Der Ausschluss von Arzneimitteln in der gesetzlichen Krankenversicherung: Zu Inhalt und Reichweite des § 34 SGB V [1 ed.] 9783428550906, 9783428150908

Die Ausgaben für die Arzneimittelversorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung steigen stetig. Im Zuge dessen ist d

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 9783428550906, 9783428150908

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Schriften zum Gesundheitsrecht Band 45

Der Ausschluss von Arzneimitteln in der gesetzlichen Krankenversicherung Zu Inhalt und Reichweite des § 34 SGB V

Von Dorothea Dettling

Duncker & Humblot · Berlin

DOROTHEA DETTLING

Der Ausschluss von Arzneimitteln in der gesetzlichen Krankenversicherung

Schriften zum Gesundheitsrecht Band 45 Herausgegeben von Professor Dr. Helge Sodan, Freie Universität Berlin, Direktor des Deutschen Instituts für Gesundheitsrecht (DIGR) Präsident des Verfassungsgerichtshofes des Landes Berlin a.D.

Der Ausschluss von Arzneimitteln in der gesetzlichen Krankenversicherung Zu Inhalt und Reichweite des § 34 SGB V

Von Dorothea Dettling

Duncker & Humblot · Berlin

Die Juristische Fakultät der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg hat diese Arbeit im Jahr 2016 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2017 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme: Konrad Triltsch GmbH, Ochsenfurt Druck: CPI buch.bücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany ISSN 1614-1385 ISBN 978-3-428-15090-8 (Print) ISBN 978-3-428-55090-6 (E-Book) ISBN 978-3-428-85090-7 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Meiner Familie

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde von der Juristischen Fakultät der Ruprecht-KarlsUniversität Heidelberg im Sommersemester 2016 als Dissertation angenommen. Stand der Arbeit ist Januar 2016. Für die Veröffentlichung wurde das Iscador-Urteil des Bundessozialgerichts sowie Literatur zum Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 10. 11. 2015 eingearbeitet. Mein größter Dank gebührt meinem akademischen Lehrer Herrn Prof. Dr. Peter Axer, der mich während meiner lehrreichen Jahre an seinem Lehrstuhl als wissenschaftliche Mitarbeiterin vielfältig gefördert hat und durch seine ständige Gesprächsbereitschaft sowie durch seine fachliche und persönliche Unterstützung entscheidend zur erfolgreichen Fertigstellung dieser Arbeit beigetragen hat. Bei Herrn Prof. Dr. Bernd Grzeszick, LL.M. (Cambridge) möchte ich mich für die rasche Erstellung des Zweitgutachtens bedanken. Danken möchte ich ebenso Herrn Prof. Dr. Gerhard Dannecker, der den Vorsitz in der mündlichen Prüfung inne hatte, sowie Herrn Prof. Dr. Helge Sodan für die Aufnahme meiner Arbeit in die Reihe „Schriften zum Gesundheitsrecht“. Großer Dank gilt des Weiteren der Deutschen Gesellschaft für Kassenarztrecht e.V., die die Veröffentlichung dieser Arbeit mit einem Druckkostenzuschuss unterstützt hat. Eppingen, im September 2016

Dorothea Dettling

Inhaltsverzeichnis Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 A. Arzneimittelversorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung . . . . . . . . . . . . 24 I. Grundsätze der Arzneimittelversorgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 1. Das Sachleistungsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 2. Qualitäts- und Wirtschaftlichkeitsanforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 II. Anspruch auf Versorgung mit Arzneimitteln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 1. Vorliegen des Versicherungsfalles Krankheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 2. Arzneimittelbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 3. Arzneimittelrechtliche Zulassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 III. Beschränkungen des Anspruchs auf Arzneimittelversorgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 1. Gesetzliche Beschränkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 a) Apothekenpflichtige Arzneimittel – § 31 Abs. 1 S. 1 SGB V . . . . . . . . . . . . . 32 b) Ausgeschlossene Arzneimittel – § 34 SGB V . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 c) Zuzahlungen – § 31 Abs. 3 SGB V . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 d) Festbetragsregelung – § 35 SGB V . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 e) Frühe Nutzenbewertung und Kosten-Nutzen-Bewertung – §§ 35a, 35b SGB V 37 f) Aut-idem-Regelung – § 129 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB V . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 2. Beschränkungen durch die Arzneimittel-Richtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 a) Verordnungsausschlüsse und -einschränkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 b) Therapiehinweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 IV. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 B. Der Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel – § 34 Abs. 1 S. 1 – 5 SGB V . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 I. Entstehungsgeschichte und Folgen für den Arzneimittelmarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 II. Nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 1. Begriff des nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittels . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 2. Gesetzliche Regelungen zur Verschreibungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 3. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50

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Inhaltsverzeichnis

III. Die Ausnahmevorschrift des § 34 Abs. 1 S. 2 SGB V . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 1. Konkretisierungen in der Arzneimittel-Richtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 2. Zulässigkeit des Erlasses von Richtlinien durch den Gemeinsamen Bundesausschuss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 a) Rechtsnatur und Wirkung der Richtlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 b) Demokratische Legitimation des Gemeinsamen Bundesausschusses . . . . . . . 55 aa) Personelle Legitimation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 (1) Weitere personell-demokratische Defizite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 (2) Rechtfertigung der personell defizitären Legitimation . . . . . . . . . . . . 62 bb) Sachlich-inhaltliche Legitimation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 cc) Differenzierungskonzept des Bundesverfassungsgerichts . . . . . . . . . . . . . 67 c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 3. Die OTC-Ausnahmeliste des Gemeinsamen Bundesausschusses . . . . . . . . . . . . . 70 4. Die Aufnahme von Arzneimitteln auf die OTC-Liste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 a) Das Aufnahmeverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 aa) Gesetzliches Antragsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 bb) Formale Anforderungen an den Antrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 cc) Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 b) Die Aufnahmevoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 aa) Arzneimittelbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 (1) Arten von Arzneimitteln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 (2) Abgrenzung zu anderen Produktkategorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 bb) Arzneimittelrechtliche Zulassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 cc) Keine Verschreibungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 dd) Standardtherapeutikum für eine schwerwiegende Erkrankung . . . . . . . . . 89 5. Die Begriffe der schwerwiegenden Erkrankung und des Therapiestandards . . . . 90 a) Schwerwiegende Erkrankung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 aa) Der Begriff der schwerwiegenden Erkrankung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 bb) Die Anknüpfung an den Begriff der schwerwiegenden Erkrankung im Off-Label-Use . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 (1) Die schwerwiegende Erkrankung im Off-Label-Use . . . . . . . . . . . . . . 92 (a) Lebensbedrohliche Erkrankung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 (b) Lebensqualität auf Dauer beeinträchtigende Erkrankung . . . . . . . 96 (c) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 (2) Erforderlichkeit eines eigenen Begriffes? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 cc) „Neuer Begriff“ der schwerwiegenden Erkrankung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 b) Therapiestandard . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 aa) Begriff des Therapiestandards . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 (1) Therapeutischer Nutzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 (2) Allgemein anerkannter Stand der medizinischen Erkenntnisse . . . . . . 104

Inhaltsverzeichnis

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bb) Sachgerechte Auslegung des Begriffes durch den Gemeinsamen Bundesausschuss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 c) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 6. Erweiterung der Verordnungsfähigkeit von OTC-Arzneimitteln . . . . . . . . . . . . . 110 7. Liste von Fertigarzneimitteln nach § 34 Abs. 1 S. 4 SGB V . . . . . . . . . . . . . . . . 111 IV. Die Ausnahmevorschrift des § 34 Abs. 1 S. 5 SGB V . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 1. Entwicklungsstörungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 2. Altersgrenze von 12 Jahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 V. Nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel als Satzungsleistung . . . . . . . . . . . . . . 117 VI. Verordnung von nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln unter Beachtung der Voraussetzungen des Nikolausbeschlusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 VII. Verordnung nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel und Off-Label-Use . . . . . 121 VIII. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 C. Verfassungsmäßigkeit und Europarechtskonformität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 I. Verfassungsmäßigkeit des Ausschlusses nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 1. Verfassungsmäßigkeit des Ausschlusses hinsichtlich der gesetzlich Versicherten 124 a) Verletzung von Grundrechten der gesetzlich Versicherten . . . . . . . . . . . . . . . . 124 aa) Beeinträchtigung der Eigentumsfreiheit, Art. 14 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . 124 bb) Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit, Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG 129 (1) Beeinträchtigung der abwehrrechtlichen Komponente der körperlichen Unversehrtheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 (2) Die körperliche Unversehrtheit als Leistungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . 131 (a) Staatliche Schutzpflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 (b) Berücksichtigung des Nikolausbeschlusses des Bundesverfassungsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 (c) Recht auf Gesundheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 (d) Schutz des Rechts auf Gesundheit aufgrund des Nikolausbeschlusses? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 (e) Anspruch bei Existenzminimum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 cc) Beeinträchtigung der allgemeinen Handlungsfreiheit, Art. 2 Abs. 1 GG

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dd) Beeinträchtigung von Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. dem Sozialstaatsprinzip 139 ee) Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes, Art. 3 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . 140 (1) Ungleichbehandlungen unter den Versicherten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 (2) Ungleichbehandlung von Versicherten gegenüber Leistungserbringern 143 (3) Ungleichbehandlung durch Einführung von Wahltarifen und Ausweitung von Satzungsleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147

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Inhaltsverzeichnis ff) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 b) Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 aa) Verfassungsrechtliche Vorgaben einer Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . 150 bb) Begründung für die Rechtfertigung des Ausschlusses . . . . . . . . . . . . . . . . 153 (1) Grundsatz der finanziellen Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 (2) Unterer Preisbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 (3) Selbstmedikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 (4) Ausnahmenregelungen des Ausschlusses nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 (5) Verschreibungspflicht als Differenzierungskriterium . . . . . . . . . . . . . . 166 (6) Der Ausschluss im Hinblick auf das Wirtschaftlichkeitsgebot . . . . . . 170 cc) Verhältnismäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 2. Verfassungsmäßigkeit hinsichtlich chronisch erkrankten Versicherten . . . . . . . . 173 a) Verletzung von Grundrechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 b) Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 aa) Chronische Erkrankungen und die OTC-Liste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 bb) Erfordernis einer Belastungsgrenze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 3. Verfassungsmäßigkeit in Bezug auf hilfebedürftige Personen . . . . . . . . . . . . . . . 180 a) Übernahme der Kosten für OTC-Arzneimittel nach dem SGB II . . . . . . . . . . 182 aa) Leistungen nach dem SGB II . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 bb) Anspruch auf Mehrbedarf für OTC-Arzneimittel nach dem SGB II? . . . . 188 cc) Mehrbedarf nach § 73 SGB XII . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 b) Übernahme der Kosten für OTC-Arzneimittel im Rahmen der Sozialhilfe . . . 192 c) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 4. Verfassungsmäßigkeit hinsichtlich Anhängern der besonderen Therapierichtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 a) Die anerkannten besonderen Therapierichtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 b) Mögliche Beeinträchtigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 c) Rechtfertigung der Einschränkungen in der Arzneimittelauswahl . . . . . . . . . . 200 aa) Die Aufnahme von Arzneimitteln der besonderen Therapierichtungen auf die OTC-Liste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 bb) Die Regelung des § 12 Abs. 6 AM-RL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 cc) Ausreichende Berücksichtigung der therapeutischen Vielfalt? . . . . . . . . . 204 dd) Besondere Therapierichtungen als Gegenstand weiterer Leistungsregelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 ee) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 5. Verfassungsmäßigkeit hinsichtlich der pharmazeutischen Unternehmer . . . . . . . 210 a) Beeinträchtigung der Berufsfreiheit, Art. 12 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 aa) Die Festbetragsentscheidung des Bundesverfassungsgerichts . . . . . . . . . . 213

Inhaltsverzeichnis

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bb) Die Übertragbarkeit der Festbetragsrechtsprechung auf den Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 cc) Eingriff in die Berufsfreiheit durch den Ausschluss von OTC-Arzneimitteln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 b) Recht auf chancengleichen Zugang zum Markt, Art. 12 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 3 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 c) Beeinträchtigung der Eigentumsfreiheit, Art. 14 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . 220 6. Verfassungsmäßigkeit hinsichtlich der Vertragsärzte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 II. Europarechtskonformität des Ausschlusses nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 1. Warenverkehrsfreiheit, Art. 34 ff. AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 2. Die Transparenzrichtlinie – RL 89/105/EWG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 III. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 D. Weitere Ausschlüsse nach § 34 SGB V . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 I. Der Ausschluss von Bagatellarzneimitteln – § 34 Abs. 1 S. 6 SGB V . . . . . . . . . . . 230 1. Ausgeschlossene Bagatellarzneimittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 2. Beschränkungen des Anwendungsbereichs des Ausschlusses . . . . . . . . . . . . . . . 232 3. Verfassungsmäßigkeit des Ausschlusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 a) Verletzung von Grundrechten der gesetzlich Versicherten . . . . . . . . . . . . . . . . 236 b) Verletzung von Grundrechten der Ärzte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 c) Verletzung von Grundrechten der pharmazeutischen Unternehmer . . . . . . . . . 239 4. Vereinbarkeit mit der Transparenzrichtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 5. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 II. Der Ausschluss von Lifestyle-Arzneimitteln – § 34 Abs. 1 S. 7 – 9 SGB V . . . . . . . 242 1. Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 2. Arzneimittel zur Erhöhung der Lebensqualität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 a) Begriff der Lebensqualität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 b) Im Vordergrund stehende Lebensqualitätserhöhung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 c) Die gesetzlich genannten Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 3. Konkretisierungen durch den Gemeinsamen Bundesausschuss . . . . . . . . . . . . . . 251 4. Wirkung des Ausschlusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 a) Vorliegen eines gesetzlichen Ausschlusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 b) Reichweite des Ausschlusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 5. Verhältnis zum Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel . . . . . . 257 6. Verfassungsmäßigkeit des Ausschlusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 a) Verletzung von Grundrechten der gesetzlich Versicherten . . . . . . . . . . . . . . . . 258 aa) Verletzung der körperlichen Unversehrtheit, Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG . . . . . 258

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Inhaltsverzeichnis bb) Verletzung der allgemeinen Handlungsfreiheit, Art. 2 Abs. 1 GG . . . . . . 259 cc) Rechtfertigung – Verhältnismäßigkeit des Eingriffes . . . . . . . . . . . . . . . . 260 (1) Medizinisch notwendige Leistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 (2) Verhältnismäßigkeit im Hinblick auf die erektile Dysfunktion . . . . . . 262 dd) Verletzung von Art. 3 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 ee) Raucherentwöhnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 b) Verletzung von Grundrechten der pharmazeutischen Unternehmer . . . . . . . . . 269 7. Vereinbarkeit mit der Transparenzrichtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 8. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274

III. Der Ausschluss unwirtschaftlicher Arzneimittel – § 34 Abs. 3 SGB V . . . . . . . . . . 275 1. Unwirtschaftliche Arzneimittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 a) Der Begriff der unwirtschaftlichen Arzneimittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 b) Verhältnis zum Wirtschaftlichkeitsgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 c) Die ausgeschlossenen Fallgruppen nach der Rechtsverordnung . . . . . . . . . . . 278 d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 2. Die Aufhebung der Verordnung und die neue Regelung des § 34 Abs. 3 SGB V 281 a) Folgen der neuen gesetzlichen Regelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 b) Der Rechtsverordnungsausschluss als Teil der Arzneimittel-Richtlinie . . . . . . 283 3. Negativliste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 4. Verfassungsmäßigkeit des Ausschlusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 a) Grundrechte der Versicherten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 b) Grundrechte der pharmazeutischen Unternehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 5. Vereinbarkeit mit der Transparenzrichtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 6. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 E. Der weite gesetzliche Gestaltungsspielraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 F. Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322

Abkürzungsverzeichnis AM-RL Bundesgesundheitsbl. DAZ IQWiG KrV MEDSACH P&A pharmind PharmR SDSRV ZEFQ

Arzneimittel-Richtlinie Bundesgesundheitsblatt, Gesundheitsforschung, Gesundheitsschutz Deutsche Apotheker Zeitung Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen Kranken- und Pflegeversicherung (bis Ende 2011: Die Krankenversicherung) Der Medizinische Sachverständige (Zeitschrift) P&A, Perspektive Prozessindustrie (Zeitschrift) Die pharmazeutische Industrie (Zeitschrift) Pharma-Recht (Zeitschrift) Schriftenreihe des Deutschen Sozialrechtsverbandes Zeitschrift für Evidenz, Fortbildung und Qualität im Gesundheitswesen

Bezüglich anderer im Text und in den Fußnoten verwendeten Abkürzungen wird auf Kirchner, Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache, 8. Auflage, Berlin 2015 verwiesen.

Einführung Arzneimittel sind für die Krankenbehandlung und die Sicherstellung einer hochwertigen medizinischen Versorgung unverzichtbar1. Jedoch stellt die Arzneimittelversorgung einen der größten Ausgabenposten innerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung dar. So kämpft die gesetzliche Krankenversicherung schon seit den 90er Jahren mit steigenden Kosten in der Arzneimittelversorgung2. Dementsprechend sind auch in den letzten Jahren die Kosten, bis auf wenige Ausnahmen wie z. B. im Jahr 2011, in dem ein Rücklauf zu verzeichnen war, immer weiter gestiegen. Aktuell nehmen die Ausgaben für den Arzneimittelsektor ca. 17 % der Gesamtausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung ein und stellen damit den dritthöchsten Ausgabenposten dar, wobei der zweithöchste Kostenposten der ärztlichen Behandlung, nur um 0,3 % höher liegt, und sich damit nur marginal von den Arzneimittelausgaben unterscheidet. In Geldsummen ausgedrückt beliefen sich die Arzneimittelausgaben in 2014 auf 33 Mrd. Euro. Im Gegensatz dazu lagen die Ausgaben im Jahr 2012 noch bei ca. 29 Mrd. Euro. Aber auch im Jahr 2015 zeichnet sich ein weiterer Aufwärtstrend ab: im ersten Quartal 2015 sind sogar Steigerungen von mehr als 5 % im Vergleich zum ersten Quartal 2014 zu verzeichnen3. Um die Kosten einzudämmen, hat der Gesetzgeber immer wieder neue Mechanismen zur Kostenregulierung in das SGB V eingefügt4. Dazu zählen bspw. die zuletzt durch das Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz5 neu eingeführten Instrumente der frühen Nutzen-Bewertung in § 35a SGB V und die damit zusammenhängende Vereinbarung von Erstattungsbeträgen in § 130b SGB V6. Das Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz sollte durch seine Regelungen den Kostenanstieg für Arzneimittel begrenzen7. Damit wurde allerdings nur ein kurzfristiger Erfolg erzielt, wie sich an den neuesten Zahlen zeigt: Nach den zunächst feststellbaren Rückgängen in den Jahren 2011 und 2012 sind seit 2013 wieder stärkere Anstiege der Arznei1

BT-Drs. 11/2237, S. 138; zustimmend Schneider, in: Schulin, Handbuch des Sozialversicherungsrechts, Band 1, § 22 Rn. 138. 2 Pelzer/Klein, in: Fuhrmann/Klein/Fleischfresser, Arzneimittelrecht, § 46 Rn. 2. 3 Vgl. zu den Zahlen die Zusammenstellung des GKV Spitzenverbandes: Kennzahlen der gesetzlichen Krankenversicherung, S. 4, 7, Stand: Juni 2015, abrufbar unter: https://www.gkvspitzenverband.de/presse/zahlen_und_grafiken/gkv_kennzahlen/gkv_kennzahlen.jsp#lightbox. 4 Vgl. Dieners/Heil, in: Dieners/Reese, Handbuch des Pharmarechts, § 1 Rn. 2; Reese/ Stallberg, in: Dieners/Reese, Handbuch des Pharmarechts, § 17 Rn. 1. 5 Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes in der gesetzlichen Krankenversicherung v. 22. 12. 2010 (BGBl. I, S. 2262). 6 BT-Drs. 17/2413, S. 19 ff., 31 f. 7 BT-Drs. 17/2413, S. 3.

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mittelausgaben zu verzeichnen8. Dies spiegelt die allgemeine Situation von Reformvorhaben wider, wonach eingeführte Regulierungsinstrumente, sofern sie überhaupt Erfolg brachten, jedenfalls keine langfristigen Erfolge bezüglich der Kostenreduzierung erzielen konnten9. Es fehlt an langfristigen Einsparungsmaßnahmen und an umfassenden Reformen, vor allem an solchen Reformen, die aus einem Guss sind und in effizienter Weise die Steuerungsinstrumentarien neu ordnen10. Um die Arzneimittelkosten in der gesetzlichen Krankenversicherung zu senken, werden alle Beteiligten und Akteure in die Regulierung mit einbezogen. Die Instrumente der Kostenregulierung umfassen daher zum einen den Patienten durch bspw. Zuzahlungen, zum anderen den pharmazeutischen Unternehmer durch Rabatte, des Weiteren den Apotheker durch spezielle Abgabevorschriften oder auch den Vertragsarzt durch Therapiehinweise oder Regressregelungen11. Zu den Ausgabenregulierungsinstrumenten im klassischen Sinne gehören auch Arzneimittelausschlüsse12. Durch sie kann der Leistungskatalog wirkungsvoll begrenzt werden, sodass dadurch weniger Kosten für die gesetzliche Krankenversicherung entstehen. Ausschlüsse sind entweder gesetzlich normiert oder werden aufgrund gesetzlicher Ermächtigung durch untergesetzliche Regelungen bestimmt. Darüber hinaus kann der Gesetzgeber mit Arzneimittelausschlüssen an verschiedene Lebensbereiche und Erkrankungen anknüpfen und unterschiedlichste Ansatzpunkten wählen. So werden nicht apothekenpflichtige13 und nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel14 ausgeschlossen, aber eben auch Arzneimittel, die bei Bagatellerkrankungen zum Einsatz kommen, oder solche, bei denen die Erhöhung der Lebensqualität im Vordergrund steht15. Arzneimittelausschlüsse sind daher sehr vielseitig gestaltet. Obschon Arzneimittelausschlüsse ein naheliegendes Mittel zur Begrenzung der Arzneimittelausgaben und damit zur Sicherung der finanziellen Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung sind, werden demgegenüber pharmazeutische Unternehmer dadurch in ihren Absatzmöglichkeiten eingeschränkt, Ärzte in ihrem Verordnungsverhalten beschränkt und den Versicherten Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung genommen. Dementsprechend haben Leistungsausschlüsse 8

Vgl. die Zusammenstellung des GKV Spitzenverbandes: Kennzahlen der gesetzlichen Krankenversicherung, S. 7, Stand: Juni 2015, abrufbar unter: https://www.gkv-spitzenverband. de/presse/zahlen_und_grafiken/gkv_kennzahlen/gkv_kennzahlen.jsp#lightbox. 9 Becker, Steuerung der Arzneimittelversorgung, S. 5; so auch schon die Instrumentarien des GRG v. 20. 12. 1988 (BGBl. I, S. 2477), vgl. Schneider, in: Schulin, Handbuch des Sozialversicherungsrechts, Band 1, § 22 Rn. 140. 10 Axer, in: Wallrabenstein, Regulierungsrecht, S. 85. 11 Axer, in: Wallrabenstein, Regulierungsrecht, S. 86. 12 Allgemein für Begrenzungen der Erstattungsfähigkeit, Fuerst, VSSR 2011, S. 170 f. 13 § 31 Abs. 1 S. 1 SGB V. 14 § 34 Abs. 1 S. 1 SGB V. 15 § 34 Abs. 1 S. 6 SGB V – Ausschluss von Bagatellarzneimitteln; § 34 Abs. 1 S. 7 – 9 SGB V – Ausschluss von Lifestyle-Arzneimitteln.

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schnell verfassungsrechtliche Auswirkungen und werfen Fragen nach der Vereinbarkeit mit Grundrechten auf. Es ist mithin nicht verwunderlich, dass Arzneimittelausschlüsse die Rechtsprechung etliche Male beschäftigt haben. Als Beispiel ist der Ausschluss des Arzneimittels „Gelomyrtol forte“ zu nennen, der sowohl das Bundessozialgericht als auch das Bundesverfassungsgericht beschäftigte. Aufgrund dieses Ausschlusses hatten sich beide Gerichte mit der Frage der Verfassungsmäßigkeit des Ausschlusses nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel zu beschäftigen. Der Kläger litt an einer chronischen Bronchitis, die er mit dem nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel „Gelomyrtol forte“ behandelte. Der Gesetzgeber schloss allerdings zum 01. 01. 2004 die Verordnung nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung in § 34 Abs. 1 S. 1 SGB Vaus, sodass der Beklagte die vollen Kosten, die sich monatlich auf 28,80 Euro bezogen, zu tragen hatte, obwohl sein Hausarzt eine Weiterbehandlung für sinnvoll und notwendig erachtete. Der Kläger hielt die Einschränkung der Verordnungsfähigkeit für verfassungswidrig. Das Bundessozialgericht entschied allerdings, dass der Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel nicht den Gleichheitssatz und die Grundrechte aus Art. 2 Abs. 2, und 2 Abs. 1 GG i. V. m. dem Sozialstaatsprinzip verletze und verfassungsgemäß sei16 ; eine monatliche Belastung von 28,80 Euro sei für den Kläger zumutbar. Chronische Krankheiten seien, sofern es sich um schwerwiegende Erkrankungen handelt, von der gesetzlichen Ausnahmevorschrift gem. § 34 Abs. 1 S. 2 SGB V erfasst, weniger bedeutsame Arzneimittel, wie „Gelomyrtol forte“ seien dagegen ausgeschlossen17. Das Bundesverfassungsgericht bestätigte in einem Nichtannahmebeschluss vom 12. 12. 2012, auf die gegen das bundessozialgerichtliche Urteil eingelegte Verfassungsbeschwerde, die Auffassung des Bundessozialgerichts, dass der Ausschluss nicht gegen Verfassungsrecht verstoße und führte aus, dass das Kriterium der Verschreibungspflicht ein sachgerechtes Differenzierungskriterium sei18; doch bleiben trotz dieser Entscheidungen verfassungsrechtliche Fragen. Arzneimittelausschlüsse betreffen zudem die europarechtliche Ebene. Dies zeigt sich etwa in der Pohl-Boskamp-Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs19. Gegenstand dieser Entscheidung war die Ausnahmeregelung zum Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel in § 34 Abs. 1 S. 2 SGB V. Die nach der Ausnahmevorschrift ergangenen Entscheidungen stellten nach dem europäischen Gerichtshof eine Positivliste im Sinne des Art. 6 der Transparenzrichtlinie 89/105/ EWG dar20. Die Einordnung als Positivliste hatte zur Folge, dass § 34 Abs. 1 S. 2 SGB V in seiner damaligen Ausgestaltung der Transparenzrichtlinie widersprach, da er kein Antragsrecht zur Aufnahme in die OTC-Liste beinhaltete. Zur Umsetzung 16 17 18 19 20

BSGE 102, 30 (32 ff.). BSGE 102, 30 (33). BVerfG PharmR 2013, 119 ff. EuGH Slg. 2006, I-10611. EuGH Slg. 2006, I-10611 Rn. 30.

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dieser Richtlinie und zur Behebung des Problems wurde anschließend § 34 Abs. 6 SGB V eingefügt21. Vorliegende Arbeit untersucht die Ausschlüsse von Arzneimitteln in der gesetzlichen Krankenversicherung, wobei sich die Untersuchung auf § 34 SGB V beschränkt. Dieser enthält vier Ausschlüsse in Form von Negativlisten22, die den Anspruch der Versicherten auf Arzneimittelversorgung nach § 27 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 i. V. m. § 31 SGB V begrenzen. Als Ausschlüsse sind in dieser Regelung der Ausschluss von nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln, von Arzneimitteln zur Behandlung von Bagatellerkrankungen, von Arzneimitteln, die vorwiegend der Erhöhung der Lebensqualität dienen und von unwirtschaftlichen Arzneimitteln geregelt. In der Untersuchung wird der Inhalt der jeweiligen Ausschlussregelung sowie die Konkretisierungen durch den Gemeinsamen Bundesausschuss aufgezeigt und auf die Grenzen des Ausschlusses im Hinblick auf das Verfassungsrecht als auch das Europarecht eingegangen. Der Ausschluss von nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln wird dabei aufgrund seines umfassenden Ausschlusses einer gesamten Arzneimittelkategorie und der Ausnahmevorschrift in § 34 Abs. 1 S. 2 SGB V, die eine Positivliste verordnungsfähiger nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel beinhaltet und zahlreiche Fragen aufwirft, in den Mittelpunkt gestellt. Im ersten Teil (Teil A.) wird zunächst die Arzneimittelversorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung näher dargestellt und die Grundsätze des Krankenversicherungsrechts, die sich auch in der Arzneimittelversorgung widerspiegeln, verdeutlicht. Des Weiteren werden die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Versorgung mit Arzneimitteln näher erläutert, der grundsätzlich bei Vorliegen einer Krankheit besteht. Im Anschluss daran wird auf die Beschränkungen des Arzneimittelanspruchs eingegangen, die sich sowohl aus gesetzlichen als auch aus untergesetzlichen Regelungen ergeben können, und eine Strukturierung dieser Beschränkungen in Arzneimittelausschlüsse und in bloße Anspruchsbegrenzungen vorgenommen, wobei sich die Einordnung an der Auswirkung der jeweiligen Beschränkungen auf den Anspruch der Versicherten auf Arzneimittelversorgung orientiert. Teil B. beschäftigt sich sodann mit dem Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel und dessen Inhalt. Dazu werden die Entstehungsgeschichte und der arzneimittelrechtliche Begriff der Verschreibungspflicht näher dargestellt. Besonderes Augenmerk wird auf die Ausnahmevorschrift in § 34 Abs. 1 S. 2 SGB V gelegt, wonach der Gemeinsame Bundesausschuss in seinen Richtlinien festlegt, welche nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel, die bei der Behandlung von

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Vgl. BT-Drs. 16/4247, S. 32. Dazu Abschnitt B. III. 4. Vgl. auch Spickhoff, in: ders., Medizinrecht, § 34 SGB V Rn. 1, der von „schwarzen Listen“ spricht. 22

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schwerwiegenden Erkrankungen als Therapiestandard gelten, ausnahmsweise vom Vertragsarzt verordnet werden können. Die ausnahmsweise verordnungsfähigen Wirkstoffe sowie die dazugehörigen schwerwiegenden Erkrankungen finden sich auf der sog. OTC-Liste, die der Gemeinsame Bundesausschuss erstellt hat. Diesbezüglich stellen sich vor allem aus europarechtlicher Sicht Fragen hinsichtlich der Voraussetzungen zur Aufnahme auf diese Liste sowie zu Rechten der pharmazeutischen Unternehmer, um auf diese Liste zu gelangen, sowie zum Rechtsschutz, sofern eine Ablehnung erfolgt. Des Weiteren werden insbesondere die Aufnahmevoraussetzungen der schwerwiegenden Erkrankung und des Therapiestandards sowie deren Ausformung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss untersucht. Hierbei wird auf die Definition sowie den Inhalt der beiden Begriffe eingegangen. In Bezug auf den Begriff der schwerwiegenden Erkrankung, der ebenso wie der Begriff der schwerwiegenden Erkrankung im OffLabel-Use ausgelegt wird, stellt sich die Frage, ob diese Anknüpfung sachgerecht ist, und ob es nicht eines eigenen Begriffes im Rahmen der OTC-Liste bedarf. Zudem ist die Abgrenzung zum Begriff der lebensbedrohlichen Erkrankung, wie sie durch den Nikolausbeschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 06. 12. 2005 Ausprägung gefunden hat, darzustellen. Darüber hinaus ist der Frage nachzugehen, inwiefern die Ausgestaltung des Begriffes des Therapiestandards mit seiner Bezugnahme auf den allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse den Anforderungen an die Ausnahmeregelung gerecht wird. Im Weiteren stellt sich die Frage, inwiefern der Gemeinsame Bundesausschuss durch die OTC-Liste, die Wirkstoffe aufzählt, seiner Pflicht zur Erstellung und Veröffentlichung einer Fertigarzneimittelliste nachgekommen ist. Ferner wird auf die zweite Ausnahme des Ausschlusses bei Kindern und Jugendlichen mit Entwicklungsstörungen sowie die Möglichkeit zur Verordnungsfähigkeit nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel mittels Satzungsleistungen eingegangen. Im dritten Teil (Teil C.) werden die verfassungsrechtlichen und europarechtlichen Grenzen des Ausschlusses nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel behandelt. Untersucht wird hierbei die Verletzung von Grundrechten der Versicherten sowie der Vertragsärzte und der pharmazeutischen Unternehmer, wobei der Schwerpunkt auf der Verletzung von Grundrechten der Versicherten liegt. Bei der Untersuchung der Grundrechte der Versicherten wird vor allem der Frage nachgegangen, ob die Verschreibungspflicht ein taugliches Abgrenzungskriterium darstellt und welche Rolle die Ausnahmeregelungen bei der Rechtfertigung einnehmen. Innerhalb der Gruppe von Versicherten wird ferner zwischen speziellen Personengruppen unterschieden. Problematisch ist für hilfebedürftige Personen im Sinne des SGB II oder SGB XII der Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel im Hinblick auf ihr niedriges entgeltliches Leistungsvermögen. So stellt sich hierbei insbesondere die Frage, ob das grundgesetzlich gesicherte medizinische Existenzminimum durch den Ausschluss gefährdet wird, und ob die Regelungen des SGB II und des SGB XII mögliche Defizite in der Arzneimittelversorgung der ge-

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setzlichen Krankenversicherung durch die Selbstzahlungspflicht decken können. Im Hinblick auf chronisch Kranke ist die Frage zu untersuchen, ob der Ausschluss auch diesen Versicherten zugemutet werden kann und ob es eigener Härtefallregelungen bedarf. Des Weiteren ist in Bezug auf die besonderen Therapierichtungen problematisch, dass die Arzneimittel der besonderen Therapierichtungen hauptsächlich nicht verschreibungspflichtig sind und dementsprechend die meisten dieser Arzneimittel dem Ausschluss unterfallen. Insofern gilt es die Stellung der besonderen Therapierichtungen im SGB V zu untersuchen und die Anwendbarkeit der Ausnahmeregelungen auf diese Arzneimittel zu prüfen, wobei auch zu untersuchen ist, ob die besonderen Therapierichtungen dieselben Voraussetzungen erfüllen müssen wie allopathische Arzneimittel. Im weiteren Verlauf wird auf die Eigentums- und die Berufsfreiheit der pharmazeutischen Unternehmer eingegangen, wobei insbesondere das Vorliegen eines Eingriffes untersucht wird und zur Bestimmung die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu den Festbeträgen hinzugezogen wird, in der das Gericht eine berufsregelnde Tendenz und damit auch einen Eingriff verneinte. Ferner wird die Therapiefreiheit des Arztes behandelt. Daran anschließend wird die Europarechtskonformität des Ausschlusses untersucht und hierbei auf die Warenverkehrsfreiheit und die für Arzneimittel maßgebliche Transparenzrichtlinie eingegangen, die besondere Anforderungen an Ausschlüsse stellt und mithin der Konkretisierung der Warenverkehrsfreiheit dient. In Teil D. werden die weiteren in § 34 SGB V aufgelisteten Ausschlüsse behandelt. Dabei werden jeweils Inhalt und Reichweite der Ausschlüsse aufgezeigt, wobei hinsichtlich der Reichweite die Grundrechte der Versicherten, der Vertragsärzte und der pharmazeutischen Unternehmer und im Bereich des Europarechts die Transparenzrichtlinie als maßgebliche Grenzen herangezogen werden. Der Anwendungsbereich des Ausschlusses von Bagatellarzneimitteln nach § 34 Abs. 1 S. 6 SGB V wurde im Rahmen der Einführung des Ausschlusses nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel auf verschreibungspflichtige Arzneimittel eingeschränkt. Insofern wird untersucht, ob für den Ausschluss noch ein eigenständiger Anwendungsbereich verbleibt. Des Weiteren wird darauf eingegangen, ob der Ausschluss durch seine Beschränkung auf verschreibungspflichtige Arzneimittel die Grundrechte der pharmazeutischen Unternehmer in unverhältnismäßiger Weise eingrenzt, da die verschreibungspflichtigen Arzneimittel anderen Regularien auf dem Arzneimittelmarkt unterworfen sind als nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel. Im Rahmen der Untersuchung des Ausschlusses von Arzneimittel, die vorwiegend der Erhöhung der Lebensqualität dienen, sog. Lifestyle-Arzneimittel, stellen sich Fragen hinsichtlich des Begriffes der Lebensqualität sowie zur Reichweite des Ausschlusses in Bezug auf die ausgeschlossenen Fälle und seiner Einordnung als gesetzlicher Ausschluss aufgrund der bestehenden Konkretisierungsbefugnis des Gemeinsamen Bundesausschusses. Des Weiteren umfasst der Ausschluss sowohl nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel als auch verschreibungspflichtige

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Arzneimittel, sodass das Verhältnis zum Ausschluss der OTC-Arzneimittel geklärt werden soll. Im Hinblick auf die Verfassungsmäßigkeit ist insbesondere die umfassende Wirkung des Ausschlusses sowie der Ausschluss einzelner gesetzlich genannter Beispiele zu untersuchen. Des Weiteren stellen sich Fragen zur Vereinbarkeit mit der Transparenzrichtlinie aufgrund der weiten Konkretisierungsbefugnis des Gemeinsamen Bundesausschusses. Als letzter Ausschluss wird der Ausschluss unwirtschaftlicher Arzneimittel angesprochen, der früher durch eine Rechtsverordnung geregelt war, aber seit 2011 in Teilen als Auschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses gilt. Dabei wird der Inhalt des ehemals durch Rechtsverordnung geregelten Ausschlusses aufgezeigt und untersucht, inwiefern durch die Änderung der Rechtsform auch inhaltliche Änderungen eingetreten sind. Darüber hinaus sind die Grenzen dieses Ausschlusses aufzuzeigen, der anders als die bisherigen Ausschlüsse einzelne Arzneimittel von der Versorgung ausnimmt und dem dementsprechend andere, in Bezug auf die pharmazeutischen Unternehmer jedenfalls engere, verfassungsrechtliche Grenzen gesetzt sind. Unter Berücksichtigung der gewonnenen Untersuchungsergebnisse soll im abschließenden Teil E. herausgearbeitet werden, welche verfassungs- und europarechtlichen Grenzen für den Gesetzgeber allgemein bei Einschränkungen des Leistungskatalogs der gesetzlichen Krankenversicherung in Form von Ausschlüssen bestehen.

A. Arzneimittelversorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung Nach § 27 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 i. V. m. § 31 SGB V haben Versicherte als Bestandteil der Krankenbehandlung einen Anspruch auf Versorgung mit Arzneimitteln1. Erfüllt wird dieser Anspruch von den Krankenkassen durch die Leistungserbringer. Die Verordnung von Arzneimitteln erfolgt im ambulanten Bereich im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung2, sodass als maßgebliche Leistungserbringer die Vertragsärzte und die Apotheken anzusehen sind. Durch sie erfolgt regelmäßig die unmittelbare Abgabe von Arzneimitteln an die Versicherten3. Der vertragsärztlichen Verordnung kommt im Rahmen der Gewährung von Arzneimitteln eine zentrale Rolle zu4. Aus §§ 27 ff. SGB Vergeben sich nach bislang allgemeiner Ansicht keine konkreten, durchsetzbaren Leistungsansprüche für die Versicherten. Vermittelt werden durch die leistungsrechtlichen Regelungen ausfüllungsbedürftige, subjektiv-öffentliche Rahmenrechte, die einen Anspruch nur dem Grunde nach gewähren und durch die Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses sowie durch das Leistungserbringungsrecht näher konkretisiert werden5. Während die Richtlinien eine Konkretisierung auf abstrakt-genereller Ebene vornehmen, wird die Konkretisierung im Einzelfall durch den Vertragsarzt vorgenommen6. Mit seiner Entscheidung zur Verordnung verdichtet sich das Rahmenrecht zu einem Anspruch des Versicherten auf das verordnete Arzneimittel7. Soweit der 1. Senat des Bundessozialgerichts neuerdings einen konkreten Individualanspruch bejaht8, folgt daraus nicht, dass den untergesetzlichen Normen des Gemeinsamen 1

BSG SozR 4 – 2500 § 129 Nr. 2 Rn. 20; BSGE 104, 160 (169). Vgl. § 73 Abs. 2 Nr. 7 SGB V. 3 Wodarz, in: Sodan, Handbuch des Krankenversicherungsrechts, § 27 Rn. 2. 4 Der Vertragsarzt wird daher auch als „Schlüsselfigur“ der Arzneimittelverordnung bezeichnet, vgl. BSGE 77, 194 (200); 94, 213 (216); BSG SozR 4 – 2500 § 129 Nr. 1 Rn. 18; BSG SozR 4 – 2500 § 129 Nr. 2 Rn. 20; Axer, in: Becker/Kingreen, SGB V, § 129 SGB V Rn. 10; Wodarz, in: Sodan, Handbuch des Krankenversicherungsrechts, § 27 Rn. 34. Vgl. auch Francke, MedR 2006, S. 683, der ihn als „zentral steuernde Instanz“ betitelt. 5 BSGE 73, 271 (279 f.); 78, 70 (85); 81, 54 (60 f.); 81, 73, (78 f.); 103, 106 (120 f.); 105, 157 (162 f.); BSG SozR 4 – 2500 § 27 Nr. 18 Rn. 21; BSG SozR 4 – 2500 § 11 Nr. 2 Rn. 13; Lang, in: Becker/Kingreen, SGB V, § 27 SGB V Rn. 53 ff. 6 BSGE 73, 271 (280 f.). 7 BSGE 105, 157 (162 f.); vgl. auch: Axer/Ebsen/Klein, in: Ebsen, Handbuch Gesundheitsrecht, Kap. 3, S. 52 f.; Jörg, in: Schnapp/Wigge, HVAR, § 11 Rn. 16. 8 BSG SozR 4 – 2500 § 13 Nr. 32 Rn. 8; bestätigt durch denselben Senat in BSG SozR 4 – 2500 § 11 Nr. 2 Rn. 13. 2

I. Grundsätze der Arzneimittelversorgung

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Bundesausschusses keine konkretisierende Bedeutung zukommt. Vielmehr behalten diese insoweit die Funktion bei9, denn Reichweite und Gestalt des Individualanspruchs ergeben sich – wie der 1. Senat formuliert – erst aus dem Zusammenspiel mit weiteren gesetzlichen und untergesetzlichen Rechtsnormen10.

I. Grundsätze der Arzneimittelversorgung 1. Das Sachleistungsprinzip Der Anspruch auf Versorgung mit Arzneimitteln stellt sich grundsätzlich als Sachleistungsanspruch dar. Dies ergibt sich aus dem Sachleistungsprinzip, das in § 2 Abs. 2 S. 1 SGB V verankert ist und ein Grundprinzip des Krankenversicherungsrechts darstellt11. Es besagt, dass die Versicherten die Leistungen grundsätzlich als Sach- oder Dienstleistungen erhalten. Anders als in der privaten Krankenversicherung werden die Leistungen nicht nachträglich erstattet, sondern in natura erbracht. Dementsprechend sind die Krankenkassen verpflichtet, den Versicherten die Arzneimittel als Sachleistungen zur Verfügung zu stellen. Die Leistungserbringung durch Kostenerstattung ist nicht generell ausgeschlossen, aber auf spezifisch gesetzlich geregelte Fälle beschränkt12. Hierzu müssen die Versicherten jedoch Vorgaben beachten, wie etwa, dass sie vor der Inanspruchnahme der Leistung ihre Krankenkasse in Kenntnis zu setzen haben13. Der Anspruch auf Kostenerstattung reicht dabei aber nicht weiter als der Sachleistungsanspruch und setzt dessen Bestehen voraus14. Die Krankenkassen erfüllen den Anspruch auf Versorgung mit Arzneimitteln mittelbar über die Leistungserbringer nach §§ 129 ff. SGB V, im Fall von Arzneimitteln über den Vertragsarzt, der das Arzneimittel verordnet15 und den Apotheker, der das Arzneimittel unmittelbar an den Versicherten

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Vgl. Axer, GesR 2015, S. 642. BSG SozR 4 – 2500 § 13 Nr. 32 Rn. 8; BSG SozR 4 – 2500 § 11 Nr. 2 Rn. 13. 11 BSGE 69, 170 (173); Joussen, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, Beck’scher Onlinekommentar Sozialrecht, § 2 SGB V Rn. 5; Noftz, in: Hauck/Noftz, Sozialgesetzbuch – SGB V, § 2 SGB V Rn. 25; Quaas/Zuck/Clemens, Medizinrecht, § 9 Rn. 2. 12 § 13 Abs. 1 SGB V. Zu den zulässigen Fällen der Kostenerstattung in § 13 SGB V, vgl. § 13 Abs. 2 – 6 SGB V. Zu weiteren gesetzlich geregelten Fällen, vgl. Hauck, in: Sodan, Handbuch des Krankenversicherungsrechts, § 8 Rn. 23. 13 § 13 Abs. 2 S. 2 SGB V. 14 BSGE 79, 125 (126 f.); 97, 190 (192); 100, 103 (105); 113, 40 (50); BSG SozR 4 – 2500 § 13 Nr. 19 Rn. 12; BSG SozR 4 – 2500 § 27a Nr. 14 Rn. 8; BSG SozR 4 – 2500 § 35 Nr. 6 Rn. 11; vgl. auch Axer/Ebsen/Klein, in: Ebsen, Handbuch Gesundheitsrecht, Kap. 3, S. 78. 15 Die Verordnung durch den Vertragsarzt ist zwingende Voraussetzung für die Erlangung des Anspruchs auf Sachleistung, vgl. BSGE 77, 194 (200); Francke, MedR 2006, S. 683. 10

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A. Arzneimittelversorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung

übergibt16. Die Kosten für das Arzneimittel gegenüber der Apotheke trägt die Krankenkasse17.

2. Qualitäts- und Wirtschaftlichkeitsanforderungen Das Wirtschaftlichkeitsgebot18 ist ein weiteres Grundprinzip der gesetzlichen Krankenversicherung, das bei jeder Leistungserbringung zu beachten ist19. Danach sind nur solche Leistungen zu erbringen, die ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sind und das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Handelt es sich um Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, so können Versicherte diese nicht beanspruchen, Leistungserbringer dürfen diese nicht bewirken und Krankenkassen dürfen sie nicht bewilligen20. Dementsprechend ist der Anspruch auf Arzneimittelversorgung inhaltlich auf Arzneimittel beschränkt, die diese Anforderungen erfüllen21. Dem Wirtschaftlichkeitsgebot kommt daher leistungsbegrenzende Funktion zu22. Insofern finden sich auch in § 34 SGB VArzneimittelausschlüsse, die das Wirtschaftlichkeitsgebot konkretisieren, und Arzneimittel, die dessen Anforderungen nicht erfüllen, von der Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung ausnehmen23. Des Weiteren dürfen nur solche Leistungen erbracht werden, die in Qualität und Wirksamkeit dem allgemeinen Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen und den medizinischen Fortschritt berücksichtigen24. Die gesetzliche Krankenversicherung hat grundsätzlich nicht die Aufgabe, die medizinische Forschung zu fi-

16 Zur Erbringung der Leistung durch dafür zugelassene Leistungserbringer, vgl. Joussen, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, Beck’scher Onlinekommentar Sozialrecht, § 2 SGB V Rn. 6; Nebendahl, in: Spickhoff, Medizinrecht, § 2 SGB V Rn. 11; Sodan, in: ders., Handbuch des Krankenversicherungsrechts, § 13 Rn. 4, 14. 17 Vgl. etwa BSG SozR 4 – 2500 § 129 Nr. 2 Rn. 20; BSGE 105, 157 (162 f.). Die Kosten belaufen sich i. d. R. auf den Festbetrag abzüglich der Abschläge nach §§ 130, 130a SGB V und der Zuzahlungen, vgl. Wodarz, in: Sodan, Handbuch des Krankenversicherungsrechts, § 27 Rn. 34. 18 §§ 12 Abs. 1, 2 Abs. 1 und 4 SGB V. 19 Roters, in: Körner/Leitherer/Mutschler, Kasseler Kommentar, § 12 SGB V Rn. 3 f.; Scholz, in: Becker/Kingreen, SGB V, § 12 SGB V Rn. 1. 20 Vgl. § 12 Abs. 1 S. 2 SGB V; ausführlich zu den einzelnen Voraussetzungen Becker, Steuerung der Arzneimittelversorgung, S. 68 ff. 21 Vgl. Wodarz, in: Sodan, Handbuch des Krankenversicherungsrechts, § 27 Rn. 3. 22 Vgl. Engelhard, in: Schlegel/Voelzke, juris Praxiskommentar, § 12 SGB V Rn. 18; Scholz, in: Becker/Kingreen, SGB V, § 12 SGB V Rn. 2; Sproll, in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung Pflegeversicherung, § 92 SGB V Rn. 13. 23 So knüpft etwa der Ausschluss unwirtschaftlicher Arzneimittel gem. § 34 Abs. 3 SGB V an das Wirtschaftlichkeitsgebot an, vgl. Abschnitt D. III. 1. b). 24 § 2 Abs. 1 S. 3 SGB V.

II. Anspruch auf Versorgung mit Arzneimitteln

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nanzieren25. Durch die Begrenzung auf den Stand der medizinischen Erkenntnisse werden jedenfalls Außenseitermethoden, die sich nicht bewährt haben, sowie neue Verfahren, die nicht ausreichend erprobt sind, ausgeschlossen26.

II. Anspruch auf Versorgung mit Arzneimitteln 1. Vorliegen des Versicherungsfalles Krankheit Nach § 27 Abs. 1 S. 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, zu der die Versorgung mit Arzneimitteln gehört, wenn die Krankenbehandlung notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Grundvoraussetzung für einen Anspruch auf Versorgung ist daher der Eintritt des Versicherungsfalles, mithin das Vorliegen einer Krankheit27. Das Gesetz enthält selbst keine Definition von Krankheit. Nach ständiger Rechtsprechung und allgemeiner Ansicht in der Literatur wird allerdings unter einer Krankheit ein regelwidriger Körper- oder Geisteszustand verstanden, der eine Heilbehandlung erforderlich macht und/oder Arbeitsunfähigkeit zur Folge hat28. Die Ursache der Erkrankung ist dabei irrelevant29.

2. Arzneimittelbegriff Eine weitere wesentliche Grundvoraussetzung für einen Anspruch ist das Vorliegen eines Arzneimittels. Nicht unter den Arzneimittelbegriff fallende Präparate sind nicht vom Anspruch nach § 31 SGB V umfasst und müssen demnach nicht geleistet werden. Der Begriff des Arzneimittels ist im SGB V nicht legal definiert. Zur Bestimmung wird die Definition in § 2 Abs. 1 AMG herangezogen30, wonach 25

So BT-Drs. 11/2237, S. 157; vgl. auch: Peters, in: Körner/Leitherer/Mutschler, Kasseler Kommentar, § 2 SGB V Rn. 4; Scholz, in: Becker/Kingreen, SGB V, § 2 SGB V Rn. 3, wobei dieser u. a. § 2 Abs. 1a SGB V als Ausnahme davon ansieht. 26 BT-Drs. 11/2237, S. 157; vgl. auch: Nebendahl, in: Spickhoff, Medizinrecht, § 2 SGB V Rn. 6; Peters, in: Körner/Leitherer/Mutschler, Kasseler Kommentar, § 2 SGB V Rn. 4. 27 Daneben werden Versicherte auch unabhängig vom Vorliegen einer Krankheit mit Arzneimitteln versorgt, so bspw. im Rahmen der Empfängnisverhütung, vgl. § 11 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 24a Abs. 1 S. 2 SGB V. 28 BSGE 13, 134 (136); BSG SozR 4 – 2500 § 27 Nr. 20 Rn. 10; so auch der Gesetzgeber, BT-Drs. 11/2237, S. 170; vgl. auch für das Schrifttum: Nolte, in: Körner/Leitherer/Mutschler, Kasseler Kommentar, § 27 SGB V Rn. 9; Waltermann, in: Knickrehm/Kreikebohm/Waltermann, Kommentar zum Sozialrecht, § 27 SGB V Rn. 2. 29 Knispel, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, Beck’scher Onlinekommentar Sozialrecht, § 27 SGB V Rn. 6. 30 BSGE 72, 252 (255 f.); 96, 153 (155); 100, 103 (106); Axer, in: Becker/Kingreen, SGB V, § 31 SGB V Rn. 7; Schneider, in: Schulin, Handbuch des Sozialversicherungsrechts, Band 1,

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A. Arzneimittelversorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung

Arzneimittel „Stoffe oder Zubereitungen aus Stoffen [sind], (1) die zur Anwendung im oder am menschlichen oder tierischen Körper bestimmt sind und als Mittel mit Eigenschaften zur Heilung oder Linderung oder zur Verhütung menschlicher oder tierischer Krankheiten oder krankhafter Beschwerden bestimmt sind oder (2) die im oder am menschlichen oder tierischen Körper angewendet oder einem Menschen oder einem Tier verabreicht werden können, um entweder (a) die physiologischen Funktionen durch eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung wiederherzustellen, zu korrigieren oder zu beeinflussen oder (b) eine medizinische Diagnose zu erstellen“. Die Anknüpfung an das Arzneimittelgesetz ergibt sich daraus, dass das SGB V hinsichtlich der Leistungsvoraussetzungen die arzneimittelrechtlichen Begriffe der Apotheken- und Verschreibungspflicht31 in Bezug nimmt32. Nicht erfasst und vom Begriff des Arzneimittels abzugrenzen sind z. B. Lebensmittel, Kosmetika, Tabakerzeugnisse, Biozid-Produkte, Organe oder Medizinprodukte33.

3. Arzneimittelrechtliche Zulassung Arzneimittel können nach § 31 SGB V grundsätzlich nur dann verordnet werden, wenn das jeweilige Arzneimittel zugelassen und damit verkehrsfähig ist34. Die Zulassung ist in §§ 21 ff. AMG geregelt. Sie wurde aufgrund der Contergan-Fälle und dem immer stärker werdenden Bedürfnis nach Arzneimittelsicherheit in den 70er Jahren eingeführt35. Zulassungsbedürftig sind alle Fertigarzneimittel36. Das sind solche Arzneimittel, die im Voraus hergestellt werden und in einer zur Abgabe an den § 22 Rn. 152; für eine eigene, an dem Begriff der Krankheit orientierte Interpretation des Arzneimittelbegriffs hingegen Wigge/Wille, in: Schnapp/Wigge, HVAR, § 19 Rn. 3. Zum Arzneimittelbegriff näher siehe Abschnitt B. III. 4. b) aa). 31 Die Apothekenpflicht ist in §§ 43 ff. AMG geregelt; die Verschreibungspflicht in § 48 AMG. Zur Apothekenpflicht, vgl. Abschnitt A. III. 1. a). Zur Verschreibungspflicht vgl. Abschnitt B. II. 2. 32 BSG SozR 3 – 2500 § 27 Nr. 10 S. 34; Axer, in: Wallrabenstein, Regulierungsrecht, S. 89; Becker, Steuerung der Arzneimittelversorgung, S. 21; Wodarz, in: Sodan, Handbuch des Krankenversicherungsrechts, § 27 Rn. 13. 33 Vgl. zu den Abgrenzungsproblematiken: Heßhaus, in: Spickhoff, Medizinrecht, § 2 AMG Rn. 17 ff.; Fuhrmann, in: ders./Klein/Fleischfresser, Arzneimittelrecht, § 2 Rn. 17 ff.; Stephan, in: Fuhrmann/Klein/Fleischfresser, Arzneimittelrecht, § 2 Rn. 28 ff.; sowie Abschnitt B. III. 4. b) aa) (2). 34 Erst mit der Zulassung ist das Arzneimittel verkehrsfähig, vgl. § 21 Abs. 1 S. 1 AMG; Grotjahn, JURA 2015, S. 369; Heßhaus, in: Spickhoff, Medizinrecht, § 21 AMG Rn. 3; Rehmann, in: ders., Arzneimittelgesetz (AMG) Kommentar, § 21 AMG Rn. 1. 35 Davor war lediglich eine Registrierung notwendig, vgl. Becker, SGb 2004, S. 595. Näheres zum Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelrechts vom 24. 08. 1976 (BGBl. I, S. 2445) bei Fleischfresser/Fuhrmann, in: Fuhrmann/Klein/Fleischfresser, Arzneimittelrecht, § 1 Rn. 9 ff. 36 Vgl. § 21 Abs. 1 S. 1 SGB V.

II. Anspruch auf Versorgung mit Arzneimitteln

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Verbraucher bestimmten Packung in den Verkehr gebracht werden37. Keiner Zulassung bedürfen die sog. Rezepturarzneimittel. Der Begriff der Rezepturarzneimittel umfasst im Gegensatz zu den Fertigarzneimitteln solche, die in einer Apotheke hinsichtlich einer Einzelrezeptur hergestellt werden38. Die Rezepturarzneimittel unterliegen aber, soweit es sich um eine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode handelt, den Anforderungen des § 135 SGB V und damit dem Erlaubnisvorbehalt des Gemeinsamen Bundesausschusses39. Bei diesen Arzneimitteln erfolgt eine Überprüfung der Behandlungsmethode auf ihren Nutzen, ihre medizinische Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit durch den Gemeinsamen Bundesausschuss40. Zugelassen werden arzneimittelrechtlich nur solche Arzneimittel, die Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit nachweisen können41. Durch das Zulassungserfordernis wird ein Mindeststandard an Sicherheit und Qualität garantiert42. Fehlt es an einer Zulassung, dann fehlt es in der Regel auch an der Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit des Arzneimittels, sodass es den Anforderungen des Wirtschaftlichkeitsgebots nicht genügt43. Da ein Arzneimittel ohne Zulassung nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnet werden kann, spricht man in diesem Zusammenhang von einer Vorgreiflichkeit der Arzneimittelzulassung44. Das Fehlen der arzneimittelrechtlichen Zulassung führt daher grundsätzlich zu einem Ausschluss des Leistungsanspruchs45. Dadurch werden Arzneimittel, die keine Zulassung besitzen, nicht aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen, sondern durch die Vorgreiflichkeit der Zulassung schon gar nicht darin aufgenommen. Allein aus der Zulassung des Arzneimittels resultiert aber noch kein Versorgungsanspruch des Versicherten. Die Zulassung ist lediglich eine Mindestvoraussetzung; sie ist daher nur negativ vorgreiflich, begründet aber nicht den Leis-

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§ 4 Abs. 1 AMG. Vgl. Fleischfresser, in: Fuhrmann/Klein/Fleischfresser, Arzneimittelrecht, § 2 Rn. 173. 39 BSGE 82, 223 (237 f.); 86, 54 (60); 93, 236 (240); BSG SozR 4 – 2500 § 106 Nr. 30 Rn. 24; Beck, in: Schlegel/Voelzke, juris Praxiskommentar, § 31 SGB V Rn. 34; Schmidt-De Caluwe, in: Becker/Kingreen, SGB V, § 135 SGB V Rn. 5; Vossen, in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung Pflegeversicherung, § 135 SGB V Rn. 8. Bei zulassungspflichtigen Arzneimitteln hat der Erlaubnisvorbehalt nach § 135 SGB V aufgrund der ausreichenden Gewähr durch die Zulassung keine Bedeutung, vgl. BSGE 89, 184 (185 f.); vgl auch die ausführliche Diskussion bei Becker, Steuerung der Arzneimittelversorgung, S. 32 ff. 40 Vgl. § 135 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB V. 41 Vgl. Fleischfresser, in: Fuhrmann/Klein/Fleischfresser, Arzneimittelrecht, § 6 Rn. 3; Kügel, in: ders./Müller/Hofmann, Arzneimittelgesetz, § 25 AMG Rn. 2. 42 Vgl. BSGE 82, 233 (235); 85, 36 (51 f.); 95, 132 (138). 43 BSGE 82, 233 (234); 96, 153 (157); 100, 103 (111). 44 So BSGE 72, 252 (257); 82, 233 (236); 89, 184 (185); 95, 132 (138); vgl. auch: Francke, MedR 2006, S. 685; Wille, SdL 2006, S. 380 ff. 45 Axer, in: Becker/Kingreen, SGB V, § 31 SGB V Rn. 17. 38

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A. Arzneimittelversorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung

tungsanspruch des Versicherten46. Schon das die gesetzliche Krankenversicherung prägende Wirtschaftlichkeitsgebot erlaubt und fordert zusätzliche Anforderungen an die Versorgung mit Arzneimitteln in der gesetzlichen Krankenversicherung47. Allerdings besteht bisher kein spezielles krankenversicherungsrechtliches Zulassungsverfahren für Arzneimittel48, das die Voraussetzungen für eine Leistungspflicht der Krankenkassen normiert49. Andere Zulassungsvoraussetzungen galten für fiktiv zugelassene Arzneimittel nach § 105 AMG. Dabei handelte es sich um Arzneimittel, die bereits vor dem 01. 01. 1978, und damit vor Einführung der Zulassungsvoraussetzungen im Arzneimittelgesetz, im Verkehr waren, und die dementsprechend das Zulassungsverfahren der §§ 21 ff. AMG nicht durchlaufen haben. Diese galten als zugelassen, sofern eine Anzeige nach § 105 Abs. 2 AMG getätigt wurde. Allerdings mussten sich diese Arzneimittel einer Nachzulassung unterziehen, indem ein Antrag auf Verlängerung der Zulassung nach § 105 Abs. 3 AMG gestellt werden musste. Dieser Verlängerungsantrag stellte höhere Voraussetzungen als eine bloße Zulassungsverlängerung nach § 31 AMG und kam daher mehr einer Neuzulassung gleich50. Mittlerweile ist diese Nachzulassung abgeschlossen51, sodass sich keine fiktiv zugelassenen Arzneimittel mehr im Verkehr befinden, die sich nicht einer Überprüfung durch das AMG in Form des Verlängerungsantrags unterzogen haben. Eine fehlende arzneimittelrechtliche Zulassung hindert einen Versorgungsanspruch des Versicherten jedoch nicht gänzlich. Sowohl über den Off-Label-Use als auch über die Grundsätze des sog. Nikolausbeschlusses können Arzneimittel auch ohne Zulassung verordnet werden. Als Off-Label-Use bezeichnet man einen Gebrauch eines zugelassenen Fertigarzneimittels außerhalb seines zugelassenen An46

BSGE 95, 132 (137 f.); Axer, in: Wallrabenstein, Regulierungsrecht, S. 90. Axer, in: Wallrabenstein, Regulierungsrecht, S. 90. 48 Ein solches Verfahren wird auch als „vierte Hürde“ bezeichnet, vgl. Axer, in: Wallrabenstein, Regulierungsrecht, S. 90. Ein eigenständiges Zulassungsverfahren gibt es nur gem. § 135 SGB V, wenn die Arzneimittelversorgung Teil einer neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethode ist, vgl. Axer, in: Becker/Kingreen, SGB V, § 31 SGB V Rn. 20; vgl. auch Francke, MedR 2006, S. 685, der von einer Zulassung von Untersuchungs- und Behandlungsmethoden nach § 135 SGB V spricht. 49 Axer, in: Wallrabenstein, Regulierungsrecht, S. 90; Becker, MedR 2010, S. 219; Francke, MedR 2006, S. 685 f.; Wodarz, in: Sodan, Handbuch des Krankenversicherungsrechts, § 27 Rn. 14. Vgl. zur Bindungswirkung der Zulassung auch, Abschnitt B. III. 5. b) aa) (1). 50 So Heßhaus, in: Spickhoff, Medizinrecht, § 105 AMG Rn. 7, der sich hinsichtlich dessen auf die abweichenden Anforderungen in § 105 Abs. 3, 4 und 4a AMG ggü. der regulären Zulassungsverlängerung beruft; ähnlich auch Wagner, in: Dieners/Reese, Handbuch des Pharmarechts, § 6 Rn. 165, die von einer Angleichung an die Neuzulassung durch das Zehnte Gesetz zur Änderung des Arzneimittelgesetzes vom 04. 07. 2000 (BGBl. I, S. 1002) spricht. 51 Die Nachzulassung wurde 2005 abgeschlossen, vgl. Fleischfresser, in: Fuhrmann/Klein/ Fleischfresser, Arzneimittelrecht, § 6 Rn. 2. Zur fiktiven Zulassung: Heßhaus, in: Spickhoff, Medizinrecht, § 105 AMG Rn. 1 ff.; Wagner, in: Dieners/Reese, Handbuch des Pharmarechts, § 6 Rn. 164 ff. 47

II. Anspruch auf Versorgung mit Arzneimitteln

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wendungsgebiets52. Ein solcher zulassungsüberschreitender Gebrauch ist nach den in der Rechtsprechung entwickelten Kriterien dann möglich, wenn es sich um eine schwerwiegende Erkrankung handelt, die lebensbedrohlich ist oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigt, keine andere Therapie verfügbar ist und eine hinreichend begründete Aussicht auf Behandlungserfolg besteht53. Zudem ist der Off-Label-Use gesetzlich in § 35c SGB V geregelt: Ein Off-LabelUse zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung ist dann möglich, sofern ein positiver Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses zur Verordnungsfähigkeit von zugelassenen Arzneimitteln in nicht zugelassenen Anwendungsgebieten vorliegt. Diesen Beschluss trifft der Gemeinsamen Bundesausschuss aufgrund einer Empfehlung von Expertengruppen, die beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte eingerichtet wurden54. Des Weiteren ist eine Kostenübernahme beim Off-Label-Use im Rahmen klinischer Studien nach den in § 35c Abs. 2 SGB V genannten Voraussetzungen möglich. Die Regelung des § 35c SGB V führt jedoch nicht dazu, dass eine Verordnung nach den oben genannten richterrechtlich entwickelten Voraussetzungen nicht mehr möglich ist, wenn ein nicht in der ArzneimittelRichtlinie geregelter Off-Label-Use vorliegt55. Ein Arzneimittel kann außerdem über die Grundsätze zum sog. Nikolausbeschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 06. 12. 200556 verordnet werden. Während für den Off-Label-Use erforderlich ist, dass das betreffende Arzneimittel auch zugelassen ist, können über diese Rechtsprechung auch nicht zugelassene Arzneimittel verordnet werden57. Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist es mit den Grundrechten des Versicherten aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. dem Sozialstaatsprinzip nicht vereinbar, wenn ein Versicherter eine von ihm gewählte Behandlungsmethode nicht beanspruchen kann, sofern diese eine nicht ganz entfernte Chance auf Heilung besitzt und es sich um eine lebensbedrohliche Krankheit handelt, für die es keine allgemein anerkannte Behand-

52 BSGE 89, 184 (186); Becker, SGb 2004, S. 594; Dierks/Finn, in: Dieners/Reese, Handbuch des Pharmarechts, § 7 Rn. 16; Nitz, in: Stellpflug/Meier/Tadayon, Handbuch Medizinrecht, Band 2, H 1000 Rn. 89.; Reese/Stallberg, in: Dieners/Reese, Handbuch des Pharmarechts, § 17 Rn. 124. 53 BSGE 89, 184 (191 f.). Vgl. zum Off-Label-Use und seinen Voraussetzungen Abschnitt B. I. 5. a) bb) und Abschnitt B. VII. 54 Vgl. § 35c Abs. 1 SGB V. Eine Liste mit verordnungsfähigen Arzneimitteln im OffLabel-Use findet sich in Anlage VI AM-RL. 55 BSGE 109, 211 (215); 111, 168 (171); Axer, in: Becker/Kingreen, SGB V, § 31 SGB V Rn. 25; so auch Clemens, GesR 2011, S. 399 FN 22. 56 BVerfGE 115, 25 ff. 57 Vgl. BSGE 96, 170 (175). Teilweise wird eine solche Anwendung als Unlicensed Use bezeichnet, so etwa von Dierks/Finn, in: Dieners/Reese, Handbuch des Pharmarechts, § 7 Rn. 19; zur unterschiedlichen Auslegung des Begriffs des Unlicensed Use Kortland, in: Kügel/ Müller/Hofmann, Arzneimittelgesetz, Vorb. zu § 21 AMG Rn. 21.

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A. Arzneimittelversorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung

lungsmethode gibt. Diese Grundsätze, die mittlerweile auch in § 2 Abs. 1a SGB V58 normiert sind, sind nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts modifiziert auf Arzneimittel übertragbar59.

III. Beschränkungen des Anspruchs auf Arzneimittelversorgung Der nach § 27 Abs. 1 SGB V bestehende Anspruch auf Versorgung mit Arzneimitteln wird durch zahlreiche Regelungen im Leistungsrecht in den §§ 31 ff. SGB V sowie im Leistungserbringungsrecht in den §§ 129 ff. SGB V und durch die Arzneimittel-Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses gem. § 92 Abs. 1 S. 1, 2 Nr. 6 SGB V begrenzt. Der Anspruch auf Arzneimittel wird demnach sowohl durch gesetzliche als auch untergesetzliche Regelungen ausgeschlossen oder begrenzt.

1. Gesetzliche Beschränkungen a) Apothekenpflichtige Arzneimittel – § 31 Abs. 1 S. 1 SGB V § 31 Abs. 1 S. 1 SGB V bestimmt, dass sich der Anspruch der Versicherten nur auf apothekenpflichtige Arzneimittel erstreckt. Apothekenpflichtige Arzneimittel sind solche, die gem. §§ 43 ff. AMG nur über Apotheken in den Verkehr gebracht werden dürfen, also nicht durch Gesetz oder durch Rechtsverordnung für den Verkehr außerhalb der Apotheke freigegeben sind60. Ausgenommen von der Apothekenpflicht sind nach dem Gesetz solche Arzneimittel, die vom pharmazeutischen Unternehmer ausschließlich zu anderen Zwecken als zur Beseitigung oder Linderung von Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder krankhaften Beschwerden bestimmt sind61. Des Weiteren sind nach § 44 Abs. 2 AMG verschiedene Produktgruppen für den Verkehr außerhalb der Apotheke freigegeben, z. B. Heilwässer, Heilerde oder Pflanzen, soweit sie mit ihren verkehrsüblichen deutschen Namen bezeichnet werden, sowie Pflaster62. 58 Eingeführt durch das GKV-Versorgungsstrukturgesetz vom 22. 12. 2011 (BGBl. I, S. 2983). 59 Vgl. BSGE 96, 170 (173 ff.). Vgl. zu den Voraussetzungen Abschnitt B. VI. 60 Vgl. Hofmann, in: Kügel/Müller/Hofmann, Arzneimittelgesetz, § 43 AMG Rn. 7; Rehmann, in: ders., Arzneimittelgesetz (AMG) Kommentar, § 43 AMG Rn. 1, von Czettritz, in: Fuhrmann/Klein/Fleischfresser, Arzneimittelrecht, § 24 Rn. 5. 61 § 44 Abs. 1 AMG. 62 Bei den in § 44 Abs. 2 AMG genannten Produktgruppen handelt es sich nicht zwingend um Arzneimittel. Je nach der Zweckbestimmung oder der vom Hersteller angegebenen Hauptwirkung kann es sich auch um Lebensmittel, kosmetische Mittel, Medizinprodukte oder Biozide handeln. Dementsprechend setzt die Entscheidung über Apothekenpflicht oder Frei-

III. Beschränkungen des Anspruchs auf Arzneimittelversorgung

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Darüber hinaus ist das Bundesministerium für Gesundheit ermächtigt, weitere Arzneimittel von der Apothekenpflicht auszunehmen63 oder zur Korrektur der gesetzlichen Ausnahme die Apothekenpflicht wiederherzustellen64. Dem ist das Bundesministerium in der Verordnung über apothekenpflichtige und freiverkäufliche Arzneimittel65 nachgekommen und hat dort in einem ersten Abschnitt die Freigabe von der Apothekenpflicht und in einem zweiten Abschnitt die Einbeziehung in die Apothekenpflicht geregelt66. Freigegeben von der Apothekenpflicht sind bspw. Franzbranntwein, Riechsalze oder Vaselin67. In die Apothekenpflicht einbezogen ist hingegen bspw. Formaldehyd, auch wenn es vom pharmazeutischen Unternehmer ausschließlich zu anderen Zwecken als zur Beseitigung oder Linderung von Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder krankhaften Beschwerden bestimmt ist68. Arzneimittel können – wie sich u. a. aus der Auflistung in § 45 AMG ergibt – dann von der Apothekenpflicht befreit werden, wenn von ihnen keine Gefahr für die Gesundheit ausgeht69. Dementsprechend dient die Apothekenpflicht der Arzneimittelsicherheit70. Der Gesetzgeber wollte mit dem Ausschluss der nicht apothekenpflichtigen Arzneimittel klarstellen, dass Arzneimittel aus Drogerien, Reformhäusern und Supermärkten nicht vom Anspruch umfasst sind71. Dementsprechend wird der Sachleistungsanspruch des Versicherten um diese Arzneimittel verkürzt. Es handelt sich daher bei der Einschränkung der Verordnungsfähigkeit auf apothekenpflichtige Arzneimittel um eine Ausschlussregelung.

verkäuflichkeit zunächst die Feststellung der Arzneimitteleigenschaft voraus, so Hofmann, in: Kügel/Müller/Hofmann, Arzneimittelgesetz, § 44 AMG Rn. 2. 63 § 45 AMG. 64 § 46 AMG. 65 Verordnung v. 24. 11. 1988 (BGBl. I, S. 2150), zuletzt geändert durch Art. 3 der Verordnung zur Änderung der Arzneimittelverschreibungsverordnung, der Apothekenbetriebsordnung, der Verordnung über apothekenpflichtige und freiverkäufliche Arzneimittel und der Medizinprodukte-Abgabeverordnung v. 19. 12. 2014 (BGBl. I, S. 2371). 66 Zum Inhalt vgl. Hofmann, in: Kügel/Müller/Hofmann, Arzneimittelgesetz, § 45 AMG Rn. 18 ff. 67 Vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. der Anlage 1a der Verordnung über apothekenpflichtige und freiverkäufliche Arzneimittel. 68 Vgl. § 8 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. der Anlage 4 der Verordnung über apothekenpflichtige und freiverkäufliche Arzneimittel. 69 Sandrock/Nawroth, in: Dieners/Reese, Handbuch des Pharmarechts, § 9 Rn. 31. 70 BVerfGE 107, 186 (199); Heßhaus, in: Spickhoff, Medizinrecht, § 43 AMG Rn. 2. 71 BT-Drs. 13/6087, S. 23; vgl. auch Nolte, in: Körner/Leitherer/Mutschler, Kasseler Kommentar, § 31 SGB V Rn. 30.

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A. Arzneimittelversorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung

b) Ausgeschlossene Arzneimittel – § 34 SGB V Nach § 31 Abs. 1 S. 1 SGB V besteht ein Anspruch auf Versorgung mit Arzneimitteln nur, soweit die Arzneimittel nicht nach § 34 SGB V ausgeschlossen sind. Die Norm des § 34 SGB V beinhaltet verschiedene Ausschlüsse von Arzneimitteln in Form von Negativlisten. Ausgeschlossen von der Arzneimittelversorgung sind demnach nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel, Arzneimittel bei Bagatellerkrankungen sowie Lifestyle-Arzneimittel. Des Weiteren wird auch der Ausschluss unwirtschaftlicher Arzneimittel dort geregelt. § 34 SGB V enthält damit nicht nur mehrere Ausschlüsse, sondern stellt, wie sich aus seiner Überschrift ergibt, die zentrale Norm für Arzneimittelausschlüsse dar.

c) Zuzahlungen – § 31 Abs. 3 SGB V Eine Begrenzung der Höhe nach erfährt der Anspruch auf Arzneimittelversorgung durch die Zuzahlung. Nach § 31 Abs. 3 SGB V sind volljährige Versicherte verpflichtet, an die abgebende Stelle zu jedem verordneten Arzneimittel eine Zuzahlung zu leisten. Die Höhe der Zuzahlung ergibt sich aus § 61 SGB V, wonach Versicherte 10 % des Abgabepreises, mindestens 5 Euro, aber höchstens 10 Euro, zu zahlen haben, jedoch nicht mehr als die Kosten des Mittels selbst. Dabei ist § 62 SGB V, der eine Belastungsgrenze in Höhe von 2 % der jährlichen Bruttoeinnahmen festlegt, zu berücksichtigen72. Für Arzneimittel, für die ein vertraglicher Rabatt gem. § 130a Abs. 8 SGB Vausgehandelt wurde, kann die Krankenkasse die Zuzahlung zur Hälfte reduzieren oder aufheben, sofern hieraus Einsparungen zu erwarten sind73. Darüber hinaus kann der Spitzenverband Bund der Krankenkassen Arzneimittel von der Zuzahlung freistellen, sofern der Abgabepreis des pharmazeutischen Unternehmers um 30 % niedriger liegt als der gültige Festbetrag. Dies gilt allerdings nur, wenn dadurch Einsparungen zu erwarten sind74. Die Zuzahlung durchbricht nicht das Sachleistungssystem, sondern ergänzt es durch die Pflicht der partiellen Eigenbeteiligung75. Zuzahlungen sollen vor allem das Kostenbewusstsein der Versicherten stärken und das Leistungsverhalten derart beeinflussen, dass einem überhöhten Verbrauch von Arzneimitteln begegnet wird76. Dementsprechend erfolgt durch die Zuzahlungsregelung kein Ausschluss von Arzneimitteln, sondern lediglich eine Begrenzung des Anspruchs in dem Sinne, dass 72 Gem. § 62 Abs. 1 S. 2 SGB V liegt diese Grenze für chronisch Kranke bei 1 % der jährlichen Bruttoeinnahmen. 73 § 31 Abs. 3 S. 5 SGB V. 74 § 31 Abs. 3 S. 4 SGB V. 75 BSG SozR 4 – 2500 § 33 Nr. 14 Rn. 21. 76 BSG SozR 4 – 2500 § 33 Nr. 14 Rn. 21; Flint, in: Hauck/Noftz, Sozialgesetzbuch – SGB V, § 31 SGB V Rn. 122; Wagner, in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung Pflegeversicherung, § 31 SGB V Rn. 29; Wodarz, in: Sodan, Handbuch des Krankenversicherungsrechts, § 27 Rn. 31.

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eine finanzielle Beteiligung der Versicherten an den Kosten erfolgt. Die Krankenkassen stellen die Arzneimittel aber weiterhin in natura zur Verfügung77. d) Festbetragsregelung – § 35 SGB V Eine weitere Begrenzung findet der Anspruch auf Arzneimittelversorgung durch die Festbetragsregelung in § 35 SGB V. Diese wurde durch das Gesundheits-Reformgesetz vom 20. 12. 1988 in das SGB V eingeführt und seither mehrfach geändert78. Die Festbetragsregelung sieht vor, dass Arzneimittel mit vergleichbaren Wirkstoffen in einer Gruppe zusammengestellt werden und für diese ein Festbetrag festgesetzt wird. Die Festsetzung des Festbetrages wird in zwei Schritten vorgenommen79 : Als ersten Schritt bildet der Gemeinsame Bundesausschuss Gruppen vergleichbarer Arzneimittel, für die ein einheitlicher Festbetrag festgesetzt werden soll. Dabei werden Arzneimittel mit denselben Wirkstoffen, Arzneimittel mit pharmakologisch-therapeutisch vergleichbaren Wirkstoffen, insbesondere mit chemisch verwandten Stoffen, sowie Arzneimittel mit therapeutisch vergleichbarer Wirkung, insbesondere Arzneimittelkombinationen, in Gruppen zusammengefasst80. Grundlage für die Gruppenbildung ist die arzneimittelrechtliche Zulassung81. Als zweiten Schritt setzt der Spitzenverband Bund der Krankenkassen die konkrete Höhe der Festbeträge mittels Verwaltungsakt in Form der Allgemeinverfügung fest82. Wird ein Arzneimittel verordnet, für das ein Festbetrag nach § 35 SGB V festgelegt worden ist, so werden die Kosten nur bis zur Höhe diesen Betrages übernommen; den darüber hinaus gehenden Betrag muss der Versicherte selbst übernehmen83. Der Festbetrag wirkt daher wie eine Erstattungshöchstgrenze84. Mit der Leistung des Festbetrags erfüllen die Krankenkassen ihre Leistungspflicht85. Sinn und Zweck der Festbetragsregelung ist es, einen Preiswettbewerb zwischen Arz77 BSGE 75, 167 (170); Flint, in: Hauck/Noftz, Sozialgesetzbuch – SGB V, § 31 SGB V Rn. 122. Auch Becker, Steuerung der Arzneimittelversorgung, S. 404 sieht in der Zuzahlungsregelung keine Ausschlüsse sondern lediglich Verordnungseinschränkungen. 78 Vgl. Axer, in: Becker/Kingreen, SGB V, § 35 SGB V Rn. 1; Wodarz, in: Sodan, Handbuch des Krankenversicherungsrechts, § 27 Rn. 27; zur Regelungsgeschichte vgl. Becker, Steuerung der Arzneimittelversorgung, S. 237 ff. 79 Francke, MedR 2006, S. 684; Spickhoff, in: ders., Medizinrecht, § 35 SGB V Rn. 1; von Dewitz, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, Beck’scher Onlinekommentar Sozialrecht, § 35 SGB V Vorb.; Wodarz, in: Sodan, Handbuch des Krankenversicherungsrechts, § 27 Rn. 28. 80 § 35 Abs. 1 S. 2 SGB V. 81 BSGE 107, 261 (271 f.); BSGE 107, 287 (300); Wodarz, in: Sodan, Handbuch des Krankenversicherungsrechts, § 27 Rn. 28. 82 § 35 Abs. 3 SGB V. Zur Festsetzung als Verwaltungsakt in Form der Allgemeinverfügung: BVerfGE 106, 275 (307); BSGE 94, 1 (3); 107, 261 (262); 107, 287 (289). 83 § 31 Abs. 2 SGB V. 84 Axer/Ebsen/Klein, in: Ebsen, Handbuch Gesundheitsrecht, Kap. 3, S. 84; Reese/Stallberg, in: Dieners/Reese, Handbuch des Pharmarechts, § 17 Rn. 171. 85 § 12 Abs. 2 SGB V.

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A. Arzneimittelversorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung

neimittelherstellern hinsichtlich kongruenter Arzneimittel zu schaffen und den Versicherten durch die Kostenauferlegung anzustoßen auf kostengünstigere Arzneimittel zurückzugreifen, mithin also die Arzneimittelkosten zu senken86. Darüber hinaus wird durch die Zusammenstellung wirkstoffgleicher Medikamente und deren Bewertung hinsichtlich Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit der Arzneimittelmarkt transparenter87. Die Krankenkassen tragen zwar die Kosten bis zur Höhe des Festbetrags, aber nur abzüglich der Zuzahlung und den Abschlägen nach §§ 130, 130a SGB V88. §§ 130, 130a SGB V treffen Regelungen hinsichtlich Rabatten von Apothekern, pharmazeutischen Großhändlern und pharmazeutischen Unternehmern. Diese Rabatte wirken sich aber auf den Sachleistungsanspruch des Versicherten nicht unmittelbar aus89. Abweichungen von der Tragung des Festbetrags durch die Krankenkassen bestehen, sofern die Krankenkassen und die pharmazeutischen Unternehmer die Möglichkeit nach § 130a Abs. 8 SGB V, vertragliche Rabatte zu schließen, in Anspruch genommen haben. Dann trägt die Krankenkassen den Apothekenverkaufspreis abzüglich der Zuzahlungen und Abschläge nach §§ 130, 130a Abs. 1, 3a und 3b SGB V. Diese Regelung ist aber nur möglich, wenn dadurch die Mehrkosten der Überschreitung des Festbetrags ausgeglichen werden90. Die Intention der vertraglichen Rabatte nach § 130a Abs. 8 SGB V liegt darin, die Arzneimittelkosten zu senken und den pharmazeutischen Unternehmen einen Beitrag zur Sicherung der finanziellen Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung abzuverlangen91. Bei den Rabatten handelt es sich allerdings nur um Begrenzungen der Kosten für Arzneimittel zugunsten der gesetzlichen Krankenversicherung; sie führen nicht zu einem Ausschluss von Arzneimitteln. Die Festbetragsregelung des § 35 SGB V spielt hinsichtlich der Kostendämpfung von Arzneimitteln eine zentrale Rolle92. Sie richtet sich zwar unmittelbar an den Versicherten, führt allerdings, wie § 31 Abs. 2 S. 1 SGB V verdeutlicht, nur der Höhe nach zu einer Begrenzung des Leistungsanspruchs und dient hauptsächlich der

86 Vgl. BT-Drs. 11/2237, S. 173; so auch: Axer, in: Becker/Kingreen, SGB V, § 35 SGB V Rn. 1; Joussen, in: Knickrehm/Kreikebohm/Waltermann, Kommentar zum Sozialrecht, § 35 SGB V Rn. 1; Kraftberger, in: Hänlein/Kruse/Schuler, Sozialgesetzbuch V, § 35 SGB V Rn. 2. 87 BSGE 94, 1 (7); Axer/Ebsen/Klein, in: Ebsen, Handbuch Gesundheitsrecht, Kap. 3, S. 84. Mittlerweile gibt es über 400 Festbetragsgruppen, vgl. Spickhoff, in: ders., Medizinrecht, § 35 SGB V Rn. 1. 88 § 31 Abs. 2 S. 1 SGB V. 89 Wodarz, in: Sodan, Handbuch des Krankenversicherungsrechts, § 27 Rn. 3. 90 § 31 Abs. 2 S. 2, 3 SGB V. 91 Axer, in: Becker/Kingreen, SGB V, § 130a SGB V Rn. 1; Knittel, in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung Pflegeversicherung, § 130a SGB V Rn. 2. 92 Axer, in: Wallrabenstein, Regulierungsrecht, S. 94; Heßhaus, in: Spickhoff, Medizinrecht, § 78 AMG Rn. 3; Joussen, in: Knickrehm/Kreikebohm/Waltermann, Kommentar zum Sozialrecht, § 35 SGB V Rn. 1.

III. Beschränkungen des Anspruchs auf Arzneimittelversorgung

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Kostensteuerung93. Es handelt sich daher um keine Ausschlussnorm, sondern um eine Begrenzung des Anspruchs auf Arzneimittelversorgung im Hinblick auf die Kostenübernahme durch die gesetzliche Krankenversicherung. e) Frühe Nutzenbewertung und Kosten-Nutzen-Bewertung – §§ 35a, 35b SGB V Die Vorschrift des § 35a SGB V, die die sog. frühe Nutzenbewertung beinhaltet, wurde durch das Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz vom 22. 10. 201094 zum 01. 01. 2011 eingeführt95. Die frühe Nutzenbewertung knüpft an den Zeitpunkt des Inverkehrbringens des Arzneimittels an96 und bezieht sich auf Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen97. Der pharmazeutische Unternehmer muss spätestens zum Zeitpunkt des erstmaligen Inverkehrbringens dem Gemeinsamen Bundesausschuss Unterlagen einreichen, die u. a. den medizinischen Nutzen, den medizinischen Nutzen im Verhältnis zur zweckmäßigen Vergleichstherapie sowie die Therapiekosten enthalten98. Nach der Prüfung des Dossiers durch den Gemeinsamen Bundesausschuss hat dieser zu entscheiden, ob er die Nutzenbewertung selbst durchführt oder hiermit das IQWiG oder Dritte beauftragt99. Folge der Nutzenbewertung ist entweder die Einordnung des neuen Wirkstoffes in eine Festbetragsgruppe, sofern keine therapeutische Verbesserung festgestellt wurde oder, falls dies nicht möglich ist, da das Arzneimittel nicht festbetragsfähig ist, oder ein Zusatznutzen festgestellt wurde, die zeitnahe Verhandlung von Erstattungsbeträgen nach § 130b SGB V100. Die Erstattungsbeträge werden vom Spitzenverband Bund der Krankenkassen mit dem pharmazeutischen Unternehmer im Benehmen mit den Verband der privaten Krankenversicherung vereinbart101 oder bei fehlender 93 Vgl. Reese/Stallberg, in: Dieners/Reese, Handbuch des Pharmarechts, § 17 Rn. 170 ff.; Wodarz, in: Sodan, Handbuch des Krankenversicherungsrechts, § 27 Rn. 2a, wonach die Festbeträge und Zwangsrabatte die Erstattung der Arzneimittelkosten einschränken. Zum Versicherten als unmittelbaren Adressaten der Festbeträge, vgl. Francke, MedR 2006, S. 683 f. 94 BGBl. I, S. 2262. 95 Vgl. von Dewitz, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, Beck’scher Onlinekommentar Sozialrecht, § 35a SGB V Vorbemerkungen. Vgl. zur Nutzenbewertung nach § 35a SGB V: Axer, SGb 2011, S. 246 ff.; Hauck, GesR 2011, S. 72 ff. 96 Hess, in: Körner/Leitherer/Mutschler, Kasseler Kommentar, § 35a SGB V Rn. 2. 97 von Dewitz, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, Beck’scher Onlinekommentar Sozialrecht, § 35a SGB V Vorbemerkungen. 98 Vgl. zu den erforderlichen Angaben im Dossier, § 35a Abs. 1 S. 3 SGB V; § 4 AMNutzenV, Kap. 5 §§ 9 ff. VerfO G-BA. 99 § 35a Abs. 2 S. 1 SGB V. 100 § 35a Abs. 4 SGB V, § 130b Abs. 1, 3 SGB V. Verhandlungen über Erstattungsbeträge finden statt, wenn das Arzneimittel entweder nicht festbetragsfähig ist oder einen Zusatznutzen aufweist, vgl. dazu Axer, SGb 2011, S. 246 ff.; Kingreen, NZS 2011, S.444; Ebsen, in: von Maydell/Ruland/Becker, SRH, § 19 Rn. 95. 101 § 130b Abs. 1 S. 1 SGB V.

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A. Arzneimittelversorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung

Einigung durch eine Schiedsstelle festgelegt102. Sofern ein Zusatznutzen nicht belegt wurde und das Arzneimittel nicht festbetragsfähig ist, ist der Erstattungsbetrag für die Verordnung so festzulegen, dass er zu keinen höheren Jahrestherapiekosten führt als bei der durch § 35a Abs. 1 S. 7 SGB V bestimmten zweckmäßigen Vergleichstherapie103. Bei Arzneimitteln, bei denen ein Zusatznutzen festgestellt wurde, gilt eine solche Obergrenze nicht104. Sinn und Zweck der Regelung des § 35a SGB V ist es, den Preis von Arzneimitteln anhand des Nutzens der Arzneimittel zu bewerten und damit die Arzneimittelpreise zu regulieren. Die frühe Nutzenbewertung führt jedoch nicht zu einem Ausschluss von Arzneimitteln aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung105. Zugelassene neue Wirkstoffe sind weiterhin zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnungsfähig. Die Nutzenbewertung hat nur Auswirkungen auf die Preisfestsetzung; sie wirkt sich auf den Sachleistungsanspruch des Versicherten nicht unmittelbar aus106. Nachrangig zur frühen Nutzenbewertung steht die Kosten-Nutzen-Bewertung nach § 35b SGB V107. Während die Kosten-Nutzen-Bewertung vor dem Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz noch zur Festsetzung der Erstattungshöchstbeträge diente, ist sie nunmehr in das Verfahren der frühen Nutzenbewertung und der Erstattungsbeträge eingebettet108. Sie kann nur noch auf Grund eines Antrages nach § 130b Abs. 8 SGB V nach einem Schiedsspruch bei gescheiterten Erstattungsvereinbarungen oder gem. § 35a Abs. 5a SGB V auf Verlangen des pharmazeutischen Unternehmers durchgeführt werden, wenn bei der frühen Nutzenbewertung kein Zusatznutzen oder keine therapeutische Verbesserung festgestellt wurde. Jenseits von § 35b SGB V besteht die Möglichkeit, eine Kosten-Nutzen-Bewertung aufgrund von § 139a Abs. 3 Nr. 5 SGB V durch das IQWiG durchführen zu lassen109 Auf der Grundlage der Kosten-Nutzenbewertung fasst der Gemeinsame Bundesausschuss 102

§ 130b Abs. 4 SGB V. § 130b Abs. 3 SGB V. 104 Ebsen, GuP 2011, S. 43. 105 Axer, in: Becker/Kingreen, SGB V, § 35a SGB V Rn. 6; Kingreen, NZS 2011, S. 446; von Dewitz, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, Beck’scher Onlinekommentar Sozialrecht, § 35a SGB V Rn. 50; Wodarz, in: Sodan, Handbuch des Krankenversicherungsrechts, § 27 FN. 59. 106 Wodarz, in: Sodan, Handbuch des Krankenversicherungsrechts, § 27 Rn. 3. 107 Axer, in: Becker/Kingreen, SGB V, § 35a SGB V Rn. 8; Barth, in: Spickhoff, Medizinrecht, § 35b SGB V Rn. 1; Kingreen, NZS 2011, S. 445; Luthe, in: Hauck/Noftz, Sozialgesetzbuch – SGB V, § 35b SGB V Rn. 12; Wodarz, in: Sodan, Handbuch des Krankenversicherungsrechts, § 27 Rn. 26b. Vgl. auch Ebsen, GuP 2011, S. 43, der sie als ergänzendes, vertieftes Verfahren ansieht; als ergänzend zur frühen Nutzenbewertung sieht sie auch von Dewitz, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, Beck’scher Onlinekommentar Sozialrecht, § 35b SGB V Rn. 3. 108 Axer, in: Becker/Kingreen, SGB V, § 35b SGB V Rn. 1; so auch Wodarz, in: Sodan, Handbuch des Krankenversicherungsrechts, § 27 Rn. 26b. 109 Vgl. Axer, in: Becker/Kingreen, SGB V, § 35b SGB V Rn. 1. 103

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einen Beschluss, mit dem er insbesondere den Zusatznutzen sowie die Therapiekosten bei der Anwendung des jeweiligen Arzneimittels feststellt110. Ein Ausschluss von Arzneimitteln wird dadurch aber nicht begründet. f) Aut-idem-Regelung – § 129 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB V Als weitere beschränkende Regelung, die allerdings im Leistungserbringungsrecht verortet ist, ist die Regelung des § 129 SGB V zu sehen. Selbst wenn Regelungen im Leistungserbringungsrecht vorwiegend die Beziehung der Krankenkassen zu den Leistungserbringern regeln111, hat die Verpflichtung des Apothekers zur Abgabe preisgünstiger Arzneimittel112 einschränkende Auswirkungen auf den Sachleistungsanspruch des Versicherten. Die Regelung wird allgemein als „autidem-Regelung“ bezeichnet113. Die Verpflichtung des Apothekers zur Abgabe preisgünstiger Arzneimittel besteht dann, wenn der Vertragsarzt entweder ein Arzneimittel nur unter seiner Wirkstoffbezeichnung verordnet oder wenn er zwar ein konkretes Arzneimittel verordnet, aber die Ersetzung durch ein wirkstoffgleiches Medikament nicht ausgeschlossen hat. Bei fehlendem Ausschluss der Ersetzung trifft den Apotheker daher eine Substitutionspflicht mit preisgünstigeren Arzneimitteln, sodass dadurch ein verordnetes, aber teureres Arzneimittel von der Abgabe an den Versicherten ausgeschlossen wird. Demgegenüber kann der Vertragsarzt durch Ausschluss der Ersetzung des Arzneimittels durch ein wirkstoffgleiches Präparat ein preisgünstigeres Arzneimittel von der Verordnung ausschließen. Ferner besteht eine Ermächtigung des Gemeinsamen Bundesausschusses, diejenigen Arzneimittel zu bestimmen, die von der aut-idem-Regelung ausgeschlossen sein sollen114. Die Regelung wurde erst zum 01. 04. 2014 durch das 14. SGB VÄnderungsgesetz vom 27. 03. 2014115 eingefügt. Zur Bestimmung der nicht substitutionsfähigen Arzneimittel hat der Gemeinsame Bundesausschuss eine Liste mit Wirkstoffen und dazugehörigen Darreichungsformen erstellt, bei denen eine Substitution mit einem wirkstoffgleichen Arzneimittel nicht möglich ist116. Hierzu hat er insbesondere Arzneimittel mit geringer therapeutischer Breite zu berücksichtigen, da bei diesen das Risiko toxischer Wirkungen besonders hoch ist117. Dementsprechend 110

§ 35b Abs. 3 SGB V. Becker/Kingreen, in: Becker/Kingreen, SGB V, § 69 SGB V Rn. 1. 112 Vgl. § 129 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB V. 113 Murawski, in: Hänlein/Kruse/Schuler, Sozialgesetzbuch V, § 129 SGB V Rn. 3; Schneider, in: Schlegel/Voelzke, juris Praxiskommentar, § 129 SGB V Rn. 27; von Dewitz, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, Beck’scher Onlinekommentar Sozialrecht, § 129 SGB V Rn. 9. 114 § 129 Abs. 1a S. 2 SGB V; vgl. zu dieser neuen Regelung auch Schneider, in: Schlegel/ Voelzke, juris Praxiskommentar, § 129 SGB V Rn. 30. 115 BGBl. I, S. 261. 116 Vgl. Teil B der Anlage VII AM-RL. 117 BT-Drs. 18/606, S. 12. 111

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wird der Sachleistungsanspruch des Versicherten bei den in der Liste aufgeführten Wirkstoffen auf Arzneimittel mit der dort aufgeführten Darreichungsform beschränkt. Die Regelung zur Substitutionspflicht führt zwar nicht zu einer Versagung des Sachleistungsanspruchs des Versicherten, jedoch ist sein Anspruch auf das jeweilige preisgünstigste Arzneimittel beschränkt. Sofern ein Substitutionsverbot durch den Vertragsarzt vorliegt oder ein Wirkstoff verordnet wird, der auf der Liste des Gemeinsamen Bundesausschusses zu finden ist, handelt es sich um eine Konkretisierung des Rahmenrechts durch den Vertragsarzt bzw. den Gemeinsamen Bundesausschuss, jedoch um keine Versagung der Leistung. Als Ausschluss von Arzneimitteln ist nur eine gänzliche Ausgrenzung aus dem Leistungskatalog zu Lasten der Versicherten zu verstehen. Damit ist die Substitutionsregelung in § 129 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, Abs. 1a SGB V nicht als Ausschluss von Arzneimitteln zu sehen.

2. Beschränkungen durch die Arzneimittel-Richtlinie Des Weiteren finden sich in der Arzneimittel-Richtlinie118 Beschränkungen des Anspruchs auf Versorgung mit Arzneimitteln. Der Gemeinsame Bundesausschuss ist nach § 92 Abs. 1 S. 1 SGB Vermächtigt, die zur Sicherung der ärztlichen Versorgung erforderlichen Richtlinien über die Gewährung für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten zu beschließen119. Dementsprechend kommt ihm gem. § 92 Abs. 1 S. Nr. 6 SGB V die Ermächtigung zu, eine über die Verordnung von Arzneimitteln konkretisierende Richtlinie zu erlassen. Der Gemeinsame Bundesausschuss kann hinsichtlich seiner Richtlinienregelungen in Bezug auf Arzneimittel auf drei verschiedene Regelungsmechanismen zurückgreifen: Verordnungsausschlüsse, -einschränkungen und Therapiehinweise120. Dabei kommt ihm ein Auswahlermessen zu121.

118 In der Fassung vom 18. 12. 2008 / 22. 01. 2009 (BAnz (Beilage) v. 31. 03. 2009 Nr. 49a), letzte Änderung am 05. 12. 2013 (BAnz AT v. 27. 12. 2013 B3). 119 Die Richtlinien stellen mithin eine Konkretisierung des Wirtschaftlichkeitsgebots aus § 12 Abs. 1 SGB V dar, vgl. Hannes, in: Hauck/Noftz, Sozialgesetzbuch – SGB V, § 92 SGB V Rn. 1; Roters, in: Körner/Leitherer/Mutschler, Kasseler Kommentar, § 92 SGB V Rn. 2. 120 Barth, in: Spickhoff, Medizinrecht, § 92 SGB V Rn. 12; Roters, in: Körner/Leitherer/ Mutschler, Kasseler Kommentar, § 92 SGB V Rn. 33. 121 Becker, MedR 2010, S.222 f.; Roters, in: Körner/Leitherer/Mutschler, Kasseler Kommentar, § 92 SGB V Rn. 33; a.A. Barth, in: Spickhoff, Medizinrecht, § 92 SGB V Rn. 12, der die Wahl des Verordnungsausschlusses lediglich als ultima ratio ansieht; ähnl. Francke, MedR 2006, S. 688, der Therapiehinweise als mildere Regelung gegenüber dem Ausschluss und damit als vorrangig ansieht.

III. Beschränkungen des Anspruchs auf Arzneimittelversorgung

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a) Verordnungsausschlüsse und -einschränkungen Gemäß § 92 Abs. 1 S. 1 Hs. 4 SGB V kann der Gemeinsame Bundesausschuss die Verordnung von Arzneimitteln einschränken oder ausschließen, wenn die Unzweckmäßigkeit erwiesen oder eine andere, wirtschaftlichere Behandlungsmöglichkeit mit vergleichbarem diagnostischen oder therapeutischen Nutzen verfügbar ist. Die ausdrückliche Ermächtigung des Gemeinsamen Bundesausschusses zum Ausschluss von Arzneimitteln durch Richtlinien wurde durch das Gesetz zur Verbesserung der Wirtschaftlichkeit in der Arzneimittelversorgung vom 26. 04. 2006122 eingefügt und mit dem Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz vom 22. 12. 2010123 auf die Fälle der nachgewiesenen Unzweckmäßigkeit und der wirtschaftlicheren Behandlungsalternative beschränkt124. Damit eine Verordnungseinschränkung oder ein Verordnungsausschluss erlassen werden darf, müssen andere Preisregulierungsinstrumente, wie die Festbetragsregelung in § 35 SGB V oder die Vereinbarung eines Erstattungsbetrages nach § 130b SGB Vausgeschöpft sein125. Durch den Ausschluss dürfen zudem nicht die Feststellungen der Zulassungsbehörde über Qualität, Wirtschaftlichkeit und Unbedenklichkeit unterlaufen werden126. Ein Verordnungsausschluss aufgrund fehlenden Nutzennachweises ist aufgrund der Bestätigung des Nutzens durch die arzneimittelrechtliche Zulassung nicht möglich127. Die aus der Richtlinie resultierenden Verordnungsausschlüsse und Verordnungseinschränkungen sind in Anlage III der Arzneimittel-Richtlinie aufgelistet: ausgeschlossen sind bspw. Dermatika, in der Verordnung eingeschränkt sind hingegen bspw. Gichtmittel, die nur bei Vorliegen von bestimmten Erkrankung oder sofern ein Therapieversuch mit nichtmedikamentösen Maßnahmen erfolglos blieb verordnet werden können128. b) Therapiehinweise Neben der Befugnis zum Erlass von Verordnungseinschränkungen und Verordnungsausschlüssen ist der Gemeinsame Bundesausschuss ermächtigt, Therapie-

122 BGBl. I, S. 984 ff. Die Regelung sollte lediglich klarstellen, dass der bereits durch das GKV-Modernisierungsgesetz eingeführte Ausschluss von Leistungen in § 92 Abs. 1 SGB V auch für Arzneimittel gilt, vgl. BT-Drs. 16/691, S. 17. Nach Barth, in: Spickhoff, Medizinrecht, § 92 SGB V Rn. 4 war die Zulässigkeit von Ausschlüssen durch den G-BA zuvor umstritten; Roters, in: Körner/Leitherer/Mutschler, Kasseler Kommentar, § 92 SGB V Rn. 8a spricht lediglich von Zweifeln, die in der Rechtsprechung aufkamen. 123 BGBl. I, S. 2262. 124 Vgl. BT-Drs. 17/3698, S. 52. Zum Begriff der Unzweckmäßigkeit, vgl. Roters, in: Körner/Leitherer/Mutschler, Kasseler Kommentar, § 92 SGB V Rn. 8b ff. 125 § 92 Abs. 2 S. 11 SGB V. 126 § 92 Abs. 2 S. 12 SGB V; so auch schon BSGE 96, 261 (281). 127 BT-Drs. 17/3698, S. 52; Limpinsel, in: Jahn, Sozialgesetzbuch für die Praxis, § 92 SGB V Rn. 5b. 128 Vgl. zu den Dermatika Nr. 23 und zu den Gichtmitteln Nr. 29 Anlage III AM-RL.

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A. Arzneimittelversorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung

hinweise zu erlassen129. Darin sind Vorschläge für den Arzt zur therapie- und preisgerechten Auswahl von Arzneimitteln enthalten, die ihm ein bestimmtes Handeln nahelegen130. In den Hinweisen werden die Arzneimittel im Hinblick auf ihren therapeutischen Nutzen, sowohl im Vergleich zu anderen Arzneimitteln und Behandlungsmöglichkeiten als auch im Verhältnis zum Apothekenabgabepreis, sowie hinsichtlich der medizinischen Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit bewertet131. Die Therapiehinweise informieren inhaltlich über Indikation, Wirkung, Wirksamkeit und Risiken von Arzneimitteln132. Sinn und Zweck der Therapiehinweise ist die Konkretisierung des Wirtschaftlichkeitsgebots133. Die Therapiehinweise sind in Anlage IV der Arzneimittel-Richtlinie aufgelistet. Sie beinhalten selbst jedoch keine Verordnungseinschränkungen oder Verordnungsausschlüsse134 und sind auch nicht unmittelbar bindend für den verordnenden Arzt135. Die Therapiehinweise sind zwar als Teil der Arzneimittel-Richtlinie für den Vertragsarzt an sich äußerlich bindend, jedoch kann dieser von den Therapiehinweisen abweichende Regelungen treffen, da es sich bei den Hinweisen lediglich um informative Bestandteile der Arzneimittel-Richtlinie handelt136. Die Therapiehinweise regeln vielmehr die Art und Weise einer wirtschaftlichen Versorgung mit Arzneimitteln, also das „Wie“ und nicht das „Ob“ der Arzneimittelversorgung137. 129 Vgl. § 92 Abs. 2 S. 7 SGB V. Der Erlass von Therapiehinweisen außerhalb von Preisvergleichslisten war bis zur Einführung des § 92 Abs. 2 S. 7 SGB V durch das Gesetz zur Verbesserung der Wirtschaftlichkeit in der Arzneimittelversorgung vom 26. 04. 2006 (BGBl. I, S. 984) bzw. bis zur Clopidogrel-Entscheidung des BSG vom 31. 05. 2006 – B 6 KA 13/05 R (BSGE 96, 261 [273 ff.]) nicht eindeutig geklärt, vgl. Barth, in: Spickhoff, Medizinrecht, § 92 SGB V Rn. 13. 130 Vgl. § 92 Abs. 2 S. 3, 4 SGB V; Hecken, VSSR 2013, S. 190; Wolff/Christopeit, PharmR 2009, S. 597. 131 § 17 Abs. 2 AM-RL. 132 Hecken, VSSR 2013, S. 190; Reese/Stallberg, in: Dieners/Reese, Handbuch des Pharmarechts, § 17 Rn. 250. 133 Hauck, GesR 2011, S. 72; Reese/Stallberg, in: Dieners/Reese, Handbuch des Pharmarechts, § 17 Rn. 250. 134 Der G-BA hat Verordnungseinschränkungen und Verordnungsausschlüsse für Arzneimittel in Richtlinien außerhalb von Therapiehinweisen zu regeln, § 92 Abs. 2 S. 10 SGB V. Zur fehlenden Ausschlussfunktion der Therapiehinweise vgl. BT-Drs. 17/2413, S. 28; Hauck, GesR 2011, S. 72; Roters, in: Körner/Leitherer/Mutschler, Kasseler Kommentar, § 92 SGB V Rn. 35; Wodarz, in: Sodan, Handbuch des Krankenversicherungsrechts, § 27 Rn. 22. 135 BT-Drs. 17/2413, S. 28; vgl. auch Barth, in: Spickhoff, Medizinrecht, § 92 SGB V Rn. 13. 136 Reese/Stallberg, in: Dieners/Reese, Handbuch des Pharmarechts, § 17 Rn. 251. Eine Abweichungsbefugnis gebend auch: BSGE 96, 261 (266); Francke, MedR 2006, S. 688. Allerdings droht bei einer abweichenden Verordnung von den Therapiehinweisen eine Wirtschaftlichkeitsprüfung nach § 106 SGB V, vgl. Grotjahn, JURA 2015, S. 375. 137 BT-Drs. 17/2413, S. 28; vgl. auch: Barth, in: Spickhoff, Medizinrecht, § 92 SGB V Rn. 13; Limpinsel, in: Jahn, Sozialgesetzbuch für die Praxis, § 92 SGB V Rn. 5e; Roters, in: Körner/Leitherer/Mutschler, Kasseler Kommentar, § 92 SGB V Rn. 35; Wiegand, in: Schlegel/ Voelzke, juris Praxiskommentar, § 92 SGB V Rn. 44.

IV. Zusammenfassung

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IV. Zusammenfassung Die Arzneimittelversorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung wird von einer Vielzahl an Regelungen bestimmt. Allein die verschiedenen, dargestellten Regelungsinstrumentarien, wie Negativlisten, Festbeträge, frühe Nutzen-Bewertung, Kosten-Nutzen-Bewertung, Arzneimittel-Richtlinien oder Aut-idem-Substitution verdeutlichen, dass es sich um ein komplexes Regelungsdickicht handelt138. Für Versicherte besteht grundsätzlich ein Sachleistungsanspruch bei Vorliegen einer Erkrankung, der durch die verschiedenen gesetzlichen und untergesetzlichen Regelungen beschränkt wird. Die einzelnen dargestellten Regelungen können aber im Hinblick auf ihre Wirkung auf den Versorgungsanspruch des Versicherten in zwei Kategorien, zum einen ausschließende und zum anderen begrenzende Regelungen, getrennt werden: Zu den leistungsausschließenden Regelungen zählen sowohl § 31 Abs. 1 S. 1 SGB V, der nicht apothekenpflichtige Arzneimittel aus der Versorgung ausnimmt, als auch § 34 SGB V, der die zentrale Norm für Arzneimittelausschlüsse darstellt sowie die Verordnungsausschlüsse und -einschränkungen durch die Arzneimittel-Richtlinie, wobei nachfolgend nur auf § 34 SGB V eingegangen wird. Zur zweiten Kategorie gehören diejenigen Normen, die den Leistungsanspruch lediglich begrenzen, sei es in der Höhe wie etwa die Zuzahlungsregelung oder auch die Festbetragsregelung, als auch in der Arzneimittelauswahl wie bspw. die aut-idemRegelung und die damit keine Arzneimittelausschlüsse darstellen. Die Arzneimittelzulassung gehört zu den Bestimmungen außerhalb des Sozialrechts, die den Arzneimittelanspruch vorgreiflich regulieren, sodass ohne deren Vorliegen grundsätzlich kein Anspruch auf Arzneimittelversorgung besteht.

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So Reese/Stallberg, in: Dieners/Reese, Handbuch des Pharmarechts, § 17 Rn. 1.

B. Der Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel – § 34 Abs. 1 S. 1 – 5 SGB V I. Entstehungsgeschichte und Folgen für den Arzneimittelmarkt Gemäß § 34 Abs. 1 S. 1 SGB V sind nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel von der Verordnung in der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen. Es handelt sich dabei um einen gesetzlichen Ausschluss1. Der Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel wurde durch das GKV-Modernisierungsgesetz vom 14. 11. 20032 zu Beginn des Jahres 2004 eingeführt. Bis dahin waren nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel in die Versorgung einbezogen und wurden von den Krankenkassen bezahlt, sofern sie nicht bereits unter die schon damals bestehenden Ausschlüsse bei geringfügigen Gesundheitsstörungen oder bei Unwirtschaftlichkeit des Arzneimittels fielen3. Im Hinblick auf die steigenden Kosten in der Arzneimittelversorgung, und um neue Beitragserhöhungen zu verhindern sowie die Finanzierbarkeit der gesetzlichen Krankenversicherung weiterhin zu gewährleisten, wurde mit dem GKV-Modernisierungsgesetz der Ausschluss eingeführt4. Die Idee, die Arzneimittelkosten mittels Ausschlüssen zu begrenzen, war allerdings nicht neu: Neben den bereits bestehenden Ausschlüssen von Arzneimitteln, hatte man versucht, eine Positivliste5 zu gestalten, die alle verordnungsfähigen Arzneimittel beinhalten sollte, um damit auf positive Weise eine ausschließende Regelung zu treffen. Dieser Versuch wurde mit der Einführung des Ausschlusses von nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln aufgegeben6, sodass damit ebenso der

1

Vgl. BVerfG PharmR 2013, 119 (120); Beck, in: Schlegel/Voelzke, juris Praxiskommentar, § 34 SGB V Rn. 10; Becker, Steuerung der Arzneimittelversorgung, S. 186; Gerlach, in: Hauck/Noftz, Sozialgesetzbuch – SGB V, § 34 SGB V Rn. 14; Joussen, in: Knickrehm/ Kreikebohm/Waltermann, Kommentar zum Sozialrecht, § 34 SGB V Rn. 1. 2 BGBl. I, S. 2190. 3 Vgl. Schwerdtfeger, PharmR 2004, S. 394 f. Zum Ausschluss von Arzneimittel bei geringfügigen Gesundheitsstörungen, vgl. Abschnitt D. I.; zum Ausschluss unwirtschaftlicher Arzneimittel, vgl. Abschnitt D. III. 4 BT-Drs. 15/1525, S. 1; so auch Schwerdtfeger, PharmR 2004, S. 395 f. 5 Vgl. § 33a SGB V in der Fassung vom 22. 12. 1999; siehe dazu Axer, NZS 2001, S. 225 ff. 6 BT-Drs. 15/1525, S. 86.

I. Entstehungsgeschichte und Folgen für den Arzneimittelmarkt

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mittlerweile zweite Versuch7 zur Gestaltung einer Positivliste scheiterte. Neuartig am Ausschluss war allerdings, dass er sich nicht, wie etwa der Ausschluss von Bagatellarzneimitteln, auf einzelne Erkrankungen oder, wie der Ausschluss unwirtschaftlicher Arzneimittel, auf einzelne Arzneimittel beschränkte, sondern eine ganze Arzneimittelkategorie von der Versorgung ausnahm. Der Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel führte 2004 zunächst zu Umsatzeinbußen in Höhe von 13,1 % gegenüber dem Vorjahr8. In den Apotheken sank der Umsatz mit rezeptfreien Arzneimitteln von 2003 von 2,8 Mrd. Euro auf 1,5 Mrd. Euro in 2004. Gleichzeitig ließ sich aber keine wesentliche Steigerung der Selbstmedikation verzeichnen: Der Umsatz in der Selbstmedikation steigerte sich in den Apotheken nur um 0,3 Mrd. Euro9. Bei Betrachtung der Zahlen wird jedenfalls deutlich, welches Ausmaß der Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel für den Arzneimittelmarkt nach sich zog. Denn etwa jedes zweite Arzneimittel, das in der Apotheke gekauft wird, ist rezeptfrei, unterliegt also keiner Verschreibungspflicht10. Zu den sinkenden Umsätzen beigetragen, hat der Umstand, dass durch den Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel der Eindruck erweckt wurde, diese Arzneimittel seien unnötig und werden nicht zwingend gebraucht11. Doch gehören die nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel genauso zum Therapiestandard wie die verschreibungspflichtigen Medikamente12. Im Zusammenhang mit dieser Degradierung der OTC-Arzneimittel hinsichtlich der Verordnungsmöglichkeiten wird auch von einer Verharmlosung dieser Medikamente gesprochen13. Um dieser Bagatellisierung entgegenzuwirken, und um den Patienten die Notwendigkeit der Einnahme eines nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittels näher zu bringen, wurde das grüne Rezept eingeführt. Dieses wurde von der kassenärztlichen Bundesvereinigung, der Berufsvereinigung der deutschen Apothekerverbände und 7 Der erste Versuch wurde durch das Gesundheitsstrukturgesetz vom 21. 12. 1992 (BGBl. I, S. 2266) durch die Einführung des § 34a SGB V a.F. unternommen, der die Erstellung einer solchen Liste vorsah. 8 Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie e.V. (BPI), Pharma-Daten 2005, S. 36, Stand: September 2005, abrufbar unter: http://www.bpi.de/daten-und-fakten/pharmadaten/. 9 Vgl. Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie e.V. (BPI), Pharma-Daten 2004, S. 39, Stand: September 2004, abrufbar unter: http://www.bpi.de/daten-und-fakten/pharmada ten/; Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie e.V. (BPI), Pharma-Daten 2005, S. 39, Stand: September 2005, abrufbar unter: http://www.bpi.de/daten-und-fakten/pharmadaten/; vgl. auch: Gassner, in: Mummenhoff, Machtzuwachs der Krankenkassen, S. 170 f. 10 Osterath, P&A 2011, S. 14. 11 Osterath, P&A 2011, S. 15; ähnlich Ärzte Zeitung, 2010, Nr. 76, S. 9; laut Ärzte Zeitung 2004, Nr. 234, S. 21 würden, nach einer repräsentativen Umfrage, 48 % der Patienten ein rezeptfreies Arzneimittel nur kaufen, wenn dieses vom Arzt schriftlich empfohlen wurde; so auch, Korzilius, Deutsches Ärzteblatt 2011, S. 1888, die den damaligen ABDA-Hauptgeschäftsführer Prof. Dr. Rainer Braun in diesem Sinne zitiert. 12 Schwerdtfeger, PharmR 2004, S. 395. 13 Brixius, PharmR 2012, S. 202.

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B. Der Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel

dem deutschen Apothekerverband sowie dem Bundesverband der pharmazeutischen Industrie entwickelt14. Das grüne Rezept führt im Gegensatz zum rosafarbenen Kassenrezept nicht zur Erstattung der Kosten über die Krankenkasse15. Es zeigt dem Patienten aber zum einen durch sein äußeres Erscheinungsbild, das dem des Kassenrezeptes gleichkommt16, zum anderen aber auch durch die ärztliche Verordnung an sich, dass die Einnahme des Arzneimittels medizinisch geboten ist17. Zudem dient es als Merkhilfe für den Patienten, indem dort Name, Wirkstoff, Darreichungsform und Packungsgröße bezeichnet sind18. Damit einher geht auch eine Steigerung der Sicherheit bei der Selbstmedikation19, indem der Arzt dem Patienten den Umgang mit dem Arzneimittel näher erläutern kann. Aus diesen Gründen hat sich das grüne Rezept mittlerweile in der Praxis etabliert20.

II. Nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel 1. Begriff des nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittels Nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel werden allgemein auch als OTCPräparate bezeichnet21. OTC steht dabei für „over the counter“ und meint, dass diese Arzneimittel vom Apotheker frei über die Ladentheke verkauft werden können22. Dazu gehören nach der Gesetzesbegründung Arzneimittel, die regelmäßig ohne Rezept, also im Wege der Selbstmedikation, geordert werden und im unteren Preisbereich zu finden sind, mithin also nur wenige Kosten verursachen23. Ihren 14

Vgl. Schmidt, Deutsches Ärzteblatt 2004, S. 1788; Ärzte-Zeitung 2004, Nr. 234, S. 21. Osterath, P&A 2011, S. 15; Schmidt, Deutsches Ärzteblatt 2004, S. 1788; Ärzte-Zeitung 2004, Nr. 234, S. 21. 16 Vgl. Ärzte-Zeitung 2004, Nr. 234, S. 21. 17 Ärzte-Zeitung, 2010, Nr. 76, S. 9 spricht von einer optischen und psychologischen Erwartung. 18 Vgl. Korzilius, Deutsches Ärzteblatt 2011, S. 1888; Schmidt, Deutsches Ärzteblatt 2004, S. 1788; Ärzte-Zeitung 2004, Nr. 234, S. 21. 19 Ärzte Zeitung, 2010, Nr. 76, S. 9. 20 Vgl. Ärzte-Zeitung, 2010, Nr. 43, S. 8. 21 Vgl. Spickhoff, in: ders., Medizinrecht, § 34 SGB V Rn. 1; Beck, in: Schlegel/Voelzke, juris Praxiskommentar, § 34 SGB V Rn. 12; Bischofs, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, Beck’scher Onlinekommentar Sozialrecht, § 34 SGB V Rn. 2; Gerlach, in: Hauck/Noftz, Sozialgesetzbuch – SGB V, § 34 SGB V Rn. 13; Hess, in: Körner/Leitherer/Mutschler, Kasseler Kommentar, § 34 SGB V Rn. 2; Joussen, in: Knickrehm/Kreikebohm/Waltermann, Kommentar zum Sozialrecht, § 34 SGB V Rn. 2; Pflugmacher, in: Eichenhofer/Wenner, SGB V, § 34 SGB V Rn. 3. 22 OTC-Arzneimittel sind daher Arzneimittel, die nur der Apothekenpflicht unterfallen, vgl. Hofmann, in: Kügel/Müller/Hofmann, Arzneimittelgesetz, § 43 AMG Rn. 8. 23 So BT-Drs. 15/1525, S. 86, wonach es sich um Arzneimittel im Preisbereich von durchschnittlich weniger als 11 Euro pro Packung handeln soll. 15

II. Nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel

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Einsatz finden diese Präparate zumeist bei geringfügigen Gesundheitsstörungen; sie werden in diesem Bereich auch vom Vertragsarzt verordnet24 und gehören insofern zum Therapiestandard25. Es handelt sich bei diesen Arzneimitteln um solche, die zwar der Apothekenpflicht unterliegen26, aber nicht unter die Regelungen zur Verschreibungspflicht fallen.

2. Gesetzliche Regelungen zur Verschreibungspflicht Die Verschreibungspflicht ist in § 48 AMG geregelt und wird durch die Arzneimittelverschreibungsverordnung (AMVV) vom 21. 12. 200527 ergänzt. Sie gilt nur für Arzneimittel im Sinne von § 2 AMG28. Folge der Verschreibungspflicht ist, dass ein Arzneimittel nur bei Vorlage einer ärztlichen, zahnärztlichen oder tierärztlichen Verordnung an den Versicherten abgegeben werden darf, also einer Rezeptpflicht unterliegt29. Es stellt mithin ein Abgabeverbot an den Apotheker dar: ohne Vorlage des Rezeptes darf er das Arzneimittel nicht herausgeben30. Das Rezept muss neben dem Namen des Arztes und dessen Anschrift unter anderem auch das Datum, den Namen des Patienten und dessen Geburtsdatum, das Fertigarzneimittel oder den Wirkstoff sowie die abzugebende Menge beinhalten; zudem muss es vom Arzt eigenhändig unterschrieben sein31. Zur Umsetzung der Patientenmobilitätsrichtlinie32 wurde außerdem § 2 AMVV ergänzt, sodass nun auch Verschreibungen aus den EU-Mitgliedstaaten, der Vertragsstaaten des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum sowie der Schweiz den deutschen Verschreibungen gleichstehen, sofern sie dieselben Merkmale wie deutsche Verschreibungen aufweisen und damit ihre Authentizität nachweisen33. Darüber hinaus müssen Verschreibungen, die dazu bestimmt sind, in einem 24

Axer, in: Becker/Kingreen, SGB V, § 34 SGB V Rn. 4; zur Anwendung bei geringfügigen Gesundheitsstörungen, vgl. auch Wodarz, in: Sodan, Handbuch des Krankenversicherungsrechts, § 27 Rn. 17. 25 Schwerdtfeger, PharmR 2004, S. 395. 26 Zur Apothekenpflicht vgl. Abschnitt A. III. 1. a). 27 BGBl. I, S. 3632, zuletzt geändert durch die Verordnung zur Änderung der ArzneimittelverschreibungsVO und der ApothekenbetriebsO v. 06. 03. 2015 (BGBl. I, S. 278). 28 Kloesel/Cyran, in: Kloesel/Cyran, Arzneimittelrecht, § 48 AMG Rn. 21. 29 § 48 Abs. 1 S. 1 AMG. 30 Vgl. BGH Urt. v. 08. 01. 2015 – I ZR 123/13; OLG Stuttgart Urt. v. 13. 06. 2013 – 2 U 193/ 12, 2 W 2/13 Rn. 25; Pabel, PharmR 2009, S. 499. Es handelt sich dabei sogar um eine Straftat, vgl. § 96 Nr. 13 AMG. 31 § 2 Abs. 1 AMVV; vgl. zu den Voraussetzungen auch: Kern, in: Laufs/Kern, Handbuch des Arztrechts, § 52 Rn. 6; von Czettritz, in: Fuhrmann/Klein/Fleischfresser, Arzneimittelrecht, § 25 Rn. 5. 32 Richtlinie 2011/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 09. 03. 2011 über die Ausübung der Patientenrechte in der grenzüberschreitenden Gesundheitsvorsorge. 33 Vgl. § 2 Abs. 1a S. 1 AMVV.

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B. Der Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel

anderen EU-Mitgliedstaat, in einem der Vertragsstaaten des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz eingelöst zu werden, detaillierte Angaben enthalten, die von der Europäischen Kommission festgesetzt wurden und nun auch in § 2 Abs. 1b AMVV aufgelistet sind34. Als Besonderheit ist auf diesen Verschreibungen bspw. neben dem Namen des Arztes auch dessen Telefonnummer mit Ländervorwahl sowie die E-Mail-Adresse anzugeben35. Die EU-Kommission ist darüber hinaus gem. Art. 11 Abs. 5 RL 2011/24/EU befugt, Maßnahmen zum Ausschluss spezifischer Kategorien von Arzneimitteln oder Medizinprodukten von der Anerkennung der Verschreibungen mittels delegierter Rechtsakte zu erlassen, soweit dies zum Schutz der Gesundheit erforderlich ist. Sie hat davon bisher keinen Gebrauch gemacht. Die Verschreibungspflicht stellt eine Mittelstufe zwischen der Apothekenpflicht und der Einordnung unter das Betäubungsmittelrecht dar36. Sie stellt höhere Anforderungen als die Apothekenpflicht, indem sie zusätzlich eine ärztliche Verschreibung verlangt, jedoch geringere Anforderungen als das Betäubungsmittelrecht. Dort ist eine Verschreibung in bestimmter Form erforderlich und die Arzneimittel dürfen nur unmittelbar in der Praxis oder im Krankenhaus eingenommen werden37. Da die Betäubungsmittelrezeptpflicht die höchsten Anforderungen stellt, unterfallen ihr nur ca. 1.400 Arzneimittel. Die Verschreibungspflicht umfasst ca. 47.000 verkehrsfähige Arzneimittel und die Apothekenpflicht nochmal ca. 19.600 zusätzliche Arzneimittel38. Ausschlaggebend für die Verschreibungspflicht ist nicht das jeweilige Fertigarzneimittel selbst, sondern der im Arzneimittel enthaltene Stoff39. Verschreibungspflichtig sind Arzneimittel, die Stoffe, Zubereitungen aus Stoffen oder Gegenstände sind, die in der nach § 48 Abs. 2 AMG von den Bundesministerien für Gesundheit und für Wirtschaft und Technologie erlassenen Rechtsverordnung, der AMVV, sowie in deren Anlage I aufgeführt sind bzw. denen solche Stoffe oder Zubereitungen aus Stoffen zugesetzt sind40. Die letzte Variante des Zusetzens von Stoffen spielt insbesondere bei pflanzlichen Arzneimitteln eine Rolle. Bestimmte Pflanzen enthalten von Natur aus einen der in der Anlage I aufgelisteten Stoffe, allerdings meist nur in geringen Mengen. Diese Pflanzen sollen aber nicht schon allein wegen des Vorhandenseins eines solchen Stoffes unter die Verschreibungs34 Vgl. Art. 11 Abs. 2 lit.a RL 2011/24/EU; Anhang der Durchführungsrichtlinie 2012/52/ EU der Kommission vom 20. 12. 2012 mit Maßnahmen zur Erleichterung der Anerkennung von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten ärztlichen Verschreibungen (Abl. Nr. L 356 S. 68). 35 § 2 Abs. 1b Nr. 4 AMVV. 36 Hofmann, in: Kügel/Müller/Hofmann, Arzneimittelgesetz, § 48 AMG Rn. 7. 37 Patzak, in: Körner, Betäubungsmittelgesetz, § 13 BtMG Rn. 3, 31 ff. 38 Vgl. zu den Zahlen die Angaben des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte, Stand: 17. 08. 2015, abrufbar unter: http://www.bfarm.de/DE/Service/Statistik/ AM_statistik/statistik-verkf-am-zustBfArM.html?nn=4284776. 39 Hofmann, in: Kügel/Müller/Hofmann, Arzneimittelgesetz, § 48 AMG Rn. 10. 40 § 48 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AMG.

II. Nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel

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pflicht fallen, sondern erst, wenn noch andere Stoffe zugesetzt werden41. Ansonsten wäre die Selbstmedikation mit pflanzlichen Arzneimitteln erheblich eingeschränkt42. Die Anlage I enthält eine alphabetische Auflistung der verschreibungspflichtigen Stoffe und Zubereitungen und umfasst über 2000 Punkte. Welche Stoffe in die Rechtsverordnung aufgenommen werden sollen, bestimmt sich nach § 48 Abs. 2 Nr. 1 und 2 AMG. Danach besteht die Möglichkeit, in der Rechtsverordnung festzulegen, welche neuen Wirkstoffe oder welche gefährlichen Stoffe, Zubereitungen und Gegenstände der Verschreibungspflicht unterfallen sollen. Zu den gefährlichen Stoffen zählen unter anderem solche Stoffe oder Zubereitungen, die auch bei einem bestimmungsgemäßen Gebrauch eine unmittelbare oder mittelbare Gefahr für den Verbraucher darstellen können, sofern sie nicht einer ärztlichen Überwachung unterstellt sind43. Die ärztliche Überwachung umfasst dabei die Stellung der Diagnose, die Beaufsichtigung der Anwendung sowie die Ergebniskontrolle. Unter dem Begriff der „Unmittelbaren Gefahr“ wird die Möglichkeit des Entstehens von bedenklichen Nebenwirkungen verstanden, wohingegen mittelbare Gefahren bspw. vorliegen, wenn das Arzneimittel das Bedienen von Maschinen beeinflusst44. Des Weiteren sind in der Rechtsverordnung Stoffe bestimmt, die häufig nicht bestimmungsgemäß gebraucht werden und bei denen aufgrund des nichtbestimmungsmäßigen Gebrauchs unmittelbare oder mittelbare Gefährdungen eintreten können45. Als bestimmungsgemäßer Gebrauch gelten die vom Pharmaunternehmer bestimmten Angaben in der Packungsbeilage zur Anwendung des Arzneimittels hinsichtlich ihrer Dosierung, Anwendungsdauer etc.46. Einer Einschränkung unterliegt die Einordnung dieser Stoffe unter die Verschreibungspflicht aber insofern, als der nicht bestimmungsgemäße Gebrauch häufig und in erheblichem Umfang erfolgen muss47. Dazu müssen Belege, wie Dokumentationen von Ärzten oder Erfahrungen von Apothekern, vorliegen48. Darüber hinaus kann die Verschreibungspflicht wieder aufgehoben werden, sofern die Erfahrungen zeigen, dass die Voraussetzungen für die Verschreibungspflicht nicht mehr vorliegen49. Neben den in der AMVV aufgeführten Arzneimitteln und Stoffen, die kraft Rechtsverordnung verschreibungspflichtig sind, unterfallen auch alle Stoffe mit 41

BT-Drs. 7/3060, S. 55; Hofmann, in: Kügel/Müller/Hofmann, Arzneimittelgesetz, § 48 AMG Rn. 10; Kloesel/Cyran, in: Kloesel/Cyran, Arzneimittelrecht, § 48 AMG Rn. 21; Pabel, PharmR 2009, S. 501. 42 Pabel, PharmR 2009, S. 501. 43 Vgl. § 48 Abs. 2 Nr. 2a AMG. 44 Hofmann, in: Kügel/Müller/Hofmann, Arzneimittelgesetz, § 48 AMG Rn. 22; Kloesel/ Cyran, in: Kloesel/Cyran, Arzneimittelrecht, § 48 AMG Rn. 56 ff. 45 Vgl. § 48 Abs. 2 Nr. 2b AMG. 46 So Kloesel/Cyran, in: Kloesel/Cyran, Arzneimittelrecht, § 48 AMG Rn. 62, 67. 47 § 48 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 b AMG. 48 Kloesel/Cyran, in: Kloesel/Cyran, Arzneimittelrecht, § 48 AMG Rn. 69. 49 Hofmann, in: Kügel/Müller/Hofmann, Arzneimittelgesetz, § 48 AMG Rn. 27.

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B. Der Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel

noch nicht bekannter Wirkung der Verschreibungspflicht kraft Gesetz50. Zu den Stoffen mit noch nicht bekannter Wirkung in der medizinischen Wissenschaft zählen solche, die in der Praxis insofern neu sind, als sie erstmals zugelassen wurden und die auch in der internationalen Wissenschaft als neu gelten51. Diese Regelung überrascht, als auch in der Rechtsverordnung nach Abs. 2 neue Stoffe bestimmt werden können, die der Verschreibungspflicht unterfallen sollen. Die Regelung schließt jedoch diesbezüglich eine erhebliche Sicherheitslücke. Denn durch sie unterfallen Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen schon mit der Zulassung zum Markt per Gesetz der Verschreibungspflicht und nicht erst, wenn der Verordnungsgeber sie in die AMVV aufgenommen hat und dann die Verschreibungspflicht nach der Verordnung greift52. Entscheidet sich der Verordnungsgeber später zur Aufnahme des neuen Wirkstoffes in die AMVV, so gilt die Verschreibungspflicht nach der Verordnung53. Die gesetzliche Verschreibungspflicht gilt zudem für Wirkstoffkombinationen, die Zubereitungen aus allgemein bekannten Stoffen sind, wenn die Wirkungen dieser Zubereitungen in der medizinischen Wissenschaft nicht allgemein bekannt sind. Dies gilt nicht, wenn die Wirkungen nach Zusammensetzung, Dosierung, Darreichungsform oder Anwendungsgebiet der Zubereitung bestimmbar sind54. Damit können auch neue Kombinationen bekannter Bestandteile nicht der Verschreibungspflicht unterfallen, sofern sich die Kombination als wissenschaftlich wirksam und unbedenklich erweist55. Die Verschreibungspflicht für neue Stoffe kann frühestens nach drei Jahren wieder aufgehoben werden56. Damit besteht für Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen automatisch eine dreijährige Verschreibungspflicht.

3. Zusammenfassung Zusammenfassend unterfallen also insbesondere Arzneimittel mit unbekannten Wirkstoffen, solche mit Anwendungsrisiken und solche, bei denen eine Missbrauchsgefahr aufgrund häufiger Falschanwendung besteht, der Verschreibungs50

Vgl. § 48 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 und 3 AMG; auch wenn der Wortlaut von „Stoffen“ als Plural spricht, umfasst die Vorschrift auch Arzneimittel mit einem einzelnen unbekannten Wirkstoff, vgl. Pabel, PharmR 2009, S. 500 f.; so auch Kloesel/Cyran, in: Kloesel/Cyran, Arzneimittelrecht, § 48 AMG Rn. 31. 51 Vgl. Hofmann, in: Kügel/Müller/Hofmann, Arzneimittelgesetz, § 48 AMG Rn. 21; Kloesel/Cyran, in: Kloesel/Cyran, Arzneimittelrecht, § 48 AMG Rn. 50. 52 BT-Drs. 16/12256, S. 52; so auch Hofmann, in: Kügel/Müller/Hofmann, Arzneimittelgesetz, § 48 AMG Rn. 12; Weber, in: Weber, Betäubungsmittelgesetz, Arzneimittelgesetz, § 48 AMG Rn. 45; von Czettritz, in: Fuhrmann/Klein/Fleischfresser, Arzneimittelrecht, § 25 Rn. 9. 53 § 48 Abs. 1 S. 5 AMG. 54 § 48 Abs. 1 S. 3 AMG. 55 von Czettritz, in: Fuhrmann/Klein/Fleischfresser, Arzneimittelrecht, § 25 Rn 10. 56 Vgl. § 48 Abs. 2 Nr. 3 AMG, der auch für den Fall der automatischen Verschreibungspflicht nach § 48 Abs. 1 Nr. 3 AMG gilt; von Czettritz, in: Fuhrmann/Klein/Fleischfresser, Arzneimittelrecht, § 25 Rn. 17.

III. Die Ausnahmevorschrift des § 34 Abs. 1 S. 2 SGB V

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pflicht. Damit sind solche Arzneimittel verschreibungspflichtig, die in irgendeiner Weise gefährlich für den Verbraucher sind; sei es durch den Stoff selbst, weil er noch unbekannt ist oder die Nebenwirkungen stark sind, oder die Art und Weise der Verwendung des Stoffes Gefahren hervorrufen kann. Die Verschreibungspflicht grenzt daher den Zugang zu diesen gefährlichen Arzneimitteln ein und dient somit dem Schutz der Verbraucher; sie ist ein Kriterium der Arzneimittelsicherheit57. Im Umkehrschluss handelt es sich daher bei den nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln um solche, die nur geringe Nebenwirkungen haben58, durch die keine unmittelbare oder mittelbare Gefährdung der Gesundheit besteht und deren Wirkstoffe wissenschaftlich bekannt sind59.

III. Die Ausnahmevorschrift des § 34 Abs. 1 S. 2 SGB V Der generelle Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel gilt jedoch nicht ausnahmslos. Nach § 34 Abs. 1 S. 2 SGB V ist die Verordnung nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel durch den Vertragsarzt möglich, wenn sie bei der Behandlung schwerwiegender Erkrankungen als Therapiestandard gelten und dies vom Gemeinsamen Bundesausschuss in seinen Richtlinien festgelegt wurde. Damit werden einzelne nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel in den Leistungskatalog wiedereingegliedert. Eine Verordnung ist aber nur mit einer gesonderten Begründung durch den Vertragsarzt möglich und nur dann, wenn das Arzneimittel zur Behandlung der schwerwiegenden Erkrankung eingesetzt wird, für die es als Therapiestandard gilt. Der Vertragsarzt muss die Verordnung zu Lasten der Krankenkasse durch Angabe der entsprechenden Diagnose begründen60. Die Begründung ist dementsprechend zu dokumentieren, wobei der Arzt die Indikation für die Verordnung des Arzneimittels angeben muss61. Diese Ausnahmeregelung mildert

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BVerfG PharmR 2013, 119 (121); Hofmann, in: Kügel/Müller/Hofmann, Arzneimittelgesetz, § 48 AMG Rn. 6 f.; Kloesel/Cyran, in: Kloesel/Cyran, Arzneimittelrecht, § 48 AMG Rn. 1 f.; Pabel, PharmR 2009, S. 499, der die Verschreibungspflicht als eine der ältesten Vorkehrungen für die Arzneimittelsicherheit bezeichnet; Sandrock/Nawroth, in: Dieners/ Reese, Handbuch des Pharmarechts, § 9 Rn. 10. 58 Ärzte Zeitung, 2010, Nr. 43, S. 8 und Nr. 76, S. 9. 59 Hinsichtlich letzterem Kügel, in: ders./Müller/Hofmann, Arzneimittelgesetz, § 25 Rn. 134. 60 § 12 Abs. 9 AM-RL. Die Vorschrift des § 10 AM-RL gilt nur für Ausschlüsse durch Richtlinien gem. § 16 AM-RL. 61 Axer, in: Becker/Kingreen, SGB V, § 34 SGB V Rn. 10; Spickhoff, in: ders., Medizinrecht, § 34 SGB V Rn. 5; Bischofs, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, Beck’scher Onlinekommentar Sozialrecht, § 34 SGB V Rn. 12; Gerlach, in: Hauck/Noftz, Sozialgesetzbuch – SGB V, § 34 SGB V Rn. 17; Hess, in: Körner/Leitherer/Mutschler, Kasseler Kommentar, § 34 SGB V Rn. 3.

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B. Der Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel

den Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel ab; durch sie soll die Möglichkeit bestehen, Härtefälle berücksichtigen zu können62.

1. Konkretisierungen in der Arzneimittel-Richtlinie Die gesetzliche Regelung in § 34 SGB V bestimmt nur in groben Zügen, wann nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel verordnungsfähig sein sollen und überlässt die nähere Ausgestaltung dem Gemeinsamen Bundesausschuss in seinen Richtlinien nach § 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 SGB V. Dem Gemeinsamen Bundesausschuss wird dadurch die Ermächtigung erteilt, in seinen Richtlinien festzulegen, welche nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel zu Lasten der Krankenkassen verordnet werden dürfen, und die Begriffe der schwerwiegenden Erkrankung und des Therapiestandards zu bestimmen63. Von dieser Ermächtigung hat der Gemeinsame Bundesausschuss in der Arzneimittel-Richtlinie64 Gebrauch gemacht. Soweit er in § 12 AM-RL allerdings den Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel geregelt hat, kommt der Arzneimittel-Richtlinie keine konstitutive Wirkung zu, denn der Arzneimittelausschluss ergibt sich bereits aus dem Gesetz65. Die Richtlinie legt aber abschließend fest, welche nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnungsfähig sind66. Hierzu wurden durch den Gemeinsamen Bundesausschuss die Voraussetzung der Ausnahmeregelung in § 34 Abs. 1 S. 2 SGB V konkretisiert, indem in § 12 Abs. 3 und 4 AM-RL die Begriffe der schwerwiegenden Erkrankung und des Therapiestandards definiert wurden und in der Anlage I der Richtlinie eine Liste der verordnungsfähigen Standardtherapeutika zur Behandlung schwerwiegender Erkrankungen aufgestellt wurde. Zudem erweitert § 12 AM-RL den verordnungsfähigen Bereich nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel: Nach Abs. 7 sind nicht verschreibungspflichtige Medikamente auch als Begleitmedikation verordnungsfähig; allerdings nur, wenn das verschreibungspflichtige Hauptarzneimittel das nicht verschreibungs62

Rn. 5.

Wagner, in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung Pflegeversicherung, § 34 SGB V

63 So auch Bischofs, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, Beck’scher Onlinekommentar Sozialrecht, § 34 SGB V Rn. 6; Gerlach, in: Hauck/Noftz, Sozialgesetzbuch – SGB V, § 34 SGB V Rn. 15; Hess, in: Körner/Leitherer/Mutschler, Kasseler Kommentar, § 34 SGB V Rn. 4; Joussen, in: Knickrehm/Kreikebohm/Waltermann, Kommentar zum Sozialrecht, § 34 SGB V Rn. 3. 64 Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Verordnung von Arzneimitteln in der vertragsärztlichen Versorgung i. d. F. v. 18. 12. 2008/22. 01. 2009 (BAnz (Beilage) v. 31. 03. 2009 Nr. 49a), zuletzt geändert am 17. 09. 2015. 65 Vgl. oben Abschnitt B. I. 66 Vgl. § 12 Abs. 10 AM-RL. Weitere Ausnahmen lassen sich aber über den Off-Label-Use oder die Grundsätze des Nikolausbeschlusses konstruieren. Dazu mehr unter Abschnitt B. VI. und VII.

III. Die Ausnahmevorschrift des § 34 Abs. 1 S. 2 SGB V

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pflichtige Arzneimittel als Begleitmedikation zwingend vorschreibt. Darüber hinaus bestimmt Abs. 8, dass ein nicht verschreibungspflichtiges Arzneimittel dann verordnet werden kann, wenn es gegen schwerwiegende unerwünschte Arzneimittelwirkungen eines verordnungsfähigen Arzneimittels eingesetzt wird. Damit manifestiert die Arzneimittel-Richtlinie zwei weitere Ausnahmen vom Ausschluss der Verordnungsfähigkeit nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel67.

2. Zulässigkeit des Erlasses von Richtlinien durch den Gemeinsamen Bundesausschuss Der Gemeinsame Bundesausschuss ist eine juristische Person des öffentlichen Rechts, der durch die Kassenärztliche und Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung, die Deutsche Krankenhausgesellschaft und dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen gebildet wird68. Er ist das höchste Gremium der sog. gemeinsamen Selbstverwaltung von Ärzten, Zahnärzten, Psychotherapeuten, Krankenhäusern und Krankenkassen69. Eingeführt wurde er im Zusammenhang mit dem GKV-Modernisierungsgesetz zum 01. 01. 2004 und ersetzte die bis dahin bestehenden Normsetzungsgremien der gemeinsamen Selbstverwaltung, also die Bundesausschüsse, den Ausschuss Krankenhaus und den Koordinierungsausschuss70. Aufgabe des Gemeinsamen Bundesausschusses ist es, die zur Sicherung der ärztlichen Versorgung erforderlichen Richtlinien über die Gewähr für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten zu beschließen71. Dementsprechend ist er befugt in verschiedenen Versorgungsbereichen Richtlinien zu erlassen, wie bspw. zur ärztlichen Behandlung, zur zahnärztlichen Behandlung, zur Einführung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden oder eben auch zur Verordnung von Arznei- oder Hilfsmitteln72. Darüber hinaus bestehen noch zahlreiche andere Spezialermächtigungen73. Damit wird dem Gemeinsamen 67

Dazu näher Abschnitt B. III. 6. § 91 Abs. 1 S. 1 und 2 SGB V; siehe auch: Roters, in: Körner/Leitherer/Mutschler, Kasseler Kommentar, § 91 SGB V Rn. 3. 69 Barth, in: Spickhoff, Medizinrecht, § 91 SGB V Rn. 1; Roters, in: Körner/Leitherer/ Mutschler, Kasseler Kommentar, § 91 SGB V Rn. 3; Schmidt-De Caluwe, in: Becker/Kingreen, SGB V, § 91 SGB V Rn. 1. 70 BT-Drs. 15/1525, S. 106. 71 § 92 Abs. 1 S. 1 SGB V. Die Richtlinien dienen der Konkretisierung der in §§ 27 ff. SGB V begründeten Rahmenrechte, vgl. Flint, in: Hauck/Noftz, Sozialgesetzbuch – SGB V, § 135 SGB V Rn. 12; Mrozynski, in: ders., SGB I, § 31 SGB I Rn. 35. 72 § 92 Abs. 1 S. 2 SGB V zählt die verschiedenen Versorgungsbereiche auf. 73 Vgl. etwa allein im Bereich der Arzneimittel: § 31 Abs. 1 S. 2 SGB V zur Regelung der Einbeziehung von Medizinprodukten in die Arzneimittelversorgung; § 31 Abs. 5 S. 2 SGB V zur Verordnung von bilanzierten Diäten; § 34 Abs. 1 S. 2 SGB V zur Bestimmung der verordnungsfähigen OTC-Arzneimittel; § 34 Abs. 6 S. 7 SGB V zur Regelung des Näheren im Bezug auf das Aufnahmeverfahren für die OTC-Liste. 68

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B. Der Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel

Bundesausschuss eine umfassende Regelungskompetenz in fast allen Versorgungsbereichen gegeben74, weshalb er häufig als „kleiner Gesetzgeber“ der gesetzlichen Krankenversicherung bezeichnet wird75. a) Rechtsnatur und Wirkung der Richtlinien Nach heute allgemeiner Ansicht kommt den Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses normative Wirkung zu76. Das Bundessozialgericht hat die normative Wirkung der Richtlinien allerdings lange Zeit verneint und sie als lediglich selbstbindend für die Verwaltung bezeichnet77. Mit dem Methadon-Urteil78 folgte allerdings die Wende: Darin formulierte das Bundessozialgericht erstmals die Verbindlichkeit der Richtlinien auch für Versicherte und bekräftigte damit ihre normative Wirkung. Die Richtlinien seien durch die Eingliederung in die Bundesmantelverträge und die Gesamtverträge in ihrer rechtlichen Wirkung gleich zu behandeln wie die normativen Teile der vertragsärztlichen Kollektivverträge. Sie setzen unmittelbar Rechte und Pflichten der durch den Vertrag Unterworfenen fest. Die Verbindlichkeit für die Versicherten ergebe sich aus § 92 Abs. 1 S. 1 SGB V, der in einem unmittelbaren Zusammenhang mit § 12 SGB V stehe und den Umfang der Leistungspflicht der Krankenkassen gegenüber den Versicherten konkretisiere. Eine gesonderte gesetzliche Verbindlichkeitsanordnung für die Versicherten bedürfe es deshalb nicht, weil diese im Gegensatz zu ärztlichen Leistungserbringern oder den Krankenkassen nicht selbst aktiv an der Leistungserbringung teilnehmen. Das Bundessozialgericht stellte damit fest, dass der Bundesausschuss in seinen Richtlinien die Leistungspflicht der Krankenkassen bzw. deren Umfang verbindlich konkretisiere und bezeichnete in Folge dessen die Richtlinien als untergesetzliche

74 Schimmelpfeng-Schütte, in: Schnapp/Wigge, HVAR, § 7 Rn. 30; Ziermann, in: Sodan, Handbuch des Krankenversicherungsrechts, § 23 Rn. 37. 75 Vgl. Butzer/Kaltenborn, MedR 2001, S. 333, die diese Bezeichnung auch schon für den Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen, dem Vorgänger des Gemeinsamen Bundesausschusses, wählten; Lang, in: Becker/Kingreen, SGB V, § 27 SGB V Rn. 54; so auch Schimmelpfeng-Schütte, in: Schnapp/Wigge, HVAR, § 7 Rn. 30, die ihn als „eigentlichen Gesetzgeber innerhalb der GKV“ ansieht. 76 Ständige Rechtsprechung: BSGE 96, 261 (276); 105, 1 (9); 110, 183 (188). Vgl. auch statt Vieler: Hannes, in: Hauck/Noftz, Sozialgesetzbuch – SGB V, § 92 SGB V Rn. 5; Hänlein, Rechtsquellen im Sozialversicherungsrecht, S. 464 ff.; Roters, in: Körner/Leitherer/Mutschler, Kasseler Kommentar, § 92 SGB V Rn. 9; Quaas/Zuck/Clemens, Medizinrecht, § 8 Rn. 35. Es finden sich allerdings auch noch vereinzelt gegenteilige Stimmen: Schimmelpfeng-Schütte, in: Schnapp/Wigge, HVAR, § 7 Rn. 40; dies., NZS 2006, S. 570; Schmidt-De Caluwe, in: Becker/ Kingreen, SGB V, § 92 SGB V Rn. 8; Vießmann, Die demokratische Legitimation des Gemeinsamen Bundesausschusses, S. 139; Wimmer, MedR 1997, S. 226. 77 BSGE 35, 10 (14); 63, 163 (165 f.); 73, 271 (287 f.). 78 BSGE 78, 70 ff.

III. Die Ausnahmevorschrift des § 34 Abs. 1 S. 2 SGB V

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Rechtsnormen.79 Diese Rechtsprechung bekräftigte das Bundessozialgericht in seinen sog. „Septemberurteilen“80 und geht nunmehr in ständiger Rechtsprechung von einer normativen Wirkung der Richtlinien aus81. Die Richtlinien sind sowohl für Vertragsärzte und Krankenkassen als auch für die Versicherten verbindlich. Die Verbindlichkeit für Vertragsärzte und Krankenkassen wird durch die Integration der Richtlinien in die Bundesmantel- und Gesamtverträge sowie durch die Eingliederung in die Satzungen der Kassenärztlichen Vereinigungen hergestellt82. Für Versicherte wurde die Verbindlichkeit in § 91 Abs. 6 SGB V ausdrücklich gesetzlich geregelt, wobei die Beschlüsse zu Entscheidungen nach § 137b SGB V ausgenommen sind. Damit wirken die Beschlüsse des Gemeinsamen Bundesausschusses kraft gesetzlicher Geltungsanordnung83. b) Demokratische Legitimation des Gemeinsamen Bundesausschusses Mit der Verbindlichkeit der Richtlinien stellt sich eine andere Frage, den Gemeinsamen Bundesausschuss betreffend, umso schärfer: seine demokratische Legitimation. Immerhin sind von seinen Beschlüssen alle Versicherten der gesetzlichen Krankenkasse, also ca. 90 % der Bevölkerung, betroffen84. Die Frage nach der demokratischen Legitimation des Gemeinsamen Bundesausschusses war lange umstritten und ist es auch heute noch, wie sich etwa aktuell in dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 10. 11. 2015 zeigt, in der das Bundesverfassungsgericht den Gemeinsamen Bundesausschuss weder pauschal als demokratisch noch als undemokratisch einordnet85 und damit die Frage der demokratischen Legitimation des Gemeinsamen Bundesausschusses weiterhin offen lässt. 79 BSGE 78, 70 (74 ff.); zur Entwicklung dieser Rechtsprechung und zur Begründung des Gerichts: Axer, Normsetzung der Exekutive in der Sozialversicherung, S. 118 ff.; Zimmermann, Der Gemeinsame Bundesausschuss, S. 47 f. 80 BSGE 81, 54 (63); 81, 73 (81). Zum Begriff „Septemberurteile“ vgl.: Butzer/Kaltenborn, MedR 2001, S. 335; Neumann, NZS 2010, S. 593; Zimmermann, Der Gemeinsame Bundesausschuss, S. 49. 81 Vgl. BSGE 96, 261 (276); 105, 1 (9); 107, 287 (295); 110, 183 (188), 112, 257 (260). 82 Vgl. §§ 92 Abs. 8, 82 Abs. 1 S. 2, 83, 81 Abs. 3 Nr. 2 SGB V sowie durch die Einbeziehung in § 91 Abs. 6 SGB V. 83 BT-Drs. 15/1525, S. 107; Joussen, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, Beck’scher Onlinekommentar Sozialrecht, § 91 SGB V Rn. 7. Teile der Literatur halten die Geltungsanordnung aufgrund der gesetzlichen Ermächtigung zum Richtlinienerlass für überflüssig, da sich schon daraus die normative Wirkung ergebe, vgl.: Axer, Normsetzung der Exekutive in der Sozialversicherung, S. 121 f.; ders., in: Schnapp/Wigge, HVAR, § 10 Rn. 21 ff.; sich anschließend: Hase, MedR 2005, S. 396. 84 Schimmelpfeng-Schütte, in: Schnapp/Wigge, HVAR, § 7 Rn. 19; Schmidt-De Caluwe, in: Becker/Kingreen, SGB V, § 92 SGB V Rn. 14. 85 BVerfG KrV 2015, 236 ff.; siehe hierzu auch Gassner, NZS 2016, S. 121 ff.; Lege, JZ 2016, 464 ff.; Wallrabenstein, KrV 2015, 240 f.

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B. Der Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel

Eine demokratische Legitimation ist deshalb erforderlich, da Normsetzung amtliches Handeln mit Entscheidungscharakter ist und somit Ausübung von Staatsgewalt86. Der Gemeinsame Bundesausschuss konkretisiert mit seinen verbindlichen Richtlinien nicht nur die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung, sondern legt den Leistungskatalog, der nach der Rechtsprechung durch §§ 27 ff. SGB V als Rahmenrecht gewährt wird, fest87 und übt mithin durch den Erlass verbindlicher Richtlinien Normsetzung aus88. Nach Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG geht alle Staatsgewalt vom Volke aus. Zwischen der Ausübung der Staatsgewalt durch Hoheitsträger und dem Volk muss ein Zusammenhang derart bestehen, dass die Maßnahmen der Organe der Staatsgewalt sich auf das Volk zurückführen lassen und ihm gegenüber verantwortet werden89. Diese Verbindung wird „durch die Wahl des Parlaments, durch die von ihm beschlossenen Gesetze als Maßstab der vollziehenden Gewalt, durch den parlamentarischen Einfluss auf die Politik der Regierung sowie durch die grundsätzliche Weisungsgebundenheit der Verwaltung gegenüber der Regierung hergestellt“90. Erforderlich dafür ist ein hinreichend effektiver Einfluss des Volkes auf die Staatsgewaltausübung, mithin ein bestimmtes Legitimationsniveau91. Hinsichtlich der Rückführung von staatlichen Maßnahmen auf den Willen des Volkes wird maßgeblich zwischen zwei verschiedenen Formen der Legitimation, personeller und sachlich-inhaltlicher Legitimation, unterschieden92. Von diesen beiden Formen hat jedoch keine Vorrang; 86 Vgl. BVerfGE 83, 60 (73); 93, 37 (68); 107, 59 (87); 135, 155 (221); 136, 194 (261). Zur Legitimationsbedürftigkeit des G-BA: vgl. Butzer/Kaltenborn, MedR 2001, S. 337; Christopeit, Die verfassungsrechtliche Bewertung der Rechtsetzung des Gemeinsamen Bundesausschusses, S. 112 ff.; Neumann, NZS 2010, S. 593 f.; Seeringer, Der Gemeinsame Bundesausschuss nach dem SGB V, S. 150 f.; Wiegand, in: Schlegel/Voelzke, juris Praxiskommentar, § 92 SGB V Rn. 31. Ausführlich zu diesem Erfordernis Zimmermann, Der Gemeinsame Bundesausschuss, S. 109 ff. 87 Zum Rahmenrecht, vgl. Abschnitt A. Zur Konkretisierung durch den G-BA, vgl. Hase, MedR 2005, S. 393; Lang, in: Becker/Kingreen, SGB V, § 27 SGB V Rn. 53 ff. 88 So ausdrücklich Neumann, NZS 2010, S. 594. 89 BVerfGE 77, 1 (40); 83, 60 (71 f.); 93, 37 (66); 107, 59 (87); 130, 76 (123); 135, 155 (221); 136, 194 (261); vgl. auch: Grzeszick, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 20 GG Rn. 117. 90 BVerfGE 93, 37 (66). 91 BVerfGE 83, 60 (71 f.); 93, 37 (66); 107, 59 (87); 119, 331 (366); 135, 155 (222); 136, 194 (262); vgl. auch: Grzeszick, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 20 GG Rn. 119; Sachs, in: ders., Grundgesetz Kommentar, Art. 20 GG Rn. 35; Sommermann, in: von Mangoldt/Klein/ Starck, Kommentar zum Grundgesetz, Art. 20 GG Rn. 170. 92 BVerfGE 83, 60 (72); Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Band II, § 24 Rn. 14; Huster/Rux, in: Epping/Hillgruber, GG, Art. 20 GG Rn. 93; Grzeszick, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 20 GG Rn. 120, der von personell-demokratischer Legitimation spricht; ders., in: Anderheiden/Keil/Kirste/Schaefer, Gedächtnisschrift für Brugger, S. 603; teilweise wird auch von personell-organisatorischer Legitimation gesprochen, vgl. Zimmermann, Der Gemeinsame Bundesausschuss, S. 108. Daneben bestehen noch die institutionelle und die funktionelle Legitimation, vgl. Sommermann, in: von Mangoldt/Klein/ Starck, Kommentar zum Grundgesetz, Art. 20 GG Rn. 169.

III. Die Ausnahmevorschrift des § 34 Abs. 1 S. 2 SGB V

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sie sind vielmehr als Ergänzungen zueinander zu betrachten. So korreliert eine weniger stark ausgeprägte personelle Legitimation mit einer stärkeren sachlich-inhaltlichen Legitimation; entscheidend ist, dass im Ergebnis ein bestimmtes Legitimationsniveau erreicht wird. Die Legitimationsformen können sich daher gegenseitig ausgleichen93. aa) Personelle Legitimation Personelle Legitimation meint, dass diejenigen Organe und Amtswalter, die staatliche Aufgaben wahrnehmen und damit Staatsgewalt ausüben, durch eine ununterbrochene Legitimationskette vom Volk legitimiert sein müssen94. Diese Legitimation muss jedoch nicht unmittelbar auf der Wahl durch das Volk beruhen, ausreichend ist auch eine lediglich mittelbare Rückführung auf das Volk95. Maßgebend bleibt aber die ununterbrochene Legitimationskette. Daher muss ein Amtswalter unmittelbar oder mittelbar vom Volk für seine konkrete Aufgabe bestellt worden sein. Die Bestellung erfolgt durch Wahl oder Ernennung, also durch individuellen Bestellungsakt96. Mittelbar erfolgt eine Ernennung dann, wenn ein unmittelbar berufener Amtswalter einen anderen Amtswalter individuell ernennt, der dann wiederum einen anderen Amtswalter benennt. Im Ergebnis muss eine Ernennungskette, die letztlich bis auf das Volk zurückführbar ist, vorliegen97. Dann ist die personelle Legitimation gegeben. Damit zeigt sich, dass die Voraussetzungen der personellen Legitimation auf die Ministerialverwaltung zugeschnitten sind98. Betreffend den Gemeinsamen Bundesausschuss stellt sich zunächst einmal die Frage, wer das die Legitimation verleihende „Volk“, also das Subjekt der demokratischen Legitimation, ist. Grundsätzlich ist mit Volk das gesamte Staatsvolk 93 BVerfGE 83, 60 (72); 93, 37 (66 f.); 107, 59 (87); 135, 155 (222); 136, 194 (262); Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Band II, § 24 Rn. 23; Dreier, in: ders., Grundgesetz Kommentar, Art. 20 GG Rn. 116; Sommermann, in: von Mangoldt/Klein/ Starck, Kommentar zum Grundgesetz, Art. 20 GG Rn. 170. Teile der Literatur befürworten sogar einen Totalaustausch: Axer, in: Schnapp/Wigge, HVAR, § 10 Rn. 46; Grzeszick, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 20 GG Rn. 130; ders., in: Anderheiden/Keil/Kirste/Schaefer, Gedächtnisschrift für Brugger, S. 604 ff.; Jestaedt, Kondominialverwaltung, S. 283 f. 94 BVerfGE 47, 253 (275); 77, 1 (40); 83, 60 (72 f.);107, 59 (87 f.); 119, 331 (366); Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Band II, § 24 Rn. 16; Jestaedt, Kondominialverwaltung, S. 267 ff.; Sommermann, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum Grundgesetz, Art. 20 GG Rn. 164. 95 BVerfGE 47, 253 (275); vgl. auch Dreier, in: ders., Grundgesetz Kommentar, Art. 20 (Demokratie) GG Rn. 115. 96 Grzeszick, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 20 GG Rn. 121: Eine lediglich abstrakte Legitimation des einzelnen Amtswalters ist gerade nicht ausreichend, so Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Band II, § 24 Rn. 16. 97 BVerfGE 107, 59 (88). 98 Jestaedt, Kondominialverwaltung, S. 329 ff.; so auch: Axer, Normsetzung der Exekutive in der Sozialversicherung, S. 296; Grzeszick, in: Anderheiden/Keil/Kirste/Schaefer, Gedächtnisschrift für Brugger, S. 607; Neumann, NZS 2010, S. 594.

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B. Der Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel

gemeint99. Im Bereich der Länder ist es auch zulässig, dass die Legitimation nur durch ein Teilvolk verwirklicht wird100. Der Gemeinsame Bundesausschuss ist jedoch weder vom Staatsvolk gewählt und damit unmittelbar legitimiert, noch ist eine mittelbare Legitimation ersichtlich. Das Beschlussgremium des Gemeinsamen Bundesausschusses besteht aus einem unparteiischen Vorsitzenden, zwei weiteren unparteiischen Mitgliedern, einem von der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung, jeweils zwei von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und der Deutschen Krankenhausgesellschaft und fünf von dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen benannten Mitgliedern. Die Ernennung dieser Mitglieder erfolgt daher nicht etwa durch das Bundesministerium für Gesundheit, sondern durch die jeweiligen Spitzenorganisationen101. Diese sind aber nicht selbst personell legitimiert, da es sich dabei um juristische Personen handelt, die in den unmittelbaren Staatsverwaltungsaufbau nicht eingegliedert sind102. Es besteht lediglich die Möglichkeit, dass das Bundesministerium für Gesundheit die unparteiischen Mitglieder bestimmt, allerdings nur, wenn die Kassenärztliche Bundesvereinigung, der Spitzenverband Bund der Krankenkassen und die Deutsche Krankenhausgesellschaft sich nicht einigen bzw. der Ausschuss für Gesundheit des Deutschen Bundestages die Vorgeschlagenen ablehnt103. Dies allein kann eine personelle Legitimation aber nicht herstellen, da nur drei der 13 Mitglieder des Gemeinsamen Bundesausschusses unparteiisch sind104. Das Prinzip der personellen Legitimation ist damit mangels Legitimierung durch die Allgemeinheit als Staatsvolk nicht erfüllt. Die fehlende demokratische Legitimation könnte allerdings über die mitgliedschaftliche Autonomie ersetzt bzw. kompensiert werden, sog. autonome Legitimation105. Als Legitimationssubjekt könnte dann das Verbandsvolk dienen. Mit Verbandsvolk sind diejenigen gemeint, die im Beschlussorgan vertreten werden bzw. von den Regelungen betroffen werden, also bspw. Ärzte, Versicherte und ihre Arbeitgeber106. Die Frage ist aber, ob das Verbandsvolk in der Lage ist, eine demokratische Legitimation im Sinne von Art. 20 Abs. 2 GG zu vermitteln. Dies wird von 99 BVerfGE 47, 253 (272); 77, 1 (40); Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Band II, § 24 Rn. 26. 100 BVerfGE 83, 37 (55). 101 § 91 Abs. 2 S. 1, 2 SGB V. Deshalb die personelle Legitimation durch das Bundesvolk verneinend: Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Band II, § 24 Rn. 33; Hänlein, Rechtsquellen im Sozialversicherungsrecht, S. 47; Musil, in: Schmehl/ Wallrabenstein, Steuerungsinstrumente, S. 61; Neumann, NZS 2010, S. 594; Zimmermann, Der Gemeinsame Bundesausschuss, S. 116 f. 102 Vgl. Zimmermann, Der Gemeinsame Bundesausschuss, S. 116 f. 103 § 91 Abs. 2 S. 1, 2, 7 SGB V; so auch Zimmermann, Der Gemeinsame Bundesausschuss, S. 117. 104 Zimmermann, Der Gemeinsame Bundesausschuss, S. 117. 105 So Hänlein, Rechtsquellen im Sozialversicherungsrecht, S. 486. 106 So Butzer/Kaltenborn, MedR 2001, S. 338; Zimmermann, Der Gemeinsame Bundesausschuss, S. 118.

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der herrschenden Meinung abgelehnt107. Zur Begründung wird ausgeführt, dass es sich bei der durch die Mitglieder vermittelten Legitimation um eine autonome, jedoch nicht um eine demokratische Legitimation handele. Die Mitglieder fänden sich aufgrund persönlicher- oder interessenbestimmter Merkmale zusammen, verfolgten ihre eigenen Sonderinteressen und hätten losgelöst von diesen Merkmalen keinen Bezug zueinander. Sie seien daher in ihrer Struktur unterschiedlich zur Allgemeinheit der Bürger, dem Staatsvolk, das zur Vermittlung von personeller (demokratischer) Legitimation befugt sei108. Dem ist zuzustimmen. Damit scheidet eine autonome Legitimation aus. Der G-BA unterliegt mithin einem Legitimationsdefizit. (1) Weitere personell-demokratische Defizite Von der Literatur werden noch weitere Defizite hinsichtlich der Legitimation des Gemeinsamen Bundesausschusses angesprochen: So etwa das fehlende Stimmrecht einzelner Betroffener im Beschlussgremium109. Das Beschlussgremium des Gemeinsamen Bundesausschusses setzt sich u. a. aus Vertretern der Leistungserbringer sowie Patientenvertretern zusammen. Letztere sind jedoch nicht stimmberechtigt und haben nur ein Mitberatungs- und Antragsrecht110. Nicht vertreten sind, jenseits von der kassenzahnärztlichen und der kassenärztlichen Bundesvereinigung und der Deutschen Krankenhausgesellschaft, andere Leistungserbringer wie z. B. die Arzneimittelhersteller oder Apotheker. Problematisch ist insofern, dass die nichtärztlichen Leistungserbringer von Beschlüssen des Gemeinsamen Bundesausschusses aber auch betroffen sein können. So kann es etwa für Arzneimittelhersteller, deren Produkte nicht mehr auf Kassenrezept verordnet werden dürfen, weil sie bspw. unter den Ausschluss der nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel fallen, aber in der Arzneimittel-Richtlinie nicht als Ausnahme anerkannt werden, schwierig sein, ihre Arzneimittel am Markt abzusetzen. Damit sind sie von den Regelungen des Gemeinsamen Bundesauschusses zumindest auch berührt111. Da sie aber nicht im

107 Axer, in: Schnapp/Wigge, HVAR, § 10 Rn. 50; Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Band II, § 24 Rn. 27, 30, 33; Musil, in: Schmehl/Wallrabenstein, Steuerungsinstrumente, S. 60; a.A.: BVerwGE 106, 64 (77); BVerwG NVwZ 1999, 870 (874). 108 Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Band II, § 24 Rn. 33. 109 Butzer/Kaltenborn, MedR 2001, S. 340; Holzner, SGb 2015, S. 248 f.; Kingreen, NJW 2006, S. 879 f.; Schnapp, in: von Wulffen/Krasney, FS 50 Jahre BSG, S. 505. 110 § 91 Abs. 2 SGBV und § 140 f Abs. 2 SGB V. 111 Teilweise wird in den Regelungen der Arzneimittelrichtlinie ein mittelbarer Eingriff in die Berufsfreiheit der Arzneimittelhersteller gesehen: BSG NZS 1995, 502 (506); Hänlein, Rechtsquellen im Sozialversicherungsrecht, S. 484 f. Andere sehen in den Regelungen bloße Rechtsreflexe für die Arzneimittelhersteller: BVerfGE 106, 275 (299 f.); LSG Berlin-Brandenburg Beschluss v. 27. 02. 2008 – L 7 B 112/07 KA ER; Neumann, NZS 2010, S. 597. Vgl. dazu Abschnitt C. I. 5.

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Gremium vertreten werden, fehlt es nach Teilen der Literatur diesbezüglich an einer personellen Legitimation112. Allerdings werden die nichtärztlichen Leistungserbringer nicht vollständig ausgeschlossen; ihnen werden Stellungnahmerechte zugebilligt113. Dies reicht jedoch dann nicht aus, wenn zur Begründung einer Legitimation ein Stimmrecht aller Betroffenen erforderlich ist. Selbst wenn gute Gründe, wie die Erlangung neuerer Erkenntnisse durch bessere Einbeziehung des Sachverstandes der nichtärztlichen Leistungserbringer, für ein solches Stimmrecht sprechen114, so hat der Gesetzgeber in seiner Ausgestaltung der Organisation des Gemeinsamen Bundesausschusses dennoch einen Spielraum115. Dabei muss er allerdings beachten, dass die Aufgaben durch die Selbstverwaltungskörperschaft auch effektiv wahrgenommen werden können und die betroffenen Interessen angemessen berücksichtigt werden116. An diese Problematik anknüpfend, hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 10. 11. 2015 ausgeführt, dass nach seiner Ansicht eine demokratische Legitimation dann nicht mehr vorliege, wenn die Richtlinie mit hoher Intensität Angelegenheiten Dritter regelt, die an der Entstehung der Richtlinie nicht mitwirken konnten117. Entscheidend für die demokratische Legitimation ist daher zum einen der Grad der Mitwirkung in Bezug auf die einzelne Richtlinie sowie deren Auswirkungen auf die Betroffenen. Sind Dritte durch die Richtlinie stark betroffen, müssen Sie auch bei der Entstehung der Richtlinie mitgewirkt haben; sonst fehlt es an der demokratischen Legitimation. Diesem Erfordernis wird aber jedenfalls hinsichtlich der Ermächtigung in § 34 Abs. 1 S. 2 SGB V Rechnung getragen, da durch die Regelung zum einen nur Versicherte und Ärzte betroffen sind und die Eingriffsintensität insgesamt als gering zu werten ist, da der Gemeinsame Bundesausschuss ermächtigt wird nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel in den Leistungskatalog einzubeziehen und damit eine begünstigende Regelung zu treffen118. Im Übrigen wird die Mitwirkung der Betroffenen dadurch sichergestellt, dass allen sachnahen Betroffenen selbst oder ihren Repräsentanten Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben wird119. Des Weiteren sind ihre Stellungnahmen in die Entscheidung einzubeziehen, was verfahrensmäßig durch die Verfahrensordnung des Gemeinsamen 112

So Butzer/Kaltenborn, MedR 2001, S. 340; Schnapp, in: von Wulffen/Krasney, FS 50 Jahre BSG, S. 505; Ziermann, Normsetzungskompetenzen, S. 85, 88. 113 Vgl. § 92 Abs. 1b, 3a, 5 S. 1 SGB V. 114 So Roters, Kontrolldichte, S. 107. 115 Vgl. BVerfGE 10, 89 (102); 107, 59 (93); Axer, in: Schnapp, Funktionale Selbstverwaltung und Demokratieprinzip, S. 147. 116 BVerfGE 107, 59 (93); Axer, in: Schnapp, Funktionale Selbstverwaltung und Demokratieprinzip, S. 147; ders. in: von Wulffen/Krasney, FS 50 Jahre BSG, S. 358; Gross, Kollegialprinzip, S. 251 f. 117 BVerfG KrV 2015, 236 (239). 118 So BSG Urt. v. 15. 12. 2015 – B 1 KR 30/15 R Rn. 53. Vgl. hierzu die näheren Ausführungen zu Beschluss des BVerfG v. 10. 11. 2015 in Abschnitt B. III. 2. b) cc). 119 Vgl. BSG Urt. v. 15. 12. 2015 – B 1 KR 30/15 R Rn. 49.

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Bundesausschusses gesichert wird, sodass letztlich die verfassungsrechtlich erforderliche Beteiligtenpartizipation gewahrt wird120. Bedenken hinsichtlich der Legitimation werden ferner im Hinblick auf die Länge der Legitimationsketten geäußert121. So wählen die Versicherten und Arbeitgeber bei den Sozialversicherungswahlen ihre Vertreter in die Vertretersammlung oder den Verwaltungsrat122, wovon jeweils ein Arbeitgeber- und ein Versichertenvertreter in die Mitgliederversammlung des GKV-Spitzenverbandes delegiert werden123. Die Mitgliederversammlung wählt den Verwaltungsrat des GKV-Spitzenverbandes124, der dann die Vertreter in den Gemeinsamen Bundesausschuss entsendet. Damit besteht eine viergliedrige Kette. Bei den Kassenärzten ist sie nicht wesentlich kürzer125. Kritisiert wird zudem, dass die Sozialversicherungswahlen regelmäßig als Friedenswahlen stattfinden126 und damit die auf der Liste Vorgeschlagenen dann als gewählt gelten, wenn nicht mehr Bewerber benannt werden, als Mitglieder zu wählen sind127. Damit fehlt es an einem richtigen Wahlakt. Selbst wenn das Bundessozialgericht die Friedenswahl als demokratischen Wahlakt ansieht128, so sind die Friedenswahlen dennoch verfassungsrechtlich bedenklich und vielfach kritisiert worden129. Damit ist die Legitimationskette sehr schwach, sodass des Öfteren nur noch von einer homöopathisch verdünnten Legitimation gesprochen wird130. All diese 120

So ausdrücklich, unter Berücksichtigung der BVerfG-Entscheidung, BSG Urt. v. 15. 12. 2015 – B 1 KR 30/15 R Rn. 49. Vgl. zur verfahrensrechtlichen Absicherung der Einbeziehung der Stellungnahmen, Kap. 1 §§ 8 ff. VerfO G-BA. Vgl. hierzu bzgl. des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen, Roters, Kontrolldichte, S. 94 ff., der, obschon er die fehlende Mitwirkung nicht-ärztlicher Leistungserbringer als verfassungsrechtlich zulässig ansieht, eine erhöhte Kontrolldichte hinsichtlich der Überprüfung von Richtlinien fordert. Die Stellungnahmerechte als für die Berücksichtigung der Interessen ausreichend ansehend: Axer, in: von Wulffen/Krasney, FS 50 Jahre BSG, S. 358; Hase, MedR 2005, S. 394 f.; Neumann, NZS 2010, S. 597. 121 So etwa: Butzer/Kaltenborn, MedR 2001, S. 339; Schmidt-De Caluwe, in: Becker/ Kingreen, SGB V, § 92 SGB V Rn. 11. 122 §§ 46 Abs. 1, 31 Abs. 1 und 3a, 35a SGB IV. Bei Orts-, Betriebs-, und Innungskrankenkassen sowie Ersatzkassen wird gem. § 31 Abs. 3a SGB V anstelle der Vertreterversammlung ein Verwaltungsrat gebildet. 123 § 217b Abs. 3 S. 3 SGB V. 124 § 217b Abs. 3 S. 2 SGB V. 125 Vgl. die dargestellte dreigliedrige Kette bei Zimmermann, Der Gemeinsame Bundesausschuss, S. 126. 126 Butzer/Kaltenborn, MedR 2001, S. 339 f.; Ziermann, Normsetzungskompetenzen, S. 80 f. 127 § 46 Abs. 2 SGB IV. 128 BSGE 36, 242 (243 f.); 39, 244 (248). 129 Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, S. 422 f.; Wimmer, NJW 2004, S. 3369 ff. 130 Der Begriff der „homöopathischen […] Verdünnung“ taucht zum ersten Mal auf in: Schwerdtfeger, SDSRV 1991, Band 34, S. 143; zustimmend: Axer, in: Schnapp/Wigge, HVAR, § 10 Rn. 51; Butzer/Kaltenborn, MedR 2001, S. 339; Wimmer, NZS 1999, S. 117.

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Kritikpunkte verdeutlichen letztlich, dass die personelle Legitimation des Gemeinsamen Bundesausschusses defizitär ist. Dementsprechend muss der Gemeinsame Bundesausschuss sich auf Verfassungstitel berufen können, die Einschränkungen vom klassischen Modell demokratischer Legitimation rechtfertigen131. (2) Rechtfertigung der personell defizitären Legitimation Die defizitäre personelle Legitimation ist dann unbeachtlich, wenn sich für die funktionale Selbstverwaltung Besonderheiten ergeben, die ihr demokratisches Legitimationsdefizit rechtfertigen. Das auf die Ministerialverwaltung passende Prinzip der personellen Legitimation lässt sich im Bereich der funktionalen Selbstverwaltung nur schwer bzw. nicht verwirklichen132. Eine Rechtfertigung der schwachen Legitimation könnte sich aber über Art. 87 Abs. 2 GG verfassungsrechtlich begründen lassen133. Die Vorschrift regelt, dass soziale Versicherungsträger, deren Zuständigkeit sich über das Gebiet eines Landes hinaus erstreckt, als bundesunmittelbare Körperschaften des öffentlichen Rechts geführt werden. Soziale Versicherungsträger, deren Zuständigkeitsbereich sich nicht über mehr als drei Länder hinaus erstreckt, können abweichend als landesunmittelbare Körperschaften des öffentlichen Rechts geführt werden. Die Vorschrift des Art. 87 Abs. 2 GG ist in erster Linie eine Kompetenz- und Organisationsnorm134. Bei genauerer Betrachtung kann daraus aber mehr geschlossen werden. Ihr ist zu entnehmen, dass eine unmittelbar auf gesetzlicher Ermächtigung beruhende Rechtsetzung durch soziale Versicherungsträger mit dem Demokratieprinzip vereinbar ist135. Der Gesetzgeber hat durch die Wahl des Be131 Zimmermann, Der Gemeinsame Bundesausschuss, S. 121; ähnl. Musil, in: Schmehl/ Wallrabenstein, Steuerungsinstrumente, S. 60. 132 Vießmann, Die demokratische Legitimation des Gemeinsamen Bundesausschusses, S. 133; vgl. auch Musil, in: Schmehl/Wallrabenstein, Steuerungsinstrumente, S. 69, der davon spricht, dass alle Träger der funktionalen Selbstverwaltung legitimatorische Defizite aufweisen. Einen ganz anderen Weg schlägt Holzner, SGb 2015, S. 251 ff. ein, der die klassischen Legitimationstheorien um eine neue Legitimationsform der organisatorisch-konsensualen Legitimation ergänzen will. Kluth, Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA), S. 85 ff., 90 geht von einer kollektiven personell-demokratischen Legitimation aus, bei der der Gesetzgeber den besonderen Sachverstand der Trägerorganisationen nutzt. Vgl. zu den verschiedenen Vorschlägen auch, Christopeit, Die verfassungsrechtliche Bewertung der Rechtsetzung des Gemeinsamen Bundesausschusses, S. 199 ff. 133 So Axer, Normsetzung der Exekutive in der Sozialversicherung, S. 299 ff.; ders., in: von Wulffen/Krasney, FS 50 Jahre BSG, S. 356; ders., in: Schnapp/Wigge, HVAR, § 10 Rn. 53 ff.; Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Band II, § 24 Rn. 34; Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, S. 368 f.; Jestaedt, Kondominialverwaltung, S. 539 ff.; Roters, in: Körner/Leitherer/Mutschler, Kasseler Kommentar, § 91 Rn. 23. 134 BVerfGE 63, 1 (35). 135 Axer, VSSR 2002, S. 238 f.; ders., in: Schnapp/Wigge, HVAR, § 10 Rn. 53 ff; zustimmend: Musil, in: Schmehl/Wallrabenstein, Steuerungsinstrumente, S. 62 ff.

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griffes der Körperschaft zum Ausdruck gebracht, dass eine Organisation der sozialen Versicherungsträger durch selbständige Verwaltungseinheiten möglich ist. Selbständige Verwaltungseinheiten verfügen aber über Entscheidungs- bzw. Rechtsetzungsbefugnisse136. Durch die Wahl des Wortlautes hat der Gesetzgeber gezeigt, dass auch eine Rechtsetzung durch die sozialen Versicherungsträger grundgesetzlich zulässig ist. Hätte der Gesetzgeber mit Art. 87 Abs. 2 GG nicht regeln wollen, dass im Bereich der Sozialversicherung eine Abwicklung durch verselbständigte Verwaltungseinheiten als verfassungsrechtlich legitim erachtet werden kann, so bräuchte er auch die Regelung der Kompetenz nicht137. Zudem spricht der historische Hintergrund für eine solche Auslegung. Denn auch schon in der Weimarer Zeit war eine Normsetzung durch selbständige Einheiten in der Sozialversicherung anerkannt138. Daran knüpfte der Gesetzgeber an. Auch das Bundesverfassungsgericht sieht keinen Widerspruch zwischen Selbstverwaltung und Demokratieprinzip. Es hat in seiner Entscheidung zum Lippeverband und der Emscher Genossenschaft erstmals angemerkt, dass die funktionale Selbstverwaltung und das demokratische Prinzip sich nicht gegensätzlich zueinander verhalten. Das Demokratieprinzip sei außerhalb der unmittelbaren Staatsverwaltung und der gemeindlichen Selbstverwaltung offen für Organisationsformen, die vom Erfordernis lückenloser personeller Legitimation abweichen139. Die Selbstverwaltung als mögliche Form der Verwaltung ist deshalb vom Grundgesetz in Art. 87 Abs. 2 GG ausdrücklich genannt, historisch gewachsen und akzeptiert140. Der Begriff der sozialen Versicherungsträger in Art. 87 Abs. 2 GG ist weit zu verstehen, umfasst das gesamte sozialversicherungsrechtliche System und dementsprechend auch Zusammenschlüsse von Sozialversicherungsträgern141. Soziale Versicherungsträger sind alle mit der Wahrnehmung von Aufgaben in der Sozial-

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Axer, in: Schnapp/Wigge, HVAR, § 10 Rn. 55. Axer, VSSR 2002, S. 238 f. 138 Axer, VSSR 2002, S. 239 f.; Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, S. 368 f.; Wiegand, Die Beleihung mit Normsetzungskompetenzen, S. 190. 139 BVerfGE 107, 59 (91 f.); zustimmend BVerfGE 135, 155 (222); 136, 194 (262). 140 Axer, Normsetzung der Exekutive in der Sozialversicherung, S. 299 ff; ders. in: von Wulffen/Krasney, FS 50 Jahre BSG, S. 356; ders., in: Schnapp/Wigge, HVAR, § 10 Rn. 53 ff.; Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Band II, § 24 Rn. 34; Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, S. 368 ff.; Jestaedt, Kondominialverwaltung, S. 539 ff.; Roters, in: Körner/Leitherer/Mutschler, Kasseler Kommentar, § 91 Rn. 23. 141 Axer, Normsetzung der Exekutive in der Sozialversicherung, S. 276 ff.; nach a.A. werden Zusammenschlüsse von Sozialversicherungsträgern nicht erfasst, vgl. Ibler, in: Maunz/ Dürig, Grundgesetz, Art. 87 GG Rn. 202; krit. auch Burgi, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum Grundgesetz, Art. 87 GG Rn. 60, der einen unmittelbarer Bezug zu Versicherungsverhältnissen fordert und diesen Bezug beim Tätigwerden von Dachverbänden bezweifelt. 137

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versicherung betrauten Organisationen142. Damit unterfällt auch der Gemeinsamen Bundesausschuss dem Begriff des Sozialversicherungsträgers143. Allerdings befreit Art. 87 Abs. 2 GG nur hinsichtlich der personellen Legitimation, nicht aber vom Erfordernis der sachlich-inhaltlichen Legitimation144. Daher sind deren Voraussetzungen noch zu erfüllen. Zusätzlich ist durch die historische Anknüpfung geboten, dass die Struktur der Sozialversicherungsträger dem Bild der Weimarer Zeit entspricht145. Es ist also erforderlich, dass die Rechtsetzung sich auf den Bereich der Sozialversicherung beschränkt und insofern Inhalt, Zweck und Ausmaß hinreichend geregelt sind. Das heißt, dass sowohl die Aufgaben als auch die Organisation und Befugnisse gesetzlich festgelegt sein müssen. Darüber hinaus muss eine staatliche Aufsicht bestehen, die die Kontrolle über die funktionale Selbstverwaltung ausübt146. bb) Sachlich-inhaltliche Legitimation Die sachlich-inhaltliche Legitimation erfordert, dass die Ausübung der Staatsgewalt inhaltlich auf das Volk rückführbar ist und es diesbezüglich Einfluss hatte147. Sie wird zum einen durch die Ermächtigung zum Erlass von Gesetzen und zum anderen kraft Kontrolle durch demokratisch legitimierte Amtswalter mittels Aufsichts- und Weisungsrechten gewährleistet148. Die Ermächtigung zum Erlass von Gesetzen muss hinreichend bestimmt sein. Als Richtschnur für die hinreichende Bestimmtheit der Ermächtigung zum Erlass von Richtlinien können die Anforderungen, die Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG an die Rechtsverordnungen stellt, dienen. Sowohl der Rechtsverordnungs- als auch der Richtlinienerlass stellen sich als Normsetzung 142

Axer, Normsetzung der Exekutive in der Sozialversicherung, S. 279; nach engerer Ansicht sind die durchzuführenden Aufgaben auf die Begründung des Versicherungsverhältnisses, die Erhebung von Beiträgen und die Erbringung von Versicherungsleistungen beschränkt, vgl. Ibler , in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 87 GG Rn. 180. 143 Axer, Normsetzung der Exekutive in der Sozialversicherung, S. 278.; ders., VSSR 2010, S. 197 f.; Musil, in: Schmehl/Wallrabenstein, Steuerungsinstrumente, S. 62 ff.; nach a.A. ist die Schaffung des G-BA nicht auf die Weimarer Zeit rückführbar und fällt dementsprechend auch nicht unter den weiten Begriff des Sozialversicherungsträgers, vgl. Sickor, Normenhierarchie im Arztrecht, S. 225 ff.; Zimmermann, Der Gemeinsame Bundesausschuss, S. 98 ff. Zur historischen Entwicklung der gemeinsamen Selbstverwaltung, Käsbauer, Neuordnung der Rechtsbeziehungen, S. 36 ff. 144 Axer, Normsetzung der Exekutive in der Sozialversicherung, S. 302; Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, S. 456. 145 Axer, Normsetzung der Exekutive in der Sozialversicherung, S. 303 ff.; ders., VSSR 2002, S. 145; Wiegand, Die Beleihung mit Normsetzungskompetenzen, S. 190. 146 Axer, VSSR 2002, S. 240 f.; Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Band II, § 24 Rn. 34; Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, S. 370; Wiegand, Die Beleihung mit Normsetzungskompetenzen, S. 190 f. 147 Butzer/Kaltenborn, MedR 2001, S. 340; Dreier, in: ders., Grundgesetz Kommentar, Art. 20 GG Rn. 116; Grzeszick, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 20 GG Rn. 122. 148 BVerfGE 107, 59 (94); 135, 155 (222); 136, 194 (262); Grzeszick, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 20 GG Rn. 122.

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aufgrund gesetzlicher Ermächtigung dar149. Damit muss die Ermächtigung des Gemeinsamen Bundesausschusses zur Richtliniensetzung in § 92 SGB V nach Inhalt, Zweck und Ausmaß bestimmt sein und darüber hinaus, um dem Bild aus der Weimarer Zeit zu entsprechen, muss die Rechtsetzung sich auf den Bereich der Sozialversicherung beschränken. Die Regelungskompetenz des Gemeinsamen Bundesausschusses ist auf den Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung beschränkt und erfüllt damit das Erfordernis der Restriktion auf den Bereich der Sozialversicherung. Die ausreichende Bestimmtheit der gesetzlichen Regelung wird in Rechtsprechung und Literatur allerdings unterschiedlich beurteilt150. Nach Ansicht des Bundessozialgerichts151 handelt es sich um eine hinreichend bestimmte Ermächtigungsnorm, da sich aus dem Zusammenspiel von § 92 SGB V mit anderen konkretisierenden Vorschriften152 ein hinreichend dichtes Normennetz ergebe, das den Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung „so präzise, wie auf abstrakter Ebene möglich“153 beschreibe. Im Hinblick auf die Vielseitigkeit der zu regelnden Fälle sei eine genauere Beschreibung nicht möglich. Insofern habe der Gesetzgeber den Vorbehalt des Gesetzes gewahrt und alle wesentlichen Entscheidungen selbst getroffen. Teile der Literatur versagen dem Gemeinsamen Bundesausschuss dagegen die hinreichende Bestimmtheit seiner Ermächtigungsnorm zum Richtlinienerlass mit folgenden Begründungen: § 92 SGB V gebe dem Gemeinsamen Bundesausschuss kein engmaschiges Netz an Anforderungen vor, sondern enthalte unlimitierte Entscheidungsbefugnisse154. Die Ermächtigungen seien lediglich vage gehalten und die Rechtsbegriffe seien ausfüllungsbedürftig155. Allerdings verlangt das Bestimmtheitsgebot nur, dass die Regelungen so bestimmt sind, wie es unter Beachtung des Normzwecks möglich ist156. Im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung ist aber die Auslegung von Rechtsbegriffen ständigen Ver149

Axer, Normsetzung der Exekutive in der Sozialversicherung, S. 362 ff. Für eine hinreichende Bestimmtheit: BSGE 78, 70 (83); Roters, Kontrolldichte, S. 109; ders., in: Körner/Leitherer/Mutschler, Kasseler Kommentar,§ 91 SGB V Rn. 23; Zimmermann, Der Gemeinsame Bundesausschuss, S. 144 f. Das Normennetz für zu weitmaschig erachtend: Butzer/Kaltenborn, MedR 2001, S. 341; Kingreen, NJW 2006, S. 880; Schimmelpfeng-Schütte, in: Schnapp/Wigge, HVAR, § 7 Rn. 30; Schmidt-De Caluwe, in: Becker/Kingreen, SGB V, § 92 SGB V Rn. 12. Krit. im Hinblick auf die sachlich-inhaltliche Legitimation im Gesamten Holzner, SGb 2015, S. 247. 151 So BSGE 78, 70 (83), für den Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen. 152 Das BSG nennt: §§ 2 Abs. 1 und 4; 12 Abs. 1; 27 Abs. 1; 28 Abs. 1; 70 Abs. 1, 72 Abs. 2 SGB V. 153 BSGE 78, 70 (83); zustimmend: Roters, Kontrolldichte, S. 109; ders., in: Körner/ Leitherer/Mutschler, Kasseler Kommentar, § 91 SGB V Rn. 23. 154 So Butzer/Kaltenborn, MedR 2001, S. 341; auch krit. hinsichtlich einer hinreichenden Bestimmtheit: Kingreen, NJW 2006, S. 880; Schimmelpfeng-Schütte, in: Schnapp/Wigge, HVAR, § 7 Rn. 30. 155 Schmidt-De Caluwe, in: Becker/Kingreen, SGB V, § 92 SGB V Rn. 12. 156 BVerfGE 59, 104 (114). 150

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änderungen unterzogen, weil dies unter anderem vom jeweiligen medizinischen Fortschritt abhängt157. Zudem wird die Generalklausel des § 92 SGB V durch zahlreiche speziellere Vorschriften im Leistungs- und Leistungserbringungsrecht präzisiert; so im Arzneimittelbereich bspw. durch § 34 Abs. 1 S. 2 SGB V158. Damit ist eine hinreichend bestimmte Ermächtigungsnorm gegeben. Neben der hinreichend bestimmten Ermächtigung müssen für das Vorliegen der sachlich-inhaltlichen Legitimation Kontrollmechanismen verankert sein, um die demokratische Verantwortlichkeit der jeweiligen Selbstverwaltungskörperschaft gegenüber dem Volk abzusichern159. Dementsprechend werden dem Bundesgesundheitsminister verschiedene Kontrollmöglichkeiten gegeben. So bedürfen die Verfahrensordnung und die Geschäftsordnung des Gemeinsamen Bundesausschusses der Genehmigung durch das Bundesgesundheitsministerium160. In § 94 SGB V ist des Weiteren eine Aufsicht des Bundesministers für Gesundheit geregelt. Diese Aufsicht erstreckt sich nur auf Richtlinien, ansonsten ist die allgemeine Aufsicht nach § 91 Abs. 8 SGB V i. V. m. §§ 87 ff. SGB IV einschlägig161. Für Richtlinien besteht eine Vorlagepflicht an das Bundesministerium für Gesundheit, das ein Beanstandungsrecht hat, Auflagen erlassen kann oder falls nötig eine Ersatzvornahme vornehmen kann162. Die Kontrolle ist als Rechtsaufsicht ausgestaltet, wobei lange umstritten war, ob es sich bei der Aufsicht um eine Rechts- oder Fachaufsicht handelt163. Diese Frage wurde durch das Bundessozialgericht geklärt, das sich zu Recht für eine Rechtsaufsicht entschied164. Teilweise wird jedoch angenommen, die Ausgestaltung als Rechtsaufsicht reiche für eine Legitimation nicht aus; zur Kompensation der ungenügend ausgestalteten Ermächtigungsnorm bedürfe es einer Fachaufsicht165. Abgesehen davon, dass eine Fachaufsicht aufgrund der Möglichkeit 157

BVerfGE 106, 275 (308). Zimmermann, Der Gemeinsame Bundesausschuss, S. 145; zweifelnd Reese/Stallberg, in: Dieners/Reese, Handbuch des Pharmarechts, § 17 Rn. 140, die § 34 Abs. 1 S. 2 SGB V als sehr weit gefasste Norm sehen und daher Zweifel am hinreichend dichten Normenprogramm haben. 159 Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Band II, § 24 Rn. 34; Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, S. 369 ff.; Zimmermann, Der Gemeinsame Bundesausschuss, S. 146. 160 § 91 Abs. 4 S. 2 SGB V. Zimmermann, Der Gemeinsame Bundesausschuss, S. 147 sieht in der Genehmigungsbedürftigkeit der Verfahrens- und der Geschäftsordnung eine verstärkte Einflussnahmemöglichkeit durch das BMG, wodurch es fachliche Elemente einbringen könne, obwohl es sonst nur zur Rechtsaufsicht befugt sei. 161 Barth, in: Spickhoff, Medizinrecht, § 94 SGB V Rn. 2. 162 Vgl. § 94 Abs. 1 SGB V. 163 Für eine Rechtsaufsicht: BSGE 103, 106 (115); Butzer/Kaltenborn, MedR 2001, S. 341 f.; Roters, in: Körner/Leitherer/Mutschler, Kasseler Kommentar, § 94 SGB V Rn. 4; Schmidt-De Caluwe, in: Becker/Kingreen, SGB V, § 94 SGB V Rn. 10; Zimmermann, Der Gemeinsame Bundesausschuss, S. 78; wohl auch Hannes, in: Hauck/Noftz, Sozialgesetzbuch – SGB V, § 94 SGB V Rn. 4; für eine Fachaufsicht Schwerdtfeger, NZS 1998, S. 52. 164 BSGE 103, 106 (115 ff.). 165 So Butzer/Kaltenborn, MedR 2001, S. 341 f. 158

III. Die Ausnahmevorschrift des § 34 Abs. 1 S. 2 SGB V

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von Zweckmäßigkeitsprüfungen mit der Organisation des Gemeinsamen Bundesausschusses als Selbstverwaltungskörperschaft nicht zu vereinbaren wäre166 und die Beschränkung auf die Rechtsaufsicht dem Grundsatz entspricht, dass die Staatsaufsicht gegenüber Selbstverwaltungsträgern prinzipiell auf die Rechtsaufsicht begrenzt ist167, werden mit der Rechtsaufsicht dem Bundesgesundheitsministerium durch die Möglichkeit der Beanstandung und dem Recht zur Ersatzvornahme genügend Möglichkeiten zur Überwachung und Einwirkung gegeben168. Das Beanstandungsrecht wirkt außerdem eher als Art Genehmigungsvorbehalt, da das Ministerium die Richtlinien dahingehend überprüft, ob eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung vorliegt169. Diese Überprüfung erfolgt auch bevor die Richtlinien im Bundesanzeiger publiziert werden und damit bevor diese wirksam werden, sodass dadurch die Möglichkeit einer präventiven aufsichtsrechtlichen Kontrolle besteht170. Die Rechtsaufsicht reicht mithin in Bezug auf die sachlich-inhaltliche Legitimation aus, sodass der Gemeinsame Bundesausschuss letztlich als im Einklang mit den dargestellten Anforderung an die demokratische Legitimation in der funktionalen Selbstverwaltung angesehen werden kann. cc) Differenzierungskonzept des Bundesverfassungsgerichts Dennoch hat das Bundesverfassungsgericht eine pauschale Einordnung des Gemeinsamen Bundesausschusses als demokratisch oder undemokratisch verneint. Anders als das Bundessozialgericht, das seit Jahren die demokratische Legitimation des Gemeinsamen Bundesausschusses im Grundsatz bejaht171, hatte das Bundesverfassungsgericht – trotz zahlreicher Möglichkeiten172 – sich zu dieser Frage bisher nicht ausdrücklich geäußert, was jedoch nicht bedeutete, zwingend einen Schluss 166

Barth, in: Spickhoff, Medizinrecht, § 94 SGB V Rn. 4; Butzer/Kaltenborn, MedR 2001, S. 342; Schmidt-De Caluwe, in: Becker/Kingreen, SGB V, § 94 SGB V Rn. 10; Roters, in: Körner/Leitherer/Mutschler, Kasseler Kommentar, § 94 SGB V Rn. 4; ähnl. Kluth, Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA), S. 88, der eine Fachaufsicht für nicht zielführend hält. 167 Vgl. BSG Urt. v. 15. 12. 2015 – B 1 KR 30/15 R Rn. 48. 168 BSGE 78, 70 (84); Axer, VSSR 2002, S. 236 f.; Zimmermann, Der Gemeinsame Bundesausschuss, S. 146 ff.; a.A. Hänlein, Rechtsquellen im Sozialversicherungsrecht, S. 503 f.; für eine Verstärkung der Aufsichtsrechte Barth, in: Spickhoff, Medizinrecht, § 94 SGB V Rn. 4; krit. im Hinblick auf die Weisungsfreiheit der Vertreter Ziermann, Normsetzungskompetenzen, S. 90. 169 Axer, VSSR 2002, S. 237. 170 BSG Urt. v. 15. 12. 2015 – B 1 KR 30/15 R Rn. 48. 171 BSGE 96, 261 (277 f.); 97, 190 (194); 102, 30 (34); 116, 1 (4 f.); 117, 129 (134). 172 Vgl. etwa das Festbetragsurteil des BVerfG (E 106, 275 [293, 305 f.]), in dem das BVerfG keine Bedenken gegen den Richtlinienerlass äußerte; ebenso der Nikolausbeschluss des BVerfG (E 115, 25 [47]), indem das BVerfG die Frage der demokratischen Legitimation offen ließ, da es darauf nicht ankäme sowie der Nichtannahmebeschluss des Bundesverfassungsgerichts zum Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel, in dem es lediglich darauf hinwies, dass es sich zu dieser Frage noch nicht abschließend geäußert habe (BVerfG PharmR 2013, 119 [123]).

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B. Der Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel

dahingehend zu ziehen, dass das Gericht von einer fehlenden demokratischen Legitimation ausging. Vielmehr konnte in Anbetracht der fehlenden ausdrücklichen Entscheidung ebenso der Schluss gezogen werden, dass das Bundesverfassungsgericht keine grundsätzlichen Bedenken gegen die untergesetzliche Normsetzung der gemeinsamen Selbstverwaltung habe173. Jedoch hat der aktuelle Beschluss vom 10. 11. 2015, anders als erwartet, keine nähere und ausdrückliche Klärung der Frage herbeigeführt. Das Bundesverfassungsgericht betrachtete die von der Beschwerdeführerin im Rahmen ihrer Verfassungsbeschwerde vorgebrachten generellen und allgemeinen Zweifel an der demokratischen Legitimation des Gemeinsamen Bundesausschusses zwar durchaus als gewichtig, führte jedoch weiter an, dass es konkreter Ausführungen insbesondere zur Ausgestaltung der Befugnis, zum Gehalt der Richtlinie, zur Reichweite der Regelung sowie der an der Entstehung Beteiligten und unbeteiligten Dritten bedürfe, um eine Verfassungswidrigkeit schlüssig und substantiiert vorzutragen, sodass es die Verfassungsbeschwerde als unzulässig verwarf174. Entscheidend für das Vorliegen einer demokratischen Legitimation ist nach dem Bundesverfassungsgericht die Ausgestaltung der Befugnis des Gemeinsamen Bundesausschusses, der Gehalt der Richtlinie sowie die Reichweite der Regelung auf an ihrer Entscheidung Beteiligte oder auch unbeteiligte Dritte. Es sei – so das Bundesverfassungsgericht – nicht ausgeschlossen, dass der Gemeinsame Bundesausschuss eine hinreichende Legitimation für eine Richtlinie besitze, wenn diese nur an der Regelsetzung Beteiligte mit geringer Intensität betreffe, wohingegen dann eine Legitimation fehlen könne, wenn unbeteiligte Dritte in hoher Intensität betroffen werden, wobei maßgeblich sei, inwieweit der Gemeinsame Bundesausschuss für seine zu treffenden Entscheidungen gesetzlich angeleitet ist175. Erforderlich für eine hinreichende Legitimation ist daher nach dem Bundesverfassungsgericht, dass eine hinreichende gesetzliche Anleitung für die zu treffenden Entscheidungen besteht; maßgeblich ist dabei die jeweilige Befugnisnorm176. Als weitere wesentliche Faktoren gelten die Intensität mit der die Richtlinie die Adressaten betrifft sowie die Beteiligung der Betroffenen bei deren Erlass. Durch letzeres werden die in der Literatur bestehenden Bedenken hinsichtlich der fehlenden Beteiligung von betroffenen Leistungserbringern aufgegriffen177. Unter Berücksichtigung der vom Bundesverfassungsgericht dargelegten Anforderungen, die sich im Übrigen in das bisherige Konzept des Bundesverfassungs-

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So etwa Axer, RPG 2013, S. 5; Ziermann, in: Sodan, Handbuch des Krankenversicherungsrechts, § 23 Rn. 44. 174 BVerfG KrV 2015, 236 (239). 175 BVerfG KrV 2015, 236 (239). 176 BVerfG KrV 2015, 236 (239); vgl. hierzu auch: Gassner, NZS 2016, S. 126; Wallrabenstein, KrV 2015, S. 241. 177 Vgl. Gassner, NZS 2016, S. 125.

III. Die Ausnahmevorschrift des § 34 Abs. 1 S. 2 SGB V

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gerichts einfügen178 und an die Lehre vom sog. Legitimationsniveau anknüpfen179, hat das Bundessozialgericht in seinen, dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts nachfolgenden Entscheidungen weiterhin die demokratische Legitimation bejaht180. So hat es etwa auch im Iscador-Urteil vom 15. 12. 2015 die Vereinbarkeit der Ermächtigung in § 34 Abs. 1 S. 2 SGB V mit den zusätzlichen obigen Anforderungen als gegeben angesehen181. Das Bundessozialgericht hat dabei zu Recht darauf abgestellt, dass der Gemeinsame Bundesausschuss bei der Entscheidung, welche OTC-Arzneimittel ausnahmsweise verordnet werden können, da sie den Therapiestandard zur Behandlung von schwerwiegenden Erkrankungen darstellen, inhaltlich normdicht angeleitet ist. Denn bereits durch § 48 AMG ist hinreichend bestimmt, welche Arzneimittel nicht unter die Verschreibungspflicht fallen und damit grundsätzlich nicht vom Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung umfasst sein sollen182. Aber auch bei der Ausgestaltung der Begriffe der schwerwiegenden Erkrankung und des Therapiestandards verbleibt dem Gemeinsamen Bundesausschuss – wie das Bundessozialgericht richtigerweise hervorhebt – aufgrund der umfangreichen präzisierenden Rechtsprechung kaum ein Auslegungsspielraum183, zumal das Bundessozialgericht die Entscheidung des Gemeinsamen Bundesausschusses sowohl im Hinblick auf die Auslegung der gesetzlichen Vorgaben als auch bezüglich der Vollständigkeit der vom Gemeinsamen Bundesausschuss zu berücksichtigenden Studienlage hin überprüfen kann184. Darüber hinaus ist die Intensität, mit der die Richtlinie Beteiligte und Unbeteiligte trifft, insgesamt als gering anzusehen. Das Bundessozialgericht stellt diesbezüglich zutreffend fest, dass die Änderung des Leistungsrechts, die mit der Richtlinie einhergeht, für die pharmazeutischen Unternehmer einen bloßen Rechtsreflex darstellt185 und betroffen von der Entscheidung nur die Versicherten sowie die Vertragsärzte sind186. Da es sich aber bei der Regelung des § 34 Abs. 1 S. 2 SGB V um eine Ausnahmeregelung zum umfassenden gesetzlichen Ausschluss von nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln handelt, es sich dabei mithin um eine be178 So Gassner, NZS 2016, S. 126, der zwar insofern von einem innovativen Differenzierungskonzept spricht, das er aber für voll anschlussfähig an die bisherige Dogmatik hält. 179 Vgl. Gassner, NZS 2016, S. 124 ff.; Wallrabenstein, KrV 2015, S. 241. 180 BSG Urt. v. 15. 12. 2015 – B 1 KR 30/15 R Rn. 42 ff.; BSG Urt. v. 19. 04. 2016 – B 1 KR 28/15 R Rn. 28 f.; BSG Urt. v. 20. 04. 2016 – B 3 KR 18/15 R Rn. 21; BSG Urt. v. 04. 05. 2016 – B 6 KA 24/15 R Rn. 25. 181 BSG Urt. v. 15. 12. 2015 – B 1 KR 30/15 R Rn. 50 ff. 182 BSG Urt. v. 15. 12. 2015 – B 1 KR 30/15 R Rn. 50. 183 Zu den Präzisierung der Rechtsprechung im Zusammenhang mit dem Begriff der schwerwiegenden Erkrankung, vgl. Abschnitt B. III. 5. a). 184 Vgl. BSG Urt. v. 15. 12. 2015 – B 1 KR 30/15 R Rn. 50. Zur gerichtlichen Kontrolldichte vgl. BSGE 116, 1 (8); 117, 129 (136); BSG SozR 4 – 2500 § 34 Nr. 17 Rn. 58. 185 BSG Urt. v. 15. 12. 2015 – B 1 KR 30/15 R Rn. 52. Zum Vorliegen eines Rechtsreflexes, vgl. Abschnitt C. I. 5. 186 BSG Urt. v. 15. 12. 2015 – B 1 KR 30/15 R Rn. 53. Vgl. zu den Eingriffen in Grundrechte der Versicherten und Vertragsärzte Abschnitt C. I. 1. und Abschnitt C. I. 6.

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B. Der Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel

günstigende Regelung handelt und die Belastung für die Versicherte vielmehr in der Entscheidung des Gesetzgebers, die OTC-Arzneimittel aus dem Leistungskatalog auszunehmen, liegt, ist die Eingriffsintensität insgesamt gering187. Des Weiteren sind die Versicherten und Ärzte auch beim Erlass der Richtlinie beteiligt188. Dementsprechend erfüllt die Ermächtigung des Gemeinsamen Bundesausschusses in § 34 Abs. 1 S. 2 SGB V die Anforderungen, sodass eine hinreichende demokratische Legitimation diesbezüglich vorliegt. c) Zwischenergebnis Unter Berücksichtigung der Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts im Hinblick auf eine gesetzliche Anleitung als auch eine geringe Intensität des Eingriffes ist die Richtlinienermächtigung des Gemeinsamen Bundesausschusses in § 34 Abs. 1 S. 2 SGB V als mit dem Demokratieprinzip vereinbar anzusehen. Der Gemeinsame Bundesausschuss verfügt daher diesbezüglich über eine hinreichende demokratische Legitimation, wie das Bundessozialgericht im Iscador-Urteil zu Recht deutlich bejaht hat.

3. Die OTC-Ausnahmeliste des Gemeinsamen Bundesausschusses Der Gemeinsame Bundesausschuss hat eine Liste mit verordnungsfähigen, nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln, die bei der Behandlung schwerwiegender Erkrankungen als Therapiestandard gelten, in der Anlage I der ArzneimittelRichtlinie veröffentlicht. Diese Liste wird allgemein als OTC-Ausnahmeliste oder OTC-Übersicht bezeichnet189, ohne dass damit in der Sache Unterschiede verbunden sind. Es handelt sich dabei um eine Positivliste. Sie bewirkt, dass nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel verordnungsfähig sind, wenn sie in dieser Liste aufgeführt sind190.

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So zutreffend BSG Urt. v. 15. 12. 2015 – B 1 KR 30/15 R Rn. 53. Vgl. zur Beteiligung im Beschlussgremium Abschnitt B. III. 2. b) aa) (1). 189 Ersteres: Reese/Stallberg, in: Dieners/Reese, Handbuch des Pharmarechts, Rn. 141; Wodarz, in: Sodan, Handbuch des Krankenversicherungsrechts, § 27 Rn. 18; Zweiteres: Gerlach, in: Hauck/Noftz, Sozialgesetzbuch – SGB V, § 34 SGB V Rn. 16; so auch der Name der Anlage I. 190 Ausdrücklich LSG Sachsen-Anhalt Urt. v. 21. 01. 2010 – L 10 KR 4/07; LSG BerlinBrandenburg Urt. v. 29. 02. 2012 – L 9 KR 54/09; so auch die Vorbemerkungen zur OTCÜbersicht (Anlage I AM-RL); für eine konstitutive Wirkung in der Literatur Hess, in: Körner/ Leitherer/Mutschler, Kasseler Kommentar, § 34 SGB V Rn. 9. 188

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Die OTC-Übersicht wurde erstmals durch den Gemeinsamen Bundesausschuss am 16. 03. 2004 beschlossen und direkt in die Arzneimittel-Richtlinie eingefügt191. Mit Neufassung der Arzneimittel-Richtlinie zum 01. 04. 2009 wurde der OTC-Liste eine eigene Anlage (Anlage I) zugewiesen, auf die die Arzneimittel-Richtlinie verweist192. Die Liste wurde seit 2004 mehrfach geändert. Allein in ihrer Ausgestaltung als Anlage I befindet sie sich mittlerweile schon in der 9. Fassung. Insgesamt umfasst die Liste 46 Punkte, wobei nicht alle besetzt sind. Diese Zahl ist in Anbetracht der großen Anzahl an nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln gering und macht deutlich, dass die Verordnung nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel eine Ausnahme darstellen soll und restriktiv gehandhabt wird193. Die OTC-Liste enthält keine Fertigarzneimittelbezeichungen. Sie führt als Standardtherapeutika Wirkstoffe, Wirkstoffgruppen und -verbindungen auf194. So finden sich dort bspw. Wirkstoffe wie Paracetamol zur Behandlung schwerster Schmerzen (Nr. 3), Wirkstoffgruppen wie Abführmittel zur Behandlung neurogener Darmlähmungen (Nr. 1) oder Wirkstoffverbindungen wie Calciumverbindungen zur Behandlung der manifesten Osteoporose (Nr. 11). Darüber hinaus enthält die OTCListe neben schwerwiegenden Erkrankungen auch Symptome, wie die im Anwendungsbereich von Paracetamol geforderten schweren und schwersten Schmerzen. Dies steht mit den Anforderungen an eine schwerwiegende Erkrankung im Einklang. Erkrankungen äußern sich in Symptomen, die sowohl leicht als auch schwer ausgeprägt sein können. Insbesondere bei Erkrankungen unklarer Genese können im Rahmen der Therapie nur die Krankheitssymptome behandelt werden. Daher ist eine Anknüpfung an den Ausprägungsgrad der Symptome sachgerecht195. Darüber hinaus enthält die OTC-Liste einschränkende Anwendungsvoraussetzungen. Diese beziehen sich teilweise auf die Art und Weise der Einnahme, ob diese bspw. oral oder parenteral zu erfolgen hat oder sie beschränken die Behandlung auf

191 Damals noch nicht als Anlage I, sondern in der Richtlinie selbst unter Abschnitt F, Punkt 16.4. Vgl. Bekanntmachung des G-BA vom 16. 03. 2004 (BAnz AT v. 20. 04. 2004 Nr. 74, S. 8393 und BAnz AT v. 23. 04. 2004 Nr. 77, S. 8905). Bis zum Inkrafttreten dieser Liste hatte der Vertragsarzt im Einzelfall unter der Beachtung der Kriterien der schwerwiegenden Erkrankung und des Therapiestandards zu entscheiden, welche nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel er verordnet, BT-Drs. 15/1525, S. 86. 192 Vgl. § 12 Abs. 5 AM-RL. 193 Vgl. Spickhoff, in: ders., Medizinrecht, § 34 SGB V Rn. 5; Harich, SGb 2012, S. 589 spricht sogar von einer „nicht zu unterschätzende[n] Hürde“; Schwerdtfeger, PharmR 2004, S.396; zur restriktiven Handhabung auch Kaufmann, in: Meier/von Czettritz/Gabriel/Kaufmann, Pharmarecht, § 11 Rn. 13 FN. 116. 194 Vgl. EuGH Slg. 2006, I-10611 Rn. 12; Buchner/Jäkel, PharmR 2005, S. 381; Dietrich, Deutsches Ärzteblatt 2004, S. A 961; Jäkel, PharmR 2006, S. 587; Reese/Stallberg, in: Dieners/ Reese, Handbuch des Pharmarechts, § 17 Rn. 139. 195 BSGE 116, 1 (9); 117, 129 (137 f.); LSG Berlin-Brandenburg Urt. v. 24. 10. 2012 – L 7 KA 1/10 KL Rn. 68; LSG Berlin-Brandenburg Urt. v. 27. 03. 2013 – L 7 KA 44/10 KL Rn. 54.

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B. Der Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel

Selbstbehandlungen oder beinhalten Dosierangaben196. Des Weiteren wird das „Ob“ der Behandlung begrenzt: So dürfen bestimmte Behandlungen nur zeitgleich mit anderen erfolgen, nur in Co-Medikation mit anderen Wirkstoffen oder nur dann, wenn eine Unverträglichkeit gegen andere Medikamente besteht197. Eine Besonderheit der Liste findet sich zudem in Punkt 46 Spiegelstrich 3 der Übersicht: Wenn entsprechende Vereinbarungen zwischen den Verbänden der Krankenkassen und den kassenärztlichen Vereinigungen getroffen werden, können auch solche nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel verordnet werden, die zur Durchführung der ärztlichen Behandlung sofort verwendet werden müssen und damit in der Praxis verfügbar sein müssen. Damit ist eine Verordnung in Notfällen gestattet, sofern dementsprechende Vereinbarungen zwischen den Verbänden der Krankenkassen und den kassenärztlichen Vereinigungen getroffen wurden. Grund für diese Erweiterung der Verordnungsfähigkeit nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel ist, dass eine solche zur Gewährleistung einer einwandfreien Behandlung der Patienten in der Arztpraxis notwendig ist198. Der Arzt muss Arzneimittel, die sofort verwendet werden müssen, verordnen dürfen, um seine Patienten fachgerecht zu versorgen.

4. Die Aufnahme von Arzneimitteln auf die OTC-Liste a) Das Aufnahmeverfahren Um auf die OTC-Liste aufgenommen zu werden, kann ein pharmazeutischer Unternehmer einen Antrag beim Gemeinsamen Bundesausschuss zur Aufnahme seines Arzneimittels stellen. Das Antragsverfahren zur Aufnahme von Arzneimitteln bzw. von Arzneimittelwirkstoffen auf die OTC-Liste ist in § 34 Abs. 6 SGB V geregelt. Bei der erstmaligen Erstellung der OTC-Liste durch den Gemeinsamen Bundesausschuss, die er am 16. März 2004 beschloss, gab es ein solches Verfahren allerdings noch nicht. Vorausgegangen waren der erstmaligen Erstellung allerdings umfangreiche Vorarbeiten, die vor der Bildung des Gemeinsamen Bundesausschusses durch den Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen vorgenommen wurden. Beteiligt an der Erstellung waren zahlreiche Organisationen, Ärzte und Patienten, die im Rahmen eines Anhörungsverfahrens Stellungnahmen abgeben konnten199. 196 Vgl. Nr. 28, 29, 32 Anlage I AM-RL zur oralen oder parenteralen Behandlung, Nr. 5 zur Selbstbehandlung und Nr. 2, 11, 20, 44 hinsichtlich der Dosierangaben. 197 Vgl. hierzu Nr. 3, 6, 11, 16, 21 Anlage I AM-RL. 198 Dietrich, Deutsches Ärzteblatt 2004, S. A 962. 199 Vgl. die Pressemitteilung des Gemeinsamen Bundesausschusses zur Erstellung der OTC-Liste, Gemeinsamer Bundesausschuss beschließt die Ausnahme-Liste – Die Kostenübernahme rezeptfreier Arzneimittel ist nun eindeutig geregelt, Stand: 16. 03. 2004, abrufbar unter: https://www.g-ba.de/institution/presse/pressemitteilungen/49/.

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aa) Gesetzliches Antragsrecht Das in § 34 Abs. 6 SGB V geregelte gesetzliche Antragsrecht zur Aufnahme von Arzneimitteln auf die OTC-Liste wurde erst 2007 durch das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz200 eingeführt. Hintergrund der Einführung der Vorschrift war ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs in der Rechtssache Pohl-Boskamp, in der der Gerichtshof die Ausnahmevorschrift in § 34 Abs. 1 S. 2 SGB V als Positivliste im Sinne der Transparenzrichtlinie 89/105/EWG201 eingestuft hatte202. Entscheidend für die Einstufung als Positivliste war letztlich die Wirkung der Liste – nämlich die Einbeziehung in die Erstattungsfähigkeit an sich ausgeschlossener Arzneimittel. Dass die Einbeziehung erst in einem zweiten Schritt durch den Gemeinsamen Bundesausschuss im Sinne einer Wiederaufnahme in die Erstattungsfähigkeit und nicht schon im Rahmen der Zulassung eines Arzneimittels getroffen wurde, änderte an der Einordnung als Positivliste nichts203. Auch die Benennung von Wirkstoffen anstelle von Fertigarzneimitteln hinderte die Anwendung der Transparenzrichtlinie nicht; es handelt sich bei einer Wirkstoffbezeichnung vielmehr um ein Bündel von Einzelentscheidungen über Arzneimittel mit diesem Wirkstoff204. Aus der Transparenzrichtlinie ergibt sich für Positivlisten gem. Art. 6 Nr. 1 RL 89/105/EWG allerdings die Pflicht, dass ein Antrag zur Aufnahme von Arzneimitteln auf diese Liste innerhalb von 90 Tagen beschieden wird, dass also überhaupt ein Antragsrecht besteht, und dass das Ergebnis dem Antragssteller mitgeteilt wird. Art. 6 Nr. 2 RL 89/105/EWG schreibt des Weiteren vor, dass bei Nichtannahme eine auf objektiven und überprüfbaren Kriterien beruhende Begründung vorgewiesen werden muss und der Antragssteller über Rechtsmittel und Rechtsmittelfristen belehrt werden muss205. Da zum damaligen Zeitpunkt weder ein gesetzliches Antragsrecht auf Aufnahme von Arzneimitteln in die OTC-Liste bestand, noch ein Anspruch auf begründete und rechtsmittelfähige Entscheidungen von Aufnahmeanträgen vorhanden war206, widersprach die gesetzliche Regelung der

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BGBl. I, S. 378. Richtlinie 89/105/EWG des Rates vom 21. Dezember 1988 betreffend die Transparenz von Maßnahmen zur Regelung der Preisfestsetzung bei Arzneimitteln für den menschlichen Gebrauch und ihre Einbeziehung in die staatlichen Krankenversicherungssysteme (ABl. Nr. L 40 v. 11. 02. 1989, S. 8). Das Vorhaben der Kommission zum Erlass einer neuen Transparenzrichtlinie (COM(2012) 84, geändert durch COM(2013) 168) wurde Anfang 2015 aufgegeben, vgl. ABl. v. 07. 03. 2015 C 80 S. 17. 202 EuGH Slg. 2006, I-10611 Rn. 15 ff.; vgl. auch: Jäkel, GesR 2007, S. 59; Kortland, PharmR 2006, S. 497. 203 EuGH Slg. 2006, I-10611 Rn. 16 ff.; vgl. auch Jäkel, GesR 2007, S. 59. 204 EuGH Slg. 2003, I-5727, Rn. 30 ff.; EuGH Slg. 2006, I-10611 Rn. 22; vgl. auch Buchner/Jäkel, PharmR 2005, S. 382 f.; offen lassend SG Köln NZS 2006, 147 (148). 205 Vgl. auch Jäkel, GesR 2007, S. 59. 206 Vgl. zur damaligen Gesetzeslage Jäkel, GesR 2007, S. 58. 201

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B. Der Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel

Transparenzrichtlinie. Die Vorschrift des § 34 Abs. 6 SGB V wurde daher zur Umsetzung der Transparenzrichtlinie eingefügt207. Nach dieser Vorschrift haben pharmazeutische Unternehmer nun ein Antragsrecht auf Aufnahme ihrer Arzneimittel auf die OTC-Liste. Über den Antrag muss der Gemeinsame Bundesausschuss innerhalb von 90 Tagen entscheiden und den Antragssteller über Rechtsmittel und Rechtsmittelfristen belehren. Sofern eine ablehnende Entscheidung getroffen wird, muss diese begründet werden und mit objektiven und überprüfbaren Kriterien versehen werden. bb) Formale Anforderungen an den Antrag Voraussetzung für die Aufnahme eines Arzneimittels bzw. seines Wirkstoffes in die OTC-Liste ist zunächst einmal eine Antragsstellung nach § 34 Abs. 6 S. 1 SGB V. Nicht ganz geklärt ist, ob der Antrag der pharmazeutischen Unternehmer nur für einzelne Arzneimittel oder auch für den Wirkstoff abgegeben werden kann. Während der 24. Senat des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg nur ein Antragsrecht der pharmazeutischen Unternehmer zur Aufnahme von Einzelarzneimitteln bejaht208, treffen andere Gerichte keine Unterscheidung zwischen einem Antrag auf Aufnahme eines Wirkstoffes oder Arzneimittels auf die OTC-Liste209. Dies ist auch insofern richtig, als dass der pharmazeutische Unternehmer in der Regel für sein bestimmtes Einzelarzneimittel den Antrag stellen wird und auch nur daran Interesse hat, die OTC-Liste aber wirkstoffbezogen ausgestaltet ist, sodass nach Aufnahme des Arzneimittels dessen Wirkstoff auf der Liste zu finden ist und damit auch andere Arzneimittel desselben Wirkstoffes verordnet werden können. Eine Unterscheidung ist daher nicht erforderlich. Im Übrigen ist auch im Aufnahmeantrag das Arzneimittel unter Angabe seiner Bezeichnung als Fertigarzneimittel sowie unter Angabe seines Wirkstoffes und der Wirkstoffgruppe zu benennen210. Der Aufnahmeantrag muss ausreichend begründet werden, wobei bei unzureichenden Angaben eine Hinweispflicht des Gemeinsamen Bundesausschusses derart besteht, dass er geltend machen muss, welche zusätzlichen Einzelangaben noch

207 BT-Drs. 16/4247, S. 32; so auch: Bischofs, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, Beck’scher Onlinekommentar Sozialrecht, § 34 SGB V Rn. 28; Gerlach, in: Hauck/Noftz, Sozialgesetzbuch – SGB V, § 34 SGB V Rn. 41; Hess, in: Körner/Leitherer/Mutschler, Kasseler Kommentar, § 34 SGB V Rn. 10; Kortland, PharmR 2007, S. 190; Reese/Stallberg, in: Dieners/ Reese, Handbuch des Pharmarechts, § 17 Rn. 141; Wagner, in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung Pflegeversicherung, § 34 SGB V Rn. 20. 208 So LSG Berlin-Brandenburg Urt. v. 25. 01. 2013 – L 24 KA 43/10 KL, wobei das Gericht davon ausgeht, dass die OTC-Liste nicht wirkstoffbezogen ausgestaltet ist. 209 Vgl. SG Köln PharmR 2005, 402 (404), das sowohl von „Wirkstoff“ als auch „Arzneimittel“ spricht und diese Begriffe im Fall der Transparenzrichtlinie gleichsetzt; vgl. auch: BSGE 116, 1 ff., 117, 129 ff.; LSG Berlin-Brandenburg Urt. v. 27. 03. 2013 – L 7 KA 44/10 KL. 210 Kap. 4 § 35 Abs. 2 S. 3 Nr. 1 – 3 VerfO G-BA.

III. Die Ausnahmevorschrift des § 34 Abs. 1 S. 2 SGB V

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erforderlich sind211. Die Angaben müssen letztlich so ausgestaltet sein, dass daraus einwandfrei, methodisch und inhaltlich nachvollziehbar hervorgeht, ob das Arzneimittel die Aufnahmekriterien erfüllt oder nicht; die Unterlagen müssen mithin geeignet und ausreichend sein212. Berücksichtigt wird allerdings nur die Literatur, die im Volltext dem Antrag hinzugefügt ist213. Liegen die Unterlagen vor, hat der Gemeinsame Bundesausschuss innerhalb von 90 Tagen zu entscheiden, ob das Arzneimittel auf die Liste aufgenommen wird. Wird der Antrag abgelehnt, so hat die Ablehnung eine Rechtsbehelfsbelehrung sowie eine Begründung zu enthalten, die auf objektiv überprüfbaren Kriterien beruht214. Für das Antragsverfahren sind Gebühren in Höhe von 10.394 Euro zu erheben215. Bei einem außergewöhnlich hohen Aufwand kann die Gebühr sogar auf das Doppelte erhöht werden216. Die Gebührenerhebung dient zur Sicherstellung, dass die Kosten des Verfahrens für den Gemeinsamen Bundesausschuss gedeckt sind217. Sie kann auch im Widerspruchsverfahren erhoben werden; insoweit steht § 34 Abs. 6 S. 6 SGB V, der auf das „Antragsverfahren“ abstellt, nicht entgegen218. Dem Gemeinsamen Bundesausschuss obliegt es außerdem, das Nähere hinsichtlich der Begründung und den Nachweisen zu regeln219. Vorschriften dazu finden 211 Vgl. § 34 Abs. 6 S. 2, 3 SGB V; zur Begründung vgl. Kap. 4 § 35 Abs. 2 VerfO G-BA; zur Hinweispflicht vgl. auch Kap. 4 § 36 S. 2, 3 VerfO G-BA; vgl. auch Hess, in: Körner/ Leitherer/Mutschler, Kasseler Kommentar, § 34 SGB V Rn. 10. 212 BT-Drs. 16/4247, S. 32; so auch: Axer, in: Becker/Kingreen, SGB V, § 34 SGB V Rn. 19; Beck, in: Schlegel/Voelzke, juris Praxiskommentar, § 34 SGB V Rn. 34; Bischofs, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, Beck’scher Onlinekommentar Sozialrecht, § 34 SGB V Rn. 29; Gerlach, in: Hauck/Noftz, Sozialgesetzbuch – SGB V, § 34 SGB V Rn. 41; Wagner, in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung Pflegeversicherung, § 34 SGB V Rn. 21. 213 Vgl. Kap. 4 § 35 Abs. 2 S. 2 VerfO G-BA, so auch: Gerlach, in: Hauck/Noftz, Sozialgesetzbuch – SGB V, § 34 SGB V Rn. 41; Wille, PharmR 2007, S. 504 f. 214 Vgl. § 34 Abs. 6 S. 4, 5 SGB V; Kap. 4 § 36 S. 1 VerfO G-BA; vgl. auch: BSGE 116, 1 (5); Axer, in: Becker/Kingreen, SGB V, § 34 SGB V Rn. 19; Hess, in: Körner/Leitherer/ Mutschler, Kasseler Kommentar, § 34 SGB V Rn. 10; Spickhoff, in: ders., Medizinrecht, § 34 SGB V Rn. 12. 215 Vgl. § 34 Abs. 6 S. 6 i.V.m. § 3 Gebührenordnung über die Erhebung von Gebühren im Antragsverfahren nach § 34 Abs. 6 Satz 6 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) (BAnz AT v. 03. 07. 2008, Nr. 98, S. 2376); so auch: BSG SozR 4 – 2500 § 34 Nr. 15 Rn. 22; LSG Berlin-Brandenburg Urt. v. 27. 02. 2013 – L 7 KA 114/11 L; Wille, PharmR 2007, S. 505. 216 § 4 Abs. 1 Gebührenordnung über die Erhebung von Gebühren im Antragsverfahren nach § 34 Abs. 6 Satz 6 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V). 217 BT-Drs. 16/4247, S. 32; vgl. auch: BSG SozR 4 – 2500 § 34 Nr. 15 Rn. 27; LSG BerlinBrandenburg Urt. v. 27. 02. 2013 – L 7 KA 114/11 L; Bischofs, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/ Udsching, Beck’scher Onlinekommentar Sozialrecht, § 34 SGB V Rn. 29; Wagner, in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung Pflegeversicherung, § 34 SGB V Rn. 21. 218 So BSG SozR 4 – 2500 § 34 Nr. 15 Rn. 23 ff.; ebenso die Vorinstanz LSG BerlinBrandenburg Urt. v. 27. 02. 2013 – L 7 KA 114/11 L. Zur Gebühr im Widerspruchsverfahren vgl. § 8 Gebührenordnung über die Erhebung von Gebühren im Antragsverfahren nach § 34 Abs. 6 Satz 6 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V). 219 § 34 Abs. 6 S. 7 SGB V.

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B. Der Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel

sich im 4. Kapitel der Verfahrensordnung220 in den §§ 35 ff. Dort ist genau aufgelistet, welche Nachweise von den Arzneimittelherstellern zu erbringen sind und welche formalen Vorschriften sie einzuhalten haben: so bspw. die Verwendung eines Antragsbogens nach Anlage II Nr. 1 zum 4. Kapitel sowie die Einreichung von Unterlagen in elektronischer Form mittels DVD und ohne Kopierschutz221. cc) Rechtsschutz Die Entscheidung des Gemeinsamen Bundesausschuss über die Aufnahme von Arzneimitteln in die OTC-Liste erfolgt mittels Verwaltungsakt222. Dementsprechend können die pharmazeutischen Arzneimittelhersteller gegen diese Ablehnung mittels einer Anfechtungsklage vorgehen. Allerdings begehren die Arzneimittelhersteller auch die Aufnahme des Arzneimittels auf die OTC-Liste, und damit gleichzeitig einen Akt der Normsetzung223. Wie sie dies in Kombination mit der Anfechtung durchsetzen können, wird in der sozialgerichtlichen Rechtsprechung und Literatur unterschiedlich beurteilt. Während der 24. Senat des Landessozialgerichts BerlinBrandenburg aufgrund des ausdrücklichen Antragsrechts in § 34 Abs. 6 SGB V von einer Leistungsklage neben der Anfechtungsklage als richtiger Klageart ausgeht224, bevorzugt der 7. Senat des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg zusammen mit dem Bundessozialgericht eine Feststellungsklage225. Darüber hinaus wird auch eine

220 Verfahrensordnung des Gemeinsamen Bundesausschusses in der Fassung vom 18. Dezember 2008 (BAnz (Beilage) v. 10. 06. 2009 Nr. 84a) zuletzt geändert am 18. Dezember 2014 (Banz AT v. 15. 04. 2015 B2). 221 Kap. 4 § 35 Abs. 2 – 4 VerfO G-BA; in den §§ 32 – 34 VerfO G-BA findet sich zudem die Bewertungskriterien für die schwerwiegende Erkrankung und den Therapiestandard. 222 Vgl. LSG Berlin-Brandenburg Urt. v. 24. 10. 2012 – L 7 KA 1/10 KL Rn. 23; LSG Berlin-Brandenburg Urt. v. 27. 03. 2013 – L 7 KA 44/10 KL Rn. 24, die von „Bescheid“ sprechen; Axer, in: Becker/Kingreen, SGB V, § 34 SGB V Rn. 20; Bischofs, in: Rolfs/Giesen/ Kreikebohm/Udsching, Beck’scher Onlinekommentar Sozialrecht, § 34 SGB V Rn. 31. 223 BSGE 116, 1 (2 f.); 117, 129 (131). Zur Normqualität der Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses, vgl. Abschnitt B. III. 2. a). Auch die Streichung aus der Liste stellt einen Akt der Normsetzung dar, vgl. BSG Urt. v. 13. 05. 2015 – B 6 KA 14/14 R Rn. 51; a.A. die Vorinstanz LSG Berlin-Brandenburg Urt. v. 29. 01. 2014 – L 7 KA 119/11 KL, die sich auf den actus-contrarius-Gedanken beruft und aufgrund der Aufnahme durch Bescheid von einer Rücknahme durch Bescheid ausgeht; krit. auch Sträter, pharmind 2015, S. 789 f. 224 LSG Berlin-Brandenburg Urt. v. 25. 01. 2013 – L 24 KA 43/10 KL Rn. 42 ff., das auf eine Anfechtungs- und Leistungsklage nach § 54 Abs. 1, 4 und 5 SGG abstellt; ähnl. die ältere Rspr: BSGE 67, 251 (252); 86, 223 (224 f.) die allerdings auf die echte Leistungsklage nach § 54 Abs. 5 SGG abstellt; ebenso Posser/Willbrand, in: Dieners/Reese, Handbuch des Pharmarechts, § 18 Rn. 52. 225 BSGE 116, 1 (2 f.); 117, 129 (131 f.); BSG Urt. v. 22. 10. 2014 – B 6 KA 35/13 R Rn. 24 ff.; LSG Berlin-Brandenburg Urt. v. 24. 10. 2012 – L 7 KA 1/10 KL Rn. 22 ff.; LSG Berlin-Brandenburg Urt. v. 27. 03. 2013 – L 7 KA 44/10 KL Rn. 23 ff.; LSG Berlin-Brandenburg Urt. v. 27. 03. 2013 – L 7 KA 45/10 KL Rn. 26 ff.

III. Die Ausnahmevorschrift des § 34 Abs. 1 S. 2 SGB V

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Verpflichtungsklage als einschlägig angesehen226. Auf die Regelung des § 92 Abs. 3 SGB V, die eine Anfechtungsklage gegen Bestandteile der Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses vorsieht, kann nicht zurückgegriffen werden, da diese Regelung nur für Arzneimittelpreislisten nach § 92 Abs. 2 SGB V gilt und auf andere Sachverhalte nicht übertragbar ist227. Richtigerweise ist mit dem Großteil der sozialgerichtlichen Rechtsprechung und Teilen der Literatur228 von einer kombinierten Anfechtungs- und Feststellungsklage auszugehen. Eine Anfechtungsklage ist im ersten Schritt notwendig, um den ablehnenden Bescheid auf Aufnahme in die OTC-Liste anzugreifen229. Da der Hersteller aber auch die Aufnahme auf die Liste begehrt, ist in einem weiteren Schritt eine Klage erforderlich, die auf den Erlass einer untergesetzlichen Norm gerichtet ist. Das ist richtigerweise die Feststellungsklage; eine Verpflichtungsklage ist schon deshalb nicht einschlägig, weil die Klage nicht auf den Erlass eines Verwaltungsaktes ausgerichtet ist230. Für die Feststellungsklage als statthafte Klageart spricht weiter der Umstand, dass das Bundessozialgericht schon in mehreren Fällen die Feststellungsklage zur Überprüfung untergesetzlicher Normen herangezogen hat231. Da das SGG, mit Ausnahme des hier nicht einschlägigen § 55a SGG, keine Normenkontrolle, wie sie in § 47 VwGO geregelt ist, kennt, hat das Bundessozialgericht, um dennoch effektiven Rechtsschutz gem. Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG zu gewährleisten, die Feststellungsklage zur Überprüfung untergesetzlicher Rechtsnormen des Gemeinsamen Bundesauschusses herangezogen232. Auch das Bundesverfassungsgericht und das Bundesverwaltungsgericht erkennen die Überprüfung von untergesetzlichen Normen mittels Feststellungsklage an233. 226 Bischofs, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, Beck’scher Onlinekommentar Sozialrecht, § 34 SGB V Rn. 31, 34. 227 BSGE 96, 261 (263 f.); Posser/Willbrand, in: Dieners/Reese, Handbuch des Pharmarechts, § 18 Rn. 51; vgl. auch Gassner, PharmR 2006, S. 557, hinsichtlich der Anwendung auf Therapiehinweise. 228 Vgl. aus der Literatur: Axer, in: Becker/Kingreen, SGB V, § 34 SGB V Rn. 20; ähnl. Spickhoff, in: ders., Medizinrecht, § 34 SGB V Rn. 13, der allerdings nur von einer Feststellungsklage spricht. 229 Vgl. BSGE 116, 1 (2 f.); 117, 129 (131); BSG Urt. v. 22. 10. 2014 – B 6 KA 35/13 R Rn. 25; LSG Berlin-Brandenburg Urt. v. 24. 10. 2012 – L 7 KA 1/10 KL Rn. 23; LSG BerlinBrandenburg Urt. v. 27. 03. 2013 – L 7 KA 44/10 KL Rn. 24; LSG Berlin-Brandenburg Urt. v. 27. 03. 2013 – L 7 KA 45/10 KL Rn. 27. 230 LSG Berlin-Brandenburg Urt. v. 24. 10. 2012 – L 7 KA 1/10 KL Rn. 24; LSG BerlinBrandenburg Urt. v. 27. 03. 2013 – L 7 KA 44/10 KL Rn. 25; LSG Berlin-Brandenburg Urt. v. 27. 03. 2013 – L 7 KA 45/10 KL Rn. 28. 231 BSGE 116, 1 (3); 117, 129 (132). 232 BSGE 96, 261 (264);105, 243 (248); 110, 20 (25 ff.); 112, 15 (22 f.); 112, 257 (259); BSG SozR 4 – 2500 § 132a Nr. 3 Rn. 14. 233 Vgl. BVerfGE 115, 81 (92, 95 f.); BVerwGE 111, 276 (278 f.); 130, 52 (55 f.); BVerwG NVwZ 2002, 1505 (1506).

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B. Der Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel

In der Rechtsprechung finden sich allerdings Urteile, in denen auf die echte Leistungsklage nach § 54 Abs. 5 SGG zurückgegriffen wurde, wenn es um den Erlass einer untergesetzlichen Norm ging; in Abgrenzung dazu wurde eine Feststellungsklage nur dann angenommen, wenn die Nichtanwendung der untergesetzlichen Norm Klagegegenstand war234. An dieser Differenzierung hält die Rechtsprechung allerdings nicht mehr fest, sondern wendet auch im Falle eines Normenerlasses die Feststellungsklage an235. Für deren generelle Anwendung in Bezug auf untergesetzliche Normen spricht, dass eine Feststellungsklage das Gewaltenteilungsprinzip besser berücksichtigt, da die Art und Weise der Behebung der Rechtsverletzung dem jeweiligen Normgeber überlassen bleibt236. Zudem greift der Aspekt der Subsidiarität nicht, da öffentlich-rechtliche Körperschaften aufgrund ihrer Bindung an Recht und Gesetz ihren Pflichten auch ohne Vollstreckungstitel nachkommen237. Überdies würde die staatliche Aufsicht im Falle des Gemeinsamen Bundesausschusses sicherstellen, dass er seiner Verpflichtung aus rechtskräftigen Urteilen nachkommt238. Daher kann die Feststellungsklage nicht nur auf den Fall der Unwirksamkeit einer untergesetzlichen Norm, sondern ebenfalls dann angewandt werden, wenn eine fehlerhafte Auslegung oder Anwendung sowie ein Anspruch auf Änderung der untergesetzlichen Norm geltend gemacht werden239. Damit ist sie hinsichtlich einer Änderung der OTC-Liste einschlägig. Die Klagebefugnis240 ergibt sich hinsichtlich der Anfechtungsklage aus dem Vorliegen eines ablehnenden Bescheides, sodass gem. der Adressatentheorie die Verletzung von Art. 2 Abs. 1 GG in Betracht kommt241. Eine Verletzung der Berufsfreiheit ist aufgrund des fehlenden Eingriffs in Art. 12 Abs. 1 GG abzulehnen242. Allerdings bedarf es auch hinsichtlich der Feststellungsklage, neben dem Feststel234

BSGE 86, 223 (224 f.); 90, 61 (64). So ausdrücklich BSGE 110, 245 (250 f.); vgl auch: Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/ Leitherer, Sozialgerichtsgesetz, § 54 SGG Rn. 41c; Wenner, in: Knickrehm/Kreikebohm/ Waltermann, Kommentar zum Sozialrecht, § 56 SGG Rn. 9. So auch Axer, SGb 2013, S. 674, der diese Lösung als gut vertretbar ansieht. 236 BSGE 110, 245 (251); BSGE 116, 1 (3 f.); 117, 129 (132). 237 BSGE 105, 1 (4); 110, 245 (251); BSGE 116, 1 (3 f.); 117, 129 (132); Castendiek, in: Lüdtke, Sozialgerichtsgesetz, § 55 SGG Rn. 21; Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz, § 55 SGG Rn. 19c. 238 BSGE 110, 245 (251). 239 BSGE 110, 20 (27); zustimmend: BSGE 116, 1 (3); 117, 129 (132); LSG BerlinBrandenburg Urt. v. 24. 10. 2012 – L 7 KA 1/10 KL Rn. 25; LSG Berlin-Brandenburg Urt. v. 27. 03. 2013 – L 7 KA 44/10 KL Rn. 26; LSG Berlin-Brandenburg Urt. v. 27. 03. 2013 – L 7 KA 45/10 KL Rn. 29; vgl. auch: Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz, § 55 SGG Rn. 10e; Wiegand, in: Schlegel/Voelzke, juris Praxiskommentar, § 92 SGB V Rn. 89. 240 § 54 Abs. 2 SGG. 241 Anders Axer, in: Becker/Kingreen, SGB V, § 34 SGB V Rn. 20, der aufgrund des ablehnenden Bescheides auf Art. 12 Abs. 1 GG abstellt. 242 Zur Frage, ob die pharmazeutischen Unternehmer durch den Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel in Art. 12 GG verletzt werden, vgl. Abschnitt C. I. 5. a). 235

III. Die Ausnahmevorschrift des § 34 Abs. 1 S. 2 SGB V

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lungsinteresse, einer Verletzung in eigenen Rechten, um Popularklagen auszuschließen243. Eine Verletzung in eigenen Rechten wird allerdings nur dann verneint, wenn dem Betroffenen das geltend gemachte Recht unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zustehen kann und damit keine Möglichkeit der Verletzung von subjektiven Rechten besteht244. Geltend gemacht wird eine Änderung der untergesetzlichen Norm. Ein Anspruch auf Änderung der untergesetzlichen Norm resultiert zwar nicht unmittelbar aus § 34 Abs. 6 SGB V, sondern nur ein Anspruch auf Bescheidung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss, jedoch trifft der Gemeinsame Bundesausschuss mit seiner Entscheidung über den Antrag eine Zusage dahingehend, dass er bei positiver Entscheidung über den Antrag die Richtlinie entsprechend abändern wird245. Sofern daher die Möglichkeit besteht, dass die gesetzlichen Voraussetzungen zur Aufnahme erfüllt sein können, ist eine Klagebefugnis gegeben246. Zuständig für die Klagen gegen den Gemeinsamen Bundesausschuss auf Aufnahme eines Arzneimittels auf die OTC-Liste ist gem. § 29 Abs. 4 Nr. 3 SGG das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg247. Allerdings ist zu verzeichnen, dass – soweit ersichtlich – bisher noch kein Antrag von Arzneimittelherstellern auf Aufnahme in die OTC-Liste positiv beschieden wurde248. Seit der Erstellung der OTCListe wurden keine weiteren Wirkstoffe darin aufgenommen. b) Die Aufnahmevoraussetzungen aa) Arzneimittelbegriff Voraussetzung zur Aufnahme auf die OTC-Liste ist zunächst das Vorliegen eines Arzneimittels. Dies richtet sich nach § 2 AMG, der bestimmt, in welchen Fällen von einem Arzneimittel gesprochen werden kann. § 2 Abs. 1 AMG enthält eine Definition, wonach Arzneimittel Stoffe oder Zubereitungen aus Stoffen sind, die entweder zur Anwendung im oder am menschlichen Körper bestimmt sind und als 243

BSGE 105, 1 (2 f.); 110, 245 (251); 112, 257 (260); BSG SozR 4 – 2500 § 135 Nr. 22 Rn. 27; BSG SozR 4 – 2500 § 140 f Nr. 2 Rn. 12; Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz, § 55 SGG Rn. 15a, 15d. 244 BSGE 84, 67 (70); 105, 1 (3); 110, 245 (252); vgl. auch: Castendiek, in: Lüdtke, Sozialgerichtsgesetz, § 54 SGG Rn. 84; Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz, § 55 SGG Rn. 15d. 245 BSG Urt. v. 13. 05. 2015 – B 6 KA 14/14 R Rn. 37. 246 Vgl. LSG Berlin-Brandenburg Urt. v. 24. 10. 2012 – L 7 KA 1/10 KL Rn. 29; LSG Berlin-Brandenburg Urt. v. 27. 03. 2013 – L 7 KA 44/10 KL Rn. 30; LSG Berlin-Brandenburg Urt. v. 27. 03. 2013 – L 7 KA 45/10 KL Rn. 33, die aber alle ohne nähere Begründung auf Art. 12 GG abstellen. 247 Vgl. auch Hess, in: Körner/Leitherer/Mutschler, Kasseler Kommentar, § 34 SGB V Rn. 20. 248 Vgl. die ablehnenden Urteile: BSGE 116, 1 ff. – Buscopan® Dragées; BSGE 117, 129 ff. – Vertigoheel®; BSG Urt. v. 22. 10. 2014 – B 6 KA 35/13 R – Zeel® comp. N; LSG BerlinBrandenburg NZS 2013, 782 ff. – Soledum® Kapseln.

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B. Der Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel

Mittel mit Eigenschaften zur Heilung oder Linderung oder zur Verbesserung menschlicher oder krankhafter Beschwerden bestimmt sind oder die im oder am menschlichen Körper angewendet werden oder einem Menschen verabreicht werden können, um entweder die physiologischen Funktionen durch eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung wiederherzustellen, zu korrigieren oder zu beeinflussen oder die eine medizinische Diagnose erstellen. Der Arzneimittelbegriff des AMG ist maßgeblich durch das Europarecht geprägt, auch wenn sich auf europäischer Ebene noch keine vollständige Harmonisierung des Begriffes verwirklicht hat249. Der jetzige Arzneimittelbegriff des § 2 Abs. 1 AMG ist mit dem Gesetz zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften vom 17. 07. 2009250 eingefügt worden. Er entspricht den Merkmalen der Definition des Arzneimittels nach den Richtlinien 2001/83/EG und 2001/82/EG251. Allerdings übernimmt der Gesetzgeber den Arzneimittelbegriff nicht wortwörtlich, sondern präzisiert ihn. Präzisierungen gegenüber dem Richtlinientext ergeben sich etwa aus der Übernahme der Begriffe der „Linderung“ und „krankhafter Beschwerden“, die auch schon bisher im deutschen Recht vorhanden waren252. Sie sollen klarstellen, dass aus Gründen der Arzneimittelsicherheit alle Mittel erfasst werden, die eine arzneiliche Wirkung beanspruchen, auch wenn nur die Linderung krankhafter Beschwerden angeführt wird253. Einschränkungen gegenüber dem europäischen Recht sollen aber dadurch nicht entstehen254. Insgesamt ist der Arzneimittelbegriff des AMG im Hinblick auf den Schutz des Verbrauchers und die Herstellung von Sicherheit im Verkehr mit Arzneimitteln weit zu verstehen255.

249 Vgl. zur fehlenden Harmonisierung: EuGH Slg. 2007, I-9811 Rn. 36 f., 86; Slg. 2009, I41 Rn. 28; Slg. 2009, I-1353 Rn. 28, 69 f.; EuGH PharmR 2013, 485 (490); Hüttebräuker/ Müller, PharmR 2008, S. 38 f.; Müller, in: Kügel/Müller/Hofmann, Arzneimittelgesetz, § 2 AMG Rn. 48 ff. 250 BGBl. I, S. 1990. 251 BT-Drs. 16/12256, S. 41; vgl. auch: Fuhrmann, in: ders./Klein/Fleischfresser, Arzneimittelrecht, § 2 Rn. 4; Heßhaus, in: Spickhoff, Medizinrecht, § 2 AMG Rn. 4; Müller, in: Kügel/Müller/Hofmann, Arzneimittelgesetz, § 2 AMG Rn. 14. 252 Vgl. § 2 Abs. 1 Nr. 1 AMG; BT-Drs. 16/12256, S. 41; Fuhrmann, in: ders./Klein/ Fleischfresser, Arzneimittelrecht, § 2 Rn. 4; Müller, NVwZ 2009, S. 428. 253 BT-Drs. 16/12256, S. 41; Fuhrmann, in: ders./Klein/Fleischfresser, Arzneimittelrecht, § 2 Rn. 4. 254 BT-Drs. 16/12256, S. 41; so auch Müller, NVwZ 2009, S. 428. 255 Vgl. Müller, in: Kügel/Müller/Hofmann, Arzneimittelgesetz, § 2 AMG Rn. 18. Zur weiten Auslegung des Begriffs des Präsentationsarzneimittels: EuGH Slg. 1983, 3883 Rn. 17; Slg. 1991, I-1703 Rn. 16; Slg. 1991, I-1547 Rn. 23; Slg. 2007, I-9811 Rn. 43, 61; Slg. 2009, I41 Rn. 25. Zur weiten Auslegung des Begriffs der Funktionsarzneimittel früher noch EuGH Slg. 1991, I-1703 Rn. 20 f.; zur mittlerweilen engeren Auslegung im Bereich der Funktionsarzneimittel vgl. EuGH Slg 2007, I-9811 Rn. 61; Slg 2009, I-41 Rn. 25.

III. Die Ausnahmevorschrift des § 34 Abs. 1 S. 2 SGB V

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(1) Arten von Arzneimitteln § 2 AMG umfasst durch seine weite Ausgestaltung eine Vielzahl von Arzneimitteln, die sich in verschiedene Untergruppen unterteilen lassen. So untergliedert die Arzneimitteldefinition die Präparate in Präsentations- und Funktionsarzneimittel. Präsentationsarzneimittel sind solche, die dazu bestimmt sind der Heilung, Linderung und Verhütung von Krankheiten zu dienen256. Gemeint sind damit solche Produkte, die vom Hersteller als Arzneimittel bestimmt bzw. bezeichnet werden257. Die Bestimmung als Arzneimittel ergibt sich aus der Aufmachung, Kennzeichnung oder Bewerbung des Produkts258 ; umfasst aber sowohl eine objektive Bestimmung als auch eine rein subjektive Bestimmung und damit auch Anscheinsarzneimittel259. Der Begriff wurde durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs geprägt. So liegt eine Bestimmung dann vor, wenn es „auf dem Etikett, dem Beipackzettel oder mündlich, ausdrücklich als ein solches bezeichnet oder empfohlen wird“260. Des Weiteren kommt es bezüglich der Bestimmung darauf an, ob bei einem durchschnittlich informierten Verbraucher mit Gewissheit der Eindruck erweckt wurde, dass das Präparat die heilende, lindernde oder krankheitsverhütende Wirkung hat261. Allein die äußere Form als Kapsel oder Tablette ist aber nicht ausreichend; diese Formen finden sich nämlich auch bei Nahrungsergänzungsmitteln262. Funktionsarzneimittel sind hingegen solche, die die physiologische Funktion wiederherstellen, korrigieren oder beeinflussen, mittels pharmakologischer, immunologischer oder metabolischer Wirkung, oder solche, die eine medizinische

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Vgl. § 2 Abs. 1 Nr. 1 AMG. Trotz der Änderung der Wörter in der Definition des Präsentationsarzneimittels in der RL 2004/27/EG von „bezeichnet“ in „bestimmt“, hat sich hinsichtlich der Auslegung nichts geändert, vgl. BVerwG PharmR 2008, 78 (81); Kloesel/Cyran, in: Kloesel/Cyran, Arzneimittelrecht, § 2 AMG Rn. 34; Müller, in: Kügel/Müller/Hofmann, Arzneimittelgesetz, § 2 AMG Rn. 19; Steinbeck, MedR 2009, S. 146. 258 Heßhaus, in: Spickhoff, Medizinrecht, § 2 AMG Rn. 4; vgl auch Koyuncu, in: Deutsch/ Lippert, Kommentar zum Arzneimittelgesetz, § 2 AMG Rn. 13. 259 EuGH Slg. 1983, 3883 Rn. 17; Slg. 1991, I-1703 Rn. 16; Slg. 1992, I-5485 Rn. 16; Slg. 2007, I-9811 Rn. 43; vgl. auch: Hüttebräuker/Müller, PharmR 2008, S. 40; Koyuncu, in: Deutsch/Lippert, Kommentar zum Arzneimittelgesetz, § 2 AMG Rn. 15; Müller, in: Kügel/ Müller/Hofmann, Arzneimittelgesetz, § 2 AMG Rn. 20, 72. 260 EuGH Slg. 1991, I-1547 Rn. 23; Slg. 1992, I-5485 Rn. 17; Slg. 2007, I-9811 Rn. 44; vgl. auch Müller, in: Kügel/Müller/Hofmann, Arzneimittelgesetz, § 2 AMG Rn. 21. 261 EuGH Slg. 1984, 3883 Rn. 18; Slg. 1991, I-1547 Rn. 23; Slg. 1992, I-5485 Rn. 16; Slg. 2007, I-9811 Rn. 46; vgl. auch: Koyuncu, in: Deutsch/Lippert, Kommentar zum Arzneimittelgesetz, § 2 AMG Rn. 13; Müller, in: Kügel/Müller/Hofmann, Arzneimittelgesetz, § 2 AMG Rn. 21. 262 EuGH Slg. 1984, 3883 Rn. 19; Slg. 2007, I-9811 Rn. 51 ff.; Delewski, LMuR 2010, S. 5; Koyuncu, in: Deutsch/Lippert, Kommentar zum Arzneimittelgesetz, § 2 AMG Rn. 16; Müller, in: Kügel/Müller/Hofmann, Arzneimittelgesetz, § 2 AMG Rn. 22. 257

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B. Der Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel

Diagnose erstellen263. Anders als bei den Präsentationsarzneimitteln wird hier nicht auf die Bestimmung abgestellt, sondern auf die jeweilige Funktion. Entscheidender Unterschied zu den Präsentationsarzneimitteln ist nach neuerer Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs aber, dass diese keine Anscheinsarzneimittel umfassen; die Präparate müssen also nach objektiven Gesichtspunkten therapeutischen, prophylaktischen, diagnostischen oder anderen Zwecken dienen264. Auf den Begriff des Funktionsarzneimittels kommt es immer dann entscheidend an, wenn der Hersteller das Präparat selbst nicht als Arzneimittel bezeichnet und damit kein Präsentationsarzneimittel vorliegen kann265. Allerdings sind die Begriffe der Präsentationsund Funktionsarzneimittel nicht getrennt zu sehen, sondern als Unterdefinitionen eines einheitlichen Arzneimittelbegriffes266. Sie können auch durchaus Überschneidungen haben und sind daher nicht unabhängig voneinander zu betrachten267. Hinsichtlich der Herstellung unterscheidet man außerdem Fertigarzneimittel von Defektur- und Rezepturarzneimitteln268. Fertigarzneimittel sind solche, die im Voraus hergestellt werden und in einer zur Abgabe an den Verbraucher bestimmten Packung in den Verkehr gebracht werden; erfasst werden auch solche Arzneimittel, bei deren Zubereitung in sonstiger Weise ein industrielles Verfahren zur Anwendung kommt oder die, ausgenommen in Apotheken, gewerblich hergestellt werden269. Dabei wird zwischen Originalpräparaten und Generika, den Nachahmerpräparaten, unterschieden270. Defektur- und Rezepturarzneimittel sind hingegen solche Arz-

263 Vgl. § 2 Abs. 1 Nr. 2a und b AMG. Zur umstrittenen Frage, ob ein Arzneimittel auch bei lediglichem Vorliegen einer negativen Beeinflussung der physiologischen Funktion vorliegt, vgl. EuGH NStZ 2014, 462 ff. 264 Neuere Rechtsprechung des EuGH: Slg 2007, I-9811 Rn. 61; Slg 2009, I-41 Rn. 25; vgl. auch: Müller, in: Kügel/Müller/Hofmann, Arzneimittelgesetz, § 2 AMG Rn. 25; Hüttebräuker/ Müller, PharmR 2008, S. 40. Früher sollten vom Begriff des Funktionsarzneimittels auch Anscheinsarzneimittel umfasst sein, vgl. EuGH Slg. 1991, I-1703 Rn. 20. 265 Teilweise wird deshalb von einer Auffangfunktion des Funktionsarzneimittelbegriffes ausgegangen, vgl. Müller, in: Kügel/Müller/Hofmann, Arzneimittelgesetz, § 2 AMG Rn. 105; Meisterernst, pharmind 2013, S. 442. Andere verstehen das Präsentationsarzneimittel als ggü. dem Funktionsarzneimittel funktional subsidiär, vgl. Koyuncu, in: Deutsch/Lippert, Kommentar zum Arzneimittelgesetz, § 2 AMG Rn. 39 f. 266 Müller, in: Kügel/Müller/Hofmann, Arzneimittelgesetz, § 2 AMG Rn. 18, 104; von einer dogmatischen Gleichwertigkeit spricht Koyuncu, in: Deutsch/Lippert, Kommentar zum Arzneimittelgesetz, § 2 AMG Rn. 39. 267 EuGH Slg. 1991, I-1703 Rn. 18; Slg. 1992, I-3317 Rn. 14; Müller, in: Kügel/Müller/ Hofmann, Arzneimittelgesetz, § 2 AMG Rn. 18; Koyuncu, in: Deutsch/Lippert, Kommentar zum Arzneimittelgesetz, § 2 AMG Rn. 41; a.A. Doepner/Hüttebräuker, in: Dieners/Reese, Handbuch des Pharmarechts, § 2 Rn. 14, die beide Begriffe als selbstständig, nebeneinander stehend ansehen. 268 Müller, in: Kügel/Müller/Hofmann, Arzneimittelgesetz, § 2 AMG Rn. 55. 269 § 4 Abs. 1 AMG. 270 Müller, in: Kügel/Müller/Hofmann, Arzneimittelgesetz, § 2 AMG Rn. 55.

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neimittel, die in der Apotheke direkt hergestellt werden271. Für eine Einordnung als Arzneimittel ist diese Unterscheidung aber nicht relevant; die Begriffe setzen jeweils das Vorliegen eines Arzneimittels voraus. (2) Abgrenzung zu anderen Produktkategorien Zu anderen Produktgruppen und damit nicht zu den Arzneimitteln zählen nach der gesetzlichen Bestimmung Lebensmittel, Kosmetika, Tabakerzeugnisse, Tierkosmetika, Biozid-Produkte, Futtermittel, Medizinprodukte und Zubehör sowie Organe272. Entscheidend für die Einordnung als Arzneimittel ist eine Gesamtbetrachtung verschiedener Kriterien, wie der Zusammensetzung des Produkts, der Modalitäten seines Gebrauchs, des Umfanges der Verbreitung als auch die Bekanntheit bei den Verbrauchern sowie des Anwendungsrisikos273. Ausschlaggebend ist letztlich im Engeren die vorwiegende Zweckbestimmung des Produkts274. Dabei ist nicht nur der ursprüngliche Zustand des Produkts, sondern auch dessen gebrauchsfertiger Zustand zu berücksichtigen, sofern er vom Vorherigen abweicht275. Die äußere Form als Tablette oder Kapsel hat aber auch hier nur indizielle Bedeutung. Ein Indiz für das Vorliegen eines Arzneimittels kann aber die Einstufung des Präparats als Arzneimittel von der Europäischen Pharmakopöe-Kommission sein276. Auch im Bereich der OTC-Liste können sich solche Abgrenzungsfragen immer wieder stellen. Beispielsweise stellte sich das Bundessozialgericht in einem Urteil, in 271 Fleischfresser, in: Fuhrmann/Klein/Fleischfresser, Arzneimittelrecht, § 2 Rn. 173; Müller, in: Kügel/Müller/Hofmann, Arzneimittelgesetz, § 2 AMG Rn. 55. Defekturarzneimittel (vgl. § 21 Abs. 2 Nr. 1 AMG) werden im Gegensatz zu Rezepturarzneimitteln, die aufgrund einer Einzelrezeptur erstellt werden, in größeren Chargen im Voraus, aber eben direkt in der Apotheke produziert. 272 § 2 Abs. 3 AMG; vgl. zu detaillierten Abgrenzung: Fleischfresser, in: Fuhrmann/Klein/ Fleischfresser, Arzneimittelrecht, § 2 Rn. 109 ff., 160 ff.; Fuhrmann, in: ders./Klein/Fleischfresser, Arzneimittelrecht, § 2 Rn. 17 ff.; Heßhaus, in: Spickhoff, Medizinrecht, § 2 AMG Rn. 17 ff.; Kloesel/Cyran, in: Kloesel/Cyran, Arzneimittelrecht, § 2 AMG Rn. 100 ff.; Müller, in: Kügel/Müller/Hofmann, Arzneimittelgesetz, § 2 AMG Rn. 136 ff.; Stephan, in: Fuhrmann/ Klein/Fleischfresser, Arzneimittelrecht, § 2 Rn. 28 ff.; Rehmann, in: ders., Arzneimittelgesetz (AMG) Kommentar, § 2 AMG Rn. 26 ff. 273 EuGH Slg. 1991, I-1547 Rn. 29; Slg. 1992, I-3317 Rn. 17; Slg. 2005, I-5141 Rn. 30; Slg. 2009, I-41 Rn. 35 ff.; Slg. 2009, I-1353 Rn. 31; EuGH Urt. v. 03. 10. 2013, Rs. C-109/12, Rn. 42; EuGH NStZ 2014, 461 (463); so auch: Müller, NVwZ 2009, S. 429; Schnall, in: Streinz, Lebensmittelrechts-Handbuch, Kap. II, G Rn. 365b. Dies gilt sowohl für Präsentations- als auch Funktionsarzneimittel, vgl. Müller, in: Kügel/Müller/Hofmann, Arzneimittelgesetz, § 2 AMG Rn. 28. 274 Gutzler, SGb 2008, S. 345; Müller, in: Kügel/Müller/Hofmann, Arzneimittelgesetz, § 2 AMG Rn. 28. 275 EuGH Slg. 2005, I-5141 Rn. 31 f.; vgl. auch Müller, in: Kügel/Müller/Hofmann, Arzneimittelgesetz, § 2 AMG Rn. 29. 276 EuGH Slg. 1992, I-3317 Rn. 17 ff.; Müller, in: Kügel/Müller/Hofmann, Arzneimittelgesetz, § 2 AMG Rn. 29.

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B. Der Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel

dem es um die Verordnungsfähigkeit mehrerer Mittel ging, die alle nicht der Verschreibungspflicht unterlagen, die Frage, ob das vom Kläger begehrte Mittel „Linola“ als Arzneimittel oder als Kosmetikum anzusehen war. Das Gericht ließ die Eigenschaftsfrage letztlich offen und erklärte das Mittel aufgrund seines fehlenden Zulassungsstatus für nicht verordnungsfähig277. Bestehen Zweifel hinsichtlich der Einordnung als Arzneimittel oder in eine andere Produktgruppe, kann die Regelung in § 2 Abs. 3a AMG herangezogen werden. Diese Vorschrift wurde aus Art. 2 Abs. 2 der Richtlinien 2001/83/EG und 2001/82/ EG übernommen278 und besagt, dass in Grenzfällen ein Arzneimittel vorliegt und damit die Arzneimittelvorschriften Anwendung finden. Der Europäische Gerichtshof hat allerdings für die Anwendung der Zweifelsregelung aus der Richtlinie vorausgesetzt, dass das Präparat auch den Begriff des Arzneimittels erfüllen muss279. Dem entspricht die nationale Umsetzung in § 2 Abs. 3a AMG, die darauf abstellt, dass die Erzeugnisse „unter eine Begriffsbestimmung des Absatzes 1 fallen“ müssen, also ein Arzneimittel nach der Arzneimitteldefinition vorliegen muss280. Die Zweifelsregelung hilft daher nur in den Fällen weiter, in denen das Präparat sowohl ein Arzneimittel ist, als auch die Voraussetzungen einer anderen Produktdefinition erfüllt, wie z. B. die von Nahrungsergänzungsmitteln oder Kosmetika. Dann ist das Arzneimittelrecht vorrangig und das Produkt als Arzneimittel einzuordnen281. Indem die strengeren Vorschriften des Arzneimittelrechts vorrangig sind, wird damit dem durch die Richtlinie bezweckten Ziel des öffentlichen Gesundheitsschutzes Rechnung getragen282. Durch das Erfordernis des Vorliegens des Arzneimittelbegriffes handelt es sich letztlich bei der Zweifelsregelung aber mehr um eine Vorrangregelung zugunsten des Arzneimittelrechts, als um eine echte Zweifelsregelung283. 277

BSGE 110, 183 (186 f.); vgl. auch SG Mainz Urt. v. 10. 02. 2015 – S 14 KR 549/13, in dem es um die Abgrenzung von Arzneimitteln und Lebensmitteln bei Lactrase ging. 278 BT-Drs. 16/12256, S. 41; vgl. auch Kloesel/Cyran, in: Kloesel/Cyran, Arzneimittelrecht, § 2 AMG Rn. 165. 279 EuGH Slg. 2009, I-41 Rn. 24; Slg. 2009, I-1353 Rn. 45; zustimmend: Delewski, LMuR 2010, S. 6; Koyuncu, in: Deutsch/Lippert, Kommentar zum Arzneimittelgesetz, § 2 AMG Rn. 102 f.; Steinbeck, MedR 2009, S. 148; Stephan, in: Fuhrmann/Klein/Fleischfresser, Arzneimittelrecht, § 2 Rn. 67 ff.; im Ergebnis auch zustimmend Müller, NVwZ 2009, S. 426; der allerdings bemängelt, dass diese Auslegung dem Wortlaut des Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie 2001/ 83/EG widerspricht und deshalb diese Auslegung mit dem Strengegrundsatz zu begründen ist; krit. zu dieser Rechtsprechung Dettling, A&R 2009, S. 65 ff. 280 Vgl. Koyuncu, in: Deutsch/Lippert, Kommentar zum Arzneimittelgesetz, § 2 AMG Rn. 104 f.; Müller, in: Kügel/Müller/Hofmann, Arzneimittelgesetz, § 2 AMG Rn. 235. 281 BT-Drs. 16/12256, S. 41; BGH PharmR 2011, 299 (300); OVG Münster PharmR 2010, 471 (474); Koyuncu, in: Deutsch/Lippert, Kommentar zum Arzneimittelgesetz, § 2 AMG Rn. 105. 282 Schlussanträge der Generalanwältin Trstenjak v. 19. 06. 2008, Slg. 2009, I-41 Rn. 49 ff.; so auch Müller, NVwZ 2009, S. 426. 283 Müller, NVwZ 2009, S. 429; ders., in: Kügel/Müller/Hofmann, Arzneimittelgesetz, § 2 AMG Rn. 228; zustimmend Delewski, LMuR 2010, S. 6.

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bb) Arzneimittelrechtliche Zulassung Erforderlich für eine Aufnahme eines Arzneimittels bzw. dessen Wirkstoffes auf die OTC-Liste ist die arzneimittelrechtliche Zulassung des Präparates284. Für einen Anspruch des Versicherten auf Versorgung mit Arzneimitteln ist die Zulassung nämlich konstitutiv285. Das Gleiche muss auch hier gelten. Durch die Aufnahme auf die OTC-Liste wird ein Präparat verordnungsfähig, das wegen seiner Eigenschaft als nicht verschreibungspflichtiges Arzneimittel von der Verordnung gem. § 34 Abs. 1 S. 1 SGB Vausgenommen wurde. Nur diesen Ausschluss kann die Aufnahme auf die OTC-Liste überwinden. Sie kann jedoch nicht dazu führen, dass nicht zugelassene Arzneimittel dadurch verordnungsfähig werden. Ein Arzneimittel bzw. dessen Wirkstoff kann zudem nur dann in die Liste aufgenommen werden, wenn es im Hinblick auf die begehrte Indikation, bei der es Standardtherapeutikum sein soll, zugelassen ist286. Das Zulassungsverfahren bzw. die Erteilung der Genehmigung für das Inverkehrbringen von Arzneimitteln ist europarechtlich vollharmonisiert. Der Europäische Gerichtshof hat insofern entschieden, dass die Richtlinie 2001/83/EG „ein abschließendes System von Verfahren für die Zulassung von Arzneimitteln vorsieht“287. Insofern ist in der Richtlinie sowohl eine nationale als auch eine europäische Zulassung vorgesehen288. Die nationale Zulassung erfolgt durch Behörden des jeweiligen Mitgliedstaates – in Deutschland ist das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte zuständig – und muss auch im jeweiligen Mitgliedstaat beantragt werden289. Innerhalb der nationalen Zulassung hat der pharmazeutische Unternehmer mehrere Möglichkeiten290. So kann er eine separate nationale Zulassung beantragen, die dann auch nur in dem jeweiligen Mitgliedstaat gilt. Beabsichtigt der Unternehmer allerdings, das Arzneimittel in mehreren Mitgliedstaaten in Verkehr zu bringen, so ist das

284 Kap. 4 § 32 VerfO G-BA; vgl. auch: BSGE 117, 129 (136); LSG Berlin-Brandenburg Urt. v. 27. 03. 2013 – L 7 KA 44/10 KL Rn. 40 ff.; LSG Berlin-Brandenburg Urt. v. 27. 03. 2013 – L 7 KA 45/10 KL Rn. 43 ff. 285 BSGE 72, 252 (256 f.); 89, 184 (185 f.). Zur Vorgreiflichkeit der Zulassung vgl. Abschnitt A. II. 3. 286 Vgl. Kap. 4 § 32 VerfO G-BA; ausdrücklich auch LSG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 15. 05. 2013 – L 7 KA 3/10 KL Rn. 39. 287 EuGH Slg. 2007, I-7609 Rn. 41. 288 Vgl. Art. 6 Abs. 1 RL 2001/83/EG. Daneben bestehen für homöopathische und traditonell pflanzliche Arzneimittel vereinfachte Registrierungsverfahren, vgl. Art. 13 ff. und Art. 16a ff. RL 2001/83/EG. 289 Vgl. § 77 Abs. 1 AMG, wonach das BfArM grundsätzlich für Humanarzneimittel die richtige Zulassungsstelle ist. 290 Vgl. hierzu Friese, in: Dieners/Reese, Handbuch des Pharmarechts, § 5 Rn. 5 ff.

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B. Der Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel

Verfahren der gegenseitigen Anerkennung oder das dezentrale Verfahren einschlägig, die beide Ausprägungen des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung sind291. Das Verfahren der gegenseitigen Anerkennung kommt dann zum Einsatz, wenn der Unternehmer bereits im Besitz einer nationalen Zulassung ist und diese auf andere Mitgliedstaaten erstrecken möchte292. So kann der Unternehmer die Anerkennung seiner Zulassung in den Mitgliedstaaten, in denen er sein Arzneimittel in den Verkehr bringen will, beantragen293. Demgegenüber ist das dezentrale Verfahren einschlägig, wenn der Antragsteller noch nicht im Besitz einer nationalen Zulassung ist, aber sein Arzneimittel in mindestens zwei Mitgliedstaaten vermarkten möchte. Mit Hilfe des dezentralen Verfahrens kann die Zulassung gleich in allen gewünschten Mitgliedstaaten beantragt werden294. In beiden Verfahren muss jeweils ein Mitgliedstaat die Rolle des Referenzmitgliedstaates295 übernehmen und damit den Beurteilungsbericht erstellen, der als Grundlage für die Anerkennung der Entscheidung dient. Durch das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung ist die deutsche Zulassungsbehörde an die positive Entscheidung der Behörde des Mitgliedstaates gebunden; nur in Ausnahmefällen, wie bei schwerwiegenden Gefahren für die öffentliche Gesundheit, kann eine Anerkennung abgelehnt werden296. Die zentrale europäische Zulassung wird durch die EU-Kommission unter Beteiligung der Europäischen Arzneimittelagentur erteilt297. Sie ist bei der Europäi291 Friese, in: Dieners/Reese, Handbuch des Pharmarechts, § 5 Rn. 5 f.; Rehmann, in: ders., Arzneimittelgesetz (AMG) Kommentar, Vor. §§ 21 – 37 AMG Rn. 16. 292 Fleischfresser, in: Fuhrmann/Klein/Fleischfresser, Arzneimittelrecht, § 6 Rn. 49 ff.; Friese, in: Dieners/Reese, Handbuch des Pharmarechts, § 5 Rn. 6; Rehmann, in: ders., Arzneimittelgesetz (AMG) Kommentar, Vor. §§ 21 – 37 AMG Rn. 16. 293 Sog. MR-Verfahren (Mutual Recognition Procedure), vgl. zum Begriff Friese, in: Dieners/Reese, Handbuch des Pharmarechts, § 5 Rn. 6. Zur nationalen Regelung vgl. § 25b Abs. 2 und 4 AMG; Rehmann, in: ders., Arzneimittelgesetz (AMG) Kommentar, Vor. §§ 21 – 37 AMG Rn. 16. 294 Fleischfresser, in: Fuhrmann/Klein/Fleischfresser, Arzneimittelrecht, § 6 Rn. 55; Friese, in: Dieners/Reese, Handbuch des Pharmarechts, § 5 Rn. 6; Rehmann, in: ders., Arzneimittelgesetz (AMG) Kommentar, Vor. §§ 21 – 37 AMG Rn. 16. 295 Im MR-Verfahren ist dies der Staat, der die erste Zulassung erteilt hat, im dezentralisierten Verfahren, derjenige Mitgliedstaat, den der Antragsteller um die Übernahme dieser Stellung gebeten hat, vgl. Friese, in: Dieners/Reese, Handbuch des Pharmarechts, § 5 Rn. 7. Zur Regelung des dezentralisierten Verfahrens im AMG, vgl. § 25b Abs. 1, 3 AMG. 296 Vgl. Fleischfresser, in: Fuhrmann/Klein/Fleischfresser, Arzneimittelrecht, § 6 Rn. 50 f.; Rehmann, in: ders., Arzneimittelgesetz (AMG) Kommentar, Vor. §§ 21 – 37 AMG Rn. 18. Allerdings ist in einem solchen Fall ein gemeinschaftsrechtliches Abstimmungsverfahren einzuleiten; die deutsche Zulassungsbehörde kann nicht allein entscheiden, vgl. Rehmann, in: ders., Arzneimittelgesetz (AMG) Kommentar, Vor. §§ 21 – 37 AMG Rn. 18 f., § 25b AMG Rn. 2. 297 Art. 4 i.V.m. Art. 10 VO (EG) Nr. 726/2004. Die EMA bereitet die Zulassung vor, die Entscheidung trifft allerdings die Kommission selbst, vgl. Fleischfresser, in: Fuhrmann/Klein/ Fleischfresser, Arzneimittelrecht, § 3 Rn. 17, 70. Zum Verfahrensgang vgl. Rehmann, in: ders., Arzneimittelgesetz (AMG) Kommentar, Vor. §§ 21 – 37 AMG Rn. 5 ff.

III. Die Ausnahmevorschrift des § 34 Abs. 1 S. 2 SGB V

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schen Arzneimittelagentur zu beantragen298. Die europäische Zulassung im zentralisierten Verfahren umfasst die gleichen Rechte und Pflichten wie eine nationale Zulassung und gilt für die gesamte Europäische Union299. Die Zulassung ist für fünf Jahre gültig, kann allerdings danach verlängert werden und damit zeitlich unbeschränkt erfolgen300. Die zentrale Zulassung ist für bestimmte Arzneimittel, wie z. B. Arzneimittel mit einem bisher noch nicht zugelassenen Wirkstoff gegen Krebs oder Aids oder Arzneimittel für seltene Leiden, obligatorisch301. Sie kann auch teilweise fakultativ auf Antrag des Antragsstellers durchgeführt werden, so bspw. bei neuen Wirkstoffen302. In anderen Fällen besteht nur die Möglichkeit einer nationalen Zulassung303. Da die europäische Zulassung der nationalen Zulassung gleichsteht, kann hinsichtlich der Aufnahme von Arzneimitteln auf die OTC-Liste sowohl auf eine nationale als auch auf eine europäische Zulassung abgestellt werden. Nicht ausreichend als Zulassungsstatus für eine Aufnahme auf die Liste ist aber, wenn die Verkehrsfähigkeit der Arzneimittel lediglich auf arzneimittelrechtlichem Übergangs- und Verfahrensrecht beruht, wie dies bspw. bei fiktiv zugelassenen Arzneimitteln der Fall ist; dort kann nicht von einem Vorliegen von Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit gesprochen werden304. cc) Keine Verschreibungspflicht Die Verschreibungspflicht ist für die Aufnahme auf die Liste insofern relevant, als dass sie nicht vorliegen darf. Denn dann sind die Arzneimittel nicht vom Ausschluss umfasst und bedürfen keiner Aufnahme auf die OTC-Liste. Die Einordnung unter die Verschreibungspflicht erfolgt in Deutschland unabhängig von der Zulassung. 298

Art. 4 Abs. 1 VO (EG) Nr. 726/2004. Zur unmittelbaren Geltung der VO (EG) Nr. 726/ 2004, Anker, in: Deutsch/Lippert, Kommentar zum Arzneimittelgesetz, Vorb. §§ 21 ff. AMG Rn. 10; Fleischfresser, in: Fuhrmann/Klein/Fleischfresser, Arzneimittelrecht, § 6 Rn. 44. 299 Vgl. Art. 13 Abs. 1 VO (EG) Nr. 726/2004; § 37 Abs. 1 S. 1 AMG, Kortland, in: Kügel/ Müller/Hofmann, Arzneimittelgesetz, § 37 AMG Rn. 10; Weber, in: ders., Betäubungsmittelgesetz, Arzneimittelgesetz, § 37 AMG Rn. 2. 300 Art. 14 VO (EG) Nr. 726/2004; vgl. Kortland, in: Kügel/Müller/Hofmann, Arzneimittelgesetz, § 37 AMG Rn. 11; Rehmann, in: ders., Arzneimittelgesetz (AMG) Kommentar, Vorb. zu §§ 21 – 37 AMG Rn. 11. 301 Art. 3 Abs. 1 i.V.m. dem Anhang VO (EG) Nr. 726/2004; vgl. auch: Anker, in: Deutsch/ Lippert, Kommentar zum Arzneimittelgesetz, Vorb. §§ 21 ff. AMG Rn. 6; Fleischfresser, in: Fuhrmann/Klein/Fleischfresser, Arzneimittelrecht, § 6 Rn. 40; Kortland, in: Kügel/Müller/ Hofmann, Arzneimittelgesetz, § 37 AMG Rn. 4 f. 302 Art. 3 Abs. 2 VO (EG) Nr. 726/2004; vgl. auch: Anker, in: Deutsch/Lippert, Kommentar zum Arzneimittelgesetz, Vorb. §§ 21 ff. AMG Rn. 7; Fleischfresser, in: Fuhrmann/Klein/ Fleischfresser, Arzneimittelrecht, § 6 Rn. 41. 303 Vgl. Art. 4 Abs. 1 VO (EG) Nr. 726/2004, der die Anträge, die an die EMA gehen, auf die Fälle des Art. 3 VO (EG) Nr. 726/2004 einschränkt. Vgl. auch Friese, in: Dieners/Reese, Handbuch des Pharmarechts, § 5 Rn. 12. 304 Vgl. BSGE 110, 183 (186 f.), das auf § 105 Abs. 1 AMG verweist.

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B. Der Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel

Während das Zulassungsverfahren ein individuelles Verfahren ist, bei dem die Zulassung allein für das beantragte Arzneimittel erteilt wird, erfolgt die Beurteilung hinsichtlich der Verschreibungspflicht generell; dort wird auf den jeweils enthaltenen Stoff abgestellt, sodass alle Arzneimittel, die diesen Stoff enthalten, unter die Verschreibungspflicht fallen305. Anders wird die Einordnung unter die Verschreibungspflicht in anderen Mitgliedstaaten vorgenommen, wo sie auch Teil der Zulassungsentscheidung sein kann306. Ein Zusammenhang zwischen den beiden Voraussetzungen der Zulassung und der Verschreibungspflicht besteht in Deutschland jedoch dann, wenn die Zulassung durch das zentrale Zulassungsverfahren der europäischen Union erfolgt ist. Die Kommission kann mit der Zulassung auch den Status der Verschreibungspflicht festlegen307. Diese Entscheidung durch die EU-Kommission gilt unmittelbar für alle Mitgliedstaaten308. Lediglich im Bereich empfängnisverhütender Arzneimittel oder im Bereich der Gentechnik können die Mitgliedstaaten andere Regelungen treffen309. So kann es passieren, dass mit der europarechtlichen, zentralen Zulassung ein Arzneimittel als OTC eingestuft wird und damit auch im nationalen Recht als OTC zu behandeln ist. Dadurch kann auch ein Arzneimittel, das nach nationalem Recht der Verschreibungspflicht unterläge, weil sein Wirkstoff in der Arzneimittelverschreibungsverordnung enthalten ist, nicht verschreibungspflichtig sein. Dies gilt allerdings nur für das Präparat, das europarechtlich zugelassen wurde310. Andere Arzneimittel mit demselben Wirkstoff unterfallen weiterhin der nationalen Verschreibungspflicht, sofern die Verschreibungspflichtverordnung nicht vom Bundesministerium geändert wird311. So war es bspw. bei „ellaOne“, einem Arzneimittel zur Schwangerschaftsverhütung, besser bekannt als eine sog. „Pille danach“. Für dieses wurde der Verschreibungspflichtstatus auf europäischer Ebene aufgehoben312. Nun hat das Bundesministerium nachgezogen und die Arzneimittelverschreibungsver-

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Vgl. § 48 AMG i.V.m. AMVV. Zur Verschreibungspflicht vgl. Abschnitt B. II. 2. Sträter, pharmind 2014, S. 327. 307 Guttau/Winnands, PharmR 2009, S. 274 ff.; Hofmann, in: Kügel/Müller/Hofmann, Arzneimittelgesetz, § 48 AMG Rn. 5; Pabel, PharmR 2009, S. 500; Sträter, pharmind 2015, S. 140. 308 Vgl. Hofmann, in: Kügel/Müller/Hofmann, Arzneimittelgesetz, § 48 AMG Rn. 5; Pabel, PharmR 2009, S. 500; Rehmann, in: ders., Arzneimittelgesetz (AMG) Kommentar, § 48 AMG Rn. 1; Sträter, pharmind 2014, S. 327 f.; dafür auch Guttau/Winnands, PharmR 2009, S. 275 ff. 309 Art. 13 VO (EG) Nr. 726/2004 i.V.m. Art. 4 Abs. 4, 5 RL 2001/83/EG; vgl. auch Sträter, pharmind 2015, S. 140. 310 Sträter, pharmind 2014, S. 327; ders., pharmind 2015, S. 140. 311 Vgl. Guttau/Winnands, PharmR 2009, S.276 f.; Sträter, pharmind 2014, S. 327 f.; ders., pharmind 2015, S. 140. 312 ABl. EU v. 27. 02. 2015 C 71 S. 2. 306

III. Die Ausnahmevorschrift des § 34 Abs. 1 S. 2 SGB V

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ordnung abgeändert, sodass nun „ellaOne“ und andere „Pillen danach“ zur Notfallkontrazeption von der Verschreibungspflicht ausgenommen sind313. Sofern also für ein bestimmtes zentral zugelassenes Arzneimittel die Verschreibungspflicht durch die EU-Kommission aufgehoben wurde, sein Wirkstoff aber dennoch der Verschreibungspflicht unterliegt, bestünde für den pharmazeutischen Hersteller trotzdem die Möglichkeit, sein als OTC zentral zugelassenes Arzneimittel auf die OTC-Liste setzen zu lassen. Denn die Aufhebung der Verschreibungspflicht durch die Kommission gilt für dieses Arzneimittel unmittelbar im nationalen Recht. Die Arzneimittelverschreibungsverordnung hat für zentral zugelassene Arzneimittel nur deklaratorische Bedeutung314. Um Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen zentral oder national zugelassenen Arzneimitteln zu vermeiden, kann die Verschreibungspflicht für den Wirkstoff in der Arzneimittelverschreibungsverordnung aufgehoben werden, jedenfalls ist eine Ausnahme für das als OTC zentral zugelassene Arzneimittel in der Verordnung aufzunehmen. dd) Standardtherapeutikum für eine schwerwiegende Erkrankung Entscheidend für die Aufnahme auf die OTC-Liste ist weiterhin, dass es sich bei dem Arzneimittel bzw. bei dem Wirkstoff um das Standardtherapeutikum zur Behandlung einer schwerwiegenden Erkrankung handelt. Das Arzneimittel muss daher zum einen zur Behandlung einer schwerwiegenden Erkrankung eingesetzt werden und zum anderen muss es den Therapiestandard hinsichtlich dieser Behandlung darstellen. Der Begriff der schwerwiegenden Erkrankung ist in § 12 Abs. 3 AM-RL definiert. Danach gilt eine Krankheit als schwerwiegend, wenn sie lebensbedrohlich ist oder wenn sie aufgrund der Schwere der durch sie verursachten Gesundheitsstörung die Lebensqualität auf Dauer beeinträchtigt. In welcher Weise das Vorliegen einer schwerwiegenden Erkrankung zu beweisen ist, bestimmt die Verfahrensordnung des Gemeinsamen Bundesausschusses. Danach ist das Vorliegen der schwerwiegenden Erkrankung grundsätzlich mit Literatur zu belegen, sofern die Erkrankung nicht im gleichen Schweregrad schon in die Liste aufgenommen wurde315. Beim Antrag muss nicht zwischen verschiedenen Schweregraden der Krankheit differenziert werden; der Gemeinsame Bundesausschuss ist gehalten bei einem allgemein gehaltenen Antrag auch zu prüfen, ob die schwere oder schwerste Verlaufsform der Erkrankung die Voraussetzungen erfüllt316. Das Vorliegen eines Therapiestandards erfordert, „dass ohne die Einbeziehung der Therapie mit dem nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel der Standard der 313

BGBl. I 2015, S. 278. Für den Wirkstoff „Ulipristal“ gilt dies, abgesehen von dem Arzneimittel „ellaOne“ aber erst ab 2016. 314 Sträter, pharmind 2015, S. 140. 315 Kap. 4 § 33 Abs. 2 VerfO G-BA; Gerlach, in: Hauck/Noftz, Sozialgesetzbuch – SGB V, § 34 SGB V Rn. 15. 316 BSGE 116, 1 (14).

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B. Der Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel

Behandlung der schwerwiegenden Erkrankung – das nach allgemein anerkanntem Stand der medizinischen Erkenntnisse Gebotene – nicht gewährleistet ist“ 317. Dementsprechend regelt § 12 Abs. 4 AM-RL, dass ein Arzneimittel dann als Therapiestandard gilt, wenn der therapeutische Nutzen zur Behandlung der schwerwiegenden Erkrankung dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entspricht. Für einen Nachweis des Therapiestandards ist erforderlich, dass ein durch wissenschaftliche Studien hinreichend untermauerter Konsens in den einschlägigen Fachkreisen über den Nutzen des nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittels zur Behandlung der schwerwiegenden Erkrankung besteht. Dieser Nachweis muss auf systematischen Literaturrecherchen basieren. Vorrangig sind hierfür klinische Studien, insbesondere direkt vergleichende mit patientenrelevanten Endpunkten, insbesondere Mortalität, Morbidität und Lebensqualität, zu berücksichtigen318.

5. Die Begriffe der schwerwiegenden Erkrankung und des Therapiestandards a) Schwerwiegende Erkrankung aa) Der Begriff der schwerwiegenden Erkrankung Der Begriff der schwerwiegenden Erkrankung ist in § 12 Abs. 3 AM-RL definiert. Die Definition umfasst zwei Fälle von Krankheiten: die lebensbedrohliche Erkrankung und die die Lebensqualität auf Dauer beeinträchtigende Erkrankung. Sofern es sich nicht um eine lebensbedrohliche Erkrankung handelt, wird zusätzlich von der Verfahrensordnung des Gemeinsamen Bundesausschusses gefordert, dass die Erkrankung von ihrer Schwere und dem Ausmaß der aus ihr folgenden Beeinträchtigungen den lebensbedrohlichen Krankheiten gleichzustellen ist319. Der Begriff der schwerwiegenden Krankheit im Bereich der OTC-Ausnahmeliste entspricht dem beim Off-Label-Use320, dem zulassungsüberschreitenden Gebrauch von Arzneimitteln321. Dort definiert sich die Voraussetzung der schwerwiegenden Erkrankung ebenso als lebensbedrohliche oder die Lebensqualität auf Dauer be-

317

BSG Urt. v. 15. 12. 2015 – B 1 KR 30/15 R Rn. 33. Kap. 4 § 34 Abs. 2 VerfO G-BA. Sofern alle Voraussetzungen vorliegen ist der Gemeinsame Bundesausschuss verpflichtet das Arzneimittel in die Anlage I aufzunehmen, so LSG Berlin-Brandenburg Urt. v. 24. 10. 2012 – L 7 KA 1/10 KL Rn. 105. 319 Vgl. Kap. 4 § 33 Abs. 1 S. 2 VerfO G-BA. 320 BSGE 110, 183 (189); Axer, in: Becker/Kingreen, SGB V, § 34 SGB V Rn. 7; Bischofs, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, Beck’scher Onlinekommentar Sozialrecht, § 34 SGB V Rn. 8; Hess, in: Körner/Leitherer/Mutschler, Kasseler Kommentar, § 34 SGB V Rn. 3. 321 Vgl. hierzu nachfolgenden Abschnitt B. III. 5. a) bb) (1). 318

III. Die Ausnahmevorschrift des § 34 Abs. 1 S. 2 SGB V

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einträchtigende Erkrankung322. Dementsprechend zieht die Rechtsprechung zur Konkretisierung der Begriffe die Rechtsprechung zum Off-Label-Use heran. So ist bspw. für eine schwerwiegende Erkrankung im Sinne der OTC-Liste erforderlich, dass die Erkrankung, sofern sie nicht lebensbedrohlich ist, eine bestimmte Erheblichkeitsschwelle überschreitet323. Dafür ist nicht schon jegliches Leiden ausreichend, sondern es sollen wie beim Off-Label-Use strenge Anforderungen gelten. Dafür ist nach der Rechtsprechung eine Ausnahmesituation derart erforderlich, dass sich die Krankheit durch ihre Schwere oder Seltenheit vom Durchschnitt der Erkrankungen abheben muss324. Zur Bestimmung, wann eine solche Krankheit vorliegt, werden von der Rechtsprechung als Vergleich die im Rahmen des Off-Label-Use vom Bundessozialgericht als schwerwiegende Erkrankungen bezeichneten Erkrankungen herangezogen325. Ist die Erkrankung mit diesen vergleichbar, so soll ebenso im Rahmen der OTC-Liste eine schwerwiegende Erkrankung vorliegen. Der Begriff der schwerwiegenden Krankheit ist allerdings nicht so eng zu verstehen, dass nur schwerste, notstandsähnliche Erkrankungen erfasst sind, wie dies bei der Rechtsprechung zum Nikolausbeschluss326 der Fall ist, wonach eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung vorliegen muss. Die Voraussetzungen des Nikolausbeschlusses erfordern eine höhere Leidensschwelle; der Begriff ist dort strenger auszulegen als beim Off-Label-Use und bei der OTCListe327. Darüber hinaus wird nach der Rechtsprechung nicht zwingend das Vorliegen einer Erkrankung vorausgesetzt; auch Symptome können ausreichend sein328. Zum einen deshalb, weil auf der OTC-Liste selbst Symptome aufgelistet sind: So sind etwa Acetylsalicylsäure und Paracetamol nur zur Behandlung schwerer und schwerster Schmerzen in Co-Medikation mit Opioiden verordnungsfähig329. Zum anderen steht 322 Ständige Rechtsprechung: BSGE 89, 184 (191 f.); 107, 287 (299); 109, 211 (215); BSG SozR 4 – 2500 § 106 Nr. 40 Rn. 33. 323 BSGE 116, 1 (9); LSG Berlin-Brandenburg Urt. v. 24. 10. 2012 – L 7 KA 1/10 KL Rn. 67. 324 BSGE 97, 112 (118); BSG SozR 4 – 2500 § 31 Nr. 6 Rn. 11; LSG Berlin-Brandenburg NZS 2013, 782 (782); LSG Berlin-Brandenburg Urt. v. 27. 03. 2013 – L 7 KA 44/10 KL Rn. 55. 325 BSGE 116, 1 (9); 117, 129 (138); LSG Berlin-Brandenburg Urt. v. 24. 10. 2012 – L 7 KA 1/10 KL Rn. 70 ff.; LSG Berlin-Brandenburg Urt. v. 27. 03. 2013 – L 7 KA 44/10 KL Rn. 56 ff.; LSG Berlin-Brandenburg Urt. v. 27. 03. 2013 – L 7 KA 45/10 KL Rn. 58 ff.; LSG BerlinBrandenburg NZS 2013, 782 (782). 326 Zur Nikolausrechtsprechung und den Voraussetzungen: BVerfGE 115, 25 ff.; § 2 Abs. 1a SGB V; Bohmeier/Penner, WzS 2009, S. 65 ff.; Joussen, SGb 2012, S. 625 ff.; Padé, NZS 2007, S. 352; vgl. auch Abschnitt B. VI. 327 BSG SozR 4 – 2500 § 31 Nr. 19 Rn. 23; LSG Berlin-Brandenburg Urt. v. 24. 10. 2012 – L 7 KA 1/10 KL Rn. 50; LSG Berlin-Brandenburg Urt. v. 27. 03. 2013 – L 7 KA 44/10 KL Rn. 49; LSG Berlin-Brandenburg Urt. v. 27. 03. 2013 – L 7 KA 45/10 KL Rn. 52; LSG Berlin-Brandenburg NZS 2013, 782 (782). 328 BSGE 116, 1 (9); 117, 129 (137 f.); LSG Berlin-Brandenburg Urt. v. 24. 10. 2012 – L 7 KA 1/10 KL Rn. 68; LSG Berlin-Brandenburg Urt. v. 27. 03. 2013 – L 7 KA 44/10 KL Rn. 54. 329 Nr. 3 Anlage I AM-RL.

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B. Der Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel

die Anknüpfung an Symptome mit den Anforderungen an eine schwerwiegende Erkrankung im Einklang. Erkrankungen äußern sich in Symptomen, die sowohl leicht als auch schwer ausgeprägt sein können. Insbesondere bei Erkrankungen unklarer Genese können im Rahmen der Therapie nur die Krankheitssymptome behandelt werden. Die Schwere der Erkrankung ist auch an den Symptomen zu messen, sodass eine Anknüpfung an den Ausprägungsgrad der Symptome sachgerecht ist330. bb) Die Anknüpfung an den Begriff der schwerwiegenden Erkrankung im Off-Label-Use Zur Bestimmung der schwerwiegenden Erkrankung im Sinne der OTC-Liste wird sowohl dieselbe Definition wie beim Off-Label-Use benutzt, als auch auf begriffserläuternde Rechtsprechung aus diesem Bereich zurückgegriffen. Zur Feststellung, ob eine schwerwiegende Erkrankung vorliegt, werden von der Rechtsprechung darüber hinaus auch Beispiele aus dem Off-Label-Use Bereich zum Vergleich herangezogen331. Zu überlegen ist, ob die Anknüpfung an den Begriff der schwerwiegenden Erkrankung im Off-Label-Use trotz der unterschiedlichen Anwendungsbereiche sachgerecht ist, oder ob im Bereich der OTC nicht ein eigener Begriff der schwerwiegenden Erkrankung erforderlich ist, der sich nicht am Off-Label-Use orientiert332. (1) Die schwerwiegende Erkrankung im Off-Label-Use Off-Label-Use bedeutet übersetzt einen „Gebrauch außerhalb des Etiketts“ und beinhaltet den zulassungsüberschreitenden Gebrauch von Arzneimitteln333. Grundsätzlich dürfen Arzneimittel nur in dem Gebiet eingesetzt werden, für das sie eine Zulassung haben. Das heißt, dass für jedes Indikationsgebiet, in dem das Arzneimittel angewendet werden soll, eine Zulassung bestehen muss. Soll ein Arzneimittel über den zugelassenen Indikationsbereich hinaus verwendet werden, so ist eine Verordnung zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung grundsätzlich nicht möglich334. Dieser Ausschluss gilt jedoch nicht ausnahmslos. Das Bundessozial-

330

BSGE 116, 1 (9); 117, 129 (137 f.); LSG Berlin-Brandenburg Urt. v. 24. 10. 2012 – L 7 KA 1/10 KL Rn. 68; LSG Berlin-Brandenburg Urt. v. 27. 03. 2013 – L 7 KA 44/10 KL Rn. 54. 331 Vgl. BSGE 116, 1 (9); 117, 129 (138); LSG Berlin-Brandenburg Urt. v. 24. 10. 2012 – L 7 KA 1/10 KL Rn. 70 ff.; LSG Berlin-Brandenburg Urt. v. 27. 03. 2013 – L 7 KA 44/10 KL Rn. 56 ff.; LSG Berlin-Brandenburg Urt. v. 27. 03. 2013 – L 7 KA 45/10 KL Rn. 58 ff.; LSG Berlin-Brandenburg NZS 2013, 782 (782). 332 Diese Frage aufwerfend Axer, in: Becker/Kingreen, SGB V, § 34 SGB V Rn. 7. 333 Becker, SGb 2004, S. 594; Dierks/Finn, in: Dieners/Reese, Handbuch des Pharmarechts, § 7 Rn. 16. 334 BSGE 85, 36 (50 ff.); 89, 184 (186); 95, 132 (138); 96, 153 (157 f.); 97, 112 (116 f.).

III. Die Ausnahmevorschrift des § 34 Abs. 1 S. 2 SGB V

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gericht hat in der Sandoglobulin-Entscheidung335 Kriterien entwickelt, nach denen ein Off-Label-Use zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung möglich ist: Es muss sich um eine schwerwiegende, lebensbedrohliche oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigende Erkrankung handeln, es darf keine andere Therapie verfügbar sein und es muss aufgrund wissenschaftlicher Erkenntnisse eine begründete Aussicht auf Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) mit dem Medikament bestehen336. Die Voraussetzungen der Rechtsprechung zum Off-Label-Use können allerdings nur dann angewendet werden, sofern eine arzneimittelrechtliche Zulassung für das zu verwendende Arzneimittel überhaupt besteht337; gefordert wird das Vorliegen einer nationalen oder europäischen Zulassung338. Ein nicht zugelassenes Arzneimittel kann nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenkasse verordnet werden, da es sich nach Maßgabe des § 96 Nr. 5 AMG bei dem Inverkehrbringen nicht zugelassener Fertigarzneimittel um eine strafbare Handlung handelt und daraus keine Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung resultieren kann339. Darüber hinaus bestünde mangels einer Qualitätskontrolle ein hohes Risiko für Gesundheitsschäden340. Ebenso wie der Einsatz eines Arzneimittels außerhalb des zugelassenen Indikationsgebietes, umfasst der Off-Label-Use auch die Fälle, in denen ein Arzneimittel für eine andere Gruppe von Personen, als vom Hersteller angegeben, verwendet wird, so bspw. für Kinder anstelle von Erwachsenen, und den Fall, dass die Verwendung auf eine andere Art und Weise erfolgt als vom Hersteller angegeben, z. B. in einer anderen Dosierung oder einer anderen Applikationsform341. Grund für das Erfordernis eines zulassungsüberschreitenden Gebrauchs ist, dass hinsichtlich der Erweiterung von Zulassungen Defizite im Arzneimittelrecht bestehen. Denn innerhalb der Überprüfung der Zulassung gibt es kein Verfahren, um den Anwendungsbereich eines Arzneimittels zu erweitern; dazu muss ein neuer Zulassungsantrag gestellt werden342. Dieser hängt allerdings allein vom Willen des pharmazeutischen Unternehmers ab343. Sofern dieser eine Zulassung nicht beantragt, besteht keine Chance, die Zulassung auf andere Art auszuweiten. Gerade aber in 335

BSGE 89, 184 ff. Grundlegend: BSGE 89, 184 (191 f.); nunmehr ständige Rechtsprechung: BSGE 109, 211 (215); BSG SozR 4 – 2500 § 106 Nr. 40 Rn. 33; BSG SozR 4 – 2500 § 13 Nr. 16 Rn. 21. 337 BSGE 89, 184 (190); Flint, in: Hauck/Noftz, Sozialgesetzbuch – SGB V, § 31 SGB V Rn. 40 f.; Hauck, in: Sodan, Handbuch des Krankenversicherungsrechts, § 8 Rn. 45. 338 BSG SozR 4 – 2500 § 31 Nr. 8 Rn. 14; BSGE 93, 1 (9 f.); Dierks/Finn, in: Dieners/Reese, Handbuch des Pharmarechts, § 7 Rn. 18; Wigge/Wille, in: Schnapp/Wigge, HVAR, § 19 Rn. 63. 339 BSGE 82, 233 (236); zustimmend BSGE 89, 184 (190). 340 BSGE 89, 184 (190). 341 Becker, SGb 2004, S. 594; so auch Dierks/Finn, in: Dieners/Reese, Handbuch des Pharmarechts, § 7 Rn. 16; Buchner/Jäkel, PharmR 2003, S. 434; Nitz, in: Stellpflug/Meier/ Tadayon, Handbuch Medizinrecht, Band 2, H 1000 Rn. 112. 342 BSGE 89, 184 (187). 343 § 29 Abs. 3 i.V.m. § 21 Abs. 3 S. 1 AMG; BSGE 89, 184 (189). 336

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B. Der Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel

bestimmten Bereichen ist es erforderlich, Arzneimittel über ihren Zulassungsbereich hinaus anzuwenden, um den Patienten eine dem medizinischen Stand entsprechende Behandlung zu ermöglichen, da es dort nicht ausreichend zugelassene Arzneimittel gibt344. Das betrifft insbesondere die Pädiatrie345. Nach Ansicht des Bundessozialgerichts dürfen Defizite im Arzneimittelrecht nicht dazu führen, dass taugliche Therapien für die Versicherten nicht anwendbar sind, sodass ein Off-Label-Use zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung nicht umfassend ausgeschlossen wird346. Aufgrund der Vorgreiflichkeit der Zulassung und ihrer Gewährleistung von Sicherheit durch die Überprüfung der Arzneimittel auf Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit, kann ein zulassungsüberschreitender Gebrauch nur in Ausnahmefällen und unter Minimierung der Gesundheitsgefahren erfolgen347. Es ist daher erforderlich, dass „einerseits ein unabweisbarer und anders nicht zu befriedigender Bedarf an der Arzneitherapie besteht und andererseits die therapeutische Wirksamkeit und Unbedenklichkeit der Behandlung hinreichend belegt“ ist348. Dementsprechend sind die Voraussetzungen für einen zulassungsüberschreitenden Gebrauch eng auszulegen. (a) Lebensbedrohliche Erkrankung Für eine lebensbedrohliche Erkrankung muss dem Wortsinn entsprechend eine Todesgefahr für den Patienten bestehen. Es wird ein Gefahrenpotential gefordert, was allerdings hinsichtlich seines Schweregrades umstritten ist. Während die einen schon das theoretische Risiko des Todesverlaufs der Krankheit ausreichen lassen349, wird von anderen die unmittelbare Lebensgefahr gefordert350 oder als Mittelweg eine gegenwärtige Gefahr in Anlehnung an den rechtfertigenden Notstand in § 34 StGB als ausreichend angesehen351. Die erste Ansicht setzt allerdings zu früh an und lässt zu viele Fälle unter die Ausnahme fallen352. Ob die Voraussetzung der lebensbedrohlichen Erkrankung allerdings strenger im Sinne einer konkreten Gefahr oder 344 So speziell in der Onkologie: Engelmann/Meurer/Verhasselt, NZS 2003, S. 71; Schimmelpfeng-Schütte, GesR 2004, S. 364. 345 Vgl. BSGE 89, 184 (188) mit Verweis auf BT-Drs. 14/5083; BT-Drs. 14/5136, S. 2; Schimmelpfeng-Schütte, GesR 2004, S. 364; dies., GesR 2006, S.14; von Harder, A&R 2007, S. 106; einen besonders hohen Bedarf für die Pädiatrie und die Onkologie bejahend: Clemens, GesR 2011, S. 400. 346 BSGE 89, 184 (187, 190). 347 BSGE 89, 184 (186 ff.); 97, 112 (118); BSG SozR 4 – 2500 § 31 Nr. 8 Rn. 18; SozR 4 – 2500 § 106 Nr. 30 Rn. 16. 348 BSGE 89, 184 (191 f.). 349 Dierks, Bundesgesundheitsbl. 2003, S. 460. 350 Schroeder-Printzen/Tadayon, SGb 2002, S. 664. 351 So Müller, Die Rechtsproblematik des Off-Label-Use, S. 127 f. 352 So auch Müller, Die Rechtsproblematik des Off-Label-Use, S. 127.

III. Die Ausnahmevorschrift des § 34 Abs. 1 S. 2 SGB V

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milder im Sinne einer gegenwärtigen Gefahr zu betrachten ist, ist in Anbetracht der Alternative der lebensqualitätsbeeinträchtigenden Erkrankung an sich irrelevant353. Jedoch kann zur näheren Bestimmung ein Blick auf die Voraussetzungen der Rechtsprechung hinsichtlich des Nikolausbeschlusses354 geworfen werden. Dort muss auch eine lebensbedrohliche oder tödlich verlaufende Erkrankung vorliegen355. Allerdings sind die Voraussetzungen hier strenger als bei der schwerwiegenden Erkrankung im Rahmen des Off-Label-Use, da im Hinblick auf Arzneimittel auch ein nicht zugelassenes Produkt über die Grundsätze des Nikolausbeschlusses angewendet werden kann356. Im Rahmen von § 2 Abs. 1a SGB V, der Kodifikation des Nikolausbeschlusses357, besteht neben der lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung zudem eine dritte Alternative: die wertungsmäßig vergleichbare Erkrankung. Bei dieser Variante wird hinsichtlich des Gefahrenpotentials gefordert, dass dieses sich innerhalb eines kürzeren, überschaubaren Zeitraums wahrscheinlich verwirklichen wird358. Es muss eine notstandsähnliche Situation vorliegen359, mit der nach der Rechtsprechung ein Zeitdruck einhergehen muss, sodass ein akuter Behandlungsbedarf besteht360. Die Literatur sieht eine notstandsähnliche Extremsituation unter Beachtung der Rechtsprechung als dann vorliegend an, wenn die Krankheit akut lebensbedrohlich ist361. Sofern also im Rahmen der Voraussetzungen des Nikolausbeschlusses eine akute Gefahr gefordert wird, kann beim Off-Label-Use, der milderen Voraussetzungen unterliegt, kein solcher Gefahrengrad gefordert werden. Daher kann auch keine unmittelbare Lebensgefahr gefordert werden. Somit ist einen Mittelweg zu gehen und eine gegenwärtige Gefahr als ausreichend zu betrachten. Insofern besteht immer noch der Bezug zu einer Not- und damit Ausnahmesituation, jedoch wird kein so hoher Gefahrengrad gefordert.

353

Im Ergebnis auch Müller, Die Rechtsproblematik des Off-Label-Use, S. 128. BVerfGE 115, 25 ff. 355 BVerfGE 115, 25 (48). 356 BSG SozR 4 – 2500 § 31 Nr. 8 Rn. 17 ff. 357 BT-Drs. 17/6906, S. 52; § 2 Abs. 1a SGB V wurde durch das GKV-Versorgungsstrukturgesetz v. 22. 12. 2011 (BGBl. I, S. 2983) eingefügt. 358 BT-Drs. 17/6906, S. 52 f.; zum Wahrscheinlichkeitsgrad so auch schon: BSG SozR 4 – 2500 § 31 Nr. 8 Rn. 20. Zum verfassungsrechtlichen Erfordernis, die Grundsätze des Nikolausbeschlusses auf wertungsgemäß vergleichbare Erkrankungen zu erstrecken, BVerfG KrV 2015, 236 (238). 359 BT-Drs. 17/6906, S. 53; so auch: BVerfG KrV 2015, 236 (238); Joussen, SGb 2012, S. 629; Kretschmer, MEDSACH 2009, S. 57. 360 BSG SozR 4 – 2500 § 31 Nr. 8 Rn. 20; BSG SozR 4 – 2500 § 13 Nr. 16 Rn. 34; zustimmend BSGE 115, 95 (103); bestätigt durch BVerfG NJW 2014, 2176 (2177). 361 Padé, NZS 2007, S. 354; die zu dieser Ansicht nach Auswertung von Urteilen des Bundessozialgerichts gelangt; zur selben Auswertung kommen auch Bohmeier/Penner, WzS 2009, S. 68 f. 354

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B. Der Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel

(b) Lebensqualität auf Dauer beeinträchtigende Erkrankung Die zweite Alternative der lebensqualitätsbeeinträchtigenden Erkrankung hat aufgrund ihres auslegungsbedürftigen Wortlautes zu unterschiedlichen Ansichten über die Anforderungen geführt. Wie weit der Begriff verstanden werden kann, zeigt sich in einem Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen. Dort ging es um die Einordnung des Restless-Legs-Syndroms unter den Begriff der schwerwiegenden Erkrankung. Das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen führte im Rahmen dieses Urteils aus, dass auch bei Dauererkrankungen, die nachhaltige Auswirkungen auf Alltagsaktivitäten haben oder zu einem teilweisen Ausschluss aus dem Gesellschaftsleben führen, eine lebensqualitätsbeeinträchtigende Erkrankung vorliege362. Gestützt wurde diese Behauptung mit der Gesetzesbegründung zur OTC-Ausnahmeliste, die als Beispiel für eine schwerwiegende Erkrankung auch das Klimakterium363 nannte. Nach Auffassung des Gerichts handelt es sich beim Klimakterium um eine Gesundheitsbeeinträchtigung, die lediglich Einschränkungen und Unannehmlichkeiten im Alltag zur Folge habe, sodass damit der Begriff der lebensqualitätsbeeinträchtigenden Erkrankung weit auszulegen sei. Fast ein Jahr später entschied das Bundessozialgericht, dass sich die Krankheit nach ihrer Schwere und Seltenheit vom Durchschnitt der Erkrankungen abheben müsse, und beschränkte damit den Anwendungsbereich der zweiten Alternative der schwerwiegenden Erkrankung auf diese Fälle364. Diese restriktive Auslegung bekräftigte es am selben Tag in einem weiteren Urteil365. Auch von einzelnen Stimmen in der Literatur wurde die Einschätzung des Landessozialgerichts NordrheinWestfalen kritisiert. Bei einer derart weiten Auslegung würde der Ausnahmecharakter der Vorschrift verloren gehen und es bestünde die Gefahr der Umgehung der Zulassungsvoraussetzungen des Arzneimittelgesetzes366. Überdies könne kein Vergleich mit dem Ausschluss von nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln gezogen werden, da dort eine Zulassung vorliege, sodass Wirksamkeit, Qualität und Unbedenklichkeit des Arzneimittels geprüft wurden, und sich dieser Ausschluss allein aus wirtschaftlichen Gründen rechtfertigen lasse367. Damit ist der Begriff der lebensqualitätsbeeinträchtigenden Erkrankung im Rahmen des Off-Label-Use eng auszulegen368.

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LSG Nordrhein-Westfalen Urt. v. 20. 09. 2005 – L 5 KR 144/03 Rn. 25. BT-Drs. 15/1525, S. 86. 364 BSGE 97, 112 (118); zustimmend: BSG SozR 4 – 2500 § 31 Nr. 6 Rn. 11; SozR 4 – 2500 § 31 Nr. 8 Rn. 18; BSG SozR 4 – 2500 § 13 Nr. 16 Rn. 33. 365 BSG SozR 4 – 2500 § 31 Nr. 6 Rn. 11. 366 Müller, Die Rechtsproblematik des Off-Label-Use, S. 128 f., die auch einschneidende und gravierende Auswirkungen für die Lebensqualität für erforderlich hält. 367 Müller, Die Rechtsproblematik des Off-Label-Use, S. 129. 368 So auch Engelmann/Meurer/Verhasselt, NZS 2003, S. 73; Müller, Die Rechtsproblematik des Off-Label-Use, S. 129. 363

III. Die Ausnahmevorschrift des § 34 Abs. 1 S. 2 SGB V

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Als Beispiele für eine die Lebensqualität beeinträchtigende Erkrankung werden in der Literatur Erkrankungen genannt, die ohne eine Behandlung zu Lähmungen führen können oder solche, die mit dauerhaften Schmerzen verbunden sind369. In der Rechtsprechung wurde etwa eine schwerwiegende Erkrankung angenommen beim Restless-Legs-Syndrom mit massiven Schlafstörungen und daraus resultierenden erheblichen körperlichen und seelischen Beeinträchtigungen370 oder bei der sekundären pulmonalen Hypertonie bei CREST-Syndrom im Stadium IV371. Es lässt sich aus diesen Beispielen aber schon erkennen, dass es im Ergebnis auf das Ausmaß der Erkrankung im jeweiligen Einzelfall ankommt372. So wurde auch beim Urteil zum Restless-Legs-Syndrom das Vorliegen einer schwerwiegenden Erkrankung nicht allein aufgrund der Diagnose bejaht, sondern der Einzelfall hinsichtlich Ausmaß und Schweregrad begutachtet373. Dies hängt auch mit dem Begriff der Lebensqualität zusammen, der ein subjektiv geprägter Begriff ist374, und es daher hinsichtlich einer Beeinträchtigung maßgeblich auf den einzelnen Versicherten ankommt. Vorausgesetzt wird außerdem, dass die Lebensqualitätsbeeinträchtigung von Dauer sein muss; also nicht nur vorübergehender Natur sein darf. Wann eine solche Dauer vorliegt, bestimmt das Bundessozialgericht allerdings nicht. In der Literatur wird daher, in Bezug auf andere sozialrechtliche Vorschriften, wie § 14 Abs. 1 SGB XI oder § 101 Abs. 1 SGB VI, zu Recht von einer Mindestdauer von sechs Monaten ausgegangen375. Denn damit liegt ein so langer Zeitraum der Beeinträchtigung vor, dass nicht mehr von einer bloßen vorübergehenden Erkrankung gesprochen werden kann. (c) Zusammenfassung Die restriktive Anwendung des Off-Label-Use in der gesetzlichen Krankenversicherung wurde und wird in der Literatur vielfach diskutiert und kritisiert. Die Kritik beruht im Wesentlichen darauf, dass die Anforderungen, abgesehen davon, dass sie

369 Müller, Die Rechtsproblematik des Off-Label-Use, S. 129; Schroeder-Printzen/Tadayon, SGb 2002, S. 664. 370 BSG SozR 4 – 2500 § 31 Nr. 6 Rn. 11. 371 BSGE 97, 112 (118). 372 So ausdrücklich LSG Sachsen-Anhalt Urt. v. 10. 12. 2002 – L 4 KR 36/99 Rn. 30; vgl. auch: Dierks, Bundesgesundheitsbl. 2003, S. 460; Müller, Die Rechtsproblematik des OffLabel-Use, S. 130. 373 BSG SozR 4 – 2500 § 31 Nr. 6 Rn. 11; Nies/Behles/Schweim, A&R 2007, S. 4. 374 Der Begriff der Lebensqualität wird hier – anders als beim Ausschluss der LifestyleArzneimittel – krankheitsbezogen verstanden, sodass die Einschränkung auf einer Krankheit beruhen muss, vgl. Axer, ZEFQ 2014, S. 138. Vgl. zum Begriff der Lebensqualität beim Ausschluss von Lifestyle-Arzneimitteln, Abschnitt D. II. 2. a). 375 Schroeder-Printzen/Tadayon, SGb 2002, S. 664; zustimmend: Müller, Die Rechtsproblematik des Off-Label-Use, S. 130.

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B. Der Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel

viele Fragen aufwerfen376, zu streng seien und sich in der Praxis so nicht umsetzen ließen377. Hinsichtlich des Begriffes der schwerwiegenden Erkrankung wird teilweise gefordert, den Begriff durch behandlungsbedürftige Erkrankung zu ersetzen378. Manche gehen noch weiter und fordern, die Beschränkung auf schwerwiegende Erkrankungen komplett aufzugeben und alle Arzneimittel, die sich als zweckmäßig und wirtschaftlich erweisen und dem allgemeinen Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung aufzunehmen379. Als Begründung führen die Kritiker an, dass ansonsten den Versicherten für notwendige Leistungen die Kosten auferlegt werden, obwohl sie einen Anspruch auf ausreichende und zweckmäßige Behandlung nach §§ 28 Abs. 1, 12 Abs. 1 SGB V haben380. Trotz der bestehenden Kritik wird das Kriterium der schwerwiegenden Erkrankung beim Off-Label-Use durch die Rechtsprechung insgesamt sehr eng ausgelegt. Das Kriterium dient dazu, den Off-Label-Use in seinen Anwendungsfällen zu begrenzen und verdeutlicht damit dessen Ausnahmecharakter zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung381. Gleichzeitig beschränkt es die Anwendung auf Fälle dringender Art. Diese enge Auslegung ist insofern richtig, als ein zulassungsüberschreitender Gebrauch aufgrund der ansonsten gegebenen Gewährleistung von Sicherheit, durch die Überprüfung der Arzneimittel auf Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit, nur in Ausnahmefällen und unter Minimierung der Gesundheitsgefahren erfolgen soll382. Allerdings kommt dem Merkmal der schwerwiegenden Erkrankung keine Funktion dahingehend zu, die Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit der Arzneimittelanwendung zu gewähren. Dafür ist das dritte, nach der Rechtsprechung entwickelte Kriterium des Off-Label-Use, die aufgrund wissenschaftlicher Erkenntnisse begründeten Aussicht auf Behandlungserfolg, einschlägig383.

376 Burgardt, in: Mummenhoff, Machtzuwachs der Krankenkassen, S. 192; Engelmann/ Meurer/Verhasselt, NZS 2003, S. 76; Litz, Off-Label-Use von Arzneimitteln, S. 84; Müller, Die Rechtsproblematik des Off-Label-Use, S. 289; Schroeder-Printzen/Tadayon, SGb 2002, S. 667; krit., ob auch heute noch von Unklarheiten gesprochen werden kann: Wicke, in: Becker/Wilman, Im Zweifel auf Privatrezept?, S. 78. 377 Vgl. Schimmelpfeng-Schütte, MedR 2004, S. 656; dies., GesR 2006, S. 14. 378 von Harder, A&R 2007, S. 106. 379 Becker, SGb 2004, S. 599. 380 So ausdrücklich von Harder, A&R 2007, S. 106; ähnl. Becker, SGb 2004, S. 599. 381 So auch Clemens, GesR 2011, S. 399 f.; Francke/Hart, SGb 2003, S. 660; Rückeshäuser, Off-Label-Use, S. 156. 382 Zum Ausnahmecharakter des Off-Label-Use, vgl. BSGE 89, 184 (186 ff.); 97, 112 (118); BSG SozR 4 – 2500 § 31 Nr. 8 Rn. 18; SozR 4 – 2500 § 106 Nr. 30 Rn. 16. 383 Clemens, GesR 2011, S. 400; Francke/Hart, SGb 2003, S. 660.

III. Die Ausnahmevorschrift des § 34 Abs. 1 S. 2 SGB V

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(2) Erforderlichkeit eines eigenen Begriffes? Das Bundessozialgericht geht davon aus, dass der Gesetzgeber bewusst den Begriff der schwerwiegenden Erkrankung in § 34 Abs. 1 S. 2 SGB V in Anlehnung an den Begriff im Off-Label-Use gewählt und benutzt hat384. Davon geht ebenso das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg aus385. Es führt darüber hinaus – unter Hinweis auf Literaturstimmen386 – an, dass der Begriff sachgerecht sei. Als zusätzliches Argument führt das Landessozialgericht an, dass der Gesetzgeber in § 35c Abs. 2 S. 1 SGB V387, der die Erstattungsfähigkeit des Off-Label-Use im Rahmen von klinischen Studien betrifft, auch den Begriff der schwerwiegenden Krankheit gewählt habe. Dadurch, dass diese Vorschrift im systematischen Umfeld von § 34 Abs. 1 S. 2 SGB V liege und ebenso den Begriff der schwerwiegenden Erkrankung verwende, sollen die Begriffe der schwerwiegenden Erkrankung einheitlich auszulegen sein; und zwar im Sinne des Off-Label-Use. In der Kommentarliteratur wird auf der einen Seite mit der Rechtsprechung die Anknüpfung an den Begriff der schwerwiegenden Erkrankung beim Off-Label-Use bejaht388, auf der anderen Seite wird die Frage nach einem eigenen Begriff aufgeworfen389. Ein eigener Begriff ist jedoch dann nicht nötig, wenn sich die Heranziehung des Begriffes, so wie er beim Off-Label-Use verwandt wird, als sachgerecht erweist. Sowohl der Off-Label-Use als auch die OTC-Übersicht führen dazu, dass ein Arzneimittel, das an sich nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnungsfähig wäre, in den Leistungskatalog aufgenommen wird. Sie stellen also beide Ausnahmen dar390. Allerdings sind die Anwendungsbereiche sehr verschieden391: Während der Off-Label-Use den zulassungsüberschreitenden Gebrauch behandelt, also die Verordnung eines Arzneimittels zur Anwendung bei einer Erkrankung, für die es nicht zugelassen ist, geht es im Rahmen von § 34 Abs. 1 S. 2 SGB V um die Ausnahme vom Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel aus der Versorgung. Davon sind allerdings nur solche Arzneimittel be384

BSGE 110, 183 (189 f.); so auch: BSGE 116, 1 (8 f.); 117, 129 (137). Urt. v. 24. 10. 2012 – L 7 KA 1/10 KL Rn. 47 ff.; Urt. v. 27. 03. 2013 – L 7 KA 44/10 KL Rn. 46 ff.; Urt. v. 27. 03. 2013 – L 7 KA 45/10 KL Rn. 49 ff.; LSG Berlin-Brandenburg NZS 2013, 782 (782). 386 Zitiert werden: Beck, in: Schlegel/Voelzke, juris Praxiskommentar, § 34 SGB V Rn. 15 (jetzt Rn. 14); Gerlach, in: Hauck/Noftz, Sozialgesetzbuch – SGB V, § 34 SGB V Rn. 15 und Kraftberger, in: Hänlein/Kruse/Schuler, Sozialgesetzbuch V, § 34 Rn. 4. Allerdings finden sich in den dort genannten Stellen keine näheren Ausführungen zum Begriff der schwerwiegenden Erkrankung, sondern lediglich Wiederholungen der Definition. 387 Eingeführt zum 01. 04. 2007 (BGBl. I, S. 378). 388 Bischofs, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, Beck’scher Onlinekommentar Sozialrecht, § 34 SGB V Rn. 8. 389 Axer, in: Becker/Kingreen, SGB V, § 34 SGB V Rn. 7. 390 So auch BSGE 116, 1 (8). 391 So auch Axer, ZEFQ 2014, S. 137. 385

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B. Der Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel

troffen, die für dieses Anwendungsgebiet zugelassen sind. Damit stellt sich im Bereich der nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel nicht das Problem, dass Wirksamkeit, Unbedenklichkeit und Qualität des Arzneimittels nicht nachgewiesen sind, und man deshalb die Versicherten vor Gesundheitsgefahren schützen muss. Hinter dem Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel stehen vielmehr wirtschaftliche Erwägungen392. Beide Ausnahmen überbrücken daher ganz unterschiedliche Kriterien innerhalb der Arzneimittelversorgung. Für eine eigene, nicht an den Begriff der schwerwiegenden Erkrankung im OffLabel-Use anlehnende Definition der schwerwiegenden Erkrankung spricht weiterhin die Gesetzesbegründung. Dort ist als Beispiel für eine schwerwiegende Erkrankung neben der Onkologie und der Nachsorge nach einem Herzinfarkt die Behandlung des Klimakteriums aufgeführt393. Auf das Klimakterium würde die strenge Auslegung des Begriffes der schwerwiegenden Erkrankung des Off-LabelUse allerdings nicht passen. Zum einen, weil dem Klimakterium nur teilweise Krankheitswert zukommt394 und von einer lebensbedrohlichen Erkrankung dort kaum gesprochen werden kann, zum anderen, weil die zweite Alternative der lebensqualitätsbeeinträchtigenden Erkrankung restriktiv ausgelegt wird, sodass zumindest keine vorstellbaren, im Zusammenhang mit dem Klimakterium stehenden Erkrankungen darunter fallen würden. Aufgrund der Gesetzesbegründung hat das Landessozialgericht NordrheinWestfalen in einer Entscheidung zum Off-Label-Use, die die Lebensqualität auf Dauer beeinträchtigende Erkrankung weiter ausgelegt, und damit Krankheiten, die zu Unannehmlichkeiten im Alltag führen, als schwerwiegend angesehen395. Das Bundessozialgericht hat dem jedoch widersprochen, indem es seine Rechtsprechung hinsichtlich des Vorliegens der schwerwiegenden Erkrankung verschärft hat und damit der landessozialgerichtlichen Rechtsprechung eine Absage erteilte396. Dies erscheint auch insofern konsequent und logisch, als sich die genannte Gesetzesbegründung nicht auf den Off-Label-Use bezieht. Doch bezieht sie sich aber auf die OTC-Ausnahmevorschrift. Allerdings ist die Einordnung des Klimakteriums als Beispiel für eine schwerwiegende Erkrankung nicht unkritisiert geblieben. Denn im Zusammenhang mit dem Klimakterium stehen im Gegensatz zur Onkologie oder der Nachsorge nach einem Herzinfarkt, die als weitere Beispiele für schwerwiegende Erkrankungen in der Gesetzesbegründung genannt werden397, nicht per se lebensbedrohliche oder in ihrer 392 S. o. zum Hintergrund des Ausschlusses nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel, Abschnitt B. I. 393 BT-Drs. 15/1525, S. 86. 394 Vgl. OLG Hamburg, LMuR 2002, 3 (6 f.); Hess, in: Körner/Leitherer/Mutschler, Kasseler Kommentar, § 34 SGB V Rn. 3; Janda, Medizinrecht, S. 274. 395 LSG Nordrhein-Westfalen Urt. v. 20. 09. 2005 – L 5 KR 144/03 Rn. 25. 396 BSGE 97, 112 (118). 397 BT-Drs. 15/1525, S. 86.

III. Die Ausnahmevorschrift des § 34 Abs. 1 S. 2 SGB V

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Wirkung vergleichbare Erkrankungen398. Vielmehr ist das Klimakterium an sich keine Krankheit, sondern lediglich ein regelhafter biologischer Prozess im Alter jeder Frau399. Die Beschwerden innerhalb der Wechseljahre haben zwar nicht grundsätzlich einen Krankheitswert, ihnen kann aber nach der Rechtsprechung im Einzelfall Krankheitswert zukommen400. Zudem sind auch schwerere Erkrankungen wie z. B. schwerwiegende Depressionen denkbar401. Dementsprechend fallen Erkrankungen im Zusammenhang mit dem Klimakterium nicht grundsätzlich als Beispiele für schwerwiegende Erkrankungen aus. Für die OTC-Liste ist die Erwähnung des Klimakteriums in der Gesetzesbegründung daher zumindest bei der Auslegung des Begriffes der schwerwiegenden Erkrankung zu beachten. Da es sich im Zusammenhang mit dem Klimakterium meist um Beschwerden handelt, die die hohen Anforderungen beim Off-Labe-Use hinsichtlich des Abhebens in Schwere und Seltenheit vom Durchschnitt der Erkrankungen kaum erfüllen werden, liegt eine weitere Auslegung des Begriffes der schwerwiegenden Erkrankung im Rahmen der OTC-Liste anders als beim Off-Label-Use nahe. Die differierende Auslegung ist auch im Hinblick auf die Unterschiede zwischen den beiden Ausnahmetatbeständen begründbar. Während beim Off-Label-Use aufgrund des mangelnden Nachweises an Wirksamkeit, Unbedenklichkeit und Qualität des Arzneimittels die Verordnungsfähigkeit zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung nur in engen Ausnahmefällen erfolgen soll, um die Versicherten keinen unnötigen Gefahren auszusetzen, bestehen solche Gefahren bei nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln nicht. Diese sind für das jeweilige Anwendungsgebiet zugelassen und zudem so „harmlos“, dass sie nicht der Verschreibungspflicht nach § 48 AMG unterliegen. Es besteht daher in diesem Zusammenhang kein Bedürfnis nach einem Schutz der Versicherten. cc) „Neuer Begriff“ der schwerwiegenden Erkrankung Aufgrund der unterschiedlichen Gefahrenlage und der Berücksichtigung der Beispiele in der Gesetzesbegründung ist der Begriff der schwerwiegenden Erkrankung bzgl. der OTC-Liste nicht so eng auszulegen wie der Begriff beim Off-LabelUse. Um diesen Aspekten gerecht zu werden, bedarf es allerdings nicht eines vollkommen neuen Begriffes der schwerwiegenden Erkrankung. Ausreichend, aber auch erforderlich ist, dass die zweite Alternative der lebensqualitätsbeeinträchtigenden Erkrankung nicht derart eng wie beim Off-Label-Use ausgelegt wird, sodass 398 Hess, in: Körner/Leitherer/Mutschler, Kasseler Kommentar, § 34 SGB V Rn. 3; krit. im Hinblick auf das Klimakterium auch Janda, Medizinrecht, S. 274. 399 Hess, in: Körner/Leitherer/Mutschler, Kasseler Kommentar, § 34 SGB V Rn. 3; Janda, Medizinrecht, S. 274. 400 So OLG Hamburg, LMuR 2002, 3 (6 f.), wobei dies nicht generell bei allen Beschwerden zu bejahen sei; nach Janda, Medizinrecht, S. 274 erreichen die Beschwerden allenfalls im Einzelfall schwerwiegende Ausmaße. 401 Hess, in: Körner/Leitherer/Mutschler, Kasseler Kommentar, § 34 SGB V Rn. 3.

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B. Der Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel

nicht nur Erkrankungen, die sich in ihrer Schwere und Seltenheit vom Durchschnitt der Erkrankungen abheben, dem Begriff unterfallen. Allerdings ist die Ansicht des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen, das schon Unannehmlichkeiten im Alltag als erfasst ansieht, zu weit. Erforderlich für eine die Lebensqualität auf Dauer beeinträchtigende Erkrankung ist, um den Ausnahmecharakter der Regelung zu wahren, eine durch die Erkrankung hervorgerufene Beeinträchtigung. Diese muss so erheblich sein, dass der Alltag in gewohnter Weise nicht mehr bewerkstelligt werden kann. Des Weiteren bedarf es einer gewissen Schwere der Erkrankung: Es muss – in Abgrenzung zu Bagatellerkrankungen402 – ein unabweisbarer Bedarf an einer Versorgung mit Arzneimitteln in dem Sinne bestehen, dass ein Abwarten oder eine Eigenbehandlung mit Hausmitteln, aufgrund der aus der Krankheit resultierenden Folgen, nicht mehr möglich ist. Dementsprechend unterfallen der schwerwiegenden Erkrankung im Sinne der OTC-Liste solche Erkrankungen, die lebensbedrohlich sind oder die die Lebensqualität auf Dauer insofern beeinträchtigen, als es sich um Erkrankungen handelt, die zu erheblichen Beeinträchtigungen führen, sodass der Alltag in gewohnter Weise nicht mehr bewerkstelligt werden kann, und die eine Schwere derart aufweisen, dass ein unabweisbarer Bedarf an einer Versorgung mit Arzneimitteln besteht. Unter diese Auslegung ist es auch denkbar, Erkrankungen im Zusammenhang mit dem Klimakterium zu subsumieren. Sie ist allerdings auch nicht so weit, dass der Ausnahmecharakter der OTC-Liste verloren gehen würde, da weiterhin nicht jede Erkrankung oder Beeinträchtigung davon umfasst wäre.

b) Therapiestandard aa) Begriff des Therapiestandards Ein Arzneimittel gilt als Therapiestandard, wenn der therapeutische Nutzen zur Behandlung der schwerwiegenden Erkrankung dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entspricht403. Nicht entscheidend ist hingegen, ob die Therapie bei einer Erkrankung standardmäßig eingesetzt wird; auf eine ständige Praxis der Leistungserbringer kommt es nicht an404. Des Weiteren kommt es nicht auf einen Vergleich mit anderen nicht verschreibungspflichtigen oder verschreibungspflichtigen Arzneimitteln an, sondern lediglich darauf, dass der Nutzen des Arzneimittels im Hinblick auf die schwerwiegende Erkrankung nachgewiesen wird405. 402 In eine ähnliche Richtung gehend Burgardt, in: Mummenhoff, Machtzuwachs der Krankenkassen, S. 192, der davon ausgeht, dass mit dem Begriff der schwerwiegenden Erkrankung vor allem die leichten Erkrankungen ausgeschlossen und nicht die besonders schweren identifiziert werden sollen. 403 § 12 Abs. 4 AM-RL. 404 BSGE 116, 1 (12); 117, 129 (141); BSG Urt. v. 22. 10. 2014 – B 6 KA 35/13 R Rn. 52. 405 BSGE 116, 1 (12); zustimmend: BSGE 117, 129 (141 f.); BSG Urt. v. 22. 10. 2014 – B 6 KA 35/13 R Rn. 52.

III. Die Ausnahmevorschrift des § 34 Abs. 1 S. 2 SGB V

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Entscheidend für die Bestimmung eines Therapiestandards ist daher, wann von einem therapeutischen Nutzen gesprochen werden kann und wie ein solcher bewiesen werden kann, dementsprechend, wie sich der allgemein anerkannte Stand der medizinischen Erkenntnisse bestimmt. (1) Therapeutischer Nutzen Die Bewertung des therapeutischen Nutzens eines Arzneimittels hat der Gemeinsame Bundesausschuss in Kap. 4 § 6 Abs. 1 und 2 VerfO G-BA geregelt. Die Bewertung erfolgt danach auf Grundlage von Unterlagen entweder zum Ausmaß des therapeutischen Nutzens des Arzneimittels bei einer bestimmten Indikation – dementsprechend bei der schwerwiegenden Erkrankung für die es Standardtherapeutikum sein soll – oder durch Vergleich mit anderen Arzneimitteln oder Behandlungsformen unter Berücksichtigung des therapeutischen Zusatznutzens für die Patienten. Maßgeblich ist dabei das Ausmaß der Beeinflussung patientenrelevanter Endpunkte, wie Morbidität, Mortalität, und Lebensqualität406. Als Grundlagen für die Bewertung dienen die arzneimittelrechtliche Zulassung, die Fachinformation sowie Publikationen von Zulassungsbehörden und die Bewertungen von klinischen Studien nach methodischen Grundsätzen der evidenzbasierten Medizin, sofern diese allgemein verfügbar sind oder gemacht werden und ihre Methodik internationalen Standards entspricht407. „Nutzen“ ist ein mehrdimensionaler Begriff, der in einer Gesamtabwägung von Ziel, Bemessung der Wirkung der medizinischen Methode und der Wahrscheinlichkeit der vermuteten Zusammenhänge zu bestimmen ist408. Durch das Anknüpfen an die Wirkung ist der Begriff des therapeutischen Nutzens an die Prüfung der Wirksamkeit in der Arzneimittelzulassung angelehnt409. Er ist aber nicht in jeder Hinsicht mit der Wirksamkeit in der Arzneimittelzulassung gleichzusetzen. Der Gemeinsame Bundesausschuss ist zwar im Hinblick auf die Prüfung des medizinischen Nutzens an die Ergebnisse der Zulassung bezüglich der Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit eines Arzneimittels gebunden und darf hierzu keine abweichende Feststellungen treffen410, jedoch verbleibt ihm in Bezug auf den Nutzen im 406 Zu diesem Rückgriff auf Kap. 4 § 6 Abs. 1, 2 VerfO G-BA vgl.: LSG Berlin-Brandenburg NZS 2013, 782 (784); LSG Berlin-Brandenburg Urt. v. 27. 03. 2013 – L 7 KA 44/10 KL Rn. 67; LSG Berlin-Brandenburg Urt. v. 27. 03. 2013 – L 7 KA 45/10 KL Rn. 70. 407 Kap. 4 § 7 Abs. 1 VerfO G-BA. 408 Roters, NZS 2010, S. 615; zustimmend Bußmann-Weigl, in: Reimer/Schnitzler, Freundesgabe für Robert Francke, S. 53. 409 Becker, Steuerung der Arzneimittelversorgung, S. 93 spricht sogar davon, dass der therapeutische Nutzen und die Wirksamkeit nach dem AMG inhaltlich überwiegend deckungsgleich sind. 410 BSGE 96, 261 (281); BT-Drs. 17/3698, S. 52; LSG Berlin-Brandenburg Urt. v. 07. 06. 2013 – L 7 KA 164/09 KL Rn. 88; LSG Berlin-Brandenburg Urt. v. 27. 05. 2015 – L 7 KA 33/12 KLWA Rn. 74; vgl. auch: Nitz, in: Stellpflug/Meier/Tadayon, Handbuch Medizinrecht, Band 2, H 1000 Rn. 86; Reese/Stallberg, in: Dieners/Reese, Handbuch des Pharmarechts, § 17

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B. Der Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel

Vergleich zu anderen Arzneimitteln ein eigenständiger Prüfungsbereich411. Der therapeutische Nutzen geht über die Prüfung der Wirksamkeit eines Arzneimittels hinaus. Es handelt sich um einen Relationsbegriff; entscheidend für einen Nutzen ist der Vergleich zu anderen Arzneimitteln412. Diese Relation wird im Rahmen der Zulassung nicht geprüft413, sodass sich hieraus eine eigenständige Überprüfungs- und Bewertungsmöglichkeit ergibt. Dementsprechend hat der Gemeinsame Bundesausschuss bei seiner Prüfung des therapeutischen Nutzens nicht nur auf die Zulassungsergebnisse und -unterlagen abzustellen. (2) Allgemein anerkannter Stand der medizinischen Erkenntnisse Des Weiteren ist erforderlich, dass der therapeutische Nutzen nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse besteht; anders gewendet, er entsprechend nachgewiesen wird. Das ist nach der Verfahrensordnung des Gemeinsamen Bundesausschusses der Fall, wenn ein durch wissenschaftliche Studien hinreichend untermauerter Konsens in den einschlägigen Fachkreisen über den Nutzen des nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittels zur Behandlung einer schwerwiegenden Erkrankung besteht. Dies ist auf Basis systematischer Literaturrecherchen nachzuweisen, wobei vorrangig klinische Studien, insbesondere direkt vergleichende mit patientenrelevanten Endpunkte, insbesondere Mortalität, Morbidität und Lebensqualität, zu berücksichtigen sind414. An den allgemeinen anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse knüpft das SGB V an mehreren Stellen an. So haben gem. § 2 Abs. 1 S. 3 SGB V Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse Rn. 26 f.; Stallberg, PharmR 2010, S. 10; krit. hinsichtlich dieser Bindung Kingreen, NZS 2011, S. 445, da durch die Anwendung im Versorgungsalltag Erkenntnisse gewonnen werden können, die die Zulassungsbehörden noch nicht haben; krit. auch Axer, in: Wallrabenstein, Regulierungsrecht, S. 90 f. 411 Axer, in: Wallrabenstein, Regulierungsrecht, S. 91; Reese/Stallberg, in: Dieners/Reese, Handbuch des Pharmarechts, § 17 Rn. 27. 412 So Stallberg, PharmR 2010, S. 9. Zum Begriff des Nutzens, vgl. Roters, NZS 2010, S. 612 ff. Vgl. zum Erfordernis des (Zusatz-)Nutzens auch BSGE 110, 183 (190): Das BSG hat dort das Vorliegen eines Standardtherapeutikums u. a. damit verneint, dass den betroffenen Arzneimitteln kein Zusatznutzen gegenüber anderen Kosmetika zukam. 413 Vgl. BT-Drs. 17/3698, S. 52; Limpinsel, in: Jahn, Sozialgesetzbuch für die Praxis, § 92 SGB V Rn. 5c; Reese/Stallberg, in: Dieners/Reese, Handbuch des Pharmarechts, § 17 Rn. 27; Roters, in: Körner/Leitherer/Mutschler, Kasseler Kommentar, § 92 SGB V Rn. 8c. Vgl. auch LSG Sachsen-Anhalt Urt. v. 21. 01. 2010 – L 10 KR 4/07 Rn. 46, das Gericht sieht dort die Prüfung des therapeutischen Nutzens als weitergehend an als die Wirksamkeitsprüfung in der Zulässigkeit, die lediglich Teilaspekte prüfe. 414 Kap. 4 § 34 Abs. 2 VerfO G-BA; vgl. zu diesem Erfordernis auch: LSG Berlin-Brandenburg Urt. v. 24. 10. 2012 – L 7 KA 1/10 KL Rn. 83 f.; LSG Berlin-Brandenburg Urt. v. 27. 03. 2013 – L 7 KA 44/10 KL Rn. 67; LSG Berlin-Brandenburg Urt. v. 27. 03. 2013 – L 7 KA 45/10 KL Rn. 70; LSG Berlin-Brandenburg NZS 2013, 782 (784); Gerlach, in: Hauck/Noftz, Sozialgesetzbuch – SGB V, § 34 SGB V Rn. 15.

III. Die Ausnahmevorschrift des § 34 Abs. 1 S. 2 SGB V

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zu entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen415. Des Weiteren ist dieser Maßstab auch bei der Bewertung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden nach § 135 SGB V maßgeblich416. Als Stand der Erkenntnisse kann man die auf einen bestimmten Zeitpunkt bezogene Gesamtmenge der Erkenntnisse über Wirksamkeit und Qualität der konkreten Methode bezeichnen417. Allgemein anerkannter Stand der medizinischen Erkenntnisse ist daher letztlich dasjenige, „was sich im internationalen wissenschaftlichen Diskurs ob seiner wissenschaftlichen Überzeugungskraft durchgesetzt hat“418. Die Anknüpfung an diesen Erkenntnisstand ist dem Recht der gesetzlichen Krankenversicherung mithin nicht fremd419. Entscheidend für dessen Vorliegen ist ein Konsens in den einschlägigen Fachkreisen420. Dieses Erfordernis lässt sich am Wortlaut „allgemein anerkannt“ festmachen. Erforderlich ist damit, dass die Therapie von der großen Mehrheit der einschlägigen Fachleute befürwortet wird. Einzelne Gegenstimmen stehen dem Vorliegen eines Konsenses aber nicht entgegen421. Ein Konsens liegt aber dann nicht vor, wenn repräsentative Stimmen eine andere Ansicht vertreten422. Zudem kann von einem Konsens dann nicht ausgegangen werden, wenn die Therapiemöglichkeit noch nicht ganz ausgereift ist, sie mithin zwar wirksam ist, aber noch weiterer Forschung bedarf423. Das Gleiche gilt, wenn das Arzneimittel laut Fachinformation nicht für eine dauerhafte Einnahme geeignet ist, aber für eine chronische Erkrankung angewandt werden soll424. Allein der Konsens ist aber nicht ausreichend. Darüber hinaus müssen nach der Rechtsprechung noch wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen hinzutreten. Der 415

Auch in § 70 Abs. 1 SGB V und § 72 Abs. 2 SGB V wird an den allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse angeknüpft; vgl. auch Burgardt, in: Mummenhoff, Machtzuwachs der Krankenkassen, S. 194. 416 Plagemann, in: Schlegel/Voelzke, juris Praxiskommentar, § 2 SGB V Rn. 49. Dort bestimmt sich der allg. anerkannte Stand an der evidenzbasierten Medizin, vgl.: Roters, in: Körner/Leitherer/Mutschler, Kasseler Kommentar, § 135 SGB V Rn. 9; Vossen, in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung Pflegeversicherung, § 135 SGB V Rn. 16. 417 Noftz, in: Hauck/Noftz, Sozialgesetzbuch – SGB V, § 12 SGB V Rn. 29; zustimmend Becker, Steuerung der Arzneimittelversorgung, S. 70. 418 BSG SozR 4 – 2500 § 18 Nr. 5 Rn. 29; BSG SozR 4 – 2500 § 33 Nr. 38 Rn. 29. 419 Plagemann, in: Schlegel/Voelzke, juris Praxiskommentar, § 2 SGB V Rn. 49, spricht sogar von einem durchgängigen Prinzip. 420 BSGE 84, 90 (96); 115, 95 (100 f.); vgl. auch mit krit. Anmerkungen zur alleinigen Heranziehung von Konsens zur Bestimmung des medizinischen Standards Roters, SGb 2015, S. 413 ff. 421 BSGE 84, 90 (96); 115, 95 (100 f.); LSG Sachsen-Anhalt Urt. v. 21. 01. 2010 – L 10 KR 4/07 Rn. 45; so auch: Noftz, in: Hauck/Noftz, Sozialgesetzbuch – SGB V, § 2 SGB V Rn. 62; Scholz, in: Becker/Kingreen, SGB V, § 2 SGB V Rn. 3. 422 LSG Berlin-Brandenburg Urt. v. 27. 03. 2013 – L 7 KA 44/10 KL Rn. 77. 423 BSGE 84, 90 (97); LSG Berlin-Brandenburg, NZS 2013, 782 (785). 424 LSG Sachsen-Anhalt Urt. v. 21. 01. 2010 – L 10 KR 4/07 Rn. 50.

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B. Der Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel

Erfolg der Behandlung muss sich aus wissenschaftlich einwandfrei durchgeführten Studien über die Zahl der behandelten Fälle und die Wirksamkeit der Methode ablesen lassen. Die Therapie muss in einer für die sichere Beurteilung ausreichenden Zahl von Behandlungsfällen erfolgreich gewesen sein425. Die Studien müssen daher eine gewisse Größe haben, ansonsten fehlt es ihnen an der Aussagekraft im Hinblick auf ihr gewonnenes Ergebnis426. Als Grundlage können nicht nur nationale, sondern ebenfalls internationale Studien dienen427. Notwendig ist darüber hinaus auch, dass es sich um kontrollierte Studien hinsichtlich der Wirksamkeit handelt. Allein das Vorliegen von Erfahrungsberichten, insbesondere zum konkreten Fall des Versicherten, reicht für das Erfordernis von wissenschaftlichen Studien nicht aus428. Überdies bestimmt die Verfahrensordnung, dass der Gemeinsame Bundesausschuss den Stand der medizinischen Kenntnisse anhand der evidenzbasierten Medizin ermittelt429. Diese ist darauf ausgerichtet, vorhandenes Wissen zu sammeln und zu bewerten, wobei die Bewertung anhand von verschiedenen Evidenzklassen im Hinblick auf die Fehleranfälligkeit der Studien erfolgt. Wissenschaftliche Studien werden vor Erfahrungswissen und Konsensentscheidungen eingeordnet430. Die evidenzbasierte Medizin ist darauf ausgerichtet die Entscheidung der Versorgung auf Grundlage möglichst vollständiger und der besten einholbaren Information zu treffen431. Dementsprechend sind für die Beurteilung des Therapiestandards auch klinische Studien, insbesondere direkt vergleichende, vorrangig zu berücksichtigen. Sowohl der Gemeinsame Bundesausschuss als auch die Rechtsprechung legen die Kriterien der evidenzbasierten Medizin zugrunde. Nach der Rechtsprechung wird ein Konsens durch wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen in Form von Studien gefordert, wobei ein Konsens dann gegeben ist, wenn er durch evidenzbasierte Kri425

BSGE 76, 194 (199); 84, 90 (96); 110, 183 (190 f.); 115, 95 (100 f.); BSG SozR 4 – 2500 § 18 Nr. 5 Rn. 22; LSG Sachsen-Anhalt Urt. v. 21. 01. 2010 – L 10 KR 4/07 Rn. 45. 426 Vgl. LSG Berlin-Brandenburg NZS 2013, 782 (785). Das Gericht stimmte in der Entscheidung den Ausführungen des Beklagten (G-BA) zu, der eine Studie mit einer Patientenzahl von lediglich 32 Patienten als nicht aussagekräftig eingestuft hatte. 427 BSG SozR 4 – 2500 § 18 Nr. 5 Rn. 29; BSG SozR 4 – 2500 § 33 Nr. 38 Rn. 29; vgl auch die Ausführungen bei Noftz, in: Hauck/Noftz, Sozialgesetzbuch – SGB V, § 2 SGB V Rn. 62, wonach der internationale Erkenntnisstand ausschlaggebend ist. 428 Vgl. etwa LSG Sachsen-Anhalt Urt. v. 21. 01. 2010 – L 10 KR 4/07 Rn. 49. 429 Kap. 1 § 5 Abs. 2 VerfO G-BA; so auch: LSG Berlin-Brandenburg Urt. v. 27. 03. 2013 – L 7 KA 44/10 KL Rn. 67; LSG Berlin-Brandenburg Urt. v. 27. 03. 2013 – L 7 KA 45/10 KL Rn. 70; LSG Berlin-Brandenburg NZS 2013, 782 (784); Plagemann, in: Schlegel/Voelzke, juris Praxiskommentar, § 2 SGB V Rn. 49; Roters, SGb 2015, S. 414; von Langsdorff, in: Sodan, Handbuch des Krankenversicherungsrechts, § 9 Rn. 14. 430 Becker, Steuerung der Arzneimittelversorgung, S. 40 f.; Engelmann, MedR 2006, S. 251 f. 431 von Langsdorff, in: Sodan, Handbuch des Krankenversicherungsrechts, § 9 Rn. 14. Vgl. zum Begriff der evidenzbasierten Medizin und zur Einordnung in die Evidenzstufen nach der Fehleranfälligkeit der Studien, Stallberg, PharmR 2010, S. 5 ff.; zum Begriff auch Hart, MedR 2015, S. 1 ff.; Roters, SGb 2015, S. 414 ff.

III. Die Ausnahmevorschrift des § 34 Abs. 1 S. 2 SGB V

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terien belegt ist432. Die evidenzbasierte Medizin gibt insofern lediglich die Qualität der Studie vor433. Sie ist vom Gesetzgeber als sachgerecht für die Bewertung der Qualität von Maßnahmen erachtet worden, der sie in verschiedenen Vorschriften aufgenommen hat434. Dementsprechend ist für den Nachweis des allgemein anerkannten Standes der medizinischen Erkenntnisse ein Konsens im einschlägigen Fachkreis erforderlich, der auf wissenschaftlich nachprüfbaren Aussagen beruht, die nach den Kriterien der evidenzbasierten Medizin bewertet werden. bb) Sachgerechte Auslegung des Begriffes durch den Gemeinsamen Bundesausschuss Der Begriff des Therapiestandards stellt hohe Anforderungen an die Arzneimittel435, was sich in mehreren sozialgerichtlichen Urteilen, in denen es um die Aufnahme von Arzneimitteln auf die OTC-Übersicht ging, zeigte: Sowohl bei Buscopan® Dragées436, als auch bei Vertigoheel®437, Zeel® comp. N438 oder Soledum® Kapseln439 scheiterte die Aufnahme dieser Arzneimittel auf die OTC-Liste jedenfalls am Fehlen des Erfordernisses des Therapiestandards. Das Kriterium hat daher eine hohe einschränkende Wirkung, die auch mit Sinn und Zweck der Regelung übereinstimmt: es soll nicht schon jede indikationsgerechte nach allgemeinen Grundsätzen verordnungsfähige Pharmakotherapie in die OTC-Liste aufgenommen werden440. Darüber hinaus wird durch die Anknüpfung an den allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse die Versorgungsqualität gesichert441. Es können nur solche Medikamente auf die Liste kommen, die sich hinsichtlich der Behandlung der schwerwiegenden Erkrankung bewährt haben. Allerdings stellt sich die Frage, ob der Gemeinsame Bundesausschuss den Begriff des Therapiestandards noch enger hätte auslegen müssen. Nach der Gesetzesbe432

Vgl. Engelmann, MedR 2006, S. 253. von Langsdorff, in: Sodan, Handbuch des Krankenversicherungsrechts, § 9 Rn. 14. 434 Vgl. §§ 35 Abs. 1b S. 4; 35a Abs. 1 S. 7 Nr. 2; 73b Abs. 2 Nr. 2 SGB V. Zur Anerkennung des Maßstabs durch den Gesetzgeber, vgl.: Engelmann, MedR 2006, S. 252; von Langsdorff, in: Sodan, Handbuch des Krankenversicherungsrechts, § 9 Rn. 14. 435 Vgl. Harich, SGb 2012, S. 589 f., wonach beide Tatbestandsvoraussetzungen (schwerwiegende Erkrankung und Therapiestandard) nicht zu unterschätzende Hürden darstellen; in diesem Sinne auch Sträter, pharmind 2015, S. 789. 436 BSGE 116, 1 ff.; LSG Berlin-Brandenburg Urt. v. 24. 10. 2012 – L 7 KA 1/10 KL. 437 BSGE 117, 129 ff.; LSG Berlin-Brandenburg Urt. v. 27. 03. 2013 – L 7 KA 44/10 KL. 438 BSG Urt. v. 22. 10. 2014 – B 6 KA 35/13 R; LSG Berlin-Brandenburg Urt. v. 27. 03. 2013 – L 7 KA 45/10 KL. 439 LSG Berlin-Brandenburg NZS 2013, 782 ff. 440 BSGE 110, 183 (191); zustimmend LSG Berlin-Brandenburg NZS 2013, 782 (784); so auch Burgardt, in: Mummenhoff, Machtzuwachs der Krankenkassen, S. 195. 441 Ähnlich Becker, Steuerung der Arzneimittelversorgung, S. 423, der das Kriterium des Therapiestandards als ein an der Versorgungsqualität orientiertes Kriterium ansieht. 433

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B. Der Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel

gründung soll der Gemeinsame Bundesausschuss solche Arzneimittel in die Arzneimittel-Richtlinie aufnehmen, die „unverzichtbare Standardwirkstoffe“ für die Behandlung schwerwiegender Erkrankungen enthalten442. Durch die Definition des Therapiestandards in § 12 Abs. 4 AM-RL wird gewährleistet, dass es sich um Standardwirkstoffe zur Behandlung der schwerwiegenden Erkrankung handelt, wobei die Standardwirkstoffe durch den Nachweis des Konsens in den einschlägigen Fachkreisen auch qualitativ wirksam sind. Als unverzichtbar können sie deshalb aber nicht bezeichnet werden. Der Begriff der unverzichtbaren Standardwirkstoffe in der Gesetzesbegründung ist daher enger zu verstehen als der Begriff des Therapiestandards, den der Gemeinsame Bundesausschuss gewählt hat443. Das Bundessozialgericht geht davon aus, dass eine enge Auslegung des Begriffes des Therapiestandards mit dem Sinn von § 34 Abs. 1 S. 2 SGB V im Einklang steht; nicht jede Therapiemöglichkeit mit Arzneimitteln soll auf die OTC-Liste aufgenommen werden können, um dem restriktiven Charakter der Regelung gerecht zu werden. Ansonsten drohe die beschränkende Wirkung „obsolet“ zu werden444. Die Frage, ob die Fassung der Arzneimittel-Richtlinie durch die restriktivere Gesetzesbegründung enger zu fassen ist, wollte das Bundessozialgericht aber nicht entscheiden, sondern ließ sie unbeantwortet, weil in dem zu entscheidenden Fall mangels Belegen des Nutzens in hinreichenden wissenschaftlichen Studien noch nicht einmal die weiter gefassten Voraussetzungen des § 12 Abs. 4 AM-RL erfüllt waren445. Doch stellt sich die Frage, ob die Gesetzesbegründung insgesamt so eng zu verstehen ist. Dementsprechend könnte der Begriff des Therapiestandards in seiner Ausformung, die er durch den Gemeinsamen Bundesausschuss erlangt hat, einschränkend auszulegen sein, sodass ein besonders hoher Annerkennungsgrad der Therapie in Fachkreisen zu fordern wäre. Demgegenüber stellt sich aber die Frage, ob die Gesetzesbegründung den Begriff derart einschränkend gestaltet haben wollte. In der Begründung zur Ausnahmevorschrift finden sich auch Ausführungen dahingehend, dass die Ausnahme dann greifen solle, wenn „Arzneimittel als StandardTherapie zur Behandlung einer schwerwiegenden Erkrankung medizinisch notwendig sind“446. Dem würde die Auslegung des Begriffes durch den Gemeinsamen Bundesausschuss entsprechen. Die Ausführungen zu den unverzichtbaren Standardwirkstoffen folgen den eben genannten Ausführungen nach und richten sich an den Gemeinsamen Bundesausschuss: „Der Gemeinsame Bundesauschuss nimmt in diese Richtlinie447 Fertigarzneimittel, die nicht der Verschreibungspflicht unterliegen 442 443

(784). 444 445 446 447

BT-Drs. 15/1525, S. 86. Vgl. auch BSGE 110, 183 (191); zustimmend LSG Berlin-Brandenburg NZS 2013, 782 BSGE 110, 183 (191); zustimmend LSG Berlin-Brandenburg NZS 2013, 782 (784). BSGE 110, 183 (191); auch offen lassend Harich, SGb 2012, S. 589 f. BT-Drs. 15/1525, S. 86. Gemeint ist die Richtlinie nach § 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 SGB V.

III. Die Ausnahmevorschrift des § 34 Abs. 1 S. 2 SGB V

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auf, sofern diese unverzichtbare Standardwirkstoffe für die Behandlung schwerwiegender Erkrankungen […] enthalten“. Diese Ausführung ist dahingehend zu verstehen, dass der Gemeinsame Bundesausschuss verpflichtet ist, diejenigen Arzneimittel unbedingt aufzunehmen, die unverzichtbare Standardwirkstoffe enthalten448. Eine Aussage derart, dass nur unverzichtbare Standardwirkstoffe auf die OTCListe gelangen sollen, ist dieser Ausführung, insbesondere im Hinblick auf den Sinn der Regelung, der nur verlangt, dass nicht jede indikationsgerechte nach allgemeinen Grundsätzen verordnungsfähige Pharmakotherapie in die OTC-Liste aufzunehmen ist, nicht zu entnehmen. Demzufolge ist die Auslegung des Gemeinsamen Bundesausschusses zum Begriff des Therapiestandards nicht zu weit geraten. Der Begriff des Therapiestandards, wie ihn der Gemeinsame Bundesausschuss ausgestaltet hat, ist in seiner Ausformung als sachgerecht anzusehen449. Er stellt auf den allgemein anerkannten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse ab und harmoniert mithin mit den Grundvoraussetzungen einer zulässigen Pharmakotherapie. Denn ein Anspruch des Versicherten wird durch §§ 2, 12 SGB V auch grundsätzlich durch entsprechende Nachweise der Qualität und Wirksamkeit nach den Anforderungen des allgemein anerkannten Standes der medizinischen Erkenntnisse begrenzt450. Das Abstellen auf einen Konsens erschwert es zwar neuen Pharmakotherapien den Standard nachzuweisen, jedoch unterfallen diese zunächst der Verschreibungspflicht451, sodass sie vom Ausschluss aus dem Leistungskatalog nicht betroffen sind. c) Zusammenfassung Sowohl der Begriff der schwerwiegenden Erkrankung als auch der Begriff des Therapiestandards stellen hohe Voraussetzungen an die aufzunehmenden Arzneimittel452. Während der Begriff des Therapiestandards sachgerecht durch den Gemeinsamen Bundesausschuss ausgelegt wurde, ist die Anknüpfung an den Begriff der schwerwiegenden Erkrankung im Off-Label-Use nicht geglückt. Während der Off-Label-Use über das Erfordernis einer fehlenden Zulassung hinweghilft, geht es im Bereich der OTC-Arzneimittel lediglich um die Aufnahme in den Leistungskatalog eines aber sonst zugelassenen Arzneimittels. Durch die unterschiedlichen Anwendungsbereiche ist eine Anknüpfung an diesen Begriff daher nicht sachgerecht, zumindest insofern als der Begriff im Rahmen des Off-Label-Use eng aus448 In diese Richtung gehend auch SG Düsseldorf, PharmR 2005, 283 (284 f.), wonach dem G-BA bei unverzichtbaren Standardwirkstoffen für schwerwiegende Erkrankungen kein Gestaltungsspielraum hinsichtlich der Aufnahme zukommt. 449 Im Ergebnis ebenso: BSGE 116, 1 (12); 117, 129 (141); BSG Urt. v. 22. 10. 2014 – B 6 KA 35/13 R Rn. 52; Burgardt, in: Mummenhoff, Machtzuwachs der Krankenkassen, S. 195. 450 So auch BSGE 110, 183 (190 f.). 451 Vgl. oben, Abschnitt B. II. 2. Vgl. § 48 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 AMG, wonach bei neuen Wirkstoffen die Verschreibungspflicht erst nach drei Jahren aufgehoben werden darf. 452 Vgl. Harich, SGb 2012, S. 589 f., Sträter, pharmind 2015, S. 789.

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B. Der Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel

gelegt wird. Deshalb sind als schwerwiegende Erkrankungen ebenso wie beim OffLabel-Use lebensbedrohliche Erkrankungen als auch solche Erkrankungen anzusehen, die die Lebensqualität auf Dauer beeinträchtigen. Jedoch ist dieser Begriff unter der Prämisse auszulegen, dass unter die zweite Alternative nicht nur solche Erkrankungen fallen, die sich in ihrer Schwere und Seltenheit vom Durchschnitt der Erkrankungen abheben, sondern auch solche Erkrankungen, die insofern erheblich sind, als dass der Alltag in gewohnter Weise nicht mehr bewerkstelligt werden kann, und die eine gewissen Schwere im dem Sinne aufweisen, dass ein unabweisbarer Bedarf an einer Versorgung mit Arzneimitteln besteht, sodass ein Abwarten oder eine Eigenbehandlung mit Hausmitteln aufgrund der aus der Krankheit resultierenden Folgen nicht mehr möglich ist. Den Begriff der schwerwiegenden Erkrankung weiter auszulegen, führt jedoch nicht dazu, dass die Ausnahmeregelung ihren Ausnahmecharakter verliert. Denn ein OTC-Arzneimittel kann nur dann auf die OTC-Liste gelangen und damit verordnungsfähig sein, wenn es auch Standardtherapeutikum für die Erkrankung ist.

6. Erweiterung der Verordnungsfähigkeit von OTC-Arzneimitteln Über die ausnahmsweise zulässige Verordnung von Standardtherapeutika zur Behandlung einer schwerwiegenden Erkrankung hinaus, ist eine Verordnung von OTC-Arzneimitteln nach der Arzneimittel-Richtlinie in zwei weiteren Fällen zulässig. Zum einen können nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel als Begleitmedikation verordnet werden, sofern diese für das Hauptarzneimittel nach der Fachinformation zwingend als Begleitmedikation vorgeschrieben sind. Voraussetzung ist aber, dass das Hauptarzneimittel zugelassen ist und innerhalb der vertragsärztlichen Versorgung verordnet werden kann453. Zum anderen können nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel verordnet werden, wenn diese zur Behebung unerwünschter Arzneimittelwirkungen, die ein zugelassenes, verordnungsfähiges Medikament hervorruft, angewandt werden. Die unerwünschten Arzneimittelwirkungen müssen aber schwerwiegend im Sinne des Begriffes der schwerwiegenden Erkrankung gem. § 12 Abs. 3 AM-RL sein454. Diese beiden weiteren Ausnahmen wurden Ende 2005 in die ArzneimittelRichtlinie eingefügt455. Zwar enthielt die OTC-Übersicht zu diesem Zeitpunkt schon Wirkstoffe, die als Begleitmedikation in zwingenden Fällen oder gegen Nebenwirkungen verordnet werden konnten, wie z. B. Abführmittel im Zusammenhang mit Opioden, allerdings wollte der Gemeinsame Bundesausschuss eine generelle Regelung schaffen, damit in dringenden Fällen Arzneimittel in den besonderen Fall453 454 455

§ 12 Abs. 7 AM-RL. § 12 Abs. 8 AM-RL. Vgl. BAnz AT v. 30. 12. 2005 Nr. 247, S. 17236.

III. Die Ausnahmevorschrift des § 34 Abs. 1 S. 2 SGB V

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konstellationen zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnet werden können456. Er hat damit zwei weitere Ausnahmeregelungen, zusätzlich zu der vom Gesetzgeber vorgesehenen Ausnahmeregelung erlassen457. Es handelt sich bei beiden Ausnahmen um Fälle, in denen die Einnahme eines nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittels medizinisch notwendig ist, da das OTC-Arzneimittel bei der Behandlung mit einem verordnungsfähigen Medikament zwingend vorausgesetzt wird und damit zum Therapiestandard gehört oder weil der Versicherte sonst schwerwiegenden Nebenwirkungen bei der Behandlung mit einem verordnungsfähigen Arzneimittel ausgesetzt ist. Der Gesetzgeber wollte durch den Ausschluss nach § 34 Abs. 1 S. 1 SGB V die OTC-Arzneimittel lediglich in die Eigenverantwortung der Versicherten überführen, da diese schon zuvor oftmals im Wege der Selbstmedikation benutzt wurden, und er die Überführung in die Eigenverantwortung als sozial vertretbar ansah458. Beabsichtigt wurde damit aber keine Schlechterstellung derjenigen Patienten, die sich einer Therapie mit verordnungsfähigen Arzneimitteln unterziehen und gerade deswegen zusätzlich auf nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel angewiesen sind. Die Einnahme von OTC-Arzneimitteln ist in den genannten Anwendungsfällen notwendiger Bestandteil der Therapie mit dem verordnungsfähigen Arzneimittel und damit Teil einer verordnungsfähigen Arzneimitteltherapie. Der Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel ist daher im Hinblick auf diese Fallkonstellationen teleologisch zu reduzieren, sodass die Ausnahmeregelungen in § 12 Abs. 7 und 8 AM-RL ihre Berechtigung haben.

7. Liste von Fertigarzneimitteln nach § 34 Abs. 1 S. 4 SGB V Der Gemeinsame Bundesausschuss wird nach dem Gesetz verpflichtet, eine Liste aller verordnungsfähigen, nicht verschreibungspflichtigen Fertigarzneimittel zu erstellen, regelmäßig zu aktualisieren und im Internet abruffähig sowie in elektronisch weiterverarbeitbarer Form zur Verfügung zu stellen459. Diese Vorschrift wurde erst mit dem GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz vom 26. 03. 2007460 eingeführt und damit erst 3 Jahre nach dem Erlass der ersten OTC-Liste. Bezweckt wird damit, dass die Ärzte besser überblicken können, welche Arzneimittel zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnet werden können; die Regelung soll Transparenz in 456

Gemeinsamer Bundesausschuss, Pressemitteilung zur Aktualisierung OTC-Übersicht, Stand: 19. 10. 2005, abrufbar unter: https://www.g-ba.de/institution/presse/pressemitteilungen/ 70/. 457 Vgl. Stebner, AZR 2006, S. 114. 458 Vgl. BT-Drs. 15/1528, S. 86. 459 § 34 Abs. 1 S. 4 SGB V. 460 BGBl. I, S. 378.

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B. Der Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel

die Verordnungsfähigkeit von nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel bringen. Die elektronische Form soll dazu dienen, dass die Arztpraxen und die Apotheker ihre Softwaresysteme aktualisieren können461. Der Gesetzesentwurf zum GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz der CDU/CSU und SPD enthielt diese Pflicht des Gemeinsamen Bundesausschusses zur Erstellung einer Präparateliste noch nicht462. Eine Aufnahme dieser Regelung wurde durch den Ausschuss für Gesundheit angeregt, der sie in seine Beschlussempfehlung aufnahm463. Allerdings war schon bei der Einführung des Ausschlusses von OTC-Arzneimitteln in der Gesetzesbegründung von der Erstellung einer Liste von ausgeschlossenen „Fertigarzneimitteln“ durch den Gemeinsamen Bundesausschuss die Rede464. Eine Liste mit verordnungsfähigen, nicht verschreibungspflichtigen Fertigarzneimitteln wurde allerdings bisher nicht vom Gemeinsamen Bundesausschuss erstellt. Öffentlich und frei zugänglich ist zwar die OTC-Liste, jedoch enthält diese nur Wirkstoffbezeichnungen, aber keine Fertigarzneimittel. Laut Gesetzesbegründung ist aber gerade eine solche Liste gefordert, was in der Literatur jedoch zum Teil auf Kritik stieß. Die Erstellung einer Liste mit Fertigarzneimitteln sei wesentlich aufwändiger, da es lange Zeit brauche, bis alle Arzneimittel, die den Wirkstoffen und Indikationen entsprechen, in eine Liste aufgenommen werden können; zumal die Liste dann viel umfangreicher ausfallen würde465. Auch praktisch sei dies kaum umsetzbar466. Teilweise wird daher vertreten, dass es sich bei der Fertigarzneimittelliste um eine bloße Obliegenheit des Gemeinsamen Bundesausschusses handele467. Allerdings lässt sich eine solche Obliegenheit gerade nicht aus dem Gesetzeswortlaut erkennen; dort ist vielmehr von einer Pflicht die Rede („hat […] Sorge zu tragen“). Die Frage ist allerdings, ob es aus Gründen der Transparenz tatsächlich einer eigenen Auflistung mit Fertigarzneimitteln bedarf oder ob schon die OTC-Liste diese Anforderungen erfüllt. Teilweise wird in der Literatur davon ausgegangen, dass die Aufgabe dadurch erfüllt wurde, dass der Gemeinsame Bundesausschuss die OTC-

461 BT-Drs. 16/4247, S. 32; so auch: Bischofs, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, Beck’scher Onlinekommentar Sozialrecht, § 34 SGB V Rn. 13; Gerlach, in: Hauck/Noftz, Sozialgesetzbuch – SGB V, § 34 SGB V Rn. 18; Hess, in: Körner/Leitherer/Mutschler, Kasseler Kommentar, § 34 SGB V Rn. 9; Sommer, in: Jahn, Sozialgesetzbuch für die Praxis, § 34 SGB V Rn. 8b; Wagner, in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung Pflegeversicherung, § 34 SGB V Rn. 6. 462 Vgl. BT-Drs. 16/3100. 463 Vgl. BT-Drs. 16/4200, S. 18. 464 BT-Drs. 15/1525, S. 86. 465 Dieners/Heil, PharmR 2007, S. 92; krit. auch Hess, in: Körner/Leitherer/Mutschler, Kasseler Kommentar, § 34 SGB V Rn. 9. 466 Dieners/Heil, PharmR 2007, S. 92. 467 So Hess, in: Körner/Leitherer/Mutschler, Kasseler Kommentar, § 34 SGB V Rn. 9, der auf ein nicht vorhandenes „Soll“ im Gesetzestext verweist.

IV. Die Ausnahmevorschrift des § 34 Abs. 1 S. 5 SGB V

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Liste online zur Verfügung stellt und diese regelmäßig aktualisiert468. Dies ist auch als ausreichend anzusehen. Zum einen deshalb, weil die Liste mittlerweile, durch die Änderung der Arzneimittel-Richtlinie, als Anlage I separat erhältlich ist, was zu Zeiten der Einführung des § 34 Abs. 1 S. 4 SGB V nicht der Fall war. Dort war die Liste noch in die Arzneimittel-Richtlinie integriert469. Zum anderen ist durch diese Liste der Transparenz genüge getan. Die Bezeichnung von Arzneimitteln anhand ihrer Wirkstoffe ist gängige Praxis. So werden bspw. bei der Verschreibungspflicht die Arzneimittel nach ihren Wirkstoffen unterschieden und der Apotheker ist bei einer ärztlichen Verordnung zur Abgabe eines preiswerteren, wirkstoffgleichen Arzneimittels verpflichtet, wenn der Arzt es nur unter seiner Wirkstoffbezeichnung verordnet hat oder die Ersetzung durch ein wirkstoffgleiches Arzneimittel nicht ausgeschlossen hat470. Darüber hinaus ist die Liste nach § 34 Abs. 1 S. 4 SGB V nicht konstitutiv für die Verordnungsfähigkeit von nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln, sondern lediglich die OTC-Liste471. Daher ist der Gemeinsame Bundesausschuss durch die Veröffentlichung und regelmäßige Aktualisierung der OTCÜbersicht seiner Pflicht nach § 34 Abs. 1 S. 4 SGB V nachgekommen.

IV. Die Ausnahmevorschrift des § 34 Abs. 1 S. 5 SGB V Zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung können nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel bei Kindern bis zum vollendeten 12. Lebensjahr und bei Jugendlichen bis zum vollendeten 18. Lebensjahr verordnet werden, sofern diese Entwicklungsstörungen unterliegen472. Diese Ausnahme gilt jedoch nur, wenn die Arzneimittel nicht durch andere Regelungen von der Verordnung ausgeschlossen sind473. Die Gesetzesbegründung nennt als Beispiel hierzu insbesondere die Negativliste474. Ausgeschlossen können Arzneimittel aber ebenfalls durch Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses gem. § 92 Abs. 1 S. 1 Hs. 4 SGB V sein. Die dadurch ausgeschlossenen Arzneimittel sind in Anlage III der Arzneimittel-Richtlinie aufgeführt. Dort sind Arzneimittelgruppen aufgelistet, bei denen eine Ver468

So etwa Gerlach, in: Hauck/Noftz, Sozialgesetzbuch – SGB V, § 34 SGB V Rn. 18. Vgl. F. 16.4 AM-RL in der Fassung vom 31. 08. 1999, zuletzt geändert am 17. 10. 2006, veröffentlicht in BAnz AT v. 12. 01. 2007 Nr. 8, S. 400. 470 § 129 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, S. 2 – 6 SGB V. 471 Vgl. Hess, in: Körner/Leitherer/Mutschler, Kasseler Kommentar, § 34 SGB V Rn. 9. 472 § 34 Abs. 1 S. 5 SGB V; § 12 Abs. 2 AM-RL. 473 BT-Drs. 15/1525, S. 86; BSGE 110, 20 (28); so auch Bischofs, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, Beck’scher Onlinekommentar Sozialrecht, § 34 SGB V Rn. 4. 474 BT-Drs. 15/1525, S. 86. Gemeint ist damit die Verordnung über unwirtschaftliche Arzneimittel, die aufgrund der Verordnungsermächtigung nach § 34 Abs. 3 SGB V erlassen wurde. Vgl. dazu Abschnitt D. III. 469

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B. Der Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel

ordnung für Kinder oder Jugendliche unwirtschaftlich ist oder aufgrund des besonderen Gefährdungspotentials unzweckmäßig ist475. Durch die Ausnahme vom Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel können Kinder auch weiterhin OTC-Arzneimittel und damit Arzneimittel für lediglich geringfügige Erkrankungen erhalten476. Hinsichtlich der geringfügigen Erkrankungen greift auch nicht der Ausschluss von Bagatellerkrankungen nach § 34 Abs. 1 S. 6 SGB V, da dieser erst ab dem 18. Lebensjahr und nur für verschreibungspflichtige Arzneimittel greift. Als Grund für die Ausnahme bei Kindern und Jugendlichen bei der Verordnung von nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln wird die Berücksichtigung der besonderen Bedürfnisse von Familien genannt477.

1. Entwicklungsstörungen Die Versorgung mit rezeptfreien Arzneimitteln für unter 18-Jährige besteht nach dem Gesetz nur, sofern diese Entwicklungsstörungen haben. Entwicklungsstörungen umfassen nicht nur Störungen, sondern auch Verzögerungen in der Entwicklung und können sowohl geistiger als auch körperlicher Natur sein478. Des Weiteren wird von der Gesetzesbegründung ein „besonderer medizinischer Versorgungsbedarf“ mit nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln vorausgesetzt. Damit wird signalisiert, dass die Ausnahme nur in begrenzten Fällen zur Anwendung kommen soll; nämlich in solchen, in denen eine Versorgung mit rezeptfreien Arzneimitteln betreffend die Entwicklungsstörung des Jugendlichen von Nöten ist479. Dem Arzt obliegt dabei die Pflicht, die Behandlung des Jugendlichen ausreichend zu dokumentieren und damit die Entwicklungsstörung nachzuweisen. Gewöhnliche Diagnosen im Sinne einer allgemeinen Störung der Entwicklung des Jugendlichen reichen nicht aus480. Der Gemeinsame Bundesausschuss hat in der Arzneimittel-Richtlinie nicht definiert, wann eine solche Entwicklungsstörung vorliegt. Herangezogen werden daher

475 Zur Befugnis des G-BA diese Arzneimittel aufgrund ihrer Unzweckmäßigkeit bzw. ihrer Unwirtschaftlichkeit auch für Kinder und Jugendliche auszuschließen, vgl. BSGE 110, 20 (28, 32 f.). Der G-BA musste sich nicht nur auf bloße Hinweise beschränken. 476 BT-Drs. 15/1525, S. 86; Gerlach, in: Hauck/Noftz, Sozialgesetzbuch – SGB V, § 34 SGB V Rn. 19; Hess, in: Körner/Leitherer/Mutschler, Kasseler Kommentar, § 34 SGB V Rn. 7. 477 BT-Drs. 15/1525, S. 86; Joussen, in: Knickrehm/Kreikebohm/Waltermann, Kommentar zum Sozialrecht, § 34 SGB V Rn. 5; Wagner, in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung Pflegeversicherung, § 34 SGB V Rn. 4. 478 BT-Drs. 15/1525, S. 86; Bischofs, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, Beck’scher Onlinekommentar Sozialrecht, § 34 SGB V Rn. 5. 479 BT-Drs. 15/1525, S. 86; Bischofs, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, Beck’scher Onlinekommentar Sozialrecht, § 34 SGB V Rn. 5. 480 SG Marburg Urt. v. 01. 02. 2012 – S 12 KA 716/09 Rn. 30.

IV. Die Ausnahmevorschrift des § 34 Abs. 1 S. 5 SGB V

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die Definitionen und Einordnungen des ICD-10481. Danach haben Entwicklungsstörungen gemeinsam, dass sie ausnahmslos im Kleinkindalter oder in der Kindheit beginnen, eine Einschränkung oder Verzögerung der Entwicklung von Funktionen haben, die eng mit der biologischen Reifung des Zentralnervensystems verknüpft ist, sowie ein Krankheitsverlauf ohne Nachlassen der Krankheitssymptome oder das Bestehen von Krankheitsrückfällen vorweisen. Entwicklungsstörungen oder -verzögerungen ergeben sich bei den Betroffenen zumeist in der Sprache, in ihrer Bewegungskoordination oder in den visuell-räumlichen Fähigkeiten482.

2. Altersgrenze von 12 Jahren Während die Ausnahmevorschrift in § 34 Abs. 1 S. 5 SGB V für den Regelfall – d. h. wenn keine Entwicklungsstörungen vorliegen – die Grenze mit der Vollendung des 12. Lebensjahres festsetzt, ziehen andere Regelungen in der gesetzlichen Krankenversicherung eine Leistungsgrenze mit Vollendung des 18. Lebensjahres. So werden mit Erreichen der Volljährigkeit etwa keine Arzneimittel für Bagatellerkrankungen mehr geleistet483, Hilfsmittel wie Sehhilfen werden nicht mehr gezahlt484 oder auch Zuzahlungen sind erst mit Erreichen dieser Altersgrenze zu leisten485. Wie diese Beispiele verdeutlichen ist für Eigenleistungen des Versicherten grundsätzlich dessen Volljährigkeit ausschlaggebend. Warum die Altersgrenze in § 34 Abs. 1 S. 5 SGB V teilweise herabgesetzt wurde, lässt sich weder aus dem Wortlaut noch aus der Gesetzesbegründung, noch aus medizinischen Gründen herleiten486. Insbesondere die Gesetzesbegründung spricht für eine Grenzziehung bei Erreichen der Volljährigkeit. Grund für die Ausnahme ist danach die Berücksichtigung der besonderen Lasten von Familien487. Kinder belasten aber in der Regel bis zu ihrem 18. Lebensjahr und damit bis zur Erreichung der Volljährigkeit Familien. Sie sind bspw. auch bis zur Erreichung dieser Altersgrenze familienversichert488. Mit Vollendung des zwölften Lebensjahres ist hingegen keine 481

SG Marburg Urt. v. 01. 02. 2012 – S 12 KA 716/09 Rn. 30. SG Marburg Urt. v. 01. 02. 2012 – S 12 KA 716/09 Rn. 30 mit Verweis auf ICD-10 Gruppe F 80 bis F 89. 483 Vgl. § 34 Abs. 1 S. 6 SGB V. 484 Vgl. § 33 Abs. 2 S. 1 SGB V, wobei dies für Versicherte ab dem 14. Lebensjahr nur gilt, wenn sich ihre Sehschwäche um mehr als 0,5 Dioptrien geändert hat, vgl. § 33 Abs. 4 SGB V. 485 Vgl. § 31 Abs. 3 S. 1 SGB V für Arznei- und Verbandmittel, § 32 Abs. 2 S. 1 SGB V für Heilmitteln; § 33 Abs. 8 SGB V für Hilfsmittel; § 37 Abs. 5 SGB V bei häuslicher Krankenpflege; § 39 Abs. 4 S. 1 SGB V bei Krankenhausbehandlungen. Des Weiteren stellen auch §§ 22 Abs. 1 und 3, 28 Abs. 2, 34 Abs. 4 SGB V auf das Erreichen des 18. Lebensjahres ab. 486 Schwerdtfeger, PharmR 2003, S. 348. 487 Vgl. BT-Drs. 15/1525, S. 86. 488 Vgl. § 10 Abs. 2 Nr. 1 SGB V. Teilweise sind sie auch über das 18. Lebensjahr hinaus noch versichert, vgl. § 10 Abs. 2 Nr. 2 – 4 SGB V. 482

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B. Der Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel

Grenze erreicht, bei der die Kinder den Eltern nicht mehr finanziell zur Last fallen; sie können in diesem Alter noch nicht selbst finanziell für sich sorgen489. Eine von der Volljährigkeit abweichende Altersgrenze gilt aber andererseits im SGB V z. B. im Bereich der Sehhilfen. Dort kommt es ab dem 14. Lebensjahr zu Einschränkungen im Leistungsumfang490. Allerdings sind die dortigen, zusätzlichen Voraussetzungen insofern nachvollziehbar, als bei einer Abweichung der Sehstärke unter 0,5 Dioptrien nicht zwingend eine neue Brille notwendig ist. Zudem handelt es sich dabei nur um einen erneuten Anspruch auf Versorgung; bei Erstversorgung, Instantsetzung und Ersatzbeschaffung einer beschädigten Brille besteht ein Anspruch bis zum 18. Lebensjahr491. Im Übrigen kann man diese besondere Altersgrenze damit rechtfertigen, dass Jugendliche dort hinsichtlich der medizinischen Behandlung wie Erwachsene behandelt werden können492. Im Gegenzug dazu können Jugendlichen mit 12 Jahren in der Arzneimitteltherapie nicht wie Erwachsene behandelt werden. Es mag zwar OTC-Arzneimittel geben, bei denen Jugendliche ab 12 Jahren und Erwachsene dieselbe Dosis erhalten, jedoch ist dies kein Regelfall. Eine Altersgrenze von 12 Jahren ist dem Krankenversicherungsrecht aber nicht vollkommen fremd. Eine solche findet sich bei der Gewährung von Haushaltshilfen493 oder der Gewährung von Krankengeld bei der Erkrankung des Kindes494. Allerdings geht es in beiden Fällen um eine Betreuung für Kinder, denen aufgrund ihres jungen Alters von Gesetzes wegen eine Aufsichtbedürftigkeit unterstellt wird495. Die Altersgrenze dort mit 12 Jahren zu ziehen, ist sachgerecht. Denn jüngere Kinder bedürfen einer Betreuungssituation, während ältere Kinder sich selbst beschäftigen können. Eine Haushaltshilfe ist mit Erreichen dieses Alters nicht mehr notwendig, da sich die Kinder im Haushalt teilweise schon selbst versorgen können. Auch ist es dann nicht mehr von Nöten, dass ein Elternteil zur Betreuung und Pflege des kranken Kindes der Arbeit fern bleibt. Denkbare Ausnahme sind nur Kinder, die trotz Erreichen des zwölften Lebensjahres hilfsbedürftig sind. Eine solche Aus-

489

So auch Schwerdtfeger, PharmR 2003, S. 348. § 33 Abs. 4 SGB V. 491 § 33 Abs. 2 S. 1, Abs. 4 SGB V; BSGE 62, 85 (86 ff.), zum alten Recht in der RVO, das aber gem. BT-Drs. 11/3480, S. 53 übernommen wurde; vgl. auch: Butzer, in: Becker/Kingreen, SGB V, § 33 SGB V Rn. 57 f.; Gerlach, in: Hauck/Noftz, Sozialgesetzbuch – SGB V, § 33 SGB V Rn. 117; Nolte, in: Körner/Leitherer/Mutschler, Kasseler Kommentar, § 33 SGB V Rn. 61; Wagner, in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung Pflegeversicherung, § 33 SGB V Rn. 47. 492 Schwerdtfeger, PharmR 2003, S. 348. 493 § 38 Abs. 1 S. 2 SGB V. 494 § 45 Abs. 1 S. 1 SGB V. 495 Nolte, in: Körner/Leitherer/Mutschler, Kasseler Kommentar, § 38 SGB V Rn. 23; Padé, in: Schlegel/Voelzke, juris Praxiskommentar, § 38 SGB V Rn. 28; zustimmend Flint, in: Hauck/Noftz, Sozialgesetzbuch – SGB V, § 38 SGB V Rn. 40. 490

V. Nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel als Satzungsleistung

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nahme besteht dort allerdings496. Daher ist die Altersgrenze dort einleuchtend. Eine vergleichbare Situation liegt beim Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel dagegen nicht vor. Selbst wenn die Begrenzung auf Vollendung des 12. Lebensjahres im Rahmen der Ausnahmeregelung des § 34 Abs. 1 S. 5 SGB V nicht einleuchtend ist, so hindert dies den Gesetzgeber nicht die Regelung derart auszugestalten und die Grenze bei 12 Jahren festzusetzen; seinem Gestaltungsspielraum sind allenfalls durch Grundrechte Grenzen gesetzt, die – wie sich später noch zeigen wird – nicht überschritten sind497.

V. Nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel als Satzungsleistung Die Krankenkassen haben die Möglichkeit, in ihrer Satzung die Leistung von nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln vorzusehen498. Die Regelung wurde mit dem GKV-Versorgungsstrukturgesetz vom 22. 12. 2011499 eingeführt. Die Möglichkeit der Leistungserbringung von rezeptfreien Medikamenten gilt jedoch unter dem Vorbehalt, dass die Leistung nicht vom Gemeinsamen Bundesausschuss ausgeschlossen wurde. Zudem besteht die Möglichkeit der Erbringung von Arzneimitteln als Satzungsleistung nicht für alle in § 34 SGB V geregelten gesetzlichen Ausschlüsse, sondern ist nur auf den Ausschluss von nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln begrenzt500. Sieht eine Satzung solche zusätzlichen Leistungen vor, so hat sie bestimmte Anforderungen zu erfüllen: Sie muss die Art, die Dauer und den Umfang der Leistung festlegen501. Die zusätzlichen Leistungen müssen transparent und für den einzelnen Versicherten klar verständlich sein502. Darüber hinaus sind sie allen Versicherten der Krankenkasse zu bewilligen503. Damit können die Krankenkassen trotz des gesetzlichen Ausschlusses ihren Mitgliedern die Versorgung mit rezeptfreien Arzneimitteln ermöglichen. Einige Krankenkassen haben von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht. So sind bei vielen die Arzneimittel der besonderen Therapierichtungen bis zu einem bestimmten Jahresbetrag erstattungsfähig oder sie erstatten, wie z. B. die AOK Baden-Württemberg oder die IKK Brandenburg und Berlin, alle 496 So etwa für behinderte Kinder, vgl. § 38 Abs. 1 S. 2 Var. 2 SGB V; § 45 Abs. 1 S. 1 Var. 2 SGB V. 497 Vgl. hierzu Abschnitt C. I. 1. b) bb) (4). 498 § 11 Abs. 6 S. 1 SGB V. 499 BGBl. I, S. 2983. 500 BR-Drs. 456/11, S. 74 f.; BT-Drs. 17/6906, S. 53; § 11 Abs. 6 S. 1 SGB V. 501 § 11 Abs. 6 S. 2 SGB V. 502 BT-Drs. 17/6906, S. 53; Roters, in: Körner/Leitherer/Mutschler, Kasseler Kommentar, § 11 SGB V Rn. 33. 503 BT-Drs. 17/6909, S. 53.

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B. Der Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel

OTC-Arzneimittel bei Jugendlichen von 12 bis 18 Jahren504, allerdings unter der Prämisse, dass sie nicht durch den Gemeinsamen Bundesausschuss in seinen Richtlinien ausgeschlossen sind505.

VI. Verordnung von nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln unter Beachtung der Voraussetzungen des Nikolausbeschlusses Die Regelungen in der Arzneimittel-Richtlinie zur Verordnung von nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln sind zwar abschließend506, jedoch können in Fällen von lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankungen auch die Grundsätze nach dem Nikolausbeschluss angewandt werden. In diesem Beschluss hatte das Bundesverfassungsgericht über eine Verfassungsbeschwerde gegen ein bundessozialgerichtliches Urteil507 zu entscheiden, das die Erstattung von Kosten für eine Bioresonanztherapie bei der Duchenne’schen Muskeldystrophie abgelehnt hatte. Grund für die Ablehnung war, dass diese neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode dem Anerkennungsvorbehalt des Gemeinsamen Bundesausschusses gem. § 135 Abs. 1 SGB V unterfiel, dieser aber die Methode nicht anerkannt hatte. Das Bundesverfassungsgericht hob das Urteil des Bundessozialgerichts auf und bestimmte, dass es mit den Grundrechten aus Art. 2 Abs. 1 GG i. V .m. dem Sozialstaatsprinzip und Art. 2 Abs. 2 GG nicht vereinbar sei, einen gesetzlich Krankenversicherten, für dessen lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche Erkrankung eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung stehe, von der Leistung einer von ihm gewählten, ärztlichen angewandten Behandlungsmethode auszuschließen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf bestehe508. Damit hat es letztlich einen verfassungsunmittelbaren Anspruch auf Leistungen im Krankheitsfall abgeleitet, diesen jedoch im Nikolausbeschluss selbst noch nicht als solchen bezeichnet, sondern hat von einer

504

Schröder, Der Hausarzt 2013, S. 17; Übersicht des Deutschen Hausärzteverbands zu Satzungsleistung der Krankenkassen, Stand: 01. 01. 2015, abrufbar unter: http://www.hausaerz teverband.de/cms/Aktuelle-Informationen-im-Detail.529.0.html?&no_cache=1&tx_ttnews[tt_ news]=876&tx_ttnews[backPid]=530. 505 Bezug genommen wird damit auf Anlage III der AM-RL und damit auf den Ausschluss durch Richtlinien gem. § 92 Abs. 1 S. 1 Hs. 4 SGB V. 506 § 12 Abs. 10 AM-RL. 507 BSGE 81, 54 ff. 508 BVerfGE 115, 25 ff. Vgl. hierzu Becker, in: Manssen/Jachmann/Gröpl, FS Steiner, S. 50 ff.; Heinig, NVwZ 2006, S. 771 ff.; Huster, JZ 2006, S. 466 ff.

VI. Voraussetzungen des Nikolausbeschlusses

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Ausweitung von Leistungsansprüchen durch grundrechtsorientierte Auslegung gesprochen509. Die im Nikolausbeschluss entwickelten Grundsätze sind auch auf den Bereich der Arzneimittelversorgung übertragbar510. Die Grundsätze wurden zwar bisher nur beim Einsatz von nicht zugelassenen Arzneimitteln angesprochen511, jedoch wäre auch eine Anwendung bei nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln anzudenken, sofern diese nicht in der OTC-Liste enthalten sind. So hat das Bundessozialgericht schon eine grundrechtsorientierte Auslegung im Sinne des Nikolausbeschlusses bei OTC-Arzneimitteln angesprochen, jedoch aufgrund des Vorliegens von Therapiealternativen in dem zu entscheidenden Fall nicht näher in Betracht gezogen512. Um auf diese Weise eine Versorgung zu ermöglichen, müssen die Voraussetzungen des Nikolausbeschlusses vorliegen. Es muss sich um eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung handeln, es darf keine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Behandlung zur Verfügung stehen und es muss eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Behandlungserfolg oder auf eine spürbar positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf bestehen513. Dem ersten Kriterium der lebensbedrohlichen oder tödlich verlaufenden Erkrankung stehen gesetzlich wertungsgemäß vergleichbare Erkrankungen gleich514. Das sind solche, die von ihrer Schwere und dem Ausmaß der Beeinträchtigungen lebensbedrohlichen und tödlich verlaufenden Krankheiten gleichgestellt werden können. Dazu zählt nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts unter anderem eine drohende Erblindung515. Nach der Gesetzesbegründung zu § 2 Abs. 1a SGB V 509 Zur grundrechtsorientierten Auslegung vgl.: BVerfGE 115, 25 (45); Hauck, NJW 2007, S. 1321, 1324; Joussen, SGb 2012, S. 625. Die Bezeichnung als verfassungsunmittelbarer Anspruch findet sich etwa bei: Axer, in: Becker/Sertel/Stassen-Rapp/Walburg, Neue Wege in der Medizin, S. 329; Becker, in: Manssen/Jachmann/Gröpl, FS Steiner, S. 50 ff.; Heinig, NVwZ 2006, S. 772 f.; Huster, JZ 2006, S. 466 ff.; Kingreen, VVDStRL 2011(70), S. 182. In einem Beschluss vom November 2015 hat das BVerfG nun selbst von einem verfassungsunmittelbaren Anspruch gesprochen, BVerfG KrV 2015, 236 (238). 510 BSGE 96, 170 (172 ff.); zustimmend: BVerfG SozR 4 – 2500 § 31 Nr. 17; Gerlach, in: Hauck/Noftz, Sozialgesetzbuch – SGB V, § 34 SGB V Rn. 16; Hauck, NJW 2007, S. 1321. 511 Vgl. BSGE 96, 170 (172 ff.); BSG SozR 4 – 2500 § 31 Nr. 8 Rn. 16; BSG SozR 4 – 2500 § 106 Nr. 27 Rn. 47. 512 BSGE 110, 183 (192); so auch die vorangehende Entscheidung des LSG NiedersachsenBremen v. 22. 04. 2010 – L 4 KR 235/05 Rn. 32 ff., in der das Gericht einen Anspruch aber mangels lebensbedrohlicher Erkrankung ablehnte; genauso LSG Baden-Württemberg (Urt. v. 02. 09. 2011 – L 4 KR 1931/10 Rn. 29), das einen Anspruch mangels akuter Lebensbedrohung ablehnte. 513 BVerfGE 115, 25 (49). 514 § 2 Abs. 1a S. 1 Var. 3 SGB V. Diese dritte Variante der wertungsgemäß vergleichbaren Erkrankung wurde aufgrund der Rechtsprechung des BSG (vgl. E 96, 153 [160 f.]) in den Gesetzestext aufgenommen, vgl. Joussen, SGb 2012, S. 628. Nach Ansicht des BVerfG ist diese dritte Variante aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht geboten, BVerfG KrV 2015, 236 (238); diese Klarstellung durch das BVerfG begrüßend Wallrabenstein, KrV 2015, S. 240. 515 BSGE 96, 153 (160 f.); 106, 81 (88).

120

B. Der Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel

handelt es sich bei den wertungsgemäß vergleichbaren Erkrankungen um solche, die einen nicht kompensierbaren Verlust eines wichtigen Sinnesorgans oder einer herausgehobenen Körperfunktion zur Folge haben516. Als zweite Voraussetzung ist erforderlich, dass keine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung zur Verfügung steht. Es soll nicht jede Behandlung erbracht werden können, sondern nur solche, die keine Alternative haben517. Ausreichend ist dabei aber, wenn für den einzelnen Versicherten keine Alternative besteht, weil er bspw. ein anderes Arzneimittel nicht verträgt oder wenn er durch die Anwendung des Standardarzneimittels erheblichen Risiken ausgesetzt wäre518. Behandlungsziel muss in erster Linie die Heilung sein; danach folgen die Verhütung der Verschlimmerung und auf letzter Stufe die Linderung der Erkrankung519. Vorrangig kann eine Behandlungsmethode auch dann sein, wenn sie mit deutlich geringeren unerwünschten Nebenwirkungen verbunden ist520. Das dritte Erfordernis, der nicht ganz entfernt liegenden Aussicht auf Erfolg, setzt eine fachliche, auf Indizien gestützte Beurteilung des Arztes voraus521. Je schwerwiegender die Krankheit allerdings ist und je hoffnungsloser der Fall ist, desto niedrigere Anforderungen sind an die Indizien für den Behandlungserfolg zu stellen522. Darüber hinaus ist eine Abwägung im Sinne einer Nutzen-Risiko-Abwägung zu treffen, die sowohl auf abstrakter als auch auf konkreter Ebene erfolgen soll523. Im Rahmen der Verordnung von Arzneimitteln hat das Bundessozialgericht die Anforderungen an das Vorliegen einer nicht ganz entfernt liegenden Aussicht auf Behandlungserfolg dahingehend konkretisiert, dass die Aussicht auf Behandlungserfolg dann als gegeben anzusehen ist, wenn drei weitere Voraussetzungen vorliegen: Es darf kein Verstoß gegen Arzneimittelrecht vorliegen, der voraussichtliche Nutzen des Medikaments muss sowohl bei einer abstrakten, als auch bei einer konkreten Analyse des Patienten bei der Abwägung von Chancen und Risiken überwiegen und es muss darüber hinaus eine ausreichende Dokumentation und eine Behandlung nach 516

BT-Drs. 17/6906, S. 53. Hauck, in: Sodan, Handbuch des Krankenversicherungsrechts, § 8 Rn. 42; Joussen, SGb 2012, S. 629. 518 BSGE 96, 170 (176); so auch: Hauck, NJW 2007, S. 1322; Joussen, SGb 2012, S. 628; Nimis, KrV 2013, S. 237; Padé, NZS 2007, S. 356; Peters, in: Körner/Leitherer/Mutschler, Kasseler Kommentar, § 2 SGB V Rn. 7. 519 Bohmeier/Penner, WzS 2009, S. 71; Padé, NZS 2007, S. 356; Nimis, KrV 2013, S. 236; ähnl. Kretschmer, MEDSACH 2009, S. 58, der eine kausale Therapie vorrangig gegenüber einer Symptomlinderung ansieht. 520 Kretschmer, MEDSACH 2009, S. 58. 521 BVerfGE 115, 25 (49); BSGE 96, 170 (181); vgl. auch: Axer, in: Becker/Sertel/StassenRapp/Walburg, Neue Wege in der Medizin, S. 332 f.; Padé, NZS 2007, S. 356; Bohmeier/ Penner, WzS 2009, S. 71; Nimis, KrV 2013, S. 237 ff. 522 BSGE 96, 170 (178); vgl. auch Axer, in: Becker/Sertel/Stassen-Rapp/Walburg, Neue Wege in der Medizin, S. 333. 523 BSGE 96, 170 (179 f.); so auch Bohmeier/Penner, WzS 2009, S. 72; Joussen, SGb 2012, S. 629; Padé, NZS 2007, S. 357. 517

VIII. Zusammenfassung

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den Regeln der ärztlichen Kunst erfolgen524. Zusätzlich muss eine ausdrückliche Einwilligung in die Behandlung erfolgen525. OTC-Arzneimitteln kann es möglich sein, die Voraussetzungen des Nikolausbeschlusses zu erfüllen. Sofern allerdings die Voraussetzungen einer lebensbedrohlichen, tödlich verlaufenden oder damit vergleichbaren Erkrankung vorliegen, werden diese Arzneimittel zumeist schon auf der OTC-Liste zu finden sein. Allerdings muss dies nicht der Fall sein. So ist es denkbar, dass insbesondere dann, wenn der Versicherte ein anderes verordnungsfähiges Arzneimittel nicht verträgt, ein OTC-Arzneimittel, das keinem Wirkstoff auf der OTC-Liste zugeordnet werden kann, zur Anwendung kommt. Im Hinblick auf die engen Voraussetzungen dürfte der Anwendungsbereich aber eher schmal ausfallen.

VII. Verordnung nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel und Off-Label-Use Ergänzend wäre weiterhin eine Verordnung über die Grundsätze des Off-LabelUse anzudenken. Allerdings sind diese Grundsätze nur bei Arzneimitteln anzuwenden, die für das betroffene Indikationsgebiet keine Zulassung gem. §§ 21 ff. AMG haben. Arzneimittel, die nach § 34 Abs. 1 S. 1 SGB Vausgeschlossen werden, sind jedoch solche, die zugelassen sind, aber nicht der Verschreibungspflicht nach § 48 AMG unterliegen. Allerdings besteht die Möglichkeit die Grundsätze des OffLabel-Use auch bei nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln anzuwenden. Entscheidend ist dann aber, dass das nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel im betroffenen Anwendungsgebiet keine Zulassung hat. Auf das Vorliegen oder das Fehlen einer Verschreibungspflicht kommt es beim Off-Label-Use nicht an, maßgeblich ist allein die fehlende Zulassung.

VIII. Zusammenfassung Der gesetzliche Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel nach § 34 Abs. 1 S. 1 SGB V hat eine ganze Produktkategorie von Arzneimitteln von der Versorgung der gesetzlichen Krankenversicherung ausgenommen. Angeknüpft hat der Gesetzgeber mit der Verschreibungspflicht an ein Kriterium des Arzneimittelrechts, das mithin ein Kriterium der Arzneimittelsicherheit darstellt. Damit zusammenhängend hat er aber zwei Ausnahmen im Gesetz geregelt: die Verordnung bei Kindern und Jugendlichen sowie die Verordnung von Standardtherapeutika bei schwerwiegenden Erkrankungen. Die Ausgestaltung hat der Gesetzgeber im Hin524 525

So BSGE 96, 170 (175); bestätigt durch BVerfG SozR 4 – 2500 § 31 Nr. 17 Rn. 10 f. BSGE 96, 170 (175); vgl. auch Hauck, NJW 2007, S. 1324.

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B. Der Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel

blick auf die Standardtherapeutika dem Gemeinsamen Bundesausschuss übertragen. Dieser hat den Begriff der schwerwiegenden Erkrankung an den Begriff der schwerwiegenden Erkrankung im Off-Label-Use angelehnt. Von den Gerichten wird dieser Begriff ebenso wie beim Off-Label-Use streng und restriktiv ausgelegt, was es im Rahmen der OTC-Liste nicht bedarf. Die Definition des Therapiestandards und dessen Anknüpfung an den allgemeinen Stand der medizinischen Erkenntnisse ist allerdings sachgerecht. Daneben besteht für die Krankenkassen die Möglichkeit nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel als Satzungsleistung zu gewähren und dadurch den Ausschluss abzumildern. Zudem ist es denkbar, dass die Voraussetzungen des Nikolausbeschlusses erfüllt werden, obschon diese Möglichkeit aufgrund dessen enger Voraussetzungen eher die Ausnahme bleiben wird.

C. Verfassungsmäßigkeit und Europarechtskonformität I. Verfassungsmäßigkeit des Ausschlusses nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel Schon vor der Einführung des Ausschlusses der nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung wurde die Verfassungsmäßigkeit eines solchen diskutiert und gerügt1. Viele Literaturstimmen äußerten sich schon in der Anfangszeit nach der Einführung des Ausschlusses negativ hinsichtlich der Vereinbarkeit der Regelung mit der Verfassung2. Kritisiert wurde unter anderem das Merkmal der Verschreibungspflicht, das als untaugliches Abgrenzungskriterium für die Erstattungsfähigkeit angesehen wurde sowie der Umstand, dass die Gesetzesbegründung auf einen Durchschnittspreis der nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel von unter 11 Euro abstellt3, da sich daraus nicht ergäbe inwiefern deshalb eine Eigenversorgung zumutbar sei und es sich zudem um einen bloßen Durchschnittspreis handele. Darüber hinaus wurde eine Ungleichbehandlung von chronisch Kranken und akut Kranken angesprochen. So wurden letztlich Verstöße gegen Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 2 GG sowie gegen Art. 3 Abs. 1 GG angenommen. Auch Verstöße im Hinblick auf die Berufsfreiheit der Pharmaunternehmer aus Art. 12 Abs. 1 GG wurden diskutiert. Mittlerweile haben sowohl das Bundessozialgericht, als auch das Bundesverfassungsgericht sich zu der Frage der Verfassungsmäßigkeit des Ausschlusses geäußert und diesen als verfassungsgemäß erachtet4. Vom Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel sind verschiedene Personengruppen betroffen. Dazu gehören die gesetzlich Versicherten, die diese Arzneimittel nun selbst bezahlen müssen, die pharmazeutischen Unternehmer, die 1

So etwa von Schwerdtfeger, PharmR 2003, S. 346 ff. Vgl. Becker, Steuerung der Arzneimittelversorgung, S. 26, 423 f.; Gassner, in: Mummenhoff, Machtzuwachs der Krankenkassen, S. 170 ff.; Nitz, in: Stellpflug/Meier/Tadayon, Handbuch Medizinrecht, Band 2, H 1000 Rn. 68 ff.; Schwerdtfeger, PharmR 2004, S. 394 ff. 3 Vgl. BT-Drs. 15/1525, S. 86. 4 BVerfG PharmR 2013, 119 ff.; BSGE 102, 30 ff.; so auch die allg. Ansicht in der Rechtsprechung: BSGE 116, 1 (4); 117, 129 (133 f.); LSG Sachsen-Anhalt Urt. v. 21. 01. 2010 – L 10 KR 4/07 Rn. 38; LSG Berlin-Brandenburg Urt. v. 27. 03. 2013 – L 7 KA 45/10 KL Rn. 38. Dem zustimmend auch die Literatur, vgl.: Axer, in: Becker/Kingreen, SGB V, § 34 SGB V Rn. 11; Bischofs, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, Beck’scher Onlinekommentar Sozialrecht, § 34 SGB V Rn. 14; Kaufmann, in: Meier/von Czettritz/Gabriel/Kaufmann, Pharmarecht, § 11 Rn. 11; Otto, PharmR 2005, S. 105; Wigge/Wille, in: Schnapp/Wigge, HVAR, § 19 Rn. 14. 2

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C. Verfassungsmäßigkeit und Europarechtskonformität

Umsatzeinbußen erleiden können, sowie die Ärzte, die in ihrer Therapiefreiheit dadurch eingeschränkt sein können. Des Weiteren lassen sich in der Gruppe der Versicherten bestimmte Personengruppen hervorheben, die vom Ausschluss der nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel besonders betroffen werden, wie chronisch Kranke, hilfebedürftige Personen und Personen, die Arzneimittel der besonderen Therapierichtungen in Anspruch nehmen. Auf diese Personengruppen wird in den folgenden Abschnitten jeweils gesondert eingegangen.

1. Verfassungsmäßigkeit des Ausschlusses hinsichtlich der gesetzlich Versicherten a) Verletzung von Grundrechten der gesetzlich Versicherten Betroffen vom Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung sind zunächst alle gesetzlich Versicherten. Durch die Herausnahme einzelner Leistungen aus dem Katalog der gesetzlichen Krankenversicherung können verschiedene Grundrechte beeinträchtigt sein. So sind durch den Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel Verletzungen der Eigentumsfreiheit, des Rechts auf körperliche Unversehrtheit, der allgemeinen Handlungsfreiheit i. V. m. dem Sozialstaatsprinzip und des Gleichbehandlungsgrundsatzes anzudenken. aa) Beeinträchtigung der Eigentumsfreiheit, Art. 14 Abs. 1 GG Durch den Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung wird der Anspruch der Versicherten auf Versorgung mit Arzneimitteln begrenzt. Damit wird den Versicherten zwar keine Eigentumsposition im eigentlichen Sinne entzogen bzw. eingeschränkt, da in den Schutzbereich von Eigentumsfreiheit in erster Linie private Vermögensrechte hineinfallen5, jedoch wird durch den Ausschluss ein sozialrechtlicher Anspruch verkürzt. Es können aber auch öffentlich-rechtliche Rechtspositionen und damit sozialrechtliche Anwartschaften und Ansprüche von Art. 14 Abs. 1 GG geschützt sein. Dem Eigentumsschutz unterstehen sozialversicherungsrechtliche Anwartschaften und Ansprüche aber nur, sofern es sich dabei um vermögenswerte Rechtspositionen handelt, die nach Art eines Ausschließlichkeitsrechts dem Rechtsträger zugeordnet sind, die auf nicht unerheblicher Eigenleistung beruhen und

5 Vgl. BVerfGE 1, 264 (278); 70, 191 (199); 95, 267 (300); 112, 93 (107); 126, 331 (358); Axer, in: Epping/Hillgruber, GG, Art. 14 GG Rn. 48 ff.; Papier, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 14 GG Rn. 55.

I. Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel

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die der Existenzsicherung dienen6. Bejaht wurde ein solches dem Eigentumsschutz unterfallendes Recht durch die Rechtsprechung bisher ausdrücklich bei Rentenansprüchen und -anwartschaften in der Rentenversicherung, Renten wegen Erwerbsminderung, dem rentenversicherungsrechtlichen Anspruch auf Beiträge und Zuschüsse zur Krankenversicherung der Rentner, aber auch bei der Arbeitslosenversicherung hinsichtlich der Ansprüche von Arbeitslosengeld und Anwartschaften hierauf7. Die Frage, ob krankenversicherungsrechtliche Leistungsansprüche dem Eigentumsschutz unterfallen, wurde vom Bundesverfassungsgericht bisher offen gelassen8. Auch das Bundessozialgericht hat keine Aussage dazu getroffen, ob Anwartschaften auf Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung unter den Eigentumsschutz fallen9. In der Literatur wird im Hinblick auf krankenversicherungsrechtliche Leistungsansprüche schon die Erfüllung der verfassungsrechtlichen Voraussetzungen für den Eigentumsschutz oftmals in Frage gestellt und verneint10. Bejaht werden kann die Voraussetzung der Eigenfinanzierung. Diese Voraussetzung erfordert nicht, dass der Versicherte allein die Finanzierung getätigt hat, da Voraussetzung nur eine nicht unerheblichen Eigenleistung ist; Leistungen des Arbeitgebers oder Dritter können mit einfließen11. Ansprüche, die der Staat allein aus fürsorgerechtlichen Gründen gewährt, sind allerdings ausgeschlossen12. Durch die 6

BVerfGE 69, 272 (300); 97, 271 (283 f.); 112, 368 (396); so auch: Axer, in: Epping/ Hillgruber, GG, Art. 14 GG Rn. 56; Papier, in: von Maydell/Ruland/Becker, SRH, § 59 Rn. 47; Wendt, in: Sachs, Grundgesetz Kommentar, Art. 14 GG Rn. 34; krit. zu den einzelnen Voraussetzungen Depenheuer, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum Grundgesetz, Art. 14 GG Rn. 69 ff.; krit. auch Appel, Entstehungsschwäche und Bestandsstärke, S. 61 f., der allein die Eigenleistung für die Eingrenzung des Schutzbereiches ausreichen lassen will. 7 BVerfGE 53, 257 (289 ff.); 58, 81 (109); 112, 368 (396); 117, 272 (292); BVerfG WzS 2014, 259 ff., bezüglich Rentenansprüchen; BVerfGE 75, 78 (96 f.) bezüglich der Rente wegen Erwerbsminderung; BVerfGE 72, 9 (18 f.); 74, 203 (213) bezüglich dem Arbeitslosengeld. 8 Vgl. BVerfGE 97, 378 (385), hinsichtlich eines Anspruchs auf Krankengeld; BVerfGE 11, 221 (226) hinsichtlich dem Zusatzsterbegeld; allgemein bejahend: Papier, in: Merten/Papier, Handbuch der Grundrechte, Band II, § 30 Rn. 30; ders., in: von Maydell/Ruland/Becker, SRH, § 3 Rn. 59; ders. in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 14 GG Rn. 159. 9 Ausdrücklich verneint wurde der eigentumsrechtliche Schutz des Sterbegeldes, BSGE 69, 76 (77 f.). 10 Axer, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Band IV, § 95 Rn. 25; Isensee, in: Gitter/Söllner/Waltermann/Giesen/Ricken, GS für Meinhard Heinze, S. 429; Hänlein, SGb 2003, S. 304; zumindest für nicht rückwirkende Leistungsausschlüsse Philipp, Arzneimittellisten und Grundrechte, S. 186 ff. 11 BVerfGE 69, 272 (302); 72, 9 (19 f.); Papier, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 14 GG Rn. 141; Vießmann, VSSR 2010, S. 116; Wieland, in: Dreier, Grundgesetz Kommentar, Art. 14 GG Rn. 74. 12 Vgl. BVerfGE 16, 94 (113); 53, 257 (291 f.); 69, 272 (301 f.); 72, 175 (195); 116, 96 (112 f.); 128, 90 (101); so auch: Axer, in: Epping/Hillgruber, GG, Art. 14 GG Rn. 56; Ossenbühl, in: Fürst/Herzog/Umbach, FS Wolfgang Zeidler, Band 1, S. 631; Papier, in: Maunz/ Dürig, Grundgesetz, Art. 14 GG Rn. 150. Der EGMR hat ein weiteres Verständnis von Eigentumsschutz: Nach Art. 1 1. Zusatzprotokoll EMRK soll das Eigentum auch dann geschützt

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C. Verfassungsmäßigkeit und Europarechtskonformität

Zahlung der Beiträge hat der Versicherte selbst dazu beigetragen, dass ihm die Ansprüche zustehen und sie damit eigenfinanziert13. Die hälftige Tragung der Krankenversicherungsbeiträge durch den Arbeitgeber schließt die Annahme einer Eigenfinanzierung nicht aus, unabhängig davon, dass die Arbeitgeberbeiträge als Lohnbestandteile dem Versicherten zugerechnet werden können14. Problematischer stellt sich die Erfüllung der Voraussetzung der Existenzsicherung dar. Hierfür ist keine Einzelbetrachtung notwendig, allerdings muss der Anspruch nach der Rechtsprechung für den Großteil der Versicherten der Existenzsicherung dienen15. Existenzsichernde Wirkung könnte man bei krankenversicherungsrechtlichen Ansprüchen darin sehen, dass der Versicherte durch die Zahlung der Beiträge Leistungen durch die gesetzliche Krankenversicherung bekommt, für die er womöglich sehr große Beträge bezahlen müsste, sofern etwa ein schwerer Krankheitsfall eintritt16. Denkt man bspw. an einen mehrwöchigen Krankenhausaufenthalt, so würden auf den Versicherten immense Kosten zukommen, die seine Existenz gefährden könnten. Diese Gefahr trifft auch auf einen Großteil der Versicherungsnehmer zu. Damit können krankenversicherungsrechtliche Ansprüche der Existenzsicherung dienen. Dennoch werden gerade im Sozialrecht oftmals auch Leistungen gewährt, die gerade nicht der Existenzsicherung dienen sollen17. Insbesondere ist nicht in jeder sozialrechtlichen Leistung, die oftmals als wirtschaftliche Hilfe gewährt wird, eine existenzsichernde Leistung zu sehen18. Gerade bei kürzeren Leistungen liegt der existenzsichernde Gedanke eher fern19. So kann insbesondere bei einmaligen Leistungen, wie einer ärztlicher Behandlung oder der Verordnung von Arzneimitteln, nicht automatisch auf eine existenzielle Wirkung geschlossen werden. Nicht jeder krankenversicherungsrechtliche Anspruch ist dafür gedacht, enorme Kosten für die Versicherten abzuweisen. Deshalb hat das Bundessozialgericht für das Sterbegeld richtigerweise eine Existenzsicherung abgelehnt20. Der Anspruch auf Versorgung mit Arzneimitteln kann insofern als existenziell angesehen werden, als dass er eine angemessene Behandlung für die jeweilige Krankheit garantiert und dafür sorgt, dass niemand allein aus finanziellen Gründen sein, wenn es nicht auf eigenen Beiträgen beruht, vgl. EMGR v. 06. 07. 2005 Nr. 65731/01, 65900/01 Rn. 47 ff.; EGMR v. 08. 01. 2013, Nr. 9134/06 Rn. 45 ff.; Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 25 Rn. 5. 13 So auch Philipp, Arzneimittellisten und Grundrechte, S. 186. 14 Vgl. BVerfGE 69, 272 (301 f.); Ruland, NZS 2010, S. 125. 15 BVerfGE 53, 257 (290); 69, 272 (303 f.); BVerfGK 14, 287 (290 f.); so auch BSGE 69, 76 (78). 16 Vgl. Philipp, Arzneimittellisten und Grundrechte, S. 186; Vießmann, VSSR 2010, S. 115. 17 So BVerfGE 69, 272 (304); BSGE 69, 76 (78); Ossenbühl, in: Fürst/Herzog/Umbach, FS Wolfgang Zeidler, Band 1, S. 633. 18 BSGE 69, 76 (78); Katzenstein, in: Fürst/Herzog/Umbach, FS Wolfgang Zeidler, Band 1, S. 664 f. 19 Vgl. Katzenstein, in: Fürst/Herzog/Umbach, FS Wolfgang Zeidler, Band 1, S. 665. 20 BSGE 69, 76 (78).

I. Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel

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eine medizinisch erforderliche Behandlung nicht wahrnehmen kann. Allerdings sind nur die nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel durch die Regelung des § 34 Abs. 1 S. 1 SGB V aus dem Leistungskatalog ausgenommen. Bei diesen handelt es sich gerade um solche aus dem niedrigeren Preissegment. Für den Großteil der Versicherten ist die Bezahlung dieser Arzneimittel durch die gesetzliche Krankenversicherung nicht existenziell. Was den Anspruch auf Versorgung mit nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln angeht, so wird im Hinblick auf deren durchschnittlichen Preise, der zu leistenden Zuzahlungen und der Ausnahme in § 34 Abs. 1 S. 2 SGB V eine solche Existenzsicherung zu Recht verneint21. Eine vermögensrechtliche Rechtsposition als Voraussetzung für den Eigentumsschutz verlangt, dass eine gesicherte bzw. hinreichend verfestigte Rechtsposition vorliegen muss, die dem Träger zugeordnet ist22 ; es handelt sich dabei um die grundlegende Voraussetzung für eine Unterstellung unter den Schutzbereich der Eigentumsfreiheit23. Zwar kann der Anspruch auf Versorgung mit Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung schon als gesicherte Rechtsposition betrachtet werden, da er dem Versicherten zusteht, sobald der Versicherungsfall der Krankheit eingetreten ist, allerdings erscheint der Bezug zum Eigentum, anders als bei der Rentenversicherung, nicht eindeutig. Das mag daran liegen, dass die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen zur Bejahung eines eigentumsrechtlichen Schutzes von sozialrechtlichen Leistungsansprüchen auf die Rentenansprüche und Rentenanwartschaften zugeschnitten sind und daher nicht vollumfänglich auf das Krankenversicherungsrecht passen24 ; denn letztlich beruht der Schutz des Eigentums öffentlich-rechtlicher Rechtspositionen auf dem Gedanken des Äquivalenzprinzips25. Das Äquivalenzprinzip findet in der gesetzlichen Rentenversicherung eine besondere Ausprägung26. Dort zahlen die Versicherten jahrelang Beiträge ein und sammeln dadurch der Beitragshöhe entsprechende Entgeltpunkte, um am Ende einen ihren gesammelten Entgeltpunkten entsprechenden Betrag zu erlangen. Es besteht eine Beitragsäquivalenz in dem Sinne, dass höhere Beiträge bzw. höheres Arbeitsentgelt zu höheren Leistungen führen. Eine solche Beitragsäquivalenz liegt im Er21 So Otto, PharmR 2005, S. 103; eine existenzielle Bedeutung ebenso ausschließend Burgardt, in: Mummenhoff, Machtzuwachs der Krankenkassen, S. 188 f. Inwiefern dies für die spezielle Gruppe von hilfebedürftigen Personen anders zu bewerten ist, vgl. Abschnitt C. I. 3. 22 Vgl. BVerfGE 53, 257 (289 f.); 69, 272 (300 f.); Ossenbühl, in: Fürst/Herzog/Umbach, FS Wolfgang Zeidler, Band 1, S. 629 f. 23 Ossenbühl, in: Fürst/Herzog/Umbach, FS Wolfgang Zeidler, Band 1, S. 630 f.; zustimmend Philipp, Arzneimittellisten und Grundrechte, S. 187. 24 Vgl. Hänlein, SGb 2003, S. 304; Isensee, in: Gitter/Söllner/Waltermann/Giesen/Ricken, GS für Meinhard Heinze, S. 429; hinsichtlich der Ausrichtung der Voraussetzungen auf Rentenansprüche und Rentenanwartschaften, vgl. Neumann, NZS 1998, S. 410. 25 Ossenbühl, in: Fürst/Herzog/Umbach, FS Wolfgang Zeidler, Band 1, S. 635; Neumann, NZS 1998, S. 410. Vgl. auch Axer/Wiegand, SGb 2015, S. 479, die darauf abstellen, dass es im Ergebnis maßgeblich auf eine Beitragsäquivalenz ankommt. 26 BVerfG SozR 4 – 2600 § 250 Nr. 3 Rn. 2; vgl. auch Hänlein, SGb 2003, S. 304.

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gebnis ebenso der Arbeitslosenversicherung in Bezug auf das Arbeitslosengeld zugrunde27, für das die Rechtsprechung einen Eigentumsschutz anerkennt28. Bei Betrachtung der bisherigen Anwendungsbereiche des Eigentumsschutzes wird daher deutlich, dass für den Eigentumsschutz von sozialversicherungsrechtlichen Beiträgen eine Beitragsäquivalenz erforderlich ist; mithin der Leistungsumfang lohn- und beitragsbezogen sein muss29. Die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung sind jedoch nicht von der Beitragshöhe abhängig; gerade im Gegenteil: Die Beitragszahlungen dienen der Verwirklichung des der Krankenversicherung zugrunde liegenden Gedankens der Solidarität und helfen für jeden dieselben Versicherungsleistungen zu ermöglichen30. Anders als in der Rentenversicherung werden die Ansprüche in der Krankenversicherung nicht angehäuft, im Sinne eines Sparens31, sondern auf die Versichertengemeinschaft unabhängig von der Beitragshöhe verteilt. Deshalb wird auch ein eigentumsrechtlicher Schutz nicht durch die Zahlung höherer Beiträge deutlicher, wie es etwa bei der Rentenversicherung der Fall ist32. Die Ansprüche auf Arbeitslosengeld und auf Rente unterliegen anderen Vorsorgekonzepten: Bei ihnen stehen Ansparungen im Vordergrund, während die Krankenversicherung nicht auf das Ziel des Sparens für besonders schwere Krankheiten ausgerichtet ist. Daher passen die Anforderungen an den Eigentumsschutz sozialversicherungsrechtlicher Ansprüche nicht auf krankenversicherungsrechtliche Ansprüche. Lediglich im Hinblick auf das Krankengeld besteht eine den Rentenanwartschaften vergleichbare Position, da dort bezüglich der Höhe der Leistungen an das Arbeitsentgelt angeknüpft wird und dementsprechend eine Äquivalenz besteht, sodass deshalb die Literatur teilweise zu einem Eigentumsschutz hin tendiert33. Im Ergebnis unterfallen die Ansprüche auf Versorgung mit Arzneimitteln nicht dem Schutz des Art. 14 Abs. 1 GG. Aber selbst wenn man den allgemeinen Anspruch auf Versorgung mit Arzneimitteln dem Eigentumsschutz unterstellen wollte, so würde dies einen Ausschluss der nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel nicht 27

Vgl. Axer/Wiegand, SGb 2015, S. 479 FN. 26, mit Verweis auf BVerfGE 72, 9 (19 f.). Die Höhe des Arbeitslosengeldes ergibt sich aus der Höhe des zuletzt gezahlten Lohnes und der danach bemessenen Beiträge und ist insofern beitragsabhängig. 28 Zum Eigentumsschutz des Arbeitslosengeldes vgl. BVerfGE 72, 9 (19 f.); 74, 203 (213). 29 Axer/Wiegand, SGb 2015, S. 479. 30 Isensee, in: Gitter/Söllner/Waltermann/Giesen/Ricken, GS für Meinhard Heinze, S. 429; Philipp, Arzneimittellisten und Grundrechte, S. 187. Zur fehlenden Äquivalenz von Beitrag und Leistung, vgl. auch Vießmann, VSSR 2010, S. 117, der allerdings einen Eigentumsschutz aufgrund der Ausgestaltung des SGB V mit konkretisierungsbedürftigen Rahmenrechten ablehnt. 31 Vgl. Ossenbühl, in: Fürst/Herzog/Umbach, FS Wolfgang Zeidler, Band 1, S. 635 f., der auf das Merkmal des „Sparens“ in Abgrenzung zur Risikoversicherung der Arbeitslosenversicherung eingeht. 32 Vgl. Hänlein, SGb 2003, S. 304, der hinsichtlich krankenversicherungsrechtlicher Ansprüche nicht von eigentumsähnlichen Positionen sprechen will. 33 So etwa Hänlein, SGb 2003, S. 304. Offen lassend: BVerfG NJW 1997, 2444 (2445); BVerfGE 97, 378 (385).

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verhindern; denn dann wäre noch eine Rechtfertigung als Inhalts- und Schrankenbestimmung möglich. bb) Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit, Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG gewährt das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Durch das Recht auf Leben wird das körperliche Dasein, mithin die biologisch-physische Existenz ab ihrem Entstehungszeitpunkt bis zu ihrem Tode geschützt34. Die körperliche Unversehrtheit schützt hingegen das physiologische und, sofern es körperlichen Schmerzen vergleichbare Auswirkungen erreicht oder zumindest körperlichen Beeinträchtigungen nahe kommt, auch das psychologische Wohlbefinden sowie die körperliche Integrität, unabhängig von Schmerzen, vor staatlichen Eingriffen35. Das seelische und soziale Wohlbefinden wird hingegen nicht erfasst36. (1) Beeinträchtigung der abwehrrechtlichen Komponente der körperlichen Unversehrtheit Durch den Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung kommt in erster Linie eine Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit in Betracht. Das Grundrecht der körperlichen Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG wurde ursprünglich als Abwehrrecht konstruiert und sollte insbesondere vor staatlichen Eingriffen in den Körper, wie sie in der NS-Zeit stattgefunden haben, schützen37.

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BVerfGE 88, 203 (251 ff.); 115, 118 (139); so auch: Jarass, in: ders./Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Art. 2 GG Rn. 81; Starck, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum Grundgesetz, Art. 2 Abs. 2 GG Rn. 192. 35 BVerfGE 56, 54 (74); 125, 39 (82); BVerfG NVwZ 2009, 1494 (1495); Di Fabio, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG Rn. 55; Jarass, in: ders./Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Art. 2 GG Rn. 83; Murswiek, in: Sachs, Grundgesetz Kommentar, Art. 2 GG Rn. 148 f.; Starck, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum Grundgesetz, Art. 2 Abs. 2 GG Rn. 193; Schulze-Fielitz, in: Dreier, Grundgesetz Kommentar, Art. 2 Abs. 2 GG Rn. 35 ff.; so auch schon Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, S. 224 f.; a.A. Müller-Terpitz, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Band VII, § 147 Rn. 44, der einen Schutz des psychischen Wohlbefindens verneint, außer der Eingriff äußert sich letztlich in körperlicher Natur. 36 Di Fabio, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG Rn. 56; Jarass, in: ders./ Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Art. 2 GG Rn. 83; Starck, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum Grundgesetz, Art. 2 Abs. 2 GG Rn. 193; Steiner, in: Spickhoff, Medizinrecht, Art. 2 GG Rn. 12; offen lassend: BVerfGE 56, 54 (74 f.); BVerfG NVwZ 2009, 1494 (1495). 37 Lang, in: Epping/Hillgruber, GG, Art. 2 GG Rn. 90; Steiner, in: Spickhoff, Medizinrecht, Art. 2 GG Rn. 11; vgl. auch Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit,

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Durch den Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel wird allerdings nicht im abwehrrechtlichen Sinne in das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit eingegriffen38. Folge des Ausschlusses ist lediglich, dass die Versicherten diese Arzneimittel nun selbst zahlen müssen, woraus kein Eingriff in das physiologische oder das psychologische Wohlbefinden sowie in die körperliche Integrität erfolgt. Denn dadurch enthält der Staat dem Versicherten die notwendigen Arzneimittel nicht vor, sondern entlässt sie lediglich in den Verantwortungsbereich der Versicherten. In seiner Funktion als Abwehrrecht ist das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit daher nicht beeinträchtigt. Allerdings könnte die Herausnahme aus dem Leistungskatalog zur Folge haben, dass manche Arzneimittel, aufgrund geringerer Gewinnchancen für den Unternehmer mangels Kostentragung durch die gesetzliche Krankenversicherung, nicht mehr auf den Arzneimittelmarkt gebracht werden und den Versicherten aufgrund dessen nicht mehr zur Selbstmedikation zur Verfügung stehen39. Dadurch würde die Auswahl an Arzneimitteln eingeschränkt, sodass sich hieraus eine Verletzung der körperlichen Unversehrtheit ergeben könnte. Beschränkungen der Freiheit zur Auswahl unter Arzneimitteln, die den Versicherten als Sachleistung zur Verfügung stehen, werden jedoch nicht an der körperlichen Unversehrtheit, sondern an der allgemeinen Handlungsfreiheit gemessen40. Im Übrigen läge auch kein Eingriff vor, da das Verschwinden von Arzneimitteln vom Markt dem Gesetzgeber nicht zugerechnet werden kann. Er hat eine solche Folge weder bezweckt, noch wäre er mittelbar für deren Schwund verantwortlich. Vielmehr durfte er darauf vertrauen, dass die nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel, die schon vorher oftmals im Wege der Selbstmedikation bezogen wurden und schon vor dem Ausschluss ihren Markt hatten, auch danach auf dem Markt beständig bleiben würden. Das Verschwinden einzelner Arzneimittel ist jedenfalls nicht vorhersehbar und nicht Ziel der Regelung und deshalb nicht zurechenbar41.

S. 114. Das Grundrecht wurde gerade in Erwiderung auf die Taten während der NS-Zeit eingeführt, vgl. Pestalozza, Bundesgesundheitsbl. 2007, S. 1114. 38 So auch Isensee, in: Gitter/Söllner/Waltermann/Giesen/Ricken, GS für Meinhard Heinze, S. 428. 39 Diese Frage etwa aufwerfend Philipp, Arzneimittellisten und Grundrechte, S. 198 ff. 40 BVerfGE 106, 275 (304 f.); 115, 25 (42); Lang, in: Epping/Hillgruber, GG, Art. 2 GG Rn. 4; Murswiek, in: Sachs, Grundgesetz Kommentar, Art. 2 GG Rn. 54; Wigge, MedR 1996, S. 58; a.A. Philipp, Arzneimittellisten und Grundrechte, S. 200 ff., der ein solches Recht, das von ihm als Recht auf Zugang zu Gesundheitsleistungen bezeichnet wird und das er abwehrrechtlich versteht, auf die körperliche Unversehrtheit stützen will. 41 Vgl. Philipp, Arzneimittellisten und Grundrechte, S. 208 ff.

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(2) Die körperliche Unversehrtheit als Leistungsrecht (a) Staatliche Schutzpflicht Das Grundrecht der körperlichen Unversehrtheit wird aber nicht nur als Abwehrrecht verstanden; der Staat ist nicht nur gehalten die körperliche Unversehrtheit der Bevölkerung durch staatliche Maßnahmen nicht zu beeinträchtigen, es besteht für ihn darüber hinausgehend eine objektiv-rechtliche Schutzpflicht, sich schützend und fördernd vor das Leben und die körperliche Unversehrtheit zu stellen42. Die Schutzpflichten wurden entwickelt, um anders als bei den Abwehrrechten, auch bei einem Einschreiten durch Dritte den Staat zu verpflichten, Abwehrmaßnahmen zu treffen43. Anders als in der typischen Abwehrkonstellation der Grundrechte ist nicht der Staat derjenige, der das Grundrecht verletzt, sondern eine dritte private Person. Schutzpflichten bestehen daher nur, sofern eine Dreieckskonstellation vorliegt44. Sofern man einen Anspruch auf Gesundheitsleistungen aus der Schutzpflicht ableiten möchte, folgt daraus noch nicht, dass im Einzelfall ein Anspruch auf eine bestimmte Leistung besteht, denn den staatlichen Stellen steht bei der Ausformung der Schutzpflicht ein weiter Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum zu45. Ein aus der Schutzpflicht resultierender Anspruch wird durch den weiten Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers so begrenzt, dass er lediglich darauf gerichtet ist, dass der Staat Vorkehrungen zum Schutz treffen muss und diese im Sinne des Untermaßverbotes nicht völlig ungeeignet oder unzulänglich sein dürfen46. Die Schutzpflicht führt daher nicht dazu, dass der Versicherte jede Arzneimitteltherapie verlangen kann. Aus der Verfassung ergibt sich keine Pflicht der gesetzlichen 42

BVerfGE 39, 1 (42); 46, 160 (164); 88, 203 (251); 90, 145 (195); BVerfG NJW 1997, 3085; BVerfG NVwZ 2009, 1494 (1495); BVerfG NZS 2014, 539 (540); siehe auch: SchulzeFielitz, in: Dreier, Grundgesetz Kommentar, Art. 2 Abs. 2 GG Rn. 76 ff.; Starck, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum Grundgesetz, Art. 2 Abs. 2 GG Rn. 190. Zu Leistungsrechten im Allgemeinen, vgl. Borowski, in: Häberle, Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart, Neue Folge, Band 50, S. 301 ff. 43 Lang, in: Epping/Hillgruber, GG, Art. 2 GG Rn. 75; Murswiek, in: Sachs, Grundgesetz Kommentar, Art. 2 GG Rn. 24 f.; vgl. auch Isensee, in: ders./Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Band IX, § 191 Rn. 192 ff. 44 Isensee, in: ders./Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Band IX, § 191 Rn. 218, 247 ff.; Murswiek, in: Sachs, Grundgesetz Kommentar, Art. 2 GG Rn. 24 f.; Starck, in: von Mangoldt/ Klein/Starck, Kommentar zum Grundgesetz, Art. 2 Abs. 2 GG Rn. 209; a.A. Lang, in: Epping/ Hillgruber, GG, Art. 2 GG Rn. 75, 82, der das Vorliegen einer Dreieckskonstellation nicht für eine zwingende Voraussetzung hält. 45 BVerfGE 46, 160 (164); 56, 54 (80 f.); 77, 170 (214 f.); 79, 174 (202); 125, 39 (78); BVerfG NVwZ 2009, 1489 (1490 f.); so auch: Jarass, in: ders./Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Art. 2 GG Rn. 92; Schulze-Fielitz, in: Dreier, Grundgesetz Kommentar, Art. 2 Abs. 2 GG Rn. 86. 46 BVerfGE 77, 170 (215); 85, 191 (212); 92, 26 (46); 125, 39 (78 f.); BVerfG NJW 1997, 3085; BVerfG NVwZ 2011, 991 (994); Di Fabio, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG Rn. 94; Jarass, in: ders./Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Art. 2 GG Rn. 92. Zum Untermaßverbot, vgl. Borowski, Grundrechte als Prinzipien, S. 184 ff.

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Krankenkassen, alles zu leisten, was zur Erhaltung oder Wiederherstellung der Gesundheit von Nöten ist47. Der Pflicht zur Aufstellung von Vorkehrungen zum Schutz der Gesundheit, die nicht völlig ungeeignet oder unzulänglich sind, ist der Staat im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung dadurch nachgekommen, dass er Leistungen, die dem allgemein anerkannten Stand der Wissenschaft entsprechen, gewährt48. Von völlig ungeeigneten oder unzulänglichen Regelungen kann daher nur dann die Rede sein, wenn Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung derart eingeschränkt werden, dass den Versicherten überhaupt keine ausreichende Behandlung für den Versicherungsfall der Krankheit mehr zusteht49. Einen solchen Fall wird man aber durch den Ausschluss der nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung nicht annehmen können. Denn immerhin stehen den Versicherten die Arzneimittel noch zur Selbstmedikation zur Verfügung. Von einer unzulänglichen Regelung könnte eher gesprochen werden, wenn alle Arzneimittel aus dem Leistungskatalog genommen werden würden. Vorliegend handelt es sich aber nur um die nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel, die sogar auch vorher oftmals nicht über die gesetzliche Krankenversicherung, sondern über die Selbstmedikation bezogen wurden50. Zudem handelt es sich bei den Arzneimitteln um solche, die eher für leichtere Erkrankungen eingesetzt werden. Sofern eine schwerwiegenden Erkrankung vorliegt, kann außerdem die Ausnahmeregelung des § 34 Abs. 1 S. 2 SGB V zur Anwendung kommen. Daher sind durch den Ausschluss von nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln die Regelungen des Gesetzgebers im SGB V zum Gesundheitsschutz nicht ungeeignet oder unzulänglich geworden, sodass nicht von einer Verletzung der Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG gesprochen werden kann51. Dies gilt auch im Hinblick auf eine eventuelle Therapiewahlmöglichkeit des Versicherten aus dem Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit. Aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG ergibt sich nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts das Recht zur freien Selbstbestimmung des Patienten über ärztliche Heileingriffe, was einschließt, dass der Patient über die Therapie, die zur Anwendung kommen soll, entscheiden kann52. 47 So ausdrücklich BVerfGE 115, 25 (46); BVerfG SozR 4 – 2500 § 31 Nr. 17 Rn. 10; BVerfG PharmR 2013, 119 (122); zustimmend: Joussen, SGb 2012, S. 630; Murswiek, in: Sachs, Grundgesetz Kommentar, Art. 2 GG Rn. 225; Starck, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum Grundgesetz, Art. 2 Abs. 2 GG Rn. 211. 48 BSGE 86, 54 (65 f.). Ähnl. Schwerdtfeger, pharmind 1989, S. 23, der die gesamte gesetzliche Krankenversicherung als Ausdruck der Schutzpflicht ansieht; wobei die Schutzpflicht nur die finanzielle Absicherung bei gravierenden Erkrankungen gebiete. 49 So bspw. auch im Nikolausbeschluss, vgl. hierzu Abschnitt C. I. 1. a) bb) (2) (b). 50 BT-Drs. 15/1525, S. 86. 51 Vgl. Otto, PharmR 2005, S. 103; iE auch Gassner, in: Mummenhoff, Machtzuwachs der Krankenkassen, S. 172. 52 BVerfG NJW 1997, 3085 mit Verweis auf BVerfGE 89, 120 (130), wo ein solches Recht allerdings nicht ausdrücklich begründet wird.

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Doch gilt dies nicht unbeschränkt. Auch angesichts des weiten Gestaltungsraums folgt aus dem Grundrecht kein Recht bzw. kein Anspruch auf bestimmte Therapieleistungen. (b) Berücksichtigung des Nikolausbeschlusses des Bundesverfassungsgerichts Allerdings gibt es Fälle, in denen eine Verletzung des Grundrechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit in Bezug auf nicht erbrachte Gesundheitsleistungen bejaht wurde, wie der sog. Nikolausbeschluss des Bundesverfassungsgerichts53 zeigt. Dort bejahte das Gericht einen Verstoß gegen Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG, weil dem Versicherten eine von ihm begehrte bestimmte Therapie nicht durch die gesetzliche Krankenversicherung erbracht wurde. Grund für die Verletzung des Grundrechts war, dass der Versicherte an einer lebensbedrohlichen bzw. regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung litt und es für diese keine der Schulmedizin entsprechende Therapie gab54. Die Grundsätze und auch die Voraussetzungen des Beschlusses lassen sich zwar auf die Arzneimittelversorgung übertragen55, dennoch steht diese Rechtsprechung der Einschränkung des Leistungsumfangs der gesetzlichen Krankenversicherung, wie er durch den Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel stattgefunden hat, nicht entgegen. Denn ausschlaggebend für die Annahme eines Verstoßes gegen die körperliche Unversehrtheit und für die Annahme eines unmittelbar aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. dem Sozialstaatsprinzip und Art. 2 Abs. 2 GG folgenden Anspruches auf Leistungen im Krankheitsfall56, war der Umstand, dass der Versicherte an einer lebensbedrohlich oder regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung litt, aber in seinem Fall keine von der Krankenversicherung zu leistende Behandlungsmöglichkeit zur Verfügung stand57. Das Bundesverfassungsgericht hat dazu ausgeführt, dass ein Verstoß gegen Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG aufgrund der krankheitsbedingten Lebensgefahr gegeben sei. Der Staat habe mit der Ausformung des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung eine Verantwortung für Leben und körperliche Unversehrtheit der Versicherten übernommen. Daher gehöre auch die Vorsorge bei lebensbedrohlichen Erkrankungen unter den Voraussetzungen, dass es keine schulmedizinische Therapiealternative gäbe und eine begründete Aussicht auf

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BVerfGE 115, 25 ff. Zum Sachverhalt vgl. Abschnitt B. VI. 55 BSGE 96, 170 (172 ff.). Zur Übertragung der Grundsätze auf die Arzneimittelversorgung, vgl. Abschnitt B. VI. 56 Das es sich um einen verfassungsunmittelbaren Anspruch handelt, bestätigte das BVerfG in einem Beschluss im November 2015, BVerfG KrV 2015, 236 (238). Zuvor sprach es in der Regel nur von einer grundrechtsorientierten Auslegung des krankenversicherungsrechtlichen Leistungsrechts, vgl. BVerfGE 115, 25 (44 f.); BVerfG NZS 2014, 539 (540). 57 BVerfGE 115, 25 (49); bestätigt durch BVerfG KrV 2015, 236 (238), das BVerfG führte aus, dass ein unmittelbarer verfassungsrechtlicher Leistungsanspruch nur auf extreme Situationen einer krankheitsbedingten Lebensgefahr beschränkt sei. 54

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Heilung oder Verbesserung bestehe, zum Kernbereich der Leistungspflicht und der von Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG geforderten Mindestversorgung58. Kennzeichnend für die Verletzung des Grundrechts und die Bejahung eines verfassungsunmittelbaren Anspruchs war folglich, dass trotz tödlicher Erkrankung keine Leistung durch die gesetzliche Krankenversicherung erbracht wurde. Einer solchen Situation beugt der Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel aber bereits durch seine Ausnahmevorschrift in § 34 Abs. 1 S. 2 SGB V vor. Denn diese trifft Ausnahmen für Arzneimittel, die bei lebensbedrohlichen und sogar bei Erkrankungen, die schwerwiegend sind aber den Grad der lebensbedrohlichen Erkrankung nicht erreichen, als Therapiestandard gelten59. Dadurch kommt der Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel grundsätzlich nicht in das Stadium, das die Verletzung der körperlichen Unversehrtheit bzw. die Bejahung des Leistungsanspruchs im Fall des Nikolausbeschlusses ausgelöst hat. Der unmittelbar verfassungsrechtliche Leistungsanspruch ist nur bei Vorliegen einer durch nahe Lebensgefahr gekennzeichneten individuellen Notlage gegeben, in der Versicherte nach allen verfügbaren medizinischen Hilfen greifen müssen60. Die Grundsätze des Nikolausbeschlusses können daher nicht herangezogen werden, um eine Verletzung der körperlichen Unversehrtheit bzw. einen aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. dem Sozialstaatsprinzip und Art. 2 Abs. 2 GG abgeleiteten Leistungsanspruchs im Falle des Ausschlusses von nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln zu belegen. (c) Recht auf Gesundheit Diskutiert wird im Zusammenhang mit Leistungsrechten aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG immer wieder, ob die körperliche Unversehrtheit ein Recht auf Gesundheit beinhaltet und daraus Ansprüche auf Gesundheitsleistungen resultieren61. Durch die Einbeziehung des physiologischen Wohlbefindens schützt das Grundrecht nämlich auch die Gesundheit des einzelnen Menschen. Damit ist allerdings kein allgemeines Recht auf Gesundheit in dem Sinne gemeint, als ein solches alle Leistungen, die zur Aufrechterhaltung der Gesundheit erforderlich sind, garantiert. Ein solches kennt und nennt das Grundgesetz nicht62.

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BVerfGE 115, 25 (49). Vgl. zum Begriff der schwerwiegenden Erkrankung, Abschnitt B. III. 5. a). 60 BVerfG KrV 2015, 236 (238). 61 Vgl. zur Disskussion etwa: Lang, in: Epping/Hillgruber, GG, Art. 2 GG Rn. 82; Pestalozza, Bundesgesundheitsbl. 2007, S.1113 ff.; Quaas/Zuck/Clemens, Medizinrecht, § 2 Rn. 6 ff. 62 So ausdrücklich: Isensee, in: Gitter/Söllner/Waltermann/Giesen/Ricken, GS für Meinhard Heinze, S. 428; Pestalozza, Bundesgesundheitsbl. 2007, S. 1113; gegen ein Recht auf Gesundheit aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG: Di Fabio, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG Rn. 57, 94; Murswiek, in: Sachs, Grundgesetz Kommentar, Art. 2 GG Rn. 150, 224 ff.; Philipp, Arzneimittellisten und Grundrechte, S. 195, Schulze-Fielitz, in: Dreier, Grundgesetz Kommentar, Art. 2 Abs. 2 GG Rn. 37, 96 ff.; für ein Recht auf Gesundheit aus Art. 2 Abs. 2 59

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Eine Gleichstellung von Gesundheit und körperlicher Unversehrtheit kann insbesondere deshalb nicht angenommen werden, weil sich der Begriff der Gesundheit teilweise weiter, aber teilweise enger definiert als die Gegenstände, die der Schutzbereich des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG umfasst63. Überhaupt handelt es sich bei dem Gesundheitsbegriff um einen offenen und veränderbaren Begriff, der durch unterschiedliche Richtungen geprägt und bestimmt werden kann64. So ist nach der Präambel der Satzung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) vom 22. 07. 1946 der Begriff der Gesundheit als Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur als das Freisein von Krankheit und Gebrechen zu verstehen. Damit umschreibt die Definition einen Optimalzustand65. Diese Bestimmung reicht aber weit über den Schutzbereich des Rechts auf körperliche Unversehrtheit hinaus66. Bei der Kodifizierung der Krankenversicherung im SGB V hat man den weiten Gesundheitsbegriff nicht zugrunde gelegt67. Aber auch in Bezug auf die Grundrechte ist von keiner Gleichsetzung von körperlicher Unversehrtheit und Gesundheit auszugehen. Dass der Grundgesetzgeber die körperliche Unversehrtheit nicht mit dem Begriff der Gesundheit, wie er in der Satzung der WHO ausformuliert ist, gleichsetzen wollte, zeigt sich schon daran, dass dieser Begriff bei den Beratungen des Parlamentarischen Rates über den Grundrechtskatalog des Grundgesetzes bekannt war, aber vom Gesetzgeber nicht verwendet wurde68. Hinzu kommt, dass der Parlamentarische Rat über ein Recht auf Gesundheit gesprochen hat, ein solches aber nicht in das Grundgesetz aufnehmen wollte; man befürchtete, dass man dadurch in

S. 1 GG: Seewald, Zum Verfassungsrecht auf Gesundheit, S. 72 ff., 158 ff., 170 ff.; allg. zum Recht auf Gesundheit vgl. auch Jung, Das Recht auf Gesundheit, S. 1 ff. 63 Murswiek, in: Sachs, Grundgesetz Kommentar, Art. 2 GG Rn. 150. 64 Vgl. Axer, in: Eichenhofer/Wenner, SGB V, § 1 SGB V Rn. 11; Quaas/Zuck/Clemens, Medizinrecht, § 2 Rn. 6 f.; Philipp, Arzneimittellisten und Grundrechte, S. 203, der sogar davon spricht, dass man Gesundheit nicht objektiv definieren könne. 65 Di Fabio, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG Rn. 57; Schulze-Fielitz, in: Dreier, Grundgesetz Kommentar, Art. 2 Abs. 2 GG Rn. 37. 66 Di Fabio, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG Rn. 57; Murswiek, in: Sachs, Grundgesetz Kommentar, Art. 2 GG Rn. 150; Müller-Terpitz, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Band VII, § 147 Rn. 44; Starck, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum Grundgesetz, Art. 2 Abs. 2 GG Rn. 193; Schulze-Fielitz, in: Dreier, Grundgesetz Kommentar, Art. 2 Abs. 2 GG Rn. 37; offen gelassen von BVerfGE 56, 54 (74). 67 BT-Drs. 11/2237, S. 157; vgl. auch: Axer, in: Eichenhofer/Wenner, SGB V, § 1 SGB V Rn. 12; Krauskopf, in: ders., Soziale Krankenversicherung Pflegeversicherung, § 1 SGB V Rn. 6; Noftz, in: Hauck/Noftz, Sozialgesetzbuch – SGB V, § 1 SGB V Rn. 50; Peters, in: Körner/Leitherer/Mutschler, Kasseler Kommentar, § 1 SGB V Rn. 4. 68 BVerfGE 56, 54 (74); Di Fabio, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG Rn. 57; Starck, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum Grundgesetz, Art. 2 Abs. 2 GG Rn. 193.

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Schwierigkeiten kommen könnte, weil ein Recht auf Gesundheit als unmittelbares Recht anzusehen sei und damit vollkommen freie Behandlung zu gewähren wäre69. Des Weiteren hindert allein schon die Weite des Begriffes der Gesundheit die Annahme eines grundrechtlich gesicherten Rechts auf Gesundheit. „Gesundheit“ entzieht sich aufgrund seiner fehlenden Messbarkeit einer allgemein anerkannten Definition70. Der Begriff kann vielmehr individualistisch, gesellschaftsbezogen, subjektiv oder objektiv bestimmt werden. Insofern kann im medizinischen Bereich der Begriff der Gesundheit anders verstanden werden als im sozialrechtlichen Bereich71. Bei der Annahme eines Grundrechts auf Gesundheit würde die Weite des Begriffes und dessen Interpretationsspielraum dazu führen, dass fast jede staatliche Handlung rechtfertigungsbedürftig wäre72. Die körperliche Unversehrtheit würde dann zu einem Generalgrundrecht umfunktioniert werden73, aus dem sich letztlich ebenso positive Ansprüche und damit ein uferloser Anspruch auf Gesundheitsleistungen ergeben könnte. Um dem entgegenzuwirken müsste der Gesetzgeber eine Begrenzung des Begriffes der Gesundheit bzw. eine Objektivierung durchführen74, was wiederum gewisse Risiken in sich bergen würde. Zum einen weil der Gesetzgeber gehalten wäre Pflichten zum gesundheitsbewussten Verhalten zu erlassen, die jedoch selbst rechtfertigungsbedürftig wären, und zum anderen bestünde die Gefahr, dass aufgrund der Objektivierung unerforschte oder auch unheilbare Erkrankungen möglicherweise aus dem Leistungsrecht herausfielen75. Der Staat kann daher objektiv, außerhalb eines Regelungszwecks, wie sie im SGB V die Behandlungsbedürftigkeit darstellt, nur schwer eine Entscheidung darüber treffen, was als Gesundheit zu betrachten ist76. Darüber hinaus würden Schwierigkeiten bei der Gewährleistung und Ausübung des Rechts auf Gesundheit entstehen, ist der Staat doch stark auf die Eigeninitiative der Bürger angewiesen, sei es durch Prävention77 oder in der Therapie, wie bspw. Nikotinabhängigkeit oder Fettleibigkeit zeigen78. Es würde sich dann insbesondere die Frage stellen, ob den Personen, die sich selbst in eine 69

Vgl. zu der Beratung im Parlamentarischen Rat, Deutscher Bundestag und Bundesarchiv, Der Parlamentarische Rat 1948 – 1949, Band 5/I, Sitzung v. 5. Oktober 1948, S. 151 f.; vgl. hierzu auch Pestalozza, Bundesgesundheitsbl. 2007, S. 1114. 70 Axer, in: Eichenhofer/Wenner, SGB V, § 1 SGB V Rn. 11; Philipp, Arzneimittellisten und Grundrechte, S. 203 f. 71 Axer, in: Eichenhofer/Wenner, SGB V, § 1 SGB V Rn. 11. 72 Starck, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum Grundgesetz, Art. 2 Abs. 2 GG Rn. 193; so auch Philipp, Arzneimittellisten und Grundrechte, S. 195, der diesbezüglich die Schlussfolgerung einer notwendigen freiheitseinschränkenden Begrenzung sieht. 73 Schulze-Fielitz, in: Dreier, Grundgesetz Kommentar, Art. 2 Abs. 2 GG Rn. 37. 74 Philipp, Arzneimittellisten und Grundrechte, S. 195. 75 Philipp, Arzneimittellisten und Grundrechte, S. 195. 76 Vgl. Philipp, Arzneimittellisten und Grundrechte, S. 204. 77 Gesundheit umfasst nach Ansicht des Gesetzgebers auch Präventionsleistungen; zu Präventionsleistungen siehe §§ 20a ff. SGB V. 78 Vgl. Philipp, Arzneimittellisten und Grundrechte, S. 204.

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ungesunde Lage gebracht haben, ein Anspruch gewährleistet werden kann79. Ein Recht auf Gesundheit im weiteren Sinne wird daher nicht vom Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit umfasst. (d) Schutz des Rechts auf Gesundheit aufgrund des Nikolausbeschlusses? Durch den Nikolausbeschluss des Bundesverfassungsgerichts ist die Diskussion über ein Grundrecht auf Gesundheit allerdings wieder stärker aufgekommen. So wird teilweise aus diesem Urteil hergeleitet, dass die Rechtsprechung sich thematisch sehr dem Grundrecht auf Gesundheit angenähert habe80. Andere hingegen befürworten eine – nach ihrer Ansicht längst fällige – Aufnahme des Rechts auf Gesundheit in die Verfassung durch eine Grundgesetzänderung, da der Gesetzgeber im Bereich des SGB V immer verstärkter als „Gesundheitsreformer“ auftrete81. Entgegen gehalten werden können diesen Ansichten aber die obigen Argumente: Dass der Begriff der Gesundheit schwer zu definieren ist und im Ergebnis ein viel zu weiter Anspruch daraus resultieren würde, den man nur schwer, aufgrund des wiederum freiheitseinschränkenden Charakters der konkretisierenden Regelungen, eindämmen kann. Letztlich bleibt daher festzuhalten, dass ein verfassungsrechtlicher Anspruch auf bestimmte und spezielle Gesundheitsleistungen im Sinne eines Rechts auf Gesundheit aus dem Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit nicht besteht82. Daran hat der Nikolausbeschluss des Bundesverfassungsgerichts nichts geändert. (e) Anspruch bei Existenzminimum Teilhaberechtliche Ansprüche werden allerdings angenommen im Zusammenhang mit dem Existenzminimum in Verbindung mit der Menschenwürde und dem Sozialstaatsprinzip auf Gewährleistung eines Minimums an Gesundheit durch eine medizinische Grundversorgung oder auch grundsätzlich zur Bereithaltung eines

79 So werden bereits gem. § 52 Abs. 2 SGB V Versicherte an den Kosten der Krankenbehandlung beteiligt, wenn die Kankheit durch eine medizinisch nicht indizierte ästhetische Operation, durch eine Tätowierung oder durch ein Piercing hervorgerufen wurde. 80 So Pestalozza, Bundesgesundheitsbl. 2007, S. 1115, der sich neben dem Nikolausbeschluss noch auf eine Urteil des BVerfG aus dem Jahre 1999 (NJW 1999, 3399 ff.) beruft; zustimmend auch Lang, in: Epping/Hillgruber, GG, Art. 2 GG Rn. 82, der sogar davon spricht, dass das BVerfG sich durch diese beiden Entscheidungen (dem Nikolausbeschluss und die Entscheidung aus 1999) zu einem grundrechtlichen Anspruch auf Gesundheit bekennt, ohne es ausdrücklich zu nennen. 81 Ramm, VSSR 2008, S. 204 ff., 208, 218. 82 Vgl. BVerfGE 115, 25 (44); BVerfG SozR 4 – 2500 § 31 Nr. 17 Rn. 7; BVerfG NZS 2014, 539 (540); BVerfG KrV 2015, 236 (239); vgl. auch: Axer, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Band IV, § 95 Rn. 24; Di Fabio, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG Rn. 94; Isensee, in: Gitter/Söllner/Waltermann/Giesen/Ricken, GS für Meinhard Heinze, S. 428; Murswiek, in: Sachs, Grundgesetz Kommentar, Art. 2 GG Rn. 225.

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funktionsfähigen Gesundheitssystems83. Selbst wenn dem zuzustimmen ist84, so kann durch den Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel nicht pauschal von einer Verletzung des Existenzminimums gesprochen werden85. Insgesamt ist daher keine Verletzung der körperlichen Unversehrtheit durch den Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel ersichtlich. cc) Beeinträchtigung der allgemeinen Handlungsfreiheit, Art. 2 Abs. 1 GG Das Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG bietet einen umfassenden Schutz86. Es schützt grundsätzlich jedes menschliche Verhalten, unabhängig von dessen Gewicht für die Persönlichkeitsentfaltung87. So werden auch alltägliche Verhaltensweisen vom Schutz umfasst88. Nach Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist das Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit betroffen, wenn die Auswahl unter Arzneimitteln, die den Versicherten als Sachleistung zur Verfügung stehen, beschränkt wird89. Durch den Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel ist es den Versicherten nicht mehr möglich, solche Arzneimittel zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung zu erhalten. Grundsätzlich ist ein Zugang zu diesen Arzneimitteln nur noch auf eigene Kosten möglich. Eine Beschränkung des Leistungskatalogs und damit auch der Auswahlmöglichkeiten ist gegeben. Damit liegt durch den Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel ein Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit vor. 83 Di Fabio, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG Rn. 45 f., 94; Kunig, in: von Münch/Kunig, Grundgesetz Kommentar, Art. 2 GG Rn. 60; Murswiek, in: Sachs, Grundgesetz Kommentar, Art. 2 GG Rn. 224 ff.; Philipp, Arzneimittellisten und Grundrechte, S. 195 f.; Schulze-Fielitz, in: Dreier, Grundgesetz Kommentar, Art. 2 Abs. 2 GG Rn. 96; Taupitz, in: Wolter/Riedel/Taupitz, Einwirkungen der Grundrechte auf das Zivilrecht, Öffentliche Recht und Strafrecht, S. 118 ff.; a.A. Jarass, in: ders./Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Art. 2 GG Rn. 93, der einen Anspruch auf medizinische Mindestversorgung ablehnt. 84 Dazu näher später bei der Frage der Verletzung des Rechts auf ein medizinisches Existenzminimum hilfebedürftiger Personen durch den Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel, Abschnitt C. I. 3. 85 Vgl. Burgardt, in: Mummenhoff, Machtzuwachs der Krankenkassen, S. 188 f. 86 BVerfGE 80, 137 (152 f.); 114, 371 (383 f.); BVerfG NVwZ 2012, 1535 (1537); so auch: Di Fabio, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 2 Abs. 1 GG Rn. 12; Jarass, in: ders./Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Art. 2 GG Rn. 5; Kunig, in: von Münch/ Kunig, Grundgesetz Kommentar, Art. 2 GG Rn. 12; Starck, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum Grundgesetz, Art. 2 Abs. 1 GG Rn. 8 ff. 87 BVerfGE 80, 137 (152 f.); so auch: Dreier, in: ders., Grundgesetz Kommentar, Art. 2 Abs. 1 GG Rn. 26; Jarass, in: ders./Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Art. 2 GG Rn. 5; Murswiek, in: Sachs, Grundgesetz Kommentar, Art. 2 GG Rn. 52. 88 Dreier, in: ders., Grundgesetz Kommentar, Art. 2 Abs. 1 GG Rn. 26. 89 BVerfGE 106, 275 (304 f.); so auch: Papier, VSSR 1990, S. 129; Steiner, in: Spickhoff, Medizinrecht, Art. 2 GG Rn. 7; Wigge, MedR 1996, S. 58; krit. Fahlbusch, SGb 2003, S. 466.

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Eine aus dem Ausschluss möglicherweise resultierende Marktverdrängung von einzelnen Arzneimitteln ist dem Gesetzgeber allerdings nicht mehr zurechenbar90. dd) Beeinträchtigung von Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. dem Sozialstaatsprinzip Eine weitere Ausformung erhält das Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit durch die Verknüpfung mit dem Sozialstaatsprinzip. Der Schutz vor Krankheit gehört innerhalb eines Sozialstaates zu dessen Grundaufgaben. Der Gesetzgeber ist dieser Aufgabe durch die Einführung der gesetzlichen Krankenversicherung, in der der Großteil der Bevölkerung pflichtversichert ist, nachgekommen und hat in ihr auch die Art und Weise dieses Schutzes geregelt91. Die Herausnahme einzelner Leistungen aus dem Recht der Krankenversicherung verstößt allerdings nicht gegen das Sozialstaatsprinzip. Denn das Sozialstaatsprinzip fordert nicht, dass der Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung unverändert bleibt und regelt kein soziales Rückschrittsverbot92. Einen anderen Anknüpfungspunkt für eine Verletzung der allgemeinen Handlungsfreiheit i. V. m. dem Sozialstaatsprinzip hat das Bundesverfassungsgericht im sog. Nikolausbeschluss herausgearbeitet: Durch die Zwangsmitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung und die daraus resultierende Beitragspflicht wird die allgemeine Betätigungsfreiheit eingeengt und damit ist Art. 2 Abs. 1 GG betroffen93. Da der einzelne Versicherte auf die Höhe seines Beitrages und die Art und das Ausmaß der sich aus dem Versicherungsverhältnis ergebenden Leistungen keinen Einfluss hat, kommt der allgemeinen Handlungsfreiheit auch Schutz vor einer Unverhältnismäßigkeit von Beitrag und Leistung zu. Konkretisiert wird diese Schutzfunktion durch das Sozialstaatsprinzip. Der Gesetzgeber habe durch die Art der Ausgestaltung der gesetzlichen Krankenversicherung, Beitragsbemessung anhand der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, Stabilität der Beitragssätze sowie Rücksichtnahme auf die soziale Situation des Einzelnen bei der Erbringung von Zuzahlungen, deutlich gemacht, dass er davon ausgeht, dass den Versicherten dar90

Vgl. Abschnitt C. I. 1. a) bb) (1). BVerfGE 68, 193 (209); 115, 25 (43). 92 BVerfGE 39, 302 (315); 82, 60 (80); so auch: Burgardt, in: Mummenhoff, Machtzuwachs der Krankenkassen, S. 188; Jarass, in: ders./Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Art. 20 GG, Rn. 112; Kemmler, NZS 2014, S. 525; Neumann, NZS 1998, S. 401; Otto, PharmR 2005, S. 103. Befürworter eines sozialen Rückschrittsverbots finden sich in der älteren Literatur, vgl. etwa Häberle, VVDStRL 1971 (30), S. 111, FN. 292. 93 BVerfGE 29, 231 (235 f.); 97, 271 (286); 115, 25 (42); vgl. auch Steiner, in: Spickhoff, Medizinrecht, Art. 2 GG Rn. 4. Zur Überprüfung der Zwangsmitgliedschaft anhand von Art. 2 Abs. 1 GG: vgl. BVerfGE 10, 89, (102); 38, 281 (297 f.); 109, 96 (109); 115, 25 (42); BVerfG NVwZ 2007, 808 (811); Cornils, in: Epping/Hillgruber, GG, Art. 9 GG Rn. 8; Kemper, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum Grundgesetz, Art. 9 Abs. 1 GG Rn. 59 f.; a.A. Höfling, in: Sachs, Grundgesetz Kommentar, Art. 9 GG Rn. 22 ff., der Art. 9 Abs. 1 GG für öffentlich-rechtliche Zwangsmitgliedschaften als einschlägig erachtet. 91

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über hinaus kaum finanzielle Mittel zur eigenen Vorsorge für den Fall der Krankheit zur Verfügung stehen. Vielmehr soll die gesetzliche Krankenversicherung auch einkommensschwachen Versicherten einen Schutz zu moderaten Beiträgen ermöglichen, was durch den Zwang zur Eigenvorsorge sichergestellt werde94. Durch die Einführung einer Pflichtversicherung muss der Gesetzgeber daher auch gewährleisten, dass durch die Pflicht zur Zahlung von Beiträgen auch eine geeignete Absicherung erfolgt. Diese Absicherung müsse im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung eine ausreichende Versorgung im Falle der Erkrankung sowie einen ausreichenden Schutz vor finanziellen Folgen von Krankheit bieten95. Ihren Zweck verfehlen würde eine solche Absicherung, die bei hohen Beiträgen eine ausreichende Versorgung nicht mehr gewährleisten würde. Eine solche Pflichtversicherung wäre dementsprechend auch nicht verfassungsgemäß96. Die vom Bundesverfassungsgericht im Nikolausbeschluss herausgearbeiteten Grundsätze gelten auch über das Vorliegen einer lebensbedrohlichen Erkrankung hinaus und vermitteln einen weitergehenden subjektivrechtlichen Grundrechtsschutz97. Aus diesen Überlegungen resultiert zwar nach Ansicht des Gerichts kein Anspruch auf bestimmte Krankenbehandlungen, jedoch müssen die gesetzlichen Beschränkungen und Leistungsausschlüsse anhand der allgemeinen Handlungsfreiheit auf ihre Rechtfertigung überprüft werden98. Den Versicherten stehe insoweit ein Anspruch auf eine verfassungsmäßige Ausgestaltung des Leistungsrechts sowie einer grundrechtsorientierten Auslegung des Leistungsrechts der gesetzlichen Krankenversicherung zu99. ee) Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes, Art. 3 Abs. 1 GG Der allgemeine Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG gebietet es, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln und beinhaltet damit auch ein subjektives 94

BVerfGE 115, 25 (42 ff.). Bestätigt durch BVerfG KrV 2015, 236 (239). Becker, Steuerung der Arzneimittelversorgung, S. 421. 96 Becker, Steuerung der Arzneimittelversorgung, S. 421; vgl. auch Vießmann, VSSR 2010, S. 129, wonach eine Inäquivalenz dann vorliegt, wenn das Verhältnis von Leistung und Beitrag generell „aus dem Ruder läuft“. 97 So ausdrücklich BVerfG KrV 2015, 236 (239). Nach Axer, GesR 2015, S. 199 f. kann eine entsprechende Unverhältnismäßigkeit nicht nur bei Leistungsausschlüssen in lebensbedrohlichen Situationen, sondern auch durch die Erbringung qualitativ minderwertiger Leistungen vorliegen. 98 BVerfGE 115, 25 (42 ff.); BVerfG SozR 4 – 2500 § 31 Nr. 17 Rn. 7 ff.; BVerfG KrV 2015, 236 (239). Vgl. auch Axer, in: Becker/Sertel/Stassen-Rapp/Walburg, Neue Wege in der Medizin, S. 331. Ähnl. schon Wigge, MedR 1996, S. 58, der alle Leistungseinschränkungen an Art. 2 Abs. 1 GG messen lassen will. Krit. Wallrabenstein, KrV 2015, S. 240 f., für die der Schritt von der Beitrags-Leistungs-Verhältnismäßigkeit zur Rechtfertigungsbedürftigkeit von Leistungsausschlüssen nicht klar ist. 99 So ausdrücklich BVerfG KrV 2015, 236 (239). 95

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Recht100. Eine Beeinträchtigung des Gleichheitssatzes liegt vor, sofern zwei vergleichbare Sachverhalte ungleich oder zwei nicht vergleichbare Sachverhalte gleich behandelt werden101. Hauptanwendungsfall ist die Ungleichbehandlung gleicher Sachverhalte102. Erforderlich sind zunächst einmal gleiche Sachverhalte bzw. Gegenstände. Diese müssen bzw. können nicht komplett identisch sein, müssen sich aber in ihren Eigenschaften ähnlich sein oder es müssen zumindest einzelne Elemente gleich sein103. Da der Gesetzgeber aber teilweise gehalten ist, gleiche Sachverhalte ungleich oder Ungleiches gleich zu behandeln, führt nicht schon jede Beeinträchtigung zu einem Verstoß gegen den Gleichheitssatz, sondern kann gerechtfertigt werden. Bei der Beurteilung und Ordnung von Sachverhalten, die massenhaft auftreten, darf der Gesetzgeber auch in typisierender Weise vorgehen, sofern dadurch nur eine kleine Zahl von Personen betroffen ist, kein intensiver Verstoß gegen den Gleichheitssatz vorliegt und die entstehenden Härten nur unter Schwierigkeiten vermeidbar wären104. (1) Ungleichbehandlungen unter den Versicherten Durch den Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung werden zwei Sachgruppen, die Gruppe der verschreibungspflichtigen und die Gruppe der nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel ungleich behandelt. Während die einen weiterhin zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnet werden können, ist dies bei letzteren nicht mehr möglich. Aus dieser Ungleichbehandlung folgt aber auch eine Ungleichbehandlung der gesetzlich Versicherten untereinander. Nämlich zwischen denjenigen Versicherten, die ein verschreibungspflichtiges Arzneimittel vom Vertragsarzt verschrieben bekommen und denjenigen, denen eine Einnahme eines nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittels nahe gelegt wird. Es besteht insofern im Rahmen der Arzneimitteltherapie ein Unterschied für die Versicherten. Sofern OTCPräparate zum Einsatz kommen, müssen die Versicherten die Therapie selbst be100

BVerfGE 116, 1 (12); vgl. auch: Heun, in: Dreier, Grundgesetz Kommentar, Art. 3 GG Rn. 18; Jarass, in: ders./Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Art. 3 GG Rn. 1; Kischel, in: Epping/Hillgruber, GG, Art. 3 GG Vorb. 101 Ständige Rechtsprechung: BVerfGE 1, 14 (52); 13, 46 (53); 98, 365 (385); 112, 268 (279); 116, 164 (180); ebenso: Heun, in: Dreier, Grundgesetz Kommentar, Art. 3 GG Rn. 20; Jarass, in: ders./Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Art. 3 GG Rn. 7 f.; Kischel, in: Epping/Hillgruber, GG, Art. 3 GG Rn. 14. 102 Vgl. Kischel, in: Epping/Hillgruber, GG, Art. 3 GG Rn. 16. 103 BVerfGE 6, 273 (280); 74, 182 (200); 81, 108 (117); 94, 241 (260); so auch: Heun, in: Dreier, Grundgesetz Kommentar, Art. 3 GG Rn. 24; Kischel, in: Epping/Hillgruber, GG, Art. 3 GG Rn. 15. 104 Ständige Rechtsprechung: BVerfGE 63, 119 (128); 84, 348 (360); 100, 138 (174); 133, 377 (413); so auch: Heun, in: Dreier, Grundgesetz Kommentar, Art. 3 GG Rn. 34; Jarass, in: ders./Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Art. 3 GG Rn. 31; Kischel, in: Epping/Hillgruber, GG, Art. 3 GG Rn. 124.

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zahlen, während bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln die jeweilige Krankenkasse, abgesehen von den gesetzlichen Zuzahlungen105, dafür aufkommt106. Der Vertragsarzt verschreibt das jeweils erforderliche Arzneimittel unabhängig davon, ob es sich dabei um ein verschreibungspflichtiges oder um ein nicht verschreibungspflichtiges Arzneimittel handelt107. Über die Jahre hinweg werden Versicherte bei akuten Erkrankungen daher immer wieder mit beiden Arten von Arzneimitteln in Kontakt kommen. Daher wird teilweise angenommen, dass sich dadurch über den Versicherungszeitraum eine ungefähr gleiche Belastung für alle Versicherten ergibt, sodass keine Ungleichbehandlung vorliege108. Allerdings kann dieser Ausgleich über die Versicherungsjahre nicht darüber hinweg helfen, dass eine Ungleichbehandlung zwischen Versicherten, die verschreibungspflichtige Arzneimittel einnehmen und denen, die OTC-Arzneimittel einnehmen, vorliegt. Die Tatsache, dass die einen nur Zuzahlungen leisten müssen, während die anderen den vollen Arzneimittelpreis zu bezahlen haben, bleibt bestehen. Der mögliche Ausgleich über die Versicherungsjahre ist lediglich Folge des sachlichen Unterscheidungskriteriums und der Tatsache, dass beide Arzneimittelkategorien zum Therapiestandard gehören. Die Ungleichbehandlung verschärft sich im Fall von Dauererkrankungen bzw. chronischen Erkrankungen sogar, wenn die Versicherten für ihre Erkrankung auf nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel über Monate oder sogar Jahre hinweg angewiesen sind. Dann kann auch kein Ausgleich über die Versicherungsjahre hinweg erfolgen. Über diese Ungleichbehandlung hinaus ist eine Ungleichbehandlung hinsichtlich gesetzlich und privat Versicherten denkbar. Die Vorschrift des § 34 Abs. 1 S. 1 SGB V erstreckt sich nämlich nur auf die gesetzlich Versicherten. Private Krankenversicherungen können ihren Versicherten weiterhin nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel erstatten. Hierbei ist allerdings schon fraglich, ob überhaupt von einer Ungleichbehandlung von Gleichem gesprochen werden kann, unterliegen die gesetzliche und die private Krankenversicherung doch schon unterschiedlichen Prinzipien: Während die gesetzliche Krankenversicherung als Pflichtversicherung ausgestaltet ist, können die privaten Krankenversicherungen grundsätzlich ihre Mitglieder auswählen und auch Personen ablehnen. Dies gilt allerdings nicht im Hinblick auf den Basistarif, da die privaten Krankenversicherungen seit Einführung der Versicherungspflicht einen Basistarif anbieten müssen und diesbezüglich ein Kontrahierungszwang besteht. Jenseits des Basistarifes können die Versicherer Vertragsschlüsse aber weiterhin ablehnen109. 105

Vgl. §§ 31 Abs. 2, 3, 61, 62 SGB V. BVerfG PharmR 2013, 119 (121); BSGE 102, 30 (32). 107 Beide Arten von Arzneimitteln gehören insofern zum „Therapiestandard“, vgl. Schwerdtfeger, PharmR 2004, S. 395. 108 So Schwerdtfeger, PharmR 2004, S. 401. 109 Vgl. Schüffner/Franck, in: Sodan, Handbuch des Krankenversicherungsrechts, § 43 Rn. 34 f., 142 ff. 106

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Zudem geht es bei der privaten Krankenversicherung um eine individuell risikoorientierte Absicherung, wohingegen sich die gesetzliche Krankenversicherung am Solidarprinzip orientiert. Die Beiträge werden nicht nach dem individuellen Risiko, sondern nach der Einkommenshöhe und damit nach der individuellen Leistungsfähigkeit, berechnet110. Darüber hinaus sind die Leistungen in der gesetzlichen Krankenversicherung grundsätzlich für alle gleich, d. h. unabhängig von der eigenen Beitragshöhe111, während in der privaten Krankenversicherung der Umfang der Leistung von den Vereinbarungen im Versicherungsvertrag abhängt112. Des Weiteren kann die gesetzliche Krankenversicherung nicht alles leisten, was zur Wiederherstellung der Gesundheit von Nöten ist, sondern muss ihre Leistungen auf medizinisch notwendige und damit wirtschaftliche Leistungen begrenzen, um ihre finanzielle Stabilität zu sichern113. Beide Versicherungsarten sind dementsprechend verschieden ausgestaltet, sodass die einzelnen Leistungen nicht miteinander vergleichbar sind. Es handelt sich daher nicht um gleiche Sachverhalte. (2) Ungleichbehandlung von Versicherten gegenüber Leistungserbringern Darüber hinaus hat der Gesetzgeber bei Leistungsbegrenzungen bzw. der Einführung von Sicherungsmechanismen, die er zum Schutz der finanziellen Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung heranzieht, aus gleichheitsrechtlichen Gesichtspunkten dafür Sorge zu tragen, dass diese Regelungen nicht nur einzelne Teile des Sicherungssystems, bspw. immer nur die Versicherten betreffen, sondern dass auch andere Akteure, wie die Leistungserbinger, zur Erfüllung dieser Aufgabe herangezogen werden114. Sofern durch neue Regelungen immer nur Leistungen abgebaut werden und damit einzig die Versicherten belastet werden, kann eine Ungleichbehandlung der Versicherten gegenüber den Ärzten, Apothekern oder Krankenhäusern bestehen. Eine Vergleichbarkeit der beiden Gruppen – der Versicherten und der Leistungserbringer – wird insofern bejaht, als beide am System der gesetzlichen Krankenversicherung durch die gemeinsame Selbstverwaltung beteiligt sind und beide Nutzen

110 BVerfGE 103, 172 (185); 115, 25 (43); Ebsen, in: von Maydell/Ruland/Becker, SRH, § 15 Rn. 59; Sodan, in: ders., Handbuch des Krankenversicherungsrechts, § 1 Rn. 25 ff. 111 Quaas/Zuck/Clemens, Medizinrecht, § 2 Rn. 73. 112 Vgl. § 192 VVG; Kalis, in: Sodan, Handbuch des Krankenversicherungsrechts, § 42 Rn. 7b, 7d. 113 Zur Bedeutung der Sicherung der finanziellen Stabilität: BVerfGE 68, 193 (218); 70, 1 (30); 115, 25 (46); so auch schon Philipp, Arzneimittellisten und Grundrechte, S. 197, wonach der GKV eine Beschränkung auf eine Grundversorgung offen stehen muss. 114 Vgl. etwa Neumann, NZS 1998, S. 409.

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aus dem Sachleistungssystem ziehen115. Die Beteiligung an der gemeinsamen Selbstverwaltung findet insofern statt, als die Versicherten Vertreter in die Organe der Selbstverwaltungskörperschaften, also in die Organe der Krankenkassen, entsenden116 und diese z. B. mit den kassenärztlichen Vereinigungen, in denen die Ärzte Zwangsmitglieder sind117, zusammenarbeiten. Auf Bundesebene bilden die Kassenärztliche und Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung, die Deutsche Krankenhausgesellschaft und der Spitzenverband Bund der Krankenkassen den Gemeinsamen Bundesauschuss118. Im Arzneimittelbereich erfolgt die Vereinbarung von Rahmenverträgen über die wirtschaftliche Abgabe von Arzneimitteln nach § 129 Abs. 1 SGB V durch den Spitzenverband Bund der Krankenkassen und die Spitzenorganisationen der Apotheker119, sodass auch eine Beteiligung der Apotheker vorliegt. Die Versicherten können insofern Nutzen ziehen, als sie Sachleistungen in Anspruch nehmen können und nicht in Vorkasse gehen müssen. Der Nutzen der Leistungserbringer besteht darin, dass sie mit den Krankenkassen einen solventen Schuldner haben und kein Kostenrisiko tragen120. Jedoch stehen sich die Beteiligten innerhalb der gemeinsamen Selbstverwaltung auch als Gegner gegenüber. Dies zeigt sich anhand der unterschiedlichen rechtlichen Beziehungen im Leistungserbringungsrecht: So ist etwa der Apotheker aufgrund öffentlich-rechtlicher Grundlage berechtigt und verpflichtet, verordnete verschreibungspflichtige Arzneimittel an den Versicherten abzugeben. Im Gegenzug steht dem Apotheker ein Anspruch auf Vergütung gegen die Krankenkassen zu121. Jedoch wird kein Vertrag zwischen Versichertem und Apotheker geschlossen; die Beziehungen beruhen alle auf öffentlich-rechtlichen Verhältnissen. Im Gegensatz dazu stehen die Leistungsbeziehungen im Vertragsarztrecht: Dort besteht eine direkte Leistungsbeziehung zwischen Vertragsarzt und Versichertem, wobei sich dieses 115

So Neumann, NZS 1998, S. 409; zum Nutzen der Leistungserbringer verweist er auf ein Urteil des BVerfG (E 70, 1 [30]), wo dieses davon spricht, dass die Heilmittelanbieter Nutznießer des Sachleistungssystems seien. 116 Vgl. §§ 31, 33, 35, 35a, 44 ff. SGB IV. 117 Vgl. § 77 Abs. 3 SGB V; so auch: Kols, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, Beck’scher Onlinekommentar Sozialrecht, § 77 SGB V Rn. 3; Sproll, in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung Pflegeversicherung, § 77 SGB V Rn. 7; Spickhoff, in: ders., Medizinrecht, § 77 SGB V Rn. 5; Wendtland, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, Beck’scher Onlinekommentar Sozialrecht, § 75 SGB V Rn. 27. Die Zwangsmitgliedschaft wird mit der Zulassung begründet, § 95 Abs. 3 SGB V. 118 Vgl. § 91 Abs. 1 SGB V; zu dessen Aufbau und demokratischer Legitimation, vgl. Abschnitt B. III. 2. 119 Vgl. § 129 Abs. 2 SGB V. 120 Vgl. BVerfGE 70, 1 (30). 121 Die Verpflichtung zur Abgabe und der Vergütungsanspruch ergeben sich aus § 129 SGB V i.V.m. den Verträgen nach § 129 Abs. 2 und Abs. 5 S. 1. Vgl. BSGE 105, 157 (161 ff.); so auch: Axer, in: Becker/Kingreen, SGB V, § 129 SGB V Rn. 11; Knittel, in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung Pflegeversicherung, § 129 SGB V Rn. 4; von Dewitz, in: Rolfs/ Giesen/Kreikebohm/Udsching, Beck’scher Onlinekommentar Sozialrecht, § 129 SGB V Rn. 4; Wodarz, in: Sodan, Handbuch des Krankenversicherungsrechts, § 27 Rn. 34.

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Erfüllungsverhältnis nunmehr privatrechtlich darstellt; der Versicherte selbst schließt mit dem behandelnden Vertragsarzt einen Behandlungsvertrag122. Demgegenüber sind sowohl das Mitgliedsverhältnis zwischen dem Versicherten und der Krankenkasse sowie das Beschaffungsverhältnis zwischen Arzt und Krankenkasse öffentlich-rechtlich ausgestaltet123. Demensprechend sind zwar sowohl die Leistungserbringer als auch die Versicherten gegenüber den Krankenkassen öffentlichrechtlich gebunden, jedoch bestehen ebenso Leistungsbeziehungen zwischen den Leistungserbringer und den Versicherten, die unterschiedlichen Rechtsgebieten zugeordnet werden. Diese unterschiedliche Zuordnung lässt die Frage nach der Vergleichbarkeit innerhalb des Gesundheitssystems aufleben. Ungeachtet der Frage nach der Vergleichbarkeit der beiden Gruppen, besteht eine Ungleichbehandlung zwischen diesen beiden Akteuren jedenfalls nur dann, wenn die finanzielle Last lediglich bei einer Gruppe besteht124. Mit dem Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel werden zunächst einmal nur die Versicherten belastet. Allerdings hat der Gesetzgeber selbst im GKV-Modernisierungsgesetz vom 14. 11. 2003125 zur Stabilisierung der Finanzierbarkeit der gesetzlichen Krankenkassen etliche Sicherungsmechanismen eingeführt, die nicht alle allein die Gruppe der Versicherten belasten. So wurde durch dieses Gesetz, abgesehen von dem Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel, die Vergütung im ambulanten Bereich neu geregelt sowie die Neuordnung der Finanzierung im Allgemeinen126. Bei der Gesamtvergütung von Zahnärzten wurde ein Zusatz eingefügt, sodass klargestellt wurde, „dass Veränderungen des gesetzlichen oder satzungsmäßigen Leistungsumfangs bei der Vereinbarung der Veränderungen der Gesamtvergütungen zu berücksichtigen sind“127. Damit sind nicht nur Leistungsausweitungen gemeint, sondern auch Leistungsbegrenzungen128. Sofern also Leistungen aus dem Katalog 122 Becker/Kingreen, in: Becker/Kingreen, SGB V, § 69 SGB V Rn. 4; Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 4, 21, die zu Recht auf die Regelung des § 630a BGB hinweisen, mit der der Gesetzgeber sich für eine privatrechtliche Ausgestaltung des Verhältnisses entschieden hat; vgl. auch: BT-Drs. 17/10488, S. 18 f.; Spickhoff, in: ders., Medizinrecht, § 630a BGB Rn. 20, durch § 630a Abs. 1 letzter Hs. BGB wird den vergütungsrechtlichen Besonderheiten für die gesetzlich Versicherten Rechnung getragen; für ein öffentlich-rechtliches Verhältnis: BSGE 59, 172 (177); Schnapp, NZS 2001, S. 340. 123 Becker/Kingreen, in: Becker/Kingreen, SGB V, § 69 SGB V Rn. 4; zum öffentlichrechtlichen Charakter des Verhältnisses zw. Krankenkasse und Leistungserbringer BT-Drs. 14/ 1245, S. 68; so auch: Hess, in: Körner/Leitherer/Mutschler, Kasseler Kommentar, § 69 SGB V Rn. 3; Krauskopf, in: ders., Soziale Krankenversicherung Pflegeversicherung, § 69 SGB V Rn. 4. 124 Neumann, NZS 1998, S. 409. 125 BGBl. I, S. 2190. 126 BT-Drs. 15/1525, S. 2. 127 BT-Drs. 15/1525, S. 100. 128 BT-Drs. 15/1525, S. 100; so auch Engelhard, in: Hauck/Noftz, Sozialgesetzbuch – SGB V, § 85 SGB V Rn. 53a; Freudenberg, in: Schlegel/Voelzke, juris Praxiskommentar, § 85 SGB V Rn. 103; Hess, in: Körner/Leitherer/Mutschler, Kasseler Kommentar, § 85 SGB V

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der gesetzlichen Krankenversicherung genommen werden, müssen diese bei der Vereinbarung der Gesamtvergütung der Zahnärzte berücksichtigt werden. Bei der Berechnung dürfen solche ausgenommenen Leistungen also nicht mehr einkalkuliert werden und können damit auch zu einer Verringerung der Gesamtvergütung führen. Damit sind im GKV-Modernisierungsgesetz ebenso begrenzende Regelungen für die Leistungserbringer zu finden, die auch der finanziellen Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung dienen129. Des Weiteren leisten die Leistungserbringer ihren Anteil zur finanziellen Entlastung der gesetzlichen Krankenversicherungen und mussten vor und nach dem GKV-Modernisierungsgesetz zu deren Erhaltung Eingriffe in Kauf nehmen130. Dies zeigt sich gerade im Bereich der Arzneimittel. Während die Leistungen in Bezug auf Arzneimittel für die Versicherten gekürzt werden, sind die Ärzte im Gegenzug an das Wirtschaftlichkeitsprinzip gebunden und zu einer wirtschaftlichen Verordnung angehalten. Sie werden darüber hinaus der sog. Wirtschaftlichkeitsprüfung unterzogen, durch die überprüft wird, ob zu viele und damit nicht notwendige und unwirtschaftliche Leistungen erbracht wurden, sodass Honorarkürzungen vorgenommen werden können131. Daneben sind im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung Regresse aufgrund von Einzelfallprüfungen möglich, so etwa im Fall einer Verordnung von Arzneimitteln, die vom Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen sind132. Zwischenzeitlich wurde eine Bonus-Malus-Regelung eingeführt, die den Arzt zur wirtschaftlichen Verordnung von Arzneimitteln anhalten sollte, da er sich bei einer Übersteigung der Durchschnittskosten für eine Dosiereinheit der Tragung des Überschreitungsbetrages verpflichtete133. Allerdings wurde diese Regelung zum Jahresbeginn 2011 wieder abgeschafft134. Rn. 48; Krauskopf, in: ders., Soziale Krankenversicherung Pflegeversicherung, § 85 SGB V Rn. 27b. 129 Vgl. die Ausführungen zu Problem und Ziel sowie zu Lösung im Gesetzesentwurf der Fraktionen SPD, CDU/CSU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, BT-Drs. 15/1525, S. 1 f. 130 Vgl. etwa Krauskopf, in: Laufs/Kern, Handbuch des Arztrechts, § 22 Rn. 22, der davon spricht, dass schon beim Gesundheitsstrukturgesetz v. 21. 12. 1992 (BGBl. I, S. 2266) um die steigenden Ausgaben in den Griff zu bekommen besonders die Ärzte, Zahnärzte, Apotheken, Pharmaindustrie und Krankenhäuser gefordert wurden, da man registriert hatte, dass allein die Erhöhung der Selbstbeteiligung der Versicherten nicht ausreiche. 131 Vgl. § 106 SGB V; zu den Honorarkürzungen wegen Unwirtschaftlichkeit, Clemens, in: Laufs/Kern, Handbuch des Arztrechts, § 36 Rn. 3, 43 ff. Des Weiteren besteht noch die Möglichkeit eines Schadensregresses aufgrund von § 48 Abs. 1 BMV-Ä (v. 01. 01. 2015) i.V.m. § 106 SGB V. 132 Zu den Regressen bei Verordnung ausgeschlossener Arzneimittel: Clemens, in: Laufs/ Kern, Handbuch des Arztrechts, § 36 Rn. 153 ff.; ders., in: Schlegel/Voelzke, juris Praxiskommentar, § 106 SGB V Rn. 115 ff. 133 Vgl. § 84 Abs. 7a SGB V in der Fassung des Gesetzes zur Verbesserung der Wirtschaftlichkeit in der Arzneimittelversorgung v. 26. 04. 2006 (BGBl. I, S. 984). 134 Durch das Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes in der gesetzlichen Krankenversicherung (Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz – AMNOG) v. 22. 12. 2010 (BGBl. I, S. 2262).

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Gesetzliche Einschränkungen bestehen ebenfalls für Apotheker und pharmazeutische Unternehmer. So müssen etwa Apotheker und pharmazeutische Unternehmer gem. §§ 130, 130a SGB V gesetzliche Rabatte auf den Arzneimittelabgabepreis und auf den Herstellerabgabepreis gewähren135. Die Lasten für diese Preisabschläge tragen die Apotheker und die pharmazeutischen Unternehmer136. Darüber hinaus bestehen durch die Regelungen zum Festbetrag in § 35 SGB V, die den Preiswettbewerb unter den pharmazeutischen Unternehmern ankurbeln sollen, Einschränkungen, was die Preisgestaltung anbelangt, da die Festbeträge wie Erstattungshöchstbeträge wirken. Des Weiteren führt die frühe Nutzenbewertung zu Einschränkungen, da bei fehlender Festbetragsfähigkeit Erstattungsbeträge gem. § 130b SGB V verhandelt werden und damit letztlich ebenfalls die Arzneimittelpreise reguliert werden137. Von den Verträgen nach § 130b SGB V abweichend und ergänzend können gem. § 130c SGB V die Krankenkassen oder ihre Verbände mit den pharmazeutischen Unternehmern spezielle Vereinbarungen über die Erstattung von Arzneimitteln sowie zur Versorgung ihrer Versicherten treffen, wobei auch dadurch eine kostengünstige Versorgung sichergestellt werden soll138. Damit sind die Leistungserbringer ebenso von Regulierungen bei der Arzneimittelversorgung zur finanziellen Stabilisierung der gesetzlichen Krankenversicherung betroffen. Eine Ungleichbehandlung zwischen Leistungserbringern und Versicherten liegt – sofern man überhaupt eine Vergleichbarkeit bejahen möchte – nicht vor. (3) Ungleichbehandlung durch Einführung von Wahltarifen und Ausweitung von Satzungsleistungen Des Weiteren wurden nach Einführung des Ausschlusses Regelungen in das Krankenversicherungsrecht eingefügt, die diesen Ausschluss abmildern können. So können etwa die Krankenkassen in Wahltarifen regeln, dass Kosten für Arzneimittel der besonderen Therapierichtungen übernommen werden, sofern diese aufgrund mangelnder Verschreibungspflicht vom Leistungskatalog ausgeschlossen sind139. Damit kann zumindest ein Teil der ausgeschlossenen Arzneimittel weiterhin über die Krankenkassen bezogen werden. Grund hierfür sei, dass viele Arzneimittel der 135 Vgl. zu § 130 SGB V: Barth, in: Spickhoff, Medizinrecht, § 130 SGB V Rn. 1; von Dewitz, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, Beck’scher Onlinekommentar Sozialrecht, § 130 SGB V Rn. 3; vgl. auch die Gesetzesbegründung zur Erhöhung des Rabattes auf 2,05 Euro, BT-Drs. 17/3698, S. 53; zu § 130a SGB V: Axer, in: Becker/Kingreen, SGB V, § 130a SGB V Rn. 1; Barth, in: Spickhoff, Medizinrecht, § 130a SGB V Rn. 1; Hess, in: Körner/Leitherer/Mutschler, Kasseler Kommentar, § 130a SGB V Rn. 2. 136 Wodarz, in: Sodan, Handbuch des Krankenversicherungsrechts, § 27 Rn. 65 ff.; so auch: Axer, in: Becker/Kingreen, SGB V, § 130a SGB V Rn. 1; Barth, in: Spickhoff, Medizinrecht, § 130a SGB V Rn. 1, hinsichtlich der pharmazeutischen Unternehmer und dem Herstellerabgabenrabatt. 137 Vgl. Abschnitt A. III. 1. d) und e). 138 Axer, in: Becker/Kingreen, SGB V, § 130c SGB V Rn. 1. 139 Vgl. § 53 Abs. 5 SGB V.

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besonderen Therapierichtungen nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel sind und es ein Bedürfnis der Bevölkerung nach einem solchen Wahltarif gäbe140. Voraussetzung für die Inanspruchnahme eines Wahltarifes ist, dass von den Versicherten gesonderte Prämienzahlungen getätigt werden. Das Konzept der Wahltarife sieht nämlich eine Finanzierung der zusätzlichen Leistungen nur durch Einnahmen, Einsparungen und Effizienzsteigerungen aus dem Wahltarif selbst vor141. Die Aufwendungen für die Wahltarife sollen gerade nicht durch die anderen Versicherten oder durch andere Wahltarife quersubventioniert werden, sondern sich selbst tragen142. Allerdings handelt es sich bei den zurzeit zu zahlenden Prämien nicht um exorbitant hohe Beträge. So liegen diese bei der Techniker Krankenkassen bei 3,90 Euro bis 13,90 Euro pro Monat, gestaffelt nach dem jeweiligen Alter, oder bei der AOK Rheinland-Pfalz/Saarland zwischen 4,50 Euro und 14,50 Euro pro Monat, wobei hier ebenfalls eine Staffelung nach dem Lebensalter erfolgt143. Selbst wenn es sich bei diesen Beiträgen um keine hohen Beträge handelt, so sind es trotzdem zusätzliche Kosten für die Versicherten, die diese aufbringen müssen. Zudem sind die Prämien gesondert für jeden Versicherten zu zahlen; die Besonderheiten hinsichtlich der Beitragstragung in der Familienversicherung gelten dort nicht144. Insofern kann es für wirtschaftlich schlecht gestellte Personen schwierig sein, einen solchen zusätzlichen Betrag aufzubringen. Die Frage, die sich hier allerdings stellt, ist, ob diese Ungleichbehandlungen noch Folge des Ausschlusses nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel sind. Dies ist zu verneinen. Mit der Regelung zum Erlass von Wahltarifen hat der Gesetzgeber eine eigenständige Regelung geschaffen, aus der selbst wiederum Ungleichbehandlungen resultieren. Diese sind aber nicht zwingend auf den Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel zurückzuführen, zumal auch über diesen Ausschluss hinaus andere Leistungen durch Wahltarife erbracht werden können. 140 BT-Drs. 16/4247, S. 35; bzgl. der besonderen Betroffenheit alternativer Arzneimittel, vgl. auch: Dreher, in: Schlegel/Voelzke, juris Praxiskommentar, § 53 SGB V Rn. 90; Hohnholz, in: Hauck/Noftz, Sozialgesetzbuch – SGB V, § 53 SGB V Rn. 30. 141 § 53 Abs. 9 S. 1 SGB V; so auch: Dreher, in: Schlegel/Voelzke, juris Praxiskommentar, § 53 SGB V Rn. 132; Hohnholz, in: Hauck/Noftz, Sozialgesetzbuch – SGB V, § 53 SGB V Rn. 46; Nebendahl, in: Spickhoff, Medizinrecht, § 53 SGB V Rn. 42; Nolte, in: Körner/Leitherer/Mutschler, Kasseler Kommentar, § 53 SGB V Rn. 53. 142 BT-Drs. 16/3100, S. 109; so auch: Hohnholz, in: Hauck/Noftz, Sozialgesetzbuch – SGB V, § 53 SGB V Rn. 46; Isensee, NZS 2007, S. 450; Nolte, in: Körner/Leitherer/Mutschler, Kasseler Kommentar, § 53 SGB V Rn. 53; Heberlein, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, Beck’scher Onlinekommentar Sozialrecht, § 53 SGB V Rn. 12. 143 Die Zahlen wurden dem TK-Tarif Natur-Arznei der Techniker Krankenkasse, Stand: 07. 05. 2015, abrufbar unter: http://www.tk.de/tk/alternative-medizin/tk-tarif-natur-arznei/ praemien/143880 und dem AOK Wahltarif Naturarznei der AOK Rheinland-Pfalz/Saarland, Stand: 2015, abrufbar unter: http://www.aok.de/rheinland-pfalz-saarland/beitraege-tarife/ wahltarif-naturarznei-praemie-130624.php entnommen. 144 Hohnholz, in: Hauck/Noftz, Sozialgesetzbuch – SGB V, § 53 SGB V Rn. 31; a.A. Dreher, in: Schlegel/Voelzke, juris Praxiskommentar, § 53 SGB V Rn. 85 f., 93.

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Ähnlich verhält es sich hinsichtlich einer weiteren Regelung. So können die Krankenkassen in ihren Satzungen zusätzliche Leistungen bei der Versorgung mit nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln vorsehen145. Die Satzungsleistungen sind aber sehr unterschiedlich ausgestaltet, sodass je nach Krankenkasse viele bis fast keine zusätzlichen Leistungen erbracht werden. Daher erfolgen auch hier Ungleichbehandlungen zwischen den Versicherten einzelner Kassen. Während die einen bspw. in der Schwangerschaft Eisen- oder Folsäurepräparate erstattet bekommen, sehen andere Krankenkassen für ihre Versicherten keine solchen Leistungen vor. Anders als bei den Wahltarifen stehen die Satzungsleistungen zwar grundsätzlich allen Mitgliedern der jeweiligen Krankenkasse offen146, ohne dass diese einen zusätzlichen Beitrag zahlen müssen, sodass eine Ungleichbehandlung wirtschaftlich schlecht gestellter Personen nicht stattfindet, jedoch werden stattdessen die Mitglieder unterschiedlicher Krankenkassen ungleich behandelt. Allerdings bestehen Wechselmöglichkeiten zwischen den einzelnen Krankenkassen. Der Versicherte wird mit Beginn der Versicherungspflicht nicht kraft Gesetz einer Versicherung zugeordnet, sondern kann seine Krankenkasse selbst wählen147. An diese Wahl ist er zwar für 18 Monate gebunden, kann aber danach kündigen und eine andere Krankenkasse wählen und damit einen Wechsel vollziehen, wobei ihm im Falle von Zusatzbeitragserhöhungen ein gesondertes Kündigungsrecht zusteht148. Sofern Versicherte also Arzneimittel, z. B. mit Eisen- oder Folsäurewirkstoffen während der Schwangerschaft, erstattet bekommen wollen, können sie sich eine Krankenkasse auswählen, die solche als Satzungsleistung anbietet oder zu einer solchen wechseln. Darüber hinaus dient die Regelung der zusätzlichen Satzungsleistungen der Stärkung der wettbewerblichen Handlungsmöglichkeiten der Krankenkassen149, was als sachlicher Grund für die Differenzierung angesehen werden könnte. Auch hier resultiert die Ungleichbehandlung aus einer eigenständigen Regelung und nicht aus dem Ausschluss von nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln. ff) Zwischenergebnis Der Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung führt im Ergebnis zu einem Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit aufgrund der Einschränkung der 145 146 147

Rn. 5. 148

§ 11 Abs. 6 SGB V; zu weiteren Ausführungen vgl. Abschnitt B. V. Vgl. Becker/Kingreen, in: Becker/Kingreen, SGB V, § 11 SGB V Rn. 37. Vgl. § 137 Abs. 1 SGB V, so auch Spickhoff, in: ders., Medizinrecht, § 173 SGB V

§ 175 Abs. 4 SGB V. Vgl. BT-Drs. 17/10170, S. 22; BT-Drs. 17/6906, S. 53; so auch: Becker/Kingreen, in: Becker/Kingreen, SGB V, § 11 SGB V Rn. 37; Joussen, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, Beck’scher Onlinekommentar Sozialrecht, § 11 SGB V Rn. 17; Noftz, in: Hauck/Noftz, Sozialgesetzbuch – SGB V, § 11 SGB V Rn. 73. 149

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C. Verfassungsmäßigkeit und Europarechtskonformität

Auswahl an Arzneimitteln sowie einem Eingriff in Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. dem Sozialstaatsprinzip, das vor einer Inäquivalenz von Beitrag und Leistung schützt. Darüber hinaus besteht eine Ungleichbehandlung von Versicherten, die mit nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln versorgt werden und denen, die mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln versorgt werden müssen. Es liegt jedoch kein Eingriff in Art. 14 Abs. 1 GG vor. Denn der Anspruch auf Versorgung mit Arzneimitteln unterliegt ebenso wenig dem Eigentumsschutz wie krankenversicherungsrechtliche Ansprüche im Allgemeinen. Darüber hinaus kann keine Verletzung von Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG geltend gemacht werden. Weder wird in die körperliche Unversehrtheit durch den Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel eingegriffen noch kann aus leistungsrechtlicher Perspektive des Grundrechts ein Anspruch begründet werden. Das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit gewährt keine Ansprüche auf bestimmte Leistungen oder ein Recht auf Gesundheit. Daran ändert auch der Nikolausbeschluss des Bundesverfassungsgerichts nichts. b) Rechtfertigung aa) Verfassungsrechtliche Vorgaben einer Rechtfertigung Da durch den Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel sowohl in Freiheits- als auch Gleichheitsrechte eingegriffen wird, ist entscheidend, welche Vorgaben die jeweiligen Grundrechte an eine Rechtfertigung stellen. Das Freiheitsrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit findet seine Grenzen in der sog. Schrankentrias150. Danach dürfen Rechte anderer, das Sittengesetz oder die verfassungsmäßige Ordnung nicht beeinträchtigt werden. Die verfassungsmäßige Ordnung ist dabei weit auszulegen. Darunter werden alle Rechtsnormen verstanden, die formell und materiell mit der Verfassung im Einklang stehen151. Gerechtfertigt ist ein Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit dann, wenn er der verfassungsgemäßen Ordnung entspricht; wenn also das einschränkende Gesetz mit der Verfassung im Einklang steht. Das Sittengesetz und die Rechte anderer gehen in der verfassungsgemäßen Ordnung auf, sodass es maßgeblich auf deren Einhaltung ankommt152.

150

Vgl. Art. 2 Abs. 1 GG. Ständige Rspr: BVerfGE 6, 32 (37 f.); 90, 145 (172); 128, 193 (206); vgl. auch: Cornils, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Band VII, § 168 Rn. 83; Di Fabio, in: Maunz/ Dürig, Grundgesetz, Art. 2 Abs. 1 GG Rn. 39; Dreier, in: ders., Grundgesetz Kommentar, Art. 2 Abs. 1 GG Rn. 53; Murswiek, in: Sachs, Grundgesetz Kommentar, Art. 2 GG Rn. 89; Starck, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum Grundgesetz, Art. 2 Abs. 1 GG Rn. 25; Stern, Staatsrecht, Band IV/1, S. 953. 152 Vgl. Dreier, in: ders., Grundgesetz Kommentar, Art. 2 Abs. 1 GG Rn. 52 und 59; Stern, Staatsrecht, Band IV/1, S. 967; Jarass, in: ders./Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Art. 2 GG Rn. 14 f.; vgl. auch Cornils, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Band VII, § 168 Rn. 87 f., der sowohl dem Sittengesetz als auch den Rechten anderer eine eigenständige Bedeutung abspricht. 151

I. Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel

151

Entscheidend für eine Rechtfertigung ist, dass das einschränkende Gesetz dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entspricht. Dieser Grundsatz hat sich zu einem zentralen Prüfungsmaßstab innerhalb der Rechtfertigung von Eingriffen in die allgemeine Handlungsfreiheit profiliert153. Ohne dessen Vorliegen entspricht das einschränkende Gesetz nicht der verfassungsmäßigen Ordnung154. Erforderlich für die Verhältnismäßigkeit ist mithin ein legitimer Zweck, für dessen Erfüllung der Eingriff auch geeignet und erforderlich ist sowie eine Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne bzw. eine Angemessenheit im Hinblick auf den Eingriff und die Belastung des Betroffenen155. In Bezug auf den allgemeinen Gleichheitssatz ist zur Rechtfertigung einer Ungleich- bzw. Gleichbehandlung zweier Sachverhalte nach der Willkürformel erforderlich, dass sich ein sachlich einleuchtender bzw. ein sich aus der Natur der Sache ergebender Grund für die Differenzierung ergibt156. Gefordert wird darüber hinaus ein innerer Zusammenhang zwischen den vorliegenden Unterschieden und der differenzierenden Regelung, der ein sachlich vertretbares Unterscheidungskriterium von einigem Gewicht darstellt157. Ausreichend ist allerdings nicht jeder Grund. Je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen können unterschiedliche Rahmenbedingungen für den Gesetzgeber bestehen: von gelockerten, auf das Willkürverbot beschränkten Bindungen bis hin zu strengen Verhältnismäßigkeitserfordernissen158. Sofern letztlich „eine Gruppe von Normadressaten oder Normbetroffenen im Vergleich zu einer anderen anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die unterschiedliche Behandlung rechtfertigen können“, ist nach der sog. neuen Formel der Gleichheitssatz verletzt159. 153 So ausdrücklich Stern, Staatsrecht, Band IV/1, S. 955 f.; zustimmend Dreier, in: ders., Grundgesetz Kommentar, Art. 2 Abs. 1 GG Rn. 61. Vgl. auch die Rspr.: BVerfGE 75, 108 (155); 80, 137 (153); 90, 145 (172). 154 Stern, Staatsrecht, Band IV/1, S. 956. 155 Vgl. Cornils, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Band VII, § 168 Rn. 99 ff; Dreier, in: ders., Grundgesetz Kommentar, Vorb. Rn. 146 ff.; Lang, in: Epping/ Hillgruber, GG, Art. 2 Abs. 1 GG Rn. 26; Starck, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum Grundgesetz, Art. 2 Abs. 1 GG Rn. 31; Stern, Staatsrecht, Band IV/1, S. 957 f. 156 BVerfGE 1, 14 (52); 68, 237 (250); 89, 132 (141); vgl. auch: Herzog, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 3 GG Anhang Rn. 3; Heun, in: Dreier, Grundgesetz Kommentar, Art. 3 GG Rn. 20, 32; Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Band VIII, § 181 Rn. 234; Kischel, in: Epping/Hillgruber, GG, Art. 3 GG Rn. 17; Pietzcker, in: Merten/Papier, Handbuch der Grundrechte, Band V, § 125 Rn. 40. 157 Ständige Rechtsprechung: BVerfGE 93, 386 (401); 124, 199 (220); 129, 49 (68 f.); BVerfG PharmR 2013, 119 (121); so auch Heun, in: Dreier, Grundgesetz Kommentar, Art. 3 GG Rn. 32. 158 BVerfGE 97, 169 (180 f.); 117, 1 (30); 122, 1 (23); 126, 400 (416); Kischel, in: Epping/ Hillgruber, GG, Art. 3 Rn. 26; vgl. auch Pietzcker, in: Merten/Papier, Handbuch der Grundrechte, Band V, § 125 Rn. 43 ff. 159 BVerfGE 55, 72 (88); 93, 386 (397); 99, 367 (389); 105, 73 (110); 107, 27 (46); 110, 412 (432); 129, 49 (69); BVerfG PharmR 2013, 119 (121).

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C. Verfassungsmäßigkeit und Europarechtskonformität

Welche Anforderungen gelten, ergibt sich aus dem jeweiligen konkreten Anknüpfungsgegenstand160. Eine strenge Verhältnismäßigkeitsprüfung ist dann angebracht, wenn es sich bei den Differenzierungskriterien um personenbezogene Merkmale handelt. Je weniger Einfluss der Einzelne auf die Erfüllung dieser Merkmale hat und je mehr sie den Merkmalen des besonderen Gleichheitssatzes in Art. 3 Abs. 3 GG gleichen, desto höher sind die Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit161. Maßgeblich ist dabei, inwiefern die Betroffenen durch ihr eigenes Verhalten auf das Vorliegen des Unterscheidungskriteriums Einfluss nehmen können162. Eine gelockerte Prüfung ist dann anzunehmen, wenn die Unterscheidung anhand eines sachbezogenen Kriteriums erfolgt und damit auf keine bestimmte Gruppe von Normadressaten abgezielt wird163. Sofern die Ungleichbehandlung auch Freiheitsrechte betrifft, ist wiederum eine strengere Prüfung anhand des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes geboten164. Unterscheidungskriterium im Falle des Ausschlusses der OTC-Arzneimittel ist die Verschreibungspflicht des Arzneimittels. Liegt diese vor, wird das Arzneimittel von den Krankenkassen gezahlt, liegt sie nicht vor, so findet – bis auf Ausnahmen165– keine Verordnung zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung statt. Damit liegt kein personenbezogenes, sondern ein sachbezogenes Kriterium vor, sodass der Gesetzgeber aufgrund dessen zunächst nicht einer strengen Bindung an den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz unterliegt166. Dennoch prüft das Bundesverfassungsgericht in seinem Nichtannahmebeschluss zur Verfassungsmäßigkeit des Ausschlusses der nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel anhand der neuen Formel die Verhältnismäßigkeit und nicht allein anhand der Willkürformel das Vorliegen eines sachlich einleuchtenden Grundes. Dies liegt nicht daran, dass die neuere Rechtsprechung die Willkürformel nicht mehr anwenden würde167, sondern eher an der Tatsache, dass die Übergänge zwischen Willkürformel und neuer Formel fließend, im Sinne einer stufenlosen Prüfung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes sind168. 160

Vgl. BVerfGE 93, 319 (348 f.); 107, 27 (46); 126, 400 (416); 129, 49 (69). BVerfGE 88, 87 (96); 99, 367 (388); 124, 199 (220); so auch Heun, in: Dreier, Grundgesetz Kommentar, Art. 3 GG Rn. 32; Pietzcker, in: Merten/Papier, Handbuch der Grundrechte, Band V, § 125 Rn. 45. 162 BVerfGE 88, 87 (96); 99, 367 (388); 127, 263 (280); 129, 49 (69); so auch: Heun, in: Dreier, Grundgesetz Kommentar, Art. 3 GG Rn. 32; Steiner, in: Spickhoff, Medizinrecht, Art. 3 GG Rn. 1. 163 BVerfGE 83, 1, (23). 164 BVerfGE 74, 9 (24); 88, 87 (96); 99, 367 (388); 129, 49 (69); vgl. auch: Pietzcker, in: Merten/Papier, Handbuch der Grundrechte, Band V, § 125 Rn. 45; Steiner, in: Spickhoff, Medizinrecht, Art. 3 GG Rn. 1. 165 Vergleiche dazu Abschnitte B. III., B. IV. 166 So auch BVerfG PharmR 2013, 119 (121). 167 Vgl. hierzu etwa aus der neueren Rspr.: BVerfGE 133, 1 (22); BVerfG wistra 2015, 96 (98). 168 BVerfGE 129, 49 (49, 69); BVerfGE 132, 179 (188); so auch Kischel, in: Epping/ Hillgruber, GG, Art. 3 GG Rn. 45. 161

I. Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel

153

Zudem spricht gegen eine bloße Prüfung der Willkürformel, dass durch den Ausschluss von der Kostentragung durch die gesetzliche Krankenversicherung zugleich in das Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit eingegriffen wird. Nicht ausschlaggebend für das Heranziehen der neuen Formel ist allerdings – wie teilweise angenommen169 – die Nähe von chronisch Kranken und den nach Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG geschützten Behinderungen, auf die das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss hinweist. Zwar ist nach den oben genannten Grundsätzen ein strengerer Prüfungsmaßstab anzulegen, je mehr sich die Differenzierungsmerkmale denen des Art. 3 Abs. 3 GG annähern, jedoch bezieht sich der Hinweis des Bundesverfassungsgerichts auf das Merkmal der schwerwiegenden Erkrankung bei der Prüfung der Ausnahme des Ausschlusses auf deren Rechtfertigung hinsichtlich der darin enthaltenen Ungleichbehandlung. Denn wie das Bundesverfassungsgericht feststellte, enthält die Ausnahme selbst eine Ungleichbehandlung von schwerwiegenden und anderen Erkrankungen170. Dort ist ein strengerer Prüfungsmaßstab aufgrund der Nähe zum Differenzierungsmerkmal der Behinderung geboten. Erforderlich für die Rechtfertigung beider Grundrechtsbeeinträchtigungen ist mithin, dass der Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entspricht. Maßgeblich ist damit, ob ein legitimer Zweck vorliegt, zu dessen Erreichen der Ausschluss der OTC-Arzneimittel geeignet und erforderlich ist und sich als angemessen erweist. bb) Begründung für die Rechtfertigung des Ausschlusses Sowohl das Bundesverfassungsgericht als auch das Bundessozialgericht nennen in ihren Entscheidungen zur Verfassungsmäßigkeit des Ausschlusses nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel zahlreiche Rechtfertigungsgründe: So wird das Kriterium der Verschreibungspflicht im Hinblick auf Art. 3 GG als sachliches Differenzierungskriterium gewertet. Darüber hinaus werden zur Rechtfertigung als Argumente angeführt, dass die nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel mit einem Durchschnittspreis von unter 11 Euro in die Eigenverantwortung der Versicherten gegeben werden können und deren Herausnahme aus dem Leistungskatalog als sozial vertretbar erscheint, zumal diese schon vorher oft ohne Rezept und damit auf private Kosten der Versicherten von den Apotheken abgegeben wurden. Zudem wird darauf abgestellt, dass mit den Ausnahmeregelungen in § 34 Abs. 1 S. 2 und 5 SGB V Regelungen getroffen wurden, die Härtefälle berücksichtigen können und den Ausschluss abmildern171.

169 170 171

So aber Schaks, NZS 2013, S. 843. BVerfG PharmR 2013, 119 (122). Vgl. BVerfG PharmR 2013, 119 (121 f.); BSGE 102, 30 (33).

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C. Verfassungsmäßigkeit und Europarechtskonformität

(1) Grundsatz der finanziellen Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung Als legitimer Zweck für den Ausschluss dient die Sicherung der finanziellen Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung172. Das Bundesverfassungsgericht nennt in der Entscheidung vom 12. 12. 2012 zum Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel diesen Grundsatz im Gegensatz zu früheren Entscheidungen173 zwar nicht ausdrücklich, sondern umschreibt ihn nur; so spricht es von der „Dämmung der Kosten im Gesundheitswesen“ oder von dem „Ziel, die finanzielle Inanspruchnahme der gesetzlichen Krankenversicherung zu steuern“174. Damit ist allerdings der Grundsatz der finanziellen Stabilität gemeint175. Bei diesem Grundsatz handelt es sich um einen vom Bundesverfassungsgericht geschaffenen Rechtfertigungsgrund, der schon bei verschiedensten Eingriffen Anwendung fand176. Die Sicherung der finanziellen Stabilität stellt eine Gemeinschaftsaufgabe von hohem Rang dar177; sie gewährleistet die Funktionsfähigkeit und Leistungsfähigkeit des Systems178. Verfolgt werden mit diesem Grundsatz vor allem finanzielle Ziele, wie die Vermeidung weiterer Ausgaben, um das System zu erhalten179. Die finanzielle Ausrichtung steht der Einordnung des Grundsatzes der finanziellen Stabilität als legitimen Zweck aber nicht entgegen. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits mehrfach ausdrücklich festgehalten, dass der Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung von finanzwirtschaftlichen Erwägungen mitbestimmt sein darf180. Dem Kostenaspekt kommt gerade im Gesundheitswesen ein erhebliches Gewicht zu181. Die Krankenkassen sind nicht verpflichtet alles zu leisten, was an Mitteln zur Erhaltung oder Wiederherstellung der

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Vgl. Otto, PharmR 2005, S. 94; Schaks, NZS 2013, S. 843; Zuck, A&R 2013, S. 31. Vgl. etwa das Urteil zu den Zahntechniker-Innungen BVerfGE 68, 193 (218); zum Ausschluss unwirtschaftlicher Arzneimittel BVerfG NJW 1992, 735 (736); zum Risikostrukturausgleich BVerfGE 113, 167 (215); zum Beitragssicherungsgesetz BVerfGE 114, 196 (244); zum Abschlag auf die Abgabenpreise für Generika BVerfG NZS 2008, 34 (36). 174 BVerfG PharmR 2013, 119 (121); so auch Schaks, NZS 2013, S. 843. 175 Vgl. Schaks, NZS 2013, S. 843; Zuck, A&R 2013, S. 31. 176 Vgl. Schaks, in: Sodan, Handbuch des Krankenversicherungsrechts, § 16 Rn. 1; Sodan, in: ders., Finanzielle Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung, S. 11. 177 BVerfGE 68, 193 (218); 103, 172 (184); BVerfG NJW 1992, 735 (736); BVerfG NJW 2000, 1781 (1781); vgl. auch: Kemmler, NZS 2014, S. 525; Schweim, DAZ 2004, S. 2088. 178 Engelhard, in: Schlegel/Voelzke, juris Praxiskommentar, § 12 SGB V Rn. 35. 179 Schaks, Der Grundsatz der finanziellen Stabilität, S. 38 ff., 60 f. 180 BVerfGE 68, 193 (218); 70, 1 (26 ff.); 115, 25 (46); so auch Reese/Stallberg, in: Dieners/ Reese, Handbuch des Pharmarechts, § 17 Rn. 6. 181 BVerfGE 103, 172 (184); 115, 25 (46); BSGE 102, 30 (34); vgl auch: Brandts, in: Körner/Leitherer/Mutschler, Kasseler Kommentar, § 27a SGB V Rn. 50; Steiner, in: Spickhoff, Medizinrecht, Art. 20 GG Rn. 7. 173

I. Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel

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Gesundheit verfügbar ist182. Das Allgemeininteresse an der Finanzierbarkeit der gesetzlichen Krankenversicherung kann das Interesse der Versicherten an einer nahezu umfassenden und hochwertigen Versorgung überwiegen und dagegen abgewogen werden183. Damit handelt es sich bei der Sicherung der finanziellen Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung um einen legitimen Zweck zur Rechtfertigung des Ausschlusses nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel. (2) Unterer Preisbereich Sowohl der Gesetzgeber als auch die Gerichte begründen und rechtfertigen den Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel mit dem Argument des niedrigen Preises. Bei den OTC-Arzneimitteln handele es sich um solche Arzneimittel, die mit einem Durchschnittspreis von unter 11 Euro im unteren Preissegment zu finden seien. Daraus ergebe sich, dass es grundsätzlich zumutbar und sozial vertretbar sei, den Versicherten die Kosten für diese Arzneimittel aufzuerlegen184. Angeknüpft wird damit an die Eigenverantwortung der Versicherten, indem Gesetzgeber und Rechtsprechung diese Arzneimittel als für jeden Versicherten erschwinglich oder zumindest sozial vertretbar halten, sodass ihnen die Kosten auferlegt werden können. Eine Selbstbeteiligung der Versicherten ist grundsätzlich möglich, sofern dadurch keine wesentlichen Leistungen vorenthalten werden und die Eigenleistungen sich im Rahmen des Zumutbaren für die Versicherten bewegen, mithin also verhältnismäßig sind185. Während wesentliche Leistungen im Rahmen von nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln insbesondere über die Ausnahmen in der OTC-Übersicht bei schwerwiegenden Erkrankungen abgedeckt werden186, muss sich die Zumutbarkeit anhand der Kostenbelastung der Versicherten messen lassen. Die Frage bleibt daher, ob die Aufbringung der Kosten für nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel als zumutbar angesehen werden kann187. Laut Gesetzesbegründung liegt der Preis für nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel im Durchschnitt unter 11 Euro. Bei einem Preis von bis zu 11 Euro ist

182 Vgl. BVerfGE 115, 25 (46); BVerfG SozR 4 – 2500 § 31 Nr. 17 Rn. 10; BVerfG PharmR 2013, 119 (122). 183 Vießmann, VSSR 2010, S. 139. 184 BT-Drs. 15/1525, S. 86; BVerfG PharmR 2013, 119 (121); BSGE 102, 30 (32 f.); zustimmend BSGE 110, 183 (192); so auch: Schaks, NZS 2013, S. 842; Wodarz, in: Sodan, Handbuch des Krankenversicherungsrechts, § 27 Rn. 17. 185 Ausdrücklich Becker, Steuerung der Arzneimittelversorgung, S. 422; auch auf die Zumutbarkeit der Eigenleistung abstellend BVerfG PharmR 2013, 119 (122); ähnl. Süß, Die Eigenverantwortung gesetzlich Krankenversicherter, S. 172 f., die allgemein auf die Einhaltung der Verhältnismäßigkeit abstellt. 186 Vgl. hierzu Abschnitt C. I. 1. b) bb) (4). 187 Vgl. Becker, Steuerung der Arzneimittelversorgung, S. 422.

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C. Verfassungsmäßigkeit und Europarechtskonformität

von einer Zumutbarkeit auszugehen188. Zumal man bedenken muss, dass von diesem Preis noch die Zuzahlung in Höhe von 5 Euro, die der Versicherte bei Verordnung zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung hätte zahlen müssen, abzuziehen ist189. Dennoch handelt es sich bei den aufgeführten 11 Euro um einen Durchschnittspreis; nicht jedes OTC-Arzneimittel ist in diesem Preissegment verankert. Insofern wird kritisiert, dass es auch Arzneimittel gäbe, die nicht der Verschreibungspflicht unterliegen, deren Preis aber bei 100 Euro oder darüber liege, sodass die gesamte Spannbreite der Preise für die Zumutbarkeit maßgeblich sei190. Zum anderen wird darauf verwiesen, dass das Merkmal des unteren Preisbereichs nicht nur auf OTCArzneimittel zuträfe. So gäbe es auch verschreibungspflichtige Arzneimittel im unteren Preisbereich. Bei den verschreibungspflichtigen Präparaten gäbe es lediglich sehr teure Ausnahmen, die den Durchschnittspreis nach oben treiben191. Diese Argumentation erscheint jedoch fraglich, wenn man den Durchschnittspreis der verschreibungspflichtigen Arzneimittel betrachtet. Dieser lag im Jahre 2003 bei ca. 36 Euro pro Packung192 und ist bis zum Jahr 2013 immer weiter gestiegen, sodass er nun bei ca. 50 Euro pro Packung liegt193. Damit besteht dort ein deutlicher Unterschied zum Durchschnittspreis von OTC-Arzneimitteln, der nach derselben Statistik lediglich bei ca. 8 Euro liegt. Dieser deutliche Unterschied bestätigt sich bei einem Blick auf die Entstehung der Arzneimittelpreise. Die Preise für verschreibungspflichtige und nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel kommen durch unterschiedliche Regelungen zustande. Während sich der Preis der verschreibungspflichtigen Arzneimittel nach § 78 AMG und der Arzneimittelpreisverordnung194 richtet, können die Preise von OTC-Medikamenten frei vom Apotheker bestimmt werden und unterfallen gerade nicht der Arzneimittelpreisverordnung195. Dies gilt jedoch nicht für diejenigen nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel, die zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung ver-

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Braun, PharmR 2013, S. 124. Otto, PharmR 2005, S. 99 f. 190 Becker, Steuerung der Arzneimittelversorgung, S. 423 f., der auch die Dauer der Behandlung mit einfließen lassen will; Schwerdtfeger, PharmR 2003, S. 347; ders., PharmR 2004, S. 404. 191 Schwerdtfeger, PharmR 2004, S. 404. 192 Vgl. Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie e.V. (BPI), Pharma-Daten 2004, S. 41; Stand: September 2004, abrufbar unter: http://www.bpi.de/daten-und-fakten/pharmada ten/. 193 Vgl. Der Arzneimittelmarkt in Deutschland in Zahlen 2013, Berichte des Bundesverbandes der Arzneimittelhersteller e.V. (BAH), Stand: 01. 05. 2014, abrufbar unter: https:// www.bah-bonn.de/presse-und-publikationen/zahlen-fakten/. 194 V. 14. 11. 1980 (BGBl. I, S. 2147), zuletzt geändert durch das SGB V-ÄnderungsG v. 27. 03. 2014 (BGBl. I, S. 261). 195 Vgl. § 1 Abs. 4 AMPreisV; Rehmann, in: ders., Arzneimittelgesetz (AMG) Kommentar, § 78 AMG Rn. 1; Sandrock/Nawroth, in: Dieners/Reese, Handbuch des Pharmarechts, § 9 Rn. 146; Wigge/Wille, in: Schnapp/Wigge, HVAR, § 19 Rn. 102 f. 189

I. Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel

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ordnet werden. Für diese gilt der nach der Arzneimittelpreisverordnung festgelegte einheitliche Apothekenabgabepreis196. Der Apothekenabgabepreis bestimmt sich durch eine Anrechnung verschiedener Zuschläge auf den Herstellerabgabepreis. Der Herstellerabgabepreis wird vom pharmazeutischen Unternehmer bestimmt und veröffentlicht, wobei dessen Festlegung frei erfolgt197. Die Zuschläge auf diese Preise werden allerdings nicht frei erhoben: § 2 AMPreisV legt im Bereich des Großhandels Höchstzuschläge auf den Herstellerabgabepreis fest, den die Großhändler gegenüber den Apotheken geltend machen dürfen. Dabei sind Zuschläge von 3 – 21 % zulässig, wobei der jeweilige Herstellerabgabepreis für die Höhe der Zuschläge maßgebend ist198. Diese Zuschläge werden dann auf den Herstellerabgabepreis hinzuaddiert. Zu diesem Betrag kommen noch Zuschläge der Apotheken dazu. Diese sind, anders als die Großhandelszuschläge, die von den Großhändlern auch unterschritten werden dürfen199, fest und dürfen vom Apotheker nicht über- oder unterschritten werden200. Die Festzuschläge belaufen sich momentan auf 3 %, wobei dazu noch ein Festbetrag von 8,35 Euro sowie 0,16 Euro als auch die Umsatzsteuer hinzugerechnet werden201. Der Betrag von 8,35 Euro ist als Honorar für die Beratung der Versicherten in der Apotheke und die dortige Abgabe der Arzneimittel anzusehen202. Die 0,16 Euro sind als Förderung der Sicherstellung des Notdienstes gedacht. Die Berechnung des prozentualen Anteils für die Festzuschläge erfolgt anhand des Herstellerabgabepreise zuzüglich des größtmöglichen Großhandelszuschlags, unabhängig davon, welchen Zuschlag der Großhändler mit dem Apotheker vereinbart hat203. Ist das Arzneimittel nur im Direktvertrieb vom Hersteller zu beziehen, so bemisst sich der Festzuschlag der Apotheken anhand des Herstellerabgabepreises204. 196 Vgl. § 78 Abs. 2 S. 3 AMG, § 129 Abs. 5a SGB V; Heßhaus, in: Spickhoff, Medizinrecht, § 78 AMG Rn. 5; Wigge/Wille, in: Schnapp/Wigge, HVAR, § 19 Rn. 104. 197 Sandrock/Nawroth, in: Dieners/Reese, Handbuch des Pharmarechts, § 9 Rn. 153; Wigge/Wille, in: Schnapp/Wigge, HVAR, § 19 Rn. 102. Eingeschränkt wird dieser Preis aber über die Festbetragsregelungen in § 35 SGB V sowie die frühe Nutzenbewertung in § 35a SGB V, vgl. auch Heßhaus, in: Spickhoff, Medizinrecht, § 78 AMG Rn. 3; Quaas/Zuck/Clemens, Medizinrecht, § 56 Rn. 5 ff. 198 Vgl. § 2 Abs. 2 AMPreisV; so auch Sandrock/Nawroth, in: Dieners/Reese, Handbuch des Pharmarechts, § 9 Rn. 156, die sich hinsichtlich ihrer Zahlen noch auf eine ältere Version der Verordnung beziehen. 199 Rehmann, in: ders., Arzneimittelgesetz (AMG) Kommentar, § 78 AMG Rn. 1. 200 Sandrock/Nawroth, in: Dieners/Reese, Handbuch des Pharmarechts, § 9 Rn. 157; Rehmann, in: ders., Arzneimittelgesetz (AMG) Kommentar, § 78 AMG Rn. 1. 201 § 3 Abs. 1 S. 1 AMPreisV. 202 Wigge/Wille, in: Schnapp/Wigge, HVAR, § 19 Rn. 102. 203 § 3 Abs. 2 Nr. 1 AMPreisV; Hofmann, in: Kügel/Müller/Hofmann, Arzneimittelgesetz, § 78 AMG Rn. 60 f.; Sandrock/Nawroth, in: Dieners/Reese, Handbuch des Pharmarechts, § 9 Rn. 159 f. 204 § 3 Abs. 2 Nr. 2 AMPreisV; Hofmann, in: Kügel/Müller/Hofmann, Arzneimittelgesetz, § 78 AMG Rn. 60 f.; Kutlu, in: Spickhoff, Medizinrecht, § 3 AMPreisVO Rn. 6; Sandrock/ Nawroth, in: Dieners/Reese, Handbuch des Pharmarechts, § 9 Rn. 161.

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C. Verfassungsmäßigkeit und Europarechtskonformität

Diese staatliche Regulierung dient den Zielen, die Arzneimittelpreise zu senken, sie einheitlich aufzustellen und sie im Hinblick auf ein funktionierendes Gesundheitssystem niedrig zu halten205. Zudem soll der einheitliche Apothekenpreis sicherstellen, dass der Versicherte nicht die einzelnen Preise in den Apotheken vergleichen muss206, sodass hinter den Regelungen auch Gründe des Verbraucherschutzes stehen207. Das Ziel der Gewährung einheitlicher Apothekenabgabepreise erforderte aber auch eine einheitliche Grundlage für die Berechnung der Festzuschläge208. Dies wird dadurch erreicht, dass sich der Endpreis in der Apotheke durch den Festzuschlag sowie den größtmöglichsten Großhandelszuschlag bestimmt, sodass sich ein geringerer Zuschlag des Großhändlers nur auf die Gewinnmarge des Apothekers auswirkt209. Modifiziert werden diese Regelungen in Bezug auf die gesetzliche Krankenversicherung. So müssen die Apotheken den gesetzlichen Krankenkassen einen bestimmten Abschlag auf den Arzneimittelabgabepreis bzw. den Festbetragspreis gewähren, der bei verschreibungspflichtigen Fertigarzneimitteln bei 2,05 Euro je Arzneimittel liegt210. Darüber hinaus müssen die Apotheker den gesetzlichen Krankenkassen einen weiteren Rabatt von 7 % auf den Herstellerabgabepreis gewähren211, der allerdings im Ergebnis zu Lasten der Hersteller geht, da die pharmazeutischen Unternehmer diesen Rabatt den Apothekern erstatten müssen212. Damit ist der Arzneimittelpreis im Bereich der verschreibungspflichtigen Arzneimittel stark reglementiert.

205 BT-Drs. 7/4557, S. 5; vgl. auch: Rehmann, in: ders., Arzneimittelgesetz (AMG) Kommentar, § 78 AMG Rn. 1; Sandrock/Nawroth, in: Dieners/Reese, Handbuch des Pharmarechts, § 9 Rn. 140, 142; Wigge/Wille, in: Schnapp/Wigge, HVAR, § 19 Rn. 102. 206 Kloesel/Cyran, in: Kloesel/Cyran, Arzneimittelrecht, § 78 AMG Rn. 1; Sandrock/ Nawroth, in: Dieners/Reese, Handbuch des Pharmarechts, § 9 Rn. 142; Wigge/Wille, in: Schnapp/Wigge, HVAR, § 19 Rn. 102. 207 Heßhaus, in: Spickhoff, Medizinrecht, § 78 AMG Rn. 2; Hofmann, in: Kügel/Müller/ Hofmann, Arzneimittelgesetz, § 78 AMG Rn. 37; Quaas/Zuck/Clemens, Medizinrecht, § 56 Rn. 1; so auch Schwerdtfeger, PharmR 2003, S. 349. 208 BT-Drs. 7/4557, S. 5; Kutlu, in: Spickhoff, Medizinrecht, § 2 AMPreisVO Rn. 6; Wigge/ Wille, in: Schnapp/Wigge, HVAR, § 19 Rn. 102. 209 Vgl. Rehmann, in: ders., Arzneimittelgesetz (AMG) Kommentar, § 78 AMG Rn. 1. 210 § 130 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1 SGB V; vgl. auch: Axer, in: Becker/Kingreen, SGB V, § 130 SGB V Rn. 4 ff.; Hess, in: Körner/Leitherer/Mutschler, Kasseler Kommentar, § 130 SGB V Rn. 2 ff.; Luthe, in: Hauck/Noftz, Sozialgesetzbuch – SGB V, § 130 SGB V Rn. 7 ff.; von Dewitz, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, Beck’scher Onlinekommentar Sozialrecht, § 130 SGB V Rn. 5 f. 211 § 130a Abs. 1, 1a, 3, 4, 5 SGB V; vgl. auch: Barth, in: Spickhoff, Medizinrecht, § 130a SGB V Rn. 2; Hess, in: Körner/Leitherer/Mutschler, Kasseler Kommentar, § 130a SGB V Rn. 3. 212 § 130a Abs. 1 S. 3, 4 SGB V; vgl. auch: Barth, in: Spickhoff, Medizinrecht, § 130a SGB V Rn. 4; von Dewitz, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, Beck’scher Onlinekommentar Sozialrecht, § 130a SGB V Rn. 9.

I. Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel

159

Anders verhält sich die Preisgestaltung bei nicht verschreibungspflichtigen Präparaten. Diese unterfallen, soweit sie nicht ausnahmsweise doch zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung zu erbringen sind, nicht der Arzneimittelpreisverordnung213. Ferner besteht für diese Arzneimittel die Verpflichtung zur Gewährung eines einheitlichen Apothekenabgabepreises nicht214. Sie können daher sowohl zwischen Apotheke und Großhandel als auch dem pharmazeutischen Unternehmer frei bestimmt werden215. Begründet wurde die Ausgliederung aus der Arzneimittelpreisverordnung damit, dass die einstigen Argumente des Lagerrisikos und der Kapitalbindung der Apotheke oder der Unzumutbarkeit von Preisvergleichen für Versicherte für die OTC-Medikamente nicht mehr angeführt werden könnten216. Nähere Ausführungen dazu erfolgen in der Gesetzesbegründung allerdings nicht. Zudem solle die Ausgliederung zu mehr Wettbewerb und damit zu sinkenden Preisen für die Versicherten führen217. Vergleicht man die Preise von 2003 bis heute, hat sich tatsächlich eine Preissenkung ergeben. So lag der Preis für rezeptfreie Arzneimittel im Jahre 2003 bei 11,60 Euro; 2013 lag er noch bei 8,43 Euro 218. Der Preis schwankt aber selbst von Jahr zu Jahr, sodass er bspw. 2009 noch 20 Cent niedriger war219. Eine Besonderheit besteht für OTC-Präparate, die zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnet werden können. Dort wird der Abgabepreis wie bei den verschreibungspflichtigen Arzneimitteln berechnet, allerdings mit der Maßgabe, dass die Arzneimittelpreisverordnung in der am 31. 12. 2003 gültigen Fassung anzuwenden ist220. Durch den Vergleich des Entstehens der Arzneimittelpreise beider Kategorien wird ersichtlich, dass der höhere Durchschnittspreis der verschreibungspflichtigen 213 § 1 Abs. 4 AMPreisV wurde durch das GMG v. 14. 11. 2003 (BGBl. I, S. 2190) eingeführt. 214 § 78 Abs. 2 S. 3 AMG; vgl. auch: Hofmann, in: Kügel/Müller/Hofmann, Arzneimittelgesetz, § 78 AMG Rn. 38; Lietz, in: Fuhrmann/Klein/Fleischfresser, Arzneimittelrecht, § 21 Rn. 29; May, pharmind 2003, S. 1086. 215 Lietz, in: Fuhrmann/Klein/Fleischfresser, Arzneimittelrecht, § 21 Rn. 30. 216 BT-Drs. 15/1170, S. 138. 217 BT-Drs. 15/1170, S. 138, wobei mit Preissenkungen von 15 % gerechnet wurde; BTDrs. 15/1525, S. 166; Hofmann, in: Kügel/Müller/Hofmann, Arzneimittelgesetz, § 78 AMG Rn. 38; Sandrock/Nawroth, in: Dieners/Reese, Handbuch des Pharmarechts, § 9 Rn. 168; siehe auch die Prognosen bei May, pharmind 2003, S. 1090. 218 Vgl. Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie e.V. (BPI), Pharma-Daten 2003, Stand: September 2003, abrufbar unter: http://www.bpi.de/daten-und-fakten/pharmadaten/; Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie e.V. (BPI), Pharma-Daten 2014, S. 90; Stand: Oktober 2014, abrufbar unter: http://www.bpi.de/daten-und-fakten/pharmadaten/. 219 Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie e.V. (BPI), Pharma-Daten 2014, Stand: Oktober 2014, abrufbar unter: http://www.bpi.de/daten-und-fakten/pharmadaten/. 220 § 129 Abs. 5a SGB V; vgl. auch: Knittel, in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung Pflegeversicherung, § 129 SGB V Rn. 17; Lietz, in: Fuhrmann/Klein/Fleischfresser, Arzneimittelrecht, § 21 Rn. 29; Luthe, in: Hauck/Noftz, Sozialgesetzbuch – SGB V, § 129 SGB V Rn. 57; von Dewitz, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, Beck’scher Onlinekommentar Sozialrecht, § 129 SGB V Rn. 25.

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C. Verfassungsmäßigkeit und Europarechtskonformität

Arzneimittel gegenüber den OTC-Arzneimitteln sich nicht allein aufgrund von wenigen teuren Ausnahmen errechnet. Denn für verschreibungspflichtige Arzneimittel ergeben sich, selbst bei einem Herstellerabgabepreis von einem Euro, aufgrund der Großhandels- und Apothekenzuschläge sowie der Mehrwertsteuer als Apothekenverkaufspreis fast 12 Euro221. Damit sind sie allgemein in einem höheren Preisbereich einzuordnen als nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel. Dies ändert aber nichts daran, dass die Preise variieren, sowohl bei nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln als auch bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln finden sich teure oder günstige Ausnahmen. Insofern ist das Preisargument nicht passgenau. Entscheidend kann aber nicht sein, dass jedes nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel das Merkmal der Preisgünstigkeit erfüllen muss. Insbesondere zur Erhaltung der Funktions- und Leistungsfähigkeit des Systems steht dem Gesetzgeber nämlich ein weiter Gestaltungsspielraum zu222. Dieser schafft ihm bei der Wahl von Kriterien Freiheit, sodass es im Endergebnis nur darauf ankommt, dass der Hauptteil der nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel diesem Merkmal entspricht223. Der Gesetzgeber muss Kriterien finden, die auf den Großteil der nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel zutreffen224. Das hat der Gesetzgeber mit dem Durchschnittspreis unter 11 Euro erfüllt. Denn obwohl es auch teurere OTCArzneimittel gibt, so sind die meisten dieser Arzneimittel doch im niedrigen Preisbereich zu verorten. In diesem Preisrahmen von durchschnittlich 11 Euro ist aber die Überstellung in die Eigenverantwortung den Versicherten zumutbar. Zumal das Bundesverfassungsgericht sogar eine monatliche Belastung von 28,80 Euro noch als zumutbar angesehen hat225. Die OTC-Arzneimittel mögen zwar für den einen erschwinglicher sein als für den anderen, jedoch ändert dies nichts an der Zumutbarkeit. Die Bezeichnung eines Arzneimittels als preiswert oder im unteren Preisbereich hängt vom individuellen Leistungsvermögen des Versicherten ab. Dass es auf das individuelle Leistungsvermögen aber nicht ankommt, hat das Bundessozialgericht zu Recht deutlich festgestellt, indem es in einem Urteil zur Erstattung von Hautpflegemitteln für Neurodermitis darauf abstellte, dass nicht die ökonomische Bedürftigkeit des Be221 Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie e.V. (BPI), Pharma-Daten 2014, S. 62, Stand: Oktober 2014, abrufbar unter: http://www.bpi.de/daten-und-fakten/pharmadaten/. 222 BVerfGE 115, 25 (46); vgl. auch: Süß, Die Eigenverantwortung gesetzlich Krankenversicherter, S. 171 f.; Vießmann, VSSR 2010, S. 138; krit. im Bezug auf den Einsatz der finanziellen Stabilität als Totschlagargument: Gassner, in: Mummenhoff, Machtzuwachs der Krankenkassen, S. 175; Reese/Stallberg, in: Dieners/Reese, Handbuch des Pharmarechts, § 17 Rn 22; krit. in Bezug auf die Weite des Spielraums Schaks, Der Grundsatz der finanziellen Stabilität, S. 161. 223 Vgl. Axer, in: Becker/Kingreen, SGB V, § 34 SGB V Rn. 11; ähnl. Wigge/Wille, in: Schnapp/Wigge, HVAR, § 19 Rn. 14. 224 Dies entspricht auch den verfassungsrechtlichen Anforderung bei einer Typisierung; vgl. ständige Rspr. BVerfGE 105, 73 (127); 122, 210 (232); 126, 268 (278); 133, 377 (412). 225 BVerfG PharmR 2013, 119 (121).

I. Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel

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troffenen den Umfang des Leistungskatalogs der gesetzlichen Krankenversicherung bestimme; es mithin also irrelevant ist, ob der Versicherte sich die wegfallenden Leistungen aus eigenen Mitteln beschaffen kann oder ob ihm das aus Geldmangel geradezu nicht möglich ist226. Das ist insofern richtig, als die gesetzliche Krankenversicherung zur Bereitstellung eines Mindeststandards an Gesundheitsleistungen bei Erkrankungen verpflichtet ist227; für die wirtschaftliche Absicherung sind andere Sicherungssysteme, wie die Grundsicherung für Arbeitssuchende im SGB II oder die Sozialhilfe im SGB XII zuständig228. Bedenken gegen eine generelle Heranziehung des unteren Preisbereichs als Argument ergeben sich allerdings im Hinblick auf die Preisfindung. Diese änderte sich für die OTC-Arzneimittel mit deren Ausschluss aus dem Leistungskatalog. Wo vorher der Staat noch regulierend eingreifen konnte, hat er nun die Preisfindung frei den Apothekern, Großhändlern und pharmazeutischen Unternehmern überlassen. Allerdings hat dies nicht zu einem Preisanstieg geführt. Zudem ist es dem Versicherten zuzumuten, Preise in den Apotheken abzugleichen. Insbesondere im Hinblick auf die Möglichkeit von Preisvergleichen im Internet stellt dies keinen erheblichen Aufwand dar. Das Preisargument kann daher den Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel rechtfertigen. (3) Selbstmedikation Als weitere Begründung für den Ausschluss führt der Gesetzgeber an, dass nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel schon vor dem Ausschluss zum überwiegenden Anteil ohne Rezept in den Apotheken abgegeben wurden229. Damit wurden bereits vor der Ausschlussregelung viele OTC-Präparate nicht über die Krankenkassen abgerechnet, sondern von den Versicherten selbst bezahlt. Kritisiert wird an dieser Argumentation allerdings, dass die gefahrabhängige Frage nach der Eignung zur Selbstmedikation mit der Frage nach der Kostentragung eines Arzneimittels, wenn eine ärztliche Verordnung vorliegt, nichts zu tun habe230. Doch zeigt der hohe Anteil an Selbstmedikation, dass in diesem Bereich schon vorher Eigenvorsorge betrieben wurde und es den Patienten dort eben nicht auf eine ärztliche Verordnung und auch nicht auf eine Kostentragung durch die gesetzliche Krankenkasse ankam. Sonst hätten sie diese nämlich vor dem Ausschluss in Anspruch genommen.

226

BSGE 110, 183 (193). Erforderlich ist eine bedarfsgerechte medizinische Versorgung, die allerdings nicht alles umfasst, was an Mitteln zur Erhaltung und Wiederherstellung der Gesundheit von Nöten ist, vgl. BVerfGE 115, 25 (46); BVerfG PharmR 2013, 119 (122); BSGE 102, 30 (34). 228 Vgl. BSGE 110, 183 (193 f.). Zur Frage, ob diese Systeme im Falle der nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel leisten, vgl. Abschnitt C. I. 3. 229 BT-Drs. 15/1525, S. 86. 230 Schwerdtfeger, PharmR 2003, S. 347; ders., PharmR 2004, S. 403. 227

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C. Verfassungsmäßigkeit und Europarechtskonformität

Schwerer wiegt hingegen der Einwand, dass sich bei weitem nicht alle nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel zur Selbstmedikation eignen. So beschränkt sich das Anwendungsgebiet mancher Arzneimittel darauf, dass bestimmte Erkrankungen nicht vorliegen, sodass ohne vorweggenommene ärztliche Prüfung des Nichtvorliegens dieser Erkrankungen, das OTC-Arzneimittel nicht eingenommen werden sollte231. Bei anderen Arzneimitteln scheidet eine Selbstmedikation schon aufgrund der Applikationsform, z. B. mittels einer Infusion, aus. Darüber hinaus gibt es ebenso Erkrankungen wie Demenz, Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Depressionen, bei denen der Patient selbst keine Diagnose stellen kann. Zudem kann es vorkommen, dass dem Patienten aufgrund der Erkrankung die Fähigkeit fehlt, autonom zu entscheiden, sodass ihm keine Selbstmedikation möglich ist232. Ob sich ein Arzneimittel zur Selbstmedikation eignet oder nicht, ist allerdings eine Frage des Arzneimittelrechts. Denn genau diese Frage ist durch das Kriterium der Verschreibungspflicht zu beantworten. Besteht nämlich eine Gefahr bei der Anwendung, unterfällt das Arzneimittel der Verschreibungspflicht und steht der Selbstmedikation nicht mehr offen233. Zwar gibt es nie Gewissheit, dass Arzneimittel, die nicht oder nicht mehr der Verschreibungspflicht unterliegen, gefahrenlos bei jeder Anwendung in der Selbstmedikation sind, jedoch resultiert dies aus dem Umstand, dass es sich bei der Einordnung unter die Verschreibungspflicht um eine Prognoseentscheidung handelt234. Daher kann es vorkommen, dass sich auch nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel nicht zur Selbstmedikation eignen. Allerdings ist dies ein Problem des Arzneimittelrechts, nicht dagegen der Ausschlussregelung nach § 34 Abs. 1 S. 1 SGB V, die an die arzneimittelrechtliche Wertung anknüpft. Zudem müssen aufgrund des Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers und dessen Typisierungsbefugnis nicht alle Arzneimittel zur Selbstmedikation geeignet sein. Erforderlich ist nur, dass nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel in der Regel im Wege der Selbstmedikation eingenommen werden können. Da die meisten nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel hauptsächlich bei geringfügigen Gesundheitsstörungen angewandt werden und grundsätzlich geringe Nebenwirkungen haben235, sind sie für die Selbstmedikation in der Regel geeignet. Damit kann das Argument der Selbstmedikation zur Rechtfertigung des Ausschlusses der nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel herangezogen werden.

231 Bei Mitteln gegen Prostatahyperplasie ist es notwendig sich vorher abzusichern, dass keine Krebserkrankung vorliegt, vgl. Schweim, DAZ 2004, S. 2089. 232 Vgl. hierzu mit den Beispielen Schweim, DAZ 2004, S. 2089. 233 Vgl. Hofmann, in: Kügel/Müller/Hofmann, Arzneimittelgesetz, § 48 AMG Rn. 7; Pabel, PharmR 2009, S. 502 in Bezug auf die Aufhebung einer Verschreibungspflicht und damit Zulassung zur Selbstmedikation; Schwerdtfeger, PharmR 2003, S. 346 f.; ders., PharmR 2004, S. 396. 234 Pabel, PharmR 2009, S. 502. 235 Vgl. Abschnitt B. II.

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(4) Ausnahmenregelungen des Ausschlusses nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel Abgemildert wird der Ausschluss durch die beiden Ausnahmeregelungen der Verordnungsfähigkeit von nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln bei schwerwiegenden Erkrankungen sowie bei Kindern und Jugendlichen236. Diese Ausnahmeregelungen sind auch insofern erforderlich, als sie dazu beitragen, dass der Ausschluss als noch zumutbar im Sinne der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne und damit als verfassungsmäßig erachtet werden kann237. Selbst wenn die Gründe des niedrigen Preises und der Eignung zur Selbstmedikation die Verhältnismäßigkeit des Ausschlusses grds. stützen, ist der Gesetzgeber verpflichtet, die Krankenversicherung so auszugestalten, dass ein Mindestniveau an medizinisch notwendige Leistungen erbracht wird238. Ansonsten bestünde keine Äquivalenz von Beitrag und Leistung mehr. Zur Äquivalenz von Beitrag und Leistung trägt insbesondere die Ausnahme des § 34 Abs. 1 S. 2 SGB V bei. Das Bundesverfassungsgericht hat im Nikolausbeschluss eine fehlende Äquivalenz von Beitrag und Leistung und die daraus folgenden grundrechtsorientierte Auslegung jedenfalls in dem Fall bejaht, in dem eine lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung vorliegt, für die keine Leistungen in der gesetzlichen Krankenversicherung erbracht werden239. Die vom Bundesverfassungsgericht im Nikolausbeschluss herausgearbeiteten Grundsätze gelten aber über das Vorliegen einer lebensbedrohlichen Erkrankung hinaus240. Dementsprechend ist das Vorliegen einer Unverhältnismäßigkeit von Beitrag und Leistung nicht auf Fälle lebensbedrohlicher Erkrankungen beschränkt. Die Ausnahme des § 34 Abs. 1 S. 2 SGB V stellt aber auf den Begriff der schwerwiegenden Erkrankung ab und greift damit nicht nur bei lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankungen ein. Sie erfasst ebenso solche Erkrankungen, die die Lebensqualität dauerhaft beeinträchtigen241 und stellt dadurch sicher, dass in medizinisch notwendigen Fällen weiterhin nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnet werden. Damit

236 § 34 Abs. 1 S. 2 SGB V und § 34 Abs. 1 S. 5 SGB V; vgl. zu den Ausnahmen Abschnitt B. III. und Abschnitt B. IV. 237 Harich, SGb 2012, S. 589; Schaks, NZS 2013, S. 842; allg. die Zulässigkeit der Ausweitung von Eigenverantwortung bei Etablierung von Härtefallregelungen und Überforderungsklauseln bejahend: Hänlein, SGb 2003, S. 308 f.; Süß, Die Eigenverantwortung gesetzlich Krankenversicherter, S. 172. 238 Zur Pflicht zur Erbringung notwendiger medizinischer Leistungen, vgl.: BVerfGE 115, 25 (44 ff.); Pitschas, VSSR 1998, S. 259 f.; vgl. ebenso die Ausführungen in Abschnitt C. I. 1. a) bb) (2) (a). 239 BVerfGE 115, 25 (49). 240 Vgl. Abschnitt C. I. 1. a) dd). 241 Vgl. hierzu Abschnitt B. III. 5. a) aa).

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C. Verfassungsmäßigkeit und Europarechtskonformität

leistet die Ausnahme einen maßgebenden Teil zur Beibehaltung der Äquivalenz von Beitrag und Leistung242. Den Grundrechtseingriff abmildern und damit rechtfertigen, können die Ausnahmen allerdings nur, sofern sie nicht selbst gegen Grundrechte verstoßen. Problematisch ist insofern, dass die beiden Ausnahmen selbst wiederum Ungleichbehandlungen hervorrufen. So werden etwa schwerwiegende Erkrankungen anders behandelt als andere Erkrankungen. Diese Ungleichbehandlung ist jedoch gerechtfertigt243. Die Schwere der Erkrankung bildet ein sachgerechtes Differenzierungskriterium. Denn während der Gesetzgeber gehalten ist in Fällen tödlicher oder lebensbedrohlicher Erkrankungen medizinisch notwendige Leistungen zu erbringen, kann er die Behandlung geringfügiger Gesundheitsstörungen und damit nicht schwerwiegender Erkrankungen der Eigenverantwortung der Versicherten zuweisen244. Die Schwere der Erkrankung ist im Rahmen eines Krankenversicherungssystems ein naheliegendes Sachkriterium, um innerhalb des Leistungskatalogs zu differenzieren245. Es handelt sich um ein medizinisches Kriterium, das der Unterscheidung zwischen Behandlungen dient, die aus grundrechtlicher Sicht zu gewähren sind und solchen lediglich geringfügigen Gesundheitsstörungen, bei denen aus grundrechtlicher Perspektive keine Leistungspflicht besteht. Dementsprechend ist die Unterscheidung zwischen schwerwiegenden und nicht schwerwiegenden Erkrankungen geeignet, um der gesetzgeberischen Verpflichtung zur Erbringung des Mindestmaßes an medizinischer Behandlung nachzukommen. Zudem umfasst das Kriterium der schwerwiegenden Erkrankung nicht nur die aus grundrechtlicher Sicht zu gewährenden Leistungen, sondern geht sogar darüber hinaus, sodass die Ausnahmeregelung des § 34 Abs. 1 S. 2 SGB V insgesamt als angemessen erscheint. Damit wird auch dem strengen Prüfungsmaßstab des Art. 3 Abs. 1 GG Genüge getan. Die zweite Ausnahmeregelung zum Ausschluss von OTC-Arzneimitteln für Kinder und für Jugendliche mit Entwicklungsstörungen mildert die finanziellen Folgen für Familien ab und ist daher ein Argument, um die Zumutbarkeit des Ausschlusses im Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne zu begründen. Allerdings beinhaltet auch diese Ausnahmeregelung eine Ungleichbehandlung246 : Jugendliche von 12 – 18 Jahren mit Entwicklungsstörungen werden anders behandelt als Jugendliche ohne Entwicklungsstörungen. 242 Vgl. auch Harich, SGb 2012, S. 589 f., der von einer „verfassungsrechtlichen Ventilfunktion“ der Ausnahme spricht. 243 Vgl. BVerfG PharmR 2013, 119 (122). 244 Zur Herausnahme von Leistungen und der Überstellung in die Eigenverantwortung, vgl. auch Pitschas, VSSR 1998, S. 259 f. Zum Ausschluss von Arzneimitteln zur Behandlung geringfügiger Gesundheitsstörungen (sog. Bagatellarzneimittel) und dessen Verfassungsmäßigkeit, vgl. Abschnitt D. I. 3. 245 BVerfG PharmR 2013, 119 (122); so auch Zuck, A&R 2013, S. 31 f. 246 Während das Bundesverfassungsgericht noch auf die Ungleichbehandlung von schwerwiegenden und anderen Erkrankungen hingewiesen hat und darauf eingegangen ist, erwähnt es diese Ungleichbehandlung nicht.

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Keine Ungleichbehandlung, mangels vergleichbarer Gruppen, liegt in der unterschiedlichen Behandlung von Kindern sowie Jugendlichen mit Entwicklungsstörungen gegenüber Erwachsenen. Kinder werden allgemein im SGB V nicht zu Eigenleistungen herangezogen, wie sich bei den Zuzahlungen, bei der Versorgung mit Arzneimittel zur Behandlung von sog. Bagatellerkrankungen und bei der Versorgung mit Sehhilfen zeigt247. Zudem können sie insofern nicht zur Eigenverantwortung herangezogen werden, als sie noch nicht selbst für sich sorgen können248. Die Ungleichbehandlung von Jugendlichen von 12 – 18 Jahren mit Entwicklungsstörungen und Jugendlichen ohne Entwicklungsstörungen ist sachgerecht und führt nicht zur Verfassungswidrigkeit der Ausnahme. Zunächst einmal hat der Gesetzgeber mit der Anknüpfung an Entwicklungsstörungen, und damit an ein medizinisches Kriterium, ein der gesetzlichen Krankenversicherung sachnahes Kriterium gewählt, das eine Ungleichbehandlung rechtfertigt. Denn aufgrund der Entwicklungsstörungen sind die Jugendlichen auf die medizinische Versorgung mit OTCArzneimitteln angewiesen. Dies unterscheidet sie von anderen Jugendlichen. Mit dieser Abgrenzung einhergehend, hat der Gesetzgeber aber im Allgemeinen Jugendliche von der Versorgung mit OTC-Arzneimitteln zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung ausgenommen, obwohl diese zum Teil, ähnlich wie Kinder, nicht in der Lage sind, für sich selbst zu sorgen und Eigenverantwortung für ihre Gesundheit zu übernehmen249. Allerdings kann die Entscheidung des Gesetzgebers OTC-Arzneimittel nur noch für Kinder zu gewähren, auf den Finanzierungsgedanken bzw. die Konsolidierung der gesetzlichen Krankenversicherung gestützt werden. Auch Familien müssen einen Teil zur Erreichung dieses Ziels beitragen. Dies ist zulässig, da der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung der gesetzlichen Krankenversicherung einen weiten Gestaltungsspielraum hat und insofern die Grenzen der Leistungspflicht selbst festlegen kann. Damit sind beide Ausnahmeregelungen mit der Verfassung vereinbar und können den Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel abmildern.

247 Vgl. Schwerdtfeger, PharmR 2003, S. 348. Vgl. für die Zuzahlungen §§ 31 Abs. 3 S. 1, 33 Abs. 2 S. 1, 39 Abs. 4 S. 1, 40 Abs. 5, 41 Abs. 3 SGB V; für die Bagatellarzneimittel § 34 Abs. 1 S. 6 SGB V; für die Sehhilfen § 33 Abs. 2 S. 1 SGB V. Vgl. hierzu auch Abschnitt B. IV. 248 Vgl. auch Schwerdtfeger, PharmR 2003, S. 348. 249 Etwas anders ließe sich für einen Teil der Jugendlichen ab 16 Jahren sagen. So galt auch früher der Ausschluss von Bagatellarzneimitteln in § 182 f RVO ab 16 Jahren, wurde allerdings nicht in das SGB V überführt; vgl. Hauck, in: Peters, Handbuch der Krankenversicherung, Band 2, § 34 SGB V Rn. 20; Hess, in: Körner/Leitherer/Mutschler, Kasseler Kommentar, § 34 SGB V Rn. 11; Orlowski, in: ders./Rau/Wasem/Zipperer, Gesamtausgabe GKV-Kommentar SGB V, § 34 SGB V Rn. 8.

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C. Verfassungsmäßigkeit und Europarechtskonformität

(5) Verschreibungspflicht als Differenzierungskriterium Ob ein Arzneimittel erbracht werden kann, hängt – sofern nicht ein Ausnahmefall vorliegt – davon ab, ob es der Verschreibungspflicht unterfällt oder nicht. Die Verschreibungspflicht ist ein Kriterium aus dem Arzneimittelgesetz. Bei der Einordnung von Arzneimittel unter die Verschreibungspflicht kommt es maßgeblich auf deren Gefährdungspotential an. Sie soll Patienten vor einem leichtsinnigen Umgang mit gefährdenden Arzneimitteln schützen und unterstellt diese zu diesem Zweck der Verschreibungspflicht, sodass sie dem Zugriff von Patienten ohne ärztliche Verordnung entzogen sind und eine Einnahme damit ärztlicher Aufsicht unterstellt ist250. Die Verordnungspflicht dient der Arzneimittelsicherheit. Allein die Anknüpfung des § 34 Abs. 1 S. 1 SGB V an ein Kriterium des Arzneimittelgesetzes führt nicht zur Sachwidrigkeit des Differenzierungskriteriums, da das Sozialrecht durchaus an Begrifflichkeiten in anderen Gesetzen, gerade dem Arzneimittelgesetz, anknüpfen kann251. Schon mit dem Ausschluss von nicht apothekenpflichtigen Arzneimitteln in § 31 Abs. 1 S. 1 SGB V hat man sich bereits eines Begriffes aus dem Arzneimittelrecht bedient252. Insofern wird von Teilen der Literatur sogar davon gesprochen, dass mit der Einführung der Verschreibungspflicht als Differenzierungskriterium konsequent die Gesetzgebung, die mit dem Ausschluss nicht apothekenpflichtiger Arzneimittel begonnen habe, fortgesetzt wurde253. Problematischer ist der Umstand einzuordnen, dass es sich um ein Kriterium der Arzneimittelsicherheit handelt. Der Gesetzgeber hat mit dem Kriterium zwar ein klar abgrenzbares Unterscheidungsmerkmal gewählt254, jedoch steht dieses nach Ansicht der Kritiker in keinem Zusammenhang zu den gesetzlichen Zielvorgaben des SGB V255 : Während es dem Gesetzgeber durch den Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel um wirtschaftliche Erwägungen, wie die Einsparung von Kosten zur Stabilisierung der Finanzierung der gesetzlichen Krankenversiche250

Vgl. zum Kriterium der Verschreibungspflicht, Abschnitt B. II. 2. Vgl. Gassner, in: Mummenhoff, Machtzuwachs der Krankenkassen, S. 173. 252 Vgl. zur Apothekenpflicht Abschnitt A. III. 1. a). 253 Becker, Steuerung der Arzneimittelversorgung, S. 26. 254 Vgl. etwa Harich, SGb 2012, S. 589; Otto, PharmR 2005, S. 99; Schaks, NZS 2013, S. 843. Das bestätigen auch die Kritiker: Becker, Steuerung der Arzneimittelversorgung, S. 26; Gassner, in: Mummenhoff, Machtzuwachs der Krankenkassen, S. 174; Schweim, DAZ 2004, S. 2091; Schwerdtfeger, PharmR 2003, S. 346; ders., PharmR 2004, S. 395. 255 So etwa: Becker, Steuerung der Arzneimittelversorgung, S. 25 f., 423 f.; Burgardt, in: Mummenhoff, Machtzuwachs der Krankenkassen, S. 192; Gassner, in: Mummenhoff, Machtzuwachs der Krankenkassen, S. 173 f.; Hückmann, PharmR 2003, S. 386; May, pharmind 2003, S. 1088; Nitz, in: Stellpflug/Meier/Tadayon, Handbuch Medizinrecht, Band 2, H 1000 Rn. 68; aufgrund dieses fehlenden Zusammenhangs zweifelnd Reese/Stallberg, in: Dieners/Reese, Handbuch des Pharmarechts, § 17 Rn. 137; Schweim, DAZ 2004, S. 2087 ff.; Schwerdtfeger, PharmR 2003, S. 346; ders., PharmR 2004, S. 402 f. Darin kein Problem sehend: BVerfG PharmR 2013, 119 (121); BSGE 102, 30 (33); Otto, PharmR 2005, S. 98 ff.; i.E. ebenso Zuck, A&R 2013, S. 31. 251

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rung, gehe, stehe das Kriterium der Verschreibungspflicht in einem gefahrabwehrrechtlichen Zusammenhang, habe jedoch zu wirtschaftlichen Erwägungen keinen unmittelbaren Bezug. Von den Kritikern wird daher die Frage nach einem Legitimationszusammenhang zwischen dem Unterscheidungskriterium und den gesetzlichen Zielvorgaben verneint. Kritisiert wird, dass zwischen der Verschreibungspflicht als Abgrenzungskriterium und dem Ziel der Konsolidierung der gesetzlichen Krankenversicherung kein unmittelbarer Zusammenhang bestünde256. Die Verschreibungspflicht stelle nicht auf die Kosten von Arzneimitteln ab. Des Weiteren sei durch das Kriterium – anders als beim Ausschluss von Bagatellarzneimitteln nach § 34 Abs. 1 S. 6 SGB V – kein Bezug zur Schwere von Erkrankungen erkennbar, sodass etwa lediglich geringfügige Gesundheitsstörungen ausgeschlossen wären257. Die OTC-Arzneimittel könnten zudem nicht pauschal als unwirtschaftliche Arzneimittel bezeichnet werden258. Es ginge nur um eine Begrenzung des Leistungskatalogs, wofür sich die nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel besonders anböten, da sie typischerweise niedrige Preise haben259. Das Anknüpfen an die Verschreibungspflicht führe bei seiner Anwendung auf die Leistungspflicht vielmehr zu fragwürdigen Ergebnissen: So bestehe etwa für alle neuen Wirkstoffe die Verschreibungspflicht und damit auch die Möglichkeit der Erstattungsfähigkeit in der gesetzlichen Krankenversicherung, unabhängig davon, ob sie einen größeren therapeutischen Nutzen gegenüber anderen Arzneimitteln haben oder nicht. Darüber hinaus könnten Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen nach Ablauf der automatischen Verschreibungspflicht von drei Jahren aus der Verschreibungspflicht und damit auch aus der Erstattungsfähigkeit fallen, obwohl sie sich in der Arzneimitteltherapie bewährt haben und damit zu einem festen Bestandteil der Krankenversorgung geworden sind. Demgegenüber könne ein Arzneimittel nach Ablauf der automatischen Verschreibungspflicht im Leistungskatalog allein aus dem Grund verbleiben, dass eine Missbrauchsgefahr bestehe. Warum Arzneimittel, die sich bewährt haben, nicht mehr zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnungsfähig seien, jedoch solche Arzneimittel, bei denen eine Missbrauchsgefahr bestehe, leuchte nicht ein260. 256

Becker, Steuerung der Arzneimittelversorgung, S. 25 f., 423; Gassner, in: Mummenhoff, Machtzuwachs der Krankenkassen, S. 173 f.; Hückmann, PharmR 2003, S. 386; May, pharmind 2003, S. 1088; Schwerdtfeger, PharmR 2003, S.346 ff.; ders., PharmR 2004, S.402. 257 Vgl. Becker, Steuerung der Arzneimittelversorgung, S. 26, 423. 258 Schwerdtfeger, PharmR 2003, S. 347. 259 Becker, Steuerung der Arzneimittelversorgung, 25 f., 423; strenger Gassner, in: Mummenhoff, Machtzuwachs der Krankenkassen, S. 173, der überhaupt keinen Zusammenhang sieht; ähnl. Kemmler, NZS 2014, S. 526, die auch keinen Zusammenhang zwischen der Verschreibungspflicht und dem Preis sieht. 260 Becker, Steuerung der Arzneimittelversorgung, S. 26 f.; so auch Gassner, in: Mummenhoff, Machtzuwachs der Krankenkassen, S. 173 f.; Schwerdtfeger, PharmR 2003, S. 346 f., der von einem willkürlichen Begriff spricht; ders., PharmR 2004, S. 403.

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C. Verfassungsmäßigkeit und Europarechtskonformität

Darüber hinaus bestehe kein Zusammenhang mit der Arzneimitteltherapie. Bei den Vertragsärzten zähle die Therapie mit nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln genauso zum Therapiestandard wie die Versorgung mit verschreibungspflichtigen Präparaten. Beide Arzneimittelgruppen unterlägen darüber hinaus denselben Zulassungsvoraussetzungen und denselben Überprüfungen hin auf ihre therapeutische Wirksamkeit. Qualität und Wirksamkeit seien daher bei OTC-Arzneimitteln nicht geringer als bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln261. Das Bundessozialgericht hat sich trotz der Kritik in seinem Urteil zur Verfassungsmäßigkeit des Ausschlusses nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel nicht näher zu einem möglich fehlenden Legitimationszusammenhang geäußert262. Das Bundesverfassungsgericht ist aber darauf eingegangen, dass die Verschreibungspflicht primär der Arzneimittelsicherheit dient und insofern als Mittel zur Steuerung der Finanzen in der gesetzlichen Krankenversicherung nicht zielgenau ist. Dennoch hielt es das Kriterium – ohne nähere Begründung – nicht für sachwidrig und zur Eindämmung der Kosten im Gesundheitssektor geeignet und erforderlich263. Entscheidend bleibt aber die Frage, ob ein Legitimationszusammenhang hergeleitet werden kann. Gefordert wird hierfür ein sachlicher Zusammenhang zwischen dem Differenzierungsgrund und den daran anknüpfenden Differenzierungsfolgen264. Das heißt, dass ein Zusammenhang zwischen dem Merkmal der Verschreibungspflicht als Differenzierungsgrund und der Verordnung/Erstattung von Arzneimitteln durch die gesetzliche Krankenversicherung gegeben sein müsste265. Da das Merkmal der Verschreibungspflicht ein Kriterium der Arzneimittelsicherheit ist und nur darauf abstellt, ob Gefahren im Umgang mit dem Arzneimittel bestehen, ist kein unmittelbarer Zusammenhang zur Kostentragung der Arzneimittel gegeben. Allerdings lässt sich über die Gesetzesbegründung eine solche Verbindung herstellen: Diese stellt darauf ab, dass die nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel deshalb der Eigenverantwortung der Versicherten unterstellt werden können, weil sie im unteren Preisbereich liegen und schon vorher zum überwiegenden Teil in der Apotheke ohne Rezept abgegeben wurden266. Die Möglichkeit der Selbstmedikation, die ein entscheidendes Merkmal der OTC-Arzneimittel ist, stellt aber den Zusammenhang zur Erstattungspflicht her. Denn seit jeher waren nur ärztlich verordnete Arzneimittel vom Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung erfasst; jedoch nicht solche, die im Wege der Selbstmedikation in den Apotheken abgegeben wurden. Damit ist ein mittelbarer Zusammenhang zwischen dem Merkmal der Verschreibungspflicht und der Kostenerstattung gegeben. Wie das Bundesverfassungsgericht 261

Schweim, DAZ 2004, S. 2088; Schwerdtfeger, PharmR 2003, S. 346 f. BSGE 102, 30 (33). 263 BVerfG PharmR 2013, 119 (121). 264 Vgl. BVerfGE 132, 72 (95); Schmidt, in: Müller-Glöge/Preis/Schmidt, Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, Art. 3 GG Rn. 41. 265 Diesen verneint Schwerdtfeger, PharmR 2003, S. 346. 266 BT-Drs. 15/1525, S. 86. 262

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festgestellt hat, ist das Kriterium zwar nicht zielgenau, weil es eben nur mittelbar einen Bezug zur Kostenerstattung vorweist, allerdings ist es eben auch nicht – wie man auf den ersten Blick vermuten könnte – sachfremd. Zudem muss es dem Gesetzgeber aufgrund seines Gestaltungsspielraums und seiner Typisierungsbefugnis bei der Ausgestaltung der Leistungen im Krankenversicherungsrecht267 möglich sein, auf mittelbare Kriterien zurückgreifen zu können. Insbesondere im Hinblick auf das Ziel der finanziellen Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung ist die Anknüpfung an das Merkmal der Verschreibungspflicht nicht sachfremd. Dem Gesetzgeber dient dieses Merkmal nicht in seiner arzneimittelsicherheitsrechtlichen Bedeutung zur Abgrenzung, sondern es dient zur Ziehung einer eindeutigen Grenze und damit zur Erfüllung seines Ziels der Konsolidierung der gesetzlichen Krankenversicherung268. Selbst wenn das Bemühen um eine Kostensenkung regelmäßig allein noch nicht ein Argument ist, um eine differenzierende Behandlung verschiedener Personengruppen zu rechtfertigen269, geht jedoch das Ziel der finanziellen Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung über rein fiskalische Zwecke hinaus, da es die Funktionsfähigkeit des Systems als Ganzes schützen soll270. Für eine geeignete und erforderliche Auswahl der Verschreibungspflicht als Differenzierungskriterium spricht zudem, dass keine anderen gleich effektiven und sachnäheren Möglichkeiten der Differenzierung bestehen. So wäre eine Unterscheidung nach bestimmten Krankheiten zwar sachnäher271, brächte aber einen erheblichen Aufwand bei der Erstellung der Krankheitsliste mit sich, sodass nicht von einer praktikablen Alternative gesprochen werden kann. Eine Grenzziehung anhand einer festen Preisgrenze, wie etwa alle Arzneimittel unter 11 Euro, wäre nicht effektiv oder sachnäher272. Es bestünde keine beständige Grenze, da die Arzneimittelpreise steigen können und die Leistungspflicht der Krankenkassen dann von der Preisbildung der pharmazeutischen Unternehmer abhinge bzw. von den Apothekern

267 Vgl. BVerfGE 115, 25 (46); Zuck, A&R 2013, S. 31. Für einen Gestaltungsspielraum auch: Burgardt, in: Mummenhoff, Machtzuwachs der Krankenkassen, S. 188 f.; Reese/Stallberg, in: Dieners/Reese, Handbuch des Pharmarechts, § 17 Rn. 137. 268 Vgl. Otto, PharmR 2005, S. 99 f. 269 Vgl. BVerfGE 93, 386 (402); 122, 210 (233); vgl. auch Osterloh/Nußberger, in: Sachs, Grundgesetz Kommentar, Art. 3 GG Rn. 97. 270 Vgl. zum Grundsatz der finanziellen Stabilität, Abschnitt C. I. 1. b) bb) (1). 271 So etwa Gassner, in: Mummenhoff, Machtzuwachs der Krankenkassen, S. 174; ähnlich Reese/Stallberg, in: Dieners/Reese, Handbuch des Pharmarechts, § 17 Rn. 137, die ein Abstellen auf schwerwiegende Erkrankungen als verfassungskonform ansehen, während sie das Kriterium der Verschreibungspflicht als kritisch ansehen; ähnlich auch Schwerdtfeger, PharmR 2004, S. 405, der alle Dauertherapien vom Ausschluss ausnehmen will. 272 Vgl. auch Otto, PharmR 2005, S. 100; ähnl. Schwerdtfeger, PharmR 2004, S. 404, der allerdings maßgebend darauf abstellt, dass dadurch nicht nur OTC-Arzneimittel ausgeschlossen werden würden.

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selbst273. Auch der Arzt könnte dann nicht mehr einschätzen, ob er das Arzneimittel verordnen kann oder nicht, müsste er doch den Preis derjenigen Apotheke kennen, von der der Versicherte das Arzneimittel beziehen möchte. Das Kriterium der Verschreibungspflicht hat sich mithin als zielfördernd und in einem Legitimationszusammenhang mit der Verordnung von Arzneimitteln stehend erwiesen. Es handelt sich um ein sachgerechtes Differenzierungskriterium. (6) Der Ausschluss im Hinblick auf das Wirtschaftlichkeitsgebot Kritisiert wird im Zusammenhang mit dem Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel weiterhin der Umstand, dass der Ausschluss weder zu einer Erhöhung der Qualität der Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung geführt habe, noch dass er zu einer wirtschaftlicheren Verordnung beitrage und damit allgemein das Wirtschaftlichkeitsgebot nicht gewahrt sei274. Ziel des GKV-Modernisierungsgesetzes275, durch das der Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel eingeführt wurde, war es, die Arzneimittelkosten zu senken und die Qualität der medizinischen Versorgung zu steigern bzw. das Versorgungsniveau hoch zu halten276. Das Ziel der Qualitätssteigerung habe der Gesetzgeber durch den Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel nicht erreicht. Zum einen, weil es sich bei den OTC-Arzneimitteln nicht um qualitativ minderwertige Arzneimittel handelt und zum anderen, weil bei einer Substitution von OTC-Arzneimittel durch verschreibungspflichtige Arzneimittel für die Versicherten höhere Risiken bestehen, da in Anbetracht der Regelung des § 48 AMG OTC-Arzneimittel ein geringeres Gefährdungspotential haben277. Dementsprechend wird der Ausschluss teilweise für nicht geeignet gehalten278. Das Verfehlen dieses Ziels hängt aber damit zusammen, dass Leistungskürzungen in der Regel nicht zu einer Verbesserung des Leistungsniveaus oder der Qualität führen, sondern in der Regel eine Verschlech-

273

So Otto, PharmR 2005, S. 100. Vgl. zur Preisbildung bei Arzneimitteln Abschnitt C. I. 1. b) bb) (2). 274 Becker, Steuerung der Arzneimittelversorgung, S. 424; Gassner, in: Mummenhoff, Machtzuwachs der Krankenkassen, S. 176 ff.; Schweim, DAZ 2004, S. 2088 ff. Zur Wechselbeziehung von Qualität und Wirtschaftlichkeitsgebot vgl.: Noftz, in: Hauck/Noftz, Sozialgesetzbuch – SGB V, § 12 SGB V Rn. 9; Quaas/Zuck/Clemens, Medizinrecht, § 9 Rn. 22; Roters, in: Körner/Leitherer/Mutschler, Kasseler Kommentar, § 12 SGB V Rn. 34. 275 BGBl. I 2003, S. 2190. 276 BT-Drs. 15/1525, S. 1; vgl. auch: Otto, PharmR 2005, S. 95; Schwerdtfeger, PharmR 2004, S. 395. 277 Vgl. Gassner, in: Mummenhoff, Machtzuwachs der Krankenkassen, S. 177 f., der die Gefahr einer Substitution sieht und deshalb eine Qualitätssteigerung verneint. 278 Gassner, in: Mummenhoff, Machtzuwachs der Krankenkassen, S. 177 f.; vgl. auch die Zusammenfassung bei Schweim, DAZ 2004, S. 2091; ähnl. auch Becker, Steuerung der Arzneimittelversorgung, S. 26, der allgemein keine Qualitätssteigerung durch den Ausschluss sieht, eine solche aber für das Bestehen eines legitimen Zwecks fordert.

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terung des Versorgungsstandards mit sich bringen279. Zudem verfolgte der Gesetzgeber mit dem GKV-Modernisierungsgesetz nicht nur das Ziel der Qualitätssteigerung; er wollte mit der Gesamtheit der Maßnahmen erreichen, dass das Versorgungsniveau auch in Zukunft bei angemessenen Beitragssätzen hoch gehalten werden kann. Damit verbunden sind zahlreiche Maßnahmen, die nicht alle der Steigerung der Qualität dienen können. Vielmehr müssen auch Einschnitte getätigt werden, um dieses Ziel zu erreichen. Der Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel konkretisiert allerdings nicht das Wirtschaftlichkeitsgebot, wonach Leistungen nur dann erbracht werden dürfen, wenn sie ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sind und das Maß des Notwendigen nicht überschreiten280. Während andere Arzneimittelausschlüsse, wie bspw. der Ausschluss unwirtschaftlicher Arzneimittel nach § 34 Abs. 3 SGB V, dazu dienen, unwirtschaftliche im Sinne von unzweckmäßige Arzneimittel aus der Versorgung auszunehmen281, können OTC-Arzneimittel allgemein nicht als unwirtschaftlich bezeichnet werden. Als unzweckmäßig sind OTC-Arzneimittel schon deshalb nicht zu sehen, weil sie arzneimittelrechtlich zugelassen sind und damit zumindest einen Mindeststandard an Wirksamkeit vorweisen können282. Des Weiteren können sie aufgrund ihrer niedrigeren Preise und ihrer nebenwirkungsarmen Eigenschaften gegenüber den verschreibungspflichtigen Arzneimitteln sogar wirtschaftlicher im engeren Sinne sein. Denn die Wirtschaftlichkeit im engeren Sinne ergibt sich aus einem Kosten-Nutzen-Vergleich. Nur diejenige Leistung, bei der die günstigste Relation zwischen Aufwand und Wirkung besteht, ist wirtschaftlich283. Sofern mehrere Behandlungen zur Verfügung stehen, darf nur die kosteneffektivste erbracht werden284. Das kosteneffektivste kann, sofern eine Krankheit mit nicht verschreibungspflichtigen und verschreibungspflichtigen Arzneimitteln behandelt werden kann, auch das OTC-Arzneimittel sein. Bezogen auf das Verfehlen einer wirtschaftlicheren Versorgung mit Arzneimitteln wird zudem hervorgehoben, dass der Ausschluss von nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln Ärzte dazu verleite, vermehrt verschreibungspflichtige und damit teurere Arzneimittel zu verordnen, weil sonst die Gefahr bestünde, dass der Patient 279

Schaks, Der Grundsatz der finanziellen Stabilität, S. 39. § 12 Abs. 1 S. 2 SGB V. 281 Vgl. Abschnitt D. III. 1. b). 282 So auch Schweim, DAZ 2004, S. 2088. Zur Feststellung eines Mindestmaßes an Zweckmäßigkeit durch die Zulassung, vgl. von Langsdorff, in: Sodan, Handbuch des Krankenversicherungsrechts, § 9 Rn. 4. Zur Unzweckmäßigkeit bei fehlender Zulassung, vgl.: BSGE 72, 252 (258 f.); Joussen, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, Beck’scher Onlinekommentar Sozialrecht, § 12 SGB V Rn. 5. 283 BSGE 52, 70 (75); 96, 261 (270); Bußmann-Weigl, in: Reimer/Schnitzler, Freundesgabe für Robert Francke, S. 49; Noftz, in: Hauck/Noftz, Sozialgesetzbuch – SGB V, § 12 SGB V Rn. 23; Roters, in: Körner/Leitherer/Mutschler, Kasseler Kommentar, § 12 SGB V Rn. 41. 284 Noftz, in: Hauck/Noftz, Sozialgesetzbuch – SGB V, § 12 SGB V Rn. 23; Roters, in: Körner/Leitherer/Mutschler, Kasseler Kommentar, § 12 SGB V Rn. 41. 280

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C. Verfassungsmäßigkeit und Europarechtskonformität

aufgrund der Selbstzahlungspflicht ein OTC-Arzneimittel nicht einnehmen und sich damit erhöhter Gesundheitsgefahren aussetzen würde285. Daher sei der Ausschluss zur Sicherung der finanziellen Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung nicht geeignet. Die Gefahr einer Nichteinnahme von Arzneimitteln durch den Patienten allein aufgrund der Tatsache, dass er diese selbst zahlen muss, erscheint allerdings gering. Denn schon vor dem Ausschluss rezeptfreier Arzneimittel waren bestimmte Arzneimittelgruppen von der Versorgung durch die gesetzliche Krankenversicherung ausgeschlossen. So wurden bspw. Bagatellarzneimittel nicht erstattet. Zudem steht der Gefahr der Substitution der OTC-Arzneimittel durch verschreibungspflichtige und damit wesentlich teurere Arzneimittel die Regelung des § 12 Abs. 11 AM-RL entgegen. Dort wird normiert, dass eine Verordnung von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln dann als unwirtschaftlich angesehen werden kann, wenn OTC-Präparate zur Behandlung der Erkrankung medizinisch notwendig, ausreichend und zweckmäßig sind. Damit sind rezeptfreie Arzneimittel zu verordnen, sofern sie wirtschaftlicher sind, sodass auf verschreibungspflichtige Arzneimittel nicht zurückgegriffen werden kann bzw. der Arzt sich bei deren Verordnung Regressen aussetzt286. Zu berücksichtigen hat der Arzt bei der Abwägung sowohl die unterschiedlichen Preise als auch die unterschiedlichen Nebenwirkungen287. Die Regelung konstatiert aber keinen generellen Vorrang von nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln. Der behandelnde Arzt soll diese zwar verordnen, wenn sie ausreichend, zweckmäßig und medizinisch notwendig sind, allerdings folgt daraus nicht zwingend die Unwirtschaftlichkeit einer Verordnung rezeptpflichtiger Arzneimittel288. So können verschreibungspflichtige Arzneimittel bspw. aufgrund ihrer erhöhten Wirksamkeit wirtschaftlicher sein. Möglich ist ebenso, dass ein verschreibungspflichtiges Arzneimittel gerade durch den Einsatz neuer Wirkstoffe, die die Verschreibungspflicht auslösen, Nebenwirkungen nicht erhöht, sondern senkt und damit wirtschaftlicher ist, wie das Feld der Antihistaminika zeigt289.

285 Vgl. Becker, Steuerung der Arzneimittelversorgung, S. 424; Gassner, in: Mummenhoff, Machtzuwachs der Krankenkassen, S. 176; Hufen, in: Sodan, Finanzielle Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung, S. 38; May, pharmind 2003, S. 1089. 286 Vgl. Koenig/Meuer/Hentschel, PharmR 2004, S. 209; Wartensleben, PharmR 2004, S. 193 f.; Wigge/Wille, in: Schnapp/Wigge, HVAR, § 19 Rn. 34. 287 Wigge/Wille, in: Schnapp/Wigge, HVAR, § 19 Rn. 34. 288 Vgl. die Regelung in § 12 Abs. 11 S. 3 AM-RL, die lediglich davon spricht, dass bei Vorliegen eines ausreichenden, zweckmäßigen und medizinischen notwendigen rezeptfreien Arzneimittels, die Verordnung eines rezeptpflichtigen Arzneimittels unwirtschaftlich sein „kann“. 289 Vgl. Koenig/Meuer/Hentschel, PharmR 2004, S. 212, die als Bsp. Desloratadin, das verschreibungspflichtig ist, mit dem rezeptfreien Loratadin vergleichen, wobei ersteres geringere Nebenwirkungen hat.

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cc) Verhältnismäßigkeit Der Leistungsausschluss hält sich im Rahmen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Legitimes Ziel des Ausschlusses ist die finanzielle Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung zu sichern. Zur Erreichung dieses Ziels ist der Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel eine geeignete Maßnahme, da er zur Entlastung der gesetzlichen Krankenversicherung bezüglich der Kosten geführt hat. Das Gebot einer wirtschaftlichen Verordnungsweise wird über § 12 Abs. 11 AM-RL sichergestellt, sodass eine Substitution der OTC-Arzneimittel durch rezeptpflichtige Arzneimittel verhindert wird. Mildere, gleich geeignete Mittel sind nicht ersichtlich. Denkbar sind zwar andere Einsparmöglichkeiten, aber aufgrund des weiten Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers hindert dies die Erforderlichkeit nicht290. Der Ausschluss ist schließlich angemessen, da er Arzneimittel betrifft, die im unteren Preissegment liegen und regelmäßig der Selbstmedikation unterliegen. Zudem wird durch die Ausnahmen in § 34 Abs. 1 S. 2 und 5 SGB V der Eingriff in Art. 2 Abs. 1 GG maßgeblich abgemildert. Die Ausnahme für Standardtherapeutika bei schwerwiegenden Erkrankungen ist außerdem auch insofern erforderlich, als damit auch medizinisch notwendige Leistungen durch die gesetzliche Krankenversicherung sichergestellt werden und damit einer fehlenden Äquivalenz von Beitrag und Leistung vorgebeugt wird. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit für Versicherte OTC-Arzneimittel über Wahltarife und Satzungsleistungen zu beziehen, sodass der Ausschluss nicht als unzumutbar bezeichnet werden kann. Zudem handelt es sich bei dem Kriterium der Verschreibungspflicht um ein taugliches Abgrenzungskriterium, das zwar im Hinblick auf die Finanzierbarkeit der gesetzlichen Krankenversicherung nicht zielgenau ist, aber zumindest geeignet und mangels Alternativen auch erforderlich ist. Daher ist der Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel verhältnismäßig und damit im Hinblick auf die gesetzlich Versicherten verfassungsgemäß.

2. Verfassungsmäßigkeit hinsichtlich chronisch erkrankten Versicherten a) Verletzung von Grundrechten Innerhalb der Personengruppe der gesetzlich Versicherten sind Versicherte, die unter einer chronischen Erkrankung leiden, in besonderer Weise vom Ausschluss der rezeptfreien Arzneimittel betroffen291. Als chronisch krank bezeichnet man solche 290 BVerfGE 103, 172 (183 f.); Schaks, NZS 2013, S. 842. Nach anderer Ansicht ist eine Ermäßigung des Umsatzsteuersatzes für Arzneimittel als milderes Mittel anzusehen, vgl. Gassner, pharmind 2003, S. 1125; ders., in: Mummenhoff, Machtzuwachs der Krankenkassen, S. 179 f. 291 Vgl. etwa Schwerdtfeger, PharmR 2004, S. 401 ff.

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C. Verfassungsmäßigkeit und Europarechtskonformität

Personen, die auf lange, unbestimmte Zeit krank sind und deren normale Lebensführung dadurch erheblich beeinträchtigt wird292. Diese Menschen sind nicht nur eine begrenzte Zeit auf Arzneimittel angewiesen, sondern müssen aufgrund der chronischen Erkrankung über einen langen Zeitraum und oftmals dauerhaft Arzneimittel einnehmen. In den Fällen, in denen Versicherte zur Behandlung ihrer chronischen Erkrankung auf ein nicht verschreibungspflichtiges Arzneimittel angewiesen sind, bestehen für sie aufgrund der dauerhaften Selbstzahlung erhöhte Kosten. Dies wirft umso mehr die Frage nach einer Vereinbarkeit mit Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. dem Sozialstaatsprinzip im Hinblick auf eine Unverhältnismäßigkeit von Beitrag und Leistung auf. Darüber hinaus können Ungleichbehandlung nach Art. 3 Abs. 1 GG vorliegen: So etwa innerhalb der Gruppe der chronisch Kranken, zwischen denjenigen chronisch Kranken, die mit rezeptpflichtigen Arzneimitteln versorgt werden, und anderen chronisch Kranken, die mit OTC-Arzneimitteln versorgt werden293. Denn bei der Versorgung mit rezeptpflichtigen Arzneimitteln haben die Versicherten lediglich die Zuzahlungen zu tragen, bei den rezeptfreien Arzneimitteln die Kosten für das gesamte Präparat. Des Weiteren kann sich eine Ungleichbehandlung zwischen chronisch Kranken und akut kranken Versicherten ergeben. Zum einen erscheint zunächst eine Ungleichbehandlung insofern möglich, als dass chronisch Kranken allein schon durch ihre Dauerbelastung mit der Arzneimitteleinnahme und den damit verbundenen Kosten gegenüber akut kranken Personen ungleich behandelt werden. Allerdings wird man in diesem Fall die Vergleichbarkeit der beiden Gruppen verneinen müssen, da die einen auf Dauer krank sind, während die anderen in unregelmäßigen Abständen erkranken, aber ansonsten gesund sind und deshalb nur sporadisch auf Arzneimittel angewiesen sind. Dauerkranke und akut Kranke sind daher keine vergleichbare Gruppe. Vergleichbar sind die beiden Gruppen aber im Hinblick auf akute Erkrankungen. Diesen sind beide Gruppen in gleicher Weise ausgesetzt. Daher wird auch vereinzelt eine Ungleichbehandlung von chronisch Erkrankten und lediglich akut erkrankten Versicherten bejaht. Denn während letztere einmalig auf das Arzneimittel angewiesen seien, müsse der chronisch Kranke neben den unregelmäßig wiederkehrenden Lasten für Arzneimittel bei akuten Erkrankungen auch die Kosten für OTCArzneimittel für seine dauerhafte Erkrankung tragen. Im Gegensatz zu akut erkrankten Personen ergeben sich für ihn hieraus unter Umständen hohe Summen, die er zur Behandlung seiner Krankheiten aufbringen muss. Chronisch Kranke würden daher im Vergleich zu akut erkrankten Versicherten, die nicht verschreibungs292 Krauskopf, in: ders., Soziale Krankenversicherung Pflegeversicherung, § 2a SGB V Rn. 6; Kruse, in: Hänlein/Kruse/Schuler, Sozialgesetzbuch V, § 2a SGB V Rn. 4; Plagemann, in: Schlegel/Voelzke, juris Praxiskommentar, § 2a SGB V Rn. 18; anders Nebendahl, in: Spickhoff, Medizinrecht, § 2a SGB V Rn. 3, für den es auf das Vorliegen einer Lebensbeeinträchtigung nicht ankommt; auch ohne den Zusatz der Beeinträchtigung der Lebensführung Welti, in: Becker/Kingreen, SGB V, § 2a SGB V Rn. 17. 293 So auch BVerfG PharmR 2013, 119 (121).

I. Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel

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pflichtige Medikamente erhalten, ungleich behandelt; sie trügen eine zusätzliche Last zur finanziellen Sicherung der gesetzlichen Krankenversicherung294. Mit dieser Argumentation hatte sich das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss zur Verfassungsmäßigkeit des Ausschlusses nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel zu beschäftigen, da der Beschwerdeführer von einem Sonderopfer sprach, das ihm durch seine chronische Erkrankung auferlegt werde295. Ein Sonderopfer liegt aber, wie das Gericht zutreffend festgestellt hat, nicht vor. Denn es handelt sich bei den zu zahlenden Arzneimittelpreisen um einen Betrag, den der Versicherte für sich selbst aufwendet. Ein Sonderopfer zeichnet sich aber gerade dadurch aus, dass es sich um einen fremdnützigen Betrag handelt296. Ein Sonderopfer kann zwar sowohl vorliegen, wenn der Betroffenen – wie hier geltend gemacht – übermäßig in Anspruch genommen wird als auch wenn vergleichbare Personengruppen nicht in Anspruch genommen werden, Voraussetzung ist jedoch immer, dass der Betroffene ein Opfer zu Lasten der Allgemeinheit erbringt297. Dass dies vorliegend nicht der Fall ist, wird noch deutlicher unter Einbeziehung der Folgen: Denn der Versicherte erhält im Gegenzug ein Arzneimittel zur Anwendung. Er ist nicht lediglich verpflichtet dieses zu bezahlen, sondern hat auch einen Gegenanspruch auf Erhalt des Arzneimittels298. Insofern hat der chronisch Kranke kein Opfer für die Allgemeinheit und damit auch kein Sonderopfer zu tragen. Chronisch Kranke sind jedoch ebenso wie nicht chronisch Kranke in ihrem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. dem Sozialstaatsprinzip im Hinblick auf eine Unverhältnismäßigkeit von Beitrag und Leistung beeinträchtigt. Art. 3 Abs. 1 GG ist in Bezug auf chronisch Kranke, die mit rezeptfreien Arzneimitteln versorgt werden und solchen chronisch Kranken, die mit rezeptpflichtigen Arzneimitteln versorgt werden, einschlägig. b) Rechtfertigung Während der Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel im Hinblick auf die Gruppe der gesetzlichen Versicherten an sich gerechtfertigt ist, kommen in Bezug auf die chronisch Kranken zwei weitere Aspekte ins Spiel: Zum einen, ob 294

Schwerdtfeger, PharmR 2004, S. 397; so auch der Vortrag des Klägers vor dem BVerfG, vgl. PharmR 2013, 119 (120). 295 BVerfG PharmR 2013, 119 ff. 296 Vgl. BVerfG PharmR 2013, 119 (120); zustimmend: Braun, PharmR 2013, S. 124; Schaks, NZS 2013, S. 842; vgl. auch Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, S. 344. 297 Vgl. Leisner, Sozialbindung des Eigentums, S. 134; Papier, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 14 GG Rn. 366. Zum Erfordernis eines Allgemeinheitsbezugs durch die Rechtsprechung: BGHZ 6, 270 (279 f.); 32, 208 (211); 117, 240 (252); 197, 43 (49 f.); Grzeszick, in: Merten/Papier, Handbuch der Grundrechte, Band III, § 75 Rn. 54; Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, S. 344; Papier, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Band VIII, § 180 Rn. 61. 298 Schaks, NZS 2013, S. 842.

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C. Verfassungsmäßigkeit und Europarechtskonformität

die Ausnahmevorschrift bei schwerwiegenden Erkrankungen auf chronisch Kranke anwendbar und ausreichend im Hinblick auf die Gewährung von Leistungen ist, sodass der Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel auch für chronisch Kranke noch zumutbar ist, und zum anderen die Frage nach der Erforderlichkeit der Einführung einer Belastungsgrenze. aa) Chronische Erkrankungen und die OTC-Liste Die Definition der schwerwiegenden Erkrankung, wie sie in der ArzneimittelRichtlinie ausgeformt ist, stellt auf lebensbedrohliche oder die Lebensqualität beeinträchtigende Erkrankungen ab und umfasst daher vor allem dringliche Fälle. Anders werden hingegen schwerwiegende chronische Erkrankungen definiert. Erforderlich für eine schwerwiegend chronische Krankheit nach der ChronikerRichtlinie299 ist, dass die Erkrankung wenigstens ein Jahr lang mindestens einmal pro Quartal ärztlich behandelt wurde (sog. Dauerbehandlung) und daneben noch ein weiteres der folgenden Merkmale zutrifft: Eine Pflegebedürftigkeit der Stufe 2 oder 3 nach dem SGB XI, ein Grad der Behinderung von mindestens 60 % oder eine ebenso hohe Minderung der Erwerbsfähigkeit, die auch gem. § 30 Abs. 1 BVG oder § 56 Abs. 2 SGB VII festgestellt sein muss, oder es ist eine kontinuierliche medizinische Versorgung erforderlich, da ansonsten nach ärztlicher Einschätzung eine lebensbedrohliche Verschlimmerung, eine Verminderung der Lebenserwartung oder eine dauerhafte Beeinträchtigung der Lebensqualität zu erwarten ist300. Da die Definition der schwerwiegenden chronischen Krankheit maßgeblich auf eine Dauerbehandlung abstellt, bestehen kaum Übereinstimmungen mit der Definition der schwerwiegenden Erkrankung nach der Arzneimittel-Richtlinie. Lediglich das letzte Zusatzmerkmal der Definition stellt auf die Kriterien der Lebensbedrohungen und der Lebensqualitätsbeeinträchtigung ab. Allerdings ist für die Definition der Chroniker-Richtlinie schon eine Prognose hinsichtlich des Eintritts einer Lebensbedrohung oder einer Lebensqualitätsbeeinträchtigung ausreichend, während die Definition in § 12 Abs. 3 AM-RL das Vorliegen einer lebensbedrohenden oder lebensqualitätsbeeinträchtigenden Erkrankung erfordert. Damit wird aber ersichtlich, dass zumindest schwerwiegenden chronische Erkrankungen die Anforderungen des Ausnahmetatbestandes des § 34 Abs. 1 S. 2 SGB V erfüllen können und solche Krankheiten auch auf der OTC-Liste zu finden sein können. Darüber hinaus um299

Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses zur Umsetzung der Regelungen in § 62 für schwerwiegend chronisch Erkrankte, in der Fassung vom 22. 01. 2001 (BAnz AT v. 28. 02. 2004 Nr. 18, S. 1343), zuletzt geändert am 19. 06. 2008 (BAnz AT v. 19. 08. 2008 Nr. 124, S. 3017). 300 Vgl. § 2 Abs. 2 Chroniker-Richtlinie; so auch: Baier, in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung Pflegeversicherung, § 62 SGB V Rn. 11; Heberlein, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, Beck’scher Onlinekommentar Sozialrecht, § 62 SGB V Rn. 7; Nebendahl, in: Spickhoff, Medizinrecht, § 62 SGB V Rn. 6; Nolte, in: Körner/Leitherer/Mutschler, Kasseler Kommentar, § 62 SGB V Rn. 9; Sichert, in: Becker/Kingreen, SGB V, § 62 SGB V Rn. 10.

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fassen die in der OTC-Liste aufgelisteten Krankheiten grundsätzlich auch nicht schwerwiegende chronische Erkrankungen301. Allerdings unterfallen der OTC-Liste nicht generell alle chronischen Erkrankungen, sodass es möglich ist, dass chronisch Kranke für ihre Arzneimittel komplett selbst aufkommen müssen. Dennoch sind durch die OTC-Liste alle notwendigen Leistungen abgedeckt, um eine Inäquivalenz von Beitrag und Leistung zu verhindern, da mit dem Kriterium der schwerwiegenden Erkrankung auf ein medizinisches Merkmal abgestellt wird, das mehr Fälle einbezieht, als das Bundesverfassungsgericht im Nikolausbeschluss für notwendig erachtet hat302. Damit sind grundsätzlich alle notwendigen Leistungen über die OTC-Ausnahme abgedeckt. Eine andere Betrachtung ergibt sich auch nicht unter Hinzuziehung der Regelung des § 2a SGB V, die eine Berücksichtigung der besonderen Belange behinderter und chronisch kranker Menschen vorsieht. Die Regelung soll integrationsorientiert wirken und die Nachteile durch die Behinderung oder die chronische Erkrankung ausgleichen303. Sie enthält allerdings lediglich einen Programmsatz304; es können daraus keine konkreten Ansprüche gegen die Krankenkassen geltend gemacht werden, insbesondere kann die Vorschrift nicht über Leistungsausschlüsse hinweghelfen305. Die Norm kann allenfalls als Auslegungshilfe angewandt werden, um das Benachteiligungsverbot nach Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG umzusetzen306. Daraus folgt aber nicht die Pflicht chronisch Kranke zu bevorteilen307. Dem Gesetzgeber steht weiterhin ein Gestaltungsspielraum hinsichtlich der Leistungen in der gesetzlichen Krankenversicherung zu. Es besteht daher keine Pflicht zur Berücksichtigung und Aufnahme aller chronischen Erkrankungen auf die OTC-Liste bzw. zur Schaffung einer speziellen Ausnahme für die chronischen Erkrankungen in der OTC-Liste. Der 301

BVerfG PharmR 2013, 119 (122). Dort ist nämlich nur von lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankungen die Rede; vgl. hierzu Abschnitt C. I. 1. b) bb) (4). 303 BT-Drs. 15/1525, S. 79; so auch: Krauskopf, in: ders., Soziale Krankenversicherung Pflegeversicherung, § 2a SGB V Rn. 2; Peters, in: Körner/Leitherer/Mutschler, Kasseler Kommentar, § 2a SGB V Rn. 2; Plagemann, in: Schlegel/Voelzke, juris Praxiskommentar, § 2a SGB V Rn. 2. 304 So Joussen, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, Beck’scher Onlinekommentar Sozialrecht, § 2a SGB V Rn. 1; Krauskopf, in: ders., Soziale Krankenversicherung Pflegeversicherung, § 2a SGB V Rn. 1; Noftz, in: Hauck/Noftz, Sozialgesetzbuch – SGB V, § 2a SGB V Rn. 9 f.; Peters, in: Körner/Leitherer/Mutschler, Kasseler Kommentar, § 2a SGB V Rn. 3; a.A. Nebendahl, in: Spickhoff, Medizinrecht, § 2a SGB V Rn. 1; Welti, in: B/K, § 2a SGB V Rn. 1; wohl auch Plagemann, in: Schlegel/Voelzke, juris Praxiskommentar, § 2a SGB V Rn. 15. 305 BSG SozR 4 – 3500 § 54 Nr. 6 Rn. 22; BSGE 110, 194 (197); Krauskopf, in: ders., Soziale Krankenversicherung Pflegeversicherung, § 2a SGB V Rn. 3; Plagemann, in: Schlegel/ Voelzke, juris Praxiskommentar, § 2a SGB V Rn. 25. 306 BSGE 110, 194 (197); Peters, in: Körner/Leitherer/Mutschler, Kasseler Kommentar, § 2a SGB V Rn. 3; krit. Krauskopf, in: ders., Soziale Krankenversicherung Pflegeversicherung, § 2a SGB V Rn. 3. 307 Vgl. Plagemann, in: Schlegel/Voelzke, juris Praxiskommentar, § 2a SGB V Rn. 25. 302

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Gesetzgeber ist nicht gehalten, alles zu leisten, was die Versicherten begehren. Er durfte die Ausnahme daher auf schwerwiegende Erkrankungen beschränken und damit chronische Erkrankungen, die die Kriterien einer schwerwiegenden Erkrankung nicht erfüllen, von der Versorgung mit nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln ausschließen. Diese zwar verfassungsgemäße, aber für die chronisch Kranken dennoch unbefriedigende Situation, könnte dadurch abgemildert werden, dass der Begriff der schwerwiegenden Erkrankung weiter ausgelegt wird. So könnten auch weitere chronische Erkrankungen unter die Ausnahme fallen, wobei dies nicht dazu führen würde, dass alle chronischen Erkrankungen als schwerwiegend gelten würden. Denn selbst bei einer erweiternden Auslegung bedürfte es weiterhin einer gewissen Schwere der Erkrankung derart, dass ein unabweisbarer Bedarf an einer Versorgung mit Arzneimitteln in dem Sinne bestehen muss, dass ein Abwarten oder eine Eigenbehandlung mit Hausmitteln aufgrund der aus der Krankheit resultierenden Folgen nicht mehr möglich ist308. bb) Erfordernis einer Belastungsgrenze Des Weiteren stellt sich die Frage nach einer Belastungsgrenze für chronisch Kranke. Es wird vereinzelt argumentiert, dass durch die Pflicht zur Selbstzahlung von OTC-Arzneimitteln chronisch Kranke in finanzielle Schwierigkeiten geraten könnten, zumal ein Ausweichen auf verschreibungspflichtige Arzneimittel aufgrund der Regelung in § 12 Abs. 11 AM-RL nicht möglich sei309. Im Bereich der Zuzahlungen gibt es eine Belastungsgrenze, die bei 2 % der jährlichen Bruttoeinnahmen liegt und für chronisch Kranke sogar bei 1 %310. Allerdings gilt diese zusätzliche Abmilderung nur für solche chronisch Kranke, die in Dauerbehandlung wegen einer schwerwiegenden Erkrankung sind. Schwerwiegend ist die chronische Erkrankung aber nur dann, wenn sie der Definition in der Chroniker-Richtlinie entspricht311, die wiederum enge Voraussetzungen festlegt. Des Weiteren bestehen zahlreiche weitere Einschränkungen für ein Eingreifen der reduzierten Belastungsgrenze: So wird neben einem jährlichen Nachweis von jüngeren Versicherten zusätzlich verlangt, dass sie regelmäßig an Kontrolluntersuchungen vor der Erkrankung teilgenommen haben oder aber an strukturierten Be308

Vgl. zur erweiternden Auslegung des Begriffes der schwerwiegenden Erkrankung, Abschnitt B. I. 5. a) bb) (2). 309 Schwerdtfeger, PharmR 2004, S. 397. 310 § 62 Abs. 1 S. 2 SGB V; vgl. Baier, in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung Pflegeversicherung, § 62 SGB V Rn. 6 f.; Gerlach, in: Hauck/Noftz, Sozialgesetzbuch – SGB V, § 62 SGB V Rn. 31; Kraftberger, in: Hänlein/Kruse/Schuler, Sozialgesetzbuch V, § 62 SGB V Rn. 10 f. 311 Die Ermächtigung zur Bestimmung einer Definition von schwerwiegenden chronischen Erkrankungen findet sich in § 62 Abs. 1 S. 8 SGB V.

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handlungsprogrammen teilnehmen312. Damit sind die Voraussetzungen für das Eingreifen der Belastungsgrenze und letztlich der Befreiung von der Zuzahlung relativ hoch. Denn die Belastungsgrenze ist als Härtefallregelung ausgestaltet313. Da die Voraussetzungen für das Eingreifen der 1 %igen Belastungsgrenze aber derart eng ausgestaltet sind, kann daraus nicht gefolgert werden, dass es eine entsprechende Härtefallregelung im Bereich der OTC-Arzneimittel für chronisch Kranke geben müsste. Allerdings gilt für diejenigen chronisch Kranken, die die zusätzlichen Voraussetzungen nicht erfüllen, zumindest die allgemeine Belastungsgrenze. Im Bereich der nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel besteht eine solche überhaupt nicht. Der Gesetzgeber hielt eine Härtefallregelung im Hinblick auf die Zuzahlungen für erforderlich, um unzumutbare Belastungen zu vermeiden. Dabei sah er besonders bei chronisch Kranken die Gefahr einer Unzumutbarkeit, da bei ihnen auf Dauer möglichenfalls hohe Ausgaben anfallen314. Hingegen hat der Gesetzgeber aber auch allen Versicherten die Erbringung von Zuzahlungen zugemutet; eine Regelung zur allgemeinen Befreiung von Zuzahlungen gibt es nicht mehr315. Letztlich ist der Gesetzgeber nicht verpflichtet Ausnahme- oder Härtefallregelungen für chronisch kranke Versicherte zu schaffen. Die Regelung des § 2a SGB V, die nur einen Programmsatz enthält, verpflichtet den Gesetzgeber nicht, chronisch Kranken gegenüber anderen Versicherten generell besser zu stellen. Mit der reduzierten Zuzahlungsgrenze ist der Gesetzgeber zudem schon seiner Verpflichtung zur Berücksichtigung der Bedürfnisse von chronisch Kranken nachgekommen316. Der Gesetzgeber konnte im Rahmen seines Gestaltungsspielraums entscheiden, dass im Falle der nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel auch chronisch Kranke einen Teil zur Sicherung der finanziellen Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung beitragen sollen. Er hat damit nicht seinen Gestaltungsspielraum überschritten, denn die Belastung ist noch zumutbar. Betroffen sind nur Arzneimittel, deren Durchschnittspreis bei lediglich 11 Euro liegt. Hochgerechnet ergäbe dies, 312 Vgl. Baier, in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung Pflegeversicherung, § 62 SGB V Rn. 14 ff.; Heberlein, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, Beck’scher Onlinekommentar Sozialrecht, § 62 SGB V Rn. 8 ff., sofern er letzteres auch für ältere Versicherte fordert, bezieht er sich auf die alte Regelung; Nebendahl, in: Spickhoff, Medizinrecht, § 62 SGB V Rn. 8 ff.; Sichert, in: Becker/Kingreen, SGB V, § 62 SGB V Rn. 11 ff. 313 Vgl. BT-Drs. 15/1525, S. 95 im Hinblick auf die Einführung des Erfordernisses einer schwerwiegenden Erkrankung und der Einführung eines jährlichen Nachweises der Fortdauer der Behandlung; so auch Joussen, in: Knickrehm/Kreikebohm/Waltermann, Kommentar zum Sozialrecht, § 62 SGB V Rn. 1; Nolte, in Körner/Leitherer/Mutschler, Kasseler Kommentar, § 62 SGB V Rn. 2; Sichert, in: Becker/Kingreen, SGB V, § 62 SGB V Rn. 3. 314 Nolte, in: Körner/Leitherer/Mutschler, Kasseler Kommentar, § 62 SGB V Rn. 3. 315 Albers, in: Schlegel/Voelzke, juris Praxiskommentar, § 62 SGB V Rn. 18 ff.; Gerlach, in: Hauck/Noftz, Sozialgesetzbuch – SGB V, § 62 SGB V Rn. 4. Eine vollständige Befreiung von Zuzahlungen war in § 61 SGB V a.F. geregelt, wurde jedoch mit dem GKV-Modernisierungsgesetz v. 14. 11. 2003 (BGBl. I, S. 2190) aufgehoben. 316 BVerfG PharmR 2013, 119 (122).

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sofern das Arzneimittel einmal im Monat benötigt wird, eine jährliche Belastung von 132 Euro. Dabei handelt es sich um einen Betrag, der für die wenigsten Versicherten die Belastungsgrenze von § 62 SGB V – die bei chronisch Kranken 1 % der jährlichen Bruttoeinnahmen beträgt – überschreiten dürfte317. Zudem besteht mit § 34 Abs. 1 S. 2 SGB V i. V. m. der OTC-Liste eine Ausnahmeregelung, die auch bei chronischen Krankheiten greifen kann. Damit ist der Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel auch ohne Härtefallbegrenzung verhältnismäßig im engeren Sinne und mithin verfassungsgemäß.

3. Verfassungsmäßigkeit in Bezug auf hilfebedürftige Personen Die Selbstzahlungspflicht bei nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln hat besondere Auswirkung auf hilfebedürftige Personen. Bei diesen Personen ist nicht ausreichend Vermögen vorhanden, sodass sie Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende oder Sozialhilfe empfangen. Sie können es sich wirtschaftlich nicht oder zumindest nur schwer leisten, nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel selbst zu erwerben. Einen Eingriff in die von Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. dem Sozialstaatsprinzip geschützte Äquivalenz von Beitrag und Leistung für diese Personengruppe anzunehmen, erscheint auf den ersten Blick naheliegend. Die Empfänger der Grundsicherung für Arbeitssuchende sind regelmäßig gem. § 5 Abs. 1 Nr. 2a SGB V pflichtversichert318. Die Beiträge werden allerdings vom Bund erbracht319, nicht von den Versicherten selbst. Sozialhilfeempfänger sind nicht generell in der gesetzlichen Krankenversicherung pflichtversichert, können aber ebenso über § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V, als Personen, die keinen anderweitigen Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall haben, oder gem. § 9 Abs. 1 S. 1 SGB V als Weiterversicherte in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert sein320. Allerdings tragen die Versicherten ihre Beiträge nicht selbst, sondern der Sozialhilfeträger321. Damit erscheint 317 Sofern es sich um hilfebedürftige, chronisch Erkrankte handelt, greifen die Regelungen des SGB II oder des SGB XII, vgl. BSGE 111, 211 (229 f.) sowie nachfolgenden Abschnitt C. I. 3. 318 Vgl. auch: Felix, in: Schlegel/Voelzke, juris Praxiskommentar, § 5 SGB V Rn. 33; Nebendahl, in: Spickhoff, Medizinrecht, § 5 SGB V Rn. 17. 319 Nach § 251 Abs. 4 S. 1 SGB V trägt der Bund die Beiträge; vgl. auch: Peters, in: Körner/ Leitherer/Mutschler, Kasseler Kommentar, § 251 SGB V Rn. 14; Ulmer, in: Rolfs/Giesen/ Kreikebohm/Udsching, Beck’scher Onlinekommentar Sozialrecht, § 251 SGB V Rn. 10. 320 Bei nicht versicherten Empfängern von Leistungen des dritten bis neunten Kapitels SGB XII, übernehmen die Krankenkassen die Behandlung ebenso, haben aber einen Erstattungsanspruch gegen die Sozialhilfeträger, vgl. hierzu Abschnitt C. I. 3. b). 321 Vgl. § 32 Abs. 1 S. 1 SGB XII. Übernommen werden nach dieser Vorschrift u. a. Beiträge für Pflichtversicherte nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V sowie für Weiterversicherte nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 SGB V, sofern es sich um Leistungsberechtigte nach § 27 SGB XII handelt. Vgl.

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die Erfüllung des Schutzbereiches fraglich. Denn der Schutzbereich des Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. dem Sozialstaatsprinzip erstreckt sich gerade darauf, dass den Versicherten trotz der finanziellen Belastung durch die Beitragszahlung keine entsprechenden Leistungen mehr gegenüber stehen. Dass es aber auf eine eigene Tragung der Beiträge nicht ankommt, zeigt der Nikolausbeschluss des Bundesverfassungsgerichts. Dort war der Versicherte selbst familienversichert und zahlte dementsprechend seine Beiträge nicht selbst322. Für die Eröffnung des Schutzbereiches ist schon vor diesem Hintergrund eine eigene Beitragstragung nicht erforderlich. Der Eingriff durch den Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel in die von Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. dem Sozialstaatsprinzip geschützte Äquivalenz von Beitrag und Leistung ist zwar allgemein gerechtfertigt, jedoch können sich im Hinblick auf Hilfebedürftige andere Wertungen in Bezug auf die Zumutbarkeit des Ausschlusses ergeben. Denn das Argument der geringfügigen Kosten für nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel greift in Bezug auf diese Personengruppe nicht immer323. Eine Zumutbarkeit wäre dann zu verneinen, wenn es den Hilfebedürftigen generell nicht möglich wäre, die Kosten für nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel aufzubringen. Für die verfassungsrechtliche Beurteilung ist auch die Pflicht des Gesetzgebers aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG und dem Sozialstaatsprinzip zur Gewährleistung eines menschenwürdigen medizinischen Existenzminimums relevant, wozu auch eine medizinisch ausreichende Versorgung zählt324. Grundsätzlich wird diese, dem Existenzminimum entsprechende Grundversorgung, trotz des Ausschlusses nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel gewährt325, allerdings ist es denkbar, dass bei hilfebedürftigen Personen durch den Ausschluss von OTCArzneimitteln die Grenze der Grundversorgung unterschritten wird. Von einer generellen Unterschreitung kann aber schon allein aufgrund der Ausnahmevorschrift, die Leistungen bei schwerwiegenden Erkrankungen sicherstellt, nicht gesprochen werden. Sofern die Ausnahmeregelung nicht greift, sind jedoch Fälle vorstellbar, in denen es wirtschaftlich schlechter gestellten Versicherten nicht möglich ist, die auch: Gebhardt, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, Beck’scher Onlinekommentar Sozialrecht, § 32 SGB XII Rn. 4; Holzhey, in: Schlegel/Voelzke, juris Praxiskommentar, § 32 SGB XII Rn. 14. 322 BVerfGE 115, 25 (44). 323 Vgl. Wenner, GesR 2009, S. 175. 324 BVerfGE 125, 175 (223); BSGE 100, 221 (231); 107, 217 (228); 108, 235 (239); so auch: Di Fabio, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG Rn. 46; Gröschner, in: Dreier, Grundgesetz Kommentar, Art. 20 (Sozialstaat) GG Rn. 27; Harich, SGb 2012, S. 584 f.; Neumann, NZS 2006, S. 393 f.; Schulze-Fielitz, in: Dreier, Grundgesetz Kommentar, Art. 2 Abs. 2 GG Rn. 96; Philipp, Arzneimittellisten und Grundrechte, S. 195 f. Oft wird das medizinische Existenzminimum auch nur auf Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG gestützt, vgl. Neumann, NZS 2006, S. 393. 325 Vgl. hierzu Abschnitt C. I. 1. a) bb) (2) (e). Zur grundsätzlichen Gewährung des Existenzminimums durch die Leistungen der GKV auch Neumann, NZS 2006, S. 397.

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Kosten für das dringend benötigte, rezeptfreie Arzneimittel aufzubringen, sodass dadurch das medizinische Existenzminimum betroffen ist. Das Bundessozialgericht hat in solchen Fällen in Anbetracht der nicht vorhandenen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit auf die Leistungsträger nach SGB II und SGB XII verwiesen; diese seien für die Sicherung des Existenzminimums zuständig326. Diesem Verweis auf die Grundsicherungs- und Sozialhilfeträger stehen verfassungsrechtlich keine Einwände entgegen. Der Gesetzgeber hat bei der Gewährleistung des Existenzminimums einen Gestaltungsspielraum, der es ihm ermöglicht diese Leistungen auch außerhalb des Krankenversicherungsrechts zu erbringen. Aus verfassungsrechtlicher Sicht ist es irrelevant durch welche Träger der Gesetzgeber der Erfüllung seiner Aufgabe nachkommt, anders gewendet; durch welches Sozialleistungssystem er die Bedarfe deckt327. Damit stünde den Versicherten eine Möglichkeit zur Leistungsinanspruchnahme offen, sofern im Recht des SGB II und des SGB XII Regelungen zur Übernahme der Versorgung mit rezeptfreien Arzneimitteln bestehen.

a) Übernahme der Kosten für OTC-Arzneimittel nach dem SGB II aa) Leistungen nach dem SGB II Als Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende erhalten die Bezieher von Arbeitslosengeld II grundsätzlich gem. § 20 SGB II den Regelbedarf. Vom Regelbedarf nach § 20 Abs. 1 S. 1 SGB II werden Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts umfasst, insbesondere Ernährung, Kleidung, Körperpflege, Hausrat, Haushaltsenergie ohne die auf die Heizung und Erzeugung von Warmwasser entfallenden Anteile sowie persönliche Bedürfnisse des täglichen Lebens. Im Regelbedarf sind momentan 15,55 Euro für die Gesundheitspflege vorgesehen328, wozu auch Arzneimittel zählen. Der Betrag von 15,55 Euro ergibt sich aus einer Summe von verschiedenen Verbrauchsangaben, worunter der Kauf rezeptfreier Arzneimittel mit 5,07 Euro fällt329. Damit wurden in der Regelleistung die Kosten für nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel bereits berücksichtigt. Zwar liegen die Kosten für nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel im Durchschnitt bei 11 Euro und damit über der von der Grundsicherung gewährten Summe, jedoch erhalten die Bezieher der Grundsicherung für Arbeitslose den Betrag von 5,07 Euro monatlich und nicht nur bei akutem Bedarf. 326 BSGE 110, 183 (193 f.); krit. im Hinblick auf die Erbringung der Leistungen für OTCArzneimittel durch die Grundsicherungsträger Wenner, SozSich 2012, S. 116. 327 Vgl. BSGE 100, 221 (224 f.); so auch Harich, SGb 2012, S. 585; ähnl. schon Philipp, Arzneimittellisten und Grundrechte, S. 196, der das damals geltende Sozialhilferecht als sogar vorrangig gegenüber dem Sozialversicherungsrecht in Bezug auf eine Grundversorgung ansieht. 328 § 20 Abs. 5 S. 2 SGB II i.V.m. § 5 Abs. 1 Abteilung 6 RBEG. 329 Vgl. BT-Drs. 17/3404, S. 58.

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Für darüber hinausgehende individuelle Bedarfe gibt es grundsätzlich zwei weitere Möglichkeiten: So können, sofern die Voraussetzungen vorliegen, Mehrbedarfe nach § 21 SGB II oder Darlehen nach § 24 Abs. 1 SGB II geltend gemacht werden. Ein Darlehensanspruch nach § 24 Abs. 1 SGB II setzt einen grds. vom Regelbedarf umfassten, unabweisbaren Bedarf voraus, der weder durch das Vermögen noch auf andere Weise gedeckt werden kann330. Unabweisbar ist der Bedarf in Anlehnung an § 21 Abs. 6 S. 2 SGB II dann, wenn er nicht durch Zuwendungen Dritter oder durch Einsparmöglichkeiten gedeckt werden kann und in seiner Höhe erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweicht331. Darüber hinaus ist er auch unabweisbar, wenn er im zeitlichen Sinne unaufschiebbar ist332. Der Darlehensanspruch kommt nur bei einmaligen Bedarfen zum Tragen; nicht bei Dauerbedarfen333. Sofern ein Dauerbedarf besteht, ist die Regelung des § 21 SGB II vorrangig334. Dies ergibt sich daraus, dass der Bedarf nur darlehensweise gewährt wird und es bei einem Dauerbedarf zu einer immer größer werdenden Belastung für die Zukunft käme335. Sofern ein einmaliger, außergewöhnlich hoher – im Sinne von teurer – Bedarf an einem OTC-Arzneimittel besteht, könnte zu dessen Bezahlung ein Darlehensanspruch nach den Voraussetzungen des § 24 SGB II geltend gemacht werden. Denn ein unabweisbarer Bedarf ist aufgrund des zeitnahen Einnahmeerfordernisses von Arzneimittel anzunehmen, da nicht abgewartet werden kann, bis Mittel dafür angespart sind336. Angesichts der Tatsache, dass es sich bei nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln in der Regel um solche Arzneimittel handelt, die im unteren Preisbereich zu finden sind, wird der Fall eines außerge-

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Bender, in: Gagel, SGB II/SGB III, § 24 SGB II Rn. 7; Blüggel, in: Eicher, SGB II, § 24 SGB II Rn. 23; Schmidt; in: Knickrehm/Kreikebohm/Waltermann, Kommentar zum Sozialrecht, § 24 SGB II Rn. 4 ff. Die letzte Voraussetzung ergibt sich mittlerweile aus § 42a Abs. 1 S. 1 SGB II. 331 Blüggel, in: Eicher, SGB II, § 24 SGB II Rn. 52. 332 Blüggel, in: Eicher, SGB II, § 24 SGB II Rn. 55; Schmidt, in: Knickrehm/Kreikebohm/ Waltermann, Kommentar zum Sozialrecht, § 24 SGB II Rn. 7; a.A. Bender, in: Gagel, SGB II/ SGB III, § 24 SGB II Rn. 13. Bejahend auch für § 21 Abs. 6 SGB II: Düring, in: Gagel, SGB II/ SGB III, § 21 SGB II Rn. 44; Klerks, info also 2010, S. 57; Knickrehm, SR 2011, S. 55. 333 BVerfGE 125, 175 (254); BSGE 97, 242 (248 f.); 105, 279 (284); BSG SozR 4 – 3500 § 73 Nr. 3 Rn. 14; BSG SozR 4 – 4200 § 7 Nr. 15 Rn. 27; BSG, Urt. v. 15. 12. 2010 – B 14 AS 44/ 09 R Rn. 17; BSGE 108, 235 (239); Behrend, in: Schlegel/Voelzke, juris Praxiskommentar, § 24 SGB II Rn. 35 f.; Bender, in: Gagel, SGB II/SGB III, § 24 SGB II Rn. 4a; Blüggel, in: Eicher, SGB II, § 24 SGB II Rn. 30, 38; a.A. Schmidt, in: Knickrehm/Kreikebohm/Waltermann, Kommentar zum Sozialrecht, § 24 SGB II Rn. 4, der die Regelung auch bei regelmäßigen Kosten, wie von der GKV nicht gedeckte Kosten bei chronisch Kranken anwenden will. 334 Bender, in: Gagel, SGB II/SGB III, § 24 SGB II Rn. 4a; Hengelhaupt, in: Hauck/Noftz, SGB II, § 24 SGB II Rn. 159. 335 BSGE 97, 242 (248 f.); 105, 279 (284 f.); BSG SozR 4 – 4200 § 7 Nr. 15 Rn. 27; Bender, in: Gagel, SGB II/SGB III, § 24 SGB II Rn. 5. 336 Vgl. Schmidt; in: Knickrehm/Kreikebohm/Waltermann, Kommentar zum Sozialrecht, § 24 SGB II Rn. 7.

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C. Verfassungsmäßigkeit und Europarechtskonformität

wöhnlich hohen Bedarfs an einem rezeptfreien Arzneimittel aber praktisch kaum eintreten. Soweit dauerhaft höhere Kosten durch nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel entstehen, könnte an einen Mehrbedarf gem. § 21 SGB II gedacht werden. Die Norm umfasst mehrere Tatbestände, aus denen sich höhere Bedarfe ergeben können. Für eine Kostentragung von nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln kommen mehrere Möglichkeiten in Betracht: Es können unter anderem als Mehrbedarf Kosten für aus medizinischen Gründen kostspieligere Ernährung geltend gemacht werden337. Allerdings kann diese Regelung nicht auf OTC-Arzneimittel angewendet werden, da Arzneimittel vom diesem Anspruch nicht umfasst sind338. In Betracht käme jedoch ein Anspruch aus § 21 Abs. 6 SGB II, wonach ein Mehrbedarf zuerkannt wird, sofern im Einzelfall ein unabweisbarer, laufender, nicht nur einmaliger besonderer Bedarf besteht. Diese Regelung wurde erst nachträglich in Folge der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 09. 02. 2010 in das SGB II eingefügt339. Durch die Neuregelung sollte die Möglichkeit gegeben sein, auf besonderen Bedarfssituationen einzugehen. Die Regelbedarfsleistungen vermittelten in den Augen des Bundesverfassungsgerichts nur Ansprüche in üblichen Bedarfsfällen, da ein pauschaler Leistungsbetrag, so führte das Bundesverfassungsgericht aus, schon „nach seiner Konzeption nur den durchschnittlichen Bedarf decken“ könne340. Zwar bestanden im SGB II bereits Regelungen zu Erhöhung der Leistung bei individuellen, besonderen Bedarfen341, aber diese reichten nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts nicht aus342. Um dem Recht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum aus Art. 1 Abs. 1 GG i. V. m. dem Sozialstaatsprinzip gerecht zu werden, müsste die Möglichkeit bestehen auf einen unabweisbaren, laufenden, nicht nur einmaligen, besonderen Bedarf eingehen zu können343. Vor der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts und vor der Kodifizierung von § 21 Abs. 6 SGB II hatte sich das Bundessozialgericht mit der Vorschrift des § 73 337

§ 21 Abs. 5 SGB II. BSGE 108, 235 (238 f.); BSG SozR 4 – 4200 § 21 Nr. 2 Rn. 31; Knickrehm/Hahn, in: Eicher, SGB II, § 21 SGB II Rn. 53; Düring, in: Gagel, SGB II/SGB III, § 21 SGB II Rn. 29; Greiner, in: Knickrehm/Kreikebohm/Waltermann, Kommentar zum Sozialrecht, § 21 SGB II Rn. 16. 339 BVerfGE 125, 175 (259 f.); BT-Drs. 17/1465, S. 8; Breitkreuz, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, Beck’scher Onlinekommentar Sozialrecht, § 21 SGB II Rn. 17; Düring, in: Gagel, SGB II/SGB III, § 21 SGB II Rn. 42; Knickrehm/Hahn, in: Eicher, SGB II, § 21 SGB II Rn. 63. 340 BVerfGE 125, 175 (252 ff.). 341 Vgl. die anderen Tatbestände des § 21 SGB II oder § 24 Abs. 1 SGB II. Das BVerfG bezieht sich noch auf § 23 Abs. 1 SGB II (BVerfGE 125, 175 [254]), in der die Regelung des § 24 Abs. 1 SGB II vorher zu finden war, vgl. Breitkreuz, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, Beck’scher Onlinekommentar Sozialrecht, § 23 SGB II Vorb. 342 BVerfGE 125, 175 (253 ff.). 343 BVerfGE 125, 175 (252). 338

I. Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel

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SGB XII aus der Sozialhilfe ausgeholfen, um auf solche atypischen Bedarfslagen reagieren zu können344. Die Heranziehung des § 73 SGB XII hielt das Bundesverfassungsgericht jedoch nicht für ausreichend, da das Bundessozialgericht die Anwendung des § 73 SGB XII bislang nur für solche Kosten angenommen hatte, „die einem geschiedenen Elternteil zur Wahrnehmung seines Umgangsrechts mit entfernt lebenden Kinder entstehen“ und es darüber hinaus in Literatur und Rechtsprechung umstritten war, ob zusätzliche Leistungen nach § 73 SGB XII in Betracht kämen345. Bis zur Kodifizierung des § 21 Abs. 6 SGB II wendete das Bundessozialgericht jedoch weiterhin § 73 SGB XII an346. Für einen Anspruch aus § 21 Abs. 6 SGB II ist erforderlich, dass der Bedarf drei Voraussetzungen erfüllt: Er muss laufend, unabweisbar und besonders sein. Der Bedarf darf also nicht nur einmalig sein, sondern es muss sich um einen regelmäßig wiederkehrenden Bedarf handeln347, wobei hierfür das zweimalige Auftreten genügt348. Unabweisbar ist der Bedarf dann, wenn er nicht durch Zuwendungen Dritter oder durch Einsparmöglichkeiten gedeckt werden kann und in seiner Höhe erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweicht349. Gefordert wird daher eine gewisse Erheblichkeit des Bedarfes, die allerdings nicht näher festgelegt wird350. Als weiteres Erfordernis muss der Bedarf besonders sein. Ein besonderer Bedarf ist vor allem dann anzunehmen, wenn er atypisch ist, also nicht in der Regelleistung berück344

Vgl. BSGE 97, 242 (249 ff.); gegen eine solche Heranziehung: Gerenkamp/Kroker, NZS 2008, S. 29 f.; Münder, NZS 2008, S. 620. 345 BVerfGE 125, 175 (254). 346 BSG SozR 4 – 3500 § 73 Nr. 3 Rn. 15 ff., 23 f.; mit der Begründung, dass das BVerfG die Rechtsprechung des BSG zu § 73 SGB XII gebilligt habe und dieser bis zur Kodifizierung des verfassungsrechtlichen Anspruches diesem vorgehe; BSG, Urt. v. 15. 12. 2010 – B 14 AS 44/09 R Rn. 17 ff.; zustimmend: Knickrehm, SR 2011, S. 50; Behrend, in: Schlegel/Voelzke, juris Praxiskommentar, § 21 SGB II Rn. 75 ff. 347 BT-Drs. 17/1465, S. 8 f.; wobei für die Regelmäßigkeit auf den Bewilligungszeitraum abgestellt wird; vgl. auch: Düring, in: Gagel, SGB II/SGB III, § 21 SGB II Rn. 44; Knickrehm/ Hahn, in: Eicher, SGB II, § 21 SGB II Rn. 68. 348 Düring, in: Gagel, SGB II/SGB III, § 21 SGB II Rn. 44; Klerks, info also 2010, S. 57; weiter geht Knickrehm, SR 2011, S. 56, die sogar die Prognose eines weiteren Eintritts ausreichen lässt; so auch Krauß, in: Hauck/Noftz, SGB II, § 21 SGB II Rn. 74. 349 § 21 Abs. 6 S. 2 SGB II; vgl. auch: Düring, in: Gagel, SGB II/SGB III, § 21 SGB II Rn. 45; Knickrehm/Hahn, in: Eicher, SGB II, § 21 SGB II Rn. 69; Krauß, in: Hauck/Noftz, SGB II, § 21 SGB II Rn. 80; zur vorherigen Ausschöpfung anderer Mittel vgl. auch BT-Drs. 17/ 1465, S. 8 f. 350 Düring, in: Gagel, SGB II/SGB III, § 21 SGB II Rn. 45; Knickrehm/Hahn, in: Eicher, SGB II, § 21 SGB II Rn. 70; Knickrehm, SR 2011, S. 57. Als Anhaltspunkt für die Bestimmung der Erheblichkeit soll das BSG-Urteil SozR 4 – 3500 § 73 Nr. 3 Rn. 20 dienen, das einen Betrag von knapp über 20 Euro bei einem Regelsatz von 345 Euro als ausreichend für einen Einsatz öffentlicher Mittel nach § 73 SGB XII angesehen hat; vgl. Krauß, in: Hauck/Noftz, SGB II, § 21 SGB II Rn. 82; andere überlegen die Grenze bei 10 % der Regelleistung zu ziehen, so etwa Düring, in: Gagel, SGB II/SGB III, § 21 SGB II Rn. 45, der aber letztlich auf den Einzelfall abstellen will. Eine feste Grenze von 10 % wurde jetzt vom BSG abgelehnt, BSGE 116, 86 (93 f.).

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sichtigt wurde, oder, sofern er dort berücksichtigt wurde, eine Sondersituation vorliegt, in der ein höherer, über dem üblichen Maß liegender, Bedarf besteht351. Die Regelung soll nämlich nicht dazu führen, dass generell ein als unzureichend erachteter Regelbedarf erhöht wird352. Die Voraussetzungen sind daher eng auszulegen353. Selbst wenn die Voraussetzungen des § 21 Abs. 6 SGB II trotz enger Auslegung grundsätzlich auf die Versorgung mit OTC-Arzneimitteln, die zu hohen, außergewöhnlichen Kosten führt, anwendbar scheinen354, wurde die Frage nach einem atypischen, besonderen Bedarf hinsichtlich der Kostenübernahme von Arzneimitteln in der Rechtsprechung bisher unterschiedlich beurteilt. Noch vor der Einführung von § 21 Abs. 6 SGB II wurde das Vorliegen eines besonderen atypischen Bedarfes für die Frage der Kostenübernahme von Arzneimitteln anhand von § 73 SGB XII diskutiert, von der sozial- und landessozialgerichtliche Rechtsprechung aber nur teilweise bejaht355. In einem Urteil aus dem Jahre 2010 hat das Bundessozialgericht festgestellt, dass keine unabweisbaren laufenden Bedarfe entstehen, sofern es sich um Leistungen handelt, die von der gesetzlichen Krankenversicherung grundsätzlich übernommen werden356. Darüber hinaus stellte das Gericht fest, dass Leistungen aus der Grundsicherung oder der Sozialhilfe den Vorgaben und Anforderungen der gesetzlichen Krankenversicherung an die Leistungserbringung entsprechen müssen. Soweit dort nämlich Arzneimittel auf ihre Wirtschaftlichkeit überprüft wurden und die Ergebnisse aufgrund fehlenden therapeutischen Nutzens negativ ausfielen, so bestehe kein relevanter Bedarf im Sinne von § 73 SGB XII357. Hinsichtlich der Notwendigkeit einer Behandlung und ihrem Nachweis gelte für Empfänger von SGB II-Leistungen

351 BT-Drs. 17/1465, S. 8 f.; Düring, in: Gagel, SGB II/SGB III, § 21 SGB II Rn. 43; Knickrehm/Hahn, in: Eicher, SGB II, § 21 SGB II Rn. 66; Krauß, in: Hauck/Noftz, SGB II, § 21 SGB II Rn. 75; so auch das BVerfG, das in E 125, 175 (254 f.) darauf abstellte, dass die bisherigen Regelungen im SGB II weder atypische Bedarfe außerhalb des Regelbedarfs noch Regelbedarfe in überdurchschnittlicher Höhe berücksichtige und den Gesetzgeber deshalb aufforderte diese Lücke zu schließen. 352 Knickrehm/Hahn, in: Eicher, SGB II, § 21 SGB II Rn. 66; Krauß, in: Hauck/Noftz, SGB II, § 21 SGB II Rn. 76. 353 BVerfGE 125, 175 (255); BT-Drs. 17/1465, S. 8 f.; so auch Breitkreuz, in: Rolfs/Giesen/ Kreikebohm/Udsching, Beck’scher Onlinekommentar Sozialrecht, § 21 SGB II Rn. 18. 354 So etwa: Behrend, in: Schlegel/Voelzke, juris Praxiskommentar, § 21 SGB II Rn. 125, 132 ff.; Hengelhaupt, in: Hauck/Noftz, SGB II, § 24 SGB II Rn. 159. 355 So etwa LSG NRW B. v. 22. 06. 2007 – L 1 B 7/07 AS ER; SG Lüneburg Urt. v. 23. 04. 2009 – S 30 AS 398/05. Einen unabweisbaren Bedarf hingegen ablehnend: LSG NRW Urt. v. 24. 02. 2011 – L 7 AS 1487/10; LSG Berlin-Brandenburg Urt. v. 17. 12. 2009 – L 20 AS 2040/08. 356 BSG Urt. v. 15. 12. 2010 – B 14 AS 44/09 R Rn. 21. 357 BSG Urt. v. 15. 12. 2010 – B 14 AS 44/09 R Rn. 21; zustimmend Harich, SGb 2012, S. 588, der dies auch auf § 21 Abs. 6 SGB II überträgt.

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nichts anderes, als für andere gesetzlich Krankenversicherte358. Der Versicherte habe daher grundsätzlich mit seiner Krankenkasse zu klären, ob die Behandlung übernommen werde359. Diese leistungsrechtliche Gleichbehandlung von SGB II-Empfängern mit den sonstigen Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung ist im Hinblick auf die Einhaltung des Gleichheitsgebots auch sachgerecht360. Inwiefern bei anderen Arzneimitteln, nämlich solchen, die nicht aufgrund eines fehlenden Nutzennachweises, sondern wegen ihrem geringen Abgabepreis vom Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung ausgenommen sind, ein atypischer Bedarf vorliegen kann, hat das Gericht damals noch ausdrücklich offen gelassen. Entschieden hat es diese Frage in einem späteren Urteil im Jahre 2011. Dort stellte es fest, dass durch die Notwendigkeit der Versorgung mit rezeptfreien Arzneimitteln grundsätzliche keine unabweisbaren laufenden Bedarfe entstehen361. In dem vom Bundessozialgericht zu entscheidenden Fall waren aber Wirkstoffe, die für die von der Klägerin vorgebrachten Erkrankungen Osteoporose und Eisenmangelanämie als Therapiestandard gelten, in der OTC-Liste aufgelistet. Damit war eine Versorgung mit OTC-Präparaten zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung grundsätzlich möglich, sodass das Gericht davon ausging, dass durch das SGB V bereits eine ausreichende Krankenbehandlung gewährleistet war. Der zuständige Senat ging deshalb davon aus, dass insoweit dann keine Grundrechtsbeeinträchtigung vorliegen könne362. Sofern die Bedarfe durch das SGB V abgedeckt werden, könne nicht von einem unabweisbaren Bedarf die Rede sein363. Weiter führte das Gericht aus, dass OTC-Präparate, die nicht von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung umfasst seien, für Hilfsbedürftige nach dem SGB II genauso wie für andere gesetzlich Versicherte in die Eigenverantwortung fallen, sodass Kosten für diese Arzneimittel grundsätzlich aus der Regelleistung zu erbringen sind und auch darin enthalten sind. Daher lösen nach Ansicht des Gerichts die von der gesetzlichen Krankenversicherung nicht umfassten rezeptfreien Arzneimittel grundsätzlich keinen Bedarf nach § 73 SGB XII aus. Zumal die Klägerin im vorliegenden Fall auch keine über dem Regelbedarf liegenden

358 BSG Urt. v. 15. 12. 2010 – B 14 AS 44/09 R Rn. 21; so auch BSGE 108, 235 (240 f.); so auch Knickrehm/Hahn, in: Eicher, SGB II, § 21 SGB II Rn. 74. 359 BSG Urt. v. 15. 12. 2010 – B 14 AS 44/09 R Rn. 21; BSGE 108, 235 (240); Behrend, in: Schlegel/Voelzke, juris Praxiskommentar, § 21 SGB II Rn. 121 f.; Knickrehm/Hahn, in: Eicher, SGB II, § 21 SGB II Rn. 74; Krauß, in: Hauck/Noftz, SGB II, § 21 SGB II Rn. 88. 360 Harich, SGb 2012, S. 588; Düring, in: Gagel, SGB II/SGB III, § 21 SGB II Rn. 47. 361 BSGE 108, 235 ff. 362 BSGE 108, 235 (240 f.). Das Gericht führte insofern weiter aus, dass die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit des Ausschlusses nach § 34 Abs. 1 SGB V nur innerhalb des Leistungssystems überprüft werden könne. 363 BSGE 108, 235 (239 ff.); zustimmend: BSGE 115, 77 (83); LSG Bayern Urt. v. 07. 01. 2014 – L 8 SO 226/13 B ER Rn. 22.

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Kosten für die nicht auf der OTC-Liste stehenden Krankheiten geltend gemacht hatte364. bb) Anspruch auf Mehrbedarf für OTC-Arzneimittel nach dem SGB II? Aufgrund der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zu den unabweisbaren laufenden Bedarfen gewinnt man den Eindruck, dass OTC-Arzneimittel nicht über die Gewährung eines Mehrbedarfes abgedeckt werden können. Problematisch ist in Anbetracht der so verstandenen Rechtsprechung aber, dass der 1. Senat des Bundessozialgerichts mangels der Übernahme der Kosten durch die gesetzliche Krankenversicherung auf die Leistungen aus der Grundsicherung verweist, während der für die Grundsicherung zuständige 14. Senat das Krankenversicherungsrecht für die Abdeckung der Kosten für OTC-Arzneimittel bei fehlender wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit als vorrangig ansieht365. Damit scheinen sich die Senate des Bundessozialgerichts gegenseitig zu widersprechen366. Bei näherer Betrachtung fällt allerdings auf, dass die Rechtsprechung der beiden Senate nicht derart divergierend ist, wie es auf den ersten Blick erscheint. Der 14. Senat stellte nämlich maßgeblich darauf ab, dass eine Versorgung mit OTCArzneimitteln „grundsätzlich“ keinen unabweisbaren Bedarf darstellt367. Damit hat er sich die Möglichkeit offen gelassen, in einzelnen besonderen Ausnahmefällen den unabweisbaren Bedarf anzunehmen. Insofern stehen auch die einen unabweisbaren Bedarf bejahenden Entscheidungen der Landessozial- und Sozialgerichte nicht im Widerspruch. Denn dort wurde der unabweisbare Bedarf nur bejaht, weil der SGB IIEmpfänger einen enorm hohen Bedarf – in beiden Fällen weit über 100 Euro – hatte und dieser somit nicht über den Regelsatz abgedeckt werden konnte368.

364 BSGE 108, 235 (241); zur Deckung der Kosten für medizinisch nicht notwendige Arzneimittel durch die Regelleistung BSG SozR 4 – 4200 § 21 Nr. 2 Rn. 31. 365 Vgl. die Urteile des 14. Senats BSGE 108, 235 (240); und des 1. Senates BSGE 110, 183 (190, 193 f.); zur Divergenz dieser Entscheidungen auch: LSG NRW, B. v. 04. 06. 2014 – L 7 AS 357/13 B; Wenner, SozSich 2012, S. 117; Klärungsbedarf sieht auch Behrend, in: Schlegel/ Voelzke, juris Praxiskommentar, § 21 SGB II Rn. 131. 366 Der 1. Senat verweist innerhalb seiner Begründung auch auf die Norm des Mehrbedarfes nach § 21 Abs. 6 SGB II und dabei auch auf die Entscheidung des 14. Senats, berichtet aber nicht von dessen abweichender Position, BSGE 110, 183 (193 f.). Vgl. zu diesem Verweis auch Wenner, in: Wallrabenstein/Ebsen, Stand und Perspektiven der Gesundheitsversorgung, S. 131 FN. 50. 367 Vgl. den Leitsatz zu BSGE 108, 235 ff.; so auch: Harich, SGb 2012, S. 590; Reichel, jurisPR-SozR 11/2012, Anm. 1; Wenner, in: Wallrabenstein/Ebsen, Stand und Perspektiven der Gesundheitsversorgung, S. 132 geht hingegen davon aus, dass der 14. Senat einen Mehrbedarf bei OTC-Arzneimitteln generell ablehnt. 368 Vgl. LSG NRW B. v. 22. 06. 2007 – L 1 B 7/07 AS ER; SG Lüneburg Urt. v. 23. 04. 2009 – S 30 AS 398/05.

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Zwar werden medizinische Härtefälle grundsätzlich über die Ausnahmeregelung des § 34 Abs. 1 S. 2 SGB V ausgeglichen, jedoch folgt aus dem mangelnden Vorliegen der dort genannten Voraussetzungen nicht zwingend, dass auch in anderen Fällen als der lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf Dauer beeinträchtigenden Erkrankung kein unabweisbarer Bedarf besteht369. Insbesondere deshalb, da die Ausnahmeregelung des § 34 Abs. 1 S. 2 SGB V keine finanziellen Aspekte mitberücksichtigt, sondern nur auf medizinische Kriterien abstellt. Zudem dienen die Sicherungssysteme des SGB II und der gesetzlichen Krankenversicherung unterschiedlichen verfassungsrechtlichen Vorgaben. Während es in der gesetzlichen Krankenversicherung vordergründig darum geht im Krankheitsfall die erforderlichen Leistungen zu erbringen, geht es bei der Grundsicherung und der Sozialhilfe um die Sicherung des Existenzminimums370. Der Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung ist zwar mit der Verfassung vereinbar, jedoch kann bei medizinisch notwendigen Leistungen aufgrund der Selbstzahlungspflicht von OTC-Arzneimitteln im Rahmen der Existenzsicherung aufgrund der Bedürftigkeit ein finanzieller Bedarf entstehen. Was für gesetzlich Versicherte noch in die Eigenverantwortung gegeben werden kann, kann für hilfebedürftige Personen nicht, und auch nicht mit Hilfe des Regelbedarfes, finanzierbar sein. Dementsprechend kann im Einzelfall ein unabweisbarer Bedarf bestehen. Dass ein Anspruch nach dem SGB II hinsichtlich der Versorgung mit OTCArzneimitteln in gewissen Fällen bestehen kann, zeigt auch die Gesetzesbegründung zur Einführung des § 21 Abs. 6 SGB II. Darin werden unter anderem als Anwendungsbeispiele dauerhaft benötigte Hygienemittel bei Neurodermitis oder HIV, Putzbzw. Haushaltshilfen für Rollstuhlfahrer sowie Kosten zur Wahrnehmung des Umgangsrechts bei getrennt lebenden Eltern genannt, wobei explizit festgelegt wird, dass diese Aufzählung nicht abschließend ist. Nicht erfasst sein sollen dagegen Schulmaterial, Bekleidung oder Schuhe in Über- oder Untergrößen, krankheitsbedingter Ernährungsaufwand, der nicht von § 21 Abs. 5 SGB II erfasst ist, Brillen, Zahnersatz oder orthopädische Schuhe371. Dadurch, dass die nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel bei der negativen Aufzählung nicht genannt werden und in einem von der Bundesagentur für Arbeit ausgearbeiteten Negativkatalog für Härtefälle nach § 21 Abs. 6 SGB II auch nicht zu finden sind372, sind sie jedenfalls nicht 369

Harich, SGb 2012, S. 590. Vgl. Harich, SGb 2012, S. 590, der als verfassungsrechtliche Vorgaben zum einen Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG und zum anderen Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG ansieht. 371 BT-Drs. 17/1465, S. 9; vgl. auch die Fachlichen Hinweise § 21 SGB II der Bundesagentur für Arbeit, S. 10, Stand: 22. 12. 2014, abrufbar unter: http://www.arbeitsagentur.de/web/ content/DE/Veroeffentlichungen/Weisungen/Arbeitnehmer/Detail/index.htm?dfContentId= L6019022DSTBAI627529. 372 Negativ-Katalog der Bundesagentur für Arbeit aus der Wissensdatenbank SGB II, Stand: 29. 09. 2014, abrufbar unter: http://www.arbeitsagentur.de/web/content/DE/Veroeffentli chungen/WissensdatenbankSGBII/Detail/index.htm?dfContentId=L6019022DSTBAI554437. 370

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grundsätzlich von dem Anspruch auf Mehrbedarf ausgeschlossen. Darüber hinaus können die OTC-Arzneimittel sogar unter eines der in der Gesetzesbegründung positiv aufgeführten Beispiele fallen: Denn Hygienemittel bei Neurodermitis können auch OTC-Arzneimittel sein373. Daher ist es grundsätzlich möglich, dass bei einem hohen Bedarf, der die Regelleistung von 15,55 Euro für die Gesundheitspflege monatlich weit übersteigt, ein Anspruch auf unabweisbaren Bedarf gegeben sein kann. Handelt es sich also um medizinisch notwendige, unabweisbare, laufende und besondere Bedarfe, die die Regelleistung weit überschreiten, so kann ein Anspruch aus § 21 Abs. 6 SGB II begründet werden374. Insofern hat nun auch der 4. Senat des Bundessozialgerichts die Möglichkeit eines Mehrbedarfes für Leistungen, die aufgrund eines geringen Abgabepreise von der Versorgung im SGB V ausgenommen sind, unter Verweis auf die beiden Urteile des 1. und des 14. Senates bejaht, hält aber die Voraussetzungen für einen solchen Anspruch für noch nicht abschließend geklärt375. Damit ist es nicht grundsätzlich ausgeschlossen, dass Versicherte, denen Leistungen aufgrund des Ausschlusses von nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln in der gesetzlichen Krankenversicherung nicht erbracht werden, auf Leistungen der Grundsicherung zurückgreifen können. Allerdings wird auch bei Empfängern von SGB II-Leistungen die Versorgung bei Krankheit im Regelfall über die gesetzliche Krankenversicherung erfolgen. Ein unabweisbarer Bedarf kann daher immer nur dann vorliegen, wenn es sich um eine medizinisch notwendige Leistung handelt, die aber durch das SGB V ausgeschlossen ist376. Darüber hinaus ist der Bedarf auch nur dann unabweisbar, wenn ansonsten eine Verletzung des Existenz-

373 Vgl. BSGE 110, 183 (186 f.). In diesem Fall litt die Klägerin unter Neurodermitis und wollte die Kosten für verschiedene Mittel zur Basishautpflege von ihrer Krankenkasse erstattet bekommen, wobei es sich nach Aussage des Gerichts bei den begehrten Hautpflegemitteln Linola Fett, Balneum-Hermal F sowie Pasta zinci mollis um nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel handelte. 374 Vgl. LSG NRW B. v. 22. 06. 2007 – L 1 B 7/07 AS ER; SG Lüneburg Urt. v. 23. 04. 2009 – S 30 AS 398/05; Behrend, in: Schlegel/Voelzke, juris Praxiskommentar, § 21 SGB II Rn. 125, 132; Düring, in: Gagel, SGB II/SGB III, § 21 SGB II Rn. 47, der allerdings von einer geringen praktischen Relevanz dieses Anspruches ausgeht; Harich, SGb 2012, S. 590; Reichel, jurisPRSozR 11/2012, Anm. 1; ähnl. so auch die Antwort der Bundesagentur für Arbeit auf eine Anfrage der Redaktion der Sozialen Sicherheit, vgl. Wenner, SozSich 2012, S. 117, in der die Bundesagentur aber eine Möglichkeit in extremen Ausnahmefällen sieht.Vgl. auch BSGE 111, 211 (229 f.), das hinsichtlich der Erstattung von OTC-Arzneimitteln, die nicht auf der OTCListe stehen, auf die Möglichkeit der Bedarfssicherstellung über § 21 Abs. 6 SGB II verweist. 375 BSGE 115, 77 (83 f.); krit. LSG NRW B. v. 24. 07. 2014 – L 19 AS 1088/14 B ER Rn. 25 f., das einen Anspruch verneinte, wobei im vorliegenden Fall auch vorher die Krankenkasse des Klägers nicht eingeschalten wurde und insofern keine Aussage darüber getroffen werden konnte, ob eine Übernahme durch die GKV möglich war. 376 Behrend, in: Schlegel/Voelzke, juris Praxiskommentar, § 21 SGB II Rn. 121; Krauß, in: Hauck/Noftz, SGB II, § 21 SGB II Rn. 88 f.; so auch BSGE 115, 77 (84).

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minimums drohen könnte377. Über den Mehrbedarf sollen nur solche Leistungen ersetzt werden, die zur Sicherung des Existenzminimums von Nöten sind. Aufgrund der umfangreichen Absicherung durch das Krankenversicherungsrecht wird daher ein Mehrbedarf nach § 21 Abs. 6 SGB II nur in begrenzten Fällen möglich sein378. Selbst wenn die Voraussetzungen für einen grundsicherungsrechtlichen Anspruch relativ hoch sind, so stehen jedenfalls Rechtsgrundlagen zur Verfügung, die die Möglichkeit eines solchen Anspruchs beinhalten. Ansonsten sind die Leistungen im Regelbedarf enthalten und können mit diesem abgegolten werden. Damit ist es auch hilfebedürftigen Personen möglich OTC-Arzneimittel zu erlangen, entweder eigenverantwortlich über die Regelleistung oder in engen Ausnahmefällen über einen gewährten Mehrbedarf. cc) Mehrbedarf nach § 73 SGB XII Voraussetzung für einen Anspruch aus § 73 SGB XII, sofern man diesen noch neben der Mehrbedarfsregelung für atypische Fälle anwenden will379, ist nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, dass ein besonderer Bedarf besteht, der nicht vom Regelbedarf im SGB II gedeckt ist, aber gleichzeitig unter den atypischen Bedarf des SGB XII fällt und eine gewisse Nähe zu den in §§ 47 – 74 SGB XII geregelten Bedarfslagen aufweist; zugleich muss auch der Bereich der Grundrechtsausübung tangiert sein380. Ein Bedarf im Sinne des § 73 SGB XII liegt nach der Rechtsprechung nur dann vor, wenn die Bedarfslage nicht ausschließlich durch eine Erhöhung der Hilfe zum Lebensunterhalt381 oder einer ausdrücklich im 3. Kapitel des SGB XII genannten Hilfe zu decken ist382. Allerdings scheitert eine Anwendbarkeit dieser Anspruchsgrundlage im Falle des Bedarfes von OTC-Arzneimitteln nicht bereits an der Betroffenheit der Grundrechtsausübung. Aufgrund denkbarer unzu377 BVerfGE 125, 175 (255); Behrend, in: Schlegel/Voelzke, juris Praxiskommentar, § 21 SGB II Rn. 132. 378 Vgl. Düring, in: Gagel, SGB II/SGB III, § 21 SGB II Rn. 47; Krauß, in: Hauck/Noftz, SGB II, § 21 SGB II Rn. 89 und § 20 SGB II Rn. 54. 379 Für eine weitere Anwendung des § 73 SGB XII: Behrend, in: Schlegel/Voelzke, juris Praxiskommentar, § 21 SGB II Rn. 78, die darauf abstellt, dass gem. § 5 Abs. 2 SGB II nur Leistungen nach dem dritten Kapitel des SGB XII ausgeschlossen sind, worunter § 73 SGB XII nicht falle; Knickrehm/Hahn, in: Eicher, SGB II, § 21 SGB II Rn. 65; Knickrehm, SR 2011, S. 52 f.; krit. Armborst, in: Münder, Sozialgesetzbuch II, § 5 SGB II Rn. 44, der eine weitere Anwendung für möglich hält, aber nicht befürwortet. Gegen eine weitere Anwendung: BTDrs. 17/1465, S. 8; Fachliche Hinweise § 21 SGB II der Bundesagentur für Arbeit, S. 9, Stand: 22. 12. 2014, abrufbar unter: http://www.arbeitsagentur.de/web/content/DE/Veroeffentlichun gen/Weisungen/Arbeitnehmer/Detail/index.htm?dfContentId=L6019022DSTBAI627529. 380 BSGE 97, 242 (249 f.); BSG SozR 4 – 3500 § 73 Nr. 3 Rn. 15 ff.; BSG Urt. v. 15. 12. 2010 – B 14 AS 44/09 R Rn. 18; BSGE 108, 235 (239); Behrend, in: Schlegel/Voelzke, juris Praxiskommentar, § 21 SGB II Rn. 76; Knickrehm/Hahn, in: Eicher, SGB II, § 21 SGB II Rn. 64. 381 § 27a Abs. 4 SGB XII. 382 BSGE 105, 279 (285 f.).

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reichender Arzneimittelversorgung ist das Grundrecht der körperlichen Unversehrtheit möglicherweise berührt383. Allerdings wird der Anspruch aus § 21 Abs. 6 SGB II vorrangig sein384. b) Übernahme der Kosten für OTC-Arzneimittel im Rahmen der Sozialhilfe Die Gewährung von Leistungen für Gesundheit erfolgt für Sozialhilfebezieher in der Regel durch die gesetzliche Krankenversicherung. Die Bezieher von Sozialleistungen sind in der gesetzlichen Krankenversicherung nicht generell pflichtversichert385, jedoch kann eine Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V bestehen, weil die Bezieher von Sozialleistungen keinen anderweitigen Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall haben, oder sie können nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 SGB V weiterversichert sein. Dann werden die Beiträge durch den Sozialhilfeträger übernommen386. Liegt keine Versicherung vor, übernehmen die Krankenkassen dennoch die Krankenbehandlung für Empfänger von Leistungen nach dem dritten bis neunten Kapitel des SGB XII387. Den Leistungsempfängern stehen dabei die gleichen Ansprüche zur Behandlung von Krankheiten zu wie den Pflichtversicherten388. Die Sozialhilfeträger sind allerdings verpflichtet, die Aufwendungen, die den Krankenkassen dadurch entstehen, zu erstatten389. Leistungen im Krankheitsfall sieht der Sozialhilfeträger zwar auch selbst durch Hilfen zur Gesundheit gem. §§ 47 ff. SGB XII vor, allerdings werden diese nur subsidiär gewährt und entsprechen zudem den Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung390. 383

Vgl. BSG Urt. v. 15. 12. 2010 – B 14 AS 44/09 R Rn. 19; BSGE 108, 235 (239). Vgl. BSG SozR 4 – 3500 § 73 Nr. 3 Rn. 24. Das BSG geht davon aus, dass ein Rückgriff auf § 73 SGB XII in Zukunft aufgrund der Regelung des § 21 Abs. 6 SGB II nicht mehr erforderlich sein wird. 385 Vgl. Flint, in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, § 48 SGB XII Rn. 2. 386 § 32 Abs. 1 SGB XII; vgl. auch Gebhardt, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, Beck’scher Onlinekommentar Sozialrecht, § 32 SGB XII Rn. 4. 387 § 264 Abs. 2 S. 1 SGB V; vgl. auch: Gamperl, Die Absicherung gegen Krankheitskosten, S. 41 ff.; Peters, in: Körner/Leitherer/Mutschler, Kasseler Kommentar, § 264 SGB V Rn. 7 f. Zur Abgrenzung von § 32 SGB XII und § 264 SGB V vgl. Falterbaum, in: Hauck/ Noftz, SGB XII, § 32 SGB XII Rn. 12. 388 Vgl. § 264 Abs. 2 S. 1 und Abs. 4 S. 1 SGB V, der auf § 11 Abs. 1 SGB V verweist. Sie sind aber nur leistungsrechtlich gleichgestellt, nicht mitgliedschaftsrechtlich, vgl. BT-Drs. 15/ 1525, S. 141; Böttiger, in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung Pflegeversicherung, § 264 SGB V Rn. 83 f.; Gamperl, Die Absicherung gegen Krankheitskosten, S. 42 f.; Pfohl, in: Becker/Kingreen, SGB V, § 264 SGB V Rn. 4. 389 § 264 Abs. 7 S. 1, 2 SGB V; vgl. Böttiger, in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung Pflegeversicherung, § 264 SGB V Rn. 42, 48. 390 § 52 Abs. 1 S. 1 SGB XII; vgl. auch: BSGE 107, 169 (170 f.); 112, 188 (192 f.); SiebelHuffmann, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, Beck’scher Onlinekommentar Sozialrecht, § 52 SGB XII Rn. 1; Schlette, in: Hauck/Noftz, SGB XII, § 52 SGB XII Rn. 4; Waschull, in: Spickhoff, Medizinrecht, § 52 SGB XII Rn. 4. Zum Vorrang der Leistungen nach § 264 SGB V: 384

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Durch die Anknüpfung an die gesetzliche Krankenversicherung ist es daher nicht möglich, OTC-Arzneimittel als Leistungen bei Krankheit zu erhalten, sofern die Ausnahmevorschriften des SGB V nicht greifen. Das heißt auch hier müssen rezeptfreie Arzneimittel grundsätzlich aus der Regelleistung selbst bezahlt werden. Anders aber als die Grundsicherung für Arbeitssuchende unterliegt die Sozialhilfe dem Individualisierungsgrundsatz391. Es sind Regelungen vorhanden, die eine individuelle Anhebung des Regelbedarfs ermöglichen392. So ist nach § 27a Abs. 4 S. 1 Var. 2 SGB XII eine individuelle Erhöhung des Regelbedarfs möglich393. Erforderlich ist hierfür allerdings, dass sich der gesteigerte Bedarf in seiner Höhe unabweisbar deutlich vom durchschnittlichen Bedarf abhebt394. Dies ist der Fall, wenn die Deckung der Kosten durch den Regelsatz nicht zumutbar ist395. Allerdings werden keine allzu hohen Anforderungen an die erhebliche Abweichung gestellt396. Eine Erhöhung der Regelleistung ist aber dann ausgeschlossen, wenn es sich um typische Bedarfe handelt, die in der Regelleistung bereits enthalten sind und mit dieser ausdrücklich abgegolten sein sollen397, oder wenn eine Fallkonstellation vorliegt, die bereits Gegenstand der Mehrbedarfsregelung des § 30 SGB XII ist398. Dies ist bei rezeptfreien Arzneimitteln allerdings nicht der Fall. Auch muss es sich um laufende Bedarfe handeln. Für einmalige Bedarfe ist die Gewährung eines Darlehens nach

§ 48 S. 2 SGB XII; Flint, in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, § 48 SGB XII Rn. 2; SiebelHuffmann, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, Beck’scher Onlinekommentar Sozialrecht, § 48 SGB XII Rn. 2; Waschull, in: Spickhoff, Medizinrecht, § 48 SGB XII Rn. 6. 391 § 9 Abs. 1 SGB XII; vgl. auch: Blüggel, in: Eicher, SGB II, § 24 SGB XII Rn. 12 ff.; Groth, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, Beck’scher Onlinekommentar Sozialrecht, § 9 Abs. 1 SGB XII Rn. 1 ff.; Wahrendorf, in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, § 9 Abs. 1 SGB XII Rn. 1 ff. 392 Ohne solche Regelungen wäre die pauschalierende Bedarfsdeckung auch verfassungsrechtlich nicht zulässig, vgl. etwa: BVerfGE 125, 175 (252 ff.); so ausdrücklich Falterbaum, in: Hauck/Noftz, SGB XII, § 27a SGB XII Rn. 59. Zur Übertragbarkeit der Rechtsprechung des BVerfG zum SGB II auf das SGB XII, Gutzler, in: Schlegel/Voelzke, juris Praxiskommentar, § 27a SGB XII Rn. 88. 393 § 27a Abs. 4 SGB XII entspricht insofern dem Individualisierungsgrundsatz, vgl. Dauber, in: Mergler/Zink, Handbuch der Grundsicherung und Sozialhilfe, Teil II, § 27a SGB XII Rn. 29. 394 § 27a Abs. 4 S. 1 Var. 2 SGB XII; so auch: Coseriu, in: Knickrehm/Kreikebohm/Waltermann, Kommentar zum Sozialrecht, § 27a SGB XII Rn. 9; Gebhardt, in: Rolfs/Giesen/ Kreikebohm/Udsching, Beck’scher Onlinekommentar Sozialrecht, § 27a SGB XII Rn. 22. 395 Coseriu, in: Knickrehm/Kreikebohm/Waltermann, Kommentar zum Sozialrecht, § 27a SGB XII Rn. 9; Gutzler, in: Schlegel/Voelzke, juris Praxiskommentar, § 27a SGB XII Rn. 107. 396 Vgl. Coseriu, in: Knickrehm/Kreikebohm/Waltermann, Kommentar zum Sozialrecht, § 27a SGB XII Rn. 9, der dies aus der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 15/1514, S. 59) schließt, die als Beispiele Unter- und Übergrößen nennt. 397 So etwa bei den Zuzahlungen, BSGE 107, 169 (171 ff.); vgl. Coseriu, in: Knickrehm/ Kreikebohm/Waltermann, Kommentar zum Sozialrecht, § 27a SGB XII Rn. 9. 398 Vgl. etwa BSGE 104, 200 (205); Coseriu, in: Knickrehm/Kreikebohm/Waltermann, Kommentar zum Sozialrecht, § 27a SGB XII Rn. 9.

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§ 37 Abs. 1 SGB XII möglich399. Bei großen regelmäßigen Aufwendungen für OTCArzneimittel ist eine Erhöhung nach § 27a Abs. 4 S. 1 Var. 2 SGB XII jedenfalls nach den Tatbestandsvoraussetzungen möglich400. Zudem besteht auch die Möglichkeit hinsichtlich der Erstattung von OTC-Arzneimitteln auf den Anspruch aus § 73 SGB XII zur Hilfe in sonstigen Lebenslagen zurückzugreifen, der allerdings subsidiär ist401. Er erfasst nur atypische Fälle und dient dazu Bedarfe aufzufangen, die von keinem anderen Tatbestand im SGB XII abgedeckt werden402. Erforderlich ist aber stets die Nähe zu den in §§ 47 – 74 SGB XII speziell geregelten Bedarfen. Allerdings stellt sich auch hier die Frage, ob durch die Vorgaben der gesetzlichen Krankenversicherung eine Bindung für die Sozialhilfe besteht. Denn grundsätzlich sollen Empfänger von Leistungen des SGB XII nicht mehr Leistungen bekommen als sie in der gesetzlichen Krankenversicherung erlangen würden. Mit der Übernahme der Krankenbehandlung von Leistungsempfängern des SGB XII durch die Krankenkassen403 wollte man die Empfänger von Hilfen zum Lebensunterhalt und von Hilfen in besonderen Lebenslagen mit den gesetzlich Krankenversicherten leistungsrechtlich gleichstellen404. Das Bundessozialgericht hat deshalb entschieden, dass Sozialhilfeempfänger keinen Anspruch auf Übernahme von Zuzahlungen und der damals noch geltenden Praxisgebühr405 haben406. Entscheidend in diesem Fall

399 Coseriu, in: Knickrehm/Kreikebohm/Waltermann, Kommentar zum Sozialrecht, § 27a SGB XII Rn. 10; Falterbaum, in: Hauck/Noftz, SGB XII, § 27a SGB XII Rn. 73; Gebhardt, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, Beck’scher Onlinekommentar Sozialrecht, § 27a SGB XII Rn. 22; a.A. Gutzler, in: Schlegel/Voelzke, juris Praxiskommentar, § 27a SGB XII Rn. 86, der auch bei einmaligen Bedarfen § 27a Abs. 4 SGB XII anwenden will. 400 Eine Erhöhung für OTC-Arzneimittel bejahen etwa: Dauber, in: Mergler/Zink, Handbuch der Grundsicherung und Sozialhilfe, Teil II, § 27a SGB XII Rn. 38; Gutzler, in: Schlegel/ Voelzke, juris Praxiskommentar, § 27a SGB XII Rn. 102. 401 Zur Subsidiarität der Norm: Baur, in: Mergler/Zink, Handbuch der Grundsicherung und Sozialhilfe, Teil II, § 73 SGB XII Rn. 3; Böttiger, in: Schlegel/Voelzke, juris Praxiskommentar, § 73 SGB XII Rn. 6; Kaiser, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, Beck’scher Onlinekommentar Sozialrecht, § 73 SGB XII Rn. 1; Schlette, in: Hauck/Noftz, SGB XII, § 73 SGB XII Rn. 1. 402 Böttiger, in: Schlegel/Voelzke, juris Praxiskommentar, § 73 SGB XII Rn. 5 f.; Schlette, in: Hauck/Noftz, SGB XII, § 73 SGB XII Rn. 6. 403 § 246 Abs. 2 – 7 SGB V. 404 BT-Drs. 15/1170, S. 119; Harich, SGb 2012, S. 585 f.; Huck, in: Hauck/Noftz, Sozialgesetzbuch – SGB V, § 264 SGB V Rn. 7; Peters, in: Körner/Leitherer/Mutschler, Kasseler Kommentar, § 264 SGB V Rn. 3, 5. 405 Die Praxisgebühr wurde durch das Gesetz zur Regelung des Assistenzpflegebedarfs in stationären Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtungen vom 20. 12. 2012 (BGBl. I, S. 2789) zum 01. 01. 2013 aufgehoben. 406 BSGE 107, 169 (171 ff.); so auch schon: LSG BW Urt. v. 01. 02. 2007 – L 7 SO 4267/05; OVG Lüneburg, NJW 2004, 1817 f.; Dauber, in: Mergler/Zink, Handbuch der Grundsicherung und Sozialhilfe, Teil II, § 27a SGB XII Rn. 38.

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war, dass die Zuzahlungen durch das GKV-Modernisierungsgesetz ausdrücklich in den Regelsatz einbezogen wurden und damit aus diesem zu decken waren407. Anders hat sich das Bundessozialgericht aber innerhalb der sozialen Rehabilitation bei Hilfsmitteln entschieden, die aufgrund ihrer geringen Erwerbskosten vom Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen sind. Dort stellte es fest, dass in einem solchen Fall in der gesetzlichen Krankenversicherung davon ausgegangen werden kann, dass das Existenzminimum nicht beeinträchtigt ist, während diese Schlussfolgerung im Bereich der Sozialhilfe nicht möglich sei408. Aufgrund der unterschiedlichen Zielsetzungen von Sozialhilfe und gesetzlicher Krankenversicherung müssen die Leistungen nicht automatisch identisch sein. Leistungsausschlüsse im SGB V führen nicht zwingend zu einer Leistungsversagung in der Sozialhilfe409. Denn anders als die Leistungen in der gesetzlichen Krankenversicherung, die eine einheitliche Versorgung gewährleisten, sind die Leistungen der Sozialhilfe am einzelnen Individuum und dessen Förderung orientiert410. Dementsprechend sind Leistungsausschlüsse in der gesetzlichen Krankenversicherung, die zur Sicherung der finanziellen Stabilität getroffen wurden und damit eine einheitliche Versorgung gewährleisten, nicht zwingend zu übertragen, wohingegen Arzneimittel, die aufgrund von Unwirtschaftlichkeit oder Unzweckmäßigkeit von dem Leistungskatalog ausgeschlossen wurden, in der Regel nicht der individuellen Förderung dienen können. Die Sozialhilfe hat zudem das Ziel das Existenzminimum zu sichern411. Handelt es sich daher um typische Bedarfe, so sind diese im Regelbedarf enthalten412. Handelt es sich allerdings um atypische Bedarfe, so besteht eine Bindung an die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung nur, sofern sich im Gesetz, wie bei den Hilfen für Gesundheit413, ausdrücklich ein Verweis auf die Leistungen des SGB V findet414. Insofern besteht die Möglichkeit in besonders atypischen Fällen, die dazu führen, dass das Existenzminimum betroffen ist, eine Erhöhung des Regelbedarfs für OTC-Arzneimittel durchzuführen oder subsidiär auf die Regelung des § 73 SGB XII zurückzugreifen. 407 BSGE 107, 169 (172); OVG Lüneburg, NJW 2004, 1817 f. Zur Einbeziehung in den Regelsatz: BT-Drs. 15/1525, S. 167; vgl. auch Gamperl, Die Absicherung gegen Krankheitskosten, S. 44. 408 BSGE 103, 171 (177). 409 Vgl. BSGE 103, 171 (177 f.); BSG SozR 4 – 3500 § 54 Nr. 6 Rn. 20 ff.; so auch Harich, SGb 2012, S. 586 f. 410 BSG SozR 4 – 3500 § 54 Nr. 6 Rn. 22; allg. zum Individualisierungsgrundsatz vgl. Blüggel, in: Eicher, SGB II, § 24 SGB XII Rn. 12 ff.; Groth, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/ Udsching, Beck’scher Onlinekommentar Sozialrecht, § 9 Abs. 1 SGB XII Rn. 1 ff.; Wahrendorf, in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, § 9 Abs. 1 SGB XII Rn. 1 ff. 411 BVerfGE 82, 60 (94); BSGE 103, 171 (177); so auch Harich, SGb 2012, S. 586. 412 Vgl. BSGE 107, 169 (171); so auch Harich, SGb 2012, S. 587. 413 Vgl. § 52 Abs. 1 S. 1 SGB XII; ein weiterer solcher Verweis findet sich bei der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen in § 54 Abs. 1 S. 2 SGB XII. 414 Harich, SGb 2012, S. 586 f.

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c) Zusammenfassung Die Gewährung von Leistungen im Krankheitsfall wird für Bezieher von ALG II und für Bezieher von Sozialhilfe grundsätzlich durch die gesetzliche Krankenversicherung gewährleistet. Sofern eine Versorgung mit rezeptfreien Arzneimitteln erfolgen soll, kann dies in den in § 34 Abs. 1 S. 2 und 5 SGB V geregelten Ausnahmefällen zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung erfolgen. Sowohl die Grundsicherung für Arbeitssuchende als auch die Sozialhilfe sehen allerdings Möglichkeiten zur Übernahme der Kosten für nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel vor. Zum einen sind diese Kosten im Regelbedarf enthalten und zum anderen bestehen bei außergewöhnlichen Bedarfen weitere Möglichkeiten. Während die Übernahme der Kosten in der Grundsicherung für Arbeitssuchende über eine Darlehensgewährung oder einen Mehrbedarf erfolgen können, besteht im Sozialhilferecht die Möglichkeit einer Erhöhung des Regelbedarfs oder subsidiär das Eingreifen der Hilfe in sonstigen Lebenslagen. Auch wenn die Voraussetzungen dieser Regelungen teilweise sehr hoch sind und nur in Einzelfällen Anwendung finden, so besteht dadurch dennoch die Möglichkeit in den Fällen, in denen durch den Ausschluss der nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel das Existenzminimum bedroht ist, auf Leistungen durch das SGB II oder SGB XII zurückzugreifen, um das Existenzminimum zu gewährleisten. Diese Gewährleistung muss aus verfassungsrechtlicher Sicht auch nicht zwingend durch das SGB Verfolgen. Handelt es sich um typische Bedarfe, so werden diese über den Regelsatz abgegolten, sodass die eigenverantwortliche Zahlung der Arzneimittel auch für hilfebedürftige Personen zumutbar ist. Damit liegt keine Verletzung von Grundrechten dieser Personengruppe durch den Ausschluss von OTC-Arzneimitteln aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung vor, sodass die Regelung auch unter diesem Blickwinkel verfassungsgemäß ist.

4. Verfassungsmäßigkeit hinsichtlich Anhängern der besonderen Therapierichtungen Der Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung umfasst die Versorgung mit Arzneimitteln der besonderen Therapierichtungen415. Als besondere Therapierichtungen werden vom Gesetz ausdrücklich die Homöopathie, die Phytotherapie und die Anthroposophie genannt416. Sie werden daher auch als anerkannte Therapierichtungen bezeichnet417. Nicht dazu gehört die Naturheilkunde, da es sich

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Vgl. § 2 Abs. 1 S. 2 SGB V. § 34 Abs. 3 S. 2 SGB V zählt diese drei Therapierichtungen auf. 417 Axer, in: Becker/Sertel/Stassen-Rapp/Walburg, Neue Wege in der Medizin, S. 322; ders., in: Eichenhofer/Wenner, SGB V, § 2 SGB V Rn. 9; Quaas/Zuck/Clemens, Medizinrecht, § 2 Rn. 62; Zuck, NZS 1999, S. 314; ders., Das Recht der anthroposophischen Medizin, S. 117. 416

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dabei um einen Sammelbegriff für natürliche Heilweisen handelt418. Die besonderen Therapierichtungen zeichnen sich durch einen unterschiedlichen Therapieansatz im Vergleich zur Schulmedizin aus, der auch von einem Großteil der Ärzte und der Bevölkerung anerkannt ist. Das Bundessozialgericht definiert daher die besonderen Therapierichtungen als „das umfassende, zur Behandlung verschiedenster Erkrankungen bestimmte therapeutische Konzept […], das auf der Grundlage eines von der naturwissenschaftlich geprägten ,Schulmedizin‘ sich abgrenzenden, weltanschaulichen Denkansatzes größere Teile der Ärzteschaft und weite Bevölkerungskreise für sich eingenommen hat“419. a) Die anerkannten besonderen Therapierichtungen Die Homöopathie ist eine Therapierichtung, die von Samuel Hahnemann entwickelt wurde420. Sie basiert auf dem Prinzip, dass Arzneimittel so zu wählen sind, dass deren Wirkung, sofern sie am gesunden Menschen in größeren Dosen angewandt werden würden, ähnliche Symptome hervorrufen würden, wie der kranke Patient sie vorweist421. Die Homöopathie beruht daher auf einem Ähnlichkeitsprinzip, wohingegen die Schulmedizin auf dem Gegensatzprinzip beruht422. Des Weiteren geht die Homöopathie davon aus, dass Arzneimittel eine bessere Wirkung entfalten, je niedriger die Dosierung ist423. Das Arzneimittel soll als Impuls für die Heilung dienen, die nur durch den Organismus selbst bewerkstelligt werden kann424. 418 BSGE 94, 221 (243 f.); vgl. auch: Axer, in: Becker/Sertel/Stassen-Rapp/Walburg, Neue Wege in der Medizin, S. 322 f.; ders., in: Eichenhofer/Wenner, SGB V, § 2 SGB V Rn. 11; Nebendahl, in: Spickhoff, Medizinrecht, § 2 SGB V Rn. 3; Scholz, in: Becker/Kingreen, SGB V, § 2 SGB V Rn. 9; i.E. auch Quaas/Zuck/Clemens, Medizinrecht, § 2 FN. 246. Vgl. auch BSG SozR 3 – 2500 § 92 Nr. 12 S. 73, das schon früher Zweifel hinsichtlich der Einordnung der Naturheilkunde als besondere Therapierichtung äußerte. 419 BSGE 81, 54 (72); 94, 221 (233); BSG SozR 3 – 2500 § 13 Nr. 17 S. 82; BSG SozR 3 – 2500 § 92 Nr. 12 S. 72; so auch: Nebendahl, in: Spickhoff, Medizinrecht, § 2 SGB V Rn. 3; Noftz, in: Hauck/Noftz, Sozialgesetzbuch – SGB V, § 2 SGB V Rn. 50; Scholz, in: Becker/ Kingreen, SGB V, § 2 SGB V Rn. 9. 420 Vgl. Böttger/Kirchner, in: Fuhrmann/Klein/Fleischfresser, Arzneimittelrecht, § 4 Rn. 10; Noftz, in: Hauck/Noftz, Sozialgesetzbuch – SGB V, § 2 SGB V Rn. 47; vgl. zum Begriff der Homöopathie auch Zuck, Homöopathie und Verfassungsrecht, Rn. 6 ff.; allg. zur Homöopathie Hahnemann/Schmidt, Organon der Heilkunst, S. 1 ff. 421 Böttger/Kirchner, in: Fuhrmann/Klein/Fleischfresser, Arzneimittelrecht, § 4 Rn. 11 ff.; Hauck, in: Peters, Handbuch der Krankenversicherung, Band 2, § 34 SGB V Rn. 35; Zuck, NJW 1991, S. 2934. 422 Vgl. Böttger/Kirchner, in: Fuhrmann/Klein/Fleischfresser, Arzneimittelrecht, § 4 Rn. 12 f.; Fleischfresser, in: Fuhrmann/Klein/Fleischfresser, Arzneimittelrecht, § 4 Rn. 4; vgl. auch Hahnemann/Schmidt, Organon der Heilkunst, S. 4, 60 ff. und 184. 423 Böttger/Kirchner, in: Fuhrmann/Klein/Fleischfresser, Arzneimittelrecht, § 4 Rn. 27 f.; Hauck, in: Peters, Handbuch der Krankenversicherung, Band 2, § 34 SGB V Rn. 35; vgl. auch Hahnemann/Schmidt, Organon der Heilkunst, S. 4. 424 Böttger/Kirchner, in: Fuhrmann/Klein/Fleischfresser, Arzneimittelrecht, § 4 Rn. 12.

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Homöopathische Arzneimittel sind in § 4 Abs. 26 AMG425 definiert. Ein homöopathisches Arzneimittel ist danach ein solches, das nach einem im Europäischen Arzneibuch oder, in Ermangelung dessen, nach einem in den offiziell gebräuchlichen Pharmakopöen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union beschriebenen homöopathischen Zubereitungsverfahren hergestellt worden ist, wobei es auch mehrere Wirkstoffe enthalten kann. Die Phytotherapie wird auch Pflanzenheilkunde genannt und bedient sich pflanzlicher Arzneimittel zur Behandlung von Krankheiten; wesentliches Element ist der Einsatz eines Arzneistoffes pflanzlichen Ursprungs426. Für die phytotherapeutischen Arzneimittel werden sowohl stärkere als auch schwächere Arzneipflanzen herangezogen427. Pflanzliche Arzneimittel sind solche, die als Wirkstoff ausschließlich einen oder mehrere pflanzliche Stoffe oder eine oder mehrere pflanzliche Zubereitungen oder eine oder mehrere solcher pflanzlichen Stoffe in Kombination mit einer oder mehreren solcher pflanzlichen Zubereitungen enthalten428. Die Anthroposophie wurde von Rudolf Steiner entwickelt429 und geht davon aus, dass der Mensch in vier Teile, den physischen Leib, den Ätherleib, den Astralleib und die Ich-Organisation aufgeteilt ist430. Bei einer Diagnose sind daher Körper, Leben, Seele und Geist zu berücksichtigen431. Die Anthroposophie ist darauf ausgerichtet, für jeden Patienten ein individuelles Krankheitsbild zu erlangen und dementsprechend individuell zu behandeln, wobei ein besonderes Augenmerk auf die Behebung der Entstehungsfaktoren gelegt wird. Es werden nicht nur die Symptome behandelt, sondern der Auslöser für das Unwohlbefinden bekämpft432. Die Behandlung ein und 425 Die Vorschrift wurde mit dem 14. Gesetz zur Änderung des Arzneimittelgesetzes vom 29. 08. 2005 (BGBl. I, S. 2570) eingefügt und stellt eine Umsetzung der Richtlinie 2001/83/EG dar, die erstmals diese Definition enthielt; vgl. BT-Drs. 15/5316, S. 33; Böttger/Kirchner, in: Fuhrmann/Klein/Fleischfresser, Arzneimittelrecht, § 4 Rn. 35. 426 Fleischfresser, in: Fuhrmann/Klein/Fleischfresser, Arzneimittelrecht, § 4 Rn. 62 f.; Zuck, NJW 1991, S. 2934. 427 Hauck, in: Peters, Handbuch der Krankenversicherung, Band 2, § 34 SGB V Rn. 35; Zuck, NJW 1991, S. 2934. 428 § 4 Abs. 29 AMG. Eine Definition pflanzlicher Arzneimittel wurde durch die Richtlinie 2004/24/EG in die Richtlinie 2001/83/EG eingeführt. Zur Umsetzung der Richtlinie wurde eine Definition in das AMG im Rahmen des 14. Gesetzes zur Änderung des Arzneimittelgesetzes vom 29. 08. 2005 (BGBl. I, S. 2570) eingefügt; vgl. BT-Drs. 15/5316, S. 33; Fleischfresser, in: Fuhrmann/Klein/Fleischfresser, Arzneimittelrecht, § 4 Rn. 66; Krüger, in: Kügel/Müller/ Hofmann, Arzneimittelgesetz, § 4 Rn. 197 ff. 429 Böttger/Kirchner, in: Fuhrmann/Klein/Fleischfresser, Arzneimittelrecht, § 4 Rn. 50; Zuck, Das Recht der anthroposophischen Medizin, S. 31 f.; allgemein zur Anthroposophie vgl. die Vorträge von Rudolf Steiner in Steiner, Anthroposophie, S. 11 ff. 430 Böttger/Kirchner, in: Fuhrmann/Klein/Fleischfresser, Arzneimittelrecht, § 4 Rn. 51; Zuck, NJW 1991, S. 2934; vgl. dazu auch die einzelnen Erläuterungen bei Zuck, Das Recht der anthroposophischen Medizin, S. 34 ff. 431 Zuck, Das Recht der anthroposophischen Medizin, S. 33. 432 Vgl. Zuck, Das Recht der anthroposophischen Medizin, S. 33, 211.

I. Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel

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derselben Krankheit mit anthroposophischen Arzneimitteln kann für jeden Patienten unterschiedliche Präparate erfordern, da dies vom jeweiligen Patienten abhängt. Eine standardisierte Zuordnung von Medikamenten ist nicht möglich433. Die Anthroposophie ist der Homöopathie insofern ähnlich, als sie den Organismus als selbstregulierend ansieht und sich dieser Funktion bedient434. Nach § 4 Abs. 33 AMG435 ist ein anthroposophisches Arzneimittel ein solches, das nach der anthroposophischen Menschen- und Naturerkenntnis entwickelt wurde, nach einem im Europäischen Arzneibuch oder, in Ermangelung dessen, nach einem in den offiziell gebräuchlichen Pharmakopöen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union beschriebenen homöopathischen Zubereitungsverfahren oder nach einem besonderen anthroposophischen Zubereitungsverfahren hergestellt worden ist und das bestimmt ist, entsprechend den Grundsätzen der anthroposophischen Menschen- und Naturerkenntnis angewendet zu werden. b) Mögliche Beeinträchtigungen Die zugelassenen Arzneimittel der besonderen Therapierichtungen sind oftmals nebenwirkungsarm und insofern zumeist nicht verschreibungspflichtig436 oder sie wurden lediglich registriert und unterliegen infolgedessen auch nicht der Verschreibungspflicht437. Sie sind daher vom Ausschluss der OTC-Präparate aus dem Leistungskatalog häufig betroffen438. Daher ist durch den Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel an eine Einschränkung in das Recht auf Arzneimittelauswahl nach Art. 2 Abs. 1 GG zu denken, das die Auswahl unter Arzneimitteln, die den Versicherten als Sachleistung zur Verfügung stehen, umfasst. Durch den Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel der besonderen Therapierichtungen werden die Versicherten nicht gehindert, eine Behandlung mit alternativen Arzneimitteln zu wählen439, jedoch schränkt die fehlende Kostentragung durch die Krankenkassen die Wahl alternativer Arzneimittel ein oder lässt 433

BSGE 108, 183 (185); so auch Zuck, Das Recht der anthroposophischen Medizin, S. 216. Zuck, Das Recht der anthroposophischen Medizin, S. 32. 435 Die Vorschrift wurde durch das Gesetz zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften vom 17. 07. 2009 (BGBl. I, S. 1990) eingefügt; vgl. auch: Böttger/Kirchner, in: Fuhrmann/Klein/Fleischfresser, Arzneimittelrecht, § 4 Rn. 58. 436 Vgl. Axer, in: Becker/Sertel/Stassen-Rapp/Walburg, Neue Wege in der Medizin, S. 324; Nebendahl, in: Spickhoff, Medizinrecht, § 2 SGB V Rn. 4; Plagemann, in: Schlegel/Voelzke, juris Praxiskommentar, § 2 SGB V Rn. 44; Schwerdtfeger, PharmR 2004, S. 398. 437 Vgl. Pannenbecker, in: Kügel/Müller/Hofmann, Arzneimittelgesetz, § 38 AMG Rn. 11. 438 Vgl. BT-Drs. 16/4247, S. 35; Nebendahl, in: Spickhoff, Medizinrecht, § 2 SGB V Rn. 4; Plagemann, in: Schlegel/Voelzke, juris Praxiskommentar, § 2 SGB V Rn. 44; Schwerdtfeger, PharmR 2004, S. 397 f. Besonders für die Anthroposophie Zuck, Das Recht der anthroposophischen Medizin, S. 212. Für die Homöopathie Pannenbecker, in: Kügel/Müller/Hofmann, Arzneimittelgesetz, § 38 AMG Rn. 11. 439 So etwa SG Reutlingen Urt. v. 09. 02. 2006 – S 3 KR 977/05. 434

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C. Verfassungsmäßigkeit und Europarechtskonformität

diese Möglichkeit der Wahl für manche Versicherten gänzlich entfallen. Daher wird durch den Ausschluss der nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel in die Auswahl der Arzneimittel und damit in Art. 2 Abs. 1 GG eingegriffen. Zwar ergibt sich ein solcher Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit in Bezug auf alle OTCPräparate, unabhängig davon welcher Therapierichtung sie angehören, jedoch können sich aufgrund des großen Ausmaßes der ausgeschlossenen Arzneimittel der besonderen Therapierichtungen andere Wertungen hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit des Ausschlusses ergeben. Aufgrund des weitreichenden Ausschlusses von Arzneimitteln der besonderen Therapierichtungen, könnte sich überdies eine gleichheitsrechtliche Problematik gegenüber allopathischen Arzneimitteln ergeben. Allerdings behandelt die Ausschlussnorm in § 34 Abs. 1 S. 1 SGB V alle Therapierichtungen gleich, denn es werden sowohl nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel der Schulmedizin als auch der besonderen Therapierichtungen aus dem Leistungskatalog genommen440. Zudem gelten die Ausnahmevorschriften in § 34 Abs. 1 S. 2 und 5 SGB V für alle Therapierichtungen in gleichem Maße441. Dementsprechend liegt keine Ungleichbehandlung vor. Die Gleichbehandlung ist sogar insofern sachgerecht, als den besonderen Therapierichtungen durch die Einbeziehung in den Leistungskatalog keine Sonderstellung zukommen soll442. c) Rechtfertigung der Einschränkungen in der Arzneimittelauswahl Sofern Beschränkungen von Leistungen getroffen werden, müssen sich diese aufgrund des Eingriffs in Art. 2 Abs. 1 GG stets am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit messen lassen443. Dem Gesetzgeber kommt ein weiter Gestaltungsspielraum zu; er darf den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung begrenzen und dabei dürfen auch finanzielle Erwägungen eine Rolle spielen. Die gesetzlichen Krankenkassen sind nicht gehalten alles zu leisten, was an Mitteln zur Erhaltung oder Wiederherstellung der Gesundheit verfügbar ist. Der Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel ist grundsätzlich verhältnismäßig444. Allerdings hat 440

Vgl. SG Reutlingen Urt. v. 09. 02. 2006 – S 3 KR 977/05 Rn. 34. So SG Reutlingen Urt. v. 09. 02. 2006 – S 3 KR 977/05 Rn. 34. 442 Zur fehlenden Sonderstellung vgl. BT-Drs. 11/3480, S. 49; so auch: Axer, in: Becker/ Sertel/Stassen-Rapp/Walburg, Neue Wege in der Medizin, S. 323 f.; ders., in: Eichenhofer/ Wenner, SGB V, § 2 SGB V Rn. 12; Peters, in: Körner/Leitherer/Mutschler, Kasseler Kommentar, § 2 SGB V Rn. 5; Roters, in: Körner/Leitherer/Mutschler, Kasseler Kommentar, § 12 SGB V Rn. 52 f. 443 BVerfGE 97, 271 (286); Axer, in: Becker/Sertel/Stassen-Rapp/Walburg, Neue Wege in der Medizin, S. 331; Kemmler, NZS 2014, S. 525; Schwerdtfeger, PharmR 2004, S. 398; Wigge, MedR 1996, S. 58, der zumindest alle Leistungseinschränkungen an Art. 2 Abs. 1 GG messen lassen will. 444 Vgl. Abschnitt C. I. 1. b) cc). 441

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der Gesetzgeber mit der Regelung in § 2 Abs. 1 S. 2 SGB V ausdrücklich bestimmt, dass die besonderen Therapierichtungen nicht vom Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen sind. Sie auf anderem Wege, nämlich durch den Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel, wieder auszunehmen, würde dem nicht nur widersprechen, sondern könnte auch dann zu einem unverhältnismäßigen Eingriff führen, wenn dadurch die besonderen Therapierichtungen umfassend oder in weitem Umfang von der Leistungspflicht der Krankenkassen ausgenommen werden würden445. Zwar wird durch den Ausschluss nur die Behandlung mit Arzneimitteln, nicht jedoch die ärztliche Behandlung, ausgeschlossen, jedoch umfasst der Ausschluss einen Großteil der auf dem Markt bestehenden Arzneimittel der besonderen Therapierichtungen. Für die Frage der Verhältnismäßigkeit ist aber zu beachten, dass die OTC-Arzneimittel der besonderen Therapierichtungen nicht ausnahmslos von der Verordnung in der gesetzlichen Krankenkasse ausgenommen sind. Auch für sie gilt die Ausnahmeregelung, dass nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel, die als Therapiestandard für schwerwiegende Erkrankung gelten, verordnet werden können446. Der Gesetzgeber hat diesbezüglich angeordnet, dass bei der Erstellung und Aktualisierung der OTC-Liste durch den Gemeinsamen Bundesausschuss die besonderen Therapierichtungen zu beachten sind; anders gewendet der therapeutischen Vielfalt Rechnung zu tragen ist447. Darüber hinaus hat der Gemeinsame Bundesausschuss in § 12 Abs. 6 AM-RL eine weitere Regelung zur ausnahmsweisen Verordnung von Arzneimitteln der Anthroposophie und der Homöopathie getroffen. aa) Die Aufnahme von Arzneimitteln der besonderen Therapierichtungen auf die OTC-Liste In der OTC-Liste sind Arzneimittel der besonderen Therapierichtungen zu finden, wie etwa Mistel-Präparate, und damit Substanzen, die Grundsubstanzen homöopathischer und anthroposophischer Arzneimittel sind448. Voraussetzung, um auf die Liste zu gelangen, ist grundsätzlich das Vorliegen einer schwerwiegenden Erkrankung sowie der Nachweis, dass es sich bei dem Arzneimittel um das Standardtherapeutikum zur Behandlung dieser Erkrankung handelt. Für die Aufnahme auf die OTC-Liste werden an die Arzneimittel der besonderen Therapierichtungen keine anderen Anforderungen gestellt als an Arzneimittel der 445

Vgl. zu letzterem Aspekt auch Axer, in: Becker/Sertel/Stassen-Rapp/Walburg, Neue Wege in der Medizin, S. 331. 446 Dies zeigt schon § 34 Abs. 1 S. 3 SGB V; zur Anwendbarkeit vgl. auch: BVerfG, GesR 2004, 543 (544); BSGE 117, 129 (136 ff.). 447 § 34 Abs. 1 S. 3 SGB V; vgl. auch: Beck, in: Schlegel/Voelzke, juris Praxiskommentar, § 34 SGB V Rn. 15; Bischofs, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, Beck’scher Onlinekommentar Sozialrecht, § 34 SGB V Rn. 7; Gerlach, in: Hauck/Noftz, Sozialgesetzbuch – SGB V, § 34 SGB V Rn. 17. 448 BSGE 117, 129 (142 f.); BSG Urt. v. 22. 10. 2014 – B 6 KA 35/13 R Rn. 54.

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Schulmedizin. Dies ist in Bezug auf das Vorliegen einer schwerwiegenden Erkrankung nicht weiter problematisch, da dies unabhängig von der anzuwendenden Therapierichtung beantwortet werden kann. Allerdings müssen weiter die Voraussetzungen des Therapiestandards, wie er in der Arzneimittel-Richtlinie definiert ist, vorliegen449. Damit die Arzneimittel als Therapiestandard gelten können, ist ebenso wie für allopathische Arzneimittel, ein durch wissenschaftliche Studien hinreichend untermauerter Konsens in den einschlägigen Fachkreisen über den Nutzen des OTCPräparats zur Behandlung einer schwerwiegenden Erkrankung erforderlich. Darüber hinaus muss dieser Konsens auf Basis systematischer Literaturrecherchen nachgewiesen werden450. Allein die gängige Therapiemöglichkeit mit dem Arzneimittel ist nicht ausreichend451. Ebenso ist allein die arzneimittelrechtliche Zulassung des Arzneimittels nicht ausreichend. Der Gesetzgeber hat mit dem Erfordernis des Therapiestandards eine gegenüber der Zulassung eigenständige, weitere Voraussetzung vorgeschrieben. Denn ansonsten hätte er sich damit begnügen können, die Ausnahme lediglich auf Arzneimittel für schwerwiegende Erkrankungen zu beschränken452. Eine Abweichung von der gesetzlichen Voraussetzungen des Therapiestandards erfolgt auch nicht dadurch, dass hinsichtlich der Bewertung von Qualität und Wirksamkeit der Medikation nach dem sog. Maßstab der Binnenanerkennung der Erkenntnisstand der jeweiligen Therapierichtung zugrunde zu legen ist453. Denn hieraus erfolgt keine reine Plausibilitäts- oder Vertretbarkeitskontrolle; es müssen wie bei der Bewertung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden zumindest wissenschaftliche Erkenntnisse vorliegen454. Der Maßstab der Binnenanerkennung

449

BSGE 117, 129 (143 f.); BSG Urt. v. 22. 10. 2014 – B 6 KA 35/13 R Rn. 55. Auf dieser Linie auch schon BSGE 110, 20 (30 f.), in dem das BSG bestimmt, dass sich aus der Zugehörigkeit zu einer besonderen Therapierichtung kein Anspruch auf Freistellung von allgemeingültigen gesetzlichen Anforderungen ergebe; besondere Therapierichtungen müssen von allgemein geltenden Verordnungseinschränkungen oder -ausschlüssen nicht freigestellt werden; dem zustimmend Flint, SGb 2012, S. 609. 450 Kap. 4 §§ 6 ff. VerfO G-BA; BSGE 117, 129 (146); zum Begriff des therapeutischen Nutzens, vgl. Abschnitt B. III. 5. b) aa) (1). 451 BSGE 117, 129 (146); BSG Urt. v. 22. 10. 2014 – B 6 KA 35/13 R Rn. 62. 452 So zutreffend BSG Urt. v. 15. 12. 2015 – B 1 KR 30/15 R Rn. 34 f. Vgl. zu den Anforderungen an den Therapiestandard Abschnitt B. III. 5. b). 453 Zum Maßstab der sog. Binnenanerkennung: BSGE 108, 183 (192); 110, 20 (29 f.); LSG NRW Urt. v. 11. 11. 2009 – L 11 KA 101/06 Rn. 71; Axer, in: Eichenhofer/Wenner, SGB V, § 2 SGB V Rn. 14; Noftz, in: Hauck/Noftz, Sozialgesetzbuch – SGB V, § 2 SGB V Rn. 52; Plagemann, in: Schlegel/Voelzke, juris Praxiskommentar, § 2 SGB V Rn. 45; Roters, in: Körner/ Leitherer/Mutschler, Kasseler Kommentar, § 12 SGB V Rn. 52. 454 LSG NRW Urt. v. 11. 11. 2009 – L 11 KA 101/06 Rn. 71; LSG Hessen Urt. v. 24. 11. 2011 – L 8 KR 93/10 Rn. 51; Ihle, in: Schlegel/Voelzke, juris Praxiskommentar, § 135 SGB V Rn. 28; Noftz, in: Hauck/Noftz, Sozialgesetzbuch – SGB V, § 2 SGB V Rn. 52; Plagemann, in: Schlegel/Voelzke, juris Praxiskommentar, § 2 SGB V Rn. 45. Für eine reine Plausibilitätskontrolle Zuck, NJW 1991, S. 2936.

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befreit nicht davon, die gesetzlichen Voraussetzungen einzuhalten455 ; mithin kann er nicht davon entbinden, den Nachweis des Nutzens anhand wissenschaftlichem Erkennnismaterial zu führen456. Erforderlich für das Vorliegen eines Therapiestandards sind daher, unabhängig von der Therapierichtung, Studien zum Nachweis des Nutzens, wobei klinische Studien vorrangig zu berücksichtigen sind. Es bedarf zuverlässiger wissenschaftlich nachprüfbarer Aussagen, als Beleg für den Erfolg der Behandlungsmethode in einer ausreichenden Anzahl an Behandlungsfällen457. bb) Die Regelung des § 12 Abs. 6 AM-RL Die Regelung in § 12 Abs. 6 AM-RL stellt einen Ausnahmetatbestand für die Verordnung von nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln der besonderen Therapierichtungen dar. Sie definiert keine besonderen Voraussetzungen für homöopathische oder anthroposophische Arzneimittel zur Aufnahme auf die OTCListe, sondern legt dar, unter welchen Voraussetzungen diese Arzneimittel durch den Vertragsarzt verordnet werden können458. Sie besagt, dass Arzneimittel der Homöopathie und der Anthroposophie vom Vertragsarzt verordnet werden können, wenn die Indikationsgebiete und die Anwendungsvoraussetzungen, die in der OTCListe aufgelistet sind, vorliegen, es sich um eine schwerwiegende Erkrankung handelt und das Arzneimittel nach dem Erkenntnisstand als Therapiestandard in der jeweiligen Therapierichtung angezeigt ist459. Voraussetzung für eine Anwendung dieser Regelung ist zunächst, dass es sich um ein anthroposophisches oder ein homöopathisches Arzneimittel handelt; phytotherapeutische Arzneimittel sind hingegen nicht davon umfasst. Bei der Homöopathie und der Anthroposophie steht anders als bei der Phytotherapie, die sich insofern mehr der Schulmedizin angepasst hat, keine diagnosebezogene Behandlung, sondern eine patientenindividuelle Behandlung im Vordergrund460, sodass der Gemeinsame Bundesausschuss, um diesen Therapierichtungen gerecht zu werden, eine spezielle Regelung getroffen hat461. Bei den beiden genannten besonderen Therapierichtungen 455

BSGE 117, 129 (143 f.); BSG, Urt. v. 22. 10. 2014 – B 6 KA 35/13 R Rn. 55; vgl. auch BSGE 110, 20 (30 f.). 456 Vgl. BSGE 117, 129 (144 f.). 457 So ausdrücklich BSGE 117, 129 (144 f.); BSG Urt. v. 22. 10. 2014 – B 6 KA 35/13 R Rn. 57. Zu den Voraussetzungen des Therapiestandards vgl. Abschnitt B. III. 5. b). 458 BSGE 117, 129 (142); BSG Urt. v. 22. 10. 2014 – B 6 KA 35/13 R Rn. 54. 459 Vgl. auch: Beck, in: Schlegel/Voelzke, juris Praxiskommentar, § 34 SGB V Rn. 15; Wigge/Wille, in: Schnapp/Wigge, HVAR, § 19 Rn. 7. 460 Vgl. zur patientenindividuellen Behandlung in der Anthroposophie: BSGE 108, 183 (184 f.); Zuck, Das Recht der anthroposophischen Medizin, S. 216. Zur patientenindividuellen Behandlung in der Homöopathie Böttger/Kirchner, in: Fuhrmann/Klein/Fleischfresser, Arzneimittelrecht, § 4 Rn. 39. 461 BSGE 108, 183 (184 f.); vgl. auch Hess, in: Körner/Leitherer/Mutschler, Kasseler Kommentar, § 34 SGB V Rn. 6. Zur Anpassung der Phytotherapie an die Schulmedizin vgl. Fleischfresser, in: Fuhrmann/Klein/Fleischfresser, Arzneimittelrecht, § 4 Rn. 62.

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ist aufgrund ihrer Wirkungsweise die Erbringung eines Wirksamkeitsnachweises, wie er bei der Schulmedizin gefordert wird, oftmals nicht möglich462. § 12 Abs. 6 AM-RL setzt für eine ärztliche Verordnung weiter voraus, dass es sich um ein Indikationsgebiet handelt, das in der OTC-Liste in Anlage I der ArzneimittelRichtlinie aufgeführt ist. Durch dieses Erfordernis wird der Bezug zur OTC-Liste hergestellt und dabei sichergestellt, dass die Arzneimittel der besonderen Therapierichtung nicht gegenüber den allopathischen463 Arzneimitteln bevorzugt werden, indem ihr Anwendungsgebiet unabhängig von den in der OTC-Liste genannten Anwendungsgebieten bestimmt wird. Vorausgesetzt wird allerdings nicht nur das Vorliegen eines in der Liste genannten Indikationsgebietes, sondern darüber hinaus das Vorliegen der dort geregelten Anwendungsvoraussetzungen. Die genannten Anwendungsvoraussetzungen schränken den Anwendungsbereich des Wirkstoffs nochmal ein: So können bspw. nach Nr. 32 der OTC-Übersicht Mistel-Präparate nur in der palliativen Therapie von malignen Tumoren Anwendung finden, nicht aber, was in der Anthroposophie auch möglich wäre, bei der kurativ-adjuvanten Therapie464. cc) Ausreichende Berücksichtigung der therapeutischen Vielfalt? Es stellt sich allerdings die Frage, ob die Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses eine ausreichende Berücksichtigung der therapeutischen Vielfalt, wie sie § 34 Abs. 1 S. 3 SGB V vorschreibt, erlauben. Nach dem Gesetzeswortlaut muss der therapeutischen Vielfalt im Rahmen der in den Richtlinien geregelten Ausnahmen Rechnung getragen werden. „Rechnung tragen“ bedeutet, etwas in 462 Vgl. Beck, in: Schlegel/Voelzke, juris Praxiskommentar, § 34 SGB V Rn. 15; Kloesel/ Cyran, in: Kloesel/Cyran, Arzneimittelrecht, § 38 AMG Rn. 1; Orlowski, in: ders./Rau/Wasem/ Zipperer, Gesamtausgabe GKV-Kommentar SGB V, § 34 SGB V Rn. 33; Schmidt-De Caluwe, in: Becker/Kingreen, SGB V, § 135 SGB V Rn. 14; nach Schmidt, in: Peters, Handbuch der Krankenversicherung, Band 1, § 27 SGB V Rn. 310, würden die besonderen Therapierichtungen in wesentlichen Teilen ausgeschlossen werden, würde man von ihnen dieselben Standards wie in der Schulmedizin verlangen; ausdrücklich für die Homöopathie: Böttger/Kirchner, in: Fuhrmann/Klein/Fleischfresser, Arzneimittelrecht, § 4 Rn. 39; Zuck, Homöopathie und Verfassungsrecht, Rn. 41, 44. Dementsprechend ist auch bei § 34 Abs. 3 SGB V der Wirkungsweise der besonderen Therapierichtungen Rechnung zu tragen, vgl. zu diesem Ausschluss Abschnitt D. III. 463 Der Begriff der Allopathie wurde von Samuel Hahnemann geprägt und diente zur Abgrenzung der Homöopathie von anderen, der Homöopathie gegensätzlichen Behandlungsmethoden, wird aber heute als Begriff für wissenschaftlich begründete Medizin verwendet, vgl. Fleischfresser, in: Fuhrmann/Klein/Fleischfresser, Arzneimittelrecht, § 4 Rn. 4 ff. 464 Vgl. zur Diskussion im Zusammenhang mit dieser Begrenzung: BSGE 108, 183 ff.; BSG Urt. v. 15. 12. 2015 – B 1 KR 30/15 R Rn. 18 ff., Zuck, Das Recht der anthroposophischen Medizin, S. 213 ff.; Die tragenden Gründe zum Beschluss des Gemeinsamen Bundesauschusses über die Änderung der Arzneimittel-Richtlinie (AM-RL): Verordnungsvoraussetzungen für Arzneimittel der besonderen Therapierichtungen, S. 3 ff., Stand: 19. 04. 2012, abrufbar unter: https://www.g-ba.de/informationen/richtlinien/3/.

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seinem Verhalten, Handeln, Vorgehen gebührend zu berücksichtigen465, sodass die besonderen Eigenheiten der Therapierichtungen im Rahmen der Ausnahmevorschrift zu berücksichtigen sind466. Dementsprechend können die Arzneimittel der besonderen Therapierichtungen auch in die OTC-Liste aufgenommen werden oder durch die besondere Regelung in § 12 Abs. 6 AM-RL verordnet werden. Allerdings wird bei der Aufnahme in die OTC-Liste von den besonderen Therapierichtungen verlangt, dass sie ebenso die Voraussetzungen erfüllen, die in der ArzneimittelRichtlinie normiert sind. Des Weiteren besteht bei der Regelung in § 12 Abs. 6 AMRL eine Bindung an die in der OTC-Liste genannten Anwendungsvoraussetzungen und damit an schulmedizinische Voraussetzungen467. Von einer Berücksichtigung könnte somit dann keine Rede mehr sein, wenn die Richtlinienregelungen in ihrer Anwendung so eng sind, dass sie dazu führen, dass homöopathische und anthroposophische Arzneimittel letztlich nicht oder kaum verordnet werden können und keine Gründe für diese enge Anwendung bestehen. Die Gleichsetzung der Anspruchsvoraussetzung für Arzneimittel der besonderen Therapierichtungen, die auf die OTC-Liste gelangen wollen, mit allopathischen Arzneimitteln ist allerdings, wie auch die Rechtsprechung festgestellt hat468, sachgerecht. So besagt § 34 Abs. 1 S. 3 SGB V nur, dass bei der Festlegung, welche nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel, die bei der Behandlung schwerwiegender Erkrankungen als Therapiestandard gelten und zur Anwendung bei diesen Erkrankungen mit Begründung vom Vertragsarzt ausnahmsweise verordnet werden können, der therapeutischen Vielfalt Rechnung zu tragen ist. Durch die vorangestellten Voraussetzungen und der Auswahl des Adverbs „dabei“ wird deutlich, dass dem Satz 2 eine gewisse Vorrangstellung gegenüber dem Satz 3 zukommt; nur im Rahmen des Satzes 2 ist die therapeutische Vielfalt zu berücksichtigen469. Rechnung tragen meint demgemäß, dass „die Eigenheiten besonderer Therapierichtungen – soweit dies im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften möglich ist – zu berücksich-

465 Vgl. dazu auch die Erklärung des Wortes „Rechnung tragen“ bei Duden, Die deutsche Rechtschreibung, 26. Auflage 2013. 466 BSGE 108, 183 (192); 110, 20 (29); so auch Axer, in: Becker/Kingreen, SGB V, § 34 SGB V Rn. 9. 467 Vgl. das Beanstandungsschreiben des BMG im Hinblick auf den Beschluss des G-BA zur Einschränkung der Vorschrift des 16.5 AMRL (heute: § 12 Abs. 6 AM-RL) auf die in der OTC-Liste genannten Anwendungsgebiete, abgedruckt in: Tragende Gründe zum Beschluss des Gemeinsamen Bundesauschusses über die Änderung der Arzneimittel-Richtlinie (AMRL): Verordnungsvoraussetzungen für Arzneimittel der besonderen Therapierichtungen, S. 4, Stand: 19. 04. 2012, abrufbar unter: https://www.g-ba.de/informationen/richtlinien/3/. 468 BSGE 108, 183 (192 f.); 110, 20 (29 f.); 117, 129 (143 f.); BSG Urt. v. 22. 10. 2014 – B 6 KA 35/13 R Rn. 55; BSG Urt. v. 15. 12. 2015 – B 1 KR 30/15 R Rn. 36 ff. 469 BSGE 108, 183 (192); 110, 20 (29); 117, 129 (143); BSG, Urt. v. 22. 10. 2014 – B 6 KA 35/13 R Rn. 55; BSG Urt. v. 15. 12. 2015 – B 1 KR 30/15 R Rn. 36; vgl. auch Wagner, in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung Pflegeversicherung, § 34 SGB V Rn. 5; krit. Zuck, Das Recht der anthroposophischen Medizin, S. 215 f.

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tigen sind“470. Bei dem Erfordernis des Therapiestandards handelt es sich nämlich, wie sich etwa auch aus dem Wortlaut des § 34 Abs. 1 S. 2 SGB Vergibt, der nicht von einem Standard nach Maßgabe der jeweiligen Therapierichtungen spricht, um eine für alle nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel gleich geltende Hürde unter Achtung des Qualitätsgebots aus § 2 Abs. 1 S. 3 SGB V und des Wirtschaftlichkeitsgebots471. Dementsprechend ist für das Vorliegen von Therapiestandard auch nicht die bloße Binnenansicht einer Therapierichtung heranzuziehen472. Dies ergibt sich ebenso aus der Gesetzesbegründung473, die von der Aufnahme unverzichtbarer Standardwirkstoffe spricht, nicht aber von einer Bevorzugung der besonderen Therapierichtungen474. Auch aus § 2 Abs. 1 S. 2 SGB V ergibt sich keine Sonderstellung für die Homöopathie, die Anthroposophie oder die Phytotherapie475. Gefordert wird vom Gesetzgeber unmittelbar im Anschluss zur Einbeziehung der besonderen Therapierichtungen, dass Qualität und Wirksamkeit der Leistungen dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen haben476. Dementsprechend gelten für die besonderen Therapierichtungen ebenso die allgemeinen Voraussetzungen, die für die Schulmedizin bestehen477. Die Vorschrift des § 2 Abs. 1 S. 2 SGB V wurde lediglich eingefügt, um klarzustellen, dass durch die Anknüpfung an den allgemeinen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse, ein der Schulmedizin zugrundeliegendes Merkmal, kein genereller Ausschluss von Leistungen anderer Therapierichtungen erfolgen soll478. Dementsprechend verfolgt die Vorschrift des § 34 Abs. 1 S. 3 SGB V lediglich das Ziel, den besonderen Therapierichtungen nicht von vornherein den Zugang zur OTC-Liste zu versagen479. Gleichzeitig wird dadurch aber auch die Möglichkeit 470 BSGE 108, 183 (192); 110, 20 (29); 117, 129 (143); BSG, Urt. v. 22. 10. 2014 – B 6 KA 35/13 R Rn. 55. 471 BSG Urt. v. 15. 12. 2015 – B 1 KR 30/15 R Rn. 36. 472 Vgl. BSG Urt. v. 15. 12. 2015 – B 1 KR 30/15 R Rn. 36. 473 BT-Drs. 15/1525, S. 86. 474 BSG Urt. v. 15. 12. 2015 – B 1 KR 30/15 R Rn. 37. 475 BT-Drs. 11/3480, S. 49; so auch: Axer, in: Becker/Sertel/Stassen-Rapp/Walburg, Neue Wege in der Medizin, S. 323 f.; ders., in: Eichenhofer/Wenner, SGB V, § 2 SGB V Rn. 12; Peters, in: Körner/Leitherer/Mutschler, Kasseler Kommentar, § 2 SGB V Rn. 5; Roters, in: Körner/Leitherer/Mutschler, Kasseler Kommentar, § 12 SGB V Rn. 52 f. 476 § 2 Abs. 1 S. 3 SGB V. 477 Vgl. BSGE 81, 54 (72); BSG Urt. v. 15. 12. 2015 – B 1 KR 30/15 R Rn. 40; Axer, in: Becker/Sertel/Stassen-Rapp/Walburg, Neue Wege in der Medizin, S. 323; Nebendahl, in: Spickhoff, Medizinrecht, § 2 SGB V Rn. 3; Noftz, in: Hauck/Noftz, Sozialgesetzbuch – SGB V, § 2 SGB V Rn. 52. 478 Vgl. BT-Drs. 11/3480, S. 49; siehe auch: BSG Urt. v. 15. 12. 2015 – B 1 KR 30/15 R Rn. 40; Nebendahl, in: Spickhoff, Medizinrecht, § 2 SGB V Rn. 3; Peters, in: Körner/Leitherer/Mutschler, Kasseler Kommentar, § 2 SGB V Rn. 5. 479 BSGE 117, 129 (143); BSG Urt. v. 22. 10. 2014 – B 6 KA 35/13 R Rn. 55.

I. Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel

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gesichert, Versicherte in den geregelten Ausnahmefällen mit nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln der besonderen Therapierichtungen zu versorgen, sodass kein genereller Ausschluss der Arzneimittel der besonderen Therapierichtungen erfolgt480. Des Weiteren gebietet der Ausnahmecharakter der Vorschrift des § 34 Abs. 1 S. 2 SGB V einheitliche Maßstäbe sowohl für Arzneimittel der Schulmedizin als auch für Arzneimittel der besonderen Therapierichtungen anzuwenden481. Bei schwerwiegenden Erkrankungen ist das Gefährdungspotential erhöht, sodass deshalb allgemein hohe Anforderungen an Qualität und Wirksamkeit zu stellen sind. Hiervon Abweichungen für Arzneimittel der besonderen Therapierichtungen zuzulassen, würde dem engen Ausnahmetatbestand nicht mehr gerecht werden. Deshalb sind ebenso wie für Arzneimittel der Schulmedizin zum Nachweis von Qualität und Wirksamkeit zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen erforderlich482. Das Beispiel der Mistel-Präparate zeigt darüber hinaus, dass es den Arzneimitteln der besonderen Therapierichtungen auch möglich ist auf die OTCÜbersicht zu gelangen. Allein aus dem Umstand, dass es sich um ein anthroposophisches oder homöopathisches Arzneimittel handelt, folgt nicht, dass die geforderten Nachweise nicht erbracht werden können. Auch dort kann wissenschaftliches Erkenntnismaterial zum Nachweis des Nutzens vorgelegt werden483. Die Begrenzung der Vorschrift in § 12 Abs. 6 AM-RL auf Indikationsgebiete und Anwendungsvoraussetzungen der Schulmedizin entspricht dem oben dargelegten Verständnis von der Berücksichtigung der besonderen Therapierichtungen. Obschon die Regelung die Anwendung alternativer Arzneimittel einschränkt, besteht dennoch die Möglichkeit zur Verordnung von Arzneimitteln der besonderen Therapierichtungen. Die Beschränkung des § 12 Abs. 6 AM-RL stellt lediglich sicher, dass die Ausnahmefunktion der OTC-Liste erhalten bleibt. Das Bundessozialgericht hat zu Recht entschieden, dass die in der OTC-Liste genannten Anwendungsbegrenzungen für die Homöopathie und die Anthroposophie gelten, selbst wenn es solche Einschränkungen nach dem Verständnis dieser Therapierichtungen nicht gibt; bei einer anderen Sichtweise würde man den alternativen Behandlungsmethoden eine Begünstigung einräumen, die so nicht im Gesetz anlegt ist484. Festzuhalten ist daher, dass der Gemeinsame Bundesausschuss der Aufgabe der therapeutischen Vielfalt Rechnung zu tragen, nachgekommen ist. Die Arzneimittel der besonderen Therapierichtungen sind trotz der geforderten hohen Voraussetzungen nicht gehindert auf die OTC-Übersicht zu gelangen. Des Weiteren besteht mit § 12 Abs. 6 AM-RL eine zusätzliche Verordnungsmöglichkeit für Arzneimittel der 480

Vgl. hierzu BSG Urt. v. 15. 12. 2015 – B 1 KR 30/15 R Rn. 39. BSGE 117, 129 (144); vgl. auch BSG Urt. v. 15. 12. 2015 – B 1 KR 30/15 R Rn. 38. 482 BSGE 117, 129 (144 f.); BSG Urt. v. 22. 10. 2014 – B 6 KA 35/13 R Rn. 57. 483 BSGE 117, 129 (145); BSG Urt. v. 22. 10. 2014 – B 6 KA 35/13 R Rn. 58. 484 Vgl. BSGE 108, 183 (192 ff.); so auch Roters, in: Körner/Leitherer/Mutschler, Kasseler Kommentar, § 135 SGB V Rn. 15; a.A. Pannenbecker, in: Kügel/Müller/Hofmann, Arzneimittelgesetz, § 38 AMG Rn. 11; Zuck, Das Recht der anthroposophischen Medizin, S. 215 f. 481

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C. Verfassungsmäßigkeit und Europarechtskonformität

besonderen Therapierichtungen. Damit liegt eine ausreichende Berücksichtigung der besonderen Therapierichtungen vor; sowohl hinsichtlich der Aufnahme dieser Arzneimittel auf die OTC-Liste sowie deren Verordnung zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung über die Ausnahmevorschrift des § 12 Abs. 6 AM-RL. dd) Besondere Therapierichtungen als Gegenstand weiterer Leistungsregelungen Über die Ausnahmeregelung in § 34 Abs. 1 S. 2 und 3 SGB V sowie § 12 Abs. 6 AM-RL hinaus gibt es noch andere Möglichkeiten für Versicherte ein Arzneimittel der besonderen Therapierichtungen zu Lasten der Krankenkassen verordnet zu bekommen. Dazu zählen Satzungsleistungen. Die Krankenkassen haben die Option, Arzneimittel der besonderen Therapierichtungen als Satzungsleistung gem. § 11 Abs. 6 SGB V zu gewähren485. Es steht im Ermessen der Krankenkassen, in ihren Satzungen zu bestimmen, ob sie für Arzneimittel der besonderen Therapierichtungen aufkommen oder nicht, und insbesondere in welchem Umfang von dieser Satzungsleistung Gebrauch gemacht werden kann. Allerdings sind die Satzungsleistungen sehr unterschiedlich ausgestaltet. Teilweise sind sie auf die Homöopathie beschränkt, Unterschiede ergeben sich aber vor allem beim Höchstbetrag, der für das gesamte Jahr festgesetzt wird sowie bei den Zuzahlungen, die der Versicherte zu leisten hat. Die Höchstbeträge schwanken zwischen 30 Euro bis 400 Euro pro Jahr, die Zuzahlungen liegen, sofern welche zu zahlen sind, zumeist bei ca. 15 - 20 %486. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit der Krankenkassen, die Kosten für Arzneimittel der besonderen Therapierichtungen über Wahltarife zu übernehmen487. Die Krankenkassen können die Übernahme der Kosten für nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel der besonderen Therapierichtungen regeln und hierfür spezielle Prämienzahlungen festsetzen488. Die Satzung kann regeln, ob die Kosten ganz 485 Auf diese Möglichkeit verweist auch das Iscador Urteil des BSG, Urt. v. 15. 12. 2015 – B 1 KR 30/15 R Rn. 39. Vgl. zu den Satzungsleistungen hinsichtlich nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel, Abschnitt B. V. 486 Vgl. die Übersicht des Deutschen Hausärzteverbands zu Satzungsleistung der Krankenkassen, Stand: 01. 01. 2015, abrufbar unter: http://www.hausaerzteverband.de/cms/AktuelleInformationen-im-Detail.529.0.html?&no_cache=1&tx_ttnews[tt_news]=876&tx_ttnews [backPid]=530. 487 So Nebendahl, in: Spickhoff, Medizinrecht, § 2 SGB V Rn. 4; vgl. auch: Noftz, in: Hauck/Noftz, Sozialgesetzbuch – SGB V, § 2 SGB V Rn. 52a; Plagemann, in: Schlegel/ Voelzke, juris Praxiskommentar, § 2 SGB V Rn. 44. 488 § 53 Abs. 5 SGB V; vgl. auch: Axer, in: Becker/Sertel/Stassen-Rapp/Walburg, Neue Wege in der Medizin, S. 325; Heberlein, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, Beck’scher Onlinekommentar Sozialrecht, § 53 SGB V Rn. 6; Joussen, in: Knickrehm/Kreikebohm/ Waltermann, Kommentar zum Sozialrecht, § 53 SGB V Rn. 6; Krauskopf, in: ders., Soziale Krankenversicherung Pflegeversicherung, § 53 SGB V Rn. 18; Lang, in: Becker/Kingreen, SGB V, § 53 SGB V Rn. 21; Nolte, in: Körner/Leitherer/Mutschler, Kasseler Kommentar, § 53 SGB V Rn. 34.

I. Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel

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oder teilweise übernommen werden489. Wählt ein Versicherter diesen Tarif, so ist er daran für ein Jahr gebunden490. Von dieser Möglichkeit haben einige Krankenkassen Gebrauch gemacht. Diese Alternative ist aber insofern nicht gleichwertig zu der Verordnung im Rahmen der Ausnahmevorschrift des § 34 Abs. 1 S. 2 SGB V oder den Satzungsleistungen, als für die Inanspruchnahme dieses Tarifs eine zusätzlich Prämienzahlung seitens des Versicherten erbracht werden muss. Als dritte Alternative besteht bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 2 Abs. 1a SGB V die Möglichkeit, Arzneimittel der besonderen Therapierichtungen zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung zu erlangen. Dies setzt eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung oder eine wertungsgemäß vergleichbare Erkrankung voraus, es darf keine allgemein anerkannte Behandlungsmethode geben und die in Aussicht genommene Behandlung muss erfolgsversprechend sein491. Mit der Voraussetzung des Fehlens einer allgemein anerkannten Behandlungsmethode ist das Fehlen schulmedizinischer Behandlungsmethoden gemeint492. Sofern eine solche Behandlungsmethode nicht vorliegt, können Behandlungen auf der Grundlage besonderer Therapierichtungen erfolgen. Somit sind die besonderen Therapierichtungen nicht von einem Anspruch auf Leistung nach den in § 2 Abs. 1a SGB V kodifizierten Grundsätzen des Nikolausbeschlusses ausgeschlossen. Darüber hinaus bedarf es aber auch bei besonderen Therapierichtungen ernsthafter Hinweise hinsichtlich der Wirksamkeit, mithin eine positive Beeinflussung des Krankheitsverlaufs493. Durch die strengen Voraussetzungen, die der Nikolausbeschluss für einen grundgesetzlichen Leistungsanspruch vorsieht, wird dessen Anwendung im Bereich der alternativen Therapierichtung eher selten der Fall sein494.

489

Krauskopf, in: ders., Soziale Krankenversicherung Pflegeversicherung, § 53 SGB V Rn. 18; Lang, in: Becker/Kingreen, SGB V, § 53 SGB V Rn. 21. 490 § 53 Abs. 8 S. 1 Var. 1 SGB V; siehe auch: Dreher, in: Schlegel/Voelzke, juris Praxiskommentar, § 53 SGB V Rn. 115; Hohnholz, in: Hauck/Noftz, Sozialgesetzbuch – SGB V, § 53 SGB V Rn. 34; Krauskopf, in: ders., Soziale Krankenversicherung Pflegeversicherung, § 53 SGB V Rn. 18. 491 Zu den einzelnen Voraussetzungen und ihrer Auslegung vgl. Abschnitt B. VI. 492 BVerfGE 115, 25 (49); BVerfG KrV 2015, 236 (238); LSG Hessen NZS 2013, 785 (787); Axer, in: Becker/Sertel/Stassen-Rapp/Walburg, Neue Wege in der Medizin, S. 332; Nimis, KrV 2013, S. 236; Padé, NZS 2007, S. 355 f. 493 Vgl. Axer, in: Becker/Sertel/Stassen-Rapp/Walburg, Neue Wege in der Medizin, S. 332 f. Zu diesem Kriterium, vgl.: BVerfGE 115, 25 (49); BSGE 96, 170 (181); Padé, NZS 2007, S. 356; Bohmeier/Penner, WzS 2009, S. 71 ff.; Nimis, KrV 2013, S. 237 ff. 494 Vgl. Axer, in: Becker/Sertel/Stassen-Rapp/Walburg, Neue Wege in der Medizin, S. 333 f. Vgl. hierzu auch die Iscador-Entscheidung des BSG, in der das BSG einen Anspruch aus § 2 Abs. 1a SGB V ablehnte, BSG Urt. v. 15. 12. 2015 – B 1 KR 30/15 R Rn. 57 ff.

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C. Verfassungsmäßigkeit und Europarechtskonformität

ee) Zwischenergebnis Die besonderen Therapierichtungen sind zwar Teil des Leistungskatalogs der gesetzlichen Krankenversicherung, allerdings haben sie insgesamt betrachtet eher eine Außenseiterposition inne495. Grund hierfür ist unter anderem, dass das Leistungsrecht der gesetzlichen Krankenversicherung sich grundsätzlich an der Schulmedizin orientiert. Dem Erfordernis der therapeutischen Vielfalt Rechnung zu tragen, wurde vor allem durch die zusätzliche Verordnungsmöglichkeit anthroposophischer und homöopathischer Arzneimittel in § 12 Abs. 6 AM-RL entsprochen. Zudem bestehen für Arzneimittel der besonderen Therapierichtungen dieselben Möglichkeiten, ausnahmsweise zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnet zu werden, wie für allopathische Arzneimittel, sowie die Möglichkeiten die Arzneimittel über Satzungsleistungen oder Wahltarife der gesetzlichen Krankenversicherung zu beziehen496. Aufgrund der bestehenden Möglichkeiten zur Verordnung von Arzneimitteln der besonderen Therapierichtungen werden diese nicht umfassend von der Leistungspflicht der Krankenkassen ausgenommen, sodass der Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel nicht unverhältnismäßig ist. Daher liegt keine Verletzung von Art. 2 Abs. 1 GG vor.

5. Verfassungsmäßigkeit hinsichtlich der pharmazeutischen Unternehmer a) Beeinträchtigung der Berufsfreiheit, Art. 12 Abs. 1 GG Das Grundrecht der Berufsfreiheit schützt sowohl die Wahl des Berufes als auch die Berufsausübung als einheitliches Grundrecht497. Es gilt auch für juristische Personen, da es gem. Art. 19 Abs. 3 GG seinem Wesen nach auf diese anwendbar ist498. Das Schutzgut bei juristischen Personen umfasst die Freiheit, eine Erwerbszwecken dienende Tätigkeit, insbesondere ein Gewerbe, zu betreiben, soweit diese Tätigkeit ihrem Wesen und ihrer Art nach sowohl durch eine juristische als auch 495

333.

Vgl. Axer, in: Becker/Sertel/Stassen-Rapp/Walburg, Neue Wege in der Medizin, S. 325,

496 Quaas/Zuck/Clemens, Medizinrecht, § 53 Rn. 22 sieht daher eine gewissen Entschärfung der Problematik durch § 53 Abs. 5 SGB V. 497 BVerfGE 7, 377 (401 f.); 92, 140 (151); Mann, in: Sachs, Grundgesetz Kommentar, Art. 12 GG Rn. 14; Manssen, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum Grundgesetz, Art. 12 GG Rn. 2; Ruffert, in: Epping/Hillgruber, GG, Art. 12 GG Rn. 18, 47; Scholz, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 12 GG Rn. 22 ff.; Wieland, in: Dreier, Grundgesetz Kommentar, Art. 12 GG Rn. 48. 498 BVerfGE 50, 290 (363); 97, 228 (253); 102, 197 (212 f.); 105, 252 (262); 106, 275 (298); 115, 205 (229); Manssen, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum Grundgesetz, Art. 12 GG Rn. 268; Ruffert, in: Epping/Hillgruber, GG, Art. 12 GG Rn. 38; Schneider, in: Merten/Papier, Handbuch der Grundrechte, Band V, § 113 Rn. 49.

I. Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel

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durch eine natürliche Person ausgeübt werden kann499. Geschützt wird das berufsbezogene Verhalten der Unternehmen am Markt nach den Grundsätzen des Wettbewerbs, mithin die Teilhabe am Wettbewerb500, sowie das Preisrecht, also die Freiheit der Unternehmer ihre Entgelte selbst auszuhandeln bzw. selbst festzusetzen501. Der Schutz der Berufsfreiheit reicht aber nicht so weit, dass sie ein Recht auf die Erhaltung eines bestimmten Geschäftsumfanges oder künftige Erwerbsmöglichkeiten sichert502. Betroffen vom Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel ist die Berufsausübungsfreiheit der pharmazeutischen Unternehmer. Denn durch den Ausschluss wird den Ärzten die Verordnung von OTC-Arzneimitteln und den Versicherten die Versorgung mit entsprechenden Arzneimitteln zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung versagt, was in der Regel, da sich die Versicherten die Arzneimittel auf eigene Kosten besorgen müssen, zu einem Umsatzrückgang bei den pharmazeutischen Unternehmern führt503. So ergaben sich nach der Einführung des Ausschlusses im Jahre 2004 erhebliche Umsatzeinbußen gegenüber den Vorjahren504, die auf dem OTC-Markt durchschnittlich bei –15 % lagen505. Die hohen Umsatzeinbußen resultieren daraus, dass die Versicherten nun selbst für diese Arzneimittel aufkommen müssen, und dementsprechend nur benötigte Arzneimittel kaufen506, sowie aus der besonderen Stellung der gesetzlichen Krankenversicherung im Arzneimittelmarkt, die sich auf den Arzneimittelabsatz auswirkt507. Die beson-

499 BVerfGE 30, 292 (312); 50, 290 (363); 105, 252 (265); vgl. auch: Gassner, pharmind 2003, S. 1121; Manssen, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum Grundgesetz, Art. 12 GG Rn. 69; Wieland, in: Dreier, Grundgesetz Kommentar, Art. 12 GG Rn. 53. 500 BVerfGE 106, 275 (298); 110, 274 (288); 116, 135 (152); BVerfG NJW-RR 2004, 1710 (1711); BVerfG NJW 2008, 358 (358 f.); Gassner, pharmind 2003, S. 1121; Jarass, in: ders./ Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Art. 12 GG Rn. 20; Nitz/Dierks, PharmR 2004, S. 161. 501 BVerfGE 101, 133 (347); 106, 275 (298); Nitz/Dierks, PharmR 2004, S. 161; Otto, PharmR 2005, S. 92. 502 BVerfGE 24, 236 (251); 105, 252 (265); 106, 275 (299); 116, 135 (152); Jarass, in: ders./ Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Art. 12 GG Rn. 20; so auch Otto, PharmR 2005, S. 92. 503 Vgl. Gassner, in: Mummenhoff, Machtzuwachs der Krankenkassen, S. 172; allgemein für Arzneimittelausschlüsse: BVerfG NJW 1992, 735 (736); Axer, NZS 2001, S. 230. 504 Vgl. Der Arzneimittelmarkt in Deutschland in Zahlen 2006, Berichte des Bundesverbandes der Arzneimittelhersteller e.V. (BAH), Grafiken 5 und 7, Stand: 15. 05. 2007, abrufbar unter: https://www.bah-bonn.de/presse-und-publikationen/zahlen-fakten/. 505 Vgl. Studie zur aktuellen Situation der pharmazeutischen Industrie in Deutschland 2005, Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie e. V. (BPI), S. 8, Stand: 2005, abrufbar unter: http://www.bpi.de/fileadmin/media/bpi/Downloads/Internet/Publikationen/Sonstige/Ergebnis se%20der%20Studie%20zur%20aktuellen%20Situation%20der%20Pharmazeutischen%20In dustrie%20in%20Deutschland%20-%202005.pdf. 506 Vgl. auch BVerfG Die Leistungen 1992, 237 (238). 507 Axer, NZS 2001, S. 230.

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C. Verfassungsmäßigkeit und Europarechtskonformität

dere Stellung zeigt sich gerade darin, dass die gesetzliche Krankenversicherung ca. 90 % der Bevölkerung umfasst. Allerdings beruhen die Umsatzbeeinträchtigungen nicht unmittelbar auf dem Ausschluss der nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung. Es handelt sich vielmehr um eine mittelbare Einschränkung, die auf das Verhalten der Versicherten zurückzuführen ist. Für einen Eingriff in den Schutzbereich der Berufsfreiheit reicht allerdings nicht jede, die Berufsausübung berührende, Rechtsnorm oder deren Anwendung aus. Erforderlich ist, dass die Norm selbst die Berufsausübung regelt, also eine unmittelbare Regelung trifft, oder eine darauf gestützte Maßnahme mit berufsregelnder Tendenz vorliegt. Einer solchen objektiv berufsregelnden Tendenz sowie einen engen Zusammenhang mit der Ausübung des Berufes bedarf es bei mittelbaren Eingriffen, bei denen lediglich die Rahmenbedingungen der Berufstätigkeit verändert werden508. In der Literatur und in älteren bundesverfassungsgerichtlichen und bundesozialgerichtlichen Urteilen wird eine objektiv berufsregelnde Tendenz aufgrund von Umsatzeinbußen angenommen509. Ob dem aber in Anbetracht neuerer bundesverfassungsgerichtlicher Rechtsprechung noch gefolgt werden kann, ist fraglich. So hat das Bundesverfassungsgericht in der Glykolentscheidung und im Festbetragsurteil ausgeführt, dass die Wettbewerbsposition und damit auch der Umsatz und die Erträge dem Risiko der Veränderung des jeweiligen Marktgeschehens unterliegen510 ; sie können damit keinen Eingriff begründen bzw. den Schutzbereich nicht eröffnen511.

508 BVerfGE 95, 267 (302); 97, 228 (254); 111, 191 (213); BVerfG NJW 1999, 3404 (3405); BVerfG NVwZ 2012, 1535 (1536); vgl. auch: Jarass, in: ders./Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Art. 12 GG Rn. 15; Wieland, in: Dreier, Grundgesetz Kommentar, Art. 12 GG Rn. 71; krit. hinsichtlich dieser Beschränkung des Schutzumfangs der Berufsfreiheit: Manssen, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum Grundgesetz, Art. 12 GG Rn. 75 ff.; Otto, PharmR 2005, S. 94. 509 Aus der Rechtsprechung: BVerfG NJW 1992, 735 (736); BVerfG NJW 1999, 3404 (3405); BSGE 79, 41 (50); BSG NZS 1995, 502 (504). Aus der Literatur: Axer, NZS 2001, S. 230; Gassner, in: Mummenhoff, Machtzuwachs der Krankenkassen, S. 172; Sodan, SGb 1992, S. 202. 510 BVerfGE 105, 252 (265) (Glykol); 106, 275 (299) (Festbeträge); so auch Schneider, in: Merten/Papier, Handbuch der Grundrechte, Band V, § 113 Rn. 113; zustimmend zum Festbetragsurteil Becker, Steuerung der Arzneimittelversorgung, S. 414 ff.; krit. zu dieser Verengung Gassner, pharmind 2003, S. 1122. 511 Unklar ist, ob das Bundesverfassungsgericht schon die Eröffnung des Schutzbereiches verneinen wollte oder nur das Vorliegen eines Eingriffs. Vgl. hierzu die unterschiedlichen Darstellungen bei: Beck, SozSich 2003, S. 51; Dreier, in: ders., Grundgesetz Kommentar, Vorbemerkungen Rn. 128; Fahlbusch, SGb 2003, S. 467; Faßbender, NJW 2004, S. 816; Hänlein, SGb 2003, S. 302; Nitz/Dierks, PharmR 2004, S. 161 f.; Otto, PharmR 2005, S. 92 f.; Schickert, PharmR 2004, S. 13.

I. Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel

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aa) Die Festbetragsentscheidung des Bundesverfassungsgerichts Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil zu den Festbetragsregelungen entschieden, dass diese die Berufsfreiheit der pharmazeutischen Unternehmer nicht beeinträchtigen. Die sich für die Hersteller einstellenden, faktisch mittelbaren Folgen für die Preispolitik seien lediglich bloße Reflexe, denen aber keine berufsregelnde Tendenz zukäme512. Die Festbeträge sollten nach dem Willen des Gesetzgebers zwar auch dazu führen, dass sich auf dem Arzneimittelmarkt der gesetzlichen Krankenversicherung ein Preiswettbewerb ergibt, jedoch sei dies kein eigenständiges Ziel des Gesetzes gewesen513. Vielmehr führe jede Änderung im Leistungsrecht der gesetzlichen Krankenversicherung dazu, dass sich der Anspruch der Versicherten und damit dessen Umfang ändere, woran die Leistungserbringer teilhaben. Dies sei aber lediglich ein notwendiger und unvermeidbarer Reflex der geänderten Leistungsansprüche514. Dagegen bejahte das Gericht einen rechtfertigungsbedürftigen Eingriff in die Rechte der Versicherten und der Vertragsärzte515. Die Festbetragsentscheidung kam für viele überraschend516 und hat vor allem in der Literatur heftige Kritik hervorgerufen517, insbesondere im Hinblick auf die Verneinung des Eingriffs in die Berufsfreiheit518. Sowohl in der Literatur als auch in der vorinstanzlichen bundessozialgerichtlichen Rechtsprechung ging man vom Vorliegen einer berufsregelnden Tendenz aus und sah die Probleme eher auf der Rechtfertigungsebene519. Es sei nicht nachvollziehbar, warum bei den Versicherten ein Eingriff angenommen wurde, aber bei den pharmazeutischen Herstellern nicht, obwohl auch die Versicherten lediglich faktisch-mittelbar betroffen seien520. Kritisiert wurde weiterhin, dass das Bundesverfassungsgericht damit von vorausgegangen Entscheidungen abgewichen sei, denn in diesen hätte es Eingriffe in die Berufsfreiheit etwa im Falle von Vorgaben bei der Preisbildung oder bei erheblichen Umsatzrückgängen bejaht521. Zudem sei es nach der Festbetragsentscheidung nicht 512

BVerfGE 106, 275 (299 f.). BVerfGE 106, 275 (302). 514 BVerfGE 106, 275 (301). Auf dieser Linie auch BSGE 110, 245 (252 ff.). 515 BVerfGE 106, 275 (299, 304 f.). 516 Faßbender, NJW 2004, S. 817; Hänlein, SGb 2003, S. 302. 517 Fahlbusch, SGb 2003, S. 466 f.; Faßbender, NJW 2004, S. 816 ff.; Gassner, pharmind 2003, S. 1122 f.; Hänlein, SGb 2003, S. 302; Otto, PharmR 2005, S. 93 f.; Reese/Stallberg, in: Dieners/Reese, Handbuch des Pharmarechts, § 17 Rn. 17; Schickert, PharmR 2004, S. 13 ff. 518 Vgl. Fahlbusch, SGb 2003, S. 466; Faßbender, NJW 2004, S. 816 ff.; Gassner, pharmind 2003, S. 1122 f.; Hänlein, SGb 2003, S. 203. 519 Vgl. Beck, SozSich 2003, S. 51, der die BSG-Rspr. darstellt; Nitz/Dierks, PharmR 2004, S. 162. Auch Wigge, PharmR 1996, S. 41, ging schon davon aus, dass Steuerungsinstrumente in der Arzneimittelversorgung an Art. 12 Abs. 1 GG zu messen sind. 520 Fahlbusch, SGb 2003, S. 466; Gassner, pharmind 2003, S. 1123. 521 Vgl. Faßbender, NJW 2004, S. 817, der auf die Urteile BVerfG NJW 1992, 735 ff., BVerfG NJW 1999, 3404 (3405) und BVerfG NJW 2000, 1781 verweist; ebenso Otto, PharmR 2005, S. 93. 513

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C. Verfassungsmäßigkeit und Europarechtskonformität

konsequent bei seiner neuen Rechtsprechung geblieben, sondern habe im Rahmen einer einstweiligen Anordnung in Bezug auf Zwangsrabatte nicht einen Eingriff von vornherein abgelehnt, sondern die Klärung der Frage nach einer Vereinbarkeit mit Art. 12 Abs. 1 GG im Hauptverfahren als erforderlich angesehen522. In der Folgezeit ergingen jedoch zahlreiche weitere Urteile, die an die Festbetragsentscheidung anknüpften und in denen etwa bei mittelbar-faktischen Einwirkungen das Vorliegen von Eingriffen verneint wurde523 oder die Aussage, dass Wettbewerbsposition und damit auch der Umsatz und die Erträge dem Risiko der Veränderung des jeweiligen Marktgeschehens unterliegen, bestätigt wurde524. Es ist daher davon auszugehen, dass das Bundesverfassungsgericht bei einer mittelbarfaktischen Beeinträchtigung weiterhin einen Eingriff in den Schutzbereich der Berufsfreiheit verneinen würde, sofern dies nur zu Umsatzeinbußen führt, aber sonst keine objektiv berufsregelnde Tendenz ersichtlich ist. bb) Die Übertragbarkeit der Festbetragsrechtsprechung auf den Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Festbetrag ist grundsätzlich auf den Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel übertragbar. In beiden Fällen geht es um eine Begrenzungsregelung des Leistungsanspruchs der Versicherten, die gleichzeitig mittelbar die pharmazeutischen Unternehmer berührt. Zwar wird eine Übertragbarkeit vereinzelt bezweifelt, indem darauf verwiesen wird, dass zwischen dem Ausschluss der OTC-Arzneimittel und den Festbetragsregelungen strukturelle Unterschiede derart bestehen, dass es bei ersterem um das „Ob“ der Leistungsgewährung und bei letzterem lediglich um das „Wie“ der Leistungsgewährung gehe525, jedoch lässt sich eine solche Beschränkung der Rechtsprechung auf Regelungen, die das „Wie“ der Leistungsgewährung ändern, in der Festbetragsentscheidung nicht finden526. Zudem hat das Bundesverfassungsgericht dort festgestellt, dass allein die Betroffenheit von Marktchancen nicht ausreichend ist, um eine berufsregelnde Tendenz und damit einen Eingriff zu bejahen527. Diese allgemeine Aussage lässt sich auf den Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel übertragen, unabhängig davon, ob nun das „Ob“ oder das „Wie“ der Leistungsgewährung betroffen ist. 522

Faßbender, NJW 2004, S. 817, mit Verweis auf BVerfG NJW 2003, 2737 f. BVerfG SozR 4 – 2500 § 5 Nr. 1 Rn. 13 ff.; BVerfG NVwZ 2004, 977 (979), das die Frage eines Eingriffs zwar offen lässt, aber Zweifel daran aufgrund der lediglich mittelbarfaktischen Einwirkung äußert; BVerfGE 134, 204 (238); BVerfG SozR-4 – 2500 § 130a Nr. 7 Rn. 11 f. 524 BVerfGE 110, 274 (288); 116, 135 (152). 525 Buchner/Jäkel, PharmR 2005, S. 384; Gassner, pharmind 2003, S. 1122. 526 So Otto, PharmR 2005, S. 93. 527 BVerfG 106, 275 (298 f.). 523

I. Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel

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cc) Eingriff in die Berufsfreiheit durch den Ausschluss von OTC-Arzneimitteln Aufgrund der Übertragbarkeit dieser Rechtsprechung ist wohl die Antwort auf die Frage, wie das Bundesverfassungsgericht hinsichtlich eines Eingriffs in die Berufsfreiheit der pharmazeutischen Unternehmer durch den Ausschluss der OTCArzneimittel entscheiden wird, vorgegeben528. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wäre eine berufsregelnde Tendenz hinsichtlich des Ausschlusses nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel zu verneinen. Die aus dem Ausschluss resultierenden Umsatzeinbußen wären als bloße Reflexe zu qualifizieren, da die Wettbewerbsposition und damit auch die Umsätze dem Risiko laufender Marktveränderungen unterliegen. Ungeachtet der zum Festbetragsurteil geäußerten Kritik lässt sich dieses Ergebnis für den Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel mit zwei weiteren Argumenten belegen; zum einen mit der Festbetragsentscheidung selbst, zum anderen mit einer anderen Entscheidung zu Arzneimittelausschlüssen529. So bestehen Umstände, die bei der Festbetragsregelung für eine berufsregelnde Tendenz sprechen könnten, beim Ausschluss der OTC-Arzneimittel nicht. Der Gesetzgeber bezweckte mit der Festbetragsregelung einen Einfluss auf die Preisgestaltung der Arzneimittelhersteller, indem er den Wettbewerb ankurbeln wollte530. Dies hat das Bundesverfassungsgericht in der Festbetragsentscheidung zwar als bloße, vom gesetzgeberischen Willen umfasste „Folgewirkung“ angesehen531, jedoch hatte der Gesetzgeber beim Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel keinen Willen dahingehend, durch die Regelung mehr Wettbewerb zu schaffen. Er hatte lediglich eine Kostensenkung bei den Arzneimittelausgaben vor Augen532. Demensprechend liegt beim Ausschluss von OTC-Arzneimitteln die Annahme einer berufsregelnden Tendenz noch ferner als bei der Festbetragsentscheidung. Zudem spricht als weiterer Grund für eine Verneinung der berufsregelnden Tendenz, dass das Bundesverfassungsgericht in der Entscheidung zum Ausschluss von Bagatellarzneimitteln einen Eingriff ebenfalls mangels berufsregelnder Tendenz verneint hat. Das Gericht führte in dieser Entscheidung aus, dass die frühere Verordnungsfähigkeit lediglich absatzfördernd für die Hersteller gewesen sei und für sie eine günstige Situation darstellte. Dass ihnen durch den Ausschluss Umsatzeinbußen entstünden, sei lediglich eine Reflexwirkung der Regelung. Es bestehe kein Recht der Arzneimittelhersteller auf Beibehaltung des Systems. Zudem könne es keinen 528

Otto, PharmR 2005, S. 93; so auch im Ergebnis Gassner, pharmind 2003, S. 1122, der zwar eine Übertragung nicht für richtig hält, aber davon ausgeht, dass das BVerfG es tun würde. 529 BVerfG Die Leistungen 1992, 237 ff. 530 Vgl. BT-Drs.11/2237, S. 175; BVerfGE 106, 275 (302); BSG NZS 1995, 502 (504); so auch Nitz/Dierks, PharmR 2004, S. 162. 531 BVerfGE 106, 275 (302). 532 Vgl. BT-Drs. 15/1525, S. 86.

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C. Verfassungsmäßigkeit und Europarechtskonformität

Eingriff darstellen, wenn bestimmte Leistungsbereiche aus dem System herausgenommen und dem freien Markt und dessen Bedingungen unterstellt werden533. Der Ausschluss von OTC-Arzneimitteln ist mit dem Ausschluss von Bagatellarzneimitteln vergleichbar. Denn dort soll – anders als beim Ausschluss unwirtschaftlicher Arzneimittel, bei dem ein Eingriff in die Berufsfreiheit durch das Bundesverfassungsgericht bejaht wurde534 – nicht die Verordnung einzelner, unwirtschaftlicher Arzneimittel zurückgedrängt werden535, sondern lediglich die Kosten für eine bestimmte Gruppen von Arzneimitteln auf die Versicherten verlagert werden. Der Ausschluss von OTC-Arzneimitteln soll – ebenso wie der Ausschluss von Bagatellarzneimitteln – nicht dazu führen, dass die ausgeschlossenen Arzneimittel nicht mehr auf dem Arzneimittelmarkt für die Versicherten zur Verfügung stehen. Er führt zwar zu Umsatzeinbußen bei den pharmazeutischen Herstellern, jedoch nicht dazu, dass die OTC-Arzneimittel nicht mehr auf dem Arzneimittelmarkt gekauft werden können. Eine Verdrängung der Arzneimittel vom gesamten Arzneimittelmarkt ist der Regelung nicht immanent. Die Arzneimittel werden nur in den freien Markt überführt, können und sollen aber weiterhin von den Ärzten verordnet und von den Versicherten erworben werden; nur nicht mehr zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung. Mit dem Ausschluss der Arzneimittel wird ein „ursprünglicher“ Wettbewerb, ohne gesetzliche Krankenversicherung, wiederhergestellt und dementsprechend ein freier Markt kreiert, auf dem die Arzneimittelhersteller miteinander konkurrieren und sich frei betätigen können. Bei einer lediglich Wiederherstellung des freien Marktes wird daher allgemein eine berufsregelnde Tendenz verneint536. Sind nämlich alle Arzneimittelhersteller von einer Regelung gleichmäßig betroffen, sind die damit verbundenen Gewinnbeeinträchtigungen als bloße Reflexe des wiederhergestellten Wettbewerbs zu verstehen537. So ist auch beim Ausschluss von OTC-Arzneimitteln von einer bloßen Reflexwirkung auf die Arzneimittelhersteller auszugehen. Die rezeptfreien Arzneimittel wurden aus dem Arzneimittelmarkt der gesetzlichen Krankenversicherung ausgenommen und damit wieder in den freien Wettbewerb überführt. Die Regelung erstreckt sich auf alle Arzneimittelhersteller gleich538 und schließt nicht nur vereinzelt Arzneimittel aus der Versorgung aus. Die Umsatzeinbußen stellen sich daher lediglich als Reflexe dar; sie sind nur das Resultat einer nicht 533

BVerfG Die Leistungen 1992, 237 (238); zustimmend: Becker, Steuerung der Arzneimittelversorgung, S. 414; Schickert, PharmR 2004, S. 15. 534 BVerfG NJW 1992, 735 (736); zustimmend BVerfG NJW 1999, 3404 (3405). 535 Vgl. zu diesem Ziel beim Ausschluss unwirtschaftlicher Arzneimittel, Abschnitt D. III. 4. b). 536 BVerfG Die Leistungen 1992, 237 (238); BSG NZS 1995, 502 (504); Becker, Steuerung der Arzneimittelversorgung, S. 414; Buchner/Krane, NZS 2002, S. 68; Schickert, PharmR 2004, S. 15; Wigge, PharmR 1996, S. 40; ähnl. Hase, VSSR 2013, S. 165. 537 BSG NZS 1995, 502 (504). 538 A.A. Gassner, pharmind 2003, S. 1123, der vor allem pflanzliche, mittelständische Arzneimittelhersteller betroffen sieht. Dies ist aber eine gleichheitsrechtliche Frage.

I. Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel

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mehr gewährten Privilegierung. Der Gesetzgeber hat damit nur die Rahmenbedingungen, also den Markt, indem die Arzneimittel angeboten werden können, für die Hersteller verändert539; eine berufsregelnde Tendenz ist daher nicht erkennbar. Teilweise wird ein Eingriff durch staatliche Regelungen aber deshalb angenommen, weil sich die Umsatzeinbußen nicht nur aus einer normalen Marktveränderung, sondern eben aus einer staatlichen Einwirkung auf den Markt der gesetzlichen Krankenversicherung ergeben und der Gesetzgeber sich allein durch die Schaffung dieses Marktes – im Sinne eines vorteilhaften Abhängigkeitssystems – nicht seiner Grundrechtsbindung entziehen könne540; damit sei eine Wegnahme eines solchen Abhängigkeitssystems auch als Eingriff zu werten. Doch haben Änderungen der Marktbedingungen bzw. der Marktverhältnisse noch keine berufsregelnde Tendenz im rechtlichen Sinne, da es sich dabei um ledigliche Änderungen der Rahmenbedingungen des Wettbewerbs handelt, ein freier Wettbewerb dadurch aber nicht beeinträchtigt wird. Eine berufsregelnde Tendenz ist erst dann zu bejahen, wenn wirtschaftslenkend die Marktverhältnisse so geändert werden, dass sich die pharmazeutischen Unternehmer nicht mehr nach den Grundsätzen des freien Wettbewerbs betätigen können541. Selbst wenn man einen Eingriff annehmen wollte, so wäre dieser als gerechtfertigt anzusehen542. Bei Annahme einer Berufsausübungsregelung wäre eine Einschränkung schon aufgrund vernünftiger Allgemeinwohlerwägungen möglich, sofern die Regelung im Übrigen verhältnismäßig ist543. Zudem steht dem Gesetzgeber bei der Verfolgung wirtschafts-, arbeitsmarkt- oder sozialpolitischer Ziele ein weiter Gestaltungsspielraum zu544. Die Sicherung der finanziellen Stabilität der gesetzlichen 539 Ebenso Otto, PharmR 2005, S. 97, der diesen Aspekt aber erst im Rahmen der Angemessenheit erörtert. Auf dieser Linie auch BSGE 110, 245 (253 f.), wonach bei der Ausgestaltung des Leistungsumfangs der GKV den Herstellern kein Recht aus Art. 12 Abs. 1 GG zusteht, unabhängig davon, ob es um einen nachträglichen Ausschluss oder eine Zugangssperre geht. Im Zusammenhang mit dem OTC-Ausschluss das Vorliegen eines bloßen Reflexes bejahend, BSG Urt. v. 15. 12. 2015 – B 1 KR 30/15 R Rn. 52. 540 So etwa Philipp, Arzneimittellisten und Grundrechte, S. 125, allerdings nicht auf den Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel bezogen. 541 Vgl. Schickert, PharmR 2004, S. 15 f. 542 Ebenso im Ergebnis: Otto, PharmR 2005, S. 94 ff.; Wigge/Wille, in: Schnapp/Wigge, HVAR, § 19 Rn. 14; a.A. Gassner, pharmind 2003, S. 1123 ff. 543 BVerfGE 7, 377 (405 f.); 30, 336 (351); 65, 116 (125 f.); 77, 308 (332); 93, 362 (369); 111, 10 (32); 117, 163 (182); vgl. auch: Jarass, in: ders./Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Art. 12 GG Rn. 45; Mann, in: Sachs, Grundgesetz Kommentar, Art. 12 GG Rn. 126; Ruffert, in: Epping/Hillgruber, GG, Art. 12 GG Rn. 94; Schneider, in: Merten/Papier, Handbuch der Grundrechte, Band V, § 113 Rn. 148; Wieland, in: Dreier, Grundgesetz Kommentar, Art. 12 GG Rn. 99. 544 BVerfGE 46, 246 (257); 51, 193 (208); 77, 308 (332); 81, 156 (189); 111, 10 (38 f.); 114, 196 (245); BVerfG NZS 2013, 858 (860); so auch: Gassner, pharmind 2003, S. 1123; Jarass, in: ders./Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Art. 12 GG Rn. 50; Otto, PharmR 2005, S. 94; Ruffert, in: Epping/Hillgruber, GG, Art. 12 GG Rn. 88; Wieland, in: Dreier, Grundgesetz Kommentar, Art. 12 GG Rn. 100.

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C. Verfassungsmäßigkeit und Europarechtskonformität

Krankenversicherung ist ein vernünftiger Allgemeinwohlbelang545. Darüber hinaus beeinträchtigt der Ausschluss das Recht der pharmazeutischen Unternehmer nicht in unverhältnismäßiger Weise, was sich insbesondere in den Umsatzzahlen des OTCArzneimittelmarktes zeigt. Sofern auch behauptet wurde, ein vom GKV-Arzneimittelmarkt bestehender Markt reiche nicht für das Überleben aus546, so spiegelt sich dies in den Zahlen nicht wieder. Der OTC-Markt hat sich mittlerweile wieder gefangen, sodass im Jahre 2013 fast die gleichen Umsatzwerte wie vor dem Ausschluss der OTC-Arzneimittel im Jahre 2003 erreicht wurden547. Auch außerhalb des Arzneimittelmarktes der gesetzlichen Krankenversicherung ist daher ein lukrativer Markt vorhanden. b) Recht auf chancengleichen Zugang zum Markt, Art. 12 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 3 Abs. 1 GG Aufgrund der besonderen Bedeutung der gesetzlichen Krankenversicherung für den Arzneimittelmarkt, wird den pharmazeutischen Unternehmern in der Literatur im Zusammenhang mit Einschränkungen der Verordnungsfähigkeit von Arzneimitteln ein Recht auf chancengleiche Teilnahme am Wettbewerb bzw. auf chancengleichen Zugang zum Arzneimittelmarkt eingeräumt548. Auch das Bundesverfassungsgericht hat im Rahmen des Ausschlusses von unwirtschaftlichen Arzneimitteln die Frage der Verletzung diesen Rechts aus Art. 12 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 3 Abs. 1 GG aufgeworfen549 und damit dessen Bestehen anerkannt. Das Recht aus Art. 12 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 3 Abs. 1 GG kann insbesondere dann verletzt sein, wenn innerhalb der betroffenen Berufsgruppe nicht nur einzelne Sonderfälle, sondern bestimmte Gruppen typischer Fälle, ohne ausreichende sachliche Gründe, wesentlich stärker belastet werden550. Obschon der Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel aus der Verordnung rechtlich alle Arzneimittelhersteller gleich betrifft, kann das Recht auf chancengleichen Marktzugang dadurch beeinträchtigt sein, dass der Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel in besonderem Maße die Hersteller

545

Vgl. hierzu Abschnitt C. I. 1. b) bb) (1). Gassner, pharmind 2003, S. 1123, der die Situation mit der Nichtzulassung von Ärzten vergleicht. 547 Vgl. Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie e.V. (BPI), Pharma-Daten 2014, Stand: Oktober 2014, S. 85, Stand: Oktober 2014, abrufbar unter: http://www.bpi.de/daten-undfakten/pharmadaten/. 548 Becker, Steuerung der Arzneimittelversorgung, S. 412; Gassner, in: Mummenhoff, Machtzuwachs der Krankenkassen, S. 172; Philipp, Arzneimittellisten und Grundrechte, S. 132 f., 164 ff.; Schwerdtfeger, pharmind 1989, S. 28. 549 BVerfG NJW 1992, 735 (736). 550 BVerfGE 30, 292 (327); 48, 376 (388 f.); 59, 336 (355 f.); BVerfG NVwZ 2014, 1005 (1007). 546

I. Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel

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betrifft, die sich auf die Herstellung von OTC-Arzneimitteln spezialisiert haben551. Die stärkere Betroffenheit einzelner Hersteller ist allerdings lediglich Folge der typisierenden Anknüpfung an die Verschreibungspflicht. Der Gesetzgeber ist nicht verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass alle Arzneimittelhersteller gleich betroffen werden; er darf zwischen Gruppen von Arzneimitteln differenzieren552. Grenzen werden seiner Gestaltungsbefugnis erst dort gesetzt, wo es an einem einleuchtenden Grund für die Differenzierung fehlt. Mit dem Kriterium der Verschreibungspflicht hat der Gesetzgeber allerdings ein sachliches Differenzierungskriterium gewählt, sodass kein Verfassungsverstoß besteht553. Zumal den Arzneimittelherstellern unabhängig vom Markt der gesetzlichen Krankenversicherung noch ein Absatzmarkt für ihre Produkte zur Verfügung steht, es wird ihnen somit ihre Berufsausübungsfreiheit nicht vollständig genommen554. Eine andere Anknüpfung für eine Ungleichbehandlung in Marktzugangschancen könnte darin bestehen, dass verschreibungspflichtige Arzneimittel gegenüber vergleichbar geeigneten OTC-Arzneimitteln für dieselbe Behandlung einen Vorteil dadurch erfahren, dass sie zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnet werden können555. Dies wäre der Fall, wenn die Behandlung mit nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln durch die Verordnung von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln durch den Vertragsarzt substituiert werden könnte. Wenn für ein und dieselbe Krankheit sowohl verschreibungspflichtige als auch nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel angewandt werden, ist der Arzt trotz des Ausschlusses aber an die Einhaltung des Wirtschaftlichkeitsgebots gebunden556. Er kann daher nicht die verschreibungspflichtigen Arzneimittel für die Behandlung einer Erkrankung, für die es auch OTC-Arzneimittel gibt, aufgrund der Verschreibungspflicht und der Kostenübernahme durch die gesetzliche Krankenversicherung, bevorzugen. Sofern die Behandlung mit einem OTC-Arzneimittel wirtschaftlicher als die Behandlung mit einem verschreibungspflichtigen Arzneimittel ist, ist dieses zu verordnen. Die Anwendbarkeit der OTC-Arzneimittel bleibt in der Arzneimitteltherapie als gleichwertige Alternative zur Behandlung mit einem verschreibungspflichtigen Präparat bestehen. Selbst wenn die Versicherten eine Verordnung von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln, aufgrund der Erstattungsfähigkeit bevorzugen, steht einer solchen Verordnung das Wirtschaftlichkeitsgebot entgegen, an das sich der Vertragsarzt halten muss, wenn er sich nicht Regressen durch die Krankenkassen aussetzen will557. Demzufolge werden die verschreibungspflichtigen 551

Gassner, pharmind 2003, S. 1123; Otto, PharmR 2005, S. 98. BVerfG NJW 1992, 735 (736); BVerfG B. v. 20. 09. 1991 – 1 BvR 259/91. 553 Vgl. hierzu Abschnitt C. I. 1. b) bb) (5). So im Ergebnis für die Arzneimittelhersteller auch Otto, PharmR 2005, S. 98 ff. 554 So auch Philipp, Arzneimittellisten und Grundrechte, S. 166. 555 So etwa Becker, Steuerung der Arzneimittelversorgung, S. 412 f., 416. 556 Vgl. § 12 Abs. 11 AM-RL. 557 Zu den Regressen aufgrund unwirtschaftlicher Verordnung vgl. Clemens, in: Laufs/ Kern, Handbuch des Arztrechts, § 36 Rn. 84 ff. 552

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C. Verfassungsmäßigkeit und Europarechtskonformität

Arzneimittel nicht in ihren Marktchancen dadurch besser gestellt, dass deren Kosten durch die gesetzliche Krankenversicherung übernommen werden. Daher ist das Recht auf chancengleichen Marktzugang nicht verletzt. c) Beeinträchtigung der Eigentumsfreiheit, Art. 14 Abs. 1 GG Vom Schutzbereich des Grundrechts der Eigentumsfreiheit wird im Gegensatz zu der Berufsfreiheit nicht der Erwerb sondern das Erworbene als Ergebnis der Betätigung geschützt558. Zu den geschützten, vermögenswerten Positionen zählen subjektiv-öffentliche Rechte, sofern es sich dabei um vermögenswerte Rechtspositionen handelt, die nach Art eines Ausschließlichkeitsrechts dem Rechtsträger zugeordnet sind, die auf nicht unerheblicher Eigenleistung beruhen und die der Existenzsicherung dienen559. Zu diesen subjektiv-öffentlichen Rechten kann die öffentlichrechtliche Arzneimittelzulassung gezählt werden560. Das Bundesverfassungsgericht hat zwar bisher noch offen gelassen, ob die Zulassung auch auf eigenen Leistungen beruht561, allerdings wird dies in der Literatur aufgrund der hohen finanziellen und personellen Eigenleistung im Vorfeld der Zulassung562 zu Recht bejaht. Geschützt von der Eigentumsfreiheit wird auch die wirtschaftliche Ausnutzbarkeit der geschützten Rechtsposition563. Mit der Zulassung erwirbt der Hersteller ein Recht auf Zugang zum Arzneimittelmarkt564. Somit ist die Ausnutzung dieses Zugangs mit von der Eigentumsfreiheit umfasst. Die wirtschaftliche Ausnutzbarkeit der durch die Zulassung eingeräumten Rechtsposition wird durch den Ausschluss erschwert. Sofern allerdings durch den Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger

558 BVerfGE 30, 292 (335); 84, 133 (157); 88, 366 (377); 126, 112 (135); Axer, in: Epping/ Hillgruber, GG, Art. 14 GG Rn. 27; Depenheuer, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum Grundgesetz, Art. 14 GG Rn. 99; Schneider, in: Merten/Papier, Handbuch der Grundrechte, Band V, § 113 Rn. 178. 559 Vgl. Abschnitt C. I. 1. a) aa). 560 Axer, NZS 2001, S. 231; ders. in: Epping/Hillgruber, GG, Art. 14 GG Rn. 62; Gassner, pharmind 2003, S. 1127; Kortland, in: Kügel/Müller/Hofmann, Arzneimittelgesetz, Vorb. § 21 Rn. 14; Otto, PharmR 2005, S. 101; Reese/Stallberg, in: Dieners/Reese, Handbuch des Pharmarechts, § 17 Rn. 21; Schickert, PharmR 2004, S. 17; a.A. Philipp, Arzneimittellisten und Grundrechte, S. 174 ff. 561 BVerfG NJW 1992, 735 (736). 562 Mit dieser Begründung: Axer, NZS 2001, S. 231; Gassner, pharmind 2003, S. 1127; Otto, PharmR 2005, S. 101; Schickert, PharmR 2004, S. 17. 563 BVerfG NJW 1992, 735 (736); Depenheuer, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum Grundgesetz, Art. 14 GG Rn. 62; Schickert, PharmR 2004, S. 17; Wendt, in: Sachs, Grundgesetz Kommentar, Art. 14 GG Rn. 41; a.A. im Hinblick auf die Vermarktungsfähigkeit der Arzneimittel in der GKV, Becker, Steuerung der Arzneimittelversorgung, S. 417. 564 BVerfG NJW 1992, 735 (736); Gassner, pharmind 2003, S. 1127; Schickert, PharmR 2004, S. 17.

I. Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel

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Arzneimittel die Zulassung dieser Arzneimittel als entwertet angesehen wird565, kann dem nicht gefolgt werden. Durch den Ausschluss werden die OTC-Arzneimittel lediglich von der Kostentragung durch die Krankenkassen ausgenommen. Ihr zulassungsrechtlicher Status wird durch diese Regelung nicht berührt566. Sie dürfen weiterhin für ihr zugelassenes Indikationsgebiet vermarktet werden. Die Leistungspflicht innerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung knüpft zwar an die Zulassung als Grundvoraussetzung an, erfordert darüber hinaus aber noch weitere Merkmale, wie z. B. die Apothekenpflicht567. Sofern allerdings der Zugang zum Arzneimittelmarkt der gesetzlichen Krankenkassen von der Eigentumsfreiheit als erfasst angesehen wird568, könnte sich etwas anderes ergeben. Dieser Zugang wird nämlich durch den Ausschluss von der Verordnung von OTC-Arzneimitteln beschränkt. Daher wird die wirtschaftliche Ausnutzbarkeit der durch die Zulassung eingeräumten Rechtsposition durch den Ausschluss der OTC-Präparate von der Verordnung erschwert569. Ein Eingriff läge damit vor. Dieser Betrachtung steht allerdings der Umstand entgegen, dass der eigentumsrechtliche Schutz einer Rechtsposition nicht weitergehen kann, als ihr durch die jeweilige Rechtsgrundlage eingeräumt wird570. Mithin, dass der Schutz aus Art. 14 GG nicht über die Rechte, die die Zulassung gewährt, hinausgehen kann. Die Zulassung beinhaltet durch ihre arzneimittelsicherheitsrechtliche Stellung eine vorgreifliche Voraussetzung dafür, dass Arzneimittel überhaupt auf den Arzneimittelmarkt gebracht werden dürfen. Sie enthält damit ein Zugangsrecht zum Markt; führt allerdings nicht automatisch zu einer Verordnungs- bzw. Erstattungsfähigkeit innerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung571. Insofern bedarf es neben der Zulassung als Grundvoraussetzung noch weiterer Merkmale, wie z. B. der Apothekenpflicht oder der Verschreibungspflicht. Ein unbegrenzter Zugang zum Arzneimittelmarkt der gesetzlichen Krankenversicherung ist damit nicht durch die Zulassung gewährleistet. Der Gesetzgeber ist von Verfassungs wegen nicht ver565

Gassner, in: Mummenhoff, Machtzuwachs der Krankenkassen, S. 172. Otto, PharmR 2005, S. 101; so auch Gassner, pharmind 2003, S. 1127, der deswegen auch die Verwertungschancen in den Schutzbereich einbeziehen will, um damit einen Eingriff zu konstruieren. 567 Vgl. zur Vorgreiflichkeit der Zulassung, Abschnitt A. II. 3. 568 Schickert, PharmR 2004, S. 17; zustimmend Reese/Stallberg, in: Dieners/Reese, Handbuch des Pharmarechts, § 17 Rn. 21. 569 So Schickert, PharmR 2004, S. 17; vgl. auch Gassner, pharmind 2003, S. 1127; ders., in: Mummenhoff, Machtzuwachs der Krankenkassen, S. 172, der sogar von einer Entwertung der Zulassung spricht. Vgl. auch allgemein auf Arzneimittelausschlüsse bezogen: Axer, NZS 2001, S. 231; sowie aus der Rechtsprechung BVerfG NJW 1992, 735 (736 f.), das allerdings das Vorliegen eines Eingriffs offen lässt. 570 BVerfG NJW 1992, 735 (736); zustimmend: Philipp, Arzneimittellisten und Grundrechte, S. 174; Otto, PharmR 2005, S. 101. 571 So etwa Otto, PharmR 2005, S. 101. 566

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C. Verfassungsmäßigkeit und Europarechtskonformität

pflichtet, die Verordnungsfähigkeit jedes zugelassenen Arzneimittels zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung zu garantieren572. Bei der Verordnungsfähigkeit zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung handelt es sich vielmehr um eine für den Unternehmer günstige Absatzmöglichkeit, dementsprechend um eine bloße Chance oder Verdienstmöglichkeit, die nicht unter den Schutz der Eigentumsfreiheit fällt573. Es besteht daher kein Eigentumsschutz.

6. Verfassungsmäßigkeit hinsichtlich der Vertragsärzte Durch den Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel ergeben sich Einschränkungen für die Vertragsärzte. Diese dürfen die OTC-Arzneimittel nicht mehr zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnen; bei Verstößen setzen sie sich Regressen aus574. Als Bestandteil der Berufsausübung kommt den Ärzten nach Art. 12 Abs. 1 GG das Recht der Therapiefreiheit zu575. Die Therapiefreiheit umfasst drei Elemente: die Entscheidung des Arztes über die Durchführung einer Therapie, also über das „Ob“ der Behandlung; des Weiteren soll der Arzt nicht gezwungen werden können, eine seinem Gewissen widersprechende Behandlungsmethode anwenden zu müssen oder eine bestimmte Behandlung durchführen zu müssen und darüber hinaus umfasst die Therapiefreiheit die Freiheit des Arztes, eine ihm als geeignet erscheinende diagnostische oder therapeutische Methode auszuwählen576. Diese drei Elemente der Therapiefreiheit werden durch den Ausschluss der OTCArzneimittel allerdings nicht beeinträchtigt. Der Vertragsarzt kann weiterhin über das „Ob“ einer Arzneimittelbehandlung entscheiden und er wird nicht gezwungen, eine bestimmte Therapie durchzuführen. Aus dem Ausschluss rezeptfreier Arzneimittel resultiert gerade keine Pflicht auf verschreibungspflichtige Arzneimittel zurückzugreifen. Eine solche Verordnung anstelle eines ausreichenden, zweckmäßigen und medizinisch notwendigen nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittels wi572

BVerfG NJW 1992, 735 (736); vgl. auch: Axer, NZS 2001, S. 231; Hess, in: Körner/ Leitherer/Mutschler, Kasseler Kommentar, § 34 SGB V Rn. 17; Otto, PharmR 2005, S. 102. 573 Zum fehlenden Eigentumsschutz für bloße Chancen oder Verdienstmöglichkeiten: BVerfGE 30, 68, 193, 222; 105, 252 (277); BVerfG NZS 2005, 479 (480); Axer, in: Epping/ Hillgruber, GG, Art. 14 GG Rn. 67; Jarass, in: ders./Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Art. 14 GG Rn. 22; enger Wendt, in: Sachs, Grundgesetz Kommentar, Art. 14 GG Rn. 44, der nur solche Erwerbsmöglichkeiten aus dem Schutzbereich fallen lässt, die sich aus dem Fortbestand einer günstigen Gesetzeslage ergeben. 574 Vgl. dazu Clemens, in: Laufs/Kern, Handbuch des Arztrechts, § 36 Rn. 153 ff. 575 BVerfGE 102, 26 (29, 35 f.); 106, 275 (304); Quaas/Zuck/Clemens, Medizinrecht, § 2 Rn. 52; Steiner, in: Spickhoff, Medizinrecht, Art. 12 GG Rn. 3; Zuck, Das Recht der anthroposophischen Medizin, S. 106. 576 Zuck, NJW 1991, S. 2933; so auch: Katzenmeier, Arzthaftung, S. 305; Laufs, in: Laufs/ Kern, Handbuch des Arztrechts, § 3 Rn. 14; zum letztgenannten Element auch Felix, NZS 2012, S. 5.

II. Europarechtskonformität

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derspräche vielmehr dem Wirtschaftlichkeitsgebot577. Eine Verordnung von OTCArzneimitteln ist zwar nur noch auf grünem Rezept und nicht mehr zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung möglich, aber dennoch besteht die Möglichkeit der Verordnung weiterhin, sodass dadurch die Therapiefreiheit nicht beschränkt wird. Dem Arzt obliegt weiterhin die Befugnis eine seinen Vorstellungen entsprechende diagnostische oder therapeutische Methode auszuwählen578. Vereinzelt wird eine Einschränkung der Therapiefreiheit der Ärzte allerdings durch die Ausnahmeregelung der OTC-Liste angenommen, da darin Standardtherapeutika festgelegt werden können und damit eine Rangfolge in dem Sinne eingeführt werde, dass den dort aufgelisteten Arzneimitteln Vorrang gegenüber anderen nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln und anderen verschreibungspflichtigen Arzneimitteln zukomme579. Ist ein Standardtherapeutikum für eine Indikation festgelegt, so sei im Falle der Indikation dieses Standardtherapeutikum im Regelfall zu verordnen, weil es allein schon aus seiner Definition als Therapiestandard die Voraussetzungen des Wirtschaftlichkeitsgebots erfülle580. Die OTC-Liste regelt allerdings lediglich die Verordnungs- bzw. Erstattungsfähigkeit einzelner Wirkstoffe581 und damit lediglich die Frage der Erstattung des Arzneimittels582. Die Therapiefreiheit des Arztes im Sinne einer Therapieauswahl wird durch den Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung daher nicht berührt583.

II. Europarechtskonformität des Ausschlusses nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel 1. Warenverkehrsfreiheit, Art. 34 ff. AEUV Die Mitgliedsstaaten sind zwar nach ständiger Rechtsprechung nach wie vor für die Ausgestaltung ihrer sozialen Sicherungssysteme zuständig, jedoch müssen sie bei ihrer Ausübung das Unionsrecht und damit auch die Grundfreiheit der Waren577

Vgl. Abschnitt C. I. 1. b) bb) (6). Im Ergebnis ebenso, allerdings bezogen auf Selbstbeteiligungsregelungen im allgemeinen: Becker, Steuerung der Arzneimittelversorgung, S. 410; Reese/Stallberg, in: Dieners/ Reese, Handbuch des Pharmarechts, § 17 Rn. 12. 579 Wartensleben, PharmR 2004, S. 193. 580 Wartensleben, PharmR 2004, S. 193 f. 581 So auch Otto, PharmR 2005, S. 104. 582 Die Frage der Erstattung des Arzneimittels gehört nicht zur geschützten Therapiefreiheit des Arztes, vgl. Kirchhof, Die Negativliste nach § 34 SGB V (GRG), S. 117; anders zwar Otto, PharmR 2005, S. 104, der jedoch eine Betroffenheit der Therapiefreiheit nur aufgrund eines sehr weiten Verständnisses von Eingriffen in die Berufsausübung bejaht. 583 Ebenso Becker, Steuerung der Arzneimittelversorgung, S. 410, der eine Verletzung nur annehmen will, sofern den Ärzten auch Beratungspflichten auferlegt werden. 578

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C. Verfassungsmäßigkeit und Europarechtskonformität

verkehrsfreiheit beachten584. Die Warenverkehrsfreiheit in Art. 34 ff. AEUV schützt den grenzüberschreitenden Warenverkehr in der Union gegenüber mengenmäßigen Ein- oder Ausfuhrbeschränkungen und Maßnahmen gleicher Wirkung. Erfasst sind danach alle Maßnahmen, die die Einfuhr, Ausfuhr oder Durchfuhr von Waren, der Menge oder dem Wert nach, erschweren oder ganz oder teilweise untersagen585. Der Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel aus der Verordnungsfähigkeit der gesetzlichen Krankenversicherung steht zwar nicht im unmittelbarem Zusammenhang mit der Einfuhr von Arzneimitteln aus anderen Mitgliedsstaaten, kann aber zumindest mittelbar auf den Import Auswirkungen haben. Schon in der Duphar-Entscheidung 1984 hat der Europäische Gerichtshof festgestellt, dass eine nationale Regelung, die die Versorgung mit Arzneimitteln zu Lasten der Krankenversicherung einschränkt, dann mit der Warenverkehrsfreiheit vereinbar ist, wenn die Auswahl der nicht erstattungsfähigen Arzneimittel zu keiner Diskriminierung von importierten Arzneimitteln führt und die Auswahl auf objektiven und überprüfbaren Kriterien beruht586. Als Beispiele, die diese Bedingungen erfüllen, nannte der Europäischen Gerichtshof unter anderem Maßnahmen, die Erzeugnisse betreffen, die ohne ärztliche Verordnung frei gehandelt werden587. Damit können nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel von der Versorgung der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen werden, ohne die Warenverkehrsfreiheit zu verletzen588. Da diese Rechtsprechung auch auf Positivlisten, die gerade Arzneimittel einbeziehen, angewandt werden kann589, ist keine Beeinträchtigung der Warenverkehrsfreiheit durch die OTC-Ausnahmeliste gegeben. Diese bevorteilt zwar die auf der Liste aufgeführten Wirkstoffe, indem diese noch von der gesetzlichen Krankenversicherung erstattet werden, doch sofern die Auswahl der Arzneimittel auf ob584 EuGH Slg. 1998, I-1831 Rn. 23 ff.; EuGH Slg. 2008, I-6935 Rn. 23; vgl. auch Reese/ Stallberg, in: Dieners/Reese, Handbuch des Pharmarechts, § 17 Rn. 49. 585 Vgl. Frenz, Handbuch Europarecht, Band 1: Europäische Grundfreiheiten, Rn. 875 f., 888 ff.; Leible/T. Streinz, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Art. 34 AEUV Rn. 55; Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 36 AEUV Rn. 126; Müller-Graff, in: von der Groeben, Hans/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, Art. 34 AEUV Rn. 16; Schroeder, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 34 AEUV Rn. 32, 34 ff. 586 EuGH NJW 1985, 542 (544); EuGH Slg. 2001, I-5473 Rn. 89; vgl. auch: Müller-Graff, in: von der Groeben, Hans/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, Art. 34 AEUV Rn. 174; Reese/Stallberg, in: Dieners/Reese, Handbuch des Pharmarechts, § 17 Rn. 49. 587 EuGH NJW 1985, 542 (544); vgl. hierzu auch Streinz/Ritter, in: Dauses, Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, Kap. C. V. Rn. 87, 94. 588 Vgl. Mitteilung der Kommission zur Frage der Vereinbarkeit der von den Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Arzneimittel-Preiskontrolle und der Kostenerstattung getroffenen Maßnahmen mit Artikel 30 EWG-Vertrag, abgedruckt in ABl. vom 4. 12. 1986, C 310, S. 7; Gassner, in: Mummenhoff, Machtzuwachs der Krankenkassen, S. 182 f.; vgl. auch Reich, PharmR 1988, S. 242. 589 Fuerst, VSSR 2011, S. 157; Streinz/Ritter, in: Dauses, Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, Kap. C. V. Rn. 92.

II. Europarechtskonformität

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jektiven und überprüfbaren Kriterien beruht, diskriminiert sie importierte Arzneimittel nicht.

2. Die Transparenzrichtlinie – RL 89/105/EWG Problematisch ist europarechtlich die Vereinbarkeit mit der Transparenzrichtlinie590. Diese Richtlinie stellt eine Konkretisierung der Anforderungen der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs an die Vereinbarkeit mit der Warenverkehrsfreiheit dar und statuiert u. a. Grundsätze für die Preisgestaltung, die Anordnung von Preisstopps sowie die Erstattung von Arzneimitteln aufgrund von Positivoder Negativlisten591. Richtlinien richten sich unmittelbar an die Mitgliedstaaten und müssen von diesen umgesetzt werden. Der Europäische Gerichtshof hat sich in der Pohl-Boskamp-Entscheidung592 mit der Verletzung der Transparenzrichtlinie durch den Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel auseinandergesetzt. Dort hat er die OTC-Ausnahmeliste als Positivliste im Sinne der Richtlinie eingestuft und die Richtlinie aufgrund des damals noch fehlenden Aufnahmeantragsverfahrens als verletzt angesehen. Mit der Aufnahme des Antragsverfahrens in § 34 Abs. 6 SGB V und der Gewährung der von der Transparenzrichtlinie geforderten Beteiligtenrechte entspricht die OTC-Liste jetzt insoweit den Anforderungen der Transparenzrichtlinie. Nicht entschieden hat der Europäische Gerichtshof allerdings über den Ausschluss der nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel an sich593. Insofern wird unterschiedlich beurteilt, ob die Transparenzrichtlinie auch auf ihn Anwendung findet. Während Teile der Literatur den Ausschluss als Negativliste im Sinne des Art. 7 RL 89/105/EWG einstufen594, wird von Seiten der Rechtsprechung eine Anwendbarkeit der Richtlinie verneint595. 590 Richtlinie 89/105/EWG des Rates vom 21. Dezember 1988 betreffend die Transparenz von Maßnahmen zur Regelung der Preisfestsetzung bei Arzneimitteln für den menschlichen Gebrauch und ihre Einbeziehung in die staatlichen Krankenversicherungssysteme (ABl. Nr. L 40 v. 11. 02. 1989, S. 8). Das Vorhaben der Kommission zum Erlass einer neuen Transparenzrichtlinie wurde Anfang 2015 aufgegeben, vgl. ABl. v. 07. 03. 2015 C 80 S. 17. 591 Vgl. Reese/Stallberg, in: Dieners/Reese, Handbuch des Pharmarechts, § 17 Rn. 50 f. Im Hinblick auf die Konkretisierung der Warenverkehrsfreiheit durch die Richtlinie, vgl. Erwägungsgrund 4 und 6 der RL 89/105/EWG, wonach die staatlichen Maßnahmen zur Arzneimittelkostenbegrenzung den innergemeinschaftlichen Handel beeinträchtigen und verfälschen können. 592 EuGH Slg. 2006, I-10611. 593 Die Vorlagefragen betrafen aber insoweit nur die Regelung des § 34 Abs. 1 S. 2 SGB V, vgl. SG Köln NZS 2006, 147 (148); vgl. auch Schaks, NZS 2013, S. 844. 594 Becker, Steuerung der Arzneimittelversorgung, S. 385; Gassner, in: Mummenhoff, Machtzuwachs der Krankenkassen, S. 183; Klapszus, PharmR 2006, S. 51; Kozianka, PharmR 2006, S. 141; Schaks, NZS 2013, S. 844 ff; vgl. auch Kingreen, EuR, Beiheft 2, 2007, S. 161 f. bzgl. der Ausschlüsse nach § 92 Abs. 1 S. 1 Hs. 3 SGB V.

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Art. 7 RL 89/105/EWG bestimmt, dass sofern die zuständigen Behörden eines Mitgliedstaates ermächtigt werden, Entscheidungen zu treffen, durch die bestimmte Arzneimittel oder Arzneimittelkategorien ausgeschlossen werden (sog. Negativlisten), die Mitgliedstaaten die Anforderungen an die Begründung und die Mitteilung an die Betroffenen einzuhalten haben, wie sie in der Transparenzrichtlinie aufgeführt werden. Dies ist durch den Ausschluss von nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln nach § 34 Abs. 1 S. 1 SGB V der Fall596. Erforderlich ist allerdings auch, dass zuständige Behörden des Mitgliedstaates ermächtigt werden, Entscheidungen über den Ausschluss zu treffen. Aus diesem Grund hat das Bundessozialgericht die Anwendbarkeit der Richtlinie verneint. Es handele sich nicht um eine „behördliche Entscheidung“, da der Ausschluss per Gesetz erfolge597. Dem hat sich das Bundesverfassungsgericht angeschlossen598. Demgegenüber hat das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg sowohl beim Ausschluss von Lifestyle-Arzneimitteln als auch beim Ausschluss unzweckmäßiger Arzneimittel das Vorliegen einer Negativliste bejaht599. Während es sich beim Ausschluss unzweckmäßiger Arzneimittel um einen Ausschluss durch den Gemeinsamen Bundesausschusses und nicht durch Gesetz handelt600, sodass sich eine unterschiedliche Einordnung rechtfertigen könnte, handelt es sich beim Ausschluss von Lifestyle-Arzneimitteln jedoch um einen gesetzlichen Ausschluss601. Die Anknüpfung an den Begriff der Behörde kann allerdings nicht ausschlaggebender Punkt für die Beantwortung der Frage nach dem Vorliegen einer Negativliste sein. Der Wortlaut ist in der deutschen Fassung der Richtlinie in Bezug auf die Wörter „zuständige Behörde“ zu eng gezogen. In anderen Sprachfassungen, wie etwa der englischen oder französischen Fassung ist er weiter. Dort ist von „competent authorities“ bzw. von „autorités compétentes“ die Rede, womit die zuständigen Stellen oder Hoheitsträger gemeint sind; es erfolgt dadurch keine zwingende Begrenzung auf die behördliche Verwaltungstätigkeit602. Demnach sind gesetzgeberische Maßnahmen mit umfasst. Darüber hinaus beansprucht die Transparenzrichtlinie umfassende Geltung für staatliche Einschränkungen durch Rechts- oder Verwal-

595

BSGE 102, 30 (35); zustimmend BVerfG PharmR 2013, 119 (123). Klapszus, PharmR 2006, S. 51, stellt zusätzlich noch auf § 48 Abs. 1, 2 Nr. 1 und 2 AMG ab. Der Ausschluss wird jedoch nicht schon durch die fehlenden Einordnung unter die Verschreibungspflicht ausgelöst, sondern erst durch die Regelung in § 34 Abs. 1 S. 1 SGB V. 597 BSGE 102, 30 (35). 598 BVerfG PharmR 2013, 119 (123). 599 LSG Berlin-Brandenburg Urt. v. 27. 02. 2008 – L 7 B 112/07 KA ER – Ausschluss von Lifestyle-Arzneimitteln; LSG Berlin-Brandenburg Urt. v. 10. 12. 2014 – L 7 KA 79/12 KL – Ausschluss nach § 92 Abs. 1 S. 1 Hs. 3 SGB V. 600 Vgl. Roters, in: Körner/Leitherer/Mutschler, Kasseler Kommentar, § 92 SGB V Rn. 8a. 601 Vgl. Abschnitt D. II. 4. a). 602 Schaks, NZS 2013, S. 844 f. 596

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tungsvorschriften und wird daher weit ausgelegt603. Eine Differenzierung nach Maßnahmen der Exekutive oder Legislative findet nicht statt. Zudem ist vor dem Hintergrund der Entstehungsgeschichte eine Begrenzung auf Maßnahmen der Exekutive nicht angelegt. Die Transparenzrichtlinie beruht wesentlich auf dem Duphar-Urteil604, in dem hinsichtlich der Verletzung der Warenverkehrsfreiheit durch Negativlisten nicht nach Maßnahmen der Exekutive oder Legislative differenziert wurde605. Darüber hinaus hat der Europäische Gerichtshof die Richtlinie schon bei Maßnahmen angewandt, die sich nicht zwingend als Maßnahmen einer Behörde nach deutschem Recht darstellen606, so z. B. beim Erlass einer Verordnung durch den Staat607 oder bei Maßnahmen durch einen Ministerrat608. Der Umstand, dass die OTC-Liste als Positivliste eingeordnet wurde, hindert nicht die Einstufung des Ausschlusses der OTC-Arzneimittel als Negativliste. Denn allein eine zweifstufige Ausgestaltung eines Verfahrens führt nicht dazu, dass sich nur eine Stufe an der Transparenzrichtlinie messen lassen muss609. Entscheidend sind vielmehr die Auswirkungen auf die Verordnungsfähigkeit610. Solche Auswirkungen kommen aber sowohl der OTC-Liste als auch dem Ausschluss der OTC-Arzneimittel zu. Während erste zur Aufnahme in die Verordnungsfähigkeit führt, führt letztere zum Ausschluss aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung. Es handelt sich zudem um eigenständige Regelungen, die nicht aufeinander aufbauen. Dementsprechend können die Regelungen unterschiedlichen Anforderungen der Transparenzrichtlinie unterliegen. Demnach ist der Ausschluss von OTC-Arzneimitteln als Negativliste einzuordnen. Bei Vorliegen einer Negativliste, setzt die Transparenzrichtlinie das Bestehen einer Begründung voraus, die auf objektiven und überprüfbaren Kriterien beruht. Wie diese Begründung auszusehen hat, richtet sich danach, ob es sich um einen Ausschluss einzelner Arzneimittel oder um einen Ausschluss ganzer Arzneimittelkategorien handelt. Während bei einem Ausschluss von Arzneimittelkategorien die Begründung in einer geeigneten amtlichen Bekanntmachung zu veröffentlichen ist, ist beim Ausschluss einzelner Arzneimittel die Begründung der zuständigen Person 603 s. Art. 1 Abs. 1 RL 85/105/EWG, vgl. auch: EuGH Slg. 2001, I-9285 Rn. 24 ff.; Slg. 2003, I-5727 Rn. 37 ff.; Slg. 2006, I-10611 Rn. 25 ff.; EuGH Urt. v. 17. 07. 2008 Rs. C311/07 Rn. 29 ff.; vgl. zur weiten Auslegung auch: Brendel/Spies/Dierks, A&R 2015, S. 70; Fuerst, VSSR 2011, S. 165 f. 604 EuGH NJW 1985, 542 ff. Zum Duphar-Urteil als Auslöser für den Erlass der Transparenzrichtlinie: Kingreen, EuR, Beiheft 2, 2007, S. 161; Schaks, NZS 2013, S. 845. 605 Vgl. Schaks, NZS 2013, S. 845. 606 Schaks, NZS 2013, S. 845. 607 EuGH Urt. v. 16. 04. 2015 – Rs. C-271/14, C-273/14. 608 EuGH Slg. 2003, I-5727 Rn. 12 f., 31 ff. 609 EuGH Slg. 2003, I-5727 Rn. 40; Slg. 2006, I-10611 Rn. 27. Vgl. auch Schaks, NZS 2013, S. 844. 610 Vgl. EuGH Slg. 2001, I-9285 Rn. 29; zu dieser Deutung kommend auch Reese/Stallberg, in: Dieners/Reese, Handbuch des Pharmarechts, § 17 Rn. 59.

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C. Verfassungsmäßigkeit und Europarechtskonformität

mitzuteilen und es ergeben sich erhöhte Anforderungen, wie z. B. die Belehrung über Rechtsmittel und Rechtsmittelfristen611. Beim Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel handelt es sich um keine Einzelentscheidung, sondern um einen Ausschluss nach einer Arzneimittelkategorie612. Die Voraussetzungen des Art. 7 Nr. 1 RL 89/105/EWG sind durch die Veröffentlichung des Ausschlusses im Bundesanzeiger613 sowie der Bekanntmachung der tragenden Gründe im Internet erfüllt614. Damit sind auch die inhaltlichen Anforderungen der Transparenzrichtlinie an eine Negativliste erfüllt.

III. Zusammenfassung Der Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel ist sowohl mit dem Grundgesetz vereinbar als auch in europarechtlicher Hinsicht zulässig. Grundrechte der gesetzlich Versicherten werden durch den Ausschluss nicht verletzt, da die Eingriffe in die allgemeine Handlungsfreiheit der Versicherten gerechtfertigt sind. Der Ausschluss ist aufgrund seiner Anknüpfung an Arzneimittel im unteren Preisbereich und der Ausnahmeregelungen in § 34 Abs. 1 S. 2 und 5 SGB V zumutbar und mithin als verhältnismäßig zu erachten. Das Merkmal der Verschreibungspflicht ist zwar im Hinblick auf die Finanzierbarkeit der gesetzlichen Krankenversicherung nicht zielgenau, jedoch als sachgerechtes Kriterium anzusehen. Für chronisch kranke Versicherte ergeben sich keine anderen Erwägungen; eine Belastungsgrenze ist aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht geboten. Das medizinische Existenzminimum kann in Einzelfällen bei einkommensschwachen Versicherten verletzt sein, wobei dann die Möglichkeit besteht in Form von Darlehensgewährung oder Regelbedarfserhöhungen über das SGB II oder SGB XII die Versorgung mit nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln sicherzustellen. Im Bereich der besonderen Therapierichtungen ist die Regelung des § 12 Abs. 6 AM-RL ausreichend, um der therapeutischen Vielfalt Rechnung zu tragen.

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Art. 7 Nr. 1, 3 RL 89/105/EWG. So auch Becker, Steuerung der Arzneimittelversorgung, S. 385; Gassner, in: Mummenhoff, Machtzuwachs der Krankenkassen, S. 183; a.A. Klapszus, PharmR 2006, S. 81, der aufgrund der stoffbezogenen Entscheidung über die Verschreibungspflicht nach der Rechtsverordnung aus § 48 AMG auf Art. 7 Nr. 3 RL 89/105/EWG abstellt. Allerdings handelt es sich bei der Rechtsverordnung nach § 48 AMG um eine eigene Positivliste, deren Vereinbarkeit mit der Transparenzrichtlinie gesondert und unabhängig vom Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel zu prüfen wäre. 613 BGBl. I 2003, S. 2190. 614 So auch Gassner, in: Mummenhoff, Machtzuwachs der Krankenkassen, S. 183, der die Voraussetzungen allein aufgrund der Gesetzesform als erfüllt ansieht. Vgl. hierzu auch LSG Berlin-Brandenburg Urt. v. 27. 02. 2008 – L 7 B 112/07 KA ER, das die Veröffentlichung im Bundesanzeiger und im Internet beim Ausschluss für Lifestyle-Arzneimittel als ausreichend ansah. 612

III. Zusammenfassung

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Des Weiteren sind die Grundrechte der Vertragsärzte nicht verletzt. Bei den pharmazeutischen Herstellern stellen sich die Umsatzeinbußen, ebenso wie bei den Festbeträgen, als bloße Rechtsreflexe dar. Darüber hinaus liegt auch keine Beeinträchtigung im Recht auf chancengleichen Marktzugang (Art. 12 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 3 Abs. 1 GG) oder in der Eigentumsfreiheit vor. Aus europarechtlicher Sicht ist der Ausschluss mit der Warenverkehrsfreiheit grundsätzlich vereinbar. Ebenso ist sekundäres Unionsrecht in Form der Transparenzrichtlinie, die nicht nur auf die OTC-Liste als Positivliste, sondern auch auf den Ausschluss selbst, der als Negativliste zu qualifizieren ist, Anwendung findet, nicht verletzt. Die Voraussetzungen einer Negativliste werden eingehalten.

D. Weitere Ausschlüsse nach § 34 SGB V I. Der Ausschluss von Bagatellarzneimitteln – § 34 Abs. 1 S. 6 SGB V Nach § 34 Abs. 1 S. 6 SGB V sind für Versicherte Arzneimittel bei Verordnung in bestimmten Anwendungsgebieten ausgeschlossen: zum einen Arzneimittel zur Anwendung bei Erkältungskrankheiten und grippalen Infekten einschließlich der bei diesen Krankheiten anzuwendenden Schnupfenmittel, Schmerzmittel, hustendämpfenden und hustenlösenden Mittel, zum anderen Mund- und Rachentherapeutika, wobei Arzneimittel zur Behandlung von Pilzinfektionen ausgenommen sind, sowie Abführmittel und Arzneimittel gegen Reisekrankheit1. Betroffen sind somit Arzneimittelgruppen, die hauptsächlich bei geringfügigen Gesundheitsstörungen, also bei Bagatellerkrankungen, verordnet werden, sodass man deshalb auch von Bagatellarzneimitteln spricht2. Der Ausschluss wurde bereits 1983 in der damals noch geltenden Reichsversicherungsordnung eingeführt3 und 1989 fast unverändert in § 34 Abs. 1 SGB V übernommen4. Er hat allerdings durch die Einführung des Ausschlusses von OTC-Arzneimitteln im Jahre 2004 einen Großteil seines Anwendungsbereiches eingebüßt5 und ist seitdem nur noch auf verschreibungspflichtige Arzneimittel anwendbar. Des Weiteren bestand in § 34 Abs. 2 a.F. SGB V eine Verordnungsermächtigung des Bundesministeriums für Gesundheit im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie, zum Ausschluss 1

§ 34 Abs. 1 S. 6 Nr. 1 – 4 SGB V. Vgl. Pflugmacher, in: Eichenhofer/Wenner, SGB V, § 34 SGB V Rn. 6. Die Begriffe der Bagatellerkrankungen und der Bagatellarzneimittel haben sich in diesem Zusammenhang etabliert, vgl. BVerfG Die Leistungen 1992, 237 (238); BSGE 94, 302 (306); 108, 175 (178); 111, 155 (160); 112, 251 (255); Axer, in: Becker/Kingreen, SGB V, § 34 SGB V Rn. 12; Beck, in: Schlegel/Voelzke, juris Praxiskommentar, § 34 SGB V Rn. 22 f.; Gerlach, in: Hauck/Noftz, Sozialgesetzbuch – SGB V, § 34 SGB V Rn. 20. 3 Durch das Gesetz zur Wiederbelebung der Wirtschaft und Beschäftigung und zur Entlastung des Bundeshaushaltes (Haushaltsbegleitgesetz 1983) vom 20. 12. 1982 (BGBl. I, S. 1857); vgl. auch Spickhoff, in: ders., Medizinrecht, § 34 SGB V Rn. 6. 4 Vgl. Gesetz zur Strukturreform im Gesundheitswesen (Gesundheits-Reformgesetz-GRG) vom 20. 12. 1988 (BGBl. I, S. 2477). Lediglich die Altersgrenze wurde von 16 auf 18 Jahre heraufgesetzt, vgl. BT-Drs. 11/2237, S. 174; Hauck, in: Peters, Handbuch der Krankenversicherung, Band 2, § 34 SGB V Rn. 20; Hess, in: Körner/Leitherer/Mutschler, Kasseler Kommentar, § 34 SGB V Rn. 11; Orlowski, in: ders./Rau/Wasem/Zipperer, Gesamtausgabe GKVKommentar SGB V, § 34 SGB V Rn. 8. 5 Beck, in: Schlegel/Voelzke, juris Praxiskommentar, § 34 Rn. 22. 2

I. Der Ausschluss von Bagatellarzneimitteln

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weiterer Arzneimittel, die ihrer Zweckbestimmung nach üblicherweise bei geringfügigen Gesundheitsstörungen verordnet wurden. Diese Ermächtigung war allerdings aufgrund des Ausschlusses von OTC-Arzneimitteln und der Befugnis des Gemeinsamen Bundesausschusses zum Ausschluss unzweckmäßiger oder unwirtschaftlicher Arzneimittel nicht mehr erforderlich, sodass sie 2011 aufgehoben wurde6.

1. Ausgeschlossene Bagatellarzneimittel Der Ausschluss von Arzneimitteln zur Anwendung bei Erkältungskrankheiten und grippalen Infekten ist sehr weit gefasst7, da daneben auch Schnupfen-, Schmerzund Hustenmittel zur Behandlung dieser Erkrankungen ausgeschlossen sind. Die Einbeziehung von Schnupfen- und Hustenmitteln folgt daraus, dass Arzneimittel gegen Husten, Schnupfen und Heiserkeit von Arzneimitteln gegen Erkältungskrankheiten nicht zu trennen sind, da es sich meistens um Kombinationen handelt, die die Einzelindikation Husten oder Schnupfen abdecken8. Darüber hinaus sind Erkältungskrankheiten und grippale Infekte medizinisch nicht eindeutig definiert9, sodass sich auch hieraus ein weiter Anwendungsbereich ergibt. Nicht erfasst ist allerdings eine echte Grippe10. Der Ausschluss von Mund- und Rachentherapeutika ist enger gefasst. Er umfasst nur Arzneimittel, die der Behandlung von Gesundheitsstörungen im Mund- und Rachenraum dienen11. Arzneimittel gegen Reisekrankheiten umfassen solche Arzneimittel, die Leitsymptome wie Schwindel, Übelkeit und Erbrechen behandeln12. Maßgeblich für den Ausschluss ist die Verordnung des Arzneimittels in den gesetzlich bestimmten Anwendungsgebieten. Während § 34 Abs. 1 S. 6 Nr. 1 und Nr. 4 auch Anwendungsgebiete aufzählen, werden in Nr. 2 mit „Mund- und Rachentherapeutika“ sowie in Nr. 3 mit „Abführmittel“ lediglich Arzneimittelgruppen

6 BT-Drs. 17/2413, S. 18. Abgeschafft wurde die Norm durch das Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG) v. 22. 12. 2010 (BGBl. I, S. 2262); vgl. auch: Spickhoff, in: ders., Medizinrecht, § 34 SGB V Rn. 6; Wodarz, in: Sodan, Handbuch des Krankenversicherungsrechts, § 27 Rn. 20 mit FN. 87. 7 Pflugmacher, in: Eichenhofer/Wenner, SGB V, § 34 SGB V Rn. 6. 8 BT-Drs. 9/2140, S. 98; vgl. auch: Hauck, in: Peters, Handbuch der Krankenversicherung, Band 2, § 34 SGB V Rn. 24; Wagner, in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung Pflegeversicherung, § 34 SGB V Rn. 8. 9 Hess, in: Körner/Leitherer/Mutschler, Kasseler Kommentar, § 34 SGB V Rn. 11. 10 Hauck, in: Peters, Handbuch der Krankenversicherung, Band 2, § 34 SGB V Rn. 24. 11 Hauck, in: Peters, Handbuch der Krankenversicherung, Band 2, § 34 SGB V Rn. 25. 12 BT-Drs. 9/2140, S. 98; vgl. auch Hauck, in: Peters, Handbuch der Krankenversicherung, Band 2, § 34 SGB V Rn. 27.

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D. Weitere Ausschlüsse nach § 34 SGB V

umschrieben13. Der Anwendungsbereich dieser Arzneimittelgruppen erschließt sich aber schon dadurch, dass sich diese Arzneimittelgruppen anhand ihres Anwendungsgebietes definieren14. Die ausgeschlossenen Bagatellarzneimittel sollen gem. § 93 Abs. 1 S. 1 SGB V in einer Liste durch den Gemeinsamen Bundesausschuss veröffentlicht werden. Dieser Pflicht ist der Gemeinsame Bundesausschuss bisher nicht nachgekommen15, was unter anderem daran liegt, dass der Ausschluss indikationsbezogen erfolgt und nicht auf bestimmte Arzneimittel bezogen ist16. Damit ist eine Erstellung einer Liste von ausgeschlossenen Arzneimitteln schwierig. Es finden sich zwar in Anlage III der Arzneimittel-Richtline in der „Übersicht über Verordnungseinschränkungen und -ausschlüsse“ Verweise auf einen Verordnungsausschluss aufgrund von Bagatellerkrankungen, jedoch handelt es sich bei den aufgelisteten Arzneimitteln um solche, die nach § 92 Abs. 1 S. 1 SGB V ausgeschlossen sind. Die Erwähnung des Verordnungsausschlusses aufgrund von Bagatellerkrankungen in dieser Anlage hat insofern nur informatorischen Charakter. Dennoch sind auf dieser Liste drei ausgeschlossene Bagatellarzneimittel zu finden, z. B. Hustenmittel als fixe Kombinationen von Antitussiva oder Expektorantien oder Mukolytika untereinander oder mit anderen Wirkstoffen17.

2. Beschränkungen des Anwendungsbereichs des Ausschlusses Der Ausschluss von Bagatellarzneimitteln gilt allerdings nicht umfassend. Sein Anwendungsbereich wird sowohl in persönlicher als auch sachlicher Hinsicht beschränkt. In persönlicher Hinsicht findet eine Beschränkung des Ausschlusses insofern statt, als er nur für Versicherte gilt, die das achtzehnte Lebensjahr vollendet haben. Dadurch sind Kinder und Jugendliche vom Ausschluss ausgenommen. Des Weiteren umfasst der Ausschluss seit der Einführung des Ausschlusses von nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln in § 34 Abs. 1 S. 1 – 5 SGB V nur 13 Vgl. Becker, Steuerung der Arzneimittelversorgung, S. 28; Orlowski, in: ders./Rau/ Wasem/Zipperer, Gesamtausgabe GKV-Kommentar SGB V, § 34 SGB V Rn. 12; Pflugmacher, in: Eichenhofer/Wenner, SGB V, § 34 SGB V Rn. 6. 14 Becker, Steuerung der Arzneimittelversorgung, S. 28. 15 Die bisher veröffentlichte Liste bezieht sich nur auf die nach § 34 Abs. 3 SGB Verlassene Rechtsverordnung, die unwirtschaftliche Arzneimittel ausschloss, vgl. Becker, Steuerung der Arzneimittelversorgung, S. 158 f.; so auch Wiegand, in: Schlegel/Voelzke, juris Praxiskommentar, § 93 SGB V Rn. 13 ff., die allerdings in der Anlage III AM-RL eine Auflistung der Bagatellarzneimittel sieht. 16 Vgl. auch Becker, Steuerung der Arzneimittelversorgung, S. 29, der aufgrund der Indikationsbezogenheit die Umsetzung des Ausschlusses in eine Übersicht als problematisch ansieht. 17 Vgl. Nr. 31 Anlage III AM-RL.

I. Der Ausschluss von Bagatellarzneimitteln

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noch verschreibungspflichtige Arzneimittel18. Geläufige Arzneimittel für die ausgeschlossenen Bagatellerkrankungen sind allerdings oftmals nicht verschreibungspflichtig, wie Aspirin® Complex oder Grippostad® C, die bei Erkältungen angewandt werden19. Verschreibungspflichtige Erkältungsarzneimittel gibt es dagegen eher wenig, was unter anderem auch mit dem Verbot deren Bewerbung zusammenhängen dürfte20, doch sind sie noch auf dem Markt vorhanden, sodass der Ausschluss – wenn auch nicht mehr im selben Ausmaße wie früher – greifen kann. Zudem ist der Ausschluss nicht obsolet, da auch Arzneimittel, die neue Wirkstoffe oder Zubereitungen solcher Wirkstoffe enthalten, sowie Arzneimittel, die aus bekannten Wirkstoffen neu zubereitet werden, unter die Verschreibungspflicht fallen21. Sofern also neuartige Arzneimittel für die ausgeschlossenen Bagatellerkrankungen auf den Markt gebracht werden, unterfallen diese der Verschreibungspflicht, sodass der Ausschluss noch einen Anwendungsbereich hat. Der Ausschluss von Bagatellarzneimitteln ist, da es sich um einen indikationsbezogenen Ausschluss handelt, auf die im Gesetz genannten Anwendungsgebiete beschränkt. Sofern Bagatellarzneimittel nicht in einem der ausgeschlossenen Anwendungsgebiete angewandt werden sollen, sondern zur Behandlung anderer Erkrankungen, sind sie weiterhin zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnungsfähig22. So können etwa Hustenmittel zur Behandlung einer Rippenfellentzündung weiter verordnet werden oder dann, wenn sie im Rahmen einer ambulanten Operation unter Lokalanästhesie den Hustenreiz unterdrücken sollen23. Entscheidend für den Ausschluss ist immer der jeweilige Einsatz im Einzelfall. Dies hat in der Vergangenheit allerdings auch zu Umgehungsmöglichkeiten, wie dem Gebrauch stärkerer Arzneimittel, z. B. von Antibiotika, geführt oder zur Erweiterung der Krankheitsdiagnose weg von einer Bagatellerkrankung24. 18

Vgl. § 48 Abs. 2 Nr. 2 a) und b) AMG; zur Verschreibungspflicht, vgl. Abschnitt B. II. 2. Erkältungs- und Hustenarzneimittel sind mit die umsatzstärksten Arzneimittel im Bereich der Selbstmedikation, vgl. den Bericht des Bundesverbandes der Arzneimittelhersteller e.V. (BAH), Stand: 01. 05. 2014, abrufbar unter: https://www.bah-bonn.de/presse-und-publika tionen/zahlen-fakten/. 20 Nach § 10 Abs. 1 HWG unterliegen verschreibungspflichtige Arzneimittel einem Publikumswerbeverbot. Lediglich bei Ärzten, Zahnärzten, Tierärzten, Apotheker und Personen, die mit diesen Arzneimitteln erlaubterweise Handel treiben, darf geworben werden, vgl. auch Fritzsche, in: Spickhoff, Medizinrecht, § 10 HWG Rn. 1 ff.; Zimmermann, in: Fuhrmann/ Klein/Fleischfresser, Arzneimittelrecht, § 28 Rn. 103 f. 21 Vgl. § 48 Abs. 1 S. 1 Nr. 3, S. 3 AMG. 22 Vgl. BT-Drs. 9/2290, S. 20; Becker, Steuerung der Arzneimittelversorgung, S. 28; Gerlach, in: Hauck/Noftz, Sozialgesetzbuch – SGB V, § 34 SGB V Rn. 22; Kirchhof, Die Negativliste nach § 34 SGB V (GRG), S. 51; Orlowski, in: ders./Rau/Wasem/Zipperer, Gesamtausgabe GKV-Kommentar SGB V, § 34 SGB V Rn. 11; Wagner, in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung Pflegeversicherung, § 34 SGB V Rn. 8. 23 Wagner, in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung Pflegeversicherung, § 34 SGB V Rn. 8. 24 Vgl. BT-Drs. 11/3267, S. 139, 255; Becker, Steuerung der Arzneimittelversorgung, S. 28; Fiedler, Deutsches Ärzteblatt 1984, S. 3308 f., der allerdings davon ausgeht, dass 19

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D. Weitere Ausschlüsse nach § 34 SGB V

Weiterhin ist der Ausschluss nach seinem Sinn und Zweck auf die Anwendung bei Bagatellerkrankungen beschränkt25. Dies ergibt sich zwar nicht unmittelbar aus dem Gesetzeswortlaut, aber aus den Konkretisierungen in der Arzneimittel-Richtlinie26. Dort ist bestimmt, dass Arzneimittel zur Anwendung bei Erkältungskrankheiten oder grippalen Infekten nur ausgeschlossen sind, sofern es sich um geringfügige Gesundheitsstörungen handelt. Mund und Rachentherapeutika sind danach, abgesehen von der Pilzinfektion, bei geschwürigen Erkrankungen der Mundhöhle und nach chirurgischen Eingriffen im Hals-, Nasen- und Ohrenbereich zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung zu erbringen. Abführmittel sind z. B. noch zur Behandlung von Erkrankungen im Zusammenhang mit Tumorleiden, Megacolon, neurogener Darmlähmung, vor diagnostischen Eingriffen, bei chronischer Niereninsuffizienz, bei der Opiat- sowie Opioidtherapie und in der Terminalphase im Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung enthalten27. Bei den Arzneimitteln gegen Reisekrankheit bleibt die Anwendung zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung gegen Erbrechen bei Tumortherapie und anderen Erkrankungen, wie dem Menièrescher Symptomkomplex erhalten28. Die Frage nach einer Begrenzung des Ausschlusses auf Fälle von Bagatellerkrankungen kam vor allem deshalb auf, weil der Gesetzgeber bei der Übernahme der Regelung des § 182 f RVO in § 34 SGB V klarstellte, dass keine Ausnahmen für Härtefälle mehr bestehen sollen, da nach seiner Ansicht solche nicht in die Systematik ausgegrenzter Leistungen passten und er eine Eigenvorsorge als zumutbar erachtete29. Zuvor bestand für Härtefälle insofern eine Ausnahme, als die Regelung des § 182 f Abs. 1 S. 3 RVO auf § 182a S. 3 RVO verwies, wonach eine Befreiung von der Zahlung des Arzneimittels durch die Krankenkassen bei Einnahme über einen längerer Zeitraum möglich war, sofern der Versicherte unzumutbar belastet wurde. Die fehlende Härtefallregelung im SGB V führte zu Unstimmigkeiten, da die aufgezählten Anwendungsgebiete nicht zwingend nur Bagatellfälle erfasst haben und sie auch heute nicht nur Bagatellfälle erfassen30. Insbesondere für Behinderte Umgehungsstrategien nur eine untergeordnete Rolle spielen; Schwerdtfeger, pharmind 1989, S. 22. 25 Axer, in: Becker/Kingreen, SGB V, § 34 SGB V Rn. 12; Orlowski, in: ders./Rau/Wasem/ Zipperer, Gesamtausgabe GKV-Kommentar SGB V, § 34 SGB V Rn. 17; Spickhoff, in: ders., Medizinrecht, § 34 SGB V Rn. 6. 26 Bischofs, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, Beck’scher Onlinekommentar Sozialrecht, § 34 SGB V Rn. 16. 27 Vgl. § 13 Abs. 1 Nr. 3 AM-RL, wonach Abführmittel ebenso im Zusammenhang mit Divertikulose, Divertikulitis, Mukoviszidose und bei phosphatbindender Medikation zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung zu erbringen sind. 28 § 13 Abs. 1 Nr. 1 – 4 AM-RL; vgl. auch Gerlach, in: Hauck/Noftz, Sozialgesetzbuch – SGB V, § 34 SGB V Rn. 21; Pflugmacher, in: Eichenhofer/Wenner, SGB V, § 34 SGB V Rn. 6. 29 BT-Drs. 11/2237, S. 174. 30 Vgl. Hess, in: Körner/Leitherer/Mutschler, Kasseler Kommentar, § 34 SGB V Rn. 11, wonach bei Erkrankungen der Luftwege nicht zwischen Arzneimitteln, die bei Bagatellerkrankungen und solchen, die bei schwerwiegenden Erkrankungen helfen, differenziert werden

I. Der Ausschluss von Bagatellarzneimitteln

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und chronisch Kranke hatte dies weitreichende Folgen, denn für sie waren Teile der nun ausgeschlossenen Arzneimittel wichtiger Bestandteil ihrer Arzneimitteltherapie; zudem wurden die betroffenen Arzneimittel bei ihnen nicht nur kurzfristig, sondern auf Dauer verordnet31. Bei diesen Personengruppen wurden daher nicht nur geringfügige Gesundheitsstörungen ausgeschlossen, wie es der Gesetzgeber vorgesehen hatte32. Die ausgeschlossenen Arzneimittel haben für diese Personengruppen einen anderen Stellenwert, als den, den der Gesetzgeber beabsichtigte33. Daher wurde durch die Spitzenverbände der Krankenkassen in Abstimmung mit dem Bundesministerium für Arbeit sowie den Aufsichtsbehörden der Länder eine Empfehlung dahingehend ausgesprochen, die aufgrund der Regelung des § 182 f Abs. 1 S. 3 RVO ergangene bisherige Praxis weiterzuführen, sodass etwa Abführmitteln zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung bei Behandlung einer erheblichen Erkrankung weiter verordnet werden konnten34, bspw. nach Herzinfarkten oder Schlaganfällen, wonach die Patienten Pressen beim Stuhlgang vermeiden sollten35. Heute stellt die Arzneimittel-Richtlinie klar, dass der Ausschluss nur für Bagatellerkrankungen gilt36. Die Regelung des § 13 AM-RL ist allerdings nicht mit der Anwendungsempfehlung identisch. Trotzdem wird sie als Nachfolgeregelung der Anwendungsempfehlung gesehen37.

kann; so auch Orlowski, in: ders./Rau/Wasem/Zipperer, Gesamtausgabe GKV-Kommentar SGB V, § 34 SGB V Rn. 15, der zusätzlich noch darauf verweist, dass Abführmittel bei Querschnittslähmungen oder Darmkrebs unabweisbar sind. 31 Gerlach, in: Hauck/Noftz, Sozialgesetzbuch – SGB V, § 34 SGB V Rn. 24. 32 Vgl. zum Ziel des Gesetzgebers: BT-Drs. 9/2140, S. 98; Gerlach, in: Hauck/Noftz, Sozialgesetzbuch – SGB V, § 34 SGB V Rn. 20; Orlowski, in: ders./Rau/Wasem/Zipperer, Gesamtausgabe GKV-Kommentar SGB V, § 34 SGB V Rn. 17. 33 Gerlach, in: Hauck/Noftz, Sozialgesetzbuch – SGB V, § 34 SGB V Rn. 24; Orlowski, in: ders./Rau/Wasem/Zipperer, Gesamtausgabe GKV-Kommentar SGB V, § 34 SGB V Rn. 15. 34 Vgl. Gerlach, in: Hauck/Noftz, Sozialgesetzbuch – SGB V, § 34 SGB V Rn. 24; Hauck, in: Peters, Handbuch der Krankenversicherung, Band 2, § 34 SGB V Rn. 19; Wagner, in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung Pflegeversicherung, § 34 SGB V Rn. 10. 35 Hauck, in: Peters, Handbuch der Krankenversicherung, Band 2, § 34 SGB V Rn. 19; Wagner, in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung Pflegeversicherung, § 34 SGB V Rn. 10. Als weitere Beispiele für eine Anwendung von Abführmitteln zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung wurden etwa Querschnittslähmungen, Multiple Sklerose oder dialysepflichtige Nierenerkrankungen genannt, vgl. DOK 1989, S. 390 f. 36 Vgl. auch Gerlach, in: Hauck/Noftz, Sozialgesetzbuch – SGB V, § 34 SGB V Rn. 24, der die Anwendungsempfehlung aufgrund der Regelung in § 13 AM-RL nicht mehr für anwendbar hält. 37 Vgl. Hess, in: Körner/Leitherer/Mutschler, Kasseler Kommentar, § 34 SGB V Rn. 11; wohl auch Joussen, in: Knickrehm/Kreikebohm/Waltermann, Kommentar zum Sozialrecht, § 34 SGB V Rn. 6, der von einer Anwendungsempfehlung des Gemeinsamen Bundesausschusses spricht.

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D. Weitere Ausschlüsse nach § 34 SGB V

3. Verfassungsmäßigkeit des Ausschlusses Ebenso wie beim Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel kommen durch den Ausschluss von Bagatellarzneimitteln Beeinträchtigungen von Art. 2 Abs. 2 GG, Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. dem Sozialstaatsprinzip bezüglich der Versicherten sowie Art. 12 Abs. 1 GG bezüglich der Vertragsärzte und Art. 14 Abs. 1 S. 1 Var. 1 GG sowie Art. 12 Abs. 1 GG hinsichtlich der pharmazeutischen Hersteller in Betracht. Der Ausschluss wirkt allerdings gegenüber dem Ausschluss der OTCArzneimittel insofern anders, als keine komplette Arzneimittelgruppe, sondern die Behandlung bestimmter Erkrankungen mit Arzneimitteln ausgeschlossen ist, sodass sich andere Wertungen hinsichtlich des Vorliegens von Eingriffen, der Eingriffsintensität und der Rechtfertigung ergeben können. a) Verletzung von Grundrechten der gesetzlich Versicherten Die Versicherten werden dadurch beeinträchtigt, dass sie keine Arzneimittel bei den vom Ausschluss umfassten Bagatellerkrankungen zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung beziehen können. Eine Verletzung des Rechts auf körperliche Unversehrtheit und der daraus resultierenden Schutzpflicht des Staates scheitert daran, dass Ansprüche auf bestimmte Leistungen aus dieser Schutzpflicht nicht ableitbar sind38. Ein Anspruch ergibt sich ebenso nicht unter Hinzuziehung der Grundsätze des Nikolausbeschlusses des Bundesverfassungsgerichts, da durch den Bagatellarzneimittel-Ausschluss, aufgrund seiner teleologischen Begrenzung auf Bagatellerkrankungen, jedenfalls keine Arzneimittel für regelmäßig tödliche oder lebensbedrohliche Erkrankungen betroffen sind39. Ebenso wird durch den Ausschluss die Auswahl unter Arzneimitteln, die dem Versicherten als Sachleistung zur Verfügung stehen, was von der allgemeinen Handlungsfreiheit Art. 2 Abs. 1 GG umfasst ist40, nicht verletzt. Da es sich um einen Ausschluss nach Indikationsgebieten handelt, stehen den Versicherten bei den vom Ausschluss umfassten Anwendungsgebieten keine Arzneimittel zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung mehr zur Verfügung, sodass insofern auch keine Wahlmöglichkeit unter Arzneimitteln besteht. Allerdings schützt die allgemeine Handlungsfreiheit i. V. m. dem Sozialstaatsprinzip auch vor einer Unverhältnismäßigkeit von Beitrag und Leistung41. Das Bundesverfassungsgericht hat diese Schutzfunktion zwar im Nikolausbeschluss herausgearbeitet und damit im Zusammenhang mit lebensbedrohlichen Erkran38

Vgl. hierzu Abschnitt C. I. 1. a) bb) (2) (a). Das BVerfG hat klargestellt, dass ein verfassungsunmittelbarer Anspruch aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip und aus Art. 2 Abs. 2 GG nur im Falle von lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankungen besteht, BVerfG KrV 2015, 236 (238). Vgl. hierzu auch Abschnitt C. I. 1. a) bb) (2) (b). 40 Vgl. hierzu Abschnitt C. I. 1. a) cc). 41 Vgl. hierzu Abschnitt C. I. 1. a) dd). 39

I. Der Ausschluss von Bagatellarzneimitteln

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kungen bejaht, jedoch gilt dieser Schutz unabhängig vom Vorliegen einer lebensbedrohlichen Erkrankung. Leistungsausschlüsse und Begrenzungen müssen sich an Art. 2 Abs. 1 GG messen lassen, da Beitragssatz und Leistungen nach dem Ausschluss noch in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen müssen. Der Ausschluss von Bagatellarzneimitteln muss daher verhältnismäßig sein. Gestützt wird der Ausschluss auf die Eigenverantwortung, einem Grundprinzip der gesetzlichen Krankenversicherung42, und die Eigenvorsorge der Versicherten43. Der Ausschluss konkretisiert Solidarität und Eigenverantwortung, indem festgelegt wird, dass im Falle von Bagatellerkrankungen eine solidarische Finanzierung nicht erfolgen soll, die Leistung vielmehr in die Eigenvorsorge der Versicherten fallen soll und eine solche Leistung den Versicherten aufgrund der geringen medizinischen Bedeutung auch zumutbar ist44. Darüber hinaus dient er der Entlastung der gesetzlichen Krankenversicherung45. Aus dem Wirtschaftlichkeitsgebot resultiert der Ausschluss hingegen nicht46. Die Bagatellarzneimittel sind weder pauschal als unwirtschaftlich einzuordnen, noch bedarf es für den Ausschluss einer Überprüfung auf Zweckmäßigkeit, Notwendigkeit oder Wirtschaftlichkeit im engeren Sinne, noch einer Überprüfung dahingehend, ob sie zur Behandlung ausreichend sind47. Sie können für die Behandlung der Erkrankung sogar wirtschaftlich sein. Entscheidend für die Auswahl der ausgeschlossenen Anwendungsgebiete ist der Umstand, dass es sich um Fälle handelt, in denen es um medizinisch nicht unbedingt notwendige Leistungen im Bereich von Befindlichkeitsstörungen geht48. Ob das einzelne Arzneimittel, das im Anwendungsgebiet eingesetzt werden soll, wirtschaftlich oder unwirtschaftlich ist, ist für den Ausschluss irrelevant. Früher, als der Ausschluss noch OTC-Arzneimittel umfasste, spiegelte er den klassischen Bereich der Selbstmedikation wieder49. Insofern ließen sich dort dieselben Gründe wie beim Ausschluss der nicht verschreibungspflichtigen Arznei42 Vgl. Joussen, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, Beck’scher Onlinekommentar Sozialrecht, § 2 SGB V Rn. 1 f.; Krauskopf, in: ders., Soziale Krankenversicherung Pflegeversicherung, § 1 SGB V Rn. 3; Peters, in: Körner/Leitherer/Mutschler, Kasseler Kommentar, § 1 SGB V Rn. 3. 43 Beck, in: Schlegel/Voelzke, juris Praxiskommentar, § 34 SGB V Rn. 24. 44 BT-Drs. 11/2237, S. 174; BR-Drs. 200/88, S. 174; vgl. auch: Becker, Steuerung der Arzneimittelversorgung, S. 28; Orlowski, in: ders./Rau/Wasem/Zipperer, Gesamtausgabe GKV-Kommentar SGB V, § 34 SGB V Rn. 14. Zur Konkretisierung der Eigenverantwortung durch § 34 SGB V, vgl. auch Joussen, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, Beck’scher Onlinekommentar Sozialrecht, § 2 SGB V Rn. 2. 45 Vgl. BT-Drs. 9/2140, S. 94; BT-Drs. 11/6380, S. 243. 46 Vgl. Becker, Steuerung der Arzneimittelversorgung, S. 28; Hauck, in: Peters, Handbuch der Krankenversicherung, Band 2, § 34 SGB V Rn. 21; Orlowski, in: ders./Rau/Wasem/Zipperer, Gesamtausgabe GKV-Kommentar SGB V, § 34 SGB V Rn. 14. 47 Becker, Steuerung der Arzneimittelversorgung, S. 28. 48 BT-Drs. 9/2140, S. 94. 49 Vgl. Spickhoff, in: ders., Medizinrecht, § 34 SGB V Rn. 6, der sich allerdings hinsichtlich seiner Aussage nicht nur auf früher bezieht.

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D. Weitere Ausschlüsse nach § 34 SGB V

mittel, etwa der geringe Preis, anführen. Durch die Beschränkung auf verschreibungspflichtige Arzneimittel kann zumindest auf das Preisargument nicht in gleicher Weise zurückgegriffen werden. Allerdings sprechen für die Zumutbarkeit des Ausschlusses weitere Gründe: So ist der Ausschluss auf Fälle von Bagatellerkrankungen beschränkt. In den Fällen von lediglich geringfügigen Erkrankungen muss nicht zwingend auf Arzneimittel zurückgegriffen werden, sondern kann sich auch mit Hausmitteln geholfen werden50. Zudem ist nur die Arzneimittelversorgung ausgeschlossen, nicht aber die vertragsärztliche Behandlung51. Daher kann nicht argumentiert werden, dass der Versicherte durch die Regelung davon abgehalten werde zum Arzt zu gehen52. Darüber hinaus gilt der Ausschluss erst ab 18 Jahren, sodass ebenfalls Familien entlastet werden. Mithin hat der Gesetzgeber durch den Ausschluss von Bagatellarzneimitteln keine derartig notwendigen oder umfassenden Leistungen ausgeschlossen, dass von einer Unverhältnismäßigkeit von Beitrag und Leistung gesprochen werden kann. Dem Gesetzgeber ist es überlassen im Rahmen seines Gestaltungsspielraums Leistungen von der Verordnung auszuschließen. Dabei ist die Überführung in den Bereich der Eigenvorsorge ein legitimes Mittel. Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass der Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung begrenzt wird und dass Leistungen nur dann gewährt werden, wenn sie nicht der Eigenverantwortung der Versicherten unterfallen53. Eine Verletzung von Grundrechten der Versicherten liegt daher durch den Ausschluss von Bagatellarzneimitteln nicht vor.

b) Verletzung von Grundrechten der Ärzte Wie beim Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel ist beim Ausschluss der Bagatellarzneimittel eine Einschränkung der Therapiefreiheit der Vertragsärzte denkbar, da diese im Bereich der ausgeschlossenen Bagatellerkrankungen Arzneimittel nicht mehr verordnen dürfen. Jedoch wird durch diesen Ausschluss die Therapiefreiheit des Vertragsarztes aus Art. 12 Abs. 1 GG ebenso nicht eingeschränkt54. Er kann weiterhin darüber entscheiden, ob eine Arzneimittelbe50 Vgl. hierzu auch die Anwendungsempfehlung der Spitzenverbände der Krankenkassen und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, DÄ 1983, S. 25. Zum Vorliegen der Zumutbarkeit in Fällen, in denen auf eine Arzneimittelbehandlung verzichtet werden kann, vgl. Becker, Steuerung der Arzneimittelversorgung, S. 422. 51 Becker, Steuerung der Arzneimittelversorgung, S. 28; Kirchhof, Die Negativliste nach § 34 SGB V (GRG), S. 59; Schwerdtfeger, pharmind 1989, S. 23. 52 Diese Gefahr aber sehend: Beck, in: Schlegel/Voelzke, juris Praxiskommentar, § 34 SGB V Rn. 23; ähnl. Becker, Steuerung der Arzneimittelversorgung, S. 28, der von der Gefahr einer Verschleppung der Erkrankung spricht; so auch Fiedler, Deutsches Ärzteblatt 1984, S. 3307. 53 § 2 Abs. 1 S. 1 SGB V; BVerfGE 115, 25 (45); BSGE 96, 153 (160); BSG Urt. v. 06. 11. 2008 – B 1 KR 38/07 R Rn. 23; BSG SozR 4 – 2500 § 60 Nr. 1 Rn. 14. 54 Vgl. Kirchhof, Die Negativliste nach § 34 SGB V (GRG), S. 58; a.A. aber ohne Begründung BVerfG Die Leistungen 1992, 237 (238).

I. Der Ausschluss von Bagatellarzneimitteln

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handlung durchgeführt wird und kann eine seinen Vorstellungen als geeignet entsprechende diagnostische oder therapeutische Methode auswählen. Der Ausschluss der Bagatellarzneimittel betrifft nur die Frage der Erstattung des Arzneimittels, die aber nicht von der Therapiefreiheit umfasst wird55.

c) Verletzung von Grundrechten der pharmazeutischen Unternehmer Eine Verletzung der Eigentumsfreiheit aus Art. 14 Abs. 1 GG durch den Ausschluss der Bagatellarzneimittel ist aus denselben Gründen wie bei den OTC-Arzneimitteln abzulehnen56. Zum einen werden künftige Absatzmöglichkeiten nicht davon erfasst57, und zum anderen gibt die Zulassung kein Recht auf Zugang zum Arzneimittelmarkt der gesetzlichen Krankenversicherung, sondern nur allgemein auf Zugang zum Arzneimittelmarkt. Dieser Zugang wird aber durch den Ausschluss nicht beeinträchtigt, da die Arzneimittel nach dem Ausschluss noch auf dem freien Markt verfügbar sind. Der freien Verfügbarkeit auf dem Arzneimittelmarkt kommt ebenso im Zusammenhang mit einer möglichen Verletzung der Berufsfreiheit der pharmazeutischen Unternehmer aus Art. 12 Abs. 1 GG maßgebende Bedeutung zu. Der Ausschluss betrifft den pharmazeutischen Unternehmer zwar nicht unmittelbar, da sich der Ausschluss an die Versicherten richtet und nur die Erstattungsfähigkeit der Arzneimittel regelt, jedoch wirkt sich der Ausschluss in Form von Umsatzeinbußen aus58. Denn Versicherte werden eher auf den Kauf von Arzneimitteln verzichten, wenn sie es selbst bezahlen müssen, als wenn sie es erstattet bekommen59. Dies gilt vor allem im Bereich von Befindlichkeitsstörungen, da man dort auch ohne Arzneimittel auskommen kann. Die mittelbaren Auswirkungen des Ausschlusses auf den pharmazeutischen Unternehmer stellen jedoch lediglich Reflexwirkungen dar60. Eine berufsregelnde Tendenz ist nicht erkennbar, da der Gesetzgeber mit dem Ausschluss keine Regelung gegenüber dem pharmazeutischen Unternehmer treffen wollte, sondern die Versorgung mit geringfügigen Arzneimitteln unter die Eigenverantwortung der Versicherten stellen wollte61. Der Arzneimittelmarkt der gesetzlichen Krankenversicherung ist zwar aufgrund seiner besonderen Struktur für die pharmazeutischen Un55

Vgl. oben Abschnitt C. I. 6. Vgl. oben Abschnitt C. I. 5. c). 57 Vgl. auch BVerfG Die Leistungen 1992, 237 (238). 58 Kirchhof, Die Negativliste nach § 34 SGB V (GRG), S. 52; Schwerdtfeger, pharmind 1989, S. 22. 59 Vgl. BVerfG Die Leistungen 1992, 237 (238); so auch Kirchhof, Die Negativliste nach § 34 SGB V (GRG), S. 55. 60 BVerfG Die Leistungen 1992, 237 (238). 61 Vgl. auch Kirchhof, Die Negativliste nach § 34 SGB V (GRG), S. 54. 56

240

D. Weitere Ausschlüsse nach § 34 SGB V

ternehmer von Vorteil, jedoch haben die Arzneimittelhersteller kein Recht auf Verbleib in diesem System oder auf Erhalt bestimmter Leistungen in diesem System62. Für die betroffenen Arzneimittelhersteller wird lediglich der ursprüngliche Zustand eines freien Wettbewerbs wiederhergestellt63. Zwar ist ein Absatz von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln auf einem freien Markt gegenüber OTC-Arzneimitteln aufgrund des Erfordernisses der ärztlichen Verschreibung und dem Publikumswerbeverbot erschwert, jedoch ist er damit nicht ausgeschlossen. Es besteht die Möglichkeit über ein Privatrezept auch ein verschreibungspflichtiges Arzneimittel vom Arzt verschrieben zu bekommen, zumal die ärztliche Behandlung noch im Leistungskatalog enthalten ist. Dass ein Markt für verschreibungspflichtige Erkältungsarzneimittel existiert, zeigen Zahlen, wonach die Abgabe von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln zur Behandlung grippaler Infekte im Februar 2015 deutlich gestiegen ist64. Somit können auch verschreibungspflichtige Arzneimittel auf einem freien Markt bestehen. Obschon die Bedingungen auf dem freien Markt für verschreibungspflichtige Arzneimittel härter sind als für nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel, so rechtfertigt dies allein noch nicht die Annahme einer berufsregelnden Tendenz. Eine solche kann – wie beim Ausschluss unwirtschaftlicher Arzneimittel – angenommen werden, wenn die Arzneimittel durch andere Arzneimittel ersetzt und dadurch vom Markt verdrängt werden65. Von einer solchen Verdrängung kann vorliegend schon deshalb nicht ausgegangen werden, da die Arzneimittel nur im Hinblick auf Bagatellerkrankungen ausgeschlossen werden, anderweitig aber noch zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnet werden. Die Umsatzeinbußen sind daher lediglich als Rechtsreflex anzusehen. Darüber hinaus wird die Chancengleichheit der Hersteller aus Art. 12 Abs. 1 i. V. m. Art. 3 Abs. 1 GG nicht berührt66. Durch den Ausschluss werden alle Arzneimittel, die in den gesetzlich genannten Anwendungsgebieten verordnet werden sollen, ausgeschlossen. Damit werden keine Unterschiede zwischen den Arzneimitteln 62 BVerfG Die Leistungen 1992, 237 (238); Kirchhof, Die Negativliste nach § 34 SGB V (GRG), S. 55; Orlowski, in: ders./Rau/Wasem/Zipperer, Gesamtausgabe GKV-Kommentar SGB V, § 34 SGB V Rn. 35; Schwerdtfeger, in: Schriftenreihe des Deutschen Sozialrechtsverbandes e.V. (SDSRV), Freiheit und Bindung bei der Leistungserbringung, Band 38, S. 32; i.E. ebenso Schwerdtfeger, pharmind 1989, S. 22, der sich zwar nicht auf ein fehlendes Recht auf Verbleib im GKV-Arzneimittelmarkt beruft, aber argumentiert, dass die Berufsfreiheit keinen Schutz vor Herstellung eines freien Marktes gewährt. 63 Vgl. BVerfG Die Leistungen 1992, 237 (238); Schwerdtfeger, in: Schriftenreihe des Deutschen Sozialrechtsverbandes e.V. (SDSRV), Freiheit und Bindung bei der Leistungserbringung, Band 38, S. 32. 64 Vgl. dazu den Marktbericht der IMS HEALTH GmbH & Co. KG, S. 12, Stand: 2015, abrufbar unter: http://www.imshealth.com/imshealth/Global/EMEA/Germany_Austria/Press%2 0Room/TOP%20Line%20Market%20Data/Marktbericht/IMS_Pharmamarktbericht_Februar_2 015.pdf. 65 Vgl. Abschnitt D. III. 4. b). 66 Vgl. BVerfG Die Leistungen 1992, 237 (238).

I. Der Ausschluss von Bagatellarzneimitteln

241

gemacht67. Der Ausschluss gilt zwar nur noch für verschreibungspflichtige Arzneimittel, jedoch sind nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel schon über § 34 Abs. 1 S. 1 SGB V ausgeschlossen. Dort besteht zwar eine Ausnahmemöglichkeit über die OTC-Liste, jedoch kann bei Bagatellarzneimitteln mangels Vorliegen einer schwerwiegender Erkrankungen nicht auf diese Möglichkeit zurückgegriffen werden.

4. Vereinbarkeit mit der Transparenzrichtlinie Beim Ausschluss von Bagatellarzneimitteln handelt es sich um eine Negativliste im Sinne der Transparenzrichtlinie68. Ungeachtet des Wortlauts, der sich auf Entscheidungen von Behörden bezieht, gilt die Transparenzrichtlinie auch bei gesetzlichen Ausschlüssen69. Ausgeschlossen werden die Arzneimittel aufgrund ihres Anwendungsgebietes, sodass es sich um einen Ausschluss einer Arzneimittelkategorie handelt und nicht von einzelnen Arzneimitteln70. Dementsprechend muss die Entscheidung auf objektiven und überprüfbaren Kriterien beruhen, eine Begründung enthalten und in einer geeigneten amtlichen Bekanntmachung veröffentlicht werden71. Diese Voraussetzungen sind erfüllt72. Der Ausschluss erfolgt anhand von gesetzlich genannten Anwendungsgebieten, die vor allem durch die ArzneimittelRichtlinie konkretisiert werden und damit objektiv überprüfbar sind73. Des Weiteren wurden die tragenden Gründe in den Bundestagsdrucksachen dargestellt74 und der Gesetzestext im Bundesgesetzblatt veröffentlicht75. 67 Kirchhof, Die Negativliste nach § 34 SGB V (GRG), S. 53; Schwerdtfeger, pharmind 1989, S. 22. 68 Die vom EuGH gestellten Anforderungen zur Vereinbarkeit von nationalen Regelungen mit der Warenverkehrsfreiheit wurden in die Transparenzrichtlinie konkretisierend aufgenommen (vgl. Reese/Stallberg, in: Dieners/Reese, Handbuch des Pharmarechts, § 17 Rn. 50 f.), sodass im Folgenden nur auf die Transparenzrichtlinie eingegangen wird. 69 Vgl. Abschnitt C. II. 2. 70 Vgl. Erläuterungen der Europäischen Kommission, abgedruckt in: BR-Drs. 26/87, S. 17; vgl. auch: Becker, Steuerung der Arzneimittelversorgung, S. 385; Thier, Das Recht des EGArzneimittelmarktes, S. 332. 71 Art. 7 Nr. 1 RL 89/105/EWG. 72 Vgl. Becker, Steuerung der Arzneimittelversorgung, S. 385; Thier, Das Recht des EGArzneimittelmarktes, S. 332. 73 Vgl. Kirchhof, Die Negativliste nach § 34 SGB V (GRG), S. 59 f., der das Vorliegen von objektiven und überprüfbaren Kriterien schon 1993 bejaht hat. 74 BT-Drs. 9/2140, S. 94, 98. 75 Bei Einführung in § 182 f Abs. 1, 2 RVO durch das Gesetz zur Wiederbelebung der Wirtschaft und Beschäftigung und zur Entlastung des Bundeshaushaltes (Haushaltsbegleitgesetz 1983) vom 20. 12. 1982 (BGBl. I, S. 1857); bei Überführung in das SGB V durch das Gesetz zur Strukturreform im Gesundheitswesen (Gesundheits-Reformgesetz-GRG) vom 20. 12. 1988 (BGBl. I, S. 2477).

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D. Weitere Ausschlüsse nach § 34 SGB V

5. Zusammenfassung Der Ausschluss von Bagatellarzneimitteln schließt in den gesetzlichen genannten Fällen von Bagatellerkrankungen die Versorgung mit Arzneimitteln aus und überweist sie in die Eigenverantwortung der Versicherten. Es handelt sich dabei um einen Ausschluss nach Anwendungsgebieten. Dementsprechend ist die Versorgung mit Arzneimitteln nur in den vom Ausschluss umfassten Anwendungsgebieten nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung möglich. Zudem ist der Ausschluss aufgrund teleologischer Auslegung auf Fälle von Bagatellerkrankungen zu beschränken, sodass bei schwereren Erkrankungen, wie sie bspw. in § 13 Abs. 1 AMRL genannt werden, der Ausschluss nicht greift. Selbst wenn der Ausschluss nach § 34 Abs. 1 S. 6 SGB V durch die Einführung des Ausschlusses nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel einen breiten Anwendungsbereich eingebüßt hat, ist er nicht als obsolet anzusehen. Insbesondere im Bereich neuer Wirkstoffe, die der Verschreibungspflicht zunächst für drei Jahre unterfallen, ist die Regelung anwendbar. Jedoch ist seither von einem schmalen Anwendungsbereich auszugehen. Der Ausschluss ist als verfassungsgemäß anzusehen, er verstößt insbesondere nicht gegen die Grundrechte der pharmazeutischen Unternehmer und ist auch als europarechtskonform einzustufen. Die Anforderungen der Transparenzrichtlinie werden eingehalten.

II. Der Ausschluss von Lifestyle-Arzneimitteln – § 34 Abs. 1 S. 7 – 9 SGB V Neben dem Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel sowie von Bagatellarzneimitteln findet sich in § 34 Abs. 1 SGB V ein Ausschluss für sog. Lifestyle-Arzneimittel. Ausgeschlossen sind von der Verordnung Arzneimittel, bei denen die Erhöhung der Lebensqualität im Vordergrund steht. Dazu zählen solche Arzneimittel, die überwiegend zur Behandlung der erektilen Dysfunktion, der Anreizung sowie Steigerung der sexuellen Potenz, zur Raucherentwöhnung, zur Abmagerung oder zur Zügelung des Appetits, zur Regulierung des Körpergewichts oder zur Verbesserung des Haarwuchses dienen76. Es handelt sich dabei um einen Ausschluss, der nicht nach Produktgruppen unterscheidet, sondern zweckbezogen erfolgt und durch seine Aufzählung bestimmte Anwendungsgebiete und Therapieziele von der Versorgung ausnimmt. Erfasst werden vom Ausschluss sowohl verschreibungspflichtige als auch nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel77. 76 § 34 Abs. 1 S. 8 SGB V; vgl. auch: Bischofs, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, Beck’scher Onlinekommentar Sozialrecht, § 34 SGB V Rn. 18; Gerlach, in: Hauck/Noftz, Sozialgesetzbuch – SGB V, § 34 SGB V Rn. 25; Spickhoff, in: ders., Medizinrecht, § 34 SGB V Rn. 7. 77 Dazu näher Abschnitt D. II. 5.

II. Der Ausschluss von Lifestyle-Arzneimitteln

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1. Entstehungsgeschichte Der Ausschluss von Lifestyle-Arzneimitteln wurde durch das GKV-Modernisierungsgesetz78 zusammen mit dem Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel eingeführt. Dabei hatte die Einführung des Ausschlusses von Arzneimitteln zur Erhöhung der Lebensqualität zunächst einmal klarstellende Funktion79. Die betroffenen Arzneimittel waren schon zuvor durch die Arzneimittel-Richtlinien des Bundesausschusses, dem Vorgänger des Gemeinsamen Bundesausschusses, von der Verordnung zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen worden. Das Bundessozialgericht hatte allerdings entschieden, dass der Bundesausschuss dabei seine Kompetenzen überschritten hatte80. Der Bundesausschuss hatte die entsprechende Richtlinie nämlich dahingehend geändert, dass sie Mittel zur Behandlung der erektilen Dysfunktion pauschal von der Verordnung ausschloss, um damit auch das Arzneimittel „Viagra“ von der Verordnung auszunehmen. Begründet wurde dieser Ausschluss u. a. damit, dass die erektile Dysfunktion nicht grundsätzlich als Krankheit im Sinne des Leistungsrechts anzusehen sei81. Das Bundessozialgericht entschied daraufhin, dass die Befugnis des Bundesausschusses zum Erlass von Richtlinien ihm nicht das Recht gebe, selbst Inhalt und Grenzen des Arzneimittelbegriffes festzulegen, den Begriff der Krankheit hinsichtlich seines Inhalts und seiner Grenzen zu bestimmen und die Behandlung bestimmter Krankheiten oder Krankheitssymptome in Gänze von der Verordnung auszuschließen82. In Reaktion auf diese Rechtsprechung83 und zur Herstellung von Rechtssicherheit für Krankenkassen und Vertragsärzte wurde der Ausschluss der Behandlung der erektilen Dysfunktion und anderer, in der Richtlinie bereits geregelter Ausschlüsse84 daher in das Gesetz aufgenommen85.

78

BGBl. I 2003, S. 2190. BT-Drs. 15/1525, S. 86. 80 BSGE 85, 36 ff.; bestätigt durch BSGE 94, 302 ff.; vgl. auch: Becker, Steuerung der Arzneimittelversorgung, S. 35; Gerlach, in: Hauck/Noftz, Sozialgesetzbuch – SGB V, § 34 SGB V Rn. 27. 81 Vgl. hierzu die Darstellung bei BSGE 85, 36 (46 ff.); BSGE 94, 302 (306 f.). 82 BSGE 85, 36 (45 ff.); zustimmend BSGE 94, 302 (307). 83 Gamperl, in: Jabornegg/Resch/Seewald, Grenzen der Leistungspflicht für Krankenbehandlung, S. 81; Hess, in: Körner/Leitherer/Mutschler, Kasseler Kommentar, § 34 SGB V Rn. 12; Joussen, in: Knickrehm/Kreikebohm/Waltermann, Kommentar zum Sozialrecht, § 34 SGB V Rn. 7. 84 In der Richtlinie in der Fassung vom 31. 08. 1993 (BAnz AT v. 31. 12. 1993, Nr. 246), zuletzt geändert am 03. 08. 1998 (BAnz AT v. 29. 09. 1998, Nr. 182) finden sich sowohl Arzneimittel zur Behandlung der erektilen Dysfunktion, sowie zur Anreizung oder Steigerung der sexuellen Potenz, Mittel zur Raucherentwöhnung sowie Abmagerungsmittel und Appetitzügler. 85 BT-Drs. 15/1525, S. 86; vgl. auch: Axer, ZEFQ 2014, S. 131; Gerlach, in: Hauck/Noftz, Sozialgesetzbuch – SGB V, § 34 SGB V Rn. 26 f., der die Einführung der gesetzlichen Regelung aufgrund der BSG-Rechtsprechung als zwingend erachtet. 79

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D. Weitere Ausschlüsse nach § 34 SGB V

2. Arzneimittel zur Erhöhung der Lebensqualität Der Ausschluss umfasst Arzneimittel, bei denen die Erhöhung der Lebensqualität im Vordergrund steht. Von Gesetzes wegen wird allerdings nicht definiert, wann ein Arzneimittel vorwiegend der Erhöhung der Lebensqualität dient. Es werden lediglich in § 34 Abs. 1 S. 8 SGB V beispielhaft Arzneimittel für bestimmte Anwendungsgebiete und Therapieziele aufgezählt, die ausgeschlossen sind. Damit fallen Arzneimittel zur Behebung sexueller Probleme, solche zur Tabaksuchtbewältigung, Diätarzneimittel sowie Arzneimittel bei Haarausfall unter den Ausschlusstatbestand. Die gesetzliche Aufzählung ist allerdings nicht abschließend, wie durch das Wort „insbesondere“ klargestellt wird86. Nach § 34 Abs. 1 S. 9 SGB V ist der Gemeinsame Bundesausschuss darüber hinaus befugt das Nähere in seinen Richtlinien zu regeln. Insofern hat der Gemeinsame Bundesausschuss bestimmt, dass Arzneimittel, bei denen die Erhöhung der Lebensqualität im Vordergrund steht, solche sind, deren Einsatz im Wesentlichen durch die private Lebensführung bedingt ist oder die aufgrund ihrer Zweckbestimmung dazu dienen, (1) nicht oder nicht ausschließlich zur Behandlung von Krankheiten eingesetzt zu werden, (2) individuelle Bedürfnisse zu befriedigen oder das Selbstwertgefühl aufzuwerten, (3) Folgen natürlicher Alterungsprozesse zu behandeln, die allerdings nicht medizinisch notwendig bedingt sind oder (4) bei kosmetischen Befunden angewandt zu werden, deren Behandlung medizinisch nicht notwendig ist87. Darüber hinaus findet sich in § 14 Abs. 2 AM-RL eine nahezu identische Aufzählung, der in § 34 Abs. 1 S. 8 SGB V genannten Arzneimittel, mit dem einzigen Unterschied, dass die Arzneimittel-Richtlinie die erektile Dysfunktion nur als Beispiel der sexuellen Dysfunktion benennt88. Zudem hat der Gemeinsame Bundesausschuss in der Anlage II der ArzneimittelRichtlinie eine Übersicht der Fertigarzneimittel aufgestellt, die nach dieser Aufzählung ausgeschlossen sind. Darauf finden sich neben Viagra, dem bekanntesten Arzneimittel zur Behandlung der erektilen Dysfunktion, auch andere geläufige Arzneimittel wie Nicorette zur Raucherentwöhnung oder Regaine, das der Verbesserung des Haarwuchses dient. Ferner enthält die Anlage mehrere Fertigarzneimittel, die der Verbesserung des Aussehens dienen. Damit sind etwa die Botoxarzneimittel Azzalure, Vistabel und Bocouture Vial ausgeschlossen89. 86 Becker, Steuerung der Arzneimittelversorgung, S. 35; Joussen, in: Knickrehm/Kreikebohm/Waltermann, Kommentar zum Sozialrecht, § 34 SGB V Rn. 7; vgl. auch Gerlach, in: Hauck/Noftz, Sozialgesetzbuch – SGB V, § 34 SGB V Rn. 25. 87 § 14 Abs. 1 S. 2 AM-RL; vgl. auch: Gerlach, in: Hauck/Noftz, Sozialgesetzbuch – SGB V, § 34 SGB V Rn. 25; Wagner, in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung Pflegeversicherung, § 34 SGB V Rn. 13. 88 Vgl. auch BSGE 112, 251 (256). Kap. 4 § 43 Abs. 2 VerfO G-BA enthält aber wieder denselben Wortlaut wie der Gesetzestext. Zur Zulässigkeit dieser Erweiterung vgl. Abschnitt D. II. 3. 89 Vgl. Anlage II der AM-RL, zuletzt geändert am 13. 01. 2015.

II. Der Ausschluss von Lifestyle-Arzneimitteln

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a) Begriff der Lebensqualität Der Begriff der Lebensqualität wird weder im Gesetz noch in der Richtlinie exakt definiert. „Lebensqualität“ ist ein Begriff, der maßgeblich von subjektiven Vorstellungen geprägt wird90. Was für einen Versicherten Lebensqualität darstellt, empfindet ein anderer als normalen oder auch gar nicht erstrebenswerten Zustand. So bedeutet für den einen das Erreichen eines schlanken Körpers Lebensqualität, während ein anderer dies als normal empfindet oder wiederum ein anderer dies gerade nicht als erstrebenswert ansieht. Der Begriff der Lebensqualität wird im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung im Übrigen kaum verwendet91. Lediglich bei der Nutzenbewertung von Arzneimitteln in den §§ 35 Abs. 1b S. 5 und 35b Abs. 1 S. 4 SGB V92 findet sich dieser Begriff nochmals ausdrücklich im Gesetz, dort allerdings in einem anderen Zusammenhang93. Denn dort wird der Begriff neben den Endpunkten der Mortalität und Morbidität genannt94 und in einem auf Krankheit bezogenen Verhältnis verstanden. Gemeint ist die durch eine Krankheit belastete Lebensqualität, die durch Heilung, Linderung von Beschwerden oder Verhütung einer Verschlimmerung verbessert wird95. Gleichermaßen in einem krankheitsbezogenen Sinne ist der Begriff der Lebensqualität in der Definition der schwerwiegenden Erkrankung beim Off-Label-Use und bei der Aufnahme in die OTC-Liste zu sehen, wonach eine Krankheit auch dann als schwerwiegend anzusehen ist, wenn sie aufgrund der Schwere der durch sie verursachten Gesundheitsstörung die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigt96. Was Lebensqualität im Sinne des § 34 Abs. 1 S. 7 SGB V bedeutet, lässt sich aus dem Sinn und Zweck der Norm im Zusammenspiel mit den gesetzlich aufgeführten Beispielen erkennen97. Der Ausschluss kann nicht nur bzw. nur am Rande, wie bei der 90 LSG Berlin-Brandenburg B. v. 27. 02. 2008 – L 7 B 112/07 KA ER Rn. 32; Spickhoff, in: ders., Medizinrecht, § 34 SGB V Rn. 8. 91 Vgl. Axer, ZEFQ 2014, S. 130 ff. 92 Im Zusammenhang mit der frühen Nutzenbewertung nach § 35a SGB V wird der Begriff der Lebensqualität auch bei der Definition des Nutzens in § 2 Abs. 3 AM-NutzenV verwendet. 93 So Axer, ZEFQ 2014, S. 131 ff. Welti, MedR 2010, S. 385 hält den Begriff der Lebensqualität aufgrund seiner Aufnahme in § 35b Abs. 1 S. 4 SGB V deshalb auch für widersprüchlich. 94 Auch wenn die Formulierungen in § 35b Abs. 1 S. 4 SGB V nicht exakt dieselben wie in § 35 Abs. 1b S. 5 SGB V sind, so sind sie im Ergebnis doch gleichlaufend, vgl. Axer, ZEFQ 2014, S. 135. 95 Axer, ZEFQ 2014, S. 134. Für ein krankheitsbezogenes Verständnis spricht auch, dass mit einer „Verbesserung der Lebensqualität“ im Sinne von § 35 Abs. 1b S. 5 SGB V vor allem die Verringerung von Nebenwirkungen gemeint ist, vgl. BT-Drs. 16/194, S. 9. 96 Axer, ZEFQ 2014, S. 137 f. Zum Begriff der schwerwiegenden Erkrankung beim OffLabel-Use und im Rahmen der OTC-Liste, vgl. Abschnitt B. III. 5. 97 Vgl. Axer, ZEFQ 2014, S. 132; Gamperl, in: Jabornegg/Resch/Seewald, Grenzen der Leistungspflicht für Krankenbehandlung, S. 77.

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D. Weitere Ausschlüsse nach § 34 SGB V

Nutzenbewertung, die Lebensqualität in einem krankheitsbezogenen Sinne umfassen. Dies ergibt sich zum einen daraus, dass die vom Ausschluss erfassten Beispiele sich teilweise nur grenzwertig auf Krankheiten beziehen98, zum anderen daraus, dass durch jede Behandlung mit einem Arzneimittel die Lebensqualität dadurch erhöht wird, dass die Behandlung zur Heilung, Linderung oder Verhütung der Krankheit beiträgt99, sodass letztlich jedes Arzneimittel ausgeschlossen wäre. Der Ausschluss bezieht sich aber gerade auf diejenigen Fälle, in denen die Lebensqualität im Vordergrund steht, in denen sie nicht bloßes Nebenprodukt des Hauptziels der Krankheitsbekämpfung ist, sondern eben selbst das Hauptziel darstellt100. Gründe für den Wunsch nach einer Arzneimittelbehandlung können neben der medizinischen Notwendigkeit die Psyche oder die Ästhetik sein101. Arzneimittel müssen nicht zwingend nur zur Krankheitsbekämpfung eingesetzt werden. In diesen Fällen ist dann aber die Wirtschaftlichkeit der Arzneimittelversorgung schon fraglich, insbesondere in Bezug auf die Notwendigkeit oder die Wirtschaftlichkeit im engeren Sinne102. Werden Arzneimittel aber nicht zum Zweck der Krankheitsbekämpfung eingesetzt, geht es zumeist darum, ein individuell verstandenes Wohlbefinden über einen objektiven Gesundheitszustand hinaus zu fördern103. Die Lebensqualität im Sinne von § 34 Abs. 1 S. 7 SGB V bestimmt sich daher als das allgemeine Wohlbefinden des Einzelnen, das dieser unabhängig von einer Krankheit verbessern möchte bzw. bei dem ein Krankheitsbezug zumindest grenzwertig ist104. Es kommt darauf an, was der Einzelne auf privater und gesellschaftlicher Ebene als erforderlich erachtet, um sich wohl zu fühlen; anders gewendet: um die Erfüllung seiner individuellen Wünsche105.

98 Vgl. Axer, ZEFQ 2014, S. 132; ähnl. Gamperl, in: Jabornegg/Resch/Seewald, Grenzen der Leistungspflicht für Krankenbehandlung, S. 77, der darauf abstellt, dass das Vorliegen einer Krankheit in den genannten Fällen zumindest zweifelhaft erscheint. So ist etwa der Krankheitswert der Adipositas umstritten, vgl. BSGE 90, 289 (290 f.). Im Falle der erektilen Dysfunktion wurde allerdings das Vorliegen einer Krankheit bejaht, siehe BSGE 85, 36 (38 ff.); 94, 302 (304 f.); BVerwGE 119, 168 (170); LSG Niedersachsen-Bremen Urt. v. 20. 08. 2003 – L 4 KR 24/02 Rn. 21 f. 99 Vgl. Axer, ZEFQ 2014, S. 138; Becker, Steuerung der Arzneimittelversorgung, S. 188; Janda, GuP 2015, S. 28; ähnl. argumentiert auch Gamperl, in: Jabornegg/Resch/Seewald, Grenzen der Leistungspflicht für Krankenbehandlung, S. 77. 100 Vgl. Janda, GuP 2015, S. 28. 101 Axer, ZEFQ 2014, S. 132. 102 Axer, ZEFQ 2014, S. 132; Gamperl, in: Jabornegg/Resch/Seewald, Grenzen der Leistungspflicht für Krankenbehandlung, S. 78. 103 Gamperl, in: Jabornegg/Resch/Seewald, Grenzen der Leistungspflicht für Krankenbehandlung, S. 78. 104 Vgl. Axer, ZEFQ 2014, S. 132; ähnl. Gamperl, in: Jabornegg/Resch/Seewald, Grenzen der Leistungspflicht für Krankenbehandlung, S. 77. 105 Axer, ZEFQ 2014, S. 132; Gamperl, in: Jabornegg/Resch/Seewald, Grenzen der Leistungspflicht für Krankenbehandlung, S. 77 f.

II. Der Ausschluss von Lifestyle-Arzneimitteln

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b) Im Vordergrund stehende Lebensqualitätserhöhung Zur Bestimmung, wann bei einer Anwendung von Arzneimitteln eine Erhöhung der Lebensqualität im Vordergrund steht, wird auf die objektive Zweckbestimmung des Arzneimittels abgestellt106. Diese Zweckbestimmung ergibt sich wiederum aus der arzneimittelrechtlichen Zulassung107. Insoweit ist auf die zugelassenen Indikationen und die diesbezüglichen Fachinformationen abzustellen108. Ist ein Arzneimittel auch zur Behandlung anderer Erkrankungen, als den in § 34 Abs. 1 S. 8 SGB V aufgezählten oder damit vergleichbaren Erkrankungen einsetzbar, kommt es darauf an, auf welchem Gebiet der überwiegende Einsatz erfolgt109. Überwiegend ist der Einsatz dann, wenn das Arzneimittel in der überwiegenden Zahl der Packungen in einem der ausgeschlossenen Anwendungsgebiete angewandt wird110. Die Frage nach dem überwiegenden Einsatz stellt sich jedoch nur, wenn das betroffene Arzneimittel für alle in Frage kommenden Anwendungsgebiete eine Zulassung besitzt. So wurde in einem Fall vor dem Landessozialgericht BerlinBrandenburg für das Arzneimittel Acomplia® neben dem Einsatz als Mittel zur Abmagerung und Regulierung des Körpergewichts auch die Anwendung im Falle von Diabetes und Fettstoffwechselstörungen angeführt. Mangels Zulassung auf diesen Gebieten wurde dieser Aspekt vom Gericht jedoch nicht weiter in die Entscheidung einbezogen111. Wird das Arzneimittel daher überwiegend für einen der in § 34 Abs. 1 S. 8 SGB V genannten Zwecke eingesetzt oder liegt überwiegend ein Zweck vor, der die Voraussetzungen des § 14 Abs. 1 S. 2 AM-RL erfüllt, so steht die Erhöhung der Lebensqualität bei der Anwendung im Vordergrund und es wird vom Ausschluss umfasst; die Verwendung im konkreten Einzelfall ist, anders als bei Bagatellarzneimitteln, nicht entscheidend. c) Die gesetzlich genannten Beispiele Durch die Weite des Begriffes der Lebensqualität, der auch von weltanschaulichen Einstellungen und von subjektiven Vorstellungen abhängig ist, ist der Aus-

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Axer, in: Becker/Kingreen, SGB V, § 34 SGB V Rn. 13; Bischofs, in: Rolfs/Giesen/ Kreikebohm/Udsching, Beck’scher Onlinekommentar Sozialrecht, § 34 SGB V Rn. 19; Wodarz, in: Sodan, Handbuch des Krankenversicherungsrechts, § 27 Rn. 20. 107 Kap. 4 § 42 VerfO G-BA; so auch: Axer, ZEFQ 2014, S. 132; Spickhoff, in: ders., Medizinrecht, § 34 SGB V Rn. 8. 108 Hess, in: Körner/Leitherer/Mutschler, Kasseler Kommentar, § 34 SGB V Rn. 12. 109 Vgl. BT-Drs. 15/1525, S. 87; LSG Berlin-Brandenburg B. v. 27. 02. 2008 – L 7 B 112/07 KA ER Rn. 30; Hess, in: Körner/Leitherer/Mutschler, Kasseler Kommentar, § 34 SGB V Rn. 12. 110 BT-Drs. 15/1525, S. 87; vgl. auch Becker, Steuerung der Arzneimittelversorgung, S. 36. 111 LSG Berlin-Brandenburg B. v. 27. 02. 2008 – L 7 B 112/07 KA ER Rn. 30.

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D. Weitere Ausschlüsse nach § 34 SGB V

schluss in hohem Maße konkretisierungsbedürftig112. Zur Konkretisierung wird, wie dargestellt, zum einen auf § 34 Abs. 1 S. 8 SGB V, der exemplarisch aufzählt, welche Arzneimittel die Voraussetzungen des Ausschlusses erfüllen, zurückgegriffen, zum anderen auf § 14 Abs. 1 AM-RL113. Ohne die konkretisierende Aufzählung in § 34 Abs. 1 S. 8 SGB V wäre nicht ersichtlich, was der Gesetzgeber mit dem Begriff der Lebensqualität meint und welche Art von Arzneimitteln unter den Ausschluss fallen sollen. Der Ausschluss wäre ohne die Aufzählung zu unbestimmt114. Bemerkenswert an der gesetzlichen Aufzählung ist allerdings, dass sie unterschiedlichste Bereiche benennt: von der Raucherentwöhnung über die Verbesserung des Aussehens bis hin zu einem der intimsten Bereiche, der Sexualität. Insofern kann bei einem ersten Blick auf die gesetzlich genannten Fälle der Eindruck entstehen, es handele sich um eine willkürliche Zusammenstellung115. Die Aufzählung der verschiedenen Bereiche mag zwar auf den ersten Blick ungewöhnlich erscheinen, ist aber zum Teil historisch bedingt, da der Ausschluss der Kodifizierung der bisher in der Arzneimittel-Richtlinie des Bundesausschusses vorgenommenen Arzneimittel diente, die auf eine gesetzliche Grundlage gestellt werden sollten. Dort fanden sich bereits Arzneimittel zur Behandlung der erektilen Dysfunktion, sowie zur Anreizung oder Steigerung der sexuellen Potenz, Mittel zur Raucherentwöhnung sowie Abmagerungsmittel und Appetitzügler116. Lediglich Arzneimittel zur Regulierung des Körpergewichts und zur Verbesserung des Haarwuchses wurden noch in den Gesetzestext aufgenommen. Willkürlich erscheinen kann die Aufzählung zudem deshalb, weil nicht in allen genannten Bereichen eindeutig ein Krankheitsbezug besteht117. Während die erektile Dysfunktion als Folge anderer Erkrankungen oder in den Fällen, in denen eine erhebliche Abweichung zum alterstypischen körperlich-psychischen Zustand besteht, von der sozialgerichtlichen Rechtsprechung auch als Krankheit im Sinne des SGB V anerkannt wird118, ist das Vorliegen einer Krankheit bei den anderen Fällen nicht 112

Vgl. BSGE 112, 251 (256); LSG Berlin-Brandenburg B. v. 27. 02. 2008 – L 7 B 112/07 KA ER Rn. 32; Spickhoff, in: ders., Medizinrecht, § 34 SGB V Rn. 8. 113 Vgl. BSGE 112, 251 (256); Axer, ZEFQ 2014, S. 131; Becker, Steuerung der Arzneimittelversorgung, S. 35; Hess, in: Körner/Leitherer/Mutschler, Kasseler Kommentar, § 34 SGB V Rn. 12. 114 So auch LSG Berlin-Brandenburg B. v. 27. 02. 2008 – L 7 B 112/07 KA ER Rn. 32; dem zustimmend: SG Marburg Urt. v. 14. 10. 2009 – S 11 KA 243/08 Rn. 32; Spickhoff, in: ders., Medizinrecht, § 34 SGB V Rn. 8. 115 So etwa Bethke, Rechtliches Gutachten, S. 45. 116 Vgl. Nr. 17.1 f), g), j) der Arzneimittel-Richtlinie in der Fassung vom 31. 08. 1993 (BAnz AT v. 31. 12. 1993, Nr. 246), zuletzt geändert am 03. 08. 1998 (BAnz AT v. 29. 09. 1998, Nr. 182). 117 Bei fehlender Krankheit besteht aber schon kein Anspruch auf Versorgung mit Arzneimitteln, vgl. Abschnitt A. II. 1. 118 BSGE 85, 36 (38 ff.); 94, 302 (304 f.); BVerwGE 119, 168 (170); LSG NiedersachsenBremen Urt. v. 20. 08. 2003 – L 4 KR 24/02 Rn. 21 f.; vgl. auch: Nitz, in: Stellpflug/Meier/ Tadayon, Handbuch Medizinrecht, Band 2, H 1000 Rn. 78; Nolte, in: Körner/Leitherer/

II. Der Ausschluss von Lifestyle-Arzneimitteln

249

immer eindeutig. Neben der erektilen Dysfunktion werden nämlich nur Therapieziele, nicht aber Erkrankungen benannt. Allerdings können die verschiedenen Therapieziele mit Erkrankungen in Verbindung gebracht werden, die möglicherweise den krankenversicherungsrechtlichen Krankheitsbegriff erfüllen: etwa die Abmagerung oder Zügelung des Appetits sowie die Regulierung des Körpergewichts mit der Adipositas, die Verbesserung des Haarwuchses mit dem Haarausfall oder die Raucherentwöhnung mit der Nikotinsucht. Trotzdem kann nicht in allen Fällen das Vorliegen einer Krankheit im Sinne des SGB V pauschal bejaht werden. So ist etwa bei der Adipositas umstritten, ob es sich um eine Krankheit handelt, wobei in diesem Zusammenhang Leistungen im Sinne einer Behandlung zur Gewichtsreduzierung gewährt werden, sofern es sich um starkes Übergewicht119 handelt, da ansonsten schwerwiegende Folgen drohen, wie etwa Herz- und Kreislauferkrankungen oder Stoffwechselerkrankungen120. Dies gilt vor allem dann, wenn sich bereits Folgeerkrankungen zeigen, da sich durch das Erfordernis einer ärztlichen Behandlung schon die Regelwidrigkeit des Körperzustandes zeigt, sodass von einer Krankheit im Sinne des SGB V gesprochen werden kann121. Anders gestaltet sich die Lage hinsichtlich des Haarausfalles. Hier wird zwischen Männern und Frauen differenziert. Während bei Männern in der Regel das Vorliegen einer Krankheit, zumindest was den altersbedingten Haarausfall angeht, verneint wird 122, wurde eine Kahlköpfigkeit bei Frauen aufgrund der entstellenden Wirkung als Krankheit eingestuft123. Letztlich führt daher nicht jeder Haarausfall zur Bejahung einer Krankheit, vielmehr liegt eine Krankheit nur bei atypischen Fällen vor, in Mutschler, Kasseler Kommentar, § 27 SGB V Rn. 34a; Waltermann, in: Knickrehm/Kreikebohm/Waltermann, Kommentar zum Sozialrecht, § 27 SGB V Rn. 6. 119 Wird ab einem Body-Mass-Index (BMI) von + 30 bejaht, vgl. BSGE 90, 289 (290); Schmidt, in: Peters, Handbuch der Krankenversicherung, Band 1, § 27 SGB V Rn. 148. 120 BSGE 90, 289 (290 f.); so auch: Knispel, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, Beck’scher Onlinekommentar Sozialrecht, § 27 SGB V Rn. 12; Nebendahl, in: Spickhoff, Medizinrecht, § 27 SGB V Rn. 20; Nolte, in: Körner/Leitherer/Mutschler, Kasseler Kommentar, § 27 SGB V Rn. 29; Reese/Stallberg, in: Dieners/Reese, Handbuch des Pharmarechts, § 17 Rn. 116; Wagner, in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung Pflegeversicherung, § 27 SGB V Rn. 19; Waltermann, in: Knickrehm/Kreikebohm/Waltermann, Kommentar zum Sozialrecht, § 27 SGB V Rn. 6. 121 BSGE 90, 289 (290 f.); vgl. auch Schmidt, in: Peters, Handbuch der Krankenversicherung, Band 1, § 27 SGB V Rn. 148. 122 BSG SozR 2200 § 182b Nr. 18; BSG Urt. v. 22. 04. 2015 – B 3 KR 3/14 R; vgl. auch: Gamperl, in: Jabornegg/Resch/Seewald, Grenzen der Leistungspflicht für Krankenbehandlung, S. 83; Nolte, in: Körner/Leitherer/Mutschler, Kasseler Kommentar, § 27 SGB V Rn. 35; Waltermann, in: Knickrehm/Kreikebohm/Waltermann, Kommentar zum Sozialrecht, § 27 SGB V Rn. 6. 123 BSG SozR 3 – 2500 § 33 Nr. 45 S. 253 f.; BSG Urt. v. 22. 04. 2015 – B 3 KR 3/14 R; VGH BW NVwZ-RR 2005, 490 (491); vgl. auch: Knispel, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/ Udsching, Beck’scher Onlinekommentar Sozialrecht, § 27 SGB V Rn. 10; Nolte, in: Körner/ Leitherer/Mutschler, Kasseler Kommentar, § 27 SGB V Rn. 35.

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D. Weitere Ausschlüsse nach § 34 SGB V

denen die Kahlköpfigkeit entstellende Wirkung hat124. Noch schwieriger ist die Einordnung als Krankheit bei Nikotinsucht zu treffen. Suchtkrankheiten sind nicht per se Krankheiten im krankenversicherungsrechtlichen Sinne. Allerdings wird eine Alkohol- oder Drogensucht dann als Krankheit anerkannt, wenn eine zwanghafte Abhängigkeit mit dem Verlust der Selbstkontrolle vorliegt125. In Anlehnung daran wird teilweise bei der Nikotinsucht das Vorliegen einer Krankheit bejaht126, wobei sich andererseits Stimmen finden, die das Vorliegen der Voraussetzungen des Krankheitsbegriffs bei der Nikotinsucht verneinen127. Das Bundessozialgericht hat die Nikotinsucht bisher nicht als Krankheit im Sinne des SGB V eingestuft128. Dennoch ist die gesetzliche Aufzählung nicht als willkürlich anzusehen. Hintergrund der Vielzahl an unterschiedlichen Fällen ist der, dass der Ausschluss selbst auf vielen verschiedenen Gründen beruht. Gemein ist aber allen gesetzlich genannten Beispielen, dass nur ein grenzwertiger Krankheitsbezug gegeben ist129. Es handelt sich um Fälle, bei denen die Arzneimittel unabhängig vom Vorliegen einer Erkrankung ebenfalls von Gesunden eingenommen werden. So werden insbesondere Arzneimittel zur Abmagerung oder zur Regulierung des Körpergewichts ebenfalls von normalgewichtigen Personen eingenommen. Arzneimittel zur Behandlung der erektilen Dysfunktion können und werden ebenso ohne Vorliegen einer Krankheit eingenommen. Auslöser für die Einnahme der Arzneimittel in den gesetzlich genannten Fällen ist oftmals der eigene Wunsch des Versicherten, weil er abnehmen, mit dem Rauchen aufhören oder gegen lichter werdendes Haar ankämpfen möchte. Zudem gilt für alle Konstellationen, dass der Zeitpunkt, ab wann ein solches Arzneimittel benötigt wird, also wann ein Krankheitsgrad vorliegt, stark von subjektiven

124

Vgl. BSG Urt. v. 22. 04. 2015 – B 3 KR 3/14 R. Zur Alkoholsucht vgl.: BSGE 28, 114 (115 ff.); 46, 41 (41 f.); Doepner/Hüttebräuker, in: Dieners/Reese, Handbuch des Pharmarechts, § 3 Rn. 17; Nolte, in: Körner/Leitherer/ Mutschler, Kasseler Kommentar, § 27 SGB V Rn. 30; Reese/Stallberg, in: Dieners/Reese, Handbuch des Pharmarechts, § 17 Rn. 116; Schmidt, in: Peters, Handbuch der Krankenversicherung, Band 1, § 27 SGB V Rn. 142 f.; Wagner, in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung Pflegeversicherung, § 27 SGB V Rn. 18; zur Drogensucht vgl. BSGE 77, 194 (204). 126 Doepner/Hüttebräuker, in: Dieners/Reese, Handbuch des Pharmarechts, § 3 Rn. 17; Kozianka/Küpper/May, A&R 2010, S. 25 f.; Seewald, in: Körner/Leitherer/Mutschler, Kasseler Kommentar, § 4 SGB I Rn. 20. 127 Vgl. LSG BW B. v. 27. 01. 2004 – L 5 KA 4663/03 ER-B Rn. 46; Waltermann, in: Knickrehm/Kreikebohm/Waltermann, Kommentar zum Sozialrecht, § 27 SGB V Rn. 6. 128 Vgl. Bethke, Rechtliches Gutachten, S. 34, 37. Ebenso wird die Tabaksucht von der Politik bzw. dem Gesetzgeber nicht als Krankheit anerkannt, vgl. Brosius-Gersdorf, Vortrag auf der Tagung des Wissenschaftlichen Aktionskreises Tabakentwöhnung (WAT) e. V., S. 5, Stand: 20. 03. 2013, abrufbar unter: http://www.jura.uni-hannover.de/fileadmin/fakultaet/Institute/Bro sius-Gersdorf/Materialien/Vortraege_Stellungnahmen/Brosius-Gersdorf_Tabakentwoehnung_ als_Leistung_der_gesetzlichen_Krankenversicherung.pdf; Löffler, SGb 2012, S. 60. 129 Vgl. Axer, ZEFQ 2014, S. 132; Gamperl, in: Jabornegg/Resch/Seewald, Grenzen der Leistungspflicht für Krankenbehandlung, S. 77. 125

II. Der Ausschluss von Lifestyle-Arzneimitteln

251

Vorstellungen und Empfindungen des Versicherten abhängig ist130. Demnach stehen die gesetzlich genannten Beispiele in einem Zusammenhang.

3. Konkretisierungen durch den Gemeinsamen Bundesausschuss Nach § 34 Abs. 1 S. 9 SGB V ist das Nähere zum Ausschluss von LifestyleArzneimitteln in den Richtlinien nach § 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 SGB V zu regeln. Damit hat der Gesetzgeber dem Gemeinsamen Bundesausschuss aufgetragen, den Ausschluss näher zu konkretisieren. Konkrete Erweiterungen hat der Gemeinsame Bundesausschuss durch die Einfügung der sexuellen Dysfunktion als Überbegriff der erektilen Dysfunktion getätigt. Diese Erweiterung wurde durch eine Richtlinienänderung im Jahr 2010 eingeführt131, nachdem man vorher schon die Anlage II entsprechend geändert hatte, um ein Arzneimittel, das der Behandlung einer frühzeitigen Ejakulation diente, auszuschließen. Der Gemeinsame Bundesausschuss sah das Arzneimittel als Lifestyle-Arzneimittel an, weil es zur „individuellen Bedürfnisbefriedigung und/oder der Steigerung des Selbstwertgefühls“ diene. Daraufhin hat der Gemeinsame Bundesausschuss die Indikation „erektile Dysfunktion“ in „sexuelle Dysfunktion“ geändert132. Eine weitere Erweiterung des Ausschlusses ist durch die Aufnahme von Botoxarzneimitteln in die Liste der ausgeschlossenen Fertigarzneimittel erfolgt. Dadurch sind Arzneimittel, die der Verbesserung des Aussehens und damit vor allem der Behandlung von kosmetischen Befunden dienen, von der Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung ausgenommen133. Diese Erweiterungen sind durch die Konkretisierungsbefugnis des Gemeinsamen Bundesausschusses gedeckt134. Die 130 Vgl. BSGE 94, 302 (311); 110, 194 (204); Axer, ZEFQ 2014, S. 132; Gamperl, in: Jabornegg/Resch/Seewald, Grenzen der Leistungspflicht für Krankenbehandlung, S. 81. 131 BAnz AT v. 06. 07. 2010 Nr. 98, S. 2310 f. 132 So die tragenden Gründe zum Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Einleitung eines Stellungnahmeverfahrens zur Änderung der Arzneimittel-Richtlinie/AM-RL in Anlage II – Lifestyle Arzneimittel, S. 3, Stand: 16. 07. 2009, abrufbar unter: https://www.gba.de/informationen/richtlinien/anlage/14/#tab/beschluesse. 133 Der G-BA hat bspw. den Ausschluss des Botox-Fertigarzneimittels „Azzalure“ darauf gestützt, dass es sich dabei um ein Arzneimittel handelt, das bei kosmetischen Befunden angewandt wird und der individuellen Bedürfnisbefriedigung und der Aufwertung des Selbstwertgefühls dient, vgl. Gemeinsamer Bundesausschuss, Zusammenfassende Dokumentation über die Änderung der Arzneimittel-Richtlinie (AM-RL): Anlage II – Lifestyle Arzneimittel, S. 3, Stand: 27. 11. 2010, abrufbar unter: https://www.g-ba.de/informationen/richtlinien/anla ge/14/#tab/beschluesse/details/1184/listContext/beschluesse. 134 Vgl. Gerlach, in: Hauck/Noftz, Sozialgesetzbuch – SGB V, § 34 SGB V Rn. 25, der den G-BA ausdrücklich zu Erweiterungen befugt ansieht; die Erweiterungen für zulässig haltend auch Becker, Steuerung der Arzneimittelversorgung, S. 188 f.; im Ergebnis wohl auch Bischofs, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, Beck’scher Onlinekommentar Sozialrecht, § 34 SGB V Rn. 18, der die Erweiterung um Arzneimittel zur Verbesserung des Aussehens als

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D. Weitere Ausschlüsse nach § 34 SGB V

Aufzählung in § 34 Abs. 1 S. 8 SGB V ist nur beispielhaft und nicht abschließend, sodass der Gemeinsame Bundesausschuss auch weitere keinen bzw. kaum einen Krankheitsbezug aufweisende Ziele, wie die Verbesserung des Aussehens, dem Ausschluss unterstellen durfte. Abgesehen von der Befugnis weitere Therapieziele für die Behandlung mit Arzneimitteln auszunehmen, hat der Gesetzgeber dem Gemeinsamen Bundesausschuss ferner die Aufgabe erteilt, in der Arzneimittel-Richtlinie „die Abgrenzung zu Arzneimitteln, bei denen eine medizinisch notwendige diagnostische oder therapeutische Wirkung im Vordergrund steht“135 zu regeln. Diesem Auftrag ist der Gemeinsame Bundesausschuss durch die Konkretisierung in § 14 Abs. 1 S. 2 AM-RL nachgekommen, wonach Arzneimittel zur Erhöhung der Lebensqualität solche sind, die aufgrund der privaten Lebensführung zum Einsatz kommen oder deren Zweckbestimmung nicht oder nicht ausschließlich in der Behandlung von Krankheiten liegt, die individuelle Bedürfnisse befriedigen oder das Selbstwertgefühl aufwerten, die Folgen natürlicher Alterungsprozesse behandeln oder bei kosmetischen Befunden zum Einsatz kommen, die medizinisch nicht notwendig sind. Bei der Ausgestaltung hat der Gemeinsame Bundesausschuss die Vorgaben des Gesetzgebers umgesetzt, diese allerdings zugleich erweitert, sodass ebenso Arzneimittel, deren Einsatz durch die private Lebensführung bedingt ist und Arzneimittel, die der individuellen Bedürfnisbefriedigung oder der Aufwertung des Selbstwertgefühls dienen, in § 14 Abs. 1 AM-RL zulässigerweise aufgenommen wurden136. Wenn eine dieser Konstellationen vorliegt, stehen nicht mehr die Wirkungen des Arzneimittels zur Diagnose oder zur Therapie der Erkrankung in einem medizinisch notwendigen Sinne im Vordergrund, sondern eben die persönlichen Bedürfnisse des Versicherten, die seinem privaten Lebensbereich zuzuordnen sind.

4. Wirkung des Ausschlusses a) Vorliegen eines gesetzlichen Ausschlusses Trotz des Wortlautes der gesetzlichen Regelung, der besagt, dass lebensqualitätserhöhende Arzneimittel „von der Versorgung […] ausgeschlossen“ sind, ist die Einordnung des Lifestyleausschlusses als gesetzlicher Ausschlusstatbestand nicht eindeutig. Gerade wegen der Weite des Gesetzeswortlautes im Hinblick auf den Begriff der Arzneimittel, die der Erhöhung der Lebensqualität dienen, sowie dem Auftrag an den Gemeinsamen Bundesausschuss, das Nähere und die Abgrenzung zu gegeben ansieht; ähnl. Spickhoff, in: ders., Medizinrecht, § 34 SGB V Rn. 7, der sowohl die sexuelle als auch die erektile Dysfunktion als Beispiele für den Ausschluss aufzählt. 135 BT-Drs. 15/1525, S. 87. 136 Vgl. BT-Drs. 15/1525, S. 86 f., worin diese beiden Konstellationen nicht aufgezählt werden. Ansonsten besteht im Gesamten aber eine starke Anlehnung an die Gesetzesbegründung. Zur Konkretisierungsbefugnis des G-BA vgl. Abschnitt D. II. 4. a).

II. Der Ausschluss von Lifestyle-Arzneimitteln

253

Arzneimitteln mit medizinisch notwendigen therapeutischen oder diagnostischen Wirkungen zu regeln, wird die Aufnahme von Arzneimitteln in die Anlage II der Arzneimittel-Richtlinie als konstitutiv für den Ausschluss angesehen137. Nach Ansicht des Bundessozialgerichts erfolgt der Ausschluss der Lifestyle-Arzneimittel bereits per Gesetz; eine Aufnahme der Arzneimittel in die Anlage II der Arzneimittel-Richtlinie sei nicht notwendig138. Der Ansicht des Bundessozialgerichts ist vor allem aufgrund der Entstehungsgeschichte zuzustimmen. Der Ausschluss wurde eingeführt, um die schon durch die Arzneimittel-Richtlinie des Bundesausschusses getroffenen Ausschlüsse auf eine gesetzliche Grundlage zu stellen139. Denn zuvor waren diese Ausschlüsse, zumindest was die erektile Dysfunktion betrifft, vom Bundessozialgericht für unwirksam erklärt worden, da der Bundesausschuss mit dem Ausschluss jeglicher Behandlung der erektilen Dysfunktion mit Arzneimitteln seine Befugnisse überschritten hatte, sodass er den Ausschluss ohne Rechtsgrundlage vorgenommen hatte140. Nach Ansicht des Bundessozialgerichts ist nur der Gesetzgeber befugt, einen umfassenden Ausschluss von Krankheiten zu treffen; ein Ausschluss durch Richtlinien ist nur dort möglich, wo ein Ausschluss im Ergebnis bereits durch Gesetz erfolgt ist141. Da der Ausschluss der Lifestyle-Arzneimittel aber eingeführt wurde, um klarzustellen, dass die Ausschlüsse der Richtlinie weiterhin Geltung haben, und er in enger Anlehnung an die damals geltende Richtlinie konzipiert wurde, ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber – wie vom Bundessozialgericht vorgegeben – eine gesetzliche Regelung schaffen wollte und nicht nur eine Ermächtigung für den Gemeinsamen Bundesausschuss142. 137 Vgl. SG Berlin B. v. 08. 06. 2007 – S 83 KA 53/07 ER Rn. 17; SG Marburg Urt. v. 14. 10. 2009 – S 11 KA 243/08 Rn. 25 ff., allerdings mit historischer Begründung; im Ergebnis wohl auch Gerlach, in: Hauck/Noftz, Sozialgesetzbuch – SGB V, § 34 SGB V Rn. 28, der § 14 AMRL als maßgeblich für den Ausschluss ansieht. 138 Ausdrücklich durch BSGE 112, 251 ff. Vgl. auch BSGE 108, 175 (178); 110, 194 (203); BSG Urt. v. 18. 07. 2006 – B 1 KR 10/05 R Rn. 12; das BSG hat in seinen Entscheidungen schon damals den Ausschluss von Lifestyle-Arzneimitteln als gesetzlichen Ausschluss bezeichnet. In diese Richtung gehend schon BSGE 94, 302 (310), in der Entscheidung spricht das BSG zwar nicht ausdrücklich von einem gesetzlichen Ausschluss, jedoch geht es aufgrund seiner Formulierung scheinbar von einem solchen aus. Ebenso für einen gesetzlichen Ausschluss: Bischofs, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, Beck’scher Onlinekommentar Sozialrecht, § 34 SGB V Rn. 19; Hess, in: Körner/Leitherer/Mutschler, Kasseler Kommentar, § 34 SGB V Rn. 12; Joussen, in: Knickrehm/Kreikebohm/Waltermann, Kommentar zum Sozialrecht, § 34 SGB V Rn. 7. Anders Becker, Steuerung der Arzneimittelversorgung, S. 36, der zwar zunächst auch von einem gesetzlichen Ausschluss spricht, aber die Frage später im Hinblick auf die Konkretisierungen durch den G-BA offen lässt, S. 188. 139 BT-Drs. 15/1525, S. 86; BSGE 112, 251 (255); vgl. auch Becker, Steuerung der Arzneimittelversorgung, S. 188. 140 Vgl. hierzu oben die Entstehungsgeschichte, Abschnitt D. II. 1. 141 BSGE 85, 36 (47). 142 BSGE 112, 251 (255); a.A. SG Marburg Urt. v. 14. 10. 2009 – S 11 KA 243/08 Rn. 25 ff., das die Entstehungsgeschichte so auslegt, dass der Ausschluss weiterhin nur klarstellende

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D. Weitere Ausschlüsse nach § 34 SGB V

Offen bleibt jedoch, wie sich der gesetzliche Ausschluss zur Konkretisierungsbefugnis des Gemeinsamen Bundesausschusses verhält. Allein das Vorliegen einer Konkretisierungsbefugnis steht der Einordnung des Ausschlusses als gesetzlichen Ausschluss nicht im Wege. Zwar sind die Richtlinien untergesetzliche Normen und der Gemeinsame Bundesausschuss ist mit deren Erlass befugt, die Rechtslage zu gestalten, jedoch wird die Befugnis zur Ausgestaltung der Richtlinien in Abhängigkeit zur Ermächtigungsnorm erteilt. Soweit das Gesetz selbst Ausschlüsse enthält, beschränkt sich die Aufgabe des Gemeinsamen Bundesausschusses auf die Umsetzung des Ausschlusses, im Sinne einer ausdrücklichen Auflistung erfasster Arzneimittel oder der Regelung von Abgrenzungsfällen143. So werden etwa die gesetzlich geregelten Beispielsfälle für Lifestyle-Arzneimittel in der ArzneimittelRichtlinie fast wortgleich wiederholt144. Ist eines der im Gesetz genannten Anwendungsgebiete und Therapieziele einschlägig, ist für den Arzt auch ohne die Richtlinienregelungen erkennbar, dass das Arzneimittel ausgeschlossen ist145. Es bedarf dann keiner weiteren Präzisierung mehr in der Arzneimittel-Richtlinie. Insofern wiederholt die Arzneimittel-Richtlinie nur die gesetzlichen Ausschlüsse, ist aber nicht konstitutiv. Allerdings enthält die Arzneimittel-Richtlinie auch weiterführende Regelungen und grenzt die Lifestyle-Arzneimittel ab von Arzneimitteln, bei denen eine medizinisch notwendige therapeutische oder diagnostische Wirkung im Vordergrund steht. Sofern also Zweifel hinsichtlich der Einordnung unter die gesetzlich genannten Anwendungsgebiete und Therapieziele bestehen, kommen die Richtlinienregelungen zum Einsatz, sodass sich dann nach diesen bestimmt, ob es sich um ein LifestyleArzneimittel handelt oder nicht. Daher kommt in solchen Zweifelsfällen der Aufnahme eines Arzneimittels in die Arzneimittel-Richtlinie eigenständige Bedeutung zu146. Ausgeschlossen ist damit ein Arzneimittel in Zweifelsfällen erst dann, wenn es in die Anlage II der Arzneimittel-Richtlinie aufgenommen wurde. Dasselbe gilt für Arzneimittel, die unter die Erweiterungen fallen, die der Gemeinsame Bundesausschuss getroffen hat. Die Ausschlusserweiterungen sind erst dann rechtlich relevant, wenn die betroffenen Arzneimittel auf die Liste in Anlage II aufgenommen wurden. Da der Gemeinsame Bundesausschuss die Liste um Arzneimittel zur Verbesserung des Aussehens erweitert hat, sind nur die auf der Liste aufgeführten Botoxarzneimittel ausgeschlossen. Sollen etwa weitere Arzneimittel zur Verbesserung des Funktion habe, da der Gesetzeswortlaut lediglich die vorher geltenden Ausschlüsse des Bundesausschusses in der AM-RL präzisiere, wobei die Details nun in der neuen AM-RL geregelt seien, sodass nun diese der entscheidende Regelungsmaßstab sei. 143 BSGE 112, 251 (254 f.); LSG Berlin-Brandenburg Urt. v. 27. 05. 2015 – L 9 KR 309/12 KL Rn. 61. 144 Vgl. § 14 Abs. 2 AM-RL. 145 Vgl. BSGE 112, 251 (256). 146 Vgl. auch BSGE 112, 251 (254); in eine ähnliche Richtung gehend Becker, Steuerung der Arzneimittelversorgung, S. 36, der eine konstitutive Wirkung in den Fällen annimmt, in denen es auf eine „überwiegende Verwendung“ ankommt.

II. Der Ausschluss von Lifestyle-Arzneimitteln

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Aussehens von der Verordnung ausgeschlossen werden, müssen diese in der Anlage II aufgeführt werden, damit der Ausschluss greifen kann. Gleiches muss für Arzneimittel gelten, die nicht der Behandlung der erektilen Dysfunktion, sondern der sexuellen Dysfunktion dienen. Diese Sichtweise steht mit der Gesetzesbegründung in Einklang, die lediglich die bisher in der Arzneimittel-Richtlinie ausgeschlossenen Arzneimittel auf eine gesetzliche Grundlage stellen wollte, nicht aber einen generalklauselartigen Ausschluss verankern wollte147. b) Reichweite des Ausschlusses Im Zusammenhang mit der rechtlichen Einordnung des Ausschlusses als gesetzlicher Ausschluss ist die Frage, nach der Reichweite des Ausschlusses zu sehen. Entscheidend, damit der Ausschluss greift, ist nicht, dass das Arzneimittel tatsächlich der Erhöhung der Lebensqualität dient, sondern dass es nach seiner überwiegenden Zweckbestimmung, die sich aus der Arzneimittelzulassung und der jeweiligen Fachinformation ergibt, dieses Ziel verfolgt. Das ist dann der Fall, wenn der Zweck in einem der gesetzlich genannten Therapieziele liegt oder es die Voraussetzungen des § 14 Abs. 1 S. 2 AM-RL erfüllt. Sofern also ein Arzneimittel überwiegend zur Behandlung der in § 34 Abs. 1 S. 8 SGB V genannten Ziele eingesetzt wird, liegt ein Ausschluss vor, unabhängig davon, ob eine Erkrankung vorliegt oder nicht, auf welchen Gründen die Krankheit beruht oder ob im Einzelfall die Therapie mit dem Arzneimittel medizinisch notwendig ist. Insofern ist der Ausschluss als umfassend anzusehen148. Für einen umfassenden Ausschluss von Arzneimitteln für die genannten Therapieziele spricht der Wortlaut der Regelung, wonach Arzneimittel, die überwiegend der Behandlung der genannten Ziele dienen „ausgeschlossen sind“. Anders kann der Wortlaut nur unter Heranziehung des § 34 Abs. 1 S. 7 SGB V ausgelegt werden, wonach es maßgeblich darauf ankommt, dass die Erhöhung der Lebensqualität „im Vordergrund steht“, sodass in Einzelfällen, in denen diese Voraussetzung nicht besteht, der Ausschluss in § 34 Abs. 1 S. 8 SGB Vabgemildert werden könnte149. Einer solchen Vorgehensweise steht aber die Entstehungsgeschichte – zumindest was die erektile Dysfunktion angeht – entgegen. Denn der Ausschluss sollte die Regelung des Bundesausschusses, der Arzneimittel zur Behandlung der erektilen Dysfunktion 147

Vgl. Becker, Steuerung der Arzneimittelversorgung, S. 188. BSGE 110, 194 (197); BSG Urt. v. 18. 07. 2006 – B 1 KR 10/05 R Rn. 11 f.; LSG BerlinBrandenburg B. v. 27. 02. 2008 – L 7 B 112/07 KA ER Rn. 32; LSG Thüringen Urt. v. 01. 07. 2008 – L 6 KR 507/07 Rn. 18; LSG NRW Urt. v. 9. 03. 2007 – L 11 KR 93/06; Rn. 17; LSG Saarland Urt. v. 09. 12. 2009 – L 2 KR 18/09 Rn. 23; SG Marburg Urt. v. 14. 10. 2009 – S 11 KA 243/08 Rn. 27, 32; Spickhoff, in: ders., Medizinrecht, § 34 SGB V Rn. 8. Auch im Urteil zu Viagra ging es um eine medizinisch indizierte Anwendung, die dennoch ausgeschlossen war, vgl. BSGE 94, 302 (305, 310); vgl. auch LSG NRW Urt. v. 03. 03. 2005 – L 5 KR 169/04 Rn. 17 f. 149 Vgl. Axer, ZEFQ 2014, S. 132. 148

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D. Weitere Ausschlüsse nach § 34 SGB V

umfassend von der Verordnung in der gesetzlichen Krankenversicherung ausschloss, umsetzen. Der Gesetzgeber wollte mit der gesetzlichen Regelung einen umfassenden Ausschluss der erektilen Dysfunktion sicherstellen150. Dadurch, dass er die erektile Dysfunktion im unmittelbaren Zusammenhang mit den anderen genannten Therapiezielen genannt hat, ist davon auszugehen, dass er ebenfalls Arzneimittel zur Behandlung der anderen Ziele umfassend von der Verordnung in der gesetzlichen Krankenversicherung ausnehmen wollte. Des Weiteren spricht für einen umfassenden Ausschluss, dass es im Gesetz – anders als beim Ausschluss der OTC-Arzneimittel – keine gesetzlich geregelte Ausnahmemöglichkeit gibt. Die Ausnahme nach § 31 Abs. 1 S. 4 SGB V, wonach der Vertragsarzt in begründeten Einzelfällen Arzneimittel, die aufgrund der Arzneimittel-Richtlinie ausgeschlossen sind, verordnen darf, ist auf Lifestyle-Arzneimittel nicht anwendbar, da es sich beim Ausschluss von Lifestyle-Arzneimitteln um einen gesetzlichen Ausschluss handelt151. Zudem spricht die Gesetzesbegründung für einen umfassenden Ausschluss. Der Gesetzgeber hat zwar dem Gemeinsamen Bundesausschuss die Aufgabe erteilt, in seinen Richtlinien die Abgrenzung zu Arzneimitteln, bei denen die therapeutische oder diagnostische Wirksamkeit im Vordergrund steht, zu regeln, und war sich durchaus bewusst, dass es Abgrenzungsprobleme im Hinblick auf medizinisch notwendige Arzneimittel geben könnte, jedoch wurden in der Gesetzesbegründung alle in § 34 Abs. 1 S. 8 SGB V aufgeführten Krankheiten und Therapieziele ausdrücklich als vom Ausschluss umfasst angesehen152. Abgrenzungsprobleme sah der Gesetzgeber in diesen genannten Fällen daher gerade nicht. Zugleich gibt der umfassende Ausschluss den Krankenkassen und Vertragsärzten Rechtssicherheit, was vom Gesetzgeber aufgrund der vorherigen, unsicheren Situation auch beabsichtigt war153. Der umfassende Ausschluss kann aber gerade in Bereichen, in denen bspw. die Verordnung eines Arzneimittels zur Behandlung einer Krankheit medizinisch notwendig ist, zu Problemen führen, die letztlich Grundrechte der Versicherten betreffen können. Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob der Gesetzgeber aufgrund seines Gestaltungsspielraumes überhaupt eine so umfassende und weite Regelung treffen durfte, mithin ob seine Pauschalisierungs- und Typisierungsbefugnis so weit reichen kann154. 150

BSGE 110, 194 (197); BSG Urt. v. 18. 07. 2006 – B 1 KR 10/05 R Rn. 11 f.; LSG NRW Urt. v. 03. 03. 2005 – L 5 KR 169/04 Rn. 17 f. 151 Hess, in: Körner/Leitherer/Mutschler, Kasseler Kommentar, § 34 SGB V Rn. 12; zustimmend Becker, Steuerung der Arzneimittelversorgung, S. 165, 188. 152 BT-Drs. 15/1525, S. 86 f. 153 BT-Drs. 15/1525, S. 86; zum Aspekt der Rechtssicherheit vgl. auch: LSG BerlinBrandenburg B. v. 27. 02. 2008 – L 7 B 112/07 KA ER Rn. 35; SG Marburg Urt. v. 14. 10. 2009 – S 11 KA 243/08 Rn. 27. 154 Vgl. Axer, ZEFQ 2014, S. 132, der diese Frage auch aufwirft. Das LSG NRW sieht die Regelung als vom Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers umfasst an, LSG NRW Urt. v. 03. 03.

II. Der Ausschluss von Lifestyle-Arzneimitteln

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5. Verhältnis zum Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel Der Ausschluss von Lifestyle-Arzneimitteln umfasst sowohl verschreibungspflichtige als auch nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel. Deshalb finden sich in der Liste von betroffenen Fertigarzneimitteln nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel wie etwa „alli“, das der Abmagerung dient. Bis Mitte 2013 waren diese OTC-Arzneimittel in der Anlage II der Arzneimittel-Richtlinie auch noch als „nicht verschreibungspflichtig“ gekennzeichnet. Diese besondere Kennzeichnung wurde aber mit der Begründung, dass die Kennzeichnung an dieser Stelle entbehrlich sei, aufgegeben155. Nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel sind allerdings schon gemäß § 34 Abs. 1 S. 1 SGB V von der Verordnung zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung ausgenommen, unabhängig davon, ob es sich dabei um Lifestyle-Arzneimittel handelt oder nicht. Ob und inwiefern der Ausschluss von nicht verschreibungspflichtigen Lifestyle-Arzneimitteln eigenständige Bedeutung hat oder nur rein deklaratorischer Natur ist, ergibt sich nicht unmittelbar aus dem Gesetz. Der Ausschluss von Lifestyle-Arzneimitteln gem. § 34 Abs. 1 S. 7 – 9 SGB V ist letztlich als spezieller gegenüber dem Ausschluss nach § 34 Abs. 1 S. 1 SGB Vanzusehen. Denn durch die Auflistung von OTC-Arzneimitteln in der Anlage II, die auf § 34 Abs. 1 S. 7, 8 SGB V beruht, wird deutlich gemacht, dass diese Arzneimittel nicht allein wegen ihrer fehlenden Verschreibungspflicht aus dem Leistungskatalog ausgeschlossen sind, sondern wegen ihres Anwendungsgebietes bzw. wegen ihres Therapieziels. Dementsprechend kommt dem Ausschluss nach § 34 Abs. 1 S. 7 – 9 SGB V hinsichtlich der nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel nicht nur deklaratorische Bedeutung zu. Die Herausnahme der Lifestyle-Arzneimittel nach § 34 Abs. 1 S. 7 – 9 SGB Vaus dem Leistungskatalog, die zugleich auch OTC-Arzneimittel sind, hat zur Folge, dass diese nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel auch nicht ausnahmsweise zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnet werden können. So können andere OTC-Arzneimittel nach den Ausnahmevorschriften etwa bei Kindern bis 12 Jahren oder bei Jugendlichen mit Entwicklungsstörungen weiter verordnet werden oder eben dann, wenn die betroffenen Arzneimittel in die OTC-Liste aufgenommen wurden156. Allerdings ist in diesem Zusammenhang schon fraglich, ob ein Arzneimittel, das der Erhöhung der Lebensqualität dient, überhaupt die strengen Voraus2005 – L 5 KR 169/04 Rn. 21. Vgl. zu dieser Frage die Ausführungen unter Abschnitt D. II. 6. a) cc) (1). 155 So die tragenden Gründe zum Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses zur Einleitung eines Stellungnahmeverfahrens zur Änderung der Arzneimittel-Richtlinie (AMRL): Anlage II – Lifestyle Arzneimittel, S. 3, Stand: 06. 08. 2013, abrufbar unter: https://www. g-ba.de/informationen/richtlinien/anlage/14/#tab/beschluesse/details/1796/listContext/beschlu esse. 156 Vgl. hierzu Abschnitt B. III.; B. IV.

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D. Weitere Ausschlüsse nach § 34 SGB V

setzungen der Aufnahme auf die OTC-Liste erfüllen kann. Denn dazu müsste es der Behandlung einer schwerwiegenden Erkrankung dienen und für deren Behandlung auch Standardtherapeutikum sein. Da bei den Lifestyle-Arzneimitteln aber zumeist schon der Krankheitsbezug grenzwertig ist und es dort in der Regel nicht um die Behandlung lebensbedrohlicher Erkrankungen geht, würde wohl kaum eines dieser Arzneimittel die Anforderungen für die Aufnahme in die OTC-Liste erfüllen157.

6. Verfassungsmäßigkeit des Ausschlusses Der Ausschluss von Lifestyle-Arzneimitteln wird in Rechtsprechung und Literatur überwiegend als verfassungsgemäß angesehen158. Er soll sicherstellen, dass Lifestyle-Arzneimittel in der Eigenverantwortung der Patienten bleiben; Leistungen, die durch die Art der persönlichen Lebensführung bedingt sind, der individuellen Bedürfnisbefriedigung dienen oder der Aufwertung des Selbstwertgefühls, sollen nicht zu Lasten der Solidargemeinschaft bezogen werden können159. Die Herausnahme der Leistungen aus dem Leistungskatalog in der gesetzlichen Krankenversicherung kann, wie bei den anderen Ausschlüssen, Verletzungen von Grundrechten der Versicherten und der pharmazeutischen Hersteller zur Folge haben. Zwar ähnelt der Ausschluss von Lifestyle-Arzneimitteln aufgrund seiner teilweisen Anknüpfung an Anwendungsgebiete dem Ausschluss von Bagatellarzneimitteln, jedoch können sich aufgrund der unterschiedlichen Anknüpfungspunkte – Lifestyle-Behandlungen sind nicht mit Bagatellerkrankungen gleichzusetzen – andere Wertungen insbesondere im Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit ergeben. a) Verletzung von Grundrechten der gesetzlich Versicherten aa) Verletzung der körperlichen Unversehrtheit, Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG Das Grundrecht der körperlichen Unversehrtheit legt dem Staat zwar die Pflicht auf, sich schützend und fördernd vor das Leben zu stellen und begründet damit eine objektiv-rechtliche Schutzpflicht des Staates, jedoch folgen daraus grundsätzlich 157

Vgl. Kozianka/Küpper/May, A&R 2010, S. 26. BSGE 94, 302 (310 f.); 110, 194 (203 f.); BSG Urt. v. 18. 07. 2006 – B 1 KR 10/05 R Rn. 13; BSG Urt. v. 20. 07. 2010 – B 1 KR 10/10 B Rn. 7; Bischofs, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, Beck’scher Onlinekommentar Sozialrecht, § 34 SGB V Rn. 19; Joussen, in: Knickrehm/Kreikebohm/Waltermann, Kommentar zum Sozialrecht, § 34 SGB V Rn. 7; Sommer, in: Jahn, Sozialgesetzbuch für die Praxis, § 34 SGB V Rn. 12; Wagner, in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung Pflegeversicherung, § 34 SGB V Rn. 12. 159 BT-Drs. 15/1525, S. 87; vgl. auch: Beck, in: Schlegel/Voelzke, juris Praxiskommentar, § 34 SGB V Rn. 26; Bischofs, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, Beck’scher Onlinekommentar Sozialrecht, § 34 SGB V Rn. 19; Gerlach, in: Hauck/Noftz, Sozialgesetzbuch – SGB V, § 34 SGB V Rn. 28. 158

II. Der Ausschluss von Lifestyle-Arzneimitteln

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keine konkreten Ansprüche auf bestimmte Leistungen160. Die Krankenkassen sind von Verfassungswegen nicht gehalten, alles zu leisten, was zur Erhaltung oder Wiederherstellung der Gesundheit von Nöten ist. Für den Ausschluss von LifestyleArzneimitteln führen ebenso die Grundsätze des Nikolausbeschlusses des Bundesverfassungsgerichts zu keinem anderen Ergebnis, da von diesem Ausschluss, jedenfalls keine Arzneimittel für regelmäßig tödliche oder lebensbedrohliche Erkrankungen betroffen sind161. Der Gesetzgeber ist aus seiner Schutzpflicht heraus lediglich verpflichtet, Vorkehrungen zum Schutz der Gesundheit zu treffen, die nicht völlig ungeeignet oder unzulänglich sind, sodass eine Verletzung der Schutzpflicht erst dann bestünde, wenn den Versicherten keine ausreichende Behandlung für den Versicherungsfall der Krankheit mehr zustünde. Davon kann aber beim Ausschluss von Lifestyle-Arzneimitteln, die vorrangig der individuellen Bedürfnisbefriedigung dienen und jenseits lebensbedrohlicher Zustände liegen, keine Rede sein162. bb) Verletzung der allgemeinen Handlungsfreiheit, Art. 2 Abs. 1 GG Das Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG schützt die Auswahl unter Arzneimitteln, die dem Versicherten als Sachleistung zur Verfügung stehen. Allerdings wird durch den Ausschluss von Lifestyle-Arzneimitteln das Erreichen bestimmter Therapieziele durch die Anwendung von Arzneimitteln umfassend aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung ausgenommen. Anders als beim Ausschluss von OTC-Arzneimitteln besteht für den Versicherten keine Möglichkeit, die Erkrankung, sofern eine solche überhaupt vorliegt, durch Arzneimittel zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung behandeln zu lassen, sodass für ihn schon keine Wahlmöglichkeit unter Arzneimitteln im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung besteht, die eingeschränkt werden kann. Das Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit i. V. m. dem Sozialstaatsprinzip schützt weiterhin vor einer Unverhältnismäßigkeit von Beitrag und Leis160 BVerfGE 115, 25 (44). Vgl. zur staatlichen Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 SGB V Abschnitt C. I. 1. a) bb) (2). 161 Vgl. BSG Urt. v. 18. 07. 2006 – B 1 KR 10/05 R Rn. 13; LSG Thüringen Urt. v. 01. 07. 2008 – L 6 KR 507/07 Rn. 19; LSG Saarland Urt. v. 09. 12. 2009 – L 2 KR 18/09 Rn. 24; vgl. auch: Axer, ZEFQ 2014, S. 132; Gamperl, in: Jabornegg/Resch/Seewald, Grenzen der Leistungspflicht für Krankenbehandlung, S. 77. 162 Eine Verletzung der körperlichen Unversehrtheit speziell beim Ausschluss von Lifestyle-Arzneimitteln verneinend BSGE 94, 302 (310); so auch zuvor schon LSG NRW Urt. v. 03. 03. 2005 – L 5 KR 169/04 Rn. 20 f.; zustimmend: BSG Urt. v. 18. 07. 2006 – B 1 KR 10/05 R Rn. 13; BSG B. v. 20. 07. 2010 – B 1 KR 10/10 B Rn. 7; LSG Saarland Urt. v. 09. 12. 2009 – L 2 KR 18/09 Rn. 23 f.; Wagner, in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung Pflegeversicherung, § 34 SGB V Rn. 12.

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D. Weitere Ausschlüsse nach § 34 SGB V

tung163. Dieser Schutz besteht unabhängig vom Vorliegen einer lebensbedrohlichen Erkrankung. Leistungsausschlüsse und Begrenzungen müssen sich an Art. 2 Abs. 1 GG messen lassen und damit dem Verhältnismäßigkeitsprinzip entsprechen; Beitragssatz und Leistungen müssen trotz des Ausschlusses noch in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen. cc) Rechtfertigung – Verhältnismäßigkeit des Eingriffes Der Ausschluss von Lifestyle-Arzneimitteln wird auf die Eigenverantwortung und den Solidaritätsgedanken in Bezug auf die Finanzierbarkeit der gesetzlichen Krankenversicherung gestützt. Er soll nach der Gesetzesbegründung sicherstellen, dass die Finanzierung von Arzneimitteln, deren Einsatz durch die persönliche Lebensführung bedingt ist, durch den einzelnen Versicherten selbst erfolgt, und dass Arzneimittel, die der individuellen Bedürfnisbefriedigung oder der Aufwertung des Selbstwertgefühls dienen, nicht mehr zu Lasten der Solidargemeinschaft verordnet werden können164. Legitime Ziele sind daher die Erhaltung der Finanzierbarkeit der gesetzlichen Krankenversicherung, die Entlastung der Solidargemeinschaft und die Stärkung der Eigenverantwortung der Versicherten. Dafür ist der Ausschluss grundsätzlich geeignet, entstehen dem System doch dadurch in den betroffenen Anwendungsgebieten keine Kosten für Arzneimittel und stärkt der Ausschluss doch die Eigenverantwortung der Versicherten und entlastet die Solidargemeinschaft165. Mildere Mittel sind zudem nicht ersichtlich. Zwar umfasst der Ausschluss auch Fälle, in denen Arzneimittel sowieso mangels Erkrankung oder mangels Wirtschaftlichkeit nicht verordnet werden dürften166, jedoch stellt eine alleinige Überprüfung der Verordnungen anhand des Wirtschaftlichkeitsgebots keinen gleich effektiven, weil vor allem nicht umfassenden, Ausschluss dar. Darüber hinaus spricht gerade der Umstand, dass in den Fällen des Ausschlusses oftmals der Krankheitsbezug grenzwertig ist oder die Verordnung nicht wirtschaftlich ist, für eine Angemessenheit des Ausschlusses. Wenn die betroffenen Arzneimittel auch aus anderen Gründen nicht verordnet werden können, dann spricht dies gegen eine Inäquivalenz von Beitrag und Leistung. Ferner sind durch den Ausschluss keine lebensbedrohlichen Erkrankungen betroffen167. Zwar kann eine Adipositas zu Herz- und Kreislauferkrankungen oder eine Nikotinsucht zu Lungenkrebs führen, jedoch ist weder die Adipositas noch die 163

Vgl. hierzu Abschnitt C. I. 1. a) dd). BT-Drs. 15/1525, S. 87. 165 Die Selbstbeteiligung führt dazu, dass sich die Versicherten gesundheitsfördernder verhalten und setzt Anreize zur Vermeidung von Versicherungsfällen, vgl. Merten, NZS 1996, S. 597; Süß, Die Eigenverantwortung gesetzlich Krankenversicherter, S. 166. 166 Vgl. Axer, ZEFQ 2014, S. 132; Gamperl, in: Jabornegg/Resch/Seewald, Grenzen der Leistungspflicht für Krankenbehandlung, S. 77 f. 167 Sofern eine lebensbedrohliche Erkrankung vorliegt, ist allerdings die Versorgung mit dem Arzneimittel gem. § 2 Abs. 1a SGB V zu erbringen, vgl. Axer, ZEFQ 2014, S. 132. 164

II. Der Ausschluss von Lifestyle-Arzneimitteln

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Nikotinsucht selbst eine lebensbedrohliche Erkrankung. Es werden den Versicherten daher keine lebensnotwendigen Leistungen genommen, sodass man davon sprechen könnte, dass die Leistungen in keinem Verhältnis zur Beitragszahlung mehr stünden. (1) Medizinisch notwendige Leistungen Problematisch in Bezug auf die verfassungsrechtliche Beurteilung ist allerdings der Umstand, dass den Versicherten durch den umfassenden Ausschluss selbst in medizinisch notwendigen Fällen die betroffenen Arzneimittel nicht gewährt werden. In diesen Fällen passt die Gesetzesbegründung nicht mehr, denn das Arzneimittel dient dann zur Behandlung einer Krankheit, die Lebensqualität steht nicht mehr im Vordergrund. Der Gesetzgeber könnte dadurch, dass er den Ausschluss umfassend ausgestaltet hat, über sein eigenes Ziel – den Ausschluss von Arzneimitteln, die lediglich dem Lifestyle dienen – hinaus gegangen sein. Das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg hat zu Fällen medizinisch notwendiger Leistungen ausgeführt, dass im Falle des Vorliegens einer lebensbedrohlichen Erkrankung, die die Behandlung einer mit dieser Erkrankung einhergehenden Adipositas erforderlich macht, aufgrund von Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 2 GG, Arzneimittel zu deren Behandlung zu gewähren sind, und zwar im Wege einer verfassungskonformen Auslegung von § 31 Abs. 1 S. 4 SGB V168, wobei jetzt auch an § 2 Abs. 1a SGB V gedacht werden könnte. Auch in beihilferechtlichen Regelungen, die den Ausschluss übernommen haben, gibt es eine Ausnahmeregelung bei medizinisch notwendigen Leistungen169. Allerdings resultieren diese Ausnahmen aus der Fürsorgepflicht des Dienstherren170. Entscheidend für die Frage der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit des umfassenden Ausschlusses auch von medizinisch notwendigen Leistungen zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung ist letztlich, ob der Gesetzgeber durch die weite Fassung seine Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG verletzt hat oder aus der weiten Fassung die Unverhältnismäßigkeit von Beitrag und Leistung folgt. Da von einer Verletzung der Schutzpflicht nur gesprochen werden kann, wenn der Staat völlig ungeeignete oder unzulängliche Regelungen getroffen und mithin das Un168

LSG Berlin-Brandenburg B. v. 27. 02. 2008 – L 7 B 112/07 KA ER Rn. 14. Vgl. § 8 Abs. 6 S. 3 HmbBeihVO; Anlage 2 Nr. 7b BVO NRW. § 22 g) LBhVO sieht eine Ausnahme bei medizinischer Notwendigkeit nur für potenzsteigernde Mittel vor und nur, wenn kein Fall einer erektilen Dysfunktion vorliegt. Vgl. auch die Bundesbeihilfenverordnung, die in § 22 Abs. 2 Nr. 1 BBhV eine Ausnahme vorsieht, wenn die Behandlung einer anderen Körperfunktionsstörung, die eine Krankheit ist, im Vordergrund steht, es keine anderen Arzneimittel gibt oder die anderen Arzneimittel unverträglich oder nicht wirksam sind. 170 Vgl. VG Saarland Urt. v. 12. 06. 2014 – 6 K 760/13 Rn. 22 ff.; VG Saarland Urt. v. 04. 08. 2014 – 6 K 734/14 Rn. 33 ff., das aus der Fürsorgepflicht des Dienstherren gem. Art. 33 Abs. 5 GG ein zwingendes Erfordernis von Ausnahmeregelungen herleitet; a.A. OVG Saarland Urt. v. 03. 06. 2015 – 1 A 312/14, das eine Pflicht zum Erlass von Ausnahmeregelungen nicht aus der Fürsorgepflicht ableitet. 169

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D. Weitere Ausschlüsse nach § 34 SGB V

termaßverbot verletzt hat, sodass Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung derart eingeschränkt werden, dass den Versicherten überhaupt keine ausreichende, medizinisch notwendige Behandlung im Falle einer Krankheit zusteht, ist eine Verletzung der Schutzpflicht zu verneinen; schon deshalb, weil lediglich die Behandlung mit Arzneimitteln ausgeschlossen wird, nicht aber etwa die vertragsärztliche Behandlung. Von einer generellen Unzulänglichkeit der gesetzlichen Regelungen kann daher nicht gesprochen werden. Gleichermaßen gilt dies hinsichtlich einer Unverhältnismäßigkeit von Beitrag und Leistung. Das Bundesverfassungsgericht hat im Nikolausbeschluss aufgeführt, dass eine solche Unverhältnismäßigkeit jedenfalls dann vorliegt, wenn im Falle einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung keine Leistung gewährt wird. Sofern ein solcher Fall vorliegt, wäre ein Arzneimittel nach § 2 Abs. 1a SGB V zu gewähren171. In Fällen nicht lebensbedrohlicher und vor allem nicht schwerwiegender Krankheit – wie sie in Fällen der Lifestyle-Arzneimittel vorliegen –, in denen aber eine Versorgung mit Arzneimitteln medizinisch notwendig ist, kann der Gesetzgeber den Ausschluss gleichwohl noch auf Finanzierungsaspekte stützen. Selbst wenn er über sein primäres Regelungsziel hinaus gegangen ist, liegt der Ausschluss noch im Rahmen seines verfassungsrechtlichen Gestaltungsspielraums172. Der Gesetzgeber ist befugt, den Begriff der Krankheit einzuschränken und einzelne Erkrankung ganz aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung auszunehmen173. Der Ausschluss ist daher auch im Hinblick auf den Ausschluss von Leistungen in medizinisch notwendigen Fällen verfassungsgemäß. (2) Verhältnismäßigkeit im Hinblick auf die erektile Dysfunktion Bezweifelt wird die Verfassungsmäßigkeit des Ausschlusses zum Teil speziell im Hinblick auf die erektile Dysfunktion174. Anknüpfungspunkt für die Zweifel ist, dass der Ausschluss damit begründet wird, Arzneimittel auszuschließen, die der individuellen Bedürfnisbefriedigung dienen und durch die Art der persönlichen Lebensführung bedingt sind. Dies lässt sich für einige der gesetzlich genannten Fälle bejahen, wie etwa der Anreizung und Steigerung der sexuellen Potenz oder bei Arzneimitteln zur Verbesserung des Haarwuchses. Entsprechendes gilt für Abmagerungs- und Diätarzneimittel, sofern sie von Versicherten angewandt werden, die damit lediglich versuchen einem Idealbild näher zu kommen, bei denen aber keine krankhafte Fettleibigkeit besteht.

171

Vgl. Axer, ZEFQ 2014, S. 132 FN. 17. LSG NRW Urt. v. 03. 03. 2005 – L 5 KR 169/04 Rn. 21. 173 Zur Befugnis des Gesetzgebers zum Ausschluss von Krankheiten: BSGE 85, 36 (47 ff.); 94, 302 (308). 174 Wigge/Wille, in: Schnapp/Wigge, HVAR, § 19 Rn. 16; krit. auch Welti, MedR 2010, S. 385. 172

II. Der Ausschluss von Lifestyle-Arzneimitteln

263

Anders wird dies teilweise im Falle der erektilen Dysfunktion gesehen: Bei der Ausübung der Sexualfunktion handele es sich nicht um eine Frage der persönlichen Lebensführung oder der individuellen Bedürfnisbefriedigung, sondern um einen selbstverständlichen Teil menschlichen Seins175. Des Weiteren wird vorgebracht, dass allein der Umstand, dass eine Missbrauchsgefahr bestehe, was etwa bei Viagra angenommen wurde, nicht dazu führen könne, dass die Behandlung der erektilen Dysfunktion umfassend ausgeschlossen werde176. Der Gesetzgeber hat den Ausschluss zwar auch deswegen eingeführt, weil er befürchtete, dass Viagra als Lifestyle-Droge missbraucht werden würde177, und hätte dementsprechend nur oral einzunehmende Arzneimittel ausschließen können, um dieser Gefahr zu begegnen, jedoch steht ihm ein weiter Gestaltungsspielraum zu178. In Anbetracht dessen, dass die Behandlung der erektilen Dysfunktion mit anderen Methoden zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung behandelbar ist179, da sowohl Vakuumpumpen als auch Erektionsringe in medizinisch notwendigen Fällen vom Leistungskatalog der Krankenversicherung umfasst werden180, ist der umfassende Ausschluss vom Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers umfasst. Dementsprechend ist der Ausschluss der Behandlung einer durch eine Krankheit verursachten erektilen Dysfunktion mit Arzneimitteln verfassungsgemäß. Darüber hinaus sprechen noch weitere Gründe für einen Ausschluss der Behandlung der erektilen Dysfunktion mit Arzneimitteln. Selbst wenn die Möglichkeit der sexuellen Aktivität zu einem selbstverständlichen Teil menschlichen Seins gezählt wird, handelt es sich bei der Behandlung der erektilen Dysfunktion mit Arzneimitteln dennoch um eine Leistung zur Erhöhung der Lebensqualität. Denn die Behandlung dieser Erkrankung basiert auf sexuellen Bedürfnissen und nicht auf biologisch-medizinischen Erfordernissen. Während nämlich andere Erkrankungen wie Bluthochdruck oder Herz-Kreislauferkrankungen der Behandlung bedürfen, da ansonsten schwerwiegende Folgeerkrankungen drohen, führt die fehlende Behandlung der erektilen Dysfunktion nicht zu weiteren Folgen im Sinne einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes. Es besteht aus gesundheitsrechtlichen Gründen kein Bedürfnis der Behandlung, der Patient kann teilweise, überwiegend

175 LSG NRW Urt. v. 03. 03. 2005 – L 5 KR 169/04 Rn. 20; Wigge/Wille, in: Schnapp/ Wigge, HVAR, § 19 Rn. 16. 176 Wigge/Wille, in: Schnapp/Wigge, HVAR, § 19 Rn. 16. 177 Vgl. BSGE 85, 36 (47); 94, 302 (306 f.); Gamperl, in: Jabornegg/Resch/Seewald, Grenzen der Leistungspflicht für Krankenbehandlung, S. 79. Diese Gefahr deutlich darstellend Krimmel, Deutsches Ärzteblatt 1998, S. A-1512 f. 178 So ausdrücklich LSG NRW Urt. v. 03. 03. 2005 – L 5 KR 169/04 Rn. 21; vgl. auch vorherigen Abschnitt D. II. 6. a) cc) (1). 179 Vgl. BSGE 85, 36 (41); LSG Niedersachsen-Bremen Urt. v. 20. 08. 2003 – L 4 KR 24/02 Rn. 28; LSG NRW Urt. v. 03. 03. 2005 – L 5 KR 169/04 Rn. 21. 180 Vgl. Nr. 99.27 des Hilfsmittelverzeichnisses des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen.

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D. Weitere Ausschlüsse nach § 34 SGB V

oder ganz darauf verzichten, ohne sich weiteren Gefahren auszusetzen181. Zudem kann der Patient die Behandlung sowie die Häufigkeit der Anwendung der Behandlung selbst bestimmen182. Aus diesen Gründen geht es bei der Behandlung der erektilen Dysfunktion um den individuellen Wunsch des Versicherten bzw. darum, was der Versicherte als „normal“ ansieht oder empfindet, mithin um Lifestyle. dd) Verletzung von Art. 3 GG Hinsichtlich eines Gleichheitsverstoßes wurden im Hinblick auf den Ausschluss von Lifestyle-Arzneimitteln die unterschiedlichsten Vergleiche gezogen und eine Ungleichbehandlung behauptet. So finden sich in der sozialgerichtlichen Rechtsprechung Urteile, die eine Ungleichbehandlung hinsichtlich des Alters betreffen, da dort die erektile Dysfunktion häufiger vorkommt183, die eine Ungleichbehandlung hinsichtlich des Geschlechts thematisieren, da ein Brustaufbau zum Leistungskatalog gehört, nicht jedoch die medikamentöse Behandlung der erektilen Dysfunktion184, oder die sich mit einer Ungleichbehandlung von Inkontinenz und erektiler Dysfunktion185 zu befassen hatten. Nach Ansicht des BSG wurden aber bei allen diesen Fällen nicht hinreichende Angaben hinsichtlich der Verletzungen gemacht, zumal dem Gesetzgeber aufgrund des Gleichheitssatzes nicht jede Differenzierung verwehrt wird. Vielmehr besteht für den Gesetzgeber die Möglichkeit, bestimmte Behandlungen vom gesetzlichen Leistungskatalog auszuschließen, und es ist seinem weiten Gestaltungsspielraum immanent, dass Unterschiede hinsichtlich Leistungen bestehen, die aber keine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung darstellen. Sachlicher Differenzierungsgrund ist, dass die ausgeschlossenen Arzneimittel vorwiegend der Erhöhung der Lebensqualität dienen186. Des Weiteren besteht etwa beim Brustaufbau im Gegensatz zur Behandlung der erektilen Dysfunktion ein Unterschied dahingehend, dass bei ersterem die Wiederherstellung des Körperorgans begehrt wird, während bei letzterem die Wiederherstellung der Funktionsfähigkeit verlangt wird, sodass keine Vergleichbarkeit der Sachverhalte besteht187. Eine gleichheitsrechtliche Problematik wurde ebenso darin gesehen, dass für Behinderte keine Ausnahmen vom Ausschluss gemacht werden, und eine Verletzung von Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG gerügt188. Allerdings knüpft die Regelung des § 34 Abs. 1 181

BVerwG NVwZ 2008, 1378 (1380); OVG Saarland Urt. v. 03. 06. 2015 – 1 A 312/14 Rn. 42 f. 182 BVerwG NVwZ 2008, 1378 (1380). 183 BSG BeckRS 2011, 68257, wobei der Kläger die Verletzung nicht richtig dargelegt hat. 184 BSG BeckRS 2010, 68294. 185 BSG B. v. 20. 07. 2010 – B 1 KR 10/10 B Rn. 8; LSG Saarland Urt. v. 09. 12. 2009 – L 2 KR 18/09 Rn. 25. 186 LSG Saarland Urt. v. 09. 12. 2009 – L 2 KR 18/09 Rn. 25. 187 Vgl. hierzu die Ausführungen im Beschluss des BSG v. 29. 03. 2010 (BeckRS 2010, 68294) zur Entscheidung des LSG Saarland Urt. v. 08. 09. 2009 – L 2 KR 57/08. 188 BSGE 110, 194 ff.

II. Der Ausschluss von Lifestyle-Arzneimitteln

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S. 7 – 9 SGB V nicht an eine Behinderung an, sondern erfasst alle Fälle des Einsatzes des Arzneimittels in den ausgeschlossenen Anwendungsgebieten189. Der Gesetzgeber hat klargestellt, dass es sich beim Ausschluss von Lifestyle-Arzneimitteln um einen umfassenden Ausschluss ohne Rücksicht auf die Herkunft der Erkrankung handelt. Dieser umfassende Ausschluss ist in Bezug auf Behinderte noch von seinem Gestaltungsspielraum gedeckt, weil keine unverhältnismäßige oder unbillige Belastung der Versicherten aus dem Ausschluss resultiert, da es sich um einen Ausschluss von Leistungen handelt, die lediglich der Steigerung der Lebensqualität dienen und damit zumindest jenseits lebensbedrohlicher Zustände liegen. Zudem ist der Gesetzgeber berechtigt aus Gründen der Rechtssicherheit klare Grenzen zu ziehen190. Dementsprechend besteht auch keine unzulässige Gleichbehandlung von Behinderten und Nichtbehinderten191. ee) Raucherentwöhnung Diskutiert wird zurzeit insbesondere die Verfassungsmäßigkeit des LifestyleAusschlusses im Hinblick auf Arzneimittel zur Raucherentwöhnung. Das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg hatte im Mai 2015 entschieden, dass die Verordnungsfähigkeit von Arzneimitteln zur Raucherentwöhnung durch das SGB V unmittelbar, strikt und unmissverständlich ausgeschlossen ist192. Es hat damit die Beanstandung eines Beschlusses des Gemeinsamen Bundesausschusses, mit dem dieser Arzneimittel zur Tabakentwöhnung innerhalb strukturierter Behandlungsprogramme für Asthma und COPD für verordnungsfähig erklärt hatte, durch das Bundesministerium für Gesundheit zu Recht als rechtmäßig angesehen193. Die Frage bleibt jedoch weiterhin brisant. Der Wissenschaftliche Aktionskreis Tabakentwöhnung (WAT e.V.) hat beispielsweise eine Initiative gegründet, um gegen den – seiner Ansicht nach verfassungswidrigen – Ausschluss der Arzneimittel zur Raucherentwöhnung gerichtlich vorzugehen und eine Überprüfung des Ausschlusses hinsichtlich seiner Verfassungsmäßigkeit herbeizuführen. Dazu wollen die Mitglieder des Vereins Musterklagen vor den Sozialgerichten einreichen, um dann eine konkrete Normenkontrolle durch die Sozialgerichte beim Bundesverfassungsgericht anzustrengen194. Gestützt wird die Ansicht der Verfassungswidrigkeit dabei auf drei 189

BSGE 110, 194 (203 f.). BSGE 110, 194 (204.). 191 Vgl. BSGE 110, 194 (195 ff.), in dem das BSG auch eine Verletzung des Diskriminierungsverbots der UN-Behindertenkonvention durch den Ausschluss verneint. 192 LSG Berlin-Brandenburg Urt. v. 27. 05. 2015 – L 9 KR 309/12 KL Rn. 62. 193 LSG Berlin-Brandenburg Urt. v. 27. 05. 2015 – L 9 KR 309/12 KL Rn. 60 ff. 194 Nachlesbar in Wissenschaftlicher Aktionskreis Tabakentwöhnung (WAT) e.V., Aufruf zur Zeichnung des WAT-Klage-Unterstützungsfonds, Stand: 2015, abrufbar unter: http:// www.wat-ev.de/WAT_Aufrufbrief.pdf. Die Einreichung der ersten Klage ist in Vorbereitung, vgl. Blogeintrag des Wissenschaftlicher Aktionskreises Tabakentwöhnung (WAT) e.V., Stand: 23. 03. 2014, abrufbar unter: http://www.wat-ev.de/verfassungsrechtliches-gutachten-fertiggestellt-erste-klaegerin-gefunden/. 190

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D. Weitere Ausschlüsse nach § 34 SGB V

Gründe: Erstens die Verletzung der staatlichen Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG durch die Nichtanerkennung der Nikotinsucht als eine behandlungsbedürftige, psychische Krankheit, zweitens eine weitere Verletzung der staatlichen Schutzpflicht durch die Nichtbehandlung der Nikotinsucht, da dadurch weitere körperliche Folgen nicht verhütet werden und drittens eine Verletzung des Gleichheitsgebots, da bei Alkohol- oder Drogenabhängigkeit Arzneimittel gewährt werden195. Argumentativ wird gegen die Verfassungsmäßigkeit des Ausschlusses vorgebracht, dass die Gründe für den Ausschluss von Lifestyle-Arzneimitteln auf die Raucherentwöhnung nicht passen. Die Nikotinabhängigkeit sei nicht auf die persönliche Lebensführung zurückzuführen, sondern stelle eine Suchterkrankung, wie die Alkohol- oder Opiatabhängigkeit dar196. Auch sei sie mit den anderen vom Ausschluss erfassten Therapiezielen, wie den Haarausfall zu stoppen oder der sexuellen Potenzsteigerung, nicht vergleichbar, da es dort nicht um die Aufrechterhaltung eines Lebensstils, um kosmetische Befunde oder um das Anhalten von Alterungsprozessen ginge197. Zwar könne man annehmen, dass die Nikotinsucht selbst verschuldet sei, jedoch müsste dies für jede Suchterkrankung gelten, zumal auch andere Erkrankungen, wie Diabetes durch zu fettreiche Ernährung selbst verschuldet sein könnten198. Darüber hinaus sei es aufgrund der aus der Tabakabhängigkeit resultierenden Folgeerkrankungen unverantwortlich, wenn der Staat die Behandlung dieser Erkrankung nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung durchführe; er verletzte damit seine Pflicht zum Schutz des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit199. 195 Vgl. Brosius-Gersdorf, Gesetzes- und Verfassungsmäßigkeit des Ausschlusses von Arzneimitteln zur Raucherentwöhnung in der gesetzlichen Krankenversicherung (§ 34 Abs. 1 S. 7 SGB V) und des § 22 Abs. 2 Psychotherapierichtlinie, S. 2, Stand: 30. 01. 2012, abrufbar unter: http://www.wat-ev.de/wordpress/wp-content/uploads/2013/12/Brosius-Gersdorf_Nikotin sucht1.pdf; dies., Vortrag auf der Tagung des Wissenschaftlichen Aktionskreises Tabakentwöhnung (WAT) e. V., S. 5 f., Stand: 20. 03. 2013, abrufbar unter: http://www.jura.uni-hanno ver.de/fileadmin/fakultaet/Institute/Brosius-Gersdorf/Materialien/Vortraege_Stellungnahmen/ Brosius-Gersdorf_Tabakentwoehnung_als_Leistung_der_gesetzlichen_Krankenversicherung. pdf. 196 Brosius-Gersdorf, Vortrag auf der Tagung des WAT e.V., S. 5, Stand: 20. 03. 2013, abrufbar unter: http://www.jura.uni-hannover.de/fileadmin/fakultaet/Institute/Brosius-Gersdorf/ Materialien/Vortraege_Stellungnahmen/Brosius-Gersdorf_Tabakentwoehnung_als_Leistung_ der_gesetzlichen_Krankenversicherung.pdf; Kozianka/Küpper/May, A&R 2010, S. 26. 197 Kozianka/Küpper/May, A&R 2010, S. 26; vgl. auch Bethke, Rechtliches Gutachten, S. 54 ff. 198 Vgl. Brosius-Gersdorf, Vortrag auf der Tagung des WAT e. V., S. 7, Stand: 20. 03. 2013, abrufbar unter: http://www.jura.uni-hannover.de/fileadmin/fakultaet/Institute/Brosius-Gersdorf/ Materialien/Vortraege_Stellungnahmen/Brosius-Gersdorf_Tabakentwoehnung_als_Leistung_ der_gesetzlichen_Krankenversicherung.pdf; Kozianka/Küpper/May, A&R 2010, S. 26. 199 Vgl. Bethke, Rechtliches Gutachten, S. 66 ff.; Brosius-Gersdorf, Vortrag auf der Tagung des WAT e. V., S. 5 f., Stand: 20. 03. 2013, abrufbar unter: http://www.jura.uni-hannover.de/fi leadmin/fakultaet/Institute/Brosius-Gersdorf/Materialien/Vortraege_Stellungnahmen/BrosiusGersdorf_Tabakentwoehnung_als_Leistung_der_gesetzlichen_Krankenversicherung.pdf.

II. Der Ausschluss von Lifestyle-Arzneimitteln

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Die Einwände, die gegen einen Ausschluss von Arzneimitteln zur Raucherentwöhnung vorgebracht werden, sind nicht unberechtigt. So ist es richtig, dass die Nikotin- bzw. Tabakabhängigkeit zu schwerwiegenden Folgeerkrankungen, wie Herz-Kreislauf-, Krebs- oder Stoffwechselerkrankungen führen kann200. Auch kann durch einen Rauchstopp der Eintritt dieser Erkrankungen wirksam verhütet werden. Zur Erlangung dieses Rauchstopps sind nach wissenschaftlichen Erkenntnissen Arzneimittel zur Raucherentwöhnung ebenfalls wirksam201. Die Befürworter einer Verordnung von Arzneimitteln zur Raucherentwöhnung zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung stellen in ihrer Argumentation aber hauptsächlich darauf ab, dass es sich bei der Nikotinabhängigkeit um eine Krankheit handelt und setzen die Tabakabhängigkeit mit den Folgeerkrankungen gleich. Insoweit bestehen Bedenken. Zu Recht wird allerdings angenommen, dass es sich bei der Tabak- oder Nikotinabhängigkeit um eine Krankheit im Sinne des SGB V handelt. Die Tabakabhängigkeit gilt nach der ICD-10 der WHO202 als Krankheit. Selbst wenn dies allenfalls ein Indiz für das Vorliegen einer Krankheit im Sinne des SGB V sein kann und im Krankenversicherungsrecht für deren Vorliegen eine zwanghafte Abhängigkeit sowie ein Verlust der Selbstkontrolle erforderlich ist203, kann eine Krankheit vorliegen. Bei der Tabakabhängigkeit können beide Kriterien zutreffen: So können auch Raucher unter einem Verlust der Selbstkontrolle, der Unfähigkeit sich frei gegen das Suchtmittel zu entscheiden204, mit zwanghafter Abhängigkeit leiden; ein Rauchstopp ist dann aus eigener Kraft nicht mehr möglich. Allerdings kann die Nikotinabhängigkeit nicht zwangsweise mit den Folgeerkrankungen gleichgesetzt werden. Eine Nikotinabhängigkeit führt nicht zwingend und vor allem nicht regelmäßig zum Eintritt einer schwerwiegenden Folgeerkrankung. Zwar lassen sich 85 % der Lungenkrebserkrankungen auf das Rauchen zurückführen205 und 80 – 90 % der COPD-Erkrankten sind Raucher oder Raucher ge200

Vgl. BT-Drs. 18/279, S. 4. Vgl. Kozianka/Küpper/May, A&R 2010, S. 25; Löffler, SGb 2012, S. 60; WAT Aufruf, S. 1, Stand: 2015, abrufbar unter: http://www.wat-ev.de/WAT_Aufrufbrief.pdf. Wobei ein Großteil der Raucher keine Hilfsmittel für den Rauchstopp nutzt, so BT-Drs. 18/279, S. 3. 202 International Classification of Diseases (ICD-10), Stand: 2015, abrufbar unter: http:// www.who.int/classifications/icd/icdonlineversions/en/. 203 Vgl. zur Alkoholsucht: BSGE 28, 114 (115 ff.); 46, 41 (41 f.); Doepner/Hüttebräuker, in: Dieners/Reese, Handbuch des Pharmarechts, § 3 Rn. 17; Nolte, in: Körner/Leitherer/ Mutschler, Kasseler Kommentar, § 27 SGB V Rn. 30; Reese/Stallberg, in: Dieners/Reese, Handbuch des Pharmarechts, § 17 Rn. 116; Schmidt, in: Peters, Handbuch der Krankenversicherung, Band 1, § 27 SGB V Rn. 142 f.; Wagner, in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung Pflegeversicherung, § 27 SGB V Rn. 18; zur Drogesucht vgl. BSGE 77, 194 (204). 204 Vgl. Schmidt, in: Peters, Handbuch der Krankenversicherung, Band 1, § 27 SGB V Rn. 143; Schmitt, MedR 1985, S. 57. 205 Vgl. die Zahlen bei Brosius-Gersdorf, Vortrag auf der Tagung des WAT e. V., S. 6, Stand: 20. 03. 2013, abrufbar unter: http://www.jura.uni-hannover.de/fileadmin/fakultaet/Institute/Bro sius-Gersdorf/Materialien/Vortraege_Stellungnahmen/Brosius-Gersdorf_Tabakentwoehnung_ als_Leistung_der_gesetzlichen_Krankenversicherung.pdf. 201

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D. Weitere Ausschlüsse nach § 34 SGB V

wesen, jedoch ist die Zahl derer, die durch das Rauchen an der Atemwegserkrankung COPD erkranken, mit 15 – 20 % im unteren Fünftel anzusiedeln206. Damit führt allein das Vorliegen einer Tabakabhängigkeit nicht zwingend zum Eintritt einer Folgeerkrankung. Entscheidend im rechtlichen Sinne ist, ob der Gesetzgeber mit der Nichtleistung von Tabakentwöhnungsarzneimitteln seine aus dem Recht auf körperliche Unversehrtheit resultierende Schutzpflicht verletzt hat. Die staatliche Pflicht zum Schutz von Leben und körperlicher Unversehrtheit wird durch das Untermaßverbot begrenzt. Der Staat ist danach verpflichtet zu leisten, wenn er keine Maßnahmen ergriffen hat oder seine bisherigen Maßnahmen evident unzureichend sind207. Dies wäre dann der Fall, wenn der Gesetzgeber keine Behandlung zur Tabakentwöhnung gewähren würde. Jedoch stellt er Präventionsleistungen, wie Kurse zur Raucherentwöhnung, zur Verfügung208 oder gewährt ärztliche Behandlungen zum Schutz oder zur Verhütung vor Folgeerkrankungen schon vor Krankheitseintritt209. Darüber hinaus bestehen Präventionsmaßnahmen ebenso auf anderen Feldern, wie etwa durch Aufklärungskampagnen, die bereits schon Wirkung gezeigt haben. So hat sich etwa der Raucheranteil von Jugendlichen von 2001 bis 2012 mehr als halbiert210. Dementsprechend kann von einer Verletzung des Untermaßverbotes durch evident unzureichende Leistungen nicht gesprochen werden. Eine andere Sichtweise ergibt sich zudem nicht unter Hinzuziehung der Grundsätze des Nikolausbeschlusses. Eine Pflicht zur Gewährleistung der Tabakentwöhnung mit Arzneimitteln ist schon mangels Vorliegen einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung nicht gegeben. Entscheidend für die Einordnung als solche Erkrankung ist nicht eine mögliche Späterkrankung, sondern die Tabaksucht selbst. Eine Schutzpflichtverletzung ist daher abzulehnen. Allerdings ist aufgrund der unterschiedlichen Behandlung von Alkohol- und Nikotinsucht eine Ungleichbehandlung im Sinne von Art. 3 Abs. 1 GG zu bejahen. Es handelt sich in beiden Fällen um Krankheiten im Sinne des Krankenversiche206 Huesmann, Artikel bei Focus-Online, COPD – Die verkannte Gefahr für die Lunge, Stand: 20. 01. 2014, abrufbar unter: http://www.focus.de/gesundheit/ratgeber/asthma/copd/ atemwege_aid_23902.html. 207 BVerfGE 77, 170 (215); 79, 174 (202); 92, 26 (46); vgl. auch Quaas/Zuck/Clemens, Medizinrecht, § 2 Rn. 24. Vgl. hierzu auch Abschnitt C. I. 1. a) bb) (2) (a). 208 Nach § 20 Abs. 1 S. 1 SGB V haben die Krankenkassen in ihren Satzungen Leistungen zur Prävention vorzusehen. Hierzu hat, schon auf der Grundlage des § 20 Abs. 1 S. 3 SGB V a.F., der Spitzenverband Bund der Krankenkassen einen Leitfaden Prävention erstellt, der präventive Maßnahmen beinhaltet, die die Krankenkassen erbringen dürfen, denn er ist berechtigt, einheitliche Handlungsfelder und Kriterien für die Leistungen der Krankenkassen festzulegen. Zu den Präventionsleistungen zählen u. a. Kurse zur Raucherentwöhnung, vgl. GKV-Spitzenverband, Leitfaden Prävention, S. 65 ff., vom 21. Juni 2000 in der Fassung vom 10. Dezember 2014, abrufbar unter: https://www.gkv-spitzenverband.de/media/dokumente/pres se/publikationen/Leitfaden_Praevention-2014_barrierefrei.pdf. 209 Vgl. § 23 Abs. 1 Nr. 3 SGB V. 210 Vgl. BT-Drs. 18/279, S. 3.

II. Der Ausschluss von Lifestyle-Arzneimitteln

269

rungsrechts. Während Arzneimittel zur Raucherentwöhnung durch Gesetz umfassend von der Verordnung ausgeschlossen sind, werden Arzneimittel zur Alkoholentwöhnung zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung gewährt. Sie werden zwar nicht generell und umfassend in den Leistungskatalog einbezogen, sondern die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung beschränken sich auf die Unterstützung der Aufrechterhaltung der Abstinenz bei alkoholkranken Patienten im Rahmen eines therapeutischen Gesamtkonzepts mit begleitenden psychosozialen und soziotherapeutischen Maßnahmen oder auf die Unterstützung der Reduktion des Alkoholkonsums bei alkoholkranken Patienten, die auf eine Abstinenztherapie hingeführt werden, für die aber entsprechende Therapiemöglichkeiten nicht zeitnah zur Verfügung stehen211. Aus Gründen der Gleichbehandlung müssten dementsprechend in vergleichbaren Fällen dann ebenfalls Nikotinentwöhnungsmittel verordnet werden können. Denn ein sachlicher Grund für die unterschiedliche Behandlung der beiden Suchterkrankungen ist nicht ersichtlich; insbesondere haben sich Nikotinersatzarzneimittel zur Bekämpfung der Nikotinabhängigkeit als wirksam erwiesen212. Demzufolge war der Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses, der die Verordnungsfähigkeit von Arzneimitteln zur Tabakentwöhnung im Rahmen strukturierter Behandlungsprogramme für Asthma und COPD vorsah213, zwar nicht mit § 34 Abs. 1 S. 7, 8 SGB V vereinbar, jedoch ist selbst der gesetzliche Ausschluss in Bezug auf die Arzneimittel zur Raucherentwöhnung nicht mit dem Grundgesetz vereinbar. Denn aus verfassungsrechtlicher Sicht sind Ausnahmen vom umfassenden Ausschluss der Raucherentwöhnungsarzneimittel erforderlich. Durch die Ungleichbehandlung von Alkohol- und Tabaksucht im Bereich der Arzneimittelgewährung liegt ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG vor. b) Verletzung von Grundrechten der pharmazeutischen Unternehmer Durch den Ausschluss von Lifestyle-Arzneimitteln aus der Verordnung in der gesetzlichen Krankenversicherung werden den pharmazeutischen Unternehmern zwar nicht alle Marktchancen bezüglich dieser Arzneimittel genommen, jedoch können sich dadurch – aufgrund der besonderen Struktur der gesetzlichen Krankenversicherung – Umsatzeinbußen einstellen. Daher muss sich der Ausschluss an der Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG messen lassen. Auch bei diesem Ausschluss stellt sich die Frage, ob durch den Ausschluss der Lifestyle-Arzneimittel ein Eingriff 211

Vgl. Nr. 2 Anlage III AM-RL. Vgl. hierzu auch IQWiG, Wie hilfreich sind Nikotinpflaster und -kaugummis?, Stand: 25. 04. 2013, abrufbar unter: https://www.gesundheitsinformation.de/wie-hilfreich-sind-nikotin pflaster-und-kaugummis.2080.de.html?part=behandlung-6w-yvow-rbpm. 213 Vgl. den Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses vor der Beanstandung durch das BMG, Stand: 16. 02. 2012, abrufbar unter: https://www.g-ba.de/informationen/beschlues se/1453. 212

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D. Weitere Ausschlüsse nach § 34 SGB V

in die Berufsfreiheit der pharmazeutischen Unternehmer vorgenommen wurde oder ob – wie bei den OTC-Arzneimitteln – lediglich ein Rechtsreflex vorliegt214. Ein Eingriff in die Berufsfreiheit ist ebenfalls beim Ausschluss der LifestyleArzneimittel zu verneinen. Die Umsatzeinbußen resultieren lediglich auf dem Verhalten der Versicherten, die die ausgeschlossenen Arzneimittel wegen der Kosten nicht mehr erwerben. Insoweit kommt allenfalls ein mittelbarer Eingriff in Betracht, dem eine berufsregelnde Tendenz allerdings fehlt. Der Gesetzgeber wollte Arzneimittel, die vorrangig den eigenen Interessen der Versicherten dienen, nicht zu Lasten der Solidargemeinschaft erstatten und damit die gesetzliche Krankenversicherung entlasten. Ziel des Gesetzgebers war es nicht, damit die Berufsausübung der pharmazeutischen Unternehmer zu regeln. Bei den Umsatzeinbußen handelt es sich um eine bloße Folgewirkung des Ausschlusses, aber um kein eigenständiges Ziel des Gesetzes215. Die Unternehmer können weiterhin ihre Arzneimittel vertreiben, nur nicht mehr zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung. Die Auswirkungen auf die pharmazeutischen Unternehmer sind daher lediglich ein bloßer und unbeachtlicher Reflex der Regelung216. Da weder ein Anspruch auf Erfolg im Wettbewerb oder auf Sicherung von Erwerbsmöglichkeiten durch Art. 12 Abs. 1 GG217 noch ein Anspruch darauf besteht, im Markt der gesetzlichen Krankenversicherung bleiben zu dürfen218, scheidet eine Verletzung der Berufsfreiheit der pharmazeutischen Unternehmer aus. Darüber hinaus ist eine Verletzung des Rechts auf chancengleichen Zugang zum Arzneimittelmarkt aus Art. 12 Abs. 1 i. V. m. Art. 3 Abs. 1 GG nicht ersichtlich, da die Arzneimittel, bei denen die Lebensqualitätserhöhung im Vordergrund steht, umfassend ausgeschlossen werden. Es werden daher weder bestimmte Arzneimittel besser oder schlechter gestellt, noch erfolgt eine solche Besser- oder Schlechterstellung einzelner pharmazeutischer Unternehmer. Die Liste mit ausgeschlossenen Lifestyle-Arzneimitteln des Gemeinsamen Bundesausschusses schließt unabhängig davon, ob der Ausschluss bereits durch Gesetz erfolgt oder erst durch die Aufnahme in der Richtlinie erfolgt219, nicht vereinzelte Arzneimittel eines bestimmten Herstellers aus, sondern die gesetzlich genannten und in der Arzneimittel-Richtlinie konkretisierten Kategorien der Lifestyle-Arzneimittel. Schließlich liegt ebenfalls kein Verstoß gegen Art. 14 Abs. 1 GG vor, der nicht bloße Verdienstchancen schützt 214 Zur Beeinträchtigung des Schutzbereichs durch den Ausschluss von Arzneimitteln, vgl. Abschnitt C. I. 5. a. 215 Vgl. LSG Berlin-Brandenburg B. v. 27. 02. 2008 – L 7 B 112/07 KA ER Rn. 18. 216 So ausdrücklich für den Ausschluss der Lifestyle-Arzneimittel, LSG Berlin-Brandenburg B. v. 27. 02. 2008 – L 7 B 112/07 KA ER Rn. 18. 217 BVerfGE 24, 236 (251); 105, 252 (265); 106, 275 (299); 116, 135 (152); LSG BerlinBrandenburg B. v. 27. 02. 2008 – L 7 B 112/07 KA ER Rn. 18; Jarass, in: ders./Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Art. 12 GG Rn. 20. 218 Vgl. BVerfG Die Leistungen 1992, 237 (238). 219 Vgl. hierzu Abschnitt D. II. 4. a).

II. Der Ausschluss von Lifestyle-Arzneimitteln

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und des Weiteren auch kein Recht auf Einräumung des Zugangs zum Markt der Krankenversicherung durch die Zulassung beinhaltet220.

7. Vereinbarkeit mit der Transparenzrichtlinie Ebenso wie beim Ausschluss von OTC-Arzneimitteln handelt es sich beim Ausschluss von Lifestyle-Arzneimitteln um eine Negativliste, sodass die Voraussetzungen des Art. 7 RL 89/105/EWG erfüllt sein müssen221. Handelt es sich um einen Ausschluss einer Arzneimittelkategorie, so muss die Entscheidung auf objektiven und überprüfbaren Kriterien beruhen, eine Begründung enthalten und in einer geeigneten amtlichen Bekanntmachung veröffentlicht werden222. Diese Voraussetzungen sind durch die Veröffentlichung der Entscheidung im Bundesanzeiger durch den Gemeinsamen Bundesausschuss sowie durch die Veröffentlichung der tragenden Gründe im Internet erfüllt223. Sofern es sich allerdings um einen Ausschluss von einzelnen Arzneimitteln handelt, ist neben der auf objektiven und überprüfbaren Kriterien beruhenden Begründung, die Entscheidung auch der betroffenen Person mitzuteilen und sie über Rechtsmittel und -fristen zu informieren224. Diese Voraussetzungen sind bisher nicht durch den Gemeinsamen Bundesausschuss eingehalten worden und so weder im Gesetz noch in der Arzneimittel-Richtlinie oder in der Verfahrensordnung des Gemeinsamen Bundesausschusses vorgesehen225. Zwar spielte der Ausschluss einzelner Arzneimittel im Sinne der Transparenzrichtlinie bei den bisher untersuchten Ausschlüssen keine Rolle, da dort ersichtlich Arzneimittelkategorien vorlagen, jedoch ist beim Ausschluss von Lifestyle-Arzneimitteln aufgrund der Aufzählung von ausgeschlossenen Wirkstoffen mit Fertigarzneimitteln in der Anlage II der Arzneimittel-Richtlinie eine andere Sichtweise denkbar. Entscheidend für die Vereinbarkeit mit der Transparenzrichtlinie ist daher die Einordnung des Ausschlusses als Ausschluss einer Arzneimittelkategorie oder als Ausschluss einzelner Arzneimittel. Dabei spielt auch der Umstand eine Rolle, dass der Ausschluss grundsätzlich per Gesetz erfolgt, aber teilweise die Aufnahme der Arzneimittel in die Richtlinie konstitutiv ist, da sich daraus gerade für die erst durch Richtlinie ausgeschlossenen Wirkstoffe und Fertigarzneimittel eine unterschiedliche Einordnung ergeben kann. Für die durch Gesetz ausgeschlossenen Arzneimittel wird

220

Vgl. Abschnitt C. I. 5. c). Vgl. Abschnitt C. II. 2. So ausdrücklich für den Ausschluss von Lifestyle-Arzneimitteln: Jäkel, PharmR 2006, S. 590; Kortland, PharmR 2006, S. 500. 222 Art. 7 Nr. 1 RL 89/105/EWG. 223 So LSG Berlin-Brandenburg B. v. 27. 02. 2008 – L 7 B 112/07 KA ER Rn. 27. 224 Art. 7 Nr. 3 RL 89/105/EWG. 225 So auch Kortland, PharmR 2006, S. 500. 221

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D. Weitere Ausschlüsse nach § 34 SGB V

man einen Ausschluss als Arzneimittelkategorie annehmen können226. Das Gesetz selbst gibt die Kategorie der „im Vordergrund stehenden Lebensqualitätserhöhung“ vor und konkretisiert insofern, als dass es darunter Arzneimittel zur Behandlung der erektilen Dysfunktion, der Anreizung sowie Steigerung der sexuellen Potenz etc. erfasst und damit Unterkategorien bildet. Problematischer ist die Einordnung allerdings bei den durch die ArzneimittelRichtlinie ausgeschlossenen Arzneimitteln, wie den Arzneimitteln zur Verbesserung des Aussehens. Zwar kann man auch die „Verbesserung des Aussehens“ als Unterkategorie ansehen, jedoch hilft dies nicht darüber hinweg, dass erst die Aufnahme des Arzneimittels in die Richtlinie die rechtsverbindliche Wirkung des Ausschlusses hervorruft und damit jedes Arzneimittel einzeln ausgeschlossen werden muss227. Darüber hinaus lässt der Umstand, dass es sich um einen wirkstoffbezogenen Ausschluss handelt, eine Einordnung als Ausschluss einer Arzneimittelkategorie nicht zu, da es sich bei einem wirkstoffbezogenen Ausschluss nach dem Europäischen Gerichtshof nur um einen gebündelten Ausschluss einzelner Arzneimitteln handelt228. Insofern liegt daher teilweise ein Ausschluss einzelner Arzneimittel vor. Denkbar wäre es allerdings den Ausschluss durch Gesetz und durch den Gemeinsamen Bundesausschuss als einheitlichen Ausschluss zu betrachten und nicht aufzutrennen, jedoch stellen sich dann insofern Folgefragen, als zu entscheiden wäre, welche Voraussetzungen auf den gesamten Ausschluss angewandt werden sollen: Ob etwa der Schwerpunkt des Ausschlusses, der vorliegend beim Ausschluss einer Arzneimittelkategorie liegt, entscheiden soll, oder ob generell die strengeren Voraussetzungen gelten sollen. Sinn und Zweck der Transparenzrichtlinie ist es, allen Teilnehmern auf dem Arzneimittelmarkt einen Überblick über die Vereinbarungen zur Preisfestsetzung zu geben und deren zugrundeliegenden Kriterien offen zu legen229. Dies wird allerdings schon durch die Offenlegung der Gründe des Ausschlusses der Arzneimittel im Internet durch den Gemeinsamen Bundesausschuss erreicht. Einer gesonderten Rechtsmittelbelehrung bedürfte es dann nicht mehr. Jedoch legt der Europäische Gerichtshof den Anwendungsbereich der Transpa226 So LSG Berlin-Brandenburg B. v. 27. 02. 2008 – L 7 B 112/07 KA ER Rn. 27; Becker, Steuerung der Arzneimittelversorgung, S. 385. 227 Sofern konstitutive Ausschlüssen durch den G-BA vorliegen, will auch Becker, Steuerung der Arzneimittelversorgung, S. 385, die höheren Anforderungen des § 7 Nr. 3 RL 89/105/ EWG anwenden. Allerdings sieht er den Ausschluss von Lifestyle-Arzneimitteln als Ausschluss einer Arzneimittelkategorie an. 228 Vgl. EuGH Slg. 2003, I-5727 Rn. 33 f.; Slg. 2006, I-10611 Rn. 22; so auch: Becker, Steuerung der Arzneimittelversorgung, S. 385; Buchner/Jäkel, PharmR 2005, S. 382 f.; Klapszus, PharmR 2006, S. 51; Thier, Das Recht des EG-Arzneimittelmarktes, S. 334. Ausdrücklich auch für Negativlisten Gassner, PharmR 2006, S. 552. 229 5. Erwägungsgrund der RL 89/105/EWG, vgl. auch: LSG Berlin-Brandenburg Urt. v. 10. 12. 2014 – L 7 KA 79/12 KL Rn. 135; Fuerst, VSSR 2011, S. 155; Jäkel, PharmR 2006, S. 587; Reese/Stallberg, in: Dieners/Reese, Handbuch des Pharmarechts, § 17 Rn. 51; Streinz/ Ritter, in: Dauses, Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, Kap. C. V. Rn. 83; Wodarz, in: Sodan, Handbuch des Krankenversicherungsrechts, § 27 Rn. 11.

II. Der Ausschluss von Lifestyle-Arzneimitteln

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renzrichtlinie weit aus, um einen umfassenden Schutz zu gewährleisten, sodass die strengeren Voraussetzungen einzuhalten sind. Zwar wird teilweise der Anwendungsbereich des Art. 7 Nr. 3 RL 89/105/EWG aufgrund seines Wortlautes auf Einzelfallentscheidungen im Sinne des Erlasses von Verwaltungsakten begrenzt230, sodass der Ausschluss von Lifestyle-Arzneimitteln durch den Gemeinsamen Bundesausschuss, der durch untergesetzliche Normen erfolgt, davon nicht erfasst wäre, jedoch widerspricht dies der weiten Auslegung des Anwendungsbereichs der Richtlinie. Daher liegt hinsichtlich derjenigen Arzneimittel, die erst durch die Arzneimittel-Richtlinie konstitutiv ausgeschlossen werden, ein Verstoß gegen die Transparenzrichtlinie vor. Zur Beurteilung der Rechtsfolge dieses Verstoßes ist – wie in der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes zu Pohl-Boskamp – die Frage nach einer unmittelbaren Wirkung der Richtlinie aufgrund der mangelnden Umsetzung zu stellen231. Für eine unmittelbare Anwendbarkeit der Richtlinie muss diese inhaltlich unbedingt und hinreichend genau sein232. Eine Regelung ist dann unbedingt, wenn sie nicht an Bedingungen anknüpft und zu ihrer Durchführung oder Wirksamkeit keine weiteren Maßnahmen bedarf. Hinreichend genau ist eine Bestimmung dann, wenn sie in unzweideutigen Worten eine Verpflichtung festlegt233. Die Transparenzrichtlinie legt fest, dass bei Negativlisten über einzelne Arzneimittel neben der auf objektiven und überprüfbaren Kriterien beruhenden Begründung, die Entscheidung der betroffenen Person mitzuteilen und sie über Rechtsmittel und -fristen zu informieren ist. Diesbezüglich ist die Regelung inhaltlich unbedingt und hinreichend genau. Die Arzneimittelhersteller haben daher ein Recht auf Mitteilung und auf Belehrung hinsichtlich ihrer Rechtsmittel und -fristen. Der Verstoß der Transparenzrichtlinie führt aber nicht dazu, dass der Ausschluss nach § 34 Abs. 1 S. 7 – 9 SGB V insgesamt unwirksam wird234. Die Wirkung der Transparenzrichtlinie hat im Hinblick auf das Recht der Mitgliedstaaten, die Organisation und die finanziellen Grundlagen der sozialen Sicherungssysteme selbst festzulegen, dort zu enden, wo die Erstattungsfähigkeit von Arzneimitteln erweitert werden würde235. Denn zu den klassischen Sicherungsinstrumenten zum Erhalt der finanziellen Stabilität gehört die Begren230 LSG Berlin-Brandenburg B. v. 27. 02. 2008 – L 7 B 112/07 KA ER Rn. 27; LSG BerlinBrandenburg Urt. v. 10. 12. 2014 – L 7 KA 79/12 KL Rn. 134. 231 Bejahend: Jäkel, PharmR 2006, S. 589; Kortland, PharmR 2006, S. 500; vgl. auch Posser/Müller, NZS 2004, S. 252, allgemein für Ausschlüsse in Arzneimittel-Richtlinien durch den G-BA. 232 EuGH Slg. 1991, I-5357 Rn. 11; Slg. 2002, I-6325 Rn. 25; Slg. 2004, I-8835 Rn. 103; Slg. 2011, I-12181 Rn. 51. Darüber hinaus muss die Richtlinie auch nicht oder unzulänglich in nationales Recht umgesetzt sein und die Umsetzungsfrist muss abgelaufen sein. Die Umsetzungsfrist ist gem. Art. 11 Abs. 1 S. 1 RL 89/105/EWG seit dem 31. 12. 1989 abgelaufen. 233 Vgl. EuGH Slg. 1996, I-4373 Rn. 18 f.; Slg. 2006, I-10611 Rn. 41; Slg. 2010, I-6281 Rn. 45. 234 Vgl. LSG Berlin-Brandenburg B. v. 27. 02. 2008 – L 7 B 112/07 KA ER Rn. 27; LSG Berlin-Brandenburg Urt. v. 10. 12. 2014 – L 7 KA 79/12 KL Rn. 136. 235 So Fuerst, VSSR 2011, S. 170 f.

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D. Weitere Ausschlüsse nach § 34 SGB V

zung der Erstattungsfähigkeit von Arzneimitteln236. Für eine Unwirksamkeit des Ausschlusses wäre zudem erforderlich, dass die Richtlinie hinsichtlich der Rechtsfolgen des Verstoßes selbst Regelungen trifft237, was nicht der Fall ist. Entscheidend ist hinsichtlich der Rechtsfolge das nationale Recht, wonach eine fehlende Rechtsbehelfsbelehrung lediglich zu einer Verlängerung der Rechtsbehelfs- bzw. Rechtsmittelfristen führt238. Somit führt allein der Verstoß gegen die Transparenzrichtlinie noch nicht zur Rechtswidrigkeit desjenigen Ausschlusses von LifestyleArzneimitteln, der durch den Gemeinsamen Bundesausschuss und nicht durch Gesetz erfolgt. Der Gemeinsame Bundesausschuss muss aber aufgrund der inhaltlich unbedingten und hinreichend genauen Regelung in der Transparenzrichtlinie den pharmazeutischen Unternehmern die Entscheidung mitteilen und sie über Rechtsmittel und -fristen belehren.

8. Zusammenfassung Der gesetzliche Ausschluss von Arzneimitteln, die vorrangig der Erhöhung der Lebensqualität dienen, umfasst solche Arzneimittel, die nicht oder zumindest nicht primär der Behandlung einer Erkrankung, sondern dazu dienen, persönliche Wünsche der Versicherten zu erfüllen. Es handelt sich um Arzneimittel, die unabhängig vom Vorliegen einer Krankheit eingenommen werden können und bei denen der Wunsch des Versicherten nach Einnahme des Arzneimittels maßgeblich im Vordergrund steht. Entscheidend für den Ausschluss ist nicht die konkrete Anwendung im Einzelfall, sondern dass die Arzneimittel überwiegend in den vom Gesetz genannten Anwendungsgebieten und Therapiezielen eingesetzt werden. Sobald dies auf ein Arzneimittel zutrifft, gilt der Ausschluss umfassend, unabhängig davon, ob im konkreten Fall eine behandlungsbedürftige Krankheit vorliegt oder das Arzneimittel nur zur Verbesserung der individuellen Lebensqualität eingesetzt werden soll. Den Regelungen in der Arzneimittel-Richtlinie kommt grundsätzlich konkretisierende Wirkung zu. Der Ausschluss ist als gesetzlicher Ausschluss konzipiert, sodass die Aufnahme von Arzneimitteln in die Anlage II der Arzneimittel-Richtlinie grundsätzlich nur deklaratorische Bedeutung hat. Konstitutive Wirkung kommt der Aufnahme aber in den Fällen zu, in denen der Gemeinsame Bundesausschuss, in Anlehnung an die gesetzlich genannten Fälle, weitere Arzneimittel ausgeschlossen hat. Insofern besteht eine Zweiteilung des Ausschlusses. Aus verfassungsrechtlicher Hinsicht verstößt der Ausschluss trotz seiner umfassenden Ausschlusswirkung nicht gegen die allgemeine Handlungsfreiheit oder 236

Fuerst, VSSR 2011, S. 170 f. Vgl. LSG Berlin-Brandenburg B. v. 27. 02. 2008 – L 7 B 112/07 KA ER Rn. 27; LSG Berlin-Brandenburg Urt. v. 10. 12. 2014 – L 7 KA 79/12 KL Rn. 136. 238 Vgl. § 66 Abs. 2 S. 1 SGG; § 58 Abs. 2 S. 1 VwGO; so LSG Berlin-Brandenburg B. v. 27. 02. 2008 – L 7 B 112/07 KA ER Rn. 27; LSG Berlin-Brandenburg Urt. v. 10. 12. 2014 – L 7 KA 79/12 KL Rn. 136. 237

III. Der Ausschluss unwirtschaftlicher Arzneimittel

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das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit. Allerdings verstößt der generelle Ausschluss von Arzneimitteln zur Raucherentwöhnung gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Denn dadurch wird die Tabak- oder Nikotinsucht gegenüber anderen Suchterkrankungen ungleich behandelt, da z. B. im Bereich der Alkoholentwöhnung Arzneimittel gewährt werden. Des Weiteren verstößt der Ausschluss, soweit er nicht durch Gesetz sondern durch den Gemeinsamen Bundesausschuss erfolgt, gegen die Transparenzrichtlinie.

III. Der Ausschluss unwirtschaftlicher Arzneimittel – § 34 Abs. 3 SGB V § 34 Abs. 3 SGB V betrifft den Ausschluss unwirtschaftlicher Arzneimittel. Allerdings regelt die Norm nicht mehr selbst den Ausschluss, sondern enthält lediglich eine Fiktionsregelung239 : Der Ausschluss, der in Anlage 2 Nr. 2 bis 6 der Verordnung über unwirtschaftliche Arzneimittel aufgeführten Arzneimittel, gilt als Ausschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses und ist Teil seiner Richtlinien nach § 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 SGB V. Der Ausschluss unwirtschaftlicher Arzneimittel wurde 1989 eingefügt und gab dem Bundesministerium für Gesundheit im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie die Ermächtigung unwirtschaftliche Arzneimittel durch Verordnung auszuschließen240. Durch das Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz wurde diese gesetzliche Ermächtigung 2011 aufgehoben241. Zugleich wurden Teile der bestehenden Ausschlüsse in der Rechtsverordnung als Verordnungsausschlüsse des Gemeinsamen Bundesausschusses in die Arzneimittel239

Vgl. Joussen, in: Knickrehm/Kreikebohm/Waltermann, Kommentar zum Sozialrecht, § 34 SGB V Rn. 9; Spickhoff, in: ders., Medizinrecht, § 34 SGB V Rn. 9. 240 Gesetz zur Strukturreform im Gesundheitswesen (Gesundheits-Reformgesetz – GRG) v. 20. 12. 1988 (BGBl. I, S. 2477). Damals wurde noch der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit und dem Bundesminister für Wirtschaft ermächtigt. Diese Ermächtigung wurde durch das Zweite Gesetz zur Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch v. 20. 12. 1991 (BGBl. I, S. 2325) geändert, sodass der Bundesminister für Gesundheit im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Wirtschaft zuständig war. Durch die Siebente ZuständigkeitsanpassungsVerordnung v. 29. 10. 2001 (BGBl. I, S. 2785) wurden die Wörter „Der Bundesminister für Gesundheit“ durch die Wörter „Das Bundesministerium für Gesundheit“ und die Wörter „dem Bundesminister für Wirtschaft“ durch die Wörter „dem Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie“ ersetzt. 241 Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes in der gesetzlichen Krankenversicherung (Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz) – AMNOG v. 22. 12. 2010 (BGBl. I, S. 2262); BT-Drs. 17/3698, S. 50; vgl. auch: Beck, in: Schlegel/Voelzke, juris Praxiskommentar, § 34 SGB V Rn. 29; Bischofs, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, Beck’scher Onlinekommentar Sozialrecht, § 34 SGB V Rn. 20; Hauck, GesR 2011, S. 70; Wagner, in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung Pflegeversicherung, § 34 SGB V Rn. 15; Wodarz, in: Sodan, Handbuch des Krankenversicherungsrechts, § 27 Rn. 21.

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D. Weitere Ausschlüsse nach § 34 SGB V

Richtlinie überführt242. Im Unterschied zu den anderen in § 34 SGB V geregelten Arzneimittelausschlüssen wurden durch die Verordnung Arzneimittel, unabhängig von ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten Produktkategorie oder einem bestimmten Anwendungsbereich, ausgeschlossen. Es kam darauf an, ob das jeweilige Arzneimittel in seiner Anwendung oder aufgrund seiner Zusammensetzung als unwirtschaftlich anzusehen war.

1. Unwirtschaftliche Arzneimittel a) Der Begriff der unwirtschaftlichen Arzneimittel Welche Arzneimittel als unwirtschaftlich anzusehen sind, wurde ursprünglich im Gesetz selbst geregelt. § 34 Abs. 3 S. 2 SGB V in seiner ursprünglichen Fassung zählte beispielhaft Fälle auf, in denen von einer Unwirtschaftlichkeit auszugehen war. Unwirtschaftliche Arzneimittel waren danach solche, die für das Therapieziel oder zur Minderung von Risiken nicht erforderliche Bestandteile enthalten, die in ihrer Wirkung wegen der Vielzahl enthaltener Wirkstoffe nicht mit ausreichender Sicherheit beurteilt werden können oder deren therapeutischer Nutzen nicht nachgewiesen ist243. Selbst wenn die gesetzliche Regelung diese Fallgruppen nur beispielhaft benannte244, beschränkte sich die Verordnung über unwirtschaftliche Arzneimittel in der gesetzlichen Krankenversicherung darauf diese Arzneimittelgruppen auszuschließen245. Darüber hinausgehende Ausschlüsse wurden nicht getroffen246. Nach Aufhebung der Ermächtigung und der Rechtsverordnung sind diese Beispielgruppen in der Arzneimittel-Richtlinie genannt247. 242

§ 34 Abs. 3 S. 1 SGB V; vgl. Beck, in: Schlegel/Voelzke, juris Praxiskommentar, § 34 SGB V Rn. 29; Gerlach, in: Hauck/Noftz, Sozialgesetzbuch – SGB V, § 34 SGB V Rn. 30; Sommer, in: Jahn, Sozialgesetzbuch für die Praxis, § 34 SGB V Rn. 15a; Wodarz, in: Sodan, Handbuch des Krankenversicherungsrechts, § 27 Rn. 21. 243 Vgl. § 34 Abs. 3 S. 2 SGB V in der Fassung des GRG v. 20. 12. 1988 (BGBl. I, S. 2477). Nach BT-Drs. 11/3480, S. 53 enthält das Gesetz Hinweise für den Verordnungsgeber, wann eine Unwirtschaftlichkeit anzunehmen ist. 244 Die Aufzählung wurde aufgrund des Wortlautes „insbesondere“ als nur beispielhaft angesehen, vgl.: Becker, Steuerung der Arzneimittelversorgung, S. 151; Hauck, in: Peters, Handbuch der Krankenversicherung, Band 2, § 34 SGB V Rn. 40. 245 §§ 1 – 3 der Verordnung über unwirtschaftliche Arzneimittel in der gesetzlichen Krankenversicherung v. 21. 02. 1990 (BGBl. I, S. 301) geändert durch die Verordnungen v. 16. 11. 2000 (BGBl. I, S. 1593) und v. 09. 12. 2002 (BGBl. I, S. 4554). Vgl. Becker, Steuerung der Arzneimittelversorgung, S. 151; Hauck, in: Peters, Handbuch der Krankenversicherung, Band 2, § 34 SGB V Rn. 40. 246 Ob über die Verordnungsermächtigung nach § 34 Abs. 3 SGB V weitere Ausschlüsse möglich waren, wurde unterschiedlich beurteilt, vgl. hierzu die Ausführungen bei Becker, Steuerung der Arzneimittelversorgung, S. 151 ff.. Der Begriff der Unwirtschaftlichkeit beschränkte sich jedenfalls nicht nur auf die genannten Fälle, vgl. Schwerdtfeger, pharmind 1989, S. 24 ff., der eine Vielzahl an Fallkonstellationen aufzählt.

III. Der Ausschluss unwirtschaftlicher Arzneimittel

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b) Verhältnis zum Wirtschaftlichkeitsgebot Die Definition der unwirtschaftlichen Arzneimittel knüpft nicht unmittelbar an die Voraussetzungen des Wirtschaftlichkeitsgebots aus § 12 Abs. 1 SGB V an, wonach eine Leistung nur dann zu erbringen ist, wenn sie ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich ist und das Maß des Notwendigen nicht überschreitet. Der ursprünglichen Gesetzesentwurf von CDU/CSU und FDP zum GesundheitsreformGesetz enthielt allerdings noch eine Formulierung des Ausschlusses, die das Wirtschaftlichkeitsgebot direkt einbezog: „Der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen bestimmt in den Richtlinien […], welche Arzneimittel von der Versorgung ausgeschlossen sind, weil sie dem Gebot der Wirtschaftlichkeit (§ 12) nicht entsprechen“248. Obschon die Formulierung nicht Gesetz wurde249, ist die dann Gesetz gewordene beispielhafte Aufzählung unwirtschaftlicher Arzneimittel nicht losgelöst vom Wirtschaftlichkeitsgebot zu betrachten250. Die Aufzählung stellt vielmehr eine Konkretisierung des Wirtschaftlichkeitsgebots dar251. Die genannten Beispielsfälle beziehen sich alle auf Fragen der Zweckmäßigkeit des Arzneimittels252. Erforderlich für die Zweckmäßigkeit im Sinne des Wirtschaftlichkeitsgebots ist nämlich, dass die Leistung zur Behandlung der Krankheit geeignet und hinreichend wirksam ist253. Die Wirksamkeit einzelner Bestandteile kann aber etwa bei einem Arzneimittel, das mehr als drei Wirkstoffe enthält, nicht mehr sicher beurteilt werden254, weswegen 247 Vgl. § 15 Abs. 2 AM-RL. Allerdings waren die Beispielgruppen schon vor 2011 in der AM-RL aufgelistet, vgl. etwa Gassner, PharmR 2006, S. 555, der diesbezüglich von einer rein informatorischen Zitierung spricht; so auch Becker, Steuerung der Arzneimittelversorgung, S. 189, der auf die Regelung unter der Überschrift „Informierende Bestandteile der Richtlinien“ eingeht. 248 BT-Drs. 11/2237, S. 19, § 34 Abs. 4. Aufgrund verfassungsrechtlicher Bedenken wurde die Aufgabe aber nicht dem Bundesausschuss, sondern dem BMA übertragen, vgl. Kirchhof, Die Negativliste nach § 34 SGB V (GRG), S. 66. 249 Vgl. BT-Drs. 11/3320, S. 23. 250 Sie hat sich daran zu orientieren, vgl.: Sommer, in: Jahn, Sozialgesetzbuch für die Praxis, § 34 SGB V Rn. 14; Wigge/Wille, in: Schnapp/Wigge, HVAR, § 19 Rn. 26. 251 Vgl. Hauck, in: Peters, Handbuch der Krankenversicherung, Band 2, § 34 SGB V Rn. 40; Reese/Stallberg, in: Dieners/Reese, Handbuch des Pharmarechts, § 17 Rn. 145. Vgl. auch Orlowski, in: ders./Rau/Wasem/Zipperer, Gesamtausgabe GKV-Kommentar SGB V, § 34 SGB V Rn. 26, der die Konkretisierung des Wirtschaftlichkeitsgebots als Aufgabe der ganzen Verordnung ansieht. 252 Reese/Stallberg, in: Dieners/Reese, Handbuch des Pharmarechts, § 17 Rn. 145; Schwerdtfeger, pharmind 1989, S. 25. 253 BSGE 52, 70 (75); BSG SozR 3 – 2200 § 182 Nr. 13 S. 59 f.; vgl. auch: Engelhard, in: Schlegel/Voelzke, juris Praxiskommentar, § 12 SGB V Rn. 53; Joussen, in: Rolfs/Giesen/ Kreikebohm/Udsching, Beck’scher Onlinekommentar Sozialrecht, § 12 SGB V Rn. 5; Roters, in: Körner/Leitherer/Mutschler, Kasseler Kommentar, § 12 SGB V Rn. 29; Trenk-Hinterberger, in: Spickhoff, Medizinrecht, § 12 SGB V Rn. 4. 254 Vgl. BSGE 79, 41 (51); Hauck, in: Peters, Handbuch der Krankenversicherung, Band 2, § 34 SGB V Rn. 42.

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D. Weitere Ausschlüsse nach § 34 SGB V

solche Arzneimittel als nicht hinreichend wirksam für die Behandlung einer Krankheit angesehen und deshalb durch die Verordnung ausgeschlossen wurden255. Daher sind die damals gesetzlich genannten Beispiele für die Unwirtschaftlichkeit als spezielle Ausprägungen der fehlenden Zweckmäßigkeit im Sinne des Wirtschaftlichkeitsgebots zu sehen. c) Die ausgeschlossenen Fallgruppen nach der Rechtsverordnung Die Rechtsverordnung über unwirtschaftliche Arzneimittel in der gesetzlichen Krankenversicherung beschränkte sich darauf, die drei gesetzlich genannten Gruppen von unwirtschaftlichen Arzneimitteln auszuschließen und dafür Regelungen zu treffen. Die erste Fallgruppe betraf Arzneimittel, die für das Therapieziel oder zur Minderung von Risiken nicht erforderliche Bestandteile enthalten. Grund für den Ausschluss dieser Arzneimittel war die Erfahrung, dass eine Kombination von Wirkstoffen nur dann als wirtschaftlich anzusehen ist, wenn jeder Wirkstoff „einen Beitrag zur positiven Beurteilung des Arzneimittels leistet“256, mithin zu einer Wirksamkeitsverbesserung oder einer Risikoverringerung beiträgt257. Daher hatte die Verordnung in ihrer Anlage I Wirkstoffe aufgelistet, bei deren Vorliegen oder bei deren Anwendung in einer bestimmten, von der Anlage I festgelegten, Kombination von einer Unwirtschaftlichkeit auszugehen war, weil nicht jeder im Arzneimittel enthaltene Wirkstoff zu einer Risikoverringerung oder Wirksamkeitsverbesserung beitrug, der Wirkstoff mithin nicht erforderlich und das Arzneimittel damit unwirtschaftlich war258. Dementsprechend wurden etwa Arzneimittel, die Vitamine mit Antirheumatika kombinierten, von der Verordnung zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen259. Die zweite Gruppe betraf Arzneimittel, die eine Vielzahl von arzneilich wirksamen Bestandteilen enthalten. Die Verordnung bestimmte insofern, dass ab mehr als drei arzneilich wirksamen Bestandteilen, die Arzneimittel als unwirtschaftlich zu betrachten sind260. Sie wurden ausgeschlossen, weil nach dem Stand der medizinischen Erkenntnisse bei mehr als drei Wirkstoffen die kumulativen und wechselseitigen positiven und negativen Wirkungen in einer Arzneimittelkombination 255

Vgl. zu den ausgeschlossenen Arzneimitteln nachfolgenden Abschnitt D. III. 1. c). BR-Drs. 666/89, S. 18. 257 BR-Drs. 666/89, S. 18; Hauck, in: Peters, Handbuch der Krankenversicherung, Band 2, § 34 SGB V Rn. 41. 258 Vgl. die Begründung in BR-Drs. 666/89, S. 18. 259 Vgl. Anlage 1 Nr. 4 der Verordnung über unwirtschaftliche Arzneimittel in der gesetzlichen Krankenversicherung. 260 § 2 Abs. 1 S. 2 Verordnung über die unwirtschaftlichen Arzneimittel in der gesetzlichen Krankenversicherung. Die Grenzziehung bei mehr als drei Bestandteilen wird als sachgerecht angesehen, vgl. BSGE 79, 41 (51); Becker, Steuerung der Arzneimittelversorgung, S. 150. 256

III. Der Ausschluss unwirtschaftlicher Arzneimittel

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wissenschaftlich nicht mehr beurteilt werden können261. Es sei – so die Rechtsverordnungsbegründung – nicht möglich, diese Arzneimittel gezielt und wirtschaftlich therapeutisch einzusetzen262. Ausgenommen von diesem Ausschluss waren allerdings Arzneimittel der besonderen Therapierichtungen263. Die zweite Gruppe betraf somit wie die erste den Ausschluss von Kombinationsarzneimitteln264. Bei der dritten Gruppe der ausgeschlossenen Arzneimittel, den Arzneimitteln mit nicht nachgewiesenem therapeutischem Nutzen, hat der Verordnungsgeber in der Anlage 2 Wirkstoffe aufgelistet, bei denen dieser Nachweis fehlt. Enthält ein Arzneimittel einen oder mehrere der dort aufgelisteten Wirkstoffe, so ist es von der Verordnungsfähigkeit ausgeschlossen. Die in der Anlage 2 aufgelisteten Wirkstoffe sind allerdings nur solche, für die Negativmonographien von Aufbereitungskommissionen vorlagen265. Diese Monographien dienten der besseren und schnelleren Entscheidung über die Wirksamkeit und Unbedenklichkeit von fiktiv zugelassenen Arzneimitteln im Nachzulassungsverfahren. Die Aufbereitungskommissionen erstellten auf der Grundlage des vorhandenen wissenschaftlichen Erkenntnismaterials Positiv- oder Negativmonographien über die Wirksamkeit und Unbedenklichkeit dieser Arzneimittel266. Dementsprechend hatte der Gesetzgeber mit der dritten Gruppe lediglich fiktiv zugelassenen Arzneimittel vor Augen267. Die Verordnung fand für alle drei Gruppen allerdings dann keine Anwendung, wenn es sich um Arzneimittel handelte, die ab dem 01. 02. 1987 von der Zulassungsbehörde zugelassen wurden und für die ein Beitrag jedes arzneilich wirksamen Bestandteils zur positiven Beurteilung des Arzneimittels ausreichend begründet war268. Denn ab diesem Datum bestand im Zulassungsverfahren die Pflicht zur

261 BR-Drs. 666/89, S. 18; BSGE 79, 41 (51); Hauck, in: Peters, Handbuch der Krankenversicherung, Band 2, § 34 SGB V Rn. 42; Hess, in: Körner/Leitherer/Mutschler, Kasseler Kommentar, § 34 SGB V Rn. 16. 262 BR-Drs. 666/89, S. 18. 263 § 2 Abs. 2 Nr. 1 Verordnung über die unwirtschaftlichen Arzneimittel in der gesetzlichen Krankenversicherung. 264 Vgl. LSG Schleswig-Holstein Urt. v. 07. 07. 2009 – L 4 KA 18/07 KV Rn. 34; Becker, Steuerung der Arzneimittelversorgung, S. 148, 161; Philipp, Arzneimittellisten und Grundrechte, S. 75; vgl. auch: Gerlach, in: Hauck/Noftz, Sozialgesetzbuch – SGB V, § 34 SGB V Rn. 34, in Bezug auf die erste Fallgruppe; Kirchhof, Die Negativliste nach § 34 SGB V (GRG), S. 67, in Bezug auf die zweite Fallgruppe. 265 BT-Drs. 666/89, S. 28 f.; Becker, Steuerung der Arzneimittelversorgung, S. 149, 151; vgl. auch Hess, in: Körner/Leitherer/Mutschler, Kasseler Kommentar, § 34 SGB V Rn. 16. 266 Kügel, in: Terbille/Clausen/Schroeder-Printzen, Münchner Anwaltshandbuch Medizinrecht, § 14 Rn. 131. 267 BR-Drs. 666/89, S. 19, 28 f.; Becker, Steuerung der Arzneimittelversorgung, S. 161; Hauck, in: Peters, Handbuch der Krankenversicherung, Band 2, § 34 SGB V Rn. 43. 268 § 4 Verordnung über unwirtschaftliche Arzneimittel in der gesetzlichen Krankenversicherung; vgl. auch Sommer, in: Jahn, Sozialgesetzbuch für die Praxis, § 34 SGB V Rn. 15.

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D. Weitere Ausschlüsse nach § 34 SGB V

Begründung eines positiven Beitrags für jeden arzneilich wirksamen Bestandteil269. Mit der Begründung eines Beitrags jedes arzneilich wirksamen Bestandteils zur positiven Beurteilung des Arzneimittels war das Erfordernis einer Risikoverringerung oder Wirksamkeitsverbesserung jedes Wirkstoffes dargelegt, sodass Kombinationsarzneimittel dann nicht mehr als unwirtschaftlich bezeichnet werden konnten. Die Ausnahmeregelung der Verordnung bei Vorliegen einer Zulassung ist ebenso auf Arzneimittel der dritten Gruppe anwendbar gewesen. Allerdings wurde – so die Rechtsverordnungsbegründung – seit 1978 keine Zulassung für Arzneimittel mit negativ bewerteten arzneilich wirksamen Bestandteilen mehr erteilt270, sodass die Ausnahme in Bezug auf die dritte Gruppe kaum eine Rolle spielte271. Letztlich waren von der Verordnung nicht erfasst alle Arzneimittel, die eine nach dem 01. 02. 1987 erteilte Zulassung vorweisen konnten. d) Zwischenergebnis Der Ausschluss unwirtschaftlicher Arzneimittel umfasste, in seiner Ausformung, die er durch die Verordnung über unwirtschaftliche Arzneimittel in der gesetzlichen Krankenversicherung gefunden hat, im Wesentlichen nur solche Arzneimittel, die nach dem Arzneimittelgesetz nicht zulassungsfähig wären272, weil sie entweder nicht für alle wirksamen Bestandteile Beiträge zur positiven Beurteilung begründen können oder weil es sich um fiktiv zugelassene Arzneimittel handelt, für die Negativmonographien der Aufbereitungskommission vorlagen. Damit kam der Verordnung im Wesentlichen die Funktion zu, den Altmarkt zu bereinigen, indem sie unwirtschaftliche, aber bisher fiktiv zugelassene Arzneimittel aus der Verordnung zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung ausschloss, noch bevor das Verfahren zur Nachzulassung abgeschlossen war273. Zwar hinderte der Wortlaut des § 34 Abs. 3 SGB V a.F. nicht eine Erweiterung der in der Verordnung enthaltenen Ausschlusstatbestände über die Funktion zur Altmarktbereinigung hinaus274, jedoch wurde von dieser Möglichkeit kein Gebrauch gemacht.

269 BR-Drs. 666/89, S. 19; vgl. auch Becker, Steuerung der Arzneimittelversorgung, S. 150. Diese Pflicht begründet die Regelung des § 22 Abs. 3a AMG, die mit dem Zweiten Gesetz zur Änderung des Arzneimittelgesetzes v. 16. 08. 1986 (BGBl. I, S. 1296) eingefügt wurde. 270 BR-Drs. 666/89, S. 20. 271 Becker, Steuerung der Arzneimittelversorgung, S. 151. 272 Becker, Steuerung der Arzneimittelversorgung, S. 161. 273 Vgl. LSG NRW MedR 1994, 456 (458 f.); Becker, Steuerung der Arzneimittelversorgung, S. 151 ff., 161; Philipp, Arzneimittellisten und Grundrechte, S. 76 f. 274 Zur Möglichkeit weiterer Ausschlüsse durch den Verordnungsgeber, vgl. Becker, Steuerung der Arzneimittelversorgung, S. 151 ff.

III. Der Ausschluss unwirtschaftlicher Arzneimittel

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2. Die Aufhebung der Verordnung und die neue Regelung des § 34 Abs. 3 SGB V Die Verordnungsermächtigung wurde durch das Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz aus mehreren Gründen aufgehoben. Zum einen hatte die Rechtsverordnung mit dem Abschluss der Verfahren zur nachträglichen Zulassung von zuvor fiktiv zugelassenen Arzneimitteln keinen Anwendungsbereich mehr275, da ihr hauptsächlich die Funktion zukam, den Altmarkt zu bereinigen und sie diejenige Arzneimittel, die eine Zulassung besaßen, gerade nicht erfasste276, zum anderen ging der Gesetzgeber davon aus, dass die Befugnis des Gemeinsamen Bundesausschusses nach § 92 Abs. 1 S. 1 SGB V die Verordnungsfähigkeit von unwirtschaftlichen Arzneimitteln auszuschließen und einzuschränken, sachgerecht und ausreichend sei, um eine wirtschaftliche Versorgung mit Arzneimitteln sicherzustellen277. Eine vollständige Aufhebung der Ermächtigung, wie sie zuerst im Gesetzesentwurf zum Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz noch vorgesehen war278, wurde allerdings nicht umgesetzt. Es bestanden Bedenken, dass durch die vollständige Aufhebung der Verordnung zuvor ausgeschlossene und weiterhin als unwirtschaftlich geltende Arzneimittel wieder verordnungsfähig werden könnten279. Als Ausschlüsse des Gemeinsamen Bundesausschusses gelten nach der gesetzlichen Regelung in § 34 Abs. 3 S. 1 SGB V nur die in Anlage 2 Nr. 2 bis 6 gelisteten Arzneimittel und Bestandteile der Rechtsverordnung280. Aufgeführt sind unter diesen Nummern Stoffgemische, Enzyme und andere Zubereitungen aus Naturstoffen (Nr. 2), Infusionslösungen (Nr. 3), Badezusätze und Bäder (Nr. 4), Arzneimittel der besonderen Therapierichtung Phytotherapie (Nr. 5) und Arzneimittel der besonderen Therapierichtung Homöopathie (Nr. 6)281. Ausgeschlossen sind damit weiterhin Arzneimittel, die einen oder mehrere der dort aufgeführten Bestandteile beinhalten 275

BT-Drs. 17/2413, S. 18 f.; BT-Drs. 17/3698, S. 50. Vgl. oben Abschnitt D. III. 1. c). 277 BT-Drs. 17/3698, S. 50; vgl. auch Bischofs, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, Beck’scher Onlinekommentar Sozialrecht, § 34 SGB V Rn. 20. 278 BT-Drs. 17/2413, S. 5; vgl. auch Sommer, in: Jahn, Sozialgesetzbuch für die Praxis, § 34 SGB V Rn. 15a. 279 BT-Drs. 17/3698, S. 50; Bischofs, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, Beck’scher Onlinekommentar Sozialrecht, § 34 SGB V Rn. 21; Gerlach, in: Hauck/Noftz, Sozialgesetzbuch – SGB V, § 34 SGB V Rn. 32; Hess, in: Körner/Leitherer/Mutschler, Kasseler Kommentar, § 34 SGB V Rn. 15; Kraftberger, in: Hänlein/Kruse/Schuler, Sozialgesetzbuch V, § 34 SGB V Rn. 16; Pflugmacher, in: Eichenhofer/Wenner, SGB V, § 34 SGB V Rn. 10; Sommer, in: Jahn, Sozialgesetzbuch für die Praxis, § 34 SGB V Rn. 15a. 280 BT-Drs. 17/3698, S. 50; Bischofs, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, Beck’scher Onlinekommentar Sozialrecht, § 34 SGB V Rn. 21; Gerlach, in: Hauck/Noftz, Sozialgesetzbuch – SGB V, § 34 SGB V Rn. 32; Pflugmacher, in: Eichenhofer/Wenner, SGB V, § 34 SGB V Rn. 10. 281 Vgl. Anlage 2 der Verordnung über unwirtschaftliche Arzneimittel in der gesetzlichen Krankenversicherung; vgl. auch Gerlach, in: Hauck/Noftz, Sozialgesetzbuch – SGB V, § 34 SGB V Rn. 31. 276

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D. Weitere Ausschlüsse nach § 34 SGB V

und demzufolge Arzneimittel mit nicht nachgewiesenem therapeutischen Nutzen sind282. Grund für die Aufrechterhaltung der dort genannten Arzneimittelausschlüsse ist wohl, dass unter den in der Anlage 2 Nr. 2 bis 6 aufgeführten Arzneimitteln homöopathische und pflanzliche Arzneimittel sind. Sowohl homöopathische als auch traditionell pflanzliche Arzneimittel können auch ohne arzneimittelrechtliche Zulassung dann in den Verkehr gebracht werden, wenn sie gem. §§ 38 ff. AMG registriert sind. Dementsprechend könnte darüber ein Marktzugang hergestellt werden und es bestünde damit die Gefahr, dass diese Arzneimittel wieder verordnungsfähig werden könnten. a) Folgen der neuen gesetzlichen Regelung Durch die Regelung des § 34 Abs. 3 S. 1 SGB V gelten nunmehr die vorher durch Rechtsverordnung ausgeschlossenen unwirtschaftlichen Arzneimittel der Anlage 2 Nr. 2 bis 6 aufgrund der Arzneimittel-Richtlinie als ausgeschlossen. Eine inhaltliche Änderung der Ausschlüsse ist durch die gesetzliche Regelung nicht eingetreten283. Der Gemeinsame Bundesausschuss wurde aber beauftragt, die Ausschlüsse zu überprüfen und an den neuesten Stand der medizinischen Erkenntnisse anzupassen284. Bei der Beurteilung von Arzneimitteln der besonderen Therapierichtungen hat er zudem deren besonderer Wirkungsweise Rechnung zu tragen285. Der Gemeinsame Bundesausschuss wird dadurch aber nicht zum Ausschluss weiterer Arzneimittel ermächtigt. Denn nach dem Wortlaut der gesetzlichen Regelung und der Gesetzbegründung sollen nur bestimmte, in der Anlage der Verordnung genannte Arzneimittel, als Ausschlüsse durch Richtlinien fortgelten286; die Verordnung sowie die Ermächtigung zum Ausschluss unwirtschaftlicher Arzneimittel wurde hingegen aufgehoben.

282

Vgl. auch Sommer, in: Jahn, Sozialgesetzbuch für die Praxis, § 34 SGB V Rn. 15a. So Gerlach, in: Hauck/Noftz, Sozialgesetzbuch – SGB V, § 34 SGB V Rn. 30. 284 BT-Drs. 17/3698, S. 50; vgl. auch: Axer, in: Becker/Kingreen, SGB V, § 34 SGB V Rn. 14; Gerlach, in: Hauck/Noftz, Sozialgesetzbuch – SGB V, § 34 SGB V Rn. 30; Hess, in: Körner/Leitherer/Mutschler, Kasseler Kommentar, § 34 SGB V Rn. 15; Joussen, in: Knickrehm/Kreikebohm/Waltermann, Kommentar zum Sozialrecht, § 34 SGB V Rn. 9; Spickhoff, in: ders., Medizinrecht, § 34 SGB V Rn. 9; Wodarz, in: Sodan, Handbuch des Krankenversicherungsrechts, § 27 Rn. 21. 285 § 34 Abs. 3 S. 2 SGB V; BT-Drs. 17/3698, S. 50; vgl. auch: Axer, in: Becker/Kingreen, SGB V, § 34 SGB V Rn. 14; Gerlach, in: Hauck/Noftz, Sozialgesetzbuch – SGB V, § 34 SGB V Rn. 30; Hess, in: Körner/Leitherer/Mutschler, Kasseler Kommentar, § 34 SGB V Rn. 15; Joussen, in: Knickrehm/Kreikebohm/Waltermann, Kommentar zum Sozialrecht, § 34 SGB V Rn. 9; Sommer, in: Jahn, Sozialgesetzbuch für die Praxis, § 34 SGB V Rn. 15a. Zu den besonderen Therapierichtungen vgl. Abschnitt C. I. 4. 286 Vgl. BT-Drs. 17/3698, S. 50. 283

III. Der Ausschluss unwirtschaftlicher Arzneimittel

283

Durch die Überführung der Ausschlüsse in die Arzneimittel-Richtlinie ist allerdings die Regelung des § 31 Abs. 1 S. 4 SGB V anwendbar geworden287. Danach kann ein Vertragsarzt die auf Grund der Richtlinien von der Versorgung ausgeschlossenen Arzneimittel ausnahmsweise in medizinisch begründeten Einzelfällen mit Begründung verordnen. Die Ausnahme soll, wie ihr Wortlaut verdeutlicht, aber nur in eng begrenzten Ausnahmefällen zur Anwendung kommen, sodass für die Begründung gefordert wird, dass diese im unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit der Verordnung abgegeben und schriftlich nach außen kundgetan wird. Das ist dann der Fall, wenn sie auf dem Verordnungsvordruck selbst enthalten ist oder diesem beigefügt wurde oder wenn sie zeitnah der betroffenen Krankenkasse übermittelt wird288. b) Der Rechtsverordnungsausschluss als Teil der Arzneimittel-Richtlinie Durch die Regelung des § 34 Abs. 3 S. 1 SGB V und die Aufhebung der Verordnungsermächtigung zum Ausschluss unwirtschaftlicher Arzneimittel sowie der parallel dazu ergangenen Aufhebung von § 34 Abs. 2 und 5 SGB V289 ist nun – neben dem Gesetzgeber – allein der Gemeinsame Bundesausschuss befugt, die Versorgung mit Arzneimitteln einzugrenzen und zu konkretisieren. Nach der gesetzlichen Regelung gilt der Ausschluss unwirtschaftlicher Arzneimittel nun als Verordnungsausschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses und ist Teil seiner Richtlinien. In der Arzneimittel-Richtlinie ist der Ausschluss unwirtschaftlicher Arzneimittel allerdings nach wie vor unter der Rubrik der „Verordnungseinschränkungen und -ausschlüsse in der Arzneimittelversorgung durch Rechtsverordnung“ zu finden290. Dort wird – wie auch schon vor dem Erlass des Arzneimittelmarktneuordnungsgesetzes – lediglich definiert, welche Arzneimittel als unwirtschaftlich im Sinne der nach § 34 Abs. 3 SGB V a.F. erlassenen Rechtsverordnung zu sehen sind und auf die gem. § 93 SGB V zu erlassende Übersicht der ausgeschlossenen Arzneimittel verwiesen291. Eine Anpassung der Regelung hat der Richtliniengeber bisher nicht vorgenommen. Im Abschnitt H der Arzneimittel-Richtlinie, in dem „Verordnungseinschränkungen und -ausschlüsse in der Arzneimittelversorgung durch diese Richtlinie“ geregelt sind, finden sich keine Hinweise auf die neue Regelung des § 34 Abs. 3 S. 1 SGB V. Letztlich gibt die gesetzliche Regelung aber unabhängig von den fehlenden Regelungen in der Arzneimittel-Richtlinie vor, dass die gesetzlich ge287

Hess, in: Körner/Leitherer/Mutschler, Kasseler Kommentar, § 34 SGB V Rn. 15a; Pflugmacher, in: Eichenhofer/Wenner, SGB V, § 34 SGB V Rn. 13. 288 LSG Berlin-Brandenburg Urt. v. 15. 02. 2012 – L 9 KR 292/10 Rn. 41; zustimmend Wagner, in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung Pflegeversicherung, § 31 SGB V Rn. 19. 289 Vgl. BT-Drs. 17/2413, S. 18 f. 290 Vgl. Abschnitt G, § 15 AM-RL. 291 Vgl. hierzu Abschnitt D. III. 3.

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D. Weitere Ausschlüsse nach § 34 SGB V

nannten Teile der Verordnung über unwirtschaftliche Arzneimittel als Ausschlüsse des Gemeinsamen Bundesausschusses gelten und damit Teil der ArzneimittelRichtlinie sind. Die alten Rechtsverordnungsausschlüsse sind damit von Gesetzes wegen wie Richtlinienausschlüsse zu behandeln. Es handelt sich dabei um eine statische Regelung. Der Gemeinsame Bundesausschuss ist nicht zu weiteren Ausschlüssen berechtigt. Überlegt werden könnte aber, ob die auf den Gemeinsamen Bundesausschuss übergegangenen Ausschlüsse der Rechtsverordnung als Ausschlüsse gem. § 92 Abs. 1 S. 1 Hs. 4 SGB V zu sehen sind292. Nach § 92 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 SGB V beschließt der Gemeinsame Bundesausschuss die zur Sicherung der ärztlichen Versorgung erforderlichen Richtlinien über die Gewähr für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten. Um dies sicherzustellen ist er befugt, Arzneimittel auszuschließen293. Nach § 92 Abs. 1 S. 1 Hs. 4 SGB V ist der Gemeinsame Bundesausschuss befugt, die Verordnung von Arzneimitteln einzuschränken oder auszuschließen, wenn die Unzweckmäßigkeit erwiesen oder eine andere, wirtschaftlichere Behandlungsmöglichkeit mit vergleichbarem diagnostischen oder therapeutischen Nutzen verfügbar ist Dabei darf ein Verordnungsausschluss von Arzneimitteln nur erfolgen, wenn die Wirtschaftlichkeit nicht durch einen Festbetrag nach § 35 SGB V oder durch die Vereinbarung eines Erstattungsbetrags nach § 130b SGB V hergestellt werden kann294. Zudem liegt die Beweislast in Bezug auf den Ausschluss unzweckmäßiger Arzneimittel beim Gemeinsamen Bundesausschuss295. Für eine Einordnung der ehemals durch Rechtsverordnung und nun durch die Arzneimittel-Richtlinie ausgeschlossenen Arzneimittel als Ausschlüsse nach § 92 Abs. 1 S. 1 Hs. 4 SGB V könnte die Anlage III der Arzneimittel-Richtlinie sprechen. In Anlage III werden diejenigen Arzneimittelausschlüsse genannt, zu denen der Gemeinsame Bundesausschuss kraft Gesetzes gem. § 92 Abs. 1 S. 1 SGB V befugt ist296. In dieser Liste finden sich aber auch Arzneimittel, die aufgrund der Verordnung über unwirtschaftliche Arzneimittel ausgeschlossen waren297. Jedoch waren diese ebenso schon vor der Neuregelung des § 34 Abs. 3 SGB V durch das Arzneimit-

292 Dazu tendierend wohl Roters, in: Körner/Leitherer/Mutschler, Kasseler Kommentar, § 93 SGB V Rn. 3, der durch die Regelung des § 34 Abs. 3 SGB V eine Überführung der Verordnung in Anlage III der AM-RL sieht, in der die nach § 92 Abs. 1 SGB V ausgeschlossenen Arzneimittel zu finden sind. 293 § 92 Abs. 1 S. 1 Hs. 4 SGB V. 294 § 92 Abs. 2 S. 11 SGB V; vgl. auch: Hauck, GesR 2011, S. 71; Roters, in: Körner/ Leitherer/Mutschler, Kasseler Kommentar, § 92 SGB V Rn. 8e; Wodarz, in: Sodan, Handbuch des Krankenversicherungsrechts, § 27 Rn. 21. 295 Hauck, GesR 2011, S. 70 f.; Wodarz, in: Sodan, Handbuch des Krankenversicherungsrechts, § 27 Rn. 21. 296 Vgl. Roters, in: Körner/Leitherer/Mutschler, Kasseler Kommentar, § 93 SGB V Rn. 3. 297 Nr. 22, 23, 42, 46 der Anlage III.

III. Der Ausschluss unwirtschaftlicher Arzneimittel

285

telmarktneuordnungsgesetz in der Liste enthalten298. Der Gemeinsame Bundesausschuss war zwar schon zuvor berechtigt unwirtschaftliche Arzneimittel nach § 92 Abs. 1 S. 1 SGB V auszuschließen, jedoch nur, sofern diese nicht bereits durch die Rechtsverordnung ausgeschlossen waren299. Die Auflistung der bisher schon durch Rechtsverordnung ausgeschlossenen Arzneimittel in der Anlage III hatte daher bislang allenfalls informativen Charakter. Die Ermächtigung des Gemeinsamen Bundesausschusses in § 92 Abs. 1 S. 1 Hs. 4 SGB V ist allerdings darauf beschränkt, nur solche Arzneimittel auszuschließen, deren Unzweckmäßigkeit erwiesen ist oder bei denen Wirtschaftlichkeitsgründe für den Ausschluss sprechen300. Der Gemeinsame Bundesausschuss ist bei der Prüfung der Unzweckmäßigkeit und der Wirtschaftlichkeit immer auf einen Vergleich von Arzneimitteln oder Behandlungsformen beschränkt301. Dabei besteht überdies eine Bindung an die Feststellungen der Zulassungsbehörde über Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit302. Der Gemeinsame Bundesausschuss ist daher gehindert, Arzneimittel allein aufgrund fehlenden medizinischen Nutzens von der Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung auszuschließen, da diese Frage schon mit der Zulassung beantwortet wurde303. Lediglich im Hinblick auf einen Nutzen im Vergleich zu anderen Arzneimitteln können Erwägungen seitens des Gemeinsamen Bundesausschusses angestellt werden304. Bei den durch die Anlage 2 Nr. 2 bis 6 der Verordnung über unwirtschaftliche Arzneimittel ausgeschlossenen Arzneimitteln handelt es sich um solche, deren therapeutischer Nutzen nach den Monographien der Aufbereitungskommission nicht nachgewiesen war. Beim therapeutischen Nutzen handelt es sich zwar um ein Kriterium, das in Form der therapeutischen Wirksamkeit innerhalb der Zulassung geprüft wird und bei dessen Fehlen Gründe für die Versagung der Zulassung vorliegen

298

Vgl. Anlage III idF v. 01. 12. 2010. Vgl. § 34 Abs. 3 S. 4 SGB V idF durch das GKV-Modernisierungsgesetz v. 14. 11. 2003 (BGBl. I, S. 2190); vgl. auch BT-Drs. 15/1525, S. 87; Beck, in: Schlegel/Voelzke, juris Praxiskommentar, § 34 SGB V Rn. 28; Reese/Stallberg, in: Dieners/Reese, Handbuch des Pharmarechts, § 17 Rn. 147. 300 Vgl. Roters, in: Körner/Leitherer/Mutschler, Kasseler Kommentar, § 92 SGB V Rn. 8b. 301 Kap. 4 §§ 10, 12, 14 VerfO G-BA; vgl. auch Roters, in: Körner/Leitherer/Mutschler, Kasseler Kommentar, § 92 SGB V Rn. 8c, 8e. 302 § 92 Abs. 2 S. 12 SGB V; BT-Drs. 17/3698, S. 52; BSGE 96, 261 (281); LSG BerlinBrandenburg Urt. v. 07. 06. 2013 – L 7 KA 164/09 KL Rn. 87 f.; so auch Nitz, in: Stellpflug/ Meier/Tadayon, Handbuch Medizinrecht, Band 2, H 1000 Rn. 86. 303 Vgl. BT-Drs. 17/3698, S. 52; siehe auch BSGE 96, 261 (281). 304 Vgl. hierzu: BT-Drs. 17/3698, S. 52, die von „Zusatznutzen“ spricht; Limpinsel, in: Jahn, Sozialgesetzbuch für die Praxis, § 92 SGB V Rn. 5c; Roters, in: Körner/Leitherer/ Mutschler, Kasseler Kommentar, § 92 SGB V Rn. 8c; sowie Axer, in: Wallrabenstein, Regulierungsrecht, S. 91; Reese/Stallberg, in: Dieners/Reese, Handbuch des Pharmarechts, § 17 Rn. 27. 299

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D. Weitere Ausschlüsse nach § 34 SGB V

können305, jedoch ist der Begriff des therapeutischen Nutzens nicht mit dem der therapeutischen Wirksamkeit identisch und kann auch darüber hinausgehen306. Dem Ausschluss unwirtschaftlicher Arzneimittel durch Rechtsverordnung war es allerdings gerade immanent, dass nur auf die arzneimittelrechtlichen Beurteilungen der Zulassungsbehörde zurückgegriffen wurde und keine eigenen Bewertungen unter Berücksichtigung der sozialversicherungsrechtlichen Zwecksetzung vorgenommen wurden307. Denn seine Funktion bestand im Wesentlichen darin, den Altmarkt zu bereinigen und fiktiv zugelassene Arzneimittel, die die Anforderungen an die Zulassungsvoraussetzungen nicht erfüllten, auszuschließen308. Demgegenüber ist es dem Ausschluss nach § 92 Abs. 1 S. 1 SGB V immanent, dass die Ausschlüsse auf eigenen Bewertungen beruhen. Dementsprechend passen die Ausschlüsse unwirtschaftlicher Arzneimittel, die gem. § 34 Abs. 3 SGB V als Ausschlüsse des Gemeinsamen Bundesausschusses gelten, nicht in das Ausschlussbild des § 92 Abs. 1 S. 1 Hs. 4 SGB V.

3. Negativliste Die sogenannte Negativliste ist als Anlage zur Arzneimittel-Richtlinie aufgeführt. Bei dieser Liste handelt es sich um eine Präparateliste, die Fertigarzneimittel benennt, die aufgrund der nach § 34 Abs. 3 SGB V a.F. erlassenen Rechtsverordnung ausgeschlossen sind309. Die Liste wurde zuletzt 2003 vom Bundesausschuss für Ärzte und Krankenkassen bekannt gemacht310 und seither wurde keine neue Liste mehr erlassen. Es handelt sich dabei um eine Übersicht ausgeschlossener Arzneimittel gem. § 93 SGB V. Nach dieser Vorschrift soll der Gemeinsame Bundesausschuss eine Liste der nach § 34 SGB V oder nach § 31 SGB V ausgeschlossenen Arzneimittel in einer Übersicht zusammenstellen. Die Liste hat aber nur deklaratorische Bedeutung311; sie kann nur enthalten, was bereits durch Gesetz oder aufgrund von Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses ausgeschlossen ist312. Die Liste tritt mittlerweile in ihrer Bedeutung hinter die in den Anlagen zur Arzneimittel305

Vgl. den Versagungsgrund in § 25 Abs. 2 Nr. 4 AMG. Vgl. hierzu auch Schwerdtfeger, pharmind 1989, S. 24. 306 BVerfG NJW 1992, 735 (737); so auch Schwerdtfeger, pharmind 1989, S. 23 ff. 307 Becker, Steuerung der Arzneimittelversorgung, S. 157. 308 Vgl. Becker, Steuerung der Arzneimittelversorgung, S. 161. 309 Vgl. Wiegand, in: Schlegel/Voelzke, juris Praxiskommentar, § 93 SGB V Rn. 12 f. 310 Abgedruckt in BAnZ (Beilage) v. 18. 10. 2003 Nr. 195a. 311 BVerfG B. v. 20. 09. 1991 – 1 BvR 259/91 Rn. 4; BVerfG NJW 1992, 735; BVerfG NZS 1999, 338 (339); BSGE 79, 41 ff.; Roters, in: Körner/Leitherer/Mutschler, Kasseler Kommentar, § 93 SGB V Rn. 4; Sproll, in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung Pflegeversicherung, § 93 SGB V Rn. 4; Wiegand, in: Schlegel/Voelzke, juris Praxiskommentar, § 93 SGB V Rn. 21 f. 312 Vgl. Wiegand, in: Schlegel/Voelzke, juris Praxiskommentar, § 93 SGB V Rn. 22.

III. Der Ausschluss unwirtschaftlicher Arzneimittel

287

Richtlinie aufgeführten Arzneimittelauflistungen zurück313. Die ArzneimittelRichtlinie nimmt allerdings in § 15 Abs. 3 AM-RL ausdrücklich Bezug auf diese Liste, existiert doch in der Arzneimittel-Richtlinie eine eigene Präparateliste mit den durch die Verordnung über unwirtschaftliche Arzneimittel ausgeschlossenen Arzneimitteln nicht.

4. Verfassungsmäßigkeit des Ausschlusses Durch die gesetzliche Regelung des § 34 Abs. 3 S. 1 SGB V wurde die Form des Ausschlusses verändert, indem der Ausschluss statt durch Rechtsverordnung nun durch Richtlinien erfolgt. Die Veränderung der Form des Ausschlusses ist allerdings verfassungsrechtlich irrelevant, da es sich sowohl bei der Rechtsverordnung als auch bei der Arzneimittel-Richtlinie um untergesetzliche Normen handelt. Geändert hat sich damit aber der Normgeber; während zuvor noch das Bundesministerium für Gesundheit zum Erlass der Rechtsverordnung befugt war, gilt der Ausschluss nun als solcher des Gemeinsamen Bundesausschusses. Der Gemeinsame Bundesausschuss ist jedoch grundsätzlich ausreichend demokratisch legitimiert, um untergesetzliche Normen zu erlassen314. Des Weiteren bestehen in Bezug auf den Ausschluss unwirtschaftlicher Arzneimittel auch hinsichtlich des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 10. 11. 2015315 und der daraus resultierenden Anforderung der hinreichenden gesetzlichen Anleitung keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Denn aufgrund der statischen Fiktionsregelung des § 34 Abs. 3 S. 1 SGB V besteht für den Gemeinsame Bundesausschuss keine Befugnis den Ausschluss zu erweitern316. Eine inhaltliche Änderung des Ausschlusses ist nicht eingetreten; vielmehr wurde der Ausschluss dadurch, dass nur ein Teil der Verordnung übernommen wurde, umfangmäßig abgemildert. Es stellen sich jedoch grundrechtliche Fragen zur Verletzung von Grundrechten der Versicherten sowie der pharmazeutischen Unternehmer. Da jedoch keine inhaltlichen Änderungen eingetreten sind, und sich der Ausschluss umfangsmäßig sogar reduziert hat, ist der Ausschluss unwirtschaftlicher Arzneimittel in seiner heutigen Form jedenfalls dann verfassungsgemäß, wenn der durch Rechtsverordnung geregelte Ausschluss unwirtschaftlicher Arzneimittel verfassungsgemäß war.

313 Vgl. Axer, in: Becker/Kingreen, SGB V, § 34 SGB V Rn. 1; Wiegand, in: Schlegel/ Voelzke, juris Praxiskommentar, § 93 SGB V Rn. 4, 7, 10, 13 ff. 314 Vgl. oben, Abschnitt B. III. 2. 315 BVerfG KrV 2015, 236 ff. 316 Vgl. oben Abschnitt D. III. 2. b).

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D. Weitere Ausschlüsse nach § 34 SGB V

a) Grundrechte der Versicherten Durch den Ausschluss unwirtschaftlicher Arzneimittel wird nicht die Versorgung mit Arzneimitteln in Bezug auf bestimmte Erkrankungen ausgeschlossen. Anstelle des unwirtschaftlichen Arzneimittels wird der Vertragsarzt den Versicherten ein anderes, wirtschaftlicheres Arzneimittel verordnen. Für die Versicherten wird daher nicht die Behandlung mit Arzneimitteln in bestimmten Bereichen ausgeschlossen, jedoch wird ihr Recht auf Auswahl bestimmter Arzneimittel begrenzt. Der Ausschluss unwirtschaftlicher Arzneimittel greift daher in die durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützte Auswahl unter Arzneimitteln, die dem Versicherten als Sachleistung zur Verfügung stehen, ein. Dem Versicherten ist es nicht mehr möglich auf bestimmte Arzneimittel zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung zurückzugreifen, da diese aufgrund des Ausschlusses nicht mehr verordnet werden dürfen. Durch den Ausschluss unwirtschaftlicher Arzneimittel sollen die betroffenen Arzneimittel vom Arzneimittelmarkt verdrängt werden317, sodass die Arzneimittel sich letztlich ebenso dem eigenverantwortlichen Zugriff der Versicherten entziehen werden. Der Eingriff ist aber gerechtfertigt. Wirtschaftlichkeitsüberlegungen sowie die Sicherung der finanziellen Stabilität sind legitime Zwecke. Auch im Übrigen ist der Ausschluss als verhältnismäßig anzusehen. Dem Gesetzgeber ist es überlassen im Rahmen seines Gestaltungsspielraums, Leistungen von der Verordnung auszuschließen. Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass der Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung begrenzt wird, und dass Leistungen nur dann gewährt werden, wenn sie dem Wirtschaftlichkeitsgebot entsprechen318. Die Ausschlusskriterien sind Konkretisierungen des Wirtschaftlichkeitsgebots, sodass der Ausschluss dazu dient, eine wirtschaftlichere Versorgung innerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung zu erreichen. Zwar werden durch den Ausschluss Arzneimittel komplett vom Arzneimittelmarkt verdrängt, jedoch handelt es sich bei den durch die Rechtsverordnung ausgeschlossenen Arzneimitteln hauptsächlich – und bei den auf den Gemeinsamen Bundesausschuss übergegangen Ausschlüssen ausschließlich – um solche Arzneimittel, die lediglich fiktiv zugelassen waren und die keine Zulassung nach dem Arzneimittelrecht erhalten hatten. Denn bei den in der Anlage 2 der Verordnung aufgeführten Wirkstoffen handelt es sich um Wirkstoffe, für die Negativmonographien von Aufbereitungskommissionen vorlagen319, wobei diese Monographien Grundlage für die Zulassungsentscheidung waren320. Zudem werden den Versicherten andere Arzneimittel zur Behandlung ihrer Erkrankungen gewährt, sodass ihnen durch den Ausschluss keine gesundheitlichen Einbußen entstehen oder zumindest keine solchen, die den Ausschluss als unzumutbar erscheinen lassen. 317

Vgl. hierzu nachfolgenden Abschnitt D. III. 4. b). § 2 Abs. 1 S. 1 SGB V; BVerfGE 115, 25 (45); BSGE 96, 153 (160); BSG Urt. v. 06. 11. 2008 – B 1 KR 38/07 R Rn. 23; BSG SozR 4 – 2500 § 60 Nr. 1 Rn. 14. 319 Becker, Steuerung der Arzneimittelversorgung, S. 151. 320 BR-Drs. 666/89, S. 29. 318

III. Der Ausschluss unwirtschaftlicher Arzneimittel

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b) Grundrechte der pharmazeutischen Unternehmer Durch den Ausschluss unwirtschaftlicher Arzneimittel wird, bezogen auf einzelne Arzneimittel, festgelegt, ob diese zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnet werden dürfen oder nicht. Hieraus ergibt sich ein stärkerer Einwirkungsgrad auf die Grundrechte der pharmazeutischen Hersteller als bei den anderen Ausschlüssen, die ganze Kategorien oder Indikationsgebiete aus der Versorgung ausnehmen. Anders als bei den anderen Ausschlüssen geht es beim Ausschluss unwirtschaftlicher Arzneimittel zudem nicht darum, Arzneimittel in die Eigenverantwortung der Versicherten zu geben, sodass die Versicherten selbst für die Versorgung mit diesen Arzneimitteln aufkommen müssen, sondern darum, die Abgabe dieser Arzneimittel durch die Apotheken und deren Verordnung durch die Vertragsärzte zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung zu unterbinden321. Die betroffenen Arzneimittel werden nicht nur aus dem Leistungskatalog ausgeschlossen, sondern auch durch andere, wirtschaftlichere Arzneimittel ersetzt322. Sie werden daher vom Arzneimittelmarkt verdrängt323. Dies wirft Fragen nach der Vereinbarkeit der Regelung mit der Eigentumsfreiheit und der Berufsfreiheit der pharmazeutischen Unternehmer auf. Nach überwiegender Auffassung in Rechtsprechung und Literatur wurde der Ausschluss unwirtschaftlicher Arzneimittel durch die Rechtsverordnung zwar als vereinbar mit den Grundrechten aus Art. 12 Abs. 1 GG und Art. 14 Abs. 1 GG angesehen324, jedoch wurde der Ausschluss vereinzelt als nicht geeignet zur Sicherung der Qualität in der Arzneimittelversorgung und damit als unverhältnismäßig325 angesehen. Des Weiteren bestanden teilweise verfassungsrechtliche Bedenken dahingehend, dass die Ermächtigungsgrundlage zum totalen Ausschluss von Arzneimitteln ermächtige und dies gegen Art. 12 Abs. 1 i. V. m. Art. 3 Abs. 1 GG sowie gegen das Bestimmtheitsgebot verstoßen würde326. Eine Verletzung der Eigentumsfreiheit liegt durch den Ausschluss unwirtschaftlicher Arzneimittel allerdings nicht vor. Die Eigentumsfreiheit gewährt weder ein Recht darauf, im Arzneimittelmarkt der gesetzlichen Krankenversicherung zu 321 BVerfG NJW 1992, 735 (736); BSGE 79, 41 (50); Hänlein, Rechtsquellen im Sozialversicherungsrecht, S. 103; Schwerdtfeger, pharmind 1989, S. 27. 322 Vgl. Schwerdtfeger, pharmind 1989, S. 27. Vgl. auch Sodan, SGb 1992, S. 205, der von einem annähernden Verlust des gesamten Umsatzes durch den Ausschluss spricht; dem zustimmend Wigge, MedR 1996, S. 462. 323 Vgl. Philipp, Arzneimittellisten und Grundrechte, S. 78. 324 BVerfG NJW 1992, 735 ff.; BSGE 79, 41 ff.; Axer, in: Becker/Kingreen, SGB V, § 34 SGB V Rn. 15; Bischofs, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, Beck’scher Onlinekommentar Sozialrecht, § 34 SGB V Rn. 22; Hess, in: Körner/Leitherer/Mutschler, Kasseler Kommentar, § 34 SGB V Rn. 17; Orlowski, in: ders./Rau/Wasem/Zipperer, Gesamtausgabe GKV-Kommentar SGB V, § 34 SGB V Rn. 38b; Spickhoff, in: ders., Medizinrecht, § 34 SGB V Rn. 10. 325 Philipp, Arzneimittellisten und Grundrechte, S. 147 ff.; 155 f. 326 Schwerdtfeger, pharmind 1989, S. 27 ff.

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D. Weitere Ausschlüsse nach § 34 SGB V

verbleiben, noch dass Arzneimittel durch ihre Zulassung auch im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung verordnet werden können. Allerdings gibt die Zulassung ein Recht darauf, ein Arzneimittel auf dem freien Arzneimittelmarkt zu vertreiben327. Die ausgeschlossenen Arzneimittel werden dadurch, dass sie durch wirtschaftlichere Arzneimittel ersetzt werden, auf längere Sicht auch vom freien Arzneimittelmarkt gedrängt. Allerdings handelt es sich bei den nun durch die Arzneimittel-Richtlinie ausgeschlossenen Arzneimitteln um solche, die nur fiktiv zugelassen waren und für die Negativmonographien durch die Aufbereitungskommissionen vorlagen. Da die Monographien Grundlage für die Entscheidung über die Zulassung waren, und in der Regel keine Arzneimittel mit Negativmonographien zugelassen wurden, handelt es sich bei den in Anlage 2 Nr. 2 bis 6 genannten Arzneimitteln, um solche, die keine Zulassung haben. Dass es sich bei den in der Anlage 2 aufgelisteten Arzneimitteln um solche ohne Zulassung handeln muss, folgt zudem aus der Ausnahmevorschrift des § 4 der Verordnung über unwirtschaftliche Arzneimittel, wonach solche Arzneimittel nicht vom Ausschluss erfasst sind, die eine Zulassung haben oder bekommen. Demzufolge können den Arzneimittelherstellern nicht die aus der Zulassung resultierenden Rechte zustehen. Eine Verletzung von Art. 14 Abs. 1 GG ist daher nicht gegeben. Anders sieht es im Hinblick auf die Berufsfreiheit der pharmazeutischen Hersteller aus. Durch den Ausschluss unwirtschaftlicher Arzneimittel sollen die betroffenen Arzneimittel nicht weiterhin auf dem freien Markt für die Versicherten zur Verfügung stehen und in deren Eigenverantwortung gegeben werden, wie es bei den Ausschlüssen der OTC-Arzneimittel oder der Lifestyle-Arzneimittel der Fall war, sondern die Verschreibung solcher Arzneimittel sowie ihre Abgabe in den Apotheken soll weitgehend zurückgedrängt werden328. Dem Ausschluss kommt die Funktion zu, den Altmarkt zu bereinigen und damit einzelne Arzneimittel aus dem Markt der gesetzlichen Krankenversicherung zu verdrängen. Dadurch hat der Ausschluss ein anderes Gewicht im Hinblick auf die Berufsfreiheit. Er hat nicht nur Umsatzeinbußen der Arzneimittelhersteller zur Folge, sondern auch die Zurückdrängung aus dem Arzneimittelmarkt. Es handelt sich dabei zwar nur um eine mittelbare Folge des Ausschlusses, jedoch kann hier eine objektiv berufsregelnde Tendenz aufgrund der anderen Zielsetzung – es handelt sich um einen Ausschluss einzelner Arzneimittel – und der marktverdrängenden Wirkung bejaht werden329.

327 Mit der Zulassung erwirbt der Hersteller ein Recht auf Zugang zum Arzneimittelmarkt, das durch eine Verdrängung entwertet wird, vgl. oben Abschnitt C. I. 5. c). 328 BVerfG NJW 1992, 735 (736). 329 Eine berufsregelnde Tendenz bejahend: BVerfG NJW 1992, 735 (736); BVerfG NJW 1999, 3404 (3405); BSGE 79, 41 (50); vgl. auch: Becker, Steuerung der Arzneimittelversorgung, S. 412; Hänlein, Rechtsquellen im Sozialversicherungsrecht, S. 103 f.; Reese/Stallberg, in: Dieners/Reese, Handbuch des Pharmarechts, § 17 Rn. 15; Sodan, SGb 1992, S. 203, 205 f.; Wigge, MedR 1996, S. 462.

III. Der Ausschluss unwirtschaftlicher Arzneimittel

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Dieser Eingriff kann allerdings gerechtfertigt werden. Es bedarf hierzu einer gesetzlichen Grundlage330. Gesetzliche Grundlage für den Ausschluss unwirtschaftlicher Arzneimittel war § 34 Abs. 3 SGB Va.F., der das Bundesministerium für Gesundheit zum Erlass einer Verordnung zum Ausschluss unwirtschaftlicher Arzneimittel ermächtigte. Diese Rechtsverordnungsermächtigung war an Art. 80 Abs. 1 GG zu messen und musste insbesondere dem Bestimmtheitsgrundsatz entsprechen. Nach Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG müssen Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Ermächtigung im Gesetz bestimmt werden. Dabei sind die Anforderungen, die an den Bestimmtheitsgrad gestellt werden, von der Eingriffsintensität abhängig; an die Bestimmtheit einer Rechtsverordnungsermächtigung werden umso höhere Anforderungen gestellt, je stärker Grundrechte betroffen werden331. Teilweise wurde in der Literatur die Ermächtigungsnorm im Hinblick auf die Möglichkeit des Totalausschlusses von Arzneimitteln und dem weiten Begriff der „Unwirtschaftlichkeit“ für zu unbestimmt angesehen332. Diese Bedenken lassen sich mit der Konkretisierung des Begriffes der Unwirtschaftlichkeit in § 34 Abs. 3 S. 2 SGB V a.F. nicht vollständig beseitigen, da die gesetzliche Aufzählung lediglich beispielhaft war333. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts genügt es allerdings, wenn Inhalt, Zweck und Ausmaß einer Ermächtigungsvorschrift nach allgemeinen Auslegungsgrundsätzen ermittelt werden können, insbesondere aus dem Sinnzusammenhang, aus dem von der gesetzlichen Regelung insgesamt verfolgten Ziel sowie der Entstehungsgeschichte des Gesetzes334. Das Wirtschaftlichkeitsgebot und damit der Begriff der Wirtschaftlichkeit ist für die gesamte gesetzliche Krankenversicherung normiert und in Rechtsprechung und Literatur weitgehend konkretisiert worden335. Damit war die Ermächtigungsregelung in § 34 Abs. 3 SGB V a.F. bestimmt genug und mit Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG vereinbar336. Das Problem der Bestimmtheit der Ermächtigungsnorm stellt sich durch die Neuregelung des § 34 Abs. 3 SGB V allerdings nicht mehr, da der Gemeinsame Bundesausschuss aufgrund der gesetzlichen Regelung nicht zu weiteren Ausschlüssen ermächtigt wird und aus der Regelung klar hervorgeht, welche Ausschlüsse nun als Ausschlüsse des Gemeinsamen Bundesausschuss gelten sollen. Im Übrigen ist der Gemeinsame Bundesausschuss zum Erlass seiner Richtlinie gem.

330

Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG. BVerfGE 58, 257 (277 f.); 113, 167 (269). 332 Schwerdtfeger, pharmind 1989, S. 31. 333 Philipp, Arzneimittellisten und Grundrechte, S. 158. Die Konkretisierung in § 34 Abs. 3 S. 2 SGB V a. F. war hingegen für das BSG ausreichend, BSGE 79, 41 (48 f.). 334 BVerfGE 8, 274 (307); 58, 257 (277); 80, 1 (20 f.); 106, 1 (19); 113, 167 (269). 335 Philipp, Arzneimittellisten und Grundrechte, S. 158. 336 Die Bestimmtheit der Regelung bejahend: BSGE 79, 41 (48 f.); Gerlach, in: Hauck/ Noftz, Sozialgesetzbuch – SGB V, § 34 SGB V Rn. 34; Hänlein, Rechtsquellen im Sozialversicherungsrecht, S. 104; Philipp, Arzneimittellisten und Grundrechte, S. 157 ff. 331

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D. Weitere Ausschlüsse nach § 34 SGB V

§ 92 SGB V ermächtigt, wobei diese Regelung eine hinreichend bestimmte Ermächtigung darstellt337. Es handelt sich beim Ausschluss unwirtschaftlicher Arzneimittel um eine Berufsausübungsregelung338. Berufsausübungsregelungen können durch hinreichende Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt werden, wenn sie zur Erreichung des Zwecks geeignet und erforderlich sind und die Beschränkung zumutbar ist339. Dabei steht dem Gesetzgeber ein weiter Gestaltungsspielraum zu340. Der Ausschluss dient der finanziellen Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung341 und damit einem wichtigen Gemeinwohlgrund. Zur Sicherung dieser finanziellen Stabilität ist der Ausschluss geeignet. Zwar führt der Ausschluss nicht direkt zu einer Kostenersparnis, da anstelle des unwirtschaftlichen Arzneimittels in der Regel ein anderes – vielleicht auch teureres – Arzneimittel zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnet werden kann, jedoch gewährleistet die Vorschrift, dass anstelle von unwirtschaftlichen Arzneimitteln wirtschaftliche verordnet werden. Dass unwirtschaftliche Arzneimittel die gesetzliche Krankenversicherung mehr belasten, weil etwa deren Einnahme nicht zur Heilung führt und dadurch eine erneute oder sogar umfangreichere Krankenbehandlung notwendig wird, ist eine Annahme, die der Gesetzgeber aufgrund seiner Einschätzungsprärogative treffen durfte342. Neben der Sicherung der finanziellen Stabilität hat der Ausschluss unwirtschaftlicher Arzneimittel das Ziel, die Wirtschaftlichkeit der Arzneimittelversorgung zu verbessern343. Für dieses Ziel ist der Ausschluss aber nach einzelnen Ansichten in der Literatur nicht geeignet, da er zum Totalausschluss von einzelnen Arzneimitteln führen könne, aber keine Ausnahmeregelung beinhalte, die in Einzelfällen, in denen ausgeschlossene Arzneimittel zweckmäßiger sein könnten, eine 337

Vgl. hierzu Abschnitt B. III. 2. b) bb) und Abschnitt D. III. 4. BVerfG NJW 1992, 735 (736); Orlowski, in: ders./Rau/Wasem/Zipperer, Gesamtausgabe GKV-Kommentar SGB V, § 34 SGB V Rn. 38b. 339 BVerfGE 68, 193 (218); 77, 308 (332); 93, 362 (369); 103, 1 (10); 128, 1 (60 f.); vgl. auch: Jarass, in: ders./Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Art. 12 GG Rn. 45; Wieland, in: Dreier, Grundgesetz Kommentar, Art. 12 GG Rn. 99. 340 BVerfGE 102, 197 (218); 115, 276 (308); 116, 202 (224 ff.); 117, 163 (182 f., 189); 121, 317 (356); BVerfG NJW 1992, 735 (736); BSGE 79, 41 (50); vgl. auch: Becker, Steuerung der Arzneimittelversorgung, S. 431; Jarass, in: ders./Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Art. 12 GG Rn. 50; Wieland, in: Dreier, Grundgesetz Kommentar, Art. 12 GG Rn. 100. 341 BVerfG NJW 1992, 735 (736); BSGE 79, 41 (50); BT-Drs. 11/2237, S. 1; vgl. auch: Hauck, in: Peters, Handbuch der Krankenversicherung, Band 2, § 34 SGB V Rn. 37; Schwerdtfeger, pharmind 1989, S. 29. 342 Vgl. BVerfG NJW 1992, 735 (736); BSGE 79, 41 (50); Philipp, Arzneimittellisten und Grundrechte, S. 149 f. 343 Vgl. BT-Drs. 11/2237, S. 2, wonach das Gesundheits-Reformgesetz die Wirtschaftlichkeit der Leistungserbringung erhöhen sollte. Ziel der aufgrund der Ermächtigung des § 34 Abs. 3 SGB V erlassenen Rechtsverordnung war jedenfalls die Verbesserung der Wirtschaftlichkeit der Arzneimittelversorgung, BR-Drs. 666/89, S. 2. 338

III. Der Ausschluss unwirtschaftlicher Arzneimittel

293

Verordnung zulässt344. Unabhängig von der Frage, ob der Ausschluss überhaupt einer Ausnahmeregelung bedurfte, stellt sich diese Problematik heute nicht mehr, da der Ausschluss nun als Ausschluss kraft Arzneimittel-Richtlinie gilt und damit die Ausnahmeregelung des § 34 Abs. 1 S. 4 SGB V anwendbar ist. Mildere, gleich geeignete Mittel sind nicht ersichtlich345. Auch trifft die Regelung die Berufsgruppe der Arzneimittelhersteller insgesamt nicht schwer und ist zumutbar346. Betroffen waren zum einen nur fiktiv zugelassene Arzneimittel und Kombinationsarzneimittel mit mehr als drei Wirkstoffen oder nicht erforderlichen Bestandteilen und zum anderen ist der Ausschluss nur hinsichtlich eines Teils in der Arzneimittel-Richtlinie aufrechterhalten worden, nämlich nur hinsichtlich der in Anlage 2 Nr. 2 bis 6 ausgeschlossenen Arzneimittel. Ausgeschlossen werden letztlich nur einzelne Arzneimittel, nicht aber das gesamte Sortiment eines Herstellers. Der Ausschluss hindert die Arzneimittelhersteller jedenfalls nicht ihre anderen Arzneimittel weiterhin im Markt der gesetzlichen Krankenversicherung zu vertreiben, sodass ihnen ihre Berufsausübung trotz des Ausschlusses unwirtschaftlicher Arzneimittel erhalten bleibt. Allerdings können einzelne Hersteller mit kleinen und speziellen Sortimenten stärker betroffen werden, sodass sich die Frage nach einer Verletzung von Art. 12 Abs. 1 i. V. m. Art. 3 Abs. 1 GG stellt. Der Gesetzgeber ist aber befugt, in typisierender Weise vorzugehen. Grenzen werden ihm gesetzt, wenn „die ungleiche Behandlung […] nicht mehr mit einer am Gerechtigkeitsdenken orientierten Betrachtungsweise vereinbar ist, wo also ein einleuchtender Grund für die gesetzliche Differenzierung fehlt“347. Der Begriff der Unwirtschaftlichkeit und die daran anknüpfenden Merkmale sind jedoch sachgerechte Differenzierungskriterien348. Insofern sind die unterschiedlichen Marktzugangschancen von unwirtschaftlichen und damit ausgeschlossenen Arzneimitteln gegenüber verordnungsfähigen Arzneimitteln hinsichtlich ein und derselben Indikation gerechtfertigt. Darüber hinaus sichert § 34 Abs. 3 S. 2 SGB V, dass Hersteller von Arzneimitteln der besonderen Therapierichtungen, die die geforderten schulmedizinischen Wirksamkeitsnachweise nicht erbringen können349, nicht benachteiligt werden. Damit ist der Ausschluss verfassungsgemäß. 344

Philipp, Arzneimittellisten und Grundrechte, S. 147 ff. BVerfG NJW 1992, 735 (736). 346 BVerfG NJW 1992, 735 (736). 347 BVerfGE 9, 334 (337); 55, 72 (90); 74, 182, (200); BVerfG NJW 1992, 735 (736). 348 BVerfG NJW 1992, 735 (736); BSGE 79, 41 (50 f.); im Ergebnis ebenfalls eine Verletzung verneinend Philipp, Arzneimittellisten und Grundrechte, S. 164 ff., für den allerdings maßgeblich ist, dass die Produkte und nicht die Leistungserbringer selbst unterschiedlich behandelt werden. 349 So ist etwa bspw. der Nachweis des therapeutischen Nutzens abhängig von der eingesetzten Methode, was aufgrund der unterschiedlichen Methoden in der Allopathie und den besonderen Therapierichtungen zu unterschiedlichen Ergebnisse führen kann, vgl. Orlowski, in: ders./Rau/Wasem/Zipperer, Gesamtausgabe GKV-Kommentar SGB V, § 34 SGB V Rn. 33. 345

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D. Weitere Ausschlüsse nach § 34 SGB V

5. Vereinbarkeit mit der Transparenzrichtlinie Der Ausschluss unwirtschaftlicher Arzneimittel nach § 34 Abs. 3 SGB V ist als eine Negativliste im Sinne der Transparenzrichtlinie anzusehen350. Anders als bei den OTC- und Bagatellausschlüssen handelt es sich beim Ausschluss unwirtschaftlicher Arzneimittel nicht um einen Ausschluss einer gesamten Arzneimittelkategorie, sondern um einen Ausschluss von einzelnen Arzneimitteln351. Insofern sind die strengeren Voraussetzungen des Art. 7 Nr. 3 RL 89/105/EWG zu erfüllen, sodass neben der auf objektiven und überprüfbaren Kriterien beruhenden Begründung, die Entscheidung auch der betroffenen Person mitzuteilen und sie über Rechtsmittel und -fristen zu informieren ist. Diese Anforderungen hatte der Ausschluss unwirtschaftlicher Arzneimittel in seiner Form als Ausschluss durch Rechtsverordnung nicht erfüllt352. Nach Aufhebung der Rechtsverordnung gelten aber nunmehr die in Anlage 2 Nr. 2 bis 6 der Verordnung getroffenen Ausschlüsse als Ausschlüsse des Gemeinsamen Bundesausschuss und sind Teil der Arzneimittel-Richtlinie. Der Gemeinsame Bundesausschuss ist allerdings nicht befugt, weitere Arzneimittel auszuschließen, sodass sich die Frage stellt, ob die Transparenzrichtlinie deshalb noch angewandt werden kann. Denn diese setzt voraus, dass staatliche Stellen ermächtigt sind, Entscheidungen zu treffen, durch die Arzneimittel ausgeschlossen werden353. Selbst wenn der Gemeinsame Bundesausschuss die ursprünglichen Ausschlüsse nicht selbst getroffen hat, gelten diese jedoch als dessen eigene Ausschlüsse fort, sodass die Anforderungen der Transparenzrichtlinie erfüllt sein müssen. Die Anforderungen der Transparenzrichtlinie aus Art. 7 Nr. 3 RL 89/105/EWG sind auf Entscheidungen von Behörden durch Verwaltungsakt zugeschnitten354, was insofern nicht auf Ausschlüsse nach der Arzneimittel-Richtlinie passt, da es sich bei den Richtlinien um untergesetzliche Normen handelt355 und demnach ein Ausschluss und eine damit einhergehende Änderung der Arzneimittel-Richtlinie einen Akt der Rechtsetzung darstellt. Allerdings schreibt die Richtlinie die Voraussetzungen für den Ausschluss von einzelnen Arzneimitteln unabhängig von dessen Rechtsform vor. Im Rahmen von Änderungen der Arzneimittel-Richtlinie werden den betroffenen 350 Jäkel, PharmR 2006, S. 589; ders., GesR 2007, S. 61; Thier, Das Recht des EG-Arzneimittelmarktes, S. 300, 331; vgl. auch Gassner, PharmR 2006, S. 553, wobei dieser sich nur auf die Fertigarzneimittelübersicht bezieht. 351 So auch: Jäkel, PharmR 2006, S. 589; ders., GesR 2007, S. 61; Thier, Das Recht des EGArzneimittelmarktes, S. 334 f. 352 Thier, Das Recht des EG-Arzneimittelmarktes, S. 335; vgl. auch Becker, Steuerung der Arzneimittelversorgung, S. 385, der Zweifel hinsichtlich der Vereinbarkeit mit der Transparenzrichtlinie äußert. 353 Art. 7 RL 89/105/EWG. 354 LSG Berlin-Brandenburg B. v. 27. 02. 2008 – L 7 B 112/07 KA ER Rn. 27; LSG BerlinBrandenburg Urt. v. 10. 12. 2014 – L 7 KA 79/12 KL Rn. 134. 355 Vgl. hierzu Abschnitt B. III. 2. a).

III. Der Ausschluss unwirtschaftlicher Arzneimittel

295

pharmazeutischen Unternehmern zwar Stellungnahmerechte zugebilligt356, jedoch ist weder in den gesetzlichen Vorschriften des § 34 Abs. 3 SGB V oder des § 92 SGB V noch in der Verfahrensordnung des Gemeinsamen Bundesausschusses die Erteilung eines objektiv und nachprüfbar begründeten Bescheids vorgesehen, ebenso wenig wie gegen den Ausschluss bestehende Rechtsmittel oder die Belehrung darüber vorgesehen sind357. Die Anforderungen der Transparenzrichtlinie sind daher nicht erfüllt358. Aufgrund der inhaltlich unbedingten und hinreichend genauen Regelung der Transparenzrichtlinie kann diese unmittelbar angewandt werden, was allerdings nur dazu führt, dass den Arzneimittelherstellern ein Recht auf Mitteilung der Entscheidung und auf Belehrung hinsichtlich ihrer Rechtsmittel und -fristen zusteht. Rechtsfolge der Verletzung der Transparenzrichtlinie ist, ebenso wie beim Ausschluss von Lifestyle-Arzneimitteln, im Ergebnis lediglich eine Verlängerung der Rechtsbehelfs- bzw. Rechtsmittelfristen, nicht aber die Rechtswidrigkeit des Ausschlusses359.

6. Zusammenfassung Der Ausschluss unwirtschaftlicher Arzneimittel unterscheidet sich von den restlichen in § 34 SGB V geregelten Ausschlüssen. Im Unterschied zu diesen, ist er nicht durch Gesetz, sondern durch die Arzneimittel-Richtlinien geregelt. Des Weiteren ist er der einzige Ausschluss, der gezielt einzelne Arzneimittel von der Verordnung ausnimmt, ohne sich auf bestimmte Indikationsgebiete oder Arzneimittelkategorien zu beziehen. Dementsprechend muss er sich einer Überprüfung anhand der Berufsfreiheit der pharmazeutischen Hersteller unterziehen. Er ist aber sowohl im Hinblick auf Grundrechte der pharmazeutischen Unternehmer als auch im Hinblick auf Grundrechte der Versicherten verfassungsgemäß. Allerdings widerspricht er der europäischen Transparenzrichtlinie, was allerdings nicht zur Rechtswidrigkeit des Ausschlusses führt. § 34 Abs. 3 SGB V gibt dem Gemeinsamen Bundesausschuss keine Ausschlussermächtigung, sondern sieht lediglich vor, dass Teile der Anlagen der Verordnung über unwirtschaftliche Arzneimittel in der gesetzlichen Krankenversicherung als Ausschlüsse des Gemeinsamen Bundesausschusses fortgelten sollen. Als Ausschlüsse kraft Arzneimittel-Richtlinie gelten laut der gesetzlichen Regelung nur die in Anlage 2 Nr. 2 bis 6 der Verordnung aufgelisteten Arzneimittel und damit nur (ehemals) fiktiv zugelassene Arzneimittel, bei denen die Gefahr besteht, dass sie bei einem vollständigen Wegfall der Rechtsverordnung wieder verordnungsfähig wer356

§ 92 Abs. 3a S. 1 SGB V; Kap. 4 § 5 Abs. 1 VerfO G-BA. Vgl. auch Kortland, PharmR 2006, S. 500. 358 Vgl. auch Kozianka, PharmR 2006, S. 141 f., der allgemein für Ausschlüsse durch den G-BA das Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 7 Nr. 3 RL 89/105/EWG verneint; ähnl. Becker, Steuerung der Arzneimittelversorgung, S. 385. 359 Vgl. Abschnitt D. II. 7. 357

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D. Weitere Ausschlüsse nach § 34 SGB V

den könnten. Für die Fortgeltung dieser Arzneimittelausschlüsse wurde nur die Rechtsform geändert, materiell-rechtliche Änderungen haben sich nicht ergeben. Zwar trifft die Arzneimittel-Richtlinie bisher noch keine Regelungen zur Fortgeltung und Änderung der Rechtsform von Teilen der ehemals durch Rechtsverordnung ausgeschlossenen unwirtschaftlichen Arzneimittel, jedoch legt die gesetzliche Regelung des § 34 Abs. 3 S. 1 SGB V fest, dass die alten Rechtsverordnungsausschlüsse von Gesetzes wegen wie Richtlinienausschlüsse zu behandeln sind.

E. Der weite gesetzliche Gestaltungsspielraum Bei der Vornahme von Leistungsausschlüssen hat der Gesetzgeber die durch die Verfassung vorgegebenen Grenzen vornehmlich in Form von Grundrechten der Versicherten, die unmittelbar von den Ausschlüssen betroffen sind, zu beachten. Aus verfassungsrechtlicher Sicht ist es nicht zu beanstanden, dass der Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung sowohl durch das Wirtschaftlichkeitsgebot als auch dadurch begrenzt wird, dass Leistungen der Eigenverantwortung der Versicherten zugerechnet werden1. Dabei kann die Eigenverantwortung der Versicherten in der Zumutbarkeit der Selbstbeschaffung bestehen, wie der OTC-Ausschluss zeigt, in der Geringfügigkeit der Gesundheitsstörung, wie der Ausschluss der Bagatellarzneimittel zeigt, sowie in der Zurechnung zur persönlichen Lebensführung und deren Folgen, wie der Ausschluss von Lifestyle-Arzneimitteln verdeutlicht2. Der Gesetzgeber kann allerdings nicht jegliche Leistungen in die Eigenverantwortung überführen. Sofern Leistungen in die Eigenverantwortung der Versicherten überführt werden sollen, steht dies unter dem Verhältnismäßigkeitsvorbehalt, insbesondere im Hinblick auf die Kostenbelastung. Den Versicherten ist es neben der gesetzlichen Krankenversicherung in der Regel nicht möglich, sich zusätzlich privat zu versichern. Insofern dürfen die Kosten, mit denen die Versicherten durch Ausschlüsse belastet werden, nicht zu hoch sein, sodass sie sich im Rahmen desjenigen halten, was in der Regel für Versicherte finanzierbar ist. Zudem dürfen Leistungsausschlüsse nicht in dem Umfang in die Eigenverantwortung der Versicherten überführt werden, dass den Beitragszahlungen der Versicherten letztlich keine Leistungen mehr gegenüber stehen. Die Beitragserhebung wäre dann unverhältnismäßig. Sofern Ausschlüsse an Anwendungsgebiete von Arzneimitteln und damit auch an Erkrankungen anknüpfen, dürfen regelmäßig nur leichtere Erkrankungen für Ausschlüsse in Betracht kommen. Insbesondere lebensbedrohliche Erkrankungen können, wie sich aus dem Nikolausbeschluss des Bundesverfassungsgerichts ergibt, nicht aus dem Leistungskatalog ausgenommen werden. Sofern also im Bereich von medizinisch notwendigen Leistungen Arzneimittel ausgeschlossen werden, ist es erforderlich, schwere, insbesondere lebensbedrohliche, Fälle von Erkrankungen über Ausnahmeregelungen abzumildern. Dann kommt der Ausnahmeregelung eine

1 2

Vgl. BVerfGE 115, 25 (45); BSGE 96, 153 (159 f.); 96, 170 (174). Vgl. Kingreen, VVDStRL 2011 (70), S. 163 f.

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E. Der weite gesetzliche Gestaltungsspielraum

Ventilfunktion zu, die dazu führt, dass der Ausschluss im Gesamten als noch zumutbar erachtet werden kann3. Eine weitere Grenze wird den Ausschlüssen durch die staatliche Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG gezogen, die nur im Sinne eines Untermaßverbotes Grenzen setzt, und insofern einen Ausschluss dann nicht mehr ermöglicht, wenn überhaupt keine medizinisch notwendigen Behandlungen zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung mehr erfolgen können oder die Behandlungen evident unzureichend sind. Letztlich setzen die Grundrechte der Versicherten damit dem Gesetzgeber nur wenige Grenzen. Vielmehr hat der Gesetzgeber mit der finanziellen Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung ein wichtiges Gemeinschaftsgut an der Hand, auf dessen Basis er auch weitere Ausschlüsse treffen kann. Engere Grenzen bestehen allerdings dort, wo im Bereich lebensbedrohlicher Erkrankungen medizinisch notwendige Leistungen ausgeschlossen würden, für die keine Ausnahme vorgesehen ist und für die keine anderen Leistungen im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung erbracht werden. Grundrechte der pharmazeutischen Unternehmer setzen dem Gesetzgeber ebenso kaum Grenzen, sind diese von Ausschlüssen doch nur mittelbar betroffen und ist von einem Eingriff erst dann die Rede, wenn eine Marktverdrängungssituation eintritt. Aber selbst dann kann der Gesetzgeber sich auf die finanzielle Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung berufen und ist nur gehalten, nicht einzelne Unternehmer gleichheitswidrig vom Markt zu verdrängen4. Auf europarechtlicher Ebene sind die Ausschlüsse nicht in allen Fällen mit der Transparenzrichtlinie vereinbar, wenn und weil den Unternehmern sowohl im Rahmen des Ausschlusses von Lifestyle-Arzneimitteln als auch im Rahmen des Ausschlusses unwirtschaftlicher Arzneimitteln keine gesonderte Mitteilung mit Rechtsbehelfsbelehrung zugeht. Jedoch führt ein Verstoß gegen die Transparenzrichtlinie „nur“ zur Gewährung der in der Richtlinie enthaltenen Rechte, und damit nur zu einer begründeten Mitteilung sowie einer Rechtsbehelfsbelehrung, nicht aber zur Unwirksamkeit des Ausschlusses5. Insgesamt gesehen gilt: Der Gesetzgeber hat bei der Einführung von Ausschlüssen in der Arzneimittelversorgung zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung erhebliche Gestaltungsspielräume.

3 4 5

Vgl. Abschnitt C. I. 1. b) bb) (4). Abschnitt D. III. 4. b). Vgl. Abschnitt D. II. 7.; Abschnitt D. III. 5.

F. Thesen 1. Die in § 34 SGB V geregelten Ausschlüsse halten sich alle grundsätzlich im Rahmen der verfassungsrechtlich gesetzten Grenzen und sind im Hinblick auf das legitime Ziel der Sicherung der finanziellen Stabilität verfassungsgemäß. Lediglich der umfassende Ausschluss von Arzneimitteln zur Raucherentwöhnung ist als verfassungswidrig einzustufen. Er verletzt zwar nicht die staatliche Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG, ist aber aufgrund der Ungleichbehandlung von Suchtentwöhnungsarzneimitteln nicht mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar und folglich als verfassungswidrig zu qualifizieren. 2. Die Ausnahmeregelung des § 34 Abs. 1 S. 2 SGB V (OTC-Liste) ist für die Verfassungsmäßigkeit des Ausschlusses nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel notwendig, damit der Ausschluss im Gesamten verhältnismäßig ist. Sie nimmt schwerwiegende Krankheitsfälle vom Leistungsausschluss aus, stellt damit Leistungen im Bereich des medizinisch Notwendigen und vor allem bei lebensbedrohlichen Erkrankungen sicher und mildert den Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel wesentlich ab. 3. Der Begriff der schwerwiegenden Erkrankung in § 12 Abs. 3 AM-RL wird zu eng ausgelegt. Als schwerwiegende Krankheiten sind nicht nur solche lebensqualitätsbeeinträchtigenden Erkrankungen anzusehen, die sich in ihrer Schwere und Seltenheit vom Durchschnitt der Erkrankungen abheben, sondern auch solche Erkrankungen, die zu erheblichen Beeinträchtigungen führen, sodass der Alltag in gewohnter Weise nicht mehr bewerkstelligt werden kann, und die eine Schwere derart aufweisen, dass ein unabweisbarer Bedarf an einer Versorgung mit Arzneimitteln besteht. 4. Der Begriff des Therapiestandards wird in § 12 Abs. 4 AM-RL zutreffend normiert. Er stellt auf den allgemein anerkannten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse ab und harmoniert mit den Grundvoraussetzungen einer zulässigen Pharmakotherapie, wonach entsprechende Nachweise der Qualität und Wirksamkeit nach den Anforderungen des allgemein anerkannten Standes der medizinischen Erkenntnisse erforderlich sind. 5. Bei dem Differenzierungskriterium der Verschreibungspflicht handelt es sich um ein Kriterium der Arzneimittelsicherheit, das eine klare Abgrenzung ermöglicht und das für den Ausschluss von Arzneimitteln zwar nicht zielgenau ist, aber dennoch als sachgemäß bezeichnet werden kann. 6. Der Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel ist hinsichtlich hilfebedürftiger Personen verfassungsgemäß. Sofern Leistungen nicht über das

300

F. Thesen

Krankenversicherungsrecht abgedeckt werden können, sind die Kosten im Regelbedarf enthalten. In Einzelfällen, in denen das medizinische Existenzminimum betroffen ist, kann eine Darlehensgewährung nach § 24 Abs. 1 SGB II, die Mehrbedarfsregelung in § 21 Abs. 6 SGB II oder im Bereich der Sozialhilfe eine Erhöhung des Regelbedarfs nach § 27a Abs. 4 S. 1 Var. 2 SGB XII sowie subsidiär das Eingreifen der Hilfe in sonstigen Lebenslagen nach § 73 SGB XII in Betracht kommen. 7. Mit der Regelung des § 12 Abs. 6 AM-RL, die eine Sondervorschrift für anthroposophische und phytotherapeutische Arzneimittel beinhaltet, hat der Gemeinsame Bundesausschuss eine ausreichende Berücksichtigung der besonderen Therapierichtungen im Rahmen der Ausnahmeregelung des § 34 Abs. 1 S. 2 SGB V sichergestellt. Er ist damit seiner gesetzlichen Verpflichtung nach § 34 Abs. 1 S. 3 SGB V zur Berücksichtigung der therapeutischen Vielfalt nachgekommen. 8. Die Aussagen der Festbetragsentscheidung des Bundesverfassungsgerichts sind auf die Arzneimittelausschlüsse übertragbar. Die Umsatzeinbußen der pharmazeutischen Unternehmer sind als bloße Rechtsreflexe der Ausschlüsse zu betrachten. Arzneimittelausschlüsse lassen solange keine berufsregelnde Tendenz im Sinne von Art. 12 Abs. 1 GG erkennen, als sie lediglich Arzneimittel aus dem Markt der gesetzlichen Krankenversicherung ausnehmen und in den freien Markt überführen, sie aber nicht aus dem gesamten Arzneimittelmarkt zurückdrängen. 9. Der Ausschluss von Bagatellarzneimitteln hat durch die Einführung des Ausschlusses nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel seinen maßgeblichen Anwendungsbereich eingebüßt. Jedoch verbleibt der Ausschlussnorm ein, wenn auch sehr eingeschränkter, Anwendungsbereich bezüglich neuer Wirkstoffe, da diese zunächst für 3 Jahre der Verschreibungspflicht unterfallen. 10. Im Rahmen von § 34 Abs. 1 S. 7 – 9 SGB V ist Lebensqualität nicht oder zumindest nur marginal in einem krankheitsbezogenen Sinne zu verstehen. Es geht nicht primär um die Heilung, Linderung oder Verhütung der Krankheit, bei der die Verbesserung der Lebensqualität ein bloßes Nebenprodukt darstellt, sondern um die Verbesserung der Lebensqualität als Hauptziel. Es geht um das allgemeine Wohlbefinden des Versicherten und die Erfüllung seiner individuellen Wünsche mit lediglich grenzwertigem Krankheitsbezug. 11. Der Ausschluss unwirtschaftlicher Arzneimittel nimmt eine Sonderrolle in § 34 SGB Vein. Anders als die in § 34 Abs. 1 SGB V geregelten Ausschlüsse handelt es sich nicht um einen gesetzlichen Ausschluss, sondern um einen Arzneimittelausschluss durch Arzneimittel-Richtlinien. 12. Der Ausschluss von Lifestyle-Arzneimitteln verstößt in Teilen gegen Art. 7 RL 89/105/EWG. Der Ausschluss unwirtschaftlicher Arzneimittel ist im Gesamten nicht mit Art. 7 RL 89/105/EWG vereinbar. Dies hat aber nicht die Unwirksamkeit der Ausschlüsse zur Folge, da die Regelung der Organisation und der finanziellen Grundlagen der sozialen Sicherungssysteme den Mitgliedstaaten überlassen ist.

F. Thesen

301

Dementsprechend endet die Wirkung der Transparenzrichtlinie dort, wo die Erstattungsfähigkeit von Arzneimitteln erweitert werden würde. 13. Weder Grundrechte der Versicherten, noch Grundrechte der pharmazeutischen Unternehmer, noch Grundrechte der Vertragsärzte setzen den Gestaltungsbefugnissen des Gesetzgebers enge Grenzen. Sofern der Gesetzgeber keine medizinisch notwendigen Leistungen ausschließt, für die er nicht eine Ausnahme vorsieht oder für die keine anderen Leistungen im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung erbracht werden, hält er seinen verfassungsrechtlich zulässigen Gestaltungsspielraum ein.

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Sachwortverzeichnis allgemein anerkannter Stand der medizinischen Erkenntnisse 26, 90, 104 ff., 206, 278 allgemeine Handlungsfreiheit 130, 138 f., 150, 200, 236, 259, 288 Arzneimittel – apothekenpflichtig 32 f. – Begriff 27 f., 79 ff. – bei Kindern 113 ff., 232 – Lifestyle-Arzneimittel 242 ff., 251, 253 – nicht verschreibungspflichtig 46 ff., 51 – Preise 155 ff. – unwirtschaftliche 276 ff. – Zulassung 28 ff., 85 ff., 221, 279 Ausschluss – durch Gesetz 44, 252 – durch Richtlinien 41 f., 282 f. – nach Anwendungsgebieten 230, 242, 276 Berufsfreiheit 78, 210 ff., 214, 239 ff., 269 f., 289 ff. besondere Therapierichtungen 196 ff. – Anthroposophie 196, 198, 204 – Homöopathie 196 f., 208 – Phytotherapie 198 chronisch Kranke

hilfebedürftige Personen

173 ff.

Eigentumsfreiheit 124 ff., 220 ff., 239, 289 f. Eigenverantwortung 111, 153, 155, 160, 163 – 165, 168, 187, 189, 237 – 239, 258, 260, 289 f., 297 Existenzminimum 137, 181, 184 Festbetragsentscheidung Fiktionsregelung 275

Gemeinsamer Bundesausschuss – Arzneimittel-Richtlinie 40 ff., 52 f., 234, 251, 283 ff. – demokratische Legitimation 55 ff. Gestaltungsspielraum 117, 131, 160, 165, 169, 177, 217, 238, 256, 262 f., 292, 297 Gleichheitsgrundsatz 140 ff., 166 ff., 200, 264 f. – chancengleicher Marktzugang 218 ff., 240 f., 270, 293 – neue Formel Siehe neue Formel – Ungleichbehandlung durch Einführung von Wahltarifen und Ausweitung von Satzungsleistung 147 ff. – Ungleichbehandlung von Suchterkrankungen 265 ff. – Ungleichbehandlung von Versicherten gegenüber Leistungserbringern 143 ff. – Ungleichbehandlungen unter den Versicherten 141 ff. – Willkürformel Siehe Willkürformel Grundsatz der finanziellen Stabilität 154 f., 160, 169, 171, 292, 298 Grundsicherung 161, 180, 182, 186, 188 – 190, 193, 196

213 – 215

180 ff.

körperliche Unversehrtheit 129 ff., 236, 268 Krankheit 27, 248 – Adipositas 249 – Bagatellerkrankung 102, 114 f., 165, 230, 232 f., 240 – Haarausfall 249 – schwerwiegende Erkrankung 51, 90 ff., 101, 108, 164, 241 – Suchterkrankungen 250, 266 Lebensqualität 90, 96 f., 100, 104, 110, 176, 189, 242, 244 – 246

Sachwortverzeichnis Medizinisch notwendige Leistungen 261

163,

Negativliste 113, 225 – 228, 241, 271, 286 f., 294 neue Formel 151 f. Nikolausbeschluss 91, 118 ff., 133 f., 137, 139 f., 163, 177, 181, 209, 236, 262, 297 Nikotinsucht Siehe Krankheit Suchterkrankungen Nutzen – Bewertung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss 41, 103 f., 284 – frühe Nutzenbewertung 37 ff., 147 – Kosten-Nutzen-Bewertung 38, 245 – therapeutischer Nutzen 41 f., 103 f., 202, 285 – Zusatznutzen 37, 103 Off-Label-Use 30, 90, 92 ff., 96, 99, 101, 109, 121, 245 OTC-Liste 70 ff., 72, 87, 89, 91, 111, 225 Positivliste

44, 70, 73, 224 f.

Raucherentwöhnung 265 ff. Recht auf Gesundheit 134 ff.

323

Sachleistung 25, 34, 40 Satzungsleistung 117 f., 147 ff., 208 f. Schutzpflicht 131 ff., 236, 261, 266, 298 Selbstmedikation 161 f. Solidarität 128, 237, 260 Sozialhilfe 161, 180, 185 f., 189, 192 – 195 Sozialstaatsprinzip 139, 174, 180, 236, 259 Therapiefreiheit 222 f., 238 Therapiestandard 45, 51, 89, 102 ff., 111, 187, 201 – 203 Transparenzrichtlinie 73, 225 ff., 241, 271 ff., 294 f. Untermaßverbot 131, 262, 268, 298 Unverhältnismäßigkeit von Beitrag und Leistung Siehe Nikolausbeschluss Verhältnismäßigkeitsgrundsatz 151 Verschreibungspflicht 47 ff., 87 ff. Willkürformel 151 Wirtschaftlichkeitsgebot 237, 260, 277 f.

26 f., 170 ff., 206,

Zulassung Siehe Arzneimittel Zulassung