Der besondere Wert des Alten Testamentes für den Arbeiter im Reiche Gottes der Gegenwart: Ein Vortrag
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Liebe Herren und Brüder!

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Der besondere Cdert des

Hlten Cestamentes f ü r den

Hrbeiter im Reiche Gottes der Gegenwart.

Gin

Vortrag von

Lic. Dr. 6 . Diettricb p f a r r e r der deutschen evangelischen Gemeinde zu Sydenham-Hondon.

#

Glessen J.

Rxcker'sche

Verlagsbuchhandlung

(Hlfred C ö p e l m a n n ) 1901.

C. G. Röder, Leipzig. 18342. 01.

Liebe Herren und Brüder!

Nicht vom Werte des Alten Testamentes f ü r i r g e n d e i n e n g e l e h r t e n B e r u f soll heute die Rede sein. Wie könnte ich als praktischer Geistlicher den W e r t dieses Buches als eines Lehrbuches der Lehensweisheit f ü r den Ethiker, oder als einer Sammlung von lyrischen und didaktischen Gedichten f ü r den Kunstkritiker auch nur annähernd richtig beurteilen! Wie könnte ich einem Sprachforscher „die sprachbildende K r a f t " des A. T.'s, oder einem Altertumsforscher seine Bedeutung f ü r das Studium der Einrichtungen und Gebräuche des bürgerlichen und religiösen Lebens in Israel ins rechte Licht stellen! Nein, wenn die Grenzen meines Könnens nicht überschritten und die Bedürfnisse dieser Versammlung berücksichtigt werden sollen, so kann und darf ich nur vom W e r t e des A. T.'s f ü r den p r a k t i s c h e n B e r u f d e s A r b e i t e r s i m R e i c h e G o t t e s reden. N u n wird sich zwar der Mann der innern Mission sowohl, wie auch der



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Träger des Predigtamtes zu a l l e n Zeiten Anregung, Belehrung und Beistand für die grossen Aufgaben seines Berufs aus dem A. T. holen können. Nur zweierlei sei hervorgehoben. Zu allen Zeiten werden wir uns und unsern Zuhörern aus diesen 28 Büchern die Entstehung und Bedeutung der Grundbegriffe des christlichen Denkens wie Gnade und Sünde, Glaube und Rechtfertigung, Leben und Gottesreich klar machen können. Zu allen Zeiten werden wir von den Propheten und Geschichtsschreibern des Alten Bundes lernen können, wie wir vom Standpunkt der Offenbarung des lebendigen Gottes aus des Amtes eines Dolmetschers der geschichtlichen Ereignisse der Vergangenheit und Gegenwart vor unsern Zuhörern zu walten haben. Aber ich meine, in d i e s e r u n s r e r Zeit hat das A. T. für den Arbeiter im Reiche Gottes noch einen ganz b e s o n d e r e n Wert. Lassen Sie mich diesen Wert Ihnen heute darlegen, indem ich das A. T. preise 1. als Lehrbuch der Hoffnung, 2. als Lehrbuch der Gerechtigkeit, 3. als Lehrbuch der Anschaulichkeit. 1. ünsre Zeit, sofern sie sich vom Glauben an die Offenbarung Gottes in Christo Jesu abgewandt hat, steht unter dem Zeichen des P e s s i m i s m u s . Das ist der Triumph eines Schopenhauer und Byron über den Optimismus unsrer grossen Klassiker, insonderheit eines Goethe. Wo früher die Hoffnung ihr grünes Banner aufpflanzte, da weht jetzt die schwarze Fahne der Schwarzseherei. Wo man früher sagte: „Das Leben ist der Güter höchstes nicht, der Uebel grösstes aber ist die



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Schuld", behauptet man heute: „Der Uebel grösstes ist das Dasein". Alle Dinge sieht man schwarz. Weder in den Menschen noch in Gott, weder in sich selbst noch in den Verhältnissen findet man einen Grund zur Hoffnung auf bessre Tage. Man glaubt weder an einen Sieg der Wahrheit, noch an einen Sieg des Guten, selbst vom Jenseits erwartet man nichts Gutes mehr. „Nichts bleibt als nackte Trümmer, hohle Wracks und Leichen und Klippen, voll von bitterem Salz und Seetang" (Byron), das ist der Klageruf der gottentfremdeten Kreise unsrer Tage. Mit e i n e m Satz: Unsre Zeit ist eine Zeit der H o f f n u n g s l o s i g k e i t und, da der Mensch nun einmal ohne Hoffnung nicht leben kann, der L e b e n s m ü d i g k e i t . Was sollen wir da thun? Liebe Freunde, wenn, anders es uns wirklich ernst ist, in Jesu Fusstapfen zu suchen und selig zu machen, was verloren ist, dann kann's für uns nur eine Losung geben: Auf zum Kampf wider den Pessimismus! Denn nur, wenn das Panier der Hoffnung wieder aufgepflanzt wird in dieser welkenden, sterbenden Welt, kann das Geschlecht unsrer Tage wieder Mut finden zum L e b e n und zu einem freudigen Schaffen und Wirken i m Leben. Mit welchen Waffen sollen wir unsern Kampf führen? Nun, wollen wir die vornehmste Waffe nicht unbenutzt in Gottes reichen Rüstkammern liegen lassen, dann lassen Sie uns zum Alten Testament greifen. Das Alte Testament ist das L e h r b u c h d e r H o f f n u n g . — Gewiss auch das Neue Testament hat einer untergehenden alten Welt das Triumphlied der Hoffnung



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wieder auf die Lippen gelegt. Und wie viele haben auf Grund der grossen Thaten Gottes in Christo Jesu an den Gräbern ihrer Lieben mit Petrus triumphiert: „Gelobt sei Gott und der Vater unsers Herrn Jesu Christi, der uns nach seiner grossen Barmherzigkeit wiedergeboren hat zu einer lebendigen Hoffnung durch die Auferstehung Jesu Christi von den Toten" (1. Petr. 1, 3). Aber das müssen Sie doch zugestehen, dass der grosseste Teil des N. T.'s nicht in die Zukunft, sondern in die V e r g a n g e n h e i t blickt, und darum die Blicke der Leser nicht vorwärts, sondern r ü c k w ä r t s lenkt. Ist nicht ein ganzes Buch des Ii. T.'s, das Ev. Matthäi, mit der unverkennbaren Absicht geschrieben, den Nachweis zu führen, wie die Verheissungen des A. T.'s sich Schritt f ü r Schritt im Leben Jesu erfüllt haben? Und hat darum der bekannte Begründer der Erlanger Theologie nicht recht gethan, wenn er das IST. T. im ausdrücklichen Gegensatz zum A. T. das „Buch der Erfüllung" genannt hat? Das A. T. dagegen blickt v o r w ä r t s . Da werden vom ersten Buche Mose an mit seinem: „Ich will Feindschaft setzen zwischen dir und dem Weibe, zwischen deinem Samen und ihrem Samen, derselbe soll dir den Kopf zertreten und du wirst ihn in die Ferse stechen" (1. Mos. 3,15) bis hin zu jenem letzten Buche Maleachi mit seinem: „Siehe, ich will meinen Engel senden, der vor mir her den Weg bereiten soll" (Mal. 3,1) die Blicke der Leser in die Z u k u n f t gelenkt. Und wenn auch nach dem grammatisch- historischen Schriftverständnis unsrer Tage diesen und ahn-



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liehen Ausblicken in die Zukunft der Charakter von messianischen Weissagungen abgesprochen werden niuss, wenn selbst die direkten messianischen Weissagungen nicht mehr im Sinne unsrer Väter verstanden werden dürfen, und darum vielfach weit hinter der Erfüllung zurückbleiben — z w e i e r l e i bleibt doch bestehen. Zum ersten: der Hinweis des A. T.'s auf die Zukunft ist so machtvoll, sein Drängen nach vorwärts so gewaltig, sein Pochen auf die Heilsvollendung so laut, dass selbst zahlreiche Gestalten und Einrichtungen der historischen und gesetzlichen Bücher — ich erinnere nur an Helden wie David und Salomo, an Institutionen wie Tempel und Priestertum — in dieses wunderbare Weben der göttlichen Heils Verwaltung mit hineingewirkt und so zu Urbildern oder Realweissagungen auf Christum gestaltet werden. Zum zweiten: Sowohl jene Realweissagungen wie auch zahlreiche Züge in direkt messianischen Weissagungen haben ihre deutliche Erfüllung in Christo Jesu gefunden. Denken Sie an den Hohenpriester, der am grossen Versöhnungstage mit dem Blute des Sündopfers ins Allerheiligste hineingeht, oder an den Knecht Gottes im Exil, von dem der Prophet bekennt: „Fürwahr, er trug unsere Krankheiten und lud auf sich unsere Schmerzen" (Jes. 53,4). Denken Sie an den Herrscher über Israel, der aus dem kleinen Bethlehem Juda kommen soll (Mich. 5,1), oder an den gerechten Spross Davids, der als König herrschen und weise handeln und Recht und Gerechtigkeit auf Erden üben soll (Jerem. 23, 5). Sind das nicht lauter Weissagungen, die in Christo Jesu in Erfüllung gegangen sind? Darum, so zahlreich



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auch die Verheissungen des A. T.'s sein mögen, die ihrer Erfüllung noch harren, die Thatsache bleibt bestehen : D a s A. T. h a t e r f ü l l t e W e i s s a g u n g e n . Und gerade das ist's, was das A. T. f ü r den Arbeiter im Reiche Gottes so besonders geeignet macht zum Lehrbuch der Hoffnung. Während nämlich die Zuverlässigkeit der Verheissungen des if. T.'s von Ungläubigen immer wieder bezweifelt werden kann mit jenem: „ W o ist nun die Verheissung seiner Zukunft? Denn nachdem die Väter entschlafen sind, bleibt es alles, wie es von Anfang der Kreatur gewesen ist?" (2. Petr. 3,4), ist die Zuverlässigkeit der Verheissungen des A. T.'s bewiesen, bewiesen durch die Erscheinung des Reiches Gottes, bewiesen durch das Leben, Leiden, Sterben und Auferstehen Jesu Christi. „Was der alten Väter Schar höchster Wunsch und Sehnen war, und was sie geprophezeit, ist erfüllt in Herrlichkeit", das ist eine Thatsache der Geschichte, eine Thatsache, über der geschrieben steht mit unauslöschlichen Zügen: „Unsre Väter hofften auf dich, und da sie hofften, halfst du ihnen aus, zu dir schrieen sie und wurden errettet, sie hofften auf dich und wurden nicht zu Schanden" (Ps. 22, 5). Und diese Thatsache den traurigen Schwarzsehern unsrer Zeit vor die Seele stellen, das heisst das grüne Banner der Hoffnung wieder aufpflanzen, das heisst einem hoffnungslosen Geschlecht wieder ins Herz und Gewissen hineinschreiben, dass das Ziel der Wege unseres Gottes wahrhaftig nicht ein trauriges Totenfeld, sondern das ewige Gottesreich ist, dass er nicht die



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Weltvernichtung, sondern die Weltverklärung will, dass er nicht Gefallen hat an aufgetürmten Menschenscliädeln, sondern an unsterblichen Menschenseelen, in denen das Bild seines Sohnes zur Darstellung gekommen ist. Wohlan denn, teure Freunde, treiben Sie in diesem Sinne Wucher mit Ihrem A. T. und Sie sollen's erfahren: „Was zuvor geschrieben ist, das ist uns zur Lehre geschrieben, auf dass wir durch Geduld und Trost der Schrift H o f f n u n g haben" (Köm. 15, 4). 2. Das A. T. das Lehrbuch der Hoffnung, das A. T. aber auch das Lehrbuch der G e r e c h t i g k e i t . Was gut und böse, recht und unrecht ist, hat die gottentfremdete Welt unsrer Tage vergessen. So lange hat man die Menschheit ins Jenseits von Gut und Böse geführt, so lange hat man an der „Umwertung der Werte" oder an der Umprägung der ethischen Begriffe gearbeitet, dass man jetzt allen Ernstes darüber disputiert, ob der Mensch selbstsüchtig oder selbstlos sein soll, ob er dienen oder herrschen soll. Wir kennen die Ursache dieser Verwirrung: Man hat den Glauben an den lebendigen Gott und darum auch den Glauben an Willenskundgebungen Gottes verloren. Wie soll man da noch zu einer Gewissheit kommen können über das, was gut und böse ist! Und weil man den Glauben an den lebendigen Gott verloren hat, so hat man auch den Glauben an die richterliche Gerechtigkeit, den Glauben ans Gericht verloren. Darum ob Atheist oder Pantheist, darin sind sie alle einig: Mag die Menschheit sich abquälen am Guten und Bösen: „Der Herr siehet es nicht, und der Gott Jakobs achtet es nicht" (Ps. 94, 7).



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,,Er tötet den Gerechten mit dem Gottlosen, und der Gerechte ist gleichwie der Gottlose" (1. Mos. 18, 25). Wir aber, teure Freunde, wollen wir wirklich in dieser Zeit der sittlichen Verwirrung und Yerirrung wie lebendige Leuchttürme dastehen, die den gefährdeten Schiffern das rettende Ufer zeigen, o dann lassen Sie uns unser A. T. zur Hand nehmen. Das A. T. ist das Lehrbuch der G e r e c h t i g k e i t . In einem zweifachen Sinne lehrt es Gerechtigkeit. Zum ersten lehrt's, was gut und böse ist. Denn also steht geschrieben: ,,Ich bin der Herr, dein Gott, der ich dich aus Aegyptenland, aus dem Diensthause, geführt habe. Du sollst keine andern Götter neben mir haben" (2. Mos. 20, 2 f.) und so geht's weiter im Wetter vom Sinai mit dem: „Du sollst" und „Du sollst nicht". Und zweitens lehrt's die richterliche Gerechtigkeit Gottes. Denn also stehet geschrieben: „Ich der Herr, dein Gott, bin ein eifriger Gott, der da heimsucht der Väter Missethat an den Kindern bis in das dritte und vierte Glied, die mich hassen; und thue Barmherzigkeit an vielen Tausenden, die mich lieb haben und meine Gebote halten" (2. Mos. 20, 5 f.). Gewiss, auch das IST. T. sagt uns, was gut und böse ist. Ich erinnere Sie nur an das Eine: „Ihr habt gehört, dass zu den Alten gesagt ist, ich aber sage euch", weil ich zugleich auch darauf hinweisen möchte, wieviel höher die sittlichen Forderungen des !N". T.'s sind als die des Alten. Aber das müssen Sie mir doch zugeben, dass die Predigt des Gesetzes im Neuen Bunde weit, weit zurücktritt, hinter der Predigt des Evangeliums.



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Und abermals: Gewiss, auch das !N". T. lehrt uns die richterliche Gerechtigkeit Gottes. „Irret euch nicht", sagt der Apostel, „Gott lässt sich nicht spotten. Was der Mensch säet, das wird er ernten. Wer auf das Fleisch säet, der wird vom Fleisch das Verderben ernten, wer auf den Geist säet, der wird vom Geist das ewige Leben ernten" (Gal. 6 , 7 f.). Aber auch hier müssen Sie zugestehen, dass das IST. T. als die Stufe der vollendeten Gottesoffenbarung vielmehr die Liebe als die Gerechtigkeit Gottes betont. Und was die Hauptsache ist: Sowohl jene ethischen Erkenntnisse des N. T.'s als auch diese seine Gotteserkenntnis liegen auf einer solchen Höhe des geistlichen Lebens, dass sie der religiös-ethischen Unwissenheit unserer Tage einfach unfassbar geworden sind. Darum: Wollen Sie die Methode der göttlichen Pädagogik zu ihrem Hechte kommen lassen, wollen Sie gottgemäss an unserm Geschlechte arbeiten, wollen Sie's vom Leichten zum Schweren, vom Einfachen zum Zusammengesetzten führen, wollen Sie's denselben Weg führen, den Gott der Herr mit der Menschheit im Grossen und Ganzen gegangen ist, liebe Freunde, dann machen Sie Gebrauch vom A. T., und an ihm werden Sie's erfahren: „Alle Schrift, von Gott eingegeben, ist nütze zur Lehre, zur Strafe, zur Besserung, zur Züchtigung in der G e r e c h t i g k e i t " (2. Tim. 3,16). 3. Nur noch auf einen rein formalen Vorzug des A. T.'s möchte ich Sie hinweisen. Er fasst sich in die Worte zusammen: Das Alte Testament das Lehrbuch der A n s c h a u l i c h k e i t .



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Unsre Zeit hat das abstrakte Denken verlernt. Die Abneigung gegen das Studium der Philosophie in den Kreisen der sogenannten Gebildeten, die Bewegung gegen die Metaphysik in den Glaubenslehren der Theologen, die Vorliebe für die realistischen und technischen Unterrichtsfächer auf höheren und niederen Schulen, das Alles zeigt uns, wie sehr man das Absolute, oder doch wenigstens das begriffliche Erkennen fürchtet. Und doch bleibt jeder Arbeiter im Reiche Gottes vor die Aufgabe gestellt, diesem abstraktionsfeindlichen Geschlecht unserer Tage die unsichtbare Welt des Glaubens wirklich nahe zu bringen, wenn anders auch im religiös-ethischen Leben Licht in die Köpfe, und Wärme in die Herzen kommen soll. „Wie die sichtbaren Dinge, die wir sehen sollen", sagt Matthias Claudius, „uns auf eine gewisse Entfernung nahe kommen müssen, und wenn wir sie sehen, uns wirklich nahe sind, so müssen uns auch die unsichtbaren Dinge, die wir glauben sollen, auf eine gewisse Weise nahe kommen, und sind, wenn wir sie glauben, uns wirklich nahe." Aber wer wird dies Muss, dies heilige Muss des WTandsbecker Boten erfüllen? ÜSTur der, teure Freunde, der imstande ist, in seiner Arbeit an den Menschenherzen die abstrakte Redeweise beiseite zu werfen, und klare, deutliche Anschauungen zu bieten. Denn mehr als je gilt's in tmsern Tagen, dass Anschauungen „das absolute Fundament aller Erkenntnis", und das wesentlichste Mittel der Einwirkung auf das Gemütsleben sind. Und wo wollen Sie die Anschauungen hernehmen? Wo wollen Sie die Kunst der anschaulichen Darstellung



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lernen? 0 , liebe Freunde, greifen Sie hinein ins A. T. Das ist eine wahre Fundgrube von Anschauungen, das ist das vornehmste Lehrbuch der A n s c h a u l i c h k e i t . A n dem Lebensbilde eines Abraham, der da hoffte, wo nichts zu hoffen war (Rom. 4 , 1 8 ) , oder an der Heldengestalt eines David, der als Kleinster unter acht Brüdern vor Goliath h i n t r a t : „ D u kommst zu mir mit Schwert, Spiess und Schild, ich aber komme zu dir im jSTamen des H e r r n Zebaoth, des Gottes des Zeuges Isr a e l " (1. Sam. 17, 45) wird auch das einfältigste Menschenherz empfinden, ein wie köstlich Ding es ist, „geduldig sein, und auf die H ü l f e des H e r r n hoffen" (Klagel. 3, 26). Vor Kain, der seinen Bruder Abel erschlägt (1. Mos. 4, 8), und vor David, der seine H a n d nicht legen will an den Gesalbten des H e r r n (1. Sam. 24, 7) wird auch das kleinste Kind in der Sonntagsschule I h n e n sagen können, was gut und böse, recht und unrecht ist. Und endlich, wenn Jakobs Söhne beim Wiederbegegnen mit ihrem Bruder in sich schlagen mit dem Bekenntnis: „Das haben wir an unserm Bruder verschuldet, dass wir sahen die Angst seiner Seele, da er uns flehte und wir wollten nicht hören; darum kommt nun diese Trübsal über u n s " (1. Mos. 42, 21), oder wenn der Kananiterkönig Adoni Besek bei dem Verluste seiner Zehen und Daumen plötzlich seiner eignen Grausamkeit inne wird mit den W o r t e n : „Siebenzig Könige mit verhauenen Daumen und Zehen lasen auf unter meinem Tische; so wie ich gethan habe, so hat mir Gott vergolten" (Rieht. 1, 7) —• o, dann hören auch schon dicke Ohren die nahenden Schritte der Gerechtigkeit



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Gottes, und wahrhaftig, es muss ein Mensch schon viele Stimmen der Wahrheit erstickt haben, wenn er vor solchen Bildern nicht erkennen sollte: „Gottes Mühlen mahlen langsam, mahlen aber trefflich f e i n ; was mit Langmut er versäumet, holt mit Schärf' er wieder ein." Nicht als ob ich mit diesen W o r t e n dem !N". T. die Anschaulichkeit absprechen wollte. Wer müsste seinem Gott und H e r r n nicht auf den Knieen danken f ü r die wunderbare Bildersammlung der Evangelien! Aber nicht wahr? W e n n in dem Kanon des N . T.'s 21 Lehrbücher neben nur 5 historischen Büchern stehen, dann sehen Sie an diesem einfachen Zahlen Verhältnis schon, wie weit das N". T. im P u n k t e der Anschaulichkeit naturgemäss hinter dem Alten zurückbleiben muss. F ü r uns hier in England kommt noch Eins hinzu. Sie alle wissen, wie sehr in den letzten Jahrzehnten die Ideale des Kosmopolitismus, insonderheit unter tmsern Landsleuten hier in London zurückgedrängt worden sind. Das gegenwärtige Verhältnis unserer internationalen society of friends of foreigners in distress zu den nationalen Wohlthätigkeitsgesellschaften, und die durch A u f h e b u n g der lutherischen Gottesdienste in der Royal St. James's Chapel geforderte Konzentration des deutschen kirchlichen Lebens in rein nationale Institute, zeigen uns, wie mächtig sich das "Nationalbewusstsein, und zugleich auch der Ruf nach religiös - sittlichem Leben in nationalen Eormen und Schranken geltend machen. Und auch das ist I h n e n bekannt, dass dank der sonst so beklagenswerten Anpassungsfähigkeit der



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Deutschen an die Sitten und Gebräuche der Fremde, unsre Landsleute sicher in einem P u n k t e etwas Gutes in England gelernt haben: Sie haben sich das festländische Aushäusigsein abgewöhnt und wieder einen Sinn bekommen f ü r die Ideale des Familienlebens. Und nun frage ich Sie: W a n n dürfen Sie in Predigt und Unterricht die grosseste Aufmerksamkeit von seiten unserer Landsleute erwarten? Ich weiss aus meiner Amtserfahrung nur e i n e Antwort zu geben: Dann, wenn Sie die Bilder, die Sie zur Veranschaulichung von dogmatischen und ethischen Wahrheiten heranziehen, aus dem A. T. nehmen. So wahr das A. T. derjenige Teil der heiligen Schrift ist, der am tiefsten in dem Naturboden des Volks- und Familienlebens wurzelt, so wahr werden Sie in ihm die fesselndsten Anschauungen f ü r die Arbeit an unsern Landsleuten finden. Ich muss hier abbrechen. N u r drei Strahlen der Herrlichkeit des A. T.'s konnte ich I h n e n zeigen. N u r als Lehrbuch der Hoffnung, der Gerechtigkeit und der Anschaulichkeit konnte ich's preisen. Aber ich denke, auch dieser schwache Dienst kann eine Arbeit im Reiche Gottes gewesen sein, wenn Sie den Eindruck gewonnen haben, dass diese „himmelhohen Alpen, die in den letzten Jahrzehnten soviel Nebel und Stürme, soviel Anbohrungen und Schichterklärungen ertragen mussten", noch Wasser genug enthalten, um in immer neuen Brunnen und Strömen sich auf die dürren Auen der Menschheit ergiessen zu können.