Leistungserbringung durch Apotheken in der gesetzlichen Krankenversicherung nach § 129 SGB V [1 ed.] 9783428553877, 9783428153879

Gegenstand der Arbeit ist das in § 129 SGB V geregelte Leistungserbringungsrecht der Apotheker, in dessen Mittelpunkt di

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Leistungserbringung durch Apotheken in der gesetzlichen Krankenversicherung nach § 129 SGB V [1 ed.]
 9783428553877, 9783428153879

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Schriften zum Gesundheitsrecht Band 48

Leistungserbringung durch Apotheken in der gesetzlichen Krankenversicherung nach § 129 SGB V Von Philipp Weiß

Duncker & Humblot · Berlin

Philipp Weiß

Leistungserbringung durch Apotheken in der gesetzlichen Krankenversicherung nach § 129 SGB V

Schriften zum Gesundheitsrecht Band 48 Herausgegeben von Professor Dr. Helge Sodan, Freie Universität Berlin, Direktor des Deutschen Instituts für Gesundheitsrecht (DIGR) Präsident des Verfassungsgerichtshofes des Landes Berlin a.D.

Leistungserbringung durch Apotheken in der gesetzlichen Krankenversicherung nach § 129 SGB V

Von Philipp Weiß

Duncker & Humblot · Berlin

Die Juristische Fakultät der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg hat diese Arbeit im Jahr 2017 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2018 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme: Textforma(r)t Daniela Weiland, Göttingen Druck: CPI buch.bücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany ISSN 1614-1385 ISBN 978-3-428-15387-9 (Print) ISBN 978-3-428-55387-7 (E-Book) ISBN 978-3-428-85387-8 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde zu Beginn des Wintersemesters 2017/2018 von der Juristischen Fakultät der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg als Dissertation angenommen. Sie befindet sich auf dem Stand von Sommer 2017. Mein allerherzlichster Dank gebührt meinem verehrten Lehrer und Doktorvater Herrn Prof. Dr. Peter Axer. Er hat durch seine ständige Gesprächsbereitschaft, durch Motivation und durch wertvolle Ratschläge ganz wesentlich zum Gelingen dieser Arbeit beigetragen. In den Jahren, die ich seit meiner Studienzeit an seinem Lehrstuhl verbringen darf, hat er mir nicht nur großes fachliches Wissen vermittelt und mich wissenschaftlich gefördert, sondern mich auch menschlich in vielfäl­ tiger Weise unterstützt. Herrn Prof. Dr. Wolfgang Kahl, M. A. danke ich vielmals für die schnelle Erstellung des Zweitgutachtens. Ebenfalls danke ich Frau Prof. Dr. Anja SeibertFohr, LL. M. (GWU), die den Vorsitz in der Disputation innehatte. Großen Gewinn brachten mir während der Zeit der Erstellung der Arbeit die Veranstaltungen des von der Robert Bosch Stiftung geförderten Dissertations­ verbundes „Innovatives Gesundheitsrecht“ sowie die Teilnahme am Doktorandenseminar des Deutschen Sozialrechtsverbandes e. V. im Sommer 2015. Die Arbeit wurde im März 2018 mit dem Dissertationspreis der Gesellschaft zur Förderung der sozialrechtlichen Forschung e. V. ausgezeichnet. Dafür danke ich der Gesellschaft, insbesondere ihrem Vorsitzenden Herrn Prof. Dr. Dr. h. c. Ulrich Preis, sehr. Großer Dank gebührt ebenso der Deutschen Gesellschaft für Kassenarztrecht e. V., insbesondere ihrem Vorsitzenden Herrn Prof. Dr. Ulrich Wenner, die die Drucklegung der Arbeit durch einen großzügigen Druckkostenzuschuss gefördert hat. Meiner Freundin Christin Schultze danke ich für ihre große Unterstützung in der Promotionszeit. Sehr dankbar bin ich meinen Eltern, die mich während der gesamten Studien- und Promotionszeit vorbehaltlos unterstützt und motiviert haben. Ihnen ist diese Arbeit gewidmet. Heidelberg, im Januar 2018

Philipp Weiß

Inhalt Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19

Kapitel 1

Der rechtliche Rahmen für die Arzneimittelabgabe

27

A. Die Arzneimittelabgabe nach Arzneimittel- und Apothekenrecht . . . . . . . . . . . . . . . . 28 I.

Der Arzneimittelbegriff des Arzneimittel- und Apothekenrechts . . . . . . . . . . . . 28

II. Arzneimittelzulassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 III. Arzneimittelabgabe durch Apotheken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 1. Apothekenpflicht von Arzneimitteln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 2. Der Begriff der Apotheke im Arzneimittel- und Apothekenrecht . . . . . . . . . 31 3. Arzneiversandhandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 4. Anforderungen an den Betrieb öffentlicher Apotheken . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 5. Apotheker als Träger eines staatlich gebundenen Berufs? . . . . . . . . . . . . . . . 36 IV. Arzneimittelverschreibung durch Ärzte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 V. Die Behandlung ärztlicher Verschreibungen durch Apotheker . . . . . . . . . . . . . . 40 VI. Arzneimittelpreisbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 B. Die Arzneimittelversorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung . . . . . . . . . . . . 45 I.

Die Grundstrukturen des Rechts der gesetzlichen Krankenversicherung . . . . . . 45

II. Das Wirtschaftlichkeitsgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 III. Der Anspruch auf Versorgung mit Arzneimitteln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 1. Apothekenpflichtige Arzneimittel als Leistungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . 50 2. Vertragsärztliche Verordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 3. Beschränkungen des Leistungsanspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 IV. Apotheken als Leistungserbringer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 V. Der Erstattungsbetrag für Arzneimittel in der GKV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 1. Die Arzneipreisberechnung in der GKV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 2. Abschlagsregelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 VI. Verpflichtung der Apotheker zur wirtschaftlichen Arzneimittelabgabe . . . . . . . 60

8

Inhalt Kapitel 2



Das Kollektivvertragsrecht des § 129 SGB V

64

A. Die Entwicklung des Kollektivvertragsrechts in der Arzneimittelversorgung . . . . . . 65 B. Die Kollektivverträge des § 129 SGB V . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 I.

Der Rahmenvertrag auf Bundesebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 1. Vertragsbindung und Leistungsberechtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 2. Die Parteien des Rahmenvertrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 a) Der maßgebliche Verband auf Apothekerseite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 b) Existenz mehrerer maßgeblicher Verbände? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 3. Der Rahmenvertrag als öffentlich-rechtlicher Normenvertrag . . . . . . . . . . . . 76 4. Die Regelungsbefugnis der Vertragsparteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 a) Die Arzneimittelabgabe als Regelungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 b) Vorrang von Arzneimittel- und Apothekenrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 5. Regelungspflichten und Schiedszwang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 6. Nachwirkung des Rahmenvertrags? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85

II. Die ergänzenden Verträge auf Landesebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 1. Vertragsbindung als Voraussetzung der Leistungsberechtigung? . . . . . . . . . . 89 2. Die ergänzenden Verträge als Normenverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 3. Arzneimittelversorgung über Bundeslandgrenzen hinweg . . . . . . . . . . . . . . 91 III. Ergänzung der Kollektivverträge durch Einzelvertrag? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 IV. Sanktionen bei Pflichtverletzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 1. Die sanktionierbaren Pflichtverletzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 2. Die Rechtsnatur der Sanktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 3. Unbestimmtheit der Sanktionsvoraussetzungen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 4. Das Verfahren der Sanktionierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 V. Gemeinsame Selbstverwaltung von Apothekern und Krankenkassen . . . . . . . . . 102 C. Verfassungsrechtliche Fragen des Kollektivvertragssystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 I.

Generelle Zulässigkeit der Normsetzung durch Vertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106

II. Generelle Zulässigkeit der Beleihung des DAV mit Normsetzungsmacht . . . . . 107 III. Vereinbarkeit des Rahmenvertrags mit dem Demokratieprinzip . . . . . . . . . . . . . 107 1. Personell-demokratische Legitimation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 a) Anwendung der für die funktionale Selbstverwaltung entwickelten Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 b) Der Gehalt von Art. 87 II GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 2. Materiell-demokratische Legitimation des Rahmenvertrags . . . . . . . . . . . . . 117

Inhalt

9

a) Offenheit des Demokratieprinzips für atypische oder neue Aufsichtsformen 119 b) Rechtsaufsicht als Aufsichtsmaßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 c) Aufsichtsrechtlich zu bewältigende Fallkonstellationen . . . . . . . . . . . . . . 124 d) Ingerenzmittel bei drohender Vereinbarung rechtswidriger Vertragsinhalte 124 e) Ingerenzmittel bei Nicht-Vereinbarung pflichtiger Vertragsbestimmungen 126 aa) Das Schiedsverfahren als grundsätzlich effektives Ingerenzmittel . . 126 bb) Maßnahmen gegen Untätigkeit der Schiedsstelle . . . . . . . . . . . . . . . 127 cc) Maßnahmen gegen rechtswidrige Festsetzungen der Schiedsstelle . 128 f) Ingerenzmittel bei Nichtbeseitigung rechtswidriger Vertragsinhalte . . . . 130 g) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 IV. Adressierung der „maßgeblichen Spitzenorganisation“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 V. Auferlegung von Normsetzungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 VI. Grundrechte der Verbandsaußenseiter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 VII. Verkündung des Rahmenvertrags und Zitiergebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 VIII. Verfassungsrechtliche Fragen der Verträge auf Landesebene . . . . . . . . . . . . . . . 136 D. Die Integration EU-ausländischer Apotheker in das Kollektivvertragssystem . . . . . . 137 I.

Partizipation EU-ausländischer Apotheker am Rahmenvertrag . . . . . . . . . . . . . 138 1. Zur Anwendbarkeit des Rahmenvertrags auf EU-ausländische Apotheker . . 138 a) Die Rechtslage nach nationalem deutschem Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 b) Europarechtliche Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 aa) Territoriale Begrenzung von § 129 SGB V als Maßnahme gleicher Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 bb) Mögliche Rechtfertigungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 (1) Folgen einer Öffnung des territorial beschränkten Leistungserbringungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 (2) Zur Erforderlichkeit der territorialen Beschränkung . . . . . . . . . 149 c) Implementierung der europarechtlichen Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 2. Die möglichen Formen der Rahmenvertragsbindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153

II. Partizipation an den ergänzenden Verträgen auf Landesebene . . . . . . . . . . . . . . 154 III. Die Bestimmung der sanktionierenden Stelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 IV. Geltung des deutschen Arzneimittelpreisrechts für EU-ausländische Apotheker 156 1. Verbot der Preisunterbietung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 2. Preisspannen als Obergrenze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 3. Zur Geltung der Herstellerabschlagsregelung für EU-ausländische Apotheker 163 V. Die Bedeutung von Selektivverträgen nach § 140e SGB V für EU-ausländische Apotheker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165

10

Inhalt

E. Anwendbarkeit des Kartellrechts auf die Verträge des § 129 SGB V? . . . . . . . . . . . . 166 F. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 Kapitel 3

Die Rechtsbeziehungen bei der Arzneimittelabgabe

170

A. Krankenversicherungsrechtliche Pflichten bei der Arzneimittelabgabe . . . . . . . . . . . 170 I.

Fachliche Anforderungen an die Apothekertätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171

II. Überprüfung der Verordnung auf formelle Fehler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 III. Überprüfung von Verordnungen auf bestehende Leistungsausschlüsse . . . . . . . 175 IV. Eigenständige Bedeutung vertraglicher Pflichtenregelungen? . . . . . . . . . . . . . . 178 B. Die rechtliche Konstruktion der Arzneimittelabgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 I.

Die Deutung der Arzneimittelabgabe als Vertragsschluss zugunsten Dritter . . . 180

II. Die Annahme gesetzlicher Rechtsbeziehungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 III. Die Annahme eines vom Sozialrecht überlagerten Kaufvertrages . . . . . . . . . . . 188 IV. Eigener Lösungsvorschlag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 1. Kaufvertrag zwischen Apotheker und Versichertem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 a) Rückschlüsse aus dem Patientenrechtegesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 b) Öffentlich-rechtliche Natur eines Vertrages zugunsten Dritter . . . . . . . . . 191 c) Systemwidrigkeit der Beschränkung auf ein gesetzliches Schuldverhältnis 194 2. Pflicht zur Sachleistungserbringung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 3. Gesetzlicher Vergütungsanspruch des Apothekers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 V. Die Entstehungsvoraussetzungen des Vergütungsanspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . 200 1. Auswirkungen von Verstößen gegen Abgabebestimmungen . . . . . . . . . . . . . 200 a) Das Verhältnis von Leistungsanspruch und Vergütungsanspruch . . . . . . . 201 b) Folgen für die Entstehungsvoraussetzungen der Apothekervergütung . . . 203 c) Lockerung der Kongruenz von Vergütungs- und Leistungsanspruch bei fehlender Prüfungspflicht des Apothekers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 d) Lockerung der Kongruenz von Vergütungs- und Leistungsanspruch bei Belieferung formell fehlerhafter Verordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 aa) Die Regelungen in § 129 IV 2 SGB V und § 3 RV-AV . . . . . . . . . . . 204 bb) Verbleibende Regelungskompetenzen der Vertragspartner auf Landesebene? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 e) Sonstige Lockerungen der Kongruenz von Vergütungs- und Leistungsanspruch? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 aa) Im Gesetz? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207

Inhalt

11

bb) Möglichkeit entsprechender rahmenvertraglicher Regelungen? . . . . 208 cc) Möglichkeit einer Einzelfallentscheidung der Krankenkasse? . . . . . 209 f) Das Meldeverfahren nach § 131 IV SGB V . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 g) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 2. Auswirkungen von Verstößen gegen Abrechnungsbestimmungen . . . . . . . . 212 VI. Problematische Fälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 1. Verstöße gegen Abgabebestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 2. Arzneimittelabgabe auf Kassenrezept an Nichtversicherte . . . . . . . . . . . . . . 215 3. Belieferung gefälschter oder manipulierter Verordnungen . . . . . . . . . . . . . . . 219 4. Festbetragsüberschreitungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 5. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 C. Vergütungsrechtliche Folgen einer krankenversicherungsrechtswidrigen Arzneimittelabgabe – Die Retaxation auf Null . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 I.

Entfall des Vergütungsanspruchs und Erstattungspflicht des Apothekers . . . . . . 224

II. Tatbestandsvoraussetzungen eines Bereicherungsanspruchs des Apothekers . . . 226 1. Die maßgeblichen Leistungsbeziehungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 2. Der Leistungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 3. Rechtsgrundlosigkeit der Leistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 4. Inhalt und Umfang des Anspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 III. Ausschluss des Bereicherungsanspruchs des Apothekers aufgrund krankenversicherungsrechtlicher Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 1. Die Retaxation auf Null in der Rechtsprechung des BSG . . . . . . . . . . . . . . . 232 a) Der Ursprung der Rechtsprechung im Vertragsarztrecht . . . . . . . . . . . . . 232 b) Übertragung auf andere Leistungsbereiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 c) Außerachtlassung ersparter Aufwendungen als allgemeines Prinzip . . . . 234 2. Die normative Verankerung der Retaxation auf Null im SGB V . . . . . . . . . . 235 a) Zulässigkeit aufgrund von § 129 IV 2 SGB V? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 b) Zulässigkeit aufgrund von § 69 I 3 HS. 2 SGB V? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 c) Abschließender Charakter der Vergütungsvoraussetzungen? . . . . . . . . . . 238 aa) Die Nullretaxation als irreguläres Sanktionsinstrument? . . . . . . . . . 238 (1) Die Rechtslage im Vertragsarztrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 (a) Vollständige Honorarrückforderung im Rahmen der Abrechnungsprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 (b) Verhängung von Sanktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 (2) Übertragbarkeit auf das Leistungserbringungsrecht der Apotheker 242 bb) Retaxation auf Null auch bei Verstößen gegen § 129 I 1 Nr. 1, Nr. 2 SGB V? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245

12

Inhalt (1) Vergleich mit der unwirtschaftlichen Erbringung ärztlicher Leistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 (2) Vergleich mit der Verordnung von Arzneimitteln im Widerspruch zum Wirtschaftlichkeitsgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 (a) Haftung des unwirtschaftlich verordnenden Arztes für den konkreten Schaden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 (b) Übertragbarkeit des Haftungsmaßstabes auf Apotheker . . . 252 (c) Keine Aufrechterhaltung des primären Vergütungsanspruchs 257 cc) Retaxation auf Null auch bei Verstößen gegen § 129 I 1 Nr. 3 SGB V? 258 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 IV. Gleichzeitige Konstruktion der Retaxation als Schadensersatz? . . . . . . . . . . . . . 258 V. Verfassungsrechtliche Fragen der Retaxation auf Null . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 1. Rechtsstaatsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 2. Berufsfreiheit der Apotheker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 VI. Das Verfahren der Retaxation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 1. Das in den ergänzenden Verträgen geregelte Einspruchsverfahren . . . . . . . . 264 2. Die Geltendmachung der Retaxationsforderung im Wege der Aufrechnung . 265 a) Anwendbarkeit der §§ 387 ff. BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 b) Kollektivvertraglich vereinbarte Aufrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 c) Kollektivvertragliche Beschränkungen der Aufrechnungsbefugnis . . . . . 269 3. Die Rechtsnatur vergütungsbezogener Erklärungen der Krankenkassen . . . . 269 VII. Kumulative Haftung von Arzt und Apotheker? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273

Kapitel 4

Die Pflicht zur Auswahl wirtschaftlicher Arzneimittel

277

A. Einbeziehung der Apotheker in das Wirtschaftlichkeitsgebot durch das Gesundheitsreformgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 B. Die Pflicht zur Abgabe preisgünstiger wirkstoffgleicher Arzneimittel . . . . . . . . . . . . 280 I.

Wirkstoffgleichheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281

II. Pharmazeutische Auswahlkriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 1. Identische Wirkstärke und Packungsgröße . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 2. Substituierbare Darreichungsform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 a) Gleiche Darreichungsform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 b) Austauschbare Darreichungsform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 aa) Rechtsnatur und Bindungsumfang der Hinweise . . . . . . . . . . . . . . . 289 bb) Die demokratische Legitimation des G-BA für die Hinweiserteilung 290

Inhalt

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(1) Intensität der Betroffenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 (2) Regelungsdichte der Ermächtigungsgrundlage . . . . . . . . . . . . . 292 (3) Beteiligungsumfang der Normbetroffenen . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 3. Zulassung für ein gleiches Anwendungsgebiet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 4. Kein Bestehen eines Austauschverbots . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 III. Wirtschaftlichkeitsbezogene Auswahlkriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 1. Vorrangige Abgabe von Rabattarzneimitteln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 2. Subsidiäre Abgabe eines preisgünstigen Arzneimittels . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 3. Austausch trotz Wirtschaftlichkeit des verordneten Arzneimittels? . . . . . . . . 305 4. Abweichungsmöglichkeiten auf Landesebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 5. Die Auswahl unter mehreren abgabefähigen Arzneimitteln . . . . . . . . . . . . . . 307 IV. Die Mehrkostenregelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312 1. Der Umfang des eröffneten Wahlrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 2. Kostenerstattung als Rechtsfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 a) Erhebung von pauschalen Abschlägen für Mehrkosten . . . . . . . . . . . . . . 314 b) Entstandene Mehrausgaben als Abschlagsvoraussetzung . . . . . . . . . . . . . 315 c) Die Kalkulation der Abschläge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316 aa) Einzel- oder Gesamtbetrachtung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316 bb) Verfassungsrechtliche Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 3. Abwicklung von Apotheker- und Herstellerrabatt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 4. Die Mehrkostenregelung im Versorgungsalltag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 C. Die Pflicht zur Abgabe wirtschaftlicher Importarzneimittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 I.

Der Anwendungsbereich der Importabgabetatbestände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322

II. Der medizinisch-pharmazeutische Rahmen für die Importabgabe . . . . . . . . . . . 323 1. Ausschlussmöglichkeit des Vertragsarztes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324 2. Geltung der Austauschverbotsliste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326 III. Wirtschaftlichkeitsbezogene Auswahlkriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 1. Vorrangige Abgabe rabattierter Arzneimittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 2. Die allgemeine Importförderklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 a) Abgabefähigkeit trotz Nichteinhaltung des gesetzlichen Preisabstands? . . 329 b) Die Importquotenregelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330 3. Abweichungsmöglichkeiten auf Landesebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 4. Geltung der Mehrkostenregelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332 IV. Das Verhältnis von Abgabe wirkstoffgleicher Arzneimittel und Importabgabe . 333 D. Die Substitutionspflicht im Kontext des Arzneimittel- und Apothekenrechts . . . . . . 334

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Inhalt I.

Durchbricht die Substitutionspflicht § 48 AMG oder § 17 V 1 ApBetrO? . . . . . 334

II. Arzneimittel- oder apothekenrechtliche Relevanz einer unwirtschaftlichen Arzneimittelabgabe? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336 1. Arzneimittelrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 2. Apothekenrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 338 E. Die Verantwortungsbereiche von Arzt und Apotheker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340 I.

Zuständigkeit für die Kontrolle substitutionsbedingter Gesundheitsrisiken . . . . 340 1. Gesundheitliche Risiken der Arzneimittelsubstitution . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340 2. Berücksichtigung der Risiken über das Wirtschaftlichkeitsgebot . . . . . . . . . 342 3. Abgrenzung der Zuständigkeitsbereiche von Arzt und Apotheker . . . . . . . . . 342 a) Die Pflichten von Arzt und Apotheker nach Maßgabe von §§ 12, 2  I  3 SGB V . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343 aa) Pflichten des Arztes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343 bb) Pflichten des Apothekers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345 b) Alleinverantwortung des Apothekers für die Beherrschung substitutionsbedingter Gesundheitsrisiken aus § 129 I SGB V? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347 c) Alleinverantwortung des Arztes? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 348 aa) Die Wertung von § 17 V 2 ApBetrO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349 bb) Die Wertung von § 20 ApBetrO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350 d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353

II. Patienteninstruktion bei aufgeteilter Arzneimittelauswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . 354 1. Wissensdefizite des „aut idem“ verordnenden Arztes . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355 2. Ärztliche Patienteninstruktion bei der Aut-idem-Verordnung . . . . . . . . . . . . 356 3. Verteilung der Patienteninstruktion zwischen Arzt und Apotheker . . . . . . . . 358 III. Wirtschaftlichkeitsverantwortung von Arzt und Apotheker . . . . . . . . . . . . . . . . 358 1. Haftung des Arztes für Auswahlentscheidungen des Apothekers? . . . . . . . . 358 2. Wirkstoffbezogene Wirtschaftlichkeitsprüfung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361 IV. Zusammenfassung: Das Verantwortungsgefüge von Arzt und Apotheker . . . . . . 362 F. Vereinbarkeit von § 129 I SGB V mit Verfassungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 363 I.

Grundrechte der Versicherten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 363 1. Allgemeine Handlungsfreiheit – Verhältnismäßigkeit von Beitrag und Leistung 363 a) Beschränkung der zur Auswahl stehenden Arzneimittel . . . . . . . . . . . . . 364 b) Nachlassen der Therapietreue . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 365 aa) Die empirische Situation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 365 bb) Rechtliche Bewertung der empirischen Befunde . . . . . . . . . . . . . . . 366 (1) Gesetzgeberischer Prognosespielraum und Studienlagen . . . . . 367

Inhalt

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(2) Verhalten von Arzt oder Apotheker als Ursache . . . . . . . . . . . . 368 (3) Patientenverhalten als Ursache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369 2. Allgemeine Handlungsfreiheit – Patientenautonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370 3. Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371 II. Grundrechte der Apotheker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372 1. Berufsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372 a) Anstieg des Arbeitsaufwands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373 b) Erhöhung der Transaktionskosten zulasten der Apotheker . . . . . . . . . . . . 373 c) Fehlende Verantwortlichkeit der Apotheker für den Arzneikostenanstieg 375 2. Allgemeiner Gleichheitssatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375 III. Berufsfreiheit der pharmazeutischen Unternehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377 1. Zum Eingriffscharakter von § 129 I 1 Nr. 1, Nr. 2 SGB V . . . . . . . . . . . . . . . 378 2. Zur Verhältnismäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381 IV. Berufsfreiheit der Ärzte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 382 1. Zum Vorliegen eines Eingriffs in die Berufsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383 2. Zur Rechtfertigung des Eingriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 385 G. Vereinbarkeit von § 129 I SGB V mit Europarecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 386 I.

§ 129 I SGB V als Gegenstand der Transparenzrichtlinie? . . . . . . . . . . . . . . . . . 386

II. Preisabstandserfordernis für Importarzneimittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 392 H. Fragen der zulassungsüberschreitenden Arzneimittelabgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 394 I.

Die abgabefähigen Arzneimittel  – Existenz nicht bezugnehmend zugelassener wirkstoffgleicher Arzneimittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 395

II. Verbietet das europäische Arzneimittelzulassungsrecht die zulassungsüberschreitende Arzneimittelabgabe? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 397 1. Sicherstellung der Durchführung eines Zulassungsverfahrens? . . . . . . . . . . 397 a) Sicherheits- und Wirksamkeitsnachweis aufgrund bezugnehmender Zulassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 398 b) Zur Reichweite der Binnenmarkt-Kompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 399 c) Der Grundsatz der kompetenzkonformen Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . 402 2. Sicherstellung von Patienteninformationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 402 III. Zulassungsüberschreitende Arzneimittelabgabe und Patienteninformation aus verfassungsrechtlicher Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 404 1. Grundrechte der Versicherten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 405 2. Gebot der Folgerichtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 406 IV. Zulassungsüberschreitende Arzneimittelabgabe und Herstellerhaftung . . . . . . . 407

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Inhalt V. Zulassungsüberschreitende Arzneimittelabgabe und Innovationsschutz . . . . . . . 408 1. Wirkstoffpatent und Unterlagenschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 408 2. Anwendungsgebietsbezogener Schutz nach § 3 IV PatG und § 24b VI AMG 409 a) Patentschutz nach § 3 IV PatG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 410 b) Unterlagenschutz nach § 24b VI AMG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 412 3. Verhältnis der Pflicht zur zulassungsüberschreitenden Arzneimittelabgabe zu anwendungsgebietsbezogenen Schutzrechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 413 a) Problemaufriss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 414 b) Wortlautauslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 415 c) Systematische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 415 d) Teleologische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 415 e) Europarechtskonforme Auslegung  – europarechtliche Vorgaben für den Unterlagenschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 417 f) Verfassungskonforme Auslegung – eigentumsrechtliche Vorgaben für den Patentschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 420 aa) Zur Betroffenheit des Schutzbereichs der Eigentumsfreiheit . . . . . . 420 bb) Verhältnismäßigkeit einer zulassungsüberschreitenden Arzneimittelabgabe? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 421 cc) Einschränkende Auslegung von § 129 I 2 SGB V . . . . . . . . . . . . . . . 424 g) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 425 VI. Notwendige Korrekturen und ihre praktische Umsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . 425 1. Vollzug der Korrekturen durch den Apotheker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 426 2. Vollzug der Korrekturen durch den Vertragsarzt? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 429

I. Zukünftige Gestaltungsmöglichkeiten des Gesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 430 I.

Mögliche Gründe für Neuregelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 430

II. Alleinverpflichtung des Arztes? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 432 III. Ausweitung der Verantwortung der Apotheker? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 433 1. Weitergabe der Indikationsstellung an Apotheker? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 434 2. Abklärung bestimmter substitutionsbedingter Risiken durch Apotheker? . . 437 a) Grundrechte der Versicherten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 437 b) Grundrechte der Apotheker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 437 c) Berufsfreiheit der Ärzte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 438 IV. Spielräume des Gesetzgebers und deren Grenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 439 Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 441 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 445 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 488

Abkürzungsverzeichnis ALV Arzneiliefervertrag AM-RL Arzneimittel-Richtlinie AVV-VdEK Arzneiversorgungsvertrag zwischen den Ersatzkassen und den Landesapotherkverbanden BMG Bundesministerium für Gesundheit G-BA Gemeinsamer Bundesausschuss RV-AV Rahmenvertrag über die Arzneimittelversorgung SchStV Verordnung über die Schiedsstelle für Arzneimittelversorgung und die Arzneimittelabrechnung (Schiedsstellenverordnung) VerfO-G-BA Verfahrensordnung des Gemeinsamen Bundesausschusses Wegen der übrigen im Text und in den Fußnoten verwendeten Abkürzungen wird, soweit diese nicht ohnehin üblich und allgemeinverständlich sind, auf Kirchner, Hildebert, Abkürzungsverzeichnis der deutschen Rechtssprache, 8. Auflage 2015, verwiesen.

Übersicht über die zitierten ergänzenden Verträge nach § 129 V SGB V ALV Baden-Württemberg Ergänzungsvertrag zum Rahmenvertrag über die Arzneimittelversorgung nach § 129 SGB V zwischen dem Landesapothekerverband Baden-Württemberg e. V. und der AOK Baden-Württemberg sowie der Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau vom 1.4.2015 Arznei-Liefervertrag zwischen dem Bremer Apothekerverein e. V. ALV Bremen und der AOK Bremen/Bremerhaven, dem BKK-Landesverband Mitte, der Knappschaft, der IKK gesund plus sowie der Krankenkasse für den Gartenbau vom 1.4.2012 Arzneilieferungsvertrag zwischen dem Hessischen ApothekerALV Hessen verband e. V. und der AOK Hessen, dem BKK-Landesverband Hessen, der IKK Baden-Württemberg und Hessen, der Landwirtschaftlichen Krankenkasse Hessen, Rheinland-Pfalz und Saarland sowie der Knappschaft vom 1.4.2008 Arznei-Liefervertrag zwischen dem Landesapothekerverband NieALV Niedersachsen dersachsen e. V. und der AOK Niedersachsen, dem IKK-Landesverband Niedersachsen, der Landwirtschaftlichen Krankenkasse Niedersachsen-Bremen sowie der Seekrankenkasse Hamburg vom 1.1.2008 Arzneimittelliefervertrag zwischen dem Saarländischen ApotheALV Saarland kerverein e. V. und der AOK Saarland, der Knappschaft, der IKK Südwest-Direkt sowie der Landwirtschaftlichen Krankenkasse Hessen/Rheinland-Pfalz/Saarland vom 1.10.2006 Arzneiliefervertrag zwischen dem Sächsischen ApothekerverALV Sachsen band e. V. und der AOK Sachsen, dem BKK-Landesverband Ost, der IKK Sachsen, der Knappschaft sowie der Landwirtschaftlichen Krankenkasse Mittel- und Ostdeutschland vom 1.1.2007 Arzneiliefervertrag zwischen dem Landesapothekerverband SachALV Sachsen-Anhalt sen-Anhalt e. V. und der AOK Sachsen-Anhalt, der IKK SachsenAnhalt, dem BKK-Landesverband Ost, der Landwirtschaftlichen Krankenkasse Berlin und der Bundesknappschaft vom 23.8.2003 Arzneiversorgungsvertrag zwischen der Techniker KrankenAVV-VdEK kasse, der Barmer GEK, der DAK Gesundheit, der Kaufmännischen Krankenkasse, der Hanseatischen Krankenkasse sowie der Handelskrankenkasse und den Landesapothekerverbänden vom 18.3.2016

Einleitung „Es soll jeder Apotheker schwören, dass er […] alles anfertigen will, was man ihn mündlich befohlen oder aufgeschrieben hat“, heißt es in dem zwischen 1338 und 1360 entstandenen Nürnberger Apothekereid,1 dem ältesten deutschen Berufseid für Apotheker.2 Der Apotheker wird zur Ausführung ärztlicher Rezepte verpflichtet und es wird ihm die eigenmächtige Abgabe eines anderen als des verordneten Arzneimittels untersagt.3 Zahlreiche Apothekenordnungen mit vergleichbarem Inhalt folgten bald nach,4 sodass gegen Ende des Mittelalters die strikte Befolgung ärztlicher Verordnungen ein festes Element der Apothekertätigkeit war.5 Eingebettet waren diese Verpflichtungen des Apothekers auf die Befolgung der ärztlichen Verordnung in einen umfassenderen Regelungskontext, in dem in grundsätzlicher Weise die Kompetenzen von Ärzten und Apothekern abgegrenzt wurden.6 Der Ärzteschaft wurde die Herstellung oder Abgabe von Arzneimitteln verboten, um unnötige, alleine durch Gewinnstreben motivierte Arzneitherapien zu verhindern.7 Im Gegenzug wurden die Apotheker zur strikten Befolgung ärztlicher Rezepte verpflichtet. Mit der Einführung der industriellen Arzneimittelproduktion hatte die Anfertigung von Rezepturarzneimitteln  – trotz des anfänglichen Protests und Widerstandes der Apotheker gegen Fertigarzneimittel8 – stark an Bedeutung verloren, sodass sich der Tätigkeitsschwerpunkt des nach wie vor strikt an die ärztliche Verschreibung gebundenen Apothekers nun auf die Abgabe vom Arzt verordneter Fertigarzneimittel verlagerte.9 Der Apotheker wurde vom Arzneimittelhersteller zum Arzneimitteldistribuenten.10 Die moderne Apotheke wurde aus diesem Grund bereits als Abgabebetrieb mit einer Verwandtschaft zum Handel charakterisiert.11 Angesichts dieser Entwicklungen habe sich bei den Apothekern das Gefühl 1

Philipp, Medizinalrecht, S. 19; neudeutsche Fassung entnommen bei Hofer, S. 26. Philipp, Medizinalrecht, S. 109. 3 Vgl. Philipp, Medizinalrecht, S. 19. 4 Vgl. Berges, S. 106 ff. 5 Vgl. Berges, S. 105 ff.; Hofer, S. 24 f. 6 s. dazu Berges, S. 91; vgl. auch Philipp, Medizinalrecht, S. 19 f. mit Fn. 10. 7 Vgl. Hofer, S. 24. Entsprechend existierte in Nürnberg parallel zu dem Apothekereid ein Berufseid für Ärzte, der ihnen unter anderem die Arzneizubereitung untersagte, s. Philipp, Medizinal­recht, S. 19. 8 Huhle-Kreutzer, S. 279 ff. 9 Sodan, S. 204; Hofer, S. 32. Zur allmählichen Verdrängung von Arzneirezepturen durch Fertigarzneimittel ab dem Ende des 19. Jahrhunderts s. eingehend Huhle-Kreutzer, S. 279 ff. 10 Huhle-Kreutzer, S. 280; Hofer, S. 32. 11 Fleischmann, S. 94. 2

20

Einleitung

einstellen können, nur noch Erfüllungsgehilfe von pharmazeutischer Industrie und Arzt zu sein.12 Zumindest in der gesetzlichen Krankenversicherung zeigt sich seit dem Jahr 1989 allerdings eine gegenläufige Entwicklung hin zu einer steigenden Bedeutung des Apothekers. Nach § 129 I SGB V, der mit dem Gesundheitsreformgesetz als Teil des damals neu geschaffenen SGB V in das Recht der gesetzlichen Krankenversicherung eingeführt wurde, hat der Apotheker ein preisgünstiges wirkstoffgleiches Arzneimittel abzugeben, wenn der Arzt ein Arzneimittel nur unter seiner Wirkstoffbezeichnung verordnet oder die Ersetzung des verordneten durch ein wirkstoffgleiches Arzneimittel nicht ausgeschlossen hat. Ebenso soll der Apotheker preisgünstige importierte Arzneimittel abgeben. Das Nähere regelt ein Rahmenvertrag auf Bundesebene, der für Apotheker verbindlich ist, wenn sie dem Vertrag beitreten oder Mitglied eines vertragschließenden Verbandes sind, und es besteht die Möglichkeit, auf Landesebene ergänzende Verträge abzuschließen. Vom Apotheker wird so in der gesetzlichen Krankenversicherung in stärkerem Maße eine eigenständige Auswahlleistung verlangt.13 Die Arzneimittelauswahl durch Apotheker unter Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkten soll zu einer Begrenzung der Arzneimittelkosten in der gesetzlichen Krankenversicherung beitragen. An Apotheker gerichtete Pflichten, günstige wirkstoffgleiche oder importierte Arzneimittel abzugeben, sind dabei kein auf das deutsche Krankenversicherungssystem beschränktes Phänomen, sondern haben sich ungefähr zeitgleich in weiteren europäischen Ländern, wie zum Beispiel in Dänemark, Finnland, Frankreich, den Niederlanden und Spanien,14 herausgebildet. Die Pflicht zur Abgabe preisgünstiger wirkstoffgleicher Arzneimittel soll die Preisvorteile des Generikamarktes erschließen, indem ein Preiswettbewerb zwischen den unterschiedlichen Präparaten desselben Wirkstoffs erzeugt wird. Generika sind wirkstoffgleiche Nachfolgepräparate innovativer Arzneimittel, die auf den Markt gelangen, nachdem für das Originalpräparat der Patentschutz abgelaufen ist. Da ihre Herstellung mit geringeren Entwicklungskosten verbunden ist und ein vereinfachtes Zulassungsverfahren umfassende Zulassungsstudien entbehrlich macht, können sie oftmals erheblich günstiger als die innovativen Originale angeboten werden.15 Ebenfalls auf die Erschließung von Einsparpotentialen zielt die Pflicht zur Abgabe von Importarzneimitteln, die vor allem in der Zeit Bedeutung hat, in der ein innovatives Arzneimittel noch Patentschutz genießt und deshalb noch keine Generika erhältlich sind. Im Ausland sind dieselben Arzneimittel aufgrund verschiedener Ursachen wie niedrigerer Steuersätze oder andersartiger Preisbildungsvorschriften oft für einen günstigeren Preis als auf dem deut-

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Huhle-Kreutzer, S. 280. Vgl. Sodan, S. 204. Landgraf-Brunner, S. 230, sieht einen Prestigegewinn der Apotheker. 14 Pharma-Länder-Dossiers, S. 41, 53, 58 ff., 95 f., 121. 15 Baierl/Kellermann, S. 243. 13

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schen Markt erhältlich.16 Die Arzneimittelimporteure geben diese Preisdifferenz als Teil ihres Geschäftsmodells weiter. Notwendig gemacht haben die forcierte Ausschöpfung von Wirtschaftlichkeitsreserven die hohen Arzneimittelausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung. Die Kosten für Arzneimittel zählen zu den bedeutendsten Ausgabenposten der Krankenkassen. Im Jahr 2015 lagen sie bei 34,84 Mrd. €, beliefen sich damit auf einen Anteil von 17,24 % der Gesamtausgaben17 und blieben nur unwesentlich hinter den Kosten für die ärztliche Behandlung in Höhe von 34,89 Mrd. €18 zurück. Im internationalen Vergleich sind die deutschen Arzneipreise hoch, was hauptsächlich darauf beruht, dass in Deutschland als einem der wenigen Länder Europas pharmazeutische Unternehmer bei Markteinführung ihre Verkaufspreise frei von staatlicher Reglementierung bestimmen können.19 So sind beispielsweise die 200 teuersten Arzneimittel des deutschen Marktes in Frankreich zu einem 16 % günstigeren Preis erhältlich20 und es wären im Markt der patentgeschützten Arzneimittel insgesamt Einsparungen in Höhe von 1,989 Mrd. € erzielbar, wenn eine Preissenkung auf das französische Niveau erfolgen würde.21 Zugleich zeichnet sich in der Arzneimittelversorgung – wie allerdings in sämtlichen Leistungsbereichen der gesetzlichen Krankenversicherung22  – seit den 1990ern ein Trend zum Kostenanstieg ab.23 Insgesamt haben sich die Arzneimittelausgaben in Deutschland zwischen 1992 und 2010 von 25 Mrd. € auf 46 Mrd. € erhöht.24 Die Ursachen hierfür sind vielfältig: Durch eine veränderte Morbiditäts- und Altersstruktur der gesetzlich Versicherten steigt die Zahl der Leistungsfälle.25 Ökonomen nehmen an, dass sich Dienstleistungen und damit auch die für die Arzneimittelproduktion erforderlichen Innovations- und Produktionsleistungen tendenziell im Laufe der Zeit verteuern.26 Eine weitere Ursache stellt schließlich das Recht der Hersteller zur freien Preisfestsetzung dar  – so steigerten sich im Jahr 2013 die Ausgaben im Sektor der patentgeschützten Arzneimittel um 1,1 Mrd. €, ohne dass sich das zugrunde liegende Verordnungsvolumen nennenswert erhöht hatte.27

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J. Müller-Graff, S. 2. GKV-Kennzahlen 2015, S. 4. 18 GKV-Kennzahlen 2015, S. 4. 19 Arzneiverordnungs-Report 2014, S. 11; Baierl/Kellermann, S. 244. Zu teilweisen Begrenzungen dieser Bestimmungsfreiheit im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung durch das Recht der Nutzenbewertung s. unten Kapitel 1 A. VI. 20 Arzneiverordnungs-Report 2014, S. 14. 21 Arzneiverordnungs-Report 2014, S. 16. 22 IGES u. a., S. 395, 397. 23 Pelzer/Klein, in: Fuhrmann/Klein/Fleischfresser, § 46 Rn. 2. 24 Oberender/Fleischmann, in: Fuhrmann/Klein/Fleischfresser, § 47 Rn. 9. 25 Baierl/Kellermann, S. 230. 26 Sog. Baumol’sche Kostenkrankheit, Oberender/Fleischmann, in: Fuhrmann/Klein/Fleischfresser, § 47 Rn. 9. Vgl. auch Schüffner/Frank, in: Handbuch des Krankenversicherungsrechts, § 43 Rn. 155 f. 27 Arzneiverordnungs-Report 2014, S. 6. Vgl. auch Baierl/Kellermann, S. 230, 244 f. 17

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Steigende Kosten für Gesundheitsleistungen auf hohem Preisniveau bergen langfristig das Risiko, dass eine angemessene Versorgung im Krankheitsfall nicht mehr bezahlbar ist.28 Durch Beitragsanhebungen lässt sich den Auswirkungen dieser Entwicklung nicht unbegrenzt begegnen, da sich steigende Lohnnebenkosten negativ auf das Wirtschaftsgeschehen auswirken. In den letzten 25 Jahren kam es deshalb vermehrt zu gesetzgeberischen Interventionen mit dem Ziel, die Arzneimittelausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung stärker zu kontrollieren. Es besteht mittlerweile im Krankenversicherungsrecht eine Vielzahl von Regelungsinstrumenten, die Einsparungen bewirken, ein weiteres Ansteigen der Arznei­ mittelausgaben verhindern oder den Kostenanstieg jedenfalls dämpfen sollen. Die Verpflichtung zur Abgabe wirtschaftlicher Arzneimittel durch Apotheker zählt zu den ältesten dieser Instrumente. Nach der Gesetzesbegründung werden die Apotheker durch die Vorschrift des § 129 I SGB V bei der Abgabe verordneter Arzneimittel in das Wirtschaftlichkeitsgebot eingebunden.29 Hatte sich vor der Einführung von § 129 SGB V das damals noch in der Reichsversicherungsordnung geregelte Krankenversicherungsrecht kaum näher mit Apothekern befasst – es ermächtigte lediglich die Vorschrift des § 375 RVO Krankenkassen, mit Apothekenbesitzern Vorzugsbedingungen über die Lieferung von Arzneimitteln zu vereinbaren, und § 376 RVO enthielt Regelungen zum Apothekenabschlag –, sind die Apotheker seitdem in den Fokus des Gesetzgebers gerückt. § 129 SGB V wurde seit seinem Inkrafttreten über 20 Mal in regelmäßigen Abständen geändert,30 wobei viele der Neuregelungen auf eine noch effizientere Ausschöpfung von Wirtschaftlichkeitsreserven zielten.31 Die vorliegende Arbeit hat die Arzneimittelversorgung durch Apotheken in der gesetzlichen Krankenversicherung nach § 129 SGB V zum Gegenstand. Sie untersucht in erster Linie die Rechtsbeziehungen im Sinne der gegenseitigen Rechte und Pflichten, die zwischen Krankenkassen und Apothekern als Leistungserbringern in der gesetzlichen Krankenversicherung bestehen. Behandelt wird nicht nur die in § 129 SGB V ausdrücklich normierte Pflicht des Apothekers zur wirtschaftlichen Belieferung von Verordnungen, sondern eine Aufgabe der Arbeit wird auch darin bestehen, herauszuarbeiten, nach welchen rechtlichen Grundsätzen eine Arzneimittelabgabe zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung generell erfolgt. Dass dem Apotheker in § 129 SGB V Entscheidungsspielräume bei der Ausführung ärztlicher Verschreibungen übertragen werden, macht daneben eine Kompetenzabgrenzung zwischen Arzt und Apotheker bei der Versorgung gesetzlich Versicherter notwendig. Deshalb sollen im Rahmen der Arbeit zudem die Verant 28 Baierl/Kellermann, S.  232; Schüffner/Frank, in: Handbuch des Krankenversicherungsrechts, § 43 Rn. 155. 29 BT-Drs. 11/2237, S. 205. 30 Dies ergibt eine Auswertung der bei juris dargestellten Liste der Versionen von § 129 SGB V. 31 s. BT-Drs.  14/1245, S.  85; BT-Drs.  7144, S.  5; BT-Drs.  17/2413, S.  29 f.; ähnlich BTDrs. 16/3100, S. 142.

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wortungsbereiche von Apothekern und Ärzten im Versorgungsgeschehen nach der gegenwärtigen Rechtslage abgesteckt sowie die Spielräume und Grenzen ermittelt werden, die im Allgemeinen für die Übertragung von Wirtschaftlichkeitsverantwortung auf Apotheker bestehen. Im ersten Kapitel der Arbeit wird entwickelt, was unter einer Apotheke im Sinne von § 129 SGB V zu verstehen ist. Weiterhin werden die arzneimittel- und apothekenrechtlichen Rahmenbedingungen der Apothekertätigkeit sowie die wesentlichen Regelungen des SGB V über die Arzneimittelversorgung dargestellt. Das zweite Kapitel behandelt das in § 129 SGB V zur Ausgestaltung der Rechtsbeziehungen zwischen Apothekern und Krankenkassen vorgesehene System von Kollektivverträgen auf Bundes- und Landesebene. Während das Vertragsarztrecht Kollektivverträge schon seit langer Zeit als Steuerungsinstrument kennt, ist in der Arzneimittelversorgung der Kollektivvertrag erst seit der Einführung des SGB V durch das Gesundheitsreformgesetz als die maßgebliche Handlungsform festgeschrieben. Zuvor sah die Reichsversicherungsordnung eine vertragliche Ordnung der Beziehung zwischen Apotheker- und Kassenseite nicht zwingend vor32 und dort, wo vertraglich Rahmenbedingungen für die Arzneimittelabgabe geschaffen werden konnten, war grundsätzlich der einzelne Apotheker Vertragspartner der Krankenkassen. Es hatte sich lediglich faktisch die kollektive Aushandlung von Verträgen eingebürgert. Vor dem Hintergrund dieser historischen Vorläufer wird das Kollektivvertrags­ system des § 129 SGB V, insbesondere der Rahmenvertrag auf Bundesebene, untersucht. Geklärt wird zunächst die Art und Weise, wie die Verträge Verbindlichkeit erlangen: Soweit § 129 III SGB V die Bindung des einzelnen Apothekers an die Kollektivverträge von einer Verbandsmitgliedschaft oder einem Vertragsbeitritt abhängig macht, werden die Verträge in die Nähe zu stellvertretungsrechtlichen oder individualvertraglichen Konstruktionen gerückt, obwohl leistungserbringungsrechtliche Kollektivverträge ansonsten regelmäßig als Normenverträge qualifiziert werden. Weiterhin wird die Funktion der Kollektivverträge für das Versorgungsgeschehen betrachtet, namentlich inwieweit die Berechtigung eines Apothekers zur Abgabe von Arzneimitteln als Sachleistungen zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung von der Bindung an die Kollektivverträge abhängt und ob einzelne Apotheker und Krankenkassen von kollektivvertraglichen Bestimmungen im Wege von sogenannten Add-on-Vereinbarungen selektivvertraglich abweichen können. Geklärt wird außerdem der Umfang der Regelungsbefugnis, der den Kollektivvertragsparteien zukommt. Nach dieser einfachrechtlichen Betrachtung wird sodann die Vereinbarkeit des Kollektivvertragsrechts der Arzneimittelversorgung mit verfassungsrechtlichen Anforderungen, insbesondere dem Demokratieprinzip, überprüft. 32 Nach § 375 RVO „konnten“ die Krankenkassen mit den Apotheken Lieferbedingungen über Arzneimittel vereinbaren.

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Seit im Jahr 2003 der Arzneimittelversandhandel durch deutsche und EU-ausländische Apotheken zugelassen wurde, muss sich ein Patient nicht mehr zwingend persönlich in eine Apotheke begeben, um ein Arzneimittel zu erhalten. EU-auslän­ dische Apotheker haben infolgedessen die Möglichkeit, den deutschen Absatzmarkt umfassend für sich zu erschließen. Deshalb wird im Rahmen des zweiten Kapitels schließlich untersucht, ob neben der nach § 13 IV SGB V möglichen Leistungserbringung im Wege der Kostenerstattung EU-ausländischen Apothekeninhabern außerdem die Teilnahme an der Versorgung gesetzlich Versicherter im Wege der kollektivvertraglich gesteuerten Sachleistungserbringung offensteht. Abschließend wird unter nochmaligem Vergleich mit den unter Geltung der Reichsversicherungsordnung praktizierten Kollektivvertragsschlüssen analysiert, inwieweit die Apotheker durch das gegenwärtig geltende Kollektivvertragssystem in ein System der gemeinsamen Selbstverwaltung einbezogen und damit stärker in das System der gesetzlichen Krankenversicherung integriert worden sind. Das dritte Kapitel befasst sich damit, welchen rechtlichen Grundsätzen die Arzneimittelversorgung durch Apotheker in der gesetzlichen Krankenversicherung unterliegt. Im Normtext von § 129 SGB V finden sich dazu keine ausdrücklichen Aussagen. Das entspricht dem allgemeinen Befund, dass das Recht der nichtärztlichen Leistungserbringer keine derartige Regelungstiefe aufweist, wie sie im Vertragsarztrecht herrscht. Zunächst wird deshalb untersucht, welchen Pflichten Apotheker aus sozialrechtlicher Sicht abgesehen von der Pflicht zur wirtschaftlichen Verordnungsbelieferung bei der Arzneimittelabgabe unterliegen, insbesondere ob das Krankenversicherungsrecht zusätzlich zum Arzneimittel- und Apothekenrecht fachlich-qualitative Anforderungen an die Tätigkeit des Apothekers stellt. Näherer Betrachtung bedarf sodann, wie die Abgabe von Arzneimitteln als Sachleistung zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung rechtlich zu konstruieren und worin die Rechtsgrundlage für den Vergütungsanspruch des Apothekers zu sehen ist. Es kommt insoweit vor allem in Betracht, dass bei der Arzneimittelabgabe Apotheker und Krankenkasse einen Kaufvertrag zugunsten des Versicherten schließen oder dass der Apotheker bei Abgabe eines Arzneimittels einen gesetzesunmittelbaren Vergütungsanspruch gegen die Krankenkasse erwirbt. Ferner ist zu klären, ob zur Sachleistungserbringung berechtigte Apotheker zur Versorgung gesetzlich Versicherter zugleich verpflichtet sind, obgleich das SGB V nur für Vertragsärzte und Krankenhäuser eine solche Versorgungspflicht ausdrücklich normiert. Nicht ausdrücklich in § 129 SGB V geregelt ist außerdem, wie sich die Verletzung krankenversicherungsrechtlicher Vorgaben bei der Arzneimittelabgabe auf den Vergütungsanspruch des Apothekers auswirkt. Nach herrschender Ansicht erwirbt der Apotheker bei jeglichen Verstößen gegen ihn im Rahmen der Arzneimittelabgabe treffende Pflichten weder einen Vergütungsanspruch gegen die Krankenkasse des Versicherten noch kann er von der Krankenkasse zumindest im Wege eines Bereicherungsausgleichs Wertersatz für etwaige ersparte Aufwendun-

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gen verlangen. Es kommt zur sogenannten Retaxation auf Null. Untersucht wird, ob diese Rechtsfigur auf einfachrechtlicher Ebene mit Wertungen des Krankenversicherungsrechts begründet werden kann und ob sie mit verfassungsrechtlichen Vorgaben vereinbar ist. Die Pflicht des Apothekers zur wirtschaftlichen Ausführung von Arzneimittelverordnungen ist Gegenstand des vierten Kapitels. Zunächst werden die medizinisch-pharmazeutischen und wirtschaflichkeitsbezogenen Vorgaben für die Abgabe preisgünstiger wirkstoffgleicher und importierter Arzneimittel dargestellt. Mit der Auswahl des konkreten Arzneimittels übernimmt der Apotheker eine Tätig­keit, die bisher typischerweise vom Arzt wahrgenommen wurde. Problematisch ist deshalb, wie die Verantwortungsbereiche von Arzt und Apotheker bei der Durchführung einer Arzneimittelsubstitution nach § 129 SGB V abzugrenzen sind. Vor allem bedarf es einer Betrachtung, ob mit der Pflicht zur wirtschaftlichen Arzneimittelauswahl zugleich ein Teil der Therapieverantwortung auf den Apotheker dahingehend übergeht, dass er nun etwa den Patienten umfassend vor Gesundheitsschäden, die aus einer Substitution resultieren können, schützen und die Aufklärung über das abgegebene Arzneimittel durchführen muss. Außerdem wird untersucht, wie die Wirtschaftlichkeitsverantwortung zwischen Arzt und Apotheker verteilt ist: Da die Verordnungstätigkeit des Arztes trotz der bestehenden Verpflichtung des Apothekers zur wirtschaftlichen Arzneimittelabgabe weiterhin selbst einer Wirtschaftlichkeitsprüfung unterliegt, stellt sich die Frage, inwieweit die an den Arzt gerichteten Prüfungsinstrumente berücksichtigen müssen, dass dem Apotheker bei der Auswahl des konkreten Arzneimittels Auswahlspielräume zustehen. Gegenüber Apothekern statuiert § 129 SGB V Rechtspflichten und begrenzt für Ärzte und Versicherte die Zahl der für eine Arzneimitteltherapie zur Verfügung stehenden Produkte. Zudem werden im Zusammenhang mit der Arzneimittel­ substitution gesundheitliche Bedenken vorgebracht, insbesondere wird befürchtet, eine Arzneimittelsubstitution könnte zu einem Nachlassen der Therapietreue führen. Deshalb ist die Pflicht zur wirtschaftlichen Arzneimittelabgabe weiterhin auf ihre Vereinbarkeit mit verfassungsrechtlichen Vorgaben zu überprüfen. Im vierten Kapitel wird zudem behandelt, ob der arzneimittelrechtlich zugelassene Anwendungsbereich die Grenze für die Abgabe eines preisgünstigen Arzneimittels bildet. Mehrere Ansatzpunkte kommen dabei in Betracht: Eine zulassungsüberschreitenden Arzneimittelabgabe könnte zu Widersprüchen gegenüber dem Arzneimittelrecht führen. Falls mit einer zulassungsüberschreitenden Arzneimittelabgabe Gesundheitsgefahren für die Versicherten einhergehen, könnte die zulassungsüberschreitende Arzneimittelabgabe verfassungsrechtlich unzulässig sein. Soweit Unterschiede im Zulassungsumfang verschiedener Arzneimittel auf Rechtspositionen von Herstellern wie Patent- oder Unterlagenschutz beruhen, könnten auch diese Rechtspositionen einer zulassungsüberschreitenden Abgabe von Arzneimitteln entgegenstehen. Schließlich könnte aus dem in der Richtlinie

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2001/83/EG niedergelegten europäischen Arzneimittelrecht ein Verbot der zulassungsüberschreitenden Arzneimittelabgabe folgen. Am Ende des Kapitels wird untersucht, welche Spielräume und Grenzen für Regelungen bestehen, die dem Apotheker Verantwortung für die Arzneimittelauswahl zuweisen. Soweit die Ausschöpfung weiterer Wirtschaftlichkeitsreserven durch den Apotheker die Weitergabe patientenbezogener Daten wie etwa Krankheiten verlangen würde, die in der Regel nur dem Arzt bekannt sind, ist das Allgemeine Persönlichkeitsrecht der Versicherten betroffen. Vonseiten der Apotheker wird vorgeschlagen, ihnen die Fürsorge für den Patienten bei der Auswahl günstiger Arzneimittel zumindest unter bestimmten pharmazeutisch-therapeutischen Aspekten wie der Feststellung von Unverträglichkeiten zu übertragen. Jedoch könnte die Therapiefreiheit des Arztes gebieten, dass diese Tätigkeiten in ärztlicher Verantwortung verbleiben. Am Ende der Arbeit erfolgt eine Zusammenfassung der Ergebnisse in Thesen.

Kapitel 1

Der rechtliche Rahmen für die Arzneimittelabgabe Die Arzneimittelabgabe an den Patienten wird im Zusammenspiel einer Vielzahl verschiedener Normkomplexe geregelt.1 Den Kern bildet dabei das Arzneimittelgesetz (AMG).2 Das Arzneimittelgesetz soll gemäß § 1 AMG im Sinne einer ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung für die Sicherheit des Arzneimittelverkehrs sorgen. Das Arzneimittelgesetz stellt damit besonderes Gefahrenabwehr-3 und Risikovorsorgerecht4 dar. Es enthält insbesondere Regelungen über Zulassung, Vertrieb und Marktüberwachung von Arzneimitteln. Ein Großteil der Regelungen basiert dabei auf der RL 2001/83/EG (Gemeinschaftskodex für Humanarzneimittel), deren Vorgaben es umsetzt. Für die Arzneimittelabgabe durch Apotheken finden sich im Apothekenrecht nähere Regelungen. Das Apothekengesetz (ApoG) hat die ordnungsgemäße Arzneimittelversorgung der Bevölkerung durch Apotheken zum Gegenstand.5 Es regelt dazu Anforderungen an den Betrieb von Apotheken. Anders als das Arzneimittelgesetz beinhaltet das Apothekengesetz kein reines Sicherheitsrecht, sondern es regelt das Apothekenwesen insbesondere auch aus wirtschaftsrechtlicher und gesundheitspolitischer Sicht.6 Einzelne Vorgaben des Apothekengesetzes werden durch die Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO) näher konkretisiert.7 In den einzelnen Bundesländern sind Apotheker aufgrund der jeweiligen Heilberufs-Kammergesetze in den Landesapothekerkammern zusammengeschlossen.8 Das in den Satzungen der Landesapothekerkammern enthaltene Standesrecht formuliert Berufspflichten für Apotheker und steuert so ebenfalls deren Verhalten bei der Arzneimittelabgabe.9 Die Bundes-Apothekerordnung (BApO) 1

Becker/Kingreen/Axer, § 129 SGB V Rn. 15 f. Vgl. Francke, MedR 2006, S. 683 (684). 3 Di Fabio, S. 168; Weiß, S. 283; Kügel/Müller/Hofmann/Müller, § 1 AMG Rn. 1; Dieners/ Heil, in: Dieners/Reese, § 1 Rn. 6; Fleischfresser/Fuhrmann, A&R 2015, S. 99 (102). Zu einer verbraucherschützenden Komponente des AMG s. Kügel/Müller/Hofmann/Müller, § 1 AMG Rn. 1; Fleischfresser/Fuhrmann, A&R 2015, S. 99 (102 f.). 4 Di Fabio, S.  168 f.; Rehmann, § 1 AMG Rn.  1; Spickhoff/Heßhaus, § 1 AMG Rn.  1; Fleischfresser/Fuhrmann, A&R 2015, S. 99 (102). 5 Vgl. § 1 ApoG. 6 Vgl. Spickhoff/Sieper, § 1 ApoG Rn. 1. 7 § 21 ApoG. 8 s. beispielsweise § 2 I Nr. 4 HBKG-BW. 9 So statuieren z. B. §§ 6, 7 der Berufsordnung der LAK Bayern und §§ 8, 13 der Berufsordnung der LAK Baden-Württemberg Pflichten zur Verhinderung von Arzneimittelmissbrauch und zur pharmazeutischen Beratung. 2

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Kap. 1: Der rechtliche Rahmen für die Arzneimittelabgabe

und die Apothekerapprobationsordnung (AAppO) sind für die Tätigkeit des Apothekers insoweit von Relevanz, als sie die Erteilung der Approbation als Apotheker regeln, ohne die der Apothekerberuf nicht ausgeübt werden darf.10 Das Heilmittelwerberecht regelt weiterhin, in welchem Umfang Apotheker Werbegaben von pharmazeutischen Herstellern entgegennehmen dürfen,11 um deren Unabhängigkeit bei der Arzneimittelauswahl zu gewährleisten.12 Die Versorgung gesetzlich Versicherter mit Arzneimitteln als Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung ist schließlich im Fünften Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) geregelt.

A. Die Arzneimittelabgabe nach Arzneimittel- und Apothekenrecht I. Der Arzneimittelbegriff des Arzneimittel- und Apothekenrechts Zentralgegenstand des Arzneimittel-, aber auch des Apothekenrechts sind Arzneimittel. Eine Definition des Begriffs „Arzneimittel“ enthält § 2 AMG. Entsprechend der Zwecksetzung des Arzneimittelrechts ist die Definition gefahrenabwehrrechtlich geprägt.13 Das Apothekenrecht enthält keine eigene Definition des Arzneimittels. Wegen der engen Verzahnung beider Rechtsgebiete ist die arzneimittelrechtliche Definition des Arzneimittels aber ebenfalls für das Apothekenrecht maßgeblich.14 Nach § 2 I Nr. 1 AMG sind Arzneimittel Stoffe, die zur Anwendung im oder am menschlichen oder tierischen Körper und zur Heilung oder Verhinderung von Krankheiten bestimmt sind (sog. Präsentationsarzneimittel15). Maßgeblich ist dabei die Sicht eines objektiven Betrachters ausgehend von Bewerbung oder Aufmachung des Produkts.16 Arzneimittel sind gemäß § 2 I Nr. 2 AMG außerdem Stoffe, die im oder am menschlichen oder tierischen Körper angewendet oder einem Menschen oder einem Tier verabreicht werden können, um durch pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkungen Körperfunktionen zu beeinflussen oder um eine Diagnose zu erstellen (sog. Funktionsarzneimittel17). Zusätzlich statuiert § 2 II AMG die Arzneimitteleigenschaft

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§ 2 I BApO. § 7 I HWG. 12 s. dazu auch jurisPK-SGB V/Clemens, § 106 SGB V Rn. 113 und Fn. 157. 13 Vgl. Kügel/Müller/Hofmann/Müller, § 2 AMG Rn. 8. 14 Hofmann, § 1 ApoG Rn. 86. 15 Kügel/Müller/Hofmann/Müller, § 2 AMG Rn. 58; Rehmann, § 2 AMG Rn. 12; Spickhoff/ Heßhaus, § 2 AMG Rn. 4. 16 Spickhoff/Heßhaus, § 2 AMG Rn.  4, 7; Doepner/Hüttebräuker, in: Dieners/Reese, § 3 Rn. 26 f. 17 Kügel/Müller/Hofmann/Müller, § 2 AMG Rn. 58; Rehmann, § 2 AMG Rn. 15; Spickhoff/ Heßhaus, § 2 AMG Rn. 10. 11

A. Die Arzneimittelabgabe nach Arzneimittel- und Apothekenrecht 

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bestimmter Gegenstände, bei denen es sich gemessen an der Definition des § 2 I AMG eigentlich um keine Arznei­mittel handelt (sog. Fiktiv- oder Geltungsarzneimittel18). Mit Ausnahme von § 2 II Nr. 1 AMG, der Gegenstände erfasst, auf die ein Arzneimittel nach Abs. 1 aufgebracht ist und die mit dem Körper verbunden werden, betrifft die Regelung über Fiktivarzneimittel nur Produkte der Veterinärmedizin. Eine Negativliste von Stoffen, die keine Arzneimittel darstellen, enthält schließlich § 2 III AMG. Keine Arzneimittel sind beispielsweise Lebensmittel (§ 2 II LFGB)19, Kosmetika (§ 2 V LFGB)20 und Medizinprodukte (§ 3 MPG)21. Arzneimittel lassen sich daneben nach ihrer Herstellungsweise unterscheiden. Fertigarzneimittel sind Arzneimittel, die der Apotheker bereits in verkaufsfertigem Zustand erwirbt; sie werden industriell hergestellt.22 Vom Apotheker auf ärztliche Anforderung für eine einzelne Person hergestellte Arzneimittel sind Rezepturarzneimittel.23 Defekturarzneimittel sind Arzneimittel, die der Apotheker vorab in einer größeren Menge herstellt und vorrätig hält, weil sie häufig verschrieben werden, sodass mit einer regelmäßigen Nachfrage zu rechnen ist.24

II. Arzneimittelzulassung Fertigarzneimittel, die Arzneimittel im Sinne von § 2 I, II Nr. 1 AMG sind, und damit alle am Menschen einsetzbare Fertigarzneimittel, bedürfen vor dem Inverkehrbringen gemäß § 21  I  1 AMG einer Zulassung. Das Inverkehrbringen von Arzneimitteln unterliegt damit einem Verbot mit Erlaubnisvorbehalt.25 Im Zulassungsverfahren werden Qualität, Wirksamkeit und Sicherheit des Arzneimittels überprüft.26 Die Prüfung erfolgt im Hinblick auf konkrete Anwendungsgebiete, die der pharmazeutische Unternehmer in seinem Zulassungsantrag angeben muss.27 Die Zulassung wird nur erteilt, wenn die Qualität der Arzneibestandteile wissenschaftlichen Standards entspricht, die Wirksamkeit des Arzneimittels belegt ist und eine Abwägung der drohenden Risiken mit dem zu erwartenden Nutzen des Arzneimittels im von dem pharmazeutischen Unternehmer beantragten An-

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Spickhoff/Heßhaus, § 2 AMG Rn. 16. § 2  III  Nr.  1 AMG. Zur Abgrenzung von Arznei- und Lebensmitteln s. Doepner/Hüttebräuker, in: Dieners/Reese, § 3 Rn. 77 ff. 20 § 2 III Nr. 2 AMG. 21 § 2 III Nr. 7 AMG. Zur Abgrenzung von Arzneimitteln und Medizinprodukten s. Kügel/ Müller/Hofmann/Müller, § 2 AMG Rn. 220 ff.; Kahl/Hilbert, PharmR 2012, S. 177 ff. 22 Vgl. § 4 I AMG. 23 s. dazu §§ 1a VII, 7 ApBetrO sowie § 21 II Nr. 1a AMG. 24 s. dazu §§ 1a VIII, 8 ApBetrO sowie § 21 II Nr. 1 AMG. 25 Kügel/Müller/Hofmann/Kortland, Vorb. zu § 21 AMG Rn.  2; Fleischfresser/Fuhrmann, A&R 2015, S. 99 (103). 26 Vgl. § 25 II AMG. Zum Verfahren s. Fleischfresser/Fuhrmann, A&R 2015, S. 99 ff. 27 Vgl. § 22 I Nr. 6 AMG. 19

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Kap. 1: Der rechtliche Rahmen für die Arzneimittelabgabe

wendungsgebiet positiv ausfällt.28 Als Grundlage für die Zulassungsentscheidung muss der pharmazeutische Unternehmer der Zulassungsbehörde Unterlagen vorlegen, in denen Anwendungsgebiet, Zusammensetzung, Darreichungsform und Dosierung des Arzneimittels sowie Wirkungen, Nebenwirkungen und Wechselwirkungen aufgelistet sind.29 Die Angaben zu Wirkungen, Nebenwirkungen und Wechselwirkungen werden in klinischen Prüfungen gewonnen, deren Ergebnisse der Unternehmer ebenfalls der Zulassungsbehörde vorlegen muss.30

III. Arzneimittelabgabe durch Apotheken Das zugelassene Arzneimittel wird vom pharmazeutischen Unternehmer in den Großhandel gegeben. Die Großhändler verkaufen die Arzneimittel weiter an die letzte Handelsstufe, wo die Arzneimittel schließlich an die Patienten abgegeben werden. In Bezug auf die Arzneimittelabgabe an die Patienten weist § 1 I ApoG den Apotheken eine besondere Aufgabe zu:31 Apotheken obliegt die im öffentlichen Interesse gebotene Sicherstellung einer ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung der Bevölkerung. Apotheken trifft damit ein Sicherstellungsauftrag für die Arzneimittelversorgung der Bevölkerung.32 Der Sicherstellungsauftrag besteht sowohl im Interesse des einzelnen Patienten als auch im Interesse der Volksgesundheit.33 Er hat einerseits eine quantitative Dimension  – Apotheken haben dafür Sorge zu tragen, dass kontinuierlich eine ausreichend hohe Zahl von Arzneimitteln vorgehalten wird34 und es unterliegen Apotheker einem Kontrahierungszwang, der sie verpflichtet, Patienten die von ihnen benötigten Arzneimittel zu verschaffen35. Andererseits bringt „ordnungsgemäß“ eine qualitative Dimension zum Ausdruck  – die Arzneimittelabgabe durch Apotheken muss entsprechend den allgemeinen Erkenntnissen von pharmazeutischer Wissenschaft und Forschung erfolgen.36

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§ 25 II Nr. 3–5 AMG. Zu den arzneimittelrechtlichen Zulassungskriterien s. Kügel/Müller/ Hofmann/Kügel, § 25 AMG Rn. 8 ff.; Lau, in: Fuhrmann/Klein/Fleischfresser, § 10 Rn. 88 ff.; Wagner, in: Dieners/Reese, § 6 Rn. 101 ff. 29 § 22 I AMG. 30 § 22 II AMG. Zur klinischen Prüfung von Arzneimitteln s. Franken, in: Fuhrmann/Klein/ Fleischfresser, § 12; Lützel, in: Dieners/Reese, § 4. 31 Spickhoff/Sieper, § 1 ApoG Rn. 1; Rixen/Krämer/Grau, § 1 ApoG Rn. 1. 32 Kügel/Müller/Hofmann/Hofmann, § 43 AMG; Rn. 6; Rixen/Krämer/Grau, § 1 ApoG Rn. 7; Spickhoff/Sieper, § 1 ApoG Rn. 1; Lietz, in: Fuhrmann/Klein/Fleischfresser, § 21 Rn. 42. 33 Vgl. § 1 S. 2 BApO. 34 Rixen/Krämer/Grau, § 1 ApoG Rn. 8. 35 Pfeil/Pieck/Blume, § 1 ApBetrO Rn.  13; Lietz, in: Fuhrmann/Klein/Fleischfresser, § 21 Rn. 42. 36 HK-AKM/Saalfrank, Apotheke (100), Rn. 23; Rixen/Krämer/Grau, § 1 ApoG Rn. 10.

A. Die Arzneimittelabgabe nach Arzneimittel- und Apothekenrecht 

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1. Apothekenpflicht von Arzneimitteln § 43  I AMG statuiert die Apothekenpflicht von Arzneimitteln. Gemäß § 43  I AMG dürfen im Ausgangspunkt alle für die Anwendung am Menschen bestimmten Arzneimittel berufs- oder gewerbsmäßig nur durch Apotheken abgegeben werden. Es besteht ein Apothekenmonopol.37 So soll gewährleistet werden, dass Patienten Arzneimittel stets entsprechend dem anerkannten Stand der pharmazeutischen Erkenntnisse ausgehändigt werden.38 Lagerung von Arzneimitteln, Beratung des Patienten und suchtvorbeugende Kontrolle bei der Abgabe müssen häufig durch einen Fachmann erfolgen.39 Alleine die in § 44 AMG sowie § 45 I AMG i. V. m. §§ 1–6 der Arzneimittelverkaufsverordnung (AMVerkV) bezeichneten freiverkäuflichen Arzneimittel – dabei handelt es sich um nicht oder kaum gefährliche Arzneimittel – sind für den Verkehr außerhalb von Apotheken freigegeben. Teilweise wird angenommen, dass der Kreis der apothekenpflichtigen Arzneimittel so weit gezogen sei, dass die Apothekenpflicht nicht mehr nur dem Schutz der Volksgesundheit, sondern auch der Existenzsicherung der Apotheken diene.40 Sofern ein Arzneimittel ärztlich verordnet wurde, darf es nach § 43 III 1 AMG selbst dann nur in Apotheken abgegeben werden, wenn es an sich freiverkäuflich wäre. So soll sichergestellt werden, dass der Patient tatsächlich das verschriebene Arzneimittel erhält und dass es nicht infolge der oft schweren Lesbarkeit von Verschreibungen zu Verwechslungen kommt.41 2. Der Begriff der Apotheke im Arzneimittel- und Apothekenrecht Was unter einer Apotheke im Sinne der bisher genannten Vorschriften zu verstehen ist, wird weder im Arzneimittel- noch im Apothekengesetz definiert. Üblicherweise wird der Begriff der Apotheke im Sinne des Arzneimittel- und Apothekenrechts definiert als eine organisatorische Einheit, die unter der fachlichen Leitung eines approbierten Apothekers steht und die Arzneimittel nach ärztlicher Verordnung oder im freien Verkauf zubereitet und abgibt.42 Diese Definition folgt 37

v. Czettritz, in: Fuhrmann/Klein/Fleischfresser, § 24 Rn. 5. Vgl. Rixen/Krämer/Grau, § 1 ApoG Rn.  10; v. Czettritz, in: Fuhrmann/Klein/Fleisch­ fresser, § 24 Rn. 3. 39 Rixen/Krämer/Grau, § 1 ApoG Rn. 9; Spickhoff/Heßhaus, § 43 AMG, Rn. 2; v. Czettritz, in: Fuhrmann/Klein/Fleischfresser, § 24 Rn. 2; Sandrock/Nawroth, in: Dieners/Reese, § 9 Rn. 30; BVerfGE 9, 73 (79 f.). 40 In Bezug auf die nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel: Deutsch/Lippert/Lippert, § 43 AMG Rn. 1; Rixen/Krämer/Grau, § 1 ApoG Rn. 10; Sandrock/Nawroth, in: Dieners/Reese, § 9 Rn. 97; BVerfGE 9, 73 (80 f.). 41 Kloesel/Cyran, § 43 AMG Rn.  53; v. Czettritz, in: Fuhrmann/Klein/Fleischfresser, § 24 Rn. 12. 42 Vgl. Kieser/Wesser/Saalfrank/Saalfrank, § 1 ApoG Rn. 13; Spickhoff/Sieper, Vorbemerkung zum ApoG, Rn. 5. 38

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Kap. 1: Der rechtliche Rahmen für die Arzneimittelabgabe

im Ergebnis aus einer Gesamtschau von § 43 AMG und §§ 1 I, II, 2 I Nr. 3 ApoG.43 Teilweise wird die Definition noch um das Element ergänzt, dass dem Inhaber eine Apothekenbetriebserlaubnis nach §§ 1 II, 2 ApoG erteilt worden sein muss.44 Hierbei ist indessen zu differenzieren: Begrifflich stellt auch die illegal betriebene Apotheke in der Terminologie des Apothekenrechts eine Apotheke dar.45 Allerdings beziehen sich nach ihrem Telos der Sicherstellungsauftrag des § 1 II ApoG und die Statuierung der Apothekenpflicht in § 43 AMG nur auf Apotheken, denen eine Betriebserlaubnis erteilt worden ist. Es lassen sich verschiedene Apothekentypen unterscheiden. Die von Patienten zum Arzneierwerb klassischerweise aufgesuchte Einzelapotheke wird in der Überschrift des zweiten Abschnitts der Apothekenbetriebsordnung als öffentliche Apotheke bezeichnet. Krankenhausapotheken sind Funktionseinheiten eines Krankenhauses, denen die Versorgung eines Krankenhauses mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln sowie die Beratung von Ärzten, Pflegekräften und Patienten obliegt.46 Daneben existieren noch besondere Arzneimittelabgabestellen von Bundeswehr (sog. Bundeswehrapotheken)47, Bundespolizei und Bereitschaftspolizeien der Länder.48 3. Arzneiversandhandel Bis Ende 2003 durften Arzneimittel nur gegen persönliche Vorlage des Rezepts in den Apothekenräumen ausgehändigt werden; der Versand von Arzneimitteln war verboten.49 Durch das GKV-Modernisierungsgesetz wurde zum Jahr 2004 schließlich der Arzneimittelversand aus öffentlichen Apotheken heraus zugelassen.50 Reine Versandapotheken sind indessen nach wie vor unzulässig.51 Inländischen Apotheken kann nun eine Versanderlaubnis erteilt werden,52 wobei für den Arzneiversandhandel spezielle Anforderungen wie die Einrichtung eines Qualitätsmanagementsystems und die Einhaltung bestimmter Versandfristen bestehen.53 Eine Versanderlaubnis kann ebenfalls einem Apothekeninhaber im EUAusland erteilt werden, wenn er entweder die Voraussetzungen für die Erteilung 43

Hofmann, § 1 ApoG Rn. 1; Rixen/Krämer/Grau, § 1 ApoG Rn. 5. Vgl. Rixen/Krämer/Grau, § 1 ApoG Rn. 5. 45 Vgl. § 23 ApoG, der das Betreiben einer „Apotheke“ ohne Erlaubnis für strafbar erklärt. 46 § 26 I ApBetrO. 47 § 15 ApoG. 48 § 70 I AMG. 49 Lietz, in: Fuhrmann/Klein/Fleischfresser, § 21 Rn. 60. 50 Geregelt ist der Versandhandel nun in § 43  I AMG i. V. m. § 11a ApoG, §§ 17a IIa, IIb ApBetrO. – Zur Einbeziehung EU-ausländischer Versandapotheken in die Versorgung gesetzlich Versicherter s. näher unten Kapitel 2 D. 51 Erbs/Kohlhaas/Senge, § 11a ApoG Rn. 1. 52 §§ 43 I 1 a. E. AMG, 11 a ApoG. 53 § 11a ApoG, § 17 IIa, IIb ApBetrO. 44

A. Die Arzneimittelabgabe nach Arzneimittel- und Apothekenrecht 

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einer deutschen Versanderlaubnis erfüllt oder wenn er nach seinem nationalen, dem deutschen vergleichbaren Recht zum Versandhandel berechtigt ist und beim Versand die deutschen Vorschriften zum Arzneimittelversand befolgt.54 Mit der Gestattung des Versandhandels sollte unkontrollierter illegaler Versand verhindert werden.55 Zugleich war absehbar, dass ein Totalverbot des Arzneimittelversandhandels, das nicht nach der Gefährlichkeit des zu versendenden Medikaments differenziert, vor dem Bundesverfassungsgericht keinen Bestand haben würde.56 Die Zulassung des Versands aus dem EU-Ausland sollte zudem ein Urteil des EuGH antizipieren, von dem erwartet wurde, dass es das Versandhandelsverbot für mit der Warenverkehrsfreiheit unvereinbar erklären würde,57 nachdem der Generalanwalt in seinen Schlussanträgen ein Verbot des Arzneiversandhandels als europarechtswidrig angesehen hat.58 Da der EuGH am Ende das Versand­verbot nur bezüglich nicht verschreibungspflichtiger Medikamente als nicht erforderliche Beschränkung der Warenverkehrsfreiheit EU-ausländischer Apothekeninhaber ansah,59 geht das deutsche Recht über die Vorgaben des EuGH nun hinaus.60 4. Anforderungen an den Betrieb öffentlicher Apotheken Das Apothekenrecht formuliert inhaltliche Anforderungen an den Betrieb von Apotheken, insbesondere eine Reihe fachlicher Standards.61 Im Folgenden wird nur auf den Betrieb öffentlicher Apotheken eingegangen, da diese im Mittelpunkt der weiteren Arbeit stehen werden. Der Betrieb einer öffentlichen Apotheke bedarf gemäß § 1 II ApoG einer Erlaubnis, auf die nach § 2 I ApoG ein Anspruch besteht, wenn die dort genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Insbesondere bedarf der Antragsteller einer deutschen62 Approbation als Apotheker und er muss die für den Betrieb einer Apotheke notwendige Zuverlässigkeit besitzen. Apotheker sind zur 54

§ 73 I Nr. 1a AMG. Kügel/Müller/Hofmann/Hofmann, § 43 AMG Rn. 24. 56 BT-Drs. 15/1525, S. 165. In BVerfGE 107, 186 (196 ff.) wurde anlässlich der Beurteilung eines Versandverbotes für Impfstoffe obiter dictum erwähnt, dass ein generelles Versandverbot keine verhältnismäßige Regelung der Berufsausübung darstelle. 57 Vgl. Kügel/Müller/Hofmann/Hofmann, § 43 AMG Rn. 24; Rehmann, § 43 AMG Rn. 3; Krauskopf/Knittel, § 129 SGB V Rn. 3; Kingreen, ZESAR 2004, S. 102 (103); Wille, SdL 2007, Heft Nr. 1, S. 32 (39). 58 GA Stix-Hackl, Schlussanträge v. 11.3.2003 in der Rs. C-322/01, Slg. 2001, I-14890 ff., Rn. 136 ff. 59 EuGH, Rs. C-322/01, NJW 2004, 131 ff., Rn.  45 ff.  – Deutscher Apothekerverband/ DocMorris und Waterval. 60 Erbs/Kohlhaas/Senge, § 11a ApoG Rn. 1; Spickhoff/Sieper, § 11a ApoG, Rn. 3; Lietz, in: Fuhrmann/Klein/Fleischfresser, § 21 Rn. 60. 61 §§ 1–13 ApoG sowie §§ 2–24 ApBetrO regeln den Betrieb öffentlicher Apotheken, §§ 14 ApoG sowie §§ 26–33 ApBetrO den Betrieb von Krankenhausapotheken und § 15 ApoG den Betrieb von Bundeswehrapotheken. 62 Zur Anerkennung im EU-Ausland erworbener Approbationen s. §§ 4 Ia, 11 BApO. 55

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Kap. 1: Der rechtliche Rahmen für die Arzneimittelabgabe

pharmazeutischen Beratung des Kunden verpflichtet.63 Um eine unkontrollierte Abgabe zu verhindern und eine pharmazeutische Beratung sicherzustellen, dürfen apothekenpflichtige Arzneimittel nicht im Wege der Selbstbedienung abgegeben werden.64 Das Apothekenrecht regelt weiterhin die Qualitätsprüfung und Bevorratung von Arzneimitteln65 und stellt Anforderungen an die Beschaffenheit der Apothekenräume66. Außerdem sind Apotheker verpflichtet, ein Qualitätsmanagementsystem zu unterhalten.67 Nach § 7 I 1 ApoG sind Apotheker zur persönlichen Leitung der Apotheke in eigener Verantwortung verpflichtet. Persönliche Leitung bedeutet, dass der Apotheker alle wesentlichen Betriebsvorgänge durch eigenes Tätigwerden oder durch Weisungen maßgeblich bestimmt und den Betrieb der Apotheke laufend überwacht.68 Eigenverantwortung verlangt die fachliche und wirtschaftliche Unabhängigkeit.69 Leitbild des Gesetzgebers ist damit der „Apotheker in seiner Apotheke“,70 der Arzneimittel verantwortungsbewusst, in persönlicher Unabhängigkeit und ausschließlich von berufsrechtlichen und berufsethischen Vorgaben geleitet abgibt.71 Im Apothekengesetz existieren deshalb mehrere Vorschriften, die die Entscheidungsfreiheit des Apothekers bei der Arzneimittelabgabe sichern sollen. Nach § 10 ApoG ist es Apothekern verboten, Verpflichtungen zur bevorzugten Abgabe bestimmter Arzneimittel einzugehen.72 Gemäß § 11 ApoG sind Absprachen zwischen Apothekern und Ärzten z. B. über Patienten- oder Verschreibungszuweisungen grundsätzlich verboten.73 So soll die Trennung von Arzt- und Apothekerberuf gesichert und die Unabhängigkeit der Apotheker gegenüber Ärzten sowie die Entscheidungsfreiheit der Patienten bei der Apothekenwahl geschützt werden.74 Die Unabhängigkeit des Apothekers soll weiter durch bestimmte Anforderungen an die Betriebsorganisation sichergestellt werden. Nach § 8 S. 1 ApoG können mehrere Personen eine Apotheke nur in Form einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts oder einer offenen Handelsgesellschaft betreiben; dabei muss jedem einzelnen 63

§ 20 ApBetrO. § 52 AMG; § 17 III ApBetrO. Zur Verfassungsmäßigkeit s. BVerwGE 144, 355 (358 ff.). 65 §§ 14 ff. ApBetrO. 66 § 4 ApBetrO. 67 § 2a ApBetrO. 68 Erbs/Kohlhaas/Senge, § 7 ApoG Rn. 2; Rixen/Krämer/Rixen, § 7 ApoG Rn. 3. Eingehend zur Betriebsleitung durch den Apotheker Kieser/Wesser/Saalfrank/Kieser, § 7 ApoG Rn. 60 ff. 69 Erbs/Kohlhaas/Senge, § 7 ApoG Rn. 3; Rixen/Krämer/Rixen, § 7 ApoG Rn. 7; Spickhoff/ Sieper, § 7 ApoG Rn. 2. 70 Erbs/Kohlhaas/Senge, § 7 ApoG Rn. 1; Kieser/Wesser/Saalfrank/Kieser, § 7 ApoG Rn. 9 f.; Rixen/Krämer/Rixen, § 7 ApoG Rn. 1. 71 s. dazu Erbs/Kohlhaas/Senge, § 7 ApoG Rn.  1; HK-AKM/Saalfrank, Apotheke (100), Rn. 32 ff.; BVerfGE 17, 237 (240); 75, 166 (178); BGH, GRUR 1981, 282. 72 § 10 ApoG. S. dazu Kieser/Wesser/Saalfrank/Kieser, § 10 ApoG Rn. 1; Spickhoff/Sieper, § 10 ApoG Rn. 1. 73 § 11 I 1 ApoG. 74 Rixen/Krämer/Rixen, § 11 ApoG Rn. 1; Spickhoff/Sieper, § 11 ApoG Rn. 1. 64

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Gesellschafter eine Betriebserlaubnis erteilt werden. Der Betrieb einer Apotheke in Form einer juristischen Person wie beispielsweise einer GmbH ist somit ausgeschlossen (sog. Fremdbesitz- oder Fremdbetriebsverbot75).76 Hinter § 8 S.  1 ApoG steht die Annahme, dass dem Patienten persönlich verpflichtete Apothekeninhaber ihre Entscheidungen weniger stark von Gewinnstreben leiten lassen als eine juristische Person mit beschränkter Haftung.77 In der Literatur stößt das Fremdbesitzverbot mitunter auf Kritik und es wird angenommen, dass es die aus Art. 12 I, 19 III GG folgende Berufsfreiheit sowie die aus Art. 49, 54 AEUV folgende Niederlassungsfreiheit von Apotheken, die als juristische Personen organisiert sind, verletze. Insbesondere wird sog. qualifizierter Fremdbesitz für ein milderes Mittel gehalten, d. h. eine Regelung, dass eine GmbH dann eine Apotheke betreiben darf, wenn alle Gesellschafter Apotheker sind, denen eine Betriebserlaubnis erteilt worden ist.78 Kritisiert wird das Fremdbesitzverbot außerdem in gleichheitsrechtlicher Sicht, weil Ärzten und Rechtsanwälten die Berufsausübung in Form juristischer Personen erlaubt ist.79 Außerdem erlaube das deutsche Recht ausländischen als juristische Person organisierten Apotheken den Versand von Arzneimitteln nach Deutschland.80 Die höchstrichterliche Rechtsprechung billigt das Fremdbesitzverbot indessen zu Recht. Der EuGH geht davon aus, dass die aus dem Fremdbesitzverbot folgende Beschränkung der Niederlassungsfreiheit aus Gründen des Gesundheitsschutzes gerechtfertigt ist. Der Gesetzgeber dürfe annehmen, dass eine natürliche Person stärker als eine juristische von berufsethischen Idealen geleitet werde.81 Das BVerfG hat zwar noch nicht direkt zum Fremdbesitzverbot Stellung genommen, doch hat es in einer Entschei-

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Rixen/Krämer/Krämer, § 8 ApoG Rn. 3. Kieser/Wesser/Saalfrank/Kieser, § 8 ApoG Rn.  19; Spickhoff/Sieper, § 8 ApoG Rn.  1; v. Czettritz, in: Fuhrmann/Klein/Fleischfresser, § 24 Rn.  4; Sandrock/Nawroth, in: Dieners/ Reese, § 9 Rn. 99. 77 Kieser/Wesser/Saalfrank/Kieser, § 8 ApoG Rn.  1 ff.; Rixen/Krämer/Krämer, § 8 ApoG Rn. 5. Vgl. auch HK-AKM/Saalfrank, Apotheke (100), Rn. 33. Zum Fremdbesitzverbot s. auch Byrla, A&R 2015, S. 154 ff. 78 Aus europarechtlicher Sicht Povel, S. 189 ff.; Burk, S. 247 ff.; Götz, S. 155 ff.; vgl. auch Streinz/Herrmann, EuZW 2006, S.  455 (458).  – Aus verfassungsrechtlicher Sicht Povel, S. 67 ff.; Götz, S. 209 f. – Für Vereinbarkeit mit Europarecht dagegen Kiefer, S. 59 ff. – Für Verfassungsmäßigkeit Starck, S. 27 ff.; Burk, S. 170 ff. 79 Bezogen auf Ärzte: Povel, S. 160 ff.; Burk, S. 192 ff.; Götz, S. 222. Bezogen auf Rechtsanwälte: Ring/Vogel, MedR 2014, S. 876 ff. 80 Götz S.  213 f., 220 ff.; Starck, S.  28 ff. Für fehlende Erforderlichkeit des Fremdbesitzverbots als Berufsausübungsregelung deshalb Povel, S. 134. – Dettling/Mand, S. 175 ff., und Saalfrank/Wesser, ZMGR 2008, S.  1 (9), rechtfertigen die deutsche Regelung damit, dass der Gesetzgeber europarechtlich gezwungen sei, ausländischen Apotheken den Versand nach Deutschland zu gestatten. – Eine unzulässige Inländerdiskriminierung nimmt dagegen an Kingreen, ZESAR 2004, S. 102 (103). 81 EuGH, Rs. C-531/06, EuZW 2009, 415 ff., Rn. 49 ff. – Kommission/Italien; Rs. C-171/07, 172/07, NJW 2009, 2112 ff., Rn.  25 ff.  – Apothekerkammer des Saarlandes u. a./Saarland.  – S. zum Ganzen auch Kieser/Wesser/Saalfrank/Kieser, § 7 ApoG Rn. 22 ff. 76

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Kap. 1: Der rechtliche Rahmen für die Arzneimittelabgabe

dung angedeutet, dass es das Fremdbesitzverbot für mit der Berufsfreiheit vereinbar ansieht.82 Ebenfalls soll die persönliche Unabhängigkeit des Apothekers durch das Verbot von Kapitalbeteiligungen an Apotheken nach § 8 S.  2 ApoG gewährleistet werden.83 Weiterhin darf nach § 2 IV, V ApoG jeder Apotheker maximal drei Filialapotheken betreiben (sog. Mehrbesitz- oder Mehrbetriebsverbot84), damit die persönliche Leitung der Apotheke gewährleistet bleibt.85 Nach der zutreffenden höchstrichterlichen Rechtsprechung ist auch das Mehrbesitzverbot mit Verfassungs-86 und Europarecht87 vereinbar. Das Mehrbesitzverbot verhindert Konzentrationswirkungen im Apothekenwesen88 und gewährleistet eine effektive persönliche Überwachung des Apothekenbetriebs durch den Inhaber89. 5. Apotheker als Träger eines staatlich gebundenen Berufs? Die durch das Apothekenrecht statuierten Pflichten, die Apothekertätigkeit am Wohl der Patienten auszurichten und Entscheidungen unabhängig von Gewinnerwartungen zu treffen, kennzeichnen Apotheker als Träger eines sog. freien Berufs.90 Als freie Berufe werden – wobei es sich dabei weniger um einen feststehenden rechtlichen als einen sozialwissenschaftlichen Begriff handelt91  – in Abgrenzung zum Gewerbe solche Berufe bezeichnet, bei denen berufsethisch 82

BVerfGE 17, 232 (246) – Die beurteilte Regelung des § 9 I 1 Nr. 1 ApoG erlaubt die Verpachtung einer Apotheke nur, wenn der Verpächter selbst im Besitz einer Betriebserlaubnis ist. Nach Ansicht des BVerfG dient diese Regelung der Sicherung des Verbots des Fremdbesitzes. S. dazu Starck, S. 10. 83 Erbs/Kohlhaas/Senge, § 8 ApoG Rn. 2; Kieser/Wesser/Saalfrank/Kieser, § 8 ApoG Rn. 34; Rixen/Krämer/Krämer, § 8 ApoG Rn. 3; Spickhoff/Sieper, § 8 ApoG Rn. 3. – Der EuGH, Rs. C-531/06, EuZW 2009, 415 ff., Rn. 98 ff. – Kommission/Italien, erblickte in einem Verbot der Kapitalbeteiligung keinen Verstoß gegen die Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 63 ff. AEUV), da es in verhältnismäßiger Weise Gesundheitsschutz bezwecke. – Zur Vereinbarkeit mit Art. 12 GG s. BGHSt 47, 285 (293 f.). 84 Erbs/Kohlhaas/Senge, § 2 ApoG Rn.  15; Kieser/Wesser/Saalfrank/Saalfrank, § 1 ApoG Rn. 33; Spickhoff/Sieper, § 2 ApoG Rn. 2. 85 BT-Drs. 15/1525, S. 160; Rixen/Krämer/Grau, § 2 ApoG Rn. 19. 86 BVerfGE, 17, 237 ff. Für Verfassungsmäßigkeit ebenfalls Burk, S. 109 ff. – Für fehlende Erforderlichkeit dagegen Povel, S.  156 f. Kritisch auch Götz, S.  166 ff.; Kingreen, ZESAR 2004, S. 102 (103). – Zu gleichheitsrechtlichen Bedenken wegen Nichtexistenz eines Mehrbesitzverbots für Ärzte s. Götz, S. 222. 87 EuGH, Rs. C-171/07, 172/07, NJW 2009, 2112 ff., Rn.  49 ff.  – Apothekerkammer des Saarlandes u. a./Saarland. Für Europarechtskonformität ebenfalls Burk, S.  313 ff.; Kiefer, S. 121 ff. Für fehlende Erforderlichkeit dagegen Götz, S. 208 f.; Povel, S. 166 ff. 88 BVerfGE 17, 232 (243). 89 EuGH, Rs. C-171/07, 172/07, NJW 2009, 2112 ff., Rn. 49 – Apothekerkammer des Saarlandes u. a./Saarland. Ebenso Kieser/Wesser/Saalfrank/Saalfrank, § 1 ApoG Rn. 120. 90 Vgl. BVerfG, NJW 1987, 2919 (2920). Zur Freiberuflichkeit der Apothekertätigkeit s. Götz, S. 79 ff.; Sodan, S. 198 ff.; Maunz/Dürig/Scholz, Art. 12 GG Rn. 268. 91 Breuer, DVBl. 2010, S. 1010 (1010 f.). Vgl. auch Sodan, S. 62.

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nicht das Gewinnstreben im Vordergrund steht.92 Neben Apothekern zählen beispielsweise Ärzte, Rechtsanwälte, Architekten, Ingenieure sowie wissenschaftliche und künstlerische Berufe zu den freien Berufen.93 Im Handelsrecht werden Apotheker – anders als beispielsweise Ärzte – zwar als Gewerbetreibende im Sinne von § 1 HGB angesehen.94 Das hat aber in erster Linie historische Gründe,95 denn das Apothekenwesen wurde erst spät verwissenschaftlicht und bestand lange Zeit in der handwerksmäßigen Zubereitung von Stoffen sowie dem Verkauf weiterer Waren wie Alkohol, Tabak, Kaffee oder Schokolade zur Existenzsicherung.96 In § 1 ApoG wird Apothekern ein Sicherstellungsauftrag für die ordnungsgemäße Arzneimittelversorgung der Bevölkerung auferlegt. Die Apotheker werden dadurch zur Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe herangezogen.97 Öffentliche Aufgaben sind allgemein Tätigkeiten, deren Ausübung im öffentlichen Interesse liegen, weil sie dem Gemeinwohl dienen.98 Teilweise werden Apotheker infolge des sie treffenden Sicherstellungsauftrags als Träger eines sog. staatlich gebundenen Berufs angesehen.99 Als staatlich gebundene Berufe werden in der verfassungsrechtlichen Rechtsprechung und Literatur Berufe bezeichnet, denen staatliche Aufgaben übertragen worden sind, ohne dass aber eine Eingliederung in den öffentlichen Dienst erfolgt; staatlich gebundene Berufe befänden sich auf einer Zwischenstufe zwischen freiem Beruf und öffentlichem Dienst.100 Da die übertragenen Aufgaben vom Staat theoretisch zur eigenen Erledigung durch den Staatsapparat hätten vorbehalten werden können und aufgrund der Nähe solcher Tätigkeiten zum öffentlichen Dienst sei die Berufsfreiheit der betroffenen Berufsträger leichter einschränkbar.101 Die Rechtsfigur des staatlich gebundenen Berufs stößt in der Literatur auf berechtigte Kritik. Es existieren grundsätzlich keine originär dem Staat zugeordneten Aufgaben, die erst in einem Akt der Gewährung zur Erledigung durch Bürger freigegeben werden müssten.102 Sofern Träger von als staatlich gebun 92 Sodan, S. 63 ff.; Maunz/Dürig/Scholz, Art. 12 GG Rn. 268; Breuer, DVBl. 2010, S. 1010 (1010 f.). 93 Maunz/Dürig/Scholz, Art. 12 GG Rn. 268. 94 Spickhoff/Sieper, Vorbemerkung zum ApoG, Rn. 5. 95 BVerfGE 17, 232 (239). 96 Vgl. dazu BVerfGE 7, 377 (387 ff.). 97 Erbs/Kohlhaas/Senge, § 1 ApoG Rn. 1. Vgl. auch BVerfGE 17, 232 (238). 98 Zum Begriff der öffentlichen Aufgabe s. nur Isensee, in: Handbuch des Staatsrechts, Bd. IV, § 73 Rn. 12. 99 Badura, S. 253 („mit Verwaltungsmonopol beliehen“); Hoffmann, § 1 ApoG Rn. 81. 100 BVerfGE 73, 280 (293 f.); 73, 301 (315 f.); 131, 130 (139). Vgl. auch BVerfGE 17, 371 (376 f.). – Zur historischen Entwicklung der Rechtsfigur des staatlich gebundenen Berufs s. Sodan, S. 136 ff.; Maunz/Dürig/Scholz, Art. 12  GG Rn. 233 ff.; Breuer, DVBl. 2010, S. 1010 (1012 f.). 101 Vgl. BVerfGE 73, 301 (315); 131, 130 (139). 102 Sodan, S. 142. Ebenso Maunz/Dürig/Scholz, Art. 12 GG Rn. 235, der lediglich im Rahmen der hoheitlich erfolgenden Eingriffsverwaltung die Existenz originär dem Staat obliegender Aufgaben annimmt. Gegen die Existenz originär dem Staat vorbehaltener öffentlicher Aufgaben auch Hufen, NJW 1994, S. 2913 (2919 f.). Generell kritisch gegenüber der Rechtsfigur des staatlich gebundenen Berufs Isensee, VSSR 1995, S. 321 (336).

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Kap. 1: Der rechtliche Rahmen für die Arzneimittelabgabe

den bezeichneten Berufen besonderen Bindungen unterworfen werden, muss zur Rechtfertigung dieser Bindungen vielmehr darauf abgestellt werden, ob die von ihnen ausgeübten Tätigkeiten eine besondere Gemeinwohlrelevanz aufweisen.103 Doch selbst bei Anerkennung der Rechtsfigur liegt eine Einordnung von Apothekern als Träger eines staatlich gebundenen Berufs fern. Mit der „staatlichen Aufgabe“ sind in erster Linie hoheitliche Tätigkeiten bezeichnet.104 Das Bundesverfassungsgericht sieht insoweit etwa Notare, Prüfingenieure für Baustatik und amtlich bestellte Vermesser als Träger staatlich gebundener Berufe an.105 Die Arzneimittelversorgung ist hingegen noch nie in hoheitlichen Formen erfolgt. Apotheker sind deshalb nicht als Träger eines staatlich gebundenen Berufs anzusehen. Allerdings ist aus einem anderen Grund, nämlich dem Schutz der Volksgesundheit als überragend wichtigem Gut, die Beschränkung der Berufsfreiheit der Apotheker stärkeren Einschränkungen zugänglich.106 Bereits im sog. Apothekenurteil aus dem Jahr 1958107 hat das BVerfG verdeutlicht, dass die Bedeutung, die Arzneimittel für den Erhalt der Volksgesundheit haben, aber auch die schweren Folgen, die aus einem Missbrauch von Arzneimitteln resultieren, Beschränkungen der Berufsausübungsfreiheit von Apothekern rechtfertigen können.108

IV. Arzneimittelverschreibung durch Ärzte Ärzte sind an der Arzneimittelabgabe an den Patienten insoweit beteiligt, als der Arzneimittelabgabe häufig eine ärztliche Verschreibung vorausgeht. Eine Verschreibung ist die Anweisung eines Arztes an einen Apotheker, an den Patienten ein bestimmtes Arzneimittel auszuhändigen oder es herzustellen.109 Die Abgabe von Arzneimitteln ist Ärzten dagegen grundsätzlich untersagt (sog. Dispensierverbot110). Die Abgabe apothekenpflichtiger Arzneimittel ist arzneimittelrechtlich gemäß § 43 AMG den Apothekern vorbehalten. Da das Standesrecht Ärzten allgemein die Abgabe von Waren untersagt,111 dürfen Ärzte darüber hinaus auch keine freiverkäuflichen Arzneimittel abgeben. Das Dispensierverbot ist Ausdruck 103 v. Münch/Kunig/Kämmerer, Art. 12 GG Rn. 22; Breuer, in: Handbuch des Staatsrechts, Bd. VIII, § 170 Rn. 76 f.; Dietlein, in: Stern, Bd. IV/1, § 111 II. 1. g) γ) ββ) (S. 1815). Vgl. auch v. Mangoldt/Klein/Starck/Manssen, Art. 12 GG Rn. 48. 104 Vgl. BVerfGE 73, 301 (316); 131, 130 (139). 105 Für Notare s. etwa BVerfGE 73, 301 (315); 80, 257 (265); 110, 304 (321); BVerfG, NJW 2015, 2642 (2643). – Für Prüfingenieure für Baustatik s. BVerfGE 64, 71 (82 f.). – Für staatlich bestellte Vermesser s. BVerfGE 73, 301 (315 f.). 106 Zur hohen Bedeutung der Volksgesundheit s. BVerfGE 11, 168 (186). 107 BVerfGE 7, 377 ff. 108 BVerfGE 7, 377 (414 f.). 109 Kern, in: Laufs/Uhlenbruck, § 52 Rn. 1. Für bloß feststellenden Charakter der Verschreibung Cyran/Rotta, § 17 ApBetrO Rn. 649. 110 Kaufmann, in: Meier/v. Czettritz/Gabriel/Kaufmann, § 12 Rn. 9; Reese/Stallberg, in: Dieners/Reese, § 17 Rn. 274. 111 Vgl. § 3 II MBO-Ä.

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der gewachsenen Trennung von Arzt- und Apothekerberuf.112 Nicht vom Dispensierverbot erfasst ist lediglich, da es sich insoweit um keine „Abgabe“ handelt, die Anwendung eines Arzneimittels in der Arztpraxis als Teil der ärztlichen Behandlung.113 Teilweise ist das Vorliegen einer ärztlichen Verschreibung überhaupt Voraussetzung dafür, dass ein Arzneimittel abgegeben werden kann. Nach § 48 AMG dürfen bestimmte Arzneimittel ausschließlich bei Vorliegen einer ärztlichen Verschreibung abgegeben werden. Ohne Vorliegen einer Verschreibung besteht ein arzneimittelrechtliches Abgabeverbot und die Abgabe eines verschreibungspflichtigen Arzneimittels ohne zugrunde liegende Verschreibung ist strafbar114. Humanarznei­ mittel sind verschreibungspflichtig, wenn die aufgrund von § 48 II AMG ergangene Arzneimittelverschreibungsverordnung (AMVV) die Verschreibungspflicht anordnet115 oder die Wirkungen des Arzneimittels in der Wissenschaft noch nicht allgemein bekannt sind116. Die Verschreibungspflicht kann für Arzneimittel angeordnet werden, mit deren Einnahme Risiken verbunden sein können. Der Verschreibungspflicht unterfallen somit potentiell nebenwirkungsreiche Arzneimittel oder Arzneimittel mit noch ungeklärten Risiken.117 Sie soll Arzneimittelsicherheit gewährleisten, indem sie Prävention, Risikobeurteilung und Überwachung durch einen Arzt sicherstellt.118 Anforderungen an Form und Inhalt einer Verschreibung verschreibungspflichtiger Arzneimittel enthält § 2 AMVV. Jenseits der Verschreibung verschreibungspflichtiger Arzneimittel kann ein Arzt auch über ein nicht verschreibungspflichtiges Arzneimittel ein Rezept ausstellen. Oft verlangen Kostenträger eine ärztliche Verschreibung des Arzneimittels als Beleg für die medizinische Notwendigkeit der Arzneimitteltherapie.119 Ärztliche Verschreibungen von Fertigarzneimitteln können in unterschiedlichen Konkretisierungsgraden abgefasst werden. Die Verschreibung von Fertigarzneimitteln kann zunächst auf ein konkretes Produkt lauten (sog. Namens­ verschreibung120).121 Der Arzt verschreibt in diesem Fall ein Arzneimittel unter dessen Handelsnamen.122 Ebenfalls möglich ist die bloße Verschreibung eines 112

Baierl/Kellermann, S. 191; Reese/Stallberg, in: Dieners/Reese, § 17 Rn. 274. Zur Trennung von Arzt- und Apothekerberuf s. oben in der Einleitung. 113 Vgl. Kügel/Müller/Hofmann/Hofmann, § 43 AMG Rn. 11. 114 § 96 Nr. 13 AMG. 115 § 48 I Nr. 1 AMG. 116 § 48 I Nr. 3 AMG. 117 Kügel/Müller/Hofmann/Hofmann, § 48 AMG Rn. 3; Beyerlein, PharmR 2006, S. 18 (19); s. dazu auch v. Czettritz, in: Fuhrmann/Klein/Fleischfresser, § 25 Rn. 8 ff. 118 Deutsch/Lippert/Lippert, § 48 AMG Rn.  4; Ratzel/Luxenburger/Lippert, § 31 Rn.  173; Spickhoff/Heßhaus, § 48 AMG, Rn.  1; v. Czettritz, in: Fuhrmann/Klein/Fleischfresser, § 25 Rn. 3; Sandrock/Nawroth, in: Dieners/Reese, § 9 Rn. 10; BVerfG, NJW 2013, 1220 (1221). 119 Vgl. für das Recht der privaten Krankenversicherung § 4 MBKK. 120 Baierl/Kellermann, S.  196; Kaufmann, in: Meier/v. Czettritz/Gabriel/Kaufmann, § 12 Rn. 9. 121 § 2 I Nr. 4 Var. 1 AMVV. 122 OLG München, NJW-RR 1992, S. 738.

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Kap. 1: Der rechtliche Rahmen für die Arzneimittelabgabe

Wirkstoffs (sog. generische Verschreibung oder Wirkstoffverschreibung123).124 Da für Wirkstoffe häufig unterschiedliche chemische Bezeichnungsmöglichkeiten existieren, erfolgt die Wirkstoffverschreibung regelmäßig derart, dass der sog. INN-Name125 des Wirkstoffs angegeben wird.126 Weiterhin kann der Arzt ein Arzneimittel namentlich verschreiben, aber dem Apotheker die Ersetzung durch ein wirkstoffgleiches Arzneimittel gestatten.127 Man spricht von einer sog. Aut-idemVerschreibung. Die lateinische Wendung „aut idem“ bedeutet „oder dasselbe“. Eine Aut-idem-Verschreibung wird klassisch ausgestellt, indem der Arzt ein Arznei­ mittel namentlich verordnet und daneben den Vermerk „aut idem“ setzt.128 Darüber hinaus existiert noch die Aut-simile-Verschreibung (von lat. „aut simile“ =   „etwas Ähnliches“), die dem Apotheker erlaubt, anstelle des verordneten ein wirkungs- aber nicht zwingend wirkstoffgleiches Arzneimittel abzugeben, in der Regel unter der Bedingung, dass das namentlich verschriebene Arzneimittel nicht vorrätig ist.129 Die Ausstellung einer Aut-simile-Verschreibung ist jedoch nur im Bereich nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel zulässig, denn verschreibungspflichtige Arzneimittel müssen zumindest dem Wirkstoff nach ärztlich verordnet sein.130

V. Die Behandlung ärztlicher Verschreibungen durch Apotheker Legt ein Patient eine ärztliche Verschreibung in der Apotheke vor, enthält das Apothekenrecht verschiedene Regelungen, wie Apotheker ärztliche Verschreibungen behandeln müssen. Nach § 17 V 1 ApBetrO muss das abgegebene Arzneimittel der ärztlichen Verschreibung (Var. 1) und den damit verbundenen Pflichten nach dem Fünften Buch Sozialgesetzbuch (Var. 2) entsprechen. Der Verweis auf die Pflichten nach dem Fünften Buch Sozialgesetzbuch stellt nach der Verordnungsbegründung eine Folgeregelung zu § 129 SGB V dar,131 sodass mit dem Verweis auf die Pflichten nach dem SGB V vor allem die Vorgaben des § 129 SGB V in Bezug genommen sind.132 § 7 I 1 ApBetrO regelt für Rezepturarzneimittel noch 123 Kügel/Müller/Hofmann/Hofmann, § 48 AMG Rn. 6; Rehmann, § 48 AMG, Rn. 1; Kaufmann, in: Meier/von Czettritz/Gabriel/Kaufmann, § 12 Rn. 9. 124 § 2 I Nr. 4 AMVV. 125 Die INN-Nomenklatur (Abkürzung von „international nonproprietary names“) wird von der WHO geführt und enthält gemeinfreie Namen für Wirkstoffe. Ziel ist, dieselben Wirkstoffe international einheitlich bezeichnen zu können. 126 Kloesel/Cyran, § 2 AMVV Rn. 10. 127 Vgl. Cyran/Rotta, § 17 ApBetrO Rn. 733. 128 Pfeil/Pieck/Blume, § 17 ApBetrO Rn. 352. 129 Pfeil/Pieck/Blume, § 17 ApBetrO Rn. 352. 130 Vgl. § 2 I Nr. 4 AMVV. 131 BT-Drs. 15/1525, S. 164. 132 Erbs/Kohlhaas/Senge, § 17 ApBetrO Rn.  10; Spickhoff/Walter, 1. Aufl., § 17 ApBetrO Rn.  8. Vgl. auch Pfeil/Pieck/Blume, § 17 ApBetrO Rn.  359.  – Näher zu den Pflichten nach § 129 SGB V s. unten Kapitel 4 B.

A. Die Arzneimittelabgabe nach Arzneimittel- und Apothekenrecht 

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mals gesondert, dass das vom Apotheker hergestellte Arzneimittel dem ärztlich verordneten entsprechen muss. Die Vorschriften des § 17 V 1 Var. 1 ApBetrO und des § 7 I 1 ApBetrO enthalten sog. Substitutionsverbote.133 Im apothekenrechtlichen Sinne bedeutet Substitution die Abgabe oder Herstellung eines anderen als des ärztlich verschriebenen Arzneimittels durch den Apotheker.134 Die Handlungsspielräume, die die Substitutionsverbote dem Apotheker belassen, hängen dabei vom Konkretisierungsgrad der ärztlichen Verordnung ab. Verordnet der Arzt ein Fertigarzneimittel unter seinem Handelsnamen, stellt jede Abgabe eines anderen Arzneimittels eine Substitution dar.135 Nur während der Dienstbereitschaft nach Ladenschluss ist es Apothekern in dringenden Fällen gestattet, ein namentlich verschriebenes Arzneimittel durch ein wirkstoffgleiches zu ersetzen (sog. Aut-idem-Substitution136), um Engpässen zu begegnen.137 Verordnet der Arzt ein Arzneimittel unter seiner Wirkstoffbezeichnung oder gestattet er mittels einer Aut-idem-Verschreibung die Ersetzung des namentlich genannten Arzneimittels durch ein wirkstoffgleiches, ist dem Apotheker hingegen die Abgabe jedes Arzneimittels des entsprechenden Wirkstoffs erlaubt.138 Die Substitutionsverbote erfassen sämtliche ärztlich verschriebenen Arzneimittel, unabhängig davon, ob sie nach Arzneimittelrecht der Verschreibungspflicht unterliegen. Ist das vom Arzt verschriebene Arzneimittel verschreibungspflichtig, verlässt ein substituierender Apotheker aber zugleich den Bereich der vom Arzt geschaffenen arzneimittelsicherheitsrechtlichen Abgabeerlaubnis und verletzt § 48 AMG.139 Während die Substitutionsverbote dem Apotheker negativ verbieten, die ärztliche Verordnung abweichend zu beliefern, statuiert § 17 IV ApBetrO zusätzlich positiv, dass ärztliche Verschreibungen in angemessener Zeit beliefert werden müssen. Die Pflicht zur zügigen Rezeptbelieferung setzt denklogisch voraus, dass den Apotheker generell die Pflicht trifft, ärztliche Verordnungen zu beliefern, sodass § 17 IV ApBetrO stillschweigend eine Rezeptbelieferungspflicht für Apotheker normiert.140 Die Pflicht zur Belieferung ärztlicher Verordnungen nach § 17 IV ApBetrO konkretisiert den Sicherstellungsauftrag für die ordnungsgemäße Arzneimittelversorgung nach § 1 I ApoG und den daraus folgenden Kontrahierungszwang: Aufgrund der ärztlichen Verschreibung wird vermutet, dass der betreffende 133 Für § 7 I ApBetrO: Erbs/Kohlhaas/Senge, § 7 ApBetrO Rn. 1; Pfeil/Pieck/Blume, § 7 ApBetrO Rn. 20 f. – Für § 17 V 1 ApBetrO: Erbs/Kohlhaas/Senge, § 17 ApBetrO Rn. 10; Pfeil/ Pieck/Blume, § 17 ApBetrO Rn. 345 ff.; Rixen/Krämer/Krämer, § 17 ApBetrO Rn. 24. 134 Cyran/Rotta, § 17 ApBetrO Rn. 727; Pfeil/Pieck/Blume, § 17 ApBetrO Rn. 345. 135 Pfeil/Pieck/Blume, § 17 ApBetrO Rn. 348. 136 Cyran/Rotta, § 17 ApBetrO Rn. 777; Erbs/Kohlhaas/Senge, § 17 ApBetrO Rn. 11. 137 § 17 Va ApBetrO. Vgl. dazu BR-Drs. 515/94, S. 23 f. 138 Pfeil/Pieck/Blume, § 17 ApBetrO Rn. 352; Rixen/Krämer/Krämer, § 17 ApBetrO Rn. 25. 139 Vgl. Rehmann, § 48 AMG Rn. 1. 140 Cyran/Rotta, § 17 ApBetrO Rn. 685; Erbs/Kohlhaas/Senge, § 17 ApBetrO Rn. 9; HK-AKM/ Saalfrank, Apotheke (100), Rn. 122; Pfeil/Pieck/Blume, § 17 ApBetrO Rn. 337.

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Kap. 1: Der rechtliche Rahmen für die Arzneimittelabgabe

Patient das verschriebene Arzneimittel benötigt.141 Im Zusammenspiel begründen Substitutionsverbote und Rezeptbelieferungspflicht für Apotheker eine umfassende Pflicht zur Befolgung der ärztlichen Verordnung.142 So soll erreicht werden, dass der Arzt den Therapieprozess trotz Bestehen des Dispensierverbotes umfassend steuern kann.143 Die Rezeptbefolgungspflicht schützt damit die ärztliche Therapiefreiheit.144 Enthält eine Verschreibung einen für den Apotheker erkennbaren Irrtum, ist sie nicht lesbar oder ergeben sich sonstige Bedenken, darf das Arzneimittel gemäß §§ 7 I 4, 17 V 2 ApBetrO nicht abgegeben werden, bevor die Unklarheit beseitigt ist. Ein Apotheker darf ärztliche Verordnungen somit nicht blind befolgen.145 Er muss unter dem Gesichtspunkt pharmazeutischer Bedenken beispielsweise überprüfen, ob die vom Arzt verordnete Dosierung und Darreichungsform aus pharmazeutischer Sicht unbedenklich erscheinen.146 Pharmazeutische Bedenken bestehen außerdem, wenn zwei Arzneimittel gleichzeitig verordnet werden, die inkompatibel sind oder gefährliche Interaktionen entfalten können.147 Schließlich können dem Apotheker bekannte Unverträglichkeiten des Patienten pharmazeu­tische Bedenken begründen.148 Nicht zu den pharmazeutischen Bedenken in diesem Sinne zählen Bedenken, die sich gegen die Opportunität der Arzneimitteltherapie aus medizinischer Sicht richten.149 Dem Apotheker ist nämlich die Diagnose meist schon nicht bekannt.150 Zudem könnte der Apotheker selbst bei Kenntnis der Diagnose aufgrund des weiten ärztlichen Ermessens bei der Therapiewahl die Zweckmäßigkeit der Verordnungsentscheidung kaum beurteilen.151 Als Mittel zur Ausräumung von Unklarheiten kommt vor allem die telefonische Rücksprache des Apothekers mit dem Arzt in Betracht.152 Besteht der Arzt nach der Rücksprache weiterhin auf der Beachtung seiner Verordnung, ist der Apotheker

141

Vgl. Breyer, § 1 ApoG Anm. 3 (S. 163). Vgl. Bitter/Ehlers, pharmind 2014, 588 (590). 143 Vgl. Reese/Stallberg, in: Dieners/Reese, § 17 Rn.  274; Sandrock/Nawroth, in: Dieners/ Reese, § 9 Rn. 103. 144 Pfeil/Pieck/Blume, § 17 ApBetrO Rn. 347; Reese/Stallberg, in: Dieners/Reese, § 17 Rn. 275; Gassner, PharmR 2002, S. 165 (168). Vgl. auch HK-AKM/Brucklacher, Aut idem (695), Rn. 3. 145 Obermayer, S. 164; Wigge/Frigger, A&R 2013, S. 298 (299 f.). Vgl. auch Wigge/Schütz, A&R 2016, S. 7 (9); OLG Köln VersR 2014, S. 106 (110). 146 Pfeil/Pieck/Blume, § 17 ApBetrO Rn. 369; Rixen/Krämer/Krämer, § 17 ApBetrO Rn. 27; Byrla, PZ 2014, Heft Nr. 26, S. 54. 147 Pfeil/Pieck/Blume, § 17 ApBetrO Rn. 369; Rixen/Krämer/Krämer, § 17 ApBetrO Rn. 27. 148 Pfeil/Pieck/Blume, § 20 ApBetrO Rn. 89. 149 Pfeil/Pieck/Blume, § 17 ApBetrO Rn. 361; Spickhoff/Knauer, § 96 AMG Rn. 13; Wigge/ Frigger, A&R 2013, S. 298 (299 f.); OLG Köln VersR 2014, 106 (110 f.). Vgl. auch Obermayer, S. 166; Byrla, PZ 2014, Heft Nr. 26, S. 54; BGHSt 49, 17 (20). 150 Byrla, PZ 2014, Heft Nr. 26, S. 54 (55). Vgl. auch Cyran/Rotta, § 17 ApBetrO Rn. 760. 151 Byrla, PZ 2014, Heft Nr. 26, S. 54 (55). 152 Pfeil/Pieck/Blume, § 17 ApBetrO Rn. 396. 142

A. Die Arzneimittelabgabe nach Arzneimittel- und Apothekenrecht 

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verpflichtet, die Verordnung zu beliefern.153 Im Hinblick auf die Frage, ob der Apotheker gleichwohl berechtigt ist, dem Patienten seine Bedenken offenzulegen, ist zu beachten, dass die pharmazeutische Beratung des Apothekers nach § 20 Ia ApBetrO die ärztliche Therapie nicht beeinträchtigen darf.154 Daraus herzuleiten, dass der Apotheker dem Patienten seine Bedenken generell nicht mitteilen darf,155 erscheint aber mit Rücksicht auf das gesundheitliche Selbstbestimmungsrecht des Patienten bedenklich.156 Der Apotheker ist berechtigt, dem Patienten seine Bedenken offenzulegen, sodass der Patient selbst entscheiden kann, ob er das Arzneimittel einnehmen möchte;157 allerdings muss der Apotheker ebenfalls darlegen, mit welchen Erwägungen der Arzt die Bedenken entkräftet hat158.

VI. Arzneimittelpreisbildung Von Relevanz für die Arzneimittelabgabe an den Patienten ist schließlich der Preis. Für zahlreiche Arzneimittel ist der Abgabepreis verbindlich in der auf § 78 I AMG gestützten Arzneimittelpreisverordnung (AMPreisV) in Form eines Preisspannensystems normiert. Durch die Festsetzung einheitlicher Preise soll ein ruinöser Preiswettbewerb unter den Apotheken ausgeschlossen und so eine hinreichende Apothekendichte gewährleistet werden.159 Anwendbar ist die Arzneipreisverordnung auf alle Arzneimittel, die sowohl apotheken- als auch verschreibungspflichtig sind,160 wobei allerdings in Krankenhausapotheken abgegebene Arzneimittel grundsätzlich nicht dem Preisspannenregime unterliegen.161 Für Fertigarzneimittel werden auf den einzelnen Handelsstufen, d. h. beim Verkauf durch den Hersteller an den Großhändler und beim Verkauf vom Großhändler an den Apotheker, Preisspannen auf den Herstellerabgabepreis hinzu­addiert.162 Den Herstellerabgabepreis darf der pharmazeutische Unternehmer frei bestimmen. Er ist lediglich verpflichtet, den Herstellerabgabepreis einheitlich festzulegen.163 Nur vereinzelt bestehen in Bezug auf Fertigarzneimittel Ausnahmen von dem Preisspannensystem. Beispielsweise unterliegen Fertigarzneimittel, die in 153

Deutsch/Spickhoff, Rn.  2031; Pfeil/Pieck/Blume, § 17 ApBetrO Rn.  397; Wigge/Schütz, A&R 2015, S. 243 (248). 154 Pfeil/Pieck/Blume, § 17 ApBetrO Rn. 398; Wigge/Schütz, A&R 2015, S. 243 (248). 155 So Pfeil/Pieck/Blume, § 17 ApBetrO Rn. 398, § 20 ApBetrO Rn. 86 f. Nach Cyran/Rotta, § 17 ApBetrO Rn. 761, soll eine Mitteilung der Bedenken nur ausnahmsweise zulässig sein. 156 Wigge/Schütz, A&R 2015, S. 243 (248). 157 Cyran/Rotta, § 20 ApBetrO Rn. 53. 158 Vgl. zu der einer Therapie abträglichen Verunsicherung des Patienten, wenn der Apotheker dem Patienten einseitig seine Bedenken mitteilt, Pfeil/Pieck/Blume, § 20 ApBetrO Rn. 86. 159 Spickhoff/Kutlu, § 1 AMPreisV Rn. 2. – S. aber dazu auch unten Kapitel 2 B. IV. 1. 160 § 1 I, II, IV AMPreisV. 161 § 1 III 1 Nr. 1 HS. 1 AMPreisV. 162 §§ 1 I, 2 f. AMPreisV. 163 § 78 III 1 HS. 1 AMG.

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Kap. 1: Der rechtliche Rahmen für die Arzneimittelabgabe

parenteralen Zubereitungen zum Einsatz kommen, keiner umfassenden Preisbindung.164 Der Apothekeneinkaufspreis von Fertigarzneimitteln, die in parenteralen Zubereitungen zur Anwendung kommen, wird durch die Arzneipreisverordnung nicht vorgegeben.165 So sollen gleiche Wettbewerbsbedingungen für alle Apotheken, die parenterale Zubereitungen herstellen, geschaffen werden,166 d. h. öffentliche Apotheken sollen zu Krankenhausapotheken, für die die Arzneipreisverordnung grundsätzlich nicht gilt, im Hinblick auf die oft teuren parenteralen Zubereitungen in einen Preiswettbewerb treten können.167 Für parenterale Zubereitungen regelt die Arzneipreisverordnung lediglich subsidiär Zuschläge auf den Apothekeneinkaufspreis der verwendeten Fertigarzneimittel und den maximal gegenüber den Kostenträgern abrechnungsfähigen Apothekeneinkaufspreis168 Soweit parenterale Zubereitungen in der ambulanten onkologischen Versorgung eingesetzt werden sollen, gelten gleichzeitig die soeben dargestellten Begrenzungen der Abrechnungsfähigkeit ausnahmsweise auch für Krankenhausapotheken, um privatversicherte Patienten vor finanzieller Überforderung beim Bezug dieser sehr teuren Arzneimittel zu schützen.169 Für Rezepturarzneimittel ist in der Arzneipreisverordnung ein Festzuschlag von 90 % auf den Apothekeneinkaufspreis des für die Arzneizubereitung verwendeten Stoffs festgesetzt und es wird daneben ein Rezepturzuschlag angesetzt.170 Seit Inkrafttreten des Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetzes im Jahr 2017  fällt für bestimmte, in § 5 I Nr. 3 AM-PreisV näher bezeichnete Rezepturarzneimittel außerdem ein Festzuschlag von 8,35 € an.171 Die abrechnungsfähigen Einkaufspreise172 und die Zuschlagshöhe173 können jedoch durch Vereinbarungen zwischen Apotheker- und Kostenträgerseite auf Individual- oder Verbandsebene abweichend geregelt werden.

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Vgl. § 1 III Nr. 8 AMPreisV. Vgl. Spickhoff/Kutlu, § 1 AMPreisV Rn. 14. 166 BT-Drs. 16/12256, S. 62. 167 Vgl. Dettling/Kieser/Ulshöfer, PharmR 2009, S. 421 (426 f.). 168 § 5 VI AMPreisV (Zuschläge); § 5 IV 3 AMPreisV (Einkaufspreis). – Vorrangig ist über die abrechnungsfähigen Zuschläge und Einkaufspreise eine Vereinbarung zwischen Apothekerund Kostenträgerseite zu schließen, vgl. § 5 IV 1, 2, V 1, 2 AMPreisV. 169 Vgl. § 1 III 1 Nr. 1 HS. 2 AMPreisV. S. dazu die Beschlussempfehlung des Gesundheitsausschusses zum Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetz, BT-Drs. 18/11449, S. 41. 170 §§ 1 II, 5 I, II,  III  AMPreisV. – Für parenterale Lösungen gelten allerdings die im voraus­gehenden Absatz erwähnten Sonderregelungen; s. dazu auch Dettling/Kieser/Ulshöfer, PharmR 2009, S. 421 ff. 171 Die dort bezeichneten Rezepturarzneimittel, bei denen es sich um Standardrezepturen handle, sollen ausweislich der Gesetzesbegründung auf diese Weise Fertigarzneimitteln gleichgestellt werden. Diese Maßnahme diene zugleich dem berechtigten Interesse der Sicherstellung mit Standard-Rezepturarzneimitteln, BT-Drs. 18/10208, S. 42. 172 § 5 IV AMPreisV. 173 § 5 V AMPreisV.

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B. Die Arzneimittelversorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung

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B. Die Arzneimittelversorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung I. Die Grundstrukturen des Rechts der gesetzlichen Krankenversicherung Die gesetzliche Krankenversicherung hat gemäß § 1 S. 1 SGB V die Aufgabe, die Gesundheit der Versicherten zu erhalten, wiederherzustellen oder ihren Gesundheitszustand zu bessern. Hierzu stellt sie ihren Versicherten Leistungen zur Verfügung.174 Die gesetzliche Krankenversicherung sichert somit das Lebensrisiko Krankheit ab. Bei Vorliegen einer Krankheit besteht nach § 27 SGB V ein Anspruch auf Krankenbehandlung. Bei dem in § 27 SGB V gebrauchten Krankheitsbegriff handelt es sich um einen spezifisch auf die Zwecke des SGB  V ausgerichteten normativen Begriff, der nicht zwingend mit dem Krankheitsbegriff anderer Disziplinen übereinstimmt.175 Auslegungsrelevant sind insoweit Leistungsspektrum und Behandlungsziele des Krankenversicherungsrechts.176 Im Falle einer Krankheit gewährt das SGB V Krankenbehandlung oder Krankengeld als Leistungen. Krankheit im Sinne des SGB V bedeutet deshalb einen vom Leitbild des gesunden Durchschnittsmenschen abweichender Körper- oder Geisteszustand, der behandlungsbedürftig ist oder arbeitsunfähig macht.177 Der Kreis der Versicherten ist in §§ 5 ff. SGB V geregelt. Überwiegend sind die Versicherten kraft Gesetzes pflichtversichert. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit einer freiwilligen Versicherung. Nach Maßgabe von § 10 SGB V sind außerdem die Ehepartner oder Kinder von Versicherten im Wege der sog. Familienversicherung gesetzlich krankenversichert. Die Krankenkassen sind als Körperschaften des öffentlichen Rechts organisiert.178 Abgesehen von den Familienversicherten179 sind die Versicherten Mitglieder der für sie zuständigen Krankenkasse.180 Die Leistungsansprüche der gesetzlichen Krankenversicherung sind anders als in der privaten Krankenversicherung181 grundsätzlich nicht auf Kostenerstattung gerichtet, sondern es gilt das Sachleistungsprinzip. Den Versicherten werden die 174

s. dazu §§ 11, 24–52 SGB V. Hauck/Noftz/Steege, § 27 SGB V Rn. 28 ff.; Prehn, VSSR 2014, S. 1 (5 ff., 21 ff.); s. auch Waltermann, Rn. 195. 176 Prehn, VSSR 2014, S. 1 (7). 177 Waltermann, Rn. 195 f.; Becker/Kingreen/Lang, § 27 SGB V Rn. 14; Hauck/Noftz/Steege, § 27 SGB V Rn. 27; Kasseler Kommentar/Nolte, § 27 SGB V Rn. 9; BSGE 90, 289 (290); 100, 119 (120); 111, 289 (291); 117, 212 (216 f.). Eingehend zum Krankheitsbegriff Prehn, VSSR 2014, S. 1 ff. 178 § 29 I SGB IV; § 4 I SGB V. 179 Vgl. BeckOK SozR/Heberlein, § 186 SGB V Rn.  3; Kasseler Kommentar/Peters, § 186 SGB V Rn. 40. 180 §§ 186 ff. SGB V. 181 Vgl. dazu § 1 I 2 lit. a MBKK. 175

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Kap. 1: Der rechtliche Rahmen für die Arzneimittelabgabe

Leistungen unmittelbar als Sach- oder Dienstleistung zur Verfügung gestellt.182 Die Krankenkassen erbringen dabei die Sach- und Dienstleistungen nicht selbst, sondern organisieren sie bei Leistungserbringern, mit denen sie über die Erbringung der Leistungen Verträge schließen.183 Gegen die Krankenkassen richten sich die Vergütungsansprüche der Leistungserbringer.184 Eine Kostenerstattung ist nur in den in § 13 SGB V geregelten Ausnahmefällen möglich. Das Sachleistungsprinzip soll die Versicherten vor finanziellen Belastungen schützen, die mit einer Vorleistung verbunden sind.185 Zugleich erlaubt es den Krankenkassen, die Versorgung stärker steuernd mitzugestalten.186 Die für die Zurverfügungstellung der Leistungen relevanten Vorschriften des SGB  V sind formal betrachtet zweigeteilt. Das Dritte Kapitel des SGB  V187 regelt die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung (sog. Leistungsrecht). Das Vierte Kapitel (sog. Leistungserbringungsrecht) regelt die Rechtsbeziehungen zwischen Krankenkassen und Leistungserbringern. Diese beiden Rechtsmaterien bilden aber trotz ihrer formalen Trennung eine Einheit. Das Leistungserbringungsrecht sieht an vielen Stellen Regelungen zwischen Krankenkassen und Leistungserbringern oder ihren Verbänden über Art und Umfang der zu erbringenden Leistungen vor. Beispielsweise regelt der zwischen GKV-Spitzenverband und Kassenärztlicher Bundesvereinigung geschlossene einheitliche Bewertungsmaßstab Inhalt und Umfang der für Vertragsärzte abrechnungsfähigen Leistungen.188 Erst im Zusammenspiel von Leistungs- und Leistungserbringungsrecht ergibt sich, zu welchen Leistungen die Krankenkasse verpflichtet ist.189 Das Leistungserbringungsrecht konkretisiert insoweit den Leistungsanspruch der Versicherten.190 In langjähriger Rechtsprechung hat das BSG den Leistungsanspruch des Versicherten insoweit als Rahmenrecht bezeichnet, dessen genauer Inhalt und Umfang von der untergesetzlichen Ausgestaltung abhängig sei.191 In zwei Entscheidungen aus 182

§ 2 II 1 SGB V. § 2 II 3 SGB V. 184 Muckel/Ogorek, S. 163. 185 Becker/Kingreen/Scholz, § 2 SGB V Rn. 13; BeckOK SozR/Joussen, § 2 SGB V Rn. 6; Eichenhofer/Wenner/Axer, § 2 SGB V Rn. 23; Hauck, in: Handbuch des Krankenversicherungsrechts, § 8 Rn. 9. 186 Eichenhofer/Wenner/Axer, § 2 SGB V Rn. 23; Hauck, in: Handbuch des Krankenversicherungsrechts, § 8 Rn. 9. 187 §§ 11–68 SGB V. 188 § 87 I 1, II SGB V. 189 Axer, GesR 2015, S. 641 (642); Propp, in: Handbuch des Vertragsarztrechts, 3. Aufl., § 12 Rn. 85 ff.; BSG, GesR 2006, 472 (474); BSGE 117, 1 (3 f.). 190 Becker/Kingreen/Becker/Kingreen, § 11 SGB V Rn. 20 ff.; Hauck/Noftz/Noftz, § 2 SGB V Rn. 80; jurisPK-SGB V/Engelhard, § 12 SGB V Rn. 144; LPK/Schuler, § 69 SGB V Rn. 2; Sodan, in: Handbuch des Krankenversicherungsrechts, § 13 Rn. 3; BSG, GesR 2006, 472 (474); BSGE 103, 106 (120 f.); 117, 1 (3); 117, 10 (16). 191 BSGE 73, 271 (278 ff.); BSG SozR 4-2500 § 132a Nr. 3 Rn. 29 ff.; SozR 4-2500 § 125 Nr. 3 Rn. 17, 20; BSGE 103, 106 (120 f.); BSG SozR 4-2500 § 135 Nr. 22 Rn. 46. – Zur Bezeichnung des Leistungsanspruchs als Rahmenrecht s. auch BSGE 78, 70 (88); 78, 154 (155); 183

B. Die Arzneimittelversorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung

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dem Jahr 2014192 und auch in der Folgezeit193 geht allerdings der erste Senat des BSG nunmehr davon aus, dass der Leistungsanspruch kein bloßes Rahmenrecht darstelle, sondern dass es sich um einen konkreten Individualanspruch des Versicherten handle, dessen Reichweite und Gehalt sich aus dem Zusammenspiel mit weiteren gesetzlichen und untergesetzlichen Rechtsnormen ergebe194. Die wichtigste Konkretisierungsinstanz bildet dabei der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA). Der Gemeinsame Bundesausschuss ist ein rechtsfähiges Gremium, das von den Kassenärztlichen Bundesvereinigungen, der Deutschen Krankenhausgesellschaft und dem GKV-Spitzenverband gebildet wird.195 Er beschließt durch Richtlinien in weitreichendem Maße über die zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung erbringbaren Leistungen. Finanziert werden die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung insbesondere durch Beiträge.196 Die Beitragshöhe bemisst sich in Form eines bestimmten Prozentsatzes der beitragspflichtigen Einnahmen197 des Versicherten.198 Anders als in der privaten Krankenversicherung ist die finanzielle Belastung des Versicherten damit unabhängig von dessen individuellem Risiko.199 Dahinter steht der für die gesetzliche Krankenversicherung kennzeichnende, auch im verfassungsrechtlichen Begriff der Sozialversicherung wurzelnde Gedanke des sozialen Ausgleichs.200 Der allgemeine Beitragssatz beträgt derzeit 14,6 % der beitragspflichtigen Einnahmen.201 Daneben können die Krankenkassen im Bedarfsfall einen kassenindividuellen Zusatzbeitrag erheben.202

II. Das Wirtschaftlichkeitsgebot Von maßgeblicher Bedeutung für die Bestimmung des Umfangs der Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung ist das Wirtschaftlichkeitsgebot. Das Wirtschaftlichkeitsgebot stellt das Grundprinzip des Rechts der gesetzlichen Kranken-

79, 190 (192); 79, 257 (259 f.); 81, 73 (78); 81, 245 (248); 82, 158 (161) 89, 86 (88); BSG SozR 4-2500 § 33 Nr. 17 Rn. 18 ff.; BSGE 105, 157 (163). 192 BSGE 117, 1 (3 f.); 117, 10 (12). 193 BSG SozR 4-2500 § 140 Nr. 1 Rn. 16; BSG, Urt. v. 31.5.2016, B 1 A 2/15 R, Rn. 19 (juris). 194 s. umfassend zur Entwicklung der Rechtsprechung und der Literatur Propp, in: Handbuch des Vertragsarztrechts, 3. Aufl., § 12. 195 § 91 I SGB V. 196 § 220 I 1 SGB V. 197 Zu den beitragspflichtigen Einnahmen der Versichertengruppen s. §§ 226 ff. SGB V. 198 Eichenhofer/Wenner/Axer, § 220 SGB V Rn. 12. 199 Eichenhofer/Wenner/Axer, § 220 SGB V Rn. 12. 200 Waltermann, Rn. 116; Eichenhofer/Wenner/Axer, § 220 SGB V Rn. 19. Eingehend zum Solidarausgleich in der GKV Butzer, S. 218 ff., 361 ff.; Wallrabenstein, S. 335 ff. 201 § 241 SGB V. 202 § 242 SGB V.

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Kap. 1: Der rechtliche Rahmen für die Arzneimittelabgabe

versicherung dar.203 Es wägt das Patienteninteresse an möglichst umfänglichen Leistungen mit dem Interesse der Versichertengemeinschaft an möglichst geringen Kosten ab.204 Nach § 2 I 1 SGB V stellen die Krankenkassen den Versicherten die Leistungen unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots nach § 12 SGB V zur Verfügung. In § 12 SGB V ist geregelt, dass Leistungen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein müssen und das Maß des Notwendigen nicht überschreiten dürfen. Für die Verträge des Leistungserbringungsrechts werden diese Vorgaben in § 70 I 2 SGB V aufgegriffen. Das Wirtschaftlichkeitsgebot gilt damit für das Leistungsrecht und das Leistungserbringungsrecht gleichermaßen.205 Als Folge dessen, dass die Gewährung von Leistungen unter den Vorbehalt des Wirtschaftlichkeitsgebots gestellt wird, muss das Wirtschaftlichkeitsgebot bei jeder Prüfung von Leistungsansprüchen als Tatbestandsmerkmal mitgeprüft werden.206 Indem § 12 SGB V festlegt, dass die Leistungen den dort genannten Anforderungen genügen müssen, hat das Wirtschaftlichkeitsgebot sowohl eine anspruchsbegründende – die Leistungen der GKV müssen dort genannten Anforderungen genügen  – als auch eine anspruchsbegrenzende  – dem Wirtschaftlichkeitsgebot widersprechende Leistungen dürfen nicht geleistet werden – Wirkung.207 Dem Wirtschaftlichkeitsgebot lassen sich vier Begriffselemente entnehmen: ausreichend – zweckmäßig – notwendig – wirtschaftlich. Verbreitet wird angenommen, dass die Begriffselemente in einem inneren Zusammenhang stehen und nicht völlig isoliert betrachtet werden können.208 Dennoch lassen sich den einzelnen Begriffselementen auch voneinander unterscheidbare Inhalte zuweisen. „Ausreichend“ statuiert ein Untermaßverbot; die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung müssen so beschaffen sein, dass eine wirksame Behandlung möglich ist.209 Dadurch wird ein Leistungsstandard vorgeschrieben, der nicht unterschritten werden darf.210 „Zweckmäßig“ meint, dass die Leistungen objektiv geeignet

203

Münkler, S. 136; v. Langsdorff, in: Handbuch des Krankenversicherungsrechts, § 9 Rn. 1. Gottwald, S. 36; Münkler, S. 181 ff.; v. Langsdorff, in: Handbuch des Krankenversicherungsrechts, § 9 Rn. 1. 205 Eichenhofer/Wenner/Axer, § 2 SGB V Rn.  3; BSG SozR 4-2500 § 129 Nr.  11 Rn.  23; SozR 4-2500 § 137 Nr. 7 Rn. 13. 206 Gottwald, S. 36; Becker/Kingreen/Scholz, § 12 SGB V Rn. 4; Kasseler Kommentar/Roters, § 12 SGB V Rn. 3; BSGE 117, 82 (89); BSG SozR 4-2500 § 69 Nr. 10 Rn. 19. Vgl. auch Münkler, S. 136 f. 207 Becker/Kingreen/Scholz, § 12 SGB V Rn.  2; Kasseler Kommentar/Roters, § 12 SGB V Rn. 2. 208 Apeltauer, S.  151; Gottwald, S.  37; Kasseler Kommentar/Roters, § 12 SGB V Rn.  23; BSGE 17, 79 (84). Vgl. auch v. Langsdorff, in: Handbuch des Krankenversicherungsrechts, § 9 Rn. 5. 209 Apeltauer, S.  148; Gottwald, S.  38; Muckel/Ogorek, § 8 Rn.  71; Eichenhofer/Wenner/ Ulmer, § 12 SGB V Rn.  14; Hauck/Noftz/Noftz, § 12 SGB V Rn.  18; Kasseler Kommentar/ Roters, § 12 SGB V Rn.  26; Krauskopf/Wagner, § 12 SGB V Rn.  5; Greiner/Benedix, SGb 2013, S. 1 (3). 210 Gottwald, S. 36. 204

B. Die Arzneimittelversorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung

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sein müssen, einen Heilerfolg zu erreichen.211 Da in § 2 I 3 SGB V geregelt ist, dass Leistungen dem aktuellen Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen müssen,212 ist die objektive Eignung einer Leistung zur Herbeiführung eines Heilerfolgs anhand des aktuellen Standes der medizinischen Erkenntnisse zu beurteilen.213 Zugleich wird durch die Zweckmäßigkeitskomponente in Verbindung mit § 2 I 3 SGB V klargestellt, dass die Qualität der erbrachten Leistungen dem aktuellen Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen muss.214 Da das Begriffselement „ausreichend“ verlangt, dass Leistungen eine wirksame Behandlung möglich scheinen lassen und da zugleich der Behandlungserfolg auch von der objektiven Wirksamkeit der erbrachten Leistung abhängt, scheinen sich die Komponenten „ausreichend“ und „zweckmäßig“ zu überschneiden.215 Um solche begrifflichen Überschneidungen zu vermeiden, wird „ausreichend“ häufig so ausgelegt, dass sich das dadurch statuierte Untermaßverbot nur rein quantitativ auf die Leistungsmenge beziehe, während die Leistungsqualität alleine durch die Begriffskomponente „zweckmäßig“ geregelt werde.216 Mit der „Notwendigkeit“ ist ein Übermaßverbot angesprochen – Leistungen dürfen nur in dem Umfang erbracht werden, der zur Behandlung einer Krankheit unentbehrlich oder unvermeidbar ist.217 Die Notwendigkeits-Komponente gebietet insoweit, dass der medizinische Aufwand von Leistungen möglichst gering ausfällt.218 Die Wirtschaftlichkeit (im engeren Sinne)  verlangt schließlich einen Vergleich zwischen Aufwand und Wirksamkeit verschiedener Leistungen. Unter mehreren ausreichenden, zweckmäßigen und notwendigen Behandlungsmöglichkeiten ist derjenigen mit dem günstigsten Kosten-Nutzen-Verhältnis der Vorzug zu geben.219 211 Apeltauer, S. 149; Gottwald, S. 39 f.; Muckel/Ogorek, § 8 Rn. 72; BeckOK SozR/Joussen, § 12 SGB V Rn. 5; v. Langsdorff, in: Handbuch des Krankenversicherungsrechts, § 9 Rn. 3; Greiner/Benedix, SGb 2013, S. 1 (3 f.). Vgl. auch Eichenhofer/Wenner/Axer, § 2 SGB V Rn. 4; BSGE 119, 57 (72). 212 S. dazu Roters, SGb 2015, 413 ff. 213 Muckel/Ogorek, § 8 Rn. 72; Kasseler Kommentar/Roters, § 12 SGB V Rn. 28; v. Langsdorff, in: Handbuch des Krankenversicherungsrechts, § 9 Rn. 7; Greiner/Benedix, SGb 2013, S. 1 (3); BSGE 119, 57 (72 f.). Vgl. auch Gottwald, S. 40. 214 Vgl. Kasseler Kommentar/Roters, § 12 SGB V Rn. 34; Spickhoff/Trenk-Hinterberger, § 12 SGB V Rn. 4. 215 Kasseler Kommentar/Roters, § 12 SGB V Rn. 28; Greiner/Benedix, SGb 2013, S. 1 (3). 216 v. Langsdorff, in: Handbuch des Krankenversicherungsrechts, § 9 Rn. 6. Vgl. auch Kasseler Kommentar/Roters, § 12 SGB V Rn. 29; Greiner/Benedix, SGb 2013, S. 1 (3). 217 Apeltauer, S. 149; Gottwald, S. 50 f.; Münkler, S. 186; Eichenhofer/Wenner/Ulmer, § 12 SGB V Rn.  13; Hauck/Noftz/Noftz, § 12 SGB V Rn.  21; Kasseler Kommentar/Roters, § 12 SGB V Rn. 39; Krauskopf/Wagner, § 12 SGB V Rn. 9; Greiner/Benedix, SGb 2013, S. 1 (4). 218 Apeltauer, S. 149. 219 Apeltauer, S.  150; Hauck/Noftz/Noftz, § 12 SGB  V Rn.  23; Kasseler Kommentar/Roters, § 12 SGB V Rn.  41; Krauskopf/Wagner, § 12 SGB V Rn.  8; v. Langsdorff, in: Handbuch des Krankenversicherungsrechts, § 9 Rn. 11; Greiner/Benedix, SGb 2013, S. 1 (5); BSG SozR 4-2500 § 106 Nr. 54 Rn. 18; SozR 4-2500 § 115b Nr. 6 Rn. 23; BSGE 111, 146 (150); 118, 155 (161). Eingehend dazu Münkler, S. 146 ff.

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Kap. 1: Der rechtliche Rahmen für die Arzneimittelabgabe

Steht im konkreten Fall nur eine bestimmte Behandlungsmöglichkeit zur Verfügung, ist diese unabhängig von den Kosten zu leisten.220 Eine Rationierung unter Kosten-Nutzen-Gesichtspunkten221 ist mit dem Wirtschaftlichkeitsgebot insoweit nicht verbunden.

III. Der Anspruch auf Versorgung mit Arzneimitteln Bei Krankheit haben Versicherte einen Anspruch auf Krankenbehandlung, wozu auch die Versorgung mit Arzneimitteln zählt. Muss ein Versicherter stationär im Krankenhaus behandelt werden,222 stellt die Versorgung mit Arzneimitteln einen Teil der Krankenhausbehandlung als umfassender Komplexleistung dar und wird damit vom Krankenhaus als Teil  der Krankenhausbehandlung erbracht.223 In der ambulanten Versorgung besteht dagegen ein selbständiger Anspruch auf Versorgung mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln. Gemäß §§ 27 I Nr. 3, 31 I 1 SGB V haben Versicherte bei Krankheit einen Anspruch auf Versorgung mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln. 1. Apothekenpflichtige Arzneimittel als Leistungsgegenstand Was unter Arzneimitteln als Leistungsgegenstand des Krankenversicherungsrechts zu verstehen ist, definiert das SGB V nicht. An mehreren Stellen knüpft das SGB V im Zusammenhang mit dem Anspruch auf Arzneimittelversorgung an arzneimittelrechtliche Begrifflichkeiten an. Die Leistungspflicht der Krankenkasse hängt von der Apothekenpflichtigkeit des Arzneimittels ab.224 Zudem wird auf die Verschreibungspflicht von Arzneimitteln abgestellt225. Damit legt das SGB V implizit den Arzneimittelbegriff des Arzneimittelrechts zugrunde,226 wenngleich das Krankenversicherungsrecht als Teil der Sozialversicherung und das Arzneimittelrecht als Gefahrenabwehrrecht unterschiedliche Regelungszwecke verfolgen.227 220 Apeltauer, S.  150; Gottwald, S.  43; Eichenhofer/Wenner/Ulmer, § 12 SGB  V Rn.  16; Hauck/Noftz/Noftz, § 12 SGB V Rn.  23; Kasseler Kommentar/Roters, § 12 SGB V Rn.  41; Krauskopf/Wagner, § 12 SGB  V Rn.  8; v. Langsdorff, in: Handbuch des Krankenversicherungsrechts, § 9 Rn. 11; Greiner/Benedix, SGb 2013, S. 1 (5); Kingreen, VVDStRL 70, S. 152 (168 f.); BSGE 111, 146 (150); 117, 1 (8 f.). 221 Vgl. Huster, VSSR 2013, S. 327 (335 f.); Kingreen, VVDStRL 70, S. 152 (168 f.). 222 §§ 27 I Nr. 5, 39 SGB V. 223 Kasseler Kommentar/Brandts, § 39 SGB V Rn. 80. 224 § 31 I 1 SGB V. 225 §§ 34 I 1 SGB V, 130 I 1 SGB V. 226 A. Becker, Steuerung, S.  21; Becker/Kingreen/Axer, § 31 SGB V Rn.  7; Hauck/Noftz/ Flint, § 31 SGB V Rn. 35; Orlowski/Rau/Wasem/Zipperer/Zipperer, § 31 SGB V Rn. 4a; BSG SozR 3–2500 § 27 Nr. 10 (S. 33 f.). Vgl. auch Eichenhofer/Wenner/Pflugmacher, § 31 SGB V Rn. 5; BSG SozR 4-2500 § 27 Nr. 7 Rn. 15. 227 Zur unterschiedlichen Zwecksetzung von AMG und SGB V s. Hauck/Noftz/Flint, § 31 SGB V Rn. 35; BVerfG, NJW 1997, 3085.

B. Die Arzneimittelversorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung

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Die Zweckmäßigkeitskomponente des Wirtschaftlichkeitsgebots verlangt, dass die Wirksamkeit eines Arzneimittels hinreichend belegt ist.228 Da das SGB V kein eigenes, spezielles Qualitätssicherungsrecht für Arzneimittel kennt, wird zur Sicherstellung der gebotenen Qualität auf das Vorliegen einer arzneimittelrechtlichen Zulassung für den behandelten Indikationsbereich abgestellt, denn das Zulassungsverfahren erstreckt sich insbesondere auf die Wirksamkeit des Arzneimittels in dem beantragten Indikationsbereich.229 Voraussetzung für einen Anspruch auf Arzneimittelversorgung ist somit, dass für das Arzneimittel in dem behandelten Anwendungsgebiet eine arzneimittelrechtliche Zulassung besteht.230 Das Arzneimittelrecht ist deshalb für das Krankenversicherungsrecht negativ vorgreiflich.231 Nur in wenigen Fällen wird die negative Vorgreiflichkeit des Arzneimittelrechts durchbrochen. Nach § 35c I SGB V kann der G-BA den Nutzen einer zulassungsüberschreitenden Anwendung eines Arzneimittels bewerten und im Falle einer positiven Bewertung dessen zulassungsüberschreitenden Einsatz in der Arzneimittelrichtlinie für zulässig erklären. Nach § 2 Ia SGB V können Versicherte mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung oder mit einer zumindest wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung, für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht, eine nicht dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Leistung beanspruchen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. § 2 Ia SGB V kann einen Anspruch auf Leistung eines Arzneimittels ohne Rücksicht auf den Umfang der arzneimittelrechtlichen Zulassung gewähren.232 Die Vorschrift geht auf den sog. „Nikolaus-Beschluss“ des Bundesverfassungsgerichts zurück, der einen entsprechenden Anspruch der zwangsweise in der gesetzlichen Krankenversicherung zusammengeschlossenen Versicherten aus Art. 2 I GG i. V. m. dem Sozialstaatsprinzip und aus Art. 2 II GG begründet hatte, sofern der betroffene Versicherte an einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Krankheit leidet.233 Wird ausschließlich ein palliativer Erfolg ohne Beeinflussung des Krankheitsverlaufs erstrebt, besteht nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung kein Anspruch nach den Grundsätzen des Nikolaus-Beschlusses.234 228

BSGE 89, 184 (185); 93, 1 (2): 93, 236 (239); 95, 132 (139). BSGE 89, 184 (185); 93, 236 (239 f.); s. auch Clemens, GesR 2011, S. 397 (399). 230 Eichenhofer/Wenner/Pflugmacher, § 31 SGB V Rn.  10; BSGE 72, 252 (257); 82, 233 (235 f.); 85, 36 (50 ff.); 93, 1 (2). 231 Becker/Kingreen/Axer, § 31 SGB  V Rn.  17; Hauck/Noftz/Flint, § 31 SGB  V Rn.  40; Wigge/Wille, in: Handbuch des Vertragsarztrechts, 2. Aufl., § 19 Rn. 19; BSGE 95, 132 (138). 232 Vgl. Hauck/Noftz/Flint, § 31 SGB V Rn. 46. 233 BVerfGE 115, 25 (41 ff.). Vgl. dazu Heinig, NVwZ 2006, S.  771 ff.; Huster, JZ 2006, S.  466 ff.; Schmidt-De Caluwe, SGb 2006, S.  619 ff. Jüngst auch BVerfG, NJW 2016, 1505 (1506); NJW 2017, 2096 (2097). 234 BSG SozR 4-2500 § 106 Nr. 30 Rn. 32 f. Zur Anwendung der Nikolaus-Grundsätze auf die Arzneimittelversorgung in der höchstrichterlichen Rechtsprechung s. auch Dierks/Finn, in: Dieners/Reese, § 7 Rn. 114 ff. Für eine Einbeziehung auch palliativer Ziele Föllmer, S. 282 f. 229

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Kap. 1: Der rechtliche Rahmen für die Arzneimittelabgabe

Schon vor dem Nikolausbeschluss hatte die Rechtsprechung ungeschriebene Ansprüche auf ein Arzneimittel trotz fehlender arzneimittelrechtlicher Zulassung für die behandelte Indikation entwickelt. Sie überschneiden sich teilweise mit den in § 2 Ia SGB V kodifizierten Grundsätzen des Nikolausbeschlusses, bleiben von der Vorschrift aber unberührt.235 Der zulassungsüberschreitende Einsatz eines Arzneimittels (Off-Label-Use) ist möglich, wenn ein Versicherter an einer schwerwiegenden, d. h. lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität nachhaltig beeinträchtigenden Krankheit leidet, keine andere Therapie verfügbar ist und aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht besteht, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg kurativer oder palliativer Art erzielt werden kann.236 Gegenüber § 2 Ia SGB V wird insoweit ein strengerer Wirksamkeitsnachweis verlangt;237 andererseits hat § 2  Ia SGB  V mit seiner Beschränkung auf notstandsartige Situationen einen engeren Anwendungsbereich238 und es kann im Rahmen von § 2 Ia SGB V ein angestrebter palliativer Erfolg nicht anspruchsbegründend wirken. Schließlich kann ein Anspruch auf Versorgung mit einem überhaupt nicht zugelassenen Arzneimittel (sog. unlicensed Use) bestehen. Voraussetzung ist, dass bei schwersten Krankheiten der Arzneimitteleinsatz nicht offenkundig aussichtslos ist und kein Verstoß gegen das Arzneimittelrecht vorliegt239 oder dass der Versicherte an einer kaum erforschten, singulären Krankheit leidet (sog. Seltenheitsfall), der erwartete Nutzen die Risiken überwiegt und bei der Arzneimitteltherapie ein Mindestmaß an Arzneimittel- und Behandlungsqualität eingehalten wird.240 Nach § 31 I 1 SGB V haben Versicherte nur einen Leistungsanspruch auf apothekenpflichtige Arzneimittel. Die Voraussetzung der Apothekenpflicht wurde erst im Jahr 1997 durch das GKV-Neuordnungsgesetz aufgenommen. Der Gesetzgeber hielt die Ergänzung lediglich für deklaratorisch: Bereits daraus, dass § 129 SGB V nur die Arzneimittelabgabe durch Apotheken regle, folge, dass § 31 SGB V nur einen Anspruch auf apothekenpflichtige Arzneimittel gewähre.241 Zwingend ist diese Erwägung indessen nicht, denn Apotheker können neben apothekenpflichtigen auch freiverkäufliche Arzneimittel abgeben. Deshalb wird mitunter angenommen, dass durch Einführung des Tatbestandsmerkmals der Apotheken-

235

BT-Drs. 17/6906, S. 53. BSGE 89, 184 (191 f.); 97, 112 (117); 109, 211 (215 f.). Zur Verfassungsmäßigkeit dieser Rechtsprechung s. BVerfG, NJW 1997, 3085; NJW 2008, 3556 f. Zum Off-Label-Use in der gesetzlichen Krankenversicherung s. auch Rückeshäuser, S. 67 ff.; Schwee, S. 61 ff.; Clemens, GesR 2011, S. 397 (400 ff.). 237 Vgl. Becker/Kingreen/Axer, § 31 SGB V Rn. 31; BSG, GesR 2011, 308 (312). 238 Eichenhofer/Wenner/Axer, § 2 SGB V Rn. 18. 239 Clemens, GesR 2011, 397 (404 f.); BSGE 96, 170 (175); BSG SozR 4-2500 § 106 Nr. 30 Rn. 24 ff. 240 BSGE 93, 236 (245 ff.); vgl. jeweils auch BSGE 100, 103 (111 f.); 104, 160 (166); 109, 218 (221); 111, 168 (176). Zum Seltenheitsfall s. auch Hauck/Noftz/Flint, § 31 SGB V Rn. 50. 241 BT-Drs. 13/6087, S. 23; zust. Kasseler Kommentar/Nolte, § 31 SGB V Rn. 30. 236

B. Die Arzneimittelversorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung

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pflicht der Kreis der als Leistungsgegenstand beanspruchbaren Arzneimittel mit konstitutiver Wirkung eingeschränkt worden ist.242 2. Vertragsärztliche Verordnung Anspruchsvoraussetzung ist weiterhin, dass das Arzneimittel von einem Vertragsarzt verordnet worden ist,243 und zwar unabhängig davon, ob das Arzneimittel nach Arzneimittelrecht verschreibungspflichtig ist.244 Im SGB V wird das Verordnungserfordernis nicht ausdrücklich genannt, doch wird es von mehreren Vorschriften stillschweigend vorausgesetzt.245 Das Verordnungserfordernis soll die Effektivität und Sicherheit der Behandlung gewährleisten,246 sicherstellen, dass die Arzneimitteltherapie unter ärztlicher Verantwortung steht247 und die medizinische Erforderlichkeit der Arzneimitteltherapie dokumentieren248. Die formellen Anforderungen an die Gestaltung von Verordnungsblättern treffen die Bundesmantelverträge in Form von Vordrucken.249 3. Beschränkungen des Leistungsanspruchs Das Recht der gesetzlichen Krankenversicherung versucht Einsparungen bei Arzneimittelkosten unter anderem dadurch zu generieren, indem es den Leistungsanspruch der Versicherten beschränkt. So schließt § 34 SGB V bestimmte Arzneimittelarten generell von der Versorgung aus.250 Soweit nicht der Gemeinsame Bundesausschuss in der Arzneimittelrichtlinie (AM-RL) für die Behandlung schwerwiegender Krankheiten eine Ausnahme vorsieht, sind nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel von der Versorgung ausgeschlossen.251 Von der Versorgung ausgeschlossen sind weiterhin nur gegen minder schwere Krank­ heiten wie Erkältung oder Durchfall eingesetzte sog. Bagatellarzneimittel252 und 242

JurisPK-SGB V/Beck, § 31 SGB V Rn. 63; BSG SozR 3–2500 § 27 Nr. 10 (S. 34). Becker/Kingreen/Axer, § 31 SGB V Rn. 13; Krauskopf/Wagner, § 31 SGB V Rn. 6. 244 Vgl. Peters/Schmidt, § 31 SGB V Rn. 138. 245 Vgl. jeweils § 129 I SGB V („verordnete“ Arzneimittel), § 31 I 4, III 1 SGB V, § 34 I 2, 4, 6 SGB V sowie § 73 II Nr. 7 SGB V (Verordnung als Teil der vertragsärztlichen Versorgung). 246 SG Darmstadt, Urt. v. 7.11.2011, S 18 KR 274/10, Rn. 16 (juris). 247 BSGE 86, 66 (70). 248 Spickhoff/Nebendahl, § 73 SGB V Rn. 15. 249 § 87 I 2, 3 SGB V. Das Verordnungsblatt für Arzneimittel ist gemäß § 25a II BMV-Ä normiert als Muster 16 in Anlage 2 des BMV-Ä. 250 Eingehend zu Leistungsbegrenzungen nach § 34 SGB V D. Dettling, S. 44 ff., 230 ff. 251 § 34 I 1, 2 SGB V. Zur Verfassungsmäßigkeit s. BVerfG, NJW 2013, 1220 (1221); BSGE 102, 30 (33). S. dazu auch Braun, PharmR 2013, S. 123 ff.; Schaks, NZS 2013, S. 841 ff.; Zuck, A&R 2013, S. 31 f. Zur Festlegung von Ausnahmeregelungen durch den G-BA s. BSGE 120, 170 (182 ff.). 252 § 34 I 6 SGB V. 243

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Kap. 1: Der rechtliche Rahmen für die Arzneimittelabgabe

die primär zu einer Verbesserung der Lebensqualität angewandten sog. Lifestylearzneimittel253. Weitere Instrumente bewirken eine finanzielle Beteiligung des Versicherten an den Arzneimittelkosten. Versicherte haben zu Arzneimitteln grundsätzlich eine Zuzahlung zu leisten.254 Für Arzneimittel können schließlich Festbeträge festgesetzt werden. Arzneimittel mit gleichen oder vergleichbaren Wirkstoffen sollen vom Gemeinsamen Bundessausschuss in Festbetragsgruppen zusammengefasst werden.255 Für die Arzneimittel einer Festbetragsgruppe setzt der GKV-Spitzenverband in der Folge einen Festbetrag fest.256 Der Festbetrag soll sich am unteren Preisdrittel der Arzneimittel einer Festbetragsgruppe orientieren.257 Ist ein Festbetrag festgesetzt, trägt die Krankenkasse die Kosten des Arzneimittels nur in Höhe des Festbetrages.258 Festbeträge sollen neben einer Ausgabenbegrenzung Preissenkungen der Hersteller bewirken, indem sie die Versicherten zur Auswahl günstiger Arzneimittel veranlassen.259

IV. Apotheken als Leistungserbringer Durch wen der Anspruch auf Versorgung mit Arzneimitteln nach §§ 27 I Nr. 3, 31 SGB V, der sich gegen die Krankenkassen richtet, erfüllt wird, ergibt sich aus den §§ 129 ff. SGB V. Die Vorschriften der §§ 129, 130 SGB V regeln die Arzneimittelabgabe durch Apotheken, die Vorschrift des § 129a SGB V die Arzneimittelabgabe durch Krankenhausapotheken. Da Krankenhausapotheken nach § 14 VII 2 ApoG außerhalb der stationären Behandlung Arzneimittel nur abgeben dürfen, wenn der Versicherte in dem betreffenden Krankenhaus selbst ambulant behandelt wird, erfolgt die Arzneimittelabgabe an gesetzlich Versicherte in erster Linie durch die in § 129 SGB V angesprochenen Apotheken. Ausweislich der Gesetzesbegründung ist mit „Apotheke“ im Sinne von § 129 SGB  V die öffentliche Apotheke im Sinne des Apothekenrechts bezeichnet.260

253

§ 34 I 7–9 SGB V. Zur Verfassungsmäßigkeit s. BVerfG, Urt. v. 28.2.2008, 1 BvR 1778/05, Rn. 4 (juris); BSGE 94, 302 (310 f.). 254 §§ 31 III, 61, 62 SGB V. S. dazu auch A. Becker, Steuerung, S. 235 f. Zur Verfassungsmäßigkeit der krankenversicherungsrechtlichen Zuzahlungsregelungen s. BVerfG, NJW 1994, 3007; BVerfGE 115, 25 (46); BSG SozR 3-2500 § 61 Nr. 7 (S. 33 ff.); BSGE 107, 169 (172 ff.). 255 § 35 I SGB V. Zur Festbetragsregelung s. allgemein Reese/Stallberg, in: Dieners/Reese, § 17 Rn. 171 ff.; Wigge/Wille, in: Handbuch des Vertragsarztrechts, 2. Aufl., § 19 Rn. 41 ff. Zur Festbetragsgruppenbildung s. Harney, A&R 2012, S. 253 ff.; BSGE 114, 217 (220 ff.). 256 § 35 III, V SGB V. Zur Verfassungsmäßigkeit der Festbetragsregelung s. BVerfGE 106, 275 (297 ff.), sowie Fahlbusch, SGb 2003, S. 464 ff.; Schelp, NZS 1997, S. 155 ff. 257 § 35 V 4 SGB V. 258 § 31 II SGB V. 259 BT-Drs. 11/2237, S. 173. 260 Vgl. BT-Drs. 11/2237, S. 205.

B. Die Arzneimittelversorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung

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Da eine Apotheke als Betrieb kein Rechtssubjekt ist und somit nicht Trägerin von Rechten und Pflichten im Verhältnis zu den Krankenkassen sein kann, ist Leistungserbringer jedoch nicht die Apotheke als solche, sondern der Inhaber einer Apotheke.261 Allgemein wird angenommen, dass § 129 I SGB V als ungeschriebene Voraussetzung nur solche Inhaber einer öffentlichen Apotheke als zur Leistungserbringung berechtigt ansieht, denen eine Apothekenbetriebserlaubnis nach §§ 1 II, 2 ApoG erteilt worden ist.262 Das Erfordernis einer Betriebserlaubnis wird bereits dadurch nahegelegt, dass der Betrieb einer Apotheke ohne Erlaubnis eine Straftat darstellt263 und behördlich zu untersagen ist264. Gesetzessystematisch spricht für die Notwendigkeit einer Betriebserlaubnis, dass im SGB V an mehreren Stellen zum Ausdruck kommt, dass es das Vorliegen der berufsrechtlichen Tätigkeitsvoraussetzungen als Mindeststandard für die Leistungserbringung ansieht.265 In § 129 SGB V ist zwar kein Verfahren vorgesehen, in dem das Vorhandensein einer Apothekenbetriebserlaubnis geprüft wird. Denkbar sind aber vergütungsrechtliche Folgen, indem Krankenkassen Apothekern ohne Betriebserlaubnis die Vergütung wegen fehlender Berechtigung zur Leistungserbringung verweigern.266 Soweit das SGB V auf die Existenz einer berufsrechtlichen Zulassung als Voraussetzung der Leistungserbringung abstellt, wird zur Recht angenommen, dass es nur auf die Wirksamkeit, nicht aber auf die Rechtmäßigkeit der Erlaubnis ankomme.267 Die berufsrechtliche Entscheidung entfaltet insoweit Tatbestandswirkung268 bzw. es besteht eine Vorgreiflichkeit des Berufsrechts269. Dass die Berechtigung zur Leistungserbringung nicht an die Rechtmäßigkeit einer berufsrechtlichen Erlaubnis geknüpft ist, wird zum einen aus verfassungsrechtlichen Erwägungen heraus angenommen, weil es zu einer unverhältnismäßigen Belastung für Leistungserbringer führe, wenn neben den für die Einhaltung des Berufsrechts zuständigen Behörden auch die Krankenkassen prüfen könnten, ob die berufsrechtlichen Voraussetzungen für eine Zulassung tatsächlich gegeben waren.270 Darüber hinaus zeigt sich bereits einfachrechtlich, dass das Krankenversicherungsrecht

261

Becker/Kingreen/Axer, § 129 SGB  V Rn.  3; Hauck/Noftz/Luthe, § 129 SGB  V Rn.  6; Kirchhoff, SGb 2006, S. 710 ff., Fn. 10; s. dazu auch Schnapp, JZ 2010. S. 562 ff. 262 Eichenhofer/Wenner/Armbruster, § 129 SGB V Rn. 5; jurisPK/Schneider, § 129 SGB V Rn. 11; Axer, FS Schnapp, S. 349 (353); s. auch Hauck/Noftz/Luthe, § 129 SGB V Rn. 6. 263 § 23 ApoG. 264 § 5 ApoG. 265 s. dazu z. B. §§ 95 II 1, 95a I 1 Nr. 1 SGB V (Approbation als Arzt); § 124 II Nr. 1 SGB V (Berufserlaubnis zur Heilmittelerbringung). Vgl. allgemein Bieback, NZS 1997, S. 393 (395). 266 s. dazu näher unten Kapitel 3 B. V. 1., C. II. 267 Allgemein für berufsrechtliche Zulassungen Bieback, NZS 1997, S. 393 (395). – Für die Hilfsmittelerbringung Becker/Kingreen/Butzer, § 126 SGB V Rn. 11. 268 Für Heilmittelerbringer BSGE 77, 108 (115).  – Für Vertragsärzte Wenner, § 16 Rn.  3; BeckOK SozR/Kirchhoff, § 95a SGB V Rn. 11; BSG SozR 4-2500 § 95 Nr. 4 Rn. 12 f. 269 Für Heilmittelerbringer BeckOK SozR/Knispel, § 126 SGB V Rn. 2. 270 Für Heilmittelerbringer BSGE 77, 108 (114 f.).  – Für die ärztliche Approbation BSG SozR 3-2500 § 95c Nr. 1 (S. 5 ff.).

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Kap. 1: Der rechtliche Rahmen für die Arzneimittelabgabe

nur die Existenz und damit die bloße Wirksamkeit der berufsrechtlichen Zulassung verlangt, wo es eine solche voraussetzt.271 Da Apotheken für die Erfüllung des Anspruchs auf Versorgung mit Arzneimitteln zuständig sind, scheint ihre Einordnung als Leistungserbringer im oben genannten Sinne nahezuliegen. Dennoch werden Apotheker bisweilen als Leistungserbringer in einem nur formalen Sinne und Systemaußenseiter angesehen, weil sie anders als Ärzte weder einer speziellen krankenversicherungsrechtlichen Zulassungspflicht noch einer krankenversicherungsrechtlichen Bedarfsplanung unterliegen und damit nur schwach in das Krankenversicherungssystem eingebunden seien.272 Der Leistungserbringerbegriff des SGB V ist jedoch weit. Leistungserbringer ist jede Berufsgruppe, zu der in dem mit „Beziehungen zu den Leistungserbringern“ betitelten Vierten Kapitel des SGB V Regelungen enthalten sind.273 Weitere Differenzierungen unter den Leistungserbringern sieht das SGB V nicht vor. Da Apotheker in § 129 SGB V eine Regelung erfahren haben, sind sie als Leistungserbringer anzusehen.274 Hinzu kommt, dass § 69 I 1 SGB V Apotheken gleichauf mit Ärzten ausdrücklich als Leistungserbringer bezeichnet.

V. Der Erstattungsbetrag für Arzneimittel in der GKV Hat ein Apotheker einen gesetzlich Versicherten mit einem Arzneimittel versorgt, reicht er gemäß § 300 SGB V die von ihm belieferten Verordnungen zur Abrechnung bei der Krankenkasse des Versicherten ein. Die Berechnung des Preises, den die Krankenkasse dem Apotheker für das Arzneimittel gewährt, knüpft zwar an das arzneimittelrechtliche Preisbildungsrecht an, enthält aber gleichfalls spezifische Modifikationen. 1. Die Arzneipreisberechnung in der GKV Ausganspunkt für die Berechnung des Erstattungspreises von Fertigarzneimitteln sind die Preisspannen nach der Arzneipreisverordnung. Für die eigentlich nicht dem Preisspannensystem der Arzneipreisverordnung unterliegenden nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel275 sieht § 129  Va SGB  V vor, dass auf diese Arzneimittel, soweit sie im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung 271 § 95a I Nr. 1 SGB V verlangt „die Approbation als Arzt“, § 124 II Nr. 1 SGB V den „Besitz“ einer Erlaubnis zur Führung einer Berufsbezeichnung. 272 Spickhoff/Barth, § 129 SGB V Rn. 1. 273 JurisPK-SGB V/Engelmann, § 69 SGB V Rn.  18; s. auch Becker/Kingreen/Axer, § 129 SGB V Rn. 4. 274 Becker/Kingreen/Axer, § 129 SGB V Rn. 4. Für Leistungserbringereigenschaft der Apotheker ebenfalls Felix/Brockmann, NZS 2007, S. 623 (626). 275 § 1 IV AMVV.

B. Die Arzneimittelversorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung

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abgabefähig sind, die Preisspannen der am 31.12.2003 geltenden Fassung der Arzneipreisverordnung Anwendung finden. Der pharmazeutische Unternehmer muss zum Zwecke der Abrechnung der Apotheker mit den gesetzlichen Krankenkassen für diese nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel einen einheitlichen Herstellerabgabepreis angeben.276 Für Rezepturarzneimittel wurden die gesetzlichen Preisspannen nach §§ 5 I – II, VI AMPreisV durchgehend durch eine Vereinbarung zwischen GKV-Spitzenverband und Deutschem Apothekerverband, die sog. Hilfstaxe, abgelöst.277 Anders als im allgemeinen Arzneipreisrecht ist im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung die Preisbildungsfreiheit des pharmazeutischen Unternehmers eingeschränkt. Zwar berührt das Recht der gesetzlichen Krankenversicherung nicht das Recht zur freien Festsetzung des nominellen Herstellerabgabepreises. Neue Wirkstoffe müssen sich allerdings einer Nutzenbewertung unterziehen, in Abhängigkeit von deren Ergebnis der Hersteller verpflichtet sein kann, mit dem GKV-Spitzenverband einen Erstattungsbetrag für das Arzneimittel zu vereinbaren.278 Eine solche Vereinbarung gilt ab dem 13. Monat seit dem erstmaligen Inverkehrbringen eines Arzneimittels mit dem Wirkstoff.279 Zudem besteht die Möglichkeit einer Kosten-Nutzen-Bewertung von Arzneimitteln, die ebenfalls zur Vereinbarung eines Erstattungsbetrags führen kann.280 2. Abschlagsregelungen Weiterhin enthält das SGB V ein Regime von Abschlägen auf den Arzneimittelpreis, das finanzielle Entlastungen der Krankenkassen bewirken soll. Nach § 130 SGB  V müssen Apotheker einen Abschlag 1,77 € auf verschreibungspflichtige Fertigarzneimittel sowie auf Rezepturarzneimittel, für die der Festzuschlag nach § 5 III AMPreisV gilt281, und einen Abschlag in Höhe von 5 % des für den Versicherten maßgeblichen Abgabepreises bei allen anderen Arzneimitteln gewähren. Die Abschlagsgewährung ist davon abhängig, dass die Krankenkasse die Rech 276

§ 78 III 1 HS. 2 AMG. Spickhoff/Kutlu, § 5 AMPreisV Rn. 4. 278 §§ 35a, 130b SGB V, 78 IIIa 1 AMG. Kommt es nach § 130b SGB V zur Vereinbarung eines Abschlags, gilt nach § 78 IIIa 3 SGB V der um den Abschlag verminderte Abgabepreis auch außerhalb der GKV. – Zur Nutzenbwertung von Arzneimitteln s. Apeltauer, S. 35 ff.; Köhler, S. 76 ff.; Scriba, S. 31 ff.; Axer, SGb 2011, S. 246 ff. 279 § 130b III 2 SGB V. 280 §§ 35b, 130b VIII SGB V.  – Zur Kosten-Nutzen-Bewertung von Arzneimitteln s. Hess, MedR 2010, S. 242 ff.; Huster, MedR 2010, S. 234 ff.; Orlowski, MedR 2010, S. 245 ff. Eingehend Münkler, S. 32 ff. 281 s. dazu BT-Drs.  18/10208, S.  31: Der Festzuschlag bewirke die Gleichstellung der in § 5 III AMPreisV genannten Rezepturarzneimittel mit Fertigarzneimitteln, sodass es gerechtfertigt sei, diese Arzneimittel auch auf der Abschlagsebene den Fertigarzneimitteln gleichzustellen. 277

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Kap. 1: Der rechtliche Rahmen für die Arzneimittelabgabe

nung des Apothekers binnen zehn Tagen begleicht. Der Apothekenabschlag soll Einsparungen bewirken und so der Beitragssatzstabilität dienen.282 Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit des Apothekenabschlags ist noch nicht abschließend geklärt. Da der Apothekenabschlag sich spezifisch auf die Arzneimittelabgabe an gesetzlich Versicherte bezieht, ist Kompetenztitel für die Erhebung des Abschlages die konkurrierende Bundeskompetenz für die Sozialversicherung nach Art. 74 I Nr. 12 GG.283 Umstritten ist im Weiteren jedoch, ob der Apothekenabschlag den Anforderungen an Sonderabgaben zu genügen hat. Die Erhebung von Sonderabgaben ist nur unter engen Voraussetzungen zulässig, um zu verhindern, dass durch die Erhebung nichtsteuerlicher Abgaben die finanzverfassungsrechtlichen Voraussetzungen für die Erhebung von Steuern und die Belastungsgleichheit der Abgabepflichtigen umgangen werden.284 Es darf nur eine homogene Gruppe mit Sonderabgaben belegt werden, der aufgrund spezifischer Sachnähe eine besondere Finanzierungsverantwortung für den Abgabezweck zukommt; die Einnahmen müssen gruppennützig verwendet und haushaltsrechtlich dokumentiert werden.285 In der Literatur wird der Apothekenabschlag aufgrund von dessen Finanzierungsfunktion mitunter als Sonderabgabe qualifiziert.286 Da Apotheken keine Verantwortung für die Finanzierbarkeit von Gesundheitsleistungen treffe, sei die Abschlagserhebung unzulässig.287 Zu Recht verneinen die Rechtsprechung und die überwiegende Literaturansicht trotz seiner Finanzwirksamkeit den Abgabencharakter des Apothekenabschlags.288 Vor allem das für Sonderabgaben geltende Erfordernis der haushaltsrechtlichen Dokumentation würde im Hinblick auf den Apothekenabschlag nicht passen, denn das Dokumentationserfordernis dient der Registrierung von Vermögenszuflüssen, wohingegen die Regelung über den Apothekenabschlag nur Vermögensabflüsse aufseiten der Krankenkassen begrenzen soll.289 Es handelt sich bei dem Apothekenabschlag lediglich um eine gesetzliche Kürzung des Vergütungsanspruchs des Apothekers mit dem Charakter eines Skontos bzw. Großabnehmerrabatts.290

282

BSG SozR 4-2500, § 130 Nr. 2 Rn. 20. U. Becker, NZS 2003, S. 561 (564); BVerfGE 114, 196 (221). Kritisch dagegen Schnapp, VSSR 2003, S. 343 (344 ff.). 284 BVerfGE 124, 348 (365 f.); 135, 155 (206); BVerfG, NVwZ 2016, 606 (606 f.). 285 BVerfGE 124, 348 (366); 135, 155 (206 ff.); 136, 194 (242 f.); BVerfG, NVwZ 2016, 606 (607). 286 Schnapp, VSSR 2003, S. 343 (349 ff.); ebenso Reese/Staalberg, in: Dieners/Reese, § 17 Rn. 219. 287 Schnapp, VSSR 2003, S. 343 (353 ff.). 288 U. Becker, NZS 2003, S. 561 (564 ff.); Wallerath, SGb 2006, S. 505 (508); BSG SozR 4-2500 § 130 Nr. 1 Rn. 28; ähnlich BVerfGE 114, 196 (244). 289 U. Becker, NZS 2003, S. 561 (565). 290 BeckOK SozR/v. Dewitz, § 130 SGB V Rn. 24; BSG SozR 4-2500, § 130 Nr. 1 Rn. 28; SozR 4-2500 § 130 Nr. 2 Rn. 20. 283

B. Die Arzneimittelversorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung

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Von der überwiegenden Ansicht wird der Apothekenabschlag schließlich für materiell mit der Berufsfreiheit der Apotheker vereinbar gehalten, weil die Beschränkung der Preisbildungsfreiheit der Apotheker zur Wahrung der finanziellen Stabilität der Krankenversicherung erforderlich sei.291 Problematisch könnte insoweit aber sein, dass der aus Art. 3 I GG folgende Grundsatz der Belastungsgleichheit es gebietet, dass finanziell in Anspruch genommene Private in einer hinreichenden Sachnähe zum verfolgten Finanzierungszweck stehen, und dass Apotheker möglicherweise keine Finanzierungsverantwortlichkeit für die gesetzliche Krankenversicherung trifft.292 Allerdings trägt der Kompetenztitel für die Sozialversicherung aus Art. 74 I Nr. 12 GG insoweit ein rechtfertigendes Moment in sich, weil der Kompetenztitel für die Sozialversicherungen Regelungen erlaubt, die der finanziellen Entlastung und damit der Stabilität von Sozialversicherungssystemen dienen.293 Die mit dem Apothekenabschlag einhergehende Gewinnminderung der Apotheker erscheint schließlich nicht unangemessen hoch. Für Fertigarzneimittel, deren Abgabepreis sich entweder arzneimittelrechtlich oder gemäß § 129  Va SGB  V nach der Arzneipreisverordnung bestimmt,294 sowie für Fertigarzneimittel in parenteralen Zubereitungen295 haben Apotheker nach § 130a I 1 SGB V den Krankenkassen weiterhin einen Abschlag in Höhe von 7 % des Herstellerabgabepreises ohne Mehrwertsteuer zu gewähren. Für Generika beträgt der Abschlag 16 %.296 Dieser Abschlag muss dem Apotheker vom pharmazeutischen Unternehmer erstattet werden.297 Wirtschaftlich wird deshalb der pharmazeutische Unternehmer mit dem Abschlag belastet, der Apotheker hat lediglich die Funktion einer Zahlstelle.298 Nach § 130a VIII SGB V können pharmazeutische Unternehmer Krankenkassen durch Vertrag für Fertigarzneimittel freiwillig zusätzliche Rabatte gewähren.299 Anders als die gesetzlichen Abschläge werden die freiwilligen Rabatte nicht 291 U. Becker, NZS 2003, S. 561 (565 ff.); Wallerath, SGb 2006, S. 505 (509 f.); BVerfGE 114, 196 (244 ff.); BGH, NJW 1970, 1965 (1966 f.); BSG SozR 4-2500, § 130 Nr. 1 Rn. 24 ff.; SozR 4-2500, § 130 Nr. 2 Rn. 19. Kritisch Schnapp, VSSR 2003, S. 343 (351 ff.). 292 Kube, ZG 2010, S. 125 (126), sieht im Apothekenabschlag eine finanzielle Indienstnahme Privater, die sich am Grundsatz der finanziellen Belastungsgleichheit messen lassen müsse. 293 Vgl. dazu BVerfGE 114, 196 (221) – danach erfasst der Kompetenztitel nicht nur Regelungen über die Aufbringung der Beiträge, sondern er deckt auch Regelungen zur finanziellen Entlastung der Sozialversicherungssysteme, um ihre Leistungsfähigkeit zu erhalten. Ähnlich rechtfertigt U. Becker, NZS 2003, S. 561 (566), den Apothekenabschlag mit der Einbindung der Apotheker in ein Sachleistungssystem. 294 § 130a I 6 SGB V. 295 § 130a I 7 SGB V. 296 In § 130a I 2 SGB V ist ein Abschlag in Höhe von 6 % angeordnet. Hinzu kommt ein Abschlag in Höhe von 10 % gemäß § 130a IIIb 1 SGB V. 297 § 130a I 3 SGB V. 298 Vgl. Becker/Kingreen/Axer, § 130a SGB V Rn. 12. Zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit der Inanspruchnahme des Apothekers s. U. Becker, NZS 2003, S. 561 (568); BVerfGE 144, 196 (245 ff.). 299 Näher zu den freiwilligen Rabattvereinbarungen s. unten Kapitel 4 B. III. 1.

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Kap. 1: Der rechtliche Rahmen für die Arzneimittelabgabe

über den Apotheker als Zahlstelle, sondern direkt an die Krankenkassen entrichtet.300 Die Möglichkeit freiwilliger Rabattvereinbarungen wurde mit dem Beitragssatzsicherungsgesetz zum Jahr 2003 geschaffen. Freiwillige Rabattverträge sollen zusätzliche Wirtschaftlichkeitsreserven erschließen.301 Mit dem Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetz wurde im Jahr 2017 zudem die Regelung des § 130a VIIIa SGB V eingefügt, die es den Landesverbänden der Krankenkassen und den Ersatzkassen erlaubt, gemeinsam und einheitlich Rabattverträge mit pharmazeutischen Unternehmern über Fertigarzneimittel abzuschließen, die in parenteralen Zubereitungen zur unmittelbaren ärztlichen Anwendung in der Onkologie verwendet werden. Diese Neuregelung ist im Kontext mit der Aufhebung von § 129 V 3 SGB V a. F. zu sehen. Diese Vorschrift ermächtigte Krankenkassen zur Sicherstellung der Versorgung mit diesen Arzneimitteln durch Selektivverträge mit einzelnen Apothekern, in deren Rahmen die Apotheker den Krankenkassen Abschläge gewähren konnten. Das Bundessozialgericht ging davon aus, dass diesen Verträgen Exklusivwirkung zukam, dass also Versicherte parenterale Zubereitungen zur Anwendung in der Onkologie nach Zustandekommen derartiger Verträge nur bei einer Vertragsapotheke beziehen konnten.302 Durch das Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetz wurde die Regelung des § 129 V 3 SGB V a. F. aufgehoben, weil die Versorgung krebskranker Patienten ein besonderes Vertrauensverhältnis voraussetze, das nur bei einer freien Apothekenwahl erreicht werden könne.303 Die neue Rabattvertragsschlussmöglichkeit nach § 130a VIIIa SGB V solle dafür sorgen, dass auch nach Aufhebung von § 129 V 3 SGB V a. F. bei der onkologischen Versorgung Wirtschaftlichkeitsreserven erschlossen werden könnten.304

VI. Verpflichtung der Apotheker zur wirtschaftlichen Arzneimittelabgabe Apotheker sind im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung nicht lediglich dafür zuständig, dem Versicherten ärztlich verordnete Arzneimittel auszuhändigen. § 129 I SGB V formuliert für Apotheker mehrere Pflichten, durch deren Befolgung Apotheker zur Wirtschaftlichkeit der Arzneimittelversorgung beitragen sollen. Das Nähere regeln gemäß § 129 II SGB V der Spitzenverband Bund der Krankenkassen und die für die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen der Apotheker auf Bundesebene maßgebliche Spitzenorganisation in einem Rahmen 300

§ 130a VIII 3 SGB V. Zu den mittels Rabattverträgen erschließbaren Preisreserven s. Arzneiverordnungs-Report 2016, S. 181 ff. 302 BSG SozR 4-2500 § 129 Nr. 11. Ablehnend aus der Literatur: Altenburger, MedR 2016, S. 393 ff.; Grau/Püschel/Wallat, A&R 2015, S. 10 ff.; Wesser, A&R 2015, S. 61 ff. 303 BT-Drs. 18/10208, S. 30. 304 Vgl. BT-Drs. 18/10208, S. 31. 301

B. Die Arzneimittelversorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung

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vertrag. Nach der Gesetzesbegründung werden Apotheker dadurch bei der Arzneimittelabgabe in das Wirtschaftlichkeitsgebot eingebunden.305 Wenn der Arzt ein Fertigarzneimittel nur dem Wirkstoff nach verordnet hat oder die Ersetzung des verordneten durch ein wirkstoffgleiches Arzneimittel nicht ausgeschlossen hat, muss der Apotheker nach § 129 I 1 Nr. 1 SGB V ein preisgünstiges wirkstoffgleiches Arzneimittel abgeben. Apotheker trifft damit eine Pflicht zur wirtschaftlichen Konkretisierung von Wirkstoffverordnungen bzw. zur wirtschaftlichen Aut-idem-Substitution. Die Regelungen in § 129 I 3, 5 SGB V geben dabei vor, dass Arzneimittel, für die ein freiwilliger Rabattvertrag nach § 130a VIII SGB V besteht, Vorrang haben, wodurch der Abschluss freiwilliger Rabattverträge gefördert werden soll.306 Subsidiär ist ein Arzneimittel mit einem günstigen Abgabepreis abzugeben. Modifikationen der Pflicht zur Abgabe wirtschaftlicher wirkstoffgleicher Arzneimittel sind durch ergänzende Verträge auf Landesebene möglich, die zwischen den Krankenkassen oder Krankenkassenverbänden und den maßgeblichen Apothekerorganisationen auf Landesebene geschlossen werden. Die ergänzenden Verträge auf Landesebene können von der vorrangigen Abgabe rabattierter Arzneimittel abweichende Regelungen enthalten.307 Außerdem können sie vorsehen, dass Apotheker Arzneimittel so abgeben müssen, dass den Krankenkassen pro Arzneimittel nur ein bestimmter Durchschnittsbetrag an Kosten entsteht.308 Die Vorschrift des § 129 I 1 Nr. 1 SGB V knüpft daran an, dass im SGB V dieselben unterschiedlichen Konkretisierungsgrade für Arzneimittelverordnungen bestehen wie im allgemeinem Arzneimittelrecht. Der Vertragsarzt kann sich auf die Verordnung eines Wirkstoffs beschränken.309 Ebenso kann er ein konkretes Arzneimittel namentlich verordnen;310 in diesem Fall muss er aber entscheiden, ob er die Ersetzung des verordneten Arzneimittels durch ein wirkstoffgleiches Arzneimittel ausschließt, und seine Entscheidung auf dem Verordnungsblatt kenntlich machen.311 Da es somit aktiver Maßnahmen des Arztes zur Verhinderung der Substitution bedarf, stellt die Ersetzbarkeit verordneter Arzneimittel in der GKV den Regelfall dar.312 Dieser Mechanismus, dass der Arzt die Substitution aktiv verhindern muss, wurde durch das Arzneimittelausgabenbegrenzungsgesetz im Jahr 2003 eingeführt, nachdem bis dahin die Substitution der aktiven Ge 305 Vgl. BT-Drs. 11/2237, S. 205. Näher zu den Wirtschaftlichkeitspflichten der Apotheker unten Kapitel 4 B. 306 Vgl. BT-Drs. 16/3100, S. 142. 307 § 129 I 3 SGB V. 308 § 129 V 3 SGB V. 309 s. § 11 II AM-RL sowie § 129 I Nr. 1 lit. a SGB V. 310 s. § 11 II AM-RL sowie §§ 73 V 2, 87 I 5 Var. 2 SGB V. 311 § 73 V 2 SGB V. 312 Hauck/Noftz/Klückmann, § 73 SGB V Rn. 32; HK-AKM/Brucklacher, Aut idem (695), Rn. 6; jurisPK-SGB V/Adolf, § 73 SGB V Rn. 123; Kasseler Kommentar/Hess, § 73 SGB V Rn. 38; Reese/Stallberg, in: Dieners/Reese, § 17 Rn. 272.

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Kap. 1: Der rechtliche Rahmen für die Arzneimittelabgabe

stattung durch den Arzt bedurft hatte,313 Vertragsärzte aber kaum Substitutionsgestattungen ausgesprochen hatten.314 Um dem Arzt die Entscheidung über den Substitutionsausschluss zu ermöglichen, enthalten die vertragsärztlichen Verordnungsformulare neben dem Feld, in das der Name des verordneten Arzneimittels eingetragen wird, ein Kästchen, in das die Worte „aut idem“ eingedruckt sind. Kreuzt der Arzt das Kästchen an, schließt er die Substitution aus; lässt er das Kästchen frei, ist dem Apotheker die Ersetzung des verordneten Arznei­mittels gestattet.315 Unmittelbar verpflichtet, dem Apotheker die Auswahl des konkreten Arzneimittels zu gestatten, sind Vertragsärzte nicht. Allerdings unterliegen Vertragsärzte gemäß §§ 106 ff. SGB V der Wirtschaftlichkeitsprüfung sowohl im Hinblick auf selbst erbrachte als auch durch Verordnungen veranlasste Leistungen. Im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung wird geprüft, ob Vertragsärzte Kosten über das notwendige Maß hinaus verursacht haben. Die Übertragung der Arzneimittelauswahl auf den Apotheker, der nach § 129 I 1 Nr. 1 SGB V ein günstiges Arzneimittel auswählen muss, stellt für Ärzte eine Möglichkeit dar, die auf sie entfallenden Arzneimittelkosten möglichst niedrig zu halten.316 Eine vergleichbare Pflicht wie § 129 I 1 Nr. 1 SGB V statuiert die Regelung des § 129 I 1 Nr. 2 SGB V. Danach sind Apotheker verpflichtet, anstelle des vom Arzt verordneten Fertigarzneimittels ein preisgünstiges importiertes Arzneimittel abzugeben. Dabei kommt rabattierten Präparaten ebenfalls ein Vorrang zu.317 Mit dem Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetz wurde den Apothekern schließlich auch im Bereich der Rezepturarzneimittel eine Pflicht zur Auswahl wirtschaftlicher Arzneimittel übertragen. In § 129 I 1 Nr. 1, S. 4 SGB V ist geregelt, dass Apotheker bei der Anfertigung parenteraler Zubereitungen zur Anwendung in der Onkologie vorrangig solche Arzneimittel verwenden müssen, für die ein Rabattvertrag nach § 130a VIIIa SGB V geschlossen worden ist. Neben diesen Pflichten zur Auswahl wirtschaftlicher Arzneimittel erlegt § 129 I SGB V Apothekern noch zwei weitere Verpflichtungen auf. Zum einen sind Apotheker nach § 129 I 1 Nr. 3 SGB V zur Abgabe wirtschaftlicher Einzelmengen verpflichtet; wenn der Arzt eine unbestimmte Mengenangabe gemacht hat oder die verordnete Menge durch die Kombination unterschiedlicher Packungsgrößen erfüllbar ist, soll der Apotheker die preisgünstigste Möglichkeit wählen.318 Zum an 313

§ 73 V SGB V 2 a. F. BT-Drs.14/7144, S.  5; s. auch Orlowski/Rau/Wasem/Zipperer/Orlowski § 129 SGB  V Rn. 5. 315 § 29 II BMV-Ä. Dadurch hat sich die Bedeutung des Aut-idem-Kreuzes gewandelt – vor Inkrafttreten des AABG wurde durch Ankreuzen des Aut-idem-Kästchens die Substitutionsgestattung zum Ausdruck gebracht, Wigge, PharmR 2002, S. 2 (3). 316 Hauck/Noftz/Luthe, § 129 SGB V Rn. 12. 317 Vgl. § 129 I 8 SGB V. 318 BT-Drs. 11/2237, S. 205. 314

B. Die Arzneimittelversorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung

63

deren müssen Apotheker nach § 129 I 1 Nr. 4 SGB V den Apothekenabgabepreis auf der Arzneimittelpackung angeben; so soll das Kostenbewusstsein der Versicherten gestärkt werden.319

319

Becker/Kingreen/Axer, § 129 SGB V Rn. 24.

Kapitel 2

Das Kollektivvertragsrecht des § 129 SGB V Über die Arzneimittelversorgung durch Apotheken wird auf Bundesebene ein Rahmenvertrag zwischen dem GKV-Spitzenverband und der für die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen maßgeblichen Spitzenorganisation der Apotheker geschlossen.1 Der Rahmenvertrag hat für Apotheken Rechtswirkung, wenn sie einem Mitgliedsverband der maßgeblichen Spitzenorganisation angehören und die Satzung des Mitgliedsverbands vorsieht, dass die von der Spitzenorganisation geschlossenen Vereinbarungen Rechtswirkung für die verbandsangehörigen Apotheker haben, oder wenn sie dem Rahmenvertrag beitreten.2 Nach § 31 I 5 SGB V können Versicherte unter allen Apothekern frei wählen, für die der Rahmenvertrag Geltung hat. Auf Landesebene können Krankenkassen oder Krankenkassenverbände mit der für die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen maßgeblichen Vertretung der Apotheker auf Landesebene ergänzende Verträge schließen,3 die für die einzelnen Apotheker Rechtswirkung haben, wenn sie einem vertragschließenden Verband angehören oder den Verträgen beitreten.4 § 129 SGB V sieht damit eine kollektivvertragliche Ordnung der Rechtsbeziehungen zwischen Apothekern und Krankenkassen vor. Jenseits dieser kollektivvertraglich ausgestalteten Versorgung können Apotheker Selektivverträge mit Krankenkassen abschließen. So können Apotheker beispielsweise an der besonderen Versorgung nach § 140a SGB V teilnehmen5 oder sich an Modellvorhaben nach §§ 64 f. SGB V beteiligen. Nach § 129 Vb 1 SGB V sind Selektivverträge auszuschreiben6. Zentral für die Versorgung gesetzlich Versicherter bleiben jedoch nach wie vor die in § 129 SGB V enthaltenen gesetzlichen Vorgaben und deren kollektivvertragliche Konkretisierung, denn an selektivvertraglichen Versorgungsformen nehmen regelmäßig nur einzelne Apotheker teil, 1

§ 129 II, VII, VIII SGB V. § 129 III SGB V. 3 § 129 V 1 SGB V. 4 § 129 V 2 SGB V. 5 Vgl. in Bezug auf die Vorgängerregelung, die in den §§ 140a ff. SGB V geregelte integrierte Versorgung, Felix/Brockmann, NZS 2007, S.  623 (625 f.). Der Kreis der teilnahmeberechtigten Leistungserbringer hat sich im Zuge der Umwandlung der integrierten Versorgung in die besondere Versorgung nicht geändert. Teilnahmeberechtigt sind „nach [dem vierten] Kapitel zur Versorgung berechtigte Leistungserbringer“ (für die besondere Versorgung: § 140a III 1 Nr. 1 SGB V; für die frühere integrierte Versorgung: § 140b I 1 Nr. 1 SGB V a. F.). 6 Zum Verhältnis des in § 129 Vb 1 SGB V geregelten Ausschreibungserfordernisses zur vergaberechtlichen Ausschreibung s. Kirchhoff, SGb 2006, S. 710 ff. 2

A. Die Entwicklung des Kollektivvertragsrechts

65

die im Rahmen eines Ausschreibungsverfahrens ausgewählt wurden.7 Für den Großteil der Apotheker gelten somit ausschließlich die gesetzlichen und kollektivvertraglichen Vorgaben.

A. Die Entwicklung des Kollektivvertragsrechts in der Arzneimittelversorgung Historisch hat der Abschluss kollektiv ausgehandelter Verträge in der Arzneimittelversorgung eine lange Tradition. Mit dem Gesetz betreffend die Krankenversicherung der Arbeiter (KVG), das die freie Gewährung von ärztlicher Behandlung und Arznei vorsah,8 wurde im Jahr 1883 das Sachleistungsprinzip in das Krankenversicherungsrecht eingeführt.9 Die Einführung des Sachleistungsprinzips führte dazu, dass die Krankenkassen mit den Apothekern Vereinbarungen über die Versorgung ihrer Versicherten mit Arzneimitteln zu treffen begannen. Anfangs wurden hierzu individuelle Vereinbarungen zwischen einzelnen Krankenkassen und einzelnen Apothekern abgeschlossen.10 Schon bald darauf, um das Jahr 1900, kam es jedoch zur Gründung von – im Gesetz über die Krankenversicherung der Arbeiter in dieser Form nicht ausdrücklich vorgesehenen – Bezirks- und Reichsverbänden der Krankenkassen.11 Die Bezirksverbände schlossen für ihren Zuständigkeitsbereich mit Apothekervereinen auf Verbandsebene Vereinbarungen über die Arzneimittelversorgung der Versicherten.12 Einzelvertragsschlüsse waren bald vollständig verdrängt.13 Die Krankenkassen verfolgten mit dem Zusammenschluss zu Verbänden eine wirksamere Aufgabenwahrnehmung.14 Dass umgekehrt auch die Apothekerseite den Krankenkassen bei Vertragsverhandlungen verbandlich organisiert gegenübertrat, ist auf das starke Mitgliederwachstum der Krankenkassen zurückzuführen.15

7 Vgl. BeckOK SozR/v. Dewitz, § 129 SGB V Rn.  27; Kasseler Kommentar/Hess, § 129 SGB V Rn. 18. 8 § 6 S. 1 Nr. 1 KVG. 9 Bogan, S. 29 f.; Flüchter, S. 47; Hensel, S. 29; Zacher, FS Liefmann-Keil, S. 201 (210). 10 Behrends, S. 107. 11 Behrends, S. 109, 111; vgl. auch Tennstedt, S. 83 ff. Die Vorschrift des § 46 I Nr. 2 KVG sah lediglich vor, dass sich Krankenkassen innerhalb des Bezirks einer Aufsichtsbehörde zum Zwecke des Abschlusses von Verträgen mit Ärzten, Apothekern und Krankenhäusern zu einem Verband vereinigen konnten. § 46 I Nr. 1 KVG erlaubte weiterhin die Anstellung eines gemeinsamen Kassenführers; § 46 I Nr. 3 KVG erlaubte den gemeinsamen Betrieb von Heilanstalten. Den von den Krankenkassen gegründeten Verbänden auf Bezirksebene wurden allerdings allgemein Aufgaben der Interessenvertretung übertragen, s. Tennstedt, S. 84 f. Reichsverbände sah § 46 KVG überhaupt nicht vor. 12 Behrends, S. 111 f. 13 Kern, Beziehungen, S. 18. 14 Vgl. Tennstedt, S. 83 ff. 15 Strehmel, S. 3.

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Kap. 2: Das Kollektivvertragsrecht des § 129 SGB V

In Verbindung mit einer seit 1892 bestehenden Regelung16, die es Krankenkassen erlaubte, die Arzneimittelversorgung durch Verträge mit bestimmten Apotheken sicherzustellen und die Bezahlung anderer Apotheker abzulehnen, verliehen die steigenden Mitgliederzahlen den Krankenkassen eine große Marktmacht.17 Durch ein kollektives Auftreten bei Vertragsverhandlungen versuchten die Apotheker einen Ausgleich zur gewachsenen Marktmacht der Krankenkassen zu erreichen.18 Hauptstreitpunkte waren insoweit die Berechnung der Arzneimittelpreise, die Gewährung von Abschlägen durch Apotheker sowie die Selbstabgabe nicht apothekenpflichtiger Arzneimittel durch die Krankenkassen.19 Im Bereich der Arzneimittelversorgung fand mit der Verlagerung der Vertragsschlüsse auf die Verbandsebene eine Entwicklung statt, die sich parallel auch in der kassenärztlichen Versorgung vollzog.20 Nur bei den Ersatzkassen erfolgten Kollektivierungsbestrebungen in der Arzneimittelversorgung erst wesentlich später, unter anderem weil anfangs der Arzneimittelumsatz sehr gering war.21 Unter Geltung der im Jahr 1911 eingeführten Reichsversicherungsordnung (RVO) setzte sich die Praxis kollektiv ausgehandelter Vertragsschlüsse fort. Zusätzlich wurden nun noch Verträge auf Reichsebene zwischen den Reichsverbänden der Krankenkassen und dem Deutschen Apothekerverein geschlossen.22 Kollektivverträge auf Reichsebene wurden damals in sämtlichen Leistungsbereichen geschlossen, da man eine reichsweit einheitliche Leistungserbringung anstrebte;23 von einer einheitlichen Leistungserbringung erhoffte man sich Verwaltungsvereinfachung.24 Maßgebliches Gestaltungsmittel blieben aber die regionalen Verträge.25 Die Reichsverträge enthielten zwar Zielvorgaben für die Regionalverträge,26 entfalteten aber keine unmittelbaren Rechtswirkungen für einzelne Kassen oder Apotheker. Die Reichsverbände verpflichteten sich allenfalls, auf die regionalen Akteure einzuwirken, die Bestimmungen der Reichsvereinbarung in die Regionalverträge zu übernehmen.27 Zu einer Aufwertung der Reichsebene kam es 16

§ 26a II Nr. 2 lit. b KVG. Landgraf-Brunner, S. 13. S. dazu auch Zacher, FS Liefmann-Keil, S. 201 (213). 18 Keller, S. 67. Vgl. auch Behrends, S. 108, 111; Landgraf-Brunner, S. 17 ff. – Vgl. für die kassenärztliche Versorgung Heinemann, S. 4; Richter/Sonnenberg, S. 9. 19 Landgraf-Brunner, S. 17 ff., 99 f. S. zu diesen Regelungsgegenständen auch Zacher, FS Liefmann-Keil, S. 201 (218). 20 Zur Entwicklung bei den Kassenärzten s. Heinemann, S.  4 ff.; Richter/Sonnenberg, S. 9 ff. – Aus neuerer Zeit: Behrends, S. 108; Bogan, S. 31 f.; Hensel, S. 30 ff.; Axer, FS 50 Jahre BSG, S. 339 (342 ff.). Eingehend Käsbauer, S. 36 ff. 21 Vgl. Sörensen, ErsK 1970, S. 218. 22 Behrends, S. 112. 23 Behrends, S. 112. 24 Behrends, S. 123. 25 So erwähnen Kern, Beziehungen, S. 18, und Albert, S. 26, ausschließlich die Verträge auf regionaler Ebene. Zur Maßgeblichkeit der regionalen Ebene s. auch Strehmel, S. 3. 26 s. Ziff.  9 der Vereinbarung auf Reichsebene vom 11.6.1930 (abgedruckt bei Lehmann, Krankenversicherungsrecht, S. 634 f.); allgemein Tennstedt, S. 141. 27 So § 5 der von Strehmel, S. 7, beschriebenen Reichsvereinbarung aus dem Jahr 1935. 17

A. Die Entwicklung des Kollektivvertragsrechts

67

lediglich während der NS-Zeit, als die Reichsverbände der Krankenkasse eine exklusive Vertragsschlusskompetenz hatten.28 Nach 1945 nahm die Bedeutung der gesamtstaatlichen Ebene wieder ab.29 In den 1960er Jahren kam es allenfalls zu punktuellen Regelungen auf Bundesebene,30 die aber ebenfalls nicht unmittelbar rechtsverbindlich waren.31 Zu Beginn der 1980er Jahre existierten nahezu keine Regelungen auf Bundesebene.32 Nur im Bereich der Ersatzkassen schloss der Bundesverband der Ersatzkassen ab 1970 ausschließlich auf Bundesebene Arzneilieferungsverträge mit dem Deutschen Apothekerverein, weil einige Ersatzkassen bundesunmittelbar organisiert waren.33 Grundnorm der Vertragsschlüsse war unter Geltung der Reichsversicherungsordnung die Vorschrift des § 375 I 1 RVO. Danach konnte eine Kasse mit Apothekern Vorzugsbedingungen34 über die Lieferung von Arzneimitteln vereinbaren. Bestand eine Vereinbarung über Vorzugsbedingungen, konnte eine Krankenkasse nach § 375 I 2 RVO die Bezahlung von Arzneimitteln, die bei einer anderen Apotheke bezogen wurden, verweigern35. Die Möglichkeit zur Vereinbarung von Vorzugsbedingungen legte dabei die generelle Befugnis der Krankenkassen zum Abschluss von Arzneilieferverträgen mit Apothekern nahe.36 Die Möglichkeit zum Vertragsschluss mit einzelnen Leistungserbringern hatten außerdem Kassenverbände37 und – bis zum Jahr 1955 – Kassenvereinigungen38. Gesetzlich vorgesehener Vertragspartner sowohl der Krankenkassen als auch ihrer Verbände bei Abschluss der Arzneilieferverträge war damit der einzelne Apotheker. Als im Jahr 1955 die Landesverbände der Krankenkassen als Nachfolger der Kassenvereinigungen geschaffen wurden, konnten die Landesverbände von den Kassen zum Abschluss von Verträgen „mit Heilberufsverbänden“ bevollmächtigt werden.39 Die Vorschrift verlieh den Heilberufsverbänden aber nicht die Rechtsmacht, im eigenen Namen verbindlich für ihre Mitglieder zu handeln; vielmehr bedurften die Heilberufsverbände einer Bevollmächtigung durch ihre Mitglieder.40 Auch die 28

Dazu Behrends, S. 113; s. auch Peters, § 407 RVO Rn. 3. Vgl. Behrends, S. 124. 30 Tauber, S. 108, Fn. 2, nennt eine Vereinbarung zwischen dem DAV und den Bundesverbänden der Krankenkassen über die Wiederverwendung von Reagenzien aus dem Jahr 1963. 31 Vgl. Tauber, S. 108. 32 Töns, S. 128. Das Buch stammt aus dem Jahr 1980. 33 Vgl. Behrends, S. 124. 34 Der Begriff der Vorzugsbedingungen wurde weit verstanden und umfasste neben Preisnachlässen auch Kreditgewährungen oder die Vereinbarung besonderer Kündigungsfristen: Peters, § 375 RVO Rn. 2a. 35 Sog. Grundsatz der beschränkt freien Apothekenwahl, Peters, § 375 RVO Rn. 1. 36 Tauber, S. 102. 37 § 407 Nr. 2 RVO. 38 §§ 414 S. 2, 407 Nr. 2 RVO-1911. 39 § 414e S. 2 lit. c RVO-1955. 40 Behrends, S. 126. Im eigenen Namen mit Wirkung für ihre Mitglieder konnten hingegen die Kassenverbände nach § 407 Nr.  2 RVO handeln: Lehmann, Krankenversicherungsrecht, § 407 RVO, zu Abs. 1 Nr. 2; Peters, § 407 RVO Rn. 2. 29

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Kap. 2: Das Kollektivvertragsrecht des § 129 SGB V

durch die Landesverbände geschlossenen Verträge bestanden deshalb zu den einzelnen Apothekern. Da gesetzlich vorgesehener Vertragspartner von Arzneimittelverträgen somit die einzelnen Apotheker und nicht die Apothekerverbände waren, stellten sich die Kollektivverträge rechtskonstruktiv als Bündelung einer Vielzahl von individuellen Verträgen dar, deren Partei auf Apothekerseite jeweils die einzelnen Apotheker waren.41 Die individualvertragliche Konstruktion der Kollektivverträge spiegelte sich in der Vertragsschlusspraxis der Apothekerverbände wieder. Anfangs schlossen die Apothekerverbände zunächst die Verträge und legten sie anschließend ihren Mitgliedern zur Genehmigung vor.42 Die Geltung der ab dem Jahr 1955 zwischen Krankenkassenlandesverbänden und Apothekerverbänden ausgehandelten Verträge für die einzelnen Apotheker wurde überwiegend über stellvertretungsrechtliche Konstruktionen begründet. Die Bevollmächtigung der Apotheker­verbände zum Vertragsschluss durch die einzelnen Apotheker erblickte man wahlweise in der Anerkennung einer entsprechenden Satzungsbestimmung im Rahmen des Verbandsbeitritts, konkludent im Beitritt als solchem oder sogar – vor allem für den Fall von späteren Vertragsänderungen – im Verbleib im Verband nach einer erfolgten Vertragsänderung.43 Inhaltlich regelten die Verträge die Voraussetzungen, unter denen Apotheker an der Versorgung gesetzlich Versicherter teilnehmen konnten, die Modalitäten der Arzneimittelabgabe – insbesondere welche formelle Anforderungen ein ärztliches Rezept erfüllen musste, damit ein Apotheker es beliefern durfte –, Preisberechnungen, Abschlagsgewährungen, Abrechnungsmodalitäten und die Abwicklung von Zuzahlungen des Versicherten.44 Zudem sahen die Verträge – was nach § 375  I  2 RVO möglich war, soweit die Verträge Vorzugsbedingungen zugunsten der Kassen enthielten – vor, dass Apotheker, für die die Verträge nicht galten, keine Arzneimittel zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung abgeben durften.45 Für nicht verbandlich organisierte Apotheker war aber die Möglichkeit vorgesehen, den Verträgen beizutreten.46

41 Für zwischen Krankenkassenvereinigungen und Ärzteverbänden abgeschlossene Arztverträge Lehmann, Krankenversicherungsrecht, § 414 RVO, zu Abs. 2. 42 Kern, Beziehungen, S. 18. 43 Flüchter, S. 71 f.; Tauber, S. 106 ff. Kritisch gegen die Deutung des Verbleibs im Verband als Anerkennung einer Vertragsänderung aber Flüchter, S. 124, 127 f. 44 Schmitt, Leistungserbringung, S. 226. 45 Schmitt, Leistungserbringung, S. 226; s. beispielsweise § 3 I des Arzneiliefervertrages der Ersatzkassen aus dem Jahr 1979, abgedruckt in ErsK 1979, S. 478 ff. 46 Schmitt, Leistungserbringung, S. 226; s. beispielsweise § 3 II des Arzneiliefervertrages der Ersatzkassen aus dem Jahr 1979, abgedruckt in ErsK 1979, S. 478 ff.

B. Die Kollektivverträge des § 129 SGB V

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B. Die Kollektivverträge des § 129 SGB V Seine heutige Struktur hat das Kollektivvertragsrecht der Arzneimittelversorgung durch das Gesundheitsreformgesetz erhalten, das zum 1.1.1989 in Kraft getreten ist. Auf Bundesebene ist ein Rahmenvertrag über die Arzneimittelversorgung zu schließen, der insbesondere die Pflicht zur wirtschaftlichen Arzneimittelabgabe konkretisieren muss. Auf Landesebene können ergänzende Verträge geschlossen werden.

I. Der Rahmenvertrag auf Bundesebene Der Rahmenvertrag wird vom GKV-Spitzenverband und der für die Wahrung der wirtschaftlichen Interessen maßgeblichen Spitzenorganisation der Apotheker geschlossen. Für die einzelnen Apotheker hat der Rahmenvertrag Rechtswirkung, wenn sie einem Mitgliedsverband der Spitzenorganisation angehören, dessen Satzung die Bindung der Apotheker an die von der Spitzenorganisation geschlossenen Verträge vorsieht, oder wenn sie dem Vertrag beitreten. 1. Vertragsbindung und Leistungsberechtigung Zum Teil sieht das SGB V eine Zulassungsentscheidung als Voraussetzung dafür vor, dass Leistungserbringer an der Versorgung gesetzlich Versicherter teilnehmen können.47 Zulassungserfordernisse dienen vor allem der Überprüfung, ob Leistungserbringer spezifisch sozialrechtliche, über die allgemeinen berufsrechtlichen Voraussetzungen hinausgehende Anforderungen erfüllen.48 Das Leistungserbringungsrecht der Apotheker kennt ein solches Zulassungserfordernis nicht. Der Gesetzgeber hat die an Apotheken gerichteten berufsrechtlichen Tätigkeitsvoraussetzungen für das Krankenversicherungsrecht als ausreichend erachtet.49 Überwiegend wird aber angenommen, dass das Krankenversicherungsrecht Apotheker dennoch nicht uneingeschränkt an der Versorgung gesetzlich Versicherter teilnehmen lässt, sondern dass sie zur Versorgung gesetzlich Versicherter nur berechtigt sind, wenn der Rahmenvertrag ihnen gegenüber nach Maßgabe von § 129 III SGB V Rechtswirkung entfaltet.50 47

s. § 95 SGB V (Vertragsärzte); § 124 SGB V (Heilmittelerbringer). Vgl. allgemein Schuler-Harms, VSSR 2005, S. 135 (150). 49 Koenig/Klahn, GesR 2006, S. 58 (59); Schimmelpfeng-Schütte, GesR 2006, S. 529 (534); Wille, SdL 2007, Heft Nr. 1, S. 32 (45). 50 Wenner, § 9 Rn. 8 f.; Eichenhofer/Wenner/Armbruster, § 129 SGB V Rn. 51; Hauck/Noftz/ Luthe, § 129 SGB V Rn. 24, 37; Kasseler Kommentar/Hess, § 129 SGB V Rn. 13; LPK/Murawski, § 129 SGB V Rn. 12; Peters/Hencke, § 129 SGB V Rn. 10; Wodarz, in: Handbuch des Krankenversicherungsrechts, § 27 Rn. 47; Wille, SdL 2007, Heft Nr. 1, S. 32 (46); BSG, MedR 2001, S. 649 (650).Vgl. auch Axer, FS Schnapp, S. 349 (355); BSGE 101, 161 (171). 48

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Kap. 2: Das Kollektivvertragsrecht des § 129 SGB V

Aus dem Wortlaut von § 129 SGB V ergibt sich dieses Erfordernis nicht ausdrücklich. Der mit § 129 SGB  V strukturverwandte § 134a SGB  V ist in dieser Hinsicht eindeutiger formuliert, denn dort ist ausdrücklich geregelt, dass Hebammen, für die der Vertrag über die Hebammenhilfe nicht kraft Verbandsmitgliedschaft oder Beitritts Geltung entfaltet, von der Versorgung gesetzlich Versicherter ausgeschlossen sind.51 Jedoch sprechen mehrere gesetzessystematische Aspekte dafür, dass die Bindung an den Rahmenvertrag Voraussetzung für die Leistungsberechtigung von Apothekern ist. Nach § 31  I  5 SGB  V dürfen Versicherte nur unter denjenigen Apotheken frei wählen, für die der Rahmenvertrag gilt.52 Die den Apotheker nach § 129 I SGB V treffenden Pflichten zur wirtschaftlichen Arzneimittelversorgung bedürfen der näheren Konkretisierung durch den Rahmenvertrag;53 der Rahmenvertrag dient insoweit der Einbeziehung der Apotheker in das Wirtschaftlichkeitsgebot.54 Die Abwicklung des Apothekenabschlags wird ebenfalls im Rahmenvertrag näher konkretisiert.55 Schließlich werden Sanktionen für Pflichtverstöße erst durch den Rahmenvertrag festgelegt.56 Darüber hinaus muss der Rahmenvertrag weitere Pflichtinhalte regeln,57 was dessen Stellenwert verdeutlicht.58 Eine Gegenansicht geht hingegen davon aus, dass die Leistungsberechtigung von Apothekern nicht von einer Bindung an den Rahmenvertrag abhänge. Der Wortlaut von § 129 SGB V verlange eine Vertragsbindung nicht.59 § 129 SGB V sehe anders als andere Leistungsbereiche gerade keine gesonderte Zulassung für Apotheker vor.60 Zudem folge im Umkehrschluss aus § 129 IV 3 SGB V, wonach Apotheker bei gröblichen und wiederholten Verstößen von der Versorgung ausgeschlossen werden können, dass jeder Apotheker zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung leistungsberechtigt sei, solange kein Versorgungsausschluss erfolgt sei.61 Insbesondere im Hinblick auf die Sanktionen nach § 129 IV 1, 3 SGB V würde es jedoch zu gesetzessystematischen Widersprüchen führen, wenn nicht rahmenvertragsgebundene Apotheker zur Versorgung gesetzlich Versicherter berechtigt wären, 51

§ 134a II 2 SGB V. BeckOK SozR/von Dewitz, § 129 SGB V Rn. 22; Kirchhoff, SGb 2006, S. 710 (711). 53 Eichenhofer/Wenner/Armbruster, § 129 SGB V Rn. 4; s. auch Wille, SdL 2007, Heft Nr. 1, S. 32 (46). 54 LPK/Murawski, § 129 SGB V Rn. 12. Vgl. auch Koenig/Klahn, GesR 2006, S. 58 (59); Ebsen, SDSRV 38 (1994), S. 7 (12). 55 § 130 III 2 SGB V. 56 § 129 IV SGB V; dazu Wenner, § 9 Rn. 8. 57 s. beispielsweise § 129 VI 3 SGB V (Datenübermittlungen); § 291a VIIb 4 SGB V (Nutzung der elektronischen Gesundheitskarte). 58 Wenner, § 9 Rn. 9. 59 Sodan, S. 196; Wigge, NZS 1999, S. 584 (585). Vgl. auch Heinze, SDSRV 38 (1994), S. 69 (78); SG Gotha, MedR 2006, 497 (498). 60 Flüchter, S. 129. Vgl. auch jurisPK-SGB V/Schneider, § 129 SGB V Rn. 21; SG Gotha, MedR 2006, 497 (498). 61 Hensel, S. 101; Felix/Brockmann, NZS 2007, S. 623 (625 f.). Vgl. auch Sodan, S. 196 f. 52

B. Die Kollektivverträge des § 129 SGB V

71

denn zu den Pflichten, deren Verletzung einen Versorgungsausschluss rechtfertigen kann, können auch rahmenvertragliche Pflichten zählen.62 Der Rahmenvertrag soll für die einzelnen Apotheker gemäß § 129 III SGB V indessen nur Rechtswirkung entfalten, wenn sie mitgliedschaftlich oder durch Beitritt an ihn gebunden sind. Eine Leistungserbringung durch nicht nach Maßgabe von § 129 III SGB V an den Rahmenvertrag gebundene Apotheker ist daher nicht möglich. Die Unterwerfung unter den Rahmenvertrag hat insoweit eine zulassungsähnliche Funktion.63 2. Die Parteien des Rahmenvertrags Der Rahmenvertrag wird vom GKV-Spitzenverband und der für die Wahrung der wirtschaftlichen Interessen maßgeblichen Spitzenorganisation der Apotheker geschlossen. Für den einzelnen Apotheker entfaltet der Rahmenvertrag unter den in § 129 III SGB V genannten Voraussetzungen Rechtswirkung. Waren Vertragspartei der unter Geltung der Reichsversicherung geschlossenen Kollektivverträge noch die einzelnen Apotheker64, so ist Vertragspartei des Rahmenvertrags damit der vertragschließende Apothekerverband.65 In Bezug auf die ergänzenden Verträge auf Landesebene werden die vertragschließenden Verbände im Gesetz ausdrücklich als Vertragspartner und damit als die Vertragsparteien angesprochen.66 a) Der maßgebliche Verband auf Apothekerseite Während mit dem GKV-Spitzenverband die Vertragspartei auf Kassenseite eindeutig bezeichnet ist, wird die Vertragspartei auf Apothekerseite lediglich als die für die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen gebildete maßgebliche Spitzenorganisation umschrieben. Insoweit stellt sich die Frage, welche Apothekerorganisation für eine Rolle als Vertragspartner auf Apothekerseite in Betracht kommt. Ein erstes Eingrenzungskriterium ist der von § 129 III SGB V vorausgesetzte Verbandszweck, der in der Vertretung wirtschaftlicher Interessen bestehen muss. Insoweit scheiden zunächst die öffentlich-rechtlich organisierten Apothekerkammern als Vertragspartei aus, denn sie verfolgen nicht die wirtschaftliche Interessenvertretung, sondern die geordnete Berufsausübung der Apotheker.67 Nur ein 62

Vgl. den Wortlaut von § 129 II SGB V: „Verpflichtungen nach Abs. 2“. Becker/Kingreen/Axer, § 129 SGB V Rn. 8. Von einem unmittelbaren Zulassungscharakter geht aus Ebsen, SDSRV 38 (1994), S. 7 (12). 64 Soweit auf Kassenseite ein Krankenkassenlandesverband den Vertrag aushandelte, wurde mitunter vertreten, dass der Krankenkassenverband selbst und nicht die einzelnen Kassen Vertragspartner sein konnte: Peters, § 407 RVO, Anm. 3. 65 Vgl. Peters/Hencke, § 129 SGB V Rn. 9. 66 § 129 IV 1 SGB V. 67 Becker/Kingreen/Axer, § 129 SGB V Rn. 28; Hauck/Noftz/Luthe, § 129 SGB V Rn. 34; Wodarz, in: Handbuch des Krankenversicherungsrechts, § 27 Rn. 44. 63

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Kap. 2: Das Kollektivvertragsrecht des § 129 SGB V

privatrechtlich verfasster Berufsverband kann daher Vertragspartner sein,68 wobei sich aus dem Erfordernis, dass der vertragschließende Verband die wirtschaftlichen Interessen der Apotheker vertreten muss, zwei weitere Voraussetzungen herleiten lassen: Der Verband muss zum einen von Dritten unabhängig sein,69 weil nur dann die Gewähr dafür besteht, dass er tatsächlich die Interessen seiner Mitglieder vertritt.70 Zum anderen muss die Verbandsorganisation demokratischen Grundsätzen entsprechen,71 weil nur so die im Verband repräsentierten Apotheker effektiv an der Vertragswillensbildung teilnehmen können. Die vertragschließende Apothekervereinigung muss schließlich maßgeblich sein. Auf die Maßgeblichkeit von Interessenverbänden wird im SGB V an weiteren Stellen abgestellt. Der GKV-Spitzenverband und die maßgebliche wirtschaftliche Interessenvertretung der pharmazeutischen Unternehmer auf Bundesebene treffen eine Rahmenvereinbarung für Verträge über Erstattungsbeträge für Arzneimittel.72 Der GKV-Spitzenverband und die maßgeblichen Berufsverbände der Hebammen auf Bundesebene schließen Verträge über die Erbringung von Hebammen­hilfe.73 Der GKV-Spitzenverband und die maßgeblichen Spitzenorganisationen für die Heilmittelerbringungen geben Rahmenempfehlungen ab.74 Den für die Wahrnehmung der Interessen der Patientinnen und Patienten und der Selbsthilfe chronisch kranker und behinderter Menschen maßgeblichen Organisationen ist die Wahrnehmung von Beteiligungsrechten zugewiesen.75 „Maßgeblichkeit“ bedeutet schon dem allgemeinen Sprachgebrauch nach, dass der angesprochenen Interessenvertretung ein besonderes Gewicht zukommen muss. Soweit eine maßgebliche Organisation zu Kollektivvertragsschlüssen ermächtigt wird, sind die Kriterien für die Bestimmung dieses besonderen Gewichts anhand des Zwecks von Vertragsschlussermächtigungen zu entwickeln. Kollektivvertragliche Strukturen sollen sicherstellen, dass bei Verhandlungen zwischen Leistungserbringer- und Kassenseite Verhandlungsgleichgewicht herrscht (sog. Schutzfunktion der Kollektivverträge).76 Um als „maßgeblich“ zu gelten, muss ein Verband daher in der Lage sein, der Verhandlungsmacht des Vertragspartners

68

Becker/Kingreen/Axer, § 129 SGB V Rn. 28; Hauck/Noftz/Luthe, § 129 SGB V Rn. 34; Wodarz, in: Handbuch des Krankenversicherungsrechts, § 27 Rn. 44. 69 Vgl. in Bezug auf den Vertrag über Hebammenhilfe nach § 134a SGB V SG Berlin, KrV 2014, 37 (41). 70 Vgl. für Gewerkschaften und Arbeitgebervereinigungen als Tarifvertragspartner Erfurter Kommentar/Franzen, § 2 TVG Rn. 6. 71 Vgl. in Bezug auf den Vertrag über Hebammenhilfe nach § 134a SGB V SG Berlin, KrV 2014, 37 (41). 72 § 130b V, IX 1 SGB V. 73 § 134a I SGB V. 74 § 125 I SGB V. 75 § 140f I SGB V. 76 Becker/Kingreen/Butzer, § 125 SGB V Rn. 13; Hauck/Noftz/Luthe, § 129 SGB V Rn. 39; Bieback, NZS 1997, S. 393 (394); BSGE 105, 1 (6); BSG SozR 4-2500 § 125 Nr. 8 Rn. 44.

B. Die Kollektivverträge des § 129 SGB V

73

auf Kassenseite, hier des GKV-Spitzenverbandes, zu begegnen.77 Indikatoren für eine hinreichende Verhandlungsmacht sind Anzahl78 und Wirtschaftskraft79 bzw. Marktanteil80 der Verbandsmitglieder, wobei insoweit eine Gesamtbetrachtung durchzuführen ist.81 Das Kriterium der Mitgliederzahl darf jedoch nicht so stark betont werden, dass die Bildung neuer Verbände, die in der Gründungsphase regelmäßig keine hohe Mitgliederzahl aufweisen können, unmöglich gemacht wird.82 Im Hinblick auf neu gegründete Organisationen erscheint es daher angemessen, einen Organisationsgrad von lediglich 5 % der Berufsträger zu verlangen.83 Die Kollektivverträge des Leistungserbringungsrechts sollen außerdem die Einheitlichkeit und Funktionsfähigkeit der Versorgung sicherstellen (sog. Ordnungsfunktion der Kollektivverträge).84 Die Verbände sind, wenngleich sie im Rahmen der Vertragsverhandlungen die Interessen ihrer Mitglieder vertreten und zur Zurückstellung von deren wirtschaftlichen Interessen nicht verpflichtet sind, für die Gewährleistung einer wirtschaftlichen Versorgung mit verantwortlich.85 Ein Verband, der als „maßgeblich“ gelten soll, muss deshalb die Gewähr für eine sachgerechte Aufgabenerfüllung bieten.86 Er muss über hinreichend leistungsfähige Strukturen verfügen und einen hinreichenden Mitgliederbestand aufweisen.87 Ein größerer Verband kann außerdem höhere Akzeptanz unter den betroffenen Leistungserbringern schaffen.88 Vor allem falls mehrere Verbände als Vertragspartei in Betracht kommen, kann die Einstufung eines Verbandes als „maßgeblich“ aus diesem Grund auch davon abhängen, wie viele Apotheker schon nach § 129 III Nr. 1 SGB V satzungsmäßig an den Rahmenvertrag gebunden wären.89 Aus der Funktion des Maßgeblichkeitserfordernisses, das sicherstellen soll, dass der Rahmenvertrag seine Schutz- und Ordnungsfunktion erfüllen kann, folgt zudem, dass ein Berufsverband nicht schon automatisch zur Vertragsaushandlung berufen ist, wenn es sich bei ihm um den einzigen existierenden handelt. Sollte 77

Flüchter, S. 187 ff.; SG Berlin, KrV 2014, 38 (41). Flüchter, S. 189; Becker/Kingreen/Axer, § 129 SGB V Rn. 28; Hauck/Noftz/Luthe, § 129 SGB V Rn. 34. 79 BeckOK SozR/von Dewitz, § 129 SGB  V Rn.  20; Hauck/Noftz/Luthe, § 129 SGB  V Rn. 34. 80 Für die Hilfsmittelversorgung BT-Drs. 16/10609, S. 56. 81 Vgl. Hauck/Noftz/Luthe, § 129 SGB V Rn. 34. 82 SG Berlin, KrV 2014, 37 (41). – Vgl. für neu gegründete Gewerkschaften im Tarifvertragsrecht Erfurter Kommentar/Franzen, § 2 TVG Rn. 12; Löwisch/Rieble, § 2 TVG Rn. 185. 83 So SG Berlin, KrV 2014, 37 (42). 84 Allgemein Grzeszick, Wohlfahrt, S. 20; s. auch Ebsen, SDSRV 38 (1994), S. 7 (23). – Für die Hilfsmittelversorgung Kasseler Kommentar/Nolte, § 125 SGB V Rn. 5; BSG SozR 4-2500 § 125 Nr. 8 Rn. 44. – Für die Heilmittelversorgung BSGE 105, 1 (6); vgl. BSG SozR 4-2500 § 132a Nr. 3 Rn. 17. 85 Für die Heilmittelversorgung BSGE 105, 1 (5); BSG SozR 4-2500 § 132a Nr. 3 Rn. 17. 86 SG Berlin, KrV 2014, 37 (41). 87 Vgl. SG Berlin, KrV 2014, 37 (41). 88 Vgl. für die Hilfsmittelversorgung BT-Drs. 16/10609, S. 56. 89 Flüchter, S. 58; Kasseler Kommentar/Hess, § 134a SGB V Rn. 5. 78

74

Kap. 2: Das Kollektivvertragsrecht des § 129 SGB V

der einzige existierende Berufsverband keine hinreichende Verhandlungsmacht oder keine tauglichen Organisationsstrukturen aufweisen, muss der Rahmenvertrag von der Schiedsstelle festgelegt werden90. Die Apotheker müssen diesem Vertrag dann beitreten. Als maßgebliche wirtschaftliche Interessenvertretung im soeben dargestellten Sinne ist derzeit alleine der Deutsche Apothekerverband e. V. (DAV), der Zusammenschluss der 17 deutschen Apothekerlandesverbände, anzusehen. Im DAV sind rund 90 % der selbständigen Apothekenleiter organisiert. Privatrechtlich organisiert ist zwar auch die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände e. V. (ABDA), die Spitzenvereinigung der deutschen Apotheker, doch sind neben den 17 Apothekerlandesverbänden gleichfalls die 17 Apothekerkammern Mitglied der ABDA. Die Willensbildung der ABDA wird daher in erheblichem Maße auch von den Apothekerkammern gesteuert.91 Da die Apothekerkammern aufgrund ihrer öffentlich-rechtlichen Zwecksetzung als Partei des Rahmenvertrags nicht in Betracht kommen, kann aufgrund des erheblichen Einflusses der Apothekerkammern auf die Verbandswillensbildung auch die ABDA nicht Partei des Rahmenvertrags sein. b) Existenz mehrerer maßgeblicher Verbände? § 129 SGB V spricht davon, dass der Rahmenvertrag von „der“ maßgeblichen Spitzenorganisation der Apotheker abzuschließen ist, gebraucht also den Singular. Für den – derzeit jedoch nicht absehbaren – Fall, dass eine weitere Apothekerorganisation mit bundesweitem Aktionsradius gegründet wird, stellt sich die Frage, ob es mehrere maßgebliche Interessenorganisationen nebeneinander geben kann, sofern nur jede der Organisationen in der Lage wäre, gegenüber dem GKV-Spitzenverband eine hinreichende Verhandlungsmacht aufzubauen. Betrachtet man die Vertragsschlussermächtigungen für die Versorgung mit häuslicher Krankenpflege92 oder mit Hebammenhilfe93, ist festzustellen, dass das Gesetz im Plural von „den“ maßgeblichen Berufsverbänden der Pflegedienste bzw. Hebammen spricht. Ebenfalls ist die Existenz mehrerer maßgeblicher Be-

90 Die Mitglieder der Apothekenseite müssen dann vom Bundesministerium für Gesundheit ernannt werden, vgl. § 1 V SchStV. 91 Nach § 4 IV 1 der ABDA-Satzung erfolgt die Abstimmung nach Kammerbezirken. Nach § 4 IV 4 der ABDA-Satzung sollen sich die Apothekerkammer und der im Kammerbezirk bestehende Apothekerverband grundsätzlich einigen, wie die auf einen Kammerbezirk entfallenden Stimmen zwischen Kammer und privatrechtlichem Verband verteilt werden. Kommt keine Einigung zustande, erfolgt gemäß § 4 IV 4 i. V. m. § 11 III 3, 4 der ABDA-Satzung eine hälftige Aufteilung der Stimmen. 92 § 132a I SGB V. 93 § 134a I SGB V.

B. Die Kollektivverträge des § 129 SGB V

75

rufsvertretungen der pharmazeutischen Unternehmer möglich.94 Der Gebrauch des Singulars in § 129 II SGB V ist deshalb weniger dahingehend zu verstehen, dass der Gesetzgeber nur einen Verhandlungspartner auf Apothekerseite zulassen wollte. Vielmehr hat er im Gebrauch von Singular und Plural die gewachsene verbandliche Situation rezipiert und ist davon ausgegangen, dass diese sich nicht ändern würde. Die Apothekerschaft wurde auf Bundesebene stets nur vom DAV repräsentiert,95 während gerade Hebammen und die pharmazeutische Industrie schon immer mehrere Verbände auf Bundesebene gebildet hatten.96 Somit können im Rahmen von § 129 II SGB V ebenfalls mehrere maßgebliche Verbände existieren.97 In diesem Fall müssen die Apothekerverbände den Rahmenvertrag gemeinsam und einheitlich vereinbaren.98 Dem entspricht, dass auch die Empfehlungen über die Versorgung mit Krankenpflege gemeinsam abgegeben werden und die Verträge über die Hebammenhilfe – wenngleich der Gesetzgeber den Passus gestrichen hat, der dies ausdrücklich vorsah – gemeinsam und einheitlich geschlossen werden.99 Die Frage, ob ein neu entstandener Verband als maßgeblich anzusehen und deshalb bei der Aushandlung des Rahmenvertrags hinzuziehen ist, kann zu Streitigkeiten führen. Es ist sowohl die Konstellation denkbar, dass ein etablierter Verband vom GKV-Spitzenverband die Unterlassung von Verhandlungen mit einem präsumtiv nicht maßgeblichen Verband verlangt,100 als auch die Konstellation, dass ein Verband, der sich für maßgeblich hält, die Beteiligung an laufenden Verhandlungen begehrt. Es ließe sich erwägen, dass die Schiedsstelle als Konfliktlösungsinstanz zur Klärung dieser Frage berechtigt ist.101 Hiergegen lässt sich aber zum einen anführen, dass eine Schiedsstelle nur Regelungs-, aber keine Rechtsstreitigkeiten klären soll.102 Gegen eine entsprechende Entscheidungsbefugnis der Schiedsstelle spricht zudem, dass die Schiedsstelle nur rechtmäßig entscheiden kann, wenn sie ordnungsgemäß besetzt ist.103 Eine ordnungsgemäße Besetzung würde aber die Repräsentation aller maßgeblichen Verbände in der Schiedsstelle voraussetzen. In den Fällen, in denen ein maßgeblicher Verband zu Unrecht nicht am Vertragsschlussgeschehen beteiligt wird oder aber ein Verband fälsch 94

§ 130b V 1 SGB V. Bis zum Jahr 1992 hieß der Deutsche Apothekerverband noch „Deutscher Apotheker­ verein e. V.“. 96 Im Bereich der pharmazeutischen Industrie existierten bei Inkrafttreten des SGB V etwa der Bundesverband der pharmazeutischen Industrie (BPI, gegr. 1951) und der Bundesverband der Arzneimittelhersteller (BAH, gegr. 1954). 97 Becker/Kingreen/Axer, § 129 SGB V Rn. 28. 98 Vgl. Becker/Kingreen/Axer, § 129 SGB V Rn. 28. 99 Dazu SG Berlin, KrV 2014, 37 (38). 100 Dies war die Ausgangssituation von SG Berlin, KrV 2014, 37 ff. 101 Krasney, KrV 2014, S. 42. 102 SG Berlin, KrV 2014, 37 (39), in Bezug auf den Vertrag über Hebammenhilfe. 103 Vgl. § 129 VIII 1 SGB V, wonach die maßgebliche Interessenorganisation der Apotheker Mitglieder in die Schiedsstelle entsendet. 95

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Kap. 2: Das Kollektivvertragsrecht des § 129 SGB V

licherweise als maßgeblich angesehen wird, wäre die Schiedsstelle jedoch immer falsch besetzt – im ersten Fall fehlen Vertreter des weiteren maßgeblichen Verbandes, im zweiten Fall hätte der fragliche Verband keine Vertreter in die Schiedsstelle entsenden dürfen. Über die Maßgeblichkeit kann deshalb nur gerichtlich entschieden werden. Die statthafte Rechtsschutzform ist eine allgemeine Leistungsklage gegen den GKV-Spitzenverband gerichtet auf Ausschluss des präsumtiv nicht maßgeblichen Verbandes von Verhandlungen104 bzw. eine allgemeine Leistungsklage eines sich für maßgeblich haltenden Verbandes auf Hinzuziehung zu Vertragsverhandlungen. De lege ferenda erscheint im Hinblick auf solche Vorschriften des SGB V, die maßgebliche Verbände zum Vertragsschluss ermächtigen, die Einführung eines Anerkennungsmechanismus sinnvoll, wie er bereits für die nach § 140f SGB  V zur Stellungnahme berechtigten Patientenverbände besteht. So wird der Gefahr vorgebeugt, dass sich ein Vertrag im Nachhinein als unwirksam herausstellt, weil ein in Wahrheit maßgeblicher Verband von den Verhandlungen ausgeschlossen wurde oder umgekehrt ein mitwirkender Verband in Wahrheit nicht maßgeblich war105. Nach § 3 PatBetV müssen Patientenverbände zunächst per Verwaltungsakt als maßgeblich anerkannt werden, bevor sie Beteiligungsrechte ausüben können. Nach Eintritt der Bestandskraft der Anerkennungsentscheidung stünde die Maßgeblichkeit eines Verbandes folglich verbindlich fest. 3. Der Rahmenvertrag als öffentlich-rechtlicher Normenvertrag Die Voraussetzungen, unter denen Apotheker die Rechtswirkung des Rahmenvertrags für sich herbeiführen können, nämlich die satzungsmäßige Ermächtigung des Deutschen Apothekerverbandes zur Vertragsvereinbarung und der Vertragsbeitritt, erinnern an die Mechanismen, mittels derer unter Geltung der Reichsversicherungsordnung die individualvertraglich zu konstruierende Bindung der Apotheker an die Kollektivverträge erzeugt wurde.106 Parteien des Rahmenvertrags sind jedoch der GKV-Spitzenverband und der Deutsche Apothekerverband, nicht aber die einzelnen Apotheker. Verbandsmitgliedschaft und Vertragsbeitritt sind deshalb Tatbestandsmerkmale, bei deren Vorliegen § 129 SGB V die Geltung des Vertrages für den betroffenen Apotheker anordnet.107 Die Vertragsgeltung für den

104

SG Berlin, KrV 2014, 37 (39). Allgemein zu diesem Risiko Krasney, KrV 2014, S. 42. 106 Vgl. Becker/Kingreen/Axer, § 129 SGB  V Rn.  29; Orlowski/Rau/Wasem/Zipperer/Orlowski, § 129 SGB V Rn. 1. – Für die Heil- und Hilfsmittelerbringung Bieback, NZS 1997, S. 393. – Zur Konstruktion der Kollektivverträge unter Geltung der Reichsversicherungsordnung s. oben A. 107 Vgl. BeckOK SozR/v. Dewitz, § 129 SGB V Rn. 22; Axer, FS Schnapp, S. 349 (365 f.); Wodarz, in: Handbuch des Krankenversicherungsrechts, § 27 Rn. 47. – Vgl. für die Hilfsmittelversorgung BSG SozR 3–2500 § 124 Nr. 1 (S. 10 f.), betreffend das Anerkennungserfordernis nach § 124 II Nr. 3 SGB V. 105

B. Die Kollektivverträge des § 129 SGB V

77

einzelnen Apotheker folgt aus einem gesetzlichen Geltungsbefehl.108 Der Gesetzgeber hat somit an die aus der Zeit der Reichsversicherungsordnung bekannten Mechanismen zwar angeknüpft, sie aber einem Funktionswandel unterworfen.109 Auf einem gesetzlichen, in § 129 SGB V enthaltenen Geltungsbefehl beruht weiterhin die Verbindlichkeit des Rahmenvertrags gegenüber Versicherten und Krankenkassen.110 Bei dem Rahmenvertrag handelt es sich damit – wie regelmäßig bei den Kollektivverträgen des Leistungserbringungsrechts111  – um einen Normenvertrag.112 Als Normenverträge werden Verträge bezeichnet, die Rechtsnormen beinhalten.113 Rechtsnormen sind abstrakt-generelle Regelungen, die auch Rechtssubjekte unmittelbar und zwingend binden, die an ihrer Gestaltung nicht beteiligt waren.114 Die rahmenvertraglichen Bestimmungen entfalten für die einzelnen Versicherten, Krankenkassen und Apotheker als Nicht-Vertragspartner Rechtswirkungen.115 Sie regeln eine unbestimmte Zahl von Arzneimittelabgaben, an denen eine unbestimmte Vielzahl von Personen beteiligt ist, und sind damit abstrakt-genereller Natur. Der Rahmenvertrag wirkt aufgrund des in § 129 SGB V enthaltenen Geltungsbefehls schließlich unmittelbar und zwingend. Seiner Rechtsnatur nach ist der Rahmenvertrag als öffentlich-rechtlicher Vertrag einzuordnen. War die Einordnung leistungserbringungsrechtlicher Verträge als zivilrechtlich oder öffentlich-rechtlich ehemals umstritten,116 so ist seit der Neufassung des § 69 SGB V durch das GKV-Gesundheitsreformgesetz 2000 im Jahr 2000 geklärt, dass diese Verträge dem öffentlichen Recht zugehören,117 denn nach § 69 I 3 SGB V finden die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches nur „entsprechende“ Anwendung. Die Einordnung des Rahmenvertrages als öffentlich-rechtlicher Vertrag hat zur Folge, dass mit dem Deutschen Apothekerverband ein Privatrechtssubjekt am Erlass 108

Axer, S. 86 f.; Krauskopf/Knittel, § 129 SGB V Rn. 13. Vgl. auch Holzner, S. 393 ff. Schmitt, Leistungserbringung, S.  231. Vgl. auch Becker/Kingreen/Axer, § 129 SGB  V Rn. 29. 110 § 217e  II SGB  V, der dies ausdrücklich regelt, ist insoweit nur deklaratorisch: Axer, S. 67 ff., 87; Hauck/Noftz/Engelhard, § 217 SGB V Rn. 17. Entsprechendes gilt für § 210 II SGB  V, wonach die Krankenkassen in ihren Satzungen die vom GKV-Spitzenverband geschlossenen Verträge als bindend anerkennen müssen: Axer, S. 87. 111 Zu den unterschiedlichen Normenverträgen im Leistungserbringungsrecht s. Axer, S. 56 ff.; Holzner, S. 389 ff.; Engelmann, NZS 2000, S. 1 ff.; Sodan, NZS 1998, S. 305 ff. 112 Becker/Kingreen/Axer, § 129 SGB  V Rn.  28; BeckOK SozR/v. Dewitz, § 129 SGB  V Rn.  20; Hauck/Noftz/Luthe, § 129 SGB  V Rn.  24; Wodarz, in: Handbuch des Krankenversicherungsrechts, § 27 Rn. 46; BSGE 106, 303 (305); BSG SozR 4-2500 § 130 Nr. 2 Rn. 13; SozR 4-2500 § 130 Nr. 3 Rn. 12. 113 Axer, S. 61 f.; Holzner, S. 388. 114 Zum Normbegriff s. nur Axer, S. 35 ff. 115 Wodarz, in: Handbuch des Krankenversicherungsrechts, § 27 Rn. 46. 116 Vgl. zum früheren Streitstand Boerner, S. 109 ff. 117 BT-Drs. 14/1245, S. 68. 109

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Kap. 2: Das Kollektivvertragsrecht des § 129 SGB V

öffentlich-rechtlicher Rechtsnormen beteiligt ist. Soweit der Deutsche Apothekerverband an der Vereinbarung des Rahmenvertrags mitwirkt, könnte er daher als Beliehener zu qualifizieren sein. Nach der herrschenden sog. Kombinationstheorie werden als Beliehene Privatrechtssubjekte bezeichnet, die mit der selbständigen Wahrnehmung von Verwaltungsaufgaben in öffentlich-rechtlichen Handlungsformen betraut sind.118 Eine Beleihung muss im beleihenden Gesetz dabei nicht ausdrücklich als solche bezeichnet sein.119 Bei dem Rahmenvertrag als öffentlich-rechtlichem Normenvertrag handelt es sich um eine öffentlich-rechtliche Handlungsform. Die normenvertragliche Ausgestaltung der Arzneimittelabgabe im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung stellt eine Form von Verwaltungstätigkeit dar.120 Der Deutsche Apothekerverband als Privatrechtssubjekt übt damit in öffentlich-rechtlicher Form Verwaltungstätigkeiten aus, wenn er am Abschluss des Rahmenvertrags mitwirkt. Er ist folglich mit Normsetzungsmacht beliehen, soweit er in § 129 SGB V zur Vereinbarung des Rahmenvertrags ermächtigt wird.121 Eine Besonderheit des Rahmenvertrags gegenüber anderen Rechtsnormen besteht darin, dass zwar nach § 129 SGB V der Rahmenvertrag als solcher für sämtliche Apotheker normativ gilt, dass aber die einzelnen Apotheker die aus dem Rahmenvertrag folgenden Pflichten erst dann beachten müssen und aus dem Rahmenvertrag erst dann Rechte für sich herleiten können, wenn sie einen der in § 129 III SGB V bezeichneten Mitwirkungsakte – Vertragsbeitritt oder Erlangung der Mitgliedschaft in einer Untergliederung des Deutschen Apothekerverbandes – vorgenommen haben.122 Das macht den Rahmenvertrag jedoch nicht zu einem atypischen Normenvertrag.123 Das Erfordernis der Satzungsunterwerfung oder die Abgabe einer Beitrittserklärung sollen verhindern, dass ein Apotheker gegen seinen Willen an der Versorgung gesetzlich Versicherter teilnimmt, da mit der Teilnahme an der Versorgung auch Pflichten verbunden sein können.124 Regelungstechnisch-formal ist der Mechanismus, dass der Rahmenvertrag für die einzelnen Apotheker nur kraft Verbandsmitgliedschaft oder Vertragsbeitritt aktualisierte Geltung erlangt, mit § 3 I TVG vergleichbar, der die normative Gel 118

Holzner, S. 489 f.; A. v. Münch, S. 31; Weisel, S. 66 f.; Wiegand, Beleihung, S. 117 f.; Burgi, in: Ehlers/Pünder, § 10 Rn. 23. Vgl. auch BVerwGE 29, 166 (168 ff.); 98, 280 (297 f.); 153, 367 (372 f.). Zum Beleihungsbegriff s. auch Freitag, S. 30 ff. 119 Freitag, S.  77; Schoch/Wieland, ZG 2005, S.  223 (240). Vgl. auch BVerwGE 97, 117 (199), wonach das „Ob“ einer Beleihung im Wege der Gesetzesauslegung zu klären ist. Ähnlich Burgi, in: Ehlers/Pünder, § 10 Rn. 26. 120 Vgl. allgemein zur Einordnung von leistungserbringungsrechtlichen Normenverträgen als exekutive Handlungsformen: Axer, S. 56 ff.; Holzner, S. 389 ff. 121 Becker/Kingreen/Axer, § 129 SGB V Rn. 28; Wodarz, in: Handbuch des Krankenversicherungsrechts, § 27 Rn.  44.  – Allgemein für Normenverträge des Leistungserbringungsrechts Schoch/Wieland, ZG 2005, S. 223 (238). 122 JurisPK-SGB V/Schneider, § 129 SGB V Rn. 11. 123 So aber Frieß, S. 539 f.; Eichenhofer/Wenner/Armbruster, § 129 SGB V Rn. 47. 124 Vgl. Becker/Kingreen/Axer, § 129 SGB V Rn. 29.

B. Die Kollektivverträge des § 129 SGB V

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tung eines Tarifvertrages anordnet, wenn ein Arbeitnehmer Mitglied einer vertragschließenden Gewerkschaft ist.125 Aus dieser zunächst nur formalen Ähnlichkeit wird mitunter aber gefolgert, dass dem Rahmenvertrag auch materiell ein Tarifvertrags- bzw. Vereinsmodell zugrunde liege.126 Der Rahmenvertrag weise (privat-)autonome Strukturen auf.127 Als privatautonom sind Vereinbarungen anzusehen, die zwischen Parteien ausgehandelt werden, die über den Abschluss und den Inhalt einer Vereinbarung frei bestimmen können.128 Der Frage, ob der Rahmenvertrag als privatautonomes Regelwerk angesehen werden kann, kommt dabei nicht alleine theoretische Bedeutung zu, denn mit der Einordnung des Rahmenvertrages als privatautonom wären zugleich Konsequenzen für den Grundrechtsschutz der vertragsunterworfenen Apotheker verbunden. Würde sich die Vereinbarung des Rahmenvertrages als selbstbestimmte Rechtsausübung der Apotheker darstellen, ließen sich die in dem Rahmenvertrag übernommenen Pflichten nicht als staatliche Grundrechtseingriffe ansehen, was wiederum zur Folge hätte, dass rahmenvertragliche Bestimmungen nur noch eingeschränkt an den Grundrechten der Apotheker gemessen werden könnten.129 Die Voraussetzungen, um als privatautonomes Regelwerk gelten zu können, erfüllt der Rahmenvertrag aber nicht. Im Bereich der Pflichtinhalte kommt den Vertragsparteien schon keinerlei Spielraum über das „Ob“ mehr zu. Der Rahmenvertrag dient alleine der Konkretisierung von dem Grunde nach schon kraft Gesetzes vorgegebenen Pflichten und hat insoweit lediglich Normkonkretisierungsfunktion.130 Im Bereich der freiwilligen Vertragsinhalte131 haben die Rahmenvertragsparteien zwar Entscheidungsfreiheit, welche Bestimmungen sie in den Rahmenvertrag aufnehmen. Allerdings binden die freiwilligen Vertragsinhalte auch die nichtorganisierten Apotheker, die dem Vertrag beitreten. Da etwa 90 % der Bevölkerung gesetzlich versichert sind, sind Apotheker existenziell darauf angewiesen, gesetzlich Versicherte versorgen zu können. Nichtorganisierte Apotheker sind des-

125 Für zweiseitige Verträge im Krankenhausbereich nach § 112 SGB V Neumann, SDSRV 38 (1994), S. 109 (115). – Für Hilfsmittelverträge nach § 125 SGB V BSG SozR 3–2500 § 125 Nr.  6 (S.  19).  – Zur Funktionsweise von Tarifverträgen s. BeckOK ArbR/Giesen, § 3 TVG Rn. 1. 126 Fahlbusch, S. 230; Muckel/Ogorek, § 8 Rn. 145; Heinze, SDSRV 38 (1994), S. 69 (78); Rüfner, NJW 1989, S. 1001 (1006). 127 Flüchter, S. 129; Frieß, S. 543. – Für den strukturanalogen Vertrag über Hebammenhilfe nach § 134a SGB V Luthe WzS 2014, S. 315 (316 f.) und Fn. 14. – Vgl. für Hilfsmittelverträge nach § 125 SGB V BSG SozR 3–2500 § 125 Nr. 6 (S. 21). 128 Hänlein, S. 35 ff.; Isensee, in: Handbuch des Staatsrechts, Bd. VII, § 150 Rn. 9. 129 In diese Richtung Huster, KrV 2013, S. 1 ff., Fn. 52. – Vgl. für den Vertrag über Hebammenhilfe Luthe, WzS 2014, S. 315 (316 f.) und Fn. 15. – Vgl. allgemein für öffentlich-rechtliche Verträge Schlette, S.  69.  – Zum Prüfungsmaßstab privatautonomer Vereinbarungen s. Isensee, in: Handbuch des Staatsrechts, Bd. VII, § 150 Rn. 113 ff. 130 SG Mannheim, Urt. v. 20.1.2015, S 9 KR 3065/13, Rn. 37 (juris). – Vgl. für Verträge nach § 64 BSHG: BVerwGE 108, 47 (51). – Vgl. allgemein Holzner, S. 437 f. 131 s. dazu sogleich unten 4. a).

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Kap. 2: Das Kollektivvertragsrecht des § 129 SGB V

halb faktisch gezwungen, sich dem Rahmenvertrag zu unterwerfen.132 In Fällen, in denen einem Bürger keine Entscheidungsalternative verbleibt133 oder er existentiell auf ein bestimmtes Gut angewiesen ist134, stellt die Übernahme von Bindungen kein freiwilliges Handeln mehr dar.135 Der Beitritt nichtorganisierter Apotheker zum Rahmenvertrag kann deshalb nicht als freiwillige Anerkennung der Vertragsbestimmungen angesehen werden.136 Der Rahmenvertrag bildet damit kein privatautonomes Regelwerk.137 4. Die Regelungsbefugnis der Vertragsparteien An den Stellen, an denen das SGB  V Pflichtinhalte vorsieht, benennt es ausdrücklich mögliche Regelungsgegenstände des Rahmenvertrags. So soll der Rahmenvertrag die Pflicht zur wirtschaftlichen Arzneimittelabgabe näher ausgestalten, Sanktionen für den Fall eines Verstoßes gegen gesetzliche oder kollektivvertragliche Pflichten bei der Leistungserbringung vorsehen oder Einzelheiten hinsichtlich des Apothekenabschlags regeln.138 Fraglich ist, ob den Rahmenvertragsparteien auch jenseits dieser Pflichtinhalte Regelungskompetenzen zustehen. a) Die Arzneimittelabgabe als Regelungsgegenstand Nach § 129 II SGB V hat der Rahmenvertrag „das Nähere“ zu regeln. Gesetzessystematisch bezieht sich dieser Regelungsauftrag auf § 129 I SGB.139 § 129 I statuiert Pflichten des Apothekers zur wirtschaftlichen Arzneimittelabgabe, erwähnt eingangs aber auch allgemein „die Arzneimittelabgabe“ an Versicherte.140 Stellt man darauf ab, dass § 129 I SGB V allgemein die Arzneimittelabgabe erwähnt, ließe sich § 129 II SGB V unmittelbar ein umfassender Gestaltungsspielraum der Rahmenvertragsparteien für die Arzneimittelabgabe an gesetzlich Ver 132 Vgl. Heinze, SGb 1990, S.  173 (177).  – Vgl. für Heilmittelverträge Sodan, NZS 1998, S. 305 (309). – Allgemein Rixen, SozSich 2014, S. 77 (80). 133 Scherzberg, JuS 1992, S. 205 (211); ähnlich Schlette, S. 69. 134 Schilling, VerwArch 1996, S. 191 (200); ähnlich Flüchter, S. 125. 135 Vgl. Holzner, S. 437; Hauck/Noftz/Luthe, § 129 SGB V Rn. 39; Huster, KrV 2013, S. 1 (8); Neumann, SDSRV 38 (1994), S. 109 (118). – Vgl. für Verträge nach § 72 SGB XI Weber, S. 216 ff. 136 Vgl. Heinze, SGb 1990, S. 173 (177). Für Freiwilligkeit aber Fahlbusch, S. 230. Freiwilligkeit nimmt ebenfalls an Rüfner, NJW 1989, S. 1001 (1006), der die Beitrittsmöglichkeit nach § 129 III Nr. 2 SGB V für „einwandfrei“ hält, nachdem er sich zuvor kritisch gegenüber Verträgen mit Außenseitergeltung im Krankenhausbereich geäußert hat. Ähnlich Kasseler Kommentar/Hess, § 129 SGB V Rn. 13. 137 Heinze, SGb 1990, S. 173 (178). 138 §§ 129 I 1, 5, II, IV, 130 III 2 SGB V. 139 Axer, FS Schnapp, S. 349 (360); Sandrock/Stallberg, PharmR 2007, S. 498 (501). Vgl. auch Sommer/Limpinsel, § 129 SGB V Rn. 9. 140 Axer, FS Schnapp, S. 349 (360).

B. Die Kollektivverträge des § 129 SGB V

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sicherte entnehmen.141 Geht man hingegen davon aus, dass mit dem „Näheren“ lediglich die Ausgestaltung der in § 129 I SGB V enthaltenen Wirtschaftlichkeitspflichten angesprochen ist,142 ist jedoch zu beachten, dass der Rahmenvertrag als das zentrale Vertragswerk im Leistungserbringungsrecht der Apotheker entstehungsgeschichtlich Funktionsnachfolger der Arzneilieferverträge aus der Zeit der Reichsversicherungsordnung ist.143 Die Arzneilieferverträge aus der Zeit der Reichsversicherungsordnung enthielten detaillierte Regelungen über die Modalitäten der Arzneimittelabgabe. Ein Bedürfnis für derartige Regelungen besteht auch unter Geltung des SGB V. Dieser Befund legt nahe, dass den Rahmenvertragsparteien dieselbe Regelungsbefugnis zukommt wie den Parteien der früheren Arzneilieferverträge.144 § 129 SGB V wäre deshalb so zu lesen, dass die Vorschrift eine umfassende Regelungskompetenz der Vertragspartner für die Arzneimittelabgabe stillschweigend voraussetzt.145 Teilweise wird allerdings aus der Bezeichnung als „Rahmen“-Vertrag hergeleitet, dass auf Bundesebene keine Detailregelungen getroffen werden dürfen, der Rahmenvertrag sich mithin auf die Vorgabe eines „Rahmens“ für die Tätigkeit der Apotheker beschränken muss.146 Dagegen spricht zunächst, dass der Rahmenvertrag nunmehr Funktionsnachfolger der historischen Arzneilieferverträge ist, die detaillierte Regelungen enthielten. Außerdem muss es angesichts des nur fakultativen Charakters der ergänzenden Verträge auf Landesebene zumindest auf Bundesebene möglich sein, eine umfassende Regelung der Arzneimittelversorgung zu schaffen.147 Die Rahmenvertragspartner besitzen somit einen weiten Spielraum für die Arzneimittelabgabe, der über die Konkretisierung der gesetzlich vorgegebenen Pflichtinhalte hinausgeht. Allerdings ist der weite Gestaltungsspielraum der Vertragsparteien auf die Arzneimittelabgabe begrenzt. Im Rahmenvertrag können beispielsweise nicht mit Wirkung für die pharmazeutischen Unternehmer die Voraussetzungen des Generi­ka­ abschlags konkretisiert werden.148 Ebenso sind die Rahmenvertragsparteien nicht befugt, jenseits der Ausgestaltung der Pflicht zur wirtschaftlichen Arzneimittel­ abgabe den Leistungsanspruch des Versicherten zu konkretisieren.149 Unzulässig sind deshalb etwa Regelungen, die den Vergütungsanspruch des Apothekers von im Gesetz nicht vorgesehenen Genehmigungsvorbehalten zugunsten der Kranken­

141

Vgl. Axer, FS Schnapp, S. 349 (360). Sommer/Limpinsel, § 129 SGB V Rn. 9; Sandrock/Stallberg, PharmR 2007, S. 498 (501). 143 Peters/Hencke, § 129 SGB V Rn. 9. 144 Vgl. Hauck/Noftz/Luthe, § 129 SGB V Rn. 35. 145 Hauck/Noftz/Luthe, § 129 SGB  V Rn.  35. Vgl. auch Eichenhofer/Wenner/Armbruster, § 129 SGB V Rn. 45; Orlowski/Rau/Wasem/Zipperer/Orlowski, § 129 SGB V Rn. 9. 146 So im Ergebnis Sommer/Limpinsel, § 129 SGB V Rn. 9. 147 Axer, FS Schnapp, S. 349 (361). Vgl. auch Koenig/Klahn, GesR 2006, S. 58 (60). 148 Sandrock/Stallberg, PharmR 2007, S. 498 (501). 149 BSGE 106, 303 (311). 142

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Kap. 2: Das Kollektivvertragsrecht des § 129 SGB V

kasse abhängig machen, denn sie erschweren zumindest in faktischer Sicht die Realisierung des Leistungsanspruchs des Versicherten.150 Weiterhin ist es den Rahmenvertragspartnern nicht möglich, über die Arzneimittelabgabe hinaus Rechte und Pflichten für Apotheker zu begründen. So hätten die Rahmenvertragspartner keine Kompetenz, für Apotheker Fortbildungspflichten oder Pflichten zur Einführung eines Qualitätsmanagements einzuführen.151 Ebenso könnten die Apotheker im Rahmenvertrag nicht zu einer kontinuierlichen pharmazeutischen Betreuung gesetzlich Versicherter, beispielsweise unter Einrichtung von Kundenakten, verpflichtet werden. Im Rahmenvertrag kann deshalb kein umfassendes, den vertragsärztlichen Regelungen vergleichbares „Kassen­ apothekerrecht“ geschaffen werden. In Betracht kommt aber, dass die Rahmenvertragsparteien befugt sind, fachliche Vorgaben aufzustellen, die Apotheker bei der Arzneimittelabgabe an gesetzlich Versicherte zu beachten haben. Aus verfassungsrechtlicher Sicht ist zwar zu beachten, dass der Kompetenztitel für die Sozialversicherung aus Art. 74 I Nr. 12 GG, auf dem die in § 129 SGB  V enthaltene Normsetzungsermächtigung der Rahmenvertragspartner beruht, keine umfassenden Berufsausübungsregelungen für Leistungserbringer erlaubt.152 Primärer Gegenstand des Kompetenztitels sind die Festlegung von Leistungsumfang, Finanzierung und Organisation der Sozialversicherung.153 Doch werden auch Berufsausübungsregelungen von dem Kompetenztitel gedeckt, wenn sie durch Besonderheiten der Sozialversicherung gerechtfertigt sind oder soweit sie eine Funktionsbedingung für die Gewährung sozialversicherungsrechtlicher Leistungsgewährung bilden.154 Regelungen betreffend die Leistungsqualität oder die Modalitäten der Leistungserbringung weisen einen solchen Funktionszusammenhang auf.155 Fachliche Vorgaben für die Arzneimittelabgabe sind deshalb zulässige Vertragsgegenstände. Grenzen findet die dem Grunde nach umfassende Regelungsbefugnis der Rahmenvertragspartner für die Arzneimittelabgabe nur dort, wo das SGB  V Regelungsbefugnisse anderen Normsetzern zuweist.156 In dem Umfang, in dem der Gesetzgeber in § 129  Ia SGB  V dem Gemeinsamen Bundesausschuss Normsetzungsaufträge in Bezug auf bestimmte Aspekte der Pflicht zur wirtschaftlichen 150 Saalfrank, SGb 2011, S. 401 (404). Vgl. auch Krauskopf/Knittel, § 129 SGB V Rn. 5. Offengelassen von BSGE 106, 303 (111). 151 Ebenso Rixen, S.  425. Zur Einführbarkeit eines Qualitätssicherungssystems für Beratungsleistungen in der selektivvertraglichen Versorgung s. § 129 Vb 2 SGB V. 152 Vgl. Zimmermann, Bundesausschuss, S. 270; Engelmann, GesR 2004, S. 113 (117); Pestalozza, GesR 2006, S. 389 (394 f.). 153 Vgl. Bonner Kommentar/Axer, Art. 74 GG Rn. 42. 154 Zimmermann, Bundesausschuss, S. 271 f.; Bonner Kommentar/Axer, Art. 74 Nr. 12 GG Rn. 43; Engelmann, GesR 2004, S. 113 (117); Prehn, MedR 2015, S. 560 (564, 566); BSGE 80, 256 (258). 155 Bonner Kommentar/Axer, Art. 74 Nr. 12 GG Rn. 44. 156 Axer, FS Schnapp, S. 349 (360).

B. Die Kollektivverträge des § 129 SGB V

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Arzneimittelabgabe erteilt hat,157 sind entsprechende Regelungen seitens der Rahmenvertragspartner unzulässig. Da es nach § 87 I SGB V den Bundesmantelvertragsparteien obliegt, den Inhalt von Verordnungs-Vordrucken und damit den notwendigen Inhalt von ärztlichen Verordnungen festzulegen, ist es den Rahmenvertragspartner nicht möglich, für Verordnungen strengere Anforderungen als die im Bundesmantelvertrag enthaltenen als Voraussetzung dafür aufzustellen, damit sie von Apothekern beliefert werden dürfen.158 Zulässig sind insoweit lediglich Regelungen, die Apothekern die Heilung bestimmter Mängel der Verordnung vor deren Belieferung erlauben159; entsprechende Regelungen waren bereits Gegenstand der Arzneilieferverträge unter Geltung der Reichsversicherungsordnung.160 Die Vorschrift des § 129 IV 2 SGB V verpflichtet die Rahmenvertragsparteien nunmehr außerdem zu einer Regelung, in welchen Fällen eine Krankenkasse selbst bei Einreichung einer fehlerhaften Verordnung dem Apotheker nicht die Bezahlung der Vergütung verweigern darf. b) Vorrang von Arzneimittel- und Apothekenrecht Bei der Normierung von Verhaltenspflichten müssen die Rahmenvertragsparteien ebenfalls beachten, dass bereits das Arzneimittel- und das Apothekenrecht Vorgaben für die Arzneimittelabgabe enthalten. Das Arzneimittel- und das Apothekenrecht ist normenhierarchisch in formellen Gesetzen und Rechtsverordnungen und damit auf einer höheren Rangstufe als der Rahmenvertrag geregelt. Die Rahmenvertragspartner könnten von arzneimittel- und apothekenrechtlichen Vorschriften für die Arzneimittelabgabe deshalb nur dann abweichen, falls sie § 129 SGB V als formelles Gesetz hierzu ermächtigen würde. Relevant würde die Frage nach einer Befugnis zur Abweichung von arzneimittel- und apothekenrechtlichen Vorgaben, wenn sich die Rahmenvertragspartner etwa entschließen würden, die Heilung einer fehlerhaften Verordnung durch Apotheker auch dann zuzulassen, wenn sie nicht nur gegen krankenversicherungsrechtliche Vorgaben, sondern auch gegen Vorschriften der Arzneimittelverschreibungsverordnung (AMVV) wie beispielsweise das Erfordernis einer Unterschrift des Arztes verstößt.161

157 s. § 129 Ia SGB V: Der G-BA soll Hinweise zur Austauschbarkeit von Darreichungsformen geben und eine Substitutionsausschlussliste erstellen. 158 Vgl. aber Wesser, GuP 2011, S. 29 (30). 159 Allerdings sind derartige Heilungsvorschriften derzeit nur Gegenstand der ergänzenden Verträge auf Landesebene, s. beispielsweise § 3 VIII, IX ALV Bremen; § 3 III 3, 4 ALV Hessen. 160 s. beispielsweise § 5 III des in ErsK 1979, S. 478 ff. abgedruckten Vertrages. 161 In der Vergangenheit erlaubten einige ergänzende Verträge auf Landesebene Abweichungen von Vorgaben der AMVV, indem sie beispielsweise die Ergänzung einer fehlenden Mengenangabe durch den Apotheker nach Rücksprache mit dem Arzt zuließen (s. dazu Saalfrank/ Wesser, A&R 2015, S. 250 [255]), obwohl nach der AMVV (vgl. § 2 I Nr. 6, IV, VI AMVV) die Mengenangabe vom Arzt persönlich vorgenommen werden muss und bei fehlender Mengenangabe die kleinste Menge als verschrieben gilt.

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Kap. 2: Das Kollektivvertragsrecht des § 129 SGB V

Entstehungsgeschichtlich spricht gegen eine Befugnis der Rahmenvertragspartner zur Unterschreitung arzneimittel- oder apothekenrechtlicher Standards, dass schon die historischen Arzneilieferverträge keine Abweichungen von arzneimittel- und apothekenrechtlichen Vorgaben enthielten. Generell folgt darüber hinaus aus dem Wirtschaftlichkeitsgebot, das eine zweckmäßige, d. h. eine dem gegenwärtigen Stand der Erkenntnisse entsprechende Leistungserbringung verlangt, dass die Rahmenvertragspartner arzneimittel- und berufsrechtliche Standards nicht unterschreiten können.162 Insbesondere von zwingenden Vorgaben der Arzneimittelverschreibungsverordnung dürfen die Rahmenvertragsparteien damit nicht abweichen.163 5. Regelungspflichten und Schiedszwang Für den Rahmenvertrag sind gesetzlich verschiedene Pflichtinhalte vorgesehen. So müssen die Rahmenvertragsparteien die Pflicht zur wirtschaftlichen Arzneimittelabgabe konkretisieren,164 Sanktionen für Pflichtverletzungen festlegen,165 Retaxationsausschlüsse normieren166 oder die Abwicklung des Apothekenabschlags regeln167. In bestimmten Fällen kann das Wirtschaftlichkeitsgebot, dessen Umsetzung die Direktive für die Rahmenvertragspartner bildet,168 bewirken, dass eine eigentlich optionale Regelung pflichtig zu vereinbaren ist.169 Allerdings steht den Rahmenvertragsparteien ein Einschätzungsspielraum zu. Erst wenn eine Regelung offenkundig durch das Wirtschaftlichkeitsgebot geboten ist, erwächst ihnen eine Regelungspflicht.170

162

Vgl. Rixen, S. 425 f. Ebenso gegen eine Befugnis zu einer Abweichung von der AMVV: Saalfrank/Wesser, A&R 2015, S. 250 (252); dies., A&R 2016, S. 16 (17). – Entsprechend geht nunmehr auch die Gesetzesbegründung zu § 129 IV 2 SGB V, wonach die Rahmenvertragspartner regeln müssen, in welchen Fällen Krankenkassen die Abrechnung eines Apothekers trotz Fehlerhaftigkeit der Arzneimittelabgabe nicht beanstanden dürfen, davon aus, dass die Einhaltung der Arzneimittelverschreibungsverordnung zur Gewährleistung einer qualitativ ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung unerlässlich sei, BT-Drs. 18/4095, S. 118. 164 § 129 II SGB V. 165 § 129 IV 1, 3 SGB V. 166 § 129 IV 2 SGB V. 167 § 130 III 2 SGB V. 168 Vgl. BeckOK SozR/v. Dewitz, § 129 SGB V Rn. 21; Peters/Hencke, § 129 SGB V Rn. 9. Vgl. allgemein zur aus § 70 I SGB V – nach dieser Vorschrift sind Krankenkassen und Leistungserbringer zur Gewährleistung einer wirtschaftlichen Versorgung verpflichtet – folgenden Gewährleistungspflicht leistungserbringungsrechtlicher Normsetzer Hauck/Noftz/Klückmann, § 70 SGB V Rn. 4. 169 Vgl. BeckOK SozR/v. Dewitz, § 129 SGB V Rn. 31, der generell davon ausgeht, dass das Regelungsermessen der Rahmenvertragsparteien im Bereich an sich optionaler Vertragsinhalte in Ausnahmefällen auf Null reduziert sein kann. 170 Vgl. bez. der Richtliniengebung des G-BA BSG SozR 4-2500 § 34 Nr. 17 Rn. 75. 163

B. Die Kollektivverträge des § 129 SGB V

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Das Wirtschaftlichkeitsgebot kann die Rahmenvertragspartner weiterhin zur Anpassung einer bereits existenten rahmenvertraglichen Regelung verpflichten, wenn dies zur Gewährleistung einer wirtschaftlichen Arzneimittelversorgung notwendig ist.171 Die Vertragsparteien trifft insoweit eine Normbeobachtungspflicht.172 Anpassungspflichten können sich ferner daraus ergeben, dass der Vertrag wegen Verstoßes gegen sonstiges höherrangiges Recht rechtswidrig geworden ist. Beispielsweise kann sich höherrangiges einfaches Recht geändert haben oder es kann aufgrund geänderter tatsächlicher Verhältnisse eine rahmenvertragliche Regelung nicht mehr mit Grundrechten vereinbar sein.173 Das Rechtsstaatsprinzip gebietet die Änderung, zumindest die Aufhebung der rechtswidrig gewordenen Norm.174 Zur Durchsetzung der Normsetzungs- und -änderungspflichten sieht § 129 VII SGB V ein Schiedsverfahren vor. Danach wird die Einigung der Parteien durch den Spruch einer Schiedsstelle ersetzt, wenn der Rahmenvertrag ganz oder teilweise nicht innerhalb einer vom Bundesministerium für Gesundheit gesetzten Frist zustande kommt. Das Schiedsverfahren dient der Vermeidung vertragsloser Zustände, um die Versorgung der Versicherten zu gewährleisten.175 Trotz des weiten Gesetzeswortlauts ist die Erzwingung des Schiedsverfahrens auf die Fälle beschränkt, in denen die Vertragsparteien über einen pflichtigen Vertragsinhalt keine Einigung erzielen können.176 Der Schiedsspruch hat eine Doppelnatur: Einerseits ist die Schiedsregelung als Teil des Rahmenvertrages eine Rechtsnorm. Gegenüber den Vertragsparteien stellt der Schiedsspruch zugleich einen Verwaltungsakt dar, der die im Schiedsverfahren getroffene Regelung als für die Vertragsparteien verbindlich erklärt.177 6. Nachwirkung des Rahmenvertrags? Der Rahmenvertrag kann mit einer Frist von sechs Monaten zum Ende eines Kalendervierteljahres gekündigt werden.178 Falls die Vertragspartner bis zum Ablauf der Kündigungsfrist keine Neuregelung erlassen haben, wird ein Schiedsver 171

Hauck/Noftz/Luthe, § 129 SGB  V Rn.  38. Vgl. auch BeckOK SozR/v. Dewitz, § 129 SGB V Rn. 31. 172 Vgl. dazu Axer, SGb 2016, S. 177 (179); BSGE 85, 24 (29); BSG SozR 4-2500 § 34 Nr. 17 Rn. 75. 173 Zum Verfassungswidrigwerden von Normen und insoweit bestehenden verfassungsrechtlichen Normbeobachtungspflichten s. Baumeister, S. 114 ff.; Bickenbach, S. 359 ff. Vgl. auch BVerfGE 110, 141 (166); 112, 304 (320 f.); 133, 277 (371). 174 Bickenbach, S. 362 ff.; Kleuker, S. 30 ff. 175 Allgemein Flüchter, S. 87; Föllmer, S. 79; Joussen, S. 165 ff.; Schnapp, in: Handbuch des sozialrechtlichen Schiedsverfahrens, Einleitung Rn. 11. 176 Vgl. BeckOK SozR/v. Dewitz, § 129 SGB V Rn. 30. 177 Becker/Kingreen/Axer, § 129 SGB V Rn. 35; BeckOK SozR/v. Dewitz, § 129 SGB V Rn. 29. Allgemein Schnapp, in: Handbuch des sozialrechtlichen Schiedsverfahrens, Einleitung Rn. 45. 178 § 14 VI RV-AV.

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Kap. 2: Das Kollektivvertragsrecht des § 129 SGB V

fahren in Gang gesetzt.179 In der Zeit zwischen dem Ende der Kündigungsfrist und dem Ende des Schiedsverfahrens droht jedoch ein Regelungsvakuum, da zahlreiche gesetzliche Vorschriften der Konkretisierung durch den Rahmenvertrag bedürfen und die Unterwerfung unter den Rahmenvertrag Voraussetzung dafür ist, dass Apotheker gesetzlich Versicherte versorgen können. Solchen Regelungslücken wird in anderen Leistungsbereichen, etwa in der vertragsärztlichen Versorgung,180 der Hebammenhilfe181 oder dem Recht der Arzneimittelerstattungsbeträge182, durch Anordnung einer Nachwirkung vorgebeugt. Gekündigte Verträge gelten bis zur Schaffung einer neuen Vereinbarung fort. Dabei erfasst die Nachwirkung nur die pflichtigen Vertragsinhalte, da nur diese zur Gewährleistung einer ordnungsgemäßen Versorgung zwingend erforderlich sind.183 In § 129 SGB V ist eine solche Nachwirkung für den Rahmenvertrag nicht angeordnet. Im Jahr 2017 wurde zwar durch das Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetz mit der Regelung des § 129 Vc 3 SGB V eine Nachwirkungsvorschrift in das Leistungserbringungsrecht der Apotheker eingeführt. Diese Vorschrift betrifft aber nicht den Rahmenvertrag selbst, sondern nur die Vereinbarung über die Abrechnungspreise für parenterale Zubereitungen, die wie der Rahmenvertrag vom GKV-Spitzenverband und der maßgeblichen Spitzenorganisation der Apotheker geschlossen wird. Möglicherweise ergibt sich die Nachwirkung des Rahmenvertrags aus einer Gesamtanalogie zu den soeben dargestellten Nachwirkungsvorschriften. Wesentlichkeitstheorie, Gewaltenteilungsgrundsatz und Vorbehalt des Gesetzes stehen einer Analogiebildung im Öffentlichen Recht nicht entgegen, solange die Analogie gesetzlich bereits angelegte Wertungen nachzeichnet und der mit ihr einhergehende Eingriff in Grundrechte der Betroffenen sich noch als vorhersehbar darstellt.184 Auch lässt sich aus der Nachwirkungsanordnung in § 129 Vc 3 SGB V nicht der Schluss ziehen, dass nach dem Willen des Gesetzgebers anderen Vereinbarungen zwischen dem GKV-Spitzenverband und dem maßgeblichen Interessenverband der Apotheker als der Abrechnungsvereinbarung keine Nachwirkung zukommen soll. Der Gesetzgeber hat sich in der Gesetzesbegründung nicht näher zu dieser Nachwirkungsanordnung geäußert,185 was dagegen spricht, dass er damit zugleich Aussagen zur Nachwirkung anderer Vereinbarungen treffen wollte. Die analoge Anwendung einer Norm setzt das Bestehen einer planwidrigen Regelungslücke sowie die teleologische Vergleichbarkeit des gesetzlich geregelten mit 179

§ 6 II SchStV. §§ 89 I 3, 84 I 3 SGB V. 181 § 134a III 2 SGB V. 182 § 130b VII 2 SGB V. 183 Vgl. für den Bundesmantelvertrag jurisPK-SGB V/Beier, § 89 SGB V Rn. 35; BSG, Urt. v. 10.3.2004, B 6 KA 113/03 B, Rn. 9 (juris). 184 Hemke, S. 218 ff.; Kemmler, S. 197, 212 ff.; Kahl/Schuster, VBlBW 2013, S. 41 (45). 185 s. die Gesetzesbegründung zum Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetz, BT-Drs.  18/ 10208, S. 31. 180

B. Die Kollektivverträge des § 129 SGB V

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dem ungeregelten Fall voraus. Da sich nicht feststellen lässt, ob der Gesetzgeber eine Nachwirkung des Rahmenvertrages bewusst nicht angeordnet hat, ist objektiv anhand des Gesamt-Regelungszusammenhangs festzustellen, ob die Nicht-Regelung der Nachwirkung als planwidrig anzusehen ist; die Prüfung der Planwidrigkeit konvergiert damit mit der Vergleichbarkeit der Interessenlage.186 Gegen die Planwidrigkeit des Fehlens einer Nachwirkungsanordnung in § 129 SGB V wird angeführt, eine Nachwirkung widerspreche dem Prinzip, dass die Vertragsparteien den Vertragsinhalt eigenverantwortlich und partnerschaftlich aushandeln (sog. Partnerschaftsmodell der Kollektivverträge).187 Allerdings unterliegen obligatorisch zu vereinbarende, schiedsfähige Kollektivverträge außerhalb von § 129 SGB V stets der Nachwirkung. Dieser Befund streitet dafür, dass die unterbliebene Anordnung einer Nachwirkung als planwidrig anzusehen ist. Auch lässt sich aus § 129 Vc 3 SGB V ein Schluss a minore ad maius ziehen: Wenn schon Preisvereinbarungen Nachwirkung zukommt, muss eine Nachwirkung erst recht dem Rahmenvertrag als Grund-Regelwerk der Arzneimittelversorgung zukommen. Dem gefundenen Ergebnis dürfte auch die Rechtsprechung des BSG zugeneigt sein. Zwar lehnt das BSG einen allgemeinen Grundsatz der Vertragsfortgeltung ab und hat aus diesem Grund etwa die Nachwirkung von Individualverträgen zwischen Krankenkassen und Erbringern von Haushaltshilfe abgelehnt, weil sonst die Vertragsparteien gegen ihren Willen auf unbestimmte Zeit an dem Vertrag festgehalten würden.188 In einem obiter dictum hat das BSG aber angedeutet, dass es die analoge Anwendung der Nachwirkungsvorschriften auf pflichtige und zugleich schiedsfähige Kollektivverträge nicht von vornherein für ausgeschlossen hält.189 Der Rahmenvertrag nach § 129 SGB V entfaltet somit Nachwirkung.

II. Die ergänzenden Verträge auf Landesebene Auf Landesebene können ergänzende Verträge, häufig Arzneilieferverträge genannt,190 abgeschlossen werden.191 Vertragspartner auf der Apothekerseite ist die für die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen maßgebliche Organisation der Apotheker auf Landesebene,192 während auf der Krankenkassenseite die 186

Vgl. Rüthers/Fischer/Birk, S. 870 f. Hauck/Noftz/Luthe, § 129 SGB V Rn. 38, 47; Luthe, WzS 2014, S. 315 (316). 188 BSG SozR 3–2500 § 132a Nr. 1 (S. 3 f.); SozR 4-2500 § 132a Nr. 1 Rn. 8. 189 BSGE 89, 19 (22). Die Entscheidung betraf eine Vereinbarung über die Erbringung von Heilmitteln nach § 125 II SGB V. Zwar haben Krankenkassen die Versorgung mit Heilmitteln sicherzustellen, doch trifft Krankenkassen keine Pflicht zum Abschluss von Vereinbarungen gegenüber konkreten Heilmittelerbringern oder konkreten Verbänden von Heilmittelerbringern. 190 BeckOK SozR/v. Dewitz, § 129 SGB V Rn. 23; jurisPK-SGB V/Schneider, § 129 SGB V Rn. 16. 191 § 129 V 1 SGB V. 192 Zur Auslegung des Begriffs der Maßgeblichkeit vgl. oben B. I. 2. a). Zu eng dürfte allerdings § 2 IV 1 RV-AV sein, wonach maßgeblich nur solche Verbände sein können, die Mitglied des Deutschen Apothekerverbandes sind. 187

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Kap. 2: Das Kollektivvertragsrecht des § 129 SGB V

Krankenkassen-Landesverbände und seit Inkrafttreten des GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzes im Jahr 2007 auch die einzelnen Krankenkassen vertragsschlussberechtigt sind. Da für die Akteure auf Kassenseite nicht vorgesehen ist, dass sie gemeinsam und einheitlich handeln müssen, ist jede Krankenkasse bzw. jeder Landesverband berechtigt, einen eigenen ergänzenden Vertrag abzuschließen.193 In der Praxis wird pro Bundesland jedoch meist nur ein einheitlicher Vertrag vereinbart; für den Ersatzkassenbereich besteht ein separates, bundesweit einheitliches Vertragswerk.194 Für die einzelnen Apotheker hat ein ergänzender Vertrag Geltung, wenn sie einem vertragschließenden Verband angehören oder wenn sie dem Vertrag beitreten.195 Die Arzneilieferverträge ermöglichen es, länderspezifischen Besonderheiten und Interessenlagen Rechnung zu tragen. Häufig regeln sie die eher technischen Modalitäten der Arzneimittelabgabe wie beispielsweise Fristen für die Rezepteinreichung oder das Prozedere bei Abrechungsprüfungen durch die Krankenkassen. Nach § 129 V 1 SGB V dürfen die Verträge auf Landesebene nur „ergänzende“ Regelungen neben dem Rahmenvertrag vorsehen. Die Verträge auf Landesebene dürfen damit zum Rahmenvertrag nicht in Widerspruch treten.196 Dabei entfalten sowohl eine positive Regelung des Rahmenvertrags als auch ein absichtsvoller Regelungsverzicht Sperrwirkung.197 Eine Abweichungsbefugnis steht den Vertragspartnern auf Landesebene aber in Bezug auf die Konkretisierung der Pflicht zur wirtschaftlichen Arzneimittelabgabe zu; die Pflicht zur vorrangigen Abgabe rabattierter Arzneimittel steht unter dem Vorbehalt anderweitiger rahmenvertraglicher Regelungen198 und anstelle der Pflicht zur Abgabe preisgünstiger Arzneimittel können die Landesvertragspartner vorsehen, dass die von den Apotheken abgegebenen Arzneimittel im Durchschnitt einen bestimmten Preis nicht überschreiten dürfen199. Da der Abschluss der ergänzenden Verträge fakultativ ist und keine Pflichtinhalte existieren, besteht kein Schiedsmechanismus.200 Während unter Geltung der Reichsversicherungsordnung Vereinbarungen auf der Länderebene die Arzneimittelversorgung bestimmten, ist maßgebliches Regelungsinstrument zur Steuerung der Arzneimittelversorgung unter Geltung des SGB V nunmehr der Rahmenvertrag auf Bundesebene. Die stärkere Betonung der 193

Sommer/Limpinsel, § 129 SGB V Rn. 22. Dies ist der Arzneiversorgungsvertrag (AVV-VdEK), der vom Verband der Ersatzkassen stellvertretend für die einzelnen Ersatzkassen und vom Deutschen Apothekerverband stellvertretend für die einzelnen Apothekerlandesverbände geschlossen wurde. 195 § 129 V 2, III SGB V. 196 Becker/Kingreen/Axer, § 129 SGB  V Rn.  33; BeckOK SozR/v. Dewitz, § 129 SGB  V Rn. 32; Eichenhofer/Wenner/Armbruster, § 129 SGB V Rn. 65; Spickhoff/Barth, § 129 SGB V Rn. 17. 197 Eichenhofer/Wenner/Armbruster, § 129 SGB V Rn. 64. 198 § 129 I 3 HS. 2 SGB V. 199 § 129 V 3 SGB V. 200 Becker/Kingreen/Axer, § 129 SGB  V Rn.  33; Eichenhofer/Wenner/Armbruster, § 129 SGB V Rn. 63; Kasseler Kommentar/Hess, § 129 SGB V Rn. 15. 194

B. Die Kollektivverträge des § 129 SGB V

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Bundes- gegenüber der Landesebene unter Geltung des SGB V ist darauf zurückzuführen, dass der Gesetzgeber eine bundesweit gleichmäßige und gleichwertige Regelung der Arzneimittelversorgung anstrebte.201 1. Vertragsbindung als Voraussetzung der Leistungsberechtigung? Es wurde gezeigt, dass ein Apotheker für die Teilnahme an der Versorgung gesetzlich Versicherter in jedem Fall an den Rahmenvertrag gebunden sein muss. Fraglich ist, ob bei Existenz eines ergänzenden Vertrages auf Landesebene ein Apotheker zudem an den ergänzenden Vertrag gebunden sein muss, um Versicherte der am Vertrag beteiligten Krankenkassen versorgen zu können.202 Bisweilen wird unter Hinweis auf deren fakultativen Charakter verneint, dass die Bindung an die ergänzenden Verträge Voraussetzung für die Leistungsberechtigung eines Apothekers ist.203 Gegen die Notwendigkeit einer Bindung an einen ergänzenden Vertrag könnte weiter sprechen, dass nach § 31 I 5 SGB V Versicherte unter allen Apotheken wählen können, für die der Rahmenvertrag Geltung entfaltet. Allerdings haben die ergänzenden Verträge dieselbe Zielsetzung wie der Rahmenvertrag, nämlich die Sicherstellung einer wirtschaftlichen Arzneimittelversorgung. Sie ergänzen den Rahmenvertrag damit in funktioneller Sicht.204 Soweit die Landesvertragsparteien die Möglichkeit haben, durch Modifikationen der Pflicht zur wirtschaftlichen Arzneimittelabgabe weitere Wirtschaftlichkeitsreserven zu erschließen,205 wäre es mit der von § 129 SGB V bezweckten Einbeziehung der Apotheker in das Wirtschaftlichkeitsgebot unvereinbar, wenn sich Apotheker solchen Regelungen entziehen könnten. Ein Apotheker muss deshalb an einen existierenden ergänzenden Vertrag gebunden sein, um Versicherte der am Vertrag beteiligten Krankenkassen versorgen zu können. 2. Die ergänzenden Verträge als Normenverträge Die ergänzenden Verträge entfalten vergleichbar dem Rahmenvertrag für die einzelnen Apotheker Rechtswirkung, wenn diese Mitglied eines vertragschließenden Verbandes sind und der Verband satzungsmäßig zum Vertragsschluss er 201

Sommer/Limpinsel, § 129 SGB V Rn. 9. – Vgl. in Bezug auf den strukturgleichen Vertrag über Hebammenhilfe nach § 134a SGB V BeckOK SozR/v. Dewitz, § 134a SGB V Rn. 3. 202 So Axer, FS Schnapp, S. 349 (366). Nach BSGE 106, 303 (305) haben Apotheker Arzneimittel an gesetzlich Versicherte nach Maßgabe von § 129 SGB V „und der ihn ergänzenden […] Landesverträge“ abzugeben. 203 Steinmeyer, in: Bergmann/Pauge/Steinmeyer, § 129 SGB V Rn. 14. Ebenfalls ablehnend Eichenhofer/Wenner/Armbruster, § 129 SGB V Rn. 63. 204 Sommer/Limpinsel, § 129 SGB V Rn. 21. 205 s. dazu jurisPK-SGB V/Schneider, § 129 SGB V Rn. 18.

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Kap. 2: Das Kollektivvertragsrecht des § 129 SGB V

mächtigt ist oder wenn diese einem ergänzenden Vertrag beitreten.206 Die ergänzenden Verträge entfalten damit in gleicher Weise wie der Rahmenvertrag kraft eines gesetzlichen Geltungsbefehls Verbindlichkeit für die einzelnen Apotheker und wirken folglich gegenüber den Apothekern normativ. Wenngleich die ergänzenden Verträge anders als der Rahmenvertrag zur vollständigen Disposition der Vertragsparteien stehen, lassen auch sie sich nicht als Ausfluss privatautonomer Regelungsmacht begreifen. Eine Einordnung als privatautonome Vereinbarungen verbietet sich bereits deshalb, weil die ergänzenden Verträge Verbandsaußenseiter binden, die ihnen beitreten müssen, um Versicherte vertragsgebundener Kassen versorgen zu können. Entsprechend sieht das BSG in Regelungen der ergänzenden Verträge Berufsausübungsregelungen207 und damit Grundrechtseingriffe. Seit auf Kassenseite nicht mehr nur die Landesverbände, sondern auch die einzelnen Krankenkassen vertragsschlussberechtigt sind, erscheint problematisch, wie sich die Bindung der Krankenkassen an verbandlich ausgehandelte Verträge vollzieht. Solange nur die Krankenkassenlandesverbände vertragsschlussberechtigt waren, galten die ergänzenden Verträge für die einzelnen Kassen normativ kraft einer gesetzlichen Geltungsanordnung.208 Die einzelnen Krankenkassen konnten den Vertragsschluss nur beeinflussen, indem sie im Innenverhältnis auf die Verbandswillensbildung Einfluss nahmen. Doch waren diese Einflussmöglichkeiten zumeist beschränkt, da Verträge regelmäßig alleinverantwortlich durch den Vorstand des Verbands geschlossen wurden209 und bei einer ausnahmsweisen Notwendigkeit einer vorherigen Zustimmung des Verwaltungsrats zu einem Vertrag210 im Verwaltungsrat das Mehrheitsprinzip211 galt. Seit die einzelnen Krankenkassen vertragsschlussberechtigt sind, ist nunmehr fraglich, ob die Landesverbände nur noch Verträge schließen können, wenn sie von den einzelnen Kassen dazu bevollmächtigt wurden.212 Die Gesetzesbegründung zum GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz führt in Bezug auf die Vertragsschluss 206

§ 129 V 2, III SGB V. Jeweils betreffend eine vertragliche Ausschlussfrist für Vergütungsansprüche BSGE 97, 23 (27); BSG SozR 4-2500 § 129 Nr. 7 Rn. 15 f. 208 Axer, FS Schnapp, S. 349 (366). 209 Vgl. dazu jurisPK-SGB V/Schneider-Danwitz, § 197 SGB V Rn. 43 ff.; Thüsing/Hütter, NZS 2016, S. 281 (282 f.). – Vgl. in Bezug auf Kassenärztliche Vereinigungen BSGE 114, 274 (277 ff.). 210 Ein Zustimmungserfordernis des Verwaltungsrats zu einem Vertrag kann sich nach einer Literaturansicht aus §§ 209  IV 2 SGB  V i. V. m. § 197  I  Nr.  1 lit.  b SGB  V wegen dessen grundsätzlicher Bedeutung ergeben: s. dazu jurisPK-SGB V/Schneider-Danwitz, § 197 SGB V Rn. 45. – Vgl. in Bezug auf Kassenärztliche Vereinigungen Kaltenborn, GesR 2008, S. 337 (343). 211 s. beispielsweise § 11 II der Satzung für den Landesverband BKK Mitte (abrufbar unter: https://www.bkkmitte.de/fileadmin/PDF/Ueber_den_Verband/2015-01-05_Er%C3%A4nzungenSatzung_Mitte_10__Nachtrag.pdf); § 12 III der Satzung für den Landesverband BKK Bayern (abrufbar unter: http://www.bkk-bayern.de/fileadmin/user_upload/Dokumente/Wir_ueber_uns/ Satzung_BKK_Landesverband_Bayern_07-2012.pdf). 212 Vgl. für Verträge über die Heilmittelversorgung Hauck/Noftz/Luthe, § 125 SGB V Rn. 9. 207

B. Die Kollektivverträge des § 129 SGB V

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befugnis der einzelnen Krankenkassen aus, dass den Krankenkassen größere Vertragsfreiheiten eingeräumt werden sollten, indem sie die Möglichkeit erhalten, neben oder anstelle von Verbandsverträgen selbst Verträge abzuschließen.213 Diese Ausführungen legen nahe, dass lediglich der Spielraum der einzelnen Krankenkassen erweitert, aber nicht zugleich derjenige der Verbände verkürzt werden sollte. Die Krankenkassenverbände sind deshalb weiterhin zum Vertragsschluss mit Wirkung für die einzelnen Kassen berechtigt, ohne dass sie einer Bevollmächtigung bedürften. Da somit den einzelnen Krankenkassen und den Krankenkassenverbänden parallel eine Vertragsschlussbefugnis zukommt, können Kollisionen von Verbandsund Kassenverträgen entstehen. Da § 129 V 1 SGB V die Kassen und ihre Verbände als gleichwertig ansieht, gelten die allgemeinen Vorschriften zur Auflösung von Regelungskollisionen, insbesondere der Lex-specialis-Grundsatz.214 Ein von einer einzelnen Krankenkasse geschlossener Vertrag hat danach Vorrang vor einem auf Verbandsebene geschlossenen Vertrag. 3. Arzneimittelversorgung über Bundeslandgrenzen hinweg Im Versorgungsalltag kann vor allem in an Bundeslandgrenzen gelegenen Regionen oder im Rahmen des Arzneimittelversandhandels die Situation auftreten, dass ein Apotheker einen Versicherten versorgt, dessen Krankenkasse ihren Sitz in einem anderen Bundesland hat als in demjenigen, in dem die Apotheke gelegen ist. Fraglich ist, welche Rechtswirkungen den ergänzenden Verträgen bei einer bundeslandgrenzüberschreitenden Arzneimittelversorgung zukommt. Ist die Krankenkasse des Versicherten an einen ergänzenden Vertrag gebunden, ist ein Apotheker möglicherweise nur zur Versorgung des Versicherten berechtigt, wenn er zuvor die Verbindlichkeit dieses Vertrages für sich herbeigeführt hat.215 Eine Vertragsbindung kraft Verbandsmitgliedschaft wäre dem Apotheker jedoch verwehrt, da die Apothekerlandesverbände gemäß ihren Satzungen nur den im jeweiligen Bundesland ansässigen Apothekern offenstehen. Erwägen ließe sich weiterhin eine Vertragsbindung durch Vertragsbeitritt. Gegen die Möglichkeit, ergänzenden Verträgen anderer Bundesländer beizutreten, spricht aber Folgendes: Der Vertragsbeitritt stellt seinem Zweck nach nur ein Surrogat für eine mitgliedschaftliche Vertragsbindung in Fällen dar, in denen ein Apotheker sich keinem Verband anschließen will.216 Da eine mitgliedschaftliche Bindung an ergänzende Verträge anderer Bundesländer aber von vornherein nicht möglich ist, besteht auch nicht die 213

BT-Drs. 16/3100, S. 141, in Bezug auf die Heilmittelerbringung (§ 125 SGB V). Für Verträge nach § 132b SGB V jurisPK-SGB V/Schneider, § 132b SGB V Rn. 7. – Für Verträge nach § 132e SGB V jurisPK-SGB V/Schneider, § 132e SGB V Rn. 5. 215 So SG Frankfurt a. M., GewArch 2006, 478 (480). 216 Koenig/Klahn, GesR 2006, S. 58 (59 f.). 214

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Kap. 2: Das Kollektivvertragsrecht des § 129 SGB V

Möglichkeit eines Vertragsbeitritts als Surrogat für eine mitgliedschaftliche Bindung. Ein Vertragsbeitritt scheidet daher ebenfalls aus. Ein Apotheker kann sich somit an die ergänzenden Verträge anderer Bundesländer nicht binden.217 Aus diesem Grund ist auch die Berechtigung zur Versorgung von Versicherten, deren Krankenkasse ihren Sitz in einem anderen Bundesland hat, nicht davon abhängig, dass ein Apotheker sich einem ergänzenden Vertrag dieses Bundeslandes unterworfen hat. Umgekehrt könnte aber ein ergänzender Vertrag, an den der Apotheker in seinem Sitzbundesland gebunden ist, gegenüber der Krankenkasse des Versicherten Wirkung entfalten. Relevant wird diese Frage beispielsweise, wenn sich ein Apotheker auf eine in dem Vertrag enthaltene, für ihn vorteilhafte Regelung berufen will. Das BSG hat im Jahr 1996 eine länderübergreifende Wirkung der – damals noch ausschließlich von den Krankenkassenverbänden vereinbarten – im Sitzbundesland der Apotheker geltenden ergänzenden Verträge angenommen.218 Die übrige Rechtsprechung und die Literatur sind dem gefolgt.219 Ausgangspunkt des BSG war, dass nach der Konzeption von § 129 SGB V die Existenz einer – grundsätzlich durch den Rahmenvertrag vermittelten  – kollektivvertraglichen Beziehung zwischen den einzelnen Apothekern und Krankenkassen Grundlage für die Arzneimittelabgabe sein soll.220 Der Rahmenvertrag war jedoch zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt noch nicht vereinbart worden. Es existierten nur Kollektivverträge auf Landesebene, die oft noch aus der Geltungszeit der Reichsversicherungsordnung stammten. Das BSG nahm deshalb an, dass diesen Verträgen – nunmehr als ergänzenden Verträgen nach § 129 V SGB V – bis zum Inkrafttreten des Rahmenvertrages übergangsweise dessen Funktion als vertragliche Grund-Ordnung für die Arzneimittelabgabe zukomme. Diese Funktion komme den Verträgen zum einen innerhalb der einzelnen Bundesländer zu.221 Zum anderen könne dem Gesetzgeber nicht entgangen sein, dass es insbesondere in Grenzgebieten zur bundeslandgrenzüberschreitenden Leistungserbringung kommen könne.222 Deshalb hätten die von einem Krankenkassenverband geschlossenen Verträge nicht nur für dessen Mitgliedskassen, sondern für alle Kassen derselben Kassenart mit Sitz in anderen Bundesländern Rechtswirkung.223 Seit dieser Entscheidung haben sich die rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse jedoch in zweierlei Hinsicht gewandelt: Zum einen ist der Rahmenvertrag 217 Nach BeckOK SozR/v. Dewitz, § 129 SGB V Rn. 24, binden Verträge auf Landesebene nur die Apotheker des Vertragsgebiets. 218 BSGE 77, 194 (198 ff.); bestätigt in BSG SozR 4-2500 § 129 Nr. 3 Rn. 15. 219 Hauck/Noftz/Luthe, § 129 SGB  V Rn.  46; jurisPK-SGB V/Schneider, § 129 SGB  V Rn. 25; LSG Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 4.6.2009, L 5 KR 57/09 B ER, Rn. 18 (juris); LSG Thüringen, Urt. v. 27.11.2012, L 6 KR 151/09, Rn. 20 (juris). 220 BSGE 77, 194 (199 f.). 221 BSGE 77, 194 (199). 222 BSGE 77, 194 (201) m. w. N. 223 Vgl. BSGE 77, 194 (201 f.); Axer, FS Schnapp, S. 349 (366). – Vgl. für die Zulassung von Heilmittelerbringern nach § 126 I 1 SGB V BSGE 90, 220 (226 ff.).

B. Die Kollektivverträge des § 129 SGB V

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mittlerweile in Kraft getreten; eine vertragliche Grund-Ordnung der Beziehungen sämtlicher Apotheker und Krankenkassen ist damit bereits durch den Rahmenvertrag gewährleistet. Zum anderen kann es aufgrund der mittlerweile bestehenden Vertragsschlussberechtigung der einzelnen Krankenkassen dazu kommen, dass für eine Kassenart mehrere ergänzende Verträge in einem Bundesland bestehen. In der Folge lässt sich nicht mehr eindeutig bestimmen, welchem der verschiedenen ergänzenden Verträge grenzüberschreitende Wirkung zukommen soll.224 Es ließe sich zwar erwägen, dass jedenfalls einem auf Verbandsebene geschlossenen Vertrag – sofern ein solcher existiert – nach wie vor länderübergreifende Wirkung zukommt. Dagegen, dass Verbandsverträgen gegenüber Kassenverträgen eine solche zusätzliche Rechtswirkung zukommen soll, spricht aber, dass § 129 V 1 SGB die durch Kassenverbände und Einzelkassen geschlossenen Verträge als gleichwertig ansieht. Generell spricht schließlich gegen eine länderübergreifende Wirkung der ergänzenden Verträge, dass das SGB V an anderer Stelle mehrfach die länderübergreifende Wirkung von auf Landesebene geschlossenen Verträgen anordnet.225 Dabei handelt es sich durchgehend um solche Verträge, die zur Gewährleistung einer funktionierenden länderübergreifenden Versorgung unabdingbar sind. Die ergänzenden Verträge sind indessen nicht für die Arzneimittelversorgung unabdingbar; sie werden lediglich fakultativ in Ergänzung zum Rahmenvertrag geschlossen. Soweit in den ergänzenden Verträgen von den gesetzlichen und rahmenvertraglichen Vorgaben abweichende Regelungen über die wirtschaftliche Arzneimittelabgabe getroffen werden können,226 kann eine bundeslandübergreifende Wirkung der ergänzenden Verträge außerdem dazu führen, dass eine Krankenkasse eine aus ihrer Sicht unwirtschaftliche Regelung hinnehmen muss. Eine bundeslandübergreifende Wirkung der ergänzenden Verträge ist deshalb abzulehnen. Regelungen für die bundeslandesgrenzüberschreitende Arzneimittelversorgung können aus diesem Grund alleine im Rahmenvertrag getroffen werden. Gegenwärtig ordnet der Rahmenvertrag entsprechend der dargestellten Rechtsprechung des BSG an, dass die von Krankenkassenlandesverbänden geschlossenen, im Sitzbundesland des Apothekers geltenden Verträge Wirkung für alle Krankenkassen desselben Kassentyps im Bundesgebiet haben.227 Der Rahmenvertrag verweist damit dynamisch auf die verbandlich geschlossenen Verträge auf Landesebene. Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit dynamischer Verweisungen auf Regelwerke fremder Normsetzer ist jedoch umstritten. Von der überwiegenden Ansicht 224 Z. B.: Der Apothekerverband eines Bundeslandes B hat mit zwei Allgemeinen Ortskrankenkassen je einen ergänzenden Vertrag geschlossen. Der in B ansässige Apotheker A versorgt den Versicherten V, der Mitglied einer Allgemeinen Ortskrankenkasse mit Sitz im Nachbarbundesland ist. 225 § 83 S. 1 HS. 2 SGB V und § 85 II 1 HS. 2 SGB V (vertragsärztliche Gesamtverträge auf Landesebene); § 109 IV 1 SGB V (Versorgungsverträge mit Krankenhäusern). 226 § 129 I 3, V 3 SGB V. 227 § 2 IV RV-AV.

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Kap. 2: Das Kollektivvertragsrecht des § 129 SGB V

werden dyna­mische Verweisungen für zulässig gehalten, sofern die verweisende Vorschrift den möglichen Inhalt der verwiesenen Regelung ausreichend eng umschreibt.228 Diese Voraussetzungen wären vorliegend nicht erfüllt, da der Rahmenvertrag pauschal den jeweiligen ergänzenden Vertrag des Sitz-Bundeslandes des Apothekers für anwendbar erklärt. Die Gegenansicht hält dynamische Verweisungen hingegen generell für eine unzulässige Übertragung von Rechtsetzungsmacht.229 Selbst wenn der Rahmenvertrag deshalb in Zukunft detaillierte Regelungen treffen sollte, beispielsweise indem auf konkrete Regelungsgegenstände der ergänzenden Verträge Bezug genommen wird, wäre eine Verweisung auf die ergänzenden Verträge danach als unzulässig anzusehen. Gegen die Möglichkeit der Rahmenvertragspartner, auf die ergänzenden Verträge dynamisch zu verweisen, spricht Folgendes: In Rechtsnormen enthaltene dynamische Verweisungen auf Regelwerke Dritter ermächtigen die Dritten, auf deren Regelungen Bezug genommen wird, de facto zur Rechtsetzung.230 Entsprechend übertragen die Rahmenvertragsparteien den Krankenkassenlandesverbänden faktisch ihre Befugnis zur Regelung der bundeslandgrenzüberschreitenden Arzneimittelversorgung, wenn sie auf die ergänzenden Verträge dynamisch verweisen. Soweit Rechtsetzungsmacht auf untergesetzliche Normsetzer übertragen werden soll, bedarf es aber einer gesetzlichen Grundlage.231 Für die Rahmenvertragspartner findet sich indessen keine Ermächtigung, ihnen überantwortete Normsetzungsbefugnisse auf Dritte zu übertragen. Die rahmenvertragliche Regelung muss deshalb verfassungskonform als statischer Verweis auf diejenige Fassung der ergänzenden Verträge gelesen werden, die bei Inkrafttreten der jeweils aktuellen Fassung des Rahmenvertrages gültig war.232

III. Ergänzung der Kollektivverträge durch Einzelvertrag? In der Vergangenheit haben Krankenkassen mit einzelnen Apothekern neben die Kollektivverträge tretende ergänzende Einzelverträge, sog. Add-on-Verträge, geschlossen. Zu Beginn der 2000er Jahre kam es beispielsweise zu Verträgen zwischen Krankenkassen und mehreren Apothekern, die ein „Apothekennetzwerk“ bildeten. Die Bildung eines solchen Netzwerkes sollte die Versorgungsqualität verbessern. Außerdem verpflichteten sich die Apotheker – eine entsprechende gesetz 228

Brugger, VerwArch 1987, S. 1 (20 ff.); Clemens, AöR 1986, S. 63 (101 ff.); Pabst, NVwZ 2005, S. 1034 (1035 f.); BVerfGE 78, 32 (35 f.); BVerwGE 147, 100 (113 ff.); ähnlich Debus, S. 234. 229 F. Becker, Strukturen, S. 545; Fahlbusch, S. 211 f.; Dreier/Dreier, Art. 20 GG (Demokratie) Rn. 118; Sachs/Sachs, Art. 20 GG Rn. 123a; Ossenbühl, DVBl. 1967, S. 401 ff. 230 Ossenbühl, DVBl. 1967, S. 401. Jedenfalls eine „Ähnlichkeit“ sieht Debus, S. 85 ff. 231 s. nur Axer, in: Handbuch des Vertragsarztrechts, § 10 Rn. 39. 232 Zur Umdeutung dynamischer Verweisungen in statische vgl. Debus, S. 73 ff.; Fahlbusch, S. 221.

B. Die Kollektivverträge des § 129 SGB V

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liche Pflicht existierte damals noch nicht –, vorrangig freiwillig rabattierte Arzneimittel abzugeben.233 Da § 129 SGB V nur Vertragsschlüsse mit der maßgeblichen Organisation der Apotheker auf Bundes- oder Landesebene erwähnt, wird die Zulässigkeit solcher Add-On-Verträge verbreitet abgelehnt.234 Für die Zulässigkeit von Add-on-Verträgen wird teilweise aber angeführt, dass nach dem bürgerlich-rechtlichen Grundsatz der Vertragsfreiheit, der über § 69 I 3 SGB V zur Anwendung gelange, Add-on-Verträge zulässig seien, soweit ihr Inhalt den Kollektivverträgen nicht widerspreche.235 Da durch den Abschluss von Add-on-Verträgen zusätzliche Wirtschaftlichkeitsreserven erschlossen werden könnten, gebiete das Wirtschaftlichkeitsgebot sogar den Abschluss solcher Verträge.236 Nach § 69 I 3 SGB V gelten die Vorschriften des BGB jedoch nur „im Übrigen“, d. h. bei Lückenhaftigkeit des Leistungserbringungsrechts.237 Gegen eine Lückenhaftigkeit des in § 129 SGB V geregelten Vertragssystems spricht gesetzessystematisch, dass das SGB V die Versorgung in den einzelnen Leistungsbereichen zumeist einheitlich unter Einsatz von Kollektivverträgen ausgestaltet und Vertragsschlüsse mit einzelnen Leistungserbringern nur in Sonderfällen gesetzlich vorgesehen sind.238 Die in § 129 Vb SGB V enthaltene Ermächtigungsgrundlage zum Abschluss von Selektivverträgen mit Apothekeninhabern wären zudem überflüssig, wenn schon nach § 69 I 3 SGB V die Möglichkeit von Vertragsschlüssen mit einzelnen Apothekern bestünde.239 Nicht zuletzt spricht gegen die Zulässigkeit selektivvertraglicher Add-on-Verträge, dass bei der Selektivvertragsaushandlung Apotheker der Marktmacht der Krankenkassen ausgeliefert sind. Vor diesem Ausgeliefertsein soll das Kollektivvertragssystem des § 129 SGB V die Apotheker schützen. Add-on-Verträge sind deshalb unzulässig.240

233

Koenig/Klahn, GesR 2005, S. 245 (246 ff.). So BeckOK SozR/v. Dewitz, § 129 SGB V Rn. 20; Wodarz, in: Handbuch des Krankenversicherungsrechts, § 27 Rn. 44; LSG Baden-Württemberg, Urt. v. 16.1.2008, L 5 KR 3869/05, Rn. 95 (juris); LSG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 20.9.2004, L 16 B 4/04 KR ER, Rn. 38 (juris); LSG Rheinland-Pfalz, NZS 2006, 318 (319); SG Frankfurt a. M., GewArch 2006, 478 (481). 235 s. den Vortrag der Verfahrensbeteiligten in LSG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 20.9.2004, L 16 B 4/04 KR ER, Rn. 14 f. (juris); ähnlich Koenig/Klahn, GesR 2005, S. 245 (249). 236 Koenig/Klahn, GesR 2005, S. 245 (249). S. auch BSGE 101, 161 (171). 237 JurisPK-SGB V/Engelmann, § 69 SGB V Rn.  41; BSGE 105, 157 (162). Für eine Beschränkung der Krankenkassen auf die im SGB V ausdrücklich vorgesehenen Vertragsarten BSG SozR 4-2500 § 126 Nr. 2 Rn. 24. 238 SG Frankfurt a. M., GewArch 2006, 478 (481). Vgl. auch LSG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 20.9.2004, L 16 B 4/04 KR ER, Rn. 41 (juris). 239 LSG Baden-Württemberg, Urt. v. 16.1.2008, L 5 KR 3869/05, Rn. 95 (juris). 240 Ebenso Becker/Kingreen/Axer, § 129 SGB  V Rn.  32; BeckOK SozR/v. Dewitz, § 129 SGB V Rn. 20; Wodarz, in: Handbuch des Krankenversicherungsrechts, § 27 Rn. 44; LSG Baden-Württemberg, Urt. v. 16.1.2008, L 5 KR 3869/05, Rn. 95 (juris); LSG Rheinland-Pfalz, NZS 2006, 318 (319); LSG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 20.9.2004, L 16 B 4/04 KR ER, Rn. 38 (juris); SG Frankfurt a. M., GewArch 2006, 478 (481). 234

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Kap. 2: Das Kollektivvertragsrecht des § 129 SGB V

IV. Sanktionen bei Pflichtverletzungen Im Rahmenvertrag ist zu regeln, welche Sanktionen die Vertragspartner auf Landesebene ergreifen können, wenn Apotheker gegen ihre Pflichten nach § 129 I, II, V SGB V verstoßen; für gröbliche und wiederholte Verstöße ist die Möglichkeit eines Ausschlusses von der Versorgung für die Dauer von zwei Jahren vorzusehen.241 Der Rahmenvertrag sieht als Sanktionen den Ausspruch von Verwarnungen und die Verhängung von Vertragsstrafen bis zur Höhe von 25.000 € sowie bei gröblichen Verstößen einen maximal zweijährigen Versorgungsausschluss vor.242 Das Verhältnismäßigkeitsprinzip gebietet, dass die Sanktionen abgestuft eingesetzt werden.243 1. Die sanktionierbaren Pflichtverletzungen Gegenstand von Sanktionen sind „Verstöße gegen Pflichten aus § 129 I, II, V SGB  V“.244 Einer Sanktion zugänglich sind damit zunächst Verstöße gegen die Pflicht zur wirtschaftlichen Arzneimittelabgabe und ihre kollektivvertraglichen Konkretisierungen. Da der Wortlaut generell Verstöße gegen Pflichten nach § 129 II, V SGB V und damit gegen kollektivvertraglich begründete Pflichten erwähnt, sind darüber hinaus Verletzungen jeglicher kollektivvertraglicher Bestimmungen sanktionsfähig.245 Keiner Sanktionierung nach § 129 IV 1, 3 SGB V zugänglich ist dagegen die Verletzung arzneimittel- oder apothekenrechtlicher Pflichten.246 Allerdings ist es zulässig, in den Kollektivverträgen krankenversicherungsrechtliche Pflichten zu normieren, die zu arzneimittel- oder apothekenrechtlichen Regelungen inhaltsgleich sind.247 Voraussetzung ist, dass sich die Statuierung solcher Pflichten innerhalb des Regelungsspielraums der Vertragsparteien bewegt.248 Das ist der Fall, wenn die Normierung solcher Pflichten zur Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit der Arzneimittelabgabe beitragen kann.249 So wäre es zulässig, im Rahmenvertrag oder einem ergänzenden Vertrag eine Pflicht zur pharmazeutischen Beratung von Patienten zu regeln, während § 20 ApBetrO als apothekenrechtliche Vorschrift ebenfalls eine Beratungspflicht des Apothekers anordnet.

241

§ 129 IV 1, 3 SGB V. § 11 I Nr. 2, Nr. 3 RV-AV. 243 Eichenhofer/Wenner/Armbruster, § 129 SGB V Rn. 57. 244 § 129 IV 1 SGB V. 245 Für eine grundsätzliche Begrenzung der sanktionsfähigen Pflichtverletzungen auf die Pflicht zur wirtschaftlichen Arzneimittelabgabe dagegen Hauck/Noftz/Luthe, § 129 SGB V Rn. 40. 246 Hauck/Noftz/Luthe, § 129 SGB V Rn. 35. 247 s. dazu oben B. I. 4. 248 Für das Vertragsarztrecht Prehn, MedR 2015, S. 560 (564 f.). 249 Vgl. Eichenhofer/Wenner/Armbruster, § 129 SGB V Rn. 54. 242

B. Die Kollektivverträge des § 129 SGB V

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2. Die Rechtsnatur der Sanktionen § 129 SGB  V enthält keine Aussage zur Rechtsnatur der Sanktionen. In Betracht kommt einerseits – vergleichbar den Disziplinarmaßnahmen im Vertragsarztrecht250 – eine Qualifikation als Verwaltungsakte.251 Vertreten wird andererseits eine Einordnung als vertragsstrafartige Maßnahmen.252 Auch das BSG hat nunmehr den Verwaltungsaktcharakter der Sanktionen verneint.253 Ein Verwaltungsakt setzt eine hoheitliche Regelung im Sinne einseitigen, verbindlichen Handelns in einem Über-/Unterordnungsverhältnis voraus.254 Gegenstück zur einseitigen hoheitlichen Regelung ist die vertragliche Vereinbarung einer Rechtsfolge.255 Für die Verwaltungsaktqualität der Sanktionen könnte sprechen, dass der Gesetzeswortlaut von „Maßnahmen“ spricht, die „ergriffen“ werden können.256 Da diese Formulierung aber noch aus der Zeit stammt, als der Gesetzgeber das Leistungserbringungsrecht der Apotheker als privatrechtlich geprägt ansah,257 lässt sich alleine aufgrund des Wortlauts nicht auf den Verwaltungsaktcharakter der Sanktionen schließen. Die Entstehungsgeschichte der Sanktionsregelungen könnte umgekehrt gegen den Verwaltungscharakter der Sanktionen sprechen: Das in § 129 IV 1, 3 SGB V enthaltene Sanktionsregime besteht seit Inkrafttreten des Gesundheitsreformgesetzes im Jahr 1989 inhaltlich unverändert fort. Da der Gesetzgeber bei Schaffung des Gesundheitsreformgesetzes von der zivilrechtlichen Natur des Leistungserbringungsrechts der Apotheker ausging,258 konnte der historische Gesetzgeber die Sanktionen nicht als Verwaltungsakte konzipiert haben. Dieser entstehungsgeschichtliche Aspekt wird aber dadurch relativiert, dass jedenfalls seit Einführung von § 69 I 3 SGB V das Leistungserbringungsrecht der Apotheker dem öffentlichen Recht angehört und daher eine Qualifikation der Sanktionen als Verwaltungsakte nicht mehr ausgeschlossen ist.

250

Wenner, § 9 Rn. 10. Wenner, § 9 Rn.  10; BeckOK SozR/v. Dewitz, § 129 SGB V Rn.  21; Eichenhofer/Wenner/Armbruster, § 129 SGB V Rn. 102; Hauck/Noftz/Luthe, § 129 SGB V Rn. 41; bezogen auf den Versorgungsausschluss nach § 129 IV 3 SGB V Rixen, S. 427. Vgl. auch Becker/Kingreen/ Axer, § 129 SGB V Rn. 31. 252 So Peters/Henke, § 129 SGB V Rn. 11. 253 BSG, Urt. v. 29.6.2017, B 3 KR 16/16 R, Rn. 14 ff. (juris). 254 Kasseler Kommentar/Mutschler, § 31 SGB X Rn. 12; P. Stelkens/Bonk/Sachs/U. Stelkens, § 35 VwVfG Rn. 104; v. Wulffen/Schütze/Engelmann, § 31 SGB X Rn. 10. Zum Verwaltungsaktbegriff s. auch Kahl, Jura 2001, S. 505 ff. 255 P. Stelkens/Bonk/Sachs/U. Stelkens, § 35 VwVfG Rn.  104; v. Wulffen/Schütze/Engelmann, § 31 SGB X Rn. 10; Kahl, Jura 2001, S. 505 (507). 256 Eichenhofer/Wenner/Armbruster, § 129 SGB V Rn. 102; LSG Baden-Württemberg, KrV 2016, 252 (255); SG Mannheim, Urt. v. 20.1.2015, S 9 KR 3065/13, Rn. 39 (juris). 257 Vgl. BT-Drs. 11/3480, S. 77. 258 BT-Drs. 11/3480, S. 77. 251

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Kap. 2: Das Kollektivvertragsrecht des § 129 SGB V

Betrachtet man isoliert den Moment der Sanktionsverhängung, steht der einzelne Apotheker dem Krankenkassenlandesverband und dem Landesapothekerverband als den sanktionierenden Stellen gegenüber, ohne auf die Sanktionen inhaltlich Einfluss nehmen zu können.259 Das scheint für die Verwaltungsaktqualität der Sanktionen zu sprechen. Ein Über-/Unterordnungsverhältnis zwischen dem zu sanktionierenden Apotheker und den sanktionierenden Stellen wird mitunter aber verneint, weil zuvor der Rahmenvertrag, der die Sanktionen konkretisiert und generell die von den Apothekern zu beachtenden Pflichten festlegt, auf Verbandsebene in einem Gleichordnungsverhältnis geschlossen worden sei.260 Gegen diese Argumentation ist aber einzuwenden, dass bereits gesetzlich durch § 129 IV 1 SGB V vorgegeben ist, dass sämtliche Verletzungen von § 129 I SGB V und des Rahmenvertrags zu sanktionieren sind. Unterbliebe eine rahmenvertragliche Regelung der Sanktionsmittel, würde eine entsprechende Regelung im Wege des Schiedsverfahrens festgesetzt; gleichzeitig haben die Rahmenvertragsparteien auch nicht die Wahl, einzelne rahmenvertragliche Pflichten von der Sanktionierung auszunehmen. Die rahmenvertraglichen Sanktionsbestimmungen haben damit nur Normkonkretisierungsfunktion; sie sind hingegen nicht Ausdruck freier Selbstbestimmung der von ihnen betroffenen Apotheker.261 Eine Qualifikation der Sanktionen als Verwaltungsakte legen weiterhin systematische Gesichtspunkte nahe. Gerade die Statusentziehung durch Verhängung eines Versorgungsausschlusses wäre mit Unsicherheiten behaftet, wenn ihr nicht die fehlerunabhängige Wirksamkeit eines Verwaltungsakts zukäme. Um diese Unsicherheiten zu vermeiden, hat die Rechtsprechung die Kündigung von Versorgungsverträgen mit Krankenhäusern als Verwaltungsakt qualifiziert.262 Die Kündigung von Versorgungsverträgen mit Pflegeheimen nach dem SGB XI ist schon gesetzlich explizit als Verwaltungsakt ausgestaltet.263 Dieser gesetzessystematische Befund spricht dafür, dass auch der Versorgungsausschluss nach § 129 IV 3 SGB V als statusbeendender Akt Verwaltungsaktqualität hat. Da es sich bei der Verwarnung und der Zwangsgeldverhängung um Vorstufen zu einem Versorgungsausschluss handelt, liegt weiterhin die Verwaltungsaktqualität auch dieser Maßnahmen nahe.264 Bei den Sanktionen nach § 129 IV 1, 3 SGB V handelt es sich somit um Verwaltungsakte. 259 Becker/Kingreen/Axer, § 129 SGB V Rn.  31; ähnlich Eichenhofer/Wenner/Armbruster, § 129 SGB V Rn. 102. 260 Peters/Henke, § 129 SGB V Rn. 11; s. jetzt auch BSG, Urt. v. 29.6.2017, B 3 KR 16/16 R, Rn. 18 f. (juris). 261 SG Mannheim, Urt. v. 20.1.2015, S 9 KR 3065/13, Rn. 37 (juris). – Vgl. für die Zwangsschlichtung nach § 64 BSHG: BVerwGE 108, 47 (51). 262 BSGE 82, 261 (263). Für Verwaltungsaktqualität der Vertragskündigung ebenfalls Kasseler Kommentar/Hess, § 109 SGB V Rn. 12; Kuhla/Voß, NZS 1999, S. 216 (218). Für schlichtöffentlich-rechtlichen Charakter dagegen Knispel, NZS 2006, S. 120 (122 f., 126). 263 Nach § 74 III 2, 73 II 2 SGB XI findet kein Vorverfahren statt und es hat die Klage keine aufschiebende Wirkung. 264 Eine einheitliche rechtliche Qualifikation der Maßnahmen nach § 129 IV 1, 3 SGB V verlangt auch LSG Baden-Württemberg, KrV 2016, 252 (256).

B. Die Kollektivverträge des § 129 SGB V

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3. Unbestimmtheit der Sanktionsvoraussetzungen? Aufgrund ihrer Grundrechtsrelevanz bedürfen die Sanktionen einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage.265 Eine gesetzliche Ermächtigungsgrundlage ist mit § 129  IV SGB  V gegeben. Der im Rechtsstaatsgebot wurzelnde Bestimmtheitsgrundsatz verlangt, dass eine Norm, die zu Grundrechtseingriffen ermächtigt, hinreichend bestimmt ist; der Bürger muss erkennen können, unter welchen Voraussetzungen mit einem Eingriff zu rechnen ist.266 Die im Demokratieprinzip verankerte Wesentlichkeitstheorie gebietet, dass unabhängig von Fragen der Normbestimmtheit das Parlament alle wesentlichen, insbesondere alle grundrechtswesentlichen Fragen selbst regelt.267 Der Begriff des gröblichen Verstoßes als Voraussetzung eines Versorgungsausschlusses wird mitunter für gemessen an diesen Voraussetzungen zu offen gehalten.268 Der Maßstab der „Gröblichkeit“ – der auch in § 95 VI 1 SGB V Voraussetzung für eine Entziehung der vertragsärztlichen Zulassung ist – ist indessen vor dem Hintergrund der damit verbundenen Rechtsfolge im Wege der Auslegung bestimmbar.269 Es bedarf einer Pflichtverletzung solchen Ausmaßes, dass die Zusammenarbeit mit dem betreffenden Apotheker nicht mehr zumutbar ist.270 Eine darüber hinausgehende Konkretisierung wäre dem Gesetzgeber angesichts der vielfältigen denkbaren Fallgestaltungen für ein unzumutbares Verhalten nicht möglich. Ebenso wird beanstandet, dass der Rahmenvertrag und die ergänzenden Verträge die sanktionswürdigen Pflichtverletzungen nicht konkret benennen und keine Bemessungsregeln für Geldbußen aufstellen.271 Der Rahmenvertrag normiert indessen, dass sämtliche Verstöße gegen § 129 I SGB V, den Rahmenvertrag oder gegen einen ergänzenden Vertrag sanktioniert werden können. Die sanktionierbaren Pflichtverletzungen sind damit benannt. Es bedarf auch keiner detaillierten Bemessungsregel für die Geldbußen: Kriterium für die Bemessung der Geldbußen ist das Ausmaß der vom Apotheker begangenen Pflichtverletzung unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes.272 Das Bestimmtheitsgebot ist damit gewahrt. 265

Becker/Kingreen/Axer, § 129 SGB V Rn. 31. Sachs/Sachs, Art. 20 GG Rn. 126 ff.; BVerfGE 110, 33 (53 f.); 113, 348 (375). 267 Dreier/Schulze-Fielitz, Art.  20 GG (Rechtsstaat) Rn.  113 ff.; Maunz/Dürig/Grzeszick, Art. 20 GG II Rn. 105 f.; BVerfGE 98, 218 (251 f.); BVerfG, NVwZ 2010, 114 (117). – Eingehend zur Wesentlichkeitstheorie auch Ossenbühl, in: Handbuch des Staatsrechts, Bd. V, § 101 Rn. 52 ff. 268 Hauck/Noftz/Luthe, § 129 SGB V Rn. 42. 269 Eichenhofer/Wenner/Armbruster, § 129 SGB V Rn. 57. 270 Eichenhofer/Wenner/Armbruster, § 129 SGB V Rn. 57. – Vgl. für das Vertragsarztrecht Hauck/Noftz/Hannes, § 95 SGB V Rn. 186. 271 SG Mannheim, Urt. v. 20.1.2015, S 9 KR 3065/13, Rn. 46 (juris); zweifelnd auch Eichenhofer/Wenner/Armbruster, § 129 SGB V Rn. 102. 272 Selbst im Strafrecht, wo Art. 103 II GG die Bestimmtheit von Straftatbestand und Strafandrohung fordert, existieren keine detaillierteren Maßstäbe für die Festsetzungen von Geld 266

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Kap. 2: Das Kollektivvertragsrecht des § 129 SGB V

4. Das Verfahren der Sanktionierung Zuständig für die Sanktionierung sind nach § 129 IV 1 SGB V die Vertragspartner auf Landesebene. Während der Inhalt der Sanktionen im Rahmenvertrag auf Bundesebene geregelt wird, erfolgt die Verhängung der Sanktionen damit auf Landesebene. Die Ansiedlung des Sanktionierungsverfahrens auf der Landesund nicht auf der Bundesebene beruht darauf, dass die Akteure auf Landesebene mit dem täglichen Versorgungsgeschehen vertrauter sind als die Rahmenvertrags­ parteien.273 § 129 IV 1 SGB V ermächtigt „die Vertragspartner auf Landesebene“ zur Sanktionierung. Vertragspartner auf Apothekerseite ist nach § 129 V 1 SGB V der maßgebliche Apothekerlandesverband. Die Bestimmung der sanktionsberechtigten Stelle auf Krankenkassenseite erscheint dagegen problematisch. Lange Zeit waren auf Krankenkassenseite nur die Krankenkassenverbände vertragsschluss- und damit auch sanktionsberechtigt. Seit Inkrafttreten des GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzes im Jahr 2007 sind parallel zu den Verbänden jedoch auch die einzelnen Krankenkassen vertragsschlussberechtigt, weil der Gesetzgeber so die Gestaltungsmöglichkeiten der einzelnen Krankenkassen stärken wollte. Wie sich diese parallele Vertragsschlusskompetenz auf die Sanktionierungszuständigkeit auswirkt, regelt § 129 IV 1 SGB V nicht näher; eine Anpassung der Vorschrift, die seit Inkrafttreten des Gesundheitsreformgesetzes im Jahr 1989 mit unverändertem Wortlaut existiert, ist mit dem GKV-Wettbewerbungsstärkungsgesetz nicht erfolgt. Zunächst ließe sich erwägen, dass die Sanktionszuständigkeit nun generell bei den Krankenkassen liegt, weil § 129  V  1 SGB  V die Krankenkassen bei der Nennung der vertragsschlussberechtigten Rechtssubjekte systematisch vor den Kassenverbänden nennt. Die mit dem Gesundheitsreformgesetz eingeführten Vorschriften, die den Krankenkassen neben den Kassenverbänden Vertragsschlusskompetenzen einräumen,274 zielen aber in erster Linie darauf ab, die leistungserbringungsrechtlichen Vertragsstrukturen zu flexibilisieren,275 nicht aber, strafen. Nach § 40 I 2 StGB kann die Geldstrafe innerhalb eines Rahmens von fünf bis 360 Tagessätzen verhängt werden. Für die Anzahl der Tagessätze gelten die allgemeinen Strafzumessungsregelungen des § 46 StGB, wonach das Gericht die für und gegen den Täter sprechenden Umstände abzuwägen hat, namentlich etwa die Motive der Tat oder das Ausmaß der Pflichtwidrigkeit.  – Zur Bemessung der Geldstrafe s. etwa: Lackner/Kühl/Kühl, § 40 StGB Rn.  5; Münchener Kommentar StGB/Radtke, § 40 StGB Rn.  29 ff.; Schönke/Schröder/Stree/ Kinzig, § 40 StGB Rn. 2 f. 273 Sommer/Limpinsel, § 129 SGB V Rn. 18. 274 Zu weiteren durch das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz eingefügten Vorschriften, die eine parallele Vertragsschlusszuständigkeit der Krankenkassen und ihrer Verbände vorsehen, s. etwa § 132e SGB V; § 125 II 1 SGB V. 275 Vgl. die Gesetzesbegründung: BT-Drs. 16/3100, S. 2. – Für § 132e SGB V vgl. jurisPKSGB V/Schneider, § 132e SGB V Rn. 5. – Für § 125 II 1 SGB V vgl. jurisPK-SGB V/Schneider, § 125 SGB V Rn. 13.

B. Die Kollektivverträge des § 129 SGB V

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die Krankenkassen mit zusätzlichen Vollzugsaufgaben wie der Sanktionierung nach § 129 IV 1, 3 SGB V zu belasten. Die Sanktionierungszuständigkeit verbleibt deshalb grundsätzlich bei den Kassenverbänden. Lediglich dann, wenn eine Krankenkasse selbst einen ergänzenden Vertrag geschlossen hat, geht angesichts des hinter § 129 IV 1 SGB V stehenden Gedankens, dass die Sanktionierung durch eine möglichst sachnahe Stelle erfolgen soll, die Sanktionierungszuständigkeit auf diese Krankenkasse über: Der von einer einzelnen Krankenkasse geschlossene Vertrag verdrängt nach dem Lex-specialis-Grundsatz einen verbandlich geschlossenen Vertrag;276 Verstöße gegen den von ihr geschlossenen Vertrag kann die vertragschließende Krankenkasse besser beurteilen als der an diesem Vertrag nicht beteiligte Verband. Nach dem Wortlaut von § 129 IV SGB V erfolgt die Sanktionierung durch „die“, also beide Vertragsparteien auf Landesebene.277 Historische Vorläufer hat die konsensuale Sanktionsfindung zwischen Apotheker- und Kassenseite in paritätisch besetzten Vertragsausschüssen, die in den Arzneilieferverträgen aus der Geltungszeit der Reichsversicherungsordnung vorgesehen waren.278 Die rahmenvertragliche Vorschrift des § 11 I RV-AV regelt allerdings, dass die Sanktionen von den Krankenkassenverbänden verhängt werden und lediglich dann zusätzlich das Benehmen des jeweiligen Landesapothekerverbandes einzuholen ist, wenn ein verbandlich organisierter Apotheker sanktioniert werden soll. Das Benehmenserfordernis gebietet dabei nur, dass der Landesapothekerverband gehört wird, die von ihm vorgebrachten Erwägungen ernsthaft in Betracht gezogen werden und dass eine Einigung zumindest versucht wird; gelingt die Einigung nicht, darf sich die Kassenseite jedoch über den Willen des Apothekerverbandes hinwegsetzen.279 Die Beschränkung der Mitwirkung der Landesapothekerverbände an der Sanktionierung auf ein Benehmenserfordernis, das zudem nur eingreift, wenn verbandlich organisierte Apotheker sanktioniert werden sollen, widerspricht jedoch der gesetzlichen Vorgabe, dass beide Vertragsparteien auf Landesebene die Sanktionen verhängen.280 Dafür, dass die Rahmenvertragsparteien nicht nur hinsichtlich der Sanktionsinhalte, sondern auch hinsichtlich der Sanktionszuständigkeit einen Gestaltungsspielraum besitzen,281 enthält der Wortlaut von § 129 IV SGB V keine Anhaltspunkte. Der Apothekerlandesverband muss deshalb gleichberechtigt am Beschluss der Sanktions-Verwaltungsakte mitwirken. Dabei handelt er als Beliehener.282 Die rahmenvertragliche Regelung des § 11 I RV-AV ist mit diesen gesetzlichen Vorgaben nicht vereinbar. 276

s. dazu oben B. II. 2. Vgl. Becker/Kingreen/Axer, § 129 SGB V Rn. 31. 278 s. dazu §§ 14 f. des in ErsK 1988, S. 425 ff. abgedruckten Vertrages. 279 Zum Begriff des Benehmens s. BSGE 75, 37 (40). 280 Vgl. im Hinblick auf die Beschränkung der Mitwirkung der Apothekerlandesverbände auf ein Benehmenserfordernis auch Hauck/Noftz/Luthe, § 129 SGB V Rn. 42. 281 So Eichenhofer/Wenner/Armbruster, § 129 SGB V Rn. 60. 282 Hauck/Noftz/Luthe, § 129 SGB V Rn. 42. 277

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Kap. 2: Das Kollektivvertragsrecht des § 129 SGB V

V. Gemeinsame Selbstverwaltung von Apothekern und Krankenkassen Die Kollektivverträge nach § 129 SGB V sind seit Inkrafttreten des Gesundheitsreformgesetzes ein zentrales Steuerungsmittel für die Arzneimittelversorgung. Waren die unter der Geltungszeit der Reichsversicherungsordnung geschlossenen Kollektivverträge noch individualvertraglich konstruiert und ihr Abschluss fakultativ, handelt es sich bei den Kollektivverträgen des SGB V um Normenverträge, wobei für den Rahmenvertrag auf Bundesebene zahlreiche Pflichtinhalte vorgesehen sind. Das Kollektivvertragssystem der Arzneimittelversorgung hat mit dem Inkrafttreten des SGB V somit einen Funktionswandel erfahren. Die gesetzlich vorgesehene Kollektivierung des Leistungserbringungsrechts der Arzneimittelversorgung entspricht dabei einer Entwicklung, die das Vertragsarztwesen schon zu einem früheren Zeitpunkt, wenn auch unter anderen Vorzeichen, erfahren hat. Bereits Anfang des 20. Jahrhunderts wurden Kassenärzte in ein System obligatorischer Kollektivverträge eingebunden, um ein Scheitern des Krankenversicherungssystems an Regelungsstreitigkeiten zwischen Kassenärzten und Kassen zu verhindern.283 Die Einführung obligatorischer kollektivvertraglicher Regelungsstrukturen in der Arzneimittelversorgung durch das Gesundheitsreformgesetz ist darauf zurückzuführen, dass der Gesetzgeber dort – wie in anderen Leistungsbereichen284 – Steuerungsmängel sah, die einen Kostenanstieg zu bewirken drohten. Es fehle für Apotheker an Anreizen für wirtschaftliches Verhalten.285 Das bisherige System frei ausgehandelter Verträge über die Leistungserbringung wurde gleichzeitig für untauglich gehalten, um den drohenden Kostensteigerungen zu begegnen.286 Der Gesetzgeber hielt deshalb eine intensivere staatliche Regulierung für angezeigt,287 sodass seit dem Jahr 1989 die Vorschrift des § 129 I SGB V gesetzliche Vorgaben für die wirtschaftliche Arzneimittelabgabe macht. Auf eine detaillierte Durchnormierung des Leistungserbringungsrechts der Apotheken verzichtete der Gesetzgeber indessen. Er überließ die Konkretisierung der gesetzlichen Vorgaben den Kollektivvertragsparteien im freien Spiel der Verhandlungskräfte (sog. Partnerschaftsmodell288).289 Die Schaffung des Rah 283 Heinemann, S.  4 ff.; Richter/Sonnenberg, S.  9 ff.  – S.  dazu aus neuerer Zeit: Axer, in: Handbuch des Vertragsarztrechts, 2. Aufl., § 8 Rn. 4; ders., FS 50 Jahre BSG, S. 339 (344 f.); eingehend Käsbauer, S. 82 ff. 284 Vgl. Gitter, SDSRV 34 (1991), S. 103 (107 f.). 285 BT-Drs. 11/2237, S. 142. Vgl. auch Bieback, NZS 1997, S. 393. 286 Vgl. BT-Drs. 11/2237, S. 139, zur Heil- und Hilfsmittelversorgung; vgl. allgemein Gitter, SDSRV 31 (1994), S. 103 (107 f.). – Zum oft vorhandenen Widerstand der Apotheker gegen die vertragliche Vereinbarung der Aut-idem-Substitution vgl. unten Kapitel 4. A. 287 Vgl. Bieback, in: Das Gesundheits-Reformgesetz, S. 21 (23 ff.). 288 Für die Heilmittelversorgung BT-Drs. 13/7264, S. 52, 54; BSG SozR 4-2500 § 132a Nr. 3 Rn. 16 f.; BSGE 105, 1 (105); BSG SozR 4-2500 § 125 Nr. 8 Rn. 44. – Für die Hilfsmittelversorgung Kasseler Kommentar/Nolte, § 125 SGB V Rn. 5; BSG SozR 4-2500 § 125 Nr. 3 Rn. 10, 15. 289 Vgl. BT-Drs. 17/3672, S. 36, zum strukturgleichen § 134a SGB V („Deregulierung“).

B. Die Kollektivverträge des § 129 SGB V

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menvertrages als Gestaltungsmittel des Leistungserbringungsrechts bei gleichzeitiger Vorsehung von Pflichtinhalten erlaubt es dem Gesetzgeber, nicht selbst Regelungsaktivitäten ergreifen zu müssen,290 aber dennoch über das Vehikel des Rahmenvertrages seine grundlegenden, vor allem auf Kostenersparnisse zielenden Wertentscheidungen in das Leistungserbringungsrecht hineinzutransportieren. Der Gesetzgeber wählte damit einen Mittelweg zwischen zentralistischer Regelung und vollständiger Deregulierung der Apothekertätigkeit im Recht der GKV.291 Zugleich sollte die Einbeziehung der Leistungserbringer in die Normsetzung privaten Sachverstand nutzbar machen und den sozialen Frieden fördern.292 In Anlehnung an die Begrifflichkeiten des Vertragsarztrechts könnte es gerechtfertigt sein, das mit dem Gesundheitsreformgesetz geschaffene Kollektivvertragsrecht des § 129 SGB  V als eine Form der gemeinsamen Selbstverwaltung zu bezeichnen.293 Der Begriff „gemeinsame Selbstverwaltung“ bezeichnet im Vertragsarztrecht, wo er seinen Ursprung hat, die gemeinsame Ausgestaltung der vertragsärztlichen Versorgung durch Krankenkassenverbände, Kassenärztliche Vereinigungen und Kassenärztliche Bundesvereinigung294 und damit die Steuerung der Leistungserbringung durch Verbände von Leistungserbringern und Krankenkassen295. Selbstverwaltung bezeichnet allgemein die Wahrnehmung eigener Aufgaben durch eine Gruppe Betroffener in institutionell verselbständigten Verwaltungsträgern.296 Ursprünglich wurde zwischen einem Selbstverwaltungsbegriff im juristischen Sinne unterschieden, der alleine die Wahrnehmung von Verwaltungsaufgaben durch verselbständigte Einheiten mittelbarer Staatsverwaltung bezeichnet, und einem Selbstverwaltungsbegriff im politischen Sinne, der auf die Einbeziehung Betroffener in Entscheidungsprozesse abstellt.297 Mittlerweile wird über­ 290 Becker/Kingreen/Becker/Kingreen, § 69 SGB V Rn. 6; Bieback, in: Das Gesundheits-Reformgesetz, S. 21 (31) („Verbändesteuerung“); Ebsen, SDSRV 38 (1994), S. 7 (24); Schoch/ Wieland, ZG 2005, S. 223 (228). – Vgl. für das Vertragsarztrecht Axer, in: Handbuch des Vertragsarztrechts, 2. Aufl., § 8 Rn. 14. 291 Vgl. allgemein Gitter, SDSRV 34 (1991), S. 103 (107). 292 Vgl. allgemein zur Einbeziehung von Leistungserbringerverbänden in Normsetzungs­ prozesse BT-Drs. 11/2237, S. 136. 293 Axer, FS Schnapp, S. 349 (366); Ebsen, SDSRV 38 (1994), S. 7 (23); s. auch Grzeszick, Wohlfahrt, S. 43. – Für das Kollektivvertragsrecht der sozialen Pflegeversicherung s. Weber, S. 308. 294 F. Becker, Strukturen, S. 702 f.; Weber, S. 308; Axer, FS 50 Jahre BSG, S. 339; Hase, in: Handbuch des Staatsrechts, Bd. VI, § 145 Rn. 11; Musil, in: Steuerungsinstrumente im Recht des Gesundheitswesens, S. 49 (51). 295 Axer, FS 50 Jahre BSG, S. 339 (340); Hase, in: Handbuch des Staatsrechts, Bd. VI, § 145 Rn. 11. 296 Kluth, Selbstverwaltung, S. 12 ff., 541 ff.; Hendler, in: Handbuch des Staatsrechts, Bd. VI, § 143 Rn. 19; Burgi, NJW 2004, S. 1365 (1365 f.); Schmidt-Aßmann, GS Martens, S. 249 (252). 297 Zum juristischen und politischen Selbstverwaltungsbegriff s. jeweils: Kluth, Selbstverwaltung, S. 19; Hendler, in: Handbuch des Staatsrechts, Bd. VI, § 143 Rn. 12 f.; Schmidt-Aßmann, GS Martens, S. 249 (249 f.).

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Kap. 2: Das Kollektivvertragsrecht des § 129 SGB V

wiegend der anfangs genannte einheitliche Begriff der Selbstverwaltung vertreten, der beide Elemente vereint.298 Die Schaffung von Selbstverwaltungsstrukturen bezweckt einerseits die Mobilisierung des Sachverstands der Betroffenen und eine Entlastung des Staates, soll andererseits den Betroffenen aber größere Entscheidungsspielräume gewähren.299 Es werden zwei Grundtypen der Selbstverwaltung unterschieden, nämlich die kommunale Selbstverwaltung als der an die Gebietszugehörigkeit anknüpfende Zusammenschluss von Personen in Gemeinden, sowie die funktionale Selbstverwaltung, innerhalb derer der Zusammenschluss von Personen in Selbstverwaltungseinheiten anhand persönlicher Merkmale wie etwa einer Berufszugehörigkeit erfolgt.300 Die soziale Selbstverwaltung, d. h. der Bestand der im Sozialversicherungsrecht auftretenden Selbstverwaltungsstrukturen,301 wird mitunter als Unterform der funktionalen Selbstverwaltung eingeordnet.302 Die gemeinsame Selbstverwaltung des Vertragsarztrechts weist aber die Besonderheit auf, dass – anders als beispielsweise in den berufsständischen Kammern als klassischem Fall der funktionalen Selbstverwaltung – Entscheidungen nicht durch eine interessenhomogene Gruppe getroffen werden, sondern gemeinsam durch Vertreter gegenläufiger Interessen, nämlich durch Vertreter der Ärzteschaft zum einen und durch Vertreter der Krankenkassen zu anderen.303 Insoweit trägt die „gemeinsame“ Selbstverwaltung Züge einer wechselseitigen Fremdbestimmung der unterschiedlichen Interessengruppen übereinander.304 Dabei handelt es sich um ein Spezifikum des Sozialrechts.305 298 Emde, S. 6 f.; Kluth, Selbstverwaltung, S. 543; Maurer, § 23 Rn. 2; Hendler, in: Handbuch des Staatsrechts, Bd. VI, § 143 Rn. 15; Schmidt-Aßmann, GS Martens, S. 249 (252); s. auch BVerfGE 107, 59 (88). 299 Kluth, Selbstverwaltung, S. 4; Maurer, § 23 Rn. 30; Hendler, in: Handbuch des Staatsrechts, Bd. VI, § 143 Rn. 68 ff.; Burgi, NJW 2004, S. 1365 (1365 f.). S. auch die Darstellung bei Emde, S. 89 ff. – In Bezug auf sozialrechtliche Selbstverwaltungsstrukturen U. Becker, Staat und autonome Träger, S. 466 ff. 300 s. nur Kluth, Selbstverwaltung, S. 12 ff.; Maurer, § 23 Rn. 30. Vgl. auch BVerfGE 107, 59 (89 ff.). 301 s. umfassend zu den sozialversicherungsrechtlichen Selbstverwaltungsstrukturen: Hase, in: Handbuch des Staatsrechts, Bd. VI, § 147; Schnapp, FS v. Unruh, S. 881 ff. – Zu den sozialrechtlichen Selbstverwaltungsstrukturen zählen etwa die Selbstverwaltung innerhalb der einzelnen Versicherungsträger (§ 29 SGB IV) und innerhalb der Kassenärztlichen Vereinigungen (vgl. § 79 I SGB V) sowie die „gemeinsame“ Selbstverwaltung zwischen der Kassen- und der Leistungserbringerseite. 302 Emde, S. 271 ff.; Kluth, Selbstverwaltung, S. 189 ff.; Musil, in: Steuerungsinstrumente im Recht des Gesundheitswesens, S. 49 (51). 303 Holzner, S.  261 ff.; Weber, S.  308; Axer, FS 50 Jahre BSG, S.  339 (342); Burgi, NJW 2004, S.  1365 (1366); ebenso Musil, in: Steuerungsinstrumente im Recht des Gesundheitswesens, S. 49. 304 Hänlein, S. 380 ff.; Weber, S. 309 ff.; Engelmann, NZS 2000, S. 1 (5 f.); BSGE 81, 73 (82). Vgl. auch Holzner, S. 261 ff. 305 Axer, FS 50 Jahre BSG, S. 339 (341). Für eine Eigenständigkeit der sozialen Selbstverwaltung ebenso Hase, in: Handbuch des Staatsrechts, Bd. VI, § 145 Rn. 12.

B. Die Kollektivverträge des § 129 SGB V

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Im Grunde erfüllt das Kollektivvertragsrecht der Apotheker die für das Vorliegen von Selbstverwaltung notwendigen Merkmale: Es handelt sich um staatliche Rechtsetzung durch Apotheker und Krankenkassen als Normbetroffene, wobei die vertragsschließenden Apothekerorganisationen sowie die Krankenkassen und ihre Verbände vom Staat verselbständigte Rechtssubjekte darstellen. Jedoch wird Selbstverwaltung herkömmlich mit öffentlich-rechtlichen Organisationsformen wie Körperschaften in Verbindung gebracht,306 wohingegen aufseiten der Apotheker privatrechtlich verfasste Wirtschaftsverbände auftreten.307 Ob alleine aufgrund der privatrechtlichen Rechtsform der Apothekerverbände die Vertragsstrukturen nach § 129 SGB V nicht als Form von Selbstverwaltung bezeichnet werden können, erscheint aber zweifelhaft. Der Deutsche Apothekerverband und die Apothekerlandesverbände werden beim Vertragsabschluss weniger als wirtschaftliche Interessenvertretung der Apotheker denn als Teil der mittelbaren Staatsverwaltung tätig.308 Insbesondere der Rahmenvertrag dient der Umsetzung gesetzlicher Pflichtvorgaben und soll so zum Funktionieren des staatlich organisierten Systems der gesetzlichen Krankenversicherung beitragen. Insoweit übernimmt der Deutsche Apothekerverband funktionell Aufgaben, die im Vertragsarztrecht den Kassenärztlichen Vereinigungen als Selbstverwaltungskörperschaften zukommen. Das § 129 SGB  V zugrunde liegende Modell der Verbändesteuerung wird aus diesem Grund auch zu Recht als „heimliche Verkammerung“309 oder „Semikorporatismus“310 bezeichnet. Obwohl die leistungserbringungsrechtlichen Verträge nach § 129 SGB  V auf Apothekerseite von privatrechtlich verfassten Verbänden vereinbart werden, ist deshalb die Feststellung gerechtfertigt, dass die Apotheker mit Inkrafttreten des Gesundheitsreformgesetzes in eine Form der gemeinsamen Selbstverwaltung eingegliedert wurden.311

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Hendler, in: Handbuch des Staatsrechts, Bd. VI, § 143 Rn.  23 ff.  – Vgl. für die soziale Selbstverwaltung Axer, FS 50 Jahre BSG, S. 339 (340). 307 Axer, FS Schnapp, S. 349 (366); Musil, in: Steuerungsinstrumente im Recht des Gesundheitswesens, S. 49 (51). 308 Allgemein Wiegand, Beleihung, S. 211; Rennert, JZ 2009, S. 976 (978). Vgl. auch BSGE 105, 1 (5); BSG SozR 4-2500 § 132a Nr. 3 Rn. 17. Anders dagegen in Bezug auf die Verträge über Hebammenhilfe Luthe, WzS 2014, S. 315 (316 f.). 309 F. Becker, Strukturen, S. 624; Neumann, S. 272; Huster, KrV 2013, S. 1 (8). 310 Huster, KrV 2013, S.  1 (8).  – Becker/Kingreen/Becker/Kingreen, § 69 SGB V Rn.  32, beziehen den Begriff des Semikorporatismus dagegen nur auf die Leistungsbereiche wie das Recht der Krankenhäuser (vgl. § 112 SGB V), in denen Verbandsaußenseiter noch nicht einmal formal einem Kollektivvertrag beitreten müssen, um von dessen Rechtswirkung erfasst zu werden. 311 Axer, FS Schnapp, S. 349 (366). Zust. zur Einbeziehung privatrechtlicher Verbände in den Begriff der gemeinsamen Selbstverwaltung auch Musil, in: Steuerungsinstrumente im Recht des Gesundheitswesens, S. 49 (51 f., 63).

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Kap. 2: Das Kollektivvertragsrecht des § 129 SGB V

C. Verfassungsrechtliche Fragen des Kollektivvertragssystems Der Rahmenvertrag und die ergänzenden Verträge konkretisieren als öffentlich-rechtliche Normenverträge und damit als Akte staatlicher Rechtsetzung die Rechte und Pflichten von Krankenkassen, Versicherten und Apothekern. Als staatliche Rechtsetzungsformen müssen sich die Kollektivverträge an verfassungsrechtlichen Vorgaben messen lassen. Die Vereinbarkeit des Kollektivvertragssystems mit Verfassungsrecht wird in erster Linie am Beispiel des Rahmenvertrags geklärt. Abschließend wird außerdem zur Vereinbarkeit der ergänzenden Verträge mit Verfassungsrecht Stellung genommen.

I. Generelle Zulässigkeit der Normsetzung durch Vertrag Der Rahmenvertrag könnte bereits deshalb verfassungsrechtlich unzulässig sein, weil es sich bei ihm als öffentlich-rechtlichem Normenvertrag um eine atypische, im Grundgesetz nicht explizit erwähnte Normsetzungsform handelt. Gegen die Zulässigkeit der Handlungsform „Normenvertrag“ wird teilweise eingewandt, dem Grundgesetz liege ein Numerus clausus untergesetzlicher Normsetzungsformen zugrunde.312 Art. 80 GG erwähne die Rechtsverordnung und aus Art. 28 II GG folge, wenngleich dort nicht ausdrücklich erwähnt, die Zulässigkeit der Satzung im gemeindlichen Bereich.313 Normenverträge seien dagegen lediglich im Tarifvertragsrecht durch Art. 9 III GG anerkannt.314 Die Schaffung neuer Rechtsetzungsformen sei dem einfachen Gesetzgeber verwehrt, weil dabei Fragen der Gewaltenteilung315 und des Demokratieprinzips316 betroffen seien und die Regelung der Rechtsetzung als eine der wichtigsten Staatsfunktionen dem Verfassungsgeber vorbehalten sei317. Gegen einen verfassungsrechtlichen Numerus clausus untergesetzlicher Rechtsetzungsformen spricht aber, dass das Grundgesetz keinen in sich geschlossenen, geordneten Abschnitt über untergesetzliche Rechtsetzung enthält, sondern nur vereinzelt bestimme Rechtsetzungsformen erwähnt.318 Schon die unzweifelhaft zulässige Satzung nennt das Grundgesetz nicht ausdrücklich.319 Der 312

Di Fabio, NZS 1998, S. 449 (451 f.); Ossenbühl, NZS 1997, S. 497 (499 f.). Ossenbühl, NZS 1997, S. 497 (499 f.). 314 Vgl. Ossenbühl, NZS 1997, S. 497 (499). 315 Ossenbühl, NZS 1997, S. 497 (500). 316 Di Fabio, NZS 1998, S. 449 (452). 317 Ossenbühl, NZS 1997, S. 497 (500); ähnlich Di Fabio, NZS 1998, S. 449 (452); Rennert, JZ 2009, S. 976 (982 ff.). – Zurückhaltender aber wohl Ossenbühl, in: Handbuch des Staatsrechts, Bd. V, § 100 Rn. 44 ff., wo untergesetzliche Rechtsquellen in erster Linie dahingehend untersucht werden, ob sie hergebrachten Legitimationsmustern entsprechen. 318 Axer, S. 162, 224; Castendiek, S. 77; Weber, S. 247 ff.; Föllmer, S. 67; Butzer/Kaltenborn, MedR 2001, S. 333 (336); BSGE 81, 73 (82). Im Ergebnis ebenso Holzner, S. 421 ff. 319 Axer, S. 162. 313

C. Verfassungsrechtliche Fragen des Kollektivvertragssystems 

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äußeren Rechtsetzungsform misst das Grundgesetz deshalb nur nachrangige Bedeutung zu.320 Ein Numerus clausus untergesetzlicher Normsetzungsformen existiert deshalb nicht.

II. Generelle Zulässigkeit der Beleihung des DAV mit Normsetzungsmacht Gegen die verfassungsrechtliche Zulässigkeit des in § 129 SGB V vorgesehenen Kollektivvertragssystems könnte weiter sprechen, dass an der Vereinbarung der Kollektivverträge privatrechtlich organisierte Apothekerverbände als Beliehene mitwirken. Insbesondere wird daraus, dass Art. 80 I 1 GG als Erstdelegatare für den Verordnungserlass nur staatliche Stellen vorsieht, gefolgert, dass die Übertragung von Normsetzungsmacht auf Private unzulässig sei.321 Gegen dieses Argument lässt sich aber einwenden, dass andererseits Art. 80 I 4 GG seinem Wortlaut nach den Kreis der Subdelegatare nicht auf staatliche Stellen beschränkt und es auch nicht normsystematisch geboten scheint, den Kreis der Subdelegatare in Anlehnung an den Kreis der Erstdelegatare auf staatliche Stellen zu begrenzen.322 Dem Grundgesetz lässt sich somit nicht entnehmen, dass die Beleihung Privater mit Normsetzungsmacht verfassungsrechtlich schlechthin unzulässig ist.323

III. Vereinbarkeit des Rahmenvertrags mit dem Demokratieprinzip Nach dem in Art.  20  II GG niedergelegten Grundsatz der Volkssouveränität als Ausprägung des Demokratieprinzips geht alle Staatsgewalt vom Volke aus. Die Ausübung von Staatsgewalt, d. h. jedes amtliche Handeln mit Entscheidungscharakter, bedarf der demokratischen Legitimation.324 Der Rahmenvertrag als öffentlich-rechtlicher Normenvertrag stellt eine Form von Staatsgewalt dar. Legitimationsbedürftige Ausübung von Staatsgewalt liegt auch vor, soweit an der Vereinbarung des Rahmenvertrags der Deutsche Apothekerverband als Privater mitwirkt.325 Demokratische Legitimation wird in Form von personell- und sachlich 320

Axer, S. 224 f. Rennnert, JZ 2009, S. 976 (981). In Bezug auf die Subdelegation bei der Verordnungsgebung Ossenbühl, in: Handbuch des Staatsrechts, Bd. V, § 103 Rn. 36. 322 Wiegand, Beleihung, S. 142 ff. 323 Holzner, S.  498 ff.; Wiegand, Beleihung, S.  142 ff.; Maunz/Dürig/Remmert, Art.  80 GG Rn. 84; Krebs, in: Handbuch des Staatsrechts, Bd. V, § 108 Rn. 45. 324 Maunz/Dürig/Grzeszick, Art. 20 GG II Rn. 117; Böckenförde, in: Handbuch des Staatsrechts, Bd. II, § 24 Rn. 11 f.; BVerfGE 135, 155 (221); 135, 317 (429); 136, 194 (261). 325 Allgemein: F. Becker, Strukturen, S. 695; Wiegand, Beleihung, S. 151. – Bezogen auf die Landeskrankenhausgesellschaften Quaas, NZS 1995 S. 482 (485). – Für Verträge nach dem SGB XI Weber, S. 253. 321

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demokratischer Legitimation vermittelt. Personell-demokratische Legitimation verlangt eine Kette individueller, auf das Volk bzw. die gewählte Volksvertretung zurückgehender Berufungsakte staatlicher Entscheidungsträger.326 Sachlich-demokratische Legitimation verlangt eine inhaltliche Rückbindung der Entscheidungsträger an den Volkswillen; sie vollzieht sich grundsätzlich durch die Bindung an das Parlamentsgesetz, die Existenz eines Weisungsrechts und das Bestehen einer Aufsicht.327 1. Personell-demokratische Legitimation Unter Gesichtspunkten der personell-demokratischen Legitimation ist problematisch, dass die Personen, die den Rahmenvertrag vereinbaren, nicht durch einen auf allgemeine Wahlen rückführbaren Bestellungsakt ernannt wurden. Das gilt zum einen für die Akteure auf Seiten des Deutschen Apothekerverbandes, die alleine im Wege verbandsinterner Willensbildungsprozesse ausgewählt werden.328 Ebenfalls nicht auf allgemeine Wahlen rückführbar ist die Bestellung der auf Seiten des GKV-Spitzenverbandes beim Vertragsschluss handelnden Akteure.329 a) Anwendung der für die funktionale Selbstverwaltung entwickelten Grundsätze Das Problem, dass die Bestellung der handelnden Entscheidungsträger nicht auf allgemeine Wahlen rückführbar ist, stellt sich jedoch nicht nur in der „gemeinsamen“ sozialen Selbstverwaltung, sondern ebenfalls allgemein in der funktionalen Selbstverwaltung.330 Für die funktionale Selbstverwaltung existieren verschiedene Ansätze, die die dort vorzufindenden Selbstverwaltungsstrukturen trotz eines Defizits personell-demokratischer Legitimation für verfassungsverträglich ansehen. Möglicherweise lassen sich diese Ansätze auf den Rahmenvertrag als Form der sozialen Selbstverwaltung übertragen. In Bezug auf die funktionale Selbstverwaltung wird teilweise vertreten, dass die fehlende personell-demokratische Legitimation der Entscheidungsträger durch 326 Dreier/Dreier, Art. 20 GG (Demokratie) Rn. 110; Maunz/Dürig/Grzeszick, Art. 20 GG II Rn. 121; Sachs/Sachs, Art. 20 GG Rn. 39; Böckenförde, in: Handbuch des Staatsrechts, Bd. II, § 24 Rn. 16 ff.; BVerfGE 83, 60 (72 f.); 93, 37 (67); 107, 59 (87); 135, 317 (429). 327 Dreier/Dreier, Art.  20 GG (Demokratie)  Rn.  112; v. Mangoldt/Klein/Starck/Sommermann, Art. 20 GG Rn. 168; Sachs/Sachs, Art. 20 GG Rn. 41; Böckenförde, in: Handbuch des Staatsrechts, Bd. II, § 24 Rn. 21 f.; BVerfGE 130, 76 (124); 135, 317 (429). 328 Allgemein für Normsetzung durch private Verbände Classen, S. 14; Wiegand, Beleihung, S. 167. – Für Krankenhausgesellschaften Quaas, NZS 1995, S. 482 (485). 329 Vgl. Boerner, S. 217 f.; Holzner, S. 433 ff. 330 s. nur Emde, S. 49 f.; Köller, S. 186 ff. Das BVerfG hatte sich mit dieser Problematik in Bezug auf einen Wasserverband zu befassen: BVerfGE 107, 59 (86 ff.).

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eine autonome Legitimation ersetzt werden könne, dass also legitimationsstiftende Kraft mithin auch die Wahlakte der Verbandsangehörigen als Verbandsvolk hätten.331 Übertragen auf den Rahmenvertrag, müssten die Akteure des GKV-Spitzenverbandes und des Deutschen Apothekerverbandes durch Wahlakte der Rahmenvertragsunterworfenen legitimiert worden sein. Aufseiten der Versicherten ist aber bereits umstritten, inwieweit die dort häufig stattfindenden Friedenswahlen, bei denen es nicht zu Wahlhandlungen kommt, geeignet sind, den Gremien von Krankenkassen und Kassenverbänden Legitimation zu vermitteln.332 Aufseiten der Apotheker haben weiterhin die nichtorganisierten Apotheker keinen Einfluss auf die Kreation der Organe des Deutschen Apothekerverbandes. Der Vertragsbeitritt der Verbandsaußenseiter entfaltet aufgrund der festgestellten Unfreiwilligkeit ebenfalls keine Legitimationswirkung.333 Darüber hinaus bilden die dem Rahmenvertrag unterworfenen Versicherten und Apotheker eine interessenheterogene Gruppe,334 sodass kein einheitliches Verbandsvolk existiert.335 Der Rahmenvertrag kann aus diesem Grund nicht autonom durch ein Verbandsvolk der Vertragsunterworfenen legitimiert werden. Gegen diesen autonomen Legitimationsansatz spricht aber ohnehin, dass mit „Volk“ im Sinne von Art. 20 II GG alleine das Gesamtvolk gemeint ist.336 Die überwiegende Ansicht nimmt für die funktionale Selbstverwaltung ein Kompensationsmodell an.337 Die funktionelle Selbstverwaltung sei vom Verfassungsgeber grundsätzlich anerkannt.338 Außerhalb der unmittelbaren Staatsverwaltung sei das Grundgesetz deshalb offen für vom Erfordernis lückenloser personell-demokratischer Legitimation abweichende Legitimationsformen.339 Die fehlende personell-demokratische Legitimation könne durch materiell-demokratische Komponenten ausgeglichen werden.340 Aufgaben und Handlungsbefugnisse 331

Christopeit, S. 264 ff.; Emde, S. 389 ff.; Petersen, NVwZ 2013, S. 841 (845 f.); Ossenbühl, in: Handbuch des Staatsrechts, Bd. V, § 100 Rn. 45; ähnlich Dreier/Dreier, Art. 20 GG (Demokratie) Rn. 92. – Für Normenverträge des SGB V Sodan, NZS 1998, S. 305 (309). – Für den Gemeinsamen Bundesausschuss: Butzer/Kaltenborn, MedR 2001, S. 333 (339); Kingreen, NZS 2007, S. 113 (116); Neumann, NZS 2010, S. 593 (596); BSGE 82, 41 (46 f.); ähnlich Kasseler Kommentar/Roters, § 91 SGB V Rn. 23. 332 Kritisch insoweit Christopeit, S.  334 ff.; Holzner, S.  222 ff. Zu den Friedenswahlen s. § 46 II SGB IV. 333 So aber Huster, KrV 2013, S. 1 (7). 334 Vgl. oben B. V. 335 Vgl. Holzner, S.  220 ff., 435. Gegen ein Homogenitätserfordernis aber Christopeit, S. 300 ff. 336 Axer, S. 298, 309; Boerner, S. 190 ff.; Jestaedt, S. 213 ff., 500 ff.; Köller, S. 45 ff.; v. Mangoldt/Klein/Starck/Sommermann, Art. 20 GG Rn. 184; Maunz/Dürig/Grzeszick, Art. 20 GG II Rn.  164. Vgl. auch Böckenförde, in: Handbuch des Staatsrechts, Bd.  II, § 24 Rn.  33 ff.; BVerfGE 135, 155 (223). 337 s. insgesamt die Darstellung bei Kahl, AöR 2005, S. 225 (237 ff.). 338 Maunz/Dürig/Grzeszick, Art. 20 GG II Rn. 181; BVerfGE 107, 59 (89 f.); 111, 191 (215). Vgl. auch Jestaedt, S. 490 ff.; Kahl, AöR 2005, S. 225 (239). 339 BVerfGE 107, 59 (91). 340 Vgl. BVerfGE 107, 59 (94); 111, 191 (216 ff.).

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der Organe müssen in einem Gesetz ausreichend vorherbestimmt sein und ihre Wahrnehmung der Aufsicht personell-demokratisch legitimierter Amtswalter unterliegen.341 Weiterhin gebiete das Demokratieprinzip, dass Organisation und Verfahren des Selbstverwaltungsträgers so ausgestaltet sind, dass die Interessen der Betroffenen angemessen wahrgenommen und nicht einzelne Interessen bevorzugt werden.342 Entsprechend dürfen etwa Selbstverwaltungskörperschaften nur in begrenztem Maße zu Entscheidungen gegenüber Nichtmitgliedern ermächtigt werden.343 In der Literatur wird bisweilen darauf abgestellt, dass die Zahl der Außenseiter nur gering344 oder die Außenseiterbindung unvermeidbar345 ist. Da nach dieser Ansicht  – anders als unter Zugrundelegung eines autonomen Legitimationsmodells – personell-demokratische Legitimation nur vom Staatsvolk und nicht von einem Verbandsvolk vermittelt werden kann, wird die Außenseiterbindung von ihr nicht als Problem der personell-demokratischen Legitimation betrachtet.346 Allerdings wird eine zu starke Außenseiterbindung deshalb für mit dem Demokratieprinzip unvereinbar angesehen, weil dem Demokratieprinzip insoweit das Gebot entnommen wird, dass alle von der Tätigkeit eines Selbstverwaltungsträgers betroffenen Personen gleichberechtigt an dessen Willensbildung beteiligt werden müssen.347 Dieses Kompensationsmodell wird verbreitet auf die soziale Selbstverwaltung übertragen. So wendet das Bundesverfassungsgericht dieses Legitimationsmodell wie folgt auf den G-BA an, dessen Beschlussgremium ebenfalls nicht in auf das Gesamtvolk zurückführbaren Wahlen kreiert wird:348 Die Rechtsetzung durch den G-BA ist mit dem Demokratieprinzip unvereinbar, wenn sie an der Normsetzung Unbeteiligte mit hoher Intensität trifft; sie ist umso eher mit dem Demokratieprinzip vereinbar, wenn sie an der Normsetzung Beteiligte nur schwach betrifft.349 Dabei spielt auch eine Rolle, inwieweit der G-BA bei seiner Normset 341 BVerfGE 107, 59 (94); 111, 191 (216 ff.); Böckenförde, in: Handbuch des Staatsrechts, Bd. II, § 24 Rn. 34. 342 Axer, SGb 2012, S. 501 (502); BVerfGE 107, 59 (93); 111, 191 (217). 343 Boerner, S. 223 f., 299 f.; Köller, S. 320 f.; BVerfGE 107, 59 (94). – Die genaue Reichweite dieser Befugnis ist bislang noch nicht allgemein geklärt, Petersen, NVwZ 2013, S. 841 (844).  – Kritisch gegenüber Entscheidungsbefugnissen gegenüber Außenseitern Kahl, AöR 2005, S.  225 (243); kritisch auch Ossenbühl, in: Handbuch des Staatsrechts, Bd.  V, § 100 Rn. 45. 344 Clemens, NZS 1994, S. 337 (346). 345 Seeringer, S. 99. 346 Boerner, S. 220; Butzer/Kaltenborn, MedR 2001, S. 333 (339); Petersen, NVwZ 2013, S. 841 (843). 347 Vgl. dazu Kluth, S. 385 ff.; BeckOK GG/Huster/Rux, Art. 20 GG Rn. 111; Hendler, in: Handbuch des Staatsrechts, Bd. VI, § 143 Rn. 62; BVerfGE 107, 59 (94). 348 Zum Zusammenhang der durch das BVerfG entwickelten Kriterien mit dem Kompensationsmodell der funktionalen Selbstverwaltung Gassner, NZS 2016, S. 121 (126). Vgl. auch Kingreen, MedR 2017, S. 8 (11); Kluth, GesR 2017, S. 205 (206); Lege, JZ 2016, S. 464 (465 mit Fn. 20). 349 BVerfG, NJW 2016, 1505 (1506).

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zungstätigkeit gesetzlich angeleitet wird.350 Es bedarf einer hinreichend normdichten Anleitung.351 Erforderlich ist somit eine Betrachtung, wie engmaschig einerseits die gesetzlichen Handlungsvorgaben sind und inwieweit andererseits die von der Normsetzung Betroffenen an der Entscheidung beteiligt werden. § 129 I SGB V regelt detailliert Wirtschaftlichkeitspflichten der Apotheker352 und überlässt den Rahmenvertragspartnern lediglich deren Konkretisierung; alleine im Hinblick auf die Frage, wann ein Arzneimittel als preisgünstig im Sinne von § 129  I  1 Nr.  1 SGB  V anzusehen ist, kommt den Rahmenvertragsparteien ein Gestaltungsspielraum zu. Soweit den Rahmenvertragspartnern darüber hinaus ein Regelungsspielraum für die Ausgestaltung der Arzneimittelabgabe im Allgemeinen zusteht,353 ist auch dieser Spielraum in inhaltlicher Sicht dadurch stark begrenzt, dass sich bereits aus dem Gesetz eine Vielzahl von Vorgaben für die Arzneimittelabgabe ableiten lassen, zu denen sich rahmenvertragliche Vorschriften nicht in Widerspruch setzten dürfen. Rahmenvertraglichen Regelungen über die Arzneimittelabgabe kommt deshalb oftmals nur insoweit eine eigenständige Bedeutung zu, als gemäß § 129 IV 1, 3 SGB V abgesehen von Verstößen gegen § 129 I SGB V nur vertraglich begründete Pflichten sanktioniert werden können und gesetzliche Pflichten folglich in rahmenvertragliche übersetzt werden müssen, bevor deren Verletzung geahndet werden kann.354 Das SGB V macht den Rahmenvertragsparteien somit engmaschige Handlungsvorgaben in Bezug auf mögliche Inhalte rahmenvertraglicher Regelungen. Nicht zu verkennen ist aber, dass den Rahmenvertragspartnern gerade insoweit ein großer Gestaltungsspielraum zukommt, welche der inhaltlich zulässigen Pflichten sie in den Rahmenvertrag aufnehmen und damit zum Gegenstand von Sanktionen nach § 129 IV 1, 3 SGB V machen.355 Fraglich ist weiterhin, ob die vom Rahmenvertrag Betroffenen ausreichend an der Vertragsaushandlung beteiligt werden. So sind Apotheker, die dem Rahmenvertrag nur nach § 129 III Nr. 2 SGB V beitreten, vom Aushandlungsprozess ausgeschlossen, da sie keinen Einfluss auf die Willensbindung des Deutschen Apothekerverbands nehmen können.356 Teilweise wird es für ausreichend gehalten, wenn die Interessen der Betroffenen nur in irgendeiner Form, beispielsweise durch einen Berufsverband, bei der Entscheidungsfindung repräsentiert werden.357 Folgt man dem, wären die nichtorganisierten Apotheker als ausreichend am Rahmenvertragsschluss beteiligt anzusehen, denn die wirtschaftlichen Interessen 350

BVerfG, NJW 2016, 1505 (1506). BSG SozR 4-2500 § 137 Nr. 7, Rn. 29; BSGE 120, 170 (183). 352 s. zu den Wirtschaftlichkeitspflichten im Einzelnen unten Kapitel 4 B. 353 s. dazu oben B. I. 4. 354 s. dazu näher unten Kapitel 3 A. IV sowie oben B. IV. 1. 355 s. zu dem Gestaltungsspielraum der Rahmenvertragspartner oben B. I. 5. 356 Zum Vorliegen einer Außenseiterbindung vgl. Huster, KrV 2013, S. 1 (7 f.). 357 In Bezug auf Verträge nach § 112 SGB V: Holzner, S. 447; Clemens, NZS 1994, S. 337 (346). Allgemein BSGE 94, 50 (60). 351

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der nichtorganisierten und der im Deutschen Apothekerverband organisierten Apotheker werden regelmäßig kongruent sein. Verlangt man dagegen, dass jeder einzelne Betroffene im Stande sein muss, Einfluss auf die Willensbildung des handelnden Selbstverwaltungsträgers zu nehmen, wäre im Hinblick auf die nichtorganisierten Apotheker ein Beteiligungsdefizit festzustellen.358 Teilweise wird angenommen, dass sich ein solches Defizit wiederum durch sachlich-demokratische Elemente ausgleichen lasse.359 Eine solche Möglichkeit des Ausgleichs würde den vom Bundesverfassungsgericht zum G-BA entwickelten Grundsätzen nicht widersprechen, denn das Bundesverfassungsgericht geht nicht generell davon aus, dass die Bindung von am Normsetzungsprozess nicht Beteiligten an die Richtlinien des G-BA schlechthin gegen das Demokratieprinzip verstößt.360 Gegen die Möglichkeit, das Beteiligungsdefizit nichtorganisierter Apotheker durch sachlich-inhaltliche Vorgaben auszugleichen, spricht aber, dass die Festlegung von Pflichten im Rahmenvertrag die Apotheker intensiv betrifft, weil die Regelung von Pflichten im Rahmenvertrag Anknüpfungspunkt für Sanktionen sein kann. Zudem steht den Rahmenvertragspartnern ein großer Gestaltungsspielraum zu, welche Pflichten sie in den Rahmenvertrag aufnehmen und dadurch sanktionierbar machen. Im Hinblick auf die betroffenen Apotheker kommt eine Kompensation des Defizits personell-demokratischer Legitimation unter Zugrundelegung der für die funktionale Selbstverwaltung entwickelten Grundsätze deshalb nur dann in Betracht, wenn auch eine verbandliche Repräsentation den Anforderungen des Demokratieprinzips genügen sollte. Dafür, dass eine verbandliche Repräsentation ausreichend ist, spricht Folgendes: Zwar gebietet das Demokratieprinzip, dass die betroffenen Interessen innerhalb eines Selbstverwaltungsträgers gleichberechtigt zur Geltung kommen müssen.361 Mit den betroffenen Interessen sind aber nicht Individualinteressen einzelner Betroffener bezeichnet, sondern die Interessen abgrenzbarer Betroffenengruppen, sodass es genügt, wenn Verbände beteiligt werden, die die Betroffenen repräsentieren.362 Für ein solches Verständnis des

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Vgl. für Krankenhausverträge Joussen, SGb 2004, S. 334 (341); Sodan, NZS 1998, S. 305 (309). – Kritisch gegenüber der Bindung von Nicht-Verbandsmitgliedern in sozialrechtlichen Normsetzungsstrukturen allgemein Grzeszick, Wohlfahrt, S. 73. S. im Hinblick auf Normenverträge auch Castendiek, S. 113 ff. – Eine egalitäre Ausgestaltung der Beteiligungsrechte innerhalb von Selbstverwaltungsträgern fordern Emde, S. 405 ff.; Kluth, Selbstverwaltung, S. 458 ff. 359 Vgl. dazu allgemein Boerner, S. 300. 360 Vgl. Kingreen, MedR 2017, S. 8 (11); Kluth, GesR 2017, S. 205 (209 f.). 361 Holzner, S. 163; Hendler, in: Handbuch des Staatsrechts, Bd. VI, § 143 Rn. 31. 362 Holzner, S. 165; Hendler, in: Handbuch des Staatsrechts, Bd. VI, § 143 Rn. 30 f. Vgl. auch Groß, DVBl. 2002, S. 1182 (1191). – Das Bundesverfassungsgericht hat es für zulässig gehalten, dass die Vergabekommission der Filmförderanstalt von Verbänden besetzt wird: BVerfGE 135, 155 (227 f.). Dabei hat es darauf abgestellt, dass die Verbände so ausgewählt sind, dass nicht die Sonderinteressen „einzelner Gruppen“ bevorzugt werden (S. 228 f.). Zum Verständnis von „Interesse“ als „Gruppeninteresse“ s. auch Jestaedt, S. 545.

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Umfangs der durch das Demokratieprinzip gebotenen Betroffenenpartizipation spricht nicht zuletzt, dass auch Anstalten des öffentlichen Rechts zulässige Organisationsformen mittelbarer Staatsverwaltung sind, die Anstaltsbenutzer keine Möglichkeiten der Mitwirkung an der Anstaltswillensbildung haben und dass der Gesetzgeber ein Organisationsermessen hat, ob er Selbstverwaltungsträger körperschaftlich, anstaltlich oder in Mischformen ausgestaltet.363 Fragen stellen sich weiterhin in Bezug auf die Beteiligung der Versicherten an der Vertragsaushandlung. Zunächst kommt in Betracht, dass die Versicherten vermittelt durch den GKV-Spitzenverband als Spitzenorganisation der Krankenkassen am Vertragsschluss beteiligt werden. Ob die Krankenkassen oder ihre Verbände als Repräsentanten der Versicherteninteressen angesehen werden können, scheint aber zweifelhaft. Krankenkassen verfolgen oft das Ziel einer Kostensenkung, während Versicherten gerade im Krankheitsfall an Leistungsausweitungen gelegen ist.364 In Bezug auf § 129 I 1 Nr. 1 SGB V könnte beispielsweise den Krankenkassen daran gelegen sein, möglichst strenge Maßstäbe für die Preisgünstigkeit festzulegen, während Versicherte daran interessiert sind, dass ihnen möglichst viele Arzneimittel zur Verfügung stehen. Auch den Deutschen Apothekerverband wird man nicht als Repräsentanten der Versicherten ansehen können,365 denn es ist nicht auszuschließen, dass Apotheker beispielsweise zur Vereinfachung ihrer Lagerhaltung ebenfalls daran interessiert sind, dass nur eine begrenzte Zahl von Arzneimitteln als Sachleistung an gesetzlich Versicherte abgegeben werden kann. Allerdings verliert die fehlende Beteiligung der Versicherten an der Vertragsaushandlung wieder dadurch an Gewicht, dass Versicherte durch die Beschränkung des Kreises der als Sachleistung abgabefähigen Arzneimittel grundrechtlich nicht intensiv berührt werden: Die rahmenvertragliche Normsetzung wirkt sich zwar auf den Kreis der abgabefähigen Arzneimittel aus, soweit der Rahmenvertrag die Wirtschaftlichkeitspflichten nach § 129 I 1 Nr. 1, Nr. 2 SGB V konkretisiert, und berührt daher das grundrechtlich geschützte Gebot der Verhältnismäßigkeit von Beitragspflicht und Leistungsanspruch366. Der betreffende Wirkstoff steht den Versicherten aber nach wie vor zur Verfügung. Begrenzt wird nur die Möglichkeit, ein Arzneimittel dieses Wirkstoffs ausgehend von subjektiven Präferenzen wählen zu können.367 Aufgrund ihrer geringen Betroffenheit müssen die Versicherten nicht an der Aushandlung des Rahmenvertrags beteiligt werden.368 Unter Zugrundelegung der für die funktionale Selbstverwaltung entwickelten Grundsätze, 363

Vgl. Holzner, S. 164 f.; Petersen, NVwZ 2013, S. 841 (843). Christopeit, S. 349 f.; Holzner, S. 294 ff.; Axer, VSSR 2002, S. 215 (243); Kluth, GesR 2017, S. 205 (210). Vgl. auch Grzeszick, Wohlfahrt, S. 46. 365 Zur Repräsentation von Versicherten durch Leistungserbringer vgl. Holzner, S. 443. 366 s. dazu näher unten Kapitel 4. F. I. 367 s. dazu im Einzelnen unten Kapitel 4. B. 368 Vgl. allgemein zu der Möglichkeit, von der Beteiligung nicht intensiv Betroffener an der Willensbildung von Selbstverwaltungsträgern abzusehen, Hendler, in: Handbuch des Staatsrechts, Bd. VI, § 143 Rn. 32. 364

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Kap. 2: Das Kollektivvertragsrecht des § 129 SGB V

wie sie das Bundesverfassungsgericht in Bezug auf den G-BA fortentwickelt hat, ist eine Kompensation des Defizits personell-demokratischer Legitimation durch sachlich-demokratische Elemente deshalb vorliegend möglich. b) Der Gehalt von Art. 87 II GG Parallel zum Rekurs auf die für die funktionale Selbstverwaltung entwickelten Grundsätze könnte sich noch auf eine andere Weise begründen lassen, dass die fehlende personell-demokratische Legitimation der an der Aushandlung des Rahmenvertrags Beteiligten nicht zur Unvereinbarkeit des Rahmenvertrags mit dem Demokratieprinzip führt. Art.  87  II  1 GG regelt, wann soziale Versicherungsträger als bundesunmittelbare Körperschaften des öffentlichen Rechts zu führen sind. Der Begriff des „Versicherungsträgers“ ist weit zu verstehen und erfasst nicht nur die Leistungsträger, sondern sämtliche Organisationseinheiten, denen die Wahrnehmung von Aufgaben der Sozialversicherung obliegt.369 Gegen die mitunter vertretene engere Auffassung, wonach normsetzende Verbände wegen deren bloßer Kooperationsfunktion nicht als soziale Versicherungsträger anzusehen seien,370 spricht, dass die verbandliche Normsetzungstätigkeit essentiell für die Durchführung des Krankenversicherungsrechts ist und in dieser Funktion bereits vor Erlass des Grundgesetzes zur Zeit der Weimarer Republik bekannt war.371 Mit dem Begriff der „Körperschaft“ ist gleichzeitig keine Beschränkung auf Körperschaften des öffentlichen Rechts im streng juristischen Sinne verbunden, sondern „Körperschaft“ meint in einem untechnischen Sinn allgemein Träger mittelbarer Staatsverwaltung jeglicher Art.372 Teilweise wird zwar unter Berufung auf den Wortlaut von Art. 87 II 1 GG vertreten, dass die Vorschrift nur die Errichtung von Körperschaften im technischen Sinne vorsehe.373 Gegen eine Beschränkung auf Körperschaften im technischen Sinne spricht aber, dass andernfalls aus Zeiten der Weimarer Republik hergebrachte, unter anderem anstaltlich organisierte Stellen nicht mehr mit der Verfassung zu vereinbaren gewesen wären; dieses Ergebnis beabsichtigte der Verfassungsgeber nicht.374 Über den organisationsrechtlichen Primärgehalt hinaus, nämlich wann Institutionen der Sozialversicherung bundesunmittelbar zu führen sind, könnte Art. 87 II 369

Axer, S.  276 ff.; Wiegand, Beleihung, S.  188 f.; Dreier/Hermes, Art.  87 GG Rn.  56; v. Münch/Kunig/Broß/Mayer, Art. 87 GG Rn. 17; Sachs/Sachs, Art. 87 GG Rn. 49. Vgl. auch v. Mangoldt/Klein/Starck/Burgi, Art. 87 GG Rn. 6 (mit dem Beispiel der Kassenärztlichen Vereinigungen); Maunz/Dürig/Ibler, Art. 87 GG Rn. 180. 370 Sickor, S. 225. 371 Axer, S. 278 f. 372 Axer, S.  281; Zimmermann, Sozialversicherung, S.  462 ff.; Dreier/Hermes, Art.  87 GG Rn. 61; v. Mangoldt/Klein/Starck/Burgi, Art. 87 GG Rn. 71. 373 Maunz/Dürig/Ibler, Art. 87 GG Rn. 186 ff.; Sachs/Sachs, Art. 87 GG Rn. 54; v. Münch/ Kunig/Broß/Mayer, Art. 87 GG Rn. 17; Bulla, VSSR 2008, S. 351 (364 ff.). 374 Axer, S. 280 f.

C. Verfassungsrechtliche Fragen des Kollektivvertragssystems 

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GG zugleich eine materielle Aussage über soziale Versicherungsträger und ihre Rechtsetzungstätigkeit enthalten. Teilweise wird es abgelehnt, Art. 87 II GG Aussagen zur Legitimation untergesetzlicher Rechtsetzung im Sozialrecht zu entnehmen; es handle sich bei Art. 87 II GG um eine bloße Organisationsnorm.375 Gegen ein solches restriktives Verständnis von Art.  87  II GG spricht aber die Entstehungsgeschichte der Vorschrift. Der Verfassungsgeber fand im Sozialversicherungssystem der Weimarer Zeit eine Vielzahl von Stellen vor, die einfachgesetzlich zur Normsetzung ermächtigt waren.376 Diese Normsetzer gehörten unterschiedlichsten, insbesondere nicht-körperschaftlichen oder sogar atypischen Organisationsformen an.377 Da der Verfassungsgeber an dem aus der Weimarer Zeit vorgefundenen Sozialversicherungssystem nichts ändern wollte, liegt in der Erwähnung der sozialen Versicherungsträger in Art.  87  II GG sowohl die Anerkennung der vorgefundenen Organisationsformen als auch die Anerkennung der Normsetzungstätigkeit dieser Organisationseinheiten im Rahmen der Sozialversicherung.378 Art.  87  II GG gewährt den Trägern der Sozialversicherung zwar keine Selbstverwaltungsgarantie, wie sie Art. 28 II GG den Gemeinden einräumt.379 Allerdings anerkennt Art. 87 II GG die vorgefundenen Rechtssetzungsstrukturen als verfassungsverträglich und dispensiert somit für das Sozialversicherungsrecht vom Erfordernis lückenloser personell-demokratischer Legitimation normsetzender Stellen.380 Die in Art 87 II GG zum Ausdruck kommende Anerkennung von untergesetzlicher Rechtsetzung in der Sozialversicherung beschränkt sich nicht auf die Normsetzungstätigkeit öffentlich-rechtlich verfasster Stellen. Die weite Auslegung des Körperschaftsbegriffs in Art. 87 II GG hat zur Folge, dass als „soziale Versicherungsträger“ im Sinne der Vorschrift auch Verbände und Zusammenschlüsse von Leistungserbringern angesehen werden können.381 Zwar wird in der Literatur verbreitet angenommen, dass aus der Verwendung des Begriffs „Körperschaften des öffentlichen Rechts“ folge, dass – auch unter Zugrundelegung eines weiten Körperschaftsbegriffs – Aufgaben der Sozialversicherung nur durch öffentlich-rechtlich verfasste Organisationseinheiten wahrgenommen werden dürfte und eine Beleihung 375

Christopeit, S. 220 ff.; Holzner, S. 313 ff. Axer, S. 300. 377 Axer, S. 300 f.; Wiegand, Beleihung, S. 193. 378 Axer, S.  201 f.; Emde, S.  453 ff.; Wiegand, Beleihung, S.  189 f.; Muckel, NZS 2002, S. 118 (125); Eichenhofer/Wenner/Musil, § 91 SGB V Rn. 37; v. Mangoldt/Klein/Starck/Burgi, Art. 87 GG Rn. 78. Vgl. auch Jestaedt, S. 537 f. (Fn. 516), 595; BVerfGE 107, 59 (90). 379 Axer, S. 269 ff.; Maunz/Dürig/Ibler, Art. 87 GG Rn. 162, 190; Sachs/Sachs, Art. 87 GG Rn. 57. 380 Axer, S.  302; BeckOK GG/Suerbaum, Art.  87 GG Rn.  16; v. Mangoldt/Klein/Starck/ Burgi, Art. 87 GG Rn. 78. Nach Maunz/Dürig/Ibler, Art. 87 GG Rn. 191 hat der Verfassungsgeber durch die Erwähnung des Begriffs „Körperschaft“ die damit traditionell verbundenen Vorstellungen, d. h. das Tätigwerden im eigenen oder fremden Wirkungskreis unter Staatsaufsicht, gebilligt. 381 Axer, S. 278 f.; Wiegand, Beleihung, S. 188 f. 376

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Kap. 2: Das Kollektivvertragsrecht des § 129 SGB V

privater Verbände insoweit ausscheide.382 Dagegen ist aber einzuwenden, dass mit dem Beleihungsakt ein privatrechtlicher Verband in derselben Weise wie eine Körperschaft oder Anstalt des öffentlichen Rechts Teil der mittelbaren Staatsverwaltung wird.383 Von Art. 87 II GG anerkannt wird deshalb auch die Normsetzungstätigkeit von Privatrechtssubjekten im Bereich der Sozialversicherung.384 Eine Rechtfertigung der rahmenvertraglichen Normsetzung durch Art.  87  II GG scheint damit dem Grunde nach möglich. Damit die Anerkennungswirkung des Art. 87 II GG eingreifen kann, muss aber die konkret in Frage stehende Rechtsetzungsform, hier also der Rahmenvertrag, jedenfalls im Wesentlichen den Strukturen entsprechen, die der Verfassungsgeber aus der Weimarer Zeit vorgefunden hat.385 Die Kollektivverträge der Arzneimittelversorgung waren unter Geltungszeit der Reichsversicherungsordnung formal gesehen zwar nicht kollektivvertraglich-normativ, sondern stellvertretungsrechtlich konstruiert. Kollektivvertragliche Rechtsetzungsformen waren jedoch zumindest im Kassenarztrecht der Weimarer Zeit bekannt.386 Darüber hinaus kam den Arzneilieferverträgen zumindest faktisch gesehen eine quasi-normative Kraft zu. Nach § 375 I 2 RVO konnte eine Krankenkasse die Übernahme der Kosten für ein Arzneimittel ablehnen, wenn ein anderer Apotheker der Krankenkasse vertraglich Vorzugsbedingungen eingeräumt hatte. Den Krankenkassen ermöglichte diese Regelung, einmalig für sie möglichst günstige Vorzugsbedingungen zu vereinbaren und nicht vertragsgebundene Apotheker in der Folge auf den Beitritt zu dieser Vereinbarung zu verweisen.387 Um Versicherte versorgen zu können, blieb den nicht vertragschließenden Apothekern keine andere Wahl, als einem solchen Vertrag beizutreten. Die Krankenkassen konnten mithilfe der Arzneilieferverträge somit de facto einheitliche Leistungsstandards schaffen.388 Unerheblich ist insoweit, dass diese Verträge formell betrachtet privatrechtlicher und nicht öffentlich-rechtlicher Natur waren,389 denn die formale Einordnung als privatrechtlich ändert nichts am heteronom-normativen Charakter, der diesen Verträgen zukam. Da in den vom Verfassungsgeber vorgefundenen Normsetzungsstrukturen nur repräsentative Verbände normsetzend tätig waren, ist Voraussetzung für das Eingreifen der Anerkennungswirkung von Art.  87  II GG weiterhin, dass ein zur Normsetzung ermächtigter Verband aufgrund ausreichend hoher Mitgliederzahl 382 Holzner, S.  503; Zimmermann, S.  464 ff.; Dreier/Hermes, Art.  87 GG Rn.  62; Maunz/ Dürig/Ibler, Art. 87 GG Rn. 199; v. Mangoldt/Klein/Starck/Burgi, Art. 87 GG Rn. 80. 383 Wiegand, Beleihung, S. 191; Axer, FS Krause, S. 79 (87). 384 Wiegand, Beleihung, S. 194; Becker/Kingreen/Becker, § 112 SGB V Rn. 14; Huster, KV 2013, S. 1 (7). Im Ergebnis ebenso Holzner, S. 514 ff., sofern der Private nicht alleine rechtsetzend tätig wird, sondern an einen staatlich organisierten Akteur – wie vorliegend den GKVSpitzenverband – rückgebunden ist. 385 Vgl. Axer, S. 303; Wiegand, Beleihung, S. 192. 386 Axer, S. 303. 387 BSG SozR 4-2500 § 130 Nr. 1 Rn. 25 f. 388 Vgl. Landgraf-Brunner, S. 162; BSG SozR 4-2500 § 130 Nr. 1 Rn. 25 f. 389 Darauf stellt ab Rennert, JZ 2009, S. 976 (982 mit Fn. 62).

C. Verfassungsrechtliche Fragen des Kollektivvertragssystems 

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für die jeweilige Leistungserbringergruppe repräsentativ ist.390 Insoweit ist die Auslegung des Begriffs „maßgeblicher Verband“ in § 129 SGB V als „hinreichend repräsentativer Verband“ auch verfassungsrechtlich vorgegeben.391 Da in der Weimarer Zeit alle repräsentativen Verbände beteiligt wurden, ist es verfassungsrechtlich zugleich geboten, dass alle repräsentativen Verbände als „maßgeblich“ am Vertragsschluss beteiligt werden.392 Der Deutsche Apothekerverband repräsentiert die Apothekerschaft hinreichend.393 Nicht mehr erforderlich, um den vom Verfassungsgeber vorgefundenen Rechtsetzungsstrukturen zu entsprechen, ist dagegen, dass sämtliche Normbetroffene Einfluss auf die Willensbildung der normsetzenden Verbände haben. Häufig waren die normsetzenden Stellen der Weimarer Zeit zur Rechtsetzung gegenüber Personen ermächtigt, die an der Verbandswillensbildung nicht teilnahmen.394 Da die Schaffung von Selbstverwaltungseinheiten ihre Rechtfertigung daraus bezieht, dass der Sachverstand der Betroffenen nutzbar gemacht wird, ist lediglich geboten, dass alle betroffenen Interessen in den Entscheidungsprozess Eingang finden, wobei es hierzu nicht zwingend eines Mitentscheidungsrechts bedarf.395 Durch die Einbindung des Deutschen Apothekerverbandes sind die Interessen aller Apotheker im Normsetzungsprozess vertreten. Zweifelhaft erscheint wiederum nur, ob die Versicherteninteressen bei der Normsetzung ausreichend zur Geltung kommen.396 Allerdings wurde bereits festgestellt, dass die Versicherten durch die rahmenvertraglichen Regelungen nicht sehr intensiv betroffen sind.397 Es existiert deshalb kein spezifischer Versichertensachverstand, der vorliegend einbezogen werden müsste. Es ist somit festzuhalten, dass die fehlende personell-demokratische Legitimation der an der Aushandlung des Rahmenvertrags beteiligten Personen aufgrund von Art. 87 II GG als unschädlich angesehen werden kann. 2. Materiell-demokratische Legitimation des Rahmenvertrags Die rahmenvertragliche Normsetzung müsste auch materiell-demokratisch legitimiert sein. Materiell-demokratische Legitimation verlangt eine inhaltliche Rückbindung der Entscheidungsträger an den Volkswillen, vor allem durch das Bestehen parlamentsgesetzlicher Vorgaben für den Entscheidungsinhalt und durch das

390

Dazu Axer, S. 304; Wiegand, Beleihung, S. 197. Vgl. Axer, S. 304 f.; Wiegand, Beleihung, S. 197. 392 Axer, S. 305. 393 Vgl. dazu oben B. I. 2. a). 394 Huster, KrV 2013, S.  1 (8). In Bezug auf Krankenkassen geht Maunz/Dürig/Burgi, Art.  87 GG Rn.  78 davon aus, dass Art.  87  II GG keine mitgliedschaftliche Verfassung verlange, sondern eine paritätische Einbeziehung der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite genüge. 395 Axer, VSSR 2002, S. 215 (243). 396 Vgl. oben C. III. 1. 397 s. oben C. III. 1. a). 391

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Kap. 2: Das Kollektivvertragsrecht des § 129 SGB V

Bestehen einer Aufsicht.398 Problematisch könnte vorliegend vor allem das Erfordernis einer Aufsicht sein. Vom Erfordernis einer Aufsicht würde Art. 87 II GG nicht dispensieren, da auch die sozialversicherungsrechtlichen Normsetzer aus der Weimarer Zeit zumindest einer Rechtskontrolle unterlagen.399 Der GKV-Spitzenverband untersteht der Rechtsaufsicht des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG).400 Der Deutsche Apothekerverband wird in § 129 SGB V dagegen nicht förmlich einer Aufsicht unterworfen.401 Teilweise wird vertreten, die Aufsicht über einen Beliehenen müsse nicht ausdrücklich normiert werden, sondern sie entstehe automatisch mit dem Beleihungsakt.402 Bei Annahme einer automatisch bestehenden Aufsicht würden aber weder Aufsichtsbehörde noch Aufsichtsmittel feststehen.403 Zwar wird mitunter angenommen, Aufsichtsbehörde sei die beleihende Stelle,404 und es wird angenommen, dass sich der Umfang von Aufsichtsbefugnissen gewohnheitsrechtlich bestimmen lasse.405 Eine automatische Behördenzuständigkeit erscheint aber mit dem institutionellen Gesetzesvorbehalt406 nur schwer vereinbar. Außerdem müsste, da die Beleihung des Deutschen Apothekerverbandes in § 129 SGB V als Parlamentsgesetz erfolgt, dann der Bundestag die Aufsicht führen.407 Weiterhin berührt die Statuierung einer Aufsicht Grundrechte des Beliehenen, sodass der Vorbehalt des Gesetzes eine gesetzliche Regelung der Aufsicht verlangt.408 Nur wenn das Bestehen einer Aufsicht dem Grunde nach angeordnet und alleine die Aufsichtsmittel nicht näher spezifiziert sind, ist es möglich, bestimmte Aufsichtsmittel gewohnheitsrechtlich als gegeben anzusehen.409 In Betracht kommt aber, dass das Bundesministerium für Gesundheit, das über den GKV-Spitzenverband die Rechtsaufsicht führt, mithilfe der ihm gegenüber 398 Dreier/Dreier, Art.  20 GG (Demokratie)  Rn.  112; Sachs/Sachs, Art.  20 GG Rn.  41; v. Mangoldt/Klein/Starck/Sommermann, Art. 20 GG Rn. 168; Böckenförde, in: Handbuch des Staatsrechts, Bd. II, § 24 Rn. 21 f.; BVerfGE 130, 76 (124); 135, 317 (429). 399 Axer, S. 302. 400 § 217d I 1, II 2 SGB V i. V. m. § 87 I 2 SGB IV. 401 Dieses Problem stellt sich in einer Vielzahl von Fällen, in denen es zur Beteiligung privater Verbände an Rechtsetzung im Sozialrecht kommt. Allgemein dazu Huster, KrV 2013, S. 1 (6). – Bezogen auf § 112 SGB V Quaas, NZS 1995, S. 482 (484 f.); Rüfner, NJW 1989, S. 1001 (1006). Weitere Beispiele bei Wiegand, Beleihung, S. 194 ff. – Bezogen auf das SGB XI Weber, S. 256 ff.; Axer, GesR 2015, S. 193 (195). 402 Freitag, S. 155. Vgl. auch Bansch, S. 151; Steiner, S. 283. Offengelassen von BVerfGE 130, 76 (127). 403 Weber, S. 257; Wiegand, Beleihung, S. 202, 212 f.; Huster, KrV 2013, S. 1 (6). 404 Freitag, S. 154 405 Huber, Bd. I, S. 188 f. 406 Zum institutionellen Gesetzesvorbehalt s. Jarass/Pieroth/Jarass, Art.  20 GG Rn.  76; Maunz/Dürig/F. Kirchhof, Art. 83 GG Rn. 33 ff.; Sachs/Sachs, Art. 20 GG Rn. 117; Ohler, AöR 2006, S. 336 ff. 407 Vgl. auch Weber, S. 258. 408 Kahl, S.  503 ff.; Pieper, S.  281 ff.; Schnapp, NZS 2011, S.  561 (561, 565). Vgl. auch Schmidt, S. 190. 409 Kahl, S. 505; unter Rekurs auf eine verfassungskonforme Auslegung BVerfGE 130, 76 (127 f.).

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dem GKV-Spitzenverband zustehenden Aufsichtsmittel zugleich das Verhalten des Deutschen Apothekerverbandes mittelbar kontrollieren kann. Sollten vorliegend mittelbare Einflussmöglichkeiten des GKV-Spitzenverbandes auf das Handeln des Deutschen Apothekerverbandes existieren und sollte das Demokratie­prinzip gegenüber mittelbaren Einflussmöglichkeiten offen sein, könnte die Tätigkeit des Deutschen Apothekerverbandes trotz Fehlens einer förmlichen Aufsichtsanordnung in ausreichendem Maße einer Aufsicht unterstehen, wie sie zur Vermittlung materiell-demokratischer Legitimation notwendig ist. a) Offenheit des Demokratieprinzips für atypische oder neue Aufsichtsformen Fraglich ist, ob mittelbare Einwirkungsmöglichkeiten eine förmlich angeordnete Aufsicht bei der Vermittlung materiell-demokratischer Legitimation ersetzen können. Die Ministerialverwaltung, die häufig als das verfassungsrechtliche Grundmodell für die Vermittlung demokratischer Legitimation angesehen wird,410 operiert zwar mit „klassischen“ Aufsichtsmitteln, die unmittelbar gegenüber dem Aufsichtsunterworfenen zum Tragen kommen, doch stellt sich die Frage, ob das Demokratieprinzip deshalb zwangsläufig alternativen Kontrollmechanismen ablehnend gegenübersteht.411 Das Demokratieprinzip wird normstrukturell oft als Rechtsprinzip angesehen.412 Prinzipien unterscheiden sich von ihrem Gegenstück, den Rechtsregeln, dadurch, dass diese eindeutige Festsetzungen enthalten, während jene lediglich Optimierungsgebote aufstellen. Es wird nur eine Zielvorgabe formuliert – im Falle des Demokratiegebotes: Rückbindung staatlicher Entscheidungen an den Volkswillen –, der Weg zur Zielerreichung aber freigestellt.413 Selbst wenn differenzierend nur das in Art. 20 I GG enthaltene allgemeine Demokratieprinzip als Rechtsprinzip gedeutet, aber das in Art. 20 II GG niedergelegte Erfordernis der demokratischen Legitimation staatlichen Handelns als Rechtsregel angesehen wird,414 wäre diese Regel immer noch sehr offen formuliert.415 Das Demokratieprinzip ist deshalb im Hinblick auf die Art und Weise, in der demokratische Legitimation vermittelt wird, entwicklungsoffen.416 Für die Legiti­ 410 Schmidt, S. 332; Dreier/Dreier, Art. 20 GG (Demokratie) Rn. 121; Maunz/Dürig/Grzeszick, Art. 20 GG II Rn. 139. 411 Nach Kahl, S. 485 f., ist die Reduktion der Legitimationsfrage auf das im Weisungs- und Aufsichtswege durchgesetzte Gesetz fragwürdig und von der Verengung auf das Idealbild der Ministerialverwaltung zu lösen. 412 Kahl, S. 486; Unger, S. 168 f., 227; BVerfGE 107, 59 (91). 413 Zu der Unterscheidung von Regeln und Prinzipien s. Alexy, S. 71 ff.; Borowski, S. 68 ff. 414 Maunz/Dürig/Grzeszick, Art. 20 GG II Rn. 160. 415 Maunz/Dürig/Grzeszick, Art. 20 GG II Rn. 169 f. 416 Unger, S. 227; Maunz/Dürig/Grzeszick, Art. 20 GG II Rn. 170; BVerfGE 107, 59 (91).

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mation der Ausübung von Staatsgewalt verlangt es keine bestimmte Form der Legitimationsvermittlung, sondern nur ein hinreichend hohes Legitimationsniveau im Sinne eines hinreichend effektiven Einflusses des Volkes auf das Staatshandeln.417 Defizite innerhalb eines Legitimationsstranges können durch Verstärkung des anderen ausgeglichen werden.418 Die Offenheit des Demokratieprinzips geht so weit, dass selbst im Bereich der unmittelbaren Staatsverwaltung Abweichungen vom Regelmodell der Ministerialverwaltung zulässig sind; zulässig ist etwa die Errichtung kollegialer anstelle hierarchisch-bürokratischer Organisationseinheiten.419 Bei der Errichtung solcher Entscheidungsgremien an der Stelle einer klassischen Behörde ist es zudem möglich, auf das für die Ministerialverwaltung kennzeichnende Weisungsrecht zu verzichten und dessen Fehlen durch ein Ersatzvornahmerecht zu kompensieren, solange dadurch ein hinreichender Einfluss auf das Verwaltungshandeln sichergestellt ist.420 In begrenztem Maße kann es selbst im Bereich der unmittelbaren Staatsverwaltung zulässig sein, von der Regelanforderung uneingeschränkter personeller Legitimation durch lückenlose Ernennungsketten abzuweichen.421 Weist somit das Demokratieprinzip nur in geringem Maße absolut feststehende Inhalte auf, liegt es aber nahe, dass es ebenfalls keine Beschränkung auf bestimmte Arten „typischer“ Aufsichtsmittel kennt. Maßgeblich ist vielmehr nur, dass das jeweils in Frage stehende Mittel zur Einflussnahme der unmittelbar vom Parlament abhängigen Verwaltungsspitze eine hinreichend effektive Einwirkung auf die nachgeordneten Stellen erlaubt.422 So werden in Fällen der Organisationsprivatisierung kommunaler Verwaltungsangelegenheiten die gesellschaftsrechtlichen Einwirkungsmöglichkeiten der privatisierenden Gemeinde gegenüber der juristischen Person des Privatrechts als zulässige Äquivalente bzw. Surrogate für tradierte Aufsichtsmittel423 oder sogar unmittelbar als Aufsichtsmittel424 betrachtet. Im Falle einer solchen Organisationsprivatisierung durch die Gemeinde kann gleichzeitig die Kommunalaufsichtsbehörde nur mittelbar Aufsicht über den

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Maunz/Dürig/Grzeszick, Art.  20 GG  II  Rn.  117, 126; Böckenförde, in: Handbuch des Staatsrechts, Bd. II, § 24 Rn. 14; BVerfGE 83, 60 (72); 107, 59 (87); 119, 331 (366); 135, 155 (222); 136, 194 (262). 418 Dreier/Dreier, Art. 20 GG (Demokratie) Rn. 113; Maunz/Dürig/Grzeszick, Art. 20 GG II Rn. 127; Böckenförde, in: Handbuch des Staatsrechts, Bd. II, § 24 Rn. 23; BVerfGE 83, 60 (72); 119, 331 (366); 130, 76 (124); 135, 155 (222). 419 Scriba, S. 159; Unger, S. 135, 218 f.; Böckenförde, in: Handbuch des Staatsrechts, Bd. II, § 24 Fn. 37. Vgl. auch Classen, S. 9 ff. 420 Schmidt, S. 197; Maunz/Dürig/Grzeszick, Art. 20 GG II Rn. 149, 215. 421 BVerfGE 135, 155 (223). 422 Unter diesem Gesichtspunkt diskutiert Jestaedt, S. 542 ff., die verschiedenen Aufsichts­ mittel. Ebenfalls von „Ingerenzrechten“ spricht BVerfGE 83, 60 (73). 423 Scriba, S. 160, 162; Trute, S. 472; ähnlich Dreier, S. 258 ff., 294 f. Vgl. auch BVerfGE 136, 194 (266 f.), wo ein gesellschaftsvertraglich begründeter Informationszugang als ausreichende Grundlage für die Wahrnehmung von Gewährleistungsverantwortung angesehen wird. 424 Kahl, S. 278.

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privatrechtlich verfassten Verwaltungsträger ausüben, indem sie die Gemeinde zwingt, von ihren Einwirkungsmöglichkeiten Gebrauch zu machen.425 Das Bundesverfassungsgericht hat in jüngerer Zeit angedeutet, dass bei der Beleihung einer juristischen Person des Privatrechts mit hoheitlichen Befugnissen im Bereich der unmittelbaren Staatsverwaltung gesellschaftsrechtliche Einwirkungsmöglichkeiten staatlicher Stellen zumindest dann zur Vermittlung sachlich-demokratischer Legitimation geeignet sein können, solange nur untergeordnete Entscheidungen betroffen sind.426 Auch jenseits der Fälle gesellschaftsrechtlicher Einwirkungsmöglichkeiten werden funktionale Aufsichtsäquivalente diskutiert.427 Ein statisches Konzept der Verwaltungskontrolle existiert daher nicht.428 Neben die klassischen Aufsichtsmittel können neue Formen der Aufsicht treten.429 Auch mittelbaren oder indirekten Aufsichtsmaßnahmen steht das Demokratieprinzip nicht von vornherein entgegen.430 Es ist weiterhin nicht erforderlich, dass ein Ingerenzmittel nach der Intention des Gesetzgebers spezifisch als Aufsichtsmittel konzipiert wurde. Entscheidend ist alleine, wie effektiv das in Frage stehende Mittel eine Intervention der ihrerseits dem Parlament verantwortlichen Verwaltungsspitze auf das aufsichtsbedürftige Handeln erlaubt. Das Unterschreiten einer hinreichenden Effektivität bildet die Grenze, ab der alternative Kontrollstrukturen nicht mehr in der Lage sind, demokratische Legitimation zu vermitteln.431 Als Maßstab für die gebotene Effektivität wird man sich an dem Effektivitätsniveau zu orientieren haben, das die klassischen, vom Verfassungsgeber vorgefundenen Aufsichtsmittel bieten.

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Scriba, S. 162. Schmidt, S. 410 f., stellt aber einen Effektivitätsverlust fest. BVerfGE 130, 76 (126, 130). Allerdings wird – da bereits auf anderem Wege eine hinreichend hohe materielle Legitimation vermittelt wurde – nicht klar, ob das BVerfG diese Einwirkungsmöglichkeit als einzige Kontrollmöglichkeit hätte genügen lassen. 427 Pitschas, DÖV 1998, S. 907 (914). Ebenso Çalışkan, S. 217. 428 Pitschas, DÖV 1998, S. 907 (908). Nach Kahl, S. 383, gibt es „die“ Staatsaufsicht nicht. Der Gesetzgeber habe eine Einschätzungsprärogative bei der Festlegung der Aufsichtsmittel, ders, S. 387. 429 Scriba, S. 159; Pitschas, DÖV 1998, S. 907 (915). 430 Axer, GesR 2015, S. 193 (196). S. auch Kahl, S. 387 („direkte und indirekte Aufsichtsmittel“). – Mittelbare Aufsicht erwägen im Zusammenhang mit der Bundesärztekammer Berger, S. 64 f., und im Zusammenhang mit Entscheidungen der Schiedsperson nach § 73b SGB V Buchner/Spiegel, NZS 2013, S. 1 (5). – Nicht gänzlich ablehnend gegenüber mittelbarer Aufsicht ebenfalls Wiegand, Beleihung, S. 221, die aber im konkret behandelten Fall die Möglichkeiten mittelbarer Aufsicht für ungenügend hält. – Keine Bedenken gegenüber informalen Aufsichtsmitteln hat im Hinblick auf das Demokratieprinzip wohl auch Pieper, S. 434 ff. 431 Kahl, S. 491, Fn. 117; Scriba, S. 160; Axer, GesR 2015, S. 193 (196); vgl. auch Çalışkan, S. 214 ff.; Trute, S. 372 f. S. auch Kahl, in: Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. III, § 47 Rn. 213. 426

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Kap. 2: Das Kollektivvertragsrecht des § 129 SGB V

b) Rechtsaufsicht als Aufsichtsmaßstab Da der GKV-Spitzenverband nur einer Rechts-, nicht aber einer Fachaufsicht untersteht, könnte auch das Handeln des Deutschen Apothekerverbandes allenfalls einer Rechtskontrolle des BMG unterliegen. Es wird aber teilweise vertreten, dass das Demokratieprinzip eine Fachaufsicht über beliehene Private verlange, um sicherzustellen, dass der Beliehene ausschließlich gemeinwohlorientiert und nicht in privatnütziger Absicht handle.432 Das Fachaufsichtserfordernis ist indessen eng verknüpft mit der unmittelbaren Staatsverwaltung.433 So wird es für Träger funktionaler Selbstverwaltung für ausreichend gehalten, dass sie einer Rechtsaufsicht unterliegen.434 Durch Statuierung einer Fachaufsicht würde der mit der Einrichtung von Selbstverwaltungskörperschaften verfolgte Zweck, den Sachverstand der Betroffenen zu aktivieren, ausgehebelt.435 Die funktionale Selbstverwaltung diene der Selbstbestimmung der Betroffenen und verstärke insofern das demokratische Prinzip.436 Sofern sich die Tätigkeit eines beliehenen privatrechtlichen Verbandes als funktionale Selbstverwaltungstätigkeit begreifen lässt, wird dementsprechend das Bestehen einer Rechtsaufsicht über den Verband für ausreichend gehalten.437 Bei der Vereinbarung des Rahmenvertrages handelt es sich zwar insoweit um eine besondere Form der Selbstverwaltung, als in der „gemeinsamen“ sozialen Selbstverwaltung anders als in der herkömmlichen funktionalen Selbstverwaltung Vertreter heterogener Interessen zusammenwirken müssen.438 Wie die funktionale Selbstverwaltung bezweckt jedoch auch die soziale Selbstverwaltung die Einbeziehung des Sachverstands der Betroffenen.439 Letztlich lässt sich für das grundsätzliche Ausreichen einer Rechtsaufsicht im Bereich der sozialen Selbstverwaltung anführen, dass die vom Verfassungsgeber vorgefundenen Akteure des Sozialversicherungssystems der Weimarer Zeit nur einer Rechtsaufsicht unterworfen waren440 und dass das Grundgesetz in Art. 87 II GG zu erkennen gibt, dass es die vorgefundenen Strukturen des Sozialversicherungsrechts anerkennt. Art. 87 II GG gebietet deshalb alleine das Bestehen einer 432

Bansch, S.  152; Steiner, S.  283; ebenfalls für ein Fachaufsichtserfordernis Fahlbusch, S. 174 f.; Freitag, S. 156 ff. 433 Wiegand, Beleihung, S. 211. 434 Dreier/Dreier, Art. 20 GG (Demokratie) Rn. 129; Maunz/Dürig/Grzeszick, Art. 20 GG II Rn. 174; Böckenförde, in: Handbuch des Staatsrechts, Bd. II, § 24 Rn. 34; Hendler, in: Handbuch des Staatsrechts, Bd. VI, § 173 Rn. 19. Vgl. auch Emde, S. 82, 84. – In der Praxis ist die Aufsicht über funktionale Selbstverwaltungsträger denn auch regelmäßig auf eine Rechtsaufsicht beschränkt: Kahl, in: Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. III, § 47 Rn. 111. 435 Perchermeier, S.  295; Hendler, in: Handbuch des Staatsrechts, Bd.  VI, § 173 Rn.  19. Vgl. dazu auch Köller, S. 198 f. Nach Böckenförde, in: Handbuch des Staatsrechts, Bd. II, § 24 Rn. 33, wirkt in der funktionalen Selbstverwaltung der Gedanke des self-government fort. 436 BVerfGE 107, 59 (91 f.). Vgl. auch Dreier/Dreier, Art. 20 GG Rn. 129. 437 Bansch, S. 153; Huber, Bd. II, S. 536. Vgl. auch Freitag, S. 156 f. 438 Vgl. oben B. V. 439 Vgl. Wiegand, Beleihung, S. 211 ff. 440 Vgl. Axer, S. 306.

C. Verfassungsrechtliche Fragen des Kollektivvertragssystems 

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Rechtsaufsicht über sozialversicherungsrechtliche Normsetzer.441 Es ist deshalb grundsätzlich nicht zu beanstanden, dass der Deutsche Apothekerverband nur einer Rechtskontrolle durch das BMG unterliegen kann. Die Beschränkung der Einwirkungsmöglichkeiten des BMG auf eine Rechtskontrolle wäre nur dann mit dem Demokratieprinzip unvereinbar, wenn der Deutsche Apothekerverband zugleich nur weitmaschigen gesetzlichen Handlungsvorgaben unterliegen würde.442 In diesem Fall bestünde keine hinreichend intensive inhaltliche Kontrolle über dessen Tätigkeit. Insoweit bedingen sich die gebotene Intensität der Aufsicht und die gebotene Dichte der gesetzlichen Handlungsvorgaben als Elemente zur Vermittlung materiell-demokratischer Legitimation wechselseitig.443 Eine einfachrechtliche Übertragung von Rechtsetzungsmacht auf Verwaltungseinheiten wie die Ermächtigung zum Abschluss des Rahmenvertrages muss, auch wenn sie formal nicht zum Erlass von Rechtsverordnungen ermächtigt, aus Gründen des Demokratieprinzips und des Gewaltenteilungsgrundsatzes der Bestimmtheitstrias des Art. 80 I 2 GG genügen.444 Sie muss nach Inhalt, Zweck und Ausmaß hinreichend bestimmt sein. Bei einem derartigen Grad der Normbestimmtheit ist eine Fachaufsicht zur Vermittlung sachlich-demokratischer Legitimation nicht notwendig.445 Von der Beschränkung der Aufsicht über sozialversicherungsrechtliche Normsetzer auf eine Rechtsaufsicht sind deshalb keine Legitimationsdefizite zu befürchten, soweit die Ermächtigungsgrundlage der Bestimmtheitstrias des Art. 80 I 2 GG genügt.446 Die Bestimmtheitstrias des Art. 80 I 2 GG gebietet, dass der gegenständliche Bereich, der Regelungszweck und das Ausmaß der Ermächtigung im ermächtigenden Gesetz festgelegt sind.447 § 129  I SGB  V statuiert mehrere engmaschig formulierte Pflichtinhalte im Hinblick auf die Wirtschaftlichkeit der Arzneimittelabgabe. Im Hinblick auf fakultative Vertragsinhalte macht § 129 I SGB V den Rahmenvertragsparteien keine ausdrücklichen Vorgaben, doch lässt sich die Regelungsbefugnis der Rahmenvertragsparteien unter Berücksichtigung der Entstehungsgeschichte und des Wirtschaftlichkeitsgebots konkretisieren.448 Rahmen­ vertragliche Regelungen müssen in der Lage sein, zu einer ausreichenden, zweckmäßigen und wirtschaftlichen Arzneimittelversorgung beizutragen. Der Gestaltungsspielraum der Rahmenvertragsparteien wird noch dadurch weiter ein 441 Vgl. Maunz/Dürig/Ibler, Art. 87 GG Rn. 191. Eine Beschränkung auf eine Rechtsaufsicht hält sogar für geboten Dreier/Hermes, Art. 87 GG Rn. 64. 442 Vgl. Wiegand, Beleihung, S. 212. 443 Allgemein dazu: Böckenförde, in: Handbuch des Staatsrechts, Bd. II, § 24 Rn. 22; Hebeler, DÖV 2002, S. 936 (939). 444 Axer, S. 379 ff. 445 Wiegand, Beleihung, S. 211 f. 446 Vgl. Wiegand, Beleihung, S. 212. 447 Zur Bestimmtheitstrias s. Sachs/Mann, Art. 80  GG Rn. 23 ff.; Ossenbühl, in: Handbuch des Staatsrechts, Bd. V, § 103 Rn. 20 ff.; Uhle, in: Kluth/Krings, § 24 Rn. 47 ff. 448 Vgl. dazu oben B. I. 5.

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Kap. 2: Das Kollektivvertragsrecht des § 129 SGB V

geschränkt, dass sich bereits dem Gesetz selbst viele Vorgaben für die Arzneimittelabgabe entnehmen lassen, denen rahmenvertragliche Regelungen nicht widersprechen dürfen; rahmenvertraglichen Regelungen kommt aus diesem Grund oftmals nur insoweit eine eigenständige Bedeutung zu, als erst die Aufnahme entsprechender Vorgaben in den Rahmenvertrag Sanktionen bei Zuwiderhandlungen ermöglicht.449 Die in § 129 SGB V enthaltene Ermächtigung zur Normsetzung ist daher nach Inhalt, Zweck und Ausmaß hinreichend bestimmt.450 Eine Beschränkung der Kontrollmöglichkeiten des BMG gegenüber dem Deutschen Apothekerverband auf eine Rechtskontrolle würde deshalb nicht zu einem Defizit sachlichdemokratischer Legitimation führen. Es ist somit festzuhalten, dass das Bestehen einer indirekt-mittelbaren Rechtsaufsicht über den Deutschen Apothekerverband ausreichend wäre, um dem Rahmenvertrag materiell-demokratische Legitimation zu verleihen. c) Aufsichtsrechtlich zu bewältigende Fallkonstellationen In Bezug auf die Normsetzungstätigkeit des Deutschen Apothekerverbandes müssen unterschiedliche Situationen aufsichtsrechtlich bewältigt werden können.451 Zunächst ist der Fall denkbar, dass der Deutsche Apothekerverband im Begriff ist, eine rechtswidrige Vertragsbestimmung zu vereinbaren, also aktiv eine Rechtsverletzung zu begehen. Den Deutschen Apothekerverband trifft in diesem Fall eine Pflicht, die Vereinbarung der Norm zu unterlassen. Weiterhin können den Deutschen Apothekerverband als Normsetzer Normsetzungspflichten und damit Pflichten zu aktivem Tätigwerden treffen: Das SGB  V statuiert Pflichtinhalte für den Rahmenvertrag und es sind rechtswidrig gewordene Normen des Rahmenvertrages aufzuheben. Aufzuheben sind außerdem anfänglich rechtswidrig erlassene Normen. Das Demokratieprinzip gebietet nicht nur die Kontrolle aktiven Staatshandelns, sondern verlangt auch, dass derartige Unterlassungen von Hoheitsträgern innerhalb ihres Kompetenzbereichs einer Kontrolle unterliegen.452 d) Ingerenzmittel bei drohender Vereinbarung rechtswidriger Vertragsinhalte Falls der Deutsche Apothekerverband im Begriff ist, einen rechtswidrigen Vertragsinhalt zu vereinbaren, stellt sich die Situation wie folgt dar: Der GKV-Spitzenverband als Vertragspartner des Deutschen Apothekerverbandes untersteht der 449

s. dazu oben B. IV. 1. sowie unten Kapitel 3 A. IV. Vgl. auch Wodarz, in: Handbuch des Krankenversicherungsrechts, § 27 Rn. 49, 50: § 129 I SGB V gebe dem Bestimmtheitsgrundsatz folgend die wesentlichen Pflichten der Apotheker vor. 451 s. zum Folgenden auch Axer, GesR 2015, S. 193 (195). 452 Schliesky, S.  255 mit Fn.  675; Schmidt, S.  47 f. Vgl. auch Schröder, in: Handbuch des Staatsrechts, Bd. III, § 65 Rn. 57. 450

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unmittelbaren Rechtsaufsicht des BMG.453 Nach § 89 I SGB IV kann das BMG aufsichtsrechtlich tätig werden, wenn der GKV-Spitzenverband durch sein Handeln das Recht verletzt. Über den Wortlaut von § 89 I SGB V hinaus stehen dem BMG schon bei drohenden Rechtsverletzungen Aufsichtsbefugnisse zu.454 Zwar könnte der Wortlaut „verletzt“ darauf hindeuten, dass ein Versicherungsträger aktuell gegen geltendes Rechts verstoßen muss, damit die Aufsichtsbehörde eingreifen darf.455 Der Zweck der Aufsichtsanordnung, die Gesetzmäßigkeit des Verwaltungshandelns sicherzustellen, gebietet aber, dass die Aufsichtsbehörde bereits bei sich abzeichnenden Rechtsverletzungen tätig werden kann.456 Als Aufsichtsmittel stehen dem BMG insbesondere Auskunfts- und Anordnungsrechte zur Verfügung.457 Das Zustandekommen einer rahmenvertraglichen Regelung erfordert notwendig eine entsprechende Willenserklärung des GKV-Spitzenverbandes. Durch Erlass einer Anordnung, dass der GKV-Spitzenverband einer Vertragsbestimmung nicht zustimmen darf, kann das BMG einen rechtswidrigen Vertragsinhalt selbst dann verhindern, wenn die drohende Rechtsverletzung ihren Ursprung in der Sphäre des Deutschen Apothekerverbandes hat. Eine Ermessensprüfung, für die es notwendig wäre, dass das BMG auch die subjektiven Motive der Akteure auf Seiten des Deutschen Apothekerverbandes kennt – vor allem auf sachfremde Erwägungen als Ermessensfehler kann ein Rechtsakt nur überprüft werden, wenn die subjektiven Motive des handelnden Amtswalters bekannt sind458  –, erfolgt bei Rechtsnormen nicht.459 Die Ermessensfehlerlehre ist nur auf Einzelakte, nicht hingegen auf Rechtsnormen als abstrakt-generelle Regelungen zugeschnitten.460 Die dargestellte Verhinderungsmöglichkeit steht einem unmittelbar gegenüber dem Deutschen Apothekerverband bestehenden Anordnungsrecht somit an Effektivität in nichts nach.461 Das BMG ist deshalb in der Lage, über die Tätigkeit des 453

§ 217d II 2 SGB V i. V. m. § 87 I 2 SGB IV. Eichenhofer/Wenner/Marschner, § 89 SGB  V Rn.  5; jurisPK-SGB  IV/Engelhard, § 89 SGB IV Rn. 35; Krauskopf/Baier, § 89 SGB IV Rn. 3. 455 So im Ergebnis Hauck/Noftz/Fattler, § 89 SGB V Rn. 4a. 456 JurisPK-SGB IV/Engelhard, § 89 SGB IV Rn. 35; Schirmer/Kater/Schneider, Aufsichtsmittel nach § 89 SGB  IV (350), S.  4.  – Nach Ansicht des BSG beinhaltet die Befugnis der Aufsichtsbehörde zur „Behebung“ der Rechtsverletzung auch die Befugnis, den Selbst­ verwaltungsträger präventiv für die Zukunft zu verpflichten, die Rechtsverletzung nicht mehr zu begehen: BSGE 90, 162 (169); 102, 281 (283). – Für die Zulässigkeit präventiver Aufsichtsmaßnahmen auch Krauskopf/Baier, § 89 SGB IV Rn. 3. 457 § 217d II 2 SGB V i. V. m. § 89 I SGB IV. 458 Zur Feststellung sachfremder Erwägungen ist es notwendig, den Zweck zu kennen, den eine staatliche Stelle mit einer Maßnahme verfolgt hat. Vgl. dazu Maurer, § 7 Rn. 22; Jestaedt, in: Ehlers/Pünder, § 11 Rn. 61. 459 Axer, GesR 2013, S. 211 (215 f.). 460 Ossenbühl, in: Handbuch des Staatsrechts, Bd.  V, § 103 Rn.  40 ff.; Axer, GesR 2013, S. 211 (215). S. auch Maurer, § 7 Rn. 13: Die Ermessensfehlerlehre bezwecke die Herstellung von Einzelfallgerechtigkeit. 461 Dagegen für den Krankenhausbereich ohne nähere Begründung ablehnend SchlichtnerWicker, S. 348. 454

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Kap. 2: Das Kollektivvertragsrecht des § 129 SGB V

Deutschen Apothekerverbandes bei der Vereinbarung einer Vertragsbestimmung mittelbar Rechtsaufsicht auszuüben.462 e) Ingerenzmittel bei Nicht-Vereinbarung pflichtiger Vertragsbestimmungen Weiterhin bedarf es effektiver Ingerenzmöglichkeiten für den Fall, dass sich der Deutsche Apothekerverband dem Erlass einer pflichtigen Vertragsbestimmung entzieht. Gegen pflichtwidriges normsetzerisches Unterlassen des Deutschen Apothekerverbandes hilft die soeben dargestellte Einwirkungsmöglichkeit des BMG nicht weiter.463 Allerdings kann das Bundesministerium für Gesundheit bei fehlender Einigung über eine pflichtige Vertragsbestimmung ein Schiedsverfahren einleiten. Hierzu kann es nach § 129 VII SGB V den Rahmenvertragsparteien eine Frist setzen. Kommt innerhalb der Frist eine Entscheidung nicht zustande, beginnt gemäß § 6  III  SchStV am darauffolgenden Tag das Schiedsverfahren. Das Schiedsverfahren endet mit dem Erlass einer Regelung durch die Schiedsstelle. Diese Erzwingung eines Schiedsverfahrens könnte als hinreichend effektives Aufsichtsmittel gegen pflichtwidriges Unterlassen des Deutschen Apothekerverbandes anzusehen sein.464 aa) Das Schiedsverfahren als grundsätzlich effektives Ingerenzmittel Mit der Schiedsstelle wird eine staatliche Behörde angerufen, deren Zweck darin besteht, regelungslose Zustände zügig zu überwinden.465 Gemäß § 8  IV SchStV hat die Schiedsstelle binnen einer Frist von einem Monat zu entscheiden. Das BMG würde nicht wesentlich weniger Zeit benötigen, wenn es selbst anstelle der Rahmenvertragsparteien eine Regelung im Wege der Ersatzvornahme erlassen müsste. Die Durchführung des Schiedsverfahrens hat somit dieselbe Wirkung wie eine Ersatzvornahme durch das BMG.466 Mit der Durchführung eines Schiedsverfahrens lässt sich deshalb grundsätzlich in effektiver Weise einem pflichtwidrigen Unterlassen des Deutschen Apothekerverbandes begegnen.

462

Für Verträge nach § 39a SGB V Föllmer, S. 72 f. – Für Verträge nach dem SGB XI Axer, GesR 2015, S. 193 (195). – Zweifelnd erwogen von für vom GKV-Spitzenverband geschlossenen Verträgen von Huster, KrV 2013, S. 1 (6). – Allgemein, aber ablehnend, für die Beteiligung von Privaten an Normenverträgen erwogen von Sachs, VerwArch 1983, S. 25 (48). 463 Vgl. allgemein Sachs, VerwArch 1983, S. 25 (48). 464 Erwogen bei Huster, KrV 2013, S.  1 (6), bezogen auf die Rahmenvereinbarung nach § 130b IX SGB V. – Für Verträge nach dem SGB XI Axer, GesR 2015, S. 193 (195 f.). 465 Vgl. Engelmann, in: Handbuch des sozialrechtlichen Schiedsverfahrens, Rn. 346. 466 Vgl. Reuther, S. 60; Weber, S. 259; Kasseler Kommentar/Hess, § 89 SGB V Rn. 22.

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bb) Maßnahmen gegen Untätigkeit der Schiedsstelle Allerdings enthalten weder § 129 SGB  V noch die Schiedsstellenverordnung eine ausdrückliche Regelung für den Fall, dass die Schiedsstelle ihrerseits pflichtwidrig untätig bleiben sollte. Nach § 129 X 1 SGB V unterliegt die Schiedsstelle jedoch der Geschäftsführungsaufsicht des Bundesministeriums für Gesundheit. Die Geschäftsführungsaufsicht erstreckt sich darauf, ob die Schiedsstelle die Vorgaben von § 129 VIII, IX SGB V und der Schiedsstellenverordnung beachtet,467 d. h., ob Organisation und Mitgliederbestellung rechtmäßig erfolgt sind und die laufenden verwaltungstechnischen Arbeiten ordnungsgemäß erledigt werden.468 Fasst die Schiedsstelle binnen eines Monats keinen Beschluss, kann der darin liegende Verstoß gegen § 8  IV SchStV somit geschäftsführungsaufsichtsrechtlich sanktioniert werden469. Welche Aufsichtsmittel dem BMG im Rahmen der Geschäftsführungsaufsicht zur Verfügung stehen, ist in § 129 X SGB V nicht näher ausgeführt. Teilweise wird § 129 X SGB V deshalb so ausgelegt, dass dem BMG nur Aufsichtsmittel ohne Eingriffscharakter und damit letztlich nur Informationsrechte zustehen sollen.470 Diese restriktive Interpretation von § 129 X SGB V hätte jedoch zur Folge, dass mangels Existenz rechtlich verbindlich wirkender Aufsichtsmittel eine effektive Geschäftsführungsaufsicht nicht ausgeübt werden kann. Der pauschalen Anordnung der Geschäftsführungsaufsicht lässt sich vielmehr entnehmen, dass dem BMG die tradierten Mittel der Geschäftsführungsaufsicht zustehen sollen.471 Hierzu zählt insbesondere ein Beanstandungsrecht.472 Ein Verstoß gegen die Pflicht zur Entscheidung binnen Monatsfrist kann daher eine Beanstandung nach sich ziehen. Ein Selbsteintrittsrecht, das es dem BMG gestatten würde, selbst anstelle der Schiedsstelle eine Regelung zu erlassen, und wie es in § 89 I 5 SGB V in Bezug auf das Schiedsamt in der vertragsärztlichen Versorgung normiert ist – nach dieser Vorschrift kann die Aufsichtsbehörde eine Regelung erlassen, wenn das Schiedsamt nicht binnen einer von der Aufsichtsbehörde gesetzten Frist zu einer Entscheidung gelangt  –, zählt zu diesen herkömmlichen Aufsichtsmitteln zwar nicht.473 Jedoch ist ein Selbsteintrittsrecht zur Vermittlung demokratischer Legitimation nicht unerlässlich. So wird in der Ministerialverwaltung für die Vermittlung von 467 Düring, S. 79; BeckOK SozR/v. Dewitz, § 129 SGB V Rn. 36; Hauck/Noftz/Luthe, § 129 SGB V Rn. 74; jurisPK-SGB V/Schneider, § 129 SGB V Rn. 30; Kasseler Kommentar/Hess, § 129 SGB V Rn. 24; Spickhoff/Barth, § 129 SGB V Rn. 20. 468 JurisPK-SGB V/Wahl, § 114 SGB V Rn. 33. 469 Hingegen macht die Überschreitung der Monatsfrist einen anschließend gefassten Beschluss nicht rechtswidrig, Engelmann, in: Handbuch des sozialrechtlichen Schiedsverfahrens, Rn. 354. 470 Schnapp, in: Handbuch des sozialrechtlichen Schiedsverfahrens, Rn. 32 ff. 471 Speziell für die Anordnung von Geschäftsführungsaufsicht Hofmann, Schiedsamt, S. 103. Allgemein Kahl, S. 505; BVerfGE 130, 76 (127 f.). 472 Hofmann, Schiedsamt, S. 103; Hess/Venter, § 368b II 2. 473 Vgl. Hofmann, Schiedsamt, S. 103.

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Kap. 2: Das Kollektivvertragsrecht des § 129 SGB V

Legitimation vor allem das Weisungsrecht als maßgeblich angesehen, Selbsteintrittsrechten dagegen nur eine untergeordnete Bedeutung zugemessen.474 Das Pendant zur Weisung bilden vorliegend die Anrufung der Schiedsstelle sowie die Beanstandung der Untätigkeit; beide bringen die Aufforderung des BMG zum Ausdruck, das Schiedsverfahren zu betreiben. Erforderlich, um der Einhaltung der Monatsfrist Nachdruck zu verleihen, scheint aber, dass Schiedsstellenmitglieder abberufen werden können, die es unterlassen, das Schiedsverfahren voranzutreiben.475 Nach § 3 I SchStV können Mitglieder der Schiedsstelle aus wichtigem Grund durch das BMG abberufen werden. Als wichtiger Grund ließe sich pflichtwidriges Verhalten ansehen. Allerdings ist nach § 3 I SchStV die Abberufung von einem vorausgehenden Antrag einer Vertragspartei abhängig. Das Antragserfordernis scheint einem effektiven aufsichtsrechtlichen Einschreiten des BMG entgegenzustehen.476 Da die Schiedsstellenverordnung keine näheren Regelungen über die Geschäftsführungsaufsicht enthält und auch das Abberufungsrecht nach § 3 dort nicht als Aufsichtsmaßnahme bezeichnet ist, dürfte § 3  I  SchStV aber schon nicht als Aufsichtsmittel konzipiert sein. Vielmehr erlaubt die Vorschrift die Abberufung von Mitgliedern, weil und soweit sie das Vertrauen der Vertragsparteien nicht mehr genießen, und soll damit ein möglichst spannungsfreies Schiedsverfahren sicherstellen. Eine  – von einem Antrag der Vertragsparteien unabhängige  – Abberufungsbefugnis als Aufsichtsmittel lässt sich aber unmittelbar aus der Anordnung der Geschäftsführungsaufsicht in § 129 X 1 SGB V ableiten: Zum einen dürfte die Abberufung von pflichtwidrig handelnden Schiedsstellenmitgliedern eine hergebrachte Maßnahme der Geschäftsführungsaufsicht darstellen.477 Jedenfalls im Wege der verfassungskonformen Auslegung im Hinblick auf das Demokratieprinzip, das eine effektive Kontrolle auch über Unterlassungen von Hoheitsträgern verlangt, lässt sich die Existenz eines Abberufungsrechts in § 129 X 1 SGB V hinein­lesen, da ein solches Abberufungsrecht erforderlich ist, um rechtswidrigen Verschleppungen des Schiedsverfahrens effektiv begegnen zu können.478 cc) Maßnahmen gegen rechtswidrige Festsetzungen der Schiedsstelle Denkbar ist weiterhin, dass die Schiedsstelle am Ende des Schiedsverfahrens zwar einen Schiedsspruch erlässt, der Schiedsspruch aber einen rechtswidrigen Inhalt hat. Das Schiedsverfahren kann nur dann als effektives rechtsaufsichtsrecht 474

Vgl. Jestaedt, S. 342 f. Zum Abberufungsrecht als Aufsichtsmittel s. BeckOK SozR/v. Dewitz, § 129 SGB  V Rn. 37. 476 Vgl. BeckOK SozR/v. Dewitz, § 129 SGB V Rn. 37. 477 Vgl. Düring, S. 77 f. 478 Zur verfassungskonformen Auslegung von Aufsichtsanordnungen vor dem Hintergrund des Demokratieprinzips s. BVerfGE 130, 76 (127 f.). 475

C. Verfassungsrechtliche Fragen des Kollektivvertragssystems 

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liches Mittel gegen Unterlassungen des Deutschen Apothekerverbandes angesehen werden, wenn der Schiedsspruch seinerseits durch das BMG inhaltlich geprüft werden kann.479 Die dem BMG gegenüber der Schiedsstelle zukommende Geschäftsführungsaufsicht umfasst keine inhaltliche Kontrolle des Schiedsspruchs.480 Hintergrund dieses beschränkten Prüfungsumfangs ist, dass die Anordnung einer Geschäftsführungsaufsicht – obgleich Instrumente der Geschäftsführungsaufsicht aufgrund ihrer Wirkungsweise in der Lage sein können, sachlich-demokratische Legitimation zu vermitteln481 – ihrer traditionellen Konzeption nach weniger auf die Vermittlung demokratischer Legitimation ausgerichtet ist, sondern in erster Linie gewährleisten soll, dass Schiedssprüche objektiv sowie frei von Beeinflussung ergehen.482 Außerdem soll die Geschäftsführungsaufsicht die Handlungsfähigkeit der Schiedsstelle sicherstellen.483 Der reduzierte Aufsichtsumfang soll dabei der besonderen Unabhängigkeit einer Schiedsstelle Rechnung tragen.484 Die Festsetzungen der Schiedsstelle werden aber zugleich den Rahmenvertragspartnern als eigene Vereinbarung zugerechnet.485 Im Verhältnis zwischen dem BMG und den Rahmenvertragspartnern sind deshalb aufsichtsrechtliche Maßnahmen zulässig, die an die Rechtswidrigkeit des Schiedsspruchs in seiner Eigenschaft als zwangsweise festgesetzter Inhalt des Rahmenvertrags anknüpfen.486 Da der Schiedsspruch insoweit als Rechtsnorm und nicht in seiner Funktion als gegenüber den Vertragsparteien ergangener Verwaltungsakt überprüft wird und auf Rechtsnormen die für Verwaltungsakte entwickelte Ermessensfehlerlehre keine Anwendung findet,487 ist es unschädlich, dass das BMG keine Handhabe hat, um die subjektiven Motive der Schiedsstellenmitglieder – etwa zur Feststellung sachfremder Erwägungen – in Erfahrung zu bringen. Denkbar ist deshalb folgendes Vorgehen: Bei Rechtswidrigkeit des Schiedsspruchs ist die durch den Schiedsspruch gesetzte Rahmenvertragsbestimmung als 479

Für die Normenverträge des SGB XI Weber, S. 259. Düring, S.  79; Hauck/Noftz/Luthe, § 129 SGB  V Rn.  74; jurisPK-SGB  V/Schneider, § 129 SGB V Rn. 30; Kasseler Kommentar/Hess, § 129 SGB V Rn. 24; Spickhoff/Barth, § 129 SGB V Rn. 20; s. auch BeckOK SozR/v. Dewitz, § 129 SGB V Rn. 36. – Aus diesem Grund verneint Huster, KrV 2013, S. 1 (6), bezogen auf die Rahmenvereinbarung nach § 130b IX SGB V, dass die Durchführung eines Schiedsverfahrens als taugliches Aufsichtsmittel angesehen werden kann. 481 s. soeben oben bb), wo gezeigt wurde, dass über die Geschäftsführungsaufsicht rechtswidrigen Unterlassungen der Schiedsstelle entgegengesteuert werden kann. 482 Hess/Venter, § 368k III. 483 JurisPK-SGB V/Wahl, § 114 SGB V Rn. 33. 484 Krauskopf/Knittel, § 124 SGB  V Rn.  5; Hess/Venter, § 368k III. Vgl. auch BeckOK SozR/A. Neumann, § 97 SGB V Rn. 5. 485 Vgl. BSGE 86, 126 (131). 486 Vgl. BSGE 109, 34 (41). 487 s. oben C. III. 2. d). Für das Schiedsamt nach § 89 SGB V Düring/Schnapp, in: Handbuch des sozialrechtlichen Schiedsverfahrens, Rn. 157. Für Geltung der klassischen Ermessensfehlerlehre, aber ohne nähere Begründung Schmiedl, S. 205 ff., im Hinblick auf das Schiedsamt nach § 89 SGB V. 480

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Kap. 2: Das Kollektivvertragsrecht des § 129 SGB V

Rechtsnorm unwirksam. Eine wirksame Vertragsbestimmung ist damit nicht zustande gekommen. Das BMG kann deshalb den Rahmenvertragsparteien erneut nach § 129 VII SGB V eine Frist zur Schaffung einer rechtkonformen Vertragsbestimmung setzen und bei Nichteinigung erneut ein Schiedsverfahren einleiten. Strukturell ähnelt dieses Prozedere der Situation, dass über eine Schiedsstelle eine Rechtsaufsicht angeordnet ist und die Aufsichtsbehörde den Schiedsspruch mit kassatorischer Wirkung beanstanden kann und dadurch erneut einen Einigungszwang auslöst488. Insgesamt ist somit festzuhalten, dass die Erzwingung des Schiedsverfahrens durch das BMG als effektives Aufsichtsmittel gegen eine pflichtwidrige Untätigkeit des Deutschen Apothekerverbandes anzusehen ist. f) Ingerenzmittel bei Nichtbeseitigung rechtswidriger Vertragsinhalte Sollte sich eine Vertragsbestimmung als rechtswidrig herausstellen, ist der Deutsche Apothekerverband schließlich verpflichtet, an deren Aufhebung mitzuwirken. Diese Pflicht könnte das BMG einerseits durchsetzen, indem es ein Schiedsverfahren einleitet, damit die Schiedsstelle diese pflichtige AufhebungsRegelung erlässt. Sofern nicht eine neue inhaltliche Regelung notwendig ist, sondern die Aufhebung der Regelung zur Herstellung rechtmäßiger Zustände genügt, kommt daneben noch ein einfacherer Weg in Betracht: In verfassungskonformer Auslegung von § 69 I 3 SGB V i. V. m. § 314 BGB vor dem Hintergrund des Rechtsstaatsprinzips ist der GKV-Spitzenverband verpflichtet, eine rechtswidrige Vertragsbestimmung aus wichtigem Grund zu kündigen: § 314 BGB setzt voraus, dass einer Vertragspartei das Festhalten an einer Vereinbarung unzumutbar ist. Da der GKV-Spitzenverband nach Art. 20 III GG an das geltende Recht gebunden und aufgrund seiner Gesetzesbindung verpflichtet ist, rechtswidrige und aufgrund des Nichtigkeitsdogmas sogar unwirksame Vertragsbestimmungen zu beseitigen,489 ist es ihm unzumutbar, an einer Vertragsbestimmung mit rechtswidrigem Inhalt festzuhalten. Erklärt der GKV-Spitzenverband die Kündigung nicht, kann sie durch das BMG im Wege der Ersatzvornahme erklärt werden. g) Zwischenergebnis Obwohl über den Deutschen Apothekerverband nicht förmlich das Bestehen einer Aufsicht angeordnet wurde, stehen dem BMG ausreichende Möglichkeiten zu, um jedenfalls indirekt-mittelbar auf die Tätigkeit des Deutschen Apothekerverbandes im Zusammenhang mit der Vereinbarung des Rahmenvertrags Einfluss zu nehmen. Der Deutsche Apothekerverband unterliegt damit letztlich einer der

488

s. dazu z. B. § 89 V 5 SGB V. Vgl. dazu oben B. I. 5.

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Rechtsaufsicht vergleichbaren Kontrolle durch das BMG. Die Vereinbarung des Rahmenvertrags ist deshalb materiell-demokratisch legitimiert. Da zugleich das Defizit personell-demokratischer Legitimation kompensiert werden kann, ist die rahmenvertragliche Normsetzung mit dem Demokratieprinzip vereinbar.

IV. Adressierung der „maßgeblichen Spitzenorganisation“ § 129 II SGB V beruft nicht konkret den Deutschen Apothekerverband, sondern nur pauschal die „maßgebliche Spitzenorganisation“ der Apotheker zur Vereinbarung des Rahmenvertrags. Wenngleich bislang alleine der Deutsche Apothekerverband als „maßgeblich“ anzusehen war, ist „maßgebliche Spitzenorganisation“ vom Gesetzgeber nicht als Synonym für den Deutschen Apothekerverband gedacht, denn die offene Formulierung der Norm soll gerade gewährleisten, dass auch andere Verbände, sofern sie maßgeblich sind, automatisch zur Normsetzung berechtigt sind.490 Der mit Normsetzungsmacht beliehene Verband wird in § 129 II SGB V somit nicht individualisiert. Diese fehlende Individualisierung könnte problematisch im Hinblick auf das Rechtsstaatsprinzip sein. Der aus dem Rechtsstaatsprinzip folgende institutionelle Gesetzesvorbehalt491 gebietet, dass die grundlegenden Fragen des Behördenaufbaus durch formelles Gesetz geregelt werden. Ein beleihendes Gesetz muss entsprechend regeln, auf welche Privatrechtssubjekte Hoheitsgewalt übertragen wird.492 Maßstab für die erforderliche Regelungsdichte ist dabei die Wesentlichkeitstheorie.493 Den Anforderungen der Wesentlichkeitstheorie ist aber bereits genügt, wenn im beleihenden Gesetz der Kreis der Privatrechtssubjekte hinreichend engmaschig umrissen wird, die als Beliehene in Betracht kommen; dagegen muss der Beliehene nicht schon namentlich im Gesetz benannt sein.494 Diesen Vorgaben entspricht § 129 II SGB V, denn die Anforderungen an die normsetzende Körperschaft auf Apothekerseite sind hinreichend engmaschig: Zur Normsetzung berufen sind nur privatrechtlich verfasste Interessenverbände der Apotheker, denen ein hinreichendes Gewicht zukommt.495 Dass der zur Normsetzung berufene Verband in § 129 II SGB V nicht namentlich benannt wird, sondern erst im Wege eines Subsumtionsaktes ermittelt werden muss, könnte weiterhin im Hinblick auf das ebenfalls aus dem Rechtsstaatsprinzip 490

Düring, S. 89; Rixen, S. 360. Zum institutionellen Gesetzesvorbehalt s. Jarass/Pieroth/Jarass, Art.  20 GG Rn.  76; Maunz/Dürig/F. Kirchhof, Art. 83 GG Rn. 33 ff.; Sachs/Sachs, Art. 20 GG Rn. 117; Ohler, AöR 2006, S. 336 ff. 492 Wiegand, Beleihung, S. 162; Ohler, AöR 2006, S. 336 (365). 493 Mager, VBlBW 2009, S. 9 (12 f.); Ohler, AöR 2006, S. 336 (343 ff.). 494 s. jeweils für die Beleihung mit Einzelaktbefugnissen Bansch, S. 149; Steiner, JuS 1969, S. 69 (74). 495 Zur Auslegung des Begriffs „maßgeblich“ s. oben B. I. 2. a). 491

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Kap. 2: Das Kollektivvertragsrecht des § 129 SGB V

folgende Gebot der Rechtssicherheit problematisch sein.496 In seiner Ausprägung als Gebot der Rechtsklarheit gebietet es, dass Normen hinreichend klar und verständlich gefasst sind, damit sich ein betroffener Bürger selbst ein Bild von der Rechtslage machen kann.497 Die Beleihung der jeweils maßgeblichen Spitzenorganisation(en) ist mit gewissen Unsicherheiten verbunden. So kann es beispielsweise zu Streitigkeiten darüber kommen, ob ein neben den Deutschen Apothekerverband getretener Verband diesen als maßgeblichen Verband abgelöst hat, neben diesem als maßgeblich oder noch nicht als maßgeblich anzusehen ist.498 Das Gebot der Rechtsklarheit schützt jedoch nur vor einer unklaren Abfassung von Gesetzen,499 nicht hingegen vor Unsicherheiten, die sich bei der Anwendung einer Vorschrift auf Lebenssachverhalte einstellen können. Dass § 129 II SGB V den normsetzenden Apothekerverband nicht namentlich bezeichnet, ist deshalb verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

V. Auferlegung von Normsetzungspflichten Der Rahmenvertrag ist vom Deutschen Apothekerverband als maßgeblicher Interessenvertretung der Apotheker obligatorisch zu schließen. Wenn ein Beliehener zum Gebrauch der ihm verliehenen Hoheitsrechte verpflichtet wird, stellt dies einen Grundrechtseingriff dar.500 Kommt der Deutsche Apothekerverband seinen Aufgaben nicht nach, wird allerdings ein Schiedsverfahren eingeleitet,501 wobei der Deutsche Apothekerverband nicht gezwungen ist, an der Besetzung der Schiedsstelle mitzuwirken.502 Eine echte, d. h. eine sanktionierbare Pflicht zur Normsetzung wird dem Deutschen Apothekerverband deshalb durch § 129 SGB V nicht auferlegt, sodass der an ihn gerichtete Normsetzungsauftrag insoweit nicht in Grundrechte des Deutschen Apothekerverbands eingreift.503

496

Düring, S. 89, sieht einen Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot. Maunz/Dürig/Grzeszick, Art. 20 GG VII Rn. 53; Sachs/Sachs, Art. 20 GG Rn. 125. 498 Vgl. Krasney, KrV 2014, S. 42. – Vgl. für die soziale Pflegeversicherung Weber, S. 301 f. 499 So müssen Gesetze inhaltlich ausreichend verständlich sein: Maunz/Dürig/Grzeszick, Art. 20 GG VII Rn. 53; Sachs/Sachs, Art. 20 GG Rn. 125. Verwendet ein Gesetz Verweisungen, darf eine Verweisungskette nicht derart tief gestaffelt und unübersichtlich sein, dass die Normanwendung ein hohes Fehlerrisiko birgt: Maunz/Dürig/Grzeszick, Art. 20 GG VII Rn. 54; Sachs/Sachs, Art. 20 GG Rn. 125. Vgl. auch Jarass/Pieroth/Jarass, Art. 20 GG Rn. 89. Eingehend zum Gebot der Rechtsklarheit Jehke, S. 178 ff. 500 Wiegand, Beleihung, S. 136; Schoch/Wieland, ZG 2005, S. 223 (240). 501 Allgemein Castendiek, S. 17. – Bezogen auf Verträge nach § 39 a SGB V Föllmer, S. 74. 502 § 1 V SchStV sieht die Benennung sämtlicher Schiedsstellenmitglieder durch das Bundesministerium für Gesundheit vor, wenn die Rahmenvertragsparteien nicht innerhalb einer ihnen gesetzten Frist die Schiedsstellenmitglieder benennen. 503 Allgemein Castendiek, S. 170. 497

C. Verfassungsrechtliche Fragen des Kollektivvertragssystems 

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VI. Grundrechte der Verbandsaußenseiter Apotheker, die nicht Mitglied einer Untergliederung des Deutschen Apothekerverbandes sind, haben keine Möglichkeit, auf den Inhalt des Rahmenvertrags Einfluss zu nehmen. Für Apotheker wird deshalb unter Umständen eine gewisse Motivation erzeugt, einer Untergliederung des Deutschen Apothekerverbandes beizutreten. Die Schaffung einer solchen Motivation für einen Verbandsbeitritt könnte in die negative Vereinigungsfreiheit der Verbandsaußenseiter eingreifen.504 Die negative Vereinigungsfreiheit unterfällt nach überwiegender Ansicht als negative Komplementärfreiheit dem Schutzbereich der Vereinigungsfreiheit aus Art.  9  I GG.505 Sie schützt die Entscheidung, einer Vereinigung fernzubleiben.506 Selbst wenn man in der von § 129 SGB  V ausgehenden Motivation zu einem Verbandsbeitritt einen mittelbaren Eingriff in die negative Vereinigungsfreiheit sieht,507 könnte dieser Eingriff aber gerechtfertigt sein. Durch die Geltung des Rahmenvertrags auch für Verbandsaußenseiter soll eine möglichst umfassend und einheitlich geltende Ausgestaltung der Arzneimittelversorgung erreicht werden, sodass ein legitimer Regelungszweck verfolgt wird.508 Fraglich ist allerdings, ob eine Zwangsverkammerung der Apotheker509 vergleichbar den Vertragsärzten, die in den Kassenärztlichen Vereinigungen zusammengeschlossen sind, ein milderes Mittel darstellen würde.510 Dafür, dass die Schaffung einer „Kassenapothekerlichen Vereinigung“ ein milderes Mittel darstellt, scheint zunächst zu sprechen, dass Apotheker, die auf die untergesetzliche Normsetzung Einfluss nehmen wollen, in diesem Fall nicht gezwungen wären, einem privatrechtlichen Verband beizutreten, der außerhalb des Krankenversicherungsrechts noch weitere Aktivitäten verfolgt, die sie womöglich nicht mittragen wollen. Für solche Apotheker, die an der Mitgestaltung der untergesetzlichen Normsetzung generell kein Interesse haben, stellt allerdings die zwangsweise Korporierung in einer „Kassenapothekerlichen Vereinigung“ einen Freiheitseingriff dar, der aus ihrer Sicht keine Vorteile mit sich bringt. Die Schaffung einer „Kassenapothekerlichen Vereinigung“ kann daher nicht als freiheits 504

Huster, KrV 2013, S. 1 (8). – Bezogen auf § 112 SGB V: Castendiek, S. 189; Neumann, S. 273; Schlink, RsDE 11 (1990), S. 1 (10 f.). 505 BeckOK GG/Cornils, Art. 9 GG Rn. 10; Jarass/Pieroth/Jarass, Art. 9 GG Rn. 7; Maunz/ Dürig/Scholz, Art. 9 GG Rn. 42, 88; Sachs/Höfling, Art. 9 GG Rn. 22; BVerfGE 85, 360 (370); BVerfG, NJW 2001, 2617. 506 Jarass/Pieroth/Jarass, Art. 9 GG Rn. 7; Maunz/Dürig/Scholz, Art. 9 GG Rn. 42, 88; Sachs/ Höfling, Art. 9 GG Rn. 22. 507 Nach BeckOK GG/Cornils, Art.  9 GG Rn.  17, und Jarass/Pieroth/Jarass, Art.  9 GG Rn. 12, erlangen faktische Beeinträchtigungen der Vereinigungsfreiheit erst ab einem gewissen Erheblichkeitsgrad Eingriffsqualität. 508 Huster, KrV 2013, S. 1 (8). 509 Vgl. zu dieser Regelungsmöglichkeit Huster, KrV 2013, S. 1 (8). 510 So in Bezug auf Krankenhäuser Neumann, SDSRV 38 (1994), S.  109 (118); ähnlich Schlink, RsDE 1990, S. 1 (11).

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Kap. 2: Das Kollektivvertragsrecht des § 129 SGB V

schonendere Regelungsalternative angesehen werden.511 Es existieren damit keine milderen Mittel. Der Regelungszweck, eine möglichst einheitliche Ausgestaltung der Arzneimittelversorgung zu erreichen, steht schließlich nicht außer Verhältnis zu einem Eingriff in die negative Vereinigungsfreiheit.512 Die negative Vereinigungsfreiheit wird damit durch § 129 SGB V nicht verletzt.

VII. Verkündung des Rahmenvertrags und Zitiergebot Das Gebot, Normen zu verkünden, ist zum Teil spezialgesetzlich geregelt und folgt allgemein bereits aus dem Rechtsstaatsprinzip513. Das Rechtsstaatsprinzip verlangt, dass Rechtsnormen so bekannt gemacht werden, dass sich die Betroffenen von ihrem Inhalt verlässlich Kenntnis verschaffen können.514 Für Gesetze und Rechtsverordnungen schreibt Art. 82 GG die Verkündung im Bundesgesetzblatt vor, es sei denn, dass gesetzlich etwas anderes bestimmt ist. In Bezug auf die meisten untergesetzlichen Normen des Sozialrechts – insbesondere die Normenverträge des SGB V und des SGB XI515 – existieren keine Regelungen, die eine Verkündung ausdrücklich vorschreiben.516 In § 129 SGB V ist ebenfalls nicht angeordnet, dass und wie der Rahmenvertrag verkündet werden muss. In der Praxis wird der Rahmenvertrag auf den Internetseiten des GKV-Spitzenverbandes und der Bundesarbeitsgemeinschaft Deutscher Apothekerverbände (ABDA) veröffentlicht. Die Online-Publikation sozialversicherungsrechtlicher Normenverträge wird in Literatur und Rechtsprechung mitunter für verfassungsrechtlich zulässig gehalten, wobei als Prüfungsmaßstab jeweils das allgemeine rechtsstaatliche Verkündungsgebot zugrunde gelegt wird. Die Verkündung auf einer allgemein abrufbaren Internetseite sei mit den Anforderungen des Rechtsstaatsprinzips vereinbar.517 Dass Form und Ort der Verkündung gesetzlich nicht geregelt seien, sei unschädlich.518 Für den Rahmenvertrag sowie allgemein für sozialversicherungsrechtliche Normenverträge sind jedoch richtigerweise nicht die allgemeinen rechtsstaatlichen Grundsätze über die Verkündung von Normen maßgeblich. Da der Rahmenver 511

Huster, KrV 2013, S. 1 (8). Vgl. Huster, KrV 2013, S. 1 (8). 513 Zum allgemeinen rechtsstaatlichen Verkündungserfordernis s. Maunz/Dürig/Grzeszick, Art. 20 GG VII Rn. 51 f.; Sachs/Sachs, Art. 20 GG Rn. 123; BVerfGE 65, 283  (291); 84, 133  (159); 90, 60 (85). 514 BVerfGE 65, 283 (291); 90, 60 (85). 515 Axer, S. 407. 516 Axer, S. 407; Weber, S. 328; Wiegand, Beleihung, S. 250 f. 517 Leber, KH 2009, S. 955 (957). 518 Castendiek, S.  163; BSGE 81, 86 (90 f.) in Bezug auf den EBM. Vgl. auch BSG SozR 4-2500 § 84 Nr. 2 Rn. 18 in Bezug auf eine Richtgrößenvereinbarung. – Vgl. in Bezug auf Pflegetransparenzvereinbarungen jurisPK-SGB XI/Altmiks § 115 SGB XI Rn. 26. – Für Notwendigkeit einer gesetzlichen Normierung des Publikationsvorganges dagegen Teigelack, S. 94. 512

C. Verfassungsrechtliche Fragen des Kollektivvertragssystems 

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trag in derselben Weise wie eine Rechtsverordnung eine Form delegierter Rechtsetzung darstellt, ist auf den Rahmenvertrag der Maßstab des Art. 82 GG entsprechend anzuwenden.519 Dem Publikationsgebot des Art. 82 GG liegt der Gedanke zugrunde, dass sämtliche Außenrechtsnormen grundsätzlich im Bundesgesetzblatt zu verkünden sind.520 Der Rahmenvertrag ist daher im Bundesgesetzblatt zu veröffentlichen, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist.521 Es bedürfte deshalb einer gesetzlichen Vorschrift, die anstelle der Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt die Online-Publikation des Rahmenvertrags gestattet. Im SGB V selbst existiert eine derartige Vorschrift nicht. Als Dispens von der Pflicht zur Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt kommt lediglich § 46 I der Satzung des GKVSpitzenverbandes in entsprechender Anwendung in Betracht. Danach werden Satzungsänderungen und Grundsatzentscheidungen des Verwaltungsrats im Bundesanzeiger und auf einer geeigneten Internetseite bekannt gemacht. Diese Satzungsbestimmung stützt sich auf § 217 e I 6 SGB V i. V. m. § 34 II 1, 3 SGB IV, wonach der GKV-Spitzenverband selbst durch Satzung regeln muss, auf welche Weise seine Satzung und sonstiges autonomes Recht bekannt gemacht werden. Der Anwendbarkeit von § 46 der Satzung des GKV-Spitzenverbandes steht vorliegend aber entgegen, dass es sich bei dem Rahmenvertrag nicht um autonomes Recht des GKV-Spitzenverbandes handelt. Autonomes Recht bezeichnet die Rechtsetzung eines Selbstverwaltungsverbandes mit Wirkung für die eigenen Mitglieder.522 Mitglieder des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen sind gemäß § 217a  I SGB  V die Krankenkassen, nicht hingegen die Apotheker und die Versicherten, für die der Rahmenvertrag ebenfalls Rechtswirkungen entfaltet. Selbst wenn man davon ausgeht, dass dem Gesetzgeber ein eher weites, untechnisches Begriffsverständnis von autonomem Recht vor Augen stand,523 meint autonomes Recht nur Regelungen, die Personen betreffen, die sich im Autonomiebereich eines Sozialversicherungsträgers befinden.524 Autonomes Recht in einem solchen Sinn wird mithin als „Satzungsrecht im weiteren Sinne“ bezeichnet.525 Autonomes Recht könnten Rechtsakte des GKV-Spitzenverbandes daher noch darstellen, soweit sie gegenüber den Versicherten Geltung entfalten, denn die Versicherten sind Mitglieder der Krankenkassen, die ihrerseits den GKV-Spitzenverband bilden.526 Jedenfalls die an den Rahmenvertrag gebundenen 519

Vgl. Axer, S. 404; Weber, S. 330; Wiegand, Beleihung, S. 250, 252. Vgl. Wittling, S. 145 f. 521 Vgl. Axer, S. 404; Weber, S. 330; Wiegand, Beleihung, S. 250, 252. 522 Axer, SGb 2012, S. 501 (503). 523 Nach BT-Drs.  7/4122, S.  35, sollen auch Dienstordnungen von Sozialversicherungsträgern sowie Unfallverhütungsvorschriften als autonomes Recht einzustufen sein. 524 Kasseler Kommentar/Ricke, § 114 SGB VII Rn. 9. 525 Kasseler Kommentar/Ricke, § 114 SGB VII Rn. 9. 526 Teilweise werden etwa die vom GKV-Spitzenverband mit Wirkung für die Versicherten erlassenen Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler nach § 240 SGB V als autonomes Recht bezeichnet: Krauskopf/Baier, § 240 SGB V Rn. 5; LSG Sachsen, Urt. v. 25.1.2012, L 1 KR 145/11, Rn. 25 ff. (juris). – Zu den Beitragsverfahrensgrundsätzen Selbstzahler s. auch BSGE 113, 1 ff. 520

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Kap. 2: Das Kollektivvertragsrecht des § 129 SGB V

Apotheker stehen aber außerhalb des Krankenkassenwesens; sie befinden sich nicht im Autonomiebereich des GKV-Spitzenverbandes. Der Rahmenvertrag stellt deshalb kein autonomes Recht des GKV-Spitzenverbandes dar. Selbst wenn § 46 der Satzung des GKV-Spitzenverbandes tatbestandlich eingreifen würde, wäre neben der Online-Publikation im Übrigen noch eine Publikation des Rahmenvertrages im Bundesanzeiger geboten, die aber nicht erfolgt ist. Der Rahmenvertrag ist somit nicht ordnungsgemäß verkündet worden. Nach Art. 80 I 3 GG müssen Rechtsverordnungen ihre Ermächtigungsgrundlage nennen. Indem der Verordnungsgeber die Ermächtigungsgrundlage offenlegt, wird eine aufsichtsrechtliche Prüfung der Verordnung erleichtert und es werden den Normbetroffenen bessere Rechtsschutzmöglichkeiten eröffnet; außerdem soll der Verordnungsgeber reflektieren, ob der Verordnungsinhalt von der Ermächtigungsgrundlage gedeckt ist.527 Das Zitiergebot ist ein grundlegendes Element der rechtsstaatlichen Demokratie.528 Untergesetzliche Normen des Sozialrechts als Akte delegierter Rechtsetzung müssen deshalb ebenfalls ihre Ermächtigungsgrundlage nennen.529 Da § 1 des Rahmenvertrages die Ermächtigungsgrundlagen aller Vertragsbestimmungen auflistet, ist das Zitiergebot gewahrt.

VIII. Verfassungsrechtliche Fragen der Verträge auf Landesebene In Bezug auf die ergänzenden Verträge auf Landesebene stellen sich dieselben verfassungsrechtlichen Probleme wie für den Rahmenvertrag, die grundsätzlich auf dieselbe Weise zu lösen sind. Etwas anders gelagert ist lediglich die Frage nach der materiell-demokratischen Legitimation dieser Vereinbarungen. Wie über den Deutschen Apothekerverband, so ist auch über die Apothekerlandesverbände nicht ausdrücklich eine Aufsicht angeordnet. Nur die am Vertragsschluss beteiligten Krankenkassen oder Krankenkassenverbände unterliegen jeweils einer Rechtsaufsicht.530 Da für die ergänzenden Verträge an sich keine Pflichtinhalte vorgesehen sind, bedarf es aber anders als in Bezug auf den Rahmenvertrag im Grunde keiner Aufsichtsmittel, um gegen Untätigkeit der Apothekerlandesverbände vorzugehen. Eine Normsetzungspflicht kann die Vertragspartner auf Landesebene nur ausnahmsweise insoweit treffen, als sie im Einzelfall eine rechtswidrige oder rechts 527

Maunz/Dürig/Remmert, Art. 80 GG Rn. 124; Sachs/Mann, Art. 80 GG Rn. 31. BVerfGE 101, 1 (42 f.); zust. Ossenbühl, in: Handbuch des Staatsrechts, Bd.  V, § 103 Rn. 71. Vgl. auch v. Mangoldt/Klein/Starck/Brenner, Art. 80 GG Rn. 47; Sachs/Mann, Art. 80  GG Rn. 32. Nach Schwarz, S. 150, soll das Zitiergebot einem schleichenden Übergang der Rechtsetzungsmacht auf die Exekutive vorbeugen. 529 Axer, S. 396 f.; ders., in: Handbuch des Vertragsarztrechts, 3. Aufl., § 10 Rn. 61. Das BSG hält die Einhaltung des Zitiergebots dagegen nicht für geboten: BSGE 86, 16 (20) (betreffend den EBM); BSGE 89, 173 (181); BSG SozR 4-2500 § 87 Nr.  10 Rn. 22 (jeweils betreffend einen Honorarverteilungsmaßstab). 530 §§ 87 ff. SGB IV bzw. § 208 I, II 1 SGB V i. V. m. §§ 87 ff. SGB IV. 528

D. Die Integration EU-ausländischer Apotheker

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widrig gewordene Vertragsbestimmung beseitigen müssen. In diesem Fall können die Aufsichtsbehörden zwar kein Schiedsverfahren einleiten, doch es besteht die Möglichkeit, die Krankenkassenseite aufsichtsrechtlich zur Kündigung der rechtswidrigen Vertragsbestimmung zu zwingen. Die ergänzenden Verträge sind daher grundsätzlich mit verfassungsrechtlichen Vorgaben vereinbar. Verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet wiederum nur die Verkündung der ergänzenden Verträge, die wie die Verkündung des Rahmenvertrags ohne Existenz einer entsprechenden gesetzlichen Regelung im Internet und nicht in einem staatlichen Verkündungsorgan erfolgt. Zwar handelt es sich bei den ergänzenden Verträgen, soweit sie auf den Geltungsbereich eines Bundeslandes beschränkt sind, um Landesrecht,531 sodass die Verkündungsregelung des Art. 82 GG auf sie nicht anwendbar ist, denn Art. 82 GG erfasst nur bundesrechtliche Rechtsnormen.532 Insoweit richtet sich die Publikation nach den jeweiligen landesverfassungsrechtlichen Vorgaben.533 Allerdings sehen auch einige Landesverfassungen in vergleichbarer Weise wie Art. 82 GG vor, dass Rechtsverordnungen im jeweiligen Landesgesetzblatt zu veröffentlichen sind, wenn gesetzlich nichts anderes vorgeschrieben ist.534

D. Die Integration EU-ausländischer Apotheker in das Kollektivvertragssystem EU-ausländischen Apothekeninhabern hat die Zulassung des Arzneimittelversandhandels die Möglichkeit eröffnet, deutsche Patienten vom Ausland aus zu versorgen  – eine Möglichkeit, die sich anderen Heilberufsträgern wie Ärzten oder Physiotherapeuten nur beschränkt bietet, da diese Berufsgruppen darauf angewiesen sind, dass die Patienten sich in ihre Praxisräume begeben. Für chronisch kranke oder ältere Patienten, für die es beschwerlich ist, sich persönlich in eine Apotheke zu begeben, kann der Arzneimittelversandhandel sogar besonders attraktiv sein, doch ebenso für Berufstätige mit langen Arbeitszeiten kann eine Versandapotheke unter Umständen vorteilhaft sein.535 Nach § 13 IV 1 SGB V können gesetzlich Versicherte die Leistungen EU-auslän­ discher Apotheker im Wege der Kostenerstattung in Anspruch nehmen.536 Eine 531

BSGE 97, 23 (26); BSG SozR 4-2500 § 129 Nr. 7 Rn. 14. So gilt das Publikationserfordernis des Art. 82 GG nicht für Rechtsverordnungen, die gemäß Art. 80 I 1 Var. 3 GG von einer Landesregierung erlassen worden sind und daher Landesrecht darstellen: Dreier/Bauer, Art.  82 GG Rn.  22; v. Mangoldt/Klein/Starck/Brenner, Art. 82 GG Rn. 35; Maunz/Dürig/Butzer, Art. 82 GG Rn. 261. 533 Vgl. v. Mangoldt/Klein/Starck/Brenner, Art. 82 GG Rn. 35. 534 s. etwa Art. 63 II Landesverfassung Baden-Württemberg; Art. 54 Landesverfassung Hamburg; Art. 45 I 2 Landesverfassung Niedersachsen. 535 Wille, SdL 2007, Heft Nr. 1, S. 32 (33, 52 f.). 536 § 13  IV SGB  V verlangt, dass Berufszugang und Ausbildung des Leistungserbringers Gegenstand einer EU-Richtlinie sind. Für Apotheker finden sich entsprechende Vorgaben in Art. 45 RL 2006/65/EG. 532

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Kap. 2: Das Kollektivvertragsrecht des § 129 SGB V

Leistungserbringung im Wege der Kostenerstattung hat für Versicherte aber den Nachteil, dass sie in Vorleistung treten müssen.537 Zudem wird von dem Erstattungsbetrag ein Abschlag für Verwaltungskosten abgezogen.538 Den Krankenkassen ist es demgegenüber nicht möglich, auf den Leistungserbringer steuernd einzuwirken.539 Aus diesem Grund sieht § 140e SGB V vor, dass Krankenkassen mit EU-ausländischen Leistungserbringern Selektivverträge schließen und sie dadurch in das Sachleistungssystem eingliedern können.540 Jedenfalls der Abschluss von Verträgen nach § 140e SGB V würde es somit EU-ausländischen Apothekern erlauben, Arzneimittel als Sachleistung zulasten von gesetzlichen Krankenkassen abzugeben. Es stellt sich aber die Frage, ob es EU-ausländischen Apothekern nicht schon möglich ist, an der kollektivvertraglich geregelten Sachleistungserbringung nach Maßgabe von § 129 SGB V teilzunehmen. In diesem Fall entfiele für EU-ausländische Apotheker der Aufwand, mit Krankenkassen zunächst Verträge nach § 140e SGB V aushandeln zu müssen.

I. Partizipation EU-ausländischer Apotheker am Rahmenvertrag Grundvoraussetzung dafür, dass EU-ausländische Apotheker an der Sachleistungserbringung nach § 129 SGB V teilnehmen können, ist, dass sie die Rechtswirkung des Rahmenvertrags für sich herbeiführen können. Der Rahmenvertrag sieht in § 2b I RV-AV vor, dass rechtmäßig in einem Mitgliedstaat der EU betriebene Apotheken dem Rahmenvertrag beitreten können. Diese Regelung ist indessen nur wirksam, wenn sie mit Vorgaben höherrangigen Rechts übereinstimmt. Entscheidend ist daher, ob § 129 SGB V die Geltung des Rahmenvertrags für EUausländische Apotheker vorsieht. 1. Zur Anwendbarkeit des Rahmenvertrags auf EU-ausländische Apotheker Ob der Rahmenvertrag auf EU-ausländische Apotheker Anwendung findet, ist zunächst durch Auslegung von § 129 SGB V, d. h. nach Maßstab des nationalen Rechts, zu klären. Sollte das Auslegungsergebnis negativ ausfallen, würde sich weiter die Frage stellen, ob europarechtliche Vorgaben die Anwendbarkeit des Rahmenvertrags auf EU-ausländische Apotheker gebieten. 537

Becker/Kingreen/Kingreen, § 140e SGB  V Rn.  2 f.; Krauskopf/Knittel, § 140e SGB  V Rn. 2; Wendtland, KrV 2007, S. 196 (198). 538 § 13 IV 5 SGB V. 539 Becker/Kingreen/Kingreen, § 140e SGB  V Rn.  2 f.; Krauskopf/Knittel, § 140e SGB  V Rn. 2; Wendtland, KrV 2007, S. 196 (198). 540 Kingreen, NZS 2005, S. 505 (507).

D. Die Integration EU-ausländischer Apotheker

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a) Die Rechtslage nach nationalem deutschem Recht Nach dem Wortlaut von § 129 SGB V entfaltet der Rahmenvertrag Rechtswirkung für „Apotheker“. Der Wortlaut steht einer Vertragsgeltung für EU-ausländische Apotheker somit nicht entgegen.541 Zwar liegt § 129 SGB  V ein berufsrechtsakzessorischer Apothekerbegriff zugrunde, der im Ausgangspunkt auf die Erteilung einer deutschen Apothekenbetriebserlaubnis abstellt,542 doch ist im Rahmen des berufsrechtlichen Apothekerbegriffs zu berücksichtigen, dass § 73 I Nr. 1a AMG den Versandhandel aus EU-ausländischen Apotheken heraus ebenfalls für zulässig erklärt.543 Aus diesem Grund wird vielfach angenommen, dass § 129 SGB V den Beitritt EU-ausländischer Apotheker zum Rahmenvertrag gestattet.544 Ein Indiz dafür, dass der Rahmenvertrag nur Apothekern mit Sitz in Deutschland offenstehen soll, liegt aber darin, dass die ergänzenden Verträge auf Bundesländer bezogen sind.545 Dies schließt es zwar nicht denklogisch aus, dass EU-ausländische Apotheker zumindest die Geltung des nicht an einzelne Bundesländer anknüpfenden Rahmenvertrags für sich herbeiführen können.546 Dennoch spricht der Bezug der ergänzenden Verträge auf die Bundesländer dafür, dass dem SGB V als Teilnehmer an der Sachleistungserbringung nach Maßgabe von § 129 SGB V ausschließlich in Deutschland ansässige Apotheker vor Augen stehen.547 Hinzu kommt, dass die für die Verhängung von Sanktionen zuständige Stelle nach § 129 IV SGB V in Abhängigkeit vom Sitz-Bundesland der einzelnen Apotheker bestimmt wird. Gegen eine Partizipationsmöglichkeit EU-ausländischer Apotheker am Rahmenvertrag spricht weiterhin, dass dem Leistungsrecht des Rechts der gesetzlichen Krankenversicherung das Territorialitätsprinzip zugrunde liegt: Soweit nichts anderes bestimmt ist, ruht nach § 16  I  Nr.  1 SGB  V der Leistungsanspruch eines Versicherten, sobald er sich im Ausland aufhält.548 Aus dieser territorialen Be 541

Könen, S. 92 f.; Zechel, S. 24. s. oben Kapitel 1 B. IV. 543 Koenig/Klahn, GesR 2006, S. 58 (64); BSGE 101, 161 (171); BSG SozR 4-2500 § 130a Nr. 5 Rn. 20; BSGE 113, 24 (30). 544 Koenig/Klahn, GesR 2006, S. 58 (64); BSGE 101, 161 (172); BSG SozR 4-2500 § 130a Nr. 5 Rn. 20; BSGE 113, 24 (30). Für eine Beitrittsmöglichkeit auch SG Berlin, GesR 2006, 236 (237), sowie SG Frankfurt a. M., GewArch 2006, 478 (480). 545 Vgl. Pitschas, in: Europarechtliche Gestaltungsvorgaben, S. 83 (87). 546 Vgl. Koenig/Klahn, GesR 2006, S. 58 (60). 547 Vgl. Koenig/Klahn, GesR 2006, S. 58 (60); LSG Baden-Württemberg, Urt. v. 16.1.2008, L 5 KR 3869/05, Rn. 96 (juris). 548 s. dazu Kaufmann, S. 74; Kingreen, Sozialstaatsprinzip, S. 501 f.; Zechel, S. 14 ff.; Hauck/ Noftz/Noftz, § 16 SGB V Rn. 18 ff. – Daneben finden sich im Sozialrecht an weiteren Stellen territoriale Beschränkungen: Nach § 30 I SGB I gilt das Sozialgesetzbuch grundsätzlich nur für Personen, die ihren gewöhnlichen Aufenthaltsort in dessen Geltungsbereich haben. Nach § 3 SGB IV gelten die Vorschriften über Versicherungspflicht und Versicherungsberechtigung nur, soweit Personen im Geltungsbereich des Sozialgesetzbuchs beschäftigt sind bzw. ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben. – S. dazu Giesen, S. 5 ff.; Mutschler, SGb 2000, S. 110 ff.; Rauscher, VSSR 1982, S. 319 ff.; Pitschas, in: Europarechtliche Gestaltungsvorgaben, S. 83 ff. 542

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Kap. 2: Das Kollektivvertragsrecht des § 129 SGB V

schränkung des Leistungsrechts folgt zugleich die territoriale Beschränkung des Leistungserbringungsrechts.549 Zum Teil wird die territoriale Beschränkung des Leistungsanspruchs sogar auch umgekehrt damit erklärt, dass bereits das Leistungserbringungsrecht stillschweigend territorial auf das Inland beschränkt sei.550 Hinter dem leistungs- und leistungserbringungsrechtlichen Territorialitätsprinzip steht neben historischen Gründen551 insbesondere das völkerrechtliche Territorialitätsprinzip.552 Das völkerrechtliche Territorialitätsprinzip verbietet es Staaten, auf dem Gebiet eines anderen Staates ohne dessen Zustimmung Hoheitsakte vorzunehmen.553 Ein zuwiderhandelnder Staat verhält sich völkerrechtswidrig.554 Daher können die oft hoheitlich ausgestalteten Steuerungsinstrumente des Leistungserbringungsrechts gegenüber im Ausland ansässigen Leistungserbringern nicht ohne Völkerrechtsverstoß zum Einsatz gebracht werden, sofern nicht ausnahmsweise der ausländische Staat seine Zustimmung hierzu erteilt hat.555 Für die Erbringung von Leistungen durch Leistungserbringer aus dem EU-Ausland hat sich das SGB V im Jahre 2004 schließlich mit dem GKV-Modernisierungsgesetz geöffnet, das die bereits erwähnten Regelungen des § 13 IV SGB V – Inanspruchnahme EU-ausländischer Leistungserbringer im Wege der Kostenerstattung – und des § 140e SGB V – Sachleistungserbringung durch EU-ausländische Leistungserbringer auf selektivvertraglicher Basis – in das SGB V eingeführt hat. Der selektivvertraglichen Sachleistungserbringung wurde dabei nur eine Ergänzungsfunktion gegenüber der Leistungserbringung im Wege der Kostenerstattung beigemessen. Es sollte eine Möglichkeit geschaffen werden, Versicherte von den mit der Kostenerstattung verbundenen Belastungen freizustellen, und Krankenkassen sollten die Möglichkeit erhalten, Einfluss auf das Versorgungsangebot zu nehmen.556 Im Umkehrschluss folgt daraus, dass sich das SGB V der Erbringung von Sachleistungen durch EU-ausländische Leistungserbringer nur 549

Giesen, S. 96; Kaufmann, S. 74; Zechel, S. 25. Vgl. U. Becker, NZS 1998, S. 359 (362 mit Fn. 33). Nach BT-Drs. 11/2237, S. 164, berücksichtigt die Regelung des § 16 I Nr. 1 SGB V, dass Sachleistungen im Ausland nicht erbracht werden können. Hauck/Noftz/Noftz, § 16 SGB V Rn. 19, entnimmt die territoriale Beschränkung des Leistungserbringungsrechts einer Gesamtschau der §§ 69 ff. SGB V. Ähnlich Pitschas, in: Europarechtliche Gestaltungsvorgaben, S. 83 (87). 551 s. dazu Zechel, S. 25 f. 552 Heinze, in: Krankenkassen im Wandel, S. 51 (54); Kötter, VSSR 1998, S. 233 (250). Vgl. auch Hauck/Noftz/Noftz, § 16 SGB V Rn. 18. – Vgl. für das Vertragsarztrecht BSGE 53, 150 (154). 553 v. Arnauld, Rn. 342; Dahm/Delbrück/Wolfrum, S. 326; Ipsen, § 5 Rn. 261; Stein/von Buttlar, Rn. 535 ff.; Geck, in: Strupp/Schlochauer, Bd. I, S. 795. Vgl. auch Kingreen, Sozialstaatsprinzip, S. 529. 554 Vgl. Dahm/Delbrück/Wolfrum, S. 326; Ipsen, § 5 Rn. 261; Stein/von Buttlar, Rn. 535 ff.; Geck, in: Strupp/Schlochauer, Bd. I, S. 795; BVerfGE 63, 343 (373). 555 Kingreen, Sozialstaatsprinzip, S. 529; Kötter, VSSR 1998, S. 233 (250). Vgl. auch Hauck/ Noftz/Noftz, § 16 SGB V Rn. 18; Heinze, in: Krankenkassen im Wandel, S. 51 (54). – Für das Vertragsarztrecht BSGE 53, 150 (154). 556 BT-Drs. 15/1525, S. 132. 550

D. Die Integration EU-ausländischer Apotheker

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im in § 140e SGB V bezeichneten Umfang geöffnet hat und dass EU-ausländische Leistungserbringer jenseits solcher Selektivverträge nach wie vor keine Sachleistungen erbringen können.557 Die Auslegung von § 129 SGB V nach Maßgabe des nationalen Rechts ergibt somit, dass EU-ausländische Apothekeninhaber nicht die Geltung des Rahmenvertrages für sich herbeiführen können. b) Europarechtliche Vorgaben Der Ausschluss EU-ausländischer Apotheker vom Rahmenvertrag könnte jedoch mit europarechtlichen Vorgaben, namentlich der Warenverkehrsfreiheit nach Art. 34 ff. AEUV, nicht zu vereinbaren sein. Dass gem. Art. 168 VII AEUV die Union bei ihrer Tätigkeit die Verantwortung der Mitgliedstaaten für die Ausgestaltung ihrer Gesundheitssysteme wahrt und Art.  153  IV AEUV die anerkannte Befugnis der Mitgliedstaaten erwähnt, die Grundprinzipien ihrer Gesundheitssysteme auszugestalten,558 steht der Bindung der Mitgliedstaaten an die Grundfreiheiten bei der Ausgestaltung ihrer Sozialleistungssysteme nicht entgegen.559 Die Vorschriften schließen in erster Linie nur harmonisierende Maßnahmen seitens der EU aus.560 aa) Territoriale Begrenzung von § 129 SGB V als Maßnahme gleicher Wirkung Die Warenverkehrsfreiheit schützt das Anbieten und Verkaufen von Erzeugnissen, die Geldwert haben und dadurch Gegenstand von Handelsgeschäften sein können.561 557 Rixen, S. 341; jurisPK-SGB V/Adolf, § 140e SGB V Rn. 7; LSG Baden-Württemberg, Urt. v. 16.1.2008, L 5 KR 3869/05, Rn. 95 (juris). Vgl. auch Harich, S. 278; Hauck/Noftz/Engelhard, § 140e SGB V Rn. 6; Kingreen, NZS 2005, S. 505 (507); Wendtland, KrV 2007, S. 196 (198). Gegen einen abschließenden Charakter von § 140e SGB V dagegen Könen, S. 94 f. Offengelassen von Koenig/Klahn, GesR 2006, S. 58 (60 f.). 558 Zu den Kompetenzen der EU im Bereich des Gesundheitswesen s. Valta, S. 191 ff.; Kemmler, NZS 2015, S. 401 (402 ff.). Zu den meist inhaltsgleichen Vorgängerregelungen des EG-Vertrages s. Dünnes-Zimmermann, S. 155 ff.; umfassend Schmidt am Busch, S. 14 ff. (zur Prävention), S. 200 ff. (zur Krankenversorgung), S. 384 ff. (zur Rehabilitation). 559 Assenmacher, S. 35 ff.; EuGH, Rs. C-255/09, EuZW 2012, 65 ff., Rn. 47 – Kommission/ Portugal; Rs. C-372/04, ZESAR 2006, 266 ff., Rn. 147 – Watts. Vgl. auch EuGH, Rs. C-385/99, NZS 2003, 365 ff., Rn. 102 – Müller-Fauré und van Riet; Kingreen, Struktur der Grundfreiheiten, S. 90 ff.; Grabitz/Hilf/Nettesheim/Schmidt am Busch, Art. 168 AEUV Rn. 79. 560 Harich, S. 68 f. Vgl. auch EuGH, Rs. C-255/09, EuZW 2012, 65 ff., Rn. 48 – Kommission/ Portugal. Zum Einfluss von Kompetenzausübungsschranken auf die Rechtfertigungsprüfung s. unten D. IV. 1. 561 EuGH, Rs. C-7/68, Slg. 1968, 634 ff., Ziff.  3  – Kommission/Italien; Rs. C-97/98, DB 1999, 2513, Rn. 30 – Jägerskiöld; Rs. C-65/05, EWS 2006, 560 ff., Rn. 23 – Kommission/Griechenland; Calliess/Ruffert/Kingreen, Art.  34 AEUV Rn.  120, 123; Kellerhals, in: EnzEuR, Bd. 4, § 6 Rn. 23.

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Kap. 2: Das Kollektivvertragsrecht des § 129 SGB V

Dem Schutz der Warenverkehrsfreiheit unterfällt daher auch die Abgabe von Arzneimitteln durch Apotheker.562 Zwar erbringen Apotheker bei der Arzneimittelabgabe außerdem Beratungsleistungen, die bei isolierter Betrachtung dem Schutzbereich der Dienstleistungsfreiheit unterfallen.563 Sind mehrere Grundfreiheiten gleichzeitig betroffen, erfolgt aber eine Schwerpunktbetrachtung.564 Im Schwerpunkt besteht die Arzneimittelabgabe durch Apotheker im Verkauf von Arzneimitteln als Waren, sodass nur der Anwendungsbereich der Warenverkehrsfreiheit eröffnet ist. Der Ausschluss EU-ausländischer Apotheker von der kollektivvertraglichen Versorgung könnte eine Maßnahme gleicher Wirkung wie eine Einfuhrbeschränkung im Sinne von Art. 34 Var. 2 AEUV darstellen. Nach der Dassonville-Formel ist als Maßnahme gleicher Wirkung jede Regelung anzusehen, die geeignet ist, den innergemeinschaftlichen Handel unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell zu beeinträchtigen.565 Bestünde für Versicherte ausschließlich die Möglichkeit, EU-ausländische Apotheker im Wege der Kostenerstattung in Anspruch zu nehmen, würden sie aufgrund der damit verbundenen Vorschusspflicht oft Sachleistungen und damit die Leistungen inländischer Apotheker bevorzugen.566 Die teilweise geäußerte Annahme, dass Patienten aufgrund ihrer Präferenzentscheidung für einen bestimmten ausländischen Leistungserbringer die Last der Vorschusspflicht in Kauf nehmen,567 erscheint nicht zutreffend: In von verschiedenen Krankenkassen durchgeführten Umfragen, die explizit die Arzneimittelversorgung einbezogen hatten, äußerten sich nur 20 % der Befragten positiv zum Kostenerstattungsprinzip.568 Selbst in der privaten Krankenversicherung sind 40 % der Versicherten mit dem Kostenerstattungsprinzip dezidiert unzufrieden.569 Eine Beschränkung der Leistungserbringung auf eine Kostenerstattung würde für EUausländische Apotheker daher ein Marktzugangshindernis bilden und damit eine Maßnahme gleicher Wirkung darstellen.

562 Koenig/Klahn, GesR 2006, S. 58 (61). – Zur Warenempfangsfreiheit der Kunden als passiver Komplementärfreiheit vgl. Kemmler, NZS 2015, S. 401 (402). – Zur Dienstleistungsempfangsfreiheit bei der Erbringung von Gesundheitsleistungen vgl. Assenmacher, S. 44 ff. 563 Zechel, S. 38. 564 EuGH, Rs. C-275/92, NJW 1994, 2013 ff., Rn. 22 f. – Her Majesty’s Costums and Excise/ Schindler; Rs. C-20/03, NJW 2005, 2977 ff., Rn. 31 – Burmanjer u. a.; Calliess/Ruffert/Kingreen, Art. 36 AEUV Rn. 122; Frenz, Rn. 397 f. 565 Zur Dassonville-Formel s. EuGH, Rs. C-8/74, NJW 1975, 515, Rn.  5  – Dassonville; Rs. C-421/09, EuZW 2011, 188 ff., Rn.  26  – Humanplasma GmbH/Österreich; Lippert, S. 74 ff.; v. der Groeben/Schwarze/Hatje/P.-C. Müller-Graff, Art. 34 AEUV Rn. 40; Kellerhals, in: ­EnzEuR, Bd. 4, 33 f. 566 Harich, S. 284; Koenig/Klahn, GesR 2006, S. 58 (63). Vgl. auch Wendtland, KrV 2007, S. 196 (198). Offengelassen von U. Becker, NJW 2003, S. 2272 (2275). 567 Kaufmann, S. 88. 568 s. zur Abschreckungswirkung der Vorschusspflicht bei Kostenerstattung Greß/Heberlein/ Heinemann/Niebuhr, pg-papers 1/2011, S. 17 f. 569 Greß/Heberlein/Heinemann/Niebuhr, pg-papers 1/2011, S. 19.

D. Die Integration EU-ausländischer Apotheker

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Oft wird angenommen, die Möglichkeit der Sachleistungserbringung über Selektivverträge nach § 140e SGB  V würde dieses Hindernis überwinden.570 Ein EU-ausländischer Apotheker, der ein Versandhandelssystem unterhält und damit bundesweit Versicherte versorgen möchte, müsste jedoch mit einer Vielzahl von Krankenkassen  – gegenwärtig 113571  – Verträge aushandeln, um flächendeckend deutsche Versicherte versorgen zu können.572 Damit ist ein erheblicher Aufwand verbunden. Ein Ausschluss EU-ausländischer Apotheker vom Rahmenvertrag würde somit zu einer Erschwerung des Marktzutritts führen und folglich eine Maßnahme gleicher Wirkung wie eine Einfuhrbeschränkung im Sinne der Dasson­ville-Formel darstellen.573 Nach der Keck-Formel stellt in Ausnahme zu der Dassonville-Formel eine mitgliedstaatliche Regelung dann keine Maßnahme gleicher Wirkung dar, wenn sie nur Verkaufsmodalitäten regelt, sofern diese Regelung für alle betroffenen Wirtschaftsteilnehmer gilt und sofern sie den Absatz der inländischen Erzeugnisse und der Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten rechtlich wie tatsächlich in der gleichen Weise berührt.574 Der Ausschluss EU-ausländischer Apotheker von der kollektivvertraglichen Versorgung stellt eine bloße Verkaufsmodalität dar, denn es geht um die Frage, ob der Apotheker seine Vergütung unmittelbar von der Krankenkasse erhält oder vom vorleistenden Versicherten.575 Jedoch führt der Ausschluss EU-ausländischer Apotheker vom Rahmenvertrag dazu, dass sie gegenüber inländischen Apothekern erschwerten Marktzugangsbedingungen unterliegen: Während EU-ausländische Apotheker unter Umständen mit jeder einzelnen Kasse einen Selektivvertrag aushandeln müssen, um deren jeweilige Versicherte versorgen zu können, eröffnet inländischen Apothekern eine einzige Rechtshandlung, mit der die Verbindlichkeit des Rahmenvertrags herbeigeführt wird, den Zutritt zum gesamten deutschen GKV-Markt.576 Eine Ausnahme im Sinne der Keck-Formel ist deshalb nicht gegeben.

570 Allgemein für Leistungserbringer in der GKV Udsching/Harich, EuR 2006, S. 794 (800); für Vertragsärzte U. Becker, in: Handbuch des Vertragsarztrechts, 3. Aufl., § 23 Rn.  56 mit Fn. 225. Vgl. auch Rixen, S. 334 ff. 571 s. die Website des GKV-Spitzenverbandes: https://www.gkv-spitzenverband.de/kranken­ versicherung/kv_grundprinzipien/alle_geetzlichen_krankenkassen/alle_gesetzlichen_kranken kassen.jsp. 572 Könen, S. 97 f.; Koenig/Klahn, GesR 2006, S. 58 (63). 573 Könen, S. 101 ff.; Koenig/Klahn, GesR 2006, S. 58 (62 ff.). 574 EuGH, Rs. C-267/91, 268/91, NJW 1994, 121, Rn.  16 f.  – Keck und Mithouard; Rs. C-212/09, ZIP 2012, 221 ff., Rn.  63 f.  – Kommission/Portugal.  – Zur Keck-Formel s. auch v. der Groeben/Schwarze/Hatje/P.-C. Müller-Graff, Art. 34 AEUV Rn. 237 ff.; Ehlers, in: Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, § 7 Rn. 99 ff.; Kellerhals, in: EnzEuR, Bd. 4, § 6 Rn. 39 ff. 575 Koenig/Klahn, GesR 2006, S. 58 (63). 576 Könen, S.  97 f.; Koenig/Klahn, GesR 2006, S.  58 (63); Sichert, EuR-Beiheft 2/2007, S. 191 (115).

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Kap. 2: Das Kollektivvertragsrecht des § 129 SGB V

bb) Mögliche Rechtfertigungsgründe Der Ausschluss EU-ausländischer Apotheker vom Rahmenvertrag ist möglicherweise rechtfertigungsfähig. Nach Art.  36 AEUV können Beschränkungen der Warenverkehrsfreiheit insbesondere aus Gründen des Gesundheitsschutzes oder aus Gründen der öffentlichen Ordnung gerechtfertigt werden. Daneben können nach der sog. Cassis-Formel Maßnahmen gleicher Wirkung aus zwingenden Erfordernissen des Allgemeinwohls gerechtfertigt sein.577 Sofern ein solcher Rechtfertigungstatbestand dem Grund nach eingreift, muss die mitgliedstaatliche Maßnahme weiterhin verhältnismäßig sein, d. h., sie muss zur Erreichung des rechtfertigenden Zwecks geeignet sein, es darf kein weniger belastendes, aber gleich effektives Mittel zur Verfügung stehen und die Maßnahme muss angemessen sein.578 Der EuGH prüft dabei schwerpunktmäßig die Geeignetheit und die Erforderlichkeit.579 Nach der gefestigten Rechtsprechung des EuGH ist es mit den Grundfreiheiten ausländischer Leistungserbringer nicht vereinbar, wenn Versicherten die Kostenerstattung für im Ausland beschaffte Leistungen versagt wird.580 Nur im Bereich der planungs- und investitionsintensiven Krankenhausversorgung kann ein Genehmigungserfordernis vorgesehen werden, wobei die Genehmigung nur versagt werden darf, wenn die Versagung zum Erhalt der inländischen stationären Versorgung notwendig ist und dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz genügt.581 Nur am Rande thematisiert wurde in der Judikatur des EuGH dagegen bislang die Frage, ob es grundfreiheitlich geboten sein kann, dass EU-ausländische Leistungserbringer nicht nur im Wege der Kostenerstattung in Anspruch genommen werden, sondern sich zusätzlich in ein im Heimatland des Versicherten bestehendes Sach­leistungssystem integrieren können. Teilweise wird daraus der Schluss gezo 577 EuGH, Rs. C-120/78, NJW 1979, 1766 f., Rn. 8 – Cassis de Dijon; Rs. C-6/05, EuZW 2007, 441 ff., Rn. 60 – Medipac-Kazantzidis AE/Venizeleio-Pananeio (PE. S. Y. KRITIS); Rs. C-244/06, EuZW 2008, 177 ff., Rn. 27 – Dynamic Medien Vertriebs GmbH/Avides Media AG. Zur Cassis-Formel s. auch Kellerhals, in: EnzEuR, Bd. 4, § 6 Rn. 35 ff. – Zur umstrittenen dogmatischen Einordnung der Cassis-Formel als ungeschriebenem Rechtfertigungsgrund oder Tatbestandsausnahme s. Calliess/Ruffert/Kingreen, Art. 36 AEUV Rn. 80 ff.; Frenz, Rn. 536; Ehlers, in; Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, § 7 Rn.  84; Fremuth, EuR 2007, S. 866 ff. 578 Calliess/Ruffert/Kingreen, Art. 36 AEUV Rn. 87 ff.; Frenz, Rn. 1235 ff.; Ehlers, in: Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, § 7 Rn. 130. 579 EuGH, Rs. C-573/12, NVwZ 2014, 1073 ff.; Rn. 76 – Ålands Vindkraft; Rs. C-108/13, EU:C:2014:2346, Rn. 39 – Mac; Rs. C-98/14, EWS 2015, 175 f., Rn. 64 – Berlington Hungary. S. dazu auch Frenz, Rn. 1245; Calliess/Ruffert/Kingreen, Art. 36 AEUV Rn. 93. 580 s. dazu die Entscheidungen des EuGH: EuGH, Rs. C-120/95, NJW 1998, 1769 ff. – Decker; Rs. C-158/96, NJW 1998, 1771 ff.  – Kohll; Rs. C-368/98, NJW 2001, 3397 ff.  – Vanbraekel; Rs. C-157/99, NJW 2001, 3391 ff. – Smits und Peerbooms; Rs. C-385/99, NJW 2003, 2298 ff. – Müller-Fauré und van Riet; Rs. C-372/04, ZESAR 2006, 266 ff. – Watts. 581 Vgl. jeweils EuGH, Rs. C-157/99, NJW 2001, 3391 ff., Rn. 76 ff. – Smits und Peerbooms; Rs. C-385/99, NJW 2003, 2298 ff., Rn.  76 ff.  – Müller-Fauré und van Riet; Rs. C-372/04, ZESAR 2006, 266 ff., Rn. 108 ff. – Watts.

D. Die Integration EU-ausländischer Apotheker

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gen, dass der EuGH es generell billige, wenn die Inanspruchnahme EU-ausländischer Leistungserbringer auf den Weg der Kostenerstattung begrenzt werde.582 Diese Einschätzung erscheint allerdings zweifelhaft. Oft bestand zur Klärung dieser Frage für den EuGH schon deshalb kein Anlass, weil das in Frage stehende Krankenversicherungssystem auch für Inlandsleistungen nur Kostenerstattung gewährte. In den Entscheidungen Smits und Peerboms und Müller-Fauré und van Riet betreffend die grenzüberschreitende Inanspruchnahme von Krankenhausbehandlung bestand zwar im Heimatland der Versicherten ein Sachleistungssystem, doch ging der EuGH in einem obiter dictum583 davon aus, dass angesichts der geringen Zahl von Auslandskrankenbehandlungen bei Krankenhäusern in der Regel keine praktische Notwendigkeit und daher kein Wille bestehe, mit Krankenkassen fremder Staaten Verträge über die Leistungserbringung abzuschließen.584 Aus Sicht des EuGH bestand somit bislang lediglich noch kein Anlass, über grundfreiheitliche Ansprüche von Leistungserbringern auf Aufnahme in Sachleistungssysteme anderer Länder zu entscheiden. Gebilligt hat der EuGH einen Ausschluss EU-ausländischer Leistungserbringer von nationalen Sachleistungssystemen hingegen nicht. (1) Folgen einer Öffnung des territorial beschränkten Leistungserbringungsrechts In Betracht kommt, dass der Ausschluss EU-ausländischer Apotheker von der Teilnahme an der Versorgung gesetzlich Versicherter über den Rahmenvertrag vor dem Hintergrund des völkerrechtlichen Territorialitätsprinzips gerechtfertigt werden kann, das die Vornahme von Hoheitsakten im Ausland verbietet. Die Sanktionen nach § 129 IV SGB V sind als Verwaltungsakte und damit als Hoheitsakte zu qualifizieren.585 Sie müssten EU-ausländischen Apothekern zu ihrer Wirksamkeit schriftlich oder fernmündlich bekannt gegeben werden. Das völkerrechtliche Territorialitätsprinzip könnte einer solchen Auslandsbekanntgabe entgegenstehen, sodass in der Folge die Tätigkeit EU-ausländischer Apotheker womöglich keiner Steuerung mehr zugänglich wäre.586 Ob das völkerrechtliche Territorialitätsprinzip eine Auslandsbekanntgabe von Verwaltungsakten verbietet, ist indessen um-

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Kaufmann, S. 89. Unmittelbar zur Vorabentscheidung vorgelegt worden war dem EuGH jeweils nur die Frage, ob Versicherten bei Auslandskrankenbehandlung Kostenerstattungsansprüche gewährt werden müssen. 584 EuGH, Rs. C-157/99, NJW 2001, 3391 ff., Rn. 65 f. – Smits und Peerbooms; Rs. C-385/99, NJW 2003, 2298 ff., Rn. 43 – Müller-Fauré und van Riet. 585 s. oben B. IV. 2. 586 Vgl. allgemein Giesen, S.  108; U. Becker, NJW 2003, S.  2272 (2275); Udsching/ Harich, EuR 2006, S. 794 (800 f.); EuGH, Rs. C-385/99, NJW 2001, 3391 ff., Rn. 93 – Smits und ­Perbooms. 583

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Kap. 2: Das Kollektivvertragsrecht des § 129 SGB V

stritten. Die Frage gilt als derzeit noch ungelöst.587 Einerseits wird vertreten, dass eine Auslandsbekanntgabe mit dem Territorialitätsprinzip vereinbar sei, da die bekanntgebende Behörde sich nicht physisch ins Ausland begebe.588 Die Gegenansicht geht hingegen davon aus, dass eine Auslandsbekanntgabe hoheitliches Tätigwerden auf fremdem Staatsgebiet darstelle,589 weil ein im Inland begonnener Bekanntgabevorgang erst im Ausland vollendet werde.590 Nur im Verhältnis zu einigen europäischen Staaten ist die Auslandsbekanntgabe unzweifelhaft möglich, weil diese Mitgliedstaaten das EuZustÜ591 ratifiziert haben, das den Vertragsstaaten sogar die förmliche Zustellung von Schriftstücken im Ausland auf dem Postweg erlaubt.592 Selbst wenn eine Auslandsbekanntgabe völkerrechtswidrig sein sollte, scheidet die Verhängung von Sanktionen gegen EU-ausländische Apotheker aber nicht von vornherein aus. In Betracht kommt, dass die sanktionierende Stelle den Sanktionsbescheid öffentlich zustellen lassen kann. Das Verwaltungszustellungsrecht bietet in § 10 I 1 Nr. 3 VwZG593 die Möglichkeit, einen Verwaltungsakt öffentlich zuzustellen, wenn eine Zustellung im Ausland nicht möglich oder nicht erfolgversprechend ist. Die Auslandszustellung ist in § 9 VwZG geregelt. Sofern nicht völkerrechtlich die Postzustellung ins Ausland gestattet ist, muss die Erlassbehörde danach versuchen, eine ausländische Behörde um die Durchführung der Zustellung zu ersuchen. Keinen Erfolg im Sinne von § 10 I 1 Nr. 3 VwZG verspricht eine Auslandszustellung, wenn die ausländische Behörde das Zustellungsersuchen ablehnt594 oder wenn gemessen an der Eilbedürftigkeit des konkreten Falles und den betroffenen Interessen das Prozedere nach § 9 VwZG zu langwierig wäre.595 Je nach Einzelfall muss nur eine kurze Zeit abgewartet werden.596 587

Ohler/Kruis, DÖV 2009, S. 93 (95). Kaufmann, S.  73 f.; Kment, S.  297; P. Stelkens/Bonk/Sachs/U. Stelkens, § 41 VwVfG Rn. 218; OVG Münster, NWVBl. 2010, 321 (325). Vgl. auch Zechel, S. 21 f. 589 Siegrist, S. 82, 168; Stein/von Buttlar, Rn. 540; BVerfGE 63, 343 (372); BFHE 191, 202 (204); in Bezug auf die Vertragsarztzulassung BSGE 53, 150 (154). 590 Siegrist, S. 82. 591 Europäisches Übereinkommen über die Zustellung von Schriftstücken in Verwaltungssachen im Ausland. 592 Die Erlaubnis folgt aus Art. 11 Nr. 1 EuZustÜ. Neben Deutschland sind Vertragsstaaten Belgien, Estland, Frankreich, Italien, Luxemburg, Österreich und Spanien. 593 Das VwZG gilt gemäß § 1  I  VwZG nur für bundesunmittelbar geführte Krankenkassen. Für landesunmittelbar geführte Kassen muss auf das jeweilige Landesverwaltungszustellungsrecht zurückgegriffen werden. Zu entsprechenden landesrechtlichen Regelungen s. etwa § 11 I Nr. 3 VwZG B-W; Art. 15 I Nr. 4 VwZG BY; § 15 I Nr. 3 SächsVwZG. 594 BeckOK VwVfG/L. Ronellenfitsch, § 10 VwZG Rn.  20; Engelhardt/App/Schlatmann/ Schlatmann, § 10 VwZG Rn. 7; BVerwGE 104, 301 (309). 595 BeckOK VwVfG/L. Ronellenfitsch, § 10 VwZG Rn.  21; Engelhardt/App/Schlatmann/ Schlatmann, § 10 VwZG Rn.  8.  – Für die Auslandszustellung im Zivilverfahrensrecht nach § 185 Nr. 3 ZPO s. Musielak/Voit/Wittschier, § 185 ZPO Rn. 6; Münchener Kommentar ZPO/ Häublein, § 185 ZPO Rn. 13; BGH, NJW-RR 2009, 855 (856). 596 Für § 185 Nr. 3 ZPO jeweils Musielak/Voit/Wittschier, § 185 ZPO Rn. 6; Münchner Kommentar ZPO/Häublein, § 185 ZPO Rn. 13. 588

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Damit Sanktionsbescheide öffentlich zugestellt werden können, müsste das VwZG auf die Verhängung von Sanktionen gegenüber Apothekern aber anwendbar sein. In § 37 V SGB X heißt es, dass die Vorschriften über die Bekanntgabe eines Verwaltungsaktes im Wege der Zustellung unberührt bleiben. Nach § 1 II VwZG597 kann ein Verwaltungsakt zugestellt werden, wenn die Zustellung gesetzlich vorgeschrieben ist oder wenn sie von der Behörde angeordnet wurde. Im Hinblick auf die Zustellung der Sanktionsbescheide kommt nur eine Zustellung kraft behördlicher Anordnung in Betracht, denn gesetzlich vorgeschrieben ist deren Zustellung nicht. Bei der Anordnung der Zustellung handelt es sich um eine verwaltungsinterne Entscheidung, die im Ermessen der Behörde steht.598 Dagegen, dass im Sozialrecht eine behördliche Anordnung der Zustellung im Sozialrecht zulässig ist, könnte auf den ersten Blick ein Umkehrschluss zu § 65 I SGB X sprechen, denn nach dieser Vorschrift sind die §§ 2–10 VwZG599 entsprechend anwendbar, soweit eine Zustellung „vorgeschrieben“ ist. § 65 I SGB X schließt Ermessenszustellungen im Sozialrecht aber nicht aus.600 Die Vorschrift regelt nicht das „Ob“ der Zustellung, sondern nur das „Wie“ in den Fällen, in denen die Zustellung gesetzlich angeordnet ist.601 Die Vorschrift des § 65 I SGB X steht damit einer Zustellungsanordnung in Bezug auf Sanktionsbescheide nicht entgegen. Die Anordnung der Zustellung ist trotz der grundsätzlichen Formfreiheit des Verwaltungsverfahrens nicht ermessensfehlerhaft, solange die Behörde bei der Anordnung nicht willkürlich vorgeht oder schutzwürdige Belange des Betroffenen missachtet.602 Ein berechtigter Grund für die Anordnung der Zustellung liegt insbesondere vor, wenn eine öffentliche Zustellung erforderlich ist, weil eine formlose Bekanntgabe keinen Erfolg verspricht.603 Jedenfalls über den Weg der öffentlichen Zustellung können deshalb Sanktionen gegenüber EU-ausländischen Apothekern bekanntgegeben werden. Die Verhängung von Sanktionen nach § 129 IV SGB V wird deshalb durch das völkerrechtliche Territorialitätsprinzip nicht verhindert.

597

Für landesunmittelbar geführte Krankenkassen bietet das in diesem Fall anzuwendende Landesverwaltungszustellungsrecht jeweils vergleichbare Ermessensregelungen, s. – mit einer Übersicht über die landesrechtlichen Vorschriften – jurisPK-SGB X/Pattar, § 37 SGB X Rn. 139. 598 BeckOK OWiG/Preisner, § 1 VwZG Rn.  7 f.; Engelhardt/App/Schlatmann/Schlatmann, § 1 VwZG Rn. 10; Fehling/Kastner/Störmer/Danker, § 1 VwZG Rn. 5; Kopp/Ramsauer, § 41 VwVfG Rn. 59. 599 § 65 I SGB X betrifft nur bundesunmittelbar geführte Sozialbehörden. Für landesunmittel­ bar geführte Behörden wird nach § 65 II SGB X auf das jeweilige Landesverwaltungszustellungsrecht verwiesen. 600 Hauck/Noftz/Littmann, § 65 SGB X Rn. 14; jurisPK-SGB X/Pattar, § 37 SGB X Rn. 139 f.; Kasseler Kommentar/Mutschler, § 65 SGB X Rn.  7; v. Wulffen/Schütze/Roos, § 65 SGB X Rn. 4; App, SGb 1996, S. 366. 601 GK-SGB X 1/Siewert, § 65 SGB X Rn. 11; App, SGb 1996, S. 366. 602 BeckOK OWiG/Preisner, § 1 VwZG Rn. 7. 603 Fehling/Kastner/Störmer/Danker, § 1 VwZG Rn. 5 (mit Beispiel des unbekannten Aufenthaltsorts); Kopp/Ramsauer, § 41 VwVfG Rn. 59.

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Besteht die verhängte Sanktion in einer Geldbuße, muss es aber weiterhin möglich sein, die Zahlung des Bußgeldes durchzusetzen. Normalerweise würde die durch Verwaltungsakt verhängte Geldbuße mittels Verwaltungszwangs beigetrieben. Die Anwendung von Verwaltungszwang im Ausland ist allerdings nach zutreffender allgemeiner Ansicht völkerrechtswidrig, da sich zur Vollstreckung deutsche Behördenmitarbeiter ins Ausland begeben müssten.604 Soweit Geldbußen nicht im Wege des Verwaltungszwangs beigetrieben werden können, erschwert das Territorialitätsprinzip daher die Steuerung der Leistungserbringung durch EU-ausländische Apothekeninhaber, die an der Versorgung gesetzlich Versicherter über den Rahmenvertrag teilnehmen. Eine unwirtschaftliche Leistungserbringung durch EU-ausländische Apotheker mit nachteiligen finanziellen Folgen für das Krankenversicherungssystem sowie allgemein eine Missachtung krankenversicherungsrechtlicher Vorgaben für die Leistungserbringung können daher nicht umfassend geahndet werden, soweit den sanktionierenden Stellen die Möglichkeit fehlt, Geldbußen zwangsweise durchsetzen können. Ein Ausschluss EU-ausländischer Apotheker von der Versorgung verhindert, dass es zu solchen Ahndungslücken kommt, und trägt damit zum Erhalt der finanziellen Leistungsfähigkeit der GKV und zur Einhaltung der geltenden Leistungsvorgaben bei. Vor diesem Hintergrund kommt die Anwendbarkeit mehrerer Rechtfertigungsgründe in Betracht. Soweit die Sicherung der finanziellen Leistungsfähigkeit der GKV sowie die Durchsetzung der bestehenden Leistungsvorgaben dazu dienen, eine Gesundheitsversorgung auf hohem Niveau aufrechtzuerhalten, ist der Rechtfertigungsgrund „Gesundheitsschutz“ betroffen.605 Die öffentliche Ordnung umfasst die Gesamtheit der hoheitlich festgelegten, unverzichtbaren Grundregeln, die im Interesse der politischen und sozialen Struktur des jeweiligen Gemeinwesens erlassen worden sind.606 Da zur öffentlichen Ordnung soziale Sicherungssysteme zählen können, sind Mechanismen, die deren finanzielle Leistungsfähigkeit sichern oder die Einhaltung des für das Sicherungssystem geltenden Rechts bewirken sollen, Bestandteil der öffentlichen Ordnung.607 Schließlich kann das finanzielle Gleichgewicht der gesetzlichen Krankenversicherung sowie die Beachtung der für die Leistungserbringung geltenden Vorgaben ein zwingendes Allgemeinwohlinteresse im Sinne der Cassis-Formel dar 604 Dahm/Delbrück/Wolfrum, S. 328; Kaufmann, S. 73 f.; Kment, S. 299; Zechel, S. 21 f., 61. Vgl. auch Geck, in: Strupp/Schlochauer, S. 795. Allgemein zur Völkerrechtswidrigkeit von im Ausland vorgenommenen staatlichen Zwangsmaßnahmen v. Arnauld, Rn. 364. 605 EuGH, Rs. C-158/96, NJW 1998, 1771 ff., Rn.  50  – Kohll; Rs. C-157/99, NJW 2001, 3391 ff., Rn. 73 – Smits und Peerbooms; Rs. C-368/98, NJW 2001, 3397 ff., Rn. 48 – ­Vanbraekel. 606 EuGH, Rs. C-30/77, Slg. 1977, 1999 ff., Rn. 33/35 – Bochereau; Frenz, Rn. 1086; v. der Groeben/Schwarze/Hatje/P.-C. Müller-Graff, Art. 36 AEUV Rn. 50; Kellerhals, in: EnzEuR, Bd. 4, § 6 Rn. 50. 607 Kingreen, Sozialstaatsprinzip, S. 527; Udsching/Harich, EuR 2006, S. 794 (806 f.). Allgemein zu wichtigen öffentlichen Einrichtungen und deren Funktionsfähigkeit als Teil der öffentlichen Ordnung v. der Groeben/Schwarze/P.-C. Müller-Graff, Art. 34 AEUV Rn. 53.

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stellen.608 Der Anwendungsbereich der Cassis-Formel ist allerdings umstritten. Nach verbreiteter Ansicht ist die Cassis-Formel auf unmittelbar oder auch nur mittelbar diskriminierende Regelungen unanwendbar.609 Folgt man dem, könnte die Cassis-Formel vorliegend unanwendbar sein, denn die Beschränkung des Rahmenvertrags auf in Deutschland ansässige Apotheken könnte – da im EU-Ausland ansässige Apotheker typischerweise keine deutschen Staatsangehörigen sind610 – eine jedenfalls mittelbare Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit bedeuten.611 Zudem könnte in der Beschränkung des Rahmenvertrags auf in Deutschland ansässige Apotheker eine von den Grundfreiheiten ebenfalls erfasste612 Diskriminierung aus Gründen des Grenzübertritts zu sehen sein.613 Die Frage nach der Anwendbarkeit der Cassis-Formel kann jedoch dahinstehen, wenn selbst bei grundsätzlicher Anwendbarkeit der Cassis-Formel eine Rechtfertigung ausscheiden würde. (2) Zur Erforderlichkeit der territorialen Beschränkung Der Ausschluss EU-ausländischer Apotheker vom Rahmenvertrag müsste zur Wahrung der finanziellen Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung und zur Einhaltung der leistungserbringungsrechtlichen Vorgaben erforderlich sein. Es dürfte kein weniger einschneidendes, aber genauso effektives Mittel existieren. Um durch das völkerrechtliche Territorialitätsprinzip bedingte Verluste hoheit-

608 Für das finanzielle Gleichgewicht der gesetzlichen Krankenversicherung EuGH, Rs. C-120/95, NJW 1998, 1769 ff., Rn. 41 – Decker; Rs. C-158/96, NJW 1998, 1771 ff., Rn. 41 – Kohll; Rs. C-368/98, NJW 2001, 3397 ff., Rn.  47  – Vanbraekel; Rs. C-350/07, NJW 2009, 1325 ff., Rn. 85 – Kattner Stahlbau. 609 Zur Problematik und zur insoweit uneinheitlichen Rechtsprechung des EuGH s. Frenz, Rn. 545 ff., Rn. 1191 ff.; Calliess/Ruffert/Kingreen, Art. 36 AEUV Rn. 82; Ehlers, in: Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, § 7 Rn. 119; Kahl, FS Müller-Graff, S. 682 (683 ff.); Kellerhals, in: EnzEuR, Bd. 4, § 6 Rn. 38. – Der EuGH geht in Rs. C-224/97, EuZW 1999, 405 ff., Rn. 16 – Ciola, etwa davon aus, dass diskriminierende Regelungen nur durch geschriebene Rechtfertigungsgründe gerechtfertigt werden könnten; in Bezug auf eine Ausländerklausel im Profifußball prüft der EuGH dagegen, ob zwingende Gründe des Allgemeinwohls diese Klausel rechtfertigen, EuGH Rs. C-415/93, NJW 1996, 505 ff., Rn. 121 ff. – Bosman (Bsp. jeweils nach Calliess/Ruffert/Kingreen, Art. 36 AEUV Rn. 82). 610 Vgl. Willhöft, S. 132. 611 Koenig/Klahn, GesR 2006, S. 58 (62). Eine unmittelbare Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit nimmt an Könen, S. 103. 612 Dazu, dass die Grundfreiheiten nicht nur Diskriminierungen aus Gründen der Staatsangehörigkeit, sondern auch aus Gründen des Grenzübertritts verbieten: Kingreen, Struktur der Grundfreiheiten, S. 138 f.; Mühl, S. 96 f.; Calliess/Ruffert/Kingreen, Art 36 AEUV Rn. 70; ebenso für ein Verbot der Diskriminierung aus Gründen des Grenzübertritts in Bezug auf die Warenverkehrsfreiheit Frenz, EuR 2002, S.  603 (608). Vgl. auch Ehlers, in: Handbuch der Grundrechte und Grundfreiheiten, § 7 Rn. 28. 613 Allgemein für territoriale Begrenzungen des Leistungserbringungsrechts Willhöft, S. 132 f. Vgl. auch Udsching/Harich, EuR 2006, S. 794 (800).

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licher Handlungsmöglichkeiten zu kompensieren, wird mitunter eine Kooperation mit ausländischen Behörden614 oder der Abschluss eines Verwaltungsabkommens mit dem fremden Staat615 vorgeschlagen. Der Erfolg dieser Vorgehensweisen hängt jedoch vom Willen der zuständigen Organe des fremden Staates ab und ist deshalb oft nur beschränkt erfolgversprechend.616 Möglich scheint es jedenfalls, den Verlust der Vollstreckungsmöglichkeit durch spezielle rahmenvertragliche Vorschriften auszugleichen.617 Es ließe sich im Rahmenvertrag beispielsweise regeln, dass als Ausgleich für die fehlende Vollstreckungsmöglichkeit das Honorar des mit einer Geldbuße belegten Apothekers von den Krankenkassen ganz oder teilweise einbehalten und an die sanktionierende Stelle abgeführt wird, bis der festgesetzte Betrag beglichen ist. Ein solcher Mechanismus würde zwar eine Datenweitergabe voraussetzen, der ausländische Apotheker vor der Teilnahme an der Versorgung zustimmen müssten, denn die Tatsache, dass ein bestimmter Apotheker mit einer Buße belegt worden ist, müsste allen Krankenkassen übermittelt werden. Da keine sensiblen Daten betroffenen sind, würde eine solche Datenübermittelung weder gegen das informationelle Selbstbestimmungsrecht der Apotheker noch – für den Fall, dass die Aussicht einer Datenübermittlung die Attraktivität der Teilnahme an der Versorgung gesetzlich Versicherter mindern sollte – gegen die Warenverkehrsfreiheit verstoßen. Ein effektiver Mechanismus zur Durchsetzung von Geldbußen stünde damit bereit. Der Ausschluss im EU-Ausland ansässiger Apotheker vom Rahmenvertrag wäre somit nicht erforderlich und damit mit der Warenverkehrsfreiheit nicht vereinbar. c) Implementierung der europarechtlichen Vorgaben Bei der Auslegung von § 129 SGB  V könnten die europarechtlichen Vorgaben in der Weise zu berücksichtigen sein, dass auch EU-ausländischen Apothekern die Teilnahme am Rahmenvertrag offensteht. Der Anwendungsvorrang des Europarechts gebietet die unionsrechtskonforme Auslegung nationalrechtlicher Vorschriften.618 Rechtsanwender sind verpflichtet, eine nationale Regelung so auszulegen, dass sie inhaltlich mit den europarechtlichen Vorgaben in Einklang 614

Kingreen, Sozialstaatsprinzip, S. 529; Zechel, S. 64 ff. Godry, ZfSH/SGB 1997, S.  416 (420). Vgl. auch EuGH, Rs. C-101/94, EuZW 1996, 571 ff., Rn. 24 – Kommission/Italien. 616 Für Kooperationsersuchen Kötter, VSSR 1996, S. 345 (347). Für Verwaltungsabkommen Zechel, S. 65. 617 Allgemein zur Kompensation des Fehlens hoheitlicher Handlungsformen durch SonderVertragsbestimmungen für ausländische Leistungserbringer Giesen, S. 108; Kingreen, Sozialstaatsprinzip, S. 529; U. Becker, NZS 1998, S. 359 (363 mit Fn. 40); Godry, ZfSH/SGB 1997, S. 416 (420); Kötter, VSSR 1998, S. 233 (249 f.). 618 v. der Groeben/Schwarze/Hatje/Obwexer, Art. 4 EUV Rn. 117; Leible/Domröse, in: Europäische Methodenlehre, § 8 Rn. 44 ff. Vgl. auch Weiß, in: Europarecht – Grundlagen der Union, § 5 Rn. 227. 615

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steht.619 Das Gebot zur unionsrechtskonformen Auslegung ist dabei nicht auf eine Auslegung im technischen Sinne beschränkt, sondern kann auch eine Rechtsfortbildung gebieten.620 Gerichte müssen die ihnen zur Verfügung stehenden methodischen Möglichkeiten voll ausschöpfen, um europarechtlichen Vorgaben zur Durchsetzung zu verhelfen.621 Scheitert die europarechtskonforme Auslegung einer Vorschrift hingegen, so darf die Vorschrift insgesamt nicht angewendet werden.622 Umstritten ist allerdings die genaue Reichweite der Verpflichtung zur europarechtskonformen Auslegung. Teilweise wird die Pflicht zur unionsrechtskonformen Auslegung so verstanden, dass sie innerhalb der Wortlautgrenze alle Auslegungsmethoden verdränge, die im konkreten Fall zu einem den europarechtlichen Vorgaben widersprechenden Ergebnis führen würden.623 Nach der Rechtsprechung des EuGH624 sowie einer Literaturansicht625 besteht die Verpflichtung zur unionsrechtskonformen Auslegung jedoch nur innerhalb der Grenzen der jeweiligen mitgliedstaatlichen Methodik und kann daher nicht zu Auslegungsergebnissen führen, die sich nach herkömmlicher mitgliedstaatlicher Methodik nicht erzeugen ließen. Oben hat sich gezeigt, dass der Wortlaut von § 129 SGB  V gegenüber einer Teilnahme EU-ausländischer Apotheker am Rahmenvertrag offen ist, dass aber vor allem die Entstehungsgeschichte von § 129 SGB  V dagegen spricht, sodass die Geltung des Rahmenvertrags für EU-ausländische Apotheker nach nationalrechtlicher Methodik an sich abzulehnen war.626 Eine europarechtskonforme Auslegung von § 129 SGB  V dahingehend, dass der Rahmenvertrag auch für EUausländische Apotheker gilt, scheidet damit aber nicht zwangsläufig aus. Dies gilt selbst dann, wenn man mit der Rechtsprechung des EuGH die Pflicht zur unionsrechtskonformen Auslegung so versteht, dass sie nur in den Grenzen der mitglied 619

s. nur EuGH, Rs. C-157/86, Slg. 1988, 686 ff., Rn.  11  – Murphy; Rs.  C-165/91, SozR 3-6083 Art. 4 Nr. 8, Rn. 34 – Van Munster; Calliess/Ruffert/Ruffert, Art. 1 EUV Rn. 24. – Allgemein zur europarechtskonformen Auslegung: v. der Groeben/Schwarze/Hatje/Obwexer, Art. 4 EUV Rn. 116 ff.; Weiß, in: Europarecht – Grundlagen der Union, § 5 Rn. 227 ff. 620 Calliess/Ruffert/Calliess/Kahl/Puttler, Art. 4 EUV Rn. 97 f.; Leible/Domröse, in: Europäische Methodenlehre, § 8 Rn. 57; Weiß, in: Europarecht – Grundlagen der Union, § 5 Rn. 227. 621 EuGH, Rs. C-97/11, NVwZ 2012, 1097 ff., Rn. 29 f. – Amia SpA; Rs. C-306/12, NJW 2014, 44 f., Rn. 30 – Spedition Welter. 622 EuGH, Rs. C-157/86, Slg. 1988, 686 ff., Rn.  11  – Murphy; Rs. C-8/02, ZESAR 2004, 334 ff., Rn. 58 – Leichtle; Leible/Domröse, in: Europäische Methodenlehre, § 8 Rn. 52, 60. 623 Herresthal, S.  289 ff.; Kruis, S.  162 ff.; Calliess/Ruffert/Ruffert, Art.  1 AEUV Rn.  24;­ Leenen, JURA 2012, S. 753 (759); GA Bot, Schlussanträge v. 25.11.2015 in der Rs. C-441/14, EU:C:2015:776, Rn.  53 ff.  – Dansk Industri/Rasmussen; krit. dazu Baldus/Raff, GPR 2016, S. 71 ff. 624 EuGH, Rs. C-157/86, Slg. 1988, 686 ff., Rn.  11  – Murphy; Rs. C-212/04, NJW 2006, 2465, Rn. 110 – Adeneler; Rs. C-268/06, ZESAR 2009, 44 ff., Rn. 100 – Impact; Rs. C-8/92, JZ 2005, 28 ff., Rn. 58 – Leichtle. Vgl. auch EuGH, Rs. C-165/91, SozR 3-6083 Art. 4 Nr. 8, Rn. 34 – van Munster. 625 Baldauf, S. 206 ff.; Calliess/Ruffert/Calliess/Kahl/Puttler, Art. 4 EUV Rn. 98; Weiß, in: Europarecht – Grundlagen der Union, § 5 Rn. 227. 626 s. oben D. I. 1. a).

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Kap. 2: Das Kollektivvertragsrecht des § 129 SGB V

staatlichen Methodik besteht. Die Tatsache, dass die Vorschrift des § 129 SGB V insgesamt nicht mehr angewendet werden dürfte, wenn sie EU-ausländische Apotheker von der Geltung des Rahmenvertrags ausnehmen würde, könnte nämlich zu einer Abschwächung der entstehungsgeschichtlichen Auslegungsaspekte führen, die gegen die Teilnahmemöglichkeit EU-ausländischer Apotheker am Rahmenvertrag sprechen. Die Erstreckung einer Vorschrift auf Sachverhalte, die sie aus entstehungsgeschichtlicher Sicht nicht erfassen sollte, kann einen schonenderen Eingriff in die Rechtsordnung darstellen als die europarechtlich bedingte vollständige Nichtanwendung der Vorschrift.627 Eine Vorschrift kann vor diesem Hintergrund grundsätzlich über den vom historischen Gesetzgeber vorgesehenen Anwendungsbereich hinaus angewandt werden, wenn dadurch eine andernfalls durch das Europarecht gebotene vollständige Nichtanwendung verhindert wird.628 Voraussetzung für eine solche erweiternde Anwendung ist, dass die Erstreckung der Vorschrift auf Sachverhalte, die sie nach dem Willen des historischen Gesetzgebers an sich nicht erfassen sollte, dem Regelungsplan der Gesamtrechtsordnung629 eher entspricht als die mit einer Unanwendbarkeit verbundenen Folgen.630 Lediglich wenn der Gesetzgeber beim Normerlass die Unanwendbarkeit einer Vorschrift wegen eines möglicherweise bestehenden Verstoßes gegen höherrangiges Recht bewusst in Kauf genommen hat, ist ein solches Vorgehen unzulässig.631 Die Unanwendbarkeit von § 129 SGB V würde zu einer Regelungslücke im System des SGB V führen,632 denn es fehlte dann gänzlich an einer Vorschrift über die Arzneimittelversorgung durch Apotheken im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung. Umgekehrt wären mit einer Einbeziehung EU-ausländischer Apotheker in die rahmenvertraglich gesteuerte Versorgung nach § 129 SGB V keine Nachteile für das deutsche Krankenversicherungssystem verbunden, denn es hat sich gezeigt, dass gegenüber im EU-Ausland ansässigen Apothekenbetreibern die Steuerungs- und Sanktionsinstrumente des § 129 IV SGB V zum Tragen kommen könnten. Bewusst in Kauf genommen hat der Gesetzgeber einen Verstoß gegen 627

Kruis, S. 245; Kokott/Henze, FS Spindler, S. 279 (296). Eingehend Kruis, S. 245 ff. S. weiterhin BFHE 222, 428 (430 f.); BFHE 222, 453 (456) und dazu Kokott/Henze, FS Spindler, S. 279 (293). 629 Zur Heranziehung der übrigen Rechtsordnung als Beurteilungsmaßstab in Fällen, in denen der vom historischen Gesetzgeber gewollte Regelungsinhalt europarechtswidrig ist und dadurch an sich die Unanwendbarkeit der Norm bedingt, vgl. Kruis, S. 232; Gebauer, in: Zivilrecht unter europäischem Einfluss, Kap. 4 Rn. 15; Höpfner/Rüthers, AcP 2009, S. 1 (33). 630 Für eine Elimination des europarechtswidrigen Tatbestandsmerkmals „inländisch“ in § 10 I Nr. 9 EStG a. F. BFHE 222, 428 (430 f.). Für eine Elimination des europarechtswidrigen Tatbestandsmerkmals „inländisch“ in § 3 Nr. 26 EStG a. F. BFHE 222, 453 (456). Zustimmend Kokott/Henze, FS Spindler, S. 279 (293, 295 f.). S. weiter die Beispiele bei Kruis, S. 251 ff. 631 Vgl. Herresthal, S. 326 ff. 632 Allgemein zur Entstehung von Regelungslücken bei Unanwendbarkeit nationaler Vorschriften Gebauer, in: Zivilrecht unter europäischem Einfluss, Kap. 4 Rn. 15; Leible/Domröse, in: Europäische Methodenlehre, § 8 Rn. 61. 628

D. Die Integration EU-ausländischer Apotheker

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Europarecht infolge eines Ausschlusses EU-ausländischer Apotheker vom Rahmenvertrag nicht. Eine Beteiligung EU-ausländischer Apotheker am Rahmenvertrag würde – obwohl sie vom historischen Gesetzgeber an sich nicht vorgesehen war – deshalb der Gesamtkonzeption des Krankenversicherungsrechts eher entsprechen als die gänzliche Unanwendbarkeit von § 129 SGB V. Das Ergebnis der historischen Auslegung von § 129 SGB  V, dass eine Teilnahme EU-ausländischer Apotheker am Rahmenvertrag an sich nicht möglich ist, tritt aus diesem Grund zurück. Der noch verbleibende gesetzessystematische Einwand, dass die ergänzenden Verträge auf Landesebene für ihren Geltungsbereich auf einen Sitz der Apotheker im Inland abstellen, spricht nicht zwingend gegen eine Teilnahme EU-ausländischer Apotheker am Rahmenvertrag.633 Die Teilnahme EU-ausländischer Apotheker am Rahmenvertrag ist deshalb möglich. 2. Die möglichen Formen der Rahmenvertragsbindung Als Form der Teilnahme EU-ausländischer Apotheker am Rahmenvertrag kommt zunächst der Vertragsbeitritt nach § 2b RV-AV in Betracht. Neben dem Beitritt wäre an die Gründung eines eigenen maßgeblichen Verbandes durch EUausländische Apotheker zu denken; die Gründung eines eigenen maßgeblichen Verbandes würde den EU-ausländischen Apothekern die inhaltliche Mitgestaltung des Rahmenvertrags erlauben. Ein maßgeblicher Verband EU-ausländischer Apotheker existiert derzeit aber nicht.634 Möglich könnte aber sein, dass EU-ausländische Apotheker einem Landesverband des Deutschen Apothekerverbands beitreten können. EU-ausländischen Apothekeninhabern könnte hierzu ein Aufnahmeanspruch nach § 20 V GWB gegen einen der deutschen Apothekerlandesverbände zustehen.635 Nach § 20 V GWB dürfen Wirtschafts- und Berufsvereinigungen die Aufnahme eines Unternehmens nicht ablehnen, wenn die Ablehnung eine sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung darstellen und zu einer unbilligen Benachteiligung des Unternehmens im Wettbewerb führen würde. Der Ausschluss von einer Verbandsmitgliedschaft stellt unter anderem dann eine Benachteiligung im Wettbewerb dar, wenn ein Verband besonderen Einfluss auf Rechtsetzungsverfahren hat.636 Nach ihren Satzungsbestimmungen stehen die Apothekerlandesverbände zwar nur Apotheken mit Sitz in dem jeweiligen Bundesland offen. Wenn eine Inter 633

s. oben D. I. 1. a). Sichert, EuR-Beiheft 2/2007, S. 101 (115), erwägt die Vertragspartnerschaft der European Association of Mail Service Pharmacies, hält dies derzeit aber für „mehr als Zukunftsmusik“. 635 Zum daneben aus § 826 BGB folgenden Aufnahmeanspruch gegenüber Monopolvereini­gun­ gen s. Bechtold/Bosch, § 20 GWB Rn. 64; Frankfurter Kommentar/Grave, § 20 GWB Rn. 203. 636 Vgl. Bechtold/Bosch, § 20 GWB Rn. 51; Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Dorß, § 20 GWB Rn. 198. 634

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Kap. 2: Das Kollektivvertragsrecht des § 129 SGB V

essenabwägung allerdings ergibt, dass das Interesse eines Unternehmens an der Aufnahme in einen Verband das Interesse des Verbandes überwiegt, seinen Mitgliederkreis zu bestimmen, überwindet § 20 V GWB satzungsmäßige Begrenzungen des Mitgliederkreises.637 Das Aufnahmeinteresse ausländischer Apotheker ergibt sich daraus, dass sie auf eine Mitgliedschaft in einem Apothekerlandesverband angewiesen sind, um den Rahmenvertrag inhaltlich mitgestalten zu können, z. B. durch die Initiierung von Beschlüssen auf Mitgliederversammlungen. Dieses Interesse wird zusätzlich dadurch legitimiert, dass § 129 III SGB V die mitgliedschaftliche Bindung als den Normalfall ansieht und der Vertragsbeitritt nur als Surrogat für Fälle konzeptioniert ist, in denen ein Apotheker keinem Verband beitreten will. Für die Landesverbände ist die Aufnahme ausländischer Apotheker zugleich mit keinen großen Belastungen verbunden. Die Willensbildung bezüglich der Vertragsaushandlung ist nicht derart von bundeslandspezifischen Bedürfnissen und Besonderheiten geprägt, dass die Beteiligung ausländischer Apotheker an der verbandsinternen Willensbildung zu Konflikten führen würde. Zudem müssten EU-ausländische Apotheker nicht voll in den Verband integriert werden, sondern es genügt, wenn sie an der Willensbildung in Bezug auf die Vertragsaushandlung teilnehmen könnten. Somit können EU-ausländische Apotheker nach § 20 V GWB Aufnahme in einen deutschen Apothekerlandesverband verlangen, wobei ein Apotheker jeweils wählen kann, gegen welchen der 17 Apothekerlandes­ verbände er diesen Anspruch geltend macht. Wenn EU-ausländische Apotheker in der Zukunft einen eigenen maßgeblichen Verband gründen sollten, würde allerdings kein Bedürfnis mehr bestehen, deutsche Verbände einem Aufnahmezwang zu unterwerfen; ein Aufnahmeanspruch EU-ausländischer Apotheker nach § 20 V GWB besteht dann nicht mehr.638

II. Partizipation an den ergänzenden Verträgen auf Landesebene Für die Teilnahme an der Versorgung gesetzlich Versicherter nach Maßgabe von § 129 SGB V genügt es, wenn EU-ausländische Apotheker für sich die Verbindlichkeit des Rahmenvertrags durch Vertragsbeitritt oder Verbandsmitgliedschaft begründen. Hingegen sind sie nicht gezwungen, zusätzlich die Geltung eines ergänzenden Vertrages für sich herbeizuführen, um an der Versorgung teilnehmen zu können. Die Bindung an einen ergänzenden Vertrag ist nur Voraus­ setzung für die Leistungserbringung, falls ein Apotheker mit Sitz in einem Bundesland der Bundesrepublik Deutschland einen bei einer Krankenkasse mit Sitz in demselben Bundesland versicherten Patienten versorgt und in diesem Bundesland ein ergänzender Vertrag existiert, an dem diese Kasse beteiligt ist.639 637

Immenga/Mestmäcker/Markert, § 20 GWB Rn.  143 ff.; Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Dorß, § 20 GWB Rn. 187. Vgl. auch Bechtold/Bosch, § 20 GWB Rn. 59; Frankfurter Kommentar/Grave, § 20 GWB Rn. 202. 638 Vgl. dazu allgemein Immenga/Mestmäcker/Markert, § 20 GWB Rn. 157. 639 s. dazu oben B. II. 1., 3.

D. Die Integration EU-ausländischer Apotheker

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Allerdings könnten EU-ausländische Apotheker ein Interesse daran haben, die Wirkung eines ergänzenden Vertrages für sich herbeizuführen. Häufig enthalten die ergänzenden Verträge vorteilhafte Regelungen, wie etwa Fristen für die Prüfung und Beanstandung von Abrechnungen durch die Krankenkassen.640 Die Möglichkeit für EU-ausländische Apotheker, sich an ergänzende Verträge zu binden, ist nicht dadurch ausgeschlossen, dass sich der Anwendungsbereich der ergänzenden Verträge grundsätzlich nach dem Sitz eines Apothekers in einem deutschen Bundesland richtet. Dass EU-ausländische Apotheker die Geltung eines ergänzenden Vertrages für sich herbeiführen können, wird vielmehr dadurch nahegelegt, dass sie nach dem soeben Gesagten gemäß § 20 V GWB die Aufnahme in einen Apothekerlandesverband beanspruchen können.641 Nach § 129 V 2 SGB V begründet nämlich die Mitgliedschaft in einem Apothekerlandesverband die Verbindlichkeit der von diesem Verband ausgehandelten ergänzenden Verträge für die Verbandsmitglieder. Sofern ein EU-ausländischer Apotheker einem Landesapothekerverband beitritt, ist der von dem Verband geschlossene ergänzende Vertrag für ihn maßgeblich. EU-ausländischen Apothekern, die nicht Mitglied eines deutschen Apotheker­ landesverbandes sind, wird man dagegen ein Wahlrecht einräumen müssen, welcher ergänzende Vertrag für sie gelten soll.642 Das Wahlrecht ist durch Erklärung des Vertragsbeitritts gegenüber dem vertragschließenden Verband auszuüben. In zeitlicher Hinsicht muss das Wahlrecht nur so beschränkt werden, dass ein EUausländischer Apotheker nicht beliebig oft den Vertrag wechseln kann, um sich besondere Vorteile zu verschaffen. Zu diesem Zweck bietet sich eine Analogie zu im SGB V ausdrücklich geregelten Beschränkungen von Wahlrechten an. In Betracht kommt vor allem eine Orientierung an den Vorschriften in § 53 VIII 1 Var. 1 SGB V und § 73b III 6 SGB V, die Versicherte für mindestens ein Jahr an bestimmte Wahltarife bzw. die Teilnahme an der hausärztlichen Versorgung binden. Diese Fristen haben spezifisch zum Zweck, eine „Rosinenpickerei“ durch Versicherte zu verhindern.643 Eine solche „Rosinenpickerei“ drohte auch, wenn EU-ausländische Apotheker beliebig zwischen ergänzenden Verträgen wählen könnten. Das Wahlrecht EU-ausländischer Apotheker ist deshalb in analoger Anwendung dieser Vorschriften dahingehend beschränkt, dass sie an ihre Wahl für mindestens ein Jahr gebunden sind.

640 s. beispielsweise § 17  I  ALV Baden-Württemberg (12 Monate); § 16  I  ALV Hessen (15 Monate). 641 Der Rahmenvertrag setzt in § 2b II 3, III 2 RV-AV stillschweigend voraus, dass ein ergänzender Vertrag auf Landesebene für einen EU-ausländischen Apotheker Geltung haben kann: Die genannten Regelungen befassen sich mit Fragen der Abrechnung und Preisbindung durch EU-ausländische Apotheker. Es wird dort jeweils erwähnt, dass sich entsprechende Vorgaben auch aus den ergänzenden Verträgen nach § 129 V SGB V ergeben können. 642 Nicht geboten ist dagegen, wie von Koenig/Klahn, GesR 2006, S. 58 (60), erwogen, EUausländischen Apothekern den Beitritt zu allen ergänzenden Verträgen gleichzeitig zu gestatten. 643 Vgl. BT-Drs. 16/3100, S. 109.

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Kap. 2: Das Kollektivvertragsrecht des § 129 SGB V

Falls EU-ausländischen Apothekern in der Zukunft die Errichtung eines eigenen maßgeblichen Verbandes gelingen sollte, würde ihre Möglichkeit, sich an ergänzende Verträge auf Landesebene zu binden, aber entfallen. Da nach Errichtung eines eigenen maßgeblichen Verbandes kein Aufnahmeanspruch nach § 20 V GWB gegen die Apothekerlandesverbände mehr besteht, entfällt für EU-ausländische Apotheker zunächst die Möglichkeit, sich an ergänzende Verträge kraft Verbandsmitgliedschaft zu binden. Darüber hinaus bestünde auch keine Notwendigkeit mehr, EU-ausländischen Apothekern die Bindung an einen ergänzenden Vertrag durch Ausübung eines Wahlrechts zu erlauben: Regelungen, die normalerweise Gegenstand ergänzender Verträge sind, könnten für EU-ausländische Apotheker dann durch den von ihnen gegründeten maßgeblichen Verband als Teil des Rahmenvertrags vereinbart werden.

III. Die Bestimmung der sanktionierenden Stelle Verletzt ein EU-ausländischer Apotheker gesetzliche oder kollektivvertragliche Pflichten, können gemäß § 129  IV 1, 3 SGB  V Sanktionen gegen ihn verhängt werden. Nach § 129 IV 1 SGB V sind die Vertragspartner auf Landesebene für die Sanktionierung zuständig, sodass sich die Zuständigkeit für die Sanktionierung in Abhängigkeit vom Sitz-Bundesland des Apothekers bestimmt. Probleme wirft diese Zuständigkeitsregelung insoweit auf, als ausländische Apotheker keinen Sitz in einem deutschen Bundesland haben. Um diesen Schwierigkeiten zu begegnen, regelt § 2b I 4 RV-AV, dass der GKV-Spitzenverband für die Sanktionierung EU-ausländischer Apothekeninhaber zuständig ist. Soweit ein EU-ausländischer Apotheker in einen Landesapothekerverband aufgenommen wurde oder sich durch Vertragsbeitritt an einen ergänzenden Vertrag gebunden hat, muss allerdings aufgrund des Gedankens der größtmöglichen Sachnähe, der § 129 IV SGB V zugrunde liegt,644 die Sanktionierung durch die Vertragspartner des jeweiligen Bundeslandes erfolgen.

IV. Geltung des deutschen Arzneimittelpreisrechts für EU-ausländische Apotheker Abschließend bleibt zu klären, unter welchen Rahmenbedingungen EU-aus­ ländische Apotheker an der kollektivvertraglichen Versorgung teilnehmen können. Nach § 78 I 4 AMG gelten auch für EU-ausländische Apotheker die Preisspannen der Arzneimittelpreisverordnung. Mit dieser Regelung wollte der Gesetzgeber die zuvor bei der Auslegung von § 78  I AMG a. F. umstrittene Frage klären, ob auf EU-ausländische Apotheker das deutsche Arzneipreisrecht Anwendung 644

s. oben B. IV. 4.

D. Die Integration EU-ausländischer Apotheker

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findet.645 Für EU-ausländische Apotheker würde danach das Preisspannenrecht der Arzneipreisverordnung gelten, wenn sie gesetzlich Versicherte versorgen. Allerdings ist fraglich, ob die Preisbindung EU-ausländischer Apotheker mit der Warenverkehrsfreiheit nach Art.  34 AEUV vereinbar ist. Dabei bietet sich eine Differenzierung danach an, ob EU-ausländische Apotheker die deutschen Arzneimittelpreise unterbieten oder ob sie einen höheren Preis verlangen wollen. 1. Verbot der Preisunterbietung Der EuGH hat es in seinem Urteil vom 19.10.2016 in der Rechtssache Deutsche Parkinson Vereinigung für eine nicht zu rechtfertigende Beschränkung der Warenverkehrsfreiheit angesehen, dass es EU-ausländischen Apothekern durch § 78  I  4 AMG verboten wird, die deutschen Arzneipreisspannen zu unterbieten.646 Zu Recht hat der EuGH dabei in dem Verbot der Preisunterbietung eine Maßnahme gleicher Wirkung wie eine Einfuhrbeschränkung gesehen, weil es den Marktzutritt EU-ausländischer Apotheker behindert.647 Die Möglichkeit, die deutschen Arzneipreise zu unterbieten, erlaubt es EU-ausländischen Apothekern, sich gegenüber inländischen Konkurrenten attraktiver zu machen; das Verbot der Preisunterbietung nimmt ihnen daher teilweise ihre Wettbewerbsfähigkeit.648 Eine Ausnahme nach der Keck-Formel649, wonach Verkaufsmodalitäten nur dann eine Maßnahme gleicher Wirkung darstellen, wenn sie eine rechtliche oder faktische Marktzutrittserschwerung für ausländische Wettbewerber bewirken, greift nicht ein. Zwar handelt es sich bei der Preisbindung um eine Verkaufsmodalität;650 allerdings wirkt die Preisbindung marktzugangsbeschränkend, weil ausländische Apothekeninhaber aufgrund ihrer geringeren Bekanntheit im Inland nur konkurrenzfähig sind, wenn sie deutsche Konkurrenten preislich unterbieten können.651 645 Zur Diskussion s. Diekmann/Idel, ApoR 2009, S. 93 ff.; Mand, GRUR Int 2005, S. 637 ff.; ders., PharmR 2008, S. 582 ff.; Wille, SdL 2007, Heft Nr. 1, S. 32 (43 f.). Die Preisbindung bejahend: BGH, NJW 2010, 3724 ff. Die Preisbindung verneinend: BSGE 101, 161 (166 ff.); BSG SozR 4-2500 § 130a Nr. 5 Rn. 14. 646 EuGH, Rs. C-148/15, NJW 2016, 3771 ff., Rn. 19 ff. – Deutsche Parkinson Vereinigung. – In der Folgezeit wurde diskutiert, ob der Versandhandel mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln vollständig verboten werden sollte, und es wurde vom BMG ein dahingehender Referentenentwurf erarbeitet. In dieser Legislaturperiode ist ein entsprechendes Gesetz aber nicht erlassen worden. S. dazu Koenig, PharmR 2017, S. 85 ff.; Wodarz, PharmR 2017, S. 131 ff. 647 EuGH, Rs. C-148/15, NJW 2016, 3771 ff., Rn. 22 ff. – Deutsche Parkinson Vereinigung. 648 GA Szpunar, Schlussanträge v. 2.6.2016 in der Rs. C-148/15, EU:C:2016:394, Rn. 18. 649 Zur Keck-Formel s. oben D. I. 1. b) aa). 650 Mand, GRUR Int 2005, S. 637 (645); GmS-OGB BGHZ 194, 354 (366). 651 Diekmann, WRP 2013, S.  290 (293); Diekmann/Idel, ApoR 2009, S.  93 (98 f.); Mand, PharmR 2008, S. 582 (586). Vgl. auch EuGH, Rs. C-148/15, NJW 2016, 3771 ff., Rn. 24 – Deutsche Parkinson Vereinigung; OLG Düsseldorf, PharmR 2015, 323 (324); beide stellen auf den fehlenden persönlichen Kontakt beim Versandhandel ab. Eine Marktzugangsbeschränkung verneint dagegen GmS-OGB BGHZ 194, 354 (366 f.). Offengelassen von BGH, NJW 2014, 3245 (3246).

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Kap. 2: Das Kollektivvertragsrecht des § 129 SGB V

Ob diese Beschränkung der Warenverkehrsfreiheit gerechtfertigt werden kann, wurde vor der Entscheidung des EuGH in Rechtsprechung und Literatur seit geraumer Zeit diskutiert. Erwogen wurde eine Rechtfertigung der Preisbindung aus Gründen des Gesundheitsschutzes nach Art.  36 AEUV. Die Preisbindung solle einen ruinösen Preiswettbewerb unter den Apotheken verhindern.652 Ein ruinöser Preiswettbewerb könne zu einem starken Rückgang der Apothekendichte führen und dadurch die Arzneimittelversorgung der Bevölkerung beeinträchtigen.653 Weiterhin solle mit der Preisbindung erreicht werden, dass der Wettbewerb unter den Apotheken alleine über die Beratungsqualität und nicht über den Preis gesteuert werde.654 Eine Rechtfertigung wurde allerdings auch bestritten. Es wurde bezweifelt, dass Festpreise zur Gewährleistung einer flächendeckenden Apothekenversorgung geeignet seien, denn Apotheken siedelten sich vor allem dort an, wo es für sie im Hinblick auf die Bevölkerungsstruktur am lukrativsten sei.655 Der EuGH hat eine Rechtfertigung des Verbots der Preisunterbietung nunmehr abgelehnt. Der deutsche Gesetzgeber habe die Auswirkungen einer Arzneipreisfreigabe auf die Arzneimittelversorgung eher frei prognostiziert und sich nicht auf statistisches oder ähnliches Material gestützt.656 Dabei existierten sogar von der Kommission vorgebrachte gegenläufige empirische Anhaltspunkte, die darauf hindeuten, dass sich bei einer Preisfreigabe Apotheken tendenziell in schlechter versorgten Gebieten niederlassen, da sie dort höhere Preise verlangen können.657 Der deutsche Gesetzgeber konnte deshalb nach Ansicht des EuGH nicht ausreichend darlegen, dass mit einer Arzneipreisfreigabe Beeinträchtigungen der Arzneimittelversorgung verbunden sein können. Das Verbot, die deutschen Arzneipreise zu unterbieten, kann deshalb nach Ansicht des EuGH nicht als geeignet zur Wahrung des Gesundheitsschutzes angesehen werden und lässt sich deshalb nicht rechtfertigen.658 Das Urteil des EuGH ist in der Folge seinerseits kritisiert worden, weil es den Gestaltungsspielraum der Mitgliedstaaten bei der Ausgestaltung der Gesundheitsversorgung missachte.659 Ein Gestaltungsspielraum der Mitgliedstaaten im 652 Diekmann/Idel, ApoR 2009, S. 93 (97); Mand, NJW 2014, S. 3200 (3201); GmS-OGB BGHZ 194, 354 (368); BGH, NJW 2014, 3245 (3246). So auch schon die Gesetzesbegründung: BT-Drs. 17/9341, S. 66. 653 Mand, PharmR 2008, S. 582 (587). 654 Mand, PharmR 2008, S. 582 (587). 655 Diekmann, WRP 2013, S. 290 (295). Davon geht auch aus das Gutachten des Sachverständigenrates zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen 2014, Bedarfsgerechte Versorgung, S. 122 f. 656 EuGH, Rs. C-148/15, NJW 2016, 3771 ff., Rn. 37 ff. – Deutsche Parkinson Vereinigung. 657 EuGH, Rs. C-148/15, NJW 2016, 3771 ff., Rn. 38 – Deutsche Parkinson Vereinigung. 658 EuGH, Rs. C-148/15, NJW 2016, 3771 ff., Rn. 45 f. – Deutsche Parkinson Vereinigung. Für noch plausibel halten die Erwägungen des Gesetzgebers dagegen: Mand, WRP 2015, S. 950 (955); GmS-OGB BGHZ 194, 354 (368 f.); BGH, NJW 2010, 3724 (3727); NJW 2014, 3245 (3246). 659 Mand, DAZ 2016, Heft Nr. 43, S. 18 f.; Meyer, A&R 2016, S. 243 (248 ff.).

D. Die Integration EU-ausländischer Apotheker

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Bereich der Gesundheitsversorgung wird vor allem in der Literatur verbreitet angenommen, weil nach Art. 168 VII AEUV bei der Tätigkeit der Union die Verantwortung der Mitgliedstaaten für die Organisation des Gesundheitswesens gewahrt bleibt und diese Kompetenzausübungsschranke nicht durch eine allzu strenge Grundfreiheitsprüfung unterlaufen werden solle.660 Wie weit dieser Gestaltungsspielraum im Einzelnen reicht, ist jedoch umstritten. Der EuGH selbst nimmt in ständiger Rechtsprechung jedenfalls an, dass es Sache der Mitgliedstaaten ist, das Schutzniveau und den Weg zu dessen Erreichung festzulegen, weil sich das Niveau des Gesundheitsschutzes von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat unterscheiden kann.661 Inwieweit den Mitgliedstaaten darüber hinaus Bewertungsspielräume zukommen, wird in der Rechtsprechung des EuGH einerseits und der Literatur andererseits abweichend beurteilt. Die Literatur gesteht den Mitgliedstaaten mitunter einen Bewertungsspielraum zu, ob ein Sachverhalt eine Gesundheitsgefahr begründet,662 wohingegen der EuGH hingegen grundsätzlich verlangt, dass die Mitgliedstaaten wissenschaftliche Beweise für die Annahme einer Gesundheitsgefahr vorlegen, und allgemeine Erwägungen nicht ausreichen lässt.663 Nur soweit hinsichtlich des Bestehens eines Risikos auch nach Auswertung wissenschaftlicher Untersuchungen noch Unsicherheiten bestünden, dürften Maßnahmen zum Gesundheitsschutz getroffen werden, ohne dass abgewartet werden müsste, dass das Bestehen und die Schwere dieser Risiken vollständig dargelegt würden (sog. Vorsorgeprinzip).664 Allerdings genügten auch in diesem Fall rein hypothetische Erwägungen nicht für die Annahme einer Gesundheitsgefahr,665 d. h. es müssten wissenschaftliche Daten die Annahme einer Gefahr stützen.666

660

Grabitz/Hilf/Nettesheim/Schmidt am Busch, Art. 168 AEUV Rn. 80. Eingehend DünnesZimmermann, S. 367 f.; Valta, S. 290 ff. Vgl. auch EuGH, Rs. C-171/07, NJW 2009, 2112 ff., Rn. 18 f. – Apothekerkammer des Saarlandes u. a./Saarland. 661 EuGH, Rs. C-169/07, EuZW 2009, 298 ff., Rn.  30  – Hartlauer Handelsgesellschaft mbH/Wiener Landesregierung u. a.; Rs. C-171/07, NJW 2009, 2112 ff., Rn. 19 – Apothekerkammer des Saarlandes u. a./Saarland; Rs. C-341/08, NJW 2010, 587 ff., Rn. 51 – Petersen; Rs. C-108/09, GRUR 2011, 243 ff., Rn. 58 – Ker-Optika. – Zur Berücksichtigung gesundheitlicher und sozialer Zwecksetzungen mitgliedstaatlicher Maßnahmen in der jüngeren Rechtsprechung des EuGH s. v. Danwitz, MedR 2016, S. 571 (574 ff.). 662 Dünnes-Zimmermann, S. 384 f.; Valta, S. 334 f. 663 s. etwa EuGH, Rs. C-17/93, Slg. 1994, I-3537 ff., Rn. 17 f. – van der Weldt; Rs. C-121/00, Slg. 2002, I-9139 ff., Rn. 40 – Hahn; Rs. C-192/01, EuZW 2004, 30 ff., Rn. 46 – Kommission/ Dänemark; Rs. C-150/00, Slg. 2004, I-3887 ff., Rn. 71 ff., 100 – Kommission/Österreich. – Eingehend zur Rechtsprechung des EuGH Zierke, S. 99 ff. 664 s. etwa EuGH, Rs. C-53/80, NJW 1981, 1892 f., Rn.  13 ff.  – Kaasfabrik Eyssen; Rs. C-88/07, PharmR 2009, 227 ff., Rn. 86 – Kommission/Spanien; Rs. C-333/08, EuZW 2010, 347 ff., Rn. 91 – Kommission/Frankreich. Zum Vorsorgeprinzip in der Rechtsprechung des EuGH s. Zierke, S. 105 ff. Umfassend zum Vorsorgeprinzip Arndt, Das Vorsorgeprinzip im EU-Recht. 665 s. etwa EuGH, Rs. C-236/01, Slg. 2003, I-8105 ff., Rn. 106 – Monsanto Agricoltura Italia u. a.; Rs. C-192/01, EuZW 2004, 30 ff., Rn. 49 – Kommission/Dänemark. Zust. Zierke, S. 115 f. 666 Zierke, S. 195.

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Kap. 2: Das Kollektivvertragsrecht des § 129 SGB V

Ebenso divergieren die Anforderungen, die an den Geeignetheits- und Erforderlichkeitsnachweis gestellt werden. In der Literatur wird bisweilen angenommen, dass die Mitgliedstaaten nicht die Darlegungslast für die Geeignetheit und Erforderlichkeit von Maßnahmen zum Gesundheitsschutz tragen, sondern ihnen die Nicht-Eignung und Nicht-Erforderlichkeit nachgewiesen werden müssten.667 Die Rechtsprechung des EuGH ist dagegen strenger. Die Mitgliedstaaten müssten geeignete Beweise für die Geeignetheit und Verhältnismäßigkeit der betreffenden Maßnahme vorlegen.668 Zwar hat der EuGH in zwei Entscheidungen zu apothekenrechtlichen Fremdbesitzverboten vom 16.5.2009  formuliert, dass den Mitgliedstaaten die fehlende Kohärenz669 bzw. die Nicht-Erforderlichkeit670 einer Maßnahme positiv nachgewiesen werden müssten671; jedoch wurde insoweit zu Recht angenommen, dass diese Entscheidungen im Widerspruch zur ansonsten praktizierten Rechtsprechung des EuGH stehen und ihre Fortschreibung einen Bruch bedeuten würde.672 Der EuGH hat die Rechtfertigbarkeit der deutschen Arzneipreisbindung in erster Linie als Problem der Geeignetheit gesehen und § 78 I 4 AMG insoweit an den strengen Anforderungen gemessen, die er für die Prüfung der Geeignetheit mitgliedstaatlicher Maßnahmen entwickelt hat und die keine Prognosespielräume für die Mitgliedstaaten zulassen.673 Es erscheint aber zweifelhaft, ob das sich im Hinblick auf § 78 I 4 AMG stellende Hauptproblem in der Geeignetheit der Vorschrift liegt: Die Vorschrift des § 78 I 4 AMG beschränkt die Preisbildungsfreiheit beim Handel mit Arzneimitteln, weil der deutsche Gesetzgeber durch eine freie Arzneipreisbildung die flächendeckende Arzneimittelversorgung der Bevölkerung durch Apotheken und damit letztlich die Gesundheit der Bevölkerung gefährdet sah. 667 Für die Geeignetheitsprüfung Valta, S. 335; Kamann/Gey/Kreuzer, PharmR 2009, S. 320 (322); Mand, WRP 2010, S. 702 (704). – Für die Erforderlichkeitsprüfung Dünnes-Zimmermann, S. 385 ff.; Valta, S. 300 ff.; Kamann/Gey/Kreuzer, PharmR 2009, S. 320 (322). 668 EuGH, Rs. C-456/10, EuZW 2012, 508 ff., Rn. 50 f. – ANETT; Rs. C-333/14, NJW 2016, 621 ff., Rn. 54 – Scotch Whisky Association. S. zur Rechtsprechung des EuGH auch Zierke, S. 166 ff. 669 EuGH, Rs. C-531/06, EuZW 2009, 415 ff., Rn. 69, 70, 74 – Kommission/Italien. 670 EuGH, Rs. C-171/07, NJW 2009, 2112 ff., Rn.  54  – Apothekerkammer des Saarlandes u. a./Saarland. 671 Ausgehend von diesen Entscheidungen wurde teilweise erwartet, dass der EuGH auch im Hinblick auf die deutsche Arzneipreisbindung der Bundesrepublik Deutschland einen großzügigen Gestaltungsspielraum zugestehen würde: Mand, WRP 2010, S. 702 (703 f.). Vgl. auch Kamann/Gey/Kreuzer, PharmR 2009, S. 320 (322). 672 Vgl. Zierke, S.  182 f.; Herrmann, EuZW 2009, S.  413 (415); Ludwigs, NVwZ 2016, S.  1796 (1797); s. auch Mittwoch, EuZW 2017, S.  936 (938 f.).  – GA Szpunar, Schlussanträge v. 2.6.2016 in der Rs. C-148/15, EU:C:2016:394, Rn. 62 ff., deutet die Entscheidung Rs. C-171/07  – Apothekerkammer des Saarlandes u. a./Saarland hingegen eher so, dass der EuGH aufgrund des Vorsorgeprinzips der Bundesrepublik Deutschland einen größeren Entscheidungsspielraum zugestanden habe. 673 EuGH, Rs. C-148/15, NJW 2016, 3771 ff., Rn. 35 ff. – Deutsche Parkinson Vereinigung. S. zuvor schon GA Szpunar, Schlussanträge v. 2.6.2016 in der Rs. C-148/15, EU:C:2016:394, Rn. 69 ff.

D. Die Integration EU-ausländischer Apotheker

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Sollten von einer freien Arzneipreisbildung Gefahren für eine ausreichende Arzneimittelversorgung und vermittelt dadurch für die Gesundheit der Bevölkerung ausgehen, wäre eine Beschränkung der Preisbildungsfreiheit ohne Weiteres geeignet, diesen Gefahren zu begegnen. Fraglich ist vielmehr, ob eine Arzneipreisfreigabe die flächendeckende Arzneimittelversorgung überhaupt beeinträchtigen kann. Die Regelung des § 78 I 4 AMG hätte deshalb in erster Linie im Hinblick darauf untersucht werden müssten, ob die vom deutschen Gesetzgeber für den Fall einer Arzneipreisfreigabe angenommenen Gefahren bestehen. Problematisch ist vorliegend damit weniger die Geeignetheit der Regelung, sondern die Existenz der vom Gesetzgeber angenommenen Gefahr für eine flächendeckende Arzneimittelversorgung und vermittelt dadurch für die Gesundheit der Bevölkerung. Allerdings besteht auch im Hinblick auf die Annahme von Gefahren für eine ausreichende Arzneimittelversorgung ein gewisses Maß an Darlegungsanforderungen. Der EuGH verlangt, dass zunächst die verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnisse ausgeschöpft werden und erst danach den Mitgliedstaaten ein Beurteilungsspielraum zukommt, wobei rein hypothetische Überlegungen insoweit nicht genügen. Selbst in der Literatur wird – auch soweit den Mitgliedstaaten bei der Beurteilung von Gesundheitsgefahren ein größerer Spielraum zugestanden wird – zu Recht verlangt, dass eine Gefahr zumindest schlüssig dargelegt wird.674 Bei schrankenloser Gewährleistung eines Einschätzungsspielraums könnten die Mitgliedstaaten die Grundfreiheiten durch eher allgemein gehaltene Argumentationen zu stark beschränken.675 Die Erwägungen, die der deutsche Gesetzgeber zur Rechtfertigung der Arzneipreisbindung vorgebracht hatte, waren eher allgemein gehalten. Diese Gefahrprognose hätte zwar unter Heranziehung des Vorsorgeprinzips womöglich noch aufrechterhalten werden können, wenn im Hinblick auf die Auswirkungen einer Arzneipreisfreigabe jegliche wissenschaftlichen Erkenntnisse fehlen würden. Allerdings sprechen erste empirische Erkenntnisse eher gegen die Richtigkeit der Gefahrprognose des deutschen Gesetzgebers.676 Die Gefahrprognose des deutschen Gesetzgebers ist deshalb erschüttert und kann ohne eine wissenschaftliche

674

Valta, S. 384. Vgl. in Bezug auf die Geeignetheitsprüfung EuGH, Rs. C-333/14, NJW 2016, 621 ff., Rn. 53 – Scotch Whisky Association. S. dazu auch zust. Frank, GRUR 2016, S. 1246 (1249). – Nach Mittwoch, EuZW 2016, S. 936 (938), kommt eine strengere Verhältnismäßigkeitsprüfung dem Binnenmarktziel zugute. – Zum Zusammenhang zwischen Intensität von Darlegungslasten und Verwirklichung der Binnenmarktziele s. umfassend Zierke, S. 192 ff., 450 ff. – Zur Gefahr, dass Mitgliedstaaten Märkte für Gesundheitsdienstleistungen abschotten könnten, wenn ihnen zu großzügige Rechtfertigungsmöglichkeiten gewährt würden, s. v. Danwitz, MedR 2016, S. 571 (573). 676 Zum einen hat nach Ansicht des EuGH die Kommission empirische Daten vorgelegt, EuGH, Rs. C-148/15, NJW 2016, 3771 ff., Rn. 38 – Deutsche Parkinson Vereinigung. Auch im Gutachten des Sachverständigenrates zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen aus dem Jahr 2014, Bedarfsgerechte Versorgung, finden sich auf S. 122 f., 128 f. Ausführungen, 675

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Kap. 2: Das Kollektivvertragsrecht des § 129 SGB V

Absicherung ihrerseits nicht mehr aufrechterhalten werden.677 Eine Gesundheitsgefahr kann bei dieser Sachlage nicht angenommen werden. Das Verbot der Preisunterbietung ist daher nicht rechtfertigbar. 2. Preisspannen als Obergrenze Nicht ausgeschlossen ist dagegen, dass die Bindung EU-ausländischer Apotheker an das deutsche Arzneipreisrecht mit der Warenverkehrsfreiheit insoweit vereinbar ist, als es EU-ausländischen Apothekern in § 78 I 4 AMG untersagt wird, die deutschen Arzneipreise zu überschreiten. Zwar kann die Festsetzung von Höchstpreisen ebenfalls die Warenverkehrsfreiheit beeinträchtigen, soweit es EUausländischen Apothekern dadurch erschwert würde, Gewinne zu erwirtschaften, etwa weil sie in ihrem Heimatland höhere Unkosten tragen müssen als in Deutschland ansässige Apotheker.678 Allerdings können im Hinblick auf den Gesundheitsschutz Regelungen gerechtfertigt werden, die sicherstellen sollen, dass Arzneimittel zu angemessenen Preisen verkauft werden.679 Zudem kann die Festsetzung von Preisobergrenzen zur Wahrung der finanziellen Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung gerechtfertigt sein.680 Dafür, dass die durch das deutsche Arzneipreisrecht festgesetzten Preisspannen unangemessen niedrig sind, bestehen keine Anhaltspunkte. Die Vorschrift des § 78 I 4 AMG ist deshalb mit der Warenverkehrsfreiheit insoweit vereinbar, als sie es EU-ausländischen Apothekern verbietet, die deutschen Arzneipreise zu überschreiten. § 78 I 4 AMG kann deshalb europarechtskonform einschränkend ausgelegt werden, dass die Preisspannen des deutschen Arzneimittelrechts von EU-ausländischen Apothekern zwar unter-, aber nicht überschritten werden dürfen.

dass die Arzneipreisbindung und das damit einhergehende Fehlen eines Preiswettbewerbs Apotheken keinen Anreiz biete, in dünner besiedelte Gebiete auszuweichen. Zust. dazu Ludwigs, NVwZ 2016, S. 1796 (1797). Krit. dagegen Dettling, A&R 2016, S. 251 ff. 677 Zurückhaltend gegenüber der Gefahrenprognose des deutschen Gesetzgebers insoweit auch Ludwigs, NVwZ 2016, S. 1796 (1797). 678 Vgl. Diekmann, WRP 2013, S. 290 (293). 679 EuGH, Rs. C-148/15, NJW 2016, 3771 ff., Rn.  43  – Deutsche Parkinson Vereinigung. Zum Übervorteilungsschutz durch Arzneimittelhöchstpreise vgl. auch Mand, PharmR 2008, S. 582 (587); BT-Drs. 17/9341, S. 66. 680 Vgl. Mand, WRP 2015, S. 950 (954); EuGH, Rs. C-322/01, NJW 2004, 131 ff., Rn. 122 – Deutscher Apothekerverband/Doc Morris & Waterval; Rs. C-171/07, NJW 2009, 2112 ff., Rn. 33 f. – Apothekerkammer des Saarlandes u. a./Saarland.

D. Die Integration EU-ausländischer Apotheker

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3. Zur Geltung der Herstellerabschlagsregelung für EU-ausländische Apotheker Da EU-ausländische Apotheker somit nur partiell an das deutsche Preisspannenrecht gebunden sind, stellt sich die Frage, inwieweit bei der Arzneimittelabgabe durch EU-ausländische Apotheker Herstellerabschläge nach § 130a  I  1 SGB V zu entrichten sind. Nach § 130a I 6 SGB V ist die Abschlagspflicht des Herstellers daran geknüpft, dass sich der Apothekenabgabepreis des abgegebenen Arzneimittels nach dem Preisspannenrecht der Arzneipreisverordnung berechnet. Mit der Anknüpfung an die Geltung der Preisspannen wird eine Verwaltungsvereinfachung bezweckt. Pharmazeutische Unternehmer müssen für Arzneimittel, die der Arzneipreisverordnung unterfallen, einen einheitlichen Herstellerabgabepreis sicherstellen.681 Indem § 130a  I  6 SGB  V die Herstellerabschlagspflicht an die Geltung der Preisspannen nach der Arzneipreisverordnung knüpft, soll erreicht werden, dass nur solche Arzneimittel der Abschlagspflicht unterfallen, für die ein einheitlicher Abgabepreis und damit eine einheitliche Berechnungsgrundlage für den Herstellerabschlag besteht.682 Da so für ein bestimmtes Arzneimittel stets ein Abschlag in derselben Höhe zu leisten ist, können Krankenkassen bei der Prüfung der Apothekerabrechnungen ohne großen Rechenaufwand erkennen, ob der Herstellerabschlag für ein Arzneimittel korrekt abgeführt wurde.683 Die nur partielle Bindung der EU-ausländischen Apotheker an das Preisspannenrecht hat zur Folge, dass auch die pharmazeutischen Unternehmer von ihrem einheitlichen Abgabepreis nach unten abweichen können, wenn sie Arzneimittel an EU-ausländische Apotheker abgeben. Es fehlt deshalb an der von § 130a I 6 SGB V vorausgesetzten einheitlichen Berechnungsgrundlage für den Abschlag. Das Bundessozialgericht hat vor der Entscheidung des EuGH zur deutschen Arzneipreisbindung angenommen, dass das deutsche Preisrecht jedenfalls dann für EU-ausländische Apotheker gelte, wenn sie dem Rahmenvertrag beitreten.684 Trete ein EU-ausländischer Apotheker dem Rahmenvertrag bei, werde er so behandelt, als ob er in Deutschland ansässig sei685 bzw. er unterwerfe sich dadurch dem deutschen Arzneipreisrecht686. Der Rahmenvertrag vollzieht in § 2b II 2 RV-AV diese Rechtsprechung nach, indem dort angeordnet wird, dass EU-ausländische Apotheker Arzneimittel nach dem deutschen Arzneipreisrecht abrechnen müssen. In der Literatur wurde die Argumentation des BSG kritisiert, weil sich die Rechtsfolge „Arzneipreisbindung“ aus dem Wortlaut von § 129 SGB V nicht ergebe.687 681

Vgl. § 78 II 2 AMG. Vgl. Koenig/Beer/Meurer, ZESAR 2004, S. 57 (63). 683 Vgl. Koenig/Beer/Meurer, ZESAR 2004, S. 57 (63). 684 BSGE 101, 161 (172); BSG SozR 4-2500 § 130a Nr. 5 Rn. 14, 19; s. auch Mand, PharmR 2008, S. 582 (588). 685 Vgl. Walter, jurisPR-MedizinR 10/2010 Anm. 5. 686 Padé, jurisPR-SozR 7/2009 Anm. 2. 687 Wille, SdL 2007, Heft Nr. 1, S. 32 (47). 682

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Kap. 2: Das Kollektivvertragsrecht des § 129 SGB V

Seit der Entscheidung des EuGH zur deutschen Arzneipreisbindung sprechen nunmehr auch Aspekte der Warenverkehrsfreiheit dagegen, die Teilnahme EU-ausländischer Apotheker am Rahmenvertrag mit einer Erstreckung des deutschen Arzneipreisspannenrechts zu verknüpfen: Gälte für EU-ausländische Apotheker das deutsche Preisspannenrecht, verlören sie bei der Versorgung gesetzlich Versicherter Wettbewerbsvorteile, sodass dadurch die Warenverkehrsfreiheit beeinträchtigt wäre: So bestimmen sich etwa die von Versicherten zu leistenden Zuzahlungen in Abhängigkeit vom Apothekenverkaufspreis, sodass Versicherte geringere Zuzahlungen leisten müssen, wenn ein Apotheker ein Arzneimittel günstiger anbietet. Nach dem Urteil des EuGH lässt sich eine Beschränkung der Warenverkehrsfreiheit durch eine Arzneipreisbindung nicht mit Erwägungen rechtfertigen, dass andernfalls die flächendeckende Arzneimittelversorgung gefährdet sei. Auch eine Rechtfertigung des Verbots der Preisunterbietung spezifisch für das Recht der gesetzlichen Krankenversicherung erscheint – etwa unter dem Aspekt der finanziellen Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung688 – nicht möglich. Zwar hat eine Preisunterbietung durch EU-ausländische Apotheker zur Folge, dass Instrumente zur Arzneikostenbegrenzung an Steuerungskraft einbüßen, die an den Abgabepreis des Arzneimittels anknüpfen.689 So sollen etwa Zuzahlungsund Festbetragsregelungen die Nachfrage der Versicherten gezielt auf solche Produkte lenken, die schon von dem jeweiligen Hersteller zu einem niedrigen Herstellerabgabepreis in Verkehr gebracht werden, der dann die Berechnungsgrundlage für den Apothekenabgabepreis bildet.690 Es macht aus Sicht der Krankenkassen als Kostenträger aber keinen Unterschied, ob sie Kosten beispielsweise durch Zuzahlungen der Versicherten oder durch Preisnachlässe der Apotheker einsparen. Eine Auslegung von § 129 SGB V, dass mit einer Teilnahme am Rahmenvertrag eine Erstreckung des deutschen Arzneipreisrechts einhergeht, ist deshalb mit Rücksicht auf die Warenverkehrsfreiheit nicht zulässig.691 Mit europarechtlichen Vorgaben unvereinbar ist schließlich die rahmenvertragliche Vorschrift des § 2b II 2 RV-AV, in der die soeben abgelehnte Auslegung von § 129 SGB V in eine rahmenvertragliche Regelung inkorporiert wurde.692 Weil somit EU-ausländische Apotheker nicht der deutschen Arzneipreisbindung unterliegen, findet die Regelung über den Herstellerabschlag keine Anwendung bei der Arzneimittelabgabe durch EU-ausländische Apotheker. Eine Schließung dieser Regelungslücke im Wege einer Rechtsfortbildung ist nicht möglich.693 688 Vgl. dazu Koenig, PharmR 2017, S. 233 ff. – S. zur finanziellen Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung als möglichem Rechtfertigungsgrund oben D. I. 1. b) bb). 689 Kozianka/Hußmann, PharmR 2017, S. 10 (13). 690 Vgl. Kozianka/Hußmann, PharmR 2017, S. 10 (13). 691 So auch Kozianka/Hußmann, PharmR 2017, S. 10 (15 f.). 692 So auch Hauck, NZS 2017, S, 161 (163). 693 Insbesondere erscheint eine analoge Anwendung von § 130a I 7 SGB, wo für – nicht preisgebundene – in Krankenhausapotheken abgegebene oder in parenteralen Lösungen verwendete Arzneimittel der Abschlag auf fiktiver Grundlage berechnet wird, wegen des Ausnahmecharakters der Vorschrift nicht möglich.

D. Die Integration EU-ausländischer Apotheker

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Vielmehr ist es Aufgabe des Gesetzgebers, die Abwicklung und Überprüfung des Herstellerrabatts in den Fällen zu regeln, in denen EU-ausländische Apotheker Arzneimittel abgeben.

V. Die Bedeutung von Selektivverträgen nach § 140e SGB V für EU-ausländische Apotheker Die Vorschrift des § 140e SGB  V erlaubt Krankenkassen den Abschluss von Selektivverträgen mit Leistungserbringern aus dem EU-Ausland. Nach der Gesetzesbegründung sollen derartige Verträge es ermöglichen, dass auch EU-ausländische Leistungserbringer ihre Leistungen als Sachleistungen und nicht nur im Wege der Kostenerstattung erbringen können; Versicherte würden dadurch von der Kostentragung entlastet und den Krankenkassen würden Steuerungsmöglichkeiten eröffnet.694 Es hat sich aber gezeigt, dass Apotheken bereits durch Herbeiführung der Rahmenvertragsgeltung für sich Sachleistungen nach § 129 SGB V erbringen können. Im Bereich der Arzneimittelversorgung bedarf es eines Selektivvertrages nach § 140e SGB V somit nicht zwingend, um Versicherte zu entlasten und Krankenkassen Steuerungsmittel an die Hand zu geben. Selektivverträge nach § 140e SGB  V hätten für die Arzneimittelversorgung durch EU-ausländische Apotheker nur dann eine eigenständige Bedeutung neben der Teilnahme am Rahmenvertrag, wenn darin von der rahmenvertraglich geregelten Versorgung nach § 129 SG V abweichende Regelungen getroffen werden könnten. Da die Selektivvertragsermächtigung SGB  V lediglich bezweckt, die Sachleistungserbringung im Ausland zu ermöglichen, ermächtigt § 140e SGB V zu solchen inhaltlich abweichen Regelungen jedoch nicht.695 Zudem kann es gegen den allgemeinen Gleichheitssatz verstoßen, wenn für ausländische Apothekeninhaber selektivvertraglich Bedingungen geregelt werden könnten, die von den für deutsche Apotheker geltenden Vorgaben nach § 129 SGB V abweichen.696 Für die die Teilnahme EU-ausländischer Apotheker an der Arzneimittelversorgung gesetzlich Versicherter haben Selektivverträge nach § 140e SGB V somit entgegen den Vorstellungen der Gesetzesverfasser keine eigenständige Bedeutung. Die Vorschrift des § 140e SGB V ist deshalb teleologisch dahingehend zu reduzieren, dass sie auf Apotheker keine Anwendung findet.697

694

BT-Drs. 15/1525, S. 132. Für eine weitestgehende Gestaltungsfreiheit der Krankenkassen in den Grenzen des Leistungsrechts dagegen Rixen, S. 338 f. 696 Kieser, A&R 2007, S. 20 (24). Vgl. auch Könen, S. 109; Tiemann, S. 210. 697 Für Verdrängung von § 140e SGB V durch § 129 SGB V als Spezialvorschrift Kieser, A&R 2007, S. 20 (24). Für ein Wahlrecht von Apothekern zwischen Abschluss eines Selektivvertrages nach § 140e SGB V und Teilnahme an der kollektivvertraglichen Versorgung dagegen Könen, S. 107. 695

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Kap. 2: Das Kollektivvertragsrecht des § 129 SGB V

E. Anwendbarkeit des Kartellrechts auf die Verträge des § 129 SGB V? Nach § 69  I  1, 4 SGB  V beurteilen sich die leistungserbringungsrechtlichen Rechtsbeziehungen grundsätzlich nur nach dem Sozialrecht, und zwar auch, soweit Dritte davon betroffen sind. Gemäß § 69  II  1 SGB  V gelten in Ausnahme dazu aber die kartellrechtlichen Vorschriften der §§ 1 ff. GWB (Verbot der Bildung wettbewerbsbeschränkender Kartelle) sowie der §§ 19 ff. GWB (Verbot des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung) entsprechend. Die Anordnung der nur „entsprechenden“ Geltung der wettbewerbsrechtlichen Vorschriften beruht darauf, dass das Wettbewerbsrecht in direkter Anwendung lediglich für Unternehmen gilt, der Gesetzgeber aber davon ausging, dass es sich bei Krankenkassen nicht um Unternehmen im Sinne des Wettbewerbsrechts handle.698 Hintergrund dieser Annahme waren Entscheidungen des EuGH zu dem in Art. 101 ff. AEUV enthaltenen EU-Wettbewerbsrecht. Der EuGH hatte entschieden, dass Krankenkassen keine Unternehmen darstellen, wenn sie überwiegend gesetzliche Pflichtleistungen erbringen und die Leistungen unabhängig von der Beitragshöhe sind.699 Sie üben dann keine für die Annahme von Unternehmenseigenschaft erforderliche wirtschaftliche Tätigkeit aus.700 Als nichtwirtschaftlich ist bei Erfüllung dieser Voraussetzungen nicht nur die Angebots-, sondern auch die Nachfragetätigkeit der Krankenkassen anzusehen,701 sodass Krankenkassen auch nicht als Unternehmen anzusehen sind, soweit sie sich bei den Leistungserbringern Leistungen beschaffen. Die in § 69  II  1 SGB  V angeordnete „entsprechende“ Geltung hat zur Folge, dass die wettbewerbsrechtlichen Vorschriften zur Anwendung kommen, ohne dass die Unternehmenseigenschaft der Krankenkassen gesondert geprüft werden muss; es handelt sich insoweit um eine partielle Rechtsgrund­ verweisung.702 Die entsprechende Anwendbarkeit des Wettbewerbsrechts ist nach § 69  II  2 SGB  V aber für Verträge ausgeschlossen, die von den Krankenkassen oder ihren Verbänden verpflichtend abzuschließen sind. Hintergrund dieser Ausnahme-

698

BT-Drs. 16/4247, S. 35. EuGH, Rs. C-160/91, NJW 1993, 2597 f., Rn.  18  – Poucet und Pistre; Rs. C-218/00, EuZW 2002, 146 ff., Rn. 38 f., 43 – Cisal; Rs. C-264/01 u. a., EuZW 2004, 241 ff., Rn. 47 ff. – AOK Bundesverband u. a. 700 EuGH, Rs. C-160/91, NJW 1993, 2597 f., Rn. 17 – Poucet und Pistre. 701 EuGH, Rs. C-205/03, EuZW 2006, 600 f., Rn. 26 – FENIN. – Zur Frage, ob deshalb zugleich die entsprechende Anwendung des Kartellrechts auf die Krankenkassen europarechtswidrig ist s. Becker/Kingreen/Becker/Kingreen, § 69 SGB V Rn.  45; Loewenheim/Meessen/ Riesenkampff/Nordermann, § 1 GWB Rn. 24 ff., 28; Krasney, in: Bergmann/Pauge/Steinmeyer, § 69 SGB V Rn. 57; Bechtold, NZKart 2015, S. 331 (332 f.). 702 Becker/Kingreen/Becker/Kingreen, § 69 SGB V Rn. 45; BeckOK SozR/Wendtland, § 69 SGB V Rn. 16; jurisPK-SGB V/Engelmann, § 69 SGB V Rn. 58; Krasney, in: Bergmann/Pauge/ Steinmeyer, § 69 SGB V Rn. 58; BSGE 101, 142 (153). 699

E. Anwendbarkeit des Kartellrechts auf die Verträge des § 129 SGB V? 

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bestimmung ist, dass die Krankenkassen bei pflichtig abzuschließenden Verträgen keine eigene Entschließungs- und Handlungsfreiheit haben und dass auch keine Auswahl unter mehreren Leistungserbringern stattfindet.703 Auch der Rahmenvertrag nach § 129 II SGB V wird verbreitet nicht als Gegenstand des Kartellrechts angesehen, da er pflichtig abzuschließen sei.704 Insoweit dürfte aber eine Differenzierung geboten sein. Vollständig von der Anwendung des Wettbewerbsrechts ausgenommen sind die Pflichtinhalte des Rahmenvertrages. Im Bereich der freiwilligen Inhalte erscheint es aufgrund der verbleibenden Gestaltungsspielräume der Vertragspartner hingegen nicht gerechtfertigt, die Missbrauchsvorschriften der §§ 19 ff. GWB unangewandt zu lassen,705 auch wenn bislang etwa der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung seitens der Krankenkassen beim Abschluss leistungserbringungsrechtlicher Kollektivverträge noch nicht zu beobachten war.706 Auf die freiwilligen Inhalte des Rahmenvertrages unanwendbar ist aber – da der Rahmenvertrag nur kollektiv abgeschlossen werden kann – das Kartellverbot nach § 1 GWB.707 Fraglich ist, ob die nur beschränkte Geltung des Wettbewerbsrechts für den Rahmenvertrag mit den Vorgaben der Art.  101 ff. AEUV vereinbar ist. Wenngleich die Krankenkassen nicht als Unternehmen im Sinne des europäischen Wettbewerbsrechts anzusehen sind, könnte der Deutsche Apothekerverband bei der Vereinbarung des Rahmenvertrages als Unternehmensvereinigung anzusehen sein, da er dabei die wirtschaftlichen Interessen seiner Mitglieder vertritt.708 Vertragserklärungen des Deutschen Apothekerverbandes könnten deshalb als Beschlüsse einer Unternehmensvereinigung nach Art. 101 I AEUV zu qualifizieren sein, die sich am EU-Wettbewerbsrecht messen lassen müssen709. In der Rechtsprechung des EuGH haben sich verschiedene Kriterien herausgebildet, wann ein mit Normsetzungsaufgaben betrauter privater Verband als Unternehmen anzusehen ist und wann sich umgekehrt seine Rechtsetzungstätigkeit als nichtwirtschaftliche Tätigkeit darstellt. Es kommt zum einen darauf an, ob der 703

BT-Drs. 17/2412, S. 26. Krasney, in: Bergmann/Pauge/Steinmeyer, § 69 SGB V Rn. 94; Wodarz, in: Handbuch des Krankenversicherungsrechts, § 27 Rn. 43; Roth, GRUR 2007, S. 645 (655). – Umfassend anwendbar ist das Wettbewerbsrecht hingegen auf die nur freiwillig abzuschließenden ergänzenden Verträge nach § 129 V SGB V: Baier, MedR 2011, S. 345 (349); Kluckert, in: Handbuch des Krankenversicherungsrechts, § 14 Rn. 39h. Vgl. auch Wodarz, in: Handbuch des Krankenversicherungsrechts, § 27 Rn. 43. 705 Vgl. zu dieser Differenzierung auch Kluckert, in: Handbuch des Krankenversicherungsrechts, § 14 Rn. 39g. 706 Vgl. Wallrabenstein, NZS 2015, S. 48 (50). 707 Vgl. Krasney, in: Bergmann/Pauge/Steinmeyer, § 69 SGB V Rn. 77. 708 Vgl. Tiemann, in: Handbuch des Krankenversicherungsrechts, § 3 Rn. 64 ff. – Zur Qualifikation der Kassenärztlichen Vereinigungen als Unternehmen vgl. U. Becker, in: Handbuch des Vertragsarztrechts, 3. Aufl., § 23 Rn. 65. 709 Für Einordnung der vertragsärztlichen Kollektivverträge als „Vereinbarungen“ im Sinne von Art. 101 AEUV U. Becker, in: Handbuch des Vertragsarztrechts, 3. Aufl., § 23 Rn. 65. 704

168

Kap. 2: Das Kollektivvertragsrecht des § 129 SGB V

Verband in ausreichendem Maße an das Gemeinwohl gebunden ist.710 Weiterhin spielt es eine Rolle, inwiefern die am Normsetzungsprozess Mitwirkenden von den wirtschaftlichen Interessen der Betroffenen unabhängig sind.711 Schließlich ist relevant, inwieweit der Staat das Entscheidungsergebnis kontrollieren kann.712 Dabei handelt es sich jeweils um Indizien, die im Rahmen einer Gesamtbetrachtung zu bewerten sind.713 In § 129 I SGB V sind die Pflichtinhalte des Rahmenvertrags sehr engmaschig geregelt. Allgemein ist in §§ 12, 70 SGB  V vorgegeben, dass der Rahmenvertrag eine wirtschaftliche und gleichmäßige Versorgung gewährleisten muss. Deshalb bestehen hinreichend enge Gemeinwohlvorgaben.714 Interessenunabhängig agieren die Vertreter des Deutschen Apothekerverbandes hingegen nicht; auch verfügt die Krankenkassenseite über keine Stimmenmehrheit bei der Vertragsaushandlung. Allerdings hat das BMG die Möglichkeit, die bestehenden Gemeinwohlvorgaben effektiv durchzusetzen: Es hat Informationsrechte gegenüber dem GKV-Spitzenverband und kann anordnen, dass der GKV-Spitzenverband einer Vertragsbestimmung nicht zustimmt, die den gesetzlichen Direktiven für den Rahmenvertrag widerspricht. Pflichtige Vertragsbestimmungen können zugleich durch das Schiedsverfahren erzwungen werden, wobei in der Schiedsstelle unparteiische Mitglieder mitentscheiden und dabei faktisch den Ausschlag für die Entscheidung geben. Die Rechtsetzungstätigkeit des Deutschen Apothekerverbandes ist deshalb hinreichend staatlich determiniert; die Beteiligung des Deutschen Apothekerverbandes am Rahmenvertrag ist nicht an den Art.  101 ff. AEUV zu messen. Die Ausnahmen von der Anwendung des Wettbewerbsrechts in Bezug auf die Pflichtinhalte sind deshalb europarechtskonform.

710 EuGH, Rs. C-185/91, NJW 1994, 307 f., Rn. 18 – Reiff.; Rs. C-38/97, Slg. 1998, I-5955 ff., Rn. 34 – Librandi; Rs. C-35/96, EuZW 1999, 93 ff., Rn. 43 f. – CNSD; Rs. C-180/98, Slg. 2000, I-6451 ff., Rn. 87 – Pavlov; Rs C-309/99, NJW 2002, 877 ff., Rn. 62 – Wouters; Rs C-35/99, NJW 2002, 882 ff., Rn.  37  – Arduino. Aus der Literatur s. etwa Böge, S.  163 f.; Tiemann, in: Handbuch des Krankenversicherungsrechts, § 3 Rn. 59. 711 EuGH, Rs. C-123/83, Slg. 1985, 402 ff., Rn. 18 f. – BNIC/Clair; Rs. C-185/91, NJW 1994, 307 f., Rn. 16 f. – Reiff; Rs. C-180/98, Slg. 2000, I-6451 ff., Rn. 87 – Pavlov; Rs C-309/99, NJW 2002, 877 ff., Rn. 61 – Wouters; Rs C-35/99, NJW 2002, 882 ff., Rn. 37 – Arduino. Aus der Literatur s. etwa Böge, S. 163 ff. 712 EuGH, Rs. C-38/97, Slg. 1998, I-5955 ff., Rn. 35, 37 – Librandi; Rs. C-35/99, NJW 2002, 882 ff., Rn. 40 – Arduino. Vgl. auch EuGH, Rs. C-185/91, NJW 1994, 307 f., Rn. 22 – Reiff. Aus der Literatur s. etwa Böge, S. 163, 165 ff.; Tiemann, in: Handbuch des Krankenversicherungs­ rechts, § 3 Rn. 59. 713 Böge, S.  163. Vgl. auch Tiemann, in: Handbuch des Krankenversicherungsrechts, § 3 Rn. 59. 714 Vgl. für § 12 SGB V Böge, S. 235. – Strenger für den Fall, dass keine spezialgesetzlichen Regelungsvorgaben bestehen, dagegen wohl U. Becker, in: Handbuch des Vertragsarztrechts, 3. Aufl., § 23 Rn. 65.

F. Zusammenfassung

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F. Zusammenfassung Von zentraler Bedeutung für die Arzneimittelabgabe durch Apotheker ist der Rahmenvertrag nach § 129 II SGB V, der gemäß § 129 V 1 SGB V durch ergänzende Verträge auf Landesebene ergänzt werden kann. Bei diesen Verträgen handelt es sich um öffentlich-rechtliche Normenverträge. Die am Vertragsschluss beteiligten Apothekerverbände sind als Beliehene anzusehen. Auch wenn über die vertragschließenden Apothekerverbände nicht unmittelbar eine Aufsicht angeordnet ist, widerspricht die vertragliche Normsetzung nicht dem Demokratieprinzip, da über die vertragschließenden Apothekerverbände jedenfalls indirekt-mittelbar eine Aufsicht ausgeübt werden kann. Zugleich unterliegen Apotheker einem ebenfalls als öffentlich-rechtlich zu qualifizierenden Sanktionsregime; die nach § 129 IV 1, 3 SGB V verhängbaren Sanktionen stellen Verwaltungsakte dar. Das Kollektivvertrags- und das Sanktionsregime gehen auf Regelungsvorläufer aus der Geltungszeit der Reichsversicherungsordnung zurück, von denen sie sich jedoch stark unterscheiden. Während der Abschluss von Kollektivverträgen und die Sanktionierung von Pflichtverletzungen unter Geltung der Reichsversicherungsordnung nicht zwingend vorgeschrieben war, bilden Kollektiv­verträge und Sanktionsregime nunmehr gesetzlich festgeschriebene Mechanismen zur Ordnung der Rechtsbeziehungen zwischen Krankenkassen und Apothekern im Rahmen einer gemeinsamen Selbstverwaltung. Obgleich der historische Gesetzgeber davon ausging, dass nur deutsche Apothekeninhaber an der rahmenvertraglich geregelten Leistungserbringung teilnehmen können, gebieten europarechtliche Vorgaben auch die Teilnahmemöglichkeit EUausländischer Apotheker. Dabei gilt für EU-ausländische Apothekeninhaber das deutsche Preisspannenrecht nur partiell: Sie dürfen zwar die deutschen Arznei­ preise nicht überschreiten, doch ist ihnen die Unterbietung der deutschen Arzneipreise erlaubt.

Kapitel 3

Die Rechtsbeziehungen bei der Arzneimittelabgabe In § 129 SGB V ist nicht ausdrücklich geregelt, welche Rechtsbeziehungen zwischen Apothekern, Krankenkassen und Versicherten bei der Arzneimittelabgabe bestehen, insbesondere auf welcher Grundlage der Vergütungsanspruch von Apothekern gegen die Krankenkassen beruht. Das entspricht dem allgemeinen Befund, dass außerhalb des Vertragsarztrechts das Leistungserbringungsrecht des SGB V regelmäßig eine eher geringe Regelungsdichte aufweist.1 Deshalb soll im Rahmen dieses Kapitels untersucht werden, wie der Vorgang der Arzneimittelabgabe rechtlich zu konstruieren ist, worin die Grundlage für den Vergütungsanspruch der Apotheker gegen die Krankenkassen liegt, welche krankenversicherungsrechtlichen Pflichten für Apotheker jenseits der in § 129 SGB V ausdrücklich genannten Pflichten bestehen und welche Folgen Pflichtenverstöße nach sich ziehen.

A. Krankenversicherungsrechtliche Pflichten bei der Arzneimittelabgabe Krankenversicherungsrechtliche Pflichten für die Arzneimittelabgabe sind häufig in den ergänzenden Verträgen auf Landesebene enthalten. Die dort normierten Pflichten lassen sich in zwei Gruppen einteilen: Ein Teil der Pflichten betrifft die Frage, inwieweit Apotheker ärztliche Verordnungen einer Überprüfung unterziehen müssen, bevor sie ein Arzneimittel abgeben. Der andere Teil der Pflichten betrifft das Verhalten der Apotheker bei der Arzneimittelabgabe im Übrigen, vor allem in fachlicher Sicht. Im Hinblick auf die Prüfung von Verordnungen werden Apotheker in den ergänzenden Verträgen durchweg verpflichtet, von Patienten vorgelegte Verordnungen daraufhin zu überprüfen, ob sie formell ordnungsgemäß, d. h. im Einklang mit den bundesmantelvertraglichen Vorgaben, ausgestellt worden sind.2 Regelmäßig werden Apotheker außerdem zu einer inhaltlichen Prüfung der Verordnung dahingehend verpflichtet, ob das verordnete Arzneimittel einem Leistungsausschluss unterliegt.3 1

Schmitt, Leistungserbringung, S. 12 ff. Es heißt meist, dass die Abgabe aufgrund einer ordnungsgemäß ausgestellten ärztlichen Verordnung erfolgt, s. z. B. § 3 I 2 ALV Bremen; § 3 I 1 ALV Sachsen. – Umfassende Darstellung möglicher formeller Fehler bei Saalfrank/Wesser, A&R 2015, S. 250 ff.; A&R 2016, S. 16 ff. 3 s. beispielsweise § 3 V 2 AVV-VdEK; § 3 VII 2 ALV Baden-Württemberg; § 4  IV ALV Niedersachsen; § 3 X – XII ALV Sachsen. 2

A. Krankenversicherungsrechtliche Pflichten bei der Arzneimittelabgabe 

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Verhaltenspflichten in fachlicher Sicht ergeben sich daraus, dass manche ergänzenden Verträge vorsehen, dass sich die Arzneimittelabgabe „nach den gesetzlichen Regelungen“ richtet.4 Zu den „gesetzlichen Regelungen“ in diesem Sinne zählen nicht nur die verschiedenen Pflichten zur wirtschaftlichen Arzneimittelabgabe nach § 129 I SGB V, sondern auch Bestimmungen des Arzneimittel- und Apothekenrechts.5 Die ergänzenden Verträge inkorporieren damit arzneimittelund apothekenrechtliche Bestimmungen in das Krankenversicherungsrecht. Da für die „Abgabe“ von Arzneimitteln auf das Arzneimittel- und Apothekenrecht verwiesen wird, verpflichten die ergänzenden Verträge zur Einhaltung all derjenigen Vorschriften des Arzneimittel- und Apothekenrechts, die unmittelbar die Arzneimittelabgabe betreffen.6 Hierzu zählen zunächst die arzneimittelrechtlichen Regelungen über die Verkehrsfähigkeit und Verschreibungspflicht von Arzneimitteln.7 Vom Verweis erfasst sind weiterhin das apothekenrechtliche Substitutionsverbot, das Verbot der Arzneimittelabgabe im Wege der Selbstbedienung, das Verbot, Arzneimittel durch nicht-pharmazeutisches Personal aushändigen zu lassen, sowie die Pflicht zur Geltendmachung pharmazeutischer Bedenken. Ebenfalls erfasst ist die Pflicht zur pharmazeutischen Beratung bei der Arzneimittelabgabe nach § 20 ApBetrO.8 Eine Pflicht, Regelungen in der dargestellten Form aufzustellen, trifft die Parteien der ergänzenden Verträge allerdings nicht, denn außerhalb der gesetzlich für den Rahmenvertrag vorgegebenen Pflichtinhalte kommt den Vertragspartnern auf Bundes- und Landesebene ein weiter Gestaltungsspielraum zu, welche Regelungen sie in die jeweiligen Verträge aufnehmen. Es stellt sich aus diesem Grund die Frage, ob sich bereits dem SGB V selbst gesetzesunmittelbare krankenversicherungsrechtliche Pflichten für Apotheker entnehmen lassen, für den Fall dass – was jedenfalls theoretisch denkbar ist – in den Verträgen nach § 129 SGB V etwa in der Zukunft keine Pflichten geregelt sein sollten. Diese Frage stellt sich sowohl im Hinblick auf fachliche Aspekte der Arzneimittelabgabe (dazu I.) als auch im Hinblick auf die Überprüfung der ärztlichen Verordnung in formeller und inhaltlicher Sicht (dazu II. und III.).

I. Fachliche Anforderungen an die Apothekertätigkeit Fachliche Anforderungen an die Apothekertätigkeit könnten vor allem aus dem Wirtschaftlichkeitsgebot folgen. Die Zweckmäßigkeitskomponente des Wirtschaftlichkeitsgebots verlangt eine Leistungserbringung nach dem allgemein anerkannten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse. In § 135a SGB  V, der 4

§ 3 I ALV Bremen; § 3 ALV Hessen. Wesser, A&R 2010, S. 205 (207 f.); BSGE 94, 213 (216). 6 Wesser, A&R 2010, S. 205 (208). 7 Dazu Wesser, A&R 2010, S. 205 (207); BSGE 94, 213 (216 f.). 8 § 3 II ALV Baden-Württemberg verweist ausdrücklich auf § 20 ApBetrO. 5

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Kap. 3: Die Rechtsbeziehungen bei der Arzneimittelabgabe

Grundnorm des Qualitätssicherungsrechts des SGB V,9 wird diese Vorgabe wiederholt:10 Leistungen müssen dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse entsprechen und in der fachlich gebotenen Qualität erbracht werden. Die Regelung des § 135a SGB V beansprucht Geltung für alle Leistungserbringer.11 Dem allgemeinen Stand wissenschaftlicher Erkenntnisse hat dabei nicht nur der Leistungsgegenstand seiner Art nach, sondern auch die Art und Weise seiner Erbringung im konkreten Fall zu genügen.12 Übertragen auf Apotheker, würde sich aus dem Wirtschaftlichkeitsgebot somit die Pflicht ergeben, Arzneimittel im Einklang mit dem allgemein anerkannten Stand der pharmazeutischen Wissenschaft abzugeben. Gegen einen Versuch, fachliche Pflichten für Apotheker gesetzesunmittelbar unter Rückgriff auf das Wirtschaftlichkeitsgebot zu definieren, könnte einzuwenden sein, dass nach § 129 II, V 1 SGB V die nähere Ausgestaltung der Arzneimittelabgabe grundsätzlich den Vertragspartnern auf Bundes- und Landesebene überantwortet wird. Möglicherweise bestehen fachliche Pflichten für Apotheker nur so weit, wie sie im Rahmenvertrag oder den ergänzenden Verträgen niedergelegt sind. Indessen soll ausweislich der Gesetzesbegründung zu § 135a SGB  V die Pflicht zur Qualitätssicherung Leistungserbringer ex lege und damit unabhängig von kollektivvertraglichen Konkretisierungen treffen.13 Die Tätigkeit der Apotheker hat damit unabhängig von kollektivvertraglichen Regelungen dem allgemein anerkannten Stand der pharmazeutischen Wissenschaft zu entsprechen. Als allgemein anerkannt gilt eine Vorgehensweise im Ausgangspunkt, wenn über sie, von einzelnen, nicht ins Gewicht fallenden Gegenstimmen abgesehen, in den Fachkreisen Konsens besteht.14 Das SGB V stellt jedoch mittlerweile weniger auf einen tatsächlichen Konsens in der Wissenschaft ab. Vor allem für den Bereich der ärztlichen Versorgung zeigen verschiedene Regelungen, die seit Inkrafttreten des Gesundheitsreformgesetzes nachträglich in das SGB  V eingefügt wurden,15 dass der anerkannte Stand der Wissenschaft nach den Grundsätzen der evidenzba-

9

Vgl. Hauck/Noftz/Flint, § 135a SGB V Rn. 1; Liebold/Zalewski/Viapiano/Zalewski, C 135a-1. Kasseler Kommentar/Roters, § 135a SGB V Rn. 3. 11 BT-Drs. 14/1245, S. 86; Kasseler Kommentar/Roters, § 135a SGB V Rn. 3; Liebold/Zalewski/Viapiano/Zalewski, C 135a-2; Weidenbach, in: Handbuch des Krankenversicherungsrechts, § 29 Rn. 9. 12 Becker/Kingreen/Becker, § 135a SGB  V Rn.  7; Liebold/Zalewski/Viapiano/Zalewski, C 135a-5; Weidenbach, in: Handbuch des Krankenversicherungsrechts, § 29 Rn. 11. 13 BT-Drs. 14/1245, S. 86; Kasseler Kommentar/Roters, § 135a SGB V Rn. 3. Vgl. auch Weidenbach, in: Handbuch des Krankenversicherungsrechts, § 29 Rn. 10. 14 Hauck/Noftz/Noftz, § 2 SGB V Rn. 62; Roters, SGb 2015, S. 413; BSGE 84, 90 (96); 85, 56 (61 f.); 92, 164 (167). Vgl. auch v. Langsdorff, in: Handbuch des Krankenversicherungsrechts, § 9 Rn. 14. 15 § 35 Ib 4 SGB  V; § 35a  I  7 Nr.  2 SGB  V; § 35b  I  4 SGB  V; § 73b  II  Nr.  2 SGB  V; § 137f I Nr. 3 II Nr. 1 SGB V; § 139a III Nr. 3, IV 1 SGB V (zitierte §§ nach Roters, SGb 2015, S. 413 ff., Fn. 11). 10

A. Krankenversicherungsrechtliche Pflichten bei der Arzneimittelabgabe 

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sierten Medizin bestimmt werden soll.16 Das Konzept der evidenzbasierten Medizin besteht darin, dass ärztliche Therapieentscheidungen möglichst aufgrund von empirisch belegten Wirksamkeitsnachweisen getroffen werden sollen.17 Die Nachweismöglichkeiten für die Qualität und Wirksamkeit therapeutischer Vorgehensweisen werden zu diesem Zweck einer Hierarchie unterworfen.18 Hochwertige Nachweise wie randomisierte Studien haben Vorrang vor niederrangigeren Evidenzquellen wie beispielsweise ärztlichem Erfahrungswissen.19 In der konkreten Behandlungssituation soll sich der Behandelnde an einer möglichst hochwertigen Nachweisquelle orientieren, sofern die dort gefundenen Ergebnisse auf den konkreten Behandlungsfall übertragbar sind.20 Für die Tätigkeit des Apothekers hat sich eine vergleichbare „evidenzbasierte Pharmazie“ bislang noch nicht entwickelt. Allenfalls in Bezug auf die pharmazeutische Beratung existiert eine evidenzbasierte Pharmazie in einem Anfangsstadium: Im Bereich der pharmazeutischen Beratung wird versucht, den Erfolg verschiedene Herangehensweisen bei der Beratung von Patienten empirisch zu erfassen; die Herangehensweise bei Beratung von Patienten soll in der Folge weniger durch persönliches Erfahrungswissen des Apothekers als durch die empirische Belegbarkeit des Erfolgs bestimmter Beratungsansätze geleitet werden.21 Der allgemeine Stand der pharmazeutischen Erkenntnisse kann deshalb derzeit nur ermittelt werden, indem auf einen bestehenden Konsens der pharmazeutischen Wissenschaft abgestellt wird. Um diesen Konsens zu ermitteln, kann im Ausgangspunkt auf pharmazeutische Leitlinien zurückgegriffen werden.22 Beispielsweise hat die Bundesapothekerkammer derzeit rund 20 Richtlinien, betreffend unter anderem die Themenbereiche Rezeptbelieferung, Selbstmedikation, Arzneimittelrisiken, Arzneimittelinformation, pharmazeutische Betreuung und Versandhandel erlassen.23 Zu beachten ist allerdings, dass Leitlinien lediglich eine 16 Hauck, NJW 2013, S.  3334 (3337); ähnlich Engelmann, MedR 2006, S.  245 (252); Francke/Hart, MedR 2008, S. 2 (7); Roters, SGb 2015, S. 413 (414). Vgl. auch Mommertz, S. 34 ff.; Hart, MedR 2015, S. 1 (8); BSGE 113, 167 (170). – Zur Auslegung des Wirtschaftlichkeitsgebots vor dem Hintergrund der evidenzbasierten Medizin s. auch Ertl, NZS 2016, S. 889 ff.; Rixen, SGb 2013, S. 140 ff. 17 Zum Konzept der evidenzbasierten Medizin s. Lißner, S.  101 ff.; Mommertz, S.  15 ff.; Todt, S. 24 ff. 18 Lißner, S. 105; Mommertz, S. 17 ff.; Hart, MedR 2015, S. 1 (2). Vgl. auch Hase, Denkschrift BSG, S. 423 (431 f.). 19 Lißner, S. 104 ff.; Hase, Denkschrift BSG, S. 423 (431 f.); Hart, MedR 2015, S. 1 (2). 20 Lißner, S. 108; Mommertz, S. 20 f. 21 s. dazu Pfeifer, PZ 2014, Heft Nr. 38, S. 28 ff. 22 Zur Heranziehung von Leitlinien zur Bestimmung des allgemein anerkannten Stands der wissenschaftlichen Erkenntnisse s. Hauck/Noftz/Noftz, § 2 SGB V Rn. 65a; Kasseler Kommentar/Roters, § 135a SGB V Rn. 4; v. Langsdorff, in: Handbuch des Krankenversicherungsrechts, § 9 Rn. 14; Gaßner, NZS 2013, S. 866 (867); BSGE 113, 167 (171); 117, 129 (138). Vgl. auch BSGE 90, 289 (294 f.); 94, 161 (170 f.); BSG SozR 4-2500 § 18 Nr. 5 Rn. 33. 23 Abrufbar unter: https://www.abda.de/themen/apotheke/qualitaetssicherung0/leitlinien/leit linien0/.

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Kap. 3: Die Rechtsbeziehungen bei der Arzneimittelabgabe

Indizwirkung für den aktuellen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse zukommt.24 Wenn sie beispielsweise veraltet sind, bilden sie den aktuellen Stand der Wissenschaft nicht ab.25 Indiz für den allgemein anerkannten Stand der Wissenschaft können außerdem berufsrechtliche Regelungen sein.26 Aus dem allgemein anerkannten Stand der pharmazeutischen Erkenntnisse ergeben sich für Apotheker etwa folgende Pflichten, die als Ausfluss des Wirtschaftlichkeitsgebots angesehen werden können: Da die Leistungsqualität von der Qualifikation des eingesetzten Personals abhängt,27 ist es unzulässig, Arzneimittel durch nicht-pharmazeutisches Personal abgeben zu lassen. Da eine Leistung oft nur bei einer mit der Leistungserbringung einhergehenden Aufklärung des Patienten ihre volle Wirkung entfalten kann,28 sind Apotheker verpflichtet, Patienten bei der Arzneimittelabgabe zu beraten.29 Schließlich ist die Belieferung von Verordnungen unzulässig, die inhaltlich unvollständig oder pharmazeutisch bedenklich sind.30 Diese Pflichten decken sich im Ergebnis mit bestehenden apothekenrechtlichen Vorgaben.31

II. Überprüfung der Verordnung auf formelle Fehler Ebenfalls kraft Gesetzes trifft Apotheker eine Pflicht zur Überprüfung von Verordnungen auf ihre formelle Ordnungsgemäßheit. Eine Pflicht für Erbringer ärztlich verordneter Leistungen, Verordnungen auf die Einhaltung der bestehenden Formvorschriften hin zu überprüfen, folgt allgemein aus § 2 IV SGB V.32 24 Ihle, S. 81 ff.; Todt, S. 104; Taupitz, in: Geltung und Faktizität von Standards, S. 63 (99 ff.). Vgl. auch Ihle, GesR 2011, S. 394 (396 f.). – Für das Haftungsrecht vgl. Achterfeld, S. 274 f.; Schumacher, S. 74 ff.; Hart, MedR 2015, S. 1 (5 f.); BGH, GesR 2008, 361 (362). 25 Taupitz, in: Geltung und Faktizität von Standards, S. 63 (91 f.); Gaßner, NZS 2013, S. 866 (867). 26 Für das Arzneimittelrecht Saalfrank/Wesser, A&R 2016, S. 16 (22). – Vgl. für das Vertragsarztrecht Hauck/Noftz/Noftz, § 2 SGB V Rn.  66; jurisPK-SGB V/Pawlita, § 95 SGB V Rn. 415; Kasseler Kommentar/Roters, § 135a SGB V Rn. 4. 27 Becker/Kingreen/Becker, § 135a SGB V Rn. 7. 28 Becker/Kingreen/Becker, § 135a SGB V Rn. 7. 29 Rieß, NZS 2014, S. 12 (17 mit Fn. 49), stellt dagegen darauf ab, dass die pharmazeutische Beratung keine eigenständige Leistung nach den §§ 27 ff. SGB V darstelle. 30 Vgl. jeweils für die Heilmittelversorgung: BSGE 105, 1 (7 ff.); 109, 116 (119 ff.); LSG Baden-Württemberg, Urt. v. 26.10.2010, L 11 KR 1322/09, Rn. 19 f. (juris). 31 Vgl. dazu § 3 V ApBetrO (Verbot der Übertragung pharmazeutischer Tätigkeiten auf nichtpharmazeutisches Personal); § 20 ApBetrO (Pflicht zur pharmazeutischen Beratung); § 17 V 2 ApBetrO (Prüfung von Verordnungen auf pharmazeutische Bedenken). 32 Für die Heilmittelversorgung vgl. BSGE 105, 1 (7 f.); 109, 116 (119): Aus § 2 IV SGB V folge, dass ein Heilmittelerbringer nur aufgrund einer gültigen Verordnung Leistungen erbringen darf. Zu den Gültigkeitsvoraussetzungen zähle auch, dass der Verordnungsvordruck vollständig nach Maßgabe der Heilmittelrichtlinie ausgefüllt sei, BSGE 109, 116 (121). – Nach BSGE 109, 116 (120) lasse sich nicht alleine aus dem Gesetz der Umfang der Prüfpflichten herleiten, sondern es bedürfe einer Konkretisierungen durch Empfehlungen nach § 125 I SGB V

A. Krankenversicherungsrechtliche Pflichten bei der Arzneimittelabgabe 

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Nach dieser Vorschrift haben Leistungserbringer darauf zu achten, dass Leistungen nur im notwendigen Umfang in Anspruch genommen werden. Eine Pflicht zur Überprüfung von Verordnungen in formeller Sicht folgt aus dieser Vorschrift deshalb, weil eine formell nicht ordnungsgemäß ausgestellte Verordnung unwirksam ist, mit der Folge, dass sie keinen Leistungsanspruch auf die verschriebene Leistung begründen kann.33 Welche Formanforderungen eine ärztliche Arzneimittelverordnung erfüllen muss, ist gemäß § 87 I 2 SGB V im Bundesmantelvertrag zu regeln. Die Bundesmantelvertragsparteien sind ihrem Regelungsauftrag in der Anlage 2 des Bundesmantelvertrags-Ärzte durch Abdruck eines Muster-Verordnungsblatts34 nachgekommen. Ein ärztliches Verordnungsblatt muss beispielsweise die Unterschrift des Vertragsarztes, den Vertragsarztstempel, die Arztnummer, den Namen des Versicherten und die Versichertennummer enthalten.

III. Überprüfung von Verordnungen auf bestehende Leistungsausschlüsse Aus § 2 IV SGB V lässt sich für Erbringer ärztlich verordneter Leistungen weiterhin die grundsätzliche Pflicht herleiten, Verordnungen daraufhin zu überprüfen, ob sie inhaltlich mit den Vorgaben des Krankenversicherungsrechts im Einklang stehen.35 Diese Pflicht zur Überprüfung der Verordnung in inhaltlicher Hinsicht ist aber nicht umfassend, sondern auf einzelne Aspekte der Verordnung begrenzt. So ist die Feststellung einer Krankheit als Grundvoraussetzung des Leistungsanspruchs ausschließlich dem Vertragsarzt zugewiesen. Nichtärztliche Leistungserbringer wären zur Feststellung einer Krankheit zum einen nicht qualifiziert,36 zum anderen würde die ärztliche Berufsausübung beeinträchtigt, wenn im laufenden Behandlungsvorgang die ärztliche Diagnosestellung einer Kontrolle unterzogen würde.37 Die Pflicht zur Prüfung der Verordnung in inhaltlicher Sicht beschränkt sich deshalb von vornherein darauf, ob der verordnete Leistungsgegenstand den im Krankenversicherungsrecht formulierten leistungsrechtlichen Vorgaben entspricht. Doch können sich hier ebenfalls Einschränkungen der Nachprüfungspflicht ergeben: Erbringer ärztlich veranlasster Leistungen trifft keine Prüfpflicht, wenn sich die in Frage stehende krankenversicherungsrechtliche Vorschrift ausschließund Verträge nach § 125 II SGB V. Im Fortgang der Entscheidung werden jedoch sehr weitegehende und detaillierte gesetzesunmittelbare Prüfpflichten insbesondere unter Rückgriff auf § 12 SGB V begründet, BSGE 109, 116 (120 ff.). 33 Vgl. für die Heilmittelversorgung BSGE 109, 116 (118 f.). 34 Muster 16 der in Anlage 2 des Bundesmantelvertrags-Ärzte enthaltenen Mustersammlung. 35 Vgl. für die Heilmittelversorgung LSG Baden-Württemberg, Urt. v. 26.10.2010, L 11 KR 1322/09, Rn. 20 (juris). Vgl. für Apotheker BSGE 106, 303 (312, 313). 36 Vgl. BSGE 77, 194 (209). 37 Spieß, SGb 1996, S. 666 f. Vgl. auch BSGE 105, 1 (8).

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Kap. 3: Die Rechtsbeziehungen bei der Arzneimittelabgabe

lich an den verordnenden Arzt richtet,38 was etwa dann der Fall ist, wenn die betreffende Vorschrift den Leistungsanspruch des Versicherten anknüpfend an Kriterien beschränkt, für deren Einhaltung Kenntnisse oder Qualifikationen notwendig sind, über die nur ein Arzt verfügt.39 Für Apotheker folgt daraus, dass sie ärztliche Verordnungen daraufhin überprüfen müssen, ob die verordneten Arzneimittel zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnungsfähig sind, soweit sich leistungsbeschränkende Vorschriften nicht ausschließlich an die verordnenden Ärzte richten. Nicht nur an Ärzte, sondern auch an Apotheker richten sich grundsätzlich die in den §§ 31 ff. SGB V enthaltenen Begrenzungen des Leistungsanspruchs auf solche Arzneimittel, die apothekenpflichtig und nicht nach § 34 SGB V von der Versorgung ausgeschlossen sind.40 Deshalb dürfen Apotheker keine Verordnungen über nicht apothekenpflichtige Arzneimittel zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung beliefern. Weiterhin dürfen sie im Grunde keine nach § 34 SGB V von der Versorgung ausgeschlossenen Arzneimittel abgeben;41 hierzu zählen nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel,42 Arzneimittel, bei deren Anwendung eine Erhöhung der Lebensqualität im Vordergrund steht,43 sowie sogenannte Bagatellarzneimittel zur Behandlung minder schwerer Krankheiten bei volljährigen Versicherten.44 An Apotheker gerichtet sind schließlich auch Verordnungsausschlüsse von Arzneimitteln durch Richtlinien des G-BA nach § 92 I 1 SGB V.45 Die Vorschrift des § 34 I SGB V sieht allerdings keinen umfassenden Ausschluss aller nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel oder aller Bagatellarzneimittel von der Versorgung vor. So können nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel gemäß § 34  I  2 SGB  V zur Behandlung schwerwiegender Erkrankungen durch den G-BA in der Arzneimittelrichtlinie zugelassen werden. Bagatellarzneimittel sind nach dem Zweck der Regelung nicht generell, sondern nur in den in § 34 I 6 SGB  V genannten Anwendungsgebieten von der Versorgung ausgeschlossen.46 38 Vgl. für die Heilmittelversorgung LSG Baden-Württemberg, Urt. v. 26.10.2010, L 11 KR 1322/09, Rn. 19 (juris). 39 Vgl. BSGE 77, 194 (202 ff.). – Vgl. für die Heilmittelversorgung LSG Baden-Württemberg, Urt. v. 26.10.2010, L 11 KR 1322/09, Rn. 20 (juris): Danach besteht eine Prüfungspflicht für Heilmittelerbringer nur in dem Rahmen, in dem sie Fehler aus ihrer professionellen Sicht erkennen können. 40 Diese Beschränkungen sind im Wege des Meldeverfahrens nach § 131 IV 1 SGB V als Teil der abrechnungsrelevanten Produktdaten zu übermitteln, BT-Drs. 16/194, S. 11. 41 JurisPK-SGB V/Schneider, § 129 SGB V Rn. 25; Wesser, A&R 2010, S. 253 (255 f.). Vgl. auch BSGE 77, 194 (204). 42 § 34 I 1–5 SGB V. 43 § 34 I 7–9 SGB V. 44 § 34 I 6 SGB V. 45 Vgl. allgemein zur Verbindlichkeit von Richtlinien des G-BA gegenüber Apothekern: Becker/Kingreen/Schmidt-De Caluwe, § 91 SGB V Rn. 59; Spickhoff/Barth, § 91 SGB V Rn. 14. 46 Becker/Kingreen/Axer, § 34 SGB V Rn.  12. Vgl. auch Krauskopf/Wagner, § 34 SGB V Rn. 8, 10.

A. Krankenversicherungsrechtliche Pflichten bei der Arzneimittelabgabe 

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Um feststellen zu können, ob im Einzelfall ein Versorgungsausschluss eingreift, müsste der Apotheker folglich die bei dem Patienten diagnostizierte Krankheit kennen.47 Die Verordnung führt die Diagnose jedoch nicht auf und für eine eigenständige Diagnosestellung ist ein Apotheker nicht qualifiziert.48 Die Beachtlichkeit von Versorgungsausschlüssen nach § 34 SGB V für Apotheker muss daher differenziert beurteilt werden. Nur solche Versorgungsausschlüsse, die Arzneimittel umfassend und ohne Rücksicht auf bestimmte Krankheiten von der Versorgung ausschließen,49 sind auch von Apothekern zu beachten. Versorgungsausschlüsse, die nur in Abhängigkeit vom Nicht-Vorliegen bestimmter Krankheiten eingreifen, gelten hingegen nur für die verordnenden Ärzte. Apotheker sind deshalb nicht zur Prüfung verpflichtet, ob ein nicht umfassend ausgeschlossenes, sondern bei bestimmten Krankheiten verordnungsfähiges Arzneimittel im konkreten Fall von dem Versicherten beansprucht werden kann. Sie sind zur Abgabe eines solchen Arzneimittels immer berechtigt, wenn es ärztlich verordnet wurde.50 Die Verantwortung für die Einhaltung von Versorgungsausschlüssen, die bei Vorliegen bestimmter Krankheiten nicht eingreifen, liegt ausschließlich bei dem verordnenden Arzt, der von der Krankenkasse im Wege des Arzneimittelregresses nach §§ 106, 106b f. SGB V in Anspruch genommen werden kann, wenn er das Arzneimittel zu Unrecht verordnet hat.51 Eine vergleichbare Problematik wie bei den vom Nicht-Vorliegen bestimmter Krankheiten abhängigen Versorgungsausschlüssen im Rahmen von § 34 SGB V stellt sich im Hinblick auf den Off-Label-Use: Der zulassungsüberschreitende Einsatz eines Arzneimittels ist aufgrund der Vorgaben des Wirtschaftlichkeitsgebots nur unter engen Voraussetzungen zulässig, insbesondere wenn ein Versicherter an einer schwerwiegenden Erkrankung leidet.52 Da Apothekern aber die Krankheit des Versicherten nicht bekannt ist, können sie nicht verpflichtet werden, einen un 47

Vgl. BSGE 77, 194 (204 ff.). Zum Inhalt der Apothekertätigkeit vgl. § 2 II BApO. 49 Im Rahmen von § 34 SGB V ist dies beispielsweise der Ausschluss von Arzneimitteln, bei deren Anwendung die Lebensqualität im Vordergrund steht, nach § 34 I 7–9 SGB V oder der Ausschluss solcher nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel nach § 34 I 1 SGB V, die auch nicht ausnahmsweise gemäß der AM-RL bei schwerwiegenden Krankheiten verordnungsfähig sind. 50 Kühl, S. 98 f.; Saalfrank, SGb 2011, S. 401 (403). – Einige ergänzende Verträge auf Landesebene wiederholen dies nochmals ausdrücklich: Im Grundsatz wird dort formuliert, dass Apotheker Arzneimittel nicht auf ihre Verordnungsfähigkeit prüfen müssen. In Ausnahme hierzu wird aber angeordnet, dass Apotheker prüfen müssen, ob ein Verordnungsausschluss nach § 34 SGB V besteht. Sodann wird die Rückausnahme formuliert, dass die Abgabe eines nach § 34 SGB V von der Versorgung ausgeschlossenen Arzneimittels zulässig ist, soweit das Arzneimittel „bei bestimmten Indikationsstellungen verordnungsfähig“ ist (§ 3 V 2 HS. 2 AVVVdEK; § 3 VII 3 ALV Baden-Württemberg; § 3 S. 2 Nr. 1 ALV Hessen; § 4 IV lit. b ALV Niedersachsen; § 4 V lit. b ALV Saarland; § 3 XII 1 HS. 2 ALV Sachsen.). Dadurch wird dem Apotheker bei Arzneimitteln, die abhängig vom Vorliegen bestimmter Krankheiten verordnungs­fähig sind, die Prüfung der Verordnungsfähigkeit erlassen, Saalfrank, SGb 2011, S. 401 (403). 51 Vgl. Spieß, SGb 1996, S. 666 (667). 52 s. oben Kapitel 1 B. III. 1. 48

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Kap. 3: Die Rechtsbeziehungen bei der Arzneimittelabgabe

zulässigen Off-Label-Use zu verhindern. Apotheker trifft deshalb keine Pflicht, die ärztliche Verordnung auf das Vorliegen eines unzulässigen Off-Label-Use zu überprüfen.53 Die Pflicht der Apotheker zur Überprüfung ärztlicher Arzneimittelverordnungen endet somit dort, wo für die Beurteilung der Verordnungsfähigkeit eines Arzneimittels die Kenntnis der gestellten Diagnose notwendig ist.54 Allenfalls in Fällen evidenten Missbrauchs können Apotheker etwa dazu verpflichtet sein, die Abgabe eines verordneten Arzneimittels zu verweigern.55 Das BSG fasst die nur beschränkte Überprüfbarkeit ärztlicher Verordnungen durch Apotheker plastisch so zusammen, dass der Apotheker weder medizinischer Obergutachter noch Aufsichtsbehörde des Arztes sei.56

IV. Eigenständige Bedeutung vertraglicher Pflichtenregelungen? Angesichts dessen, dass sich eine Vielzahl von Handlungspflichten für Apotheker bereits gesetzlich begründen lässt, stellt sich die Frage, welche Bedeutung einer vertraglichen Regelung von Pflichten noch zukommt: Eingangs wurde erwähnt, dass in den ergänzenden Verträgen auf Landesebene für Apotheker eine Vielzahl von Pflichten geregelt wird. So finden sich etwa Pflichten zur Überprüfung der Verordnung in formeller Hinsicht.57 Soweit die ergänzenden Verträge regeln, dass die Arzneimittelabgabe nach den „gesetzlichen Vorschriften“ erfolgt, wird insbesondere auf Regelungen des Apothekenrechts verwiesen, die fachlichinhaltliche Vorgaben an die Apothekertätigkeit stellen, wie etwa die Pflicht zur pharmazeutischen Beratung oder das Verbot der Arzneimittelabgabe im Wege der 53 Im Ergebnis ebenso Dettling/Altschwager, S. 31; Meyer/Grunert, PharmR 2005, S. 205 (206). – An einer Regelung in den ergänzenden Verträgen auf Landesebene, die dies ausdrücklich klarstellt, fehlt es in Bezug auf den Off-Label-Use. Allerdings greift insoweit die in vielen Verträgen anzutreffende Auffangklausel ein, dass Apotheker grundsätzlich nicht verpflichtet sind, die Verordnungsfähigkeit eines Arzneimittels zu prüfen (s. dazu etwa § 3 VII 1 ALV Baden-Württemberg; § 3 XI 1 ALV Hessen). 54 Vgl. für die Heilmittelversorgung LSG Baden-Württemberg, Urt. v. 26.10.2010, L 11 KR 1322/09, Rn. 20 (juris): Danach besteht eine Prüfungspflicht für Heilmittelerbringer nur in dem Rahmen, in dem sie Fehler aus ihrer professionellen Sicht erkennen können. 55 BSGE 77, 194 (208). 56 BSGE 77, 194 (209). Zustimmend Saalfrank, SGb 2011, S. 401 (403); Spieß, SGb 1996, S.  666 (667).  – Zur Bezeichnung des Arztes als Schlüsselfigur der Arzneimittelversorgung s. BSGE 77, 194 (200); 94, 213 (216); BSG SozR  4-2500 § 129 Nr.  2 Rn.  20; Becker/Kingreen/Axer, § 129 SGB V Rn. 10; BeckOK SozR/Scholz, § 15 SGB V Rn. 12; Krauskopf/Knittel, § 130a SGB V Rn. 14. Ablehnend dagegen Manthey, GesR 2010, S. 601 (602 ff.); Zuck, in: Quaas/Zuck, § 10 Rn. 10. Zurückhaltend unter Verweis auf die den Apotheker treffenden Wirtschaftlichkeitspflichten auch Burk, S.  34, 65, 68.  – S.  auch BSGE 75, 220 (223); BSG SozR 3-2500 § 106 Nr. 51 (S. 274); SozR 3-2500 § 106 Nr. 53 (S. 295) („Schlüsselstellung“); BSGE 73, 271 (283) („Schlüsselrolle“). 57 s. oben A. II.

A. Krankenversicherungsrechtliche Pflichten bei der Arzneimittelabgabe 

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Selbstbedienung.58 Pflichten zur Überprüfung der Verordnung in formeller Hinsicht oder zur Abgabe von Arzneimitteln im Einklang mit den allgemein anerkannten pharmazeutischen Erkenntnissen lassen sich allerdings nach dem soeben Gesagten schon gesetzesunmittelbar, insbesondere aus dem Wirtschaftlichkeitsgebot, begründen.59 Inhaltlich wiederholen die Bestimmungen der ergänzenden Verträge somit gesetzliche Vorgaben. Da nach § 70 SGB V leistungserbringungsrechtliche Verträge den Anforderungen des Wirtschaftlichkeitsgebotes entsprechen müssen, wäre es den Vertragspartnern auf Landesebene außerdem verwehrt, Apothekern die soeben dargestellten Pflichten zu erlassen. Deshalb werden die vertraglichen Pflichten mithin als Regelungen mit weitgehend deklaratorischer Natur bezeichnet.60 Eine eigenständige Bedeutung könnte der vertraglichen Normierung von Verhaltenspflichten in den ergänzenden Verträgen aber im Hinblick auf das Sanktionsregime nach § 129 IV 1, 3 SGB V zukommen. Nach § 129 IV 1 SGB V sind nur „Pflichten nach § 129 I, II, V SGB V“ einer Sanktionierung zugänglich. In § 129 I SGB V sind gesetzlich mehrere Pflichten zur wirtschaftlichen Arzneimittelabgabe geregelt. Mit den „Pflichten nach § 129 II, V SGB V“ sind im Rahmenvertrag oder in den ergänzenden Verträgen vertraglich begründete Pflichten gemeint. Eine generelle Sanktionierung von Verletzungen gesetzlicher Pflichten ist in § 129 IV 1 SGB  V daher nicht vorgesehen. Die Verletzung einer gesetzlichen Pflicht kann nur sanktioniert werden, sofern kollektivvertraglich eine inhaltsgleiche Pflicht begründet worden ist.61 Erst die Übersetzung gesetzlicher Pflichten in kollektivvertragliche Pflichten ermöglicht daher die Sanktionierung von Pflichtverletzungen. Würde beispielsweise ein Apotheker einen Patienten bei der Arzneimittelabgabe nicht beraten, würde er zwar die aus §§ 2 I 3, 12 I SGB V gesetzesunmittelbar folgende Pflicht verletzen, Arzneimittel im Einklang mit den allgemein anerkannten pharmazeutischen Erkenntnissen abzugeben. Mittels Sanktionen nach § 129 IV 1, 3 SGB V kann er aber nur zur Verantwortung gezogen werden, sofern daneben zugleich ein Kollektivvertrag eine Beratungspflicht statuiert. Gegenwärtig formulieren vor allem die ergänzenden Verträge sanktionierbare Verhaltenspflichten; der Rahmenvertrag konkretisiert in erster Linie nur die aus § 129 I SGB V folgenden Wirtschaftlichkeitspflichten. Anknüpfungspunkt für eine Sanktion wäre vorliegend das in einigen ergänzenden Verträgen enthaltene Gebot, Arzneimittel „im Einklang mit den gesetzlichen Vorschriften“ abzugeben,62 denn eine Arzneimittelabgabe ohne Beratung verstößt gegen die Vorschrift des § 20 ApBetrO.

58

s. oben A. s. oben A. I. 60 Saalfrank/Wesser, A&R 2016, S. 16 (21). 61 Vgl. für das Abspracheverbot nach § 128 VI SGB  V Eichenhofer/Wenner/Armbruster, § 129 SGB V Rn. 54. 62 § 3 I ALV Bremen; § 3 ALV Hessen. 59

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Kap. 3: Die Rechtsbeziehungen bei der Arzneimittelabgabe

Das Leistungserbringungsrecht der Apotheker unterscheidet sich insoweit vom Vertragsarztrecht, wo die Kassenärztlichen Vereinigungen generalklauselartig zur Ahndung von Verletzungen vertragsärztlicher Pflichten verpflichtet werden.63 Der Hintergrund für die strengere Ausgestaltung des vertragsärztlichen Sanktionenregimes dürfte darin zu sehen sein, dass Vertragsärzten insoweit eine gewichtigere und herausgehobenere Rolle bei der Versorgung gesetzlich Versicherter als Apothekern zukommt, als Ärzte nicht nur eigene ärztliche Leistungen erbringen, sondern durch ihre Verordnungstätigkeit auch die Inanspruchnahme vieler nichtärztlicher Leistungen steuern64.

B. Die rechtliche Konstruktion der Arzneimittelabgabe Ein gesetzlich Versicherter muss in der Apotheke eine vertragsärztliche Verordnung über ein Arzneimittel vorlegen, um dieses Arzneimittel als Sachleistung zulasten seiner Krankenkasse zu erhalten. Nach Aushändigung des Arzneimittels an den Versicherten reicht der Apotheker das Verordnungsblatt gemäß § 300 SGB V bei der Krankenkasse ein, um seine Vergütung zu erhalten. Wie sich dieser Vorgang aus rechtlicher Sicht darstellt, insbesondere welche Beziehungen zwischen Apotheker, Krankenkasse und Versichertem bestehen und worin die Grundlage für den Vergütungsanspruch des Apothekers gegen die Krankenkasse liegt, ist im SGB V nicht näher geregelt. Bereits die Reichsversicherungsordnung traf keine näheren Aussagen zur rechtlichen Konstruktion der Arzneimittelabgabe an gesetzlich Versicherte. Aus diesem Grund wurde in Rechtsprechung und Literatur im Laufe der Zeit eine Vielzahl von Modellen entwickelt, wie sich der Vorgang der Arzneimittelabgabe an gesetzlich Versicherte aus rechtlicher Sicht darstellt und worin die Grundlage für die Vergütungsansprüche von Apothekern gegen Krankenkassen zu sehen ist.

I. Die Deutung der Arzneimittelabgabe als Vertragsschluss zugunsten Dritter Erstmals untersucht wurde die rechtliche Konstruktion der Arzneimittelabgabe an gesetzlich Versicherte im Jahr 1928 im Rahmen der Dissertation von Kern. Ungeschriebene Prämisse von Kerns Untersuchung ist, dass der Vergütungsanspruch des Apothekers aus den zwischen Krankenkassen- und Apothekerverbänden seinerzeit geschlossenen Kollektivverträgen folgt, wenngleich sich in diesen Verträgen keine explizite Regelung über den Vergütungsanspruch des Apothekers fand.65 Zunächst wird von Kern erwogen, ob Apotheker und Versicherter bei der Arznei 63

Vgl. § 81 VII SGB V. Rixen, S. 67 ff., bezeichnet den Arzt deshalb als „gatekeeper“. 65 Ein gesetzlicher Vergütungsanspruch wird von Kern ebenso wenig geprüft, wie die Vorgänge im Rahmen der konkreten Arzneimittelabgabe auf eine rechtliche Bedeutung hin untersucht werden. 64

B. Die rechtliche Konstruktion der Arzneimittelabgabe

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mittelabgabe einen Kaufvertrag über das abgegebene Arzneimittel schließen; die Kollektivverträge könnten dann den Inhalt haben, dass die einzelnen Krankenkassen gegenüber den Apothekern die Kaufpreisschulden ihrer jeweiligen Versicherten antizipiert und mit befreiender Wirkung übernehmen. Dieser Ansatz wird von Kern aber letztlich verworfen: Versicherter und Apotheker schlössen keinen Kaufvertrag, weil das Sachleistungsprinzip verbiete, dass der Versicherte dem Apotheker auch nur formal als Zahlungsschuldner gegenübertrete, und zwar ungeachtet dessen, dass der Versicherte infolge der Schuldübernahme seitens der Krankenkasse nicht selbst für die Zahlung des Kaufpreises einstehen müsste.66 Für den Versicherten hat, wie Kern sodann zutreffend feststellt, die Ablehnung eines Vertragsschlusses zwischen ihm und dem Apotheker zur Folge, dass er keinen eigenen vertraglichen Leistungs- und Erfüllungsanspruch gegen den Apotheker erwerben kann, auf dessen Grundlage er beispielsweise Nacherfüllung bei Aushändigung eines mangelhaften Arzneimittels verlangen kann.67 Da Kern aller­ dings der Ansicht ist, dass dem Versicherten ein solcher Erfüllungsanspruch gegen den Apotheker zustehen muss, hält er als Ausfluss des Sachleistungsprinzips die Krankenkassen für verpflichtet, ihren Versicherten vertragliche Leistungsansprüche gegen die Apotheker zu verschaffen.68 Er qualifiziert deshalb die Kollektivverträge als zwischen den Krankenkassen und den Apothekern geschlossene echte Verträge zugunsten Dritter nach § 328 BGB mit den Versicherten als forderungsberechtigten Dritten.69 Da in den Kollektivverträgen noch nicht genau für den Einzelfall bestimmt ist, welcher Apotheker welchem Versicherten welches Arzneimittel zu verschaffen hat, müssen nach Ansicht Kerns die Krankenkassen den Vertragsinhalt im Rahmen der einzelnen Arzneimittelabgabe jeweils noch konkretisieren. Zu dieser Konkretisierung bedürfe es einer Willenserklärung einer an dem Vertrag beteiligten Krankenkasse gegenüber einem Apotheker, dass ein bestimmter Versicherter ein bestimmtes Arzneimittel auf ihre Kosten erhalten solle. Zur Abgabe dieser Erklärung bevollmächtigten die Krankenkassen in aller Regel die Kassenärzte; die Vollmachterteilung sei darin zu sehen, dass die Krankenkassen den Kassenärzten Kassen-Verordnungsformulare aushändigen.70 Die Konkretisierungserklärung liegt somit bei Kern im Ergebnis darin, dass ein Arzt ein Arzneimittel auf einem Kassenrezept verordnet und der Versicherte das Rezept in der Apotheke vorlegt. In seiner Dissertation aus dem Jahr 1931 ist Albert dem Ansatz Kerns gefolgt.71 Die Einordnung der Kollektivverträge über die Arzneimittelversorgung als Verträge zugunsten Dritter entsprach dabei generell dem Ansatz, nach dem die damals herr 66

s. dazu Kern, Beziehungen, S. 21 ff. Kern, Beziehungen, S. 35 f. 68 Kern, Beziehungen, S. 36, 50 f. 69 Kern, Beziehungen, S. 50. 70 s. dazu insgesamt Kern, Beziehungen, S. 53. 71 Albert, S. 26 ff. 67

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Kap. 3: Die Rechtsbeziehungen bei der Arzneimittelabgabe

schende Meinung die leistungserbringungsrechtlichen Rechtsbeziehungen deutete: Als Verträge zugunsten Dritter wurden ebenso die Verträge zwischen Krankenkassen und Krankenhäusern qualifiziert72 sowie der nach damaliger Rechtslage zum Zwecke der Zulassung geschlossene Arztvertrag zwischen Kassenarzt und Krankenkasse73. Die Konstruktion eines Vertrages zugunsten Dritter hatte dabei durchgehend den Zweck, dem Versicherten vertragliche Ansprüche gegen den Leistungserbringer zu verschaffen, nachdem das Bestehen direkter Vertragsbeziehungen zwischen Versichertem und Leistungserbringer jeweils verneint worden war.74 Die Dissertation von Strehmel aus dem Jahr 1936 wandte sich dann aber in zweierlei Hinsicht gegen die Deutung der Kollektivverträge als Verträge zugunsten des Versicherten. Die Kollektivverträge seien zum einen für die Bestimmung der bei der Arzneimittelabgabe auftretenden Rechtsbeziehungen ohne Bedeutung: Aus § 375 RVO, wonach Apotheker und Krankenkassen Vorzugsbedingungen bei der Arzneilieferung vereinbaren können, folge, dass die Kollektivverträge nur Vorzugsbedingungen, aber keine generellen Regelungen über die Arzneimittelabgabe enthalten dürften.75 Zum anderen bestehe für die Konstruktion von Verträgen zugunsten Dritter keine praktische Notwendigkeit: Ein Versicherter bedürfe keines direkten vertraglichen Leistungsanspruchs gegen den Apotheker, denn er habe schon gegen seine Krankenkasse einen Anspruch auf Leistung des verordneten Arzneimittels und könne bei Nichterfüllung des Anspruchs die Krankenkasse zur Verantwortung ziehen.76 Die Arzneimittelabgabe stelle sich rechtlich deshalb so dar, dass die Krankenkasse von dem Apotheker das verordnete Arzneimittel käuflich erwerbe, um es zur Erfüllung ihrer Leistungspflicht dem Versicherten aushändigen zu können. Der Apotheker werde in dem Kaufvertrag von der Krankenkasse zugleich nach §§ 362 II, 185 BGB ermächtigt, mit Erfüllungswirkung direkt an den Versicherten zu leisten.77 Der Vertrag zwischen Apotheke und Krankenkasse komme zustande, indem der Kassenarzt durch Ausstellung einer Verordnung auf Kassenrezept als Stellvertreter der Krankenkasse ein Kaufangebot abgebe und der Versicherte dieses Angebot dem Apotheker als Bote überbringe.78 Die Vertretungsmacht des Arztes folge aus dessen Kassenzulassung.79 72

Lehmann, Krankenhauspflege, S. 71 f.; RG, JW 1915, S. 916 f. Hahn, § 368 RVO Anm. 1.c. (S. 611); Heinemann, § 368 RVO Anm. 9.c. (S. 26 f.); Kühne, § 368 RVO Anm. 3.c. (S. 359 f.); RGZ 106, 91 (105 f.). – S. zum damaligen Verständnis auch Wilk, S. 55; Eberhardt, AcP 171, S. 289 (295 f.); Schmidt-De Caluwe, VSSR 1998, S. 207 (211). 74 Für die Arzneimittelversorgung Wigge, NZS 1999, S. 584 (586). – Für die Krankenhausbehandlung RG, JW 1915, S. 916 f.; s. auch BGHZ 89, 250 (253). – Vgl. für die Arztverträge: Hahn, § 368 RVO Anm. 1.c. (S. 611); Kühne, § 368 RVO Anm. 3.c. (S. 359 f.); Eberhardt, AcP 171, S. 289 (296 ff.). 75 Strehmel, S. 14 f. 76 Strehmel, S. 20 f. 77 Strehmel, S. 28 ff. 78 Strehmel, S. 24. 79 Strehmel, S. 24 ff. 73

B. Die rechtliche Konstruktion der Arzneimittelabgabe

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Die unter der Geltung der Reichsversicherungsordnung vor Inkrafttreten des SGB V im Jahr 1989 herrschende Ansicht im Sozialrecht vertrat für die Leistungserbringung durch Apotheken sowie allgemein für die Leistungserbringung durch andere Leistungserbringer als Kassenärzte ein Deutungsmodell der auftretenden Rechtsbeziehungen, das sich im Ergebnis als eine Kombination der Ansätze Kerns und Strehmels darstellte: Die Leistungserbringung erfolge auf der Grundlage eines Vertrages zwischen Krankenkasse und Leistungserbringer zugunsten des Versicherten, der jeweils im konkreten Versorgungsfall geschlossen werde.80 Die Leistungserbringung vollzieht sich nach diesem Ansatz im Wege eines Vertrages zugunsten Dritter, wobei der Vertrag zugunsten Dritter nicht Teil der Vertragswerke ist, mit denen Krankenkassen und Leistungserbringer ihre Rechtsbeziehungen im Allgemeinen ordnen – wie etwa Arzneilieferverträge oder Verträge über Krankenhauspflege81 –, sondern erst im Rahmen des konkreten Leistungserbringungsvorgangs geschlossen wird. Nach Inkrafttreten des SGB V deutete das BSG die Arzneimittelabgabe durch Apotheken zunächst auf dieselbe Weise. Der Versicherte überbringe dem Apotheker als Bote ein vom verordnenden Arzt als Vertreter der Krankenkasse abgegebenes Angebot auf Abschluss eines Kaufvertrages zugunsten des Versicherten.82 Seine Vertretungsmacht erwachse dem Arzt aus den ihm durch das Kassenarztrecht verliehenen Kompetenzen.83 Die Versorgung mit Heil-84 und Hilfsmitteln85 sowie häuslicher Krankenpflege86 wurde ebenso konstruiert. Später wurden die bei Abschluss eines solchen Vertrages zugunsten Dritter auftretenden Vertretungsverhältnisse noch feiner ausdifferenziert: Der Vertragsarzt sei Stellvertreter der Krankenkasse, soweit er auf dem Verordnungsblatt den Leistungsgegenstand individualisiere; diese Erklärung überbringe der Versicherte dem Leistungserbringer als Bote. In Bezug auf die Auswahl des Leistungserbringers sei der Versicherte jedoch selbst Stellvertreter der Krankenkasse; insoweit wurde zu Recht darauf abgestellt, dass der Versicherte den Leistungserbringer eigenständig auswählt und eine Botenstellung dagegen gerade von Unselbständigkeit gekennzeichnet ist.87 Seine Vertretungsmacht bezog der Versicherte dabei von dem 80

Allgemein Dünisch, S. 177. – Für die Heil- und Hilfsmittelversorgung v. Maydell, DB 1985, S. 276 (280 f.). – Für die Krankenhausbehandlung BSGE 51, 126 (131), wo diese Konstruktion zugleich als überwiegende Literaturansicht bezeichnet wird; offengelassen dagegen bei BSGE 53, 62 (65); für Krankenhausbehandlung ebenfalls noch BGHZ 4, 138 (149). – Vgl. für die Arzneimittelversorgung Baltzer, in: Arzneimittel in der modernen Gesellschaft, S. 87 (103 f.). 81 § 372 RVO. 82 BSGE 77, 194 (200); 79, 28 (29); BSG SozR 4-2500 § 129 Nr. 2 Rn. 20. Zustimmend aus der Literatur etwa Wigge, NZS 1999, S. 584 (586). 83 BSGE 77, 194 (200). 84 BSG SozR 3–2500 § 19 Nr. 2 (S. 5); s. auch BSG SozR 4-2500 § 125 Nr. 4 Rn. 14 f. 85 BSGE 84, 213 (215); BSG SozR 4-2500 § 33 Nr. 17 Rn. 14 f. 86 BSGE 99, 303 (308). 87 BSG SozR 4-2500 § 125 Nr. 4 Rn. 15; SozR 4-2500 § 33 Nr. 17 Rn. 15; s. auch BSGE 99, 303 (308). Ebenso: Könen, S. 79; Leimenstoll, S. 76 f.; Dettling, A&R 2005, S. 51 (57);

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Kap. 3: Die Rechtsbeziehungen bei der Arzneimittelabgabe

Vertragsarzt, der ihn durch Ausstellung der Verordnung zur Auswahl des Leistungserbringers ermächtigte.88 Im Ergebnis handelte der Versicherte danach als Unterbevollmächtigter der Krankenkasse. Für die Arzneimittelversorgung stellte sich weiterhin die Frage, wie es rechtskonstruktiv zu bewältigen ist, dass im Falle einer Aut-idem- oder Wirkstoffverordnung das Arzneimittel erst durch den Apotheker ausgewählt und damit der Inhalt des Vertrages zwischen Apotheker und Krankenkasse erst durch den Apotheker endgültig konkretisiert wird. In der Literatur wurde mitunter angenommen, dass bei Zugrundelegung eines Vertrages zwischen Krankenkasse und Apotheker dieses Problem nicht bewältigt werden könne.89 Denkbar wäre jedoch etwa der Konstruktionsansatz gewesen, dass der Vertragsarzt in diesem Fall dem Apotheker ein Leistungsbestimmungsrecht90 einräumt oder dass der Kaufvertrag eine Wahlschuld91 zum Inhalt hat.

II. Die Annahme gesetzlicher Rechtsbeziehungen Ab dem Jahr 2009 gab das Bundessozialgericht die Deutung der Arzneimittelabgabe an gesetzlich Versicherte sowie generell der Erbringung ärztlich veranlasster Leistungen als Vollzug eines Vertrages zugunsten des Versicherten auf. Hintergrund dieser Rechtsprechungsänderung war, dass mit der Einführung des SGB V durch das Gesundheitsreformgesetz die Krankenhausbehandlung, deren Erbringung man unter Geltung der Reichsversicherungsordnung ebenfalls noch als Vollzug eines Vertrages zwischen Krankenhausträger und Krankenkasse zugunsten des Versicherten qualifiziert hatte, gesetzlich detaillierter geregelt worden war. Diese Regelungen schlossen es im Ergebnis aus, die Erbringung von Krankenhausbehandlung weiterhin auf der Grundlage eines Vertrages zugunsten Dritter zu konstruieren. Nach der Gesetzesbegründung zum Gesundheitsreformgesetz wird ein Krankenhaus mit seiner Zulassung wie ein Vertragsarzt in ein öffentlich-rechtliches System von Rechten und Pflichten einbezogen.92 Gemäß § 109 IV 2 SGB V ist ein zugelassenes Krankenhaus im Rahmen seines Versorgungsauftrags zur Behandlung

Schnapp, FS Herzberg, S. 795 (803 f.). Vgl. auch Wigge, NZS 1999, S. 584 (586). – Allgemein dazu, dass die Existenz eigener Entscheidungsspielräume die Annahme von Botenschaft ausschließt: Münchener Kommentar BGB/Schubert, § 164 BGB Rn. 77; Staudinger/Schilken, vor §§ 164 ff. BGB Rn. 75. 88 Vgl. Heinze, VSSR 1991, S. 1 (20 f.). 89 Hofer, S. 126 f.; Leimenstoll, S. 78; Wigge/Schütz, A&R 2016, S. 7 (8). 90 Vgl. § 317 BGB. Ein Leistungsbestimmungsrecht des Apothekers entsprechend § 317 BGB nimmt an D. Prütting, in: Medizinrecht Kommentar, § 11a ApoG Rn. 18. 91 Vgl. § 243 BGB. 92 BT-Drs. 11/2237, S. 198.

B. Die rechtliche Konstruktion der Arzneimittelabgabe

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gesetzlich Versicherter verpflichtet. Für zugelassene Krankenhäuser besteht damit eine gesetzliche Behandlungspflicht im Umfang ihres jeweiligen Versorgungsauftrags.93 Der Versorgungsauftrag bezeichnet dabei die von einem Krankenhaus zu erbringenden Leistungen nach Art, Inhalt und Umfang, wie sie im die Zulassung bewirkenden Versorgungsvertrag94 festgelegt sind.95 § 109 IV 3 SGB V verpflichtet gleichzeitig die Krankenkassen, mit dem Träger eines zugelassenen Kranken­ hauses Pflegesatzverhandlungen nach Maßgabe des Krankenhausfinanzierungsgesetzes (KHG) und des Krankenhausentgeltgesetzes (KHEntgG) zu führen. Pflegesätze legen als Preisrecht Inhalt und Umfang der vergütungsfähigen Leistungen fest, statuieren aber nicht selbst Vergütungspflichten.96 § 109 IV 3 SGB V setzt damit eine Vergütungspflicht der Krankenkassen für erbrachte Krankenhausbehandlungen als bestehend voraus.97 In der Literatur wird teilweise der Versorgungsvertrag des Krankenhauses als Grundlage dieser Vergütungspflicht angesehen.98 Da das Krankenhaus kraft Gesetzes zur Behandlung Versicherter verpflichtet ist, liegt die Annahme eines korrespondierenden gesetzesunmittelbaren Vergütungsanspruchs jedoch näher. Der gesetzliche Vergütungsanspruch des Krankenhauses gegen die Krankenkasse ist das Korrelat zu seiner gesetzlichen Behandlungspflicht.99 Zudem sollten die Krankenhäuser ausweislich der Gesetzesbegründung vergleichbar den Vertragsärzten in ein öffentlich-rechtliches System einbezogen werden; Vertragsärzte sind mit Erlangung der Zulassung kraft Gesetzes zur Teilnahme an der Honorarverteilung nach Maßgabe der vertragsärztlichen Kollektivverträge berechtigt.100 Der Vergütungsanspruch des Krankenhauses hat seine Grundlage deshalb un­mittelbar in § 109 IV 3 SGB V.101 Versorgungsvertrag und Pflegesatzvereinbarung haben für

93

Vgl. BT-Drs. 11/2237, S. 198. § 109 IV 1 SGB V. 95 BeckOK SozR/Kingreen/Bogan, § 109 SGB  V Rn.  43; jurisPK-SGB  V/Wahl, § 109 SGB V Rn. 126; Kasseler Kommentar/Hess, § 109 SGB V Rn. 7a; BSGE 117, 271 (275). 96 JurisPK-SGB V/Wahl, § 109 SGB V Rn. 133. In den Pflegesatzvereinbarungen sieht dagegen die Grundlage der Vergütungspflicht der Kassen Seewald, SGb 2009, S. 501 (502). 97 BSGE 86, 166 (168). Ebenso: Wilk, S. 109 f.; BeckOK SozR/Bogan, § 109 SGB V Rn. 44; Eichenhofer/Wenner/Grühn, § 109 SGB V Rn. 18; jurisPK-SGB V/Wahl, § 109 SGB V Rn. 34; Kasseler Kommentar/Hess, § 109 SGB V Rn. 8; Spickhoff/Szabados, § 109 SGB V Rn. 17. 98 Becker/Kingreen/Becker, § 109 SGB V Rn. 4; Eichenhofer/Wenner/Grühn, § 109 SGB V Rn. 18; jurisPK-SGB V/Wahl, § 109 SGB V Rn. 133 ff. 99 BSGE 86, 166 (168); 90, 1 (2); BSG SozR 4-2500 § 109 Nr. 1 Rn. 7; BSGE 105, 150 (151). 100 Vgl. Hauck/Noftz/Hannes, § 95 SGB V Rn.  133; jurisPK-SGB V/Pawlita, § 95 SGB V Rn. 36. 101 Knorr, S. 117 f.; Wilk, S. 125; BeckOK SozR/Bogan, § 109 SGB V Rn. 44; Krauskopf/ Knittel, § 109 SGB V Rn. 25; Spickhoff/Szabados, § 109 SGB V Rn. 17. – Die Rechtsprechung nimmt ebenfalls § 109 IV 3 SGB V als gesetzesunmittelbare Anspruchsgrundlage an, die sie jedoch meist angereichert um zusätzliche Regelwerke zitiert: § 109 IV 3 SGB V i.V.m.d Sicherstellungsvertrag wird herangezogen in BSGE 86, 166 (168). In BSGE 90, 1 (2) wird § 109 IV 3 SGB V i.V.m.d zweiseitigen Vertrag nach § 112 SGB V herangezogen. § 109 IV 3 SGB V i. V. m. der Pflegesatzvereinbarung wird herangezogen in BSG SozR 4-2500 § 109 Nr. 1 Rn. 7 94

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Kap. 3: Die Rechtsbeziehungen bei der Arzneimittelabgabe

den Vergütungsanspruch insoweit Bedeutung, als sie die Voraussetzungen und Modalitäten konkretisieren, unter denen ein Vergütungsanspruch entsteht.102 Die bei der Krankenhausbehandlung auftretenden Rechtsbeziehungen hat das BSG im Jahr 2009 als Vorbild für eine neue rechtliche Konstruktion der Arzneimittelabgabe an gesetzlich Versicherte genommen.103 Grundlage für den Vergütungsanspruch des Apothekers sei § 129 SGB V in Verbindung mit den Kollektivverträgen,104 also eine gesetzesunmittelbare Anspruchsgrundlage, deren Voraussetzungen kollektivvertraglich konkretisiert werden.105 Die Annahme eines gesetzlichen Vergütungsanspruchs entspreche sowohl dem Sachleistungsprinzip106 als auch dem in § 69 I SGB V zum Ausdruck gebrachten Willen des Gesetzgebers, die Leistungserbringer in den Versorgungsauftrag der gesetzlichen Krankenkassen einzubinden107. Grundlage für das Tätigwerden des Apothekers sei dessen öffentlich-rechtliche Verpflichtung zur Versorgung gesetzlich Versicherter mit Arzneimitteln.108 Im Gegenzug für diese Lieferberechtigung und -verpflichtung stehe dem Apotheker gegen die Krankenkasse ein Vergütungsanspruch dem Grunde nach zu,109 der von § 129 SGB V stillschweigend vorausgesetzt werde.110 Im Schrifttum ist dieser neue Konstruktionsansatz des BSG auf Zustimmung gestoßen.111 Vereinzelt werden lediglich anstelle von § 129 SGB V die Kollektiv­verträge der Arzneimittelversorgung, d. h. der Rahmenvertrag und die ergänzenden Verträge, als Grundlage des Vergütungsanspruchs angesehen,112 ohne dass damit jedoch in der Praxis abweichende Rechtsfolgen verbunden wären. Später hat das BSG das dargestellte Konstruktionsmodell auch auf die Heilmittelerbringung angewandt.113 Dabei führte es aus, dass die Annahme eines gesetzund – zusätzlich in Verbindung mit § 7 I 1 Nr. 1 KHEntgG – in BSGE 105, 150 (151). § 109 IV 3 SGB V i. V. m. § 7 I 1 Nr. 1 KHEntgG wird herangezogen in BSGE 119, 141 (143). Allgemein für einen „gesetzesunmittelbaren Anspruch“ BSGE 118, 219 (221); 118, 225 (227). 102 Vgl. BSGE 86, 166 (168); 90, 1 (2); Kasseler Kommentar/Hess, § 109 SGB V Rn. 8. 103 Zur Vorbildfunktion des Leistungserbringungsrechts der Krankenhäuser für diese Rechtsprechung s. BSGE 105, 157 (163); Krauskopf/Knittel, § 129 SGB V Rn. 4b. 104 BSGE 105, 157 (160 f.). 105 BSGE 115, 11 (16). So sinngemäß auch BSGE 105, 157 (162); 106, 303 (305). 106 Vgl. BSGE 105, 157 (163). Ebenso Dettling, A&R 2005, S. 51 (53). 107 BSGE 105, 157 (162 f.). 108 BSGE 106, 303 (305 f.). 109 BSGE 106, 303 (305 f.). 110 BSGE 105, 157 (162); 106, 303 (305). 111 Leimenstoll, S. 84 ff.; BeckOK SozR/v. Dewitz, § 129 SGB V Rn. 4; Eichenhofer/Wenner/ Armbruster, § 129 SGB V Rn. 72; Hauck/Noftz/Luthe, § 129 SGB V Rn. 26; jurisPK-SGB V/ Schneider, § 129 SGB V Rn. 35; Wodarz, in: Handbuch des Krankenversicherungsrechts, § 27 Rn. 63; Saalfrank, A&R 2011, S. 22 (24). 112 Hofer, S.  126; Spieß, SGb 1996, S.  666 (668); im Ergebnis ebnso Schmitt, Leistungserbringung, S. 232 (mit Fn. 482), 236 f. 113 BSGE 109, 116 (117 f.). Zustimmend aus der Literatur etwa Badtke, S. 361 ff.; Becker/ Kingreen/Butzer, § 125 SGB  V Rn.  28 ff.; Eichenhofer/Wenner/Armbruster, § 125 SGB  V Rn. 53 ff. Ebenso Kasseler Kommentar/Nolte, § 125 SGB V Rn. 10.

B. Die rechtliche Konstruktion der Arzneimittelabgabe

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lichen Vergütungsanspruchs, der mit einer gesetzlichen Behandlungspflicht korreliere, eine allgemeine Konzeption darstelle, die es der Vergütung nichtärztlicher Leistungserbringer zugrunde lege.114 Offengelassen hat das BSG in seinen Entscheidungen aber, wie nach Aufgabe der Rechtsprechung zur Annahme eines Vertrages zugunsten Dritter die Rechtsbeziehungen zwischen dem Versicherten und dem Apotheker zu qualifizieren sind. In Bezug auf die Krankenhausbehandlung, die Vorbild für die Neukonstruktion der Arzneimittelabgabe war, hatte das BSG zuvor an einer Stelle ausgeführt, das Verhältnis zwischen Patient und Krankenhaus sei „zivilrechtlicher Prägung“.115 Näher präzisiert wurde der Inhalt dieses Rechtsverhältnisses PatientKrankenhaus indessen nicht. Ein Indiz dafür, wie der Hinweis auf die „zivilrechtliche Prägung“ zu verstehen ist, könnte die Rechtsprechung des BSG zum Vertragsarztrecht bieten. Das BSG geht davon aus, dass Versicherter und Vertragsarzt keinen Vertrag über die ärztliche Behandlung schlössen. Da der Versicherte Sachleistungen unabhängig von einem Vertrag beanspruchen könne und der Arzt Sachleistungen bereits kraft einer ihn als Folge seiner Zulassung treffenden öffentlich-rechtlichen Verpflichtung erbringen müsse, fehle Versichertem und Arzt der Wille zum Abschluss eines Behandlungsvertrages.116 In der Vorschrift des § 76 IV SGB V, wonach die Übernahme der Behandlung den Vertragsarzt gegenüber dem Versicherten zur Einhaltung der Sorgfalt des bürgerlichen Vertragsrecht verpflichtet, sieht das BSG die Anordnung eines gesetzlichen Schuldverhältnisses, in dessen Rahmen der Arzt dem Patienten so hafte, als ob ein Behandlungsvertrag geschlossen worden wäre.117 Denkbar ist somit, dass das BSG davon ausgeht, dass zwischen Patient und Krankenhaus in analoger Anwendung von § 76 IV SGB V ein gesetzliches Schuldverhältnis zustande kommt.118 Die Leistungserbringung durch Apotheken wäre danach in erster Linie gesetzlich geprägt. Gesetzlich konstituierte Rechtsbeziehungen bestünden zunächst zwischen Versichertem und Krankenkasse. Gesetzlichen Ursprungs und nur durch die Kollektivverträge nach § 129 SGB V konkretisiert wären weiterhin die Rechtsbeziehungen zwischen Apotheker und Krankenkasse; insbesondere der Vergütungsanspruch des Apothekers würde aus dem Gesetz folgen. Zwischen dem Versicher-

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BSGE 109, 116 (118). BSG SozR 3–2500 § 39 Nr. 4 (S. 16). 116 BSGE 33, 158 (160); 59, 172 (177 f.). Ebenso: Wilk, S. 62 ff., 79 ff., 91 f.; Eberhardt, AcP 171, S. 291 (297); Schmidt-De Caluwe, VSSR 1998, 207 (219 ff.); Schnapp, NZS 2001, S. 337 (338). – Für die Krankenhausbehandlung Wilk, S. 117 ff. 117 BSGE 59, 172 (177); s. auch BSGE 33, 158 (160 f.). Ebenso Schmidt-De Caluwe, VSSR 1998, S.  206 (231); Schnapp, NZS 2001, S.  337 (338). s.  zur Rechtsprechung auch Hauck/ Noftz/Klückmann, § 76 SGB V Rn. 30. 118 Zur analogen Anwendung von § 76 IV SGB V auf Krankenhäuser als Anordnung eines gesetzlichen Schuldverhältnisses s. aus der Literatur: Knorr, S. 203 ff.; Wilk, S. 129 f. – Für die Heilmittelerbringung s. Badtke, S. 302 ff. 115

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Kap. 3: Die Rechtsbeziehungen bei der Arzneimittelabgabe

ten und dem Apotheker bestünde schließlich ein gesetzliches Schuldverhältnis haftungsrechtlichen Inhalts.119

III. Die Annahme eines vom Sozialrecht überlagerten Kaufvertrages In einer – soweit ersichtlich – vereinzelt gebliebenen Entscheidung zur Heilmittelerbringung aus dem Jahr 2006 ist das BSG dagegen davon ausgegangen, dass die Rechtsbeziehungen im Dreiecksverhältnis Leistungserbringer  – Versicherter – Krankenkasse in der Regel so beschaffen seien, dass die Krankenkasse dem Versicherten hoheitlich gegenübertrete, Leistungserbringer und Krankenkasse sich in einem Gleichordnungsverhältnis öffentlich-rechtlicher Natur begegneten und dass Leistungserbringer und Versicherter in privatvertraglichen Beziehungen zueinander stünden.120 In dieser Entscheidung wurde somit vom Abschluss eines privatrechtlichen Vertrages zwischen Versichertem und Leistungserbringer ausgegangen, der in die im Übrigen bestehenden sozialversicherungsrechtlichen Rechtsbeziehungen eingebettet ist. Dass Versicherter und Apotheker einen vom Sozialrecht überlagerten zivilrechtlichen Vertrag schließen, entspricht einem in der Literatur vertretenen Ansatz. Die Annahme eines Vertrages zwischen Apotheker und Versichertem wird damit begründet, dass gesetzlich und privat Versicherte gleich zu behandeln seien.121 Der Bundesgerichtshof hat sich einem solchen Konstruktionsansatz im Zusammenhang mit der ärztlichen Behandlung zugeneigt gezeigt.122 Qualifiziert wird der Vertrag zwischen Apotheker und Patient als gemischter Vertrag mit kaufund dienstvertraglichen Elementen.123 Unterschiedlich beurteilt wird jedoch, wie die sozialrechtliche Überlagerung des Kaufvertrages beschaffen ist, worin also der Vergütungsanspruch des Apothekers seine Grundlage hat: In Betracht kommen könnte insoweit, dass § 129 SGB V stillschweigend eine befreiende Schuldübernahme seitens der Krankenkassen

119 Zur analogen Anwendung von § 76 IV SGB V auf das Verhältnis Versicherter – Apotheker s. Münchener Kommentar BGB/Gottwald, § 328 BGB Rn. 51. 120 BSG SozR 4-2500 § 33 Nr. 14 Rn. 22. 121 Schmitt, Leistungserbringung, S. 236 f.; Dettling, A&R 2005, S. 51 (56). Vgl. auch Wigge/ Schütz, A&R 2016, S. 7. 122 BGHZ 76, 259 (261). Allerdings hat der BGH es in späteren Entscheidungen dahinstehen lassen, ob gesetzlich Versicherter und Leistungserbringer unmittelbar einen Vertrag schließen oder ob nur ein Vertrag zugunsten Dritter zwischen Leistungserbringer und Kasse besteht: BGHZ 89, 250 (255) (in Bezug auf Krankenhäuser); BGHZ 97, 273 (273) (in Bezug auf Ärzte). In BGHZ 100, 363 (367); 142, 126 (131) geht der BGH dann allerdings ohne Weiteres von einem Behandlungsvertrag zwischen Arzt und Kassenpatient aus. 123 Wigge/Schütz, A&R 2016, S. 7 (8).

B. Die rechtliche Konstruktion der Arzneimittelabgabe

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zugunsten ihrer Versicherten normiert.124 Vertreten wird weiterhin, dass § 129 SGB  V einen gesetzlichen Schuldbeitritt der Krankenkassen anordne.125 Der BGH ging dagegen in mehreren Urteilen davon aus, dass Verträge zwischen gesetzlich Versicherten und Leistungserbringern über die Erbringung von Sachleistungen schon keine Vergütungspflicht des Versicherten vorsähen, an die ein Schuldbeitritt oder eine Schuldübernahme anknüpfen könnten, sondern dass der Leistungserbringer vielmehr einen originären, vom Bestehen einer vertraglichen Zahlungspflicht des Versicherten unabhängigen Vergütungsanspruch gegen die Krankenkasse erwerbe.126 Nur bei beidseitigem Irrtum über die Versicherteneigenschaft wird eine Pflicht des Versicherten aus § 313 BGB (Störung der Geschäftsgrundlage) erwogen, nachträglich die Zahlung einer Vergütung zu vereinbaren.127

IV. Eigener Lösungsvorschlag Zur Lösung der Problematik, wie die Arzneimittelabgabe an gesetzlich Versicherte rechtlich zu konstruieren ist, soll zunächst das zwischen Apotheker und gesetzlich Versichertem bestehende Rechtsverhältnis bestimmt werden. Sodann wird das Rechtsverhältnis zwischen Apotheker und Krankenkasse untersucht, wobei insoweit in einem ersten Schritt geklärt wird, ob den Apotheker gegenüber der Krankenkasse vergleichbar einem Krankenhaus eine gesetzliche Leistungspflicht trifft, und in einem zweiten Schritt die Grundlage für den Vergütungsanspruch des Apothekers ermittelt wird. 1. Kaufvertrag zwischen Apotheker und Versichertem a) Rückschlüsse aus dem Patientenrechtegesetz Im Jahr 2013 wurden durch das Patientenrechtegesetz in den §§ 630a ff. BGB Regelungen über den Behandlungsvertrag in das BGB aufgenommen. Nach der Legaldefinition des § 630a I BGB wird durch den Behandlungsvertrag derjenige, welcher die medizinische Behandlung eines Patienten zusagt (Behandelnder), zur Leistung der versprochenen Behandlung, der andere Teil (Patient) zur Gewährung der vereinbarten Vergütung verpflichtet, soweit nicht ein Dritter zur Zahlung ver 124

Vgl. Schmitt, Leistungserbringung, S.  236; Hofer, S.  130, wobei dies. den Vertügungsanspruch allerdings nicht in § 129 SGB V selbst, sondern im Rahmenvertrag und den ergänzenden Verträgen verorten. Ebenso in Bezug auf die Kollektivverträge unter Geltung der Reichsversicherungsordnung Tauber, S. 134 ff. 125 Dettling, A&R 2005, S. 51 (60). 126 Vgl. in Bezug auf Krankenhäuser: BGHZ 89, 250 (258 f.); BGH, NJW 2000, 3429; BGHZ 163, 42 (46). Ebenso aus der Literatur etwa Rehborn, in: Huster/Kaltenborn, § 14 Rn. 11. – Vgl. in Bezug auf Krankentransporte BGHZ 140, 102 (110). 127 BGH, VersR 2005, 947 ff.

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Kap. 3: Die Rechtsbeziehungen bei der Arzneimittelabgabe

pflichtet ist. Die Formulierung „soweit nicht ein Dritter zur Zahlung verpflichtet ist“ hat ausweislich der Gesetzesbegründung vor allem die Konstellation im Blick, dass ein gesetzlich Versicherter Sachleistungen in Anspruch nimmt.128 In diesem Fall verwandle sich der im Ausgangspunkt synallagmatische Behandlungsvertrag in ein partiell einseitiges Vertragsverhältnis; Patient und Behandelnder vereinbarten in diesem Fall nur die Behandlungspflicht des Behandelnden, aber keine Vergütungspflicht des Patienten.129 Das scheint nahezulegen, dass zwischen gesetzlich Versichertem und Behandelndem stets ein zivilrechtlicher Vertrag zustande kommen soll. Teilweise wird aber daraus, dass die Gesetzesbegründung nicht den damals bestehenden Streitstand erwähnt, ob zwischen gesetzlich versichertem Patient und Vertragsarzt ein Behandlungsvertrag zustande kommt, der Schluss gezogen, dass die Gesetzesbegründung keine Aussagekraft für die Anwendbarkeit der §§ 630a ff. BGB auf das Verhältnis von Vertragsarzt und gesetzlich Versichertem habe.130 Gegen diesen Einwand spricht aber, dass durch das Tatbestandsmerkmal „soweit nicht ein Dritter zur Zahlung verpflichtet ist“ sowie die Erwähnung des gesetzlich Versicherten in der Gesetzesbegründung ausdrücklich klargestellt ist, dass nicht nur Privatpatienten, sondern auch gesetzlich Versicherte einen Behandlungsvertrag schließen.131 „Behandlung“ im Sinne der §§ 630a ff. BGB ist nicht nur die ärztliche Behandlung, sondern erfasst die Tätigkeiten aller nichtärztlichen Heilberufe i. S. v. Art. 74 I Nr. 19 GG wie Hebammen, Masseure, medizinische Bademeister, Ergotherapeuten, Logopäden und Physiotherapeuten.132 Ebenso werden mit Krankenhäusern Behandlungsverträge geschlossen.133 Das hat zur Folge, dass gesetzlich Versicherte mit den meisten Leistungserbringern einen zivilrechtlichen Vertrag schließen. Nicht dem Regime der §§ 630a ff. BGB unterfallen aber – gemeinsam mit einigen wenigen anderen Leistungserbringern wie Haushaltshelfern, Krankentransporteuren und Hilfsmittelerbringern – Apotheker. Nach der Gesetzesbegründung sind Apotheker vom Anwendungsbereich der §§ 630a ff. BGB deshalb ausgenommen, weil sie nicht zur Behandlung von Patienten befugt seien.134

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BT-Drs. 17/10488, S. 18 f. BT-Drs. 17/10488, S. 19. 130 So Badtke, S. 297; Hauck, NJW 2013, S. 3334 (3336 f.). Ablehnend auch Sodan, in: Handbuch des Krankenversicherungsrechts, § 13 Rn. 18. 131 Becker/Kingreen/Lang, § 76 SGB  V Rn.  23; jurisPK-BGB/Lafontaine, § 630a SGB  V Rn.  47; Spickhoff/Spickhoff, § 630a SGB V Rn.  20; Rehborn, MDR 2013, S.  497; Wagner, VersR 2012, S. 789 (790). Vgl. auch v. Mielęcki, Sozialrecht aktuell 2014, S. 143 (144). 132 s. die Gesetzesbegründung, BT-Drs. 17/10488, S. 18. Ebenso: Erman/Rehborn/Gescher, § 630a BGB Rn. 16; Jauernig/Mansel, § 630a BGB Rn. 4 ff.; jurisPK-SGB V/Lafontaine, § 630a BGB Rn.  109 f.; Münchener Kommentar BGB/Wagner, § 630a BGB Rn.  9; Rehborn, MDR 2013, S. 497 (497 f.). 133 BT-Drs. 17/10488, S. 18. 134 BT-Drs. 17/10488, S. 18. Ebenso: Jauernig/Mansel, § 630a BGB Rn. 8; jurisPK-SGB V/ Lafontaine, § 630a BGB Rn. 118; Münchener Kommentar BGB/Wagner, § 630a BGB Rn. 12. 129

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Allerdings könnte in Betracht kommen, dass in Anlehnung an § 630a I BGB und die dortige Regelung des Rechtsverhältnisses zwischen gesetzlich Versicherten und den Erbringern von Krankenbehandlung auch zwischen Apothekern und gesetzlich Versicherten vom Abschluss eines zivilrechtlichen Vertrages auszugehen ist. Die angesprochene Passage der Gesetzesbegründung soll nur zum Ausdruck bringen, dass Apotheker keine Krankenbehandlung erbringen, sondern dem Patienten nur Arznei verkaufen und ihn dabei beraten; nicht gemeint ist dagegen, dass die Beziehung zwischen gesetzlich Versichertem und Apotheker schlechthin nicht als privatrechtlicher Vertrag eingeordnet werden darf.135 Dass Apotheker und gesetzlich Versicherter einen privatrechtlichen Vertrag schließen, erscheint im Ausgangspunkt deshalb naheliegend, weil so ein konstruktiver Gleichlauf zwischen der Arzneimittelversorgung und den in §§ 630a ff. BGB genannten Leistungsbereichen erreicht würde.136 Es wäre nicht zu rechtfertigen, wenn gesetzlich Versicherten nur gegenüber den in den §§ 630a ff. BGB genannten, sie „behandelnden“ Leistungserbringern vertragliche Ansprüche  – und zwar nicht nur Erfüllungs-, sondern vor allem auch Schadensersatzansprüche137 – geltend machen könnten, nicht aber gegenüber Leistungserbringern wie Apothekern, mit denen der Abschluss eines Behandlungsvertrages nicht vorgesehen ist. b) Öffentlich-rechtliche Natur eines Vertrages zugunsten Dritter Vertragliche Ansprüche würde der Versicherte gegen den Apotheker allerdings nicht nur bei Bejahung eines zivilrechtlichen Vertragsschlusses erwerben, sondern etwa auch bei Annahme eines gegen den Apotheker bestehenden Drittbegünstigungsanspruchs, der aus einem bei der Arzneimittelabgabe zugunsten des Versicherten geschlossenen Kaufvertrag zwischen Kasse und Apotheker oder aus den Kollektivverträgen folgt. Dies könnte dagegen sprechen, dass im Verhältnis zwischen Apotheker und Versicherten zwingend vom Abschluss eines Vertrages auszugehen ist; es könnte auch der Abschluss eines Vertrages zugunsten Dritter in Betracht zu ziehen sein. Spätestens seit Inkrafttreten von § 69 I 3 SGB V sind leistungserbringungsrechtliche Verträge jedoch als öffentlich-rechtlich zu qualifizieren. Ein Kaufvertrag zugunsten des Versicherten wäre deshalb ein öffentlich-rechtlicher Vertrag und es wären – da die Drittbegünstigungsabrede die Rechtsnatur des Grundverhältnisses 135 OLG Köln, MedR 2014, 105 (111), überträgt sogar die Beweislastregeln des § 630h BGB auf das Verhältnis von Patient und Apotheker. 136 Vgl. zu diesem Gesichtspunkt auch Könen, S. 80 f.; Dettling, A&R 2005, S. 51 (55). 137 Vertragliche Schadensersatzansprüche sind für den Anspruchsteller meist stärker als ein andernfalls nur in Betracht kommender Anspruch aus unerlaubter Handlung. So wird gemäß § 280 I 2 BGB das Verschulden des Anspruchsgegners vermutet und es muss der Anspruchsgegner nach § 278 BGB für das Verhalten von ihm eingesetzter Hilfspersonen haften, ohne dass ihm insoweit eine Entlastungsmöglichkeit offenstünde.

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Kap. 3: Die Rechtsbeziehungen bei der Arzneimittelabgabe

teilt138 – öffentlich-rechtlich auch daraus resultierende Ansprüche des Versicherten gegen den Apotheker.139 Öffentlich-rechtlich wären ebenso aus den Kollektiv­ verträgen hergeleitete Ansprüche des Versicherten gegen den Apotheker.140 Die Qualifikation dieser Verträge als öffentlich-rechtlich hat möglicherweise zur Folge, dass für eine Schadensersatzklage eines Versicherten gegen seinen Apotheker, die auf die Verletzung vertraglicher Pflichten  – etwa in Form einer fehlerhaften Arzneiabgabe141  – gestützt wird, die öffentlich-rechtliche Gerichtsbarkeit gegeben ist. Da für Klagen gegen „behandelnde“ Leistungserbringer wegen Verletzung behandlungsvertraglicher Pflichten aufgrund der privatrechtlichen Rechtsnatur des Behandlungsvertrags der Zivilrechtsweg eröffnet ist, würde es in der Folge zu Rechtswegdifferenzen kommen, je nachdem welchen Leistungserbringer der Versicherte verklagt. Einleuchtend wären solche Rechtswegdifferenzen zwischen den unterschiedlichen Leistungsbereichen nicht,142 zumal damit Unterschiede im anzuwenden Prozessrecht einhergehen würden.143 Teilweise wird angenommen, dass eine Qualifikation der Rechtsbeziehung Leistungserbringer – Versicherter als öffentlich-rechtlich zur Folge habe, dass es sich bei Klagen eines Versicherten gegen einen Leistungserbringer um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit in Angelegenheiten der gesetzlichen Krankenversicherung handle, für die nach § 51 I Nr. 2 SGG die Sozialgerichte zuständig seien.144 Folglich müsste ein Versicherter Schadensersatzansprüche gegen einen Apotheker wegen der Verletzung vertraglicher Pflichten vor dem Sozialgericht geltend machen.145 Gegen die Eröffnung des Sozialrechtswegs spricht aber, dass Streitigkeiten zwischen Leistungserbringern und Versicherten keine Streitigkeiten „in Angelegenheiten der gesetzlichen Krankenversicherung“ sind: So stellen auch Arzthaftungsstreitigkeiten zwischen Versicherten und Vertragsärzten keine privatrechtlichen Streitigkeiten in Angelegenheiten der gesetzlichen Krankenversicherung im 138 Dettling, VSSR 2006, S. 1 (15). Vgl. auch Schmitt, Leistungserbringung, S. 186 f.; Kirchhoff, SGb 2005, S. 499 (508); BGHZ 89, 250 (253). 139 Dettling, VSSR 2006, S. 1 (15); BSGE 94, 213 (215). Vgl. auch Knorr, S. 150 f.; Schnapp, FS Herzberg, S. 795 (803). 140 Vgl. Sodan, S. 205 f. 141 Beispiel: S ist gesetzlich krankenversichert. Apotheker A händigt S versehentlich ein falsches Arzneimittel aus. S erleidet schwere Gesundheitsschäden. Er verlangt daher von A Schmerzensgeld (§ 253 BGB). 142 Vgl. in Bezug auf Krankenhäuser BGHZ 89, 250 (261). 143 So gilt im Zivilprozessrecht etwa der Beibringungsgrundsatz (vgl. § 282 I ZPO, wonach die Parteien Angriffs- und Verteidigungsmittel vorbringen müssen), wohingegen im Sozialoder Verwaltungsprozessrecht der Amtsermittlungsgrundsatz gilt (§ 103 S.  1 SGG; § 86  I  1 VwGO). 144 In Bezug auf das von ihm als öffentlich-rechtlich gedeutete vertragsärztliche Behandlungsverhältnis nach § 76 IV SGB V Schmidt-De Caluwe, VSSR 1998, S. 207 (232, Fn. 132). Schmidt-De Caluwes Anwendung von § 51 I Nr. 2 SGG auf das Verhältnis Arzt – Patient hält auch Dettling, VSSR 2006, S.  1 (15), für folgerichtig, doch qualifiziert Dettling das ArztPatienten-Verhältnis am Ende als privatrechtlich. 145 Dettling, A&R 2005, S. 51 (58).

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Sinne von § 51 II SGG dar, für die nach dieser Vorschrift der Sozialrechtsweg eröffnet ist;146 andernfalls wäre für Arzthaftungsstreitigkeiten abwechselnd die Sozial- oder die Zivilgerichtsbarkeit zuständig, je nachdem ob ein gesetzlich oder ein privat versicherter Patient seinen Arzt verklagt.147 Ist demnach der Sozialrechtsweg für Klagen des Versicherten gegen den Apotheker nicht eröffnet, so könnte noch erwogen werden, ob aufgrund der Generalklausel des § 40 I 1 VwGO für Klagen des Versicherten gegen den Apotheker der Verwaltungsrechtsweg eröffnet ist.148 Die Rechtsprechung qualifiziert Streitigkeiten zwischen Privaten, die ihre Grundlage in einem öffentlich-rechtlichen Rechtsverhältnis haben, als öffentlich-rechtlich.149 In der Literatur wird hingegen mitunter angenommen, dass aufgrund entstehungsgeschichtlicher Gründe § 40  I  1 VwGO keine Streitigkeiten erfasse, die auf Kläger- und Beklagtenseite ausschließlich von Privaten ausgetragen werden, ohne dass dabei ein Fall der Beleihung vorliege, da solche Streitigkeiten vor Inkrafttreten der VwGO der Zivilgerichtsbarkeit zugewiesen gewesen seien.150 Folgt man der Rechtsprechung zu § 40 I 1 VwGO, wäre für Klagen des Versicherten gegen den Apotheker der Verwaltungsrechtsweg eröffnet, sodass es zu Rechtswegdifferenzen käme, je nachdem ob ein gesetzlich Versicherter einen Apotheker oder einen „behandelnden“ Leistungserbringer verklagt. Folgt man hingegen der Literatur, wäre auch für Streitigkeiten zwischen Versichertem und Apotheker der Zivilrechtsweg gegeben, sodass eine Einordnung des Rechtsverhältnisses zwischen Versichertem und Apotheker als öffentlich-rechtlich keine Auswirkungen auf den Rechtsweg hätte. Es würde aber dennoch einen rechtskonstruktiven Bruch darstellen, wenn die Beziehung zwischen Versichertem und Apotheker als öffentlich-rechtlich und die zu den anderen, „behandelnden“ Leistungserbringern als privatrechtlich qualifiziert würde. Die Tatsache, dass Apotheker dem Versicherten Waren verkaufen, ihn aber nicht behandeln, ist zwar eine naheliegende Begründung, warum Apotheker nicht in das Regime der §§ 630a ff. BGB einbezogen worden sind. Eine unterschiedliche Qualifikation der Rechtsnatur der Beziehungen bei der Arzneimittelabgabe einerseits und bei der Krankenbehandlung andererseits lässt sich aber mit den Unterschieden des Inhalts der erbrachten Leistungen nicht erklären. Vor dem Hintergrund von §§ 630a ff. BGB muss daher auch das Rechtsverhältnis zwischen Versichertem und Apotheker dem Bürgerlichen Recht unterstellt werden.

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Breitkreuz/Fichte/Wolf-Dellen, § 51 SGG Rn. 55; Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt/ Keller, § 51 SGG Rn. 21; Roos/Wahrendorf/Gutzeit, § 51 SGG Rn. 39. 147 Breitkreuz/Fichte/Wolf-Dellen, § 51 SGG Rn. 55. 148 So Dettling, VSSR 2006, S. 1 (15). 149 GmS-OGB, BSGE 37, 292 (295); BSGE 11, 218 (222); BVerwGE 37, 243 (254). 150 U. Stelkens, S.  395 ff.; Schoch/Schneider/Bier/Ehlers/Schneider, § 40 VwGO Rn.  207, 234 ff.

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Kap. 3: Die Rechtsbeziehungen bei der Arzneimittelabgabe

c) Systemwidrigkeit der Beschränkung auf ein gesetzliches Schuldverhältnis Zur Anwendung des Bürgerlichen Rechts zwischen Versichertem und Apotheker könnte man zwar außer durch Annahme eines zivilrechtlichen Vertragsschlusses noch gelangen, wenn man die Beziehung zwischen Versichertem und Apotheker als gesetzliches Schuldverhältnis mit haftungsrechtlichem Inhalt analog § 76 IV SGB V qualifizieren würde, wonach der Arzt bei der Behandlung von gesetzlich Versicherten die Einhaltung der nach Bürgerlichem Recht erforderlichen Sorgfalt schuldet. Der Apotheker würde dann so haften, als ob er mit dem Versicherten einen Vertrag geschlossen hätte. Allerdings stellt sich insoweit die Frage, ob § 76 IV SGB V überhaupt analogiefähig ist.151 Zudem erscheint fraglich, ob in § 76 IV SGB V noch die Anordnung eines gesetzlichen Schuldverhältnisses zwischen Arzt und Versichertem gesehen werden kann, nachdem § 630a I BGB nun klarstellt, dass Arzt und gesetzlich Versicherter einen Behandlungsvertrag schließen.152 Gegen einen Rekurs auf § 76 IV SGB V und für eine Orientierung an dem in §§ 630a ff. BGB enthaltenen Prinzip, dass Versicherter und Leistungserbringer einen Vertrag schließen, spricht jedenfalls, dass § 76 IV SGB V in seinem direkten Anwendungsbereich nur für Vertragsärzte gilt, die §§ 630a ff. BGB hingegen für einen Großteil der im SGB V vertretenen Gesundheitsberufe. Das in §§ 630a ff. BGB enthaltene Strukturprinzip, dass der gesetzlich Versicherte privatrechtliche Verträge mit „Behandelnden“ schließt, ist deshalb auf die Arzneimittelversorgung durch Apotheker zu übertragen.153 Apotheker und Versicherter schließen einen privatrechtlichen Vertrag. Dieser Vertrag begründet – entsprechend den für den Behandlungsvertrag nach § 630a I BGB geltenden Grundsätzen – Leistungspflichten nur einseitig für den Apotheker. 2. Pflicht zur Sachleistungserbringung? Seit seiner Neukonzeption der bei der Arzneimittelabgabe bestehenden Rechtsbeziehungen geht das BSG davon aus, dass Apotheker gegenüber den Krankenkassen kraft Gesetzes verpflichtet seien, gesetzlich Versicherte mit Arzneimitteln als Sachleistung zu versorgen.154 Es entnimmt § 129 SGB V eine öffentlich-rechtliche Leistungsverpflichtung der Apotheker.155 Die Annahme einer öffentlich-recht 151 Die Analogiefähigkeit von § 76  IV SGB  V lehnen ab: Hofer, S.  125; Sodan, S.  206, Fn. 727; Dettling, VSSR 2006, S. 1 (15). Vgl. auch Kleinmann, NJW 1985, S. 1367 (1368). 152 s. dazu: BeckOK SozR/Wendtland, § 76 SGB  V Rn.  35; jurisPK-SGB  V/Hesral, § 72 SGB V Rn. 74; Münchener Kommentar BGB/Gottwald, § 328 BGB Rn. 46. 153 So auch Wigge/Schütz, A&R 2016, S. 7 (8). S. allgemein Becker/Kingreen/Kingreen, § 13 SGB V Rn. 6; Kasseler Kommentar/Nolte, § 15 SGB V Rn. 24. 154 BSGE 105, 157 (162); 106, 303 (305). – Vgl. für die Heilmittelerbringung BSGE 89, 19 (22); zustimmend in Bezug auf die Heilmittelversorgung Badtke, S. 301. 155 BSGE 105, 157 (162); 106, 303 (305). Für einen alle Leistungserbringer treffenden Sicherstellungsauftrag zur Vorhaltung eines funktionsfähigen Versorgungssystems, in dessen Rahmen den Versicherten kostenfrei Leistungen erbracht werden, Rixen, S. 123.

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lichen Pflicht zur Leistungserbringung hätte vor allem zur Folge, dass es Apothekern verboten wäre, die Abgabe eines Arzneimittels als Sachleistung zu verweigern und stattdessen Barzahlung zu verlangen, wenn ein gesetzlich Versicherter eine vertragsärztliche Arzneimittelverordnung vorlegt. In der Kommentarliteratur wird die Ansicht des BSG zwar mitunter zustimmend wiedergegeben, doch wird sie dabei nicht näher diskutiert.156 Ausdrücklich statuiert das SGB  V Pflichten zur Versorgung gesetzlich Versicherter nur gegenüber Krankenhäusern157 und Vertragsärzten158, was dagegen sprechen könnte, dass Apotheker in vergleichbarer Weise zur Sachleistungserbringung verpflichtet sind. Entstehungsgeschichtlich spricht gegen die Annahme einer gesetzlichen Sachleistungserbringungspflicht von Apothekern weiterhin, dass der Gesetzgeber bei Einführung des SGB  V mit dem Gesundheitsreformgesetz nur für Krankenhäuser ein an das Vertragsarztrecht angelehntes „öffentlich-rechtliches Sozialsystem mit wechselseitigen Rechten und Pflichten“ konzipiert hat,159 für andere Leistungserbringer auf die Schaffung eines solchen Regimes dagegen verzichtet hat. Für Heilmittelerbringer heißt es sogar vielmehr, dass die Zulassung zur Leistungserbringung „berechtigt“.160 Ähnlich „dürfen“ Hilfsmittel nur von zugelassenen Leistungserbringern abgegeben werden.161 Das deutet darauf hin, dass nach dem Willen des Gesetzgebers des Gesundheitsreformgesetzes andere Leistungserbringer als Ärzte und Krankenhäuser keine gesetzliche Pflicht zur Sachleistungserbringung treffen sollte; eine solche Pflicht könnte dann allenfalls (kollektiv-)vertraglich begründet werden.162 Für die Annahme einer in § 129 SGB  V stillschweigend enthaltenen gesetzlichen Pflicht zur Sachleistungserbringung könnte allenfalls sprechen, dass mit der Neufassung von § 69 SGB V durch das GKV-Gesundheitsreformgesetz 2000 im Jahr 2000 die Unterschiede zwischen Ärzten und Krankenhäusern als seit Inkrafttreten des SGB  V schon immer öffentlich-rechtlich regulierten Leistungserbringern und den sonstigen Leistungserbringern etwas verringert wurden: § 69 SGB V in der Fassung des GKV-Gesundheitsreformgesetzes 2000 stellt seit dem Jahr 2000 den öffentlich-rechtlichen Charakter aller leistungserbringungsrechtlichen Rechtsbeziehungen klar;163 die Anwendung von Vorschriften des Bürgerlichen Rechts auf leistungserbringungsrechtliche Beziehungen ist nach § 69  I  3 156 BeckOK SozR/v. Dewitz, § 129 SGB  V Rn.  4; Eichenhofer/Wenner/Armbruster, § 129 SGB V Rn. 76. 157 § 109 IV 2 SGB V. 158 § 95 III 1 SGB V. 159 s. BT-Drs. 11/2237, S. 198. 160 § 124 V 2 SGB V. 161 § 126 I 1 SGB V. 162 Für die Heilmittelversorgung Eichenhofer/Wenner/Armbruster, § 124 SGB V, 1. Aufl., Rn. 8. 163 Dazu Becker/Kingreen/Becker/Kingreen, § 69 SGB V Rn.  35; BSG SozR  4-2500 § 69 Nr. 1 Rn. 17.

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Kap. 3: Die Rechtsbeziehungen bei der Arzneimittelabgabe

SGB V nur noch eingeschränkt möglich, insbesondere darf sie den Pflichten der Leistungserbringern nicht zuwiderlaufen. Die Rechtsbeziehungen zwischen Krankenkassen und Leistungserbringern sind nach der Gesetzesbegründung in die Versorgung einbezogen und aus diesem Grund sozial- und nicht privatrechtlicher Natur.164 Sie hätten funktionale Bedeutung für die Versorgung, weil die Krankenkassen über diese Rechtsbeziehungen die Sachleistungsansprüche der Versicherten erfüllten.165 Die Vorschrift des § 69 SGB V geht somit davon aus, dass das gesamte Leistungserbringungsrecht funktional auf das Leistungsrecht bezogen ist.166 Eine gesetzliche Pflicht der Apotheker zur Sachleistungserbringung würde die funktionale Ausrichtung des Leistungserbringungsrechts der Apotheker auf die Erfüllung von Leistungsansprüchen der Versicherten stärken: Gesetzliche Pflichten zur Sachleistungserbringung gewährleisten, dass Krankenkassen durch die Zulassung von Leistungserbringern ihre Pflicht erfüllen können, die Versorgung gesetzlich Versicherter mit Sachleistungen sicherzustellen.167 Ohne Bestehen einer derartigen Pflicht könnten Leistungserbringer verleitet sein, aus dem Sachleistungs­system auszuscheren und von gesetzlich Versicherten eine Vergütung für ihre Leistungen zu verlangen.168 Aus der mit der Neufassung von § 69 SGB  V bezweckten funktionalen Ausrichtung des Leistungserbringungsrechts auf das Leistungsrecht und damit auf die Erfüllung der die Krankenkassen gegenüber den Versicherten treffenden Leistungsansprüche folgt aber gleichwohl nicht zwingend, dass Leistungserbringer eine gesetzliche Pflicht zur Sachleistungserbringung trifft. Den Krankenkassen ist die Erfüllung ihrer Leistungspflichten ebenfalls möglich, wenn sie in die leistungserbringungsrechtlichen Vertragswerke Verpflichtungen zur Sachleistungserbringung aufnehmen. Die Vorschrift des § 129 SGB V ist deshalb entgegen der Rechtsprechung des BSG nicht so zu lesen, dass sie Apotheker stillschweigend verpflichtet, Arzneimittel als Sachleistung abzugeben. Aus praktischer Sicht wären mit der Annahme einer gesetzlichen Sachleistungspflicht ohnehin kaum Konsequenzen für das Versorgungsgeschehen verbunden: Die Verletzung einer derartigen gesetzlichen Sachleistungspflicht wäre für einen Apotheker ohne Folgen, denn sanktionierbar ist nach § 129 IV 1, 3 SGB V neben der Verletzung vertraglich begründeter Pflichten ausschließlich die Verletzung der in § 129 I SGB V enthaltenen Pflichten zur wirtschaftlichen Arzneimittelabgabe.

164

BT-Drs. 14/1245, S. 68. BT-Drs. 14/1245, S. 67 f. 166 Nach BSGE 105, 157 (162 f.) werden die Leistungserbringer durch § 69 SGB V in den Versorgungsauftrag der Krankenkassen einbezogen. 167 JurisPK-SGB  V/Wahl, § 109 SGB  V Rn.  120; BSG, NZS 2002, 217 (220). Vgl. auch Quaas, in: Quaas/Zuck, § 27 Rn. 77. 168 BSG, NZS 2002, 217 (220). 165

B. Die rechtliche Konstruktion der Arzneimittelabgabe

197

3. Gesetzlicher Vergütungsanspruch des Apothekers Fraglich ist schließlich, worin der Vergütungsanspruch eines Apothekers gegen die Krankenkasse eines von ihm mit einem Arzneimittel versorgten Versicherten seine Grundlage hat. Zunächst könnte eine vertragliche Begründung des Vergütungsanspruchs in Betracht kommen. Die früher herrschende Konstruktion, dass Krankenkasse und Apotheker einen Kaufvertrag zugunsten des Versicherten schließen, wurde zwar im Rahmen der Bestimmung der Rechtsbeziehungen zwischen Versichertem und Apotheker bereits abgelehnt. In der Literatur wird aber teilweise die Konstruktion eines Vertrags zwischen Krankenkassen und Leistungserbringern als Grundlage eines Vergütungsanspruchs – wenngleich nicht in Form eines Vertrages zu Gunsten Dritter, sondern in Form eines einfachen zweiseitigen Vertrages, dessen Inhalt sich darin erschöpft, die zu erbringende Leistung festzulegen und die Vergütungspflicht der Krankenkasse festzuschreiben – deshalb für notwendig gehalten, weil die gesetzlichen und kollektivvertraglichen Pflichten einer Konkretisierung für den Einzelfall bedürften.169 Hiergegen ist aber einzuwenden, dass insbesondere das Vertragsarztrecht zeigt, wenn es Vertragsärzte im Gegenzug für die Erbringung von Leistungen kraft Gesetzes zur Teilnahme an der Honorarverteilung berechtigt170 und die Honorarzuweisung am Ende des Abrechnungszeitraums durch Verwaltungsakt erfolgt171, dass die Anwendung der gesetzlichen und untergesetzlichen Vorgaben auf den einzelnen Behandlungsfall nicht zwingend vertragsförmig erfolgen muss. Die Arzneimittelabgabe muss deshalb nicht notwendig mit dem Abschluss eines Vertrages zwischen Apotheker und Krankenkasse einhergehen.172 Als Grundlage für die Vergütung des Apothekers könnte weiterhin ein in § 129 SGB V stillschweigend enthaltener gesetzlicher Vergütungsanspruch in Betracht kommen. Der Inhalt eines solchen Vergütungsanspruchs wird jeweils unterschiedlich beurteilt, nämlich als gesetzlicher Schuldbeitritt bzw. gesetzliche Schuldübernahme der Krankenkasse einerseits und als originärer Zahlungsanspruch des Apothekers gegen die Krankenkasse andererseits.173 Da der Vertrag zwischen Versichertem und Apotheker in Anlehnung an die Vorschrift des § 630a BGB als den Apotheker einseitig verpflichtender Vertrag einzuordnen ist, kann der gesetzliche 169

Für die Heilmittelversorgung jurisPK-SGB V/Schneider, § 125 SGB V Rn. 21. – Für die Hilfsmittelversorgung Hauck/Noftz/Luthe, § 127 SGB V Rn. 3. 170 Zur Berechtigung des Vertragsarztes zur Teilnahme an der Honorarverteilung und zur vertragsärztlichen Honorarverteilung: Knopp, S. 48 ff.; Wenner, § 21 Rn. 6 ff.; Schnapp, FS Stein­ hilper, S. 135 ff. 171 Zur Honorarfestsetzung durch Verwaltungsakt: Knopp, S. 158 ff.; Wenner, § 21 Rn. 68 ff.; Schnapp, FS Steinhilper, S. 135 (145 ff.). 172 Sodan, S.  213, Fn.  805. Vgl. auch Leimenstoll, S.  78.  – Für die Heilmittelerbringung Badtke, S. 268. – Für die Krankenhausbehandlung Knorr, S. 149 f.; ähnlich Wilk, S. 126 f. – Nach BSGE 105, 157 (162) wird der Vergütungsanspruch des Apothekers durch die Rechnung konkretisiert. 173 Vgl. oben B. II.

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Kap. 3: Die Rechtsbeziehungen bei der Arzneimittelabgabe

Vergütungsanspruch des Apothekers jedoch nicht an das Bestehen einer Kaufpreisschuld des Versicherten anknüpfen,174 sodass ein gesetzesunmittelbarer Vergütungsanspruch nur in Form eines originären Zahlungsanspruchs des Apothekers gegen die Krankenkasse denkbar ist. Zugunsten eines gesetzlichen Vergütungsanspruchs und gegen die Annahme eines Vertragsschlusses bei der konkreten Arzneimittelabgabe wird in der Literatur angeführt, dass die Konstruktion eines individuellen Vertrages zwischen Krankenkasse und Apotheker bei der Arzneimittelabgabe auf eine Fiktion hinauslaufe.175 Den Vorschriften des SGB V über die vertragsärztliche Verordnung lasse sich keine Vertretungsmacht des Vertragsarztes entnehmen.176 Dieses Argument erscheint jedoch deshalb nicht besonders stark, weil auch ein gesetzlicher Vergütungsanspruch in § 129 SGB V nicht ausdrücklich normiert ist. Die Annahme eines gesetzlichen Vergütungsanspruchs in Form eines originären Zahlungsanspruchs des Apothekers gegen die Krankenkasse könnte der vertraglichen Konstruktion der Vergütung aber aus gesetzessystematischen Gründen vorzuziehen sein. So ist beispielsweise der Fall denkbar, dass sich ein Versicherter krankheitsbedingt in einem Zustand vorübergehender Geistesstörung befindet – etwa weil er vorübergehend ein starkes Schmerzmittel einnehmen muss – und während dieser Zeit nochmals anderweitig erkrankt und zur Behandlung dieser neuen Krankheit ein weiteres Arzneimittel benötigt, das ihm ärztlich verordnet wird. Da der Versicherte selbst als Stellvertreter der Krankenkasse auftritt, soweit er den konkreten Apotheker auswählt,177 Willenserklärungen vorübergehend Geistesgestörter aber nichtig sind,178 kann ein Vertrag zwischen Krankenkasse und Apotheker in diesem Fall nicht wirksam zustande kommen. Seine Handlungsfähigkeit verliert der vorübergehend Geistesgestörte allerdings nicht, denn § 11 Nr. 1 SGB X erklärt nur Geschäftsunfähige für handlungsunfähig.179 Der vorübergehend geistesgestörte Versicherte ist daher weiterhin berechtigt, Sozialleistungen zu fordern, und kann Sozialleistungen weiterhin wirksam entgegennehmen.180 Zur Folge hat dies, dass der Apotheker, der den Versicherten mit einem Arzneimittel versorgt, mangels wirksamen Vertragsschlusses keinen Vergütungsanspruch gegen die Krankenkasse erwerben könnte, obschon der Versicherte das Arzneimittel sozialrechtlich wirksam als Sachleistung entgegengenommen hat. Denkbar ist allenfalls, 174 Vgl. in Bezug auf die Vergütung des Arztes Eberhardt, AcP 171, S. 289 (299 f.); SchmidtDe Caluwe, VSSR 1998, S. 207 (215). 175 Schnapp, FS Herzberg, S. 795 (803); Dettling, A&R 2005, S. 51 (57). Ebenfalls kritisch Badtke, S. 269. 176 Leimenstoll, S. 74 f.; Schnapp, FS Herzberg, S. 795 (803); Schimmelpfeng-Schütte, GesR 2006, S. 529 (531). 177 s. oben B. I. 178 § 61 S. 2 SGB X i. V. m. § 105 II BGB. 179 Schmitt, Handlungsfähigkeit, S.  67; Hauck/Noftz/Vogelgesang, § 11 SGB X Rn.  11; v. Wulffen/Schütze/Roller, § 12 SGB X Rn. 4. 180 Zur Handlungsfähigkeit als Voraussetzung für den wirksamen Leistungsempfang s. Eichen­ hofer/Wenner/Löcher, § 10 SGB X Rn. 3.

B. Die rechtliche Konstruktion der Arzneimittelabgabe

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dass er einen Bereicherungsanspruch gegen die Krankenkasse erlangt.181 Da im Sachleistungssystem des Krankenversicherungsrechts Vergütungsansprüche den Ausgleich dafür bilden, dass Leistungserbringer die Leistungsansprüche von Versicherten erfüllen,182 erscheint es aber dennoch unstimmig, wenn der Apotheker im Gegenzug für die sozialrechtlich wirksame Versorgung des Versicherten keinen regulären Vergütungsanspruch erwerben könnte, sondern nur auf bereicherungsrechtlicher Basis vergütet würde183. Unter Zugrundelegung eines gesetzlichen Vergütungsanspruchs würde der Apotheker in der dargestellten Situation zwanglos einen Vergütungsanspruch erwerben. Die Ansicht, die den Vergütungsanspruch des Apothekers individualvertraglich konstruiert, versucht indessen ebenfalls zu vermeiden, dass der Apotheker trotz sozialrechtlich wirksamer Versorgung des Versicherten keinen Vergütungsanspruch erwirbt. Zu diesem Zweck wendet sie die Vorschriften über die Handlungsfähigkeit analog auf die Fähigkeit des Versicherten an, als Stellvertreter der Krankenkasse aufzutreten.184 Folglich könnte deshalb der vorübergehend geistesgestörte Versicherte aus dem Beispielsfall seine Krankenkasse wirksam vertreten. Ein gesetzesunmittelbarer Vergütungsanspruch erscheint aber gegenüber dieser Analogiebildung als die gesetzessystematisch näherliegende Lösung, denn das SGB V normiert mit § 95 III 1 SGB V und § 109 IV 3 SGB V bereits an anderer Stelle gesetzliche Vergütungsansprüche. Fraglich könnte allenfalls sein, ob es der Annahme eines gesetzlichen Vergütungsanspruchs in der Arzneimittelversorgung entgegensteht, dass das BSG den gesetzlichen Vergütungsanspruch des Krankenhauses und in Anlehnung daran denjenigen des Apothekers als Pendant zu dessen gesetzlicher Leistungspflicht angesehen hat,185 dass einen Apotheker nach hier vertretener Ansicht aber keine gesetzliche Pflicht zur Sachleistungserbringung trifft. Dies ist jedoch zu verneinen. Der gesetzliche Vergütungsanspruch des Krankenhauses ist nicht alleine das Gegenstück zu dessen gesetzlicher Leistungspflicht. Der gesetzliche Vergütungsanspruch ist auch Ausdruck des Status, den das Krankenhaus mit seiner Zulassung als Leistungserbringer erlangt hat und der das Krankenhaus unmittelbar berechtigt, erbrachte Leistungen mit den Krankenkassen abzurechnen.186 Das Fehlen

181

s. zu Bereicherungsansprüchen von Apotheken unten C. II. Krauskopf/Knittel, § 129 SGB V Rn. 5; BSGE 105, 1 (7); BSG SozR 4-2500 § 129 Nr. 9 Rn. 21 ff.; BSGE 116, 138 (142); 116, 153 (155); BSG SozR 4-2500 § 69 Nr. 10 Rn. 19. Vgl. auch Rixen, S. 123 ff.; BSGE 86, 166 (168); BSG SozR 4-2500 § 129 Nr. 11 Rn. 42. 183 Daraus lässt sich zugleich ein weiteres Argument gegen die bereits abgelehnte Deutung des gesetzlichen Vergütungsanspruchs als Schuldübernahme oder Schuldbeitritt seitens der Krankenkasse herleiten: Der von dem vorübergehend geistesgestörten Versicherten geschlossene Kaufvertrag wäre nichtig, sodass es an einer beitrittsfähigen Vergütungspflicht des Versicherten fehlen würde. 184 Vgl. Schmitt, Handlungsfähigkeit, S. 99. 185 s. dazu oben B. II. 186 Vgl. Krauskopf/Knittel, § 109 SGB V Rn. 25. 182

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Kap. 3: Die Rechtsbeziehungen bei der Arzneimittelabgabe

einer gesetzlichen Leistungspflicht für Apotheker steht deshalb der Annahme eines gesetzlichen Vergütungsanspruchs nicht entgegen. Zum Teil wird, wie bereits oben erwähnt, der Vergütungsanspruch des Apothekers nicht in § 129 SGB V selbst, sondern im Rahmenvertrag und den ergänzenden Verträgen verankert.187 Im praktischen Ergebnis werden damit keine abweichenden Lösungen erzielt. Gegen die Verankerung des Vergütungsanspruchs in den Kollektivverträgen spricht aber Folgendes: Als grundlegender Aspekt der Rechtsbeziehungen zwischen Krankenkassen und Apothekern müsste es sich bei dem kollektivvertraglichen Vergütungsanspruch um einen pflichtigen Inhalt des Rahmenvertrags handeln. Das SGB V müsste daher die Rahmenvertragspartner verpflichten, einen Vergütungsanspruch in den Rahmenvertrag aufzunehmen. Eine Verpflichtung der Rahmenvertragspartner zur Normierung eines Vergütungsanspruchs stellt aber gegenüber der Annahme eines gesetzesunmittelbaren Vergütungsanspruchs eine umständlichere Lösung dar, mit der keinerlei Vorteile verbunden wären. Apotheker sind daher mit der Rechtsprechung des BSG und der herrschenden Literaturansicht188 Inhaber eines gesetzlichen Vergütungsanspruchs.

V. Die Entstehungsvoraussetzungen des Vergütungsanspruchs Erwirbt der Apotheker im Gegenzug für die Arzneimittelabgabe an gesetzlich Versicherte dem Grunde nach einen gesetzesunmittelbaren Vergütungsanspruch, bedarf es weiterhin der Klärung, von welchen Voraussetzungen die Entstehung dieses Vergütungsanspruchs abhängt. § 129 SGB V regelt nicht ausdrücklich, unter welchen Voraussetzungen der Vergütungsanspruch zur Entstehung gelangt.189 1. Auswirkungen von Verstößen gegen Abgabebestimmungen Überwiegend wird angenommen, dass ein Apotheker nur dann einen Vergütungsanspruch erwirbt, wenn er ein Arzneimittel im Einklang mit sämtlichen gesetzlichen und untergesetzlichen Vorgaben abgibt, die das Krankenversicherungsrecht für die Arzneimittelabgabe durch Apotheker aufstellt.190 Gibt ein Apotheker Arzneimittel im Widerspruch zu krankenversicherungsrechtlichen Vorgaben ab, kann sich nach dieser Ansicht allenfalls die Frage stellen, ob der Apotheker beispielsweise bereicherungsrechtliche Ansprüche gegen die Krankenkasse geltend machen kann, falls 187

Spieß, SGb 1996, S. 666 (668). s. die Nachweise oben unter B. II., III. 189 Vgl. Eichenhofer/Wenner/Armbruster, § 129 SGB  V Rn.  58; Krauskopf/Knittel, § 129 SGB V Rn. 4b. 190 Eichenhofer/Wenner/Armbruster, § 129 SGB V Rn. 58; Krauskopf/Knittel, § 129 SGB V Rn. 5; BSGE 105, 157 (166); 106, 303 (307); BSG SozR 4-2500 § 129 Nr. 9 Rn. 21; SozR 4-2500 § 129 Nr. 11 Rn. 42. 188

B. Die rechtliche Konstruktion der Arzneimittelabgabe

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diese infolge der vorschriftswidrigen Arzneimittelabgabe Kosten für eine mit den Anforderungen des SGB V in Einklang stehende Arzneimittelabgabe erspart hat.191 Eine andere Ansicht lehnt es dagegen ab, dass die Verletzung krankenversicherungsrechtlicher Abgabevorschriften zu einem Verlust des Vergütungsanspruchs führt, denn der Wortlaut von § 129 SGB  V sehe eine Verknüpfung zwischen Entstehung des Vergütungsanspruchs und Einhaltung krankenversicherungsrechtlicher Vorgaben nicht vor.192 Die Verletzung von Abgabevorschriften könne nur Schadensersatzansprüche der Krankenkassen nach § 69  I  3 SGB  V i. V. m. § 280 I BGB auslösen, was aber voraussetze, dass die Verletzung von Abgabevorschriften konkret einen finanziellen Schaden bei einer Krankenkasse verursacht habe.193 Die Frage, inwieweit der Vergütungsanspruch des Apothekers davon abhängt, dass die Arzneimittelabgabe im Einklang mit den Vorgaben des SGB V erfolgt, soll im Folgenden geklärt werden. a) Das Verhältnis von Leistungsanspruch und Vergütungsanspruch Im Schrifttum wird – vor allem in Bezug auf die Krankenhausbehandlung – vertreten, dass die vergütungsrechtlichen Folgen einer vorschriftswidrigen Leistungserbringung nach § 69 I 3 BGB i.V.m.d. Bürgerlichen Recht zu bestimmen seien, indem untersucht werde, welche vergütungsrechtlichen Folgen eine Schlecht­leistung des Leistungserbringers nach bürgerlich-rechtlichem Vertragsrecht hätte. Da Krankenhäuser im Bürgerlichen Recht Behandlungsverträge schlössen und die Schlechterfüllung eines Behandlungsvertrags den Vergütungsanspruch nicht entfallen lasse, sondern nur zur Entstehung gegenläufiger Schadensersatzansprüche führen könne, erwerbe etwa ein Krankenhaus trotz Verletzung krankenversicherungsrechtlicher Vorschriften einen Vergütungsanspruch.194 Für Apotheker hätte unter Zugrundelegung des Bürgerlichen Rechts eine vorschriftswidrige Arzneimittelabgabe allerdings zur Folge, dass die Krankenkasse die Vergütung verweigern darf, sofern der Apotheker dem Versicherten nicht noch nachträglich ein Arzneimittel im Einklang mit den krankenversicherungsrechtlichen Vorgaben aushändigt.195 Die Orientierung am bürgerlich-rechtlichen Vertragsrecht hätte damit zur Folge, dass für verschiedene Leistungserbringer Verstöße gegen krankenversicherungsrechtliche Vorschriften unterschiedliche vergütungsrechtliche Auswirkungen hätten. Das erscheint nicht überzeugend, denn in ihrer Funktion als Leistungsmittler der Krankenkassen sind alle Leistungserbringer gleich, sodass für sie auch die gleichen 191

s. dazu näher unten C. II. Dettling/Altschwager, S. 82. – Vgl. für die Krankenhausbehandlung jeweils Bielitz, NZS 2015, S. 606 (608); Kuhla, NZS 2015, S. 561 (567); ähnlich Felix, SGb 2017, S. 259 (260 ff.). 193 Dettling/Altschwager, S. 82. 194 Kuhla, NZS 2015, S. 561 (567). S. dazu auch Felix, SGb 2017, S. 259 (260). 195 Das Zurückbehaltungsrecht der Krankenkasse würde aus § 320 I BGB i. V. m. §§ 433, 434 Nr. 1, 439 I BGB (Einrede des nicht ordnungsgemäß erfüllten Vertrages) folgen. 192

202

Kap. 3: Die Rechtsbeziehungen bei der Arzneimittelabgabe

Rechtsfolgen gelten sollten. Es bedarf deshalb einer für alle Leistungserbringer möglichst einheitlichen, krankenversicherungsrechtsspezifischen Rechtsfolgenbestimmung für den Fall einer vorschriftswidrigen Leistungserbringung. Die Voraussetzungen für Vergütungsansprüche von Leistungserbringern sind insoweit vor dem Hintergrund zu bestimmen, dass nach § 2 II 3 SGB V die Aufgabe der Leistungserbringer im Sachleistungssystem des SGB  V darin besteht, Leistungsansprüche der Versicherten gegen ihre Krankenkassen zu erfüllen.196 Das Krankenversicherungsrecht räumt Leistungserbringern Vergütungsansprüche dafür ein, dass sie Leistungsansprüche der Versicherten gegen ihre Krankenkassen erfüllen.197 Leistungsanspruch des Versicherten und Vergütungsanspruch des Leistungserbringers sind miteinander verknüpft.198 Deshalb erwerben Leistungserbringer grundsätzlich nur einen Vergütungsanspruch, wenn der Versicherte die erbrachte Leistung beanspruchen kann, was voraussetzt, dass der Versicherungsfall der Krankheit vorliegt und die erbrachte Leistung einschließlich der Modalitäten ihrer Erbringung den krankenversicherungsrechtlichen Anforderungen entspricht. Damit eine Leistung krankenversicherungsrechtlichen Anforderungen entspricht, muss sie zunächst ihrer Art nach vom krankenversicherungsrechtlichen Leistungsspektrum erfasst sein. Weiterhin muss die Leistung im Einklang mit den bestehenden fachlichen Anforderungen erbracht werden. Gegen den insoweit vorgebrachten Einwand, dass das Qualitätsgebot nach §§ 2 I 3, 12 I SGB V schwerlich so verstanden werden könne, dass es Leistungserbringern die Begehung von Behandlungsfehlern verbiete,199 spricht, dass jedenfalls die Vorschrift des § 135a I 2 SGB V verlangt, dass in jedem konkreten Einzelfall die Leistung in der gebotenen Qualität erbracht wird, was auch die Begehung von Behandlungsfehlern verbietet.200 Schließlich muss die Leistung unter Beachtung des Gebots zum wirtschaftlichen Handeln im engeren Sinne erbracht werden, denn nach § 12 SGB V dürfen unwirtschaftliche Leistungen nicht erbracht werden und § 2 IV SGB V betont, dass Leistungserbringer für die Wirtschaftlichkeit der Leistungen verantwortlich sind. Die Erbringung unwirtschaftlicher Leistungen ist daher verboten201 und kann keinen Vergütungsanspruch auslösen202. 196

Vgl. BSGE 99, 111 (114). Krauskopf/Knittel, § 129 SGB V Rn. 5; BSGE 105, 1 (7); BSG SozR 4-2500 § 129 Nr. 9 Rn. 21 ff.; BSGE 116, 138 (142); 116, 153 (155); BSG SozR 4-2500 § 69 Nr. 10 Rn. 19. Vgl. auch Rixen, S. 123 ff.; Seewald, SGb 2009, S. 501 (502 f.); BSGE 86, 166 (168); BSG SozR 4-2500 § 129 Nr. 11 Rn. 42. 198 Seewald, SGb 2009, S. 501 (502 f.); BSGE 86, 166 (168). 199 So Felix, SGb 2017, S. 259 (263 f.). 200 s. dazu Becker/Kingreen/Becker, § 135a SGB V Rn. 7. 201 Vgl. Hauck/Noftz/Noftz, § 12 SGB V Rn. 62; Frigger, MedR 2015, S. 897 (898 f.). 202 BSGE 116, 138 (142); 116, 153 (155); 118, 135 (159 f.). S. auch Wiegand, Kassenarztrecht, § 106 SGB V Rn. 13; LPK/Murawski, § 106 SGB V Rn. 100; Spickhoff/Nebendahl, § 87b SGB V Rn. 21; Spickhoff/Vießmann, § 135 SGB V Rn. 23; Felix, SGb 2017, S. 259 (262). Vgl. auch BeckOK-SozR/Wehebrink (43. Edition), § 106 SGB V Rn.  45; jurisPK-SGB V/Plagemann, § 109 SGB V Rn. 27. 197

B. Die rechtliche Konstruktion der Arzneimittelabgabe

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b) Folgen für die Entstehungsvoraussetzungen der Apothekervergütung Aufgrund der grundsätzlichen Kongruenz von Leistungs- und Vergütungsanspruch erwirbt ein Apotheker im Grunde nur dann einen Vergütungsanspruch, wenn der Versicherte einen Anspruch gegen die Krankenkasse auf das abgegebene Arzneimittel hat. Es müssen daher grundsätzlich sämtliche Voraussetzungen für einen Anspruch des Versicherten gegen seine Krankenkasse auf das abgegebene Arzneimittel erfüllt sein. Zunächst müsste deshalb im Grunde der Versicherungsfall der Krankheit vorliegen, denn nach § 27 I Nr. 3 SGB V setzt die Versorgung mit Arzneimitteln das Vorliegen einer Krankheit voraus. Weiterhin muss das Arzneimittel ärztlich verordnet worden sein.203 Da eine formell fehlerhaft ausgestellte Verordnung keinen Leistungsanspruch des Versicherten auslöst, erwirbt der Apotheker nur dann einen Vergütungsanspruch, wenn die Verordnung den im Bundesmantelvertrag geregelten Formanforderungen genügt. Weiterhin muss das Arzneimittel von der Versorgung umfasst sein; ein Versicherter hat keinen Anspruch auf die Versorgung mit einem Arzneimittel, wenn etwa ein Versorgungsausschluss nach § 34 SGB V eingreift.204 Hat der Arzt ein Arzneimittel nur unter seiner Wirkstoffbezeichnung verordnet oder die Ersetzung des verordneten Arzneimittels nicht ausgeschlossen, muss der Apotheker weiterhin die Pflicht zur wirtschaftlichen Arzneimittelabgabe nach § 129 I Nr. 1, Nr. 2 SGB V beachten: Ein Vergütungsanspruch kommt nur zur Entstehung, wenn der Apotheker die pharmazeutischen Vorgaben für die Arzneimittelsubstitution nach § 129 I 2 SGB V wie z. B. Wirkstoffgleichheit oder Vergleichbarkeit der Darreichungsform von verordnetem und abgegebenem Arzneimittel beachtet205 und wenn er die Auswahl unter Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkten korrekt vornimmt206. Schließlich muss der Apotheker bei der Arzneimittelabgabe den aktuellen Stand der pharmazeutischen Erkenntnisse beachten207 und etwa den Versicherten bei der Arzneimittelabgabe im notwendigen Umfang beraten. c) Lockerung der Kongruenz von Vergütungs- und Leistungsanspruch bei fehlender Prüfungspflicht des Apothekers Problematisch erscheint jedoch, dass manche Voraussetzungen des Leistungsanspruchs von einem Apotheker nicht beurteilt werden können: Er kann im Gegensatz zum Arzt nicht feststellen, ob der Versicherte tatsächlich an einer Krankheit 203

Zum Erfordernis einer ärztlichen Verordnung s. oben Kapitel 1 B. III. 2. Zum Verlust des Vergütungsanspruchs bei Abgabe von sog. Lifestylearzneimitteln, die nach § 34 I 7–9 SGB V von der Versorgung ausgeschlossen sind, s. Wesser, A&R 2010, S. 253 (255 f.). 205 Wesser, A&R 2010, S. 205 (209 f.). S. dazu näher unten Kapitel 4 B. II. 206 Wesser, A&R 2014, S. 11 (14). 207 s. zu diesen Anforderungen oben A. I. 204

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Kap. 3: Die Rechtsbeziehungen bei der Arzneimittelabgabe

leidet. Sofern ein Versorgungsausschluss bei Vorliegen bestimmter Krankheiten ausnahmsweise nicht eingreift, kann der Apotheker ebenfalls nicht feststellen, ob der Versicherte an einer Krankheit leidet, die die Verordnung des Arzneimittels zulässt. Würde man den Erwerb des Vergütungsanspruchs auch an das Vorliegen dieser Umstände knüpfen, könnte ein Apotheker im Einzelfall nicht erkennen, ob er für das von dem Versicherten begehrte Arzneimittel eine Vergütung von der Krankenkasse erhalten kann. Die Kongruenz von Leistungs- und Vergütungsanspruch ist indessen nicht strikt; Ausnahmen von dem Grundsatz der Kongruenz von Leistungs- und Vergütungsanspruch sind denkbar.208 Insbesondere ist die Entstehung des Vergütungsanspruchs von Erbringern ärztlich veranlasster Leistungen nicht vom Vorliegen solcher Umstände abhängig, hinsichtlich derer sie keine Pflicht zur Überprüfung der ärztlichen Verordnung trifft.209 Für Apotheker bedeutet das zum einen, dass ihr Vergütungsanspruch nicht davon abhängt, dass der Versicherte tatsächlich krank ist. Zum anderen ist es unschädlich, wenn ein Apotheker etwa ein nicht verschreibungspflichtiges Arzneimittel abgibt, das durch Richtlinie des G-BA zur Behandlung einer schwerwiegenden Krankheit zugelassen ist, der Versicherte aber nicht an einer in der Richtlinie genannten Krankheit leidet. d) Lockerung der Kongruenz von Vergütungs- und Leistungsanspruch bei Belieferung formell fehlerhafter Verordnungen aa) Die Regelungen in § 129 IV 2 SGB V und § 3 RV-AV Zu einer Lockerung der Kongruenz von Leistungsanspruch des Versicherten und Vergütungsanspruch des Apothekers kommt es weiterhin in den Fällen, in denen ein Apotheker eine formell nicht ordnungsgemäß ausgestellte Verordnung beliefert. Die Vorschrift des § 129 IV 2 SGB V in der Fassung des GKV-Versorgungsstärkungsgesetzes verpflichtet die Rahmenvertragsparteien, erstmals bis zum 1. Januar 2016 zu regeln, in welchen Fällen einer fehlerhaften Arzneimittelabgabe, insbesondere bei Formfehlern der Verordnung, eine Retaxation, also eine Beanstandung der erfolgten Arzneimittelabgabe und eine Verweigerung der Bezahlung,210 ganz oder teilweise unterbleibt. Für den Fall, dass eine Regelung nicht zustande kommt, ist gemäß § 129 IV 2 HS. 2 SGB V die Entscheidung durch die Schiedsstelle nach § 129 VIII SGB V vorgesehen. In der Gesetzesbegründung zu § 129 IV 2 SGB V heißt es, dass es unverhältnismäßig sei und ein bürokratisches Hindernis bei der Versorgung darstelle, wenn ein Apotheker keine Vergütung erhält, so 208

Offengelassen von Seewald, SGb 2009, S. 501 (503). Vgl. zur Korrelation von Vergütungsanspruch und der Reichweite von Prüfungspflichten in Bezug auf Heilmittelerbringer BSGE 109, 116 (119). 210 Zur Retaxation im Einzelnen s. näher unten C. 209

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fern der Versicherte trotz unbedeutender formaler Fehler der Verordnung wie z. B. der Verwendung einer Abkürzung das vom Arzt verordnete Arzneimittel unter Berücksichtigung der Regeln des SGB V erhalten hat.211 Es könnten deshalb etwa Heilungsmöglichkeiten für Formverstöße vereinbart werden, sofern für Krankenkassen dadurch kein unzumutbarer Aufwand entstehe, oder es könnten Regelungen vereinbart werden, die lediglich eine teilweise Retaxation vorsähen.212 Die Anforderungen der Arzneimittelverschreibungsverordnung müsse die Verordnung als Grundvoraussetzung für eine sichere Versorgung der Versicherten jedoch erfüllen.213 Nach der rahmenvertraglichen Vorschrift des § 3 I 2 RV-AV, die in Umsetzung dieses Regelungsauftrages geschaffen wurde, bleibt der Vergütungsanspruch eines Apothekers trotz Belieferung einer nicht ordnungsgemäßen vertragsärztlichen Verordnung erhalten, wenn ein rahmenvertraglich geregelter Vergütungserhaltungstatbestand eingreift. Vergütungserhaltungstatbestände für den Fall der Belieferung formell fehlerhafter Verordnungen finden sich in § 3 I 2, 4. Spiegelstrich, Nr. 1 – Nr. 6 RV-AV, wo ohne abschließende Wirkung („insbesondere“) über 20 Einzelbeispiele für Fehler aufgelistet sind, die unwesentlich sein und die Versorgung nicht wesentlich beeinträchtigen sollen. In der Aufzählung finden sich beispielsweise die Verwendung von Abkürzungen, unleserliche Arztunterschriften oder das Fehlen einzelner Angaben zur Identifikation des Arztes wie etwa der Arztnummer, sofern der Arzt anhand der übrigen Angaben auf dem Rezept identifiziert werden kann. Obwohl dieser umfassende Katalog von Vergütungserhaltungstatbeständen den Zusammenhang von Leistungs- und Vergütungsanspruch in einer Vielzahl von Fällen aufhebt, ist er von der Ermächtigungsgrundlage des § 129 IV 2 SGB V gedeckt: Ausgehend von der in der Gesetzesbegründung geäußerten Ansicht des Gesetzgebers, dass eine Retaxation bei unbedeutenden Formfehlern unverhältnismäßig sei,214 ist die Vorschrift des § 129  IV 2 SGB  V so zu lesen, dass die Rahmenvertragsparteien  – obgleich der Normwortlaut ihnen ein weites Regelungsermessen einzuräumen scheint, „in welchen Fällen“ sie die Retaxation ausschließen  – verpflichtet sind, für alle unbedeutenden Formfehler Regelungen vorzusehen, die Apothekern eine Aufrechterhaltung ihres Vergütungsanspruchs erlauben. Als unbedeutend sind über die in der Gesetzesbegründung erwähnte Verwendung von Abkürzungen hinaus generell solche Formfehler anzusehen, die die Qualität, Sicherheit und Wirtschaftlichkeit der Arzneimittelversorgung nicht beeinträchtigen.215 Qualität, Sicherheit und Wirtschaftlichkeit der Arzneimittelversorgung sind im Ergebnis immer gewahrt, solange die in der Gesetzesbegründung angesprochenen Anforderungen der Arzneimittelverschreibungsverordnung 211

BT-Drs. 18/4095, S. 117. BT-Drs. 18/4095, S. 118. – Da § 129 IV 2 SGB V die Belieferung formfehlerhafter Verordnungen betrifft, ist mit „Heilung“ nicht die Fehlerheilung vor der Arzneimittelabgabe gemeint [s. dazu oben Kapitel 2 B. I. 4. a)], sondern eine Heilung nach bereits erfolgter Abrechnung. 213 BT-Drs. 18/4095, S. 118. 214 BT-Drs. 18/4095, S. 118. 215 Vgl. Eichenhofer/Wenner/Armbruster, § 129 SGB V Rn. 82, 84. 212

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eingehalten werden. Die Vorschriften der Arzneimittelverschreibungsverordnung bewirken, dass die Arzneimitteltherapie umfassend durch einen Arzt verantwortet und gesteuert wird. Nach § 2 AMVV muss die Verordnung insbesondere den ausstellenden Arzt, den Patienten, den Wirkstoff bzw. das Arzneimittel, die Wirkstärke, die Darreichungsform und die verordnete Menge erkennen lassen. Von der Einhaltung der Vorgaben der Arzneimittelverschreibungsverordnung befreien die Regelungen in § 3 I 2 RV-AV trotz ihres großen Umfangs indessen nicht; ein Erhalt des Vergütungsanspruchs etwa bei Belieferung einer vom Arzt nicht unterschriebenen Verordnung ist nicht vorgesehen. bb) Verbleibende Regelungskompetenzen der Vertragspartner auf Landesebene? Vor Inkrafttreten von § 129 IV 2 SGB V enthielten die ergänzenden Verträge auf Landesebene teilweise Regelungen, wonach ein Apotheker eine formell fehlerhafte Verordnung noch rückwirkend heilen konnte, nachdem er sie bereits zur Abrechnung bei der Krankenkasse eingereicht hatte; in diesem Fall wurde ihm zumindest der Einkaufspreis des abgegebenen Arzneimittels erstattet.216 Andere ergänzende Verträge sahen vor, dass das Fehlen bestimmter einzelner Angaben auf dem Rezept nicht zu einem Verlust des Vergütungsanspruchs führt.217 Aufgrund des engen Zusammenhangs mit Vorschriften über die Heilung einer fehlerhaften Verordnung, die bereits in den Arzneilieferverträgen unter Geltung der Reichsversicherungsordnung enthalten waren,218 konnten auch ohne besondere Ermächtigung im Rahmenvertrag oder in den ergänzenden Verträgen derartige Vergütungserhaltungstatbestände für die Belieferung formell fehlerhafter Verordnungen normiert werden. Fraglich ist, ob nunmehr § 129 IV 2 SGB V eine exklusive Regelungsbefugnis der Rahmenvertragspartner für die Normierung von Vergütungserhaltungsvorschriften begründet, mit der Folge, dass in den ergänzenden Verträgen solche Regelungen nicht mehr wirksam getroffen werden können. Nach § 129 IV 2 SGB V wird „im Rahmenvertrag“ festgelegt, in welchen Fällen einer Rechnungsbeanstandung Krankenkassen eine Retaxation unterbleibt. Ausweislich der Gesetzesbegründung wird die Schaffung eines geeigneten Interessenausgleichs, der Fehlanreize vermeidet, der Selbstverwaltung im Rahmenvertrag überlassen.219 Nach Gesetzeswortlaut und Gesetzesbegründung kommt somit den Rahmenvertragsparteien ein Regelungsmonopol für die Normierung von Vorschriften zu, die bei einer Arzneimittelabgabe im Widerspruch zu gesetzlichen Vorschriften den Vergütungsanspruch des Apothekers aufrechterhalten sollen. Vergütungserhaltungs 216

§ 9 II 6 ALV Bremen. s. etwa § 3 III ALV Hessen. 218 s. beispielsweise § 5 III des in ErsK 1979, S. 478 ff., abgedruckten Vertrages. 219 BT-Drs. 18/4095, S. 118. 217

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tatbestände in den ergänzenden Verträgen sind daher unwirksam; noch fortbestehende Vorschriften in den ergänzenden Verträgen aus der Zeit vor Inkrafttreten von § 129 IV 2 SGB V haben ihre Wirksamkeit verloren. Zwar räumt die rahmenvertragliche Vorschrift des § 3 I 2, 1. Spiegelstrich RVAV den Vertragspartnern auf Landesebene die Befugnis ein, in anderen als im Rahmenvertrag vorgesehenen Fällen Vergütungserhaltungstatbestände zu normieren. Diese Vorschrift ist jedoch unwirksam, denn die den Rahmenvertragspartnern auferlegte Aufgabe, einen „Interessenausgleich“ zu schaffen, gebietet, dass die Rahmenvertragspartner selbst in konkreter Weise regeln, in welchen Fällen der Vergütungsanspruch eines Apothekers erhalten bleibt. e) Sonstige Lockerungen der Kongruenz von Vergütungs- und Leistungsanspruch? Fraglich ist, ob über die bislang dargestellten Fallgruppen hinaus – Fehlen einer Prüfpflicht des Apothekers oder Belieferung einer formell fehlerhaften Verordnung – weitere Ausnahmen vom Grundsatz der Kongruenz von Leistungsanspruch und Vergütungsanspruch bestehen. Solche Ausnahmen könnten gesetzlicher Natur oder im Rahmenvertrag enthalten sein; zu erwägen ist auch, ob eine betroffene Krankenkasse im Einzelfall entscheiden kann, dass sie einen Apotheker für eine rechtswidrige Arzneimittelabgabe vergütet. aa) Im Gesetz? Die Auslegung einer gesetzlichen Vorschrift, die Anforderungen an die Leistungserbringung stellt, kann im Einzelfall ergeben, dass ihre Verletzung keine unmittelbare Auswirkung auf den Vergütungsanspruch eines Leistungserbringers entfalten soll. Beispielsweise führt ein Verstoß gegen leistungserbringungsrechtliche Vorgaben nicht automatisch zum Entfall des Vergütungsanspruchs, wenn vorgesehen ist, dass die vergütungsrechtlichen Folgen eines Verstoßes gesondert zu regeln sind. So ist es nach § 137 I 2 Nr. 1 SGB V dem Gemeinsamen Bundesausschuss überlassen, ob er den Entfall des Vergütungsanspruchs anordnet, wenn ein Krankenhaus Leistungen ohne Einhaltung der in den Richtlinien nach §§ 136 ff. SGB V geregelten Qualitätsanforderungen erbringt.220 Für Apotheker besteht jedoch keine derartige Ausnahme von der grundsätzlichen Kongruenz von Vergütungs- und Leistungsanspruch, denn keine der gesetzlich begründeten inhaltlichen Vorgaben für die Arzneimittelabgabe legt eine Auslegung nahe, dass sich ihre Verletzung nicht auf den Vergütungsanspruch auswirken soll. 220 s. dazu Bielitz, NZS 2015, S. 606 (607); Felix, SGb 2017, S. 259 (264 ff.); Kuhla, NZS 2015, S. 561 (567 f.) – insoweit wendet sich die Literatur gegen die Entscheidung BSGE 116, 53 ff., wo ein Wegfall des Vergütungsanspruchs ex lege angenommen wurde.

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Kap. 3: Die Rechtsbeziehungen bei der Arzneimittelabgabe

bb) Möglichkeit entsprechender rahmenvertraglicher Regelungen? Möglicherweise sind die Rahmenvertragspartner aufgrund der Regelung des § 129  IV 2 SGB  V berechtigt, auch jenseits von Fällen der Belieferung formell fehlerhafter Verordnungen Regelungen zu treffen, dass ein Abgabefehler des Apothekers nicht zu einem Verlust des Vergütungsanspruchs führt. Nach § 129 IV 2 SGB V können „insbesondere“ für Formfehler Retaxationsausschlüsse vorgesehen werden. Dieser nicht abschließende Wortlaut legt an sich nahe, dass die Rahmenvertragsparteien auch die Kompetenz haben, für Abgabefehler inhaltlicher Art die Retaxation auszuschließen.221 So regelt denn auch § 3 I 2, 4. Spiegelstrich RV-AV in pauschaler Form, dass eine Retaxation bei unbedeutenden Fehlern, die die Arzneimittelsicherheit und die Wirtschaftlichkeit der Versorgung nicht wesentlich beeinträchtigen, ausgeschlossen ist; hierzu können rein begrifflich auch Fehler inhaltlicher Art zählen. Unter Berücksichtigung der Gesetzesbegründung zu § 129  IV 2 SGB  V erscheint es aber sehr zweifelhaft, dass und welche Abgabefehler inhaltlicher Art Gegenstand eines Vergütungserhaltungstatbestands sein könnten. In der Gesetzesbegründung heißt es, dass es unverhältnismäßig sei, wenn ein Apotheker keine Vergütung erhalte, sofern der Versicherte trotz unbedeutender formaler Fehler der Verordnung das vom Arzt verordnete Arzneimittel unter Berücksichtigung der Regelungen des SGB V erhalten habe. Diese Konstellationen unterschieden sich wesentlich von solchen Fällen, in denen der Apotheker ein anderes als ein rabattiertes Arzneimittel abgebe.222 Die Verletzung der Pflicht zur Abgabe eines rabattierten Arzneimittels darf nach der Gesetzesbegründung somit nicht Gegenstand eines Vergütungserhaltungstatbestandes sein.223 Andere denkbare Abgabefehler inhaltlicher Art – wie z. B. die Abgabe eines von der Versorgung ausgeschlossenen Arzneimittels oder eines gemessen an § 129 I 1 Nr. 1, S. 5 SGB V nicht preisgünstigen Arzneimittels224  – erscheinen vergleichbar schwerwiegend oder  – wie beispielsweise die Substitution unter Verletzung von § 129 I 2 SGB V, wodurch die Arzneimitteltherapiesicherheit beeinträchtigt werden kann  – sogar noch schwerwiegender. Für 221

Vgl. Eichenhofer/Wenner/Armbruster, § 129 SGB V Rn. 83. BT-Drs.  18/4095, S.  117 f. Dem Gesetzgeber dürfte dabei vor Augen gestanden haben, dass in der Vergangenheit von einigen Krankenkassen Betäubungsmittelverordnungen retaxiert worden waren, auf denen der Arzt entgegen § 9 I Nr. 5 BtMVV a. F. nicht „gemäß schriftlicher Gebrauchsanweisung“ vermerkt hatte, wenn er dem Patienten eine schriftliche Gebrauchsanweisung übergegeben hatte, sondern eine Abkürzung („gem.“) oder leicht abweichende Formulierung benutzt hatte. S. dazu Goetzendorff, PZ 2012, Heft Nr. 10, S. 16 (17). 223 Zur Indizwirkung dieser Ausführungen in der Gesetzesbegründung für die Bestimmung der Regelungsmacht, die den Rahmenvertragsparteien insgesamt zukommt, vgl. auch Eichenhofer/Wenner/Armbruster, § 129 SGB V Rn. 83. 224 Eine Steuerungswirkung, die einen Verlust des Vergütungsanspruchs rechtfertigen kann, misst der Regelung des § 129  I  1 Nr.  1, S.  5 SGB V auch Eichenhofer/Wenner/Armbruster, § 129 SGB V Rn. 83, bei. 222

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Retaxationsausschlüsse bei Abgabefehlern inhaltlicher Art besteht damit im Ergebnis grundsätzlich kein Raum. Soweit in § 129  IV 2 SGB  V die Rahmenvertragsparteien zu Retaxationsausschlüssen jenseits von Formfehlern ermächtigt werden, geht diese Ermächtigung ins Leere. Die Vorschrift des § 3 I 2, 4. Spiegelstrich RV-AV hat folglich keinen Anwendungsbereich, soweit sie eine Erhaltung des Vergütungsanspruchs auch bei Abgabefehlern inhaltlicher Art vorsieht.225 cc) Möglichkeit einer Einzelfallentscheidung der Krankenkasse? In § 3 I 2, 3. Spiegelstrich RV-AV ist vorgesehen, dass der Vergütungsanspruch des Apothekers trotz eines Abgabefehlers erhalten bleibt, wenn die Krankenkasse des Versicherten im Einzelfall entscheidet, dem Apotheker eine Vergütung zu gewähren, obwohl er gegen krankenversicherungsrechtliche Abgabevorschriften verstoßen hat. Gegen die Zulässigkeit derartiger Entscheidungen der Krankenkassen und auch gegen die Zulässigkeit einer rahmenvertraglichen Ermächtigung hierzu spricht jedoch Folgendes: Aufgrund des Grundsatzes der Selbstbindung der Verwaltung226 wäre die Krankenkasse in der Zukunft gezwungen, auch gegenüber anderen Apothekern einen Vergütungsanspruch anzuerkennen, wenn sie denselben Abgabefehler begangen haben. Eine Einzelfallentscheidung der Krankenkasse hätte deshalb zur Folge, dass der in Frage stehende Abgabefehler von dieser Krankenkasse generell nicht mehr gerügt werden und somit nicht mehr zum Verlust von Vergütungsansprüchen führen kann. Mit dem krankenversicherungsrechtlichen Prinzip, dass ein Leistungserbringer einen Vergütungsanspruch grundsätzlich nur erwirbt, sofern der Versicherte einen Anspruch auf die Leistung hatte, stünde dies nicht mehr im Einklang.227 f) Das Meldeverfahren nach § 131 IV SGB V Es hat sich gezeigt, dass der Anspruch des Versicherten auf Versorgung mit einem Arzneimittel und damit auch der Vergütungsanspruch des Apothekers von bestimmten tatsächlichen oder rechtlichen Eigenschaften des Arzneimittels abhängig sein kann, wie etwa dem Nicht-Bestehen eines Versorgungsausschlusses. Die Vorschrift des § 131 IV SGB V enthält Regelungen, die sicherstellen sollen, dass es bei der Abrechnung der Apotheker mit den Krankenkassen zu keinen 225 Vgl. auch Deutscher Apothekerverband, Kommentar zu § 3 RV-AV, S. 5: Danach handelt es sich sinngemäß bei dieser Vorschrift, soweit sie auch Abgabefehler inhaltlicher Art erfasst, um einen Auffangtatbestand, der derzeit noch nicht absehbare, in der Zukunft möglicherweise auftretende Sachverhalte abdecken solle. 226 Zum Grundsatz der Selbstbindung der Verwaltung s. nur Sachs/Osterloh/Nußberger, Art. 3 GG Rn. 115 ff.; Jestaedt, in: Ehlers/Pünder, § 11 Rn. 64 f.; BVerwGE 148, 48 (74). 227 Zur fehlenden Befugnis von Krankenkassen, unwirtschaftliche Leistungen nachträglich zu bewilligen, vgl. auch Krauskopf/Krauskopf, § 70 SGB V Rn. 5.

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Kap. 3: Die Rechtsbeziehungen bei der Arzneimittelabgabe

Rechtsunsicherheiten im Hinblick auf derartige Eigenschaften kommt. Nach § 131 IV 2 SGB V müssen die pharmazeutischen Unternehmer den Rahmenvertrags­ parteien die für die Abrechnung der Apotheker mit den Krankenkassen erforderlichen Preis- und Produktdaten übermitteln. Nach § 131 IV 6, 7 SGB V sind diese von den Herstellern gemeldeten Daten dann die verbindliche Grundlage für die Abrechnung zwischen Krankenkassen und Apothekern. Mit „Verbindlichkeit“ ist gemeint, dass zugunsten der einzelnen Apotheker der Inhalt der Meldungen als zutreffend zugrundelegt wird, auch wenn sie der tatsächlichen Sach- oder Rechtslage nicht entsprechen,228 etwa weil die Meldung des pharmazeutischen Unternehmers inhaltlich falsch war.229 Würde ein Apotheker beispielsweise ein von der Versorgung ausgeschlossenes Arzneimittel abgeben, ist aber der Versorgungsausschluss nicht an die Rahmenvertragsparteien gemeldet worden, würde er bei Abgabe dieses Arzneimittels dennoch einen Vergütungsanspruch erwerben. Wie die nach § 131 IV 2 SGB V gemeldeten Daten an die einzelnen Apotheker gelangen, ist im SGB V nicht geregelt. In der Praxis erfolgt die Datenweitergabe an die einzelnen Apotheker in der Weise, dass die Hersteller von Apothekensoftware diese Daten in die von ihnen vertriebene Software einspeisen und die Software außerdem regelmäßig aktualisieren. Die Hersteller von Apothekensoftware beziehen diese Daten wiederum gegen Entgelt aus dem sog. ABDA-Artikelstamm.230 Bei dem ABDA-Artikelstamm handelt es sich um eine Datenbank, die durch ABDATA Pharma-Daten-Service verwaltet wird,231 einem Geschäftsbereich der Werbe- & Vertriebsgesellschaft Deutscher Apotheker mbH, die ihrerseits von der Bundesarbeitsgemeinschaft deutscher Apothekerverbände (ABDA) beherrscht wird, dem Zusammenschluss der deutschen Apothekerkammern und Apothekerverbände232. Der ABDA-Artikelstamm enthält alle für die Abgabe von Fertigarzneimitteln erforderlichen Informationen233  – für jedes Arzneimittel existiert ein Datensatz, in dem etwa der Wirkstoff, der Preis, die Existenz krankenversicherungsrechtlicher Verordnungsausschlüsse oder die Existenz von Rabatt­verträgen vermerkt ist.234 Die Daten werden 14-tägig aktualisiert.235 Als Synonym für den ABDA-Artikelstamm findet sich auch die Bezeichnung als Große Deutsche Spezialitätentaxe.236 Teilweise wird der ABDA-Artikelstamm auch noch „Lauer-Taxe“ genannt.237 Der Hintergrund der Bezeichnung als LauerTaxe, die sich im Laufe der Zeit eingebürgert hat, liegt darin, dass das private Un 228

Vgl. BeckOK SozR/v. Dewitz, § 131 SGB V Rn. 15 f. Vgl. dazu BeckOK SozR/v. Dewitz, § 131 SGB V Rn. 13. 230 Vgl. Boden u. a., PZ 1999, Heft Nr. 24, S. 11 (13); IFA, Erstellung, S. 2. 231 Boden u. a., PZ 1999, Heft Nr. 24, S. 11. 232 Zur ABDA s. schon oben Kapitel 2 B. I. 2. a). 233 Boden u. a., PZ 1999, Heft Nr. 24, S. 11 (12 f.). 234 Vgl. Boden u. a., PZ 1999, Heft Nr. 24, S. 11 (13 ff.); IFA, Erstellung, S. 3 f. 235 Vgl. Boden u. a., PZ 1999, Heft Nr. 24, S. 11 (13). 236 Boden u. a., PZ 1999, Heft Nr. 24, S. 11 (12). 237 Boden u. a., PZ 1999, Heft Nr. 24, S. 11 f.; IFA, Erstellung, S. 4. 229

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ternehmen Lauer-Fischer in den 1950er Jahren als erste Stelle deutschlandweit eine vollständige Arzneimittel-Produktübersicht anbot. Diese Bezeichnung des ABDA-Artikelstamms ist allerdings verwechslungsträchtig, da das Unternehmen Lauer-Fischer nach wie vor sein Produkt unter diesem Namen anbietet, ohne aber an der Erstellung oder Verwaltung des ABDA-Artikelstamms beteiligt zu sein. Der ABDATA Pharma-Daten-Service, der den ABDA-Artikelstamm verwaltet, bezieht die Daten zum Aufbau und zur Fortschreibung dieser Datenbank seinerseits von der Informationsstelle für Arzneimittel (IFA) GmbH,238 deren Gesellschafter der Bundesverband der pharmazeutischen Industrie, der Bundesverband des pharmazeutischen Großhandels sowie die Arbeitsgemeinschaft deutscher Apothekerverbände (ABDA) sind.239 Die Informationsstelle für Arzneimittel ist ein Informationsdienstleister für den Arzneimittelmarkt. Sie vergibt etwa die Pharmazentralnummern240 für die einzelnen Arzneimittel. Ebenfalls nehmen die pharmazeutischen Hersteller ihr gegenüber die Meldung der Produktdaten nach § 131 IV 2 SGB V vor und die Informationsstelle für Arzneimittel leitet diese Daten dann an die Rahmenvertragspartner weiter.241 Rechtliche Bedenken bestehen gegen dieses Vorgehen nicht, denn eine direkte Meldung der Unternehmer an die Rahmenvertragspartner wird von der Vorschrift des § 131 IV 2 SGB V nicht gefordert.242 g) Zwischenergebnis Zusammenfassend ist somit festzuhalten, dass der Vergütungsanspruch des Apothekers im Grunde davon abhängt, dass der Versicherte einen Anspruch auf das abgegebene Arzneimittel hat. Eine Ausnahme von der Kongruenz von Vergütungs- und Leistungsanspruch besteht, soweit der Apotheker von der Überprüfung einzelner Anspruchsvoraussetzungen wie dem Vorliegen einer Krankheit freigestellt ist. Durch die rahmenvertragliche Regelung § 3 I RV-AV wird die Kongruenz von Vergütungs- und Leistungsanspruch weiterhin dadurch gelockert, dass ein Apotheker selbst bei einer rechtswidrigen Arzneimittelabgabe seinen Vergütungsanspruch nicht verliert, wenn sein Fehler in der Belieferung einer formell nicht ordnungsgemäß ausgestellten Verordnung besteht, sofern der Fehler nur un 238

Boden u. a., PZ 1999, Heft Nr. 24, S. 11 (13); IFA, Erstellung, S. 2. s. die Website der IFA: http://www.ifaffm.de/de/ifa-gmbh/gesellschafter.html. 240 Nach § 300 I Nr. 1, III Nr. 1 SGB V vereinbaren der GKV-Spitzenverband und die maßgebliche Spitzenorganisation der Apotheker ein bundeseinheitliches Arzneimittelkennzeichnen, das unter anderem bei der Abrechnung mit den Krankenkassen anzugeben ist. Vereinbart wurde insoweit, dass jedem Arzneimittel eine siebenstellige Zahl zugewiesen wird, die Pharmazentralnummer (PZN). Die PZN codiert etwa Hersteller, Wirkstoff, Wirkstoff, Wirkstärke und Packungsgröße. Zugeteilt wird die PZN in der Praxis von der IFA GmbH. S.  dazu insgesamt: BeckOK SozR/v. Dewitz, § 131 SGB V Rn. 20; Krauskopf/Knittel, § 131 SGB V Rn. 7. 241 Vgl. BT-Drs. 16/194, S. 11; BSGE 114, 36 (44 f.). 242 BT-Drs. 16/194, S. 11; BSGE 114, 36 (44 f.). 239

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Kap. 3: Die Rechtsbeziehungen bei der Arzneimittelabgabe

bedeutender Natur ist. Darüber hinaus besteht keine Möglichkeit, den Vergütungsanspruch des Apothekers bei einer rechtswidrigen Arzneimittelabgabe aufrechtzuerhalten. Deshalb ist die Annahme der überwiegenden Ansicht243 grundsätzlich zutreffend, dass der Vergütungsanspruch des Apothekers davon abhängt, dass er bei der Arzneimittelabgabe alle für ihn maßgeblichen krankenversicherungsrechtlichen Vorgaben beachtet. 2. Auswirkungen von Verstößen gegen Abrechnungsbestimmungen Ein Verlust des Vergütungsanspruchs kann sich zudem bei Verstößen gegen solche krankenversicherungsrechtliche Vorschriften ergeben, die nicht regeln, unter welchen Voraussetzungen die Arzneimittelabgabe zu erfolgen hat, sondern auf welche Weise die Abrechnung mit den Krankenkassen im Anschluss an die Arzneimittelabgabe durchzuführen ist (sog. Abrechnungsbestimmungen). Abrechnungsbestimmungen sind in der Regel kollektivvertraglichen Ursprungs. Beispielsweise kann die Abrechnung an eine bestimmte Frist gebunden sein.244 Ein Verstoß gegen kollektivvertragliche Abrechnungsbestimmungen kann zunächst Sanktionen nach § 129  IV SGB  V auslösen.245 Daneben sind die Kollektivvertragsparteien zu Regelungen befugt, dass die Verletzung einer Abrechnungsbestimmung zum Entfall des Vergütungsanspruchs führt, obschon der Apotheker die maßgeblichen Abgabevorschriften beachtet und somit grundsätzlich einen Vergütungsanspruch erworben hat.246 Beispielsweise können Ausschlussfristen dazu dienen, das Abrechnungsverfahren zu beschleunigen.247 Allerdings werden im Hinblick auf die Berufsfreiheit der Apotheker strenge Anforderungen an Abrechnungsbestimmungen geknüpft, die den Verlust des Vergütungsanspruchs anordnen. So muss eine Ausschlussfrist differenziert und abgestuft ausgestaltet sein; es wäre unverhältnismäßig, wenn geringfügige oder unvermeidbare Fristversäumnisse den Verlust des Vergütungsanspruchs bewirken könnten.248

VI. Problematische Fälle Die Diskussion, wie die Arzneimittelabgabe an gesetzlich Versicherte zu konstruieren ist, war stets auch davon geprägt, für problematische Situationen, die bei der Arzneimittelabgabe entstehen können, akzeptanzfähige Lösungen zu finden.249 243

s. oben B. V. 1. s. beispielsweise § 12 I ALV Baden-Württemberg; § 6 I ALV Bremen. 245 Vgl. BSG SozR 4-2500 § 129 Nr. 18. 246 BSG SozR 4-2500 § 129 Nr.  3 Rn.  17 f.; zustimmend Krasney/Westhelle, SGb 2007, S. 182 (184). Vgl. allgemein Rixen, S. 128. 247 BSG SozR 4-2500 § 129 Nr. 7 Rn. 16. Vgl. auch BSG SozR 4-2500 § 129 Nr. 3 Rn. 18. 248 BSG SozR 4-2500 § 129 Nr. 3 Rn. 16 ff.; SozR 4-2500 § 129 Nr. 7 Rn. 15 ff. 249 s. jeweils Strehmel, S. 29 ff.; Tauber, S. 138 ff. 244

B. Die rechtliche Konstruktion der Arzneimittelabgabe

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Deshalb soll abschließend untersucht werden, ob das hier vorgeschlagene Konstruktionsmodell der Arzneimittelabgabe an gesetzlich Versicherte solche problematischen Fälle im Vergleich zu den anderen Ansätzen angemessen bewältigen kann. Nach hier vertretener Ansicht schließen Versicherter und Apotheker einen zivilrechtlichen Kaufvertrag, der den Apotheker einseitig zur Aushändigung der verordneten Arznei verpflichtet. Hat der Apotheker bei der Arzneimittelabgabe alle für ihn maßgeblichen krankenversicherungsrechtlichen Vorgaben beachtet, erwirbt er originär einen gesetzesunmittelbaren250, in § 129 SGB  V wurzelnden Vergütungsanspruch gegen die Krankenkasse. In der Rechtsprechung und der Literatur unter Geltung des SGB V finden sich auch folgende Deutungsmodelle für die zwischen Apotheker, Arzt und Versichertem auftretenden Rechtsbeziehungen: Abschluss eines Kaufvertrages zwischen Apotheker und Versichertem, der den Versicherten zur Kaufpreiszahlung verpflichte, wobei die Kaufpreisschuld von der Krankenkasse übernommen werde, weil in § 129 SGB  V eine Schuldübernahme bzw. ein Schuldbeitritt durch die Krankenkasse angeordnet sei  – Abschluss eines Kaufvertrages zugunsten des Versicherten zwischen Krankenkasse und Apotheker unter Einschaltung des Vertragsarztes als Stellvertreter der Krankenkasse – Abschluss eines den Apotheker einseitig verpflichtenden Kaufvertrages zwischen Versichertem und Apotheker und gleichzeitiger Abschluss eines Vertrages zwischen Apotheker und Krankenkasse vermittelt durch den Arzt als Stellvertreter der Krankenkasse, in dem der Vergütungsanspruch des Apothekers begründet wird  – Bestehen eines gesetzlichen Vergütungsanspruchs des Apothekers gegen die Krankenkasse und Bestehen eines gesetzlichen Schuldverhältnisses mit haftungsrechtlichem Inhalt zwischen Apotheker und Versichertem. 1. Verstöße gegen Abgabebestimmungen Eine problematische Konstellation kann zunächst darin liegen, dass ein Apotheker ein Arzneimittel im Widerspruch zu krankenversicherungsrechtlichen Vorschriften abgibt. Als Beispiel kann insoweit der Fall dienen, dass er eine Verordnung beliefert, die von dem Arzt nicht unterschrieben worden ist. In diesem Fall stellt sich die Frage, ob der Apotheker Vergütungsansprüche gegen die Krankenkasse oder Zahlungsansprüche gegen den Versicherten oder den verordnenden Arzt erwerben kann.

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Teilweise werden auch die Kollektivverträge nach § 129 SGB V als Grundlage des Vergütungsanspruchs gesehen (s. oben B. II.). Da im Ergebnis keine Unterschiede gegenüber der gesetzlichen Verankerung des Vergütungsanspruchs bestehen (s. oben B. II.) und sich die Annahme eines gesetzlichen Vergütungsanspruchs als der vorzugswürdigere Weg herausgestellt hat (s. oben B. IV. 3.), wird auf eine nähere Darstellung der Ansichten verzichtet, die den Vergütungsanspruch in den Verträgen des § 129 SGB V verankern.

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Kap. 3: Die Rechtsbeziehungen bei der Arzneimittelabgabe

Nach dem hier vertretenen Konstruktionsmodell der Arzneimittelabgabe erwirbt der Apotheker keinen Vergütungsanspruch gegen die Krankenkasse, weil der gesetzliche Vergütungsanspruch wegen der grundsätzlichen Verknüpfung von Leistungs- und Vergütungsanspruch davon abhängt, dass der Apotheker alle krankenversicherungsrechtlichen Vorgaben für die Arzneimittelabgabe einhält. Weiterhin scheidet auch ein Zahlungsanspruch gegen den Versicherten aus, denn der geschlossene Vertrag verpflichtet nur einseitig den Apotheker, enthält aber keine Zahlungspflicht des Versicherten. Schließlich ist auch ein Schadensersatzanspruch des Apothekers gegen den Arzt nicht ersichtlich, falls bereits der Arzt eine unzulässige Leistung verordnet hat251: Insbesondere unterhalten Arzt und Apotheker mangels einer Nähebeziehung keine „sonstigen geschäftlichen Kontakte“,252 in deren Rahmen Pflichtverletzungen Schadensersatzansprüche nach den Grundsätzen der culpa in contrahendo gemäß §§ 280 I, 311 II Nr. 3 BGB auslösen könnten. Geht man davon aus, dass Apotheker und Versicherter einen herkömmlichen Kaufvertrag schließen, der den Versicherten zur Zahlung verpflichtet, wobei § 129 SGB  V gleichzeitig eine Schuldübernahme bzw. einen Schuldbeitritt durch die Krankenkasse anordnet, ergibt sich Folgendes: Mangels Einhaltung der krankenversicherungsrechtlichen Vorgaben für die Arzneimittelabgabe sind die Voraussetzungen für das Eingreifen der Schuldübernahme bzw. des Schuldbeitritts nicht erfüllt; der Zahlungsanspruch des Apothekers gegen den Versicherten lebt daher im Grunde wieder auf.253 Allerdings erwirbt der Versicherte gegen den Apotheker, der das Arzneimittel schuldhaft nicht im Einklang mit den krankenversicherungsrechtlichen Vorgaben abgibt und dadurch das Eingreifen der Schuldübernahme bzw. des Schuldbeitritts verhindert, einen gegenläufigen Schadensersatzanspruch, der den Apotheker verpflichtet, den Versicherten von seiner Vergütungsforderung freizustellen.254 Da Abgabefehler des Apothekers regelmäßig auf einem Verschulden beruhen,255 wird der Versicherte daher im Ergebnis ebenfalls nicht mit einer Zahlungspflicht belastet. Ansprüche des Apothekers gegen den Arzt werden von dieser Ansicht gleichfalls nicht angenommen. Zu einem Verlust des Vergütungsanspruchs gegen die Krankenkasse gelangen im Ergebnis auch die Ansichten, die den Vergütungsanspruch des Apothekers in einem Kaufvertrag zugunsten des Versicherten oder in einem besonderen Ver 251 Dies ist etwa denkbar, wenn der Arzt ein von der Versorgung nach § 34 SGB V ausgeschlossenes Arzneimittel verordnet hat und der Versorgungsausschluss auch für den ­Apotheker beachtlich ist. 252 Zur Auslegung des Tatbestandsmerkmals „sonstige geschäftliche Kontakte“: BeckOK BGB/Gehrlein/Sutschet, § 311 BGB Rn. 49 f.; Münchener Kommentar BGB/Emmerich, § 311 BGB Rn. 48 f.; Staudinger/Feldmann/Löwisch, § 311 BGB Rn. 105 ff. 253 Dettling, A&R 2005, S. 51 (60); ders., VSSR 2006, S. 1 (21). Unter Geltung der Reichsversicherungsordnung schon Tauber, S. 136. 254 Dettling, A&R 2005, S. 51 (60). Vgl. auch Rehborn, in: Huster/Kaltenborn, § 14 Rn. 11. 255 Vgl. Wesser, A&R 2014, S. 11 (19).

B. Die rechtliche Konstruktion der Arzneimittelabgabe

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gütungs-Vertrag verankern, der zwischen Krankenkasse und Apotheker unter Einschaltung des Arztes als Stellvertreter der Krankenkasse geschlossen wird. Das Vertragsangebot der Krankenkasse wird zum einen als dadurch bedingt angesehen, dass der Apotheker alle gesetzlichen und vertraglichen Abgabevorschriften einhalte.256 Mitunter wird auch danach differenziert, ob der Abgabefehler seinen Ursprung ausschließlich in der Sphäre des Apothekers hat oder ob bereits der Arzt bei seiner Verordnung gegen krankenversicherungsrechtliche Vorgaben verstoßen hat. Liege der Abgabefehler in der Sphäre des Apothekers, beispielsweise weil er entgegen § 129 I 1 Nr. 2 SGB V ein unwirtschaftliches Arzneimittel abgibt, scheitere das Zustandekommen des Vertrages an der von der Krankenkasse aufgestellten Bedingung, dass der Apotheker die für ihn maßgeblichen Vorschriften beachten müsse. Sofern der Fehler aus der Sphäre des Vertragsarztes stamme, etwa weil er die Verordnung formell fehlerhaft ausgestellt habe, fehle dem Arzt bereits die Vertretungsmacht, im Namen der Krankenkasse eine Vertragserklärung abzugeben.257 Auf der Grundlage dieser differenzierenden Betrachtung wäre bei Fehlern aus der Sphäre des Arztes im Grunde weiterhin zu überlegen, ob der Arzt dem Apotheker nach § 179 I BGB wegen Handelns ohne Vertretungsmacht auf Schadensersatz haftet.258 Allerdings dürfte ein solcher Anspruch stets an § 179 III 1 BGB scheitern, wonach der vollmachtlose Vertreter nicht haftet, wenn der andere Teil den Mangel der Vertretungsmacht kannte oder hätte kennen müssen: Von einem Apotheker kann erwartet werden, dass er formell fehlerhafte Verordnungen erkennt.259 Der Apotheker erwirbt somit keinen Schadensersatzanspruch gegen den Arzt. Für Zahlungsansprüche des Apothekers gegen den Versicherten ist keine Grundlage ersichtlich. Im Ergebnis bestehen zwischen den verschiedenen Konstruktionsansätzen daher keine Unterschiede für den Fall, dass ein Apotheker Arzneimittel im Widerspruch zu gesetzlichen Vorgaben abgibt. Der Apotheker erwirbt weder einen Vergütungsanspruch gegen die Krankenkasse noch gegen den Versicherten; ebenso besteht kein Schadensersatzanspruch gegen den Arzt. 2. Arzneimittelabgabe auf Kassenrezept an Nichtversicherte Es sind weiterhin Konstellationen denkbar, in denen ein Patient ein Kassenrezept vorlegt, obwohl er nicht gesetzlich versichert ist, und der Apotheker das Rezept in dem Glauben beliefert, einen gesetzlich Versicherten vor sich zu haben, und 256 In Bezug auf die Konstruktion eines Vertrages zugunsten Dritter: BSGE 94, 213 (216); 97, 23 (28); BSG SozR 4-2500 § 129 Nr. 2 Rn. 21. 257 Vgl. Eichenhofer/Wenner/Armbruster, § 129 SGB V Rn. 72; s. auch Strehmel, S. 35. – Zur Konstruktion eines vollmachtlosen Vertragsschlusses vgl. auch Butenschön, S. 111 ff. 258 Vgl. Eichenhofer/Wenner/Armbruster, § 129 SGB V Rn. 72. 259 Für die Heilmittelversorgung LSG Baden-Württemberg, Urt. v. 26.10.2010, L 11 KR 1322/09, Rn. 21 (juris).

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Kap. 3: Die Rechtsbeziehungen bei der Arzneimittelabgabe

folglich von dem Patienten keine Vergütung verlangt. Solche Situationen können entstehen, wenn ein Vertragsarzt einem nicht gesetzlich Versicherten irrtümlich ein Kassenrezept ausgestellt hat oder wenn die Versicherteneigenschaft des Patienten zwischen Ausstellung und Einlösung des Rezepts entfallen ist. Insoweit stellt sich die Frage, ob der Apotheker einen Vergütungsanspruch gegen die auf dem Rezept bezeichnete Krankenkasse erwerben kann. Verankert man den Vergütungsanspruch des Apothekers im Gesetz, also in § 129 SGB V selbst, ist dies im Grunde zu verneinen, und zwar unabhängig davon, ob man in § 129 SGB V die Grundlage eines originären Vergütungsanspruchs gegen die Krankenkasse oder die Anordnung eines Schuldbeitritts bzw. einer Schuldübernahme seitens der Krankenkasse sieht: Da die Entstehung eines gesetzlichen Vergütungsanspruchs voraussetzt, dass ein Apotheker einen Versicherten ordnungsgemäß mit Arzneimitteln versorgt hat, kann die Versorgung eines nicht gesetzlich versicherten Patienten keinen Zahlungsanspruch gegen die in der Verordnung genannte Krankenkasse auslösen260. Unter Zugrundelegung der Ansichten, die den Vergütungsanspruch des Apothekers in einem Vertrag zugunsten des Versicherten oder in einem VergütungsVertrag verorten, der zwischen dem Apotheker und der Krankenkasse unter Einschaltung des Arztes als Stellvertreter der Krankenkasse geschlossen wird, lässt sich jedoch möglicherweise ein Vergütungsanspruch des Apothekers unter Rekurs auf eine Argumentation Strehmels begründen. Bereits unter Geltung der Reichsversicherungsordnung hatte Strehmel den Vergütungsanspruch des Apothekers in einem durch den Arzt als Stellvertreter der Krankenkasse mit dem Apotheker geschlossenen Vertrag verortet. Strehmel argumentiert, dass ein Kassenarzt zwar keine Vertretungsmacht habe, Kassenrezepte für Nichtversicherte auszustellen. Der kassenärztliche Rezeptvordruck, den der Arzt von der Krankenkasse erhalte, stelle aber eine Vollmachtsurkunde im Sinne von § 172 BGB dar. Nach §§ 172, 173 BGB kann sich der Aussteller einer Vollmachtsurkunde nicht darauf berufen, dass er die in der Urkunde bezeichnete Person in Wahrheit nicht bevollmächtigt hat, wenn der andere Teil den Mangel der Bevollmächtigung nicht kennt und auch nicht kennen muss. Strehmel ist aus diesem Grund der Ansicht, dass der verordnende Arzt als zur Vertretung der Kasse berechtigt zu gelten habe, sofern der Apotheker ohne Fahrlässigkeit darauf vertraue, dass der bei ihm vorstellige Patient gesetzlich versichert sei.261 260

Der Vergütungsanspruch wird vorliegend nicht etwa deshalb aufrechterhalten, weil Apotheker hinsichtlich der Versicherteneigenschaft keine Prüfungspflicht träfe [vgl. dazu oben B. V. 1. c)]. – Wenn in § 15 III SGB V vorgesehen ist, dass eine Krankenkasse ihren Versicherten Berechtigungsscheine ausstellen kann, damit diese gegenüber nichtärztlichen Leistungserbringern ihre Versicherteneigenschaft nachweisen können, zeigt dies, dass das Krankenversicherungsrecht das Fehlen der Versicherteneigenschaft für grundsätzlich beachtlich hält. Zu den von § 15 III SGB V erfassten Leistungserbringern zählen auch die Erbringer ärztlich verordneter Leistungen (vgl. für die Heilmittelversorgung Hauck/Noftz/Noftz, § 15 SGB V Rn. 27). 261 Strehmel, S. 44 ff.

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Gegen diese Argumentation spricht aber, dass sie die Schutzwirkung von Vollmachtsurkunden überdehnt. Wenn bekannt ist, dass eine Person nur unter bestimmten Voraussetzungen zum Auftreten als Stellvertreter ermächtigt ist, erzeugt eine ausgestellte Vollmachtsurkunde keinen Vertrauensschutz dafür, dass im konkreten Einzelfall die Voraussetzungen vorliegen, an die das Bestehen von Vertretungsmacht geknüpft ist.262 Übertragen auf den vorliegenden Fall bedeutet dies Folgendes: Dem Apotheker ist – wenngleich er nicht erkennen kann, ob der konkrete Patient, der ihn aufgesucht hat, tatsächlich gesetzlich versichert ist – immerhin bewusst, dass die Krankenkasse den Vertragsarzt nur zur Ausstellung von Verordnungen für gesetzlich Versicherte ermächtigt hat. Die Vertretungsmacht des Arztes wäre somit für den Apotheker erkennbar auf die Ausstellung von Rezepten für gesetzlich Versicherte begrenzt. Die Überlassung von Kassenrezepten an einen Arzt kann daher allenfalls einen Rechtsschein erzeugen, dass der Arzt „an sich“ zur Vertretung der Krankenkasse befugt ist, nicht aber dafür, dass die Patienten, denen er eine Verordnung ausstellt, tatsächlich gesetzlich versichert sind. Somit kann ein Vergütungsanspruch des Apothekers nicht mithilfe der §§ 172, 173 BGB begründet werden. Um dem Apotheker in dieser Situation dennoch einen Vergütungsanspruch gegen die Krankenkasse zu verschaffen, muss ein anderer Ansatzpunkt gewählt werden. Dieser Ansatzpunkt ist davon unabhängig, wie man die bei der Arznei­ mittelabgabe auftretenden Rechtsbeziehungen im Einzelnen rechtlich deutet, denn er beruht auf allgemeinen krankenversicherungsrechtlichen Erwägungen. Problematisch an der Versagung eines Vergütungsanspruchs in der dargestellten Situation erscheint letztlich, dass ein Apotheker – wie allgemein sämtliche Erbringer ärztlich veranlasster Leistungen – kaum Möglichkeiten hat, den Versichertenstatus eines bei ihm vorstelligen Patienten zu überprüfen: Nur Vertragsärzte sind nach §§ 15 II, 291 I 5 SGB V berechtigt und verpflichtet, von den Versicherten durch Vorlage der Versichertenkarte den Nachweis von deren Kassenzugehörigkeit zu verlangen.263 Für Ärzte hat die Versichertenkarte damit Vertrauensschutzfunktion;264 nur soweit dem Arzt der fehlende Versichertenstatus bekannt ist, entfällt der Vertrauensschutz.265 Alle anderen Leistungserbringer erhalten dagegen nur von bestimmten abrechnungsrelevanten Daten insoweit Kenntnis, als diese Daten gemäß § 291 II SGB V auf das Verordnungsblatt aufgedruckt werden.266 Im

262

Vgl. in Bezug auf die abredewidrige Durchführung der analog § 172 BGB behandelten offenen Blankettausfüllung Canaris, S. 59; Wolf/Neuner, § 50 Rn. 104. 263 BSG SozR 3-2500 § 19 Nr. 2 (S. 7); BSG SozR 4-2500 § 112 Nr. 2 Rn. 18; BSG, NZS 2004, 590 (593); BSGE 101, 33 (39). Vgl. auch Korthus, KH 2009, S. 145 f. 264 BT-Drs. 11/3480, S. 68 f.; Kasseler Kommentar/Leopold, § 291 SGB V Rn. 2; Krauskopf/ Waschull, § 291 SGB V Rn. 8. 265 Vgl. Krauskopf/Waschull, § 219 SGB V Rn. 8. 266 Dazu und zu den Daten, die aufgedruckt werden können: Hauck/Noftz/Luthe, § 291 SGB V Rn. 16 ff., 41; Kasseler Kommentar/Leopold, § 291 SGB V Rn. 13 ff.

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Kap. 3: Die Rechtsbeziehungen bei der Arzneimittelabgabe

Übrigen können sie sich aber grundsätzlich267 nicht selbst über den Versichertenstatus eines Patienten vergewissern.268 Teilweise wird wegen der eingeschränkten Möglichkeit des Apothekers, den Versichertenstatus des bei ihm vorstelligen Patienten zu prüfen, angenommen, dass er ex lege einen Vergütungsanspruch gegen die in der Verordnung bezeichnete Krankenkasse erwerbe, wenn er einen nicht gesetzlich versicherten Patienten gegen Vorlage eines Kassenrezepts mit einem Arzneimittel versorgt.269 Die Rechtsprechung hält es aufgrund der fehlenden Überprüfungsmöglichkeit ebenfalls für gerechtfertigt, dass einem nichtärztlichen Leistungserbringer eine Vergütung gewährt wird, wenn er gegen Vorlage eines Kassenrezepts einen nicht gesetzlich versicherten Patienten versorgt; erforderlich sei aber, dass ein solcher Anspruch in einem leistungserbringungsrechtlichen Vertrag vereinbart sei.270 Die Ansicht der Rechtsprechung hat zur Folge, dass Apotheker bei der Versorgung nicht gesetzlich versicherter Patienten nur dann einen Vergütungsanspruch gegen die im Rezept bezeichnete Krankenkasse erwerben können, wenn im Rahmenvertrag oder den ergänzenden Verträgen auf Landesebene ein solcher Anspruch geregelt ist. Die Ansicht der Rechtsprechung ist vorzugswürdig: Für die Notwendigkeit einer vertraglichen Regelung zur Begründung von Vergütungsansprüchen bei der Versorgung nicht gesetzlich Versicherter und gegen einen Anspruch ex lege spricht, dass im Krankenhausbereich § 112 SGB V ausdrücklich vorsieht, dass der Sicherstellungsvertrag das Nähere zur Aufnahme von Patienten regelt; zum „Näheren über die Aufnahme von Patienten“ können auch Vertrauensschutzregelungen zählen.271 Apotheker erwerben somit unabhängig von der vertretenen rechtlichen Deutung der Arzneimittelabgabe einen Vergütungsanspruch, wenn sie auf Kassenrezept Arzneimittel an nicht gesetzlich versicherte Patienten abgeben, sofern ihnen in einem ergänzenden Vertrag oder im Rahmenvertrag ein Vergütungsanspruch für diesen Fall eingeräumt wird. Der Rahmenvertrag formuliert einen solchen Anspruch nicht. Jedoch sind in den ergänzenden Verträgen auf Landesebene Regelungen enthalten, die Apothekern Vergütungsansprüche einräumen, wenn sie nicht gesetzlich versicherte Patienten gegen Vorlage eines Kassenrezepts versorgen.272

267 Nach § 15 III SGB V steht es im freien Ermessen der Krankenkassen, ihren Versicherten Berechtigungsscheine auszustellen, um gegenüber nichtärztlichen Leistungserbringern ihren Versichertenstatus nachzuweisen. Solche Berechtigungsscheine wären funktionsäquivalent zur Versichertenkarte, Hauck/Noftz/Noftz, § 15 SGB V Rn. 27; jurisPK-SGB V/Didong, § 15 SGB V Rn. 31. 268 Vgl. BSG SozR 3–2500 § 19 Nr. 2 (S. 7 f.). 269 Tauber, S. 152 f. Vgl. auch Hauck/Noftz/Noftz, § 15 SGB V Rn. 27, 17. 270 Für Heilmittelerbringer vgl. BSG SozR 3-2500 § 19 Nr. 2 (S. 6 f.). 271 BSG SozR 4-2500 § 112 Nr. 2 Rn. 19 f.; BSGE 101, 33 (40). 272 s. beispielsweise § 3 VI 5 ALV Baden-Württemberg; § 3 III 1 ALV Bremen; § 3 IV 1 ALV Hessen; § 3 VII ALV Sachsen. Es heißt dort jeweils, dass Apotheker zur Überprüfung des Versichertenstatus nicht verpflichtet sind.

B. Die rechtliche Konstruktion der Arzneimittelabgabe

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3. Belieferung gefälschter oder manipulierter Verordnungen Ebenfalls ein Verlustrisiko birgt für Apotheker die Situation, dass ein Versicherter die für ihn ausgestellte Verordnung unbemerkt manipuliert hat oder dass ein nicht gesetzlich versicherter Patient ein gefälschtes Kassenrezept vorlegt. Nach allen Modellen für die rechtliche Konstruktion der Arzneimittelabgabe kann ein Apotheker in diesem Fall im Grunde keinen Vergütungsanspruch erwerben: Ein gesetzesunmittelbarer Vergütungsanspruch käme nicht zur Entstehung, weil der Apotheker mit der Arzneimittelabgabe keinen gegen die in der Verordnung bezeichnete Kasse gerichteten Leistungsanspruch erfüllt. Unter Zugrundelegung einer individualvertraglichen Konstruktion des Vergütungsanspruchs – sei es in Form eines Vertrags zugunsten des Versicherten oder eines Vergütungs-Vertrags zwischen Krankenkasse und Apotheker – würde es an einer Willenserklärung der Krankenkasse fehlen, weil die Verordnung nicht von einem vertretungsberechtigten Vertragsarzt herrührt. Die ergänzenden Verträge auf Landesebene sehen gleichwohl vor, dass Apotheker in der geschilderten Situation einen Vergütungsanspruch erwerben, sofern die Manipulation oder Fälschung nicht bemerkbar war.273 Solche Regelungen wider­ sprechen zwar dem Grundsatz, dass Vergütungsansprüche das Korrelat für die Erfüllung bestehender Sachleistungsansprüche darstellen, doch ist dieser Grundsatz Ausnahmen zugänglich.274 Gegen die Zulässigkeit von Bestimmungen, die Vergütungsansprüche bei Rezeptfälschungen gewähren, wird eingewandt, dass so das Betrugsrisiko, das im Geschäftsleben jeden treffen könne, vom Leistungserbringer auf die Krankenkassen verlagert werde.275 Allerdings hat der Apotheker die gefälschten Rezepte nur deshalb beliefert, ohne von dem die Verordnung vorlegenden Patienten zugleich eine Vergütung zu verlangen, weil er an der Versorgung gesetzlich Versicherter teilnimmt und eine Sachleistung mit Wirkung für die in dem Rezept bezeichnete Krankenkasse erbringen wollte. Die Vertragsbestimmungen federn insoweit ein mit dem Sachleistungssystem spezifisch verbundenes Risiko ab.276 Aus diesem Grund sind diese Vertragsbestimmungen zulässig.277

273

s. beispielsweise § 3 VIII ALV Baden-Württemberg; § 3 VI ALV Bremen; § 4 X ALV Niedersachsen; § 3 XV ALV Sachsen. 274 s. oben B. IV. 1. c), d). 275 Krauskopf/Nusser, § 125 SGB V Rn. 125, in Bezug auf die Heilmittelerbringung. Offengelassen in Bezug auf die Heilmittelerbringung von BSG SozR 3-2500 § 19 Nr. 2 (S. 9). 276 Vgl. Kühl, S. 110. S. zu diesem Risiko auch BSG SozR 3-2500 § 19 Nr. 2 (S. 7 f.). 277 Das Bundessozialgericht geht in der Entscheidung BSGE 105, 157 (164 ff.) erkennbar von der Zulässigkeit derartiger Regelungen aus, da in der Entscheidung geprüft wird, ob der betroffene Apotheker die Tatbestandsvoraussetzungen einer solchen Regelung erfüllt.

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Kap. 3: Die Rechtsbeziehungen bei der Arzneimittelabgabe

4. Festbetragsüberschreitungen Besteht für ein Arzneimittel ein Festbetrag, ist die Krankenkasse nur zur Kostenübernahme bis zur Höhe des Festbetrages verpflichtet.278 Der Vergütungsanspruch des Apothekers gegen die Krankenkasse ist in diesem Fall nach § 31 II SGB V auf die Leistung des Festbetrags begrenzt; die Tragung der Mehrkosten erfolgt durch den Versicherten.279 Auf die Pflicht zur Übernahme der Mehrkosten hat bereits der Arzt den Versicherten hinzuweisen, wenn er ein Arzneimittel verordnet, das den Festbetrag übersteigt.280 Wie der Zahlungsanspruch des Apothekers gegen den Versicherten in Höhe der Mehrkosten rechtlich im Einzelnen zur Entstehung kommt, bedarf jedoch näherer Betrachtung. Unter Zugrundelegung des hier vertretenen Ansatzes, wonach Apotheker und Versicherter einen den Apotheker einseitig verpflichtenden Kaufvertrag abschließen und der Vergütungsanspruch des Apothekers gegen die Krankenkasse sich aus dem Gesetz ergibt, erfolgt die Mehrkostentragung durch den Versicherten, indem der Vertragsinhalt modifiziert wird, wenn das verordnete Arzneimittel den Festbetrag übersteigt. In Höhe des Mehrbetrages wird dann eine eigene Zahlungspflicht des Versicherten gegenüber dem Apotheker vereinbart.281 Dem entspricht, dass nach § 630a I BGB auch der Behandlungsvertrag zwischen gesetzlich Versichertem und Leistungserbringer nur einseitig verpflichtend abgeschlossen wird, „soweit“ die Krankenkasse zur Kostentragung verpflichtet ist. Ein Vertrag zwischen Apotheker und Versichertem unter Einschluss einer Zahlungspflicht des Versicherten kommt zustande, indem der Apotheker von dem Versicherten im Zuge der Arzneimittelabgabe die Zahlung der Mehrkosten verlangt und der Versicherte in die Zahlung einwilligt. Zu einem vergleichbaren Ergebnis würde die Ansicht gelangen, die davon ausgeht, dass Versicherter und Apotheker einen den Apotheker einseitig verpflichtenden Vertrag schließen und dass der Vergütungsanspruch des Apothekers gegen die Krankenkasse aus einem Vergütungs-Vertrag folge, der bei der Arzneimittel-

278

Zur Festbetragsregelung und zur Wirkweise der Festbeträge s. bereits oben Kapitel 1 B. III. 3. 279 Becker/Kingreen/Axer, § 31 SGB V Rn. 36; Becker/Kingreen/Scholz, § 12 SGB V Rn. 11; BeckOK SozR/Joussen, § 12 SGB V Rn. 11; Wodarz, in: Handbuch des Krankenversicherungsrechts, § 27 Rn. 27. 280 § 73 V 3 SGB V. 281 Vgl. Schmitt, Leistungserbringung, S. 237, und Wigge, NZS 1999, S. 584 (586), bezogen auf die Abwicklung der Zuzahlung vor Einführung des heutigen § 43c SGB V. § 43c I SGB V ordnet mittlerweile ausdrücklich an, dass Leistungserbringer die Zuzahlungen für die Krankenkasse einziehen und mit ihrem Vergütungsanspruch gegen die Krankenkasse verrechnen. Inhaberin des Zuzahlungsanspruchs ist somit die Krankenkasse (Becker/Kingreen/Sichert, § 43c SGB V Rn. 5). Schmitt und Wigge erwägen jedoch unter Geltung der damaligen Rechtslage noch einen eigenen Anspruch des Apothekers gegen den Versicherten auf Entrichtung der Zuzahlung an ihn: Schmitt, Leistungserbringung, S. 237; Wigge, NZS 1999, S. 584 (587).

B. Die rechtliche Konstruktion der Arzneimittelabgabe

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abgabe zwischen Krankenkasse und Apotheker geschlossen werde: In Höhe der Mehrkosten würde der Versicherte ausnahmsweise eine eigene Zahlungspflicht vereinbaren, während sich die Krankenkasse in dem Vergütungs-Vertrag alleine zur Zahlung des Festbetrages verpflichten würde. Dabei wären Krankenkasse und Versicherter als Teilschuldner anzusehen.282 Die Ansicht, dass Versicherter und Apotheker einen Kaufvertrag schließen, der den Versicherten zur Zahlung des Arzneimittelabgabepreises verpflichtet, und dass in Höhe des krankenversicherungsrechtlichen geschuldeten Leistungsumfangs eine gesetzliche Schuldübernahme bzw. ein Schuldbeitritt seitens der Krankenkasse eingreift,283 würde ebenfalls zu einem vertraglichen Zahlungsanspruch des Apothekers gegen den Versicherten gelangen: Soweit das Arzneimittel den Festbetrag übersteigt, greifen Schuldübernahme bzw. Schuldbeitritt nicht ein, sodass in Höhe des Mehrbetrags die vertragliche Zahlungspflicht des Versicherten gegenüber dem Apotheker bestehen bleibt.284 Geht man dagegen davon aus, dass Versicherter und Apotheker bei der Arzneimittelabgabe keinen Vertrag schließen  – entweder weil der Versicherte als Begünstigter eines zwischen Apotheker und Kasse geschlossenen Vertrages zu­ gunsten Dritter gesehen wird oder weil davon ausgegangen wird, dass der Apotheker Inhaber eines gesetzlichen Vergütungsanspruchs gegen die Krankenkasse sei und dass gleichzeitig zwischen Apotheker und Versichertem nur ein gesetzliches Schuldverhältnis bestehe –, scheint eine vertragliche Begründung der Pflicht des Versicherten zur Mehrkostentragung dagegen schwieriger. Es könnte zwar angenommen werden, dass Versicherter und Apotheker in diesem Fall ausnahmsweise selbst in vertragliche Beziehungen treten und eine Zahlungspflicht des Versicherten im Hinblick auf die Mehrkosten vereinbaren, während die Krankenkasse zur Zahlung des Arzneimittelabgabepreises bis zur Höhe des Festbetrags verpflichtet bleibt.285 Damit würde aber die Grund-Annahme preisgegeben, dass Versicherter und Apotheker keinen Vertrag schließen, sondern der Versicherte nur aus einem von der Krankenkasse geschlossenen Vertrag berechtigt ist bzw. dass zwischen Apotheker und Versichertem nur ein gesetzliches Schuldverhältnis besteht. Ohne Zugrundelegung eines Vertragsschlusses zwischen Apotheker und Versichertem ließe sich die Pflicht des Versicherten zur Mehrkostentragung zwar begründen, wenn man annähme, dass die Zahlungspflicht des Versicherten bereits unmittelbar im SGB V verankert ist, indem § 31 II 1 SGB V regelt, dass die Krankenkasse die Arzneimittel nur in Höhe des Festbetrages

282 Vgl. dazu im Hinblick auf die Heil- und Hilfsmittelversorgung: Heinze, VSSR 1991, S. 1 (21); BSG SozR 4-2500 § 33 Nr. 17 Rn. 15. 283 s. oben B. III. 284 Vgl. Dettling, VSSR 2006, S. 1 (13 f., 18 ff.). 285 Angedeutet in BSG SozR 4-2500 § 129 Nr. 2 Rn. 20, als das BSG die Arzneimittelabgabe noch auf der Grundlage eines Vertrages zugunsten Dritter konstruierte. – Vgl. in Bezug auf die Versorgung mit Heil- und Hilfsmitteln Heinze, VSSR 1991, S. 1 (21).

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Kap. 3: Die Rechtsbeziehungen bei der Arzneimittelabgabe

bezahlt.286 Gegen diese Lösung spricht aber, dass die Vorschriften über Festbeträge vor allem das Verhältnis Versicherter  – Krankenkasse betreffen, indem sie Beschränkungen des Leistungsanspruchs regeln. Eine Zahlungspflicht des Versicherten gegenüber dem Apotheker lässt sich ihnen deshalb nicht entnehmen. Die Ansichten, die grundsätzlich einen Vertragsschluss zwischen Versichertem und Apotheker ablehnen, müssten daher unter Aufgabe ihrer GrundAnnahme ausnahmsweise einen Vertrag zwischen Versichertem und Apotheker bejahen. Innerhalb derjenigen Ansätze, wonach Versicherter und Apotheker einen sozialrechtlich überlagerten Kaufvertrag schließen, lässt sich die Pflicht des Versicherten zur Mehrkostentragung bei Bestehen eines Festbetrages daher konsistenter begründen. 5. Zwischenergebnis Es hat sich gezeigt, dass bei der Arzneimittelabgabe verschiedene problema­ tische Situationen entstehen können, die in erster Linie den Vergütungsanspruch des Apothekers betreffen. Konstruktionsmodelle, wonach Versicherter und Apotheker einen sozialrechtlich überlagerten Kaufvertrag schließen, können insbesondere die Fälle, in denen das abgegebene Arzneimittel einen bestehenden Festbetrag überschreitet, stimmiger bewältigen. Innerhalb der Modelle, die von einem Vertragsschluss zwischen Versichertem und Apotheker ausgehen, ist – dies wurde bereits oben dargelegt287 – der hier vertretene Ansatz vorzugswürdig, der von einem einseitig verpflichtenden Vertrag zwischen Apotheker und Versichertem und einem gesetzesunmittelbaren, originären Vergütungsanspruch des Apothekers gegen die Krankenkasse ausgeht. Dadurch wird nicht nur ein Gleichlauf mit den in § 630a BGB angesprochenen Leistungsbereichen hergestellt, in denen Leistungen der Krankenbehandlung erbracht werden, sondern es werden auch in den Fällen, in denen ein Versicherter nicht mehr vertragsschluss-, aber noch handlungsfähig ist, stimmigere Lösungen erreicht als unter der Zugrundelegung von Schuldübernahmekonstruktionen oder eines Vergütungs-Vertrags zwischen Krankenkasse und Apotheker.

286 Vgl. Hauck/Noftz/Klückmann, § 73 SGB V Rn. 33, der als Anspruchsgrundlage des Apothekers gegen den Versicherten im Hinblick auf die Mehrkosten „§§ 31 II i. V. m. 12 II SGB V“ nennt. Vgl. für die Zuzahlung zu Hilfsmitteln nach alter Rechtslage BSG SozR 4-2500 § 33 Nr.  14 Rn.  24 („Anspruch nach § 33  II  3 SGB V a. F. gegen den Versicherten“). Vgl. auch­ Natter, S. 114. 287 s. oben B. IV.

C. Vergütungsrechtliche Folgen

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C. Vergütungsrechtliche Folgen einer krankenversicherungsrechtswidrigen Arzneimittelabgabe – Die Retaxation auf Null Nachdem ein Apotheker ein Arzneimittel abgegeben hat, muss er die belieferte Verordnung bei der Krankenkasse des Versicherten einreichen, um seine Vergütung zu erhalten.288 Die Krankenkasse kontrolliert die Forderung des Apothekers auf ihre rechnerische Richtigkeit.289 Überprüft wird beispielsweise, ob der Apotheker den Abgabepreis des Arzneimittels richtig angegeben und die gesetzlichen Abschläge korrekt in Ansatz gebracht hat.290 Bei Feststellung einer rechnerischen Unrichtigkeit wird die Forderung auf den korrekten Betrag berichtigt (sog. Retaxation oder Retaxierung).291 Weiterhin prüft die Krankenkasse die Vergütungsforderung in sachlicher Hinsicht292 und somit daraufhin, ob bei der Arzneimittelabgabe die maßgeblichen krankenversicherungsrechtlichen Vorgaben beachtet wurden.293 Stellt sich heraus, dass krankenversicherungsrechtliche Vorgaben verletzt wurden, geht die Rechtsprechung grundsätzlich davon aus, dass die Krankenkasse berechtigt ist, die Bezahlung der Vergütung zu verweigern und eine zwischenzeitlich schon bezahlte Vergütung zurückzufordern. Zugleich lehnt sie das Bestehen anderweitiger Ansprüche des Apothekers ab. Insbesondere verneint die Rechtsprechung die Existenz eines Bereicherungsanspruchs des Apothekers, an den gedacht werden könnte, sofern die Krankenkasse infolge der fehlerhaften Arzneimittelabgabe Kosten für eine den krankenversicherungsrechtlichen Vorgaben entsprechende Arzneimittelabgabe erspart hat.294 Es kommt dadurch zur sog. Retaxation auf Null. Der Apotheker erleidet dabei einen Verlust in Höhe des Einkaufspreises des abgegebenen Arzneimittels.295 Die Rechtsprechung hat sich vielfach mit Fallkonstellationen für Retaxationen auf Null befasst. Gegenstand bundessozialgerichtlicher Entscheidungen waren bislang etwa der Einzelimport eines nicht in Deutschland zugelassenen Arzneimittels im Widerspruch zu § 73 AMG,296 der Verstoß gegen einen kollektivvertraglich geregelten Genehmigungsvorbehalt für Arzneimittelimporte nach § 73 AMG,297 eine 288

§ 300 I SGB V. s. beispielsweise § 17 I ALV Baden-Württemberg; § 16 I ALV Hessen. 290 Dettling/Altschwager, S. 23; Wesser, A&R 2010, S. 205 (206 f.). 291 Wesser, A&R 2010, S. 205 (206). 292 § 17 I ALV Baden-Württemberg; § 16 I ALV Hessen; § 10 I ALV Niedersachsen. 293 Wesser, A&R 2010, S. 205 (206 f.); BSG SozR 4-2500 § 129 Nr. 1 Rn. 16; SozR 4-2500 § 129 Nr. 2 Rn. 30. 294 BSGE 94, 213 (216 ff.); 106, 303 (307 ff.); BSG SozR 4-2500 § 129 Nr. 1 Rn. 13 ff.; SozR 4-2500 § 129 Nr. 9 Rn. 10 ff.; SozR 4-2500 § 129 Nr. 11 Rn. 15 ff. S. auch die Darstellung der Rechtsprechung bei Dettling/Altschwager, S. 27 ff. 295 Dettling/Altschwager, S. 98. 296 BSGE 94, 213 ff. 297 BSGE 106, 303 ff. Zur problematischen Zulässigkeit solcher Vorbehalte s. oben Kapitel 2 B. I. 4. a). 289

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Kap. 3: Die Rechtsbeziehungen bei der Arzneimittelabgabe

Verletzung der Pflicht zur Abgabe wirtschaftlicher Einzelmengen nach § 129 I 1 Nr.  3 SGB  V,298 die Nicht-Abgabe eines Rabattarzneimittels entgegen § 129  I  1 Nr. 1, S. 3 SGB V299 sowie die Abgabe von Zytostatika trotz Bestehens eines Exklusiv-Liefervertrages nach § 129 V 3 SGB V a. F. zugunsten einer anderen Apotheke300. Nicht näher wurde hingegen, soweit ersichtlich, in der bundessozialgerichtlichen Rechtsprechung ein Verstoß gegen die Pflicht zur Abgabe eines preisgünstigen wirkstoffgleichen Arzneimittels nach § 129 I 1 Nr. 1, S. 5 SGB V behandelt. Aufgrund der Nähe der Pflicht zur Abgabe preisgünstiger Arzneimittel zu den Verpflichtungen, Arzneimittel in wirtschaftlichen Einzelmengen und Rabattarzneimittel vorrangig abzugeben, erscheint es möglich, dass die Rechtsprechung ebenfalls von einer Retaxation auf Null ausgehen würde. Die Retaxation auf Null, insbesondere ihre Zulässigkeit, wird im Folgenden näher untersucht.

I. Entfall des Vergütungsanspruchs und Erstattungspflicht des Apothekers Unproblematisch ist in Bezug auf die Retaxation auf Null, dass einem Apotheker, der ein Arzneimittel im Widerspruch zu krankenversicherungsrechtlichen Vorgaben abgibt, der primäre, aus § 129 I SGB V folgende Vergütungsanspruch versagt wird. Dass einem Apotheker in diesem Fall grundsätzlich kein primärer Vergütungsanspruch erwächst, wurde bereits dargelegt.301 Aus diesem Grund verweigert die Krankenkasse dem Apotheker die Auszahlung der Vergütung zu Recht und es steht ihr außerdem ein Anspruch auf Rückzahlung einer bereits gezahlten Vergütung gegen den Apotheker zu. Fraglich ist, auf welche Anspruchsgrundlage der Rückforderungsanspruch der Krankenkasse zu stützen ist. Anspruchsgrundlage könnte einerseits der allgemeine öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch sein, der der Rückgängigmachung rechtsgrundloser Vermögensverschiebungen im Rahmen öffentlich-rechtlicher Rechtsbeziehungen dient.302 Andererseits kommt eine Rückabwicklung in entsprechender Anwendung des Bereicherungsrechts nach § 69 I 3 SGB V i. V. m. §§ 812 ff. BGB in Betracht.303 Die Rechtsprechung differenziert schließlich:304 298

BSG SozR 4-2500 § 129 Nr. 1. BSG SozR 4-2500 § 129 Nr. 9. 300 BSG SozR 4-2500 § 129 Nr. 11. 301 s. oben B. V. 1. a). 302 Zum allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch s. Ossenbühl/Cornils, S. 530 ff.; Wienhues, in: Baldus/Grzeszick/Wienhues, Rn. 533 ff.; Schoch, Jura 1994, S. 82 ff. 303 So Dettling/Altschwager, S. 62; Rixen, S. 222 f.; Becker/Kingreen/Becker/Kingreen, § 69 SGB V Rn. 42; Spickhoff/Nebendahl, § 69 SGB V Rn. 16; Krieger/Penner, SGb 2015, S. 607 (612); SG Mainz, Urt. v. 4.6.2014, S 3 KR 645/13, Rn. 38 f. (juris). Vgl. auch Krasney/Westhelle, SGb 2007, S. 182 (185). 304 Kritisch gegenüber dieser Differenzierung Hauck/Noftz/Becker, § 61 SGB X Rn.  130; Krasney/Westhelle, SGb 2007, S. 182 (184); Schimmelpfeng-Schütte, GesR 2006, S. 529 (535). 299

C. Vergütungsrechtliche Folgen

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Den Rückzahlungsanspruch der Krankenkasse verankert sie im allge­meinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch,305 während sie als Grundlage für einen möglichen gegenläufigen Bereicherungsanspruch des Apothekers § 69 I 3 SGB V i. V. m. §§ 812 ff. BGB prüft.306 Für die Anwendung des allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs und gegen eine Rückabwicklung nach § 69 I 3 SGB V i. V. m. §§ 812 ff. BGB könnte sprechen, dass häufig angenommen wird, dass die §§ 812 ff. BGB ausgenommen seien, wenn öffentlich-rechtliche Vorschriften wie § 69  I  3 SGB  V307 „das Bürgerliche Recht“ für entsprechend anwendbar erklären.308 Viele Regelungen der §§ 812 ff. BGB seien zivilrechtsspezifisch und auf das öffentliche Recht nicht übertragbar. So steht der Berufung auf Entreicherung nach § 818 III BGB der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung entgegen.309 Als zivilrechtsspezifisch wird außerdem der Bereicherungsausschluss bei Leistung in Kenntnis der Nichtschuld nach § 814 BGB310 und bei Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot nach § 817 S. 2 BGB311 angesehen. Dass bestimmte Vorschriften des Bereicherungsrechts mit Grundgedanken des öffentlichen Rechts nicht vereinbar sind, gebietet indessen nicht unbedingt, das Bereicherungsrecht von dem Verweis in § 69 I 3 SGB V vollständig auszunehmen. § 69 I 3 SGB V verweist nur „entsprechend“ auf das Bürgerliche Recht, was eine modifizierte Anwendung des Bürgerlichen Rechts ermöglicht.312 Es ist dadurch

305 BSG SozR 4-2500 § 129 Nr. 2 Rn. 19; BSGE 97, 23 (25 f.); BSG SozR 4-2500 § 130a Nr. 4 Rn. 9; BSGE 105, 157 (160); 106, 303 (305); BSG SozR 4-2500 § 129 Nr. 7 Rn. 12; SozR  4-2500 § 129 Nr.  25.  – Für die Krankenhausvergütung vgl. jeweils BSG, Urt. v. 24.1.2008, B 3 KR 6/07 R, Rn. 27 (juris); BSG SozR 4-5560 § 17c Nr. 3 Rn. 33. 306 BSGE 94, 213 (220); BSG SozR 4-2500 § 129 Nr. 9 Rn. 25 f.; vgl. auch BSG SozR 4-2500 § 130a Nr. 5 Rn. 21. – Für Krankentransporteure vgl. BSG SozR 4-2500 § 133 Nr. 2 Rn. 15. – Für Krankenhäuser vgl. BSG SozR 4-2500 § 109 Nr. 7 Rn. 28 f. – Für Vertragsärzte vgl. BSG SozR 4-2500 § 39 Nr. 3 Rn. 14. 307 Neben § 69 I 3 SGB V sind dies beispielsweise § 61 S. 2 SGB X oder § 62 S. 2 VwVfG. 308 In Bezug auf § 61 S. 2 SGB X: v. Wulffen/Schütze/Engelmann, § 61 SGB X Rn. 9; Kasseler Kommentar/Wehrhahn, § 61 SGB X Rn. 6. – In Bezug auf § 62 S. 2 VwVfG: Knack/Henneke/Schliesky, § 62 VwVfG Rn.  41; P.  Stelkens/Bonk/Sachs/Bonk/Neumann, § 62 VwVfG Rn. 42; Kopp/Ramsauer, § 62 VwVfG Rn. 25. 309 Allgemein Ossenbühl/Cornils, S.  548 ff. Eine Anwendung der §§ 812 ff. BGB über die Verweisung in § 61 S. 2 SGB X lehnen deshalb ab v. Wulffen/Schütze/Engelmann, § 61 SGB X Rn.  9; Kasseler Kommentar/Wehrhahn, § 61 SGB X Rn.  6.  – Vgl. entsprechend für § 62 S. 2 VwVfG: Knack/Henneke/Schliesky, § 62 VwVfG Rn. 41; Kopp/Ramsauer, § 62 VwVfG Rn. 25; P. Stelkens/Bonk/Sachs/Bonk/Neumann, § 62 VwVfG Rn. 42. 310 Vgl. Knack/Henneke/Schliesky, § 62 VwVfG Rn. 41. Für Anwendbarkeit von § 814 BGB im öffentlichen Recht dagegen Kopp/Ramsauer, § 62 VwVfG Rn. 25; BSGE 104, 15 (23). 311 Kopp/Ramsauer, § 62 VwVfG Rn.  25; BVerwG, NVwZ 2003, 993; VGH Mannheim, VBlBW 2004, 52 (55). 312 Krieger/Penner, SGb 2015, S. 607 (612); im Ergebnis ebenso Schlette, S. 568 ff.; v. Wulffen/Engelmann, 7. Aufl., § 58 SGB X Rn. 13; Ziekow, § 62 VwVfG Rn. 25; BSGE 118, 225 (235). Vgl. auch Gurlit, in: Ehlers/Pünder, § 35 Rn. 25.

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Kap. 3: Die Rechtsbeziehungen bei der Arzneimittelabgabe

möglich, selektiv nur diejenigen Vorschriften des Bereicherungsrechts anzuwenden, die mit öffentlich-rechtlichen Grundprinzipien vereinbar sind. Für die Heranziehung von § 69 I 3 SGB V i. V. m. § 812 I 1 BGB spricht umgekehrt Folgendes: Der Wortlaut von § 69 I 3 SGB V verweist ohne Vorbehalte auf das Bürgerliche Recht und damit auch auf die §§ 812 ff. BGB.313 Als geschriebener Anspruch verdrängt der Rückforderungsanspruch nach § 69  I  3 SGB  V i. V. m. §§ 812 ff. BGB zugleich den – gegenüber geschriebenen Anspruchsgrundlagen subsidiären314  – allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch.315 Der Rückzahlungsanspruch der Krankenkasse folgt somit aus § 69  I  3 SGB  V i. V. m. §§ 812 ff. BGB und nicht aus dem allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch, wenngleich im Ergebnis keine Unterschiede in der Rechtsfolge damit verbunden sind, ob als Grundlage des Rückforderungsanspruchs der allgemeine öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch oder die §§ 812 ff. BGB angesehen werden.316

II. Tatbestandsvoraussetzungen eines Bereicherungsanspruchs des Apothekers Problematisch und einer näheren Untersuchung bedürftig erscheint, dass im Falle einer Retaxation auf Null auch das Bestehen sonstiger Zahlungsansprüche des Apothekers gegen die Krankenkasse verneint wird. Dass dem Apotheker anstelle des Vergütungsanspruchs anderweitige Zahlungsansprüche gegen die Krankenkasse zustehen, ist denkbar, wenn und soweit die Krankenkasse infolge der rechtswidrigen Arzneimittelabgabe Aufwendungen für eine Arzneimittelabgabe im Einklang mit den krankenversicherungsrechtlichen Vorgaben erspart hat. In Betracht kommt beispielsweise, dass ein Apotheker an einen Versicherten ein von der Versorgung ausgeschlossenes Arzneimittel abgibt, dass dieses Arzneimittel Heilungswirkung entfaltet und dass der Krankenkasse dadurch die Kosten für ein anderes, von der Versorgung umfasstes Arzneimittel erspart werden. Weiterhin könnte die Situation eintreten, dass ein Apotheker ein Rezept beliefert, das an einem nicht von den Vergütungserhaltungstatbeständen des § 3 I RV-AV317 erfassten Formfehler leidet – etwa weil die Unterschrift des Arztes fehlt –, dass das

313

Für Anwendbarkeit von §§ 812 ff. BGB in Bezug auf § 62 S. 2 VwVfG: Schlette, S. 568; Ziekow, § 59 VwVfG Rn. 24. 314 Allgemein zur Verdrängung des allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs durch geschriebene Anspruchsgrundlagen: Ossenbühl/Cornils, S. 539; Detterbeck, in: Detterbeck/Windthorst/Sproll, § 26 Rn. 1; Gurlit, in: Ehlers/Pünder, § 35 Rn. 25. 315 Dettling/Altschwager, S. 62; Rixen, S. 222. – In Bezug auf § 62 S. 2 VwVfG: Schlette, S. 568; Ziekow, § 59 VwVfG Rn. 24. 316 Vgl. dazu Schlette, S. 568; Kasseler Kommentar/Wehrhahn, § 58 SGB X Rn. 13. 317 s. dazu oben B. V. 1. d) aa).

C. Vergütungsrechtliche Folgen

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Medikament aber aus rein medizinischer Sicht zu Recht verordnet wurde und auch Heilungswirkung entfaltet. Als Grundlage eines Zahlungsanspruchs könnte zunächst eine Geschäftsführung ohne Auftrag nach den §§ 69 I 3 SGB V i. V. m. §§ 677 ff. BGB erwogen werden. Als Geschäft der Krankenkasse, das der Apotheker führt, wäre insoweit die Versorgung eines Versicherten dieser Krankenkasse mit Arzneimitteln anzusehen. Allerdings werden die §§ 677 ff. BGB – unabhängig von der generellen Frage ihrer Anwendbarkeit im öffentlichen Recht318  – nach überwiegender Literaturansicht zu Recht entgegen der Rechtsprechung319 restriktiv dahingehend ausgelegt, dass sie nicht im Rahmen fehlgeschlagener Austauschbeziehungen anwendbar sind, denn das Bereicherungsrecht bietet für deren Abwicklung die spezielleren Vorschriften.320 Ein Anspruch des Apothekers könnte deshalb nur aus § 69  I  3 SGB V i. V. m. §§ 812 ff. BGB folgen, wobei vor allem ein Anspruch aus Leistungskondiktion (§ 812 I 1 Var. 1 BGB) in Betracht kommt. Ein Anspruch nach § 69 I 3 SGB V i. V. m. § 812 I 1 Var. 1 BGB setzt voraus, dass die Krankenkasse durch Leistung des Apothekers ohne Rechtsgrund etwas erlangt hat. 1. Die maßgeblichen Leistungsbeziehungen Eine Leistung ist die bewusste, zweckgerichtete Mehrung fremden Vermögens.321 Auf den ersten Blick scheint ein Apotheker, der ein Arzneimittel an einen gesetzlich Versicherten abgibt, eine Leistung an den Versicherten zu erbringen, weil er ihm das Arzneimittel in Erfüllung des mit ihm geschlossenen Kaufvertrags übereignet. Allerdings ist gleichzeitig die Krankenkasse verpflichtet, dem Versicherten ein vertragsärztlich verordnetes Arzneimittel als Sachleistung zu verschaffen.322 Innerhalb dieser Anspruchsbeziehung kommt dem Apotheker nur eine Leistungsmittlerfunktion zu. Die Krankenkasse schaltet den Apotheker zur Anspruchserfüllung ein, weil es ihr gesetzlich nicht gestattet ist, die Leistungsansprüche der Versicherten selbst zu erfüllen.323 Aus Sicht des Versicherten stellt sich die Arzneimittelabgabe durch den Apotheker deshalb als Leistung der Krankenkasse dar.324 318

s. zum Streitstand nur Ossenbühl/Cornils, S. 410 f. s. zur Rechtsprechung beispielsweise BGH, NJW 1993, 2182 f.; NJW 1997, 47 ff.; NJW 2015, 1020. 320 s. m. w. N. zur hL Jauernig/Mansel, § 677 BGB Rn. 6; Münchener Kommentar BGB/Schäfer, § 677 BGB Rn. 87 ff. 321 s. nur Münchener Kommentar BGB/Schwab, § 812 BGB Rn.  47 ff.; Staudinger/Lorenz, § 812 BGB Rn. 4; BGHZ 69, 186 (188 f.); BGHZ 185, 341 (345). 322 Zur Verschaffungspflicht der Krankenkassen s. Rixen, S. 122, 160; Schmidt-De Caluwe, VSSR 1998, S. 206 (224 f.); BSGE 42, 117 (119); 46, 179 (182); OLG Köln, VersR 1990, 1371. 323 Vgl. allgemein zur Verpflichtung der Krankenkassen, Leistungserbringer einzusetzen,­ Rixen, S. 122. 324 s. Allgemein zur Zurechnung der von den Leistungserbringern erbrachten Leistungen an die Krankenkasse Rixen, S. 119 ff. 319

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Kap. 3: Die Rechtsbeziehungen bei der Arzneimittelabgabe

Der Apotheker seinerseits erbringt bei der Abgabe des Arzneimittels eine Leistung an die Krankenkasse.325 2. Der Leistungsgegenstand Infolge der vorschriftswidrigen Arzneimittelabgabe an den Versicherten müsste die Krankenkasse etwas, d. h. einen vermögenswerten Vorteil, erlangt haben. Zum Teil wird zur Bestimmung des Vermögensvorteils in Retaxations-Konstellationen darauf abgestellt, ob die Arzneimittelabgabe trotz ihrer Fehlerhaftigkeit dazu geführt hat, dass der Leistungsanspruch des Versicherten gegen seine Krankenkasse durch Erfüllung erloschen ist.326 Bereicherungsgegenstand wäre somit eine Schuldbefreiung der Krankenkasse. Alternativ dazu ist eine Betrachtung der Arzneimittelabgabe in der Form denkbar, dass der Apotheker das abgegebene Arzneimittel selbst an die Krankenkasse leistet und die Krankenkasse ihrerseits das Arzneimittel an den Versicherten weitergibt.327 Leistungsgegenstand wäre in diesem Fall das abgegebene Arzneimittel selbst. Die Ansicht, die den Leistungsgegenstand in einer Schuldbefreiung sieht, ist mit zwei Problemen konfrontiert: Da Versicherte an sich nur einen Anspruch auf rechtmäßig abgegebene Arzneimittel haben, kann eine Arzneimittelabgabe im Widerspruch zu krankenversicherungsrechtlichen Vorschriften im Grunde nicht zur Erfüllung des Leistungsanspruchs führen.328 Zudem wäre die systemgerechte Rechtsfolge einer Anspruchserfüllung die Entstehung eines „echten“ primären Vergütungs-329 und nicht lediglich eines Bereicherungsanspruchs des Apothekers gegen die Krankenkasse. Die Konstruktion einer Erfüllungswirkung, die zwar keinen primären Vergütungsanspruch, aber zumindest einen Bereicherungsanspruch begründen soll, wird damit gerechtfertigt, dass es andernfalls zu einer Doppelversorgung kommen könnte: Hintergrund dieser Ansicht ist, dass Versicherte grundsätzlich nicht verpflichtet sind, ihrer Krankenkasse zu Unrecht erhaltene Leistungen zurückzu­ erstatten, sondern die Krankenkasse nur den Leistungserbringer in Regress neh-

325 Allgemein wird aus diesen Gründen immer nur im Verhältnis Leistungserbringer – Krankenkasse und im Verhältnis Krankenkasse – Versicherter abgewickelt, vgl. jeweils BSGE 89, 39 (43); 99, 180 (188); BSG SozR 4-2500 § 132a Nr. 1 Rn. 13. – Für die Krankenhausbehandlung OLG Köln, VersR 1991, 339. 326 Dettling/Altschwager, S. 62; Wesser, A&R 2014, S. 11 (16 f.). 327 Die bürgerlich-rechtliche Literatur tendiert dazu, bereicherungsrechtliche Dreipersonenverhältnisse so zu betrachten, dass entlang der Leistungsbeziehungen derselbe Gegenstand zwischen den Beteiligten weitergereicht wird. S. dazu: Jauernig/Stadler, § 812 BGB Rn. 30; Münchener Kommentar BGB/Schwab, § 812 BGB Rn. 76; Staudinger/Lorenz, § 812 BGB Rn. 54. 328 BSG SozR 4-2500 § 129 Nr.  9 Rn.  23. Vgl. auch Wesser, jurisPR-MedizinR 1/2014 Anm. 3 – C. 329 s. oben B. V. 1. a).

C. Vergütungsrechtliche Folgen

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men kann.330 Für das Vertragsarztrecht folgt dies im Umkehrschluss aus der Existenz einer Wirtschaftlichkeits- und Abrechnungsprüfung in den §§ 106 ff. SGB V.331 Die Konstruktion einer Erfüllungswirkung verhindert nach dieser Ansicht, dass ein Versicherter, der ein Arzneimittel unter Verstoß gegen krankenversicherungsrechtliche Vorschriften erhalten hat, das erhaltene Arzneimittel behalten und daneben nochmals die Versorgung mit einem Arzneimittel beanspruchen kann, obwohl dafür keine Notwendigkeit mehr besteht.332 Ob die Abgabe eines Arzneimittels entgegen krankenversicherungsrechtlichen Vorschriften Erfüllungswirkung hat, wird sodann in Abhängigkeit von der Art des Abgabefehlers beurteilt. Eine Erfüllungswirkung wird angenommen, wenn der Apotheker kein Rabattarzneimittel, sondern das vom Arzt unter Substitutionsgestattung verordnete Original abgibt,333 oder wenn die vertragsärztliche Verordnung zwar formell fehlerhaft ausgestellt war, aber materiell mit dem Leistungsrecht des SGB V in Einklang stand.334 Der Abgabe eines von der Versorgung ausgeschlossenen Arzneimittels wird hingegen die Erfüllungswirkung abgesprochen, weil der Versicherte auf dieses Arzneimittel nie einen Anspruch hätte haben können.335 Abgelehnt wird ein Bereicherungsanspruch ferner, wenn ein nicht rahmenvertragsgebundener Apotheker ein Arzneimittel abgibt.336 Zur Folge hat diese Differenzierung, dass je nach Art des Rechtsverstoßes ein Bereicherungsanspruch wegen Verneinung der Erfüllungswirkung von vornherein nicht zur Entstehung kommen kann, obschon bei der Krankenkasse abschöpfungsfähige Vermögensvorteile in Form ersparter Aufwendungen vorhanden sind. So ist beispielsweise denkbar, dass ein Versicherter ein von der Versorgung ausgeschlossenes Arzneimittel erhalten und dieses Arzneimittel Heilungswirkung entfaltet hat und dass die Krankenkasse aufgrund der eingetretenen Heilung den Versicherten nicht mehr mit von der Versorgung umfassten Arzneimitteln versorgen muss. Dennoch würde ein Bereicherungsanspruch verneint, weil keine Erfüllungswirkung eingetreten ist. Die Entstehung des Bereicherungsanspruchs davon abhängig zu machen, dass die Krankenkasse nicht nur rein tatsächlich Aufwendungen erspart hat, sondern dass dies gerade auf einer „Erfüllung“ des Leistungsanspruchs beruht, überzeugt daher nicht. Wirtschaftlich steht die Krankenkasse in sämtlichen dargestellten Fällen gleich, da sie in jedem dieser Fälle von ihrer Leistungspflicht jedenfalls faktisch freigeworden ist. Vorzugswürdig ist es deshalb, 330

s. dazu BSGE 86, 66 (77). Rixen, S. 205; Schwerdtfeger, NZS 1998, S. 97 (102). Das BSG begründet dieses Ergebnis mittels einer öffentlich-rechtlichen Rechtsscheinhaftung der Krankenkasse, BSGE 82, 158 (162); s. dazu auch Steege, FS 50 Jahre BSG, S. 517 (525 f.). 332 Dazu Wesser, A&R 2014, S. 11 (17). 333 Wesser, A&R 2014, S. 11 (16 f.). 334 Dettling/Altschwager, S. 64. 335 Dettling/Altschwager, S. 63; Saalfrank, A&R 2011, S. 22 (26 mit Fn. 26); Wesser, A&R 2014, S. 11 (17). 336 Vgl. Dettling/Altschwager, S. 61 (63); Wesser, A&R 2014, S. 11 (21). 331

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Kap. 3: Die Rechtsbeziehungen bei der Arzneimittelabgabe

als Leistungsgegenstand nicht auf eine Schuldbefreiung, sondern auf das abge­ gebene Arzneimittel selbst abzustellen. Anspruchsgegenstand ist aus diesem Grund das abgegebene Arzneimittel selbst. 3. Rechtsgrundlosigkeit der Leistung Die Krankenkasse müsste das abgegebene Arzneimittel schließlich ohne Rechtsgrund erlangt haben. Das im Widerspruch zu krankenversicherungsrechtlichen Vorgaben abgegebene Arzneimittel bewegte sich außerhalb des Kreises der zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung erbringbaren Sachleistungen. Die Krankenversicherung hat das Arzneimittel deshalb ohne Rechtsgrund erlangt.337 4. Inhalt und Umfang des Anspruchs Rechtsfolge des Anspruchs aus § 812 I 1 Var. 1 BGB ist die Herausgabe des Erlangten. Deshalb müsste die Krankenkasse das abgegebene Arzneimittel grundsätzlich in natura zurückgewähren. Da sich das Arzneimittel bei dem Versicherten befindet, ist sie dazu außerstande, sodass sie nach § 818 II BGB Wertersatz leisten muss. Dabei ist der objektive Sachwert zu erstatten,338 d. h. der Verkehrswert der Sache.339 Der Verkehrswert eines Arzneimittels bemisst sich nach dessen Apothekenabgabepreis, wobei im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung von dem Apothekenabgabepreis noch ein Betrag in Höhe der gesetzlichen Abschläge nach §§ 130, 130a I SGB V in Abzug zu bringen ist.340 Wenn ein Apotheker im Widerspruch zu § 129 I 1 Nr. 1, Nr. 2 SGB V ein unwirtschaftliches Arzneimittel abgibt, fiele der Wertersatzanspruch allerdings höher aus als die Vergütung, die die Krankenkasse für ein wirtschaftliches Arzneimittel hätte bezahlen müssen. Möglicherweise kann sich die Krankenkasse deshalb in Höhe der Preisdifferenz zwischen dem abgegebenen teuren und dem wirtschaftlichen Arzneimittel auf Entreicherung berufen.341 Regelmäßig wird dem Staat zwar die Berufung auf den Entreicherungseinwand versagt, da es dem Gesetzmäßigkeitsprinzip widerspreche, wenn die Verwaltung einen rechtswidrigen Vermögensvorteil behalten und für sich verwenden könnte.342 Da die Verwaltung Überschüsse haushaltsrechtlich nur zur Verminderung des Kreditbedarfs oder zur Schuldentilgung einsetzen dürfe, befinde sich die rechtsgrundlose Leistung immer 337

Wesser, A&R 2014, S. 11 (17). JurisPK-BGB/Martinek, § 818 BGB Rn. 45; Staudinger/Lorenz, § 818 BGB Rn. 26. 339 JurisPK-BGB/Martinek, § 818 BGB Rn. 45. 340 Vgl. Wesser, A&R 2014, S. 11 (17). 341 Vgl. Wesser, A&R 2014, S. 11 (16). 342 Vgl. Ossenbühl/Cornils, S.  550; Wienhues, in: Baldus/Grzeszick/Wienhues, Rn.  533; BVerwGE 71, 85 (89). 338

C. Vergütungsrechtliche Folgen

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noch in deren Vermögen.343 Mit der Preisdifferenz zwischen dem vom Apotheker tatsächlich abgegebenen teuren und dem eigentlich abzugebenden wirtschaftlichen wirkstoffgleichen Arzneimittel korrespondiert bei der Krankenkasse jedoch kein zusätzlicher wirtschaftlicher Vorteil, den sie durch Berufung auf Entreicherung ihrem Vermögen einverleiben würde: Ein teures Arzneimittel entfaltet dieselben Wirkungen wie die ein günstiges Arzneimittel desselben Wirkstoffs. Auf die vorliegende Konstellation sind die Erwägungen, die dem Staat eine Berufung auf den Entreicherungseinwand verbieten, deshalb nicht übertragbar.344 Die Krankenkasse kann sich daher auf Entreicherung berufen, soweit das vom Apotheker abgegebene Arzneimittel den Preis für ein wirtschaftliches Arzneimittel überschreitet. Soweit die konkrete Berechnung des Mehraufwands nicht möglich ist, weil beispielsweise mehrere günstige Arzneimittel zur Verfügung standen, ist es der Krankenkasse möglich, den Anspruch des Apothekers pauschal zu berechnen345. Eine Berufung der Krankenkasse auf den Entreicherungseinwand kommt zudem immer dann in Betracht, wenn das vorschriftswidrig  – beispielsweise im Widerspruch zu einem Versorgungsausschluss nach § 34 SGB V oder den pharmazeutischen Vorgaben des § 129 I 2 SGB V für die Arzneimittelsubstitution – abgegebene Arzneimittel keine Heilungswirkung entfaltet. Da die Krankenkasse in diesen Fällen weiterhin zur Versorgung des Versicherten mit einem Arzneimittel verpflichtet bleibt, konnte sie keinen wirtschaftlichen Vorteil aus dem vom Apotheker abgegebenen Arzneimittel ziehen und hat keine Aufwendungen erspart. Voraussetzung für die Entstehung eines Bereicherungsanspruchs ist damit, dass die Krankenkasse infolge der fehlerhaften Arzneimittelabgabe Aufwendungen erspart hat.346 Somit kommt dem Grunde nach ein Bereicherungsanspruch zur Entstehung, wenn ein Apotheker ein Arzneimittel im Widerspruch zu krankenversicherungsrechtlichen Vorschriften abgibt. Voraussetzung ist, dass die Krankenkasse infolge der rechtswidrigen Arzneimittelabgabe Aufwendungen erspart hat. Ein solcher

343

Vgl. Ossenbühl/Cornils, S. 550; BVerwGE 36, 108 (114). Dem entspricht, dass im Rahmen des allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs bereits bei der Ermittlung der Vermögensverschiebung die Grundsätze der aufgedrängten Bereicherung Anwendung finden: Aufgedrängte Vermögensvorteile, die vom Staat nicht realisiert werden können, begründen keine Vermögensverschiebung: Ossenbühl/Cornils, S. 546 f.; Eichenhofer, SGb 2012, S. 66 (68); OVG Nordrhein-Westfalen, DÖV 1973, 350 (351); VGH Bayern, Urt. v. 23.6.1999, 7 B 98.2272, Rn. 21 (juris); OVG Thüringen, NVwZ 2001, 448 (451). Vgl. auch OVG Lüneburg, Urt. v. 26.1.1990, 1 OVG A 115/88, Rn. 9 (juris). 345 Für die Pauschalierung bietet sich ein Rückgriff auf die Maßstäbe an, die im Rahmen der Mehrkostenregelung nach § 129 I 6 SGB V Anwendung finden. S. dazu Kapitel 4 B. IV. 2. Soweit bei Honorarberichtigungen im Vertragsarzt eine genaue Bezifferung der Rückforderungssumme nicht möglich ist, wird den Prüfstellen in vergleichbarer Weise ein Schätzungsermessen zugestanden: Eichenhofer/Wenner/Seifert, § 106a SGB V Rn. 19; jurisPK-SGB V/Clemens, § 106a SGB V Rn. 236; BSG SozR 4-1300 § 63 Nr. 16 Rn. 18. 346 Dettling/Altschwager, S. 62; Wesser, A&R 2014, S. 11 (16 f.). 344

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Kap. 3: Die Rechtsbeziehungen bei der Arzneimittelabgabe

Anspruch ist auf Ersatz des Wertes des Arzneimittels gerichtet, besteht aber maximal in Höhe der von der Krankenkasse ersparten Aufwendungen.

III. Ausschluss des Bereicherungsanspruchs des Apothekers aufgrund krankenversicherungsrechtlicher Vorgaben 1. Die Retaxation auf Null in der Rechtsprechung des BSG Das BSG hat bislang in den Fällen, in denen Apotheker Arzneimittel im Widerspruch zu krankenversicherungsrechtlichen Vorgaben abgegeben haben, die Zuerkennung von Bereicherungsansprüchen abgelehnt. Im Jahr 2005 hat das BSG die Entstehung eines Bereicherungsanspruchs in einem Fall verneint, in dem eine Apotheke ein in Deutschland nicht zugelassenes Arzneimittel im Widerspruch zu § 73 AMG importiert hatte.347 Es folgten Entscheidungen zum Verstoß gegen die Pflicht zur Abgabe wirtschaftlicher Einzelmengen,348 zum Verstoß gegen einen kollektivvertraglich geregelten Genehmigungsvorbehalt vor dem Einzelimport von Arzneimitteln,349 zur Nicht-Abgabe eines Rabattarzneimittels350 und zur Abgabe von Zytostatika, obwohl eine andere Apotheke Partnerin eines Exklusivvertrages nach § 129  V  3 SGB  V a. F. war351. Die Versagung eines Bereicherungsanspruchs wurde jeweils damit begründet, dass die verletzten Vorschriften ihre Steuerungswirkung nicht entfalten könnten, wenn dem Apotheker ein Bereicherungsanspruch zuerkannt würde.352 a) Der Ursprung der Rechtsprechung im Vertragsarztrecht Die erste Entscheidung, in der sich das BSG mit der Frage zu befassen hatte, ob im Falle einer rechtswidrigen Leistungserbringung ein Bereicherungsanspruch zur Entstehung gelangen kann, stammt aus dem Jahr 1994 und betraf das Vertragsarztrecht.353 Ein Vertragsarzt hatte Dialyseleistungen erbracht, ohne eine besondere, kollektivvertraglich dafür vorgesehene Qualifikation zu besitzen. Mangels 347

BSGE 94, 213 ff. BSG SozR 4-2500 § 129 Nr. 1. 349 BSGE 106, 303 ff. 350 BSG SozR 4-2500 § 129 Nr. 9. 351 BSG SozR 4-2500 § 129 Nr. 11. 352 BSGE 94, 213 (220); BSG SozR 4-2500 § 129 Nr. 1 Rn. 22; SozR 4-2500 § 129 Nr. 2 Rn. 31; BSGE 106, 303 (313); BSG SozR 4-2500 § 129 Nr. 9 Rn. 26; SozR 4-2500 § 129 Nr. 11 Rn.  42. Zustimmend aus der Literatur etwa Eichenhofer/Wenner/Armbruster, § 129 SGB V Rn. 58; Krasney, in: Bergmann/Pauge/Steinmeyer, § 69 SGB V Rn. 42. 353 Zum Ursprung der Rechtsprechung im Vertragsarztrecht s. auch Dettling/Altschwager, S. 40 ff.; Krasney/Westhelle, SGb 2007, S. 182 (184); Wesser, A&R 2014, S. 11 (20 f.); BSGE 94, 213 (220). 348

C. Vergütungsrechtliche Folgen

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Erfüllung der kollektivvertraglichen Qualifikationsanforderungen konnte der Arzt keine Vergütung für die erbrachten Dialysebehandlungen beanspruchen. Ein Vergütungsanspruch nach bereicherungsrechtlichen Grundsätzen in Höhe der von der Krankenkasse ersparten Aufwendungen wurde vom BSG abgelehnt: Die kollektivvertraglichen Vorschriften könnten ihre Steuerungsaufgabe nicht erfüllen, wenn einem Arzt gesetz- oder vertragswidrig bewirkte Leistungen im Wege eines Wertersatzanspruchs im Ergebnis dennoch vergütet würden.354 In der Folgezeit ergingen weitere Urteile, die Ärzten, die Leistungen entgegen krankenversicherungsrechtlichen Vorgaben erbracht hatten, nicht nur Vergütungs-, sondern auch Bereicherungsansprüche versagten: Entscheidungsgegenstände waren etwa die Erbringung fachgebietsfremder Leistungen,355 Verstöße gegen das Gebot zur persönlichen Leistungserbringung,356 die Erbringung von Leistungen durch einen nicht zugelassenen Arzt,357 der Einsatz von Großgeräten ohne Vorliegen der erforderlichen Genehmigung358 und die Abrechnung von nicht im EBM enthaltenen Leistungen359. Durch die Gewährung von Bereicherungsansprüchen verlören die verletzten Vorschriften ihre Steuerungsfunktion.360 Könnten die Verstöße nur mit Wirkung für die Zukunft sanktioniert und nicht der rechtswidrig erzielte Gewinn abgeschöpft werden, fehlte für Ärzte jeglicher Anreiz, sich normgemäß zu verhalten.361 Vielmehr bestünde ein Anreiz zu normwidrigen Verhalten, wenn einem Arzt die Früchte seines rechtswidrigen Handelns verblieben.362 b) Übertragung auf andere Leistungsbereiche In anderen Leistungsbereichen kam es im Laufe der Zeit zu vergleichbaren Entscheidungen.363 Einem Krankenhaus, das Leistungen außerhalb seines Versorgungsauftrags erbracht hatte, wurde weder ein Vergütungs- noch ein Bereicherungsanspruch zuerkannt.364 Abgelehnt wurde weiter ein Bereicherungsanspruch eines pharmazeutischen Unternehmers, der Ärzten Immunglobuline zur Abgabe an Versicherte in den Praxisräumen überlassen hatte; die Arzneimittelabgabe durch pharmazeutische Unternehmer sei im SGB V nicht vorgesehen, sondern sie

354

BSGE 74, 154 (158). BSG SozR 3-2500 § 95 Nr. 9. 356 BSG SozR 3-5525 § 32 Nr. 1; BSGE 80, 1 ff.; 106, 122 ff. 357 BSGE 76, 153 ff. 358 BSGE 80, 48 ff. 359 BSGE 79, 239 ff.; BSG SozR 4-2500 § 39 Nr. 3; BSG, Urt. v. 26.1.2000, B 6 KA 59/98 R (juris). 360 BSG SozR 4-2500 § 39 Nr. 3 Rn. 23. 361 BSGE 106, 222 (239). 362 BSGE 106, 222 (239). 363 s. dazu auch Dettling/Altschwager, S. 47. 364 BSG SozR 4-2500 § 109 Nr. 7. 355

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Kap. 3: Die Rechtsbeziehungen bei der Arzneimittelabgabe

obliege alleine den Apothekern.365 Weiterhin wurde einem Heilmittelerbringer ein Bereicherungsanspruch versagt, der Leistungen außerhalb seiner zugelassenen Betriebsstätte erbracht hatte.366 Begründet wurden die Entscheidungen jeweils damit, dass bei Zuerkennung von Bereicherungsansprüchen die verletzten Vorschriften ihre Steuerungsfunktion nicht erfüllen könnten.367 Nur bei Verstößen gegen als Ordnungsvorschriften klassifizierte Regelungen versagt die Rechtsprechung dem Leistungserbringer zwar den primären Vergütungsanspruch, erkennt ihm aber einen Bereicherungsanspruch zu. Betroffen war insoweit ein Krankenhaus, das entgegen § 115b II SGB V die Durchführung ambulanter Operationen im Krankenhaus nicht angezeigt hatte.368 Da Krankenhäuser bereits kraft Gesetzes dem Grunde nach zu ambulanten Operationen zugelassen seien, stelle das Anzeigeerfordernis nur eine Ordnungsvorschrift dar.369 c) Außerachtlassung ersparter Aufwendungen als allgemeines Prinzip Dass Leistungserbringer, die Leistungen unter Verstoß gegen gesetzliche oder untergesetzliche Vorschriften erbringen, weder eine Vergütung noch Wertersatz beanspruchen können, wird vom BSG mittlerweile als allgemeines Prinzip des Leistungserbringungsrechts bezeichnet.370 Die Erwägung, dass die Steuerungs­ wirkung leistungserbringungsrechtlicher Vorschriften nicht untergraben werden soll, kommt in der Rechtsprechung des BSG zudem nicht nur im Rahmen vergütungsrechtlicher Fragestellungen zum Tragen, sondern wird auch zur Begründung von Schadensersatzansprüchen der Krankenkassen angewandt. Mit der Steuerungswirkung leistungserbringungsrechtlicher Vorschriften wird es begründet, dass sich ein Arzt, der Leistungen formell fehlerhaft verordnet, gegenüber einem Schadensersatzbegehren der Krankenkasse nicht darauf berufen könne, dass die Verordnungen inhaltlich korrekt waren und der Krankenkasse deshalb in jedem Fall Kosten entstanden wären. Es gelte das vertragsarztrechtliche Prinzip, dass für die Berücksichtigung hypothetischer alternativer Geschehensabläufe kein Raum sei.371 Verordne ein Arzt ein Arzneimittel zulassungsüberschreitend, obwohl die Voraussetzungen des Off-Label-Use nicht vorliegen, entstehe der Kasse ein Schaden in Höhe des Abgabepreises für dieses Arzneimittel, der sich nicht um den Betrag mindere, der für ein stattdessen zu verordnendes Arzneimittel angefallen wäre.372 In der landessozialgerichtlichen Rechtsprechung werden diese Grund 365

BSG, MedR 2001, 649 (650). BSG SozR 4-2500 § 124 Nr. 4. 367 BSG SozR 4-2500 § 109 Nr. 7; BSG, MedR 2001, 649 (650); BSG SozR 4-2500 § 124 Nr. 4 Rn. 31. 368 BSGE 92, 223 ff. 369 BSGE 94, 213 (220 f.). Vgl. auch BSG SozR 4-2500 § 109 Nr. 7 Rn. 29. 370 BSGE 106, 303 (313); BSG SozR 4-2500 § 124 Nr. 4 Rn. 32. 371 BSG SozR 4-5540 § 48 Nr. 2 Rn. 37. 372 BSG SozR 4-2500 § 106 Nr. 26 Rn. 47; § 106 Nr. 30 Rn. 44; § 106 Nr. 47 Rn. 36. 366

C. Vergütungsrechtliche Folgen

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sätze ebenfalls auf den Fall angewandt, dass ein Vertragsarzt ein von der Versorgung ausgeschlossenes Arzneimittel verordnet hat.373 Einem Arzt, der wegen Erschleichung der Vertragsarztzulassung nicht zur Verordnung von Arzneimitteln zulasten der GKV berechtigt war, wurden die Kosten aller von ihm verordneter Arzneimittel in Rechnung gestellt. Darauf, dass die Arzneimittelkosten ohnehin angefallen wären, weil die Arzneimittel jedenfalls von anderen Ärzten verordnet worden wären, konnte er sich nicht berufen.374 2. Die normative Verankerung der Retaxation auf Null im SGB V Die Verneinung eines Bereicherungsanspruchs des Apothekers durch die Rechtsprechung stößt in der Literatur zum Teil auf Kritik. Aus der ausdrücklichen gesetzlichen Anordnung in § 69 I 3 SGB V folge, dass die §§ 812 ff. BGB anzuwenden seien, wenn ein Apotheker ohne Rechtsgrund ein Arzneimittel abgebe.375 Im Folgenden soll näher untersucht werden, ob diese Kritik zutreffend ist oder ob die Rechtsprechung das Bestehen eines Bereicherungsanspruchs zu Recht verneint. a) Zulässigkeit aufgrund von § 129 IV 2 SGB V? Die Vorschrift des § 129 IV 2 SGB V in der Fassung des GKV-Versorgungsstärkungsgesetzes aus dem Jahr 2015 verpflichtet die Rahmenvertragsparteien, bis zum 1. Januar 2016 festzulegen, bei welchen Pflichtverstößen, insbesondere bei Belieferung eines formell fehlerhaften Rezepts, eine Retaxation ganz oder teilweise unterbleibt. In der Gesetzesbegründung heißt es, bei Belieferung eines formfehlerhaften Rezepts erhalte der Versicherte im Ergebnis das Arzneimittel, das ihm leistungsrechtlich zustehe. Diese Konstellation unterscheide sich wesentlich von Fällen, in denen der Apotheker ein anderes als ein rabattiertes Arzneimittel abgebe. Das BSG habe entschieden, dass in solchen Fällen der Apotheker keinen Vergütungsanspruch erwerbe und dass ihm auch kein Wertersatzanspruch zustehe.376 Die Neufassung von § 129 IV 2 SGB V und die Ausführungen in der Gesetzesbegründung zeigen, dass der Gesetzgeber – auch wenn er eine Retaxation auf Null bei unerheblichen Formfehlern ausschließen möchte – die Rechtsfigur der Retaxation auf Null, wie sie in der bundessozialgerichtlichen Rechtsprechung entwickelt 373 LSG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 30.7.2003, L 11 KA 116/01, Rn. 30 (juris); LSG Sachsen, Urt. v. 28.10.2009, L 1 KA 4/08, Rn. 27 (juris). Vgl. aus der Literatur etwa Hauck/Noftz/ Engelhard, § 106 SGB V Rn. 91; jurisPK-SGB V/Clemens, § 106 SGB V Rn. 148 ff., 155. Ein bundessozialgerichtliches Urteil ist – soweit ersichtlich – zu dieser Frage noch nicht ergangen. 374 BSGE 76, 153 ff. 375 Dettling/Altschwager, S. 83, 85. Vgl. auch Wesser, A&R 2014, S. 11 (17 f.). 376 BT-Drs. 18/4095, S. 117 f.

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Kap. 3: Die Rechtsbeziehungen bei der Arzneimittelabgabe

wurde, im Grunde akzeptiert.377 Angesichts dessen, dass der Gesetzgeber im Zuge der Neufassung von § 129 IV 2 SGB V sein Einverständnis mit der Rechtsfigur der Retaxation auf Null zum Ausdruck gebracht hat, ist § 129 IV 2 SGB V möglicherweise so zu lesen, dass die Vorschrift über ihren unmittelbaren Regelungsgehalt hinaus – er besteht darin, dass die Rahmenvertragsparteien zur Normierung von Vergütungserhaltungstatbeständen verpflichtet werden – zugleich die bisherige bundessozialgerichtliche Rechtsprechung zur Retaxation auf Null in Form eines Gesetzes bestätigt.378 Die Zulässigkeit der Retaxation auf Null würde in diesem Fall unmittelbar aus § 129 IV 2 SGB V folgen. Gegen diese Lesart von § 129 IV 2 SGB V spricht aber zunächst, dass der Wortlaut der Vorschrift ausschließlich eine Verpflichtung der Rahmenvertragsparteien enthält, für bestimmte Fallkonstellationen Retaxationsausschlüsse zu normieren. Auch aus den Gesetzesmaterialien lässt sich nicht entnehmen, dass der Gesetzgeber den Willen hatte, die Zulässigkeit der Retaxation auf Null nunmehr ausdrücklich mittels einer gesetzlichen Regelung klarzustellen. Die Gesetzesbegründung zeigt zwar, dass der Gesetzgeber die Rechtsprechung des BSG akzeptiert und in der Sache für richtig hält, doch finden sich keine Anhaltspunkte, dass mit der Vorschrift des § 129 IV 2 SGB V diese Rechtsprechung auch in Gesetzesform positiv bestätigt werden sollte. Dass die Retaxation auf Null, wie sie in der bundessozialgerichtlichen Rechtsprechung entwickelt wurde, zulässig ist, liegt der Vorschrift des § 129  IV 2 SGB V damit voraus. Der Vorschrift des § 129 IV 2 SGBV selbst kann die Zulässigkeit der Retaxation auf Null nicht entnommen werden. Sollte sich die Zulässigkeit der Retaxation auf Null nicht mithilfe anderer krankenversicherungsrechtlicher Vorschriften begründen lassen, hätte dies nur zur Folge, dass das in § 129 IV 2 SGB V verfolgte Regelungsanliegen des Gesetzgebers, Nullretaxationen bei Belieferung formfehlerhafter Verordnungen zu verhindern, gegenstandslos wäre. Aus der Neufassung von § 129 IV 2 SGB V folgt die Zulässigkeit der Retaxation auf Null nicht. b) Zulässigkeit aufgrund von § 69 I 3 HS. 2 SGB V? Überlegt werden könnte weiterhin, ob sich die Zulässigkeit der Retaxation auf Null mit der Vorschrift des § 69 I 3 HS. 2 SGB V begründen lässt. Danach kommen die Vorschriften des Bürgerlichen Rechts und damit die §§ 812 ff. BGB nur zur Anwendung, soweit dies mit dem Wirtschaftlichkeitsgebot und den übrigen Rechten und Pflichten der Leistungserbringer vereinbar ist. Die Anwendung der §§ 812 ff. BGB könnte mit den Pflichten der Apotheker deshalb in Konflikt geraten, 377

Flasbarth, KrV 2015, S. 148 (150). Zur Bestätigung von Auslegungsergebnissen der Rechtsprechung durch den Gesetzgeber s. allgemein Droste-Lehnen, S. 13. 378

C. Vergütungsrechtliche Folgen

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weil sie den für die Apotheker maßgeblichen Vorschriften möglicherweise ihre Steuerungswirkung nimmt.379 Durch die Zuerkennung eines Bereicherungsanspruchs würde ein Apotheker wirtschaftlich oft so stehen, als ob ihm eine reguläre Vergütung gezahlt würde, ohne dass aber die Voraussetzungen für den Erwerb eines regulären Vergütungsanspruchs, nämlich eine rechtmäßige Arzneimittelabgabe, vorliegen. Wenn ein Apotheker beispielsweise ein Arzneimittel auf eine formell nicht ordnungsgemäße Verordnung hin abgibt und in der Folge einen Bereicherungsanspruch geltend macht, würde der ihm nach § 818 II BGB zu ersetzende Wert des Arzneimittels dessen Apothekenabgabepreis entsprechen. Auch wenn der Fehler des Apothekers in der Abgabe eines unwirtschaftlichen Arzneimittels besteht, kann er zumindest je nach Fallgestaltung noch einen kleinen Gewinn erzielen; einen Verlust kann er erst dann erleiden, wenn die Höhe des Bereicherungsanspruchs  – sie entspricht dem Betrag, den die Krankenkasse für ein wirtschaftliches Arzneimittel hätte aufwenden müssen – den Einkaufspreis des abgegebenen teuren Arzneimittels unterschreitet. Möglicherweise ist deshalb nach § 69 I 3 HS. 2 SGB V der Rückgriff auf die §§ 812 ff. BGB ausgeschlossen.380 Die Ausschlussklausel nach § 69 I 3 HS. 2 SGB V kommt jedoch nur zur Anwendung, wenn in einem ersten Schritt die Anwendbarkeit bürgerlich-rechtlicher Vorschriften überhaupt dem Grunde nach in Betracht kommt. Weil Bürgerliches Recht nach § 69 I 3 SGB V nur „im Übrigen“ zur Anwendung kommt, ist Grundvoraussetzung für dessen Anwendung, dass das Leistungserbringungsrecht an der entsprechenden Stelle lückenhaft ist.381 Keine Lücke in diesem Sinne läge vor, wenn sich schon den leistungserbringungsrechtlichen Vorschriften, die die Vergütung des Apothekers zum Gegenstand haben, im Wege der Auslegung entnehmen ließe, dass sie die Vergütung des Apothekers abschließend regeln. Eine Auslegung dieser Vorschriften hat deshalb Vorrang vor einem Rekurs auf § 69  I  3 HS. 2 SGB V. Somit stellt sich die Frage, ob die gesetzlichen und kollektivvertraglichen Voraussetzungen, von denen die Entstehung des Vergütungsanspruchs abhängt, in der Weise als abschließend konzipiert sind, dass bei Verstößen auch die Entstehung eines Bereicherungsanspruchs ausgeschlossen ist.382

379

Vgl. BSG SozR 4-2500 § 129 Nr. 9 Rn. 26. Zu vergleichbaren Problemlagen im Bürgerlichen Recht, in denen durch Gewährung eines Bereicherungsanspruchs spezifische Anspruchsvoraussetzungen einer anderen Norm umgangen würden, s. etwa BeckOK BGB/Wendehorst, § 812 BGB Rn. 68 ff. 381 JurisPK-SGB V/Engelmann, § 69 SGB V Rn. 41; BSGE 105, 157 (162). 382 So ausdrücklich LSG Thüringen, Urt. v. 19.7.2005, L 6 KR 770/03, Rn. 39 (juris); LSG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 18.9.2013, L 9 KR 92/11, Rn. 60 (juris). Vgl. auch Wesser, A&R 2011, S. 19 (21); BSG SozR 4-2500 § 129 Nr. 9 Rn. 28. 380

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Kap. 3: Die Rechtsbeziehungen bei der Arzneimittelabgabe

c) Abschließender Charakter der Vergütungsvoraussetzungen? aa) Die Nullretaxation als irreguläres Sanktionsinstrument? Dagegen, dass die krankenversicherungsrechtlichen Vorgaben für die Arzneimittelabgabe in der Weise abschließend sind, dass sie auch die Entstehung eines Bereicherungsanspruchs ausschließen, wird mitunter angeführt, dass durch den Ausschluss eines Bereicherungsanspruchs Wertungswidersprüche im Hinblick auf das Sanktionsregime nach § 129 IV 1, 3 SGB V entstünden.383 Sanktionen für Pflichtverletzungen müssen von den Rahmenvertragsparteien unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes geregelt werden; Art und Umfang der Sanktion müssen mit der Schwere des Verstoßes korrespondieren.384 Eine Retaxation auf Null führt dagegen unabhängig von der Schwere des Abgabefehlers und bereits bei erstmaligem Fehlverhalten zu einem wirtschaftlichen Nachteil, nämlich zu einem Verlust in Höhe des Einkaufspreises des abgegebenen Arzneimittels.385 Die Retaxation auf Null wird deshalb teilweise als ein atypisches, von § 129 IV 1, 3 SGB V nicht gedecktes Sanktionsinstrument angesehen.386 (1) Die Rechtslage im Vertragsarztrecht In Bezug auf diesen Einwand bietet sich ein Vergleich mit der Konstellation aus dem Vertragsarztrecht an, dass ein Vertragsarzt ärztliche Leistungen im Wider­ spruch zu krankenversicherungsrechtlichen Vorgaben erbringt. Die in diesem Fall maßgeblichen Rechtsfolgen sind in zwei verschiedenen Vorschriften geregelt, nämlich in § 106d I, II SGB V einerseits und in § 81 SGB V andererseits. (a) Vollständige Honorarrückforderung im Rahmen der Abrechnungsprüfung In § 106d SGB V ist die vertragsärztliche Abrechnungsprüfung geregelt. Gegenstand der Abrechnungsprüfung ist insbesondere, ob die von einem Vertragsarzt abgerechneten Leistungen sachlich richtig erbracht worden sind.387 Sachlich unrichtig ist die Erbringung von Leistungen im Widerspruch zu krankenversicherungsrechtlichen Vorgaben.388 Sachlich unrichtig erbracht sind beispielsweise

383

Vgl. Dettling/Altschwager, S. 85. Eichenhofer/Wenner/Armbruster, § 129 SGB V Rn. 57. S. für vertragsärztliche Disziplinarmaßnahmen § 81 V SGB V. 385 Vgl. Wesser, A&R 2014, S. 11 (19). 386 Vgl. Wesser, A&R 2014, S. 11 (18 f.). Vgl auch Dettling/Altschwager, S. 84 f. 387 § 106d II 1 SGB V. 388 Hauck/Noftz/Engelhard, § 106a SGB  V Rn.  25; Spickhoff/Palsherm/Clemens, § 106a SGB V Rn. 5. Vgl. auch Kasseler Kommentar/Hess, § 106a SGB V Rn. 4. 384

C. Vergütungsrechtliche Folgen

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fachgebietsfremde Leistungen,389 qualitativ unzureichende Leistungen,390 unter Verstoß gegen das Gebot zur persönlichen Leistungserbringung erbrachte Leistungen391 oder Leistungen, die Vorgaben des EBM oder einer Richtlinie des G-BA nicht entsprechen392. Gelangt die Abrechnungsprüfung zu dem Ergebnis, dass ein Vertragsarzt Leistungen sachlich unrichtig erbracht hat, wird das Honorar bereinigt um diese Leistung neu berechnet und der Honorarbescheid des Vertragsarztes insoweit korrigiert.393 Das BSG ist – wie bereits dargestellt394 – der Ansicht, dass bei der Berechnung der Kürzungssumme kein Raum für die Anwendung bereicherungsrechtlicher Grundsätze sei, weil andernfalls die Steuerungswirkung der verletzten Vorschriften verloren ginge. Die Literatur folgt dem.395 Auch der BGH in Strafsachen folgt der Rechtsprechung des BSG in den Fällen, in denen die Abrechnung rechtswidrig erbrachter Leistungen zugleich strafrechtliche Relevanz – etwa in Form eines Betruges – hat und im Rahmen des einschlägigen Straftatbestandes der Vermögensschaden zu ermitteln ist, den die Krankenkasse erlitten hat.396 Dieser ganz überwiegenden Ansicht ist zuzustimmen. Der Vorschrift des § 106d SGB V selbst lässt sich die Rechtsfolge, dass eine Verletzung vertragsärztlicher Vorschriften zum Wegfall jeglicher Vergütungsansprüche führt, zwar nicht entnehmen, denn sie hat nur verfahrensrechtlichen Charakter und stellt eine Ermächtigungsgrundlage für die Korrektur der Honorarbescheide bereit, trifft aber keine Aussage zur Höhe des Kürzungsbetrags. Ob eine sachlich-unrichtige Leistungserbringung zu einem Ausschluss jeglicher Zahlungsansprüche führt, muss vielmehr der jeweils verletzten Vorschrift im Wege der Auslegung entnommen werden. Wie sogleich zu zeigen sein wird, lässt sich mithilfe der Vorschrift des § 106c III 6 SGB V belegen, dass ein Arzt sich nach Sinn und Zweck der verletzten Vorschriften nicht auf ersparte Aufwendungen der Krankenkasse berufen kann, wenn er eine nicht verordnungsfähige Leistung verordnet hat. Ausgehend davon lässt sich sodann begründen, dass sich ein Arzt auch bei der Erbringung eigener ärztlicher Leistungen unter Verstoß gegen krankenversicherungsrechtliche Vorgaben grundsätzlich nicht darauf berufen kann, dass die Krankenkasse Aufwendungen für eine rechtmäßig erbrachte Leistung erspart habe. 389

Knopp, S. 107 f.; Spickhoff/Palsherm/Clemens, § 106a SGB V Rn. 6. Spickhoff/Palsherm/Clemens; § 106a SGB  V Rn.  7; LSG Baden-Württemberg, MedR 2015, 136 (137 ff.). 391 Knopp, S. 108 f. 392 BT-Drs. 15/1525, S. 117 f.; Großbölting, S. 81 ff. 393 Großbölting, S.  107 ff.; Becker/Kingreen/Scholz, § 106a SGB V [in der bis 31.12.2016 geltenden Fassung] Rn. 16; Spickhoff/Palsherm/Clemens, § 106a SGB V Rn. 10. 394 s. oben C. III. 1. a). 395 Hauck/Noftz/Engelhard, § 106a SGB V Rn. 32a; HK-AKM/Lungstras, Honorarberichtigung (2570), Rn. 20; Altmiks, in: Bergmann/Pauge/Steinmeyer, § 106a SGB V Rn. 12; Flasbarth, KrV 2015, S. 148 (149 f.). 396 s. zur im Strafrecht so bezeichneten „streng formalen Betrachtungsweise“: BGH, NJW 2014, 3170 (3171 f.); NZWiSt 2015, 275 (277 f.). 390

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Kap. 3: Die Rechtsbeziehungen bei der Arzneimittelabgabe

Die Vorschrift des § 106c III 6 SGB V entstammt dem in §§ 106, 106b f. SGB V geregelten Recht des vertragsärztlichen Verordnungsregresses. Ärzte unterliegen in Bezug auf die Verordnung von Leistungen wie Arznei- oder Heilmitteln einer Wirtschaftlichkeitsprüfung. Wird im Rahmen dieser Prüfung ein unwirtschaftliches Verordnungsverhalten festgestellt, kommt es zu einem Regress der betroffenen Krankenkasse gegen den Arzt. Ein solcher Verordnungsregress zielt auf den Ausgleich des Mehraufwandes, der der Krankenkasse durch die unwirtschaftliche Verordnungsweise entstanden ist. Unwirtschaftlich im Sinne der §§ 106, 106b f. SGB V ist zum einen die Verordnung von Leistungen im Widerspruch zu den allgemeinen Vorgaben des Wirtschaftlichkeitsgebots, wie etwa die Verordnung eines zu teuren Arzneimittels; zum anderen wird im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung für verordnete Leistungen geprüft, ob ein Arzt Leistungen verordnet hat, die von der Versorgung ausgeschlossen sind, beispielsweise ein nach § 34 SGB V von der Versorgung ausgeschlossenes Arzneimittel.397 In § 106c III 1 SGB V ist geregelt, dass Ärzte gegen Regressbescheide grundsätzlich den Beschwerdeausschuss anrufen können. Das Verfahren vor dem Beschwerdeausschuss hat nicht die Funktion eines bloßen Vorverfahrens vor der Erhebung einer Klage gegen den Regressbescheid, sondern der Beschwerdeausschuss prüft in einem eigenständigen Verwaltungsverfahren die Rechtmäßigkeit des Regressbescheids vollständig von Neuem.398 Nach § 106c  III  6 SGB  V findet ein Beschwerdeverfahren jedoch nicht statt, wenn der von der Krankenkasse geltend gemachte Mehraufwand alleine darin besteht, dass ein Vertragsarzt Leistungen verordnet hat, die durch Gesetz oder Richtlinie von der Versorgung ausgeschlossen sind. In der Gesetzesbegründung heißt es, dass es eines Verfahrens vor dem Beschwerdeausschuss in diesem Fall nicht bedürfe, weil die Frage, ob ein Arzneimittel der Leistungspflicht der GKV unterfällt, vergleichsweise leicht zu beantworten sei.399 Der Beschwerdeausschuss werde so von einer Vielzahl vergleichsweise einfach zu bearbeitender Einzelvorgänge entlastet.400 Diese Ausführungen in der Gesetzesbegründung werden vor allem damit erklärt, dass sich die Frage, ob ein Arzneimittel von der Versorgung ausgeschlossen ist, grundsätzlich alleine durch eine Normanwendung feststellen lasse, ohne dass es etwa medizinischen Sachverstands bedürfe.401 397 Zur Verordnung von der Versorgung ausgeschlossener Arzneimittel als Gegenstand der Wirtschaftlichkeitsprüfung s. Becker/Kingreen/Scholz, § 106 SGB V [in der bis 31.12.2016 geltenden Fassung] Rn. 28; BeckOK SozR/Wehebrink (43. Edition), § 106 SGB V Rn. 26 ff.; BSGE 112, 251 (252 ff.); BSG SozR 4-2500 § 106 Nr. 45 Rn. 14 ff. 398 Hauck/Noftz/Engelhard, § 106 SGB V Rn. 595; BSG SozR 4-2500 § 106 Nr. 42 Rn. 22; SozR 4-2500 § 106 Nr.  50 Rn.  29. Vgl dazu auch jurisPK-SGB  V/Clemens, § 106 SGB  V Rn. 442 ff. 399 BT-Drs. 16/3100, S. 138. 400 BT-Drs. 16/3100, S. 138. 401 Hauck/Noftz/Engelhard, § 106 SGB V Rn. 599e; BSGE 108, 175 (179); 112, 251 (252 ff.). Für den „eher verwaltungstechnischen“ Charakter der Regressfestsetzung in derartigen Fällen LPK/Murawski, § 106c SGB V Rn. 133.

C. Vergütungsrechtliche Folgen

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Infolge des Wegfalls des Verfahrens vor dem Bewertungsausschuss entfällt für den betroffenen Vertragsarzt aber nicht alleine die Möglichkeit, sich nochmals in einem Verwaltungsverfahren gegen den Vorwurf zu verteidigen, ein von der Versorgung ausgeschlossenes Arzneimittel verordnet zu haben. Daneben entfällt auch die Möglichkeit, die festgesetzte Regresshöhe nochmals von dem Beschwerdeausschuss überprüfen zu lassen. Wäre im Falle der Verordnung von der Versorgung ausgeschlossener Arzneimittel die Berechnung des Regressbetrags davon abhängig, welches Arzneimittel der Vertragsarzt stattdessen rechtmäßig hätte verordnen können und welche Kosten für dieses Arzneimittel entstanden wären,402 könnten sich bei der Regressberechnung im Einzelfall schwierige Fragen stellen, für deren Klärung durch den Bewertungsausschuss ein Bedürfnis bestünde. So könnte beispielsweise zu klären sein, welches Arzneimittel unter pharmakologischen Gesichtspunkten wie der therapeutischen Vergleichbarkeit anstelle des ausgeschlossenen Arzneimittels hätte verordnet werden können.403 Wenn die Gesetzesbegründung dennoch davon ausgeht, dass Regresse wegen der Verordnung von der Versorgung ausgeschlossener Arzneimittel eine Vielzahl vergleichbarer Einzelfälle beträfen,404 so ist dies nur so zu erklären, dass der Gesetzgeber es für selbstverständlich hielt, dass auch die Ermittlung des Regressbetrages mit keinem nennenswerten Aufwand verbunden ist. Der Regressbetrag muss folglich in dem – ohne großen Aufwand zu ermittelnden – Apothekenabgabepreis des von der Versorgung ausgeschlossenen Arzneimittels bestehen und nicht etwa nur in dem Preisunterschied zu einem von der Versorgung umfassten Arzneimittel, das stattdessen hätte verordnet werden können.405 Die Vorschrift des § 106c III 6 SGB V zeigt daher für das Recht des Verordnungsregresses, dass sich ein Arzt nicht auf ersparte Aufwendungen der Krankenkasse berufen kann, wenn er Leistungen im Widerspruch zu einem gesetzlichen oder untergesetzlichen Versorgungsausschluss verordnet hat. Die verletzten Vorschriften, die der Verordnung entgegenstanden, lassen eine Berufung auf ersparte Aufwendungen der Krankenkasse nicht zu. Dafür, dass auch vertragsärztliche Vorgaben für die Erbringung eigener ärztlicher Leistungen – etwa das Verbot der Erbringung fachgebietsfremder Leistungen, bestimmte Qualifikationserfordernisse oder das Gebot der persönlichen Leistungserbringung  – abschließend sind und im Rahmen der Abrechnungsprüfung eine Berufung des Arztes auf ersparte Aufwendungen ausschließen, spricht die Vergleichbarkeit der Sachverhalte: Wenn ein Vertragsarzt der Krankenkasse ersparte Aufwendungen nicht entgegenhalten kann, wenn er andere Leistungserbringer im Widerspruch zu krankenversicherungsrechtlichen Vorschriften zu Leistun-

402

So Goecke, MedR 2002 S. 442 (447). s. zu diesen Problemen SG Dresden, Urt. v. 25.11.2015, S 18 KA 210/11, Rn. 58 (juris). 404 BT-Drs. 16/3100, S. 138. 405 Zur ebenfalls dahingehenden Rechtsprechung s. oben C. III. 1. c). 403

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gen veranlasst, muss dies auch gelten, wenn er selbst Leistungen im Widerspruch zu krankenversicherungsrechtlichen Vorgaben erbringt. Die vertragsärztlichen Vorgaben für die Leistungserbringung sind daher so zu lesen, dass sie abschließend konzipiert sind und eine Honorarberechnung auf bereicherungsrechtlicher Grundlage nicht zulassen. Bei der sachlich-rechnerischen Richtigstellung nach § 106d SGB V kann sich ein Vertragsarzt deshalb nicht darauf berufen, dass die Krankenkasse infolge der rechtswidrigen Leistungserbringung Aufwendungen erspart habe. (b) Verhängung von Sanktionen Neben der Honorarrückforderung, in deren Rahmen sich der Vertragsarzt nicht auf ersparte Aufwendungen der Krankenkasse berufen kann, kommt als weitere Folge einer rechtswidrigen Leistungserbringung die disziplinarrechtliche Ahndung dieses Rechtsverstoßes in Betracht. In § 81 SGB V ist geregelt, dass die Verletzung vertragsärztlicher Pflichten von den Kassenärztlichen Vereinigungen sanktioniert werden kann. Eine Verletzung vertragsärztlicher Pflichten kann auch in einer sachlich unrichtigen Leistungserbringung liegen, beispielsweise in der Erbringung fachgebietsfremder406 oder qualitativ unzureichender407 Leistungen. Als Sanktionsmittel kommen je nach Schwere des Verstoßes beispielsweise Ermahnungen, Geldbußen oder ein Versorgungsausschluss von bis zu zwei Jahren in Betracht. Im Vertragsarztrecht besteht somit bei einer Leistungserbringung im Widerspruch zu krankenversicherungsrechtlichen Vorgaben ein Nebeneinander von einem vollständigem Ausschluss jeglicher Zahlungsansprüche, der auf dem abschließenden Charakter der verletzten Vorschriften beruht, und – nach Schwere des Verstoßes gestufter – Sanktionierung.408 (2) Übertragbarkeit auf das Leistungserbringungsrecht der Apotheker Die Rechtslage im Vertragsarztrecht zeigt, dass die Existenz eines Sanktionsregimes dem gleichzeitigen Ausschluss von Bereicherungsansprüchen, der sich aus einem abschließenden Charakter der jeweils verletzten Vorschrift ergibt, nicht von vornherein entgegensteht. Möglicherweise sind daher auch die für Apotheker geltenden Vorschriften über die Arzneimittelabgabe in Anlehnung an die vertragsärztlichen Vorgaben für die Leistungserbringung dahingehend auszulegen, dass ihre Verletzung nicht nur zu einem Verlust des Vergütungsanspruchs führt,

406

Vgl. Kasseler Kommentar/Hess, § 95 SGB V Rn. 81. JurisPK-SGB V/Pawlita, § 95 SGB V Rn. 442 ff. 408 Vgl. BSGE 106, 222 (227). 407

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sondern auch der Entstehung eines Bereicherungsanspruchs grundsätzlich entgegensteht.409 Für die grundsätzliche Übertragbarkeit dieses Befundes aus dem Vertragsarztrecht auf das Leistungserbringungsrecht der Apotheker spricht Folgendes: Dass im Vertragsarztrecht die Verletzung krankenversicherungsrechtlicher Vorschriften nach Sinn und Zweck der verletzten Vorschriften die Berufung des Arztes auf ersparte Aufwendungen ausschließt, zeigt sich nach dem oben Gesagten am deutlichsten in § 106c III 6 SGB V. Diese Regelung betrifft insbesondere den Fall, dass ein Vertragsarzt ein nach § 34 SGB V von der Versorgung ausgeschlossenes Arzneimittel verordnet hat. Versorgungsausschlüsse nach § 34 SGB V richten sich neben dem Arzt in bestimmten Fällen gerade auch an den Apotheker.410 Es liegt fern, dass § 34 SGB V nur dem Arzt, nicht aber auch dem Apotheker im Falle eines Verstoßes die Berufung auf ersparte Aufwendungen der Krankenkasse versagt, denn Verstöße gegen dieselbe Vorschrift würden dann abhängig davon verschiedene Folgen zeitigen, welcher Leistungserbringer gegen sie verstoßen hat. Die Vorschrift des § 34 SGB V schließt daher auch gegenüber Apothekern die Geltend­ machung ersparter Aufwendungen der Krankenkasse aus. Gibt ein Apotheker ein von der Versorgung ausgeschlossenes Arzneimittel ab, erwirbt er deshalb keinen Bereicherungsanspruch gegen die Krankenkasse, mit dem er die ersparten Aufwendungen der Krankenkasse abschöpfen könnte.411 Ist damit zumindest für den Fall der Abgabe eines von der Versorgung ausgeschlossenen Arzneimittels davon auszugehen, dass der Verstoß gegen krankenversicherungsrechtliche Vorgaben die Entstehung eines Bereicherungsanspruchs hindert, so bleibt die Frage, ob auch andere Verstöße gegen krankenversicherungsrechtliche Vorgaben bei der Arzneimittelabgabe zu einem Ausschluss des Bereicherungsanspruchs führen. Im Vertragsarztrecht werden die allermeisten Vorgaben – etwa Qualifikationsanforderungen, Vorgaben über die Leistungsqualität oder formelle Voraussetzungen der Leistungserbringung – so verstanden, dass ihre Verletzung zu einem Ausschluss jeglicher Zahlungsansprüche führt.412 Eine Honorarberechnung auf bereicherungsrechtlicher Basis sei nur dann möglich, wenn sich die verletzte Vorschrift ausnahmsweise als sogenannte Ordnungs­vorschrift darstelle.413 409 Eine Orientierung am Vertragsarztrecht halten im Ergebnis auch Dettling/Altschwager, S. 64 ff., 97 f., für geboten. 410 s. oben A. III. 411 So im Ergebnis auch Dettling/Altschwager, S. 62 f.; Wesser, A&R 2010, S. 253 (255 f.). 412 Vgl. die folgenden Darstellungen von Fehlern des Arztes, die zur sachlich-rechnerischen Richtigstellung berechtigen: Großbölting, S.  81 ff.; Hauck/Noftz/Engelhard, § 106a SGB  V Rn. 26; jurisPK-SGB V/Clemens, § 106a SGB V Rn. 90 ff. 413 Vgl. BSG SozR 4-2500 § 39 Nr. 3 Rn. 23. Die Entscheidung betraf einen Vertragsarzt, der in einem Krankenhaus ambulante Operationen durchführte. Das BSG nahm dabei auf seine Rechtsprechung zu § 115b SGB V Bezug (Rn.  23). Krankenhäusern, die entgegen § 115b  II SGB V ihre Absicht, ambulante Operationen durchzuführen, nicht angezeigt haben, gewährt das BSG zumindest einen Bereicherungsanspruch. § 115b SGB V stelle lediglich eine Ordnungsvorschrift dar. S. dazu oben C. III. 1. b).

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Kap. 3: Die Rechtsbeziehungen bei der Arzneimittelabgabe

Ordnungsvorschriften sind solche Vorschriften, die zwar Vorgaben für die Leistungserbringung formulieren, die aber nicht dem Schutz krankenversicherungsrechtlich relevanter Belange wie etwa einer ordnungsgemäßen Leistungsqualität oder einer geordneten Leistungserbringung dienen.414 Ein möglicher weiterer Verstoß eines Apothekers gegen eine Abgabevorschrift kann etwa darin liegen, dass er die pharmazeutischen Vorgaben des § 129  I  2 SGB  V bei der Substitution verletzt, indem er beispielsweise ein Arzneimittel mit anderer Wirkstärke abgibt. Hier stellt sich ebenfalls die Frage, ob diese Vorschrift einen Bereicherungsanspruch ausschließt. Für einen Ausschluss des Berei­ cherungsanspruchs spricht ein Erst-recht-Schluss zu § 34 SGB  V: Wenn bereits bei Abgabe eines Arzneimittels, dessen Anwendung aus medizinisch-pharmazeutischer Sicht vertretbar ist, das aber nach § 34 SGB V zur Kostenbegrenzung von der Versorgung ausgeschlossen wurde, die Berufung auf ersparte Aufwendungen ausgeschlossen ist, muss eine Berufung auf ersparte Aufwendungen erst recht ausgeschlossen sein, wenn die Abgabe des Arzneimittels sogar im Widerspruch zu medizinisch-pharmazeutischen Vorgaben des Krankenversicherungsrechts erfolgt: Ein Verstoß gegen fachliche Vorgaben wiegt vergleichsweise schwerer, weil eine Gesundheitsschädigung des Versicherten droht und diese Schädigung gleichzeitig Folgekosten für die Krankenkasse verursachen kann. Eine Arzneimittelabgabe im Widerspruch zu gesetzlichen Vorgaben liegt ebenfalls vor, wenn ein Apotheker ein Arzneimittel auf eine formell fehlerhafte Verordnung hin abgibt. Infolge der Vorschrift des § 129 IV 2 SGB V und der auf ihrer Grundlage in § 3 RV-AV vereinbarten Retaxationsausschlussliste wirkt sich die Belieferung eines formell fehlerhaften Rezepts in den meisten Fällen ohnehin auf den Vergütungsanspruch des Apothekers nicht mehr aus. Soweit das ärztliche Rezept allerdings gegen zwingende Vorschriften der Arzneimittelverschreibungsverordnung verstößt, wird der Vergütungsanspruch nicht durch die Retaxationsausschlussliste aufrechterhalten.415 In diesem Fall könnte der Apotheker allenfalls einen Bereicherungsanspruch gegen die Krankenkasse geltend machen. Gegen die Entstehung eines Bereicherungsanspruchs spricht aber wiederum ein Erst-rechtSchluss zu § 34 SGB V: Die Abgabe von Arzneimitteln auf ein Rezept, das nicht den Anforderungen der Arzneimittelverschreibungsverordnung genügt, ist arzneimittelsicherheitlich bedenklich416 und stellt keine ordnungsgemäße pharmazeu­ tische Tätigkeit dar. Ein Abgabefehler des Apothekers kann schließlich darin liegen, dass er bei der Arzneimittelabgabe gegen eine kollektivvertragliche, d. h. durch den Rahmenvertrag oder einen ergänzenden Vertrag auf Landesebene begründete Vorschrift verstößt. Um die Rechtsfolge des Rechtsverstoßes festzustellen, muss die konkret verletzte Bestimmung ausgelegt werden, ob ihr eine abschließende Wirkung zu 414

Vgl. BSGE 94, 213 (221). s. dazu oben B. V. 1. d) aa). 416 s. oben B. V. 1. d) aa). 415

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kommen soll. Da gesetzliche Vorschriften über die Arzneimittelabgabe regelmäßig als abschließend konzipiert sind, besteht jedenfalls eine Vermutung, dass die Kollektivvertragspartner ihre Regelungen ebenfalls als abschließend konzipiert haben.417 Die Existenz des Sanktionsregimes nach § 129 IV 1, 3 SGB V steht dem Ausschluss von Bereicherungsansprüchen im Falle einer fehlerhaften Arzneimittel­ abgabe somit nicht entgegen, sondern es ist  – wie im Vertragsarztrecht  – ein Nebeneinander von Sanktionierung und dem Ausschluss von Bereicherungsansprüchen möglich. Die Retaxation auf Null bildet insoweit für das Leistungserbringungsrecht der Apotheker das Pendant zur vollständigen Honorarkürzung, wie sie im Vertragsarztrecht im Rahmen der sachlich-rechnerischen Richtigstellung nach § 106d SGB V erfolgt. Da die Retaxation auf Null das Pendant zur vollständigen Honorarkürzung im Vertragsarztrecht darstellt, wird der systematische Standort von § 129  IV 2 SGB V, der die Rahmenvertragspartner zur Schaffung einer Regelung verpflichtet, in welchen Fällen ein Apotheker trotz eines Abgabefehlers seinen Vergütungsanspruch behält, in Bezug auf die vorausgehende und nachfolgende Vorschrift zu Recht als „nicht zwingend“418 bezeichnet. Sowohl der vorausgehende Satz 1 mit der Verpflichtung, im Rahmenvertrag Maßnahmen im Falle von Pflichtverletzungen zu regeln, als auch der nachfolgende Satz 3 mit der Verpflichtung, im Rahmenvertrag für gröbliche und wiederholte Pflichtverletzungen einen Versorgungsausschluss zu regeln, betreffen Sanktionen für Pflichtverletzungen. Die in Satz 2 angesprochene Retaxation auf Null, die die Rahmenvertragsparteien nach Maßgabe dieser Vorschrift ausschließen können, stellt allerdings keine Sanktion, sondern das Pendant zur vollständigen Honorarkürzung und damit letztlich die Grund-Rechtsfolge einer fehlerhaften Arzneimittelabgabe dar.419 bb) Retaxation auf Null auch bei Verstößen gegen § 129 I 1 Nr. 1, Nr. 2 SGB V? Eine Ausnahme von dem Grundsatz, dass ein Abgabefehler zum Entfall jeglicher Zahlungsansprüche gegen die Krankenkasse führt, könnte aber für den Fall bestehen, dass der Fehler des Apothekers in der Abgabe eines unwirtschaftlichen Arzneimittels entgegen den Vorgaben von § 129 1 Nr. 1, Nr. 2 SGB V liegt, also in der Abgabe eines nicht preisgünstigen oder eines nicht rabattierten Arzneimittels. Dafür, dass ein Apotheker in diesem Fall einen Bereicherungsanspruch erwirbt, könnte wiederum ein systematischer Vergleich mit dem Vertragsarztrecht sprechen. 417

Das BSG folgert dieses Ergebnis in allgemeiner Form aus dem Normcharakter der Verträge: BSG SozR 4-2500 § 129 Nr. 11 Rn. 42. 418 Eichenhofer/Wenner/Armbruster, § 129 SGB V Rn. 82. 419 Vgl. Eichenhofer/Wenner/Armbruster, § 129 SGB V Rn. 82.

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Kap. 3: Die Rechtsbeziehungen bei der Arzneimittelabgabe

Dabei kommen zwei Ansatzpunkte in Betracht, nämlich ein Vergleich mit der unwirtschaftlichen Erbringung eigener ärztlicher Leistungen sowie ein Vergleich mit der Verordnung von Arzneimitteln unter Verletzung des Wirtschaftlichkeitsgebots. (1) Vergleich mit der unwirtschaftlichen Erbringung ärztlicher Leistungen Da § 129 I SGB V eine spezialgesetzliche Konkretisierung der Pflicht zum wirtschaftlichen Handeln im engeren Sinne darstellt,420 liegt ein Vergleich mit der Situation nahe, dass ein Vertragsarzt ärztliche Leistungen in unwirtschaftlicher Weise erbringt. Die Einhaltung des Wirtschaftlichkeitsgebots bei der Erbringung ärztlicher Leistungen ist Gegenstand der Wirtschaftlichkeitsprüfung nach §§ 106, 106a SGB V.421 Die sachlich-rechnerische Richtigstellung erfasst hingegen nur die Erbringung „an sich“ nicht abrechnungsfähiger oder qualitativ nicht ordnungsgemäßer Leistungen.422 Die Rechtsfolge der Wirtschaftlichkeitsprüfung besteht nicht in einem vollständigen Ausschluss der Vergütung für unwirtschaftlich erbrachte Leistungen, sondern der Vertragsarzt muss der Krankenkasse nur den von ihm konkret verursachten Schaden ersetzen. Hierzu wird sein Honorar in Höhe des unwirtschaftlichen Mehraufwands gekürzt.423 Der Kürzungsbetrag darf diesen Mehraufwand nicht überschreiten.424 Da Vertragsärzte für die unwirtschaftliche Erbringung ärztlicher Leistungen nur in Höhe des verursachten Schadens haften, könnte möglicherweise auch die Haftung eines Apothekers, der ein Arzneimittel im Widerspruch zu § 129 I 1 Nr. 1, Nr. 2 SGB V abgibt, auf die dadurch konkret verursachten Mehrkosten zu begrenzen sein. Eine Haftungsbegrenzung auf die verursachten Mehrkosten wird erreicht, wenn dem Apotheker zwar der Vergütungsanspruch versagt wird, ihm aber ein Bereicherungsanspruch in Höhe der von der Krankenkasse ersparten Aufwendungen, also der hypothetischen Kosten für ein wirtschaftliches Arzneimittel, zuerkannt wird. Kein vollständiger Ausschluss von Zahlungsansprüchen ist nach der Rechtsprechung des BSG denn auch im Krankenhausbereich geboten, wenn ein Krankenhaus Leistungen unter Verletzung der Pflicht zum wirtschaftlichen Handeln im 420 Zu § 129 SGB V als Ausprägung des Gebots zum wirtschaftlichen Handeln im engeren Sinne vgl. Hauck/Noftz/Luthe, § 129 SGB V Rn. 20; Hauck/Noftz/Noftz, § 12 SGB V Rn. 15; Wesser, A&R 2010, S. 205 (209); BSG SozR 4-2500 § 129 Nr. 9 Rn. 24. 421 Großbölting, S. 113; Hauck/Noftz/Engelhard, § 106a SGB V Rn. 21; Kasseler Kommentar/Hess, § 106 SGB V Rn. 3. 422 Großbölting, S. 113 mit Fn. 80; Hauck/Noftz/Engelhard, § 106a SGB V Rn. 28. Vgl. auch Becker/Kingreen/Scholz, § 106 SGB V [in der bis 31.12.2016 geltenden Fassung] Rn. 5. 423 s. dazu BeckOK-SozR/Scholz, § 106 SGB V Rn. 33; Clemens, in: Laufs/Kern, § 26 Rn. 135. 424 Wiegand, Kassenarztrecht, § 106 SGB V Rn. 39; LPK/Murawski, § 106 SGB V Rn. 101; BSGE 50, 84 (86). Vgl. auch Knopp, S. 108.

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engeren Sinne erbringt; vielmehr erkennt das BSG einem Krankenhaus in mittlerweile ständiger Rechtsprechung einen Zahlungsanspruch in Höhe des Betrages zu, den das Krankenhaus bei fiktivem wirtschaftlichem Alternativverhalten als Vergütung hätte beanspruchen können.425 Ein vollständiger Vergütungsausschluss sei nicht geboten, wenn das Krankenhaus eine an sich gebotene Behandlung unwirtschaftlich ausgestalte.426 Ursprünglich waren insoweit Fälle Entscheidungsgegenstand, in denen Patienten stationär behandelt wurden, obwohl die Notwendigkeit einer stationären Behandlung zwischenzeitlich entfallen war.427 Dem Krankenhaus wurde die Vergütung für die Tage verweigert, während derer sich der Versicherte ohne Notwendigkeit im Krankenhaus befunden hatte.428 Hier wurde im Ergebnis lediglich der geltend gemachte Vergütungsanspruch auf die Zeitdauer gekürzt, während der eine stationäre Behandlung notwendig war.429 Später wurde dann allerdings der Fall entschieden, dass ein Krankenhaus die Behandlung eines Patienten in zwei durch mehrere Tage unterbrochene Belegabschnitte, für die jeweils unterschiedliche Fallpauschalen in Ansatz gebracht wurden, aufgespalten und durch diese Fallteilung Mehrkosten verursacht hat.430 Dem Krankenhaus wurde eine Vergütung in der Höhe gewährt, wie sie entstanden wäre, wenn der Versicherte an einem Stück behandelt worden wäre. Zur Bestimmung der Vergütungshöhe sei zu ermitteln, welche Fallpauschale bei einer durchgehenden Behandlung einschlägig gewesen wäre und wie lange eine durchgehende Behandlung gedauert hätte.431 Ein Anspruch in Höhe der bei fiktivem wirtschaftlichem Alternativverhalten angefallenen Kosten wurde schließlich weiterhin in dem Fall bejaht, dass ein Krankenhaus eine unwirtschaftliche Therapiealternative gewählt hat.432 In diesen beiden Konstellationen wurde dem Krankenhaus im Ergebnis der primäre Vergütungsanspruch wegen der Verletzung des Wirtschaftlich 425

Zu diesem Grundsatz und zur Bezeichnung als ständige Rechtsprechung s. BSGE 118, 219 (222); BSG SozR 4-5562 § 2 Nr.  1 Rn.  18; BSG, NZS 2017, 145 (147); BSG, Urt. v. 28.3.2017, B 1 KR 29/16 R, Rn. 14 (juris). – Zustimmend aus der Literatur zu dieser Rechtsprechung: BeckOK SozR/Joussen, § 12 SGB V Rn. 9a; jurisPK-SGB V/Plagemann, § 2 SGB V Rn. 27; jurisPK-SGB V/Wahl, § 109 SGB V Rn. 150; Frigger, MedR 2015, S. 897 (898 f.). 426 BSGE 116, 138 (145); 118, 155 (160 f.); BSG, Urt. v. 10.3.2015, B 1 KR 3/15 R, Rn. 27 (juris). 427 BSGE 102, 172 ff.; 102, 181 ff.; 104, 15 ff. S. später BSGE 118, 219 ff.; BSG SozR 4-2500 § 109 Nr. 52. 428 Vgl. jeweils BSGE 102, 172 (175 ff.); 102, 181 (184 ff.); 104, 15 (15 f.); 118, 219 (222 ff.); BSG SozR 4-2500 § 109 Nr. 52 Rn. 18. – Für die Vergütung von Heilmittelerbringern, die einen Patienten behandelt haben, obwohl die Verordnung die zulässige Höchstverordnungsdauer überschritten hat, offengelassen von BSGE 109, 116 (121). 429 Vgl. BSGE 116, 138 (145); BSG, Urt. v. 10.3.2015, B 1 KR 3/15 R, Rn. 27 (juris). 430 BSGE 116, 138 ff.; BSG, Urt. v. 10.3.2015, B 1 KR 3/15 R (juris). 431 BSGE 116, 138 (145 f.); BSG, Urt. v. 10.3.2015, B 1 KR 3/15 R, Rn. 28 (juris). 432 BSGE 118, 155 (160 f.): Gabe von Thrombozyten-Apheresekonzentrat anstatt Gabe gepoolter Thrombozytenkonzentrate. – Zustimmend Korthus, KH 2016, S. 53 (54). Der Rechtsprechung des BSG stimmt ebenfalls zu Frigger, MedR 2015, S. 897 (898 f.), der aber annimmt, dass das Krankenhaus im konkreten Fall nicht noch wirtschaftlicher hätte handeln können, als es bereits gehandelt hat.

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Kap. 3: Die Rechtsbeziehungen bei der Arzneimittelabgabe

keitsgebots versagt, ihm aber ein Bereicherungsanspruch für die erbrachte Leistung gewährt, dessen Höhe auf die Kosten begrenzt ist, die der Krankenkasse bei einer hypothetischen wirtschaftlichen Therapie entstanden wären.433 In den Entscheidungen zur unwirtschaftlichen Fallteilung sowie zur Wahl einer unwirtschaftlichen Therapiealternative durch Krankenhäuser setzt sich das BSG auch mit seiner Rechtsprechung zur Retaxation auf Null wegen Abgabe eines nicht rabattierten Arzneimittels im Widerspruch zu § 129 I 1 Nr. 1, S. 3 SGB V auseinander.434 Zwischen der unwirtschaftlichen Fallteilung bzw. der unwirtschaftlichen Therapiewahl durch Krankenhäuser und der Abgabe eines Arzneimittels unter Missachtung eines bestehenden Rabattvertrages bestünden Unterschiede, die es rechtfertigten, dass zwar das unwirtschaftlich handelnde Krankenhaus einen Zahlungsanspruch gegen die Krankenkasse erwerbe, aber nicht der Apotheker, der § 129 I 3 SGB V verletze. Während die betroffenen Krankenhäuser nur eine an sich gebotene Behandlung unwirtschaftlich ausgestalteten, gebe ein Apotheker, der den Vorrang rabattierter Arzneimittel nach § 129 I 3 SGB V missachte, Arzneimittel ab, die bereits ihrer Art nach unwirtschaftlich seien.435 Was es bedeutet, dass im Widerspruch zu § 129 I 3 SGB V abgegebene Arzneimittel „ihrer Art nach unwirtschaftlich“ seien, wird aus dem Verweis auf ein anderes Urteil in diesen Entscheidungen deutlich. Bezug genommen wird auf eine Entscheidung des BSG vom 1.3.2011, BSGE 107, 287 = SozR 4-2500 § 35 Nr. 4 Rn. 24, wo die „Regelungskonzeption“ der Arzneimittelversorgung beschrieben sei.436 Diese Entscheidung betrifft einen Fall, in dem ein Versicherter gegen seine Krankenkasse auf die Versorgung mit einem Arzneimittel klagt und dabei inzident die Rechtmäßigkeit des festgesetzten Festbetrags prüfen lassen will. Das BSG führt dort aus, dass Arzneimittelfestbeträge anders als Hilfsmittelfestbeträge bei der Prüfung des Umfangs des Leistungsanspruchs eines Versicherten nicht inzident auf ihre Rechtmäßigkeit kontrolliert werden könnten. Zur Begründung des Ergebnisses stellt das BSG verschiedene Regelungen der Arznei- und Hilfsmittelversorgung einander gegenüber. An der zitierten Stelle heißt es dann: „Arzneimittel, die über das Maß des Notwendigen hinausgehen oder unwirtschaftlich sind, weil sie gegenüber gleich geeigneten, ausreichenden und erforderlichen Mitteln teurer sind, sind aus dem Leistungskatalog der GKV grundsätzlich ausgeschlossen.“ Zuvor war in Rn. 23 des Urteils ein Konzept der Hilfsmittelversorgung herausgearbeitet worden, das nach § 33 I 5 SGB V darin bestehe, dass Versicherte auch ein 433

JurisPK-SGB V/Wahl, § 109 SGB V Rn. 178. Korthus, KH 2016, S. 53 (54) spricht von einem „ersatzweisen Vergütungsanspruch“. 434 BSGE 116, 138 (145), BSGE 118, 155 (160 f.) sowie BSG, Urt. v. 10.3.2015, B 1 KR 3/ 15 R, Rn. 27 (juris) beziehen sich auf die Entscheidung SozR 4-2500 § 129 Nr. 9, wo sich das BSG mit den Folgen der rabattvertragswidrigen Arzneimittelabgabe befasst hat. 435 BSGE 116, 138 (145); 118, 155 (160 f.); BSG, Urt. v. 10.3.2015, B 1 KR 3/15 R, Rn. 27 (juris). 436 BSGE 116, 138 (145); 118, 155 (160 f.); BSG, Urt. v. 10.3.2015, B 1 KR 3/15 R, Rn. 27 (juris).

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Hilfsmittel wählen können, das das Maß des Notwendigen überschreite. Die Krankenkassen übernähmen die Kosten bis zur Grenze des Notwendigen, die Mehrkosten müsse der Versicherte tragen. Die „Regelungskonzeption“ der Arzneimittelversorgung, die der zitierten Entscheidung entnommen wird, dürfte folglich darin bestehen, dass unwirtschaftliche Arzneimittel von einem Versicherten generell nicht beansprucht werden können, während unwirtschaftliche Hilfsmittel lediglich die Notwendigkeit der Mehrkostentragung durch den Versicherten auslösen. Ob sich unter Rekurs auf dieses Urteil die in den Entscheidungen zur unwirtschaftlichen Krankenhausbehandlung vorgenommene Differenzierung zwischen unwirtschaftlich handelnden Krankenhäusern einerseits und gegen § 129 I 1 Nr. 1, S. 3 SGB V verstoßenden Apothekern andererseits rechtfertigen lässt, scheint aber zweifelhaft.437 Die unwirtschaftliche Krankenhausbehandlung konnte von den betroffenen Versicherten gemäß § 12 SGB V – das wird in den Entscheidungen an anderer Stelle sogar ausdrücklich so formuliert438 – nämlich ebenfalls nicht beansprucht werden. Hinzu kommt, dass ein strikter Grundsatz, dass unwirtschaftliche Arzneimittel von Versicherten nicht beansprucht werden, seit Inkrafttreten der sog. Mehrkostenregelung nicht mehr existiert: Nach § 129 I 6 SGB V können Versicherte auch andere als rabattierte oder preisgünstige Arzneimittel im Wege der Kostenerstattung erhalten und müssen dabei die Mehrkosten für das Wunscharzneimittel tragen. Es scheint somit im Gegenteil näherliegend, Apothekern, die Arzneimittel im Widerspruch zu § 129 I 1 Nr. 1, Nr. 2 SGB V abgeben, einen Bereicherungsanspruch zuzuerkennen. (2) Vergleich mit der Verordnung von Arzneimitteln im Widerspruch zum Wirtschaftlichkeitsgebot Weiterhin könnte für die Zuerkennung eines Bereicherungsanspruchs ein Vergleich mit den Rechtsfolgen sprechen, die einen Arzt bei der Verordnung von Arzneimitteln entgegen dem Gebot zum wirtschaftlichen Handeln im engeren Sinne treffen. Für Vertragsärzte folgt aus dem Gebot zum wirtschaftlichen Handeln im engeren Sinne unter anderem die Pflicht, bei therapeutischer Gleichwertigkeit in erster Linie rabattierte Arzneimittel439 und allgemein preisgünstige Arzneimittel anstelle teurer Arzneimittel440 zu verordnen. 437 Einen Widerspruch scheint auch Felix, SGb 2017, S. 259 (262 f. mit Fn. 132), zu sehen, die die Rechtsprechung des BSG zum fiktiven wirtschaftlichen Alternativverhalten für „überraschend“ hält, obwohl das BVerfG die Retaxation auf Null bei Nicht-Abgabe eines Rabattarzneimittels für verfassungsgemäß hielt. 438 BSGE 116, 138 (143); 118, 155 (159 f.); BSG, Urt. v. 10.3.2015, B 1 KR 3/15 R, Rn. 24 (juris). 439 Für „durch § 106 SGB V“ halten den Arzt für zur vorrangigen Verordnung rabattierter Arzneimittel verpflichtet Byok/Csaki, NZS 2008, S. 402 (404). 440 Reese/Stallberg, in: Dieners/Reese, § 17 Rn.  245. Vgl. auch jurisPK-SGB  V/Clemens, § 106 SGB V Rn. 129; BSG SozR 4-2500 § 106 Nr. 6 Rn. 27 ff.

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Kap. 3: Die Rechtsbeziehungen bei der Arzneimittelabgabe

Die Wirtschaftlichkeit der Verordnungstätigkeit ist Gegenstand der in § 106b SGB  V geregelten Wirtschaftlichkeitsprüfung für ärztlich verordnete Leistungen. Auf welche Weise die Einhaltung des Wirtschaftlichkeitsgebots geprüft wird, schreibt die Vorschrift des § 106b SGB V nicht näher vor, sondern die Modalitäten der Prüfung sind nach § 106b I 1 SGB V von den Kassenärztlichen Vereinigungen und Krankenkassenverbänden auf Landesebene festzulegen. Aus entstehungsgeschichtlicher Sicht ist für die Ausgestaltung der Prüfungen aber zu beachten, dass § 106b SGB V Regelungsnachfolger von § 106 SGB V a. F. in der bis zum 31.12.2016 geltenden Fassung ist, wo bislang die Prüfung ärztlicher und ärztlich veranlasster Leistungen geregelt war.441 Der Vorschrift des § 106 SGB V a. F. lag – wie sogleich zu zeigen ist – das Prinzip zugrunde, dass ein Vertragsarzt bei der Verordnung von Arzneimitteln entgegen dem Wirtschaftlichkeitsgebot nur in Höhe des von ihm konkret verursachten Schadens haften musste.442 Vor dem Hintergrund der Vorläuferregelung des § 106 SGB V a. F. haftet auch im Rahmen der Prüfung nach § 106b SGB V ein Arzt, der Arzneimittel unter Verletzung des Wirtschaftlichkeitsgebots verordnet, nur für den tatsächlich von ihm verursachten Schaden.443 (a) Haftung des unwirtschaftlich verordnenden Arztes für den konkreten Schaden Die dominierende Prüfmethode für das Verordnungsverhalten unter Geltung von § 106 SGB  V a. F. war die sog. Richtgrößenprüfung.444 Bei der Richtgrößenprüfung wurden die von einem Arzt in einem Kalenderjahr445 verursachten Arzneimittelkosten, die sich durch Addition der Apothekenabgabepreise aller in diesem Jahr verschriebenen Arzneimittel und durch Abzug eines pauschalen Abschlags für verschriebene Rabattarzneimittel446 ergaben, mit dem sog. Richt­ größenvolumen verglichen.447 Das Richtgrößenvolumen ergab sich, indem die Zahl der Behandlungsfälle des Arztes mit der sogenannten Richtgröße multipliziert wurde.448 Die Richtgröße war eine auf Landesebene zwischen Kassenärztlicher 441

Vgl. zur Berücksichtigung der zu § 106 SGB V a. F. ergangenen Rechtsprechung bei der Anwendung und Auslegung von § 106b SGB V: Hauck/Noftz/Engelhard, § 106b SGB V Rn. 49. 442 Zum Schadensersatzcharakter der Wirtschaftlichkeitsprüfung ärztlich verordneter Leistungen vgl. jeweils Wenner, § 27 Rn.  12; Hauck/Noftz/Engelhard, § 106 SGB  V Rn.  89 f., § 106b SGB V Rn. 10; BSGE 94, 273 (277); 95, 199 (205). 443 Vgl. zum Schadensersatzcharakter von § 106b SGB V Hauck/Noftz/Engelhard, § 106b SGB V Rn. 10. 444 Vgl. Wenner, § 27 Rn. 6; Hauck/Noftz/Engelhard, § 106 SGB V Rn. 168; jurisPK-SGB V/ Clemens, § 106 SGB V Rn. 43. 445 § 106 II 5 SGB V a. F. 446 § 106 Vc 1 SGB V a. F. 447 Zur Richtgrößenprüfung s. Eichenhofer/Wenner/Seifert, § 106 SGB V Rn. 12 ff.; Hauck/ Noftz/Engelhard, § 106 SGB V Rn. 168 ff.; jurisPK-SGB V/Clemens, § 106 SGB V Rn. 248 ff. 448 Hauck/Noftz/Engelhard, § 106 SGB V Rn. 185.

C. Vergütungsrechtliche Folgen

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Vereinigung und Krankenkassenlandesverbänden kollektivvertraglich vereinbarte Soll-Vorgabe, wie hoch die Arzneimittelkosten pro Behandlungsfall maximal ausfallen sollen.449 Eine Überschreitung des Richtgrößenvolumens konnte verschiedene Ursachen haben. Sie konnte aus der Verordnung zu vieler oder nicht notwendiger Arzneimittel folgen,450 aber auch aus der Verordnung zu teurer Arzneimittel eines bestimmten Wirkstoffs unter Außerachtlassung preisgünstiger oder rabattierter Arzneimittel. Überschritt das Verordnungsvolumen des Arztes das Richtgrößenvolumen um 25 %, musste er der Krankenkasse den aus der Überschreitung resultierenden Mehraufwand ersetzen,451 d. h. den von ihm verursachten Schaden, der in der Differenz zwischen den von ihm verursachten Arzneimittelkosten und dem Richtgrößenvolumen zuzüglich des 25-Prozent-Zuschlags bestand.452 Eine weitere Prüfmethode unter Geltung von § 106 SGB V a. F. war die Stichprobenprüfung.453 Bei der Stichprobenprüfung wurde nicht die Gesamtheit der von einem Arzt in einem bestimmten Zeitraum verursachten Kosten, sondern nur eine konkrete Verordnung untersucht. Hauptanwendungsfall der Stichprobenprüfung war in der Praxis zwar die Prüfung, ob eine Verordnung „an sich“ überhaupt zulässig war, ob ihr also kein Verordnungsausschluss oder das grundsätzliche Verbot des Off-Label-Use entgegenstand.454 Daneben wurde mit der Stichprobenprüfung aber ebenfalls die Einhaltung des Gebots zum wirtschaftlichen Handeln im engeren Sinne überwacht; mit ihrer Hilfe konnten Unwirtschaftlichkeiten im einzelnen Behandlungsfall festgestellt werden, die etwa bei einer Richtgrößenprüfung nicht entdeckt worden wären.455 Wurde im Rahmen einer Stichprobenprüfung festgestellt, dass ein Arzt ein zu teures Arzneimittel verordnet hatte, haftete er nur in Höhe der Differenz zwischen den Kosten des verordneten Arzneimittels und den Kosten, die für ein günstiges Arzneimittel angefallen wären.456 Denn auch im Rahmen der Stichprobenprüfung musste ein Arzt bei Verletzung des Gebots zum wirtschaftlichen Handeln im engeren Sinne grundsätzlich nur in Höhe des von ihm tatsächlich verursachten unwirtschaftlichen Mehraufwands haften.457 449 § 84 VI 1 SGB  V a. F. Zur Richtgrößenbemessung s. Hauck/Noftz/Engelhard, § 106 SGB V Rn. 178 ff.; jurisPK-SGB V/Clemens, § 106 SGB V Rn. 267 ff. 450 Vgl. jurisPK-SGB V/Clemens, § 106 SGB V Rn. 248. 451 § 106 Va 3 SGB V a. F. 452 Hauck/Noftz/Engelhard, § 106 SGB V Rn. 205a; jurisPK-SGB V/Clemens, § 106 SGB V Rn. 289. 453 Zur Stichprobenprüfung s. Eichenhofer/Wenner/Seifert, § 106 SGB V Rn. 36 ff.; Hauck/ Noftz/Engelhard, § 106 SGB V Rn. 253 ff.; jurisPK-SGB V/Clemens, § 106 SGB V Rn. 126 ff. 454 Eichenhofer/Wenner/Seifert, § 106 SGB V Rn. 36. 455 Hauck/Noftz/Engelhard, § 106 SGB V Rn. 255; v. Langsdorff, in: Handbuch des Krankenversicherungsrechts, § 24 Rn. 14. Vgl. auch BSG SozR 4-2500 § 106 Nr. 17 Rn. 13 f.; SozR 4-2500 § 106 Nr. 51 Rn. 24. 456 So für die Verordnung teurer Originalarzneimittel anstelle von Generika jurisPK-SGB V/ Clemens, § 106 SGB V Rn. 129; BSG SozR 4-2500 § 106 Nr. 6 Rn. 27 ff. 457 Vgl. die Entscheidung BSG SozR 4-2500 § 106 Nr. 51 betreffend einen Arzt, der einen unwirtschaftlichen Bezugsweg für Arzneimittel gewählt hat. Im Rahmen der Stichprobenprüfung wurde er in Höhe des Differenzbetrages in Regress genommen (Rn. 3, 41). Das BSG hat

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Kap. 3: Die Rechtsbeziehungen bei der Arzneimittelabgabe

Auf den vollen Abgabepreis des Arzneimittels hafteten Ärzte lediglich bei Verletzung eines Versorgungsausschlusses oder bei Ausstellung einer unzulässigen Off-Label-Verordnung458. (b) Übertragbarkeit des Haftungsmaßstabes auf Apotheker Das Prinzip, dass ein Vertragsarzt für die Verordnung von Arzneimitteln entgegen dem Gebot zum wirtschaftlichen Handeln im engeren Sinne nur in Höhe des tatsächlich verursachten Schadens haftet, könnte für die Bestimmung der Rechtsfolgen, die Apotheker bei der Abgabe nicht preisgünstiger oder nicht rabattierter Arzneimittel im Widerspruch zu § 129 I 1 Nr. 1, Nr. 2 SGB V treffen, als Maßstab heranzuziehen sein. Ein Apotheker, der es unterlässt, ein günstiges oder ein rabattiertes Arzneimittel abzugeben, würde gegenüber der Krankenkasse dann nur für den Differenzbetrag zwischen dem Preis des abgegebenen und dem des eigentlich abzugebenden Arzneimittels aufkommen müssen. Dieses Ergebnis würde erreicht, wenn dem Apotheker der Vergütungsanspruch zwar versagt, ihm dafür aber ein Bereicherungsanspruch in Höhe des Betrags gewährt würde, den die Krankenkasse für die Versorgung des Versicherten mit einem wirtschaftlichen Arznei­ mittel hätte aufwenden müssen. Eine derartige Auslegung des Leistungserbringungsrechts der Apotheker unter Berücksichtigung der einen Vertragsarzt nach § 106b SGB V treffenden Rechtsfolgen könnte sogar verfassungsrechtlich vor dem Hintergrund des allgemeinen Gleichheitssatzes geboten sein. Der allgemeine Gleichheitssatz gebietet, wesentlich Gleiches nicht ohne rechtfertigenden Grund ungleich zu behandeln.459 Die Abgabe nicht preisgünstiger bzw. nicht rabattierter Arzneimittel durch Apotheker entgegen § 129 I 1 Nr. 1, Nr. 2 SGB V einerseits und die Verordnung teurer statt günstiger bzw. rabattierter Arzneimittel durch Vertragsärzte andererseits könnten vergleichbare Sachverhalte darstellen. Für die Vergleichbarkeit der Sachverhalte spricht, dass in beiden Fällen die Verursachung von Mehrkosten durch Leistungserbringer im Raum steht, die darauf zurückzuführen ist, dass unter mehreren Arzneimitteln eines Wirkstoffs ein unwirtschaftliches ausgewählt wird. Die Vergleichbarkeit wird dadurch verstärkt, dass sowohl für die Auswahlentscheidung des Apothekers als auch für die Auswahlentscheidung des Arztes de facto dieselben Vorgaben gelten: Apothekern wird zwar in § 129 I 1 Nr. 1, Nr. 2 SGB V detailliert vorgeschrieben, dass sie vorrangig rabattierte und subsidiär zumindest preisgünstige Arzneimittel abgeben die Regressberechnung als korrekt bezeichnet (Rn. 50). – In der Entscheidung SozR 4-2500 § 106 Nr. 17 hatte ein Arzt eine zu große Menge eines Inhalats verordnet. Die Regresssumme beschränkte sich auf den Wert der zu viel verordneten Arzneimittelmenge (Rn. 20). 458 s. oben C. III. 1. c). 459 Zum allgemeinen Gleichheitssatz s. nur: Huster, Rechte und Ziele; P. Kirchhof, in: Handbuch des Staatsrechts, Bd. VIII, § 181; BVerfGE 122, 210 (230 ff.); 130, 240 (252 ff.).

C. Vergütungsrechtliche Folgen

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müssen, während Vertragsärzte bei ihrer Verordnung nur an das allgemeine Wirtschaftlichkeitsgebot gebunden sind. Die Vorschrift des § 129 I 1 Nr. 1, Nr. 2 SGB V konkretisiert aber lediglich das Gebot zum wirtschaftlichen Handeln im engeren Sinne.460 Für Vertragsärzte lässt sich dementsprechend bereits aus dem allgemeinen Wirtschaftlichkeitsgebot die Pflicht herleiten, bei therapeutischer Gleichwertigkeit in erster Linie rabattierte Arzneimittel461 und allgemein preisgünstige Arzneimittel anstelle teurer Arzneimittel462 zu verordnen. Apotheker wie Vertragsärzte sind daher aufgrund des Wirtschaftlichkeitsgebots bzw. einer spezialgesetzlichen Ausprägung des Wirtschaftlichkeitsgebots gleichermaßen verpflichtet, Versicherte vorzugsweise mit rabattierten und preisgünstigen Arzneimitteln zu versorgen. Weiterhin müssten Apotheker und Ärzte ungleich behandelt werden. Ein unwirtschaftlich verordnender Vertragsarzt haftet der Krankenkasse nur in Höhe des Differenzbetrags zwischen dem Preis des verordneten teuren und dem des eigentlich zu verordnenden wirtschaftlichen Arzneimittels und damit in Höhe des konkret von ihm verursachten Schadens. Ein auf Null retaxierter Apotheker würde hingegen finanziell stärker belastet als es für den Schadensausgleich erforderlich ist, denn er würde jegliche Zahlungsansprüche gegen die Krankenkasse verlieren. Würde man auch bei der Verletzung von § 129 I 1 Nr. 1, Nr. 2 SGB V eine Retaxation auf Null anerkennen, würde die Berechnung der von Vertragsarzt einerseits und Apotheker andererseits zu zahlenden Beträge folglich unterschiedlichen Grundsätzen folgen. Es scheint daher, dass Vertragsärzte und Apotheker ungleich behandelt würden. Eine Ungleichbehandlung von in Regress genommenem Arzt und retaxiertem Apotheker ließe sich nur bezweifeln, wenn man den Verordnungsregress und die Retaxation auf Null im Schwerpunkt unter dem Gesichtspunkt vergleicht, welche wirtschaftliche Belastung sie jeweils für den Arzt und den Apotheker bewirken. Für einen Vertragsarzt ist bereits ein Regress in Höhe des von ihm tatsächlich verursachten Schadens finanziell sehr belastend, da er für die Ausstellung der Verordnung keine nennenswerte Vergütung erhält,463 die durch den Regress zunächst aufgezehrt würde und so die Regressfolgen abmildern könnte.464 Würde ein Apotheker nur in Höhe des tatsächlich verursachten Schadens haften, wären für ihn die finanziellen Folgen einer pflichtwidrigen Arzneimittelabgabe dagegen überschaubar. Er würde lediglich dann einen Verlust erleiden, wenn sein Bereicherungsanspruch – dessen Höhe bemisst sich nach den Kosten, die für ein wirtschaft 460

Vgl. Hauck/Noftz/Luthe, § 129 SGB V Rn. 20; Hauck/Noftz/Noftz, § 12 SGB V Rn. 15; Wesser, A&R 2010. S. 205 (209); BSG SozR 4-2500 § 129 Nr. 9 Rn. 24. 461 Für „durch § 106 SGB V“ halten den Arzt für zur vorrangigen Verordnung rabattierter Arzneimittel verpflichtet Byok/Csaki, NZS 2008, S. 402 (404). 462 Reese/Stallberg, in: Dieners/Reese, § 17 Rn.  245. Vgl. auch jurisPK-SGB  V/Clemens, § 106 SGB V Rn. 129; BSG SozR 4-2500 § 106 Nr. 6 Rn. 27 ff. 463 Die Verordnungstätigkeit wird pauschal durch den jeweiligen Ordinationskomplex der einzelnen Arztgruppen im EBM honoriert. 464 Vgl. dazu Clemens, in: Laufs/Kern, § 36 Rn. 84.

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Kap. 3: Die Rechtsbeziehungen bei der Arzneimittelabgabe

liches Arzneimittel entstanden wären465 – der Höhe nach den Einkaufspreis des abgegebenen Arzneimittels unterschreitet. Erst eine Retaxation auf Null führte für Apotheker zu fühlbaren finanziellen Nachteilen. Nur wenn Apotheker bei Verletzungen von § 129 I 1 Nr. 1, Nr. 2 SGB V auf Null retaxiert würden, würden sie folglich wirtschaftlich vergleichbar schwer belastet wie Vertragsärzte, die nicht rabattierte oder zu teure Arzneimittel verordnen. Stellt man auf die mit den jeweiligen Prüfmechanismen verbundene wirtschaftliche Belastung ab, würden ein in Regress genommener Arzt und ein auf Null retaxierter Apotheker somit nicht ungleich, sondern gleich behandelt. Gegen diese Betrachtungsweise spricht aber Folgendes: Während bei einer Retaxation auf Null die intensive wirtschaftliche Belastung der betroffenen Apotheker intendiert wird – die Aussicht auf einen Verlust in Höhe des Einkaufspreises des abgegebenen Arzneimittels soll Apotheker zur genauen Befolgung krankenversicherungsrechtlicher Vorgaben anhalten  – wird mit den schwerwiegenden wirtschaftlichen Nachteilen, die ein Verordnungsregress nach § 106b SGB V für einen Vertragsarzt haben kann, keine Steuerungswirkung verfolgt. Sie sind nur eine zwangsläufige Begleiterscheinung des Verordnungsregresses, weil Vertragsärzte für ihre Verordnungstätigkeit keine Vergütung erhalten, die die Regressfolgen abmildern könnte.466 Mittelbare Nebenfolgen gesetzlicher Regelungen werden bei einer gleichheitsrechtlichen Prüfung jedoch nicht berücksichtigt.467 Es ist somit festzuhalten, dass auf Null retaxierte Apotheker gegenüber Vertragsärzten ungleich behandelt würden, weil unwirtschaftlich verordnende Ärzte nur den von ihnen verursachten Schaden ersetzen müssen, auf Null retaxierte Apotheker hingegen stärker belastet würden als es zum Ersatz des verursachten Schadens erforderlich ist. Auf diese Weise würden die beiden Leistungserbringer unterschiedlichen Haftungsmaßstäben unterworfen. 465

s. oben C. II. 4. Würde die Vorschrift des § 106b SGB V Vertragsärzte für unwirtschaftliche Verordnungen gezielt Nachteilen aussetzen wollen, so wäre zu erwarten, dass Vertragsärzte auch als Folge einer unwirtschaftlichen Erbringung eigener ärztlicher Leistungen vergleichbar schweren Nachteilen ausgesetzt sind. Dies ist jedoch nicht der Fall. Im Rahmen der insoweit einschlägigen Wirtschaftlichkeitsprüfung nach §§ 106, 106a SGB V wird lediglich das Arzthonorar in Höhe des verursachten Mehraufwandes gekürzt, vgl. dazu: Großbölting, S.  70 ff.; BeckOKSozR/Scholz, § 106 SGB V Rn. 33; Clemens, in: Laufs/Kern, § 26 Rn. 135. – Der Kürzungsbetrag darf den unwirtschaftlichen Mehraufwand nicht überschreiten: Wiegand, Kassenarztrecht, § 106 SGB V Rn. 39; LPK/Murawski, § 106 SGB V Rn. 101; BSGE 50, 84 (86). – Vgl. gegen eine Steuerungswirkung der im Rahmen des Verordnungsregresses erlittenen finanziellen Belastungen auch LPK/Murawski, § 106 SGB V, 4. Aufl., Rn. 94 ff., die die Rechtsfolgen von Wirtschaftlichkeitsprüfung für ärztliche und ärztlich veranlasste Leistungen einheitlich darstellt und in Rn. 94 auf das Grundprinzip zurückführt, dass die Krankenkassen bei Verletzungen des Wirtschaftlichkeitsgebots in Höhe des unwirtschaftlichen Mehraufwands Ersatz verlangen können. 467 Vgl. allgemein dazu, dass im Rahmen gleichheitsrechtlicher Prüfungen finanzielle Auswirkungen gesetzlicher Regelungen nur dann zu berücksichtigen sind, wenn diese unmittelbar auf der Ausgestaltung der betrachteten Norm selbst beruhen: Bonhage, S. 206; Sachs, in: Stern, Bd. IV/2, § 120 II. 2. a) ββ) (S. 1474); BVerfGE 24, 300 (358); 49, 148 (165). 466

C. Vergütungsrechtliche Folgen

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Fraglich ist, ob sich diese Ungleichbehandlung rechtfertigen ließe.468 Da die Haftung für eine unwirtschaftliche Arzneimittelauswahl das Grundrecht der Berufsfreiheit berührt,469 richtet sich die Rechtfertigungsprüfung nach der sog. neuen Formel.470 Es müssen zwischen Arzt und Apotheker Unterschiede von solchem Gewicht bestehen, dass sie eine Ungleichbehandlung rechtfertigen.471 Soweit ein Vertragsarzt für die Verordnung eines zu teuren Arzneimittels und ein Apotheker für die unterlassene Abgabe eines schlicht preisgünstigen Arzneimittels (§ 129 I 5 SGB V) unterschiedlichen Haftungsmaßstäben unterworfen würden, wäre kein rechtfertigender Grund ersichtlich. Zu rechtfertigen wäre aber möglicherweise ein strengerer Haftungsmaßstab für Apotheker bei der Übergehung von Rabattverträgen. Für eine strengere Haftung der Apotheker bei Nicht-Abgabe eines Rabattarzneimittels könnte sprechen, dass die Pflicht zur vorrangigen Abgabe rabattierter Arzneimittel nach § 129 I 3 SGB V gezielt geschaffen wurde, um den Abschluss von Rabattverträgen für pharmazeutische Unternehmer attraktiver zu machen.472 Zwar sind auch Vertragsärzte kraft des Wirtschaftlichkeitsgebots verpflichtet, vorrangig rabattierte Arzneimittel zu verschreiben, wenn sie die Arzneimittelauswahl nicht auf den Apotheker übertragen,473 doch kann die Einhaltung dieser Pflicht nur eingeschränkt überwacht werden: Nur mithilfe von Einzelfallprüfungen lässt sich feststellen, ob in einem konkreten Behandlungsfall die Verordnung von Rabattarzneimitteln unterblieben ist. Doch können aufgrund beschränkter Personal- und Zeitressourcen der Prüfgremien nicht sämtliche Verordnungen aller Vertragsärzte mit Einzelfallprüfungen überprüft werden. Prüfungsformen, die an die von einem Arzt in einem bestimmten Zeitraum verursachten Arzneimittelkosten anknüpfen, erlauben hingegen keinen Rückschluss auf das Verordnungsverhalten des Arztes im Einzelfall. Überprüfen lässt sich nur, ob sich die in dem Prüfungszeitraum verursachten Arzneimittelabgaben insgesamt in einem angemessenen Rahmen bewegen, nicht aber, wie häufig ein Arzt Rabattarzneimittel verordnet hat.474 Da somit kaum Möglichkeiten bestehen, eine kontinuierliche Verordnung von Rabattarzneimitteln durch Ärzte zu erzwingen, sieht das Krankenversicherungsrecht möglicherweise die Apotheker als hauptverantwortlich für die Umsetzung der Rabattverträge an; aus diesem Grund könnte dann womöglich auch ein strengerer Haftungsmaßstab 468 Nach BVerfG, NJW 2014, 2340 (2342) existieren „naheliegende“ Gründe für Differenzierungen zwischen Vertragsärzten und retaxierten Apothekern, die jedoch nicht näher ausgeführt werden. 469 s. dazu näher unten C. V. 2. 470 Vgl. BVerfGE 74, 9 (24); 88, 5 (12); 122, 39 (52 f.); 124, 199 (219 f.). 471 BVerfGE 55, 72 (88); 71, 39 (58 f.); 120, 125 (144); 124, 199 (219 f.). 472 Vgl. die Gesetzesbegründung, BT-Drs. 16/3100, S. 142. S. auch BeckOK SozR/v. Dewitz, § 129 SGB V Rn. 11; Krauskopf/Knittel, § 129 SGB V Rn. 7a. 473 Vgl. Byok/Csaki, NZS 2008, S.  402 (404). Dazu, dass über Rabattverträge zusätzliche Einsparungen generiert und dadurch das Wirtschaftlichkeitsgebot verwirklicht werden soll, vgl. auch BeckOK SozR/v. Dewitz, § 130a SGB V Rn. 4. 474 Vgl. Kern, Arzneimittelbeschaffung, S. 253.

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Kap. 3: Die Rechtsbeziehungen bei der Arzneimittelabgabe

für Apotheker gerechtfertigt sein, wenn sie es unterlassen, Rabattarzneimittel abzugeben. Es würde jedoch dem Gesamt-Regelungszusammenhang des SGB V nicht gerecht, die Apotheker als Hauptverantwortliche für die Umsetzung der Rabatt­ verträge anzusehen. Zwar lässt sich die Verordnung von Rabattarzneimitteln durch Vertragsärzte mit den Instrumentarien der Wirtschaftlichkeitsprüfung nur schwer erzwingen. Das Krankenversicherungsrecht versucht dafür aber auf mehrfache Weise, Vertragsärzte mittels „weicher“ Steuerungsmechanismen gezielt zur Verordnung von Rabattarzneimitteln zu bewegen. Nach § 73 IX 1 Nr. 2 SGB V muss eine ärztliche Verordnungssoftware in der Lage sein, bestehende Rabattverträge anzuzeigen.475 Nach § 130a VIII 5 SGB V können sich Vertragsärzte an Rabattverträgen beteiligen. Hat sich ein Arzt an einem Rabattvertrag beteiligt, unterliegt die Verordnung des betreffenden Arzneimittels nach § 106b IV Nr. 2 SGB V nicht mehr der Wirtschaftlichkeitsprüfung. Durch die Herausnahme dieser Arzneimittel aus der Wirtschaftlichkeitsprüfung wird nicht nur der Tatsache Rechnung getragen, dass bereits in dem Rabattvertrag die Wirtschaftlichkeit der Versorgung sicherzustellen ist,476 sondern es soll auch für Ärzte ein Anreiz gesetzt werden, Rabattverträgen beizutreten.477 Außerdem ist es zulässig, dass Ärzten in dem Rabattvertrag selbst Anreize für die Verordnung des Rabattarzneimittels wie beispielsweise in Form von Gewinnbeteiligungen gesetzt werden.478 Wenngleich nur Apotheker einer lückenlos kontrollierbaren Rechtspflicht unterliegen, Versicherte vorzugsweise mit Rabattarzneimitteln zu versorgen, so kann dennoch nicht angenommen werden, dass Apothekern die Hauptverantwortlichkeit für die Umsetzung der Rabattverträge zukommt.479 Das Idealbild des Krankenversicherungsrechts ist, dass Vertragsärzte bereits selbst möglichst Rabattarzneimittel verordnen – mit der Folge, dass ein Austausch des verordneten Arzneimittels in der Apotheke nicht erforderlich ist. Es wäre daher nicht gerechtfertigt, Apotheker im Gegensatz zu Vertragsärzten bei der Nichtbeachtung eines Rabattvertrags über den Ersatz des konkret verursachten Schadens hinaus finanziell zu belasten. Eine Ungleichbehandlung von Apothekern und Vertragsärzten bei der Haftung wegen der Auswahl eines unwirtschaftlichen Arzneimittels ließe sich somit weder im Hinblick auf die Auswahl eines zu teuren Arzneimittels noch im Hinblick 475 Ärzten wird so ermöglicht, gezielt rabattierte Arzneimittel zu verordnen, vgl. Dieners, FS Sander, S. 31 (61 f.). Dadurch soll die Umsetzung von Rabattverträgen verbessert werden, Hauck/Noftz/Klückmann, § 73 SGB V Rn. 44. 476 s. die Gesetzesbegründung, BT-Drs. 16/3100, S. 137; Spickhoff/Palsherm/Clemens, § 106 SGB V Rn. 11; v. Langsdorff, in: Handbuch des Krankenversicherungsrechts, § 24 Rn. 11. 477 Hauck/Noftz/Engelhard, § 106b SGB V Rn. 128; Dieners, FS Sander, S. 31 (62). 478 Dieners, FS Sander, S. 31 (38). 479 Vgl. insoweit auch die Darstellung bei Dieners, FS Sander, S. 31 (61 ff.), der die an den Arzt gerichteten weichen Steuerungsmechanismen und die den Apotheker treffende Pflicht zur vorrangigen Abgabe von Rabattarzneimitteln in einem Zusammenhang und ohne Abstufungen unter dem Gesichtspunkt der Aktivierung von Rabattverträgen erläutert.

C. Vergütungsrechtliche Folgen

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auf die Missachtung eines bestehenden Rabattvertrags rechtfertigen. Eine Retaxation auf Null wegen einer Arzneimittelabgabe im Widerspruch zu § 129 I 1 Nr. 1, Nr. 2 SGB V wäre mit dem allgemeinen Gleichheitssatz nicht vereinbar. Es ist daher auch verfassungsrechtlich geboten, die Rechtsfolgen einer Arzneimittelabgabe im Widerspruch zu § 129 I 1 Nr. 1, Nr. 2 SGB V in Anlehnung an die Rechtsfolgen zu bestimmen, die einen unwirtschaftlich verordnenden Vertragsarzt treffen. Ein Apotheker haftet der Krankenkasse daher nur in Höhe des tatsächlich verursachten Schadens. Die Abgabe eines Arzneimittels im Widerspruch zu § 129 I 1 Nr. 1, Nr. 2 SGB V steht der Entstehung eines Bereicherungsanspruchs somit nicht entgegen. Der Bereicherungsanspruch des Apothekers besteht in Höhe der Kosten, die der Krankenkasse bei einer wirtschaftlichen Arzneimittelabgabe entstanden wären. Nach den Grundsätzen der Saldotheorie, die auch im öffentlichen Recht Anwendung finden,480 werden der Bereicherungsanspruch der Krankenkasse und der Bereicherungsanspruch des Apothekers automatisch verrechnet. (c) Keine Aufrechterhaltung des primären Vergütungsanspruchs Teilweise wird es kritisch gesehen, wenn Apothekern „nur“ ein Bereicherungsanspruch zuerkannt und nicht davon ausgegangen wird, dass sich lediglich – wie bei einem Arzt, der ärztliche Leistungen entgegen dem Wirtschaftlichkeitsgebot erbringt – ihr Vergütungsanspruch um die von ihnen verursachten Mehrkosten reduziere.481 Aus wirtschaftlicher Sicht besteht für einen Apotheker aber kein Unterschied, ob er einen Bereicherungs- oder einen gekürzten Vergütungsanspruch gegen die Krankenkasse erwirbt. Oben482 wurde gezeigt, dass der Verlust des primären Vergütungsanspruchs eher der Systematik des SGB V entspricht. Dass ein unwirtschaftlich behandelnder Vertragsarzt nur eine Honorarkürzung erleidet und nicht auf einen Bereicherungsanspruch verwiesen wird, beruht lediglich auf der Besonderheit des Vertragsarztrechts, dass über das Arzthonorar stets durch Bescheid entschieden werden muss: Die Vertragsärzte beziehen ihr Honorar von der Kassenärztlichen Vereinigung, die unter den Ärzten im Wege des Honorarverteilungsverfahrens die in ihrer Höhe gedeckelte Gesamtvergütung verteilt.483 Der den einzelnen Ärzten jeweils zustehende Anteil an der Gesamtvergütung muss ihnen durch Verwaltungsakt zugewiesen werden.484 Für Ansprüche eines Vertragsarztes an diesem Honorarverteilungsmechanismus vorbei ist daher kein Raum.

480 Zur Anwendung der Saldotheorie im Sozialrecht s. Eichenhofer, SGb 2012, S. 66 (68); BSGE 109, 70 (80). 481 Dettling/Altschwager, S. 94. 482 B. V. 1. 483 Zur Honorarverteilung im Vertragsarztrecht s. oben B. IV. 3. 484 Schnapp, FS Steinhilper, S. 135 (145).

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Kap. 3: Die Rechtsbeziehungen bei der Arzneimittelabgabe

cc) Retaxation auf Null auch bei Verstößen gegen § 129 I 1 Nr. 3 SGB V? Der Vergleich mit dem Vertragsarztrecht führt schließlich auch in den Fällen, in denen der Apotheker unter Verstoß gegen § 129 I 1 Nr. 3 SGB V unwirtschaftliche Einzelmengen abgibt, entgegen der Rechtsprechung des BSG485 nicht zur Retaxation auf Null. Würde ein Vertragsarzt eine unwirtschaftliche Arzneimittelmenge verordnen, würde er nämlich der Krankenkasse nur in Höhe des Differenzbetrags haften.486 3. Zwischenergebnis Es hat sich gezeigt, dass Apotheker, die Arzneimittel im Widerspruch zu krankenversicherungsrechtlichen Vorgaben abgeben, grundsätzlich weder einen Vergütungs- noch einen Bereicherungsanspruch gegen die Krankenkasse geltend machen können, sofern nicht ausnahmsweise ein Vergütungserhaltungstatbestand nach § 3 RV-AV eingreift. Die gesetzlichen und kollektivvertraglichen Voraussetzungen, unter denen Apotheker einen Vergütungsanspruch erwerben können, sind insoweit abschließend. Bei Verstößen gegen diese Vorgaben kommt es zur Retaxation auf Null. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz besteht nur in den Fällen, in denen Apotheker ihre Pflichten aus § 129 I 1 SGB V verletzen, d. h., wenn sie ein zu teures oder ein nicht rabattiertes Arzneimittel oder eine unwirtschaftliche Einzelmenge abgeben. In diesen Fällen erwerben Apotheker zwar ebenfalls keinen Vergütungsanspruch, doch es kommt ein Bereicherungsanspruch zur Entstehung, dessen Höhe sich nach den Kosten richtet, die die Krankenkasse bei einer Arzneimittelabgabe im Einklang mit den Vorgaben aus § 129 I 1 SGB V hätte tragen müssen.

IV. Gleichzeitige Konstruktion der Retaxation als Schadensersatz? Angesichts dessen, dass eine Arzneimittelabgabe im Widerspruch zu krankenversicherungsrechtlichen Vorschriften regelmäßig auf einem Verschulden der jeweiligen Apotheker beruht,487 lässt sich erwägen, dass die Retaxation auf Null nicht nur in der soeben dargestellten Form bereicherungsrechtlich begründet werden kann, sondern dass sich die dargestellten Rechtsfolgen parallel dazu auch in Form eines Schadensersatzanspruchs der Krankenkasse ergeben. Die Krankenkasse könnte dann wählen, ob sie die Retaxation auf eine bereicherungs- oder eine schadensersatzrechtliche Grundlage stützt. 485

BSG SozR 4-2500 § 129 Nr. 1. Vgl. BSG SozR 4-2500 § 106 Nr. 17 Rn. 20. 487 Vgl. Wesser, A&R 2014, S. 11 (19). 486

C. Vergütungsrechtliche Folgen

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Als Anspruchsgrundlage kommt § 69  I  3 SGB  V i. V. m. § 280  I  BGB in Betracht. Die für die Entstehung eines Schadensersatzanspruchs nach § 69 I 3 SGB V i. V. m. § 280 I BGB erforderliche Pflichtverletzung des Apothekers wäre darin zu sehen, dass er ein Arzneimittel vorschriftswidrig abgegeben und die Verordnung dennoch zur Abrechnung eingereicht hat. Der Schaden der Krankenkasse läge darin, dass sie dem Apotheker für die rechtswidrige Arzneimittelabgabe eine Vergütung ausbezahlt hat. Aufwendungen, die die Krankenkasse infolge der rechtswidrigen Arzneimittelabgabe erspart hat, muss sich die Krankenkasse bei der Schadensberechnung aufgrund einer normativen Betrachtungsweise, die sich an den oben genannten Wertungen orientiert,488 grundsätzlich nicht entgegenhalten lassen. Eine Ausnahme besteht nur, soweit die Pflichtverletzung des Apothekers in einem Verstoß gegen § 129 I 1 Nr. 1, Nr. 2, Nr. 3 SGB V liegt – in diesem Fall muss bei der Schadensberechnung berücksichtigt werden, dass die Krankenkasse bei einer korrekten Arzneimittelabgabe die Kosten für ein wirtschaftliches Arzneimittel hätte tragen müssen. Das BSG hat die schadensrechtliche Konstruktion der Retaxation indessen abgelehnt. Es hat sich maßgeblich darauf gestützt, dass die ergänzenden Verträge auf Landesebene oft detailliert das Verfahren vorschreiben, in dem Krankenkassen Retaxationsforderungen geltend machen müssen.489 Die Vertragspartner auf Landesebene hätten in den ergänzenden Verträgen mit diesen Verfahrensvorschriften abschließende Regelungen für die Geltendmachung des Bereicherungsanspruchs getroffen, die nicht durch die Annahme eines Schadensersatzanspruchs unterlaufen werden dürften.490 Allerdings fragt sich zum einen, ob die Vertragspartner auf Landesebene die Kompetenz haben, einen sich gesetzlich aus § 69 I 3 SGB V i. V. m. § 280 I BGB ergebenden Anspruch der betroffenen Krankenkasse vollständig auszuschließen. Zum anderen wird in den Bestimmungen über das Retaxationsverfahren nie spezifisch ein Bereicherungsanspruch, sondern nur abstrakt ein Rückforderungsrecht der Krankenkasse erwähnt,491 sodass diese Bestimmungen auch auf den Schadensersatzanspruch anwendbar wären. Daher kann die Retaxation auf Null nicht nur bereicherungsrechtlich, sondern auch schadensersatzrechtlich begründet werden. Eine Krankenkasse kann wählen, auf welche der beiden Anspruchsgrundlagen sie ihr Rückforderungsbegehren stützt.

488 Zur normativen Schadensbestimmung im Allgemeinen s. nur Münchener Kommentar BGB/Oetker, § 249 BGB Rn. 233 ff. In der sozialgerichtlichen Rechtsprechung wird es als Form der normativen Schadensberechnung bezeichnet, soweit Ärzten, die wegen Verordnung nicht verordnungsfähiger Arzneimittel in Regress genommen werden, der Einwand versagt wird, die Krankenkasse habe durch die Verordnung anderweitig Aufwendungen erspart: BSG, GesR 2014, 425 f.; LSG Schleswig-Holstein, MedR 2012, 66 (68 f.); LSG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 17.4.2013, L 11 KA 66/11, Rn. 24 (juris). 489 s. näher zum Retaxationsverfahren unten C. VI. 490 BSGE 105, 157 (169). 491 s. z. B. § 17 ALV Baden-Württemberg; § 9 ALV Bremen; § 16 ALV Hessen.

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Kap. 3: Die Rechtsbeziehungen bei der Arzneimittelabgabe

V. Verfassungsrechtliche Fragen der Retaxation auf Null Es stellt sich die Frage, ob es mit verfassungsrechtlichen Vorgaben vereinbar ist, dass Apotheker bei der Verletzung krankenversicherungsrechtlicher Vorschriften grundsätzlich keine Zahlungsansprüche gegen die Krankenkasse erwerben. Lediglich bei der Verletzung unwesentlicher Formfehler wird nach § 3 I RV-AV ihr Vergütungsanspruch aufrechterhalten und nach hier vertretener Ansicht erwirbt ein Apotheker einen Bereicherungsanspruch, wenn sein Fehler in der Verletzung seiner Pflichten nach § 129 I 1 Nr. 1, Nr. 2, Nr. 3 SGB V besteht. Als Prüfungsmaßstab kommen das Rechtsstaatsprinzip sowie die Berufsfreiheit der Apotheker in Betracht. 1. Rechtsstaatsprinzip Das Rechtsstaatsprinzip in seiner Ausprägung als Gesetzmäßigkeitsgrundsatz verpflichtet die Verwaltung, im Einklang mit dem geltenden Recht zu handeln.492 Eine Ausprägung der Pflicht zu gesetzmäßigem Handeln ist die Erstattung rechtsgrundlos erhaltener Leistungen.493 Das Rechtsstaatsprinzip ist zwar selbst nicht bestimmt genug, um konkrete Anspruchsinhalte zu formulieren.494 Es verlangt aber die Schaffung einfachrechtlicher Anspruchsgrundlagen, die die Abwicklung rechtsgrundloser Leistungsbeziehungen ermöglichen.495 In dem mit einer Retaxation auf Null einhergehenden Ausschluss eines Bereicherungsanspruchs für das abgegebene Arzneimittel wird teilweise ein Widerspruch zu diesem rechtsstaatlichen Erstattungsgedanken gesehen.496 Es bestehen aber Bedenken, den Ausschluss des Bereicherungsanspruchs im Falle einer Retaxation auf Null am Rechtsstaatsprinzip zu messen. Das Rechtsstaatsprinzip trägt zwar einen Rückerstattungsgedanken in sich und gebietet insoweit die Rückabwicklung von Vermögensverschiebungen, die von der Rechtsordnung nicht als rechtsbeständig anerkannt werden. Die Frage, ob eine Vermögensverschiebung als rechtsbeständig anerkannt wird, ist allerdings anhand des einfachen Rechts zu klären,497 ohne dass sich dem Rechtsstaatsprinzip Zulässig 492 s. nur Kunig, S. 316 ff.; Maunz/Dürig/Grzeszick, Art. 20 GG VI Rn. 60 ff.; Sachs/Sachs, Art. 20  GG Rn. 109 ff.; Schmidt-Aßmann, in: Handbuch des Staatsrechts, Bd. II, § 26 Rn. 61 ff. 493 Peine, S.  250; Dreier/Schulze-Fielitz, Art.  20 GG (Rechtsstaat) Rn.  222; Morlok, Verw 1992, S. 371 (376 ff.); Schmidt, NVwZ 2004, S. 930 (933 f.). 494 Vgl. jeweils für den Folgenbeseitigungsanspruch: Brugger, in: Regeln, Prinzipien und Elemente im System des Rechts, S. 221 (232); Schoch, VerwArch 1988, S. 1 (50). 495 Vgl. Dreier/Schulze-Fielitz, Art. 20 GG (Rechtsstaat) Rn. 222; Morlok, Verw 1992, S. 371 (378). 496 Dettling/Altschwager, S. 97. Vgl. auch Wesser, GuP 2011, S. 29 (30), und Saalfrank, A&R 2011, S. 22 (26), die einen Widerspruch zu einem übergesetzlichen Erstattungsgedanken sehen. 497 Vgl. nur Ossenbühl/Cornils, S. 540 ff.; Detterbeck, in: Detterbeck/Windthorst/Sproll, § 24 Rn. 14 ff.

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keitsmaßstäbe für einfachrechtliche Normen entnehmen ließen, die die Beständigkeit von Vermögensverschiebungen anordnen.498 Prüfungsmaßstab für solche Normen sind alleine die Grundrechte der Betroffenen. Wenn eine krankenversicherungsrechtliche Norm für den Fall eines Verstoßes die Entstehung eines Bereicherungsanspruchs ausschließt, legitimiert sie zugleich die betroffene Krankenkasse, den Vermögensvorteil zu behalten, den sie infolge der rechtswidrigen Arzneimittelabgabe erlangt hat. Der Ausschluss von Bereicherungsansprüchen im Falle einer Retaxation auf Null betrifft somit die dem rechtsstaatlichen Rückerstattungsgedanken vorausliegende, nach einfachem Recht zu beantwortende Frage, ob einer Vermögensverschiebung Rechtsbeständigkeit zukommt. Die Versagung des Bereicherungsanspruchs ist deshalb nicht am Rechtsstaatsprinzip zu messen. 2. Berufsfreiheit der Apotheker Als Prüfungsmaßstab für die Retaxation auf Null kommt weiterhin die Berufsfreiheit der Apotheker in Betracht. Das Grundrecht der Berufsfreiheit schützt die Möglichkeit, die Vergütung für beruflich erbrachte Leistungen frei bestimmen zu können.499 In den Fällen, in denen es zu einer Retaxation auf Null kommt, ordnet das Krankenversicherungsrecht an, dass der Apotheker für das abgegebene Arzneimittel keinerlei Zahlungsansprüche gegen die Krankenkasse erwirbt. Krankenversicherungsrechtliche Entgeltregelungen für Apotheker greifen in den Schutzbereich der Berufsfreiheit ein.500 Als Eingriffe in die Berufsfreiheit müssen krankenversicherungsrechtliche Regelungen der Apothekervergütung dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz genügen501. Nach der sog. Drei-Stufen-Theorie besteht für Eingriffe in die Berufsfreiheit ein gestuftes Rechtfertigungssystem. Zur Rechtfertigung von Berufsausübungsregelungen genügen vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls, subjektive Berufszulassungsregelungen sind zur Wahrung hochwertiger Rechtsgüter zulässig und zur Rechtfertigung objektiver Berufszulassungsregelungen bedarf es einer Ge-

498 Vgl. in Bezug auf die Rechtswidrigkeit von Eingriffsfolgen als Entstehungsvoraussetzung des Folgenbeseitigungsanspruchs Schoch, VerwArch 1988, S.  1 (34). Vgl. allgemein in Bezug auf die Fundierung staatshaftungsrechtlicher Ansprüche im Rechtsstaatsprinzip Grzeszick, Rechte und Ansprüche, S. 63. 499 s. nur Breuer, in: Handbuch des Staatsrechts, Bd. VIII, § 170 Rn. 89; Dietlein, in: Stern, Bd. IV 1, § 111 II. 1. c.) β) (S. 1801); BVerfGE 101, 331 (347); 126, 112 (139); 134, 204 (222). 500 Vgl. Dettling/Altschwager, S.  75 f.; BVerfGE 114, 196 (244); BVerfG, NZS 2014, 661 (662); BSG SozR 4-2500 § 129 Nr. 7 Rn. 15. 501 Vgl. BSGE 97, 23 (27 ff.). Für das Vertragsarztrecht Sodan, in: Handbuch des Krankenversicherungsrechts, § 2 Rn. 90; BVerfGE 33, 171 (185 ff.); BVerfG, NVwZ-RR 2002, 802; BSGE 94, 50 (51).

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Kap. 3: Die Rechtsbeziehungen bei der Arzneimittelabgabe

fährdung höchstrangiger Rechtsgüter.502 Bei Vergütungsregelungen handelt es sich grundsätzlich um Berufsausübungsreglungen.503 Die Retaxation auf Null nimmt einem Apotheker zwar jegliche Zahlungsansprüche gegen die Krankenkasse, doch erfolgt der Anspruchsausschluss jeweils nur in Bezug auf eine konkrete Arzneimittelabgabe; die Retaxation auf Null wirkt sich damit auf die Berufswahl der Apotheker nicht aus. Es handelt sich um eine Berufsausübungsregelung.504 Prüfungsmaßstab für die Retaxation auf Null ist somit der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Der Ausschluss jeglicher Zahlungsansprüche für Arzneimittel, die im Widerspruch zu krankenversicherungsrechtlichen Vorschriften abgegeben werden, soll Apotheker zur genauen Beachtung dieser Vorschriften motivieren.505 Dabei handelt es sich um einen legitimen Regelungszweck: Soweit Apotheker zur Einhaltung fachlicher und qualitativer Vorgaben angehalten werden sollen, wird sowohl der Schutz der Gesundheit der Versicherten als auch – da Folgekosten für weitere Behandlungen vermieden werden – der Schutz der finanziellen Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung bezweckt. Soweit etwa die Abgabe von der Versorgung ausgeschlossener Arzneimittel verhindert werden soll, dient dies ebenfalls dem Schutz der finanziellen Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung. Der Regelungszweck, Apotheker zur Einhaltung der krankenversicherungsrechtlichen Vorgaben anzuhalten, ist zugleich von hohem Rang. Die Gesundheit der Versicherten hat aufgrund der Verfassungsbestimmung des Art. 2 II GG Verfassungsrang. Soweit die finanzielle Leistungsfähigkeit der gesetzlichen Krankenversicherung sichergestellt werden soll, legitimiert das Sozialstaatsprinzip die Durchsetzung der krankenversicherungsrechtlichen Vorgaben in besonderem Maße, denn finanzielle Stabilität ist Voraussetzung für die Funktionsfähigkeit der Krankenversicherung und somit dafür, dass im Krankheitsfall ausreichende Leistungen bereitgestellt werden können.506 Mitunter wird bestritten, dass das Instrument der Retaxation auf Null zur Verfolgung dieses Regelungszwecks geeignet ist. Die Nullretaxation setze widersprüch­ 502

Zur Dreistufentheorie s. nur BVerfGE 7, 377 (397 ff.); Breuer, in: Handbuch des Staatsrechts, Bd. VIII, § 171 Rn. 14 ff. 503 Für die Apothekervergütung BVerfGE 114, 196 (244); BSG SozR 4-2500 § 129 Nr.  7 Rn.  15.  – Vgl. für das Vertragsarztrecht BVerfGE 33, 171 (183); BVerfG, NVwZ-RR 2002, 802; BSGE 115, 235 (244). – Allgemein für das Leistungserbringungsrecht des SGB V Penner, S. 541 ff. 504 BVerfG, NZS 2014, 661 (662); BSG SozR 4-2500 § 129 Nr. 9 Rn. 27. 505 BSG SozR 4-2500 § 129 Nr. 9 Rn. 26. – Vgl. für das Vertragsarztrecht BSGE 106, 222 (238 f.). 506 Vgl. allgemein BVerfG, NJW 2001, 1779 (1780); BVerfGE 114, 196 (248). – Nach ständiger Rechtsprechung handelt es sich bei der finanziellen Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung um einen überragend wichtigen Gemeinwohlbelang: BVerfGE 103, 172 (184 f.); 103, 293 (307); BVerfG, NJW 2001, 1779 (1780); BVerfGE 114, 196 (248); BSGE 94, 50 (106 f.); 111, 268 (274); 117, 224 (234); 120, 122 (138). S. auch Kemmler, NZS 2014, S. 521 (525). – Kritisch gegenüber der Rechtsprechung Schaks, S. 376 ff.; Leisner, in: Finanzielle Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung und Grundrechte der Leistungserbringer, S. 15 ff.

C. Vergütungsrechtliche Folgen

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liche Steuerungsanreize, weil die Höhe des Verlustes, den ein Apotheker erleidet, vom Einkaufspreis des abgegebenen Arzneimittels und nicht von der Schwere des begangenen Rechtsverstoßes abhängig sei.507 Dem ist jedoch zu entgegnen, dass die bezweckte Steuerungswirkung weniger von dem Vermögensnachteil ausgeht, den ein Apotheker als Folge eines begangenen Verstoßes erleidet. Vielmehr soll der vollständige Ausschluss von Zahlungsansprüchen verhindern, dass überhaupt Verstöße begangen werden. Die Retaxation auf Null ist deshalb zur Verfolgung des Regelungszwecks geeignet, die Einhaltung der Regelungen über die Arzneimittelabgabe sicherzustellen und damit die Gesundheit der Versicherten zu schützen und unwirtschaftliche Arzneimittelabgaben zu vermeiden. Bestritten wird weiterhin die Erforderlichkeit der Retaxation auf Null. Die Einhaltung der Vorgaben für die Arzneimittelabgabe lasse sich auch erreichen, wenn einem Apotheker bei Verstößen gegen krankenversicherungsrechtliche Vorgaben über die Arzneimittelabgabe sein Vergütungsanspruch belassen, der begangene Rechtsverstoß eventuell durch rahmenvertragliche Sanktionen nach § 129  IV 1, 3 SGB V wie etwa Geldbußen geahndet508 und für tatsächlich entstandene Schäden daneben Schadensersatz nach § 69 I 3 SGB V i. V. m. § 280 I BGB gefordert werde.509 Gegen diese Argumentation ist aber einzuwenden, dass Sanktionen nach § 129 IV 1, 3 SGB V außer bei besonders schweren Verstößen regelmäßig nicht schon bei der erstmaligen Verletzung krankenversicherungsrechtlicher Vorschriften über die Arzneimittelabgabe eingreifen. Darüber hinaus werden die Sanktionen gestuft angewandt; bevor eine Geldbuße verhängt wird, wird eine Ermahnung ausgesprochen.510 Bei einem Erhalt des Vergütungsanspruchs und einem Verzicht auf die Retaxation auf Null bestünde deshalb ein geringerer Anreiz zur Einhaltung der krankenversicherungsrechtlichen Abgabevorschriften.511 Der Regelungszweck, die Einhaltung der Abgabevorschriften sicherzustellen, wäre nicht mehr in derselben Effektivität realisierbar. Die Retaxation auf Null ist deshalb erforderlich. Der Ausschluss jeglicher Vergütungsansprüche bei Verstößen gegen Vorgaben für die Arzneimittelabgabe müsste schließlich angemessen sein. Teilweise wird es für unangemessen gehalten, dass Apotheker als Folge von Fehlern bei der Arzneimittelabgabe jegliche Zahlungsansprüche gegen die Krankenkasse verlieren512 507

Dettling/Altschwager, S. 87. Vgl. auch Wesser, A&R 2014, S. 11 (19). Dettling/Altschwager, S. 91 f.; SG Lübeck, Urt. v. 2.2.2012, S 3 KR 761/09, Rn. 41 f. (juris). 509 Dettling/Altschwager, S.  91 f. Als Schaden wird von dens. vor allem der Fall gesehen, dass ein Apotheker es unterlässt, ein Rabattarzneimittel abzugeben. Allerdings wurde oben [C. III. 2. c) bb)] abgelehnt, dass es bei einer Verletzung der Pflicht zur Abgabe von Rabattarzneimitteln zu einer Nullretaxation kommt. 510 Zur Geltung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes bei der Sanktionierung s. allgemein oben Kapitel 2 B. IV. 511 BVerfG, NZS 2014, 661 (662). Für Erforderlichkeit der Retaxation auf Null auch BSG SozR 4-2500 § 129 Nr. 11 Rn. 43. 512 SG Lübeck, Urt. v. 2.2.2012, S 3 KR 761/09, Rn. 43 (juris). Vgl. auch Dettling/Altschwager, S. 77. 508

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und dass diese Rechtsfolge bereits bei der erstmaligen oder sogar einer einmaligen Rechtsverletzung eintritt513. Dagegen spricht jedoch, dass mit der Retaxation auf Null ein hochrangiger Regelungszweck verfolgt wird. Es ist deshalb verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn Abgabefehler – selbst im Falle einer erstmaligen Pflichtverletzung – den vollständigen Ausschluss von Zahlungsansprüchen zur Folge haben. Hinzu kommt, dass aufgrund der rahmenvertraglich in § 3 RV-AV geregelten Retaxationsausschlussliste für vergleichsweise leicht wiegende Fehler bei der Arzneimittelabgabe der Vergütungsanspruch nunmehr aufrechterhalten wird. Weiterhin wird gegen die Angemessenheit der Retaxation auf Null eingewandt, dass Nullretaxationen jedenfalls bei wiederholtem Auftreten existenzvernichtende Folgen haben könnten.514 Ob Nullretaxationen wirklich existenzvernichtende Folgen haben können, erscheint zweifelhaft. Eine Befragung unter 400 Apothekern hat ergeben, dass sich die durch Nullretaxationen erlittenen Verluste auf etwa 3100 € pro Jahr belaufen.515 Für retaxationsbedingte Existenzvernichtungen existieren bislang keine Belege.516 Selbst wenn Retaxationen im Einzelfall existenzgefährdende Wirkung haben sollten, folgt daraus noch nicht die Unangemessenheit der Retaxation auf Null. Ein Apotheker kann durch Beachtung der für ihn geltenden Vorschriften und damit durch steuerbares Verhalten eine Nullretaxation vermeiden.517 Die Retaxation auf Null ist deshalb nicht unverhältnismäßig. Sie ist mit der Berufsfreiheit der Apotheker vereinbar.

VI. Das Verfahren der Retaxation Bislang wurde dargestellt, unter welchen inhaltlichen Voraussetzungen eine Krankenkasse die Vergütung eines Apothekers verweigern oder zurückfordern kann, der Arzneimittel im Widerspruch zu krankenversicherungsrechtlichen Vorschriften abgibt. Im Folgenden soll untersucht werden, wie die sachliche Überprüfung von Verordnungen sowie die Anknüpfung vergütungsrechtlicher Folgen an festgestellte Abgabefehler in verfahrensrechtlicher Sicht verläuft. 1. Das in den ergänzenden Verträgen geregelte Einspruchsverfahren Die ergänzenden Verträge auf Landesebene sehen jeweils ein ausdifferenziertes Verfahren vor, das eine Krankenkasse beachten muss, wenn sie – entweder in Form einer Zahlungsverweigerung oder eines Rückforderungsanspruchs – vergütungs 513

Vgl. Wesser, A&R 2014, S. 11 (19). Saalfrank, A&R 2011, S. 22 (26). Vgl. auch Dettling/Altschwager, S. 98. 515 Kaapke/Hüsgen, DAZ 2015, Heft Nr. 44, S. 22 (28). 516 Vgl. BVerfG, NZS 2014, 661 (662). 517 BVerfG, NZS 2014, 661 (662). Vgl. auch Wesser, A&R 2014, S. 11 (19). 514

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rechtliche Folgen an eine rechtswidrige Arzneimittelabgabe knüpfen möchte. Hält eine Krankenkasse krankenversicherungsrechtliche Abgabevorschrif­ten für verletzt, muss sie nach den insoweit inhaltsgleichen Regelungen der ergänzenden Verträge auf Landesebene die betroffene Verordnung gegenüber dem Apotheker beanstanden, wofür jeweils eine bestimmte Frist ab Einreichung der Verordnung besteht.518 Der Apotheker hat in der Folge ein mehrmonatiges Einspruchsrecht gegen die Beanstandung; bleibt er innerhalb der Frist untätig, gilt die Beanstandung als anerkannt.519 Die Krankenkasse hat wiederum über Einsprüche fristgerecht zu entscheiden. Bei einer Fristüberschreitung gilt der Einspruch des Apothekers als anerkannt;520 die Krankenkasse ist dann mit ihrem Einwand, die Verordnung sei falsch beliefert worden, präkludiert.521 2. Die Geltendmachung der Retaxationsforderung im Wege der Aufrechnung Meist hat eine Krankenkasse die Rechnung des Apothekers bereits bezahlt, wenn sie einen Abgabefehler feststellt, denn um den Apothekenabschlag zu erhalten, muss sie die Rechnung des Apothekers gemäß § 130 III SGB V binnen zehn Tagen begleichen. Dieser Zeitraum genügt in der Regel nicht, um die eingegangenen Verordnungen auf ihre Richtigkeit zu prüfen. Zur vergütungsrechtlichen Ahndung des Abgabefehlers reicht deshalb eine schlichte Zahlungsverweigerung meist nicht aus, sondern die Krankenkasse muss die bereits gezahlte Vergütung zurückverlangen. Die Apothekervergütung wird deshalb immer nur unter dem Vorbehalt späterer Korrektur ausbezahlt.522 Regelmäßig fordern die Krankenkassen ihre Rückzahlungsansprüche aber nicht selbständig ein, sondern rechnen sie gegen die laufenden Vergütungsansprüche des Apothekers auf. a) Anwendbarkeit der §§ 387 ff. BGB Als Grundlage für eine Aufrechnung der Krankenkasse kommen grundsätzlich die § 69 I 3 SGB V i. V. m. §§ 387 ff. BGB in Betracht.523 Teile des Schrifttums stehen der Anwendung der §§ 387 ff. BGB allerdings ablehnend gegenüber. 518

s. etwa § 17 I ALV Baden-Württemberg (12 Monate); § 14 I ALV Sachsen (12 Monate); § 9 II ALV Bremen (18 Monate). 519 s. etwa § 18 VIII, X ALV Baden-Württemberg (3 Monate); § 14 I ALV Sachsen (2 Monate); § 9 IV ALV Bremen (2 Monate). 520 s. etwa § 18 IX, X ALV Baden-Württemberg (3 Monate); § 14 I ALV Sachsen (2 Monate); § 9 IV ALV Bremen (6 Monate). 521 Vgl. BSG SozR 4-2500 § 129 Nr. 5 Rn. 32 ff. 522 BSG SozR 4-2500 § 129 Nr. 1 Rn. 15; SozR 4-2500 § 129 Nr. 2 Rn. 29. 523 BSG SozR 4-2500 § 129 Nr.  9 Rn.  11.  – Für analoge Anwendung der §§ 387 ff. BGB vor Einführung von § 69 I 3 SGB V: BSG SozR 4-2500 § 129 Nr. 1 Rn. 11 ff.; SozR 4-2500

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Kap. 3: Die Rechtsbeziehungen bei der Arzneimittelabgabe

Es wird angenommen, dass die Anwendbarkeit der Vorschriften über die Aufrechnung an § 69 I 3 HS. 3 SGB V scheitere, wonach die Anwendung bürgerlich-rechtlicher Vorschriften nicht den Vorgaben des § 70 SGB V widersprechen dürfe; nach § 70 SGB V sei eine ausreichende und zweckmäßige Versorgung zu gewährleisten, wozu auch eine bedarfsgerechte Versorgung zähle.524 Eine Aufrechnungsbefugnis der Krankenkassen gefährde eine bedarfsgerechte Versorgung, weil sie für Apotheker existenzbedrohende Folgen habe.525 Die existenzgefährdende Wirkung der Aufrechnungsbefugnis wird wie folgt begründet: Die Aufrechnungsbefugnis erlaube es einer Krankenkasse, die Begleichung der laufenden Vergütungsansprüche eines Apothekers unberechtigt unter Berufung auf in Wahrheit nicht bestehende, von der Krankenkasse zu Unrecht angenommene Erstattungsforderungen aus früheren Abrechnungsvorgängen zu verzögern.526 Für einen Apotheker könne dies im Einzelfall existenzgefährdende Folgen haben.527 Die Verteidigungsmöglichkeiten eines Apothekers gegen unberechtigte Aufrechnungen und dadurch bedingte Zahlungsverweigerungen seien zugleich sehr beschränkt. Ein Apotheker könne der unberechtigt aufrechnenden Krankenkasse nicht im Gegenzug mit einer Einstellung der Arzneimittelversorgung als Druckmittel drohen. Nach § 1 ApoG sei er zum einen zur Versorgung gesetzlich Versicherter verpflichtet,528 zum anderen komme den Krankenkassen ein Nachfragemonopol zu529. Dem Apotheker bleibe nur der Weg, den Vergütungsanspruch, gegen den die Krankenkasse die Aufrechnung erklärt hat, gerichtlich einzuklagen; im Rahmen der Klage werde dann das Bestehen des von der Krankenkasse behaupteten Gegenanspruchs inzident geprüft.530 Ein solcher Prozess könne mehrere Jahre dauern und hohe Kostenrisiken bergen.531 Gegen die Ablehnung der Aufrechnungsbefugnis unter Berufung auf § 69 I 3 HS. 2 SGB V ist Folgendes einzuwenden: Die dargestellte Kritik hat in erster Linie den Fall vor Augen, dass Krankenkassen zu Unrecht die Aufrechnung erklären. Nach dem Telos von § 69 I 3 HS. 2 SGB V – es soll verhindert werden, dass die Beteiligten sich durch Anwendung des Bürgerlichen Rechts sozialrechtlicher Bindungen entledigen532 – ist es für die Frage der Anwendbarkeit des Bürgerlichen Rechts aber nicht maßgebend, inwieweit die unrechtmäßige Ausübung § 129 Nr. 6 Rn. 10 f.; SozR 4-2500 § 129 Nr. 7 Rn. 11. – Zum Verweis auf die §§ 387 ff. BGB s. auch jurisPK-SGB V/Engelmann, § 69 SGB V Rn. 44; Becker/Kingreen/Becker/Kingreen, § 69 SGB V Rn. 42; BeckOK SozR/Wendtland, § 69 SGB V Rn. 12; Spickhoff/Nebendahl, § 69 SGB V Rn. 11; BSG SozR 4-2500 § 275 Nr. 11 Rn. 11; SozR 4-5562 § 9 Nr. 5 Rn. 13. 524 Dettling/Altschwager, S. 107 f. 525 Dettling/Altschwager, S. 107 f. 526 Dettling/Altschwager, S. 99; Wesser, A&R 2014, S. 11 (21). 527 Dettling/Altschwager, S. 107 f. 528 Dettling/Altschwager, S. 106; Wesser, A&R 2014, S. 11 (22). 529 Wesser, A&R 2014, S. 11 (22). 530 Dettling/Altschwager, S. 107; Wesser, A&R 2014, S. 11 (22). 531 Dettling/Altschwager, S. 107; Wesser, A&R 2014, S. 11 (21 f.). 532 Vgl. BT-Drs. 12/1245, S. 68.

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einer bürgerlich-rechtlichen Rechtsposition negative Auswirkungen auf die Versorgung haben kann. Im Rahmen von § 69 I 3 HS. 2 SGB V ist alleine zu prüfen, ob bei bestimmungsgemäßer und korrekter Ausübung einer bürgerlich-rechtlichen Rechtsposition die Versorgung beeinträchtigt wäre. Das ist in Bezug auf die Aufrechnung nicht der Fall. Existiert der von einer Krankenkasse behauptete Rückzahlungsanspruch tatsächlich, bestehen keine Bedenken, ihn im Wege der Aufrechnung durchzusetzen  – es macht keinen Unterschied, ob eine Krankenkasse einen ihr zustehenden Geldbetrag einfordert und gegebenenfalls einklagt533 oder im Wege der Aufrechnung geltend macht. Weiterhin wird angenommen, dass eine Aufrechnungsbefugnis der Krankenkasse gegen § 69  I  3 SGB  V i. V. m. § 242 BGB (Treu und Glaube)  verstoße, wenn sie nicht gewissen Einschränkungen unterworfen werde. Die Treuwidrigkeit einer uneingeschränkten Aufrechnungsbefugnis wird damit begründet, dass diese aufgrund der nur eingeschränkten Verteidigungsmöglichkeiten des Apothekers gegen unberechtigte Aufrechnungen das ohnehin schon bestehende strukturelle Ungleichgewicht zwischen Apothekern und Krankenkassen vertiefe.534 Das Gleichgewicht zwischen Apotheker und Krankenkasse lasse sich nur wahren, wenn die Aufrechnungsbefugnis der Krankenkasse auf Ansprüche begrenzt sei, die der Apotheker anerkannt habe oder die gerichtlich rechtskräftig festgestellt worden seien.535 Gegen diese Argumentation spricht aber, dass bereits nach § 69 I 3 HS. 2 SGB V zu prüfen ist, ob die Anwendbarkeit des Bürgerlichen Rechts mit Spezifika des Leistungserbringungsrechts nicht vereinbar ist. Ist danach die Anwendbarkeit Bürgerlichen Rechts zulässig, kann dieses Ergebnis nicht unter Berufung auf Treu und Glauben überspielt werden. Darüber hinaus bestehen schon gegenüber der Prämisse Bedenken, dass die Aufrechnungsbefugnis das Ungleichgewicht zwischen Krankenkassen und Apothekern vertiefe: Wirtschaftlich steht der Apotheker in dem Fall, in dem die Krankenkasse laufende Vergütungsansprüche unter Berufung auf einen Rückzahlungsanspruch einbehält, nicht schlechter, als wenn die Krankenkasse seinerzeit die Auszahlung der Vergütung von vornherein unter Berufung auf einen Abgabefehler verweigert hätte. Die Geltendmachung der Retaxationsforderung im Wege der Aufrechnung nach den §§ 387 ff. BGB ist somit nicht durch § 69 I 3 HS. 2 SGB V ausgeschlossen.536 Mit der bereits dargestellten Argumentation wird in einer Aufrechnungsbefugnis der Krankenkassen schließlich auch ein unverhältnismäßiger Eingriff in die

533

Zur fehlenden VA-Befugnis der Krankenkassen s. sogleich unten C. VI. 3. Wesser, A&R 2014, S. 11 (22). 535 Dettling/Altschwager, S. 107. Vgl. auch Wesser, A&R 2014, S. 11 (21). 536 So auch BSG SozR 4-2500 § 129 Nr. 9 Rn. 11. Für die Zulässigkeit einer Aufrechnung ebenfalls: BeckOK SozR/v. Dewitz, § 129 SGB V Rn.  6; Hauck/Noftz/Luthe, § 129 SGB V Rn. 10; 30a; Wodarz, in: Handbuch der Krankenversicherung, § 27 Rn. 34. 534

268

Kap. 3: Die Rechtsbeziehungen bei der Arzneimittelabgabe

Berufsfreiheit der Apotheker gesehen.537 Soweit eine Krankenkasse mit einem ihr tatsächlich zustehenden Rückzahlungsanspruch aufrechnet, sind jedoch keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Anwendung der §§ 387 ff. BGB ersichtlich.538 Das Risiko, dass eine Krankenkasse im Einzelfall die Aufrechnung zu Unrecht erklären könnte, weil sie zu Unrecht vom Bestehen eines Rückzahlungssanspruchs ausgeht, macht die Anwendung der §§ 387 ff. BGB ebenfalls nicht verfassungswidrig: Bei einer zu Unrecht erklärten Aufrechnung handelt es sich um einen Normanwendungsfehler. Die Möglichkeit, dass es in der Praxis zu Normanwendungsfehlern kommt, führt nur ausnahmsweise zur Verfassungswidrigkeit einer Norm, nämlich wenn auftretende Normanwendungsfehler auf einem strukturellen Regelungsdefizit der Norm selbst beruhen.539 Das Risiko rechtswidriger Aufrechnungen wäre nur dann in § 69  I  3 SGB  V i. V. m. §§ 387 ff. BGB strukturell angelegt, wenn die Apothekervergütung regelmäßig mit derart schweren, kaum ohne Irrtum zu beantwortenden Rechtsfragen verknüpft wäre, dass unberechtigte Aufrechnungen zwangsläufig und in regelmäßiger Häufung auftreten. Dafür ist nichts erkennbar. Die Anwendung der §§ 387 ff. BGB ist deshalb nicht verfassungswidrig. b) Kollektivvertraglich vereinbarte Aufrechnung Oft enthalten bereits die Arzneilieferverträge Bestimmungen, dass beanstandete Vergütungszahlungen mit der nächstfälligen Abrechnung verrechnet werden.540 Die genaue Bedeutung solcher Klauseln bedarf der Auslegung: Einerseits kommt eine Deutung als vertragliche Aufrechnungsvereinbarung in Betracht. In diesem Fall würden bei Eingang der nächsten Abrechnung die zugrunde liegenden Vergütungsansprüche des Apothekers automatisch erlöschen, ohne dass es noch einer weiteren Erklärung der Kasse bedarf. Andererseits kann in solchen Bestimmungen nur die Ankündigung der Aufrechnung liegen.541 Mangels Bestimmtheit der Forderung, gegen die aufgerechnet werden soll, haben zumindest Regelungen, dass Retaxationsforderungen mit „einer der nächstfälligen Rechnungen“ des Apothekers verrechnet werden,542 reinen Ankündigungscharakter.

537

Dettling/Altschwager, S. 112 f.; Wesser, A&R 2014, S. 11 (21). Dazu, dass gegen die Anwendung der §§ 387 ff. BGB im öffentlichen Recht keine verfassungsrechtlichen Bedenken genereller Art bestehen, s. nur Kemmler, S.  245 ff. m. w. N.; de Wall, S. 443 ff. m. w. N. 539 BVerfGE 133, 168 (233 ff.). Vgl. auch BVerfGE 84, 239 (272); 110, 94 (113); BSG SozR 4-5425 § 24 Nr. 13 Rn. 34 f. 540 § 9 III ALV Bremen; § 16 VIII ALV Hessen. Keine entsprechenden Bestimmungen enthalten aber z. B. § 17 AVV-VdEK und § 7 ALV Sachsen-Anhalt. 541 Vgl. BSG SozR 4-2500 § 129 Nr. 5 Rn. 34. 542 § 18 XII ALV Baden-Württemberg; § 14 III ALV Sachsen. 538

C. Vergütungsrechtliche Folgen

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c) Kollektivvertragliche Beschränkungen der Aufrechnungsbefugnis Die Aufrechnungsbefugnis der Krankenkassen wird teilweise durch die Bestimmungen in den ergänzenden Verträgen über das Einspruchsverfahren beschränkt. Häufig ist ausdrücklich geregelt, dass die Krankenkassen erst nach Abschluss des Einspruchsverfahrens berechtigt sind, die Aufrechnung zu erklären.543 Mitunter wird aus einem vorgeblichen Charakter des Einspruchsverfahrens als konsensual ausgestalteten Filterverfahrens gefolgert, dass selbst nach Durchführung des Einspruchsverfahrens nur mit solchen Forderungen aufgerechnet werden dürfe, die nach Abschluss des Verfahrens unstreitig sind, weil sie der Apotheker anerkannt hat.544 Für diese Auslegung ergibt sich jedoch aus dem Wortlaut der Vertragsbestimmungen kein Anhaltspunkt.545 Zwar hat das Einspruchsverfahren den Zweck, einen Interessenausgleich herzustellen und den Rechtsfrieden zu fördern.546 Allerdings hat es keinen konsensualen Charakter in dem Sinne, dass Apotheker und Krankenkasse gemeinsam über die Rechtmäßigkeit der Beanstandung beraten; es soll lediglich die Chance eröffnen, vergütungsrechtliche Streitigkeiten ohne Gerichtsverfahren in zeitnaher Weise zu erledigen.547 Wo die ergänzenden Verträge keine ausdrückliche Regelung über die Geltendmachung des Rückzahlungsanspruchs während des laufenden Einspruchsverfahrens vorsehen,548 hängt es von der Auslegung des entsprechenden Vertrages ab, ob die Krankenkasse vor Abschluss des Einspruchsverfahrens aufrechnen kann.549 3. Die Rechtsnatur vergütungsbezogener Erklärungen der Krankenkassen Insbesondere für die Wahl der richtigen Rechtsschutzform durch die betroffenen Apotheker ist es von Relevanz, wie die Erklärungen der Krankenkassen bei der Feststellung und vergütungsrechtlichen Ahndung von Abgabefehlern – Bean 543

S. etwa § 17 IV AVV-VdEK; § 16 VI ALV Hessen; § 14 III ALV Sachsen. Nach § 7 Nr. 4 ALV Sachsen-Anhalt dürfen sachliche und rechnerische Berichtigungen hingegen sofort und ohne Rücksicht auf das laufende Einspruchsverfahren geltend gemacht werden. 544 Dettling/Altschwager, S. 108 f. 545 Nach BSG SozR 4-2500 § 129 Nr. 9 Rn. 11 schließen die Kollektivverträge die Aufrechnung nicht aus. 546 BSGE 105, 157 (167 f.); Wesser, A&R 2011, S. 19. 547 Vgl. zum Aspekt der schnellen Konfliktbeilegung Wesser, A&R 2011, S. 19. 548 Keine Regelung über die Aufrechnung während des Einspruchsverfahrens enthalten etwa § 9 ALV Bremen; § 10 ALV Niedersachsen. 549 Der ALV Bremen regelt das Einspruchsverfahren in § 9 IV. Im vorausgehenden § 9 III heißt es, dass Beanstandungen mit der nächstfälligen Zahlung verrechnet werden. Dass das Einspruchsverfahren in Abs. 4 und damit regelungssystematisch erst im Anschluss an die Bestimmung des Verrechnungszeitpunktes in Abs. 3 normiert wird, spricht dafür, dass die Verrechnung unabhängig davon erfolgt, ob das Einspruchsverfahren gegen die Beanstandung zum Verrechnungszeitpunkt abgeschlossen worden ist.

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Kap. 3: Die Rechtsbeziehungen bei der Arzneimittelabgabe

standung der Verordnung, Zahlungsverweigerung, Zurückweisung des Einspruchs und Aufrechnung – rechtlich zu qualifizieren sind. Es könnte sich bei diesen Erklärungen um Verwaltungsakte handeln. Verwaltungsakte sind hoheitliche Einzelfallregelungen mit Außenwirkung. Hoheitliche Regelung meint dabei die einseitige Setzung einer Rechtsfolge. Solange die Arzneimittelabgabe an gesetzlich Versicherte als Abschluss eines Kaufvertrages zwischen Apotheker und Krankenkasse gedeutet wurde, waren Beanstandung, Zahlungsverweigerung, Zurückweisung des Einspruchs und Aufrechnung als Ausfluss und Vollzug des öffentlich-rechtlichen Kaufvertrages anzusehen.550 Im Rahmen öffentlich-rechtlicher Vertragsbeziehungen fehlt der Verwaltung die Befugnis zur Setzung einseitiger Regelungen.551 Die Einordnung der Erklärungen als Verwaltungsakte schied damit aus.552 Geht man dagegen wie hier davon aus, dass die Vergütung des Apothekers auf einer gesetzlichen Grundlage beruht, ist es jedoch nicht mehr allzu fernliegend, Erklärungen der Krankenkasse über das Bestehen eines Vergütungsanspruchs als Verwaltungsakte zu qualifizieren: Die Krankenkasse würde unter Zugrundelegung dieses Ansatzes einseitig eine rechtliche Prüfung durchführen, ob eine Arzneimittelabgabe den krankenversicherungsrechtlichen Anforderungen entsprochen hat und daher ein Vergütungsanspruch entstanden ist, den sie erfüllen muss.553 Dennoch wird ganz überwiegend angenommen, dass eine Krankenkasse über den Vergütungsanspruch eines Apothekers nicht durch Verwaltungsakt entscheide.554 Apotheker und Krankenkasse begegneten sich bei der Arzneimittelversorgung in einem Gleichordnungsverhältnis.555 Das Gleichordnungsverhältnis ergebe sich daraus, dass die Rechtsbeziehungen zwischen der Kassen- und der Apothekenseite durch (Kollektiv-)Verträge und damit einvernehmlich geregelt würden.556 Zwingend ist diese Argumentation indessen nicht. Einerseits ist zweifelhaft, ob die Kollektivverträge überhaupt als Ausdruck eines Gleichordnungs 550

Vgl. BSGE 97, 23 (24 f.). s. nur P. Stelkens/Bonk/Sachs/Sachs, § 44 VwVfG Rn. 65. 552 Vgl. BSGE 97, 23 (24 f.). 553 Vgl. Hauck/Noftz/Luthe, § 129 SGB V Rn. 26. 554 Für die Beanstandung: BSGE 94, 213 (214); BSG SozR 4-2500 § 129 Nr. 1 Rn. 10. – Für die Aufrechnung: Wesser, A&R 2011, S. 19 (21); BSG SozR 4-2500 § 129 Nr. 1 Rn. 10; SozR 4-2500 § 129 Nr. 2 Rn. 13. 555 Für die Beanstandung: BSGE 94, 213 (214); BSG SozR 4-2500 § 129 Nr. 1 Rn. 10. Für die Aufrechnung: BSG SozR 4-2500 § 129 Nr. 2 Rn. 13. – Allgemein für das Verhältnis Apotheker  – Krankenkasse: Hauck/Noftz/Luthe, § 129 SGB V Rn.  26; BSG SozR 4-2500 § 129 Nr. 3 Rn. 8; SozR 4-2500 § 130 Nr. 3 Rn. 10. – Allgemein für nichtärztliche Leistungserbringer BSGE 115, 40 (43). 556 Hauck/Noftz/Luthe, § 129 SGB V Rn. 26; ähnlich BSGE 77, 194 (197); 94, 213 (214) – allerdings entstammen beide Entscheidungen noch der Zeit, als der Vergütungsanspruch von der Rechtsprechung ohnehin kaufvertraglich gedeutet wurde. – Vgl. für die Heilmittelerbringung BSG SozR 4-2500 § 125 Nr. 6 Rn. 11. – Vgl. für die Krankenhausbehandlung BSG SozR 3-2500 § 39 Nr. 4 (S. 14 f.); BSGE 86, 166 (167 f.). 551

C. Vergütungsrechtliche Folgen

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verhältnisses der einzelnen Apotheker und Kassen angesehen werden können.557 Selbst wenn sich Krankenkassen- und Apothekerseite bei der Aushandlung der Verträge in einem Gleichordnungsverhältnis begegnen sollten, folgt daraus nicht unbedingt, dass auch der Vollzug der Vereinbarungen durch Apotheker und Krankenkassen in einem Gleichordnungsverhältnis erfolgt.558 Der Erlass eines Verwaltungsakts ist nicht dadurch ausgeschlossen, dass sich die handelnde Behörde und der Adressat in anderen Situationen in einem Gleichordnungsverhältnis begegnen.559 Eher spricht gegen die Verwaltungsaktqualität von Entscheidungen über die Apothekervergütung, dass Krankenkasse und Apotheker in einem – wenn auch nicht vertraglich begründeten – Austauschverhältnis stehen. Würde man der Krankenkasse die Befugnis zum Erlass von Verwaltungsakten zugestehen, widerspräche dies der Gleichwertigkeit und inneren Verbundenheit der wechselseitig erbrachten Leistungen.560 Gegen die Verwaltungsaktqualität der positiven Entscheidung der Krankenkasse über die Vergütung des Apothekers spricht weiterhin die Art und Weise, wie sie in § 130 SGB V geregelt ist: Nach § 130 III SGB V verfällt der Anspruch der Krankenkasse auf den Apothekenabschlag, wenn sie die „Rechnung“ des Apothekers nicht binnen zehn Tagen nach Eingang „begleicht“. Die Begleichung einer Rechnung bedeutet nach allgemeinem Sprachgebrauch faktisches Handeln und nicht die für das Vorliegen eines Verwaltungsakts erforderliche Setzung einer Rechtsfolge; zudem werden Verwaltungsakte förmlich beantragt561 und nicht durch Einreichen einer „Rechnung“ erwirkt. Die positive Entscheidung der Krankenkasse über Zahlungsansprüche des Apothekers stellt daher keinen Verwaltungsakt dar. Aufbauend darauf stellen auch die Beanstandung, die Zahlungsverweigerung und die Einspruchszurückweisung keine Verwaltungsakte dar, denn sie bilden nur Gegenstücke zur positiven Entscheidung der Krankenkasse über die Vergütung.562 Abschließend zu klären ist die Rechtsnatur der Aufrechnungserklärung. Gegen die Verwaltungsaktqualität der Aufrechnungserklärung spricht zunächst de 557

Vgl. in Bezug auf Sanktionen nach § 129 IV SGB V oben Kapitel 2 B. IV. 2. Vgl. in Bezug auf Sanktionen nach § 129 IV SGB V: LSG Baden-Württemberg, KrV 2016, 252 (255). 559 Kasseler Kommentar/Mutschler, § 31 SGB X Rn. 12. – Für § 35 VwVfG P. Stelkens/Bonk/ Sachs/U. Stelkens, § 35 VwVfG Rn. 186. – Für die Hospizförderung nach § 39a II SGB V s. BSGE 105, 257 (259 f.). 560 Vgl. dazu Schlette, S. 346. Vgl. auch BSGE 105, 257 (260). 561 Vgl. § 18 SGB X. 562 Zur gebotenen konstruktiven Gleichbehandlung von Vergütungsbewilligung und Retaxation s. Axer, FS Schnapp, S. 349 (357). – Sofern negative Entscheidungen von Verwaltungsträgern über die Nicht-Vornahme von tatsächlichen Handlungen (hier: Auszahlung von Geld) als Verwaltungsakt angesehen werden, wird gleichzeitig auch die positive Entscheidung als Verwaltungsakt qualifiziert. Eine uneinheitliche Qualifikation von Positiv- und Negativentscheidung findet hingegen nicht statt. Vgl. dazu BeckOK VwVfG /v. Alemann/Scheffczyk, § 35 VwVfG Rn. 148 f.; P. Stelkens/Bonk/Sachs/U. Stelkens, § 35 VwVfG Rn. 99 ff. 558

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Kap. 3: Die Rechtsbeziehungen bei der Arzneimittelabgabe

ren Rechtsnatur als Erfüllungssurrogat563. Die – als Realakt zu qualifizierende – Begleichung der Vergütungsforderung wird lediglich dadurch ersetzt, dass die Krankenkasse dem Vergütungsanspruch einen Rückzahlungsanspruch entgegensetzt. Allgemein werden behördliche Aufrechnungserklärungen nach überwiegender Ansicht nicht als Verwaltungsakte angesehen.564 Es fehle ihnen am Merkmal der Hoheitlichkeit, da sie sich nicht von Aufrechnungserklärungen des Bürgers unterschieden,565 insbesondere wenn für die Aufrechnung auf die §§ 387 ff. BGB als bürgerlich-rechtliche Vorschriften verwiesen werde.566 Für den Verwaltungsaktcharakter der Aufrechnungserklärung einer Krankenkasse könnte allerdings die Vorschrift des § 24 II Nr. 7 SGB X sprechen. Dort heißt es, dass vor dem Erlass eines Verwaltungsakts von einer Anhörung abgesehen werden kann, wenn gegen oder mit Ansprüchen von weniger als 70 € aufgerechnet werden soll. Aus § 24 II Nr. 7 SGB X scheint deshalb für das Sozialrecht die Verwaltungsaktqualität behördlicher Aufrechnungen zu folgen.567 Allerdings handelt es sich bei § 24 II Nr. 7 SGB X um eine verfahrensrechtliche Vorschrift. Als verfahrensrechtliche Vorschrift hat die Norm eine dienende Funktion. Sie bezieht sich daher nur auf solche Aufrechnungserklärungen, die bereits nach materiellem Recht als Verwaltungsakt anzusehen sind, ordnet aber nicht selbst die Verwaltungsaktqualität von behördlichen Aufrechnungserklärungen an.568 Somit hat auch die Aufrechnungserklärung der Krankenkasse keine Verwaltungsaktqualität.569

563

s. dazu BeckOK BGB/Dennhardt, § 387 BGB Rn. 1; Jauernig/Stürner, § 387 BGB Rn. 2. Gegen Verwaltungsaktqualität einer behördlichen Aufrechnung etwa: Druschel, S.  145; BeckOK VwVfG/v. Alemann/Scheffczyk, § 35 VwVfG Rn. 167; P. Stelkens/Bonk/Sachs/U. Stelkens, § 35 VwVfG Rn. 140; BFHE 149, 482 (483 ff.); 178, 306 (307); BVerwGE 66, 218 (220). 565 Druschel, S. 145; P. Stelkens/Bonk/Sachs/U. Stelkens, § 35 VwVfG Rn. 138; BVerwGE 66, 218 (220). 566 De Wall, S. 467 ff. Vgl. auch Druschel, S. 145. – In Bezug auf § 226 AO I, der für das Abgabenrecht auf die §§ 387 ff. BGB verweist: Kemmler, S. 295; BFHE 149, 282 (283 f.). 567 Diering/Timme/H. Lang, § 24 SGB X Rn. 25; vom Rath, DÖV 2010, S. 180 (183); BSG, Vorlagebeschl. v. 25.2.2010, B 13 R 76/09 R, Rn. 19 f. (juris). Der in dem Vorlagebeschluss durch den 13. Senat des BSG angerufene Große Senat hatte nach dem Gegenstand der Vorlagefrage nur zur Rechtsnatur der Verrechnung gemäß § 52 SGB I Stellung nehmen müssen und die Rechtsnatur der Aufrechnung ausdrücklich offen gelassen, wobei dem Großen Senat insoweit auch nur die Aufrechnung eines Leistungsträgers gegenüber einem Bürger vor Augen stand: BSGE 109, 81 (86). Der 3. Senat des BSG verneinte in einer Entscheidung aus dem Jahr 2008 die Verwaltungsaktqualität der Aufrechnung einer Krankenkasse gegenüber einem Apotheker, weil sich beide in einem Gleichordnungsverhältnis begegneten: BSG SozR 4–2400 § 129 Nr. 2 Rn. 11 ff. 568 Kemmler, S.  297; ähnlich Hauck/Noftz/Vogelgesang, § 24 SGB X Rn.  34. Im Ergebnis ebenso ablehnend: P. Stelkens/Bonk/Sachs/U. Stelkens, § 35 VwVfG Rn. 140; Dörr/JährlingRahnefeld, SGb 2003, S.  549 (552); zurückhaltend auch Eichenhofer/Wenner/Schmidt-De Caluwe, § 24 SGB X Rn.  28. Als Verwaltungsakt ist die Aufrechnung beispielsweise im SGB II ausgestaltet, s. §§ 42a II 2, 43 IV SGB II. 569 Gegen die Verwaltungsaktqualität einer Aufrechnung einer Krankenkasse gegenüber einem Apotheker auch BSG SozR 4-2500 § 129 Nr. 2 Rn. 11 ff. 564

C. Vergütungsrechtliche Folgen

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VII. Kumulative Haftung von Arzt und Apotheker? In bestimmten Konstellationen trifft den Apotheker und den Arzt gleichzeitig die Verantwortung dafür, dass ein Arzneimittel im Widerspruch zu krankenversicherungsrechtlichen Vorgaben abgegeben worden ist. Eine Fallgestaltung ist insoweit die Abgabe eines ohne Rücksicht auf bestimmte Krankheiten von der Versorgung ausgeschlossenen Arzneimittels: Der Arzt hätte dieses Arzneimittel schon nicht verordnen, der Apotheker hätte es aufgrund der ihn treffenden Rezeptprüfungspflicht nicht abgeben dürfen. Eine weitere Konstellation ist die Abgabe eines Arzneimittels auf eine formell nicht ordnungsgemäß ausgestellte Verordnung, für die kein Vergütungserhaltungs­tatbestand nach § 3 I 2 RV-AV570 eingreift: Der Arzt hätte die Verordnung formell korrekt ausstellen müssen, doch der Apotheker hätte die Verordnung außerdem zurückweisen müssen. In den dargestellten Situationen kommen sowohl gegenüber dem Arzt als auch gegenüber dem Apotheker Zahlungsansprüche der Krankenkasse in Betracht, deren Höhe jeweils dem Apothekenabgabepreis des Arzneimittels entspricht. Ein Apotheker, der ein von der Versorgung ausgeschlossenes Arzneimittel abgegeben hat, kann auf Null retaxiert werden, d. h. er muss die an ihn entrichtete Vergütung zurückzahlen, die in dem Apothekenabgabepreis des Arzneimittels besteht, und er kann keinen sonstigen Anspruch gegen die Krankenkasse, etwa in Form eines Bereicherungsanspruchs, geltend machen. Der Vertragsarzt, der das von der Versorgung ausgeschlossene Arzneimittel verordnet hat, muss im Rahmen eines Verordnungsregresses nach § 106b SGB V der Krankenkasse571 den von ihm verursachten unwirtschaftlichen Mehraufwand ersetzen, der in dem Apothekenabgabepreis des Arzneimittels liegt, den die Krankenkasse dem Apotheker bezahlt hat.572 Dass auch der Apotheker mitursächlich für die Abgabe des fehlerhaften Arzneimittels war, schließt den Anspruch gegen den Vertragsarzt nicht aus. Insoweit scheint zwar die Aussage des BSG, dass im Rahmen eines Verordnungsregresses nach § 106b SGB V bei Verordnung eines von der Versorgung ausgeschlossenen Arzneimittels der Schaden der Krankenkasse darin liege, dass sie ein rechtswidrig verordnetes Arzneimittel bezahlt habe, das dem Versicherten ausgehändigt wurde und auch „ausgehändigt werden durfte“,573 das Gegenteil nahezulegen:574 Versteht 570

s. dazu oben B. V. 1. d) aa). Nach § 52 II BMV-Ä wird der Regressanspruch vorrangig realisiert, indem die KV den Regressanspruch gegen laufende Honorarforderungen des Arztes aufrechnet; nur wenn der Arzt keine Honorarforderung gegen die KV geltend machen kann, wird der Anspruch zur unmittelbaren Einziehung der Krankenkasse übertragen. Dabei handelt es sich aber nur um eine Inkassoregelung. Inhaber des Ersatzanspruchs ist die Krankenkasse und nicht die Kassenärztliche Vereinigung, vgl. BSG SozR 4-2500 § 106 Nr. 52 Rn. 16. 572 Vgl. BeckOK SozR/Wehebrink (43. Edition), § 106 SGB V Rn. 30. S. dazu schon oben C. III. 1. c) sowie C. III. 2. c) aa) (1) (a). 573 BSG SozR 3-2500 § 106 Nr. 52 (S. 284); SozR 4-2500 § 106 Nr. 7 Rn. 12; SozR 4-2500 § 106 Nr. 28 Rn. 23. 574 Vgl. Eichenhofer/Wenner/Seifert, § 106 SGB V Rn. 38. 571

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Kap. 3: Die Rechtsbeziehungen bei der Arzneimittelabgabe

man diese Aussage wörtlich, käme ein Verordnungsregress gegen den Arzt nur in Betracht, sofern nicht gleichzeitig auch dem Apotheker eine Rechtsverletzung vorgeworfen werden kann. Das wäre etwa der Fall, wenn der Arzt ein Arzneimittel verschreibt, das nur in Abhängigkeit vom Vorliegen bestimmter Krankheiten verordnungsfähig ist, denn das Vorliegen einer Krankheit kann nur vom Arzt, nicht aber durch den Apotheker beurteilt werden.575 Dagegen, dass eine Rechtsverletzung aufseiten des Apothekers einen Verordnungsregress gegen den Arzt ausschließt, spricht aber, dass der Wortlaut von § 106b SGB V für eine solche Differenzierung keine Anhaltspunkte bietet.576 Für die Belieferung einer formell nicht ordnungsgemäßen Verordnung kann ein Apotheker  – sofern nicht zu seinen Gunsten ein Vergütungserhaltungstatbestand nach § 3 I 2 RV-AV eingreift – ebenfalls auf Null retaxiert werden. Der Vertragsarzt haftet der Krankenkasse zugleich nach § 48  I  BMV-Ä wegen Verursachung eines sog. sonstigen Schadens. § 48 BMV-Ä ist eine bundesmantelvertragliche Konkretisierung der den Vertragsarzt dem Grunde nach kraft Gesetzes treffenden vertragsärztlichen Pflicht, die Krankenkasse von Vermögensnachteilen zu bewahren, und soll die von § 106b SGB V nicht erfassten Fälle fehlerhafter Arzneimittelverordnungen abdecken.577 Bei Ausstellung einer formell fehlerhaften Verordnung liegt der Schaden der Krankenkasse in der Vergütung, die sie dem Apotheker für das Arzneimittel bezahlt hat,578 und damit im Apothekenabgabepreis des Arzneimittels. Fraglich ist allerdings, in welchem Verhältnis die Ansprüche der Krankenkasse gegen den Arzt einerseits und den Apotheker andererseits stehen – dass die Krankenkasse von beiden Leistungserbringern Zahlung des Apothekenabgabepreises verlangen kann und dadurch doppelt kompensiert würde, erscheint kaum denkbar. Zunächst ließe sich an ein Gesamtschuldverhältnis nach § 69 I 3 SGB V i. V. m. §§ 421 ff. BGB zwischen Arzt und Apotheker denken.579 Die Leistung eines Gesamtschuldners hat Erfüllungswirkung für die anderen Schuldner.580 Der leistende Schuldner kann nach Maßgabe des Innenverhältnisses die anderen Schuldner in Regress nehmen.581 Das Vorliegen einer Gesamtschuld setzt nach § 421 BGB voraus, dass mehrere eine Leistung in der Weise schulden, dass jeder die ganze Leistung zu bewirken verpflichtet, der Gläubiger aber die Leistung nur einmal zu fordern 575

s. dazu oben A. III. Im Ergebnis ebenso Eichenhofer/Wenner/Seifert, § 106 SGB V Rn. 38. Offengelassen von LSG Schleswig-Holstein, Urt. v. 7.7.2009, L 4 KA 18/07, Rn. 41 f. (juris). 577 Vgl. BSGE 26, 16 (21); 42, 268 (270); 55, 144 (149 ff.); BSG SozR 4-2500 § 106 Nr. 31 Rn. 29. 578 BSG SozR 4–5540 § 48 Nr. 2 Rn. 36 f. 579 So Dettling/Altschwager, S. 96, Fn. 321. Allgemein für das Verhältnis von Vertragsarzt und sonstigen Leistungserbringern gegenüber der Krankenkasse Eichenhofer/Wenner/Seifert, § 106 SGB V Rn. 38. 580 § 422 I BGB. 581 § 426 BGB. 576

C. Vergütungsrechtliche Folgen

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berechtigt ist. Notwendig ist insoweit, dass die verschiedenen Ansprüche, die nicht auf demselben Schuldgrund beruhen müssen, das gleiche Interesse des Gläubigers befriedigen sollen.582 Sowohl der gegen den Apotheker gerichtete Bereicherungsanspruch als auch der gegen den Vertragsarzt gerichtete Regressanspruch sollen der Krankenkasse einen Ausgleich dafür bieten, dass sie dem Apotheker ein Arzneimittel zu Unrecht vergütet hat. Über die geschriebenen Tatbestandsmerkmale des § 421 BGB hinaus verlangt die überwiegende Ansicht im Bürgerlichen Recht weiterhin, dass die verschiedenen Ansprüche in einem Verhältnis der Gleichstufigkeit stehen.583 Das Gleichstufigkeitserfordernis wird aus dem Charakter der Gesamtschuld als zumindest potentieller wechselseitiger Regressgemeinschaft hergeleitet. Eine Gesamtschuld komme nur zur Entstehung, wenn ein wechselseitiger Rückgriff nicht von vornherein ausgeschlossen ist.584 Ein wechselseitiger Rückgriff ist von vornherein ausgeschlossen, wenn sich bereits aus der Zweckrichtung der verschiedenen Ansprüche ergibt, dass einer der Schuldner nur nachrangig verpflichtet sein soll, insbesondere weil er nach der Natur des gegen ihn bestehenden Anspruchs nur für die Liquidität des anderen einzustehen hat.585 Eine solche Liquiditätssicherungsfunktion haben die gegen den Vertragsarzt gerichteten Ansprüche. Sie werden dadurch ausgelöst, dass die Krankenkasse dem Apotheker eine Vergütung für Arzneimittel gezahlt hat, auf die der Versicherte keinen Anspruch hatte.586 Würde die Krankenkasse unmittelbar nach Prüfung des eingereichten Rezepts die Bezahlung der Apothekervergütung verweigern, kämen Regressansprüche gegen den Vertragsarzt nie zur Entstehung.587 Entsprechend entfällt der Zweck des Regressanspruchs, wenn die Krankenkasse von dem Apotheker die zu Unrecht gezahlte Vergütung aufgrund einer Retaxation zurückerlangt hat. Die Zahlungspflichten von Arzt und Apotheker stehen deshalb nicht in einem Gleichstufigkeitsverhältnis.588 Arzt und Apotheker haften nicht als Gesamtschuldner. 582

Palandt/Grüneberg, § 421 BGB Rn. 5 ff. Münchener Kommentar BGB/Bydlinski, § 421 BGB Rn. 12 ff. m. w. N. auch zur Gegenansicht; Palandt/Grüneberg, § 421 BGB Rn. 7; BGHZ 106, 313 (319); 108, 179 (182); 120, 50 (56); 137, 76 (82). 584 Vgl. Münchener Kommentar BGB/Bydlinski, § 421 BGB Rn. 12. 585 Münchener Kommentar BGB/Bydlinski, § 421 BGB Rn.  12; Palandt/Grüneberg, § 421 BGB Rn. 9. 586 Vgl. für den Rückzahlungsanspruch der Krankenkasse aufgrund eines Verordnungsregresses nach §§ 106, 106b f.: BSG SozR 4-2500 § 106 Nr. 7 Rn.  12; SozR  4-2500 § 106 Nr.  28 Rn. 23. 587 Für den Anspruch nach § 48 I BMV-Ä angedeutet in BSG SozR 4-5540 § 48 Nr. 2 Rn. 38. 588 Es entspricht der überwiegenden Ansicht im Zivilrecht, dass eine Person, die einen anderen durch eine unerlaubte Handlung zur Weggabe eines Vermögenswertes veranlasst hat, nicht gleichstufig mit dem Empfänger des Vermögenswertes haftet, der aus ungerechtfertigter Bereicherung zur Rückerstattung verpflichtet ist: Münchener Kommentar/Bydlinski, § 421 BGB Rn. 65; Erman/L. Böttcher, § 421 BGB Rn. 24; OLG Karlsruhe MDR 1975, 755 (756); BGH DB 1989, 2375 (2377). AA: Palandt/Grüneberg, § 421 BGB Rn. 11; Soergel/Gebauer, § 421 BGB Rn. 421. 583

276

Kap. 3: Die Rechtsbeziehungen bei der Arzneimittelabgabe

In den Fällen, in denen eine Gesamtschuld am Gleichstufigkeitserfordernis scheitert, wird dem nachrangig Verpflichteten aber ein Anspruch analog § 255 BGB gegen den Gläubiger zugestanden, falls er in Anspruch genommen wird.589 In direkter Anwendung ordnet § 255 BGB an, dass derjenige, der Schadensersatz für den Verlust einer Sache leisten muss, zum Ersatz nur Zug um Zug gegen Abtretung der aus dem Eigentum folgenden Ansprüche verpflichtet ist. In analoger Anwendung gewährt § 255 BGB dem nachrangig Verpflichteten einen Anspruch, dass der Gläubiger ihm Zug um Zug gegen Zahlung den Anspruch abtritt, der ihm gegen den vorrangig Verpflichteten zusteht.590 Über § 69 I 3 SGB V kann § 255 BGB auch im Krankenversicherungsrecht zur Anwendung kommen.591 Der Vertragsarzt muss somit den gegen ihn gerichteten Regressanspruch nur Zug um Zug gegen Abtretung des gegen den Apotheker bestehenden Bereicherungsanspruchs begleichen. Dass es sich bei dem Bereicherungsanspruch um eine öffentlich-rechtliche Forderung handelt, steht seiner Abtretung an den Arzt als Privaten nicht entgegen.592 Zur Folge hat die Anwendung von § 255 BGB, dass im Verhältnis von Arzt und Apotheker die Kosten für eine rechtswidrige Arzneimittelabgabe letztlich der Apotheker trägt. Es sind auch keine weiteren Anspruchsgrundlagen des Apothekers gegen den Arzt ersichtlich, die dieses Ergebnis ändern könnten. Da der Vertragsarzt durch seine rechtswidrige Verordnung mit ursächlich dafür war, dass der Apotheker ein Arzneimittel abgegeben hat und dafür keinerlei Zahlung von der Krankenkasse erhält, ließe sich zwar zunächst an einen Schadensersatzanspruch des Apothekers denken. Aus § 823 I BGB kann sich ein solcher Anspruch nicht ergeben, da die Vorschrift keinen Ersatz für primäre Vermögensschäden gewährt.593 Als Anspruchsgrundlage für den Ersatz primärer Vermögensschäden kommt lediglich § 280 I BGB in Betracht, der aber das Bestehen eines Schuldverhältnisses zwischen Vertragsarzt und Apotheker voraussetzt. Ein Schuldverhältnis besteht zwischen Arzt und Apotheker indessen nicht594.

589

BeckOK BGB/Lorenz, § 255 BGB Rn. 2 f.; Münchener Kommentar BGB/Oechsler, § 255 BGB Rn. 2 f.; Staudinger/Bittner, § 255 BGB Rn. 45; BGHZ 106, 313 (320 f.). 590 BeckOK BGB/Lorenz, § 255 BGB Rn. 2. 591 Zur analogen Anwendung von § 255 BGB im Rahmen von Regressen der Krankenkasse s. auch BSG SozR 4-2500 § 106 Nr. 7 Rn. 15. 592 De Wall, S. 503 ff.; eingehend Ohler, DÖV 2004, S. 518 ff. 593 s. nur Münchener Kommentar BGB/Wagner, § 823 BGB Rn. 370; BGHZ 27, 137 (140); 86, 152 (155). 594 s. oben B. VI. 1.

Kapitel 4

Die Pflicht zur Auswahl wirtschaftlicher Arzneimittel Nach § 129  I  1 Nr.  1 SGB  V sind Apotheker verpflichtet, ein preisgünstiges wirkstoffgleiches Arzneimittel abzugeben, wenn der Arzt die Ersetzung durch ein wirkstoffgleiches Arzneimittel nicht ausgeschlossen oder ein Arzneimittel nur unter seiner Wirkstoffbezeichnung verordnet hat. Weiterhin haben Apotheker nach § 129 I 1 Nr. 2 SGB V preisgünstige importierte Arzneimittel abzugeben. Apotheker trifft damit eine Pflicht, bei der Belieferung von Verordnungen möglichst wirtschaftliche Arzneimittel auszuwählen. Die Pflicht zur Auswahl wirtschaftlicher Arzneimittel soll zu einer Senkung der Arzneimittelkosten in der gesetzlichen Krankenversicherung beitragen, indem zum einen die bei der einzelnen Arzneimittelabgabe anfallenden Kosten niedrig gehalten werden und zum anderen ein Preiswettbewerb unter den Herstellern angeregt wird.1 Die Pflicht zur Abgabe preisgünstiger wirkstoffgleicher Arzneimittel zielt auf die Erschließung des Generikamarktes. Generika sind Kopien bereits auf dem Markt befindlicher Arzneimittel. Aufgrund geringerer Entwicklungskosten werden Generika deutlich günstiger angeboten als das Originalarzneimittel.2 Die Pflicht zur Abgabe importierter Arzneimittel hat ihren Hintergrund darin, dass Arzneimittel im Ausland wegen niedrigerer Steuersätze oder der dort herrschenden Preisbildungsvorschriften3 oft zu einem günstigeren Preis als auf dem deutschen Markt erhältlich sind.

A. Einbeziehung der Apotheker in das Wirtschaftlichkeitsgebot durch das Gesundheitsreformgesetz Die gesetzliche Pflicht zur Auswahl wirtschaftlicher Arzneimittel existiert seit Inkrafttreten des mit dem Gesundheitsreformgesetz zum Jahr 1989 eingeführten SGB V. Nachdem zuvor unter Geltung der Reichsversicherungsordnung etwa 1

Vgl. nur Salje, NJW 1989, S. 751 (753 f.). Generika sind im Durchschnitt 25 % günstiger als das Originalarzneimittel, Schmidt, in: Gesundheit 2030, S. 217 (218). Die günstigen Generikapreise haben zur Folge, dass die Ausgaben der Krankenkassen für Generika im Jahr 2015 12,369 Mrd. € betrugen, während die Krankenkassen für patentgeschützte Arzneimittel 15,823 Mrd. € zahlen mussten, obwohl die Verordnungsmenge von Generika zwölfmal so hoch war: Arzneiverordnungs-Report 2016, S. 4 f. Wenn nach Ablauf des Patentschutzes Patienten sofort auf generische Präparate umgestellt würden, könnten rechnerisch 3,1 Mrd. € an Arzneimittelkosten eingespart werden, Arzneiverordnungs-Report 2016, S. 5. 3 J. Müller-Graff, S. 2. 2

278

Kap. 4: Die Pflicht zur Auswahl wirtschaftlicher Arzneimittel

ab Mitte der 1980er Jahre4 bereits viele Arzneilieferverträge Apotheker zur Auswahl wirtschaftlicher Arzneimittel verpflichtet hatten,5 wurde die Pflicht zur wirtschaftlichen Arzneimittelauswahl mit Einführung des SGB V gesetzlich festgeschrieben. Die Vereinbarung entsprechender vertraglicher Regelungen war nämlich regelmäßig auf den Widerstand der Apotheker gestoßen, die Umsatzeinbußen und einen erhöhten Arbeitsaufwand befürchteten.6 Nach der Gesetzesbegründung bindet § 129 I SGB V Apotheker bei der Arzneimittelabgabe in das Wirtschaftlichkeitsgebot ein.7 Zumindest hypothetisch wäre es möglich gewesen, auf eine Inpflichtnahme der Apotheker zu verzichten und stattdessen die Arzneimittelauswahl unter Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkten ausschließlich den Ärzten zu überantworten, die bei ihrer Verordnungsentscheidung Kostenvergleiche hätten anstellen müssen.8 Dass sich der Gesetzgeber damals für die Einbeziehung der Apotheker in die Arzneimittelauswahl entschieden hat, dürfte vor allem darauf zurückzuführen sein, dass Apothekern in mehrerlei Hinsicht ein Wissensvorsprung gegenüber Ärzten zukam, der sie für die Arzneimittelauswahl unter Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkten besser befähigte als Ärzte:9 Eine Pflicht zur Auswahl wirtschaftlicher Arzneimittel lässt sich nur effektiv umsetzen, wenn der Verpflichtete über einen aktuellen Überblick über den Arzneimittelmarkt verfügt, um auf Preisänderungen oder die Einführung neuer Präparate reagieren zu können.10 Die Apotheker verfügten traditionell über einen solchen Überblick, da sie schon seit langer Zeit von privaten Anbietern Produktübersichten bezogen,11 die regelmäßig aktualisiert wurden. Die bekannteste ist das von der Firma Lauer-Fischer vertriebene Produkt „Lauer-Taxe“.12 Der Marktüberblick der Ärzte war hingegen damals und auch noch in der Folgezeit defizitär: Das von Ärzten für Verordnungen konsultierte Nachschlagewerk „Die Rote Liste“ erscheint nur jährlich. Bei Inkrafttreten des Gesundheitsreformgesetzes bezogen Ärzte Arzneimittelinformationen oft von Pharmareferenten; diese Informationen waren teils irreführend.13 Wenn Ärzte im Bemühen um Kosteneinsparungen Generika verordneten, wählten sie deshalb 4

Vgl. Landgraf-Brunner, S. 227 ff. Zu in den damaligen Arzneilieferverträgen häufig enthaltenen Pflichten zur generischen Substitution s. Landgraf-Brunner, S. 228 ff.; May, MMG 1984, S. 82 (88). – Zum sog. Frankfurter Modell, bei dem hessische Apotheker für die Abgabe eines Generikums ein Honorar von 3 DM erhielten, s. Salje, NJW 1989, S. 751 (754 mit Fn. 33); Ehlers/Arndt, pharmind 2002, S.  562 f.  – Zu Import-Abgabepflichten in den damaligen Arzneilieferverträgen s. LandgrafBrunner, S. 227 f.; Hartmann-Besche/Reher, DOK 1984, S. 785 ff. 6 Vgl. Landgraf-Brunner, S. 229 ff. 7 BT-Drs. 11/2237, S. 205. 8 Vgl. dazu Münnich, in: Neuorientierung im Gesundheitswesen, S. 63 (73). 9 Vgl. Salje, NJW 1989, S. 751 (754 ). 10 Endbericht „Strukturreform im Gesundheitswesen“, BT-Drs. 11/6380, S. 242. 11 Salje, NJW 1989, S. 751 (754). Vgl. auch Wenner, SozSich 2010, S. 415 (417). 12 Vgl. Salje, NJW 1989, S. 751 (754). 13 Salje, NJW 1989, S.  751 (754). Vgl. auch den Endbericht der Enquete-Kommission „Strukturreform im Gesundheitswesen“, BT-Drs. 11/6380, S. 242, 250. 5

A. Einbeziehung der Apotheker in das Wirtschaftlichkeitsgebot

279

nicht selten nur mittel- oder hochpreisige Generika aus und ließen dadurch Einsparpotentiale ungenutzt.14 In der Zeit nach Inkrafttreten des Gesundheitsreformgesetzes kamen zwar allmählich Verordnungssoftwareprodukte für Ärzte auf, doch wurden diese nur vierteljährlich aktualisiert, sodass dort gelistete Preisangaben nicht immer aktuell waren.15 Erst mit dem E-Health-Gesetz wurde im Jahr 2015 festgelegt, dass die von einem Vertragsarzt benutzte Verordnungssoftware imstande sein muss, alle aktuellen Preis- und Produktinformationen zu den am Markt verfügbaren Arzneimitteln anzuzeigen.16 Verfügen damit Ärzte mittlerweile über denselben Marktüberblick wie Apotheker, so bleibt aufseiten der Ärzte dennoch ein weiteres Informationsdefizit bestehen, das auch schon bei Inkrafttreten des Gesundheitsreformgesetzes vorlag: Da Ärzte anders als Apotheker in keinem direkten Kontakt mit dem pharmazeutischen Großhandel stehen, kennen sie die Lieferfähigkeit von Arzneimitteln nicht.17 Hätte der Gesetzgeber die Auswahl wirtschaftlicher Arzneimittel alleine den Ärzten überantwortet, könnte mitunter die Situation eintreten, dass das vom Arzt verordnete Arzneimittel nicht lieferbar ist.18 Der Patient müsste in die Arztpraxis zurückkehren und sich dort unter Beanspruchung zeitlicher Ressourcen ein neues Arzneimittel verordnen lassen. Der Apotheker kennt dagegen die Lieferbarkeit von Arzneimitteln und kann deshalb in seine Auswahlentscheidung Gesichtspunkte der Verfügbarkeit einbeziehen. Mit dem Gesundheitsreformgesetz wurde noch ein weiterer Mechanismus geschaffen, der Kostenersparnisse im Markt der wirkstoffgleichen Arzneimittel bewirken soll, nämlich die Festbetragsregelung nach den §§ 31 II, 35 SGB  V. Für die Arzneimittel einer Festbetragsgruppe19 kann ein Festbetrag festgesetzt20 werden. Nach § 31 II SGB V sind die Kosten eines Arzneimittels von den Versicherten selbst zu tragen, soweit sie den festgesetzten Festbetrag übersteigen. So sollen die Ausgaben der Krankenkassen gedeckelt und zugleich ein Preiswettbewerb unter den verschiedenen Herstellern angeregt werden.21 Ein möglicher Anknüpfungspunkt für die Zusammenfassung mehrerer Arzneimittel in einer Festbetragsgruppe, für die anschließend ein Festbetrag festgesetzt werden kann, ist deren

14

Vgl. Dietrich/Schoop, DÄ 2003, A-1908. BT-Drs. 18/5293, S. 39 f.; Dietrich/Schoop, DÄ 2003, A-1908. Vgl. auch Richard, G+G 2015, Heft Nr. 5, S. 21 (27). 16 § 73 IX 1 Nr. 3 SGB V. 17 Vgl. zum fehlenden Überblick des Arztes über die Vertriebswege auch Burk, S. 69. 18 Zu Lieferengpässen bei preisgünstigen Präparaten vgl. Franzmann u. a., PZ 2007, Heft Nr. 16, S. 10 (13). – Geringer eingeschätzt wird das Risiko auftretender Lieferschwierigkeiten bei preisgünstigen Arzneimitteln von Boldt, PharmR 2009, S. 377 (379); Pressel, KrV 2017, S. 96 (98, 100). 19 Zur Festbetragsgruppenbildung s. § 35 I, II SGB V. 20 § 35 III–VII SGB V. 21 Becker/Kingreen/Axer, § 35 SGB V Rn. 1; Wodarz, in: Handbuch des Krankenversicherungsrechts, § 27 Rn. 27. 15

280

Kap. 4: Die Pflicht zur Auswahl wirtschaftlicher Arzneimittel

Wirkstoffgleichheit.22 Somit wird nicht nur durch die Pflicht zur Abgabe preisgünstiger wirkstoffgleicher Arzneimittel nach § 129  I  1 Nr.  1 SGB  V, sondern auch durch die Festbetragsregelung ein Preiswettbewerb zwischen den Herstellern wirkstoffgleicher Arzneimittel angeregt. Aus diesem Grund stellt sich die Frage nach dem Verhältnis beider Regelungen zueinander im Hinblick auf die Erschließung der Wirtschaftlichkeitsreserven des Generikamarktes. Da bei der Festbetragsfestsetzung nicht nur der Preis der in einer Gruppe zusammengefassten Arzneimittel, sondern insbesondere auch therapeutische Aspekte zu beachten sind, geben Festbeträge nur die äußerste Grenze der durch die Krankenkassen übernahmefähigen Kosten vor.23 Die Pflicht zur Abgabe preisgünstiger wirkstoffgleicher Arzneimittel soll dagegen Wirtschaftlichkeitsspielräume ausschöpfen, die unterhalb des Festbetragsniveaus noch weiterhin verbleiben.24 Die Pflicht zur Abgabe preisgünstiger wirkstoffgleicher Arzneimittel erhält somit auch dann den Preiswettbewerb zwischen den verschiedenen Herstellern wirkstoffgleicher Arzneimittel aufrecht, wenn ihre Produkte den festgesetzten Festbetrag nicht überschreiten. Der Preiswettbewerb im Generikasektor wird folglich vor allem durch die Pflicht zur Abgabe wirkstoffgleicher Arzneimittel und nicht über die Festbetragsregelung gesteuert.25 Eine unnötige Doppelregulierung im Markt der wirkstoffgleichen Arzneimittel26 ist im Nebeneinander von § 129 SGB V und der Festbetragsregelung deshalb aber nicht unbedingt zu sehen. In Fällen, in denen der Arzt bindend ein bestimmtes Arzneimittel eines Wirkstoffs verordnet, kommt die Deckelungsfunktion des Festbetrags zum Tragen, wenn der Preis des Arzneimittels den Festbetrag überschreitet. Insoweit ergänzen sich die Festbetragsregelung und die Pflicht zur Abgabe preisgünstiger wirkstoffgleicher Arzneimittel.

B. Die Pflicht zur Abgabe preisgünstiger wirkstoffgleicher Arzneimittel Nach § 129 I 1 Nr. 1 SGB V muss ein Apotheker ein preisgünstiges wirkstoffgleiches Arzneimittel abgeben, wenn der Arzt ein Arzneimittel nur dem Wirkstoff nach verordnet oder die Ersetzung des verordneten Arzneimittels durch ein wirkstoffgleiches nicht ausgeschlossen hat. Die Pflicht des Apothekers wird im Weiteren ausdifferenziert, da § 129 I SGB V sowohl detaillierte medizinisch-pharma­

22

§ 35 I 2 Nr. 1 SGB V. Vgl. Jensen, BKK 1990, S. 777 (780, 782). 24 BT-Drs.  14/7827, S.  9; Jensen, BKK 1990, S.  777 (780, 782); Kaesbach, BKK 2002, S. 385 (387); Nink/Schröder, SozSich 2001, S. 376 (377, 381). Vgl. auch Hartmann-Besche/ Schneider, KrV 1989, S. 26 (27); Wolff, RPG 2009, S. 30 (33). 25 Vgl. Reichert, S. 87; Kaesbach, BKK 2003, S. 454 (457). 26 Kaesbach, BKK 2003, S. 454 (457). Vgl. auch Reichert, S. 87. 23

B. Die Pflicht zur Abgabe preisgünstiger wirkstoffgleicher Arzneimittel 

281

zeutische27 als auch wirtschaftlichkeitsbezogene Vorgaben28 für die Auswahl macht. Die Pflicht zu Auswahl wirtschaftlicher Arzneimittel betrifft in erster Linie die Abgabe von Fertigarzneimitteln. Erst seit Inkrafttreten des Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetzes im Jahr 2017 gilt diese Pflicht in Teilen auch für die Herstellung parenteraler Zubereitungen aus Fertigarzneimitteln zum Einsatz in der Onkologie, indem Apotheker zur vorrangigen Verwendung rabattierter Arzneimittel verwendet werden.29

I. Wirkstoffgleichheit Die Auswahlpflicht des Apothekers besteht nur unter mehreren wirkstoffgleichen Arzneimitteln. Sowohl der Begriff der Wirkstoffgleichheit als auch der des Wirkstoffs selbst ist in § 129 SGB V nicht definiert. Auch in § 130a IIIb 1 SGB V, wo die Höhe des Herstellerabschlags bei Existenz anderer wirkstoffgleicher Arzneimittel geregelt ist, findet sich keine Definition. Ebenfalls keine Definition der Wirkstoffgleichheit enthält § 35 SGB V, soweit danach Arzneimittel mit demselben Wirkstoff in einer Festbetragsgruppe zusammengefasst werden können30 und dabei die unterschiedlichen Bioverfügbarkeiten verschiedener wirkstoffgleicher Arzneimittel zu berücksichtigen sind31. Zwar folgt aus dem synonymen Gebrauch von „wirkstoffgleich“ und „derselbe Wirkstoff“ in § 35 SGB V, dass das SGB V jedenfalls im Recht der Festbetragsgruppenbildung unter „wirkstoffgleich“ das Vorliegen von Wirkstoffidentität zu verstehen ist, doch fehlt es insoweit an einer Definition des Begriffs der Wirkstoffidentität. Allerdings haben die Begriffe des Wirkstoffs und der Wirkstoffgleichheit im Arzneimittelrecht eine schärfere Konturierung erfahren. Auf dieses arzneimittelrechtliche Begriffsverständnis ist für § 129 SGB V abzustellen,32 denn das SGB V sieht, wie die Regelungen der §§ 31, 34 SGB V mit der Verwendung der arzneimittelrechtlichen Begriffe der Apothekenpflicht und der Verschreibungspflicht zeigen, das Arzneimittelrecht als vorgreiflich an.33 Der Begriff des Wirkstoffs ist in § 4 XIX AMG legaldefiniert. Wirkstoffe sind danach die arzneilich wirksamen Bestandteile eines Arzneimittels. Wirkstoffgleich 27

§ 129 I 2 SGB V. § 129 I 3–7 SGB V. 29 s. dazu bereits oben Kapitel 1 B. VI. – Es existiert in § 129 I 4 SGB V insoweit eine Pflicht zur vorrangigen Verwendung rabattierter Fertigarzneimittel, die strukturell der Pflicht zur vorrangigen Abgabe rabattierter Fertigarzneimittel nach § 129 I 3 SGB V entspricht. Eine generelle Pflicht zur Verwendung preisgünstiger Arzneimittel, wie sie § 129 I 5 SGB V für Fertigarzneimittel vorsieht, existiert jedoch nicht. Außerdem existiert keine den § 129 I 1 Nr. 2, S. 8 SGB V entsprechende Pflicht zur Verwendung von Importprodukten. 30 § 35 I 2 HS. 1 Nr. 1 SGB V. 31 § 35 I 2 HS. 2 SGB V. 32 Vgl. für den Begriff des Wirkstoffs in § 35 SGB V BSG, NZS 2011, 660 (664). 33 Zur Vorgreiflichkeit des Arzneimittelrechts vgl. oben Kapitel 1 B. III. 1. 28

282

Kap. 4: Die Pflicht zur Auswahl wirtschaftlicher Arzneimittel

im Sinne des Arzneimittelrechts sind zwei Arzneimittel folglich auf jeden Fall dann, wenn ihre arzneilich wirksamen Bestandteile identisch sind.34 Nach § 24b II 2 AMG gelten weiterhin die verschiedenen Salze, Ester, Ether, Isomere, Mischungen von Isomeren, Komplexe und Derivate eines Wirkstoffes als derselbe Wirkstoff, es sei denn, ihre Eigenschaften unterscheiden sich nach wissenschaftlichen Erkenntnissen erheblich hinsichtlich Unbedenklichkeit und Wirksamkeit. Die Vorschrift des § 24b II 2 AMG entstammt dem Recht der bezugnehmenden Zulassung. § 24b II AMG sieht für Generika erleichterte Zulassungsvoraussetzungen vor. Der Hersteller eines Generikums kann nach Ablauf einer grundsätzlich zehnjährigen Schutzfrist (sog. Unterlagenschutz) auf die Vorlage eigener Zulassungsstudien verzichten und stattdessen auf die Unterlagen des Herstellers des Originals Bezug nehmen, wenn sein Arzneimittel den gleichen Wirkstoff und dieselbe Wirkstoffmenge wie das Original aufweist, die gleiche Darreichungsform besitzt und mit dem Original bioäquivalent ist. Bioäquivalenz bedeutet, dass beide Arzneimittel dieselbe Bioverfügbarkeit aufweisen, sich also der Wirkstoff in vergleichbarer Weise im Körper freisetzt und den Wirkungsort erreicht.35 Die Bio­äquivalenz muss durch Bioäquivalenzstudien oder sonstige geeignete wissenschaftliche Erkenntnisse nachgewiesen werden.36 Dem Abstellen auf die Bio­ äquivalenz liegt der Gedanke zugrunde, dass zwei Präparate desselben Wirkstoffs grundsätzlich die gleiche Wirksamkeit und Sicherheit besitzen, wenn sich die Wirkstofffreisetzung beider Präparate im Körper hinreichend gleicht.37 Die verschiedenen Erzeugnisformen eines Wirkstoffs stellen pharmazeutisch gesehen eigentlich unterschiedliche Wirkstoffe dar.38 § 24b II 2 AMG fingiert39 jedoch bei vergleichbarer Wirksamkeit und Sicherheit die Identität der verschiedenen Erzeugnisformen. Dadurch werden die Möglichkeiten für die Erteilung einer bezugnehmenden Zulassung erweitert. Wenngleich nicht im Ersten Abschnitt des AMG, der insbesondere allgemeine Begriffsdefinitionen beinhaltet, sondern im Abschnitt über die Zulassung von Arzneimitteln angesiedelt, hat die Regelung des § 24b II 2 AMG nicht nur zulassungsverfahrensrechtliche Bedeutung, sondern trägt den materiellen Gehalt in sich, dass bei vergleichbarer Wirksamkeit und Sicherheit die verschiedenen Erzeugnisformen eines Wirkstoffs wie ein und derselbe Wirkstoff behandelt wer 34 Zur Wirkstoffidentität als Fall von Wirkstoffgleichheit im arzneimittelrechtlichen Sinne vgl. Kügel/Müller/Hofmann/Kortland, § 24b AMG Rn.  66; Ambrosius, in: Fuhrmann/Klein/ Fleischfresser, § 6 Rn. 204. 35 Kügel/Müller/Hofmann/Kortland, § 24b AMG Rn.  68; Ambrosius, in: Fuhrmann/Klein/ Fleischfresser § 6 Rn. 207. 36 § 24b II 1, 5 SGB V. 37 Tschabitscher u. a., Wiener klinische Wochenschrift 2008, S.  63 (65); s. auch Schmidt, in: Gesundheit 2030, S. 217 (218); EuGH, Rs. C-368/96, PharmR 1999, 45 ff., Rn. 25, 30 ff. –­ Generics. 38 Vgl. Hofer, S. 275; Rehmann, § 24b AMG Rn. 5. 39 Zum Fiktionscharakter der Regelung s. Ambrosius, in: Fuhrmann/Klein/Fleischfresser, § 6 Rn. 204.

B. Die Pflicht zur Abgabe preisgünstiger wirkstoffgleicher Arzneimittel 

283

den können.40 Wirkstoffgleich im Sinne des Arzneimittelrechts sind daher auch die verschiedenen Erzeugnisformen eines Wirkstoffs, wenn sie hinsichtlich ihrer Wirksamkeit und Sicherheit vergleichbar sind.41 Besonderheiten im Hinblick auf die Annahme von Wirkstoffgleichheit bestehen allerdings bei Nachahmerprodukten biopharmazeutischer Arzneimittel. Aufgrund der hohen Komplexität der in ihnen enthaltenen Moleküle beeinflussen bereits geringe Abweichungen im Herstellungsprozess die Eigenschaften biopharmazeutischer Arzneimittel.42 Nachahmerprodukte sind deshalb häufig nur wirkstoffähnlich (sog. Biosimilars), nicht aber wirkstoffgleich (sog. Bioidenticals) gegenüber dem Originalarzneimittel.43 Insoweit ordnet § 24 V AMG an, dass bei Verwendung unterschiedlicher Rohstoffe oder bei Einsatz unterschiedlicher Herstellungsprozesse ergänzende Studien vorgelegt werden müssen, um den Nachweis der Wirkstoffgleichheit zu führen. Für den Begriff der Wirkstoffgleichheit im Sinne von § 129 SGB V gilt unter Berücksichtigung der arzneimittelrechtlichen Begrifflichkeiten damit Folgendes: Der Wirkstoffbegriff entspricht dem des § 4 XIX AMG.44 Wirkstoffgleichheit ist zunächst bei tatsächlicher Identität der arzneilich wirksamen Bestandteile zweier Arzneimittel gegeben.45 Vor dem Hintergrund von § 24b II 2 AMG sind weiterhin Arzneimittel, die verschiedene Erzeugnisformen desselben Wirkstoffs beinhalten, als wirkstoffgleich anzusehen, wenn die Erzeugnisformen in Wirksamkeit und Sicherheit vergleichbar sind.46 Dass verschiedene Erzeugnisformen bei vergleichbarer Wirksamkeit und Sicherheit als der gleiche Wirkstoff zu behandeln sind, ist zugleich in § 4 I lit. a RV-AV klargestellt – der Rahmenvertrag definiert den Begriff der Wirkstoffgleichheit zwar nicht umfassend, doch ist in § 4 I lit. a RV-AV 40

Vgl. Burgardt, ApoR 2003, S. 1 (2); Sandrock/Stallberg, PharmR 2007, S. 498 (500). Vgl. BSGE 120, 11 (22), wonach es anhand von § 24b II AMG zu entscheiden sei, ob verschiedene Arzneimittel pharmakalogisch als wirkstoffgleich anzusehen seien. 42 Böhnke/Jürschik, PharmR 2015, S. 215 (217); Dierks, NJOZ 2013, S. 1 (2 f.). 43 Vgl. Böhnke/Jürschik, PharmR 2015, S. 2015 (216 f.); Dierks, NJOZ 2013, S. (7). 44 So auch Eichenhofer/Wenner/Armbruster, § 129 SGB V Rn. 26 mit Fn. 49. 45 Vgl. in Bezug auf das Tatbestandsmerkmal „wirkstoffgleich“ in § 130a IIIb 1 SGB V: BSGE 120, 11 (22). 46 Vgl. Burgardt, ApoR 2003, S. 1 (2). – In Bezug auf die Auslegung des Tatbestandsmerkmals „wirkstoffgleich“ in § 130a IIIb 1 SGB V: Sträter, pharmind 2014, S. 659; BSGE 120, 11 (22). – In Bezug auf die Festbetragsregelung legt das SGB V insoweit aber eine eigenständige Begrifflichkeit zugrunde: Verschiedene Erzeugnisformen eines Wirkstoffs sind auch dann als wirkstoffgleich im Sinne von § 35 SGB V anzusehen, wenn sie nicht bioäquivalent sind (vgl. Kap. 4, §§ 16 f. VerfO-G-BA). Diese eigenständige Begrifflichkeit lässt sich dadurch erklären, dass die Festbetragsregelung nur eine einheitliche Preisdeckelung für verschiedene Arzneimittel vorsieht, aber nicht deren wechselseitigen Austausch in der Therapie anordnet. Nach § 35 I 2 HS. 2 SGB V sind allerdings Unterschiede in der Bioverfügbarkeit auch bei der Festbetragsfestsetzung zu berücksichtigen, wenn sie für die Therapie bedeutsam sind, beispielsweise weil für ein bestimmtes Arzneimittel keine Therapiealternativen existieren. S. dazu Kasseler Kommentar/Hess, § 35 SGB V Rn. 4; BeckOK SozR/v. Dewitz, § 35 SGB V Rn. 7, 10; BSGE 94, 1 (8 f.). 41

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Kap. 4: Die Pflicht zur Auswahl wirtschaftlicher Arzneimittel

in wortlautgleicher Übereinstimmung zu § 24b II 2 AMG geregelt, dass verschiedene Erzeugnisformen desselben Wirkstoffs bei vergleichbarer Wirksamkeit und Sicherheit als derselbe Wirkstoff anzusehen sind.47 Biologische Arzneimittel sind nur als wirkstoffgleich anzusehen, wenn sie die soeben dargestellten strengen arzneimittelrechtlichen Voraussetzungen für die Annahme von Wirkstoffgleichheit erfüllen. Der Rahmenvertrag regelt insoweit in § 4 I lit. a RV-AV, dass nur die in Anlage 1 des Rahmenvertrags aufgeführten biopharmazeutischen Arzneimittel von Apothekern untereinander ausgetauscht werden dürfen. Die dort genannten Arzneimittel werden in demselben Herstellungsverfahren wie das Original hergestellt und sind deshalb als mit dem Original wirkstoffgleich anzusehen.48

II. Pharmazeutische Auswahlkriterien Die Vorschrift des § 129 I 2 SGB V steckt den medizinisch-pharmazeutischen Rahmen ab, innerhalb dessen die Auswahl unter verschiedenen wirkstoffgleichen Arzneimitteln erfolgt. Dadurch wird gewährleistet, dass bei der Auswahl des Apothekers die therapeutische Grundentscheidung des verordnenden Arztes gewahrt bleibt. Verordnetes und abgegebenes Arzneimittel müssen die identische Wirkstärke, die identische Packungsgröße sowie die gleiche oder eine austauschbare Darreichungsform besitzen; das abgegebene Arzneimittel muss für ein gleiches Anwendungsgebiet wie das verordnete zugelassen sein. Eine weitere medizinischpharmazeutische Vorgabe folgt aus § 129 Ia 2 SGB V: Die Ersetzung eines unter seinem Namen verordneten Arzneimittels ist unzulässig, wenn die vom G-BA aufgrund dieser Vorschrift als Teil der Arzneimittelrichtlinie zu beschließende Austauschverbotsliste49 eine Ersetzung verbietet. 1. Identische Wirkstärke und Packungsgröße Mit der Wirkstärke ist die Konzentration des Arzneimittels bezeichnet, d. h. der Wirkstoffanteil pro Dosierungs-, Volumen- oder Gewichtseinheit.50 Wirkstärkenidentität setzt daher voraus, dass abgegebenes und verordnetes Arzneimittel dieselbe Wirkstoffmenge pro Mengeneinheit aufweisen.51 Das Tatbestandsmerkmal „identische Packungsgröße“ verlangt, dass der Packungsinhalt von verordnetem und abgegebenem Arzneimittel quantitativ ver-

47 Nicht zutreffend ist insoweit die Kritik Hofers, S. 276, dass der Rahmenvertrag den Begriff der Wirkstoffgleichheit in arzneimittelrechtswidriger Weise ausdehne. 48 Böhnke/Jürschik, PharmR 2015, S. 215 (218). 49 s. dazu näher unten B. II. 4. 50 Reese/Stallberg, in: Dieners/Reese, § 17 Rn. 281. Vgl. auch A. Becker, Steuerung, S. 335 f. 51 Vgl. Reese/Stallberg, in: Dieners/Reese, § 17 Rn. 281.

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gleichbar ist.52 Dabei gelten gemäß § 129  I  2 HS.  2 SGB  V Packungen, die das gleiche Packungsgrößenkennzeichen nach der Packungsgrößenverordnung (PackungsV) tragen, als identisch. Gemäß § 1 PackungsV werden Fertigarzneimittel in Abhängigkeit von den in einer Packung enthaltenen Anwendungseinheiten und der Dauer der Therapie, für die sie bestimmt sind, in drei Packungsgrößenstufen eingeteilt. Durch das Abstellen auf die Packungsgrößenstufe anstatt der exakten numerischen Identität des Inhalts soll verhindert werden, dass pharmazeutische Unternehmen durch Schaffung ungewöhnlicher Packungseinheiten eine Ersetzung ihrer Produkte in der Apotheke umgehen können.53 Da der Arzt eine Substitution ganz ausschließen kann, ist es ihm aber erst recht möglich, im Einzelfall seine Substitutionserlaubnis auf Arzneimittel zu beschränken, deren Packung numerisch denselben Inhalt wie das verordnete Arzneimittel besitzt.54 Therapeutisch kann dies im Einzelfall notwendig sein.55 2. Substituierbare Darreichungsform Das abgegebene Arzneimittel muss die gleiche Darreichungsform wie das verordnete Arzneimittel oder jedenfalls eine austauschbare56 Darreichungsform besitzen. Mit „Darreichungsform“ wird die Form umschrieben, unter der ein Wirkstoff verabreicht wird.57 Näher definiert ist der Begriffsinhalt in § 129 SGB  V nicht. Aufgrund der Vorgreiflichkeit des Arzneimittelrechts für das Sozialrecht hat der Begriff der Darreichungsform denselben Inhalt wie im AMG,58 wo er mehrfach erwähnt wird.59 Doch enthält auch das Arzneimittelgesetz keine nähere Begriffsbestimmung. Allerdings wird der Begriff der Darreichungsform zudem in der RL 2001/83/EG gebraucht,60 vor deren Hintergrund das deutsche Arzneimittelrecht

52 Vgl. Eichenhofer/Wenner/Armbruster, § 129 SGB  V Rn.  27; Kingreen/Buchner, APR 2009, S. 113 (114). 53 BT-Drs.  17/2413, S.  30. Vgl. auch Brixius/Frohn, A&R 2012, S.  70 (71); Gassner, PharmR 2010, S. 1 (3). – Zur umstrittenen Auslegung des Begriffs der Packungsgrößenidentität vor Einführung von § 129 I 2 HS. 2 SGB V durch das AMNOG s. Gassner, PharmR 2010, S.  1 ff. (Identität der enthaltenen Wirkstoffmenge); Kingreen/Buchner, APR 2009, S.  113 ff. (Identität der Packungsgrößenstufe). 54 Im Ergebnis ebenso Gassner, PharmR 2010, S. 1 (4). Vgl. auch BSG SozR 4-2500 § 129 Nr. 1 Rn. 18. 55 Vgl. Gradl/Krieg/Schulz, FS Glaeske, S. 47 (52). 56 Der Arzt kann aus therapeutischen Gründen den Apotheker auf die Abgabe eines Arzneimittels mit der gleichen und nicht nur einer austauschbaren Austauschform beschränken, Kuhlen, AZR 2008, S. 72. 57 Reese/Stallberg, in: Dieners/Reese, § 17 Rn. 284. 58 Vgl. zum Begriff der Darreichungsform in § 130a IIIa 4 SGB V: BT-Drs. 17/2170, S. 37. Aus der Literatur s. etwa Hauck/Noftz/Luthe, § 130a SGB V Rn. 18. Aus der Rechtsprechung s. etwa SG Berlin, Urt. v. 31.5.2013, S 81 KR 1980/10, Rn. 76 (juris). 59 s. z. B. §§ 10 I 1 Nr. 2, Nr. 5, 11 I 1 Nr. 6 lit. e, 16 S. 1, 22 I Nr. 4 AMG. 60 s. beispielsweise Art. 11 Nr. 3 RL 2001/83/EG.

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auszulegen ist. Die Richtlinie füllt den Begriff der Darreichungsform in Anlehnung an die Begrifflichkeiten des Europäischen Arzneibuchs aus.61 Das Europäische Arzneibuch wird von der Europäischen Arzneibuch-Kommission auf der Grundlage des Übereinkommens zur Ausarbeitung eines Europäischen Arzneibuchs, eines völkerrechtlichen Vertrages, erstellt. Es beschreibt mit sog. Standard Terms mögliche Verabreichungsformen von Arzneimitteln. Die Standard Terms sind in die Bereiche „Pharmaceutical Dosage Forms“ – „Routes and/or Methods of Administration“ – „Containers“ unterteilt, was ins Deutsche oft mit „Darreichungsformen“  – „Anwendungsarten“  – „Behältnisse“ übersetzt wird.62 Der Begriff der Darreichungsform im Sinne der RL 2001/83/EG – in der englischen Fassung spricht die Richtlinie von „Pharmaceutical Form“  – knüpft im Ausgangspunkt an die „Pharmaceutical Dosage Forms“ im Sinne des Europäischen Arzneibuchs an, womit physikalische Eigenschaften von Arzneimitteln beschrieben werden.63 Zur Charakterisierung eines Arzneimittels aus pharmazeutischer Sicht genügt regelmäßig die Nennung von dessen physikalischen Eigenschaften.64 Lediglich in bestimmten Fällen bedarf es zu einer vollständigen Charakterisierung des Arzneimittels eines Kombinationsbegriffs, der neben den physikalischen Eigenschaften auch Angaben zur Anwendungsart oder zum Behältnis einbezieht; so kann etwa die Einbeziehung von Anwendungsart oder Behältnis in die Beschreibung des Arzneimittels aus Gründen der Arzneimittelsicherheit geboten sein.65 In diesen Fällen zählen zur Darreichungsform des Arzneimittels im Sinne der RL 2001/83/EG auch Informationen zur Anwendungsart oder zum Behältnis.66 Da der Begriff der Darreichungsform in § 129 I 2 SGB V denselben Inhalt hat wie im Arzneimittelgesetz und da das Arzneimittelgesetz seinerseits im Lichte der RL 2001/83/EG auszulegen ist, meint Darreichungsform im Sinne von § 129 I 2 SGB  V in erster Linie die physikalischen Eigenschaften eines Arzneimittels.67 61 Anhang I, Teil I, Modul 3.2., Abs. 5 der RL 2001/83/EG. Zur Auslegung der Richtlinie in Anlehnung an das Europäische Arzneibuch s. auch Kloesel/Cyran, § 24b AMG Rn. 67; EuGH Rs. C-106/01, EuZW 2004, 408 ff., Rn. 37 ff. – Novartis. 62 s. GKV-Spitzenverband, Informationspapier, S. 2 f. 63 Vgl. Europäische Kommission, Guideline on the Categorisation of Extension Applica­ tions (EA) versus Variations Applications (V), F2/AW D(2002), S. 2. S. etwa auch Art. 9 III RL 2001/83/EG in der englischen Fassung, wo sprachlich zwischen „pharmaceutical form“ und „route of administration“ getrennt wird. 64 Vgl. Europäische Kommission, Guideline on the Categorisation of Extension Applications (EA) versus Variations Applications (V), F2/AW D(2002), S. 2. 65 GKV-Spitzenverband, Informationspapier, S. 7; Verband forschender Arzneimittelhersteller (vfa), Positionspapier, S. 8; s. auch Europäische Kommission, Guideline on the Categorisation of Extension Applications (EA) versus Variations Applications (V), F2/AW D(2002), S. 2 (mit den Beispielen Spritzen, Druckbehälter oder Zerstäuber). 66 Europäische Kommission, Guideline on the Categorisation of Extension Applications (EA) versus Variations Applications (V), F2/AW D(2002), S. 2. 67 Zur Auslegung des arzneimittelrechtlichen Begriffs der Darreichungsform vor dem Hinter­ grund des Europäischen Arzneibuchs s. Kügel/Müller/Hofmann/Kortland, § 24b AMG Rn. 67.

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Wenn Gründe der Arzneimittelsicherheit dies erfordern, sind außerdem Anwendungsart und Behältnis zu berücksichtigen. a) Gleiche Darreichungsform In § 4 I lit. d RV-AV findet sich eine rahmenvertragliche Konkretisierung, wann zwei Arzneimittel die gleiche Darreichungsform besitzen. Dort heißt es, dass Darreichungsformen gleich sind, wenn sie in den Preis- und Produktinformationen nach § 2 VI RV-AV identisch bezeichnet sind. In § 2 VI RV-AV werden die Herstellermeldungen nach § 131 IV SGB V68 als Grundlage der Abrechnung der Krankenkassen mit den Apotheken bezeichnet. Für die Identität der Darreichungsformen scheint § 4 I lit. d RV-AV damit verbindlich auf den Inhalt der Herstellermeldungen nach § 131 IV SGB V zu verweisen. Eine solche Regelung wäre aber problematisch, weil die Identität der Darreichungsformen als pharmazeutische Voraussetzung der krankenversicherungsrechtlichen Arzneimittelsubstitution nicht der Definitionshoheit der Hersteller unterliegt; im SGB V findet sich keine Ermächtigung der pharmazeutischen Unternehmer, die Tatbestandsvoraussetzungen des § 129 I 1 Nr. 1 SGB V normativ zu konkretisieren.69 Die Vorschrift des § 4 lit. d RV-AV muss deshalb einschränkend gelesen werden: Selbst wenn die Darreichungsformen zweier Arzneimittel von den jeweiligen Herstellern identisch bezeichnet werden – was zugleich zur Folge hat, dass auch die Software des Apothekers, deren Daten sich aus den Herstellermeldungen speist,70 für beide Arzneimittel dieselbe Bezeichnung der Darreichungsform anzeigt –, muss ein Apotheker zum Schutz des Patienten nochmals prüfen, ob das verordnete Arzneimittel und das in Betracht kommende Substitut tatsächlich die gleiche Darreichungsform besitzen. Etwas anderes gilt aber, wenn zwei Arzneimittel tatsächlich dieselbe Darreichungsform besitzen, von den Herstellern aber mit unterschiedlichen Darreichungsformen gemeldet wurden und damit auch in der Apothekersoftware mit verschiedenen Darreichungsformen hinterlegt sind: Dem Apotheker wird in diesem Fall von seiner Software nicht angezeigt, dass neben dem verordneten Arzneimittel noch ein weiteres Arzneimittel mit derselben Darreichungsform existiert. Derartige Datenfehler könnte ein Apotheker nur erkennen, wenn er bei jeder Arzneimittelabgabe nochmals unter großem Zeitaufwand von Hand seine Lagerbestände untersuchen würde, ob nicht doch ein wirkstoffgleiches Arzneimittel mit gleicher Darreichungsform wie das verordnete existiert. Um den Zeitaufwand im Rah 68

Zu dem Meldeverfahren nach § 131 IV SGB V s. oben Kapitel 3. B. V. 1. f). Soweit § 131 IV 6 SGB V die von den Herstellern gemeldeten Daten als für die Abrechnung der Apotheker „verbindlich“ bezeichnet, liegt darin nur eine widerlegliche Vermutung: BeckOK SozR/v. Dewitz, § 131 SGB V Rn. 15 f. S. auch schon oben Kapitel 3 B. V. 1. f). 70 Zum Zusammenhang zwischen dem Meldeverfahren nach § 131 IV SGB V und dem Inhalt der Apothekersoftware s. oben Kapitel 3. B. V. 1. f). 69

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men der Arzneimittelabgabe zu begrenzen, entfalten in diesem Fall die von den Herstellern gemeldeten Produktangaben Vertrauensschutzwirkung zugunsten des Apothekers.71 Sind die Darreichungsformen zweier Arzneimittel zu Unrecht unterschiedlich bezeichnet worden, muss ein Apotheker daher nicht prüfen, ob die Arzneimittel nicht doch dieselbe Darreichungsform besitzen. Seine Substitutionspflicht ist insoweit eingeschränkt. b) Austauschbare Darreichungsform Die Abgabe von Arzneimitteln, die eine andere Darreichungsform als das verordnete besitzen, ist Gegenstand von § 129 Ia 1 SGB V. Danach gibt der G-BA in der Arzneimittelrichtlinie unverzüglich Hinweise zur Austauschbarkeit von Darreichungsformen unter Berücksichtigung von deren therapeutischer Vergleichbarkeit. Aus dem Unverzüglichkeitsgebot folgt dabei zugleich die Pflicht zur laufenden Aktualisierung der Hinweise.72 Hintergrund der Regelung ist, dass verschiedene Darreichungsformen oft nur bedingt in der Therapie austauschbar sind, ohne dass Wirksamkeit oder Sicherheit der Therapie beeinträchtigt werden.73 Die Aufgabe, Hinweise zur Vergleichbarkeit von Darreichungsformen zu geben, wurde dem G-BA und nicht den Rahmenvertragspartnern übertragen, weil sie besonderen Sachverstand erfordert.74 Bei der Hinweiserteilung hat sich der G-BA am aktuellen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse zu orientieren.75 Nach Kap. 4, § 51 VerfO-G-BA stützt sich der G-BA bei seiner Entscheidung vor allem auf die Fachinformation der Arzneimittel; ergänzend können Studienergebnisse herangezogen werden. Bei Existenz einer bezugnehmenden Zulassung gelten die Darreichungsformen zweier Arzneimittel stets als austauschbar.76 Unterstützend haben die maßgebliche Spitzenorganisation der Apotheker und die maßgeblichen Spitzenorganisationen der pharmazeutischen Unternehmer dem G-BA die für seine Aufgabenerfüllung erforderlichen Daten zu übermitteln und ihm die notwendigen Auskünfte zu erteilen.77

71

Vgl. zur Vertrauensschutzwirkung von Herstellermeldungen oben Kapitel 3 B. V. 1. f). BeckOK SozR/v. Dewitz, § 129 SGB V Rn. 19. 73 Hauck/Noftz/Luthe, § 129 SGB  V Rn.  23; Kasseler Kommentar/Hess, § 129 SGB  V Rn. 7 f. 74 Vgl. A. Becker, Steuerung, S. 191. 75 Vgl. BeckOK SozR/v. Dewitz, § 129 SGB V Rn. 19. 76 Kap. 4, §§ 50 III, 51 I 2 VerfO-G-BA. Zu einer möglichen pharmazeutischen Kritik daran s. Blume, DAZ 2007, Heft Nr. 46, S. 47; Daniels, PZ 2015, Heft Nr. 15, S. 22 (25 f.). 77 § 129 VI SGB V; § 131 IV 1 SGB V. 72

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aa) Rechtsnatur und Bindungsumfang der Hinweise Umstritten ist die Rechtsnatur der Hinweise. Unter Berufung auf den Wortlaut „Hinweis“ wird teilweise vertreten, es handle sich bei den Hinweisen des G-BA lediglich um unverbindliche Empfehlungen,78 was bedeuten würde, dass Apotheker trotz Bestehens eines Hinweises keine strikte Substitutionspflicht träfe. Das Wortlautargument ist jedoch nicht zwingend. Es können beispielsweise die Therapie-„Hinweise“ gemäß § 92 II SGB V nach der Rechtsprechung normativ verbindliche Anforderungen an das ärztliche Verordnungsverhalten enthalten.79 Die Vorschrift des § 135 I SGB V spricht von „Empfehlungen“ im Hinblick auf die Zulassung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in der ambulanten Versorgung durch den G-BA, denen aber trotz der Bezeichnung als Empfehlung Verbindlichkeit zukommt.80 Umgekehrt spricht für eine normative Verbindlichkeit der Hinweise, dass sie als Teil der Arzneimittelrichtlinie ergehen.81 Weiterhin deutet der Zweck der Hinweise auf deren Verbindlichkeit hin:82 Die Hinweise zur Austauschbarkeit sollen die Substitutionsvoraussetzungen einheitlich und therapeutisch sicher konkretisieren. Zudem spricht für eine Verbindlichkeit, dass das Verfahren vor dem G-BA mit hohem Aufwand verbunden sein kann;83 es wäre nicht einsichtig, wenn der G-BA in aufwändiger Weise die Austauschbarkeit verschiedener Darreichungsformen untersuchen muss und das Ergebnis dieser Untersuchungen dann lediglich in einen unverbindlichen Vorschlag münden sollte. Erteilte Hinweise sind damit rechtlich verbindlich und von den Apothekern zu befolgen. Weiterhin ist umstritten, ob die Erteilung eines Hinweises nach § 129  Ia  1 SGB V konstitutiv für die Austauschbarkeit von Arzneimitteln mit unterschiedlicher Darreichungsformen ist, ob also ohne Existenz eines Hinweises ein Apotheker zwar nicht zum Austausch verpflichtet, aber zumindest berechtigt ist.84 Der Wortlaut von § 129 Ia 1 SGB V ist insoweit offen. Da der Gesetzgeber die Erteilung von Hinweisen über die Austauschbarkeit verschiedener Darreichungsformen dem G-BA überantwortet hat, verlangt die Bewertung, ob verschiedene Darreichungs 78

Kasseler Kommentar/Hess, § 129 SGB V Rn. 7a. Vgl. auch Reese/Stallberg, in: Dieners/ Reese, § 17 Rn. 286. 79 § 92 II 6 SGB V. S. dazu BSG, Urt. v. 6.8.2015, B 6 KA 6/15 B (juris). 80 s. dazu BeckOK SozR/Joussen, § 135 SGB V Rn. 14; Krauskopf/Vossen, § 135 SGB V Rn. 24. Vgl. auch Weidenbach, in: Handbuch des Krankenversicherungsrechts, § 29 Rn. 23. 81 Becker/Kingreen/Axer, § 129 SGB V Rn. 19; Hauck/Noftz/Luthe, § 129 SGB V Rn. 123; Wodarz, in: Handbuch des Krankenversicherungsrechts, § 27 Rn. 54. 82 Becker/Kingreen/Axer, § 129 SGB V Rn. 19. Für Verbindlichkeit auch Spickhoff/Barth, § 129 SGB V Rn. 6. 83 Nach Kap. 4, § 51 II VerfO-G-BA kann unter Umständen die Auswertung klinischer Studien geboten sein. 84 Bejahend: A. Becker, Steuerung, S. 191; Reese/Stallberg, in: Dieners/Reese, § 17 Rn. 286; Sandrock/Stallberg, PharmR 2007, S. 498 (502); LG Hamburg, Urt. v. 18.12.2009, 408 O 170/09, Rn. 40 (juris). – Ohne nähere Begründung verneinend: Eichenhofer/Wenner/Armbruster, § 129 SGB V Rn. 28; Hauck/Noftz/Luthe, § 129 SGB V Rn. 23; Kasseler Kommentar/Hess, § 129 SGB V Rn. 7a; Kuhlen, AZR 2008, S. 29 (30).

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formen austauschbar sind, nach Ansicht des Gesetzgebers ein Kenntnisniveau, über das der einzelne Apotheker regelmäßig nicht verfügt.85 Das spricht dafür, dass das Hinweiserteilungsverfahren vom Gesetzgeber als präventives Verfahren zur Risikobeherrschung vergleichbar dem Verfahren nach § 135 SGB V konzipiert wurde. Die Vorschrift des § 135 I SGB V macht den Einsatz neuer Untersuchungsund Behandlungsmethoden in der vertragsärztlichen Versorgung vom Vorliegen einer Empfehlung des G-BA abhängig; das Erfordernis einer vorherigen Entscheidung des G-BA dient der Beherrschung der Gefahren, die mit der Anwendung einer neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethode verbunden sein können.86 Die Konzeption von § 129 Ia 1 SGB V als präventives Kontrollverfahren spricht dafür, dass ein Hinweis des G-BA vorliegen muss, damit Apotheker Arzneimittel mit unterschiedlichen Darreichungsformen austauschen können. bb) Die demokratische Legitimation des G-BA für die Hinweiserteilung Da die Hinweise nach § 129 Ia 1 SGB V verbindlich die Substitutionsfähigkeit von Darreichungsformen regeln und somit als Normsetzungsakte einzuordnen sind, übt der G-BA bei der Hinweiserteilung Staatsgewalt aus, die der demokratischen Legitimation bedarf. Das Handeln des G-BA bedarf personell-demokratischer sowie sachlich-demokratischer Legitimation. Problematisch ist, dass die Bestellung der Mitglieder des Beschlussgremiums des G-BA  – mit Ausnahme der unparteiischen Mitglieder, die nach § 91 II 3 SGB V vom Bundesgesundheitsministerium ernannt werden – nicht auf Wahlen des Gesamtvolkes zurückgeht. Die Entscheidungsträger des G-BA sind deshalb überwiegend nicht personelldemokratisch legitimiert.87 Das für die funktionale Selbstverwaltung entwickelte Kompensationsmodell erlaubt es grundsätzlich, Defizite personell-demokratischer Legitimation durch sachlich-demokratische Elemente auszugleichen.88 Ob die fehlende personelldemokratische Legitimation des G-BA durch sachlich-demokratische Elemente ausgeglichen werden kann, ist aber Gegenstand verbreiteter Kontroversen.89 Für 85 s. dazu auch A. Becker, Steuerung, S. 191, und Jäkel, pharmind 2002, S. 660 (665), der diese Aufgabe selbst aus Sicht des G-BA für anspruchsvoll hält. 86 Zum diesem Zweck des § 135 I SGB V s. nur: Zimmermann, Bundesausschuss, S. 210; Krauskopf/Vossen, § 135 SGB V Rn. 3; BSGE 119, 180 (186); BSG SozR 4-2500 § 33 Nr. 47 Rn. 33. 87 Föllmer, S.  171; Holzner, S.  284 f.; Kluth, Bundesausschuss, S.  85; Sodan, NZS 2000, S. 581 (584). Vgl. auch Kingreen, NZS 2007, S. 113 (115 f.). 88 Vgl. dazu oben Kapitel 2 C. III. 1. a). 89 Das Bundessozialgericht hält den G-BA in ständiger Rechtsprechung für hinreichend demokratisch legitimiert: BSGE 96, 261 (276 ff.); 97, 190 (193 f.); BSG, NZS 2015, 617 (621). – Bejaht wird die demokratische Legitimation ferner etwa (jeweils m. w. N. zur älteren Literatur) von Seeringer, S. 204 ff.; Zimmermann, Bundesausschuss, S. 142 ff., 153 f.; Hase, MedR 2005,

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die Betrachtung, ob die Hinweiserteilung nach § 129  Ia  1 SGB  V mit dem Demokratieprinzip vereinbar ist, bedarf es allerdings keiner umfassenden Untersuchung, ob die Rechtsetzungstätigkeit des G-BA unter Zugrundelegung des Kompensationsmodells insgesamt mit dem Demokratieprinzip im Einklang steht. Die demokratische Legitimation des G-BA ist jeweils differenziert für die einzelnen Entscheidungsbefugnisse zu beurteilen.90 Es genügt deshalb, die Legitimation des G-BA beschränkt auf die Hinweiserteilung nach § 129 Ia 1 SGB V zu überprüfen. Nach den vom Bundesverfassungsgericht formulierten Grundsätzen ist die Rechtsetzung des G-BA mit dem Demokratieprinzip unvereinbar, wenn sie an der Normsetzung Unbeteiligte mit hoher Intensität trifft; sie ist umso eher mit dem Demokratieprinzip vereinbar, wenn sie an der Normsetzung Beteiligte nur schwach betrifft.91 Dabei spielt auch eine Rolle, inwieweit der G-BA bei seiner Normsetzungstätigkeit gesetzlich angeleitet wird.92 Es bedarf einer hinreichend normdichten Anleitung.93 (1) Intensität der Betroffenheit Aus Sicht der Apotheker betreffen die Hinweise über die Austauschbarkeit von Darreichungsformen nur eine Modalität der Arzneimittelsubstitution und regeln die Arzneimittelabgabe durch Apotheker daher nicht umfassend. Ein großer Einfluss des G-BA auf die Arzneimittelsubstitution ist selbst dann nicht festzustellen, wenn man additiv berücksichtigt, dass der G-BA gemäß § 129 Ia 3 SGB V außerdem eine Austauschverbotsliste beschließt und damit regelt, in welchen Fällen Apotheker Arzneimittel generell nicht substituieren dürfen. Apotheker sind von der Hinweiserteilung deshalb nicht intensiv betroffen. Eine größere Betroffenheit ist indessen bei den Versicherten auszumachen. Hinweise über die Austauschbarkeit von Darreichungsformen verpflichten Apotheker, Arzneimittel mit den darin bezeichneten Darreichungsformen gegeneinander auszutauschen. Da die irrtümliche Bewertung verschiedener Darreichungsformen als austauschbar die Therapiesicherheit beeinträchtigen kann, hat die Hinweiserteilung eine beträchtliche Bedeutung für die Gesundheit der Patienten.

S. 391 ff.; Hauck, NZS 2010, S. 600 ff. S. auch Holzner, S. 321 ff., ders., SGb 2015, S. 247 (252 ff.); Kluth, Bundesausschuss, S. 85 ff.; ders., GesR 2017, S. 205 (209 ff.). – Verneinend dagegen etwa (jeweils m. w. N. zur älteren Literatur) Christopeit, S. 297 ff.; Vießmann, S. 265; Butzer/Kaltenborn, MedR 2001, S. 333 (340 ff.); Kingreen, NZS 2007, S. 113 (116 ff.). S. auch Kingreen, VVDStRL 70, S. 152 (176 ff.); ders., NJW 2006, S. 877 (879 f.); ders., MedR 2017, S. 8 (10 ff.). 90 BVerfG, NJW 2016, 1505 (1507). Zust. Gassner, NZS 2016, S. 121 (126); Nitz, MedR 2016, S. 941 (943); Wallrabenstein, KrV 2015, S. 240 (241). Zu einer einzelfallbezogenen Betrachtung s. auch Holzner, S. 322 ff. 91 BVerfG, NJW 2016, 1505 (1507). 92 BVerfG, NJW 2016, 1505 (1507). 93 BSG SozR 4-2500 § 137 Nr. 7 Rn. 29; BSGE 120, 170 (183).

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(2) Regelungsdichte der Ermächtigungsgrundlage Fraglich ist weiterhin, wie eng der G-BA für seine Entscheidung angeleitet wird. Der G-BA muss nach § 129 Ia 1 SGB V über die Austauschbarkeit von Darreichungsformen unter Berücksichtigung von deren therapeutischer Vergleichbarkeit entscheiden. Damit werden dem G-BA Inhalt und Zweck seiner Entscheidung vorgegeben, was für eine engmaschige Anleitung des G-BA spricht. An einer ausreichend engmaschigen Handlungsvorgabe ließe sich allenfalls zweifeln, wenn dem Begriff der therapeutischen Vergleichbarkeit ein aufsichtsrechtlich94 und gerichtlich nicht umfassend nachprüfbarer Gestaltungsspielraum des G-BA zu entnehmen sein sollte. Im Hinblick auf den Begriff der therapeutischen Vergleichbarkeit von Wirkstoffen als Tatbestandsmerkmal von § 92 II 3 SGB V, der die Erteilung von Therapiehinweisen als Grundlage für eine therapie- und preisgerechte Arzneimittelauswahl durch Ärzte regelt, hat das BSG einen Gestaltungsspielraum des G-BA angenommen. Die Einstufung verschiedener Wirkstoffe als therapeutisch vergleichbar beinhalte wertende Elemente; der G-BA müsse geeignete Vergleichskriterien entwickeln und gewichten.95 Ob dem G-BA im Rahmen von § 129 Ia 1 SGB V mit dem Begriff der therapeutischen Vergleichbarkeit ebenfalls ein Beurteilungsspielraum eingeräumt wird, erscheint jedoch zweifelhaft. Nach dem Telos von § 129a I 1 SGB sind Darreichungsformen als therapeutisch vergleichbar anzusehen, wenn sie ausgetauscht werden können, ohne dass die Therapiesicherheit beeinträchtigt wird. Dabei handelt es sich um eine empirisch nachprüfbare Tatsache. Diese Tatsache hat der G-BA auf Grundlage der aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse zu ermitteln. Ob der G-BA vorhandene wissenschaftliche Erkenntnisse korrekt und vollständig rezipiert hat, unterliegt grundsätzlich einer umfassenden aufsichtsrechtlichen und gerichtlichen Kontrolle.96 Erwogen wird allerdings, dem G-BA in Situationen, in denen sich ein aktueller Stand der Wissenschaft nicht zweifelsfrei ermitteln lässt, einen – wenn auch abgeschwächten – Beurteilungsspielraum zuzugestehen.97 Selbst ein abgeschwächter Beurteilungsspielraum wäre mit dem Regelungszweck von § 129 Ia 1 SGB V aber kaum vereinbar, denn ein Austausch unterschiedlicher Darreichungsformen soll nur stattfinden, wenn damit kein therapeutisches Risiko verbunden ist; das setzt voraus, dass sich die Unbedenklichkeit des Austauschs verschiedener Darreichungsformen untereinander nachweislich belegen lässt. Dem G-BA steht deshalb bei der Entscheidung über die Vergleichbarkeit von Darreichungsformen kein Beurteilungsspielraum zu.98 Seine Rolle beschränkt sich darauf, den allgemeinen 94

Zum Beanstandungsrecht des BMG bei Richtlinien s. § 94 I 2 SGB V. BSGE 96, 261 (282). 96 Allgemein Christopeit, S. 147; Roters, S. 217 ff.; BSGE 96, 261 (282); 117, 129 (136); BSG SozR 4-2500 § 34 Nr. 17 Rn. 58. 97 Vgl. Roters, S. 227. 98 Entsprechend hält das BSG die therapeutische Vergleichbarkeit von Wirkstoffen als Voraussetzung für die Bildung von Festbetragsgruppen nach § 35 SGB V für gerichtlich voll nachprüfbar: BSGE 107, 287 (297); 114, 217 (224). 95

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Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse zu rezipieren. Der G-BA wird – auch im Hinblick auf die aufsichtsrechtliche und gerichtliche Kontrolle – bei seiner Entscheidung gesetzlich engmaschig angeleitet. (3) Beteiligungsumfang der Normbetroffenen Die demokratische Legitimation des G-BA hängt nach den Grundsätzen des Bundesverfassungsgerichts schließlich davon ab, in welchem Umfang die Betroffenen an der Normsetzung mitwirken konnten. Die Apotheker sind im Beschlussgremium des G-BA nicht vertreten. Die maßgebliche Spitzenvereinigung der Apotheker ist nach § 92 IIIa SGB V aber stellungnahmeberechtigt, wobei die Stellungnahmen in die Entscheidung einzubeziehen sind. „Einbeziehen“ verlangt, dass bei der Beschlussfassung eine inhaltliche Auseinandersetzung mit der Stellungnahme erfolgt.99 Dieses Stellungnahmerecht ermöglicht der organisierten Apothekerschaft, eigene wissenschaftlich-fachliche Bewertungen in den Entscheidungsprozess einzubringen. In Betracht kommt, dass fehlende Mitbestimmungsrechte Betroffener allgemein durch Beteiligungsrechte von Betroffenenvereinigungen im Vorfeld der Entscheidung ersetzt werden können.100 Ein Teil  der Literatur geht demgegenüber allerdings davon aus, dass es generell gegen das Demokratieprinzip verstoße, wenn eine normbetroffene Leistungserbringergruppe nicht im Beschlussgremium des G-BA vertreten sei.101 Das Bundesverfassungsgericht äußert sich in seinem Beschluss zur gebotenen Form der Beteiligung nicht näher. Die Aussage des BVerfG, dass ein Rechtsakt des G-BA demokratisch nicht mehr legitimiert sein könnte, wenn er etwa Unbeteiligte mit hoher Intensität betrifft, zeigt aber, dass das BVerfG in der Bindung Unbeteiligter an Rechtsakte des G-BA nicht schlechthin einen Verstoß gegen das Demokratieprinzip sieht.102 Überlegt werden könnte etwa, ob in Fällen einer Betroffenheit mit hoher Intensität ein Mitentscheidungsrecht zu fordern wäre.103 Unabhängig davon könnten aber auch enge sachlich-inhaltliche Vorgaben das Fehlen von Mitentscheidungsrechten in Fällen einer intensiven Betroffenheit

99 Kasseler Kommentar/Roters, § 92 SGB  V Rn.  31; LSG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 27.5.2015, L 7 KA 113/12 KL, Rn. 59 (juris). 100 Axer, VSSR 2002, S. 215 (243); Gassner, NZS 2016, S. 121 (126); Holzner, SGb 2015, S. 247 (253). Vgl. auch BSGE 120, 170 (185); BSG, Urt. v. 20.4.2016, B 3 KR 18/15 R, Rn. 21 (juris).  – Holzner, S.  333, verlangt aber zusätzlich, dass die Interessen des stellungnahmeberechtigten Außenseiters zumindest mittelbar durch eine Gruppierung des Beschlussgremiums repräsentiert werden. 101 Heinig, S. 504; Sodan, NZS 2000, S. 581 (586 f.); Wigge, NZS 2001, S. 578 (579). 102 So im Ergebnis auch Kingreen, MedR 2017, S. 8 (11). Ähnlich Kluth, GesR 2017, S. 205 (209 f.). 103 Zur Abhängigkeit des gebotenen Beteiligungsumfangs von der Intensität der Betroffenheit vgl. auch Nitz, MedR 2016, S. 941 (943).

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kompensieren:104 Je stärker eine Entscheidung des G-BA inhaltlich determiniert wird, desto weniger ist eine Leistungserbringergruppe zum Schutz ihrer Interessen auf ein Stimmrecht angewiesen. Vorliegend wird der G-BA gesetzlich sehr engmaschig angeleitet und es besteht ein Stellungnahmerecht des maßgeblichen Apothekerverbandes; zugleich sind Apotheker von der Hinweiserteilung nicht besonders intensiv betroffen. Das fehlende Mitentscheidungsrecht der Apotheker begründet deshalb keinen Verstoß gegen das Demokratieprinzip. Ebenfalls nicht mit eigenen Vertretern im Beschlussgremium des G-BA repräsentiert sind die Versicherten. Nach § 140f SGB V haben allerdings die maßgeblichen Patientenvertretungen ein Mitberatungsrecht, die auch – wenngleich nicht ausschließlich  – Versicherteninteressen vertreten105. In Betracht kommt zudem, dass die Versicherteninteressen im Beschlussgremium durch die Krankenkassen repräsentiert werden. In Bezug auf die Vereinbarung des Rahmenvertrages erschien es zweifelhaft, inwieweit die Krankenkassen als Vertreter der Versicherten angesehen werden können.106 In Bezug auf die Hinweiserteilung nach § 129 Ia 1 SGB  V verfolgen Krankenkassen und Versicherte allerdings dieselben Interessen: Ebenso wenig wie Versicherte haben die Krankenkassen ein Interesse daran, dass es zu therapeutisch unsicheren Substitutionen kommt, da fehlerhafte Arzneimittelbehandlungen Folgeerkrankungen und damit Folgekosten verursachen können. Bedenken dagegen, dass die Versicherten nur mittelbar repräsentiert werden, ergeben sich auch nicht daraus, dass die Versicherten von der Hinweiserteilung insoweit intensiv betroffen sind, als die Erteilung eines unzutreffenden Hinweises die Therapiesicherheit gefährdet. Der G-BA ist im Rahmen von § 129 Ia 1 SGB V auf die Rezeption wissenschaftlicher Erkenntnisse beschränkt, ohne dass ihm ein eigener Regelungsspielraum zukommt. Die Beschränkung des G-BA auf eine aufsichtsrechtlich und gerichtlich voll nachprüfbare Wissensrezeption führt dazu, dass Betroffene zur Wahrung ihrer Interessen nicht zwingend über ein Mitentscheidungsrecht verfügen müssen. Aus diesem Grund führt auch das Fehlen eines Mitbestimmungsrechts für Versichertenvertreter nicht zu einer Verletzung des Demokratieprinzips. Der G-BA ist somit für die Erteilung von Hinweisen zur Austauschbarkeit von Darreichungsformen ausreichend demokratisch legitimiert.

104

Vgl. Seeringer, S. 218; Zimmermann, Bundesausschuss, S. 139; Axer, in: Handbuch des Vertragsarztrechts, 3. Aufl., § 10 Rn. 50; Muckel, NZS 2002, S. 118 (125); BSGE 81, 73 (84). – Kingreen, MedR 2017, S. 8 (12), deutet den Beschl. des BVerfG v. 10.11.2015 dahingehend, dass das BVerfG eine solche Kompensation in Bezug auf den gemeinsamen Bundesausschuss für möglich hält. 105 Zur Frage, inwieweit Patientenverbände als Repräsentanten der Versicherten angesehen werden können, s. etwa Holzner, S. 303 f.; Kingreen, VVDStRL 70, S. 152 (187 f.); Pitschas, MedR 2006, S. 451 (453 f.); Wenner, FS Kohte, S. 659 (668 f.). 106 s. oben Kapitel 2. C. III. 1. a).

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3. Zulassung für ein gleiches Anwendungsgebiet Im Fall der Aut-idem-Substitution müssen das abgegebene und das verordnete Arzneimittel nach § 129 I 2 SGB V für ein gleiches Anwendungsgebiet zugelassen sein. Der Begriff des Anwendungsgebiets entspricht dem der Indikation im arzneimittelrechtlichen Sinne und meint die Zweckbestimmung des Arzneimittels unter Angabe seiner Eigenschaften und Wirkungsweise.107 Nicht selten bleiben Generika in ihrem Zulassungsumfang hinter dem des Originals zurück.108 Das kann daran liegen, dass für bestimmte Indikationen des Originals noch Unterlagenschutz109 oder Patentschutz besteht.110 Auf manche Indikationen des Originals nehmen Generikahersteller nicht Bezug, weil sie kaum Therapierelevanz besitzen.111 Differenzen im Anwendungsbereich wirkstoffgleicher Arzneimittel können außerdem auf marktstrategischen Gründen beruhen,112 beispielsweise weil ein Hersteller zwei getrennte Produkte mit demselben Wirkstoff, aber unterschiedlichen zugelassenen Anwendungsgebieten vertreibt.113 Die Auslegung der Vorgängerfassung von § 129 I 2 SGB V, die darauf abstellte, dass verordnetes und abgegebenes Arzneimittel „für den gleichen Indikationsbereich“ zugelassen sind, war deshalb äußerst umstritten. Unter Berufung auf den Wortlaut wurde von einer Ansicht verlangt, dass die Indikationsbereiche von abgegebenem und verordnetem Arzneimittel vollständig übereinstimmen.114 Um möglichst viele Substitutionsmöglichkeiten und dadurch mehr Einsparmöglichkeiten zu eröffnen, wurde es von einer zweiten Ansicht für ausreichend gehalten, wenn verordnetes und abgegebenes Arzneimittel in irgendeinem zugelassenen Anwendungsgebiet übereinstimmen  – beide Arzneimittel müssten mindestens ein gemeinsames zugelassenes Anwendungsgebiet aufweisen, ohne dass aber speziell die von dem verordnenden Arzt beabsichtigte Verwendung des Arzneimittels in diesem Überschneidungsbereich liegen müsse.115 Diese Auslegung, die auf die Überschneidung der Zulassungsbereiche in einem beliebigen Anwendungsgebiet abstellt, hätte zur Folge gehabt, dass das abgegebene Arzneimittel für das Anwendungsgebiet, in dem es eingesetzt wird, unter Umstän 107

Kaufmann, in: Meier/v. Czettritz/Gabriel/Kaufmann, § 12 Rn. 13. Ehlers/Rybak/Bitter, S. 19. 109 Zum Unterlagenschutz s. allgemein oben B. I. – Nach Maßgabe von § 24b VI AMG kann für einzelne Indikationen zusätzlicher Unterlagenschutz gewährt werden, s. dazu näher unten H. V. 3. 110 Sickmüller/Lietz, in: Im Zweifel auf Privatrezept?, S. 93 (99); Brixius/Sauer, Apotheker Berater 2010, Heft Nr. 2, S. 10 (13 f.); Plate/Nies/Behles/Schweim, A&R 2008, S. 261 (266). 111 Vgl. Zahnärztliche Mitteilungen 2009, Heft Nr. 17, S. 24 (abrufbar unter http://www.zmonline.de). 112 Brixius/Sauer, Apotheker Berater 2010, Heft Nr. 2, S. 10 (12). 113 Vgl. v. Falck/Slopek/Thiermann, GRUR 2015, S. 1050 (1053 f.). 114 Dierks, S.  5 ff.; Kamann/Gey/Eimer, APR 2009, S.  118 (120); OLG Frankfurt a. M., PharmR 2010, 348 (349). 115 Ehlers/Rybak/Bitter, S. 19; Plate/Nies/Behles/Schweim, A&R 2008, S. 261 (267). 108

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Kap. 4: Die Pflicht zur Auswahl wirtschaftlicher Arzneimittel

den keine Zulassung besitzt. Da es so zu einem zulassungsüberschreitenden Arzneimitteleinsatz hätte kommen können, wurde in dieser Interpretation von einer dritten Ansicht ein Widerspruch zum Grundsatz der Vorgreiflichkeit des Arzneimittelrechts gesehen.116 Es komme zu einem gesetzlich angeordneten Off-LabelUse117 und damit zu einem unter Wirksamkeits- und Sicherheitsgesichtspunkten bedenklichen Arzneimitteleinsatz. § 129 I 2 SGB V a. F. wurde deshalb von dieser dritten Ansicht so ausgelegt, dass es zwar genüge, wenn verordnetes und abgegebenes Arzneimittel nur einen gemeinsamen zugelassenen Anwendungsbereich besitzen, dass aber die von dem verordnenden Arzt beabsichtigte Verwendung in diesem Schnittbereich liegen müsse.118 Da der Apotheker die beabsichtigte Verwendung des Arzneimittels meist nicht kenne  – Hintergrund dieses Einwandes ist, dass die Verordnung den Einsatzzweck des Arzneimittels nicht nennt,119 eine Nachfrage beim Arzt120 an der ärztlichen Schweigepflicht121 scheitert und eine Nachfrage beim Patienten122 meist nicht erfolgreich ist, weil einige Patienten ihre Krankheit nicht offenbaren wollen123 und viele Patienten nicht in der Lage sind, den Anwendungszweck des Arzneimittels korrekt wiederzugeben  –, könne ein zulassungsüberschreitender Einsatz aber nur mit Sicherheit ausgeschlossen werden, wenn die Indikationsbereiche von verordnetem und abgegebenem Arzneimittel vollständig übereinstimmten.124 Faktisch mussten sich damit auch nach dieser dritten Ansicht die zugelassenen Indikationsbereiche beider Arzneimittel decken. Den Bedenken, es komme infolge einer zulassungsüberschreitenden Arzneimittelabgabe zu Wirksamkeits- und Sicherheitsproblemen, traten die Vertreter der zweiten Ansicht, die eine weite Austauschmöglichkeit befürwortete, ihrerseits entgegen. Die bezugnehmende Zulassung nach § 24b II AMG gewährleiste, dass Generika unabhängig von dem formalen Umfang der ihnen erteilten Zulassung in sämtlichen Anwendungsgebieten wirksam und sicher einsetzbar seien, für die das Originalarzneimittel eine Zulassung besitze.125 Es liege deshalb kein klassischer Off-Label-Use vor.126 116 Vgl. Dierks, S. 8 f.; Rühl, Der Kassenarzt 2009, S. 42 (43). – Gegen die gegenwärtige Regelung argumentieren so ebenfalls: A. Becker, Steuerung, S. 336; Brixius/Frohn, A&R 2012, S. 70 f.; Wolf/Jäkel, PharmR 2011, S. 1 (4 f.). 117 Brixius/Frohn, A&R 2012, S. 70 (75); Sickmüller/Lietz, VSSR 2013, S. 209 (215). Vgl. auch Hofer, S. 270 f.; Wille, PharmR 2009, S. 365 (370). 118 OLG Hamburg, MedR 2010, S.  188 (190); LG Frankfurt a. M., PharmR 2010, S.  348 (349). 119 Dierks, S. 11 f.; Kamann/Gey/Eimer, APR 2009, S. 118 (122). 120 Vorgeschlagen von Saalfrank, MedR 2010, S. 191 (193); OLG Hamburg, PharmR 2010, S. 188 (190). Vgl. auch Hofer, S. 279; Hauck/Noftz/Luthe, § 129 SGB V Rn. 15. 121 Broglie, ApoR 2001, S. 94; Kamann/Gey/Eimer, APR 2009, S. 118 (122). 122 Vorgeschlagen von Schmidt/Brixius, PharmR 2010, S. 349 (351). 123 Kamann/Gey/Eimer, APR 2009, S. 118 (122). 124 Dierks, S. 21 f. Vgl. auch Brixius/Sauer, Apotheker Berater 2010, Heft Nr. 2, S. 10 (15); Saalfrank, MedR 2010, S. 191 (193). 125 Ehlers/Rybak/Bitter, S. 21, 30 ff. 126 Bitter/Ehlers, pharmind 2014, S. 588 (591), zur neuen Rechtslage.

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Diese Argumentation stützte sich insoweit zu Recht auf die Regelung der bezugnehmenden Zulassung in § 24b II AMG. Nach § 24b II AMG kann ein wirkstoffgleiches Arzneimittel unter Bezugnahme auf die Studien des Herstellers des Originals und unter Verzicht auf die Vorlage eigener Studien zugelassen werden, wenn es bioäquivalent zu diesem Arzneimittel ist. Bezugnehmende Zulassungen sind bei Generika üblich.127 Hinter der Vorschrift des § 24b II AMG steht der Gedanke, dass sich bei vergleichbarer Bioverfügbarkeit zwei wirkstoffgleiche Präparate hinsichtlich ihrer Wirksamkeit und Sicherheit gleichen.128 Die Bioäquivalenz von Generikum und Original wird dabei losgelöst von konkreten Indikationen in genereller Form geprüft.129 Bei gegebener Bioäquivalenz kann ein Generikahersteller deshalb auf alle Indikationsbereiche des Originals Bezug nehmen. Es wäre deshalb sogar möglich, dass bezugnehmend zugelassene Generika automatisch an Zulassungserweiterungen des Originals teilhaben.130 Zwar unterscheiden sich Generikum und Original unter Umständen in den Hilfsstoffen,131 doch bleiben Unterschiede in den Hilfsstoffen bei der Prüfung eines generischen Zulassungsantrags grundsätzlich außer Betracht, es sei denn, dass infolge der Hilfsstoffunterschiede das Generikum weniger sicher oder wirksam als das Original ist.132 Bezugspunkt dieser Prüfung ist dabei jedoch nicht, ob der Hilfsstoffunterschied zu Sicherheitsoder Wirksamkeitsverlusten in konkreten Anwendungsgebieten führt, z. B. bei der Behandlung bestimmter Krankheiten. Geprüft wird alleine, ob der Hilfsstoffunterschied dazu führt, dass die Arzneimittel hinsichtlich ihrer Wirksamkeit und Sicherheit insgesamt nicht mehr vergleichbar sind. Dies ist etwa der Fall, wenn sich ein bestimmter Hilfsstoff auf die Haltbarkeit des Generikums negativ auswirkt.133 Das Arzneimittelrecht sieht wirkstoffgleiche und bioäquivalente Arzneimittel damit generell als gleich sicher und wirksam an.134 Ein Austausch bezugnehmend zugelassener Arzneimittel ist deshalb auch dann nicht mit Wirksamkeits- oder 127 Die Durchführung eigener Zulassungsstudien, um ein Arzneimittel aufgrund eines Volldossiers zuzulassen, würde sich für Generikahersteller wirtschaftlich regelmäßig nicht lohnen, Lorenz, S. 187. 128 Zur bezugnehmenden Zulassung s. oben B. I. 129 Ehlers/Rybak/Bitter, S. 6, 43 f. 130 Wille, PharmR 2009, S. 369 (371). – Für Importarzneimittel existiert ein vergleichbares System der bezugnehmenden Zulassung (s. dazu näher unten C. I.). Wenn das deutsche Original nachträglich für ein neues Anwendungsgebiet zugelassen wird, darf der Importeur diese Indikation für sich übernehmen, ohne selbst ein Zulassungsverfahren durchlaufen zu müssen; er muss die Indikationserweiterung nur der Aufsichtsbehörde nach § 29 AMG anzeigen. S. dazu Bauroth, in: Fuhrmann/Klein/Fleischfresser, § 23 Rn. 16; Rehmann, vor §§ 21–37 AMG Rn. 31a. 131 Darauf stellen ab Dierks, S. 23, 24; Brixius/Sauer, Apotheker Berater 2010, Heft Nr. 2, S. 10 ff. S. auch Sickmüller/Lietz, in: Im Zweifel auf Privatrezept, S. 93 (99); OLG Frankfurt a. M., PharmR 2010, 348 (349). 132 Kügel/Müller/Hofmann/Kortland, § 24b AMG Rn.  66; EuGH, Rs. C-368/96, PharmR 1999, 45 f., Rn. 32 ff. – Generics. Vgl. auch Kloesel/Cyran, § 24b AMG Rn. 45. 133 Vgl. Wagner, MedR 2004, S. 489 (492); EuGH, Rs. C-94/98, EuR 2000, 643 ff., Rn. 43 – Rhône-Poulenc Rorer und May & Baker. 134 Vgl. Rückeshäuser, S. 48; Plate/Nies/Behles/Schweim, A&R 2008, S. 261 (266 f.).

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Kap. 4: Die Pflicht zur Auswahl wirtschaftlicher Arzneimittel

Sicherheitsrisiken verbunden, wenn das abgegebene Arzneimittel für bestimmte Indikationen des Originals nicht zugelassen ist. Zur Abgrenzung vom Off-LabelUse im klassischen Sinne wird der zulassungsüberschreitende Arzneimitteleinsatz von Generika auch als Cross-Label-Use bezeichnet.135 Mit der jetzigen, durch das Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz im Jahr 2011 eingeführten Fassung von § 129 I 2 SGB V, wonach verordnetes und abgegebenes Arzneimittel „für ein gleiches Anwendungsgebiet“ zugelassen sein müssen, soll nach der Gesetzesbegründung klargestellt werden, dass die Übereinstimmung eines Anwendungsbereichs in der Zulassung hinreichend für die Substituierbarkeit sei.136 Aufgrund der besonderen Voraussetzungen für die Erteilung einer bezugnehmenden Zulassung für wirkstoffgleiche Arzneimittel sei sichergestellt, dass diese Arzneimittel sowohl mit dem Referenzarzneimittel als auch untereinander umfassend austauschbar seien.137 Somit sei schon aufgrund der Zulassung davon auszugehen, dass Generika die gleiche Wirksamkeit und Sicherheit wie das Referenzarzneimittel aufwiesen.138 Dabei sei unerheblich, ob die in der Fachinformation aufgeführten Anwendungsgebiete abschließend übereinstimmten.139 Teilweise wird angenommen, dass sich der Gesetzgeber damit der Ansicht angeschlossen habe, wonach der zugelassene Anwendungsbereich von verordnetem und abgegebenem Arzneimittel sich zumindest in dem vom Arzt behandelten Anwendungsgebiet decken müsse.140 Das ergebe sich insbesondere aus dem Wortlaut „für ein gleiches Anwendungsgebiet zugelassen“.141 Die Bezugnahme auf die generische Zulassung in der Gesetzesbegründung spricht aber dafür, dass der Gesetzgeber eine weite Substitutionsmöglichkeit unter Einschluss zulassungsüberschreitender Arzneimittelabgaben befürwortete,142 sodass es für die Substituierbarkeit genügt, wenn das verordnete und das abgegebene Arzneimittel in irgendeinem Indikationsbereich übereinstimmen.143 135

Hufnagel, GRUR 2014, S. 123. BT-Drs. 17/2413, S. 30. 137 BT-Drs. 17/2413, S. 29. 138 BT-Drs. 17/2413, S. 30. 139 BT-Drs. 17/2413, S. 30. 140 BeckOK SozR/v. Dewitz, § 129 SGB V Rn. 10; Krauskopf/Knittel, § 129 SGB V Rn. 7. 141 Krauskopf/Knittel, § 129 SGB V Rn. 7. 142 Ehlers/Bitter, ARMIN-Gutachten, S. 9. – Dahingehend wurde § 129 I 2 SGB V ebenso von verschiedenen am Gesetzgebungsverfahren Beteiligten verstanden: Stellungnahme des Bundesrates, BT-Drs.  17/3116, S.  13; Kirch, S.  1; Stellungnahme des BAH, AusschussDrs. 17(14)0065(3), S. 25 f.; Stellungnahme des BPI, Ausschuss-Drs. 17(14)0065(17), S. 30 f.; Stellungnahme von progenerika, Ausschuss-Drs. 17(14)0065(21), S. 10 f.; Stellungnahme des vfa, Ausschuss-Drs. 17(14)0065(23.1), S. 24. – Wie hier deuten die Äußerungen im Gesetzgebungsverfahren Brixius/Frohn, A&R 2012, S. 70 (75). 143 Ebenso: Hofer, S.  261, 267; Eichenhofer/Wenner/Armbruster, § 129 SGB  V Rn.  26; Hauck/Noftz/Luthe, § 129 SGB V Rn.  15a; Kasseler Kommentar/Hess, § 129 SGB V Rn.  7; Kaufmann, in: Meier/v. Czettritz/Gabriel/Kaufmann, § 12 Rn.  13; Bitter/Ehlers, pharmind 2014, S. 588 (589); Brixius/Frohn, A&R 2012, S. 70 (75); Kaufmann, PharmR 2011, S. 223 (229); Maur/Brixius/Schmidt, PharmR 2010, S. 373 (374); Wolf/Jäkel, PharmR 2011, S. 1 (4). 136

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4. Kein Bestehen eines Austauschverbots Eine Aut-idem-Substitution ist nach § 129  Ia  2 SGB  V unzulässig, wenn der G-BA in der Arzneimittelrichtlinie die Ersetzung des verordneten Arzneimittels durch ein wirkstoffgleiches ausgeschlossen hat. Bei seiner Entscheidung soll der G-BA insbesondere Arzneimittel mit geringer therapeutischer Breite berücksichtigen. Der Auftrag zur Formulierung einer solchen Austauschverbotsliste war zunächst den Rahmenvertragsparteien erteilt worden. Da eine einvernehmliche Einigung scheiterte, sah der Gesetzgeber die rahmenvertragliche Lösung als zu schwerfällig an.144 Begründet wird die Regelung über die Austauschverbotsliste damit, dass es bei bestimmten Anwendungsgebieten oder bestimmten Arzneimitteln zur Gewährleistung der medizinischen Versorgung sachgerecht sein könne, dass Patienten regelhaft nur das vom Arzt verordnete Präparat erhielten.145 Typischerweise gefährlich ist die Substitution zunächst bei Arzneimitteln mit geringer therapeutischer Breite, bei denen also die minimale für eine Behandlung notwendige Wirkstoffkonzentration und die minimale bereits toxisch wirkende Wirkstoffkonzentration eng beieinanderliegen.146 Hierzu zählen etwa HIV-Arzneimittel, Immunsuppressiva, Schilddrüsenhormone, Lithium sowie einige Antiepileptika.147 Werden Arzneimittel mit geringer therapeutischer Breite in der laufenden Therapie ausgetauscht, kann es zu Schwankungen des Wirkstoffspiegels kommen, die die Wirksamkeit und Sicherheit der Therapie gefährden,148 und zwar vor allem, wenn die Präparate den Wirkstoff nicht sofort, sondern zeitversetzt (sog. Retardpräparate)  abgeben.149 Solche Schwankungen des Wirkstoffspiegels sind selbst dann nicht ausgeschlossen, wenn das neue Arzneimittel bezugnehmend zu dem verordneten und bisher eingesetzten Arzneimittel zugelassen wurde, denn die Erteilung einer bezugnehmenden Zulassung verlangt nur eine vergleichbare, aber keine identische Bioverfügbarkeit beider Arzneimittel.150 Deshalb divergiert regelmäßig schon die Bioverfügbarkeit von Generikum und Referenzprodukt; die Bioverfügbarkeit zweier Generika kann sich noch wesentlich stärker unterscheiden.151

144

BT-Drs. 18/606, S. 12. S. auch Carstensen, ersatzkasse magazin 2014, Heft Nr. 3/4, S. 16. Vgl. zur Vorgängerreglung des § 129 I 8 a. F. SGB V, die einen entsprechenden Rechtsetzungsauftrag für die Rahmenvertragspartner formulierte, BT-Drs. 17/10156, S. 95. 146 Koyuncu, S. 185; Krudop-Scholz, S. 191; Gradl/Krieg/Schulz, FS Glaeske, S. 47 (51) (m. Bsp. Schilddrüsenhormone); Sickmüller/Lietz, in: Im Zweifel auf Privatrezept?, S.  95 (100); Wartensleben, in: Der Patient im nationalen und europäischen Gesundheitswesen, S. 43 (46); Blume u. a., Leitlinie Gute Substitutionspraxis, S. 7. 147 Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ), Stellungnahme, S.  2; Blume u. a., Leitlinie Gute Substitutionspraxis, S.  7; Tschabitscher u. a., Wiener klinische Wochenschrift 2008, S. 63 (68). 148 Krudop-Scholz, S. 188 ff.; Deutsch, FS Narr, S. 268 (271 ff.). 149 Blume u. a., Leitlinie Gute Substitutionspraxis, S. 7. 150 Vgl. Hofer, S. 263 f. 151 Hofer, S.  264; Krudop-Scholz, S.  191; Brenner, SGb 2002, S.  129 (134); Daniels, PZ 2015, Heft Nr. 15, S. 22 (23). 145

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Kap. 4: Die Pflicht zur Auswahl wirtschaftlicher Arzneimittel

Weiterhin ist der Austausch eines Arzneimittels in der laufenden Therapie bedenklich, wenn die Therapie auf einen stabilen Wirkstoffspiegel angewiesen ist, was etwa bei der Behandlung von Epilepsie oder chronischen Schmerzen der Fall sein kann.152 Das Nähere über den Beschluss der Austauschverbotsliste, wozu auch andere Ausschlusskriterien als die im Gesetz als Beispiel genannte therapeutische Breite zählen können,153 regelt der G-BA in seiner Verfahrensordnung.154 Kap. 4, § 52  II  VerfO-G-BA sieht insoweit vor, dass ein Austauschverbot regelhaft auf der Grundlage einer Gesamtschau von drei Kriterien festgesetzt wird. Erstes Kriterium ist die enge therapeutische Breite eines Arzneimittels. Zweites Kriterium ist die nicht nur patientenindividuelle Möglichkeit klinischer Beeinträchtigungen bei einem Präparatwechsel. Drittes Kriterium ist die gemäß Fachinformation bestehende Notwendigkeit dauernder ärztlicher Therapiekontrolle, vor allem wenn daraus folgt, dass ein Präparatwechsel nicht ohne ärztliche Kontrolle möglich ist. Derzeit listet Anlage VII, Teil B der Arzneimittelrichtlinie 17 Wirkstoffe in Verbindung mit bestimmten Darreichungsformen auf, bei denen eine Substitution nicht stattfinden soll. Da es sich bei der Austauschverbotsliste um eine normative Entscheidung des G-BA handelt, stellt sich insoweit wiederum die Frage nach der demokratischen Legitimation des G-BA für den Erlass der Austauschverbotsliste. Anders als im Rahmen der Hinweiserteilung nach § 129 Ia 1 SGB V kommt dem G-BA vorliegend ein größerer Entscheidungsspielraum zu. So sind die gesetzlichen Vorgaben für den Erlass der Austauschverbotsliste eher offen formuliert und es ist der G-BA insbesondere ermächtigt, in der Verfahrensordnung zum Teil selbst zu regeln, unter welchen Voraussetzungen ein Austauschverbot ausgesprochen wird. Allerdings sind weder Apotheker noch Versicherte von Entscheidungen des G-BA, mit denen Austauschverbote ausgesprochen werden, intensiv betroffen. Aus Sicht des Apothekers stellt sich das Eingreifen eines Austauschverbots nicht anders dar, als ob der Arzt selbst die Substitution durch Ankreuzen des Aut-idemFeldes ausgeschlossen hätte. Da in den von der Austauschverbotsliste erfassten Fällen die Substitution typischerweise mit Risiken verbunden ist, hätte der Arzt meist ohnehin die Substitution nicht zugelassen. Aus Sicht des Versicherten ist das Eingreifen eines Austauschverbots ebenfalls mit keinen Belastungen verbunden, da er in diesem Fall das vom Arzt namentlich verordnete Arzneimittel erhält. Eine intensive Betroffenheit des Versicherten ergibt sich auch nicht in den Fällen,

152 Blume u. a., Leitlinie Gute Substitutionspraxis, S. 7 (m. Bsp. Antiepileptika und Präparate zur Behandlung chronischer Schmerzen). Vgl. auch Schäfer, in: Der Patient im nationalen und europäischen Gesundheitswesen, S. 23 (27); Sickmüller/Lietz, in: Im Zweifel auf Privatrezept?, S. 93 (100) (m. Bsp. Antiepileptika). 153 BT-Drs. 18/606, S. 12. 154 § 129 Ia 3 SGB V.

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in denen es der G-BA unterlässt155, ein Austauschverbot auszusprechen, obwohl in einer bestimmten Konstellation der Austausch des verordneten Arzneimittels mit Risiken verbunden sein kann: Die Vorschrift des § 129 Ia 2 SGB V schließt nicht aus, dass der Arzt in diesen Fällen die Substitution wegen befürchteter gesundheitlicher Risiken selbst ausschließt; sie soll lediglich einen Mindest-Sicherheitsstandard gewähren.156 Ärzte können substitutionsbedingte Gesundheitsrisiken dabei sicher prognostizieren:157 Der Kreis der Arzneimittel, deren Austausch in der laufenden Therapie die Wirksamkeit oder die Sicherheit der Therapie beeinträchtigen kann, ist relativ überschaubar.158 Die Ersetzung anderer Arzneimittel in der laufenden Therapie ist nicht per se riskant.159 Obwohl § 129 Ia 2 SGB V dem G-BA größere Entscheidungsfreiheiten belässt, ist der G-BA aufgrund der nur schwachen Betroffenheit von Apothekern und Versicherten für die Entscheidung über den Erlass von Austauschverboten hinreichend demokratisch legitimiert.

III. Wirtschaftlichkeitsbezogene Auswahlkriterien Die Kriterien für die Auswahl zwischen mehreren wirkstoffgleichen Arzneimitteln unter Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkten sind in § 129 I 3, 5 SGB V enthalten. Vorrangig ist die Ersetzung durch ein Arzneimittel vorzunehmen, für das ein Rabattvertrag nach § 130a VIII SGB V geschlossen wurde.160 Subsidiär ist nach Maßgabe des Rahmenvertrags die Ersetzung durch ein preisgünstiges Arzneimittel vorzunehmen.161 Obwohl § 129 I 3, 5 SGB V dem Wortlaut nach jeweils nur von der „Ersetzung“ des verordneten Arzneimittels sprechen, beanspruchen sie nicht nur für die Aut-idem-Substitution Geltung, sondern auch für die Konkretisierung von Wirkstoffverordnungen durch den Apotheker.162

155 Dazu, dass das Demokratieprinzip auch eine Kontrolle über Unterlassungen von Hoheitsträgern fordert, s. oben Kapitel 2 C. III. 2. c). 156 Vgl. Sommer/Limpinsel, § 129 SGB V Rn. 11a. 157 Vgl. Carstensen, ersatzkasse magazin 2014, Heft Nr. 3/4, S. 16. 158 Hopf, DÄ 1993, A-2155 (2156). Eine Auflistung findet sich bei Hofer, S. 281. 159 Vgl. Krudop-Scholz, S. 190; Blume, DAZ 2007, Heft Nr. 46, S. 47; Daniels, PZ 2015, Heft Nr. 15, S. 22 (23); Tschabitscher u. a., Wiener klinische Wochenschrift 2008, S. 63 (68). 160 § 129 I 3 SGB V. 161 § 129 I 5 SGB V. 162 Wodarz, in: Handbuch des Krankenversicherungsrechts, § 27 Rn. 58; Wille, PharmR 2007, S. 503 (508); s. auch Kasseler Kommentar/Hess, § 129 SGB V Rn. 4 ff.; Spickhoff/Barth, § 129 SGB V Rn. 5 ff.

302

Kap. 4: Die Pflicht zur Auswahl wirtschaftlicher Arzneimittel

1. Vorrangige Abgabe von Rabattarzneimitteln Nach § 129 I 3 SGB V kommt Rabattarzneimitteln ein Vorrang zu. Existieren für mehrere Arzneimittel eines Wirkstoffs Rabattverträge, kann die Apotheke nach § 4 II 5 RV-AV unter diesen Arzneimitteln frei wählen. Die Pflicht zur vorrangigen Abgabe rabattierter Arzneimittel soll für pharmazeutische Unternehmer einen Anreiz zum Abschluss von Rabattvereinbarungen schaffen und so die Wirksamkeit dieser Verträge als Instrument der Arzneikostensteuerung verbessern.163 Vor Einführung von § 129  I  3 SGB  V hatten freiwillige Rabattvereinbarungen kaum Bedeutung.164 In den Rabattvereinbarungen werden den Krankenkassen Abschläge gewährt, die über die gesetzlichen Herstellerabschläge hinausgehen. So sollen zusätzliche Wirtschaftlichkeitsreserven ausgeschöpft werden.165 Für das Jahr 2015 wurden die Rabatteinnahmen, d. h. die Höhe der von den pharmazeutischen Unternehmern an die Krankenkassen aufgrund von Rabattverträgen geleisteten Zahlungen, mit 3,7 Mrd. € beziffert.166 Für Rabattverträge existiert eine Vielzahl denkbarer Vertragsmodelle, die über die schlichte Gewährung von Rückvergütungen hinausgehen. § 130a VIII 2 SGB V selbst erwähnt die Vereinbarung eines jährlichen Umsatzvolumens oder eine von der abgenommenen Menge abhängige Staffelung des Preisnachlasses. Kapitationsverträge (Cost-Sharing-Verträge)  gehen dahin, dass die Krankenkasse die Kosten für das Arzneimittel während der Vertragslaufzeit nur bis zu einem vereinbarten Gesamtbetrag übernimmt.167 Bei Risk-SharingVerträgen übernehmen pharmazeutische Unternehmer das Risiko für die Wirksamkeit des Arzneimittels und verpflichten sich, bei unzureichender Wirksamkeit des Arzneimittels die entstandenen Therapiekosten zu übernehmen.168 Bei Mehrwertverträgen erbringt der pharmazeutische Unternehmer neben oder anstelle einer Rückvergütung geldwerte Leistungen wie Schulungen.169 Diese große Ge-

163

BT-Drs. 16/3100, S. 142; Kaufmann, in: Meier/v. Czettritz/Gabriel/Kaufmann, § 12 Rn. 15; Becker/Kingreen/Axer, § 130a SGB  V Rn.  19; jurisPK-SGB  V/Schneider, § 129 SGB  V Rn.  17; Reese/Stallberg, in: Dieners/Reese, § 17 Rn.  288; BSG SozR  4-2500 § 129 Nr.  9 Rn. 22. 164 Becker/Kingreen/Axer, § 130a SGB V Rn. 19. 165 Zum Zweck der Rabattvereinbarungen, zusätzliche Einsparungen zu generieren: BeckOK SozR/v. Dewitz, § 130a SGB V Rn. 4; Wodarz, in: Handbuch des Krankenversicherungsrechts, § 27 Rn. 99; Kemmer, ersatzkasse magazin 2011, Heft Nr. 11/12, S. 36. 166 Arzneiverordnungs-Report 2016, S. 181. Zur Abhängigkeit der errechneten Einsparpotentiale von der zugrundelegten Berechnungsmethode s. aber Cassel/Ulrich, pharmind 2013, S. 734 ff.; Pfannkuche/Hofmann/Meier/Glaeske, GesundhWes 2007, S. 670 ff. 167 Wodarz, in: Handbuch des Krankenversicherungsrechts, § 27 Rn. 99; Schickert, PharmR 2009, S. 164 (173). 168 Wodarz, in: Handbuch des Krankenversicherungsrechts, § 27 Rn. 99; Schickert, PharmR 2009, S. 164 (173). 169 Schickert, PharmR 2009, S. 164 (172 f.).

B. Die Pflicht zur Abgabe preisgünstiger wirkstoffgleicher Arzneimittel 

303

staltungsfreiheit erlaubt es den Krankenkassen, Vereinbarungsformen zu finden, die möglichst spezifisch auf ihre jeweilige Situation zugeschnitten sind.170 Nach dem Wortlaut des § 129 I 3 SGB V hängt die Pflicht zur vorrangigen Abgabe rabattierter Arzneimittel nicht davon ab, dass ein Rabattarzneimittel für die Krankenkasse tatsächlich günstiger ist als andere, nicht rabattierte Arzneimittel.171 Ein Rabattvertrag darf aber nur geschlossen werden, wenn sich die Arznei­ mittelversorgung bei Durchführung des Rabattvertrages insgesamt wirtschaftlicher oder jedenfalls nicht unwirtschaftlicher darstellt als bei Abgabe nicht rabattierter wirkstoffgleicher Arzneimittel.172 Die Krankenkassen sind bei der Vereinbarung von Rabattverträgen an das Wirtschaftlichkeitsgebot gebunden.173 Der Abschluss eines unwirtschaftlichen Rabattvertrages ist rechtswidrig und kann ein Einschreiten der Aufsichtsbehörde der Krankenkasse auslösen.174 2. Subsidiäre Abgabe eines preisgünstigen Arzneimittels Existiert kein Rabattarzneimittel, müssen Apotheker gemäß § 129 I 5 SGB V ein preisgünstiges Arzneimittel nach Maßgabe des Rahmenvertrags abgeben. Der Rahmenvertrag differenziert dabei danach, ob der Vertragsarzt eine Wirkstoffoder eine Aut-idem-Verordnung ausgestellt hat. Eine Wirkstoffverordnung muss gemäß § 4 IV RV-AV mit einem der drei preisgünstigsten Arzneimittel beliefert werden. Umstritten ist insoweit aber, ob mit den „preisgünstigsten Arzneimitteln“ konkrete Arzneimittel175 oder nur Preisgruppen176 bezeichnet sind.177 Für die erste Ansicht sprechen sowohl der Wortlaut der Bestimmung178 als auch ihr Zweck, Einsparungen zu generieren.

170 Vgl. Kaufmann, in: Meier/v. Czettritz/Gabriel/Kaufmann, § 12 Rn. 15; Spickhoff/Barth, § 129 SGB V Rn. 7; Reese/Stallberg, in: Dieners/Reese, § 17 Rn. 288; Wodarz, in: Handbuch des Krankenversicherungsrechts, § 27 Rn. 58. 171 Reese/Stallberg, in: Dieners/Reese, § 17 Rn. 288. 172 Gemeinsame Stellungnahme der Spitzenverbände der gesetzlichen Krankenkassen zum GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz, Ausschuss-Drs. 16(14)0129(48), S. 216; BT-Drs. 17/9115, S. 2 (Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage). Vgl. auch Koenig/Klahn, GesR 2005, S. 481 (482 – l. Sp. unten, 485 – l. Sp. oben); Schmitt, in: BARMER GEK Gesundheitswesen aktuell 2015, S. 238 (260); Ulshöfer, PharmR 2015, S. 85 (91). 173 Uwer/Koch, PharmR 2008, S. 461 (466). 174 Vgl. für Selektivverträge über ärztliche Versorgung Keil-Löw, ZGMR 2015, S. 297 (304). – Vgl. allgemein für den Abschluss von Selektivverträgen Bernhardt, ZESAR 2008, S. 128 (138). 175 Reese/Stallberg, in: Dieners/Reese, § 17 Rn. 291. 176 Kieser, ApoR 2006, S. 45 (46). 177 Unterschiede ergeben sich, wenn Arzneimittel A, B und C die drei günstigsten sind und dabei zugleich der Preis von B und C identisch ist. Nach der ersten Ansicht dürfte der Apotheker nur unter diesen drei Arzneimitteln wählen, während er nach der zweiten außerdem noch das nächstteurere Arzneimittel D abgeben dürfte. 178 Reese/Stallberg, in: Dieners/Reese, § 17 Rn. 291.

304

Kap. 4: Die Pflicht zur Auswahl wirtschaftlicher Arzneimittel

Hat der Arzt eine Aut-idem-Verordnung ausgestellt, darf der Apotheker nach § 4 IV RV-AV eines der drei günstigsten Generika, ein preisgünstiges Importarznei­ mittel oder das namentlich verordnete Arzneimittel abgeben. Apotheker sind aufgrund dieser Regelung – sie existiert erst seit dem Jahr 2004179 – somit zur Substitution nur berechtigt, nicht aber verpflichtet.180 Im Jahr 2006 haben Apotheker deshalb nur in 11,3 % aller Fälle ein anderes als das namentlich verordnete Arzneimittel abgegeben.181 Dass die Rahmenvertragsparteien zur Aufhebung der Substitutionspflicht berechtigt sein sollen, mag zunächst überraschend erscheinen.182 Allerdings hatte der Gesetzgeber bei der Neufassung von § 129 I 3, 5 SGB V durch das im April 2007 in Kraft getretene GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz den Regelungsinhalt von § 4  IV RV-AV substantiiert vor Augen.183 Er billigte ihn ausdrücklich, denn in der Gesetzesbegründung heißt es, dass für den Fall, dass keine freiwilligen Rabattverträge geschlossen werden, die bisherige Regelung im Rahmenvertrag weiterhin gelten könne.184 Zumindest in den ab April 2007 jeweils vereinbarten Fassungen des Rahmenvertrages ist die Bestimmung von § 4 IV RV-AV deshalb wirksam.185 In Bezug auf EU-ausländische Apotheker stellt sich bei der Anwendung von § 129 I 5 SGB V darüber hinaus das Problem, dass für diese das deutsche Preisspannenrecht nicht uneingeschränkt gilt.186 Ihnen ist es erlaubt, die deutschen Arzneipreise zu unterschreiten; nur die Überschreitung der deutschen Arzneipreise ist ihnen nach hier vertretener Ansicht nicht gestattet.187 Für EU-ausländische Apotheker muss die Vorschrift des § 129 I 5 SGB V daher modifiziert angewandt werden: Zur Bestimmung der preisgünstigsten Arzneimittel kann nicht auf das deutsche Preisspannenrecht abgestellt werden, sondern es kommt darauf an, für welche Arzneimittel der jeweilige Apotheker die geringsten Preise verlangt. Nicht zu verkennen ist allerdings, dass die Einhaltung von § 129 I 5 SGB V durch die Krankenkassen so kaum überprüft werden kann, weil den Krankenkassen hierzu die

179

Kieser, ApoR 2006, S. 45 (46 mit Fn. 9). Kieser, ApoR 2006, S. 45 (47). 181 Hoffmann/Windt/Glaeske, DMW 2010, S. 739 (743). Vgl. auch Kuhlen, AZR 2007, S. 116 (117). 182 Zu möglichen Rechtfertigungen s. Kieser, ApoR 2006, S.  45 (47); Reese/Stallberg, in: Dieners/Reese, § 17 Fn. 445. 183 „Die derzeit gültige Vereinbarung sieht vor, dass die Apotheke die Ersetzung durch eines der drei preisgünstigsten Arzneimittel vornehmen kann [Hervorhebung v. Verf.].“, BT-Drs. 16/ 3100, S. 142. 184 BT-Drs. 16/3100, S. 142. 185 Von einem „Recht“ des Apothekers aufgrund von § 4 RV-AV, anstelle eines preisgünstigen Arzneimittels auch das namentlich verordnete Arzneimittel abzugeben, gehen aus: Hauck/ Noftz/Luthe, § 129 SGB V Rn. 17; Kasseler Kommentar/Hess, § 129 SGB V Rn. 6, 8; Spickhoff/Barth, § 129 SGB V Rn. 12; Wodarz, in: Handbuch des Krankenversicherungsrechts, § 27 Rn. 55. 186 Vgl. Kozianka/Hußmann, PharmR 2017, S. 10 (13). 187 s. dazu oben Kapitel 2 D. IV. 180

B. Die Pflicht zur Abgabe preisgünstiger wirkstoffgleicher Arzneimittel 

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genaue Preisgestaltung der einzelnen EU-ausländischen Apotheker bekannt sein müsste, was aber regelmäßig nicht der Fall sein dürfte. 3. Austausch trotz Wirtschaftlichkeit des verordneten Arzneimittels? Es ist nicht ausgeschlossen, dass ein Arzt zwar ein Arzneimittel unter Substitutionsgestattung verordnet, sich dieses Arzneimittel gemessen an den Maßstäben von § 129 I 3, 5 SGB V aber bereits als wirtschaftlich darstellt, weil es Gegenstand eines Rabattvertrages ist bzw. einen günstigen Abgabepreis besitzt. Fraglich ist, ob es vom Apotheker dennoch nach § 129 SGB V gegen ein anderes rabattiertes bzw. günstiges Arzneimittel ausgetauscht werden darf. In Bezug auf die Pflicht zur Abgabe preisgünstiger Arzneimittel heißt es in § 129 I 5 SGB V, dass der Rahmenvertrag die Ersetzung des verordneten Arzneimittels durch ein „preisgünstigeres“ regeln solle. Das spricht dafür, dass ein Austausch durch den Apotheker nur stattfindet, soweit dadurch Kosten gegenüber dem verordneten Arzneimittel eingespart werden können.188 Gegen eine Austauschbefugnis des Apothekers, wenn dadurch keine weitere Einsparungen generiert werden können, spricht weiterhin, dass ein Vertragsarzt die Substitution des von ihm präferierten Arzneimittels regelmäßig nicht aus freien Stücken gestattet, sondern weil er durch das Wirtschaftlichkeitsgebot dazu verpflichtet wird.189 Aus diesem Grund ist die Befugnis des Apothekers zur Ersetzung des verordneten Arznei­ mittels durch ein preisgünstiges auf den Umfang begrenzt, der zur Gewährleistung einer wirtschaftlichen Versorgung notwendig ist. In entsprechender Weise darf keine Substitution durch ein anderes Rabattarzneimittel erfolgen, wenn der Arzt bereits ein rabattiertes Arzneimittel verordnet hat. Möchte der Versicherte in diesen Fällen ein anderes als das verordnete Arzneimittel erhalten, ist allenfalls eine Versorgung im Wege der Kostenerstattung nach § 129 I 6 SGB V denkbar.190 Der Rahmenvertrag sieht indessen in § 4 IV RV-AV vor, dass das von dem Apotheker abgegebene Arzneimittel nicht teurer als das namentlich verordnete sein darf, wenn das verordnete Arzneimittel bereits zu den drei preisgünstigsten zählt. Zulässig wäre danach nicht nur die Ersetzung des verordneten Arzneimittels durch ein günstigeres Arzneimittel, sondern auch durch ein preisgleiches. Dies ist mit dem Wortlaut von § 129 I 5 SGB V allerdings nicht vereinbar, der von der Ersetzung durch ein „preisgünstigeres“ Arzneimittel spricht.

188 A. Becker, Steuerung, S. 336; LPK/Murawski, § 129 SGB V Rn. 3. Vgl. auch HK-AKM/ Brucklacher, Aut idem (695) Rn. 15. 189 Vgl. dazu, dass Ärzte die Substitution in erster Linie zulassen, weil sie zur Begrenzung der Arzneimittelkosten verpflichtet sind: Brenner, SGb 2002, S. 129 (132); Hofmann/Nickel, SGb 2002, S. 425 (426 f.). 190 s. dazu sogleich unten B. IV.

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Kap. 4: Die Pflicht zur Auswahl wirtschaftlicher Arzneimittel

4. Abweichungsmöglichkeiten auf Landesebene In den ergänzenden Verträgen auf Landesebene kann von den soeben dargestellten gesetzlichen und rahmenvertraglichen Auswahlparametern abgewichen werden. Nach § 129 V 3 SGB V kann abweichend vom Rahmenvertrag vereinbart werden, dass die Apotheken die Ersetzung eines wirkstoffgleichen Arzneimittels so vornehmen, dass den Krankenkassen pro Arzneimittel Kosten nur in Höhe eines vertraglich festzulegenden durchschnittlichen Betrages (sog. Zielpreis191) entstehen. Ist ein Zielpreis vereinbart, kann der Apotheker unter allen Arzneimitteln eines Wirkstoffes frei wählen.192 Er muss nur darauf achten, dass er im Mittel den vereinbarten Zielpreis nicht überschreitet.193 Die Vorschrift ist abschließend formuliert und lässt andere Abweichungen als Zielpreisvereinbarungen nicht zu.194 Das Zielpreiskonzept wurde ursprünglich von der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA) als Gegenmodell zu den Rabattverträgen entwickelt.195 Die Auswahlmöglichkeiten sollten dem Apotheker mehr Spielraum für pharmazeutische Erwägungen eröffnen.196 Patienten könnten so häufiger ihre gewohnten Präparate erhalten, da die Apotheker nicht zwangsweise aufgrund eines bestehenden Rabattvertrages substituieren müssten.197 Ob Zielpreisvereinbarungen tatsächlich die versprochenen Vorteile bewirken könnten, erscheint aber fraglich, denn zur Einhaltung des Zielpreises muss ein Apotheker vor allem günstige Präparate abgeben.198 Für Apotheker hätte eine Zielpreisvereinbarung den Vorteil, dass sie nicht mehr die verschiedenen Rabattarzneimittel jeder einzelnen Krankenkasse bevorraten müssen.199 Soweit ersichtlich, wurde bislang noch keine Zielpreisvereinbarung abgeschlossen. Eine weitere Abweichungskompetenz zugunsten der ergänzenden Verträge enthält § 129 I 3 HS. 2 SGB V. Danach besteht die Pflicht zur vorrangigen Abgabe rabattierter Arzneimittel nur, soweit hierzu in den ergänzenden Verträgen nichts anderes vereinbart ist. Möglich sind nach der Gesetzesbegründung sowohl ergänzende als auch abweichende Regelungen.200 Wortlaut und Entstehungsgeschichte legen nahe, dass die Pflicht zur Abgabe rabattierter Arzneimittel umfassend zur 191

Rommerskirchen, S. 73. Rommerskirchen, S. 73; Müller-Bohn, DAZ 2009, Heft Nr. 47, S. 78. Vgl. auch Spickhoff/ Barth, § 129 SGB V Rn. 17. 193 Rommerskirchen, S. 73; Müller-Bohn, DAZ 2009, Heft Nr. 47, S. 78. 194 BeckOK SozR/v. Dewitz, § 129 SGB V Rn.  23. Anders aber Hauck/Noftz/Luthe, § 129 SGB V Rn. 49; Krauskopf/Knittel, § 129 SGB V Rn. 15; Sommer/Limpinsel, § 129 SGB V Rn. 21. 195 Müller-Bohn, DAZ 2009, Heft Nr. 47, S. 78 f. 196 Franzmann u. a., PZ 2007, Heft Nr.  16, S.  10 (10, 12); Müller-Bohn, DAZ 2009, Heft Nr. 47, S. 78 (79). 197 Franzmann u. a., PZ 2007, Heft Nr. 16, S. 10 (13); Müller-Bohn, DAZ 2009, Heft Nr. 47, S. 78 (79). 198 Rommerskirchen, S. 73. 199 Franzmann u. a., PZ 2007, Heft Nr.  16, S.  10 (10, 12); Müller-Bohn, DAZ 2009, Heft Nr. 47, S. 78 (79). 200 BT-Drs. 16/3100, S. 142. 192

B. Die Pflicht zur Abgabe preisgünstiger wirkstoffgleicher Arzneimittel 

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Disposition der ergänzenden Verträge steht. Teilweise wird jedoch angenommen, dass von der Pflicht zur Abgabe rabattierter Arzneimittel ebenfalls nur im Wege von § 129 V 3 SGB V mittels Zielpreisvereinbarungen abgewichen werden kann.201 Bezugspunkt von § 129 V 3 SGB V ist jedoch alleine die Pflicht zur Abgabe preisgünstiger Arzneimittel nach § 129  I  5 SGB  V.202 Die in der Vorschrift angesprochenen Regelungen des Rahmenvertrages, von denen abgewichen werden kann, haben nur für die Abgabe preisgünstiger Arzneimittel konstitutive Bedeutung; die Pflicht zur vorrangigen Abgabe rabattierter Arzneimittel folgt in erster Linie aus dem Gesetz und bedarf lediglich der organisatorischen Umsetzung durch den Rahmenvertrag. Dass in den ergänzenden Verträgen von der Pflicht zur Abgabe rabattierter Arzneimittel umfassend abgewichen werden kann, von der Pflicht zur Abgabe preisgünstiger Arzneimittel dagegen nur in Form von Zielpreisvereinbarungen, entspricht zudem den hinter § 129 I 3 SGB V einerseits und § 129 I 5 SGB V andererseits stehenden Regelungskonzeptionen. Das Rabatt­vertragsregime ist auf die selbstbestimmte Gestaltung durch Krankenkassen und pharmazeutische Unternehmer ausgerichtet.203 Wenn die Krankenkassen die Möglichkeit haben, über das „Ob“ eines Rabattvertragsschlusses zu entscheiden, ist es folgerichtig, wenn sie auch die näheren Modalitäten der Arzneimittelabgabe regeln können, wenn ein solcher Vertrag besteht. Die subsidiäre Pflicht zur Abgabe preisgünstiger Arzneimittel nach Maßgabe des Rahmenvertrages zielt dagegen auf eine Kostenersparnis nach rein objektiven Maßstäben.204 Auch von der Abweichungsbefugnis nach § 129 I 3 HS. 2 SGB V wurde, soweit ersichtlich, bislang noch kein Gebrauch gemacht. 5. Die Auswahl unter mehreren abgabefähigen Arzneimitteln Häufig kann es zu der Situation kommen, dass die wirtschaftlichkeitsbezogenen Auswahlkriterien die Abgabe mehrerer Arzneimittel zulassen, nämlich wenn für mehrere Arzneimittel Rabattverträge bestehen oder wenn mehrere Arzneimittel als preisgünstig anzusehen sind. Die Vorschrift des § 129 SGB V trifft keine ausdrückliche Regelung, inwieweit in diesem Fall das Recht zur Auswahl unter den in Betracht kommenden Arzneimitteln dem Versicherten oder dem Apotheker zukommt. Auch ein Rückgriff auf das Apothekenrecht205 ist nur wenig ergiebig. Die Vorschrift des § 1 I ApoG verpflichtet Apotheker zwar zur Sicherstellung einer 201 So Eichenhofer/Wenner/Armbruster, § 129 SGB  V Rn.  70; Krauskopf/Knittel, § 129 SGB V Rn. 15; Wodarz, in: Handbuch des Krankenversicherungsrechts, § 27 Rn. 61. 202 Vgl. BT-Drs. 16/3100, S. 142. 203 Reese/Stallberg, in: Dieners/Reese, § 17 Rn. 288. 204 Reese/Stallberg, in: Dieners/Reese, § 17 Rn. 288. 205 Vgl. zur Funktion des Berufsrechts als Grund-Ordnung auch für das Krankenversicherungsrecht oben Kapitel 1 B. IV., Kapitel 2 B. I. 2. b). – Vgl. auch Wigge, in: Handbuch des Vertragsarztrechts, 3. Aufl., § 2 Rn. 34.

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Kap. 4: Die Pflicht zur Auswahl wirtschaftlicher Arzneimittel

ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung und erlegt ihnen hierzu einen Kontrahierungszwang auf,206 verhält sich aber nicht ausdrücklich dazu, wie die Auswahlkompetenzen bei Vorlage einer Aut-idem- oder einer Wirkstoffverordnung verteilt sind. Etwas ergiebiger scheint das Apothekenrecht auf den ersten Blick alleine in Bezug auf den Arzneimittelversandhandel zu sein, denn nach § 11a Nr. 3 lit. a ApoG müssen Versandapotheken sicherstellen, dass bestellte Arzneimittel innerhalb von zwei Arbeitstagen versandt werden, sodass Versandapotheken im Hinblick auf bestellte Arzneimittel ein Kontrahierungszwang trifft.207 Allerdings ist insoweit nicht geklärt, ob im Falle einer Aut-idem- oder Wirkstoffverordnung das „bestellte“ Arzneimittel gleichbedeutend mit dem vom Versicherten konkret gewünschten Arzneimittel ist.208 In einer Entscheidung aus dem Jahr 1997 nahm das BSG unter Zugrundelegung des sog. Rechtskonkretisierungskonzepts an, dass der Vertragsarzt „festlege“, welche Sach- oder Dienstleistungen zur Wiederherstellung der Gesundheit des Versicherten notwendig seien.209 Das Rechtskonkretisierungskonzept war in der Rechtsprechung des BSG als Modell zur Bestimmung des Umfangs der krankenversicherungsrechtlichen Leistungen entwickelt worden. Angesichts der Komplexität medizinischer Fragestellungen sei nicht davon auszugehen, dass die §§ 27 ff. SGB V den Versicherten konkrete Ansprüche verschaffen wollten.210 Vielmehr habe der Gesetzgeber einen prozeduralen Weg gewählt.211 Die in den §§ 27 ff. SGB V formulierten Leistungsansprüche gewährten den Versicherten lediglich ausfüllungsbedürftige Rahmenrechte.212 Auf der ersten Stufe entscheide der Gemeinsame Bundesausschuss, der abstrakt-generelle Maßstäbe für eine notwendige und wirtschaftliche Versorgung aufstelle.213 In einem zweiten Schritt sei dem Kassenarzt die Kompetenz zugewiesen, innerhalb dieses abstrakt-generellen Rahmens das Recht des Versicherten gegenüber der Krankenkasse in medizinischer Sicht zu konkretisieren.214 Der Vertragsarzt sei mit der Rechtsmacht beliehen, gegenüber dem Versicherten mit Wirkung für die Krankenkasse den Umfang der notwen­digen Leistungen festzulegen.215 206

s. dazu oben Kapitel 1 A. III. BT-Drs. 15/1525, S. 161. – Zum Zweck der Regelung, eine „Rosinenpickerei“ der Versandapotheken in der Form zu verhindern, dass sie nur lukrative Arzneimittel in ihr Sortiment aufnehmen, s. Cyran/Rotta, § 17 ApBetrO Rn. 518. 208 Ablehnend offenbar D. Prütting, in: Medizinrecht Kommentar, § 11a ApoG Rn. 18. 209 BSGE 81, 54 (61). 210 BSGE 73, 271 (280). 211 BSGE 73, 271 (280). 212 BSGE 81, 73 (78 f.); 82, 158 (161); 89, 86 (88); BSG SozR 4-2500 § 132a Nr. 3 Rn. 29 ff.; BSGE 103, 106 (121 f.); BSG SozR 4-2500 § 135 Nr. 22 Rn. 46. 213 BSGE 73, 271 (280). 214 BSGE 73, 271 (280 f.); 82, 158 (161). 215 Vgl. BSGE 73, 271 (281 f.). Zur Frage, ob damit eine Beleihung im Rechtssinne gemeint ist, s. Rixen, S. 205; Neumann, SGb 1998, S. 609 (612); Schnapp, NZS 2001, S. 337 (339). – Für eine nur faktische Bindung der Krankenkasse an die Entscheidung des Arztes dagegen BSGE 82, 158 (161 f.); ebenso Steege, FS 50 Jahre BSG, S. 517 (524 f.). 207

B. Die Pflicht zur Abgabe preisgünstiger wirkstoffgleicher Arzneimittel 

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Die Formulierung, dass der Vertragsarzt den gebotenen Leistungsumfang „festlege“, scheint zunächst nahezulegen, dass der Vertragsarzt einseitig gegenüber dem Versicherten festlegt, welche Leistung unter mehreren in Betracht kommenden im Einzelfall erbracht wird. Übertragen auf § 129 I 1 Nr. 1 SGB V, müsste dann unter Zugrundelegung des Rechtskonkretisierungskonzepts in den Fällen, in denen der Vertragsarzt nur einen Wirkstoff verordnet oder die Ersetzung des verordneten Arzneimittels nicht ausgeschlossen hat, dem Apotheker ein einseitiges Entscheidungsrecht zukommen, welches Arzneimittel an den Versicherten abgegeben wird.216 Dagegen, dass mit der Formulierung „festlegen“ eine Befugnis des Arztes zur einseitigen Bestimmung der zu erbringenden Leistung gegenüber dem Versicherten bezeichnet werden soll,217 spricht aber, dass mit dem Rechtskonkretisierungsprinzip in erster Linie die Abgrenzung der jeweiligen Entscheidungsbefugnisse der Leistungserbringer und der Krankenkassen bei der Krankenbehandlung verfolgt wurde.218 Über das Verhältnis Arzt – Patient werden hingegen kaum Aussagen getroffen; der der Festlegung vorausgehende Entscheidungsfindungsprozess in der Arztpraxis wird nicht näher beschrieben. Aus dem in der Rechtsprechung des BSG entwickelten Rechtskonkretisierungskonzept folgen daher keine Anhaltspunkte für die Verteilung der Entscheidungsbefugnisse zwischen Apotheker und Versichertem. Der 1. Senat des BSG ging nunmehr in zwei Entscheidungen im Jahr 2014 davon aus, dass der Leistungsanspruch des Versicherten nicht nur ein bloßes Rahmenrecht darstelle, sondern einen konkreten Individualanspruch, der aber der Kon­ kretisierung durch untergesetzliche Normen bedürfe.219 Gegen das Verständnis des Leistungsanspruchs als bloßes Rahmenrecht und für seine Deutung als konkreter Individualanspruch spricht, dass der Wortlaut von § 27 I SGB V einen „Anspruch“ auf Krankenbehandlung gewährt.220 Zudem wäre der in die allgemeine Handlungsfreiheit der Versicherten eingreifende Versicherungs- und Beitragszwang kaum zu rechtfertigen, wenn den Versicherten im Gegenzug nur Rahmenrechte gewährt würden.221 Die stärkere Betonung des Leistungsanspruchs hat zur Folge, dass sich die untergesetzlichen Normen ihrerseits am Leistungsanspruch messen lassen müssen.222 Mit der stärkeren Betonung des Leistungsanspruchs könnte – so wird bisweilen erwogen – ein Zuwachs von Entscheidungskompetenzen des Ver-

216 Ein freies Ermessen des Apothekers zur Auswahl des konkreten Arzneimittels nehmen ohne nähere Begründung an Koenig/Klahn, GesR 2005, S. 481 (485). 217 Abl. insoweit auch Steege, FS 50 Jahre BSG, S. 517 (518), wonach der Arzt bei seiner Entscheidung auch die Wünsche des Patienten zu berücksichtigen habe. 218 Vgl. zu dieser Zwecksetzung des Rechtskonkretisierungskonzepts: Francke, SGb 1999, S. 5; Neumann, SGb 1998, S. 609 (610). 219 BSGE 117, 10 (12); 117, 236 (239). 220 Axer, GesR 2015, S. 641 (642); Neumann, SGb 1998, S. 609 (611). Vgl. auch Francke, SGb 1999, S. 5 (6). 221 Axer, GesR 2015, S. 641 (642). 222 Axer, GesR 2015, S. 641 (642).

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Kap. 4: Die Pflicht zur Auswahl wirtschaftlicher Arzneimittel

sicherten verbunden sein.223 Im Falle einer Aut-idem- oder Wirkstoffverordnung könnte daher dem Versicherten das Bestimmungsrecht zustehen, welches Arzneimittel der Apotheker abzugeben hat. Aus verfassungsrechtlicher Sicht würde diese Ansicht zugleich die Patientenautonomie stärken. Aus Art. 2 II GG und Art. 2 I GG folgt das Recht eines Patienten auf gesundheitliche Selbstbestimmung, die sog. Patientenautonomie.224 Den Gesetzgeber trifft aufgrund der Patientenautonomie eine Schutzpflicht, das Verhältnis zwischen Patienten und den Trägern von Gesundheitsberufen rechtlich so auszugestalten, dass Patienten an Entscheidungen im Rahmen ihrer Therapie hinreichend beteiligt werden.225 Mitunter wird die Patientenautonomie denn auch so interpretiert, dass die Auswahl unter mehreren Therapiealternativen immer dem Patienten zustehen müsse.226 Von anderer Seite wird ein Auswahlrecht des Versicherten dagegen verneint und stattdessen ein Auswahlrecht des Apothekers angenommen. Der Arzt räume dem Apotheker durch die Ausstellung einer Aut-idem- oder einer Wirkstoffverordnung ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht ein.227 Aus verfassungsrechtlicher Sicht würde diese Ansicht der Berufsfreiheit des Apothekers Rechnung tragen:228 Bei einem Bestimmungsrecht des Patienten könnte der Apotheker beispielsweise verpflichtet sein, ein Arzneimittel zu bestellen, das er nicht auf Lager hat. Außerdem wäre es für einen Apotheker lukrativer, wenn er unter den abgabefähigen Arzneimitteln in erster Linie dasjenige mit dem höchsten nominellen Apothekenabgabepreis zur Abgabe bringen könnte: Da die gesetzlichen Arzneipreisspannen für Apotheker einen prozentualen Zuschlag auf den Herstellerabgabe­preis und den

223

Vgl. Roters, SGb 2015, S. 413 (420 mit Fn. 68). s. zur Patientenautonomie Magnus, S. 14 ff., 109 ff.; Hauck, SGb 2014, S. 8 (12 f.); Joussen, GuP 2016, S. 1 (3 ff.). 225 Brückner, Selbstbestimmung, S.  28 f.; Pangopoulou-Koutnatzi, S.  26 ff.; vgl. in Bezug auf die Verpflichtung des Arztes, einen Patienten vor einem Eingriff aufzuklären, Hauck, SGb 2014, S. 8 (10). Vgl. auch Welti, GesR 2006, S. 1 (2). 226 Vgl. in Bezug auf die ärztliche Behandlung, wenn mehrere Therapiealternativen verfügbar sind: Schimmelpfeng-Schütte, GesR 2006, S. 529 (531). – Für eine Deutung der ärztlichen Berufsfreheit als fremdnütziges Recht, das nur im Einklang mit dem Willen des Patienten ausgeübt werden kann, Hauck, SGb 2014, S. 8; LSG NRW, Beschl. v. 19.3.2012, L 11 KA 136/11, Rn. 31 f. (juris). Vgl. auch Laufs, FS Deutsch, S. 625 (626). 227 D. Prütting, in: Medizinrecht Kommentar, § 11a ApoG Rn. 18, nimmt – wenngleich ohne nähere Begründung – an, dass eine Apotheke auf eine Aut-idem-Verordnung hin ein beliebiges Arzneimittel aus dem mittleren Preissegment abgeben dürfe und dem Apotheker insoweit ein Leistungsbestimmungsrecht zustehe. 228 Zur Berufsfreiheit des Arztes als kollidierendes Rechtsgut, das einem Alleinbestimmungsrecht des Patienten entgegengesetzt werden kann, vgl. Francke, S. 107; Panagopoulou-Koutnatzi, S. 95 f. – Von der Notwendigkeit, ärztliche Berufsfreiheit und Patientenselbstbestimmung im Einzelfall jeweils in Einklang zu bringen, geht aus Zuck, in: Quaas/Zuck, § 2 Rn. 53 f.; ähnlich Hart, MedR 1996, S. 60 (66 mit Fn. 47). 224

B. Die Pflicht zur Abgabe preisgünstiger wirkstoffgleicher Arzneimittel 

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Großhandelszuschlag beinhalten,229 erwirtschaftet ein Apotheker durch die Abgabe eines teuren Arzneimittels einen betragsmäßig höheren Gewinn. Gegen die Herleitung eines Auswahlrechts des Patienten aus dem Schutzpflichtgehalt der Patientenautonomie ließe sich zudem einwenden, dass dem Gesetzgeber bei der Erfüllung von Schutzpflichten ein weiter Gestaltungsspielraum zukommt. Schutzpflichten sind erst bei Unterschreitung des Untermaßverbotes verletzt, d. h., wenn der Gesetzgeber in evident unzureichendem Maße für den Schutz des Grundrechtsgutes gesorgt hat.230 Es erscheint nicht evident unzureichend, wenn einem Versicherten nicht das Recht zur Auswahl unter mehreren wirkstoffgleichen Arzneimitteln zukäme, denn für die Gesundheit eines Patienten ist es von untergeordneter Bedeutung, welches unter mehreren gleichwertigen Arzneimitteln desselben Wirkstoffs an ihn abgegeben wird. Für ein Bestimmungsrecht des Versicherten gegenüber dem Apotheker bei Abgabefähigkeit mehrerer wirkstoffgleicher Arzneimittel streitet aber zumindest die hinter der sog. Mehrkostenregelung des § 129  I  6 SGB  V231 stehende Wertung. Diese Vorschrift erlaubt es Versicherten, gegen Kostenerstattung und unter Tragung der verursachten Mehrkosten abweichend von den Vorgaben nach § 129 I 3, 5 SGB V ein unwirtschaftliches Arzneimittel zu wählen. Versicherten sollen dadurch Wahlmöglichkeiten bei der Arzneimittelversorgung eröffnet werden.232 Der hinter der Mehrkostenregelung stehende Gedanke, dass bei der Arzneimittelauswahl die Entscheidungskompetenz der Versicherten gestärkt werden soll, beansprucht auch bei der Auswahl unter mehreren wirtschaftlichen Arzneimitteln Geltung. Aus der Mehrkostenregelung folgt außerdem, dass die oben dargestellten gegenläufigen Interessen des Apothekers – sie bestehen darin, nicht im Lager vorhandene Arzneimittel nicht bestellen zu müssen und möglichst lukrative Arzneimittel abgeben zu dürfen – hinter der Entscheidungsbefugnis des Versicherten zurückstehen müssen. Bereits in dem von der Mehrkostenregelung unmittelbar geregelten Fall, dass sich ein Versicherter gegen ein wirtschaftliches Arzneimittel entscheidet, werden diese Interessen der Entscheidungsfreiheit des Versicherten nachgeordnet: Der Versicherte kann ein Arzneimittel seiner Wahl wählen, ohne dass es nach dem Wortlaut der Vorschrift auf dessen Vorrätigkeit in der Apotheke ankommt. Außerdem ist es denkbar, dass die Wahl des Versicherten für den Apotheker mit einer Verminderung des Gewinns einhergeht: Entscheidet sich ein Versicherter gegen ein Rabattarzneimittel, das einen hohen nominellen Abgabe-

229 § 3  I  1,  II AMPreisV: Neben einem Festzuschlag von 3,85 € wird ein prozentualer Zuschlag von 3 % erhoben. 230 Zum Untermaßverbot s. nur Mayer, S. 141 ff.; Calliess, in: Handbuch der Grundrechte, Bd.  II, § 44 Rn.  29 ff.; Isensee, in: Handbuch des Staatsrechts, Bd.  IX, § 191 Rn.  291 ff.; BVerfGE 88, 203 (254 ff.); BVerfG, NVwZ 2009, 1489 (1490); NJW 2010, 1943 (1945). 231 s. dazu im Einzelnen sogleich unten IV. 232 Vgl. Kaufmann, PharmR 2011, S. 223 (228), sowie die Gesetzesbegründung, BT-Drs. 17/ 2413, S. 16.

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Kap. 4: Die Pflicht zur Auswahl wirtschaftlicher Arzneimittel

preis aufweist, und stattdessen für ein nicht rabattatiertes Arzneimittel mit einem günstigen nominellen Abgabepreis, sinkt der Gewinn des Apothekers: Da der Apothekenabgabepreis einen prozentualen Aufschlag auf den Herstellerabgabepreis und den Großhandelszuschlag beinhaltet, erbringen nominell teurere Arzneimittel einen betragsmäßig größeren Gewinn. Die Entscheidung, welches unter mehreren abgabefähigen Arzneimitteln abgegeben wird, steht daher dem Versicherten zu. Einer einschränkenden Auslegung bedarf in diesem Zusammenhang die rahmenvertragliche Regelung des § 4 II 5 RV-AV. Sie regelt die Situation bei Vorhandensein mehrerer Rabattarzneimittel. Der Apotheker darf danach unter mehreren Rabattarzneimitteln „frei wählen“. Mit den Vorgaben aus § 129 SGB V ist diese Regelung nur vereinbar, wenn man ihr alleine den Regelungsgehalt beimisst, dass keinem der Rabattverträge ein Vorrang zukommt, nicht aber, wenn man die Vorschrift so versteht, dass der Apotheker bestimmen darf, welches Rabattarzneimittel er abgibt.

IV. Die Mehrkostenregelung Versicherten ermöglicht die mit dem Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz im Jahr 2011 eingeführte Regelung des § 129 I 6 SGB V, die soeben bereits erwähnte sog. Mehrkostenregelung, eine Abweichung von den wirtschaftlichkeitsbezogenen Auswahlparametern. Nach § 129 I 6 SGB V können Versicherte abweichend von § 129 I 3, 5 SGB V gegen Kostenerstattung ein anderes Arzneimittel erhalten, sofern das gewünschte Arzneimittel zu dem verordneten wirkstoffgleich ist und dieselbe Wirkstärke und Packungsgröße wie dieses aufweist. Versicherten sollen so Wahlmöglichkeiten bei der Arzneimittelversorgung eröffnet werden.233 Bei der Berechnung des Erstattungsbetrags sind die der Krankenkassen entgangenen Rabatte nach § 130a  VIII SGB  V sowie die Mehrkosten im Vergleich zur Abgabe eines Arzneimittels nach § 129 I 3, 5234 SGB V zu berücksichtigen.235

233

Vgl. Kaufmann, PharmR 2011, S. 223 (228). § 13 II 11 SGB V. Im Wortlaut der Norm wird auf § 129 I 3, 4 SGB V Bezug genommen. Dass dort § 129 I 4 anstelle von § 129 I 5 SGB V genannt ist, beruht aber auf einem Redaktionsversehen des Gesetzgebers: Durch das Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetz wurde die Regelung des § 129 I 4 SGB V a. F. in § 129 I 5 SGB V verschoben. Dass dadurch eine Änderung von § 13 II 11 SGB V notwendig wurde, hat der Gesetzgeber übersehen. Dies zeigt sich daran, dass auch zu Beginn von S. 11 als Sitz der Mehrkostenregelung noch § 129 I 5 SGB (a. F.) und nicht § 129 I 6 SGB V zitiert wird. 235 Vgl. § 13 II 11 SGB V. 234

B. Die Pflicht zur Abgabe preisgünstiger wirkstoffgleicher Arzneimittel 

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1. Der Umfang des eröffneten Wahlrechts Der Hauptanwendungsfall der Mehrkostenregelung liegt darin, dass ein Versicherter statt eines rabattierten oder preisgünstigen Arzneimittels das ärztlich verordnete erhalten möchte, das er schon gewohnt ist.236 Da dem Versicherten generell gestattet ist, „ein anderes“ als ein rabattiertes oder preisgünstiges Arzneimittel zu wählen, ist sein Wahlrecht jedoch nicht auf eine Entscheidung zwischen dem eigentlich abzugebenden wirtschaftlichen und dem ärztlich verordneten Arzneimittel beschränkt, sondern er kann jedes beliebige wirkstoffgleiche Arzneimittel wählen, sofern es nur mit dem verordneten in Wirkstoff, Wirkstärke, Packungsgröße und Darreichungsform übereinstimmt.237 Da das Wahlrecht „abweichend von den Sätzen 3 und 5“ besteht, also abweichend von der Ersetzung des verordneten durch ein rabattiertes oder preisgünstiges Arzneimittel, kommt das Wahlrecht nach dem Gesetzeswortlaut nur in Situationen zur Entstehung, in denen der Apotheker das verordnete Arzneimittel gegen ein wirtschaftlicheres austauschen muss. Kein Wahlrecht kommt dem Versicherten nach dem Normwortlaut hingegen zu, wenn den Apotheker im konkreten Fall keine Substitutionspflicht trifft, etwa weil das verordnete Arzneimittel Gegenstand eines Rabattvertrages ist und deshalb nicht ausgetauscht werden muss. Vor dem Hintergrund des Normzwecks der Mehrkostenregelung  – sie soll die Entscheidungsfreiheit der Patienten stärken  – erschiene es aber kaum begründbar, wenn das Wahlrecht des Versicherten davon abhängig gemacht würde, dass den Apotheker im konkreten Fall eine Substitutionspflicht trifft. In Fällen, in denen der Apotheker nicht zum Austausch des verordneten Arzneimittels verpflichtet ist, gilt § 129 I 6 SGB V daher analog. Die Mehrkostenregelung eröffnet damit dem Versicherten ein umfassendes Wahlrecht unter allen wirkstoffgleichen Arzneimitteln, sofern der Arzt die Ersetzung des verordneten Arzneimittels nicht ausgeschlossen hat. 2. Kostenerstattung als Rechtsfolge Das Wunscharzneimittel wird dem Versicherten nicht als Sachleistung, sondern im Wege der Kostenerstattung gewährt. Dabei werden die in § 13 II SGB V enthaltenen allgemeinen Vorschriften über die Leistungserbringung im Wege der Kostenerstattung teilweise modifiziert. Abweichend von § 13 II 2 SGB V muss die Wahl der Kostenerstattung nicht im Voraus schriftlich gegenüber der Krankenkasse angezeigt werden und entgegen § 13 II 12 SGB V ist der Versicherte an die Wahl der Kostenerstattung nicht ein Vierteljahr lang gebunden.238 Diese Erleich­

236

Vgl. Krauskopf/Knittel, § 129 SGB V Rn. 7b. Vgl. Voit, in: Die Neuordnung des Arzneimittelmarktes, S. 141 (142, 152 f.). 238 § 129 I 7 SGB V. 237

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Kap. 4: Die Pflicht zur Auswahl wirtschaftlicher Arzneimittel

terungen sollen Barrieren für die Wahl der Kostenerstattung abbauen.239 Erhoben wird allerdings nach § 13 II 10 SGB V ein Abschlag für den Verwaltungsmehraufwand.240 a) Erhebung von pauschalen Abschlägen für Mehrkosten Nach § 13 II 8 SGB V werden Kosten höchstens in der Höhe erstattet, die die Krankenkasse im Falle der Sachleistungserbringung hätte tragen müssen. Für die Wahl von Kostenerstattung bei Arzneimitteln ist § 13 II 11 SGB V lex specialis zu § 13 II 8 SGB V, greift aber den Gedanken dieser Regelung auf.241 Danach sind die der Krankenkasse entgangenen Rabatte nach § 130a  VIII SGB  V sowie die Mehrkosten im Vergleich zur Abgabe eines rabattierten oder preisgünstigen Arzneimittels zu berücksichtigen; die Abschläge sollen pauschaliert werden. Unter Mehrkosten sind dabei Unterschiede im Abgabepreis von verordnetem und abgegebenem Arzneimittel zu verstehen; „entgangene Rabatte“ bezeichnet das Nichteingreifen eines Rabattvertrages.242 Der Abschlag wird vom Abgabepreis des gewählten Arzneimittels nach Abzug der vom Versicherten zu leistenden Zuzahlung abgezogen. § 13  II  3 SGB  V verpflichtet den Apotheker, den Versicherten aufzuklären, dass er die nicht von der Krankenkasse übernommenen Kosten selbst zu tragen hat.243 Das Nähere über die Abschläge ist in den Satzungen der Krankenkassen zu regeln.244 Die satzungsmäßige Festlegung des Abschlags hat die entgangenen Rabatte und die Unterschiede im Abgabepreis zu berücksichtigen; der Abschlag soll pauschaliert festgesetzt werden.245 Dieses Pauschalierungsgebot246 beruht auf mehreren Gründen: Zum einen lassen sich die entstandenen Mehrkosten nicht immer exakt beziffern,247 beispielsweise wenn im konkreten Fall mehrere rabattierte bzw. preisgünstige Arzneimittel für eine Abgabe in Betracht gekommen wären.248 Zum anderen erlaubt es die Pauschalierung den Krankenkassen, die Höhe von Rabatten, über die sie den pharmazeutischen Unternehmern meist Stillschweigen zusichern, nicht indirekt im Rahmen der Kostenerstattung offenbaren zu 239

Voit, in: Die Neuordnung des Arzneimittelmarktes, S. 141 (147). Hauck/Noftz/Luthe, § 129 SGB V Rn. 17b. 241 Vgl. BT-Drs. 17/2413, S. 18, 30; Hauck/Noftz/Noftz § 13 SGB V Rn. 40c. 242 Ebsen, GuP 2011, S. 41 (45). 243 Becker/Kingreen/Axer, § 129 SGB V Rn. 22. Vgl. auch Eichenhofer/Wenner/Armbruster, § 129 SGB V Rn. 38. 244 Dies ergibt sich aus § 13 II 9 SGB V, an den § 13 II 11 SGB V anknüpft: Hauck/Noftz/ Noftz, § 13 SGB V Rn. 40c. 245 § 13 II 11 SGB V. 246 Hauck/Noftz/Noftz, § 13 SGB V Rn. 40c. Vgl. auch Ebsen, GuP 2011, S. 41 (45). 247 So Hauck/Noftz/Noftz, § 13 SGB V Rn. 40c. 248 Vgl. Stellungnahme des GKV-Spitzenverbandes zum AMNOG, Ausschuss-Drs.  17(14) 0065(25.1), S. 11. 240

B. Die Pflicht zur Abgabe preisgünstiger wirkstoffgleicher Arzneimittel 

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müssen.249 Die Höhe von Abschlägen, die sie den Krankenkassen von dem nominellen Herstellerabgabepreis gewähren, wird von den pharmazeutischen Unternehmern regelmäßig geheim gehalten, weil sich ihrer Ansicht nach eine Offenlegung negativ auf die Preisgestaltung im Ausland auswirken könnte.250 b) Entstandene Mehrausgaben als Abschlagsvoraussetzung Nach der Gesetzesbegründung darf ein Abschlag für Mehrkosten nicht angesetzt werden, wenn die Wahl des Versicherten nicht zu einem finanziellen Mehraufwand der Krankenkasse geführt hat.251 Die Wahl des Versicherten muss somit nachweislich zu Mehrausgaben im Vergleich zur Abgabe eines Arzneimittels nach Maßgabe von § 129 I 3, 5 SGB V führen, damit die Krankenkasse einen Abschlag für Mehrkosten in Ansatz bringen darf.252 Entscheidet sich der Versicherte für die Abgabe eines nicht preisgünstigen Arzneimittels entgegen § 129 I 5 SGB V, entstehen der Krankenkasse stets Mehrkosten in Höhe der Differenz der Apothekenabgabepreise der beiden Arzneimittel. Auch die Entscheidung des Versicherten gegen ein rabattiertes Arzneimittel entgegen § 129 I 3 SGB V hat in den meisten Fällen einen Mehraufwand für die Krankenkasse zur Folge. Es sind aber Situationen denkbar, in denen sich die Entscheidung des Versicherten gegen ein Rabattarzneimittel nicht nachteilig für die Krankenkasse auswirkt. Denkbar ist beispielsweise, dass der Hersteller des von dem Versicherten gewählten Arzneimittels zwischenzeitlich seinen Herstellerabgabepreis so stark gesenkt hat, dass dieses Arzneimittel für die Krankenkasse nun günstiger oder jedenfalls nicht teurer wäre als das Rabattprodukt. In diesem Fall ist der Ansatz eines Abschlages nicht zulässig.253 Erforderlich ist somit immer, dass die Krankenkasse prüft, ob ihr durch die Nicht-Abgabe des Rabattarzneimittels im konkreten Fall ein finanzieller Nachteil entstanden ist. Bei Rabattvertragsmodellen wie Mengen- oder Staffelrabatten, bei denen nicht pro abgegebenem Arzneimittel ein konkreter Betrag an die Kasse rückvergütet wird, bedarf es hierzu unter Umständen komplexer gesundheitsökonomischer Kalkulationen.254 249

Becker/Kingreen/Axer, § 129 SGB V Rn.  22; Voit, in: Die Neuordnung des Arzneimittelmarktes, S. 141 (148); Ebsen, GuP 2011, S. 41 (45); Kaufmann, PharmR 2011, S. 223 ff., Fn. 29; Wolf/Jäkel, PharmR 2011, S. 1 (5). Vgl. auch die Gesetzesbegründung BT-Drs. 17/2413, S. 18. – S. dagegen aber auch VG Magdeburg, PharmR 2014, 68 (70), wonach ein Landes-Informationsfreiheitsgesetz einen Anspruch auf Mitteilung der Rabatthöhe gewähren kann. 250 Huster/Kalenborn, NZS 2012, S. 881 (881 f.). 251 BT-Drs. 11/2413, S. 18. 252 Hauck/Noftz/Noftz, § 13 SGB  V Rn.  40c; Spickhoff/Trenk-Hinterberger, § 13 SGB  V Rn. 8. Vgl. auch Kaufmann, PharmR 2011, S. 223 ff., Fn. 28; Eichenhofer/Wenner/Ulmer, § 13 SGB V Rn. 22; Ebsen, GuP 2011, S. 41 (45). 253 Voit, in: Die Neuordnung des Arzneimittelmarktes, S. 141 (150 f.). 254 Vgl. Stellungnahme des GKV-Spitzenverbandes zum AMNOG, Ausschuss-Drs.  17(14) 0065(25.1), S. 11.

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Kap. 4: Die Pflicht zur Auswahl wirtschaftlicher Arzneimittel

c) Die Kalkulation der Abschläge Für die Berechnung der pauschalierten Abschläge gibt § 13 II 11 SGB V vor, dass die entgangenen Rabatte und die sonstigen Mehrkosten zu berücksichtigen sind. Da § 13 II 11 SGB V an § 13 II 8 SGB V angelehnt ist, wonach dem Versicherten höchstens die Kosten erstattet werden, die bei der Sachleistungserbringung entstanden wären, ist § 13 II 11 SGB V vor dem Hintergrund von § 13 II 8 SGB V auszulegen.255 Die den Versicherten für ihre Wunscharzneimittel erstatteten Kosten dürfen nicht die Kosten übersteigen, die die Krankenkasse bei der Arzneimittelversorgung im Sachleistungsweg hätte tragen müssen. aa) Einzel- oder Gesamtbetrachtung? Für die Vorgabe, dass die Kostenerstattung zu keinen Zusatzkosten gegenüber der Sachleistungserbringung führen darf, sind aber zwei Bezugspunkte denkbar. Es könnte einerseits alleine darauf ankommen, dass einer Krankenkasse insgesamt betrachtet durch Kostenerstattungen keine Mehrkosten gegenüber der Sachleistungserbringung entstehen. Die pauschalierten Abschläge müssten dann so kalkuliert werden, dass die Durchführung von Kostenerstattung im Laufe eines Haushaltsjahres insgesamt kostenneutral ist; in Bezug auf den Einzelfall können die erstatteten Beträge die hypothetisch angefallenen Sachleistungskosten aber sowohl über- als auch unterschreiten. Andererseits könnte § 13 II 11 SGB V so zu lesen sein, dass der Krankenkasse in jedem konkreten Einzelfall keine Zusatzkosten im Vergleich zur hypothetischen Sachleistungserbringung entstehen dürfen.256 In der Gesetzesbegründung zu § 13 II 11 SGB V heißt es in Bezug auf die Höhe der Kostenerstattung sinngemäß, dass ein Versicherter keinen Anspruch auf die Erstattung der Mehrkosten habe, die der Krankenkasse gegenüber einem Arzneimittel entstehen, für das sie einen Rabattvertrag geschlossen hat.257 Diese Formulierung scheint darauf hinzudeuten, dass der Krankenkasse bei jeder einzelnen Arzneimittelangabe keine Zusatzkosten im Vergleich zur Sachleistungserbringung entstehen dürfen, denn sie bezieht sich auf den einzelnen Versicherten. Wenn bei keiner einzelnen Arzneimittelabgabe Mehrkosten entstehen dürften, müsste der Erstattungsbetrag sehr restriktiv kalkuliert werden, sodass er in vielen Fällen hinter den hypothetisch angefallenen Sachleistungskosten zurückbleiben

255 Vgl. Hauck/Noftz/Noftz, § 13 SGB V Rn.  40b, 40c. Auch in der Gesetzesbegründung, BT-Drs. 17/2413, S. 18, wird in unmittelbarem Zusammenhang § 13 II 8 SGB V (damals noch § 13 II 9 SGB V) erwähnt. 256 Vgl. zu Einzelfall- und Gesamtbetrachtung als Auslegungsmöglichkeiten von § 13 II 11 SGB V auch die Stellungnahme des GKV-Spitzenverbandes zum AMNOG, Ausschuss-Drs. 17 (14)0065(25.1), S. 11. 257 BT-Drs. 17/2413, S. 18.

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würde. Die Krankenkasse stünde dadurch bei der Leistungserbringung im Wege der Kostenerstattung finanziell meistens besser als bei der Sachleistungserbringung. Gesetzessystematisch entstünde dadurch ein Bruch zu anderen Fällen der Kostenerstattung, denn Kostenerstattung führt normalerweise nicht zu einer Bereicherung der Krankenkasse. Zwar heißt es in § 13 II 8 SGB V, dass der Erstattungsbetrag „höchstens“ in Höhe des Sachleistungsaufwandes besteht, doch ist damit nicht gemeint, dass die Krankenkasse den Erstattungsbetrag beliebig kürzen darf, sondern nur, dass der hypothetische Sachleistungsaufwand die Deckelungsgrenze für Kostenerstattungsansprüche bildet.258 Den Ausschlag für die Entscheidung zwischen den beiden Auslegungsvarianten gibt letztendlich, dass die Krankenkasse nach dem Wortlaut der Norm die entgangenen Rabatte und die Mehrkosten bei der Berechnung der Pauschalen nur „berücksichtigen“ muss. Berücksichtigen meint, dass ein Gesichtspunkt in Betracht gezogen und eine Auseinandersetzung mit ihm stattfinden muss, dabei jedoch nur eine eingeschränkte Bindung besteht.259 Die Krankenkasse muss deshalb die im Einzelfall entstandenen Mehrausgaben nicht strikt und in voller Höhe in Ansatz bringen.260 Die Pauschalen sind vielmehr nur so zu berechnen, dass die Kostenerstattung für die Krankenkassen insgesamt betrachtet kostenneutral ist. bb) Verfassungsrechtliche Vorgaben Bei der Berechnung der Pauschalen steht den Krankenkassen ein Gestaltungsspielraum zu.261 Pauschalierungen als typisierende Regelungen bewirken aber regelmäßig die Ungleichbehandlung vergleichbarer oder die Gleichbehandlung ungleicher Sachverhalte und müssen sich deshalb am allgemeinen Gleichheitssatz messen lassen.262 Der Gestaltungsspielraum der Krankenkassen besteht deshalb nur im Rahmen des allgemeinen Gleichheitssatzes. Die jeweiligen satzungsmäßigen Pauschalierungsregelungen müssen daher mit dem allgemeinen Gleichheitssatz vereinbar sein. Die Vorschrift des § 13 II 11 SGB V erlaubt Pauschalierungen aus zwei Gründen. Zum einen soll die Pauschalierung Verwaltungsvereinfachung bewirken; ein Vereinfachungsbedürfnis besteht beispielsweise, wenn anstelle des vom Versicherten gewählten Arzneimittels mehrere Arzneimittel zur Auswahl gestanden 258

Vgl. Hauck/Noftz/Noftz, § 13 SGB V Rn. 40; jurisPK-SGB V/Helbig, § 13 SGB V Rn. 34; Kasseler Kommentar/Schifferdecker, § 13 SGB V Rn. 43. 259 Vgl. allgemein BSGE 70, 285 (296); 96, 126 (136 f.). 260 Hauck/Noftz/Noftz, § 13 SGB V Rn. 40c. 261 Hauck/Noftz/Noftz, § 13 SGB V Rn. 40c. 262 s. nur Huster, S. 245 ff.; Isensee, S. 133 ff.; Maunz/Dürig/Herzog, Anh. Art. 3 GG Rn. 28 (74. EL); Sachs, in: Stern, Bd. IV/2, § 120 II 7. c) (S. 1557 ff.); Weyreuther, DÖV 1997, S. 521 (523). Vgl. auch BVerfGE 127, 224 (244 ff., 253 ff.); 129, 49 (70 ff.). Eingehend Spitzlei, S. 274 ff.

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Kap. 4: Die Pflicht zur Auswahl wirtschaftlicher Arzneimittel

hätten.263 Darüber hinaus wird den Krankenkassen die Pauschalierungsbefugnis eingeräumt, um die Höhe der vereinbarten Rabatte geheim zu halten. Selbst wenn die Krankenkasse konkret weiß, welche Rabatteinnahmen ihr entgangen sind – entsprechende Berechnungen muss sie sogar anstellen, weil sie nur bei tatsächlichem Mehraufwand überhaupt einen Abschlag für Mehraufwand in Ansatz bringen darf –, darf sie den Abzug für Mehraufwand pauschal berechnen, um die Rabatthöhe geheim zu halten. Soweit die Pauschalierungsbefugnis der Verwaltungsvereinfachung dient, ist sie verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, denn Verwaltungsvereinfachung ist ein klassischer Rechtfertigungsgrund für pauschalierende Regelungen.264 Doch auch die Geheimhaltung der Abschläge – durch sie soll die Wirtschaftstätigkeit pharmazeutischer Unternehmer geschützt werden –, ist kein von vornherein unzulässiger Pauschalierungszweck. Pauschalierungen dürfen auch andere Zwecke als Verwaltungsvereinfachung verfolgen.265 Das ergibt sich daraus, dass im Rahmen von Art. 3 I GG die Gleichbehandlung von Ungleichem allgemein durch beliebige vernünftige Erwägungen gerechtfertigt werden kann, sofern der damit verfolgte Zweck und das Ausmaß der Gleichbehandlung nicht gänzlich außer Verhältnis stehen.266 Die vertrauliche Behandlung von Abschlägen durch Krankenkassen gegenüber den Versicherten wird allerdings im Hinblick auf das im Demokratieprinzip wurzelnde Transparenzgebot kritisch gesehen, sofern Abschläge die Versorgungsinteressen der Versicherten beeinträchtigen können.267 Freiwillige Rabattverträge beeinträchtigen die Versorgung jedoch nicht nachteilig, denn im Wege von Rabattverhandlungen wird lediglich bestimmt, welches Arzneimittel eines Wirkstoffs bevorzugt an die Versicherten abgegeben wird; die Geheimhaltung der Rabatthöhen verstößt deshalb nicht gegen das Transparenzgebot. Der mit der Geheimhaltung verfolgte Regelungszweck, die Wirtschaftstätigkeit der Arzneimittelhersteller zu schützen, steht schließlich nicht außer Verhältnis dazu, dass verschiedene Patienten Kostenerstattung in derselben Höhe erhalten, obwohl im Falle der Sach-

263

s. dazu oben B. III. 5. s. nur Huster, S.  249 f.; Isensee, S.  136 ff.; Jarzyk-Dehne, S.  115 ff., 149 ff.; Sachs, in: Stern, Bd. IV/2, § 120 II. 7. c) α) ββ) (S. 1560); Weyreuther, DÖV 1997, S. 521 (523); BVerfGE 126, 268 (282 f.); 127, 224 (253 ff.); 133, 377 (412 f.). 265 Zu Pauschalisierungsregelungen mit Lenkungsfunktion s. Jarzyk-Dehne, S. 118 ff., 159 ff.; Spitzlei, S. 125 ff., 373 ff., 378; Kischel, in: Gleichheit im Verfassungsstaat, S. 175 (182). – Zur Rechtfertigung pauschalierter Verlustabzugsregelungen im Steuerrecht durch Erwägungen, dass bei Geltendmachbarkeit der tatsächlich entstandenen Kosten Umgehungsmöglichkeiten entstehen könnten, s. BVerfGE 127, 224 (255 ff.). 266 Kischel, in: Gleichheit im Verfassungsstaat, S. 175 (182). Allgemein zur Rechtfertigbarkeit von Ungleichbehandlungen durch beliebige vernünftige Gemeinwohlerwägungen: ­Huster, S. 174 ff., 239 ff., 382 ff.; Dreier/Heun, Art. 3 GG Rn. 33; Jarass/Pieroth/Jarass, Art. 3 GG Rn. 15. 267 Huster/Kalenborn, NZS 2012, S. 881 (883 f.). Dort wird das Beispiel genannt, dass die Krankenkasse einen hohen Abschlag nach § 130b SGB V auf einen neuen Wirkstoff durchsetzt und der pharmazeutische Unternehmer den Wirkstoff daraufhin vom deutschen Markt zurückzieht, sodass er den Versicherten nicht mehr zur Verfügung steht. 264

B. Die Pflicht zur Abgabe preisgünstiger wirkstoffgleicher Arzneimittel 

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leistungserbringung ihre Arzneimittel für die Krankenkasse unterschiedlich hohe Kosten verursacht hätten. Auch eine Pauschalierung zum Zwecke der Geheimhaltung der Rabatte ist daher zulässig. In inhaltlicher Sicht gebietet der allgemeine Gleichheitssatz, dass Pauschalen realitätsnah berechnet werden.268 Der pauschale Abschlag darf deshalb beispielsweise nicht so bemessen sein, dass er regelmäßig von der Höhe des konkret entgangenen Rabatts gravierend abweicht. Innerhalb dieser Grenzen kann aber beispielsweise eine Regelung zulässig sein, die als Abschlaghöhe den durchschnittlichen prozentualen Einsparbetrag aller Rabattverträge einer Krankenkasse vorsieht.269 3. Abwicklung von Apotheker- und Herstellerrabatt Nicht in die Berechnung des Abschlags fließen nach § 13 II 11 SGB V die gesetzlichen Apotheker- und Herstellerrabatte ein, die die Krankenkasse für das eigentlich abzugebende wirtschaftliche Arzneimittel erhalten hätte. Daraus folgt im Umkehrschluss, dass die gesetzlichen Rabatte den Krankenkassen auch für das im Wege der Kostenerstattung abgegebene Arzneimittel von Apotheker und pharmazeutischem Unternehmer gewährt werden müssen.270 Im Normalfall, d. h. bei der Arzneimittelversorgung im Wege der Sachleistungserbringung, werden die gesetzlichen Abschläge realisiert, indem sich der Vergütungsanspruch des Apothekers gegen die Krankenkasse um die Höhe der Rabatte mindert. Den Herstellerabschlag erhält der Apotheker dann von dem pharmazeutischen Unternehmer erstattet, wobei gemäß § 130a I 5 SGB V die Erstattung binnen zehn Tagen zu erfolgen hat. Bei der Leistungserbringung im Wege der Kostenerstattung erhält der Apotheker den Kaufpreis des Arzneimittels jedoch vom Versicherten, sodass ein zu kürzender Vergütungsanspruch gegen die Krankenkasse nicht als Anknüpfungspunkt für die Rabattgewährung in Betracht kommt. Nach der Gesetzesbegründung sollen die Rahmenvertragsparteien die Rabattgewährung regeln und dabei sicherstellen, dass weder Versicherter noch Krankenkasse mit den Herstellerrabatten belastet werden.271 Ihrem Regelungsauftrag sind die Rahmenvertragsparteien in § 4  IVa RV-AV nachgekommen. Der Versicherte bezahlt in der Apotheke den sich aus der Arzneipreisverordnung ergebenden vollen Apothekenverkaufspreis.272 Der Apotheker gewährt den Krankenkassen im Wege der Abrechnung den Apothekenrabatt,273 268 Jarzyk-Dehne, S. 154 ff.; Maunz/Dürig/Herzog, Anh. Art. 3 GG Rn. 28 (74. EL); Hey, FR 2016, S. 485 (488); BVerfGE 122, 210 (233, 240);126, 268 (282 f.). 269 Voit, in: Die Neuordnung des Arzneimittelmarktes, S. 141 (149). 270 BT-Drs.  17/2413, S.  30; BT-Drs.  17/4407, S.  55; Becker/Kingreen/Axer, § 129 SGB V Rn. 22; Hauck/Noftz/Noftz, § 13 SGB V Rn. 40c. 271 BT-Drs. 17/2413, S. 30. 272 § 4 IVa 2 RV-AV. 273 § 4 IVa 3 RV-AV.

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Kap. 4: Die Pflicht zur Auswahl wirtschaftlicher Arzneimittel

indem er von dem erhaltenen Kaufpreis einen Betrag in Höhe des gesetzlichen Apothekenabschlags an die Krankenkasse auskehrt. Auf entsprechende Weise gewährt der Apotheker der Krankenkasse den Herstellerrabatt.274 Für ihre Aufwendungen im Zusammenhang mit der Abwicklung des Herstellerrabatts erhalten die Apotheken eine Entschädigung von 0,50 €. Die Regelung des § 130a I 5 SGB V, wonach der pharmazeutische Unternehmer dem Apotheker den Herstellerrabatt binnen zehn Tagen erstatten muss, findet auch auf die Arzneimittelabgabe im Wege der Kostenerstattung nach § 129 I 6 SGB V Anwendung. Falls der Hersteller dieser Pflicht nicht nachkommt, sieht der Rahmenvertrag vor, dass der Apotheker von der Krankenkasse den von ihm gewährten Herstellerrabatt zurückverlangen darf.275 Diese rahmenvertragliche Regelung steht zur gesetzlich in § 130a I 5 SGB V vorgesehenen Rechtslage in Widerspruch, denn danach kann ein Apotheker den Herstellerabschlag ausschließlich vom pharmazeutischen Unternehmer ersetzt verlangen. Das rahmenvertraglich vereinbarte Rückforderungsrecht des Apothekers ist deshalb nicht rechtmäßig. 4. Die Mehrkostenregelung im Versorgungsalltag Im Versorgungsalltag hat die Mehrkostenregelung bislang noch keine große Rolle erlangt.276 Ein Grund wird darin gesehen, dass den Versicherten der Erstattungsbetrag im Voraus nicht bekannt sei,277 doch kann der Versicherte aus der Krankenkassensatzung an sich ersehen, mit welchen Kosten er maximal belastet werden wird. Weiterhin wird vermutet, dass Versicherten die Unterschiede zwischen verschiedenen wirkstoffgleichen Arzneimitteln wie z. B. geringere Nebenwirkungsrisiken nicht hinreichend bewusst seien, sodass sie keine Motivation hätten, von ihrem Wahlrecht Gebrauch zu machen.278

C. Die Pflicht zur Abgabe wirtschaftlicher Importarzneimittel Eine weitere Pflicht zur Auswahl wirtschaftlicher Arzneimittel enthalten § 129 I 1 Nr. 2, S. 8 SGB V. Gemäß § 129 I 1 Nr. 2 SGB V sind Apotheker verpflichtet, nach Maßgabe des Rahmenvertrages importierte Arzneimittel abzugeben, deren Abgabepreis gegenüber dem Preis des Bezugsarzneimittels um 15 € oder 15 % geringer 274

§ 4 IVa 4 RV-AV. § 4 IVa 5 RV-AV. – Auch wenn im Rahmenvertrag nicht ausdrücklich geregelt, dürfte der Apotheker, der sein Rückforderungsbegehren geltend macht, der Krankenkasse im Gegenzug seinen Erstattungsanspruch gegen den pharmazeutischen Unternehmer abtreten. 276 Voit, in: Die Neuordnung des Arzneimittelmarktes, S. 141 (151). 277 Esser, Der niedergelassene Arzt 2011, Heft Nr. 1, S. 23 (24); Kaufmann, PharmR 2011, S. 223 (228). 278 Voit, in: Die Neuordnung des Arzneimittelmarktes, S. 141 (146, 152). 275

C. Die Pflicht zur Abgabe wirtschaftlicher Importarzneimittel

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ist (sog. Importförderklausel279). Gemäß § 129 I 8 SGB V gilt im Verhältnis von Importarzneimitteln und ihren Bezugsarzneimitteln § 129 I 3 SGB V und damit der Vorrang vertraglich rabattierter Arzneimittel entsprechend. Ein rabattiertes Importarzneimittel ist dabei unabhängig davon vorrangig abzugeben, ob dessen Abgabepreis den in § 129 I 1 Nr. 2 SGB V bezeichneten Preisabstand zum Bezugsarzneimittel einhält. Das Preisabstandserfordernis hat nur für die allgemeine Importförderklausel Bedeutung.280 Die Pflicht zur Abgabe importierter Arzneimittel hat vor allem in der Zeit Bedeutung, in der der Wirkstoff des Originalarzneimittels noch Patentschutz genießt. Der Patentschutz verbietet den Vertrieb wirkstoffgleicher Arzneimittel durch andere Hersteller und verhindert deshalb, dass Generika auf den Markt gelangen. Eine Kostensenkung lässt sich während dieser Zeit nur durch die Abgabe importierter Arzneimittel erzielen.281 Den Handel mit re- oder parallelimportierten Arzneimitteln kann der Hersteller aufgrund seines Patentrechts nicht verbieten.282 Nach Patentablauf sinkt die Attraktivität des Arzneimittelimports, da Generikahersteller auf den Markt drängen und der generische Wettbewerb zugleich ein Sinken des Preisniveaus bewirkt.283 Die gesetzliche Pflicht zur Abgabe importierter Arzneimittel war ursprünglich mit dem Gesundheitsreformgesetz eingeführt worden. Im Jahr 1996 wurde sie vorübergehend gestrichen, da es systemfremd sei, dass der Gesetzgeber einem Händler vorschreibe, welche Produkte er in seinem Sortiment führen müsse.284 Zum Jahr 2000 erfolgte die Wiedereinführung mit dem GKV-Gesundheitsreformgesetz 2000. Die Pflicht zur Abgabe importierter Arzneimittel sei notwendig, um im Sektor der Patentarzneimittel den Preiswettbewerb anzukurbeln.285

279

Krauskopf/Knittel, § 129 SGB V Rn. 9. Zur Eigenständigkeit beider Regelungen vgl. BT-Drs.  17/3698, S.  55 („Zu Buchstabe c“). Vgl. auch SG Saarland, Urt. v. 18.7.2014, S 1 KR 343/11, Rn. 66 (juris). – Nach BeckOK SozR/v. Dewitz, § 129 SGB V Rn. 15, gilt die Preisgünstigkeitsdefinition nach § 129 I 1 Nr. 2 SGB V unbeschadet der aus § 129 I 8 SGB V folgenden Pflicht des Apothekers, vorrangig rabattierte Arzneimittel abzugeben. Nach Spickhoff/Barth, § 129 SGB V Rn. 10, stellt § 129 I 8 SGB V den Vorrang der Rabattarzneimittel vor der von ihm als solche bezeichneten Importarzneimittelregelung des § 129 I 1 Nr. 2 SGB V klar. 281 Vgl. BT-Drs. 14/1245, S. 85. Nach der Stellungnahme des Bundesverbandes der Arzneimittelimporteure (BAI) zum GMG können durch Importarzneimittel 500 Mio. € pro Jahr eingespart werden, Ausschuss-Drs. 0248(105), S. 2. 282 Sog. patentrechtlicher Erschöpfungsgrundsatz, s. dazu Hufnagel, in: Dieners/Reese, § 14 Rn. 158 ff. 283 Schelling, S. 21. 284 BT-Drs. 13/4407, S. 4 f. 285 BT-Drs. 14/1245, S. 85. 280

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Kap. 4: Die Pflicht zur Auswahl wirtschaftlicher Arzneimittel

I. Der Anwendungsbereich der Importabgabetatbestände Die in § 129 I 1 Nr. 2 SGB V und § 129 I 8 SGB V enthaltenen Importabgabetatbestände regeln jeweils, inwieweit ein Apotheker vorrangig ein Importarzneimittel abgeben muss, wenn der Arzt das Bezugsarzneimittel des Importarzneimittels verordnet hat. Mit Bezugsarzneimittel ist das Arzneimittel gemeint, auf dessen Zulassungsunterlagen der Importeur Bezug genommen hat, als er die Zulassung für das von ihm importierte Arzneimittel beantragt hat.286 Importarzneimittel dürfen in Deutschland erst in Verkehr gebracht werden, wenn für sie eine Zulassung erteilt wurde.287 In der Praxis beantragen Importeure keine Zulassung auf der Grundlage eigener Zulassungsstudien – sie wäre aus Zeit- und Kostengründen nicht rentabel –,288 sondern sie wählen das vereinfachte Zulassungsverfahren, in dessen Rahmen sie auf die Zulassungsunterlagen des inländischen Produkts Bezug nehmen. Das vereinfachte Zulassungsverfahren für Importarzneimittel ist weder im Arzneimittelgesetz noch in der RL 2001/83/EG ausdrücklich geregelt. Es wurde vom EuGH richterrechtlich aus der Warenverkehrsfreiheit entwickelt, die unverhältnismäßig beeinträchtigt würde, wenn Importeure stets ein Volldossier vorlegen müssten. Ein Importarzneimittel könne deshalb unter Bezugnahme auf ein im Inland schon zugelassenes Arzneimittel zugelassen werden, wenn es in seinem Herkunftsland zugelassen sei und wenn sich die für das inländische Arzneimittel durchgeführte Bewertung von Wirksamkeit und Sicherheit ohne jedes Risiko für die Gesundheit auf das Importarzneimittel übertragen lasse.289 Die Arzneimittel müssten nicht identisch sein, aber das Importarzneimittel müsse denselben Wirkstoff enthalten, die gleichen therapeutischen Wirkungen besitzen und es dürfe keine Probleme im Hinblick auf Qualität, Wirksamkeit und Sicherheit aufweisen.290 Da ein wichtiges Kriterium zur Bewertung der Vergleichbarkeit zweier Arzneimittel deren Bioäquivalenz ist,291 entspricht das vereinfachte Zulassungsverfahren für Importe im Ergebnis dem Verfahren der bezugnehmenden Zulassungen für Generika.292 286 Hauck/Noftz/Luthe, § 129 SGB  V Rn.  18; jurisPK-SGB  V/Schneider, § 129 SGB  V Rn. 19; Wodarz, in: Handbuch des Krankenversicherungsrechts, § 27 Rn. 56. 287 §§ 21 I 1, III 1 i. V. m. 4 XVIII 2 AMG. 288 Vgl. dazu Meier, in: Meier/v. Czettritz/Gabriel/Kaufmann, § 3 Rn. 66, der darauf hinweist, dass Importeure nicht in der Lage wären, ein Volldossier vorzulegen; ähnlich Wagner, in: Dieners/Reese, § 6 Rn. 255. 289 EuGH, Rs. C-112/02, EuZW 2004, 530 f., Rn. 21 – Kohlpharma. Vgl. auch EuGH, Rs. C-104/75, Slg. 1976, 613 ff., Rn. 21/22 – de Peijper. – S. dazu Rehmann, vor §§ 21–37 AMG Rn. 27 ff.; Janda, in: EnzEuR, Bd. 5, § 9 Rn. 106 ff.; Wagner, MedR 2004, S. 489 ff. 290 EuGH, Rs. C-94/98, EuR 2000, 643 ff., Rn. 45 – Rhône-Poulenc Rorer und May & Baker. 291 GA Tizzano, Schlussanträge v. 11.9.2003 in der Rs. C-112/02, Slg. 2004, I-3371 ff., Rn. 51, 73 – Kohlpharma; Kügel/Müller/Hofmann/Kügel, § 25 AMG Rn. 138 mit Fn. 272. Dies. berufen sich jeweils auf das Urteil des EuGH in der Rs. C-368/96, PharmR 1999, 45 ff. – Generics, wo der EuGH die Bioäquivalenz als maßgebliches Kriterium für den Vergleich von Original und Generikum herausstellt. 292 Vgl. Kügel/Müller/Hofmann/Kügel, § 25 AMG Rn. 138 mit Fn. 272. – Zur bezugnehmenden Zulassung von Generika s. oben B. I.

C. Die Pflicht zur Abgabe wirtschaftlicher Importarzneimittel

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Nicht geregelt ist in den Importabgabetatbeständen die Belieferung von Wirkstoffverordnungen mit Importarzneimitteln. Die Importabgabetatbestände regeln ausweislich ihres Wortlauts nur das Verhältnis von Importarzneimitteln und ihren Bezugsarzneimitteln und haben damit den Fall vor Augen, dass ein namentlich verordnetes Arzneimittel durch ein Importarzneimittel ersetzt werden soll. Importierte Arzneimittel von der Abgabe auszuschließen, nur weil der Arzt eine Wirkstoffverordnung ausgestellt hat, widerspräche aber dem Zweck von § 129 SGB V, Einsparungen zu generieren. Es bietet sich daher folgende Lösung an: Importierte Arzneimittel können Gegenstand der Pflicht zur Belieferung von Wirkstoffverordnungen mit preisgünstigen wirkstoffgleichen Arzneimitteln nach § 129 I 1 Nr. 1 lit. a SGB V sein. Sie sind nach dieser Vorschrift abgabefähig, wenn sie dieselbe Packungsgröße und Wirkstoffmenge sowie eine vergleichbare Darreichungsform wie vom Arzt in der Verordnung genannt besitzen. Gleichzeitig gilt aber die Preisabstandsregelung nach § 129 I 1 Nr. 2 SGB V entsprechend, weil deren Zweck unterlaufen würde, falls eine Pflicht zur Belieferung von Wirkstoffverordnungen mit Importarzneimitteln ohne Rücksicht auf den Preisabstand des Imports zum deutschen Original bestünde. Die Preisabstandsregelung soll für einen Preiswettbewerb zwischen Original- und Importarzneimittel sorgen293 und ein angemessenes Einsparvolumen generieren294. Mit der Preisabstandsregelung hat der Gesetzgeber darauf reagiert, dass Importeure dazu tendierten, ihre Preise an den Preis des jeweiligen Originals anzunähern.295 Sie soll damit gewährleisten, dass nur für solche Importarzneimittel eine Abgabepflicht besteht, deren Importeur die ihm verfügbaren Wirtschaftlichkeitsreserven ausreichend ausgeschöpft hat. Die Belieferung von Wirkstoffverordnungen mit Importarzneimitteln erfolgt somit im Rahmen der Pflicht zur Abgabe preisgünstiger wirkstoffgleicher Arzneimittel nach § 129 I 1 Nr. 1 lit. a SGB V, doch ist Voraussetzung für die Abgabe, dass das Importarzneimittel den Preisabstand zu seinem Bezugsarzneimittel wahrt, wie er sich aus § 129 I 1 Nr. 2 SGB V ergibt.

II. Der medizinisch-pharmazeutische Rahmen für die Importabgabe Während für die Abgabe wirkstoffgleicher Arzneimittel unter anderem in § 129  I  2 SGB  V umfassend medizinisch-pharmazeutische Vorgaben normiert sind,296 bestehen für die Abgabe von Importarzneimitteln keine vergleichbaren Re 293

J. Müller-Graff, S. 37; BSGE 101, 161 (169). BT-Drs. 15/1525, S. 122; Reese/Stallberg, in: Dieners/Reese, § 17 Rn. 300. 295 Schelling, S. 86 f. Vgl. dazu auch Gassner, PharmR 2002, S. 165 (168). 296 § 129 I 2 SGB V regelt die erforderliche Beschaffenheit des abzugebenden Arzneimittels (Wirkstoffgleichheit, identische Wirkstärke und Packungsgröße, substituierbare Darreichungsform), nach § 129 I 1 Nr. 1 lit. b SGB V kann der Arzt den Austausch eines namentlich verordneten Arzneimittels untersagen und nach § 129 Ia 2 SGB V kann der G-BA Austauschverbote erlassen. Zu den medizinisch-pharmazeutischen Voraussetzungen der Abgabe preisgünstiger wirkstoffgleicher Arzneimittel s. oben B. II. 294

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Kap. 4: Die Pflicht zur Auswahl wirtschaftlicher Arzneimittel

gelungen. Lediglich der Rahmenvertrag regelt in § 5 II RV-AV, dass das Importarzneimittel gegenüber dem Bezugsarzneimittel wirkstoffgleich und wirkstärken­ identisch sein und dass es eine vergleichbare Darreichungsform aufweisen muss. Das Fehlen einer dem § 129  I  2 SGB  V entsprechenden gesetzlichen Regelung lässt sich damit erklären, dass schon die Erteilung der Zulassung für das Importarzneimittel im vereinfachten Zulassungsverfahren Wirkstoffgleichheit, Wirkstoffmengenidentität und die Vergleichbarkeit der Darreichungsform von Importarzneimittel und Bezugsarzneimittel voraussetzt.297 Die Voraussetzungen, wie sie § 129 I 2 SGB V für die Abgabe wirkstoffgleicher Arzneimittel formuliert, werden daher von Importarzneimitteln im Verhältnis zu ihren Bezugsarzneimitteln erfüllt, ohne dass es einer eigenen gesetzlichen Regelung im SGB V bedürfte.298 1. Ausschlussmöglichkeit des Vertragsarztes Dass die Importabgabe zumindest nach dem Wortlaut von § 129 I 1 Nr. 2 SGB V nicht vom Arzt untersagt werden kann, überrascht auf den ersten Blick, denn Importarzneimittel können sich in derselben Weise wie ein Generikum vom Originalarzneimittel unterscheiden:299 Parallelimporte können von dem inländischen Original in Aussehen, Verpackung, Farbe, Hilfsstoffen oder Bioverfügbarkeit abweichen,300 d. h., es bestehen unter Umständen schon chemische Differenzen zwischen beiden Arzneimitteln. Reimporte verfügen zwar über dieselbe chemische Zusammensetzung wie das inländische Arzneimittel, können aber in Verpackung oder Etikettierung abweichen, die in ausländischer Sprache verfasst sein können.301 Derartige Unterschiede in der Aufmachung können den Patienten zumindest verunsichern und es kann zu Ablehnungsreaktionen kommen, die den Therapieerfolg beeinträchtigen.302 Apothekenrechtlich ist dementsprechend jede Abgabe von Importarzneimitteln anstelle des verordneten inländischen Originals als Substitution im Sinne von § 17 V 1 ApBetrO anzusehen, die ohne ärztliche Erlaubnis nicht zulässig ist.303 Frühere Fassungen der Pflicht zur Abgabe importierter Arzneimittel sahen denn auch vor, dass die Abgabe von Importarzneimitteln der Entscheidung des Arztes obliegt: Die Arzneilieferverträge unter Geltung der Reichsversicherungsordnung knüpften die Importabgabe an eine ärztliche

297

Dazu Bauroth, in: Fuhrmann/Klein/Fleischfresser, § 23 Rn. 12. Vgl. Koenig/Müller, SGb 2003, S. 371 (376 f.). 299 Dazu Gassner, PharmR 2002, S. 165 (169). 300 Kaufmann, in: Meier/v. Czettritz/Gabriel/Kaufmann, § 12 Rn.  21; Kern, Arzneimittelbeschaffung, S. 59, Fn. 112; Reese/Stallberg, in: Dieners/Reese, § 17 Rn. 296; Ehlers/Weizel, pharmInd 2002, S. 347 (348); Gassner, PharmR 2002, S. 165 (169); Koenig/Müller, SGb 2003, S. 371 (374). Vgl. auch Leitritz u. a., Der Ophthalmologe 2014, S. 127 (136). 301 Kern, Arzneimittelbeschaffung, S. 59, Fn. 113; May, MMG 1984, S. 82 (84). 302 Ehlers/Weizel, pharmInd 2002, S. 347 (348); Gassner, PharmR 2002, S. 165 (169). 303 Ehlers/Weizel, pharmInd 2002, S. 347 (348); Gassner, PharmR 2002, S. 165 (169 f.). 298

C. Die Pflicht zur Abgabe wirtschaftlicher Importarzneimittel

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Gestattung.304 § 129 I 1 Nr. 2 SGB V in der Fassung des Gesundheitsreformgesetzes aus dem Jahr 1989 sah zwar nicht ausdrücklich eine ärztliche Erlaubnis als Abgabevoraussetzung vor, doch bestand nach der Gesetzesbegründung die Pflicht zur Abgabe importierter Arzneimittel nur in den Fällen, „in denen die Verordnung auch für gleichnamige importierte Arzneimittel gilt“.305 Teilweise wird angenommen, der Gesetzgeber habe bei Wiedereinführung der Importabgabepflicht mit dem GKV-Gesundheitsreformgesetz 2000 im Jahr 2000 exakt an den früheren Regelungsinhalt und damit an die Abhängigkeit der Importabgabe von einer ärztlichen Erlaubnis anknüpfen wollen.306 Dies erscheint zweifelhaft, denn ebenso denkbar ist, dass der Gesetzgeber bei Neueinführung der Pflicht zur Importabgabe irrtümlich davon ausging, dass Importarzneimittel und Original stets identisch seien307 und es deshalb keiner ärztlichen Gestattung für den Austausch bedürfe. In Betracht kommt aber eine analoge Anwendung des in § 129  I  Nr.  1 lit.  b SGB V für die Abgabe von Generika geregelten Vorbehalts einer ärztlichen Untersagung auf die Abgabe importierter Arzneimittel. Voraussetzung für eine Analogie ist das Vorliegen einer planwidrigen Regelungslücke und die Vergleichbarkeit des geregelten Falles mit dem betrachteten. Die Abgabe wirkstoffgleicher Arzneimittel hängt von der Entscheidung des Arztes ab, weil die chemische Differenz von Original und Generikum oder auch die Unterschiede in der Aufmachung die Therapie beeinträchtigen können.308 Die Abgabe von Generika soll keine negativen Auswirkungen auf die Therapie haben. Dass für die Abgabe importierter Arzneimittel kein Arztvorbehalt normiert wurde, obwohl sie zu denselben Therapiebeeinträchtigungen führen kann wie die Abgabe von Generika, stellt gemessen daran eine planwidrige Regelungslücke dar. Wegen der Ähnlichkeit der drohenden Therapiebeeinträchtigungen liegt zugleich eine vergleichbare Interessenlage vor. Ein Arzt kann deshalb die Abgabe importierter Arzneimittel verbieten.309 304 S. den Arzneilieferungsvertrag der Ersatzkassen aus dem Jahr 1988, abgedruckt in ErsK 1988, S. 425 ff. – S. auch verschiedene in Gerichtsurteilen wiedergegebe Arzneilieferverträge: OLG Schleswig, WRP 1986, 238; BGH, PharmR 1987, 117 ff.; BGH, NJW 1987, 2931 ff. 305 BT-Drs. 11/2237, S. 205. Der Gesetzgeber des Gesundheitsreformgesetzes hat somit die Importabgabe an eine ärztliche Gestattung geknüpft, Gassner, PharmR 2002, S. 165 (169). 306 Gassner, PharmR 2002, S. 165 (169). 307 Die Identität von Original und Import wird verbreitet angenommen: A. Becker, Steuerung, S.  343; jurisPK-SGB V/Schneider, § 129 SGB V Rn.  19; Koenig/Müller, SGb 2003, S.  371 (373). 308 Vgl. Krauskopf/Sproll, § 73 SGB V Rn. 55. 309 Im Wege einer verfassungskonformen Auslegung vor dem Hintergrund der ärztlichen Berufsfreiheit ebenso: Reese/Stallberg, in: Dieners/Reese, § 17 Rn. 303; Ehlers/Weizel, pharmInd 2002, S. 347 (348 f.); Gassner, PharmR 2003, S. 165 (170); SG Koblenz, Urt. v. 7.1.2014, S 13 KR 379/13, Rn. 29 (juris). Im Ergebnis ebenso SG Bremen, Urt. v. 17.3.2017, S 7 KR 269/14, Rn. 26 ff. (juris). Vgl. auch Kern, Arzneimittelbeschaffung, S. 59, Fn. 113. – Eine Verbotsmöglichkeit des Arztes lehnt dagegen aufgrund des Normwortlauts ab Wesser, A&R 2014, S. 103 (107 f.).

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Kap. 4: Die Pflicht zur Auswahl wirtschaftlicher Arzneimittel

Das Verbot, Importarzneimittel abzugeben, kann der Vertragsarzt grundsätzlich bereits durch Ankreuzen des Aut-idem-Feldes aussprechen, weil er dadurch zum Ausdruck bringt, dass kein anderes Arzneimittel als das verordnete abgegeben werden soll.310 Doch sind Importarzneimittel häufig namensgleich mit dem Original. Zur Dokumentation des Willens, dass auch Importarzneimittel nicht abgegeben werden dürfen, genügt es in diesen Fällen nicht, den Produktnamen zu nennen und das Aut-idem-Feld anzukreuzen. Die Verordnung bezieht sich erst dann ausschließlich auf das Originalarzneimittel, wenn der Arzt etwa noch dessen Pharmazentralnummer angibt.311 Die Abgabe importierter Arzneimittel steht somit analog § 129 I 1 Nr. 1 SGB V unter dem Vorbehalt, dass sie von dem verordnenden Arzt nicht untersagt worden ist. Anders als im Hinblick auf die Abgabe von Generika reicht das Ankreuzen des Aut-idem-Feldes aber nicht immer aus, um die Abgabe importierter Arzneimittel auszuschließen, sondern es bedarf zusätzlicher Angaben wie etwa der Pharmazentralnummer des verordneten Originals. 2. Geltung der Austauschverbotsliste Fraglich ist weiterhin, ob die Austauschverbotsliste des G-BA nach § 129 Ia 2 SGB V auch auf die Abgabe von Importarzneimitteln Anwendung findet. Nach dem Wortlaut von § 129 Ia 2 SGB V gilt die Austauschverbotsregelung nur für die Aut-idem-Substitution. Doch stellen sich gerade bei Parallelimporten vergleichbare Probleme wie bei Generika, wenn sie in der laufenden Therapie anstelle des bisher verwendeten Arzneimittels eingesetzt werden, vor allem in Form kritischer Wirkstoffspiegelschwankungen. Wie Generika stellen Parallelimporte nämlich keine chemisch exakte Kopie des Originals dar und im Rahmen des vereinfachten Zulassungsverfahrens wird nur eine vergleichbare, nicht hingegen eine identische Bioverfügbarkeit gegenüber dem Original verlangt. Gemessen an dem Zweck von § 129 Ia 2 SGB V, Versicherte vor derartigen Risiken zu schützen, liegt deshalb eine Regelungslücke vor. Aus der Gesetzesbegründung ist nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber den Anwendungsbereich der Austauschverbotsliste bewusst auf die generische Substitution beschränken und Gesundheitsrisiken bei der Abgabe von Parallelimporten in Kauf nehmen wollte.312 Für die Abgabe von Parallelimporten gilt deshalb § 129 Ia 2 SGB V analog, sodass auch die Abgabe von Parallelimporten ausgeschlossen ist, wenn ein Tatbestand der Austauschverbotsliste erfüllt ist.

310 Vgl. jetzt § 3 I Nr. 7 lit. a RV-AV in der Fassung vom 1.6.2016. S. auch SG Bremen, Urt. v. 17.3.2017, S 7 KR 269/14, Rn. 27 (juris). 311 SG Koblenz, Urt. v. 7.1.2014, S 13 KR 379/13, Rn. 24, 27 (juris). Vgl. auch Wesser, A&R 2014, S. 103 (108). 312 Vgl. BT-Drs. 18/606, S. 12.

C. Die Pflicht zur Abgabe wirtschaftlicher Importarzneimittel

327

III. Wirtschaftlichkeitsbezogene Auswahlkriterien Ob ein importiertes Arzneimittel aus Gründen der Wirtschaftlichkeit anstelle des verordneten Bezugsarzneimittels abzugeben ist, richtet sich nach zwei Kriterien. Zum einen sind nach § 129 I 1 Nr. 2 SGB V Apotheker verpflichtet, nach Maßgabe des Rahmenvertrages preisgünstige Importarzneimittel abzugeben, wobei die Preisgünstigkeit anders als im Falle der generischen Substitution gesetzlich definiert ist und einen bestimmten Preisabstand des Importarzneimittels zu seinem Bezugsarzneimittel voraussetzt. Zum anderen erklärt die Vorschrift des § 129 I 8 HS. 1 SGB V die Regelungen aus § 129 I 3, 5 SGB V für entsprechend anwendbar, die für die generische Substitution den Vorrang rabattierter Arzneimittel vor schlicht preisgünstigen Arzneimitteln statuieren; somit sind auch im Verhältnis von Original und Importarzneimitteln Rabattarzneimittel vorrangig abzugeben. 1. Vorrangige Abgabe rabattierter Arzneimittel Der Vorrang rabattierter Arzneimittel gegenüber nicht rabattierten Arzneimitteln betrifft sowohl Importarzneimittel untereinander als auch das Verhältnis von Original und Importarzneimitteln. Obwohl somit bereits § 129 I 8 HS. 1 SGB V umfassend die Abgabe rabattierter Arzneimittel für vorrangig erklärt, heißt es in § 129 I 8 HS. 2 SGB V nochmals gesondert, dass die Abgabe eines rabattierten Arzneimittels Vorrang vor der Abgabe eines nach allgemeinen Grundsätzen preisgünstigen Importarzneimittels gemäß § 129 I 1 Nr. 2 SGB V hat. Diese Regelung ist somit redundant.313 Erklären lässt sich die starke Betonung des Vorrangs rabattierter Arzneimittel womöglich dadurch, dass während der Gesetzesberatungen zu § 129 I 8 SGB V der Rahmenvertrag noch vorsah314, dass ein Apotheker zwischen rabattiertem Original und preisgünstigem Import frei wählen kann. Den Rahmenvertragsparteien wurde in der Gesetzesbegründung ausdrücklich nahegelegt, die Bestimmungen über die Abgabe importierter Arzneimittel zeitnah zum Inkraft­ treten von § 129 I 8 SGB V so anzupassen, dass sie der Intention des Gesetzgebers, auch zwischen Original- und Importarzneimitteln den Rabattwettbewerb zu stärken, nicht entgegenstehen.315 Diese Anpassung ist erfolgt: In § 5 I 3 RV-AV heißt es nunmehr, dass die Abgabe eines Rabattarzneimittels Vorrang vor der Abgabe eines nicht rabattierten Importarzneimittels hat. Fraglich ist, ob die bloße Existenz eines Rabattvertrags genügt, um die vorrangige Abgabepflicht auszulösen oder ob insoweit noch weitere Voraussetzungen bestehen. In der Gesetzesbegründung zu § 129 I 8 SGB V heißt es, dass Voraussetzung für die Austauschpflicht des Apothekers sei, dass das rabattierte Arznei­ 313

Rehmann/Paal/Willenbruch, A&R 2011, S. 159 (160). § 5 I 4 RV-AV i. d. F. v. 17.1.2008. 315 BT-Drs. 17/3698, S. 53. 314

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Kap. 4: Die Pflicht zur Auswahl wirtschaftlicher Arzneimittel

mittel nach Abzug des Rabatts preisgünstiger sei.316 Die Pflicht zur vorrangigen Abgabe rabattierter Arzneimittel scheint somit nicht durch die bloße Existenz eines Rabattvertrages ausgelöst zu werden. Es muss scheinbar hinzukommen, dass das Rabattarzneimittel für die Krankenkasse tatsächlich wirtschaftlicher ist als ein nicht rabattiertes Arzneimittel, was der Apotheker im Einzelfall prüfen müsste.317 Eine solche Prüfpflicht würde aber in Widerspruch zur Handhabung der Rabattverträge bei der generischen Substitution treten, wo bereits die bloße Existenz eines Rabattvertrags die Substitutionspflicht auslöst und wo von der Frage, ob der Rabattvertrag Einsparungen generiert, nur die Zulässigkeit des Vertragsschlusses durch die Krankenkasse abhängt.318 Einem Apotheker wäre die Klärung der Frage, ob das Rabattarzneimittel wirtschaftlicher als ein nicht rabattiertes Arzneimittel ist, zudem in vielen Fällen nicht möglich. So enthalten bereits die in § 130a VIII 2 SGB V beispielhaft erwähnten Vertragsmodelle des Mengen- und Staffelrabatts komplexe, von Umsatzmenge oder Therapieerfolg abhängige Rückvergütungsmechanismen, zu deren Beurteilung es gesundheitsökonomischer Kalkulationen bedarf.319 Die Pflicht des Apothekers zur vorrangigen Abgabe rabattierter Arzneimittel nach § 129 I 8 SGB V ist deshalb nicht davon abhängig, dass das Rabattarzneimittel tatsächlich wirtschaftlicher ist als ein nicht rabattiertes.320 2. Die allgemeine Importförderklausel Existiert kein Rabattarzneimittel, ist ein preisgünstiges Importarzneimittel nach Maßgabe des Rahmenvertrags abzugeben. Als preisgünstig gilt nach § 129  I  1 Nr. 2 SGB V ein Importarzneimittel, dessen für den Versicherten maßgeblicher Abgabepreis mindestens um 15 % oder 15 € günstiger ist als der Abgabepreis des Bezugsarzneimittels.321 Die 15-Euro-Marke zielt dabei auf Importarzneimittel, deren Referenzarzneimittel mehr als 100 €, die 15-Prozent-Marke auf Importe, deren Original weniger als 100 € kostet.322 Bei der Berechnung des Preisabstands sind die

316

BT-Drs. 17/3698, S. 53. Vgl. jeweils den Klägervortrag in LG Hamburg, Urt. v. 5.5.2011, 327 O 106/11 (juris); LG Frankfurt a. M., PharmR 2014, 286 ff.; SG Saarland, Urt. v. 18.7.2014, S 1 KR 343/11 (juris). 318 s. dazu oben B. III. 1. In Bezug auf Importarzneimittel: LG Hamburg, Urt. v. 5.5.2011, 327 O 106/11, Rn. 36 ff. (juris); LG Frankfurt a. M., PharmR 2014, S. 286 (287). Vgl. auch Uwer/ Koch, PharmR 2008, S. 461 (466 f.). – Es wird aber wohl zu verlangen sein, dass die Rabatteinnahmen betragsmäßig größer ausfallen als der in § 129 I 1 Nr. 2 genannte Preisabstand, der die Pflicht zur Importabgabe im Rahmen der allgemeinen Importförderklausel auslöst. 319 Vgl. auch SG Saarland, Urt. v. 18.7.2014, S 1 KR 343/11, Rn. 62 (juris). 320 Hauck/Noftz/Luthe, § 129 SGB V Rn. 18a; Ehlers/Rybak, pharmind 2011, S. 1282 (1283); LG Hamburg, Urt. v. 5.5.2011, 327 O 106/11, Rn.  34 (juris); LG Frankfurt/Main, PharmR 2014, 286 (287); SG Saarland, Urt. v. 18.7.2014, S 1 KR 343/11, Rn. 56, 60 (juris). 321 Zum Zweck der Preisabstandsregelung s. oben C. I. 322 BT-Drs. 15/1525, S. 122. 317

C. Die Pflicht zur Abgabe wirtschaftlicher Importarzneimittel

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gesetzlichen Herstellerabschläge zu berücksichtigen, d. h., sie sind von den Abgabepreisen abzuziehen.323 a) Abgabefähigkeit trotz Nichteinhaltung des gesetzlichen Preisabstands? Die Preisabstandsregelung soll einen Preiswettbewerb zwischen Import- und Originalarzneimitteln anregen. Dennoch wird mitunter vertreten, dass Importarzneimittel unabhängig von der Einhaltung eines Preisabstands anstelle des verordneten Originals abgegeben werden können. Angenommen wird insoweit, dass ein Apotheker ein Importarzneimittel zwar nur verpflichtend abgeben müsse, wenn es den in § 129 I 1 Nr. 2 SGB V genannten Preisabstand zum Original wahre; da Importarzneimittel gegenüber dem Original wirkstoffgleich seien, sei ein Apotheker aber berechtigt, das Importarzneimittel als preisgünstiges wirkstoffgleiches Arzneimittel nach § 129 I 1 Nr. 1 SGB V abzugeben, wenn es billiger als das Original sei, ohne dass es auf die Einhaltung des gesetzlichen Preisabstands ankomme.324 Wäre ein Importarzneimittel ohne Rücksicht auf die Einhaltung des gesetzlichen Preisabstands abgabefähig, würde aber der Preiswettbewerb zwischen Importeur und Originalhersteller nachlassen.325 Besonders während des Bestehens von Patentschutz für das Originalarzneimittel wäre dieses Ergebnis problematisch, denn ein Preiswettbewerb zwischen Hersteller des Originals und Importeur ist in dieser Zeit ein wichtiger Mechanismus zur Kostensenkung.326 Teilweise wird deshalb eine Differenzierung dahingehend vorgeschlagen, dass Importarzneimittel jedenfalls nach Ablauf des Patentschutzes als preisgünstige wirkstoffgleiche Arzneimittel abgabefähig sind, auch wenn sie den gesetzlichen Preisabstand nicht einhalten.327 Für diese Ansicht könnte zwar sprechen, dass auch für die dann auf den Markt gelangenden Generika kein gesetzlicher Mindest-Preisabstand besteht. Der Grund für das Fehlen einer Preisabstandsregelung für Generika dürfte aber darin zu sehen sein, dass Generika grundsätzlich um etwa 25 % billiger sind als das Original, weil Generikahersteller gezielt über den Preis mit dem Hersteller des Originals konkurrieren328. Weiterhin spricht die Regelung des § 130a IIIb 1 HS. 2 SGB V i. V. m. § 130a IIIa 6 SGB V dagegen, dass Importarzneimittel selbst nach Ablauf des Patentschutzes ohne Rücksicht 323

BT-Drs. 17/3698, S. 53; BeckOK SozR/v. Dewitz, § 129 SGB V Rn. 15. A. Becker, Steuerung, S.  344. Für generelle Einbeziehung von Importarzneimitteln in § 129 I 1 Nr. 1 SGB V Räpple, ApoR 2001, S. 92 (93). 325 Bereits geringfügige Preissenkungen würden dem Importeur gegenüber dem Hersteller des Originals einen Wettbewerbsvorteil verschaffen, weil z. B. der zuzahlungspflichtige Versicherte tendenziell das günstigere Arzneimittel nachfragen wird. 326 Reese/Stallberg, in: Dieners/Reese, § 17 Rn. 294; Jäkel, pharmind 2002, S. 660 (666). 327 Reese/Stallberg, in: Dieners/Reese, § 17 Rn.  294; Koenig/Müller, SGb 2003, S.  371 (375 ff.). 328 s. dazu Schmidt, in: Gesundheit 2030, S. 217 (218). 324

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Kap. 4: Die Pflicht zur Auswahl wirtschaftlicher Arzneimittel

auf die Einhaltung des gesetzlichen Preisabstands abgabefähig sind, denn die Regelung zeigt, dass nach Ansicht des Gesetzgebers Importarzneimittel auch nach Ablauf des Patentschutzes ausschließlich im Wege von § 129 I 1 Nr. 2 SGB V abgegeben werden können. Nach § 130a IIIb 1 HS. 1 SGB V erhöht sich nach dem Ablauf des Patentschutzes der gesetzliche Herstellerabschlag für alle Arzneimittel mit dem gleichen Wirkstoff von 7 % auf 10 %. Für Importarzneimittel trifft § 130a IIIb 1 HS. 2 SGB V i. V. m. § 130a IIIa 6 SGB V dabei eine Sonderregelung, nach der für Importarzneimittel der Abschlag weniger als 10 % beträgt, wenn bereits durch einen solchen geringeren Abschlag der Preisabstand nach § 129 I 1 Nr. 2 SGB V zum Bezugsarzneimittel hergestellt werden kann. Diese Sonderregelung trägt nach der Gesetzesbegründung einerseits den begrenzten Möglichkeiten des Importeurs Rechnung, auf Preiserhöhungen auf den ausländischen Märkten zu reagieren, soll aber andererseits gewährleisten, dass durch Einhaltung des gesetzlichen Preisabstands der Preiswettbewerb zwischen dem Importeur und dem Hersteller des Originals erhalten bleibt.329 Auch nach Ablauf des Patentschutzes soll damit durch die gesetzliche Preisabstandsregelung des § 129 I 1 Nr. 2 SGB V der Preiswettbewerb zwischen Original und Importarzneimittel gefördert werden. Die Preisabstandsregelung des § 129 I 1 Nr. 2 SGB V würde ausgehebelt, wenn Importarzneimittel als preisgünstige wirkstoffgleiche Arzneimittel gemäß § 129 I 1 Nr. 1 SGB V abgegeben werden dürften, denn aufgrund von § 129 I 1 Nr. 1 SGB V könnte ein Importarzneimittel bereits dann abgebeben werden, wenn es nur geringfügig günstiger ist als das Original. Importarzneimittel sind deshalb nur bei Einhaltung des in § 129 I 1 Nr. 2 SGB V geregelten Preisabstands abgabefähig.330 b) Die Importquotenregelung Die Pflicht zur Abgabe preisgünstiger importierter Arzneimittel wird in den §§ 4 IV, 5 RV-AV konkretisiert. Nach § 4 IV RV-AV kann der Apotheker grundsätzlich wählen, ob er das verordnete Arzneimittel, ein preisgünstiges Generikum oder ein preisgünstiges Importarzneimittel abgibt. Es besteht deshalb keine strikte Pflicht zur Abgabe importierter Arzneimittel. Allerdings enthält der Rahmenvertrag in § 5 III RV-AV einen Mechanismus, der Apotheker dazu motivieren soll, Importpräparate abzugeben. Gemäß § 5 III 1, 2 RV-AV müssen 5 % der von den Versicherten der jeweiligen Krankenkassen eingereichten Verordnungen mit Importarzneimitteln beliefert werden (sog. Importquote). Hierdurch muss nach § 5 III 3 RV-AV eine Wirtschaftlichkeitsreserve in Höhe von 10 % im Ver 329

Vgl. für § 130a IIIa 6 SGB V, auf den in § 130a IIIb 1 HS. 2 Bezug genommen wird: BTDrs. 16/194, S. 10. 330 Vgl. Kasseler Kommentar/Hess, § 129 SGB V Rn. 9. Ähnlich wird § 129 I 1 Nr. 2 SGB V als abschließender Spezialtatbestand angesehen: Wodarz, in: Handbuch des Krankenversicherungsrechts, § 27 Rn. 57; Ehlers/Weizel, pharmind 2002, S. 347 (349); Jäkel, pharmind 2002, S.  661 (665); Uwer/Koch, PharmR 2006, S.  461 (464 f., 466). Vgl. auch Gassner, PharmR 2002, S. 165 (167).

C. Die Pflicht zur Abgabe wirtschaftlicher Importarzneimittel

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gleich zur Abgabe nicht importierter Arzneimittel erzielt werden.331 Im Ergebnis müssen Apotheken somit durch die Abgabe von Importarzneimitteln eine Kosteneinsparung in Höhe von 0,5 % erzielen.332 Die Verfehlung dieses Einsparungsziels führt zu einer Kürzung der Vergütung, die Übererfüllung zur Ausstellung einer Gutschrift, mit der zukünftige Unterschreitungen ausgeglichen werden können.333 Dass ein Druck zur Substitution nur in Bezug auf Importarzneimittel und nicht auch in Bezug auf Generika in Form einer „Generikaquote“ erzeugt wird, mag auf den ersten Blick überraschend scheinen und auch gleichheitsrechtliche Fragen aufwerfen. Eine mögliche Erklärung liegt aber darin, dass ab dem Markteintritt von Generika die Hersteller der Originalarzneimittel ihre Preise regelmäßig senken.334 Ab der Entstehung von generischem Wettbewerb ist deshalb die Abgabe des Originals häufig mit weniger Kosten verbunden als während des Bestehens von Patentschutz. Auch wenn kein Druck zum Austausch des Originals ausgeübt wird, laufen die Krankenkassen daher nicht mehr Gefahr, exorbitant hohe Arzneimittelpreise tragen zu müssen. Die Rahmenvertragsparteien konnten daher auf die Schaffung einer „Generikaquote“ verzichten. § 129 I 1 Nr. 2 HS. 2 SGB V ermächtigt die Rahmenvertragsparteien weiterhin, zusätzliche Wirtschaftlichkeitsreserven durch die Abgabe preisgünstiger Importarzneimittel zu erschließen. Die Rahmenvertragsparteien können insbesondere abweichende Preisabstandsregelungen vorsehen, sofern hierdurch auch unter Berücksichtigung der Besonderheiten einzelner Marktsegmente zusätzliche Wirtschaftlichkeitsreserven erschlossen werden können.335 Eine solche Regelung existiert bislang nicht.336 3. Abweichungsmöglichkeiten auf Landesebene Nach § 129 I 3 SGB V, auf den die Vorschrift des § 129 I 8 HS. 1 SGB V für die Importabgabe verweist, steht die Pflicht zur vorrangigen Abgabe rabattierter Arzneimittel unter dem Vorbehalt anderweitiger Regelungen in den ergänzenden Verträgen auf Landesebene. Die Vertragspartner auf Landesebene können daher von der Pflicht zur vorrangigen Abgabe rabattierter Arzneimittel auch im Hinblick 331

§ 5 III 3 RV-AV. J. Müller-Graff, S. 36. 333 § 5 IV RV-AV. 334 Vgl. dazu Europäische Kommission, Mitteilung über die Untersuchung des Arzneimittelsektors, KOM2009(351), S. 11. 335 BT-Drs. 15/1525, S. 122. 336 Oft wird die Importquote als Maßnahme zur Erschließung zusätzlicher Wirtschaftlichkeitsreserven im Sinne von § 129 I 1 Nr. 2 HS. 2 SGB V angesehen: BeckOK SozR/v. Dewitz, § 129 SGB V Rn. 15; Hauck/Noftz/Luthe, § 129 SGB V Rn. 15; Kasseler Kommentar/Hess, § 129 SGB V Rn. 9. Dagegen spricht aber, dass eine vergleichbare Regelung bereits vor Einführung von § 129 I Nr. 2 HS. 2 SGB V im Rahmenvertrag existierte. 332

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Kap. 4: Die Pflicht zur Auswahl wirtschaftlicher Arzneimittel

auf die Importabgabe abweichen. Die subsidiäre Pflicht zur Abgabe preisgünstiger Importarzneimittel auf Grundlage der Importförderklausel nach § 129  I  1 Nr.  2 SGB  V steht hingegen nicht zur Disposition der ergänzenden Verträge:337 § 129 V 3 SGB V, wonach von rahmenvertraglichen Vorgaben über die Abgabe wirkstoffgleicher Arzneimittel durch Zielpreisvereinbarungen abgewichen werden kann, bezieht sich nur auf die generische Substitution. Der Gesetzgeber wollte durch den Ausschluss einer Abweichungsbefugnis der Vertragspartner auf Landesebene insbesondere sicherstellen, dass die im Rahmenvertrag enthaltene Importquotenregelung bundesweit gilt.338 In Bezug auf die Pflicht zur Abgabe importierter Arzneimittel besitzen die Vertragspartner auf Landesebene somit einen geringeren Regelungsspielraum als im Hinblick auf die Pflicht zur Abgabe preisgünstiger wirkstoffgleicher Arzneimittel; er erstreckt sich nur auf die Pflicht zur vorrangigen Abgabe rabattierter Arzneimittel. 4. Geltung der Mehrkostenregelung In Bezug auf die Pflicht zur Abgabe preisgünstiger wirkstoffgleicher Arzneimittel erlaubt es die Mehrkostenregelung nach § 129 I 6 SGB V den Versicherten, sich den wirtschaftlichkeitsbezogenen Auswahlmaßstäben insoweit zu entziehen, als sie gegen Kostenerstattung und unter Tragung der Mehrkosten ein anderes als das eigentlich abzugebende Arzneimittel erhalten können. Da die Mehrkostenregelung nur Abweichungen von § 129  I  3, 5 SGB  V vorsieht, gilt sie nicht für die Abgabe von Importarzneimitteln.339 § 129 I 8 SGB V verweist für die Pflicht zur Abgabe importierter Arzneimittel nur auf § 129 I 3 SGB V und auf § 129 I 5 SGB V, nicht hingegen auf § 129 I 6 SGB V; die Mehrkostenregelung gilt deshalb auch nicht kraft Verweises für die Abgabe von Importarzneimitteln. Die Mehrkostenregelung könnte auf die Abgabe von Importarzneimitteln aber analog anzuwenden sein. Gegen das Vorliegen einer für die Analogiebildung notwendigen planwidrigen Regelungslücke scheint zwar zu sprechen, dass die Mehrkostenregelung ursprünglich nur für die Pflicht zur Abgabe rabattierter Generika vorgesehen war340 und im Gesundheitsausschuss dann punktuell auch auf preisgünstige Generika erweitert wurde341. Andererseits finden sich in den Gesetzesmaterialien keine näheren Ausführungen, warum die Anwendung der Mehrkostenregelung auf die Importabgabe ausgeschlossen sein soll.342 Zudem können sich Importarzneimittel vom Original in vergleichbarer Weise wie Generika unterscheiden,343 was bei 337

Sommer/Limpinsel, § 129 SGB V Rn. 15. Vgl. Sommer/Limpinsel, § 129 SGB V Rn. 15. 339 Hauck/Noftz/Noftz, § 13 SGB V Rn. 40a. 340 Vgl. BT-Drs. 17/2413, S. 9. 341 Vgl. BT-Drs. 17/3698, S. 22. 342 Es liegt daher nahe, dass der Gesetzgeber lediglich nicht bemerkt hat, dass sich Importarzneimittel vom Original in derselben Weise unterscheiden können wie Generika. 343 s. dazu oben C. II. 1. 338

C. Die Pflicht zur Abgabe wirtschaftlicher Importarzneimittel

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einem Patienten den Wunsch auslösen könnte, weiterhin das Originalarzneimittel zu erhalten. Eine planwidrige Regelungslücke liegt daher vor. Da sich Importarzneimittel vom Original in vergleichbarer Weise wie ein Generikum unterscheiden können, ist auch eine vergleichbare Interessenlage gegeben. Die Mehrkostenregelung ist deshalb auf die Importabgabe analog anzuwenden.

IV. Das Verhältnis von Abgabe wirkstoffgleicher Arzneimittel und Importabgabe Abschließend zu klären ist, wie sich die Pflicht zur Abgabe preisgünstiger wirkstoffgleicher Arzneimittel nach § 129 I 1 Nr. 1 SGB V und die Pflicht zur Abgabe importierter Arzneimittel nach § 129 I 1 Nr. 2 SGB V zueinander verhalten, was relevant ist, wenn für das verordnete Arzneimittel sowohl Generika als auch Importarzneimittel verfügbar sind. Gesetzlich ist dieses Verhältnis nicht geregelt. Aus dem Gedanken des Vorrangs rabattierter Arzneimittel folgt lediglich, dass rabattierte Generika Vorrang vor nicht rabattierten Importarzneimitteln haben und dass umgekehrt rabattierte Importarzneimittel Vorrang vor nicht rabattierten Generika haben. Im Übrigen lassen sich § 129 I SGB V aber keine Maßstäbe entnehmen, inwieweit sich der Apotheker bei der Arzneimittelabgabe zwischen Importund Generikaabgabe entscheiden kann: Darf der Apotheker zwischen Generikum und Importarzneimittel frei wählen, obwohl Importarzneimittel regelmäßig teurer sind als Generika344? Oder muss der Apotheker einen Preisvergleich zwischen Import und Generika durchführen? Da gemäß § 129 II SGB V die Rahmenvertragsparteien verpflichtet sind, das Nähere über die Arzneimittelabgabe zu regeln, müssen sie angesichts des Fehlens gesetzlicher Auswahlmaßstäbe das Verhältnis zwischen Import- und Generikaabgabe im Rahmenvertrag ausgestalten. Für den Fall, dass kein Rabattvertragsarzneimittel existiert, ist das Verhältnis von Generika- und Importabgabe in § 4 III RV-AV geregelt. Hat der Arzt ein Arzneimittel namentlich verordnet, kann der Apotheker nach dieser Vorschrift frei wählen, ob er das verordnete Arzneimittel, eines der drei preisgünstigsten wirkstoffgleichen Arzneimittel oder ein preisgünstiges Importarzneimittel abgibt. Ein zusätzlicher Preisvergleich zwischen Importarzneimitteln und Generika findet damit nicht statt, obwohl Importarzneimittel häufig teurer sind als Generika. Der Verzicht auf einen zusätzlichen Preisvergleich lässt sich damit rechtfertigen, dass ein gemessen an § 129 I 1 Nr. 2 SGB V preisgünstiges Importarzneimittel die Wirtschaftlichkeitsreserven des Importmarktes hinreichend ausgeschöpft hat und dass der Apotheker sogar berechtigt wäre, das regelmäßig noch teurere Original abzugeben. 344 Generika sind etwa 25 % billiger als das Original, Schmidt, in: Gesundheit 2030, S. 217 (218). Importarzneimittel sind hingegen im Durchschnitt nur 10 % günstiger, Uwer/Koch, PharmR 2008, S. 461 (463).

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Kap. 4: Die Pflicht zur Auswahl wirtschaftlicher Arzneimittel

Nicht im Rahmenvertrag geregelt ist dagegen der Fall, dass sowohl für ein Importarzneimittel als auch für ein Generikum ein Rabattvertrag besteht. Nach den Rechtsgedanken von § 4 II 5 RV-AV, wonach der Apotheker zwischen rabattiertem Original und rabattiertem Generikum frei wählen kann, sowie von § 5 I 4 RVAV, wonach der Apotheker zwischen rabattiertem Original und rabattiertem Importarzneimittel frei wählen kann, stehen beide Arzneimittel für die Versorgung des Versicherten zur Verfügung.

D. Die Substitutionspflicht im Kontext des Arzneimittel- und Apothekenrechts Bei der Belieferung von Verordnungen gelten für einen Apotheker neben den soeben dargestellten krankenversicherungsrechtlichen Pflichten weiterhin die allgemeinen Vorgaben des Arzneimittel- und Apothekenrechts, insbesondere das Substitutionsverbot nach § 17 V 1 ApBetrO und das Verbot nach § 48 AMG, verschreibungspflichtige Arzneimittel ohne ärztliche Verschreibung abzugeben. Unter zwei Gesichtspunkten können sich insoweit Fragen stellen, wie sich die krankenversicherungsrechtlichen Pflichten des Apothekers zu den allgemeinen arzneimittel- und apothekenrechtlichen Vorgaben verhalten: Zum einen ist fraglich, ob die Vorschriften des § 48 AMG und des § 17 V 1 ApBetrO dadurch durchbrochen werden, dass Apotheker in § 129 I 1 Nr. 1, Nr. 2 SGB V grundsätzlich zum Austausch des namentlich verordneten Arzneimittels verpflichtet werden, wenn nicht der Arzt den Austausch ausdrücklich untersagt. Zum anderen stellt sich die Frage, ob einer Verletzung von § 129 I SGB V auch arzneimittel- oder apothekenrechtliche Relevanz zukommt, etwa in der Form, dass die Abgabe eines Arzneimittels im Widerspruch zu den Wirtschaftlichkeitsvorgaben nach § 129 I 1 Nr. 1, Nr. 2 SGB V zugleich einen Verstoß gegen § 48 AMG oder § 17 V 1 ApBetrO begründet.

I. Durchbricht die Substitutionspflicht § 48 AMG oder § 17 V 1 ApBetrO? In § 17 V 1 ApBetrO ist angeordnet, dass das abgegebene Arzneimittel der ärztlichen Verordnung entsprechen muss (sog. Substitutionsverbot)345. Da krankenversicherungsrechtlich die Substitution des verordneten Arzneimittels durch den Apotheker als Regelfall vorgesehen ist und von dem Arzt ausdrücklich ausgeschlossen werden muss, wird die Pflicht zur wirtschaftlichen Arzneimittelauswahl häufig als Durchbrechung des Substitutionsverbots aus § 17 V 1 ApBetrO angesehen.346 Dem Apotheker werde in § 129 I SGB V ein Recht zur Abweichung von der ärzt 345

s. dazu oben Kapitel 1 A. V. Baierl/Kellermann, S.  191; Kaufmann, in: Meier/v. Czettritz/Gabriel/Kaufmann, § 12 Rn. 9; Erbs/Kohlhaas/Senge, § 17 ApBetrO Rn. 10; Wigge, PharmR 2002, S. 2 (3 f.). 346

D. Die Substitutionspflicht

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lichen Verordnung eingeräumt.347 Von anderer Seite wird in § 129 I SGB V eine Durchbrechung von § 17 V 1 ApBetrO gesehen, weil diese apothekenrechtliche Vorschrift zum Ausdruck bringe, dass Ärzte eine Substitution nur zurückhaltend und nicht regelhaft erlauben sollten.348 Die Vorschrift des § 48  I AMG verbietet die Abgabe verschreibungspflichtiger Arzneimittel ohne ärztliche Verschreibung. Teilweise wird § 129  I SGB  V in Bezug auf § 48  I AMG als Rechtfertigungsgrund bezeichnet, der bei einer Substitution des verordneten Arzneimittels zugunsten des Apothekers eingreife, dessen Verhalten auf rein tatbestandlicher Ebene als Abgabe eines verschreibungspflichtigen Arzneimittels ohne Verschreibung anzusehen sei.349 Die krankenversicherungsrechtliche Pflicht des Apothekers zur Ersetzung des verordneten Arzneimittels weicht nach dieser Lesart folglich von der allgemeinen, nach dem Arzneimittelgesetz bestehenden Rechtslage ab, indem sie dem Apotheker ein Recht zur Abgabe verschreibungspflichtiger Arzneimittel ohne zugrunde liegende ärztliche Verschreibung einräumt. Dagegen, dass aus § 129 SGB V zugunsten des Apothekers ein Recht zur Abweichung von der ärztliche Verschreibung entgegen § 17 V 1 ApBetrO folgt oder dass diese Vorschrift die Abgabe verschreibungspflichtiger Arzneimittel ohne zugrunde liegende Verschreibung erlaubt, spricht aber, dass die Entscheidung über die Zulässigkeit der Substitution nach wie vor beim Arzt liegt.350 Die ärztliche Entscheidungshoheit wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass der Vertragsarzt nach den §§ 73 V 2, 129 I 1 Nr. 1 lit. b SGB V die Substitution nicht ausdrücklich gestatten, sondern eine besondere Erklärung nur für deren Ausschluss abgeben muss. Wenn ein Arzt ein Verordnungsblatt unterzeichnet, ohne die Substitution ausgeschlossen zu haben, erklärt er zugleich positiv, dass er dem Apotheker die Substitution erlaubt. Das nicht angekreuzte Aut-idem-Feld stellt insoweit ein Erklärungszeichen mit dem Inhalt dar, dass der Arzt die Substitution des verordneten Arzneimittels gestattet.351 § 129 I SGB V verleiht dem Apotheker somit keine Befugnis zur Abweichung von der ärztlichen Verordnung oder zur Abgabe eines nicht vom Arzt verschriebenen verschreibungspflichtigen Arzneimittels. Vielmehr ist die Substitution vom Willen des verordnenden Arztes umfasst. Nicht zutreffend ist schließlich auch die Annahme, dass die Pflicht zur Abgabe wirtschaftlicher Arzneimittel deshalb das apothekenrechtliche Substitutionsver 347

A. Becker, Steuerung, S. 335; Deutsch/Lippert/Lippert, § 48 AMG Rn. 7; Broglie, ApoR 2001, S. 94. Vgl. auch HK-AMR/Brucklacher, Aut idem (695), Rn. 4; Kasseler Kommentar/ Hess, § 129 SGB V Rn. 3. 348 Hofer, S. 271; Brenner, SGb 2002, S. 129 (131). Vgl. auch HK-AKM/Brucklacher, Aut idem (695), Rn. 3. 349 Beyerlein, PharmR 2006, S. 18 (21). 350 Dazu Becker/Kingreen/Axer, § 129 SGB V Rn. 21; Spickhoff/Barth, § 129 SGB V Rn. 3 f. Vgl. auch Koyuncu, S.  184; Kamps, MedR 2002, S.  193; Wigge/Schütz, A&R 2015, S.  243 (246). 351 Vgl. Wesser, A&R 2014, S. 103 ff., Fn. 45.

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Kap. 4: Die Pflicht zur Auswahl wirtschaftlicher Arzneimittel

bot nach § 17 V 1 ApBetrO durchbreche, weil das Substitutionsverbot zum Ausdruck bringe, dass ein Arzt eine Substitution nur im Ausnahmefall zulassen dürfe. Der Arzt ist nicht Adressat von § 17 V 1 ApBetrO, die Vorschrift richtet sich als apothekenrechtliche Regelung nur an den Apotheker. Die Vorschrift trifft daher keine Aussage, mit welcher Häufigkeit ein Arzt eine Substitution zulassen darf. Die Pflicht zur wirtschaftlichen Arzneimittelabgabe fügt sich somit bruchlos in die Vorschriften des Arzneimittel- und Apothekenrechts ein und durchbricht sie nicht.352

II. Arzneimittel- oder apothekenrechtliche Relevanz einer unwirtschaftlichen Arzneimittelabgabe? Weiterhin stellt sich die Frage, ob es zugleich arzneimittel- oder apothekenrechtliche Relevanz hat, wenn ein Apotheker ein Arzneimittel im Widerspruch zu den Vorgaben von § 129 I SGB V abgibt. Problematisch ist dabei vor allem der Fall, dass der Fehler des Apothekers darin besteht, dass er die Wirtschaftlichkeitsvorgaben aus § 129 I 1 Nr. 1, Nr. 2 SGB V nicht befolgt, beispielsweise indem er das verordnete Arzneimittel durch ein teureres ersetzt. Dieser Fall unterscheidet sich etwa von der Situation, in der ein Apotheker gegen die in § 129 I 2 SGB V enthaltenen medizinisch-pharmazeutischen Vorgaben für die Arzneimittelabgabe verstößt, beispielsweise indem er ein Arzneimittel mit einer anderen Wirkstärke abgibt: Ein Apotheker, der die Vorgaben des § 129 I 2 SGB V verletzt, überschreitet zugleich den medizinisch-pharmazeutischen Rahmen, den ihm der Arzt für die Arzneimittelauswahl eröffnet hat. Die von ihm durchgeführte Arzneimittelabgabe verstößt daher gegen die apothekenrechtliche Rezeptbefolgungspflicht nach § 17 V 1 ApBetrO und – soweit das Arzneimittel verschreibungspflichtig ist – außerdem gegen das Verbot der Abgabe eines verschreibungspflichtigen Arzneimittels ohne ärztliche Verschreibung nach § 48  I AMG. Verletzt ein Apotheker die wirtschaftlichkeitsbezogenen Auswahlvorgaben nach § 129 I 1 Nr. 1, Nr. 2 SGB V, scheint hingegen nur eine spezifisch krankenversicherungsrechtliche Pflicht verletzt zu sein. Aus diesem Grund erscheint es fraglich, inwieweit die Abgabe eines unwirtschaftlichen Arzneimittels auch arzneimittel- oder apothekenrechtliche Relevanz haben kann.

352

In Bezug auf § 17 ApBetrO: Pfeil/Pieck/Blume, § 17 ApBetrO Rn. 355; Cyran/Rotta, § 17 ApBetrO Rn. 730. – In Bezug auf § 48 AMG: Rehmann, § 48 AMG Rn. 1; s. auch Kuhlen, AZR 2008, S. 29; LPK/Murawski, § 129 SGB V Rn. 3.

D. Die Substitutionspflicht

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1. Arzneimittelrecht Im Hinblick auf das Arzneimittelrecht wird für die Aut-idem-Substitution nach § 129 I 1 Nr. 1 lit. b SGB V angenommen, dass ein Apotheker, der das verordnete Arzneimittel durch ein unwirtschaftliches substituiere, das Verbot der Abgabe verschreibungspflichtiger Arzneimittel ohne zugrundeliegende Verschreibung nach § 48 I AMG verletze. Die vertragsärztliche Verordnung decke nur die Ersetzung des verordneten Arzneimittels durch ein wirtschaftlicheres, nicht dagegen die Abgabe eines teureren Arzneimittels.353 Ob die Verordnung des Vertragsarztes nur die Ersetzung durch günstigere Arzneimittel deckt, erscheint aber fraglich. Dafür, dass der Vertragsarzt seine Substitutionsgestattung auf günstigere Arzneimittel beschränkt, könnte zwar zunächst der Wortlaut von § 73 V 2 SGB V sprechen, wo es heißt, dass der Arzt die Ersetzung des verordneten Arzneimittels durch ein „preisgünstigeres“ ausschließen kann. Dieses Wortlautargument wird aber durch die Formulierung des § 129 I 1 Nr. 1 lit. b SGB V wieder relativiert. Dort heißt es, dass der Apotheker ein günstigeres Arzneimittel abgeben muss, wenn der Arzt die Ersetzung des verordneten Arzneimittels „durch ein wirkstoffgleiches Arzneimittel“ nicht ausgeschlossen hat. Diese Formulierung spricht dafür, dass ein Arzt, der das Aut-idem-Feld nicht ankreuzt, generell die Abgabe eines wirkstoffgleichen Arzneimittels gestattet und dass der Apotheker lediglich durch § 129 I 1 Nr. 1 SGB V gesetzlich verpflichtet wird, von seinem Auswahlspielraum in der Weise Gebrauch zu machen, dass er ein günstiges Arzneimittel abgibt. Dagegen, dass eine Aut-idem-Verordnung nur die Ersetzung des verordneten Arzneimittels durch ein günstigeres deckt, spricht schließlich in gesetzessystematischer Sicht, dass eine Wirkstoffverordnung die Abgabe sämtlicher Arzneimittel des betreffenden Wirkstoffs erlaubt354 und dass Aut-idem-Verordnung und Wirkstoffverordnung im Krankenversicherungsrecht in Bezug auf ihren Zweck, dem Apotheker Auswahlspielräume zu eröffnen, Funktionsäquivalente darstellen. Ein „aut idem“ verordnender Vertragsarzt beschränkt seine Substitutionsgestattung somit nicht auf Arzneimittel, die günstiger sind als das verordnete, sondern die von ihm ausgestellte Aut-idem-Verordnung deckt aus arzneimittelrechtlicher Sicht die Abgabe aller Arzneimittel des betreffenden Wirkstoffs.355

353

LG Berlin PharmR 2006, 32 (33 f.). Zust. Beyerlein, PharmR 2006, S. 18 (20). Die Wirkstoffverordnung ist lediglich in § 129 I Nr. 1 SGB V erwähnt. Dort ist die Rede von dem Fall, dass ein Arzt „ein Arzneimittel unter seiner Wirkstoffbezeichnung verordnet“ hat. Anders als mit der erwähnten Regelung des § 73 V 2 SGB V für die Aut-idem-Verordnung, bestehen damit für die Wirkstoffverordnung keine gesetzlichen Regelungen, aus deren Wortlaut sich folgern lassen könnte, dass der Arzt den Apotheker nur zur Abgabe der günstigsten Arzneimittel ermächtigt. 355 Vgl. Kügel/Müller/Hofmann/Hofmann, § 48 AMG Rn. 6; Rehmann, § 48 AMG Rn. 1. 354

338

Kap. 4: Die Pflicht zur Auswahl wirtschaftlicher Arzneimittel

2. Apothekenrecht Die Abgabe eines unwirtschaftlichen Arzneimittels könnte jedoch apothekenrechtliche Folgen nach sich ziehen. Gegen die apothekenrechtliche Sanktionierung einer unwirtschaftlichen Arzneimittelabgabe wird zwar eingewandt, dass nach § 69 I 1 SGB V das Vierte Kapitel des SGB V die Beziehungen zwischen Krankenkassen und Leistungserbringern abschließend regle.356 Doch trifft der Gesetzgeber mit § 69 I 1 SGB V keine abschließende Regelung in dem Sinn, dass an Pflichtverletzungen, die ein Leistungserbringer bei der Versorgung gesetzlich Versicherter begeht, nur die im SGB V genannten Sanktionen geknüpft werden dürfen. Der Zweck der Vorschrift liegt vor allem darin, die Anwendbarkeit des Wettbewerbsrechts und des Bürgerlichen Rechts auf die leistungserbringungsrechtlichen Rechtsbeziehungen einzuschränken.357 Nach § 17 V 1 ApBetrO muss das abgegebene Arzneimittel der ärztlichen Verschreibung (Var. 1) und den damit verbundenen Pflichten nach dem Fünften Buch Sozialgesetzbuch (Var.  2), womit vor allem die Vorgaben des § 129 SGB  V gemeint sind,358 entsprechen. Wiederholte Verstöße gegen § 17 V 1 ApBetrO können zum Widerruf der Apothekenbetriebserlaubnis wegen Unzuverlässigkeit führen.359 Erfasst ist durch den Verweis auf das SGB V zunächst die Regelung in § 129 I 2 SGB V, wonach der Apotheker nur ein wirkstoffgleiches Arzneimittel mit derselben Wirkstärke und einer austauschbaren Darreichungsform wie das verordnete abgeben darf. Da der Apotheker bei Missachtung dieser Vorgaben immer auch den Rahmen verlässt, den der Arzt mit seiner Verordnung abgesteckt hat, hat diese Pflichtenregelung neben der allgemeinen Rezeptbefolgungspflicht nach § 17 V 1 Var. 1 ApBetrO jedoch keine eigene Relevanz. Eigenständige Bedeutung hätte der Verweis auf die Pflichten nach dem SGB V nur, wenn damit zugleich die Pflicht in Bezug genommen wäre, ein wirtschaftliches Arzneimittel auszuwählen.360 Fraglich ist aber, ob ein solcher Verweis noch von der Ermächtigungsgrundlage gedeckt ist, die der Apothekenbetriebsordnung zugrunde liegt.361 Nach § 21 I 1 ApoG können per Rechtsverordnung Einzelheiten zur Sicherstellung eines ordnungsgemäßen Betriebs und der Qualität der abgegebenen Arzneimittel geregelt werden, wobei gemäß § 21 II Nr. 1 ApBetrO 356

Vgl. Kieser, ApoR 2006, S. 45 (49). Vgl. dazu Becker/Kingreen/Becker/Kingreen, § 69 SGB V Rn.  37; Peters/Hencke, § 69 SGB V Rn. 3; Krasney/Westhelle, SGb 2006, S. 60 (61). S. auch die Gesetzesbegründung, BTDrs. 14/1245, S. 68. 358 s. dazu oben Kapitel 1 A. V. 359 §§ 4 II, 2 I Nr. 4 ApoG. 360 So Kieser, ApoR 2005, S. 45 (49). In Bezug auf die Pflicht zur Abgabe wirtschaftlicher Einzelmengen nach § 129 I 1 Nr. 3 SGB V: OVG Lüneburg, GesR 2006, 461 (466). 361 § 17 V 1 Var. 2 ApBetrO wurde durch das GKV-Modernisierungsgesetz, d. h. durch ein Parlamentsgesetz, eingefügt. Aus Gründen der Rechtssicherheit besteht eine Bindung an die Ermächtigungsgrundlage auch dann, wenn der Gesetzgeber eine Verordnungsbestimmung erlässt, Maunz/Dürig/Remmert, Art. 80 GG Rn. 92; BVerfGE 114, 196 (239). 357

D. Die Substitutionspflicht

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insbesondere die Abgabe von Arzneimitteln insoweit einen Regelungsgegenstand darstellen kann. Die Pflicht zur wirtschaftlichen Arzneimittelabgabe betrifft indessen keine Frage der Arzneimittelqualität. Auch ist es keine Frage des ordnungsgemäßen Betriebs im Sinne von § 21 I 1 ApoG, ob der Apotheker die Wirtschaftlichkeitsvorgaben des § 129 I SGB V einhält: Die „Ordnungsgemäßheit“ des Betriebs bezieht sich angesichts des in § 1 I ApoG formulierten Zwecks des Apothekenrechts, eine ordnungsgemäße Arzneimittelversorgung der Bevölkerung sicherzustellen, nur auf fachlich-pharmazeutische Aspekte sowie die Einhaltung der arzneimittel- sowie apothekenrechtlichen Vorgaben.362 Die Apothekenbetriebsordnung kann somit den Apotheker nicht wirksam zur Einhaltung der in § 129 I SGB V enthaltenen Wirtschaftlichkeitsvorgaben verpflichten. Die Abgabe eines unwirtschaftlichen Arzneimittels verstößt daher nicht gegen § 17 V 1 ApBetrO. Dennoch könnte es in bestimmten Fällen möglich sein, die Verletzung der Pflicht zur wirtschaftlichen Arzneimittelabgabe apothekenrechtlich zu sanktionieren. Einem Apotheker, der gröblich oder beharrlich für ihn maßgebliche Rechtsvorschriften verletzt, kann nach §§ 4 II Nr. 1 i. V. m. 2 I Nr. 4 ApoG die Apothekenbetriebserlaubnis wegen Unzuverlässigkeit entzogen werden. Die in § 2 I Nr. 4 ApoG beispielhaft genannten Verstöße gegen das Arzneimittel- oder das Apothekengesetz sind nicht abschließend („insbesondere“), sodass auch die gröbliche oder beharrliche Verletzung von Rechtsvorschriften, die nicht dem Arzneimitteloder dem Apothekengesetz entstammen, zum Widerruf der Betriebserlaubnis berechtigen kann.363 Da es sich bei Apothekern um Träger eines Gesundheitsberufs handelt, kann die permanente Schädigung des gesetzlichen Krankenversicherungssystems als Einrichtung der Gesundheitsfürsorge deren Unzuverlässigkeit begründen.364 Eine kontinuierliche und zugleich schwerwiegende Verletzung der Pflicht zur Abgabe wirtschaftlicher Arzneimittel kann deshalb einen Widerruf der Apothekenbetriebserlaubnis rechtfertigen.

362 Zur Auslegung von § 21 ApoG vor dem Hintergrund der Zweckbestimmung des ApoG nach § 1 I ApoG vgl. jeweils: BVerwGE 56, 186 (189); 74, 53 (54); OVG Nordrhein-Westfalen, PharmaR 1984, 96; VGH Hessen, Urt. v. 12.12.1991, 1 UE 1488/89, Rn. 36 f. (juris). – Arzneimittel werden im Sinne von § 1 I ApoG ordnungsgemäß abgegeben, wenn die Arzneimittelabgabe dem geltenden Recht sowie den anerkannten fachlichen Standards entspricht: Kieser/ Wesser/Saalfrank/Saalfrank, § 1 ApoG Rn. 55; Rixen/Grämer/Grau, § 1 ApoG Rn. 9. – Mit dem „geltenden Recht“ sind dabei vor allem das Arzneimittel- sowie das Apothekenrecht bezeichnet, vgl. Erbs/Kohlhaas/Senge, § 1 ApoG Rn. 3; Kieser/Wesser/Saalfrank/Saalfrank, § 1 ApoG Rn. 57. 363 HK-AKM/Saalfrank, Apotheke (100), Rn. 88. 364 Vgl. im Hinblick auf den Entzug der Apotheker-Approbation wegen Unzuverlässigkeit aufgrund schwerwiegender Verletzungen krankenversicherungsrechtlicher Vorschriften in Form betrügerischer oder leichtfertiger Falschabrechnungen BVerwG, NJW 2003, 913 (914).

340

Kap. 4: Die Pflicht zur Auswahl wirtschaftlicher Arzneimittel

E. Die Verantwortungsbereiche von Arzt und Apotheker Indem das Krankenversicherungsrecht Apothekern die Pflicht zur Ersetzung365 des ärztlich verordneten Arzneimittels durch ein wirtschaftliches auferlegt, eröffnet es ihnen gewisse Handlungsspielräume  – Apotheker sind nicht auf den schlichten Vollzug der ärztlichen Verordnung beschränkt, sondern zur Auswahl des konkreten Arzneimittels unter Berücksichtigung der Wünsche des Patienten berechtigt. Die Existenz dieser Handlungsspielräume wirft die Frage auf, wie die Verantwortungsbereiche von Arzt und Apotheker bei der Arzneimittelabgabe an gesetzlich Versicherte abzugrenzen sind. Im Folgenden werden insoweit drei Problemkreise näher behandelt. Dies sind der Schutz des Patienten vor etwaigen mit einer Substitution verbundenen Gesundheitsrisiken, die Instruktion des Patienten im Umgang mit dem Arzneimittel sowie das Einstehenmüssen für die Wirtschaftlichkeit des abgegebenen Arzneimittels gegenüber der Krankenkasse.

I. Zuständigkeit für die Kontrolle substitutionsbedingter Gesundheitsrisiken 1. Gesundheitliche Risiken der Arzneimittelsubstitution Der Austausch des ärztlich verordneten Arzneimittels in der Apotheke kann in verschiedener Hinsicht Gesundheitsrisiken bergen. Das abgegebene Arzneimittel kann zunächst Hilfsstoffe beinhalten, die im verordneten nicht enthalten waren und die der Patient nicht verträgt. So können bestimmte Trägerstoffe Allergien hervorrufen und es sind Alkohol sowie Laktose als Trägerstoffe für Patienten nicht geeignet, die an Laktoseintoleranz leiden bzw. keinen Alkohol trinken dürfen.366 Auch können von bestimmten Konservierungsstoffen Allergien ausgelöst werden.367 Nach einer Studie aus dem Jahr 2008 sollen 1,65 % aller rabattvertragskonform substituierbaren Arzneimittel Stoffe enthalten, die je nach Disposition des Patienten allergische Reaktionen hervorrufen können und die das verordnete Präparat nicht aufgewiesen hätte.368 Im Rahmen einer bereits laufenden Arzneimitteltherapie kann ein Arzneimittelaustausch etwa aufgrund unterschiedlicher Bioverfügbarkeit von bisher eingenommenem und neuem Arzneimittel gefährlich sein. Die Austauschverbotsliste 365 Die folgenden Ausführungen gelten entsprechend für die Konkretisierung von Wirkstoffverordnungen durch Apotheker. 366 Krudop-Scholz, S.  188 u. S.  189, Fn.  998; Kyouncu, S.  184; Madea/Staak, FS Steffen, S. 303 (308); Schmitt, in: BARMER GEK Gesundheitswesen aktuell 2015, S. 238 (240); Brenner, SGb 2002, S. 129 (134); Burgardt, ApoR 2003, S. 1. Für Beispiele s. Striessnig/Legat, in: Lemmer/Brune, S. 480 f., 487. 367 Striessnig/Legat, in: Lemmer/Brune, S. 487. 368 Pruszydlo u. a., DMW 2008, S. 1423 (1426).

E. Die Verantwortungsbereiche von Arzt und Apotheker

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nach § 129 Ia 2 SGB V soll diesen Gefahren zwar entgegenwirken, doch erfasst sie unter Umständen nicht alle Konstellationen, in denen es aufgrund von Unterschieden in der Bioverfügbarkeit zu Beeinträchtigungen des Therapieerfolges oder der Therapiesicherheit kommen kann. Beispielswiese kann eine gewisse Zeitspanne zwischen dem Markteintritt von Generika für einen Wirkstoff und der darauf reagierenden Aktualisierung der Austauschverbotsliste liegen. Aufgrund einer veränderten Rabatt- oder Preissituation kann es dazu kommen, dass in Dauermedikation befindliche Patienten ein Arzneimittel erhalten, das einen anderen Namen als das bisher eingenommene trägt, ein anderes Verpackungsdesign aufweist oder sich auch optisch, z. B. in Bezug auf Farbe und Form, davon unterscheidet. Da sich vor allem ältere Patienten das einzunehmende Arzneimittel oft anhand von Farbe und Form merken, wird befürchtetet, dass insbesondere ältere Patienten, die mehrere Medikamente gleichzeitig einnehmen, Arzneimittel verwechslungsbedingt überdosieren oder nicht mehr einnehmen, wenn sie ein anderes als das gewohnte Arzneimittel erhalten.369 Schließlich könnten Patienten mit Ablehnung darauf reagieren, dass sie ein anderes als das bisher verordnete Arzneimittel erhalten oder dass der Apotheker nicht das in der ärztlichen Verordnung namentlich genannte Arzneimittel abgibt, mit der Folge, dass ihre Therapietreue, die sog. Compliance, nachlässt.370 Geringe Therapietreue (sog. Non-Compliance)  ist ein grundsätzliches Problem des Gesundheitswesens.371 Vermutlich setzen generell in etwa 50 % aller Behandlungsfälle Patienten ärztlich verordnete Arzneimittel eigenmächtig ab.372 Durch einen Arzneimitteltausch könnte  – so wird befürchtet  – die Therapietreue weiter abnehmen, weil Patienten mit Verunsicherung oder Ablehnung auf das neue Präparat reagieren.373 Fehlende Therapietreue kann Gesundheitsschäden nach sich ziehen wie z. B. eine Verschlimmerung der Grunderkrankung oder den Eintritt von Folgeerkrankungen.374 Auch kann die Art der Krankheit, an der ein Patient leidet, Bedenken gegen eine Substitution begründen. Wenn ein Patient an einer schwerwiegenden Erkrankung leidet, sollte ein Wechsel des Arzneimittels in der laufenden Therapie vermieden werden, um jegliche Verunsicherung des Patienten oder der ihn be 369 Brenner, SGb 2002, S. 129 (134); Gröber-Grätz/Gulich, ZEFQ 2010, S. 99 (103); May u. a., PZ 2010, Heft Nr. 6, S. 74 (76). Vgl. auch Engst, S. 20; Schmidt, in: Gesundheit 2030, S. 217 (228); Schmitt, in: BARMER GEK Gesundheitswesen aktuell 2015, S. 238 (240). 370 Hofer, S. 265 f. Vgl. auch Brenner, SGb 2002, S. 129 (134). 371 Rieß, NZS 2014, S.  12.  – Die Ursachen von Non-Compliance sind noch nicht endgültig geklärt, Rieß, NZS 2014, S. 12 f. Als Einflussfaktoren wurden bislang ausgemacht kognitive Fähigkeiten, Bildungsstand, soziales Umfeld, die Akutheit der Krankheit, Gewöhnung an eine Krankheit, auftretende Nebenwirkungen oder der Schwierigkeitsgrad einer Arzneimittelanwendung, Rieß, S. 26 ff. 372 Kirch, S. 3; May u. a., PZ 2010, Heft Nr. 6, S. 74. Vgl. auch Engst, S. 20. 373 s. etwa Koyuncu, S. 185. 374 Rieß, S. 38.

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Kap. 4: Die Pflicht zur Auswahl wirtschaftlicher Arzneimittel

treuenden Personen zu vermeiden.375 Zu diesen schwerwiegenden Krankheiten zählen beispielsweise schwere Schmerzleiden sowie neurologische oder psychiatrische Erkrankungen376. Gerade auch psychisch erkrankte Menschen werden oft nicht in der Lage sein, mit dem Austausch des gewohnten Arzneimittels adäquat umzugehen.377 2. Berücksichtigung der Risiken über das Wirtschaftlichkeitsgebot Fragen von Unverträglichkeiten, kritischen Bioverfügbarkeitsunterschieden, Non-Compliance oder schwerwiegenden Krankheiten können im Krankenversicherungsrecht über das Wirtschaftlichkeitsgebot Berücksichtigung finden. Das Wirtschaftlichkeitsgebot verlangt, dass die Arzneimitteltherapie zweckmäßig, also zur Herbeiführung eines Heilerfolgs geeignet, ist. Arzneimittel müssen deshalb zum einen wirksam sein und dürfen zum anderen nicht die Gesundheit des Versicherten beeinträchtigen.378 Eine Arzneimittelsubstitution widerspricht diesen Vorgaben, wenn eine Gefährdung von Therapiesicherheit oder -wirksamkeit durch kritische Unterschiede in der Bioverfügbarkeit zweier Arzneimittel, beim Patienten bestehende Unverträglichkeiten, die Schwere der Krankheit oder durch sich abzeichnende Non-Compliance nicht ausgeschlossen werden kann.379 Das Wirtschaftlichkeitsgebot verlangt damit, dass eine Substitution unterbleibt, wenn mit ihr Gesundheitsrisiken verbunden sind. 3. Abgrenzung der Zuständigkeitsbereiche von Arzt und Apotheker Fraglich ist, wie die Verantwortlichkeit für die Umsetzung der aus dem Wirtschaftlichkeitsgebot folgenden Vorgabe, dass mit einer Arzneimittelsubstitution keine Gesundheitsrisiken einhergehen dürfen, zwischen Arzt und Apotheker verteilt ist. Trifft etwa einen der beiden Leistungserbringer eine Alleinverantwortlichkeit, besteht eine parallele Verantwortlichkeit beider Leistungserbringer oder besteht ein abgestuftes Verhältnis von Verantwortlichkeiten?

375 Gradl/Krieg/Schulz, FS Glaeske, S. 47 (52). Vgl. auch Schäfer, in: Der Patient im nationalen und europäischen Gesundheitswesen, S. 23 (27). 376 Gradl/Krieg/Schulz, FS Glaeske, S. 47 (52). 377 Vgl. Blume u. a., Leitlinie Gute Substitutionspraxis, S. 7. 378 Kasseler Kommentar/Roters, § 12 SGB  V Rn.  30, 32 (m. Bsp. Unverträglichkeiten in Rn. 32); BSG SozR 4-2500 § 106 Nr. 6 Rn. 27 f. (m. Bsp. allergische Reaktionen); s. auch BSG SozR 4-2500 § 35 Nr. 6 Rn. 18 (m. Bsp. Nebenwirkungen mit Krankheitswert). 379 Nitz, Dialyse aktuell 2009, S. 398 f.; Kamps, MedR 2002, S. 193 (194). Vgl. auch Gassner, PharmR 2011, S.  1 (5). Nach BSG SozR 4-2500 § 129 Nr.  9 Rn.  24 bezweckt § 129  I SGB V die Einsparung von Arzneimittelkosten ohne Qualitätsverluste.

E. Die Verantwortungsbereiche von Arzt und Apotheker

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a) Die Pflichten von Arzt und Apotheker nach Maßgabe von §§ 12, 2 I 3 SGB V Welche Maßnahmen Arzt und Apotheker zum Schutz der Gesundheit der Versicherten jeweils ergreifen müssen, bestimmt sich im Ausgangspunkt ebenfalls nach §§ 12, 2  I  3 SGB  V380, wonach die Arzneimittelversorgung dem aktuellen Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen muss. Arzt und Apotheker müssen insoweit im Rahmen ihrer fachlichen Kompetenzen das jeweils Notwendige unternehmen, um substitutionsbedingte Gesundheitsrisiken auszuschließen.381 aa) Pflichten des Arztes Eine ärztliche Behandlung entsprechend dem Stand der medizinischen Erkenntnisse setzt voraus, dass der Arzt vor der Verordnung eines Arzneimittels zunächst eine Anamnese erhebt, um mögliche Risiken der Arzneimitteltherapie abzuklären.382 Ausgehend von dem Ergebnis der Anamnese muss der Arzt seine Verordnungsentscheidung dann so treffen, dass die Gesundheit des Patienten nicht gefährdet wird. Er darf deshalb den Austausch des verordneten Arzneimittels durch den Apotheker nicht zulassen, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass mit dem Austausch Gesundheitsgefahren für den Patienten verbunden sind.383 Verträgt beispielsweise ein Patient einen bestimmten Hilfsstoff nicht, muss gewährleistet sein, dass das abgegebene Arzneimittel diesen Hilfsstoff nicht enthält. Wenn der Arzt nicht weiß, ob das letztlich abgegebene Arzneimittel diesen Hilfsstoff enthalten wird384 – das ist in der Regel der Fall, weil der Arzt den Arzneimittelmarkt oft nicht vollständig überblickt, sodass er nicht wissen kann, welche Arzneimittel im Einzelnen als Substitut in Betracht kommen, und darüber hinaus denkbar ist, dass nach Ausstellung der Verordnung ein neues Produkt

380 Die daneben bestehende haftungs- oder berufsrechtliche Verantwortlichkeit für den Schutz der Patientengesundheit läuft zu den sozialrechtlichen Handlungsmaßstäben parallel. Haftungsrechtlich ist nach § 276 BGB die Einhaltung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt und damit des anerkannten Standes der Wissenschaft geboten, vgl. dazu Staudinger/Caspers, § 276 BGB Rn. 35. Die Einhaltung des aktuellen Standes der Wissenschaft verlangt auch das Berufsrecht, vgl. § 4 BO LAK-BW; §§ 4, 5 BO LAK-BY. 381 Vgl. allgemein zur Verpflichtung der Leistungserbringer, eine qualitätsgerechte, komplikationslose Behandlung durchzuführen: Becker/Kingreen/Becker, § 135a SGB  V Rn.  7; jurisPK-SGB V/Blöcher, § 135a SGB V Rn. 3. 382 Koyuncu, S. 99; Krudop-Scholz, S. 127; HK-AKM/Hart, Arzneimittelbehandlung (240), Rn. 11. 383 Krudop-Scholz, S. 192; HK-AKM/Brucklacher, Aut Idem (695), Rn. 28 ff.; Deutsch, FS Narr, S. 268 (272 f.). 384 s. dazu Koyuncu, S.  187; Krudop-Scholz, S.  188 f.; Kuhlen, AZR 2008, S.  72; Räpple, ApoR 2001, S. 92 (94).

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Kap. 4: Die Pflicht zur Auswahl wirtschaftlicher Arzneimittel

auf den Markt gelangt385 –, muss er die Substitution ausschließen.386 Einer Mitteilung der Unverträglichkeit an den Apotheker, damit dieser gezielt ein Arzneimittel auswählt, das den Hilfsstoff nicht enthält, würde dagegen die ärztliche Schweigepflicht entgegenstehen.387 Der Arzt darf die Substitution außerdem nicht zulassen, wenn etwa kritische Bioäquivalenzunterschiede auftreten können388 oder die schwerwiegende Krankheit des Patienten eine Substitution nicht zulässt389. Weiterhin muss der Arzt einer drohenden substitutionsbedingten Non-Compli­ ance begegnen. Allerdings ist insoweit ein gestuftes Vorgehen und kein sofortiger Ausschluss der Substitution geboten. Sofern ein Patient in der Lage ist, einem Beratungsgespräch zu folgen, besteht die Möglichkeit zur Ausräumung von Compliance-Problemen, indem der Arzt den Patienten über den Hintergrund der Substitution und die Gleichwertigkeit von namentlich verordnetem Arzneimittel und preisgünstigem Substitut aufklärt.390 Erst wenn ein solches Gespräch erfolglos verlaufen ist oder keinen Erfolg verspricht, darf bei drohender Non-Compliance die Substitution verhindert werden,391 denn ein Substitutionsausschluss ohne derartige vorausgehende Aufklärungsbemühungen widerspräche dem Wirtschaftlichkeitsgebot.392 Besondere Fragen stellen sich, wenn ein solches Gespräch alleine deshalb erfolglos ist, weil sich der Patient ihm von vornherein versperrt.393 In Betracht könnte kommen, dass in diesem Fall die Substitution nicht wegen eines befürchteten Nachlassens der Therapietreue ausgeschlossen werden darf. Gegen die Zulässigkeit eines Substitutionsausschlusses in diesem Fall könnte die Vorschrift des § 1 S. 2 HS. 2 SGB V sprechen. Dort heißt es, dass Versicherte für ihre Gesundheit mitverantwortlich sind und aktiv an der Behandlung mitwirken sollen, und es kann diese Vorschrift – wenngleich sich ihr regelmäßig keine konkreten Rechte, Pflichten oder Obliegenheiten entnehmen lassen394 – im Wege der Auslegung auf an-

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Dierks, S. 10. Kamann/Gey/Eimer, APR 2009, S. 118 (121). Vgl. auch Francke, VSSR 2002, S. 299 (316). 387 Broglie, ApoR 2001, S. 94; Kuhlen, AZR 2008, S. 29 (30). Teilweise lässt sich die konkrete Unverträglichkeitsquelle aber auch überhaupt nicht feststellen, da in einem Arzneimittel eine Vielzahl von Hilfsstoffen enthalten ist oder ein Patient unter Umständen mehrere Arzneimittel gleichzeitig einnimmt, vgl. Striessnig/Legat, in: Lemmer/Brune, S. 490 f. 388 Krudop-Scholz, S. 192; Deutsch, FS Narr, S. 268 (272). 389 Zur Gebotenheit des Substitutionsausschlusses in diesen Fällen vgl. Gradl/Krieg/Schulz, FS Glaeske, S. 48 (52). 390 S. zu dieser Möglichkeit Gröber-Grätz/Gulich, ZEFQ 2009, S.  99 (100, 104); Leutgeb u. a., DMW 2009, S. 181 (184). 391 Nitz, Dialyse aktuell 2009, S.  389 f. Vgl. auch Krudop-Scholz, S.  194; Francke, VSSR 2002, S. 299 (316); Räpple, ApoR 2001, S. 92 (93 f.). 392 Nitz, Dialyse aktuell 2009, S.  389 f. Vgl. auch Krudop-Scholz, S.  194; Francke, VSSR 2002, S. 299 (316); Räpple, ApoR 2001, S. 92 (93 f.). 393 Vgl. zu solchen Fällen Blume u. a., Leitlinie Gute Substitutionspraxis, S. 15. 394 Becker/Kingreen/Becker/Kingreen, § 1 SGB V Rn. 8; Krauskopf/Krauskopf, § 1 SGB V Rn. 12. 386

E. Die Verantwortungsbereiche von Arzt und Apotheker

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dere Vorschriften und damit auch auf das Wirtschaftlichkeitsgebot ausstrahlen.395 Es erscheint jedoch problematisch, aus der Vorschrift des § 1 S. 2 HS. 2 SGB V derart weitreichende Rechtsfolgen herzuleiten. Ihr Wortlaut – es heißt lediglich, dass Patienten an der Therapie mitwirken „sollen“ – ist eher zurückhaltend formuliert.396 Angesichts der Folgen, die die Versagung einer Leistung für Versicherte haben kann, wäre zudem im Hinblick auf den rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgrundsatz397 eine ausdrückliche Anordnung in § 1 S. 2 HS. 2 SGB V erforderlich, dass ein Mitwirkungsverstoß leistungsrechtliche Einschränkungen nach sich ziehen kann.398 Auch wenn ein Patient die Teilnahme an einem Gespräch verweigert, bleibt der Arzt daher berechtigt, die Substitution wegen eines befürchteten Nachlassens der Therapietreue auszuschließen. Im Ergebnis darf ein Arzt somit gemäß § 2 I 3 SGB V die Substitution nur zulassen, wenn er zuvor sichergestellt hat, dass mit ihr keine Risiken für die Gesundheit des Patienten verbunden sind. Bei einem drohenden Nachlassen der Therapietreue muss er vor einem Ausschluss der Substitution versuchen, ein Beratungsgespräch durchzuführen. bb) Pflichten des Apothekers Die Substitution ärztlich verordneter Arzneimittel durch Apotheker entspricht in vergleichbarer Weise nur dann dem von § 2 I 3 SGB V geforderten Stand der anerkannten medizinischen Erkenntnisse, wenn mit dem Austausch des verordneten Arzneimittels keine Gesundheitsrisiken verbunden sind. Ein Apotheker muss bei seiner Auswahlentscheidung daher etwa Unverträglichkeiten des Patienten, kritische Bioäquivalenzunterschiede sowie das Vorliegen einer schwerwiegenden Krankheit berücksichtigen und es muss gewährleistet sein, dass die Substitution nicht zu Compliance-Problemen führt.399 Der Rahmenvertrag sieht insoweit in § 4 III 2 RV-AV vor, dass in den Fällen des § 17 V 2 ApBetrO, also bei Bestehen pharmazeutischer Bedenken, ein Apotheker die Abgabe eines rabattierten Arzneimittels verweigern kann. Erst recht kann ein Apotheker wegen pharmazeutischer 395

BT-Drs. 11/2237, S. 157; Eichenhofer/Wenner/Axer, § 1 SGB V Rn. 2. Nach Hauck/Noftz/Noftz, § 1 SGB V Rn. 16, verbleibt die Vorschrift im Prinzipiellen. 397 Zum Bestimmtheitsgrundsatz s. oben Kapitel 2 B. IV. 3. Je intensiver die Grundrechtsrele­ vanz einer staatlichen Regelung ist, desto höher sind die Anforderungen an die Bestimmtheit des Gesetzes: Sachs/Sachs, Art. 20 GG Rn. 129; BVerfGE 113, 348 (376); 117, 71 (111); 131, 88 (123); ausdrücklich zur Geltung dieser Grundsätze auch in der Leistungsverwaltung BVerfGE 108, 52 (75). 398 Vgl. Hauck/Noftz/Noftz, § 1 SGB V Rn. 16, der es für rechtsstaatlich unzulässig hält, unmittelbar an die Vorschrift des § 1 S. 2 HS. 2 SGB V Sanktionen anzuknüpfen. 399 Vgl. Blume u. a., Leitlinie gute Substitutionspraxis, S. 4 ff.; vgl. auch Gradl/Krieg/Schulz, FS Glaeske, S. 48 (52 f.). – Die Berücksichtigung solcher Gesichtspunkte ist Teil der fachlichen Kompetenz nicht nur des Arztes, sondern auch der des Apothekers. Sie wird im Pharmazie­ studium vermittelt, s. Anlage 14 zur AAppO, Ziff. V. 396

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Kap. 4: Die Pflicht zur Auswahl wirtschaftlicher Arzneimittel

Bedenken die Abgabe eines preisgünstigen Arzneimittels unterlassen. Bei einem drohenden Nachlassen der Therapietreue müsste jedoch wiederum erst eine Beratung des Patienten versucht werden. Die körperliche Verfassung des Patienten wie etwa eine bestehende Unverträglichkeit oder das Vorliegen einer schwerwiegenden Krankheit ist dem Apotheker zwar meist nicht bekannt, wenn er von einem Patienten aufgesucht wird – die Verordnung enthält keine diesbezüglichen Angaben und meistens kennt der Apotheker die Konstitution seiner Kunden nicht400  –, und auch drohende Complianceprobleme sind ihm nicht immer ohne Weiteres ersichtlich. Allerdings kann er grundsätzlich in vergleichbarer Weise wie der Arzt eine Arzneimittelanamnese erheben, um diese Umstände abzuklären. Hierzu ist er im Grunde ausreichend qualifiziert, die Anamnesetätigkeit ist Inhalt des Pharmaziestudiums.401 Eine Anamneseerhebung durch den Apotheker stößt lediglich dort an Grenzen, wo substitutionsbedingte Gefahren spezifisch mit der Krankheit des Patienten verbunden sind, also in den Fällen, in denen aufgrund der Schwere oder der Eigenart der Krankheit des Versicherten ein Arzneimitteltausch unterbleiben muss. Der Apotheker müsste insoweit eine Diagnose stellen, wozu er aber nicht in der Lage ist. Teilweise wird allerdings angenommen, dass die Erhebung einer Arzneimittelanamnese durch Apotheker Ausübung von Heilkunde im Sinne von § 1 II HeilPraktG darstelle.402 Ausübung von Heilkunde ist nach § 1 II HeilPraktG die berufs- oder gewerbsmäßige Tätigkeit zur Feststellung, Heilung oder Linderung von Krankheiten. Die Ausübung der Heilkunde ohne ärztliche Approbation oder Heilkundeerlaubnis ist gemäß § 1 I HeilPraktG unzulässig. Würde man die Erhebung einer Arzneimittelanamnese durch einen Apotheker als Ausübung von Heilkunde ansehen, wäre ihm die Anamneseerhebung rechtlich verwehrt, obwohl sie ihm von seiner Qualifikation her im Grunde möglich wäre. Er dürfte folglich keine Arzneimittelanamnese erheben, um Patienten vor Gefahren der Arzneimittelsubstitution zu schützen. Der Begriff der Heilkundeausübung ist aber im Hinblick auf den Zweck des Heilpraktikergesetzes auszulegen. Das Heilpraktikergesetz dient dem Schutz der Volksgesundheit, indem es unkundigen Personen die Krankenbehandlung untersagt.403 Heilkunde meint nur solche Tätigkeiten, die eine spezifisch ärztliche Ausbildung voraussetzen.404 Der Apotheker würde sich indessen darauf beschränken, sich Unverträglichkeiten oder Allergien etc. lediglich nennen zu lassen, um aus 400

Vgl. Brenner, SGb 2002, S. 129 (136); Kuhlen, AZR 2008, S. 29 (30). s. Anlage 14 zur AAppO, Ziff. V. 402 Koyuncu, S. 187 f.; Brenner, SGb 2002, S. 129 (135); Broglie, ApoR 2001, S. 94. Nach HK-AKM/Brucklacher, Aut idem (695), Rn. 27, ist der Apotheker zur Erhebung einer Arzneimittelanamnese „nicht befugt“. 403 Guttau, S.  102; Hofmann, Verantwortung, S.  67. Vgl. auch Erbs/Kohlhaas/Pelchen/­ Häberle, Vorb. zum HeilPraktG, Rn. 1 ff. 404 Erbs/Kohlhaas/Pelchen/Häberle, § 1 HeilPraktG Rn. 8; Wigge/Schütz, A&R 2015, S. 243 (249). Vgl. auch Guttau, S. 73 ff. 401

E. Die Verantwortungsbereiche von Arzt und Apotheker

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gehend davon zu entscheiden, ob eine Substitution des verordneten Arzneimittels möglich ist. Die Schwelle zur Heilkundeausübung wäre erst überschritten, wenn der Apotheker Patientendaten bewertet, um daraus Rückschlüsse im Sinne einer Diagnose zu ziehen.405 Hinzu kommt, dass der Apotheker aufgrund seines Studiums zur Anamneseerhebung qualifiziert ist, sodass die Volksgesundheit durch eine Anamneseerhebung seitens des Apothekers nicht gefährdet würde. Der Heilkundebegriff ist deshalb zumindest teleologisch zu reduzieren.406 Eine Anamneseerhebung durch den Apotheker ist deshalb nicht durch § 1  II  HeilPraktG ausgeschlossen. Bestimmt man die Handlungspflichten von Arzt und Apotheker bei der Durchführung einer Arzneimittelsubstitution anhand des Maßstabs von § 2 I 3 SGB V, wonach die Arzneimittelabgabe dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen muss, wären folglich Arzt und Apotheker grundsätzlich parallel verpflichtet, den Patienten vor substitutionsbedingten Gesundheitsrisiken zu schützen. Es bestünde eine doppelte Sicherung durch Arzt und Apotheker. Lediglich soweit substitutionsbedingte Gesundheitsgefahren spezifisch mit der Krankheit des Versicherten verbunden sind, obliegt der Schutz des Patienten alleine dem Arzt. b) Alleinverantwortung des Apothekers für die Beherrschung substitutionsbedingter Gesundheitsrisiken aus § 129 I SGB V? Daraus, dass im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung die Auswahl des konkreten Arzneimittels im Regelfall dem Apotheker obliegt, wird von einer Ansicht allerdings gefolgert, dass ausschließlich der Apotheker für den Schutz des Patienten bei der Durchführung einer Substitution verantwortlich sei. Der Apotheker habe eine umfassende Arzneimittelanamnese zu erheben, um beispielsweise Unverträglichkeiten abzuklären oder das Vorliegen einer Krankheit, die der Durchführung einer Substitution entgegenstehe.407 Der Vertragsarzt werde zugleich aus seiner Verantwortung für die Patientengesundheit entlassen.408 Lediglich wenn er eine Unverträglichkeit seines Patienten bereits zufällig kenne, könne man den Arzt für zum Substitutionsausschluss verpflichtet halten.409 Die Begründungen 405 Kieser/Wesser/Saalfrank/Saalfrank, § 1 ApoG Rn. 104; Wigge/Schütz, A&R 2015, S. 243 (249). 406 Für eine teleologische Reduktion des Heilkundebegriffs bei Ausübung apothekertypischer Tätigkeit durch Apotheker Hofmann, Verantwortung, S. 67 f. Zu einer teleologischen Reduktion des Heilkundebegriffs s. auch Guttau, S. 101 ff. – Im Ergebnis ebenfalls einen Verstoß gegen § 1 II HeilPraktG verneinend, wenn Apotheker typische pharmazeutische Tätigkeiten erbringen, Cyran/Rotta, § 17 ApBetrO Rn. 12 f. 407 Koyuncu, S. 187; Mayer, in: Fuhrmann/Klein/Fleischfresser, § 45 Rn. 84. Vgl. auch SG Frankfurt a. M., NZS 2003, 96 (97). 408 Hofer, S. 278 ff.; Koyuncu, S. 185, 187 f. 409 Koyuncu, S. 188.

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Kap. 4: Die Pflicht zur Auswahl wirtschaftlicher Arzneimittel

hierfür ähneln sich: Die Auswahlverantwortung müsse beim unmittelbar Handelnden bleiben;410 nach dem Willen des Gesetzgebers solle dem Apotheker die endgültige Arzneimittelauswahl obliegen;411 der Apotheker sei durch die regelhafte Anordnung der Substitution zum Mitbehandler geworden.412 Gegen diese Ansicht sprechen zwei Argumente. Zum einen kann der Apotheker substitutionsbedingte Gesundheitsgefahren nicht lückenlos verhindern, denn jedenfalls soweit Gesundheitsgefahren spezifisch mit der Krankheit des Versicherten verknüpft sind, fehlt ihm die Fähigkeit und wegen § 1 II HeilPraktG auch die rechtliche Zuständigkeit, eine Diagnose zu erheben. Zum anderen erscheint diese Ansicht mit der Regelung des § 73 V 2 SGB V nicht zu vereinbaren. Danach muss der Arzt auf dem Verordnungsblatt die Entscheidung zum Ausdruck bringen, ob er eine Substitution zulässt. Die Norm geht von einer einzelfallbezogenen Entscheidung des Arztes aus, ob eine Substitution zulässig sein soll. Diese Entscheidung kann sich nur an dem Kriterium der Therapiesicherheit orientieren. Somit bewirkt § 129 SGB V nicht, dass die Verantwortung für die Gesundheit des Patienten exklusiv auf den Apotheker übergeht.413 c) Alleinverantwortung des Arztes? Umgekehrt könnte sich die Frage stellen, ob der Apotheker noch uneingeschränkt zum Schutz des Patienten verpflichtet ist, wenn schon den verordnenden Arzt eine umfassende Pflicht trifft, substitutionsbedingte Gesundheitsgefahren auszuschließen. Dabei handelt es sich um eine normative Frage, die alleine unter Rückgriff auf den Stand der medizinischen Erkenntnisse nicht beantwortet werden kann. Es bietet sich an dieser Stelle an, die Vorschriften des Apothekenrechts, vor allem der Apothekenbetriebsordnung, daraufhin zu untersuchen, inwieweit den Apotheker im Falle einer Aut-idem-Verordnung neben dem Arzt Schutzpflichten

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Koyuncu, S. 187; Broglie, ApoR 2004, S. 94 (95). Hofer, S. 270; Brenner, SGb 2002, S. 129 (136); SG Frankfurt a. M., NZS 2003, 96 (97). 412 Koyuncu, S. 187; Broglie, ApoR 2001, S. 94. – Vgl. für die Arzneimittelinstruktion Mayer, in: Fuhrmann/Klein/Fleischfresser, § 45 Rn. 78. – Vgl. für die Berücksichtigung von Bioäquivalenzproblemen Wigge, PharmR 2002, S. 2 (4). 413 Ganz überwiegend wird der Arzt für verpflichtet gehalten, eine Arzneimittelanamnese zu erheben und nötigenfalls den Patienten mittels Substitutionsausschlusses zu schützen. Jeweils für Arzneimittelunverträglichkeiten des Patienten: A. Becker, Steuerung, S.  337; Krudop-Scholz, S. 189; HK-AKM/Brucklacher, Aut idem (695), Rn. 27; Axer, FS Schnapp, S. 349 (357); Wartensleben, in: Der Patient im nationalen und europäischen Gesundheitswesen, S. 43 (45); Burgardt, ApoR 2003, S. 1; Francke, VSSR 2002, S. 299 (316); Kuhlen, AZR 2008, S. 29 (30); Räpple, ApoR 2001, S. 92 (93); Wemhöner/Frehse, PharmR 2004, S. 432 (433); Wigge, PharmR 2002, S. 2 (4); OLG München, GRUR 1996, S. 226 (227). Vgl. auch Burgardt, ApoR 2003, S.  1 (3 f.); Götting, KrV 2013, S.  249 (251); Kamann/Gey/Eimer, APR 2009, S.  118 (121); Wille, PharmR 2009, S. 365 (372). 411

E. Die Verantwortungsbereiche von Arzt und Apotheker

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gegenüber dem Patienten treffen, denn das Krankenversicherungsrecht knüpft für die Festlegung der einen Leistungserbringer treffenden Pflichten und für Fragen der Leistungsqualität im Ausgangspunkt an das Berufsrecht an.414 Zwar ist es möglich, dass das Sozialrecht über das Berufsrecht hinausgehende Anforderungen statuiert,415 doch bedarf es angesichts der grundsätzlichen Anknüpfung des Krankenversicherungsrechts an das Berufsrecht416 ausdrücklicher Regelungen, wenn die Zuständigkeitsabgrenzung zwischen zwei Leistungserbringern im Rahmen des Krankenversicherungsrechts vom allgemeinen Berufsrecht abweichen soll. In Bezug auf Apotheker existieren solche Regelungen nicht. Sollte sich ergeben, dass Apotheker apothekenrechtlich nur eingeschränkte Schutzpflichten treffen, wäre dieses Ergebnis auf das Krankenversicherungsrecht übertragbar. Die Apothekenbetriebsordnung regelt zwar nicht ausdrücklich den Umfang der Schutzpflichten, die Apotheker bei der Belieferung von Aut-idem-Verordnungen treffen. Allerdings könnten Regelungen der Apothekenbetriebsordnung, die allgemein die Pflichten eines Apothekers bei der Belieferung von Rezepten zum Gegenstand haben – namentlich den §§ 17 V 2, 20 ApBetrO –, Wertungen beinhalten, aus denen sich Rückschlüsse auf den Pflichtenumfang bei der Belieferung von Aut-idem-Verordnungen ziehen lassen. aa) Die Wertung von § 17 V 2 ApBetrO Nach § 17 V2 ApBetrO muss ein Apotheker Rücksprache mit dem Arzt halten, wenn er pharmazeutische Bedenken gegen die Verordnung hat. Er darf das verordnete Arzneimittel somit nicht unbesehen abgeben, sondern er muss die Verordnung daraufhin überprüfen, ob sie aus seiner fachlichen Sicht plausibel erscheint. Im Ergebnis muss ein Apotheker den gesamten äußeren Inhalt der Verordnung auf seine pharmazeutische Plausibilität hin untersuchen; weiterhin muss er ihm bereits bekannte Unverträglichkeiten des Patienten berücksichtigen.417 Im Erst-recht-Schluss zu § 17 V 2 ApBetrO folgt, dass ein Apotheker von einer Substitutionsgestattung nicht blind Gebrauch machen darf, sondern dass er die Substitution unterlassen muss, wenn er erkennt, dass mit ihr aus pharmazeutischer 414 Hauck/Noftz/Noftz, § 2 SGB V Rn. 53 f.; jurisPK-SGB V/Fahlbusch, § 28 SGB V Rn. 22. Vgl. auch BSG SozR 3-2500 § 87 Nr. 17 (S. 75). 415 Vgl. für vertragsärztliche Zulassungsvoraussetzungen Hauck/Noftz/Hannes, § 95a SGB V Rn. 39. – Vgl. für nach Berufsrecht nicht notwendige Qualifikationen als Abrechnungsvoraussetzung in der vertragsärztlichen Versorgung: jurisPK-SGB V/Pawlita, § 95a SGB V Rn. 47; BVerfG, NJW 1999, 2730; BSG SozR 4-2500 § 82 Nr. 1 Rn. 6 f.; BSGE 100, 154 (155); BSG SozR 4-2500 § 135 Nr. 21 Rn. 32. 416 Vgl. zur Funktion des Berufsrechts als Grund-Ordnung auch für das Krankenversicherungsrecht oben Kapitel 1 B. IV., Kapitel 2 B. I. 2. b). – Vgl. auch Wigge, in: Handbuch des Vertragsarztrechts, 3. Aufl., § 2 Rn. 34. 417 Zum Inhalt der Pflicht nach § 17 V 2 ApBetrO im Einzelnen s. oben Kapitel 1 A. V.

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Kap. 4: Die Pflicht zur Auswahl wirtschaftlicher Arzneimittel

Sicht Gefahren verbunden sein können.418 Aus dem äußeren Inhalt der Verordnung sind für den Apotheker substitutionsbedingte Gesundheitsrisiken etwa erkennbar, wenn der Arzt ein Arzneimittel mit einer geringen therapeutischen Breite verordnet hat, da in diesem Fall kritische Schwankungen des Wirkstoffspiegels zu befürchten sind, wenn der Patient ein anderes Arzneimittel als das bislang eingenommene erhält. Daneben kommt in Betracht, dass der Apotheker aus früheren Kontakten etwa weiß, dass der betroffene Patient mit einem Austausch des Arzneimittels überfordert wäre. bb) Die Wertung von § 20 ApBetrO Soweit für einen Apotheker substitutionsbedingte Gesundheitsrisiken nicht in der dargestellten Weise aus dem Inhalt der Verordnung erkennbar oder ihm aufgrund früherer Kontakte mit dem Patienten bekannt sind – so gehen etwa Hilfsstoffunverträglichkeiten nicht aus der Verordnung hervor und es kann ein Apotheker etwa bei einem Erstkontakt mit einem Patienten noch nicht aufgrund früherer Erfahrungen beurteilen, ob der Patient mit einer Substitution überfordert wäre –, kommt in Betracht, dass ein Apotheker im Wege einer Anamnese klären muss, ob derartige Risiken bestehen. Über den Umfang der Anamnesepflichten des Apothekers könnten sich der Vorschrift des § 20 ApBetrO Anhaltspunkte entnehmen lassen. Nach § 20 ApBetrO muss ein Apotheker Patienten über Arzneimittel beraten und informieren, soweit dies aus Gründen der Arzneimittelsicherheit erforderlich ist. Die Beratungspflicht verlangt zunächst, dass ein Apotheker mit dem Patienten Neben- und Wechselwirkungen des Arzneimittels erörtert, die sich aus den Angaben auf der Verschreibung oder Angaben des Patienten ergeben.419 Da­ rüber hinaus muss ein Apotheker überprüfen, ob der Patient weiteren Informations- oder Beratungsbedarf hat.420 Nach der Verordnungsbegründung muss er hierfür etwa durch gezielte Nachfrage feststellen, ob sich der Patient mit dem Arzneimittel bereits auskennt oder ob Sachverhalte vorliegen, die aus pharmazeutischer Sicht gegen die Medikation oder die Dosierung sprechen.421 Pharmazeutische Beratung im Sinne von § 20 ApBetrO meint folglich nicht nur die Erteilung von Hinweisen und Ratschlägen, sondern sie umfasst auch die Abklärung von Gesundheitsrisiken mittels Nachfrage.422 Stellt der Apotheker bei seiner Nachfrage 418 Reese/Stallberg, in: Dieners/Reese, § 17 Fn. 442. Vgl. auch HK-AKM/Brucklacher, Aut idem (695), Rn. 37. 419 § 20 II 2 ApBetrO. 420 § 20 II 3 ApBetrO. 421 BR-Drs. 61/12, S. 56. 422 Vgl. Pfeil/Pieck/Blume, § 20 ApBetrO Rn. 25, wonach die Beratung unter anderem Gegenanzeigen und Unverträglichkeiten umfasse, sowie Cyran/Rotta, § 20 ApBetrO Rn. 64, wonach – sofern erforderlich – auf Fragen eventueller Unverträglichkeiten eingegangen werden müsse. – Bei Unverträglichkeiten und Gegenanzeigen handelt es sich jeweils um Umstände, die ein Apotheker in der Regel nur durch Nachfrage feststellen kann.

E. Die Verantwortungsbereiche von Arzt und Apotheker

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fest, dass die Abgabe des Arzneimittels Gesundheitsgefahren bergen kann, muss er nach § 17 V 2 ApBetrO dessen Abgabe wegen pharmazeutischer Bedenken unterlassen, sofern die Bedenken nicht durch eine Rücksprache mit dem Arzt ausgeräumt werden können.423 Mitunter wird die Beratungspflicht nach § 20 ApBetrO restriktiv interpretiert, wenn der Arzneimittelabgabe eine ärztliche Verschreibung vorausgegangen ist. Es bestehe kein Beratungsbedarf, wenn bereits der verschreibende Arzt rechtlich verpflichtet war, Vorkehrungen zum Schutz der Gesundheit des Patienten zu treffen.424 Der Arzt, der die Substitution zulasse, übernehme die medizinische Verantwortung für seine Verordnung.425 Der Apotheker dürfe außer bei erkennbaren Versäumnissen des Arztes darauf vertrauen, dass bereits der Arzt alles unternommen habe, was zum Schutz des Patienten notwendig sei,426 wobei von einem erkennbaren Versäumnis des Arztes erst dann auszugehen sei, wenn der Patient von sich aus gegenüber dem Apotheker erwähne, dass der Arzt das verschriebene Arzneimittel nicht näher erläutert habe.427 Die Beratungspflicht des Apothekers wäre somit gegenüber den Schutzpflichten des Arztes nachrangig.428 Bei Abgabe eines ärztlich verschriebenen Arzneimittels müsste der Apotheker deshalb grundsätzlich nicht – von erkennbaren Versäumnissen des Arztes abgesehen – in eine pharmazeutische Beratung des Patienten verbunden mit gezieltem Nachfragen eintreten. Übertragen auf die Belieferung von Aut-idem-Verordnungen, müsste ein Apotheker somit substitutionsbedingte Risiken grundsätzlich nicht durch Nachfrage bei dem Patienten abklären. Gegen dieses enge Verständnis von § 20 ApBetrO spricht, dass die Vorschrift nicht danach differenziert, ob ein Arzneimittel ärztlich verordnet wurde oder nicht.429 Nach der Verordnungsbegründung gilt die Beratungspflicht des Apothekers umfassend und kann nur nach Lage des Einzelfalles eingeschränkt sein.430 Es besteht eine Pflicht zur aktiven Beratung.431 Der grundsätzlich umfassende 423 Hofmann, Verantwortung, S. 156; Eckert-Lill, PZ 2012, Heft Nr. 30, S. 14 (16); Wigge/ Schütz, A&R 2016, S. 6 (12). Vgl. auch Pfeil/Pieck/Blume, § 20 ApBetrO Rn. 88 f. 424 Hofer, S. 194, 197. 425 Wigge/Schütz, A&R 2015, S. 243 (249). 426 Hofmann, Verantwortung, S. 158, Fn. 679, und S. 168. Für die Geltung des Vertrauensgrundsatzes bei der Arzneimittelinstruktion: Mayer, in: Fuhrmann/Klein/Fleischfresser, § 45 Rn.  78; Spickhoff/Sieper, Vorbemerkung zum ApoG, Rn.  30.  – Allgemein für die Geltung des Vertrauensgrundsatzes im Verhältnis zwischen Arzt und Apotheker Mayer, in: Fuhrmann/ Klein/Fleischfresser, § 45 Rn.  67. Vgl. auch Webel/Wallhäuser/Saalfrank, DAZ 2008, Heft Nr. 16, S. 106 (107). 427 Hofmann, Verantwortung, S. 168. 428 Vgl. Hofer, S. 194; Webel/Wallhäuser/Saalfrank, DAZ 2008, Heft Nr. 16, S. 106 (107). S. auch Koyuncu, S. 179. 429 Zur fehlenden Differenzierung von § 20 ApBetrO zwischen verschriebenen und nicht verschriebenen Arzneimitteln s. Cyran/Rotta, § 20 ApBetrO Rn. 11; s. auch Eckert-Lill, PZ 2012, Heft Nr. 30, S. 14 (15). 430 BT-Drs. 61/12, S. 56. 431 Pfeil/Pieck/Blume, § 20 ApBetrO Rn. 22. Vgl. auch Cyran/Rotta, § 20 ApBetrO Rn. 72.

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Kap. 4: Die Pflicht zur Auswahl wirtschaftlicher Arzneimittel

Charakter der Beratungspflicht – sie wird insoweit als Bringpflicht des Apothekers bezeichnet432 – verlangt zumindest, dass sich ein Apotheker durch Nachfrage bei dem Patienten aktiv vergewissert, ob der Arzt sich überhaupt mit dem Patienten über das verordnete Arzneimittel näher unterhalten und in diesem Gespräch mögliche Risiken erörtert hat. Der Apotheker darf sich nicht blind darauf verlassen, dass der Arzt die mit der Medikation verbundenen Gesundheitsrisiken abgeklärt hat. Ergibt diese Vergewisserung, dass zwischen Arzt und Patient ein Gespräch stattgefunden hat, in dem Risiken des Arzneimittels erörtert wurden, sind die weiteren Handlungspflichten des Apothekers jedoch begrenzt. Der Apotheker muss dann nicht etwa sämtliche denkbaren Neben- und Wechselwirkungen des verordneten Arzneimittels abklären.433 Normativ lässt sich diese Beschränkung der Handlungspflichten des Apothekers in § 20 II 4 ApBetrO und in § 20 Ia ApBetrO verankern. Nach § 20 II 4 ApBetrO ist ein Apotheker bei Abgabe eines verschreibungsfreien Arzneimittels zu der Feststellung verpflichtet, ob das Arzneimittel zur Anwendung bei dem konkreten Patienten geeignet ist, womit eine umfassende Anamnesepflicht bezeichnet ist;434 im Umkehrschluss trifft den Apotheker bei der Arzneimittelabgabe auf eine ärztliche Verordnung keine umfassende Anamnesepflicht. Nach § 20  Ia ApBetrO darf die pharmazeutische Beratung des Apothekers die ärztliche Therapie nicht beeinträchtigen; eine vollständige Nachkontrolle der ärztlichen Medikationsentscheidung durch den Apotheker würde aber das Vertrauen des Patienten in seinen Arzt erschüttern und so die ärztliche Therapie beeinträchtigen.435 Allenfalls wird der Apotheker für verpflichtet gehalten, dass er sich erkundigt, welche Anwendungshinweise – beispielsweise im Hinblick auf die Dosierung – der Arzt dem Patienten mündlich erteilt hat, und dass er diese ärztlichen Hinweise auf ihre Plausibilität hin prüft.436 Rechtfertigen lässt sich die Annahme einer solchen Verpflichtung damit, dass den Apotheker gemäß § 20 II 2 ApBetrO ausdrücklich eine Pflicht trifft, dem Patienten Anwendungs­hinweise zu geben, und dass diese Pflicht selbst bei ärztlich verschriebenen Arzneimitteln besteht437. Überträgt man die in § 20 ApBetrO zum Ausdruck kommende Pflichtenverteilung zwischen Arzt und Apotheker auf die Belieferung einer Aut-idem-Verordnung, ergibt sich Folgendes: Ein Apotheker darf nicht ohne Weiteres darauf ver 432

Cyran/Rotta, § 20 ApBetrO Rn.  59; Pfeil/Pieck/Blume, § 20 ApBetrO Rn.  23; Wigge/ Schütz, A&R 2016, S. 7 (9). 433 Deutsch/Spickhoff, S. 2031; Wigge/Frigger, A&R 2013, S. 298 (299). Kieser, S. 63, rät hingegen zur Abklärung jeglicher Unverträglichkeiten gegen Hilfsstoffe, um Haftungsrisiken zu vermeiden. 434 Vgl. Koyuncu, S. 182. Zu den umfassenden Beratungspflichten des Apothekers bei der Selbstmedikation s. auch Cyran/Rotta, § 20 ApBetrO Rn. 67 ff. 435 Vgl. in Bezug auf den hypothetischen Fall, dass Krankenkassen ärztliche Verordnungen vor deren Einlösung in der Apotheke überprüfen würden, BSGE 73, 271 (282 f.). 436 Bundesapothekerkammer, Kommentar zur Leitlinie Information und Beratung, S. 5. Vgl. auch Cyran/Rotta, § 20 ApBetrO Rn. 60; Wigge/Schütz, A&R 2016, S. 6 (9). 437 Vgl. dazu LG Bochum, Urt. v. 7.12.2011, 6 O 284/10, Rn. 29 (juris).

E. Die Verantwortungsbereiche von Arzt und Apotheker

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trauen, dass der Arzt substitutionsbedingte Gesundheitsgefahren abgeklärt hat, sondern er muss sich durch Nachfrage vergewissern.438 Stellt er fest, dass der Arzt die Abklärung substitutionsbedingter Gesundheitsgefahren unterlassen hat, muss er Maßnahmen zum Schutz des Patienten ergreifen: Bevor er das verordnete Arzneimittel substituiert, muss er sich beispielsweise nach bestehenden Unverträglichkeiten erkundigen oder sicherstellen, dass infolge des Arzneimitteltauschs die Therapietreue des Patienten nicht nachlässt. Schwierig gestaltet sich die Risikokontrolle durch den Apotheker allerdings, wenn die Substitution speziell aufgrund der Krankheit, an der der Patient leidet, bedenklich ist. Zur Diagnostizierung von Krankheiten sind Apotheker nicht befähigt und nicht berechtigt; unter Umständen ist der Patient zur Offenlegung seiner Krankheit nicht gewillt oder nicht in der Lage. Der Apotheker muss deshalb bereits dann, wenn er – beispielsweise aufgrund des verordneten Wirkstoffs – nicht ausschließen kann, dass der Patient an einer Krankheit leidet, die eine Substitution nicht zulässt, den Austausch des verordneten Arzneimittels unterlassen. Im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung, wo eine Substitution Wirtschaftlichkeitsreserven erschließen soll, ist ein Apotheker allerdings verpflichtet, zunächst mit dem Vertragsarzt Kontakt aufzunehmen – wenn der Arzt bestätigen sollte, dass aus seiner Sicht keine Bedenken gegen die Substitution bestehen, kann das verordnete Arzneimittel durch ein günstigeres ersetzt werden. Hat nach Auskunft des Patienten der Arzt im Rahmen der Verordnung des Arzneimittels substitutionsbedingte Gesundheitsrisiken angesprochen, sind die Schutzpflichten des Apothekers dagegen eingeschränkt. Soweit sich aus den Äußerungen des Patienten nicht positive Anhaltspunkte ergeben, dass der Arzt mögliche substitutionsbedingte Risiken nicht vollständig abgeklärt hat, muss der Apotheker keine weiteren Maßnahmen zum Schutz des Patienten ergreifen. d) Zwischenergebnis Nach §§ 12 I, 2 I 3 SGB V, wonach die Arzneimitteltherapie dem allgemeinen Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen muss, sind sowohl der Arzt als auch der Apotheker grundsätzlich verpflichtet, den Patienten im Rahmen ihrer jeweiligen fachlichen Kompetenzen vor substitutionsbedingten Gesundheitsgefahren zu schützen. Aus Wertungen des Apothekenrechts, die auch im Krankenversicherungsrecht heranzuziehen sind, folgt aber, dass die Schutzpflichten des Apothekers lediglich ergänzender Art sind. Der Apotheker muss anhand der 438 Vgl. Cyran/Rotta, § 20 ApBetrO Rn. 85; Wigge, PharmR 2002, S. 2 (4). Dagegen kann nach Burgardt, ApoR 2003, S. 1 (3 f.), sowie Kamann/Gey/Eimer, APR 2009, S. 118 (121), der Apotheker darauf vertrauen, dass der Arzt substitutionsbedingte Risiken abgeklärt hat. Oben [s. soeben aa)] wurde allerdings gezeigt, dass der Vertrauensgrundsatz im Verhältnis von Arzt und Apotheker nicht ohne Weiteres gilt.

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Kap. 4: Die Pflicht zur Auswahl wirtschaftlicher Arzneimittel

ihm äußerlich  – vor allem aus dem Inhalt der Verordnung erkennbaren  – Umstände prüfen, ob gegen die Substitution Bedenken bestehen. Im Hinblick auf mögliche Risiken, die dem Apotheker nicht anhand äußerlicher Umstände erkennbar sind, genügt es, wenn er den Patienten fragt, ob der Arzt gesundheitliche Risiken der Arzneimittelsubstitution angesprochen hat. Bejaht der Patient dies und ergeben sich aus seinen Schilderungen keine Anhaltspunkte für einen Fehler des Arztes, bestehen keine weiteren Schutzpflichten des Apothekers. Primärverantwortlich für den Schutz des Patienten ist damit der Arzt. Dennoch ist die ergänzende Schutzpflicht des Apothekers von erheblicher praktischer Bedeutung: Untersuchungen haben ergeben, dass Apotheker immerhin noch in 0,69 %439 bis 1,5 %440 der Fälle, in denen ihnen die Verordnung einen Auswahlspielraum eröffnete, pharmazeutische Bedenken gegen die Substitution geltend gemacht haben.

II. Patienteninstruktion bei aufgeteilter Arzneimittelauswahl Fragen nach der Abgrenzung der Verantwortungsbereiche von Arzt und Apotheker stellen sich weiterhin im Hinblick auf die Instruktion des Patienten, wie er sein Arzneimittel anwenden muss und auftretende Nebenwirkungen erkennen kann. Ärzte sind allgemein als Teil der ärztlichen Behandlung441 verpflichtet, einem Patienten zu erläutern, wie er an der Therapie mitwirken muss und etwaige Komplikationen erkennen kann (sog. Sicherstellungsaufklärung).442 In Bezug auf die Verordnung von Arzneimitteln ist insoweit erforderlich, dass ein Arzt dem Patienten vermittelt, wie sich Nebenwirkungen des Arzneimittels äußern, und es müssen Einnahme sowie Dosierung des verschriebenen Arzneimittels erläutert werden.443 Als Bestandteil des anerkannten Standes der medizinischen Erkennt 439

Rommerskirchen, S. 12. Gradl/Krieg/Schulz, FS Glaeske, S. 47 (49). 441 Schenk, S. 175; Ratzel/Lippert/Lippert, § 8 MBO Rn. 6; Laufs, in: Laufs/Kern, § 58 Rn. 1; Hart, MedR 2003, S. 603 (604). 442 Schenk, S. 175; Ratzel/Lippert/Lippert, § 8 MBO Rn. 7; Laufs, in: Laufs/Kern, § 58 Rn. 1, 7 ff.; Hart, MedR 2003, S. 603 (604). – Allgemein werden mehrere Arten ärztlicher Aufklärungspflichten unterschieden, wobei diese Pflichten abgesehen von der Sicherstellungsaufklärung nicht Teil der ärztlichen Behandlung sind und deshalb an dieser Stelle nicht näher behandelt werden. Die sog. Selbstbestimmungsaufklärung trägt dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten Rechnung und soll ihm durch Darlegung möglicher Behandlungsrisiken eine freie und selbstbestimmte Entscheidung über die Durchführung der Behandlung ermöglichen: Schenk, S. 29 ff.; Ratzel/Lippert/Lippert, § 8 MBO Rn. 2, 6; Laufs, in: Laufs/Kern, § 59 Rn. 11; Hart, MedR 2003, S. 603 (605). Sie erfolgt vor der Durchführung einer ärztlichen Maßnahme und ist Voraussetzung dafür, dass der Patient wirksam in die Maßnahme einwilligen kann: Schenk, S. 29. – Die sog. wirtschaftliche Aufklärung verpflichtet dazu, den Patienten vor wirtschaftlichen Fehldispositionen zu bewahren, etwa weil eine Krankenversicherung bestimmte Leistungen nicht übernimmt: Deutsch/Spickhoff, Rn. 454; HK-AKM/Hart, Aufklärung bei der Arzneimittelbehandlung (693), Rn. 46; s. auch § 630c III 1 BGB. 443 Koyuncu, S. 104 f.; Krudop-Scholz, S. 131 f.; HK-AKM/Hart, Aufklärung bei der Arzneimittelbehandlung (643), Rn. 17 f. Vgl. auch Ratzel/Lippert/Lippert, § 8 MBO Rn. 6. 440

E. Die Verantwortungsbereiche von Arzt und Apotheker

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nisse zählt die Erteilung derartiger Information auch zum krankenversicherungsrechtlich von einem Arzt geschuldeten Behandlungsumfang.444 1. Wissensdefizite des „aut idem“ verordnenden Arztes Die Instruktion des Patienten durch den Arzt ist bei einer Aut-idem-Verordnung allerdings mit Schwierigkeiten verbunden: Wenn ein Arzt eine Aut-idemVerordnung ausstellt, weiß er nicht, welches konkrete Arzneimittel der Patient in der Apotheke erhalten wird. Er kann zwar dem Patienten die von dem verordneten Wirkstoff ausgehenden Nebenwirkungen darlegen und ihm erläutern, wie er den Eintritt einer solchen Nebenwirkung erkennt. Nicht mehr möglich ist ihm hingegen eine Schilderung der Nebenwirkungen, die von den Hilfsstoffen des abgegebenen Arzneimittels ausgehen können, denn die Hilfsstoffe können bei verschiedenen wirkstoffgleichen Arzneimitteln variieren. In Bezug auf Arzneimittelnebenwirkungen kann der „aut idem“ verordnende Arzt daher nicht immer eine vollständige Information leisten.445 Weiterhin kann ein „aut idem“ verordnender Arzt nur bedingt Anwendungshinweise für das konkret an den Versicherten abgegebene Arzneimittel erteilen. Eine ärztliche Dosierungsvorgabe ist zwar für sämtliche über die Aut-idem-Regelung abgabefähigen Arzneimittel gültig, weil verordnetes und abgegebenes Arzneimittel dieselbe Wirkstärke besitzen müssen.446 Da es im Rahmen der Aut-idem-Regelung genügt, wenn das abgegebene Arzneimittel eine gegenüber dem verordneten Arzneimittel lediglich vergleichbare Darreichungsform besitzt, können sich aber die Darreichungsformen von verordnetem und abgegebenem Arzneimittel unterscheiden.447 Beispielsweise kann es bei Aerosol-Arzneimitteln zu einem Wechsel des Inhalationssystems kommen. Da jedes System eine spezifische Inhalationsund Atemtechnik verlangt, macht ein Systemwechsel eine erneute Einweisung erforderlich.448

444 Vgl. allgemein dazu, dass eine standardgemäße Behandlung eine Instruktion des Patienten umfasst: Becker/Kingreen/Becker, § 135a SGB V Rn. 7; Berchtold/Huster/Rehborn/Schuler-Harms, § 135a SGB V Rn. 8. – Für das Berufsrecht vgl. Ratzel/Lippert/Lippert, § 8 MBO Rn. 6. 445 Vgl. Krudop-Scholz, S. 195; Götting, KrV 2013, S. 249 (251); Räpple, ApoR 2001, S. 92 (93 f.). Deshalb ist die Annahme von Voit, PharmR 2006, S. 348 (350), nicht zutreffend, dass das vom Apotheker abzugebende Arzneimittel im Bereich der aufklärungspflichtigen Risiken keine Unterschiede im Vergleich zum ärztlich verordneten Arzneimittel aufweisen könne. 446 Hofmann/Nickel, SGb 2002, S. 425 (427). 447 Beispielsweise sind für den Wirkstoff Dimenhydrinat die Darreichungsformen Tabletten – Kapseln – Kaudreagees – Kaugummi durch den G-BA für austauschbar erklärt worden. Für viele Wirkstoffe werden Tropfen und Fertiglösungen für austauschbar erklärt. 448 Daniels, PZ 2015, Heft Nr.  15, S.  22 (28). Vgl. auch Gradl/Krieg/Schulz, FS Glaeske, S. 47 (52). – Zu Anwendungsunterschieden bei Tropfflaschen in der Augenheilkunde s. Leitritz u. a., Der Ophthalmologe 2014, S. 127 (138).

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Kap. 4: Die Pflicht zur Auswahl wirtschaftlicher Arzneimittel

Erwägen ließe sich allenfalls, dass der Arzt den Patienten als Ersatz für die persönliche Information auf die Lektüre des Beipackzettels verweist.449 Die Ersetzbarkeit ärztlicher Erläuterungen durch Verweis auf den Beipackzettel wird aber allgemein verneint. Im Regelfall bedarf ein Patient mündlicher Erläuterungen des Arztes, weil er die umfangreichen Angaben des Beipackzettels nicht adäquat filtern kann.450 Der Arzt muss darüber hinaus prüfen, ob ein Patient diese Informationen zutreffend verstanden hat.451 Da der „aut idem“ verordnende Arzt den Patienten somit in Bezug auf das konkret abgegebene Arzneimittel nicht immer vollständig instruieren kann, wird angenommen, dass die Vorschriften des SGB  V über die wirtschaftliche Arzneimittelabgabe in einem Spannungsverhältnis zur ärztlichen Instruktionspflicht stünden. Der Arzt sei verpflichtet, den Patienten über das konkret eingenommene Arzneimittel zu instruieren, wisse aber nicht, welches Arzneimittel der Patient in der Apotheke letztendlich erhalte.452 2. Ärztliche Patienteninstruktion bei der Aut-idem-Verordnung Die Bedenken, dass ein „aut idem“ verordnender Arzt nicht erfüllbaren Informationspflichten unterliegt, träfen allerdings nur zu, falls den Arzt tatsächlich eine Pflicht treffen würde, den Patienten über das konkret in der Apotheke abgegebene Arzneimittel zu informieren. Der gebotene Umfang der Instruktion richtet sich, da es sich um einen Teil der ärztlichen Behandlung handelt, nach § 2 I 3 SGB V, wonach die ärztliche Behandlung dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen muss. Die nur eingeschränkte Patienteninstruktion, die ein Arzt bei Ausstellung einer Aut-idem-Verordnung nur leisten kann, genügt dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse.453 Dass ein Arzt bei Ausstellung einer Aut-idemVerordnung nicht in der Lage ist, dem Patienten alle Spezifika des abgegebenen 449 Die Ersetzbarkeit der Selbstbestimmungsaufklärung durch einen Verweis auf den Beipackzettel bejaht OLG Dortmund, MedR 2000, 331 ff. 450 Krudop-Scholz, S.  159 ff.; HK-AKM/Hart, Aufklärung bei der Arzneimittelbehandlung (643), Rn. 48; Laufs, in: Laufs/Kern, § 58 Rn. 11; Madea/Staak, FS Steffen, S. 303 (313); Hart, MedR 2003, S. 603 (605 f.); Voit, PharmR 2006, S. 348 (349); Götting, KrV 2013, S. 249 (251); s. auch Räpple, ApoR 2001, S. 92. – Jedenfalls wenn der Arzt den Patienten über mögliche schwere Arzneinebenwirkungen, die typische Folge der Einnahme sind, nicht aufklärt, nimmt der BGH eine Aufklärungspflichtverletzung an: BGHZ 162, 320 (324 ff.). 451 Krudop-Scholz, S. 163 ff. 452 Räpple, ApoR 2001, S. 92 (92, 94). S. auch Krudop-Scholz, S. 195, wonach der Arzt Informationen „schuldig bleibt“. Nach LPK/Murawski, § 129 SGB V Rn. 3, gehört die Kenntnis der Nebenwirkungen des konkret abgegebenen Arzneimittels zur ärztlichen Sorgfalt. 453 Deutsch, FS Narr, S. 268 (273), hält es bezogen auf die zivilrechtlich kraft Behandlungsvertrages geschuldete Behandlungstätigkeit für zulässig, dass die Auswahl des konkreten Therapeutikums aus der Leistungspflicht des Arztes ausgegliedert wird.

E. Die Verantwortungsbereiche von Arzt und Apotheker

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Arzneimittels zu erläutern, führt zunächst nicht dazu, dass der Patient keine spezifischen Informationen über das abgegebene Arzneimittel mehr erhalten würde. Vielmehr werden ihm diese produktspezifischen Informationen vom Apotheker erteilt: Legt ein Patient eine Aut-idem-Verordnung vor, ist dem Apotheker bewusst, dass der Arzt den Patienten nicht produktspezifisch hat aufklären können. Nachdem er das Informationsdefizit des Patienten erkannt hat, muss der Apotheker ihm sodann selbst produktspezifische Informationen zu dem Arzneimittel im Wege der pharmazeutischen Beratung nach § 20 ApBetrO erteilen. Im Ergebnis erhält der Patient damit im Zusammenspiel von Arzt und Apotheker alle für die Anwendung des Arzneimittels notwendigen Informationen. Auch dass der Patient die produktspezifischen Informationen nicht höchstpersönlich von seinem Arzt erhält, führt nicht zu einem Widerspruch zu dem Stand der allgemein anerkannten medizinischen Erkenntnisse. So ist anerkannt, dass ein Arzt, der einen Patienten behandelt, nicht sämtliche im Rahmen der Behandlung notwendigen Tätigkeiten höchstpersönlich erbringen muss, sondern dass er den Patienten zur Durchführung einzelner Behandlungsschritte auch an Träger nichtärztlicher Gesundheitsberufe verweisen darf, die diese Tätigkeiten dann in eigenem Namen und ohne ärztliche Überwachung erbringen.454 Voraussetzung einer solchen sog. Substitution ärztlicher Leistungen ist, dass mit der Tätigkeitsübertragung auf einen Nicht-Arzt keine Risiken für den Patienten verbunden sind455 und dass nicht das ärztliche Berufsrecht ausnahmsweise die Übertragung der Tätigkeit ausschließt456. Die Überantwortung von Teilen der Arzneimittelinstruktion von dem Arzt auf den Apotheker ähnelt strukturell einer Substitution ärztlicher Leistungen, weil auch hier der Arzt Teile der Arzneimittelinstruktion nicht selbst erbringt, sondern den Apotheker dazu veranlasst, den Patienten über die Spezifika des abgegebenen Arzneimittels zu informieren. Der Apotheker ist für die Patienteninstruktion ausreichend qualifiziert. Es widerspricht deshalb nicht dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse, wenn ein „aut idem“ verordnender Arzt dem Patienten nicht selbst produktspezifische Besonderheiten des in der Apotheke abgegebenen Arzneimittels erläutert.457 Einen „aut idem“ verordnenden Arzt trifft daher nach § 2 I 3 SGB V nicht die Pflicht, den Patienten über produktspezifische Eigenschaften des in der Apotheke abgegebenen Arzneimittels zu instruieren.458

454 Achterfeld S.  237 ff.; Bauer, GewArch 2012, S.  12 (15); Bergmann, MedR 2009, S.  1 (6, 8 ff.). Eingehend Abanador, S. 31 ff., 181 ff.; Gröschl, S. 68 ff., 93 ff. 455 Bergmann, MedR 2009, S. 1 (8). Vgl. auch Bauer, GewArch 2012, S. 12 (15). 456 Zu berufsrechtlichen Arztvorbehalten s. Kern, in: Laufs/Kern, § 45 Rn. 6. 457 Für die Zulässigkeit der Übertragung von Aufklärungstätigkeiten von Ärzten auf NichtÄrzte im Wege einer Substitution auch Achterfeld, S. 238 f. 458 Zu erwägen ist allenfalls, ob der Arzt über die hilfsstoffbezogenen Nebenwirkungen des namentlich unter Substitutionsgestattung verordneten Arzneimittels aufklären muss.

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Kap. 4: Die Pflicht zur Auswahl wirtschaftlicher Arzneimittel

3. Verteilung der Patienteninstruktion zwischen Arzt und Apotheker Es kommt damit bei einer Aut-idem-Substitution zu einer Aufteilung der Patienteninstruktion zwischen Arzt und Apotheker.459 Der Arzt muss dem Patienten Anwendungs- und Warnhinweise in Bezug auf den verschriebenen Wirkstoff erteilen. Die Information über produktspezifische Aspekte des abgegebenen Arzneimittels obliegt hingegen dem Apotheker als Teil der pharmazeutischen Beratung. Der Apotheker muss dem Patienten von den Hilfsstoffen ausgehende Nebenwirkungen erläutern460 und Anwendungshinweise bei unterschiedlicher Darreichungsform von verordnetem und abgegebenem Arzneimittel erteilen.

III. Wirtschaftlichkeitsverantwortung von Arzt und Apotheker Zuletzt stellt sich die Frage, wie bei der Belieferung einer Aut-idem- oder einer Wirkstoffverordnung die Verantwortung von Arzt und Apotheker gegenüber den Krankenkassen für die Wirtschaftlichkeit des abgegebenen Arzneimittels voneinander abgegrenzt ist. Problematisch ist dabei vor allem, inwieweit sich der Vertragsarzt im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung für ärztlich verordnete Leistungen die Auswahlentscheidung des Apothekers zurechnen lassen muss. 1. Haftung des Arztes für Auswahlentscheidungen des Apothekers? Das Verordnungsverhalten des Arztes unterliegt nach den §§ 106, 106b f. SGB V einer Wirtschaftlichkeitsprüfung. Wird im Rahmen der Prüfung eine unwirtschaftliche Verordnungsweise festgestellt, kann gegen den Arzt ein Verordnungsregress festgesetzt werden.461 Obgleich die Vorschrift des § 106b I 1 SGB V, die Hauptnorm für die Wirtschaftlichkeitsprüfung ärztlich veranlasster Leistungen, keine näheren Vorgaben über die Durchführung der Prüfung enthält, sondern sie der vertraglichen Regelung auf Landesebene durch Krankenkassenlandesverbände und Kassenärztliche Vereinigungen überlässt, folgt aus dem allgemeinen Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 SGB V, dass die auf Landesebene geschlossenen Prüfvereinbarungen bewirken müssen, dass Vertragsärzte möglichst kostengünstig verordnen.462 Um die von ihm verursachten Arzneimittelkosten niedrig zu halten, kann ein Arzt zum einen versuchen, selbst möglichst günstige Arzneimittel zu verordnen. 459

So im Ergebnis auch Krudop-Scholz, S. 194 f. So auch Webel/Wallhäuser/Saalfrank, DAZ 2008, S.  106 (112); s. auch Hofer, S.  282 („Aufklärung über die produktspezifischen Risiken des Substituts“). 461 Zur Wirtschaftlichkeitsprüfung für verordnete Leistungen s. oben Kapitel 3 C. III. 2 c) bb) (2). 462 Vgl. Hauck/Noftz/Engelhard, § 106b SGB V Rn. 28 ff. 460

E. Die Verantwortungsbereiche von Arzt und Apotheker

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Seit dem 1.1.2016 wird einem Arzt die Auswahl günstiger Arzneimittel dadurch erleichtert, dass gemäß § 73 IX 2 Nr. 2 SGB V die von Ärzten benutzte Verordnungssoftware aktuelle Produktinformationen enthalten muss und die Anbieter von Verordnungssoftware deshalb zu einer entsprechenden Anpassung ihrer Programme gezwungen sind. Wenn keine therapeutischen Bedenken bestehen, kann der Arzt außerdem durch Ausstellung einer Aut-idem- oder Wirkstoffverordnung dem Apotheker die Auswahl des konkreten Arzneimittels überlassen; nach Maßgabe von § 129 I SGB V und des Rahmenvertrages muss dann der Apotheker ein wirtschaftliches Arzneimittel auswählen. In den Fällen, in denen der Vertragsarzt eine Wirkstoff- oder eine Aut-idemVerordnung ausstellt, hängt es allerdings von der Auswahlentscheidung der Apotheker ab, wie hoch sich die auf den Vertragsarzt entfallenden Ausgaben genau belaufen.463 Die rahmenvertragliche Regelung des § 4 IV RV-AV kann dabei bewirken, dass auf einen Vertragsarzt hohe Arzneimittelausgaben entfallen: Apotheker dürfen nach § 4  IV RV-AV eine Aut-idem-Verordnung mit dem namentlich verordneten Arzneimittel beliefern, sofern kein Rabattarzneimittel existiert. Verordnet der Arzt ein teures Originalarzneimittel „aut idem“, darf ein Apotheker folglich das teure Original abgeben. Für die Belieferung von Wirkstoffverordnungen sieht § 4 IV RV-AV vor, dass der Apotheker unter den drei preisgünstigsten Arzneimitteln des Wirkstoffs auswählen darf. Befinden sich neben dem teuren Original nur zwei Generika auf dem Markt, dürfte der Apotheker eine Wirkstoffverordnung mit dem teuren Original beliefern, da das Original begrifflich zu den drei günstigsten Arzneimitteln des betreffenden Wirkstoffes zählt. Müsste sich der Vertragsarzt die Auswahlentscheidung des Apothekers für ein teures Arzneimittel zurechnen lassen, wäre es nicht auszuschließen, dass er in der Wirtschaftlichkeitsprüfung in Regress genommen wird, weil auf ihn zu hohe Arzneimittelausgaben entfallen.464 Fraglich ist daher, ob der Arzt im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung die Entscheidung des Apothekers, ein teures Arzneimittel abzugeben, gegen sich gelten lassen muss. Teilweise wird angenommen, dass der Arzt für die Auswahlentscheidung des Apothekers einstehen müsse und von der Krankenkasse in Regress genommen werden könne. Durch die Ausstellung einer Wirkstoff- bzw. Aut-idem-Verordnung habe er die Kontrolle über die Kosten aus der Hand gegeben.465 Speziell in Bezug auf die Aut-idem-Verordnung wird außerdem argumentiert, dass die Abgabe des teuren Arzneimittels vom Willen

463

JurisPK-SGB V/Clemens, § 106 SGB V Rn. 190. Vgl. KV Bayern, Broschüre „Die aktuelle Wirtschaftlichkeitsprüfung“, S.  41 (abrufbar unter: https://www.kvb.de/fileadmin/kvb/dokumente/Praxis/Infomaterial/Verordnung/KVB-Bro schuere-Wirtschaftlichkeitspruefung.pdf); Kuhlen, AZR 2007, S. 116 (117). Vgl. auch jurisPKSGB V/Clemens, § 106 SGB V Rn. 155. – Zu einem Vorschlag, die Arzneimittelvereinbarungen auf Landesebene, in denen die damaligen Richtgrößen geregelt wurden, und die Auswahlkriterien der Apotheker durch Gesetz zu koordinieren, s. ABDA, PharmR 2006, S. 528 (530). 465 v. Czettritz, Der niedergelassene Arzt 2011, Heft Nr. 1, S. 64 (65). 464

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Kap. 4: Die Pflicht zur Auswahl wirtschaftlicher Arzneimittel

des Arztes gedeckt sei, der das abgegebene Präparat immerhin verordnet habe, wenn auch unter Substitutionsgestattung.466 Da § 73 V 2 SGB V die Verordnung unter Substitutionsgestattung als die Regelform der ärztlichen Verordnungsweise ansieht, wäre es jedoch widersprüchlich, wenn der Arzt Nachteile erleiden würde, wenn er dem Apotheker eine Auswahlmöglichkeit eröffnet. Dass der Arzt für die Auswahlentscheidung des Apothekers einstehen muss, ist somit von den §§ 106, 106b f., 129 SGB V nicht intendiert.467 Der Arzt kann sich aus diesem Grund gegen eine Regressforderung der Krankenkasse verteidigen, wenn er nachweist, dass festgestellte erhöhte Arzneimittel­ kosten auf das Abgabeverhalten von Apothekern zurückgehen.468 Er muss nicht für die Auswahlentscheidungen des Apothekers in der Wirtschaftlichkeitsprüfung einstehen. In Stichprobenprüfungen, bei denen die Prüfgremien nur einen konkreten Behandlungsfall untersuchen, gelingt dem Arzt der Nachweis mittels seiner Behandlungsdokumentation. Schwieriger gestaltet sich die Verteidigung des Arztes in den Fällen, in denen die Prüfgremien nicht einzelne Verordnungen, sondern die von einem Arzt in einem bestimmten Zeitraum verursachten Arzneimittelkosten untersuchen.469 Die vertragsärztlichen Prüfgremien sind nicht in der Lage, zu identifizieren, ob die Höhe des Verordnungsvolumens von dem Arzt selbst zu verantworten ist oder vor allem auf dem Abgabeverhalten der Apotheker beruht. Ihnen werden von den Krankenkassen nur die pro Arzt angefallenen Arzneimittelkosten übermittelt470 und es können – soweit es zur Durchführung der Prüfung erforderlich ist – noch die Versichertennummern nachgereicht werden471, was den Nachweis von medizinischen Besonderheiten im Einzelfall erleichtern soll.472 Die übermittelten Daten werden hingegen nicht danach aufgeschlüsselt, ob der Arzt die Substitution zugelassen hat.473 Eine Möglichkeit zur Lösung der Problematik kann aber darin liegen, dass in den Prüfvereinbarungen auf Landesebene ein Sicherheitsabschlag auf das Verordnungsvolumen normiert wird, um in pauschalierter Form die Auswahl teurer Arzneimittel durch Apotheker abzugelten.474

466 Hauck/Noftz/Luthe, § 129 SGB V Rn. 14; Kasseler Kommentar/Hess, § 129 SGB V Rn. 8; Kuhlen, AZR 2007, S. 117 (118). Vgl. auch jurisPK-SGB V/Clemens, § 106 SGB V Rn. 147. 467 Ehlers/Weizel, pharmind 2001, S. 1156 (1157). 468 Vgl. jurisPK-SGB V/Clemens, § 106 SGB V Rn. 155. 469 Die §§ 11, 12 der Prüfvereinbarung nach § 106 I 2 SGB V der KV Baden-Württemberg sehen etwa Prüfungen nach Richtwerten oder Durchschnittswerten vor. 470 § 296 II 1 Nr. 3 SGB V. 471 § 296 II 2 SGB V. 472 BT-Drs. 16/4247, S. 57; Spickhoff/Palsherm/Clemens, § 106 SGB V Rn. 3. 473 Vgl. v. Czettritz, Der niedergelassene Arzt 2011, Heft Nr. 1, S. 64 (65). 474 Vgl. jurisPK-SGB V/Clemens, § 106 SGB V Rn. 155.

E. Die Verantwortungsbereiche von Arzt und Apotheker

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2. Wirkstoffbezogene Wirtschaftlichkeitsprüfung? Die soeben dargestellte Problematik, dass die Auswahlentscheidung des Apothekers einen Vertragsarzt in der Wirtschaftlichkeitsprüfung unter Rechtfertigungsdruck setzen kann, würde nicht mehr auftreten, soweit bei Vertragsärzten eine rein wirkstoffbezogene Wirtschaftlichkeitsprüfung durchgeführt würde. Eine wirkstoffbezogene Wirtschaftlichkeitsprüfung erstreckt sich nur darauf, welchen Wirkstoff der Arzt ausgewählt und welche Menge er verordnet hat. Wenn ein Arzt nur noch die Entscheidung für einen bestimmten Wirkstoff und für eine bestimmte Wirkstoffmenge und nicht mehr die Höhe der Kosten rechtfertigen muss, die auf die abgegebenen Arzneimittel entfallen, hat die Auswahlentscheidung des Apothekers auf den Verlauf der Wirtschaftlichkeitsprüfung keine Auswirkungen mehr. Da § 73 V 2 SGB V die Auswahlübertragung auf den Apotheker als Regelfall ansieht, wird eine wirkstoffbezogene Wirtschaftlichkeitsprüfung in den Fällen, in denen der Arzt dem Apotheker die Auswahl überlässt, mitunter für systemgerechter gehalten.475 Der im Jahr 2011 mit dem Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz eingeführte § 106  IIIb SGB  V a. F. sah ausdrücklich vor, dass Kassenärztliche Vereinigung und Krankenkassenlandesverbände die Durchführung wirkstoffbezogener Wirtschaftlichkeitsprüfungen vereinbaren können476. Unter der gegenwärtigen Rechtslage ist die Vereinbarung einer wirkstoffbezogenen Wirtschaftlichkeitsprüfung zwar nicht mehr ausdrücklich in den §§ 106, 106b SGB V erwähnt, doch ist sie von dem durch § 106b I SGB V eröffneten weiten Regelungsspielraum der Kassenärztlichen Vereinigungen und Krankenkassenlandesverbände für die Ausgestaltung der Wirtschaftlichkeitsprüfung gedeckt.477 Zu bedenken ist allerdings, dass dem Arzt in den Fällen, in denen er ein Arzneimittel unter Substitutionsausschluss verordnet hat oder in denen ein Austauschverbot eingreift, die Höhe der angefallenen Arzneimittelkosten zurechenbar ist. Es erscheint in diesen Fällen angebracht, den Arzt auch im Hinblick auf die Kostenhöhe einer Prüfung zu unterwerfen. Eine wirkstoffbezogene Wirtschaftlichkeitsprüfung würde den Arzt über das gebotene Maß hinaus entlasten. Am sachgerechtesten wäre deshalb die Vereinbarung einer kombinierten Prüfungsmethode in dem Vertrag nach § 106b I SGB V dahingehend, dass Aut-idem- sowie Wirkstoffverordnungen nur wirkstoffbezogen und dass Verordnungen unter Substitutionsausschluss auch im Hinblick auf die konkret angefallenen Kosten geprüft werden.

475

Vgl. JurisPK-SGB V/Clemens, § 106 SGB V Rn. 190. Unmittelbarer Regelungsanlass war seinerzeit, dass die Berücksichtigung von Rabatten in der Wirtschaftlichkeitsprüfung, die Krankenkassen aufgrund von Rabattverträgen gezahlt werden, schwierig und mit rechnerischen Ungenauigkeiten verbunden sein kann. S. dazu: Kasseler Kommentar/Hess, Rn. 32a; Becker/Kingreen/Scholz, § 106 SGB V [in der bis 31.12.2016 geltenden Fassung] Rn. 15; Liebold/Zalewski/Rompf/Weinrich, C 106–29. 477 s. die Gesetzesbegründung, BT-Drs. 18/4095, S. 136. 476

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Kap. 4: Die Pflicht zur Auswahl wirtschaftlicher Arzneimittel

Gegenwärtig wäre eine solche Prüfung allerdings praktisch nicht umsetzbar, weil den Prüfgremien nicht übermittelt wird, in welchen Behandlungsfällen der Arzt unter Substitutionsausschluss verordnet hat.478

IV. Zusammenfassung: Das Verantwortungsgefüge von Arzt und Apotheker Es hat sich gezeigt, dass die Aut-idem-Substitution zu einer komplexen Verzahnung der Pflichten von Arzt und Apotheker gegenüber Versicherten und Krankenkassen führt. Für den Apotheker bringt die Aut-idem-Substitution unter Gesichtspunkten der Arzneimittelsicherheit einen Mehraufwand gegenüber der Belieferung einer bindenden ärztlichen Verordnung insoweit mit sich, als er einen Teil  der Arzneimittelinstruktion nun regelhaft übernimmt. Er muss den Patienten über spezifische Risiken des abgegebenen Präparats aufklären oder ihm spezifische Anwendungshinweise erteilen.479 Allerdings ist die Aut-idem-Substitution auch für den Vertragsarzt mit einer Pflichtenzunahme in Bezug auf den Schutz der Gesundheit des Patienten gegenüber der Verordnung eines konkreten Arzneimittels verbunden.480 Er muss prüfen, ob eine Substitution therapeutisch vertretbar ist und deshalb eine umfassende, nicht nur auf Risiken eines bestimmten Arzneimittels bezogene Arzneimittelanamnese erheben. Zudem muss der Arzt substitutionsspezifischen Compliance-Problemen durch eine Aufklärung über die medizinische Unbedenklichkeit der Substitution begegnen. Eine solche Information über die Unbedenklichkeit der Substitution kann sogar nicht nur bei der ersten, sondern auch bei folgenden Verordnungen notwendig sein.481 In Bezug auf diese Gesichtspunkte trifft den Apotheker nur die Pflicht, durch Nachfrage beim Patienten zu erfragen, ob eine ärztliche Risikovorsorge stattgefunden hat. Die Wirtschaftlichkeitsverantwortung ist ebenfalls zwischen Arzt und Apotheker aufgeteilt. Der Arzt ist für die wirtschaftliche Auswahl des Wirkstoffs verantwortlich. Die Auswahl eines teuren Arzneimittels durch den Apotheker kann ihm aber nicht zugerechnet werden. Hinsichtlich der genauen Kostenhöhe liegt die Alleinverantwortung damit beim Apotheker.

478

s. soeben oben unter 1. Von einer Pflichtenzunahme beim Apotheker gehen ebenfalls aus Krudop-Scholz, S. 185; Francke, VSSR 2002, S. 299 (316). 480 A. Becker, Steuerung, S. 337; Francke, VSSR 2002, S. 299 (316); Leutgeb u. a., DMW 2009, S. 181 (184). Vgl. auch Rommerskirchen, S. 78. 481 Vgl. Rieß, S. 33. 479

F. Vereinbarkeit von § 129 I SGB V mit Verfassungsrecht

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F. Vereinbarkeit von § 129 I SGB V mit Verfassungsrecht Die Verpflichtung der Apotheker zur Auswahl wirtschaftlicher Arzneimittel berührt in vielfacher Hinsicht die Interessen von Versicherten, Apothekern, Ärzten und pharmazeutischen Unternehmern. Aus diesem Grund stellt sich die Frage, ob § 129 I SGB V mit verfassungsrechtlichen Vorgaben vereinbar ist.

I. Grundrechte der Versicherten Aus Sicht der Versicherten bewirkt die Pflicht zur Abgabe wirtschaftlicher Arzneimittel, dass Versicherte außer bei therapeutischer Notwendigkeit nur noch die wirtschaftlichsten Arzneimittel eines Wirkstoffs als Sachleistung zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung erhalten. Dadurch wird der Kreis der Arzneimittel beschränkt, den Versicherte als Sachleistung zulasten der GKV beanspruchen können. Weiterhin kommen – obwohl oben482 bei abstrakter Betrachtung die Beherrschung von Compliance-Problemen unproblematisch zu sein schien – die Autoren zweier Studien483 zu dem Ergebnis, dass die Arzneimittelsubstitution im Versorgungsalltag zu einem messbaren Rückgang der Therapietreue führe. Dafür, dass sich andere der oben484 dargestellten substitutionsbedingten Gesundheitsrisiken im Versorgungsalltag realisieren, bestehen hingegen keine Anhaltspunkte485. 1. Allgemeine Handlungsfreiheit – Verhältnismäßigkeit von Beitrag und Leistung Diese Auswirkungen der Pflicht zur Abgabe wirtschaftlicher Arzneimittel  – also die Beschränkung des Kreises der als Sachleistung zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung abgabefähigen Arzneimittel sowie das beobachtete Nachlassen der Therapietreue – könnten zunächst an der allgemeinen Handlungsfreiheit der Versicherten aus Art. 2 I GG zu messen sein. Der zwangsweise Zusammenschluss der Versicherten in der gesetzlichen Krankenversicherung und die Auferlegung von Beitragspflichten greifen in die allgemeine Handlungsfreiheit ein,486 sodass Versicherungspflicht und Beitragszwang dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz genügen müssen. Art. 2 I GG schützt Versicherte vor einer Unangemessenheit von Beitrag und Leistung.487 Den Pflichten, die Versicherten durch den Versiche 482

s. oben E. I., II. Bauer/May, PZ 2010, Heft Nr. 42, S. 10 ff.; Gröber-Grätz/Gulich, ZEFQ 2009, S. 99 ff. 484 E. I. 1. 485 Vgl. dazu Krauskopf/Knittel, § 129 SGB V Rn. 7b. 486 s. nur BVerfGE 109, 96 (109); 115, 25 (42); BSG SozR 4-2500 § 6 Nr. 9 Rn. 22. 487 Axer, GesR 2015, S. 193 (199 f.); Gassner, NZS 2016, S. 121 (123); Kemmler, NZS 2014, S. 521 (522, 525); Kingreen, NJW 2006, S. 877 (879); Pitschas, MedR 2015, S. 154 (158); BVerfGE 97, 271 (286); 115, 25 (42); BVerfG, NJW 2016, 1505 (1507); NJW 2017, 2096 (2097). 483

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rungs- und Beitragszwang auferlegt werden, muss ein hinreichendes Maß an Leistungen gegenüberstehen. a) Beschränkung der zur Auswahl stehenden Arzneimittel Fraglich ist, ob es zu einer Unverhältnismäßigkeit von Beitrag und Leistung führt, dass Versicherte als Folge der Pflicht zur Abgabe wirtschaftlicher Arzneimittel nur noch die jeweils günstigsten Arzneimittel eines Wirkstoffs beanspruchen können, wobei sie unter mehreren abgabefähigen Arzneimitteln wählen können. Aus dem Gebot der Verhältnismäßigkeit von Beitrag und Leistung lassen sich, wenngleich sich gesetzliche oder auf Gesetz beruhende Leistungsausschlüsse an ihm zu messen haben, regelmäßig keine Ansprüche auf konkrete Leistungen herleiten.488 Bei der Ausgestaltung der Leistungen der gesetzlichen Krankenkasse darf sich der Gesetzgeber insbesondere von Wirtschaftlichkeitserwägungen leiten lassen.489 Die finanzielle Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung stellt einen überragend wichtigen Gemeinwohlbelang dar.490 Die Verpflichtung der Apotheker zur Abgabe wirtschaftlicher Arzneimittel bezweckt die Einsparung von Kosten und damit die Wahrung der finanziellen Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung. In der Vergangenheit geäußerte Zweifel, dass die Pflicht zur Abgabe wirtschaftlicher Arzneimittel zur Generierung von Einsparungen beitragen könne, weil sie einen ruinösen Preiskrieg der Generikahersteller auslöse, der mittelfristig ein Preisdiktat weniger Monopolisten zur Folge habe,491 haben sich nicht bewahrheitet: Ein solcher ruinöser Preiskrieg hat sich bis heute nicht gezeigt.492 Die Pflicht zur Abgabe wirtschaftlicher Arzneimittel führt weiterhin nicht dazu, dass den Versicherten bestimmte Wirkstoffe als solche nicht mehr zur Verfügung stünden. Bei therapeutischer Notwendigkeit ist ein Arzt außerdem berechtigt, die Substitution auszuschließen. Die Pflicht zur Abgabe wirtschaftlicher Arzneimittel führt somit nicht dazu, dass Versicherten im Einzelfall eine aus medizinischer Sicht notwendige Therapie versagt würde. Die mit der Pflicht der Apotheker zur Auswahl wirtschaftlicher Arzneimittel einhergehende Beschränkung des Leistungsumfangs führt daher nicht zu einer Unverhältnismäßigkeit von Beitrag und Leistung.493 488

BVerfGE 115, 25 (44); BVerfG, NJW 2016, 1505 (1507); NJW 2017, 2096 (2097). BVerfGE 115, 25 (45). 490 s. oben Kapitel 3 C. IV. 2. 491 Brenner, SGb 2002, S. 129 (132 f.); Bundeskartellamt, Stellungnahme zum GKV-WSG, Ausschuss-Drs. 14(0129)131, S. 7. Vgl. auch Schmidt, in: Gesundheit 2030, S. 217 (223 f.). 492 Krauskopf/Knittel, § 129 SGB V Rn. 7b. Vgl. auch Mandl, S. 237. 493 Das BVerfG hält es ausdrücklich für zulässig, wenn Leistungen nur nach Maßgabe des Wirtschaftlichkeitsgebots gewährt werden: BVerfGE 115, 25 (45); BVerfG, NJW 2016, 1505 (1507). – Nach Kemmler, NZS 2014, S. 521 (525), sind Leistungsbeschränkungen erst dann unverhältnismäßig, wenn zur Durchführung medizinisch gebotener Behandlungen hohe Eigen­ beteiligungen notwendig werden. 489

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b) Nachlassen der Therapietreue Die Pflicht zur Abgabe wirtschaftlicher Arzneimittel könnte allerdings insoweit zu einer Unverhältnismäßigkeit von Beitrag und Leistung führen, als befürchtet wird, dass der Austausch des verordneten Arzneimittels in der Apotheke zu einem Nachlassen der Therapietreue führe. Das Gebot der Verhältnismäßigkeit von Beitrag und Leistung hat nicht nur eine quantitative, sondern auch eine qualitative Dimension. Versicherungs- und Beitragszwang lassen sich nur rechtfertigen, wenn die im Versicherungsfall gewährten Leistungen eine angemessene Qualität aufweisen.494 Zwar könnte es unschädlich sein, wenn punktuell einzelne Leistungen keine ordnungsgemäße Qualität aufweisen, doch scheint das Gebot der Verhältnismäßigkeit von Beitrag und Leistung jedenfalls dann verletzt, wenn eine zentrale Leistungsgattung im Ganzen, wie etwa die Versorgung mit Arzneimitteln, keine ausreichende Qualität aufweist. Im Ausgangspunkt richtet sich die Angemessenheit der Leistungsqualität danach, ob die Leistungen dem aktuellen Stand der Wissenschaft entsprechen.495 Die Arzneimittel, die Versicherte bei einer Ersetzung des verordneten Arzneimittels durch den Apotheker erhalten, entsprechen zwar für sich gesehen als Produkt dem aktuellen Stand der Wissenschaft. Jedoch wäre die qualitative Dimension des Gebots der Verhältnismäßigkeit von Beitrag und Leistung auch dann berührt, wenn die Substitution des verordneten Arzneimittels Versicherte derart überfordern sollte, dass sie das abgegebene Arzneimittel nicht mehr einnehmen. Die Arzneimittelversorgung im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung wäre dann mit zu hohen Erfolgsunsicherheiten behaftet. aa) Die empirische Situation Im Rahmen einer vom Bundesverband der Arzneimitthersteller (BAH) in Auftrag gegebenen Studie wurden die Daten von drei Millionen Patienten zu drei Krankheitsbildern  – Diabetes, erhöhte Cholesterinwerte, Depressionen  – ausgewertet. Die Gruppe der depressiv erkrankten oder an erhöhtem Cholesterin leidenden Patienten, deren Präparat im Wege einer Substitution nach § 129 I SGB V getauscht wurde, wies im Vergleich zu der jeweiligen Kontrollgruppe, die durchgehend das gewohnte Medikament erhielt, jeweils eine um etwa 3,5 % höhere Therapieabbruchquote auf.496 Zudem wurde festgestellt, dass sich in der Gruppe der Wechsler die Verordnungsintervalle erhöhten; das lässt darauf schließen, dass das Arzneimittel weniger regelmäßig eingenommen wurde.497 Zu dem Ergebnis, dass etwa ein Drittel der Patienten nach einer Umstellung des Arzneimittels ihr Medikament nicht mehr regelmäßig einnimmt, kam eine 494

Axer, GesR 2015, S. 193 (199 f.); Pitschas, MedR 2015, S. 154 (158). Axer, GesR 2015, S. 193 (199 f.); Pitschas, MedR 2015, S. 154 (158). 496 Dies ergibt sich aus der Tabelle in Abb. 1 bei Bauer/May, PZ 2010, Heft Nr. 42, S. 10 (12). 497 BAH, Mitt. v. 11.2.2010, in: gesundheit adhoc. 495

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kleinere, mit 226 Probanden durchgeführte deutsche Untersuchung.498 Diese Zahl deckt sich mit dem Ergebnis einer – wenn auch in den USA durchgeführten und damit für die Beurteilung deutscher Regelungen nicht unmittelbar heranziehbaren – an rund 11.000 Herzpatienten durchgeführten Studie.499 Eine weitere Studie kam dagegen zu dem Ergebnis, dass sich der Präparatwechsel nicht auf die Therapietreue auswirkt.500 Da nur 135 Personen teilgenommen haben, ist sie jedoch weniger aussagekräftig. Wenngleich vollständig gesicherte Erkenntnisse zu den Auswirkungen eines Arzneimittelwechsels auf die Therapietreue noch nicht vorliegen,501 deutet das vorhandene empirische Material damit grundsätzlich auf einen Zusammenhang von Präparatetausch und nachlassender Therapietreue hin. Die Problematik des substitutionsbedingten Nachlassens der Therapietreue wurde mittlerweile auch vom Gesetzgeber aufgenommen. Der mit dem Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz im Jahr 2011 eingeführte § 64a SGB V ermöglicht die Vereinbarung von Modellvorhaben zur Verbesserung von Qualität und Wirtschaftlichkeit der Arzneimittelversorgung. Therapietreue und -sicherheit sollen so verbessert und Arzneimittelrisiken vermindert werden.502 Im Rahmen eines solchen Modellprojekts sollen Ärzte möglichst ausschließlich Wirkstoffverordnungen ausstellen.503 Durch die Wirkstoffverordnung sollen die Patienten eher auf den Wirkstoff als auf den Namen bestimmter Produkte fokussiert werden. Davon erhofft man eine Abnahme substitutionsbedingter Compliance-Probleme.504 Auch von der Mehrkostenregelung nach § 129  I  6 SGB  V, die Versicherten die Wahl ihres Wunscharzneimittels gestattet und sie damit in die Arzneimittelauswahl einbezieht, versprach sich der Gesetzgeber als Nebeneffekt eine Stärkung der Therapietreue.505 bb) Rechtliche Bewertung der empirischen Befunde Möglicherweise folgt aus dem zu beobachtenden Zusammenhang von Arzneimittelsubstitution und nachlassender Therapietreue, dass der Austausch des verordneten Arzneimittels den Erfolg einer Arzneimitteltherapie im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung derart beeinträchtigt, dass das Gebot der Äquivalenz von Beitrag und Leistung verletzt ist.

498

Gröber-Grätz/Gulich, ZEFQ 2009, S. 99 ff. Kesselheim u. a., Annals of Internal Medicine 2014, S. 96 (100 f.). 500 Neises u. a., PZ 2009, Heft Nr. 47, S. 74 (75 f.). 501 Rommerskirchen, S. 26; Gröber-Grätz/Gulich, ZEFQ 2010, S. 99 (100). Vgl. auch Schmidt, S. 218 (228); Weißenfeld, S. 59. 502 BT-Drs. 17/8005, S. 106. 503 BT-Drs. 17/8005, S. 106. 504 Schwenzer, AVP 2015, S. 130 (131). 505 BT-Drs. 17/3211, S. 1. 499

F. Vereinbarkeit von § 129 I SGB V mit Verfassungsrecht

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(1) Gesetzgeberischer Prognosespielraum und Studienlagen Damit der festzustellende Zusammenhang von Arzneimittelsubstitution und nachlassender Therapietreue zum Gegenstand einer verfassungsrechtlichen Überprüfung der Pflicht zur Abgabe wirtschaftlicher Arzneimittel gemacht werden kann, müsste es zunächst überhaupt statthaft sein, die dargestellten Studien zum­ Zwecke einer verfassungsrechtlichen Prüfung heranzuziehen. Da dem Gesetzgeber ein Prognosespielraum zukommt, ob die Regelungen des SGB V eine qualitätsgerechte Versorgung gewährleisten,506 kommt in Betracht, dass Studien nicht in beliebigem Umfang zur Beurteilung krankenversicherungsrechtlicher Regelungen herangezogen werden dürfen, sondern dass es zusätzlich einschränkender Voraussetzungen bedarf, etwa dass die Ergebnisse einer Studie in Fachkreisen verbreitet zur Kenntnis genommen und diskutiert werden.507 Das Bundesverfassungsgericht verlangt, dass der Gesetzgeber beim Normerlass „das erreichbare Material“ bzw. die „ihm zugänglichen Erkenntnisquellen“ ausschöpft und vertretbar bewertet.508 Ein entsprechender Maßstab dürfte für Daten gelten, die – wie die vorliegenden Studien – nach Erlass einer Vorschrift ge­ neriert werden und unter dem Aspekt der Normbeobachtungspflicht509 für die verfassungsrechtliche Bewertung einer gesetzlichen Regelung Relevanz erlangen könnten. Genaue Maßstäbe dafür, wann empirisches Material als für den Gesetzgeber „zugänglich“ anzusehen ist, existieren jedoch nicht.510 In Betracht kommt insoweit eine Gesamtbetrachtung in Abhängigkeit von der Repräsentativität der Untersuchung einerseits und der Schwere der in Frage stehenden Grundrechtsbeeinträchtigung andererseits. Jedenfalls die Studie des BAH könnte daher für die Beurteilung der Pflicht zur wirtschaftlichen Arzneimittelabgabe heranzuziehen sein, denn sie ist – da an drei Millionen Personen durchgeführt – in hohem Maße repräsentativ und es kann andererseits nachlassende Therapietreue zu ernsthaften Gesundheitsbeeinträchtigungen führen. Für die weitere rechtliche Bewertung der Pflicht zur Abgabe wirtschaftlicher Arzneimittel dahingehend, ob das zu beobachtende Nachlassen der Therapietreue zu einer Unverhältnismäßigkeit von Beitrag und Leistung führt, bietet

506

Vgl. Axer, GesR 2015, S. 193 (198, 200). Vgl. insoweit auch Kahl, in: Kluth/Krings, § 13 Rn. 3 mit Fn. 8, der mit Hinweis auf das im Demokratieprinzip wurzelnde Primat des Parlaments eine uneingeschränkte Bindung des Bundestages an Ergebnisse ablehnt, die vor dem Erlass eines Gesetzes im Rahmen der Gesetzesfolgenabschätzung von Sachverständigen gewonnen wurden. 508 BVerfGE 50, 299 (333 f.). 509 Zu Normbeobachtungspflichten s. oben Kapitel 2 B. I. 5. 510 BVerfGE 50, 299 (334 f.), hält jedenfalls Informationen für erreichbar, die in parlamentarischen Vorgängen geäußert werden. Andererseits wurde dem Gesetzgeber auch schon die planmäßige Sammlung von Daten auferlegt [BVerfGE 88, 203 (310) betr. Schwangerschaftsabbrüche] oder die Erteilung von Forschungsaufträgen für eventuell geboten gehalten [vgl. BVerfGE 56, 54 (82) betr. Fluglärm]. 507

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Kap. 4: Die Pflicht zur Auswahl wirtschaftlicher Arzneimittel

sich eine Unterscheidung nach den verschiedenen denkbaren Ursachen für das substitutions­bedingte Nachlassen der Therapietreue an. (2) Verhalten von Arzt oder Apotheker als Ursache Eine mögliche Ursache substitutionsbedingten Nachlassens der Therapietreue sind Fehler von Ärzten oder Apothekern. So können Ärzte es versäumen, Patienten, die etwa aufgrund bestimmter psychischer Beeinträchtigungen mit einer Substitution generell nicht zurechtkommen, ihr Arzneimittel unter Substitutionsausschluss zu verordnen. Beispielsweise hätte den in der BAH-Studie aufgeführten depressiv Erkrankten in aller Regel schon kein Arzneimittel unter Substitutionsgestattung verordnet werden dürfen.511 Ein weiteres Fehlverhalten kann darin liegen, dass Ärzte oder Apotheker es unterlassen, Patienten im gebotenen Maß über den Hintergrund der Substitution und die Gleichwertigkeit von verordnetem und abgegebenem Arzneimittel aufzuklären.512 Es bestehen Anhaltspunkte, dass die Bereitschaft zur Einnahme von Generika deutlich steigt, wenn ein Patient zuvor über den Hintergrund der generischen Substitution aufgeklärt wurde.513 Soweit nachlassende Therapietreue auf Fehler von Ärzten und Apothekern zurückzuführen ist, kann ein Rückgang der Therapietreue eine Unverhältnismäßigkeit von Beitrag und Leistung nicht begründen. Ärzte und Apotheker sind gesetzlich verpflichtet, Patienten umfassend vor substitutionsbedingten Gesundheitsgefahren zu schützen.514 Substitutionsbedingtes Nachlassen der Therapietreue, das auf Fehlern von Ärzten oder Apothekern beruht, ist deshalb nicht auf eine unzureichende rechtliche Ausgestaltung der Regelungen über die Arzneimittelsubstitution, sondern auf eine mangelnde Normbefolgung seitens der Ärzte und Apotheker zurückzuführen. Normbefolgungsmängel führen nur unter engen Voraussetzungen zur Verfassungswidrigkeit gesetzlicher Regelungen. Das Befolgungsdefizit muss bereits strukturell in der Norm selbst angelegt sein,515 beispielsweise weil Zuwiderhandlungen gegen die Norm nicht sanktionierbar sind. Pflichtverletzungen seitens von Ärzten und Apothekern können jedoch in mehrfacher 511 Vgl. Blume u. a., Leitlinie Gute Substitutionspraxis, S. 7; Weißenfeld, S. 49 f. – Depressiv Erkrankte bilden sich oft ein, das neue Arzneimittel wirke nicht mehr (sog. Nocebo-Effekt), Weißenfeld, S. 38 ff. (insbes. S. 47 ff.). – Ausweislich der BAH-Studie wurde nur in 12 % der Fälle die Substitution ausgeschlossen, BAH, Mitt. v. 11.2.2010, in: gesundheit adhoc. – S. auch schon oben E. I. 1. 512 Es wird gerügt, dass Ärzte und Apotheker häufig den Präparatetausch nicht näher erläuterten: Rieß, S. 33; Götting, KrV 2013, S. 249 (251). Speziell zu ärztlichen Aufklärungsdefiziten Rommerskirchen, S. 27; Gröber-Grätz/Gulich, ZEFQ 2009, S. 99 (103); Neises u. a., PZ 2009, Heft Nr. 47, S. 74 (76); Wilke/Neumann, DAZ 2008, Heft Nr. 14, S. 75 (77). 513 s. die bei Weißenfeld, S. 44, 48 f., wiedergegebenen Studien; Kesselheim u. a., Annals of Internal Medicine 2014, S. 96 (101 f.). 514 s. dazu oben E. 515 s. oben Kapitel 3 C. V. 2. a).

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Hinsicht Sanktionen nach sich ziehen: Es können sozial- und berufsrechtliche Disziplinarmaßnahmen verhängt werden und es können zudem zivilrechtliche Schadensersatzansprüche gegenüber dem Patienten entstehen. Diese Sanktionen bewirken eine ausreichende Steuerung, denn aus den dargestellten Untersuchungen geht auch hervor, dass in der großen Mehrzahl der Fälle keine Probleme mit der Therapietreue aufgetreten sind. Ein substitutionsbedingtes Nachlassen der Therapietreue, das auf Versäumnissen von Ärzten oder Apothekern beruht, bewirkt daher keine Unverhältnismäßigkeit von Beitrag und Leistung. (3) Patientenverhalten als Ursache Weiterhin kann substitutionsbedingtes Nachlassen der Therapietreue seinen Ursprung in einem Verhalten der Patienten haben. Denkbar ist, dass Patienten im Arztgespräch Vorbehalte gegenüber einer Substitution nicht offenlegen, dem Arzt dadurch ihren Beratungsbedarf nicht deutlich machen und aufgrund der Vorbehalte gegen das in der Apotheke erhaltene Arzneimittel die Arzneimitteltherapie dann abbrechen. Ebenfalls ist denkbar, dass Patienten leichte Wirkunterschiede des neuen Arzneimittels gegenüber dem alten wahrnehmen516 und dadurch verunsichert werden, es aber unterlassen, mit ihren Bedenken den Arzt oder den Apotheker aufzusuchen, sondern stattdessen die Arzneimitteleinnahme abbrechen. Ursache von Verunsicherung können auch Nebenwirkungen sein, die Patienten nach der Arzneimittelumstellung verspüren,517 die aber nicht zwangsläufig pharmazeutisch bedingt sind, sondern durch fortbestehende innere Vorbehalte gegen das in der Apotheke abgegebene Arzneimittel psychisch induziert sein können.518 Dagegen, dass eine auf Patientenverhalten beruhende nachlassende Therapietreue zu einer Unverhältnismäßigkeit von Beitrag und Leistung führt, spricht, dass in den dargestellten Fällen der Versicherte jeweils selbst eigenverantwortlich die Ursache für das Nachlassen der Therapietreue gesetzt hat. Er hat es unterlassen, sich mit bestehenden Bedenken an den Arzt oder den Apotheker zu wenden. Zwar wird von Versicherten so ein gewisses Maß an Eigeninitiative gefordert: Sie müssen bestehende Bedenken gegen die Substitution gegenüber dem verschreibenden Arzt artikulieren und auch mit während der Arzneimitteleinnahme auftretenden Verunsicherungen adäquat umgehen, indem sie gegebenenfalls nochmals das Gespräch mit dem Arzt oder dem Apotheker suchen. Angesichts der begrenzten 516 Einige Patienten sind beispielsweise in der Lage, die oft bestehenden Bioverfügbarkeitsunterschiede von gewohntem Arzneimittel und Substitut in Form leichter Wirkverzögerungen oder -beschleunigungen wahrzunehmen, vgl. dazu Zentrallaboratorium Deutscher Apotheker, PZ 2011, Heft Nr. 40, S. 42 (43). 517 Zu von Patienten empfundenen Nebenwirkungen s. jeweils May u. a., PZ 2010, Heft Nr. 6, S. 74 (7 % von 2500 Befragten); Neises u. a., PZ 2009, Heft Nr. 47, S. 74 (75) (49 % von 135 Patienten). 518 Vgl. Weißenfeld, S. 56 ff. (sog. Nocebo-Effekt).

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finan­ziellen Mittel, die für die Finanzierung der Sozialversicherung zur Verfügung stehen, darf von Versicherten ein gewisses Maß an Mitwirkung und Eigeninitiative bei der Behandlung verlangt werden.519 Soweit das Nachlassen der Therapietreue auf einem Verhalten des Versicherten beruht, verletzt die Pflicht zur wirtschaftlichen Arzneimittelabgabe damit ebenfalls nicht das Gebot der Verhältnismäßigkeit von Beitrag und Leistung.520 2. Allgemeine Handlungsfreiheit – Patientenautonomie Die Pflicht zur Auswahl wirtschaftlicher Arzneimittel könnte weiterhin am Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit der Versicherten unter dem Gesichtspunkt der Patientenautonomie521 zu messen sein, soweit sie zu einer Beschränkung des Leistungsanspruchs führt. Die Patientenautonomie schützt die Auswahlfreiheit des Patienten, welche Leistungen im Krankheitsfall zur Anwendung kommen sollen. Wenn das Recht der gesetzlichen Krankenversicherung den Kreis der im Krankheitsfall zur Verfügung stehenden Leistungen beschränkt, könnte darin ein Eingriff in die Patientenautonomie der Versicherten zu sehen sein.522 Weitergehende Anforderungen an die Ausgestaltung des Leistungsrechts der gesetzlichen Krankenversicherung, als sie bereits der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit von Beitrag und Leistung fordert, würden aus der Patientenautonomie jedoch nicht folgen;523 insbesondere vor dem Hintergrund der finanziellen Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung hat der Gesetzgeber einen großen Gestaltungsspielraum und es können Versicherte regelmäßig keine konkreten Leistungen beanspruchen.524 Die Pflicht zur Auswahl wirtschaftlicher Arzneimittel ist daher auch mit der Patientenautonomie vereinbar.

519 Zum Zusammenhang des Zusammenschlusses Versicherter in einer Solidargemeinschaft und der Auferlegbarkeit von Mitwirkungspflichten vgl. Süß, S.  96 f., 149 f. Kemmler, NZS 2014, S. 521 (527), hält sogar Kostenbeteiligungen bei der Behandlung von Folgeerkrankungen, die generell aus fehlender Therapietreue erwachsen, nicht für grundsätzlich ausgeschlossen.  – Vgl. zu entsprechenden zivilrechtlichen Mitwirkungsobliegen des Patienten Koyuncu, S. 143 ff. 153 ff.; Engst, S. 117 ff., 120 ff., 140 ff. 520 Vgl. Ehlers/Rybak/Bitter, S. 24. 521 Zur Patientenautonomie s. oben B. III. 5. 522 Vgl. für die Festbetragsregelung BVerfGE 106, 275 (304 f.). 523 Vgl. die Ausführungen des BVerfG im „Nikolausbeschluss“, BVerfGE 115, 25 (42 ff.): Das BVerfG zitiert dort (S. 42) die Ausführungen der Festbetragsentscheidung, wonach die Beschränkung der Auswahlfreiheit einen Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit darstelle; als Prüfungsmaßstab für Leistungsausschlüsse zieht es in der Folge allerdings ausschließlich das Gebot der Verhältnismäßigkeit von Beitrag und Leistung heran. 524 In Bezug auf die Festbetragsregelung Otto, PharmR 2005, S. 91 (101).

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3. Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit Als Prüfungsmaßstab für die Pflicht zur wirtschaftlichen Arzneimittelabgabe könnte, sowohl soweit sie eine Verkürzung der zur Verfügung stehenden Leistungen bewirkt als auch soweit sich ein substitutionsbedingtes Nachlassen der Therapietreue beobachten lässt, schließlich das Grundrecht der Versicherten auf Leben und körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 II GG heranzuziehen sein. Neben dem abwehrrechtlichen Gehalt enthält Art. 2 II GG eine Schutzpflicht, die den Staat verpflichtet, für angemessenen und wirksamen Schutz von Leben und körperlicher Unversehrtheit zu sorgen.525 Der Schutzpflichtgehalt ist vom Gesetzgeber auch bei der Ausgestaltung des Leistungskatalogs der gesetzlichen Krankenversicherung zu beachten.526 Soweit die Pflicht zur Abgabe wirtschaftlicher Arzneimittel dazu führt, dass Versicherte nicht jedes beliebige Arzneimittel eines bestimmten Wirkstoffs als Sachleistung erhalten können, ist der aus Art. 2 II GG folgende Schutzpflichtengehalt nicht verletzt: Art. 2 II GG lassen sich grundsätzlich keine Ansprüche auf bestimmte Leistungen entnehmen.527 Ein Anspruch auf bestimmte Gesundheitsleistungen folgt aus Art. 2 II GG allenfalls bei lebensbedrohlichen oder sonst sehr schwerwiegenden Krankheiten.528 Fraglich ist, ob es dem Schutzpflichtgehalt von Art. 2 II GG widerspricht, dass sich im Rahmen ein Nachlassen der Therapietreue beobachten lässt, in dessen Folge die Arzneimitteltherapie an Effektivität einbüßt. Aus Art. 2 II 1 GG wird in Verbindung mit Art. 1 I GG und Art. 20 I GG ein Recht auf ein medizinisches Existenzminimum hergeleitet, das es gebietet, dass Bürgern im Krankheitsfall ein Grundbestand an Leistungen bereitgestellt wird, die zur Krankheitsbehandlung notwendig sind.529 Vereinzelt wird der Schutzpflichtgehalt von Art. 2 II GG darüber hinausgehend so verstanden, dass der Staat zur Schaffung eines Gesundheitssystems verpflichtet sei, dessen Leistungen zumindest im Wesentlichen dem allgemeinen Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen müssten.530

525

Zur staatlichen Schutzpflicht aus Art. 2 II GG: Sachs/Sachs, vor Art. 1 GG Rn. 36; v. Mangoldt/Klein/Starck/Starck, Art.  2 GG Rn.  209; v. Münch/Kunig/Kunig, Art.  2  GG Rn.  54 ff.; BVerfGE 46, 120 (164); 49, 24 (53); 53, 30 (57); 77, 170 (214); 121, 317 (356); allgemein zu grundrechtlichen Schutzpflichten: Isensee, in: Handbuch des Staatsrechts, Bd. IX, § 191. 526 Vgl. BVerfGE 115, 25 (44); BVerfG, NJW 2016, 1505 (1507); NJW 2017, 2096 (2097). 527 s. nur BVerfG, NJW 1998, 1775 (1776); BVerfGE 115, 25 (44); BVerfG, NJW 2016, 1505 (1507); NJW 2017, 2396 (2397). Vgl. auch Isensee, GS Heinze, S. 417 (428). 528 Vgl. Schmitz-Luhn, S. 120.Vgl. auch BVerfG, NJW 2016, 1505 (1507); NJW 2017, 2396 (2397). Ablehnend etwa Wilksch, S. 323 ff.; Luthe, FS Frank, S. 77 (96). 529 Zum gesundheitlichen Existenzminimum s. etwa: Föllmer, S. 241 ff.; Wilksch, S. 155 ff.; Luthe, FS Frank, S.  77 (92 ff.); Ebsen, SDSRV 56 (2007), S.  133 (146 ff.); Neumann, NZS 2006, S. 393 ff.; Nimis, KrV 2013, S. 229 (232 ff.). 530 Zwermann-Milstein, S. 121 ff., 242, 267. Vgl. auch Francke, VSSR 2002, S. 299 (315).

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Auch den Anforderungen des medizinischen Existenzminimums genügt die Pflicht zur Abgabe wirtschaftlicher Arzneimittel trotz des beobachtbaren Nachlassens der Therapietreue jedoch, denn die bestehenden gesetzlichen Regelungen stellen in ausreichender Weise sicher, dass die Pflicht zur wirtschaftlichen Arzneimittelabgabe nicht mit Verlusten von Therapiewirksamkeit oder -sicherheit einhergeht. Das beobachtbare Nachlassen der Therapietreue beruht alleine auf einer fehlenden Normbefolgung der Ärzte und Apotheker sowie auf eigenverantwortlichem Verhalten der Versicherten. Die Pflicht zur Abgabe wirtschaftlicher Arzneimittel ist deshalb mit der aus Art. 2 II GG folgenden Schutzpflicht für das Leben und die körperliche Unversehrtheit vereinbar.

II. Grundrechte der Apotheker 1. Berufsfreiheit Aus Sicht der Apotheker greift die Verpflichtung zur Abgabe wirtschaftlicher Arzneimittel in deren Berufsfreiheit in Form einer Berufsausübungsregelung ein.531 Sie muss daher dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz genügen. Die Pflicht zur Abgabe wirtschaftlicher Arzneimittel verfolgt einen legitimen Regelungszweck von hohem Rang, denn sie soll zum Erhalt der finanziellen Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung beitragen. Zur Verfolgung dieses Regelungszwecks ist sie geeignet. Fraglich ist, ob es aus Sicht der Apotheker ein milderes Mittel darstellen würde, wenn nicht sie, sondern ausschließlich die Vertragsärzte verpflichtet würden, unter den verschiedenen Arzneimitteln eines Wirkstoffs ein möglichst wirtschaftliches auszuwählen. Ärzte sind zu einer solchen Auswahl zum einen unter fachlich-pharmakologischen Gesichtspunkten in der Lage; zum anderen würden Ärzte über den für eine solche Auswahl notwendigen vollständigen Marktüberblick verfügen, wenn sie zur Nutzung von mittlerweile erhältlicher Verordnungssoftware mit aktuellen Produktinformationen verpflichtet würden. Nach überwiegender Ansicht kann im Rahmen der Erforderlichkeitsprüfung eine mögliche Belastung Dritter jedoch nicht als milderes Mittel geltend gemacht werden.532 Die Pflicht zur Auswahl wirtschaftlicher Arzneimittel ist daher als Berufsausübungsregelung erforderlich. Weiterhin müsste sich die Pflicht zur Auswahl wirtschaftlicher Arzneimittel als angemessen darstellen.

531

Brenner, SGb 2002, S. 129 (135); BSG SozR 4-2500 § 129 Nr. 9 Rn. 27. s. nur Bickenbach, S.  328; Hillgruber, in: Handbuch des Staatsrechts, Bd.  IX, § 201 Rn. 64; BVerfGE 113, 167 (257); 116, 96 (127); 123, 186 (243). 532

F. Vereinbarkeit von § 129 I SGB V mit Verfassungsrecht

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a) Anstieg des Arbeitsaufwands Möglicherweise spricht es gegen die Angemessenheit der Pflicht zur Auswahl wirtschaftlicher Arzneimittel, dass sie einen höheren Arbeitsaufwand für den Apotheker bewirkt. Ein Apotheker muss prüfen, ob ein Arzneimittel existiert, das in Wirkstoff, Wirkstärke und Darreichungsform mit dem verordneten übereinstimmt, aber wirtschaftlicher ist.533 Eine Untersuchung kam zu dem Ergebnis, das sich dadurch der Zeitaufwand für die Belieferung einer Verordnung um 0,47 Minuten erhöhe.534 Mit der Einführung der Rabattverträge hat sich außerdem der Lagerhaltungsaufwand erhöht, da Apotheker die Rabattprodukte unterschiedlicher Krankenkassen bevorraten müssen.535 Mehr Zeit wird außerdem für die pharmazeutische Beratung benötigt, da ein Apotheker die hilfsstoffbezogenen Nebenwirkungen erläutern und gegebenenfalls produktspezifische Anwendungshinweise erteilen muss. Darüber hinaus wird beobachtet, dass Apotheker oft die für die Herstellung der Therapietreue notwendige Aufklärung durchführen536 oder pharmazeutische Bedenken gegen die Substitution abklären537 müssen. Dagegen, dass dieser Mehraufwand zu einer unverhältnismäßigen Belastung der Apotheker führt, spricht aber, dass die Pflicht zur Abgabe wirtschaftlicher Arzneimittel der finanziellen Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung und damit einem überragenden Gemeinwohlbelang dient. Hinzu kommt, dass der beobachtete Mehraufwand für die Abklärung pharmazeutischer Bedenken und für die Durchführung von Beratungen zur Gewährleistung der Therapietreue keine unmittelbare Folge der Substitutionspflicht ist, sondern auf vorausgehende Versäumnisse der Ärzte zurückgeht, die rechtlich verpflichtet sind, jegliche substitutionsbedingten Beeinträchtigungen von Therapiewirksamkeit und -sicherheit bereits selbst auszuschließen538. b) Erhöhung der Transaktionskosten zulasten der Apotheker Gegen die Angemessenheit der Pflicht zur Auswahl wirtschaftlicher Arzneimittel könnte weiter sprechen, dass Apothekern der gestiegene Arbeitsaufwand nicht vergütet wird. Der gestiegene Arbeitsaufwand begründet zugleich einen finanziellen Mehraufwand. In einer Apotheke, die 3163 Verordnungen belieferte, wurden für die Suche nach geeigneten Substituten und für erhöhte Lagerhaltungskosten insgesamt ein Arbeits- und Kostenmehraufwand im Wert von 361 € er 533

Rommerskirchen, S. 31; Brenner, SGb 2002, S. 129 (135 f.); Wigge, PharmR 2002, S. 2 (4). Wilke/Neumann, DAZ 2008, Heft Nr. 14, S. 75 (77). 535 Wilke/Neumann, DAZ 2008, Heft Nr. 14, S. 75 (77). 536 Vgl. Hüsgen, DAZ 2015, Heft Nr. 8, S. 20 (22). 537 Rommerskirchen, S. 78. 538 Vgl. dazu oben E. I. 3. 534

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Kap. 4: Die Pflicht zur Auswahl wirtschaftlicher Arzneimittel

rechnet,539 was 11 Cent pro Verordnung entspricht.540 Für Beratungsleistungen hat eine Modellrechnung einen Personal-Mehraufwand in Höhe von 1,13 € pro Arzneimittel ermittelt.541 Apothekern wird dieser finanzielle Mehraufwand nicht ausgeglichen.542 Nach § 78  II  1 AMG müssen zwar die Arzneipreisspannen den berechtigten Interessen der Apotheker Rechnung tragen, sodass beispielsweise Beratungsleistungen in die Preisspannen einfließen.543 Da es sich bei § 78 AMG um eine Vorschrift des allgemeinen Arzneimittelrechts handelt, kann sich in den auf ihrer Grundlage erlassenen Preisspannen jedoch nicht der GKV-spezifische substitutionsbedingte Aufwand widerspiegeln. Ökonomisch betrachtet erhöhen sich deshalb die Transaktionskosten zulasten des substituierenden Apothekers.544 Für Apotheker folgt daraus ein Gewinnverlust.545 Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verlangt, dass Leistungserbringer eine angemessene Vergütung für ihre Tätigkeit erhalten. Die Vergütung muss kosten­ deckend sein und Leistungserbringern die Existenzführung ermöglichen.546 Darüber hinaus muss es Leistungserbringern grundsätzlich möglich sein, einen angemessenen Gewinn zu erwirtschaften.547 Der auf die Vergütung durch gesetzliche Krankenkassen entfallende Gewinn einer Apotheke betrug im Jahr 2015 durchschnittlich 80.000 € Euro bei einem durchschnittlichen Gesamtgewinn von 136.000 €548 und damit etwa 58 % des Gesamtgewinns. Da etwa 55 % der abgegebenen Arzneimittel zulasten der GKV abgegeben wurden,549 erscheint dieser Gewinnanteil nicht unangemessen. Die substitutionsbedingt angestiegenen Transaktionskosten führen somit nicht dazu, dass Apotheker für die Arzneimittelabgabe nunmehr unangemessen niedrig vergütet werden.

539

Wilke/Neumann, DAZ 2008, Heft Nr. 14 S. 75 (76 f.). Vgl. Wilke/Neumann, DAZ 2008, S. 75 (77), Abb. 2. 541 Hüsgen, DAZ 2013, Heft Nr. 8, S. 24 (32). 542 Hüsgen, DAZ 2013, Heft Nr. 8, S. 24 (32); ähnlich Dettling, MedR 2008, S. 349 (354). 543 s. BT-Drs. 16/3950, S. 22. 544 Rommerskirchen, S. 78; vgl. Dettling, MedR 2008, S. 349 (354). 545 Vgl. für ärztliche Dokumentationspflichten Kluth, MedR 2005, S. 65 (70). 546 Penner, S. 639 ff.; Reuther, S. 171 f.; Wimmer, MedR 1998, S. 533 (535); BSGE 75, 187 (191); 93, 258 (265); 94, 50 (93); 101, 142 (159 f.). Vgl. auch BVerfGE 101, 331 (351). 547 Reuther, S. 172 ff.; Isensee, VSSR 1995, S. 321 (341); Wimmer, MedR 1998, S. 533 (535). 548 ABDA, Die Apotheke – Zahlen, Daten, Fakten 2016, S. 51 (abrufbar unter: https://www. abda.de/fileadmin/assets/Pressetermine/2016/TdA_2016/ABDA_ZDF_2016_Brosch.pdf). 549 Diese Zahl ergibt sich wie folgt: Im Jahr 2015 wurden zulasten von GKV und PKV zusammen 879 Mio. Arzneimittelpackungen angegeben, was 62, 6 % aller abgegebenen Packungen entspricht (s. ABDA, Die Apotheke  – Zahlen, Daten, Fakten 2016, S.  55, abrufbar unter: https://www.abda.de/fileadmin/assets/Pressetermine/2016/TdA_2016/ABDA_ZDF_2016_ Brosch.pdf). Auf die Privatversicherten entfielen dabei etwa 93 Mio. Packungen (vgl. die Werte in Wild, Arzneimittelversorgung der Privatversicherten 2014, S. 9). Damit entfielen 786 Mio. Packungen auf gesetzlich Versicherte. Das entspricht einem Anteil von 55,18 % aller abgegebenen Packungen. 540

F. Vereinbarkeit von § 129 I SGB V mit Verfassungsrecht

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c) Fehlende Verantwortlichkeit der Apotheker für den Arzneikostenanstieg Gegen die Angemessenheit der Verpflichtung der Apotheker zur Auswahl wirtschaftlicher Arzneimittel könnte allerdings sprechen, dass Apotheker durch die Vorschrift des § 129 I 1 Nr. 1, Nr. 2 SGB V in die Pflicht genommen werden, obwohl sie für den Arzneikostenanstieg in der gesetzlichen Krankenversicherung, der den Anlass für die Regelung bildete, keine Verantwortung traf. Apotheker beschränkten sich seit jeher darauf, ärztliche Verordnungen auszuführen; Einfluss auf die Kostenentwicklung hatten aufseiten der Leistungserbringer lediglich die Ärzte durch ihr Verordnungsverhalten sowie die pharmazeutischen Unternehmer durch ihre Preisgestaltung. Möglicherweise hätten sich daher Regelungen zur Kostenbegrenzung nur an Ärzte und pharmazeutische Unternehmer richten dürfen. Im Rahmen der Erforderlichkeitsprüfung musste die Möglichkeit des Gesetzgebers, andere Personen als Apotheker zu belasten, bei der Frage nach milderen Mitteln zwar außer Betracht bleiben. Doch wird die Auswahl des Gesetzgebers unter mehreren in Betracht kommenden Regelungsadressaten mitunter als Aspekt der Angemessenheitsprüfung thematisiert. Die Auswahl unter mehreren Regelungsadressaten müsse unter Gesichtspunkten der Sachnähe und Verantwortlichkeit erfolgen.550 Wenngleich Ärzte und pharmazeutische Unternehmer über einen großen Einfluss auf die Arzneikostenentwicklung verfügen, so beruht der Arzneikostenanstieg in der GKV dennoch nicht exklusiv auf dem Verordnungsverhalten der Ärzte und der Preisbildung der Hersteller. Weitere Ursachen des Kostenanstiegs liegen in ökonomischen Gesetzmäßigkeiten und der demographischen Entwicklung und damit in Umständen, die weder Ärzte noch pharmazeutische Unternehmer beeinflussen können.551 Unter Gesichtspunkten der Sachnähe und Verantwortlichkeit war es daher nicht geboten, dass der Gesetzgeber nur Ärzte und pharmazeutische Unternehmer zu Adressaten von Kosteneinsparungsinstrumenten machte. Die Pflicht zur Auswahl wirtschaftlicher Arzneimittel ist somit insgesamt mit der Berufsfreiheit der Apotheker vereinbar. 2. Allgemeiner Gleichheitssatz Aus Sicht der Apotheker stellt sich weiterhin die Frage nach der Vereinbarkeit der Pflicht zur Auswahl wirkstoffgleicher Arzneimittel mit dem allgemeinen Gleichheitssatz.552 Gleichheitsrechtliche Fragen erwachsen daraus, dass grund 550

Kube, JZ 2010, S. 265 (266). Vgl. auch BVerfGE 109, 64 (88 f.). s. oben in der Einleitung. 552 Der Grundsatz, dass eine hypothetisch mögliche Belastung bei der verfassungsrechtlichen Prüfung eines Gesetzes außer Betracht bleibt, gilt lediglich für die Erforderlichkeitsürüfung bei Freiheitsrechten, vgl. Bickenbach, S. 328. 551

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Kap. 4: Die Pflicht zur Auswahl wirtschaftlicher Arzneimittel

sätzlich auch die Ärzte als Adressaten einer Pflicht zur Auswahl wirtschaftlicher Arzneimittel in Betracht gekommen wären; sie sind aufgrund ihrer Ausbildung ebenfalls qualifiziert, unter mehreren wirkstoffgleichen Arzneimitteln auszuwählen.553 Der Gesetzeber hat sich allerdings entschieden, die Auswahl wirtschaftlicher Arzneimittel in erster Linie den Apothekern zu überantworten, während es Ärzten im Recht der GKV grundsätzlich anheimgestellt wird, ob sie selbst ein wirtschaftliches Arzneimittel auswählen oder ob sie die Auswahl auf den Apotheker delegieren. Dadurch werden vergleichbare Berufsgruppen ungleich behandelt. Für diese Ungleichbehandlung müssen rechtfertigende Gründe bestehen. Da die Pflicht zur wirtschaftlichen Arzneimittelabgabe zugleich die Berufsfreiheit der Apotheker betrifft, ist Prüfungsmaßstab die sog. neue Formel. Zwischen Apothekern und Ärzten müssen Unterschiede von solchem Gewicht bestehen, dass sie die dargestellte Ungleichbehandlung von Apothekern und Ärzten rechtfertigen. Der Gleichheitssatz verlangt insoweit aber nicht, dass die Inpflichtnahme des Apothekers, zu der sich der Gesetzgeber entschieden hat, die bestmögliche oder sachgerechteste Lösung darstellt; erforderlich ist lediglich, dass sich die Entscheidung des Gesetzgebers durch hinreichende Gründe rechtfertigen lässt.554 Da Apotheker aufgrund entsprechender Informationssysteme den Arzneimittelmarkt traditionell besser überblickten als Ärzte, war es für den Gesetzgeber bei Einführung des SGB V im Jahr 1989 naheliegend, den Apothekern die Pflicht zur wirtschaftlichen Arzneimittelauswahl aufzuerlegen. Seit dem Jahr 2016 ist zwar nun durch das E-Health-Gesetz vorgeschrieben, dass Praxissoftware von Ärzten nur noch eingesetzt werden darf, wenn sie einen aktuellen Marktüberblick bietet,555 was zur Folge hat, dass nun auch Ärzte den Arzneimittelmarkt in derselben Weise wie Apotheker überschauen können, wenn sie sich für die Anschaffung einer Software entscheiden. Allerdings spricht dies nicht gegen die Verpflichtung der Apotheker zur Auswahl wirtschaftlicher Arzneimittel. Da keine Pflicht zur Nutzung von Verordnungssoftware besteht, ist nicht gewährleistet, dass Ärzte im selben Maße über den Arzneimittelmarkt informiert sind wie Apotheker, für die die Verwendung einer Software zur Sicherstellung eines reibungslosen Apothekenbetriebs unerlässlich und aus diesem Grund historisch gewachsen ist. Die Übertragung der Arzneimittelauswahl auf die Apotheker erlaubt auch eine reibungslosere Arzneimittelversorgung, da Apotheker aufgrund ihres Kontakts mit dem Großhandel Lieferschwierigkeiten von Arzneimitteln besser erkennen können als Ärzte. Außerdem bewirkt die Einschaltung des Apothekers eine – wenn auch eher geringe – Zeitersparnis für den Arzt, der sich mehr der eigentlichen Behand-

553 Zur Auswahl unter mehreren potentiellen Regelungsadressaten als Gleichheitsfrage vgl. Kube, JZ 2010, S. 265 (270 f.). 554 Allgemein Sachs/Osterloh/Nußberger, Art. 3 GG Rn. 95; BVerGE 117, 1 (36); 118, 79 (110). 555 § 73 IX 1 Nr. 3 SGB V.

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lungstätigkeit zuwenden kann.556 Vor allem trägt die Überantwortung der Arzneimittelauswahl auf Apotheker dem unterschiedlichen wirtschaftlichen Nutzen Rechnung, den Ärzte einerseits und Apotheker andererseits aus der Versorgung Versicherter mit Arzneimitteln ziehen: Die Delegation der Arzneimittelauswahl auf die Apotheker entlastet die Vertragsärzte von der Wirtschaftlichkeitsverantwortung und den damit verbundenen Regressrisiken.557 Das erscheint deshalb angemessen, weil das Honorar, das Ärzte für die Verordnung eines Arzneimittels erhalten, weitaus geringer ist als die Vergütung eines Apothekers für den Verkauf eines Arzneimittels.558 Zudem sind Ärzte nicht vollständig von der Arzneimittelauswahl unter Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkten entbunden, denn in den Fällen, in denen sie aus Gründen der Therapiesicherheit die Substitution nicht zulassen dürfen,559 müssen sie selbst ein möglichst wirtschaftliches Arzneimittel auswählen. Die Pflicht der Apotheker zur Auswahl wirtschaftlicher Arzneimittel ist deshalb mit dem allgemeinen Gleichheitssatz vereinbar.

III. Berufsfreiheit der pharmazeutischen Unternehmer Aus Sicht der pharmazeutischen Unternehmer stellt sich ebenfalls die Frage, ob die Pflicht zur Abgabe wirtschaftlicher Arzneimittel mit deren Berufsfreiheit vereinbar ist. Das Grundrecht der Berufsfreiheit gewährt pharmazeutischen Unternehmern das Recht auf ungehinderte Berufsausübung,560 einschließlich des Rechts, den Preis ihrer Arzneimittel frei festzusetzen.561 Die Pflicht der Apotheker zur Auswahl wirtschaftlicher Arzneimittel bewirkt, dass als Sachleistung zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung nur rabattierte (§ 129  I  3 SGB  V) oder preisgünstige (§ 129  I  5 SGB  V) Arzneimittel abgegeben werden können. Andere Arzneimittel können von Versicherten nur gegen Tragung der Mehrkosten im Wege der Kostenerstattung in Anspruch genommen werden. Für die Anbieter nicht rabattierter oder teurer Arzneimittel können damit Umsatzeinbußen einhergehen. Zugleich soll durch die Beschränkung des Kreises der als Sachleistung abgabefähigen Arzneimittel auf Rabattarzneimittel und preisgünstige Arzneimittel ein Rabatt- und Preiswettbewerb unter den pharmazeutischen Unternehmern angeregt werden.

556

Schwenzer, AVP 2015, S. 130 (131). Hoffmann/Windt/Glaeske, DWS 2010, S. 739 (743). 558 Vgl. dazu oben Kapitel 3 C. II. 2. b) cc) (2) (b). 559 Etwa 11,5 % der Verordnung erfolgen unter Substitutionsausschluss, vgl. Rommerskirchen, S. 11. 560 Zum Schutzbereich der Berufsfreiheit vgl. oben F. II. 1. 561 Sodan, VSSR 2005, S. 163 (167); BVerfGE 106, 275 (298). Allgemein Rixen, S. 254 ff. 557

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Kap. 4: Die Pflicht zur Auswahl wirtschaftlicher Arzneimittel

1. Zum Eingriffscharakter von § 129 I 1 Nr. 1, Nr. 2 SGB V Die Verpflichtung der Apotheker zur Auswahl wirtschaftlicher Arzneimittel könnte aufgrund der dargestellten Auswirkungen  – Verursachung von Umsatzeinbußen und Forcierung des Preis- und Rabattwettbewerbs – in die Berufsfreiheit der pharmazeutischen Unternehmer eingreifen. In der Literatur werden Beschränkungen von Leistungsansprüchen Versicherter, die Produkthersteller zu Preissenkungen motivieren sollen, verbreitet als Eingriff in die Berufsfreiheit der betroffenen Hersteller angesehen, da sie ein Surrogat für staatliche Preisregelungen bildeten.562 In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wurde dagegen unterschiedlich beurteilt, inwieweit Beschränkungen des Leistungsanspruchs einen Eingriff in die Grundrechte der betroffenen Hersteller darstellen. Im Jahr 1991 hat das Bundesverfassungsgericht den Ausschluss unwirtschaftlicher Arzneimittel von der Versorgung durch Rechtsverordnung nach § 34 III SGB V a. F. als Eingriff in die Berufsfreiheit der betroffenen pharmazeutischen Unternehmer angesehen. Der Ausschluss führe dazu, dass Ärzte die Arzneimittel nicht mehr verschrieben und es dadurch zu einem erheblichen Umsatzrückgang bei den betroffenen Herstellern komme; daher habe die Vorschrift objektiv berufsregelnde Tendenz.563 Im Jahr 2002 hat das Bundesverfassungsgericht dann aber die Festbetragsregelung nicht als Eingriff in die Berufsfreiheit der pharmazeutischen Unternehmer angesehen, obwohl die Festbetragsregelung auf eine Preissenkung zielt und für pharmazeutische Unternehmer Umsatzeinbußen bewirken kann. Pharmazeutische Unternehmer seien nur reflexhaft von Regelungen betroffenen, die das Nachfrageverhalten der Krankenkassen steuern.564 Die Berufsfreiheit schütze die Teilnahme am Wettbewerb nach Maßgabe seiner Funktionsbedingungen, gewähre aber keinen Anspruch auf gleichbleibende Rahmenbedingungen.565 Mit einer vergleichbaren Argumentation hat das BVerfG schließlich im Jahr 2010 die Ablehnung eines Rabattvertragsabschlusses nicht als Eingriff in die Berufsfreiheit eines bei der Vertragsausschreibung erfolglosen pharmazeutischen Unternehmers angesehen: Art. 12 I GG schütze die Teilnahme am Wettbewerb nach Maßgabe seiner Funktionsbedingungen, gewährleiste aber keinen Anspruch auf Erfolg im Wettbewerb; die nachfragende Krankenkasse beeinflusse den Wettbewerb nicht von außen, sondern werde auf Nachfrageseite selbst wettbewerblich tätig.566

562 Penner, S.  546; Bickenbach, MedR 2010, S.  302 (306).  – Für die Festbetragsregelung:­ Rixen, S. 261 ff.; Sodan, VSSR 2005, S. 163 (174); Posser/Müller, NZS 2004, S. 178 (181 f.); Schickert, PharmR 2004, S. 10 (14 f.); BSG, NZS 1995, 502 (504 ff.). 563 BVerfG, NJW 1992, 735 (736). Für eine Positivliste Axer, NZS 2001, S. 225 (230). 564 BVerfGE 175, 206 (299). 565 BVerfGE 106, 275 (299). Kritisch dazu Kahl, AöR 2006, S. 579 (609). 566 BVerfG, NZS 2011, S. 580 (581). Zust. aus der Literatur etwa Krauskopf/Knittel, § 130a SGB V Rn. 16b.

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Unter Zugrundelegung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, insbesondere der Entscheidung betreffend die Ablehnung eines Rabattvertragsschlusses, dürfte auch die Eingriffsqualität der Pflicht zur Auswahl wirtschaftlicher Arzneimittel nach § 129 I 1 Nr. 1, Nr. 2 SGB V abzulehnen sein, weil die Vorschrift insoweit lediglich das Nachfrageverhalten der Krankenkassen regeln würde.567 Pharmazeutische Unternehmer wären nur reflexhaft von den Auswirkungen der Regelung betroffen. Es erscheint jedoch zweifelhaft, dass Vorschriften, die das Nachfrageverhalten der Krankenkassen regeln, die Berufsfreiheit der betroffenen Hersteller nur reflexhaft betreffen. Die Nachfragetätigkeit der Krankenkassen ist erst dadurch entstanden, dass die Versicherten in Krankenkassen zusammengeschlossen und in ein Sachleistungssystem eingegliedert worden sind.568 Den pharmazeutischen Unternehmern wurden auf diese Weise anstelle der einzelnen Patienten als Nachfrager die Krankenkassen als Nachfrage-Monopolisten gegenübergestellt. Dadurch hat der Gesetzgeber die ursprünglichen, von staatlichem Einfluss freien Nachfragebeziehungen zwischen den pharmazeutischen Unternehmern und den Patienten umgestaltet. Wenn und soweit sich durch krankenversicherungsrechtliche Regelungen über die Erstattungsfähigkeit von Arzneimitteln die Position pharmazeutischer Unternehmer im Vergleich zu der gedachten ursprünglichen, staatsfreien Nachfragesituation auch materiell verschlechtert, kommt diesen Erstattungsregelungen Eingriffsqualität zu.569 Für die Eingriffsqualität krankenversicherungsrechtlicher Erstattungsregelungen spricht ferner auch, dass dem Ausschluss eines Leistungserbringers von der Versorgung gesetzlich Versicherter – diese machen etwa 90 % der Bevölkerung aus – das Gewicht einer Berufszulassungsregelung zukommt;570 konsequenterweise müssen Regelungen der Nachfragebedingungen innerhalb des GKV-Absatzmarktes, die einen Leistungserbringer belasten, dann als Berufs­ausübungsregelung qualifiziert werden.571 Die Pflicht zur Abgabe preisgünstiger Arzneimittel nach § 129 I 5 SGB V bewirkt möglicherweise noch keine Nachteile für pharmazeutische Unternehmer gegenüber einer gedachten staatsfreien Nachfragesituation:572 Es ist nicht fernliegend, dass die in der gesetzlichen Krankenversicherung versicherten Personen auch 567 Vgl. in Bezug auf die Pflicht zur Abgabe rabattierter Arzneimittel Becker/Kingreen/Axer, § 130a SGB V Rn. 27. 568 Vgl. Dettling, MedR 2008, S.  349 (350) (Pflicht zur vorrangigen Abgabe rabattierter Arzneimittel als „öffentlich-rechtlicher Gesamttatbestand“); Bickenbach, MedR 2010, S. 302 (305 f.) (Pflicht zur vorrangigen Abgabe rabattierter Arzneimittel als „Zwangsordnung“); Hase, VSSR 2013, S. 159 (163 f.). 569 Vgl. Philipp, Arzneimittellisten, S. 123 f. 135 f., 138 f.; Rixen, S. 265. 570 BVerfGE 11, 30 (42 f.); 12, 144 (147); 103, 172 (182) (Vertragsärzte). Vgl. auch BSGE 86, 223 (229) (Heilmittelerbringer). 571 s. allgemein für Märkte mit staatlichem Nachfragemonopol Huber, Konkurrenzschutz, S. 454. 572 Die Eingriffsqualität der Pflicht zur Abgabe preisgünstiger Arzneimittel (§ 129 I 5 SGB V) wurde offengelassen von BVerfG, NJW 2002, 2772 f.

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dann, wenn sie nicht gesetzlich versichert wären, angesichts begrenzter finanzieller Spielräume ihren Arzt bitten würden, nur die jeweils günstigsten Arzneimittel eines Wirkstoffs zu verschreiben. Eine nachteilige Veränderung der Nachfragesituation wäre allerdings anzunehmen, wenn trotz der zentralen Bedeutung des Preises als Auswahlkriterium auch andere Aspekte wie etwa das Renommee des Herstellers die Auswahlentscheidung des Patienten für ein bestimmtes Produkt beeinflussen würden.573 Diese Frage kann aber dahinstehen, wenn ein etwaiger in § 129 I 5 SGB V liegender Eingriff jedenfalls gerechtfertigt wäre574. Eine nachteilige Veränderung der Nachfragesituation ist mit der Pflicht zur vorrangigen Abgabe rabattierter Arzneimittel nach § 129 I 3 SGB V verbunden. Zwar können im Wettbewerb der Hersteller um den Abschluss eines Rabattvertrages gerade auch andere Aspekte als der gewährte Abschlag wie beispielsweise die Wirksamkeit des Arzneimittels ausschlaggebend sein, sodass der Rabattwettbewerb nicht alleine auf Preisfragen beschränkt ist.575 Doch können nicht rabattierte Arzneimittel während der gesamten Laufzeit eines Rabattvertrages nicht mehr als Sachleistung an die Versicherten der vertragschließenden Krankenkasse abgegeben werden, sodass die Nachfrage nach den nicht rabattierten Produkten während dieser Zeit zurückgeht576. Die betroffenen Hersteller verfügen kaum über Möglichkeiten, den Absatz ihrer Produkte während dieser Zeit zu steigern. Unter „natürlichen“ Wettbewerbsbedingungen können pharmazeutische Unternehmer hingegen zu jedem beliebigen Zeitpunkt versuchen, den Absatz ihrer Produkte durch eine Veränderung der Vermarktungsstrategie oder durch Preisveränderungen zu beeinflussen.577 Die Pflicht zur vorrangigen Abgabe rabattierter Arzneimittel begründet daher einen Eingriff in die Berufsfreiheit.578

573

Vgl. Penner, S. 547, Fn. 2784, der allgemein Regelungen, die die Erbringbarkeit von Leistungen als Sachleistung an Preisgünstigkeitserfordernisse knüpfen, als Eingriffe ansieht, weil für Hersteller etwa Möglichkeiten verloren gingen, sich über Qualitätsaspekte zu profilieren. 574 s. dazu sogleich unten 2. 575 s. dazu oben B. III. 1. 576 s. dazu Dettling, MedR 2008, S.  349 (351); s. auch LSG Baden-Württemberg, MedR 2008, 309 (316). 577 Vgl. Rixen, S.  264 („grundrechtlich geschützte Befugnis, sich durch selbstbestimmte (Re-)Aktion je neu ins Verhältnis zu den Wettbewerbern zu setzen“). S.  auch Philipp, Arzneimittellisten, S.  125 („dem Hersteller […] auf einem (fiktiven) unbeeinflußten Markt gewährte[s] Recht, selbstverantwortlich Markterfolg anzustreben“). 578 Für Eingriffsqualität auch Bickenbach, MedR 2010, S. 302 (305 f.); Dettling, MedR 2008, S. 349 (353). Vgl. auch Becker/Kingreen/Axer, § 130a SGB V Rn. 27. – Für Ausschreibungen im Hilfsmittelbereich vgl. Adam, in: Handbuch des Krankenversicherungsrechts, § 26 Rn. 98.

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2. Zur Verhältnismäßigkeit Die Pflicht zur Abgabe rabattierter Arzneimittel (§ 129 I 3 SGB V) und – ihre Eingriffsqualität unterstellt – die Pflicht zur Abgabe preisgünstiger Arzneimittel (§ 129 I 5 SGB V) müssen dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in seiner Ausprägung der Dreistufentheorie genügen. Als Regelung von Absatzmodalitäten stellt die Verpflichtung der Apotheker zur Auswahl wirtschaftlicher Arzneimittel aus Sicht der pharmazeutischen Unternehmer grundsätzlich eine Berufsausübungsregelung dar. In seltenen Fällen kann im Hinblick auf die Pflicht zur vorrangigen Abgabe rabattierter Arzneimittel nach § 129 I SGB V der Fall eintreten, dass ein pharmazeutischer Unternehmer mit allen seinen Produkten vollständig von der Belieferung gesetzlich Versicherter ausgeschlossen wird, weil Konkurrenten mit sämtlichen Krankenkassen Rabattverträge über wirkstoffgleiche Produkte geschlossen haben. In der Literatur wird deshalb bisweilen angenommen, dass die Pflicht zur vorrangigen Abgabe rabattierter Arzneimittel in Einzelfällen das Gewicht einer Berufszugangsregelung erreichen könne.579 Solche singulären Fälle bleiben bei der Zuordnung einer Regelung zu einer der drei Stufen im Sinne der Dreistufentheorie aber außer Betracht.580 Die Pflicht zur Auswahl wirtschaftlicher Arzneimittel ist deshalb als Berufsausübungsregelung zu qualifizieren. Die Verpflichtung der Apotheker zur Abgabe wirtschaftlicher Arzneimittel verfolgt in geeigneter Weise einen legitimen Regelungszweck, denn sie trägt zur finanziellen Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung bei. Teilweise wird die Pflicht zur vorrangigen Abgabe rabattierter Arzneimittel (§ 129 I 3 SGB V) aber für nicht erforderlich gehalten. Ein für die pharmazeutischen Unternehmer milderes Mittel stelle ein flächendeckend geltender Festbetrag dar; die Krankenkassen könnten auf diese Weise ebenfalls Einsparungen erzielen, doch seien pharmazeutische Unternehmer, denen der Abschluss eines Rabattvertrags nicht gelungen ist, nicht während der Laufzeit eines Rabattvertrags von der Versorgung Versicherter ausgeschlossen.581 Der Gesetzgeber durfte jedoch davon ausgehen, dass ein flächendeckender Festbetrag möglicherweise nur dazu führt, dass sich die Preise der pharmazeutischen Unternehmer auf dem Festbetragsniveau einpendeln und dass ein freier Rabattwettbewerb deshalb größere Einsparungen generieren würde. Es bestehen daher keine milderen Mittel. Im Schrifttum wird vor allem die Angemessenheit der Pflicht zur vorrangigen Abgabe rabattierter Arzneimittel bezweifelt. Pharmazeutischen Unternehmern, die keinen Rabattvertrag abschließen können, könnten schwere, im Einzelfall

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Bickenbach, MedR 2010, S. 302 (306). Durchgehend für Qualität eines „Berufsverbots“ von § 129 I 3 SGB V Dettling, MedR 2008, S. 349 (354). 580 Vgl. BVerfG, NJW 1992, 735 (736). 581 Dettling, MedR 2008, S. 349 (355).

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existenzbedrohende finanzielle Nachteile drohen, wenn sie durch Konkurrenten während der gesamten Vertragslaufzeit verdrängt würden.582 Gegen diese Bedenken spricht aber, dass das Krankenversicherungsrecht rechtliche Möglichkeiten bereitstellt, damit möglichst viele Unternehmer bei Rabattausschreibungen zum Zuge kommen. Nach § 130a VIII 7 SGB V ist der Vielfalt der Anbieter Rechnung zu tragen, was Ausschreibungsmodelle erfordert, bei denen auch kleine oder mittlere Unternehmen zum Zuge kommen können;583 in der Praxis wird daher häufig das ausgeschriebene Vertragsvolumen in mehrere Teil-Liefermengen unterteilt, die auch kleinere Unternehmen schultern können.584 Im Rahmen von sog. OpenHouse-Modellen können sämtliche interessierte Hersteller dem jeweiligen Rabattvertrag beitreten, sofern sie zur Gewährung des dort bezeichneten Rabatts bereit sind.585 Bei den meisten größeren Ausschreibungen erhält deshalb eine Vielzahl von Herstellern jeweils einen Zuschlag.586 Seit Einführung von § 129 I 3 SGB V sind keine Fälle bekannt, in denen die Pflicht zur vorrangigen Abgabe rabattierter Arzneimittel empfindliche oder sogar existenzbedrohende Wirkungen für Anbieter nicht rabattierter Produkte gehabt hätte.587 Dass mit der Pflicht zur vorrangigen Abgabe rabattierter und preisgünstiger Arzneimittel allgemein Umsatzeinbußen für die Hersteller unwirtschaftlicher Arzneimittel verbunden sein können und dass der Wettbewerb der Hersteller auf preisliche Aspekte fokussiert wird, ist ebenfalls nicht unangemessen. Das Interesse an der finanziellen Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung überwiegt das Gewinninteresse der pharmazeutischen Unternehmer.588 Die Pflicht zur Abgabe wirtschaftlicher Arzneimittel ist deshalb mit der Berufsfreiheit der pharmazeutischen Unternehmer vereinbar.

IV. Berufsfreiheit der Ärzte Hinsichtlich der krankenversicherungsrechtlichen Regelungen über die Auswahl wirtschaftlicher Arzneimittel durch Apotheker könnten sich schließlich Fragen im Hinblick auf die Berufsfreiheit der Ärzte stellen.

582

Vgl. Dettling, MedR 2008, S. 349 (354); krit. auch Bickenbach, MedR 2010, S. 302 (308). BT-Drs. 17/2413, S. 30. Vgl. auch LSG Baden-Württemberg, MedR 2008, S. 309 (319 f.). 584 Heltweg u. a., PZ 2010, Heft Nr. 17, S. 70 (71). 585 Zum Open-House-Modell s. Meyer-Hofmann/Weng, PharmR 2010, S. 320 (329). Zur Vereinbarkeit mit Europarecht s. EuGH, Rs. C-410/14, EuZW 2016, 705 ff. – Falk Pharma. 586 Heltweg u. a., PZ 2010, Heft Nr.  17, S.  70 (71). S.  Arzneiverordnungsreport 2016, S. 188 ff. Es wird erwartet, dass die Zahl derartiger Mehrpartnermodelle kontinuierlich zunehmen wird, vgl. Meyer-Hofmann/Wenig, PharmR 2010, S. 324 (325). 587 Krauskopf/Knittel, § 129 SGB V Rn. 7b. Vgl. auch Mandl, S. 237. 588 Vgl. für Arzneimittellisten Philipp, Arzneimittellisten, S. 154 f. 583

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1. Zum Vorliegen eines Eingriffs in die Berufsfreiheit Das Grundrecht der Berufsfreiheit gewährt Ärzten Freiheit bei der Wahl der Behandlungsmethode.589 In Bezug auf die Arzneimitteltherapie gewährt sie ihnen die Möglichkeit, ein Arzneimittel ihrer Wahl zu verordnen.590 Diese Auswahlfreiheit schützt nicht nur die Auswahl des Wirkstoffs, sondern auch die Auswahl eines konkreten Arzneimittels innerhalb eines Wirkstoffs.591 Die freie Auswahl des konkreten Arzneimittels ist für Ärzte notwendig, um die Arzneimitteltherapie nach Gesichtspunkten wie drohenden Nebenwirkungen oder therapeutischem Zusatznutzen auszurichten;592 darüber hinaus kann ein Arzt ein bestimmtes Arzneimittel etwa bevorzugen, weil er mit dessen Einsatz in der Therapie besonders gut vertraut ist. Die Vorschrift des § 129 I SGB V selbst beeinträchtigt die Berufsfreiheit der Ärzte zwar nicht, denn sie formuliert nur für Apotheker Rechtspflichten.593 Ein Eingriff in die Berufsfreiheit der Ärzte könnte aber von dem in § 12 SGB V niedergelegten Wirtschaftlichkeitsgebot und seiner Durchsetzung im Wege der Wirtschaftlichkeitsprüfung nach §§ 106, 106b f. SGB V ausgehen, soweit Ärzte hierdurch veranlasst werden, Apothekern Spielräume bei der Arzneimittelauswahl durch Ausstellung einer Aut-idem- oder einer Wirkstoffverordnung zu eröffnen. Das Wirtschaftlichkeitsgebot verlangt von Ärzten allgemein, dass sie Arzneimittel so verordnen, dass den Krankenkassen möglichst geringe Kosten entstehen. Im Hinblick auf die Auswahl unter mehreren Arzneimitteln desselben Wirkstoffs folgt für Ärzte daraus, dass sie ein möglichst günstiges Arzneimittel auswählen müssen.594 Bereits darin liegt ein – vor dem Hintergrund der damit bezweckten finanziellen Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung aber gerechtfertigter595 – Eingriff in die Berufsfreiheit der Ärzte, weil Ärzte nicht jedes beliebige Arzneimittel ihrer Wahl verordnen können, sondern in erster Linie günstige Arzneimittel wählen müssen.596 589 Sodan, S. 158; Laufs, FS Deutsch, S. 625 (626); Brenner, SGb 2002, S. 129 (133); Koenig/ Meurer/Hentschel, PharmR 2004, S. 207 (209); Otto, PharmR 2005, S. 91 (103); Sodan/Schlüter, NZS 2007, S. 455 (459). Vgl. auch Reuther, S. 213 f.; Welti, GesR 2006, S. 1. 590 Brenner, SGb 2002, S. 129 (133); Gassner, PharmR 2002, S. 165 (168); Koenig, PharmR 2004, S. 207 (209); Zuck, in: Quaas/Zuck, § 2 Rn. 52. Vgl. auch BVerfGE 106, 275 (304). 591 Brenner, SGb 2002, S. 129 (133); Gassner, PharmR 2002, S. 165 (168). 592 Sodan/Schlüter, NZS 2007, S. 455 (460). Vgl. auch Brenner, SGb 2002, S. 129 (133). 593 Brenner, SGb 2002, S. 129 (133), misst dagegen unmittelbar der Regelung des § 129 I 1 Nr. 1, Nr. 2 SGB V ohne nähere Begründung Eingriffsqualität bei. 594 Vgl. jurisPK-SGB V/Clemens, § 106 SGB V Rn.  129; BSG SozR 4-2500 § 106 Nr.  6 Rn. 27 ff. 595 Allgemein zur Verfassungsmäßigkeit der Verpflichtung des Arztes, nur wirtschaftliche Behandlungsalternativen zu wählen: BVerfG, NJW 2001, 883 (884); BSG SozR 3–2500 § 13 Nr. 23 (S. 112 f.). Vgl. für den Verordnungsregress wegen Off-Label-Use: BSG SozR 4-2500 § 106 Nr. 26 Rn. 48; SozR 4-2500 § 106 Nr. 30 Rn. 43. 596 Allgemein zum Eingriffscharakter der die Vertragsärzte treffenden Pflicht zur wirtschaftlichen Behandlungs- und Verordnungsweise: BVerfG, NJW 2001, 883 (884); S. auch BSGE 76, 53 (54).

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Da Ärzte den Arzneimittelmarkt grundsätzlich nicht vollständig überblicken, sind ihre Bemühungen, selbst ein preisgünstiges Arzneimittel innerhalb eines Wirkstoffs auszuwählen, aber meist nicht erfolgreich.597 Um Regresse in der Wirtschaftlichkeitsprüfung zu vermeiden, müssen Ärzte daher die Auswahl des konkreten Arzneimittels auf die Apotheker übertragen.598 Erst seit ärztliche Verordnungssoftware aufgrund der seit Inkrafttreten des E-Health-Gesetzes geltenden Vorschrift des § 73 IX 1 SGB V599 aktuelle Produktinformationen und damit Preisangaben beinhalten muss, können Ärzte selbst das konkrete Arzneimittel eines Wirkstoffs auswählen, ohne Regressrisiken befürchten zu müssen. Allerdings ist die Anschaffung von Verordnungssoftware mit Kosten verbunden, was Ärzte von deren Erwerb abhalten kann. Wirtschaftlichkeitsgebot und Wirtschaftlichkeitsprüfung erzeugen damit auf Ärzte Druck, die Auswahl unter den günstigen Arzneimitteln eines Wirkstoffs auf die Apotheker zu übertragen. Der Druck, die Auswahl des konkreten Arzneimittels den Apothekern zu überantworten, berührt den Schutzbereich der ärztlichen Berufsfreiheit gegenüber der Pflicht, selbst ein preisgünstiges Arzneimittel auszuwählen, in zusätzlicher Weise: Den Ärzten wird dadurch die Möglichkeit genommen, Einfluss auf die Auswahl des konkreten Arzneimittels zu nehmen, das der Patient erhalten soll. Fraglich ist, ob dieser Druck einen Eingriff in die Berufsfreiheit darstellt. Auch wenn Ärzte rechtlich nicht ausdrücklich verpflichtet sind, den Apothekern die Auswahl des konkreten Arzneimittels zu übertragen, könnte der insoweit bestehende Druck jedenfalls als mittelbarer Eingriff in die ärztliche Berufsfreiheit anzusehen sein. Ein mittelbarer Grundrechtseingriff liegt vor, wenn eine staatliche Maßnahme unmittelbar und vorsehbar und damit zurechenbar zu einer Verkürzung grundrechtlich geschützter Freiheit führt.600 Für die Annahme eines mittelbaren Eingriffs in die Berufsfreiheit ist zusätzlich notwendig, dass eine objektiv berufsregelnde Tendenz vorliegt, d. h., die in Frage stehende Maßnahme muss sich unmittelbar auf die berufliche Tätigkeit auswirken oder es muss ihr ein gewisses Gewicht im Hinblick auf die Berufsausübung zukommen.601 Die Gefahr, einem Verordnungsregress ausgesetzt zu sein, bewirkt in vorhersehbarer Weise und ohne weitere Zwischenschritte, also unmittelbar, dass Ärzte die Arzneimittelauswahl den Apothekern übertragen. Die allgemeinen Voraussetzungen für einen mittelbaren Grundrechtseingriff liegen daher vor. Weiterhin ist eine objektiv berufsregelnde Tendenz gegeben, denn Wirtschaftlichkeitsgebot und Wirtschaftlichkeitsprüfung führen unmittelbar dazu, dass Ärzte den Apothekern die Arzneimittelauswahl übertragen. Der auf den Ärzten lastende Druck, die Arznei 597

s. oben A. Vgl. Brenner, SGb 2002, S. 129 (135); Otto, PharmR 2005, S. 91 (104). 599 Ursprünglich in Kraft getreten als § 73 VIII 7 SGB V a. F. Mit dem Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetz erfolgte die Verschiebung nach § 73 IX 1 SGB V. 600 Zu den Voraussetzungen eines mittelbaren Grundrechtseingriffs s. nur Epping, Rn. 393 ff.; Bethge, in: Handbuch der Grundfreiheiten, § 58; BVerfGE 66, 39 (60). 601 s. nur (mit Kritik dazu) Breuer, in: Handbuch des Staatsrechts, Bd. VIII, § 171 Rn. 42 ff. 598

F. Vereinbarkeit von § 129 I SGB V mit Verfassungsrecht

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mittelauswahl den Apothekern zu überantworten, stellt daher einen mittelbaren Eingriff in deren Berufsfreiheit dar.602 2. Zur Rechtfertigung des Eingriffs Der Eingriff in die ärztliche Berufsfreiheit, der in dem faktischen Druck zur Übertragung der Arzneimittelauswahl auf die Apotheker liegt, müsste gerechtfertigt sein. In den Kategorien der Drei-Stufen-Theorie handelt es sich dabei um eine Berufsausübungsregelung;603 es ist daher der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten. Die Übertragung der Arzneimittelauswahl auf Apotheker ist notwendig, um möglichst hohe Einsparungen durch Abgabe günstiger Arzneimittel zu erzielen und damit die finanzielle Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung sicherzustellen. Der Druck, die Arzneimittelauswahl auf die Apotheker zu übertragen, dient somit der finanziellen Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung und daher einem legitimen Regelungszweck. Mildere Mittel sind nicht ersichtlich. Dass auf Ärzte zum Zwecke der Erzielung von Kosteneinsparungen Druck ausgeübt wird, die Arzneimittelauswahl auf Apotheker zu übertragen, müsste sich auch als angemessen darstellen. Für die Angemessenheit spricht zunächst, dass den Ärzten die Therapiehoheit insoweit verbleibt, als sie in jedem Einzelfall entscheiden können, ob sie dem Apotheker eine Auswahlmöglichkeit eröffnen.604 Bei therapeutischer Notwendigkeit darf ein Arzt außerdem genau das von dem Patienten benötigte Arzneimittel verordnen, ohne Sanktionen in der Wirtschaftlichkeitsprüfung befürchten zu müssen.605 Die Auswahl eines Arzneimittels aus einem Pool wirkstoffgleicher Arzneimittel jenseits konkreter therapeutischer Erfordernisse stellt eher einen Randbereich der Verordnungstätigkeit dar.606 Die Entscheidung des Arztes für ein konkretes Arzneimittel wird aber auch ohne therapeutische Erfordernisse insoweit geschützt, als es von einem Apotheker nicht ausgetauscht werden darf, wenn es bereits preisgünstig ist oder wenn für es ein Rabattvertrag besteht.607

602

Brenner, SGb 2002, S. 129 (135). Brenner, SGb 2002, S. 129 (132); Hofmann/Nickel, SGb 2002, S. 425 (426 f.). 604 A. Becker, Steuerung, S. 337; Kaufmann, in: Meier/v. Czettritz/Gabriel/Kaufmann, § 12 Rn. 10; Becker/Kingreen/Axer, § 129 SGB V Rn. 21. 605 Hofmann/Nickel, SGb 2002, S. 425 (427). Die Berufsfreiheit der Ärzte wäre erst verletzt, wenn unabhängig von therapeutischen Gründen nur ein günstiges oder rabattiertes Arzneimittel zum Einsatz kommen dürfte, vgl. Schickert, PharmR 2009, S. 164 (171). Nach Reuther, S. 214, ist sogar der Schutzbereich der Berufsfreiheit erst berührt, wenn es dem Vertragsarzt unmöglich gemacht wird, eine medizinisch gebotene Behandlung durchzuführen. 606 Vgl. Kamps, MedR 2002, S. 193 (194). 607 s. dazu oben B. III. 3. 603

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Kap. 4: Die Pflicht zur Auswahl wirtschaftlicher Arzneimittel

Fraglich ist, ob es gegen die Angemessenheit spricht, dass die Ausstellung einer Aut-idem- oder einer Wirkstoffverordnung für Ärzte mit mehr Anamnese- und Beratungsaufwand verbunden ist als die bindende Verordnung eines konkreten Arzneimittels.608 Der Mehraufwand als solcher wäre angesichts des hochrangigen Regelungszwecks, die finanzielle Stabilität der GKV zu erhalten, zwar zu rechtfertigen.609 Teilweise wird jedoch angenommen, dass Ärzten dieser gestiegene Anamnese- und Aufklärungsaufwand nicht ausreichend vergütet werde.610 Eine etwaige zu niedrige Vergütung dieser Tätigkeiten würde allerdings nicht zu einer unangemessenen Belastung der Ärzte führen; es müsste lediglich der Einheitliche Bewertungsmaßstab für ärztliche Leistungen angepasst werden, der die Grundlage für die vertragsärztliche Vergütung bildet. Es ist deshalb nicht unangemessen, dass auf Ärzte zum Zwecke der Erzielung von Kosteneinsparungen Druck ausgeübt wird, die Auswahl des konkreten Arzneimittels auf die Apotheker zu übertragen. Die Berufsfreiheit der Ärzte wird im Zusammenhang mit der Pflicht der Apotheker zur Abgabe wirtschaftlicher Arzneimittel daher nicht verletzt.

G. Vereinbarkeit von § 129 I SGB V mit Europarecht In Bezug auf europarechtliche Vorgaben stellt sich die Frage, ob die Pflicht zur Abgabe wirtschaftlicher Arzneimittel den Anforderungen der Transparenzrichtlinie611 genügt und ob das Preisabstandserfordernis für Importarzneimittel mit den Vorgaben der Warenverkehrsfreiheit vereinbar ist.

I. § 129 I SGB V als Gegenstand der Transparenzrichtlinie? Die Transparenzrichtlinie enthält verfahrensrechtliche Vorgaben für die Festsetzung von Arzneipreisen und die Einbeziehung von Arzneimitteln in staatliche Krankenversicherungssysteme. Diese Vorgaben sollen pharmazeutischen Unternehmern die Prüfung erleichtern, ob mitgliedstaatliche Erstattungsregeln mengenmäßige Ein- oder Ausfuhrbeschränkungen oder Maßnahmen gleicher Wirkungen darstellen,612 und ihnen dadurch effektiven Rechtsschutz ermöglichen.613 Die Richtlinie rezipiert und konkretisiert dazu Aussagen des EuGH zur Vereinbarkeit mitgliedstaatlicher Arzneipreis- und -erstattungsregeln mit der Waren­ 608

s. dazu oben E. IV. Vgl. Francke, VSSR 2002, S. 299 (318); Wille, PharmR 2009, S. 365 (369). 610 Dettling, MedR 2008, S. 349 (354). 611 Richtlinie 89/105/EWG des Rates vom 21.  Dezember 1988 betreffend die Transparenz von Maßnahmen zur Regelung der Preisfestsetzung bei Arzneimitteln für den menschlichen Gebrauch und ihre Einbeziehung in die staatlichen Krankenversicherungssysteme. 612 Fuerst, VSSR 2011, S. 151 (154 f.). Vgl. auch den 5. und 6. Erwägungsgrund der Transparenzrichtlinie. 613 Janda, in: EnzEuR, Bd. 5, § 9 Rn. 140; Natz, PharmR 2006, S. 297 (299). 609

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verkehrsfreiheit, insbesondere aus der Rechtssache Duphar614.615 Nach dem Urteil des EuGH in der Rechtssache Duphar ist der Ausschluss eines Arzneimittels von der Versorgung im Rahmen eines staatlichen Krankenversicherungssystems mit der Warenverkehrsfreiheit vereinbar, wenn eine Diskriminierung aufgrund des Ursprungs der Erzeugnisse unterbleibt und die Auswahl auf objektiven und überprüfbaren Kriterien beruht.616 Außerdem muss die staatliche Regelung jederzeit änderbar sein, wenn die Einhaltung der ihr zugrunde liegenden Kriterien dies verlangt.617 Die Transparenzrichtlinie enthält Vorgaben für verschiedene Formen mitgliedstaatlicher Maßnahmen, nämlich Genehmigungsvorbehalte für Preise618 oder Preiserhöhungen619, Preisstopps,620 Gewinnkontrollen621 und Positiv- bzw. Negativlisten622. Nicht explizit behandelt wird in der Richtlinie eine Verpflichtung von Apothekern zur vorrangigen Abgabe wirtschaftlicher wirkstoffgleicher Arzneimittel wie nach § 129  I  1 Nr.  1 SGB  V623, doch folgt alleine daraus noch nicht unbedingt, dass die Transparenzrichtlinie für die Pflicht zur Auswahl wirtschaftlicher Arzneimittel keine Geltung beanspruchen könnte. Zur Gewährleistung einer gleichmäßigen Anwendung in den Mitgliedstaaten sind die Begrifflichkeiten der Transparenzrichtlinie europarechtlich-autonom auszulegen.624 Eine enge Begriffsinterpretation ließe zu viele Lücken, weil die denkbaren mitgliedstaatlichen Regelungen vielfältig sind und sich kaum exakt in den Regelungsstrukturen erschöpfen, die in den Richtlinientatbeständen beschrieben sind.625 Außerdem wird Art. 1 I RL 89/105/EWG, wonach alle staatlichen Maßnahmen zur Arzneipreiskontrolle den in der Richtlinie genannten Anforderungen zu genügen haben, überwiegend so interpretiert, dass die Richtlinie den Anspruch erhebe, jegliche mitgliedstaatliche Maßnahmen zur Arzneipreissteuerung zu reglementieren.626 614

EuGH, Rs. C-238/82, NJW 1984, 542 ff. – Duphar. Vgl. Thier, S. 311 f. 616 EuGH, Rs. C-238/82, NJW 1984, 542 ff., Rn. 22 – Duphar. 617 EuGH, Rs. C-238/82, NJW 1984, 542 ff., Rn. 22 – Duphar. 618 Art. 2 RL 89/105/EWG. 619 Art. 3 RL 89/105/EWG. 620 Art. 4 RL 89/105/EWG. 621 Art. 5 RL 89/105/EWG. 622 Art. 6 bzw. Art. 7 RL 89/105/EWG. 623 Für die Importabgabetatbestände gelten diese Ausführungen entsprechend. 624 Fuerst, VSSR 2011, S. 151 (158 ff.). 625 Vgl. EuGH, Rs. C-352/07 u. a., PharmR 2009, 238 ff., Rn. 29 – Menarini. – Zur extensiven Auslegung der Richtlinientatbestände durch den EuGH s. auch Reese/Stallberg, in: Dieners/Reese, § 17 Rn. 59. – Vgl. auch Schaks, PharmR 2011, S. 305 ff. (zur Nutzenbewertung von Arzneimitteln als Gegenstand der Transparenzrichtlinie); BSGE 101, 161 (175) (Herstellerabschlag nach § 130a I SGB V als Preisstopp). 626 Kortland, PharmR 2007, S. 190; Schaks, PharmR 2011, S. 305 (309); EuGH, Rs. C- 424/99, SozR 3-6088 Art 6 Nr. 1, Rn. 30 – Kommission/Österreich; Rs. C-229/00, ZESAR 2003, 424 ff., Rn. 37 – Kommission/Finnland; Rs. C-352/07 u. a., PharmR 2009, 238 ff., Rn. 29 – Menarini; BSGE 101, 161 (175). 615

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Kap. 4: Die Pflicht zur Auswahl wirtschaftlicher Arzneimittel

Die Pflicht zur Abgabe preisgünstiger Arzneimittel gemäß § 129 I 1 Nr. 1, S. 5 SGB V könnte deshalb als Preisstopp nach Art. 4 der Transparenzrichtlinie einzuordnen sein.627 Im technischen Sinne ist ein Preisstopp die staatlich verfügte Einfrierung von Preisen; Preisstopps legen starr die Höhe von Arzneimittelpreisen fest, indem sie ab einem Stichtag weitere Preiserhöhungen ausschließen.628 Eine italienische Regelung, wonach die Exekutive regeln darf, dass Arzneimittel ohne therapeutischen Zusatznutzen nur einen Marktzugang erhalten, wenn sie günstiger als bereits auf dem Markt befindliche wirkstoffgleiche Präparate sind, hat der EuGH im Wege einer autonomen Auslegung der Richtlinie ebenfalls als Preisstopp eingestuft.629 Für eine Einordnung der Pflicht zur Abgabe preisgünstiger Arzneimittel als Preisstopp wird angeführt, dass die Regelung in vergleichbarer Weise wie ein Preisstopp im technischen Sinne bewirke, dass Arzneimittelhersteller ihre Preise auf einem niedrigen Niveau hielten.630 Zur Folge hätte die Einordnung der Pflicht zur Abgabe preisgünstiger Arzneimittel als Preisstopp, dass § 129 I 1 Nr. 1, S. 5 SGB V und das die Vorschriften konkretisierende untergesetzliche Recht jährlich überprüft werden müssten; außerdem könnte ein pharmazeutischer Unternehmer in Härtefällen beantragen, dass seine Produkte nicht durch günstigere ersetzt werden dürfen.631 Da bei Existenz eines Rabattvertrags hauptsächlich das rabattierte Arzneimittel zum Zuge kommt und andere wirkstoffgleiche Arzneimittel außer bei einer bindenden Verordnung des Arztes nicht mehr als Sachleistung zulasten der am Rabattvertrag beteiligten Krankenkasse abgegeben werden können, könnte der Abschluss eines Rabattvertrages weiterhin als Erstellung einer Negativliste gegenüber den nicht rabattierten Arzneimitteln anzusehen sein.632 Die Pflicht zur vorrangigen Abgabe rabattierter Arzneimittel nach § 129  I  1 Nr.  1, S.  3 SGBV würde dann die Befugnis zur Erstellung einer Negativliste begründen. Unter einer Negativ­liste versteht die Richtlinie die Entscheidung, bestimmte Arzneimittel oder Arzneimittelkategorien von einem staatlichen Krankenversicherungssystem auszuschließen.633 Die vertragschließende Krankenkasse müsste ihre Entscheidung für einen bestimmten Anbieter dann begründen und die Begründung öffentlich bekanntmachen634 und ihre Auswahl- und Zuschlagskriterien vorab der Europäischen Kommission mitteilen635.

627

Ehlers/Arndt, pharmind 2002, S. 562 (563). Fuerst, VSSR 2011, S. 151 (155). 629 EuGH, Rs. C-352/07 u. a., PharmR 2009, 238 ff., Rn. 29 – Menarini. 630 Ehlers/Arndt, pharmind 2002, S. 562 (563). 631 Ehlers/Arndt, pharmind 2002, S. 562 (563 f.). 632 Für die Anwendbarkeit der Transparenzrichtlinie auf Rabattverträge, allerdings ohne Nennung eines konkreten Richtlinientatbestandes, Kortland, PharmR 2007, S. 190. 633 Art. 7 RL 89/105/EWG. 634 Vgl. Art. 7 Nr. 1, Nr. 3 RL 89/105/EWG. 635 Art. 7 Nr. 2 RL 89/105/EWG. 628

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Allerdings erscheint fraglich, ob bei einer Anwendung der Transparenzrichtlinie auf die Pflicht zur wirtschaftlichen Arzneimittelabgabe die Richtlinientatbestände nicht überdehnt werden. Gegen die Anwendung der Preisstoppregelung auf die Pflicht zur Abgabe preisgünstiger Arzneimittel nach § 129 I 1 Nr. 1, S. 5 SGB V spricht zunächst, dass die Rechtsfolgen der Preisstoppregelung – jährliche Überprüfung der gesetzlichen Regelung und Härtefallregelung – an die Besonderheiten von Preisstopps im technischen Sinne anknüpfen, also die staatliche Festlegung eines Höchstpreises.636 Im Rahmen von § 129 I 1 Nr. 1, S. 5 SGB V bleibt die Preisfindung aber den Herstellern im freien Wettbewerb überlassen, die Apotheker – und beim Rabattvertragsschluss die Krankenkassen – orientieren sich lediglich am günstigsten Angebot. Das unterscheidet die Pflicht zur Abgabe preisgünstiger Arzneimittel auch von der oben erwähnten, vom EuGH als Preisstopp eingeordneten italienischen Regelung, denn diese sah keinen Preiswettbewerb zwischen verschiedenen wirkstoffgleichen Arzneimitteln vor, sondern erschwerte nur einseitig für nachrückende Präparate den Marktzutritt. Gegen die Anwendung der Transparenzrichtlinie auf die Pflicht zur vorrangigen Abgabe rabattierter Arzneimittel nach § 129 I 1 Nr. 1, S. 3 SGB V sowie den Abschluss von Rabattverträgen spricht in den Fällen, in denen ein Rabattvertrag nur mit einer begrenzten Zahl von Herstellern geschlossen wird, dass dann bereits die EU-Vergaberechtsrichtlinie 2014/24/EU das Verfahren des Vertragsschlusses reglementiert, weil ein exklusiv wirkender Rabattvertrag als öffentlicher Auftrag im Sinne des EUVergaberechts anzusehen ist637. Darüber hinaus erscheint es in grundsätzlicher Weise zweifelhaft, ob die Wirtschaftlichkeitspflichten nach § 129  I  1 Nr.  1 SGB  V unter den sachlichen Anwendungsbereich der Richtlinie fallen können. Nach Art. 1 Nr. 1 der RL ist die Transparenzrichtlinie auf mitgliedstaatliche Maßnahmen zur Arzneipreiskontrolle sowie auf Einschränkungen der unter die staatlichen Krankenversicherungssysteme fallenden Arzneimittel anwendbar. Eine nähere Klärung dieser Begriffe ist mithilfe des zweiten Erwägungsgrundes der Richtlinie möglich. Der zweite Erwägungsgrund führt insoweit aus, dass die Mitgliedstaaten zum Erlasszeitpunkt der Richtlinie „in Anbetracht des unzureichenden oder fehlenden Wettbewerbs“ im Arzneimittelsektor Mechanismen zur Arzneipreiskontrolle geschaffen hätten und dass die Mitgliedstaaten das Leistungsspektrum der staatlichen Krankenversicherungssysteme beschränkt hätten. Der zweite Erwägungsgrund unterscheidet damit sprachlich zwischen Preiswettbewerb einerseits und Preiskontrollmechanismen sowie Leistungsbeschränkungen andererseits. Daraus ergibt sich, dass als Maßnahme zur Preiskontrolle oder als Leistungsbeschränkung im Sinne von Art. 1 Nr. 1 der Transparenzrichtlinie keine Regelungen anzusehen sind, deren Inhalt alleine darin besteht, einen freien Preis- und Rabattwettbewerb unter den Arzneimittelherstellern anzuregen. 636 Vgl. dazu auch Fuerst, VSSR 2011, S.  151 (156 f.). Vgl. für die Subsumtion der Festbetragsregeln unter die Tatbestände der Transparenzrichtlinie BSGE 94, 1 (11 f.). 637 s. dazu EuGH, Rs. C-410/14, EuZW 2016, 705 ff., Rn. 32 ff. – Falk Pharma.

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Kap. 4: Die Pflicht zur Auswahl wirtschaftlicher Arzneimittel

Die Wirtschaftlichkeitspflichten nach § 129 I SGB V und die sie konkretisierenden vertraglichen Regelungen beschränken sich indessen darauf, einen freien Preis- und Rabattwettbewerb unter den pharmazeutischen Unternehmern anzuregen. Die Transparenzrichtlinie findet deshalb auf sie keine Anwendung. Genügen müssen diese Pflichten und ihre untergesetzlichen Ausgestaltungen allerdings den allgemeinen, unmittelbar aus der Warenverkehrsfreiheit folgenden Transparenzpflichten, wie sie der EuGH etwa in der Duphar-Entscheidung formuliert hat.638 Zu einer Abkehr von einer allzu extensiven Auslegung der Transparenzricht­ linie zugunsten eines Rückgriffs auf die allgemeinen grundfreiheitlichen Transparenzpflichten könnte gegenwärtig auch die Rechtsprechung des EuGH tendieren. In der Rechtssache The Queen / Medicines and Healthcare Products Regulatory Agency639 stand eine britische Regelung in Frage, die Ärzte durch Kostenanreize motivieren sollte, anstelle teurer Originalarzneimittel neben Generika Analogpräparate, d. h. wirkstoffverschiedene, aber wirkungsgleiche Arzneimittel, zu verschreiben. Die in Betracht kommenden Analogpräparate waren auf einer von einer staatlichen Stelle veröffentlichten Liste namentlich individualisiert worden. Nach Ansicht des EuGH folgt aus der Transparenzrichtlinie in Verbindung mit dem Grundsatz des effet utile, dass Mitgliedstaaten, wenn sie Regelungen erlassen, die zur Verschreibung individuell benannter Analogpräparate motivieren sollen, verpflichtet sind, diese Regelungen zu publizieren und den pharmazeutischen Unternehmern die Bewertungen zur Verfügung zu stellen, aus denen sich die Gleichwertigkeit des Analogwirkstoffs mit dem Wirkstoff des Originalarzneimittels ergibt.640 An einer konkreten Bestimmung der Transparenzrichtlinie hat der EuGH diese Pflichten nicht festgemacht. De facto dürfte der EuGH die britische Regelung deshalb an den allgemeinen grundfreiheitlichen Transparenzpflichten gemessen haben. In der Rechtssache Falk Pharma641 hatte der EuGH schließlich die Vorlagefrage zu beantworten, unter welchen Voraussetzungen ein Rabattvertrag abgeschlossen werden darf, der nicht der EU-Vergaberichtlinie unterfällt, weil es am Vorliegen eines öffentlichen Auftrages fehlt. Der EuGH hat lediglich aus den Grundfreiheiten folgende Transparenzpflichten angesprochen, die Transparenzrichtlinie aber nicht erwähnt.642

638 Vgl. auch EuGH, Rs. C-113/13, GRUR Int 2015, 1038 ff., Rn. 50 – Spezzino; Rs. C-410/14, EuZW 2016, 705 ff., Rn. 44 f. – Falk Pharma. Dort wird jeweils aus grundfreiheitlichen Diskriminierungsverboten ein Transparenzgebot hergeleitet. 639 EuGH, Rs. C-62/09, EuZW 2010, 473 ff. – The Queen/Medicines and Healthcare Products Regulatory Agency. 640 EuGH, Rs. C-62/09, EuZW 2010, 473 ff. Rn. 36 ff. – The Queen/Medicines and Healthcare Products Regulatory Agency. – Thier, S. 285, entnimmt derartige Pflichten bereits den in der Duphar-Entscheidung aufgestellten Grundsätzen. 641 EuGH, Rs. C-410/14, EuZW 2016, 705 ff. – Falk Pharma. 642 EuGH, Rs. C-410/14, EuZW 2016, 705 ff., Rn. 43 ff. – Falk Pharma.

G. Vereinbarkeit von § 129 I SGB V mit Europarecht

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Wendet man die in der Rechtssache Duphar aufgestellten Transparenzvorgaben auf die Pflicht zur Abgabe preisgünstiger Arzneimittel nach § 129 I 1 Nr. 1, S. 5 SGB  V an, müssen die den Apothekern vorgegebenen Auswahlkriterien objektiv nachprüfbar sein. Die Orientierung an der Preisgünstigkeit bei therapeutischer Vergleichbarkeit verschiedener Arzneimittel wurde indessen in der Duphar-Entscheidung ausdrücklich als transparentes Kriterium bezeichnet.643 Weiterhin muss eine mitgliedstaatliche Regelung auf Veränderungen im Arzneimittelmarkt angepasst werden, soweit dies zur Einhaltung der ihr zugrundliegenden Auswahlkriterien erforderlich ist. Da § 129 I 1 Nr. 1, Nr. 2 SGB V Apotheker dynamisch zur Auswahl unter den momentan wirtschaftlichsten Arzneimitteln verpflichtet, ist die gesetzliche Regelung selbst in der Lage, auf Veränderungen des Arzneimittelmarktes zu reagieren. Problematisch könnte allenfalls scheinen, dass der G-BA die Beschlüsse über die Bewertung verschiedener Darreichungsformen als vergleichbar oft nicht näher in inhaltlicher Sicht erläutert,644 dass aber der EuGH in der Rechtssache The Queen / Medicines and Healthcare Products Regulatory Agency eine fachliche Begründung der dort streitgegenständlichen Auflistung von Analogpräparaten verlangt hat. Derartige fachliche Begründungspflichten sind zur Gewährleistung von Transparenz jedoch nur bei auf konkrete Produkte bezogenen Regelungen notwendig, nicht dagegen bei abstrakt-generellen, wie sie § 129 I 1 Nr. 1 S. 5 SGB V und die die Vorschriften konkretisierenden untergesetzlichen Normen formulieren.645 Die Pflicht zur Abgabe preisgünstiger Arzneimittel ist somit mit europarechtlichen Transparenzpflichten vereinbar. Mit europarechtlichen Transparenzpflichten vereinbar ist auch die Pflicht zur vorrangigen Abgabe rabattierter Arzneimittel sowie der Abschluss von Rabattverträgen. Es stellt ein transparentes Kriterium dar, dass Verträge mit dem Anbieter abgeschlossen werden, dessen Angebot für die vertragschließende Krankenkasse die größtmöglichen Einsparungen bietet. Zur Gewährleistung eines nicht diskriminierenden Rabattwettbewerbs müssen der beabsichtigte Abschluss eines Rabattvertrages und die Vertragsbedingungen rechtzeitig bekannt gemacht werden, damit potentielle Interessenten rechtzeitig Kenntnis davon nehmen können.646 Zusätzliche Anforderungen können sich aus der Vergaberichtlinie 2014/24/EU ergeben, wenn und soweit ein Rabattvertrag als öffentlicher Auftrag im Sinne der Richtlinie anzusehen ist.647

643

EuGH, Rs. C-238/82, NJW 1984, 542 ff., Rn. 22 – Duphar. Inhaltlich heißt es in den tragenden Gründen nur, dass sich die Vergleichbarkeit von Darreichungsformen aus den Fachinformationen und sonst vorliegenden Unterlagen ergebe. 645 Zu dieser Differenzierung vgl. Thier, S. 285. 646 EuGH, Rs. C-410/14, EuZW 2016, 705 ff., Rn. 44 f. – Falk Pharma. 647 s. dazu nur EuGH, Rs. C-410/14, EuZW 2016, 705 ff., Rn. 32 ff. – Falk Pharma. 644

392

Kap. 4: Die Pflicht zur Auswahl wirtschaftlicher Arzneimittel

II. Preisabstandserfordernis für Importarzneimittel Fragen im Hinblick auf die Vereinbarkeit mit der Warenverkehrsfreiheit wirft das für Importarzneimittel geltende Preisabstandserfordernis nach § 129 I 1 Nr. 2 SGB V auf. Apotheker sind zur Abgabe eines Importarzneimittels anstelle des verordneten erst dann verpflichtet und auch nur berechtigt, wenn das Importarzneimittel 15 € oder 15 % günstiger ist als sein Bezugsarzneimittel. Hintergrund der Preisabstandsregelung ist, dass Importeure in der Vergangenheit ihre günstigen Einkaufspreise oft nicht weitergaben, sondern die Preise der Importarzneimittel denen der deutschen Originale annäherten. Anders als im Generikasektor, wo die Generikahersteller ihre Preisvorteile grundsätzlich selbständig in ihre Preisbildung einfließen lassen, bedarf es im Importsektor deshalb zusätzlichen gesetzlichen Drucks, damit Importeure ihre Preisvorteile weitergeben.648 Allerdings sind die Gewinnmargen der Importeure nicht immer so groß, dass sie den von § 129 I 1 Nr. 2 SGB V geforderten Preisabstand einhalten können.649 Durchschnittlich beträgt der Preisunterschied zwischen Originalarzneimittel und Importprodukt 10 %.650 Das hat zur Folge, dass Importarzneimittel oft nicht abgegeben werden können, weil der jeweilige Importeur zur Einhaltung des gesetzlichen Preisabstands nicht imstande ist, obgleich das Importarzneimittel günstiger ist als das Original und der Importeur alle ihm verfügbaren Wirtschaftlichkeitsreserven ausgeschöpft hat.651 Problematisch erscheint diese Auswirkung der Preisabstandsregelung, wenn man die Vorschriften über die Importabgabe mit den Vorschriften über die Abgabe preisgünstiger Generika vergleicht. Während sich die Abgabe von Generika auf der Grundlage von § 129 I 1 Nr. 1 SGB V alleine danach richtet, dass sie preisgünstiger sind als das Originalarzneimittel und andere generische Konkurrenzprodukte, kann die Preisabstandsregelung für Importarzneimittel dazu führen, dass Apotheker zur Abgabe eines Importarzneimittels weder verpflichtet noch berechtigt sind, obwohl – etwa während der Laufzeit des Wirkstoffpatents für das Original  – ansonsten keine günstigeren Arzneimittel existieren und obwohl der betreffende Importeur die verfügbaren Wirtschaftlichkeitsreserven des Importmarktes voll ausgeschöpft hat und zu weiteren Preissenkungen aufgrund eines verhältnismäßig hohen Einkaufspreises im Ausland nicht mehr imstande wäre. Importierte Arzneimittel werden dadurch gegenüber Generika, und damit gegenüber Produkten deutschen Ursprungs, diskriminiert.652

648

s. dazu oben C. I. Sachverständigenrat für die Beurteilung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Jahresgutachten 2004/05 – Erfolge im Ausland – Herausforderungen im Inland, S. 315. 650 Uwer/Koch, PharmR 2008, S. 461 (463). 651 Sachverständigenrat für die Beurteilung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Jahresgutachten 2004/05 – Erfolge im Ausland – Herausforderungen im Inland, S. 315. Vgl. auch Schelling, S. 88. 652 Die Europäische Kommission hat eine österreichische Regelung beanstandet, wonach parallelimportierte Arzneimittel nur in ein Verzeichnis erstattungsfähiger Heilmittel aufnahmefähig 649

G. Vereinbarkeit von § 129 I SGB V mit Europarecht

393

Fraglich ist, ob sich diese Diskriminierung rechtfertigen lässt. Indem Importarzneimittel erst bei Einhaltung des gesetzlichen Preisabstands abgegeben werden müssen und dürfen, soll der Preiswettbewerb im Importmarkt angeregt und damit die finanzielle Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung gesichert werden.653 Dieser Regelungszweck kann entweder im Gesundheitsschutz oder im Schutz der öffentlichen Ordnung als geschriebenen Rechtfertigungsgründen nach Art. 36 AEUV verankert werden. Das Erforderlichkeitsgebot verbietet es grundsätzlich, dass der gesetzlich festgelegte Preisabstand die Preisdifferenz zwischen dem deutschen Originalarzneimittel und den günstigsten verfügbaren Importprodukten übersteigt, denn andernfalls kann das gesetzliche Preisabstandserfordernis von Importeuren nicht erfüllt werden.654 Allerdings wird man dem Gesetzgeber bei der Festlegung des gesetzlichen Preisabstandes eine gewisse Typisierungsbefugnis zugestehen können.655 Zulässig wäre es deshalb etwa, wenn der gesetzliche Preisabstand unter Orientierung an den durchschnittlichen Preisunterschieden von Original- und Importarzneimitteln festgesetzt würde, auch wenn dadurch einzelne Importarzneimittel nicht mehr zum Zuge kommen könnten, weil sie im Einzelfall diesen Preisabstand nicht einhalten können. Da der gesetzliche Preisabstand nach § 129 I 2 Nr. 2 SGB V von vielen Importarzneimitteln nicht eingehalten werden kann, erscheinen die Grenzen der Typisierungsbefugnis aber überschritten. Die Preisabstandsregelung ist deshalb in ihrer konkreten Höhe nicht mehr erforderlich, um die finanzielle Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung zu stärken. Dass Apotheker zur Abgabe importierter Arzneimittel erst dann verpflichtet und berechtigt sind, wenn ein Importarzneimittel den in § 129 I 1 Nr. 2 SGB V genannten Preisabstand einhält, kann deshalb nicht unter Berufung auf die finanzielle Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung gerechtfertigt werden. Indem Apotheker erst dann eine Verpflichtung zur Abgabe importierter Arzneimittel trifft, wenn ein Importarzneimittel den gesetzlichen Preisabstand einhält, verfolgt die Preisabstandsregelung allerdings noch einen zweiten Regelungszweck: Apotheker sollen zur mitunter aufwändigen Beschaffung von Importarzneimitteln nur verpflichtet sein, wenn mithilfe der Importarzneimittel ein hinreichendes Maß an Einsparungen erzielt werden kann.656 Apotheker haben durch die Entlastung von dem Beschaffungsaufwand mehr Zeit für pharmazeuti-

sind, wenn sie 10 % günstiger sind als in Österreich produzierte oder im Ausland direkt für den österreichischen Markt produzierte, IP/03/1755, S. 3. Es handle sich um eine unmittelbare Diskriminierung ausländischer Erzeugnisse, IP/04/919. 653 Schelling, S.  85, sieht dagegen keinen sachlichen Grund dafür, dass Importarzneimittel überhaupt günstiger sein müssen als das Original, damit sie abgabefähig sind. 654 Nach J. Müller-Graff, S. 36, setzt die Warenverkehrsfreiheit jedenfalls zu hohen Mindestpreisabständen Grenzen. 655 Zur Typisierungsbefugnis des nationalen Gesetzgebers s. allgemein: GA Kokott, Schlussanträge v. 7.2.2013 in der Rs. C-546/11, EU:C:2013:68, Rn. 63 – Dansk Jurist- og Økonomforbund; Stewen, EuR 2008, S. 445 (464 f.). Vgl. auch Epiney, NVwZ 2014, S. 1275 (1277). 656 A. Becker, Steuerung, S. 344; Reese/Stallberg, in: Dieners/Reese, § 17 Rn. 300.

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Kap. 4: Die Pflicht zur Auswahl wirtschaftlicher Arzneimittel

sche Tätigkeit. Insoweit dient die Verknüpfung der Import-Abgabepflicht mit der Einhaltung des Preisabstandserfordernisses Belangen des Gesundheitsschutzes. Dass § 129 I 1 Nr. 2 SGB V die Pflicht zur Abgabe importierter Arzneimittel an ein Preisabstandserfordernis knüpft, lässt sich deshalb aus Gründen des Gesundheitsschutzes rechtfertigen.657 Es ist deshalb europarechtskonform, dass Apotheker eine Pflicht zur Abgabe von Importarzneimitteln nur trifft, wenn die Importarzneimittel den in § 129 I 1 Nr.  2 SGB  V genannten Preisabstand einhalten. Europarechtswidrig ist es dagegen, wenn auch die Erlaubnis zur freiwilligen Abgabe importierter Arzneimittel von der Einhaltung dieses Preisabstands abhängt. § 129 I Nr. 2 SGB V ist deshalb europarechtskonform auszulegen, dass Apotheker zur Abgabe eines nicht die Preisgünstigkeitsmarke nach § 129 I 1 Nr. 2 SGB V einhaltenden Importarzneimittels zwar nicht verpflichtet, aber zumindest berechtigt sind, wenn das Importpräparat günstiger als das Originalarzneimittel ist.658 Existieren bereits Generika auf dem deutschen Markt, darf das Importarzneimittel jedoch nicht teurer sein als ein gemessen an § 129 I Nr. 1 SGB V preisgünstiges Generikum, damit es von Apothekern abgegeben werden darf.

H. Fragen der zulassungsüberschreitenden Arzneimittelabgabe Besondere Fragen wirft die in § 129 I 2 SGB V enthaltene Regelung auf, dass für die Durchführung einer Aut-idem-Substitution die Übereinstimmung von verordnetem und abzugebendem Arzneimittel in einem beliebigen Anwendungsgebiet genügt. Dies bewirkt, dass ein Arzneimittel anstelle des verordneten Arzneimittels auch dann abgegeben werden muss, wenn es für das Anwendungsgebiet, in dem es im konkreten Fall zum Einsatz kommen wird, keine Zulassung besitzt. Mit der Neufassung von § 129 I 2 SGB V durch das Arzneimarktneuordnungsgesetz wollte der Gesetzgeber ausdrücklich die Möglichkeit einer zulassungsüberschreitenden Arzneimittelabgabe festschreiben, weil bis dahin umstritten war, ob § 129 I 2 SGB V a. F. eine zulassungsüberschreitende Arzneimittelabgabe vorsah.659 Ob die Anordnung der zulassungsüberschreitenden Arzneimittelabgabe ohne Einschränkungen Bestand haben kann, soll einer näheren Betrachtung unterzogen werden.

657

Vgl. auch Schelling, S. 88, Fn. 348. Vgl. Schelling, S. 85. 659 s. dazu oben B. II. 3. 658

H. Fragen der zulassungsüberschreitenden Arzneimittelabgabe 

395

I. Die abgabefähigen Arzneimittel – Existenz nicht bezugnehmend zugelassener wirkstoffgleicher Arzneimittel Gegen eine zulassungsüberschreitende Abgabe wirkstoffgleicher Arzneimittel werden mitunter arzneimittelsicherheitliche Bedenken geltend gemacht, weil bei einer zulassungsüberschreitenden Arzneimittelabgabe Wirksamkeit und Sicherheit der Therapie nicht mehr gewährleistet seien.660 Die Gesetzesbegründung zu § 129 I 2 SGB V verneint jedoch die Existenz arzneisicherheitlicher Gefahren, weil das Vorhandensein einer bezugnehmenden Zulassung nach § 24b AMG bei Generika aufgrund des hierfür erforderlichen Bioäquivalenznachweises gewährleiste, dass preisgünstige wirkstoffgleiche Arzneimittel auch dann genauso wirksam und sicher wie das verordnete Originalarzneimittel eingesetzt werden könnten, wenn sie formell hinter dessen Zulassungsumfang zurückblieben. Oben wurde bereits gezeigt, dass diese Erwägungen der Gesetzesbegründung grundsätzlich zutreffen.661 Allerdings berücksichtigen diese Erwägungen nicht, dass sich im Einzelfall verschiedene wirkstoffgleiche Arzneimittel auf dem Markt befinden können, die nicht in einem Bezugnahmeverhältnis zueinander stehen. Es ist denkbar, dass für einen Wirkstoff zwei eigenständig zugelassene Arzneimittel existieren.662 Für topische Arzneimittel, d. h. Arzneimittel, die lokal angewendet werden, kann meistens keine bezugnehmende Zulassung erteilt werden, weil die Verwendung verschiedener Trägerstoffe oft zu stark abweichenden Wirkungen führt.663 Verschiedene wirkstoffgleiche topische Arzneimittel stehen deshalb meist nicht in einem Bezugnahmeverhältnis.664 Wird anstelle des verordneten Arzneimittels ein Arzneimittel abgegeben, das für dieses Anwendungsgebiet nicht zugelassen ist und das auch nicht bezugnehmend zu dem verordnenden Arzneimittel zugelassen wurde, lassen sich aus arzneimittelrechtlicher Sicht keine Aussagen über dessen Wirksamkeit und Sicherheit in diesem Anwendungsgebiet treffen.

660

A. Becker, Steuerung, S.  336; Brixius/Frohn, A&R 2012, S.  70 f.; Wolf/Jäkel, PharmR 2011, S. 1 (4 f.). – Vgl. auch schon zur Auslegung von § 129 I 2 SGB V a. F. oben B. II. 3. 661 s. oben B. II. 3. 662 Hofer, S. 274. Vgl. auch Kap. 4, § 50 IV VerfO-G-BA. – Beispielsweise stellte der Pharmahersteller Recordati das Arzneimittel Rupafin® mit dem juckreizmindernden Wirkstoff Rupatadin für den deutschen Markt her. Gleichzeitig wurde in Deutschland von einem spanischen Konzern das wirkstoffgleiche Präparat Urtimed® eigenständig zugelassen. – In dem vom Gericht der Europäischen Union in der Rs. T-472/12, EU:T:2015:637 – Novartis Pharma / Kommission entschiedenen Rechtsstreit – er betraf die Frage, ob für die streitgegenständlichen Arzneimittel noch Unterlagenschutz bestand  – hatte ein Hersteller zwei verschiedene Produkte desselben Wirkstoffs (Zometa sowie Aclasta, die jeweils den Wirkstoff Zoledronsäure enthielten) auf den Markt gebracht. 663 Stellungnahme des BAH zum AMNOG, Ausschuss-Drs. 17(14)0065(3), S. 25. 664 Stellungnahme des BAH zum AMNOG, Ausschuss-Drs. 17(14)0065(3), S. 25.

396

Kap. 4: Die Pflicht zur Auswahl wirtschaftlicher Arzneimittel

Nach dem Wortlaut von § 129 I 2 SGB V sind Apotheker zwar unabhängig davon, ob das abzugebende Arzneimittel zu dem verordneten bezugnehmend zugelassen wurde, zu einer zulassungsüberschreitenden Arzneimittelabgabe verpflichtet.665 Doch könnte § 129 I 2 SGB V teleologisch dahingehend zu reduzieren sein, dass ein Arzneimittel nur dann zulassungsüberschreitend abgegeben werden darf, wenn es zu dem verordneten Arzneimittel bezugnehmend zugelassen ist. Dass in der Gesetzesbegründung ausführlich Wirksamkeit und Sicherheit bezugnehmend zugelassener Arzneimittel erörtert wurden, zeigt, dass der Gesetzgeber in erster Linie an bezugnehmend zugelassene Arzneimittel als Gegenstand einer zulassungsüberschreitenden Arzneimittelabgabe dachte.666 Dies spricht für eine teleologische Reduktion von § 129 I 2 SGB V. Dass der Gesetzgeber in § 129 I 2 SGB V keine zulassungsüberschreitende Arzneimittelabgabe mit ungeklärter Wirksamkeit und Sicherheit anordnen wollte, wird weiterhin dadurch nahegelegt, dass durch das Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz auch die Regelung des § 35b III a. F. SGB V als § 35c SGB V neu gefasst wurde. In § 35c SGB V ist ein Verfahren zur Bewertung des therapeutischen Nutzens des Off-Label-Use von Arzneimitteln unter Beteiligung von Expertengruppen geregelt. Wird im Rahmen des Verfahrens nach § 35c SGB V der Nutzen eines zulassungsüberschreitenden Arzneimitteleinsatzes festgestellt, kann ein Arzneimittel auch dann zulassungsüberschreitend eingesetzt werden, wenn die von der Rechtsprechung entwickelten Voraussetzungen, insbesondere das Vorliegen einer schweren Krankheit, nicht erfüllt sind.667 Indem die Vorschrift des § 35c SGB V den Off-Label-Use von einer Expertenbewertung abhängig macht, zeigt diese Regelung, dass sich der Gesetzgeber bei Erlass des Arzneimittelmarktneuordnungsgesetztes der Risiken eines zulassungsüberschreitenden Arzneimitteleinsatzes mit ungeklärter Wirksamkeit und Sicherheit bewusst war und dass er diese Risiken zu vermeiden versuchte. Gegen eine teleologische Reduktion von § 129 I 2 SGB V könnte zwar eingewandt werden, dass bei Belieferung einer Wirkstoffverordnung, die das SGB V als gleichrangig zur Aut-idem-Verordnung ansieht, überhaupt keine Anforderungen an den Zulassungsbereich des abgegebenen Arzneimittels gestellt werden.668 Dieser Einwand überzeugt aber nicht. Vielmehr ist die Ausstellung einer Wirkstoffverordnung nur zulässig, wenn jedes auf dem Markt befindliche Arzneimittel des

665 Hofer, S. 273, 279; Merx, in: Der Patient im nationalen und europäischen Gesundheitswesen, S. 51 (52 f.). Vgl. auch 4. Kap., § 50 III, IV VerfO-G-BA. 666 Eichenhofer/Wenner/Armbruster, § 129 SGB V Rn. 26. 667 Vgl. Rückeshäuser, S. 98. Zur daneben fortbestehenden Möglichkeit des Rekurses auf die ungeschriebenen von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze s. Becker/Kingreen/Axer, § 35c SGB V Rn. 2. 668 Vgl. Wille, PharmR 2009, S. 365 (369, 372).

H. Fragen der zulassungsüberschreitenden Arzneimittelabgabe 

397

verordneten Wirkstoffs in dem behandelten Anwendungsbereich wirksam und sicher eingesetzt werden kann.669 Die Regelung des § 129 I 2 SGB V ist deshalb teleologisch so zu reduzieren, dass Apotheker nur dann zur zulassungsüberschreitenden Arzneimittelabgabe verpflichtet sind, wenn das betreffende Arzneimittel bezugnehmend auf das verordnete zugelassen ist.670 Da die zulassungsüberschreitende Arzneimittelabgabe die Therapiewirksamkeit und -sicherheit beeinträchtigen kann, ist es Apothekern daneben durch das Wirtschaftlichkeitsgebot zudem verboten, ein nicht bezugnehmend zugelassenes Arzneimittel freiwillig anstelle des verordneten Arzneimittels zulassungsüberschreitend abzugeben.

II. Verbietet das europäische Arzneimittelzulassungsrecht die zulassungsüberschreitende Arzneimittelabgabe? Aus europarechtlicher Sicht stellt sich die Frage, ob die Bestimmungen der RL 2001/83/EG der Anordnung der zulassungsüberschreitenden Arzneimittelabgabe nach § 129 I 2 SGB V in genereller Form entgegenstehen. Die Richtlinie 2001/83/ EG macht auf europarechtlicher Ebene Vorgaben für die Zulassung von Arzneimitteln. 1. Sicherstellung der Durchführung eines Zulassungsverfahrens? Die Richtlinie sieht vor, dass das Zulassungsverfahren, in dessen Rahmen Wirksamkeit und Sicherheit eines Arzneimittels geprüft werden, sich immer auf konkrete Anwendungsgebiete eines Arzneimittels bezieht.671 Möglicherweise steht das Europarecht der Anordnung der zulassungsüberschreitenden Arzneimittelabgabe entgegen, weil sie Arzneimittelherstellern unter Umständen den Anreiz nimmt, für solche Anwendungsgebiete eine Zulassung zu beantragen, in denen ihre Produkte bereits kraft der gesetzlichen Anordnung der zulassungsüberschreitenden Arzneimittelabgabe regelmäßig zum Einsatz kommen672. In der Literatur wird jedenfalls vertreten, dass die RL 2001/83/EG den Mitgliedstaaten die Förderung eines „echten“ Off-Label-Use zum Zwecke der Generierung von Einsparungen im Gesundheitssektor versage, da ansonsten das euro-

669

Vgl. Wille, PharmR 2009, S. 365 (368). Im Ergebnis ebenso Hofer, S. 273 f., 279. 671 Nach Art.  4 Nr.  4.1 der RL müssen im Zulassungsantrag die konkreten Anwendungsgebiete des Arzneimittels angegeben werden. 672 Nach Müller, MedR 2016, S. 576 (682), ist im Lichte des weitgehend harmonisierten Arzneimittelrechts nur eine Versorgung gesetzlich Versicherter mit Arzneimitteln statthaft, die für die jeweilige Indikation zugelassen sind. 670

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Kap. 4: Die Pflicht zur Auswahl wirtschaftlicher Arzneimittel

parechtliche Zulassungserfordernis unterlaufen werde.673 Der EuGH scheint die RL 2001/83/EG sogar dahingehend auszulegen, dass nicht nur der staatlich veranlasste, sondern auch der von einem Arzt aus freiem Entschluss durchgeführte „echte“ Off-Label-Use im Grunde der Richtlinie widerspricht: In einer Entscheidung äußerte er in einem obiter dictum, dass die ärztliche Verordnung eines Arzneimittels für eine Indikation, in der es nicht zugelassen ist, unter Umständen bei besonderen Bedarfsfällen nach Art.  5  I  der RL gerechtfertigt sein könne.674 Art. 5 I RL 2001/83/EG sieht vor, dass die Mitgliedstaaten in besonderen Bedarfsfällen ein Arzneimittel von den Bestimmungen der Richtlinie ausnehmen dürfen, wenn dieses Arzneimittel von einem Arzt bestellt wurde und an einen bestimmten Patienten unter ärztlicher Verantwortung verabreicht wird. Dabei sind unter Bedarfsfällen alleine therapeutische Gründe, nicht aber wirtschaftliche Erwägungen zu verstehen.675 Im Umkehrschluss würde die Richtlinie sogar die aus freien Stücken erfolgte zulassungsüberschreitende Verordnung durch Ärzte außer bei gegebener therapeutischer Notwendigkeit verbieten.676 In diese Richtung tendiert auch das BSG, das in einer Entscheidung angedeutet hat, dass der Off-Label-Use das europarechtlich begründete Erfordernis umgehe, dass Arzneimittel für bestimmte Anwendungsgebiete zuzulassen seien.677 Sowohl die Europäische Kommission678 als auch das Gericht der Europäischen Union679 gehen hingegen davon aus, dass das Europarecht einem Off-Label-Use von Arzneimitteln nicht entgegenstehe. a) Sicherheits- und Wirksamkeitsnachweis aufgrund bezugnehmender Zulassung Selbst wenn man davon ausgehen würde, dass die Richtlinie einen „echten“ Off-Label-Use dem Grunde nach verbietet, stellt sich aber jedenfalls im Hinblick auf bezugnehmend zugelassene Arzneimittel die Frage, ob ein Verbot der zulassungsüberschreitenden Arzneimittelabgabe notwendig wäre, um sicherzustellen, dass diese Arzneimittel für möglichst alle in der Praxis relevanten Anwendungsgebiete ein Zulassungsverfahren durchlaufen. Hinter dem Institut der bezugnehmenden Zulassung – in der RL 2001/83/EG ist es in Art. 10 geregelt – steht der Gedanke, dass der für die Erteilung einer solchen Zulassung zu erbringende Bio­ äquivalenznachweis garantiert, dass das bezugnehmend zugelassene Arzneimittel in umfassender Weise ebenso sicher und wirksam eingesetzt werden kann wie das 673

Kaufmann, PharmR 2015, S.  473 (474 f., 477); Killick/Berghe, BSLR 2014, S.  172 (174 ff.); Natz/Sude, PharmR 2014, S. 319 ff. 674 EuGH, Rs. C-535/11, EuZW 2013, 516 ff., Rn. 47 f. – Novartis Pharma GmbH/Apozyt GmbH. – S. zu Art. 5 I der RL soeben oben II. 1. 675 s. dazu EuGH, Rs. C-185/10, PharmR 2012, 203 ff., Rn. 34 – Kommission/Polen. 676 Für eine derartige Begrenzung der Verschreibungsbefugnis des Arztes Lorenz, S. 328 f. 677 BSGE 89, 189 (191). 678 Europäische Kommission, Off-label use of medicinal products, S. 3. 679 EuG, Rs. T-452/14, EU:T:2015:373, Rn. 79 – Laboratoires CTRS/Kommission.

H. Fragen der zulassungsüberschreitenden Arzneimittelabgabe 

399

Bezugsarzneimittel. Der Bioäquivalenznachweis muss dabei nur ein einziges Mal erbracht werden; bei nachgewiesener Bioäquivalenz des Generikums zu seinem Referenzarzneimittel kann ein Generikahersteller sein Arzneimittel für sämtliche Anwendungsbereiche des Referenzarzneimittels zulassen lassen, ohne dass die Wirksamkeit und Sicherheit des Generikums in den betroffenen Anwendungsgebieten nochmals gesondert überprüft wird.680 Die zulassungsüberschreitende Abgabe bezugnehmend zugelassener Arzneimittel anstelle ihrer Referenzarzneimittel hätte daher – anders als ein „echter“ Off-Label-Use – nicht zur Folge, dass von der Richtlinie vorgesehene Mechanismen zur Überprüfung von Wirksamkeit und Sicherheit von Arzneimitteln umgangen würden. b) Zur Reichweite der Binnenmarkt-Kompetenz Es fragt sich darüber hinaus, ob es der EG kompetenzrechtlich überhaupt möglich gewesen wäre, die zulassungsüberschreitende Abgabe bezugnehmend zugelassener Arzneimittel anstelle ihrer Bezugsarzneimittel zu verbieten, um die Durchführung eines Zulassungsverfahrens sicherzustellen. Die Richtlinie 2001/83/EG wurde in erster Linie auf Art. 95 EG gestützt.681 Dieser Kompetenztitel, dem heute Art. 114 I 2 AEUV entspricht, ermächtigte die EG zu Maßnahmen, die das Funktionieren des Binnenmarktes sichern sollten. Die Funktionsfähigkeit des Binnenmarktes kann durch Hemmnisse für die Verwirklichung von Grundfreiheiten sowie durch Wettbewerbsverzerrungen beeinträchtigt werden.682 Hemmnisse für die Verwirklichung von Grundfreiheiten sind mitgliedstaatliche Maßnahmen, die Beschränkungen im Sinne der Dassonville-Formel darstellen, wegen Eingreifens eines Rechtfertigungsgrundes aber rechtmäßig sind.683 Wettbewerbsverzerrungen sind spürbare, d. h. nicht nur geringfügige Wettbewerbshindernisse.684

680

s. oben B. II. 3., H. I. v. der Groeben/Schwarze/Hatje/Niggemeier, Art. 168 AEUV Rn. 46; s. auch Nettesheim, Bundesgesundheitsblatt 2008, S. 705 (706). Vgl. auch die Einführungsformel der RL 2001/83/ EG. – Zumindest für die hier in Frage stehenden Modalitäten der Arzneimittelabgabe kam auch kein anderer Kompetenztitel in Betracht. Nach Art. 152 Abs. 4 lit. b EGV, der dem heutigen Art. 168 IV lit. c AEUV entspricht, konnte die EG zwar hohe Qualitätsstandards für Arzneimittel festlegen, um gemeinsamen Sicherheitsanliegen Rechnung zu tragen. Allerdings deckt dieser Kompetenztitel nur Regelungen, die sich unmittelbar auf Eigenschaften des Produkts beziehen, vgl. dazu v. der Groeben/Schwarze/Hatje/Niggemeier, Art. 168 AEUV Rn. 48. Zudem betreffen die innerstaatlichen Modalitäten der Arzneimittelabgabe grundsätzlich keine „gemeinsamen“ Sicherheitsanliegen der Mitgliedstaaten, vgl. Grabitz/Hilf/Nettesheim/Schmidt am Busch, Art. 168 AEUV Rn. 60. S. dazu auch Müller, MedR 2016, S. 576 (581). 682 Grabitz/Hilf/Nettesheim/Tietje, Art. 114 AEUV Rn. 96. 683 Grabitz/Hilf/Nettesheim/Tietje, Art. 114 AEUV Rn. 97 ff.; Streinz/Leible/Schröder, Art. 114 AEUV Rn. 40. Für Erfassung auch rechtswidriger Maßnahmen Calliess/Ruffert/Korte, Art. 114 AEUV Rn. 41. 684 Calliess/Ruffert/Korte, Art. 114 AEUV Rn. 42 f.; Streinz/Leible/Schröder, Art. 114 AEUV Rn. 45. 681

400

Kap. 4: Die Pflicht zur Auswahl wirtschaftlicher Arzneimittel

Art. 95 EG ermächtigte somit zur Angleichung der Marktbedingungen durch harmonisierende Regelungen. Regelungen über die Arzneimittelzulassung kommt Binnenmarktrelevanz zunächst insoweit zu, als unterschiedliche Qualitäts- und Sicherheitsstandards in den Mitgliedstaaten zu Handelshemmnissen führen können. Die Angleichung des Zulassungsverfahrens durch die RL 2001/83/EG verhindert, dass ein Mitgliedstaat die Einfuhr von Arzneimitteln aus einem anderen Mitgliedstaat mit der Begründung verweigern kann, dass die Arzneimittel nicht den im Einfuhrstaat geltenden Standards entsprechen.685 Zur Erreichung dieses Regelungsziels kann das Verbot einer zulassungsüberschreitenden Arzneimittelanwendung innerhalb eines Mitgliedstaates aber nichts beitragen  – die zulassungsüberschreitende Arzneimittelabgabe innerhalb eines Mitgliedstaates ändert nichts daran, dass die Arzneimittel in ihren jeweiligen zugelassenen Anwendungsgebieten den von der RL 2001/83/EG geforderten Qualitäts- und Sicherheitsstandard aufweisen und deshalb jedenfalls im Rahmen ihrer Zulassung von anderen Mitgliedstaaten anerkannt werden müssen. Uneinheitliche Regelungen über die Arzneimittelzulassung in den einzelnen Mitgliedstaaten können sich grundsätzlich noch in einer weiteren Hinsicht auf die Funktionsfähigkeit des Binnenmarkts auswirken. Produkte, die in ihrem Herkunftsland höheren Sicherheitsstandards unterliegen, sind entsprechend teurer. In anderen Mitgliedstaaten mit geringeren Sicherheitsstandards finden sie schwerer Absatz, weil die dort ansässigen Hersteller geringere Unkosten zu tragen haben und deshalb ihre Produkte günstiger anbieten können. Dieser Effekt kann wettbewerbsverzerrende Wirkung haben.686 Unter diesem Gesichtspunkt können grundsätzlich auch staatliche Regeln, die die zulassungsüberschreitende Abgabe von Arzneimitteln fördern, den Binnenmarkt beeinträchtigen: Einen großen Kostenfaktor in der Arzneimittelentwicklung stellen Zulassungsstudien dar.687 Wenn ein Staat die zulassungsüberschreitende Abgabe von Arzneimitteln anordnet, können die dort ansässigen Hersteller mit Gewinnmöglichkeit Anwendungsgebiete bedienen, ohne zuvor kostspielige Studien über die Wirksamkeit und Sicherheit ihres Produkts in diesen Anwendungsgebieten zu erbringen, die später amortisiert werden müssten. Die aus einem solchen Land stammenden Arzneimittel sind deshalb unter Umständen deutlich günstiger als ausländische Konkurrenzprodukte, die in ihrem Ursprungsland für alle in der Praxis relevanten Anwendungsgebiete ein Zulassungsverfahren durchlaufen mussten. Das könnte den Absatz der ausländischen Produkte in dem betreffenden Land erschweren.688

685

Vgl. Nettesheim, Bundesgesundheitsblatt 2008, S. 705. Vgl. auch die Erwägungsgründe 4 und 5 der RL 2001/83/EG. 686 Vgl. allgemein dazu Weiß, S. 47. 687 Wicke, in: Im Zweifel auf Privatrezept?, S. 63 (66). 688 Vgl. Killick/Berghe, BSLR 2014, S. 172 (177).

H. Fragen der zulassungsüberschreitenden Arzneimittelabgabe 

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Diese marktverzerrenden Effekte können jedoch nur beim „echten“ Off-LabelUse eintreten, nicht hingegen bei einer zulassungsüberschreitenden Abgabe von Generika: Dass von der zulassungsüberschreitenden Abgabe bezugnehmend zugelassener Generika keine marktverzerrende Wirkungen ausgehen, ist schon durch die Ausgestaltung des Rechts der bezugnehmenden Zulassung in Art.  10 RL 2001/83/EG ausgeschlossen. Für eine bezugnehmende Zulassung ist nach dieser Vorschrift ein Bioäquivalenznachweis erforderlich. Dieser Nachweis wird nur einmalig erbracht. Er erlaubt es einem Generikahersteller in der Folge, sein Produkt für sämtliche Anwendungsbereiche des Referenzarzneimittels zuzulassen.689 Durch die Anordnung der zulassungsüberschreitenden Arzneimittelbgabe wird den Generikaherstellern daher kein Kostenvorteil verschafft, denn für die Beantragung einer Zulassung für das neue Anwendungsgebiet wären sowieso keine neuen Kosten angefallen. Ein Verbot, bezugnehmend zugelassene Arzneimittel anstelle ihrer Referenzarzneimittel zulassungsüberschreitend abzugeben, ist daher zur Verhinderung von Markverzerrungen nicht erforderlich, weil keine Marktverzerrungen drohen. Ein Verbot der zulassungsüberschreitenden Arzneimittelabgabe, das für bezugnehmend zugelassene Arzneimittel keine Ausnahme vorsieht, könnte aus diesem Grund sogar gegen den zum Zeitpunkt des Richtlinienerlasses in Art. 5 III EG geregelten Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verstoßen, dem heute Art. 5 IV EUV entspricht. Bei der Ausübung der Binnenmarktkompetenz musste die EG den in Art. 5 III EG enthaltenen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz beachten. Danach durften die Maßnahmen der EG nicht über das Maß dessen hinausgehen, was zur Erreichung der Ziele der Verträge erforderlich ist. Eine gemeinschaftliche Maßnahme ist deshalb auf ihre Geeignetheit zur Erreichung des Regelungszweckes, ihre Erforderlichkeit und ihre Angemessenheit zu prüfen.690 Bezogen auf die Binnenmarktkompetenz folgt daraus, dass eine Rechtsangleichung nur in dem Maße erlaubt ist, wie sie zur Verwirklichung des Binnenmarktes erforderlich ist.691 Die Erforderlichkeit einer Regelung kann insbesondere auch dann zu verneinen sein, wenn bereits andere sekundärrechtliche Regelungen ausschließen, dass es zu Marktverzerrungen kommt.692 Ein generelles Verbot der zulassungsüberschreitenden Arzneimittelabgabe, das keine Ausnahme für bezugnehmend zugelassene Arzneimittel vorsähe, würde aufgrund des oben Gesagten gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verstoßen, weil im Hinblick auf bezugnehmend zugelassene Arzneimittel bereits die Vorschriften über die bezugnehmende Zulassung selbst die Gefahr ausschließen, dass es infolge eines zulassungsüberschreitenden Arzneimitteleinsatzes zu Marktverzerrungen kommt.

689

s. oben B. II. 3., H. I. v. der Groeben/Schwarze/Hatje/Kadelbach, Art. 5 EUV Rn. 55; Calliess/Ruffert/Calliess, Art. 5 EUV Rn. 45; Grabitz/Hilf/Nettesheim/Bast, Art. 5 EUV Rn. 70. 691 Emmerich-Fritsche, S. 278. 692 Vgl. in Bezug auf Doppelregulierungen Emmerich-Fritsche, S. 510 f. 690

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c) Der Grundsatz der kompetenzkonformen Auslegung Dass es unverhältnismäßig wäre, die zulassungsüberschreitende Abgabe von bezugnehmend zugelassenen Arzneimitteln zum Zwecke der Sicherstellung der Durchführung eines Zulassungsverfahrens zu untersagen, entfaltet Wirkungen auf die Auslegung der RL 2001/83/EG. Nach dem Grundsatz der kompetenzkonformen Auslegung, einem Unterfall der primärrechtskonformen Auslegung,693 besteht eine Vermutung, dass der Richtliniengeber eine Regelung nur in dem Umfang erlassen möchte, in dem ihm eine Regelungsbefugnis zukommt.694 Dadurch kann eine restriktive Auslegung von Sekundärrecht bis zum Erreichen des kompetenzrechtlich zulässigen Regelungsumfanges geboten sein.695 Soweit eine unionsrechtliche Regelung gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verstößt, kann sie bei gegenständlicher Teilbarkeit auf den Teil reduziert werden, der mit dem Verhältnismäßigkeitsprinzip noch in Einklang steht.696 Daraus ergibt sich für den vorliegenden Fall, dass die Richtlinienbestimmungen den zulassungsüberschreitenden Arzneimitteleinsatz jedenfalls nicht verbieten, um die Durchführung eines Zulassungsverfahrens sicherzustellen, soweit bezugnehmend zugelassene Arzneimittel betroffen sind, die anstelle ihres Bezugsarzneimittels abgegeben werden sollen. 2. Sicherstellung von Patienteninformationen Ein Grund, die zulassungsüberschreitende Abgabe auch von bezugnehmend zugelassenen Arzneimitteln zu verbieten, könnte aber in den in der Richtlinie vorgesehenen Regelungen über die Patienteninformation liegen. Art. 59 I lit. b, lit. d RL 2001/83/EG verlangt, dass die Gebrauchsinformation eines Arzneimittels die zugelassenen Anwendungsgebiete aufführt und die für eine ordnungsgemäße Anwendung erforderlichen Hinweise enthält. Nach dem 40. Erwägungsgrund der Richtlinie soll so ein hohes Verbraucherschutzniveau gewährleistet werden, weil erst auf der Grundlage vollständiger und verständlicher Informationen Arzneimittel ordnungsgemäß angewandt werden könnten. Da die Gebrauchsinformationen von Arzneimitteln nur den zugelassenen Anwendungsbereich als mögliche Anwendungsgebiete nennen dürfen,697 findet der 693 Leible/Domröse, in: Europäische Methodenlehre, § 8 Rn. 8; Riesenhuber, in: Europäische Methodenlehre, § 10 Rn. 41. 694 Rebhahn, in: Europäische Methodenlehre, § 18 Rn. 68. Vgl. auch Leible/Domröse, in: Europäische Methodenlehre, § 8 Rn. 35; Riesenhuber, in: Europäische Methodenlehre, § 10 Rn. 41. 695 Rebhahn, in: Europäische Methodenlehre, § 18 Rn. 68. 696 Vgl. zur partiellen Unwirksamkeit bei Verstößen gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Emmerich-Fritsche, S. 305. Als Beispiel nennt dies. mögliche gegenständliche Beschränkungen eines Tabakwerbeverbotes, beispielsweise durch Herausnahme von in Drittländern herausgegebenen Veröffentlichungen aus dem Werbeverbot (S. 624). 697 Vgl. für die Vorschrift des § 11 AMG, die die Vorgaben aus Art. 59 der RL 2001/83/EG umsetzt: Kügel/Müller/Hofmann/Pannenbecker, § 11 AMG Rn. 17; Rehmann, § 11 AMG Rn. 6.

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Versicherte bei einer zulassungsüberschreitenden Arzneimittelabgabe in der Gebrauchsinformation zum einen nicht das bei ihm behandelte Anwendungsgebiet wieder.698 Zum anderen kann die Gebrauchsinformation ein Defizit an Anwendungsinformationen aufweisen. Gebrauchsinformationen von Arzneimitteln müssen Hinweise für die Anwendung und Dosierung enthalten.699 Gründe der Arzneimittelsicherheit können es im Einzelfall erfordern, dass diese Hinweise differenziert nach den einzelnen Anwendungsgebieten des Arzneimittels formuliert werden.700 Im Falle einer zulassungsüberschreitenden Arzneimittelabgabe kann die Gebrauchsinformation des abgegebenen Arzneimittels aber keine Informationen enthalten, die sich spezifisch auf das bei dem betroffenen Versicherten behandelte Anwendungsgebiet beziehen.701 Deshalb können beispielsweise eigentlich gebotene anwendungsgebietsspezifische Warnhinweise in der Gebrauchsinformation des abgegebenen Arzneimittels fehlen.702 Das Ziel des Richtliniengebers, Patienten ausreichende Informationen über die Handhabung des Arzneimittels im konkreten Anwendungsbereich bereitzustellen, kann bei einer zulassungsüberschreitenden Arzneimittelabgabe nicht erreicht werden. Aus diesem Grund könnte die Pflicht zur zulassungsüberschreitenden Arzneimittelabgabe den Regelungen der RL 2001/83/EG über die Patienteninformation widersprechen.703 Fraglich ist aber, ob ein Verbot der zulassungsüberschreitenden Arzneimittelabgabe zu dem Zweck, dass Patienten bei der Therapie über ein hohes Informa­ tionsniveau verfügen, gestützt auf Art. 95 EG hätte erlassen werden können. Denn der EG kam auf der Grundlage von Art. 95 EG nicht die Befugnis zur Schaffung originär gesundheitsrechtlicher Regelungen zu. Zwar war nach Art. 95 III EG bei Maßnahmen im Bereich der Gesundheit und des Verbraucherschutzes von einem hohen Schutzniveau auszugehen, doch bedeutete dies nicht, dass die EG losgelöst vom Ziel der Marktvereinheitlichung Gesundheits- oder Verbraucherschutzvorschriften erlassen durfte, sondern nur, dass die Marktvereinheitlichung auf einem hohen Schutzniveau zu erfolgen hatte.704 Auf den Binnenmarkt-Kompetenztitel gestützt, konnte die RL 2001/83/EG somit nur Marktvereinheitlichungs 698

Sickmüller/Lietz, in: Im Zweifel auf Privatrezept?, S. 93 (100). § 11 I Nr. 2 AMG; dazu Kügel/Müller/Hofmann/Pannenbecker, § 11 AMG Rn. 17; Rehmann, § 11 AMG Rn. 6. 700 Vgl. für das die Richtlinie umsetzende deutsche Arzneimittelgesetz § 11  I  Nr.  4 AMG; dazu Kügel/Müller/Hofmann/Pannenbecker, § 11 AMG Rn. 31. 701 Dierks, S. 23 f.; Kirch, S. 6; Brenner, SGb 2002. S. 129 (134 mit Fn. 56); Brixius/Frohn, A&R 2012, S. 70 (72); Rühl, Der Kassenarzt 2009, S. 42 (43); Sickmüller/Lietz, VSSR 2013, S.  209 (215); Sickmüller/Lietz, in: Im Zweifel auf Privatrezept?, S.  93 (100); Wolf/Jäkel, PharmR 2011, S. 1 (4). Vgl. auch Kamann/Gey/Eimer, APR 2009, S. 118 (122). 702 Dierks, S. 23 f.; Sickmüller/Lietz, VSSR 2013, S. 209 (215). Vgl. auch Wolf/Jäkel, PharmR 2011, S. 1 (4) und Fn. 28. 703 Vgl. Wolf/Jäkel, PharmR 2011, S.  1 (4), die darauf abstellen, dass die von der Europäischen Kommission erarbeiteten Gestaltungshinweise für Arzneimittel-Gebrauchsinformationen bedeutungslos würden. 704 Vgl. Calliess/Ruffert/Krebber, Art. 169 AEUV Rn. 14 ff. Vgl. auch Kemmler, NZS 2015, S. 401 (406). 699

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recht, aber kein genuines Gesundheitsschutzrecht enthalten.705 Regelungen über die Patienten­information konnten daher nicht mit genuin gesundheitsschützender Zwecksetzung erlassen werden, sondern sie mussten primär auf eine Marktvereinheitlichung zielen und durften nur in diesem Rahmen ein hohes Schutzniveau verfolgen. Binnenmarktrelevanz hat der Inhalt von Arzneimittel-Gebrauchsanweisungen in Fällen grenzüberschreitenden Arzneimittelhandels; so können uneinheitliche Informationsstandards zwischen den Mitgliedstaaten zu Handelshemmnissen führen, wenn etwa Mitgliedstaaten mit hohen Informationsstandards den Import von Arzneimitteln aus Ländern mit geringeren Informationsstandards verbieten. Dass bei einer zulassungsüberschreitenden Arzneimittelabgabe Patienten im Inland keine auf ihre Situation passenden Informationen erhalten, begründet jedoch keine Binnenmarktrelevanz. Generikahersteller erlangen durch den zulassungsüberschreitenden Einsatz im Hinblick auf ihre Informationspflichten zwar insoweit einen finanziellen Vorteil, als sie in dem behandelten Anwendungsgebiet im selben Umfang wie ein zugelassenes Arzneimittel zur Anwendung kommen, ohne für dieses Anwendungsgebiet eigens Informationen in die Gebrauchsinformation aufnehmen zu müssen. Die damit verbundenen Kosten sind jedoch marginal, sodass diese Kostenersparnis keine marktverzerrende Wirkung entfaltet. Somit sind auch die Richtlinienvorschriften über die Arzneimittelkennzeichnung kompetenzkonform dahingehend auszulegen, dass sie einem zulassungsüberschreitenden Einsatz nicht entgegenstehen. Insgesamt folgt damit aus der RL 2001/83/EG nicht die generelle Europarechtswidrigkeit des in § 129 I 2 SGB V angeordneten zulassungsüberschreitenden Arzneimitteleinsatzes.

III. Zulassungsüberschreitende Arzneimittelabgabe und Patienteninformation aus verfassungsrechtlicher Perspektive Für einen Patienten hat die zulassungsüberschreitende Arzneimittelabgabe  – wie soeben dargestellt wurde – zur Folge, dass die Gebrauchsanweisung des abgegebenen Arzneimittels in Bezug auf das Anwendungsgebiet, das in seiner Person behandelt werden soll, Lücken aufweist. Wenngleich sich gezeigt hat, dass europarechtliche Vorgaben dadurch nicht berührt werden, könnten aus der Lückenhaftigkeit der Gebrauchsinformation verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Pflicht zur zulassungsüberschreitenden Arzneimittelabgabe erwachsen.

705 Nettesheim, Bundesgesundheitsblatt 2008, S. 705 (706). Vgl. auch Fuhrmann, in: Fuhrmann/Klein/Fleischfresser, § 3 Rn. 1.

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1. Grundrechte der Versicherten Sollte die Lückenhaftigkeit der Gebrauchsinformation die Wirksamkeit oder Sicherheit der Arzneimitteltherapie beeinträchtigen, könnten die Grundrechte der Versicherten aus Art. 2 I GG und Art. 2 II GG706 verletzt sein. Teilweise wird ein Gesundheitsrisiko darin gesehen, dass die Gebrauchsinformation eines zulassungsüberschreitend abgegebenen Arzneimittels keine Warn- und Anwendungshinweise für das Anwendungsgebiet enthalten kann, in dem es eingesetzt wird; es bestehe deshalb die Gefahr, dass Patienten das Arzneimittel etwa falsch einnehmen.707 Gegen diese Bedenken spricht aber Folgendes: Wie der Versicherte das Arzneimittel zu dosieren und in dem in seiner Person behandelten Anwendungsgebiet anzuwenden hat, muss ihm der Arzt schon im Rahmen der ihm obliegenden Patienteninstruktion erläutern.708 Ein Patient kann sich diese Informationen grundsätzlich in zumutbarer Weise merken.709 Weiterhin wird ein Nachlassen der Therapietreue befürchtet, weil die Gebrauchsinformation eines zulassungsüberschreitend abgegebenen Arzneimittels die Krankheit des betroffenen Versicherten nicht als Teil  des zugelassenen Anwendungsbereichs ausweist; bei dem betroffenen Versicherten könne dies zu Verwirrung führen.710 Compliance-Problemen lässt sich indessen durch ärztliche Aufklärung begegnen. Ein Arzt muss seinen Patienten zur Sicherstellung des Therapieerfolgs erläutern, dass es infolge der Regelung des § 129 I 2 SGB V zu einem zulassungsüberschreitenden Arzneimitteleinsatz kommen kann, dass dies aber unbedenklich ist, weil aufgrund der bezugnehmenden Zulassung die Wirksamkeit des abgegebenen Arzneimittels auch in nicht zugelassenen Anwendungsgebieten gewährleistet ist.711 Wenn er erkennt, dass die Erläuterungen keinen Erfolg zeitigen, muss er die Substitution ausschließen. Mit der zulassungsüberschreitenden Arzneimittelabgabe sind deshalb keine Beeinträchtigungen von Wirksamkeit oder Sicherheit der Arzneimitteltherapie infolge von Informationsdefiziten verbunden.

706 s. zur Tragweite dieser Grundrechte bei der Ausgestaltung des Krankenversicherungsrechts oben F. I. 707 Vgl. Wolf/Jäkel, PharmR 2011, S. 1 (4). 708 Vgl. die Äußerung der Bunderegierung gegenüber dem Bundesrat während der Beratungen des AMNOG, BT-Drs. 17/3211, S. 2 709 AA Dierks, S. 15 f. 710 Dierks, S. 26; Kirch, S. 3; Sickmüller/Lietz, in: Im Zweifel auf Privatrezept?, S. 93 (100); vgl. Arzneimittelkommission der deutsche Ärzteschaft (AkdÄ), Stellungnahme, S. 3; Rommerskirchen, S. 29. 711 Vgl. Leitritz u. a., Der Ophthalmologe 2014, S. 127 (138). – Ehlers/Bitter, pharmind 2014, S. 588 (591), halten dies nicht für geboten, schlagen eine solche Beratung aber vorsorglich vor, um auf jeden Fall eine Haftung des Arztes auszuschließen. Zur ärztlichen Beratung zur Vermeidung von Compliance-Problemen s. schon oben E. I.

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2. Gebot der Folgerichtigkeit Indem im Arzneimittelgesetz vorgesehen ist, dass die Gebrauchsinformation eines Arzneimittels nötigenfalls speziell auf die einzelnen zugelassenen Anwendungsgebiete angepasste Hinweise zur sachgerechten Anwendung enthalten muss,712 und unvollständige Gebrauchsinformationen eine Bußgeldpflicht713 auslösen können, misst der Gesetzgeber im Arzneimittelrecht der Patienteninformation durch die Gebrauchsinformation eine hohe Bedeutung bei. Die zulassungsüberschreitende Arzneimittelabgabe nach § 129  I  2 SGB  V kann jedoch dazu führen, dass die Gebrauchsinformation des abgegebenen Arzneimittels keine In­ for­mationen zur Anwendung des Arzneimittels in dem Anwendungsgebiet beinhaltet, in dem es zum Einsatz kommen wird. Darin wird verbreitet ein Wertungswiderspruch gesehen.714 Verfassungsrechtlich können Wertungswidersprüche im Wege des Folgerichtigkeitsgebots Bedeutung erlangen. Das im allgemeinen Gleichheitssatz, dem Rechtsstaatsprinzip und den Freiheitsgrundrechten wurzelnde715 Folgerichtigkeitsgebot verpflichtet den Gesetzgeber, die für einen Regelungsbereich zugrundegelegte Grundentscheidung in hinreichend konsequenter Weise durchzuhalten.716 Vorliegend könnte § 129  I  2 SGB  V eine im Arzneimittelgesetz zum Ausdruck kommende Grundentscheidung717 durchbrechen, dass der Gesetzgeber der Patientenautonomie und der Therapiesicherheit einen besonders hohen Stellenwert beimisst und dass aus diesem Grund Arzneimitteln detaillierte Anwendungshinweise zur jederzeitigen Lektüre beiliegen sollen. Ein Verstoß gegen das Folgerichtigkeitsgebot ist jedoch zu verneinen, denn der behauptete Wertungswiderspruch liegt nicht vor. Der Gesetzgeber ist nicht gehindert, im Rahmen einer gesetzlichen Regelung mehrere, auch heterogene Grund 712 Nach § 11 I 1 Nr. 4 AMG muss die Packungsbeilage die für eine ordnungsgemäße Anwendung erforderlichen Hinweise enthalten. Diese Hinweise sind – falls notwendig – für jedes zugelassene Anwendungsgebiet gesondert aufzuführen: Kügel/Müller/Hofmann/Pannenbecker, § 11 AMG Rn. 31. 713 § 97 II Nr. 5 AMG. „Ohne die vorgeschriebene Packungsbeilage“ ist ein Arzneimittel auch dann abgegeben, wenn die Packungsbeilage unvollständig ist, vgl. Rehmann, § 97 AMG Rn. 6. 714 Kaufmann, in: Meier/v. Czettritz/Gabriel/Kaufmann, § 12 Rn. 13; Cyran/Rotta, § 17 ApBetrO Rn. 734; Brixius/Frohn, A&R 2012, S. 70 (72); Kaufmann, PharmR 2011, S. 223 (229); Wolf/Jäkel, PharmR 2011, S. 1 (4). Vgl. auch Ehlers/Rybak/Bitter, S. 36. 715 Zur Herleitung des Folgerichtigkeitsgebots s. Maunz/Dürig/P. Kirchhof, Art. 3  GG Rn. 408 ff.; ein­gehend Dieterich, S. 300 ff.; s. auch Brückner, Gesetzgebung, S. 111 ff. 716 Maunz/Dürig/P. Kirchhof, Art. 3 GG Rn. 405; Payandeh, AöR 2011, S. 578 (605 ff.); Leisner-Egensperger, DÖV 2013, S. 533 (534 ff.). Eingehend Dieterich, S. 48 ff. 717 Dass die Vorgaben des Arzneimittelgesetzes seinerseits europarechtlich determiniert sind, steht der Anwendung des Folgerichtigkeitsgrundsatzes nicht zwingend entgegen. So wird vertreten, dass das Bestehen europarechtlicher Vorgaben dem deutschen Gesetzgeber keinen Freibrief zur Schaffung widersprüchlicher Rechtslagen verleihe, vgl. Epiney, S.  430 ff. Für Anwendbarkeit des Folgerichtigkeitsgebots bei Zusammentreffen europarechtlich determinierter und genuin nationalrechtlicher Regelungen im Steuerrecht Kube, DStR 2016, S. 572 (573 ff.).

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entscheidungen nebeneinander zu verfolgen.718 Neben einer möglichst hohen Informiertheit des Patienten verfolgt der Gesetzgeber auch die Einsparung von Arzneimittelkosten. Beide Regelungsanliegen hat der Gesetzgeber so in Ausgleich gebracht, dass er in den Fällen, in denen diese Regelungsanliegen in Widerstreit geraten, dem Interesse an einer Arzneikostenbegrenzung den Vorrang eingeräumt hat. Völlig ohne Information bleibt ein Patient in diesen Fällen nicht, da ihm bereits der Arzt die für eine wirksame und sichere Therapie notwendigen Hinweise mündlich erteilen muss. Bei der zulassungsüberschreitenden Arzneimittelabgabe auftretende Lücken in der Arzneimittelgebrauchsinformation sind daher verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

IV. Zulassungsüberschreitende Arzneimittelabgabe und Herstellerhaftung Widersprüche werden weiterhin zwischen der Pflicht zur zulassungsüberschrei­ tenden Arzneimittelabgabe und der Gefährdungshaftung für Arzneimittelhersteller nach § 84 AMG gesehen.719 Nach § 84 I S. 1, S. 2 Nr. 2 AMG haften Arzneimittelhersteller verschuldensunabhängig für Schäden, die bei dem bestimmungsgemäßen Gebrauch eines Arzneimittels auftreten. Was zum bestimmungsgemäßen Gebrauch zählt, hängt von der Zweckbestimmung ab, die der Hersteller dem Arzneimittel gegeben hat, wobei ein wichtiges Kriterium zur Eingrenzung der Zweckbestimmung der zugelassene Anwendungsbereich des Arzneimittels ist.720 Bisweilen wird angenommen, dass bei der zulassungsüberschreitenden Arzneimittelabgabe nach § 129  I  2 SGB  V den Hersteller keine Haftung für Schäden treffe, die bei einer Verwendung des Arzneimittels außerhalb des zugelassenen Anwendungsbereichs entstünden.721 Diese Ansicht beruft sich darauf, dass ein zulassungsüberschreitender Arzneimitteleinsatz im Rahmen eines „echten“ Off-Label-Use verbreitet nicht mehr als bestimmungsgemäßer Gebrauch angesehen wird, sofern nicht der pharmazeutische Unternehmer den Off-Label-Use etwa durch öffentliche Äußerungen ausdrücklich gebilligt hat.722 Diese Argumentation ist jedoch abzulehnen: Wenn ein Hersteller eine bezugnehmende Zulassung für ein Arzneimittel erwirkt hat, schafft er in vergleichbarer Weise wie durch eine

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Vgl. Dieterich, S. 165 ff. Vgl. Wolf/Jäkel, PharmR 2011, S. 1 (5 mit Fn. 32). Vgl. in Bezug auf § 129 I 2 SGB V a. F. Dierks, S. 13. 720 Kügel/Müller/Hofmann/Brock/Stoll, § 84 AMG Rn. 67 f. 721 Vgl. Wolf/Jäkel, PharmR 2011, S. 1 (5 mit Fn. 32). Vgl. in Bezug auf § 129 I 2 SGB V a. F. Dierks, S. 13. 722 Vgl. Wolf/Jäkel, PharmR 2011, S. 1 (5 mit Fn. 32). Vgl. in Bezug auf § 129 I 2 SGB V a. F. Dierks, S. 13. – Zur Problematik, inwieweit Off-Label-Use einen bestimmungsgemäßen Gebrauch darstellt: Kügel/Müller/Hofmann/Brock/Stoll, § 84 AMG Rn. 69; Rehmann, § 84 AMG Rn. 1; Voit/Moelle, in: Dieners/Reese, § 13 Rn. 13 f.; eingehend Kempe-Müller, S. 28 ff. 719

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ausdrückliche Billigung einen Vertrauenstatbestand723 dafür, dass das Arzneimittel unabhängig vom formalen Umfang der Zulassung in sämtlichen Anwendungsbereichen eingesetzt werden kann wie das verordnete Originalarzneimittel. Es kommt daher beim zulassungsüberschreitenden Arzneimitteleinsatz nach § 129 I 2 SGB V zu einer Gefährdungshaftung nach § 84 AMG.724

V. Zulassungsüberschreitende Arzneimittelabgabe und Innovationsschutz Die Anordnung der zulassungsüberschreitenden Arzneimittelabgabe in § 129 I 2 SGB V wirft schließlich Fragen im Zusammenhang mit Innovationsschutzregelungen auf. Die Pflicht der Apotheker, kostengünstige Arzneimittel ohne Rücksicht auf deren zugelassenen Anwendungsbereich anstelle des verordneten Arzneimittels abzugeben, könnte Schutzrechte entwerten, die zugunsten des Herstellers des verordneten Arzneimittels bestehen und die normalerweise den Einsatz anderer Arzneimittel in dem betroffenen Anwendungsgebiet verhindern. Möglicherweise ist insoweit eine Einschränkung der Pflicht zur zulassungsüberschreitenden Arzneimittelabgabe geboten. 1. Wirkstoffpatent und Unterlagenschutz Die Entwicklung von Arzneimitteln ist mit Kosten verbunden,725 sodass pharmazeutische Unternehmer ein Interesse haben, dass sie zumindest für einen bestimmten Zeitraum berechtigt sind, die von ihnen entwickelten Innovationen exklusiv zu verwerten. Wenn pharmazeutische Unternehmer einen Wirkstoff entdecken, beantragen sie in aller Regel zunächst ein Patent für diesen Wirkstoff (sog. Wirkstoffpatent).726 Die Gewährung von Patenten soll Innovationen honorieren, indem dem jeweiligen Erfinder für eine neue Erfindung ein zeitlich begrenztes exklusives Verwertungsrecht eingeräumt wird.727 Ein Patent hat nach § 9 S. 1 PatG die Wirkung, dass während der Patentlaufzeit alleine der Patentinhaber befugt ist, die patentierte Erfindung zu benutzen; zu den Benutzungshandlungen, zu denen Dritte nicht berechtigt sind, zählen nach § 9 S. 2 Nr. 1 PatG etwa das Anbieten, 723 Vgl. dazu, dass der Beschränkung der Haftung auf Fälle des bestimmungsgemäßen Gebrauchs der Gedanke zugrunde liegt, dass den pharmazeutischen Unternehmer nur dann eine Haftung treffen soll, wenn er ein Vertrauen geschaffen hat, dass das Arzneimittel in einem bestimmten Anwendungsbereich wirksam und sicher eingesetzt werden kann: Kügel/Müller/Hofmann/Brock/Stoll, § 84 AMG Rn. 70; Krüger, PharmR 2004, S. 52 (54). 724 Ähnlich Ehlers/Rybak/Bitter, S. 37 f. 725 s. zum Entwicklungsaufwand für Arzneimittel v. Falck/Slopek/Thiermann, GRUR 2015, S. 1050 (1051). 726 v. Falck/Slopek/Thiermann, GRUR 2015, S. 1050 (1052). 727 Vgl. § 1 I PatG.

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das Inverkehrbringen oder das Gebrauchen eines patentierten Erzeugnisses. Neu ist nach § 3 I 1 PatG eine Erfindung, wenn sie noch nicht zum Stand der Technik zählt. In Bezug auf Arzneimittelwirkstoffe stellt sich dabei das Problem, dass sie in ihrer Eigenschaft als chemische Substanzen meist schon seit Langem bekannt und damit nicht mehr neu im Sinne des Patentrechts sind; lediglich ihre Verwendung als Arzneimittel war bis dahin unbekannt.728 Patentschutz können pharmazeutische Unternehmer deshalb in der Regel lediglich über die Vorschrift des § 3 III PatG erlangen. Danach können Stoffe spezifisch zum Zwecke der Anwendung in einem Heilverfahren patentiert werden, selbst wenn sie an sich bereits zum Stand der Technik gehören. Gewährt wird dadurch ein sog. zweckgebundenes Erzeugnispatent.729 Während ein herkömmliches Patent die Herstellung, das Anbieten, das Inverkehrbringen oder den Gebrauch des patentierten Stoffes durch Dritte gänzlich untersagt,730 verbietet ein zweckgebundenes Erzeugnispatent diese Verhaltensweisen nur, soweit sie sich auf die spezifisch geschützte Verwendung beziehen.731 Ein nach § 3 III PatG geschützter Stoff wird deshalb patentrechtlich nicht umfassend, sondern nur spezifisch gegen die Verwendung durch Dritte als arzneilicher Wirkstoff geschützt.732 Verboten wird dadurch insbesondere der Vertrieb von Generika.733 Einen hohen Kostenaufwand stellt für pharmazeutische Unternehmer schließlich die Durchführung von klinischen Studien dar, die die Grundlage für das Zulassungsverfahren bilden. Bevor das in den Studien erarbeitete Wissen von anderen pharmazeutischen Unternehmern zur Zulassung wirkstoffgleicher Präparate im Wege einer bezugnehmenden Zulassung verwendet werden darf, unterliegt es einer Schutzfrist, die regelmäßig zehn Jahre beträgt (sog. Unterlagenschutz).734 2. Anwendungsgebietsbezogener Schutz nach § 3 IV PatG und § 24b VI AMG Oft setzt der pharmazeutische Unternehmer seine Forschung an dem entdeckten Wirkstoff allerdings weiter fort, nachdem er ein Wirkstoffpatent beantragt hat und während die Unterlagenschutzfrist abläuft. Es kann sich dabei herausstellen, dass der Wirkstoff noch gegen weitere Krankheiten als bisher vermutet eingesetzt werden kann.735 Teilweise wird auch nur die Anwendung des Wirkstoffs verfeinert, 728

Vgl. Mes, § 9 PatG Rn. 77 ff. Benkard/Melullis, § 3 PatG Rn. 90. 730 § 9 S. 2 Nr. 1 PatG. 731 Hufnagel, GRUR 2014, S. 123. 732 Schrell, GRUR Int 2010, S. 363 (365). 733 Vgl. Hufnagel, GRUR Int 2014, S. 123. Zulässig ist nach § 11 Nr. 2b PatG lediglich, dass Generikahersteller während des Bestehens des Patentschutzes schon Studien und Versuche zur Erlangung der Arzneimittelzulassung durchführen. 734 § 24b II 1 AMG. – S. dazu schon oben B. I. 735 Hufnagel, GRUR 2014, S. 123. 729

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indem Dosierungsformen mit besseren Anwendungsergebnissen oder neue pharmazeutische Formen für den Wirkstoff entwickelt werden.736 a) Patentschutz nach § 3 IV PatG Patentrechtlich können diese nachträglich getätigten Innovationen im Wege von § 3  IV PatG geschützt werden.737 Nach § 3  IV PatG kann ein Stoff dahingehend paten­tiert werden, dass er in einem Heilverfahren zu einer spezifischen Anwendung ohne Zustimmung des Patentinhabers nicht eingesetzt werden darf. Pharmazeutische Unternehmer können so nach Erteilung eines Wirkstoffpatents nochmals einzelne, bei Erteilung des Wirkstoffpatents noch nicht bekannte Verwendungsmöglichkeiten eines Arzneistoffs selbständig patentieren lassen. Man spricht von sog. Second-Medical-Use-Patenten. Second-Medical-Use-Patente unterliegen einer eigenen, vom Wirkstoffpatent unabhängigen Schutzfrist.738 Die Vorschrift des § 3  IV PatG gewährt ebenfalls ein zweckgebundenes Erzeugnispatent.739 Der betroffene Stoff wird gegen den Einsatz als Arzneimittel in einem bestimmten Anwendungsgebiet durch Dritte geschützt, wobei zu den nach § 3 IV PatG patentierbaren Anwendungsgebieten sowohl der Einsatz eines Wirkstoffs gegen eine weitere Krankheit als auch bloße Verfeinerungen der Wirkstoffabgabe oder der Dosierung zählen, wenn sie den therapeutischen Erfolg verbessern.740 Gestützt auf ein Second-Medical-Use-Patent können Dritten nur solche Benutzungshandlungen untersagt werden, die anhand objektiver Umstände erkennbar auf die Verwirklichung des patentierten Zwecks abzielen.741 Es muss ausgeschlossen sein, dass es zu einer anderen als der patentgeschützten Verwendungsweise kommt.742 Diese hohen Anforderungen sollen verhindern, dass auch solche Hand 736

v. Falck/Slopek/Thiermann, GRUR 2015, S. 1050 (1052). Zu den vom BGH vor Inkrafttreten von § 3 IV PatG im Jahr 2007 für die zweite medizinische Indikation entwickelten sog. Verwendungspatenten s. Tauchner/Hölder, FS Mes, S. 353 (354 ff.); Meier-Beck, GRUR 2009, S. 300 ff. – Die Erteilung von Verwendungspatenten dürfte zwar auch nach Inkrafttreten von § 3  IV PatG noch möglich sein [Schrell, GRUR Int 2010, S. 363 (366); vgl. BGH, GRUR 2014, 461 (462)], obwohl die praktische Notwendigkeit dafür entfallen ist (Mes, § 3 PatG Rn. 85). – Das Verwendungspatent ist mit dem durch § 3 IV PatG gewährten Patent de facto wirkungsgleich [BGH, GRUR 2014, 461 (462)], aber unter Umständen weniger schutzintensiv [s. Busse/Keukenschrijver/Keukenschrijver, § 9 PatG Rn. 114; Schrell, GRUR Int 2010, S. 363 (367)]. 738 Vgl. § 16 PatG: Jedem Patent kommt danach eine Schutzdauer von 20 Jahren zu. 739 Meier-Beck, GRUR 2009, S.  300 (304); Merx, in: Der Patient im nationalen und euro­ päischen Gesundheitssystem, S. 51 (60); Hufnagel, GRUR 2014, S. 123; BGH, GRUR 2014, 461 (462). 740 Benkard/Melullis, § 3 PatG, Rn. 381; Tauchner/Hälder, FS Mes, S. 353 (364); Merx, in: Der Patient im nationalen und europäischen Gesundheitssystem, S. 51 (61); Hufnagel, GRUR 2014, S. 123; Schrell, GRUR Int 2010, S. 363 (365). 741 Schrell, GRUR Int 2010, S. 363 (365); BGH, GRUR 1987, 794 (796). 742 Vgl. Müller, S. 65. 737

H. Fragen der zulassungsüberschreitenden Arzneimittelabgabe 

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lungen patentrechtlich sanktioniert werden können, die am Ende nicht in eine Verwirklichung des patentierten Zwecks münden.743 Second-Medical-Use-Patente verbieten es zunächst, dass Konkurrenten wirkstoffgleiche Produkte für das geschützte Anwendungsgebiet vermarkten744. Doch richten sich Second-MedicalUse-Patente außerdem an Ärzte und Apotheker, denen sie es verbieten, Patienten in dem geschützten Anwendungsgebiet ein anderes als das patentierte Arzneimittel zu verschaffen. Ärzten wird durch Second-Medical-Use-Patente zum einen verboten, zur Behandlung eines patentierten Anwendungsgebiets ein anderes wirkstoffgleiches Arzneimittel als das patentierte zu verordnen.745 Zum anderen verbieten Second-Medical-Use-Patente die Ausstellung einer Aut-idem- oder einer Wirkstoff­ verordnung bei der Behandlung des patentierten Anwendungsgebiets, denn mit einer Aut-idem- oder Wirkstoffverordnung wird ein spezifisches Risiko gesetzt, dass in der Apotheke ein anderes als das patentgeschützte Arzneimittel abgegeben wird.746 Darüber hinaus handelt objektiv patentrechtswidrig auch ein Apotheker, der eine Aut-idem- oder Wirkstoffverordnung, die von dem verordnenden Arzt zur Behandlung eines patentgeschützten Anwendungsgebiet ausgestellt worden ist, mit einem anderen Arzneimittel als dem patentgeschützten beliefert. Der Annahme einer Patentverletzung steht es nicht entgegen, dass ein Apotheker das Behandlungsziel des Arztes in aller Regel nicht kennt, und daher nicht weiß, ob das abgegebene Arzneimittel gerade in dem patentierten Anwendungsgebiet eingesetzt werden soll. Der Wortlaut von § 3  IV PatG, wonach Patentgegenstand der Arzneistoff „zur spezifischen Anwendung“ in einem Heilverfahren ist, gebietet keine Lesart in der Weise, dass ein Second-Medical-Use-Patent nur vor einer bewussten Patentverletzung schützt. Auch die in § 9 S. 2 Nr. 1 genannten möglichen Verletzungshandlungen  – dies sind Anbieten, Inverkehrbringen und Gebrauchen  –

743

Vgl. Nieder, FS Mes, S. 287 (291); v. Falck, GRUR 1993, S. 199 (202); BGH, GRUR 1987, 794 (795). 744 Nicht untersagt wird es Generikaherstellern, bereits eine Zulassung für ein patentgeschütztes Anwendungsgebiet zu beantragen. Zur Vermeidung von Konflikten mit dem Patentrecht gestattet es ihnen § 11a Ie AMG, die patentgeschützten Anwendungsgebiete nicht in der Gebrauchs- und Fachinformation zu nennen, obwohl Gebrauchs- und Fachinformation grundsätzlich den gesamten zugelassenen Anwendungsbereich eines Arzneimittels wiedergeben müssen. S. dazu Menges, in: Fuhrmann/Klein/Fleischfresser, § 19 Rn. 30, 57. – Allerdings sind Generika für das patentierte Anwendungsgebiet oft auch formal nicht zugelassen; neue Anwendungsgebiete werden oft zu einem Zeitpunkt entwickelt, zu dem die generische Zulassung bereits erteilt wurde, sodass Generikahersteller bei Beantragung der Zulassung auf das geschützte Anwendungsgebiet noch nicht hätten Bezug nehmen können: Csaki/Junge-Gierse, ZfBR 2017, S. 234. 745 Schacht, S.  316; Tauchner/Hölder, FS Mes, S.  353 (364 ff.); Hufnagel, GRUR 2014, S. 123 (124 f.); Schrell, GRUR Int 2010, S. 363 (367). 746 Vgl. Csaki/Junge-Gierse, ZfBR 2017, S. 234 (236); BKartA, KrV 2015, 127 (131 f.).

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setzen nicht zwingend ein entsprechendes Bewusstsein voraus.747 Eine Handlung verletzt daher schon dann ein zweckgebundenes Stoffpatent, wenn sie bei rein objektiver Betrachtungsweise auf eine Verwirklichung des patentierten Zwecks zielt,748 ohne dass es eines entsprechenden Bewusstseins bedarf.749 Wenn ein Arzt zum Zwecke der Behandlung eines patentgeschützten Anwendungsgebiets eine Autidem-Verordnung ausgestellt hat, ist für einen objektiven Beobachter, der diesen Umstand kennt, erkennbar, dass das in der Apotheke abgegebene Arzneimittel in dem geschützten Anwendungsgebiet eingesetzt werden wird.750 Deshalb verletzt ein Apotheker ein Second-Medical-Use-Patent, wenn bei einem Patienten ein patentgeschütztes Anwendungsgebiet behandelt werden soll und der Apotheker eine Autidem-Verordnung nicht mit dem verordneten patentierten Arzneimittel beliefert.751 b) Unterlagenschutz nach § 24b VI AMG Nachträglich getätigte Innovationen können weiterhin unterlagenschutzrechtlich geschützt werden. Nach § 24b VI AMG genießen Zulassungsunterlagen, denen bedeutende Studien über neue Anwendungsfelder bereits bekannter Wirkstoffe zugrunde liegen, die in der EU bereits seit mindestens zehn Jahren verwendet werden, einen eigenständigen einjährigen Unterlagenschutz. Dem Innovator wird so ein einjähriger faktischer Vermarktungsschutz in dieser Indikation gewährt, da Konkurrenten für die Zulassung ihres Produkts in dem geschützten Anwendungsgebiet eigene Zulassungsstudien vorlegen müssen und es ihnen versagt ist, unter Bezugnahme auf die Zulassungsunterlagen des Innovators eine Zulassung für das Anwendungsgebiet beantragen.752 Honoriert werden soll durch den einjährigen Unterlagenschutz die Forschung an bekannten Wirkstoffen.753 Anders als für die Gewährung von Patentschutz kommt es für die Gewährung des einjährigen Unter 747 Dafür spricht ein Umkehrschluss zu § 9 S. 2 Nr. 2 PatG, wo lediglich für bestimmte Verletzungsmodalitäten bei sog. Verfahrenspatenten ein besonderes subjektives Element gefordert wird. 748 Hetmank, GRUR 2015, S.  227 (230); vgl. Busse/Keukenschrijver/Keukenschrijver, § 9 PatG Rn. 60. 749 Merx, in: Der Patient im nationalen und europäischen Gesundheitssystem, S. 51 (64). 750 Merx, in: Der Patient im nationalen und europäischen Gesundheitssystem, S. 51 (63 ff.); vgl. LG Hamburg, KV 2015, S. 117 (122 f.), wonach der Apotheker dem Arzneimittel seine Zweckbestimmung gebe.  – Vgl. für Verwendungsaptente OLG München, MdP 1996, 312 (314). 751 Merx, in: Der Patient im nationalen und europäischen Gesundheitssystem, S.  51 (54); ebenfalls eine Patentverletzung annehmend Csaki/Junge-Gierse, ZfBR 2017, S. 234 (235). – Zur Frage, inwieweit daneben ein Generikahersteller eine sog. mittelbare Patentverletzung (§ 10 PatG) begeht, der einen Rabattvertrag über einen bestimmten Wirkstoff abschließt, sofern dadurch die Gefahr geschaffen wird, dass das Generikum auch für Anwendungsgebiete abgegeben wird, in denen der Innovator ein Second-Medical-Use-Patent innehat: LG Hamburg, KrV 2015, 117 (121 ff.). 752 Vgl. Kügel/Müller/Hofmann/Kortland, § 24b AMG Rn. 102. 753 Kügel/Müller/Hofmann/Kortland, § 24b AMG Rn. 102.

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lagenschutzes allerdings nicht darauf an, dass das neue Anwendungsgebiet bisher nicht zum Stand der Erkenntnisse gehört hat; entscheidend ist alleine, dass bislang noch kein Arzneimittel dieses Wirkstoffs für das betroffene Anwendungsgebiet zugelassen war.754 Als bedeutend im Sinne von § 24b VI AMG sind Studien anzusehen, wenn sie mit hohen Kosten verbunden waren.755 Anders als ein Second-Medical-Use-Patent verbietet es besonderer Unterlagenschutz nach § 24b VI AMG Ärzten und Apothekern nicht, Patienten in dem geschützten Anwendungsgebiet ein anderes als das geschützte Arzneimittel zu verschaffen.756 Jedoch werden Innovatoren auf faktische Weise davor geschützt, dass in dem neuen Anwendungsgebiet wirkstoffgleiche Konkurrenzprodukte zum Zuge kommen. Das Bestehen von Unterlagenschutz nach § 24b VI AMG verbietet es, dass Generikahersteller während der Schutzzeit aufgrund des von ihnen erbrachten Bioäquivalenznachweises auch für das geschützte Anwendungsgebiet eine Zulassung erlangen können. Da eigene Zulassungsstudien zu kostspielig sind, werden sie während der Schutzzeit von der Beantragung einer Zulassung für dieses Anwendungsgebiet absehen. Ein Arzt vermeidet es wiederum, Arzneimittel für Anwendungsgebiete zu verordnen, in denen sie nicht zugelassen sind, denn dabei muss er besondere Informations- und Aufklärungspflichten beachten:757 Um die Therapietreue zu sichern, muss er dem Patienten etwa erklären, dass die fehlende Zulassung des Arzneimittels in dem behandelten Anwendungsgebiet nicht mit Gesundheitsrisiken verbunden ist.758 Ein Apotheker wird es in entsprechender Weise vermeiden, anstelle des verordneten Arzneimittels ein Arzneimittel mit einem geringeren zugelassenen Anwendungsbereich abzugeben, da er sich in diesem Fall zumindest vergewissern müsste, ob der Arzt pflichtgemäß die Therapietreueprobleme ausgeräumt hat, die sich aus dem zulassungsüberschreitenden Arzneimitteleinsatz ergeben können.759 3. Verhältnis der Pflicht zur zulassungsüberschreitenden Arzneimittelabgabe zu anwendungsgebietsbezogenen Schutzrechten Indem die Vorschrift des § 129 I 2 SGB V die zulassungsüberschreitende Abgabe wirtschaftlicher wirkstoffgleicher Arzneimittel anordnet, ohne in ihrem Wortlaut zu differenzieren, ob das wirtschaftliche Arzneimittel in einem Anwen 754

Vgl. zum Begriff der Neuheit i. S. v. § 24b AMG: Cloesel/Cyran, § 24b AMG Rn. 38. Vgl. Kloesel/Cyran, § 24b AMG Rn. 64. 756 Zur fehlenden Bindung des Arztes an Unterlagenschutzvorschriften s. Ehlers/Rybak/Bitter, S. 49. 757 Zur Auswirkung von Aufklärungspflichten auf das Verordnungsverhalten im Bezug auf Präparatumstellungen vgl. auch v. Falck/Slopek/Thiermann, GRUR 2015, S. 1050 (1053). 758 s. oben E. I. 1., 2. 759 Vgl. zu den Pflichten des Apothekers bei der Arzneimittelsubstitution oben E. III. 755

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dungsgebiet eingesetzt werden soll, in dem zugunsten des verordneten Arzneimittels anwendungsgebietsspezifische Schutzrechte bestehen, könnte sie die soeben dargestellten anwendungsgebietsspezifischen Schutzrechte entwerten.760 a) Problemaufriss Vor allem in Bezug auf Second-Medical-Use-Patente wurde in letzter Zeit in Rechtsprechung und Literatur diskutiert, ob Apotheker durch § 129  I  2 SGB  V verpflichtet werden, entgegen der patentrechtlichen Rechtslage Arzneimittel zulassungsüberschreitend abzugeben, wenn für das verordnete Arzneimittel in dem behandelten Anwendungsgebiet Patentschutz besteht.761 Wohl überwiegend wird vertreten, dass § 129  I  2 SGB  V die patentrechtlichen Bindungen nicht überlagere.762 Demgegenüber wird aber auch angenommen, dass § 129 I 2 SGB V Apotheker zur Substitution ohne Rücksicht auf die patentrechtliche Rechtslage verpflichte; zugleich strahle § 129 I 2 SGB V in der Weise auf das Vertragsarztrecht aus, dass auch der verordnende Arzt nicht berechtigt sei, die Substitution wegen des Bestehens von Patentschutz auszuschließen.763 Kritisch wird in der Literatur auch das Verhältnis der Pflicht zur zulassungsüberschreitenden Arzneimittelabgabe zu dem besonderen einjährigen Unterlagenschutz nach § 24b VI AMG gesehen. Überwiegend wird angenommen, dass der von § 24b VI AMG bezweckte Innovationsschutz entwertet würde, falls Apotheker verpflichtet wären, Arzneimittel, für die besonderer Unterlagenschutz besteht, in den geschützten Anwendungsgebieten durch andere Arzneimittel zu ersetzen.764 Eine Gegenansicht verneint eine drohende Entwertung des Unterlagenschutzes mit der Argumentation, dass Ärzte bei ihrer Verordnungsentscheidung nicht an den Unterlagenschutz gebunden seien und dass der auf Ärzte im Krankenversicherungsrecht ausgeübte Druck, Apothekern Substitutionsmöglichkeiten zu eröffnen, sowie die Pflicht der Apotheker zur wirtschaftlichen Arzneimittelabgabe das ärztliche Verordnungsverhalten lediglich konkretisierten.765 Dies überzeugt aber nicht.

760

Für Unterlagenschutz nach § 24b VI AMG Kamann/Gey/Eimer, APR 2009, S. 118 (123). Vgl. zur Problematik auch Csaki/Freundt, KrV 2015, S. 195 (199); Krasney, KrV 2015, S. 132; Merx, in: Der Patient im nationalen und europäischen Gesundheitssystem, S. 51 (61). 762 Csaki/Junge-Gierse, ZfBR 2017, S. 234 (235 f.); BKartA, KrV 2015, S. 127 (131); OLG Düsseldorf, Beschl. v. 1.12.2015, II-Verg 20/15, Rn. 33 (juris). 763 Vgl. LG Hamburg, KrV 2015, 117 (124), wonach sich der substituierende Apotheker und der die Substitution nicht ausschließende Arzt „rechtstreu im Sinne von § 129 Abs. 1 Sätze 2 und 3 SGB V“ verhielten. 764 Dierks, S.  17; Ambrosius, in: Fuhrmann/Klein/Fleischfresser, § 6 Rn.  217; Gassner, PharmR 2010, S. 1 (4); Kamann/Gey, PharmR 2011, S. 368 (373); Kamann/Gey/Eimer, APR 2009, S. 118 (123); Sickmüller/Lietz, in: im Zweifel auf Privatrezept?, S. 93 (100); Sickmüller/ Lietz, VSSR 2013, S. 209 (215); Sträter, pharmind 2011, S. 1450 (1456 f.). 765 Ehlers/Rybak/Bitter, S. 49. Vgl. auch Mandl, S. 173 f. 761

H. Fragen der zulassungsüberschreitenden Arzneimittelabgabe 

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Es wurde oben766 gezeigt, dass der Unterlagenschutz nach § 24b  VI AMG dem Rechtsinhaber faktische Marktexklusivität gewährt, weil es im Normalfall nicht dazu kommen wird, dass Ärzte und Apotheker einem Patienten ein Arzneimittel verschaffen, das für den verfolgten Anwendungszweck keine Zulassung besitzt. Ob die Pflicht zur zulassungsüberschreitenden Arzneimittelabgabe nach § 129 I 2 SGB  V auch dann gilt, wenn für das verordnete Arzneimittel ein anwendungsgebietsspezifisches Schutzrecht besteht und zur Behandlung des geschützten Anwendungsgebiets verordnet wurde, soll im Folgenden im Wege der Auslegung von § 129 I 2 SGB V geklärt werden. b) Wortlautauslegung Der Wortlaut von § 129 I 2 SGB V verpflichtet Apotheker umfassend zur zulassungsüberschreitenden Arzneimittelabgabe. Die Wortlautauslegung spricht folglich dafür, dass die Pflicht zur zulassungsüberschreitenden Arzneimittelabgabe auch in Bezug auf Arzneimittel gilt, für die ein anwendungsgebietsspezifisches Schutzrecht besteht und die in dem geschützten Anwendungsgebiet eingesetzt werden sollen. c) Systematische Auslegung Eine an der Gesamtrechtsordnung orientierte systematische Auslegung von § 129  I  2 SGB  V spricht hingegen dafür, dass die Pflicht zur zulassungsüberschreitenden Arzneimittelabgabe nicht gilt, wenn das verordnete Arzneimittel in einem Anwendungsgebiet eingesetzt werden soll, für das besondere Schutzrechte bestehen. Da nahezu 90 % der deutschen Bevölkerung gesetzlich krankenversichert sind und somit bei deren Versorgung mit Arzneimitteln die Vorschrift des § 129 I 2 SGB V Anwendung findet, würde diesen Schutzrechten ihre Schutzwirkung andernfalls weitestgehend genommen. d) Teleologische Auslegung Möglicherweise spricht auch die teleologische Auslegung dafür, dass die Pflicht zur zulassungsüberschreitenden Arzneimittelabgabe nicht besteht, wenn das verordnete Arzneimittel in einem geschützten Anwendungsbereich eingesetzt werden soll. Die Bundesregierung hat gegenüber dem Bundesrat in einer Stellungnahme zu dem später zurückgezogenen, mit dem am Ende angenommenen Frak­ tionsentwurf aber wortlautgleichen Regierungsentwurf zum Arzneimittelmarkt­ 766

s. soeben 2. b).

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Kap. 4: Die Pflicht zur Auswahl wirtschaftlicher Arzneimittel

neuordnungsgesetz ausgeführt, dass Unterschiede in den Zulassungsbereichen verschiedener wirkstoffgleicher Arzneimittel vor allem auf der unterschiedlichen Zulassungspraxis der Mitgliedstaaten verbunden mit der gegenseitigen Anerkennung der Zulassungen beruhen würden.767 Jedenfalls der Bundesregierung schien damit nicht bewusst gewesen zu sein, dass Unterschiede im zugelassenen Anwendungsbereich ihren Grund auch in Schutzrechten haben können, die durch eine zulassungsüberschreitende Arzneimittelabgabe entwertet würden. Sie scheint die Pflicht zur zulassungsüberschreitenden Arzneimittelabgabe in erster Linie dafür konzipiert zu haben, um die von ihr erwähnten Sonderkonstellationen einer Lösung zuzuführen. Wie sich die Initiatoren des Fraktionsentwurfs und später die den Entwurf beratenden Bundestagsabgeordneten Unterschiede in den zugelassenen Anwendungsbereichen verschiedener wirkstoffgleicher Arzneimittel erklärten, lässt sich aber nicht ermitteln; es kann nicht ohne Weiteres unterstellt werden, dass sich deren Vorstellungen mit denen der Bundesregierung deckten. Eine teleologisch-einschränkende Auslegung lässt sich daher nicht mit den Äußerungen der Bundesregierung begründen. Als weiterer Ansatzpunkt für eine teleologisch-einschränkende Auslegung kommt eine Passage der Gesetzesbegründung zum Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz in Betracht. Danach dienen die mit dem Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz vorgenommenen Änderungen von § 129  I  2 SGB  V dazu, Umgehungsmöglichkeiten bei der Arzneimittelsubstitution zu verhindern.768 Es lässt sich schwerlich als Umgehung der Substitutionspflicht ansehen, wenn ein verordnetes Arzneimittel deshalb nicht ausgetauscht wird, weil es in dem behandelten Anwendungsgebiet Gegenstand von Schutzrechten ist. Allerdings erscheint unklar, ob sich die Ausführungen betreffend die Umgehung von Substitutionsmöglichkeiten auf die Neuformulierung des Tatbestandsmerkmals „für den gleichen Indikationsbereich“ hin zu „für ein gleiches Anwendungsgebiet“ beziehen sollen. Im Fortgang der Gesetzesbegründung werden mögliche Umgehungen der Substitution nur in Bezug auf das Tatbestandsmerkmal „identische Packungsgröße“ näher erörtert, nicht dagegen in Bezug auf Unterschiede im zugelassenen Anwendungsbereich.769 Es ist deshalb denkbar, dass die zulassungsüberschreitende Arzneimittelabgabe angeordnet wurde, obwohl Unterschiede im zugelassenen Anwendungsbereich zweier wirkstoffgleicher Arzneimittel auf rechtlich anerkannten Gründen beruhen können und dem Gesetzgeber dies bewusst war. Dafür, dass der Gesetzgeber eine Entwertung von Schutzrechten in Kauf nahm, könnte sogar eine andere Passage der Gesetzesbegründung sprechen. Die zulassungsüberschreitende Arzneimittelabgabe solle sicherstellen, „dass Versicherte

767

BT-Drs. 17/3211, S. 2. BT-Drs. 17/2413, S. 29. Auf diese Passage stellt für eine einschränkende Auslegung ab Conrad, NZS 2016, S. 687 (688). 769 BT-Drs. 17/2413, S. 29 f. 768

H. Fragen der zulassungsüberschreitenden Arzneimittelabgabe 

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bei gleicher Wirksamkeit stets dasjenige Arzneimittel erhalten, das im Einzelfall das wirtschaftlichste ist“.770 Die teleologische Auslegung von § 129 I 2 SGB V zwingt daher nicht zur Rücksichtnahme auf anwendungsgebietsbezogene Schutzrechte; eher noch spricht sie dafür, dass diese Schutzrechte nicht berücksichtigt werden sollen. e) Europarechtskonforme Auslegung – europarechtliche Vorgaben für den Unterlagenschutz Wortlautauslegung, systematische Auslegung und teleologische Auslegung führen damit zu keinem eindeutigen Ergebnis bei der Beantwortung der Frage, ob die Pflicht zur zulassungsüberschreitenden Arzneimittelabgabe bei Bestehen anwendungsgebietsbezogener Schutzrechte gilt. In dieser Situation könnte eine Auslegung unter Berücksichtigung von Vorgaben aus höherrangigem Recht zu klareren Ergebnissen führen. Falls die in § 129 I 2 SGB V angeordnete zulassungs­ überschreitende Arzneimittelabgabe auf besonderen einjährigen Unterlagen­schutz nach § 24b  VI AMG keine Rücksicht nehmen sollte, könnten europarechtliche Vorgaben verletzt sein. Die Vorschrift des § 129 I 2 SGB V müsste in diesem Fall europarechtskonform dahingehend ausgelegt werden, dass bei Bestehen von besonderem Unterlagenschutz die Pflicht zur zulassungsüberschreitenden Arzneimittelabgabe nicht gilt. Durch § 24b VI AMG wird die europarechtliche Regelung des Art. 10 V RL 2001/83/EG umgesetzt, wonach für bedeutende klinische Studien im Zuge der Erforschung neuer Indikationen bereits bekannter Wirkstoffe ein gesonderter Unterlagenschutz von einem Jahr gewährt werden muss. Der einjährige Unterlagenschutz nach Art. 10 V RL 2001/83/EG soll dem Innovator ein Jahr lang faktische Marktexklusivität gewähren, indem Konkurrenten wie vor allem Generikaherstellern die Zulassung ihrer Produkte unter Bezugnahme auf die Zulassungsunterlagen des Innovators während dieser Zeit untersagt wird.771 So sollen Anreize zur Forschung an bekannten Wirkstoffen gesetzt werden.772 Formal betrachtet würde die Pflicht zur zulassungsüberschreitenden Arzneimittelabgabe die Regelung des Art. 10 V RL 2001/83/EG nicht antasten, denn es wird Generikaherstellern nicht gestattet, während der Schutzfrist auf die Unterlagen des Innovators Bezug zu nehmen, um eine Zulassung für das Anwendungsgebiet zu beantragen.773 Für innovative Arzneimittelhersteller bestünde jedoch kaum noch ein Anreiz, von der europarechtlich eröffneten Möglichkeit Gebrauch zu machen, den besonderen einjährigen Unterlagenschutz zu beantragen, wenn 770

BT-Drs. 17/2413, S. 30. Gassner, GRUR Int 2004, S. 983 (992). 772 Gassner, GRUR Int 2004, S. 983 (991 f.). 773 Ehlers/Rybak/Bitter, S. 48; Kamann/Gey, PharmR 2011, S. 368 (371). 771

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Kap. 4: Die Pflicht zur Auswahl wirtschaftlicher Arzneimittel

sich ihre Position im Wettbewerb hierdurch nicht verbessern kann. Zwar wird teilweise angenommen, dass die innovationsfördernde Regelung des Art. 10 V RL 2001/83 ohnehin einen Schwachpunkt insoweit aufweise, als Ärzte durch den Unterlagenschutz rechtlich nicht gehindert würden, anstelle des innovativen Arzneimittels zulassungsüberschreitend ein Generikum zu verschreiben und dass die Richtlinie von den Mitgliedstaaten nicht verlange, die zulassungsüberschreitende Verordnung von Generika durch Ärzte zu verhindern.774 Die Pflicht zur zulassungsüberschreitenden Arzneimittelabgabe würde allerdings zu einer zusätzlichen Schwächung der beabsichtigten Innovationsanreize führen, weil sie die zulassungsüberschreitende Abgabe von Generika in jedem einzelnen Behandlungsfall forcieren würde.775 Die Bestimmung des Art. 10 V RL 2001/83/EG ist daher so zu lesen, dass sie über ihren unmittelbaren Wortlaut hinaus zumindest eine staatlich aktiv veranlasste Verdrängung des geschützten Arzneimittels in dem geschützten Anwendungsgebiet untersagt.776 Falls die Pflicht zur zulassungsüberschreitenden Arzneimittelabgabe nach § 129 I 2 SGB V auf den besonderen einjährigen Unterlagenschutz keine Rücksicht nähme, wären daher die Vorgaben aus Art. 10 V RL 2001/83/EG verletzt. Anders als ein generelles Verbot der staatlichen Förderung einer zulassungsüberschreitenden Arzneimittelabgabe777 ist das Verbot einer zulassungsüberschreitenden Arzneimittelabgabe, durch die Unterlagenschutz nach Art. 10 V RL 2001/83/EG entwertet würde, auch von der Binnenmarktkompetenz nach Art. 95 EG gedeckt. Die Festschreibung europaweit einheitlicher Unterlagenschutzvorschriften778 ist notwendig, um Wettbewerbsverzerrungen entgegenzuwirken. Wenn in den unterschiedlichen Mitgliedstaaten das von einem Innovator erarbeitete Wissen unterschiedlich stark geschützt würde, hätten Generikahersteller in den verschiedenen Mitgliedstaaten jeweils unterschiedliche rechtliche Ausgangsbedingungen. Durch Absenkung des Innovationsschutzes könnte ein Mitgliedstaat gezielt dafür sorgen, dass sich seine Generikaindustrie schneller entwickelt als die ausländische und dadurch im Wettbewerb mit ausländischen Generikaherstellern über einen Vorsprung verfügt.779 Auch die Tatsache, dass der deutsche Gesetzgeber durch ein aus Art. 10 V RL 2001/EG folgendes Verbot der zulassungsüberschreitenden Arzneimittelabgabe bei der Ausgestaltung des krankenversicherungsrechtlichen Leistungsspektrums beschränkt wird, führt nicht dazu, dass diese Richtlinienbestimmung vorliegend

774

Vgl. Weda u. a., S. 10. Vgl. zur faktischen Schutzwirkung des Unterlagenschutzes oben E. V. 2. b). 776 Im Ergebnis ebenso Dierks, S. 17; Kamann/Gey, PharmR 2011, S. 368 (370 ff.). 777 s. dazu oben H. II. 778 Unterlagenschutz ist daneben in Art. 10 I RL 2001/83/EG geregelt. Dort ist der grundsätzlich zehnjährige Unterlagenschutz normiert, der jedem Arzneimittel ab dem erstmaligen Inverkehrbringen zukommt und der im deutschen Arzneimittelrecht in § 24b II AMG enthalten ist. 779 Zur Binnenmarktrelevanz von Unterlagenschutzvorschriften allgemein Pfaff, S. 112. 775

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keine Geltung beanspruchen kann. Zwar wahrt die EU nach Art. 168 VII AEUV bei Maßnahmen im Bereich des Gesundheitsschutzes der Bevölkerung die Verantwortung der Mitgliedstaaten für die Ausgestaltung ihres Gesundheitswesens und es gilt diese Kompetenzausübungsschranke unabhängig davon, auf welchen Kompetenztitel eine sekundärrechtliche Vorschrift gestützt wird.780 Diese Kompetenzausübungsschranke ist auch in Bezug auf Art. 10 V RL 2001/83 zu beachten, obwohl diese Richtlinienbestimmung bereits vor Abschluss des Vertrages von Lissabon von der EG beschlossen wurde, für die eine derart weite Kompetenzausübungsschranke noch nicht galt781: Da von der EG erlassenes Sekundärrecht als Recht der EU weitergilt,782 muss es auch den für die EU bestehenden Kompetenzschranken genügen. Art. 168 VII AEUV verbietet indessen nicht generell, dass Sekundärrechtsakte die Organisation der mitgliedstaatlichen Gesundheitssysteme berühren können.783 Verboten sind lediglich Eingriffe in die nationale Souveränität für die Organisation des Gesundheitswesens.784 Mitgliedstaaten dürfen nicht zur Umgestaltung ihrer Gesundheitssysteme gezwungen werden.785 Außerdem dürfen die mitgliedstaatlichen Gesundheitssysteme weder offen noch verdeckt harmonisiert werden.786 Ein Eingriff in die mitgliedstaatlichen Gesundheitssysteme liegt aber noch nicht vor, wenn das EU-Recht einzelnen Produkten Marktexklusivität verleiht.787 Es ist daher festzuhalten, dass § 129 I 2 SGB V vor dem Hintergrund von Art. 10 V RL 2001/83/EG europarechtskonform dahingehend auszulegen ist, dass die Pflicht zur zulassungsüberschreitenden Arzneimittelabgabe nicht gilt, wenn das verordnete Arzneimittel besonderen Unterlagenschutz nach § 24b  VI AMG genießt und im konkreten Fall in diesem Anwendungsgebiet eingesetzt werden soll.

780

Calliess/Ruffert/Kingreen, Art. 168 AEUV Rn. 25. Nach Art. 152 V EG war die EG lediglich bei Maßnahmen, die auf Kompetenztitel innerhalb von Art. 152 EG gestützt wurden, zur Wahrung der mitgliedstaatlichen Verantwortung für das Gesundheitswesen verpflichtet. 782 Streinz/Ohler/Herrmann, S. 103. 783 Grabitz/Hilf/Nettesheim/Schmidt am Busch, Art. 168 AEUV Rn. 78; EuGH, Rs. C-376/98 NJW 2000, 3701 ff., Rn. 78 – Deutschland/Europäisches Parlament und Rat; vgl. Krajewski, EuR 2010, S. 165 (187). 784 EuGH, Rs C-372/04, ZESAR 2006, 666 ff., Rn.  147  – Watts; Grabitz/Hilf/Nettesheim/ Schmidt am Busch, Art. 168 AEUV Rn. 78; Krajewski, EuR 2010, S. 165 (187). 785 Grabitz/Hilf/Nettesheim/Schmidt am Busch, Art. 168 AEUV Rn. 78. 786 EuGH, Rs. C-376/98, NJW 2000, 3701 ff., Rn.  78 ff.  – Deutschland/Europäisches Parlament und Rat. Vgl. auch EuGH, Rs. C-185/10, PharmR 2012, 203 ff., Rn. 57 f. – Kommission/Polen. 787 Anerkanntermaßen ist etwa die rechtliche Marktexklusivität, die Art. 8 der VO (EG) Nr. 141/ 2000 sog. Orphan Drugs zur Behandlung seltener Krankheiten verleiht, auch bei der Ausgestaltung des Krankenversicherungsrechts beachtlich: Hauck/Noftz/Flint, § 35a SGB V Rn.  102; Rau/Grieb/Hofmann, PharmR 2015, S. 156 (161). 781

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Kap. 4: Die Pflicht zur Auswahl wirtschaftlicher Arzneimittel

f) Verfassungskonforme Auslegung – eigentumsrechtliche Vorgaben für den Patentschutz Vor dem Hintergrund der Eigentumsfreiheit der betroffenen Hersteller könnte die Pflicht zur zulassungsüberschreitenden Arzneimittelabgabe weiterhin verfassungskonform dahingehend auszulegen sein, dass eine zulassungsüberschreitende Arzneimittelabgabe nicht stattfindet, wenn das verordnete Arzneimittel zur Behandlung eines Anwendungsgebiets eingesetzt wird, für das es Patentschutz788 genießt.789 Auf eigenen Leistungen beruhende, wirtschaftlich verwertbare geistige Errungenschaften stellen Eigentum im Sinne von Art. 14 I GG dar.790 Dem Schutz der Eigentumsfreiheit unterfallen insbesondere Erfindungen im Sinne neuer, gewerblich verwertbarer Entdeckungen791 und damit auch das in einem Second-Medical-Use-Patent verkörperte Wissen, dass ein Wirkstoff in einem bestimmten Anwendungsgebiet eingesetzt werden kann. aa) Zur Betroffenheit des Schutzbereichs der Eigentumsfreiheit Fraglich ist, ob eine zulassungsüberschreitende Arzneimittelabgabe ohne Rücksicht auf Second-Medical-Use-Patente den Schutzbereich der Eigentumsfreiheit berühren würde. Art. 14 I GG ist ein normgeprägtes Grundrecht, sodass Inhalt und Reichweite der Eigentumsgarantie erst durch die konkrete gesetzgeberische Ausgestaltung bestimmt werden.792 Die Anordnung der zulassungsüberschreitenden Arzneimittelabgabe wäre deshalb nur insoweit als Grundrechtseingriff anzusehen, als sie den Schutz von Patentrechten verkürzte, die bei Inkrafttreten von § 129 I 2 SGB V schon bestanden. Nachträglich erteilte Patentrechte kämen dagegen von vornherein nur im durch § 129 SGB V definierten Rahmen zu Entstehung.

788 Eigentumsrechtlichen Schutz genießt ebenfalls das vom pharmazeutischen Unternehmer in Zulassungsstudien generierte Wissen um die Wirksamkeit und Unbedenklichkeit eines bestimmten Arzneimittels in einem Anwendungsgebiet, das einfachrechtlich Gegenstand von Unterlagenschutzvorschriften sein kann: Wolf, S. 91 ff., 94; Dettling, PharmR 2016, S. 271 (276); für die arzneimittelrechtliche Zulassung selbst Axer, in: Nomos und Ethos, S. 121 (132). – Da die Vorgaben des Art. 10 V RL 2001/83/EG für den Unterlagenschutz vollharmonisierend sind (vgl. Müller, S. 99), darf verfassungsrechtlich für das in den Zulassungsstudien generierte Wissen allerdings kein Schutzumfang gewährt werden, der über den europarechtlich vorgegebenen hinausgeht. – Die nachfolgende Prüfung beschränkt sich daher auf die Betrachtung des in Second-Medical-Use-Patenten verkörperten Wissens, dass ein Wirkstoff zum Einsatz in einem bestimmten Anwendungsgebiet geeignet ist. 789 So OLG Düsseldorf, Beschl. v. 1.12.2015, II-Verg 20/15, Rn. 33 (juris). 790 Greszick, ZUM 2007, S. 344 (345 ff.). 791 Timmann, S. 54 ff., 103 ff.; Leisner, in: Handbuch des Staatsrechts, Bd. VIII, § 173 Rn. 17; Schulte, GRUR 1985, S. 772 (775); BVerfGE 36, 281 (290 f.). 792 BeckOK GG/Axer, Art. 14  GG Rn. 7 f.; Grzeszick, ZUM 2007, S. 344 (348). Krit. Kahl, AöR 2006, S. 579 (603).

H. Fragen der zulassungsüberschreitenden Arzneimittelabgabe 

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Bei der Bestimmung des Eigentumsinhalts durch Inhaltsbestimmungen ist der Gesetzgeber aber nicht frei. Die einfachgesetzliche Ausgestaltung des Eigentums muss sich an den Vorgaben der in Art. 14 I GG enthaltenen Institutsgarantie für das Eigentum messen lassen.793 Die Institutsgarantie für das Eigentum gebietet im Ausgangspunkt die Zuordnung der eigentumsrechtlich geschützten Position an den Grundrechtsträger sowie die Einräumung einer ausschließlichen Nutzungs- und Verwertungsbefugnis.794 Die Anordnung der zulassungsüberschreitenden Arzneimittelabgabe ohne Rücksicht auf Patentschutz würde bewirken, dass anstelle des innovativen Arzneimittels regelmäßig preisgünstige Generika in dem betreffenden Anwendungsgebiet zum Einsatz kämen. Dem Innovator würde dabei sowohl die exklusive rechtliche Verfügungsmacht über seine Entdeckung versagt – er hätte rechtlich keine Möglichkeit, den Einsatz der Konkurrenzprodukte in dem von ihm entdeckten Anwendungsgebiet zu verhindern – als auch – da er sich in dem von ihm erschlossenen Anwendungsgebiet im Wettbewerb mit Konkurrenten behaupten müsste – die umfassende wirtschaftliche Nutzziehung aus seiner Entdeckung. Die von der Institutsgarantie für das Eigentum vorgegebene privatnützige Zuordnung der Erfindung an den jeweiligen innovativen pharmazeutischen Unternehmer würde dadurch gelockert. bb) Verhältnismäßigkeit einer zulassungsüberschreitenden Arzneimittelabgabe? Fraglich ist, ob die mit der Anordnung einer zulassungsüberschreitenden Arzneimittelabgabe verbundenen Eingriffe in bestehende Patentrechte sowie die hierdurch vorgenommene Inhaltsbestimmung künftig entstehender Patentrechte gerechtfertigt werden könnten. Aufgrund der in Art. 14 II GG statuierten Sozialbindung hat der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des Eigentums schutzwürdige Belange Dritter und der Allgemeinheit einzubeziehen und mit der Privatnützigkeit der Eigentumsposition in Einklang zu bringen.795 Da es oft vom Zufall abhängt, ob der Gesetzgeber eine Eigentumsposition von Anfang an nur eng gewährt oder eine zunächst umfassend gewährte Position nachträglich verkürzt, ist nicht nur in Bezug auf Eingriffe in bestehende eigentumsrechtliche Positionen, sondern 793 BeckOK GG/Axer, Art. 14 GG Rn. 7 f.; Maunz/Dürig/Papier, Art. 14  GG Rn. 38 f.; Grzeszick, ZUM 2007, S. 344 (349). Vgl. auch Kahl, AöR 2006, S. 579 (603). – Für Erfindungen Schulte, GRUR 1985, S. 772 (775). – Für Ergebnisse von Zulassungsstudien Dettling, PharmR 2016, S. 271 (277). 794 Allgemein Leisner, in: Handbuch des Staatsrechts, Bd. VIII, § 173 Rn.  40 ff.  – Für das Patentrecht Timmann, S.  154 ff.; BVerfG, NJW 2001, 1783 (1784).  – Für das Urheberrecht BVerfGE 31, 229 (240 f.); 31, 248 (252); 49, 382 (400); 79, 29 (40). – Für geistiges Eigentum im Allgemeinen Grzeszick, ZUM 2007, S. 344 (350). 795 Allgemein Dietlein, in: Stern, Bd. IV/1, § 113 V. 2. b) (S. 2228). – Für das Patentrecht Schulte, GRUR 1985, S. 772 (778). – Für das Urheberrecht BVerfGE 31, 229 (241 f.); 49, 382 (400).

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Kap. 4: Die Pflicht zur Auswahl wirtschaftlicher Arzneimittel

auch in Bezug auf die Ausgestaltung eigentumsrechtlicher Positionen durch Inhaltsbestimmungen der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz als Prüfungsmaßstab zugrundezulegen.796 Den Inhabern von Rechten, die bei Inkrafttreten von § 129 I 2 SGB V bereits bestanden, kann Art. 14 I GG jedoch zusätzlich Vertrauensschutz vermitteln.797 Wenn das verordnete Arzneimittel ohne Rücksicht auf bestehenden Patentschutz durch ein wirtschaftlicheres ersetzt werden könnte, würde dies einer Kostenbegrenzung und damit der finanziellen Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung dienen. Die Substitution des verordneten Arzneimittels ohne Rücksicht auf bestehenden Patentschutz würde somit einem besonders hochwertigen Gemeinwohlbelang dienen. Fraglich ist, ob für die Erreichung dieses Regelungsziels ein gleich geeignetes, innovative Hersteller weniger belastendes Mittel bestünde. Es ließe sich etwa an eine Regelung denken, dass in innovativen Anwendungsgebieten eine Substitution unterbleibt, dass der Patentinhaber aber zur Leistung eines Abschlags verpflichtet ist, der den Preisunterschied zwischen seinem Produkt und dem Preis günstiger Generika ausgleicht. So bliebe ihm die exklusive Nutzung seiner Entdeckung weiterhin möglich und die Krankenkassen könnten dennoch Einsparungen generieren. Allerdings wäre eine solche Regelung je nach Ausgestaltung weniger effizient oder mit Belastungen für Dritte verbunden: Würde der Abschlag direkt an die Krankenkassen entrichtet, müssten die Krankenkassen stets prüfen, ob die Hersteller ihrer Pflicht zur Abschlagsgewährung korrekt nachgekommen sind, was einen mit Kosten verbundenen Verwaltungsmehraufwand begründet. Würde der Abschlag über die Apotheker an die Krankenkassen abgeführt, müssten die Apotheker einen größeren Betrag auslegen, als es bisher für die Abführung des Herstellerabschlags nach § 130a SGB V notwendig ist. Es besteht daher kein milderes Mittel. Der Austausch des verordneten Arzneimittels ohne Rücksicht auf bestehenden Patentschutz müsste weiterhin angemessen sein. Die umfassende Substitutionspflicht der Apotheker ohne Rücksicht auf bestehenden Patentschutz hätte für innovative Hersteller zur Folge, dass ihre Entdeckungen im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung keinen Schutz mehr genießen. Angesichts dessen, dass etwa 90 % der Bevölkerung gesetzlich versichert sind, wirkt sich dies wie eine faktische Beseitigung des Patentschutzes aus. Der Verzicht auf jeglichen Schutz stellt eigentumsrechtlich die stärkste Beeinträchtigung einer getätigten Entdeckung dar.798 Das Bundesverfassungsgericht geht mitunter davon aus, dass ein Verzicht darauf, die 796 BeckOK GG/Axer, Art. 14 GG Rn. 13; Maunz/Dürig/Papier, Art. 14 GG Rn. 307. Für Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ebenfalls Riedel, S. 28 ff; Timmann, S. 205 f., 208 f.; Dietlein, in: Stern, Bd. IV/1, § 113 VI. 3. b). (S. 2247); Grzeszick, ZUM 2007, S. 344 (349); BVerfGE 79, 29 (40 f.). 797 Vgl. dazu BeckOK GG/Axer, Art. 14  GG Rn. 98 ff.; Dietlein, in: Stern, Bd. IV/1, § 113 VI. 3. c. (S. 2250 f.). 798 Timmann, S. 227; Grzeszick, ZUM 2007, S. 344 (351).

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wirtschaftliche Verwertung von auf eigenen Leistungen beruhenden Schöpfungen deren Schöpfer zuzuordnen, grundsätzlich nur durch gesteigerte Allgemeinwohlinteressen gerechtfertigt werden könne;799 außerdem müsse der Schöpfer grundsätzlich nur gegenständlich begrenzte Beschränkungen des Verwertungsrechts hinnehmen, etwa wenn die wirtschaftliche Einbuße kaum ins Gewicht falle.800 Grundsätzlich müsse eine wirtschaftliche Verwertung der Schöpfung möglich bleiben801 und es dürfe nicht zu fühlbaren Einkommensverlusten kommen802. Ob im Hinblick auf sämtliche durch Second-Medical-Use-Patente geschützte Innovationen derart strenge Maßstäbe zu gelten haben, kann man jedoch bezweifeln. Nicht jede Innovation genießt denselben verfassungsrechtlichen Schutz; die verfassungsrechtlich gebotene Schutzintensität ist abhängig von der Innovationshöhe.803 Eine Innovation, die in der Anwendung eines Wirkstoffs für eine weitere Krankheit besteht, genießt deshalb beispielsweise höheren Schutz als die bloße Entwicklung eines verfeinerten Dosierschemas für ein Arzneimittel. Im Ergebnis ist der verfassungsrechtlich gebotene Innovationsschutz deshalb einzelfallabhängig.804 Je niedriger die Innovationshöhe ausfällt, desto eher kann ohne Verstoß gegen Verfassungsrecht die zulassungsüberschreitende Arzneimittelabgabe in einem innovativen Anwendungsgebiet angeordnet werden. Es erscheint daher verfassungsrechtlich zulässig, wenn mit Rücksicht auf die Finanzierbarkeit der gesetzlichen Krankenversicherung für Entdeckungen von geringer Innovationshöhe kein Patentschutz gewährt würde. Nicht mehr mit Rücksicht auf die finanzielle Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung zu rechtfertigen erscheint es dagegen, wenn für Innovationen mit hoher Erfindungshöhe kein Patentschutz gewährt würde.805 Eine Rechtfertigung lässt sich auch nicht mit der Erwägung begründen, dass es dem Gesetzgeber offen stünde, zur bestmöglichen Entfaltung der ärztlichen Therapiefreiheit von der Gewährung von Patenten für Arzneimittel gänzlich abzusehen.806 Gegen diese Ar 799 Für das Urheberrecht: BVerfGE 31, 229 (243); 49, 382 (400); 79, 29 (41). Zustimmend aus der Literatur: Timmann, S. 239; Dietlein, in: Stern, Bd. IV/1, § 113 III. d. (S. 2197); Grzeszick, ZUM 2007, S. 344 (351). 800 Vgl. in Bezug auf das Versuchsprivileg nach § 11 Nr. 2 PatG BVerfG, NJW 2001, 1783 (1785 f.); vgl. für das Urheberrecht BVerfGE 79, 29 (43); s. aus der Literatur etwa Grzeszick, ZUM 2007, S. 344 (351). 801 BVerfGE 79, 29 (44). 802 Vgl. für das Urheberrecht BVerfGE 31, 229 (245 f.); vgl. allgemein Leisner, in: Handbuch des Staatsrechts, Bd. VIII, § 173 Rn. 69 ff. 803 Timmann, S. 175 f.; vgl. Grzeszick, ZUM 2007, S. 344 (352). 804 Vgl. Timmann, S. 101 ff., der ein bewegliches Schutzsystem für Erfindungen entwickelt. 805 Nach Denninger, GRUR 1984, S. 627 (636), kann das Interesse an der Finanzierbarkeit von Gesundheitsleistungen einen kompensationslosen Verzicht auf Unterlagenschutz nicht rechtfertigen; vgl. auch Papier, NJW 1985, S. 12 (17). 806 Vgl. insoweit Mandl, S. 173 f., der annimmt, dass Second-Medical-Use-Patente den Arzt aufgrund von dessen Therapiefreiheit nicht binden würden und dass aus diesem Grund auch die Krankenkassen bei der Ausschreibung von Rabattverträgen auf Second-Medical-Use-Patente keine Rücksicht nehmen müssten.

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gumentation spricht, dass die Pflicht zur zulassungsüberschreitenden Arzneimittelabgabe nicht darauf ausgerichtet wäre, Ärzten eine freie Arzneimittelauswahl zu ermöglichen. Innovative Arzneimittel sollten aus Kostengründen generell und nicht aufgrund einer freien, einzelfallbezogenen Entscheidung des Arztes durch günstigere verdrängt werden. Die strikte Pflicht zur wirtschaftlichen Arzneimittelabgabe würde anwendungsbezogenen Innovationsschutz von Arzneimitteln wesentlich stärker schwächen als eine etwaige Freistellung der Ärzte von patentrechtlichen Bindungen.807 Soweit die Pflicht zur zulassungsüberschreitenden Arzneimittelabgabe dazu führen würde, dass Innovationen mit hoher Erfindungshöhe im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung keinen Patentschutz genießen, würde sie daher Art. 14 I GG verletzen.808 Die Pflicht zur zulassungsüberschreitenden Arzneimittelabgabe muss daher mit Rücksicht auf Art.  14  I GG einschränkend ausgelegt werden. cc) Einschränkende Auslegung von § 129 I 2 SGB V Da die Pflicht zur zulassungsüberschreitenden Arzneimittelabgabe nicht generell, sondern nur bei hinreichend hoher Innovationsleistung des betroffenen Herstellers gegen Art.  14  I GG verstößt, ließe sich erwägen, die Vorschrift des § 129 I 2 SGB V verfassungskonform auf das eigentumsrechtlich gerade noch zulässige Maß zu reduzieren.809 § 129 I 2 SGB V hätte dann den Inhalt, dass Apotheker grundsätzlich zur zulassungsüberschreitenden Arzneimittelabgabe verpflichtet sind, dass diese Pflicht aber ausnahmsweise nicht besteht, soweit dadurch Innovationen mit hoher Erfindungshöhe entwertet würden. Problematisch ist aber, dass weder Apotheker noch Ärzte zu der rechtlichen Bewertung imstande sind, ob im Einzelfall die geistige Leistung eines Arzneimittelherstellers durch die Abgabe eines preisgünstigen wirkstoffgleichen Arzneimittels unverhältnismäßig entwertet würde. Ein Verfahren, in dem bestehende Patentrechte verfassungsrechtlich bewertet werden, ist im SGB V nicht enthalten. Insbesondere zählt eine solche Bewertung nicht zu den Aufgaben der Rahmenvertragspartner. Zum einen sind die Rahmenvertragspartner nicht befugt, Rechtspositionen der pharmazeutischen Unternehmer zu konkretisieren.810 Zum anderen dient der Rahmenvertrag dem Interessenausgleich zwischen Apothekern und Krankenkassen, nicht aber der Klärung von Rechtsfragen. Eine verfassungskonforme Reduktion von § 129 I 2 SGB V da 807

Vgl. Killick/Berghe, BSLR 2013, S. 172 (174 f.). Vgl. BKartA, KrV 2015, 127 (131); LG München, KrV 2015, 117 (124 f.); OLG Düsseldorf, Beschl. v. 1.12.2015, II-Verg 20/15, Rn. 33 (juris). 809 Zur auf bestimmte Fallkonstellationen beschränkte Teilnichtigerklärung von Gesetzen vgl. BVerfG, NVwZ-RR 2011, 387 (388). Zur auf den unverhältnismäßigen Teil einer Norm beschränkten Teilnichtigerklärung vgl. BVerfGE 132, 334 (359). 810 Vgl. oben Kapitel 2 B. I. 4. a). 808

H. Fragen der zulassungsüberschreitenden Arzneimittelabgabe 

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hingehend, dass nur hinreichend innovative Arzneimittel nicht durch Apotheker ersetzt werden müssen, ist deshalb nicht möglich. In Betracht kommt weiterhin eine Reduktion der Pflicht zur zulassungsüberschreitenden Arzneimittelabgabe in der Weise, dass während der Zeit, in der für ein Arzneimittel ein Second-Medical-Use-Patent besteht, dessen Ersetzung in dem geschützten Anwendungsgebiet generell und unabhängig von der Höhe der getätigten Innovation unzulässig ist. Bei einer solchen Reduktion wird an objektiv nachprüfbare Tatsachen angeknüpft, die keine rechtlichen Wertungen verlangen. Eine solche Reduktion geht zwar über das verfassungsrechtlich durch Art. 14 I GG gebotene Maß hinaus. Für ihre Zulässigkeit spricht aber dennoch, dass andernfalls die Pflicht zur zulassungsüberschreitenden Arzneimittelabgabe als Ganze unwirksam wäre, denn eine Reduktion der Pflicht auf das verfassungsrechtlich gerade noch zulässige Maß lässt sich – wie soeben gezeigt wurde – in der Praxis nicht realisieren. Dadurch gingen entgegen dem Regelungsziel des Gesetzgebers große Einsparpotentiale verloren.811 § 129 I 2 SGB V ist deshalb einschränkend dahingehend auszulegen, dass die zulassungsüberschreitende Arzneimittelabgabe unzulässig ist, wenn das Arzneimittel in einem Anwendungsgebiet eingesetzt werden soll, in dem zugunsten des verordneten Arzneimittels ein Second-Medical-UsePatent besteht.812 g) Zwischenergebnis Die Pflicht zur zulassungsüberschreitenden Arzneimittelabgabe besteht mit Rücksicht auf anwendungsgebietsspezifische Schutzrechte nicht, wenn das verordnete Arzneimittel in einem Anwendungsgebiet eingesetzt werden soll, in dem es besonderen Unterlagenschutz nach § 24b VI AMG genießt oder in dem es Gegenstand eines Second-Medical-Use-Patents nach § 3 IV PatG ist.

VI. Notwendige Korrekturen und ihre praktische Umsetzung Es hat sich gezeigt, dass die Verpflichtung der Apotheker nach § 129 I 2 SGB V, Arzneimittel ohne Rücksicht auf deren zugelassenen Anwendungsbereich abzugeben, in mehrerlei Hinsicht eingeschränkt werden muss. Zunächst besteht aufgrund einer teleologischen Reduktion von § 129 I 2 SGB V keine Pflicht zur Abgabe von Arzneimitteln außerhalb ihres zugelassenen Anwendungsbereichs, die nicht be 811 Zur geltungserhaltenden Reduktion von gesetzlichen Regelungen vgl. oben Kapitel 2 D. I. 1. c). 812 Für eine verfassungskonforme Auslegung von § 129 I 2 SGB V dahingehend, dass die Vorschrift nicht die Verdrängung von Second-Medical-Use-Patenten anordnet, im Ergebnis ebenfalls Conrad, NZS 2016, S. 687 (689); LG Hamburg, KrV 2015, 117 (125); OLG Düsseldorf, Beschl. v. 1.12.2015, VII-Verg 20/15, Rn. 33 (juris).

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Kap. 4: Die Pflicht zur Auswahl wirtschaftlicher Arzneimittel

zugnehmend zu dem verordneten Arzneimittel zugelassen sind. Das Wirtschaftlichkeitsgebot verbietet es Apothekern zugleich, nicht bezugnehmend zugelassene Arzneimittel anstelle des verordneten Arzneimittels außerhalb ihres zugelassenen Anwendungsbereichs freiwillig abzugeben. Weiterhin besteht infolge einer europarechtskonformen Auslegung keine Pflicht zur zulassungsüberschreitenden Arzneimittelabgabe, wenn für das verordnete Arzneimittel in dem Anwendungsgebiet, in dem es eingesetzt werden soll, Unterlagenschutz nach § 24b VI AMG besteht. Aufgrund einer verfassungskonformen Auslegung besteht schließlich keine Pflicht zur zulassungsüberschreitenden Arzneimittelabgabe, wenn der Hersteller des verordneten Arzneimittels für den behandelten Anwendungsbereich ein Second-Medical-Use-Patent innehat. 1. Vollzug der Korrekturen durch den Apotheker Die praktische Umsetzung dieser Ausnahmen ist jedoch mit einer Schwierigkeit verbunden: Da ein Apotheker die Krankheit eines Patienten nicht kennt, kann er nicht feststellen, ob das von ihm abgegebene Arzneimittel außerhalb seines zu­ gelassenen Anwendungsbereichs eingesetzt wird. Ein Apotheker kann folglich auch nicht erkennen, ob im konkreten Fall die Pflicht, Arzneimittel ohne Rücksicht auf ihren zugelassenen Anwendungsbereich abzugeben, nicht besteht, weil eine der drei oben genannten Ausnahmekonstellationen813 vorliegt.814 Da es einerseits rechtlich geboten ist, dass Apotheker in den genannten Konstellationen zu einer zulassungsüberschreitenden Arzneimittelabgabe nicht verpflichtet werden, da aber andererseits Apotheker das Vorliegen einer zulassungsüberschreitenden Arzneimittelabgabe nicht erkennen können, bleibt nur eine Möglichkeit. Die Substitutionspflicht muss in der Weise eingeschränkt werden, dass bereits das Fehlen einer bezugnehmenden Zulassung zu dem verordneten Arzneimittel oder die Existenz von Schutzrechten zugunsten des verordneten Arzneimittels jeweils als solche zu einer vollständigen Aufhebung der Substitutionspflicht führen: Ein Apotheker ist durch § 129 I 2 SGB V generell nicht verpflichtet – und aufgrund des Qualitätsgebots des § 2 I 3 SGB V auch nicht berechtigt –, Arzneimittel abzugeben, die zu dem verordneten nicht bezugnehmend zugelassen sind und einen engeren zugelassenen Anwendungsbereich als das verordnete aufweisen – nur so lässt sich ausschließen, dass ein nicht bezugnehmend zugelassenes Arzneimittel im Einzelfall zulassungsüberschreitend abgegeben wird.815 Ein 813 Dies sind die zulassungsüberschreitende Arzneimittelabgabe bei fehlender bezugnehmender Zulassung des abzugebenden Arzneimittels zu dem verordneten, bei Bestehen von Unterlagenschutz nach § 24b VI AMG zugunsten des verordneten Arzneimittels oder bei Bestehen eines Second-Medical-Use-Patents für das verordnete Arzneimittel. 814 In Bezug auf die Betroffenheit von Second-Medical-Use-Patenten durch eine Substitution Conrad, NZS 2016, S. 687 (689). 815 Vgl. Brixius/Sauer, Apotheker Berater 2010, Heft Nr. 2, S. 10 (15).

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Apothe­ker ist generell nicht durch § 129 I 2 SGB V verpflichtet, verordnete Arzneimittel, für die anwendungsgebietsspezifische Schutzrechte bestehen, durch günstigere auszutauschen – nur so lässt sich ausschließen, dass das Arzneimittel auch in dem Anwendungsgebiet ersetzt wird, für das ein Schutzrecht besteht.816 Somit bewirkt bereits das Fehlen einer bezugnehmenden Zulassung für das abzugebende Arzneimittel oder die Existenz von Schutzrechten für das verordnete Arzneimittel, dass Apotheker keine Pflicht zum Austausch des verordneten Arzneimittels trifft. Damit ein Apotheker erkennen kann, dass eine solche Ausnahme von der Substitutionspflicht eingreift, muss er wissen, ob das für die Abgabe in Betracht kommende Arzneimittel bezugnehmend zu dem verordneten zugelassen ist und ob zugunsten des verordneten Arzneimittels anwendungsgebietsbezogene Schutzrechte bestehen. Gebrauchs- oder Fachinformation eines Arzneimittels enthalten diese Informationen nicht.817 In Betracht kommt aber, dass den Apothekern diese Informationen über das Meldeverfahren nach § 131 IV 2 SGB V mitgeteilt werden können. Nach § 131 IV 2 SGB V teilen die pharmazeutischen Unternehmer den Rahmenvertragsparteien die für die Abrechnung mit der Krankenkasse erforderlichen Produktinformationen mit. Die nach § 131 IV 2 SGB V gemeldeten Daten finden dann Eingang in die Apothekersoftwares und werden außerdem an die Krankenkassen als Grundlage für die Überprüfung der Abrechnungen der Apotheker weitergeleitet. Die Vorschrift des § 131 IV 2 SGB V verpflichtet pharmazeutische Unternehmer zur Meldung sämtlicher Produktangaben, die für die Abrechnung der Apotheker mit den Krankenkassen nach den Vorgaben des Krankenversicherungsrechts erforderlich sind.818 Im Wege des Verfahrens nach § 131 IV 2 SGB V müssen pharmazeutische Unternehmer zunächst die Zulassungsart ihrer Produkte melden, d. h. ob diese eigenständig aufgrund eines eigenen Volldossiers oder bezugnehmend zu einem anderen Arzneimittel zugelassen sind. Die Abrechnungsrelevanz dieser Angaben folgt daraus, dass Apotheker anstelle des verordneten Arzneimittels nur dann ein wirkstoffgleiches Arzneimittel mit einem geringeren zugelassenen Anwendungsbereich abgeben müssen und auch nur dürfen, wenn es zu dem verordneten Arzneimittel bezugnehmend zugelassen ist. Nur bei Vorliegen einer bezugnehmenden Zulassung ist die zulassungsüberschreitende Arzneimittelabgabe folglich vergütungsfähig819. Eine dahingehende Herstellermeldung ist in Anlage 2 Nr.  3.15 816

Vgl. Merx, in: Der Patient im nationalen und europäischen Gesundheitssystem, S. 51 (68). Für die Zulassungsart Schäfer, in: Der Patient im nationalen und europäischen Gesundheitswesen, S. 23 (25). 818 BT-Drs. 18/194, S. 11. 819 Exkurs: Im Übrigen ist die Meldung der Zulassungsart noch in einer weiteren Hinsicht für die sichere Handhabung der Pflicht zur Abgabe preisgünstiger wirkstoffgleicher Arzneimittel notwendig. Als wirkstoffgleich gelten auch die verschiedenen pharmazeutischen Formen eines Wirkstoffs, sofern sie keine wesentlichen Unterschiede in Wirksamkeit und Sicherheit aufweisen, also im Ergebnis bioäquivalent sind (s. dazu oben B. I.). Der einzelne Apotheker ist aber 817

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des die Meldepflichten konkretisierenden Rahmenvertrags nach § 131 SGB V sogar bereits vorgesehen. Hersteller von Nachfolger-Arzneimitteln müssen danach in den Fällen, in denen ihr Arzneimittel den Wirkstoff in einer abweichenden Erzeugnisform enthält, mitteilen, ob ihr Arzneimittel eigenständig oder bezugnehmend zu einem bereits auf dem Markt befindlichen Arzneimittel zugelassen worden ist. Unmittelbarer Auslöser für die Regelung ist zwar die Regelung über den Generikaabschlag nach § 130a IIIb SGB V. Dem vom Apotheker abzuführenden Generikaabschlag unterliegen nach Ansicht der Rahmenvertragspartner Nachfolger-Arzneimittel nicht, wenn sie über eine eigenständige Zulassung verfügen.820 Anhand der gemeldeten Zulassungsart kann ein Apotheker aber darüber hinaus auch erkennen, ob ein Arzneimittel zulassungsüberschreitend abgegeben werden darf. Zwar ist in Anlage 2 Nr. 3.15 nicht vorgesehen, dass die Hersteller von Nachfolger-Arzneimittel im Falle einer bezugnehmenden Zulassung auch das Bezugsarzneimittel nennen müssen. Die bei der zulassungsüberschreitenden Arzneimittelabgabe auftretenden Probleme lassen sich mit dieser Regelung aber jedenfalls dann bewältigen, wenn nur ein Originalarzneimittel des betreffenden Wirkstoffs auf dem Markt existiert, das dann alleine als Bezugsarzneimittel in Betracht kommt.821 Das Meldeverfahren nach § 131 IV 2 SGB V kommt weiterhin als Weg in Betracht, um Apothekern Informationen über Schutzrechte mitzuteilen. Das Bestehen von Schutzrechten müsste hierzu eine abrechnungsrelevante Produktangabe im Sinne dieser Vorschrift darstellen. Für die Abrechnungsrelevanz von Angaben zu Schutzrechten spricht, dass sich Apotheker mit dem Hinweis auf ein bestehendes Schutzrecht gegenüber dem Vorwurf einer Krankenkasse im Rahmen der Abrechnungsprüfung verteidigen können, ein ärztlich verordnetes Arzneimittel nicht gegen ein wirtschaftlicheres ausgetauscht zu haben. Auch muss die Vorschrift des § 131 IV 2 SGB V vor dem Hintergrund der Vorgaben aus höherrangigem Recht ausgelegt werden, die es verbieten, dass Apotheker verpflichtet werden, in geschützten Anwendungsgebieten das verordnete Arzneimittel zu ersetzen  – nur wenn Apothekern diese Schutzrechte mitgeteilt werden, ist gewährleistet, dass es nicht zu einem Austausch in dem geschützten Anwendungsgebiet kommt, weil Apotheker nicht erkennen konnten, dass in der jeweiligen Situation keine Substitutionspflicht bestand. Anwendungsgebietsbezogene Schutzrechte sind deshalb ebenfalls Gegenstand des Meldeverfahrens nach § 131 IV 2 SGB V. nicht in der Lage, eine Bioäquivalenzprüfung vorzunehmen [Hofer, S. 275; Schäfer, in: Der Patient im nationalen und europäischen Gesundheitswesen, S. 23 (25)]. Es können deshalb Arzneimittel, in denen ein Wirkstoff in jeweils unterschiedlicher pharmazeutischer Form enthalten ist, nur gegeneinander ausgetauscht werden, wenn eines der beiden Arzneimittel unter Bezugnahme auf das andere zugelassen wurde. 820 Grundmann/Thiermann, PharmR 2014, S. 500 (504). 821 In den wohl nur sehr seltenen Fällen, in denen zwei Original-Produkte desselben Wirkstoffs existieren, muss die Herstellermeldung allerdings um die Bezeichnung des Bezugsarzneimittels erweitert werden. Andernfalls ließe sich nicht zuordnen, zu welchem der beiden Originale ein Generikum bezugnehmend zugelassen wurde.

H. Fragen der zulassungsüberschreitenden Arzneimittelabgabe 

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2. Vollzug der Korrekturen durch den Vertragsarzt? Dass Apotheker generell keine Substitutionspflicht trifft, wenn ein Arzneimittel nicht bezugnehmend zu dem verordneten zugelassen ist oder wenn für das verordnete Arzneimittel Schutzrechte bestehen, hat zur Folge, dass Einsparpotentiale unerschlossen bleiben: Ein günstiges, nicht bezugnehmend zugelassenes Arzneimittel, das einen geringeren Zulassungsumfang als das verordnete besitzt, darf von Apothekern auch dann nicht abgegeben werden, wenn es innerhalb seines zugelassenen Anwendungsbereichs zum Einsatz käme. Ein Arzneimittel, für das anwendungsgebietsbezogene Schutzrechte existieren, muss von Apothekern auch dann nicht ausgetauscht werden, wenn es zur Behandlung eines Anwendungsgebiets verordnet worden ist, das nicht Gegenstand eines Schutzrechts ist. Diese Einsparpotentiale könnten erschlossen werden, wenn bereits Vertragsärzte den Inhalt ihrer Verordnungen mit Rücksicht darauf formulieren würden, dass Apotheker Arzneimittel nur sehr grobmaschig von der Substitution ausnehmen können. Dass in der Apotheke Arzneimittel mit anwendungsgebietsbezogenen Schutzrechten nicht ausgetauscht werden, obwohl im konkreten Fall kein geschütztes Anwendungsgebiet behandelt wird, ließe sich vermeiden, wenn Ärzte Arzneimittel mit anwendungsgebietsbezogenen Schutzrechten ausschließlich dann verordneten, wenn sie ein geschütztes Anwendungsgebiet behandeln.822 Ein eigenständig zugelassenes Arzneimittel darf zwar von einem Apotheker nicht als Substitut abgegeben werden, wenn es einen geringeren Zulassungsumfang als das verordnete Arzneimittel besitzt; es würde allerdings zum Zuge kommen, falls es bereits durch den Arzt selbst verordnet würde, wenn er ein Anwendungsgebiet behandelt, für das dieses Arzneimittel zugelassen ist. Eine Pflicht für Vertragsärzte, in der dargestellten Weise „vorausschauend“ zu verordnen, könnte sich aus dem Wirtschaftlichkeitsgebot ergeben. Die notwendigen Informationen für ein solches „vorausschauendes“ Verordnungsverhalten könnten die Ärzte aus ihrer Software beziehen. Nach § 73 IX 1 Nr. 3 SGB V muss ärztliche Verordnungssoftware die nach § 131 IV 2 SGB V gemeldeten Produktinformationen enthalten, wozu auch Schutzrechte und Zulassungsart zählen. Allerdings verpflichtet das SGB V derzeit Vertragsärzte nicht, Verordnungssoftware zu erwerben und zu nutzen,823 sondern es beschränkt sich darauf, Anforderungen an Verordnungssoftware festzulegen. Da Vertragsärzte auf eine Verordnungssoftware angewiesen sind, um „vorausschauend“ verordnen zu können, spricht das Fehlen einer Software-Nutzungspflicht letztlich gegen die Existenz einer Pflicht für Vertragsärzte, ihr Verordnungsverhalten an den Erkenntnismöglichkeiten des Apothekers auszurichten. Es bleibt damit bei den eher grobmaschigen Beschränkungen der Pflicht zur zulassungsüberschreitenden Arzneimittelabgabe, wie sie durch die Apotheker nur umgesetzt werden können. 822

Vgl. dazu auch Csaki/Junge-Gierse, ZfBR 2017, S. 234 (237). Kasseler Kommentar/Hess, § 73 SGB V Rn. 43.

823

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I. Zukünftige Gestaltungsmöglichkeiten des Gesetzgebers I. Mögliche Gründe für Neuregelungen Sollte sich der Gesetzgeber in der Zukunft entscheiden, die Wirtschaftlichkeit der Arzneimittelabgabe in den soeben dargestellten Konstellationen zu optimieren, sind zumindest theoretisch zwei Lösungsmöglichkeiten denkbar: Zum einen kommt eine Optimierung mithilfe der Apotheker in Betracht; in diesem Fall müsste der Gesetzgeber eine Regelung des Inhalts schaffen, dass die ärztliche Verordnung den Anwendungszweck des verordneten Arzneimittels nennen muss, denn dann wären Apotheker in der Lage, Ausnahmen von der Pflicht zur zulassungsüberschreitenden Arzneimittelabgabe präziser umzusetzen. Zum anderen kommt in Betracht, die Ärzte in der oben dargestellten Weise824 in die Arzneimittelauswahl einzubeziehen; Ärzte müssten dann verpflichtet werden, eine Verordnungssoftware anzuschaffen. Hinsichtlich beider Lösungsmöglichkeiten werden allerdings Fragen nach deren verfassungsrechtlicher Zulässigkeit aufgeworfen: Wäre es etwa im Hinblick auf das Allgemeine Persönlichkeitsrecht der Patienten zulässig, wenn Apothekern der Anwendungszweck des Arzneimittels mitgeteilt würde? Wäre es andererseits im Hinblick auf deren Berufsfreiheit zulässig, Ärzte mit der Arzneimittelauswahl zu belasten und sie zur Nutzung einer Verordnungssoftware zu verpflichten? Die Frage, inwieweit die Auswahl eines wirtschaftlichen Arzneimittels eines bestimmten Wirkstoffs zulässigerweise dem Arzt einerseits oder dem Apotheker andererseits zugewiesen werden kann, stellt sich darüber hinaus noch in weiteren Fällen. Ein Problemfeld insoweit sind etwa indikationsbezogene Rabattverträge. Im Rahmen solcher Verträge gewähren pharmazeutische Unternehmer den Krankenkassen nicht generell einen Rabatt für das vertragsgegenständliche Präparat, sondern nur in Bezug auf dessen Verwendung in einem bestimmten Anwendungsgebiet.825 Die Abgabe solcher indikationsbezogen rabattierter Arzneimittel an Versicherte muss differenziert erfolgen: In dem rabattierten Anwendungsgebiet muss möglichst immer das Rabattarzneimittel zum Einsatz kommen, in anderen Anwendungsgebieten darf das Arzneimittel hingegen nur eingesetzt werden, sofern es sich dort auch ohne Rabatt als wirtschaftlich darstellt, was voraussetzt, dass es zu den preisgünstigsten Arzneimitteln zählt. Da ein Apotheker den Anwendungszweck des verordneten Arzneimittels nicht kennt, weiß er nicht, in welchen Situationen das Arzneimittel wegen Eingreifens des Rabattvertrags vorrangig abzugeben ist und in welchen Situationen die Abgabefähigkeit von dem Preis des Arzneimittels abhängt.826 Apotheker können indi­ 824

s. oben H. VI. 2. Dazu Mandl, S. 169 ff.; Gaßner/Strömer, PharmR 2014, S. 330 (336). 826 Vgl. Kasseler Kommentar/Hess, § 130a SGB V Rn. 24; Conrad, NZS 2016, S. 687 (690); Gaßner/Strömer, PharmR 2014, S. 330 (336). 825

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kationsbezogene Rabattverträge somit nicht zielgenau umsetzen. In der Praxis werden deshalb indikationsbezogene Rabattverträge den Apothekern nicht mitgeteilt.827 Dahinter dürfte die – zutreffende – Ansicht stehen, dass die Pflicht zur vorrangigen Abgabe rabattierter Arzneimittel nach § 129 I 3 SGB V indikationsbezogene Rabattverträge nicht erfasst, weil Apothekern deren Umsetzung nicht möglich ist. Gegenwärtig obliegt die Umsetzung der indikationsbezogenen Rabattverträge daher alleine den Ärzten: Wenn er die Rabattindikation behandelt, muss schon ein Arzt das Rabattarzneimittel unter Substitutionsausschluss verordnen.828 Das Bestehen eines Rabattvertrages kann Ärzten von den Krankenkassen nach § 73 VIII 1 SGB V mitgeteilt werden.829 Wenn Apothekern zukünftig der Anwendungszweck des verordneten Arzneimittels mitgeteilt würde, wären auch sie in der Lage, indikationsbezogene Rabattverträge umsetzen. Es kommt noch in weiterer Hinsicht eine stärkere Übertragung von Wirtschaftlichkeitsverantwortung auf Apotheker in Betracht. Nach der gegenwärtigen Rechtslage darf ein Arzt die Substitution des verordneten Arzneimittels nicht zulassen, wenn mit ihr Gesundheitsgefahren verbunden sein könnten. Er muss dann versuchen, selbst ein möglichst wirtschaftliches Arzneimittel auszuwählen. De lege ferenda830 wird allerdings eine Regelung vorgeschlagen, dass jedenfalls Unverträglichkeiten oder Compliance-Probleme nicht mehr zu einem Substitutionsausschluss seitens des Arztes führen sollten; vielmehr sollten Unverträglichkeiten und Compliance-Probleme durch die Apotheker abgeklärt werden.831 Gerade im Falle drohender Unverträglichkeiten hätte ein Apotheker – sofern nicht ausnahms-

827 Vgl. dazu Csaki/Freundt, KrV 2015, S. 195 (199). – S. auch § 4 V RV-AV, wonach die Meldung eines Rabattvertrages unterbleibt, wenn die Geltung des Rabattvertrages von zusätzlichen Bedingungen abhängig ist. 828 Vgl. Mandl, S. 170. 829 Nach § 73 VIII 1 SGB V können Krankenkassen Vertragsärzte unter anderem über günstige Bezugsquellen von Arzneimitten informieren. Das umfasst auch die Information über bestehende Rabattverträge: s. umfassend Gaßner, NZS 2016, S. 921 ff. – S. zur Information der Vertragsärzte durch die Krankenkassen auch Wigge/Wille, in: Handbuch des Krankenversicherungsrechts, 2. Aufl., § 19 Rn. 81 ff. 830 Eine solche Regelung existiert derzeit nicht. Selbst innerhalb von Modellvorhaben nach § 64a SGB  V, in deren Rahmen Ärzte vor allem Wirkstoffverordnungen ausstellen sollen [s. dazu oben F. I. 1. b) aa)], bleiben Ärzte umfassend für die Sicherheit der Arzneimitteltherapie verantwortlich und dürfen Wirkstoffverordnungen nur ausstellen, wenn sämtliche Arzneimittel eines Wirkstoffs für den betreffenden Patienten gleich geeignet sind: Hauck/Noftz/Leopold, § 64a SGB V Rn. 13; Kasseler Kommentar/Roters, § 64a SGB V Rn. 5; Spickhoff/Nebendahl, § 64a SGB V Rn. 5; s. auch Bitter/Ehlers, pharmind 2014, S. 588 (590); Ehlers/Bitter, ARMINGutachten, S. 3, 15; Schwenzer, AVP 2015, S. 130 (132). 831 Franzmann u. a., PZ 2007, Heft Nr.  16, S.  10 (10, 12); Müller-Bohn, DAZ 2009, Heft Nr. 47, S. 78 (79). Zu einer stärkeren Einbindung des Apothekers vgl. auch Wenner, SozSich 2010, S. 415 (418). – Nicht angesprochen wurde in diesen Beiträgen der Fall, dass speziell die Krankheit des Versicherten die Abgabe eines anderen als des bisher eingenommenen Arzneimittels verbietet. Es ist deshalb anzunehmen, dass in diesen Fällen weiterhin ein Substitutionsausschluss durch den Arzt erfolgen solle.

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weise der Versicherte nur ein einziges Arzneimittel des Wirkstoffs verträgt – einen Auswahlspielraum, welches von mehreren wirkstoffgleichen Arzneimitteln er abgibt, bei dessen Ausfüllung er dann Aspekte der Wirtschaftlichkeit berücksichtigen müsste. Wurden soeben mögliche Kompetenzerweiterungen zugunsten der Apotheker dargestellt, kann sich aber ebenso die umgekehrte Frage stellen, nämlich ob eine stärkere Übertragung der Wirtschaftlichkeitsverantwortung auf die Ärzte, sogar bis hin zur Abschaffung der Verpflichtung der Apotheker zur Auswahl wirtschaftlicher wirkstoffgleicher Arzneimittel, eine zulässige Regelungsoption darstellt. Gerade die Tatsache, dass gegenwärtig in zahlreichen Konstellationen bereits die Ärzte ein wirtschaftliches Arzneimittel auswählen müssen – neben indikationsbezogenen Rabattverträgen und medizinisch gebotenen Substitutionsausschlüssen sind dies etwa Fälle, in denen wegen Eingreifens eines Austauschverbots nach § 129 Ia 2 SGB V das verordnete Arzneimittel nicht vom Apotheker ausgetauscht werden darf832 –, führt zu der Frage, ob Ärzten in Zukunft nicht generell die alleinige Verantwortung für die Wirtschaftlichkeit der Arzneimittelversorgung übertragen werden könnte. Eine Exklusivverantwortung der Ärzte für die Wirtschaftlichkeit des abgegebenen Arzneimittels erscheint zudem deshalb als naheliegende Regelungsoption, weil das Krankenversicherungsrecht bereits gegenwärtig für Ärzte Anreize setzt, schon selbst ein möglichst wirtschaftliches Arzneimittel zu verordnen, sodass es keines Austauschs in der Apotheke mehr bedarf:833 Im Wege von Mitteilungen nach § 73 VIII 1 SGB V können Ärzte von Krankenkassen über bestehende Rabattverträge und Arzneimittelpreise informiert werden. Außerdem können sich nach § 130a  VIII 5 SGB  V Ärzte an Rabattverträgen beteiligen. Beteiligung bedeutet, dass Ärzten in dem Rabattvertrag Anreize z. B. in Form von Gewinnbeteiligungen gesetzt werden dürfen, damit sie das rabattierte Arzneimittel verordnen.834 Die Verordnung eines Arzneimittels, an dessen Rabattvertrag ein Vertragsarzt beteiligt ist, ist außerdem nicht Gegenstand der Wirtschaftlichkeitsprüfung.835

II. Alleinverpflichtung des Arztes? Fraglich ist, ob es mit den Grundrechten der Ärzte zu vereinbaren wäre, wenn ihnen die alleinige Verantwortung dafür auferlegt würde, dass Versicherte ein möglichst wirtschaftliches Arzneimittel eines bestimmten Wirkstoffs erhalten. Die Pflicht, in jedem Behandlungsfall selbst ein möglichst wirtschaftliches Arzneimittel auszuwählen, würde einen Eingriff in die Berufsfreiheit der Ärzte darstellen. Da Ärzte nur dann die wirtschaftlichsten Arzneimittel eines Wirkstoffs 832

Vgl. zu Fällen, in denen ein Austauschverbot eingreift, Csaki, S. 61. s. dazu schon oben Kapitel 3 C. III. 2. c) bb) (2) (b). 834 Dieners, FS Sander, S. 31 (38). 835 Vgl. § 106b IV Nr. 2 SGB V. 833

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auswählen können, wenn ihnen aktuelle Preisinformationen zur Verfügung stehen, müssten sie zugleich zur Nutzung von Verordnungssoftware verpflichtet werden, worin ein weiterer Eingriff in deren Berufsfreiheit läge. Die Pflicht, unter Nutzung von Verordnungssoftware wirtschaftliche Arzneimittel auszuwählen, würde der finanziellen Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung dienen und somit einen legitimen Regelungszweck verfolgen. Mildere Mittel sind nicht ersichtlich.836 Für die Angemessenheit einer solchen Pflicht spricht, dass die Arzneimittelauswahl als solche für die Ärzte keinen allzu großen Zeitaufwand darstellen würde, denn die Arzneimittelpreise und das Bestehen von Rabattverträgen würden ihnen von ihrer Software angezeigt. Um die Kosten auszugleichen, die Ärzten durch die Anschaffung von Verordnungssoftware und durch Software-Lizenzgebühren anfallen, könnte gegebenenfalls eine höhere Vergütung für die Verordnungstätigkeit als bisher vorgesehen werden. Eine exklusive Verpflichtung der Ärzte zur Auswahl wirtschaftlicher wirkstoffgleicher Arzneimittel müsste sich weiterhin an dem allgemeinen Gleichheitssatz messen lassen, weil in diesem Fall auf eine Inpflichtnahme der Apotheker vollständig verzichtet würde.837 Gegen die Vereinbarkeit mit dem allgemeinen Gleichheitssatz könnte sprechen, dass Apotheker aus dem Verkauf von Arzneimitteln einen höheren wirtschaftlichen Nutzen ziehen als Ärzte aus deren Verordnung. Als rechtfertigenden Grund für eine Exklusivverantwortung der Ärzte lässt sich aber anführen, dass sich für einen Patienten der Vorgang der Arzneimittel­ auswahl einfacher und leichter nachvollziehbar darstellt, wenn die Arzneimittelauswahl durch einen einzigen Ansprechpartner in einer einzigen Sitzung vorgenommen wird. Außerdem wäre bei einer Exklusivverantwortung der Ärzte anders als gegenwärtig, wo Apotheker Patienten über produktspezifische Besonderheiten des Arzneimittels informieren müssen,838 auch die Arzneimittelinstruktion vollständig bei den Ärzten angesiedelt. Das kann aus Sicht der Patienten vorteilhaft sein, da sie zu ihrem Arzt oft ein engeres Vertrauensverhältnis als zu einem Apotheker haben.839 Es wäre damit verfassungsrechtlich zulässig, die Auswahl wirtschaftlicher wirkstoffgleicher Arzneimittel in Zukunft alleine den Ärzten aufzuerlegen.

III. Ausweitung der Verantwortung der Apotheker? Fraglich ist, ob es verfassungsrechtlich auch zulässig wäre, stattdessen die Apotheker in Zukunft noch stärker in die Arzneimittelauswahl einzubeziehen. 836 Insbesondere können Ärzte nicht verlangen, dass die Arzneimittelauswahl den Apothekern übertragen wird, da hiermit eine Belastung Dritter verbunden wäre, vgl. oben F. II. 1. 837 Vgl. zum allgemeinen Gleichheitssatz als Prüfungsmaßstab für die Verpflichtung, unter mehreren wirkstoffgleichen Arzneimitteln ein wirtschaftliches auszuwählen, oben F. II. 2. 838 s. oben E. I. 3. 839 Vgl. dazu Fastabend/Schneider, Rn. 132.

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Kap. 4: Die Pflicht zur Auswahl wirtschaftlicher Arzneimittel

1. Weitergabe der Indikationsstellung an Apotheker? Es hat sich gezeigt, dass Apotheker den Anwendungszweck des verordneten Arzneimittels kennen müssten, um zukünftig noch weitere Wirtschaftlichkeitsreserven erschließen zu können, als es ihnen bislang möglich ist: Apotheker können keine indikationsbezogenen Rabattverträge umsetzen und die rechtlich ge­ botenen Ausnahmen von der Pflicht zur zulassungsüberschreitenden Abgabe können sie nur grobmaschig realisieren.840 Der Gesetzgeber müsste folglich die Ärzte verpflichten, den Anwendungszweck des Arzneimittels auf der Verordnung zu vermerken. Zur Folge hätte dies, dass Apothekern durchgehend offenbart würde, an welcher Krankheit ein Versicherter leidet. Dem könnte das Allgemeine Persönlichkeitsrecht der Versicherten entgegenstehen. Das in Art. 2 I GG i. V. m. Art. 1 I GG verankerte841 Allgemeine Persönlichkeitsrecht schützt die engere persönliche Lebenssphäre, die Selbstbestimmung und die Grundbedingungen der Persönlichkeitsentfaltung.842 In seiner Ausprägung als Recht auf informationelle Selbstbestimmung gewährt es das Recht, über personenbezogene Informationen selbst bestimmen zu können.843 Die Nennung des Anwendungszwecks des Arzneimittels würde in diesen Schutzbereich eingreifen, da Apotheker so über die Krankheit des Versicherten in Kenntnis gesetzt würden. Es fragt sich, ob dieser Eingriff gerechtfertigt wäre. Für die Rechtfertigung von Eingriffen in das Allgemeine Persönlichkeitsrecht gilt als besondere Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes die sog. Sphärentheorie. Eingriffe in die Intimsphäre, den absolut geschützten Kern privater Lebensführung, sind nie zulässig.844 Eingriffe in die Sozialsphäre, d. h. die Erscheinung einer Person in der Öffentlichkeit, unterliegen einer herkömmlichen Verhältnismäßigkeitsprüfung.845 Eingriffe in die Privatsphäre, d. h. den engeren persönlichen Lebensbereich, dem im Gegensatz zur Intimsphäre aber schon ein Sozialbezug zukommt, sind nur im überwiegenden Allgemeininteresse und unter strenger Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zulässig.846 Informationen über Krankheiten einer Person werden zur Privat-, aber noch nicht zur Intimsphäre gerechnet,847 sodass eine Rechtfertigung unter den genannten strengen Voraussetzungen möglich wäre. 840

s. oben H. VI. 1. s. nur BeckOK GG/Lang, Art. 2 GG Rn. 33; BVerfGE 27, 1 (6); 35, 202 (220); 120, 378 (397); 138, 377 (386). 842 Maunz/Dürig/Di Fabio, Art.  2 GG Rn.  147; Sachs/Murswiek, Art.  2  GG Rn.  59 ff.; BVerfGE 121, 69 (90). 843 Maunz/Dürig/Di Fabio, Art.  2 GG Rn.  175; Sachs/Murswiek, Art.  2  GG Rn.  72 ff.; BVerfGE 65, 1 (41 f.); 100, 313 (358 f.); 120, 378 (397). 844 Sachs/Murswiek, Art. 2 GG Rn. 104; BVerfGE 38, 316 (320); 96, 56 (61); 129, 208 (265). 845 Sachs/Murswiek, Art. 2 GG Rn. 104; BVerfGE 35, 202 (220); 80, 367 (373). 846 Sachs/Murswiek, Art. 2 GG Rn. 104; BVerfGE 27, 344 (350); 34, 238 (245); vgl. auch BVerfGE 96, 56 (61); 121, 69 (91). 847 BVerfGE 32, 373 (379); 129, 208 (266). 841

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Die Nennung des Anwendungszwecks auf dem Verordnungsblatt erlaubt die Ausschöpfung von Wirtschaftlichkeitsreserven durch Apotheker und würde somit der finanziellen Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung dienen, einem Regelungszweck von hohem Rang. Ein milderes Mittel besteht nicht. Zwar wäre es aus Sicht der Versicherten schonender, wenn der Gesetzgeber die Ärzte verpflichten würde, immer schon selbst ein wirtschaftliches Arzneimittel auszuwählen, denn die Mitteilung der Krankheit an den Apotheker wäre dann entbehrlich. Jedoch kann im Rahmen der Erforderlichkeitsprüfung nicht die Belastung Dritter verlangt werden. Die Mitteilung des Anwendungszwecks des verordneten Arzneimittels an Apotheker müsste sich schließlich als angemessen darstellen. Rechtsprechung und Literatur hielten in anderem Zusammenhang schon mehrfach Regelungen, die eine Offenlegung der Krankheiten Versicherter vorsahen, für gerechtfertigt, weil diese Regelungen zur Stärkung der Funktionsfähigkeit oder der finanziellen Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung beitragen sollten. So hat das BSG eine gesetzliche Regelung für mit dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht vereinbar angesehen, die vor der Anfertigung von Zahnersatz die Durchführung eines Gutachterverfahrens vorsah, was dazu führte, dass der Gutachter vom (Zahn-) Gesundheitszustand des Patienten Kenntnis erlangte.848 Hierdurch würde die Erbringung vom Leistungsrecht nicht gedeckter oder unwirtschaftliche Leistungen vermieden.849 Der Befund würde nur einem kleinen Personenkreis bekannt, nämlich dem Gutachter und dem Sachbearbeiter der Krankenkasse, die zudem schweigepflichtig seien.850 Außerdem läge das Gutachterverfahren im Interesse des Patienten als Beitragszahler.851 In einem Urteil zur Befugnis der Kassenärztlichen Vereinigungen, Röntgendaten zum Zwecke der Qualitätssicherung einzusehen, hat das BSG diese Grundsätze wiederholt.852 Mit einer entsprechenden Argumentation wird ferner gerechtfertigt, dass bei einer Wirtschaftlichkeitsprüfung in Form der Einzelfallprüfung die Prüfstelle Einsicht in Patientenakten nimmt.853 Wegen des Bestehens einer Schweigepflicht wird es für unbedenklich gehalten, wenn im Falle einer Delegation ärztlicher Leistungen nach § 63 IIIc SGB V nichtärztliches Personal von der Diagnose des Patienten Kenntnis erlangt.854 Schließlich wird angenommen, dass es gerechtfertigt sein könnte, eine derzeit noch freiwillige Funktion der elektronischen Gesundheitskarte, die nichtärztlichen Leistungserbringern

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BSGE 55, 150 (156 ff.). BSGE 55, 150 (157). 850 BSGE 55, 150 (159). Aufgrund des Bestehens einer Schweigepflicht hält im Ergebnis Abanador, S.  42 f., das Allgemeine Persönlichkeitsrecht von Versicherten für nicht verletzt, wenn im Falle einer Substitution ärztlicher Leistungen nach § 63 IIIc SGB V nichtärztliches Personal von der Diagnose des Patienten Kenntnis erlangt. 851 BSGE 55, 150 (159). 852 BSGE 59, 172 (182). 853 Lang, S. 93 ff., 128 f. 854 So im Ergebnis Abanador, S. 42 f. 849

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die Krankheit des Versicherten anzeigt, als verpflichtend auszugestalten, wenn dadurch die Versorgung effektiver werden könnte.855 Da Apotheker schweigepflichtig856 sind, könnte auch die Nennung des Anwendungszwecks des Arzneimittels auf der Verordnung mit dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht der Versicherten vereinbar sein. Möglicherweise können Apotheker außerdem schon gegenwärtig anhand des zugelassenen Anwendungsbereichs des verordneten Arzneimittels ungefähr eingrenzen, an welcher Krankheit ein Patient leidet; die mit der Nennung der Krankheit auf der Verordnung verbundene Belastung der Versicherten fiele dann nicht mehr stark ins Gewicht. Einige Literaturstimmen scheinen es denn auch für zulässig zu halten, wenn der Anwendungszweck des Arzneimittels auf dem Verordnungsblatt genannt würde.857 Die zugelassenen Anwendungsgebiete von Arzneimitteln können aber derart divergieren, dass sich ein Apotheker bei Abgabe des Arzneimittels kein genaueres Bild machen kann, an welcher Krankheit der Versicherte leidet.858 Dass Apotheker einer Schweigepflicht unterliegen, kann weiterhin nicht darüber hinweghelfen, dass das Persönlichkeitsrecht eines Versicherten schon dadurch beeinträchtigt wird, dass ein Apotheker Kenntnis von der Krankheit nimmt. Da Apotheker nur in einer begrenzten Zahl von Fallkonstellationen859 zur Auswahl eines wirtschaftlichen Arzneimittels auf die Kenntnis des Anwendungszwecks des verordneten Arzneimittels angewiesen sind, würde ihnen die Krankheit der Versicherten außerdem meist unnötig offenbart. Die hohe Zahl routinemäßig erfolgender, aber meist unnötiger Offenlegungen der Krankheit begründet eine hohe Eingriffsintensität.860 Die Übermittlung des Anwendungszwecks des verordneten Arzneimittels an Apotheker erscheint deshalb nicht angemessen.861

855 Eichenhofer/Wenner/Wenner, § 291a SGB V Rn. 10; vgl. Lang, S. 166 f.; vgl. auch Gaßner/Strömer, KrV 2011, S. 22 (26). 856 s. z. B. § 14 BO LAK-BW. 857 In den entsprechenden Passagen wird jeweils darauf abgestellt, dass „derzeit“ das Kassenrezept die Diagnose nicht nennt: Kamann/Gey/Eimer, APR 2009, S. 118 (122); Gaßner/Strömer, PharmR 2014, S. 330 ff., Fn. 55; Byrla, PZ 2014, Heft Nr. 26, S. 54 (55). 858 Das streitgegenständliche Arzneimittel in der Entscheidung des LG Hamburg, KrV 2015, 117 ff., war beispielsweise zur Behandlung neuralgischer Schmerzen, von Epilepsie und von Angststörungen zugelassen.  – Der Wirkstoff Ramipril kann etwa zur Behandlung von Bluthochdruck, Herzschwäche oder bestimmten Nierenerkrankungen eingesetzt werden (s. die Gebrauchsinformation für diesen Wirkstoff: http://www.beipackzettel.de/search?term=Ramipril). 859 s. zu den Fällen, in denen es auf die Kenntnis der Krankheit des Versicherten ankommt, oben H. VI. 1. 860 Vgl. BVerfGE 115, 320 (347); 120, 378 (402). Entsprechend wird es in der Literatur für unzulässig gehalten, wenn Leistungserbringern der Zuzahlungsstatus des Versicherten, über den Rückschlüsse auf das Vorliegen schwerer Krankheiten gezogen werden können, auf der elektronischen Gesundheitskarte anlasslos zur Verfügung steht: Hornung, S. 221 f. 861 Vgl. Dierks, S. 12, 15. Nach Spickhoff/Barth, § 129 SGB V Rn. 10, ist „aus Datenschutzgründen“ die Indikation nicht auf dem Rezept vermerkt.

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Das Allgemeine Persönlichkeitsrecht der Versicherten verbietet es daher, dass Apothekern auf der Verordnung der Anwendungszweck des verordneten Arzneimittels mitgeteilt wird. Soweit eine unter Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkten optimale Arzneimittelauswahl die Kenntnis des Anwendungszwecks des verordneten Arzneimittels verlangt, kann die Auswahl nicht den Apothekern überantwortet werden. 2. Abklärung bestimmter substitutionsbedingter Risiken durch Apotheker? Ein weiterer Vorschlag für eine noch stärkere Einbindung der Apotheker in die Arzneimittelauswahl geht dahin, dass Ärzte die Substitution des verordneten Arzneimittels nicht mehr wegen Unverträglichkeiten oder drohender nachlassender Therapietreue ausschließen sollen, sondern dass diese Risiken alleine von Apothekern kontrolliert werden. Apotheker müssten dabei zugleich ein möglichst wirtschaftliches Arzneimittel auswählen.862 a) Grundrechte der Versicherten Mit Grundrechten der Versicherten  – insbesondere dem aus der allgemeinen Handlungsfreiheit folgenden Gebot der Äquivalenz von Beitrag und Leistung  – wäre eine solche Regelung nicht zu vereinbaren, falls die Arzneimittelbehandlung mit Wirksamkeits- und Sicherheitsrisiken behaftet wäre, wenn Unverträglichkeiten und Compliance-Probleme nicht mehr von Ärzten abgeklärt würden. Allerdings sind Apotheker fachlich genauso befähigt wie Ärzte, Unverträglichkeiten und Compliance-Probleme abzuklären.863 Es wäre daher kein Absinken der Behandlungsqualität zu befürchten, wenn die Feststellung von Unverträglichkeiten oder die Sicherstellung der Therapietreue den Apothekern übertragen würde.864 Mit Grundrechten der Versicherten wäre es daher vereinbar, wenn Unverträglichkeiten und Compliance-Probleme erst in der Apotheke abgeklärt würden. b) Grundrechte der Apotheker Weiterhin müsste eine solche Regelung mit den Grundrechten der Apotheker vereinbar sein. Der in dieser Regelung liegende Eingriff in die Berufsfreiheit der Apotheker wäre damit zu rechtfertigen, dass die Abklärung substitutionsbeding 862

s. oben I. I. Vgl. Anlage 14 zur AAppO, Ziff. V, wonach diese Tätigkeiten Inhalt des Pharmaziestudiums sind. 864 Vgl. für die Auslagerung der Aufklärungstätigkeit oben E. II. 2. 863

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ter Risiken zum Schutz der Patientengesundheit erforderlich ist und die Berücksichtigung von Wirtschaftlichkeitsaspekten bei der Auswahl des konkreten Arzneimittels der finanziellen Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung dient. Im Hinblick auf den allgemeinen Gleichheitssatz müssen rechtfertigende Gründe dafür bestehen, diese Pflichten den Apothekern und nicht den Ärzten aufzuerlegen. Teilweise wird angenommen, dass Vertragsärzte so entlastet würden und dadurch mehr Zeit etwa auf die Aufklärung über Nebenwirkungen des Arzneimittelwirkstoffs verwenden könnten; so werde die Behandlungsqualität gesteigert.865 Die Übertragung dieser Pflichten auf Apotheker lässt sich aber auch damit rechtfertigen, dass Apotheker aus dem Verkauf von Arzneimitteln einen größeren wirtschaftlichen Nutzen ziehen als Ärzte aus deren Verordnung; dies erlaubt es zugleich, Apothekern umfangreichere Pflichten aufzuerlegen. Auch mit Grundrechten der Apotheker wäre es damit vereinbar, wenn ihnen die Abklärung von Unverträglichkeiten und die Sicherstellung der Therapietreue überantwortet würden. c) Berufsfreiheit der Ärzte Schließlich stellt sich die Frage, ob die Berufsfreiheit der Ärzte einer Regelung des Inhalts entgegensteht, dass Arzneimittelunverträglichkeiten oder Probleme im Hinblick auf die Therapietreue ausschließlich durch die Apotheker abgeklärt werden. In der Verlagerung von Tätigkeiten von Vertragsärzten auf andere Leistungserbringer wird mitunter eine Verletzung der ärztlichen Berufsfreiheit gesehen, sofern sich die vertragsärztliche Tätigkeit in der Folge nur noch auf die Diagnosestellung beschränken und die eigentliche Therapie durch andere Berufsgruppen erfolgen würde; dadurch würde die Arzttätigkeit wesensgeändert.866 Wenn die Abklärung von Unverträglichkeiten und Compliance-Problemen bei der Auswahl unter mehreren wirkstoffgleichen Arzneimitteln aus der vertragsärztlichen Tätigkeit ausgegliedert würden, würde zwar für den Bereich der Arzneimittelversorgung der ärztliche Einfluss auf das Therapiegeschehen und den Therapieerfolg geschmälert. Eine Beschränkung der Ärzte auf eine reine Diagnosetätigkeit wäre damit jedoch nicht verbunden: Zum einen bleibt die Auswahl des zum Einsatz kommenden Wirkstoffs den Ärzten vorbehalten; zum anderen blieben die Ärzte nach wie vor für die Beherrschung solcher Substitutionsrisiken zuständig, die spezifisch mit der Krankheit des Versicherten verbunden sind, denn die Krankheit des Versicherten kennt ein Apotheker nicht. Es wäre daher möglich, die Abklärung von Unverträglichkeiten oder Therapietreueproblemen den Apothekern zu überantworten.

865

Vgl. Schwenzer, AVP 2015, S. 130 (131). Sodan/Schlüter, NZS 2007, S. 455 (460). Für grundsätzliche Übertragbarkeit aller Leistungen, die keine spezifisch-ärztlichen Qualifikationen voraussetzen, auf andere Leistungserbringer dagegen Bauer, GewArch 2012, S. 13 (14). 866

I. Zukünftige Gestaltungsmöglichkeiten des Gesetzgebers

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IV. Spielräume des Gesetzgebers und deren Grenzen Für den Gesetzgeber bestehen somit gewisse Spielräume für künftige Neuregelungen in Bezug auf die Auswahl wirtschaftlicher Arzneimittel eines Wirkstoffs. Es wäre zulässig, die Auswahl wirtschaftlicher wirkstoffgleicher Arzneimittel in Zukunft vollständig den Ärzten aufzuerlegen. Andererseits könnten in Zukunft auch Apotheker noch stärker als bisher in die Arzneimittelauswahl einbezogen werden, doch sind die rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten des Gesetzgebers insoweit deutlich begrenzt. Nicht zulässig wäre es, Apothekern den Anwendungszweck des verordneten Arzneimittels mitzuteilen, um ihnen eine zielgenauere Arzneimittelauswahl zu ermöglichen. Möglich wäre nur eine Regelung dahingehend, dass die Berücksichtigung von Unverträglichkeiten und Compliance-Problemen ausschließlich durch Apotheker erfolgt und dass Apotheker möglichst wirtschaftliche Arzneimittel auswählen müssen, sofern aufgrund von Unverträglichkeiten oder Problemen mit der Therapietreue nicht nur ein bestimmtes Arzneimittel abgegeben werden darf. Auch wenn eine stärkere Einbeziehung der Apotheker in die Arzneimittelauswahl in der soeben dargestellten Weise rechtlich zulässig ist, ist eine dahingehende Regelung aber unzweckmäßig. Der Apotheker müsste mit dem Versicherten in ein Gespräch zur Feststellung von Risiken eintreten. Das ist ineffizient, weil es dem Arzt möglich gewesen wäre, im Rahmen der Behandlungssitzung Unverträglichkeiten und Probleme bezüglich der Therapietreue einheitlich mit abzuklären. Eine stärkere Einbindung der Apotheker in die Arzneimittelauswahl erscheint deshalb unwahrscheinlich. Wenn es zukünftig zu Neuregelungen in Bezug auf die Auswahl wirtschaftlicher wirkstoffgleicher Arzneimittel kommen sollte, würden diese wohl in einer stärkeren Einbeziehung der Vertragsärzte bestehen. Dass künftig die Ärzte stärker in die Auswahl wirtschaftlicher Arzneimittel einbezogen werden könnten und die Rolle der Apotheker insoweit an Bedeutung verlieren könnte, zeigt die Entstehungsgeschichte des § 31a SGB V. Die Vorschrift des § 31a SGB V wurde mit dem E-Health-Gesetz in das Recht der gesetzlichen Krankenversicherung eingefügt. Sie gewährt ab dem 1. Oktober 2016 Versicherten, die mindestens drei verordnete Arzneimittel gleichzeitig einnehmen, einen Anspruch auf Erstellung eines Medikationsplans. Medikationspläne sollen die Arzneimitteltherapiesicherheit verbessern. Werden mehrere Arzneimittel gleichzeitig eingenommen, erhöht sich die Gefahr von Arzneimittelinteraktionen. Durch die Dokumentation aller von dem Versicherten eingenommenen Arzneimittel sollen Interaktionsmöglichkeiten erkannt und so das Interaktionsrisiko gesenkt werden.867 Außerdem dient der Medikationsplan dem Versicherten als Einnahmehilfe.868 Erfüllt wird der Anspruch auf Erstellung des Medikationsplans von dem Hausarzt

867

JurisPK-SGB V/Pitz, § 31a SGB V Rn. 4. Vgl. BT-Drs. 18/5293, S. 37.

868

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des Versicherten oder einem ihn behandelnden Facharzt.869 Er erhält für die Erstellung des Medikationsplans eine Vergütung.870 Apotheker sind lediglich zur Aktualisierung des Medikationsplans berechtigt, indem sie abgegebene Arzneimittel auf Wunsch des Versicherten eintragen.871 Der Gesetzesentwurf hatte ursprünglich sogar die Aktualisierung des Medikationsplans dem Arzt vorbehalten.872 Da das Medikationsmanagement als pharmazeutische Tätigkeit zugleich Teil des Apothekerberufs ist,873 hätte die entgeltliche Erstellung des Medikationsplans gleichfalls den Apothekern übertragen werden können. Dem Gesetzgeber stand insoweit ein Spielraum zu, welchem der beiden Leistungserbringer er die Erstellung des Medikationsplans überträgt. So forderte denn auch die Apothekerschaft während der Beratungen zum E-Health-Gesetz, dass die Erstellung des Medikationsplans zumindest alternativ den Apothekern überantwortet wird.874 Der Bundesrat wiederholte diese Forderung in seiner Stellungnahme zum Gesetzesentwurf und begründete dies damit, dass Versicherte häufig Arzneimittel einnähmen, die von verschiedenen Ärzten verordnet worden seien oder die sie privat und ohne Verschreibung erworben hätten; der vom Versicherten gewählte Apotheker kenne die unterschiedlichen von einem Versicherten eingenommenen Arzneimittel.875 Diese Forderung hatte jedoch keinen Erfolg. Die Bundesregierung entgegnete der Stellungnahme des Bundesrates, es sei sachgerecht, einen Anspruch des Versicherten auf Erstellung und Aushändigung eines Medikationsplans nur gegenüber dem behandelnden Arzt vorzusehen, da diesem alle hierfür erforderlichen Informationen im Rahmen der Ausübung seiner ärztlichen Tätigkeit zur Verfügung stünden. Er sei als erster mit dem Patienten befasst und lege die für den Medikationsplan erforderlichen Inhalte im Rahmen seiner Therapie und Verordnungstätigkeit ohnehin fest.876 Am Ende wurde der Entwurf zur Vorschrift des § 31a SGB V lediglich dahingehend ergänzt, dass auch ein Apotheker zur Aktualisierung des Medikationsplans verpflichtet ist, wenn ein Versicherter dies wünscht.877 Im Hinblick auf die Regelungen über den Medikationsplan wurde damit den Ärzten als Regelungsadressaten der Vorzug gegenüber den Apothekern gegeben. Die Entstehungsgeschichte der Vorschrift zeigt, dass der Gesetzgeber die Ärzte in Zukunft auch in anderer Hinsicht, etwa in Bezug auf die Auswahl wirtschaftlicher Arzneimittel, verstärkt in die Arzneimittelversorgung einbeziehen könnte.

869

Vgl. § 31a I 1 SGB V. Vgl. § 87 IIa S. 21 SGB V. 871 § 31a III 2 SGB V. 872 BT-Drs. 18/5293, S. 10. 873 s. § 1a III Nr. 6 ApBetrO. Zum Medikationsmanagement durch Apotheker s. Braun, A&R 2014, S. 213 ff. 874 Löffler, GuP 2015, S. 219 (220). 875 s. BT-Drs. 18/6012, S. 1. 876 BT-Drs. 18/6012, S. 1. 877 BT-Drs. 18/6905, S. 12. 870

Thesen 1. Die Kollektivverträge des § 129 SGB V – der Rahmenvertrag auf Bundes- und die ergänzenden Verträge auf Landesebene  – sind öffentlich-rechtliche Normenverträge. Den Vertragsparteien steht ein umfassender Regelungsspielraum für die Ausgestaltung der Arzneimittelabgabe an gesetzlich Versicherte zu. Von Vorgaben des Arzneimittel- und Apothekenrechts darf jedoch nicht abgewichen werden. 2. Obwohl § 129 II SGB V in Bezug auf den Rahmenvertrag nur „den maßgeblichen“ Apothekerverband für vertragsschlussberechtigt erklärt, ist die Koexistenz mehrerer maßgeblicher Verbände möglich. Kriterien für die Maßgeblichkeit eines Verbandes sind dessen Verhandlungsmacht, die sich in Abhängigkeit von der Zahl der Mitglieder und deren Wirtschaftskraft bestimmt, dessen Fähigkeit, Gewähr für eine ordungsgemäße Aufgabenerfüllung zu bieten, sowie die Zahl der Apotheker, die kraft Verbandsmitgliedschaft nach § 129 III Nr. 1 SGB V an den Rahmenvertrag gebunden wären. 3. Die Bindung an den Rahmenvertrag ist Grundvoraussetzung dafür, dass ein Apotheker gesetzlich Versicherte versorgen kann. Besteht im Sitz-Bundesland eines Apothekers ein ergänzender Vertrag auf Landesebene nach § 129 V 1 SGB V, muss er auch an den ergänzenden Vertrag gebunden sein, um Versicherte von am Vertrag beteiligten Krankenkassen versorgen zu können. Bei der Arzneimittelversorgung über Bundeslandgrenzen hinweg haben die ergänzenden Verträge keine Bedeutung; maßgeblich ist in diesem Fall alleine der Rahmenvertrag. 4. Bei den Sanktionen nach § 129 IV 1, 3 SGB V handelt es sich um Verwaltungsakte. Die Sanktionsvoraussetzungen sind hinreichend bestimmt. § 129 IV 1, 3 SGB V verlangen, dass Krankenkassen- und Apothekerseite gleichberechtigt über die Sanktionen entscheiden. 5. Das Kollektivvertragssystem des § 129 SGB V ist mit verfassungsrechtlichen Vorgaben vereinbar. Insbesondere sind die Vertragsparteien ausreichend demokratisch legitimiert. 6. Apotheker mit Sitz im EU-Ausland können sowohl dem Rahmenvertrag als auch einem ergänzenden Vertrag ihrer Wahl beitreten oder sich mitgliedschaftlich an diese Verträge binden, indem sie nach § 20 V GWB Aufnahme in einen Mitgliedsverband des Deutschen Apothekerverbandes verlangen. Die Selektivvertragsschlussermächtigung des § 140e SGB V findet aus diesem Grund im Wege teleologischer Reduktion keine Anwendung auf Apotheker.

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Thesen

7. Auf die Pflichtinhalte des Rahmenvertrags findet das Kartellrecht keine Anwendung. 8. Unabhängig von einer kollektivvertraglichen Regelung unterliegen Apotheker bei der Arzneimittelabgabe kraft Gesetzes verschiedenen Pflichten: Die Arzneimittelabgabe muss im Einklang mit dem anerkannten Stand der pharmazeutischen Erkenntnisse erfolgen. Apotheker müssen überprüfen, ob ein Rezept formell ordnungsgemäß ausgestellt wurde. Weiterhin müssen Apotheker prüfen, ob das abgegebene Arzneimittel verordnungsfähig ist, soweit sie aufgrund ihrer Kenntnisse zu einer solchen Prüfung im Stande sind. Ohne eine parallele kollektivvertragliche Normierung kann die Verletzung dieser Pflichten allerdings nicht nach § 129 IV 1, 3 SGB V sanktioniert werden. 9. Bei der Arzneimittelabgabe schließen Apotheker und gesetzlich Versicherter einen den Apotheker einseitig verpflichtenden Kaufvertrag mit dienstvertraglichem Einschlag. Der Apotheker wird darin zur Aushändigung des verordneten Arzneimittels verpflichtet; hingegen wird keine Vergütungspflicht des Versicherten vereinbart. Seine Vergütung wird dem Apotheker von der Krankenkasse des Versicherten bezahlt; Grundlage hierfür ist ein gesetzesunmittelbarer, in § 129 SGB V wurzelnder Vergütungsanspruch. 10. Der Vergütungsanspruch des Apothekers ist grundsätzlich davon abhängig, dass er alle bei der Arzneimittelabgabe für ihn maßgeblichen Vorgaben eingehalten hat. Eine zu Unrecht ausbezahlte Vergütung kann die Krankenkasse von dem Apotheker nach § 69 I 3 SGB V i. V. m. §§ 812 ff. BGB zurückverlangen. Der Vergütungsanspruch bleibt lediglich in den Fällen erhalten, in denen Apotheker Rezepte beliefern, die an unwesentlichen Formfehlern leiden. Für diese Fälle sind die Rahmenvertragspartner durch § 129 IV 2 SGB V gesetzlich verpflichtet, Vergütungserhaltungstatbestände zu normieren. 11. Ein Apotheker, der bei der Arzneimittelabgabe gegen für ihn maßgebliche Vorgaben verstößt, erwirbt grundsätzlich keine anderweitigen Ansprüche gegen die Krankenkasse wie etwa einen Bereicherungsanspruch. Nur bei einer Verletzung der Pflicht zur wirtschaftlichen Arzneimittelabgabe nach § 129 I SGB V erwirbt der Apotheker einen Bereicherungsanspruch gegen die Krankenkasse in Höhe des Betrags, den die Krankenkasse für ein wirtschaftliches Arzneimittel hätte aufwenden müssen. 12. Die Krankenkasse ist berechtigt, ihre Erstattungsforderung gegen laufende Vergütungsansprüche des Apothekers aufzurechnen. Die Aufrechnungserklärung ist – ebenso wie die Auszahlung der Vergütung und die Weigerung, eine nicht ordnungsgemäße Arzneimittelabgabe zu vergüten – kein Verwaltungsakt, sondern schlicht-hoheitlicher Natur. 13. Kann eine Krankenkasse wegen einer fehlerhaften Arzneimittelabgabe Zahlungsansprüche sowohl gegen den Apotheker als auch gegen den verordnenden Vertragsarzt geltend machen, haftet der Arzt gegenüber der Krankenkasse

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nur nachrangig. Er kann bei Befriedigung der Krankenkasse die Abtretung des gegen den Apotheker gerichteten Bereicherungsanspruchs verlangen. 14. Bei den Hinweisen über die Austauschbarkeit von Darreichungsformen nach § 129 Ia 1 SGB V handelt es sich um Rechtsnormen. Ohne Existenz eines Hinweises dürfen unterschiedliche Darreichungsformen nicht untereinander ausgetauscht werden. Der Gemeinsame Bundesausschuss ist für die Hinweiserteilung ausreichend demokratisch legitimiert. 15. Der Gemeinsame Bundesausschuss ist zur Normierung von Austauschverboten nach § 129 Ia 2 SGB V ausreichend demokratisch legitimiert. 16. Können nach den gesetzlichen und kollektivvertraglichen Vorgaben mehrere Arzneimittel abgegeben werden, steht dem Versicherten das Recht zur Auswahl zu, welches Arzneimittel an ihn abgegeben wird. 17. Die Mehrkostenregelung nach § 129 I 6 SGB V eröffnet Versicherten die Möglichkeit, von den gesetzlichen Wirtschaftlichkeits-Parametern bei der Arzneimittelauswahl abzuweichen. Ein Abschlag für Mehrkosten darf von der Krankenkasse nur erhoben werden, wenn die Wahl des Versicherten im Einzelfall tatsächlich zu Mehrausgaben geführt hat. Die Höhe der Abschläge, für die nach § 13 II 11 HS. 2 SGB V ein Pauschalisierungsgebot besteht, ist von den einzelnen Krankenkassen jeweils so zu kalkulieren, dass ihnen durch Kostenerstattungen nach § 129  I  6 SGB V insgesamt betrachtet keine Mehrkosten entstehen. Nicht notwendig ist dagegen eine Kalkulation in der Weise, dass auch bei jeder einzelnen Arzneimittelabgabe für sich betrachtet die Entstehung von Mehrkosten ausgeschlossen ist. 18. Auf die Abgabe von Importarzneimitteln sind die Mehrkostenregelung sowie die Austauschverbotsregelung entsprechend anwendbar. Das gesetzliche Preisabstandserfordernis für Importarzneimittel nach § 129 I 1 Nr. 2 SGB V ist nur teilweise mit der Warenverkehrsfreiheit vereinbar. Apotheker trifft zwar nur eine Pflicht zur Abgabe importierter Arzneimittel, wenn sie den gesetzlichen Preisabstand einhalten. Sie sind aber zur Abgabe von Importarzneimitteln berechtigt, die diesen Preisabstand nicht einhalten, sofern diese günstiger als das verordnete Arzneimittel sind. 19. Wenngleich nach § 129 I SGB V die Auswahl eines wirtschaftlichen Arzneimittels dem Apotheker obliegt, bleibt die Hauptverantwortung für Wirksamkeit und Sicherheit der Arzneimitteltherapie weiterhin beim Arzt. Der Arzt darf eine Substitution nicht zulassen, wenn sich Gesundheitsgefahren nicht ausschließen lassen. Der Apotheker muss lediglich prüfen, ob aus den äußeren Umständen der Verordnung Bedenken gegen eine Substitution erwachsen, und sich vergewissern, dass der Arzt substitutionsbedingte Gesundheitsgefahren abgeklärt hat. Außerdem muss der Apotheker den Patienten über Risiken und Besonderheiten aufklären, die spezifisch mit dem abgegebenen Arzneimittel zusammenhängen.

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20. Die Pflicht zur wirtschaftlichen Arzneimittelabgabe ist mit Grundrechten der Versicherten, der Apotheker, der Ärzte und der pharmazeutischen Unternehmer vereinbar. 21. Die Pflicht zur wirtschaftlichen Arzneimittelabgabe unterfällt nicht der RL 89/105/EWG (sog. Transparenzrichtlinie). 22. Die Pflicht zur zulassungsüberschreitenden Arzneimittelabgabe nach § 129 I 2 SGB V ist einschränkend zu handhaben: Eine zulassungsüberschreitende Abgabe ist nur zulässig, soweit das abgegebene Arzneimittel zu dem verordneten bezugnehmend zugelassen wurde. Weiterhin besteht keine Pflicht zur zulassungsüberschreitenden Arzneimittelabgabe, sofern für das verordnete Arzneimittel besonderer Unterlagenschutz nach § 24b VI AMG oder ein Second-Medical-Use-Patent besteht und das verordnete Arzneimittel gerade zur Behandlung eines geschützten Anwendungsbereichs verordnet wurde. 23. Da der Apotheker den genauen Anwendungszweck des verordneten Arzneimittels nicht kennt, darf er generell keine nicht bezugnehmend zugelassenen Arzneimittel abgeben, die einen geringeren Zulassungsumfang als das verordnete besitzen. Weiterhin ist er generell nicht verpflichtet, Arzneimittel zu ersetzen, die Gegenstand von Schutzrechten sind. 24. Dass bei der zulassungsüberschreitenden Arzneimittelabgabe die Gebrauchsinformation des abgegebenen Arzneimittels keine Informationen zu dem konkret behandelten Anwendungsgebiet enthält, verstößt weder gegen Verfassungs- noch gegen Europarecht. 25. Es wäre mit dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht der Versicherten nicht vereinbar, dem Apotheker mitzuteilen, an welcher Krankheit ein Versicherter leidet. Soweit die Arzneimittelauswahl die Kenntnis voraussetzt, für welchen Zweck das verordnete Arzneimittel bestimmt ist bzw. an welcher Krankheit der Versicherte leidet, muss die Auswahl deshalb beim Arzt verbleiben. Den Arzt scheint der Gesetzgeber, wie die Entstehungsgeschichte von § 31a SGB V zeigt, derzeit verstärkt in die Arzneimittelversorgung einzubeziehen.

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Sachverzeichnis ABDATA  210 f. Abrechnungsbestimmung 212 Abrechnungsprüfung ärztlicher Leistungen  229, 238 f., 241, 428 Add-on-Vertrag 64 f. Allgemeine Handlungsfreiheit 309, 363, 370 Allgemeines Persönlichkeitsrecht  430, 434 ff. Anamnese  343, 346 ff., 350, 352, 362, 386 Apotheke –– Begriff  31 f. (Arzneimittel-/Apothekenrecht), 54 ff. (Krankenversicherungsrecht) –– Krankenhausapotheke  32, 43 f., 54 –– öffentliche Apotheke  32, 44, 54 –– Sicherstellungsauftrag  37, 41 Apothekenabschlag 58 f., 70, 80, 84, 265, 271, 320 Apothekenpflicht von Arzneimitteln  31 f., 34, 38, 50, 52, 66, 176, 281 „Apotheker in seiner Apotheke“  34 Arzneilieferverträge (Reichsversicherungsordnung)  81, 84 –– Abschluss  67, 116 –– Generikaabgabepflicht  277 f. –– Importarzneimittel  324 f. –– Rezeptheilungsvorschriften  83, 206 –– Sanktionen 101 –– Vertrag zugunsten Dritter  183 Arzneimittel –– Begriff  28 f., 50 –– Defekturarzneimittel (Begriff)  29 –– Fertigarzneimittel (Begriff)  29 –– Preisbildung 43, 56 s.  a. Arzneimittelpreisbindung/Arzneimittelpreisspannen –– Rezepturarzneimittel (Begriff)  29 –– Verschreibungspflicht 33, 39 ff., 43, 50, 53, 56 f., 171, 156, 204, 281, 334 ff., 383, 386, 396, 411 –– Zulassung s. Arzneimittelzulassung Arzneimittelpreisbindung  44 s. a. Arzneimittelpreisspannen

–– bei Arzneimittelabgabe durch EU-ausländische Apotheker 157 f., 160 f., 163 f. Arzneimittelpreisspannen  43, 56 f., 156 f., 162 ff., 169, 304, 310, 374 Arzneimittelpreisverordnung  43, 156 Arzneimittelrecht –– Vorgreiflichkeit  51, 55, 281, 285, 296 Arzneimittelunverträglichkeiten s. Unverträglichkeiten Arzneimittelverkaufsverordnung 31 Arzneimittelverordnung –– Aut-idem-Verordnung (Begriff)  40 –– Fälschung 219 –– formelle Anforderungen 174 ff., 204 ff. –– Prüfpflichten des Apothekers 174 ff., 203 f., 273 –– Vordruck  53, 83, 216 –– Wirkstoffverordnung (Begriff)  39 f. Arzneimittelversandhandel –– Anforderungen 32 f. –– EU-ausländische Versandapotheken 137 ff. Arzneimittelverschreibungsverordnung 39, 83 f., 205 f., 244 Arzneimittelzulassung –– Allgemeines 29 f. –– bezugnehmende Zulassung 282, 288, 296 ff., 322, 395 ff., 401 f., 405, 407, 409, 426 ff. –– vereinfachtes Zulassungsverfahren für Importarzneimittel 322 Aufklärungspflichten s. Patienteninstruktion Aufrechnung s. Retaxation Aufsicht s. Geschäftsführungsaufsicht, Rechtsaufsicht Austauschverbot(sliste)  284, 291, 299 f., 326, 340 f., 361, 432 Aut-idem-Verordnung (Begriff)  40 Aut-simile-Verordnung 40 Behandlungsvertrag  187 ff., 194, 201, 220 Beleihung/Beliehener 78, 101, 107, 115 f., 118, 121 f., 131 f., 169

Sachverzeichnis Bereicherungsanspruch 199 f., 223 ff., 231 ff., 237 ff., 242 ff., 248 f., 252 f., 257 ff., 273, 275 f., 317 Berufsfreiheit –– Apotheker 35 ff., 59, 212, 255, 261 f., 267 f., 310, 372 ff. –– pharmazeutische Unternehmer 377 ff., 437 f. –– Vertragsärzte  382 ff., 432 ff., 438 Bestimmtheitsgrundsatz  99, 345 Bezugnehmende Zulassung s. Arzneimittelzulassung Bioidenticals 283 Biosimilars 283 Bote 182 f. Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA)  74, 134, 210 f., 306 Cassis-Formel  144, 148 f. Compliance  341 f., 344 ff., 362 f., 366, 405, 431, 437 ff. s. a. Therapietreue Cross-Label-Use 298 Darreichungsform –– Begriff  285 ff. –– Hinweise zu austauschbaren Darreichungsformen  289 ff., 294, 300, 322 Dassonville-Formel  142 f., 399 Demokratieprinzip 99, 106, 107 ff., 291, 293 f., 318 Deutscher Apothekerverband –– Beleihung  78, 107 –– demokratische Legitimation  107 ff., 111 f., 117 ff., 122 ff., –– Hilfstaxe 57 –– Kartellrecht  167 f. –– mittelbare Staatsverwaltung  105 –– Rahmenvertragsschluss  74, 76 ff., 131 f. Dispensierverbot  38 f., 42 Eigentumsfreiheit 420 ff. Ergänzende Verträge  81 –– Bezeichnung als Arzneiliefervertrag  87 –– bundeslandgrenzüberschreitende Versorgung  91 f. –– Parteien  87 f., 90 f. –– Regelungsspielraum  88 f., 206 f. –– Retaxationsverfahren 268 –– Rezeptheilungsvorschriften  83, 206

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Europäisches Arzneibuch  286 Evidenzbasierte Medizin  172 f. Evidenzbasierte Pharmazie  173 Fachaufsicht  122 f. Festbetrag 54, 164, 220 ff., 248, 279 ff., 378, 381 Fremdbesitzverbot  35 f., 160 Gemeinsamer Bundesausschuss (G-BA)  47, 51, 110, 112, 114, 176, 204, 239, 284, 288 ff., 299 ff., 326, 391 Generika –– Begriff  20, 320 –– bezugnehmende Zulassung s. Arzneimittelzulassung Gesamtschuld  274 ff. Geschäftsführungsaufsicht  127 ff. Gesetz betreffend die Krankenversicherung der Arbeiter  65 Große Deutsche Spezialitätentaxe  210 Handlungsfähigkeit  198 f. Herstellerabschlag  59, 281, 302, 330, 422 –– bei der Anwendung der Mehrkostenregelung  319 f., 329 –– beim Arzneimittelversandhandel  163 f. Hilfsstoff 297, 324, 340, 343 f., 350, 355, 358, 373 Hilfstaxe 57 Importarzneimittel –– Allgemeines  20 f. –– Importförderklausel  321, 328 ff. –– Importquotenregelung  330 ff. –– Parallelimport  321, 324, 326 –– Preisabstandserfordernis  321, 323, 327 ff., 386, 392 ff. –– Rabattverträge 327 f., 333 f. –– Reimport  321, 324 –– vereinfachte Zulassung s. Arzneimittelzulassung Informationsstelle für Arzneimittel (IFA)  211 INN (international nonproprietary names)  40 Institutioneller Gesetzesvorbehalt  118, 131 Kartellrecht  166 f. Kaufvertrag 181 ff., 188 f., 191, 197, 199, 213 f., 220 f. 227, 270

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Sachverzeichnis

Keck-Formel  143, 157 Kollektivverträge –– Ordnungsfunktion 73 –– Partnerschaftsmodell  87, 102 –– Schutzfunktion 72 Kontrahierungszwang  30, 31, 308 Kostenerstattung –– bei Behandlung im EU-Ausland 137 f., 140, 142, 144 f., 165 –– Mehrkostenregelung 249, 305, 311  ff., 316 ff., 332, 377 Landesapothekerverband –– Beitritt EU-ausländischer Apotheker  153, 155 ff. –– Sanktionierung 100 f. Lauer-Taxe  210, 278 Leistungsanspruch des Versicherten 45  ff., 52 f., 81 f., 113, 139 f., 175 f., 196, 199, 201 ff., 207, 211, 219, 222, 227 ff., 248, 308 f., 370, 378 Leistungsausschluss  170, 175, 364 s. a. Versorgungsausschluss von Arzneimitteln Medikationsplan  439 f. Mehrbesitzverbot 36 Mehrkostenregelung  249, 311 ff., 320, 332 f., 366 –– Wahlrecht des Versicherten 310 f., 313, 320 Meldeverfahren  209, 427 ff. Meldung von Arzneimitteldaten s. Meldeverfahren Nachwirkung 85 ff. Normenvertrag 76 ff., 89, 102, 106 f., 134, 169 Off-Label-Use 52, 177, 234, 251  f., 296, 298, 396 ff., 401, 407, Öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch 224 ff. Packungsgröße  52, 284 f., 312 f., 323, 416 Patent –– Eigentumsfreiheit  420 ff. –– Second-Medical-Use-Patent  410 ff., 420, 423, 425 f. –– Wirkstoffpatent  392, 408 ff. Patientenautonomie  310 f., 370, 406

Patienteninstruktion  340, 354 ff., 362, 433 Pflegesatz 185 Pharmazeutische Bedenken  42 f., 171, 345 f., 349, 351, 354, 373 Pharmazeutische Beratung  96, 142, 171, 173, 178, 350 ff., 357 f., 373 s. a. Patienten­ instruktion Qualitätsgebot  202, 426 Rabattvertrag –– Abschluss  303, 315, 378, 382 –– Allgemeines  60 ff. –– Arten  328, 382 –– Berufsfreiheit pharmazeutischer Unterneh­ mer 378 ff. –– indikationsbezogener Rabattvertrag 430 ff., 434 –– Informationen über bestehende Rabattverträge  210, 256 –– Mehrkostenregelung  314 ff. –– Retaxation  248, 255 ff., –– Transparenzrichtlinie  388 ff. –– Umsetzung durch Ärzte  255 f., 433 –– vorrangige Abgabe von Rabattarzneimit­teln  301 ff., 305 ff., 312, 327 f., 334, 378 ff., 385 Rahmenrecht 308 f. Rahmenvertrag –– demokratische Legitimation  107 ff. –– Regelungspflichten  84 f., 204 f. –– Regelungsspielraum  80 ff., 208 f. –– Vertragsbeitritt  71, 76, 78, 80, 109, 133 –– Vertragsbeitritt EU-ausländischer Apothe­ ker  139, 153 f. –– Vertragsparteien  71 ff. Rechtsaufsicht  118, 122 f., 128, 130 f., 136 Rechtskonkretisierungskonzept  308 f. Rechtsstaatsprinzip  85, 130 f., 134, 260 f., 406 –– Bestimmtheitsgrundsatz  99, 345 –– Gesetzmäßigkeit der Verwaltung  225, 230, 260 –– Rechtsklarheit 132 –– Rechtssicherheit  131 f. Retaxation –– Aufrechnung  265 ff. –– Retaxation auf Null  223 ff. –– Verfahren  264 f., 269 Retaxierung s. Retaxation

Sachverzeichnis Sachleistungsprinzip  45, 65 f., 181, 186 Sanktionen 70, 80, 84, 96 ff., 111 f., 124, 238, 242, 245, 263, 369 Schiedsstelle  74 ff., 85, 126 ff., 132, 168, 204 –– Aufsicht  126 ff. Schuldbeitritt 189, 197, 199, 213 f., 216, 221 Second-Medical-Use-Patent s. Patent Selbstverwaltung –– funktionale Selbstverwaltung  104, 108 f., 112 ff., 122, 290 –– gemeinsame Selbstverwaltung  102 ff. Selektivvertrag  60, 64 f. –– mit EU-ausländischen Apothekern 138, 140 f., 143, 165 Semikorporatismus 105 Software –– Apothekersoftware  210, 287, 376, 427 –– Verordnungssoftware  256, 279, 359, 372, 376, 384, 429 f., 433 Sonstiger Schaden  274 Staatlich gebundener Beruf  36 ff. Standard Terms  286 Stellvertretung  182 f., 198 f., 213 ff., 219 Substitutionsverbot  41 f., 171, 334, 336 Territorialitätsprinzip –– sozialrechtliches  139 f. –– völkerrechtliches  140, 145 ff. Therapeutische Breite  300, 350 Therapiefreiheit  42, 423 Therapietreue  341, 344 ff., 353, 363, 365 ff., 405, 413, 437 ff., s. a. Compliance Transparenzpflichten, grundfreiheitliche 390 f. Transparenzrichtlinie  386 ff. Unterlagenschutz 282, 295, 408 f., 412 ff., 417 ff., 425 f. Unverträglichkeiten 42, 342, 344  ff., 353, 431, 437 ff. Vergütungsanspruch des Apothekers –– Anspruchsgrundlage  180 ff. –– Anspruchsvoraussetzungen  200 ff. –– Vergütungserhaltungstatbestände  204 ff. Verkammerung, heimliche  133 Verkündung  134 ff. Verordnung s. Arzneimittelverordnung Verschreibungspflicht s. Arzneimittel

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Versorgungsausschluss von Arzneimitteln  177, 203 f., 209 f., 231, 241, 243, 252 Vertrag zugunsten Dritter  180 ff., 187, 191, 197, 213 f., 216, 219, 221 Verweisung –– dynamische  93 f. –– statische 93 Warenverkehrsfreiheit 33, 142 f., 144, 50, 157 f., 162, 164, 322, 387, 390, 392 Wesentlichkeitstheorie  86, 99, 131 Wirkstärke  206, 284, 336, 338, 355 Wirkstoff –– Begriff 281 –– Erzeugnisformen  282 ff. –– Wirkstoffgleichheit  281 ff. Wirkstoffpatent s. Patent Wirtschaftlichkeitsgebot –– Allgemeines/Inhalt  47 f., 50 f., 177, 236 –– Begründung von Leistungsstandards 84 f., 171 ff., 179 s. a. Qualitätsgebot –– Beherrschung substitutionsbedingter Risiken  342, 344 f., 397, 426 –– Einbeziehung der Apotheker in das W.  61, 70, 89, 277 f., –– Geltung bei der Erbringung ärztlicher Leistungen  246, 257, s. a. Wirtschaftlichkeitsprüfung ärztlicher Leistungen –– Geltung bei der Vereinbarung des Rahmenvertrags 123 –– Geltung bei der Vereinbarung von Rabattverträgen 303 –– Geltung bei der Verordnung von Arzneimitteln 240, 249 f., 253, 255, 305, 358, 383 f., 429 s. a. Wirtschaftlichkeitsprüfung ärztlicher Leistungen Wirtschaftlichkeitsprüfung ärztlich verordneter Leistungen  62, 240, 250, 256, 358 ff., 383 ff., 432 –– Verordnungsregress  240 f., 253 f., 273 f., 358, 384 –– wirkstoffbezogene Wirtschaftlichkeitsprüfung  361 f. Wirtschaftlichkeitsprüfung ärztlicher Leistun­ gen  62, 246 Zielpreis  306 f., 332 Zitiergebot  134, 136 zugelassener Anwendungsbereich  295 ff.