Steuersatz. Dieser liegt nominell bei überdurchschnittlich hohen 35 %. Es ist aber nicht zuletzt die Höhe der Belastung, die Unternehmen von einer Repatriierung ihrer Auslandsgewinne abschreckt. Es erscheint daher äußerst fraglich, ob in den USA ansässige Unternehmen ihre Gewinne zu diesen Konditionen tatsächlich überführen.1129 In der Vergangenheit haben die Vereinigten Staaten daher den in den USA ansässigen Konzernmuttergesellschaften durch sog. Tax Holidays eine Rückführung ihrer Gewinne zu ermäßigten Steuersätzen ermöglicht. In Anbetracht der beachtlichen Auslandsvermögen US-amerikanischer Konzerne werden auch aktuell Maßnahmen diskutiert, um eine Überführung attraktiver zu machen.1130 Bei realitätsnaher Betrachtung erscheint es un1128 Angaben für das Jahr 2015 laut: https://de.statista.com/infografik/3360/cashreservenim-ausland/ (zuletzt abgerufen am 31. 10. 2020). Der Anteil der ausländischen Reserven an den Gesamtbarreserven besagter Unternehmen schwankt dabei zwischen 69 und 100 %. 1129 Eisendle, in; Jaeger/Haslinger (Hrsg.), Beihilferecht Jahrbuch 2017, S. 356. 1130 Die unversteuerten Einkünfte haben jedoch bereits die Obama-Administration veranlasst eine Körperschaftsteuerreform ins Auge zu fassen. Vgl. The President’s Framework for Business Tax Reform, abrufbar unter: https://www.treasury.gov/resource-center/tax-policy/tax-

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wahrscheinlich, dass es zu Gewinnüberführung und damit zu einer Besteuerung kommen wird, solange dabei der reguläre Steuersatz fällig würde. Insofern erscheint es wenig überzeugend, diesen im Rahmen der Beihilferückforderung voll anrechnen zu wollen. Es besteht ein Dilemma: Abhängig von den Maßnahmen der Vereinigten Staaten und der beteiligten Konzerne kann es sowohl zu einer Doppelbesteuerung, als auch zu einer doppelten Nichtbesteuerung kommen. Will die Europäische Kommission die Effizienz des Beihilferechts im internationalen Steuerrecht untermauern und zeigen, dass ihre Verfahren nicht reine Nullsummenspiele sind, kann sie eine Anrechnung latenter, amerikanischer Steuern nicht zulassen. Versagt sie die Anrechnung, droht die Doppelbesteuerung. Letzter Ausweg ist es keine Anrechnung vorzunehmen und darauf zu spekulieren, dass die amerikanischen Muttergesellschaften eine Besteuerung in Europa im Rahmen des Beihilferechts verhindern wollen und deswegen ihre Gewinne in die USA überführen. Die tatsächlich gezahlten Steuern würden dann ihrerseits angerechnet. Kommt es zu keiner Repatriierung, besteht außerdem die Möglichkeit die durch die Beihilferückforderung doppelt angefallenen Steuern bei einer späteren Überführung in die USA zu erstatten. Das Dilemma verdeutlicht die Schwierigkeit des Kommissionsvorgehens. Seinem wettbewerbsrechtlichen Naturell entsprechend wird das Beihilferecht nicht den Feinheiten des internationalen Steuerrechts gerecht. Es kommt notwendigerweise zu (unerwünschten) Effekten und Wechselwirkungen. Es ist daher notwendig sich stets daran zu erinnern, dass das Beihilferecht kein Allheilmittel gegen unerwünschte Entwicklungen oder fehlende internationale Steuerharmonisierung ist. Es kann eine mitgliedstaatliche Steuerkoordination im Wege politischer Lösungen nicht ersetzen. Dabei ist insbesondere zu bedenken, dass das Vorgehen der Europäischen Kommission durch die Vereinigten Staaten genau beobachtet wird und dass aufgrund der immensen wirtschaftlichen Interessen der beteiligten Staaten eine politische Lösung unumgänglich ist.1131 In Teilen der Literatur wird dabei darauf hingewiesen, dass das Handeln der Kommission insgesamt (möglicherweise) nicht zum langfristigen Wohle der Europäischen Union sein könnte. Dabei wird insbesondere auf die verhältnismäßig hohe Zahl der von den Untersuchungen und Beschlüssen betroffenen US-amerikanischen Unternehmen verwiesen und die Befürchtung geäußert, dass sich die Wirtschafts- und Handelsbeziehungen dadurch auf Dauer verschlechtern könnten.1132 Und in der Tat hat das Vorgehen der Kommission nicht nur bei den betroffenen Unternehmen, sondern auch bei den betroffenen Mitgliedstaaten sowie

analysis/Documents/OTA-Report-Business-Tax-Reform-2012.pdf (zuletzt abgerufen am 31. 10. 2020). 1131 Die Vereinigten Staaten befürchten, dass die Beihilfekontrolle der EU und die damit verbundenen Steuernachzahlungen zu ihren Lasten erfolgen, da die gezahlten Beträge aufgrund des bestehenden DBAs wohl angerechnet werden müssten. Vgl. dazu sowie der Position der USA im Generellen: Eisendle, in: Jaeger/Haslinger (Hrsg.), Beihilferecht Jahrbuch 2017, S. 347 ff. 1132 Vgl. de Broe, EC Tax Review 2015, 290 (291).

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der amerikanischen Regierung für Verstimmungen gesorgt.1133 Vor dem Hintergrund der hohen Summen sind politische Begleitgeräusche der Beihilfekontrolle jedoch kaum verwunderlich.1134 Ob sich solche Befürchtungen bewahrheiten werden, vermag zum jetzigen Zeitpunkt niemand zu beantworten. Es ist für die juristische Bewertung des Kommissionsvorgehens jedoch auch nicht von Bedeutung. Die Europäische Kommission ist die Hüterin der Europäischen Verträge. Es ist ihre Aufgabe, Verstöße aufzudecken und gegen diese vorzugehen. Das gilt unabhängig von politischen Interventionsversuchen. Der Willkür wäre Tür und Tor geöffnet, würde man der Kommission erlauben, die Kontrolle nach ihrem freien Ermessen oder in Abhängigkeit des „Wohls der Europäischen Union“ auszuüben. Die Kommission hat nicht das Recht Verletzungen des Unionsrechts aufgrund (außen-)politischer Überlegungen zu ignorieren oder hinzunehmen. Vielmehr hat sie die Pflicht, Verstöße unabhängig von Nationalität, Ansässigkeitsstaat oder Unternehmensgröße zu ahnden. Dass die Beschlüsse der Kommission bisher überproportional stark USamerikanische Unternehmen betreffen, ist aber auch für die juristische Bewertung nicht ohne Bedeutung. Es unterstreicht vielmehr das bisher Gesagte: Ausgangsproblematik ist die mangelnde internationale Steuerharmonisierung – und dabei nicht zuletzt das Außensteuerrecht der Vereinigten Staaten. Die sich daraus ergebenden Konsequenzen mögen unerwünscht sein, gleichwohl ist es weder Aufgabe der Europäischen Kommission, Lücken des amerikanischen Steuerrechts zu schließen, noch ist das europäische Beihilferecht das adäquate Mittel dafür.1135 Es ist vielmehr Aufgabe der amerikanischen Regierung, eine sachgerechte Besteuerung durchzuführen und Aufgabe der mitgliedstaatlichen Regierungen auf eine solche hinzuwirken.1136 Das Vorgehen der Kommission deutet allerdings vielmehr daraufhin, dass sie Willens ist, die Besteuerung dieser Vermögen zumindest solange an sich zu reißen, wie der amerikanische Fiskus diese Lücke nicht schließt.1137 (c) Bedeutung des Prinzips der Einmalbesteuerung für die Vorteilsbestimmung Eine wesentliche Gefahr in der einseitigen Abweichung vom Fremdvergleichsgrundsatz ist die Entstehung doppelter Nichtbesteuerung. Ohne korrespondierende Anpassung in anderen Staaten führt die Abweichung zur Entstehung weißer Einkünfte.1138 Ausgehend davon bleibt offen, ob eine Abweichung vom Fremdver1133 Zur politischen Seite des Kommissionsvorgehens vgl. Gormsen, Journal of European Competition Law & Practice 2016, 369 (370). Zur Position der USA siehe auch: Eisendle, in: Jaeger/Haslinger (Hrsg.), Beihilferecht Jahrbuch 2017, S. 347 ff. 1134 Blumenberg, Aktuelle Entwicklungen des EU-Beihilferechts im Bereich der deutschen Unternehmensbesteuerung, S. 61. 1135 Vgl. Bernhardt, in: Lüdicke/Schnitger/Spengel (Hrsg.), Besteuerung Internationaler Unternehmen, S. 15. 1136 Schanz/Feller, BB 2015, 865 (866). 1137 Vgl. Pläne zur Rückholung der Auslandsvermögen durch die Trump-Regierung: https: //makronom.de/steuerreform-usa-donald-trump-vergibt-eine-einmalige-chance-20796 (zuletzt abgerufen am 31. 01. 2021). 1138 Haslehner/Schwarz, in: Jaeger/Haslinger (Hrsg.), Beihilferecht Jahrbuch 2017, S. 341.

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gleichsgrundsatz durch einen Mitgliedstaat möglich ist, wenn damit die fehlerhafte Anwendung durch einen anderen Staat ausgeglichen werden soll. Durch eine Anpassung an dieser Stelle kommt es nicht zur Entstehung weißer Einkünfte, sondern lediglich zur Vermeidung von Doppelbesteuerung. Besteuert ein Staat mehr als den fremdvergleichskonformen Gewinn und ein anderer den fremdvergleichskonformen Gewinn, kommt es zu einer Doppelbesteuerung. Weicht nun aber der eigentlich korrekt besteuernde Hoheitsträger zugunsten des Unternehmens vom Fremdvergleichsgrundsatz ab, sinkt dessen Steuerlast, sofern es ein Steuergefälle zwischen den beteiligten Staaten gibt. Gegenüber anderen Wirtschaftsteilnehmern findet eine Privilegierung im ansonsten fremdvergleichskonform besteuernden Staat statt. Es stellt sich die Frage, ob in einer Abweichung, die alleine der Vermeidung von Doppelbesteuerung dient, ebenfalls eine Beihilfe gesehen werden muss. Dies wird in Teilen verneint, da sich die Beihilfe auf das gesamte Unternehmen und nicht nur die einzelne Konzerneinheit beziehe. Entscheidend sei daher alleine, dass die Gewinne überhaupt versteuert würden. Die korrespondierende Besteuerung in einem anderen Staat sei daher als fairer Ausgleich anzusehen.1139 Im Ergebnis ist nach dieser Ansicht keine Beihilfe gegeben, sofern das Prinzip der Einmalbesteuerung gewahrt wurde. Abweichungen vom Fremdvergleichsgrundsatz wären bei konsequenter Fortführung nur dann als Beihilfe anzusehen, wenn es gleichzeitig zur Entstehung weißer Einkünfte kommt, mithin das Prinzip der Einmalbesteuerung verletzt wäre. Dies deckt sich mit der in Teilen vertretenen Ansicht, dass es der Europäischen Kommission darum geht unversteuerte oder nur gering besteuerte Gewinne zu verhindern. Ihr wird vorgeworfen, sie versuche derzeit mittels des Beihilferechts sicherzustellen, dass Unternehmensgewinne weitestgehend besteuert werden. Sie nehme letztlich einen Restmengenansatz vor und prüft, ob sämtliche, weltweiten Einkünfte eines Konzerns einer Besteuerung unterliegen oder nicht. Verbleibt ein unversteuerter Überhang, verfolgt sie das Ziel, diesen einem mitgliedstaatlichen Besteuerungsregime zu unterwerfen.1140 Letztendliches Ziel des Kommissionsvorgehens sei daher mehr die Sicherstellung einer Einmalbesteuerung als die Rückabwicklung einer Wettbewerbsverzerrung.1141 Dabei wird jedoch Sinn und Zweck des Beihilferechts und des Komissionsvorgehens verkannt. Das Ziel des Kommissionsvorgehens ist auch nicht dem Prinzip der Einmalbesteuerung zur Durchsetzung zu verhelfen, sondern Gewinnverlagerung, die zu einer Besteuerung, die nicht den wirtschaftlichen Realitäten entspricht, zu verhindern. Kommt es dabei zur erstmaligen Besteuerung, also zur Verhinderung von weißen Einkünften, mag dies ein wünschenswerter Nebeneffekt sein, originäres Ziel des Kommissionshandelns ist es jedoch nicht. Zweck der Beihilfekontrolle ist es Wettbewerbsverzerrungen, die durch nicht sachgerechte Verrechnungspreise zu einer niedrigeren Besteuerung führen aufzudecken und nicht das Prinzip der Ein1139 1140 1141

Haslehner/Schwarz, in: Jaeger/Haslinger (Hrsg.), Beihilferecht Jahrbuch 2017, S. 342. Wattel, Intertax 2016, 791 (799 ff.). Stuart, EStAL 2017, 209 (223).

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malbesteuerung abzusichern. Zwar sind Konstellationen, in denen Gewinnverlagerungen gleichzeitig zu doppelter Nichtbesteuerung führen, für Unternehmen besonders begünstigend, das bedeutet jedoch nicht, dass die Einmalbesteuerung zur Verneinung der Beihilfe führt. Unter Zugrundlegung des funktionalen Unternehmensbegriffs wird die Auswirkung der Anpassung auf den Gesamtkonzern analysiert. Für diesen sind Gewinnverlagerungen, auch wenn sie besteuert werden, begünstigend, sofern zwischen den beteiligten Jurisdiktionen ein Steuergefälle besteht. Der komplette Verzicht auf eine Besteuerung führt zu einer besonders hohen Begünstigung. Die Wahrung dieses Prinzips vermag daher auch nicht eine Gewinnverlagerung vom Vorwurf der Vorteilhaftigkeit freizusprechen. Der Ansicht, ein Vorteil sei solange nicht gegeben, wie das Prinzip der Einmalbesteuerung gewahrt sei, kann daher nicht gefolgt werden. Andernfalls würde auch dem Missbrauch Tür und Tor geöffnet. Würde man eine korrespondierende einmalige Besteuerung als ausreichenden Ausgleich für eine vollständige Freistellung ansehen, würden Steueroasen dazu aufgefordert zulasten anderer Staaten eine zu weitgehende Besteuerung vorzunehmen. Weicht nun der andere Staat ebenfalls vom Fremdvergleichsgrundsatz ab, um eine Doppelbesteuerung zu verhindern, kommt es im Ergebnis zu einer Gewinnverlagerung. Der zeitliche Ablauf mag sich dabei verändert haben, das Ergebnis ist jedoch dasselbe wie bei einer Vereinbarung im Voraus. Ob nachträgliche Genehmigung einer Gewinnverlagerung oder Einwilligung im Voraus kann für die Beurteilung der Vorteilhaftigkeit keine Relevanz haben. Entscheidend ist die durch die Abweichung zustande kommende Gewinnverlagerung, die zum Auseinanderfallen von wirtschaftlicher Realität und Besteuerung führt. Umgekehrt stellen daher eine Verletzung des Prinzips der Einmalbesteuerung und die Entstehung weißer Einkünfte bzw. die nur sehr geringe Besteuerung ausländischer Einkünfte nicht per se eine Beihilfe dar. Entscheidend ist auch hier die Anknüpfung an den Fremdvergleichsgrundsatz. Wurden Gewinne im Ausland fremdvergleichskonform erzielt aber nur sehr gering besteuert ist dies der Beihilfeaufsicht durch die Europäische Kommission entzogen. Hier ist lediglich eine legale Ausnutzung des internationalen Steuergefälles zusehen. Dass es dabei im Extremfall zur Entstehung unversteuerter Einkünfte kommt, mag unerwünscht sein, das Beihilferecht ist dagegen aber wirkungslos. Den Mitgliedstaat selbst bleibt es gleichwohl unbenommen ihrerseits Maßnahmen zu ergreifen (z. B. keine Freistellung ausländischer Gewinne, sondern ein Wechsel zur Anrechnungsmethode). Es zeigt sich jedoch auch hier, dass die Wahrung des Prinzips der Einmalbesteuerung nicht automatisch die Beihilfewidrigkeit verhindert und dass die Entstehung von weißen Einkünften nicht per se zur Beihilfewidrigkeit führt. Entscheidend ist dabei immer die Wahrung des Fremdvergleichsgrundsatzes als zentraler Anknüpfungspunkt. (d) Implikationen für die Freistellungsmethode In der Konsequenz stellt sich dabei die Frage, ob die Vermeidung von Doppelbesteuerung durch Steuerfreistellungen, insbesondere auch durch die sog. Freistellungsmethode, Gefahr laufen aufgrund ihrer Vorteilhaftigkeit als Beihilfe einge-

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ordnet zu werden. Zur Vermeidung der Doppelbesteuerung werden dabei im Ausland erzielte Einkünfte von der Bemessungsgrundlage im Ansässigkeitsstaat abgezogen. Ausländische Gewinne werden nach dem ausländischen Steuerrecht besteuert.1142 Ist das Steuerniveau dort niedriger als im Inland, sinkt die Steuerlast des Unternehmens. Dieses wird – im Gegensatz zur Anrechnungsmethode – nicht mehr nach seiner tatsächlichen Leistungsfähigkeit nach dem Maßstab des Ansässigkeitsstaates besteuert.1143 Die Freistellungsmethode löst die inländische Wettbewerbsneutralität (sog. Kapitalimportneutralität) des Steuerrechts auf. Gegenüber rein inländisch aktiven Unternehmen wird dem grenzüberschreitend tätigen Unternehmen im Ansässigkeitsstaat ein Vorteil gewährt, da es nicht sämtliche Einkünfte versteuern muss. Damit wird vom Grundsatz abgewichen, dass sämtliche Einkünfte einer äquivalenten Besteuerung unterliegen müssen. Gegenüber rein national agierenden Unternehmen ist ein solcher Vorteil selektiv, da diese mit ihren sämtlichen Einkünften dem inländischen Besteuerungsniveau unterliegen. Damit ist keineswegs gesagt, dass eine Freistellung ausländischer Gewinne im Wege der Freistellungsmethode grundsätzlich eine Beihilfe darstellt oder dass das Beihilferecht nur die Anrechnungsmethode erlaubt. Es geht hierbei nicht um die grundsätzliche Behandlung sämtlicher Auslandsgewinne. Es geht vielmehr nur um solche Gewinne, die systemwidrig ins Ausland transferiert wurden. Um solche Gewinne also, die dem Grunde nach inländische Gewinne darstellen. Diese müssen folgerichtig auch wie inländische Gewinne behandelt werden, zumindest also mit dem inländischen Steuersatz belegt werden. Für fremdvergleichskonform erzielte Auslandsgewinne steht es weiterhin jedem Mitgliedstaat frei eine Freistellung vorzunehmen. Das Recht der Mitgliedstaaten die Besteuerung von tatsächlichen Auslandsgewinnen zu regeln wird insoweit nicht beeinträchtigt. Die Europäische Kommission scheint davon auszugehen, dass Freistellungen tatsächlich ausländischer Gewinne aufgrund tatsächlicher Doppelbesteuerung keine Beihilfen darstellen, sondern notwendig sind, um eine Doppelbesteuerung zu verhindern. Es kann daher davon ausgegangen werden, dass eine entsprechende Anwendung der Freistellungsmethode beihilferechtlich nicht beanstandet werden würde.1144 An dieser Stelle sei auch nochmals an die von der Europäischen Kommission geforderten Nachweispflichten erinnert. Kann die drohende Doppelbesteuerung belegt werden, wird dies wohl als starkes Indiz für eine fehlende Beihilfequalität angesehen werden. Abzuwarten bleibt lediglich, wie die Europäische Kommission zukünftig die Beihilferelevanz der Freistellungsmethode beurteilen wird, wenn der Gewinn zwar fremdvergleichskonform zwischen den Konzerneinheiten aufgeteilt wurde, die ausländische Konzerneinheit aber in einer Steueroase sitzt und daher nicht oder kaum besteuert wird. Nach der hier vertretenen Ansicht kann das Beihilferecht an dieser Stelle keine Abhilfe schaffen, da ihr eine Aufsicht über das Steuerniveau der Staaten nicht zusteht. 1142 1143 1144

Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung, S. 8. Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung, S. 19 ff. Vgl. S. 253 ff.

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Die daraus folgenden Implikationen für die Mitgliedstaaten sind durchaus bedeutsam: Will man sowohl die Doppelbesteuerung als auch eine Begünstigung vermeiden, bleibt für nicht fremdvergleichskonform im Ausland besteuerte Gewinne nur die Anrechnung als Option offen. Ein Mitgliedstaat, der durch die negative Anpassung von Verrechnungspreisen eine nicht fremdvergleichskonforme Besteuerung im Ausland ausgleichen und damit eine Doppelbesteuerung verhindern will, sollte, um nicht in den Verdacht einer Vorteilsgewährung zu kommen, folgerichtig die nicht fremdvergleichskonform im Ausland gezahlten Steuern lediglich anrechnen, statt diese freizustellen. (2) Fremdvergleichsgrundsatz als Verteilungsmaßstab Da ihr ihr keine Kontrolle über die Besteuerung in den (Mitglied-)Staaten zusteht, setzt die Kommission auf Ebene der Gewinnverteilung an. Mittels des Beihilferechts versucht sie sicherzustellen, dass jeder Mitgliedstaat den Teil des Konzerngewinns besteuert, der ihm ihrer Meinung nach zusteht. Ihr Ziel ist es die Verlagerung des Gewinns durch nicht sachgerechte Verrechnungspreisgestaltungen zu verhindern. Als Maßstab, wieviel Gewinn durch eine Jurisdiktion besteuert werden soll, dient der Europäischen Kommission dabei der Fremdvergleichsgrundsatz. Dieser dient der korrekten Steuerzuordnung an die Staaten und hat so den Zweck den Steuerzugriff der Staaten zu koordinieren.1145 Diese Koordination wird nun nicht mehr ausschließlich durch die beteiligten Staaten, sondern ebenfalls durch die Europäische Kommission übernommen bzw. überprüft. Mit Hilfe des Fremdvergleichsgrundsatzes bestimmt die Europäische Kommission nun den steuerpflichtigen Gewinn, der durch die jeweiligen Mitgliedstaaten besteuert werden müsste. Folglich ist in der durch die Abweichung vom Fremdvergleichsgrundsatz bedingten Minderbesteuerung eigentlich inländischer Einkünfte der beihilferelevante Vorteil zu sehen. Sie erreicht so, dass es den Mitgliedstaaten unmöglich gemacht wird, weniger als den fremdvergleichskonformen Gewinn zu besteuern. In letzter Konsequenz weist sie einem Mitgliedstaat (ggf. zwangsweise) einen – ihrer Ansicht nach angemessenen – Teil zu. Zwar ist es ihr so weder möglich die Existenz von Steueroasen, noch die dort möglicherweise entstehenden weißen Einkünfte zu verhindern. Sie verhindert jedoch, dass Gewinne unter Missachtung wirtschaftlicher Realitäten dorthin verlagert werden. Konzerne können daher nur noch in dem Maße von den Bedingungen in Steueroasen profitieren, wie dort auch fremdvergleichskonformer Ertrag erwirtschaftet wird. Da sich Steuersparmodelle über Steueroasen häufig gerade durch eine fehlende oder nur sehr geringe wirtschaftliche Tätigkeit in der Steueroase auszeichnen, kann die Steuerbelastung so signifikant beeinflusst werden. Im Ergebnis wird eine Nutzung von Steueroasen zwar nicht unmöglich, aber deutlich unattraktiver.

1145

Haslehner/Schwarz, in: Jaeger/Haslinger (Hrsg.), Beihilferecht Jahrbuch 2017, S. 333.

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(a) Abweichung vom Fremdvergleichsgrundsatz und Prudent Operator Principle Bei alledem stellt sich zunächst die offensichtliche Frage, wann überhaupt eine Abweichung vom Fremdvergleichsgrundsatz gegeben ist. Dabei sei zunächst daran erinnert, dass die Bildung von Verrechnungspreisen keine exakte Wissenschaft ist. Ihr liegen verschiedene Annahmen und Hypothesen zugrunde, die gemeinsam mit den unterschiedlichen Bestimmungsmethoden zu einer Bandbreite an möglichen Preisen führen können. Mit divergierenden Preisen ist folglich nicht zwingend eine Verletzung des Fremdvergleichsgrundsatzes verbunden. Trotz allem scheint die Europäische Kommission aktuell anzudeuten, dass es einen richtigen Preis oder zumindest einen richtigen Weg gibt, Verrechnungspreise zu bestimmen.1146 Dieses Verständnis drückt sie auch in ihrer Präferenz hinsichtlich der Methodenwahl aus. So hat sie festgehalten, dass einige Verrechnungspreismethoden (z. B. die CUP-Methode) marktgerechte Ergebnisse mit höherer Wahrscheinlichkeit wiedergeben als andere (z. B. die TNMM-Methode).1147 Sie scheint implizit von einer Hierarchie der Methoden zur Festsetzung von Verrechnungspreisen auszugehen. Im Gegensatz dazu kennen die OECD-Verrechungspreisleitlinien bereits seit 2010 ausdrücklich keine solche Präferenz mehr.1148 Aktuell geht die Europäische Kommission daher über das herkömmliche Verständnis des Fremdvergleichsgrundsatzes hinaus und ergänzt den Fremdvergleichsansatz gleichzeitig um einen weiteren Aspekt: das Prudent Independent Operator Principle.1149 Danach ist ein Verrechnungspreis dann beihilferelevant, wenn ein vernünftig handelnder Privater diesen Preis nicht akzeptiert hätte. Dieses Prinzip erinnert an das bereits bekannte Market Economy Operator Principle. Damit wird bestimmt, ob sich staatliche Stellen bei bestimmten Transaktionen wie Private verhalten. Ist dies der Fall, soll keine staatliche Vorteilsgewährung gegeben sein.1150 Diese Nutzung des Prinzips durch die Kommission verwundert. Zum einen wendet die Kommission in ihrer bisherigen Beschlusspraxis den Market Economy Operator Test explizit nicht an, wenn staatliche Stellen in ihrer hoheitlichen Funktion handeln.1151 Zum anderen dient er dazu, staatliches Handeln dem eines privaten Dritten gegenüberzustellen – und nicht der Gegenüberstellung zweier Privater. Im Rahmen 1146 So auch: Gormsen, Journal of European Competition Law & Practice 2016, 369 (381); Nicolaides, EStAL 2016, 416 (419). Vgl. auch: Beschluss (EU) 2016/2326 der Kommission v. 21. 10. 2015 über die staatliche Beihilfe SA.38375 (2014/C ex 2014/NN) Luxemburgs zugunsten von Fiat, Az. C(2015) 7152, ABl. EU 2016 Nr. L 351/1, Rn. 164. 1147 Blumenberg, Aktuelle Entwicklungen des EU-Beihilferechts im Bereich der deutschen Unternehmens-besteuerung, S. 59. Siehe auch: Cachia, EC Tax Review 2017, 23 (24). 1148 Siehe dazu auch: Anmerkungen Luxemburgs zu materiellrechtlichen Fehlern im Einleitungsbeschluss. Beschluss der Kommission v. 21. 10. 2015 über die staatliche Beihilfe SA.38375 (2014/C ex 2014/NN) Luxemburgs zugunsten von Fiat, Az. C(2015) 7152, ABl. EU 2016 Nr. L 351/1, Rn. 149. 1149 Commission Decision of 30. 08. 2016 on State Aid SA.38373 (2014/C) (ex 2014/NN) (ex 2014/CP) implemented by Ireland to Apple, C(2016) 5605 final, Rn. 140 und 150. 1150 Vgl. Kapitel 2, S. 105 ff. 1151 Gormsen, Journal of European Competition Law & Practice 2016, 369 (378 ff.).

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des Prudent Market Economy Principles stellt die Kommission die These auf, dass ein vernünftig agierender, unabhängiger Privater nur „korrekte“ Verrechnungspreise akzeptiert hätte. Die Kommission scheint darin einen unmittelbar aus Art. 107 Abs. 1 AEUVausfließenden Bezugspunkt für die Bestimmung von Verrechnungspreisen zu sehen. Entscheidend für das Vorliegen eines Vorteils ist ihrer Ansicht demnach, ob ein vernünftig handelnder Wirtschaftsteilnehmer einen solchen Verrechnungspreis akzeptiert hätte oder nicht. Dabei liegt die Annahme zugrunde, dass nur solche Preise akzeptiert werden würden, die den Marktpreis widerspiegeln, sodass es im Ergebnis zu einem marktgerechten Ergebnis kommen würde.1152 Ob der Vergleich mit einem vernünftig handelnden Unternehmer dabei ein eigener Maßstab für die beihilferechtliche Beurteilung oder lediglich ein besonderer Ausfluss des Fremdvergleichsgrundsatzes ist, wird von der Kommission bisher offengelassen.1153 Dies ist für dessen Beurteilung aber auch nur von nachgeordneter Bedeutung. Entscheidend ist, dass die Kommission an dieser Stelle über den OCED-Fremdvergleichsgrundsatz hinausgeht.1154 Dieser erfordert gerade kein „vernünftiges“ Handeln, sondern vergleicht lediglich abhängige und unabhängige Unternehmen.1155 Insgesamt scheint die Europäische Kommission implizit anzunehmen, dass es einen richtigen und ansonsten falsche Verrechnungspreise gibt oder zumindest, dass die mögliche Bandbreite an Preisen sehr schmal ist. Dies bestimmt sie nicht nur daran, ob ein Preis fremdvergleichskonform anhand OECD-Standards berechnet worden ist, sondern auch, ob dabei ein ihrer Ansicht nach marktgerechtes Ergebnis herauskommt. Vor dem Hintergrund dieser Differenzen überrascht es nicht, dass die Europäische Kommission ihrerseits keine Deckungsgleichheit zwischen „ihrem“ Fremdvergleichsgrundsatz und den OECD-Verrechnungspreisleitlinien annimmt.1156 Gleichwohl stützt sich die Kommission auffallend oft auf die OECD-Verrechnungspreisleitlinien und schreckt auch vor Rückgriffen auf diese nicht zurück.1157 Dieses Vorgehen der Europäischen Kommission muss kritisiert werden. Zunächst muss erneut darauf hingewiesen werden, dass es zutreffenderweise nicht nur einen richtigen Verrechnungspreis gibt, sondern eine Vielzahl. Auch bei einer Bandbreite stellt sich dabei die Frage, wann genau ein Verrechnungspreis nicht mehr fremdvergleichskonform ist. Nach derzeitigem Verständnis der Kommission ist dies offenbar der Fall, wenn es nicht mehr zu marktgerechten Ergebnissen kommt. Dabei ist bereits diese Grundannahme fragwürdig. Da Verrechnungspreise gerade nicht von 1152 Commission Decision of 30. 08. 2016 on State Aid SA.38373 (2014/C) (ex 2014/NN) (ex 2014/CP) implemented by Ireland to Apple, C(2016) 5605 final, Rn. 140 und 150. 1153 Gunn/Luts, EC Tax Review 2015, 119 (124). 1154 So auch: Cachia, EC Tax Review 2017, 23 (30). 1155 OECD-Verrechnungspreisleitlinien 2010, Kapitel 1, Punkt 1.3. 1156 Beschluss (EU) 2016/1699 der Kommission v. 11. 01. 2016 über die Beihilferegelung Belgiens SA.37667 (2015/C) (ex 2015/NN), Az. C(2015) 9837, ABl. EU Nr. L 260/61, Rn. 150. 1157 Hummelbrunner/Prickartz, in: Jaeger/Haslinger (Hrsg.), Beihilferecht Jahrbuch 2017, S. 295.

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Marktkräften beeinflusst werden, erscheint es zweifelhaft, hier ein marktgerechtes Ergebnis zu erwarten. Bei gruppeninternen Transaktionen besteht ein geringeres Transaktionsrisiko sowie höhere Transparenz hinsichtlich Qualität und Verfügbarkeit der Leistung, was naturgemäß den Preis beeinflusst.1158 Würde bei Leistungsaustauschen innerhalb eines Konzerns ein marktgerechtes Ergebnis im Sinne eines Ergebnisses, das so auch am freien Markt entsteht, verstanden, würden Fusionen und Übernahmen für Unternehmen letztlich keinen Sinn mehr machen, da die Übernahmekosten schlicht verschwendet wären. Es ist das Wesen des Konzerns, dass seine Einheiten Waren und Dienstleistungen unterhalb des Marktpreises anbieten, um so die Fusions- und Übernahmekosten der einzelnen Einheiten zu decken. Ohne diesen Effekt käme es überhaupt nicht zur Bildung von Konzernen.1159 Das gilt insbesondere, da Konzerne durch Synergien und Arbeitsteilung geprägt sind. Auf diese Weise entstehen Konzerneinheiten, die es als unabhängige Unternehmen so nicht gäbe. Es ist daher sehr fraglich, welchen Mehrwert ein Vergleich zu einem hypothetischen, unabhängigen Dritten hat. Insgesamt drängt sich hier der Verdacht auf, dass die Europäische Kommission den Fremdvergleichsansatz ergänzt und modifiziert, um ihn zusätzlich mit eigenen Wertungen aufladen zu können. Die Feststellung, ob ein Ergebnis markgerecht ist oder nicht, beansprucht die Kommission dem Anschein nach für sich. Bisher hat sie es dabei auch vermieden nähere Anhaltspunkte zu geben, wie genau dies festgestellt werden soll. Im Ergebnis nimmt sie hier wohl schlicht eine Einschätzung vor, ob es sich bei einer Abweichung um einen beihilferelevanten Vorteil handeln soll oder nicht. Ihre Einschätzung fußt dabei auf einem Vergleich der Steuerlast einer abhängigen Gesellschaft mit derjenigen einer unabhängigen. Das erscheint auch dogmatisch fragwürdig: Ein solcher Vergleich ist keine Frage der Vorteilhaftigkeit, sondern der Selektivität. Bei der Analyse des wirtschaftlichen Vorteils muss die steuerliche Situation des betroffenen Wirtschaftsteilnehmers mit und ohne staatliche Maßnahme verglichen werden.1160 Insoweit müssen die Ausführungen der Kommission aus dogmatischer Sicht zumindest als ungenau angesehen werden. Neben der Frage, ob zwischen zwei Unternehmen überhaupt mit einem „marktgerechten“ Ergebnis gerechnet werden kann, und der Vermischung von Vorteil und Selektivität, stellt sich zwangsläufig auch die Frage nach der Rechtssicherheit. Es liegt dabei auf der Hand, dass eine mit eigenen Wertungen aufgeladene Beihilfekontrolle zwangsläufig zu größerer Rechtsunsicherheit führen wird.1161

1158 Zur Bedeutung von Transaktionenrisiken für die Preisbildung vgl. EuGH, Urteil v. 26. 05. 2016, Rs. T-479/11 und T-157/12, ECLI:EU:T:2016:320, Rn. 98 – 128 – Frankreich/ Kommission 1159 Zur Vergleichbarkeit gruppeninterner und externer Transaktionen vgl. ausführlich: Nicolaides, EStAL 2016, 416 (422). 1160 Zur Kritik am Vorgehen der Kommission vgl. Moreno González, EStAL 2016, 556 (562). 1161 Zur Rechtsunsicherheit vgl. ausführlich: Nicolaides, EStAL 2016, 416 (426).

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(b) Bisherige Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zur Bildung von Verrechnungspreisen Die Europäische Kommission stützt ihre Ausführungen auf die bisherige Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs hinsichtlich der korrekten Bildung von Verrechnungspreisen. In seinem Urteil Forum 1871162 hat der Gerichtshof auch die Bildung von Verrechnungspreisen unter „freien Wettbewerbsbedingungen“ angesprochen.1163 An diesen Passus scheint sich die Kommission mit ihren Ausführungen zum marktbasierten Ergebnis anzulehnen. Dabei muss jedoch der Kontext der Aussage und des Urteils beachtet werden. Der Gerichtshof hatte nicht pauschal geurteilt, dass Verrechnungspreise dem Verkaufspreis am freien Markt entsprechen müssen. Er hat vielmehr festgestellt, dass auch innerhalb eines verbundenen Konzerns Preise zumindest sämtliche Kosten der Konzerneinheit abdecken müssen.1164 Er hat also lediglich in einer bestimmten Situation einen Vergleich gezogen und als Konsequenz eine Minimalhöhe für Verrechnungspreise definiert: Die unternehmensinterne Leistungsbereitstellung und Abrechnung darf kein Minusgeschäft für die Konzerneinheit sein. Das gilt unabhängig davon, ob es innerhalb des Gesamtkonzerns aus betriebswirtschaftlicher Sicht nicht doch sinnvoll wäre, Verluste innerhalb einer Einheit anzusammeln bzw. zu bündeln. Insbesondere müssen in diese Betrachtung sämtliche Kosten miteinbezogen werden. Er hat daher letztlich eine Vergleichbarkeit von unabhängigen und abhängigen Gesellschaften dahingehend bejaht, dass beide zumindest grundsätzlich kostenneutral arbeiten (müssen). Die Frage, wie hoch die zu fordernden Preise und damit der Gewinn einer Konzerneinheit sein muss bzw. sollte, beantwortet der Gerichtshof jedoch gerade nicht. Aus den Ausführungen, dass der Preis sämtliche Kosten abdecken muss, lässt sich im Umkehrschluss ableiten, dass auch eine geringe Profitabilität bis hin zur reinen Kostendeckung ausreichend ist. Aus diesem Urteil des Gerichtshofs lassen sich außerdem auch keine Erkenntnisse für die bei Verrechnungspreisen aktuell wohl bedeutsamere Fragestellung gewinnen: Wie hoch dürfen die konzerninternen Kosten maximal sein? Insbesondere hat er die Frage, ob die Kosten von abhängigen Unternehmen den Kosten unabhängiger entsprechen müssen, nicht beantwortet. Auch auf eine über die grundlegende Annahme der Kostendeckung hinausgehende Vergleichbarkeit von abhängigen und unabhängigen Gesellschaften geht der Gerichtshof nicht ein. Die Kommission kann sich folglich insoweit – entgegen ihrer Behauptungen – nicht auf eine bestehende Judikatur des Gerichtshofs zurückziehen.1165 Aus zu hohen akzeptierten Verrechnungspreisen und Kosten kann nicht unmittelbar auf einen (selektiven) Vorteil geschlossen werden.1166 1162

EuGH, Urteil v. 22. 06. 2006, Rs. C-182/03, ECLI:EU:C:2006:416 – Forum 187. EuGH, Urteil v. 22. 06. 2006, Rs. C-182/03, ECLI:EU:C:2006:416, Rn. 95 und 96 – Forum 187. 1164 Nicolaides, EStAL 2016, 416 (426). 1165 Nicolaides, EStAL 2016, 416 (418). 1166 Nicolaides, EStAL 2016, 416 (425 ff.). 1163

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Kap. 4: Tax Rulings als Anwendungsgegenstand des Beihilfeverbotes

An dieser Stelle sei auch auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs hinsichtlich der Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes bei der grenzüberschreitenden steuerlichen Anpassung verwiesen. Dabei hat er Abweichungen von fremdvergleichskonformen Marktpreisen explizit zugelassen. Er hat es aber steuerpflichtigen Unternehmen auferlegt, nachzuweisen, dass im konkreten Fall die Abweichung vom Fremdvergleichsgrundsatz auf validen wirtschaftlichen Gründen beruht.1167 Obwohl der Gerichtshof in der Sache mit grundfreiheitlichen und nicht mit beihilferechtlichen Fragestellungen konfrontiert war, lässt sich als Zwischenergebnis gleichwohl festhalten, dass der Europäische Gerichtshof den Fremdvergleichsgrundsatz bei Verrechnungspreisen zwar im Grundsatz akzeptiert hat, in ihm wohl aber keinen allgemeingültigen „Goldstandard“ sieht, von dem nicht abgewichen werden darf. Im Bereich der Grundfreiheiten hat er außerdem bereits entschieden, dass, wenn und soweit der Steuerpflichtige darlegen und beweisen kann, dass die Wahl konzerninterner Verrechnungspreise auf innerbetrieblichen Überlegungen beruht, eine Anpassung des jeweiligen Gewinns der beteiligten Konzerngesellschaften durch die Finanzverwaltung ausgeschlossen ist.1168 Es erscheint nur folgerichtig, diese Rechtsprechung auch auf das Beihilferecht zu übertragen, um Wertungswidersprüchen zwischen Grundfreiheiten und Beihilferecht bei der Anpassung von Verrechnungspreisen vorzubeugen. Andernfalls wäre das geradezu paradoxe Ergebnis denkbar, dass das Beihilferecht eine fremdvergleichskonforme Anpassung der Verrechnungspreise durch die Finanzverwaltung erfordern würde, wohingegen die Grundfreiheiten eine solche Verpflichtung gerade ausschließen, solange die Abweichungen auf wirtschaftlichen Erwägungen beruhen. Im juristischen Schrifttum wird diesbezüglich diskutiert, welche Erwägungen dazu herangezogen werden können. Einig ist man sich aber grundsätzlich, dass der Fremdvergleichsgrundsatz die Regel bleiben und nur in Ausnahmefällen eine Abweichung möglich sein soll.1169 (c) Der wettbewerbsrechtliche Fremdvergleichsgrundsatz Die Kommission leitet den Fremdvergleichsgrundsatz unmittelbar aus Art. 107 Abs. 1 AEUV selbst ab und sieht darin einen europaweiten Standard für die Gestaltung konzerninterner Beziehungen.1170 So hat sie auch in ihrer Bekanntmachung zum Begriff der staatlichen Beihilfe explizit festgestellt, dass die Einhaltung des Fremdvergleichsgrundsatzes stets Teil der Würdigung steuerlicher Maßnahmen im 1167

EuGH, Urteil v. 21. 01. 2010, Rs. C-311/08, ECLI:EU:C:2010:26, Rn. 71 bis 73 – SGI. Schön, IStR 2011, 777 (781). 1169 Siehe: Englisch, IStR 2010, 139 (141 ff.); Thömmes, IWB 2010, 107 (110 ff.); Scheipers/Linn, IStR 2010, 469 (472 ff.); Becker/Sydow, IStR 2010, 195 (197 ff.). 1170 Bekanntmachung der Kommission zum Begriff der staatlichen Beihilfe im Sinne des Artikels 107 Absatz 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, ABl. 2016 Nr. C 262/1, Rn. 171 – 173. Vgl. auch: Beschluss der Kommission v. 11. 01. 2016 über die Beihilferegelung Belgiens SA.37667 (2015/C) (ex 2015/NN), Az. C(2015) 9837, ABl. EU Nr. L 260/61, Rn. 145 ff. 1168

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Rahmen ihrer Beihilfekontrolle ist. Dies soll unabhängig davon gelten, ob und in welcher Form dieser Grundsatz in der nationalen Rechtsordnung des betreffenden Mitgliedstaats enthalten ist. Sie sieht im Fremdvergleichsgrundsatz eine Anwendung von Art. 107 Abs. 1 AEUV. Da das Beihilferecht als primäres Unionsrecht die nationalen Rechtsordnungen – einschließlich des Steuerrechts – „umrahmt“, wird der Fremdvergleichsgrundsatz für die Mitgliedstaaten damit unmittelbar verbindlich. Im Ergebnis leitet die Kommission also einen „wettbewerbsrechtlichen Fremdvergleichsgrundsatz“ unmittelbar aus dem Beihilfeverbot selbst ab. Wegen der Bedeutung des Unionsrechts würde das Beihilfeverbot im Einzelfall nationale Verrechnungspreisvorschriften überlagern und ergänzen.1171 Die Ausführungen der Kommission sind eine konsequente Fortführung ihrer Ermittlungen hinsichtlich Tax Rulings und der darauf basierenden Beschlusspraxis. Sie gehen aber zu weit und bedürfen einer kritischen Betrachtung. In ihren Beschlüssen ist die Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes zunächst Konsequenz aus der landesüblichen Besteuerung nach dem objektiven Nettoprinzip und dem Trennungsprinzip.1172 Die Herstellung von Besteuerungsgleichheit zwischen selbstständigen und abhängigen Gesellschaften macht es nötig, die Vermögenssphären der verbundenen Unternehmen sachgerecht abzugrenzen. Dazu dient der Fremdvergleichsgrundsatz. Entscheidender Anknüpfungspunkt ist das nationale Steuerrecht und die darauf basierenden Steuerprinzipien. Gleichwohl hat die Europäische Kommission auch in ihren Beschlüssen darauf verwiesen, dass sich der Fremdvergleichsgrundsatz unmittelbar aus Art. 107 Abs. 1 AEUV ergibt und notwendiger Bestandteil der Beihilfekontrolle ist. Es handele sich um einen allgemeinen Grundsatz der Gleichbehandlung im Bereich der Besteuerung, der in den Anwendungsbereich des Art. 107 Abs. 1 AEUV fällt, der die Mitgliedstaaten bindet und dessen Anwendungsbereich einzelstaatliche Steuerbestimmungen nicht ausschließt. Dabei betont die Kommission, „ihr“ Fremdvergleichsgrundsatz entspreche nicht dem der OECD und dürfe nicht mit diesem verwechselt werden.1173 Trotzdem will sie sich bei der Prüfung, ob ein Tax Ruling in Bezug auf Verrechnungspreise mit dem nun in Art. 107 Abs. 1 AEUV verankerten Fremdvergleichsgrundsatz in Einklang steht, zukünftig auch auf die OECD-Verrechnungspreisleitlinien für multinationale

1171

Wattel, Intertax 2016, 791 (792); Luja, EC Tax Review 2016, 312 (324). Gleichwohl hat sie sich z. B. im Verfahren gegen Belgien zur Begründung des selektiven Vorteils auch auf eine Abweichung vom, auf Art. 107 Abs. 1 AEUV basierenden, Fremdvergleichsgrundsatz gestützt. Vgl. Beschluss der Kommission v. 11. 01. 2016 über die Beihilferegelung Belgiens SA.37667 (2015/C) (ex 2015/NN), Az. C(2015) 9837, ABl. EU Nr. L 260/ 61, Rn. 145 ff. 1173 Beschluss der Kommission v. 21. 10. 2015 über die staatliche Beihilfe SA.38375 (2014/ C ex 2014/NN) Luxemburgs zugunsten von Fiat, Az. C(2015) 7152, ABl. EU 2016 Nr. L 351/1, Rn. 228, Beschluss der Kommission v. 21. 10. 2015 über die staatliche Beihilfe der Niederlande SA.38374 (2014/C) (ex 2014/NN) zugunsten von Starbucks, Az. C(2015) 7143, ABl. EU 2017 Nr. L 83/38, Rn. 264 1172

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Kap. 4: Tax Rulings als Anwendungsgegenstand des Beihilfeverbotes

Unternehmen und Steuerverwaltungen stützen.1174 An dieser Stelle gibt die Europäische Kommission die Anknüpfung an das nationale Steuerrecht auf und bestimmt den Vorteil unmittelbar durch das primäre Unionsrecht. Der aufkommenden Kritik, sie überschreite ihre Kompetenzen, indem sie die nationalen Regelungen zu Verrechnungspreisgestaltungen durch das Beihilferecht „überschreibt“, wird mitunter entgegengehalten, dass es sich dabei nicht um steuerrechtliche Vorgaben, sondern letztlich um einen wettbewerbsrechtlichen Fremdvergleichsgrundsatz im Rahmen der Beihilfekontrolle handelt.1175 Das mag zwar rein formal betrachtet richtig sein, unter wirkungsbezogener Betrachtung überzeugt es jedoch nicht: Ob steuerrechtlicher oder wettbewerbsrechtlicher Fremdvergleichsgrundsatz – das Ergebnis bleibt dasselbe. Die Mitgliedstaaten sind an das primäre Unionsrecht gebunden und müssen dessen Anwendungsvorrang respektieren. Entspricht also der nationale – steuerrechtliche – Fremdvergleichsgrundsatz nicht dem unionsrechtlichen, so geht Letzterer Ersterem bei Kollision vor. Der wettbewerbsrechtliche Fremdvergleichsgrundsatz geht folglich dem steuerrechtlichen vor. Das nationale (steuerrechtliche) Verständnis des Fremdvergleichsgrundsatzes sei für die Beihilfekontrolle nicht relevant und werde vom unionsrechtlichen Verständnis verdrängt. Die Europäische Kommission selbst vertritt dabei sogar die Ansicht, dass es auf eine Umsetzung des Fremdvergleichsgrundsatzes im nationalen Recht nicht ankommt, sondern alleine auf den wettbewerbsrechtlichen Fremdvergleichsgrundsatz nach Art. 107 Abs. 1 AEUV.1176 Die Implementierung dieses Fremdvergleichsgrundsatzes als europaweiten Maßstab für Verrechnungspreisgestaltungen läuft dann jedoch letztlich auf eine Zwangsharmonisierung der nationalen Verrechnungspreisvorschriften durch das Beihilferecht hinaus, die mit der Kompetenzverteilung in der Union nur schwer vereinbar ist.1177 Auf die Spitze getrieben wird die Kommission eine europaweite Superkontrollinstanz für Verrechnungspreise und verpflichtet die Mitgliedstaaten gleichzeitig auf den Fremdvergleichsgrundsatz.1178 Das muss kritisiert werden: Die steuerliche Beihilfekontrolle dient dazu, selektive Abweichungen innerhalb eines nationalen Referenzsystems festzustellen. Bezugsrahmen ist das nationale Recht. Liefert das nationale Steuerrecht entsprechende Anknüpfungspunkte, steht es der Kommission frei, den Fremdvergleichsgrundsatz zu benutzen. Ohne entsprechende 1174 Bekanntmachung der Kommission zum Begriff der staatlichen Beihilfe im Sinne des Artikels 107 Absatz 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, ABl. 2016 Nr. C 262/1, Rn. 172 und 173. 1175 So z. B. Moreno González, EStAL 2016, 556 (563); Iliopoulos, EStAL 2017, 263 (269). Zur Idee eines wettbewerbsrechtlichen Fremdvergleichsgrundsatzes vgl. ausführlich: Wattel, Intertax 2016, 791 (791 ff.). 1176 Beschluss der Kommission v. 21. 10. 2015 über die staatliche Beihilfe SA.38375 (2014/ C ex 2014/NN) Luxemburgs zugunsten von Fiat, Az. C(2015) 7152, ABl. EU 2016 Nr. L 351/1, Rn. 229. Beschluss der Kommission v. 21. 10. 2015 über die staatliche Beihilfe der Niederlande SA.38374 (2014/C) (ex 2014/NN) zugunsten von Starbucks, Az. C(2015) 7143, ABl. EU 2017 Nr. L 83/38, Rn. 265 1177 Zur Kompetenzverteilung vgl. Art. 114 AEUV. 1178 Moreno González, EStAL 2016, 556 (564).

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Anknüpfungspunkte steht es ihr offen, das gesamte mitgliedstaatliche Steuersystem nach den Grundsätzen des Gibraltar-Urteils auf seine Selektivität zu überprüfen.1179 An dieser Stelle enden aber die Befugnisse der Kommission.1180 Damit sei keineswegs gesagt, dass die von der Kommission gewünschte Implementierung des Fremdvergleichsgrundsatzes als europaweiten Verrechnungspreisstandard nicht steuerpolitisch und steuerökonomisch wünschenswerte Effekte hätte. Sämtliche Mitgliedstaaten der Union wären durch den wettbewerbsrechtlichen Fremdvergleichsgrundsatz einem einheitlichen Verständnis unterworfen und es käme zu einer Harmonisierung und einer gleichmäßigen Steuerallokation.1181 Gleichwohl sind derartige Effekte nicht vom Gestaltungsauftrag des Beihilferechts und den Kompetenzen der EU-Kommission abgedeckt. Eine Harmonisierung nationaler Verrechnungspreisstandards „durch die Hintertüre“ steht ihr nicht zu. Die Herleitung eines unmittelbare Geltung beanspruchenden und dem nationalen Steuerrecht vorgehenden, wettbewerbsrechtlichen Fremdvergleichsgrundsatzes aus Art. 107 Abs. 1 AEUV muss daher abgelehnt werden.1182 (d) Exkurs: Verhältnis zur Gemeinsamen Körperschaftsteuerbemessungsgrundlage Legt man die Auffassung der Europäischen Kommission zugrunde, muss auch nach den Implikationen für die Pläne zur Einführung einer neuen gemeinsamen Körperschaftsteuerbemessungsgrundlage (GKKB) gefragt werden. Wird der Fremdvergleichsgrundsatz unmittelbar aus Art. 107 Abs. 1 AEUV abgeleitet und in jeder Abweichung eine Beihilfe zugunsten rein national agierender Unternehmen gesehen, droht die GKKB mit dem europäischen Beihilferecht zu kollidieren. Bei dieser findet der Fremdvergleichsgrundsatz gerade keine Anwendung. Die Zuweisung von Besteuerungsrechten erfolgt vielmehr anhand einer festgelegten Formel. Dabei kommt es gegenüber der herkömmlichen Ermittlungsmethodik notwendigerweise zu Gewinnverschiebungen. Da von der GKKB ausschließlich multinationale Unternehmen betroffen sein können, liegt bei konsequenter Anwendung des wettbewerbsrechtlichen Fremdvergleichsgrundsatzes der Verdacht einer selektiven 1179 EuGH, Urteil v. 15. 11.2011, Rs. C-106/09 P und C-107/09 P, ECLI:EU:C:2011:732 – Gibraltar. 1180 Auch die Niederlande rügen folglich eine Kompetenzüberschreitung der Kommission und ein Übergriff auf nationale Souveränitäten. Vgl. Beschluss der Kommission v. 21. 10. 2015 über die staatliche Beihilfe der Niederlande SA.38374 (2014/C) (ex 2014/NN) zugunsten von Starbucks, Az. C(2015) 7143, ABl. EU 2017 Nr. L 83/38, Rn. 186. 1181 Wattel, Intertax 2016, 791 (794). 1182 Im Gegensatz dazu hat das EuG entschieden, dass der Fremdvergleichsgrundsatz ein geeignetes und zulässiges Instrument im Rahmen der Beihilfenaufsicht ist. Entspricht ein der Besteuerung zugrunde gelegter Verrechnungspreis nicht der Vergütung, die unter fremden Dritten vereinbart worden wäre, so liegt es nahe, dass eine staatliche Beihilfe gewährt wurde. Vgl. EuG, Urteil v. 24. 9. 2019, Rs. T-755/15 u. T-759/15, ECLI:EU:T:2019:670 Rn. 141 – Luxemburgund Fiat Chrysler Finance Europe/Kommission; EuG, Urteil v. 24. 9. 2019, Rs. T760/15 u. T-636/16, ECLI:EU:T:2019:669 Rz. 151 – Niederlande und Starbucks/Kommission. Vgl. auch Wattel, Intertax 2020, 119 (120).

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Vorteilsgewährung nahe.1183 Da das Primärrecht auch für sämtliche Unionsmaßnahmen gilt, droht eine Kollision. Um dies zu vermeiden, müsste die Kommission eine Ausnahme zugunsten der GKKB machen und das Beihilfeverbot bewusst unangewendet lassen bzw. die GKKB genehmigen. Das würde aber nur zeigen, dass die Kommission bereit ist das Beihilferecht selbst selektiv anzuwenden und gegen Maßnahmen vorzugehen, die nicht ihrer (steuerrechtlichen) Präferenz entsprechen und andere – die ihren Vorstellungen entsprechen – zu verschonen. An dieser Stelle wird erneut deutlich, dass originäres Problem nicht die Abweichung vom Fremdvergleichsgrundsatz, sondern das internationale Steuergefälle ist. dd) Bestimmung der Haushaltsbelastung Entscheidend für die Bestimmung der Haushaltsbelastung ist alleine, dass es zu Mindereinnahmen der öffentlichen Hand kommt. Durch die Abweichung vom Fremdvergleichsgrundsatz im Rahmen eines Tax Rulings muss es also zu Einnahmeausfällen kommen. Auf die Folgen von Gewinnverlagerungen für die beteiligten Fisken wurde bereits umfassend eingegangen.1184 Wie gezeigt, kommt es zu Mindereinnahmen des Staates aus dem Gewinne heraus verlagert werden. Genehmigt dieser Abweichungen vom Fremdvergleichsgrundsatz zu seinen Lasten, findet seinerseits eine Haushaltsbelastung statt. Dass die dort ansässige Konzerneinheit keinen unmittelbaren Vorteil erhält, ist aufgrund des funktionalen Unternehmensbegriffs unerheblich. Als Begünstigter ist der Konzern anzusehen. Die Folge ist eine Aufgabe des steuerrechtlichen Trennungsprinzips und seiner bereits geschilderten Konsequenzen. Da der Gesamtkonzern mittels seiner Niederlassung einen Bezug zum nationalen Haushalt hat, sind sein Mittelzufluss und der staatliche Mittelabfluss nun verbunden. Der Konzern unterliegt damit faktisch einer Steuerpflicht kraft Niederlassung in einem Land bzw. rechtlicher Verbundenheit mit der dortigen Niederlassung. Den aktuellen Kommissionbeschlüssen wird im Schrifttum teilweise entgegengehalten, dass es durch bestimmte Tax Rulings gar nicht zu einer Haushaltsbelastung gekommen sei. Die Europäische Kommission unterstreicht in ihren Ausführungen selbst, dass es dafür notwendig ist, dass es durch die Maßnahme zu einem Einnahmeverlust des Staates kommen muss, zudem es ohne die fragliche Maßnahme nicht gekommen wäre. Es müssen also Mittel nicht eingenommen werden, die dem Fiskus ohne die Maßnahme zur Verfügung gestanden hätten.1185 Wie gesagt, nimmt 1183

Vgl. dazu: Wattel, Intertax 2016, 791 (794). Vgl. S. 229 ff. 1185 Beschluss der Kommission v. 11. 01. 2016 über die Beihilferegelung Belgiens SA.37667 (2015/C) (ex 2015/NN), Az. C(2015) 9837, ABl. EU Nr. L 260/61, Rn. 114; Beschluss (EU) 2017/502 der Kommission v. 21. 10. 2015 über die staatliche Beihilfe der Niederlande SA.38374 (2014/C) (ex 2014/NN) zugunsten von Starbucks, Az. C(2015) 7143, ABl. EU 2017 Nr. L 83/38, Rn. 226; Beschluss (EU) 2016/2326 der Kommission v. 21. 10. 2015 über die staatliche Beihilfe SA.38375 (2014/C ex 2014/NN) Luxemburgs zugunsten von Fiat, 1184

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sich die Kommission dieser Frage nicht näher an. Sie arbeitet an dieser Stelle mit einem impliziten Vergleich. Sie vergleicht die gezahlte Steuer mit der hypothetischen Steuer, die ohne Tax Ruling bzw. Gewinnverlagerung angefallen wäre. Dabei nimmt sie an, dass der anfallende Gewinn konstant ist. Ihr wird daher vorgeworfen, sie verkenne die Bedeutung, die die Möglichkeit zur Gewinnverlagerung im internationalen Steuerwettbewerb hat.1186 Im Falle Apples bspw. wird scheinbar plausibel argumentiert, dass Apple seine gesamten Geschäfte (und Gewinne) deshalb über Irland laufen ließ, weil die irischen Finanzbehörden großzügig bereit waren, die Weiterverlagerung in Drittstaaten zu akzeptieren. Es sei aber keineswegs anzunehmen, dass ohne die entsprechenden Tax Rulings Apple ein entsprechendes Steuer- und Geschäftsmodell aufgelegt hätte.1187 Es sei unrealistisch anzunehmen, dass Apple nahezu seine gesamten Gewinne aus dem europäischen Geschäft tatsächlich in Irland hätte anfallen lassen, ohne die Chance auf Weiterverlagerung. Das sei nicht zuletzt auch daran erkennbar, dass aus Irland operierende Gesellschaften nur Routinetätigkeiten wahrnehmen und lediglich ausführende Werkzeuge waren. Alle maßgeblichen Entscheidungen wurden in den Vereinigten Staaten getroffen.1188 Anzunehmen, dass derartige Tätigkeiten in diesem Umfang nicht in Irland ausgeführt bzw. nicht an einem anderen Ort ausgeführt worden wären, erscheine daher insgesamt unwahrscheinlich. Mit anderen Worten: Ohne die entsprechenden Tax Rulings wären die fraglichen Gewinne eben – entgegen der Kommissionsannahme – nicht im gewährenden Land angefallen, es wäre folglich noch weniger oder überhaupt keine Steuer eingenommen worden. Der Kommission wird vorgeworfen, sie eröffne ein unrealistisches Alternativszenario, aus dem sie sich „die Rosinen rauspickt“. Zugleich wird betont, sie bewege sich dabei außerhalb der bisherigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs. Als Beleg wird angeführt, dass der Gerichtshof die Kommission zwar ausdrücklich nicht dazu verpflichtet hat zu kalkulieren, was ohne die staatliche Maßnahme passiert wäre, bzw. wie hoch die Steuereinnahmen dann ausgefallen wären,1189 diese Rechtsprechung beziehe sich aber nur insoweit auf die Rückforderung der Beihilfe, nicht aber auf die Überprüfung der Haushaltsbelastung durch den Vorteil.1190 Nach dieser Ansicht wäre es daher z. B. im Falle Apples notwendig gewesen, dass die Europäische Kommission die Steuereinnahmen mit Tax Ruling und Niederlassung in Irland und ohne untersucht und vergleicht. Obwohl diese Kritik durchaus bedenkenswert erscheint und damit Recht hat, dass bestimmte Standortentscheidungen auch aufgrund der steuerlichen GeAz. C(2015) 7152, ABl. EU 2016 Nr. L 351/1, 188; Commission Decision of 30. 08. 2016 on State Aid SA.38373 (2014/C) (ex 2014/NN) (ex 2014/CP) implemented by Ireland to Apple, C(2016) 5605 final, Rn. 221. 1186 Siehe dazu Kapitel 5, S. 335 ff. 1187 Zur Geschäftsstruktur Apples in Deutschland vgl. Stuart, EStAL 2017, 209 (218 ff.). 1188 Stuart, EStAL 2017, 209 (226); Giraud/Petit, EStAL 2017, 233 (240). 1189 Vgl. EuGH, Urteil v. 15. 12. 2005, Rs. C-148/04, ECLI:EU:C:2005:774, Rn. 114 ff. – Unicredito Italiano. 1190 Giraud/Petit, EStAL 2017 233 (237).

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Kap. 4: Tax Rulings als Anwendungsgegenstand des Beihilfeverbotes

staltungsmöglichkeiten in den Staaten getroffen wurden, bewegt sich die Kommission trotzdem auf durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs gesichertem Terrain. Der Gerichtshof hat in der Vergangenheit geurteilt, dass sich Staaten nicht darauf berufen können, dass es durch die Maßnahme zwar kurzfristig zu einem Steuerausfall kommt, dieser durch die positiven Anreizwirkungen aber überwogen wird.1191 Zwar geht es hier nicht um die zukünftige Ansiedlung anderer Unternehmen, sondern alleine um die Einnahmen aus einer Gesellschaft, das vermag insoweit an der Bewertung der Haushaltsbelastung nichts zu ändern. In seinem Urteil zu den belgischen Koordinationszentren hat er dabei betont, dass die Tatsache, dass Steuern und Abgaben bezahlt wurden (die ansonsten nicht angefallen wären) keine Entlastung darstellt.1192 Der Gerichtshof nimmt hier ebenfalls eine Bewertung anhand eines Alternativszenarios vor und vergleicht die bezahlte Steuer mit der ohne Befreiung fälligen. Die Tatsache, dass Unternehmen ihre Entscheidung im Hinblick auf einen Steueranreiz getroffen haben und dass eine solche Entscheidung ohne den Anreiz möglicherweise überhaupt nicht getroffen worden wäre, ist hingegen nicht von Belang. Dies deckt sich also mit den aktuellen Beschlüssen der Kommission. Die Kritik im Schrifttum geht insoweit fehl. Sie verkennt die Bedeutung und Reichweite des Beihilferechts im Steuerwettbewerb, indem sie dessen Anwendungsbereich unzulässig verkürzt. Überspitzt formuliert wäre andernfalls jede staatliche Maßnahme, die zur Allokation neuen Steuersubstrats führt, keine Beihilfe i. S. d. Art. 107 Abs. 1 AEUV, solange die neuangesiedelten Unternehmen überhaupt besteuert werden. Nach dieser Ansicht kommt es immer zu Mehreinnahmen, da ansonsten überhaupt keine Einnahmen vom jeweiligen Steuerpflichtigen erzielt worden wären. Damit verkürzt sie die Beihilfekontrolle im Ergebnis auf bereits ansässige Unternehmen. Vor dem Hintergrund des internationalen Steuerwettbewerbs und möglicher Anreizwirkung hat der Gerichtshof eine solche Verkürzung aber gerade nicht zugelassen, sondern das Beihilferecht auch auf die Akquise neuen Steuersubstrats durch Steuervergünstigungen ausgeweitet. Den kritischen Stimmen muss auch entgegengehalten werden, dass mit ihrem Begriffsverständnis ein erhebliches Missbrauchspotenzial einhergeht. Ließe man ein solches Verständnis zu, würde zukünftig jeder Mitgliedstaat behaupten eine Beihilfe sei keine Haushaltsbelastung, da der Steuersatz der angelockten Gesellschaft über Null liegt und damit zumindest Einnahmen erzielt wurden, die andernfalls nicht erzielt worden wären. Vor diesem Hintergrund ist es äußerst unwahrscheinlich, dass eine derartige Argumentation vor den europäischen Gerichten Gehör finden wird. ee) Begrenzung der Kommissionspraxis durch das unionale Kompetenzgefüge Wie bereits gezeigt, stellen Vorteilsgewährung und Haushaltsbelastung letztlich zwei Seiten derselben Medaille dar. Die Vorteilsgewährung muss einer Haushalts1191

Vgl. Kapitel 3, S. 117 ff. EuGH, Urteil v. 22. 06. 2006, Rs. C-182/03 und C-217/03, ECLI:EU:C:2006:416, Rn. 128 und 129 – Belgische Koordinationszentren. 1192

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belastung gegenüberstehen. Dies erweist sich bei Gewinnverlagerungen unter Einhaltung des Trennungsprinzips als schwierig. Es ist anzunehmen, dass die Kommission nicht zuletzt deshalb den Gesamtkonzern als Begünstigten der Steuervergünstigung ansieht.1193 Nach Ansicht der Kommission muss dabei weder zwischen den verschiedenen Konzerneinheiten differenziert werden, noch müssen deren Vermögenssphären getrennt werden. An dieser Stelle treten an der Übertragbarkeit der Rechtsprechung zum einheitlichen Unternehmensbegriff auf den Bereich der direkten Steuern grundsätzliche Zweifel im Hinblick auf die mitgliedstaatlichen Steuerkompetenzen auf. Diese haben das grundlegende Recht ihre Steuersysteme frei auszugestalten. Das nationale Steuerrecht definiert, was der staatlichen Besteuerung unterfällt und wer steuerpflichtig ist. Das Trennungsprinzip isoliert dabei die Vermögenssphären der Konzerneinheiten, der Konzern selbst existiert nicht. Das Steuerrecht bietet insoweit keinen Anknüpfungspunkt für eine Rückforderung gegenüber einem Konzern.1194 Kennzeichnend für die Steuervergünstigung ist, dass der Staat ein Steuerrecht systemwidrig nicht wahrnimmt bzw. auf die Durchsetzung eines Steueranspruchs verzichtet. Ohne Steuerpflicht ist dabei grundsätzlich keine Steuervergünstigung möglich.1195 Soll eine Steuerbeihilfe von einem Gesamtkonzern nachgefordert werden, bedarf es dafür nicht weniger als die Aufhebung des Trennungsprinzips durch das Beihilferecht. Die Auflösung des Trennungsprinzips im Rahmen des unionalen Wettbewerbsrechts berührt aber unmittelbar die Kompetenzverteilung zwischen Mitgliedstaaten und Kommission. Die Ausgestaltung ihrer nationalen Steuersysteme obliegt den Mitgliedstaaten. Wird jedoch der Konzern als Begünstigter angesehen, bleibt fraglich, welches Besteuerungsrecht einem Staat im Hinblick auf den Gesamtkonzern überhaupt zukommen soll. Kennt das nationale Steuerrecht keinen Anknüpfungspunkt, unterliegt der Konzern gerade keiner Steuerpflicht. Vielmehr unterliegt nur derjenige Teil des Gesamtkonzerns der inländischen Steuerpflicht, der auf ansässige Gesellschaften und Betriebsstätten entfällt. Insbesondere kommt dem Mitgliedstaat kein Besteuerungsrecht für Konzerneinheiten ohne steuerlichen Anknüpfungspunkt im Inland zu. Eine Steuerpflicht des Gesamtkonzerns oder anderer Konzerngesellschaften wird auch keineswegs dadurch begründet, dass sie mit einer ansässigen Gesellschaft konzernrechtlich verbunden sind. Damit würde dem Mitgliedstaat ein konzernweites Besteuerungsrecht Kraft rechtlicher Verbundenheit entstehen. Die Kommission schafft damit letztlich eine Konzernsteuerpflicht in den Ansässigkeitsstaaten der Konzerneinheiten. Dem OECD-Standard entsprechend ist aber ausschließlich eine beschränkte Besteuerung vorgesehen (vgl. Art. 7 Abs. 1 OECD-MA). Darüber hinaus besitzen die Ansässigkeitsstaaten der Betriebsstätten kein Besteuerungsrecht. Notwendiger Anknüpfungspunkt ist und bleibt folglich immer die Ansässigkeit einer Konzerneinheit. Über den Umweg des Beihilferechts weist die Kommission in einem solchen Szenario dem Mitgliedstaat jedoch ein solches Besteuerungsrecht im Hinblick auf den Gesamt1193 1194 1195

Siehe S. 241 ff. Nichts anderes gilt für Konzerneinheiten, die nicht der eigenen Steuerhoheit unterfallen. Einen grenzüberschreitenden Steuervorteil kann es nicht geben. Vgl. S. 232 ff.

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konzern zu. Ein solches Vorgehen ist mit der unionalen Kompetenzverteilung nur schwer vereinbar. Es ist Aufgabe der Mitgliedstaaten, für ihr Hoheitsgebiet festzulegen, ob sie eine Besteuerung auf Konzern- oder Konzerneinheitsebene vornehmen. Diese originär mitgliedstaatliche Kompetenz wird durch das Beihilferecht beeinträchtigt. Ob ein so weitreichender Eingriff in die nationalen Steuerrechtsysteme von den Kompetenzen der Kommission gedeckt ist, erscheint äußerst fraglich. Die Beihilfekontrolle muss die besonderen Umstände des (europäischen) Steuerrechts respektieren. Bereits in der Vergangenheit hat die Kommission eine Konsolidierung für multinationale Konzerne in grenzüberschreitenden Situationen vorgenommen. Auch hier erfolgte diese jedoch ohne einen entsprechenden Anknüpfungspunkt in der nationalen Steuerrechtsordnung. Die Europäische Kommission wurde daher folgerichtig kritisiert und hat dieses Vorgehen in ihren damaligen Entscheidungen letztlich nicht aufrechterhalten. Ebenso wie auch bei den aktuellen Untersuchungen zu Verrechnungspreisgestaltungen war auch hier die tatsächliche Vorteilhaftigkeit originär nicht durch den handelnden Ansässigkeitsstaat gegeben, sondern durch die Besteuerung im Drittstaat.1196 Wohl auch vor dem Hintergrund der unionalen Kompetenzverteilung sieht die Europäische Kommission in ihrer aktuellen Beschlusspraxis immer sowohl den Konzern als auch die ansässige Konzerneinheit als Vorteilsempfänger an, obwohl bei Letzterer ein Vorteil nicht zwingend gegeben ist. Im Ergebnis wahrt sie damit zwar die nationalstaatliche Leitentscheidung eine Besteuerung auf Ebene der Konzerneinheit vorzunehmen, da Begünstigter aber der Konzern als Ganzes und nicht notwendigerweise die Konzerneinheit ist, bleibt abzuwarten, ob auch eine Rückforderung alleine vom Konzern mit der unionalen Kompetenzverteilung vereinbar wäre. c) Internationale Steuerharmonisierung und Beihilferecht Ausgehend vom bisher Gesagten soll nun die Bedeutung des Beihilferechts für die fehlende internationale Steuerharmonisierung und deren Ausnutzung durch multinationale Konzerne untersucht werden. aa) Mangelnde Steuerharmonisierung als beihilferelevanter Vorteil Da sich Gewinnverlagerungen typischerweise Schlupflöcher in den staatlichen Steuerrechtsordnungen zu Nutze machen und in besonderem Maße von multinationalen Konzernen genutzt werden, stellt sich zwangsläufig die Frage, ob in der mangelnden Harmonisierung nationaler Steuervorschriften selbst nicht eine Beihilfegewährung zugunsten multinationaler Konzerne gesehen werden muss. Durch die fehlende Harmonisierung der mitgliedstaatlichen Steuervorschriften ist es die1196 Entscheidung der Kommission v. 08. 07. 2009 über die „Groepsrentebox“-Regelung, die die Niederlande durchzuführen beabsichtigen (C 4/07 (ex N 465/06)), Az. K(2009) 4511, ABl. EU 2009 Nr. L 288/26, Rn. 77 bis 81. Vgl. zur Stellungnahme der Niederlande Rn. 33 bis 42.

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sen – und nur diesen – möglich, ihre Steuern zu strukturieren und ihre Steuerlast zu senken. Darin könnte eine Beihilfe i. S. v. Art. 107 Abs. 1 AEUV zu sehen sein. Wie gezeigt, spielt die Absicht der handelnden Behörden und Mitgliedstaaten für die Beurteilung einer Beihilfe keine Rolle. Entscheidend ist alleine die Wirkung staatlicher Maßnahmen.1197 Das gilt nicht zuletzt auch, wenn keine staatliche Stelle – weder der Gesetzgeber noch die zuständige Behörde – überhaupt vorhatte eine finanzielle Begünstigung zu gewähren. Von besonderer Brisanz ist der durchaus denkbare Fall, dass ein Unternehmen in möglicherweise manipulativer Weise in verschiedenen Staaten Steuerlücken nutzt oder Tax Rulings beantragt und diese – ggf. ohne Wissen der beteiligten Steuerbehörden – dazu nutzt, seine Steuerpflicht zu umgehen.1198 Das Unternehmen nutzt dabei den fehlenden Informationsaustausch der Behörden für sein Steuersparmodell. Auch die von keinem Hoheitsträger wissentlich gewährten Vorteile und auch solche, die sich erst aus der Kombination mit anderen Maßnahmen oder Rulings ergeben und die auf einer aggressiven Steuerplanung des Unternehmens beruhen, unterfallen nach dem wirkungsorientieren Beihilfeverständnis dem Anwendungsbereich des Beihilfeverbots. Auch ohne eine Begünstigungsabsicht seitens der Mitgliedstaaten können so Beihilfen entstehen.1199 Dabei stellt sich jedoch insbesondere eine Frage: Welcher Staat ist als der vorteilsgewährende anzusehen und müsste dementsprechend handeln? Die Bedeutung dieser Frage darf nicht unterschätzt werden. Um dem Beihilfeverbot zu unterfallen, müssen die Maßnahmen einem staatlichen Hoheitsträger zurechenbar sein.1200 An die Europäische Union selbst kann, mangels Kompetenzen im Bereich des Steuerrechts, keine Zurechnung erfolgen. Bei grenzüberschreitenden Sachverhalten mit mehreren beteiligten Hoheitsträgern sind dabei sämtliche Konstellationen denkbar. Denkbar ist insbesondere auch, dass mehrere Staaten einen Vorteil im selben oder zumindest ähnlichen Maß gewähren. Da es auf eine Vorteilsabsicht grundsätzlich nicht ankommt, sind daher Konstellationen denkbar, in denen mehrere oder sogar sämtliche beteiligten Staaten als gewährender Staat angesehen werden müsste. So ist z. B. im Falle eines „Double Irish with a Dutch-Sandwiches“ fraglich, an welcher Stelle eine Besteuerung durchgeführt werden müsste bzw. durch deren Unterlassung eine 1197 Zu dieser ständigen Rechtsprechung siehe: EuGH, Urteil v. 02. 07. 1974, Rs. C-173/73, ECLI:EU:C:1973:71 – Italien/Kommission; EuGH, Urteil v. 24. 02. 1987, Rs. 310/85, ECLI: EU:C:1987:96, Rn. 8 – Deufil/Kommisison; EuGH, Urteil v. 29. 02. 1996, Rs. C-56/93, ECLI: EU:C:1996:64, Rn. 79 – Belgien/Kommission; EuGH, Urteil v. 26. 09. 1996, Rs. C-241/94, ECLI:EU:C:1996:353, Rn. 20 – Frankreich/Kommission; EuGH, Urteil v. 17. 06. 1999, Rs. C75/97, ECLI:EU:C:1999:311, Rn. 25 – Belgien/Kommission; EuGH, Urteil v. 22. 12. 2008, Rs. C-487/06 P, ECLI:EU:C:2008:757, Rn. 85 und 89 – British Aggregates/Kommission; EuGH, Urteil v. 08. 09. 2011, Rs. C-279/08 P, ECLI:EU:C:2011:551, Rn. 51 – Kommission/ Niederlande; EuGH, Urteil v. 15. 11. 2011, Rs. C-106/09 P und C-107/09 P, ECLI:EU:C:2011: 732, Rn. 87 – Gibraltar. Vgl. auch: Bousin/Piernas, EStAL 2008, 634 (635). 1198 Zu diesem Beispiel vgl. Rossi-Maccanico, EC Tax Review 2015, 63 (69). 1199 Luja, EC Tax Review 2015, 312 (318). 1200 Vgl. Kapitel 3, S. 119.

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Beihilfe gewährt wird.1201 Die Steuerpflichtigen haben sich letztlich die Besonderheiten des irischen, niederländischen und amerikanischen Steuerrechts sowie deren fehlende Abstimmung zu Nutze gemacht.1202 In diesem Zusammenhang zu bedenken ist auch, dass zwingend ein interstaatlich koordiniertes Vorgehen erforderlich wäre, um zu verhindern, dass aus einer doppelten Nichtbesteuerung eine ebenso unerwünschte Doppelbesteuerung wird. Für unilaterale Anpassungen wiederum bleibt fraglich, ob diese überhaupt zum Erfolg führen und nicht ihrerseits Folgeprobleme auslösen. bb) Zurechnung der fehlenden Harmonisierung an einen Mitgliedstaat Im Rahmen von Steuerbeihilfen ist die Frage der Zurechenbarkeit der Maßnahme an einen Staat grundsätzlich unproblematisch.1203 Dies ist damit zu begründen, dass Steuervergünstigungen nur durch staatliche Institutionen gewährt werden können. Eine Zurechnung ist daher insoweit unproblematisch. Diese Feststellung lässt sich jedoch so nur für Sachverhalte aufrechterhalten, in denen nur ein Hoheitsträger beteiligt ist. Sind hingegen mehrere beteiligt, muss der Frage nachgegangen werden, welcher Hoheitsträger tatsächlich als gewährender anzusehen ist. Durch fehlende internationale Steuerharmonisierung kann es so zu unbesteuerten Einkünften von multinationalen Konzernen kommen. Es bleibt aber die Frage, welcher Staat für diese verantwortlich sein soll. Bei Verrechnungspreisgestaltungen sieht die Europäische Kommission aktuell in dem Staat den Vorteilsgewährer, der vom Fremdvergleichsgrundsatz abweicht. Das gilt sowohl für die Verlagerung von Gewinnen aus dem eigenen Hoheitsgebiet1204 als auch für solche Abweichungen, die nicht zu einer Gewinnverlagerung, sondern zu einer Freistellung der Gewinne im Land führen.1205 Da es ihr an Einfluss auf das nationale Steuerniveau fehlt, ersetzt sie hier nationalstaatliche Harmonisierungsmaßnahmen mit einem wettbewerbsrechtlichen Fremdvergleichsgrundsatz, der als Maßstab gelten soll. Außerdem sieht sie in Konstellationen mit Nicht-EU-Staaten wohl im Mitgliedstaat den Vorteilsgewährer. Dem dürften wohl praktische Gründe zugrundliegen, da nicht-EU-Staaten nicht dem Unionsrecht unterliegen. Da im juristischen Schrifttum mit einer weiter fortschreitenden Anwendung des Beihilferechts auf Probleme des internationalen Steuerrechts gerechnet wird – insbesondere auf sämtliche Formen hybrider Gestaltungen – ist es gleichwohl nötig der Frage nachzugehen, welcher Staat den Vorteil gewährt. 1201 Zum Konstrukt des „Double Irish with a Dutch Sandwich“ vgl. Richter/Hontheim, DB 2013, 1260 – 1264. 1202 Stuart, EStAL 2017, 209 (221). 1203 Vgl.Kapitel 3, S. 119. 1204 Vgl. Commission Decision of 30. 08. 2016 on State Aid SA.38373 (2014/C) (ex 2014/ NN) (ex 2014/CP) implemented by Ireland to Apple, C(2016) 5605 final. 1205 Beschluss der Kommission v. 11. 01. 2016 über die Beihilferegelung Belgiens SA.37667 (2015/C) (ex 2015/NN), Az. C(2015) 9837, ABl. EU Nr. L 260/61.

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(1) Zuweisung durch die Kommission Denkbar ist, die Einschätzung, welcher Mitgliedstaat den Vorteil gewährt – also besteuern müsste – alleine der Europäischen Kommission zu überlassen. Dies würde auch die wettbewerbsrechtliche Kompetenzverteilung widerspiegeln und deckt sich mit dem aktuellen Kommissionsvorgehen im Bereich der Verrechnungspreisgestaltung. Indem sie den Fremdvergleichsgrundsatz als Bestandteil der Beihilfekontrolle ansieht, begründet sie gleichzeitig die Kompetenz entscheiden zu können, wem ein Besteuerungsrecht für bestimmte Gewinne zusteht und wer daher als Vorteilsgewährer anzusehen ist. Damit begründet die Kommission in letzter Konsequenz auch die Kompetenz einem Mitgliedstaat – ggf. auf Kosten anderer Staaten – Besteuerungsrechte zuzuweisen. Denkbar ist hier auch, dass die Kommission sämtlichen Beteiligten feste Rückforderungsbeträge zuweist und so das Steuersubstrat zwischen den Hoheitsträgern aufteilt. Zu bedenken ist aber, dass die Aufteilung von Steuersubstrat zwischen den Mitgliedstaaten nicht von den Kompetenzen der Europäischen Kommission gedeckt ist. Es ist nicht der Zweck des Beihilferechts, fehlende internationale Steuerabstimmung auszugleichen.1206 Andernfalls würde die Europäische Kommission zu einer supranationalen Regulierungsbehörde zur Harmonisierung des internationalen bzw. zumindest des europäischen Steuerrechts.1207 Es ist vielmehr Aufgabe der Mitgliedstaaten gegen Steuervermeidung in der Union vorzugehen.1208 Das Beihilferecht ist dort wirkungslos, wo sich Unternehmen die Besonderheiten und Lücken verschiedener Steuersysteme zu Nutze machen.1209 Diese Lücken durch eine durch das Beihilferecht hergeleitete Steuerpflicht schließen zu wollen erscheint nicht sachgerecht. Käme die Kommission bei ihrer Kontrolle zum Ergebnis, dass das Besteuerungsrecht einem Drittstaat obläge, wäre sie dagegen ohnehin machtlos. Die Folge wäre entweder ein entsprechender Leerlauf oder die systemwidrige Zuweisung des Besteuerungsrechts an einen Mitgliedstaat. Mit ihrer neuen Bekanntmachung zum Begriff der staatlichen Beihilfe und der Einführung des wettbewerbsrechtlichen Fremdvergleichsgrundsatzes als Teil der Beihilfekontrolle hat die Kommission gleichwohl einen ersten Schritt auf dem Weg zu einer europaweiten Steuerzuweisungsbehörde gemacht. (2) Zuweisung anhand abstrakter Rechtsprinzipien Im juristischen Schrifttum wird aktuell angedacht, die Anwendung des Beihilferechts im Einzelfall anhand abstrakter Rechtsprinzipien auszurichten und so das Beihilferecht auf Fälle internationaler Steuervermeidung anwenden zu können, ohne dabei die Konsequenzen der Beeinträchtigung des internationalen Steuerrechts 1206

Vgl. dazu: Luja, British Tax Review 2015, 379 (387); de Broe, EC Tax Review 2015, 290 (291); Rossi-Maccanico, EC Tax Review 2015, 63 (64). 1207 Rossi-Maccanico, EC Tax Review 2015, 63 (65). 1208 Mit ähnlicher Argumentation zum selben Ergebnis kommend: Luja, EC Tax Review 2015, 312 (323) und Luja, British Tax Review 2015, 379 (387). 1209 Lyal, Fordham International Law Journal 2015, 1017 (1043).

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sowie einer massiven Kompetenzverschiebung zugunsten der Europäischen Kommission tragen zu müssen. Es soll demnach jedenfalls dann keine Beihilfe angenommen werden, wenn sich die Staaten an allgemein anerkannte Besteuerungsprinzipien halten. In der Folge würde der von diesen Prinzipien abweichende Staat zur Rückforderung verpflichtet.1210 Tatsächlich liegt bei näherer Betrachtung der Verdacht nahe, dass letztlich der sich der internationalen Abstimmung entziehende und von allgemein anerkannten Grundsätzen abweichende Staat der vorteilsgewährende ist. Obwohl der Auffassung zugutegehalten werden muss, dass sie versucht das Problem rechtsdogmatisch zu lösen, erscheint ihre praktische Umsetzbarkeit doch fraglich: Zunächst stellt sich die Frage, wem die Definitionshoheit über die allgemein anerkannten internationalen Steuerprinzipien obliegt und wer feststellt, welche im Einzelnen für die Beurteilung einer Beihilfe herangezogen werden sollten. Eine verbindliche Festlegung wer von besagten allgemeinen Prinzipien abgewichen ist, ist dabei insbesondere in strittigen Konstellationen unumgänglich. Es bedürfte nicht nur einer allgemein anerkannten Definition der Prinzipien, sondern auch eines neutralen Schiedsrichters für Streitfälle. Ohne verbindlichen Schiedsspruch im Einzelfall drohen eine doppelte Rückforderung und damit die Doppelbesteuerung. Die Europäische Kommission besitzt dabei sämtliche beihilferechtlichen Kompetenzen. Das genügt jedoch nicht. Ihr steht zwar eine beihilferechtliche Beurteilung zu, das Recht, europaweit verbindliche Besteuerungsprinzipien zu definieren und durchzusetzen, hat sie jedoch nicht. Es bleibt damit fraglich, wie dieser Auffassung tatsächlich zur Durchsetzung verholfen werden kann. Effektiv wäre dies wohl nur durch eine umfassende Änderung der europäischen Verträge mit einer massiven Ausweitung der Kompetenzen der Kommission denkbar. Vor dem Hintergrund der Bedeutung der direkten Steuern für die Mitgliedstaaten1211 ist dies derzeit wohl als äußerst unwahrscheinlich zu beurteilen. (3) Beihilfe durch Unterlassen Wohl auch, weil die fehlende Steuerrechtsintegration selbst nicht durch das Beihilferecht aufgelöst werden kann, wird in der Literatur zum Teil gefordert, dass zumindest ein Mitgliedstaat, der bemerkt, dass sein Steuerrecht in missbräuchlicher Weise zur Steuervermeidung eingesetzt wird, dieses aufgrund des Europäischen Beihilferechts umgehend aufheben muss.1212 Damit werden die Mitgliedstaaten dazu verpflichtet, bestehende Schlupflöcher und Steuervermeidungsmöglichkeiten zu schließen. Aus dem Beihilferecht wird eine Garantenpflicht abgeleitet. Dabei würden die nationalen Steuersysteme durch fehlende Harmonisierung aber nicht automatisch zur Beihilfe, sondern erst, wenn einem Mitgliedstaat der Missbrauch auch auffällt. Auch dieser Auffassung muss jedoch widersprochen werden. Die 1210

(70). 1211 1212

Für einen solchen Ansatz argumentierend: Rossi-Maccanico, EC Tax Review 2015, 63 Vgl. Kapitel 1, S. 21 ff. Einen solchen Ansatz vorschlagend: Frenz, DStZ 2016, 141 (141 ff.).

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Konstruktion einer Beihilfe durch Unterlassen geht zu weit. Das Ergebnis wäre letztlich dasselbe wie bei der Annahme einer aktiven Beihilfe: Die Europäische Kommission würde mittels des Beihilferechts Besteuerungsrechte zuweisen. Auch damit wäre ein zu weitreichender Eingriff in die nationale Steuersouveränität verbunden. Jeder Mitgliedstaat wäre durch das Beihilferecht dazu gezwungen, sein Steuerrecht an dasjenige anderer Staaten anzupassen. Zusätzlich stellt sich die Frage nach der praktischen Umsetzbarkeit. Eine Beihilfe wäre gerade erst gegeben, wenn der Mitgliedstaat den Missbrauch bemerkt. Bis dahin bestünde zwar ein Schlupfloch, eine Beihilfe läge aber gerade nicht vor. Damit wäre der Umgehung Tür und Tor geöffnet. Mitgliedstaaten wären geneigt, „sehenden Auges wegzuschauen“. Im Ergebnis vermag daher auch diese Ansicht nicht zu überzeugen. cc) Stellungnahme Abschließend kann festgehalten werden, dass durch staatliche Maßnahmen, insbesondere auch Tax Rulings, kein den öffentlichen Haushalt belastender Vorteil gewährt wird, wenn diese nicht vom nationalen Steuerrecht abweichen, sondern sich das steuerpflichtige Unternehmen vielmehr die fehlende Abstimmung der einzelnen Steuerrechtsordnungen insgesamt zu Nutze macht.1213 In der Vergangenheit hat auch die Europäische Kommission die Auffassung vertreten, dass Vorteile, die aus fehlender Harmonisierung resultieren, mangels staatlicher Zurechenbarkeit nicht dem Beihilfeverbot unterfallen. Jeder Wirtschaftsteilnehmer hat das Recht, aus den unterschiedlichen Besteuerungssystemen der Mitgliedstaaten seinen Vorteil zu ziehen.1214 Kernproblem ist die fehlende internationale Steuerabstimmung und die steuerrechtlichen Qualifizierungen der Mitgliedstaaten – sie ermöglichen die Verringerung der Steuerlast. Folgerichtig müsste die fehlende Abstimmung und die steuerrechtlichen Qualifizierungen der Mitgliedstaaten durch das Beihilferecht angegangen werden; denn das Problem der fehlenden Harmonisierung und der Gewinnverlagerungen beschränkt sich nicht nur auf Verrechnungspreise, sondern betrifft das Gebiet der direkten Steuern in Gänze, insbesondere auch hybride Gestaltungen und Finanzinstrumente.1215 In letzter Konsequenz würde dies bedeuten, dass sich sämtliche (nicht harmonisierte) nationale Steuersysteme dem Vorwurf der 1213 Die durch die Tax Rulings entstehende Planungs- und Rechtssicherheit muss auch hier außer Betracht gelassen werden. 1214 Entscheidung der Kommission v. 08. 07. 2009 über die „Groepsrentebox“-Regelung, die die Niederlande durchzuführen beabsichtigen (C 4/07 (ex N 465/06)), Az. K(2009) 4511, ABl. EU 2009 Nr. L 288/26, Rn. 114 bis 117. 1215 Rossi-Maccanico, EC Tax Review 2015, 63 (69); Blumenberg, Aktuelle Entwicklungen des EU-Beihilferechts im Bereich der deutschen Unternehmensbesteuerung, S. 63. Darauf deutet auch der Eröffnungsbeschluss gegen GDF Suez (heute Engie) hin. Dabei ging es um die (innerhalb einer Transaktion) nicht einheitliche steuerliche Behandlung von umwandelbaren, zinslosen Darlehen als Fremd- bzw. Eigenkapital. Vgl. Commission Decision of 19. 09. 2016 on State Aid State aid SA.44888 (NN/2016) (ex EO/2016) – Luxembourg: Possible State aid in favour of GDF Suez, C(2016) 5612 final.

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Beihilfewidrigkeit ausgesetzt sähen, da diese unionsweit nicht harmonisiert sind und folglich Schlupflöcher aufweisen. Da es nur international tätigen Unternehmen möglich ist, diese zu nutzen, käme auch der Verdacht der selektiven Begünstigung gegenüber rein national agierenden Unternehmen auf.1216 Solche Ungereimtheiten in den nationalen Steuerrechtsordnungen sind ein Kernproblem des internationalen und europäischen Steuerrechts und sollten (zumindest innerhalb der Union) zukünftig dringend gelöst werden. Dies darf aber nicht über eine nicht sachgerechte Anwendung des Wettbewerbsrechts erfolgen, sondern muss durch staatliche Steuerkoordination geschehen. Die aufgezeigten Lösungsvorschläge weisen allesamt sichtbare Schwächen auf und zeigen, dass Vorteile, die sich aus fehlender internationaler Steuerharmonisierung ergeben, letztlich keinem Mitgliedstaat zugerechnet werden können und daher nicht unter das Beihilfeverbot subsumiert werden können. In ihrer aktuellen Beschlusspraxis nimmt die Kommission jedoch gleichwohl eine Zuweisung von Besteuerungsrechten über das Wettbewerbsrecht vor. Damit verbunden sind eine signifikante Ausweitung ihrer Kompetenzen sowie eine massive Ausdehnung des Beihilferechts als Mittel im schädlichen Steuerwettbewerb.1217 Es bleibt abzuwarten, ob ihr Verständnis des Fremdvergleichsgrundsatz als integraler Bestandteil von Art. 107 Abs. 1 AEUV vor den europäischen Gerichten Bestand haben wird. Außerdem bleibt abzuwarten, ob die Kommission auch in anderen Fällen fehlender Steuerharmonisierung – z. B. bei Qualifikationskonflikten und hybriden Gestaltungen – ebenfalls versuchen wird einen eigenen „wettbewerbsrechtlichen“ Maßstab einzuführen. d) Fazit Ein Tax Ruling gewährt dem Antragssteller nur dann einen beihilferelevanten Vorteil, wenn es ein Ergebnis festschreibt, das nicht dem Ergebnis der normalen Anwendung des nationalen Steuerrechts entspricht, mithin davon abweicht.1218 Ein Vorteil im Sinne des Art. 107 Abs. 1 AEUV ist ein wirtschaftlicher Vorteil, den ein Unternehmen ohne ein staatliches Eingreifen, nicht erhalten hätte. Ein Vorteil liegt damit nur vor, wenn die finanzielle Situation eines Unternehmens durch ein staatliches Eingreifen verbessert wird.1219 Um dies festzustellen muss die finanzielle Lage des Unternehmens mit der Lage verglichen werden, in der es sich ohne Ruling-Erteilung befunden hätte. Entscheidend ist die sich aus dieser Analyse ergebende 1216 Eine solche Selektivität andenkend, im Ergebnis wohl aber ablehnend: Rossi-Maccanico, EC Tax Review 2015, 63 (65). 1217 Zum internationalen Steuerwettbewerb und seinem Verhältnis zum Beihilferecht vgl. S. 335 ff. 1218 Bekanntmachung der Kommission zum Begriff der staatlichen Beihilfe im Sinne des Artikels 107 Absatz 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, ABl. 2016 Nr. C 262/1, Rn. 170. 1219 Vgl. Beschluss der Kommission v. 21. 10. 2015 über die staatliche Beihilfe SA.38375 (2014/C ex 2014/NN) Luxemburgs zugunsten von Fiat, Az. C(2015) 7152, ABl. EU 2016 Nr. L 351/1, Rn. 220.

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Differenz. Ein beihilferelevanter Vorteil ist daher nur dann gegeben, wenn es einem Unternehmen – abweichend von den bestehenden Steuernormen – gestattet wurde, seine Gesamtsteuerlast (künstlich) zu schmälern.1220 Dazu kann auch die Reduzierung der Steuerbemessungsgrundlage durch gruppeninterne Transaktionen durch die nicht fremdvergleichskonforme Gestaltung von Verrechnungspreisen führen.1221 Ein wirtschaftlicher Vorteil entsteht für Konzerne dabei sowohl aus der Abweichung vom Fremdvergleichsgrundsatz als auch aus dem Steuergefälle zwischen den beteiligten Staaten. Obwohl die Abweichung vom Fremdvergleichsgrundsatz für die Entstehung eines wirtschaftlichen Vorteils allein nicht hinreichend ist, konzentriert sich die Europäische Kommission auf diesen Aspekt. In die Bestimmung der Vorteilshöhe bezieht sie gleichwohl die Höhe des Steuergefälles mit ein. Mit ihrem Vorgehen verhindert sie folglich nicht die Ausnutzung des internationalen Steuergefälles, sondern vielmehr, dass Unternehmen aufgrund dieses Gefälles Gewinnverlagerungen vornehmen. Sie will sicherstellen, dass die Besteuerung am Ort der tatsächlichen Wertschöpfung erfolgt. Die Europäische Kommission sieht in ihren Beschlüssen sowohl den Gesamtkonzern als auch die einzelne Einheit als Begünstigten.1222 Bei Gewinnverlagerungen kann aber – entgegen der Annahme der Kommission – die einzelne Konzerneinheit nicht ohne Weiteres als Begünstigter angesehen werden. Behält man das steuerrechtliche Trennungsprinzip bei und stellt alleine auf die einzelne Konzerneinheit ab, wird deutlich, dass das Beihilferecht hier weitestgehend wirkungslos ist. Das Auseinanderfallen von Vorteilsgewährung und Haushaltsbelastung verhindert die Einordung als Beihilfe. Es kommt daher nicht zu einem Durchschlagen des Vorteils auf den Gesamtkonzern. Dies kann nur überwunden werden, wenn der Gesamtkonzern als Ganzes als Beihilfeempfänger angesehen wird.1223 Dieser ist unstreitig als Begünstigter einer Gewinnverlagerung anzusehen. Seine fehlende steuerrechtliche Existenz wird dabei vom funktionalen Unternehmensbegriff des Europäischen Wettbewerbsrechts überwunden. Die damit für die Mitgliedstaaten verbundenen Folgen sind weitreichend. Durch die Überwindung des steuerrechtlichen Transparenzprinzips wird die Beihilfekontrolle der Kommission signifikant ausgeweitet. Auch grenzüberschreitende und gesellschaftsübergreifende Vergünstigungen werden dem Beihilferecht unterworfen. Die mitgliedstaatliche Entscheidung, die Ver1220 Bspw. durch eine Verkleinerung der Bemessungsgrundlage durch eine nicht sachgerechte Verrechnungspreisgestaltung. 1221 EuGH, Urteil v. 22. 06. 2006, Rs. C-182/03 und C-217/03, ECLI:EU:C:2006:416, Rn. 96 und 97 – Belgische Koordinationszentren. 1222 Vgl. Beschluss (EU) 2016/1699 der Kommission v. 11. 01. 2016 über die Beihilferegelung Belgiens SA.37667 (2015/C) (ex 2015/NN), Az. C(2015) 9837, ABl. EU Nr. L 260/61, Rn. 183 bis 186; Beschluss (EU) 2017/502 der Kommission v. 21. 10. 2015 über die staatliche Beihilfe der Niederlande SA.38374 (2014/C) (ex 2014/NN) zugunsten von Starbucks, Az. C(2015) 7143, ABl. EU 2017 Nr. L 83/38, Rn. 417 ff. Beschluss (EU) 2016/2326 der Kommission v. 21. 10. 2015 über die staatliche Beihilfe SA.38375 (2014/C ex 2014/NN) Luxemburgs zugunsten von Fiat, Az. C(2015) 7152, ABl. EU 2016 Nr. L 351/1, 341 ff. 1223 Vgl. Kapitel 4, S. 241 ff.

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Kap. 4: Tax Rulings als Anwendungsgegenstand des Beihilfeverbotes

mögenssphären für das Steuerrecht zu trennen wird durch das primäre Unionsrecht überlagert. Die derzeitige Beschlusslinie der Europäischen Kommission betrifft die Mitgliedstaaten und ihre bestehenden Steuerrechtssysteme aber nicht nur an dieser Stelle unmittelbar. Insbesondere ist auch die Methodenwahl zur Bestimmung von Verrechnungspreisen durch das Kommissionsverständnis des Fremdvergleichsgrundsatzes betroffen. Obwohl die Kommission wohl auch die geschäftsvorfallbezogene Nettomargenmethode grundsätzlich zulässt, scheint sie ein gewisses Misstrauen zu hegen, ob hier wirtschaftliche Realitäten auch sachgerecht abgebildet werden.1224 Der Verwendung der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode wohnt damit ein höheres Beihilferisiko inne. In der Konsequenz wird durch die Anwendung des beihilferechtlichen Fremdvergleichsgrundsatzes flächendeckend die Aufteilung der Steuerbefugnisse zwischen den Mitgliedstaaten überprüft. Das kann dazu führen, dass einzelnen Mitgliedstaaten eine größere Menge an Steuersubtrat eines Konzerns zugewiesen wird, als dies nach nationalem Recht gewollt ist. Die Kompetenz der Nationalstaaten ihre Steuersysteme frei auszugestalten und ihr Recht auf eine Besteuerung zu verzichten bzw. diese einzuschränken sowie das Recht Gewinnverlagerungen zuzulassen wird deutlich eingeschränkt.

IV. Selektivität des Vorteils Eine weitere besondere Herausforderung liegt auch bei Tax Rulings in der Bestimmung der Selektivität. Entscheidend ist nicht nur der Nachweis der Vorteilhaftigkeit, sondern der Begünstigung bestimmter Unternehmen. Durch ein Tax Ruling müssen bestimmte Wirtschaftsteilnehmer gegenüber ihren Konkurrenten bessergestellt werden. Selektivität ist insbesondere denkbar, wenn die handelnde Verwaltung über einen unzulässig weiten Ermessensspielraum verfügt, eine Verwaltungsentscheidung nicht von allen Unternehmen in vergleichbarer Sach- und Rechtslage in Anspruch genommen werden kann oder wenn das Tax Ruling zu einer Abweichung vom geltenden Steuerrecht führt.1225 Entscheidend ist dabei die korrekte Bestimmung des Referenzrahmens und der Vergleichsgruppe. Dabei muss überprüft werden, ob eine Ausnahme von der Referenzregelung vorliegt, sodass es zu einer Ungleichbehandlung von Unternehmen kommt, die sich rechtlich und tatsächlich in einer vergleichbaren Situation befinden. Abschließend stellt sich die Frage, ob eine gegebenenfalls vorliegende Ungleichbehandlung durch das Wesen und die allgemeine Struktur des Steuersystems gerechtfertigt werden kann. 1224

S. 294.

Hummelbrunner/Prickartz, in: Jaeger/Haslinger (Hrsg.), Beihilferecht Jahrbuch 2017,

1225 Bekanntmachung der Kommission zum Begriff der staatlichen Beihilfe im Sinne des Artikels 107 Absatz 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, ABl. EU 2016 Nr. C 262/1, Rn. 174.

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1. Begrenzung des Adressatenkreises Im juristischen Schrifttum werden Tax Rulings bereits dann als beihilferechtlich problematisch angesehen, wenn es nur bestimmten Unternehmen oder Produktionszweigen offen steht, ein solches zu beantragen.1226 Dies gilt unabhängig von der Frage, ob der Adressatenkreis durch die Norm selbst oder durch ein der Behörde zustehendes Entschließungsermessen verengt wird. In der Begrenzung des Adressatenkreises an sich wird eine selektive Ungleichbehandlung gesehen.1227 Auch die Europäische Kommission nimmt an, dass Tax Rulings schon dann selektiv sind, wenn sie von anderen Unternehmen, die sich in einer ähnlichen Sach- und Rechtslage befinden, nicht in Anspruch genommen werden können.1228 Aus den Ausführungen der Kommission selbst ergibt sich aber bereits eine Einschränkung: Entscheidend ist auch hier die tatsächliche Vergleichbarkeit. Ist diese nicht gegeben, liegt folgerichtig kein selektiver Vorteil vor. Steht die Möglichkeit, ein solches Tax Ruling zu beantragen, allen Wettbewerbern, die sich in einer vergleichbaren Situation befinden, gleichermaßen offen, liegt hingegen keine Beihilfe vor. Diese Möglichkeit darf aber nicht nur hypothetisch existieren. Den Unternehmen muss die Beantragung effektiv auch möglich sein. Die allgemein anwendbaren Vorschriften dürfen nicht durch konkrete Ausgestaltung oder Umstände in ihrer praktischen Wirkung beschränkt werden. Der Kommission ist dahingehend zuzustimmen, dass die Chance, von der Finanzverwaltung bereits im Vorhinein eine rechtlich bindende und abschließende Bewertung eines Sachverhalts zu erhalten, zweifellos einen (betriebs-)wirtschaftlichen Vorteil darstellt. Unternehmen können dadurch genau kalkulieren, wie hoch ihre zu entrichtende Steuerlast ist und sind davor gefeilt, (unnötigerweise) zu hohe Rückstellungen zu bilden oder später von hohen Steuernachzahlungen überrascht zu werden. Allein die Planungssicherheit ist für Unternehmen ein Vorteil.1229 Darüber hinaus kann das frei werdende Kapital reinvestiert oder angelegt und damit in einen monetären Vorteil umgewandelt werden. Auch die Tatsache, dass das Prozessrisiko – und damit auch die möglichen Prozesskosten – in Steuerfragen dadurch erheblich gesenkt wird, begründet für ein Unternehmen einen Vorteil. Diese verbindliche Planungssicherheit kann z. B. dazu führen, dass bei einem Unternehmensverkauf ein höherer Verkaufspreis erzielt werden kann. Selbst wenn es zu keinem unmittelbaren fiskalischen Vorteil durch den Steuervorbescheid kommt, so ist doch allein die durch

1226 Bekanntmachung der Kommission zum Begriff der staatlichen Beihilfe im Sinne des Artikels 107 Absatz 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, ABl. 2016 Nr. C 262/1, Rn. 174. Vgl. auch: Blumenberg, in: Lüdicke/Schnitger/Spengel (Hrsg.), Besteuerung Internationaler Unternehmen, S. 25; Lang, IStR 2015, 369 (371). 1227 Bär, Verständigungen über Verrechnungspreise verbundener Unternehmen im deutschen Steuerrecht, S. 183. 1228 Bekanntmachung der Kommission zum Begriff der staatlichen Beihilfe im Sinne des Artikels 107 Absatz 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, ABl. 2016 Nr. C 262/1, Rn. 174. 1229 Vgl. Kapitel 4, S. 219 ff.

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den Steuervorbescheid erhaltene Planungssicherheit ein im unternehmerischen Alltag nicht zu unterschätzender Vorteil.1230 Trotz der immensen Bedeutung, die ein Tax Ruling für die Planungssicherheit und damit für die Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens hat, kann der Annahme, es sei bereits aufgrund einer Begrenzung des Adressatenkreises eine Beihilfe, im Ergebnis nicht zugestimmt werden. Zwar besäße eine solche Begrenzung zweifelsohne selektive Wirkung; Selektivität alleine begründet aber noch keine Beihilfe. Vielmehr muss überhaupt ein wirtschaftlicher Vorteil vorliegen, dieser auch auf Kosten des Staates erfolgen und eine Gefahr für den Handel bzw. den Wettbewerb innerhalb der Union darstellen. Zwar sind häufig alle anderen Tatbestandsvoraussetzungen unproblematisch gegeben, das ist aber keineswegs immer der Fall. Auch hier müssen insbesondere die Fragen der Vorteilhaftigkeit und der Selektivität getrennt werden. Die Begrenzung des Adressatenkreises mag dabei zwar durchaus zur Selektivität der Maßnahme führen, trifft jedoch über deren beihilferelevante Vorteilhaftigkeit keine Aussage. Diese muss davon getrennt untersucht und bewertet werden. Wie gezeigt, kann dabei gewonnene Planungssicherheit für Unternehmen zwar einen strategischen Vorteil im Wettbewerb bedeuten und hat für diese möglicherweise sogar einen monetären Wert, dieser erfolgt jedoch nicht auf Kosten der öffentlichen Haushalte.1231 Durch die gewonnene Steuersicherheit kommt es nicht zu Mindereinnahmen der Staatskasse. Jede staatliche Maßnahme muss, um beihilferechtlich problematisch zu sein, sämtliche Voraussetzungen von Art. 107 Abs. 1 AEUV erfüllen. Die Belastung eines öffentlichen Haushalts und die Gewährung eines Vorteils sind für die Annahme einer Beihilfe essenziell. Zu einem solchen Vorteil kommt es alleine durch die im Tax Ruling niedergelegte Vereinbarung bzw. durch die dort vertretende Auffassung der Finanzbehörde, nicht aber durch den begrenzten Adressatenkreis. Ein Tax Ruling mit begrenztem Adressatenkreis ist daher beihilferechtlich nur dann relevant, wenn es auch zu einer Minderung der Steuerlast beim Unternehmen und damit einhergehend zu einem Steuerausfall der öffentlichen Hand kommt. Es lässt sich daher festhalten, dass, obwohl Planungssicherheit einen unternehmerischen Vorteil mit sich bringt und die Möglichkeit einen solchen Bescheid zu beantragen und zu erhalten nur selektiv gewährt wird, dies nicht von Art. 107 Abs. 1 AEUV erfasst sein kann.1232 Es handelt sich nicht um eine Steuervergünstigung. Eine solche Einordnung ist auch nicht erforderlich um z. B. bestehende Lücken im Rechtsschutz zu schließen. Einer willkürlichen Verwaltungspraxis der Antragsberechtigung bzw. einer gegebenenfalls bestehenden Norm dieser Art wird bereits hinreichend durch innerstaatliches Recht (z. B. Art. 3 Abs. 1 GG) begegnet.1233 1230

Lang, IStR 2015, 369 (371). Vgl. Kapitel 4, S. 218 ff. 1232 A. A. Blumenberg, in: Lüdicke/Schnitger/Spengel (Hrsg.), Besteuerung Internationaler Unternehmen, S. 25. 1233 Für die Bedeutung und den Inhalt des allgemeinen Gleichheitssatzes im Steuerrecht sowie zum Gebot der Rechtsanwendungsgleichheit vgl. ausführlich: Hey, in: Tipke/Lang (Hrsg.), Steuerrecht, § 3 Rn. 111 ff. 1231

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2. Behördenermessen Die Kommission geht davon aus, dass der Verdacht der Beihilfewidrigkeit eines Tax Rulings auch durch einen der zuständigen Finanzbehörde zustehenden Ermessensspielraum erregt werden kann.1234 Selbst allgemeine Maßnahmen können daher beihilfewidrig sein, sofern dem handelnden Hoheitsträger bei der Anwendung ein Ermessen zukommt.1235 Dabei ist es zunächst essenziell, sich das unterschiedliche Verständnis von Europäischer Kommission und deutscher Rechtspraxis hinsichtlich des Ermessensbegriffs vor Augen zu führen. Nach deutschem Verständnis bedeutet Ermessen, dass es der Verwaltung gestattet wird, beim Vorliegen eines Tatbestandes aus mehreren zulässigen Rechtsfolgen die zweckmäßigste auszuwählen.1236 Das Ermessen ist dabei vom Tatbestand getrennt und auf die Rechtsfolgenseite begrenzt.1237 Der von der Europäischen Kommission benutzte Ermessensbegriff geht hingegen deutlich über das deutsche Begriffsverständnis hinaus. Die Ausführungen der Kommission zeigen, dass sie darunter nicht nur eine Entscheidungsfreiheit der Verwaltung auf Rechtsfolgenseite, sondern auch auf Tatbestandsebene fasst. In ihrer Bekanntmachung zum Begriff der staatlichen Beihilfe listet sie explizit auch die Auslegung und Konkretisierung von Kriterien bzw. Tatbestandsvoraussetzungen als Ermessen auf.1238 Nach deutschem Rechtsverständnis handelt es sich dabei hingegen um einen Beurteilungsspielraum der Verwaltung. Entscheidend ist für die Kommission demnach nicht die national dogmatische Einordung von Ermessen oder dessen Begrenzung auf Rechtsfolgen, sondern die Tatsache, dass der Verwaltung bei der Anwendung nationalen Rechts überhaupt eine Entscheidungsfreiheit zukommt. Ob dies auf Tatbestands- oder Rechtsfolgenseite erfolgt, ist hingegen irrelevant. Der Argwohn der Kommission gegenüber behördlichen Entscheidungsspielräumen rührt daher, dass mit weiteren Entscheidungsspielräumen die Gefahr ansteigt, dass Sonderinteressen in höherem Maße berücksichtigt werden. Gleichzeitig sinkt durch Ermessensspielräume die Transparenz der behördlichen Entscheidungsfindung gegenüber Normen ohne Entscheidungsspielraum.1239 Die mit der steigenden Intransparenz und der möglichen Berücksichtigung von Sonderinteressen drohenden Wettbewerbsverzerrungen sind zwar berechtigte Gründe für die beihilferechtliche 1234 Bekanntmachung der Kommission zum Begriff der staatlichen Beihilfe im Sinne des Artikels 107 Absatz 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, ABl. 2016 Nr. C 262/1, Rn. 123. 1235 Vgl. EuGH, Urteil v. 29. 06. 1999, Rs. C-256/97, ECLI:EU:C:1999:332, Rn. 27 – DM Transport. 1236 BFH, Urteil v. 26. 07. 1972 – I R 158/71 –, BFHE 106, 489 (491), BStBl. II 1972, 919 (920). 1237 Koenig, in: Koenig (Hrsg.), AO, § 5 Rn. 4. 1238 Bekanntmachung der Kommission zum Begriff der staatlichen Beihilfe im Sinne des Artikels 107 Absatz 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, ABl. 2016 Nr. C 262/1, Rn. 124. Vgl auch: Grotherr, EWS 2015, 67 (74). 1239 Schmidt/Wohlgemuth, in: Blanke/Scherzberg/Wegner (Hrsg.), Dimensionen des Wettbewerbs, S. 72.

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Kontrolle von Ermessenspielräumen durch die Europäische Kommission, allerdings führt nicht jede Art von Ermessensspielraum automatisch zu einer selektiven Ungleichbehandlung. Der Europäische Gerichtshof hat diesbezüglich entschieden, dass eine selektive Ungleichbehandlung bei Ermessensentscheidungen dann nicht gegeben ist, wenn „die zuständigen Behörden bei ihrer Entscheidung über einen Antrag auf Genehmigung nur über ein Ermessen verfügen, das durch objektive Kriterien, die dem mit der betreffenden Regelung geschaffenen Steuersystem nicht fremd sind, begrenzt ist“.1240 Verfügen die Behörden dagegen über ein freies Ermessen, welches es ihnen erlaubt, die Begünstigung und die dazugehörigen Bedingungen auf dem Steuerrecht fremde Erwägungen zu stützen, wie z. B. den Erhalt von Arbeitsplätzen, ist eine selektive Begünstigung anzunehmen.1241 Entscheidend ist daher nicht das Bestehen von Ermessensspielräumen, sondern ihre fehlende (objektive) Begrenzung. Erforderlich ist aber nicht nur, dass die Kriterien objektiv bestimmt bzw. bestimmbar sind; der Gerichtshof fordert darüber hinaus, dass es sich um sachgerechte Kriterien handelt. Für Ermessensentscheidungen im Zusammenhang mit Steuern bedeutet dies, dass es sich um steuersystemimmanente Gründe handelt. Bei steuersystemfremden Kriterien wie der Erhaltung von Arbeitsplätzen geht er davon aus, dass durch die Ermessensausübung bestimmte Unternehmen begünstigt werden.1242 Auf Verrechnungspreisvereinbarungen angewandt bedeutet das, dass diese nicht schon deshalb als selektiv angesehen werden können, weil die Verwaltung bei den Verhandlungen einen entsprechenden Ermessensspielraum hat. Hat die Verwaltung ihr Ermessen nach objektiven, systemimmanenten Kriterien ausgeübt, ist keine materielle Selektivität gegeben.1243 Durch objektive Kriterien ist in ausreichendem Maße für Transparenz gesorgt. Gleichzeitig wird die Berücksichtigung von Sonderinteressen erschwert. Durch die Begrenzung auf steuerimmanente Zielsetzungen wird darüber hinaus verhindert, dass durch die willkürliche Festlegung sachfremder Kriterien die Berücksichtigung etwaiger Sonderinteressen doch möglich ist.1244 3. Abweichung vom Referenzsystem In den von der Kommission untersuchten Fällen wurde die Beihilfewidrigkeit nicht deshalb angenommen, weil es nur bestimmten Unternehmen offenstand, einen verbindlichen Steuervorbescheid zu beantragen oder weil die nationalen Steuervorschriften den Behörden einen Beurteilungs- oder Ermessensspielraum einge1240 Vgl. EuGH, Urteil v. 18. 07. 2013, Rs. C-6/12, ECLI:EU:C:2013:525, Rn. 26 – P OY; EuGH, Urteil v. 29. 09. 1996, Rs. C-241/94, ECLI:EU:C:1996:353, Rn. 23 und 24 – Frankreich/Kommission. 1241 EuGH, Urteil v. 18. 07. 2013, Rs. C-6/12, ECLI:EU:C:2013:525, Rn. 27 – P OY. 1242 EuGH, Urteil v. 15. 11. 2011, Rs. C-106/09 P und C-107/09 P, ECLI:EU:C:2011:732, Rn. 75 – Gibraltar. 1243 Bartosch, BB 2015, 34 (37). 1244 Vgl. Schmidt/Wohlgemuth, in: Blanke/Scherzberg/Wegner (Hrsg.), Dimensionen des Wettbewerbs, S. 72.

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räumt haben. Die Kommission nimmt eine Beihilfe auch nicht deswegen an, weil die Steuerbehörden vor Umsetzung eines Sachverhalts Auskunft über dessen steuerliche Behandlung gaben.1245 Sie nahm einen selektiven Vorteil vielmehr aufgrund der Abweichung vom allgemeinen Steuersystem an. a) Referenzsystem und Ausnahme Die ersten Schritte bei der Bestimmung der Selektivität sind die Bestimmung des richtigen Referenzsystems und der Abweichung davon.1246 Wie auch für die Kontrolle sonstiger steuerlicher Beihilfen kommt auch bei Tax Rulings der Definition des Referenzrahmens eine besondere Bedeutung zu.1247 aa) OECD-Verrechnungspreisleitlinien Zu Beginn ihrer Untersuchungen hatte die Kommission die Gewährung selektiver Vorteile nicht zuletzt auch aufgrund möglicher Abweichungen von den OECDVerrechnungspreisleitlinien und dem dort verankerten Fremdvergleichsgrundsatz angenommen.1248 Diese Heranziehung des Fremdvergleichsgrundsatzes als maßgebliches Referenzsystem ist bei den Mitgliedstaaten1249 sowie in der juristischen Literatur berechtigterweise auf heftige Kritik gestoßen.1250 Obwohl das Bemühen der Kommission, begünstigende Gestaltungen unter Zuhilfenahme anerkannter Grundsätze zu bekämpfen durchaus verständlich und aus finanzpolitischer Sicht begrüßenswert ist, so würden doch ihre Kompetenzen über jedes vernünftige Maß hinaus ausgedehnt, würde es ihr gestattet, aus jeder Abweichung von einem von ihr für angemessen gehaltenen abstrakten Prinzip Selektivität abzuleiten.1251 Die OECDLeitlinien können schon ihrer Rechtsnatur nach nicht unmittelbar den Referenz1245

Werder/Dannecker, BB 2015, 1687 (1693). Vgl. Kapitel 3, S. 132 ff. 1247 de Broe, EC Tax Review 2015, 290 (290 ff.). 1248 State aid SA.38373 (2014/C) (ex 2014/NN) (ex 2014/CP) – Ireland, Alleged aid to Apple, C(2014) 3606 final, Rn. 56; Beschluss der Kommission v. 21. 10. 2015 über die staatliche Beihilfe der Niederlande SA.38374 (2014/C) (ex 2014/NN) zugunsten von Starbucks, Az. C(2015) 7143, ABl. EU 2017 Nr. L 83/38, Rn. 76 ff.; State aid SA. 38375 (2014/NN) (ex 2014/CP) – Luxembourg, Alleged aid to FFT, C(2014) 3627 final, Rn. 62; State aid SA.38944 – Luxembourg, Alleged aid to Amazon by way of a tax ruling, C(2014) 7156 final, Rn. 55. 1249 Beschluss der Kommission v. 21. 10. 2015 über die staatliche Beihilfe SA.38375 (2014/ C ex 2014/NN) Luxemburgs zugunsten von Fiat, Az. C(2015) 7152, ABl. EU 2016 Nr. L 351/1, Rn. 148. 1250 Zur Kritik vgl.: Hummelbrunner/Prickartz, in: Jaeger/Haslinger (Hrsg.) Beihilferecht Jahrbuch 2017, S. 297 ff.; Schnittger, IStR 2017, 421 (427); Moreno González, EStAL 2016, 556 (560); Luja, Britisch Tax Review 2015, 379 (385); de Broe, EC Tax Review 2015, 290 (292); Blumenberg, in: Lüdicke/Schnitger/Spengel (Hrsg.), Besteuerung Internationaler Unternehmen, S. 27; Gormsen, Journal of European Competition Law & Practice 2016, 369 (380); Linn, IStR 2015, 114 (119). 1251 Werder/Dannecker, BB 2015, 1687 (1693). 1246

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rahmen vorgeben: Sie stellen nur Empfehlungen an die nationalen Gesetzgeber und Steuerverwaltungen dar und entfalten folglich für die Staaten keine Bindungswirkung.1252 Sie sind keine verbindlichen Rechtssätze, sondern vielmehr Verhaltensstandards für Staaten und Konzerne.1253 Auch sind sie eine supranationale Regelung, die nicht als Referenzrahmen herangezogen werden kann, da dieser immer zwingend eine innerstaatliche, also nationale Regelung sein muss. Maximaler Referenzrahmen ist nach gefestigter Rechtsprechung das gesamte Hoheitsgebiet des betroffenen Mitgliedstaates. Zu keiner Zeit soll ein Vergleich zu anderen Mitgliedstaaten oder supranationalen Institutionen stattfinden.1254 Andernfalls würde mit Hilfe des Beihilfeverbots eine europaweite Harmonisierung der Verrechnungspreisvorschriften erzwungen, da ansonsten jedes nationale Steuersystem, dessen Verrechnungspreisvorschriften nicht auf dem Fremdvergleichsgrundsatz beruhen, unter den Verdacht der Beihilfewidrigkeit geraten. Diese faktische Umsetzungspflicht würde zu einer Harmonisierung durch die Hintertüre führen und ist mit der Kompetenzverteilung innerhalb der Union unvereinbar.1255 Die nationalen Steuersysteme sind Ausdruck der nationalen Souveränität und müssen respektiert werden. Die Kommission hat dies wohl auch selbst erkannt und daher in ihren finalen Entscheidungen auf eine unmittelbare Heranziehung der OECD-Richtlinie als Referenzrahmen ausdrücklich verzichtet.1256 Gleichzeitig hat sie betont, dass der von ihr benutzte Fremdvergleichsgrundsatz nicht derjenige ist, der sich aus Art. 9 OECD-MA bzw. den OECDVerrechnungspreisleitlinien ergibt. Die Verrechnungspreisleitlinien scheiden daher als Referenzrahmen aus. bb) Nationales Steuerrecht Der taugliche Referenzrahmen kann daher alleine im nationalen Steuerrecht gefunden werden. In diesem sind wiederum zwei Referenzrahmen denkbar: Die Vorschriften über die Bildung von Verrechnungspreisen oder die allgemeinen Vorschriften über die Bestimmung der Körperschaftsteuer.1257

1252

Bartosch, BB 2015, 34 (36). Ausführlich zur Stellung der OECD-Verrechnungspreisleitlinien innerhalb der Rechtsordnung: Zatloukal, in: Schuch/Zehetner (Hrsg.) Verrechnungspreisgestaltung im internationalen Steuerrecht, S. 96 ff. 1254 Vgl. zu dieser Rechtsprechung: EuGH, Urteil v. 11. 11. 2004, Rs. C-73/03, ECLI:EU:C: 2004:711, Rn. 28 – Spanien/Kommission; EuG, Urteil v. 07. 11. 2014, Rs. T-219/10, ECLI:EU: T:2014:939, Rn. 71 – Autogrill Espana/Kommission; EuGH, Urteil v. 02. 07. 1974, Rs. 173/73, ECLI:EU:C:1973:71, Rn. 39 bis 40 – Italien/Kommission. 1255 Linn, IStR 2015, 114 (119). 1256 Vgl. Beschluss der Kommission v. 11. 01. 2016 über die Beihilferegelung Belgiens SA.37667 (2015/C) (ex 2015/NN), Az. C(2015) 9837, ABl. EU Nr. L 260/61, Rn. 150. 1257 Zur Bestimmung des Referenzsystems im nationalen Recht und den damit verbundenen Schwierigkeiten vgl. ausführlich: Kapitel 3, S. 132 ff. 1253

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(1) Auffassung der Europäischen Kommission: Allgemeines nationales Körperschaftsteuerrecht als Referenzrahmen In ihren bisherigen Beschlüssen geht die Kommission offensichtlich von einer sehr weiten Bestimmung des Referenzrahmens aus und wählt dafür das gewöhnliche Körperschaftsteuersystem des jeweiligen Mitgliedstaates.1258 Sie leitet die Selektivität aus einer Abweichung von den allgemeinen mitgliedstaatlichen Steuersystemen ab, die nicht zwischen der Besteuerung verbundener und unabhängiger Unternehmen unterscheiden.1259 Die Körperschaftsteuersysteme legen eine einheitliche Besteuerung der Gewinne von Unternehmen fest.1260 Danach ist die grundsätzliche Normalbesteuerung die Besteuerung der Gewinne nach Abzug der Werbungskosten und Betriebsausgaben. Normalbesteuerung bedeutet daher letztlich Besteuerung nach dem objektiven Nettoprinzip. Dabei werden sowohl Einkünfte als auch Ausgaben durch den Markt bestimmt. Bei integrierten Konzerngesellschaften werden Einkünfte und Ausgaben zum Teil durch Verrechnungspreise ersetzt. Sie stellen das entsprechende Surrogat dar.1261 Da es dabei keinen Markt im Sinne widerstreitender Interessen gibt, benutzt die Kommission den Fremdvergleichsgrundsatz um eine Vergleichbarkeit herzustellen. Dieser Unterschied bei der Ermittlung der Bemessungsgrundlagen hat aber keine Auswirkungen auf das dem System zugrundeliegende Prinzip sämtliche Unternehmen gleich zu besteuern.1262 Die Kommission knüpft dabei nicht an die nationalen Verrechnungspreisregelungen an, sondern benutzt ihren wettbewerbsrechtlichen Fremdvergleichsgrundsatz.1263 Erlaubt das nationale Recht die Bildung von Verrechnungspreisen, die nicht fremdvergleichskonform sind, so wird die Profitabilität der Gesellschaft verzerrt und ihre Besteuerung erfolgt nicht mehr aufgrund ihrer tatsächlichen Gewinne, sondern auf Grundlage einer verzerrten Bilanz.1264 Wirtschaftliche Realität und Besteuerung stimmen nicht mehr überein. Durch eine nicht fremdvergleichskonforme Verrechnungs1258 Commission Decision of 30. 08. 2016 on State Aid SA.38373 (2014/C) (ex 2014/NN) (ex 2014/CP) implemented by Ireland to Apple, C(2016) 5605 final, Rn. 227 ff.; Beschluss (EU) 2017/502 der Kommission v. 21. 10. 2015 über die staatliche Beihilfe der Niederlande SA.38374 (2014/C) (ex 2014/NN) zugunsten von Starbucks, Az. C(2015) 7143, ABl. EU 2017 Nr. L 83/38, Rn. 232. Vgl. auch: Bartosch, BB 2015, 34 (35). 1259 Vgl. beispielhaft: Beschluss (EU) 2016/2326 der Kommission v. 21. 10. 2015 über die staatliche Beihilfe SA.38375 (2014/C ex 2014/NN) Luxemburgs zugunsten von Fiat, Az. C(2015) 7152, ABl. EU 2016 Nr. L 351/1, Rn. 193 ff. Trotzdem überprüft sie hilfsweise auch die Selektivität im Hinblick auf den von den Mitgliedstaaten vorgesehenen Referenzrahmen. Siehe dazu Beschluss (EU) 2016/2326 der Kommission v. 21. 10. 2015 über die staatliche Beihilfe SA.38375 (2014/C ex 2014/NN) Luxemburgs zugunsten von Fiat, Az. C(2015) 7152, ABl. EU 2016 Nr. L 351/1, Rn. 315 ff. 1260 Heinrich/Bauer, in: Jaeger/Haslinger (Hrsg.), Beihilferecht Jahrbuch 2017, S. 309. 1261 Vgl. Kapitel 4, S. 187 ff. 1262 Heinrich/Bauer, in: Jaeger/Haslinger (Hrsg.), Beihilferecht Jahrbuch 2017, S. 309. 1263 Siehe zu diesem wettbewerbsrechtlichen Fremdvergleichsgrundsatz grundlegend: Todhe, EStAL 2019, 249 – 263. 1264 Lyal, Fordham International Law Journal 2015, 1017 (1040 ff.).

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preisgestaltung kann es so zu einer von dem allgemeinen Prinzip abweichenden Besteuerung kommen. Die Besteuerung fällt geringer aus als bei einer Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes. Da diese Abweichung vom Fremdvergleichsgrundsatz und damit auch vom objektiven Nettoprinzip nur Konzernen möglich ist, sieht die Europäische Kommission darin die Selektivität.1265 Die Kommission verlässt in ihrer Beschlusspraxis an dieser Stelle den traditionellen Ausnahmeansatz und wechselt zu einem Vergleichsansatz. Sie vergleicht die Steuerbelastung unter Zugrundlegung des objektiven Nettoprinzips und des wettbewerbsrechtlichen Fremdvergleichsgrundsatzes mit der bei Anwendung des nationalen Rechts.1266 (2) Kritische Würdigung Soll ein spezifisches Tax Ruling auf seine Selektivität überprüft werden, muss der Kommission widersprochen werden. Da Tax Rulings per se keine selektive Maßnahme darstellen, können sie zunächst einen selektiven Vorteil gewähren, wenn sie im konkreten Einzelfall beihilfewidrig durch die Finanzbehörden eingesetzt werden. Bei der beihilferechtlichen Überprüfung geht es daher primär um die Überprüfung von Einzelbeihilfen. Solche können auch gegeben sein, wenn die Rechtsnormen, auf denen sie basieren, aus beihilferechtlicher Sicht unbedenklich sind und erst die darauf beruhende Anwendung durch die Finanzbehörde die Beihilferelevanz erzeugt.1267 Es ist dann die praktische Anwendung dieses Instruments durch die Finanzbehörden die zur Ungleichbehandlung führt. Entscheidend ist der selektiv begünstigende Inhalt des Tax Rulings. Also, ob dem Steuerpflichtigen eine individuelle, außerhalb des gesetzlichen Regelfalls liegende, abweichende Steuervergünstigung gewährt wurde. Damit ein Tax Ruling als selektiver Vorteil angesehen werden kann, ist es folglich entscheidend, dass durch dessen Anwendung die Steuerlast des Steuerpflichtigen geringer ist als ohne. Nur dann ist das Tax Ruling an sich vorteilhaft. Andernfalls besteht aber gleichwohl noch die Möglichkeit, dass das zugrundliegende Recht, das durch das Ruling umgesetzt wird, selbst eine Beihilfe ist. Dessen Bewertung erfolgt jedoch unabhängig vom Einzelfall.1268 (a) Die nationalen Verrechnungspreisvorschriften als maßgeblicher Referenzrahmen Ausgangspunkt für die Bestimmung des Referenzsystems mögen zwar die allgemeinen Regelungen des nationalen Steuerrechts sein, werden diese jedoch um Vorschriften ergänzt und modifiziert, bspw. durch die Vorschriften über die Gestaltung von Verrechnungspreisen, verändert sich insoweit auch der Referenzrah-

1265 1266 1267 1268

Heinrich/Bauer, in: Jaeger/Haslinger (Hrsg.), Beihilferecht Jahrbuch 2017, S. 311. Haslehner/Schwarz, in: Jaeger/Haslinger (Hrsg.), Beihilferecht Jahrbuch 2017, S. 335. Grotherr, EWS 2015, 67 (72). Gunn/Luts, EC Tax Review 2015, 119 (120).

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men.1269 Wie gezeigt, bilden Verrechnungspreise das Surrogat für marktbasierte Einnahmen und Ausgaben. Ohne sie kann der Gewinn einer Konzerneinheit nicht bestimmt und damit auch nicht mit einem anderen Unternehmen verglichen werden. Es erscheint aber zweifelhaft auf die allgemeinen Grundsätze abzustellen, wenn diese gerade der Modifikation bedürfen um eine Vergleichbarkeit herzustellen. Die Kommission nutzt an dieser Stelle aber stattdessen den wettbewerbsrechtlichen Fremdvergleichsgrundsatz als Surrogat und stellt so eine Vergleichbarkeit her. Im Ergebnis wird damit aber das europäische Beihilferecht selbst Teil des Referenzrahmens.1270 Maximaler Referenzrahmen kann nach gefestigter Rechtsprechung aber nur das mitgliedstaatliche Recht sein. Die Bestimmung des Referenzrahmens durch die Kommission ist daher dogmatisch fragwürdig. Maßgeblicher Referenzrahmen können nur die nationalen Verrechnungspreisvorschriften sein.1271 Diese kleinräumige Bestimmung des Referenzrahmens deckt sich auch mit der Rechtsprechung in jüngerer Zeit. So hat das Gericht im Fall der deutschen Sanierungsklausel zwar die allgemeine Möglichkeit des Verlustvortrags grundsätzlich als eine allgemeine Regel angesehen, da diese aber in der konkreten Konstellation gerade beschränkt bzw. ausgeschlossen war, wurde auch der Referenzrahmen entsprechend angepasst.1272 Tauglicher Referenzrahmen war damit im Ergebnis nicht der allgemeine Grundsatz (die Abzugsfähigkeit von Verlusten), sondern die konkrete Ausgestaltung im Einzelfall und damit das Abzugsverbot. Auch die Europäische Kommission hat in der Vergangenheit und insbesondere auch im Fall der deutschen Sanierungsklausel ein eher kleinräumiges Verständnis des Referenzrahmens vertreten, sodass ihr diesbezüglicher Richtungswechsel durchaus überrascht.1273 Zwar betont sie wiederholt, nicht an frühere Entscheidungs- und Beschlusspraxen gebunden zu sein, sondern jeden Einzelfall neu zu überprüfen; allerdings drängt sich damit zugleich der Verdacht auf, dass die Kommission sich an dieser Stelle stärker von (politischen) Zweckerwägungen leiten lässt als von juristischer Methodik.1274 1269 In diesem Sinne auch: Nicolaides, EStAL 2016, 416 (425). Auch die Niederlande haben die Vorschriften über die Bildung von Verrechnungspreisen als Teil des Referenzsystems angesehen. Siehe: Beschluss der Kommission v. 21. 10. 2015 über die staatliche Beihilfe der Niederlande SA.38374 (2014/C) (ex 2014/NN) zugunsten von Starbucks, Az. C(2015) 7143, ABl. EU 2017 Nr. L 83/38, Rn. 183. 1270 Und die Kommission damit i. E. -„Prüfstelle“ bzgl. der Angemessenheit von Verrechnungspreisen. Vgl. Schnittger, IStR 2017, 421 (429). 1271 So auch: Nicolaides, EStAL 2016, 416 (425); Gormsen, Journal of European Competition Law&Practie, 2016, 369 (377); der Kommission zustimmend: Iliopoulos, EStAL 2017, 263 (267). Keine Entscheidung treffend: Bartosch, BB 2015, 34 (36). 1272 Urteil des Gerichts v. 04. 02. 2016, Rs. T-287/11, ECLI:EU:T:2016:60, Rn. 125 bis 138 – Heitkamp BauHolding/Kommission. 1273 Beschluss der Kommission v. 26. 01. 2011 über die staatliche Beihilfe Deutschlands C 7/10 (ex CP 250/09 und NN 5/10) „KStG, Sanierungsklausel“, Az. K(2011) 275, ABl. EU 2011 Nr. L 235/26, Rn. 66 und 67. 1274 Es sprechen Indizien dafür, dass die Europäische Kommission das Bezugssystem in Zukunft weiter fasst. So stellt die Kommission in ihrer Bekanntmachung zum Begriff der staatlichen Beihilfe vom 19. 07. 2016, ABl EU 2016, C 262/30, auf „das KSt-System“ ab und

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(b) Implikationen für die Kommissionspraxis Die nationalen Verrechnungspreisvorschriften als tauglichen Referenzrahmen anzusehen, hätte für das Kommissionsvorgehen zwar Konsequenzen, würde die Verfahren jedoch nicht grundsätzlich in Zweifel ziehen. Ist der Fremdvergleichsgrundsatz in den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen verankert, wie etwa in Luxemburg und den Niederlanden, erfolgt die Bestimmung des Referenzrahmens alleine durch nationale Regelungen, ohne expliziten Rückgriff auf einen aus Art. 107 Abs.1 AEUV folgenden eigenständigen Fremdvergleichsgrundsatz.1275 Die OECDVerrechnungspreisleitlinie entfaltet dabei mittelbare Wirkung. Die vorhandenen nationalen Verrechnungspreisvorschriften müssen daher als tauglicher Referenzrahmen angesehen werden.1276 Dabei ist aber auch vollkommen klar: Wo ein Referenzrahmen nicht definiert werden kann, ist auch keine Abweichung möglich.1277 Existieren hingegen keine Verrechnungspreisvorschriften – wie im Falle Irlands vor dem Jahr 2011 – wird der Referenzrahmen daher auch nicht modifiziert. Wie gezeigt, darf eine solche Modifikation auch nicht durch supranationale Vorschriften und Richtlinien erfolgen. Maximaler Bezugsrahmen der Selektivitätsprüfung ist immer das nationale Recht. Wählt die Europäische Kommission nun zwar einen nationalen Aufhänger – das allgemeine Körperschaftsteuerrecht – modifiziert es jedoch mit unionsrechtlichen Aspekten, überschreitet sie ihre Grenzen. Die Kommission benutzt den Fremdvergleichsgrundsatz zur Bestimmung der Bemessungsgrundlage. Damit bestimmt sie den Referenzrahmen einer Steuervergünstigung aber nicht an nationalem, sondern europäischem Recht. Sie verletzt damit die bisherige Dogmatik der Beihilfeprüfung unzulässigerweise. bestimmte auch in den kürzlich ergangenen Entscheidungen (vgl. Beschluss (EU) 2016/1846 der Kommission v. 04. 07. 2016 über die von Ungarn durchgeführte Maßnahme SA.40018 (2015/C) (ex 2015/NN) 2014 beschlossene Änderung der ungarischen Gebühr für die Inspektion der Lebensmittelkette, Az. C(2016) 4056, ABl EU 2016 Nr. L 282/47 sowie Beschluss (EU) 2016/1848 der Kommission v. 04. 07. 2016, über die von Ungarn durchgeführte Maßnahme SA.40018 (2015/C) (ex 2015/NN) 2014 beschlossene Änderung der ungarischen Gebühr für die Inspektion der Lebensmittelkette, Az. C(2016) 4056; ABl EU 2016 Nr. L 282/47) das jeweilige Abgabensystem in seiner Gesamtheit als Bezugssystem. 1275 Wohl auch deshalb hat die Europäische Kommission bei der Bildung des Referenzrahmens auch auf die nationalen Verrechnungspreisvorschriften hingewiesen: Beschluss (EU) 2016/1699 der Kommission v. 11. 01. 2016 über die Beihilferegelung Belgiens SA.37667 (2015/C) (ex 2015/NN), Az. C(2015) 9837, ABl. EU Nr. L 260/61, Rn. 121 ff. Beschluss (EU) 2017/502 der Kommission v. 21. 10. 2015 über die staatliche Beihilfe der Niederlande SA.38374 (2014/C) (ex 2014/NN) zugunsten von Starbucks, Az. C(2015) 7143, ABl. EU 2017 Nr. L 83/38, Rn. 232 ff. Beschluss (EU) 2016/2326 der Kommission v. 21. 10. 2015 über die staatliche Beihilfe SA.38375 (2014/C ex 2014/NN) Luxemburgs zugunsten von Fiat, Az. C(2015) 7152, ABl. EU 2016 Nr. L 351/1, Rn. 194 ff. Commission Decision of 30. 08. 2016 on State Aid SA.38373 (2014/C) (ex 2014/NN) (ex 2014/CP) implemented by Ireland to Apple, C(2016) 5605 final, Rn. 227 ff. 1276 Zu diesem Ergebnis kommend: Cachia, EC Tax Review 2017, 23 (32 ff.), Nicolaides, EStAL 2016, 416 (425); Gormsen, Journal of European Competition Law & Practice 2016, 369 (377). A. A. Lyal, Fordham International Law Journal 2015, 1017 (1040 ff.). 1277 Vgl. dazu: Cachia, EC Tax Review 2017, 23 (32 und 34).

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Damit verbunden ist auch keineswegs eine Schwächung des Beihilfeverbotes. Ergeht ein Tax Ruling in Einklang mit den nationalen Verrechnungspreisvorschriften, führen diese aber dazu, dass Konzerne gegenüber unabhängigen Unternehmen steuerlich privilegiert werden, müssen die Vorschriften auf ihre Beihilfewidrigkeit überprüft werden. Dies gilt aber unabhängig vom einzelnen Tax Ruling. Umgekehrt gilt: Gibt es im nationalen Recht keinerlei Anknüpfungspunkte für die Gestaltung nationaler Verrechnungspreise, steht es der Finanzbehörde also vollkommen frei, die von Unternehmen vorgenommenen Gestaltungen zu akzeptieren oder nicht, kann dies ebenfalls zur Selektivität führen. Wie bereits dargestellt, sind behördliche Ermessensentscheidungen, die nicht durch objektive Kriterien begrenzt werden, dem Vorwurf der Selektivität ausgesetzt. Liefert das nationale Recht folglich keinerlei Regelungen zur Bestimmung und Akzeptanz nationaler Verrechnungspreisvorschriften, sondern stellt dies alleine ins Ermessen der handelnden Verwaltungsträger ist die Maßnahme als ebenfalls selektiv anzusehen. Die Einführung eines unionalen Fremdvergleichsgrundsatzes zur Kontrolle einzelner Tax Rulings ist folglich nicht nur dogmatisch fragwürdig, sondern auch schlicht überflüssig. (c) Zusammenfassung Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Übertragung der kleinräumig-induktiven Bestimmungsmethode auf die Verständigung über Verrechnungspreise möglich und richtig ist. Wird im Rahmen eines Rulings von den allgemeinen Vorschriften abgewichen, ist daher in den die allgemeinen Steuervorschriften ergänzenden, allgemeingültigen Verrechnungspreisvorschriften der Referenzrahmen zu sehen.1278 Nur wenn von diesen im Rahmen eines Tax Rulings abgewichen wird, besitzt es beihilferechtliche Relevanz. Andernfalls müssen die Verrechnungspreisvorschriften oder Ermessensspielräume selbst auf ihre Beihilfekonformität überprüft werden. Diese Bewertung erfolgt jedoch unabhängig vom einzelnen Tax Ruling.1279 b) Vergleichsgruppenbildung Nach der Bestimmung des Referenzrahmens muss nun im zweiten Schritt die Vergleichsgruppe definiert werden. Eine Beihilfe liegt vor, wenn durch die Maßnahme vom Referenzrahmen abgewichen wurde und eine solche Abweichung nicht jedem Unternehmen, das sich in einer rechtlich und tatsächlich vergleichbaren Situation befindet, gewährt wurde. Entscheidendes Augenmerk muss dabei auf die korrekte Vergleichsgruppenbildung gelegt werden: Maßgeblich ist nicht, dass durch eine staatliche Maßnahme Abweichungen vom nationalen Steuerrecht erfolgen, sondern, dass damit Unterscheidungen zwischen Wirtschaftsteilnehmern eingeführt werden, die sich in einer vergleichbaren Position befinden. 1278 Den Referenzrahmen ebenfalls in den Verrechnungspreisvorschriften sehend: de Broe, EC Tax Review 2015, 290 (291). 1279 Gunn/Luts, EC Tax Review 2015, 119 (120).

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aa) Selbstständige Unternehmen oder Konzerne als Vergleichsgruppe (1) Auffassung der Europäischen Kommission Die Kommission hat in ihren bisherigen Beschlüssen der Vergleichsgruppenbildung selbst fast keinen Raum eingeräumt. Sie hat sich im Wesentlichen auf die Feststellung beschränkt, dass vom Referenzsystem bzw. dem Fremdvergleichsgrundsatz abgewichen wurde und dass diese Abweichung auch selektiv war.1280 Interessanterweise impliziert die Kommission bei ihren Untersuchungen, dass es sich um einen selektiven Vorteil zugunsten international tätiger Unternehmen bzw. zugunsten von Konzerneinheiten gegenüber unabhängigen Dritten im Allgemeinen und gegenüber rein national tätigen Unternehmen im Besonderen handelt.1281 Die Kommission benennt rein nationale Unternehmen nicht immer explizit als Vergleichsgruppe,1282 verweist in ihren Pressemitteilungen jedoch darauf, dass die Regelung einen Vorteil „gegenüber anderen Unternehmen (in der Regel KMU) verschafft, die auf der Grundlage ihrer tatsächlichen Gewinne besteuert werden, weil sie für die von ihnen verwendeten Waren und Dienstleistungen Marktpreise zahlen“.1283 Auch hat sie bspw. Belgien aufgefordert nachzuweisen, dass die Steuerregelung für Gewinnüberschüsse auch kleinen und mittleren Unternehmen (sog. KMU) offensteht. Die Tatsache, dass sie explizit einen Nachweis der Anwendung auf solche Unternehmen fordert, zeigt, dass sie eine Vergleichsgruppe definiert, in der auch KMU enthalten sind.1284 Sie verzichtet dabei zwar auf eine KMU-Definition, es kann aber davon ausgegangen werden, dass die Kommission den Begriff hier im Sinne ihrer Empfehlung vom 6. Mai 2003 definiert. Danach sind KMU solche Unternehmen, die weniger als 250 Personen beschäftigen und die entweder einen Jahresumsatz von höchstens 50 Mio. Euro erzielen oder deren Jahresbilanzsumme 1280 Beschluss der Kommission v. 11. 01. 2016 über die Beihilferegelung Belgiens SA.37667 (2015/C) (ex 2015/NN), Az. C(2015) 9837, ABl. EU Nr. L 260/61, Rn. 121 ff. Beschluss der Kommission v. 21. 10. 2015 über die staatliche Beihilfe der Niederlande SA.38374 (2014/C) (ex 2014/NN) zugunsten von Starbucks, Az. C(2015) 7143, ABl. EU 2017 Nr. L 83/ 38, Rn. 232 ff. Beschluss der Kommission v. 21. 10. 2015 über die staatliche Beihilfe SA.38375 (2014/C ex 2014/NN) Luxemburgs zugunsten von Fiat, Az. C(2015) 7152, ABl. EU 2016 Nr. L 351/1, Rn. 194 ff.; Commission Decision of 30. 08. 2016 on State Aid SA.38373 (2014/C) (ex 2014/NN) (ex 2014/CP) implemented by Ireland to Apple, C(2016) 5605 final, Rn. 227 ff. 1281 Vgl. auch: Blumenberg, in: Lüdicke/Schnitger/Spengel (Hrsg.), Besteuerung Internationaler Unternehmen, S. 27. 1282 Jedoch hat sie auch in ihren endgültigen Beschlüssen multinationale Konzerne explizit als begünstigte Gruppe benannt. Vgl. Beschluss der Kommission v. 11. 01. 2016 über die Beihilferegelung Belgiens SA.37667 (2015/C) (ex 2015/NN), Az. C(2015) 9837, ABl. EU Nr. L 260/61, Rn. 72 und 183 ff. 1283 Vgl. Pressemitteilung der Europäischen Kommission v. 21. 10. 2015 – IP/15/5880. Im Falle Irlands hat sie sich jedoch auf einen schlichten Verweis auf „andere Unternehmen“ beschränkt. Siehe Pressemitteilung der Europäischen Kommission v. 30. 08. 2016 – IP/16/2923. 1284 Auch in ihren endgültigen Beschlüssen hat die Kommission multinationale Konzerne explizit als begünstigte Gruppe benannt. Vgl. Beschluss der Kommission v. 11. 01. 2016 über die Beihilferegelung Belgiens SA.37667 (2015/C) (ex 2015/NN), Az. C(2015) 9837, ABl. EU Nr. L 260/61, Rn. 66.

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sich auf höchstens 43 Mio. Euro beläuft. Zwar verweist sie gewöhnlich ausdrücklich auf diese KMU-Definition, dies bedeutet jedoch nicht, dass, wenn sie dies unterlässt, sie einen anderen, abweichenden KMU-Begriff verwendet. Die Kommission empfiehlt den Mitgliedstaaten grundsätzlich für all ihre Programme, die kleine und mittlere Unternehmen betreffen, den von ihr definierten Begriff zu verwenden. Es ist daher kaum anzunehmen, dass die Kommission zwar von den Mitgliedstaaten erwartet, ihre Begriffsdefinition zu verwenden, dann aber selbst eine andere benutzt, ohne dies in irgendeiner Form zu erläutern. Mit ihrer Wahl vertritt die Europäische Kommission konsequent die Auffassung, dass im Rahmen der Beihilfekontrolle zwischen unabhängigen Gesellschaften, Konzerneinheiten und dem Gesamtkonzern selbst keine Differenzierung erfolgen soll. (2) Fehlende Vergleichbarkeit von Konzernen und unabhängigen Unternehmen Im Folgenden soll analysiert werden, ob die Auffassung der Kommission richtig ist oder ob nicht doch Gründe gegeben sind, die eine Vergleichbarkeit aufheben. Dabei gibt zwar der Fremdvergleichsgrundsatz eine Vergleichbarkeit vor, dieser ist jedoch für die beihilferechtliche Beurteilung an dieser Stelle unverbindlich. Weder entfalten die OECD-Richtlinien eine Bindungswirkung, noch die durch die Mitgliedstaaten getroffene Bewertung. Auch die Entscheidung eines Mitgliedstaates, verbundene und nicht verbundene Gesellschaften als vergleichbar bzw. nicht vergleichbar anzusehen, ist für die beihilferechtliche Analyse nicht bindend. (a) Fehlende Vergleichbarkeit aufgrund der Eigenschaft als Konzern Im juristischen Schrifttum wird eine Reihe von Argumenten vorgebracht, weshalb nicht unabhängige oder rein national agierende Unternehmen, sondern allein multinational agierende Unternehmen die richtige Vergleichsgruppe bilden können.1285 In der Tat erscheint die Vergleichbarkeit von eigenständigen Unternehmen und Konzernen bzw. einzelnen Konzerneinheiten fraglich. Das gilt meiner Ansicht nach nicht zuletzt deshalb, weil unabhängige Gesellschaften immer bestrebt sind Gewinn zu erwirtschaften, um eine Insolvenz und ein Ausscheiden am Markt zu verhindern. Eine Annahme, die sich für einzelne Konzerneinheiten in dieser Pauschalität so nicht halten lässt. Diese müssen selbst gerade keinen Gewinn erwirtschaften. Es reicht aus, dass sie für den Konzern nützlich sind, dieser aus diesem Nutzen Profit zieht und insgesamt einen Gewinn erwirtschaftet und damit ein Ausscheiden vom Markt für sich und seine einzelnen Einheiten verhindert. Ihre Daseinsberechtigungen und ihre Zielsetzungen unterscheiden sich daher deutlich. Auch die Europäische Kommission hat in der Vergangenheit keine pauschale Vergleichbarkeit abhängiger und unab-

1285 Zur fehlenden Vergleichbarkeit verbundener und unabhängiger Unternehmen vgl. beispielhaft: Nicolaides, EStAL 2016, 416 (422).

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hängiger Unternehmen angenommen.1286 Insbesondere hat sie hat dabei für Finanzierungsleistungen festgestellt, dass sich verbundene und nicht verbundene Unternehmen insoweit nicht in einer vergleichbaren Situation befinden. Bei selbstständigen Unternehmen strebt jeder Beteiligte nach dem maximalen Profit zulasten des anderen. Bei verbundenen Unternehmen geht es im Gegensatz dazu um die Maximierung des Konzerngewinns. Daher haben auch die Niederlande im gegen sie gerichteten Verfahren explizit darauf hingewiesen, dass verbundene und nicht verbundene Unternehmen nicht immer in einer vergleichbaren rechtlichen und tatsächlichen Situation sind.1287 An dieser Stelle muss aber angemerkt werden, dass sich die Kritik im Schrifttum in weiten Teilen auf den Fremdvergleichsgrundsatz als solchen bezieht. Es wird dessen Sinnhaftigkeit in Frage gestellt und die Frage aufgeworfen, ob Transaktionen innerhalb eines Konzerns mit solchen auf dem freien Markt überhaupt bzw. generell vergleichbar sind.1288 So berechtigt diese Kritik auch sein mag, wird bisher doch ein wesentlicher Aspekt nicht ausreichend gewürdigt: Beide Gruppen müssen im Hinblick auf das mit der Regelung verfolgte Ziel vergleichbar sein.1289 Die Vergleichsgruppenbildung darf nicht abstrakt bestimmt werden oder auf eine Diskussion über die Sinnhaftigkeit des Fremdvergleichsgrundsatzes verkürzt werden. Ausgangspunkt für die Vergleichbarkeitsprüfung ist das Regelungsziel. Das Ziel der Maßnahme ist dabei auf Ebene des Referenzsystems zu bestimmten.1290 Unternehmen, die nicht demselben Referenzrahmen unterliegen, müssen bei der Vergleichsgruppenbildung außer Betracht gelassen werden. Unterliegen also unabhängige Unternehmen bestimmten Vorschriften nicht, die verbundene Konzerneinheiten hingegen beachten müssen, z. B. die Vorschriften über die Bildung von Verrechnungspreisen, so scheiden diese als Vergleichsgruppe aus. Nach hier vertretener Ansicht sind tauglicher Referenzrahmen die nationalen Vorschriften über die Bildung von Verrechnungspreisen, nicht lediglich allgemeine Steuerprinzipien. Das Vorgehen der Kommission, auch unabhängige Unternehmen als Vergleichsgruppe anzusehen, muss daher kritisiert werden. Diese unterliegen nicht dem tauglichen Referenzrahmen. Insofern können Abweichungen zwischen verbundenen und un1286 Entscheidung der Kommission v. 08. 07. 2009 über die „Groepsrentebox“-Regelung, die die Niederlande durchzuführen beabsichtigen (C 4/07 (ex N 465/06)), Az. K(2009) 4511, ABl. EU 2009 Nr. L 288/26. 1287 Beschluss der Kommission v. 21. 10. 2015 über die staatliche Beihilfe der Niederlande SA.38374 (2014/C) (ex 2014/NN) zugunsten von Starbucks, Az. C(2015) 7143, ABl. EU 2017 Nr. L 83/38, Rn. 185 unter Verweis auf Entscheidung der Kommission v. 08. 07. 2009 über die „Groepsrentebox“-Regelung, die die Niederlande durchzuführen beabsichtigen (C 4/07 (ex N 465/06)), Az. K(2009) 4511, ABl. EU 2009 Nr. L 288/26. 1288 Zur Kritik am Fremdvergleichsgrundsatz siehe Kapitel 4, S. 198 ff. 1289 Siehe zu dieser Rechtsprechung beispielhaft: Urteil des Gerichts v. 04. 02. 2016, Rs. T287/11, ECLI:EU:T:2016:60, Rn. 125 bis 138 – Heitkamp BauHolding/Kommission. 1290 Beschluss der Kommission v. 26. 01. 2011 über die staatliche Beihilfe Deutschlands C 7/ 10 (ex CP 250/09 und NN 5/10) „KStG, Sanierungsklausel“, Az. K(2011) 275), ABl. EU 2011 Nr. L 235/26. Vgl. auch: Grotherr, EWS 2015, 67 (71).

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abhängigen Unternehmen keine Selektivität begründen. Erhält ein Konzern folglich ein ihn begünstigendes Tax Ruling bzw. Advanced Pricing Agreement kann dessen selektive Wirkung nicht damit begründet werden, dass dies dem Konzern einen Vorteil gegenüber unabhängigen Unternehmen gibt. Diese bilden nicht die richtige Vergleichsgruppe.1291 (b) Fehlende Vergleichbarkeit durch drohende Doppelbesteuerung Richtigerweise kommen als Vergleichsgruppe nur solche Wirtschaftsteilnehmer in Betracht, bei denen sämtliche Umstände gleichgehalten sind, mit Ausnahme desjenigen, der als Vorteil und damit als Quelle der Wettbewerbsverzerrung angesehen wird.1292 Also Unternehmen, die denselben Rahmenbedingungen unterliegen, sich aber in der Möglichkeit vom Fremdvergleichsgrundsatz abzuweichen und damit Gewinne zu verlagern unterscheiden. Als solche bleiben nur rein inländisch aktive Unternehmensverbände übrig.1293 Dabei ist aber zu prüfen, ob rein inländisch aktive Unternehmensverbände und grenzüberschreitend tätige Unternehmensgruppen auch in tatsächlicher Hinsicht vergleichbar sind, oder ob nicht die grenzüberschreitende Tätigkeit der Vergleichbarkeit entgegensteht. Wie bereits dargelegt, ist die Besonderheit grenzüberschreitender Tätigkeiten, dass es – im Rahmen der Verwendung von Verrechnungspreisen – nur hier zu einer Doppelbesteuerung kommen kann.1294 Bei rein inländischen Transaktionen zwischen verbundenen Unternehmen stellen die Finanzbehörden einen Gleichlauf der Einnahmen- und Ausgabenseite sicher. Da diese korrespondieren, ist eine Doppelbesteuerung durch eine Versagung als Betriebsausgabe bei gleichzeitiger Verbuchung als Einnahme ausgeschlossen. Da weder nationale Konzerne noch eigenständige Unternehmen von dem Problem der Doppelbesteuerung betroffen sind,1295 ist daher zu prüfen, ob die Doppelbesteuerung die Vergleichbarkeit grenzüberschreitend tätiger und nicht grenzüberschreitend tätiger Konzerne hinsichtlich vom Fremdvergleichsgrundsatz abweichender Verrechnungspreise und diesbezüglicher Verrechnungspreisanpassungen aufhebt.

1291

Zum selben Ergebnis kommend: Nicolaides, EStAL 2016, 416 (425). Vgl. zur Vergleichsgruppenbildung: Haslehner/Schwarz, in: Jaeger/Haslinger (Hrsg.), Beihilferecht Jahrbuch 2017, S. 338. 1293 Diese wurden auch von der Europäischen Kommission als eine mögliche Vergleichsgruppe identifiziert: Beschluss der Kommission v. 11. 01. 2016 über die Beihilferegelung Belgiens SA.37667 (2015/C) (ex 2015/NN), Az. C(2015) 9837, ABl. EU Nr. L 260/61, Rn. 170. 1294 Blumenberg, in: Lüdicke/Schnitger/Spengel (Hrsg.), Besteuerung Internationaler Unternehmen, S. 28. 1295 Vgl. auch das Vorbingen Belgiens: Beschluss der Kommission v. 11. 01. 2016 über die Beihilferegelung Belgiens SA.37667 (2015/C) (ex 2015/NN), Az. C(2015) 9837, ABl. EU Nr. L 260/61, Rn. 79. 1292

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Kap. 4: Tax Rulings als Anwendungsgegenstand des Beihilfeverbotes

(aa) Tatsächliche Doppelbesteuerung Es stellt sich zunächst die Frage, ob in Abweichungen von den nationalen Verrechnungspreisvorschriften eine Beihilfe zugunsten multinationaler Konzerne gesehen werden muss, sofern diese nur von multinationalen Konzernen vorgenommen werden dürfen oder ob solche Anpassungen, die eine Doppelbesteuerung beheben, vom Vorwurf der Selektivität ausgeschlossen sind. Dabei darf es keinen Unterschied machen, ob eine Abweichung vom Fremdvergleichsgrundsatz im Vorhinein vereinbart wird oder im Nachhinein eine Anpassung vorgenommen wird. Entscheidend muss alleine die materielle Rechtslage sein. Es darf nicht auf den Zeitpunkt der Vereinbarung, sondern allein auf die tatsächliche Doppelbesteuerung ankommen. Die Europäische Kommission hat in ihren bisherigen Verfahren die Gefahr der Doppelbesteuerung als für die Vergleichsgruppenbildung unerheblich eingestuft. Daher hat sie auch die Argumentation Belgiens zurückgewiesen, dass eine Vergleichbarkeit mit rein inländischen Unternehmen wegen der fehlenden Gefahr der Doppelbesteuerung nicht gegeben sei.1296 Die Beurteilung der Kommission in diesem Fall überzeugt zwar im Ergebnis, das bedeutet jedoch nicht, dass der Kommission darin zuzustimmen ist, dass die Doppelbesteuerung für die Vergleichsgruppenbildung tatsächlich unerheblich ist. Die Argumentation der Europäischen Kommission bezieht sich gerade nicht auf Verrechnungspreiskorrekturen aufgrund tatsächlich vorliegender Doppelbesteuerung. Sie betrifft vielmehr die pauschale Freistellung der Konzernmehrgewinne von der inländischen Besteuerung – unabhängig von einer tatsächlich vorliegenden Doppelbesteuerung. Die Europäische Kommission gesteht dabei sogar zu, dass die Notwendigkeit, eine tatsächliche Doppelbesteuerung zu verhindern geltend gemacht werden kann, um eine Abweichung vom Referenzsystem zu rechtfertigen.1297 Sie scheint in der Doppelbesteuerung folglich keinen Grund für die fehlende Vergleichbarkeit nationaler und internationaler Konzerne, sondern einen Rechtfertigungsgrund für die Ungleichbehandlung zu sehen. Obwohl das Ergebnis letztlich dasselbe ist, erscheint es richtig bereits die tatsächliche Vergleichbarkeit als nicht gegeben anzusehen. Die allgemeinen Regelungen zur Gestaltung von Verrechnungspreisen dienen zwar nicht (ausschließlich) der Vermeidung von Doppelbesteuerung, sondern grundsätzlich der Gewinnabgrenzung verbundener Unternehmen und betreffen daher nationale und multinationale Konzerne gleichermaßen. Als richtige Vergleichsgruppe erscheinen daher auf den ersten Blick sämtliche verbundene Unternehmen gegenüber grenzüberschreitend tätigen vorzugswürdig. Das stimmt auch insoweit, als dass es die Notwendigkeit der Gewinnabgrenzung und das Vorhandensein von Verrechnungspreisen betrifft. Beide müssen daher gleichermaßen den allgemeinen Verrechnungspreisvorschriften unterworfen sein. Nur in grenzüberschreitenden Sachverhalten kann jedoch eine Ab1296

Vgl. Pressemitteilung der Kommission v. 11. 01. 2016 – IP/16/42. Beschluss der Kommission v. 11. 01. 2016 über die Beihilferegelung Belgiens SA.37667 (2015/C) (ex 2015/NN), Az. C(2015) 9837, ABl. EU Nr. L 260/61, Rn. 172. Sie verweist dabei auf die einschlägige Rechtsprechung des Gerichtshofs: Rs. C-78/08 und C-80/ 08, ECLI:EU:C:2011:550, Rn. 69 – Paint Graphos. 1297

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weichung aufgrund der Doppelbesteuerung erforderlich sein – eine solche Abweichung ist bei rein nationalen Fällen gerade nicht notwendig. Die Internationalität der Geschäftsaktivitäten und damit auch die Kollision mehrerer Steuersysteme stellen besondere Anforderungen an Unternehmen und Steuersysteme, die die Vergleichbarkeit aufheben. Für sämtliche gesetzgeberischen Maßnahmen, die auf die Beseitigung tatsächlich gegebener Doppelbesteuerung ausgerichtet sind und damit nur grenzüberschreitende Sachverhalte betreffen, kann die richtige Vergleichsgruppe daher ausschließlich aus international agierenden Unternehmensgruppen und Konzernen bestehen. Hier soll eine Doppelbesteuerung vermieden und grenzüberschreitende Konzerne, rein national agierenden Unternehmen gleichgestellt werden. Taugliche Vergleichsgruppe können hier keine Unternehmen sein, bei denen eine Doppelbesteuerung ausgeschlossen ist. Rein national agierende Konzerne scheiden insoweit aus. Dies überzeugt auch insgesamt. Eine solche Anpassung soll eine Schlechterstellung grenzüberschreitender Transaktionen gegenüber inländischen beseitigen. Eine selektive Vorteilsgewährung ist damit nicht verbunden. Für Abweichungen von den allgemeinen Verrechnungspreisvorschriften zur Vermeidung von Doppelbesteuerung sind daher ausschließlich multinationale Konzerne als Vergleichsgruppe anzusehen. (bb) Virtuelle Doppelbesteuerung Dabei stellt sich die Frage, ob nur bei aufgrund tatsächlich drohender oder sogar bereits stattgefundener Doppelbesteuerung vorgenommenen (ggf. nachträglichen) Verrechnungspreisanpassungen die Vergleichsgruppe in grenzüberschreitend tätigen Konzernen gesehen werden muss, oder ob dies auch für Verrechnungspreisanpassungen gelten muss, bei denen vom Fremdvergleichsgrundsatz abgewichen wurde, ohne dass eine konkrete Gefahr der Doppelbesteuerung droht. Es stellt sich letztlich die Frage, ob eine Doppelbesteuerung tatsächlich stattfinden bzw. möglich sein muss, oder, ob alleine ihr virtuelles Vorliegen, also die rein abstrakte Möglichkeit, dass mehr als eine Jurisdiktion einen Anspruch geltend machen kann, ausreicht, um eine Vergleichbarkeit aufzuheben. Dies erscheint äußerst zweifelhaft. Maßnahmen zur Verhinderung rein virtueller Doppelbesteuerung stellen – im Gegensatz zu Maßnahmen zur Bekämpfung tatsächlicher Doppelbesteuerung – Einkünfte nicht frei, um das Prinzip der Einmalbesteuerung zu wahren, sondern dienen letztlich der grundsätzlichen Steuerbefreiung bestimmter Einkünfte. In der Konsequenz werden nicht sämtliche Einkünfte besteuert. Ausnahmen davon können aber nicht mit der Vermeidung von Doppelbesteuerung gerechtfertigt werden – diese droht hier gerade nicht. Es findet keine Anknüpfung an die Besonderheit grenzüberschreitender Sachverhalte statt. Anpassungen und Freistellungen finden vielmehr davon losgelöst statt. Es ist daher auch kein Grund ersichtlich, warum gewisse Einkünfte bei multinationalen Konzernen überhaupt nicht, bei nationalen Konzernen aber mit dem inländischen Steuersatz besteuert werden sollten. In der Folge wird die Vergleichbarkeit von multinationalen Konzernen, nationalen Konzernen und eigenständigen Unternehmen nicht aufgehoben.

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Ob und inwieweit solche Verrechnungspreisanpassungen von einzelnen Staaten überhaupt vorgenommen werden, hängt nicht zuletzt von deren dogmatischen Verständnis der Anpassungen ab. Diese werden von manchen Staaten dazu genutzt, sicherzustellen, dass ein angemessener Teil des Konzerngewinns ihrer Steuerhoheit unterliegt. Das kann zur Erhöhung, ggf. aber auch zur Reduktion der Preise führen, wenn diese unangemessen hoch waren. In letzter Konsequenz können Anpassungen also auch zulasten des Staates und zugunsten des Unternehmens vorgenommen werden, wenn eine entsprechende Anpassung nicht auch in den anderen beteiligten Staaten vorgenommen wird. Andere Staaten verstehen unter Regeln über Verrechnungspreisanpassungen ein reines Mittel gegen Steuervermeidung. Demnach würden diese nur in Fällen von Steuervermeidung und damit ausschließlich zulasten des Steuerpflichtigen Anwendung finden. Nach diesem Verständnis können Verrechnungspreisanpassungen per se keinen positiven Effekt für den Steuerpflichtigen haben.1298 Sieht ein Staat Verrechnungspreisanpassungen dogmatisch als Instrument an, um ihm einen angemessenen Anteil am Steuersubstrat zu sichern, kann er jedoch sogar Anpassungen vornehmen, ohne dass eine Doppelbesteuerung vorliegt oder droht. So sieht z. B. Belgien den Zweck von Verrechnungspreisen auch darin den Mehrgewinn fair zwischen den Staaten aufzuteilen. Damit verbunden ist die Frage, ob ein Mitgliedstaat auf eine Besteuerung bestimmter Gewinne verzichten kann, unabhängig davon, ob diese in einem anderen Staat besteuert werden oder nicht. Die Europäische Kommission hingegen akzeptiert eine Freistellung bestimmter Einkünfte, unabhängig von einer Besteuerung durch einen anderen Staat, nicht. Wie bereits gezeigt, hat die Europäische Kommission die Gefahr der Doppelbesteuerung im Falle Belgiens als für die Vergleichsgruppenbildung unerheblich eingestuft.1299 An dieser Stelle sei angemerkt, dass die Kommission im Falle Belgiens zwei starke Indizien für die Selektivität der Maßnahme gesehen hat: Zum einen, die Höhe der in Abzug gebrachten Mehrgewinne: Die belgische Finanzverwaltung verringerte die Bemessungsgrundlage im Schnitt um über 50 %, in Teilen sogar um über 90 %. Zum anderen, den Zeitpunkt der Verständigung: Der Abzug des Mehrgewinns wurde den Konzernen nämlich bereits bis zu vier Jahre im Voraus gewährt, also lange bevor die Gefahr einer Doppelbesteuerung tatsächlich konkret bestand bzw. unabhängig davon, ob eine nach aktueller Rechtslage bestehende Doppelbesteuerung dann immer noch gegeben wäre. Es ist zu keiner Zeit ein Nachweis einer erfolgten oder vorliegenden Doppelbesteuerung für die Freistellung nötig. Im Ergebnis erscheint es daher nahliegend, dass die belgische Finanzverwaltung keine Doppelbesteuerung verhindern, sondern gewissen Konzernen im Vorhinein einen prozentualen Steuerfreibetrag zusichern wollte. Belgien selbst ist der Auffassung, dass selbst wenn die Mehrgewinne jeglicher Besteuerung entgehen sollten, da sie von keinem anderen Hoheitsträger besteuert werden und gleichzeitig in Belgien von der Steuer befreit 1298

Zu den verschiedenen Auffassungen über den Sinn und Zweck von Verrechnungspreisanpassungen vgl.: Luja, British Tax Review 2015, 379 (386). 1299 Beschluss der Kommission v. 11. 01. 2016 über die Beihilferegelung Belgiens SA.37667 (2015/C) (ex 2015/NN), Az. C(2015) 9837, ABl. EU Nr. L 260/61, Rn. 172.

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sind, kein selektiver Vorteil gegeben ist, da es nicht Aufgabe Belgiens sei, sicherzustellen, dass sämtliche Unternehmensgewinne besteuert werden.1300 Die Kommission nimmt hingegen an, dass Freistellungen oder Anpassungen nur dann möglich sein sollten, wenn tatsächlich eine Doppelbesteuerung droht. Unversteuerte Gewinne durch einseitige Verrechnungspreisanpassungen soll es nicht geben.1301 Diese Auffassung ist leicht nachzuvollziehen und führt logischerweise an dieser Stelle zur Verhinderung doppelter Nichtbesteuerung bzw. der Freistellung bestimmter Gewinne. Das Gesagte überzeugt insbesondere vor dem Hintergrund eines Vergleichs mit nationalen Konzernen: Auch bei diesen entstehen durch das Konzerngefüge Synergieeffekte und Mehrgewinne. Bei nationalen Konzernen werden diese Mehrgewinne aber (wie selbstverständlich) im Ansässigkeitsstaat besteuert. Ist aber, einhergehend mit der Argumentation Belgiens, eine Doppelbesteuerung für die Freistellung von Mehrgewinnen gerade nicht erforderlich, bleibt fraglich, weshalb dann inländische Mehrgewinne besteuert werden. Konsequenterweise müssten diese ebenfalls freigestellt werden.1302 Letztlich sollen Mehrgewinne an dem Ort besteuert werden, an dem sie generiert werden. Werden die einzelnen Verrechnungspreise fremdvergleichskonform gebildet und bleibt am Ende ein Überhang, also der Mehrgewinn, übrig, so muss dieser dem Hauptunternehmen zugerechnet werden. Synergien und Skaleneffekte beruhen letztlich auf seinem einzigartigen Beitrag zum Konzern.1303 Im Ergebnis wird den begünstigten Unternehmen ein selektiver Vorteil gegenüber Unternehmen gewährt, die vergleichbare inländische Einkünfte erzielen.1304 Das hier Gesagte muss jedoch unter die Bedingung gestellt werden, dass der Mitgliedstaat in seinem System das Ziel verfolgt inländische Gewinne zu besteuern. Verfolgt ein Mitgliedstaat hingegen im Rahmen seines Konzernsteuerrechts grundsätzlich das Ziel lediglich einen bestimmten Anteil des Konzerngewinns zu besteuern, unabhängig vom Umfang der wirtschaftlichen Tätigkeit im Inland, wäre darin wohl keine Abweichung vom Referenzsystem zu Gunsten multinationaler Konzerne zu sehen. In einem solchen System würden multinationale Konzerne grundsätzlich anders besteuert als nationale Konzerne und unabhängige Unternehmen. Aufgrund der Tatsache, dass die Kommission den Fremdvergleichsgrundsatz als originären Teil der Beihilfekontrolle ansieht und diesen unabhängig von der Niederlegung im nationalen Steuerrecht ansieht, muss an dieser Stelle offenbleiben, 1300

Beschluss der Kommission v. 11. 01. 2016 über die Beihilferegelung Belgiens SA.37667 (2015/C) (ex 2015/NN), Az. C(2015) 9837, ABl. EU Nr. L 260/61, Rn. 82. 1301 Wattel, Intertax 2016, 791 (800). 1302 Vgl. dazu: Beschluss der Kommission v. 11. 01. 2016 über die Beihilferegelung Belgiens SA.37667 (2015/C) (ex 2015/NN), Az. C(2015) 9837, ABl. EU Nr. L 260/61, Rn. 138. 1303 Beschluss der Kommission v. 11. 01. 2016 über die Beihilferegelung Belgiens SA.37667 (2015/C) (ex 2015/NN), Az. C(2015) 9837, ABl. EU Nr. L 260/61, Rn. 156 ff. 1304 Ebenfalls in Verrechnungspreisanpassungen ohne tatsächliche Doppelbesteuerung eine Beihilfe sehend: Haslehner/Schwarz, in: Jaeger/Haslinger (Hrsg.), Beihilferecht Jahrbuch 2017, S. 342.

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ob sie darin nicht trotzdem eine Beihilfe sehen würde. Das gilt auch vor dem Hintergrund des Gibraltar-Urteils1305 nach dem auch ein ganzes Steuersystem eine Beihilfe darstellen kann, sofern dies bestimmte Unternehmen begünstigt. Ein Konzernsteuerrecht, das abweichend von den wirtschaftlichen Realitäten Konzerne nicht aufgrund ihrer tatsächlichen Leistungsfähigkeit, sondern aufgrund rein fiktiver Annahmen besteuern würde, geriete so ebenfalls unter den Verdacht einer Beihilfe. (cc) Zusammenfassung Im Ergebnis kann festgehalten werden, dass der grenzüberschreitende Bezug und die damit einhergehende Möglichkeit der Doppelbesteuerung prägend für die Vergleichsgruppenbildung sind.1306 Die rein potenzielle Gefahr der Doppelbesteuerung kann die Vergleichbarkeit von inländischen und grenzüberschreitenden Konzernen nicht aufheben; tatsächlich erfolgende Doppelbesteuerungen hingegen schon. Die reine Möglichkeit der Doppelbesteuerung rechtfertigt, dass bei Eintritt der Doppelbesteuerung spätere, einseitige Verrechnungspreisanpassungen vorgenommen werden können. Sie rechtfertigt auch, dass nur Unternehmen, denen diese droht, ein Tax Ruling mit entsprechender Zusage erhalten können. Eine mögliche Doppelbesteuerung vermag aber nicht zu rechtfertigen, weshalb bei grenzüberschreitenden Tätigkeiten eine Abweichung vom Fremdvergleichsgrundsatz anlasslos möglich sein sollte. Im Gegenteil: Der Fremdvergleichsgrundsatz soll als internationaler Standard für die Bildung von Verrechnungspreisen eine korrespondierende grenzüberschreitende Besteuerung in den beteiligten Staaten – analog eines rein inländischen Sachverhaltes – gewährleisten. Die Abweichung ohne Not führt nicht zur Verhinderung von Doppelbesteuerung, sondern kann für diese vielmehr sogar ursächlich sein. Ein Staat, der weiß, dass bestimmte Zahlungen in einem anderen nicht oder nur unzureichend erfasst und besteuert werden, kann geneigt sein, im eigenen Land den Abzug zu versagen. Dies gilt auch, wenn die Zahlungen im anderen Staat nun doch – wenn auch ggf. nur gering – besteuert werden. Umgekehrt kann die Abweichung vom Fremdvergleichsgrundsatz aber auch zur Generierung von weißen Einkünften führen. Grenzüberschreitende Transaktionen werden dann durch eine Abweichung vom Fremdvergleichsgrundsatz bessergestellt als rein inländische. Virtuelle Doppelbesteuerung rechtfertigt daher nicht, dass bestimmte Gewinne grundlos von der Besteuerung freigestellt werden.1307 Einseitige negative Abweichungen vom Fremdvergleichsgrundsatz ohne korrespondierende Besteuerung in einem anderen Staat sind daher grundsätzlich als selektiv anzusehen.1308 Im Gegensatz dazu führen Maßnahmen gegen tatsächlich vorliegende Doppelbesteuerung dazu, dass Konzerne wie unabhängige Unternehmen besteuert werden, nämlich nur 1305

EuGH, Urteil v. 15. 11.2011, Rs. C-106/09 P und C-107/09 P, ECLI:EU:C:2011:732 – Gibraltar. 1306 Zum selben Ergebnis kommend: Haslehner/Schwarz, in: Jaeger/Haslinger (Hrsg.), Beihilferecht Jahrbuch 2017, S. 338. 1307 Vgl. auch: Gormsen, Journal of European Competition Law & Practice 2016, 369 (377). 1308 Haslehner/Schwarz, in: Jaeger/Haslinger (Hrsg.), Beihilferecht Jahrbuch 2017, S. 342.

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einmal. Dabei wird stringent an die Besonderheiten grenzüberschreitender Transkationen angeknüpft. Eine staatliche Maßnahme, die dies sicherstellt, birgt für betroffene Unternehmen im Verhältnis zum vorherigen Zustand durchaus eine gewisse Vorteilhaftigkeit, gegenüber unabhängigen Einzelunternehmen findet hingegen keine Privilegierung, sondern eine Gleichstellung statt. Dadurch wird vielmehr eine wettbewerbs- und formneutrale Unternehmensbesteuerung erreicht. Tatsächliche Doppelbesteuerung vermag daher im Ergebnis die Vergleichbarkeit von nationalen und multinationalen Konzernen aufzuheben. Für staatliche Maßnahmen, die die Vermeidung tatsächlicher Doppelbesteuerung zum Gegenstand haben, kann die korrekte Vergleichsgruppe daher ausschließlich aus multinationalen Konzernen bestehen. Das gilt unabhängig davon, ob es sich bei der Maßnahme um eine Einzelmaßnahme (z. B. ein Tax Ruling) oder eine gesetzliche Regelung handelt. bb) Selektivität aufgrund der Natur als Einzelmaßnahme Weiterhin stellt sich die Frage, ob die Natur des Tax Rulings als Einzelmaßnahme dessen Selektivität bedingt.1309 So hat die Europäische Kommission in ihrem Beschluss gegen Luxemburg und Fiat festgestellt, dass im Fall von Einzelbeihilfen (im Gegensatz zu Beihilferegelungen) die Feststellung des wirtschaftlichen Vorteils grundsätzlich eine Annahme der Selektivität rechtfertigt.1310 Sie stützt sich dabei auch auf das Urteil des Gerichtshofs in der Rechtssache C-15/14 P. Hier hatte der Gerichtshof mit Feststellung der Vorteilhaftigkeit die automatische Selektivität der Abweichung vom allgemeinen Gebührenniveau unter Verweis auf den Charakter als Einzelmaßnahme angenommen.1311 Im juristischen Schrifttum wird diese Rechtsprechung bzw. ihre Übertragung auf direkte Steuern jedoch teilweise abgelehnt.1312 Die Kritik wird zum einen auf die Kompetenzen der Mitgliedstaaten im Bereich der direkten Steuern gestützt, zum anderen darauf, dass andernfalls die Beihilfeprüfung für steuerliche Einzelbeihilfen faktisch auf die Feststellung des Vorteils reduziert wird, da die anderen Kriterien in der Regel erfüllt sein werden. Obwohl Kritik am Vorgehen der Europäischen Kommission und des Gerichtshofs durchaus angebracht ist, vermag die vorgebrachte Kritik nicht vollends zu überzeugen. Dass die sonstigen Voraussetzungen gegeben sind und damit eine Beihilfe bei steuerlichen Einzelfall1309 Eine Selektivtät aufgrund der Natur als Einzelmaßnahme andenkend: Iliopoulos, EStAL 2017, 263 (268). 1310 Beschluss der Kommission v. 21. 10. 2015 über die staatliche Beihilfe SA.38375 (2014/ C ex 2014/NN) Luxemburgs zugunsten von Fiat, Az. C(2015) 7152, ABl. EU 2016 Nr. L 351/1, Rn. 218. 1311 Der EuGH hat hier im Falle von Gebühren in der Vergangenheit sogar angenommen, dass eine Einzelmaßnahme, die zu einer Abweichung vom allgemeinen Gebührenniveau führt, mit Feststellung der Vorteilhaftigkeit aufgrund ihres Charakters als Einzelbeihilfe automatisch selektiv ist. EuGH, Urteil v. 04. 06. 2015, Rs. C-15/14 P, ECLI:EU:C:2015:362, Rn. 60 – Kommission/MOL. 1312 Zur Kritik vgl. Gormsen, Journal of European Competition Law & Practice 2016, 369 (375); Moreno González, EStAL 2016, 556 (566).

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maßnahmen „relativ einfach“ bejaht werden kann, mag aus Sicht der Empfänger und auch der Mitgliedstaaten unerfreulich sein, bedeutet jedoch nicht, dass deshalb die Prüfungsstruktur von Art. 107 Abs. 1 AEUV abgeändert werden muss. Auch ein Verweis auf mitgliedstaatliche Souveränitätsrechte ändert daran nichts. Die Argumentation geht insoweit fehl. Trotzdem ist der Kritik dahingehend zuzustimmen, dass aus der Natur als Einzelmaßnahme nicht zwingend die Selektivität zu folgen hat. Zwar liegt der Verdacht durchaus nahe – insbesondere dann, wenn staatliche Ressourcen übertragen werden, die nur begrenzt zur Verfügung stehen – nichtsdestoweniger ist es aber auch an dieser Stelle richtig, eine tatsächliche Untersuchung und Prüfung zu verlangen, anstatt sich auf Pauschalurteile und per se Grundsätze zurückzuziehen. Entscheidend ist, dass durch die Maßnahme zwischen vergleichbaren Wirtschaftsteilnehmern Differenzierungen eingeführt werden. Auch bei Einzelbeihilfen muss daher geprüft werden, ob es überhaupt vergleichbare Wirtschaftsteilnehmer gibt und ob diese denselben Vorteil nicht ebenfalls erhalten haben. Um den Vorwurf der Selektivität zu entkräften, müssten sämtliche Konzerne im selben Maße begünstigt worden sein. Wurden sie dies nicht, bleibt der Vorwurf der Selektivität bestehen. Es stellt sich also die Frage, ob alle Konzerne im selben Maß vom Fremdvergleichsgrundsatz abweichen durften bzw. ob sämtliche Unternehmen in einer vergleichbaren Situation ein entsprechendes Rulings erhalten haben. Denkbar, wenn auch zugegebenermaßen unwahrscheinlich, ist der Fall, dass es überhaupt nur einen entsprechenden Marktteilnehmer gibt oder, dass sämtliche Teilnehmer eine entsprechende Einzelbeihilfe erhalten haben. Für Abweichungen vom Fremdvergleichsgrundsatz im Rahmen eines Tax Rulings bedeutet das letztlich, dass überprüft werden muss, ob sämtlichen verbundenen Unternehmen in einer vergleichbaren Situation eine Abweichung vom Fremdvergleichsgrundsatz gestattet wurde. Da Verrechnungspreise in hohem Maße unternehmensspezifisch sind, geht es dabei letztlich weniger um einen Preisvergleich als vielmehr um die Frage, ob überhaupt abgewichen werden durfte und falls ja, in welchem Umfang bzw. bis zu welchem Grad. Dies bedarf zwar der Überprüfung im Einzelfall, ist aber grundsätzlich wohl eher als unwahrscheinlich anzusehen. Es erscheint realitätsfern anzunehmen, dass jedes Unternehmen ein Tax Ruling erhalten hat, welches die Abweichung vom Fremdvergleichsgrundsatz gestattet. Es wäre für einen Staat aus steuerregulatorischer Sicht sinnlos, eine Besteuerungsregel aufzustellen, wenn er dann ohnehin mit jedem Steuerpflichtigen eine davon abweichende individuelle, aber dennoch gleichlautende, Absprache treffen möchte. Selbst wenn man die Annahme zugrunde legt, dass alle Unternehmen ein Ruling erhalten haben, bedeutet das keineswegs, dass Selektivität nicht gegeben ist. Denn alle Unternehmen müssten ein gleich bzw. zumindest vergleichbar begünstigendes Tax Ruling erhalten haben. Es liegt daher nahe, bereits dann Selektivität anzunehmen, wenn die Erlaubnis, vom Fremdvergleichsgrundsatz abzuweichen, zwar jedem erteilt wird, die Reichweite der Erlaubnis aber unterschiedlich ist. Insoweit indiziert die Natur des Rulings als individuell angepasste Einzelfallmaßnahme dessen Selektivität. Aus diesem Indiz darf aber nicht fälschlicherweise eine, so nicht haltbare, allgemeine Regel abgeleitet

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werden. Erforderlich ist weiterhin eine Selektivitätsprüfung. Die Europäische Kommission ist auch hier verpflichtet die selektive Wirkung einer Maßnahme im Einzelfall zu belegen und nachzuweisen. Das Ergebnis einer Prüfung mag wohl – aufgrund der Vielzahl an Variablen und des individuellen Zuschnitts – letztlich möglicherweise mit einem Pauschalurteil identisch sein, zwingend ist dies jedoch nicht. Erforderlich ist die Prüfung – auch vor dem Hintergrund der drohenden wirtschaftlichen Folgen für das Unternehmen – gleichwohl. cc) Steuergesetze Wie bereits eingehend erläutert, kann eine beihilferelevante Ungleichbehandlung entweder unmittelbar durch das Tax Ruling oder aber durch das zugrundliegende materielle Steuerrecht erzeugt werden. Wird durch ein Tax Ruling kein Vorteil gewährt, sondern lediglich die (beihilfeverdächtige) Gesetzeslage in einem Einzelfall abgebildet, müssen die materiell-rechtlichen Steuernormen, z. B. die Vorschriften über die Bildung von Verrechnungspreisen selbst auf ihre Beihilfewidrigkeit überprüft werden. Es muss geprüft werden, ob die nationalen Verrechnungspreisvorschriften einen selektiven Vorteil gewähren. Tauglicher Referenzrahmen können dabei nicht die Verrechnungspreisvorschriften selbst, sondern nur das allgemeine Körperschaftsteuersystem sein; andernfalls droht ein Zirkelschluss.1313 Bei der Bildung des Referenzrahmens ist auch hier möglichst kleinräumig vorzugehen.1314 Einschränkungen des allgemeinen Körperschaftsteuersystems müssen in die Betrachtung einbezogen werden.1315 Die Kommission geht, wie gezeigt, wohl implizit von kleinen und mittleren Unternehmen, die nicht Teil eines Konzerns (und i. d. R. wohl auch nicht grenzüberschreitend tätig) sind, als Vergleichsgruppe aus.1316 Dabei stellt sich auch hier die Frage, ob sich verbundene und nicht verbundene Unternehmen tatsächlich in einer rechtlich und tatsächlich vergleichbaren Situation befinden. Hinsichtlich des mit der allgemeinen Körperschaftsteuer verfolgten Ziels befinden sich grenzüberschreitend tätige und nicht grenzüberschreitend tätige Unternehmen in einer vergleichbaren Situation. Diese Annahme gilt zumindest soweit das Steuersystem nicht grundlegend zwischen der Besteuerung von Unternehmensgruppen und Einzelunternehmen differenziert. In Steuersystemen, die den Fremdvergleichsgrundsatz zur Ermittlung des Gewinns einzelner Konzerneinheiten verwenden, findet eine solche grundlegende Trennung gerade nicht statt. In solchen Steuersystemen ist es grundsätzlich das Ziel abhängige und unabhängige Unter1313

Richtigerweise hat daher auch die Kommission im Verfahren gegen Belgien in dessen allgemeinen Körperschaftsteuersystem den tauglichen Referenzrahmen gesehen. Beschluss der Kommission v. 11. 01. 2016 über die Beihilferegelung Belgiens SA.37667 (2015/C) (ex 2015/ NN), Az. C(2015) 9837, ABl. EU 2016 Nr. L 260/61, Rn. 129. 1314 Zum Erfordernis der kleinräumig-induktiven Referenzbestimmung vgl. Kapitel 3, S. 134. 1315 EuG, Urteil v. 04. 02. 2016, Rs. T-287/11, ECLI:EU:T:2016:60, Rn. 125 bis 138 – Heitkamp BauHolding/Kommission. 1316 Vgl. Kapitel 4, S. 288 ff.

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nehmen gleich zu besteuern. Mittels des Fremdvergleichsgrundsatzes soll gerade ein Gleichlauf in der Besteuerung hergestellt werden.1317 Sollen also nach dem allgemeinen Steuersystem sämtliche Unternehmen nach denselben Prinzipien besteuert werden und wird nun durch bestimmte Vorschriften einzelnen Unternehmenstypen (z. B. multinationalen Konzernen) ein Vorteil gewährt, so ist dieser auch selektiv. Begründet z. B. das allgemeine nationale Steuerrecht eine Besteuerung, die unabhängig von der Rechtsform oder der Zugehörigkeit zu einem Konzern die Besteuerung nach der tatsächlichen Leistungsfähigkeit jeder rechtlich eigenständigen Gesellschaft vorsieht, so befinden sich abhängige und unabhängige Gesellschaft im Hinblick auf das mit der Regelung verfolgte Ziel in einer vergleichbaren Lage. Es ist kein Grund ersichtlich, der an dieser Stelle eine unterschiedliche Behandlung aufgrund der Zugehörigkeit zu einem Konzern rechtfertigen würde.1318 Dabei wird nicht in die mitgliedstaatliche Hoheit über die Festlegung der nationalen Körperschaftsysteme eingegriffen. Die Mitgliedstaaten werden nicht dazu verpflichtet, in ihrem Steuersystem abhängige Unternehmen den unabhängigen gleichzustellen. Sie werden jedoch an ihren eigenen Vorgaben festgehalten. Haben die Mitgliedstaaten in ihrem nationalen Körperschaftsteuerrecht das objektive Nettoprinzip als allgemeinen Grundsatz verankert und wenden diesen auch auf sämtliche Unternehmen an, müssen sie sich daran festhalten lassen. Weichen sie nun doch – entgegen ihren eigenen Leitentscheidungen – zugunsten von Konzernen bzw. Konzerneinheiten davon ab, ist das Kriterium der Selektivität erfüllt. Ein Mitgliedstaat, der also in seinen Steuergesetzen eine Abweichung vom Fremdvergleichsgrundsatz gestattet und damit eine Abweichung der Besteuerung von den wirtschaftlichen Realitäten zulässt, obwohl er selbstständige Unternehmen genau wie Konzerne bzw. deren Einheiten steuerlich grundsätzlich gleichbehandelt, gewährt Letzteren einen selektiven Vorteil. Im Hinblick auf das mit dem allgemeinen Steuersystem verfolgten Ziel befinden sich sämtliche steuerpflichtigen Unternehmen grundsätzlich in einer vergleichbaren Position. Will ein Mitgliedstaat eine Anpassung an eine nicht fremdvergleichskonforme Besteuerung in einem anderen Staat vornehmen, um so eine Doppelbesteuerung zu verhindern, handelt er selektiv, da es zu einer Abweichung der Besteuerung von der wirtschaftlichen Realität kommt. Folgerichtig darf er diese Gewinne nicht freistellen, sondern nur anrechnen und muss die Differenz zwischen dem inländischen und dem ausländischen Steuerniveau trotzdem einfordern. Durch die Anrechnung und Nachforderung werden die Gewinne wie die sonstigen Inlandsgewinne behandelt. Es kommt so zu keiner Vorteilsgewährung an den Konzern.1319

1317

Zum Sinn des Fremdvergleichsgrundsatzes siehe Kapitel 4, S. 193 ff. Folgerichtig hat die Kommission im Falle Belgiens das allgemeine belgische Körperschaftsteuersystem als tauglichen Referenzrahmen ausgewählt. Beschluss der Kommission v. 11. 01. 2016 über die Beihilferegelung Belgiens SA.37667 (2015/C) (ex 2015/NN), Az. C(2015) 9837, ABl. EU 2016 Nr. L 260/61, Rn. 121 ff. 1319 Vgl. Kapitel 4, S. 253 ff. 1318

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c) Begünstigung bestimmter Unternehmen Jede staatliche Maßnahme muss zur Begünstigung bestimmter Unternehmen führen. Es darf sich nicht um eine vollkommen heterogene Gruppe handeln.1320 Vielmehr müssen die Begünstigten anhand spezifischer Charakteristika erkennbar sein.1321 In ihren bisherigen Beschlüssen wurde seitens der betroffenen Mitgliedstaaten mitunter darauf verwiesen, dass das Selektivitätskriterium zumindest deshalb nicht gegeben sei, da es sich bei den begünstigten Konzernen nicht um eine abgrenzbare Gruppe handeln würde. Die Gruppe der Begünstigten sei zu heterogen um als klar definierbarer Begünstigtenkreis gelten zu können.1322 Dem muss aber entgegengehalten werden, dass sich die bisherigen Ausführungen des Europäischen Gerichtshofs zur Abgrenzung des Begünstigtenkreis auf de-facto selektive Maßnahmen beschränkt haben. Auf solche Maßnahmen also, die grundsätzlich sämtliche vergleichbare Wirtschaftsteilnehmer erfassen, aber faktisch auf bestimmte Teilnehmer beschränkt werden. Werden hingegen multinationale Großkonzerne teilweise von der Besteuerung freigestellt, liegt schon eine de-jure Selektivität vor, sodass insoweit überhaupt keine nähere Abgrenzung anhand spezifischer Charakteristika erforderlich sein dürfte. Darüber hinaus wäre bei ausschließlich faktischer Selektivität eine Abgrenzung der multinationalen Konzerne gleichwohl möglich.1323 In seiner neueren – wenn auch kritikwürdigen – Rechtsprechung hat der Gerichtshof betont, dass eine fehlende klare Abgrenzung oder eine nicht vorhandene Vorhersehbarkeit des Begünstigtenkreis das Selektivitätskriterium nicht anzuschließen vermag. Vielmehr genügt es, dass sich der Begünstigtenkreis in einem Umkehrschluss aus den durch die Maßnahme nicht begünstigten Unternehmen ergibt.1324 Aus der Tatsache, dass unabhängige und nicht grenzüberschreitend tätige Unternehmen keine Begünstigung erhalten, ließe sich so die Gruppe der Vorteilsempfänger abgrenzen.

1320 So hat z. B. Belgien explizit auf die zu große Heterogenität der Begünstigtengruppe hingewiesen. Beschluss (EU) 2016/1699 der Kommission v. 11. 01. 2016 über die Beihilferegelung Belgiens SA.37667 (2015/C) (ex 2015/NN), Az. C(2015) 9837, ABl. EU 2016 Nr. L 260/61, Rn. 87 ff. 1321 EuGH, Urteil v. 15. 11.2011, Rs. C-106/09 P und C-107/09 P, ECLI:EU:C:2011:732, Rn. 101 ff. – Gibraltar. 1322 Vgl. Beschluss der Kommission v. 11. 01. 2016 über die Beihilferegelung Belgiens SA.37667 (2015/C) (ex 2015/NN), Az. C(2015) 9837, ABl. EU Nr. L 260/61, Rn. 87. 1323 Denkbare Charakteristika wären z. B.: wirtschaftliche Verbundenheit (ggf. bei rechtlicher Selbstständigkeit), mehrerer (Zweig-)Niederlassungen, Auslandseinkünfte, Vorhandensein konzerninterner Verrechnungspreise, intensive Nutzung immaterieller Wirtschaftsgüter. 1324 Vgl. EuGH, Urteil v. 21. 12. 2016 Rs. C-20/15 P, ECLI:EU:C:2016:981, Rn. 78 ff. – Kommission/World Duty Free Group. Zur Kritik daran vgl. Kapitel 3, S. 238 ff.

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d) Rechtfertigung Auf eine mögliche Rechtfertigung eines prima facie selektiven Tax Rulings ist die Kommission bisher nicht weiter eingegangen. Der Vortrag und Beweis einer solchen Rechtfertigung obliegt dem betroffenen Mitgliedstaat. Gelingt es dem Mitgliedstaat darzulegen, dass Selektivität durch das Wesen und die allgemeine Struktur des Systems, das er implementiert hat, gerechtfertigt ist, liegt keine Beihilfe vor. Wie bereits gezeigt, gelingt ein solcher Beweis häufig nicht.1325 Geht man von dem bisher zur Rechtfertigung selektiver Maßnahmen Gesagtem aus, ist eine solche Rechtfertigung in den aktuellen Untersuchungen und Beschlüssen jedenfalls nicht erkennbar. Hat sich ein Staat entschlossen, konzerninterne Verrechnungspreise anhand des Fremdvergleichsgrundsatzes zu bestimmen, ist dieser in der Regel wohl auch Teil der dem Steuersystem innewohnenden Grundstruktur. Ein Abweichen davon wird also wohl immer zu einer nicht gerechtfertigten selektiven Maßnahme führen. Die Europäische Kommission gesteht in ihren aktuellen Beschlüssen zu, dass die Notwendigkeit, eine Doppelbesteuerung zu verhindern, geltend gemacht werden kann, um eine Abweichung vom Referenzsystem zu rechtfertigen.1326 Die Verhinderung einer lediglich potenziellen Doppelbesteuerung soll demgegenüber jedoch nicht ausreichen. Dogmatisch sieht die Kommission Doppelbesteuerung nicht als Grund für eine fehlende Vergleichbarkeit, denn als Rechtfertigungsgrund an. Das hat nicht zuletzt Folgen für die Beweislast, die so beim Mitgliedstaat liegt. In diesem Zusammenhang misst die Kommission einer Nachweispflicht des doppelbesteuerten Unternehmens bei der Anwendung der fraglichen Maßnahme durch den Mitgliedstaat eine besondere Bedeutung zu. Ohne einen solchen Nachweis scheint sie eine Rechtfertigung durch eine möglicherweise drohende Doppelbesteuerung abzulehnen.1327 Gleichzeitig scheint die Kommission zu fordern, dass sämtliche Verrechnungspreisanpassungen symmetrisch erfolgen, dass also der Verrechnungspreis bei sämtlichen beteiligten Unternehmen und Mitgliedstaaten gleichermaßen korrigiert wird.1328

1325

Vgl. Kapitel 3, S. 143 ff. Sie verweist dabei auf die einschlägige Rechtsprechung des Gerichtshofs: EuGH, Urteil v. 08. 09. 2011, Rs. C-78/08 und C-80/08, ECLI:EU:C:2011:550, Rn. 69 – Paint Graphos. Vgl. auch: Bekanntmachung der Kommission zum Begriff der staatlichen Beihilfe im Sinne des Artikels 107 Absatz 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, ABl. EU 2016 Nr. C 262/1, Rn. 139. 1327 Beschluss der Kommission v. 11. 01. 2016 über die Beihilferegelung Belgiens SA.37667 (2015/C) (ex 2015/NN), Az. C(2015) 9837, ABl. EU Nr. L 260/61, Rn. 172. 1328 Vgl. Beschluss der Kommission v. 11. 01. 2016 über die Beihilferegelung Belgiens SA.37667 (2015/C) (ex 2015/NN), Az. C(2015) 9837, ABl. EU Nr. L 260/61, Rn. 174. 1326

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4. Fazit Auch im Rahmen von Tax Rulings kommt dem Selektivitätskriterium entscheidende Bedeutung zu. Insofern ist es durchaus überraschend, dass die Europäische Kommission in ihrer Beschlusspraxis dem Selektivitätskriterium bisher so geringen Raum eingeräumt hat. Im Rahmen der Selektivität ist die Behandlung des Begünstigten mit Wettbewerbern in einer vergleichbaren Situation zu untersuchen. Entscheidende Weichenstellungen sind dabei die Festlegung des Referenzrahmens und die Bildung der Vergleichsgruppen. Die Bestimmung des Referenzrahmens ist dabei – in Übereinstimmung mit früherem Kommissionsvorgehen – kleinräumiginduktiv vorzunehmen, sodass unabhängige Unternehmen mangels gemeinsamen Referenzrahmens als Vergleichsgruppe ausscheiden müssen. Auch rein national agierende Konzerne müssen als Vergleichsgruppe ausscheiden, sofern die Abweichungen durch eine Doppelbesteuerung bedingt sind. Diese löst deren Vergleichbarkeit in tatsächlicher Hinsicht auf. Für Abweichungen jedoch, die ohne Anknüpfung an eine Doppelbesteuerung vorgenommen werden, bleibt die Vergleichbarkeit bestehen. Die Kommission wählt eine andere Beschlusslinie. Sie erzwingt eine Vergleichbarkeit von Konzernen und unabhängigen Unternehmen, indem sie auch im Rahmen der Selektivität den Fremdvergleichsgrundsatz zum Ansatz bringt. Sie fasst dabei – im Widerspruch zu ihrer früheren Beschlusspraxis – den Referenzrahmen erstaunlich weit und sieht ihn in den allgemeinen nationalen Körperschaftsteuersystemen. Um den Mangel, dass unabhängige Unternehmen keine Verrechnungspreise haben können, zu überwinden, nutzt sie den Fremdvergleichsgrundsatz als Lückenfüller. Dieser wird als Ausfluss von Art.107 Abs. 1 AEUV im Ergebnis unabhängig von einer Umsetzung im nationalen Steuerrecht automatisch Teil des Referenzsystems. Tauglicher Referenzrahmen ist folglich das allgemeine nationale Steuerrecht in Kombination mit dem unionsrechtlichen Fremdvergleichsgrundsatz. Dies muss kritisiert werden. Grundlegendes Prinzip der staatlichen Besteuerung ist es, dass ohne entsprechende gesetzliche Grundlage keine Besteuerung erfolgt und dass im Falle einer gesetzlichen Grundlage die Besteuerung ausschließlich danach erfolgt. Das Beihilferecht umrahmt dabei die Rechtsordnungen und verhindert die Einführung selektiver Gesetze sowie deren selektive Anwendung. Es dient jedoch nicht dazu nationale Gesetze zu ersetzen. Die Europäische Kommission folgt in ihren bisherigen Beschlüssen folglich nicht stringent der klassischen Methodik. Sie lässt sich offenkundig stark von einem gewünschten Ergebnis und weniger von der hergebrachten Prüfmethodik leiten.1329 In den genannten Beschlüssen verwässert die Kommission nicht nur die Begriffe Vorteil und Selektivität, sondern bejaht letztlich beide Prüfungspunkte mit nahezu derselben Argumentation. Sowohl die Vorteilhaftigkeit als auch die Selektivität bejaht sie letztlich unter Verweis auf die Abweichung vom Fremdvergleichsgrundsatz.1330 Dies ist als dogmatisch fragwürdig zu 1329 1330

Vgl. zu dieser Kritik: Gun/Luts, EC Tax Review 2015, 119 – 125. Moreno González, EStAL 2016, 556 (565).

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kritisieren. Die bisherige Beschlusspraxis widerspricht auch dem von der Kommission aufgestellten Dogma, Verrechnungspreisvereinbarungen seien an sich unverdächtig, nur einzelne Tax Rulings seien beihilferechtlich problematisch. Durch ihre Wahl des Referenzrahmens und der Vergleichsgruppe impliziert sie, dass das gesamte System der Verrechnungspreise bzw. Verrechnungspreisvereinbarungen beihilfeverdächtig ist. Wäre ihr Ziel wirklich nur gegen einige „schwarze Schafe“ vorzugehen, wäre eine Vergleichsgruppe aus multinationalen Konzernen passender gewesen. Die Europäische Kommission scheint jedoch insgesamt von dem Gedanken getragen, dass multinationale Unternehmen keinen ausreichend fairen Anteil am Steueraufkommen tragen und ihre Gewinne insgesamt unzulässig niedrig besteuert werden.1331 Trotz allem dürfte sich die Europäische Kommission von der von vielen Seiten geäußerten Kritik nicht von ihrem Weg abbringen lassen. Der Erfolg in der Vergangenheit in ähnlich schwierigen und kontrovers diskutierten Fällen scheint ihr Recht zu geben.1332 Die vergangene Rechtsprechung des Gerichtshofs zeigt deutlich, dass Abweichungen von der „klassischen Selektivitätsprüfung“ für den Nachweis selektiver Steuervergünstigungen kein Ausschlusskriterium ist.1333

V. Wettbewerbsverfälschung Abschließend sollen die Auswirkungen von Abweichungen vom Fremdvergleichsgrundsatz auf den Wettbewerb im Binnenmarkt untersucht werden. Auf die zu geringe Bedeutung, die diesem Kriterium im Rahmen des Beihilferechts beigemessen wird, wurde bereits ausführlich eingegangen.1334 Die vorgebrachte Kritik gilt auch für die aktuelle Kommissionspraxis, die der Frage der Wettbewerbsverfälschung durch Tax Rulings kaum Raum einräumt. 1. Keine Entlastung aufgrund möglicher Folgeentwicklungen oder durch das Verhalten Dritter Den Kommissionsbeschlüssen wird mitunter entgegengehalten, dass es bei den von ihr untersuchten Sachverhalten zu keinen Wettbewerbsverzerrungen kommen würde. Die Sachverhalte seien nicht so ungewöhnlich, dass dies die Anwendung des 1331

So bekannte etwa die Wettbewerbskommissarin Vestager: „Wenn mein Steuersatz bei 0,005 Prozent läge, würde ich mich fragen, ob meine Steuererklärung korrekt ist.“ Vgl. dazu: http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/unternehmen/apple-muss-bis-zu-13-milliarden-euro-steu ern-in-irland-nachzahlen-14412406.html (zuletzt abgerufen am 11. 10. 2017). 1332 Erinnert sei bspw. an die Rechtssachen: Rs. C-106/09 P und C-107/09 P, ECLI:EU:C: 2011:732 – Gibraltar und Rs. C-20/15 P, ECLI:EU:C:2016:981 – Kommission/World Duty Free Group. 1333 Cachia, EC Tax Review 2017, 23 (34). 1334 Vgl. Kapitel 3, S. 169 ff.

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Beihilferechts rechtfertigen würde. Dazu wird angeführt, dass die gewählten Strukturierungen in der Konzernpraxis häufiger zu beobachten sind.1335 Diese Auffassung verkennt aber sowohl die Bedeutung wettbewerbsneutraler Besteuerung als auch die Funktion des Beihilferechts. Wie bereits dargelegt, stellen Steuern für Unternehmen einen betriebswirtschaftlichen Kostenfaktor dar, der ihren Gewinn schmälert und ihre Wettbewerbsposition beeinträchtigt.1336 Die Steuerbelastung der verbundenen Unternehmen kann dabei verfälscht werden, sofern sich die Konzernteile in unterschiedlichen Hoheitsgebieten mit unterschiedlicher Besteuerung befinden.1337 Im Hinblick auf den bestehenden Wettbewerb wird von Unternehmen dabei nicht nur die eigene Steuerlast analysiert, sondern auch die der Konkurrenz. Während sich die eigene Steuerlast vor allem auf das Ausschüttungspotenzial für Anteilseigner und die Attraktivität auf dem Kapitalmarkt auswirkt, ist für den Wettbewerb vielmehr das Verhältnis zur Steuerbelastung der Konkurrenz entscheidend. Eine erfolgreiche Unternehmenssteuerplanung zeichnet sich nicht zuletzt dadurch aus, dass die eigene Steuerbelastung nicht höher als die der Konkurrenz ist.1338 Aus betriebswirtschaftlicher Sicht gilt es für Unternehmen daher, die Steuerbelastung immer so gering wie möglich zu halten.1339 Veränderungen der Steuerbelastung sind dabei für Unternehmen immer mit einer Veränderung ihrer Wettbewerbsposition verbunden.1340 Diese Veränderung muss im Blick auf sämtliche Unternehmen, die sich in einem Wettbewerbsverhältnis befinden, betrachtet werden, nicht nur auf Konzerne. Außerdem ist festzuhalten, dass die Tatsache, dass andere Konzerne in ähnlicher Weise steuervermeidende Konstruktionen wählen und sich daher möglicherweise ebenso rechtswidrig verhalten, für die Beurteilung innerhalb der Beihilfekontrolle irrelevant ist. Eine Entlastung oder Rechtfertigung über das Verhalten Dritter ist nicht möglich. Schließlich erscheint die Behauptung, dass der Sachverhalt nicht so ungewöhnlich sei, dass es die Anwendung des Beihilferechts rechtfertigt – vor dem Hintergrund der teilweise eingesparten Steuern – äußerst zweifelhaft.1341 Entscheidend für die Beurteilung der Beihilfequalität ist ausschließlich, dass es durch die Gestaltung tatsächlich zu einer wettbewerbsverzer1335

Bernhardt, in: Lüdicke/Schnitger/Spengel (Hrsg.), Besteuerung Internationaler Unternehmen, S. 12 ff. 1336 Zu den Auswirkungen der direkten Unternehmensbesteuerung auf den Wettbewerb vgl. Birkenmaier, Die Vorgaben der Beihilfevorschriften des EG-Vertrages für die direkte Unternehmensbesteuerung, S. 55. 1337 OECD-Verrechnungspreisleitlinie 2010, Kapitel 1, Punkt 1.3. Vgl. auch: Zatloukal, in: Schuch/Zehetner (Hrsg.), Verrechnungspreisgestaltung im internationalen Steuerrecht, S. 95. 1338 Overesch, in: Kahle/Overesch/Ruf/Spengel (Hrsg.), Kernfragen der Unternehmensbesteuerung, S. 43. 1339 Kellermann/Zitzler (Hrsg.), Steuern im europäischen Wettbewerb, S. 2. 1340 Zum Einfluss der Besteuerung auf die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen vgl. ausführlich: Maiterth, StuW 2005, 47 – 60. 1341 Zu den von der Kommission veranschlagten Rückforderungsbeträgen vgl. beispielhaft: Pressemitteilung der Kommission v. 30. 08. 2016 – IP/16/2923; Pressemitteilung der Kommission v. 11. 01. 2016 – IP/16/42.

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renden Begünstigung gegenüber anderen Unternehmen kommt. Ausschlaggebend ist alleine die tatsächliche Entlastung einer abgrenzbaren Gruppe oder von Individuen. Durch das Beihilferecht soll ein systemwidriges Ausbrechen in der Besteuerung verhindert werden.1342 Liegt ein solches vor, findet das Beihilferecht Anwendung. An dieser Stelle sei auch angemerkt, dass die Kommission bisher gezielt Konstellationen in den Fokus genommen hat, in denen bei unbedarftem Blick deutlich eine Begünstigung eines multinationalen Konzerns erkennbar ist. Sie hat also gerade nicht sämtliche Verrechnungspreisgestaltungen aller multinationalen Konzerne bis ins letzte Detail geprüft und ggf. Korrekturen verlangt. Das mag auch damit zu begründen sein, dass eben nicht in jeder gewöhnlichen Abweichung vom Fremdvergleichsgrundsatz eine den Binnenmarkt schädigende Beihilfe zu sehen ist. Vielmehr sind es die groben Abweichungen, die mitunter zu massiven Steuerersparnissen geführt haben, die von ihr näher beleuchtet wurden. Zwar mag man hier durchaus kritisch feststellen, dass es in gewisser Weise an Willkür grenzt, wenn die Kommission das Beihilferecht selbst selektiv anwendet und zunächst bewusst nach exemplarischen Ausreißern sucht. Allerdings muss der Kommission auch das Recht eingeräumt werden, zunächst gegen die größten Verstöße vorzugehen und insbesondere denjenigen Fällen nachzugehen, bei denen sie die größte Erfolgschance sieht. Der Beweis einer Beihilfe obliegt nämlich immer der Kommission.1343 Jedenfalls deutet das Kommissionsvorgehen aber darauf hin, dass die untersuchten Gestaltungen innerhalb der von ihr untersuchten Gruppe von Tax Rulings als „ungewöhnlich“ eingestuft wurden. 2. Differenzierung zwischen den Begünstigten Trotzdem ergeben sich durch das Vorgehen der Kommission auch (bzw. zumindest aber) im Gesamtkonzern einen Begünstigten zu sehen entscheidende Folgefragen für das Prüfkriterium der Wettbewerbsverfälschung. Wie gezeigt trennt die Kommission die beiden Begünstigten – Gesamtkonzern und Konzerneinheit – nicht stringent voneinander. Für die Frage der Wettbewerbsverfälschung ist das aber nötig. Es darf von der Kommission verlangt werden, dass sie durch Analyse des konkreten Einzelfalls und anhand der aus den anderen Teildisziplinen des Wettbewerbsrechts bekannten Marktabgrenzungsmethoden sowohl das Vorliegen eines (potenziellen) Wettbewerbsverhältnisses als auch die möglichen Störungen belegt.1344 Dabei ist eine

1342 Blumenberg, in: Lüdicke/Schnitger/Spengel (Hrsg.), Besteuerung Internationaler Unternehmen, S. 19. 1343 Lyal, Fordham International Law Journal 2015, 1017 (1042). 1344 In der Vegangenheit so auch vom EuGH bereits gefordert. Vgl. EuGH, Urteil v. 17. 09. 1980, Rs. 730/79, ECLI:EU:C:1980:209, Rn. 9 – Philipp Morris. In diesem Sinne auch: Koenig/Kühling, EuZW 1999, 517 (522); Koenig/Förtsch, in: Streinz (Hrsg.) EUV/AEUV, Art. 107 AEUV Rn. 101 ff.; von Wallenberg/Schütte, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, Art. 107, Rn. 67. Im Gegensatz dazu: EuG, Urteil v. 15. 06. 2000, Rs. T-

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Differenzierung zwischen den Konzerneinheiten zwingend erforderlich. So konkurriert z. B. der Fiat-Konzern mit anderen Autobauern weltweit. Die luxemburgische Konzerngesellschaft stellt hingegen Finanzierungen bereit. Sie konkurriert nicht mit anderen Autobauern, sondern mit externen Finanzdienstleistern.1345 Mit diesen konkurriert der Fiat-Konzern als Ganzes wiederum nicht. Die Kommission muss daher dafür kritisiert werden im Rahmen der Wettbewerbsbeeinträchtigung keine differenzierte Bewertung vorzunehmen. Gerade für Großkonzerne ist die Frage nach Wettbewerbsverhältnissen besonders interessant, da diese möglicherweise ausschließlich mit anderen Großkonzernen im Wettbewerb stehen. Wie gezeigt, darf die Frage des Wettbewerbsverhältnisses im Rahmen der Selektivität keine Berücksichtigung finden.1346 Im Rahmen der Wettbewerbsverfälschung ist sie hingegen essenziell. Nimmt man also mit der Argumentation der Europäischen Kommission eine selektive Begünstigung multinationaler Großkonzerne gegenüber unabhängigen Unternehmen, insbesondere KMU, an, muss der Frage nachgegangen werden, inwieweit es dadurch zu einer Wettbewerbsverzerrung zwischen den häufig ausschließlich miteinander konkurrierenden Großkonzernen gekommen ist. Das Prüfkriterium dient an dieser Stelle insoweit als Korrektiv. Originäres Ziel des Beihilferechts ist die Verhinderung von Wettbewerbsverzerrung und nicht die Sicherstellung von Steuergleichheit. 3. Unbeachtlichkeit von Wettbewerbsverzerrungen außerhalb des Binnenmarkts Im Rahmen dieser Arbeit wurde bereits gefordert, dem Tatbestandsmerkmal wieder größeren Raum in der Beihilfekontrolle einzuräumen und eine echte Analyse der Störung im Binnenmarkt vorzunehmen. Das gilt vorliegend umso mehr, da die Europäische Kommission auch die Gesamtkonzerne als Begünstigte ansieht.1347 Im Falle von Gewinnverlagerungen ist fraglich, inwieweit sich der Vorteil eines in den Vereinigten Staaten ansässigen Mutterkonzerns als Störung des Binnenmarktes in Europa niederschlägt. Der sich ergebende Vorteil wird wohl global genutzt werden – also auch in Amerika oder Asien und nicht ausschließlich im Binnenmarkt. Die Europäische Kommission ist aber keine weltweite Wettbewerbspolizei. Ihre Aufgabe 298/97, ECLI:EU:T:2000:151, Rn. 95 – Alzetta u. a./Kommission. Vgl. auch: Stuart, EStAL 2017, 209 (224). 1345 Giraud/Petit, EStAL 2017, 233 (239). 1346 Vgl. Kapitel 3, S. 141 ff. 1347 Beschluss der Kommission v. 11. 01. 2016 über die Beihilferegelung Belgiens SA.37667 (2015/C) (ex 2015/NN), Az. C(2015) 9837, ABl. EU Nr. L 260/61, Rn. 183 bis 186; Beschluss der Kommission v. 21. 10. 2015 über die staatliche Beihilfe der Niederlande SA.38374 (2014/C) (ex 2014/NN) zugunsten von Starbucks, Az. C(2015) 7143, ABl. EU 2017 Nr. L 83/38, Rn. 417 ff. Beschluss der Kommission v. 21. 10. 2015 über die staatliche Beihilfe SA.38375 (2014/C ex 2014/NN) Luxemburgs zugunsten von Fiat, Az. C(2015) 7152, ABl. EU 2016 Nr. L 351/1, Rn. 341 ff.

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ist die Verhinderung von Verzerrungen im Binnenmarkt – dafür muss eine Rückkoppelung von Vorteil und Wettbewerbsverfälschung vorliegen. Dem mag man entgegenhalten, dass dies nur schwer belegbar sein dürfte und der Beweis- und Begründungsaufwand der Kommission dadurch massiv vergrößert wird. Das mögen zwar praktische Unwägbarkeiten und Schwierigkeiten sein, davon sollte eine sachlich richtige und wissenschaftlich fundierte Beihilfekontrolle aber nicht abhängig gemacht werden. Richtigerweise darf dabei nicht verlangt werden, dass die Kommission bis ins kleinste Detail eine Verknüpfung nachweisen muss, es darf allerdings verlangt werden, dass sie zumindest klar aufzeigt, wie es durch die Vorteilsgewährung an ein in den USA ansässiges und global tätiges Unternehmen zu Verzerrungen im europäischen Binnenmarkt kommt. In ihren Beschlüssen begnügt sich die Kommission vielmehr damit, dass bei einer vom Staat gewährten Maßnahme davon ausgegangen werden kann, dass diese den Wettbewerb verfälscht bzw. zu verfälschen droht.1348

VI. Fazit Obwohl spätestens seit dem Gibraltar-Urteil das Beihilferecht als legitimes Mittel gegen unerwünschte Steuergestaltungen angesehen werden kann, muss das aktuelle Vorgehen der Europäischen Kommission kritisiert werden. Ihre Beschlusspraxis ist nicht nur in dogmatischer, sondern auch in kompetenzrechtlicher Hinsicht fragwürdig.1349 Die Europäische Kommission weitet unter dem Deckmantel des Wettbewerbsrechts ihre Kompetenzen massiv aus und greift deutlich in mitgliedstaatliche Hoheitsrechte ein. Bei konsequenter Fortführung ihrer Beschlusspraxis würde die Europäische Kommission letztendlich zu einer supranationalen Überwachungsbehörde für Verrechnungspreisgestaltungen und Gewinnverlagerungen.1350 Die Tatsache, dass sich das Vorgehen der Europäischen Kommission bisher auf Verrechnungspreisgestaltungen konzentriert hat, bedeutet nicht, dass sie ihre Kontrolle darauf beschränkt. Basierend auf ihrem bisherigen Vorgehen muss vielmehr damit gerechnet werden, dass sie zukünftig auch andere Lücken des internationalen Steuerrechts schließen möchte. Im juristischen Schrifttum wird insbesondere ein Vorgehen in Konstellationen mit hybriden Gesellschaften und Finanzinstrumenten 1348 Beschluss der Kommission v. 11. 01. 2016 über die Beihilferegelung Belgiens SA.37667 (2015/C) (ex 2015/NN), Az. C(2015) 9837, ABl. EU Nr. L 260/61, Rn. 187; Beschluss der Kommission v. 21. 10. 2015 über die staatliche Beihilfe der Niederlande SA.38374 (2014/C) (ex 2014/NN) zugunsten von Starbucks, Az. C(2015) 7143, ABl. EU 2017 Nr. L 83/ 38, Rn. 422. Beschluss der Kommission v. 21. 10. 2015 über die staatliche Beihilfe SA.38375 (2014/C ex 2014/NN) Luxemburgs zugunsten von Fiat, Az. C(2015) 7152, ABl. EU 2016 Nr. L 351/1, 189. 1349 Demgegenüber hat das EuG die Herangehensweise der Kommission in allen bisher entschiedenen Fällen im Grundsatz bestätigt. Vgl. Jaeger, EuZW 2020, 18 (19) und Soltész, NZKart 2020, 405 (406). 1350 Rossi-Maccanico, EC Tax Review 2015, 63 (65).

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erwartet.1351 Damit verbunden wäre eine Kompetenzausweitung der Kommission, die nicht mit den mitgliedstaatlichen Hoheitsrechten bei den direkten Steuern vereinbar ist. Das bedeutet nicht, dass europäische Maßnahmen gegen aggressive Steuerplanung multinationaler Konzerne nicht erforderlich sind. An dieser Stelle sei erneut darauf hingewiesen, dass internationale Gewinnverlagerungen und Steuerflucht ein massives Problem sind, dessen Bedeutung durch die immer weiter fortschreitende Globalisierung und Internationalisierung zukünftig immer weiter zunehmen dürfte. Steueroasen und eine über sie laufende Steuervermeidung internationaler Großkonzerne sind seit vielen Jahren ein Hauptproblem des internationalen Steuerrechts. Es ist unzweifelhaft im Interesse der Mitgliedstaaten und der Union als Ganzes, dass multinational agierende Konzerne einer fairen Besteuerung unterliegen und ihren Anteil am Steueraufkommen tragen. Auch waren mitgliedstaatliche Initiativen bei der Bekämpfung bisher nur bedingt wirksam. Vor diesem Hintergrund ist ein europäisches Vorgehen zu begrüßen. Obwohl das Vorgehen der Kommission unter fiskalischen Gesichtspunkten und Gerechtigkeitsaspekten also durchaus begrüßenswert erscheint, ist es doch zu kritisieren. Das betrifft sowohl die Bedeutung des Beihilferechts im internationalen Steuerrecht als auch die Herleitung der Selektivität. Weder ist es die originäre Aufgabe des Beihilferechts, die Steuerrechtsordnungen der Union zu harmonisieren, noch ist es Aufgabe der Europäischen Kommission, Staaten Besteuerungsrechte aufzuzwingen oder Besteuerungsrechte unter den Mitgliedstaaten aufzuteilen.1352 Es ist Aufgabe der Mitgliedstaaten zu bestimmen, inwieweit sie ihre Steuerpflichtigen besteuern möchte und es obliegt ihnen die Lücken ihrer Steuersysteme im Wege einer politischen Einigung zu schließen. Die Europäische Union ist dabei eine wichtige Plattform des Austauschs und der Koordination und damit ein entscheidendes Vehikel. Das Beihilferecht selbst kann hierbei jedoch nur begrenzt Abhilfe schaffen. Es ist schlicht nicht das richtige Mittel, um gegen die fehlende Harmonisierung der mitgliedstaatlichen Steuersysteme vorzugehen. Es kann Richtlinien und Verordnungen weder ersetzen noch eine politische Einigung der Mitgliedstaaten erzwingen oder vorwegnehmen. Die Europäische Kommission muss auch dafür kritisiert werden, dass sie aus der ungleichen steuerlichen Behandlung von unabhängigen Unternehmen und multinationalen Konzernen auf eine selektive Besteuerung schließt. Selektivität bedeutet eben nicht nur Ungleichbehandlung, sondern zunächst Vergleichbarkeit. Das Vorliegen der Vergleichbarkeit wird von ihr aber weniger begründet als vielmehr pauschal un1351 Moreno González, EStAL 2016, 556 (561); Luja, EC Tax Review 2016, 312 (324). Für eine umfängliche Darstellung möglicher Gewinnverlagerungen durch die Nutzung hybrider Gestaltungen vgl. Rossi-Maccanico, EC Tax Review 2015, 63 (69 ff.). Darauf deutet auch der Eröffnungsbeschluss gegen GDF Suez (heute Engie) hin. Dabei ging es um die (innerhalb einer Transaktion) nicht einheitliche steuerliche Behandlung von umwandelbaren, zinslosen Darlehen als Fremd- bzw. Eigenkapital. Vgl. Commission Decision of 19. 09. 2016 on State Aid State aid SA.44888 (NN/2016) (ex EO/2016) – Luxembourg: Possible State aid in favour of GDF Suez, C(2016) 5612 final. 1352 Eine solche Rolle der Kommission nicht völlig ablehnend: Rossi-Maccanico, EC Tax Review 2015, 63 (65).

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Kap. 4: Tax Rulings als Anwendungsgegenstand des Beihilfeverbotes

terstellt. Die Europäische Kommission muss aus terminologischer Sicht außerdem ebenfalls dafür kritisiert werden, dass diese für die strittigen Maßnahmen durchgehend den Begriff Tax Ruling bzw. Advanced Pricing Agreement verwendet, ohne diesen näher zu spezifizieren. Von ihr angegriffen werden bisher nur unilaterale, nicht aber bilaterale Agreements. Im allgemeinen Schrifttum wurde der Begriff bisher aber vor allem für bilaterale Agreements genutzt. Es besteht die Gefahr, dass die Kommission durch ihren undifferenzierten Sprachgebrauch das Instrument der mehrseitigen Advanced Pricing Agreements zu Unrecht in ein schlechtes Licht rückt.1353

C. Der Einfluss des Beihilferechts auf Doppelbesteuerungsabkommen Während die Auswirkungen des Beihilfeverbotes auf das rein nationale Steuerrecht zwischenzeitlich große Bedeutung gewonnen haben, sind seine Auswirkungen auf zwischen den Mitgliedstaaten abgeschlossene Verträge, insbesondere Doppelbesteuerungsabkommen, bisher nur gering.

I. Keine intrinsische Selektivität Grundsätzlich ist ein steuerlicher Vorteil, der sich aus der richtigen Anwendung eines Doppelbesteuerungsabkommens ergibt, keine Beihilfe i. S. v. Art. 107 Abs. 1 AEUV. Eine Beihilfe liegt dann vor, wenn einzelne Unternehmen oder Produktionszweige systemwidrig begünstigt würden. Ein Doppelbesteuerungsabkommen ist aber eine allgemeine Maßnahme, die grundsätzlich allen in einem Mitgliedstaat ansässigen Wirtschaftsteilnehmern mit grenzüberschreitenden Aktivitäten offensteht und zugutekommt.1354 Doppelbesteuerungsabkommen sind daher grundsätzlich nicht als selektiv anzusehen. Sie dienen nicht dazu, grenzüberschreitend tätigen Unternehmen einen Vorteil – insbesondere in Form weißer Einkünfte – zukommen zu lassen.1355 Vielmehr soll umgekehrt eine drohende Doppelbesteuerung vermieden werden. Dabei sei angemerkt, dass die Europäische Kommission insbesondere nicht das Recht hat in bilaterale Abkommen in der Form einzugreifen, um Klauseln, die auch zu doppelter Nichtbesteuerung führen können, abzuändern. Sie hat nicht die Kompetenz internationale Steuerabkommen zu kontrollieren und auszubessern.1356 Die Tatsache, dass Doppelbesteuerungsabkommen auf nicht grenzüberschreitend 1353 Bernhardt, in: Lüdicke/Schnitger/Spengel (Hrsg.), Besteuerung Internationaler Unternehmen, S. 16. 1354 Lehner, in: Vogel/Lehner (Hrsg.), DBA, Rn. 273. 1355 Smit, EC Tax Review 2016, 109 (110). 1356 Smit, EC Tax Review 2016, 109 (110 ff).

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tätige Unternehmen keine Anwendung finden und diese daher auch keine weißen Einkünfte haben können, ändert an dieser Einschätzung nichts. Hinsichtlich des mit dem Doppelbesteuerungsabkommen verfolgten Ziels – der Vermeidung von Doppelbesteuerung – befinden sich grenzüberschreitend und nicht grenzüberschreitend tätige Unternehmen nicht in einer vergleichbaren Situation. Nur ersteren droht die Doppelbesteuerung durch unterschiedliche Fisken, letzteren nicht.1357 Die Vergleichbarkeit ist folglich aufgehoben und keine Selektivität gegeben. Das gilt zumindest für das DBA-Musterabkommen. Wird jedoch ein Abkommen beschlossen, in dem Vergünstigungen für bestimmte Wirtschaftsteilnehmer explizit vorgesehen sind, bzw. die selektive Begünstigung sogar geplant ist, kann auch in den Vereinbarungen eines völkerrechtlichen Vertrages eine Beihilfe liegen. Die Rechtsnatur der Begünstigung ist für die Einordnung nach Art. 107 Abs. 1 AEUV hingegen unerheblich.1358

II. Abweichungen von Doppelbesteuerungsabkommen als Beihilfe Bisher wurden Doppelbesteuerungsabkommen von der Europäischen Kommission nicht auf ihre Beihilfequalität überprüft. Die praktische Relevanz ist daher derzeit nur von begrenzter Natur. Von ungleich größerer Bedeutung hingegen sind die Ermittlungen der Kommission hinsichtlich unilateraler Tax Rulings, die zugunsten bestimmter Unternehmen von den allgemeingültigen Bestimmungen eines Doppelbesteuerungsabkommens abweichen und so bestimmten Unternehmen einen selektiven Vorteil gewähren und in der Folge ebenfalls korrigiert werden müssten. Die Europäische Kommission überprüft diesbezüglich derzeit zwei Tax Rulings, die McDonalds in Luxemburg erhalten hat. Im Zentrum der Untersuchungen steht dabei die Frage, ob die Finanzbehörden in selektiver Weise von dem zwischen Luxemburg und den Vereinigten Staaten geschlossenen Doppelbesteuerungsabkommen abgewichen sind. 1. Sachverhalt Den Untersuchungen liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Eine in Luxemburg ansässige Gesellschaft hat Lizenzgebühren von Franchisenehmern aus Europa und Luxemburg erhalten, darauf aber kaum Körperschaftsteuer gezahlt. Hintergrund ist, dass die luxemburgische Gesellschaft ihren Gewinn betriebsintern zu ihrer Betriebsstätte in den Vereinigten Staaten transferiert hat, statt sie ihrem Hauptsitz zuzuweisen. In einem ersten Tax Ruling wurde McDonalds von der luxemburgischen 1357 Zur fehlenden Vergleichbarkeit aufgrund von Doppelbesteuerung siehe Kapitel 4, S. 291 ff. 1358 Pressemitteilung der Kommission v. 03. 12. 2015 – IP/15/6221.

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Kap. 4: Tax Rulings als Anwendungsgegenstand des Beihilfeverbotes

Finanzbehörde bestätigt, dass in Luxemburg keine Körperschaftsteuer entrichtet werden muss, da die Gewinne in den Vereinigten Staaten zu besteuern sind. Entgegen dieser Annahme wurden die Gewinne dort jedoch nicht besteuert. Zwar sah Luxemburg die Niederlassung in den Vereinigten Staaten als Betriebsstätte an und wies diesen daher das Besteuerungsrecht zu, die dortigen Finanzbehörden sahen die Niederlassung hingegen nicht als Betriebsstätte an und wiesen Luxemburg das Besteuerungsrecht zu. Im Ergebnis erfolgte eine doppelte Nichtbesteuerung. Diese Nichtbesteuerung erfolgte aus einer unterschiedlichen Interpretation des Betriebsstättenbegriffs. Zwar wird von beiden Rechtsordnungen eine „ausreichende Geschäftstätigkeit“ gefordert, diese sah jedoch Luxemburg als gegeben an und die Vereinigten Staaten nicht. In besagtem Tax Ruling festgelegte Voraussetzung für die Freistellung der ausländischen Gewinne war jedoch der Nachweis, dass in den Vereinigten Staaten auch tatsächlich Gewinne versteuert wurden. Ein solcher Nachweis war nun aufgrund der unterschiedlichen Betriebsstättendefinition gerade nicht möglich. In einem zweiten Tax Ruling ließ sich McDonalds daraufhin zusichern, dass auch ohne Nachweis von in den Vereinigten Staaten gezahlten Körperschaftsteuern in Luxemburg keine Besteuerung erfolgt. Luxemburg verzichtet nun an dieser Stelle auf eine Besteuerung, unabhängig davon, ob die Vereinigten Staaten die Einnahmen besteuern oder nicht.1359 Die Kommission sieht im Verhalten Luxemburgs eine selektive Abweichung zugunsten von McDonalds vom allgemeinen Steuerrecht.1360 Danach sind in Luxemburg ansässige Unternehmen mit ihrem gesamten Welteinkommen zu besteuern, es sei denn ein Doppelbesteuerungsabkommen regelt etwas anderes, wie z. B. die Besteuerung von Betriebsstätten im jeweiligen Ansässigkeitsstaat. 2. Rechtliche Würdigung Beide Tax Rulings müssen getrennt auf ihre Beihilfequalität geprüft werden. Der Vorteil entstand ursprünglich aus der unterschiedlichen Auslegung des Betriebsstättenbegriffs durch das erste Ruling. Dabei wird die Frage aufgeworfen, ob eine vertretbare, aber abweichende Auslegung einen selektiven Vorteil i. S. d. Beihilferechts darstellen kann.1361 Auch hier lässt sich das Problem letztlich auf die fehlende internationale Harmonisierung und Koordinierung herunterbrechen. Wären die Vereinigten Staaten zur selben Auslegung gekommen, hätte eine Besteuerung stattgefunden. Auf den ersten Blick wäre es dabei näherliegend, gegen den Ansässigkeitsstaat der Betriebsstätte vorzugehen, der deren Einnahmen nicht besteuert und im Ergebnis dieser einen selektiven Vorteil gewährt. Da es sich dabei aber um die Vereinigten Staaten handelt und der Ansässigkeitsstaat damit außerhalb der Reichweite des Beihilferechts liegt, ist ein solches Vorgehen jedoch ausgeschlossen. 1359 1360 1361

Smit, EC Tax Review 2016, 109 (109). Pressemitteilung der Europäischen Kommission v. 03. 12. 2015 – IP/15/6221. Wattel, Intertax 2016, 791 (797).

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Ausgehend von der hier vertretenen Auffassung, wonach die aus fehlender internationaler Koordinierung entstehende Niedrigbesteuerung keine Beihilfe i. S. v. Art. 107 Abs. 1 AEUV darstellt, ist das erste Tax Ruling nicht als Beihilfe anzusehen.1362 Dabei sei nochmals darauf hingewiesen, dass Luxemburg wohl nicht von einer feststehenden Vereinbarung hinsichtlich des Betriebsstättenbegriffs abgewichen ist, sondern nur zu einer vom US-amerikanischen Begriffsverständnis abweichenden Beurteilung gekommen ist. Ist jedoch weder von einem im Doppelbesteuerungsabkommen noch im luxemburgischen Recht niedergelegten Betriebstättenbegriff abgewichen worden, so liegt in der in den beiden Staaten unterschiedlichen Begriffsauslegung für sich genommen keine Beihilfe. Andernfalls würde der Europäischen Kommission das Recht zugestanden, für Mitgliedstaaten die korrekte Betriebsstättendefinition vorzunehmen. Über eine solche Kompetenz verfügt sie jedoch nicht. Anders verhält es sich hingegen mit der im zweiten Ruling vereinbarten Freistellung sämtlicher Gewinne US-amerikanischer Betriebsstätten unabhängig von einer Besteuerung in den Vereinigten Staaten. Nach dem luxemburgischen Steuerrecht sind ansässige Unternehmen mit ihrem Welteinkommen zu besteuern.1363 Ausnahmen sind nur möglich soweit die Unternehmen Auslandseinkünfte erhalten und diese bereits der Steuerhoheit eines anderen Staates unterliegen. In den Vereinigten Staaten ist aber gerade keine Besteuerung erfolgt. Dabei ist es nicht so, dass die Vereinigten Staaten ihre Steuerhoheit anerkannt hätten, aber nur eine sehr niedrige Besteuerung erfolgt ist. Sie haben die Steuerhoheit vielmehr komplett abgelehnt. Diese lag folgerichtig – mangels Eingreifens des Doppelbesteuerungsabkommens – wieder bei Luxemburg. An dieser Stelle geht es nun auch nicht mehr um die unterschiedliche Auslegung eines Doppelbesteuerungsabkommens, sondern um die bewusste Freistellung ausländischer Betriebsstättengewinne. Zwar ist für die Beihilfequalität einer Maßnahme nur deren objektive Wirkung und nicht der Wille des handelnden Hoheitsträgers entscheidend,1364 trotzdem muss an dieser Stelle auf das wohl vorsätzliche Handeln der luxemburgischen Finanzbehörde hingewiesen werden. Diese muss von der Nichtbesteuerung bei Erteilung des zweiten Tax Rulings 1362

Zur fehlenden Beihilfequalität fehlender Steuerharmonisierung siehe Kapitel 4, S. 268 ff. Vgl. auch: Entscheidung der Kommission v. 08. 07. 2009 über die „Groepsrentebox“Regelung, die die Niederlande durchzuführen beabsichtigen (C 4/07 (ex N 465/06)), Az. K(2009) 4511, ABl. EU 2009 Nr. L 288/26, Rn. 114 bis 117. 1363 Vgl. dazu: Wattel, Intertax 2016, 791 (797). 1364 Zu dieser ständigen Rechtsprechung siehe: EuGH, Urteil v. 02. 07. 1974, Rs. C-173/73, ECLI:EU:C:1973:71 – Italien/Kommission; EuGH, Urteil v. 24. 02. 1987, Rs. 310/85, ECLI: EU:C:1987:96, Rn. 8 – Deufil/Kommisison; EuGH, Urteil v. 29. 02. 1996, Rs. C-56/93, ECLI: EU:C:1996:64, Rn. 79 – Belgien/Kommission; EuGH, Urteil v. 26. 09. 1996, Rs. C-241/94, ECLI:EU:C:1996:353, Rn. 20 – Frankreich/Kommission; EuGH, Urteil v. 17. 06. 1999, Rs. C75/97, ECLI:EU:C:1999:311, Rn. 25 – Belgien/Kommission; EuGH, Urteil v. 22. 12. 2008, Rs. C-487/06 P, ECLI:EU:C:2008:757, Rn. 85 und 89 – British Aggregates/Kommission; EuGH, Urteil v. 08. 09. 2011, Rs. C-279/08 P, ECLI:EU:C:2011:551, Rn. 51 – Kommission/ Niederlande; EuGH, Urteil v. 15. 11. 2011, Rs. C-106/09 P und C-107/09 P, ECLI:EU:C:2011: 732, Rn. 87 – Gibraltar. Vgl. auch: Bousin/Piernas, EStAL 2008, 634 (635).

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Kap. 4: Tax Rulings als Anwendungsgegenstand des Beihilfeverbotes

nun auch Kenntnis gehabt haben, da die Nachweispflicht für im Ausland gezahlte Steuern aufgehoben wurde. Doch auch die objektive Sachverhaltslage hat sich damit zum Zeitpunkt der zweiten Ruling-Erteilung verändert. Die luxemburgische Finanzbehörde stellt nun Auslandseinkünfte von der Besteuerung frei, unabhängig, ob das Doppelbesteuerungsabkommen greift und damit die Ausnahme vom Grundsatz der Besteuerung sämtlicher Welteinkünfte vorliegt. Im Ergebnis hat sie so Gewinne freigestellt, unabhängig von der Frage, ob überhaupt tatsächlich eine Betriebsstätte besteht und eine Doppelbesteuerung droht oder nicht. Die objektive Vorhersehbarkeit der begünstigenden Wirkung ist bei der Beurteilung einer Beihilfe miteinzubeziehen.1365 Die so entstehenden weißen Einkünfte durch die doppelte Nichtbesteuerung sind vorliegend nicht zufällige Folge nicht harmonisierter Steuersysteme. Sie sind vielmehr zwingende Folge der Freistellung ausländischer Gewinne, unabhängig von der ausländischen Besteuerung. Das Handeln der luxemburgischen Finanzbehörden darf auch nicht mit einer „Beihilfe durch Unterlassen“ verwechselt werden.1366 Es geht nicht darum, dass Luxemburg eine Lücke in der Betriebsstättendefinition gesehen und nicht behoben hat. Es wurde vielmehr eine neue Lücke geschaffen, indem die Freistellung im Ausland besteuerter Betriebsstättengewinne nun auch auf Gewinne nichtbesteuerter Betriebsstätten und sogar nicht vorhandener Betriebsstätten erweitert wurde. Im juristischen Schrifttum wird mitunter eingeräumt, dass McDonalds zwar möglicherweise ein Vorteil gewährt wurde, dieser aber jedenfalls deshalb nicht selektiv sei, da das Doppelbesteuerungsabkommen den Referenzrahmen bildet. Dieses enthalte aber keine Regelung, dass Luxemburg Gewinne ausländischer Betriebsstätten von einer inländischen Besteuerung nicht freistellen darf, trotz des Wissens, dass im Ausland keine Besteuerung erfolgt.1367 Dem kann jedoch nicht gefolgt werden. Tauglicher Referenzrahmen ist das allgemeine luxemburgische Steuerrecht, eingeschränkt durch die Vorschriften des Doppelbesteuerungsabkommens. Die Kommission hat bereits in anderen Entscheidungen signalisiert, dass Doppelbesteuerungsabkommen Teil des Referenzrahmens werden können.1368 Wo das Doppelbesteuerungsabkommen aber keine Regelung enthält, findet das allgemeine nationale Steuerrecht uneingeschränkt Anwendung. Danach sind sämtliche Welteinkünfte, also auch Einkünfte der ausländischen Betriebsstätte, der Besteuerung unterworfen. Von diesem Referenzrahmen wird mit der Freistellung der Einkünfte abgewichen und McDonalds damit ein wirtschaftlicher Vorteil gewährt. Der Vorteil geschieht auch zulasten eines öffentlichen Haushaltes, da es zu Mindereinnahmen der Staatskasse kommt. Er erfolgt dann in selektiver Weise, wenn das Tax Ruling eine 1365 EuGH, Urteil v. 15. 11.2011, Rs. C-106/09 P und C-107/09 P, ECLI:EU:C:2011:732, Rn. 106 und 107 – Gibraltar. Zur Bedeutung, die der Gerichtshof der Vorhersehbarkeit in diesem Zusammenhang beimisst, siehe: Nicolaides/Rusu, EStAL 2012, 791 (801). 1366 Zu diesem Themenkomplex vgl. Frenz, DStZ 2016, 141 (145). 1367 So z. B. Smit, EC Tax Review 2016, 109 (110). 1368 Beschluss der Kommission v. 11. 01. 2016 über die Beihilferegelung Belgiens SA.37667 (2015/C) (ex 2015/NN), Az. C(2015) 9837, ABl. EU 2016 Nr. L 260/61, Rn. 121.

C. Der Einfluss des Beihilferechts auf Doppelbesteuerungsabkommen

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Einzelabweichung darstellt und diese Möglichkeit anderen Unternehmen, die sich in einer rechtlich und tatsächlich vergleichbaren Situation befinden, nicht gewährt wurde. Die Vergleichsgruppe bilden dabei Unternehmen, die ebenfalls einen Hauptsitz im Inland und eine Geschäftstätigkeit im Ausland haben und bei denen zwar die Betriebsstättendefinition nicht erfüllt ist – ein Doppelbesteuerungsabkommen also nicht greift – und die folgerichtig mit ihren ausländischen Einkünften im Inland steuerpflichtig sind.1369 Wie gezeigt scheint die Kommission in solchen Fällen bereit, in einer Freistellung ausländischer Gewinne keine Beihilfe zu sehen, wenn diese nur dazu dient eine ansonsten tatsächlich vorliegende Doppelbesteuerung zu vermeiden. Vorliegend war eine solche aber gerade nur virtuell, nicht aber tatsächlich gegeben. Eine Rechtfertigung der Maßnahme aufgrund der Vermeidung einer tatsächlichen Doppelbesteuerung scheidet aus, da eine Doppelbesteuerung nur möglich wäre, wenn die amerikanischen Finanzbehörden die dortige Niederlassung als Betriebstätten ansehen würden. Die Kommission kam jedoch abschließend zu der Überzeugend, dass keine Beihilfen zugunsten von McDonalds vorlagen.1370 Die Kommission kam dabei zu dem Ergebnis, dass die luxemburgischen Behörden das Doppelbesteuerungsabkommen nicht falsch angewendet hätten und dass der Steuervorteil nicht als Beihilfe anzusehen sei. Diese Einschätzung kam für viele Beobachter insgesamt überraschend. Zum einen, weil die Feststellung, dass keine Beihilfe vorliegt in einem solch späten Verfahrensstadium eher selten. Zum anderen war der Eröffnung des förmlichen Prüfverfahrens mit großer medialer Begleitung erfolgt.1371 Aufhorchen lässt dabei der Hinweis, dass die steuerliche Behandlung von McDonalds zwar im Ergebnis unfair sei (da sie zu einer doppelten Nichtbesteuerung bestimmter Gewinne von McDonalds führe) und dem Prinzip der Steuergerechtigkeit widerspreche, hierin sei aber kein Verstoß gegen EU-Beihilferecht zu sehen. Die Europäische Kommission gesteht hier erstmalig ein, dass aus einer ungleichen, möglicherweise sogar unfairen, Besteuerung keine Beihilfe folgt. Dies überrascht, da die Kommission wie gezeigt in jüngerer Vergangenheit dazu neigte aus der ungleichen Besteuerung und einer ihrer Ansicht nach unfairen Besteuerung fast schon automatisch einen Verstoß gegen Art. 107 Abs. 1 AEUV abzuleiten.

1369

Zur Vergleichsgruppenbildung siehe S. 287 ff. Beschluss der Kommission v. 19. 09. 2018 über die Steuervorbescheide SA.38945 (2015/C) (ehemals 2015/NN) (ehemals 2014/CP), die McDonald’s Europe von Luxemburg erteilt wurden, Az. C(2018) 6076, ABl. EU 2019 Nr. L 195/20. 1371 Soltész, BB 2019, 1687 (1691). 1370

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Kap. 4: Tax Rulings als Anwendungsgegenstand des Beihilfeverbotes

D. Beihilferelevanz deutscher Rechtsinstitute Aufbauend auf den gemachten Ausführungen zu Steuervorbescheiden in Deutschland soll im Folgenden deren Vereinbarkeit mit dem europäischen Beihilferecht untersucht werden.

I. Verbindliche Auskunft, § 89 Abs. 2 AO Zunächst erfolgt eine Analyse der verbindlichen Auskunft gemäß § 89 Abs. 2 AO. Diese könnte sowohl aufgrund des möglichen Behördenermessens als auch wegen ihres Inhalts beihilferechtlich bedenklich sein. 1. Entschließungsermessen Bei der beihilferechtlichen Würdigung des den Behörden im Rahmen der verbindlichen Auskunft zustehenden Ermessens muss zunächst zwischen Auswahl- und Entschließungsermessen unterschieden werden. Das Entschließungsermessen lässt der Finanzverwaltung die Wahl, ob sie überhaupt tätig wird, während das Auswahlermessen regelt, wie die verbindliche Auskunft inhaltlich erteilt wird.1372 § 89 AO gibt vor, dass die Finanzämter und das Bundeszentralamt für Steuern auf Antrag verbindliche Auskünfte über die steuerliche Beurteilung von genau bestimmten, noch nicht verwirklichten Sachverhalten erteilen können, wenn daran im Hinblick auf die erheblichen steuerlichen Auswirkungen ein besonderes Interesse besteht. Wie bereits dargelegt, ist der Ermessensbegriff der Kommission nicht auf das Ermessen im deutschen Rechtssinn beschränkt, sondern umfasst auch die Tatbestandsseite und insbesondere Beurteilungsspielräume bei der Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe.1373 Bei dem Begrifflichkeiten „erheblichen steuerlichen Auswirkungen“ und „besonderes Interesse“ handelt es sich um unbestimmte Rechtsbegriffe,1374 die nicht vom Gesetz selbst definiert werden. Und obwohl die Begriffe in der Verordnung zur Durchführung von § 89 Abs. 2 der Abgabenordnung bzw. dem Anwendungserlass zur Abgabenordnung (AEAO) näher erläutert werden und damit eine Begrenzung des Entscheidungsspielraums erfolgt, kommt der Finanzverwaltung letztlich ein Beurteilungs- und Entscheidungsspielraum zu, ob eine verbindliche Auskunft erteilt wird oder nicht.1375 Im juristischen Schrifttum wird daher dem bei der verbindlichen Auskunft bestehenden Entschließungsermessen eine beihilferechtliche Relevanz

1372

Grotherr, EWS 2015, 67 (75). Siehe S. 279 ff. 1374 Siehe grundsätzlich zum Themenkreis unbestimmter Rechtsbegriff: Erbguth/Guckelberger, Allgemeines Verwaltungsrecht § 14 Rn. 26 bis 34. 1375 Siehe Kapitel 4, S. 211 ff. 1373

D. Beihilferelevanz deutscher Rechtsinstitute

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zugewiesen.1376 Dies stimmt auch mit der Auffassung der Kommission überein, wonach schon eine selektive Begrenzung des Adressatenkreises für die Einstufung als Beihilfe ausreichend sein soll.1377 Wie bereits ausgeführt, ist jedoch eine rein auf der Begrenzung des Adressatenkreises basierende Charakterisierung mangels staatlichen Mittelabflusses abzulehnen. Zu einem über die Planungs- und Rechtssicherheit hinausgehenden, tatsächlich bestehenden Mittelabfluss kann es durch den begrenzten Adressatenkreis gerade nicht kommen. Das bestehende Entschließungsermessen der Behörde mag möglicherweise gleichheitsrechtlich bedenklich sein, es besitzt jedoch für sich genommen keine beihilferechtliche Relevanz. Abgewiesenen Unternehmen steht es gleichwohl frei, sich mittels nationalem Recht – z. B. Art. 3 Abs. 1 GG – gegen die Ablehnung zur Wehr zu setzten. 2. Auswahlermessen und unbestimmte Rechtsbegriffe Zunächst kann festgehalten werden, dass die Finanzverwaltung grundsätzlich über keinerlei Auswahlermessen verfügt. Es steht ihr gerade nicht offen, zwischen mehreren Alternativen zu wählen. Sie muss die ihrer Ansicht nach materiellrechtlich richtige Einschätzung des Sachverhalts wiedergeben. Die verbindliche Auskunft muss inhaltlich folgerichtig dem entsprechen, was sie für richtig hält. Ein Anspruch auf einen bestimmten Inhalt besteht gerade nicht.1378 Dabei sei bereits an dieser Stelle angemerkt, dass die verbindliche Auskunft insbesondere keine (private) Steuerberatung ersetzt. Anspruchsberechtigte sparen durch ihre Inanspruchnahme keinerlei Beratungskosten. Gleichwohl wäre es verfehlt, aus dem fehlenden Auswahlermessen der Verwaltung abzuleiten, der Inhalt der verbindlichen Auskunft besäße keinerlei beihilferechtliche Relevanz. Zwar dient die verbindliche Auskunft in erster Linie der Rechtsund Planungssicherheit des Steuerpflichtigen. Dieser kann eine verbindliche Stellungnahme der Finanzverwaltung erhalten, bevor er einen Sachverhalt – ggf. mit erheblichen wirtschaftlichen und steuerlichen Auswirkungen – realisiert. Dabei kommt es jedoch zu keiner Vereinbarung über die Steuerbelastung des Antragsstellers.1379 Jedoch kann die verbindliche Auskunft aber auch ein über die reine Planungs- und Rechtssicherheit hinausgehendes Begünstigungselement enthalten. Es liegt in der Natur der verbindlichen Auskunft, dass sie für Sachverhalte beantragt wird, in denen sich keine eindeutigen Gesetzesauslegungen ergeben, sondern im Gegenteil in denen Rechtsunsicherheit bzgl. der Anwendbarkeit und eventuell 1376

Vgl. Grotherr, EWS 2015, 67 (75). Bekanntmachung der Kommission zum Begriff der staatlichen Beihilfe im Sinne des Artikels 107 Absatz 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, ABl. 2016 Nr. C 262/1, Rn. 174. 1378 BFH, Urteil v. 29. 02. 2012 – IX R 11/11 –, BFHE 237, 9 (12 ff.), BStBl. II 2012, 651 (652, Rn. 9 ff.). 1379 Naumann, IStR 2011, 683 (684). 1377

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Kap. 4: Tax Rulings als Anwendungsgegenstand des Beihilfeverbotes

eintretender Rechtsfolgen bestehen.1380 Die Frage, ob Gestaltungen und Transaktionen eine Steuerpflicht nach einer bestimmten Norm auslösen, ist in der Praxis häufig Gegenstand von Anfragen.1381 Die Finanzverwaltung beeinflusst dabei durch die Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe die Anwendung von Normen auf bestimmte Sachverhalte. Das kann durchaus mit wirtschaftlichen Vorteilen für den einzelnen Steuerpflichtigen verbunden sein. Schließt sich bspw. die Finanzverwaltung der Rechtsauffassung des Antragsstellers an und kommt es dadurch für den Steuerpflichtigen zu einer Begünstigung im Vergleich zur alternativen Besteuerungssituation, so kann die verbindliche Auskunft zu einer Begünstigung mit Auswirkungen auf den Wettbewerb zwischen den Unternehmen führen.1382 Der Wert des gewährten Vorteils entspricht dabei der Differenz zwischen der nun tatsächlich zu tragenden Steuerlast und der Steuerlast, die entstünde, wenn die Finanzbehörde eine gegenteilige Rechtsauffassung vertreten hätte. Da die Finanzverwaltung an Recht und Gesetz gebunden ist, gibt diese Differenz dann genau den Steuerbetrag an, um den die Finanzverwaltung aufgrund ihres Beurteilungsspielraums abgewichen ist.1383 Dem muss allerdings entgegengehalten werden, dass es bei alledem gerade nicht zu einer Vereinbarung über die Besteuerung kommt. Vielmehr gibt die Finanzverwaltung nur ihre Rechtsauffassung über die bestehende Gesetzeslage wieder. Die Besteuerung selbst erfolgt ausschließlich nach Maßgabe des geltenden Steuerrechts. Wie gezeigt, hat die Finanzbehörde kein Ermessen, von der materiellen Gesetzeslage abzuweichen. Insoweit ist eine Vereinbarung über die zu zahlenden Steuern gerade nicht möglich. Die verbindliche Auskunft stellt daher grundsätzlich keine Beihilfe i. S. d. Art. 107 Abs.1 AEUV dar, solange sich die Finanzverwaltung bei der Erteilung und der Auslegung von Sachverhalten an objektiv nachprüfbaren Kriterien orientiert und die Sachgerechtigkeit im Mittelpunkt ihrer Auskunft steht. Verwaltungsentscheidungen, die ausschließlich der Auslegung der geltenden Rechtslage dienen, stellen prinzipiell keine Beihilfe dar.1384 An dieser Stelle sei auch angemerkt, dass Abweichungen vom geltenden Recht durch die verbindliche Auskunft rechtswidrig sind und keine Bindungswirkung entfalten. Vor dem Hintergrund der zunehmenden Beihilfekontrolle der Europäischen Kommission wird aber die Begründung der Rechtsauffassung der Verwaltung größere Bedeutung erlangen. Nur daran können die Gründe für die Verwaltungsentscheidung verifiziert werden.1385 Auch sei angemerkt, dass die handelnden Finanzbehörden häufig durch die Selbstbindung der Verwaltung zu einer einheitlichen Erteilungspraxis verpflichtet 1380

Moreno González, EStAL 2016, 556 (561). Grotherr, EWS 2015, 67 (69). 1382 Grotherr, EWS 2015, 67 (67). 1383 Grotherr, EWS 2015, 67 (69). 1384 Bekanntmachung der Kommission zum Begriff der staatlichen Beihilfe im Sinne des Artikels 107 Absatz 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, ABl. 2016 Nr. C 262/1, Rn. 170. Deutlicher noch: Kommission, Entwurf einer Bekanntmachung zum Begriff der staatlichen Beihilfe v. 17. 01. 2014, Rn. 175. 1385 Grotherr, EWS 2015, 67 (75). 1381

D. Beihilferelevanz deutscher Rechtsinstitute

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sein dürften.1386 Eine Bindung aus dem allgemeinen verfassungsrechtlichen Gleichheitssatz bzw. ein Verstoß dagegen vermag an einem Verstoß gegen beihilferechtliche Vorgaben jedoch nichts zu ändern. Der Steuergesetzgeber und die Finanzbehörden unterliegen einer echten Doppelverpflichtung.1387 3. Verbindliche Auskunft und Steuersparmodelle Aus dem bisher Gesagten folgt, dass mittels der verbindlichen Auskunft keine Vereinbarungen über die steuerrechtliche Legitimität von Steuersparmodellen getroffen werden können. Entscheidend dafür ist alleine das materielle Steuerrecht. Offen bleibt aber die Frage, ob eine verbindliche Auskunft hinsichtlich der Anwendung von § 42 AO erteilt werden kann. Und bejahendenfalls, ob eine solche Auskunft eine Beihilfe im Sinne des Art. 107 Abs. 1 AEUV darstellen könnte. Als Unterfall des allgemeinen Umgehungsverbots hat § 42 AO den Zweck steuerliche Gestaltungsmissbräuche zu verhindern. Damit soll nicht jede Gestaltung, die auf eine Vermeidung von steuerlichen Belastungen abzielt, verhindert werden, sondern vielmehr solche Gestaltungen blockiert werden, die einen unangemessenen Umweg in Kauf nehmen, um so einen Erfolg zu erreichen, der vom Gesetz eigentlich ausgeschlossen ist.1388 Zunächst kann festgehalten werden, dass gemäß Nr. 3.5.4 S. 1 AEAO zu § 89 AO Auskünfte in solchen Angelegenheiten nicht erteilt werden, bei denen die Erzielung eines Steuervorteils im Vordergrund steht (z. B. bei der Prüfung von Steuersparmodellen oder zur Feststellung der Grenzpunkte für das Handeln eines ordentlichen Geschäftsleiters). Damit scheidet eine Erteilung nach der aktuellen Praxis zwar aus, das bedeutet aber nicht, dass sich dies nicht zukünftig ändern könnte. Es muss daher die Frage nach der grundsätzlichen rechtlichen Zulässigkeit gestellt werden. Zuerst muss die Frage entschieden werden, ob eine verbindliche Auskunft über das Vorliegen eines Gestaltungsmissbrauchs und der Anwendung von § 42 AO überhaupt möglich ist. Die verbindliche Auskunft bezieht sich grundsätzlich auf sämtliche Steuernormen, mithin auch auf § 42 AO. Eine Auskunft ist nur dann ausgeschlossen, wenn es sich dabei um keine steuerrechtliche Fragestellung handelt. § 42 AO gibt Auskunft über die Art und Weise der Steuerermittlung. Unabhängig vom Anwendungserlass zur Abgabenordnung wäre eine Erteilung also möglich.1389 Eine Auskunft darf auch nicht schon deshalb ausgeschlossen werden, weil der Sachverhalt schwer zu ermitteln ist oder der Antragssteller Steuern vermeiden möchte. Es ist das

1386

Für die Bedeutung und den Inhalt des allgemeinen Gleichheitssatzes im Steuerrecht sowie zum Gebot der Rechtsanwendungsgleichheit vgl. ausführlich: Hey, in: Tipke/Lang (Hrsg.), Steuerrecht, § 3 Rn. 111 ff. 1387 Brandau/Neckenich/Reich/Reimer, BB 2017, 1175 (1176). 1388 Koenig, in: Koenig (Hrsg.), AO § 42 Rn. 1 – 9. 1389 So auch: Werder/Dannecker, BB 2011, 2903 (2905).

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Kap. 4: Tax Rulings als Anwendungsgegenstand des Beihilfeverbotes

Recht eines Steuerpflichtigen, seine Steuerlast kleinzuhalten.1390 Es bleibt jedoch die Frage, inwieweit eine solche Auskunft im Konflikt mit Art. 107 Abs. 1 AEUV steht. Hier kann zunächst festgehalten werden, dass, wenn die Finanzverwaltung zu derartigen Bemühungen Stellung nimmt, sie noch keine Hilfe zur Steuervermeidung leistet. Selbst, wenn die Finanzverwaltung zu der Auffassung kommt, dass eine missbräuchliche Gestaltung vorliegt, wäre es weiterhin eine Angelegenheit des Antragsstellers, ob er seine Pläne umsetzt und damit § 42 AO verletzt oder nicht. Die Finanzverwaltung gewährt ihm insoweit keinen Vorteil. Wird mit der Auskunft hingegen eine spätere Anwendung von § 42 AO auch auf missbräuchliche Gestaltungen ausgeschlossen und dem Unternehmen so ermöglicht, Steuersparmodelle zu nutzen, die durch § 42 AO verhindert werden sollen, dann muss von einer Beihilfe ausgegangen werden. Die zuständige Behörde würde hier von der materiellen Rechtslage abweichen und einem Steuersparmodell zur Umsetzung verhelfen, das durch die Norm gerade ausgeschlossen werden sollte.1391 In ihrer Bekanntmachung zum Begriff der staatlichen Beihilfe nennt die Kommission selektive Maßnahmen gegen Missbrauchsbekämpfung explizit als beihilferelevante Maßnahmen.1392 Ob diese durch den Steuergesetzgeber selektiv erlassen wurden oder durch die Steuerbehörden selektiv angewendet werden, kann dabei nicht ausschlaggebend sein. Eine die Anwendbarkeit von § 42 AO einschränkende Zusage stellt folgerichtig unzweifelhaft eine Beihilfe dar.1393 4. Bedeutung der föderalen Verwaltungsstruktur Die Bedeutung unbestimmter Rechtsbegriffe, die Bindungswirkung der verbindlichen Auskunft und die Gleichheit der Besteuerung erhält vor dem Hintergrund der föderalen Verwaltungsstruktur zusätzliche Brisanz. Durch die verbindliche Auskunft wird nur der Antragssteller berechtigt und verpflichtet. Andere Unternehmen können sich grundsätzlich nicht auf eine verbindliche Auskunft berufen, die einem Wettbewerber erteilt wurde.1394 Wettbewerber können folglich aus dieser verbindlichen Auskunft weder für sich Rechtsfolgen ableiten, noch entsteht dadurch ein Präjudiz für ein eigenes Auskunftsersuchen. Das nationale Verfassungsrecht zwingt die Verwaltungsbehörden zwar dazu, gleichgelagerte Fälle gleich zu behandeln – es kann hier aber nur bedingt Abhilfe leisten. Der allgemeine Gleich1390

BVerfG, Beschluss v. 14. 04. 1959 – 1 BvL 23/57 –, BVerfGE 9, 237 (250); BFH, Urteil v. 19. 10. 1999 – IX R 39/99 –, BFHE 190, 173 (175), BStBl. II 2000, 224 (225). 1391 Eine solche Vereinbarung wäre auch bereits aufgrund des Verstoßes gegen das Rechtsstaatsprinzip nichtig. 1392 Bekanntmachung der Kommission zum Begriff der staatlichen Beihilfe im Sinne des Artikels 107 Absatz 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, ABl. EU 2016 Nr. C 262/1, Rn. 183. 1393 An dieser Stelle sei aber angemerkt, dass ein solches Behördenhandeln auch als rechtswidrig angesehen werden muss. 1394 § 2 Abs. 1 StAuskV.

D. Beihilferelevanz deutscher Rechtsinstitute

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heitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG garantiert zwar die Rechtsanwendungsgleichheit im Steuerrecht, findet aber seine Grenze in den Zuständigkeiten der Gebietskörperschaften.1395 Es besteht daher die reale Gefahr, dass es zu widersprüchlichen Auskünften verschiedener Finanzverwaltungen hinsichtlich identisch gelagerter Rechtsfragen innerhalb des Bundesgebiets kommt. Die lokalen Finanzbehörden können Interpretations- und Beurteilungsspielräume in ihrer Praxis in unterschiedlicher Art und Weise wahrnehmen. Die Ursache ist in der föderalen Verwaltungsstruktur zu finden. Die Verfassung garantiert Ländern und Kommunen auch bei der Ausführung von Bundesgesetzen ein gewisses Maß an Unabhängigkeit. Das Prinzip der Gleichmäßigkeit der Besteuerung tritt hinter die in Art. 83 GG niedergelegten föderalen Strukturen zurück.1396 Dabei ist es nicht ausgeschlossen, dass einzelne Länder oder Kommunen ihre Autonomie zielgerichtet einsetzen, um gegenüber anderen einen Standortvorteil zu erzielen. Diese Schutzlücke im Gleichheitssatz ermöglicht Verzerrungen in der Anwendung der verbindlichen Auskunft zwischen den Gebietskörperschaften. Obwohl diese Divergenzen für Unternehmen und Wettbewerb zweifellos unerwünschte Konsequenzen haben können,1397 hat dies nicht die Beihilfewidrigkeit zur Folge. Es handelt sich letztlich um eine Erscheinungsform der regionalen Selektivität.1398 Sie muss hingenommen werden, da sie systemimmanente Folge des föderalen Staatsaufbaus ist. Föderale Staatsstrukturen müssen auch vom primären Unionsrecht respektiert werden. Der Europäische Gerichtshof hat dies in seiner bisherigen Rechtsprechung auch getan.1399 Auch das europäische Beihilferecht vermag diese gleichheitsrechtliche Schutzlücke folglich nicht zu schließen. Diese Feststellung muss jedoch ihrerseits wiederum eingeschränkt werden. Um Missbrauch und Umgehungen durch die Mitgliedstaaten vorzubeugen, hat der Gerichtshof den Schutz föderaler Strukturen unter die Bedingung der Autonomiekriterien gestellt. Anhand dieser Kriterien muss auch die verbindliche Auskunft gemessen werden. Die Bundesländer müssen institutionell, prozedural und wirtschaftlich autonom sein.1400 Die ersten beiden Kriterien werden durch die Bundesländer unzweifelhaft erfüllt. Sie sind eine verfassungsrechtlich verankerte Institution und ihre Entscheidung erfolgt frei vom Einfluss des Zentralstaates. Fraglich bleibt alleine die finanzielle Autonomie. Zwar besteht zwischen den Bundesländern ein Mittelfluss durch den Länderfinanzausgleich und solche Ausgleichszahlungen vermögen es auch die wirtschaftliche Autonomie aufzuheben; aber nicht jeder innerstaatliche Mitteltransfer führt auch tatsächlich dazu. Ein solcher Finanztransfer kann 1395 1396

(38). 1397

Hey, in: Tipke/Lang (Hrsg.), Steuerrecht, § 3 Rn. 151. BFH, Urteil v. 23. 07. 1985 – VIII R 197/84 –, BFHE 144, 9 (14), BStBl. II 1986, 36

Siehe dazu ausführlich: Grotherr, EWS 2015, 67 (76). Vgl. zur regionalen Selektivität Kapitel 3, S. 121 ff. 1399 Vgl. EuGH, Urteil v. 06. 09. 2006, Rs. C-88/03, ECLI:EU:C:2006:511 – Azoren; EuGH, Urteil v. 11. 09. 2008, Rs. C-428/06 bis C-434/06, ECLI:EU:C:2008:488 – Unión General de Trabajadores de la Rioja. 1400 Vgl. zu den Voraussetzungen ausführlich Kapitel 3, S. 125 ff. 1398

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Kap. 4: Tax Rulings als Anwendungsgegenstand des Beihilfeverbotes

grundsätzlich vielfältige Gründe haben und erfolgt nicht automatisch aufgrund geringerer Steuereinnahmen im Einzelfall. Es muss vielmehr ein Kausalzusammenhang zwischen der durch die Gebietskörperschaft erlassenen Maßnahme, dem damit verbundenen Steuerausfall und der Ausgleichszahlung bestehen. Das bedeutet, dass die Höhe der eingenommenen Steuern überhaupt in die Berechnung der Finanztransfers einbezogen wird, und dass eine Veränderung der Höhe der Einnahmen auch zu einer Anpassung der Höhe der Transfers führt.1401 Durch den Länderfinanzausgleich kommt es zwar zu einem Mitteltransfer, die Steuereinnahmen werden aber gerade nicht unmittelbar ausgeglichen. Je nach Art der Steuer werden diese jedoch bei der Berechnung miteinbezogen. So sind z. B. gemäß Art. 106 Abs. 3 GG die Länder an den Einnahmen der Körperschaftsteuer beteiligt. Diese Einnahmen werden auch im Länderfinanzausgleich berücksichtigt, sodass letztlich ein Kausalzusammenhang zwischen Mindereinnahmen und Ausgleichszahlungen besteht, auch wenn dabei nicht notwendigerweise eine volle Kompensation erfolgt. Unter der Annahme, die Autonomiekriterien seien nicht erfüllt, wäre damit regionale Selektivität gegeben. Trotzdem fehlt es dabei an einer über die Planungs- bzw. Rechtssicherheit hinausgehenden Vorteilsgewährung und am staatlichen Mittelabfluss – sofern sich die Finanzverwaltung bei der Erteilung und der Auslegung von Sachverhalten an objektiv nachprüfbaren Kriterien orientiert und die Sachgerechtigkeit im Mittelpunkt ihrer Auskunft steht. Regional abweichende Verwaltungspraxen können nur regionale Selektivität begründen, nicht die Vorteilhaftigkeit oder die Beihilfe insgesamt. Hierfür muss auch weiterhin ein wirtschaftlicher Vorteil auf Kosten eines staatlichen Haushaltes gewährt werden. Die Charakterisierung einer verbindlichen Auskunft als Beihilfe muss daher ausschließlich anhand des Inhalts der Auskunft im konkreten Einzelfall erfolgen. Ein Vergleich mit einem gleichgelagerten Sachverhalt innerhalb einer anderen Gebietskörperschaft kann nur zur Begründung der Ungleichbehandlung, nicht aber zur Begründung eines Vorteils aus staatlichen Mitteln herangezogen werden. Gleichwohl wird eine abweichende Praxis für die Kommission möglicherweise ein Indiz für eine Beihilfe darstellen und dazu führen, dass sie bestimmte Entscheidungen und Praxen näher analysiert.1402 Die Europäische Kommission erkennt dabei wohl aber an, dass die Auslegung und Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes von einer Steuerverwaltung zur anderen und zwischen den Steuerverwaltungen variieren kann.1403 1401 Vgl. Schlussanträge der Generalanwältin Kokott v. 08. 05. 2008, Rs. C-428/06 bis C434/06, ECLI:EU:C:2008:262, Rn. 106 bis 110 – Unión General de Trabajadores de la Rioja. Zustimmend: Glaser, EuZW 2009, 363 (365). 1402 Zur regionalen Selektivität von verbindlichen Auskünften siehe: Grotherr, EWS 2015, 67 (77). 1403 Beschluss der Kommission v. 21. 10. 2015 über die staatliche Beihilfe SA.38375 (2014/ C ex 2014/NN) Luxemburgs zugunsten von Fiat, Az. C(2015) 7152, ABl. EU 2016 Nr. L 351/1, Rn. 150 unter Verweis auf Mitteilung der Kommission v. 04. 06. 2014 an das Europäische Parlament, den Rat und den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss über die Tätigkeit des Gemeinsamen EU-Verrechnungspreisforums im Zeitraum Juli 2012 bis Januar 2014 (COM(2014) 315 final.

D. Beihilferelevanz deutscher Rechtsinstitute

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II. Verbindliche Zusage nach einer Außenprüfung, § 204 AO Für die verbindliche Zusage nach einer Außenprüfung gemäß § 204 AO ergeben sich insoweit keine Besonderheiten. Unzweifelhaft ist zumindest solange keine Beihilfe gegeben, als die verbindliche Zusage lediglich der Rechts- und Planungssicherheit Vorschub leisten soll. Werden Wettbewerber dabei von der Erteilungspraxis ausgeschlossen, steht ihnen eine Intervention im Rahmen des grundrechtlichen Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) offen. Der Grundrechtsschutz garantiert ihnen dabei insoweit auch eine einheitliche Erteilungspraxis in inhaltlicher Sicht.1404

III. Tatsächliche Verständigung Die Kommission nimmt an, dass auch sämtliche Arten von Steuervergleichen und Steueramnestien eine Beihilfe darstellen können. Sie geht dabei zunächst davon aus, dass ein solcher Vergleich grundsätzlich möglich und nicht per se beihilfewidrig ist;1405 nimmt eine Beihilfewidrigkeit aber dann an, wenn 1) die Verwaltung einem Steuerpflichtigen unverhältnismäßige Zugeständnisse macht und ihren Ermessensspielraum dazu nutzt, diesen Steuerpflichtigen im Vergleich zu anderen Steuerpflichtigen, die sich in einer ähnlichen Sach- und Rechtslage befinden, steuerlich „bevorzugt“ zu behandeln; oder 2) der Vergleich gegen die geltenden Steuervorschriften verstößt und zu einem in unangemessenem Maße niedrigeren Steuerbetrag geführt hat. Dies kann zum Beispiel der Fall sein, wenn die festgestellten Tatsachen nach den geltenden Vorschriften eigentlich zu einer anderen Beurteilung der Steuer geführt haben sollten (der Steuerbetrag aber rechtswidrig gesenkt wurde).1406 Der Begriff des Steuervergleichs wird dabei nicht näher definiert, sodass darunter jede Form nachträglicher Verständigung über einen strittigen Sachverhalt und damit auch eine tatsächliche Verständigung gefasst werden muss. Tatsächliche Verständigungen stellen daher eine unionsrechtswidrige Beihilfe dar, wenn sie dazu genutzt werden, gezielt bestimmten Unternehmen Vorteile zu gewähren. Das gilt für sämtliche Inhalte der tatsächlichen Verständigung, insbesondere aber auch für die Anerkennung von Verrechnungspreisen. Dass mit der tatsächlichen Verständigung keine zukünftige Einwilligung, sondern nur eine nachträgliche Genehmigung erfolgt, ist unerheblich. Maßgeblich ist alleine, ob es zu einer selektiven Begünstigung 1404

Zu den Grenzen vgl. S. 320 ff. Bekanntmachung der Kommission zum Begriff der staatlichen Beihilfe im Sinne des Artikels 107 Absatz 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, ABl. 2016 Nr. C 262/1, Rn. 175. 1406 Bekanntmachung der Kommission zum Begriff der staatlichen Beihilfe im Sinne des Artikels 107 Absatz 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, ABl. 2016 Nr. C 262/1, Rn. 176. 1405

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Kap. 4: Tax Rulings als Anwendungsgegenstand des Beihilfeverbotes

kommt.1407 Eine solche ergibt sich, wenn der eigentlich geschuldete Steuerbetrag im Rahmen des Vergleiches in unverhältnismäßiger Höhe gesenkt wird.1408 Für die Einordnung der tatsächlichen Verständigung stellt sich aber ein entscheidendes Problem: Häufig wird bei dieser zwischen Betriebsprüfer bzw. Finanzverwaltung und Steuerpflichtigem verhandelt. Im Rahmen dieser Verhandlung werden mehrere einzelne Konflikte im gegenseitigen Einvernehmen als Gesamtpaket gelöst. Die aus beihilferechtlicher Sicht begünstigende Einigung ist daher möglicherweise nur ein Teil der gesamten Verständigung. Es stellt sich daher zunächst die Frage, ob jeder Punkt einzeln auf seine Vorteilhaftigkeit geprüft werden muss oder ob das Gesamtpaket keine begünstigende Wirkung entfalten darf. Meiner Ansicht nach erscheint es sachgerecht, auf die tatsächliche Verständigung als Ganzes abzustellen. Zum einen spiegelt es den Kontext der Verständigung besser wider als eine einzelne Entscheidung. Zum anderen hätte der Steuerpflichtige an anderer Stelle der Auffassung der Finanzverwaltung wahrscheinlich nicht zugestimmt, hätte er gewusst, dass die für ihn vorteilhaften Einzelvereinbarungen später nicht anerkannt werden. Es erschiene unbillig, ihn an seinen Verpflichtungen aus der Verständigung festzuhalten, ohne dass die Finanzverwaltung die ihren erfüllen muss. Auch die Kommission scheint implizit von einer Gesamtwürdigung auszugehen. Ihr Verweis auf unverhältnismäßige Zugeständnisse bei der Ermessensausübung1409 kann dahingehend interpretiert werden, dass sie sich der Situation eines Vergleichs bewusst ist und den Finanzbehörden Raum für Verständigungen und Zugeständnisse lässt, solange sich diese in angemessenem Rahmen bewegen und auf einen insgesamt fairen Ausgleich zwischen Verwaltung und Steuerpflichtigem hinauslaufen. Die Kommission führt jedoch außerdem aus, dass durch den Vergleich nicht gegen das geltende Steuerrecht verstoßen werden darf. Dies kann bspw. der Fall sein, wenn die festgestellten Tatsachen nach den geltenden Vorschriften eigentlich zu einer anderen Beurteilung der Steuer geführt haben sollten. Dies ist bei der tatsächlichen Verständigung möglich. Zwar werden tatsächliche Verständigungen gerade in solchen Fällen vorgenommen, in denen über die Beurteilung des Sachverhalts Unsicherheit herrscht, sodass gerade nicht gesagt werden kann, welche Beurteilung die richtige ist. Trotzdem sind Fälle denkbar, in denen eine Beurteilung durch die Tatsachen indiziert wird, sich die Verwaltung im Rahmen der Verständigung aber der Auffassung des 1407 So hat sich die Kommission festgelegt, dass sich die Beihilfewidrigkeit der akzeptierten Verrechnungspreise nicht aus der vorherigen Akzeptanz, sondern alleine aus deren fehlender Fremdvergleichskonformität ergibt. Vgl. Starbucks State aid SA.38374 (2014/C) (ex 2014/NN) (ex 2014/CP) – Netherlands Alleged aid to Starbucks, C(2014) 3626 final, Rn. 74. Vgl. dazu auch: Lang, IStR 2015, 369 (371). 1408 Vgl. Beschluss der Kommission v. 26. 05. 2010 über die von Belgien gewährte staatliche Beihilfe in Form einer Vergleichsvereinbarung über eine Ermäßigung der Mehrwertsteuerschuld zugunsten der Gesellschaft Umicore S. A. (vormals Union Minière S. A.) (Beihilfe C 76/03 (ex NN 69/03), Az. K(2010) 2538, ABl. EU 2011 Nr. L 122/76, Rn. 155. 1409 Bekanntmachung der Kommission zum Begriff der staatlichen Beihilfe im Sinne des Artikels 107 Absatz 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, ABl. EU 2016 Nr. C 262/1, Rn. 175.

E. Sonstige Maßnahmen gegen Steuervermeidung und Gewinnverlagerungen

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Steuerpflichtigen anschließt, um einen Vergleich so überhaupt möglich zu machen. Hier wird ein selektiver Vorteil gewährt. Die Kommission schränkt ihre Beurteilung aber selbst ein, indem sie zusätzlich zum Verstoß gegen das geltende Steuerrecht fordert, dass der Verstoß zu einem „unangemessen niedrigen Steuerbetrag“ geführt haben muss.1410 Ähnlich wie bei dem Kriterium „unverhältnismäßige Zugeständnisse“ scheint die Kommission den Verwaltungen hier einen gewissen Spielraum zuzugestehen. Entscheidend ist daher wohl eine wertende Betrachtung im Einzelfall. Nach der hier vertretenen Ansicht ist dabei auf den Vergleich als Ganzes und nicht auf einzelne Vereinbarungen abzustellen. Solange es sich dabei nicht um eine einseitige Begünstigung des Steuerpflichtigen, sondern einen echten Ausgleich im Sinne eines „Geben und Nehmen“ handelt, scheint auch die Europäische Kommission darin keine Beihilfe zu sehen. An dieser Stelle sei auch angemerkt, dass eine tatsächliche Verständigung auch ohne Beihilfeverstoß unzulässig ist, wenn sie zu offensichtlich unzutreffenden Ergebnissen führt.1411 Es ist mit dem Gesetzmäßigkeitsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG unvereinbar, wenn die Verwaltung vom allgemeinen Steuerrecht abweichende individuelle Steuervereinbarungen trifft.1412 Im Ergebnis kann festgehalten werden, dass die tatsächliche Verständigung, ebenso wie ein Vergleich in einem Gerichtsverfahren, keine Beihilfe darstellt, solange sie tatsächlich nur dazu verwendet wird in schwierigen Sachverhalten einen sachgerechten Ausgleich herbeizuführen. Wird sie hingegen dazu verwendet einem Steuerpflichtigen einen selektiven Vorteil zu gewähren – z. B. durch die nachträgliche Legitimation eines Steuersparmodells oder durch die Anerkennung nicht sachgerechter Verrechnungspreise – ist darin eine Beihilfe i. S. v. Art. 107 Abs. 1 AEUV zu sehen.

E. Sonstige Maßnahmen gegen Steuervermeidung und Gewinnverlagerungen durch Tax Rulings Die Anwendung des Beihilferechts ist nicht die einzige Möglichkeit um gegen groß angelegte Steuervermeidungsstrategien internationaler Großkonzerne vorzugehen. Auf OECD- und EU-Ebene wird bereits seit einigen Jahren eine Reihe von Maßnahmen diskutiert, um diesem Problem Herr zu werden. Diese sind dabei zwar 1410 Bekanntmachung der Kommission zum Begriff der staatlichen Beihilfe im Sinne des Artikels 107 Absatz 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, ABl. 2016 Nr. C 262/1, Rn. 176. 1411 BFH, Urteil v. 06. 02. 1991 – I R 13/86 –, BFHE 164, 168 (172), BStBl. II 1991, 673 (674). 1412 Nimmt man einen öffentlich-rechtlichen Vertrag an, so ist dieser gem. § 134 BGB wegen Verstoßes gegen ein Verbotsgesetz nichtig. Bei Negierung eines Vertrages kann nichts anderes gelten. Eine Bindungswirkung aus Treu und Glauben trotz Rechtswidrigkeit ist nicht denkbar.

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Kap. 4: Tax Rulings als Anwendungsgegenstand des Beihilfeverbotes

größtenteils von der Beihilfenpraxis grundsätzlich unabhängig, ergänzen sie jedoch mitunter.

I. Automatischer Informationsaustausch Die Diskussion um einen Informationsaustausch über bestehende und geplante Steuerbescheide wird auf EU-Ebene ebenso wie auf globaler Ebene (OECD-Informationsaustausch1413) bereits seit längerem geführt. Immer neue Fälle geschickter Steuervermeidung durch multinationale Konzerne genauso wie die anhaltende Berichterstattung darüber sind Gründe für die wiederkehrenden Diskussionen. Die Mobilität von Unternehmen und Konzernen hat durch die Globalisierung stetig zugenommen. Wirtschaftliche Prozesse sind nicht auf einzelne Länder begrenzt, sondern finden grenzüberschreitend statt. Diese internationale Verflechtung unternehmensinterner Prozesse wird von multinationalen Konzernen für ihre Steuersparmodelle ausgenutzt. Entscheidende Problematik bei der Steuervermeidung und Ausnutzung bestehender nationaler Schlupflöcher ist die Intransparenz der nationalen Steuergesetze. Ebenso wenig wie die betroffenen Steuerpflichtigen erkennen können, wie ein anderer Steuerpflichtiger besteuert wird, können dies andere Staaten. Auch sie haben in der Regel keinen Einblick in die Beurteilung eines Sachverhalts durch einen anderen Staat. Ihre Informations- und Sachverhaltsermittlung ist auf ihr Hoheitsgebiet beschränkt und muss daher in grenzüberschreiten Konstellationen unvollständig bleiben.1414 Dieser Intransparenz soll mit einem möglichst weitreichenden Informationsaustausch Einhalt geboten werden. 1. Informationsaustausch im Rahmen des BEPS-Projekts Die OECD hat ihrerseits im Rahmen ihres Base Erosion and Profit Shifting Projekts (BEPS) den automatischen Informationsaustausch über Vorabentscheidungen im Zusammenhang mit Steuervergünstigungen vorgeschlagen.1415 Die grenzüberschreitende Bedeutung eines Tax Rulings alleine soll dabei aber noch keinen Austausch rechtfertigen. Vielmehr sollen Informationen zu Vorabentscheidungen ausgetauscht werden, die: 1) die Besteuerung von Einnahmen aus geografisch mobilen Tätigkeiten (z. B. Finanzierung, Dienstleistungen und Überlassung von IP) betreffen,

1413 Die OECD hat im BEPS Punkt 5 den automatischen Informationsaustausch über Vorabentscheidungen im Zusammenhang mit Steuervergünstigungen vorgeschlagen. 1414 Czakert, Neue Entwicklungen bei der steuerlichen Amtshilfe, S. 9. 1415 OECD, Projekt Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung: Aktionspunkt 5 – Abschlussbericht 2015, S. 52 ff. Für eine Bewertung des BEPS-Projekts in Bezug auf Verrechnungspreise siehe: Brauner, Intertax 2015, 72 – 84.

E. Sonstige Maßnahmen gegen Steuervermeidung und Gewinnverlagerungen

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2) im Zusammenhang mit einer Steuervergünstigung („preferential regime”) stehen, gleich welcher Art, die dazu führt, dass die Einnahmen nicht oder nur gering besteuert werden, und 3) sich auf grenzüberschreitende Verrechnungspreise oder andere grenzüberschreitende Sachverhalte beziehen.1416 Sollten diese Voraussetzungen gegeben sein, soll die Information mit allen betroffenen Ländern geteilt werden. Die Bundesrepublik ist der BEPS-Initiative mit dem sog. BEPS 1-Umsetzungsgesetz nachgekommen. Das Gesetz sieht die Erstellung von umfassenden Verrechnungspreisdokumentationen und länderbezogenen Berichten (sog. Country-by-Country-Reports) und deren automatischen Austausch zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union vor.1417 2. Informationsaustausch innerhalb der Europäischen Union Auch innerhalb der Union machen sich Unternehmen den bestehenden Mangel an Transparenz zu Nutze, um nicht gerechtfertigte Steuervorteile zu erhalten. Um dieser Entwicklung Einhalt zu gebieten wurden in jüngerer Vergangenheit die Zinsbesteuerungsrichtlinie1418 verschärft und die Amtshilferichtlinie1419 ergänzt. Beides zielt auf die Erreichung einer umfassenderen Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten ab, um so der aggressiven Steuerplanung multinationaler Unternehmen besser Herr werden zu können. Bisher erfolgte der Informationsaustausch nur in sehr begrenztem Umfang und nach Ermessen der Mitgliedstaaten. So war die Beantwortung der Frage, ob ein Tax Ruling ggf. auch für einen anderen Mitgliedstaat von Relevanz sein könnte, dem das Ruling erteilenden Staat überlassen.1420 Herausgehobene Bedeutung kommt dabei der Modifikation der Amtshilferichtlinie zu. Diese umfasst neben der Übermittlung bestimmter Informationen auf Ersuchen eines Mitgliedstaates auch einen automatischen Austausch bestimmter besteuerungsrelevanter Informationen. Vom Informationsaustausch erfasst sind: 1416

Werder/Dannecker, BB 2015, 1687 (1693). Blumenberg/Kring, BB 2017, 151 (152). 1418 Richtlinie 2014/48/EU des Rates vom 24. 03. 2014 zur Änderung der Richtlinie 2003/ 48/EU im Bereich der Besteuerung von Zinserträgen, ABl. EU 2014 Nr. L 111/50. 1419 Richtlinie 2011/16/EU des Rates v. 15. 02. 2011 über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden im Bereich der Besteuerung und zur Aufhebung der Richtlinie 77/799/EWG, ABl. EU 2011 Nr. L 64/1, geändert durch die Richtlinie vom 2014/107/EU des Rates v. 09. 12. 2014 zur Änderung der Richtlinie 2011/16/EU bezüglich der Verpflichtung zum automatischen Informationsaustausch von Informationen im Bereich der Besteuerung, ABl. EU 2014 Nr. L 359/1. In Deutschland wurden die Änderungen durch Anpassungen im EU-Amtshilfegesetz (EUAHiG) im Rahmen des BEPS 1-Umsetzunggesetzes v. 23. 12. 2016 umgesetzt. Vgl. dazu: Blumenberg, Aktuelle Entwicklungen des EU-Beihilferechts im Bereich der deutschen Unternehmensbesteuerung, S. 58. 1420 Zur bisherigen Praxis des Informationsaustauschs vgl. Mückl/Münch, BB 2015, 2775 (2777). 1417

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Kap. 4: Tax Rulings als Anwendungsgegenstand des Beihilfeverbotes

1) Vorabentscheidungen, die sich auf eine grenzüberschreitende Transaktion oder auf die Frage beziehen, ob durch die Tätigkeiten, denen eine juristische Person in einem anderen Mitgliedstaat nachgeht, eine Betriebstätte gegründet wird, sowie 2) Vorabverständigungsvereinbarungen, die Verrechnungspreise festlegen oder die Zuweisung von Gewinnen an eine Betriebstätte regeln. Zwar werden dadurch nicht sämtliche Tax Rulings erfasst, der Austausch innerhalb der Union geht aber deutlich über denjenigen auf OECD-Ebene hinaus. Insbesondere werden auch die verbindliche Auskunft nach § 89 Abs. 2 AO, die verbindliche Zusage nach § 204 AO und unilaterale Vorabzusagen über Verrechnungspreise zur Umsetzung von Vorabverständigungsverfahren i. S. v. § 178a Abs. 1 AO vom Austausch erfasst.1421 Um zu verhindern, dass Mitgliedstaaten diese Verpflichtung zum Austausch durch schlichte Nichtanwendung umgehen, müssen die Mitgliedstaaten der Kommission jährlich Statistiken zum Umfang des automatischen Informationsaustauschs vorlegen. Allerdings bleiben der Kommission konkrete Inhalte und Adressaten der Vorbescheide und Vorabverständigungsvereinbarungen verborgen. 3. Maßnahmenpaket zur Bekämpfung der Steuervermeidung Mit dem Maßnahmenpaket zur Bekämpfung der Steuervermeidung1422 und den Anti-Tax-Avoidance-Richtlinien 1 und 2 (ATAD) wurden die Vorgaben für die europaweit einheitliche Umsetzung weiterer BEPS-Aktionspunkte geschaffen.1423 Das betrifft die Hinzurechnungsbesteuerung, die Begrenzung des Zinsabzugs, hybride Gestaltungen sowie allgemeine Missbrauchsklauseln. In Deutschland besteht hinsichtlich Änderungen des nationalen Steuerrechts allerdings nur sehr geringer Handlungsbedarf, da in weiten Teilen bereits ein strengerer Standard gilt als der von der EU geforderte.1424

II. Transparenz und Konkurrentenklagen Transparenz ist grundsätzlich ein entscheidender Faktor im Kampf gegen selektive Unternehmensbegünstigungen und auch im Kampf gegen schädlichen 1421

Werder/Dannecker, BB 2015, 1687 (1694); Blumenberg/Kring, BB 2017, 151 (154). Mitteilung der Kommission v. 28. 01. 2016 an das Europäische Parlament und den Rat: Maßnahmenpaket zur Bekämpfung von Steuervermeidung: nächste Schritte auf dem Weg zu einer effektiven Besteuerung und einer größeren Steuertransparenz in der EU, COM(2016) 23 final. 1423 Für eine umfassende Darstellung der Anti-Tax-Avoidance Richtlinien vgl. Rödder, in: Tagungsband zur ifst-Jahrestagung v. 26. 06. 2017: Entwicklungslinien und Zukunft des deutsch-europäischen Steuerrechts, S. 17 – 23. 1424 Siehe: Schanz/Feller, BB 2015, 865 – 870. Ebenso: BDI, Änderungen im Steuer- und Wirtschaftsrecht 2016/2017, S. 51. 1422

E. Sonstige Maßnahmen gegen Steuervermeidung und Gewinnverlagerungen

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Steuerwettbewerb.1425 Die Entwicklung zu einer transparenteren Unternehmensbesteuerung ist dabei nicht mehr aufzuhalten. Dabei ist es auch denkbar, über den Austausch von Informationen über Tax Rulings zwischen den mitgliedstaatlichen Finanzverwaltungen hinaus bestimmte Steuerinformationen von Unternehmen der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Steuerpraktiken multinationaler Konzerne sollen frühzeitig der Allgemeinheit zugänglich gemacht werden, um so einen gewissen öffentlichen Druck aufzubauen.1426 Dazu sollen Konzerne zukünftig verpflichtet werden ihre konzernweiten Verrechnungspreise in sog. Master und Local files zu dokumentieren. Dazu werden Konzerne im Rahmen eines Country-byCountry-Reportings (CbCR) verpflichtet in ihren Abschlüssen und Geschäftsberichten ihre länderspezifischen Steuerbelastungen offenzulegen. Die bisherige Praxis der Konzernabschlüsse knüpft an die betriebswirtschaftliche Einheit und nicht die rechtliche Selbstständigkeit an, sodass sich Rückschlüsse auf die gezahlten Steuern in den Domizilstaaten der Tochtergesellschaften nur bedingt ziehen lassen.1427 Durch die Offenlegung der in den einzelnen Ansässigkeitsstaaten gezahlten Steuern soll es zukünftig möglich sein, dies besser einzuschätzen. Damit ist nicht zuletzt die Hoffnung verbunden, dass Konzerne aus Furcht vor einer gesellschaftlichen Stigmatisierung als Steuervermeider ihrer Steuerpflicht nachkommen, obwohl eine (legale) Vermeidung möglich wäre. In der juristischen Literatur wird in diesem Zusammenhang auch gefordert, dass Tax Rulings (anonymisiert) veröffentlicht werden, um so die Schaffung eines secret body of law zu verhindern.1428 Neben der Öffentlichkeit würden die Steuerinformationen auch für Konkurrenzunternehmen zugänglich. Diese könnten die Besteuerung des Wettbewerbers analysieren und mit Hilfe des Durchführungsverbotes nach Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV gegen bestehende Vergünstigungen vorgehen.1429 Obwohl derartige Bestrebungen wahrscheinlich von großer Effektivität sein können, müssen sie kritisch hinterfragt werden. Zum einen erscheint es geradezu paradox, dass Staaten dazu übergehen könnten, Unternehmen für legale Verhal1425 Vgl. Mitteilung der Kommission v. 18. 03. 2015 an das Europäische Parlament und den Rat über Steuertransparenz als Mittel gegen Steuerhinterziehung und Steuervermeidung, COM(2015) 136 final. Zur Bedeutung von Transparenz im Kampf gegen Steuervermeidung vgl. auch: Nouwen, Intertax 2017, 138 – 149. 1426 Mitteilung der Kommission v. 18. 03. 2015 an das Europäische Parlament und den Rat über Steuertransparenz als Mittel gegen Steuerhinterziehung und Steuervermeidung, COM(2015) 136 final, S. 6; Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat v. 28. 01. 2016 – Maßnahmenpaket zur Bekämpfung von Steuervermeidung: nächste Schritte auf dem Weg zu einer effektiven Besteuerung und einer größeren Steuertransparenz in der EU, COM(2016) 23 final, S. 9. 1427 Czakert, Neue Entwicklungen bei der steuerlichen Amtshilfe, S. 77. 1428 Vgl. Greil, Advance Pricing Agreements – Ein Instrument zur Steigerung der Rechtssicherheit bei grenzüberschreitenden Geschäftsvorfällen zwischen verbundenen Unternehmen, S. 76. 1429 Zu den rechtlichen Möglichkeiten der Konkurrenten bei einem Beihilfeverstoß vgl. Kapitel 2, S. 78 ff.

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Kap. 4: Tax Rulings als Anwendungsgegenstand des Beihilfeverbotes

tensweisen moralisch zu verurteilen. Das gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass dabei Besteuerungslücken genutzt werden, die von den Staaten häufig bewusst gesetzt wurden, z. B. um Steuerpflichtige anzulocken.1430 Abgesehen von der rechtsethisch fragwürdigen Praktik eines öffentlichen Steuerprangers und dessen Vereinbarkeit mit dem Steuergeheimnis stellt sich zum anderen aber auch die Frage nach dem Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen. Wettbewerbern sollte es nicht ermöglicht werden, sich unter dem Deckmantel der Steuertransparenz den Weg zu sensiblen Unternehmensdaten frei zu klagen.1431 Um eine mögliche Begünstigung aufzudecken, wird ein Konkurrent regelmäßig einen sehr detaillierten Einblick in das potenziell begünstigte Unternehmen und damit wohl auch in dessen Geschäftsmodell benötigen. Dem kann zwar durch eine anonymisierte Veröffentlichung entgegengewirkt werden, dadurch sinkt jedoch im Gegenzug die Effektivität der Kontrolle. Soll eine Kontrolle auch durch die Öffentlichkeit oder Wettbewerber erfolgen, ist früher oder später immer ein Einblick in die Steuer- und Geschäftsdaten erforderlich. Es bleibt daher fraglich, ob und wie eine solche Offenlegung gestaltet werden kann, um einerseits transparente Einblicke in die Besteuerung zu geben, andererseits aber Unternehmensinterna ausreichend zu schützen.1432

III. Gemeinsame konsolidierte Körperschaftsteuerbemessungsgrundlage Ergänzend zum Steuertransparenzpaket hat die Kommission einen Aktionsplan zur Unternehmensbesteuerung verabschiedet, in dem – unter Berücksichtigung aktueller Initiativen von G20 und OECD – auch der Vorschlag für eine gemeinsame konsolidierte Körperschaftsteuerbemessungsgrundlage (GKKB) wieder aufgegriffen wird.1433 Ziel der Bemühungen für eine gemeinsame konsolidierte Körperschaftsteuerbemessungsgrundlage ist die Erstellung eines einheitlichen Regelungswerkes zur Ermittlung der Unternehmensgewinne für Steuerzwecke. Mit der GKKB soll eine gesamtheitliche Lösung der gegenwärtigen Probleme im Bereich der Unternehmensbesteuerung erreicht werden. Mit ihrer Hilfe sollen Spielräume und Schlupflöcher zwischen den nationalen Steuersystemen behoben und gängige Steuervermeidungsstrategien aufgehalten werden. Innerhalb der Europäischen Union tätige Unternehmen müssten dabei für die Berechnung ihres steuerpflichtigen Gewinns nicht mehr wie bisher die unterschiedlichen nationalen Regelungen an1430 Vgl. zu dieser Kritik: Piltz, IStR 2013, 681 (682). Zur Bedeutung des steuervermeidenden homo economicus für den Steuerstaat, insbesondere staatliche Lenkungsmaßnahmen vgl. Wagner, DStR 2014, 1133 (1142 ff.). 1431 Vgl. Mückl/Münch, BB 2015, 2775 (2781). 1432 Für Stellungnahmen zur Transparenz von Advanced Pricing Agreements aus der Wirtschaft und Praxis vgl. IFSt-Stellungnahmen, Gesammelte Positionen zu Advanced Pricing Agreements und gemeinsamer Außenprüfung, S. 2 ff. 1433 Zu den Alternativen zur GKKB vgl. Oestreicher, StuW 2002, 342 (347).

E. Sonstige Maßnahmen gegen Steuervermeidung und Gewinnverlagerungen

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wenden, sondern nur die eines einzigen europaweiten Systems. Der Gewinn des Konzerns wird einheitlich ermittelt, anschließend konsolidiert und dann formelhaft den einzelnen Konzerngesellschaften zugewiesen, wobei der jeweilige Mitgliedstaat den auf die in seinem Hoheitsgebiet ansässigen Konzerneinheit anfallenden Anteil anhand seines nationalen Steuersystems besteuert. Durch die Konsolidierung erfolgt die Gewinnabgrenzung nicht mehr mittels transaktionsbezogener Verrechnungspreise, sondern mittels indirekter Methode.1434 Die Bedeutung von Verrechnungspreisgestaltungen für die europäische Konzernbesteuerung würde folgerichtig deutlich abnehmen.1435 Ob die GKKB den erhofften Mehrwert bringen wird oder ob diese nicht doch durch die Nachteile der indirekten Methode egalisiert werden, bleibt abzuwarten.1436

IV. Stellungnahme Die im Hinblick auf Tax Rulings bedeutendsten Entwicklungen sind die nun erfolgte Einigung auf den automatischen Informationsaustausch zwischen EUMitgliedstaaten und die BEPS-Initiative zum verpflichtenden spontanen Informationsaustausch hinsichtlich bestimmter Tax Rulings. Mit der weltweiten Umsetzung des OECD-Standards werden Steuerflucht und Steuervermeidung perspektivisch immer weiter zurückgedrängt. Angestrebt wird ein faires und modernes internationales Steuersystem. Die internationale Steuerzusammenarbeit soll durch die Fortentwicklung der laufenden Zusammenarbeit weiter gefördert werden.1437 Langfristig werden die Steuerverwaltungen europa- und weltweit diejenigen Informationen erhalten, die sie für eine korrekte Besteuerung der Steuerpflichtigen benötigen. Auf europäischer Ebene plant die Kommission in Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten für die Zukunft auch eine Überarbeitung des bereits am 01. 12. 1997 beschlossenen Verhaltenskodex für die Unternehmensbesteuerung. Dieser hatte im Laufe der Jahre deutlich an Effektivität eingebüßt. Ziel der Bestrebungen ist es daher, den Kodex dahingehend zu reformieren, dass er wieder einen wirksamen Beitrag zur Gewährleistung eines fairen und transparenten Steuerwettbewerbs innerhalb der Union leisten kann. Die gemachten Ausführungen belegen, dass zur Lösung internationaler Gewinnverlagerungen ein global-abgestimmter Lösungsansatz unumgänglich ist. Das darf für die einzelnen Staaten jedoch keine Entschuldigung sein ihre eigenen Initiativen zur Verhinderung von Steuervermeidung und Gewinnverlagerungen aufzugeben. Auch sie sind gegen grenzüberschreitende Gewinnverlagerungen keineswegs chancenlos. Dass Gewinnverlagerungen durch ein-

1434 1435 1436 1437

Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung, S. 230. Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung, S. 239. Zur indirekten Methode siehe Kapitel 4, S. 201 ff. Czakert, Neue Entwicklungen bei der steuerlichen Amtshilfe, S. 81.

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Kap. 4: Tax Rulings als Anwendungsgegenstand des Beihilfeverbotes

zelne Staaten durchaus wirkungsvoll begegnet werden kann, zeigt sich exemplarisch am Beispiel Deutschlands.1438 Entscheidender Unterschied zwischen den aktuell geplanten Maßnahmen und der gegenwärtig bereits stattfindenden Anwendung des Beihilfeverbots ist der zeitliche Horizont. Die geplanten Maßnahmen versprechen zwar eine deutliche Verbesserung im Kampf gegen Steuervermeidung, noch sind sie aber gerade erst oder noch nicht umgesetzt. Auch nach ihrer Implementation wird wohl noch einige Zeit vergehen, bis die Maßnahmen zu tatsächlichen Erfolgen führen. Demgegenüber steht das Beihilferecht als Handlungsinstrument direkt zu Verfügung und kann bereits heute verwendet werden. Darüber hinaus bietet die Anwendung des Beihilferechts der Kommission einen weiteren, entscheidenden Vorteil. Da rechtswidrig gewährte Unternehmensbegünstigungen auch mit Wirkung für die Vergangenheit rückabgewickelt werden müssen, gibt es der Kommission zusätzlich die Möglichkeit, gegen in der Vergangenheit erfolgte Begünstigungen vorzugehen und Wettbewerbsverzerrungen rückwirkend zu korrigieren.

F. Fazit Im Ergebnis kann festgehalten werden, dass Tax Rulings als solche nicht per se beihilfewidrig sind. Sie geraten aber dann in das Blickfeld der Europäischen Kommission, wenn es entweder nur bestimmten Unternehmen überhaupt offensteht, ein solches Instrument zu beantragen, oder aber, wenn die Ausgestaltung der Bescheide im konkreten Einzelfall bestimmten Unternehmen einen Vorteil gewährt. Die Klarheit über die zu entrichtende Körperschaftsteuer stellt dabei für sich genommen zwar bereits einen Vorteil für ein Unternehmen dar, mangels staatlichen Mittelabflusses wird dieser jedoch nicht vom Beihilfeverbot erfasst. Entscheidend ist folglich immer, dass es zu einer Minderung der individuellen Steuerlast des Unternehmens bei gleichzeitigen Mindereinnahmen der öffentlichen Staatskasse kommt. Eine willkürliche Begrenzung der Antragsberechtigten durch Normen oder eine Verwaltungspraxis wird daher – trotz gegebenenfalls vorliegender Selektivität – nicht von Art. 107 AEUV erfasst, sofern das Tax Ruling unter Wahrung der innerstaatlichen Steuervorschriften und objektivierter Ermessensausübung die korrekte Steuerlast des Unternehmens wiedergibt. Maßgeblich für eine Charakterisierung als Beihilfe ist damit folglich immer der Inhalt des Rulings. Insbesondere Tax Rulings, die künstliche Modelle und Methoden verwenden und unter Außerachtlassung der wirtschaftlichen Realität die Unternehmensgewinne kleinzuhalten versuchen, sind unzulässig. Entscheidend Bedeutung gewinnt dabei auch für Tax Rulings die Bestimmung des Referenzrahmens und die Vergleichsgruppenbildung. Das maßgebliche Referenzsystem muss anhand des im jeweiligen Mitgliedstaat geltenden Steuerrechts bestimmt werden. Weder dürfen die von der OECD formulierten 1438

Vgl. dazu: Schanz/Feller, BB 2015, 865 – 870.

F. Fazit

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Grundsätze (wie etwa der Fremdvergleichsgrundsatz) pauschal und europaweit einheitlich als maßgeblich angesehen werden, noch darf es zu einer unionalen Zwangsharmonisierung der Verrechnungspreisregelungen über den Umweg des Beihilferechts kommen. Als Mittel zur europaweiten Harmonisierung der direkten Steuern ist das Beihilferecht weder gedacht noch geeignet.1439 Gleichwohl scheint die Kommission aktuell gewillt das Beihilferecht großflächig im Kampf gegen Steuervermeidung durch multinationale Konzerne anzuwenden. Das gilt nicht zuletzt für grenzüberschreitende Gewinnverlagerungen. Übergeordnetes Ziel der Kommission ist es dabei wohl Fairness und Wettbewerbsneutralität der mitgliedstaatlichen Steuerordnungen innerhalb der Union herbeizuführen.1440 Zu kritisieren ist dabei, dass die Kommission aus einer unterschiedlichen steuerlichen Behandlung von Konzernen und unabhängigen Unternehmen auf die Selektivität staatlicher Maßnahmen schließt, ohne die Besonderheiten beider Rechtskonstrukte ausreichend zu würdigen. Unterschiede in der Besteuerung zwischen multinationalen Konzernen, nationalen Konzernen und unabhängigen Unternehmen sind nicht zuletzt deren unterschiedlichem Charakter geschuldet. Diese Unterschiede mögen aus ökonomischen und wettbewerbsrechtlichen Gesichtspunkten mitunter sogar unfair sein, unfair bedeutet jedoch nicht zwangsläufig selektiv und beihilfewidrig.1441 Bei alledem ist es von besonderer Bedeutung das unionsrechtliche Kompetenzgefüge im Blick zu behalten. Jegliche Ausweitung der Beihilfekontrolle im Bereich des Steuerrechts geht mit einer mitgliedstaatlichen Kompetenzeinschränkung einher. Besonders bedenklich erscheint in diesem Zusammenhang das Vorgehen der Europäischen Kommission das nationale Steuerrecht mittels des Beihilferechts korrigieren zu wollen. Es ist nicht Sache der Kommission nationale Steuerrechtssysteme durch das Europäische Beihilferecht zu ersetzen oder anderweitig zu reparieren. Das Europäische Wettbewerbsrecht ist kein Lückenfüller für nationale Steuersysteme.1442 Für die Ruling-Praxis der Mitgliedstaaten hat das Vorgehen der Kommission weitreichende Konsequenzen. Zunächst muss von der Verwaltung darauf geachtet werden, dass es durch die Erteilung zu keiner systemwidrigen Abweichung und damit zur Gewährung eines selektiven Vorteils kommt. Geschieht dies doch, muss die notwendige Notifizierung durch die Kommission beachtet werden. Für das betroffene Unternehmen bedeutet dies vor allem einen Verlust von Rechts- und Planungssicherheit. Kommt die Kommission nämlich zu dem Ergebnis, dass eine unionsrechtswidrige, selektive Beihilfe gegeben ist, muss der jeweilige Steuervorbescheid aufgehoben und die Steuerlast erneut, nun aber beihilfekonform, festgelegt werden. Dies kann für die betroffenen Unternehmen mitunter erhebliche Konsequenzen in Form von Nachzahlungen bedeuten. Der Mitgliedstaat ist zur Rückfor1439

Blumenberg, in: Lüdicke/Schnitger/Spengel (Hrsg.), Besteuerung Internationaler Unternehmen, S. 19. 1440 Gormsen, Journal of European Competition Law & Practice 2016, 369 (369 ff.). 1441 Nicolaides, EStAL 2016, 416 (425). 1442 Luja, EC Tax Review 2015, 312 (323); Lyal, Fordham International Law Journal 2015, 1017 (1042).

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Kap. 4: Tax Rulings als Anwendungsgegenstand des Beihilfeverbotes

derung verpflichtet. Der Rückforderungsverpflichtung kann weder entgegengehalten werden, dass der Steuerpflichtige ein schutzwürdiges Vertrauen auf das Bestehen und die Richtigkeit des Steuervorbescheids entwickelt hat (Vertrauensschutz), noch können verwaltungstechnische Schwierigkeiten oder Treu und Glauben angeführt werden.1443 Die Tatsache, dass sich die Kommission in ihren bisherigen Untersuchungen hauptsächlich auf Verrechnungspreisvereinbarungen konzentriert hat, bedeutet nicht, dass sie zukünftig den Fokus nicht auf andere Arten von Tax Rulings legen wird.1444 Für Unternehmen empfiehlt es sich daher zukünftig genau zu analysieren, inwieweit ein Tax Ruling notwendig ist und zu untersuchen, ob es die möglicherweise immensen Folgekosten (z. B. Rück- bzw. Nachforderung, Beratungskosten, eventuelle Imageschäden) tatsächlich wert ist. Gleichzeitig sollten bisher bestehende Tax Rulings einer Revision unterzogen werden.

1443 1444

Vgl. dazu Kapitel 2, S. 43 ff. Moreno González, EStAL 2016, 556 (561).

Kapitel 5

Der internationale Steuerwettbewerb und sein Verhältnis zum Beihilferecht Im folgenden Kapitel soll die Bedeutung des Europäischen Beihilferechts für den Steuer- und Standortwettbewerb dargestellt werden, sowie sein Anteil bei der Bekämpfung des schädlichen Steuerwettbewerbs.1445 Dazu erfolgen zunächst eine Definition des Steuerwettbewerbs sowie eine Gegenüberstellung von erwünschtem und schädlichem Steuerwettbewerb. Danach folgt eine Analyse des Steuerwettbewerbs in Europa und abschließend eine Gegenüberstellung des europäischen Verhaltenskodexes und Beihilferechts.

A. Wettbewerb der Steuersysteme Föderale Systeme sind typischerweise durch das Spannungsverhältnis von Integration einerseits und Konkurrenz andererseits geprägt. Diese Bipolarität prägt auch die Europäische Union und hier nicht zuletzt das Europäische Steuerrecht.1446 Die politische und wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem sog. steuerlichen Systemwettbewerb erfolgt bereits seit langem und wird bis heute kontrovers geführt. Manche sehen in ihm insbesondere ein probates und effektives Mittel gegen überbordende Staatsausgaben, andere dagegen sehen in ihm nur den Grund für erodierende Staatseinnahmen und sinkende staatliche Sozialleistungen.1447 Obwohl das Konzept eines Steuerwettbewerbs zwischen Staaten vornehmlich in den Finanz- und Politikwissenschaften diskutiert wird, hat das Konzept auch für staatliche Normgeber und damit auch für die Rechtswissenschaft zunehmend an Bedeutung gewonnen.

1445 Auf die fehlende Harmonisierung der Europäischen Union im Bereich der Unternehmensbesteuerung wurde bereits ausreichend hingewiesen. 1446 Korte, Standortfaktor Öffentliches Recht, S. 3. 1447 Stütz, Steuerwettbewerb in Europa, S. 17; vgl. zu den positiven Erwartungen hinsichtlich der Auswirkungen des Steuerwettbewerbs: Rode, Steuervergünstigungen, Beihilfen und Steuerwettbewerb, S. 341.

338 Kap. 5: Der internationale Steuerwettbewerb und sein Verhältnis zum Beihilferecht

I. Begriffsbestimmung und grundlegende Strukturelemente Trotz seiner weiten Verbreitung und intensiven Nutzung darf der Begriff des Steuerwettbewerbs als äußerst unscharf bezeichnet werden. Das liegt nicht zuletzt daran, dass er aus einer Vielzahl an juristischen, ökonomischen und politischen Komponenten besteht. Eine abschließende Definition des Begriffs erweist sich aufgrund dieser Vielschichtigkeit letztlich als unmöglich.1448 Eine vom unternehmerischen Wettbewerb ausgehende Annäherung ist gleichwohl möglich. Im ökonomischen Liberalismus wird unter Wettbewerb eine Konkurrenzsituation verstanden, bei der einige Anbieter einer deutlich größeren Zahl an Nachfragern gegenüberstehen.1449 Die „Unsichtbare Hand des Marktes“ soll dabei zu einer sachgerechten Preisbildung, einer optimalen Ressourcenallokation und damit im Ergebnis einer gesamtwirtschaftlichen Wohlfahrtsmaximierung führen (sog. Race to the top).1450 Dieser unternehmerische Wettbewerb dient auch dem steuerlichen Systemwettbewerb als Vorbild. Der wirtschaftliche Wettbewerb wird auf Gebietskörperschaften übertragen und in einen föderalistischen Wettbewerb überführt.1451 Obwohl in Teilen bezweifelt wird, ob zwischenstaatliche Konkurrenz überhaupt als Wettbewerb bezeichnet werden kann, ist die Existenz eines Wettbewerbszustandes zwischen den Hoheitsträgern heute weitestgehend unbestritten.1452 Unter dem Begriff Wettbewerb der Steuersysteme wird ganz allgemein der mittels Steuerrecht – insbesondere durch Steuersenkungen – geführte Konkurrenzkampf verschiedener Hoheitsträger verstanden.1453 Zwar reicht die theoretische Konzeption dieses Systemwettbewerbs schon lange zurück, jedoch erlangte er vor allem in jüngerer Vergangenheit eine immer größere Bedeutung.1454 Zentrale Voraussetzungen für den zwischenstaatlichen Wettbewerb sind die Unternehmensmobilität und damit einhergehende grenzüberschreitende Tätigkeiten einerseits und die bestehende wirtschafts- und steuerpolitische Autonomie der Staaten andererseits.1455 In Zeiten 1448

S. 393. 1449

Vgl. Seiler, in: Blanke/Scherzberg/Wegner (Hrsg.), Dimensionen des Wettbewerbs,

Müller, Wettbewerb und Unionsverfassung, S. 31 Vgl. Bauer, Steuerwettbewerb in Europa, S. 105; Korte, Standortfaktor Öffentliches Recht, S. 27; Lampert, EuZW 2013, 493 (497); Stütz, Steuerwettbewerb in Europa, S. 67. 1451 Blanke/Thumfart, in: Blanke/Scherzberg/Wegner (Hrsg.), Dimensionen des Wettbewerbs, S. 23 ff. 1452 Siehe dazu ausführlich: Korte, Standortfaktor Öffentliches Recht, S. 26; Birkenmaier, Die Vorgaben der Beihilfevorschriften des EG-Vertrages für die direkte Unternehmensbesteuerung, S. 76. Kritisch auch: Sinn, in: Oberhauser (Hrsg.), Fiskalföderalismus in Europa, S. 10. 1453 Vgl. Esser, Internationaler Steuerwettbewerb – Vorteile und Gefahren, S. 9; Wieland, Steuerwettbewerb in Europa, EuR 2001, 119 (120); Rode, Steuervergünstigungen, Beihilfen und Steuerwettbewerb, S. 339; Boss, Steuerharmonisierung oder Steuerwettbewerb, S. 2. 1454 Zur ökonomischen Theorie und den Grundlagen des interjurisdiktionellen Wettbewerbs vgl. Gröteke, Europäische Beihilfenkontrolle und Standortwettbewerb, S. 149 ff. 1455 Bauer, Steuerwettbewerb in Europa, S. 79. 1450

A. Wettbewerb der Steuersysteme

339

fortschreitender Globalisierung, Digitalisierung,1456 internationaler Vernetzung und technischen Fortschritts steigt die Zahl der grenzüberschreitenden Transaktionen stetig an. Bedingt durch die sich ebenfalls beständig erhöhende Unternehmensmobilität und den damit verbundenen Standortwechseln und Funktionsverlagerungen, begegnen sich die Staaten heute zunehmend als Wettbewerber um die besten Produktions- und Standortfaktoren.1457 Dem so entstehenden Wettbewerbszustand begegnen Staaten ganz bewusst mit Maßnahmen zur Erhöhung der eigenen Standortattraktivität. Übergeordnetes Ziel ist es den Wohlstand im eigenen Land zu maximieren.1458 Neben natürlichen Ressourcen (z. B. Bodenschätze, Arbeitskräfte) bieten die Hoheitsträger auch ihre jeweiligen nationalen Rechtsordnungen an, in der Hoffnung, durch unternehmensfreundliche Regelungen deren mobile Produktionsfaktoren zu akquirieren.1459 Damit geht die Hoffnung auf einen wirtschaftlichen Aufschwung, insbesondere die Schaffung neuer (qualifizierter) Arbeitsplätze, die Ansiedlung von Kapital und die Steigerung der Steuereinnahmen einher.1460 Aufgrund seiner staatlichen Souveränität steht es einem Staat dabei frei, zu entscheiden, inwieweit er seine Rechtsordnung an die Bedürfnisse von Unternehmen anpasst. Jeder Hoheitsträger kann für sich entscheiden, welche Leistungen er anbieten möchte und welchen Preis er dafür verlangt. Der internationale Systemwettbewerb erweist sich damit letztlich als besondere Ausprägung des Anbieterwettbewerbs.1461 Obwohl es in diesem Systemwettbewerb eine ganze Reihe von Faktoren (z. B. Bodenschätze, Arbeitskräfte, Sicherheitslage, politische Stabilität, sonstige Infrastruktur, etc.) gibt, wird die landesspezifische Steuerbelastung zu einem immer wichtigeren Kriterium bei der unternehmerischen Entscheidungsfindung.1462 Sie spiegelt den Preis wider, den Unternehmen für die Benutzung des staatlichen Leistungsangebots bezahlen müssen. Die verschiedenen Steuerstrukturen der Staaten beeinflussen so naturgemäß die Ansiedlung mobiler Produktionsfaktoren.1463 Für Unternehmen stellen Steuern einen betriebswirtschaftlichen Kostenfaktor dar, der

1456

Zur Besteuerung der digitalisierten Wirtschaft vgl. Schön, IStR 2019, 647 – 650. Zum Verhalten immaterialgüterreicher Unternehmen im Steuerwettbewerb vgl. Richter/Hontheim, DB 2013, 1260 – 1264. 1458 Wieland, EuR 2001, 119 (119). 1459 Gross, IWR 2002, 46 (48). 1460 Esser, Internationaler Steuerwettbewerb – Vorteile und Gefahren, S. 10. Dabei kann jeder Staat bestimmen, welches Gewicht er einzelnen Faktoren beimisst. So verzichtet z. B. Irland äußerst großzügig auf eine Besteuerung Apples und räumt den durch die Ansiedlung geschaffenen Arbeitsplätzen oberste Priorität ein. 1461 Korte, Standortfaktor Öffentliches Recht, S. 47; Seiler, in: Blanke/Scherzberg/Wegner (Hrsg.), Dimensionen des Wettbewerbs, S. 394. 1462 Becker/Fuest, in: Kellermann/Zitzler (Hrsg.), Steuern im europäischen Wettbewerb, S. 35; Schaumburg, ISR 2016, 371 (371 ff.). 1463 Endres, RIW 1994, 572 (573). 1457

340 Kap. 5: Der internationale Steuerwettbewerb und sein Verhältnis zum Beihilferecht

ihren Gewinn schmälert und ihre Wettbewerbsposition beeinträchtigt.1464 Die Steuerbelastung unternehmerischer Gewinne stellt folglich ein nicht zu unterschätzendes Teilkriterium des Standortwettbewerbs dar.1465 Im Hinblick auf den zwischen Unternehmen bestehenden Wettbewerb wird von Unternehmen dabei nicht nur die eigene Steuerlast analysiert, sondern auch die der Konkurrenz. Während sich die eigene Steuerlast vor allem auf das Ausschüttungspotenzial für Anteilseigner und die Attraktivität auf dem Kapitalmarkt auswirkt, ist für die Wettbewerbsposition eines Unternehmens vielmehr das Verhältnis zur Steuerbelastung der Konkurrenz entscheidend. Eine erfolgreiche Steuerplanung zeichnet sich nicht zuletzt dadurch aus, dass die eigene Steuerbelastung nicht höher als die der Konkurrenz ist.1466 Aus ökonomischer Sicht gilt es für Unternehmen daher, die Steuerbelastung immer so gering wie möglich zu halten.1467

II. Nutzen und Wirkungen des Steuerwettbewerbs Durch die Verknüpfung von Preis und Leistung liegt der Vorteil des Systemwettbewerbs für seine Befürworter auf der Hand: Ziel ist der Aufbau eines gewissen Effizienz- und Kostendrucks auf die Staaten, um ein angemessenes Verhältnis der Steuerbelastung zu finden.1468 Durch den initiierten Wettbewerb sollen die Länder einerseits zur Bereitstellung eines attraktiven Leistungsangebots (Förderungsmöglichkeiten, Infrastruktur, etc.) und andererseits zur Installation eines moderaten (Unternehmens-)Besteuerungssystems angehalten werden.1469 Für das nationale Unternehmenssteuerrecht bedeutet das in der Konsequenz, dass eine stärkere Orientierung an den Präferenzen der Steuersubjekte, insbesondere der mobilen Unternehmen, erfolgen muss. Stimmt das von einem Staat angebotene Leistungsangebot an Sicherheit, gut ausgebildeten Arbeitskräften und sonstiger Infrastruktur nicht mehr mit dem dafür fälligen Preis überein, wird sich ein Unternehmen überlegen in Zukunft das Angebot eines anderen Staates anzunehmen und seine mobilen Produktionsfaktoren dorthin zu verlegen. Um dem entgegenzuwirken kann der unternehmerisch unattraktivere Staat entweder sein Leistungsangebot verbessern, bspw. durch Ausbau der Infrastruktur, oder den Preis – die Unternehmenssteuern – senken. Dieses Wechselspiel von Angebot und Nachfrage zur Herstellung einer optimalen

1464 Zu den Auswirkungen der direkten Unternehmensbesteuerung auf den Wettbewerb vgl. Birkenmaier, Die Vorgaben der Beihilfevorschriften des EG-Vertrages für die direkte Unternehmensbesteuerung, S. 55. 1465 Seiler, in: Blanke/Scherzberg/Wegner (Hrsg.), Dimensionen des Wettbewerbs, S. 394. 1466 Overesch, in: Kahle/Overesch/Ruf/Spengel (Hrsg.), Kernfragen der Unternehmensbesteuerung, S. 43. 1467 Kellermann/Zitzler (Hrsg.), Steuern im europäischen Wettbewerb, S. 2. 1468 Gross, IWR 2002, 46 (47). 1469 Selling, IStR 2000, 225 (226).

A. Wettbewerb der Steuersysteme

341

Kosten-Nutzen-Relation ist ebenso kennzeichnend für den unternehmerischen Wettbewerb wie für den Wettbewerb der Steuersysteme.1470 Dieser zwischenstaatliche Wettbewerbsdruck wird teilweise vor allem als reiner Steuersenkungsdruck angesehen. Das liegt nicht zuletzt am Verhalten der Staaten selbst. Diese begreifen und führen den Steuerwettbewerb häufig vor allem als Steuersatzwettbewerb, in dem es darum geht, Steuerpflichtige durch die gezielte Senkung der Steuerbelastung anzusiedeln. Damit werden der Begriff und seine Wirkung aber unzulänglich verkürzt. Genauso wenig wie der wirtschaftliche Wettbewerb auf die Versorgung der Bevölkerung mit Gütern zu möglichst geringen Preisen beschränkt ist, ist der Steuerwettbewerb auf eine Senkung und Anpassung sämtlicher Steuern begrenzt. Dem wirtschaftlichen Wettbewerb entsprechend kommen dem interjurisdiktionellen Wettbewerb noch weitere Funktionen zu.1471 Zusätzlich zum Wettbewerbsdruck kommt es zu einer Konvergenz der Steuerrechtsordnungen und einer Beschleunigung der staatlichen Gesetzgebung. Der Steuerwettbewerb beinhaltet wie gesagt auch einen Wettbewerb der Rechtsordnungen sowie der Hoheitsträger selbst. Dabei stehen die Normen, Rechtsinstitute und insgesamt die ganze (Steuer-)Rechtsmaterie im Wettbewerb. Die Konkurrenzsituation führt dabei zu einer Weitergabe und Adaption nationaler Rechtssysteme. Der Steuerwettbewerb fördert folglich auch Innovationen bei der staatlichen (Steuer-) Rechtsetzung. Die Hoheitsträger werden gezwungen stärker auf die Bedürfnisse ihrer Steuerpflichtigen einzugehen und auf neue Entwicklungen steuerregulatorisch flexibel zu reagieren. Es kommt zu einem (Steuer-)Regulierungswettbewerb.1472 Dies kann zu einer Verbesserung der Gesetzgebung beitragen und zur Implementation einer effizienteren Besteuerung führen. Zeitgleich führt der wachsende Wettbewerbsdruck dazu, dass die innerstaatliche Gesetzgebung beschleunigt wird, um mit der stetig steigenden Faktormobilität Schritt zu halten.1473

III. Wettbewerb um Steuersubstrat Obwohl der internationale Steuersystemwettbewerb über viele Facetten verfügt, wird er in Teilen letztlich als reiner Wettbewerb um Steuersubstrat angesehen, bei dem es darum geht, das eigene Steueraufkommen zu maximieren. Der Wettbewerb um Steuersubstrat lässt sich seinerseits in zwei unterschiedliche Ausprägungen untergliedern: Zunächst ein auf Neuansiedlung von Unternehmen konzentrierter Akquisewettbewerb, dessen Ziel es ist, durch eine – im Vergleich zu anderen Län1470

Korte, Standortfaktor Öffentliches Recht, S. 27. Zu den Funktionen des ökonomischen Wettbewerbs siehe ausführlich: Blanke/ Thumfart, in: Blanke/Scherzberg/Wegner (Hrsg.), Dimensionen des Wettbewerbs, S. 4. 1472 Blanke/Thumfart, in: Blanke/Scherzberg/Wegner (Hrsg.), Dimensionen des Wettbewerbs, S. 25. 1473 Vgl. dazu ausführlich: Reimer, in: Blanke/Scherzberg/Wegner (Hrsg.), Dimensionen des Wettbewerbs, S. 379 ff. 1471

342 Kap. 5: Der internationale Steuerwettbewerb und sein Verhältnis zum Beihilferecht

dern – geringere Steuerbelastung Unternehmen anzulocken. Zum anderen ein auf bereits im Inland angesiedelte multinationale Unternehmen konzentrierter Verteilungswettbewerb, dessen Ziel es ist, einen möglichst großen Teil des Gesamtkonzernerfolgs dem eigenen Steueranspruch zuzuordnen.1474 Diese Aufteilung des Steuerwettbewerbs ist letztlich nur akademischer Natur. Das liegt nicht zuletzt daran, dass die Möglichkeit der Ertragsaufteilung bereits bei der Unternehmensansiedlung von Bedeutung sein kann und beide Untergliederungen sich daher wechselseitig beeinflussen können. Insbesondere für die Unternehmenspraxis hat die Aufteilung keine unmittelbaren Auswirkungen. Diesen geht es – unabhängig von der Art des Wettbewerbs – letztlich immer um eine Senkung der eigenen Steuerbelastung und damit im Ergebnis um eine nachsteuerliche Gewinnmaximierung. Allerdings lassen sich anhand dieser Trennung einzelne Maßnahmen und Gegenmaßnahmen in Zusammenhang mit dem sog. schädlichen Steuerwettbewerb leichter nachvollziehen. 1. Neuansiedlungswettbewerb Eine Grundannahme der Volkswirtschaftslehre ist, dass rationale Menschen, die ihre Entscheidungen durch einen Vergleich von Grenznutzen und Grenzkosten treffen, auf Anreize reagieren. Durch staatliche Maßnahmen können Verhaltensänderungen ausgelöst werden.1475 Dasselbe gilt auch für Konzerne und Unternehmen, da auch hier letztlich Menschen die Entscheidungen treffen. Staaten können folglich auch hier durch gezielte Maßnahmen Anreize setzen und Entscheidungen beeinflussen. Im Rahmen des Steuerwettbewerbs wird die Wirkung von Anreizen von Staaten dazu benutzt Unternehmen zu einer Relokalisierung ihrer Standorte und Betriebsstätten zu bewegen. Der durch die Senkung der Unternehmenssteuern geführte Neuansiedlungswettbewerb hat dabei einerseits das Ziel, die eigenen Steuereinnahmen durch die Akquise steuerpflichtiger Unternehmen und Betriebsstätten zu erhöhen; andererseits aber auch, Arbeitsplätze – vor allem in strukturschwachen Regionen – zu schaffen. Eine solche Akquise ist für den Staat aber nur dann sinnvoll und interessant, wenn der durch die Unternehmensansiedlung generierte Nutzen (bspw. Arbeitsplätze, höhere Steuereinnahmen) die dabei anfallenden Kosten (z. B. für Subventionen oder Infrastrukturmaßnahmen) übersteigt. Die Verbesserung der eigenen Standortattraktivität ist dabei auf vielen Wegen denkbar: Eine Option ist die Optimierung der eigenen Rechtsordnung oder Verwaltung mit dem Ziel der Ressourceneinsparung und damit auf lange Sicht der Möglichkeit, bei gleichbleibendem Leistungsangebot die Unternehmenssteuern zu senken.1476 Denkbar sind auch weitreichende Investitionen in Infrastruktur und Humankapital, um so das eigene Leistungsangebot zu verbessern.

1474 1475 1476

Esser, Internationaler Steuerwettbewerb – Vorteile und Gefahren, S. 10. Mankiw/Taylor, Grundzüge der Volkswirtschaftslehre, S. 8. Korte, Standortfaktor Öffentliches Recht, S. 6.

A. Wettbewerb der Steuersysteme

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Obwohl der Neuansiedlungswettbewerb durchaus dazu gedacht ist, produzierendes Gewerbe anzusiedeln und neue Arbeitsplätze zu schaffen, ist in jüngerer Vergangenheit vermehrt der Trend erkennbar, Steuervergünstigungen gezielt nur Holding- oder Basisgesellschaften anzubieten, da diese in wesentlich geringerem Umfang Ressourcen des Staates in Anspruch nehmen. Ziel dieser Holdingstrukturen ist es, den operativ erwirtschafteten Gewinn in ein Niedrigsteuerland zu transferieren, wo er dann zu einem geringeren Satz versteuert wird. Zwar erhält das aufnehmende Land nur einen kleinen Anteil am Unternehmensgewinn und auch keine zusätzlichen Investitionen; da das Unternehmen aber nur geringe Infrastrukturleistungen benötigt, führt dies trotzdem dazu, dass das Land einen Überschuss erwirtschaftet, es also volkswirtschaftlich gesehen zu einer Wohlstandsmehrung kommt.1477 2. Steuerzuordnungswettbewerb Dagegen geht es dem Staat beim Steuerzuordnungswettbewerb darum einen möglichst großen Teil des Steuersubstrats dem eigenen Steueranspruch zu unterwerfen. Bei unternehmensinternen Transaktionen innerhalb eines multinationalen Konzerns kann es mitunter äußerst schwierig sein, den Anteil der inländischen Konzerneinheit am Gesamterfolg des Konzerns zu ermitteln und die korrekte Steuerschuld zu berechnen. Durch die immer weiter fortschreitende Globalisierung und damit einhergehend die zunehmende Funktionsverlagerung auf die jeweiligen Standorte nimmt diese Problematik immer weiter zu. Der Anteil einer Konzerneinheit wird dabei unter Zuhilfenahme der konzerninternen Leistungsbeziehungen und der dabei anfallenden Verrechnungspreise ermittelt. Sie sind entscheidende Stellschraube für die Aufteilung des Steuersubstrats zwischen den Hoheitsträgern. Niedrigere Steuersätze in bestimmten Ländern machen es für Unternehmen interessant, Gewinne im Wege ihrer Steuerplanung durch eine, mitunter nicht sachgerechte, Verrechnungspreisgestaltung von Hochsteuerländern in Niedrigsteuerländer zu verschieben.1478 Als besonders kritisch hat sich dabei in den vergangenen Jahren die Gestaltung der konzerninternen Verrechnungspreise erwiesen. Durch die fortschreitende Internationalisierung und den enormen Anstieg konzerninterner Leistungsaustausche wurden die Verrechnungspreise zu einem Kernproblem und „Klassiker“ des internationalen Steuerrechts.1479 Neben dem effektiven Steuersatz wird damit auch die grundsätzliche Möglichkeit der internationalen Gewinnverlagerung für Standort- und Investitionsentscheidungen relevant. Hohe Gewinnsteuersätze verlieren an Bedeutung, wenn vielfältige Möglichkeiten bestehen den Gewinn zu verlagern. Umgekehrt werden niedrige Steuersätze umso attraktiver, wenn

1477 1478 1479

Wieland, EuR 2001, 119 (119). Siehe dazu ausführlich Kapitel 4, S. 231 ff. Esser, Internationaler Steuerwettbewerb – Vorteile und Gefahren, S. 13.

344 Kap. 5: Der internationale Steuerwettbewerb und sein Verhältnis zum Beihilferecht

Gewinne dorthin verlagert werden können.1480 Dabei wird augenscheinlich, dass Steuerzuordnungs- und Neuansiedlungswettbewerb durchaus in einem Spannungsverhältnis stehen können. Hoheitsträger können ihren Standort attraktiver werden lassen, indem sie bei der Anerkennung von konzerninternen Leistungsaustauschen großzügig sind, gleichzeitig entgeht ihnen dabei aber ein Teil des ihnen zustehenden Steuersubstrats.1481 Umgekehrt kann ein Staat z. B. einseitig die Abzugsmöglichkeit für Zahlungen an verbundene Unternehmen beschränken. Das wird zu einer höheren Besteuerung ansässiger Unternehmen führen, gleichzeitig aber die Standortattraktivität schmälern.1482 3. Bedeutung der effektiven Steuerbelastung Auf den ersten Blick erscheint der nominelle Steuersatz als ausschlaggebender Parameter für die Beurteilung der Steuerbelastung von Unternehmen. Allerdings hat sich gezeigt, dass auch die Berechnung der Steuerbemessungsgrundlage ein wesentlicher Faktor ist. Entscheidend ist dabei letztlich die sich aus nominellem Steuersatz und Steuerbemessungsgrundlage ergebende, effektive Steuerbelastung.1483 Den Staaten stehen im Wettbewerb also potenziell zwei strategische Optionen zur Senkung der effektiven Steuerlast zur Verfügung: Eine Senkung der nominellen Steuersätze oder eine Verkleinerung der Steuerbemessungsgrundlage. Dabei hat sich gezeigt,dass die Bemessungsgrundlage zwar einen wesentlichen Einfluss haben kann, letztlich entscheidend bleibt aber häufig doch der Steuersatz.1484 Ob und inwieweit für ein Unternehmen die nominellen Steuersätze oder die Bemessungsgrundlage entscheidenden Einfluss auf die Steuerplanung haben, muss aber letztlich jedes Unternehmen individuell für sich bestimmen. Der durch den europäischen Binnenmarkt und die Globalisierung entstehende Wettbewerbsdruck hat in den letzten Jahren zu einer stetigen Senkung der tariflichen Unternehmenssteuersätze geführt. Diesem Trend begegnen Staaten allerdings häufig durch eine gezielte Verbreiterung der Steuerbemessungsgrundlage sowie durch die Abschaffung von Steuervergünstigungen, sodass der effektive Steuersatz vielfach 1480 Die Erschwerung internationaler Gewinnverlagerung ist daher zwar im kurzfristigen fiskalischen Interesse von Hochsteuerländern, auf lange Sicht drohen diese als Investitionsstandorte weniger attraktiv zu werden. Vgl. Schreiber/Fell, in: Lüdicke/Schnitger/Spengel (Hrsg.) Besteuerung internationaler Unternehmen, S. 392. 1481 Zur Bedeutung der Erteilung unilateraler Verrechnungspreisvereinbarungen für die Standortattraktivität vgl. Grotherr, BB 2005, 855 (863). 1482 Schreiber/Fell, in: Lüdicke/Schnitger/Spengel (Hrsg.) Besteuerung internationaler Unternehmen, S. 394. 1483 Schröder, Probleme der Gewinnverlagerungen multinationaler Unternehmen, S. 40; Zur Bedeutung der effektiven Steuerbelastung bei ausländischen Investitionen vgl. grundlegend: Schreiber, StuW 2004, 212 (215). 1484 Vgl. Esser, Internationaler Steuerwettbewerb – Vorteile und Gefahren, S. 12; Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung, S. 169.

A. Wettbewerb der Steuersysteme

345

nicht in dem Maße gesunken ist wie der tarifliche.1485 Einige Staaten verkleinern auch die Bemessungsgrundlage, um die effektive Steuerbelastung zu verringern und als Standort attraktiv zu bleiben, ohne den tariflichen Satz senken zu müssen. Die Bedeutung der Bemessungsgrundlage für die Unternehmensbesteuerung gilt vorwiegend nur für die Ansiedlungsförderung. Hier kann sich ein Hoheitsträger durch die geschickte Anpassung der Bemessungsgrundlage dem Wettbewerbsdruck zur Senkung der tariflichen Steuersätze mitunter entziehen bzw. die Senkung des Steuersatzes durch eine Verbreiterung der Bemessungsgrundlage abfangen. Beim Wettbewerb um die Verteilung von Steuersubstrat bleibt jedoch der tarifliche Steuersatz maßgebliches Kriterium. Ein Konzern wird in Situationen, in denen Ausgaben der einen Gesellschaft als Einnahmen der anderen verbucht werden, nachvollziehbarerweise Gewinne konzernintern in Länder mit niedrigen Tarifsteuersätzen verschieben.

IV. Schädlicher Steuerwettbewerb Im öffentlichen und politischen Bewusstsein wird der Steuerwettbewerb sehr häufig unmittelbar mit den Adjektiven unfair und schädlich in Verbindung gebracht. Dabei gestaltet sich die Definition des schädlichen Steuerwettbewerbs als ebenso komplex und vielschichtig wie die Definition des Steuerwettbewerbs selbst. Die besondere Schwierigkeit der Herleitung einer tragfähigen Begriffsdefinition liegt nicht zuletzt darin, dass seine Einordnung wesentlich durch individuell differierende persönliche und politische Präferenz bestimmt wird.1486 So werden bspw. die Beurteilungen von Politik und Öffentlichkeit und die der Unternehmen bzw. deren Managern oder Angestellten naturgemäß auseinandergehen.1487 Auch die Tatsache, dass bisher keine validen und verlässlichen Untersuchungen zur Aushöhlung des Steueraufkommens1488 aufgrund von Gewinnverlagerungen existieren, erschwert die Definition.1489 Die Bezeichnungen fairer bzw. unfairer Steuerwettbewerb sind an sich bereits missverständlich. Der Wettbewerb der Nationen und Systeme ist ein und derselbe, zu bewerten sind hingegen die in diesem Wettbewerb angewandten Methoden und seine Konsequenzen.1490 Obwohl die Aufstellung einer abschließenden 1485

Esser, Internationaler Steuerwettbewerb – Vorteile und Gefahren, S. 32 ff. Daraus ergibt sich, dass die Bekämpfung „schädlichen Steuerwettbewerbs“ im Ergebnis ein politisches Anliegen ist. Zu den daraus folgenden Kosenquenzen für die Rechtsdurchsetzung vgl. Kokott, ISR 2017, 395, (398). 1487 Vgl. Overesch, in: Kahle/Overesch/Ruf/Spengel (Hrsg.), Kernfragen der Unternehmensbesteuerung, S. 43. 1488 Hinsichtlich der Spannbreite von Buchgewinnverlagerungen vgl. Heckmeyer/Spengel, PWP 2008, 37 – 61. 1489 Endres, in: Kahle/Overesch/Ruf/Spengel (Hrsg.), Kernfragen der Unternehmensbesteuerung, S. 61. 1490 Esser, Internationaler Steuerwettbewerb – Vorteile und Gefahren, S. 9. 1486

346 Kap. 5: Der internationale Steuerwettbewerb und sein Verhältnis zum Beihilferecht

Definition wohl unmöglich bleibt, besteht durchaus die Möglichkeit sich der Begrifflichkeit anhand grundsätzlicher (ökonomischer) Überlegungen und Abgrenzungen zu nähern. Am ehesten lässt sich der schädliche Steuerwettbewerb als negative Ausprägung des fairen Steuerwettbewerbs abgrenzen. Während letzterer – auch von OECD und Europäischer Union – als wünschenswert erachtet wird, wird im Gegensatz dazu der unfaire Steuerwettbewerb abgelehnt.1491 Ein solcher führt zu einer falschen Anreizwirkung und damit zu einer fehlerhaften Ressourcenallokation. Im Gegensatz zum fairen Steuerwettbewerb führt er nicht zu einer Wohlfahrtssteigerung, sondern im Gegenteil zu einer Wohlfahrtsabsenkung.1492 Als Gefahr des unfairen Steuerwettbewerbs wird vor allem gesehen, dass der ständige Wettbewerbsdruck und die immer weitere wechselseitige Absenkung der Unternehmenssteuersätze zu einer dauerhaften Abwärtsspirale (sog. Race to the bottom1493) und damit zu einem letztendlich ruinösen Steuerwettbewerb führen können. Am Ende dieses Prozesses sind die Unternehmenssteuersätze soweit abgesenkt, dass dem Fiskus keine Einnahmen mehr zur Finanzierung der öffentlichen Aufgaben verbleiben.1494 Die Gefahr eines möglicherweise dauerhaften Steuersenkungswettbewerbs alleine darf aber nicht fälschlicherweise zur Einordnung des Steuerwettbewerbs als schädlich führen. Ausgehend von den allgemeinen marktwirtschaftlichen Theorien ist ein Wettbewerb fair, sofern er einen wirklichen Leistungsvergleich zulässt und im Ergebnis demjenigen Wettbewerber den Zuschlag gibt, der das beste Preis-Leistungs-Verhältnis anbietet. Im Bereich des öffentlichen Steuer- und Abgabenrechts bedeutet das folglich, dass derjenige Standort den Zuschlag bekommen muss, der im Verhältnis zur bestehenden Abgabenlast das attraktivste Leistungsangebot (z. B. Infrastruktur und qualifizierte Arbeitnehmer) anbietet. Folgerichtig ist ein Wettbewerb als unfair anzusehen, in dem entweder ein objektiver Vergleich aufgrund unterschiedlicher Voraussetzungen nicht möglich ist, oder Wettbewerber zwar den gleichen Rahmen vorfinden, dieser aber nicht dem besten, sondern einem anderen Marktteilnehmer den Vorzug gibt. Nicht originär betriebswirtschaftliche Gründe führen dann zur Investitionsentscheidung, sondern künstlich geschaffene.1495 Ein unfaires staatliches Wettbewerbsverhalten liegt insbesondere dann vor, wenn ein Staat bestimmten Unternehmen selektive Steuervorteile gewährt, um damit gezielt ausländisches Steuersubstrat anzulocken.1496 Durch die Selektivität der Maßnahme mit Begünstigung von ausländischen Unternehmen wird ein Rückgang des inländischen Steueraufkommens verhindert. Der handelnde Staat behält sein bisheriges Aufkommen und erhält zusätzlich das akquirierte ausländische Steuersubstrat. Für 1491

Vgl. z. B. Pressemitteilung der Kommission v. 11. 6. 2014 – IP/14/663. Wieland, EuR 2001, 119 (121). 1493 Vgl. Pinkernell, IStR 2014, 273 (273); Stütz, Steuerwettbewerb in Europa, S. 69. Zur theoretischen Basis siehe weiterführend: Boss, Steuerharmonisierung oder Steuerwettbewerb, S. 7 ff. 1494 Rode, Steuervergünstigungen, Beihilfen und Steuerwettbewerb, S. 349. 1495 Wieland, EuR 2001, 119 (121). 1496 Esser, Internationaler Steuerwettbewerb – Vorteile und Gefahren, S. 81. 1492

A. Wettbewerb der Steuersysteme

347

die begünstigten Unternehmen entspricht bei derartigen Vergünstigungen das Steuerniveau nicht mehr dem Leistungsniveau. Das Preis-Leistungs-Verhältnis hält sich nicht mehr die Waage und kippt zugunsten multinationaler Unternehmen. Dabei ist insbesondere bedenklich, dass sich derartige Praktiken häufig vor allem an Finanzdienstleister und multinationale Unternehmensgruppen, die durch die besondere Mobilität des Faktors Kapital in hohem Maße mobil sind, richten. Insbesondere bei diesen ist die Gefahr gegeben, dass es nicht zur Verlagerung der wirtschaftlichen Aktivität, sondern nur zur Verschiebung von Unternehmensgewinnen kommt. Diese Unternehmen bringen keinen Beitrag zur wirtschaftlichen Weiterentwicklung eines Landes durch personellen Aufbau oder die Verlagerung wirtschaftlicher Aktivitäten. Vielmehr erfolgt nur der Finanztransfer in einen Niedrigsteuerstaat.1497 Diese Bevorzugung mobiler Faktoren und Unternehmen führt auf lange Sicht zu einer Erhöhung der Steuerlast für standortgebundene Kleinunternehmer und für weniger mobile Produktionsfaktoren.1498 Multinationale Unternehmen werden faktisch dazu eingeladen, bestehende Lücken in den nationalen Steuersystemen und fehlende Harmonisierungen durch künstliche Steuergestaltungsmodelle auszunutzen. Durch diese fehlerhafte Anreizsetzung werden Werte nicht mehr an dem Ort versteuert, an dem sie geschaffen wurden, sondern stattdessen aus Gründen der Steuerersparnis verschoben. Die Konsequenz ist ein Verlust an ökonomischer Rationalität und Effizienz und damit einhergehend ein volkswirtschaftlicher Wohlfahrtsverlust.1499 Die Aufstellung einer umfassenden und abschließenden Definition des Begriffs schädlicher Steuerwettbewerb erweist sich daher schon deswegen als unmögliches Unterfangen, da es letztlich jedem Hoheitsträger selbst obliegt zu entscheiden, ob eine Maßnahme als schädlich anzusehen ist oder nicht. Die genannten Strukturelemente können jedoch ein starkes Indiz bilden. Dabei haben die von der OECD und der Europäischen Union aufgestellten Grundsätze für ihre Mitglieder nachvollziehbarerweise ein besonderes Gewicht.1500

1497 1498

S. 110. 1499

Stütz, Steuerwettbewerb in Europa, S. 51. Wartenburger, IStR 2001, 397 (397); Gross, Das europäische Beihilfenrecht im Wandel,

Esser, Internationaler Steuerwettbewerb – Vorteile und Gefahren, S. 82. Vgl. Entschließung des Rates und der im Rat vereinigten Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten v. 01. 12. 1997 über einen Verhaltenskodex für die Unternehmensbesteuerung, Abl. EG 1998 Nr. C 2/1. Siehe auch: Aktionsplan der OECD zur Bekämpfung der Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung und Report für die wirksamere Bekämpfung schädlicher Steuerpraktiken unter Berücksichtigung von Transparenz und Substanz. Abrufbar unter: http: //www.oecd.org/publications/wirksamere-bekampfung-schadlicher-steuerpraktiken-unter-be rucksichtigung-von-transparenz-und-substanz-aktionspunkt-5-abschlussbericht-978926425803 7-de.html (zuletzt abgerufen am 10. 11. 2020). 1500

348 Kap. 5: Der internationale Steuerwettbewerb und sein Verhältnis zum Beihilferecht

B. Europäischer Steuerwettbewerb In den Frühzeiten der Europäischen Union war die Steuerpolitik sehr stark von Harmonisierungsgedanken getragen. Die Europäische Kommission erkannte die Notwendigkeit mitgliedstaatliche Besteuerungsunterschiede zu beseitigen, die der betriebswirtschaftlich sinnvollsten Unternehmensansiedlung entgegenstanden. Vielfach wurde und wird dabei gefordert, im Rahmen einer positiven Integration1501 nationale Regulierungen – insbesondere auch die Unternehmenssteuern – zu vereinheitlichen. Eine solche Harmonisierung hätte das Ziel, durch nationalstaatliche Eingriffe entstehende Wettbewerbsverzerrungen zu verhindern und einen unverzerrten Unternehmenswettbewerb sicherzustellen.1502 Die Europäische Kommission konnte ihre weitreichenden Harmonisierungsbestrebungen jedoch nicht durchsetzen. Sie hat in der Folge auf weitreichende Harmonisierungsvorschläge verzichtet und sich stattdessen darauf beschränkt steuerliche Wettbewerbsverzerrungen zu bekämpfen.1503 Sie vertraut dabei insbesondere auf das primäre Unionsrecht. Dessen integrative Wirkung ist jedoch nicht unbegrenzt. Es setzt zwar den Mitgliedstaaten Grenzen, das bedeutet aber keinesfalls, dass die nationalen Steuerrechtsordnungen vollkommen harmonisiert werden. Es existiert daher keine europaweit einheitliche Binnenmarktbesteuerung.1504 Die Europäische Union bildet keine Steuerrechtsunion. Vielmehr stehen die einzelnen nationalen Steuerrechtsregime gleichberechtigt nebeneinander. Insbesondere bestehen keine Vorgaben hinsichtlich der Art des Steuersystems, der Höhe der tariflichen Steuersätze oder der Bestimmung der Bemessungsgrundlage.1505 Harmonisiert bzw. koordiniert werden nur solche Steuervorschriften, die sich für das Funktionieren des Binnenmarktes wettbewerbshindernd auswirken.1506 Ziel dieser steuerlichen Anbietervielfalt ist die Schaffung eines gesunden Wettbewerbs der Steuersysteme innerhalb der Union.1507

I. Intensität des Europäischen Steuerwettbewerbs Durch die zunehmende Verflechtung wirtschaftlicher Beziehungen stehen die nationalen Steuersysteme zunehmend unionsinternen, grenzüberschreitenden 1501

Zur Abgrenzung der Begriffe positive und negative europäische Integration vgl. ausführlich: Terra/Wattel, European Tax Law, S. 36 ff. 1502 Gröteke, Europäische Beihilfenkontrolle und Standortwettbewerb, S. 148. 1503 Birkenmaier, Die Vorgaben der Beihilfevorschriften des EG-Vertrages für die direkte Unternehmensbesteuerung, S. 78. 1504 Endres, RIW 1994, 572 (573). 1505 Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung, S. 221. 1506 Lehnert, Die Korrektur von gemeinschaftswidrigen Beihilfen in Form von Steuervergünstigungen, S. 22. 1507 Bauschatz, IStR 2002, 291 (293).

B. Europäischer Steuerwettbewerb

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Sachverhalten gegenüber.1508 Das Steuergefälle beeinträchtigt auch innerhalb der Union die Geschäftstätigkeit und die Wahl des Unternehmensstandortes.1509 Dieser Effekt wird in der europäischen Union vor dem Hintergrund des freien Binnenmarktes und der voranschreitenden wirtschaftlichen und rechtlichen Integration zusätzlich verstärkt.1510 Die Migrations- und Transferhindernisse bei einem unionsinternen Standortwechsel sind geringer als bei einem Wechsel in einen Drittstaat. Gleichzeitig können die betriebswirtschaftlichen Kosten eines Standortwechsels durch die Unternehmen besser berechnet, begrenzt und den bisherigen Steuerkosten gegenübergestellt werden. Es steht Unternehmen innerhalb der Union damit in besonderem Maße frei, gegebenenfalls den Standort zu wechseln.1511 Durch die immer weiter fortschreitende Angleichung der Lebensverhältnisse in Europa sowie durch die stärkere Angleichung der Rechtsordnungen, hat die Bedeutung der Steuerbelastung als Standortfaktor innerhalb der Union immer weiter an Bedeutung gewonnen und wird dies auch zukünftig weiter tun.1512 In Europa hat sich so in den letzten Jahren ein besonders intensiver Wettbewerb bei den Unternehmenssteuern entwickelt. Dabei ist eine Angleichung durch den Wettbewerb hin zu einem einheitlichen System der Unternehmensbesteuerung nicht erkennbar. Es zeichnet sich weder eine Konvergenz hinsichtlich des Steuersystems noch des Steuermixes ab. Eine solche ist lediglich hinsichtlich der tariflichen Steuersätze erkennbar.1513 In der Union hat der Steuerwettbewerb insgesamt zu einer drastischen Reduktion der tariflichen Steuerbelastung geführt, wohingegen die tariflichen Steuersätze in den sechs wichtigsten außereuropäischen OECD-Ländern im Großen und Ganzen stabil geblieben sind.1514

II. Europäische Grundfreiheiten und Wettbewerb der Steuersysteme Zwar hat die Europäische Union gemäß dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigungen auf dem Gebiet der direkten Unternehmenssteuern kaum Befugnisse, der Europäische Gerichtshof misst aber in ständiger Rechtsprechung auch steuerrechtliche Maßnahmen an den Vorgaben des europäischen Primärrechts, insbeson-

1508

Esser, Internationaler Steuerwettbewerb – Vorteile und Gefahren, S. 8. Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung, S. 222. 1510 Reimer, in: Blanke/Scherzberg/Wegner (Hrsg.), Dimensionen des Wettbewerbs, S. 384 ff. 1511 Lampert, EuZW 2013, 493 (497). 1512 Wieland, Steuerwettbewerb in Europa, EuR 2001, 119 (120). 1513 Esser, Internationaler Steuerwettbewerb – Vorteile und Gefahren, S. 36. 1514 Mors, in: Kellermann/Zitzler (Hrsg.), Steuern im europäischen Wettbewerb, S. 72. Zur gleichzeitigen Veränderung der Bemessungsgrundlage und dessen Bedeutung vgl. Kapitel 5, S. 342 ff. 1509

350 Kap. 5: Der internationale Steuerwettbewerb und sein Verhältnis zum Beihilferecht

dere der Grundfreiheiten.1515 Er entscheidet dabei traditionell sehr binnenmarktfreundlich1516 und hat sich so in der Vergangenheit zum Motor der europaweiten Annäherung der Unternehmenssteuern entwickelt.1517 Die Rechtsprechung des Gerichtshofs hat zwar zur Umgestaltung zahlreicher etablierter Besteuerungsregime geführt,1518 nicht aber zu einer Vollharmonisierung. Es kam lediglich zu punktuellen, wenn auch tiefgehenden, Anpassungen.1519 Die Bedeutung der Grundfreiheiten für den Wettbewerb der Steuersysteme in Europa geht aber deutlich über ein rein steuerliches Diskriminierungsverbot hinaus. Die Grundfreiheiten verwirklichen den Europäischen Binnenmarkt und verteidigen ihn vor unerwünschten Einschränkungen. Sie sorgen für eine immer weiter fortschreitende realwirtschaftliche Integration der Union. Dies betrifft insbesondere den Abbau von Zöllen und sonstiger Handelsbeschränkungen sowie Maßnahmen gleicher Wirkung. Es soll ein von sämtlichen staatlichen Diskriminierungen befreiter Wettbewerb im Binnenmarkt ermöglicht werden. Der Abbau solcher Hemmnisse bedeutet aber auch, dass es für ein Unternehmen einfacher wird, seinen Sitz oder seine Betriebsstätte innerhalb der Union zu verschieben. Die Angleichung der Rechtsordnungen im Wege der europäischen Integration führt also gleichzeitig dazu, dass die Transaktionskosten für einen Standortwechsel geringer und besser berechenbar werden. Je stärker Rechtsordnungen durch das Unionsrecht harmonisiert werden und sich die Lebensstandards und damit auch andere Produktionskosten (z. B. Lohn- und Infrastrukturkosten) angleichen, desto größer wird die Bedeutung der Steuerbelastung als Standortfaktor. Der Anreiz, für Unternehmen den Standort zu wechseln, besteht so bereits bei geringen Unterschieden in der Besteuerung. Die sich aus dem Unionsrecht ergebenden Bindungen verhindern dabei, dass sich einzelne Mitgliedstaaten einseitig ihren Verpflichtungen zum Binnenmarkt und damit dem Wettbewerb entziehen können. Im Ergebnis führt die weitreichende Bedeutung und Anwendung der Grundfreiheiten dazu, dass der Steuerwettbewerb zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten innerhalb der Union, unabhängig ob fair oder unfair, intensiviert wird.1520 Das Unionsrecht, insbesondere die Grundfreiheiten, wirkt daher als Katalysator für den Steuerwettbewerb.1521 1515 Vgl. z. B.: EuGH, Urteil v. 28. 01. 1986, Rs. C-270/83, ECLI:EU:C:1986:37 – Kommission/Frankreich; EuGH, Urteil v. 12. 09. 2006, Rs. C-196/04, ECLI:EU:C:2006:544 – Cadbury Schweppes; EuGH, Urteil v. 13. 12. 2005, Rs. C-446/03, ECLI:EU:C:2005:763 – Marks & Spencer; EuGH, Urteil v. 15. 05. 2008, Rs. C-414/06, ECLI:EU:C:2008:278; EuGH, Urteil v. 25. 02. 2010, Rs. C-337/08, ECLI:EU:C:2010:89 – X Holding. 1516 Stewen, EuR 2008, 445 – 467. 1517 Zur Entwicklung der Rechtsprechung des Gerichtshofs auf dem Gebiet der direkten Besteuerung vgl. ausführlich: Lenaerts, EuR 2009, 728 – 748 sowie von Danwitz, in: Brandt (Hrsg.), Europäische Perspektiven im Steuerrecht, S. 73 ff. 1518 Englisch, in: Brandt (Hrsg.), Europäische Perspektiven im Steuerrecht, S. 89. 1519 Lampert, EuZW 2013, 493 (496). 1520 Wieland, Steuerwettbewerb in Europa, EuR 2001, 119 (124). 1521 Seiler, in: Blanke/Scherzberg/Wegner (Hrsg.), Dimensionen des Wettbewerbs, S. 398.

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Die Grundfreiheiten begrenzen in ihrer Ausprägung als spezielles Gleichheitsgebot zwar wiederum den Gestaltungsspielraum der Mitgliedstaaten und damit im Ergebnis auch ihre Handlungsmöglichkeiten im Steuerwettbewerb, dies aber nur in zweierlei Hinsicht: Sie verhindern eine Steuerpolitik mit Steuervergünstigungen, die nur auf inländische Sachverhalte Anwendung finden, ebenso wie eine solche mit Sonderlasten für grenzüberschreitende Sachverhalte.1522 Alle sonstigen Formen der steuerlichen Subventionierung und Belastungen sind der grundfreiheitlichen Prüfung entzogen. Ein Verstoß gegen Grundfreiheiten kann sich insbesondere nicht aus der Gestaltung des Steuersatzes oder aus der parallelen Ausübung der Steuerhoheit durch mehrere Mitgliedstaaten ergeben. Die Ausgestaltung des Steuersystems, genauso wie die Höhe der Steuerbelastungen, stellt grundsätzlich keinen Verstoß gegen grundfreiheitlich verbürgte Schutzbereiche dar.1523

III. Schädlicher Steuerwettbewerb innerhalb der Europäischen Union Auch innerhalb der Europäischen Union hat sich ein als unfair und schädlich eingestufter Steuerwettbewerb herausgebildet.1524 Die Begriffe „fairer Steuerwettbewerb“ oder „schädlicher Steuerwettbewerb“ sind den Europäischen Verträgen fremd. Im AEUV findet sich der Begriff „Fairness“ nur im Zusammenhang mit Sport (vgl. Art. 165 Abs. 2 AEUV). Auch hier gehen daher naturgemäß die Meinungen in Politik und Öffentlichkeit weit auseinander, ob und wann der Steuerwettbewerb wünschenswert oder schädlich ist. Unabhängig davon kann jedoch festgehalten werden, dass – getrieben durch den immer härter werdenden Wettbewerb – einige Mitgliedstaaten dazu übergegangen sind, gezielt bestimmte Unternehmen steuerlich zu bevorzugen. Die Unternehmen nutzen ihrerseits im Rahmen einer aggressiven Steuerplanung bestehende Schlupflöcher und fehlende Abstimmung zwischen den Steuerrechtsordnungen aus, um ihre Steuerlast zu minimieren.1525 Innerhalb der Union war und ist daher die Sorge groß, dass einige Mitgliedstaaten im Ringen um Standortvorteile und mobile Produktionsfaktoren ihre Steuern zulasten der anderen Mitgliedstaaten derart senken, dass letztlich eine Spirale der Steuervergünstigungen 1522

Dobratz, in: Sieker (Hrsg.), Steuerrecht und Wirtschaftspolitik, S. 156. Anders im Falle sog. erdrosselnder Steuern: EuGH, Urteil v. 11. 06. 2015, Rs. C-98/14, ECLI:EU:C:2015:386, Rn. 37 bis 41 – Berlington Hungary. 1524 Vgl. Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament und den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss – Ein Binnenmarkt ohne unternehmenssteuerliche Hindernisse: Ergebnisse, Initiativen, Herausforderungen, KOM/2003/0726, endg., Rn. 5. 1525 Vgl. zum Begriff der aggressiven Steuerplanung: Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat v. 27. 06. 2012 über konkrete Maßnahmen, auch in Bezug auf Drittländer, zur Verstärkung der Bekämpfung von Steuerbetrug und Steuerhinterziehung, KOM/2012/351, endg., S. 4. Zu den dagegen empfohlenen Maßnahmen siehe: Lang, SWI 2013, 62 – 68. 1523

352 Kap. 5: Der internationale Steuerwettbewerb und sein Verhältnis zum Beihilferecht

in Kraft gesetzt wird, die sich wohlfahrtsmindernd auswirkt.1526 Dieser schädliche Steuerwettbewerb wird von der Union schon seit längerem mit Sorge beobachtet1527 und es wurden diesbezüglich auch bereits Gegenmaßnahmen ergriffen.1528 Wie bereits dargelegt, obliegt es letztlich jedem Hoheitsträger, eine für sich passende Definition des schädlichen Steuerwettbewerbs aufzustellen. Die Kommission stuft den Steuerwettbewerb grundsätzlich dann als unfair ein, wenn gezielt einzelne Unternehmen, Branchen, Regionen oder ausländische Investoren subventioniert werden. Demgegenüber gilt ein Wettbewerb, der nur die allgemeinen steuerlichen Rahmenbedingungen vorgibt oder das Angebot an öffentlichen Leistungen verbessert, als unschädlich und sinnvoll.1529 Der schädliche Begünstigungswettbewerb führt letztlich zu einer gezielten Bevorzugung großer multinationaler (und daher auch mobiler) Konzerne gegenüber anderen ebenfalls im Mitgliedstaat ansässigen Unternehmen. Trotz bestimmter, unerwünschter Entwicklungen hat der Wettbewerb der Steuersysteme innerhalb der Union bisher jedoch nicht zum befürchteten race to the bottom geführt.1530 Zwar sind die nominellen Steuersätze tatsächlich drastisch gesunken, für die effektive Steuerbelastung gilt dies jedoch nicht. Einschränkend sei hier zwar hinzugefügt, dass gemeinhin davon ausgegangen wird, dass dabei zugleich eine Verschiebung der Gesamtsteuerlast von Unternehmen auf weniger mobile Marktteilnehmer wie Arbeitnehmer und Konsumenten einhergeht.1531 Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass der Wettbewerb der Steuersysteme innerhalb der Union bisher zu einem Absinken der nominellen Steuersätze auf ein niedriges Niveau geführt hat, wobei die effektive Steuerbelastung aufgrund breiterer Bemessungsgrundlagen stabil geblieben ist. Die Einnahmen aus der Körperschaftsteuer sind in den letzten Jahren abhängig von konjunkturellen Schwankungen beständig gestiegen und gefallen. Ein genereller Abwärtstrend lässt sich nicht erkennen.1532 1526 Pressemitteilung der Kommission v. 11. 6. 2014 – IP/14/663. Siehe auch: Pinkernell, IStR 2014, 273 (273). Zur theoretischen Basis vgl. weiterführend: Boss, Steuerharmonisierung oder Steuerwettbewerb, S. 7 ff. 1527 Vgl. Jochum, ZRP 2015, 115 (115 ff.); Kellermann/Zitzler (Hrsg.), Steuern im europäischen Wettbewerb. Unterbieten oder gemeinsam gestalten, S. 2. 1528 Schlussfolgerungen des Rates „Wirtschafts- und Finanzfragen“ v. 01. 12. 1997 zur Steuerpolitik, ABl. EG 1998 Nr. C 02/1. Vgl. Aktionsplan der OECD zur Bekämpfung der Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung und Report für die Wirksamere Bekämpfung schädlicher Steuerpraktiken unter Berücksichtigung von Transparenz und Substanz. Abrufbar unter: http://www.oecd.org/publications/wirksamere-bekampfung-schadlicher-steuerpraktikenunter-berucksichtigung-von-transparenz-und-substanz-aktionspunkt-5-abschlussbericht-97892 64258037-de.htm (zuletzt abgerufen am 02. 11. 2017). 1529 Grube, DStZ 2007, 370 (374). 1530 Mors, in: Kellerrmann/Zitzler (Hrsg.), Steuern im europäischen Wettbewerb, S. 74. 1531 Wieland, Steuerwettbewerb in Europa, EuR 2001, 119 (120); bestätigend: Lampert, EuZW 2013, 493 (497). 1532 Vgl. Statistisches Bundesamt: Steuereinnahmen aus der Körperschaftsteuer in Deutschland von 1999 bis 2019 (in Milliarden Euro). Abrufbar unter https://de.statista.com/sta

B. Europäischer Steuerwettbewerb

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Schaubild 2: Steuereinnahmen aus der Körperschaftsteuer in Deutschland

IV. Bedeutung einer gemeinsamen konsolidierten Körperschaftsteuerbemessungsgrundlage Perspektivisch plant die Europäische Kommission die Einführung einer europaweit einheitlichen Körperschaftsteuerbemessungsgrundlage. Dabei werden die Gewinne eines Konzerns europaweit ermittelt und konsolidiert und dann mittels indirekter Methode auf die Tochtergesellschaften aufgeteilt. Diese werden in ihrem Ansässigkeitsstaat mit dem dort festgelegten Steuersatz besteuert.1533 Für Unternehmen hat eine einheitliche Bemessungsgrundlage unmittelbar zunächst den Vorteil, dass es zu einer deutlichen Absenkung der steuerlichen Befolgungskosten – die derzeit aufgrund der fehlenden Harmonisierungen bestehen – käme. Zum anderen hätte eine einheitliche Grundlage eine signifikante Entbürokratisierung zur Folge, da Verrechnungspreise, deren Gestaltung sowie die diesbezügliche Abstimmung mit einer oder mehreren Finanzverwaltungen irrelevant würden.1534 Die Einführung einer solchen Körperschaftsteuerbemessungsgrundlage würde für den Steuerwettbewerb innerhalb der Union nicht ohne Folgen bleiben. Zunächst kann festgehalten werden, dass die Bedeutung unterschiedlicher Steuerbemessungsgrundlagen für den Steuerwettbewerb aufgehoben würde. Die Relevanz des tariflichen Steuersatzes würde hingegen weiter zunehmen.1535 Die Kompetenz der Mitgliedstaaten, diesen festzulegen, wird durch die Vereinheitlichung der Bemessungsgrundlage nicht beeinträchtigt. Die Mitgliedstaaten könnten die effektive tistik/daten/studie/235799/umfrage/einnahmen-aus-der-koerperschaftsteuer/ (zuletzt abgerufen am 31. 10. 2020). 1533 Vgl. dazu Kapitel 4, S. 201 ff. 1534 Niess/Karthaus, in: Kahle/Overesch/Ruf/Spengel (Hrsg.), Kernfragen der Unternehmensbesteuerung, S. 98. 1535 Spengel/Braunagel, StuW 2006, 35 (49).

354 Kap. 5: Der internationale Steuerwettbewerb und sein Verhältnis zum Beihilferecht

Besteuerung also nur noch über den tariflichen Steuersatz bestimmen. Hier wäre daher mit Anpassungen zu rechnen. Bedeutsam ist hierbei, dass die Gefahr von Buchgewinnverlagerungen durch die formelbasierte Aufteilung irrelevant würde. Im Gegenzug würde der Wettbewerb um Realinvestitionen zunehmen.1536 Die Steuerplanung der Unternehmen würde sich zukünftig an den der Formel zugrundeliegenden Faktoren, bspw. an der Lohnsumme, orientieren. Verlagerungen betrieblicher Funktionen in Niedrigsteuerländer brächten dabei beträchtliche Steuerersparnisse mit sich.1537 In engem Zusammenhang damit steht verständlicherweise die Gefahr der Faktordefinition und –manipulation. Durch die Intensivierung des Steuerwettbewerbs rückt aber auch die Frage nach einem race to the bottom wieder stärker in den Blickpunkt. Auch dadurch kann der Binnenmarkt gestört werden. Ziel dieser Harmonisierungsmaßnahme ist aber gerade die Funktionsfähigkeit des Binnenmarktes zu verbessern. In der Literatur wird daher diskutiert, ob eine einheitliche Bemessungsgrundlage nicht durch eine Untergrenze für die Körperschaftsteuer flankiert werden muss. Diese würde eine ausreichende Finanzversorgung der öffentlichen Haushalte sicherstellen, den Mitgliedstaaten aber weiter einen gewissen Spielraum geben.1538

V. Europäischer Verhaltenskodex Da eine rein abstrakte und vollumfängliche Definition von schädlichem Steuerwettbewerb nicht zu leisten ist, ist die Einstufung der potenziell schädlichen Maßnahmen anhand spezifischer Kriterien durch die entsprechenden Institutionen von besonderer Bedeutung. Innerhalb der Europäischen Union erfolgt diese Bewertung anhand des sog. Verhaltenskodex.1539 1. Historische Entwicklung Mit Blick auf den – auch im Bereich des Steuerrechts – steigenden Wettbewerbsdruck hat die Kommission bereits 1967 die Notwendigkeit erkannt, dass steuerliche Unterschiede die Unternehmen, Arbeitskräfte und Kapital dazu veranlassen einen anderen als den genuin wirtschaftlich attraktivsten Standort zu wählen, zu verhindern.1540 Zwar hat sie dieses Problem damit schon sehr früh erkannt, Maßnahmen diesbezüglich blieben jedoch, aufgrund fehlenden politischen Umset1536 Oestreicher, StuW 2002, 342 (353 ff.); Schreiber, StuW 2004, 220 (226), Wellisch, StuW 2004, 267 (272). 1537 Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung, S. 239. 1538 Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung, S. 240. 1539 Mitteilung der Kommission v. 01. 10. 1997: Koordinierung der Steuerpolitik in der Europäischen Union – Maßnahmen zur Bekämpfung des schädlichen Steuerwettbewerbs, KOM/97/495 endg. 1540 Vgl. Wieland, EuR 2001, 119 (121).

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zungswillens, zunächst aus. Später beschloss sie daher einen pragmatischeren Weg einzuschlagen. Ab Mitte der 1990er Jahre hat sie – nach mehreren gescheiterten Versuchen der Harmonisierung von direkten Steuern – die Bekämpfung des schädlichen Steuerwettbewerbs in den Vordergrund gerückt.1541 Zu diesem Zweck wurde eine aus Vertretern der Mitgliedstaaten bestehende Arbeitsgruppe gebildet, die dem Europäischen Rat im Oktober 1997 ein Maßnahmenpaket zur Bekämpfung des schädlichen Steuerwettbewerbs vorgelegt hat.1542 Neben einem Bericht über die Anwendung des europäischen Beihilferechts auf nationale Steuernormen und anderen Vorschlägen1543 zur Bekämpfung illegitimen Steuerwettbewerbs enthielt das Maßnahmenpaket auch einen Verhaltenskodex für die Unternehmensbesteuerung.1544 Im Frühjahr des Jahres 1998 hat der Europäische Rat dann die sog. Primarolo-Gruppe ins Leben gerufen. Diese nach ihrer Vorsitzenden1545 benannte Arbeitsgruppe hatte den Auftrag, potenziell schädliche Steuermaßnahmen zu untersuchen.1546 In ihrem im November 1999 erschienenen Bericht stufte die Gruppe 66 der 271 untersuchten Maßnahmen als bedenklich ein. Der Verhaltenskodex wurde dann letztlich am 03. 06. 2003 zusammen mit der Zinsbesteuerungs-Richtlinie1547 sowie der Zins- und Lizenzgebühren-Richtlinie (Konzernzinssteuer-Richtlinie)1548

1541 Vgl. auch: Bericht der Kommission über die Entwicklung der Steuersysteme KOM/96/ 546 endg.; Mitteilung der Kommission an den Europäischen Rat, Aktionsplan für den Binnenmarkt, CSE(97) 1 endg. Für Stellungnahmen anderer Gemeinschaftsorgane siehe: Europäisches Parlament: Entschließung zum Bericht der Kommission über die Steuern in der Europäischen Union: Bericht über die Entwicklung der Steuersysteme, KOM/96/546 endg. und Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Die Steuern in der Europäischen Union – Bericht über die Entwicklung der Steuersysteme“, ABl. EG 1997 Nr. C 296/37. 1542 Mitteilung der Kommission v. 01. 10. 1997: Koordinierung der Steuerpolitik in der Europäischen Union – Maßnahmen zur Bekämpfung des schädlichen Steuerwettbewerbs, KOM/97/495 endg. 1543 Weitere Bestandteile waren ein Vorschlag für eine Richtlinie zur Besteuerung von Zinserträgen an Gebietsansässige anderer Mitgliedstaaten und Maßnahmen zur Abschaffung der Quellsteuer auf grenzüberschreitende Zahlungen von Zinsen und Lizenzgebühren zwischen Unternehmen. 1544 Mitteilung der Kommission an den Rat – Koordinierung der Steuerpolitik in der Europäischen Union – Maßnahmenpaket zur Bekämpfung des schädlichen Steuerwettbewerbs, KOM/97/495 endg. 1545 Zur ersten Vorsitzenden wurde Dawn Primarolo, Financial Secretary im Schatzamt des Vereinigten Königreichs gewählt. 1546 Blumenberg/Kring, Europäisches Beihilferecht und Besteuerung, S. 74. 1547 Richtlinie 2003/48/EG des Rates v. 03. 06. 2003 im Bereich der Besteuerung von Zinserträgen, ABl. EG 2003 Nr. L 157/38, zuletzt geändert durch Art. 1 ÄndRL 2014/48/EU v. 24. 03. 2014, ABl. EU 2014 Nr. L 111/50. 1548 Richtlinie 2003/49/EG des Rates v. 03. 06. 2003 über eine gemeinsame Steuerregelung für Zahlungen von Zinsen und Lizenzgebühren zwischen verbundenen Unternehmen verschiedener Mitgliedstaaten, ABl. EG 2003, Nr. L 157/49; zuletzt geändert durch Richtlinie 2013/13/EU des Rates v. 13. 05. 2013, ABl. EU 2013 Nr. L 141/30.

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verabschiedet. Seitdem wacht die sog. Code of Conduct-Gruppe über die Einhaltung der Stillhalte- bzw. Rücknahmeverpflichtung. 2. Klassifizierung schädlicher Steuermaßnahmen Hauptteil des Kodex sind die Kriterien, aufgrund derer staatliche Regelungen als schädliche Maßnahmen (sog. Harmful tax reliefs) eingeordnet werden sollen. Im Kodex werden zwar potenziell schädliche Maßnahmen definiert, eine Definition des Begriffs schädlicher Steuerwettbewerb erfolgt hingegen nicht.1549 Grundlegende Voraussetzung für die Einordnung einer Maßnahme als schädlich ist, dass die Maßnahme dazu geeignet ist, die Standortentscheidung für wirtschaftliche Tätigkeiten eines Unternehmens spürbar zu beeinflussen. Zu den dabei zu untersuchenden Maßnahmen gehören sowohl Parlamentsgesetze als auch Verordnungen sowie Verwaltungspraktiken und -entscheidungen. Der Begriff der wirtschaftlichen Aktivität umfasst dabei auch Aktivitäten innerhalb einer Unternehmensgruppe. Gemäß Ziffer B des Verhaltenskodex sind Maßnahmen, die gemessen am üblicherweise geltenden Besteuerungsniveau des Mitgliedstaates zu einer deutlich niedrigeren Effektivbesteuerung (einschließlich einer Nullbesteuerung) führen, als potenziell schädlich anzusehen. Bei der Beurteilung einer staatlichen Maßnahme sind insbesondere folgende Kriterien zu beachten:1550 - werden die Vorteile ausschließlich Gebietsfremden oder für Transaktionen mit Gebietsfremden gewährt; - sind die Vorteile komplett von der inländischen Wirtschaft isoliert, sodass sie keine Auswirkungen auf die innerstaatliche Steuergrundlage haben (sog. Ringfencing); - werden die Vorteile auch gewährt, ohne dass ihnen eine tatsächliche Wirtschaftstätigkeit und substanzielle wirtschaftliche Präsenz in dem diese Vorteile bietenden Mitgliedstaat zugrunde liegt; - weichen die Regeln zur Gewinnermittlung bei Aktivitäten innerhalb einer multinationalen Unternehmensgruppe von international allgemein anerkannten Grundsätzen, insbesondere den von der OECD vereinbarten Regeln,1551 ab;

1549

Rode, Steuervergünstigungen, Beihilfen und Steuerwettbewerb, S. 360. Entschließung des Rates und der im Rat vereinigten Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten v. 01. 12. 1997 über einen Verhaltenskodex für die Unternehmensbesteuerung, ABl. EG 1998 Nr. C 2/1, Ziffer B. 1551 Die Disskussion über schädlichen Steuerwettbewerb wird auf OECD-Ebene aktuell im Rahmen des BEPS-Projekts weitergeführt. Vgl. z. B. Aktionspunkt 5 des BEPS-Projekts der OECD: Wirksamere Bekämpfung schädlicher Steuerpraktiken unter Berücksichtigung von Transparenz und Substanz. 1550

B. Europäischer Steuerwettbewerb

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- mangelt es den steuerlichen Maßnahmen, einschließlich der Fälle einer laxeren und undurchsichtigeren Handhabung der Rechtsvorschriften auf Verwaltungsebene, an Transparenz. Mit unterschiedlicher Gewichtung entsprechen diese Charakteristika auch denen der OECD.1552 Ein besonders prominentes Indiz für eine schädliche Praxis stellt die Isolation der heimischen Wirtschaft dar. Inländische Steuerzahler sollen hierbei nicht in den Genuss der Steuervergünstigung kommen. Gleichzeitig versuchen Staaten die begünstigten Unternehmen an einer Tätigkeitsentfaltung auf dem inländischen Markt zu hindern.1553 Der Mitgliedstaat schützt also seinen Markt vor seiner eigenen Vergünstigung. Es ist ihm also durchaus bewusst, dass die angebotene Steuerlast nicht dem staatlichen Leistungsangebot entspricht. Selbiges gilt für die Gewährung der Vergünstigung ohne oder gerade aufgrund fehlender Wirtschaftstätigkeit im Inland. Derartige Vergünstigungen stehen in besonderem Maße für eine Entkoppelung von wirtschaftlicher Wertschöpfung und Besteuerung. Hier liegt der Verdacht besonders nahe, dass es sich um ein rein für ausländische Investoren, insbesondere Finanzdienstleister, entwickeltes Steuersparmodell handelt, das letztlich nur dazu dient, auf Kosten eines anderen Mitgliedstaats Steuersubstrat zu akquirieren.1554 Wurde eine Maßnahme als potenziell schädlich eingestuft, bedarf es danach einer genauen Überprüfung der Maßnahmen. Die Kommission hat dazu eine indikative Liste erstellt, die der genaueren Einteilung der Maßnahmen dient.1555

VI. Europäisches Beihilferecht und Standortwettbewerb In der Beihilfekontrollpraxis von Kommission und europäischen Gerichten hat die Frage des Steuerwettbewerbs zwar lange Zeit nahezu keine Rolle gespielt, der gezielten steuerlichen Besserstellung einzelner Unternehmen versucht die Kommission hingegen bereits seit längerem – in jüngerer Vergangenheit allerdings deutlich verstärkt – mit der umfassenden Anwendung des europäischen Beihilferechts Einhalt zu gebieten.1556 Mit der Ausweitung der Beihilfekontrolle auf steuerliche Vergünstigungen, der Intensivierung der diesbezüglichen Kontrollen – ins1552

Für eine Gegenüberstellung der Kriterien vgl. Esser, Internationaler Steuerwettbewerb – Vorteile und Gefahren, S. 85. 1553 Entschließung des Rates und der im Rat vereinigten Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten v. 01. 12. 1997 über einen Verhaltenskodex für die Unternehmensbesteuerung, ABl. EG 1998 Nr. C 2/1, Ziffer B. 1554 Wartenburger, IStR 2001, 397 (401). 1555 Blumenberg/Kring, Europäisches Beihilferecht und Besteuerung, S. 75, unter Verweis auf allgemeine Presseinformation der EG-Kommission v. 16. 07. 1998 – Nr. 7264. 1556 Zum Verhältnis „unfairer“ Steuervergünstigungen und Art. 107 Abs. 1 AEUV vgl. bereits Seer, IWB 2006, 313, 317. In der Beihilfekontrolle ein Mittel der Verhinderung schädlichen Steuerwettbewerbs sehend: Schaumburg, ISR 2016, 371 (374). Zur Rolle des EuGHs im Steuerwettbewerb vgl. Kokott, ISR 2017, 395 – 401.

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besondere bezüglich selektiver Verrechnungspreisvereinbarungen – rückt auch der Steuerwettbewerb zunehmend in den Fokus des Beihilferechts.1557 Die Chance, möglicherweise staatliche Beihilfen und finanzielle Vergünstigungen zu erhalten, beeinflusst naturgemäß die Standortwahl von Unternehmen bzw. deren Investitionstätigkeit.1558 Steuerliche Beihilfen wirken als eine Art Rabatt auf Standortsteuern.1559 Dadurch ist das Beihilferecht eng mit dem Standortwettbewerb verwoben. Dies darf aber nicht derart missverstanden werden, dass das Beihilferecht ein universelles Heilmittel gegen unerwünschte Entwicklungen des Steuerwettbewerbs ist. Fasst man die Wirkungen des Steuerwettbewerbs zusammen, lassen sich vier Folgen abstrahieren: Zum einen entsteht ein gewisser Steuersenkungsdruck, zum anderen kommt es zu einer Konvergenz der Steuerrechtsordnungen und zu einer Beschleunigung der staatlichen Gesetzgebung. Um sich dem allgemeinen Steuersenkungsdruck zu entziehen, kann es daneben auch zur Gewährung selektiver Vergünstigungen kommen. Das europäische Beihilferecht richtet sich dabei grundsätzlich nur gegen gezielte, wettbewerbsverzerrende und selektive steuerliche Begünstigungen. Der interjurisdiktionelle Wettbewerb der (Steuer-)Systeme selbst ist dem Beihilfeaufsichtsrecht durch die Kommission entzogen. Die bestehenden Systeme werden und müssen aufgrund der unionalen Kompetenzverteilung als gegeben angesehen werden und bilden für die beihilferechtliche Bewertung lediglich den Rahmen.1560 Ein europaweiter länderübergreifender Abgleich der Steuersysteme untereinander oder gar eine Europäisierung bzw. Harmonisierung der nationalen Steuersysteme mittels des europäischen Beihilferechts findet nicht statt. 1. Das Beihilferecht als Instrument gegen schädlichen Steuerwettbewerb Dem ungeachtet wird das Beihilferecht gerne als starkes Instrumentarium gegen unerwünschte steuerliche Maßnahmen verstanden.1561 Im Gegensatz zu den Grundfreiheiten erfasst das Beihilferecht zwar auch umgekehrte Diskriminierungen, entscheidend für seine Anwendung ist jedoch alleine die steuerliche Ungleichbehandlung von Wettbewerbern. Diese selektive Begünstigung ist es auch, die häufig zur Einordnung einer Maßnahme als Ausprägung des schädlichen Steuerwettbewerbs führt. In der Literatur wird daher der Vorschlag gemacht, anhand des Tatbestands von Art. 107 Abs. 1 AEUV und der Selektivität einer Maßnahme zwischen fairem und schädlichem Steuerwettbewerb zu unterscheiden.1562 Zugute gehalten werden kann diesem Ansatz, dass er eine komplexe Frage auf ein greifbares Problem 1557

Pressemitteilung der Kommission v. 11. 06. 2014 – IP/14/663. Gröteke, Europäische Beihilfenkontrolle und Standortwettbewerb, S. 182 ff. 1559 Koenig/Kühling, EuZW 1999, 519 (519 ff.). 1560 Blumenberg/Kring, Europäisches Beihilferecht und Besteuerung, S. 18. 1561 Vgl. Wieland, Steuerwettbewerb in Europa, EuR 2001, 119 (126); Gross, IWR 2002, 46 (53); Englisch, in: Brandt (Hrsg.), Europäische Perspektiven im Steuerrecht, S. 101. Und von der Europäischen Kommission auch als solches verwandt. Vgl. Jaeger, EuZW 2020, 18 (18). 1562 Vgl. Rode, Steuervergünstigungen, Beihilfen und Steuerwettbewerb, S. 350. 1558

B. Europäischer Steuerwettbewerb

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herunterbricht. Bei selektiven Steuervergünstigungen liegt durchaus der Verdacht nahe, dass es sich um eine Maßnahme handelt, die als Teil des schädlichen Steuerwettbewerbs angesehen werden kann. Trotzdem kann ihm, insbesondere in dieser Pauschalität, nicht gefolgt werden. Die Abgrenzung erfasst richtigerweise sämtliche Sachverhalte, in denen bestimmte ausländische Unternehmen durch eine gezielt verringerte Steuerlast angelockt werden sollen.1563 Es sind jedoch auch Konstellationen möglich, in denen sie versagt. So können z. B. durch steuerliche Beihilfen auch gezielt im Inland ansässige Unternehmen begünstigt werden, um deren Wettbewerbsposition gegenüber Konkurrenten zu stärken. Derartige Maßnahmen unterfallen zwar Art. 107 Abs. 1 AEUV, dürften aber nach dem bisherigen Verständnis nicht dem schädlichen Steuerwettbewerb zuzuordnen sein. Es kommt nicht zu einer Verlagerung des Steueraufkommens von einem Staat in einen anderen. Diese Verlagerung ist aber prägendes Merkmal des schädlichen Steuerwettbewerbs.1564 Reine Inländerbegünstigungen müssten für die Abgrenzung folglich von vornherein ausgeschlossen werden. Das ist aber keineswegs der einzige Kritikpunkt. Auch in einer weiteren Konstellation versagt die Abgrenzung: Kennzeichnend für den schädlichen Wettbewerb ist häufig, dass es zu einer Entkopplung von Wertschöpfung und Besteuerung kommt.1565 Gewinne werden durch Steuersparmodelle künstlich in den niedriger besteuernden Mitgliedstaat verschoben. Dies ist aber auch mit unterschiedslos wirkenden Maßnahmen denkbar. Solche Maßnahmen, obschon ggf. als Teil des schädlichen Steuerwettbewerbs anzusehen, liegen außerhalb des Anwendungsbereiches des Beihilferechts.1566 Beispielhaft sei hier auf allgemeine Steuervergünstigungen für immaterielle Wirtschaftsgüter, z. B. im Rahmen von IP-Boxen verwiesen.1567 Gelten die dadurch gewährten Steuervergünstigungen uneingeschränkt für alle in- und ausländischen Unternehmen gleichermaßen, so erscheint eine Einordnung als selektive Beihilfe kaum denkbar.1568 Die Einordnung als Teil des schädlichen Steuerwettbewerbs erscheint hingegen, beispielsweise im Fall von IPBoxen, die eine drastische Senkung der Steuerlast bis hin zur Nichtbesteuerung vorsehen, als durchaus möglich und sinnvoll.1569

1563

Bspw. in den Fällen des sog. Ring-fencings. So auch: Entschließung des Rates und der im Rat vereinigten Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten v. 01. 12. 1997 über einen Verhaltenskodex für die Unternehmensbesteuerung, ABl. EG 1998 Nr. C 2/1, Ziffer B. 1565 Gross, IWR 2002, 46 (48). 1566 Blumenberg/Kring, Europäisches Beihilferecht und Besteuerung, S. 77. 1567 IP-Boxen als Bestandteil des schädlichen Steuerwettbewerbs ansehend: Schaumburg, ISR 2016, 371 (373). 1568 So auch: Thiede, IStR 2015, 283 (287); a. A. Ismer/Piotrowska, IStR 2015, 257 (266). 1569 So auch: Pross/Radmanesh, IStR 2015, 579 (581 ff.). Vgl. auch: Pressemitteilung des Bundesministeriums für Finanzen v. 11. 11. 2014: http://www.bundesfinanzministerium.de/Con tent/DE/Pressemitteilungen/Finanzpolitik/2014/11/14 - 11 - 11-PM47.html (zuletzt abgerufen am 01. 10. 2017). Sowie BT-Drs. 18/9043 und 18/1238. 1564

360 Kap. 5: Der internationale Steuerwettbewerb und sein Verhältnis zum Beihilferecht

Schaubild 3: Verbreitung von IP-Boxen in der Europäischen Union1570

2. Europäisches Beihilferecht und Europäischer Verhaltenskodex Da sowohl der Verhaltenskodex als auch das europäische Beihilferecht das Ziel verfolgen, missbräuchliche Steuergestaltungen zu bekämpfen, stellt sich notwendigerweise die Frage nach ihrer Verknüpfung und ihrem Verhältnis.1571 Der Kodex selbst stellt durch seinen Verweis auf das Beihilferecht einen engen Bezug beider Rechtsinstitute her.1572 Gleichzeitig erfolgt durch die Feststellung der Kommission, dass das Beihilferecht Bestandteil des Kampfes gegen den schädlichen Steuerwettbewerb ist, ebenfalls eine Rückkoppelung.1573 Da es sich bei dem Verhaltenskodex nicht um Unionsrecht im Sinne der Europäischen Verträge (EUV und AEUV) handelt, stehen beide Rechtsinstitute aber in keinem explizit geregelten Verhältnis,

1570

Zahlen laut BT-Drs.18/1238, S. 2. Siehe dazu Seer, IWB 2006, 313, (317 ff.) der annimmt, eine unfaire Steuervergünstigung stelle regelmäßig eine notifizierungspflichtige Beihilfe dar. 1572 Entschließung des Rates und der im Rat vereinigten Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten v. 01. 12. 1997 über einen Verhaltenskodex für die Unternehmenssteuerung, ABl. EG 1998 Nr. C 2/1, Ziffer J. 1573 Mitteilung der Kommission v. 10. 12. 1998 über die Anwendung der Vorschriften über staatliche Beihilfen auf Maßnahmen im Bereich der direkten Unternehmenssteuerung, ABl. EG 1998 Nr. C 384/3, Rn. 30. 1571

B. Europäischer Steuerwettbewerb

361

sondern bleiben eigenständige, nebeneinanderstehende Instrumente.1574 Sie müssen anhand ihrer Zielsetzungen, Anwendungsbereiche und Rechtsfolgen abgegrenzt und unterschieden werden.1575 a) Kompetenzrechtlich Das Beihilferecht unterliegt der Zuständigkeit der Europäischen Kommission, deren Beschlüsse wiederum durch die europäischen Gerichte überprüft werden. Innerhalb der Kommission obliegt die Anwendung des Beihilferechts der Generaldirektion Wettbewerb und nicht der Generaldirektion Steuern und Zollunion.1576 Die Einstufung einer Maßnahme als schädlich auf der anderen Seite obliegt dem Rat und der im Rat vereinigten Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten bzw. dessen Arbeitsgruppe. Im Rahmen des Verhaltenskodex hat sich die Kommission dazu verpflichtet, Maßnahmen, die durch den Kodex als schädlich eingestuft werden, auch auf ihre mögliche Beihilfewidrigkeit hin zu kontrollieren. Insoweit besteht eine Verknüpfung zwischen dem Vorgehen der Kommission und den Einschätzungen des Rates. An dieser Stelle sei die – durchaus interessante – Beobachtung erwähnt, dass die Tätigkeit der Arbeitsgruppe Verhaltenskodex in den letzten Jahren deutlich an Intensität verloren hat.1577 Im Gegensatz dazu hat die Europäische Kommission ihr Engagement auf dem Gebiet der Steuerbeihilfen deutlich ausgeweitet. In jüngerer Vergangenheit wendet sie das Beihilferecht auch verstärkt als Mittel im Kampf gegen den schädlichen Steuerwettbewerb an.1578 Zwar lassen sich keine empirischen Befunde im Sinne eines Ursache-Wirkung-Verhältnisses nachweisen, der Verdacht einer gewissen Wechselwirkung liegt jedoch nahe. b) Materiell-rechtlich Das einende Element beider Rechtsinstitute ist schnell gefunden: Beide richten sich gegen Maßnahmen, die zu einer niedrigeren Effektivbesteuerung führen. Außerdem kommt beiden in gewissem Umfang eine wettbewerbssichernde Funktion zu.1579 Der Verhaltenskodex nimmt dabei, ebenso wie das Beihilferecht, das landesspezifische Besteuerungsniveau als gegeben hin.1580 So hat auch der Rat selbst 1574

Mitteilung der Kommission v. 10. 12. 1998 über die Anwendung der Vorschriften über staatliche Beihilfen auf Maßnahmen im Bereich der direkten Unternehmenssteuerung, ABl. EG 1998 Nr. C 384/3, Rn. 30. 1575 Vgl. dazu auch: Moreno González, EStAL 2016, 556 (560). 1576 Rode, Steuervergünstigungen, Beihilfen und Steuerwettbewerb, S. 373. 1577 Mors, in: Kellermann/Zitzler (Hrsg.), Steuern im europäischen Wettbewerb, S. 74. 1578 Pressemitteilung der Kommission v. 11. 6. 2014 – IP/14/663. 1579 Gross, IWR 2002, 46 (49). 1580 Mors, in: Kellermann/Zitzler (Hrsg.), Steuern im europäischen Wettbewerb, S. 67; Wartenburger, IStR 2001, 397 (401).

362 Kap. 5: Der internationale Steuerwettbewerb und sein Verhältnis zum Beihilferecht

festgestellt, dass ein Teil der vom Kodex als schädlich eingestuften Maßnahmen ebenfalls in den Anwendungsbereich des europäischen Beihilferechts fallen können.1581 Allerdings sind die Anwendungsbereiche und Voraussetzungen beider Rechtsinstitute nicht vollkommen identisch.1582 aa) Rechtsnatur Das europäische Beihilferecht ist in den Art. 107 ff. AEUV geregelt. Es ist Bestandteil der europäischen Verträge und des primären Unionsrechts. Im Rahmen der unmittelbaren Wirkung des Durchführungsverbotes entfaltet es für den Bürger, insbesondere für Wettbewerber, unmittelbare Wirkung und gibt ihnen ein subjektives Recht.1583 Im Gegensatz dazu wurde der Kodex vom Rat und der im Rat vereinigten Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten in Form einer Entschließung verabschiedet. Der Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union sieht weder ein solches Gremium, noch ein solches Rechtsinstrument vor (vgl. Art. 288 AEUV). Der Verhaltenskodex ist folglich kein Rechtsinstrument der Europäischen Union, sondern eines sui generis. Die Staaten haben sich durch den Kodex einer freiwilligen Selbstverpflichtung (sog. Soft law) unterworfen. Diese bindet sie zwar, begründet aber für Bürger oder Unternehmen weder Pflichten noch subjektive Rechte. Allerdings sind die nationalen Gerichte dazu angehalten, ihn bei der Auslegung des nationalen Rechts zu berücksichtigen.1584 bb) Zielsetzung Am deutlichsten wird der Unterschied vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Zielsetzungen beider Rechtsinstitute erkennbar. Trotz der immensen Auswirkungen auf das Steuerrecht dient das Beihilferecht wettbewerbsrechtlichen Zielsetzungen. Entscheidend ist nicht (nur) die Absenkung der effektiven Steuerlast, sondern, ob es durch diese Senkung zu Wettbewerbsverzerrungen kommt, da nicht alle Wettbewerber (im selben Umfang) in den Genuss der Vergünstigung kommen. Das Beihilferecht dient der Verhinderung sämtlicher staatlicher Eingriffe in den Wettbewerb. Der Verhaltenskodex wiederum dient dem Schutz anderer Mitgliedstaaten. Sein Augenmerk liegt auf der Frage, ob die Maßnahmen der Allokation ausländischer Unternehmen, insbesondere multinationaler Konzerne, dienen. Mit ihm soll ver1581 Entschließung des Rates und der im Rat vereinigten Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten v. 01. 12. 1997 über einen Verhaltenskodex für die Unternehmensbesteuerung, ABl. EG 1998 Nr. C 2/1, Ziffer J. 1582 Mors, in: Kellermann/Zitzler (Hrsg.), Steuern im europäischen Wettbewerb, S. 70. 1583 Zur Bedeutung des Durchführungsverbots für Wettbewerber und seine Bedeutung im Rechtsschutz vgl. Kapitel 2, S. 60 ff. 1584 Blumenberg/Kring, Europäisches Beihilferecht und Besteuerung, S. 76.

B. Europäischer Steuerwettbewerb

363

hindert werden, dass ein Mitgliedstaat Maßnahmen einführt, die sich negativ auf den Haushalt eines anderen Staates auswirken. Obwohl beide Instrumente die klar sichtbare Überschneidung aufweisen, dass sie letztlich eine möglichst faire Unternehmensbesteuerung bezwecken, weisen sie folglich einen deutlichen Unterschied auf, der durch ihre unterschiedlichen Zielsetzungen bedingt ist. Dies wird auch anhand der Unterschiede von Selektivität und Schädlichkeit einer Maßnahme deutlich. Schädlichkeit ist im Rahmen des Verhaltenskodexes letztlich auf die Frage reduziert, ob ausländische Unternehmen gegenüber Inländern privilegiert werden und es so zu einer systemwidrigen Steuerallokation kommt. Zwar kommt es zu einer Überschneidung von Schädlichkeit und Selektivität, wenn eine spezifische Steuervergünstigung zur Ansiedlung ausländischer Unternehmen gewährt wird; damit wird aber nur eine Teilmenge der generell möglichen selektiven Maßnahmen abgedeckt.1585 Folgerichtig werden rechtswidrig gewährte Beihilfen, die zu einer niedrigeren Effektivbesteuerung führen, regelmäßig als potenziell schädliche Maßnahmen anzusehen sein, wenn sie zur verstärkten Unternehmensansiedlung führen. Für die Einordnung einer Maßnahme als rechtswidrige Beihilfe ist die Einordnung als schädliche Maßnahme durch den Kodex grundsätzlich aber irrelevant, solange kein wettbewerbsverzerrender Anknüpfungspunkt vorliegt. Bedingt durch ihre – trotz allem – ähnlichen Zielsetzungen und Anwendungsbereiche können sie sich in der praktischen Anwendung also durchaus ergänzen und unterschiedliche Facetten abdecken. In der Kommissionspraxis werden Maßnahmen, die vom Verhaltenskodex als schädlich eingestuft werden, daher in der Regel häufig auf ihre Beihilfewidrigkeit überprüft. Beispielhaft sei hier auf den Fall der irischen Körperschaftsteuer verwiesen: Nachdem die irische Niedrigbesteuerung bestimmter Wirtschaftszweige als beihilferechtswidrig eingestuft wurde, reagierte die irische Regierung umgehend mit einer Senkung der Körperschaftsteuer auf 12,5 % für alle gewerblichen Aktivitäten. Dies ist zwar mangels selektiver Wirkung beihilferechtlich nicht zu beanstanden, da die Maßnahme im Ergebnis aber immer noch das Ziel hat, ausländische Unternehmen anzulocken, ist eine Einstufung als schädlich im Sinne des Verhaltenskodex weiterhin naheliegend. 1586 Im Gegenzug sind aber auch schon Regelungen, die vom Kodex als unbedenklich eingestuft wurden, als unionsrechtswidrige Beihilfe betrachtet worden, z. B. die sog. Baskischen Tax Holidays.1587

1585

Vgl. Gross, IWR 2002, 46 (53). Vgl. Schön, in: Koenig/Roth/Schön (Hrsg.), Aktuelle Fragen des EG-Beihilfenrechts, S. 130; Blumenberg/Kring, Europäisches Beihilferecht und Besteuerung, S. 77. Zu den unionsrechtlichen Aspekten der Dublin Docks-Fälle vgl. grundlegend: Wiskemann, IStR 2003, 647 (647 ff.) und Wieland, EuR 2001, 119 (126 ff.). 1587 Entscheidung der Kommission v. 20. 12. 2001 über eine spanische Beihilferegelung zugunsten neu gegründeter Unternehmen in Vzcaya aus dem Jahr 1993, Az. K(2001) 4475, ABl. EG 2003 Nr. L 17/20, Rn. 32. 1586

364 Kap. 5: Der internationale Steuerwettbewerb und sein Verhältnis zum Beihilferecht

cc) Rechtsfolgen eines Verstoßes Letztlich unterscheiden sich beide Instrumente auch auf der Rechtsfolgenseite. Auch hier ist die Überschneidung schnell gefunden: Beide sollen dazu führen, dass eine Maßnahme nicht realisiert bzw. vom Hoheitsträger zurückgenommen wird. Während allerdings im Falle des Beihilferechts ein Beschluss der Kommission (oder ein Urteil eines europäischen Gerichts) für den Mitgliedstaat bindende Wirkung hat und ihn gegebenenfalls dazu verpflichtet, eine rechtswidrig gewährte Beihilfe zurückzufordern, ist der Verhaltenskodex nur eine freiwillige Selbstverpflichtung. Dieser ist nicht rechtlich bindend, sondern stellt lediglich eine politische Verpflichtung mit dem Ziel dar, Steuermaßnahmen, die als schädlich eingestuft werden, zu bekämpfen.1588 Der Kodex enthält einerseits eine Stillhalteverpflichtung,1589 die die Mitgliedstaaten dazu verpflichtet, keine weiteren schädlichen Steuermaßnahmen zu ergreifen. Andererseits enthält er eine Rücknahmeverpflichtung1590, in der sich die Staaten dazu verpflichten, ihre Gesetze und Praktiken auf ihre Schädlichkeit zu überprüfen und dann ggf. zurückzunehmen. Flankiert werden diese Maßnahmen mit der Verpflichtung, Informationen über bestehende und geplante Maßnahmen, die in den Bereich des Kodex fallen, auszutauschen sowie bei der Bekämpfung von Steuervermeidung und Steuerhinterziehung zusammenzuarbeiten. Wie auch das Beihilferecht sieht also auch der Kodex eine Rücknahme der Maßnahme durch den Mitgliedstaat vor; dieser kann dazu jedoch nicht gezwungen werden. Die unmittelbaren Folgen für einen Mitgliedstaat sind damit eher politisch-moralischer, denn juristischer Natur.1591 Auch sieht der Kodex keinerlei Sanktionen bei Zuwiderhandlung vor. Seiner soft law-Natur entsprechend baut der Verhaltenskodex auf Fairness, Transparenz, Kooperation und der Bereitschaft der Verpflichteten, sich Kodex-konform zu verhalten.1592 Dementsprechend sind auch die Reaktionen der Mitgliedstaaten hinsichtlich der als schädlich eingestuften Maßnahmen: Während einige ihre schädlichen Maßnahmen ersatzlos gestrichen haben, haben andere lediglich gewisse Änderungen vorgenommen oder die bisherige Maßnahme schlicht durch ein – formal Kodex-kompatibles – Äquivalent ersetzt.1593

1588 Esser, Internationaler Steuerwettbewerb – Nationale und internationale Maßnahmen zur Eindämmung schädlichen Steuerwettbewerbs, S. 54; Gross, IWR 2002, 46 (48). 1589 Entschließung des Rates und der im Rat vereinigten Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten v. 01. 12. 1997 über einen Verhaltenskodex für die Unternehmensbesteuerung, ABl. EG 1998 Nr. C 2/1, Ziffer C. 1590 Entschließung des Rates und der im Rat vereinigten Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten v. 01. 12. 1997 über einen Verhaltenskodex für die Unternehmensbesteuerung, ABl. EG 1998 Nr. C 2/1, Ziffer D. 1591 Esser, Internationaler Steuerwettbewerb – Nationale und internationale Maßnahmen zur Eindämmung schädlichen Steuerwettbewerbs, S. 55. 1592 Birkenmaier, Die Vorgaben der Beihilfevorschriften des EG-Vertrages für die direkte Unternehmensbesteuerung, S. 80. 1593 Mors, in: Kellermann/Zitzler (Hrsg.), Steuern im europäischen Wettbewerb, S. 71.

C. Fazit

365

C. Fazit Ein fairer unternehmerischer Wettbewerb wird innerhalb der Europäischen Union im Wesentlichen durch die Garantien der Grundfreiheiten sowie durch das Wettbewerbsrecht gewährleistet. Beiden kommt aber auch ein erheblicher Einfluss auf das nationale Steuerrecht und den Wettbewerb der Steuersysteme zu. Trotz der Umrahmung durch das primäre Unionsrecht bestehen im Bereich des Steuerrechts weiterhin die verschiedenen nationalen Steuerrechtssysteme der einzelnen Mitgliedstaaten nebeneinander. Dieses Nebeneinander 28 verschiedener Steuersysteme und das dabei bestehende Steuergefälle führen dazu, dass es innerhalb der Europäischen Union zu einem Steuerwettbewerb kommt. Durch die Gewährleistungen der Grundfreiheiten sowie die wirtschaftliche und rechtliche Integration ist dieser dabei in besonderem Maße intensiv. Die Beurteilung der Standortattraktivität hängt dabei nicht von der Höhe des Steuertarifs, sondern von der effektiven Steuerbelastung insgesamt ab. Die grundsätzliche Intention des Wettbewerbs der Steuersysteme ist es die einzelnen Mitgliedstaaten durch den Wettbewerbsdruck zur Ausarbeitung eines fairen Steuersystems zu zwingen und so die Steuersubjekte vor überbordenden Staatsausgaben und damit auch vor unverhältnismäßig hoher Besteuerung zu schützen.1594 Während dieser intensive Wettbewerb im europäischen System selbst angelegt und in fairem Maß durchaus gewollt ist, soll der schädliche Steuerwettbewerb weitestgehend vermieden werden. Dabei stellt sich notwendigerweise die Frage, wann der Wettbewerb als unfair und schädlich anzusehen ist und bekämpft werden muss. Allgemein kann davon ausgegangen werden, dass fairer Steuerwettbewerb dort gegeben ist, wo er sich allgemeinwohlfördernd auswirkt.1595 Nach überwiegender Ansicht führt der faire Steuerwettbewerb zu einer Effizienzsteigerung, wohingegen es beim unfairen Steuerwettbewerb zu einem gesamtwirtschaftlichen Wohlfahrtsverlust kommt, da in manipulativer Form in die zwischen Staat und Unternehmen bestehende Leistungsbeziehung eingegriffen wird.1596 Grundsätzlich lässt sich darüber hinaus festhalten, dass ein über die allgemeinen Steuersätze und Bemessungsgrundlagen geführter Systemwettbewerb, bei dem die eingesetzten Maßnahmen allen Wirtschaftsteilnehmern im selben Maße zugänglich sind, als fair und erwünscht gilt. Im Gegensatz dazu ist jeder Steuerwettbewerb, der diese Anforderungen nicht erfüllt, als unfair und schädlich einzuordnen. Bei der Bekämpfung des schädlichen Steuerwettbewerbs muss dessen besonderem Charakter in ausreichendem Maße Rechnung getragen werden. Auch unter der Prämisse, dass der steuerliche Systemwettbewerb grundsätzlich allgemeinwohlfördernde und wohlstandsmaximierende Auswirkungen hat und es nicht zu einem dauerhaften Unter1594

Terra/Wattel, European Tax Law, S. 6 So auch: Jochum, Faires Steuerrecht für Europa, ZRP 2015, 115 – 118. 1596 Esser, Internationaler Steuerwettbewerb – Nationale und internationale Maßnahmen zur Eindämmung „schädlichen Steuerwettbewerbs“, S. 5 1595

366 Kap. 5: Der internationale Steuerwettbewerb und sein Verhältnis zum Beihilferecht

bietungswettbewerb bezüglich der Unternehmenssteuern kommt, bleibt die Frage offen, ob nicht bestimmte Gruppen, insbesondere die Inhaber mobiler Produktionsfaktoren, einen unangemessen großen Vorteil aus dem Wettbewerb ziehen. Unabhängig von eigenen politischen und ökonomischen Präferenzen hinsichtlich des Ob und Wie eines Steuerwettbewerbs gilt es, die Entkopplung von Wertschöpfung und tatsächlicher wirtschaftlicher Tätigkeit von ihrer Besteuerung zu verhindern. Erfolgt diese Entkoppelung durch die selektive Begünstigung bestimmter, anhand spezifischer Charakteristika identifizierbarer Wirtschaftsteilnehmer, kann das Beihilferecht ein nützliches Werkzeug dagegen sein. Die europäische Beihilfekontrolle stellt insofern einen Teil der Wettbewerbsordnung des interjurisdiktionellen Wettbewerbs dar. Werden jedoch allgemeinwirkende, aber politisch und ökonomisch unerwünschte Maßnahmen ergriffen, versagt das Beihilferecht. Seine Aufgabe ist die Verhinderung von Wettbewerbsverzerrungen zwischen Wirtschaftsteilnehmern durch selektive, staatliche Begünstigungen – nicht die Beseitigung ökonomisch fragwürdiger und europapolitisch unerwünschter Gestaltungen.1597 Zweifellos ist die Trennlinie dünn und nicht immer vollständig trennscharf. Überschneidungen sind durchaus denkbar.1598 Der Europäische Gerichtshof hat in seinem Gibraltar-Urteil einer selektiven Privilegierung von Offshore-Unternehmen mit Hilfe des Beihilferechts einen Riegel vorgeschoben. Er scheint auch zukünftig gewillt, die gezielte Begünstigung von Wirtschaftsteilnehmern, die anhand spezifischer Charakteristika identifizierbar sind, zu verhindern, selbst wenn die Maßnahmen allgemein gehalten sind. Damit hat er den Einfluss des Beihilferechts auf den Steuerwettbewerb deutlich ausgeweitet. Trotzdem muss eine Abgrenzung stattfinden und in jedem Einzelfall die konkrete Ausgestaltung der Maßnahme untersucht werden. Es gilt, dem Missbrauch des Beihilferechts als pauschales und flächendeckendes Instrumentarium gegen schädlichen Steuerwettbewerb vorzubeugen.1599 Werden durch eine „unternehmensfreundliche Steuerpolitik“ alleine andere Staaten, nicht aber Wettbewerber benachteiligt, versagt das Beihilferecht als Instrumentarium. Bei unerwünschten, aber allgemein gehaltenen Steuermaßnahmen kann alleine durch eine politische Verständigung, z. B. über den Verhaltenskodex, Abhilfe geschaffen werden. Als geradezu paradox erweist sich dabei, dass das Beihilferecht den handelnden Staat dazu zwingt, eine Steuererleichterung sämtlichen Unternehmen zugänglich zu machen und damit im Ergebnis den Steuerwettbewerb – auch in seiner schädlichen Form – weiter vorantreibt. Das effektivste Mittel zur Bekämpfung des schädlichen Steuerwettbewerbs ist dabei die grenzüberschreitende Abstimmung. Jegliche politische Initiative, ob auf Unions- oder OECD-Ebene, ist dabei von der Kooperationsbereitschaft der Mitgliedstaaten abhängig. Dabei ist essenziell, dass diese poli1597 Birkenmaier, Die Vorgaben der Beihilfevorschriften des EG-Vertrages für die direkte Unternehmensbesteuerung, S. 167. 1598 Esser, Internationaler Steuerwettbewerb – Nationale und internationale Maßnahmen zur Eindämmung schädlichen Steuerwettbewerbs, S. 52. 1599 Zu den Gefahren einer zu kräftigen Nutzung des Beihilfetatbestands im Einsatz gegen schädlichen Steuerwettbewerb vgl. Kotkott, ISR 2017, 395 (400).

C. Fazit

367

tische Verständigung effektiv als Werkzeug gegen schädlichen Steuerwettbewerb verwendet wird und dass sich Vereinbarungen auf dieser Ebene in den nationalen Steuergesetzgebungen betroffener Staaten niederschlagen. Solange es an einheitlichen, insbesondere europäischen, institutionellen Rahmenbedingungen für den Systemwettbewerb fehlt, kann das Beihilferecht ein Mittel sein, zumindest bestimmte Entwicklungen zu verhindern. In seiner Wirkungsweise bleibt es aber auf die Bekämpfung einiger Symptome beschränkt. Nicht zu unterschätzen ist dabei aber die Anschubwirkung, die dem Beihilferecht in Bezug auf die handelnden politischen Akteure trotzdem zukommen kann. Diese Wirkung sollte genutzt werden, um perspektivisch einen europäischen Wettbewerbsrahmen zu schaffen, der einerseits schädlichen Steuerwettbewerb verhindert, andererseits flexibel genug ist, um fairen Steuerwettbewerb zu ermöglichen. Als solcher Rahmen war ursprünglich der europäische Verhaltenskodex gedacht. Dieser hat jedoch im Laufe der Zeit deutlich an Effektivität eingebüßt. Die Europäische Kommission hat dies jedoch erkannt und plant, den Kodex perspektivisch zu reformieren und an die neuen Gegebenheiten und gesetzgeberischen Aktivitäten (z. B. IP-Boxen) anzupassen.1600 Einen wesentlichen Schritt in Richtung einer stärkeren Harmonisierung stellt die Einführung der europaweit konsolidierten Körperschaftsteuerbemessungsgrundlage dar. Die einheitliche Basis schafft größere Transparenz beim Vergleich der Steuerbelastungen. Durch die Vereinheitlichung der Gewinnermittlungsvorschriften wird der Anreiz zur Buchgewinnverlagerung beseitigt. Im Gegenzug wird der Wettbewerb um Unternehmenssitze und Produktionsstandorte intensiviert. Es kann durchaus als europäisches Steuerparadoxon bezeichnet werden, dass der Steuerwettbewerb in Europa erst durch die fehlende und von den Mitgliedstaaten in weiten Teilen nicht gewollte Harmonisierung entsteht, sie aber aufgrund der enormen Intensität des Steuerwettbewerbs ihre Steuerhoheit auf lange Sicht nur durch ein gemeinsames Regelwerk werden sichern können.1601 Beide Bestrebungen sind äußerst begrüßenswert, denn sie greifen proaktiv in den Steuerwettbewerb ein und versuchen, ihn in positiver Weise zu steuern. Sämtliche Maßnahmen, die internationale Kooperation nur im Sinne eines nachträglichen Informationsaustausches begreifen, können das Problem nicht lösen, sondern versuchen nur ex-post bestimmte Entwicklungen zu korrigieren.1602

1600 Mitteilung der Kommission v. 18. 03. 2015 an das Europäische Parlament und den Rat über Steuertransparenz als Mittel gegen Steuerhinterziehung und Steuervermeidung, COM(2015) 136 final, S. 6. Vgl. dazu auch: Mückl/Münch, BB 2015, 2775 (2781). 1601 Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung, S. 222. Zur Koordinierung der nationalen Steuerrechte vgl. auch: Schön, in: Lüdicke (Hrsg.), Praxis und Zukunft des deutschen internationalen Steuerrechts, S. 13. 1602 Rixen, in: Kellermann/Zitzler (Hrsg.), Steuern im Europäischen Wettbewerb, S. 12.

Kapitel 6

Schlussfolgerungen Seit der Finanz- und Wirtschaftskrise wurde das europäische Beihilferecht vor große Herausforderungen gestellt. Es musste sich seitdem in mehrfacher Hinsicht als wirksames und anpassungsfähiges, wettbewerbsrechtliches Regulativ erweisen. Während und unmittelbar nach der Krise wurde es vor allem als lästiges Hindernis aufgefasst, das ein beherztes Eingreifen der Mitgliedstaaten verhindert und damit eher als ein Teil des Problems als deren Lösung anzusehen ist. Im Zuge dessen musste sich das Beihilferecht als äußerst flexibel erweisen, um Milliardensubventionen in den Mitgliedstaaten zu rechtfertigen. Dies wurde nicht zuletzt an staatlichen Rekapitalisierungsmaßnahmen für sog. systemrelevante Banken deutlich.1603 In der Zeit der auf die Finanzmarktkrise folgenden Staatsschuldenkrise wurde das Beihilferecht erneut auf die Probe gestellt. Diesmal jedoch nicht in Form von Rechtfertigungen für massive Beihilfengewährungen, sondern um gegen – teilweise in Folge der Wirtschaftskrise – gewährte Vergünstigungen der Mitgliedstaaten an Unternehmen vorzugehen. War es zunächst darum gegangen die Anwendung des Beihilfeverbots so weit wie möglich zu umgehen, sollte es nun großflächig Anwendung finden, um unerwünschte Begünstigungen abzuschaffen. Das betraf nicht zuletzt das sensible Feld der Steuervergünstigungen.1604 Gleichzeitig sollten mit der Ausweitung der Kontrolle auf Gewinnverlagerungen die Haushaltslagen in den Mitgliedstaaten verbessert werden. Es hat den Anschein, dass die Europäische Kommission spätestens im Sommer 2013 den Entschluss gefasst hat, das Beihilferecht großflächig im Kampf gegen Steuervermeidung und Gewinnverlagerung einzusetzen. Weder Steuervermeidung noch Gewinnverlagerung sind dabei neue Entwicklungen. Die fortschreitende Globalisierung und Internationalisierung hat multinationale Konzerne aber zunehmend agil werden lassen und so deren Bedeutung immer weiter vergrößert. Insbesondere während und nach der Finanz- und Wirtschaftskrise waren viele Staaten bemüht Unternehmen anzulocken oder zu halten und so insbesondere Arbeitsplätze zu sichern bzw. zu generieren. Die Bedeutung der Anwendung des Beihilferechts als politisches Instrument darf vor diesem Hintergrund nicht unterschätzt werden. Vor allem die Besteuerung multinationaler Konzerne wird zunehmend zu einem politischen Konfliktfeld, sowohl innerhalb der Europäischen Union 1603 Zu den Herausforderungen des europäischen Beihilferechts seit der Finanzmarktkrise vgl. Blanke/Thumfart, in: Blanke/Scherzberg/Wegner (Hrsg.), Dimensionen des Wettbewerbs, S. 39. 1604 Rossi-Maccanico, EC Tax Review 2015, 63 (64); Luja, British Tax Review 2015, 379 (380).

C. Fazit

369

selbst als auch zu Drittstaaten wie den Vereinigten Staaten. Die Europäische Kommission hat dabei auch aufgrund der enormen medialen Breitenwirkung und der Prominenz der betroffenen Unternehmen ihre Beihilfekontrolle spürbar ausgeweitet. Durch ihre immer weiter fortschreitenden Ermittlungen flankiert die Kommission die derzeitigen politischen Verhandlungen über eine Harmonisierung des Steuerrechts bzw. zur effektiven Bekämpfung von Steuerflucht. Die fortlaufende Beihilfekontrolle und das Aufdecken von Steuervermeidungsstrategien sorgt für die Schaffung eines öffentlichen Bewusstseins und einen anhaltenden Druck auf die beteiligten politischen Akteure und dient so einer raschen Einigung hinsichtlich einer gleichmäßigeren und gerechteren Besteuerung.1605 Das Vorgehen der Kommission hat aber nicht nur positive Nebeneffekte auf politische Prozesse, sondern kann auch eine gewisse Anschubfunktion für andere Teilbereiche des Wettbewerbsrechts entfalten. Unternehmen, die über das Beihilferecht ins Visier der Kommission geraten sind, können so auch ins Visier anderer Rechtsgebiete geraten.1606 Das Beihilferecht bildet nur einen Teil des europäischen Wettbewerbsrechts, ein anderes stellt das Kartellrecht dar. In der Vergangenheit hat sich gezeigt, dass es bei einigen Unternehmen sowohl zu Reibungspunkten mit dem Beihilfe-, als auch mit dem Kartellrecht gekommen ist.1607 Durch die parallele Anwendung beider Regelwerke können bestehende Wettbewerbsvorteile von multinational operierenden Unternehmen deutlich wirksamer bekämpft werden. Über diese Einstiegsfunktion bildet die Beihilfeaufsicht ein Komplementär zur Kartellaufsicht und sorgt auch bei eventuell betroffenen Unternehmen für eine größere Abschreckung. Kritisiert werden muss in diesem Zusammenhang jedoch, dass der Konflikt zwischen Europäischer Kommission und Mitgliedstaaten letztlich in einer nicht immer sachgerechten und juristisch fundierten Beihilfekontrolle mündet und letztlich auf dem Rücken der Steuerpflichtigen ausgetragen wird. Das Beihilferecht entfaltet aber nicht nur für das gesamte Wettbewerbsrecht, sondern auch für das (nationale) Steuerrecht Bedeutung. Unter der Flagge einer „fairen und effizienten Unternehmensbesteuerung“ ist die Europäische Kommission im Bereich der direkten Unternehmensbesteuerung zuletzt aktiv wie nie zuvor geworden. Die Schaffung eines fairen, gleichen und wettbewerbsneutralen Unternehmenssteuerrechts hat für sie offenbar höchste Priorität.1608 Sie hält eine faire, effiziente und wachstumsfreundliche Unternehmensbesteuerung für essenziell für einen gesunden Binnenmarkt. Neben dem Ziel einer einheitlichen – eines Tages auch konsolidierten – Körperschaftsteuerbemessungsgrundlage will sie sicherstellen, dass Gewinne effektiv dort besteuert werden, wo sie entstehen. Aggressive Steuerplanung

1605

Vgl. Wattel, Intertax 2016, 791 (801). Beispielhaft sei hier auf die parallelen Untersuchungen der Kommission gegen Google im Beihilferecht und Kartellrecht verwiesen. 1607 Frenz, DStZ 2016, 141 (145) 1608 Vgl. Stuart, EStAL 2017, 209 (217). 1606

370

Kap. 6: Schlussfolgerungen

hält sie hingegen für binnenmarktschädlich.1609 Folgerichtig möchte sie diese mit allen Mitteln verhindern. Von diesen Grundgedanken wird wohl auch ihre derzeitige Beschlussspraxis im Beihilferecht getragen. Die stetig zunehmende Bedeutung des Unionsrechts, insbesondere des Beihilferechts für die Rechtsordnungen ist hierbei unübersehbar. Dabei ist eine insgesamt fortschreitende Ausweitung der Beihilfekontrolle durch die Kommission zu beobachten, das gilt nicht zuletzt auch für das Steuerrecht. Die Europäische Kommission benutzt es zunehmend als Mittel gegen Steuervermeidung im internationalen Steuerwettbewerb. Dadurch wird jedoch das diffizile Kompetenzgefüge zwischen Union und Mitgliedstaaten gestört. Das Hoheitsrecht der Mitgliedstaaten über ihre Steuerordnungen wird zunehmend zurückgedrängt. Die Kommission nutzt die naturgemäß nicht völlig trennscharfe Kompetenzverteilung beständig dazu ihre Kompetenzen auszuweiten. Unstrittig steht ihr das Recht zu steuerliche Ungleichbehandlungen, die zu Wettbewerbsverzerrungen führen, zu ahnden. Ohne Einbeziehung steuerlicher Maßnahmen in die Beihilfekontrolle wäre der Umgehung Tür und Tor geöffnet. Die Anwendung des Beihilferechts auf jede Art der Begünstigung, also auch auf Steuervergünstigungen, ist zwar legitim, das bedeutet aber nicht, dass die Bewertung unter Ausschluss der steuerlichen Natur stattfinden soll. Das Bedürfnis der Kommission nach einer immer weitreichenderen, allumfassenden Beihilfekontrolle (und damit einem Kompetenzzuwachs) ist zwar nachvollziehbar, allerdings ist es das Recht der Mitgliedstaaten ihre Steuersysteme frei auszugestalten und nach ihren Vorstellungen zu formen.1610 Durch eine zu breite Anwendung des Beihilferechts droht die Gefahr der Erosion mitgliedstaatlicher Steuerautonomie. Entscheidend ist ein Ausgleich zwischen Beihilfeverbot und nationaler Souveränität. Die Hoheitsrechte der Mitgliedstaaten müssen auch bei Anwendung primären Unionsrechts respektiert werden. Obwohl sich die Kommission dabei auf beihilferechtliche Aspekte konzentriert, erlangt sie über den Umweg des Beihilferechts erheblichen Einfluss auf die allgemeine Steuerpolitik der Mitgliedstaaten. Dies ist nicht zuletzt deshalb bedenklich, da die Kommission das Steuerrecht hier dem Wettbewerbsrecht unterordnet und Wettbewerbsneutralität die oberste Maxime bildet. Die nationale Steuerpolitik muss jedoch einer Vielzahl, gleichermaßen legitimer Ziele dienen. Das Steuerrecht ist dabei nicht nur notwendige Voraussetzung staatlicher Eigenständigkeit, sondern auch entscheidendes Gestaltungskriterium. Wird dieses nun dem Beihilferecht untergeordnet, werden die Mitgliedstaaten signifikant in ihren Gestaltungsspielräumen beschnitten. Dieser Konflikt zwischen Union und Mitgliedstaaten im Bereich der steuerlichen Beihilfekontrolle ist in den Europäischen Verträgen selbst angelegt. Die Gefahr 1609

Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat v. 28. 01. 2016 – Maßnahmenpaket zur Bekämpfung von Steuervermeidung: nächste Schritte auf dem Weg zu einer effektiven Besteuerung und einer größeren Steuertransparenz in der EU, COM(2016) 23 final, S. 2 ff. 1610 Blumenberg, Aktuelle Entwicklungen des EU-Beihilfenrechts im Bereich der deutschen Unternehmensbesteuerung, S. 67.

C. Fazit

371

staatlicher Wettbewerbsverzerrungen war zwar bei Gründung der Europäischen Gemeinschaft bereits bekannt, es konnte jedoch kein Konsens über die konkrete Ausgestaltung eines einheitlichen Beihilferechts erzielt werden. In der Folge wurde ein rudimentärer und offener Tatbestand in das Primärrecht aufgenommen und dessen nähere Ausgestaltung weitestgehend der Kommission und den Gerichten überlassen. In der Folge hat die Kommission das Beihilferecht mit Leben gefüllt. Um einer uferlosen Ausweitung des Beihilferechts im Sinne einer fortschreitenden Unterordnung sämtlicher Teilbereiche des Rechts unter ein Primat des Wettbewerbsrechts vorzubeugen, ist es notwendig sich wieder auf den eigentlichen Sinn des Beihilferechts zu fokussieren. Nach seiner ursprünglichen Lesart ist das Beihilferecht ein Rechtsinstrument, dessen originäre Aufgabe die Verhinderung staatlicher Eingriffe in den Binnenmarkt ist. Es sollte ein ewig fortschreitender Subventionswettlauf verhindert werden.1611 Im Bereich des Steuerrechts, insbesondere im Tatbestandsmerkmal der Selektivität, wird der primäre Zweck des Beihilfeverbots bisher allenfalls indirekt erfasst. Da dem Merkmal der Wettbewerbsverfälschung keine eigenständige Bedeutung beigemessen wird, ist die Frage der Wettbewerbsrelevanz in der Beihilfekontrolle nur von untergeordneter Wichtigkeit. Der Fokus der Beihilfekontrolle sollte daher wieder stärker auf wettbewerbsrechtliche Gestaltungen und nicht auf die Bekämpfung (sämtlicher) steuerlicher Ungleichbehandlungen gelegt werden. Aktuell sind die Grenzen der europäischen Beihilfeaufsicht wohl weniger materiell-rechtlicher, denn faktischer Natur. Der Kommission ist es wohl schlicht nicht möglich, sämtliche (Steuer-)Maßnahmen aller 28 Mitgliedstaaten auf ihre Beihilfekonformität zu überprüfen. Die Beihilfeaufsicht durch die Kommission beinhaltet insoweit derzeit ein (bewusst) willkürliches Element. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die integrative Wirkung des europäischen Beihilferechts auf das nationale Steuerrecht wohl noch nie so hoch war und es bisher noch nie so sehr im Fokus des öffentlichen Interesses gestanden hat. Die notwendige Balance zwischen nationaler Steuerhoheit und unionaler Wettbewerbshoheit ist dabei aber noch nicht gefunden. Es bedarf einer weiteren Ausdifferenzierung der Rechtsprechung. Insbesondere kann die einseitige Anwendung der Beihilfevorschriften durch die Europäische Kommission die notwendige Steuerkoordination durch nationale und europäische Legislativmaßnahmen nicht ersetzen. Gleichwohl kann es eine Richtschnur für die mitgliedstaatliche Steuergesetzgebung geben. Aktuell droht jedoch die Gefahr, dass die Kommission mit ihrer derzeitigen Beihilfekontrolle die Reichweite des Beihilferechts im Bereich des Steuerrechts überstrapaziert. Als Instrument für die steuerliche Rechtsangleichung ist das Beihilferecht weder gedacht noch geeignet. Es bleibt abzuwarten, ob die europäischen Gerichte dem Vorgehen der Kommission Grenzen setzten wird oder das Beihilferecht endgültig als Instrumentarium gegen europapolitisch unerwünschte Steuersysteme und Gestaltungen etabliert wird.

1611

Gröteke, Europäische Beihilfenkontrolle und Standortwettbewerb, S. 2.

Thesen 1)

Die Bedeutung des beihilferechtlichen Durchführungsverbots modifiziert die traditionelle Aufgabenverteilung zwischen unionalen und nationalen Gerichten. Da es ihnen obliegt die Rechte Dritter zu schützen und Verstöße gegen Art. 108 Abs. 3 AEUV zu ahnden, werden auch nationale Gerichte zu Hütern des Unionsrechts. Das bedeutet nicht, dass die nationalen Gerichte für die Auslegung und Interpretation der Europäischen Verträge zuständig sind, wohl aber, dass ihnen bei der Kontrolle der Einhaltung der Verträge mehr Verantwortung obliegt als in anderen Bereichen, etwa der Grundfreiheiten.

2)

Bedingt durch die drittschützende Wirkung des beihilferechtlichen Durchführungsverbots hat das europäische Beihilferecht gleichzeitig die Bipolarität des Abgabenschuldverhältnisses aufgebrochen und um eine Wettbewerbsperspektive erweitert. Wettbewerber und ihre steuerliche Behandlung gewinnen, über den Umweg des Beihilferechts, eine immer größere Bedeutung für sämtliche Steuerschuldverhältnisse.

3)

Die Rückforderung unionsrechtswidriger Beihilfen kann dabei für den einzelnen Steuerpflichtigen weitreichende Folgen haben. Das gilt für das Steuerrecht auch vor dem Hintergrund seiner enormen Breitenwirkung. Die Steuerpflichtigen sind es, die die Folgen einer unionsrechtswidrigen Steuergesetzgebung zu tragen haben. Dabei führen weder tatsächliche und wirtschaftliche Einwände noch administrative oder national verfassungsrechtliche Hürden zu einer Verschonung. Für die steuerpflichtigen Unternehmen bedeutet dies nicht nur Rechtsunsicherheit, sondern auch eine erhebliche Prüfungslast. Diese Prüfungsund Überwachungslast kann gerade für kleine und mittlere Unternehmen erhebliche finanzielle und administrative Mehrbelastungen bedeuten.

4)

Der Tatbestand des Art. 107 Abs. 1 AEUV legitimiert zwar seinem Wortlaut nach grundsätzlich die Anwendung des Beihilferechts auf jede Art der Begünstigung, das bedeutet aber nicht, dass die Bewertung unter Ausschluss der steuerlichen Natur stattfinden soll. Die Autonomie der Mitgliedstaaten in Steuersachen und die fehlende Harmonisierung direkter Steuern innerhalb der Europäischen Union muss in der beihilferechtlichen Kontrolle Widerhall finden.

5)

Der Vorrang des Unionsrechts bedingt es, dass das Unionsrecht dem nationalen Steuerrecht vorgeht. In der Folge wird das nationale Steuerrecht dem Beihilferecht untergeordnet. Dabei wird die ursprüngliche Intention, die nationalen Steuerrechtssysteme nicht zu harmonisieren und von unionsrechtlichen Einflüssen möglichst frei zu halten, an dieser Stelle ins Gegenteil verkehrt.

Thesen

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Gleichzeitig wird die Wettbewerbsneutralität zur obersten Maxime des Steuerrechts. 6)

Seine natürliche Grenze findet das primäre Unionsrecht dabei in der Kompetenzverteilung zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten. Die notwendige Balance und Ausdifferenzierung zwischen nationaler Steuerhoheit und unionaler Wettbewerbshoheit ist dabei aktuell noch nicht gefunden.

7)

Für die Bestimmung der Unternehmensbegünstigung sollte der Market Economy Operator Test in Form des Privatgläubigerprinzips auch auf Steuervergünstigungen angewendet werden. Es ist letztlich kein Grund ersichtlich, weshalb zwischen dem Staat in seiner Funktion als Steuergläubiger und als sonstiger Gläubiger unterschieden werden sollte. Das wirkungsorientierte Beihilfenverständnis legt dabei eine Anwendung sogar nahe. Jede Kritik an der Anwendung auf hoheitliche Maßnahmen betrifft letztlich die Vergleichbarkeit zwischen Hoheitsträgern und Privaten im Generellen.

8)

Die fehlende Ausdifferenzierung des Beihilferechts wird am Deutlichsten am Tatbestandsmerkmal der Selektivität: Es fehlt an einem verlässlichen Maßstab zur Bestimmung des Referenzsystems und der Abweichung davon. Selbiges gilt für eine sachgerechte Vergleichsgruppenbildung. Derzeit bestehen häufig eine Vielzahl denkbarer und vertretbarer Bestimmungsmöglichkeiten. In der Folge besteht ein erhebliches Maß an Rechtsunsicherheit für Mitgliedstaaten, Steuerpflichtige und Rechtsanwender.

9)

Werden in der Selektivitätsprüfung ein gemeinsamer Referenzrahmen und die Vergleichbarkeit bejaht, besteht ein Rechtfertigungszwang. Die im Beihilferecht nur sehr rudimentär entwickelte Rechtfertigungsebene führt dabei dazu, dass der Bildung der Vergleichsgruppe und des Referenzrahmens besondere Bedeutung zukommt. Im Gegensatz zur grundfreiheitlichen Prüfung, in der eine sachgerechte Lösung im Einzelfall über die Verhältnismäßigkeitsprüfung erreicht wird, ist dies bei der beihilferechtlichen Prüfung mangels einer Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht erforderlich. Die Bildung der Vergleichsgruppe und des Referenzrahmens indiziert daher in nicht unerheblichem Umfang das Ergebnis der Prüfung. Deren Bestimmung muss daher in besonderem Maße zielgenau erfolgen. Die tatsächliche Vergleichbarkeit muss im Einzelfall anhand des vorliegenden Sachverhalts und der gegebenen Daten bestimmt werden. Diese Qualifizierung ist daher äußerst komplex und erfordert einen hohen Beleg- und Begründungsaufwand. Die Europäische Kommission bleibt jedoch in ihren Beschlüssen häufig hinter diesen Anforderungen zurück.

10) Der Bestimmung der materiellen Selektivität fehlt es letztlich sowohl an juristisch-dogmatischer Tiefe und Methodik als auch an empirischer Untermauerung. Diese Mängel sind die Grundlage der durchaus berechtigten Kritik, die Beihilfekontrolle der Europäischen Kommission sei häufig beliebig und letztlich vor allem von ihren Wertungen geprägt. Dass der angewandten Gesetzestechnik dabei berechtigterweise keine Bedeutung zukommen kann, ist

374

Thesen

zwar im Ergebnis richtig, führt aber auch zu einer geringen Vorhersehbarkeit und verstärkt die Kritik damit noch. 11) Tax Rulings bieten sowohl den Steuerpflichtigen als auch den Finanzbehörden eine Reihe von Vorteilen, sind aus beihilferechtlicher Sicht aber nicht per se problematisch. Eine Beihilferelevanz ergibt sich nur, sofern mit ihnen eine Reduktion der Steuerbelastung einhergeht. Aus sonstigen, rein regulatorischen Differenzierungen ergibt sich kein Verstoß gegen Art. 107 Abs. 1 AEUV. 12) Ein solcher Vorteil kann auch in der Genehmigung von Gewinnverlagerungen durch die nicht sachgerechte Gestaltung von Verrechnungspreisen liegen. Das europäische Wettbewerbsrecht erlaubt es dabei, im Gegensatz zum nationalen Steuerrecht und dessen Trennungsprinzip, im Gesamtkonzern den Begünstigten zu sehen. Die einzelne Konzerneinheit kann hingegen nicht automatisch als Vorteilsempfänger angesehen werden. 13) Der Fremdvergleichsgrundsatz dient der Europäischen Kommission dabei als Maßstab für die Aufteilung des Steuersubstrats des Gesamtkonzerns zwischen den Hoheitsträgern. Als beihilferelevanter Vorteil ist dabei der durch die Gewinnverlagerung entstandene Steuervorteil anzusehen. Notwendige Bedingung für die Entstehung eines solchen ist das internationale Steuergefälle. Das Vorgehen der Europäischen Kommission richtet sich aber nicht gegen dieses Steuergefälle. Dieses bleibt unangetastet und ist von der mitgliedstaatlichen Steuerautonomie geschützt. Ihr Vorgehen richtet sich vielmehr ausschließlich gegen die nicht der wirtschaftlichen Realität entsprechenden Fehlallokation von Unternehmensgewinnen. 14) Dreh- und Angelpunkt ist dabei die Frage, ob sich rein national aktive unabhängige Unternehmen und multinationale Konzerne in einer rechtlich und tatsächlich vergleichbaren Situation befinden. Unabhängige Unternehmen unterliegen dabei nicht der Pflicht zur Bildung von Verrechnungspreisen, sodass ein gemeinsamer Referenzrahmen nicht gebildet werden kann. Als Vergleichsgruppe bleiben daher lediglich rein national agierende Konzerne übrig. Differenziert das mitgliedstaatliche Steuersystem nicht grundlegend zwischen nationalen und multinationalen Konzernen bzw. deren Konzerneinheiten, sondern besteuert im Gegenteil davon unabhängig nach einheitlichen Grundsätzen, ist eine solche Vergleichbarkeit grundsätzlich gegeben. Diese kann jedoch bei grenzüberschreitenden Sachverhalten aufgrund einer Doppelbesteuerung aufgehoben sein. Dafür muss eine solche aber tatsächlich gegeben bzw. möglich sein. 15) Im Widerspruch zu den Ankündigungen der Europäischen Kommission darf bezweifelt werden, dass ihr Vorgehen durchweg positive Effekte auf die mitgliedstaatlichen Staatshaushalte haben wird. Steuerkorrekturen nach oben in einem Mitgliedstaat können zu negativen Anpassungen in einem anderen führen. Ohne solche Anpassungen kommt es jedoch zu Doppelbesteuerungen und damit zu Schäden für den Binnenmarkt. Da solche Schäden unbedingt zu

Thesen

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verhindern sind, darf bezweifelt werden, ob es durch das Vorgehen der Europäischen Kommission tatsächlich zu signifikanten Steuermehreinnahmen kommen wird. 16) Insgesamt ist durch die neuere Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs und die derzeitige Prüf- und Beschlusspraxis der Europäischen Kommission eine deutliche Ausweitung des beihilferechtlichen Tatbestands erkennbar. Dies ist mit einer signifikanten Kompetenzverschiebung zulasten der Mitgliedstaaten im Bereich des Steuerrechts verbunden. Ihre Autonomie zur freien Gestaltung ihrer Steuersysteme wird weiter eingeschränkt. 17) Zur Verhinderung eines uferlosen Beihilfebegriffs ist es nicht nur notwendig, dass die Europäische Kommission die Kompetenzen der Mitgliedstaaten im Bereich des Steuerrechts wieder stärker respektiert, sondern auch, dass sie sich in ihrer Beschlusspraxis wieder auf die ursprünglichen Ziele des Beihilferechts, der Bekämpfung von Wettbewerbsverfälschungen, zurückbesinnt. Dafür ist es zum einen nötig, dass die Frage ob die Begünstigung bestimmter Unternehmen überhaupt zu Wettbewerbsverzerrungen führt wieder tatsächlich geprüft und konsequent in den Mittelpunkt der Beihilfekontrolle gerückt wird. Bedenklich erscheint in diesem Zusammenhang insbesondere, dass das Beihilferecht zunehmend als Instrument im Kampf gegen den schädlichen Steuerwettbewerb angesehen wird. Obwohl es durchaus diesen Nebeneffekt haben kann, so ist es dafür weder geschaffen noch uneingeschränkt geeignet.

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Sachverzeichnis Advanced Pricing Agreements 188 ff. – Inhalt 207 f. – Mittel der Steuerplanung 205 ff. – Uniund bilateral 208 f. – Verbreitung in Deutschland 210 ff. Auskunftsanspruch 82 f. Automatischer Informationsaustausch 328 ff. Änderung wegen neuer Tatsachen 63

– – – – – –

Begünstigung – eines Unternehmens oder Produktionszweigs 99 ff., 303. – Umfang 103 ff. Beihilfe durch Unterlassen 274 f. Betriebsstättenkonzern 194 f.

Gewinnverlagerungen 192, 198 f., 225 ff., 243 ff., 255, 266, 269 f., 277 f., 310 f., 327 ff. Gibraltar-Urteil 154 ff. GKKB 265 f., 332 f., 353 f. Gruppenfreistellungen 46 f.

De-minimis-Beihilfen 45 f. Doppelbesteuerung 293 ff. – tatsächliche Doppelbesteuerung 294 f. – virtuelle Doppelbesteuerung 295 ff. Doppelbesteuerungsabkommen 312 ff. Drei-Elemente-Lehre 22 Dreistufige Selektivitätsprüfung 134 ff. – global-deduktiver Ansatz 137 – klein-räumig induktiver Ansatz 136

Handelsbeeinträchtigung 171 ff. Hauptprüfungsverfahren 42 ff.

Ebenen der Steuerbegünstigung 102 Effet utile siehe Effektivitätsgrundsatz Effektivitätsgrundsatz 53 Einstweiliger Rechtsschutz 75 f., 81, 83 f. Ermessen 55, 281 f., 318 ff. Europäisierung des Steuerrechts 22 ff. Feststellungsklage 83 Freistellungsmethode 255 ff. Fremdvergleichsgrundsatz – Abweichungen als Vorteilsgewährung 225 ff. – als Verteilungsmaßstab 257 ff. – Preisbestimmung 195 ff.

Schwächen 200 ff. und Planungssicherheit 200 und Rechtssicherheit 199 f. und staatliche Steuersouveränität 197 f. und Steuergerechtigkeit 198 f. Wettbewerbsrechtlicher Fremdvergleichsgrundsatz 262 ff. Funktion des Beihilferechts 33 ff. Funktionaler Unternehmensbegriff 244 ff.

Indirekte Methode 203 ff. Informelle Vorabkontakte 41 Institutionelle Autonomie 127 Konkurrentenklagen 78 f., 84 ff., 2020, 330 f. Konzernprivileg 139 Korrektur von Gewährungsbescheiden 60 ff. – bestandskräftige Steuerbescheide 62 ff. – nicht bestandskräftige Steuerbescheide 61 ff. Legalund Ermessensausnahmen 182 ff. Leistungssubvention 35, 37, 50 f., 60 ff., 70 f., 89, 100, 104, 118 f. Market Economy Operator Test 104 ff. Mehrgewinn 202, 238 f, 294 ff. Missbrauchsvorschriften 92 Nichtigkeitsklage 73 ff., 79, 92, 126

394

Sachverzeichnis

OECD-Verrechnungspreisrichtlinien 283 f. Ökonomische Bedeutung von Beihilfen 29 f. Präventive Kontrolle 40 ff. Privatgläubigerprinzip 105 ff. – Anwendbarkeit auf hoheitliche Maßnahmen 107 ff. – Anwendung auf rechtswidrige Beihilfen 117 f. – Verhältnis zur Selektivität 116 f. Prozedurale Autonomie 128 f. Rechtfertigungsgründe 145 ff. Rechtsschutz – Aufgabenverteilung 71 f. – der anderen Mitgliedstaaten 92 ff. – der Europäischen Kommission 91 – des begünstigten Unternehmens 74 ff. – des gewährenden Mitgliedstaats 73 – des Konkurrenten 78 ff. Referenzrahmen 134 ff., 142 f., 283 ff. Repressive Kontrolle 44 Rückforderung rechtswidriger Beihilfen 51 ff. Rückwirkungsverbot 54 Sanierungsklausel 137 ff. Staatliche Mittelzuführung 119 ff. Staatshaftung 77, 87 f. Strategische Rente siehe Mehrgewinn Schadensersatzansprüche 77 f., 87 ff. Schlichte Änderung 63 Selektivität 122 ff. – als steuerliche Differenzierungsprüfung 162 ff. – aufgrund einer Einzelmaßnahme 299 ff. – de-jure und de-facto Selektivität 158 ff. – materielle Selektivität 132 ff. – regionale Selektivität 123 ff. – und spezifische Eigenart von Unternehmen 165 ff. Steuerharmonisierung – direkte Steuern 26 – indirekte Steuern 28 – und Beihilferecht 270 ff. Systemwidrige Differenzierung 140 ff.

Tatsächliche Verständigung Tax Ruling 187 ff. Umrahmungsprinzip 33 Unionales Kompetenzgefüge Untätigkeitsklage 81 f. Unterlassungsklage 84 ff.

213 ff., 325 ff.

268 ff.

Verbindliche Auskunft 211 f., 318 ff. Verbindliche Zusage nach einer Außenprüfung 212 f., 325 Verhaltenskodex 354 ff., 360 ff. Verhältnismäßigkeitsgrundsatz 55 Verpflichtungsklage 83 Vergleichsgruppenbildung 134 ff., 142 f., 160 ff., 289 ff. Verständigungen im Gerichtsverfahren 215 Verrechnungspreise 188 ff. – Bedeutung für die Konzernbesteuerung 189 f. – Dokumentation 224 ff. Verschonungssubvention 35, 37, 51, 66, 68, 71, 99 ff., 105, 118 ff. Vertrauensschutz 57 Vorabprüfungsverfahren 41 Vorbehalt der Nachprüfung 61 f. Vorläufige Festsetzung 62 Vorteil – Abweichung von einem DBA als Vorteil 313 ff. – Bedeutung des internationalen Steuergefälles 247 ff. – Bedeutung des Prinzips der Einmalbesteuerung 252 ff. – Bedeutung latenter Steuern 250 ff. – Fehlende Steuerharmonisierung als Steuervorteil 270 ff. – Gewinnverlagerungen als Steuervorteil 230 f. – Grenzüberschreitender Steuervorteil 234 f. – Mittelbare Vorteile 228 f. Wettbewerb der Steuersysteme 337 ff. – Begriffsbestimmung 338 ff. – Europäischer Steuerwettbewerb 348 f., 351 f. – Neuansiedlungswettbewerb 342 f.

Sachverzeichnis – – – – –

Nutzen und Wirkungen 340 Schädlicher Steuerwettbewerb 345 ff. Steuerzuordnungswettbewerb 343 f. Verhältnis zum Steuerrecht 357 ff. Wettbewerb um Steuersubstrat 341 ff.

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Wettbewerbsbegriff 177 ff. Wettbewerbsverfälschung 171 ff., 306 ff. Wirtschaftliche Autonomie 128 ff. Zivilrechtliche Beihilfegewährung

48 f.