Leben in Gottes Gegenwart: Studien zum Verständnis des Gesetzes im Alten Testament 3161484150, 9783161484155

Matthias Köckert befaßt sich in den zehn Studien dieser Aufsatzsammlung mit der biblischen Grundlegung einer christliche

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Leben in Gottes Gegenwart: Studien zum Verständnis des Gesetzes im Alten Testament
 3161484150, 9783161484155

Table of contents :
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Titel
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
Teil I
Einführung
1. Kapitel Ein Volk befreiter Brüder: Das Gesetz als Lebensordnung Israels im Deuteronomium
1.1. Freiheit unter der Herrschaft des Befreiers
1.2. Gleichheit vor dem Herrn, deinem Gott
1.3. Brüderlichkeit im Leben miteinander
1.3.1. Teilhabe am Recht auf Freiheit
1.3.2. Teilhabe an der Gleichheit vor dem Gesetz
1.3.3. Teilhabe am Eigentum
2. Kapitel Das nahe Wort: Wandlungen des Gesetzesverständnisses in der deuteronomisch-deuteronomistischen Literatur
2.1. Die Gabe des Gesetzes: Das dtn Verständnis
2.2. Das unerfüllte Gesetz: Dtr Interpretationen
2.3. Das Gesetz als Bedingung: Nomistische Hoffnungen
2.4. Das unerfüllbare Gesetz: Kritik an der nomistischen Konzeption
2.5. Das Gesetz im Herzen: Spät-dtr Verheißungen
3. Kapitel Leben in Gottes Gegenwart: Wandlungen des Gesetzesverständnisses in der priesterlichen Komposition des Pentateuch
3.1. Ich will euer Gott sein: Die Beschneidung
3.1.1. Gen 17 im Rahmen der Gesamtkomposition
3.1.2. Die Architektur von Gen 17 als Interpretationsschlüssel
3.1.3. Das Gebot und seine ältere Kommentierung in Gen 17,10–11a
3.1.4. Die Interpretationen in Gen 17,12a.13b/17,12b–13a/14
3.2. Befreites Volk: Das Passa
3.2.1. Ex 12 im Rahmen der Gesamtkomposition
3.2.2. Die priesterliche Kommentierung des älteren Passarituals
3.2.3. Jüngere Verschiebungen in Ex 12 und Num 9
3.3. Geheiligte Zeit: Der Sabbat
3.3.1. Der Rhythmus von 6+1 Tagen als Grundrhythmus der Komposition
3.3.2. Das Gebot in Ex 31,13
3.3.3. Jüngere Verschiebungen in Ex 31,14–15/16–17a/31,17b und anderwärts
3.4. Ich will in eurer Mitte wohnen: Das Heiligtum
3.4.1. Das Heiligtum und Gottes Gegenwart
3.4.2. Kult und Sühne
3.4.3. Lade und Gesetz
4. Kapitel Ein Palast in der Zeit: Wandlungen im Verständnis des Sabbatgebotes
4.1. Sabbat und Siebter Tag
4.2. Unterbrechung menschlicher Leistung: Ex 34,21
4.3. Aufatmen der Eingespannten: Ex 23,12
4.4. Wahrung gewährter Freiheit: Dtn 5,12–15
4.5. Teilhabe an der Ruhe Gottes: Ex 20,8–11
4.6. Sabbat und Gesetz
4.6.1. Das Sabbatgebot als Hauptgebot
4.6.2. Kasuistische Anwendungen des Sabbatgebotes
4.6.3. Sabbatentweihung als Erklärung für den Untergang Judas
4.6.4. Sabbatheiligung als Bedingung für die Teilhabe am Heil
Teil II
5. Kapitel Gottesfurcht und Nächstenliebe: Die Zusammenfassung der Willensoffenbarung Gottes am Sinai in Lev 19
5.1. Der literarische Ort von Lev 19
5.2. Die Komposition von Lev 19
5.3. Gottesfurcht und Nächstenliebe als Summe
6. Kapitel Wie kam das Gesetz an den Sinai?
6.1. Die nicht-priesterliche Sinaiperikope
6.2. Positionen in der Forschungsgeschichte
6.3. Das Bundesbuch
6.4. Der Dekalog Ex 20
6.5. Ex 34
6.6. Das Tafelmotiv
7. Kapitel Das Gesetz und die Propheten in Amos 1–2
7.1. Literarische Analyse der Israelstrophe im Völkerspruchzyklus
7.2. Exodus und Prophetie in der Israelstrophe
7.3. Prophetie in Am 2 und Dtn 18
7.4. Die Judastrophe und das Gesetz
8. Kapitel Zum literargeschichtlichen Ort des Prophetengesetzes Dtn 18 zwischen dem Jeremiabuch und Dtn 13
8.1. Dtn 34 und Dtn 13
8.2. Dtn 18 und das Jeremiabuch
8.3. Zum theologischen Ort von Dtn 18
9. Kapitel Ungeborenes Leben: Wandlungen im Verständnis des Rechtssatzes Ex 21,22–25
9.1. Vorstellungen vom ungeborenen Leben
9.2. Die Komposition des Zusammenhangs Ex 21,12–32
9.3. Analyse der Rechtssätze in Ex 21,22f.
9.4. Rechtsgeschichtliche Würdigung von Ex 21,22–25
9.5. Altorientalische Rechtssätze zur Körperverletzung einer Schwangeren
9.6. Übersetzung als Interpretation: Die Septuagintafassung von Ex 21,22–23
10. Kapitel Luthers Auslegung des Dekalogs in seinen Katechismen
10.1. Zur Entstehung der Katechismen
10.2. Zum Ort des Dekalogs im Katechismus
10.3. Zur Bedeutung der Zehn Gebote bei Luther
10.4. Der Dekalog im Alten Testament und seine Disposition
10.5. Die Anlage der Zehn Gebote und das erste Gebot als Summe bei Luther
10.6. Luthers Auslegung der Einzelgebote und deren Verständnis in der neueren Exegese
10.7. Rückblick auf Luthers Auslegung des Dekalogs
Nachweis der Erstveröffentlichungen
Stellenregister
Autorenregister

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Forschungen zum Alten Testament Herausgegeben von Bernd Janowski (Tübingen) • Mark S. Smith (New York) Hermann Spieckermann (Göttingen)

43

ARTIBUS

Matthias Köckert

Leben in Gottes Gegenwart Studien zum Verständnis des Gesetzes im Alten Testament

Mohr Siebeck

MATTHIAS KÖCKERT, geboren 1944; Studium der Kirchenmusik und der Evangelischen Theologie; Pfarrer und Dozent für Biblisdche Exegese an der Predigerschule Paulinum, Berlin (DDR); 1983 Promotion; Dozent für Altes Testament am Sprachenkonvikt, Berlin (DDR); 1991 Habilitation; Professor an der Theologischen Fakultät der HumboldtUniversität zu Berlin.

I S B N 3-16-148424-X

ISSN 0940-4155 (Forschungen zum Alten Testament) Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

978-3-16-157802-1 Unveränderte eBook-Ausgabe 2019 © 2004 Mohr Siebeck Tübingen. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Guide-Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Großbuchbinderei Josef Spinner in Ottersweier gebunden.

Vorwort Mit der erneuten Veröffentlichung der hier gesammelten Studien erfülle ich eine Verpflichtung, die ich vor Jahren gegenüber dem Verleger und den Herausgebern eingegangen bin. Sie haben mir ihre Reihe geöffnet und lange vergeblich gewartet. Es waren nicht nur schlechte Gründe, die mich bislang zögern ließen; denn was gutem Wein wohl bekommt, tut wissenschaftlichen Untersuchungen in der Regel weniger gut, zumal die Literaturlawine unablässig wächst. Dazu gehören nicht wenige Arbeiten zu Recht und Gesetz im Alten Testament. Jedoch steht die Frage nach Wandlungen und theologischen Verschiebungen im Verständnis des Gesetzes, die mich bei alledem am meisten beschäftigt hat, in der gegenwärtigen Forschung eher am Rande. Deshalb meinte ich, dem Zureden der Freunde doch nachgeben zu sollen. Ich danke dem Verleger, Herrn Dr. Georg Siebeck, sowie den Herausgebern und Freunden, Prof. Dr. Bernd Janowski und Prof. Dr. Hermann Spieckermann, für ihre Geduld und freundschaftliche Ermunterung. Der I. Teil enthält vier Studien mit einer Einführung, die unter dem Titel „Leben vor Gott. Studien zum Verständnis des Gesetzes in der deuteronomischen und priesterlichen Literatur des Alten Testaments" meinem Habilitationsverfahren 1990/91 an der Friedrich-Schiller-Universität Jena zugrunde lagen. Nr. 1 und 2 behandeln den dtn/dtr Bereich, Nr. 3 die Priesterschrift, während Nr. 4 den Dekalog in den Blick nimmt und die Wandlungen im Verständnis des Sabbatgebotes nachzeichnet. Der II. Teil bringt sechs Studien, die in verschiedenen Festschriften und Sammelbänden erschienen sind. Nr. 5 erhellt „Gottesfurcht und Nächstenliebe" in Lev 19 als eine der Antworten auf die Frage nach der Summe des Gesetzes. Nr. 6 fragt angesichts der disparaten Rekonstruktionen in der gegenwärtigen Forschung, wie das Gesetz an den Sinai gekommen sei. Nr. 7 und 8 gehen der vielfältigen Verbindung von Gesetz und Prophetie am Beispiel von Am 1-2 und Dtn 18 nach. Nr. 9 behandelt den Rechtssatz Ex 21,22-25 in seinen verschiedenen literargeschichtlichen Kontexten, auf dem Hintergrund der altorientalischen Seitenstücke und in der bis in die Gegenwart wirkenden fundamentalen Sinnverschiebung durch die griechische Übersetzung der Septuaginta. Nr. 10 nimmt abschließend noch einmal den Dekalog in den Blick, nun aber mit der Brille seines wirkmächtigsten und subtilsten Auslegers gelesen. Die Arbeiten entstanden zwischen 1984 und 2003, teils in aufgeregten, teils in chaotischen, immer aber in von Gottes Gegenwart erhellten Zeiten.

VI

Vorwort

Manches liest sich heute in Deutschland sehr anders, als es 1988/89 in der DDR gehört wurde: „Nur wer dem Recht nachjagt, wird ein Land auf Dauer besitzen" - dieser Satz aus Dtn 16,20 deutete damals die Zeit unmittelbar. Seit der Erstveröffentlichung mancher Studien ist viel Wasser die Spree hinabgeflossen und manche wichtige Untersuchung zu einzelnen Bereichen (man denke beispielsweise an T. Veijola, B. M. Levinson, R. Achenbach und viele andere), aber auch zum Thema im Ganzen (z. B. von F. Crüsemann und E. Otto) erschienen. Sie in den älteren Arbeiten nachzutragen, hielt ich für wenig sinnvoll. Doch sei wenigstens auf Nr. 6 und Nr. 8 hingewiesen, in denen Alternativpositionen ausführlicher vorgestellt und diskutiert werden. Selbstverständlich sind über die Jahre auch meine Ansichten nicht gleich geblieben. Aufmerksame Leser werden deshalb manche Unausgeglichenheiten wahrnehmen, etwa zur Entstehung des Dekalogs, bei dem ich jetzt mit R. G. Kratz die Fassung von Ex 20 im Kern für die gegenüber Dtn 5 ältere halte. Auch sehe ich die Priesterschrift nun doch als selbständiges Literaturwerk an, das allerdings in Kenntnis der vorpriesterlichen Überlieferungen verfaßt worden ist. Jer 31,31 ff. würde ich heute - von W. Groß belehrt - nicht mehr als spät-dtr beurteilen. Und im Prophetengesetz habe ich es aufgegeben, einen vor-dtr Kern zu suchen. Leider können Arad und Beerscheba nicht mehr guten Gewissens als archäologische Zeugen zur Erhellung der Josiazeit benutzt werden. All das ändert freilich an den herausgearbeiteten Grundlinien nichts. Gegenüber den Erstveröffentlichungen wurden die einzelnen Studien in Zitierweise und Formalien vereinheitlicht, Zwischenüberschriften eingefügt, wo im Original nur Ziffern standen, andere Überschriften wegen der Kolumnentitel verkürzt und Versehen sowie Druckfehler stillschweigend beseitigt. Den im Nachweis der Erstveröffentlichungen genannten Verlagen danke ich für die freundliche Erlaubnis, die zuerst bei ihnen erschienenen Arbeiten hier gesammelt abdrucken zu dürfen. Für die Herstellung der Druckvorlage bin ich Frau Katharina Heyden zu großem Dank verpflichtet. Im Kampf gegen die Druckfehler haben mir meine studentischen Mitarbeiterinnen Elisabeth Kuhnt, Teresa Nieser und Susanne Hennrich beigestanden; Frau Hennrich hat auch die Register erstellt. Ich widme diesen Band meiner Frau, mit der ich seit fast 40 Jahren in wachsender Zuneigung verbunden bin. Berlin am 8. April 2004 Matthias Köckert

Inhaltsverzeichnis Teil I Einfuhrung

3

1. Kapitel

Ein Volk befreiter Brüder: Das Gesetz als Lebensordnung Israels im Deuteronomium

21

1.1. Freiheit unter der Herrschaft des Befreiers 1.2. Gleichheit vor dem Herrn, deinem Gott 1.3. Brüderlichkeit im Leben miteinander 1.3.1. Teilhabe am Recht auf Freiheit 1.3.2. Teilhabe an der Gleichheit vor dem Gesetz 1.3.3. Teilhabe am Eigentum

22 28 37 40 42 43

2. Kapitel

Das nahe Wort: Wandlungen des Gesetzesverständnisses in der deuteronomisch-deuteronomistischen Literatur

47

2.1. 2.2. 2.3. 2.4. 2.5.

50 56 61 65 69

Die Gabe des Gesetzes: Das dtn Verständnis Das unerfüllte Gesetz: Dtr Interpretationen Das Gesetz als Bedingung: Nomistische Hoffnungen Das unerfüllbare Gesetz: Kritik an der nomistischen Konzeption . Das Gesetz im Herzen: Spät-dtr Verheißungen

3. Kapitel

Leben in Gottes Gegenwart: Wandlungen des Gesetzesverständnisses in der priesterlichen Komposition des Pentateuch

73

3.1. Ich will euer Gott sein: Die Beschneidung 3.1.1. Gen 17 im Rahmen der Gesamtkomposition 3.1.2. Die Architektur von Gen 17 als Interpretationsschlüssel 3.1.3. Das Gebot und seine ältere Kommentierung in Gen 17,10-11 a . . . . 3.1.4. Die Interpretationen in Gen 17,12a.l3b/17,12b-13a/14

77 77 79 83 85

VIII

Inhaltsverzeichnis

3.2. Befreites Volk: Das Passa 3.2.1. Ex 12 im Rahmen der Gesamtkomposition 3.2.2. Die priesterliche Kommentierung des älteren Passarituals 3.2.3. Jüngere Verschiebungen in Ex 12 und Num 9 3.3. Geheiligte Zeit: Der Sabbat 3.3.1. Der Rhythmus von 6+1 Tagen als Grundrhythmus der Komposition 3.3.2. Das Gebot in Ex 31,13 3.3.3. Jüngere Verschiebungen in Ex 31,14-15/16-17a/31,17b und anderwärts 3.4. Ich will in eurer Mitte wohnen: Das Heiligtum 3.4.1. Das Heiligtum und Gottes Gegenwart 3.4.2. Kult und Sühne 3.4.3. Lade und Gesetz

100 102 102 104 106

4. Kapitel Ein Palast in der Zeit: Wandlungen im Verständnis des Sabbatgebotes

109

4.1. 4.2. 4.3. 4.4. 4.5. 4.6.

Sabbat und Siebter Tag Unterbrechung menschlicher Leistung: Ex 34,21 Aufatmen der Eingespannten: Ex 23,12 Wahrung gewährter Freiheit: Dtn 5,12-15 Teilhabe an der Ruhe Gottes: Ex 20,8-11 Sabbat und Gesetz 4.6.1. Das Sabbatgebot als Hauptgebot 4.6.2. Kasuistische Anwendungen des Sabbatgebotes 4.6.3. Sabbatentweihung als Erklärung für den Untergang Judas 4.6.4. Sabbatheiligung als Bedingung für die Teilhabe am Heil

88 88 90 94 96 96 98

111 121 126 128 135 139 139 141 144 146

Teil II 5. Kapitel Gottesfurcht und Nächstenliebe: Die Zusammenfassung der Willensoffenbarung Gottes am Sinai in Lev 19

155

5.1. Der literarische Ort von Lev 19 5.2. Die Komposition von Lev 19 5.3. Gottesfurcht und Nächstenliebe als Summe

156 159 163

Inhaltsverzeichnis

IX

6. Kapitel Wie kam das Gesetz an den Sinai?

167

6.1. 6.2. 6.3. 6.4. 6.5. 6.6.

167 169 173 176 178 181

Die nicht-priesterliche Sinaiperikope Positionen in der Forschungsgeschichte Das Bundesbüch Der Dekalog Ex 20 Ex 34 Das Tafelmotiv

7. Kapitel Das Gesetz und die Propheten in Arnos 1-2 .

183

7.1. 7.2. 7.3. 7.4.

183 187 188 192

Literarische Analyse der Israelstrophe im Völkerspruchzyklus . . . . Exodus und Prophetie in der Israelstrophe Prophetie in Am 2 und Dtn 18 Die Judastrophe und das Gesetz

8. Kapitel Zum literargeschichtlichen Ort des Prophetengesetzes Dtn 18 zwischen dem Jeremiabuch und Dtn 13

195

8.1. Dtn 34 und Dtn 13 8.2. Dtn 18 und das Jeremiabuch 8.3. Zum theologischen Ort von Dtn 18

195 200 209

9. Kapitel Ungeborenes Leben: Wandlungen im Verständnis des Rechtssatzes Ex 21,22-25

217

9.1. 9.2. 9.3. 9.4. 9.5.

Vorstellungen vom ungeborenen Leben Die Komposition des Zusammenhangs Ex 21,12-32 Analyse der Rechtssätze in Ex 21,22f. Rechtsgeschichtliche Würdigung von Ex 21,22-25 Altorientalische Rechtssätze zur Körperverletzung einer Schwangeren 9.6. Übersetzung als Interpretation: Die Septuagintafassung von Ex 21,22-23

217 220 225 232 235 240

10. Kapitel Luthers Auslegung des Dekalogs in seinen Katechismen

247

10.1. Zur Entstehung der Katechismen 10.2. Zum Ort des Dekalogs im Katechismus 10.3. Zur Bedeutung der Zehn Gebote bei Luther

248 250 252

X

Inhaltsverzeichnis

10.4. Der Dekalog im Alten Testament und seine Disposition 10.5. Die Anlage der Zehn Gebote und das erste Gebot als Summe bei Luther 10.6. Luthers Auslegung der Einzelgebote und deren Verständnis in der neueren Exegese 10.7. Rückblick auf Luthers Auslegung des Dekalogs

254 262 266 289

Nachweis der Erstveröffentlichungen

291

Stellenregister Autorenregister

293 303

Teil I

Einführung (1) Nach einem geläufigen theologischen Urteil verhält sich das Alte Testament zum Neuen wie das Gesetz zum Evangelium. Dieses Urteil ist alt. So schreibt Martin Luther in seiner Vorrede auf das Alte Testament von 1534: „... wisse nu / das dis Buch ein Gesetzbuch ist / das da leret / was man thun und lassen sol / und daneben anzeiget Exempel und Geschichte / wie solch Gesetze gehalten oder ubertretten sind / Gleich wie das Newe Testament ein Euangeli oder gnade buch ist..." Die deutende Zusammenfassung der alttestamentlichen Schriften unter dem Begriff „Gesetz" ist indes noch viel älter. Schon im Neuen Testament kann unter dem Titel vö|ao17p ny und ny - so formuliert das Dtn 22 - stand auf dem Spiel. Alles war zu verlieren. Darum war von der ungeteilten Liebe zu Jahwe nicht nur zu reden; sie mußte geboten werden. Darum die vielen Mahnungen wie: „Hüte dich, Jahwe, deinen Gott, zu vergessen!" Denn wo alles verloren zu gehen droht, kann gar nicht eindringlich genug um antwortende Liebe geworben werden. Es wäre jedoch vollkommen verfehlt, jene Paränese wie auch das Lie[504]besgebot von Dtn 6,5 als ihr tragendes Zentrum gesetzlich verstehen zu wollen, geht es doch bei alledem um dankbare Liebe, um die freilich total (s. 6,5)! Ohne Jahwes gnädige Willensoffenbarung im Gesetz bliebe die Liebe blind. Ohne die im „dein Gott" vorab ermöglichte Liebe aber bliebe des Gesetzes Erfüllung leer - tönendes Erz, klingende Schelle. Beides zusammengedacht zu haben, macht die Größe jener dtn ,Gesetzestheologie' aus. Es ist mit L. Perlitt zu sprechen - die Theologie eines einzigartigen, durchgehenden „Ja", auf das Israel nur „Amen" zu sagen braucht. 23 Das ist das Erbe, das die dtr Söhne von ihren dtn Vätern übernehmen und in ihrer Lage zu bewahren trachten. In ihrer Lage wohlgemerkt, die aber hatte sich grundstürzend verändert.

22

Zum terminologischen Befund (ohne Rücksicht auf unterschiedliche Schichten): Vnp (mrr): 5,22; 9,10; 10,4; (23,2-9); 31,30; vgl. 4,10; 18,16. ®np 7,6; 14,2.21; 26,19; 28,9. rfno DV: 7,6; 14,2; 26,18. mn1 Di: kein Beleg! 23 So zuletzt PERLITT, Land (s. Anm. 7), 55, zu den Landgabeformeln. Gegen eine Interpretation des Gesetzes, wie sie hier für die dtn und dann unten in 2. 3. für die ältere dtr Schicht vertreten wird, hat sich jüngst E. KUTSCH, Menschliche Weisung - Gesetz Gottes: Beobachtungen zu einem aktuellen Thema, in: Gott ohne Eigenschaften?, hg. v. S. Heine / E. Heintel, Wien 1983, 77-106, gewandt. Die zur Stützung seiner Gegenthese herangezogenen Texte (S. 82 und 84f.) gehören allesamt zu DtrN, für den in der Tat die „Reihenfolge: Gebotserfiillung - 'Heil'" (S. 82) konstitutiv zu sein scheint. Indes beherrscht das Gesetzesverständnis von DtrN keineswegs allein das Feld! Mag man Kutsch in der Kritik an einem (bei ihm durch G. Fohrer und G. v. Rad repräsentierten) Verständnis des Gesetzes als „Weisung" auch streckenweise folgen, gänzlich unhaltbar ist jedoch für die älteren Schichten die Behauptung: „Nirgends aber ist in diesen Texten ... auf ein Heilsverhältnis Bezug genommen, ... daß in dessen Rahmen und als dessen Folge dann das Bewähren der töra vom Volk und vom einzelnen zu erwarten wäre. Immer geht die töra als Ausdruck des fordernden Gotteswillens voraus..." (86f., ähnlich auch in der Zusammenfassung seiner - übrigens terminologisch durchaus nicht auf min beschränkten - Untersuchung über Tora im dtn/dtr Bereich). Kutsch kann zu dieser Behauptung nur kommen, weil er das verheißene und den Vätern zugeschworene Land als Jahwes gnädige Vorgabe gar nicht in den Blick nimmt und das höchst differenzierte Verhältnis von Land und Gesetz im Dtn völlig ausblendet.

56

2. Kapitel: Das nahe Wort

2.2. Das unerfüllte Gesetz: Dtr Interpretationen Das DtrG setzt schon durch seine kompositorische Anlage und durch die Art und Weise, wie es das Dtn sich einverleibt, auch dem naivsten Leser die richtige Brille auf die Nase. Es beginnt mit dem Befehl, das von Jahwe Israel übereignete (^s1? inj) Land in Besitz zu nehmen (Dtn 1,6-8), und es endet mit der Deportation Israels und schließlich Judas aus dem Land (2 Kön 25,21b): von der Landgabe zum Landverlust. Damit ist schon die Aufgabe genannt, vor die die Deuteronomisten gestellt waren. Bloße Nachlaßverwalter konnten sie in dieser Lage nicht sein; es galt vielmehr, das Erbe der Vergangenheit zu bewältigen. Eine Ausfuhrung jenes Landnahmeauftrags von 1,6-8 wird indes im gesamten Dtn nicht berichtet, so daß ihn Jos 1,1-9 wiederholen müssen. Damit wird das gesamte Dtn aus der erzählten Zeit, aus der Geschichtserzählung, herausgenommen. Sonne und Mond stehen gewissermaßen still über dem Dtn. Das Dtn aber ist als Abschiedsrede und Paränese des Gesetzeskünders Mose stilisiert, der außerhalb des verheißenen Landes [505] stirbt, nachdem er „ganz Israel" (1,1) vor den Toren des gelobten Landes,, jenseits des Jordans", „diese Tora" vorgelegt - so die ältere Überschrift in 4,44 - und ausgelegt hat - so die jüngere Überschrift in 1,5.24 Diese so einfache wie wirkungsvolle Komposition verbindet Land und Gesetz, indem sie das Gesetz der Landgabe vorordnet. Diese Vorordnung der Gesetzesmitteilung vor das Land leistet zunächst25 zweierlei.

24

SMEND, Entstehung (s. Anm. 3), 509, weist Dtn 1,5 DtrN zu. Inwieweit sich aus 4,45 und 6,1 noch eine ältere Überschrift der dtn Schule herausschälen läßt (Einleitung eines „UrDtn"?), kann hier auf sich beruhen (s. dazu SEITZ, Studien [s. Anm. 4], 23f., und PREUß, Deuteronomium [s. Anm. 4], 101). 25 Von dem in dieser Vorordnung angelegten Funktionswandel des Gesetzes muß im 3. Teil dieses Kapitels gesondert gehandelt werden. - Der These, das Gesetz werde in den dtr Schichten der Landnahme vorgeordnet, scheinen die Vorschaltung der Eroberung des Ostjordanlandes in Dtn 2-3 vor die eigentliche Gesetzesmitteilung und die Rekapitulation der Kundschaftergeschichte in 1,19ff. zu widersprechen (denn nach 1,32 bedurfte es für die Landnahme nicht des Gesetzes, sondern des Glaubens). Jedoch handelt es sich bei der nur in Dtn 1 begegnenden Vorstellung einer Landnahme von Süden (mit der Wurzel rto) um aufgenommene Tradition (denn im Dtn predigt Mose das Gesetz im Lande Moab, und Josua zieht von Osten hier ins Land [mit der Wurzel 131']), die für die dtr Redaktion vornehmlich hinsichtlich ihres negativen Ausgangs von Interesse gewesen sein dürfte: Jetzt ist eine Landnahme ohne das Gesetz eben keine Möglichkeit mehr. Vgl. zu 1,19ff. jetzt auch PERLITT, Motive (s. Anm. 7), 50. In jener dtr Konzeption gehört das Ostjordanland nicht zum verheißenen und dann von Josua eroberten und verteilten Land, das ausschließlich westlich des Jordan liegt (s. bes. Dtn 2,29; 3,25.28; 31,7; Jos 1,2 und vgl. 5,10-12).

2.2. Das unerfüllte Gesetz: Dtr

Interpretationen

57

1. Das Gesetz ist gegeben fiir das rechte Leben im verheißenen Lande. Unmittelbar vor dem Gesetzeskorpus, also an kompositorisch hervorgehobener Stelle, heißt es in ll,31f.: Wenn ihr den Jordan überschreitet, um in den Besitz des Landes zu kommen, das Jahwe, euer Gott, euch geben wird, und es einnehmt und in ihm wohnt, dann beachtet alle Satzungen und Rechte, die ich euch heute vorlege, um (sie) zu tun! Zwar galten schon den dtn Predigern die Weisungen als Jahwes Wohlordnung fiir das Land. Aber das Land war hier ihr natürlicher, ja selbstverständlich gegebener Ort; und das bedurfte noch keiner eigenen Reflexionen, mochte dieser Ort auch schon gefährdet sein. 26 Das hat sich nun gründlich geändert. Jetzt heißt es: Ohne vorausgegangene Gesetzesmitteilung weder Landnahme noch Landbesitz. 27 Das Land ist eben nicht mehr natürlicherweise, sondern höchst notwendig „der Lebensraum für die Gesetzeserfüllung". 28 Jahwe teilt das ganze Gebot, die Satzungen und Rechte mit, die Mose Israel lehren soll, so daß sie (danach) tun im Lande, das ich ihnen zu besitzen gebe (5,31; vgl. 6,lf. u.ö.). [506] Israel zieht also nicht ungerüstet ins Land. Jahwe selbst hatte das für ein gesegnetes Leben im Lande Lebensnotwendige am Horeb 29 mitgeteilt; und das war die Verpflichtung ( m n ) Israels auf Jahwes Gebot. Daran wird mit dem Dekalog als Inhalt jener Horeb-Berit erinnert (5,2f.22; 9,9.11.15). Die legt nun Mose , jenseits des Jordans" aus und beides - jene Horeb-Berit und diese Auslegung - Israel als eiserne Ration in den Tornister und ans Herz. Dtn 28,69 bringt das dann auf den Begriff Moab-Berit. 30 Diese Verpflichtung auf das dtr Dtn wird nun nicht nur der Landnahmegeneration auferlegt, sondern sie bezieht - damit auch ja keine Mißverständ-

26

Die Amputation von 722 v. Chr. war schließlich unübersehbar. Nicht von ungefähr berichtet die zusammenfassende Geschichtsrekapitulation vor der Gesetzesverkündigung nur von einem gescheiterten Landnahmeversuch (l,19ff.). Auch der geniale Kunstgriff, das gesamte Dtn als Moserede vor dem Land einhergehen zu lassen, dient doch der paränetischen Absicht, das gegenwärtige Israel fiktiv in die Situation vor der Landnahme zu versetzen. 27

28

PLÖGER, Untersuchungen (s. Anm. 4), 91f. So sagt das Dtn statt „Sinai" (s. dazu die scharfsinnigen Erklärungen von L. PERLITT, Sinai und Horeb, in: Beiträge zur Alttestamentlichen Theologie, FS W. Zimmerli, hg. v. H. Donner u. a., Göttingen 1977, 302-322. 30 Zu den Problemen des sog. Moabbundes und zur literarischen Schichtung s. N. LOHFINK, Der Bundesschluß im Lande Moab. Redaktionsgeschichtliches zu Dt 28,69 - 32,47, BZ NF 6, 1962, 32-56; zur „Bundestheologie" überhaupt L. PERLITT, Bundestheologie im Alten Testament, WMANT 36, Neukirchen-Vluyn 1969, bes. 7-53, 54-128 (zur dtr und dtn Ausprägung). 29

58

2. Kapitel: Das nahe Wort

nisse möglich sind! - ausdrücklich alle kommenden Geschlechter ein.31 Mit dem dtr Dtn sollte für alle Zeit alles Lebensnotwendige gesagt sein. Es konnte also eigentlich nichts schief gehen. Und so fehlt es nicht an großen Verheißungen für die Einhaltung jener Verpflichtung: Bleiben im Lande, langes Leben und Wohlergehen. 32 Bedeutet diese Vorordnung des Gesetzes, so kann man jetzt fragen, nicht eine nomistische Verschiebung im Gesetzesverständnis? Nicht ohne weiteres, man sehe nur die dtr Gebotseinleitungen im Gesetzeskorpus an! Immer wieder finden sich Rückbindungen an Jahwes vorauslaufende Ankündigung der Landgabe.33 Das Halten der nachfolgenden Gebote steht deshalb unter dem Vorzeichen dankbarer Erwiderung, nicht vorab zu erbringender Leistung. Vollends der Dekalog in Dtn 5, die absichtsvoll der Gesetzessammlung vorangestellte dtr Summe, beginnt mit einem Prolog, in dem das „dein Gott" mit der Befreiung Israels aus dem Sklavenhaus ausgelegt wird: irna ... -pru^in. D'Tiy Jeder Satz der „Zehn Worte" muß auf diesen Prolog bezogen werden; und da die Deuteronomisten offenbar das gesamte von ihnen bearbeitete Gesetzbuch als Auslegung des Dekalogs verstanden wissen wollten, wie die betonte Vorschaltung selbst vor 6,4 zeigt, muß eigentlich hinter jeder Weisung und hinter jedem Verbot der dtr Gesetzessammlung jener Prolog zum Leuchten gebracht werden, will man sie recht verstehen. [507] Die dtr Söhne wußten das Erbe ihrer dtn Väter zu wahren, allerdings mit einer großen Einschränkung. Denn das Land mit seinen guten, zu paradiesischen Qualitäten idealisierten Gaben 34 - es war verloren, vorbei die n"?m, dahin der mpa. Dann kann die gesamte dtr Paränese, die gnädigen Vorgaben wie die in Aussicht gestellten positiven Folgen eingeschlossen, doch nur den Sinn haben zu sagen: Das hätte es sein können, wenn ... ja, wenn ihr euch die heilvoll verpflichtende Nähe des Gesetzes hättet gefallen lassen. War die dtn Gesetzestheologie die Theologie eines großen „Ja", so ist die dtr ein „hätte", „wäre", „wenn". 2. Damit ist freilich noch nicht alles gesagt. Zwar waren Erbland und erwählter Kultort dahin, was aber wird mit Jahwe, mit Israel, mit Tora? Das führt 31

S. Dtn 29,13f.: „... nicht allein mit euch, ... sondern mit denen, die heute mit uns hier vor Jahwe, unserem Gott, stehen, und mit denen, die heute noch nicht mit uns hier sind." 32 Ja, Jahwe lieben, seiner Stimme - und d. h. seinem Gesetz - gehorchen, ihm anhangen (p3T): „dein Leben ist es und die Länge deiner Tage zu wohnen auf dem Lande, das Jahwe deinen Vätern geschworen hat ..., es ihnen zu geben" (30,19f.; vgl. 32,47). Daneben finden sich Texte, in denen zum Gehorsam aufgefordert wird, „damit (lüa1?) du lebst": 4,1; 5,33; 8,1; 11,8f.; 16,20; 22,7; 25,15. Zum Gehorsam als Bedingung s. u. 2.3. 33 Dtn 12,1; 17,14; (18,9): 19,1; 21,1; 26,1. Dieser entscheidende Gesichtspunkt spielt in KUTSCHS, Weisung (s. Anm. 23), Überlegungen leider gar keine Rolle, was m. E. zu seiner gravierenden Fehlinterpretation des Gesetzes fuhrt. 34 S. die Landbeschreibungen Dtn 8,7-9; 11,10-12.

2.2. Das unerfüllte Gesetz: Dtr Interpretationen

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uns sogleich zur zweiten entscheidenden Leistung des dtr Konzepts: Die Vorordnung des Gesetzes vor die Landgabe bindet Israels Existenz nicht an das Land, sondern ans Gesetz. Was bedeutet das für die Größe „Israel"! Für die ältere, dtn Theologie ist eine Lösung Israels von der f i x als Jahwes großer Gnadengabe undenkbar. Israel ohne das von Jahwe gegebene Land hätte aufgehört, Israel zu sein. Israel kann nur im Lande wahrhaft Israel sein; und so können denn in diesem Denken der unauflöslichen Symbiose von Volk und Land nur beide zusammen untergehen. Die Deuteronomisten lösen diese Verbindung, ja, mußten sie lösen, um „Israel" durch die Katastrophe hindurch zu retten. Deshalb kann die dtr Paränese für den Ungehorsam nicht nur Ausbleiben des Segens und Vernichtung im Lande (wie die dtn Schichten35), sondern Vertreibung aus dem Lande androhen.36 Mit dieser dtr Bindung der Existenz Israels ans Gesetz mußte sich freilich auch die Funktion des Gesetzes wandeln. Was nicht geschehen sollte und doch geschah - es war alles schon angesagt und stand deutlich zu lesen "1303 rrnnn (29,20). Jahwe hatte sein großes Angebot gemacht; er hatte Israel vorgelegt ( ^ in:) das Land (1,8), die Tora (4,8), den Segen (11,26), das Leben (30,15). Das eine war nicht ohne das andere zu haben; Israel hatte mit dem einen alles ausgeschlagen.37 Dtn 29,23ff. benutzen das Schema der „Strafgrunderfragung" (vgl. 1 Kön 9,8f.; Jer 16,10f.; 22,8f.),38 um die theologische Antwort zu geben: [508] Die Völker werden fragen, warum Jahwe an diesem Lande so gehandelt habe; dann wird man sagen: Darum, weil sie verlassen haben die Verpflichtung (nirr rr-n nx inru - und damit ist die Horeb-Berit gemeint, wie der Bezug zum Exodus zeigt), die Jahwe, der Gott ihrer Väter, ihnen auferlegt hat.

35

Das hat P. DlEPOLD, Israels Land, BWANT 95, Stuttgart 1972, 103, herausgearbeitet. Z. B. Dtn 4,25-28; 28,63 (ausgerissen werden aus dem Land); 29,27 (ausstoßen); Jos 23,13; 1 Kön 9,7; 14,15f. u. ö. (ausrotten, vertilgen aus dem Land). So hat man von M. NOTH bis L. PERLITT und W. DIETRICH das DtrG (zumindest dessen ältere Schicht) als groß angelegte „Ätiologie des Landverlustes" verstanden: „Der Verlust folgte auf den Fluch, der Fluch aus der RP"D; die MN als Gesetz ist so ein inneres Ordnungsprinzip des DtrG und im besonderen der hermeneutische Schlüssel für den erlittenen Landverlust" (PERLITT, Bundestheologie [s. Anm. 30], 35). 37 Israel ist also, um v. RAD (Theologie II [s. Anm. 16], 423) ein wenig zuzuspitzen, letztlich am Evangelium gescheitert; aber das Gesetz bringt das Versagen an den Tag. 38 S. B. ALBREKTSON, History and the Gods, CB 1, Lund 1976, 105f., und bes. D. E. SKWERES, Das Motiv der Strafgrunderfragung in biblischen und neuassyrischen Texten, BZ 14, 1970, 181-197. 36

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2. Kapitel: Das nahe Wort

So nehmen denn die Flüche von Kap. 28 ihren Lauf, die die dtr Schule noch kräftig vermehrt hat: Ihr werdet umgebracht, vertilgt, ausgerissen werden aus dem Lande und zerstreut in aller Herren Länder (Dtn 28,65-67). Die Tora deckt auf, warum die Katastrophe über Volk und Land und Heiligtum kam. Jeder hätte es wissen können, stand es doch „geschrieben", und so war keiner entschuldbar. Daß damit prophetisches Erbe aufgenommen wird, steht außer Frage. Das DtrG ist gar nicht ohne das totale Nein eines Arnos39 zu verstehen. Weil das Amen ausgeblieben war, mußte aus dem Ja ein Nein werden. So wird die Tora als Jahwes Willensoffenbarung zum „Zeugen gegen dich" (IV "¡3 31,26). Auch das Wort ist nahe, sehr nahe - gewiß, aber als bleibender Stachel im Herzen: als Zeuge gegen dich. Auch das Wort ist klar und schlagend - gewiß, aber es ist gerade in dieser Nähe erschlagend: ein einziges Nein zur Geschichte Israels. Heilvoll verpflichtende Nähe hatte sich in vernichtende Nähe verwandelt. Auch hier ist das prophetische Erbe unverkennbar. 40 Was bedeutet die dtr Bindung der Existenz Israels ans Gesetz schließlich für Israels Gott? Mit einem Wort gesagt: Rechtfertigung Jahwes.41 Der Untergang von Land und Kultort konnte ja auch als Willkür oder als Schwächeerweis Jahwes verkannt werden. 42 Die Totalamputation des Landes drohte, den Landesgott Jahwe mit in den Strudel zu ziehen: „Wo ist nun ihr Gott?" (Ps 79,10; 115,2). Man wird die Größe der dtr Theologie nur dann recht ermessen, wenn man sieht, wie das DtrG angesichts dieser Situation bei Jahwes Weisungen bleibt und das erste Gebot zur Geltung bringt. Es holt von der ersten bis zur letzten Seite alles nach, was Israel im Lande versäumt hat, indem es Gott die Ehre gibt - nun aber auf den Trümmern des „Horts eures 39

R. SMEND, Das Nein des Arnos, EvTh 23, 1963, 404-423. Es ist - anders als die exilische Erfahrung der Ferne Jahwes und seines Schweigens (vgl. Ps 44,24f.; 74,9; 89,47; Jes 1,15; 8.17a; 64,11; Ez 8,12; 9,9; Hos 5,6; Am 8,1 lf.; Dtn 31,16-18 u. a.) - gerade Jahwes Nähe, die tötet: Auf allen Plätzen Trauerfeiern, in allen Gassen rufen sie: O weh! O weh! ... Denn ich schreite durch deine Mitte, hat Jahwe gesagt (Am 5,16f.). 40

... ich bin wie Eiter für Ephraim, wie Knochenfraß für das Haus Juda ... Ich, ich zerreiße und gehe davon, schleppe fort und niemand kann retten (Hos 5,12.14b). 41 L. PERLITT, Anklage und Freispruch Gottes. Theologische Motive in der Zeit des Exils, ZThK 69, 1972, 290-303, beurteilt das DtrG (in seinen älteren Schichten) zutreffend als eine einzige „geschichtstheologische Theodizee" (S. 298). 42 Das wäre gut gemeinorientalisch gedacht; man sehe nur die Klage um die Zerstörung von Ur und den Untergang Sumers (ANET, 455-463; Sumerische und akkadische Hymnen und Gebete, 192-213) oder die Klage Inannas über die Schändung ihres Heiligtums in Uruk (SAHG, 183-185).

2.3. Das Gesetz als Bedingung: Nomistische Hoffnungen

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Stolzes, der Lust eurer Augen" (Ez 24,21.25). Nicht Jahwe, wohl aber Israel hatte versagt. Die dtr Söhne sa-[509]gen „Amen" zum Entzug der Gaben, weil den dtn Vätern das Amen des Gehorsams zu den geschenkten Gaben versagt wurde. So reißen die Deuteronomisten mit der Tora Israel und Jahwe aus der noch rauchenden Asche - wahrhaft eine Theologie von Format! Daß im Gefolge dieser theologischen Bewältigung der Vergangenheit mit Hilfe der Tora nun auch die Tora zur entscheidenden Größe werden mußte, um in der Gegenwart Zukunft zu gewinnen, liegt auf der Hand.

2.3. Das Gesetz als Bedingung: Nomistische Hoffnungen Mit der Vorordnung des Gesetzes vor die Landgabe war zugleich der Boden für einen weiteren entscheidenden Wandel im Gesetzesverständnis bereitet. Ich setze noch einmal am Ende des vorderen Rahmens an. In 11,31 heißt es gut dtr: Wenn ihr den Jordan überschreitet, um in den Besitz des Landes zu kommen, das Jahwe, euer Gott, euch geben wird, und es einnehmt und in ihm wohnt, dann beachtet alle Satzungen und Rechte, die ich euch heute vorlege, um (sie) zu tun! Die Landnahme ist überhaupt nicht problematisch. Sie wird unbezweifelbar in Aussicht gestellt; und dort, im Lande, gilt es, die jetzt vorgelegten Satzungen und Rechte zu erfüllen. In 11,8 dagegen hört sich das alles ganz anders an: So beachtet nun das ganze Gesetz (TOcn ^D), das ich euch heute gebiete, damit Oyn1?) ihr stark werdet und hineinkommt und das Land einnehmt, in das hinüberzuziehen ihr im Begriffe seid ... Hier steht die Landnahme nicht mehr selbstverständlich bevor, sondern hängt allein von des Gesetzes Erfüllung ab. Am Gehorsam gegenüber mxon entscheidet sich, ob Israel überhaupt ins Land hineinkommt. Diese Sicht wird in 11,22-25 aufgenommen und charakteristisch ausgeführt: Denn wenn (DK 1d) ihr dieses ganze Gesetz (rraan bo) ganz gewiß beachtet (inaOTi m©), das ich euch gebiete, damit ihr es tut, zu lieben Jahwe, euren Gott, zu gehen in all seinen Wegen und ihm anzuhangen, dann wird Jahwe all jene Völker vor euch vertreiben, und ihr werdet Völker beerben, größer und stärker als ihr ... jeder Ort, den eure Fußsohlen betreten - euch wird er gehören ... wie er euch verheißen hat (cd1? 137 lüiO). Landnahme heißt: Jahwe wird - gewissermaßen vorausgehend - die Völker vertreiben ( w n n ) ; und beides, Vertreibung der Völker durch Jahwe und Landnahme durch Israel, erfolgt nur unter der Bedingung des Gesetzesgehorsams (TimiiTi im DN). Aus der terra promissionis ist die terra condi-

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2. Kapitel: Das nahe Wort

cionalis geworden und aus dem Gesetz der Engel mit dem Schwert vor des Landes Toren. 43 [510] Was ist hier geschehen? Die von den älteren dtr Schichten konzipierte Vorordnung des Gesetzes vor die Landnahme wird von den jüngeren dtr Schichten konditional ausgelegt. So gerät alles unter die Bedingung des Gesetzes: der Segen, die Liebe Jahwes, das Land, ja, sogar die den Vätern beschworene (!) Selbstverpflichtung Jahwes. 44 Bezeichnend ist Dtn 28,9: Jahwe wird dich erheben, sich zum heiligen Volk (tt>np m?1?), wie er dir geschworen hat, wenn (o) du beachtest die Gebote Jahwes, deines Gottes, und in seinen Wegen gehst. Israels Gottesverhältnis (E>np Dir) ruht auf dem Gesetzesgehorsam, und Jahwes Verheißung, ja, die Einlösung seines Schwures sind ganz und gar abhängig von des Gesetzes Erfüllung. 45 43 Diese gewichtige sachliche Verschiebung läßt sich im Dtn mehrfach beobachten. Vgl. z. B. die Paränese 8,11 ff. mit 8,1 oder 6,10-13 mit 6,17-19 (hier wieder mit dem Motiv der Vertreibung der Feinde vor Israel durch Jahwe). Auch LOHFINK, Kerygmata (s. Anm. 3), rechnet jetzt in 6,17-19; 11,8.22-25; (16,20) mit dieser nomistischen Schicht. Zu den verschiedenen Weisen des Dtn, Land und Gesetz miteinander zu verknüpfen, s. DLEPOLD, Land (s. Anm. 35), 91-96. Er unterscheidet nach der grammatischen Struktur a) „Lokalisierung der Gesetzesbefolgung (im Land)", b) „temporale Vorordnung (wenn du ins Land kommst ...)", c) „finale Nachordnung (damit du ins Land kommst)", d) „konditionale Nachordnung (wenn du die Gebote tust ...)", doch verhindert eine harmonisierende Interpretation der dtn Bundestheologie schichtenanalytische Folgerungen aus den Beobachtungen. Vgl. dagegen zuletzt die präzisen Ausführungen von PERLITT, Motive (s. Anm. 7), 54-55 (zu Dtn 8,1; 11,8; 6,17f.). 44 Vgl. zum Segen Dtn 15,5 mit 15,4; zur Liebe Jahwes 7,12 f. mit 7,8 und 23,6 und zum ganzen 7,12. „Die sich verstärkenden Akzente auf dem Gesetzesgehorsam (auch als Bedingung für göttliche Segnung), auf der Einzigartigkeit Jahwes und auf dem Unterschied Israels zu den Völkern sind wichtigste inhaltliche Kennzeichen jüngerer Schichten, in Korrespondenz zur Lage und zum Denken der exil.-nachexil. Gemeinde ..." (SMEND, Entstehung [s. Anm. 3], 75). 45 Diese dtr Konditionalisierung kann man auch anderwärts im DtrG beobachten. So verwandeln 1 Kön 2,3-4a; 8,25 (DN p"l); 9,4f.; (11,38) die unbedingte Dynastiezusage von 2 Sam 7,1 lb-12 konditional. Bezeichnend ist 2 Kön 21,7-8: Hier wird angespielt aufzusagen ewiger Präsenz des Jahwenamens im Tempel und in Jerusalem (!) und dauernder Bleibe (TOT TON K>) Israels im Land, „wenn sie nur (00. p"i) darauf achten, zu tun gemäß allem, was ich ihnen befohlen habe, und entsprechend dem ganzen Gesetz (rrnnn ^o), das ihnen mein Knecht Mose befohlen hat". Zu diesen und ähnlichen Stücken s. die Arbeiten von DIETRICH, Prophetie (s. Anm. 3), und VEIJOLA, Dynastie (s. Anm. 3), anders freilich NELSON, Redaction (s. Anm. 3), der alle Dynastieorakel in den Königsbüchern seinen josianischen Deuteronomisten zuschreibt. Die für die oben gegebene Interpretation konstitutive Spannung zwischen unbedingten und bedingten Verheißungen ebnet Nelson dadurch ein, daß er die bedingten (1 Kön 2,4; 8,25; 9,4f.) nicht auf die Dynastie, sondern allein auf Salomo bezieht. Sie begründen den Verlust des Nordreichs für die Daviddynastie, insofern Salomo jene Bedingung nicht eingehalten hat. Jedoch scheitert die Deutung der bedingten Zusagen auf Salomo allein m. E. daran, daß in 1 Kön 2,4a; 8,25 (wie übrigens dann auch in 1 Kön 15,4 und 2 Kön 8,19) ausdrücklich von den „Söhnen Davids" o. ä. gesprochen wird. Daß mit den Söhnen nicht die Thronfolger, son-

2.3. Das Gesetz als Bedingung: Nomistische Hoffnungen

63

Worauf zielt diese jüngere Bearbeitung? Weniger auf die Vergangenheit dazu hatten die älteren Deuteronomisten das zur Stunde Nötige gesagt - als auf die Zukunft. Das Gesetz steht wieder heilvoll über „Israel ohne Land". Die Konditionalisierung der Gaben durch das Gesetz ermöglicht neuen Gehorsam und, freilich davon abhängig, neue Landgabe und dauernde Bleibe im Land. 46 Es gibt also wieder Hoffnung, allerdings versehen mit einem großen „wenn". [511] Indes, was hier zu hoffen gibt, ist das Gesetz, und zwar „das ganze Gesetz", wie es jetzt heißt. 47 Die 'Totalität der Liebe' 48 hat sich in die 'Totalität des Gesetzes' verwandelt. Aber auch das Gesetz hat sich gewandelt. Aus der Tora als Jahwes Willensoffenbarung ist nun endgültig das „Buch der Tora" geworden, aus dem Gesetz das Gesetzbuch, 49 das nun buchstäblichen Gehorsam fordert. Zugespitzt gesagt: Nicht der als Gebot veröffentlichte Wille Gottes, sondern „alle Worte dieser Tora, die geschrieben sind in diesem Buch", 50 heischen gehorsames Tun. Die Verheißungen gelten nur dem, der die Satzungen, Gebote usw. tut, „wie geschrieben ist in der ntz/n m i n " (1 Kön 2,3).51 Das ganze Gesetz erfordert eben ganzen Gehorsam und gestattet kein Abweichen ("HO), weder zur Rechten noch zur Linken. 52 All das findet sich sehr schön beisammen in Jos l,7f., einem Text, auf den vor allem R. Smend hingewiesen und seine These einer nomistischen Bearbeitung des Josua- und Richterbuches gegründet hat 53 : Nur (p"i): Sei stark und sehr fest, indem du darauf achtest, so zu handeln, wie (das ganze Gesetz, das) 5 4 mein Knecht Mose dir geboten hat. Weiche davon nicht ab nach rechts

dem die im Laufe der Thronfolgegeschichte eliminierten Thronprätendenten gemeint seien, erscheint wenig wahrscheinlich. So läßt sich der über Salomo hinaus reichende dynastische Bezug schwerlich bestreiten. Damit bleibt aber die Spannung, die m. E. immer noch am besten durch ein Schichtenmodell erklärt wird. 46 Vgl. Dtn 4,40 („alle Tage"); 11,21 („solange wie der Himmel über der Erde ist"); 2 Kön 21,7f. 47 m i m "73: Dtn 4,8; Jos 1,7; 2 Kön 17,13; 21,8; 23,25; s. auch Dtn 31,24 („vollständig"); n i m n ^ : Dtn 5,31; 6,25; 8,1; 11,8; 11,22; 15,5; 19,9; 26,13; 27,1; 31,5. Inwieweit die unterschiedliche Terminologie auf eine andere, verwandte Schicht zurückzuführen ist, kann hier nicht weiter verfolgt werden. 48 S.o. 2.1. 49 S. Dtn 17,18; 28,58.61; 29,19.20.26; 30,10; 31,24; Jos 1,8; 8,34; 2 Kön 22,8-13.16b; 23,24; vgl. „das Buch der Tora des Mose" (Jos 8,31; 23,6; 1 Kön 2,3; 2 Kön 14,6; dgg. „Buch der Tora Gottes" in Jos 24,26). 50 So Dtn 28,58; vgl. 30,10; Jos 1,8; 2 Kön 22,13. 51 S. die vorangehende Anm. Die buchstäbliche Gesetzeserfüllung kann ausdrücklich hervorgehoben werden: 2 Kön 14,6; 23,24 notieren geradezu so etwas wie Beispielfälle rechter Anwendung des Gesetzbuches. 52 Dtn 5,32; 17,20; 28,14; Jos 1,7; 23,6; 2 Kön 22,2. 53

SMEND, Gesetz (Anm. 3), 494-497.

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2. Kapitel: Das nahe Wort

oder links, damit gehen magst.

du Erfolg hast, wohin du auch

Und damit jedermann wisse, wie man das Gesetz recht bewahrt (law), fügt V 8 55 hinzu: Nicht soll dieser minn iso aus deinem Munde weichen! Du sollst über ihm meditieren Tag und Nacht, um darauf zu achten, daß du gemäß allem handelst, was in ihm geschrieben ist; denn dann wirst du deine Wege glücklich gehen, und dann wirst du Erfolg haben. Josua: kein Landnahmehauptmann, sondern ein Toragelehrter wie der Beter von Ps 1. Totaler Gehorsam gegenüber dem Buch gewordenen ganzen Gesetz in allen Dingen - allein darin liegt Zukunft. Weil alles am Gesetz liegt, sind jetzt die sog. Richter (Ri 2,17) wie später Samuel (1 Sam 12,23) und schließlich selbst die Propheten (2 Kön 17,12) nichts anderes als Gesetzeslehrer und Prediger des Gesetzes. Noch später wird sich auch Abraham zu ihnen gesellen (Gen 18,19): I n V 17 noch als Offenbarungsempfänger qualifiziert und in V 18 als Verhei- [512]ßungsträger mit universaler Bedeutung erinnert („alle Völker der Erde"), wird Abraham nun in V 19 von Jahwe als Begründer eines heilsnotwendigen Lehramts autorisiert: ohne Abrahams Gebieten (ms) kein Tun von Recht und Gerechtigkeit durch die Nachfahren, und ohne das „Bewahren des Weges Jahwes" keine Erfüllung der Verheißung.56 Die dtr Bearbeiter in nomistischem Geiste sind offensichtlich auch außerhalb des DtrG tätig geworden. Auch sie haben - wie ihre Vorgänger - Großes geleistet. Man sollte nicht zu schnell ihr nomistisches Konzept verurteilen; denn gerade damit vermochten sie Hoffnung in dürftiger Zeit zu wecken. Das Gesetz ist ja klar und einfach. Es stehet alles geschrieben. Man braucht es nur mit seinem Munde murmelnd zu meditieren und - zu tun, dann wird alles gelingen. Keine Spur davon, daß das Gesetz schwierig, gar zu schwer zu tun sei! Jeder kann in Jahwes Wegen gehen und ihn ungeteilt mit ganzem Herzen und ganzer Seele fürchten, ihm dienen und gehorchen. Von einigen Großen der Geschichte wird es dann ausdrücklich auch vermerkt.57 Wenn auch nicht alles, so war mit diesem Gesetz doch viel zu gewinnen. Israel hat sein künftiges Geschick selbst in der Hand. Mit Hilfe der nun Buch gewordenen Tora tragen jene 'Nomisten' ihre Utopie - Israel im Lande auf Dauer - in das Dtn ein und verankern damit ihre Hoffnung am Ursprung Israels p-rn - a m . 54 55 56

Diesen Passus kennt die Septuaginta noch nicht. SMEND, Gesetz (Anm. 3), 496, vermutet hier eine zweite Schicht innerhalb von DtrN. Zu Gen 18,19 und verwandten Texten im Tetrateuch s. KÖCKERT, Vätergott (s. Anm.

19), 170-176, 1 8 0 - 1 8 3 , 3 1 5 - 3 1 7 . 57

So bei D a v i d (1 K ö n 8,23; 9 AU

K ö n 23,25).

14,8; 15,3), Hiskia (2 K ö n 18,6-7; 20,3) u n d Josia (2

2.4. Das unerfüllbare Gesetz : Kritik an der nomistischen

Konzeption

65

Auch das Wort ist nahe, sehr nahe - als Buch! Aber es ist weniger Verheißung als Bedingung, kein reines „Ja", sondern ein „Wenn ..., dann - ja, dann: Ja".

2.4. Das unerfüllbare Gesetz: Kritik an der nomistischen Konzeption In welchem Sinne der mißverständliche Titel dieses Abschnittes gemeint ist, wird sich sogleich zeigen. 58 Die nomistische Konzeption besticht durch ihre großartige Einfachheit: Jeder ist seines Glückes Schmied. Aber ist das nicht doch zu einfach? Einfacher als die Wirklichkeit? Das Gesetz ist einfach, aber ist der Mensch ihm gewachsen? Diese Frage war für jene Deuteronomisten offensichtlich schon vorab positiv entschieden. Die Einfachheit ihrer Konzeption beruht wesentlich auf der konditionalen Vorordnung des Gesetzes. Aber liegt nicht hier zugleich ihre größte Gefahrdung durch ein Leistungsdenken mit daraus abgeleiteten fatalen Folgerungen? Diese Gefahr scheint schon im Dtn selbst gesehen worden zu sein. Hierzu muß ich freilich ein wenig ausholen. [513] In Dtn 8,1 l-18a findet sich eine Predigt gegen menschliche Hybris auf Grund errungenen Wohlstandes im Lande: Hüte dich, daß du nicht vergissest Jahwe, deinen Gott ... und dein Herz sich erhebt ... und du sagst in deinem Herzen: Meine Kraft (TD) und die Stärke meiner Hand haben mir diesen Wohlstand geschaffen. Sondern gedenke an Jahwe, deinen Gott; denn er ist es, der dir Kraft gibt, Wohlstand zu schaffen ..., so wie es heute ist. Das ist gut dtn gesagt, und Hos 13,6 liefert dazu die traurige Feststellung: „Sie wurden satt, und ihr Herz erhob sich; darum vergaßen sie mich." Das Gesetz ist noch nicht auf dem Plan. 59 Die Predigt erinnert an Jahwes Gaben und speist daraus ihre Mahnung: Jahwe hat dir Kraft gegeben, deshalb erweise dich dankbar! Ganz anders das schon herangezogene Stück 11,8. Hier ist der Gehorsam gegenüber der ganzen mxa die entscheidende Voraussetzung, „damit O^a1?) ihr stark werdet (pm) und hineinkommt und einnehmt das Land". Stärke ist hier Folge des Gesetzesgehorsams, nicht Gabe vorab; also: Halte das Gesetz, damit du stark wirst! 60 Dtn 6,25 zieht aus diesem Denken die Konsequenz: 58 Soviel sei aber schon angemerkt: Die Unerfullbarkeit liegt auf keiner Stufe alttestamentlicher Gesetzestheologie am Gesetz! 59 In V 1 lb wird es dann nachgetragen; vgl. die Rahmung des gesamten Kapitels durch DtrN (8,1.6?.19-20; inwieweit der Einbau des Väterbundes in V 18b noch später anzusetzen sei, mag hier offenbleiben). 60 Vgl. hierzu Dtn 6,17-19.

66

2. Kapitel: Das nahe Wort

np7X werden wir haben, wenn/weil (O) wir diese ganze niüa beachten, um sie zu tun, vor Jahwe unserem Gott, wie er uns befohlen hat. nplX dürfte hier die Qualität meinen, die aus dem rechten Verhalten gegenüber den Forderungen des Gesetzes folgt (vgl. 24,13). Dieser Vers entspricht der Position von DtrN und ist mit verschiedenen Wendungen aus dessen Reservoir formuliert.61 Auf diesem Hintergrund sind nun Dtn 9,4-5 als kritische Auseinandersetzung mit einem aus ebendieser nomistischen Position erwachsenen [514] Leistungsdenken und daraus folgenden Ansprüchen zu lesen.62 Dabei greifen 9,1-5 bewußt 8,11-18 auf, setzen aber die Verschärfung des Problems durch das Stichwort np72 voraus (6,25 !).63 Was aber in 8,17 als jahwevergessenes Muskelspiel erscheint, wird in 9,4-5 mit Blick auf 6,25 ins Grundsätzliche

61 Das gilt für na» + niOT1? + mxnn bo + Promulgationssatz: Dtn 8,1; 11,8 (ohne nuraV); 11,22; 15,5; 19,9; Jos 22,5 (ohne ^D); vgl. 1 Kön 13,21b und 2 Kön 21,8 (hier freilich "73 mmn) - alles Stücke, die eindeutig zu DtrN zu zählen sind. Für die Zugehörigkeit zu DtrN spricht auch die (konditional oder kausal zu verstehende) Einfuhrung des Gesetzesgehorsams mit Im Vordersatz jedoch - „Gerechtigkeit werden wir haben ... vor Jahwe, unserem Gott" - lassen sich keine dtr Elemente nachweisen. Dieser Satz findet sich (in sing. Formulierung) noch einmal in 24,13b und ist dort „das Gegenstück zu der deklaratorischen Formel 'es ist eine Verfehlung für dich' (15,9; 24,15; vgl. 23,23)" (SEITZ, Studien [s. Anm. 4], 179). Die merkwürdige syntaktische Stellung der einzelnen Satzglieder in 6,25 erklärt sich dann wohl durch die Verbindung dieser deklaratorischen Formel mit jenem Konditionalsatz aus dem Geist von DtrN. Dabei wurde die Formel dem Kontext angepaßt (1. Pers. PI.) und mit dem Konditionalsatz verzahnt. Ich kann deshalb der Interpretation von 6,25 durch BRAULIK, Gesetz (s. Anm. 8), 137-143, nicht folgen: „Daß Israel gerecht(fertigt) ist, wird dann offenkundig, wenn es das Gesetz hält" (140). Er vernachlässigt die terminologischen Verbindungen von 6,25 mit den späten dtr Texten in nomistischem Geist und kann deshalb die jetzt vorliegende konzentrische Struktur von 6,24-25 im Sinne einer ursprünglichen literarischen Einheit auslegen. Gehört jedoch V 25 zu einer anderen literarischen Schicht, dann muß genau umgekehrt V 24 im Lichte von V 25 interpretiert werden. 9,4-5 aber beziehen sich in jedem Falle auf 6,25, und zwar im Sinne jener von BRAULIK abgewiesenen nomistischen Interpretation, wie die Aufnahme des Stichworts npnx (im Dtn nur in 6,25; 9,4-5.6; 24,13), aber auch die Aufnahme der „Erzählung" 6,21-24 in 9,4-5 genau an dem Punkt, wo sie in 6,23 endet, zeigen (hineinfuhren: 6,23/9,4; Väterschwur: 6,23/9,5). 62

Auf anderem Wege ist LOHFINK, Kerygmata (s. Anm. 3), zu einem ähnlichen Ergebnis gelangt. Er vertritt dort die These, daß „DtrN noch innerhalb des DtrG Widerspruch gefunden" habe. Von diesem Überarbeiter - er nennt ihn DtrÜ - „dürfte die letzte Fassung von Dtn 7 stammen, dann Dtn 8 und Dtn 9,1-8.22-24" (S. 99f). Im Blick auf 9,4-5 freue ich mich der Übereinstimmung; 9,6ff. liegen aber wohl noch auf einer anderen Ebene (s. u.). 63 Funktional entsprechen 9,1-2 der Situationsbeschreibung 8,12-13; die Ankündigung der Vertreibung der Völker als Tat Jahwes allein (9,3); der Erinnerung an Jahwes Geleit (8,1416); die Mahnung 9,4 der Mahnung 8,14a.l7; und die Position 9,5 der von 8,18. Beide Stücke gipfeln in der Begründung mit der den Vätern zugeschworenen Selbstverpflichtung Jahwes.

2.4. Das unerfüllbare Gesetz : Kritik an der nomistischen Konzeption

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verschärft und theologisch auf den Begriff gebracht: 'npixn. 64 Daß damit nicht nur Mißverständnisse aus der nomistischen Konzeption, sondern diese Konzeption selbst angegriffen wird, zeigt die Verwendung des Motivs 'Vertreibung der Völker'. In ll,22f. noch von dem plerophor beschriebenen Gesetzesgehorsam Israels abhängig gemacht und allein damit begründet, hat die Vertreibung in 9,4-5 einzig in der negativen Qualität dieser Völker vor Jahwe ihren Grund, nicht mehr in irgendwelchen vorgängigen Leistungen Israels.65 Noch einen Schritt weiter gehen dann 4,37-38, die die Vertreibung der Völker und die Landgabe einzig in der, auf Israel gesehen, unbegründeten Liebe Jahwes zu - nun bezeichnenderweise nicht Israel wie in 7,8 und 23,6, sondern - den Vätern verankern (vgl. 10,15). Vers 5 resümiert unmißverständlich und nimmt mit m'1? -iw deutlich gegen DtrN Stellung:66 Weder die aus Taten des Gesetzesgehorsams gewonnene npTJ, noch die mit „Aufrichtigkeit des Herzens" formulierte innere Haltung begründen die Inbesitznahme fremden Landes, sondern die Schuld (nvtin) der gegenwärtigen Eigentümer. Man kann vermuten, daß die zweite Begründung mit dem Väterschwur hier in 9,5 und dort in 8,18 aus der weitergehenden Konzeption eingetragen wurde, die in 4,37f. zum Vorschein kam. In jedem Fall attackieren 9,4-5 die nomistische Position mit ihrem konditionalen Gesetzesverständnis. Dtn 9,6 greift auf V 4 zurück, verläßt das Thema Vertreibung der Völker und radikalisiert den Einspruch gegen das nomistische Konzept. 67 Die Argumentation von 9,1-5 erscheint im Licht von V 6 vollkom- [515]men gegenstandslos; denn Israel hat ganz und gar keine Qualitäten, die als Erfüllung der Einlaßbedingungen ins Land gelten könnten, im Gegenteil: „Ein hartnäckiges Volk bist du."68 Des zum Exempel folgt eine große Rekapitulation, die Israels Geschichte in toto als eine Geschichte der Widerspenstigkeit und des Ungehorsams aufdeckt. Das steht nicht isoliert im AT. Weiß Ps 106 wenigstens noch nach der Rettung am Schilfmeer vom „Glauben" des Volkes zu reden, so entfaltet Ps 78 die gesamte Geschichte Israels als eine Kette von Heilserweisen Jahwes und als eine einzige Folge von Treulosigkeiten des Volkes;

64 npix (bezogen auf Menschen) erscheint im Dtn nur in 6,25; 9,4-6; 24,13 (mrr npix 33,21 gehört in einen anderen Zusammenhang). 65 Vgl. Dtn 18,12-13; V 13 steht P e nahe (s. Gen 17,1 fin.). 66 Hff(i)'' kommt im gesamten dtn/dtr Bereich nur hier und in 1 Kön 9,4 vor (vgl. n"W in 1 Kön 3,6), einem Text, der mit Sicherheit zu DtrN gehört (DIETRICH, Prophetie [s. Anm. 3], 72 Anm. 35; SMEND, Entstehung [s. Anm. 3], 120f.). 67 Es handelt sich wohl um einen Nachtrag, der mit dem pluralischen Abschnitt verbindet, wie die Rahmung durch die Verse 6-7 und 22-24 zeigt. Diese Beobachtung wie auch die durch die Radikalisierung erzeugte Spannung zwischen V 6 und V 1-5 sprechen m. E. gegen die Verbindung von 9,1-5 mit den V 6-8 und 22-24, wie sie LOHFINK, Kerygmata (s. Anm. 3), 99f., und jetzt auch BRAULIK, Gesetz (s. Anm. 8), 148f., vornehmen. 68 TW nu>p Ex 32,9; 33,3.5; 34,9; Dtn 9,6.13; vgl. 31,27 und 10,16.

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2. Kapitel: Das nahe Wort

Väter wie Söhne - „ein widerspenstiges und trotziges Geschlecht..., das Gott nicht die Treue hält" (Ps 78,8.37).69 Damit ist jener nomistischen Konzeption jegliche Basis entzogen. Mag das Gesetz klar und einfach sein, Israel tut es nicht. Seine „Hartnäckigkeit", in den konkreten Taten des Ungehorsams gewissermaßen als Habitus erworben, hindert es an der Erfüllung des Gesetzes. Auch diese Kritiker am nomistischen Optimismus bringen damit prophetisches Erbe zur Geltung: Jetzt umzingeln sie ihre Taten (Hos 7,2). Ihre Taten erlauben ihnen nicht, zu Jahwe zurückzukehren (Hos 5,4). Verändert der Mohr seine Haut oder der Panther seine Flecken? Genausowenig könnt ihr Gutes tun, die ihr gewohnt seid, böse zu handeln (Jer 13,23). Die Mahnung, die „Vorhaut eures Herzens zu beschneiden" und nicht länger hartnäckig zu sein (Dtn 10,1670), muß ins Leere laufen, denn es ist das „Herz", der Mensch im Zentrum seiner Person, das diesen entscheidenden Akt und damit einen Wandel verhindert. Ein „störrisches und widerspenstiges Herz" nennt's Jer 5,23; und Dtn 29,18 bringt es auf den Begriff „Verstocktheit des Herzens" (n1? n m ' i ) . " Sie ist es, die die Nähe und Klarheit des Gesetzes in ihr Gegenteil verkehrt. Da kann das Gesetz noch so nahe sein, als Buch vor Augen und murmelndmeditierend im Munde, als eindringliche Mahnung und gekrönt von glorreichen Verheißungen - es bleibt doch fern und unerfüllbar; denn: Nicht hat euch Jahwe bis heute ein Herz gegeben, um zu verstehen, und Augen, um zu sehen, und Ohren, um zu hören (Dtn 29,3). [516] Zwar gibt es Leute, die - wenn sie die Flüche von Dtn 28 hören - „sich bei sich selber glücklich preisen" und sagen: Schalom werde ich haben! Dtn 29,18 rechnet damit. Aber darin zeigt sich nur „die Verstocktheit ihres Herzens". Zwar gibt es Menschen, die sich in die Brust werfen: Weise sind wir und die Weisung Jahwes ist bei uns (unx mrr rinn)!72 Aber Jeremia entlarvt die Selbsttäuschung:

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Wie DtrN seine Hoffnungen am Ursprung Israels verankert, so lassen diese Kritiker schon Mose den Ungehorsam Israels vorhersagen: „Ich kenne deine Widerspenstigkeit und Hartnäckigkeit; siehe, schon jetzt, wo ich noch unter euch lebe, seid ihr immerzu widerspenstig gegen Jahwe gewesen, wieviel mehr erst nach meinem Tode" (Dtn 31,27). Was es mit der npiH Israels auf sich hat, bekennt Jes 64,5: „Wir alle wurden wie Unreine, wie ein beflecktes Kleid all unsere Gerechtigkeit,... unsere Sünde trägt uns dahin wie der Wind." 70 Vgl. Jer 4,4 D (THIEL, Redaktion ,[s. Anm. 6], 95f.). 71 Jer 9,13; 13,10; 23,17; Ps 81,13; mit n nb: Jer 3,17; 7,24; 11,8; 16,12; 18,12. 72 Man meint geradezu, Dtn 4,6-8 zu hören.

2.5. Das Gesetz im Herzen: Spät-dtr Verheißungen

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Ei freilich: Zur Lüge hat sie (die Tora!) der Lügengriffel der Schreiber gemacht (Jer 8,8). Jetzt verstehen wir vielleicht, warum Dtn 30,14 die Nähe des Gesetzes in Mund und Herz im Sinne letzter Klarheit und Einfachheit so eindringlich beschwört. Sie scheint verloren und unwiederbringlich dahin.

2.5. Das Gesetz im Herzen: Spät-dtr Verheißungen Unter der Perspektive der soeben kurz skizzierten Anthropologie ist sowohl Israel als auch das Gesetz am Ende. An diesem Ende ergreift die dtr Schule noch einmal das Wort und gelangt im Rückgriff auf die dtn Väter zu einer kühnen Umkehrung nicht des Gesetzes - sie waren auf ihre Weise durchaus Deuteronomisten - wohl aber ihrer bisherigen theologischen Denkmuster. Ich kann jetzt nur noch einige Aspekte anhand von Dtn 30,1-10 anreißen. 73 Was Jahwe in 5,29 wünscht: Ach, daß doch ihr Herz so wäre, daß sie mich fürchteten und alle meine Gebote alle Tage beachteten, damit es ihnen und ihren Kindern auf ewig gut ginge! und was in 10,16 von Israel gefordert wird: So beschneidet nun die Vorhaut eures Herzens und seid nicht länger hartnäckig! das tut jetzt Jahwe selbst an Israel. Erneuerung des Menschen ist nur möglich, weil Jahwe sie bewirkt: Jahwe, dein Gott, wird dein Herz beschneiden und das Herz deiner Nachkommen, so daß du Jahwe, deinen Gott, liebst mit deinem ganzen Herzen und mit deiner ganzen Seele, damit du am Leben bleibst (30,6). [517] Damit wird das Gebot, Jahwe mit ganzem Herzen und mit ganzer Seele zu lieben, zur Folge. Das ist im gesamten Dtn und DtrG singulär. 74 Die Tat Jahwes macht Israel allererst fähig, Jahwe zu lieben. Die nomistische Konzeption hatte Gesetz und Land in ein konditionales Verhältnis gebracht. Jetzt geht (wie bei den dtn Vätern!) die Landgabe voraus: 73 Auf die literarischen Beziehungen zum Jeremiabuch und zu Dtn 4,29ff. hat H. W. WOLFF aufmerksam gemacht. (Das Kerygma des deuteronomistischen Geschichtswerks, ZAW 73, 1961, 171-186 = DERS., Gesammelte Studien zum AT, ThB 22, München 2 1973, 308-324, hier bes. 318-321). Eine detaillierte Untersuchung des Horizonts dieses Textes findet sich jetzt bei G. VANONI, Der Geist und der Buchstabe. Überlegungen zum Verhältnis der beiden Testamente und Beobachtungen zu Dtn 30,1-10, BN 14, 1981, 65-96, bes. 80-90; er vermutet, daß hinter Dtn 4,1-40 und 30,1-10 „derselbe Verfasser(kreis) steckt" (S. 89). 74 Genaue Nachweise gibt VANONI, Geist (s. Anm. 73), 93.

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2. Kapitel: Das nahe Wort Er wird dich wieder sammeln aus allen Völkern ... Jahwe, dein Gott, wird dich in das Land bringen (NU Hif.), das deine Väter besessen hatten, und du wirst es besitzen (V 3.5).

Dabei betont Nin Hif. den reinen Geschenkcharakter der Landgabe; V 3 unterstreicht das noch, indem die Aktivitäten Jahwes als Akte des Erbarmens interpretiert werden. 75 Der Gehorsam gegenüber den Geboten (V 8-10) ist - anders als in der dtn Schule - nicht dankbare Antwort auf die Gabe des Landes, sondern gleichsam selbstverständliche Folge der Beschneidung des Herzens. 76 Die Reihenfolge Land (V 3-5) - Erneuerung (V 6) - Gebot (V 8-10) wurde also wohl überlegt gewählt. Gesetzeserfüllung ist nur möglich auf Grund vorgängiger Verwandlung des Menschen in seinem Innersten durch Jahwe. 77 Wo aber Jahwe das Herz anrührt, da bleibt der Gehorsam nicht vage Möglichkeit, sondern wird zur selbstverständlichen Wirklichkeit. Ein in Fülle gesegnetes Leben im Lande (V 9) ohne das Gesetz als Jahwes heilvolle Willensoffenbarung ist unvorstellbar. Insofern bleiben auch diese Theologen durchaus Deuteronomisten. Das gilt auch für eine letzte Beobachtung. Die Verheißung der Verwandlung Israels durch Jahwe ergeht, nachdem der Segen im Land und der aus dem Land vertreibende Fluch (Kap. 28) über Israel gekommen sind. Wie schon in einigen dtr Texten die Geschichte Jahwes mit seinem [518] Volk als Erziehung interpretiert wurde, 78 wird hier das Exil, das Ende der bisherigen Geschichte, als Erziehung zur „Umkehr" verstanden (V 1.10). Die Verhei75 Überdies erscheint X13 Hif. mit Jahwe als Subjekt nur hier im Dtn als Hauptsatz, sonst immer in Bedingungssätzen oder Negationen (VANONI, Geist [s. Anm. 73], 90f.). Auch das kommt nicht von ungefähr; denn dadurch wird die neue Landgabe nicht in den Zusammenhang der Verpflichtung gebracht. 76 Die schon in V 2 begegnende Wendung „auf Jahwes Stimme hören" wird erst in V 8, also nach (!) der Herzensbeschneidung, als Tun aller Gebote ausgelegt, dem dann - gut dtn Segen im Überfluß folgt (V 9). 77 Es kann also gar keine Rede davon sein, daß die Herzensbeschneidung die „dauernde Folge (!) der punktuellen Umkehr, der aus der Umkehr resultierende (!) Zustand (!)" oder gar nur „eine Segnung neben (!) den andern, die das Land, die Fruchtbarkeit, die Sicherheit, die Freiheit der Nation betreffen", sei (gegen A. SCHENKER, Unwiderrufliche Umkehr und neuer Bund. Vergleich zwischen der Wiederherstellung Israels in Dt 4,25-31; 30,1-14 und dem neuen Bund in Jer 31,31-34, FZPhTh 27, 1980, 93-106, bes. 100f., 193). Dtn 30,1-10 argumentieren genau umgekehrt: ohne vorgängige Beschneidung des Herzens durch Jahwe kein Gehorsam Israels und deshalb auch kein Segen. SCHENKER verkennt den besonderen Charakter der Beschneidung als die alles weitere überhaupt erst ermöglichende Tat Jahwes innerhalb des Argumentationsgefälles dieses Textes. Das gilt gleichfalls für die Auslegung von KUTSCH, Weisung (s. Anm. 23), 84: „Zur Umkehr als der Vorbedingung von 'Leben' als dem neuen 'Heil' gehört das Halten der Gebote..." S. dagegen jetzt die eindringliche Interpretation des Textes bei BRAULIK, Gesetz (s. Anm. 8), 155-160. 78

S. Dtn 8,2-6; 11,2-7.

2.5. Das Gesetz im Herzen: Spät-dtr Verheißungen

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ßung annulliert also nicht die vergangene Geschichte, sondern setzt einen neuen Anfang nach und auf Grund der Vergangenheit. 79 So überholt diese spät-dtr Verheißung zwar das vorangegangene dtr Denken, aber setzt es zugleich noch einmal ins Recht. Im Horizont dieses Textes stehen mehrere späte prophetische Stücke. Davon ist für den thematischen Zusammenhang hier Jer 31,31-34 das wichtigste.80 Wesentliches verbindet beide Texte: Beide erwarten einen Neuanfang, ohne die Vergangenheit einfach zu 'vergessen'; beide erwarten ihn als eine Erneuerung Israels in seinem Innersten; beide erwarten diese Erneuerung Israels als Tat Jahwes allein; bei beiden geht der Erneuerung Israels eine neue Landgabe voraus.81 Was vorher vom Imperativ des Gesetzes abhängig war, wird jetzt vorab geschenkt. Jedoch gehen Jer 31,31-34 noch einen Schritt weiter: V 31 bringt das Neue auf den Begriff nwin rp~n; denn die alte m n hatte Israel „gebrochen". Israel hatte nicht „mein Volk" sein wollen (Hos 1,9), und so war Jahwe für Israel der nur noch richtende Herr (Jer 31,32) geworden. Das Neue aber kann jetzt 'nur' als Verheißungswort die Gegenwart bestimmen: „Tage werden kommen" - das blickt auf weite Zeiten voraus. Neu ist vor allem, wie in Jer 31 die Erneuerung Israels gedacht wird. Das kann man am besten im Kontrast zur authentischen Verkündigung Jeremias sehen: Die Sünde Judas ist aufgeschrieben mit eisernem Griffel, mit diamantner Spitze ist sie graviert auf die Tafel ihres Herzens und auf die Hörner 'ihrer' Altäre als 'Denkmal' gegen sie (Jer 17,l-2a). 79

Vgl. Ez 20,43; 36,31: „Schämen wirst du dich dann!" Die Argumente für die dtr Herkunft der meisten Motive hat S. BÖHMER, Heimkehr und neuer Bund, Göttinger Theologische Arbeiten 5, Göttingen 1976, 74ff., zusammengestellt. S. aber schon S. HERRMANN, Die prophetischen Heilserwartungen im AT. Ursprung und Gestaltwandel, BWANT 85, Stuttgart 1965, 179ff., und THIEL, Redaktion (Anm. 6), 24-28; zuletzt vor allem N. LOHFINK, Die Gotteswortverschachtelung in Jer 30-31, in: Künder des Wortes. Beiträge zur Theologie der Propheten, FS J. Schreiner, hg. v. L. Ruppert u. a., Würzburg 1982, 105-119 (mit ausfuhrlicher Literaturzusammenstellung seit S. BÖHMER), und CHR. LEVIN, Die Verheißung des neuen Bundes in ihrem theologiegeschichtlichen Zusammenhang ausgelegt, FRLANT 137, Göttingen 1985. Dagegen gibt es nach wie vor Verfechter einer wenigstens substantiellen - Authentizität (m. E. nicht überzeugend): W. RUDOLPH, Jeremia, HAT 12, Tübingen 3 1968, 201-204; v. RAD, Theologie II (s. Anm. 16), 224-227; und neuerdings M. WEINFELD, Jeremiah and the Spiritual Metamorphosis of Israel, ZAW 88, 1976, bes. 26ff.; H. WEIPPERT, Das Wort vom neuen Bund in Jeremia xxxi 31-34, VT 29, 1979, 336351. 80

81 S. Jer 30,3 (Rückführung und Inbesitznahme des Landes) und 31,27f. (Mehrung im Lande). Auf diese Umkehrung weist bes. DIEPOLD, Land (s. Anm. 35), 165-176, hin. Die Abfolge neuer Exodus (Rückführung, bzw. Sammlung aus dem Exil) - neue Landnahme (Wiederaufbau und Wohnen in Sicherheit) - (neuer) Bund ist für Jer 24; 30; 31; 32 konstitutiv (S. 175).

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2. Kapitel: Das nahe Wort

Jetzt wird diese unauslöschliche Inschrift getilgt: Ich werde ihrer Sünde nicht mehr gedenken

(Jer 31,34).

[519] Jetzt gibt Jahwe seine Tora in ihr Inneres und schreibt sie auf ihr („störrisches" 5,23) Herz. Das Gesetz erscheint nicht mehr als Forderung von außen, als nnnn 130, sondern wird Teil des Menschen, so daß nun Israel nie mehr scheitern kann, rinn ist damit nicht mehr Bedingung wie einst, sondern das erneuerte Gottesverhältnis eines erneuerten Israels. So 'schafft' Jahwes Zuwendung allererst das 'neue Israel'. Und deshalb kann diese „neue Berit" auch nie mehr gebrochen werden. Jer 32,40 spricht es dann aus: O^IS? rr~n. Sie ist unverbrüchlich im Blick auf Jahwe: Nicht höre ich auf, ihnen Gutes zu tun. Und sie ist unverbrüchlich im Blick auf das Volk: Ich will ihnen Furcht vor mir in ihr Herz geben, so daß sie nicht von mir weichen. Das Wort ist wirklich nahe, sehr nahe, in deinem Munde und in deinem Herzen, um es zu tun. Auf dieses „Ja" wird ganz gewiß nichts anderes als „Amen" folgen; denn wo Jahwe seine Tora aufs Herz schreibt, ist er mit der Tora dem Menschen näher gekommen, als der Mensch sich je nahe zu sein vermag.

3. Kapitel1

Leben in Gottes Gegenwart: Wandlungen des Gesetzesverständnisses in der priesterlichen Komposition des Pentateuch Das zweite Kapitel hat gezeigt, wie in der dtr Schule die unter dem Siglum DtrN versammelten Bearbeitungen 2 einem „gesetzlichen" Verständnis der Tora den Weg gebahnt haben. Sie waren es, die immer wieder die buchstäbliche Erfüllung des Gesetzes als Bedingung eingehämmert haben, mit der die (neue) Landnahme steht und fällt.3 Aber nicht hieran entzündete sich in der Vergangenheit die Diskussion um das Gesetz als Gesetz im theologischen Sinne. Wenn im 19. Jahrhundert um „das Gesetz und die Propheten" gestritten wurde, ging es in der Hauptsache um das Gesetz in der Gestalt von P, also um das Zeremonialgesetz, 4 wie man damals zu sagen pflegte. Mit ihm meinte man verschiedentlich das theologische Urteil über das Alte Testament als Zeugnis einer Gesetzesreligion auch historisch rechtfertigen zu können. Das

1

Dieses Kapitel geht auf einen Aufsatz zurück, der zuerst im Jahrbuch für Biblische Theologie, Band 4 („Gesetz" als Thema Biblischer Theologie), Neukirchen-Vluyn 1989, 2962, erschienen ist. Er war meinem Kollegen Johannes Heidler zum 50. Geburtstag gewidmet. Für den Zusammenhang hier wurden Untertitel und Einfuhrung verändert, in den Text (ab „Ich will euer Gott sein") und in die Anmerkungen (ab Anm. 7) aber nur insoweit eingegriffen, als offensichtliche Versehen getilgt wurden. 2 DtrN „scheint nicht einheitlich zu sein" - so R. SMEND, Die Entstehung des Alten Testaments, ThW 1, Stuttgart 21981, 123. 3 Zur 'Landnahme' vgl. Dtn 6,17-19; 8,1; 11,22-25. Im Blick auf die Fortdauer der Daviddynastie (1 Kön 2,3-4a; 8,25; 9,4-5), die dauernde Präsenz des Jahwenamens im Tempel (2 Kön 21,7-8) und die Bleibe Israels im Lande (z. B. Jos 23, bes. V 11-13.14-16, und die entsprechenden Stücke im Richterbuch - dazu R. SMEND, Das uneroberte Land, in: Das Land Israel in biblischer Zeit. Jerusalem Symposium 1981, hg. v. G. Strecker, Göttingen 1983, 91102) wirkte die Bindung der Gaben Gottes an die Bedingung des Gesetzes zugleich als Erklärung für deren Verlust in der Katastrophe des Exils. 4 Den Streit um Prophetas post legem, der die alttestamentliche Forschung im 19. Jh. so nachhaltig bewegte, hat W. ZLMMERLI, Das Gesetz und die Propheten. Zum Verständnis des Alten Testaments, Göttingen 1963 (Kapitel 2 und 3), knapp nachgezeichnet; vgl. dazu die einschlägigen §§ bei H.-J. KRAUS, Geschichte der historisch kritischen Erforschung des AT, Neukirchen-Vluyn 3 1982.

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3. Kapitel: Leben in Gottes Gegenwart

mußte am Ende zu einer theologischen Neutralisierung des AT auf weiten Strecken fuhren. 5 So erscheinen die kultischen Ordnungen dem großen Wellhausen zwar als notwendig, „um die zerschmetterte Nation vor gänzlichem Zerfall zu bewahren", am Ende aber waren sie nichts als „leere Formen und tote Werke", ein „Panzer für den Monotheismus der Moral". 6 Der Priesterkodex - wie man damals vorzugsweise sagte und dabei das juridische Moment eigens hervorhob - war es, aus dem J. Wellhausen das Urteil gewann, „daß der Gott der Propheten sich jetzt in einer kleinlichen Heils- und Zuchtanstalt verpuppte und statt einer für alle Welt gültigen Norm der Gerechtigkeit ein streng jüdisches Ritualgesetz aufstellte." 7

Indes, wird dieses Urteil den Texten an ihrem historischen Ort gerecht? Angesichts der uns weithin fremden Welt priesterlicher Gesetze gilt in verstärktem Maße, was G. v. Rad grundsätzlich zum Umgang mit dem theologischen Begriff des Gesetzes gefordert hat: „Wir müssen es uns vom Alten Testament erst wieder neu sagen lassen, was für Israel 'Gesetz' war und in welchem Verhältnis dieser fordernde und Israel verklagende Wille Gottes zu seinem Gnadenhandeln stand." 8

Das stößt allerdings im Bereich priesterlicher Literatur sehr schnell auf Hindernisse. Zunächst: Anders als im Dtn fehlen paränetische, predigtartige Stücke vollständig, läßt man einmal Lev 17-26 beiseite. Das liegt zweifellos daran, daß erst im sog. Heiligkeitsgesetz der Vielfalt des Lebens und des Alltags außerhalb des Gottesdienstes wenigstens ansatzweise Rechnung getragen wird, während die Gesetze innerhalb der Sinaiperikope sonst allein auf Kultus und Ritus beschränkt sind. 9 Eine Untersuchung der Gesetze in P kann deshalb gar nicht von dem Sachzusammenhang von Gesetz und Kult absehen, der wiederum seinerseits vor z. T. erhebliche Interpretationsprobleme stellt. Sodann: Die vielfältigen kultischen Anordnungen ergehen in P, von weni5

S. die Übersicht über das AT als Gesetz und Dokument einer Fremdreligion bei A. H. J. GUNNEWEG, Vom Verstehen des Alten Testaments. Eine Hermeneutik, ATD Erg. 5, Göttingen 1977, 100-145. 6 J. WELLHAUSEN, Israelitisch-jüdische Religion, 1905, zitiert nach ders., Grundrisse zum Alten Testament, hg. v. R. Smend, ThB 27, München 1965, lOOf. 7 WELLHAUSEN, Religion (s. ANM. 6), 101. 8 G. v. RAD, Theologie des Alten Testaments, Bd. II, München "1965, 414f. 9 Die mit dem Sigel H verbundenen Fragen nach der Existenz eines derartigen selbständigen Gesetzescorpus (bestritten von V. WAGNER, Zur Existenz des sogenannten „Heiligkeitsgesetzes", ZAW 86, 1974, 307-316), nach seinem Verhältnis zum Dtn (s. A. CHOLEWINSKI, Heiligkeitsgesetz und Deuteronomium, AnBib 68, Rom 1976) und zu P (s. die Einleitungen) können hier auf sich beruhen bleiben, da die hier mitzuteilenden Untersuchungen weithin H beiseite lassen [zu H s.u. Kap.5].

3.2. Befreites Volk: Das Passa

75

gen Ausnahmen abgesehen, ohne Begründung in einer „nackten Sachlichkeit, so bar jedes theologisch deutenden Beisatzes". 10 Deshalb ist man allermeist allein auf die Komposition als Interpretationsschlüssel angewiesen. Die Brauchbarkeit dieses Schlüssels wird jedoch stark eingeschränkt von zwei fundamentalen Unsicherheiten in der gegenwärtigen Beurteilung der literarischen Eigenart der sog. Priesterschrift. Das betrifft einmal die Abgrenzung des Textes,11 wobei vor allem die Verankerung der kultgesetzlichen Materialien in der Substanz von P umstritten ist. Der stillschweigende Wechsel in der Bezeichnung von Priesterkodex (Wellhausen) zu Priesterschrift (Noth) war ja nur die Außenseite des Prozesses zunehmender Reduktion des Materials auf eine erzählende Grundschrift, an dessen Ende die radikale Scheidung und Verteilung von Geschichte und Gesetz auf P g und P s stehen.12 Nun kann gewiß der literarkritisch arbeitende Historiker scheiden, was Redaktoren einst zusammengefugt haben, und es ist keine Frage, daß gerade am sakrosankten Sinai alle Späteren das zu deponieren trachteten, was ihnen besonders am Herzen lag. Jedoch beförderte die Erwartung eines Erzählwerkes nur allzu leicht die Bereitschaft, alles nicht erzählende Material zweiten und dritten Händen zuzuweisen. Die hinter dieser Erwartimg stehende Prämisse, mit P von vornherein als einer den älteren Pentateuchquellen parallelen selbständigen Quellenschrift zu rechnen, ist freilich selber keineswegs unbestritten geblieben,13 was an diesem wichtigen Punkt zu einer weiteren Verunsiche10

v. RAD, Theologie I (s. Anm. 8), 245. Man vergleiche einmal die einschlägigen Arbeiten WELLHAUSENS mit M. NOTH, Überlieferungsgeschichte des Pentateuch, Stuttgart 1948, 7-19; K. ELLIGER, Sinn und Ursprung der priesterlichen Geschichtserzählung, ZThK 49, 1952, 121-143 = DERS., Kleine Schriften zum Alten Testament, ThB 32, München 1966, 174-198; und P. WEIMAR, Struktur und Komposition der priesterschriftlichen Geschichtsdarstellung, BN 23, 1984, 81-134; BN 24, 1984, 11

138-162. 12 Die von J. WELLHAUSEN (Prolegomena zur Geschichte Israels, Berlin 61905, 384; DERS., Die Composition des Hexateuch und der historischen Bücher des AT, Berlin 41963, 184) vorgenommene Differenzierung ist zuletzt von WEIMAR, Struktur (s. Anm. 11), 85 Anm. 18, (in RB 1988, 337-385, z. T. noch weiter radikalisiert) in äußerster Konsequenz durchgeführt worden. Die Geschichte der immer stärkeren Scheidung von Geschichte und Gesetz hat N. LOHFINK, Die Priesterschrift und die Geschichte, in: Congress Volume Göttingen 1977, VTS 29, Leiden 1978, 189-225, instruktiv nachgezeichnet. 13 Aus neuerer Zeit s. vor allem den Entwurf von F. M. CROSS, The Priestly Work, in: ders., Canaanite Myth and Hebrew Epic, Cambridge/Mass., 1972, 293ff.; J. v. SETERS, Abraham in History and Tradition, New Haven/London 1975, 279ff. Die Skizze von R. RENDTORFF, Das überlieferungsgeschichtliche Problem des Pentateuch, BZAW 147, Berlin /New York 1976, 112ff., hat für die Vätergeschichte E. BLUM, Die Komposition der Vätergeschichte, WMANT 57, Neukirchen-Vluyn 1984, 420-458, durchgeführt (eine Fortsetzung für den gesamten Pentateuch steht zu erwarten [s. jetzt: E. BLUM, Studien zur Komposition des Pentateuch, BZAW 189, Berlin 1990]). O. KAISER, Einleitung in das Alte Testament, Gütersloh 5 1984, 11 Iff., überschreibt § 10 mit „Die priesterliche Bearbeitung des Pentateuchs", ohne vorerst ein abschließendes Urteil zu fällen.

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3. Kapitel: Leben in Gottes Gegenwart

rang geführt hat. Es liegt auf der Hand, daß davon jede Analyse der Komposition und deren Interpretation betroffen ist. 14 Der Streit ist noch im Gange. 15 In diesen Streit kann jedoch hier nicht eingetreten werden. Um die folgenden Untersuchungen mit den genannten Unsicherheiten möglichst wenig zu belasten, orientieren wir uns vorwiegend an dem Beziehungsgeflecht, das - an tragenden Motiven und Formulierungen erkennbar - entscheidende Stücke aus P miteinander verbindet. Die dabei zutage tretenden Bezüge sind unabhängig von der strittigen Beurteilung als Quelle oder Bearbeitung von großem Gewicht für die Interpretation, weil sie die Brille bereitstellen, mit der das einzelne - sei es aus P, sei es das vor-priesterliche Gut - gelesen werden sollte.16 Schließlich: Auch an den umfänglichen Materialien, die unter das weite Dach des Siglums P versammelt worden sind, läßt sich - wie in anderer Weise an den paränetischen Rahmenstücken des Dtn - der verwickelte Prozeß mehrfacher Fortschreibung, ja möglicherweise sogar kritischen Umgangs mit priesterlicher Theologie beobachten. Fortschreibungen aber sind niemals geschichtlich irrelevante Zufallsprodukte, sondern stets Ergebnis notwendig gewordener produktiver Auseinandersetzung mit vorgegebener Tradition unter veränderten Rahmenbedingungen. Die dabei zutage tretenden Verschiebungen verdienen ungeteiltes Interesse, sind sie es doch, die - wenn auch nur noch spurenhaft - Gesetz und Kult als Lebenselemente einer von ihnen bestimmten Gemeinschaft zu erkennen geben. Ihnen soll deshalb jeweils innerhalb der vier ausgewählten kultischen Institutionen nachgegangen werden. Diese Auswahl hat exemplarischen Charakter. Sie orientiert sich an den Größen, die im Sinne dieser Komposition konstitutive Bedeutung für Israels Leben in Gottes Gegenwart haben: Beschneidung und Passa sind die Antworten, mit denen das Volk der in Wort (Gen 17) und Tat (Ex 6; 14) erfahrenen Zuwendung seines Gottes entspricht; mit dem Sabbat ehrt es seinen Gott als Herrn über die Zeit, im Heiligtum gewinnt Gott Raum inmitten seines Volkes.

14

Unter diesem Aspekt ist ein Vergleich zwischen den auf unterschiedlichen literargeschichtlichen Positionen basierenden Bestimmungen bei P. WEIMAR (Sinai und Schöpfung. Komposition und Theologie der priesterschriftlichen Sinaigeschichte, RB 95, 1988, 337-385) und H. Utzschkhider (Das Heiligtum und das Gesetz, OBO 77, 1988) aufschlußreich. 15 Die Möglichkeit einer Annäherung der beiden differenten Positionen deutet Lohfink, Priesterschrift (s. Anm. 12), 196f., an. 16 Auch unter der Voraussetzung eines Ergänzungsmodells ist eine Untersuchung der dann als rein redaktionell zu beurteilenden Stücke alles andere als irrelevant, käme dann doch in ihnen der Aussagewille jener Bearbeitung am klarsten zu Wort. „P", „Priesterschrift" o. ä. wird im folgenden ohne die Implikationen des einen oder anderen literarhistorischen Erklärungsmodells gebraucht.

3.2. Befreites Volk: Das Passa

77

3.1. Ich will euer Gott sein: Die Beschneidung 3.1.1. Gen 17 im Rahmen der

Gesamtkomposition

[33] Die Priesterschrift teilt mit der vorangegangenen älteren Überlieferung die Darstellung der Ursprungsgeschichte Israels in einem Dreischritt von der Schöpfung über die Väter zum Volk. Sie setzt aber strukturell ganz neue Akzente, indem sie das Ende der Flut (Gen 9) und den Anfang der Vätergeschichte (Gen 17) jeweils mit einer berit auszeichnet. Die dreiteilige Gottesrede von Gen 9 nimmt kontrastierend auf den Sintflutbeschluß in 6,13.17 Bezug 17 und markiert so die grundlegende Wiederherstellung der Schöpfung. Ihr erster Teil entspricht mit einer bezeich- [34] nenden Ausnahme weitgehend 1,28-30; er setzt den Schöpfungssegen erneut in Kraft und schafft mit der in 9,3 gegenüber 1,29 veränderten Speiseordnung neue Konditionen für das Zusammenleben von Mensch und Tier, die die Zeit nach der Flut qualitativ von der Zeit zuvor unterscheiden. Entscheidend aber ist der Mittelteil, der Gottes Verhältnis zur noachitischen Menschheit ausdrücklich mit der Kategorie berit als Gottes Selbstverpflichtung interpretiert, ein der Flut vergleichbares Vernichtungsgericht über die Menschheit insgesamt für immer auszuschließen. Gen 17 bringt sub voce berit zwar völlig andere Inhalte, strukturell aber kaum Neues: Beide Male geht alle Initiative allein von Gott aus; 18 beide Male gehört zu berit ein Zeichen (9,12ff.; 17,10ff); beide Male handelt es sich um eine nViy rp-Q (9,16; 17,7), die alle folgenden Generationen einschließt (9,12; 17,7). Da dergleichen im genuin priesterlichen Gut der Sinaiperikope fehlt, soll offenbar die gesamte Väter- und Volksgeschichte Israels im Lichte von Gen 17 gelesen werden. Wie Gen 9 für die Menschheit insgesamt, so kommt deshalb für Israel der Abraham-fter/i eine bleibende Bedeutung zu. Für die Väter läßt sich das an den Themen Mehrung und Land ersehen. Die Mehrung wird Abraham verheißen (17,2b.6a). Ihre Formulierung greift die beiden Leitwörter des in 9,1 erneuerten Schöpfungssegens von 1,28 auf (nm und ms); er wird bei Jakob in der Segensbitte Isaaks (28,3), in einer Gotteserscheinung (35,9.11) und im Munde des sterbenden Jakob (48,4) wiederholt.

17

Vgl. WEIMAR, Struktur (s. Anm. 12), 153; modifiziert bei E. ZENGER, Gottes Bogen in

den Wolken. Untersuchungen zu Komposition und Theologie der priesterschriftlichen Urgeschichte, SBS 112, Stuttgart 1983, 113. 18 Jahwe ist es, der die berit „aufrichtet" (crpT! - vgl. Gen 9,9.11.17 mit 17,7) bzw. sie „setzt" (ira - vgl. 9,12 mit 17,2); es heißt betont „meine berit (9,9.11; 17,2.4.7.9.13f.), und sie wird garantiert, indem Jahwe ihrer „gedenkt" (vgl. 9,15f. mit Ex 2,24; 6,5).

78

3. Kapitel: Leben in Gottes

Gegenwart

Ihre Erfüllung stellen 47,27 und vor allem Ex 1,7 ausdrücklich fest. 19 Das Land, und zwar „das ganze Land Kanaan" (17,8), wird dagegen nicht verheißen, sondern Abraham als „bleibender Besitz" (D^iy rirnK) übereignet, wie die Erinnerungen an den Vollzug (!) der Übereignimg (iru Ak) in den Gottesreden 28,4 und 35,1220 zeigen. Sie übertragen zugleich das Besitzrecht an das nächste Glied in der Generationenfolge (]ru Pk).21 Dabei greift der Rückblick Jakobs in 48,4, das letzte in diesen Zusammenhang gehörende Stück innerhalb der Vätergeschichte, betont auf 17,8 (und 35,9ff.) zurück. 22 Mit der Einlösung der Mehrungsverheißung in Ex 1,7 ist jedoch die Abra[35]ham-6enY nicht einfach erledigt. Ihre bleibende Bedeutung für das Volk tritt an den gewichtigen literarischen Bezügen zutage, die Ex 6 mit Gen 17 verbinden. Zunächst erinnern Ex 6,2-3 an das Erscheinen Jahwes als ElSchaddaj,23 sodann greift V 4 die auf die drei Väter erweiterte und mit der Landübereignung gefüllte Abraham-/;erzi auf.24 Schließlich versteht V 5 alle weiteren Aktionen Jahwes als Produkte göttlichen Gedenkens an seine berit, was über die unmittelbaren Stichwortbezüge hier und über die explizite Nennung der Vätertrias in Ex 2,24 auf Gen 17 führt, so daß der alsbald angekündigte Exodus (V 6), in den Horizont der Abraham-berit gestellt, als Akt der Treue Gottes erscheint. Entscheidend aber ist die Korrespondenz der sog. Bundesformel von Gen 17,7f. mit Ex 6,1.25 Da in der Logik der Abfolge von 19 Ex 1,7 benutzt die Leitworte von Gen 17 ( m s und nm sowie deren Verstärkung durch TKQ), ergänzt sie aber durch p ® (Gen 9,7) und tim (1,28; 9,1). ®33 (1,28) erscheint dagegen in der Wiederaufnahme 9,1 nicht. Zur Erklärung und Auseinandersetzung mit der Hypothese LOHFINKS (Erfüllung in Jos 18,1) s. ZENGER, Gottes Bogen (s. Anm. 17), 40f. 20 Vgl. Ex 6,4 (Infinitiv und Relativsatz in Afformativkonjugation). 21 Der priesterschriftlichen Landtheologie soll andernorts nachgegangen werden (s. M. KÖCKERT, in: Von Gott reden. FS S. Wagner, Neukirchen-Vluyn 1995, 147-162). Doch sei wenigstens angedeutet, daß die Interpretation der Dnwn p « als etwas Vorläufiges, das darum mit der dm ntriN in der Spannung von Verheißung zur Erfüllung stehe, nicht nur die Feststellungen in Gen 28,4; 35,12, sondern auch die hinter Lev 25,23 stehenden Sachverhalte gegen sich hat: Jahwe ist Eigentümer des Landes ( p x n ,1?), die Israeliten aber sind im Blick auf Gottes bleibendes (!) Eigentumsrecht am Land D'U und D,3ttnn. Bringt man diesen Text mit der Väterüberlieferung nach P zusammen, folgt daraus: Das Land bleibt Eigentum Jahwes, deshalb ist es für die Väter als D U im Lande Jahwes n n u ö p x ; aber als solches hat es Jahwe ihnen zur D^is; rirrm gegeben. 22

S. nur Kanaan (48,3) als „dieses Land" und als „immerwährender Besitz" (V 4). Das unterscheidet die Väter- von der Volksgeschichte. El Schaddaj (Gen 17,1; 28,3; 35,11; 43,14; 48,3) erscheint (nm Nif.) dem Abraham (17,1) und dem Jakob (35,9; 48,3 als Rückverweis formuliert). Dem Volk dagegen erscheint der mn1 TD3 (Ex 16,10; Lev 9,6.23 V 4 dagegen mn1). 23

24 S. Gen 17,8; 35,12. Berit bedeutet in Ex 6,4 analog zu Gen 15,18 Selbstveipflichtung Gottes. Der Rückverweis auf einen Landverheißungseid in Ex 6,8 setzt dtr Theologie, allerdings in ezechielschem Sprachgewand (s. Konkordanz), voraus. 25 Nur in Ex 6,7 (und Lev 26,12) begegnet in P die zweigliedrige Form der Bundesformel. Vgl. zuletzt WEIMAR, Sinai (s. Anm. 14), 357, und zur Interpretation der priesterschriftlichen

3.2. Befreites Volk: Das Passa

79

den Vätern zum Volk Abraham als einzelner (17,7b) und dann in seinen Nachfahren (V 8b), nicht aber das Volk im Blick ist, muß bei Abraham die das Volk betreffende Seite der Bundesformel notwendig fehlen. Sie steht in Ex 6,7 betont voran, nachdem die Mehrungsverheißung an Israel als erfüllt festgestellt war (Ex 1,7). Ihre gegenüber den dtn Fassungen veränderte Gestalt akzentuiert Jahwes Tat allein („ich werde euch nehmen ..."), und zwar als Tat sola gratia, ohne alles Verdienst und Würdigkeit als allein die des Seufzens, Schreiens und Klagens (Ex 2,23f.; 6,5). Mit der Herausführung nimmt Gott Israel sich zum Volk, weil er sich in dieser Befreiung von Lasten und Rettung aus Sklavenarbeit als ihr Gott erwiesen hat. Aber damit nicht genug, im Herzstück der Sinai-Perikope greift der Schlußrahmen der Anordnungen zum Bau des Heiligtums (Ex 29,45-46) noch einmal Gen 17,8 auf: Das Wohnen Gottes inmitten Israels ist die Weise, in der Jahwe sich bestimmt hat, fortan ihr Gott zu sein. So schlägt die Abraham-öerit von vornherein einen großen Bogen über die Väter hinaus auf die Konstituierung des Volkes und des Kultes. 26 Zugleich aber gründet jenes von Gott als bleibend gesetztes Verhältnis zu Israel nicht erst am Sinai, sondern bereits in Abraham weit vor des Moses Tagen.27 So gibt [36] schon die Gesamtanlage jenes gnädige „Ich bin dein Gott" als erstes Wort vor allem „Du sollst" zu erkennen. 3.1.2. Die Architektur von Gen 17 als

Interpretationsschlüssel

Was sich an der soeben knapp skizzierten Gesamtanlage zeigte, läßt sich an der kunstvollen Architektur 28 des Schlüsseltextes Gen 17 nur erhärten. Eingebettet in einen szenischen Rahmen (V la.22) folgt auf ein Proömium (V lb3a) eine dreiteilige Gottesrede in der Abfolge Verheißung (V 3b-8), Gebot (V 9-14), Verheißung (V 15-21). Sie entfaltet, was mit den Imperativen, mit berit

Akzentuierung gegenüber dtn/dtr R. SMEND, Die Bundesformel, ThSt 101, Zürich 1963 = DERS., Die Mitte des Alten Testaments. Gesammelte Studien, Bd. 1, BevTh 99, München 1986, 11-39, 35f. 26 Zum Verhältnis der Abraham-berit zur Sinai-berit s. zuletzt B. JANOWSKI, Sühne als Heilsgeschehen. Studien zur Sühnetheologie der Priesterschrifit und zur Wurzel KPR im Alten Orient und im Alten Testament, WMANT 55, Neukirchen-Vluyn 1982, 320-324. 27 Die „Abrahamverheißung" als „Fundament des Sinaigeschehens" (ZENGER, Gottes Bogen [s. Anm. 17], 149) hat zuerst W. ZLMMERLI eindrücklich herausgearbeitet (Sinaibund und Abrahambund. Ein Beitrag zum Verständnis der Priesterschrift, ThZ 16, 1960, 268-280 = DERS., Gottes Offenbarung. Gesammelte Aufsätze (I), ThB 19, München 1963, 205-216. Zum kompositorischen Horizont von Gen 17 vgl. BLUM, Komposition (s. Anm. 13), 420-432, und P. WEIMAR, Gen 17 und die priesterschriftliche Abrahamgeschichte, ZAW 100, 1988, 22-60, bes. 57-60. 28 S. vor allem S. E. MCEVENUE, The Narrative Style of the Priestly Writer, AnBib 50, Rom 1971, 145ff.

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3. Kapitel: Leben in Gottes Gegenwart

und Mehrung als theologische Summe voransteht (V lb-2). 29 Für die Entfaltung bedient sich Gen 17 in den Verheißungsteilen vorgegebener Väterüberlieferung,30 nicht aber im Gebotsteil, so daß in der Verbindung von Verheißung und Gebot ein Spezifikum von Gen 17 gesehen werden muß. Außerdem setzt P dadurch ganz neue Akzente, daß sie über die traditionellen Verheißungsinhalte Mehrung und Land hinaus die Zusage bringt, Abraham und seinen Nachkommen Gott sein zu wollen, und daß sie schließlich alle Verheißungen unter das Leitwort berit stellt. Aus der Art der Zuordnung von Verheißung und Gebot unter dem Leitwort berit und aus den mit berit gegebenen Deutungen ergeben sich erste Antworten auf die Frage nach dem Gesetzesverständnis. Für die Zuordnung ist das Gegenüber von „Ich ..." (V 4ff.) und „Du ..." (V 9ff.) konstitutiv. Allerdings hat man die Ursprünglichkeit dieser Komposition auf unterschiedliche Weise in Zweifel gezogen.31 Eine kurze Prüfung der literarischen Integrität ist deshalb notwendig. Als besonders problematisch werden im Verheißungsteil einerseits die Doppelungen beim Thema Mehrung, anderseits die Spannung zwischen aktueller Setzung (V 4-5) und Verheißung der berit (V 7-8) sowie die Ausweitung der berit auf die Nachkommen Abrahams empfunden. Außerdem schließe V 6 glatt an V 2 an, wie das für P sonst typische Paar r m und niD zeige. Diese Bewertung der Beobachtungen als Indizien, die zu literarkritischen Operationen zwingen, gewinnt jedoch ihr Maß nicht aus dem Text und seinen Intentionen. So verkennt die Behauptung einer doppelten „Vermehrungs-6eni" (in V 2 und V 4) nicht nur die terminologische [37] Differenz zwischen pn m n und nx rinn, sondern vor allem den Charakter von V lb-2 als vorangestelltes zusammenfassendes Proömium, dessen einzelne, nicht miteinander zu verbindende Glieder im Corpus in umgekehrter Reihenfolge entfaltet werden: Mehrung (V 6), Tinn ~|r:xi T 3 (V 78), Gebot (V 9 f f ) . Auch dürfen nm und m s nicht als zusammengehöriges Paar isoliert von 1~n verstanden werden, wobei dann die „unlogische" Reihenfolge befremden müßte; denn alle drei Verben des Schöpfungssegens (1,28; vgl. 9,1) sind gleichfalls in umgekehrter Reihenfolge über das Kapitel verteilt ( V 2b/6/16). V 6 muß als eine Konkretion jener überaus großen Mehrung von V 2b für sich gelesen werden. Dem Thema Mehrung ist die Umbe29 Die Sonderstellung des Proömiums läßt sich auch syntaktisch im Wechsel von Pk zu wAk (V 4-8) nachweisen. 30 S. MCEVENUE, Style (s. Anm. 28), 149-155. 31 Die ältere Forschung verzeichnet S. R. KÜLLING, Zur Datierung der „Genesis-PStücke" namentlich des Kapitels Genesis XVII, Kämpen 1964, 250ff. S. zuletzt vor allem E. KUTSCH, „Ich will euer Gott sein", berit in der Priesterschrift, ZThK 71, 1974, 361-388 (er hält V 3-5 ftir sekundär und rechnet in V 10-12a.l3b-14 mit einer aufgenommenen vor-P Beschneidungsordnung), und WEIMAR, Gen 17 (s. Anm. 27), 22-60, der dagegen in eine vorP Grundschicht (in V l-4a.6.22), PB und zwei nach-P Redaktionen (Ps nur in V 9-14*; Rp) differenziert.

3.2. Befreites Volk: Das Passa

81

nennung Abrams in Abraham vorangestellt worden (V 4b-5), womit zweifellos eine Korrespondenz mit der Gottesrede an Jakob (35,9ff.) beabsichtigt ist.32 Da aber die Umbenennung hier volksetymologisch aus dem rahmenden •'Ii linn 3N erwächst, was natürlich auf das Thema Mehrung fuhrt, mußte die Umbenennung anders als bei Jakob im Verheißungsteil untergebracht werden, und zwar am Anfang, wenn die kunstvolle Abfolge gewahrt bleiben sollte. Die Verse 2b und 4-5 sind weder der Sache nach noch gar funktional eine Doppelung; denn in V 2b geht es um Mehrung, in V 4b-5 dagegen um Umbenennung, die sub voce n,-u ]ian in das Thema Mehrung eingebettet ist. Dabei scheinen V 4b und V 5b stärker die horizontale, V 6 dagegen die vertikale Dimension der Mehrung zu akzentuieren. Als wohlüberlegt erweisen sich auch die Formulierungen der berit. Zunächst bezieht sich berit auf die aktuelle Zusicherung künftiger Mehrung (V 4a).33 Hier ist Abraham als einzelner und nicht Israel im Blick. In V 7 jedoch erscheint als Inhalt der berit jenes besondere Verhältnis, in das sich Gott zu Abraham und zu seinen Nachfahren stellt. Seine Formulierung mit dem ersten Teil der sog. Bundesformel und ihre kompositorische Entsprechung in Ex 6 zielen deutlich auf das künftige Volk, was die Inversion in V 8b noch unterstreicht. In Abraham ist hier das Volk im Blick. Ganz folgerichtig reden deshalb schon die V 7a und V 7b vom yir Abrahams arm1?; auf ihn bezieht das nnV (V 8b) zurück. V 7 kann also nur nach der Mehrungsverheißung stehen und - weil die Rede vom Volk deren Erfüllung voraussetzt - nicht anders denn als Vorgriff auf die Zukunft, eben als Verheißung formuliert werden. 34 Indem P, über die älteren Väterüberlieferungen hinausgehend, die Zusage eines besonderen Gottesverhältnisses für Israel in Abraham bringt und sie mit berit interpretiert, hebt sie nun zweifellos auf eine die [38] bloße Verheißung überbietende Beziehung Gottes zu den Verheißungsempfängern ab; das bringt die Formulierung psi ... ¡^n YP-Q zum Zuge. 35 Aus diesem Gefuge fällt V 8a heraus, sofern man das nicht-priesterschriftliche Verständnis der Landverheißung einträgt und zum Maßstab für P macht. Doch lehrt auch hier der Zusammenhang, unter welchen Gesichtspunkten P das Thema Land behandelt hat. Da - wie schon oben gezeigt - das besondere Gottesverhältnis in der kultischen Präsenz des Kabod

32 Die ursprüngliche Zugehörigkeit von Gen 35,10 zu P verteidigen mit guten Gründen W. GROß, Jakob der Mann des Segens, Bib 49, 1968, 329-332, und BLUM, Komposition (s. Anm. 13), 265f. 33 „Du wirst..." (V 4nß wAk), wozu „... ich dich hiermit eingesetzt habe" (V 5b Ak\)\ „ich werde dich fruchtbar machen ..." (V 6 wAk). Zur Traditionsgeschichte und zum theologischen Ort des sog. Väterbundes s. M. KÖCKERT, Vätergott und Väterverheißungen. Eine Auseinandersetzung mit Albrecht Alt und seinen Erben, FRLANT 142, Göttingen 1988, 169ff. (mit weiterer Literatur). 34 So erklären sich sowohl der Wechsel von im zu Q'pn als auch das Futur (wAk). 35 Das widerrät einmal mehr, V 2a auf Mehrung zu beziehen und mit V 2b zu verbinden

( g e g e n KUTSCH).

82

3. Kapitel: Leben in Gottes Gegenwart

im Heiligtum erfahren wird (Ex 29,45f.), ist offenbar das Land nicht unter politisch-territorialen Aspekten, sondern als der natürliche Ort von Interesse, ohne den die kultische Präsenz des Gottes Israels im Heiligtum ein Phantom bliebe.36 So nötigen Formulierungsdifferenzen und andere Besonderheiten in den V 1-8 an keinem Punkte zu größeren literarkritischen Amputationen, wohl aber zu einer differenzierenden Interpretation, die ein sehr präzises Denken zutage fördert. Läßt sich aber jenes „Ich ..." (V 4) nicht herausbrechen, fällt es zu glauben schwer, daß das strukturell korrespondierende „Aber du ..." (V 9) erst einer zweiten Hand zu verdanken sei. Daß V 10a zur selben Schicht wie V 7 gehört, legt schon die nur hier und in V 2b begegnende Wendung „meine berit zwischen ..." nahe. V 10 kann aber wegen des abrupten Personenwechsels schwerlich je unmittelbar an V 9a angeschlossen haben. V 9b verbindet zwanglos zwischen dem Abraham geltenden „du" und den in V 10 angesprochenen Israeliten aller Zeiten.37 Dieses fundamentale Gegenüber von Verheißung und Gebot scheint - formal betrachtet - für berit ein Wechselverhältnis38 nahezulegen und damit dem Gebot eine der Verheißung gleichgewichtige Qualität einzuräumen. Indes bleibt die Vorordnung der Verheißung auf allen Ebenen des Textes gewahrt. Stets heißt es „meine berit". Es ist allein Gott, der die berit „setzt" (im V 2b) oder „aufrichtet" (Q'pn V 7.19b.21a). So wird das Gebot deutlich als zweites Wort laut;39 und damit sind alle Aktivitäten Israels entsprechendes oder widersprechendes, in keinem Falle aber begründendes, sondern allein antwortendes Tun. 40 Innerhalb dieser [39] Klammer ergeben sich freilich Differenzierungen, wenn' man den Gebotsteil (V 9-14) näher betrachtet. Interpretierende Sätze unter dem Leitwort berit rahmen und gliedern ihn in drei Teile,

36 So m. R. J. B L E N K I N S O P P , The Structure of P, C B Q 38, 1976, 275-292 (bes. S. 278 und 289f.), und J A N O W S K I , Sühne (s. Anm. 26), 324. 37 Daß V 9aßb gegenüber V 10 mehr als den Vollzug der Beschneidung meine und die Verheißung geradezu konditional einschränke, was auf sekundäre Bearbeitung zurückgehe (so W E I M A R , Gen 1 7 [s. Anm. 2 7 ] , 4 4 und bes. 4 8 ) , vermag ich nicht zu erkennen. 38 So mit Nachdruck C . W E S T E R M A N N , Genesis 1 7 und die Bedeutung von berit, ThLZ

101, 1976, 161-170 (bes. 169). 39 Vgl. auch C . W E S T E R M A N N ,

Genesis, BK 1 / 2 , Neukirchen-Vluyn 1 9 8 1 , 3 1 9 , der mit Recht darauf hinweist, daß dies dem Aufbau der Priesterschrift als ganzer entspreche, „in der das Gesetz (von Ex 25 bis Nu 9) von der Verheißung (Gen 9; 17; Ex 6) und dem aus ihr erwachsenden Wirken Gottes an seinem Volk umfaßt ist". 40 Das unterstreicht bes. V 7 mit der Präzisierung „ewige berit bei Gottes Zusage. Vgl. W E I M A R , Gen 1 7 (s. Anm. 2 7 ) , 4 5 . : „Die Geltung (!) der 'Bundeszusagen' ist nicht von menschlicher Gebotserfüllung abhängig, sondern einzig und allein von der Treue Gottes zu seinen einmal gegebenen Zusagen."

3.2. Befreites Volk: Das Passa

83

die aber weder auf der gleichen literarischen Ebene liegen, noch in sich einheitlich sind.41 3.1.3. Das Gebot und seine ältere Kommentierung in Gen 17,10-1 la Zunächst hebt sich das eigentliche Beschneidungsgebot ab (V 10-IIa). Das Gebot erhält eine ausdrückliche Deutung (V IIb), deren Formulierung die Einfuhrung des Gebots (V 10a) in ihren entscheidenden Stichworten (JVD DDT31 TD)42 aufnimmt und sich so als ursprüngliche Fortsetzung des Textes ausweist. Daß das Gebot in V 10b selbst nicht erst von P formuliert wurde, liegt auf der Hand, wird aber auch von dem im Kontext sperrigen Einsatz mit einem Inf. abs. (vgl. Ex 20,8) nahegelegt. Ist V I I a ebenfalls vor-priesterlicher Herkunft? Hier hängt alles an dem Verständnis des „Zeichens der berit". Berit bezeichnet in V 9b-10 die Beschneidung als die den göttlichen Zusagen (V 4a) entsprechende menschliche Verpflichtung, die es zu beachten gilt. Da der Text Inhalt und Zeichen der berit unterscheidet, kann das Zeichen der berit, will man nicht einen unterschiedlichen Gebrauch des Begriffs postulieren,43 schwerlich den Akt der Beschneidung, sondern nur die vom Akt der Beschneidung zu unterscheidenden und den Vollzug des Gebotes dokumentierenden sichtbaren Folgen meinen. Darauf zielt mit der Wendung „Fleisch eurer Vorhaut" der unmittelbar vorangehende Kontext in V 11 a. Es spricht also viel dafür, daß der Kopf, der (parallel zu 9,13) an jenem Zeichen der berit interessiert war, auch für dessen widerspruchsfreie Einfuhrung im Kontext verantwortlich zeichnet;44 und das war, wie die Analyse bisher zeigte, kein anderer als der, für den das Sigel Pg steht. Entscheidend für das Gesetzesverständnis jener älteren priesterlichen Schicht in Gen 17 ist die Interpretation, die V 11 dem Beschneidungsgebot mit dem „Zeichen der berit" gibt. Das Zeichen weist den Vollzug des Gebotes aus. Indem aber an jeder neuen Generation die Beschneidung vollzogen wird, weist das Zeichen auf die Wirksamkeit der Mehrungsverheißung hin.45 Im 41 Insofern bedarf die These KUTSCHs von einer durchgängig verarbeiteten vorgegebenen Beschneidungsordnung (Gott, [s. Anm. 31], bes. 376ff.) der Modifikation. 42 Die Weiterfuhrung in V 10a („und zwischen deinem Samen nach dir") fällt hinter die mit V 9b erreichte Vermittlung zurück und dürfte als Produkt mechanischer Ergänzung aus V 9b, also als sekundär zu erklären sein. 43 So KUTSCH, Gott (s. Anm. 31), 380f. (vgl. dagegen jedoch KÖCKERT, Vätergott [s.

A n m . 33], 166f.). 44 Schon GUNKEL hält V 10b für „das eigentliche Gesetz", das sich in seiner für den ältesten Torastil charakteristischen Kürze „von der Redseligkeit der folgenden Ausführungsbestimmungen" abhebt (Genesis, 270). Man kann vermuten, daß die Anpassung des älteren Gebots in den Zusammenhang der Anrede (2. Pers. PI.) durch D37 gleichfalls auf P 8 zurückgeht. 45 Mit „Ausweis" und „Hinweis" als zwei Aspekten der Grundbedeutung des Begriffs ms nehme ich F. STOLZ, Art. riw THATI, 91, auf.

84

3. Kapitel: Leben in Gottes Gegenwart

Gehorsam gegenüber dem Gebot versteht sich jede neue Generation im Lichte jener Zusagen der V 4-8. Die Formulierung „Zeichen der berit zwischen mir und dir" greift schließlich [40] ausdrücklich den Kern der göttlichen Zusage auf, „dein und deines Samens nach dir Gott zu sein" (V 7-8). Mit dem Gehorsam gegenüber dem Gebot der Beschneidung nimmt Israel Gott beim Wort und ergreift die Zusage seiner besonderen, allein ihm geltenden Nähe. Wer sich beschneiden läßt, identifiziert sich als zu denen gehörig, deren Gott zu sein sich Jahwe schon bei Abraham am Ursprung jener Geschichte bestimmt hat. Insofern ist es die Verheißung, die Gottes Gegenwart gewährt, das Gebot aber ermöglicht nichts Geringeres als Zugehörigkeit und ordnet das Leben in Gottes Gegenwart. 46 So hält die ältere priesterschriftliche Schicht Verheißung und Gebot zusammen. Sie bedient sich dazu eines uralten, ja gewiß vorisraelitischen Brauchs, 47 der in den älteren Gesetzescorpora völlig fehlt, weil er als „ethnisch begründeter Ritus" keiner theologischen Begründung bedurfte. 48 Was auch immer seine ursprüngliche Bedeutung gewesen sein mag, sie verliert sich im Dunkel der Vorgeschichte; 49 P 8 gibt ihm erstmals einen deutlich erkennbaren theologischen Sinn, indem sie ihn als ein Zeichen der Zugehörigkeit zu Israels Gott interpretiert. Das erhält seine präzisen Konturen auf dem Hintergrund des Exilsgeschicks, in dessen Erleiden alle tragenden Relationen zwischen Gott und Volk und Land zerbrechen mußten. Die Beschneidung macht die Zugehörigkeit auf Grund der unverbrüchlich (! D^iy rr~Q V 7) in Kraft stehenden Zusage, Israels Gott sein (und bleiben!) zu wollen, wirksam; 50 und es macht Israel der vorauslaufenden Zusage gewiß! 51 Weil allein davon das Leben vor Gott trotz des Zusammenbruchs auf allen Ebenen abhängt, bedarf es des Gebots, und deshalb schärft V 9a sein Tun so nachhaltig ein. Zwar könnte 46

Vgl. nur WESTERMANN, Genesis 17 (s. ANM. 38), 167: „Im Vollzug der Beschneidung von Generation zu Generation wird die Mehrungsverheißung und mit ihr die Verheißung 'ich will euer Gott sein' antwortend bestätigt." 47 Als Zeichen hohen Alters gilt allgemein die Ausführung des Ritus mit Messern aus Feuerstein (Ex 4,25; Jos 5,2f.); die vorisraelitische Herkunft wird gern mit Ex 4,24-26 (Midianiter) und Jer 9,24f. begründet; s. die in ThWAT IV, 734ff., verarbeitete Literatur. 48

49

WESTERMANN, G e n e s i s (s. A n m . 39), 3 1 8 .

Eine Übersicht bieten H.-J. HERMISSON, Sprache und Ritus im altisraelitischen Kult. Zur „Spiritualisierung" der Kultbegriffe im Alten Testament, WMANT 19, NeukirchenVluyn 1965, 65; WESTERMANN, Genesis (s. Anm. 39), 319f., und Art. Beschneidung, in: TRE V, 1980,714-724 (O.BETZ). 50 Ähnlich bezieht WEIMAR, Gen 17 (s. Anm. 27), 44, V 10-11 (vgl. 9,12a und 9,13b) auf das „Wirksamwerden der in V. 7 + 8* verheißenen b'rit". 51 ZENGER verkürzt die Zeichenfunktion der Beschneidung dagegen allein auf ein Zeichen für Gott. Seine Interpretation als „'Merkzeichen' für Gott, die dem Abraham gegebene Verheißung an den Trägern der Beschneidung zu erfüllen" (Gottes Bogen [s. Anm. 17], 150), ist aus der Analogie Gen 9 gewonnen; dort aber wird der Zweck eigens genannt (V 16b IST1? / V 15 '/ran).

3.2. Befreites Volk: Das Passa

85

seine Mißachtung Gottes Zusage nicht rückgängig machen, doch bleibt der Unbeschnittene ausgeschlossen. So ist das Gebot letztlich um der Teilhabe an der Verheißung willen da, damit sie allen zugute komme, die Abra- [41]hams Same heißen. 52 V. 10a führt es deshalb sachgemäß mit jener auf V 7 weisenden Wendung „... zwischen mir und euch" ein. 3.1.4. Die Interpretationen in Gen

17,12a.l3b/17,12b-13a/14

g

Auf das von P kommentierte Beschneidungsgebot folgen zwei Ausführungsbestimmungen (V 12-13). Die erste legt den Termin der Beschneidung auf den achten Tag fest (V 12a); die zweite weitet das Beschneidungsgebot auch auf die volksfremden im Hause geborenen und gekauften Sklaven aus (V 12b13a). Der Wechsel vom Plural („euch") in den Singular („dein") weist in jedem Falle jene zweite Ausführungsbestimmung als Nachtrag aus, 53 der mit jenen sekundären, immer genauer spezifizierenden Festlegungen der Passabestimmungen in Ex 12, 43f. zusammenhängen wird. 54 Jedoch dürfte schon die literarisch vorausliegende erste Ausführungsbestimmung (V 12a) zusammen mit dem gleichfalls in der zweiten Person formulierten zweiten Deutesatz (V 13b) nicht zu P g gehört haben. Zunächst einmal zeigt die hier wie auch sonst zu beobachtende Tendenz weiteren Wachstums des Rituals ein zunehmendes Interesse an der Gehorsamstat. Sodann fallt die terminologische Verschiebung von „Fleisch eurer Vorhaut" als „Zeichen der berit" (V 11) zu „berit an eurem Fleisch" als „ewige berit" auf. Diese Variationen in der Terminologie erscheinen geringfügig, aber sie haben das theologische Verhältnis von Verheißung und Gebot tiefgreifend verändert. Die Interpretation der Beschneidung als tfrlS? rP"Q war zwar der Sache nach schon in V 9b (arm 1 ?; vgl. V 12a) angelegt, wie überhaupt mit dem Gebot natürlich schon von vornherein niemals nur eine temporär begrenzte, sondern bleibende Institution begründet werden sollte. Jetzt aber, eingestellt in die das Kapitel strukturierende theologische Begrifflichkeit, kommt die Beschneidung unweigerlich in eine terminologische Analogie zu Gottes Zusage (V 7). 55 An die Stelle der einseitigen Auszeichnung der Ver-

52

Die in den einschlägigen Handbüchern stets hervorgehobene Bedeutung der Beschneidung in der Exilszeit als Unterscheidungszeichen gegenüber der mesopotamischen Umwelt, der die Beschneidung fremd war, verzeichnet die Intention des Textes: „... er ist zuerst auf Zugehörigkeit und erst in zweiter Linie auf Unterscheidung ausgerichtet" (so m. R. HERMISSON, Sprache [s. Anm. 49], 68f.). 53 So die meisten Exegeten von R. SMEND, Die Erzählung des Hexateuch auf ihre Quellen untersucht, Berlin 1912, 9, bis KUTSCH, Gott (s. Anm. 31), 378, und WEIMAR, Gen 17 (s. Anm. 27), 30f. 54 S. auch die Stichworte 1D: p 103 rupa. 55 Die von WEIMAR, Gen 17 (s. Anm. 27), 27, ins Feld geführten Gesichtspunkte gegen die Ursprünglichkeit von nVis rp-o in V 7a sind m. E. nicht durchschlagend; denn daß V 7b

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3. Kapitel: Leben in Gottes Gegenwart

heißung als unverbrüchliches Wort tritt eine gewisse Parallelität und, davon suggeriert, Gleichrangigkeit von Verheißung und Gebot. Der unverbrüchlichen Ver- [42]heißung, Israels Gott zu sein, steht die Beschneidung als ebenso unverbrüchliche Verpflichtung Israels gegenüber. Das Verhältnis ungleicher Vorordnung der Verheißung ist einem gewissermaßen ausbalancierten Gegenüber von Gottes Wort und menschlicher Gehorsamstat gewichen, mag die Verheißung auch das erste Wort noch haben. Aber wehe, wenn das Gleichgewicht ins Wanken gerät! Kein Wunder, daß die Unterlassung der Beschneidung Schuld ist, die unsühnbar bleibt, wie dann ganz konsequent auf dieser Linie V 14 einschärfen wird. Die vollzogene Beschneidung erscheint jetzt weniger als Zeichen, das von sich weg auf Gottes Zusage weist, denn als Werk, dessen rituell korrekter Vollzug die heilvolle Wirklichkeit des „dein Gott" verbürgt. Wurde in V 9-10 der Vollzug des Gebotes um des von Gott gesetzten Verhältnisses zu Israel und um dessen Teilhabe willen (... f a TP-Q) eingeschärft, so ist das Gebot in V 13b auf dem Wege, Selbstzweck zu werden m n ) . Zwar bleibt die Vorordnung der unverbrüchlichen Verheißung Gottes gewahrt, 56 doch bietet die starke Gewichtung der Unverbrüchlichkeit menschlicher Gehorsamstat (D^iu JV"n) genug Anlaß, gesetzlich verstanden werden zu können. Die Ausweitung der Beschneidungsforderung auf die Sklaven (V 12b-13a) scheint auf dieser Linie zu liegen; denn noch Ez 44,7f. weiß davon, daß Israel an Fleisch und Herz (!) unbeschnittene Fremde zu Tempeldiensten herangezogen hat, womit Tempelsklaven gemeint sind.57 Wenn jetzt auch die nichtisraelitischen Sklaven beschnitten werden sollen, denen doch so wenig wie Ismael (vgl. V 20 mit V 21) die Verheißung von V 7 gilt, dann erscheint das Beschneidungsgebot gänzlich abgelöst von der Verheißung und von seinem ohne die inkriminierte Wendung „wesentlich besser an den übergeordneten Hauptsatz anschließen würde", kann schwerlich als literarkritisches Argument gelten, und die Belege in Ps (Gen 9,16 [?]; Ex 31,16; Lev 24,8) können ja auch den im Pg mit Bedacht auf Gen 17,7 beschränkten Gebrauch sekundär aufgenommen und ausgeweitet haben; daß schließlich für die parallel stehende Wendung n'TO mnx'7 „unmittelbar literarkritische Spannungen nicht zu konstatieren sind", sieht Weimar selbst, was ihn allerdings nicht hindert, auch hier ein „redaktionelles Aussageelement" anzunehmen - wegen der Parallelität zu d'to rrm1?. 56 Insofern kann von einem konditionalen Verhältnis, wie WEIMAR, Gen 17 (s. Anm. 27), 48, für seine anders abgegrenzte erste nach-priesterschriftliche Redaktion anzunehmen scheint (er spricht etwas schillernd von „bedingtem Charakter" der göttlichen berit), m. E. auf keiner Textebene gesprochen werden. Wohl aber wird, und zwar schon auf der ältesten Ebene des Textes, die in ihrem Bestand von der Gebotserfullung unabhängige göttliche Zusage, Israels Gott zu werden, nur durch den Vollzug der Beschneidung aktuell wirksam. 57 Vgl. Esr 2,43ff.55ff. Ihre nichtisraelitische Herkunft ist auch an den Namen ablesbar (dazu s. A. H. J. GUNNEWEG, Esra [KAT], Berlin 1985, 60f.). Ez 44,6ff. gehören - unabhängig von der (m. E. eher skeptisch zu beurteilenden) Möglichkeit authentischen Guts im Verfassungsentwurf überhaupt - ohnehin zu einer Bearbeitungsschicht, die frühestens in spätexilische Zeit angesetzt werden kann.

3.2. Befreites Volk: Das Passa

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Charakter als Zeichen, eben nur noch als „berit an eurem Fleisch". 58 Das von der Verheißung gelöste Gesetz wird damit immer umfassender in seinem Geltungsbereich. Aber diese Totalität hat ihren Preis. Schon bei der Festlegung des Termins auf den achten Tag nach der Geburt war die Beschneidung für den beschnittenen Säugling allein ein äußerer Akt, so daß spätestens von dieser Festlegung an die Frage nach der Beschneidung des Herzens aufkommen mußte, obwohl doch der Akt der Beschneidung als solcher Zeichen blieb. Bei der Beschneidung der nichtisraelitischen Sklaven aber fällt jede Relation des Be- [43]schnittenen zu Gottes Verheißung hin. Das von der Verheißung gelöste Gesetz muß deshalb in der Konsequenz zu einem entleerten Ritualismus fuhren. So kann die Beschneidung schließlich sogar als Bedingung erscheinen - zwar nicht für die Verheißung, wohl aber für die Zulassung zur häuslichen Kultgemeinschaft, wie sie Ex 12,43f. (P s ) für die Passafeier ordnet. 59 Spätestens jetzt tritt neben den Aspekt der Zugehörigkeit die als Komplement damit verbundene Aussonderung aus den Völkern beherrschend in den Vordergrund. Mit V 14 fugt ein weiterer Ergänzer den Ausführungsbestimmungen einen sakralen Rechtssatz an, der im Stile der Todesrechtssätze Sanktionen für den Unbeschnittenen androht. Der Rechtssatz ist mit dem sprachlichen Material aus dem vorausliegenden Gebotsteil als Totalumkehrung des älteren Beschneidungsgebots (V lOf.) formuliert. 60 Die Analogien für die Gestalt des Rechtssatzes stammen allesamt aus sekundär-priesterlichem Gut und stellen die Verweigerung der Beschneidung in eine Reihe mit sakralrechtlichen Vergehen.61 Als ein derart formulierter Rechtssatz hebt V 14 den Ungehorsam gegen Gottes Weisung in den Rang eines Rechtsbruches. War in der ältesten Schicht der Vollzug der Beschneidung um eines von der Gegenwart Gottes gewährten und gestalteten Lebens willen notwendig, so schloß sich der dem Gebot Gottes Verweigernde schon selbst von der Verheißung aus. Ein Leben 58

Die Interpretation von V 12b und V 13a als eine Bestimmung, die „in der Einbeziehung der Ausländer" (es handelt sich um Sklaven, die zum Hauswesen gehören!) „eine gewisse Offenheit" verrate (so WEIMAR, Gen 17 [s. Anm. 27], 51, unter Aufnahme von WESTERMANN, Genesis [s. Anm. 39], 321), geht wohl am Text vorbei. 59 In Ex 12,48 liegen die Dinge anders. Dieser weitere Nachtrag (innerhalb von Ps) räumt auch dem "U die Zulassung zur Passafeier unter der Bedingung der Beschneidung ein. Dabei dürfte wohl, wie in den späten Schichten von P s überhaupt, an den voll integrierten Proselyten gedacht sein, der die priesterschriftliche Kulttora übernimmt (s. z. B. in der Opfergesetzgebung Lev 22,17-33; Num 15,14-16). Gemäß Num 15,26ff. hat das Sündopfer auch für den Fremdling Sühnkraft. Hier ist der u in die Israel geltende Verheißung einbezogen, wie die Gleichstellungsformel zeigt (vgl. D. KELLERMANN, ThWAT I, 987f.). 60 y 14 g r e ift m j t -,31 ij-un a u f -Qt ^3 a u s v iob, mit Via1 tö nzm auf cd1? ^ a n aus V 10b (vgl. V 12-13), mit -irfriy i r a ™ auf DDrfTO nun ns aus V 1 la zurück. 61 Zusammenstellung der Belege und Untersuchung bei W. ZLMMERLI, Die Eigenart der prophetischen Rede des Ezechiel, ZAW 66, 1954, 1-26 = DERS., Gottes Offenbarung (s. Anm. 27), 162-169.

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3. Kapitel: Leben in Gottes Gegenwart

fern von jenem „Ich bin euer Gott" verdient jedoch für die hinter P s stehenden Gruppen gewiß nicht den Namen Leben. Insofern sagt V 14 nichts grundsätzlich Neues. Neu aber ist die Art, in der hier geredet wird; denn im Lichte von V 14 hat sich nun endgültig das Zeichen, das Gottes Zugehörigkeit verbürgt, in ein unter Strafandrohung gestelltes Gesetz verwandelt. 62 Die abschließende Interpretation in V 14b mit dem Leitwort berit wirkt wie eine deklaratorische Formel, 63 die im Rückgriff auf V 9aß und eingedenk der Verstärkung von V 13b die Zerstörung des Gegenübers von [44] Gottes Verheißung und menschlicher Gehorsamstat feststellt.64 In der auf der Ebene von V 13b geschaffenen Konzeption des Gleichgewichts muß das Versagen der einen Seite stets das Ganze treffen. Insofern stellt die Wendung "isn 'rinn nicht nur den Ungehorsam gegenüber Gottes ewig gültiger Weisung fest, sondern tangiert auch die unverbrüchliche Verheißung.65 Das ist mit dem ursprünglichen Sinn der als unverbrüchlich zugesagten berit Gottes (V 7-8) nicht mehr spannungslos vermittelbar. Insofern haben sich in der in Gen 17 erkennbaren priesterlichen Literaturgeschichte nicht nur die Bedeutung der Beschneidung, sondern auch das Verhältnis von Gebot und Verheißung sub voce berit gewandelt.

3.2. Befreites Volk: Das Passa 3.2.1. Ex 12 im Rahmen der Gesamtkomposition Neben der Beschneidung begründet P außerhalb der Sinaiperikope einzig die Einsetzung des Passa mit einer göttlichen Weisung, die aus der erzählten Geschichte erwächst (Ex 12). Nun ist - unabhängig von der gegenwärtig strittigen Frage, ob Ex 12,21-27 als 'jahwistisch' zu beurteilen sei66 - in jedem 62

Die rnD-Formel der Strafandrohung hat nicht physische Vernichtung durch Menschen im Blick (s. die Formulierung mit Nif.!). Sie muß wohl wie eine Bannformel verstanden werden, mit der der Unbeschnittene „aus dem Lebenskreis 'vor Gott', ... aus der Kultgemeinschaft der Sippe, ... aus der Gemeinschaft des Bundesvolkes Israel" (ZLMMERLI, Eigenart [s. Anm. 61], 168) ausgegrenzt wird, so daß an ihm statt Lebensfulle (s. Mehrung und Land in V 4-8) in Gottes Nähe (V 7-8) Gottesferne als Lebensentzug wirksam wird. 63 W. THIEL, HEFER BERIT. Zum Bundbrechen im AT, VT 20, 1970, 214-229, bes. 227. 64 Insofern ist auf dieser Ebene in der Tat das Verständnis von berit ein anderes. Konditionale Untertöne fehlen allerdings völlig; sie scheinen - anders als bestimmten dtr Schichten (Dtr N) - der Priesterschrift auf allen Ebenen von Gen 17 fremd zu sein. 65 Läßt man die für Gen 17 m. E. unangemessene Kategorie bedingt - unbedingt beiseite, treffen sich die hier vorgetragenen Überlegungen mit WEIMARS Charakteristik von Ps (Gen 17 [s. Anm. 27], 48). 66 S. zuletzt einerseits E. OTTO, ThWAT VI, 659-682 (mit der einschlägigen Literatur), und anderseits J. v. SETERS, The Place of the Yahwist in the History of Passover and Massot, ZAW95, 1983, 167-182.

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Falle das Deuteronomium der Priesterlichen Komposition mit der Verbindung von Exodus und Passa vorausgegangen, so daß nicht schon in dieser geschichtlichen Situierung als solcher ihr Proprium gesehen werden kann. Geben Beziehungen zu anderen genuin priesterlichen Stücken Genaueres zu erkennen? Da der Kern von Ex 12,1-14 als Ritual des Passafestes ohnehin nichts dafür hergibt, kommen nur die deutenden V 12-14 in Betracht. Sie weisen einerseits auf Gen 17. So wird zwar nicht das Passa expressis verbis, wohl aber der apotropäische Blutritus, also sein in der Verbindung mit der Tötung der Erstgeburt entscheidender Teil, als Zeichen (ms vgl. Gen 17.11) verstanden. Die Anordnung der Passafeier erhebt Gültigkeit für alle Generationen (DDVITT1? vgl. Gen 17,9.12). Und sie erscheint schließlich sogar als „ewige Ordnung" (d^y npn vgl. Gen 17,13), da von IT~Q nach der Väterzeit mit Bedacht nicht mehr geredet wird. Anderseits lassen sich Stichwortbezüge zu Ex 6 beobachten. So kann man bei den „Gerichten", die Jahwe an den Göttern Ägyptens halten wird (Ex 12.12), trotz der unterschiedlichen Verwendung des Wortes 03C gegenüber 6,6 und 7,4 schwerlich von den „großen Gerichten" absehen, mit denen Jahwe Israel aus Ägypten zu erlösen verheißt (6,6). Beide Male [45] erscheint in diesem Zusammenhang die Selbstvorstellungsformel „Ich bin Jahwe" (vgl. 6,6a mit 12,12b).67 Schließlich steht die Kennzeichnung des Passafestes als „Gedenktag" (1T1DT 12,14) in einem sachlich bedeutsamen Gegenüber zur Reaktion Jahwes auf das Schreien der Israeliten in 6,5 (vgl. 2,24): „... ich gedachte (~DT) meiner berit."6i Die Rückbezüge auf Gen 17 schließen offenbar Materialien aus P s ein, wie •Vli? und Gen 17,13 deutlich zeigen, und verfolgen die Absicht, die Anordnungen der Beschneidung, des Passa und des Sabbat miteinander zu verbinden. Die Querverbindungen mit Ex 6 scheinen dagegen schon auf einer älte ren Ebene zu liegen.69 Dieser priesterliche Sachzusammenhang bringt Israels 67

Ihre unterschiedliche Stellung ist kontextbedingt: In 6,6 geht sie der Herausführungsverheißung sachgemäß voran, in 12,12 steht sie ebenso sachgemäß als Kontrast zu den Göttern der Ägypter, deren Ohnmacht die Tötung der Erstgeburt dartun wird. 68 Hierauf hat vor allem R. SCHMITT, Exodus und Passa, ihr Zusammenhang im Alten Testament, OBO 7, Freiburg/Göttingen, 1975, 83f., hingewiesen. 69 Die Vertreter des klassischen Quellenmodells haben 12,1.3-14.28.40f. in der Regel P e zugerechnet (s. z. B. NOTH, Das zweite Buch Mose. Exodus, ATD 5, Göttingen 1959, z. St.; ELLIGER, Sinn [s. Anm. 11], 174). Selbst P. WEIMAR beläßt P 8 einen Kern der Passaeinsetzung (BN 23, 1984, 85). Dagegen hat J.-L. SKA, Les plaies d'Egypte dans de récit sacerdotal (P8), Bib 60, 1979, 23-35, vor allem kompositionskritische Argumente ins Feld geführt (ihnen ist auch LOHFINK, Priesterschrift [s. Anm. 12], 193, gefolgt). Entscheidend sind fur SKA: EX 7,1-5 fungiere als vorausblickender Plan der Ereignisse, der aber über die Plagen lediglich auf das Meerwunder ziele; weder in 7,1-5 noch in Ex 14 spielen Passa und Tötung der Erstgeburt eine Rolle. Diese Charakteristik von 7,1-5 ist allerdings eine petitio principii. Gerade wenn sich 7,4b auf eine Gesamtheit und nicht auf bestimmte konkrete Elemente des Erzählablaufs bezieht, wie SKA meint, ist ein Kern von Ex 12 ohne weiteres mit abgedeckt. Aus unter-

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3. Kapitel: Leben in Gottes Gegenwart

Gehorsamstat in der Passafeier als Tag des Gedächtnisses in das Verhältnis der Entsprechung zu Jahwes vorangehenden Gedenken. Zwischen beider Gedenken steht aber - anders als in der erzählten Abfolge - der Exodus; denn was sich in Ex 12,1-14 als Anweisung für den historisch einmaligen Aufbruch aus ägyptischer Unterdrückung gibt, hat nicht das einmalige Ägyptenpassa, sondern das all- [46]jährlich zu feiernde Fest im Blick. Beider Gedenken unterscheidet sich nicht nur im Sinne von Wort und Antwort, sondern vor allem darin, daß Jahwes Gedenken als machtvolles Tun Israels Befreiung bewirkt, während Israel in der alljährlichen Feier des Passa sich selbst auf diese Israels Existenz gründende Tat Gottes bezieht und im gehorsamen Vollzug sich stets aufs neue als von Jahwe angenommen und deshalb zu ihm gehörender DV (6,6-7) gewinnt. Es ist also das verschiedene Verhältnis zum Exodus, das Gottes Gedenken von dem Israels unterscheidet. Gottes Gedenken bringt Israels Exodus unter das Vorzeichen der Abraham-öenY und interpretiert ihn als Tat der Treue Gottes. Israels Gedenken verknüpft jedes Passa stets neu mit Gottes Tat von einst. Israels Passagedenken ist deshalb nicht aus Sklavengehorsam geboren; es ist vielmehr die Feier von Befreiten, die Befreiung nicht nur erfahren haben, sondern die ihre gewonnene Freiheit ergreifen, indem sie als freier DV in der Feier des Passa Gott die Ehre geben. 3.2.2. Die priesterliche Kommentierung des älteren

Passarituals

Wir setzen mit 12,1-14.28 als dem vermutlich ältesten Stück der priesterlichen Passaüberlieferung ein. Sie hat, wie schon länger gesehen, in V schiedlichem Gebrauch von Stichwörtern kann man schwerlich sogleich auf verschiedene Schichten schließen, zumal in Ex 14 ÜSÜ so wenig vorkommt wie in Ex 12 VT; daß sich die „großen Gerichte" allein auf das Meerwunder beziehen können, erscheint deshalb nicht als zwingend. Der Sprachgebrauch ist, wie Ska selbst sieht, ambivalent - bis auf D^IJ? npn; es macht aber keine Schwierigkeiten, V 14aßb überhaupt als sekundären Nachtrag anzusehen (s.u.). Daß die Passaeinsetzung vor der Offenbarung der Kultgesetze am Sinai schwer denkbar sei, träfe für Ps in verstärktem Maße zu - wenn eben nicht von vornherein das Passa als eine Begehung besonderer Art intendiert gewesen ist, die weder eines Priesters noch des Heiligtums bedarf; genau so aber führt Ex 12 das Passa ein. Das in der Tat auffällige Fehlen jeglicher Theophanieelemente (man sehe dagegen Gen 17 und Ex 16,10) erklärt sich einfach, insofern das Passa - anders als die Beschneidung - nicht einfach angeordnet wird, sondern aus der erzählten Situation erwächst, in der selbst eine Art 'Theophanie' stattfindet (V 13!). Der etwas abrupte Neueinsatz in 12,1 ist nach der die Plagen abschließenden Zusammenfassung in 1 l,(9).10a(b) notwendig und hebt außerdem die Einsetzung des Passa besonders hervor. Im übrigen kann 11,9 (Wunder in Ägypten!) nicht das Meerwunder, sondern nur die Tötung der Erstgeburt, also Kap. 12 im Blick haben. Manches spricht freilich (gegen SKA, 26) dafür, daß 11,9.10b von späterer Hand stammen (s. dazu F. K O H A T A , Jahwist und Priesterschrift in Exodus 3-14, BZAW 166, Berlin/New York 1986, 124f.). In jedem Falle hebt der Neueinsatz die folgende Passaanordnung hervor. Würden umgekehrt Ex 12,1-14* in P e fehlen, blieben 12,40f. ohne jede erzählte Vorbereitung und der gesamte Exodus gänzlich unmotiviert (vgl. auch S C H M I T T , Exodus [s. Anm. 68], 20f.).

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3b.6b*.7a.8a.l lbß ein älteres Passaritual aufgenommen. 70 Es ist durchgehend in der dritten Person formuliert und syntaktisch an der stilgemäßen Reihung von Sätzen des Typs wAk-x erkennbar. Durch beides hebt sich die Vorlage von ihrem in zweiter Person gehaltenen P-Kontext ab. Dieses vorgegebene Passaritual läßt weder einen Bezug zum Exodus erkennen, noch gibt es eine Deutung oder gar Begründung bis auf die ausdrückliche Dedikation am Schluß: „Passa ist es für Jahwe" (V 1 lb). Eine ältere Bearbeitung (Pg) stellt zunächst das unpersönlich gehaltene Ritual in einen Rahmen, der die Passaordnung als direkte Jahwerede einfuhrt und so in besonderer Weise autorisiert (V 1). Sie präzisiert sodann die rituellen Anweisungen: V 10 nimmt mn rDv'?3 aus V 8a auf und erklärt, was mit dem in der Nacht nicht mehr verzehrten Fleisch geschehen soll; V 9 nimmt "iran m "toxi aus V 8a auf und legt die Art der Zubereitung genau fest. 71 V 10-11 bedienen sich dabei der dtn Passaagende (vgl. Dtn 16,4b) in ihrer dtr Fassung (vgl. Dtn 16,3b72). Ein genauer Vergleich erweist die Benutzung jedoch weithin als tiefgreifende Korrektur. 73 Versteht die dtn Bestimmung das Passalamm als Opfer und ordnet sie des- [47]halb an, es zu kochen (Dtn 16,7a), so verhindert P gerade durch die Art der Zubereitung jede Assoziation an ein Opfer (Ex 12,9). Ebenso gestattet P in Ex 12,5 gegen Dtn 16,274 nur Kleinvieh. Schließlich ersetzt P die vom Dtn durchgesetzte ausschließliche Bindung der Feier des Passa an das Jerusalemer Heiligtum (Dtn 16,5-6) durch die Bindung an die häusliche Feier in der Familie, die Ex 12,4 noch verstärkt.75 Man kann diese Korrekturen an Dtn 16 aus dem kompositorischen Ort der Passaordnung vor der Errichtung des legitimen Heiligtums am Sinai erklären.76 Aber es will doch wenig einleuchten, daß P eine bleibende Institution ausgerechnet mit einem künstlichen Ritual einfuhrt, das selbst auferlegten 70 So im Anschluß an G. v. RADS Analyse (Die Priesterschrift im Hexateuch, BWANT IV/13, Stuttgart 1934, 46ff.) vor allem R. RENDTORFF, Die Gesetze in der Priesterschrift, FRLANT 62, Göttingen 1963, 56f., in der Analyse (nicht aber in der Gattungsbestimmung) gefolgt von P. LAAF, Die Pascha-Feier Israels, BBB 36, Bonn 1970, 10-16, und zuletzt OTTO, ThWAT VI, 669. 71 Für eine Zuweisung der V 9-11 (und 4) an Ps (so LAAF, Pascha-Feier [s. Anm. 70], 1334) sehe ich keine positiven Argumente. V 8b ist wohl erst nachträglich aus V 9 und aus der Verbindung mit 12,15ff. gebildet worden. 72 Vgl. Dtn 16,4b. Zu Dtn 16,3b = dtr s. schon C. STEUERNAGEL, Das Deuteronomium übersetzt und erklärt, HKAT 1/3,1, Göttingen 21923. z. St. 73 Vgl. OTTO, ThWAT VI, 676f. 74 Rinder sind neben Schafen die Tiere, die für ein Zäbach-Opfer vorgesehen sind. 75 V 4 präzisiert die Vorlage von V 3b, indem er das Problem löst, wie ein hausweises Essen des Passalammes bei zu kleiner Familie gewährleistet werden kann: Die Familie, als rrn konstituiert, wird durch Nachbarn vergrößert. 76 So, repräsentativ für viele, OTTO, ThWAT VI, 677, vgl. CHOLEWINSKI, Heiligkeitsgesetz (s. Anm. 9), 214.

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3. Kapitel: Leben in Gottes Gegenwart

literarischen Zwängen gehorcht, statt mit der dem tatsächlichen Ritus entsprechenden Agende des Festes zu begründen, wozu der Text allererst geschaffen wurde. Eine Verbindung mit dem Exodus hätte ja auch bei einer Passaordnung am Sinai oder später unschwer hergestellt werden können, wie das auf seine Weise auch Dtn 16 getan hat. Es läßt sich deshalb nicht ohne weiteres von der Hand weisen, wenn auch nicht streng beweisen, daß diese Korrekturen in engem Zusammenhang mit der Situation der Exilszeit stehen, in der das Heiligtum zerstört war. 77 Die Priesterschrift reaktiviert gewissermaßen die vor-dtn Passapraxis in stillschweigender Auseinandersetzung mit der dtn und autorisiert ihr Konzept durch ausdrückliche Anordnung Jahwes (V 1). Vor dem Hintergrund des Exils werden vor allem die Bezüge zum Ägyptenexodus in den V 11-13 transparent. Nicht nur der Blutritus (wie in 12,23), sondern das gesamte Mahl (V 11) stellt das Passa deutend in die Aufbruchsituation des Exodus; das Wortspiel nos - ]lTDn (V 1 lb) bezieht das Essen ausdrücklich in die Festätiologie ein.78 Das Passa im Deutehorizont des Ägyptenexodus kann deshalb gar nicht anders denn als Fest der Erwartung und der Hoffnung gefeiert werden. Inhalte der Hoffnung bringen die V 12-13. Die P vorgegebene Tötung der Erstgeburt wird nicht nur als Gericht über die Unterdrücker79 und als Motivation für den Aufbruch übernommen, vielmehr bringt P damit die von ihr schon im Plagenzyklus verfolgte Linie auf den Höhepunkt; denn in der Tötung der Erstgeburt Ägyptens vollzieht Jahwe (!) abschließend das Gericht über „alle (!) Göt- [48]ter Ägyptens", so daß der Exodus Jahwe als einzigen Gott gegenüber allem erweist, was sonst noch Gott zu sein vorgibt. Der Gedankengang zielt denn auch auf jenes an Deuterojesaja gemahnende herrscherliche „Ich (allein) bin Jahwe!" 80 Mit der Einzigkeit Jahwes in dem doppelten Sinne von „Alleinwirksamkeit" und „Geschichtsmächtigkeit ... gegenüber den Völkern" 81 ist eines der entscheidenden theologischen Themen der Exilszeit angeschlagen, übten doch die Götter der Sieger angesichts der täglich erfahrenen Ohnmacht keine geringe Faszination auf Israel aus. In der Konkurrenz des religiösen Angebots mußte die Frage nach

77

So z. B. LAAF, Pascha-Feier (s. Anm. 70); H. HAAG, Vom alten zum neuen Pascha, SBS 49, Stuttgart 1971, 84ff.; J. SCHREINER, Exodus 12,21-23 und das israelitische Pascha, in: Studien zum Pentateuch, W. Kornfeld zum 60. Geburtstag, hg. v. G. Braulik OSB, Wien/ F r e i b u r g / B a s e l 1 9 7 7 , 6 9 - 9 0 , b e s . 8 9 ; SCHMITT, E x o d u s (s. A n m . 6 8 ) , 8 8 - 9 2 . 78

Vgl. LAAF, Pascha-Feier (s. Anm. 70), 135; er rechnet - freilich ohne durchschlagende literarkritische Begründung (S. 13f.) - die V 9-11 (ohne die letzten drei Wörter) zur jüngsten Bearbeitungsschicht (S. 15, 135f.). 79 Dieser Akzent beherrscht stärker noch V 23, der Ägypten und nicht die Erstgeburt als Objekt des Schlagens Jahwes nennt. 80 Es ist nur konsequent, wenn P die gesamte Szene von allen gegen oder auch nur neben Jahwe agierenden Größen befreit. Dieser Säuberung fällt der in V 23 personifizierte „Verderber" zum Opfer; V 13 hat ihn in einen „Schlag rpntraV' verwandelt. 81 So m.R. OTTO, ThWAT VI, 677.

3.2. Befreites Volk: Das Passa

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Jahwe inmitten vieler Götter überdies Israels Identität betreffen. Mit Ex 6,7 lehrt P Israels Identität als eine einzig von Jahwes Gnadenwahl (np1?) und von seinem Befreiungshandeln (SS1) geschaffene zu verstehen. Das hatte die zu einem Volk gemacht, von dem fortan gelten sollte D371? ,1 7; und darin hatte sich Jahwe als „ihr Gott" erwiesen. Die Passaanordnung nimmt die in Ex 6,7 von Jahwe gewährte Zugehörigkeit und die damit gesetzte Unterscheidung Israels von den Völkern auf, insofern sie - über ihre dtn Vorgänger hinausgehend - in Ex 12,13 das Passablut in die Deutung einbezieht und es ausdrücklich als Zeichen (mx) interpretiert, das Israel rettet, indem es Israel von Ägypten und damit von den Völkern unterscheidet.82 So kehrt Israel in der Passafeier als 1TDT QV bei seinem Ursprung ein und gewinnt in seiner Herkunft seine Identität. Deshalb ist für P die Passafeier trotz aller Hervorhebung der Familie als der allein über die Katastrophe hinaus intakt gebliebenen sozialen Größe mehr als eine Familienfeier; sie ist ein Fest, das zwar hausweise, aber dennoch von ^¡CIW mv 73 (V 3) gefeiert wird. Die aber konstituiert sich in der Feier des Passa FNDT1?. Dieses Gedenken (V 14a)83 ist für das in der Passaanordnung erkennbare Gesetzesverständnis von PE entscheidend. Befreiung aus Ägypten - einst wie auch als Ursprungsereignis von Heil für Israel aller Zeiten - ist weder von Gottes Forderung noch von Israels Gehorsam gewirkt, sondern verdankt sich allein Gottes tätigem Gedenken an die Abraham gegebene Verheißung, Israels Gott sein und bleiben zu wollen. So ermöglicht und umschließt die in seiner Verheißung gründende Rettungstat Gottes allen nachfolgenden Gehorsam Israels. Im Passafest feiert Israel seine Befreiung als Urereignis, mit dem Gott allem Sollen Israels vorangeht. Deshalb [49] ist für P die im Gesamtritus deutend vollzogene Verbindung von Exodus und Passa, von Kultus und Geschichte entscheidend. 84 Diese Verbindung nicht abreißen zu lassen, bedarf 82 Vgl. SCHMITT, Exodus (s. ARN 68), 84f.; OTTO, ThWAT VI, 677. Gegenüber der beliebten Deutung der Bluthandlung als Sühneritus und sogar als Bundeszeichen (zuletzt bes. LAAF, Pascha-Feier [s. Anm. 70], 132-134) hat JANOWSKI, Sühne (s. Anm. 26), 248-249, alles Nötige vorgebracht. 83 V 14aa ist für sich zu nehmen und der älteren Schicht zu belassen (gegen LAAF und viele andere); denn die angeführten Gegenargumente beziehen sich auf die folgenden Versteile. Insofern dürfte SCHMITT für den ersten Satz des Verses durchaus im Recht sein (Exodus [s. Anm. 68], 80 Anm. 253), zumal „dieser Tag" ohne weiteres auf V 12f. bezogen werden muß. 84 Von einer kultdramatischen Vergegenwärtigung kann dabei keine Rede sein. Die rituellen Gestaltungen sind nicht mehr als „Erinnerungsträger ..., die an die Situation des Urpassa denken lassen sollen, in der die Passaordnung begründet, legitimiert und für alle nachfolgenden Geschlechter als verbindliche Ordnung proklamiert wurde" (SCHMITT, Exodus [s. Anm. 68], 104). Sie vergegenwärtigen also das Exodusgeschehen „nur hinsichtlich der Tragweite seiner Bedeutung und Aktualität" (W. SCHOTTROFF, „Gedenken" im Alten Orient und im Alten Testament. Die Wurzel zakar im semitischen Sprachkreis, WMANT 15, NeukirchenVluyn 21967, 316).

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3. Kapitel: Leben in Gottes Gegenwart

der Ritus des gedenkenden Erzählens. Es ist deshalb alles andere als zufallig, daß auch bei P das jede künftige Passafeier Israels begründende Exoduspassa aus der Geschichtserzählung erwächst. Indem das Gebot in der Gestalt der rituellen Anweisungen jenem Gedenken dient, ermöglicht es Israels Einkehr an seinem Ursprung unabhängig von politischer Selbständigkeit, Landbesitz oder Kultort; und umgekehrt gehören Israels Gehorsam, sein sorgsames Beachten der Passaordnung und deren rituell korrekte Ausfuhrung zur konkreten Gestalt des Gedenkens. Weil in diesem Gedenken Jahwes einstmalige Befteiungstat als Tat ein für allemal erscheint, ist das Passagebot nichts anderes als eine große Einladung, aus diesem nie versiegenden Brunnen Hoffnung zu schöpfen. 3.2.3. Jüngere Verschiebungen in Ex 12 und Num 9 Schon in der das ältere Passaritual bearbeitenden Schicht (Ex 12,1-14) finden sich einige deutende Lichter, die nicht spannungsfrei zu ihrem Kontext stehen und offenbar von einer späteren Hand priesterlicher Schule stammen (Ps). Drei Tendenzen lassen sich erkennen. V 5 unterwirft das Passatier den Maßstäben eines Opfers (fehlerlos, männlich, einjährig) 85 und läuft damit der Intention von V 9 stracks zuwider. V 2 86 und, davon abhängig, V 3aß.6a legen die Passafeier auf einen bestimmten Termin fest, der die Verlegung des Jahresbeginns vom Herbst auf den Frühling voraussetzt und mit dem 10.1. als Vorbereitungstag eine Korrespondenz zum Versöhnungstag am 10.7. (s. Lev 16,29f.; 23,27) herstellt. Der in P s immer stärker hervortretende Sog sühnetheologischer Interpretation der Opfer überhaupt ergreift nun auch das durch V 5 als Opfer interpretierbare Passa.87 V 6a führt überdies eine genau terminierte Vorbereitungshandlung ein (Aussonderung des Lammes vom 10.14.1.), die aus der Historisierung des Passafestes und der für P s wichtigen Verbindung von Passa und Ägyptenexodus herausfällt und statt dessen eine Analogie [50] zum Verhältnis Versöhnungstag - Laubhüttenfest herstellt,88 eine Tendenz, die in der Reduktion des Festkalenders auf Passa und Laubhütten in Ez 45,21-25 ein Pendant hat. Schließlich verbinden V 8b* und V

85

Zu den Tendenzen der Bearbeitung vgl. die Analyse von KOHATA, Jahwist (s. Anm. 69), 263ff. Die Kriterien für ein Opfertier finden sich in Dtn 17,1; Lev 1,3.10; 9,3; 23,18f. In Ex 12,1-14 fällt V 5 auch durch die Auffüllung mit Widder und Ziegenböcken im Vergleich zu den genannten Opferbestimmungen auf; denn sonst ist in Ex 12,1-14 stets nur das Lamm genannt (gegen die ungenügende Literarkritik von SCHMITT, Exodus [s. Anm. 68], 81 f.) Zum Passa als Opfer vgl. Num 9,13! 86 V 2 unterbricht den Zusammenhang zwischen V 1 und V 3, was jetzt zu dem merkwürdigen Bezug des DD1? auf Mose und Aaron statt auf Israel gefuhrt hat. 87 Der Blutritus wird jedoch nicht dahingehend uminterpretiert (gegen OTTO, ThWAT VI, 676, s. auch o. Anm. 82). 88 Darauf weist HAAG, Pascha (s. Anm. 77), 87, hin.

3.2. Befreites Volk: Das Passa

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14aßb89 mit dem in sich nicht einheitlichen Abschnitt V 15-17.18-2090 und integrieren so das Mazzotfest in das Passa. Es handelt sich dabei um die Aufnahme des dtn Programms (vgl. Dtn 16) in das nun modifizierte priesterschriftliche Erbe.91 Damit wird den durch den zweiten Tempel veränderten Verhältnissen in der nachexilischen Zeit Rechnung getragen. Ex 12,14b. 17 schärfen diese Neuordnung ausdrücklich als D^y npn92 ein. Das verschiebt die Gewichte vom gehorsamen Gedenken zum verpflichtenden Gehorchen. Standen in P g die rituellen Anweisungen im Dienste des Gedenkens, so treten sie jetzt in P s mehr und mehr ins Zentrum als immerwährende Ordnungen, die als solche minutiöse Aufmerksamkeit fordern. Die Entwicklung läßt sich exemplarisch an Num 9 studieren. 93 Auf die Anweisung zur ersten Passafeier nach dem Exodus (V 1-5) folgt im Anschluß an ein Apophthegma die Behandlung einiger Sonderfälle (V 6-12.13.14). Das erste Stück ist ganz beherrscht von der exakten Terminierung des Festes (V 2.3.5), dessen ordnungsgemäße Durchfuhrung entsprechend allen Bestimmungen und Gesetzen geradezu eingehämmert wird (V 3b.5; vgl. V 12.14), wobei die kleine Wendung "p ... 0?D)D den Ton angibt, der hier die Musik macht. Das zweite Stück bringt an Hand eines konkreten Falles das Passa unter das Thema kultische Reinheit (!) und wiederholt in V llb-12a die einschlägigen Sätze aus Ex 12 — allerdings mit dem bezeichnenden Zusatz: noon npn Ein Israelit ohne Passa ist eben undenkbar. Um der (man ist beinahe zu sagen versucht: Heils-) Notwendigkeit des Passavollzuges willen wird nun sogar ein Nachpassa für diejenigen eingerichtet, die wegen kultischer Unrein-

89 V 14a/3b interpretiert, sofern man auf das Passa zurückbezieht (so zuletzt SCHMITT, Exodus [s. Anm. 68], 80 Anm. 253), mit Jfl und Jin singulär und gegen die sonstige Tradition das Passa als Wallfahrtsfest im Stile des Mazzot-Festes, das ja Ex 34,18; 23,15; Lev 23,6; Dtn 16,16 u. a. als Jn bezeichnen. Daß Ex 12,14aj8b nicht zu PE gehören kann, zeigt gegen seine Absicht Schmitt selbst: Man kann „in V.14 nur einen unpräzisen, weil weder dem in V.l-13 beschriebenen Charakter des Passa entsprechenden noch mit dem sonstigen Sprachgebrauch von P übereinstimmenden Begriff sehen, der sachlich in deuteronomischer Tradition steht (Passa und Mazzot zu einem Wallfahrtsfest verbunden)" (S. 80f. Anm. 253). Im Kontext von Ex 12 rahmt V 14b zusammen mit V 17b die Mazzotordnung. 90 Zum sekundären Charakter des gesamten Stückes 12,15-20 s. schon die älteren Kommentare und zuletzt KOHATA, Jahwist (s. Anm. 69), 266 Anm. 29. 91 In diesen Zusammenhang gehören auch Lev 23,5.6-8 und Num 28,16.17-25. Dort ist die Verbindung so weit fortgeschritten, daß das Passa gewissermaßen als Introitus des Mazzenfestes erscheint. 92 Diese Unter- bzw. Überschriften zu einzelnen kultischen Vorschriften gehören nicht zu S P , sondern sind nachträglich zugefugt worden in paränetischer Absicht (so R. HENTSCHKE, Satzung und Setzender. Ein Beitrag zur israelitischen Rechtsterminologie, BWANT 5/3, Stuttgart 1963, 166f.). 93 Zur Analyse s. D. KELLERMANN, Die Priesterschrift von Numeri 1,1 bis 10,10, BZAW 120, Berlin 1970, 124-133, mit folgender literarischer Genesis des Stückes: 1) V 10b-12; 2) V 1-5.6-8.9.10a; 3) V 13; 4) V 14.

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3. Kapitel: Leben in Gottes Gegenwart

heit [51] oder auf Grund von Reisen an der Passafeier im Heiligtum verhindert waren. Der kultische Vollzug als solcher ist wesentlich und unverzichtbar. V 13 fügt darüber hinaus noch eine sakralrechtliche Strafbestimmung im Stile von Gen 17,14 für denjenigen an, der das Passa unverhindert unterläßt. Es verwundert nicht, daß von „Gedenken" nicht mehr die Rede ist. Das ist bezeichnend für alle Passatexte nach PE. Dabei werden die Tendenzen, die an jenen sekundär in Ex 12,1-14 eingebrachten Interpretamenten zu beobachten waren, in einigen späten Passatexten94 aufgenommen und verstärkt: Die Feier am Heiligtum erfordert kultische Reinheit, die zu einer Umdeutung des Blutritus führt; Anzahl und Art der Opfer bedürfen genauer Regelung; die Schlachtung des Passa liegt schließlich ganz in den Händen der Leviten und Priester; die Einbeziehung von Sündopfern in das Ritual verleiht endlich dem Passa Sühnecharakter. So hat am Ende der Kultus in einem eher ritualgesetzlichen Sinne das letzte Wort. Die den Exodus erinnernden Deuteelemente bei den einzelnen Zügen des Rituals fehlen bezeichnenderweise völlig.

3.3. Geheiligte Zeit: Der Sabbat 3.3.1. Der Rhythmus von 6+1 Tagen als Grundrhythmus der Komposition Als siebter Tag unterbricht der Sabbat den Fluß der Zeit und konstituiert einen Wochen-Rhythmus von 6+1 Tagen, der nicht an Phänomenen der Natur wie Sonne oder Mond orientiert ist und sich keineswegs von selbst versteht. 95 P begründet diesen Rhythmus anders als Beschneidung oder Passa nicht mit einem bestimmten Datum der Ursprungsgeschichte Israels, sondern legt ihn vielmehr der gesamten Schöpfungswelt als Ordnung zu Grunde (Gen 1,1-2,4). Schon das erste Schöpfungswerk (1,3-5) impliziert die Ordnung der Schöpfung in Tagen, so daß Schöpfung als Erstellung geordneter Welt selber geordnet vonstatten geht.96 Indem die abgeschlossene Schöpfüngsarbeit Got94

Vgl. z. B. 2 Chr 30,2f.l5; 35,1-19; Esr 6,19-22; Ez 45,21-25 und zu diesen späten Texten LAAF, Pascha-Feier (s. Anm. 70), 139ff. 95 Die Probleme des Ursprungs des Sabbats und die damit zusammenhängende mögliche Unterscheidung einer Institution des siebten Tages als regelmäßige Arbeitsunterbrechung (s. dazu zuletzt, unter Berücksichtigung der älteren Literatur, G. ROBINSON, The Idea of Rest in the Old Testament and the Search for the Basic Character of Sabbath, ZAW 92, 1980, 32-42) können hier außer acht bleiben, da bei P in jedem Falle der Sabbat mit dem siebten Tag identisch ist. 96 Zur Interpretation des ersten Werkes auf die Schöpfung als Vorgang s. O. H. STECK, Der Schöpfungsbericht der Priesterschrift. Studien zur literarkritischen und überlieferungsgeschichtlichen Problematik von Genesis 1,1 - 2,4a, FRLANT 115, Göttingen 1975, 173f.: Was fiir die Lebenswelt an Sonne und Mond (s. 1,14-19) erfahrbar ist, nämlich geordnete Zeit, bewirkt für die Errichtung dieser Lebenswelt das ersterschaffene Licht.

3.3. Geheiligte Zeit: Der Sabbat

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tes aber erst am siebten Tage vollendet wird (nV:) 2,2a), und zwar dadurch, daß Gott aufhört (rntp 2,2b) 97 mit seiner Arbeit, gehört jener siebte Tag als arbeitslo-[52]ser Tag substantiell zur Erschaffung der Welt hinzu. Die ihm zuteil werdende Heiligung (aap 2,3a) grenzt ihn als arbeitslosen Tag aus; seine Segnung setzt den in der einmaligen Schöpfungswoche verankerten Rhythmus von 6+1 Tagen als bleibenden Rhythmus der Zeit in Kraft. 98 Nun ist gar nicht zu übersehen, daß Gen 2,2-3 zwar mit Sabbat-Terminologie gesättigt sind,99 aber das Nomen nicht nennen. Es fehlt mit Bedacht; denn der Sabbat gilt Israel, nicht der Menschheit, obwohl der Wochenrhythmus von 6+1 Tagen der Schöpfung eingestiftet ist. So enthält der siebte Tag im Schöpfungsbericht ein unausgesprochenes Plus, das erst noch von denen entdeckt werden muß, denen es zugute kommen soll. Das fuhrt auf Ex 16, womit P ihre Sinaigeschichte beginnt. 100 Das Kapitel hat deutlich zwei Teile. Eine im Anschluß an vorgegebene Tradition gestaltete Erzählung, deren in V 2-3 aufgebaute Spannung V 15 löst, wird durch vier Anweisungen (V 16.19.23.25f.) erweitert. Bei ihrer Ausfuhrung (V 17.24a) bzw. Nichtbeachtung (V 20.27a) entdeckt Israel schrittweise (V 18.22.24b. 27b.30) den siebten Tag als Arbeitsunterbrechung. Mose benennt ihn dann ausdrücklich mit „Sabbat" (V 23.25.26).101 Ex 16 bringt jedoch in seinem Grundbestand kein Sabbatgebot; vielmehr sorgt Gott in der Zeit zwischen dem n r a - T O m (16,3) und dem r a t i r a p x N3 (16,35a) selber dafür, daß Israel am siebten Tage zu sammeln aufhören (raiP) muß und kann, weil der Schöpfer das zur Fristung des Lebens Nötige zwar nicht am siebten, wohl aber dafür am sechsten Tag doppelt gibt. So ist das Leben Israels fortan von der auf den Sabbat zielenden Woche gleichsam natürlich strukturiert und bedarf deshalb keines Gebots. Israel erfährt dabei von Woche zu Woche, daß es sich im Letzten nicht seiner eigenen Arbeit verdankt, sondern daß es von den 97

Zur Bedeutung der Wurzel s. ROBINSON, Idea (s. Anm. 95), 37-41. Vgl. STECK, Schöpfungsbericht (s. Anm. 96), 186f., und (z. T. anders) ZENGER, Gottes Bogen (s. Anm. 17), 98ff. "Vgl.'raff mit Ex 16,30; 23,12; 31,17; 34,21 '»'affin dt mit Ex 16,30; 23,12; 31,17; 34,21; 31,15; 20,10; 35,2; Lev 23,3; Dtn 5,14 TOS) naifta mit Ex 20,9f.; 31,14-16; 35,2; Lev 23,3; Dtn 5,13f. Bnp mit Ex 20,8.11: Dtn 5,12; vgl. Ex 16,23. 100 S. die Hinweise bei Weimar, Struktur (s. Anm. 11), 112ff.; DERS., Sinai (s. Anm. 14), 373f. Seiner unbegründeten Hypothese zur Schichtung des Kapitels kann ich freilich nicht folgen. 101 Ich nehme die Analyse von E. Ruprecht, Stellung und Bedeutung der Erzählung vom Mannawunder (Ex 16) im Aufbau der Priesterschrift, ZAW 86, 1974, 269-307, auf: Zu P gehören V 1-3.6-7.9-27.30.35a. Die V 4-5 nehmen vorweg, was in V 21f. als Überraschung erfahren wird; und die V 28-29 setzen (gegen V 16ff.) ein Sabbatgebot voraus - beide Zusätze gehören in den Umkreis der dtr Geistigkeit (s. bes. V 4b.28). V 29 verschärft überdies (stabilitas loci!). V 31-34 stellen Nachträge dar, wobei aber V 33-34 als Dublette zu V 32 auf eine ergänzende späte priesterliche Hand zurückgehen dürften. 98

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3. Kapitel: Leben in Gottes Gegenwart

ständigen Gaben seines Gottes lebt, auf den es sich verlassen kann. Insofern knüpfen die V 16ff. durchaus sinnvoll an den ersten Teil an und vertiefen die Pointe jener Erzählung von der Sorge um die Existenz. Das Zentrum der Sinaiperikope fuhrt noch einen Schritt weiter. Es stellt dem Brot das gebietende Wort an die Seite, das die für Israels Existenz notwendige Gegenwart Gottes ermöglicht, ordnet und sichert. Zunächst bedeckt die Wolke sechs Tage lang den Berg Sinai, auf den sich die „Herr- [53]lichkeit Jahwes" niedergelassen hat; am siebten Tag aber ergeht der Ruf an Mose, und Jahwe redet mit Mose auf dem Berg (Ex 24,15b - 25,1). Der siebte Tag wird so geradezu zum Offenbarungstag,102 an dem Gott aus seiner Verhüllung heraustritt, indem er Mose als dem Mittler für Israel den Auftrag gibt, das Heiligtum als Ort seiner Gegenwart zu bauen. Schließlich erscheint, wenn auch ohne feste Verankerung im Kontext, so doch an kompositorisch hervorgehobener Position, zweimal ausdrücklich ein Sabbatgebot: am Ende der Anweisungen zum Bau des Heiligtums und seiner Geräte (Ex 31,12-17) und zu Beginn der Ausfuhrung (Ex 35,1-3). Wie die Schöpfung als Erstellung geordneter Welt in 6+1 Tagen selber geordnet vonstatten geht, muß auch die Arbeit am Heiligtum der geheiligten Zeit Rechnung tragen. Die Begründung in 31,17b bindet endlich zu Gen 2,2-3 zurück, indem sie nun den siebten Schöpfungstag mit raa> identifiziert. Das Sabbatgebot bezieht sich freilich nicht auf die Erstellung des Heiligtums allein, sondern hat generelle Bedeutung, wie seine Formulierung und die schöpfungstheologische Begründung zeigen. Dann aber will die kompositorische Einbindung das Sabbatgebot als Komplement zur Verheißung der zugesagten Gegenwart Gottes inmitten seines Volkes zu verstehen geben (vgl. Ex 25,8; 29,45f.; 40,34). So gerät der Sabbat bei P in den Bereich des Kultus, zu dem er von Hause aus nicht ohne weiteres gehörte.103 3.3.2. Das Gebot in Ex 31,13 Ex 31,12-17 können schon aus kompositorischen Gründen schwerlich zu P g gerechnet werden. 104 Das Stück ist chiastisch strukturiert,105 stammt jedoch

102 Ex 24,17 hebt das Sichtbarwerden des Kabod am siebten Tage auch für die Israeliten eigens hervor, doch ist seine Zugehörigkeit zu P 8 nicht sicher (s. u.). 103 S. die ältesten Fassungen des Sabbatgebotes in Ex 23,12a; 34,21a und zur Diskussion ROBINSON, Idea (s. Anm. 95), 32-43; N.-E. ANDREASEN, Recent Studies of the Old Testament Sabbath. Some Observations, ZAW 86, 1974, 453-469. 104 Beachte die Kap. 30-31 ausschließende Inklusion von Ex 29,45f. mit 25,8f.* (s. u.)! Für P e plädieren v. RAD, Priesterschrift (s. Anm. 70), 62, und K. GALLING, Exodus (HAT 1/3), Tübingen 1939, 151f. Damit sind jedoch die klassischen Gegenargumente keineswegs vom Tisch, die H. HOLZINGER, Exodus (KHC II), Tübingen 1900, 147, vorgebracht hat: „v. 13-16f. ist ganz allgemein gehalten und zeigt, dass der Abschnitt nicht für diesen Zusammen-

3.3. Geheiligte Zeit: Der Sabbat

99

kaum von einer Hand. 106 Auffällig ist ja schon die dreifache Einschärfung des Sabbats (V 13.14.16), wobei aber V 16 in die dritte Person fällt und auch sonst allerlei stilistische Variationen bei doch im wesentlichen ähnlichem Inhalt zu beobachten sind. Auffällig sind weiter die auf das Gebot folgenden Begründungen, jeweils mit einem "'D-Satz, der [54] indes inhaltlich ganz unterschiedliche Akzente setzt. Hinzu kommen der Wechsel von Gottesrede (V 13) in Moserede (V 14-15) und wieder in Gottesrede, nun aber unpersönlich (V 16-17), die in einer Jahwerede befremdliche Nennung Jahwes (V 17b), aber auch die Verschiebung im Bereich des Heiligen von V 13 (Israel) zu V 14f. (der Sabbat). Jeder der drei Teile stellt Bezüge zu den unterschiedlichen Schichten in Gen 17,9-14 her: V 13 über das Stichwort JT1X zu Gen 17,9-11, V 14f. über die sakralrechtliche Strafbestimmung mit Gen 17,14 und schließlich V 16f. über das Stichwort tf?iy n n a mit Gen 17,12-13. 107 Als ältester Bestandteil ist Ex 31,13 anzusehen. 108 Mit der Interpretation des Sabbat als „Zeichen zwischen mir und euch" erhält das Gebot den Charakter eines Verweises auf die Fundamentalbeziehung zwischen Jahwe und Israel, wie das auf unterschiedliche Weise auch in Gen 17,10b-11 mit der Beschneidung als „Zeichen der berit" und in Ex 12,14a mit dem Passa als „Tag ... des Gedenkens" geschieht. Was jedoch in Gen 17,11 mit n i - a und in 17,7f. als Bezugspunkt des Zeichens ausdrücklich genannt wird, fehlt beim Sabbatgebot. Ex 31,13 setzt offenbar die kompositorische Klammer von Gen 17,7f. und Ex 6,7 voraus und bringt mit den nahezu wörtlichen Anspielungen auf Gen 17 das Sabbatgebot unter die Abraham-Z>en'/ als eine sachliche Parallele zum Beschneidungsgebot. 109 Die Weiterfuhrung mit der Erkenntnisaussage

hang geschrieben, sondern durch v. 13 (vgl. 1 2 , 1 5 ) angeschweisst ist ..." WELLHAUSEN, Composition (s. Anm. 12), 141, verweist auf sprachliche Differenzen zu P. 105 S. die Stichworte „Sabbat" (V 13a.l7b) - „Zeichen" (V 13b.l7) - „zwischen mir und ..." (V 13b. 17) - „um zu tun" / „um zu erkennen" (V 13b. 16) - „haltet den Sabbat" (V 14.16) - „heilig ist er für ..."; „... muß des Todes sterben" (V 14b. 15b) - „eine Arbeit tun" (V 14b. 15a). 106 Nora, Exodus (s. Anm. 69), 198, hält V 15-17 für einen sekundären Zuwachs; H. SCHULZ (Das Todesrecht im Alten Testament, BZAW 114, Berlin/New York 1969, 57f.) plädiert dagegen bei den V 14-15 für einen Einschub - er hat m. E. die besseren Argumente; jedoch können V 13 und V 16f. literarisch keineswegs zusammengehören. 107 Es fällt auf (und bestätigt die Analyse von Gen 17,9-14), daß sich die Querverbindungen ausschließlich auf die sekundären Partien in Gen 17,9-14 erstrecken. Der Rückbezug auf 17,10-11 P e über das Stichwort „Zeichen" unterscheidet sich terminologisch; P s knüpft zwar an P6 an, setzt aber schon in der Terminologie eigene Akzente. 108 Die Frage, ob das dreiteilige Stück bereits als kleines „Sabbat-Kompendium" zusammengestellt war, als es an den Schluß der Anweisungen zum Bau des Heiligtums eingebracht wurde, kann hier auf sich beruhen. 109 Sein Charakter als gleichsam funktionale Dublette spricht einmal mehr gegen die Zuweisung von Ex 31,12ff. an Pg.

100

3. Kapitel: Leben in Gottes Gegenwart

setzt jedoch gegenüber der Beschneidung einen neuen Akzent. 110 Die Beschneidung betrifft die Innenseite des Gottesverhältnisses Israels und zielt deshalb primär auf Zugehörigkeit, die Erkenntnisaussage beim Sabbatgebot hebt dagegen eher die Außenseite dieses Verhältnisses hervor und markiert die Aussonderung durch Jahwe, „der euch heiligt", als den komplementären Aspekt der Zugehörigkeit. Der Gehorsam gegenüber dem Sabbatgebot rückt damit in den Rang eines Bekenntnisses, mit dem Israel zu seiner Erwählung Ja sagt und sich so von Nichtisrael unterscheidet. Wohlgemerkt: Nicht Israel heiligt sich, sofern es das Sabbatgebot hält, sondern indem Israel Sabbat feiert, wird jedermann erkennbar, daß Jahwe es ge- [55]heiligt hat. Das darin erkennbare Gesetzesverständnis kommt den Intentionen von P g nahe (s. o. zu Gen 17,9-11). 3.3.3. Jüngere Verschiebungen in Ex 31,14-15/16-17a/31,17b

und anderwärts

111

Ex 31,14-15 (vgl. 35,2) verlagern deutlich die Gewichte. Hier erscheint das Sabbatgebot als Gesetz, dessen Übertretung sakralrechtliche Folgen hat. Die gleich dreifach angedrohten Sanktionen beherrschen das Stück.112 Der Sabbat ist weniger als Zeichen im Blick, das auf Gottes vorgängige Tat verweist, um deretwillen das Gebot ergeht. Es ist vielmehr die ihm selbst innewohnende Qualität der Heiligkeit, die des Schutzes vor Profanierung (V?n) durch Sanktionen bedarf. 113 Ex 35,3 fugt das Verbot des Feuermachens am Sabbat an; damit ist der Beispielfall Num 15,32-36' 14 zu vergleichen. Mag man auch in beiden Fällen hinter dem jetzt vorliegenden Text noch etwas von der dunklen Vorgeschichte des Sabbat vermuten, 115 für den Zusammenhang von P s ist derlei irrelevant. Beide explizieren an einem Einzelfall, was zur verbotenen Arbeit (nD^H) ge110 Die Gebotsformulierung in V 13a entspricht Lev 19,3.30.; 26,2 (H). Ex 31,13b berührt sich ebenfalls aufs engste mit H (Lev 20,8; 21,15.23; 22,9.16.32) - so schon A. DILLMANN, Die Bücher Exodus und Leviticus, Leipzig 1897, 366. Die gesamte Gebotsformulierang hat ihre nächste Analogie in Ez 20,12. Literarische Abhängigkeit muß nicht vorliegen; der gemeinsame priesterliche Traditionsstrom erklärt den Befund ausreichend. 111 Ex 35,2 setzt 31,15, mit »7p DD1? aber auch 31,14 voraus. Der Wechsel in die 2. Pers. (gegenüber der 3. Pers. in 31,15) ist kontextbedingt. 112 Zur ersten Strafandrohung vgl. Ez 22,8; 23,38 (s. v. y?n), zur zweiten s. o. Anm. 61-62 (zu Gen 17,14). 113 Zwar erscheint „heilig" als Relation (...17 unp; vgl. W. W. GRAF BAUDISSRN, Der Begriff der Heiligkeit im Alten Testament, in: ders., Studien zur semitischen Religionsgeschichte 2, 1878, 45), aber der Gegensatz V?n „profan" zeigt deutlich, daß Heiligkeit hier als Eigenschaft verstanden ist, die dem kultischen Bereich und allem, was damit zusammenhängt, zukommt - also auch dem ivn® ratz?. 114 Zur Art des Textes s. Num 9,6-12.13.14. 115

S. die Hinweise bei L. KÖHLER, Der Dekalog, ThR N. F. 1, 1929, 181; F. MATHYS,

Sabbatruhe und Sabbatfest, ThZ 28, 1972, 254ff., und o. Anm. 103.

3.3. Geheiligte Zeit: Der Sabbat

101

hört, und stehen so am Anfang des Weges, der in eine immer breiter entfaltete Kasuistik mündet. Ex 31,16-17 bieten gleichsam eine Neuauslegung von 31,13 mit Hilfe der aus Gen 17,12f. gewonnenen Interpretamente m n und - sowohl bei rr~D als auch bei nw - D^iy. Das Verhältnis der einzelnen Satzglieder zueinander ist freilich nicht ganz eindeutig. Bleibt man bei der Akzentsetzung der Masoreten, wofür auch die Analogie zu V 13b spricht, dann bezieht sich n^iv ir~n auf das Sabbatgebot, das damit als immerwährende Verpflichtung Israels eingeschärft wird; und diese Verpflichtung (Sin V 17) erscheint dann als immerwährendes Zeichen (D^iy1? ... ms) zwischen Jahwe und Israel. Worauf auch immer ms hier „zeigt", in jedem Falle ist es das als nViv m n verschärfte Gesetz bzw. des Gesetzes gehorsame Erfüllung, die das Verhältnis „zwischen mir und den Israeliten" begründen und material bestimmen. Zieht man gegen die Masoreten die Relationsaussage zu tfro rp~n, dann kann man zwar m n als Ausdruck für das Verhältnis zwischen Israel und Jahwe fassen, aber es ist ebenfalls nicht Jahwes Verheißung, sondern sein Gebot und Israels Gehorsam (naK>), die den Sabbat zum „ewigen Bund" und „ewigen Zeichen" machen (HOT).116 In beiden Fällen hat diese Neuinterpretation des Sabbatgebotes einen gro- [56]ßen Schritt in Richtung eines Verständnisses des Gesetzes als Heilsweg getan.117 Ex 31,17b fallt aus dem Stil der Gottesrede und liefert analog zu V 13b (Zeichencharakter) und zu V 14b (Heiligkeit) eine Begründung nach, die ausdrücklich mit der Schöpfungswoche argumentiert. Diese Begründung liest sich wie eine Kombination aus Ex 20,11a; Gen 2,2b und Ex 23,12b. Mit dem letzten Wort 118 scheint der Nachtrag die Befriedigung eines menschlichen Grundbedürfnisses als letztes Ziel des Gebotes schöpfungstheologisch begründen zu wollen und damit geradezu Mk 2,27 vorwegzunehmen. Er wäre dann als Korrektur an Ex 31,16-17a aufzufassen. Diese Deutung wird jedoch dem kompositorischen Ort des Stückes und der fundamentalen Bedeutung des Sabbats innerhalb der priesterlichen Kultgesetzgebung am Sinai nicht gerecht.119 Bezieht man diese Gesichtspunkte in die Interpretation ein, dann 116

Die Wendung rown... n»V begegnet nur noch in Dtn 5,15. Gegen E. JENNI (Die theologische Begründung des Sabbatgebotes im AT, ThSt 46, Zürich 1956, 22), für den D^ll? n , - n nur unterstreicht, „daß der Sabbat ... eine ewig gültige Heilsordnung (!) ist, um damit die Heiligkeit (!) des Sabbats von der Leistung der Menschen unabhängig und so den Gnadencharakter der Heilsgabe unumstößlich deutlich zu machen". Diese Interpretation von Ex 31,16 scheitert unter anderem an der Semantik von m n und hat auch das Gefälle des Satzes von law zu HOT gegen sich. 118 Der allen Kommentatoren im Blick auf P anstößige Anthropomorphismus »Sri („da atmete er auf') überträgt singulär auf Gott, was Ex 23,12 vom Kind einer Sklavin und vom Schutzbürger anläßlich des Sabbats sagt. 119 S. Ez 20,12; dort wird die gesamte Sinaigesetzgebung überhaupt im Sabbatgesetz (bei nahezu identischem Wortlaut mit Ex 31,13) zusammengefaßt. 117

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3. Kapitel: Leben in Gottes Gegenwart

dürfte die Pointe des Nachtrages darin zu sehen sein, daß er Schöpfung und Gesetz miteinander verbindet. 120 Die Schöpfung kommt im Kultus an ihr Ziel.121 Das den Kultus ordnende Gesetz ist dann die Offenbarung des Geheimnisses der Schöpfung; hinsichtlich der Zeit geschieht das im Sabbatgebot. Diese Verbindung von Schöpfung und Gesetz relativiert und entschärft die in den Materialien zweiter und dritter Hand priesterlicher Schule zu beobachtenden gesetzlichen Akzentuierungen.

3.4. Ich will in eurer Mitte wohnen: Das Heiligtum Am Sinai schlägt das Herz priesterlicher Theologie. Anders als bei den bisher herangezogenen Stücken handelt es sich in der priesterschriftlichen Sinaiperikope nicht mehr um Einzeltexte in einem dominierenden nichtpriesterschriftlichen Kontext, sondern um ein höchst komplexes [57] Gebilde, das fast die Hälfte des gesamten Tetrateuch ausmacht.122 Die Fülle der kunstvoll miteinander vernetzten und überlegt aufeinander bezogenen Teile und die hinsichtlich der Scheidung zwischen P 8 , P s und R p kontroverse Forschungslage zur verwickelten literarischen Gestalt der Sinaiperikope123 lassen es geraten erscheinen, nicht - wie im Gang der Untersuchungen bisher - der Analyse von Einzeltexten zu folgen, sondern die Frage nach dem Gesetzesverständnis an drei dafür wesentlichen thematischen Zusammenhängen zu erörtern. 3.4.1. Das Heiligtum und Gottes Gegenwart Kern und Stern priesterlicher Theologie überhaupt und Voraussetzung aller kultischen Ordnungen innerhalb der Sinaiperikope ist das Heiligtum als der Ort, an dem Israels Gott in der Welt Raum gewinnt.124 Daß dieses Thema zur 120 Ygj dieselbe Verbindung (wenn auch auf ganz andere Weise) in Ps 19 (dazu H. GESE, Die Einheit von Psalm 19, in: Verifikationen, FS G. Ebeling zum 70. Geburtstag, hg. v. E. Jüngel / J. Wallmann / W. Werbeck, Tübingen 1982, 1-10). 121 Vgl. v. RAD, Theologie II (s. Anm. 8), 246f.: „Daß diese Geschichte der kultischen Institutionen mit der Weltschöpfung einsetzt, läßt den ungeheuren theologischen Anspruch dieser Darstellung erkennen. ... P will allen Ernstes zeigen, daß der im Volke Israel historisch gewordene Kultus das Ziel der Weltentstehung und Weltentwicklung ist. Schon die Schöpfung ist auf dieses Israel hin angelegt worden." 122 Aufschlußreich ist auch ein schlichter Vergleich innerhalb der Sinaiperikope: In der BHS stehen 15 Seiten nicht-priesterschrifitlicher Text 130 Seiten Priesterschrift (im weiteren Sinne) gegenüber. 123 Man sehe nur die Differenzen in den jüngsten Arbeiten zur Sache: JANOWSKI, Sühne (s. A n m . 2 6 ) , 1 8 3 - 3 4 6 ; UTZSCHNEIDER, H e i l i g t u m (s. A n m . 14); WEIMAR, S i n a i (s. A n m . 14). 124 Die folgenden Hinweise beschränken sich auf die Mitteilung einiger Grundkonstellationen, die für das Verständnis des Gesetzes unumgänglich sind. Eine detaillierte Darstellung der Heiligtumstexte haben JANOWSKI und UTZSCHNEIDER vorgelegt; vgl. darüber hinaus

3.4. Ich will in eurer Mitte wohnen: Das Heiligtum

103

grandlegenden Schicht in P gehört, zeigen die sub voce ptff und 7133 gesetzten Brückenstücke. Sie stellen das tragende Gerüst fiir die Sinaiperikope bereit. Ein äußerer Rahmen (Ex 24,16 / 40,34f.) markiert die Ortsveränderung des Kabod vom Sinai ins Zeltheiligtum. Die auf dem Berg ruhende (pu>) Jahweherrlichkeit (7133) erfüllt (xVö) die Wohnung (ptra), während die Wolke zunächst den Berg und dann das Zelt schützend bedeckt. Sie verhüllt Jahwes Gegenwart im Kabod dem Volk; 125 denn nur Mose kann - von Jahwe gerufen - „mitten in die Wolke" hineingehen (24,18a), um die Anweisungen zum Bau des Heiligtums von Gott entgegenzunehmen. Aber auch mitten in der Wolke bleibt Mose die Herrlichkeit Jahwes verhüllt. Nachdem der Bau des Heiligtums vollendet ist (39,42f.; 40,17) und Jahwes Kabod es erfüllt (40,34), verwehrt die Jahwes Gegenwart verhüllende Wolke Mose den Zutritt, der draußen stehend - Jahwe vom Heiligtum her reden hört (40,35; Lev 1,1).126 Erst anläßlich des ersten Opfers erscheint (HN"i Nif.) die Herrlichkeit Jahwes dem ganzen Volk (Lev 9,23). Indem die Priesterschrift jene Ortsveränderung des Kabod sich nicht schon in der Erfüllung des Heiligtums erschöpfen, sondern im öffentlichen Erscheinen zum Ziel kommen läßt, macht sie deutlich, daß ihre Hei- [58]ligtumskonzeption nicht an Gottes verborgener Präsenz, sondern an seiner Offenbarungsgegenwart orientiert ist. Was die Ortsveränderung Jahwes vom Sinai zum Zeltheiligtum des näheren bedeutet, enthüllt ein innerer Rahmen, der die Anweisungen zum Bau des Heiligtums umgibt (Ex 25,8 / 29,45f.). Dabei ist Ex 29,43-46 127 durch seinen Ort an der Nahtstelle zwischen Anweisung (25,1-29,42) 128 und Ausfuhrung (35,1-40,35) besonders ausgezeichnet. Dieses höchst reflexe Stück bietet ein Konzentrat priesterlicher Heiligtumstheologie. Die in der zweiteiligen Struktur (vgl. V 43a mit V 45a) angelegte gegenseitige Interpretation von „begegnen" / „sich offenbaren" (7V Nif. V 43) und „weilen" / „wohnen" (piff V 45) wehrt der Vorstellung einer allzu statischen und dinglichen Präsenz den die theologischen Linien weiter ausziehenden Aufsatz von B. JANOWSKI, „Ich will in eurer Mitte wohnen". Struktur und Genese der exilischen Schekina-Thsologie, in: JBTh 2, 1987, 165-193, und T. N. D. METTINGER, The Dethronement of Sabaoth. Studies in the Shem and Kabod Theologies, CB.OTS 18, Lund 1982. 125 Ex 24,17 fällt aus der Konzeption, unterbricht den Zusammenhang und steht in Spannung zu V 16 (so auch WEIMAR, Sinai [s. Anm. 14], 359 Anm. 78). 126 Zur ursprünglichen Zusammengehörigkeit s. K. KOCH, Die Priesterschrift von Exodus 25 bis Leviticus 16. Eine überlieferungsgeschichtliche und literarkritische Untersuchung, FRLANT 71, Göttingen 1959, 45f. 127 Vgl. zu diesem zentralen Text die eingehende Auslegung JANOWSKIs, Sühne (s. Anm. 26), 317-328. Man kann zwar mit W E I M A R (Sinai [s. Anm. 14], 343 Anm. 21) fragen, ob V 43-44 nicht einer zweiten Hand angehören, die dann mit dem von V 43f. vorausgesetzten (s. Altar und Priester) Abschnitt 27,1-29,42 zu verbinden wäre. Man muß aber dann alle OhelMoed-Stücke P 8 absprechen, weil sie ohne 29,43f. in der Luft hängen. Damit fielen alle kultischen Bestimmungen an Ps, und man fragt sich am Ende, was an P noch priesterlich sei. 128 Schon der kompositorische Ort erweist Ex 30-31 als sekundären Anhang zu P8.

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3. Kapitel: Leben in Gottes Gegenwart

Gottes, indem die Wurzel TP die Momente der kontingenten Begegnung und des personalen Gegenübers zur Geltung bringt, die in der Ruhe des pttf nicht aufgehen; denn der hier begegnende Gott erweist sich als heilig, indem er heiligend wirksam wird (vnp Pi.): am Ort der Begegnung, am Altar und an den Priestern, die allein kultisch handeln. Dieser erste Teil zielt auf eine „theologische Ätiologie" des Heiligtums alsTOlö^nx.129 Der zweite Teil hebt die Verläßlichkeit der Gegenwart Gottes als des Gottes Israels unter den Aspekten der Dauer (pw), der Zugehörigkeit (Bundesformel) und der Identität (Erkenntnisaussage verbunden mit der Herausfuhrungsformel) hervor. Das Proprium der hier zu Wort kommenden Heiligtumstheologie liegt in der Verbindung beider sich scheinbar ausschließender Teile zu einer spannungsvollen Einheit, die der Differenziertheit der Erfahrung göttlicher Gegenwart als größtmöglicher Nähe bei zugleich letztem Entzogensein gerecht wird, indem sie den „Modus der Präsenz Jahwes in Israel" als „das auf eine 'Begegnung' ... zielende 'Verweilen' ... seines TOD inmitten der Israeliten" 130 denkt. Gottes Gegenwart als Begegnung impliziert Offenbarung. Jahwes IV (Nif. V 43) entspricht folgerichtig Israels VT (V 46). Aber Jahwe offenbart nicht dies und das, sondern sich selbst als Israels Gott (s. die Rahmung mit DiTrfrx mrt1 'UN in V 46). So kommt im Heiligtum der geschichtliche Weg von Abraham (Gen 17,7f.) und vom Ägyptenexodus (Ex 6,7) her ans Ziel, wie die allein an diesen Stellen verwendete Bundesformel zeigt. 3.4.2. Kult und Sühne

[59] Das Zeltheiligtum ist als Ort der Gegenwart Gottes Stätte von Kult und Sühne. Die Vielzahl der Kultgesetze ist deshalb wohlüberlegt mit dem Bau des Heiligtums und mit der es erfüllenden und schließlich allem Volke erscheinenden Gegenwart Gottes in seinem Kabod verzahnt. Der göttliche Kabod läßt sich auf dem Sinai nieder (Ex 24,16.18a). Darauf folgen die Anweisungen zum Bau des Heiligtums (Ex 25-40*). Sie betreffen im älteren Kern ein einmaliges Tun, das mit der Vollendung des Baus beendet ist (39,42f.; 40,17). Anders die daran anschließenden Kultgesetze im Buche Leviticus! Nachdem der Kabod das Zeltheiligtum erfüllt hat (40,34f.), ergehen zunächst die Opfertorot (Lev 1-7*), so daß mit der Priesterweihe Aarons und mit dem von ihm rite vollzogenen ersten Opfer ständiges kultisches Handeln beginnen kann (Lev 8-10*). Anläßlich des ersten Opfers erscheint der Kabod allem Volk (Lev 9,23), was wiederum die Reinheitstorot (Lev 11-15) als Anweisungen zur ständigen Unterscheidung zwischen rein und unrein und zur Wiedererlangung kultischer Reinheit für Priester und Volk notwendig

Sühne (s. Anm. 26), 326. Sühne (s. Anm. 26), 346, unter Aufnahme von K . K O C H , Die Eigenart der priesterschriftlichen Sinaigesetzgebung, ZThK 55, 1958, 36-51 (S. 48f.). 129

JANOWSKI,

130

JANOWSKI,

3.4. Ich will in eurer Mitte wohnen: Das Heiligtum

105

macht.131 Damit sind alle Kultgesetze auch kompositorisch auf Gottes Gegenwart im Zeltheiligtum bezogen. Sie ermöglichen, ordnen und bewahren Israels Leben in der Gegenwart seines Gottes. Da im Wohnen Jahwes mitten unter den Israeliten die Verheißung, Israels Gott sein und bleiben zu wollen (Gen 17,7f.; Ex 6,7), ihre Erfüllung findet (Ex 29,45f.), sind die Kultgesetze nichts Geringeres als Ausdruck der Erwählung Israels und zugleich seiner Unterscheidung von den Völkern. Die priesterliche Kultgesetzgebung am Sinai endet in einer älteren Gestalt132 mit dem Gesetz für den großen Versöhnungstag in Lev 16*. Diese kompositorische Ausrichtung ist nicht zufallig. Sie gibt zu verstehen, daß der Kult und seine Ordnungen von Gottes Gegenwart inmitten seines Volkes herkommen und auf Sühne „für die ganze Versammlung Israels" (Lev 16,17) zielen.133 Alles kultische Handeln läßt sich in P auf diese beiden Aspekte konzentrieren. Diese Konzentration hat in der m£D auf der Lade einen sichtbaren Ausdruck in der Ausstattung des Heiligtums gefunden. Wie B. Janowski im Anschluß an H. Gese gezeigt hat, versteht die Priesterschrifit die in der Form einer „reinen Ebene" (Ex 25,17) vorgestellte mDD als „Ort der Präsenz des begegnenden Gottes" und zugleich als „Sühnmal"; denn mit der rnss, und d. h. doch mit dem dort begeg- [60]nenden Gott selbst, wird das schuldige Israel am Versöhnungstag durch den zeichenhaften Blutritus in Verbindung gebracht und so entsühnt. 134 Indem P den gesamten Kult in den Horizont der Sühne stellt, verwandelt sie seine Intention radikal. Die Opfer, einst Gabe für die Gottheit, erscheinen bei P als von Gott gestiftete Mittel der Sühne, durch die Gott immer wieder Leben gewährt, indem er dem vom Menschen in Gang gesetzten und nicht mehr auflösbaren Zusammenhang von Sünde und Unheil aufhebt. 135 131

Zu den Opfer- und Reinheitstorot s. RENDTORFF, Gesetze (s. Anm. 70), 4-56, und DERS., Leviticus (BK III/l), Neukirchen-Vluyn 1985, 1-11; vgl. KOCH, Priesterschrift (s. Anm. 126), 45-66, 74-95, und DERS., Eigenart (s. Anm. 130), 41-48. 132 Die Frage, ob Lev 16* schon zur ältesten Gestalt von P 8 gehört hat, kann hier offenbleiben (negativ antworten LOHFINK, Priesterschrift [s. Anm. 12], 198, und WEIMAR, Struktur [s. Anm. 11], 85). Zur Problematik des sog. Heiligkeitsgesetzes s. o. Anm. 9, zu Num lff. KELLERMANN, Priesterschrift (s. Anm. 93). 133 Zur Analyse s. vor allem K. ELLIGER, Leviticus (HAT 1/4), Tübingen 1966, 200ff., der V l-2*.3a.4.11.14-15.17.20b.22b.23-24.34b als Grundschicht heraushebt (P62). Man wird fragen können, ob nicht auch die verbliebenen knappen Anspielungen auf den Sündenbockritus (V 20b.22b) zu einer zweiten Schicht gehören; denn sie erscheinen jetzt gänzlich uneingefiihrt. 134 H. GESE, Die Sühne, in: ders., Zur biblischen Theologie. Alttestamentliche Vorträge, BEvTh 78, München 1977, 103f.; JANOWSKI, Sühne (s. Anm. 26), 328-350, bes. 346f.; vgl. K. KOCH, Sühne und Sündenvergebung um die Wende von der exilischen zur nachexilischen Zeit, EvTh 26, 1966, 217-239 (S. 230f.). 135 S. im einzelnen JANOWSKI, Sühne (s. Anm 26). Er betont vor allem, daß letztlich Jahwe „handelnd im Sinne eines logischen Subjekts die Sühne wirkt, während der Priester als

106

3. Kapitel: Leben in Gottes Gegenwart

Der Priesterschrift ist mit den kolossalen Verlusten des Exils auch jeder anthropologische Optimismus vergangen. Sie teilt mit der Prophetie der späten Königszeit eine negative Anthropologie, die Israel als Sünder ernst nimmt (vgl. Jer 2,22; 13,23). Sie hofft nicht auf die Besserung des Menschengeschlechts, sondern stellt die „Ordnung des Kultus als Einladung und Geschenk des sündenvergebenden Gottes an den gehorsamsunfähigen Menschen"136 gegen alle Illusionen. Der Kult verbürgt aller Versündigung Israels zum Trotz Gottes gnädige Zuwendung; seine Gesetze sind deshalb nicht schwere Forderung und untragbare Last, sondern Gottes Gabe für Sünder, um in der Gegenwart Gottes leben zu können. 3.4.3. Lade und Gesetz Bisher wurden zwei traditionsgeschichtlich zu unterscheidende Konzepte erkennbar, in denen die priesterliche Schule Gottes Gegenwart inmitten Israels gedacht hat. Einerseits begegnet Jahwe im Zeltheiligtum (lira *?nx), bzw. an seinem Eingang (... nns) (s. Ex 29,43-46). Anderseits hat P das Sühnmal (mDD) als geradezu abstrakten Berührungspunkt göttlicher und weltlicher Wirklichkeit gleich einem punctum mathematicum konzipiert, an dem sich „in einer Zeremonie, die das Nahekommen zu Gott bis zur letzten materiellen Berührung verdichtet und doch die äußerste Sublimität der Berührung in der Sprengung eines Tropfens wahrt, ... der Kontakt des sich offenbarenden Gottes und des sich ganz und gar hingebenden Menschen" 137 ereignet (s. Lev 16). Die Lade fungiert dabei als Tragegerät für die höchst numinose mDD. Die aber ist nicht nur Sühnmal, an dem Aaron priesterliche Funktionen [61] wahrnimmt, sondern zugleich der Ort, über dem (... niDDH bvü) sich Jahwe offenbart und mit Mose redet (Ex 25,21a.22*), womit das prophetische Erbe im Zentrum der Priesterschrift verankert und den priesterlichen Traditionen integriert wird. Daneben findet sich eine dritte Konzeption. Sie ist an der Verbindung von Lade und Gesetz orientiert. In Ex 25,16 (vgl. V 21b) erhält Mose den Auftrag, „das Gesetz (miyn), das ich dir geben werde", in die Lade zu legen (vgl. den Ausfuhrungsbericht 40,20). Sie heißt deshalb bei P vorzugsweise „Lade der

der von ihm bevollmächtigte Mittler den Sühnevorgang kultisch vollzieht"; er spricht deshalb zu Recht von einem „ Wechselgeschehen zwischen dem die Entsühnung vollziehenden Priester und dem die Vergebung gewährenden Gott" (S. 358). 136 U . K E L L E R M A N N , Anmerkungen zum Verständnis der Tora in den chronistischen Schriften, BN 42, 1988, 75; vgl. aber schon W. ZLMMERLL, Das Gesetz im Alten Testament, in: ders., Gottes Offenbarung. Gesammelte Aufsätze (I), ThB 19, München 1963, 249-276, bes. 273f., und K O C H , Eigenart (s. Anm. 130), 46: „Nicht über die Vermeidung von Sünden, sondern über ihre Beseitigung gibt es ausführliche Bestimmungen." 137 G E S E , Sühne (s. Anm. 1 3 4 ) , 1 0 4 .

3.4. Ich will in eurer Mitte wohnen: Das Heiligtum

107

(Gesetzes-) Bestimmung" (nns?n ins). 1 3 8 Worauf bezieht sich rrnvn in Ex 25 und in den damit zusammenhängenden Texten? Was befindet sich demnach in der Lade? Nach klassischem Konsens von J. Wellhausen bis M. Noth natürlich der Dekalog. 139 Aber dazu will wenig passen, daß Ex 31,18; 32,15; 34,29 (alle P s und später), die deutlich den Dekalog meinen, ausdrücklich von m i m nn1? reden. Die priesterlichen Kultgesetze können anderseits auch nicht im Blick sein; denn die werden ja in der Hauptsache erst im Buche Leviticus verkündet, nachdem Mose mTO" bereits in die Lade gelegt hat (Ex 40,20). Es spricht deshalb einiges für die jüngst von H. Utzschneider begründete These, die hier greifbare priesterliche Schicht habe mit dem Gesetz in der Lade die Tradition göttlicher Willenskundgabe der vor-priesterschriftlichen Sinaiperikope einbegriffen. 140 In dieser Konzeption ist die Lade nicht mehr nur Träger der man und deshalb Ort der Offenbarungsgegenwart Jahwes, sondern zugleich Behälter für das Gesetz und damit Ort der normativen Tradition Israels. Das Gesetz (rrnm) avanciert zur materialen Bestimmung des Ortes, an dem Jahwe dem Volk begegnet (IV Nif.). Ein würdigerer Platz, der dem Gesetz mehr Nachdruck und Autorität verleihen könnte, läßt sich nicht finden. In dieser Konzeption ist Jahwes Gegenwart in Israel fortan nicht mehr ohne das Gesetz denkbar. So verankern späte priesterliche Kreise nach der Prophetie nun auch das Gesetz im Zentrum des Kultes; und es ist keine Frage, was von den beiden das letzte Wort behalten hat:141 An der Spitze des Kanons steht die Tora, ihre maßgebende Gestalt empfing sie von der Theologie priesterlicher Schule.

138

Zur Terminologie bei P (uns) s. B. VOLKWEIN, BZ 13, 1969, 18-40 (ohne eindeutiges Ergebnis), und UTZSCHNEIDER, Heiligtum (s. Anm. 14), 111. Zweifellos hat P damit wegen ihrer besonderen „Bundestheologie" (s. dazu o. 3.1.1.) das dtr JVO ersetzt. 139

WELLHAUSEN, Compositum (s. Anm. 12), 97; NOTH, Exodus (s. A n m . 69), 166.

140 UTZSCHNEIDER, Heiligtum (s. Anm. 14), bes. 110-117, 237f. Er arbeitet vor allem die literarischen Verweise auf die „Kotexte" Ex 24,12; 31,18; 34,28 heraus. Ob jedoch der eindeutig als Bearbeitungsschicht fungierende „Lade-Wohnungs-Text" literargeschichtlich tatsächlich zur ältesten priesterlichen Schicht gehört, ist m. E. noch nicht entschieden. Das hier erkennbare Verständnis von Gesetz und Jahwegegenwart scheint mir schwerlich in die Wiege der Theologie von P zu gehören. 141 Num 15,37-41, vielleicht das extremste Beispiel innerhalb der Gesetze bei Ps, zeigt die Richtung an. Freilich bleibt auch hier die Prävalenz der Sühne zu bedenken, die alle Gesetzlichkeit relativiert.

4. Kapitel1

Ein Palast in der Zeit: Wandlungen im Verständnis des Sabbatgebotes Die voranstehenden Untersuchungen galten den deuteronomisch-deuteronomistischen und priesterlichen Gestaltungen des offenbaren Gotteswillens. Beiden Ausprägungen des Gesetzes geht in ihrer jetzt vorliegenden Gestalt ein Dekalog voran. Der kompositorische Ort an der Spitze der Gottesoffenbarung am Sinai bzw. Horeb und seine szenische Gestaltung geben dem Dekalog die Autorität eines Kanons im Kanon der Tora und lassen ihn als norma normans gegenüber den zahlreichen ihm folgenden Gesetzen und kleineren wie größeren Sammlungen erscheinen.2 Gleichwohl steht der Dekalog nicht jenseits geschichtlicher Wandlungen, wie die unterschiedliche Überlieferung in Dtn 5 und Ex 20, aber auch der Umgang mit ihm im Alten Testament zeigen. Die folgenden Untersuchungen beschränken sich auf das Sabbatgebot als exemplarischen Fall, weil das Sabbatgebot sowohl für den Dekalog in Dtn 5 als auch für das Verständnis des Dekalogs in der priesterlichen Komposition entscheidende Bedeutung hat. Beide Dekalogfassungen beginnen mit einem höchst absichtsvoll an die Spitze gestellten Prolog, der das „dein Gott" mit der Befreiung Israels aus dem Sklavenhaus auslegt. Jedes der zehn Worte soll offensichtlich von diesem Prolog her gelesen und verstanden werden. Die Dtn-Fassung3 stellt dar1 A. J. HESCHEL, Der Sabbat. Seine Bedeutung für den heutigen Menschen, NeukirchenVluyn 1990, 21:„Der siebte Tag ist wie ein Palast in der Zeit mit einem Königreich für alle ... Allem voran steht die Wahrnehmung, daß wir uns im Sabbat befinden, nicht der Sabbat in uns." Das bei Heschel implizierte räumliche Verständnis des Sabbat (als „Probe der Ewigkeit" in der Zeit - so S. 60) kann sich auf zwei atl. Texte berufen (freilich in einem etwas anderen Sinn als das Bild vom Palast in der Zeit bei Heschel): Jes 58,13f. machen den Segen Gottes davon abhängig, daß „du deinen Fuß vor dem Sabbat zurückhältst" (rotm TOT DN "l^n); und Ez 22,26 klagt die Priester an, daß sie nicht mehr zwischen heilig und profan unterscheiden (im Bereich des Raumes und der Zeit): „... vor meinen Sabbaten haben sie ihre Augen verschlossen" (nrrra la^sn Tiimtrai). Die Auslegungen von Ex 34,21 (s. u. 4.2.) und von Ex 23,12 (s. u. 4.3.) gehen auf den Beitrag „Das Gebot des siebten Tages" zurück (in: „... das tiefe Wort erneun", Festgabe für J. Henkys zum 60. Geb., hg. v. H. Schultze u. a., Berlin 1989, 170-186). 2 S. o. Einführung und Anm. 68. 3 Die Komposition des Dtn-Dekalogs hat vor allem N. LOHFINK erhellt (Zur Dekalog-

110

4. Kapitel: Ein Palast in der Zeit

über hinaus einen ausdrücklichen Bezug zwischen Prolog und Sabbatgebot her, indem die das Gebot am Ende begründende Exodusmemoria (5,15) auf den Prolog am Anfang zurückgreift. 4 Mit der Erweiterung der Adressaten in 5,14 (Rind und Esel) gegenüber Ex 20,10 schlägt es zugleich einen Bogen zum Schluß des Dekalogs in 5,21. Das Sabbatgebot erscheint geradezu als Herz des Dtn-Dekalogs. Und weil wes Herz voll ist, der Mund übergeht, ist das Sabbatgebot auch das ausfuhrlichste, was bei der Knappheit der Dekaloggebote sonst überrascht. Es wird als Herzstück des Dekalogs noch zusätzlich dadurch hervorgehoben, daß die Kurzgebote nicht wie in Ex 20 asyndetisch einzeln nebeneinander gestellt, sondern syndetisch mit „und" verbunden sind, so daß die Gebote, die das Verhältnis zum Nächsten ordnen, also die V 17-21, hier einen Block bilden. Dem entspricht das Kopfstück des Dekalogs, das das Verhältnis zu Gott thematisiert, also die V 6-10, und das von einer Kette rückweisender Pronomina gegenüber dem Neueinsatz in V 11 zusammengehalten wird. So stehen jetzt das Verbot des Namenmißbrauchs und das Gebot der Elternehrung zwischen den großen Blöcken und dem Sabbatgebot als dem Zentrum eines fünfteiligen Dekalogs. Die Komposition hebt damit nicht die Liebe zu dem einen Jahwe (Dtn 6,4-5),5 nicht die Anerkennung des Gottes Israels als des einzigen Gottes überhaupt (Dtn 7,9), auch nicht das Bilderverbot als radikalisierten Ausdruck eines spätisraelitischen Monotheismus (Dtn 4,15-24),6 sondern das Sabbatgebot in den Rang des Hauptgebotes.1 Dasselbe Ziel erreicht - freilich mit ganz anderen Mitteln und den Hori-

fassung von Dtn 5, BZ NF 9, 1965, 17-32); ich nehme im folgenden die wichtigsten Beobachtungen auf. 4 V 15 bringt die Leitworte des Prologs in umgekehrter Reihenfolge. 5 Zu den Problemen und Deutungsmöglichkeiten s. M. ROSE, Der Ausschließlichkeitsanspruch Jahwes. Deuteronomische Schultheologie und die Volksfrömmigkeit in der späten Königszeit, BWANT 106, Stuttgart 1975, 134f.; P. HÖFFKEN, Eine Bemerkung zum religionsgeschichtlichen Hintergrund von Dtn 6,4, BZ NF 28, 1984, 88-93; und die bei G. BRAULIK, Das Deuteronomium und die Geburt des Monotheismus, in: Gott der einzige. Zur Entstehung des Monotheismus in Israel, hg. v. E. Haag, QD 104, Freiburg 1985, 115-159, bes. 118ff., genannte Literatur. 6 Diese Deutung hat zuletzt CHR. DOHMEN, Das Bilderverbot. Seine Entstehung und seine Entwicklung im AT, BBB 62, Bonn 21987, 200-210, eingehend begründet. 7 Vgl. G. BRAULIK, Deuteronomium 1-16,17, NEB, Würzburg 1986, 51. Die Wertschätzung des Sabbatgebotes als Hauptgebot entspricht dem, was wir von der Bedeutung des Sabbat im Exil und im Umfeld von P wissen, nicht aber dem Befund im Dtn; denn dort spielt der Sabbat auf keiner Stufe irgendeine Rolle. Hinzu kommen zwei weitere Ungereimtheiten: Dtn 5 zitiert den Dekalog als Gottesrede, und zwar als die einzige direkte Gottesrede an Israel; wie reimen sich dazu die beiden Rückverweise in Dtn 5,12 und 5,16? Der Dekalog wird in 4,13 und 10,4 ausdrücklich als Zehnwort begriffen; wie reimt sich dazu die funffältige Struktur in der Deuteronomiumfassung? Diese Merkwürdigkeiten weisen darauf hin, daß die gegenwärtige Gestalt des Dtn-Dekalogs nicht seine ursprüngliche gewesen ist.

4.1. Sabbat und Siebter Tag

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zont des Dekalogs weit überschreitend - die priesterliche Komposition. Schon in der Sinaitheophanie im engeren Sinne wird dem Sabbatgebot besondere Referenz erwiesen, indem es gleich dreimal erscheint: Es wird im Zusammenhang des Dekalogs von Ex 20 als erstes und in Ex 31,12-17 als letztes Gotteswort laut; schließlich schärft es Mose vor Beginn der Arbeiten am Heiligtum erneut ein (Ex 35,2). Wichtiger als die mehrfache ausdrückliche Plazierung des Gebots sind die Sabbatstruktur, die die gesamte Sinaiperikope durchzieht,8 und die Begründung des Gebots in Ex 20,11, die den literarisch denkbar weitesten Bogen schlägt, indem sie Sinaioffenbarang und Schöpfung (Gen 2,2-4) miteinander verbindet.

4.1. Sabbat und Siebter Tag Das Sabbatgebot ist das am breitesten bezeugte Gebot des Dekalogs im AT. Es begegnet in den Dekalogen und dekalogartigen Reihen (Ex 20 par. Dtn 5; Ex 34; Lev 19) und in allen Gesetzessammlungen: im Bundesbuch (Ex 23,12), im dtr Rahmen des Deuteronomium (Dtn 5), in den priesterlichen Gesetzen zweiter Hand (Ex 31,13.14f. 16f.; 35,2.3) und im sogenannten Heiligkeitsgesetz (Lev 23,3; 26,2). Der Sabbat wird nicht nur geboten; von ihm wird auch erzählt: Wie er einst in der Wüste zusammen mit dem Manna gleichsam vom Himmel fiel und die Dauerarbeiter narrte (Ex 16); oder wie Nehemia die Stadttore schließen ließ und so fremde Händler und Israels Volk den Sabbat halten lehrte (Neh 13). Schließlich ist er den Propheten nicht unbekannt: Amos (8,5), Hosea (2,13), Jesaja (1,13) erwähnen ihn, desgleichen in der exilisch-nachexilischen Zeit Ezechiel (20; 22,8.26; 23,38; 44,24; 45,17; 46,lff.) und vor allem Jes 56,2-8; 58,13f.; 66,23.9 Einzig im Bereich der Weisheit spielt er keinerlei Rolle. Bereits dieser Befund zeigt, daß der Sabbat nicht erst im frühen Judentum, sondern schon in alttestamentlicher Zeit zu den zentralen „Charakteristika des Jahweglaubens"10 gehört. Kein Wunder, daß er am Offenbarungsort par excellence, am Sinai bzw. Horeb, innerhalb der Zehn Worte von Jahwe selbst geboten wird; und es waren eben jene Zehn Worte allein, die das Volk ohne Vermittlung des Mose aus dem Sinaidunkel bzw. aus dem Horebfeuer vernahm. Etwas derart Fundamentales konnte weder vorher noch

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S . o.Kap. 3.3.1. Letzte Untersuchung: T. VEIJOLA, Die Propheten und das Alter des Sabbatgebots, in: Prophet und Prophetenbuch, FS O. Kaiser, hg. v. V. Fritz / K.-F. Pohlmann / H.-Chr. Schmitt, BZAW 185, Berlin 1989, 246-264. 10 Unter dieser Überschrift behandelt W. H. SCHMIDT das Sabbatgebot als Exkurs in § 6 seines Buches: Alttestamentlicher Glaube in seiner Geschichte, Berlin (DDR) 3 1987. 9

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4. Kapitel: Ein Palast in der Zeit

später, konnte einzig am Sinai und nirgend sonst laut werden; denn hier gab Israels Gott seinen Willen kund, damit Israel sein Volk werde. Dieses große Aufgebot an der Wiege Israels läßt freilich nur allzu leicht übersehen, daß des Sabbats wie des Sabbatgebots große Stunde erst beginnt, als für Volk und Land und Tempel die Totenglocke geschlagen hatte. Jetzt avanciert der Sabbat neben der Beschneidung zur nota ecclesiae Israels. Wie die Beschneidung (Gen 17) erscheint nun auch der Sabbat als riiw rr~n, will sagen: als Israels bleibende Verpflichtung (Ex 31,13-17) und als Zeichen (s. Ez 20,12.20), an dem die unauflösliche Zusammengehörigkeit von Israels Gott und Jahwes Volk zu sehen ist. Er konnte das werden, weil seine Beachtung im Unterschied zu den Opfern auch unabhängig vom Tempel möglich und an keinen heiligen Ort gebunden war. Neh 9,14 nennt denn auch die Offenbarung des Sabbat ausdrücklich vor den summarisch aufgeführten „Geboten, Satzungen und Rechten". 11 Ganz auf dieser Linie liegt es, wenn jetzt der Sabbat in die Festkalender einrückt (Lev 23,3), wenn er mit eigenen Kultanordnungen geregelt wird (z. B. Lev 24,8; Num 28,9f.; Ez 45,17; 46,1-16; 2 Chr 8,13 u. a.) und wenn Verstöße gegen die Arbeitsruhe mit dem Tode geahndet werden (Ex 31,14f.; 35,2), was sogar Fallgeschichten zur Rechtsbelehrung produziert (wie Num 15,32-36). Die deutliche Expansion des Sabbat in den späten Texten des AT und sein auffalliges Fehlen in allen Schichten des Dtn, obwohl der Dtn-Dekalog ausgerechnet das Sabbatgebot strukturell als Hauptgebot auszeichnet, zeigen: Sabbat und Sabbatgebot haben eine Geschichte. Geschichte pflegt nicht spurenlos zu bleiben. Um die Spuren zu entdecken und zu deuten, ist eine traditionsgeschichtliche Analyse des Sabbatgebots notwendig.12 (1) Beide Fassungen bieten keine literarkritischen Handhaben. Beide besitzen eine kunstvolle konzentrische Struktur. Ex 20,8-11 ist von einer doppelten Inversion der Stichwörter „Sabbat-Tag"/„heiligen" und „sechs Tage"/„siebter

11 Vgl. die prophetische Tora in Jes 56,3-8, welche die Beachtung des Sabbat als exemplarisch für den Gesetzesgehorsam überhaupt und damit als einzige Bedingung für die Integration von Fremden in die Kultgemeinde hervorhebt; s. dazu u. 4.6.4. 12 Zur Analyse s. LOHFINK, Dekalogfassung (s. Anm. 3); W. RICHTER, Recht und Ethos. Versuch einer Ortung des weisheitlichen Mahnspruches, StANT 15, München 1966, 102-104; J. HALBE, Das Privilegrecht Jahwes Ex 34,10-26. Gestalt und Wesen, Herkunft und Wirken in vordeuteronomischer Zeit, FRLANT 114, Göttingen 1975, 185-192; G. ROBINSON, The Origin and Development of the Old Testament Sabbath, BET 21, Frankfurt/M. 1988; F.-L. HOSSFELD, Der Dekalog. Seine späten Fassungen, die originale Komposition und seine Vorstufen, OBO 45, Fribourg 1982, 33-57, und dazu A. GRAUPNER, Zum Verhältnis der beiden Dekalogfassungen Ex 20 und Dtn 5. Ein Gespräch mit Frank-Lothar Hossfeld, ZAW 99, 1987, 308-329.

4.1. Sabbat und Siebter Tag

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Tag" geprägt. Auch Dtn 5,12-15 weist mehrfache Entsprechungen auf. 13 N. Lohfink hat gezeigt, daß fast alle Textüberschüsse gegenüber der Ex-Fassung auf dtn Klischeesprache und auf eine sehr reflex arbeitende Redaktion zurückgehen. Das gilt für die vieldiskutierte Abweichung am Anfang: Erstes ("iati>) und letztes Wort (rwy1?) sind bewußt gewählt; denn ihre Verbindung beherrscht die dtr Paränese durchgängig;14 und da die Wurzel "Dr an die Einfuhrung der Exodusmemoria gebunden war,15 bedurfte die Gebotseinleitung eines anderen Verbs. Die Dtn-Fassung dürfte also an diesem Punkte jünger als die Ex-Fassung sein.16 Gut dtn sind auch der Rückverweis in V 12b (vgl. V 15b) und die Interpretation der Herausfuhrung als Sklavenbefreiung durch den neuen Herrn Jahwe, die die Gebotsmitteilung in V 15 ermöglicht. Den Geist dtn Paränese atmet gleichfalls der Finalsatz von V 14b, der die Sklaven an der Wohltat teilhaben läßt. Schließlich geht das Wortpaar „dein Rind und dein Esel" in V 14 auf jene Hand zurück, die damit eine Brücke zum Schluß des Dekalogs schlägt, um ihn so als Sabbatdekalog zu stilisieren.17 (2) Die bisher besprochenen Teile lassen sich zwanglos unter der Voraussetzung der Erweiterung einer älteren Vorlage erklären, die Ex 20,8-10 ent12 Beobachte den Sabbattag 12 wie dir Jahwe, dein Gott, geboten hat 14 Jahwe, deinem Gott 14 und dein Sklave und deine Sklavin 14 damit 14 dein Sklave und deine Sklavin 15 Jahwe, dein Gott 15 darum hat dir Jahwe, dein Gott, geboten 15 den Sabbattag zu halten. Überzeugend ist der Chiasmus im doppelten Rahmen, nicht jedoch der Mittelteil. Hier muß man wohl V 13/14a mit V 15a (11V + "prftN nirr) zusammensehen. Zur Kritik s. auch S. MITTMANN, Deuteronomium 1,1 - 6,3 literarkritisch und traditionsgeschichtlich untersucht, BZAW 139, Berlin 1975, 135f. 14 Die Konkordanz nennt 27 Belege. 15 Vgl. Dtn 15,15; 16,12; 24,18; 24,22 - jeweils mit 13t eingeleitet. Die Verwendung von NX1 statt ms im Dekalog erklärt LOHFINK, Dekalogfassung (s. Anm. 3), mit bewußter Komposition im Blick auf den Prolog. 16 Die Verbindung von law + in der dtr Paränese ist m. E. ein deutliches Indiz dafür, daß die Gebotseinleitung in Ex 20,8 älter ist (gegen HOSSFELD, Dekalog [s. Anm. 12], 42, und gegen das Unentschieden bei GRAUPNER, Verhältnis [s. Anm. 12], 31 f.). Älter heißt jedoch nicht uralt; denn IDT begegnet in Verbindung mit Gesetzestermini und Kultvorschriften nur in späten Texten: Mal 3,22; Num 15,39f.; Ps 103,18; 119,52; Ex 13,3 („dieser Tag" bezieht sich auf das Passa); 20,8. 17 Mit LOHFINK, Dekalogfassung (s. Anm. 3 ) gegen HOSSFELDS Erklärung des Befundes als sekundäre Streichung in Ex 20,10, um sprachlich an Gen 1,24-26 anzugleichen (Dekalog [s. Anm. 12]). Diese unterstellte Absicht bleibt bei dem sonst recht lockeren Verhältnis zwischen Ex 20,11 und Gen l,24ff. völlig unbeweisbar und ist eher unwahrscheinlich.

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4. Kapitel: Ein Palast in der Zeit

spricht. Umgekehrt dürfte Ex 20,11b jünger als die Dtn-Fassung sein; denn wahrscheinlich hat jener priesterliche Ergänzer die komplette Dtn-Fassung gekannt, wie die syntaktische Einbindung des letzten Satzes mit „deswegen" ( p bv) zeigt. Sie erfolgt in Dtn 5,15 stilistisch glatt und mit Bedacht; denn der Satz hebt im Dtn mehrfach auf die Gesetzespromulgation und deren Inhalt ab.18 In Ex 20,11b dagegen hat er eine ganz andere Funktion: Er dient nicht der Begründung menschlichen Tuns, das aus der vorangehenden Tat Gottes folgt, sondern der Begründung einer weiteren Tat Gottes auf Grund schon vorangegangenem göttlichen Tun.19 Die Wurzel ¡113, die Ex 20,11 im Unterschied zu Gen 2,2-3 verwendet, stammt - anders als die syntaktische Verbindung mit „deswegen" - kaum aus Dtn 5, noch erklärt sie sich aus direktem Bezug auf Ex 23,12b; sie ist vielmehr die Folge davon, daß im Dekalog das Verb rDK> durch das Nomen ersetzt worden ist. Das Verhältnis der beiden Dekalogfassungen des Sabbatgebotes ist komplizierter, als daß es sich mit dem Hoßfeldschen Modell einer literarhistorischen Einbahnstraße erklären ließe. (3) In der Dtn-Fassung finden sich Teile, die weder in dtn noch in priesterlichen Köpfen erstmals gedacht das Licht der Welt erblickten. Nicht aus dtn Reservoir stammt in V 12 der Infinitiv constructus „um ihn zu heiligen"; denn unp Piel kennt das Dtn nicht. Ob hier erst ein späterer Ergänzer am Werke ist, der an Ex 20,8 angleicht, oder einfach die in Dtn 5 zitierte und verarbeitete Tradition zu Wort kommt, kann jetzt offenbleiben. 20 Nicht-dtn ist vor allem der viergliedrige Teil, der - mit der Ex-Fassung identisch - den Unterschied zwischen dem siebten Tag und den sechs Arbeitstagen einschärft. Dieser Teil verbindet das Sabbatgebot der beiden Dekaloge mit Ex 34,21 und 23,12. In jenen beiden Gebotssätzen folgt auf die Antithese von sechs Tagen gegenüber dem siebten, von Arbeiten gegenüber Aufhören, ein formal wie inhaltlich gänzlich unterschiedenes drittes Glied. Die ersten beiden Glieder sind wenngleich mannigfach erweitert - in allen Sabbatbestimmungen enthalten. Die Erweiterungen interpretieren den siebten Tag als Tag „für Jahwe" (Ex 20,9; Dtn 5,14), als „heilig" (Ex 31,15; 35,2), als „Sabbat" (Dtn 5,14; Ex 20,9; 31,15; 35,2; Lev 23,3), oder sie betreffen Strafbestimmungen (Ex 31,15; 35,2). Zu diesen Erweiterungen gehören auch die beiden unterschiedlichen Nachsätze in Ex 34,21b und 23,12b. Dieser Befund läßt vermuten, daß die 18 HOSSFELD, Dekalog (s. Anm. 12), 39, mit Hinweis auf Dtn 15,11 (V 8); 19,7 (V 2); Num 18,24 (V 20.23); s. auch den allgemeinen Rückverweis in Dtn 15,15; 24,18b.22b. 19 Die Vermutung HOSSFELDS, Dekalog (s. Anm. 12), 39f., Ex 20,11 ahme die Struktur von Dtn 5,15b nach, hat einiges für sich. GRAUPNERS Einwand (Verhältnis [s. Anm. 12], 316), p 7!) sei auch in Ex 20,11 syntaktisch unentbehrlich, um Gen 2,3 in die Begründung des Sabbatgebots zu integrieren, trifft nicht zu, da gerade Gen 2,3 zeigt, daß eine syndetische Fortfuhrung mit 1 genügt hätte. 20 HOSSFELD, Dekalog (s. Anm. 12), rechnet mit R p (S. 248) und weist auf die Heiligung von Terminen in P hin (vgl. Ex 31,14 Sabbat; Lev 25,10 Jobeljahr).

4.1. Sabbat und Siebter Tag

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ursprüngliche Fassung des Gebotes wohl nur in den als Antithese geformten ersten beiden Gliedern bestanden hat. 21 Die hinter Ex 34,21a noch erkennbare Urgestalt hat überdies als Doppeldreier mit Endreim poetische Gestalt. 22 Aus ihr lassen sich alle Fassungen des Sabbatgebotes als erweiterte Neukompositionen erklären. Entscheidend ist jedoch: Ex 34,21 und 23,12 gebrauchen zwar das Verb rattf als Gegensatz zu „arbeiten" (731?), nicht aber das Nomen „Sabbat"; beide Stücke kennen zwar den Wochenrhythmus von 6 + 1 Tagen, aber bezeichnen den siebten Tag nicht als „Sabbat". Erst der Dekalog identifiziert beide miteinander in einer ausdrücklichen Definition: „... aber der siebte Tag ist Sabbat für Jahwe, deinen Gott" (Dtn 5,14a/Ex 20,10a). Dem greift in Dtn 5 V 12 vor, indem er voraussetzt, was erst V 14 sagt. Das unterstreicht noch einmal, daß der traditionsgeschichtliche Kern des Sabbatgebotes in dem antithetischen Paar V 13-14 zu finden ist und nicht in V 12, wo ihn die ältere Forschung gesucht hat. (4) Die beiden Dekaloge lassen sich jedoch als Neukompositionen allein mit dem Material beider Gebote des siebten Tages nicht ausreichend erklären. Es fällt auf, daß nur die erste Zeile im traditionsgeschichtlichen Kern die Vorlage mit 731/ (Ex 34,21) aufnimmt, daß die zweite und vierte Zeile jedoch mit nDN^n HOT weder eine Entsprechung in Ex 34,21 noch in 23,12 (nti>ü nu>yn) hat. Die nächste Analogie findet sich in Gen 2,2-3, das die Sonderstellung des siebten Tages mit Gottes Aufhören (roti' Verb!) von all seiner Schöpfungsarbeit begründet, aber den Sabbat nicht nennt. Daß die priesterliche Komposition das absichtlich vermieden habe, weil sie den Sabbat erst am Sinai für Israel exklusiv offenbaren wollte, läßt sich nicht am älteren Stratum der Komposition verifizieren; denn die Sabbat-Gebote in Ex 31 und 35 stammen von einer späteren Hand. Dann aber kann man fragen, ob nicht umgekehrt das dekalogische Sabbatgebot schon in seinem traditionsgeschichtlichen Kern neben Ex 34,21 par. auch Gen 2,2-3 aufnimmt, nun aber den siebten Tag mit dem Sabbat identifiziert und deshalb das Verb rQE> vermeidet. (5) Aus alledem ergibt sich folgendes vereinfachtes ches Modell. 1.) Am Anfang steht das Gebot des siebten schiedlich erweitert worden ist. 3.) Der vom siebten chenrhythmus hat den priesterlichen Schöpfungsbericht 21

traditionsgeschichtliTages, das 2.) unterTag geordnete Wogestaltet. 4.) Das äl-

So im Ergebnis auch RICHTER, Recht (s. Anm. 12), 101-103; HALBE, Privilegrecht (s. Anm. 12), 188f.; W. H. SCHMIDT, Die Komposition des Dekalogs, in: Congress Volume Uppsala, 1971, Suppl. VT 22, Leiden 1972, 208f. Es ist mehr als verwunderlich, daß die Rekonstruktionsversuche der älteren Forschung stets am ersten Satz der Dekalogfassungen einsetzten, der gerade nicht fester Bestandteil aller Belege für das „Sabbat"-Gebot ist! Das spricht - neben weiteren Gründen - auch gegen die Vermutung A. ALTS (KS I, 311, Anm. 3), Ex 31,15b komme der ursprünglichen Fassung am nächsten. 22 Daraufhat zuletzt H. W. WOLFF, Anthropologie des Alten Testaments, München 1973, 200, aufmerksam gemacht.

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4. Kapitel: Ein Palast in der Zeit

tere Gebot des siebten Tages und Gen 2,2-3 sind im älteren Kern des Dekaloggebotes zu einem Sabbatgebot verarbeitet worden, der 5.) in zwei unterschiedlichen Kompositionen überliefert wurde, wobei sich literarische Abhängigkeiten 6.) sowohl auf Seiten der Ex-Fassung (z. B. V 1 lb) als auch 7.) bei der Dtn-Fassung (z. B. d p ) vermuten lassen. Die im Dekalog vollzogene Identifikation des siebten Tages mit dem Sabbat setzt den Sabbat als etwas Bekanntes voraus. Die Frage ist nur, als was der Sabbat bekannt war, als er spätestens im Dekalog mit dem siebten Tag identifiziert wurde und so die vielleicht tiefgreifendste Verwandlung in der Geschichte dieses Gebotes stattfand. Was läßt sich davon noch erkennen? Wenig genug und hinsichtlich der Ursprünge allermeist nur Spekulationen. Immerhin, einige Beobachtungen hat die Forschung zusammengetragen, wenn auch daraus die widersprüchlichsten Schlüsse gezogen.23 Ich nenne jetzt nur Sachverhalte, die für die thematische Behandlung der Texte von Gewicht sein können: 1. In den ältesten Belegen für das Nomen rati>(n) ohne weitere Beifügungen steht „Sabbat" stets parallel zu „Neumond" (ttHn).24 Beide Tage sind

23 Zu den zahlreichen Hypothesen über Ursprung und Herkunft des Sabbat s. ROBINSON, Origin (Anm. 12), und die Übersichten bei N.-E. ANDREASEN, The Old Testament Sabbath, SBL Diss. Ser. 7, Missoula 1972; DERS., Recent Studies of the Old Testament Sabbath. Some Observations, ZAW 86, 1974, 453-469, und von der älteren Literatur vor allem J. HEHN, Siebenzahl und Sabbat bei den Babyloniern und im Alten Testament, Leipziger Semitistische Studien 2/5, Leipzig 1907; J. MEINHOLD, Sabbat und Woche im Alten Testament, Güttingen 1905; DERS., Die Entstehung des Sabbaths, ZAW 29, 1909, 81-112; DERS., Zur Sabbathfrage, ZAW 48, 1930, 121-138; K. BUDDE, Antwort auf J. Meinholds Zur Sabbathfrage, ZAW 48,

1930, 1 3 8 - 1 4 5 . 24 Das hat zuletzt G. F. HASEL bestritten: „New Moon and Sabbath" in Eight Century Israelite Prophetic Writings (Isa 1:13, Hos 2:13; Amos 8:5), in: M. Augustin/ K.-D. Schunck (Hg.), „Wünschet Jerusalem Frieden". IOSOT Congress Jerusalem 1986, Frankfurt/M. 1988, 37-64. Der Befund ist jedoch komplizierter. Jes 1,13 ist in der Tat dreigliedrig, aber das dritte Glied wird durch XTp noch einmal abgesetzt und bestärkt als Apposition eher noch den Parallelismus von „Neumond und Sabbat", tnpft schließe wöchentliche und jährliche Feste zusammen, wie Lev 23 zeige, aber Lev 23 besagt fur Jes 1,13 nichts! Hos 2,13 kann dreigliedrig in absteigender Linie (Jahresfest, Monatsfest, wöchentlicher Sabbat - so J. JEREMIAS, Der Prophet Hosea, ATD 24/1, Göttingen 1983, 45) verstanden werden;TOOist dann zusammenfassende Apposition aller drei vorangehender Feste. Doch ist ein Chiasmus - in...TOiD 731 und mwi ©in - nach der Überschrift „ich mache ein Ende mit all ihrer (Fest-) Freude" ebensogut möglich. Außerdem heißt es betont „ihr Sabbat", was beim Wochensabbat befremdet, der doch ausdrücklich als „Sabbat für Jahwe" gilt (so m. R. VEIJOLA, Propheten [s. Anm. 9], 250). In Am 8,5 stehen Neumond und Sabbat nicht in einem strengen Parallelismus, aber der parallele Sinn der beiden Zeilen steht außer Frage. Inwieweit Am 8,5a.6b ins 8. Jh. gehören, ist jedoch fraglich. VEIJOLA, Propheten (s. Anm. 9), 252-255, beurteilt das Stück als Zusatz und interpretiert es im Lichte von Neh 13,15-22. Auf 2 Kön 4,23 geht HASEL gar nicht ein.

4.1. Sabbat und Siebter Tag

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durch Festfreude und Opfer ausgezeichnet (Hos 2,13; Jes 1,13).25 Sie gelten als günstige Tage, um an ihnen Orakel einzuholen (2 Kön 4,23; vgl. Jes 47,13). Zwar ruht an beiden (!) Tagen der Handel (Am 8,5), aber von einem generellen Arbeitsstop verlautet nichts, was ja auch für den Neumondtag nirgends gefordert wird. Ebenso fehlt jede Festlegung des Sabbat auf den siebten Tag. 2. Die beiden traditionsgeschichtlich ältesten Fassungen des Gebotes (Ex 23,12 und 34,21) bringen dagegen das Nomen „Sabbat" überhaupt nicht, sondern reden statt dessen allein vom „siebten Tag" nvn). Dieser siebte Tag aber hat, anders als der Sabbat, keinerlei positive kultische Inhalte. Ihm ermangelt jeder Festcharakter. 26 Er ist zudem völlig unabhängig vom Mondlauf und konstituiert einen von jedwedem Naturgeschehen gelösten Wochenrhythmus von sechs plus eins Tagen, der - soweit bisher zu sehen - in der antiken Welt gänzlich singulär ist.27 Sein Hinweis, „the Hebrew sequence of 'new moon and sabbath' is without a parallel in ancient Near Eastern texts" (S. 48), entkräftet nicht den atl. Befund. 25 Zu Gemeinschaftsopfern speziell am Neumondtag s. 1 Sam 20,18.24-29. 26 Dies vor allem gegen den Versuch von F. STOLZ (Sabbat, Schöpfungswoche und Herbstfest, WD 11, 1971, 159-175) zu erhärten, ist das Anliegen der Studie von F. MATHYS, Sabbatruhe und Sabbatfest. Überlegungen zur Entwicklung und Bedeutung des Sabbat im Alten Testament, ThZ 28, 1972, 241-262. 27 Der entscheidende Orientierungspunkt fur Zeitmaße zwischen Tag und Jahr war der Mond (s. K. OBERHUBER, Sumer, in: Theologie und Religionswissenschaft, hg. v. U. Mann, Darmstadt 1973, 17-21). An ihm orientieren sich die (Fest-) Zeiten (Ps 104,19, vgl. Gen 1,14). Er kann deshalb in sumerischen Texten geradezu „Herr des Kalenders" heißen (H. SCHMÖKEL, Das Land Sumer, Stuttgart 1956, 130). Zwar finden sich in der Antike Zeitrhythmen von 5, 7, 8, 9, 10 und 15 Tagen, aber sie sind alle in irgendeiner Weise auf den Mondzyklus und seine verschiedenen Phasen bezogen (s. das zahlreiche Material bei W. H. ROSCHER, Die Sieben- und Neunzahl im Kultus und Mythus der Griechen, Abh. der Sachs. Gesellschaft der Wissenschaften XXIV/1, Leipzig 1904). Am bekanntesten dürfte Enuma elisch V, 14-24 sein (zitiert nach: Die Schöpfungsmythen I, Darmstadt 1980, 143): Alle Monate, unaufhörlich, mache ein Zeichen der Krone. Am Anfang des Monats, wenn du zu leuchten beginnst über die Länder, Sollst du an den Hörnern erglänzen, um anzuzeigen die sechs (ersten) Tage, Am siebten Tage (zeige) die Hälfte der Krone. Wenn Vollmond ist, stehe in Opposition (zur Sonne): das ist die Hälfte des Monats. Wenn die Sonne am Horizont dich wieder eingeholt hat, Verkleinere deine Krone und beginne abzunehmen. Am Neumondtage nähere dich wieder der Sonnenbahn. [Am XXIX. Tage] stehe wieder in Opposition zur Sonne! Vgl. auch AOT, 121. Ein vom Mondzyklus unabhängiger Wochenrhythmus läßt sich bislang nicht nachweisen. Das gilt erst recht von dem vor allem seit Assurbanipal in assyrischen Hemerologien immer stärker hervortretenden, als Unglück bringend erachteten und deshalb tabuisierten 7., 14., 21., 28. Tag jedes Mondmonats. Am 19. Tag potenziert sich gleichsam

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4. Kapitel: Ein Palast in der Zeit

3. Beide Sachverhalte können von der klassischen These, der Sabbat als wöchentlicher (!) Ruhetag sei uralt und gehöre an den Ursprung Israels, nicht integriert werden, sondern fuhren eher zu folgender Hypothese,2i „Sabbat" und „Siebter Tag" haben von Hause aus nichts miteinander zu tun.29 Der Sabbat war ursprünglich ein regelmäßig wiederkehrender Mondtag, wahrscheinlich der als 15. Tag nach dem Neumond begangene Vollmondtag. 30 Daneben hat alles Unheil: 7 x 7 = 49 = 30 (Tage des vergangenen Monats) + 19 (Tage des gegenwärtigen Monats). Auch dieser scheinbare Siebenerzyklus ist allein am Mondlauf orientiert (OBERHUBER, Sumer [s.o.], 18f.) und als solcher gerade nicht als durchlaufende (!) Sieben-TageWoche konzipiert (s. auch das Material bei B. LANDSBERGER, Der kultische Kalender der Babylonier und Assyrer, Leipzig 1915). Zur Unabhängigkeit der durchlaufenden SiebenTage-Woche vgl. die Argumentation von J. MEINHOLD, ZAW 29, 1909, 106-112, gegen HEHN, Siebenzahl (s. Anm. 23). Für die zuweilen (M. WEBER, Aufsätze zur Religionssoziologie III: Das antike Judentum, Tübingen 1921, 159f.; E. JENNI, Die theologische Begründung des Sabbatgebotes im AT, ThSt 46, Zürich 1956, 12f.) erwogene Entwicklung der Sieben-Tage-Woche aus der Marktwoche (s. die römischen, allerdings achttägigen, nundinae und dazu PW 17/2, 1467ff.) fehlt jeder Beleg aus dem syrisch-palästinischen Raum; und ein Text wie Am 8,5 läuft dieser Hypothese stracks zuwider. 28

M i t MEINHOLD, S a b b a t (s. A n m . 2 3 ) ; RICHTER, R e c h t (s. A n m . 12), 1 0 2 f . ; A . LEMAIRE,

Le Sabbat â l'époque royale Israélite, RB 80, 1973, 161-185; ROBINSON, Origin (Anm. 12), 29-109; DERS., The Idea of Rest in the Old Testament and the Search for the Basic Character of Sabbath, ZAW 92, 1980, 32-42; HOSSFELD, Dekalog (s. Anm. 12), 38, 248; F. CRUSEMANN, Bewahrung der Freiheit. Das Thema des Dekalogs in sozialgeschichtlicher Perspektive, München 1983, 53-58; gegen BUDDE, Antwort (s. Anm. 23); G. J. BOTTERWECK, Der Sabbath im Alten Testament, ThQ 134, 1954, 134-147, 448-457; J. J. STAMM, Dreißig Jahre Dekalogforschung, ThR 27, 1961, 189-239, 281-305 (bes. 290); E. KUTSCH, Der Sabbat ursprünglich Vollmondtag?, in: DERS., Kleine Schriften (hg. v. L. Schmidt / K. Eberlein), BZAW 168, Berlin 1986, 71-77; HASEL, Moon (s. Anm. 24); und den besonders eigenwilligen und hypothesenfreudigen Entwurf von O. LORETZ, Habiru-Hebräer, BZAW 160, Berlin 1984, 265-270. 29 Es bliebe sonst schlechterdings unerklärlich, wie es zu der Parallelisierung von Neumond und Sabbat gekommen ist; denn als Schlußtag der durchlaufenden Sieben-Tage-Woche würde er doch oft genug auf den Neumond fallen, da sich die Woche nicht mit dem Mondzyklus von 29,5 Tagen deckt (so schon J. MEINHOLD, ZAW 48, 1930, 122). 30 Dafür spricht die Parallelität von Neumond und Sabbat in den eingangs genannten ältesten atl. Belegen (BUDDES Kritik daran greift zu kurz, da sie die Sachverhalte unberücksichtigt läßt, die Sabbat und siebten Tag unterscheiden). Hinzu kommt akkadisches Material in der altbabylonischen Zeit, wonach der 15. Tag des Mondmonats als Vollmondtag begangen wurde (vgl. LANDSBERGER, Kalender [s. Anm. 27], 94, 98, mit Belegen aus altbabylonischer Zeit, dagegen „kommt in Texten der Assurbanipalzeit sapattu oder sabattu ohne jeden kultischen Beigeschmack als 'Vollmondstag' vor" - S. 131 f.). Der Vollmondstag trägt den Namen sab/pattu, was - wenn auch bislang philologisch nicht endgültig geklärt (dazu ROBINSON, Idea [s. Anm. 28], 40f., und die dort verzeichnete einschlägige Literatur; skeptischer urteilt HASEL, Moon fs. Anm. 24], 49-51) - mit hebr. raff zusammenhängen dürfte (zum akkad. Material s. schon MEINHOLD, Sabbathfrage (s. Anm. 23), 125-128; LANDS-

4.1. Sabbat und Siebter Tag

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es, seit wann auch immer, den die Woche als Woche strukturierenden siebten Tag als arbeitslosen Tag gegeben. In (nach-) exilischer Zeit wurden beide Institutionen miteinander verbunden, wobei der siebte Tag jetzt den Namen Sabbat erhält, so daß es seither den Sabbat als wöchentlichen Tag der Arbeitsruhe gibt.31 Jetzt erst, in exilisch-nachexilischer Zeit, finden sich Texte außerhalb der Sabbatgebote des Pentateuch, die den Sabbat als wöchentlichen Ruhetag einschärfen und seine Einhaltung zum status confessionis bei der BeBERGER, Kalender [s. Anm. 27]; W. v. SODEN, AHw III, s. v.). Dieser Vollmondtag am 15. des Mondmonats hat mit den Unglückstagen im Siebenerzyklus nichts zu tun; denn sie treten erst in spätassyrischer Zeit im 1. Jt. v. Chr. in den Vordergrund (s. o. Anm. 27). Schließlich hat LEMAIRE, Sabbat (s. Anm. 28), 167-170, auf Texte aus dem syrischen Raum hingewiesen, die für den 15. Tag die Begehung eines Vollmondfestes belegen: ym mlat (Ugarit, KTU 1.109,3) und Dxoroi Dü[im] (Lapethos, auf dem Socke! eines Votivbildes aus dem 3. Jh. v. Chr., KAI, 43,12); zu der Bezeichnung des Vollmondes als SCD vgl. Ps 81,4. Der Vollmondtag war jedoch in Ugarit offenbar nicht durch Arbeitsruhe ausgezeichnet, wie zwei Handelskontrakte aus PRU II, 1957, 185, und V, 1965, 12 zeigen, die auf den Vollmondtag datiert sind: bym hds byrh pgrm. 31

Ältester Beleg fur die Identifikation beider Institutionen ist das Sabbatgebot des Dekalogs (s. HOSSFELD, Dekalog [s. Anm. 12], 251, und CHR. LEVIN, Der Sturz der Königin Atalja. Ein Kapitel zur Geschichte Judas im 9. Jh. v. Chr., SBS 105, Stuttgart 1982, 39-42). Es spricht jedoch manches gegen HOSSFELDS These (S. 251) von der Geburt des Wochensabbats in dtr Kreisen der Exilszeit. Sabbat wie Sabbatgebot spielen in allen dtn und dtr Schichten (außerhalb des Dekalogs) keinerlei Rolle. Wären die Deuteronomisten - welcher Prägung auch immer - die Väter des Sabbatgebots gewesen, hätten sie es kaum versäumt, ihn „als Gerichtsbegründung in die Sündenkataloge Israels und Judas aufzunehmen" (VEIJOLA, P r o p h e t e n [s. A n m . 9], 2 5 7 ) . D i e B e l e g e Jer 1 7 , 1 9 - 2 7 ( d a z u u. 4. 6.); E z 2 0 ; 2 2 , 8 . 2 6 ; 2 3 , 3 8

sind im Kontext sekundär, stammen aus nachexilischer Zeit und haben bezeichnenderweise alle „das bisherige oder gegenwärtige Nichtbeachten des Sabbats zum Inhalt ... Wenn also Neh 13,15-22 berichten, daß Nehemia die Beachtung des Sabbatgebotes allererst durchgesetzt habe, findet dies in der Verteilung der Belege die Bestätigung" (LEVIN, Sturz [s.o.], 41). LEMAIRE fuhrt den Wochensabbat auf Grund detaillierter sprachlicher Analysen auf priesterliche Kreise zurück, die ihn erst in der Zeit Esras und Nehemias durchgesetzt haben (Sabbat [s. Anm. 28], 175f., 181, 184). Die relativ späte Fusion beider Institutionen steht nicht im Widerspruch zur erstmaligen Bezeugung im Dekalog; denn der Sabbat fehlt im dtn Gesetz völlig, außerdem gibt es Indizien, die vermuten lassen, daß die gegenwärtige Gestalt des „Sabbatdekalogs" im Dtn nicht seine ursprüngliche gewesen ist (s. o. Anm. 7). LEMAIRE scheint noch weiter gehen und auch die Institution des regelmäßigen Siebten Tages als arbeitslosen Tages für eine Erfindung erst der Exilszeit halten zu wollen. Dagegen spricht m. E. j e d o c h die ü b e r l i e f e r u n g s g e s c h i c h t l i c h e Priorität v o n E x 2 3 , 1 2 ; 3 4 , 2 1 , d i e v o n LEMAIRE lei-

der gar nicht behandelt werden. Er hält trotz eingehender sprachlicher Analysen zum priesterschriftlichen Charakter der Dekalogterminologie am hohen Alter des Sabbatgebotes fest und rekonstruiert im Zusammenhang seiner Urdekaloghypothese als ursprüngliche Fassung des Sabbatgebots: ,,L' THLL 'T SBTTY" (Le Décalogue: Essai d'histoire de la rédaction, in: Mélanges bibliques et orientaux en l'honneur de M. Henri Cazelles, AOAT 212, Kevelaer 1981, 259-295, bes. 282f.). Dieses älteste Sabbatgebot habe freilich dem Vollmondsabbat gegolten (Sabbat [s. Anm. 28], 180).

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4. Kapitel: Ein Palast in der Zeit

wältigung der Gegenwart wie bei der Verarbeitung der vergangenen Geschichte Israels machen. 32 Auch diese Hypothese löst keineswegs alle Probleme.33 Sie wird aber dem undurchsichtigen alttestamentlichen Befund m. E. besser gerecht, weil sie sowohl die Indizien zu integrieren vermag, die schon immer für einen Ursprung des Sabbat in grauer Vorzeit ins Feld geführt werden, als auch jenen Beobachtungen Rechnung trägt, die zu allerlei pauschalen Spätansetzungen benutzt werden. 34

32 S. nur Jes 56,lf.3-8; 58,13f.; Ez 20,12ff.; 22,8.26; 23,38; 44,24, die eindeutig in jene späte Zeit gehören. Aber auch Jer 17,21-27 gehören in sachliche wie zeitliche Nähe zu Neh 13,15ff. (und 10,32ff.), schwerlich jedoch, wie W. THIEL (Die deuteronomistische Redaktion von Jeremia 1-25, WMANT 41, Neukirchen-Vluyn 1973, 202-209) meint, zu dtr als vielmehr zu nach-dtr Kreisen (s. die sorgfältigen Analysen von J. BRIEND, Le sabbat en Jr 17,19-27, in: Mélanges bibliques et orientaux, FS M. M. Delcor, AOAT 215, Kevelaer 1985, 23-35). 33 Ein Schwachpunkt ist zweifellos, daß die Bedeutung Sabbat = Vollmondtag im AT nicht ausdrücklich belegt ist, sondern - abgesehen von inneralttestamentlichen Rückschlüssen - e silentio nur durch alttestamentliche Analogien erschlossen werden kann. Außerdem nennt Ps 81,4 ihn nicht naw, sondern xco; s. auch einzelne Einwände von BUDDE, Antwort (s. Anm. 23), 1930, 128ff. Schließlich lassen sich bei der Wurzel m® weder das Verb vom Nomen noch das Nomen vom Verb hinlänglich gesichert ableiten (s. die knappe, aber instruktive Diskussion bei ROBINSON, Idea [s. Anm. 28], 40f., vgl. damit aber auch HASEL, Moon [s. Anm. 24], 49f.), so daß „auf dem Wege der etymologischen Untersuchung ein sicheres Urteil über die ursprüngliche Bedeutung von TO© nicht zu gewinnen ist" (W. NOWACK, Schabbat, Die Mischna II/l, Gießen 1924, 11). 34 Dagegen hat zuletzt KUTSCH, Sabbat (s. Anm. 28), mit Hilfe von Lev 23,10-17 „zwingend" (S. 72) beweisen wollen, daß der Sabbat schon vor dem Exil als Wochensabbat gefeiert worden sei; damit sei ausgeschlossen, daß „der Sabbat in vorexilischer Zeit einmal ... Vollmondtag gewesen wäre" (S. 77). M. R. kritisiert KUTSCH die Erklärung des komplizierten Befundes in Lev 23 durch ROBINSON, Idea (s. Anm. 28), 325ff., der mit einer äquivoken Verwendung des Wortes Sabbat arbeiten muß (V 11.15 beziehen sich auf das alte Vollmondfest, V 16 dagegen auf den Wochensabbat), weil sonst die Rechnung nicht aufgeht. M. R. schließt KUTSCH auch, daß die kalendarische Festlegung des Massotfestes auf den 15.1. (V 6) und die Sabbatwochen-Festlegung des Wochenfestes (V 15b. 16a) nicht ursprünglich zusammengehören (vgl. schon K. ELLIGER, HAT; zu V 4-8 und 9-21). Gleiches gilt aber gegen KUTSCH auch für die beiden Berechnungen des Wochenfestbeginnes von entweder 50 Tagen (so V 16) oder 7 Sabbaten (so V 15b), zu deren Ausgleich schließlich noch die Rechnung mit dem Tag nach dem Sabbat nötig wurde (V 1 lb.15a.16aa). ELLIGERS Analyse (HAT, 307f., 315f.) hat m. R. auch hier literarisch unterschieden; er hält die 50-Tage-Frist für die ältere; denn sie legt den Tag der Darbringung der „Webegarbe" noch nicht fest, so daß er mit dem jährlich schwankenden Erntebeginn verbunden bleiben kann. Die Bezeichnung „Wochenfest" (nm© >n) in Ex 34,22; Dtn 16,9 bezieht sich auf 7 Wochen, nicht auf 7 Sabbate; sie setzt also nur die Sieben-Tage-Woche, nicht aber den Wochensabbat voraus. Der spielt in Lev 23 erst in der Schicht eine Rolle, die ausdrücklich eine Relation zum Sabbat in Lev 23,11.15.16 (vor allem aber V 15b.16) herstellt. Daß diese Schicht indes „zwingend" aus vorexilischer Zeit stamme, müßte erst bewiesen werden. KUTSCHs Einspruch kann also nicht als letztes Wort zur Sache gelten.

4.2. Unterbrechung menschlicher Leistung: Ex 34,21

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4.2. Unterbrechung menschlicher Leistung: Ex 34,21 Sechs Tage darfst du arbeiten ("7357), aber am siebten Tage sollst du aufhören (l"Dü); in der Zeit des Pflügens und Erntens sollst du aufhören!

Das vorliegende Gebot hat drei Glieder. Dabei fällt die Wiederholung des Verbs im dritten Glied auf. Ein Vergleich mit Ex 23,12 zeigt, daß ein älterer antithetisch strukturierter Gebotssatz erweitert worden ist. Die formale Zweigliedrigkeit des Gebotes scheint ein Verständnis des ersten Gliedes als Arbeitsgebot nahezulegen. 35 Aber in der Lebenswelt, die Ex 34,21 par. ordnet, ist das Arbeiten, nicht das Aufhören der Normalfall und bare Selbstverständlichkeit. Das Gebot ergeht wegen des siebten Tages, nicht um der sechs Tage willen. Das Besondere des siebten Tages kann aber nur in Relation zu den anderen Tagen zur Geltung gebracht werden. Anders gesagt: Von der Arbeit wird hier nur geredet, weil am siebten Tage damit aufgehört werden soll.36 Die ursprüngliche Fassung des Gebotes zielt also auf den allwöchentlichen siebten Tag als Unterbrechung des Arbeitsrhythmus. 37 Eine inhaltliche Bestimmung dieses siebten Tages sucht man jedoch vergebens. Von einem Tag für Jahwe verlautet hier ebensowenig wie von einem Tag des Aufatmens oder der Erholung. Wir würden das Eigentümliche dieses Textes gerade verstellen, wollten wir die auffällige und darin bedeutungsvolle Leerstelle mit den Bestimmungen der anderen Gebotsfassungen ausfüllen. So konzentriert sich alles auf die Bedeutung des Verbs mtP. Es ist nun bemerkenswert und der üblichen Übersetzung mit „ruhen" oder „feiern" nicht gerade günstig, daß das Moment des (Aus-)Ruhens erst durch Beifügung an35

So begründet H. D. PREUSS, TRE 3, 616 (Art. Arbeit I), den Satz „Der Mensch soll arbeiten; dies auch ist Gottes Auftrag an ihn" ausdrücklich mit Ex 20,9 und Dtn 5,13 und fahrt fort: „Arbeit ist Gebot ..." Diesem Mißverständnis liegt das exegetische Fehlurteil zugrunde, die antithetische Struktur weise auf ein „Gebotspaar" (so schon E. GERSTENBERGER, Wesen und Herkunft des „apodiktischen Rechts", WMANT 20, Neukirchen-Vluyn 1965, 88). 36 Vgl. die ähnliche Struktur und Intention in Ex 22,29 (über die tierische Erstgeburt): „Sieben Tage laß das Neugeborene bei seiner Mutter sein, am achten Tage sollst du es mir geben." Auch hier ist vom Selbstverständlichen (das Neugeborene bei seiner Mutter) nur die Rede, damit in zeitlicher Relation zu ihm das terminiert werden kann, was sich nicht von selbst versteht. Es ist deshalb ebenfalls schon im Ansatz verfehlt, aus der Antithese eine negative Urgestalt des Sabbatgebots „rekonstruieren" zu wollen, wie das bei fast allen Vertretern eines Urdekalogs üblich ist: E. SELLIN, Geschichte des israelitisch-jüdischen Volkes I, Leipzig 1924, 84; A. ALT, KS I, 317f.; K. RABAST, Das apodiktische Recht im Deuteronomium und im Heiligkeitsgesetz, Berlin 1948, 35-39; G. v. RAD, Theologie des Alten Testaments I, München 5 1966, 204; E. NIELSEN, Die Zehn Gebote. Eine traditionsgeschichtliche Skizze, AThD 8, Kopenhagen 1965, 88ff.; LEMAIRE, Decalogue (s. Anm. 31), 294. 37

Diesen Einsichten sucht die oben gegebene unterschiedliche modale Übersetzung der Präformativkonjugation Rechnung zu tragen.

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4. Kapitel: Ein Palast in der Zeit

derer Verben eigens ausgedrückt werden muß, wie z. B. durch ma in Ex 20,11 und durch rrn und WM in Ex 23,12b; 31,17b38, so daß die Wurzel raB> von Hause aus nicht ohne weiteres „ruhen" o. ä. bedeutet. Was aber bedeutet das Verb dann? In der Grundform bezeichnet es entweder das Ende einer Tätigkeit 39 oder das Ende von Dingen 40 . Für die vier Belege der Wurzel, in denen sie sich auf Arbeiten bezieht, hat G. Robinson überzeugend gezeigt, daß das Verb auch an diesen Stellen weder „feiern" noch „Sabbat halten" bedeutet. 41 Warum sollte das dann in den beiden strittigen Fällen Ex 34,21 und 23,12, in denen das Verb absolut gebraucht wird, anders sein? Das Rechte hat, wie so oft, schon die ältere Forschung gesehen: „Dem Verbum ... (ist) die Bedeutung 'ruhen' vollständig fremd ... Die Bedeutung 'aufhören', 'fertig sein' ist dem Verbum von Natur aus eigen..." 42 Was aber ist dann der Sinn dieses Gebotes? Zweifellos handelt es sich um eine uralte Tabu-Vorschrift. 43 Mit diesem religionsgeschichtlichen Urteil ist freilich theologisch noch gar nichts gesagt. Das Gebot ist Anrede, kein Dekret über die Sieben-Tage-Woche. Deshalb kann es hier nicht um die Zeit über38 Die drei Verben stehen in einer sinnvollen Abfolge (aufhören-ruhen-aufatmen), nicht aber in einem Parallelismus, wie schon die Einfuhrung als Finalsatz mit ixra1? zeigt; außerdem ist zwischen den Adressaten des Gebots und seinen Nutznießern zu unterscheiden (dazu s. u.). Das spricht gegen die Exegese von H. D. PREUSS in ThWAT V, 300, welche die Differenzierungen des Textes einebnet. 39 S. die Übersichten in THAT II, 863-865 (F. STOLZ) und bes. ROBINSON, Idea (s. Anm. 28), 37f.: z. B. der Bäcker hört mit dem Schüren des Feuers im Ofen auf (Hos 7,4); oder Hiobs Freunde hören auf zu antworten (Hi 32,1). 40 Saat und Ernte sollen nicht aufhören (Gen 8,22); das Manna hört auf, nachdem Israel das erste Passa im Lande gefeiert hat (Jos 5,12); unseres Herzens Wonne hat aufgehört (Thr 5,15); Israel als Nation (Jer 31,26 Irrealis), die Wege (Jes 33,8), der Bedrücker (Jes 14,4) sind ans Ende gekommen. 41 ROBINSON, Idea (s. Anm. 28), 39. Das leuchtet für Neh 4,5 (Hif.); 6,3 (Qal, „Arbeit" als Subjekt!); 2 Chr 16,5 (Hif. mw/Aan) schnell ein. Lediglich Ex 5,5 wird in der Regel von der Bitte um ein Fest in der Wüste (V 1.3) her als „feiern" o. ä. gedeutet. Indes stellt die Formulierung m® Hif. + p Ex 5,5 in eine Reihe mit Ex 12,15; Lev 2,13; 26,6; Ez 34,25; Dtn 32,26, so daß auch hier die Übersetzung mit „fernhalten/entfernen von ..." vorzuziehen ist. 42 HEHN, Siebenzahl (s. Anm. 23), 101. Davon ausgenommen sind natürlich die Stellen, an denen das Verb entweder mit dem Nomen als direktes Objekt verbunden (Lev 23, 32; 25,2) oder im unmittelbaren Kontext auf es bezogen ist (Ex 16,30; Lev 26,34f.; 2 Chr 36,21). Da das weder in Gen 2,1-3 noch in Ex 31,17 der Fall ist (zu den Gründen s. o. Kap. 3.3.) und da hier nichts gegen die Grundbedeutung „aufhören" spricht, gehören beide Stellen nicht hierher (gegen ROBINSON, Idea [s. Anm. 28], 37 Anm. 18). 43 So v. Rad, Theologie I (s. Anm. 8), 29 Anm. 3 (obwohl die von ihm hergestellte Verbindung zu Unglückstagen rein spekulativ ist); JENNI, Begründung (s. Anm. 27), 10f.; zuletzt R. BARTELMUS, Mk 2,27 und die ältesten Fassungen des Arbeitsruhegebotes im Alten Testament. Biblisch-theologische Beobachtungen zur Sabbatfrage, BN 41, 1988, 41-64, der (S. 47) darauf hinweist, daß Tabu-Vorschriften „zum ältesten Bestand in religiösen Systemen" gehören und „kaum je sekundär entwickelt" werden.

4.2. Unterbrechung menschlicher Leistung: Ex 34,21

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haupt, sondern allein um die konkrete Lebenszeit gehen. Die aber ist ausschließlich als Arbeitszeit im Blick. Das Gebot zielt also zunächst einmal auf die Unterbrechung menschlicher Leistung. Was heißt das im Horizont des Textes und seiner ursprünglichen Adressaten? Worauf bezieht es sich, was meint in deren Welt das oben mit „arbeiten" übersetzte Verb 731?? Wir sind leider auch hier in der mißlichen Lage, ein absolut gebrauchtes Verb interpretieren zu müssen. 44 Das Verb hat im Hebräischen - anders als im Aramäischen - nicht die Grundbedeutung „arbeiten", sondern „dienen". Es wird einerseits transitiv mit Objekten aus dem landwirtschaftlichen Bereich verwendet. Hier dürfte auch der älteste noch greifbare konkrete Lebensbereich des Wortes liegen.45 In diesen Zusammenhängen heißt es soviel wie „den Ackerboden bedienen", „bebauen". Mühsal und Schwere der Ackerarbeit sind freilich nicht ohne weiteres mit dem Verb verbunden, wie die Bezeichnung der paradiesischen Arbeit und die Bestimmung des Menschen in Gen 2,15 mit 731? und mit „hegen" und „pflegen" zeigt. Anderseits erscheint das Verb mit persönlichen Objekten und heißt dann soviel wie „in einem Abhängigkeitsverhältnis dienen", „Untertan sein", „Frondienst, Sklavenarbeit leisten", mit dem Objekt Gott: „kultisch dienen". Auch hier ist das Verb keineswegs von vornherein negativ besetzt und bezieht sich nicht als solches schon auf die Sklavenarbeit. 46 Ein Blick auf die Adressaten des Gebotes hilft weiter. Da das Gebot hier in Ex 34,21 wie in den Dekalogen zunächst einmal den freien Vollbürgern gilt,47 dürfte allenfalls die erste Bedeutung auch im absolut gebrauchten Verb mitschwingen. Es geht also um die Ackerarbeit als die Grundtätigkeit des Menschen in der Antike. Der Acker aber war die stets gefährdete, von Dürre bedrohte, vom lebenspendenden Regen und von ständiger menschlicher Hege und Pflege abhängige Existenzgrundlage. Ackerarbeit auf den kargen Böden des palästinischen Berglandes bedeutet in diesem Horizont buchstäblich: sein Leben fristen, überleben. Ex 34,21 gebietet also nichts

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So nur noch in Ex 5,18; 20,9; 34,21; Dtn 5,13; Koh 5,11. Vgl. aber Dtn 15,19b, wobei der Stier als Arbeitsmittel klar auf die Feldbestellung weist, und Dtn 28,39 (7ny//J)ü: ¡rai3). 45 Zu philologischen Fragen, Wortfeld und Streuung der Belege s. THAT II, 188f. (C. WESTERMANN); T h W A T V , 9 8 2 f f . ( H . RINGGREN u. a.); I. RIESENER, D e r S t a m m 73S i m A T ,

BZAW 149, Berlin 1978, bes. 46ff. und 112 Anm. 1; J. P. FLOSS, Jahwe dienen - Göttern dienen, BBB 45, Bonn 1975, bes. 12-34. 46 Gegen BARTELMUS, Mk 2,27 (s. Anm. 43), 46 Anm. 16, der darüber hinaus die Verbwahl in Ex 34,21 als eine bewußte Abänderung der Fassung von Ex 23,12 interpretiert, „die das allgemeine Tätigkeitsverbot im Sinne einer Eingrenzung auf 'Sklavenarbeit' einschränkt". Dagegen spricht nicht nur der Konkordanzbefund zum Bedeutungsgehalt des Verbs, sondern vor allem die Adressaten des Gebots, die freilich Bartelmus nicht in die Überlegungen einbezieht. 47 Zu den Adressaten s. HALBE, Privilegrecht (s. Anm. 12), 225ff., 464ff., und CRÜSEMANN, Bewahrung (s. Anm. 28), 28-34.

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4. Kapitel: Ein Palast in der Zeit

Geringeres, als die Arbeit des Überlebens jeden siebten Tag zu unterbrechen, sich selbst immer wieder aus der Hand zu geben und damit Jahwe als den Herrn über das Leben in seinen Gefährdungen anzuerkennen. Diese ungeheure Zumutung versteht sich wahrlich nicht von selbst. Deshalb muß sie geboten werden. Daß das Gebot nur im kompositorischen Rahmen als Gotteswort stilisiert ist, besagt wenig; denn wessen Autorität sonst könnte ein Gebot begründen, das aller Natur derart entgegensteht? Und daß es außer- oder vorisraelitischen Ursprungs sei, hat gerade wegen seiner Analogielosigkeit noch keiner überzeugend wahrscheinlich machen können. Der Nachsatz hebt nun die Lebenswelt landsässiger Bauern ausdrücklich hervor. Daß er gegenüber dem antithetischen Gebot eine erste Wachstumsstufe der Überlieferung darstellt, ist wohl möglich. Daß er aber durch sein explizit sedentäres Milieu das ältere Gebot in die Welt nomadisierender Kleinviehhirten versetze, 48 bleibt gänzlich unbeweisbar; ja, es ist gerade auf Grund der Konnotationen des Verbs 13V unwahrscheinlich. Kain, der Ackerbauer, erscheint als n m s 73V, Abel, der Hirt, dagegen als INS n n (Gen 4,2) 49 Wenn also schon die älteste Fassung des Gebotes auf die bäuerliche Welt bezogen ist, stellt sich die Frage nach dem Motiv für den Nachsatz erneut. Zuvor bedarf es freilich der Klärung, was denn der Nachsatz akzentuiere. J. Halbe hat mit Gen 45,6 und 1 Sam 8,12 argumentiert, das Wortpaar „Pflügen und Ernten" beziehe sich nicht auf die beiden Hauptarbeitszeiten 50 agrarischer Wirtschaft, sondern bezeichne vielmehr die Arbeit des Bauern insgesamt. Der

48 Mit nomadischer Herkunft von Ex 34,21a rechnen MATHYS, Sabbatruhe (s. Anm. 26), 241-262, 247ff.; SCHMIDT, Komposition (s. Anm. 21), 208f.; WOLFF, Anthropologie (s. Anm. 22), 208; HALBE, Privilegrecht (Anm. 12), 191f.; M. NOTH, ATD 5, Göttingen 1960, z. St., läßt bemerkenswerterweise die Frage offen. Kritisch m. R., wenn auch ohne Begründung, E. OTTO, Wandel der Rechtsbegründungen in der Gesellschaftsgeschichte des antiken Israel. Eine Rechtsgeschichte des „Bundesbuches" Ex XX22 - XXIII13, SB 3, Leiden 1987, 91 Anm. 182: V 21b sei „als Hinweis auf die Integration einer nomadischen Institution in bäuerlichem Kontext fehlgedeutet". 49 Dem scheinen sich auf den ersten Blick die zahlreichen Belege aus der Jakobgeschichte nicht zu fugen (Gen 29-31; Hos 12,13). Dort aber bezeichnen 3 iny bzw. D:n TO o. ä. nicht die Wirtschaftsweise Jakobs, sondern seinen Dienst für einen bestimmten Lohn. Diese Belege gehören also eher in den zweiten Bereich (dienen in einem Abhängigkeitsverhältnis). Es gibt m. E. keinen Beleg dafür, daß das Verb sich auf speziell nomadische Tätigkeiten bezieht. 50 So die klassische Deutung (vgl. NOTH, (s. Anm. 49), z. St., und CRÜSEMANN, Bewahrung [s. Anm. 28], 56). Gegen die zuletzt von E. OTTO (Art. Feste II, TRE 11, 103) vertretene Auffassung, mit V 21a werde „die sakrale Zeitstruktur des Massotfestes entschränkt, der Erntezeit aufgeprägt", spricht die Ursprünglichkeit des Einzelgebotes vor der Reihe; V 21a aber akzentuiert nirgends expressis verbis die Ernte. Daß schließlich V 21b das „Ruhetagsgebot von der Erntezeit des Frühjahrs auf die Zeit des Pflügens im Herbst" ausdehne, steht gegen den Text, der Pflügen und Ernten als Wortpaar einbringt; es werden also nicht nur die „Erntezeiten ... der JHWH-Herrschaft unterstellt" (s. Anm. 48, 50).

4.2. Unterbrechung menschlicher Leistung: Ex 34,21

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Nachsatz ziele also nicht auf zwei „besondere Zeiten, sondern auf einen besonders herausgestellten Bereich des Wirtschafts- und Arbeitslebens". 51 Diese Interpretation baut jedoch eine unnötige Alternative auf; denn der besondere Wirtschaftsbereich des Bauern kann doch gar nicht anders herausgestellt werden als mit den für ihn charakteristischen Tätigkeiten, die hier indes an die besonderen Zeiten des Ackeijahres gebunden sind.52 Ist aber die Akzentuierung besonderer Zeiten impliziert, kann die Antwort auf die Frage nach den Motiven für den Nachsatz nur über den eigentümlichen Charakter jener beiden Zeiten gewonnen werden. Ihrer wird nicht deshalb Erwähnung getan, weil in den Zeiten größter Arbeitsbelastung die Arbeitsunterbrechung an jedem siebten Tage nachdrücklicher Einschärfung bedarf, sondern weil die Zeiten der Feldbestellung und der Ernte die kritischen Punkte des Agraijahres sind. Den Wechsel von Saat und Ernte, von Arbeit und Ruhe auf den Feldern umgaben mancherlei dunkle Mysterien - man lese nur das Hoseabuch! Der Nachsatz ruft über dem Bereich der Natur und ihrem Zyklus von Regen und Reife die Herrschaft Jahwes aus; und dabei darf man getrost ein „gegen Baal" hinzudenken, auch wenn es nicht im Gebotstext steht.53 Gottes Zeit unterbricht den Rhythmus der Natur und entgöttert so die (göttlichen) Mächte der Natur. Jahwe, nicht Baal und schon gar nicht die Arbeit allein ist es, dem sich der Ertrag des Bodens und damit die Lebensgrundlage bäuerlicher Existenz im letzten verdanken. Auch das versteht sich keineswegs von selbst, wie jeder unschwer an sich selber merken kann. Gewiß, der Mensch lebt vom Brot, das er im Schweiße seines Angesichtes ißt, aber die Unterbrechung aller Arbeit am siebten Tage weist ständig und unübersehbar darauf hin, daß der Mensch zwar von seinen Leistungen lebt (ohne sie müßte er verhungern), daß seine Existenz aber nicht in ihnen gründet, ja, daß er sich allen Leistungen zum Trotz nicht selber in der Hand hat, daß er nur arbeiten und leisten kann, weil Wachstum und Gedeihen in anderen Händen liegen. Gerade so preist die Arbeitsunterbrechung jeden siebten Tag Jahwe als den Herrn allein. Das illustriert auf recht drastische Weise jene Geschichte vom Manna in 51 HALBE, Privilegrecht (s. Anm. 12), 191f. - Bei dieser Deutung müßte man außerdem voraussetzen, daß die Bindung des Gebots an die bäuerliche Welt in dem antithetischen Gebotssatz nicht mehr mitgehört wurde, weil die konkrete Bedeutung des Verbs mittlerweile zu einer allgemeineren verblaßt war, und daß deshalb der Lebenshorizont des Gebotes ausdrücklicher Erwähnung bedurfte. Das aber erscheint wenig wahrscheinlich. 52 1 Sam 8,12 hebt denn auch nicht besondere Wirtschaftsweisen, sondern besonders wichtige Arbeiten hervor - nur deshalb kann neben Pflügen und Ernten auch die Rüstungsproduktion wie das Militärwesen stehen. Insofern beweist der Text gerade nicht das, wozu ihn Halbe bemüht. 53

So m. R . HALBE, P r i v i l e g r e c h t (S. A n m . 12), 192.

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4. Kapitel: Ein Palast in der Zeit

der Wüste (Ex 16). Zwar müssen die Israeliten das Manna sammeln, am sechsten Tage gleich doppelt so viel wie an den anderen Tagen, aber Jahwe gibt es, indem er es vom Himmel fallen läßt. Am siebten Tag jedoch fällt nichts herab, da gibt es auch nichts zu sammeln, so daß alle Anstrengungen an jenem Tage sinnlos werden. Ein Letztes: Dieser siebte Tag wird in den älteren Texten und so auch hier in Ex 34,21 weder mit besonderen Riten noch mit besonderen heiligen Orten in Verbindung gebracht; er findet in der Arbeitswelt statt, aber als ihre Unterbrechung. Als regelmäßig wiederkehrende Aufhebung der Ordnungen der Welt ist er ein „Gottesdienst im Alltag der Welt" eigener Art.

4.3. Aufatmen der Eingespannten: Ex 23,12 Sechs Tage darfst du dein Werk werken (nwya ntra), aber am siebten Tage sollst du aufhören (mtt>), damit (l^a1?) ruhen (mi) dein Rind und dein Esel und aufatmen (WD:) der Sohn deiner Sklavin und der Schutzbürger! Gegenüber der vermuteten ursprünglichen Fassung fallen zwei Abweichungen auf, die dem Text sein Profil geben. Anders als in Ex 34,21 erscheint im Vordersatz die Wendung „dein Werk werken". Inhaltlich ändert sich damit zunächst wenig. Man kann fragen, ob hier gegenüber dem Vorgang des Arbeitens stärker dessen Ergebnis im Blick ist. Auch dürfte die Wurzel nwy gegenüber "7337 stärker verallgemeinern und jede Arbeit überhaupt meinen, so daß das Gebot hier nicht mehr an der Lebenswelt bäuerlicher Wirtschaft allein orientiert ist.54 Für diese Abweichung wird darüber hinaus die kompositorische Absicht leitend gewesen sein, das Ruhetagsgebot mit dem folgenden Festkalender in den V 14-17 zu verbinden; denn in V 16 begegnet das Stichwort wieder, und zwar gleich zweimal. Doch dort scheint die Wendung nicht zur ursprünglichen Gestalt der Festordnung zu gehören, wie der Vergleich mit Ex 34,22 zeigt. Die Abweichung im Vordersatz des Gebotes geht also wohl auf eine redaktionelle Hand zurück, die die verschiedenen Einzelgebote zu einem Ganzen verband. 55 Sie rückt damit den siebten Tag näher an die Jahres54

RICHTER, Recht (s. Anm. 12), 93, hält Ex 34,21a für die „knappere und zugleich konkretere Wendung" und deshalb für ursprünglich. In Ez 46,1 heißt nwsra DV soviel wie „Werktag" im Unterschied zu Sabbattag und Neumond, ohne daß damit an spezifische Landarbeit gedacht ist. Anderseits kommt in Ri 19,16 ein Mann von seiner Arbeit (nOTB) auf dem Felde nach Hause, während sich das Nomen in Ex 5,4.13 auf Fronarbeiten bei der Ziegelherstellung bezieht. 55 S. die detaillierte Erhebung der Komposition bei HALBE, Privilegrecht (s. Anm. 12), 445ff. BARTELMUS, Mk 2,27 (s. Anm. 43), 46, rechnet dagegen mit 23,12 als ältester Fassung. Indes sind die dafür ins Feld geführten Gesichtspunkte unbegründet: Die überliefe-

4.2. Unterbrechung menschlicher Leistung: Ex 34,21

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feste, an Massot, an Ernte- und Lesefest und so an den Bereich des Kultus heran - eine Nähe, die ihm von Hause aus nicht eigen ist. 56 Einen deutlich neuen Akzent setzt indes der Finalsatz. Zwar erfährt das Gebot auch hier keine eigene Begründung, wohl aber eine Zweckbestimmung. Hier wird das erste Mal der siebte Tag nicht nur negativ im Blick auf die Arbeit, sondern positiv bestimmt: Das Aufhören gilt dem Ruhen und Aufatmen. Jetzt erst kann man mit Recht vom siebten Tag als Ruhetag sprechen. ist wohl von Ex 23 in die Begründung 31,15 eingedrungen, dort auf Gottes Aufatmen nach der Schöpfung bezogen. Die einzige unabhängige Stelle ist 2 Sam 16,14: David gelangt nach seiner den Atem nehmenden Flucht ermüdet an den Jordan; dort „atmete er a u f (Dlff E>sn). Das Verb meint also „wieder zu Atem kommen", sich vom dem „erholen" und „recreiren", was einen die übrigen sechs Tage lang in Atem gehalten hat. Von daher muß auch das Parallelverb rm („lagern", „ruhen") mehr als nur einen defizienten Modus von Arbeit bedeuten: Wenn Last- und Zugtiere lagern, werden sie „ausgespannt". Der siebte Tag dient als dem Wohl der Geschöpfe, den abhängigen Menschen und Tieren. Er erhält in Ex 23 ausdrücklich eine anthropologische und soziale Funktion. Der siebte Tag ist eine von Gott seinen Geschöpfen gewährte Wohltat. Das Besondere dieser Ausrichtung bekommen wir jedoch erst vor Augen, wenn wir einen Moment von Palästina weg nach Griechenland schauen. Körperliche Erwerbsarbeit, nach anfänglicher Wertschätzung bei Homer und Hesiod, ist bei Aristoteles der Freiheit des freien Mannes abträglich. Schon der Handwerker, 6 ßävauooc;, erst recht Metöken oder gar Sklaven, sind nicht freie Bürger im Vollsinn des Wortes. Sie sind ja verstrickt in das, was sie in Atem hält. Ruhe, d. h. von Handarbeit befreite Muße, oxoA,f|, nicht einfach dumpfes Nichtstun, eine Muße, die Zeit für Philosophie und Politik gewährt das macht die Freiheit des freien Bürgers aus.57 rungsgeschichtliche Priorität von Dtn 5 gegenüber Ex 34,21 wird einfach vorausgesetzt und bloß behauptet (s. auch o. A N M . 4 6 ) , ohne die Beobachtungen HALBES zur Komposition zu diskutieren. 56 In eine Auseinandersetzung um die Kompositionsgeschichte des Bundesbuches kann hier nicht eingetreten werden. Die oben gegebene Erklärung der gegenüber Ex 34,21a abweichenden Formulierung steht gegen die Schlußfolgerung OTTOS, in Ex 23,12 sei „mit der Lösung des Ruhetages vom Festzyklus ein wichtiger Schritt in der Weiterbildung der Ruhetagsinstitution getan, die nunmehr entschränkt für das ganze Jahr" gelte (Wandel [s. Anm. 48], 50). Diese Interpretation basiert auf der m. E. nicht haltbaren Hypothese, Ex 34,21b beziehe sich ursprünglich nur auf die den Erntebeginn heiligende Massotwoche. Die von Otto zu Recht beobachtete Verallgemeinerung zielt jetzt auf jede Arbeit überhaupt. 57 Man lese nur Plato, Leg. 741e; Aristoteles, Pol. 3,5; Cicero, de officiis l,42,150f. Erst Cato (de agricultura) und vor allem die Stoa würdigen körperliche Arbeit (vgl. Marc Aurel, 5,1). Zur Arbeit in der klassischen Antike vgl. die Übersichten mit Literatur in RAC I, 585588 ( F . H A U C K ) , und KP I, 490-494 (von ALBRECHT); F . VAN DER Y E N , Sozialgeschichte der

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4. Kapitel: Ein Palast in der Zeit

Man könnte meinen, Ex 23,12 wende mit der Gabe des siebten Tages das den Abhängigen und Unfreien zu, was im Griechentum den Mann als freien Mann auszeichnet, sind doch der Sohn der Sklavin das letzte Glied in der Kette der Abhängigen 5 8 und der „Fremdling" als Metöke oder Beisasse Bürger minderen Rechts. Aber schon die ausdrückliche Einbeziehung der Arbeitstiere 59 als Nutznießer des Gebots spricht gegen diese Vermutung. Außerdem hat das Gebot nicht etwa eine von Arbeit befreite Muße für Bürgertugenden im Sinn, sondern es spricht von der Ruhe zwischen den Zeiten der Arbeit, was etwas anderes ist als in Ex 31,17b kann man vermuten, daß dort TOT schon den Unterton „ruhen" hatte, so daß ein anderes Verb als TTU nötig wurde. 104 ZENGER, Bogen (s. Anm. 95), 101. 105 Vita Adae et Evae 4 1 . 1 - ausdrücklich im Blick auf Ex 20,9-11! 106 Erst recht in der von (relativer) Toleranz und zunehmender ethnischer Mischung geprägten persischen Zeit; vgl. P. FREI, Zentralgewalt und Lokalautonomie im Achämenidenreich, in: P. Frei / K. Koch, Reichsidee und Reichsorganisation im Perserreich, OBO 55, Fribourg 1984, 7-44.

4.6. Sabbat und Gesetz

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dem Rekurs auf die Schöpfung die Heiligkeit des Sabbattages (20,11) 107 und akzentuiert damit eine dem Tag innewohnende Qualität, um derentwillen das Gebot ergeht (20,8). Der hier ansetzende Prozeß weitreichender Verschiebungen läßt sich in priesterlichen Spätschichten weiter verfolgen. 108 Einen folgenreichen Impuls ganz anderer Art gibt die Ex-Fassung mit der erstmals hier belegten Verbindung von Schöpfung und Sabbat, dessen Widerhall noch in der theologisch bedeutsamen Verbindung von Weisheit und Gesetz vernehmbar ist.109

4.6. Sabbat und Gesetz Die voranstehenden Abschnitte haben die mannigfachen Wandlungen vom Gebot des siebten Tages hin zum Sabbatgebot in seinen unterschiedlichen Fassungen nachgezeichnet. 110 Abschließend soll nach Veränderungen im Umgang mit dem Sabbat(gebot) gefragt werden. Vier unterschiedliche Funktionen lassen sich beobachten; sie schließen jedoch keineswegs einander aus, sondern begegnen in fast allen einschlägigen Texten aus nachexilischer Zeit häufig zusammen, wenn auch in unterschiedlicher Akzentuierung. 4.6.1. Das Sabbatgebot als Hauptgebot Der große prophetische Geschichtsrückblick Ez 20,1-31 entlarvt Israels Geschichte ab ovo und in toto als eine einzige Sündengeschichte. Dabei ist die Selbstoffenbarung „Ich bin Jahwe, euer Gott" (V 5) von Anbeginn mit Gottes Willensoffenbarung verbunden. Schon die Ägyptengeneration (V 5-9) steht unter dem als Bilderverbot verstandenen Fremdgötterverbot (V 7).111 Sie wird allem Ungehorsam zum Trotz in der Wüste der Offenbarung des Gesetzes gewürdigt. Das Gesetz ist Gabe (in:) zum Leben (V 11). Vers 12 expliziert die Sinaioffenbarung ('mpn und 1üDK>n) mit der Gabe des Sabbat.112 Seine Bestim107

So schon Jenni, Begründung (s. Anm. 27), 30, jedoch mit anderen Konsequenzen. S. o. zu Ex 31 Kap. 3.3. 109 Dazu hoffe ich, in absehbarer Zeit ausfuhrlicher Stellung nehmen zu können. 110 Dabei ist Kap. 3.3. einzubeziehen. 111 Gegen TH. K r ü g e r , Geschichtskonzepte im Ezechielbuch, BZAW 180, Berlin 1989, 241, der V 7 verkennt und deshalb V lOff. im Sinne von Gal 3,19 versteht: Das Gesetz werde erst wegen der Übertretungen (V 8) hinzugefugt. 112 Der Wortlaut entspricht fast wörtlich Ex 31,13. - Im Anschluß an W. EICHRODT, Der Sabbat bei Hesekiel. Ein Beitrag zur Nachgeschichte des Prophetentextes, in: FS H. Junker, Trier 1961, 65-74, erklärt jetzt VEIJOLA, Propheten (s. Anm. 9), 259, alle Sabbatbelege im EzBuch als sekundäre Zusätze im Interesse der Abweisung der These, Ez sei der Vater des Wochensabbat gewesen (so MEINHOLD, Sabbat [s. Anm. 23]). Die Verteilung der einzelnen Explikationen des Gesetzes auf die verschiedenen „Epochen" der Geschichte (V 7.12.26) - dazu 108

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4. Kapitel: Ein Palast in der Zeit

mung als „Zeichen zwischen mir und ihnen" erhebt allein ihn in den Rang eines positiven Kriteriums für die exklusive Zugehörigkeit Israels zu seinem Gott, „der sie heiligt". 113 In anderer Weise blickt das große Bußgebet Neh 9,6-37 auf Israels Geschichte zurück. In sieben ungleichen Abschnitten geht es die Geschichte von der Weltschöpfung bis zur Gegenwart Nehemias durch. Sein zentraler Mittelabschnitt kommt innerhalb der ausfuhrlich bedachten Wüstenwanderung (V 12-21) auf die Sinaitheophanie zu sprechen (V 13-14). Sie ist - entsprechend dem liturgischen Anlaß dieses Geschichtsrückblicks - ganz auf die Gabe des Gesetzes konzentriert, die V 13 vorab in ihrer Vielfalt mit den vier Begriffen DTOira, m-nn, n^pn und rnsa und in ihrer Qualität mit den drei Attributen „richtig", „zuverlässig" und „gut" umfassend würdigt. Vers 14 greift jedoch aus der umfänglichen Sinaioffenbarung einzig den Sabbat heraus, qualifiziert ihn als Gottes Gabe mit ti'Tp und differenziert schließlich zwischen dem Sabbat, den Gott selbst den Vätern kundgemacht hat, und den übrigen Geboten, Satzungen und Gesetzen, die Gott durch seinen Knecht Mose geboten hat. Diese Differenzierung entspricht ganz jener Unterscheidung zwischen Dekalog und allem anderen Gotteswillen durch Kontext und Szenerie in Ex 20 und Dtn 5.114 Das unterstreicht die Verbwahl: Den Sabbat empfängt Israel als Offenbarung {VT Hif.), das übrige Gesetz als Befehl (rra Piel). Stilistische Künste tun ein übriges, um dem Sabbat die rechte Ehre zu erweisen: Die drei voranstehenden Gesetzestermini geben zusammen mit den folgenden dem Sabbat als Kern und Stern des Gesetzes einen dreifachen chiastischen Rahmen. Gaseizasobservanz äußert sich wesentlich als &Äöaiobservanz. Das ist in Jes 56 nicht anders. Der Makarismus in V 2 preist den Gerechten. Dazu bezieht er sich syntaktisch (ro RINT) und durch Stichwortaufnahme (Chiasmus mit HE>y und nattf) auf die Generalüberschrift in 56,1 zurück. V 2b legt aus, was „Gerechtigkeit üben" und „an ihr festhalten" heißen: nichts anderes, als den Sabbat vor Entweihung und sich selbst vor jeglichem bösen Tun bewahren. Der Parallelismus konzentriert so gleichsam erste und zweite Tafel des Gesetzes, aber im Sinne von Kultus und Ethos, wie das Wortfeld des ersten Stichos (V?n) zeigt. Dem entspricht das folgende Stück (V 3-5.6-8), indem es einzig Sabbatbeachtung und Festhalten am Gesetz Gottes (Tp-im prn) H. GESE, Ezechiel 20,25f. und die Erstgeburtsopfer, in: Beiträge zur alttestamentlichen Theologie, FS W. Zimmerli, hg. v. H. Donner u.a., Göttingen 1977, 140-151 - spricht nicht für VEIJOLAS Erklärung; doch bleibt ohnehin zu fragen, ob Ez 2 0 überhaupt auf den Exilspropheten zurückgehe. 113 Anders K R Ü G E R , Geschichtskonzepte (s. Anm. 111), 243; er vermutet, die „Heiligung" beziehe sich auf die Reparierung der durch die Rebellion von V 8 angerichteten Schäden. 114 Das übersieht A. H. J. GUNNEWEG (Nehemia, KAT 19/2, Berlin 1987, 126), der V 14b auf spezielle einzelne Sabbatobservanzen beziehen will. Dagegen spricht auch der dreifache Chiasmus der drei Gesetzestermini in V 13b/3 und V 14b.

4.6. Sabbat und Gesetz

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als Zulassungsbedingung für Eunuchen (V 4) und Fremde (V 6) zur Kultgemeinde nennt. 4.6.2. Kasuistische Anwendungen des

Sabbatgebotes

Die Belege stammen ausnahmslos aus nachexilischer Zeit. Sie wenden das Arbeitsverbot am wöchentlichen Sabbat in der Hauptsache auf den Bereich des Handels an. Die Nehemiadenkschrift endet mit zwei Konflikten, die bei dem Mauerbauer Nehemia bezeichnenderweise an der Abgrenzung von allem Fremden entstehen (vgl. 13,20): Sie betreffen die Mischehen (13,23-29) und die Entweihung des Sabbat (13,15-22). Der Abschnitt beginnt mit der Schilderung der Mißstände (V 15a. 16) und endet nach einer Rüge der Verantwortlichen (V 15b.17f.) mit Maßnahmen zur Beseitigung der Mißstände (V 19.21). Dabei fällt auf, daß die Maßnahmen nur einen Teil der Mißstände beseitigen. Wodurch wird der Sabbat entweiht f ^ n V 17)? Vers 15 nennt zunächst Erntearbeiten in Juda am Sabbat: das Treten der Kelter und das Einbringen (NID Hif.) von gedroschenem Getreide, wozu man Esel belädt; er fügt aber dann „Wein, Trauben, Feigen und allerlei Traglasten" hinzu, die man den erwähnten Eseln aufbürdet, um sie am Sabbattag nach Jerusalem zu bringen (NU Hif.) und als Lebensmittel verkaufen zu können. Vers 16 bezieht darüber hinaus den Handel mit tyrischen Ausländern am Sabbat ein. Die Maßnahmen Nehemias unterbinden jedoch nur die Handelstransporte nach Jerusalem, indem er am Sabbat die Tore schließen und Personenkontrollen durchführen läßt. Auch der Prohibitiv V 19 bezieht sich allein auf den Handel in Jerusalem: Nicht soll man hineinbringen eine Traglast am Sabbattag! Man hat den Eindruck, daß der Wochensabbat schon vor Nehemia bekannt war, daß er aber zugleich als Markttag genutzt wurde; und man kann fragen, ob nicht der Vollmondtag (wie das Neumondfest) ursprünglich als Markttag galt, was nun bei der Fusion mit dem siebten Tag einfach auf diesen übertragen wurde. 115 Jedenfalls erscheint Nehemia in Neh 13 als der erste, der den Wochensaööai vom Wochenmarkt radikal unterscheiden will. 116 Die literarkritischen Lösungen der Diskrepanz zwischen den Mißständen und den Maßnahmen Nehemias, die von S. Mowinckel bis A. H. J. Gunneweg vorgeschlagen worden sind, überzeugen nicht restlos. 117 Es handelt sich offen115

S. o. Anm. 30. Am 8,4-7 hat diese Amputation schon hinter sich (so die Erklärung von VEIJOLA, Propheten [s. Anm. 9], 252ff.). 117 Die Argumente von S. MOWINCKEL, Studien zu dem Buche Ezra-Nehemia, Bd. II: Die Nehemia-Denkschrift, Oslo 1964, 39ff., werden von GUNNEWEG, Nehemia (s. Anm. 114), 169ff., einfach wiederholt, ohne der Kritik Rechnung zu tragen, die U. KELLERMANN detailliert vorgetragen hat (Nehemia. Quellen, Überlieferung und Geschichte, BZAW 102, Berlin 116

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4. Kapitel: Ein Palast in der Zeit

bar um eine ideale Szene, der an Nehemias Einsatz für die Durchsetzung des Sabbatgebotes gelegen ist, nicht um ein historisches Protokoll. Sie berichtet von einer konkreten Aktion, die als abschließende Klärung des Problems fungiert. Das Problem selber wird jedoch in seiner Vielfalt geschildert, indem verschiedene Möglichkeiten der Sabbatentweihung, in Erzählung umgesetzt, als Exposition erscheinen. Die V 15-16 bieten keinen historisch einmaligen Vorgang, der sich so und nicht anders unter Nehemia abgespielt hätte, sondern eine idealtypische Zusammenstellung verbotener Tätigkeiten am Sabbat angesichts der Neuordnung unter Nehemia. Die Zusammenstellung folgt einem roten Faden, der vom Ernten über den Transport zum Verkauf von Lebensmitteln reicht und noch den Sonderfall des Verkaufs von Lebensmitteln und Waren jeglicher Art durch Nichtisraeliten berücksichtigt. Die Abfolge „Wein, Trauben, Feigen und allerlei Traglast" geht vom Konkreten zum Generellen (V 15, vgl. V 16) und ist an einer möglichst vollständigen Erfassung dessen interessiert, was am Sabbat durch wen auch immer weder transportiert noch verkauft werden darf. Neh 10,32 beschränkt sich auf den Sonderfall des Warenverkaufs von Nichtisraeliten am Sabbat und am „heiligen Tag". Das setzt bereits nicht nur das generelle Arbeits- und Handelsverbot am Sabbat voraus, sondern verschärft es noch und weitet es zugleich auf die anderen Feiertage aus. Auch hier handelt es sich um die Anwendung des Sabbatgebotes auf konkrete Fälle und Situationen; denn von einem Arbeits- und Handelsverbot an jedem Festtag118 außer am Versöhnungstag (Lev 16,29 par.) verlautet sonst nichts. Diese Sonderbestimmungen spiegeln „das Stadium der Kultgemeinde wider, die die Situation von Neh 13 weit hinter sich gelassen hat." 119 In enger literarischer und wohl auch historischer Nachbarschaft zu Neh 13,15-22 steht die Alternativpredigt Jer 17,21-27. Auch hier handelt es sich um eine ideale Szene, die um der kasuistischen Anwendung des Sabbatgebotes (V 21-22) und um seiner homiletischen Nutzanwendungen willen (V 23.24-26.27) geformt und zur Stilisierung Jeremias als Umkehrpredigers in seine Hinterlassenschaften eingestellt worden ist.120 Auch hier läßt sich eine Diskrepanz zwischen kasuistischer Gesetzesanwendung und Konkretion (hier als Alternativpredigt) beobachten, in der nur noch die Stadt, nicht mehr die 1967, 51 f.). Das Hauptproblem sieht GUNNEWEG gar nicht: die Diskrepanz zwischen V 15a und den Maßnahmen in V 19ff. 118 Vgl. Neh 8,9.11 (urrp); 9,14 (unp). 119 KELLERMANN, Nehemia (s. Anm. 117), 40, im Blick auf 10,32a.b (Verbot des Handels mit Fremden für alle Festtage, für Sabbat- und Erlaßjahr); 10,33f. (Tempelsteuer); 10,38a (Bestgaben) mit weiterer Begründung der sachlichen und literarischen Anlehung an Neh 13. 120 Die nach-dtr Herkunft dieses Stückes hat gegen THIEL, Redaktion (s. Anm. 32), vor allem BRIEND, Sabbat (s. Anm. 32), eingehend begründet; vgl. jetzt auch W. M C K A N E , A Critical and Exegetical Commentary on Jeremiah, Edinburgh 1986, 416ff.

4.6. Sabbat und Gesetz

143

Häuser eine Rolle spielen. Neben der Sabbatterminologie, die mit dem ausdrücklichen Rückverweis in V 22b das Sabbatgebot voraussetzt,121 verbindet beide Texte vor allem das mit ähnlichen Wendungen formulierte Problem des Handels am Sabbat.122 Am Anfang steht das kasuistisch entfaltete Sabbatgebot (V 21 f.). Es wird durch den Rückblick auf das Negativbeispiel der Väter verstärkt (V 23), dessen Folgen man mit Neh 13,18 erinnern kann. Der Einschärfung des Gebots dient schließlich eine breite Schilderung des Heils bei Gehorsam (V 24-26) und - am Ende - eine knappe Ankündigung des Unheils bei etwaigem Ungehorsam (V 27). Das Sabbatgebot selbst wird am Ende des voranstehenden kunstvoll strukturierten kasuistischen Teils in negativer und positiver Kurzform zitiert: ... und jegliche Arbeit überhaupt sollt ihr nicht tun,123 sondern ihr sollt den Sabbattag heiligen, wie ich euren Vätern geboten habe (V 22)! Das ist gleichsam die „gesetzliche Grundlage" fiir die vorab gebotenen Anwendungen. Die erste gibt sich ihrerseits als eine Erweiterung eines mit Todessanktion belegten Generalverbots: Hütet euch um eures Lebens willen, daß ihr ja nicht eine Last am Sabbattage tragt und hineinbringt durch die Tore Jerusalems (V 21)! Die zweite, chiastisch zur ersten gestellt und mit Opposita formuliert, fügt dem öffentlichen Bereich den privaten hinzu: Und ihr sollt nicht herausbringen eine Last aus euren Häusern am Sabbattage (V 22a)! Man sieht, wie die Anwendung des Sabbatgebotes auf den konkreten Fall, den Sabbat als Markttag zu nutzen, in Neh 13 zu einem differenzierten Handelsverbot führt. Das wird in Jer 17 zunächst auf ein Verbot des Lastentragens überhaupt reduziert, das bei buchstäblicher Anwendung jeglichen Handel unmöglich macht und als Gesetz mehr erreicht, als die Praxis Nehemias - die Tore am Sabbat zu schließen - für den Handel in Jerusalem bewirkt hat. Die Reduktion kasuistischer Vielfalt setzt aber nun ihrerseits neue Anwendungen frei. So wird das Tragen von Lasten alsbald ausgelegt als Hineintragen nach 121 Vgl. den Rückverweis mit Dtn 5,12b; s. auch mtffn nv in Jer 17,21f.24.27; DV n s tznp mwn in 17,22.24.27; riDirtn *7D HOT (vh) o. ä. in 17,22.24. Die Todesdrohung (V 21a) ist mit Ex 31,14f. zu vergleichen (35,2b; Num 15,32-36). 122 S. die Aufstellung bei VEIJOLA, Propheten (s. Anm. 9), 257 Anm. 69; bes. signifikante Analogien: Nur hier spielen die Tore Jerusalems in Sabbattexten eine Rolle (Jer 17,19.20.21. 24f.27 und Neh 13,19), nur hier erscheint RWD als Last, die am Sabbat getragen wird (Jer 17,21.22.24.27 und Neh 13,15.19), in Verbindung mit Hin Hif. (Jer 17,24 und Neh 13,15). 123 Dieselbe von Ex 20,10 abweichende Wortstellung findet sich in Lev 23,3.

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4. Kapitel: Ein Palast in der Zeit

Jerusalem (vgl. Neh 13) aber auch als Heraustragen aus den einzelnen Häusern. Kasuistik und Konzentration sind zwei nicht endende Prozesse im Umgang mit dem Gesetz als Gesetz. Noch einen Schritt weiter geht der Nachtrag in Jes 58,13-14,124 der das Sabbatgebot als Arbeitsverbot nicht nur auf den Handel mit Waren (Lasten tragen), sondern auf Wege im Geschäftsinteresse 125 überhaupt und auf das Abschließen von Handelsverträgen 126 am Sabbat ausdehnt. Andere Beispiele kasuistischer Anwendung des Sabbatgebotes finden sich in unmittelbarem Anschluß an die priesterlichen Gebotsfassungen in Ex 35,3 und Lev 23,3. Beide treten einer möglichen Einschränkung des geographischen Geltungsbereiches für das Gebot entgegen; Ex 35,2f. beziehen in die verbotenen Tätigkeiten selbst das zum täglichen häuslichen Leben notwendige Feuermachen ein. Man sieht, wie eine im Gebot selbst schon angelegte totale und umfassende Geltung nun auch expressis verbis für immer neue Lebensbereiche gefordert wird. Es liegt auf der Hand, daß die kasuistischen Anwendungen des Gebots nicht nur der Durchsetzung seiner Intention dient, sondern nolens volens auch seine Autorität schwächt, indem es eine formale Erfüllung ermöglicht. Eine nicht mehr mit der Intention des Gebots vermittelte, sondern von ihr abgelöste formale Erfüllung kann - da alles erlaubt ist, was nicht verboten war - nicht verhindern, daß stets neue Möglichkeiten gefunden werden, zwar dem Buchstaben zu folgen, die Intention aber zu umgehen. Da Kasuistik der möglichst genauen Einhaltung des Gesetzes dient, muß sie - einmal in Gang gesetzt - eine ständig zunehmende Bedeutung erhalten. 4.6.3. Sabbatentweihung als Erklärung für den Untergang Judas Mehrere Belege finden sich im Ezechielbuch. Ez 22,8.26 klagen die Entweihung (Y?n) des Sabbat noch als ein Vergehen neben anderen an,127 auf Grund 124

Zur Einordnung von Jes 58,1-2.13-14 als Teil einer Redaktionsschicht s. mit eingehender Begründung K. KOENEN, Ethik und Eschatologie im Tritojesajabuch, WMANT 62, Neukirchen-Vluyn 1990, 88ff. O. H. STECK ordnet das Stück einer sehr jungen Redaktionsschicht (nach 301 v. Chr.) im Jesajabuch zu (Bereitete Heimkehr. Jesaja 53 als redaktionelle Brücke zwischen dem Ersten und dem Zweiten Jesaja, SBS 121, Stuttgart 1985, 80). 125 Die z. T. ungewöhnlichen Wendungen erklärt H. A. BRONGERS, Einige Bemerkungen zu Jes 58,13-14*, ZAW 87, 1975, 212-216, aus dem Bereich des Geschäftslebens: rsn r\m ist im Kontext von V 3 als „Geschäft betreiben" und "|"n nOT gemäß Ri 17,8 als „eine Reise machen" (in Jes 58 auf Geschäftsreisen bezogen) zu verstehen. 126 So auch C. WESTERMANN, Das Buch Jesaja. Kapitel 40-66, ATD 19, Göttingen 1966, 271 f., und BRONGERS, Bemerkungen (s. Anm. 125), 214. Die Wendung i m i m begegnet in diesem Sinne in Hos 10,4; Jes 8,10 - beide Male im politischen Bereich. 127 So auch in 23,38 in der sekundären Uminterpretation (V 36-49 - dazu W. ZIMMERLI, Ezechiel, BK XIII/1, Neukirchen-Vluyn 1969, 537, 554), welche die Schuld der beiden

4.6. Sabbat und Gesetz

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derer Jahwe die Bewohner der Blutstadt Jerusalem unter die Heiden zerstreut und in die Fremdländer verstößt (V 15). Ez 20 nennt jedoch die Gabe des Sabbat als exemplarischen Fall für das Sinaigesetz und ihn allein als Zeichen exklusiver Zugehörigkeit Israels zu seinem Gott (V 12). Während Jahwe den Ungehorsam der Ägyptengeneration gegenüber dem das Fremdgötterverbot einschließenden Bilderverbot noch nicht ahndet, „damit (mein Name) nicht entweiht werde C^n) vor den Augen der Völker" (V 9), vollzieht er an der ersten Wüstengeneration Israels das Gericht, indem er sie nicht in das Land bringt, weil sie meine Gesetze verworfen haben, in meinen Satzungen nicht gewandelt sind und meine Sabbate entweiht haben (Y?n); denn ihr Herz folgte ihren Götzen nach (V 15-16). Doch wie die Väter so die Söhne (V 18-21)! Deshalb versichert Jahwe der zweiten Wüstengeneration wegen des gleichen Ungehorsams (V 21.24 128 ) noch in der Wüste mit einem Eid, daß er sie unter die Heiden zerstreuen und in die Fremdländer verstoßen werde (V 23).129 Mißachtung des Sabbatgebotes ist freilich nicht der einzige Fall, an dem Israels Rebellion aufgedeckt und als Ursache für das Gericht erklärt wird. Das kann schon deshalb nicht sein, weil Ez 20 Israels Gesamtgeschichte von Anfang an als Rebellion gegen seinen Gott bloßlegt wie ein Pathologe, der Sabbat aber erst im zweiten Stadium der Geschichte göttlicher Führung am Sinai gegeben wird. Das theologische Format des retrospektiven Geschichtsentwurfes kann man erst dann recht würdigen, wenn man sieht, wie hier von Anfang an und schon lange vor dem Sinai Gottes Selbstoffenbarung (in 1 Nif.) als exklusive Bindung Israels an seinen Gott interpretiert wird, der sich durch die Gnadentat der Erwählung in Ägypten selbst eidlich an dieses Volk gebunden hat (V 5!): „Ich bin Jahwe, euer Gott (allein)!" Deshalb ist von der Erwählung in Ägypten an - und nicht erst am Sinai - das Fremdgötterverbot auf dem Plan. Das hat angesichts der kultischen Repräsentanz der Götter in ihren Bildern unmittelbare Relevanz. Aus dem solus Deus für Israel folgen deshalb notwendig die Imperative in V 7, die Scheusale, an denen die Augen hängen (!), wegzuwerfen und sich an den „Mistdingern" Ägyptens nicht zu verunreinigen. Hieran vergeht sich Israel zuerst (V 8), und das zieht sich wie ein roter Faden vom Uranfang bis in die Gegenwart (V 16b.24b.30f.), so daß zunächst Schwestern im Vergehen gegen das Heilige sucht: Götzendienst, Greuelopfer, Heiligtumsund Sabbatschändung. 128 Vers 24 fugt variierend hinzu: „und weil ihre Augen hinter den Mistdingern (Götzen) ihrer Väter her waren." 129 Vgl. damit Ex 32,34, was die Exilsankündigung bereits in der Wüste ebenfalls im Kontext mit dem Bilderverbot als Fremdgötterverbot in Zusammenhang bringt.

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einmal die Geschichte Israels als eine Geschichte der Rebellion gegen das erste Gebot aufgedeckt wird. Das zweite Stadium bringt mit der Sinaioffenbarung, und darin exemplarisch mit dem Sabbat, einen offenbarungsgeschichtlichen Neuansatz Gottes (V 10-12). Indem sich Israel gegen die Lebensgabe des Gesetzes vergeht und den Sabbat entweiht (V 13), und indem sich auch die Söhne der Väter als lernunfähig erweisen (V 21), erscheint die Geschichte Israels als eine generationsweise „Akkumulation von Schuld". 130 Hier hat die Entweihung des Sabbat als exemplarischer Fall der Sinaioffenbarung ein besonderes Gewicht. Erst jetzt zieht Jahwe seinen Landverheißungseid eine Generation hinaus (V 15) und verkehrt ihn schließlich in einen Land vertreibungseid (V 23). Es ist sodann nochmals an Neh 13,15ff. zu erinnern. Dort zieht Nehemia die Führungsschicht in Juda zur Verantwortung (V 17) wegen der Mißachtung des Sabbat während der Ernte (V 15a) und erinnert (V 18) an „dieses ganze Unheil", das über Volk und Stadt gekommen ist, weil es den Sabbat entweiht hat. Was jetzt von den Oberen in Juda geduldet wird, facht Gottes Zorn über Israel erneut an. Das Deutemuster für die Vergangenheit gilt gleichermaßen für die Gegenwart. Historia magistra vitae. Schließlich argumentiert Jer 17,23 in ähnlichen Bahnen, nennt indes das Exil nicht ausdrücklich. Was jedoch jedem Leser ohnehin vor Augen stand und sich ins kollektive Gedächtnis der Nation tief eingegraben hatte, bedarf nicht ständig vieler Worte, sondern stellt sich von selbst als „stummer" Kommentar zum Worte 101» ein. Es gehört zu einem Grundzug dtr Geschichtsschreibung, das Exilsgeschick aus dem Ungehorsam Israels gegenüber dem Gesetz zu erklären,131 vornehmlich gegenüber dem Hauptgebot, Jahwe allein zu lieben. Der Sabbat begegnet im gesamten dtr Schrifttum freilich nicht. Israels Haltung zum Sabbat kann erst in jenen Kreisen als Kriterium für Leben und Tod eine Rolle spielen, die das Sabbatgebot in den Rang der Hauptgebote erhoben haben. Es muß sich also auch hier um nach-dtr und nachexilische Texte handeln. 4.6.4. Sabbatheiligung als Bedingung für die Teilhabe am Heil Der Blick zurück in die Vergangenheit konnte sich sehr wohl mit Hoffnungen für die Zukunft verbinden. Das zeigt ad vocem Sabbat die schon erwähnte Alternativpredigt aus der Nehemiazeit Jer 17,19-27. Sie erinnert die Leser an das Tun (und Geschick) ihrer Väter (V 23, vgl. Neh 13,18), um sie jetzt zu 130 KRÜGER, Geschichtskonzepte (s. Anm. 111), 248; er weist mit Recht daraufhin, daß es nicht ein mechanischer Tun-Ergehen-Zusammenhang ist, sondern die für jede Generation neue „personale Entscheidung zum Widerspruch gegen Jahwes Initiativ-Werden mit seinen normativen Implikationen", welche die Verschuldung Israels anhäuft. 131 S. o. Kap. 2.2. und Dtn 28,15ff.; Jos 23 als Beispiele.

4.6. Sabbat und Gesetz

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rechtem Gehorsam zu ermuntern. Dem dient gleichfalls das doppelte Konditionalsatzgefüge V 24-26 und V 27.132 Das Stück erhält sein besonderes Kolorit von der ausschließlichen Konzentration auf den Tempel der Heiligen Stadt als zentraler Opferstätte für das ganze Land.133 Die nationalen Farben in V 25 sind aus 22,4 geborgt 134 und am Ende mit Tönen aus Jes 60-62 versetzt. Diese aparte Verbindung steht Jer 33,14-18 recht nahe: König und Kult lassen die Herzen höher schlagen. Blaß bleibt dagegen die Schilderung der Folgen möglichen Ungehorsams; sie lebt ganz von einer Kombination aus Jer 21,14 mit dem traditionellen Topos aus Am 1-2; 5,6. Entscheidend aber ist, daß die Predigt das Heil Jerusalems von der strengen Sabbatobservanz seiner hohen und niederen Bürger abhängig macht. Nicht der Gesetzesgehorsam überhaupt, sondern allein die strikte Einhaltung des Sabbatgebots als Handelsverbots ist die Bedingung für eine künftige Blüte Jerusalems. In diesen Zusammenhang gehören zwei Texte, die in Jes 56-66 Rahmenfunktion haben: Jes 56,2.3-8 bilden mit dem Abschluß des Buches in 66,1822. (23f.) eine große Klammer. 135 Jes 56,2 spricht dem das Heil zu, der den Sabbat hält; 66,23 hat die Heilszeit im Blick, in der „alles Fleisch" Sabbat für Sabbat (nach Jerusalem) kommt, um Jahwe anzubeten. Jes 56,3-8 binden die Aufnahme von Fremden in die Kultgemeinde an die Sabbatbeachtung; nach 66,18-22 wird Jahwe in der Heilszeit „alle Völker und Zungen" sammeln, 136 einige von ihnen sogar als Priester und Leviten in Dienst nehmen (V 21) und alle Welt seine Herrlichkeit sehen lassen (V 18). Jes 56,2 bezieht sich ausdrücklich auf die Generalüberschrift in V 1 zurück137 und bringt sich so mit seinen Konkretionen in das Verhältnis ein, das in V 1 zwischen menschlichem und göttlichem Tun waltet. Dieses Verhältnis wird entscheidend vom dem 'O-Satz bestimmt. B. Duhm hat die Überschrift unter das Verdikt der „Werkgerechtigkeit" gestellt.138 Und in der Tat zeigen 132

An der Einhaltung des Sabbatgebots, das als Handelsverbot akzentuiert wird (V 24), entscheiden sich künftiges Leben (V 25f.) oder Tod (V 27) Jerusalems. Wie anders begründet dagegen der nächste Bezugstext 22,3-4 das Heil! 133 Vgl. V 26 mit 32,44; 33,13. 134 Aus Kap. 22 stammt wohl überhaupt die Szenerie (vgl. 22,2 mit 17,19f.). Zu den Schwierigkeiten, wenn man die Einzelheiten der „Schreibtischarbeit" genau nimmt, s. die Kommentare von DUHM, Das Buch Jeremia, KHC XI, Tübingen 1901, 151f., und P.VOLZ, Der Prophet Jeremia übersetzt und erklärt, KAT X, Leipzig 2 1928, 190f. 135 Die Bezüge hat zuletzt KOENEN, Ethik (s. ANM. 124) ausfuhrlich dargestellt. 136 Eine Sammlung durch Jahwe begegnet in Jes 56-66 nur in 56,8 und 66,18; das Clin "73 in 66,18.20 entspricht dem D'öJJn von 56,7; in 56,7 bringt Jahwe die Fremden auf seinen heiligen Berg; in 66,20 werden dagegen die Israeliten von den Völkern dorthin gebracht. 137 Zur Einbettung in den Kontext s. o. 4.6.1. 138 B. DUHM, Das Buch Jesaja, HKAT III/l, Göttingen "1922, 419; J. ZIEGLER sekundiert: „Der Prophet verlangt sittliches Handeln und Erfüllung der Gebote Jahwes, damit das Heil kommen kann" (Isaias, EB 4, Würzburg 1948 z. St.).

148

4. Kapitel: Ein Palast in der Zeit

sich bei einem Vergleich mit 46,12f. Verschiebungen: Dort sagt Gott denen, die mutlosen (so die LXX) oder starrsinnigen (so der MT) Herzens fern vom Heil der Gottesgerechtigkeit sind, deren an keine Bedingungen geknüpfte Nähe und unverzügliche Hilfe zu; hier dagegen wird zum Tun der Gerechtigkeit gemahnt. H.-J. Kraus hat dennoch mit Hinweis auf 60,1 für ein kausales, nicht konditionales Verständnis des 'D-Satzes geworben. 139 In 60,1 ist völlig eindeutig die Offenbarung der Herrlichkeit, die Israel erleuchtet, nicht davon abhängig, daß Israel aufsteht und licht wird; vielmehr fordern die vorangestellten Imperative dazu auf, sich dieser erleuchtenden Herrlichkeit nicht zu verschließen, sondern an ihr Anteil zu gewinnen. Sollte das in 56,1 strukturell anders sein? Die Nähe des Heils und des Offenbarwerdens der Gottesgerechtigkeit erfordert, schon jetzt Recht zu wahren und Gerechtigkeit zu üben, „nicht damit das Heil eintrete" - das steht in keines Menschen Macht - „sondern damit man an ihm Teil gewinne"! 140 Aus diesem Grundsatz, der nicht von ungefähr dem gesamten Buch vorangestellt worden ist, zieht der Makarismus in V 2 die Folgerung. Er spricht dem das Heil zu, der schon jetzt von ihm Gebrauch macht (nws?) und an ihm festhält (3 prn Hif.). Das aber geschieht, indem man den Sabbat vor Entweihung und sich selbst vor jedwedem bösen Tun bewahrt.141 Die Beachtung des Sabbat - also der Schutz des kultischen Bereichs vor Profanierung - und die Reinheit der Hände, nicht der Einsatz für soziale Gerechtigkeit, sind die entscheidenden Taten, ohne die zu keinem das bereits nahe Heil gelangen kann. Insofern ist die Sabbatheiligung wohl Bedingung, aber nicht Bedingung für das Heil, sondern für die Teilhabe an ihm. Jes 56,3-8 ziehen daraus nur die Konsequenzen für die Frage nach dem Verhältnis von Nichtisraeliten zum Heil. Wenn die Teilhabe an ihm allein von der ethischen Einstellung auf seine Nähe abhängt, ist die ethnische Bindung irrelevant und die Identität von Volk und Heilsgemeinde aufgehoben. 142 Das wird am Beispiel der Eunuchen und Fremden exerziert, von denen im Gemeindegesetz Dtn 23,2-9 jedoch die erste Gruppe ausdrücklich von Israel 139 H.-J. KRAUS, Die ausgebliebene Endtheophanie. Eine Studie zu Jes 56-66, ZAW 78, 1966, 317-332 = Ders., Biblisch-theologische Aufsätze, Neukirchen-Vluyn 1972, 145ff. 140

K . ELLIGER, D e r P r o p h e t T r i t o j e s a j a , Z A W 4 9 , 1931, 1 1 2 - 1 4 1 , 116. D a s h a t KOENEN,

Ethik (s. Anm. 124) aufgenommen und die Frage, wer jeweils am Heil partizipiere, zum Schlüssel für die Redaktion des Tritojesajabuches überhaupt gemacht. 141 Dabei bedient sich diese Schicht ziemlich frei dtr Formelsprache (nwy "im?) und spielt auf die Gebotsfassung in Dtn 5,12 an (rat» idw), mischt sich aber unbefangen mit dem priesterlichen Strang (Wn Ex 31,14 u. ö.). Das zeigt den Abstand an; vgl. E. SEHMSDORF, Studien zur Redaktionsgeschichte von Jes 56-66, ZAW 84, 1972, 545f. 142

KOENEN, E t h i k (s. A n m . 1 2 4 ) , 3 2 , u n d SEHMSDORF, S t u d i e n (s. A n m . 1 4 1 ) , 5 5 2 : „ D a s

neue Israel konstituiert sich nicht aufgrund ethnischer, sonder aufgrund ethischer Zugehörigkeit."

4.6. Sabbat und Gesetz

149

ausgeschlossen ist, während von der zweiten Gruppe expressis verbis nur die Ammoniter und Moabiter nicht in die Gemeinde integriert werden dürfen. 143 Jes 56,3-8 haben dagegen Fremde überhaupt im Blick.144 Auf die zitierten fiktiven Klagen beider Gruppen (V 3) folgen chiastisch zur Klage zwei bedingte Verheißungen (V 4.5; V 6.7), die inhaltlich auf die unterschiedlichen Klagen abgestimmt,145 in den Bedingungen jedoch fast identisch sind. Die Zugehörigkeit zum Gottesvolk hängt zuerst von der Sabbatbeachtung ab (V 4.6). Dabei steht die Formulierung von V 4 (Tiimw mt£>) in der Tradition von Ex 31,13; Lev 19,3.30, die von V 6 (V?na row law) nimmt dagegen V 2 auf und steht den sekundären Stücken bei Ez nahe. 146 Dem konkreten Gebot folgt sodann die umfassend gemeinte Wendung: ... an meiner JTH3 festhalten.

Sie bezieht sich hier auf die „Gesamtheit göttlicher Bestimmungen", also auf das Gesetz überhaupt, 147 als dessen Hauptbestimmung das Sabbatgebot vorab genannt war. In V 4 tritt zwischen Sabbatobservanz und Festhalten am Gesetz als weitere Bedingung: ... erwählen ( i r n ) , was mir gefällt (yon).

"im hebt das Tun des Gesetzes als aus freier Entscheidung getan hervor. fsn muß wohl auf dem Hintergrund der Verwendung der Wurzel bei Jes 40-55 verstanden werden. In Jes 44,28 (parallel zu „Ratschluß" in V 26 vgl. 46,10b) und 48,14 bringt das Nomen den in der Sendung des Kyros öffentlich sichtbaren Heilswillen Jahwes zum Zuge. Jes 56,4 will also das Gesetz überhaupt ( T P - I N ) - und das Sabbatgebot vornehmlich! - als offenbaren Heilswillen Gottes akzentuieren.148 Wer ihn in freier Entscheidung tut - und nur der! 143

Zu Jes 56,3-8 und zum Gemeindegesetz vgl. U. KELLERMANN, Erwägungen zum deuteronomischen Gemeindegesetz, BN 2, 1977, 33-47; H. KLEIN, Die Aufnahme Fremder in die Gemeinde des Alten und Neuen Bundes, ThBeitr 12, 1981, 21-35; H. DONNER, Jes 56,1-7: Ein Abrogationsfall innerhalb des Kanons - Implikationen und Konsequenzen, Suppl. VT 36, Leiden 1985, 81-95. 144 Neh 13,3 akzentuiert wieder anders, indem es auf das „Mischvolk" statt auf die Ausländer (so in 9,2) bezieht, womit Ez 12,38; 30,5; Jer 50,37 zu vergleichen ist. 145 So antwortet V 5 zwar gut auf die Klage über die Kinderlosigkeit der Eunuchen (V 3b), nicht jedoch auf die der Fremden überhaupt. Daran scheitert die Verteilung von V 4 auf zwei Subjekte und die damit abgestützte Auslegung von V 3-5 und V 6-7 auf unterschiedliche Situationen (!) bei S. SEKINE, Die Tritojesajanische Sammlung (Jes 56-66) redaktionsgeschichtlich untersucht, BZAW 175, Berlin 1989, 41f. 146 S. o. 4.6.3. und die Belege mit "rtn in Ez 20,13.16.21.24; 22,8; 23,38; Neh 13,17f.; Ex 31,14 (= die zweite Schicht). 147 E. KUTSCH, THAT I, 349; DERS., Verheißung und Gesetz, BZAW 131, Berlin 1973, 134ff.; anders dagegen in Jes 59,21 und 61,8: Hier muß rinn als Verheißung verstanden werden. 148 Das unterstreichen via negationis 65,12 und 66,4.

150

4. Kapitel: Ein Palast in der Zeit

gehört zu denen, über die Jahwe schon vorausgerufen hat: m ^ s n (62,4)! Damit erweitern 56,3-8 den Kreis derer, denen das kommende Heil gilt, über Zion hinaus, binden aber die Teilhabe daran zugleich an die Bedingung des Gesetzes. Was der sehr späte Einschub in Jes 14,1b im Zusammenhang einer zweiten (!) Erwählung 149 erhofft und was der späte Nachtrag Sach 2,15 als eschatologisches Heil erwartet, sagen Jes 56,3-8 unter der Bedingung der Sabbatbeachtung den von Israel und damit vom Heil Geschiedenen zu. Sie und mit ihnen alle, die Jahwes als Gesetz veröffentlichten Heilswillen tun, erhalten das Ehrenprädikat „Knechte (Jahwes)". Hieß es einst von Israel „Ihr - mein Volk", so sind jetzt diejenigen, die Jahwe dienen und ihn lieben, indem sie das Gesetz halten, in das von der sogenannten Bundesformel auf den Begriff gebrachte Verhältnis einbezogen, wie ein Vergleich von Jes 56,6 mit Sach 2,15 zeigt150: ...cnny1? Y? nrn1? IDiro tw1? +> vm

(Jes 56,6) (Sach 2,15)

Zu derselben Kompositionsschicht, deren wir in 56,2 und 56,3-8 ansichtig geworden sind, gehört Jes 58,13-14.151 Aus dem Hinweis auf „Jakob, deinen Vater" in V 14 geht hervor, daß hier genuine Israeliten angesprochen sind. Das Verhältnis zwischen V 13 und V 14 ist durch rx ... DN deutlich konditional bestimmt. Die künftige Wohlfahrt im Lande wird mit einem in göttliche Verheißung umgeformten Zitat aus Dtn 32,13 geschildert und mit dem Hinweis auf Jahwe als Sprecher (aus Jes 1,20; 40,5) bekräftigt. Sie steht freilich ganz unter der Bedingung verschärfter Sabbatobservanz.152 Die Wurzel MB bindet Tun (V 13) und Ergehen (V 14) auf engste zusammen, so daß hier nun doch der Eindruck entsteht, der Gehorsam gegenüber den kasuistisch entfalteten „Sabbatgesetzen" bewirke das Heil. Doch ist es auch hier Jahwe, der die Wohltaten gibt. Alles in allem zeigt sich in diesen drei redaktionellen und für die Komposition der Kap. 56-66 strukturbildenden Texten ein Verhältnis zum Gesetz, als dessen vornehmstes Stück das Sabbatgebot fungiert, das hinter die spät-dtr Hoffnungen von Jer 31,31 ff. oder die der entsprechenden Schichten im 149 Noch nicht einmal die dtr Bewegung hat sich gewagt, das Gericht als Aufhebung der Erwählung oder als Verwerfung (DXIA) zu deuten. 150 Das stieß nicht überall auf Beifall. Ez 44,7-8 formulieren den Protest, zumindest im Blick auf Jes 66,21. 151 Bis zu einem gewissen Grad verhalten sich 58,lf. zu 58,13f. wie 56,2 zu 56,3-8. Den redaktionellen Charakter von 58,lf. 13f. sowie die Funktion, einen neuen Buchteil zu eröffnen, hat KOENEN, Ethik (s. Anm. 124), 88-96, eingehend begründet; anders SEKINE, Sammlung (s. Anm. 145), der von einer durch V 1-2 redaktionell erweiterten Einheit ausgeht, die V 3-14 umfaßt (S. 128-130). 152 Zur Erklärung der Einzelheiten in V 13 s. o. Kap. 4.6.2.

4.6. Sabbat und Gesetz

151

Ezechielbuch (36,16-32; 11,14-21) zurückgeht. Die von H. J. Hermisson herauspräparierte Naherwartungsschicht, die Jes 40-55 als ganzes durchzieht, hatte in Jes 51,4b.7a die für ferne Tage geltende Verheißung des Gesetzes im Herzen (Jer 31,31 ff.) als bereits erfüllt behauptet und Israel als nn^n Tnin DV bezeichnet. Wer in der Gegenwart dieser Wirklichkeit lebt, sollte keiner Paränese bedürfen. Doch Jes 51,7 ergeht als imperatives Mahnwort! Die Köpfe, denen wir Jes 56,2.3-8 verdanken, dachten erst recht bodennah. Sie suchen beidem gerecht zu werden: der Wirklichkeit des Heils, das nahe herbeigekommen ist, und der Trägheit der Herzen, die der Ermunterung stets bedürfen. Sie waren Schüler Deuterojesajas und der Deuteronomisten.

Teil II

5. Kapitel

Gottesfurcht und Nächstenliebe: Die Zusammenfassung der Willensoffenbarung Gottes am Sinai in Lev 19 Gott hat seinen Willen kundgetan. Mose hat ihn vermittelt. In der Tora steht er für jedermann geschrieben. Nichts konnte in Israel gewisser sein. Weil am Sinai ein für allemal mitgeteilt, hat Gottes Wille klare Konturen. Mehr ist nicht zu erwarten. Wer weniger behauptet, vergeht sich an Gott selbst. Das unterscheidet Gottes Willensoffenbarung von seinen Gedanken, die weder Zahl noch Maß für Menschenhirne haben.1 Weil Gottes Wille auf Israels Gehorsam zielt, schärfen die paränetischen Rahmenstücke des Bundesbuches und des Deuteronomiums ein, auf alles zu achten, was Gott gesagt hat, und es zu tun.2 Es kommt also auf jedes einzelne Wort der Tora an, und alle stehen gleichgewichtig nebeneinander. Andererseits lassen sich im Alten Testament Ansätze beobachten, die Vielzahl und Vielfalt des geoffenbarten Gotteswillens zusammenzufassen. Beide Phänomene begegnen auf engstem Raum konzentriert in Lev 19. Das Kapitel endet mit einem paränetischen Verweis auf den Exodus: Gott hat sein Volk herausgeführt, nicht um es ins Land zu bringen, sondern damit es „alle meine Satzungen und alle meine Rechte" hält und tut (V 37, vgl. 20,22). Darunter fallen in gleicher Weise das Kreuzungsverbot bei Tieren und Geweben wie das Verbot, dem Tagelöhner seinen Lohn vorzuenthalten, die Mahnung zu rechten Maßen und Gewichten wie das Gebot der Altenehrung und das Verbot, den Bart zu stutzen. Wie ordnet sich diese Vielfalt zur jetzt vorliegenden Einheit? Wir fragen dazu: [144] 1. In welchem literarischen Horizont muß Lev 19 verstanden werden? 2. Inwiefern können Gottesfurcht und Nächstenliebe als Zusammenfassung des Gotteswillens gelten? 3. Welche neuen Akzente setzen sie?

1 Ps 139,18; die gelegentliche Äußerung der Verborgenheit (Ps 119,19) meint keine prinzipielle Verborgenheit des Gotteswillens, sondern trägt der Einsicht Rechnung, daß man nur mit von Gott geöffneten Augen (V 18) die Tora und ihre Wunder wahrnehmen kann, und daß der Fromme angesichts der kurzen Lebensfrist (V 19a) des göttlichen Beistands bedarf. 2 Vgl. Ex 23,13; Dtn 31,12.

156

5. Kapitel: Gottesfurcht und Nächstenliebe

5.1. Der literarische Ort von Lev 19 Lev 19 gehört zu jenem größeren Kompositionsblock, der die Kap. 17-26 umfaßt und in der Forschung seit Klostermann traditionellerweise unter der Flagge Heiligkeitsgesetz segelt.3 Sein Einsatz mit Bestimmungen für den allein legitimen Ort jeder Schlachtung (Lev 17) und sein Abschluß mit bedingtem Segen und Fluch (Lev 26) erinnern mit Bedacht Dtn 124 (vgl. Ex 20,2426) und Dtn 28 (vgl. Ex 23,20-33). Diese Analogien suggerieren für Lev 1726 ein in sich geschlossenes, ehedem selbständiges Korpus. Seine Konsistenz verflüchtigt sich jedoch bei schärferem Hinsehen zusehends. 5 Die Frage, ob „H" [145] einst ein literarisch selbständiges Korpus gewesen sei, kann hier auf sich beruhen; in jedem Falle steht mit Lev 17-26 der letzte Kompositionsblock der Sinaiperikope vor uns, wie die solenne Rahmung und die Notiz 26,46 zeigen, die einstmals die gesamte Willensoffenbarung Jahwes am Sinai abgeschlossen hat. 6 3 A. KLOSTERMANN, Ezechiel und das Heiligkeitsgesetz, ZLThK 38, 1877, 401-445 = DERS., Der Pentateuch I, Leipzig 1893, 368-418. Zur Forschungsgeschichte s. die Übersicht inTRE 14, 1985, 713-718 (H. D. PREUSS). 4 Lev 17 korrigiert Dtn entscheidend, insofern es die im Dtn freigegebene Profanschlachtung wieder rückgängig macht; die kleinräumigen Verhältnisse der nachexilischen Tempelgemeinde dürften das ermöglicht haben. Das Verhältnis von Lev 17ff. zum Dtn hat A. CHOLEWINSKI, Heiligkeitsgesetz und Deuteronomium. Eine vergleichende Studie, AnBib 66, Rom 1976, eingehend untersucht; zu einzelnen komplexen Befunden anders G. BETTENZOLI, Deuteronomium und Heiligkeitsgesetz, VT 34, 1984, 385-398. 5 Schon S. KÜCHLER, Das Heiligkeitsgesetz, Königsberg 1929, stellte die Selbständigkeit eines eigenen Rechtskorpus H in Frage. K. ELLIGER kam in seiner minutiösen Analyse (HAT 1/4, Tübingen 1966) zu dem Ergebnis, daß Lev 17-26 keine einst eigenständige Gesetzessammlung gewesen sei; diese Kapitel seien erst für den Kontext geschaffen, in dem sie jetzt stehen, was eine allmähliche und - wie der Kommentar zeigt - höchst komplizierte Entstehung der Kapitel nicht ausschließt. Die Existenz eines sog. „Heiligkeitsgesetzes" wurde rundweg bestritten von V. WAGNER (ZAW 86, 1974, 307-316). Zuletzt hat E. BLUM, Studien zur Komposition des Pentateuch, BZAW 189, Berlin/New York 1990, 318-332, entschlossen die kompositionsgeschichtliche Einbindung von Lev 17ff. in den priesterlichen Pentateuch herausgearbeitet. - Es sind vor allem drei Beobachtungen, die gegen eine einst selbständige Größe „H" sprechen: 1. „H" ist in die priesterliche Sinaigesetzgebung bruchlos integriert und liegt ganz auf der Linie der priesterlichen Komposition mit den Leittexten Gen 9; 17; Ex 6; 29; Lev 11; 26. 2. Das in Lev 17-26 vorherrschende Verständnis von „Heiligkeit" ist schon in Lev 11, 44f. zentral und basiert auf Ex 29,43-45. Zudem begegnet die Wurzel vrtp keineswegs flächendeckend in „H", sondern nur in Lev 19-22. 3. Das Überschriftensystem bindet Lev 17-26 voll in die priesterliche Komposition des Pentateuch ein (s. nur Lev 11,lf.; 15,lf.; 16,lf.; 27,lf.;Num l,lf. u. ö.). 6 Die Schlußnotiz wird nach der Erweiterung durch Lev 27 eigens wiederholt (27,34). Außerdem greift die Unterschrift mit der ausdrücklichen Nennung von Torot „deutlich über 17-25 hinaus, bezieht also die Torot in 11-17, wohl auch in 1-7 ein" (BLUM, Studien [s. Anm. 5], 3 2 3 Anm. 136).

5.1. Der liierarische

Ort von Lev 19

157

Der Rahmen umschließt ein Triptychon, dessen Teile man unter das Stichwort „heilig" bringen kann, das der Komposition ihren Namen gegeben hat7: heiliges Volk (Kap. 18-20), heilige Priester (Kap. 21-22), heilige Zeiten (Kap. 23.258). Im ersten Teil geht es um Reinheit9 und Heiligkeit 10 der Familie, dieser Teil ist an alle Israeliten adressiert (17,2; 18,lf.; 19,lf.; 20,lf.). Der zweite Teil richtet sich allein an die aaronitische Priesterschaft (21,1.16f.; 22,1 f.) und benennt die Qualifikationen, die für die korrekte Amtsführung der Priester erforderlich sind; die Bestimmungen über die Beschaffenheit von Opfern gelten naturgemäß wieder für alle kultfähigen Israeliten (22,18)11 und leiten über zum drit- [146] ten Teil, der die Feste (23), das Sabbat- und Erlaßjahr (25) ordnet und sich wiederum an die Israeliten richtet (23,lf. u. ö.; 25,lf.). Jeder dieser drei Teile endet mit Anspielungen auf die Bundesformel. Die Schlußparänese des ersten Teils zitiert das zweite Glied der Formel, die das Volk betrifft: „... ihr gehört mir" (20,26). Der zweite Teil begründet die abschließende Paränese mit der Herausführung aus Ägypten, durch die Jahwe der Gott Israels wurde. „... um euch Gott zu sein" (22,3312). Schließlich gipfelt die Ankündigung des Segens, die zusammen mit dem Fluch die gesamte Komposition abschließt, in der doppelgliedrigen Bundesformel: „... ich werde euch Gott sein und ihr werdet mir Volk sein" (26,12f.).13 In dieser Gesamtanlage hat der erste Teil besonderes Gewicht. Er handelt von Unreinheit, die kultisch nicht mehr beseitigt werden kann (Kap. 18 und

7

Zu den Heiligkeitsaussagen s. W. ZLMMERLL, „Heiligkeit" nach dem sogenannten Heiligkeitsgesetz, VT 30, 1980, 493-512. 8 Lev 24 fällt aus diesem Zusammenhang heraus: Die kultischen Anweisungen zur Versorgung des Leuchters im Zelt der Begegnung und zu den Schaubroten (V 1-9) setzen die priesterliche Kompositionsschicht der Sinaiperikope voraus (vgl. die Einleitungen). Bei der Gesetzesreihe in 24,15b-22 handelt es sich um eine ältere Vorlage. Für sie wurde eine „Fallerzählung" geschaffen, die als Rahmen die Vorlage integriert (V 10-15a.23). Da jeglicher Verweis auf eine Kap. 17-26 formierende Kompositionsschicht fehlt, denken die meisten auch hier an P (zur Argumentation s. CHOLEWINSKI, Heiligkeitsgesetz [s. Aran. 4], 97-100). 9 Lev 18,24-30 sind thematisch (NDü-int)) mit Lev 11-15, besonders eng mit 11,44-47 verbunden. Zu ll,44ff. als wichtigem Gelenk der Komposition s. BLUM, Studien (s. Anm. 5), 323f. 10 S. 19,2; 20,7f.22-26; auch hier wird über die Stichworte unp, xaü, "713 eine Verbindung zu 11,44-47 hergestellt. 11 Die mit den Überschriften 22,17f. und 17,2 eingeleiteten Stücke rahmen die drei an das Volk (18; 19; 20) und die drei an die Priester (21,1-15.16-24; 22,1-16) gerichteten Abschnitte. Die Rahmenstücke sind durch die Opferthematik miteinander verbunden. 12 Vgl. Lev 25,38 und 26,45. 13 Lev 26,11-13 binden den gesamten Block Kap. 17-26 über Ex 29,45f.; Ex 6; Gen 17; Gen 9 in den großen Bogen der priesterlichen Komposition ein. Zu diesen Brückenstücken der Komposition s. M. KÖCKERT, Leben in Gottes Gegenwart. Zum Verständnis des Gesetzes in der priesterschriftlichen Literatur, JBTh 4, 1989, 29-62, und BLUM, Studien (s. Anm. 5), 325f.

158

5. Kapitel: Gottesfurcht und

Nächstenliebe

20),14 und verbindet durch Kap. 19 aufs engste Kultus und Ethos. Mit alledem geht es um nichts geringeres als um die Sicherung der Kultfähigkeit der gesamten Gemeinde. Dem sachlichen Gewinn entspricht die Paränese, die allein hier in ausgeführter Gestalt begegnet. 15 Dabei sind Kap. 18 und 20 eng aufeinander bezogen, indem in 20 das gesamte Material aus 18,6-23 noch einmal erscheint, freilich mit Tatfolgebestimmungen versehen, und indem - nur hier in 17-26 - die Paränese vor einem Leben nach der Weise der Völker warnt, damit das Land seine Bewohner nicht ausspeit.16 Durch diese Anordnung hat die Komposition Lev 19 als Zentrum ausgezeichnet, das von den irreparablen Verunreinigungen (Kap. 18) und ihren Folgen (Kap. 20) gerahmt wird. Die Komposition hat darüber hinaus Lev 19 als Kern und Stern des gesamten Abschnittes 17-26 mehrfach markiert. Sie hat zunächst das Kap. mit einer im gesamten priesterlichen Bereich singulären Einführung [147] versehen. Anderwärts soll Mose Jahwes Willen den Israeliten oder den Priestern mitteilen, hier dagegen der ganzen Gemeinde der Israeliten (^NHi?1 r o ms? 7D 19,2).17 Sodann findet sich die mit Jahwes Heiligkeit begründete Heiligkeitsforderung in Lev 17-26 erstmals hier.18 Schließlich wird in Lev 19 in V 36b mit einer deutlichen Anspielung auf das Proömium des Dekalogs abgeschlossen, dessen Selbstvorstellungsformel indes schon V 2b, kunstvoll mit der Heiligkeitsaussage verzahnt, das gesamte Kap. eröffnet. Jene Anspielung auf den Dekalog läßt es jedoch nicht mit dem Proömium bewenden, sondern erinnert sogleich die erste Tafel, wenn auch rückläufig: Eltern ( N T ) und Sabbat (-INU>), Götzen ( M S ) und Bilder (V 3-4). 19 Blickt man auf die dabei verwendeten Verben, so fällt auf, daß sie in V 30-31 noch einmal mit thematisch entsprechenden Objekten begegnen: Sabbat "TOü7 und Heiligtum XI1, Totengeister und Wahrsager ms. Die Verschiedenheit der Objekte hängt zweifellos mit der unterschiedlichen Herkunft der hier zusammen14 Das erklärt auch seine Stellung nach Lev 16 (R. RENDTORFF, Das Alte Testament. Eine Einfuhrung, Neukirchen-Vluyn 1983, 155). 15 Die Paränese findet sich als Rahmen in 18,2-5.24-30, als gliedernder Abschluß in 20,78 (nach Verunreinigung durch Götzendienst) und in 20.22-26 (nach Verunreinigung durch Blutschuld), kombiniert in 19.2.19a.36b.37; sonst nur kurze paränetische Kommentierungen in 22,31-33; 25,18.38. 16 Vgl. 18,3f.30; 20,23 mit 18,28; 20,22. 17 Außerhalb von Lev 17-26 findet sie sich häufiger, bis auf Ex 35,1.4 jedoch nie im Zusammenhang der Gebotsmitteilung; in Ex 35 außerdem nicht in der Adressierung des Gesetzes, sondern im erzählenden Rahmen. 18 Sie steht sonst nur noch im begründenden paränetischen Abschluß 20,26 und im gliedernden Einschnitt 21,8. Lev 19,2 hängt aufs engste mit ll,44ff. zusammen, wo die Korrespondenzaussage als Rahmen erscheint und mit Herausfiihrung und Bundesformel verbunden wird. 19 In dieser Reihenfolge ist offenbar das Fremdgötterverbot bereits als Bilderverbot verstanden. Das Verbot des Namensmißbrauchs fehlt, vielleicht weil es für die Einbindung von V 11-12 eingesetzt wurde (s. u.).

5.2. Die Komposition

von Lev 19

159

gebrachten Reihen zusammen. Ihre Auswahl und die verwendeten Verben wollen offenbar gezielt die erste Tafel des Dekalogs in V 3-4 assoziieren. Hatte schon die dtr Schule den Dekalog als Summe ihres Gesetzes vorangestellt (Dtn 5 vor 12ff.) und wird die Sinaioffenbarung in ihrer priesterlichen Gestalt ebenfalls mit dem Dekalog eröffnet (Ex 20), so taucht die Komposition von Lev 17-26 mit dieser Zitation Lev 19 in sein Licht. Lev 19 bietet also nicht irgendeine beliebige Auswahl und Sammlung des Gesetzes, sondern hat - wie der Dekalog - exemplarischen Charakter. Sein Ort als Zentralstück des einstigen Schlußteils der Willensoffenbarung Jahwes am Sinai entspricht der Dignität des Zitierten.

5.2. Die Komposition von Lev 19 Die zuletzt mitgeteilten Beobachtungen fuhren uns sogleich in die Anlage des gesamten Kapitels. Das kommt durchaus gelegen, weil mög- [148] liehe Zusammenfassungen des Gotteswillens auch an hervorgehobene Positionen im Kapitel plaziert worden sein dürften. Nun gilt seit langem Lev 19 eher als chaotisches Geröllfeld 20 denn als Beispiel kunstvoller Architektur, doch erweist sich das geläufige Vorurteil bei geduldigem und genauem Hinsehen sehr schnell als revisionsbedürftig. Lev 19 versammelt zwar höchst verschiedenartige Materialien, aber keineswegs gedankenlos. Das Problem von Lev 19 besteht nicht im Mangel an Kompositionswillen, sondern im Vielerlei erkennbarer Ordnungsmuster, die nicht alle miteinander vermittelt werden können. Dieser Befund verweist auf eine komplizierte Entstehungsgeschichte des Kapitels, die hier nicht Gegenstand der weiteren Überlegungen sein kann. 21 20

Schon B. D. EERDMANS (Alttestamentliche Studien IV. Das Buch Leviticus, Gießen 1912, 93) stellte lapidar fest: „Die Anordnung der Gebote Lev 19 ist nach unserer Anschauung eine sehr wirre." Vgl. damit das Urteil M. NOTHS in ATD 6, Berlin 1964, 119: Zwar weise der Inhalt von Kap. 19 insofern „eine relative Geschlossenheit auf, als es sich im allgemeinen (!) um das ... von Gott gewollte Verhalten" handle, „im Detail aber gehen die verschiedenen Lebensbereiche ... ziemlich regellos durcheinander"; nicht viel anders G. FOHRERS Resümee: „... eine bunte Mischung aus junger Zeit" (Einleitung in das Alte Testament, Heidelberg 1969, 152). Selbst RENDTORFF resigniert: „... verschiedenartige Vorschriften, ... deren Gemeinsamkeit nicht klar erkennbar" ist (Einführung [s. Anm. 14],154). 21 Man sehe nur die unterschiedlichen Rekonstruktionen auf der Basis zugrundeliegender D e k a l o g e b e i ELLIGER, H A T 1/4 (s. A n m . 5 ) , H . G R A F REVENTLOW, D a s

Heiligkeitsgesetz

formgeschichtlich untersucht, WMANT 6, Neukirchen-Vluyn 1961; R. KILIAN, Literarkritische und formgeschichtliche Untersuchung des Heiligkeitsgesetzes, BBB 19, Bonn 1963, 366 5 ; CHOLEWINSKI, Heiligkeitsgesetz (s. Anm. 4 ) , 4 4 - 5 4 ; und anderseits H. JAGERSMA, Leviticus 19, SSN 14, 1972, der den Grundstock des Kapitels aus der Verbindung mehrerer Einzelstücke erklärt und auf die wenig konsensfähigen Dekalogrekonstruktionen verzichtet; ihm schließt sich H.-P. MATHYS, Liebe deinen Nächsten wie dich selbst, OBO 71, Freiburg 1 9 8 6 , 77ff, an (dort auch knappe Darstellung der Position von JAGERSMA).

160

5. Kapitel: Gottesfurcht und Nächstenliebe

Wir beschränken uns auf die Sachverhalte, die für die Frage nach einer Zusammenfassung des Gotteswillens von Gewicht sind. Das Kapitel beginnt mit einem Hauptgebot in V 2: „Heilig sollt ihr sein!" Es ist Teil der hervorgehobenen Korrespondenzaussage. 22 Sein Horizont umfaßt Lev 19 und 20. Es handelt sich um eine Kompositionsschicht, die - auch in ll,44f. erkennbar - den Abschnitt Lev 18-20 an Lev 11-15 anbindet. Lev 19 endet in V 37 mit einer Schlußparänese: „So beachtet alle meine Satzungen und alle meine Gesetze und tut sie!" [149] Mit ihr hängen einerseits 20,22, andererseits 19,19a und - beide kombinierend - 18,4 zusammen. Diese Paränese gliedert das Kapitel 19 in zwei Teile. Mit dieser Zweiteilung konkurriert ein Gliederungssystem, das mit der Selbstvorstellungsformel in Langund Kurzform als Unterschriften arbeitet.23 Die zweigliedrige Grundstruktur läßt Entsprechungen beider Teile erwarten. Da sich das Material der apodiktischen und kasuistischen Sätze im gesamten Kapitel nicht wiederholt, 24 können derartige Entsprechungen nur durch analoge Anordnung vergleichbarer Stoffe markiert oder durch ausdrückliche Zusätze erst hergestellt werden. Außer den schon erwähnten Entsprechungen der Dekaloggebote zwischen V 3-4 und V 30-31 lassen sich weitere analoge Anordnungen vergleichbarer Stoffe beobachten. So wiederholt sich die Abfolge (Dank-)Op/erbestimmungen (V 5-8), Verbot der Nachlese bei der Ernte (V 9-10), Prohibitive (V 11-18) bis zu einem gewissen Grade im zweiten Teil: Das Thema ,verbotene Kreuzungen' verbindet V 19b und 20; V 20 bietet aber nur die Einkleidung von (Schuld-)Op/erbestimmungen durch einen Einzelfall; 25 darauf folgt das Verbot des Erntens vor der Zeit (V 23-25), daran schließt sich wieder eine Reihe von Prohibitiven an (V 26-28). Mit dem Mittel analoger Anordnung vergleichbarer Stoffe konkurriert die Absicht, durch ausdrückliche Zusätze Entsprechungen zwischen beiden Teilen herzustellen.26 Diese Zusätze finden sich im ersten Teil innerhalb der Pro22

Sie begegnet nur in 19,2; 20,26 und 11,44-45. Kurzform (V 12.14.16.18.28.30.32.37) und Langform (V 2.3.4.10.25.31.34.36) lassen sich jedoch nicht auf Singular- und Pluralabschnitte konsequent verteilen (V 10 geht Singular voraus, V 28.30.37 stehen in Pluralabschnitten), sind also nicht ohne weiteres literarkritisch auswertbar. Es fällt aber auf, daß die Kurzform die Prohibitivreihen im Kern des Kap. (V 1118.26-26. vgl. 30.32) gliedert, die Langform dagegen hauptsächlich in den Rahmenstücken begegnet (V 2b-4.9-10.23-25.33-34 vgl. 31). Das entspricht bis zu einem gewissen Grade dem Befund in Kap. 18, wo sich die Langform im paränetischen Rahmen findet (18,2.5.30), die Kurzform dagegen am Anfang und am Ende der Prohibitive (18,6.21). 24 Einzige Ausnahme ist: „Meine Feiertage sollt ihr halten!" (V 3 und 30). 25 Anders ordnet F. CRÜSEMANN, Art. Heiligkeitsgesetz, NBL II, 93; er stellt V 26a den Opferbestimmungen V 5-8 gegenüber, weil er in V 20-23 (sie!) den „rechtlich höchst komplexe^) Fall des sexuellen Verkehrs mit einer Sklavin" verhandelt sieht und die Opferthematik in V 21-22 nicht eigens würdigt. 26 Darüber hinaus finden sich noch weitere Zusätze in V 11-18: V 15b und 17ba fallen als 23

5.2. Die Komposition von Lev 19

161

hibitivreihe, im zweiten Teil greifen sie jedoch [150] darüber hinaus. Der erste Zusatz fällt neben den Prohibitiven in V 12 schon durch den Personenwechsel, vor allem aber dadurch auf, daß er mit 1-Ak eine Folge ausdrückt und so den möglichen Ungehorsam gegenüber den vorangegangenen Verboten ausdrücklich theologisch qualifiziert: „... so daß du den Namen deines Gottes entweihst". Der zweite Zusatz (V 14b) macht sich durch seine positive Formulierung im Kontext von Prohibitiven bemerkbar, außerdem fällt er aus dem Prinzip paarweiser Anordnung in den V 13-14 heraus: „... du sollst deinen Gott furchten!" Der dritte Zusatz fungiert jetzt als summierende Überschrift,27 die sich von der Konkretheit der Paare in V 15-16 abhebt und sich durch die 2. Pers. PI. innerhalb einer Singularreihe verrät: „Ihr sollt nicht Unrecht üben im Gericht!" Für den vierten Zusatz („Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst!" V 18) gilt das gleiche wie für den zweiten. Diese vier Zusätze liegen nicht auf einer Ebene und stammen folglich auch kaum von einer Hand. Gottesfurcht und Nächstenliebe heben sich deutlich von den beiden anderen ab. Entsprechend unterschiedlich werden die vier Zusätze im zweiten Teil aufgenommen. Vom ersten Zusatz erscheint in V 29 nur das Stichwort „entweihen", jetzt freilich nicht auf den Namen Gottes, sondern auf die Tochter bezogen. Die Redaktion hat auf dieser Ebene einen selbständigen, dem Zusammenhang von V 26-28 fremden Prohibitiv aufgegriffen, um mit dem Stichwort eine bewußte Entsprechung zu V 12 herzustellen. Ähnlich ist man auch hinsichtlich des dritten Zusatzes verfahren. Die Redaktion benutzt in V 35 einen Prohibitiv, der unrechte Maße und Gewichte verbietet,28 fugt aber das in diesem Zusammenhang befremdliche Ü5WU2 ein und stellt so einen neuen stimmigen Satz her, der V 15a wörtlich entspricht. Beide Male erfolgte die Wiederaufnahme im zweiten Teil des Kapitels ohne Rücksicht auf den Kontext. Anders bei den verbleibenden Zusätzen! Die Aufforderung, Gott zu furchten, folgt in V 14 auf ein Prohibitivpaar, das die gebrechlichen Personen schützt, in V 32 auf ein Gebotspaar, das zur Ehrung der Alten anhält. Zwischen beiden zu schützenden Gruppen besteht ein lockerer Zusammenhang, wenn auch nicht alle Alten gebrechlich und nicht jeder Taube oder Blinde alt ist. Fragt [151] man nach möglichen Beziehungen zwischen den Prädikaten von V 14 und V 32, tritt eine wesentlich engere Verbindung beider Verse zutage: denn beide Prädikate stehen inhaltlich in Opposition: Geht dort der Blinde über ein Hindernis (^tioa) strau-

Gebote in einer Prohibitivreihe auf; sie werden im Kap. jedoch nicht wieder aufgenommen, können also hier außer acht bleiben. 27 Mit KILIAN, Untersuchung (s. Anm. 21), 45f.; Nora, ATD, 122, gegen ELLIGER, HAT 1/4 (s. Anm. 5), 251, der dieses Stück seinem pluralischen Dekalog zuweist. 28 V 35f. gehen wahrscheinlich auf einen alten Doppelsatz zurück: „Ihr sollt nicht Unrecht tun mit dem Längenmaß, mit dem Gewicht und dem Hohlmaß! Rechte Waage(balken), rechte (Gewicht-)Steine, rechtes Hin sollt Ihr haben !" (so ELLIGER, HAT 1/4 [s. Anm. 5], 250).

162

5. Kapitel: Gottesfurcht und Nächstenliebe

chelnd zu Boden, so erhebt man sich hier (mp) vor dem grauen Haupte; wird dort dem Tauben geflucht (77p), so ehrt ( n n ) man hier das Antlitz des Alten. Insofern legt V 32 bis zu einem gewissen Grade V 14 aus. Auch V 33-34 müssen als Auslegung verstanden werden. Jedoch verläuft die Verbindung zwischen V 33-34 und V 17-18 nicht über das verbotene und gebotene Verhalten, sondern über die Größe, zu der sich die Adressaten verhalten: V 33-34 legen den gleichberechtigten Nächsten (nK und in) und Volkszugehörigen (pay p ) mit dem Fremdling aus der nicht als gleichberechtigter, sondern als abhängiger Schutzbürger minderen Rechts mit Israel zusammenlebt. Damit wird der Geltungsbereich des Liebesgebots erweitert. Bezog es sich im unmittelbaren Zusammenhang der V 17-28 auf den persönlichen Feind, 29 so in V 33-34 auf den Volksfremden. 30 Dem Fremden, der sich im Lande nicht niederläßt, kommt das Liebesgebot nicht zugute; er ist jedoch vom Gastrecht geschützt.31 Die unterschiedlichen Mittel, die der zweiteiligen Komposition von Lev 19 Struktur und Kontur geben, stehen nicht ohne Spannungen nebeneinander; sie nötigen zu einer diachronen Erklärung des Kapitels.32 Die Organisation des Material in eine doppelte Abfolge wird von der Ordnung der Materialien durch die Zusätze zwar nicht einfach aufgehoben, wohl aber in ihrer Ausrichtung verändert. Die Forderungen von Gottesfurcht und Nächstenliebe (V 14.18) gliedern den Block der Prohibitive und setzen - auch durch die entsprechenden Erweite- [152] rungen mit V 32.33-34 - neue Akzente für die Gesamtkomposition der Prohibitive. Davon sind V 12b und V 29 hinsichtlich ihrer Funktion für das Kapitel zu unterscheiden. Haben die V 11-18 wie die V 32-36a eine soziale Pointe, die der kultischen Orientierung in V 26-28 gegenübersteht, so interpretiert der Zusatz V 12b die Eigentumsvergehen 33 ausdrücklich als Vergehen gegen Gott, und die Verbindung von V 29 stellt sie den Vergehen in der kultisch-sakralen Sphäre (V 26-28) an die Seite. Der 29

MATHYS, Liebe (s. Anm. 21), 67, faßt V 17-18 unter das Thema „Der Umgang mit dem schuldig gewordenen Bruder" zusammen und versteht das Liebesgebot in diesem Zusammenhang als ein „Gebot der Feindesliebe" (S. 81). 30 Gegen MATHYS, Liebe (s. Anm. 21), 45, der Fremdling auf Proselyten einschränkt, spricht der Rückverweis auf Israels eigenen u-Status in Ägypten (V 34b); allerdings war die Mehrdeutigkeit des Wortes in V 34a offen für die eingeengte spätere Deutung, die es im Judentum erfuhr. Zur Frage der Fremden/Nichtisraeliten im atl. Recht, s. F. CRÜSEMANN, Fremdenliebe und Identitätssicherung. Zum Verständnis der „Fremden"-Gesetze im Alten Tes t a m e n t , W u D 19, 1 9 8 7 , 1 1 - 2 4 . 31 S. dazu J. FICHTNER, Der Begriff des „Nächsten" im Alten Testament, WuD 4, 1955, 23-52. und A. BERTHOLET, Die Stellung der Israeliten und der Juden zu den Fremden, Freiburg/Leipzig 1896, 21-27. 32 Zu den wichtigsten neueren Versuchen, die z. T. erheblich differieren, s. o. Anm. 4-5 und 21. Die folgenden Überlegungen müssen sich aus Raumgründen auf einige Aspekte beschränken. 33 Vgl. zum Falscheid bei Eigentumsansprüchen der Rückkehrer aus dem Exil Sach 5.4.

5.3. Gottesfurcht und Nächstenliebe als Summe

163

Einbindung weiteren Materials im zweiten Teil (V 35-36) dient der überschriftartige, allgemein gehaltene Prohibitiv in V 15 a; er greift in die Struktur der Gesamtkomposition nicht mehr wesentlich ein.34 Dagegen stören die Anspielungen auf den Dekalog die parallele Gesamtanlage, indem die V 30-31 zwischen die planvolle Abfolge der Entsprechungen zu den Prohibitiven des ersten Teiles treten. Sie dürften deshalb erst nachträglich in die bereits bestehende, parallel strukturierte Komposition eingebracht worden sein. Die durch Rahmung35 mit der ersten Tafel und dem Proömium des Dekalogs erweiterte Komposition hat die Gebote von Gottesfurcht und Nächstenliebe nicht aus ihrer Schlußstellung in beiden Teilen der Komposition verdrängt, sondern deren Pointe noch verstärkt, so daß sie auf allen Ebenen der Komposition wie ein Fokus wirken, der die einzelnen Strahlen des Gesamttextes abschließend bündelt.

5.3. Gottesfurcht und Nächstenliebe als Summe Die zugefugten Gebote der Gottesfurcht und der Nächstenliebe unterscheiden sich von den anderen Zusätzen vor allem in ihrer Funktion für den Zusammenhang, in dem sie stehen. Sie qualifizieren nicht die Mißachtung des Gotteswillens theologisch (wie V 12b mit den Vergehen in V 1 l-12a); sie haben auch nicht den Charakter einer thematischen Überschrift über einen bestimmten Rechtsbereich, den dann konkrete Einzelgebote ausfüllen (so V 15a für die folgende dreifache Entfaltung). Sie fassen vielmehr die mitgeteilte Fülle der Einzelweisungen abschließend zusammen, indem sie alle denkbaren Verhaltensweisen auf die Grundrelation des Menschen zu C?) seinem konkreten Mitmenschen [153] (Ii?"!1?) vor ( p ) Gott (TH^K) beziehen. Weil keiner der beiden Gebotssätze zu den ihm jeweils vorausgehenden zweimal 2+2 Gliedern36 in einem speziellen, allein ihn besonders betreffenden Verhältnis steht, sind beide Gebotssätze nicht als zwei voneinander isolierte Einzelsätze zu verstehen, sondern müssen als ein zusammenfassendes Doppelgebot gewürdigt werden. Die Mißachtung jedes einzelnen das Verhältnis zum Mitmenschen berührenden Prohibitivs trifft zugleich das Gottesverhältnis. Man kann das auch an den drei übrigen Belegen für das Gebot, Gott zu fürchten, in Lev 17-26 beobachten. Stets gehen ihm Prohibitive voraus, die den sozialen Bereich schützen:37 Übervorteilung des Nächsten beim Kaufpreis 34 Die Störung der Abfolge C?n 12//29 - Gottesfurcht 14//32 - unrechtes Gericht 15//35 Nächstenliebe 18//34) erhärtet den Verdacht, daß hier eine andere Hand am Werke war. 35 Allerdings legte die Thematik eine Anbindung von V 30-31 an 26-29 näher als vor 36b. 36 S. o. Teil 2 mit Anm. 2 6 und die Analyse von ELLIGER, HAT 1/4 (s. Anm. 5 ) zur Stelle.

164

5. Kapitel: Gottesfurcht und Nächstenliebe

(25,17), Zinsnahme von verarmten Volksgenossen (25,36), Härte gegenüber israelitischen Schuldsklaven (25,43). Lev 19 geht über die auch sonst für das AT grundlegende Nichtautonomie des zwischenmenschlichen Bereichs hinaus, indem es das Verhältnis zu Gott und zum Mitmenschen in ein Doppelgebot verdichtet. In diesem Doppelgebot konzentriert sich aufs äußerste, was das gesamte Kap. bestimmt: der Zusammenhang von kultischem (V 3-8/19 38 -31) und sozialem Bereich (V 9-18/32. 36). Die Botschaft dieser Komposition wie jenes Doppelgebotes ist klar wie einfach: Nächstenliebe ohne Gottesfurcht ist blind; Gottesfurcht ohne Nächstenliebe ist leer - hohle Phrase, klingende Schelle! Beides beisammenzuhalten und mit dieser Zusammenfassung (im doppelten Sinne!) allem offenbaren Gotteswillen einen letzten Richtungssinn zu geben, der jedem Versuch kasuistischer Relativierung das Wort abzuschneiden in der Lage ist, macht das theologische Gewicht dieses Doppelgebots im Gefüge dieses Kapitels aus. Entscheidend sind hierbei die positive Formulierung als Gebot und die Verbwahl. Die positive Formulierung als Gebot setzt nicht nur [154] Grenzen zwischen Mitmenschen und sichert deren Freiräume durch ein gegenseitiges Gewährenlassen wie z. B. die Prohibitive des Dekalogs, sondern sie zielt ausdrücklich auf eine aktive Gestaltung mitmenschlicher Beziehungen. Ebenso geht das Gebot der Gottesfurcht über den puren Ausschluß anderer Gottesbeziehungen hinaus, indem es sich nicht damit begnügt, die Aufnahme von Beziehungen zu anderen Gottheiten oder illegitime Beziehungen zu untersagen, sondern ausdrücklich auf die Aufnahme angemessener Beziehung zu dem gebietenden Gott zielt. Dabei qualifiziert die Verbwahl die Gestaltung jener Relationen. „Gott furchten" muß im Sinne von „Ehrfurcht erweisen" verstanden werden; es ist die Weise, in der sich der Mensch, des unendlichen Unterschiedes eingedenk, Gott nahen darf. Den Nächsten „lieben" zielt weder allein auf Taten, noch begnügt es sich mit der Gesinnung von Liebe, sondern schließt Taten und Gesinnung in uneingeschränkter und unbedingter Liebe zusammen, wie H.-P. Mathys an den Sachparallelen in Dtn 10,16-19 und altorientalischen Vasallenverträgen gezeigt hat.39 37 MATHYS, Liebe (s. Anm. 21), 95f., der daraufhinweist, daß der Satz in H nie nach einem das Verhältnis zu Gott betreffenden Gebot steht, und der folgert: „Vergehen gegen den Nächsten gelten nach diesen fünf Stellen als solche gegen Gott" (S. 95). 38 In V 19 geht es zunächst um Nichtnatürliches: Das Verbot der Kreuzung verschiedener Tiergattungen hängt mit dem Verbot der Bestialität in 18,23; 20,15f. zusammen. Das Verbot von verschiedenartiger Saat und von Mischgewebe hat einen deutlich kultischen Hintergrund: Nach Dtn 22,9f. „heiligt" zweierlei Saatgut einen Acker; und Mischgewebe findet nach Ex 26,1.31.36 beim Zeltheiligtum und nach Ex 28,5-6.8.15 als Priesterkleidung Verwendung. Zum älteren religionsgeschichtlichen Hintergrund s. EERDMANS, Studien (s. Anm. 20), 98f. 39 MATHYS, Liebe (s. Anm. 21), 26f. Besonders instruktiv ist ein Passus im Vertrag Assurniraris V. mit Mati'ilu von Bit-Agusi: „Wenn unser Sterben nicht dein Sterben ist, wenn unser Leben nicht dein Leben ist, wenn du nicht, so wie du das Leben deiner Seele, deiner

5.3. Gottesfurcht

und Nächstenliebe

als Summe

165

Die Erweiterung durch das jetzt als Rahmen fungierende Proömium des Dekalogs verstärkt diese Akzentuierung des Doppelgebots noch, indem sie es auf diese Rahmenteile inhaltlich beziehen läßt. Am deutlichsten ist das im Schlußteil erkennbar. Hier korrespondiert der Herausführung aus Ägypten (V 36b) die Begründung des Gebots der als Fremdenliebe ausgelegten Nächstenliebe (V 34a): Du sollst deinen Nächsten und den Fremden als deinen Nächsten lieben, weil ich euer Gott bin, was ihr daran erfahren habt, daß ich euch aus Ägypten befreit habe, wo ihr Fremde wart. Entsprechend dürfte auch die erste Hälfte des Doppelgebotes auf den Anfangsteil des Rahmens bezogen werden können. Hier befindet sich freilich eine redaktionelle Naht; denn die ältere Heiligkeitsforderung ist mit der Selbstvorstellung des Dekalogproömiums verbunden worden. In jedem Falle stehen die Heiligkeit Gottes, welche die Heiligkeitsforderung begründet, und das Gebot, Gott zu fürchten, ebenfalls in einem Verhältnis gegenseitiger Aus- [155] legung: Du sollst Gott mit Ehrfurcht begegnen, weil er Gott und also heilig ist.40 Die Heiligkeitsforderung steht nicht von ungefähr an der Spitze des gesamten Kapitels. Sie fungiert als Klammer für die vielfältigen Materialien und verbindet den kultischen mit dem zwischenmenschlichen Bereich. Sie ist mit der Heiligkeit des gebietenden Gottes und mit seiner Exodustat begründet (V 2 und V 36b). W. Zimmerli hat gezeigt, daß der Exodus in Lev 17-26 geradezu als Vorgang der Heiligung Israels durch seinen Gott verstanden wird, 41 indem er es aussondert und in ein ausschließliches Verhältnis setzt.42 Die Kurzform der Selbstvorstellungsformel „Ich bin Jahwe", die die Prohibitivreihen in Lev 19 gliedernd durchzieht,43 nötigt dazu, jede Forderung auf die allem Gehorsam vorangehende Tat Gottes als den die Vielfalt einenden Grund zu beziehen. So ist in Lev 19 alles Gebieten von einem großen Indikativ umklammert. Söhne und deiner Großen suchst, das Leben Assurniraris, seiner Söhne und seiner Großen suchst, so möge Assur ..." (V 1 - zitiert nach TUAT 1/2, 156). 40 Dieser ursprüngliche Bezug auf die ältere Korrespondenzaussage sub voce unp erklärt vielleicht auch die nur in den „H"-Belegen auftretende Formulierung "pn^NO NT. Der naheliegenden Frage nach dem Verhältnis zur Gottesfurcht und Gottesliebe im Dtn soll anderwärts nachgegangen werden. Hier sei nur angedeutet, daß Dtn 6,12ff. das Hauptgebot mit „Jahwe furchten" kommentieren. Was Jahwe furchten heißt, legen Dtn 5,29 und 6,2 mit dem Beachten und Halten aller Gesetze aus. Umgekehrt faßt 6,24 den Gesetzesgehorsam als Jahwefurcht zusammen. 41 ZIMMERLI, Heiligkeit (s. Anm. 7), bes. 501-503. F. CRÜSEMANN hat den rechtsgeschichtlichen Wandel eingehend beschrieben, der mit dieser neuartigen Interpretation des Exodus in Lev 17-26 verbunden ist (Der Exodus als Heiligung. Zur rechtsgeschichtlichen Bedeutung des Heiligkeitsgesetzes, in: Die hebräische Bibel und ihre zweifache Nachgeschichte, FS R. Rendtorff, hg. v. E. Blum u. a., Neukirchen-Vluyn 1990, 117-129). 42 Beachte das Gefälle von 18,3f. (Paränese) über 19,2.36f. (Korrespondenzaussage + Exodus + Paränese) zu 20,31-33 (Paränese + Heiligung + Exodus + Bundesformel 1. Teil). 43 S.V 12.14.16.18.30. (32).

166

5. Kapitel: Gottesfurcht und Nächstenliebe

Die in der Anlage von Lev 19 hergestellte Beziehung zwischen dem Doppelgebot von Gottesfurcht und Nächstenliebe und dem Proömium des Dekalogs hat eine Bedeutung, die weit über das Kapitel hinausreicht. Mit der Erinnerung des Dekalogs, die das gesamte Kapitel rahmend umschließt, wird ein großer Bogen zurück an den Anfang der Offenbarung des Gotteswillens geschlagen, als dessen Summe jetzt der Dekalog von Ex 20 voransteht. Das in der Komposition von Lev 19 herausgehobene Doppelgebot fungiert innerhalb des einstigen Schlußtei-[156]les der Sinaiperikope als abschließende Zusammenfassung der Willensoffenbarung des Gottes Israels am Sinai. So sollen offenbar die abschließende Zusammenfassung im Doppelgebot von Gottesfurcht und Nächstenliebe und die als Dekalog vorangestellte Zusammenfassung des Gotteswillens aufeinander bezogen werden. Die Ex-Fassung des Dekalogs ist, anders als der um das Sabbatgebot als Kern mehrteilig konzentrisch strukturierte Dekalog von Dtn 5,44 zweiteilig: 20,3-12 (fünf lange Glieder) und 20,13-17 (fünf Kurzprohibitive).45 Wie das Doppelgebot hält auch der zweiteilige Ex-Dekalog die Relationen zu Gott (erste Tafel) und zum Nächsten (zweite Tafel) zusammen. So leitet die Komposition durch die Assoziationen des Dekalogs in Lev 19 und durch den von ihr jeweils ausgezeichneten Ort am Anfang und am Ende der Willensoffenbarung Gottes am Sinai den Leser dazu an, die erste Tafel mit dem Gebot der Nächstenliebe auszulegen. Auf dieser Ebene fungiert das Doppelgebot von Lev 19 geradezu als Zusammenfassung der Zusammenfassung der Sinaioffenbarung. Damit hat die Komposition von Lev 19 Augustinus' Deutung der Anlage des Dekalogs modifiziert vorweggenommen.

44

Dazu s. N. LOHFINK, Zur Dekalogfassung von Dtn 5, BZ 9, 1965, 17-32. Die Asyndese und die Wiederholung des Verbs im zehnten Glied ordnen den Ex-Dekalog in 5+5 Glieder. 45

6. Kapitel

Wie kam das Gesetz an den Sinai? 6.1. Die nicht-priesterliche Sinaiperikope Aus der Vogelperspektive betrachtet, erscheinen Ex 19-24.32-34 als durchaus folgerichtige Großerzählung. Sie stellt die „Grundmöglichkeiten der Beziehung zwischen Jhwh und Israel ... in letzter Zuspitzung" vor.1 Jahwe eröffnet die Beziehung, indem er auf dem Sinai erscheint (Ex 19) und seinen Willen in Dekalog und Bundesbuch kundgibt (Ex 20.21-23); Bundesschluß und Opfer (Ex 24) besiegeln die Gottesgemeinschaft. Darauf wird Mose besonderer Gottesnähe gewürdigt (24,12a. 18b). Ohne Mose vergißt jedoch das Volk schnell, was es in 24,3 wie ein Mann versprochen hatte, und begeht mit der Herstellung des „goldenen Kalbes" die Ursünde schlechthin (32,30f.). Das Ringen um Gottes Gegenwart angesichts der „großen Sünde" beherrscht Ex 33 und mündet in die Wiederherstellung des Verhältnisses Israels mit seinem Gott (Ex 34), dessen Erbarmen unerschöpflich ist (34,6-7). Die Restitution erfolgt durch Wiederholung des Anfangs, nun aber in ständiger Berücksichtigung des Sündenfalls von Ex 32. Deshalb müssen die Weisungen, die das Gottesverhältnis betreffen, wiederholt und ein erneuter Bundesschluß berichtet werden. Was sich aus der Ferne als relativ konsistente Großerzählung ausnimmt, zerfällt bei genauerem Hinsehen in zahlreiche Teile, die noch dazu in mancherlei Spannungen zueinander stehen. Schon Julius Wellhausen klagte: Ein naturgemäss fortschreitender Zusammenhang lässt sich hier nicht einmal im Ganzen und Grossen erkennen. 2

Daran hat sich auch 100 Jahre später nichts Wesentliches geändert: Je mehr man ins einzelne geht, umso undurchsichtiger wird der Erzählungsgang: immer wieder steigt Mose auf den Berg, steigt herunter, spricht Jahwe zu ihm, spricht zum Volk; manchmal läßt sich kaum sagen, wo er sich befindet. 3 1

E. BLUM, Studien zur Komposition des Pentateuch, BZAW 189, Berlin 1990, 47. J. WELLHAUSEN, Die Composition des Hexateuchs und der historischen Bücher des Alten Testaments, Berlin 31899, 82. 3 R. SMEND, Die Entstehung des Alten Testaments, ThW 1, Stuttgart 21978, 67. Einen glänzenden Überblick über die neuere Forschung zur Sinaiperikope überhaupt gibt K. 2

168

6. Kapitel: Wie kam das Gesetz an den Sinai?

[14] Die Lage wird noch komplizierter, wenn wir auf das legislative Material im weiteren Sinne blicken. Weder der Dekalog noch das Bundesbuch sind in den gegenwärtigen Kontext organisch eingebunden. Der Dekalog kommt nach 19,24f. völlig überraschend und gänzlich unmotiviert; 20,18ff. greifen denn auch wieder hinter den Dekalog zurück und setzen bei der Theophanie an, so daß ein älterer Zusammenhang von 19,16-19 nach 20,18 organisch gegeben ist. Auch das Bundesbuch ist nur sehr locker integriert. Ab 20,22 gibt es einen gleichsam gleitenden Übergang. Erst 21,1 bringt einen überschriftartigen Promulgationsauftrag, der freilich ganz auf den Kontext und Moses Rolle darin als Übermittler der Gottesreden abgestellt ist. 23,20-33 haben weder mit Recht noch mit Kult etwas zu tun, sondern sind von der Sorge um das Land bewegt, dessen Leben im Bundesbuch geordnet wurde. 24,1.2 haben das Bundesbuch erst recht vergessen; V 1 greift mit der Einladung Moses und Aarons bis auf 19,24 zurück und nimmt den dort liegengebliebenen Faden wieder auf. Was in 24,1 angewiesen wird, begibt sich in V 9-11: Die Führungselite wird unmittelbarer Gottesgegenwart gewürdigt. 24,2 setzt davon Mose noch einmal eigens ab und blickt damit auf V 12ff. voraus. Die größte Spannung und Inkohärenz findet sich in Ex 34. Während der erzählende Rahmen um die Wiederherstellung der Tafeln und deren Beschriftung durch Gott kreist (34,1.28b), sollen die Weisungen der V 11-26 von Mose aufgeschrieben werden (V 27). Aus den zuletzt genannten Beobachtungen ergibt sich die schlichte Folgerung, daß weder Dekalog, noch Bundesbuch, noch Ex 34 ursprünglich am Sinai beheimatet waren: Die wahre und alte Bedeutung des Sinai ist ganz unabhängig von der Gesetzgebung. Er war der Sitz der Gottheit, der heilige Berg.4 Was bei Wellhausen auf die vorliterarische Sinaiüberlieferung gemünzt war, gilt bei Lothar Perlitt für die vor-dtr Gestalt der Sinaiperikope überhaupt. 5 War für Wellhausen der Sinai sowohl beim Jahwisten als auch beim Elohisten zur Übermittlung des Gesetzes da, so beschreibt Perlitt das Profil des jahwistischen Überlieferungskerns (Ex 19*.24*) mit Theophanie, „Gottesschau und Freudenmahl".6 Rudolf Smend behandelt denn auch die Einbindung der legislativen Materialien in seiner leider schon lange vergriffenen „Entstehung des Alten Testaments" in dem Abschnitt, welcher der „deuteronomischen Schicht" ge- [15]widmet ist, weist aber darauf hin, daß „das legislative Israel am Sinai. Etappen der Forschungsgeschichte zu Ex 32-34 in seinen Kontexten, in: M. Köckert / E. Blum (Hg.), Gottes Volk am Sinai. Untersuchungen zu Ex 32-34 und Dtn 9-10, Gütersloh 2001,9-40. 4 J. WELLHAUSEN, Prolegomena zur Geschichte Israels, Berlin 3 1886, 342. 5 L. PERLITT, Bundestheologie im Alten Testament, WMANT 3 6 , Neukirchen-Vluyn SCHMID,

1969. PERLITT, Bundestheologie (s. Anm. 5), 181 ff.; vgl. J. JEREMIAS, Theophanie. Die Geschichte einer alttestamentlichen Gattung, WMANT 10, Neukirchen-Vluyn 2 1977, 205. 6

6.2. Positionen in der

Forschungsgeschichte

169

Material nicht in einem einzigen Arbeitsgang in den Erzählzusammenhang eingefugt wurde", was schon „aus der nicht ganz klar motivierten Placierung von Dekalog und Bundesbuch" hervorgehe.7 Die Frage, in welcher Reihenfolge und wie die drei Kandidaten an den Sinai kamen, läßt Smend jedoch in weiser Zurückhaltung unbeantwortet.

6.2. Positionen in der Forschungsgeschichte Im Grunde genommen sind in der so wechselvollen wie quälenden Forschungsgeschichte zur Sinaiperikope alle Möglichkeiten durchgespielt worden, manche in mehreren Varianten. Den Gesinnungswandel seit Perlitt markieren in der Hauptsache fünf Positionen. (1) Ursprünglich sei mit dem Sinai der Dekalog verbunden.8 Christoph Levin spitzt die These noch zu, indem er den Dekalog, der im Exodus seinen heilsgeschichtlichen Ort habe, zum überlieferungsbildenden Kern der Sinaiperikope überhaupt erklärt. Der Dekalog sei in die Itinerar- und Bergnotizen 19,23a; 24,3aab.l2a.l3b.l8b eingeschoben worden. Die Theophanie gehöre nicht zum Urgestein, sondern sei Zutat und setze den Dekalog bereits voraus; denn eine Sinai-Theophanie ohne Gesetz käme auf den bloßen Theaterdonner bei leerer Szene hinaus. Man ließe Jahwe sich umständlich räuspern - und nähme ihm dann das Wort, das zu empfangen Mose eigens auf den Berg gestiegen ist.9 Diese Voraussetzung ist freilich nicht so überzeugend wie sie klingt. Man sehe beispielsweise Gen 28: Die ältere Schicht kannte die Jahwerede noch nicht, wie die konzentrische Komposition der Bethel-Erzählung zeigt. Der Epiphanie Gottes (28,12-13aa) entspricht dort das Erschrecken Jakobs und wie in Ex 24,4*.5 - die Gründung des Kultus (28,16-18).

7

SMEND, Entstehung (s. Anm. 3), 68.

8

CHR. LEVIN, Der Dekalog am Sinai, VT 35, 1985, 165-191; DERS., Der Jahwist, 157, Göttingen 1993, 364f.; vgl. B . RENAUD, La théophanie du Sinai Ex 19 - 24. Exégèse et théologie, CRB 30, Paris 1991, 125ff. 9 LEVIN, Dekalog (s. Anm. 8), 185. Die literarkritische Amputation der Theophanie auf S. 185 erfolgt freilich ohne ausreichende Argumentation und Beobachtungen von Kohärenzstörungen. Anderseits enthält die Levinsche Rekonstruktion mit den unterschiedlichen Bezeichnungen fur die Gottheit in 19,3 (crn^xn); 20,1 (trnVx); 24,3 (mrp) selbst von ihm sonst (s. S. 186) als analytisch relevant beurteilte Kohärenzprobleme. FRLANT

170

6. Kapitel: Wie kam das Gesetz an den Sinai?

(2) Das Gesetz betritt mit dem Bundesbuch die Bühne des Sinai.10 Erhard Blum schält als älteste durchlaufende Textschicht im Buch Ex [16] die von ihm so genannte D-Komposition heraus. Zwar lassen die Schwierigkeiten bei der Bestimmung der jener Komposition vorausliegenden Überlieferung „kein Urteil über eine diachrone Eigenständigkeit zu",11 aber er rechnet durchaus mit einem vorgegebenen Erzählzusammenhang. Zu ihm gehöre, vielleicht schon in spät-vorexilischer Zeit, das Bundesbuch. Tragendes Argument dafür ist die Bestimmung von Ex 20,18-21 als vor-dtr.12 Ex 34,11-27 aber wird als später dtr Einschub in 34,1-10.28.29-35 erklärt.13 - Läßt sich eine nicht-dtr Einbindung des Bundesbuches auch im Textbestand herausschälen? (3) Auf unterschiedliche Weise avanciert Ex 34 zum Tor, durch welches das Gesetz an den Sinai gekommen sei. Frank Crüsemann14 setzt am hinteren Teil der Sinaiperikope an. Hier, in Ex 32-34, liege die älteste Sinaierzählung vor, die als Ausgangspunkt für die „Verbindung von Gottesberg und Gottesrecht" anzusehen sei. Dem staatlichen Stierkult des Nordreichs wird „der von Gott selbst angeordnete Kult entgegengesetzt, wie er auf den steinernen Tafeln formuliert ist". 15 Die Tafeln von 34,28 enthalten also nicht den Dekalog, sondern das sog. Privilegrecht 34,11 f f , das aus dem 9. Jh. v. Chr. stammen soll. Die hier formulierte Ordnung des rechten Gottesdienstes fungiere nach dem Untergang des Nordreiches im 8. Jh. v. Chr. als Mahnung und Verheißung für Juda. Die weitere Überlieferungsgeschichte vollzog sich über den Einbau der priesterlichen Heiligtumstexte (Ex 25-31.35-40), mit denen das Heiligkeitsgesetz seit je verbunden war. Der vordere Teil der Sinaiperikope Ex 19-24 gehe deshalb erst auf nachpriesterliche dtr Bearbeitungen zurück, in die die „vorgegebenen älteren Texte von Dekalog und Bundesbuch als Deutesignal und Gegengewicht vor die Masse der priesterlichen Gesetze gesetzt" worden seien. 15 Die Priesterschrift ist es also nach Crüsemann gewe-

10 E. W. NICHOLSON, The Decalogue as the direct address of God, VT 27, 1977, 422433.432; BLUM, Studien (s. Anm. 1), 94; R. G. KRATZ, Der Dekalog im Exodusbuch, VT 44, 1994, 205-238.236 Anm. 71, vor allem aber DERS., Die Komposition der erzählenden Bücher des Alten Testaments. Grundwissen der Bibelkritik, Göttingen 2000, 139-155: Das Gesetz trat in fünf Etappen zwischen Ex (15,22-25a.27; 16,laa;) 19,2a*b.3a und 24,18b hinein, „zuerst das Bundesbuch..., nach der Theophanie in Ex 19-20 dann der Dekalog ... und der Bundesschluß (Ex 24,3.4-8), zuletzt die Erneuerung des Bundes in Ex 32-34" (S. 154). 11

BLUM, S t u d i e n (s. A n m . 1), 2 1 6 .

12

BLUM, Studien (s. Anm. 1), 93-97.99. BLUM, Studien (s. Anm. 1), 67-70.370-375. Diesen Weg hatte schon B. D. EERDMANS, Alttestamentliche Studien III: Das Buch Exodus, Gießen 1910, 77-90, gebahnt. 14 F. CRÜSEMANN, Die Tora. Theologie und Sozialgeschichte des alttestamentlichen Gesetzes, München 1992, zusammenfassend zum Sinai S. 60-75. 13

15

CRÜSEMANN, T o r a (s. A n m . 14), 74.

16

CRÜSEMANN, T o r a (s. A n m . 14), 74.

6.2. Positionen in der

Forschungsgeschichte

171

sen, die - anknüpfend an die ältere Überlieferung in Ex 32-34 - „den Sinai zu dem machte, was er bis heute ist, den Ort, wo Kult und Recht gestiftet wurden".17 In der älteren dtn/dtr Überlieferung habe dagegen [17] die Tora gar nichts mit dem Sinai/Horeb zu tun, vielmehr sei sie mit dem Exodus verbunden gewesen.18 Dafür beruft er sich unter anderem auf Ez 20 und dtr Texte in Jer. - Die Thesen Crüsemanns scheitern m. E. nicht nur am analytischen Befund in der Sinaiperikope. Sowohl sein Ansatz bei Ex 32-34 als älterem Kern der Sinaiüberlieferung als auch die absichernde Rahmenthese einer ursprünglichen Verbindung von Tora und Exodus halten nicht, was Crüsemann verspricht, weil er einen analytischen Nachweis für die literarische Selbständigkeit von Ex 32-34 schuldig bleibt. Ex 32-34 hat es niemals als selbständige „Erzählung" unabhängig von 19-24* gegeben.19 Alle Teile setzen wenigstens einen älteren Kern in Ex 3220 voraus, und der ist gar nicht ohne 24,4a/3-5 als Kontrast und damit auch nicht ohne einen Kern in der Theophanie von Ex 19 denkbar. Die für eine ursprüngliche Verbindung von Exodus und Tora bemühten Belege aus Jer u. a. wollen mit ihrem Rückgriff auf den Exodus nicht die Tora an den Exodus binden, sondern vielmehr die gesamte Geschichte des Volkes ab ovo und in toto als Sündengeschichte bloßlegen (s. z. B. Jer 7,22-28). (4) In ganz anderer Weise spielt Ex 34 in Erich Zengers Rekonstruktion eines „Jerusalemer Geschichtswerkes" aus der Frühzeit Manasses um 690 v. Chr. eine entscheidende Rolle. 21 Der Kernbestand im Privilegrecht Ex 34, bestehend aus Selbstvorstellung Jahwes (V 6-7), Fremdgötter und Bündnisverbot (V 12-14) und aus einer der Jahwe-allein-Verehrung entsprechenden Kult17

CRÜSEMANN, T o r a (s. A n m . 14), 65.

18

„Die Tora ist die andere Seite des Exodus, die Bedingung der Bewahrung von Freiheit und Landbesitz" (S. 74). 19 S. auch die berechtigte Kritik von E. ZENGER, Wie und wozu die Tora zum Sinai kam. Literarische und theologische Beobachtungen zu Exodus 19-34, in: M. Vervenne (Hg.), Studies in the Book of Exodus, BEThL 126, Leuven 1996, 277ff. 20 Daß - gegen CRÜSEMANN - mit dem offensichtlich jungen Einschub 32,7-14 eine vorexilische Ansetzung des älteren Kerns in Ex 32 nicht begründet werden kann, hat zuletzt J. CHR. GERTZ, Beobachtungen zu Komposition und Redaktion in Exodus 32-34, in: M. Köckert/ E. Blum (Hg.), Gottes Volk am Sinai (s. Anm. 3), 88-106, überzeugend dargetan mit dem Ergebnis: „Wenngleich die Grundschicht von Ex 32 [V l*-5a.6.15aa*. 19-24.3034accb] ... frühestens exilisch zu datieren ist und die dtr Geschichtsschreibung voraussetzt, so ist sie dennoch ihrerseits die Vorlage für Dtn 9f. gewesen.(S.98). Vgl. damit auch die Spätansetzung (mit anderen Rahmenthesen) bei H.-CHR. SCHMITT, Die Erzählung vom Goldenen Kalb Ex 32* und das Deuteronomistische Geschichtswerk, in: S.L. McKenzie/ Th. Römer (Hg.), Rethinking the Foundations. Historiography in the Ancient World and in the Bible. Essays in Honour of John Van Seters, BZAW 294, Berlin 2000, 235-250. 21

E. ZENGER u.a., Einleitung in das Alte Testament, Stuttgart 3 1995, 167f.; DERS., Tora (s. Anm. 19), 265-288.

172

6. Kapitel: Wie kam das Gesetz an den Sinai?

Ordnung in V 18-26, die in V 27 von einem Bundesschluß solenn gekrönt werden, avanciert hier zum Programmtext „des prophetisch-priesterlichen Widerstandes gegen die Politik des Manasse". 22 Zu Ex 34 stehe in jenem Jerusalemer Geschichtswerk Gen 15 in Entsprechung: Hier übereigne Jahwe Abraham und seinem Samen „das [18] Land als Privileg (im Sinne eines Lehens)" - dort formuliere Jahwe „das Privileg der alleinigen Verehrung, das Israel ihm als Ausdruck der Lehenstreue zurückgeben soll".23 In exilischer Zeit, als man im Dtn den Dekalog dem dtn Gesetz voranstellte, wurde das „Jerusalemer Geschichtswerk" zum „Exilischen Geschichtswerk" erweitert, das Gen 2 - 2 Kön 25* umfaßte. Dabei brachte ein dtr Redaktor auch das Bundesbuch an den Sinai und formte Ex 24 durch Einschreibung von V 3-8 in eine Bundesschlußerzählung um. Auf dessen Konto gehe außerdem die Ausgestaltung der hinteren Sinaiperikope zur Erzählung von Bundesbruch (Ex 32) und Bundeserneuerung (Ex 34). - Die Existenz des „Jerusalemer Geschichtswerks" steht und fällt mit der analytischen Basis der tragenden Texte. Nun ist Gen 15 sowenig ein vor-exilischer Text wie Jos 24, der andere von Zenger in Anspruch genommene Spitzentext.24 Von einem Bundesschluß, gar einem privilegrechtlichen (?), verlautet in Gen 15,18 nichts, handelt es sich doch dort um eine höchst einseitige Selbstverpflichtung Gottes: Gott spricht Abraham das Land zu, und die Verläßlichkeit seiner Zusage verbürgt er mit dem für Gott singulären Ritus einer bedingten Selbstverfluchung. Ob ein Kern in Ex 34 so früh angesetzt werden kann, bedarf der Prüfung. (5) Ex 34 ist auch in Eckart Ottos Studien die entscheidende Säule, auf der seine Rekonstruktion der Rechtsgeschichte ruht.25 Allerdings bestreitet er den privilegrechtlichen Charakter. Er rechnet mit einem alten Kern, der aus einer um V 21 zentrierten Festordnung in V 18.21-23 bestehe, die mit einer Opferordnung in V 25.*26.19-20 verbunden worden sei. Diese Fest- und Opferordnung sei dem Bundesbuch vorgegeben und von ihm als Material verwendet und gleichsam novelliert worden. Sie stelle als Kundgabe des Sinaigottes die organische Fortsetzung des Theophanieberichtes in Ex 19 dar und gehöre 22

ZENGER u.a., E i n l e i t u n g (s. ANM. 21), 168.

23

ZENGER u.a., E i n l e i t u n g (s. A n m . 2 1 ) , 170.

24 Zu dem einen s. M. KÖCKERT, Vätergott und Väterverheißungen, FRLANT 142, Göttingen 1988, 204-247, u.a., zu dem andern s. E. BLUM, Die Komposition der Vätergeschichte, WMANT 57, Neukirchen-Vluyn 1984, 45-60, und DERS., Der kompositionelle Knoten am Übergang von Josua zu Richter. Ein Entflechtungsvorschlag, in: M. Vervenne / J. Lust (Hg.), Deuteronomy and Deuteronomic Literature. Festschrift C. H. W. Brekelmans, BEThL 133, Leuven 1997, 181-212. 25 Die Rekonstruktion einer alten Fest- und Opferordnung aus Ex 34 sowie deren Frühansetzung findet sich schon in E. OTTO, Das Mazzotfest in Gilgal. BWANT 107, Stuttgart 1975, und zuletzt DERS., Das Deuteronomium. Politische Theologie und Rechtsreform in Juda und Assyrien, BZAW 284, Berlin 1999.

6.3. Das Bundesbuch

173

somit zum ältesten Stratum der Sinaiperikope.26 Eine Sinaiüberlieferung ohne jene Kultordnung aus Ex 34 habe es also nie gegeben. In Gestalt jener Festund Opferordnimg stand das [19] Gesetz schon an der Wiege der Sinaiperikope. Der weitere Weg der Tora an den Sinai stellt sich für Otto dann so dar, daß Bundesbuch und Dekalog erst im Zuge der Pentateuchredaktion in die Sinaiperikope eingefugt wurden. 27 - Entscheidend wird sein, ob sich „die Abweichungen zwischen Ex 23,14-19 und Ex 34,18-26*" tatsächlich allein „aus der Rezeption von Ex 34,18-26* in Ex 23 erklären" lassen.28 Bei dieser kurzen Durchsicht durch einige markante Positionen haben sich vor allem Ex 34, aber auch die Einbindung des Bundesbuches, vornehmlich Ex 20,18ff., als sensible Bereiche herausgestellt. Für die Beurteilung von Ex 34 spielt nicht nur die Binnenanalyse eine Rolle, sondern mehr noch die Relation zum Bundesbuch. In welche Richtung verläuft die Abhängigkeit? Dabei ist die Frage nach den Abhängigkeiten von der Frage nach der narrativen Einbindung zu unterscheiden.

6.3. Das Bundesbuch Einigkeit besteht darüber, daß das Bundesbuch das älteste der Rechtskorpora im Alten Testament ist, daß es aus der Zeit vor Josia stammt und daß es sekundär an den Sinai versetzt wurde. 29 Otto hat überzeugend dargetan, daß es in der mittleren Königszeit durch die Verbindung ursprünglich selbständiger profanrechtlicher Sammlungen entstanden ist, die aber schon theologisiert waren, bevor sie zum Bundesbuch vereinigt wurden. 30 Das zeigt die Pointe der ersten Sammlung in 22,26b: Ich werde ihn [den Schrei des Gepfändeten] erhören; denn ich bin gnädig! Das Gottesprädikat Tun wie auch die solare Rolle Jahwes als Wahrer des Rechts stammen ohne Zweifel aus der Jerusalemer Tempeltheologie. 31 Die 26

Die „vordtr-nichtpriesterliche Sinaierzählung" knüpft unmittelbar an die Exodusüberlieferung in Ex 14* an und besteht lediglich aus Ex 19,2b.3a*.18; 34,laa. 18-26*27 (E. OTTO, Die Ursprünge der Bundestheologie im Alten Testament und im Alten Orient, ZAR 4, 1998, 1-84, Wortlaut der Quelle auf S. 55). 27 E. OTTO, Die nachpriesterschriftliche Pentateuchredaktion im Buch Exodus, in: M. Vervenne (Hg.), Studies in the Book of Exodus, BEThL 126, Leuven 1996, 61-112.64f. 28 So jedenfalls dezidiert OTTO, Deuteronomium (s. Anm. 25), 327. 29 S. z.B. L. SCHWIENHORST-SCHÖNBERGER, Das Bundesbuch (Ex 20,22-23,33). Studien zu seiner Entstehung und Theologie, BZAW 188, Berlin 1990; E. OTTO, Theologische Ethik des Alten Testaments, ThW 3,2, Stuttgart 1994; KRATZ, Komposition (s. Anm. 10), 145-148. 30 So bes. E. OTTO, Wandel der Rechtsbegründungen in der Gesellschaftsgeschichte des antiken Israel. Eine Rechtsgeschichte des „Bundesbuches" Ex xx22-xxiiil3, StB 3, Leiden 1988. 31 S. die liturgische Tradition in Ex 34,6; Ps 86,15; 103,8; 111,4; 116,5; 123,2.

174

6. Kapitel: Wie kam das Gesetz an den Sinai?

theologische Begründung der zweiten Sammlung liegt in den Aussonderungsgeboten für Jahwe (22,28f. und 23,10-12), die jetzt diese Sammlung rahmen. Strittig ist jedoch, ob das Bundesbuch erst von der Pentateuchredaktion an den Sinai gestellt worden ist,32 oder ob es eine ältere Einbindung [20] des Bundesbuches in den Zusammenhang von Theophanie und Gottesdienst gibt. Dazu ist ein Blick auf 20,18-23 nötig. V 18 knüpft unmittelbar an 19,16-18 an und beschreibt die Wirkung der Theophanie auf das Volk. Das Volk hat das Reden Gottes nicht vernommen, wohl aber alle Begleiterscheinungen gesehen. Da verfällt es in Furcht und Schrecken, „und sie standen von ferne". Dieser Schlußsatz erscheint in V 21a ein zweites Mal. Diese Wiederaufnahme hebt die davon eingerahmten V 19-20 als Einfügung heraus, indem sie noch einmal dort einsetzt, wo der Erzählfaden unterbrochen wurde. V 18 wurde ursprünglich mit V 21b fortgesetzt. Ex 20,18-21 sind also mitnichten aus einem Guß. 33 Ein Redeauftrag wie V 22a leitete dann unmittelbar das Bundesbuch ein, das auf dieser älteren Stufe mit dem Grundbestand des vorangestellten Altargesetzes V 24-26* begonnen hat. Zu der Jerusalemer Provenienz des Bundesbuches würde die Überleitung mit V 21b nicht schlecht passen: Mose nahte sich dem Wolkendunkel, in dem Gott war. Denn das seltene Wort 7DTJ, aus dem Arsenal des Wettergottes stammend, 34 begegnet hervorgehoben im alten Tempelweihspruch 1 Kön 8,12 (LXX): Die Sonne hat Jahwe in den Himmel gesetzt; er aber hat gesagt, er wolle im wohnen. Diese Einbindung des Bundesbuches mit V 18.21b (22a) kennt den Dekalog noch nicht. Ihr fehlt auch jedes dtr Kolorit. Sie ist in jedem Falle älter als der Einschub V 19f., der Dtn 5,28f. im Rücken hat: Jahwe hörte eure Worte, als ihr zu mir spracht, und Jahwe sagte zu mir: Ich habe gehört, was dieses Volk zu dir gesagt hat. Gut ist, was sie sagen. Ach, wäre doch immer ihr Herz darauf gerichtet, mich zu furchten und immerdar meine Gebote zu halten. Was Dtn 5,28f. ausführen, bringt Ex 20,20 auf den theologischen Begriff „Prüfung" (HO]).35 Mit Dtn 5 ist aber der Dekalog bereits auf dem Plan und mit Ex 20,22b erst recht, wie die Anspielung auf Dtn 4,36 zeigt.

32 So neben anderen vor allem OTTO in zahlreichen Publikationen, zuletzt im Art. Bundesbuch, RGG 4 1, Tübingen 1998, Sp. 1876f. 33 Für OTTO, Deuteronomium (s. Anm. 25), 76 (vgl. Ethik [s. Anm.29], 231), gehören 20,18-21 zur „Höhenlinie der Pentateuch-Hexateuchredaktion" und stehen auf einer Stufe mit 19,3b-9 und dem Dekalog in 20,1-17. Beide Behauptungen treffen jedoch für 20,18.21b nicht zu. 34 Vgl. Ps 18,10.

6.3. Das Bundesbuch

175

Vom Himmel her hat er dich seine Stimme hören lassen und auf Erden hat er dich sein großes Feuer sehen lassen.

[21] Wie an der Überleitung zum Bundesbuch in Ex 20,18.21b scheint es auch in Ex 24 eine ältere Verbindung zu geben. Sie liegt in V 3: Mose kam und zählte dem Volk alle Worte Jahwes und alle ¡rüDlfn auf, und das ganze Volk antwortete einstimmig, und sie sprachen: Alle Worte, die Jahwe gesagt hat, wollen wir tun!

Sie bezieht sich mit der Bezeichnung •,ü9B>a deutlich auf das Korpus des Bundesbuches zurück. 36 Ex 24,3 hat in 24,4aa.7 ein Seitenstück. Während es dort um die Verschriftung des „Buches des Bundes", um dessen Verlesung (!) und um die Verpflichtung des Volkes auf dieses Buch (!) geht, was seine nächste Analogie in 2 Kön 23,1-3 hat, fehlen derartige Bezüge in 24,3 völlig. Zwar verpflichtet sich auch hier das Volk auf den zuvor mitgeteilten Gotteswillen, jedoch nicht im Rahmen eines solennen Bundesschlusses wie in V 6-8. Ex 24,3 kommt denn auch noch ohne den Begriff D ,_ a aus. Es ist also das Bundesbuch gewesen, mit dem das Gesetz an den Sinai kam. Es konnte dorthin ohne große Schwierigkeiten kommen, weil in ihm schon zuvor Sakral- und Profanrecht verbunden und auf Jahwe als Rechtsquelle für beide zurückgeführt waren. Es kam dorthin, weil offenbar die paränetische Kraft des theologisch motivierten Rechts allein nicht mehr ausreichte, es bedurfte schon der außerordentlichen Dignität des Sinai. Ein Sinai ohne Theophanie und Stiftung des Kultus im Opfer hätte derartiges schwerlich leisten können. Mit dem Bundesbuch steht nicht der Kultus am Anfang des Weges der Tora an den Sinai, sondern sind von Anbeginn an Kultus und Ethos, Gott und der Nächste gemeinsam auf dem Plan.

35 Anders BLUM, Studien (s. Anm. 1), 94, der diese Lösung in Anm. 215 zwar erwägt, dann aber doch V 20 als Vorlage für die Weiterfuhrung in Dtn 5,28f. deutet. Dagegen spricht ra.E. die Wiederaufnahme, die Blum nicht in die Überlegungen einbezieht. 36 Die Überschrift Ex 21,1 ist freilich dtr, wie aus Dtn 4,44 und ähnlichen Formulierungen hervorgeht (SCHWIENHORST-SCHÖNBERGER, Bundesbuch [s. Anm. 29], 299-303), und dürfte aus 24,3 gewonnen sein. Die „Worte Jahwes" beziehen sich keineswegs notwendig auf den Dekalog, sondern vielleicht auf das Altargesetz. Allerdings könnte die Doppelbezeichnung auch einfach als Hendiadyoin verstanden werden. Nachdem einmal der Dekalog vorangestellt und - noch später (wegen 19,21-25) - mit einer erneuten Einleitung 20,1 versehen war, lag nichts näher, als die n n m auf den Dekalog (s. 20,1), die •'üstra auf das Bundesbuch (21,1) zu beziehen (F.-L. HOSSFELD, Der Dekalog, OBO 45, Freiburg 1982, 190f., der dafür eine komplizierte Vorgeschichte rekonstruiert).

176

6. Kapitel: Wie kam das Gesetz an den Sinai?

6.4. Der Dekalog Ex 20 Der Dekalog erscheint jetzt als erstes und als letztes Gotteswort der nichtpriesterlichen Sinaiperikope in 20,1 ff. Wahrscheinlich ist er einmal mit 19,2021aot eingeführt worden. Daß er jetzt erst mit 20,1 beginnt, hängt mit aaronidischen Sonderinteressen zusammen, deren Berück- [22]sichtigung in 19,2125 vorbereitet wird und die ja dann auch in 24,1.9-11 zur Geltung kommen. Gleichwohl stört der Dekalog in Ex 19-20 den Erzählzusammenhang, nicht aber in Dtn 5, wo er als Zitat passend eingeführt wird. Als Zitat kann er jedoch schwerlich im Kontext des Dtn entstanden sein.37 Dagegen spricht auch die Komposition der Dekalogfassung von Dtn 5, in deren Zentrum der Sabbat steht, der jedoch innerhalb des Dtn keinerlei Wirkung entfaltet. Die Zitierung des Dekalogs in Dtn 5 setzt eine ältere Vorlage voraus, die schon mit dem Sinai verbunden war; denn für einen vom Sinai unabhängigen Ort der Überlieferung des Dekalogs fehlt im Alten Testament jeder Hinweis. Dann aber kommt dafür nur der Sinai-Kontext im Exodusbuch in Frage. Reinhard Gregor Kratz hat detailliert begründet, daß der Dekalog nicht nur aus dem Material des Bundesbuches gebildet, sondern auch bewußt für diesen Kontext in der Sinaiperikope geschaffen worden ist, bevor er von hier ins dtr Dtn übernommen wurde. 38 Er dürfte von vornherein als Vorrede für das Bundesbuch gedacht gewesen sein; denn der Dekalog lebt nicht nur von sprachlichen Leihgaben aus dem Bundesbuch, sondern folgt bis zu einem gewissen Grade auch dessen Auswahl und Anordnung. War der Dekalog als Kopfstück für diesen Bundesbuchkontext geschaffen, findet auch seine schon immer beobachtete „Unvollständigkeit" eine Erklärung. Er konnte unvollständig sein, weil ja die Fülle der Konkretionen mit dem Bundesbuch folgt. Er war nur das „Programm", das Bundesbuch bot eine „Sammlung von Ausführungsbestimmungen". Kratz rechnet allerdings auch Ex 34 zu den Minen, aus denen der Dekalog sein Gold geschürft habe. Abgesehen von den Schwierigkeiten, in die man bei dieser Annahme für die Entstehung von Ex 32-34 gerät, hängt dieser zweite Teil der These an allzu dünnen Fäden.39 Es gibt nur drei Sachverhalte, die allein im Dekalog und in Ex 34, nicht aber im Bundesbuch begegnen, doch lassen sie sich vielleicht auch einfacher erklären: (1) Die singulare singularische Formulierung inK in Ex 34,14 erklärt sich besser als Attraktion von und auf dem Hintergrund der geläufigen pluralischen Formulierung. Außerdem erfreute sich die Gottesbezeichnung "7N 37

Gegen HOSSFELD, Dekalog (s. Anm. 36), zusammenfassend S. 283f. KRATZ, Dekalog (s. Anm. 10), 230f., 235; zur Auseinandersetzung um das 1 in 20,4 s. 208, Anm. 14 (gegen HOSSFELD, Dekalog [s. Anm. 36], 21ff., u.a.). 39 KRATZ hat allerdings jetzt die Abhängigkeit von Ex 34 aufgegeben und erklärt statt dessen 20,5b-6 als Zusatz (Komposition [s. Anm. 10], 148 Anm. 49). 38

6.4. Der Dekalog Ex 20

III

gerade in der Spätzeit zunehmender Beliebtheit,40 so daß Ex 34,14 eher aus dem Dekalog schöpft als umgekehrt. [23] (2) Die sog. Gnadenformel in 34,6-7 und 20,5-6 stammt hier wie dort und auch in Dtn 7 aus liturgischer Tradition,41 auf die auch jenes „denn ich bin gnädig" in Ex 22,26 zurückgehen dürfte. Die Annahme einer literarischen Abhängigkeit von Ex 34 ist also unnötig. (3) Allein bei der Formulierung wp 7N 20,5 par. 34,1442 scheint ein direkter literarischer Bezug vorzuliegen. Indes, läge dann nicht die umgekehrte Richtung näher? Die Formel wurde bei der Bildung des Dekalogs für den Kontext des Bundesbuches, also an der prominenten Stelle geboren, kam von dort in den dtr Bereich (Dtn 4,24; 5,9; 6,15) und dann auch nach Ex 34,14. Was hat zur Bildung des Dekalogs im Kontext der Sinaiperikope genötigt? Drei Beobachtungen mögen einer Antwort die Richtung weisen. (1) Schon Werner H. Schmidt hatte vor Jahren bündig gezeigt, daß die Dekalogversion der Einzelgebote stets die allgemeinste Fassung gegenüber den z. T. viel konkreteren Analogien bietet.43 Der dem Bundesbuch vorangestellte Dekalog setzt damit generelle Vorgaben und zieht grundsätzliche Grenzen, die freilich nun stets neuer Aktualisierung und Konkretisierung bedürfen. Gerade in der Differenz zwischen Grundsatz (Dekalog) und Konkretion (Bundesbuch) liegt das hermeneutische Potential, das zur Auslegung nötigt und befähigt. (2) Ein Teil der Dekalogsätze ist mit Material der sog. Todesrechtssätze im Bundesbuch gebildet worden (so die Sätze zu Eltern 21,15.17, Mord 21,12, Diebstahl 21,16, aber vielleicht auch das Verbot, [anderen] Göttern zu opfern, in der Gestalt von 22,19 44 ). Der Dekalog rückt damit unter die Perspektive von Leben und Tod. Er bietet so etwas wie die eiserne Ration, ohne die Leben, das den Namen Leben verdient, nicht möglich ist. (3) Der Dekalog in Ex 20 hat zwei Teile. Der erste umfaßt V 2-6 und ist als Gottesrede formuliert. Dabei rahmen Exodustat und Gottes Eifersucht das Fremdgötter- und Bilderverbot. Dieser erste Teil zielt nicht so sehr auf Freiheit, als vielmehr auf ausschließliche Bindung, die aus Gottes Befreiungstat im Exodus für die Befreiten folgt. Der zweite Teil entfaltet die ausschließliche Bindung als Gesetzesgehorsam (vgl. V 6b „mich lieben" und „meine Gebote halten") coram Deo (Gottes Name und Sabbat) und coram homine (Eltern und

40 Vgl. "7S in Dtn 32,12; Mal 2,11; Ps 81,10b (blickt auf Dekalog und Sinaiperikope zurück) und "IT in Ps 44,21; 81,10a. 41 H. SPIECKERMANN, „Barmherzig und gnädig ist der Herr...", ZAW 102, 1990, 1-18. 42 Vgl. Dtn 4,24; 5,9; 6,15; Jos 24,19; Nah 1,2. 43 W. H. SCHMIDT, Überlieferungsgeschichtliche Erwägungen zur Komposition des Dekalogs, VT Suppl. 22, Leiden 1972, 201-220. 44 Zur Analyse s. den einleuchtenden Vorschlag von N. LOHFINK, Art. mn, ThWAT III, 193, mit •"irr' DTl^N1? mt als ältester noch erschließbarer Gestalt.

178

6. Kapitel: Wie kam das Gesetz an den Sinai?

Nächster). Damit gibt [24] der Dekalog aller weiteren Willensoffenbarung Gottes am Sinai einen hermeneutischen Richtungssinn. Das Dtn geht auf diesem Weg noch einen großen Schritt weiter. Jene jüngeren dtr Hände, die den Dekalog dort als Summe des Gesetzes voranstellen, heben ihn noch zusätzlich heraus, indem sie das Volk allein den Dekalog unmittelbar aus Gottes Mund vernehmen lassen (Dtn 4,12; 5,22-33), alles weitere aber nur aus dem Munde des Gesetzespredigers Mose. Es ist deshalb folgerichtig auch allein der Dekalog, den Gott selber auf die beiden Steintafeln schreibt (4,13; 5,22) und die als „Tafeln des Bundes" (rp-nn nm1? 9,911) in die Lade gelegt werden (10,2.5), während das Deuteronomium als von Mose geschriebener mn minn nso lediglich neben der „Lade des Bundes" seinen Platz findet (31,26).

6.5. Ex 34 Unter dem Systemzwang der Urkundenhypothese suchte man literarkritisch aus Ex 34 einen zu Ex 20 parallelen Dekalog zu gewinnen. Derartige Versuche können heute als gescheitert gelten. Schon die willkürlichen Rekonstruktionen, einzig vom Zwang diktiert, die Zehnzahl zu erreichen, lassen diesen Weg nicht geraten erscheinen. Der Text selbst birgt keinen Hinweis auf die Zehnzahl. Die findet sich erst im erzählenden Rahmen, dort aber untrennbar mit dem Tafelmotiv verbunden. Die Tafeln aber will Gott selbst beschreiben (V 1). Die einzigen Tafeln, die Gott beschreibt, sind jedoch der Dekalog (so in Dtn 4; 5; 9-10). Auf den weist V 28b mit „die zehn Worte" auch hin. Deshalb ist Gott als Subjekt des DTD1! anzunehmen. Dann aber gibt es eine Spannung zwischen dem erzählenden Rahmen, dem es um die Wiederherstellung der Tafeln und deren Beschriftung durch Gott geht, und den sog. privilegrechtlichen Ordnungen in V 11-26, die Mose aufschreiben soll und auf Grund derer der Bund in V 27 geschlossen wird. Da der erzählende Rahmen in 34,l-10.28b wegen des Tafelmotivs nicht der ursprüngliche Kontext für das Privilegrecht sein kann, kommen dafür zunächst 33,12-17 in Frage.45 Dieses Stück kreist um das Thema der Gottesgegenwart nach dem Sündenfall und um das göttliche Geleit auf dem Wege ins Land. Insofern bildet es eine Brücke von 32,34 nach 34,11 ff. Schon immer war aufgefallen, daß es keine rechtliche Bestimmung in Ex 34 gibt, die nicht eine Parallele im Bundesbuch, oder im Dtn, oder im Dekalog hat. Die Richtung der Abhängigkeit entscheidet sich an der [25] Anord45

So m. R. schon M. NOTH, Überlieferungsgeschichte des Pentateuch, Stuttgart 1948, 33 Anm. 114 und 159 Anm. 414, und - mit ausführlicher Begründung - E. AURELIUS, Der Fürbitter Israels. Eine Studie zum Mosebild im Alten Testament, CB 27, Stockholm 1988, 100116.

6.5. Ex 34

179

nung der Materialien hier und dort und am Wortlaut. Welche Fassung läßt sich als die jüngere Weiterentwicklung nachweisen? 46 Aufschlußreich ist schon der Ort der Bezugstexte. 47 Der privilegrechtliche Teil hat seine Entsprechungen im Anhang zum Bundesbuch. Die übrigen Bestimmungen haben ihre Seitenstücke an dessen Anfang (20,23) und in den Schlußstücken (23,12-19). Offenbar sollen hier, nach dem großen Sündenfall von Ex 32, die das Gottesverhältnis betreffenden Bestimmungen erneut eingeschärft werden. Aufschlußreich sind die Unterschiede im Wortlaut.48 Ich beschränke mich jetzt auf Ex 32,17-25: V17: Das Verbot der Herstellung von Götterbildern hat seine nächste Formulierungsparallele (roon T^N) in Lev 19,4 und erklärt sich am einfachsten als auf 32,4 (rooa 7rj) zugeschnittene Aufnahme aus 20,23. Ob die ausdrückliche Wiederholung des Auszugs „im Monat Abib" in V18 die Möglichkeit eines falschen Bezugs von 13 in 23,15 verhindern soll,49 bleibe dahingestellt. V 19-20 kombinieren 22,28f. mit 13,12f., kennen also bereits die Verbindung von Passa und Mazzot in Gestalt der Verbindung von Mazzenfest und Fest der Erstlingsopfer; sie novellieren außerdem den Wortlaut der Bestimmungen von 22,28f., der sich auf alle (!) menschliche und tierische Erstgeburten bezieht.50 V 21 stellt das Arbeitsverbot am siebten Tag aus 23,12 in den Zusammenhang des Festkalenders. Deshalb wird das allgemeine Verb 7WV durch das Verb 12V ersetzt, das speziell für den Ackerbau gebraucht wird (vgl. Gen 4,2 u.a.). Dem neuen Kontext entsprechend orientiert 34,21 die Geltung des Ar46

Mit einem alten Grundbestand in Ex 34 (Privilegrecht oder Fest- und Opferordnung) rechnen: F.-L. HOSSFELD, Das Privilegrecht Ex 34,11-26 in der Diskussion, in: St. Beyerle u.a. (Hg.), Recht und Ethos im Alten Testament, FS H. Seebaß, Neukirchen-Vluyn 1999, 3960; CHR. DOHMEN, Der Sinaibund als Neuer Bund nach Ex 19-34, in: E. Zenger (Hg.), Der Neue Bund im Alten, QD 146, Freiburg 1993, 51-83; ZENGER, Tora (s. Anm. 19) ; OTTO, Deuteronomium (s. Anm. 25), 324-340. Den umgekehrten Weg der Überlieferung vom Bundesbuch nach Ex 34 verfolgen AURELIUS, Fürbitter (s. Anm. 45), 116-121; BLUM, Studien (s. Anm. 1), 369-374; R. ACHENBACH, Israel zwischen Verheißung und Gebot, EHS 422, Frankfurt/M. 1991, 275-283. 47 Daraufweisen vor allem BLUM, Studien (s. Anm. 1), 69f., und jetzt - mit grundsätzlichen methodischen Reflexionen - D. M. CARR hin: Method in Determination of Direction of Dependence: An Empirical Test of Criteria Applied to Exodus 34,11-26 and its Parallels, in: Köckert / Blum (Hg.), Gottes Volk am Sinai (s. Anm. 3), 107-140. 48 Wichtige Beobachtungen finden sich schon bei EERDMANS, Exodus (s. Anm. 13), 7797, b e i AURELIUS, F ü r b i t t e r (s. A n m . 4 5 ) , 1 1 6 - 1 2 1 , u n d b e i BLUM, S t u d i e n (s. A n m . 1), 3 6 9 -

374; DERS., Das sog. „Privilegrecht" in Exodus 34,11-26: Ein Fixpunkt der Komposition des Exodusbuches?, in: M. Vervenne (Hg.), Studies in the Book of Exodus, BEThL 126, Leuven 1996, 358f. A46. 49 So A. KLOSTERMANN, Der Pentateuch, Leipzig 1893, 528 Anm. 2. 50 WELLHAUSEN, Prolegomena (s. Anm. 4), 85.

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6. Kapitel: Wie kam das Gesetz an den Sinai?

beitsverbots am siebten Tag am Agraijahr. „Pflügen" und „Ernten" stellen einen Merismus dar.51 [26] V 22a gebraucht den Begriff „Wochenfest" und setzt damit den festen Termin von Dtn 16,10 voraus; denn die ältere Bezeichnung TXpn in in Ex 23,16 ist terminlich noch nicht festgelegt und gibt den regional unterschiedlichen Erntezeiten Raum. 52 V 22b terminiert das Herbst- und Lesefest auf die Jahreswende, während 23,16 mit NU1 den Jahresbeginn hervorhebt. 23,16 setzt also den alten Kalender mit dem Beginn des Jahres im Herbst voraus, während für 34,22b das Jahr im Frühjahr beginnt. Deshalb muß der Zeitpunkt für das Herbstfest mit rnii-'r? nsipn als dem Zeitpunkt bestimmt werden, an dem sich das Verhältnis von Tag und Nacht ändert.53 Die zeitliche Näherbestimmung des Herbstfestes ist an sich ganz unnötig; denn sie folgt aus der Bezeichnung Fest der (Wein-) Lese von selbst. Sie erklärt sich hier daraus, daß 34,22 die Zeitbestimmung von 23,16 vor Augen hatte und dem veränderten Jahresbeginn anpassen mußte. V 23 entspricht 23,17, fügt aber dem einfachen Gottesnamen den Titel „Gott Israels" hinzu, was einen deutlichen privilegrechtlichen Akzent setzt. Für die umgekehrte Annahme einer Streichung des Titels in 23,17 läßt sich kein Grund nennen. V 24 setzt, wie schon lange gesehen, die dtn Kultzentralisation voraus. V 25 hat das Verbot von 23,18b mißverstanden. Dort müssen Fett und Blut als die der Gottheit zustehenden Teile des Fest (-Opfers) noch am selben Tag dargebracht werden. „Exod. 34 hat die Exod. 12,9f. erwähnte Sitte gekannt, das Fleisch des Pesachopfers ganz zu verzehren, und durch den Ausdruck i r r ^ n und das Verbot des Gesäuerten irregeführt, hat es die Vorschrift auf das Pesachopfer bezogen... Wenn Exod. 34,25 der ältere Text wäre, läßt es sich nicht einsehen, wie aus dem Fleisch des Pesachopfers, das durch Menschen genossen wurde, das für die Gottheit bestimmte Fett aller Festopfer werden konnte." 54 Nach alledem erscheint die Folgerung von Eerdmans, Blum und Aurelius nicht unbegründet, daß Ex 34 aus Material des Bundesbuches für den neuen Kontext und mit ausdrücklicher Rücksicht auf ihn gebildet worden ist. Daß hier nur die Gott betreffenden Bestimmungen wiederholt werden, hat seinen Grund darin, daß der Sündenfall Ex 32 genau dieses Verhältnis aufs äußerste tangiert hat. „Der von Zeit zu Zeit immer wieder einmal unternommene Ver51

Die Beurteilung von W"in in 34,21 als sekundär durch OTTO ist willkürlich und setzt seine These vom Ursprung des Ruhetaggebotes in der Mazzotwoche voraus. 52 Gegen OTTO läßt sich der umgekehrte Überlieferungsweg nicht begründen, zumal TXP zwar in 34,21.22, nicht aber im Bundesbuch einen Stichwortzusammenhang bildet. 53 EERDMANS, Exodus (s. Anm. 13), 90. 54 EERDMANS, Exodus (s. Anm. 13), 90.

6.6. Das Tafelmotiv

181

such, in Ex 34 irgendeinen alten Kern und in ihm die Keimzelle der gesamten Sinaiperikope zu entdecken, hat auf der ganzen Linie die narrative Strategie in Ex 19-34 und die literarischen [27] Abhängigkeitsverhältnisse gegen sich." 55 Ex 32-34 haben in allen Teilen die Katastrophe von 586 v. Chr. bereits hinter sich.

6.6. Das Tafelmotiv Nachdem der Dekalog im Dtn einmal zum Tafelwort erhoben war, durfte er als solches am Sinai nicht fehlen. Deshalb wird das Motiv der Tafeln in 24,12b; 31,1856 sowie in 32,15-19 eingetragen. Signifikant ist sogleich der erste Beleg. In 24,12 wird Mose auf den Berg beordert, um „dort zu bleiben"; in V 15a begibt sich Mose auf den Berg; V 18b berichtet von 40 Tagen und Nächten, in denen Mose bei Gott bleibt. Moses Verweilen in Gottes Gegenwart (V 12a) geht weit über die Aushändigung der Tafeln hinaus. Die 40 Tage werden hier, anders als in 34,28, nicht dazu benötigt, daß Gott die Tafeln beschreiben kann; denn er hat sie bereits beschrieben, wie V 12 b ausdrücklich vermerkt ( ' m m Afformativkonjugation). Die 40 Tage sind in 24,18b lediglich dazu da, daß das Volk - nun ohne den Mittler Mose - zur „großen Sünde" abfallen kann. Das Tafelmotiv erweist sich also von Anfang an als nachträglich eingeschoben. Es läßt sich denn auch überall mühelos herauslösen. Angesichts der großen Sünde des Volkes zerbricht Mose die Tafeln. Für ein Weiterleben Israels als Gottesvolk bedarf es der Vergebung und der Erneuerung des Gottesverhältnisses. Dazu gehört auch die Restitution der Tafeln mit den zehn Worten. Zu deren Wiederherstellung wird der erzählende Rahmen 34,1-8 (9-10 57 ).28 eigens geschaffen. Unsere Schwierigkeiten mit V 28 hatte ein jüdischer Leser damals nicht; denn er identifizierte als Schreiber der Tafeln ganz selbstverständlich Gott, weil die Texte, in denen die Tafeln eine Rolle spielen, von keinem anderen Schreiber berichten. Insofern konnte es für ihn keine Mißverständnisse geben, nachdem einmal 34,1-10.28 zu 34,11-27 hinzugeschrieben waren. So behält der Dekalog am Ende nicht nur das erste, sondern auch das letzte Wort.

55

56

KRATZ, K o m p o s i t i o n (s. A n m . 10), 140.

In 31,18 läßt sich als ursprünglicher Wortlaut vielleicht herausschälen: „Da gab er Mose die ... zwei ... Tafeln aus Stein, beschrieben mit dem Finger Gottes." In 32,15b-19 erklären sich die Unterschiede der Formulierung „mühelos aus dem... Wachstum des Motivs" (PERLITT, Bundestheologie [s. Anm.5], 212). 57 Zu dem wohl jüngsten Eintrag in Ex 34 s. W. GROSS, Zukunft für Israel. Alttestamentliche Bundeskonzepte und die aktuelle Debatte um den Neuen Bund, SBS 176, Stuttgart 1998, 126-133.

7. Kapitel

Das Gesetz und die Propheten in Arnos 1-2 7.1. Literarische Analyse der Israelstrophe im Völkerspruchzyklus Als erste größere Komposition eröffnet nach Überschrift (1,1) und Mottovers (1,2) ein offenbar von Anfang an strophisch konzipierter Völkerspruchzyklus (1,3-2,16)' das Buch. Aus dem gleichförmigen Aufbau der einzelnen Strophen fallen die Worte gegen Tyrus, Edom und Juda insofern heraus, als sie im Schuldaufweis zusätzlich mehrere Vergehen aufzählen, in der Strafankündigung dagegen alle Konkretionen über die Ankündigung fressenden Feuers hinaus vermissen lassen und ohne Schlußformel enden. Da - wenigstens bei der Schlußformel - unschwer Gleichförmigkeit herzustellen gewesen wäre, können diese Abweichungen nur als Signale verstanden werden, mit denen eine Redaktion ihre Eintragungen ausdrücklich als solche markiert hat.2 Die kritische Prüfung der verbleibenden Fremdvölkerworte nach Form und Inhalt durch V. Fritz hat gewichtige Gesichtspunkte gegen die bislang im wesentlichen unangefochten behauptete amos'sche Verfasserschaft zu Tage gefördert und nahegelegt, im Völkerspruchzyklus ein Produkt der „Auseinandersetzung prophetischer Kreise mit dem durch Assur herbeigeführten Geschick" nach 722 v.Chr. zu sehen.3 Die vier ursprünglichen Fremdvölkerworte haben

1

S. die Kommentare und die Übersichten bei K. KOCH u.a., Arnos. Untersucht mit den Methoden einer strukturalen Formgeschichte, AOAT 30, Neukirchen-Vluyn 1976, I, 246ff., II, 67-75, und zuletzt J. JEREMIAS, Völkersprüche und Visionsberichte im Amosbuch, in: Prophet und Prophetenbuch, FS O. Kaiser, hg. v. V. Fritz / K.-F. Pohlmann / H.-Chr. Schmitt, BZAW 185, Berlin 1989, 29-43. 2 H. GESE, Komposition bei Arnos, in: Congress Vol. Vienna, Suppl. VT 32, Leiden 1981, 74-95, bes. 86-88 (Auseinandersetzung mit den Verteidigern der „Echtheit"). Der sekundäre Charakter dieser Völkersprüche wird seit J. WELLHAUSEN, Die kleinen Propheten, Berlin 4 1963, 70-72, und B. DUHM, Anmerkungen zu den Zwölf Propheten, Giessen 1911, 2, immer wieder hervorgehoben. Eine instruktive Zusammenstellung der Gründe findet sich bei K. MARTI, Zur Komposition von Am 1,3-2,3, in: Abhandlungen zur semitischen Religionskunde und Sprachwissenschaft, FS W. W. Graf Baudissin, BZAW 33, Berlin 1918, 323-339, und bei H. W. WOLFF, Dodekapropheton 2: Joel und Arnos, BK XIV/2, Neukirchen-Vlyun 1969, z. St. 3 V. FRITZ, Die Fremdvölkersprüche des Arnos, VT 37, 1987, 26-38, 38. Vgl. aber schon S. HERRMANN, Geschichte Israels in alttestamentlicher Zeit, München 1973, 292, der darauf hinweist, daß die „erwähnten Übeltaten ... bei aller Bemühung um Konkretion doch auch von

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7. Kapitel: Das Gesetz und die Propheten in Arnos 1-2

freilich nie für sich allein bestanden, sondern sind - wie H. Gese überzeugend gezeigt hat4 - paarweise (1,3-5; 1,6-8 und 1,13-15; 2,1-3) und von vornherein auf die Israelstrophe hin konzipiert [146] worden.5 Jedes der als gestaffelter Zahlenspruch stilisierten Fremdvölkerworte nennt nur einen Frevel, obwohl doch jeweils vier angekündigt werden. Indem die einzelnen Strophen die von der einleitenden Formel geweckten Erwartungen nicht erfüllen, bereiten sie die Israelstrophe vor, die allein eine Vierheit von Freveltaten ausdrücklich nennt. Auf ihr liegt der Ton. Der den fünfteiligen Zyklus abschließenden Israelstrophe kommt indes nicht nur inhaltlich eine Sonderstellung zu. Ihre Überproportionen lassen sich noch damit erklären, daß sie als Ziel des Zyklus, mit dem Muster des gestaffelten Zahlenspruches (x/x + 1) als Stilmittel, auch in den Dimensionen als Klimax gestaltet worden ist, die im Schuldaufweis mit den 2 + 2 Freveln die Totalität der Schuld und in den 2 + 2 + 1 Folgen des Unheils die Totalität des Gerichs ausfuhrt. Die gravierenden Unterschiede zu den Fremdvölkerworten 6 nähren jedoch die Vermutung, daß vorgegebenes Material zu der Israelstrophe im Rahmen der Völkerworte ausgebaut worden ist.7 Die sozialrechtliche starker paradigmatischer Typik" seien, „so daß nicht unbedingt nur an neue Auseinandersetzungen in Arnos' eigener Zeit" zu denken sei. 4 GESE, Komposition (s. Anm. 2), 88-93. Er hat nach A. WEISER, Die Prophetie des Arnos, BZAW 53, Berlin 1929, und H. W. WOLFF, Joel und Arnos (s. Anm.2), 184, nachdrücklich die Fünfgliedrigkeit als Kompositionsprinzip im Amosbuch hervorgehoben. Die dem 2 + 2 + 1 -gliedrigen Visionszyklus parallel gehende Struktur des Völkerspruchzyklus tritt - anders als bei den Visionen - nicht in den Rahmenformeln, sondern in einer entsprechenden Terminologie zu Tage: In der Aramäer- und Philisterstrophe wird jeweils die Ausrottung des „Thronenden" und „Szepterträgers" angekündigt, in der Ammoniter- und Moabiterstrophe dagegen die Exilierung des Königs bzw. die Ausrottung des Herrschers, jeweils bei Posaunenhall. 5

Ü b e r WOLFF u n d GESE h i n a u s g e h e n d , h a t JEREMIAS, V ö l k e r s p r ü c h e (s. A n m . 1), 9 1 , g e -

zeigt, daß die „Betonung der Unwiderruflichkeit des angekündigten Strafhandelns Jahwes ... aus den Völkersprüchen selber ganz und gar unverständlich" ist und sich „vielmehr erst aus ihrer Verbindung mit der Israelstrophe" ergibt. 6 S. WOLFF, Joel und Arnos (s. Anm. 2), 171f., und die Auflistung bei KOCH, Arnos (s. Anm. 1), II, 68. Es bleibt jedoch zu bedenken, daß der Anfangsteil der Israelstrophe die Rahmenformeln des Zyklus aufnimmt und daß die Zahlenspruchformel aller Völkersprüche erst in der Israelstrophe ihre Ausfuhrung erfährt (s. o.); gegen eine Isolierung der Israelstrophe jetzt m. R. auch JEREMIAS, Völkersprüche (s. Anm. 1), 85. 7 Man sehe schon im Schuldaufweis den Wechsel der Themen und vorgestellten Situationen. Davon ist V 6b formal den anderen Strophen eingepaßt. V 7a dagegen setzt mit einem Partizip + Artikel fort, V 7b und 8 wechseln in Sätze vom Typ x - PK. Zur gesamten Israelstrophe als mehrfach zusammengesetzter Einheit s. u. Aus verschiedenen Sprüchen und Fragmenten zusammengefügt erscheint die Israelstrophe TH. ROBINSON, Die zwölf kleinen Propheten HAT 1/14, Tübingen 3 1964, 78-81; stärker noch bei P. WEIMAR, Der Schluß des Amos-Buches. Ein Beitrag zur Redaktionsgeschichte des Amos-Buches, BN 16, 1981, 60100, bes. 82 Anm. 88 und S. 95ff. Mit einer selbständigen (!) Entstehung der Israelstrophe und nachträglichen Angleichung an den bereits vorliegenden Zyklus von Fremdvölkerworten

7.1. Literarische Analyse der Israelstrophe im Völkerspruchzyklus

185

Orientierung des Schuldaufweises (V 6b-8) und die Unentrinnbarkeit des kommenden Unheils (V 13-16*) stehen in großer sachlicher Nähe zu dem Gut im Buch, das am ehesten auf den Propheten zurückgehen dürfte. 8 [147] Zwischen Schuldaufweis und Unheilsansage steht allerdings jetzt ein Geschichtsrückblick (2,9-12), der den Untaten Israels seines Gottes Wohltaten wirkungsvoll entgegenstellt. Das ist nicht nur im Völkerspruchzyklus, sondern im gesamten Amosbuch singulär. Seine nächsten Analogien finden sich in Hos 7,13-16 und vor allem in Hos 13,1-8.9 Beide Male handelt es sich jedoch nicht um ursprüngliche Einzelworte des Propheten, sondern um absichtsvolle Kompositionen der Tradenten Hoseas. So schließen Hos 7,13-16 nicht nur den großen Kompositionsblock 5,8-7,16 ab, sondern schlagen zugleich eine Brücke bis hin zu 9,1-9.10 Sachlich näher bei der Israelstrophe des Amosbuches stehen hingegen Hos 13,1-8. Daß der Dreitakt von Schuldaufweis - vergangene Jahwetat - kommendes Unheil das Ergebnis literarischer Komposition, nicht unmittelbarer Reflex hoseanischer Verkündigung ist, zeigt der mehrfache Personenwechsel. Schon diese Befunde wecken Zweifel an der Möglichkeit, in der dreigliedrigen Komposition der Israelstrophe von Am 2,616 einen direkten Niederschlag der Verkündigung des Propheten erkennen zu können. Sie dürfte denen zu verdanken sein, die jenen auf eine Israelstrophe zielenden Völkerzyklus geschaffen haben.

rechnet dagegen KOCH, Arnos (s. Anm. 1), II, 68. Die formale Verbindung der Klimax zum Zyklus hebt bes. GESE, Komposition (s. Anm. 2) hervor. 8 Vgl. einerseits V 7a mit 5,12, bl und lVON mit 4,1 (dort allerdings im Parallelismus!), anderseits 2,14-16 mit 9,1b (ü'jD/Di:) und - der Sache nach - mit 3,12; 5,3; 8,2; 5,18-20 (s. aber H. SPIECKERMANN, Dies irae: der alttestamentliche Befund und seine Vorgeschichte, VT 39, 1989, 194-208, bes. 197f.). Zur auffälligen Verbindung von 2,6-7 mit 8,4-6 s. neuerdings H. GESE, Arnos 8,4-8: Der kosmische Frevel händlerischer Habgier, in: FS O. Kaiser (s. Anm. 1), 59-72 (er erklärt 8,6 als 2,6 zitierende Glosse); vgl. aber schon L. MARKERT, Struktur und Bezeichnung des Scheltworts, BZAW 140, Berlin 1977, 181, und I. WILLIPLEIN, Vorformen der Schriftexegese innerhalb des Alten Testaments, BZAW 123, Berlin 1971, 49 (redaktionelle Ringbildung 8,4.6-7 mit Hilfe von Material aus 2,6f. und Amosfragment 8,5). Im übrigen kann nur nachdrücklich die begründete Skepsis von J. JEREMIAS eingeschärft werden: Der „direkte Weg zum redenden Propheten - und sei es ein Arnos - ist uns heute verbaut" (Arnos 3-6. Beobachtungen zur Entstehungsgeschichte eines Prophetenbuches, ZAW 100, Suppl., 1988, 125). Anderseits ist es m. E. methodisch völlig verfehlt, aus den ersten beiden Visionen allein die Kriterien gewinnen zu wollen, mit denen über mögliche Authentizität von Spruchgut (!) entschieden werden soll, weil dabei schon der Verschiedenheit der Gattungen gar nicht Rechnung getragen wird - kein Wunder, daß bei diesem Verfahren einzig 3,12* und 5,3 übrig bleiben (so bei V. FRITZ, Amosbuch, Arnos - Schule und historischer Arnos, in: FS O. Kaiser [s. Anm. 1], 29-43). 9 Vgl. aber auch Jer 2 und Mi 6,1-8 und zu den Erweiterungen der Anklage überhaupt C. WESTERMANN, Grundformen prophetischer Rede, München 2 1964, 130-132. 10 Zum kompositorischen Horizont von Hos 7,13-16 s. J. JEREMIAS, Der Prophet Hosea, ATD 24/1, Göttingen 1983, 99f.

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7. Kapitel: Das Gesetz und die Propheten in Arnos 1-2

Der Geschichtsrückblick im Herzen der Israelstrophe ist freilich selbst nicht aus einem Guß, wie man schon lange gesehen hat.11 Zwar verbindet V 10b (,nainn; Mose soll diese Israel lehren, so daß Israel sie im Lande (!) tut. Während die unmittelbare Horeboffenbarung mit dem Dekalog abgeschlossen ist (HD1 X1? V 22), stellt V 31 alle weitere Willensoffenbarung Gottes unter die Offenbarungsmittlerschaft Moses. Die dtn Gesetze erscheinen so zwar wie der Dekalog als am Horeb gesprochenes Gotteswort, aber die hat - anders als den Dekalog - nur Mose vernommen. Der lehrt sie erst jetzt im Lande Moab unmittelbar vor der Landnahme, damit Israel sie im Lande tun kann. Jene Unterscheidung von unmittelbarer und durch Mose vermittelter Willensoffenbarung zielt auf eine Verhältnisbestimmung zwischen dem Dekalog und dem dtn Gesetz (mxan das aus Rechtsbestimmungen / Satzungen (irpnri) und Rechtsnormen / Entscheidungen (D'üswan) besteht. Als aus Gottes Mund vernommen hat das, was Mose jetzt vor den Toren des Landes lehrt, nicht weniger Dignität als der Dekalog. Die Differenzen liegen nicht in der Autorität, sondern in Zeitpunkt und Ort sowie im Modus der Veröffentlichung dieser ganzen mxan.81 Sie bestimmen das dtn Gesetz als die für ein gelingendes Leben im Lande nötige konkrete Auslegung des im Dekalog vorab ver77

Dtn 5,22; 9,10; 10,4; vgl. 4,10; 31,12. E. OTTO, Theologische Ethik des Alten Testaments, ThW 3/2, Stuttgart 1994, 198, 203ff., gegen deren Frühansetzung bei G. BRAULK, Die deuteronomischen Gesetze und der Dekalog. Studien zum Aufbau von Deuteronomium 12 - 26, SBS 145, Stuttgart 1991. 79 Doch zeigen Jos 24,24; Ps 18,24.26; 19,8; 119,1.80, welch durchaus unterschiedliche aparte Verbindungen in jener Spätzeit möglich waren. 80 S. den Rückbezug mit nura1? orrww. 81 So schon F.-L. HOSSFELD, Der Dekalog. Seine späten Fassungen, die originale Komposition und seine Vorstufen, OBO 45, Freiburg/Schweiz 1982, 233. 78

8.3. Zum theologischen Ort von Dtn 18

213

öffentlichten immerdar und überall gültigen Gotteswillens. Deshalb wird es nicht lapidar verkündet ( i m 5,4), sondern von Mose gelehrt (7Ö1? 5,31; 6,1). Deshalb wird es nicht schon am Horeb, sondern erst jetzt für das Leben im Lande in Kraft gesetzt, wie die ausdrücklichen Hinweise auf das „Tun im Lande" an entscheidenden Punkten der Komposition zeigen (5,31; 6,1; 12,1). In dieser Konzeption ist Mose der Israel gewährte und von Gott autorisierte Lehrer des dtn Gesetzes als Auslegung des Dekalogs. Dtn 18 greift diese Konzeption ausdrücklich auf: V 16 faßt 5,24-26 zusammen und weist auf 5,25 zurück,82 und V 17 zitiert 5,28b. Mit Bedacht werden jedoch die Passagen ausgelassen, in denen Mose als Mittler erbeten (5,27) und eingesetzt (5,31) wird; denn an dessen Stelle soll in der Zeit nach Moses Tod der „Prophet wie Mose" treten (18,18). [98] Da bei „Personenvergleichen ... durch das Pronomen ein Individuum oder eine Gruppe als exemplarisch und typenbildend für alle weiteren Exemplare gleicher Art hervorgehoben" wird, 83 gibt die Ankündigung dem Propheten mit der Statur des Mose die Funktion autoritativer Vermittlung des Gotteswillens. Israel steht nach Moses Tod nicht ohne lehrenden Mittler im Lande, so daß es etwa von den Völkern lernen müßte (18,9).84 Bei den in V 10-11.14 für Israel verbotenen Praktiken 85 der Völker handelt es sich um Techniken zur aktuellen Erkundung des Willens der Gottheit (Divination) und zur magischen Einwirkung auf die Wirklichkeit (Beschwörung). Sie dienen nicht so sehr der Ergründung der Zukunft, als vielmehr dazu, die rechten Entscheidungen zu treffen, um die Gegenwart zu meistern.86 An die Stelle jener Techniken tritt für Israel jener „Prophet wie Mose". Mit ihm hat Gott schon am Horeb für die Kontinuität seines Wortes gesorgt, indem er die lehrende Vermittlung des Gesetzes selbst institutionalisiert.87 Sind die Urteile des Zentralgerichts in 17,11 am dtn Gesetz als Tora orientiert, hat der König sich laut 17,18f. eine Abschrift der Tora, die sich in der Obhut der levitischen Priester befindet, anfertigen zu lassen, um sie zu studieren, so sichert die ätiologische Verankerung der Prophetie in der mosaischen Mittlerschaft am Horeb deren Kontinuität nach Moses Tod und jenseits des Horeb. Während die anderen Ämter 82

D. E. SKWERES, Die Rückverweise im Buch Deuteronomium, AnBibl 79, Rom 1979,

76f. 83

E. JENNI, Die hebräischen Präpositionen, Band 2: Die Präposition Kaph, Stuttgart 1994,

43. 84

Vgl. 18,9.15 mit 5,27 und 5,31. J. TROPPER, Nekromantie. Totenbefragung im Alten Orient und im Alten Testament, AOAT 223, Neukirchen-Vluyn 1989, 227-242. 86 Zum Vorgangs. 1 Sam6,2; 28,15; Jer 27,9. 87 Dlp Hifil Impf, hat iterative Bedeutung. Überdies sind die Ämtergesetze nicht an Einzelpersonen, sondern an fortdauernden Institutionen orientiert. Daß 18,15.18 auf eine kontinuierliche Begleitung Israels durch die Propheten zielt, geht auch aus deren Gegensatz zu den in V 1 Of. bleibend abgewiesenen Möglichkeiten hervor. 85

214

8. Kapitel: Zum literargeschichtlichen Ort des Prophetengesetzes

zur ihrer Amtsführung der Tora bedürfen, dient das Prophetenamt gleichsam der von Gott gewirkten Auslegung der Tora.88 Als Amt, das die Funktionsfähigkeit der anderen Ämter ermöglicht, wird allein das Prophetenamt solenn auf dem Horeb begründet. Seine Vertreter werden nicht nur von Jahwe erwählt (wie der König), sondern Jhwh „läßt sie erstehen", was jede 89 menschliche Mitwirkung unmöglich macht. [99] Die „Prophetie wie Mose" verhält sich zum Gesetz ungefähr so wie das Dtn als Predigt Moses zum Dekalog. Wie Mose steht der Prophet an Gottes Statt. Sein Wort ist Gottes Wort; denn Gott selbst legt seine Worte in des Propheten Mund und gebietet, was der Prophet reden soll, so daß er „im Namen Jhwhs redet" (18,19-20). Das impliziert ein Verständnis des Propheten als Boten. 90 Wie Mose ist allein der Prophet gottunmittelbar und deshalb der einzige legitime Künder des aktuellen Gotteswillens. Die Propheten, die Dtn 18 in den Schatten Moses stellt, haben die Tora im Kopfe und im Herzen, gleichwohl sind es Propheten. Was sie im Namen Jahwes reden, fordert Gehorsam (18,18), dessen Ausbleiben Gott ahndet. Gehorsam heischende Rede aber kann nicht schlichtweg Unheil androhen. Sie muß vielmehr Weisungen geben oder mahnen oder wenigstens konditional gemeint sein. Denn sie droht nur, um ihrer Paränese Nachdruck zu verleihen, damit nicht geschehen muß, was sie androht. Nicht Kunde vom kommenden Ende, sondern Warnung vor dem Ungehorsam oder Ruf zur Umkehr sind deren Hauptinhalt. Das erste findet sich schon beim großen Vorbild Mose in Dtn 8,19f. und noch sein letztes Wort 32,46 gilt der Vermahnung; Josua ist ihm darin gefolgt (Jos 23 91 ) wie jener prophetische Anonymus von Ri 6,7-10 92 und

88 Insofern geht RÜTERSWORDEN, Gemeinschaft (s. Anm. 63), 110, wohl zu weit, wenn er im Anschluß an N. LOHFINK (Gewaltenteilung: Die Ämtergesetze des Deuteronomiums als gewaltenteiliger Verfassungsentwurf und das katholische Kirchenrecht, in: DERS., Unsere großen Wörter, Freiburg 31985, 320f.) dem dtr Propheten legislative Funktionen zuschreibt. Dagegen spricht auch die dtr Kanonformel 13,1, zumindest auf der Ebene von 4,2. Anderseits greift OTTO ZU kurz, wenn er das Prophetengesetz im Verfassungsentwurf lediglich aus der prophetischen Aufgabe erklärt, „den Gotteswillen auch in der Königseinsetzung zu verkünden" und ansonsten das „Verhältnis zwischen Prophetenwort und Tora in der Schwebe gehalten" sieht (Gerichtsordnung [s. Anm. 65], 154). 89 Das gilt auch für die Zustimmung des Betroffenen, worauf BRAULIK, Gesetze (s. Anm. 78), 58, hinweist. 90 Vgl. 1 Sam 25,9 (Davids Leute reden „in Davids Namen") mit 1 Reg 22,16 und den Stellen in Jer, die das „Reden im Namen Jahwes" mit der Sendung verbinden (negativ: Jer 14,14f.; 23,25.32; 27,15; 29,9; positiv: 26,15f.). 91 Die Abschiedsrede Josuas gebraucht zwar nicht 113? Hifil, ist aber in der Sache eine einzige Mahnrede, die die Buch gewordene Tora in ihrer Totalität (V 6) mit Elementen der Alternativpredigt (dazu THIEL, Redaktion [s. Anm. 26], 290ff.) einschärft. 92 Hier finden sich die Topoi Prophetensendung, Erinnerung ans Hauptgebot und Feststellung des Ungehorsams.

8.3. Zum theologischen Ort von Dtn 18

215

schließlich Samuel (1 Sam 7,3-4 93 ; 8,994). Der Ruf zur Umkehr aber wird erst im Jeremiabuch laut. 95 In der dtr Darstellung der Geschichte von David bis zu Zedeqia sucht man dagegen Beispiele für die in Dtn 18 angekündigte Reihe der Propheten vergeblich. Zwar weiß man auch dort von Propheten zu berichten, doch ähneln diese eher ihren klassischen Kollegen aus dem corpus propheticum.96 Erst der jüngste Teil der Geschichtsreflexion in 2 Kön 17 deutet rückblickend die gesamte Geschichte Israels (und Judas!) in V 12-20 als eine unablässige, wenn auch erfolglose [100] Arbeit Gottes an seinem Volk durch die nicht abreißende Kette seiner Knechte, der Propheten, in der successio Mosaica. Hier sind die Propheten nichts anderes als Warner (ny) und Umkehrprediger (auf) mit dem Buch 97 der Tora in der Hand. Weil die Propheten in dieser Konzeption Moses Werk nach dessen Tod fortsetzen, verwundert es nicht, daß sich die • ' " m sowohl auf das Prophetenwort als auch auf die Gesetze beziehen können 98 und daß ms für die Übermittlung des Gotteswortes an den Propheten wie für die Gesetzespromulgation verwendet wird. 99 Gesetz und die Propheten in den Fußstapfen Moses sind endgültig die entscheidenden Größen geworden, an denen Israels Existenz hängt; und es ist das Gesetz, das dieser Prophetie ihre Autorität verleiht. Israel hat sich als Gemeinde um das von Mose im Lande Moab vermittelte Gesetz konstituiert, und Gott ist fortan gegenwärtig im Wort des „Propheten wie Mose", der als Wächter der Tora 100 dessen Auftrag übernommen hat.

93 Der dtr Einsatz präsentiert Samuel als Prediger der Umkehr (allerdings mrr wie 1 Kön 8,33f.), die am Hauptgebot festgemacht wird (vgl. Jos 24,14.23) und Bedingung für Rettung ist. Die Abschiedsrede 1 Sam 12 argumentiert in V 14f im Stile der Alternativpredigt, und in V 23 erscheint Samuel geradezu als Lehrer des guten und rechten Weges, also der Tora, die in V 24 auf das Hauptgebot konzentriert wird. 94 Der Rahmen des Königsrechts 1 Sam 8,6-22 berührt sich am engsten mit 2 Kön 17,1220: 3 in» Hif. V9; Verweigerung des Gehorsams V19; oxn V 7; 3I3J V 8 95 Jer 18,11; 25,5ff.; 26,2f.; 35,15; 36,2f.; vgl. 11,1-10. 96 Auch sie künden unbedingten Untergang, allerdings keinen totalen und lediglich auf die jeweilige Dynastie bezogen: 1 Kön 14,7-11; 16,1-4; 21,20-24; 2 Kön 9,7-10. 97 „Die ganze Tora" bezieht sich in den wenigen Belegen Jos l,7f.; 2 Kön 17,13; 21,8; 23,25 auf das dtn Gesetz, das bereits schriftlich vorliegt. In Jos l,7f. befindet sich „die ganze Tora" in „dem Buch der Tora". Das Attribut definiert sie als relativ abgeschlossene Größe mit quasikanonischer Qualität. 98 S. für das Gesetz: Dtn 1,18; 6,6; 11,18; 12,28 und für das Prophetenwort: Jer 1,9; 5,14; 11,10; 13,10; 18,2; 19,15; 23,22.30; 25,8.13; 29,19; 35,13; 39,16; 44,29. 99 Für die Prophetenbeauftragung s. 2 Sam 24,19; 1 Kön 13,9; Jer 1,7.17; 14,14; 23,32; 26,2.8; 29,23. 100 PERLITT, Mose (s. Anm. 1), 599.

9. Kapitel

Ungeborenes Leben: Wandlungen im Verständnis des Rechtssatzes Ex 21,22-25 So eindrücklich die Bibel das Leben in all seinen Facetten zwischen Geburt und Tod würdigt, so zurückhaltend ist sie mit Vermutungen über das, was jenseits dieser Grenzen liegt. Das hat gute Gründe; denn die Bibel ist keine Sammlung von Spekulationen, sondern ein Buch der Erfahrungen mit Menschen in der Welt vor Gott.

9.1. Vorstellungen von ungeborenem Leben Der Erfahrung zugänglich und deshalb auch im alten Israel selbstverständlich bekannt war der Zusammenhang von Zeugung, Schwangerschaft und Geburt: Adam erkannte (S71) Eva, seine Frau, die wurde schwanger (Hin) und gebar ("fr) (Gen 4,1); Boas ging ein (N"Q) zu Ruth, Jahwe gab ihr Schwangerschaft (ivin), und sie gebar (71?1) einen Sohn (Rt 4,13). Aufs äußerste verdichtet erscheint dieser Zusammenhang in dem Wort VIT, das den Samen von Pflanzen, (Tieren) und Menschen wie deren Früchte und Nachwuchs bezeichnen kann.1 Manche Texte lassen die Vertrautheit mit weiteren biologischen Details erkennen. So setzt 2 Sam 11,4 bei seinen Lesern die Kenntnis der zyklischen Bedingungen der Frau für eine Schwangerschaft voraus. Spätestens nach drei Monaten war eine Schwangere als solche auch von Fremden erkennbar (Gen 38,24), und Kindesbewegungen wurden zumindest von der Schwangeren wahrgenommen (Gen 25,22). Sap 7,1-2 rechnen mit zehn (Mond-)Monaten, in deren Verlauf der Mensch aus dem Samen des Mannes im Leib der Frau gebildet wird. Wie das geschieht, entzieht sich freilich direkter Beobachtung. Deshalb verbinden sich in den wenigen Texten, die eine Erklärung versuchen, empirische Beobachtungen mit Spekulationen, die jedoch durchaus lebensweltliche Grundlagen haben. In Sap 7 stellt man sich die Menschwerdung im Mutterleib als Gerinnungsprozeß im Blut vor, was im Ausbleiben der Regelblutung während der Schwanger- [44] schaft seinen empirischen Anhalt haben 1 Für die Pflanzen s. Gen 1,11.12 und Hi 39,12 (das Getreide), für die Menschen s. Lev 15,16-18 und Gen 3,15 (die Nachkommen der Menschen und der Schlange); 12,7; 13,16 usw. (Israel). Jes 1,4; 57,3 bringen p und snr parallel.

218

9. Kapitel: Ungeborenes Leben

mag.2 Hi 10,10 hat dagegen den Vorgang der Verwandlung von Milch in Käse vor Augen.3 Unfälle bei Tieren und Menschen, aber auch die grausame Praxis der Eroberer, Schwangeren den Bauch aufzuschlitzen 4 , um die Unterworfenen nachhaltig zu dezimieren, haben sicherlich eine gewisse Anschauung vom Embryo im fortgeschrittenen Stadium der Schwangerschaft vermittelt. Doch haben die Vorstellungen, die man sich in Israel vom Leben im Mutterleib vor der Geburt machte, weder in den Texten noch in der Wortbildung deutlichere Spuren hinterlassen.5 Lediglich die Geburt selbst findet in den biblischen Texten mehrfach Erwähnung, zuweilen in Verbindung mit kulturgeschichtlich wichtigen Details. 6 Was indes im Mutterleib vor der Geburt geschieht, bleibt ein Geheimnis, das allenfalls mit der Erschaffung des einzelnen Menschen durch Gott gedeutet wird. Noch der fiktive Prediger Salomo stellt in der Mitte des 3. Jh.s v. Chr. fest: Wie du den Weg des Windes nicht kennst, noch die Gebeine [= das Kind] im Leib der Schwangeren, so kennst du auch nicht das Tun Gottes, der all dies erschafft.7 Und die Mutter der sieben Brüder in 2 Makk 7 8 bekennt in V 22: Ich weiß nicht, wie ihr in meinem Leib gebildet wurdet, und nicht ich habe euch den Atem und das Leben geschenkt noch die Grundform eines jeden kunstvoll gebildet.

2

S. dazu auch Philo, De opificio mundi, 137, und Aristoteles, de gen. an. IV 6; Plinius, Nat. hist. 7, XIII 63. 3 Vgl. damit den ganz unspekulativen Lobpreis Atons als den, „der den Samen sich entwickeln läßt in den Frauen, der Wasser (!) zu Menschen macht" (Großer Amarna-Hymnus, ÄHG Nr. 92,59f.). 4 Am 1,3 von den Ammonitern; 2 Kön 8,12 von Hasael an Israel; 15,16 von Menahem an den Bewohnern von Tappuach. Hos 14,1 kündigt Samarias Vernichtung damit an, daß die Kleinkinder zerschmettert und die Schwangeren aufgeschlitzt werden. Derlei gehörte nicht nur zur altorientalischen Kriegspraxis (für Assur s. M. COGAN, JAOS 103, 1983, 755FF., für Griechenland Ilias VI 57f.). 5 An Texten kommen im wesentlichen nur Ex 21,22f.; Hi 10,8-11 und Ps 139,13-16 in Betracht. Für die Wortbildung kann allein auf Jes 13,18 („Leibesfrucht" p n n s ) und Ps 139,16 („Golem") verwiesen werden. Leitet man das Wort von der Wurzel ü1?! „zusammenwickeln, rollen" ab, was freilich keineswegs sicher ist, würde es die zusammengefaltete Gestalt des Embryos vor der Geburt beschreiben (anders G. SCHOLEM, Die Vorstellung vom Golem in ihren tellurischen und magischen Beziehungen, ErJb 22, 1954, 235-289, 238f.). Die Deutung als „das Ungeformte" stammt aus der griechischen Übersetzung der Septuaginta. 6 Beachte die Behandlung des Neugeborenen in Ez 16,4-6. 7 Koh 11,5. Der Targum hat den Vordersatz in dem Sinne verstanden, daß keiner weiß, wie der Lebensatem in das Kind kommt. 8 2 Makk 7 gehört zu den erbaulichen Zusätzen im 1. Jh. v. Chr.

9.5. Altorientalische Rechtssätze zur Körperverletzung einer Schwangeren

219

[45] Daraus schließt sie auf die Schöpfermacht Gottes, mit der sie ihre Söhne zum Martyrium ermutigt. Die wenigen Texte der Bibel, in denen das noch ungeborene Leben eine Rolle spielt, unterscheiden sich beträchtlich. Dabei gehören die Vorstellungen in Hi 10 und Ps 139 enger zusammen, insofern sie hier wie dort in einem schöpfungstheologischen Begründungszusammenhang stehen. Beide Texte begründen mit der Erschaffung des einzelnen Menschen, warum Gott dem Menschen näher ist, als er sich selbst je nahe sein kann. Beide riskieren einen Blick hinter die Geburt allein zu dem Zweck, Gottes Nähe vom äußersten Anfang an und in ihrer umfassenden Totalität anschaulich zu machen. Es gibt keine Zeit und keinen Ort des Menschen, die vor Gott verborgen wären. Diese Nähe wird beide Male als höchst ambivalent erfahren, aber völlig unterschiedlich beantwortet. In Hi 10 fuhrt sie in die Verzweiflung und zur Bitte: „Laß ab von mir, daß ich ein wenig aufatmen kann" (V 20). In Ps 139 dagegen erwächst aus ihr ein Vertrauen, das in die Bitte mündet: „Erforsche mich, Gott,... und führe mich auf ewigem Wege!" Während Hi 10 und Ps 139 hinter die Geburt zurückblicken, um Gottes umfassende Nähe zu formulieren, der keiner entrinnen kann, kommen die beiden kasuistischen Rechtssätze in Ex 21,22f. eher beiläufig auf das noch ungeborene Leben im Mutterleib zu sprechen, um den Rechtsfall noch weiter zu differenzieren. Dabei spielt allein der Tatbestand der Schwangerschaft und deren unfreiwillige, gewaltsame Beendigung eine Rolle, nicht dagegen die Vorstellungen, die man von der Entstehung des Lebens im Mutterleib hatte. In Hi 10 und Ps 139 kommt das noch ungeborene Leben in den Blick, sofern sich damit Vorstellungen und Deutungen verbinden, welche die theologischen Intentionen der Texte unterstreichen. Diese Vorstellungen haben die Funktion einer anthropologischen Hyperbel, die vom Leben des Menschen her und auf dessen Deutung hin entworfen worden ist. Eine Wertung des ungeborenen Lebens durch die antiken Autoren läßt sich daraus nicht ohne weiteres entnehmen. Anders verhält es sich dagegen mit Ex 21,22f. Hier ist das noch ungeborene Leben selbst ein Teil der Wirklichkeit, die juristisch angemessen geklärt werden soll. Dabei ist freilich zu berücksichtigen, daß weder die einzelnen kasuistischen Rechtssätze noch deren Sammlung während der Königszeit im sog. Bundesbuch Gesetzestexte waren, nach denen Richter Recht sprachen. Eher haben wir es hier mit einem Lehrbuch zur Schulung von Beamten im Rechtsentscheid zu tun. 9 Hinter dem Bundesbuch steht wie hinter den einschlägigen [46] altorientalischen Rechtskorpora die gelehrte Schultradition, aber auch die 9

S. einerseits E. OTTO, Rechtsgeschichte der Redaktionen im Kodex Esnunna und im „Bundesbuch", OBO 85, Fribourgl989, 181-183, anderseits R. ROTHENBUSCH, Die kasuistische Rechtssammlung im ,Bundesbuch' (Ex 21,2-11.18-22,16) und ihr literarischer Kontext im Licht altorientalischer Parallelen, AOAT 259, Münster 2000, 473-478.

220

9. Kapitel: Ungeborenes Leben

allgemein geübte Praxis des Gewohnheitsrechts. In den einzelnen Rechtssätzen und deren Komposition spiegeln sich die konkreten Rechtsfälle des täglichen Lebens, die sich mit der Reflexion der Rechtspraxis zu einer so unauflöslichen wie aparten Mischung verdichtet haben. Diese Herkunft und jene Funktion für die Beamtenschulung bürgen für die nötige Lebensnähe, auch wenn es sich beim Bundesbuch nicht um ein Gesetzbuch für Richter handelt.

9.2. Die Komposition des Zusammenhangs Ex 21,12-32 Die V 22-25 befinden sich in einem Zusammenhang, der - blickt man allein auf die Inhalte - verschiedene Fälle der Verletzung körperlicher Integrität bis hin zum Totschlag und heimtückischen Mord behandelt und V 12-36 zu umfassen scheint. Die einzelnen Fälle werden genauer differenziert: nach den geschädigten Personen (Freie oder Sklaven), nach der Intention der Taten (mit oder ohne Vorsatz), nach der Art der Verschuldung (unmittelbar oder mittelbar). Entsprechend unterschiedlich sind die Rechtsfolgen. Als grobe Faustregel kann man erkennen, daß Todessanktionen bei Tötung und vorsätzlicher Körperverletzung stehen, unvorsätzliche Körperverletzungen dagegen mit Ersatzleistungen abgegolten werden. Die Reihe der in V 12-36 gesammelten Fälle deckt nicht alle denkbaren Möglichkeiten ab, ist aber exemplarisch gemeint. Literarisch ist sie keineswegs aus einem Guß, obwohl der vorliegende Zusammenhang kunstvoll komponiert 10 worden ist. Als erstes fallen V 12-17 auf. Sie sind zwar in V 12-15 durch Stichwörter mit den folgenden Abschnitten verbunden, unterscheiden sich aber von ihnen formal und inhaltlich beträchtlich. Verbindendes Ferment der Fälle ist allein die scharfe Todessanktion (V 12.15.16.17), während die mit dem Tod geahndeten Vergehen recht unterschiedlicher Art sind. Was verbindet den Angriff auf die Eltern (V 15.17) mit Menschendiebstahl (V 16) und Totschlag (V 12)? Die Todessanktion in der Gestalt von V 12 fehlt indes in V 18-36 vollständig. Umgekehrt hat der dort durchweg begegnende kasuistische Stil lediglich mit den Ergänzungen V 13.14 und mit der Näherbestimmung in V 16 („... und er wird in seiner Hand gefunden") nachträglich Eingang in die Todesrechtsreihe gefunden. Die Asylbestimmungen für unvorsätzlich begangene Tötung in V 13f. lassen sich jedoch weder mit der [47] Todessanktion bei der unvorsätzlichen Tötung eines israelitischen Schuldsklaven (V 20) noch bei der fahrläs10 Zur Komposition s. Y. OSUMI, Die Kompositionsgeschichte des Bundesbuches Exodus 20,22b-23,33, OBO 105, Fribourg 1991, 108-122, zur literarischen Analyse R. OTTO, Wandel der Rechtsbegründungen in der Gesellschaftsgeschichte des antiken Israel. Eine Rechtsgeschichte des „Bundesbuches" Ex XX 22 - XXIII 13, StBib 3, Leiden 1988, 24-31, L. SCHWIENHORST-SCHÖNBERGER; Das Bundesbuch (Ex 20,22 - 23,33), BZAW 188, Berlin 1990, 79-128, und zuletzt ROTHENBUSCH, Rechtssammlung (s. Anm. 9), 273-334.

9.5. Altorientalische Rechtssätze zur Körperverletzung einer Schwangeren

221

sigen Tötung durch einen Dritten (V 29-31) harmonisieren. Das deutet flir V 18ff. auf eine von V 12-17 unabhängige Herkunft hin, so daß eine Deutung von V 18f. als Gegenfall zu V 12 weder für die Entstehung des Textes zutrifft, noch dem Gefalle der Kompositionsgeschichte Rechnung trägt. 11 Mit V 18-27 wechselt der Ton gegenüber dem vorangehenden Abschnitt. Detaillierte Schilderung der Tatbestände und differenzierte Rechtsfolgebestimmungen lösen die lapidare Feststellung der Tat im Partizipialstil und das darauf folgende eherne „... muß unbedingt getötet werden" ab. 18

19

20 21 22

23 24 25 26

27

UND WENN Männer miteinander streiten und ein Mann seinen Genossen mit einem Stein oder mit der Faust schlägt, so daß er nicht stirbt, aber bettlägrig geworden ist, FALLS er aufsteht und draußen an seinem Stock umhergeht, dann bleibt der Schläger straffrei, nur sein Daheimsitzen (= Arbeitsausfall) soll er zahlen und für die Heilung aufkommen. UND WENN ein Mann seinen Sklaven oder seine Sklavin mit dem Stock schlägt, so daß er unter seiner Hand stirbt, soll er gerächt werden. FALLS er jedoch einen oder zwei Tage (durch)steht, soll er nicht gerächt werden; denn sein Geld ist er. UND WENN Männer miteinander raufen (rm), und sie stoßen (rpj) eine schwangere Frau, so daß ihre Kinder (=Leibesfrucht) herausgehen, aber kein tödlicher Unfall (liON) geschieht, soll er mit einer Geldbuße belegt werden (ww iin:y).Wie ihm der Ehemann der Frau auferlegt, so soll er zahlen nach Einschätzung (•1V7D3). FALLS aber ein tödlicher Unfall geschieht, dann soll er zahlen (im) Leben für Leben (ÜD: nnri WD:), Auge flir Auge, Zahn für Zahn, Hand für Hand, Fuß für Fuß, Brand für Brand, Wunde für Wunde, Strieme für Strieme. UND WENN ein Mann das Auge seines Sklaven oder das Auge seiner Sklavin schlägt und es zerstört, soll er ihn als Freien entlassen für (nnn) sein Auge. FALLS er aber den Zahn seines Sklaven oder den Zahn seiner Sklavin herausschlägt, soll er ihn als Freien entlassen für seinen Zahn.

[48] Bei den vier mit „und wenn" eingeleiteten Fällen handelt es sich stets um unvorsätzlich begangene Körperverletzungen. 12 Sie verbindet weiter, daß 11

12

G e g e n OSUMI, K o m p o s i t i o n s g e s c h i c h t e (s. A n m . 10), 1 1 2 - 1 1 6 .

Die Unvorsätzlichkeit ergibt sich aus den Definitionen der Tatbestände. In V 18 erwächst die Schlägerei aus einer verbalen Auseinandersetzung (Tl), und die Verletzung wird nicht mit einer dafür eigens mitgebrachten Waffe beigebracht, sondern mit der Faust oder dem, was einem gerade unter die Hand kommt (in diesem Fall ein Stein). In V 20 erfolgt zwar die Züchtigung vorsätzlich mit einem Stock, nicht aber mit der Absicht, den Schuldknecht zu töten; denn der Verlust der Arbeitskraft kann nicht im Interesse des Besitzers liegen. Das gilt auch für V 26.27, wobei dort eher an spontane Schläge gedacht sein dürfte. In V 22 schließlich gerät die Schwangere als unbeteiligte Dritte, aus welchen Gründen auch immer, in eine Schlägerei, die ohne sie schon im Gange war.

222

9. Kapitel: Ungeborenes Leben

Freie (V 18f.22f.) und Sklaven (V 20f.26f.) als Opfer alternieren. Beide Paare sind weitgehend parallel formuliert 13 und offensichtlich als Fall und Gegenfall angelegt.14 Ex 21,18-27: unvorsätzlich begangene Körperverletzungen an einem V 18-19 V 18 V 19

Freien bei einem Streit ohne Todesfolge ohne bleibende Schäden

V 20-21 V 20 V 21

Schuldsklaven bei Züchtigung (im Affekt) mit unmittelbarer Todesfolge ohne unmittelbare Todesfolge

V 22-23 V 22 V 23

Dritten bei einem Handgemenge (durch Unfall) ohne Todesfolge und bleibende Schäden mit Todesfolge oder bleibende Schäden

V 26-27 V 26 V 27

Schuldsklaven bei Züchtigung (im Affekt) mit bleibendem Schaden mit bleibendem Schaden

Der alternierende Wechsel in der sozialen Differenzierung der Opfer stört die parallele Anlage der Paare. Er wird deshalb nicht ursprünglich sein, sondern auf die Komposition zurückgehen. Die Rechtssätze zu Körperverletzungen bei Sklaven in V 26f. sind mit „Auge" und „Zahn" deutlich auf Glieder der Talionsreihe hin entworfen worden. Die Talionsreihe aber geht über den konkreten Fall von V 22.23a hinaus. Sie stammt zweifellos aus der Tradition, ist aber mit Hilfe des situationsgemäßen ersten Gliedes in V 23b und wohl erst zusammen mit den Bestimmungen über Körperverletzungen bei Sklaven in den schon vorgegebenen Zusammenhang von V 18f.22f.* eingebracht worden. Für diese literargeschichtliche Lösung sprechen auch mehrere Indizien in V 23b. Überraschend fällt die Apodosis aus der stilge- [49]mäßen dritten Person in die Anrede. Das geschieht in der Reihe der Fälle von Körperverletzungen (V 18-32) nur hier. Talion ist als Apodosis in kasuistischen Rechtssätzen zwar nicht ausgeschlossen 15 , aber doch ungewöhnlich.16 In der Abfolge der 13

Man vgl. nur die Protaseis von V 18 mit V 22 und von V 20 mit V 26.27. OTTO, Rechtsgeschichte (s. Anm. 9), 141. 15 Vgl. Lev 24,19-20 und CH § 196f.; 200. 16 Talion hat, nach allem, was man über ihre dunklen Ursprünge noch vermuten kann, von Hause aus nichts mit Kasuistik zu tun. Sie ist vielmehr in der außergerichtlichen intergentalen Selbsthilfe beheimatet, deren Ausuferung sie einschränkt (s. dazu H.-W. JÜNGLING, „Auge für 14

9.5. Altorientalische Rechtssätze zur Körperverletzung einer Schwangeren

223

Fälle würde man eher eine Formulierung analog zu V 29 erwarten: „... soll er sterben" (ma-'). Schließlich befremden in einer Talionsreihe das erste Glied („Leben für Leben") wie auch die letzten drei („[Wund]Brand, Beule, Wunde"), weil Talion Körperverletzungen mit bleibender Unbrauchbarkeit von Gliedern ahndet, nicht aber Tötungsdelikte, die intergental mit Blutrache sanktioniert sind, oder heilende Verletzungen. Es spricht also viel dafür, daß das erste Glied überhaupt erst zur Einbindung der Talionsreihe in den Kontext gebildet wurde17, und daß diese zusammen mit V 23b die ursprüngliche Apodosis verdrängt haben. Ihr kommt deshalb große Bedeutung für das Verständnis der Sammlung zu, das die Komposition intendiert. Da die Talionsreihe die Bestimmungen zu Körperverletzungen bei Sklaven in V 26f. abdeckt, die wiederum mit der Eingliederung von V 20-21 in die Rechtssatzsammlung in Verbindung stehen, kommt man mit einer zweistufigen Entstehung 18 des Abschnitts aus: Der Kern besteht in Bestimmungen für unvorsätzlich begangene Körperverletzungen an Freien, zunächst an einem Mann, sofern er nicht stirbt und keine bleibenden Schäden davonträgt (V 18-19), sodann an einer Schwangeren, sofern sie lediglich eine Fehlgeburt hat oder dabei stirbt (V 2223). Im ersten Fall ist das Opfer ein unmittelbar an der Tat Beteiligter („wenn Männer miteinander streiten und ein Mann den anderen schlägt..."), im Fall der schwangeren Frau jedoch eine nur mittelbar davon betroffene dritte Person („wenn Männer miteinander raufen, und sie stoßen eine Frau, die schwanger ist..."). Dieser Kern wurde durch V 23b um die Talionsreihe (V 24-25) und die Bestimmungen für Körperverletzungen an Sklaven erweitert (V 20-21.2627). [50] Die V 28-36 ordnen sich zunächst dem Thema Körperverletzungen ein. Es handelt sich wie in V 18-27 um unvorsätzlich begangene Taten, jedoch geht es hier anders als zuvor um mittelbar von Dritten begangene Körperverletzungen. Das wird am Beispiel eines stößigen Ochsens durchgespielt. Damit haben die V 33-34 nichts zu tun. Sie gehören wie 21,37; 22,1-14 zu einer Reihe von Haftungsfallen des Sachenrechts. Hierher gestellt wurden sie nur deshalb, weil es wie im Vorangehenden um einen Ochsen in Verbindung Auge, Zahn für Zahn". Bemerkungen zu Sinn und Geltung der alttestamentlichen Talionsformeln, ThPh 59, 1984, 1-38, und E. OTTO, Zur Geschichte des [sie!] Talions im Alten Orient und Israel, in: Ernten, was man sät, FS K. Koch, Neukirchen-Vluyn 1991, 101-130, gegen F. CRÜSEMANN, „Auge um Auge ..." (Ex 21,24f). Zum sozialgeschichtlichen Sinn des Talionsgesetzes im Bundesbuch, EvTh 47, 1987, 411-426. 17 Dtn 19,21 ist kein Gegenbeweis, weil von Ex 21,23 abhängig. 18 So im Kern schon OTTO, Wandel (s. Anm. 10), 28f., der freilich die Talionsreihe und V 23 anders beurteilt (dazu s. u.); ähnlich SCHWIENHORST-SCHÖNBERGER, Bundesbuch (s. Anm. 10), 61-63, und jüngst auch ROTHENBUSCH, Rechtssammlung (s. Anm. 9), 300. Daß V 25 nicht zur vorgegebenen Talionsreihe gehört, ergibt sich aus den Tatbeständen, die heilende Verletzungen betreffen. Ob V 25 eine jüngere Ergänzung, etwa im Blick auf Gen 4,23f. darstellt, wie SCHWIENHORST-SCHÖNBERGER vermutet, kann hier auf sich beruhen.

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9. Kapitel: Ungeborenes Leben

mit einem Haftungsfall geht, der mit einer Entschädigung gelöst wird. Allerdings ist hier von keinem stößigen Ochsen, sondern von Ochs und Esel die Rede, die überdies selber zu Schaden kommen, statt ihn zu verursachen. Auch die Formulierung der Ersatzleistung verbindet nicht mit V 22.32, sondern lenkt über V 36 zu den Haftungsfällen in 21,37 - 22,14. Mit V 35-36 scheint dagegen eine ältere Fortsetzung der Sammlung von Rechtssätzen zum stößigen Ochsen vorzuliegen. Der Schein trügt; denn V 36 setzt bereits die Erweiterung durch V 33-34 voraus, wie die Formulierung der Ersatzleistung mit rhu? („erstatten, ersetzen") und die Wiederaufnahme der Schlußbestimmung aus V 34b in V 36b zeigen. Während V 36 die Kennzeichnung des Ochsens als „stößig" (~3J) und weitere Details aus V 29 aufnimmt, bedient sich V 35 gerade nicht des Verbs nu, das für den Fall V 28f. charakteristisch ist, sondern greift das Verb („stoßen") aus V 22 auf. Die V 35-36 sind also ganz aus Materialien des Kontextes gearbeitet 19 und erweisen sich damit als Scharnier der Komposition. Es wurde allein zu dem Zweck gebildet, die vorliegende kleine Sammlung von Rechtssätzen zum stößigen Ochsen (V 28-32) mit den Fällen von Körperverletzung in V 18-27 und den Haftungsfallen in 21,33f.37-22,14 zu verbinden. Sie stehen schon ganz im Dienst der Verknüpfung einzelner Sammlungen zum Bundesbuch. Als älterer Kern kommen allein die V 28-32 in Betracht. Sie sind wahrscheinlich unabhängig von V 18-27 entstanden, wie die Differenzen in den Bestimmungen der Rechtsfolgen für Körperverletzungen bei Unfreien zeigen. Während V 20 den Herrn, der seinen eigenen Sklaven unbeabsichtigt im Affekt zu Tode prügelt, mit der Blutrache 20 bedroht, sieht V 32 für den Fall fahrlässiger Tötung Unfreier in fremdem Besitz nur eine Entschädigungszahlung an deren Herrn vor. Deshalb wird es sich bei dem Unfreien in V 20 um einen in Schuldknechtschaft geratenen Volksangehörigen, in V 32 dagegen um gekaufte Fremde handeln. 21 Da die paritätische Erwähnung der Geschlechter nur in V 28-32 in allen Fällen (Mann oder Frau, Sohn oder Tochter, Sklave oder Sklavin), in V 18-27 dagegen nur bei der Behandlung der [51] Unfreien ausgeführt ist, wird man die Erweiterung der Fälle von Körperverletzung in V 18f.22f. um die Bestimmungen für Unfreie und um die damit verbundene Talionsreihe auf die Verknüpfung beider Abschnitte (V 18-27 und V 28-32) zu einer Reihe von Körperverletzungen zurückführen dürfen. Aus alledem ergibt sich ein relativ einfaches Bild der Entstehung von Ex 21,12-32. Zugrunde liegen mit V 12.15-17, mit V 18f.22.23a*, mit V 28-32 und mit der Talionsreihe V 24(.25) unabhängig voneinander entstandene Reihen und Sammlungen. Davon werden zuerst die Fälle von Körperverletzungen miteinander verbunden und dabei um V 20f.23b-25.26-27 erweitert. Sodann 19 20 21

S. nur V 22.29.34.37. Der Samaritanus verändert allerdings in eine gerichtliche' Todesstrafe. So m. R. ROTHENBUSCH, Rechtssammlung (s. Anm. 9), 323f.

9.5. Altorientalische Rechtssätze zur Körperverletzung einer Schwangeren

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verzahnen V 35-36 die Rechtssätze zur Körperverletzung mit den Haftungsfällen in 21,33-34.37; 22,1-14*. Schließlich gliedern die Asylbestimmungen V 13-14 die gänzlich anders geartete und anderwärts beheimatete Reihe todeswürdiger Vergehen (V 12.15.16*.17) den Fällen von Körperverletzung an und stellen mit ihrer Stilisierung als Gottesrede alle folgenden Rechtssätze unter Gottes unüberbietbare Autorität.22 Mag auch die Traditionsgeschichte der verarbeiteten Materialien in Einzelfallen wie bei der Talion noch in die vorstaatliche Zeit zurückreichen, die kurz skizzierte Literargeschichte, die in mehreren Schüben zur Komposition der hier behandelten Stücke führte, fand durchweg in der Königszeit statt.

9.3. Analyse der Rechtssätze in Ex 21,22f. Beide Rechtssätze verhalten sich zueinander wie Fall und Gegenfall. 23 Der erste Teil der Definition des Tatbestandes wird in V 23 nicht noch einmal wiederholt, weil er für beide Fälle gilt: Eine unbeteiligte Schwangere gerät in eine Rauferei 24 von Männern, wobei sie gestoßen wird und ihr(e) Kind(er) verliert. Diese Definition zielt darauf, daß der Stoß gegen die Schwangere absichtslos, also unvorsätzlich geführt wurde. Es handelt sich nicht um einen gezielten Angriff auf die Frau, sondern um einen Unfall. Mit Bedacht ist von „stoßen" (1X1), nicht von „schlagen" (roi) die Rede. 25 Beide Fälle unter- [52] scheiden sich aber gravierend darin, daß allein der zweite mit einem schweren Schaden oder gar tödlich (pox) endet. Entsprechend unterscheiden sich die Rechtsfolgen. In der Sache steht V 22 nahe bei V 18f. Neu ist nur die Einfuhrung einer dritten, unbeteiligten Person, deren Schwangerschaft den Rechtsfall weiter kompliziert. Das erleichtert das Verständnis nicht gerade. 26

22 Für eine gottesrechtliche Redaktion des Bundesbuches, wie sie SCHWIENHORSTSCHÖNBERGER, Bundesbuch (s. Anm. 10), 234f., zu etablieren versucht hat, spricht wenig. 23 A. ALT, Die Ursprünge des israelitischen Rechts (1934), in: DERS., Kleine Schriften I, München 4 1968, 278-332, 228, SCHWIENHORST-SCHÖNBERGER, Bundesbuch (s. Anm. 10), 89, u. a. 24 Dabei mag es zwischen den Männern um Leben und Tod gehen (2 Sam 14,6 run), so daß die herbeigeeilte Ehefrau in ihrer Not zu außergewöhnlichen Maßnahmen greifen muß wie in Dtn 25,1 lf. 25 So m. R. schon B. S. JACKSON, The Problem of Exodus 21:22-5 (Ius Talionis), in: DERS., Essays in Jewish and Comparative Legal History, StJLA 10, Leiden 1975, 75-107, 90, gegen D. DAUBE, Lex Talionis, in: DERS., Studies in Biblical Law, London 1969, 102-153, 118, und Sh. M. PAUL, Studies in the Book of the Covenant in the Light of Cuneiform and Biblical Law, Suppl. VT 18, Leiden 1970, 67. 26 Vgl. zu den folgenden Ausfuhrungen die minutiöse Behandlung durch JACKSON, Problem (s. Anm. 25), und SCHWIENHORST-SCHÖNBERGER, Bundesbuch (s. Anm. 10), 79-128.

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9. Kapitel: Ungeborenes Leben

Zunächst fällt der Numeruswechsel auf. Die Bestimmung der Rechtsfolgen in V 22b sind im Unterschied zum Tatbestand singularisch formuliert. Außerdem wird als Schuldiger nicht einer der beiden Raufbolde 27 genannt, sondern der Schädiger mit der dritten Person Singular umschrieben. 28 Beide Sachverhalte bedürften keiner Erklärung, wenn in der Definition des Tatbestandes nur von einem Täter die Rede wäre. Zu einer Rauferei aber gehören wenigstens zwei Schläger. Insofern paßt die Formulierung der Rechtsfolge nicht ganz zum Tatbestand, zumal die Identifikation dessen, auf den der entscheidende, die Fehlgeburt auslösende Stoß zurückgeht, im praktischen Fall erhebliche Beweisprobleme aufwerfen dürfte. Der Tatbestand kann seinerseits eine gewisse Verwandtschaft mit V 18 nicht verleugnen. Ein Blick auf die altorientalischen Seitenstücke 29 zu Körperverletzungen bei Schwangeren legt eine überlieferungsgeschichtliche Lösung nahe. Die Analogien behandeln den Fall nie als Unfall einer dritten Person, sondern fuhren die Frau stets als unmittelbares Opfer nur eines Schlägers ein. Eine genauere Festlegung des Schädigers erübrigt sich damit. Man kann deshalb vermuten, daß der Singular in Ex 21,22b noch aus der Vorgeschichte der in V 22 verarbeiteten Tradition stammt, während die Protasis bei der literarischen Verbindung mit V 18f. umgebildet und daran angeglichen worden ist, um die Unvorsätzlichkeit zu betonen und um mit V 23 einen Gegenfall zur Körperverletzung ohne Todesfolge in V 18f. zu schaffen. Vor große Schwierigkeiten stellt die Bestimmung der Art der Körperverletzung in V 22f. Der Stoß hat zur Folge, daß die Schwangere ihr(e) Kind(er) verliert. Dabei wird unterschieden, ob ein Schaden geschehen ist oder nicht. Handelt es sich um eine (gegebenenfalls schon lebensfähige?) Frühgeburt oder um eine Fehlgeburt (gar von Mehrlingen)? Bezieht sich der Schaden auf die Leibesfrucht oder auf die Frau? Für eine durch den Stoß verursachte vorzeitige, aber sonst normale Geburt könnte die Formulierung sprechen, die [53] bei Geburten auch anderwärts üblich ist.30 Jedoch schließt die in V 22b auferlegte Zahlung diese Deutung m. E. zwingend aus. Bezieht man die Feststellung, daß kein Schaden eingetreten ist, auf eine Frühgeburt, bleibt völlig unverständlich, wofür die Zahlung zu leisten ist.31 Eine unserem 27

Vgl. V 19: nDOn („der Schläger").

28

JACKSON, P r o b l e m (s. A n m . 25), 89f.

29

Dazu s. u. Abschnitt 9.5. Vgl. mit Gen 25,25f.; 38,28; Jer 1,5; 20,18; Hi 1,21 usw. Von einer Frühgeburt wird in 1 Sam 4,19ff. erzählt. Außerdem steht für „eine Fehlgeburt haben bzw. veranlassen" mit bsw ein eigener Begriff zur Verfügung. Für Frühgeburt hat schon C. F. KEIL, Genesis und Exodus, BC, Gießen 31878, 525, plädiert. 31 Vor allem gegen JACKSON, Problem (s. Anm. 25), 94-99, der die Schadensnotiz beide Male auf den Fötus bezieht und V 22 auf eine Frühgeburt, V 23 auf eine Fehlgeburt deutet, aber auch gegen H. W. HOUSE, Miscarriage or Premature Birth: Additional Thoughts on Exodus 21:22-25, WThJ41, 1978, 108-123, 123, u. a. 30

9.5. Altorientalische Rechtssätze zur Körperverletzung einer Schwangeren

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Schmerzensgeld vergleichbare Entschädigung war in Israel unbekannt. Wo man derartiges erwartet, wie in V 18f., fehlt derlei gerade. Der bettlägerig Geschlagene wird nicht für seine Schmerzen, sondern allein für den ihm entgangenen Arbeitslohn entschädigt und bekommt lediglich die Arztkosten erstattet. Gilt die Feststellung fehlenden Schadens dagegen der Frau, besteht erst recht kein Grund, von einer Schädigung bei der vorzeitigen Geburt auszugehen, weil derartiges bei der Definition des Tatbestandes in einer Reihe von Körperverletzungen nicht hätte fehlen dürfen. Man kann die Details des Falles drehen, wie man will, die auferlegte Zahlung läßt nur die Deutung auf eine Fehlgeburt zu.32 Unter dieser Beleuchtung bekommt auch die eigentümlich pluralische Formulierung „ihre Kinder gehen heraus" einen präzisen Sinn. Der Plural bezeichnet hier weder Mehrlinge, noch eine Fehlgeburt mit anschließender Kinderlosigkeit, 33 sondern die „Zusammensetzung aus verschiedenen äußeren Bestandteilen" bzw. die Unbestimmtheit dessen, was das in den Plural gesetzte Wort meint 34 , also etwas „Kindartiges", die noch nicht lebensfähige Leibesfrucht, die wir Fötus nennen.35 [54] Handelt es sich in V 22 um eine Fehlgeburt, kann sich die Feststellung, daß kein Schaden geschehen sei, nur auf die Mutter beziehen. 36 Das läßt sich durch weitere Überlegungen erhärten. Da V 23 als Gegenfall zu V 22 konzipiert ist, muß das Schadenskriterium hier wie dort denselben Bezug haben.37 Die Talionsreihe schließt jedoch einen Bezug auf 32 Schon K. BUDDE hat das deutlich gespürt, auch wenn seine Konjektur in V 22b („... für die Fehlgeburt" •,17,s:n) nicht erweisbar ist (Bemerkungen zum Bundesbuch, ZAW 11, 1891, 99-114, 107f.). Mit einer Fehlgeburt rechnen die Versionen und antiken Autoren wie LXX und Philo, aber auch die meisten neueren Ausleger wie R. WESTBROOK, Lex Talionis und Exodus 21,22-25, RB 93, 1983, 52-69; E. OTTO, Körperverletzungen in den Keilschriftrechten und im Alten Testament. Studien zum Rechtstransfer im Alten Orient, AOAT 226, Neukirchen-Vluyn 1991, 119-137; SCHWIENHORST-SCHÖNBERGER, Bundesbuch (s. Anm. 10), 94-98; zuletzt ROTHENBUSCH, Rechtssammlung (s. Anm. 9), 288. 33 Das erste nimmt F. CRÜSEMANN, Die Tora. Theologie und Sozialgeschichte des alttestamentlichen Gesetzes, Neukirchen-Vluyn 1992, 189f., das zweite A. SCHENKER, Drei Mosaiksteinchen, in: M. Vervenne (Hg.), Studies in the Book of Exodus, Leuven 1996, 374-378, an. 34 So Ges.-K. § 124a/o; JOÜON/MURAOKA § 136j; s. auch die Diskussion bei SCHWIENHORST-SCHÖNBERGER, Bundesbuch (s. Anm. 10), 96ff. („Kindszeug"). 35 Dagegen ist die Formulierung mit xs1 kein Einwand, wie deren Verwendung bei einer Totgeburt in Num 12,12 zeigt. Zum Verständnis des Plurals als Fehlgeburt eines Fötus s. auch die jüdische Tradition: Targum Onkelos, Neophyti I, Pseudo Jonathan, Philo und Josephus. 36 So schon H. HOLZINGER, Exodus, KHC/AT II, Tübingen 1900, 85, und seither viele: PAUL, Studies (s. Anm. 25), 70-73; S. E. LÖEWENSTAMM, Exodus XXI 22-25, VT 27, 1977, 352-360; J. M. SPRINKLE, The Interpretation of Exodus 21:22-25 (Lex Talionis) and Abortion, WThJ 55, 1993, 248-251; und fast die gesamte jüdische Tradition. 37 Das spricht auch gegen die Emendation in 31? und den Bezug auf ein Kind bei N. L. COLLINS, Notes on the Text of Exodus XXI 22, VT 43, 1993, 289-301, 294 (verbunden mit weiteren nicht überzeugenden Lösungen).

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9. Kapitel: Ungeborenes Leben

Frühgeburten aus, da Neugeborene keine Zähne haben.38 Es geht also auch in V 23 nur um einen Schaden an der Mutter. Der Bezug auf die Mutter wird von den altorientalischen Seitenstücken insofern gestützt, als dort von einer Frühgeburt ohnehin nie die Rede ist und der Fall einer Fehlgeburt stets nur in Verbindung mit dem Geschick der Mutter behandelt wird. 39 Fraglich ist nur die Art des Schadens bei der Mutter; denn die wenigen Belege für das Wort fiON sind vieldeutig. Dabei kann die von D. Daube aus den Belegen in der Josephsgeschichte gewonnene und von R. Westbrook auf Ex 21,22f. angewandte terminologische Einengung auf einen Schaden, den allein ein unbekannter oder nicht ermittelbarer Täter verursacht habe, durch Schwienhorst-Schönberger als widerlegt gelten.40 Zwar ließe sich Gen 42,4 für sich betrachtet - auf einen nicht tödlichen Unglücksfall deuten, doch rechnen die Kontexte von 42,38 und 44,29 mit dem Tod Josephs. Der Bedeutungshorizont des Wortes "pON ist offenbar weiter und umfaßt schwere Körperschäden, unter Umständen mit tödlichem Ausgang. Gleichwohl gibt es gute Gründe, in Ex 21,22f. von der Bedeutung „tödlicher Schaden" auszugehen.41 Dafür spricht nicht nur die mit dem ersten Glied in V 23b („Leben für Leben") vorgenommene Einbindung der Talionsreihe, sondern auch der Befund in den altorientalischen Parallelen. Sie unterscheiden beim Tatbestand Fehlgeburt mit und ohne Tod der Mutter. [55] Damit dürften beide Tatbestände einigermaßen geklärt sein: Ein unvorsätzlicher Stoß gegen eine Schwangere löst eine Fehlgeburt aus, die im ersten Fall für die Frau ohne schwere Folgen bleibt, im zweiten aber zu deren Tod führt. Als Rechtsfolge des ersten Falles sieht V 22b lediglich eine Entschädigungszahlung vor. 42 Da bis auf die Fehlgeburt kein Schaden entstanden ist, erfolgt die Schadensregulierung außergerichtlich, indem der geschädigte Ehemann der gestoßenen Frau die Höhe der Zahlung festsetzt. 43 Der Sinn der letzten Wendung in V 22b bleibt unsicher, weil wir leider nicht genau wissen,

38

So schon B. JACOB, Das Buch Exodus, Stuttgart 1997, 667.

39

S o m . R . CRÜSEMANN, A u g e (s. A n m . 16), 4 1 4 .

40

Vgl. die umfängliche Diskussion bei JACKSON, Problem (s. Anm. 25), 76-78, und SCHWIENHORST-SCHÖNBERGER, Bundesbuch (s. Anm. 10), 89-93. 41

LOEWENSTAMM, E x o d u s X X I (s. A n m . 36), 3 5 6 ; OTTO, W a n d e l (s. A n m . 10), 8 7 A n m .

106. Daß das Wort die Unvorsätzlichkeit der Tat ausdrücke, vermag ich (gegen OTTO, Körperverletzungen [s. Anm. 32], 124) nicht zu erkennen. 42 Aus den in Dtn 22,19; 2 Kön 23,33; 2 Chr 36,3 genannten Summen geht hervor, daß BOT eine Geldzahlung meint; vgl. auch 1 Kön 10,15 (cj.) für eine Art Handelssteuer. 43 Gegen das von OTTO, Körperverletzungen (s. Anm. 32), 129, in Anspruch genommene Ortsgericht als regulierende Instanz spricht nicht nur, daß der Geschädigte die Entschädigung festsetzt, sondern auch das Fehlen juristischer Organe, die sich auch nicht aus der passivischen Formulierung mit t r a positiv bestimmen lassen.

9.5. Altorientalische Rechtssätze zur Körperverletzung einer Schwangeren

229

was D ' V J S bedeutet. 44 Entweder schaltet sie nicht-richterliche Autoritätspersonen ein, oder sie hebt - was wahrscheinlicher ist - hervor, daß sich die Höhe der Entschädigung „nach Einschätzung" der Fehlgeburt und ihrer konkreten Umstände bemißt. 45 Dabei ist in erster Linie wohl an den Entwicklungsstand der Leibesfrucht und an das Stadium der Schwangerschaft gedacht.46 Hiermit könnte zusammenhängen, daß es der Ehemann der Schwangeren ist, der die Höhe der Entschädigung festsetzt. In jedem Fall sichert die Wendung den Schuldigen vor möglicher Willkür des geschädigten Ehemannes. Ganz anders verfährt V 23b im Falle fahrlässig verursachter Fehlgeburt mit Todesfolge der Mutter. Wie in der Analyse gezeigt, dürfte V 23b eine V 29 vergleichbare Todessanktion in dritter Person ersetzt haben. Dann wäre auch der Fall unvorsätzlicher Tötung eines Menschen ursprünglich im Sinne der Erfolgshaftung mit dem Tod bedroht worden. Gilt das aber nicht auch für die jetzt vorliegende Rechtsfolge in V 23b, sei es als direkte Todesstrafe am Täter47, sei es als stellvertretende Talion durch Tötung der Frau des Täters 48 ? [56] Oder zielt V 23 lediglich auf eine Entschädigungsleistung?49 Eine Klärung hängt von der Antwort auf drei Fragen ab. Wer wird mit dem „ du " angeredet? Der Täter, einer der Raufbolde von V 22, kann schwerlich gemeint sein, gleichgültig ob man von direkter oder von stellvertretender Talion ausgeht; denn wer wird sich schon selber sein Auge ausreißen oder seine Hand abhacken? Ein Bezug auf den Täter 50 gibt nur dann Sinn, wenn man V 23b-25 auf Entschädigungszahlung deutet. Eine Anrede des Täters wäre indes völlig unmotiviert, weil von ihm im Kontext stets nur in dritter Person gesprochen wird. Da liegt es hier zweifellos näher, Richter zu 44 Die zuweilen angenommene Bedeutung „richten, entscheiden" für die Wurzel V?D läßt sich nicht erhärten (E. GERTSENBERGER, Art. in: ThWAT VI, 613). OTTO, Körperverletzungen (s. Anm. 32), 120f., leitet das Nomen von akkadisch palilum „Wächter" ab. 45 Die erste Möglichkeit vertritt ROTHENBUSCH, Rechtssammlung (s. Anm. 9), 277, die zweite (mit Hinweis auf LXX und Dtn 32,31) E. A. SPEISER, The Stem pll in Hebrew, JBL 82,

1963,301-306. 46 Vgl. die unterschiedliche Bewertung der Entschädigung für eine Fehlgeburt im 5. oder im 10. Monat in den hethitischen Gesetzen § 17-18 (dazu s. u. Abschnitt 9.5.). Zu dieser Deutung s. auch PAUL, Studies (s. Anm. 25), 72. 47 So mit vielen zuletzt CRÜSEMANN, Auge (s. Anm. 16), 415, und OTTO, Wandel (s. Anm. 18), 25f. mit Anm. 106. 48 So C. HOUTMAN, Das Bundesbuch. Ein Kommentar, DMOA 24, Leiden 1997, 163.165f. Allerdings hat stellvertretende Talion sonst im Alten Orient keine strafverstärkende Funktion, sondern wird als mildere Sanktion gewertet, so daß der von HOUTMAN unterstellte Schutz der gestoßenen Frau gerade nicht unterstützt wird. 49 Das vertritt seit je die jüdische Auslegung. S. bes. JACOB, Exodus (s. Anm. 38) , 671f., und mit eingehender Diskussion SCHWIENHORST-SCHÖNBERGER, Bundesbuch (s. Anm. 10), lOlff. 50 So zuletzt wieder HOUTMAN, Bundesbuch (s. Anm. 48), 156.

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9. Kapitel: Ungeborenes

Leben

bemühen, doch ist von ihnen im Bundesbuch expressis verbis nie die Rede. 51 Nun begegnet anredende zweite Person Singular in den kasuistischen Stücken des Bundesbuches nicht nur hier. In 21,13.14 sind die Täter als Adressaten ausgeschlossen. Offensichtlich gilt die Anrede dort den Lesern der Rechtssammlung. Nichts spricht dagegen, das auch für 21,23b anzunehmen. 52 Was meint „geben" (in:)? Das Verb bezieht sich in den Rechtsfolgebestimmungen der Fälle von Körperverletzung stets auf die Zahlung einer Entschädigung, sei es mit (V 32), sei es ohne Angabe der Summe (V 19.22.[30]). Eine Entschädigungszahlung wird immer dann auferlegt, wenn ein Ersatz nicht möglich ist: die entgangene Arbeit und ihr Lohn, die nicht ausgetragene Leibesfrucht, das Leben eines Sklaven - und eben auch das Leben der Schwangeren. Wie dagegen ein Ersatz formuliert wird, zeigt V 36: Der Bauer muß das von seinem unbeaufsichtigten stößigen Ochsen zu Tode gebrachte Stück Vieh des Nachbarn durch ein entsprechendes Tier aus der eigenen Herde ersetzen ("iiM/n rinn "ilii7 o1?^1 n1?^).53 Die Formulierung hat in der akkadischen Wendung x kima x + Verb rabu („ersetzen") oder nadanum („geben") eine sachliche Entsprechung. 54 Sie begegnet bei Ersatzleistungen und hebt Gleichheit hervor. Für die Talionsreihe im Hebräischen ist jedoch das Verb „geben" (in:) nicht typisch. Es begegnet weder in Dtn 19,21 noch in Lev 24,17-21 und fehlt ebenso in den talionischen Sätzen 1 Kön 20,39.42; 2 Kön 10,24, ist allerdings in Ex 21 fest mit Entschädigungszahlungen verbunden.55 [57] Welche Folgen hat das für die Funktion der Talionsreihe in Ex 21? Die Herkunft der Talion und deren ursprüngliche Funktion verlieren sich im Dunkel der Vorgeschichte. Die wenigen Belege repräsentieren schon ein „Stadium der Kritik" 56 und schränken sie mehr oder weniger radikal ein. Daß talionische Körperstrafen jemals vollzogen wurden, ist aus Mangel an Zeugnissen weder für das AT 57 noch für den Alten Orient erweisbar. Entstanden ist die Talion wahrscheinlich als Begrenzung einer schrankenlosen Selbsthilfe bei

51

Gegen CRÜSEMANN, Tora (s. Anm. 33), 172. Zu V 22b s. o. So auch ROTHENBUSCH, Rechtssammlung (s. Anm. 9), 294. 53 Vgl. V 37: Bei Viehdiebstahl gilt mehrfacher Ersatz. 54 S. die instruktiven Belege bei JÜNGLING, Auge (s. Anm. 16), 17-19. 55 Für die Bedeutung „(be)zahlen" s. 2 Kön 18,14f. Mit dem Kontext in Ex 21 argumentiert schon R. Schimon im Talmud (bSanh 79a.b) für Entschädigung; in diesem Sinne auch fast die gesamte jüdische Tradition (s. nur JACOB, Exodus [s. Anm. 38], z. St.). 56 OTTO, Geschichte (s. Anm. 16), 128. Zur Talion überhaupt vgl. JÜNGLING, Auge (s. Anm. 16), und CRÜSEMANN, Auge (s. Anm. 16), letzter allerdings mit fragwürdigen sozialgeschichtlichen Deutungen. 57 Das Angebot Rubens in Gen 42,37, Jakob möge Rubens beide Söhne töten, wenn der Benjamin nicht wieder aus Ägypten zurückbringt, kann die Beweislast nicht tragen; denn es ist gerade nicht als Talion formuliert, auch handelt sich eher um eine der auch sonst weit verbreiteten Spiegelstrafen. 52

9. 5. Altorientalische Rechtssätze zur Körperverletzung einer Schwangeren

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Körperverletzungen, wie sie am brutalsten Lamech in Gen 4,23 formuliert. Dem Gegner für den Verlust des eigenen Auges nicht beide zu nehmen, sondern nur eines, mag dem Rechtsfrieden gedient haben. Stärker noch wird die abschreckende Wirkung der Talion gewesen sein. Keiner riskiert leichtfertig seine eigenen Knochen. Von diesen mutmaßlichen Wurzeln ist Ex 21,23-25 weit entfernt. Hier wie auch in Dtn 19,21 und Lev 24,17-21 ist die Talionsreihe syntaktisch nur locker in die Kontexte eingebunden. Für sich genommen wirkt sie als Ellipse. Das macht sie vieldeutig. Nur in Lev 24 sorgen die Rahmensätze für Eindeutigkeit: „ ... wie er getan hat, soll ihm getan werden" (Lev 24,19.20b). Der genaue Sinn der Reihe ergibt sich nicht aus ihrer elliptisch überlieferten Gestalt, sondern erst aus deren kontextueller Einbindung. Die wird in Ex 21,23b vom Verb „geben" (jru) gesteuert und damit im Kontext auf Entschädigungszahlung festgelegt: ... wenn aber ein tödlicher Unfall geschehen ist, sollst du bezahlen (den Wert eines) Leben(s) als Entgelt für (das zerstörte) Leben. Unabhängig von der Bedeutung des Verbs können V 24-25 im Kontext von 21,18-32 ohnehin keine Talion im buchstäblichen Sinne meinen, weil Körperverletzungen bei Freien hier stets mit Geldzahlungen (V 19.22), bei Unfreien mit Freilassung (V 26f.) entschädigt werden: compositio statt talio\ Dann aber ist bei der völlig gleichen Struktur der Formulierung eine Sinnverschiebung von V 23b (Todessanktion) zu V 24-25 (Entschädigungszahlung) unerweisbar. Weil die Formel „x für (rinn) x" in V 24f. Entschädigimg bedeuten muß, kann sie auch in V 23b nichts anderes als compositio meinen. 58 Daß hier keine festen Summen für die Entschädigung der einzelnen [58] Glieder genannt werden, stellt diese Deutung nicht in Frage; denn derartige Festlegungen fehlen im Bundesbuch in allen Rechtssätzen, die Körperverletzungen mit oder ohne Todesfolge bei freien Bürgern regeln. Man kann auch nicht einwenden, der Wert eines Menschen sei unmöglich zu bestimmen. Die differenzierte Preisliste zur Wertbestimmung von unfreien Menschen unterschiedlichen Geschlechts und Alters in Lev 27 spricht deutlich dagegen. Kann man diese Schätzwerte von Unfreien auch nicht einfach auf Freie und von ihrem konkreten Zweck dort, der Ablösung von Gelübden im Kultus, auf den Bereich des Rechts übertragen, so erklärt die Differenzierung nach Geschlecht und Lebensalter, warum feste Summen in Ex 21,23-25 fehlen. 59 58 Daran scheitert m. E. die unterschiedliche Deutung der Talion in V 23b auf Todessanktion, in V 24-25 aber auf Entschädigungszahlung durch OTTO, Geschichte (s. Anm. 16). Auf diese verschiedenen Deutungen bei gleicher Struktur der Figur lenkt den Leser kein einziges Signal im Text! Das hat Folgen für die weitreichenden rechtsgeschichtlichen Modellvorstellungen, die OTTO damit verbindet. 59 Anders liegen die Dinge in altorientalischen Rechtsfolgebestimmungen bei Körperverletzungen, die ausdrücklich fixe Summen nennen (vgl. z. B. den Bußgeldkatalog in Codex Eschnunna §§ 42-47).

232

9. Kapitel: Ungeborenes Leben

9.4. Rechtsgeschichtliche Würdigung von Ex 21,22-25 Sollte diese, schon immer in der jüdischen Auslegung vertretene Deutung von V 23b-25 auf Entschädigung das Rechte treffen, werden wir hier eines bedeutsamen rechtsgeschichtlichen Wandels ansichtig. Die durch V 23b dem Zusammenhang adaptierte Talionsreihe ersetzt die mit guten Gründen vermutete ursprüngliche Todessanktion. Mit der allein auf ««vorsätzliche Körperverletzungen, u. U. auch mit Todesfolge, beschränkten Entschädigungszahlung tritt das Prinzip der Verschuldenshaftung an die Stelle der (rechtsgeschichtlich älteren) Erfolgshaftung und grenzt die Todessanktion auf Fälle von Totschlag wie in V 20 ein. Sie schützt - wenn sie schon für Schuldknechte gilt - erst recht Freie! Warum ist in V 20 keine Entschädigungszahlung möglich, wie sie in V 23 gilt? Die Fälle unterscheiden sich nicht hinsichtlich der Unvorsätzlichkeit. Denn V 20 handelt von Züchtigung, und die erfolgt nie mit der Absicht, den zu Züchtigenden totzuschlagen, sondern ihn zu einem anderen Verhalten zu bewegen. Warum sollte einer seinen Schuldner oder einen Sklaven, den er teuer gekauft hat, vorsätzlich umbringen - „er ist doch sein Geld", stellt V 21 lapidar fest. Zugleich ergibt sich aus V 21a das unterscheidende Kriterium. Es ist der lückenlose und einfache Kausalzusammenhang, der den Täter mit dem Tod des Opfers unmittelbar verbindet. Der ist in V 21a dadurch unterbrochen, daß der Mißhandelte wenigstens noch einen Tag gelebt hat. Er ist auch in V 23 nicht gegeben, weil dort nicht der Fall einer im Verlaufe einer Schlägerei gestoßenen Frau behandelt wird, die darüber hinaus noch [59] eine Fehlgeburt erleidet, sondern umgekehrt der Fall einer gewaltsam, aber unwillentlich herbeigeführten Fehlgeburt, bei der dann auch noch die Frau stirbt. Modernes Rechtsempfinden mag darin keinen Unterschied erkennen, und auch juristisch kommt es heute allein auf den lückenlosen kausalen Zusammenhang an, der viele Glieder haben kann, der aber auf jeden Fall Täter und Opfer verbinden muß, um überhaupt das Ergebnis einer Tat einem Täter zuordnen zu können. Das hat offenbar die im Bundesbuch versammelte Rechtsgelehrsamkeit des 1. Jahrtausend v. Chr. anders gesehen. Zwar sind in Ex 21,23 der Stoß und die Fehlgeburt als unmittelbar verbunden vorgestellt, der Tod der Frau erfolgt aber nicht durch den Stoß, sondern durch die Fehlgeburt, obwohl ja keineswegs jede Fehlgeburt zum Tode der Schwangeren zu fuhren pflegt. Dem aus V 20f. entwickelten Kriterium für eine mögliche Ablösung der Todessanktion - Unvorsätzlichkeit und Fehlen einer einfachen kausalen Verknüpfung - entspricht auch V 30. Zwar wußte der Besitzer des stößigen Ochsens von dessen Gefährlichkeit und hätte ihn deshalb besser beaufsichtigen sollen. Insofern handelte er fahrlässig. Aber es war der Ochse, der das Opfer

9.5. Altorientalische Rechtssätze zur Körperverletzung einer Schwangeren

233

zu Tode gebracht hat, nicht sein Besitzer.60 Dem wird dadurch Rechnung getragen, daß V 30 die Möglichkeit einer finanziellen Auslösung des an sich verwirkten Lebens (V 29) ausdrücklich einräumt. Hier tritt Verschuldenshaftung neben Erfolgshaftung. Obwohl das Fehlen einer einfachen unmittelbaren kausalen Verbindung von Täter und Tod des Opfers die Fälle in V 21.23.29-31.32 verbindet, unterscheiden sich die Modalitäten der Entschädigungszahlung beträchtlich. Da es sich in V 21 um die eigenen Schuldner des Schlägers handelt, hat der mit dem Tod seiner Schuldner zugleich sein Kapital verloren und damit bereits Entschädigung geleistet. In V 32 handelt es sich dagegen um den Sklaven eines fremden Herrn, der deshalb mit der Kaufsumme entschädigt wird.61 Anders liegen die Dinge dagegen im Fall des fahrlässigen Bauern, dessen Ochsen einen Freien zu Tode bringt. Ganz auf der Linie der Erfolgshaftung wird in V 29 zunächst festgestellt, daß der Besitzer des Ochsen sein Leben verwirkt hat. Zugleich eröffnet V 30 die Möglichkeit einer Auslösung seines bereits dem Tode verfallenen Lebens durch die Zahlung eines 1DD genannten Lösegeldes. Aber dieses Lösegeld ist keine Entschädigung oder Kompensation für den vom Ochsen zu Tode gestoßenen fremden Menschen, sondern Ersatz für das eigene (!) Leben (UPS: ins). Sachlich nicht weit davon entfernt liegt die Rechtsfolgebestimmung in V 23. Sie ist allerdings völlig anders formuliert. Das hängt mit der unterschied[60]lichen Vorgeschichte und wohl auch mit der besonderen Funktion der Talionsreihe (V 23b-25) für den Kontext zusammen. Die Talionsreihe wirkt jetzt im Kontext wie eine Generalregel, um die herum Beispiele für die Fälle gelegt sind, welche die Talion außer Kraft setzen.62 Die überlegt komponierte Zusammenstellung der beiden Rechtssatzreihen deutet die für den Kontext gebildete und der aus der Tradition aufgenommenen Talionsreihe angepaßte elliptische Formel „Leben an Stelle von / als Entgelt für Leben" so, daß sie jetzt als komprimierte Abreviatur zweier Vorgänge erscheint. Der unabsichtliche Verarsacher der Fehlgeburt hat sein Leben verwirkt, weil die Frau an der Fehlgeburt starb. In dieser Hinsicht ist V 29 zu vergleichen. Weil aber die Frau nicht an dem Stoß, sondern an der Fehlgeburt gestorben ist, wird ihm die Möglichkeit eingeräumt, sein eigenes Leben mit Geld auszulösen und das an Stelle des eigenen Lebens als Entgelt für das Leben der verstorbenen Frau zu geben. Die Bezahlung ist in V 23b also beides: Auslösung für das verwirkte eigene und zugleich Entschädigung für das zerstörte fremde Leben. In dieser Hinsicht ergänzen sich V 23 und V 30 gegenseitig und müssen miteinander 60 Deshalb wird auch der Ochse wie ein Täter behandelt, indem man ihn durch Steinigung rituell tötet. 61 Legt man die Liste von Lev 27 zugrunde, sind 30 Scheqel ein durchschnittlicher Preis. 62 So m. R. schon OTTO, Körperverletzungen (s. Anm. 32), 134-137, und zuletzt

ROTHENBUSCH, R e c h t s s a m m l u n g (s. A n m . 9), 2 9 4 - 2 9 6 .

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9. Kapitel: Ungeborenes Leben

ausgelegt werden: V 30 ist nur an der Auslösung des dem Tode verfallenen Lebens orientiert, V 23 akzentuiert dagegen die Zahlung der Kompensation für das gewaltsam beendete fremde Leben. Von alledem unterscheidet sich die Rechtsfolgebestimmung in V 22 tiefgreifend. Sie berührt sich eher mit V 32b.63 Für den Verlust der Leibesfrucht wird nur die Zahlung einer Entschädigung bestimmt. Ihre Höhe bemißt sich vielleicht am Stadium der Entwicklung des Fötus, bzw. Embryos. Festgesetzt wird sie vom geschädigten Ehemann. Offensichtlich gilt das Leben der Leibesfrucht vor der Geburt nicht als vollwertiges Leben, so daß der Verursacher einer Fehlgeburt nicht als Totschläger behandelt wird, der sein Leben verwirkt hat. Ein Löse- oder Sühnegeld (~ISD) für das eigene Leben ist deshalb nicht erforderlich. Das noch ungeborene Leben wird vielmehr wie der Sklave in V 32 als ein Gut behandelt, für dessen gewaltsamen Verlust der dafür Verantwortliche lediglich eine Entschädigung leisten muß. Den grundsätzlichen anthropologischen Unterschied zwischen Leben vor der Geburt und einem Menschenleben markiert schon die Definition des Tatbestands in V 22. Die gewaltsame Beendigung vorgeburtlichen Lebens wird nicht als eigenständiger Tatbestand gewürdigt, sondern kann nur als Körperverletzung der Mutter behandelt werden. Dem entspricht auch der Umgang mit der Fehlgeburt in den wenigen Texten, die darauf zu sprechen kommen. Dem alten Israel waren die Unterschiede zwischen praenatalem (Num 12,12) [61] und perinatalem (Hi 3,11) Tod wohl bewußt. Während man ein bei oder unmittelbar nach der Geburt verstorbenes Neugeborenes ordentlich bestattet, wie die Vergleiche mit Königen und Ratsherren in ihren Grüften in Hi 3,11-15 lehren, wird eine Fehlgeburt behandelt, „als hätte sie nie gelebt" 64 , und deshalb nur „verscharrt" (Hi 3,1665).

63

Vgl. die Stichwörter in: und Va bzw. ins; der Wechsel des Lexems erklärt sich aus dem Unterschied zwischen Ehefrau und Sklave. 64 Vgl. Koh 6,4 von der Fehlgeburt: „In Nichtigkeit kam sie, und im Dunkel geht sie dahin, und im Dunkel bleibt ihr Name verborgen." 65 In diesem Sinne wird das Verb p a auch in Ex 2,12 gebraucht. Vielleicht gehört auch Jes 14,19 in diesen Zusammenhang: Der Weltherrscher wird als ein „verachteter Zweig", als Tot- oder Fehlgeburt behandelt und hingeworfen ohne Grab!

9.5. Altorientalische Rechtssätze zur Körperverletzung einer Schwangeren

235

9.5. Altorientalische Rechtssätze zur Körperverletzung einer Schwangeren66 UM55-21-71

(Roth, 26f.; TUATI,

25f.)

Der Text gehört zu einem Fragment aus dem frühen 2. Jt., das aus Nippur stammt. Die zuweilen vorgenommene Zuordnung zu den Gesetzen des Königs Lipit-Eschtar von Isin ist ganz unsicher. 67 Deshalb lassen sich aus der Abfolge und Anordnung kaum Schlüsse ziehen. Auf dem Fragment befinden sich drei Fälle von Fehlgeburt. Voraus gehen Fälle von Rindermiete und Erbschaft. Wefnn e]in [...] die Tochter je[mandes] schläg[t] und sie (dadurch) eine Fehlgeburt [hat], wird er Vi Mine [Silber bezahlen]. Wenn sie [da]bei stirbt, wird besagter Mann ge[tötet]. Wenn ein [...] die Sk[la]vin jemandes schlägt (und) sie (dadurch) eine Fehlgeburt hat, wird er 5 Scheqel Sil[ber bezahlen].68 Die drei Rechtssätze haben offenbar nur vorsätzlich herbeigeführte Fehlgeburt im Blick, unterscheiden aber zwischen bloßer Fehlgeburt und solcher mit Todesfolge der Schwangeren, sowie bei der Schwangeren zwischen einer Freien und einer Sklavin. Dabei wird die bloße Fehlgeburt mit einer Entschädigungszahlung abgegolten, deren Höhe sich am Status der Schwangeren bemißt. 69 Der durch die Fehlgeburt bewirkte Tod der Schwangeren wird [62] jedoch mit der Todessanktion geahndet. Darin entspricht dem Fall hier die rekonstruierte ältere Fassung von Ex 21,22.23*, die gleichfalls allein an einer Erfolgshaftung orientiert war. YOS 128 (Roth, 42-45) Es handelt sich um einen Text, der um 1800 v. Chr., wohl von einem Schüler geschrieben worden ist. Erhalten sind zehn Rechtssätze mit einem Kolophon. Sie behandeln nach der Körperverletzung einer Schwangeren mit Fehlgeburt den Verlust eines gemieteten Schiffes, die Auflösung des Adoptivverhältnisses, Vergewaltigung einer Jungfrau und Tierhütung (oder Tiermiete). Wenn (...) die Tochter eines Bürgers unabsichtlich stößt, die Leibesfrucht tötet, wird er 10 Schekel Silber darwägen.

66

Die Texte sind mit Übersetzungen gut zugänglich bei M. T. ROTH, Law Collections from Mesopotamia and Asia Minor, WAW 6, Atlanta 1995, und in deutscher Sprache in: TUAT I (allerdings ohne YOS I 28). Zur Interpretation s. OTTO, Körperverletzungen (s. Anm. 32), ROTHENBUSCH, Rechtssammlung (s. Anm. 9), 302-319, und zuletzt R. HAASE, De fetu abito sive Ne se immisceat mulier praegnans rixae inter viros, ZAR 7, 2001, 384-391. 67 Manche halten das Fragment für den Übungstext eines Schreibers. 68 Übersetzung von H. LUTZMANN, in: TUAT I, 25f. 69 Die Entschädigung von Vi Mine entspricht derjenigen, die beim widerrechtlichen Fällen eines Obstbaumes in fremdem Garten zu entrichten wäre (CL § 10)!

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9. Kapitel: Ungeborenes Leben

Wenn (...) die Tochter eines Bürgers (absichtlich) schlägt, die Leibesfrucht tötet, wird er 1/3 Mine Silber darwägen.70 Thema beider als Fall und Gegenfall formulierter Sätze ist allein die Herbeiführung der Fehlgeburt bei einer Freien ohne Todesfolge. Beide unterscheiden aber in der Art der Tätlichkeit scharf zwischen „stoßen, anrempeln" (zag anus), was eher zufällig geschieht, und „schlagen" (ba-an-sig), was zielgerichtet erfolgt. Offensichtlich geht es um die Differenz zwischen unabsichtlicher und absichtsvoller Tat. Entsprechend unterscheiden sich die Rechtsfolgen. Das unabsichtliche Herbeifuhren einer Fehlgeburt wird lediglich mit einer Entschädigung von 10 Scheqeln geahndet und damit als ein Fall des Sachenrechts behandelt.71 Hat der Täter jedoch die Schwangere zielgerichtet angegriffen und dadurch die Fehlgeburt verursacht, muß er das Doppelte (1/3 Mine = 20 Scheqel), also „über den Schadensausgleich hinaus eine Sanktion" bezahlen. 72 An die Stelle der Erfolgshaftung in UM 55-21-71 tritt hier in YOS I 28 wie dann auch in Ex 21,22-25 die Verschuldenshaftung. CH§ 209-214 (Roth, 122-123; TUATI, 69) Im sogenannten Codex Hammurapi aus dem 18. Jh. v. Chr., der umfangreichsten mesopotamischen Sammlung von Rechtssätzen, erscheint die gewaltsame Verursachung einer Fehlgeburt erstmals im Zusammenhang der Fälle von Körperverletzung. Auf die Fälle absichtlicher Körperverletzung (§ 195-205: mit Talion sanktioniert und gerahmt durch das Stichwort „schlagen") folgen die ohne Absicht, „bei einer Rauferei" begangenen (§ 206- [63] 208).73 Daran schließen sich die Körperverletzungen bei Schwangeren an (§ 209-214). Die Anordnung der Fälle im Wechsel von vorsätzlich und unvorsätzlich begangenen Taten und das Fehlen des assertorischen Eides, der in § 207 eigens wiederholt wird, ordnen die Verursachung einer Fehlgeburt unter die absichtlichen Körperverletzungen ein.74 § 209 Wenn ein Bürger eine Tochter eines Bürgers schlägt und bei ihr eine Fehlgeburt verursacht, so soll er zehn Scheqel Silber für ihre Leibesfrucht zahlen. § 210 Wenn diese Frau stirbt, so soll man ihm eine Tochter töten. § 211 Wenn er bei einer Tochter eines Palasthörigen durch Schlagen eine Fehlgeburt verursacht, so soll er fünf Scheqel Silber zahlen. 70

Übersetzung von OTTO, Körperverletzungen (s. Anm. 32), 26. Vgl. damit die Ersatzleistung beim Verlust eines Schiffes in § 3. 72 So die Deutung des duplum durch OTTO, Körperverletzungen (s. Anm. 32), 28. 73 Die Unabsichtlichkeit der Tat muß vom Täter eigens durch Eid festgestellt werden. 74 Die Anlage der Komposition spricht m. E. gegen ein Verständnis der §§ 209-214 als Unterfälle von § 206, das HAASE, de fetu (s. Anm. 66), 387, vertritt. Dann aber ist die Komposition der Rechtssätze zur Körperverletzung offensichtlich doch am Prinzip der Verschuldenshaftung orientiert, was OTTO, Körperverletzungen (s. Anm. 32), 55, bestreitet. 71

9.5. Altorientalische

Rechtssätze zur Körperverletzung

einer

Schwangeren

237

§ 212 Wenn diese Frau stirbt, so soll er eine halbe Mine Silber zahlen. § 213 Wenn er eine Sklavin eines Bürgers schlägt und bei ihr eine Fehlgeburt verursacht, so soll er zwei Scheqel Silber zahlen. § 214 Wenn diese Sklavin stirbt, so soll er ein drittel Mine Silber zahlen.75 Die Abfolge der Rechtssätze folgt der Unterscheidung nach dem sozialen Stand der Schwangeren (Tochter eines freien Bürgers 76 , eines Palasthörigen [.muskenum], Sklavin eines Freien) und darin jeweils nach der Tat (bloße Fehlgeburt oder Fehlgeburt mit Todesfolge für die Frau). Dabei wird allein die Fehlgeburt ausdrücklich auf das Schlagen zurückgeführt, während man den Tod der Mutter offenbar nur als Folge der Fehlgeburt betrachtet. Die Verursachung bloßer Fehlgeburt wird stets nur mit einer Zahlung „für ihre Leibesfrucht" entschädigt. Deren Höhe bemißt sich nach dem sozialen Stand der Frau. Nur im Todesfall der Freien soll jedoch spiegelnde Talion an die Stelle von Entschädigung treten, über deren praktische Durchführung indes nichts bekannt ist. MAG § 21; 50-53 (Roth, 160, 173f; TUATI, 83, 91) Die auf 13, teilweise nur fragmentarisch erhaltenen Tontafeln aus der Zeit Tiglat-Pilesers I. um 1100 v. Chr. in Ninive auf uns gekommenen mittelassyrischen Gesetze behandeln die Verursachung einer Fehlgeburt auf Tafel A, auf der in der Hauptsache nur Rechtsverhältnisse freier Bürger geordnet werden, so daß eine Regelung für Sklavinnen fehlt. Die Anordnung der [64] Rechtssätze erfolgt weniger nach verwandten Vergehen, als nach verwandten Rechtsfolgen, was den Ort des in Sache und Form zu § 50-53 gehörenden § 21 erklären kann. 77 An beiden Orten steht die Verursachung einer Fehlgeburt nicht im Zusammenhang mit anderen Körperverletzungen, sondern mit Sexualdelikten (§ 12-124) bzw. mit Fällen des Familienrechts (§ 45-48) und Vergewaltigung (§ 55-56). Der § 21 regelt den Fall der Fehlgeburt einer unverheirateten 78 Frau ohne Todesfolge für die Schwangere: Wenn ein Bürger die Tochter eines (anderen) Bürgers schlägt und bei ihr eine Fehlgeburt verursacht, man es ihm beweist und ihn überführt, so soll er dreißig Minen [= 9000 Scheqel!] Zinn geben, man soll ihm fünfzig Stockschläge versetzen, und er soll einen vollen Monat für den König Fronarbeit leisten.79 75

Ü b e r s e t z u n g v o n BORGER, in: T U A T I , 69.

76

Die Formulierung bezeichnet eine soziale, keine familienrechtliche Bestimmung (gegen

WESTBROOK, S t u d i e s [s. A n m . 3 2 ] , 6 1 - 6 3 ) . 77 So OTTO, Körperverletzungen (s. Anm. 32), 93f., der auf die Verbindung der Rechtsfolgen zu § 18-19 (privatrechtliche Entschädigung) hinweist. 78 Das geht aus der Formulierung „Tochter eines Bürgers" (§ 21) im Unterschied zur „Gattin eines Bürgers" in § 9-16 und 50f. hervor.

238

9. Kapitel: Ungeborenes

Leben

Aus der Notwendigkeit, Beweise beizubringen und den Schläger zu überführen, kann man auf absichtlich herbeigeführte Fehlgeburt oder Abtreibung schließen.80 Auf jeden Fall geht die Strafe weit über eine privatrechtliche Entschädigung hinaus und umfaßt auch öffentliche Züchtigung und Zwangsarbeit. Als Gegenfall bringt § 50 die gewaltsam verursachte Fehlgeburt bei einer verheirateten Frau: [Wenn ein Bürger die Gattin] eines (anderen) Bürgers schlägt [und bei ihr eine Fehlgeburt] verursacht, [... die Gattin] des Bürgers [...] wie er ihr [getan h]at, t[ut man ihm].81 [Für] ihre Leibesfrucht soll er das Leben ersetzen. Wenn aber diese Frau stirbt, soll man den Bürger töten. Für ihre Leibesfrucht soll er das Leben ersetzen. Und wenn der Gatte dieser Frau keinen Sohn hat, man seine Gattin schlägt und sie ihre Leibesfrucht verliert, so soll man für ihre Leibesfrucht den Schläger töten. Wenn ihre Leibesfrucht ein Mädchen ist, soll er das Leben ersetzen.82 Da eine genaue Beweissicherung nicht vorgeschrieben ist, kann man hier wohl nicht von einer Abtreibung ausgehen. Gewaltsam herbeigeführte Fehl- [65] geburt bei einer Ehefrau wird wie bei der Unverheirateten mit als Spiegelstrafe formulierter öffentlicher Züchtigung, aber ohne Zwangsarbeit, und mit Entschädigungszahlung für die Leibesfrucht geahndet: „Anstelle ihrer Leibesfrucht wird er das Leben voll ersetzen." Nicht anders wird der Fall bei einer Prostituierten behandelt (§ 52). In allen drei Fällen gilt überdies die Körperstrafe ausdrücklich der Gewaltanwendung gegen die Schwangere. Sollte die jedoch (an den Folgen der Fehlgeburt?) sterben, tritt neben die Entschädigungszahlung Todessanktion. Die folgenden Rechtssätze (§ 50-53) differenzieren den Tatbestand weiter, was zu veränderten Rechtsfolgen fuhrt. Ist noch kein Erbsohn vorhanden (§ 50,74-79), droht dem Schläger der Tod „für ihre Leibesfrucht", ist der Embryo aber ein Mädchen, tritt lediglich Entschädigungszahlung ein.83 Eine mindere Geldstrafe trifft den Schläger, wenn es sich bei der Frau um eine handelt, die „(ihre Kinder) nicht großzieht" (§ 51), was an der Lebensfähigkeit des Kindes oder an der Konstitution der Frau liegen kann.84 Die härteste Strafe hat die Frau zu gewärtigen, die selbst eine Abtreibung vornimmt (§ 53). Sie wird - selbst wenn sie bei der Abtreibung stirbt - gepfählt und als Tote öffentlich zur Schau gestellt. Außerdem versagt man ihr 79

Übersetzung von BORGER, in: TU AT I, 83. Dafür spricht auch § 53, der bei der Abtreibung durch die Schwangere selbst gleichfalls die Überfuhrung der Frau durch Beweise fordert. 81 Die Übersetzung dieses Satzes ist hier mit OTTO gegenüber TU AT insoweit geändert, als die Strafe wohl doch auf den Täter zu beziehen ist, wie aus § 52 hervorgeht. Zur Diskussion s. OTTO, Körperverletzungen (s. Anm. 32), 83. 82 Übersetzung von BORGER in: TUATI, 91. 80

9.5. Altorientalische Rechtssätze zur Körperverletzung einer Schwangeren

239

eine rituelle Bestattung. Schlimmeres kann einem Menschen in der Antike schwerlich geschehen. HG § 17-18 (Roth, 219f.; TU ATI, 100) Die hethitischen Rechtssätze gehen bis ins 16. Jh. v. Chr. zurück. Die am vollständigsten erhaltene Handschrift stammt aus dem 14. Jh., eine jüngere Parallelversion aus dem ausgehenden 13. Jh. Die Fälle gewaltsam verursachter Fehlgeburt stehen hier wie im CH unmittelbar nach den Fällen von (fahrlässiger85) Körperverletzung (§ 7-16). § 17 B Wenn jemand einer freien Frau die Leibesfrucht abstößt, gibt er, wenn (es) der 10. Monat (ist), 10 Scheqel Silber. Wenn (es) der 5. Monat (ist), gibt er 5 Scheqel 86 Silber, und er späht in sein Haus. 87 [66] § 18 B Wenn jemand einer Sklavin die Leibesfrucht abstößt, gibt er, wenn (es) der 10 Monat (ist), 5 Scheqel Silber. 88

Beide Sätze haben nur die Fehlgeburt ohne Todesfolge der Mutter im Blick und heben die Unabsichtlichkeit der Tat hervor, indem sie die Tat mit „(die Leibesfrucht) verlieren lassen, abstoßen" und nicht mit „(die Frau) schlagen" formulieren89, was noch einmal das „Stoßen" (H^) in Ex 21,22 im Unterschied zum zielgerichteten „Schlagen" (rD3) erhellt. Damit ist hier durchaus das Verschuldensprinzip angelegt, obwohl die Rechtsfolgen im Sinne der Erfolgshaftung geregelt werden. Ganz den Gepflogenheiten altorientalischen Rechts entspricht als Rechtsfolge eine Entschädigungszahlung, die sich in der Höhe bei einer Freien von der bei einer Sklavin unterscheidet. 90 Neu aber ist die Differenzierung im Alter der Fehlgeburt, womit gleichfalls Ex 21,22b/?jedenfalls in der oben vorgeschlagenen Deutung - verglichen werden kann. Dabei geht es hier wie dort wohl um die Unterscheidung zwischen einem schon lebensfähigen Kind (10. Monat) und einem keinesfalls lebensfähigen Embryo. Hier in § 17f. wird m. W. erstmals ausdrücklich und rechtlich relevant innerhalb des vor-geburtlichen Lebens differenziert, was sich in der Höhe 83

Die öffentliche Züchtigung ist aus 50,67f. aber wohl hinzuzudenken. Sie wird hier nicht noch einmal genannt, weil es hier nur auf den Unterschied der Geschlechter ankommt. Der Verlust des potentiellen Erbsohns wiegt schwerer als der eines Mädchens. 84 Die vergleichsweise geringe Entschädigung deutet auf die zweite Möglichkeit. Zum Problem s. G. RIES, Art. Körperverletzung, in: RLA 6, 1983, 178. 85 Ausgedrückt durch die Wendung „wenn seine Hand [im Gegensatz zum Kopf] sündigt". Bei vorsätzlichen Taten heißt es dagegen „in Aufregung, im Streit" (z. B. § 1-2, bes. § 7-8). 86 Übersetzung korrigiert nach ROTH, 219. 87 Diese abschließende Wendung intendiert Inspektion zum Zwecke der Pfändung. 88 Übersetzung von E. von SCHULER, in: TUATI, 100. 89 HAASE, de fetu (s. Anm. 66), 389, mit Hinweis auf das vorsätzliche Schlagen einer trächtigen Kuh in § 77. 90 Die Entschädigung ist bei beiden in der jüngeren Parallelfassung verdoppelt.

240

9. Kapitel: Ungeborenes Leben

der Entschädigung niederschlägt. Allerdings hat man diese Unterscheidung in der jüngeren Parallelversion wieder aufgegeben. Blicken wir auf die altorientalischen Parallelen zurück, dann fällt auf, daß dort - anders als in Ex 21 - die Fälle von gewaltsam herbeigeführter Fehlgeburt stets als einfache Zweierkonstellation beschrieben sind, daß dadurch auch vorsätzliche Abtreibung erfaßt wird und daß sich die Formulierungen (wie „Leibesfrucht" usw.) eindeutig auf eine Fehlgeburt beziehen. Während die Verursachung einer Fehlgeburt im Alten Orient eher im Zusammenhang des Familienrechts behandelt wird, erscheint sie in Ex 21 unter den Körperverletzungen. Noch auffälliger aber ist, wie fest Ex 21,22f. in der geistigen Welt des Alten Orients verwurzelt ist. Stets wird die noch ungeborene Leibesfrucht als Teil der Mutter, nicht als eigenständiges Wesen gesehen. Nie erscheint das gewaltsame Herbeifuhren einer Fehlgeburt als Tötungsdelikt. Stets wird es durch eine Entschädigungszahlung abgegolten, nie mit einer Todessanktion belegt.91 Aus alledem geht hervor, daß das noch nicht geborene Menschenwesen hier wie dort nicht als Mensch bewertet wird.

9.6. Übersetzung als Interpretation: Die Septuagintafassung von Ex 21,22-23 [67] Obwohl Ex 21,22-25 gegenüber den altorientalischen Seitenstücken durchaus eigene Akzente setzen und das Prinzip der Erfolgshaftung vollständig durch das der Verschuldenshaftung ablösen, die der Intentionalität der Tat in den Rechtsfolgen Rechnung trägt, bleiben beide Fälle ganz in die Welt altorientalischer Rechtsgelehrsamkeit eingebettet. Das ändert sich in der griechischen Übersetzung der Septuaginta (= LXX), die in ihren ältesten Teilen, zu denen die Tora gehört, noch auf das 3. vorchristliche Jahrhundert zurückgeht. 22

Wenn aber zwei Männer (miteinander) kämpfen und (einer) schlägt (dabei) eine schwangere Frau und ihr Kindlein (7uaiöiov92) geht ab als nicht ausgebildetes

(¡rq

e^eiKOviafisvoyj,

wird er mit einer Geldstrafe bestraft: Wie der Mann der Frau (ihm) auferlegt, wird er gemäß der Forderung geben.

91 Die einzige Ausnahme (MAG § 50: Todessanktion für das Verursachen einer Fehlgeburt, wenn noch kein Erbsohn vorhanden ist) erklärt sich aus dem vitalen Interesse am Erben. 92 Cod. 130 der Hexapla des Origenes hat hier EjjßpDov an Stelle von rcaiSiov.

9.5. Altorientalische Rechtssätze zur Körperverletzung einer Schwangeren

23

241

Wenn es aber (schon) ausgebildet war (e: fö)". Lev 19,12 verbietet ausdrücklich: „Ihr sollt nicht bei meinem Namen falsch schwören" ("iptt>V "nra lyntiTi tö). Daraus hat die jüdische Tradition seit Philo und Josephus die Deutung des Verbots im Dekalog auf den Meineid gewonnen. 109 Sie hat dabei sowohl an den Meineid zum Schaden anderer als auch an denjenigen gedacht, der sich durch einen Meineid seiner Pflicht oder der verdienten Strafe entzieht. Zu denken ist an Fälle, in denen ein Beschuldigter nicht auf Grund von [49] Beweisen überfuhrt werden kann. 110 Der Beschuldigte hat dann die Möglichkeit, sich mit einem Reinigungseid vom Verdacht zu befreien. 111 Falscheide konnten bei strittigen Besitzansprüchen (vgl. Lev 5) und Halsverbrechen außerordentlich verhängnisvolle Folgen haben. Hinter Sach 5,4 steht der in nachexilischer Zeit wohl nicht seltene Fall, daß Grundbesitzer die Beweisnot der zurückkehrenden Eigentümer schamlos ausnutzen und diese um Haus und Hof bringen, indem sie derartige Falscheide schwören.112 Die Deutung des Dekaloggebotes auf einen promissorischen Eid ist zwar vom Text her nicht stricte zu beweisen, hat aber durch einen ägyptischen Text Unterstützung erfahren, auf den T. Veijola aufmerksam macht: 106

Instruktiv ist ein Vergleich von MT und LXX in Lev 24,16. Die Septuaginta übersetzt „den Namen Jahwe lästern" (np:) mit „den Namen des Herrn nennen" (bvo|XCt^etv)! 107 Auf jedweden Mißbrauch des Gottesnamens beziehen: J. J. STAMM, Der Dekalog im Lichte der neueren Forschung, Bern 21962, 38f.; H. GESE, Der Dekalog als Ganzheit betrachtet, ZThK 64, 1967, 121-138 = DERS., Vom Sinai zum Zion, München 1974, 75f.; HOSSFELD, Dekalog (s. Anm. 47), 243-247; CRÜSEMANN, Bewahrung (s. Anm. 56), 51 f. 108 Auf Meineid beziehen das Verbot A. JEPSEN, Beiträge zur Auslegung und Geschichte des Dekalogs, in: DERS., Der Herr ist Gott, Berlin 1978, 85; G. V RAD, Theologie I (s. Anm. 52), 197, und viele andere, auf Zauberei dagegen: S. MOWINCKEL, Psalmenstudien I, Oslo 1921, 52; M. NOTH, Das zweite Buch Mose: Exodus, ATD 5, Göttingen 71984, 131; E. NIELSEN, Die Zehn Gebote, Kopenhagen 1965, 80; A. PHILLIPS, Ancient Israel's Criminal Law. A New Approach to the Decalogue, Oxford 1970, 54. Gegen diese Einengungen auf bestimmte Vergehen in den Dekalog-Fassungen spricht jedoch, daß diese konkreten Sachverhalte in den Analogien auch ausdrücklich genannt werden (s. u.), die Dekalog-Fassungen dagegen derlei gerade vermeiden. 109 Philo, De Decalogo § 84ff.; De specialibus legibus II § 2-38; Josephus, Ant. III 5,5. Zu weiteren Deutungen im Judentum und zur Unterscheidung zwischen Falscheid und Nichtigkeitseid s. MEINHOLD, Stimmen (s. Anm. 105). 110 B. LANG, Das Verbot des Meineids im Dekalog, ThQ 161, 1981, 97-105. 111 Zur Situation s. Ex 22,7-11. 112 Vgl. Sach 8,16f.

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10. Kapitel: Luthers Auslegung des Dekalogs in seinen Katechismen

(Neferabet) sagt: Ich bin der Mann, der falsch geschworen hat bei Ptah, dem Herrn der Maat.Er hat mich Finsternis sehen lassen am Tage. Ich werde seine Machterweise künden dem, der ihn nicht kennt, und dem, der ihn kennt, Kleinen und Großen: Hütet euch vor Ptah, dem Herrn der Maat; denn er läßt von niemand einen Frevel (ungestraft). Fürchtet euch, den Namen des Ptah zu Unrecht auszusprechen; denn wer ihn zu Unrecht ausspricht, der kommt zuschanden! 113

Es handelt sich um einen Votiv-Text. Er ist insofern sehr erhellend, als er „falsch schwören" mit „den Namen Ptahs zu Unrecht aussprechen" auslegt. Darüber hinaus verbindet er die Mahnung mit einer Strafandrohung. Inzwischen hat H. B. Huffmon weitere Belege für die Verwendung des Gottesnamens beim Eid, auch aus Mesopotamien, beigebracht und die Formulierung „den Namen Jahwes erheben" auf den Schwurgestus der Handerhebung bezogen.114 Sollte das Verbot ursprünglich tatsächlich den skizzierten juridischen Hintergrund haben, dann ist es erst in der Fassung im Dekalog verallgemeinert und durch deren Position dort im Sinne der ersten Deutung [50] verstanden worden. Die Vieldeutigkeit des Wortes Sl® und dessen Übertragung als ladxoaoic;, vanus (Ex 20,7), bzw. frustra (Dtn 5,11a) in den alten Übersetzungen erklärt, wie es schon in der kirchlichen Tradition vor Luther zu jenem Zug ins Generelle kommen konnte. Die positive Entfaltung im Katechismus ist schon durch das „Heiligen meines Namens" in Jes 29,23, vor allem aber im Vaterunser (Mt 6,9) und in Did 10,2 vorbereitet.115

Das III Gebot Du sollst den Feiertag heiligen. Was ist das? Wir sollen Gott fürchten und lieben, daß wir die Predigt und sein Wort nicht verachten,sondern dasselbe heilig halten, gerne hören und lernen.

113

T. VEIJOLA, Das dritte Gebot (Namenverbot) im Lichte einer ägyptischen Parallele, ZAW 103, 1991, 1-17 = DERS., Moses Erben, BWANT 149 Stuttgart, 48-60; Übersetzung nach J.ASSMANN, Ägyptische Hymnen und Gebete, Zürich 1975, Nr. 150 B 5-14. 114 The Fundamental Code Illustrated: The Third Commandment, in: Pomegranates and Golden Beils, FS Jacob Milgrom, Winona Lake/ Ind. 1995, 363-371. Vgl. auch die Hinweise auf die Hof- und Haremserlasse assyrischer Könige bei ELSSNER, Namensmißbrauchs-Verbot (s. A n m . 105), 1 5 5 - 1 7 0 . 115

Nicht vergessen sei das Qaddisch: „ Groß und geheiligt werde sein großer Name..." (A. LEHNHARDT, Qaddish. Untersuchungen zur Entstehung und Rezeption eines rabbinischen Gebetes, TSAJ 87, Tübingen 2002, Textsynopse auf S. 307).

10.4. Der Dekalog im Alten Testament und seine Disposition

273

Luther verkürzt das Sabbatgebot radikal auf einen Satz und ersetzt den jüdischen Sabbat durch „Feiertag". 116 Außerdem füllt er schon im Gebotstext die privative Bestimmung des siebten Tages („du sollst aufhören mit deiner Arbeit") positiv, indem er von allen Bestimmungen des Dekalogs allein das „Heiligen" aufnimmt. Diese Reduktion hängt mit seinem hermeneutischen Ansatz bei der lex naturae zusammen, dem alles spezifisch Israelitisch-Jüdische zum Opfer fallen muß. Deshalb versteht er unter „Feiertag" primär den christlichen Sonntag als Tag des Herrn und kritisiert die Häufung der zahllosen Feiertage seiner Zeit.117 Im Gebotstext wie in der Erklärung des KK spielen weder die Ruhe, das Ausspannen, noch die Rekreation eine Rolle. Luther legt lediglich das „Heiligen" aus. Darin unterscheidet er sich erheblich vom AT wie von der Deutung im Judentum, das stets das „Ruhen" hervorgehoben hat. 118 Das „Heiligen" schützt er sofort vor dem Mißverständnis, als würde der Feiertag erst durch die Gebotserfüllung geheiligt. Vielmehr [51] bedarf der Tag „für sich selbs keins Heiligens nicht, denn er ist an ihm selbs heilig geschaffen. Gott will aber haben, daß er Dir heilig sei."119 In den beiden Katechismen entfaltet Luther die Heiligung des Feiertags einzig mit der aktiven Zuwendung zum Gotteswort, das in der (Sonntags-) Predigt zu uns kommt. Das bedeutet zugleich eine Absage an alle Sonntagskasuistik seiner Zeit, die auch er anfänglich geübt hat.120 Dagegen heißt es im GK: Wie gehet nun solches Heiligen vor sich? Nicht so, daß man hinter dem Ofen sitzt und keine große Arbeit tut oder einen Kranz aufsetzt und seine besten Kleider anzieht, sondern ... dadurch, daß man Gottes Wort bedenkt und sich darin übt.121 Die Zuwendung zu Gottes Wort geschehe nicht gleichgültig, unaufmerksam oder mit Unlust, 122 sondern mit innerer Beteiligung, indem wir es ,gerne hören und lernen"! Außerhalb der Katechismen bringt er noch einen weiteren Gedanken zur Geltung. Denn Gottes Wort bedenken und sich darin üben, ist 116

Das begründet er 1527 in einer Predigt über Gen 2 philologisch: „Sabbath, das Ebreisch wort, heyst rüge odder feyer, also, das man still halte und stehe von allen Worten und wercken und allein an Gottes wercken hange" (WA 24, 61:14ff.). 117 WA 6, 243 (Sermon von den guten Werken). 118 Im GK trägt er diesem Gedanken jedoch in einem begrenzten Sinne Rechnung (BSLK 561,9-15), ausführlicher dagegen in der Predigt über das dritte Gebot vom 27. 2. 1523: Der Ruhetag nach sechs Arbeitstagen mildere den Fluch, den Gott nach dem Sündenfall über die Menschheit verhängt hat (Gen 3,19, „ne tarnen corpus omnino deficiat" (WA 11, 38:12). 119 BSLK 582,26-29; vgl. „durch unser werck aber und thun wird er nicht geheiliget, Denn unser werck sind nicht heilig, sondern durchs wort Gottes, welchs allein gantz rein und heilig ist, und alles heiliget, was damit umb gehet" (WA 38, 366:19-21). 120 S. Decem praecepta, WA 1, 440-442. 121 BSLK 582,32-37, Text nach EB 2, 56f. 122 BSLK 585,30-41, vgl. WA 7, 209:12!

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10. Kapitel: Luthers Auslegung des Dekalogs in seinen Katechismen

nur die eine Seite. Indem wir unser Werk unterbrechen, um sein Wort zu bedenken, räumen wir Gott Zeit ein, sein Werk an uns auszurichten. Am trefflichsten hat das Luther in seinem Lied „Dies sind die heiigen zehn Gebot" gefaßt: Du sollst heiigen den siebten Tag, daß du und dein Haus ruhen mag; du sollst von deim Tun lassen ab, daß Gott sein Werk in (!) dir hab. Kyrieeleis. 123

Das braucht jeder Christ, selbst wenn er ein Meister wäre; denn wir sind „täglich unter des Teufels Reich". 124 [52] Mit diesen Entfaltungen ist Luther weit über den Sinn des Sabbatgebotes hinaus gegangen. Zwar hatte der Sabbat ursprünglich als monatliches, auf die Mondphasen bezogenes Fest kultische Züge, nicht aber der siebte Tag als wöchentlicher Tabu-Tag. 125 Die Verschmelzung beider zum wöchentlichen Sabbattag, erstmals im Dekalog greifbar126, läßt zunächst keinerlei kultische Verpflichtungen erkennen. „Heiligen" meint hier lediglich, die Arbeit zur Fristung des Lebens einen Tag in der Woche zu unterbrechen. Damit stellt man sein Überleben in Gottes Hand. Darüber hinaus zeigen jedoch die 123 EG Nr. 231,4. Das Vorbild jener Feier, in der „wir allein got in uns wircken lassen und wir nichts eygens wircken in allen unsern krefften" (WA 6, 244:4f., Sermon von den guten Werken von 1520), ist der Karsamstag. „Welcher nu den rechten geistlichen Sabbath wil halten, mus mit Christo gantz tod seyn ... Wir fahen aber an den rechten Sabbath hie an zu halten, wenn unser alter Adam auffhört von allen seinen wercken, vernunfft, willen, begirden, lust..." (Predigt über Ex 20 am 22. 10. 1525, WA 16, 480:31-35; vgl. WA 6, 248f.). 124 GKBSLK 585,48-586,1. 125 Der wöchentliche Sabbat hat zwei Wurzeln. (1) Ursprünglich bezeichnete Sabbat einen auf die Mondphasen bezogenen monatlichen Tag, was das Begriffspaar „Neumond und Sabbat (mwi UHin)" in 2 Kön 4,23; Jes 1,13; Ez 46,1; Hos 2,13; Am 8,5 u.a. sowie die Hinweise auf ein optisches Phänomen (Ez 22,26) und eine entsprechende Installation (2 Kön 16,18) nahelegen. Entweder handelt es sich um den Vollmondtag, wofür vielleicht Prv 7,20; Ps 81,4 sowie eine phönizische Inschrift (KAI 43,9-12; 3. Jh. v. Chr.) sprechen könnten, oder um dessen Gegenteil, den ,£eermond", der vom ersten Aufstrahlen des Mondes, dem Neumond, zu unterscheiden ist. Die erste Meinung vertreten J. MEINHOLD, Sabbat und Woche im Alten Testament, FRLANT 5, Göttingen 1905; DERS, ZAW 29, 1909, 81-112; ZAW 48,

1930, 121-138; T. VEIJOLA, Die Propheten und das Alter des Sabbatgebots (1989), in: DERS.,

Moses Erben, Stuttgart 61-75; M. KÖCKERT, Das Gebot des siebten Tages, in: FS J. Henkys, 1989, 170-186; u.a. Die zweite Meinung vertritt I. WILLI-PLEIN, Z A H 10, 1997, 201-206. (2)

Davon zu unterscheiden ist der siebte Tag als wöchentlicher Tabutag totaler Arbeitsruhe, wie er in Ex 23,12 und 34,21 ohne das Nomen, aber mit dem Verb mw (= „aufhören") formuliert erscheint. - Während im Alten Orient Neumond- und Vollmondtage als herausgehobene Opfertermine belegt sind, fehlen beim analogielosen siebten Tag alle kultischen Inhalte. Die Schwierigkeiten bei der Verschmelzung beider Institutionen läßt Neh 13,15-22 noch gut erkennen. Zur jüdischen Nachgeschichte s. L. DOERING, Schabbat. Sabbathalacha und -praxis im antiken Judentum und Urchristentum, TSAJ 78, Tübingen 1999 [Zu den vielfältigen Problemen s.o. Kap. 4.]. 126

Beachte die defmitorische Formulierung: „Der siebte Tag ist Sabbat für Jahwe"!

10.4. Der Dekalog im Alten Testament und seine Disposition

275

verschiedenen Begründungen des Sabbatgebotes in beiden Dekalog-Fassungen im Unterschied zu Ex 34,21; 23,12a durchaus ein Interesse an den Aspekten des Ausruhens und Verschnaufens von der Arbeit. Ausdrücklich kultische Inhalte und Pflichten erhält der wöchentliche Sabbat erst in sehr späten Texten aus dem priesterlichen Umkreis (Lev 23,3; 24,8; Num 28,9f.).

Das IV. Gebot Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren, auf daß dir's wohlgehe und du lange lebest auf Erden. Was ist das? Wir sollen Gott fürchten und lieben, daß wir unsere Eltern und Herren nicht verachten noch erzürnen, [53] sondern sie in Ehren halten, ihnen dienen, gehorchen, sie lieb und wert haben. Wegen der durchaus ambivalenten Wirkungsgeschichte dieses Gebots hängt nicht wenig an der Bestimmung der Adressaten des Dekalogs. Schon ein Blick auf das Sabbatgebot schafft schnell Klarheit. Wer hat Sklaven, Frau und Kinder? Der Dekalog als Ganzer gilt erwachsenen freien Vollbürgern. Das Gebot, die Eltern zu ehren, gilt also erwachsenen Kindern, die in der Regel selber Eltern sind. Was bedeutet für diese Adressaten „ehren" (733)? Es bedeutet zweifellos mehr, als den Nächsten zu lieben, wie Luther im GK klar gesehen hat. Das Verb 733 hat im Piel die Bedeutung Jemanden als gewichtig anerkennen". 127 Das kann heißen „sich unterwerfen" (etwa Gott oder dem König: 1 Sam 15,30), aber auch „eine Leistung honorieren" (etwa den von Bileam erhofften Segen: Num 22,17). Im AT wird keiner abstrakt geehrt. Stets erweist man Ehre sehr konkret - Bileam mit Geschenken (Num 24,11), Gott mit Opfern (Prv 3,9), dem Arzt mit Geld (Sir 38,1). Die exegetische Schwierigkeit besteht darin, daß das AT zwar eine Reihe von Belegen aufzuweisen hat, in denen das Fehlverhalten von erwachsenen Kindern ihren alten Eltern gegenüber kraß hervortritt. Nie finden wir jedoch eine positive Konkretion. Die kann man nur e negativo erschließen. Die Eltern ehren heißt dann zunächst einmal das Gegenteil von „schlagen" (Ex 21,15), „verfluchen" (Ex 21,17; Prv 20,20), „herabsetzen" (Dtn 27,16), „verspotten" (Prv 30,17), „verachten" (Prv 30,17; 23,22; vgl. Mi 7,6; Ez 22,7), „bestehlen" (Prv 28,24), „Gewalt antun und verjagen" (Prv 19,26). Das letzte Beispiel scheint an den Hof zu denken, von dem man die Alten endlich los sein will. Auch Prv 23,22 hat betagte Eltern im Blick: „Höre auf deinen Vater, der dich gezeugt hat, und verachte nicht deine Mutter, wenn sie alt geworden ist!" Das 127

C.

WESTERMANN,

Art. iro, THAT 1,797.

276

10. Kapitel: Luthers Auslegung des Dekalogs in seinen Katechismen

Gebot, die Eltern zu ehren, erhält sein Profil in der Lebenslage alter Eltern, die sich nicht mehr selber versorgen können und abhängig von ihren erwachsenen Söhnen sind. Die haben aber vielleicht selber nicht genug, um ihre Familie ernähren zu können. 128 Versorgung der alten Eltern als Hintergrund läßt sich aus dem AT nur noch indirekt erschließen. Aber im Judentum hat man das Gebot der Elternehrung durchaus in diesem Sinne verstanden. 129 Das erste ausdrückliche Zeugnis findet sich in Sir 3,12-13: [54] Kind, unterstütze deinen Vater im Alter und kränke ihn nicht, solange er lebt. Wenn sein Verstand nachläßt, übe Nachsicht und entwürdige ihn nicht in deiner ganzen Kraft!

Auch in altorientalischen Texten tritt dieser Hintergrund deutlich hervor. Vor allem in Testamenten und Adoptionsverträgen legen die Erblasser und Adoptivväter großen Wert auf lebenslange respektvolle Behandlung und ordentliche Versorgung.130 Luther nimmt in seiner Erklärung dessen, was „ehren" heißt, all das auf: ... die Ehr stehet nicht alleine ynn Worten und geperden, sondern viel mehr ynn der that, Es were eine kleine ehre, wenn ich den huet für meinen Eltern abzuge und liess sie gleich wol dameben hunger leiden. 1 3 1

Jedoch geht er in seiner Deutung weit über den alttestamentlichen Horizont hinaus. Besonders im GK reflektiert er den Ort des Gebots innerhalb des De128

Man sehe nur die Situation der Familienväter in Neh 5, die ihre Söhne und Töchter in die Schuldsklaverei verkaufen mußten. 129 „Ehre deinen Vater und deine Mutter. Ich höre [von Gelehrten], daß es durch Dinge zu geschehen habe. Die Schrift sagt nämlich: Ehre den Herrn mit deiner Habe [Prv 3,9]; ebenso ehre die Eltern mit Speise und Trank, mit Kleidern und Reinigung (der Kleidung)" (Mechilta Exodus zu Ex 20,12). 130 In einem Adoptionsvertrag sichert der Adoptivsohn zu: „Solange Hanadu lebt, wird Hutija ihn respektvoll behandeln {palahu). Hutija wird Jahr für Jahr ein Gewand zu seiner Bekleidung, 5 imeru Gerste (und) 2 imeru Weizen zu seiner Ernährung an Hanadu geben. Wenn Hanadu stirbt, wird Hutija ihn beweinen und begraben" (JEN 59,1-25). Entsprechend überträgt im Falle seines Ablebens ein gewisser Zige seiner Frau Tataja die Vaterstellung über seine Kinder. Das Testament fährt fort: „Solange Tataja lebt, werden Kibtae und Puhisenni (sie) respektvoll behandeln (palahu)..." (HSS 19,1-15). In diesem Zusammenhang ist an die Pflichten eines Sohnes in Ugarit zu erinnern (KTU 1.17 1 26-33), die darin bestehen, daß der erwachsene Sohn für den Ahnenkult sorgt, über die Ehre seines Vaters wacht, ihn bei Trunkenheit stützt, ihm beim Opfermahl beisteht, „sein Dach am Tag des Schmutzes verschmiert, sein Kleid am Tag des Unrats wäscht". Zum Material und dieser Deutung des biblischen Gebots s. R. ALBERTZ, Hintergrund und Bedeutung des Elterngebots im Dekalog, ZAW 90, 1978, 348-374, und zuletzt H. JUNGBAUER („Ehre Vater und Mutter". Der Weg des Elterngebots in der biblischen Tradition, WUNT 146, Tübingen 2002, 37-46 und 80-87), der die Wirkungsgeschichte bis ins NT und die rabbinische Literatur einbezieht. 131

WA 16, 494:19-21 (Predigt über das Vierte Gebot vom 29. 10. 1525); vgl. GK BSLK 588,1-19.

10.4. Der Dekalog im Alten Testament und seine Disposition

277

kalogs. Wie das erste Gebot am Anfang die erste Tafel auszeichnet, so hebt Gott zu Beginn der zweiten Tafel von allen Mitmenschen die Eltern besonders heraus. Sie stehen geradezu an seiner Stelle auf Erden. Durch sie hat uns Gott ins Leben gebracht; denn weder haben wir uns selbst das Leben gegeben, noch haben wir uns unsere Eltern ausgesucht. Sie sind uns bleibend vorgegeben. Wir werden sie nie los, mögen sie auch schon lange gestorben sein. Die Eltern sind [55] zugleich die Hand, durch die Gott an uns gewirkt und uns am Leben erhalten hat, bis wir für uns selber sorgen konnten.132 In alledem sind die Eltern Zeichen der Fürsorge Gottes. Damit wir diese Fürsorge recht erkennen, hat Gott das Gebot gegeben. Sihe vater und mutter an, da wirt dich das wort gottes leren, Wenn du Vatter und Mutter ehrest, das du nicht fleisch und blut, sondern GOTT selber ehrest, der sein wort auff sie gelegt hat. Und yhr Eltern stehet yhr ewern kinder wol für, so thut yhr Gott einen gros gefallen dran ...133 Luther ist ein viel zu großer Realist, um hier zu idealisieren. Deshalb vergißt er keineswegs, daß unter diesem Gebot auch den Eltern zu predigen wäre, „was ihre Aufgabe ist, wie sie sich verhalten sollen gegenüber denen, die ihnen zur Erziehung anvertraut sind... Gott will keine Spitzbuben oder Tyrannen in diesem Amt und in dieser Herrschaft haben". 134 Vielmehr stehen die Eltern im Gehorsam unter Gott und müssen ihm Rechenschaft ablegen. Mit dem Verhältnis von Eltern zu Kindern ist zugleich eine nicht umkehrbare Grundstruktur menschlichen Zusammenlebens gesetzt: Über- und Unterordnung, Fürsorge und Herrschaft. So baut sich alle gesellschaftliche Ordnung von der Ehe über die Familie zu Staat und Kirche auf. Die Familie ist Urbild aller weltlichen und geistlichen Ordnung. ,,[A]us der Eltern Oberkeit fleußet und breitet sich aus alles andere." 135 So gehört am Ende auch die weltliche Obrigkeit zum „Vaterstand": Denn hier ist nicht ein Vater für einzelne, sondern sovielmal Vater, soviel er Einwohner, Bürger oder Untertanen hat. Denn Gott gibt und erhält uns durch sie wie durch unsere Eltern, Nahrung, Haus und Hof, Schutz und Sicherheit.136 Luther weitet also das Gebot auf alle von Gott eingesetzte Obrigkeit aus und verbindet so das IV. Gebot mit einer Regimentenlehre.

132 Vgl. „Deo summo placuit in illo [= patre] operari et me creare" (Decern praecepta 1518, WA 1, 443) mit GK BSLK 593,7-38. 133 Aus der Predigt über das IV. Gebot vom 29. 10. 1525, WA 16,492:19-23. 134 BSLK 603,19-29, modernisierter Text EB 2, 66. 135 BSLK 596,20f. 136 BSLK 599,2-8, Text nach EB 2, 64.

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10. Kapitel: Luthers Auslegung des Dekalogs in seinen Katechismen

Das V. Gebot Du sollst nicht töten! [56] Was ist das? Wir sollen Gott furchten und lieben, daß wir unserm Nächsten an seinem Leibe keinen Schaden noch Leid tun, sondern ihm helfen und fördern in allen Leibesnöten.

Im IV. Gebot hat Luther „geistlich und weltlich Regiment" behandelt. Mit dem V. Gebot „gehen wir nu aus unserm Haus unter die Nachbarn, zu lernen, wie wir unternander leben sollen, ein iglicher für sich selbs gegen seinem Nähesten".137 Dabei stellen die Gebote V-VII insofern vor exegetische Probleme, als sie ohne Objekte oder andere Näherbestimmungen formuliert sind. Man kann sich die Schwierigkeiten beim V. Gebot am Katechismus für Frontsoldaten im ersten Weltkrieg schnell klar machen. Dort findet sich die Anmerkung: „Gilt nicht im Kriegsfall!" Im Kontext des Dekalogs bezieht sich der Prohibitiv in der Tat zunächst einmal auf den Nächsten. Genau hier beläßt es auch Luther und weitet seinen Geltungsbereich bewußt nicht aus: „... daß wir unserm Nächsten keinen Schaden noch Leid tun." Um den Sinn des V. Gebots klar zu erfassen, müssen wir den Gebrauch des Verbs im AT genauer ansehen. 138 Das Verb nm wird dort nie für das Töten von Tieren, weder für das Töten im Kriege, noch für das Töten von Angehörigen fremder Völker, noch mit Gott als Subjekt gebraucht. Stets haftet ihm das Moment des Gewaltsamen an. In 1 Kön 21,19 bezichtigt Elia den König, nm getan zu haben, obwohl der den 'Justizmord' weder geplant, noch in Auftrag gegeben, noch gar selbst Hand angelegt hatte, sondern lediglich den Plänen seiner Frau nicht entgegengetreten war. Also kann auch ein passiver 'Schreibtischtäter' mit weißer Weste, wie wir heute sagen würden, des Mordes bezichtigt werden. Dtn 22,26 vergleicht eine Vergewaltigung mit einem Mord. Daraus läßt sich als Charakteristikum für nm nicht nur die Gewaltsamkeit der Tat, sondern auch die Wehrlosigkeit des Opfers entnehmen. Bezeichnet das Verb nur ein Töten im Sinne von vorsätzlichem Mord? In den Asyltexten bezieht sich das Verb sowohl auf das, was wir unbeabsichtigte oder fahrlässige Tötung nennen würden (Dtn 4,42; 19,4.6; Num 35,11.22f.; Jos 20,3), als auch auf vorsätzlichen und heimtückischen Mord (Num 35,1621.31) wie auf den dort gestatteten Vollzug der Blutrache (Num 35,27), ja, einmal sogar auf die rechtmäßig vollstreckte Todesstrafe (Num 35,30). Die klassische These, das V. [57] Gebot beziehe sich nur auf Mord im juristischen

137

BSLK 605,37-42. S. dazu auch A. JEPSEN, „DU sollst nicht töten!" Was ist das? (1959), in: DERS., Der Herr ist Gott, Berlin 1978, 192-195; und HOSSFELD, Art. nxi, ThWAT 7, 1992, 652-663. 138

¡0.4. Der Dekalog im Alten Testament und seine

Disposition

279

Sinne, ist offensichtlich nicht haltbar, trifft jedenfalls für die Asyltexte nicht ZU.139

Luther schließt im GK Gott und die Obrigkeit von der Geltung dieses Gebotes insofern ausdrücklich aus, als „Gott sein Recht, Übeltäter zu strafen, der Obrigkeit übergeben" hat. 140 Der alttestamentliche Befund gibt aufs ganze gesehen Luthers Einschränkung auf den Nächsten recht und richtet sich weder gegen den Selbstmord noch gegen die Todesstrafe oder das Töten im Kriege. Insofern war die Anmerkung im Katechismus für Frontsoldaten so falsch nicht und auf jeden Fall durchaus biblisch. Luther weitet aber im GK das Verbot mit Hilfe von Mt 5,20-26 auf alle möglichen Weisen der Schädigung des Nächsten aus: durch die Tat der Hand, den Rat der Zunge, sogar in der Regung des Herzens; denn wo Totschlag verpoten ist, da ist auch alle Ursach verpoten, daher Totschlag entspringen mag.141 Außerdem illustriert er das Gebot positiv mit den Werken der Barmherzigkeit aus Mt 25,42f. 142

Das VI. Gebot Du sollst nicht ehebrechen! Was ist das? Wir sollen Gott furchten und lieben, daß wir keusch und züchtig leben in Worten und Werken und ein jeglicher sein Gemahl lieben und ehren. Was heißt in der Welt des Alten Testaments „ehebrechen" (H«)? 143 Die klassische Definition ergibt sich aus Dtn 22,22 in Verbindung mit Lev 20,10: Wird ein Mann dabei getroffen, daß er bei einer verheirateten Frau liegt (now •57), so sollen beide sterben, der Mann, der bei der Frau gelegen hat, und die Frau.

[58] Ein Mann, der die Ehe bricht (Hlü) mit der Frau seines Nächsten, soll unbedingt getötet werden. Beide Texte ergänzen sich. Die „verheiratete Frau (?in n^vn nE>N)" aus Dtn 22,22 ist „die Frau seines Nächsten (inin rwx)" in Lev 20,10; und „liegen bei" 139

Vgl. Dtn 19,3 und dazu J. C. GERTZ, Die Gerichtsorganisation Israels im deuteronomischen Gesetz , FRLANT 165, Göttingen 1994, 134f. 140 BSLK 606,4-6, Text nach EB 2, 67. 141 BSLK 607,23-25. 142 BSLK 609,4-25; s. o. Abschnitt 5. 143 S. dazu E. OTTO, Zur Stellung der Frau in den ältesten Rechtstexten das AT, in: DERS., Kontinuum(s. Anm. 35), 30-48.

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10. Kapitel: Luthers Auslegung des Dekalogs in seinen Katechismen

in Dtn 22 entspricht in Lev 20 „ehebrechen". Allerdings besteht zwischen dem Mann und der Frau ein grundlegender Unterschied, obwohl beide die Ehe gebrochen haben. Der Mann ist ein Ehebrecher, weil er in eine fremde Ehe eingebrochen ist. Die Frau dagegen ist Ehebrecherin, weil sie ihre eigene Ehe gebrochen hat. Dabei ist es völlig gleichgültig, ob der Mann verheiratet ist oder nicht. Entscheidend ist allein, daß die Frau, bei der er liegt, verheiratet oder verlobt ist. Der Mann kann also niemals seine eigene, sondern stets nur eine fremde Ehe brechen. Ist die Frau, bei der er liegt, nicht verheiratet, handelt es sich entweder um Verführung (Ex 22,15 f.) oder um Vergewaltigung (Dtn 22,28). Beides ist schändlich und hat Sanktionen der Familie der Frau zur Folge, aber um Ehebruch handelt es sich nicht. Welche Bedeutung hat das Verbot des Ehebruchs? Das Verbot schützt die Familie vor illegitimen Erbberechtigten. In der Antike war aus einsichtigen Gründen nur die Mutterschaft, nicht aber die Vaterschaft eindeutig bestimmbar. Der Ehebruch der Frau ist viel gravierender als der des Mannes, weil der Mann illegitime Kinder nur außerhalb der Ehe zeugen kann, die Frau dagegen illegitime Kinder in ihrer eigenen Ehe gebiert. Das Verbot zielt also ursprünglich auf Rechtssicherheit, nicht auf eheliche Treue im moralischen Sinn. Die Rechtssicherung dient dem Überleben der Großfamilie, das vom Grundbesitz der Familie abhängt. Am Überleben der Großfamilie auf ihrem Grund und Boden hängt wiederum das Geschick jedes Familienmitglieds über seinen Tod hinaus. Der Sohn übernimmt die Totenpflege. Die Familiengräber liegen auf der eigenen Scholle. In der Großfamilie sind Lebende und Tote miteinander verbunden, so daß der Verstorbene buchstäblich in seinen Kindern weiterlebt. 144 Angemerkt sei noch, daß das Scheidungsrecht vom Verbot des Ehebruchs nicht berührt ist. Wie geht Luther mit diesem Gebot um? Mit der Deutung auf leibliche und geistige Keuschheit übersteigt er auch hier den Wortlaut des Gebots. 145 Damit steht er in einer langen Tradition seit Augustinus. Je- [59] doch setzt er mit der Betonung der ehelichen Liebe und Treue neue Akzente, die er im GK in seiner Lehre vom Ehestand als Gottes Werk, Gebot und unter seinem Segen breit ausfuhrt. 146 Gegen das mittelalterliche Ideal der Jungfräulichkeit und gegen die Akzentuierung allein der geistigen Dimension der Ehe entdeckt

144 Das ist der Hintergrund für das Verbot des Ehebruchs, nicht die Herrschaft des Mannes. Wie wenig es um diese geht, zeigt auch das Institut der Leihvaterschaft in der Leviratsehe. 145 BSLK 611,30fr.; 614,5f.; 615,25-42. Schon die kirchliche Tradition hatte das VI. Gebot auf das Verbot von „Unkeuschheit" bezogen (MEYER, Kommentar [s. Anm. 3], 89), Luther aber wendet es positiv und weitet es dadurch ungemein aus. 146 BSLK 612f. Vgl. seine Schriften „Vom ehelichen Leben" von 1522 (WA 10/11, 275304), „Das siebente Kapitel S. Pauli zu den Corinthern", 1523 (WA 12, 92-142), und „Von Ehesachen", 1530 (WA 30/111, 205-248).

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Luther gerade das Leiblich-Kreatürliche in seiner Funktion, die Schöpfung in der von Gott gesetzten Ordnung zu bewahren: Denn wo die Natur gehet, wie sie von Gott eingepflanzt ist, ist es nicht möglich, außer der Ehe keusch zu bleiben; denn Fleisch und Blut bleibt Fleisch und Blut...147 Der Ehestand macht aus Natur Kultur; mehr noch: „Der Ehestand gewinnt hier die Dignität eines Gebotes", weil Luther aufgrund von Gen l,27f. und 2,18 in der Verbindung von Mann und Frau das Werk des Schöpfers sieht, das sich auch in der vom Sündenfall gezeichneten Welt durchhält.148

Das VII. Gebot richtet sich gegen das „gemeinste [= verbreitetste] Handwerk und die größte Zunft auf Erden" 149 : Du sollst nicht stehlen. Was ist das? Wir sollen Gott furchten und lieben, daß wir unseres Nächsten Geld oder Gut nicht nehmen oder mit falscher Ware oder Handel an uns bringen, sondern ihm sein Gut und Nahrung helfen bessern und behüten. Das Verbot des Stehlens (VII) unterscheidet sich von dem des Begehrens (IX und X) wesentlich darin, daß sich Stehlen auf das tatsächliche Entwenden beweglichen fremden-Eigentums bezieht. Das fremde Eigentum muß einen bestimmten Mindestwert haben. Das unterscheidet Diebstahl von Mundraub (Dtn 23,25f.; Mk 2,24). Das fremde Eigentum muß verwahrt gewesen sein, entweder im Schutz eines Hauses [60] oder unter der Obhut einer Person (etwa bei Vieh). Das unterscheidet Diebstahl von Unterschlagung und Fund. Das fremde Eigentum muß heimlich entwendet worden sein (2 Sam 21,12; Hi 24,14; 27,20). Heimlichkeit unterscheidet Diebstahl von Raub, der mit offener Gewalt verbunden ist. Diebstahl ist kein Kavaliersdelikt, sondern ein gravierendes Vergehen, weil es mit dem Eigentum die Lebensgrundlage eines freien Bürgers antastet.150 Wie das Verbot des Tötens und des Ehebruchs ist auch das Verbot des Diebstahls absolut und ohne Objekt formuliert.151 Daran scheitert die von A. 147

BSLK 613,44-47. PETERS, Kommentar (s. Anm. 3), 241 f. 149 BSLK 617f; für Luther ist die Welt „ein großer, weiter Stall voll großer Diebe" (ebd.). 150 Noch in der französischen Revolution ist dieser Zusammenhang gegenwärtig, wie die ursprüngliche Fassung der Losung zeigt: „Freiheit, Gleichheit, Eigentum"! 151 Hos 4,2 (vgl. Jer 7,9); Lev 19,11. 148

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Alt in die Diskussion gebrachte These, es habe ursprünglich den Diebstahl von Menschen (zum Zwecke der Versklavung) verboten. 152 Aus dem Verb („stehlen") allein läßt sich diese spezielle Bedeutung nicht entnehmen. Wenn dergleichen gemeint ist, wird das durch entsprechende Objekte eigens sichergestellt.153 Die objektlose Formulierung des Diebstahlverbots im Dekalog vermeidet dagegen jede Einengung und richtet sich gegen jedweden Diebstahl. Luther nimmt diese Intention auf und verschärft sie noch; „denn stehlen heißet nicht anders, denn eines andern Gut mit Unrecht zu sich bringen, damit kürzlich begriffen ist allerlei Vorteil mit des Nähisten Nachteil in allerlei Händeln."154 In den Beispielen aus Haushalt, Handwerk und Handel rechnet Luther zum Diebstahl nicht nur, „was man aus Truhen und Taschen räumt", sondern ebenso den Schaden, den Dienstboten durch Faulheit verursachen oder durch Trägheit geschehen lassen, wie den Betrug auf dem Markt durch falsche Ware, Maße und Gewichte oder die vielfältigen Praktiken, mit denen die Handwerker ihre Kunden übervorteilen. Luther nimmt das Leben sehr genau in den Blick und vergißt auch die „Stuhlrauber" nicht, „die auf dem Stuhl sitzen und heißen große Junkern und ehrsame fromme Burger und mit gutem Schein [des Rechts] rauben und stehlen".155 Jedoch wer stiehlt, muß gewärtig sein, doppelt bestohlen zu werden. 156 Der [61] Verschärfung des Verbots steht seine Ausweitung durch das Gebot an der Seite, des Nächsten Gut zu „fördern, zu bessern und, wo er Not leidet zu helfen, mit ihm zu teilen und sowohl Fremden als auch Feinden (!) etwas vorzustrecken". 157 Da findet jeder genug Möglichkeiten, gute Werke zu tun.

152

S. gegen A. ALT, Das Verbot des Diebstahls im Dekalog (1949), in: Ders., KS I, München 1953, 333-340, die Argumente von H. KLEIN, Verbot des Menschendiebstahls im Dekalog? Prüfung einer These A. Alts, VT 26, 1976, 161-169. 153 Ex 21,16 (WN); Dtn 24,7 (WS, B7D3); vgl. die Erzählung vom Verkauf Josephs Gen 40,15. Nur an diesen drei Stellen werden Personen als Objekte von 3J1 genannt. Häufiger bezieht sich das Verb auf Vieh (Ex 21,37; 22,11) und Sachen (Gen 44,8; Ex 22,6; [vgl. Jos 7,21]). 154 BSLK 616; man soll das Verbot des Stehlens ja nicht so eng fassen; „sondern gehen lasse[n], soweit als wir mit dem Nähisten zu tuen haben..." (S. 623). 155 BSLK 618,8-11. 156 „Denn die Kunst kann Gott meisterlich, weil idermann den andern beraubt und stiehlet, daß er einen Dieb mit den andern strafet. Wo wollt' man sonst Galgen und Stricke gnug nehmen" (BSLK 622). 157 BSLK 623,44-47, modernisierter Text nach EB 2, 76.

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Das VIII. Gebot Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten. Was ist das? Wir sollen Gott furchten und lieben, daß wir unsern Nächsten nicht fälschlich belügen, verraten, afterreden oder bösen Leumund machen, sondern sollen ihn entschuldigen, Gutes von ihm reden und alles zum besten kehren. Legt man diese Erklärung zugrunde, dann dürfte es sich um das Gebot handeln, gegen das wir am häufigsten verstoßen. Allerdings war seine ursprüngliche Bedeutung sehr viel begrenzter, als Luthers Entfaltung auf alle Zungensünden anzeigt. Es gibt im AT kein allgemeines Verbot der Lüge, noch ein absolutes Gebot, die Wahrheit zu sagen. Stets spricht das AT konkrete Lebensbereiche an; denn die Wahrheit ist eben nur als konkrete wahr. Der Lebensbereich des VIII. Gebots ist im Alten Testament das Gerichtsverfahren.158 Aus ihm stammen die Formulierungen. 159 „Aussagen gegen" (3 nw) ist terminus technicus für das Auftreten des Zeugen. 160 Als „Lügenzeuge" ("ip^ 71?) wird derjenige bezeichnet, der falsch aussagt.161 Das Gerichtsverfahren in den Ortschaften kennt zunächst keine Berufsrichter. Vielmehr stellen die freien Vollbürger eines Ortes in Rede und Gegenrede den Tatbestand fest. Dabei kann ein Bürger unterschiedliche Rollen übernehmen. Er ist möglicherweise Anschuldiger und Zeuge zugleich oder Zeuge und 'Richter'. Die Orts- [62]gerichte zielen in der Regel auf Schlichtung. Man kann sich die Funktion eines Zeugen am besten am Beispiel von Rt 4,9-11 und Jer 26 klarmachen. Lev 5,1 definiert den Zeugen als einen, der die Tat gesehen oder von ihr Kenntnis hat. Er ist zur Aussage verpflichtet. Bei Halsverbrechen hängt die Entscheidung über Leben und Tod an seiner Aussage. Wehe dem, dessen Leben von der Aussage eines Lügenzeugen abhängt. „Eine Streitaxt, Schwert und Pfeil ist jeder, der gegen seinen Nächsten als Lügenzeuge aussagt" (Prv 25,18). Nach Num 35,30 wird ein Mörder aufgrund von 158

L. KÖHLER, Die hebräische Rechtsgemeinde (1931), in: DERS., Der hebräische Mensch: Eine Skizze, Tübingen 1953, 143-171; H. NIEHR, Rechtsprechung in Israel. Untersuchungen zur Geschichte der Gerichtsorganisation im Alten Testament, SBS 130, Stuttgart 1987; E. OTTO, Zivile Funktionen des Stadttores in Palästina und Mesopotamien, in: M. Görg (Hg.), Meilenstein. FS H. Donner, ÄAT 30, Wiesbaden 1995, 188-197; GERTZ, Gerichtsorganisation (s. Anm. 139). 159 Vgl. I. L. SEELIGMANN, Zur Terminologie für das Gerichtsverfahren im Wortschatz des biblischen Hebräisch, in: Hebräische Wortforschung. FS W. Baumgartner, SupplVT 16, Leiden 1967, 251-278. 160 S. die Belege in ThWAT 6, 236f. (STENDEBACH). 161 Dtn 19,18; Prv 6,19; 19,5.9; 21,6; 25,18; 26,28; vgl. 12,19.22; Mi 6,12; vgl. Ex 23,7 im Kontext von V 1-7.

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Zeugenaussagen zu Tode gebracht. Mißstände bei diesem Verfahren hat man später durch die Zwei-Zeugen-Regel in Grenzen zu halten gesucht.162 Außerdem mußte sich der Zeuge an der Hinrichtung beteiligen (Dtn 17,7). Als Lügenzeuge lädt er sich dadurch Blutschuld auf, die sich - wann auch immer an ihm selbst auswirken wird (Prv 19,5). Wahrhaftiges Zeugnis ist lebensnotwendig, sowohl für den Beschuldigten als auch für den Zeugen! Das VIII. Gebot hat es also von Hause aus nicht mit einer privaten Tugend, sondern mit dem öffentlichen sozialen Bereich zu tun. Dieser Lebensbezug des Gebots ist Luther wohlbekannt, aber er weitet ihn aus. Zunächst ist das Gebot, „wie die Worte lauten, auf öffentliche Gerichte bezogen". Es gilt jedem, der im Gerichtsverfahren eine Rolle spielt, sei er Richter oder Zeuge. Besonders sei „damit unseren Herren Juristen ein Ziel gesetzt, ... daß sie ... was recht ist, recht bleiben lassen, und ... nichts verdrehen, bemänteln oder verschweigen ohne Rücksicht auf Geld, Gut, Ehre oder Herrschaft". 163 Sodann überträgt Luther das Gebot auf geistliche Urteile. Schließlich wendet er es a u f , jede Sünde der Zunge", darunter „falsche Prediger" (!) und schändliche Laster wie üble Nachrede und Verleumdung, um am Ende alles in einer trefflichen anthropologischen Beobachtung zusammenzufassen: Jeder will gerne, daß alle Welt das Beste von ihm redet. Doch wir können es nicht hören, daß man das Beste von anderen sagt.164 Der KK beschränkt sich auf die Zungensünden, die der GK unter „afterreden"165 zusammenfaßt. „Fälschlich belügen" meint - entgegen [63] unserem Sprachgebrauch - nicht jemanden „anlügen", sondern ihn „mit Lügen bewerfen" 166 , zielt also auf falsche Anschuldigungen. „Bösen Leumund machen" charakterisiert die üble Nachrede in ihrer ehrabschneiderischen Wirkung. Luther bleibt aber nicht bei einer Analyse der Sünde stehen. Er entfaltet, wozu der Glaube positiv treibt. Nur wer ein Amt hat, ist befugt, das Verborgene aufzudecken und - wenn nötig - zu strafen. Alle anderen greifen in Gottes Regiment ein und machen sich eines Majestätsverbrechens schuldig. Aus Mt 18 kann man ersehen, wie heimliche Sünden recht aufgedeckt werden, so daß es zur Besserung des Nächsten fuhrt: heimliche Zurechtweisung unter 162

Num 35,30; Dtn 17,2-7; 19,15.16-18. Aber auch diese Regel hat Lügenzeugnis nicht gänzlich verhindern können, wie Nabot (1 Kön 21) beweist. 163 BSLK 626,2-8, modernisierter Text aus EB 2, 77. 164 BSLK 627,8-11, Text nach EB 2, 77. 165 .Afterreden" heißt „verleumden", „übel nachreden", wie der GK in BSLK 627,40628,2 ausführt: „Das heißen nu Afterreder, die es nicht bei dem Wissen bleiben lassen, sondern fortfahren und ins Gericht greifen und, wenn sie ein Stücklin von einem andern wissen, tragen sie es in alle Winkel, kutzeln und krauen sich, daß sie mügen eins andern Unlust rügen wie die Säue, so sich im Kot wälzen und mit dem Rüssel darin wühlen." 166

MEYER, K o m m e n t a r (s. Anm. 3), 249.

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vier Augen; wenn das erfolglos bleibt, Ermahnung vor wenigen Zeugen in einer begrenzten Öffentlichkeit; zuletzt - und nur wenn alle Möglichkeiten ausgeschöpft sind - vor der Gemeinde. Öffentliche Sünden sind dagegen auch öffentlich zu strafen. Im KK expliziert Luther mit drei positiven Verben. „Entschuldigen" zielt auf das Bedecken der Sünde. „Gutes reden" wahrt die Ehre des Nächsten. „Alles zum Besten kehren" mahnt uns, Anwälte des Nächsten angesichts seiner Schwächen zu sein. Mit dieser weitreichenden Auslegung steht Luther näher bei der Fassung, die das Gebot in Dtn 5 erhalten hat. Dort ist der juristische Terminus „Lügenzeuge" C W TO) aus Ex 20 durch „nichtiger Zeuge" (NIC TO) ersetzt worden. Während „Lüge" stärker das Verhältnis des Zeugen zum Nächsten akzentuiert, beschreibt die Dtn-Fassung mit NHP die Qualität des Zeugen und charakterisiert ihn als unheilvoll, böse, charakterlos. Die Ex-Fassung ist noch ganz an der juristischen Seite orientiert, die Dtn-Fassung ersetzt den geläufigen Begriff Lügenzeuge durch eine theologisierende Formulierung, die mit dem Verbot des Mißbrauchs des Gottesnamens verbindet.

Das IX. undX. Gebot Du sollst nicht begehren 1 6 7 deines Nächsten Haus. Du sollst nicht begehren deines Nächsten Frau, Knecht, Magd, Vieh oder was sein ist.

Der Schluß des Dekalogs stellt vor besondere Probleme, weil sich hier beide Fassungen mehrfach unterscheiden und weil das Proprium des Verbotes des Begehrens gegenüber den Verboten des Ehebruchs und des Diebstahls nicht leicht zu bestimmen ist. [64] Luther folgt der Exodus-Fassung. Sie kann auch hier guten Gewissens als die ältere angesehen werden. 168 Anders als in Dtn 5,21 handelt es sich in Ex 20,17 um ein Verbot. Es besteht aus zwei Sätzen, die durch die Wiederholung des Verbs als Grundsatz und Explikation 169 verstanden werden sollen. Außerdem entfaltet die Explikation den im vorangestellten Grundsatz genannten Oberbegriff „Haus deines Nächsten" in zwei Richtungen, was an der doppelten Wiederaufnahme „... deines Nächsten" zu erkennen ist. „Du sollst

167 Gegen seine Bibelübersetzung von Ex 20,17 („Laß dich nicht gelüsten!") folgt Luther im Katechismus der Vulgata: non concupisces! 168

Die Gesichtspunkte, die A. GRAUPNER (Dekalogfassungen [s. Anm. 48], bes. 321-326)

gegen HOSSFELDS subtile Argumentation (Dekalog [s. Anm. 47], 87-140) vorgebracht hat, können auch nach HOSSFELDS Replik (s. Anm. 48, 107-115) nicht als widerlegt gelten. 169 LEVIN, Dekalog (s. Anm. 51), 168 (mit Verweis auf EWALD).

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nicht begehren die Frau deines Nächsten" legt „Haus" als Familie 170 aus; „... und seinen Sklaven, seine Sklavin, sein Rind, seinen Esel und alles, was sein ist" entfaltet „Haus" im Sinne von Haushalt, Haus und Hof, schließt also den Grundbesitz171, das Gebäude und das Gesinde wie die Nutztiere ein. Die Abweichungen in Dtn 5,21 erklären sich einfacher als bewußte Änderungen der Vorlage Ex 20,17 als umgekehrt. Die Frau wird vorangestellt und mit einem eigenen Verbotssatz hervorgehoben. Die an „das Haus deines Nächsten" asyndetisch angefügte Apposition „sein Feld" sichert die den Grundbesitz einschließende zweite Bedeutung von „Haus". 172 Außerdem ist der zweite Prohibitiv mit dem Verb ms formuliert, das stärker die innere Einstellung akzentuiert.173 Bezieht sich das Verbot des Begehrens auf konkrete Rechtsfälle, die sich von den Tatbeständen des VI. und VII. Gebots unterscheiden? Dabei hat man, angeregt durch Codex Hammurapi § 27-31, an die widerrechtliche Aneignung herrenlosen Guts gedacht und auf 2 Kön 8,1-6 verwiesen. B. Lang entnimmt aus Dtn 28,30 und Jer 6,11-12 den Fall, daß sich einer bei längerer Abwesenheit seines Nachbarn, etwa im Krieg, dessen Ehefrau und mit ihr dessen Haus und Hof aneignet.174 Schließlich diskutiert man, ob sich das Verbot ursprünglich nur auf Immobilien bezogen habe.175 Dagegen sprechen Ochs und Esel, [65] Sklave und Sklavin. Gegen die andere Deutung spricht das Fehlen aller für die angeführte Konkretion nötigen Hinweise im Verbot. Gegen alle Versuche der Konkretion aber steht die gar nicht zu übersehende Tendenz der Generalisierung. Sie zeigt sich in der Aufzählung, die von der Familie (Haus) über die zu Haus und Hof gehörenden Dienstboten (Knecht und Magd) und das Vieh schließlich alles umfaßt, „was sein ist". Dieser Generalisierung verdankt sich auch die Wahl des Verbs 7ön. Lange hat man das hebräische Verb 7an aufgrund der Übersetzung in der Septuaginta mit ETCIÖDIIEIV lediglich als ein innerliches Wünschen, eben als „begehren" verstanden und deshalb die beiden letzten Verbote des Dekalogs

170 Vgl. Gen 7,1; Ex 12,3f.; Mi 2,2b u. a.; s. vor allem „Haus" im Sinne von Nachkommenschaft, Geschlecht (2 Sam 7,11.16). 171 So in 1 Sam 25,1; Gen 39,4f.; 41,40, bes. gesichert durch den Parallelismus (nTO) in Mi 2,2a; 1 Kön 18,32. 172 Sie war vielleicht auch deshalb nötig geworden, weil „Haus" nach „Frau deines Nächsten" ohne Näherbestimmung sofort als „Familie" hätte mißverstanden werden können. - Die fehlende Kopula vor Rind und Esel markiert eine Zäsur, so daß die gemischte Reihe 3 + 3 Glieder hat. 173 vgl. Am 5,18; Jes 26,9; Jer 17,16 - hier kann das „Wünschen" nicht zugleich auch ein eigenes Bewirken implizieren, wie das bei 7Dn möglich ist. 174 B. LANG, „DU sollst nicht nach der Frau eines anderen verlangen", ZAW 93, 1981, 216-224; DERS., Neues über den Dekalog, ThQ 164, 1984, 58-65. 175 HOSSFELD, Dekalog (s. Anm. 47), 136-140.

10.4. Der Dekalog im Alten Testament und seine Disposition

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gesinnungsethisch gedeutet. Das Verbot erhält im hellenistischen Judentum 176 den Unterton des Kampfes der Vernunft gegen die Begierde: Laß dich nicht gelüsten! In Rom 7,7 kann es geradezu als Zusammenfassung des gesamten Gesetzes erscheinen. In dieser Profilierung hat es das christliche Abendland seit Augustinus nachhaltig beeinflußt. Wie man aber aus Ex 34,24b und Ps 68,17177 ersehen kann, bedeutet TOn keineswegs nur „die bloße Willensregung im Gegensatz zur Handlung, sondern ... das Begehren, sofern es die Handlungen nach sich zieht". 178 Das Verb bindet in Ex 20,17 innerliches Wünschen und dessen sichere Tatfolgen zusammen, schließt also alle Machenschaften ein, die geeignet sind, den Besitz eines anderen an sich zu bringen. Das Verb umgreift den Wunsch sowie die Handlungen der Planung und Ausführung. Angemessener wäre also eine Übersetzung mit „nach etwas trachten", weil sie Gesinnung, Streben und Tat zusammenhält. Vom Verbot des Diebstahls unterscheidet sich das des Begehrens auch durch die Objekte, die mit dem Haus des Nächsten immobilen Besitz einschließen. Überdies schließt das Verbot des Begehrens die legalen Möglichkeiten ein, den Nächsten um Haus und Hof, um Frau und Existenz zu bringen. Man denke an Wucher und Schuldknechtschaft (Mi 2,2; Jes 5,5), mit denen ein freier Bürger um seinen Grundbesitz und damit um seinen Status als Freier gebracht [66] werden konnte, aber auch an Fälle wie David und Batseba (2 Sam 11) oder Nabots Weinberg (1 Kön21). Als erster verteilte Augustinus das Verbot des Begehrens auf zwei, was in den beiden, im Dtn überdies verschiedenen Prohibitiven einen Anhalt hat. Die sachliche Abgrenzung beider Gebote war weder bei ihm, noch in der kirchlichen Tradition nach ihm klar. 179 Meist folgte man der Dtn-Fassung, indem man die Frau voranstellte und die anderen Objekte dem X. Gebot zuwies. Dabei verstand man IX und X meist als Verschärfung von VI und VII, weil sie Ehebruch und Diebstahl nicht erst in der Tat, sondern schon in Gedanken verbieten. Luther hatte schon das Verbot des Diebstahls als ein Gebot umfassenden Schutzes des Eigentums verstanden. Um Doppelungen zu vermeiden, suchte 176

S. Philo und 4 Makk 2,6 (mit Joseph als Beispiel!). Vor einem bloßen Wunsch der vertriebenen Vorbewohner Kanaans, das gelobte Land wieder zu besetzen, hätte sich Israel nicht so fürchten müssen, daß dem bei der Anordnung der Wallfahrtsfeste eigens Rechnung getragen wurde (Ex 34,24). In Ps 68,17 ist „deutlich vorausgesetzt, daß es sich nicht um das bloße Begehren handelt, sondern um die Ausführung desselben, die darum nicht durch ein zweites Verbum ausgedrückt ist" (J. HERRMANN, Das zehnte Gebot, in: Beiträge zur Religionsgeschichte und Archäologie Palästinas, FS E. Sellin, 1927, 69-82, 72f.). 177

178

HERRMANN, G e b o t (s. A n m . 177), 7 4 , vgl. CRÜSEMANN, B e w a h r u n g (s. A n m . 5 6 ) , 7 8 :

Indem mit dem Verb -ran das „'Aussein auf verboten wird, wird jeder denkbare Griff nach der Lebensgrundlage des Nächsten abgeschnitten". 179 MEYER, Kommentar (s. Anm. 3), 90, bringt eine Übersicht.

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10. Kapitel: Luthers Auslegung des Dekalogs in seinen Katechismen

er mit der Tradition das Proprium der beiden letzten Gebote zunächst in der Begierde, die zu den Taten fuhrt. 180 In den Katechismen bezieht er dagegen auch IX und X auf den Schutz des Nächsten. Zwischen beiden differenziert er jetzt nach den Objekten. Das IX. Gebot ziele auf Sachgüter, das X. auf Personen.181 Dabei kommt er allerdings in Schwierigkeiten mit dem Vieh sowie mit allem, „was sein ist". Im Verständnis des Verbs „begehren" aber nimmt er das Ergebnis der Untersuchungen von J. Herrmann vorweg 182 : ... daß wir unserm Nächsten nicht mit List nach seinem Erbe oder Hause stehen und mit einem Schein des Rechts an uns bringen...(KK) ... denken und furnehmen [, des Nächsten Gut] an sich zu bringen, auch mit gutem Schein und Behelf, doch mit des Nächsten Schaden. (GK183) Luther akzentuiert bei der Erklärung die hinterlistige, wenn auch formal legale Seite des Unrechts und hat dabei wohl die Geschichte von Nabots Weinberg vor Augen. Darüber hinaus legt er das „Begehren" mit einer Reihe von Verben aus, die verschiedene Weisen der Realisierung in den Blick nehmen: [67] ... abspannen, abdringen oder abwendig machen... (KK) ... daß einer dem andern sein Knecht oder Dienstmagd abspannet und entfremdet oder sonst mit guten Worten abzeucht (GK)184 „Abspannen" meint, wie er am Beispiel der Dienstboten ausführt, jemanden seiner ursprünglichen Gemeinschaft „entfremden". 185 „Abdringen" hebt den intensiven persönlichen Einsatz hervor. 186 „Abwendig machen" impliziert einen Richtungswechsel: Die Ehefrau, Dienstboten, das Vieh wenden sich ab. Luther deckt die in diesen Machenschaften versteckte Wesensart des Menschen auf:

180 So vor allem in Decem praecepta, 1518 (WA 1, 516:6f.): „ergo fomitis malum et, ut sie dixerim, essentialis seu causalis impuritas in nobis hic prohibetur". Vgl. WA 6, 276:10-20, und die Predigt vom 12. 11. 1525 (WA 16, 519-528). Im GK klingt das nur noch an: Gott „will furnehmlich das Herz rein haben, wiewohl wir's, solang wir hie leben, nicht dahin bringen können" (BSLK 638,43-639,2). 181 In der „kurzen Erklärung" von 1518 stellte er dagegen Weib, Tochter und Magd dem Haus und Gut des Nächsten voran (WA 1, 251:21-23). 182 S. schon WA 1, 515f. (Decem praecepta) und WA 6, 276:14 (Von den guten Werken). 183 BSLK 634,32-34. 184 BSLK 637,42-45. 185 BSLK 637,42-45. „Abspannen" meint sicher nicht einfach „ausspannen"; denn Dienstboten waren niemals den Tieren gleichgestellt. J. und W. GRIMM, DW 1, Leipzig 1854, 122, erläutern es mit „ablocken", delicere, und schließt abiungere ausdrücklich aus. 186 „...eine sache ungestüm, mit gewalt abzwingen", jemanden „gewaltsam ... von etwas drängen" (DW 1, 20f.).

10.7. Rückblick auf Luthers Auslegung des Dekalogs

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Denn die Natur so geschickt ist, daß niemand dem andern soviel als ihm selbs gönnet, und ein iglicher, soviel er immer kann, zu sich bringet, ein ander bleibe, wo er kann.187 Die beiden letzten der zehn Gebote richten sich gegen alles, womit man seinem Nächsten zu nahe tritt, indem man ihm nicht gönnt, was Gott ihm beschert hat. Sie stehen gegen jede Art von Mißgunst und Geiz.

10.7. Rückblick auf Luthers Auslegung des Dekalogs Was macht Luthers Auslegung des Dekalogs in seinen Katechismen für eine evangelische Ethik bedeutsam? (1) Luther nimmt die Schrift ernst und legt sie mit einem erstaunlichen Gespür für die ursprüngliche Intention der einzelnen Gebote 188 und für die in ihnen geronnenen Lebenssituationen aus. (2) Schon der Dekalog selbst vermittelt großenteils kein Sonderethos Israels. Vielmehr bringt er - vor allem in den sogenannten ethischen Geboten - zur Geltung, was immer und überall gilt. Luther führt diesen Ansatz konsequent zu Ende, indem er den Dekalog als Ausdruck der lex naturae deutet. Damit trägt er der berechtigten Forderung nach allgemeiner Plausibilität Rechnung; denn eine evangelische Ethik kann [68] nicht lediglich das Sonderethos einer Gruppe evangelischen Glaubens sein. (3) Im Gegenüber von erster und zweiter Tafel arbeitet er die innere Entsprechung zwischen des Menschen Verhältnis zu Gott und zu den Mitmenschen heraus. Stärker kann die Würde des Menschen schwerlich zur Geltung gebracht werden. (4) Mit dem Gegenüber von Gott und Mitmensch macht Luther die Nächstenliebe zu einer ethischen Grundregel und wendet sie auf alle Gebote an. Damit hat er ein hermeneutisches Prinzip gefunden, um den Dekalog auf neue Lebenssituationen seiner veränderten Welt anzuwenden. (5) Luther entfaltet aus der Analyse der Lebenssituationen, aus den größeren Kontexten der Schrift Alten und Neuen Testaments und mit Hilfe der Tradition die vorwiegend negativ formulierten Grenzsetzungen des Dekalogs positiv. (6) Das „Evangelische" in der materialen Durchführung einer evangelischen Ethik hängt m. E. entscheidend daran, wie das „Ich bin der Herr, dein Gott..." des ersten Gebots inhaltlich gefüllt und wie das Verhältnis dieses Indikativs zu den folgenden Imperativen bestimmt wird. Luther versteht das erste Gebot als heilsame Unterscheidung zwischen Gott und Mensch, die allererst Bin-

187 188

BSLK 634,43-635,1. So auch m. R. V E I J O L A , Dekalog (s. Anm. 4), 46.

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10. Kapitel: Luthers Auslegung des Dekalogs in seinen Katechismen

dung und Freiheit ermöglicht. Indem er das erste Gebot als Summe entfaltet, stehen alle zehn Gebote in dieser Perspektive.

Nachweis der Erstveröffentlichungen

Einführung. Unveröffentlicht. 1. Ein Volk befreiter Brüder: Das Gesetz als Lebensordnung Israels im Deuteronomium. Unveröffentlicht, geht auf einen Vortrag im Rahmen einer Ringvorlesung zum 200. Jahrestag der Französischen Revolution am Sprachenkonvikt Berlin zurück. 2. Das nahe Wort: Wandlungen des Gesetzesverständnisses in der deuteronomisch-deuteronomistischen Literatur. Geht zurück auf: Das nahe Wort. Zum entscheidenden Wandel des Gesetzesverständnisses im Alten Testament, ThPh 60, 1985, S. 496-519 (Verlag Herder GmbH & Co. KG Freiburg im Breisgau; Basel; Rom; Wien). 3. Leben in Gottes Gegenwart: Wandlungen des Gesetzesverständnisses in der priesterlichen Komposition des Pentateuch. Geht zurück auf einen Aufsatz im Jahrbuch für Biblische Theologie, Bd. 4, Neukirchener Verlag Neukirchen-Vlyn 1989, S. 29-61. 4. Ein Palast in der Zeit: Wandlungen im Verständnis des Sabbatgebotes. Eine erste Fassung der Abschnitte 4.1-3 erschien in: Das Gebot des siebten Tages, in: „... das tiefe Wort erneun", Festgabe für Jürgen Henkys zum 60. Geburtstag, hg. v. Harald Schultze u. a., Sprachenkonvikt der Ev. Kirche in Berlin-Brandenburg, S. 170-186. Die Abschnitte 4.1-3 wurden wesentlich verändert. 4.4-6 waren bisher unveröffentlicht. 5. Gottesfurcht und Nächstenliebe als Zusammenfassung der Willensoffenbarung Gottes am Sinai in Lev 19. In: Der Wahrheit Gottes verpflichtet. Theologische Beiträge aus dem Sprachenkonvikt Berlin für Rudolf Mau, hg. v. Matthias Köckert, Wichern-Verlag Berlin 1991, S. 143-156.

292

Nachweis der Erstveröffentlichungen

6. W i e kam das Gesetz an den Sinai? In: Vergegenwärtigung des Alten Testaments. Beiträge zur biblischen Hermeneutik für Rudolf Smend zum 70. Geburtstag, hg. v. Christoph Bultmann, Walter Dietrich und Christoph Levin, Vandenhoeck & Ruprecht Güttingen 2002, S. 13-27. 7. Das Gesetz und die Propheten in Arnos 1-2. In: Alttestamentlicher Glaube und Biblische Theologie. Festschrift für Horst Dietrich Preuß zum 65. Geburtstag, hg. v. Jutta Hausmann und Hans-Jürgen Zobel, Verlag W. Kohlhammer Stuttgart-Berlin-Köln 1992, S. 145-154. 8. Z u m literargeschichtliche Ort des Prophetengesetzes Dtn 18 zwischem dem Jeremiabuch und D t n 13. In: Liebe und Gebot. Studien zum Deuteronomium. Festschrift zum 70. Geburtstag von Lothar Perlitt, hg. v. Reinhard G. Kratz und Hermann Spieckermann, Vandenhoeck & Ruprecht Göttingen 2000, S. 80-100. 9. Ungeborenes Leben in Ex 21,22-25. Wandlungen im Verständnis eines Rechtssatzes. Zusammen mit Heidelore Köckert in: Lebenstechnologie und Selbstverständnis. Hintergründe einer aktuellen Debatte. Festschrift für Richard Schröder, hg. v. Ingolf Hübner, Karsten Laudien und Johannes Zachhuber, Lit-Verlag Münster-HamburgBerlin-Wien-London-New York 2003, S. 43-73. 10. Luthers A u s l e g u n g des Dekalogs in seinen Katechismen. In: Ulrich H. J. Körtner (Hg.), Christliche Ethik - Evangelische Ethik? Das Ethische im Konflikt der Interpretationen, Neukirchener Verlag Neukirchen-Vlyn 2004, S. 2368.

Stellenregister Altes Testament Genesis 1,1-2,4 1,26fr.

l,28ff. 2,2 2,2f.

96 24; 242f.; 281 77

2,5 2,15 2,18

101 98; 114ff.; 129; 136f.; 261 134 134 281

3,17ff.

134

4,1 4,2

217 124

6,13.17

77

9,1 9,3 9,6 9,12ff. 9,13

77 77 242f. 77 83

12,1

10; 12

17 17,1 17,1-21 17,2.6 17,7 17,7f. 17,8 17,9

77; 79f. 79-85 77 88; 99; 105 79 84; 88

17,9f. 17,9-14 17,1 Off. 17,11-14 17.13 17.14

86 83; lOOf. 77; 87 85 f. 88ff. 86; 96

18,14 18,17fr.

51 64

25,22

217

28 28,12f.

169 169

28,16fr.

169

35,9ff. 38,24 42,4 42,37 45,6 47,27 48,4

78; 81 217 228 230 124 78 78

Exodus 1,7

78

2,12 2,23 f.

234 79

6 6,2-6 6,5 f. 6,7

8 1 ; 89 78 89 79; 93; 99; 105

294 7,1-5

89

20,13-17

166

7,4

89

20,18-21

168; 170; 173f.

11,9f.

90

20,18-23 20,21

258

20,22

168

12,1-14.28

90f.

20,23

179

12,9f.

180

20,24-26*

174

12,13f.

93

12,14

95; 9 9

21

26

12,17

95

21,1

168; 175

12,21-27

88

21,2

39f.

12,43f.

85; 87

21,2-4

25 f.

12,48

87

21,12

177

21,12-36

220-230

21,15

261

21,17

261

13f.

25 137

16 16,2f.

97

16,10

90

16,16-26

97f.

16,35

97

19ff.

18; 171

19-24*

167f.; 170f.

19-34

181 169

19,16-19

168; 174

19,20-25

176

19,24f.

168 109;

21,18

241

21,21

233

21,22f.

219; 235; 239f.; 242f.; 245

19,2f.

20

174

111; 138;

140;

176; 254f.; 258; 261; 285 20.21-23

167

20, Iff.

176

20,2-6

177; 2 6 6

20,3

261

20,3-12

166

20,5f.

261; 265f.; 2 6 8

20,7

272

20,8

113f.; 139

20,8-11

112; 135ff.

20,9

114; 137

20,10

110; 113; 115

20,11

101; 136ff.

110f.;114;

122;

21,22-25

232; 244

21,23ff.

223; 233f.; 2 4 2

21,37

261

22,6

261

22,19

177; 261; 268

22,26

173; 177

22,28f.

174

23

173

23,4f.

39

23,6ff.

42

23,1 Off.

174

23,12

101

23,12-19

179

23,14-17

126

23,16

180

24

167

24, Iff.

176

24,3

18; 167; 169; 175

24,3-8 24,4f.

172; 175

24,9ff.

176

171

24,12f.

167; 169; 181

24,15-25,1

98

24,16.18

103f.

24,18

167; 169; 181

Stellenregister

25-31 25-40*

170 104

25,16 25,17

106 105

28,4

78

29,43-46 29,45f.

103; 106 79; 82

31,12-17 31,13 31,14f. 31,15 31,16f. 31,17 31,18

99ff.; 111 98f.; 139; 149 100; 148 114; 127 101 98; 101; 122; 138 107; 181

32 32,15 32,15-19 32,17-25 32,30f. 32,34

171; 179 107 181 179f. 167 145; 178

32-34

167; 170ff.; 176; :

33,12-17

178

34 34,1 34,1-10 34,6f. 34,11-27

34,22 34,25 34,27 34,29 34,29-35

168; 173; 178; 18i 178 170; 178; 181 167; 171; 177 168: 170; 172; 181 176f.; 261; 268 172 114f.; 117; 119; 121 ff. ; 126f.; 130; 137 36; 126; 180 180 178 107 170

35,Iff.

98

34,14 34,18 34,21

295

35.2 35.3 35,12

111; 114; 144 100; 144 78

39,42f.

104

40,17 40,20 40,34f.

104 107 103

Leviticus 5,1 9,23 11,44 f. 16.17

283 104 160 105

17-26

156-159

18.4 18,6-23

166 158

19 19.2 19,3f. 19,3.30 19,5-8 19,11-18 19,12 19.18 19,19f. 19,26-29 19,30f. 19,32 19,33f. 19,35 19,37

155; 158ff.; 164 158 159f. 149 160 161 ff. 271 15 160 161f. 158; 160 161f. 162

20 20,10 20,22

158 279 160

23 23.3 23,10-17

116 114; 275 120

24 24,8

157 275

158; 161; 163 160

Stellenregister

296

25,42.55

26

26,46

156

5,12 5,12-15 5,14 5,14f. 5,15 5,16 5,17-21 5,21 5,22 5,22ff. 5,22-33 5,23 5,24-27 5,27-33 5,28f. 5,30f. 5,31

114f.; 148; 260 113; 115; 129f.; 133f. 131;138 110; 133 114; 130; 138; 257f. 110; 213; 260 110; 258 285f. 255 188f.; 210 178 72 213 22 174 18 57; 213

6,1 6,1-3 6,3 6,4 6,4ff. 6,4-16 6,5 6,6.8 6,15 6,20-24 6,25

18; 213 22 212 58 35; 53; 110; 268 22f. 15; 54f. 53 177; 261 22-26; 45; 52 65

7 7,6 7,7 7,8 7,9 7,19

177 29: 33 54 33; 54 110 196

8,3 8,11-18 8,19f.

52 66f. 214

9f.

178

258 261

9,1-8 9,9ff. 9,9.11.15

66f. 178 57

272

10,4

255

Numeri 9,1-14 12,12 15,26ff. 15,32-36 28,9f.

95 234 87 100 275

Deuteronomium 1,1 1,5 1,6-8 1,8 1,19ff. 1,27 1,32 l,35ff.

56 3; 56 56 59 57 27 56 24

4 4,2-9 4,7f. 4,8 4,12f. 4,13 4,15-24 4,24 4,25-28 4,37 4,37f. 4,44

178; 263 52 5; 52 59 178 110; 255 110 177; 261 59 54; 174 67 56; 175

5

17f.; 140; 203; 285 57 255 110; 177; 256 213 110;

5,2f.22 5,4 5,6-12 5,9 5,10 5,10.11-14 5,11

58; 109; 114 166; 176; 178 212; 259; 263

Stellenregister 10,12f. 10,13 10,15 10,16 10,16-19 10,17-19

27 5 54 68 164 43; 45

11,8 ll,22f. 11,22-25 11,26 11,31 f.

61; 65 67 61 59 57; 61

12 12,1 12,2-7.28-31 12,7.12.18 12,13-19* 12,15f. 12,28-31

156 255 197 37; 53 34f.; 197 197

13,1 13,2-6 13,3 13,7

214 195; 197; 199 198; 200 39

14,lf. 14,3ff. 14,8f. 14,22f. 14,26ff. 14,28f.

33 197 37 44 37 44

15 15,1-11 15,11 15,12-18 15,13 f. 15,15 15,16ff.

25 45 39 40; 45 39; 41 38; 41; 45; 258 41f.

16 16,1-17 16,11.14.15 16,12 16,18ff.

91 35 36 38 42; 45; 211

17,7

284

297

17,8-13 17,11 17,14-20 17,15 17,20

43; 211 213 210 39 39

18 18,9 18,9-15 18,9-22 18,1 Of. 18,13 18,15 18,15ff. 18,16-20 18,18 18,18f. 18,19f. 18,20 18,21 f. 18,22

195; 201; 209; 212 213 207 188f.; 200f.; 209f. 211 204;212 196f.; 213 200 192; 200; 210; 214 197; 202-206; 209; 213 190 206f.; 214 204; 208f. 208f. 200

19,2-19* 19,21

211 223;230

22,1-4 22,22 22,26

39 279 278

23,2-9 23,16f. 23,21 23,25 f.

148 41 39 281

24,17f. 24,18 24,19-22 24,21 f.

42f.; 45 38 44f. 38

26,5-9 26,11 f. 26,12ff. 26,16-19

45 37 44 28ff.; 32f.

27,9

29

28,9

29; 62

Stellenregister

298 28,30 28,65ff. 28,69

286 60 57

4.13 1 Samuel

217

1,11.28

29,1 29,3 29,11 f. 29.13 f. 29.18 29,20 29,23ff.

196 68 29 58 68 59 59

3,20 7,3f. 8,6-22

191 191 215 215 124f. 191 215 64; 215

30,1-10 30,11-14 30.14 30.15 30,19f.

70 49; 52 69 59 5; 58

2 Samuel

31,2ff. 31.26 31.27

197 60 68

32,13 32.46 32.47

150 3; 214 5

34 34,1-12

195; 197 196f.

Josua 1,1-9 l,7f. 4,10 23,6 24 24,17ff. 24.19

56 63; 197 204 214 172 191 5

Richter 2,17 6,7-10

12,6 12,14f. 12,23f.

7,1 lf. 16,14

62 127

1 Könige 2,3f. 3,12 8,12 8,25 20,39.42 21,19

62 f. 196 174 62 230 278

2 Könige 8,1-6 9,22 10.24 17,12 17,17 21,3-6 21,7f. 23,1 ff. 23.25 25,21

286 211 215; 230 64 211 211

62 175 198 56

Nehemia 64; 191 214

Rut 4,9ff.

8,12

283

9,6-37 9.14 10,32 13,3 13,15-22 13,23-29

140 112 142 149 119; 141 ff.; 274 141

Stellenregister Hiob 3,11-16 10,10 42.3

234 219 51

Psalmen 1 24.4 68.17 78,8.37 79,10 81,10 102,22 106 115,2 119,18f. 119,151 139 139,18

64 271 287 67f. 60 268 269 67 60 155 52 219 155

Proverbia 19.5 23.22 25.18 30,18f.

284 275 283 51

234 51

149 148; 151 140; 148 147-151 144; 150 148 150 68 147

Jeremía 1 1,4-10 l,10f. 1,14 I,17ff.

204; 209; 211 202-205 211 205 204

14,14f. 15,1

68; 72 286 206 171; 191 69 192 208 191

17 17,lf. 17,19-27 17,21-27

143 71 119; 146 142f.

21.14 22,4 23,16-22 23,32

147 147 208 208

25.1-14 25,15.17 25,27ff.

203 205 205

26 26.2-24 27.15 28 29,9.31 30,3 31,31-34

206; 209; 283 206f. 208 201 208 71 71 f.; 151

5,23 6,1 lf. 7 7,22-28 8,8 II,21

Kohelet 6.4 7,23

48,14 51,4.7 56,lf. 56,2.3-8 58,13f. 60,1 62.4 64.5 66,18-22

299

Jesaja 1,13 6 6.5 f. 6,9 14,1 14.19 29.23 44,28 46,12f. 47,9.12

116 209 202 205 150 234 272 149 148 211

Stellenregister

300 32,17.27 32,40 33,14-18 34,9f. 35,1-11* 35,13-17 36,10 44,16 45,1 45,4f.

51 72 147 25 191 191 203 206 203 205

Ezechiel 20 20,1-31 20,5-24 20.25 20,30f. 22,8

22.26 23,38 24,21.25 44,6ff. 45,21-25

119; 171 139 145 5 145 119; 144 144 119 61 86 94

Hosea I,9 2,13 3 4.6 4,18 5,2 5.4 • 5,8-7,16 5,12.14 6.5 7,2 8,1

9,1-9 9.7 II,1.4 12,10-14 13,1-8 13,6

Amos l,lf. 1,3-2,16 l,3ff. l,6ff. 1-2

183 183 184 184f. 147

2,1-3 2,4f.

184

2,6-16

2,13-16

185f. 192 185 186-193 201 185

3,1-8 3.10 5,6 5,7.10 6.14 7,16 8,5 9.7-10

192 186 147 42 186 187; 192 116 192

2.9 2.9-12 2.10-12 2,11

Sacharía 71 116 198 16 54 190 68 185 60 190 68 16 185 190 54 190 185 65

2.15 5,4

150 271

Septuaginta 2 Makkabaer 7,22

218

Weisheit 7,lf.

217

Jesús Sirach 3,12f.

276

Stellenregister

Neues Testament Matthäus 5,20-26 5,46f. 6,9 18 25 Alf.

264; 279 264 272 284 264

Markus 2,24 2,27 12,28ff.

281 101 15

Außerbiblische Quellen Philo De opificio mundi, 137 De specialibus legibus III, 108

218 244

Josephus Antiquitates IV, 277f.

245

Altorientalische Texte UM 55-21-71 YOS 128 CH § 209-214 MAG §21; 50-53 VTE § 10,108ff. HG § 17-18

235 235 236 234 198 239

Autorenregister

Achenbach, Reinhard 210 Albertz, Rainer 276 Alt, Albrecht 7, 115, 127, 225, 254, 282 Albrektson, Bertil 59 Andreasen, N.-E. 98,116 Assmann, Jan 272 Auld, A.Graeme 129 Aurelius, Erik 178f. Bachmann, Philipp 249 Bartelmus, Rüdiger 122f., 126, 133f. Baudissin, Wolf W. Graf 100 Beer, Georg 44 Bertholet, Alfred 162 Bettenzoli, Guiseppe 156 Betz, Otto 84 Beutel, Albrecht 268 Blenkinsopp, Joseph 82 Blum, Erhard 49, 75, 79, 81, 156f. 167, 170, 175, 179 Böhmer, Siegmund 71 Borger, Riekele 30f., 237f. Bornkamm, Heinrich 266 Botterweck, Gerhard J. 118 Braulik, Georg 13,17, 22f„ 31, 34ff„ 40, 43f., 49, 52f., 66f., 70, 110, 201,203,214, 252 Briend, Jacques 120,142 Brongers, Hendrik A. 144 Broughton, P.E. 200 Budde, Karl 116,118,120,227 Cardellini, Innocenzo 39ff. Carr, David M. 179,196 Cholewinski, Alfred 74, 91, 157, 159 Cogan, Morton 218 Collins, Nina L. 227, 241, 246 Craig, Alexander 31

Cross, Frank M. 47,75 Crüsemann, Frank 44, 118, 123f., 130, 135, 160, 162, 165, 170f, 223,227-230, 261,287 Daube, David 24,225 Delkurt, Holger 259 Diepold, Peter 59,62,71 Dietrich, Walter 48, 59, 62, 67 Dillmann, August 100 Dion, Paul E. 198f. Doering, Lutz 274 Dohmen, Christoph 110, 179, 197, 263 Donner, Herbert 148 Dress, Walter 254 Duhm, Bernhard 6, 147, 183, 205 Ebach, Jürgen 128 Eerdmans, Bernhard D. 159f., 170, 179f. Ei sing, Hermann 134 Elliger, Karl 44, 75, 89, 105, 120, 148, 156, 159f., 163 Elssner, Thomas R. 270, 272 Ewald, Heinrich G. A. 285 Feldman, D.M. 246 Fichtner, Johannes 162 Floss, Johannes P. 24,123 Fohrer, Georg 14,254,260 Frei, Peter 138 Friedman, Richard E. 47 Fritz, Volkmar 183 Fuhs, H.J. 28ff. Fuss, Werner 48 Galling, Kurt 98 Gerstenberger, Erhard 11, 121, 229, 254

304

Autorenregister

Gese, Hartmut 4, 13, 16, 102, 105f„ 140, 183, 184, 185 de Geus, C.H.J. 14 Gertz, Jan Chr. 171, 210f., 279, 283 Graupner, Axel 112ff., 203, 259f., 285 Grimm, Jacob 280 Grimm, Wilhelm 280 Groß, Walter 81,181 Günther, L.-M. 243 Gunkel, Hermann 83 Gunneweg, Antonius H. J. 4, 74, 86, 140ff. Haag, Herbert 92,94 Haase, Richard 235f., 239 Halbe, Jörn 11,35,37,112,115, 123 ff., 127 Hardmeier, Christof 207 von Harnack, Adolf 4 Hasel, Gerhard F. 116, 118, 120 Hauck, Friedrich 127 Hehn, Johannes 116, 118, 122 Helfmeyer, Franz J. 198 Hentschke, Richard 95 Hermisson, Hans-Jürgen 84f., 208 Herrmann, Siegfried 15, 71, 183, 287 Heschel, Abraham J. 109 Höffken, Peter 110 Hölscher, Gustav 197, 199f. Hoffmann, Yair 186 Holladay, William L. 200 Holzinger, Heinrich 98, 227 Horst, Friedrich 24, 26 Hossfeld, Frank-Lothar 18, 112ff., 118f., 129, 131 f., 175f. 179, 189, 207,212, 259, 271,278, 285f. House, H.Wayne 226 Houtman, Cees 229, 268 Hülst, Alexander R. 137 Jacob, Benno 137, 228ff. Jackson, Bernard S. 225f., 228 Jagersma, Hendrik 159 Janowski, Bernd 79, 82, 93, 102ff. Jenni, Ernst 38, 101, 118, 122, 129, 132, 136f.,139, 213 Jepsen, Alfred 4, 47, 131, 271, 278 Jeremias, Jörg 116, 168, 183ff.

Jungbauer, Harry 276 Jüngling, M. W. 222,230 Kaiser, Otto 75 Kawerau, Gustav 248 Keil, Carl F. 226 Keel, Othmar 34 Kellermann, D. 87, 95, 105f., 141f. Kellermann, Ulrich 149 Kiesow, Klaus 134 Kilian, Rudolf 159f. Klein, Hans 149 Klostermann, August 156,179 Koch, Klaus 103-106, 183ff., 193 Köckert, Matthias 49, 54, 64, 78, 81, 83, 157, 172, 201,260, 268, 274 Koenen, Klaus 144, 147f., 150 Köhler, Ludwig 100,132 Köstlin, Julius 248 Kohata, Fujiko 90, 94f. 283 Kraus, Hans-Joachim 9, 73, 148 Kratz, Reinhard G. 170, 173, 176, 181,256, 260 Kreuzer, Siegfried 249 Krüger, Thomas 139f., 146 Küchler, Max 34,156 Külling, Samuel R. 80 Kutsch, Ernst 13, 28, 34, 55, 58, 70, 80f. 83, 85, 118, 120, 148 Laaf, Peter 91 ff., 96 Landsberger, Benno 118f. Lang, Bernhard 260,271,286 van der Leeuw, Gerardus 133 Lehming, Sigo 186 Lehnhardt, Andreas 272 Lemaire, André 118f., 121, 259 Lesky, E. 243 Levin, Christoph 28f., 32, 71, 119, 169, 201 f. 260f., 285 Liedke, Gerhard 11,16 Lipinski, Edward 33 Lohr, Max 199 Loewenstamm, Samuel E. 227 Lohfink, Norbert 11, 12, 16, 18, 22f„ 40f., 43, 47f., 51, 57, 62, 66f., 71, 76, 78, 89, 105, 109, 112f., 129, 166, 177, 190, 192, 209ff.,210, 214, 257

Autorenregister

Lopez, Félix G. 23,48 Loretz, Oswald 118 Luther, Martin 247-290 Lutzmann, Heiner 235 Luz, Ulrich 4 Mann, Thomas 247 Markert, Ludwig 185 Marti, Karl 183 Mathys, Felix 100, 117, 124, 136, 159, 162, 164 Mau, Rudolf 249 Mayes, Andrew D. 48 McEvenue, Sean E. 79f. McKane, William 142 Meinhold, Arndt 270f., 274 Meinhold, Johannes 116, 118, 139, Melanchthon, Philipp 4 Merendino, Rosarius P. 23,34,48, 210 Mettinger, Tryggve N. D. 103 Mewaldt, Johanes 244 Meyer, Ivo 189,207 Meyer, Johannes 248, 250, 264ff., 268, 270, 280, 284, 287 Mittmann, Siegfried 48 Moran, W.L. 22 Mowinckel, Sigmund 141,260,271 Nelson, Richard D. 47 Nicholsopn, Ernst W. 170 Niehr, Herbert 42,283 Nielsen, Eduard 121, 209f., 271 Nissinen, Martti 198f. Noth, Martin 4, 5, 7f., 12-15, 47, 59, 89f., 124, 159f., 178,271 Oberhuber, Karl 117 Osumi, Yo'ichi 220f. Otto, Eckart 34f, 88, 91-94, 124, 127, 172ff., 17f.9, 198, 21 lf., 219f., 223, 227-231, 233, 235f., 238, 254, 260, 279, 283 Paul, Shalom M. 225,229 Peters, Albrecht 248f., 264f., 281 Petersen, Claus 16 Perlitt, Lothar 14f., 18, 28f., 33, 39, 40,43, 49, 55ff., 59f., 62, 168, 195f., 204, 310, 215, 249, 257, 259 Plöger, Josef G. 48,57

305

Preuss, Horst D. 48, 52, 56, 121f., 132 Rabast, Karlheinz 121 von Rad, Gerhard 4f., 8ff, 12-15, 35,47, 53, 59, 74f„ 91, 102, 122, 260 Renaud, Bernard 169 Renker, Alwin 16 Rendtorff, Rolf 47, 75, 91, 105, 158f„ 186 Renz, J. 260 Reventlov, Henning Graf 159 Richter, Wolfgang 11, 47, 112, 115, 126, 129 Ries, G. 239 Riesener, Ingrid 123 Ringgren, Helmar 11,38,123 Robinson, Gnana 96ff., 112, 116, 118, 120, 122, 184 Roscher, Wilhelm H. 117 Rose, Martin 28, 48, 53, 110, 199 Roth, Martha T. 235,239 Rothenbusch, Ralf 219f., 223f., 227, 229f., 233, 235 Rottzoll, Dirk U. 246 Rudolph, Wilhelm 71,190 Rücker, Heribert 132 Rüterswörden, Udo 188f., 209ff, 214 Rupprecht, Eberhard 97 Schenker, Adrian 70, 13lf., 227, 255,268 Schmid, Hans H. 48 Schmid, Konrad 167,203 Schmidt, Ludwig 203 Schmidt, Werner H. 49, 111, 115, 124, 136f., 177, 186, 191, 193, 201 f., 209f., 254, 259f., 262 Schmitt, Hans Chr. 171 Schmitt, Rainer 89f„ 92-95 Schmökel, Hartmut 117 Schneider, K. 246 Scholem, Gershom 218 Schottroff, Willy 35, 93,133 Schreiner, Josef 92, 201 von Schuler, Einar 239 Schulz, Hermann 99

306

Autorenregister

Schüngel-Straumann, Helen 129, 137, 138 Schwienhorst-Schönberger, Ludger 173, 175,220, 223, 225, 227ff. Seeligmann, Isaac L. 283 Sehmsdorf, Eberhard 148 Sekine, Seizo 149f. Seitz, Christopher R. 201 Seitz, Gottfried 22f., 40f., 43, 48, 56, 66, 197, 199 Sellin, Ernst 121 von Seters, Jan 48,75,88 Ska, Jean-Louis 89f. Skweres, Dieter E. 59,213,261 Smend, Rudulf 4, 7, 14, 28, 30, 32f., 48, 56, 60, 62ff.„ 67, 73, 85, 167, 169, 197 von Soden, Wolfram 119 Spieckermann, Hermann 31,177, 185, 191 Sprinkle, Joe M. 227 Stähli, Hans-Peter 205 Stamm. Johann J. 118, 271 Steck, Odil H. 96f„ 136f., 144, 192 Stendebach, Franz J. 283 Stipp, Herrmann-Josef 207 Stoelliger, Philipp 196 Stolz, Fritz 83,117,136 Streck, Maximilian 30 Steuernagel, Carl 18, 91, 189, 209 Stuhlmacher, Peter 5 Thiel, Winfried 49, 68, 71, 120, 142, 189, 191f., 200, 205,207f„ 214 van de Toorn, Karel 263 Tropper, Josef 213 Uehlinger, Christoph 263 Utzschneider, Helmut 76, 102, 107 Vanoni, Gottfried 69f. Veijola, Timo 48, 62, 111, 116, 119, 139ÍT., 143, 196f., 199, 248, 261, 272, 274, 289 van der Ven, Frans 127 Vermeylen, Jacques 205 Volkwein, Bruno 107 Volz, Paul 147 Wacker, Theres 198 Wagner, Volker 74,156

Wagner, Siegfried 192 Wanke, Gunther 203 Watanabe, Kazuko 198 Weber, Max 118 Weidner, Ernst F. 31 Weimar, Peter 41, 48, 75-80, 82, 84ff., 88f, 97, 102, 105, 184 Weippert, Helga 47,71 Weinfeld, Moshe 28, 31, 71, 198, 259 Weiser, Artur 184 Wellhausen, Julius 5-9, 74f., 99, 107, 167f., 179, 183, 195,209 Wenz, Gunther 248f.,251 Westbrook, Raymond 227, 237 Westermann, Claus 10ff., 82, 84, 87, 123, 144, 185, 187, 275 Wevers, John W. 241 Wildberger, Hans 33 Willi-Plein, Ina 185,274 Wisemann, Donald J. 31 Wolff, Hans W. 9, 54, 69, 115, 124, 183f, 186, 190, 192f. Würthwein, Ernst 4 Zenger, Erich 41, 77ff., 84, 97, 137f., 171f., 179 Zevit, Ziony 31 Ziegler, Josef 147 Zimmerli, Walther 4, 9, 12, 14f., 73, 79, 87f., 106, 144, 157, 165

Forschungen zum Alten Testament Herausgegeben von Bernd Janowski, Mark S. Smith und Hermann Spieckermann Alphabetische Übersicht

Barthel, Jörg: Prophetenwort und Geschichte. 1997. Band 19. - siehe Hermisson, Hans-Jürgen. Baumann, Gerlinde: Die Weisheitsgestalt in Proverbien 1-9. 1996. Band 16. Bodendorfer, Gerhard und Matthias Miliard (Hrsg.): Bibel und Midrasch. Unter Mitarbeit von B. Kagerer. 1998. Band 22. Chapman, Stephen B.: The Law and the Prophets. 2000. Band 27. Diße, Andreas: siehe Groß, Walter. Ego, Beate: siehe Janowski, Bernd. Emmendörffer, Michael: Der ferne Gott. 1997. Band 21. Groß, Walter: Die Satzteilfolge im Verbalsatz alttestamentlicher Prosa. Unter Mitarbeit von A. Diße und A. Michel. 1996. Band 17. Hanhart, Robert: Studien zur Septuaginta und zum hellenistischen Judentum. 1999. Band 24. Hausmann, Jutta: Studien zum Menschenbild der älteren Weisheit (Spr lOff). 1995. Band 7. Hermisson, Hans-Jürgen: Studien zu Prophetie und Weisheit. Hrsg. von J. Barthel, H. Jauss und K. Koenen 1998. Band 23. Huwyler, Beat: Jeremia und die Völker. 1997. Band 20. Janowski, Bernd und Ego, Beate (Hrsg.): Das biblische Weltbild und seine altorientalischen Kontexte. 2001 .Band 32. Janowski, Bernd und Stuhlmacher, Peter (Hrsg.): Der Leidende Gottesknecht. 1996. Band 14. Jauss, Hannelore: siehe Hermisson, Hans-Jürgen. Jeremias, Jörg: Hosea und Arnos. 1996. Band 13. Kagerer, Bernhard: siehe Bodendorfer, Gerhard. Kiuchi, Nobuyoshi: A Study of Hata' and Hatta't in Leviticus 4-5. 2003. Band II/2. Knierim, Rolf P.: Text and Concept in Leviticus 1:1-9. 1992. Band 2. Köckert, Matthias: Leben in Gottes Gegenwart. 2004. Band 43. Köhlmoos, Melanie: Das Auge Gottes. 1999. Band 25. Koenen, Klaus: siehe Hermisson, Hans-Jürgen. Kratz, Reinhard Gregor: Kyros im Deuterojesaja-Buch. 1991. Band 1. - Das Judentum im Zeitalter des Zweiten Tempels. 2004. Band 42. Lange, Armin: Vom prophetischen Wort zur prophetischen Tradition. 2002. Band 34. Liess, Kathrin: Der Weg des Lebens. 2004. Band II/5. MacDonald, Nathan: Deuteronomy and the Meaning of „Monotheism". 2003. Band II/1. Michel, Andreas: Gott und Gewalt gegen Kinder im Alten Testament. 2003. Band 37. - siehe Groß, Walter. Miliard, Matthias: Die Komposition des Psalters. 1994. Band 9. - siehe Bodendorfer, Gerhard. Miller, Patrick D.: The Way of the Lord. 2004. Band 39. Müller, Reinhard: Königtum und Gottesherrschaft. 2004. Band 11/3.

Forschungen zum Alten

Testament

Niemann, Hermann Michael: Herrschaft, Königtum und Staat. 1993. Band 6. Otto, Eckart: Das Deuteronomium im Pentateuch und Hexateuch. 2001. Band 30. Perlitt, Lothar: Deuteronomium-Studien. 1994. Band 8. Podella, Thomas: Das Lichtkleid JHWHs. 1996. Band 15. Pola, Thomas: Das Priestertum bei Sacharja. 2003. Band 35. Rösel, Martin: Adonaj - Warum Gott 'Herr' genannt wird. 2000. Band 29. Ruwe, Andreas: „Heiligkeitsgesetz" und „Priesterschrift". 1999. Band 26. Sals, Ulrike: Die Biographie der „Hure Babylon". 2004. Band II/6. Schapen Joachim: Priester und Leviten im achämenidischen Juda. 2000. Band 31. Schenker, Adrian (Hrsg.): Studien zu Opfer und Kult im Alten Testament. 1992. Band 3. Schmidt, Brian B.: Israel's Beneficent Dead. 1994. Band 11. Schöpflin, Karin: Theologie als Biographie im Ezechielbuch. 2002. Band 36. Seeligmann, Isac Leo: The Septuagint Version of Isaiah and Cognate Studies. Edited by Robert Hanhart and Hermann Spieckermann. 2004. Band 40. - Gesammelte Studien zur Hebräischen Bibel. Herausgegeben von Erhard Blum mit einem Beitrag von Rudolf Smend. 2004. Band 4L Spieckermann, Hermann: Gottes Liebe zu Israel. Band 33. Steck, Odil Hannes: Gottesknecht und Zion. 1992. Band 4. Stuhlmacher, Peter: siehe Janowski, Bernd. Weber, Cornelia: Altes Testament und völkische Frage. 2000. Band 28. Weippert, Manfred: Jahwe und die anderen Götter. 1997. Band 18. Weyde, Karl William: The Appointed Festivals of YHWH. 2004. Band 11/4. Widmer, Michael: Moses, God, and the Dynamics of Intercessory Prayer. 2004. Band II/8. Willi, Thomas: Juda - Jehud - Israel. 1995. Band 12. Williamson, Hugh: Studies in Persian Period History and Historiography. 2004. Band 38. Wilson, Kevin A.: The Campaign of Pharaoh Shoshenq I into Palestine. 2004. Band IL/9. Young, Ian: Diversity in Pre-Exilic Hebrew. 1993. Band 5. Zwickel, Wolfgang: Der Tempelkult in Kanaan und Israel. 1994. Band 10.

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