Zur Problematik unterschiedlicher Risikostruktur und ihres Ausgleichs in der Sozialversicherung: insbesondere in der gesetzlichen Krankenversicherung [1 ed.] 9783428461929, 9783428061921

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Zur Problematik unterschiedlicher Risikostruktur und ihres Ausgleichs in der Sozialversicherung: insbesondere in der gesetzlichen Krankenversicherung [1 ed.]
 9783428461929, 9783428061921

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Schriften zum Sozial- und Arbeitsrecht Band 82

Zur Problematik unterschiedlicher Risikostruktur und ihres Ausgleichs in der Sozialversicherung insbesondere in der gesetzlichen Krankenversicherung

Von

Johann Brunkhorst

Duncker & Humblot · Berlin

JOHANN

BRUNKHORST

Zur Problematik unterschiedlicher Risikostruktur und ihres Ausgleichs in der Sozialversicherung

S c h r i f t e n z u m Sozial- und A r b e i t s r e c h t Band 82

Zur Problematik unterschiedlicher Risikostruktur u n d ihres Ausgleichs i n der Sozialversicherung insbesondere in der gesetzlichen Krankenversicherung

Von

Dr. Johann Brunkhorst

DUNCKER

&

HÜMBLOT

I

B E R L I N

Gedruckt mit Unterstützung der Universität Hamburg

CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Brunkhorst, Johann: Zur Problematik unterschiedlicher Risikostruktur und ihres Ausgleichs i n der Sozialversicherung insbesondere i n der gesetzlichen Krankenversicherung / von Johann Brunkhorst. — Berlin: Duncker und Humblot, 1987. (Schriften zum Sozial- u n d Arbeitsrecht; Bd. 82) I S B N 3-428-06192-6 NE: GT

Alle Rechte vorbehalten © 1987 Duncker & Humblot G m b H , Berlin 41 Gedruckt 1987 bei Werner Hildebrand, Berlin 65 Printed in Germany ISBN 3-428-06192-6

Vorwort Im Gegensatz zur Regelung des Bund-Länder-Finanzausgleichs, die erst jüngst einer umfassenden Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht unterzogen wurde (Urteil des Ersten Senats vom 24. 6. 1986, in: DVB1. 1986, S. 822 - 834), hat der Finanzausgleich in der Sozialversicherung bislang keine vergleichbare Beachtung und Vertiefung in der juristischen Dogmatik Forschung gefunden. Dies mag seinen Grund in der fehlenden verfassungsrechtlichen Absicherung der Sozialversicherungsträger haben. Dem steht eine zunehmende praktische Relevanz für einzelne Gruppen von Beitragszahlern gegenüber, die aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu bestimmten Krankenkassen erheblich überdurchschnittliche Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung beitragen müssen. Angesichts eines weitgehend vereinheitlichten Leistungskatalogs in der gesetzlichen Krankenversicherung wird diese Ungleichbehandlung innerhalb des Gesamtsystems der gesetzlichen Krankenversicherung zum verfassungsrechtlichen Problem. Diese Arbeit soll dazu beitragen, die verfassungsrechtliche Relevanz von Organisationsstruktur und Risikoausgleich in der gesetzlichen Krankenversicherung zu verdeutlichen und Maßstäbe zur Prüfung des allgemeinen Gleichheitssatzes im Mitgliedschafts- und Beitragsrecht zu entwickeln. Die Arbeit konnte nur zustande kommen durch beharrliche Aufmunterung und wohlwollende Unterstützung vieler guter Freunde, denen ich hiermit herzlich danke. Ganz besonders danke ich Karl-Jürgen Bieback, Hartmut Günther, Thomas Molkenthin, Sybille Raasch, Andreas Wittenberg und Ursula Rust für die kritische Diskussion der Teilergebnisse. Für stetige tatkräftige Unterstützung ein herzliches Dankeschön an die Kolleginnen in der Bibliothek der Behörde für Arbeit, Jugend und Soziales. Schließlich verdanke ich Waltraud Gößler die stets zuverlässige Umsetzung des Manuskripts. Die Arbeit hat am Fachbereich Rechtswissenschaft I I der Universität Hamburg als Dissertation vorgelegen. Sie wurde von Prof. Dr. Karl-Jürgen Bieback als Erstgutachter und Prof. Dr. Gerhard Igl betreut. Literatur, Tabellen werk und Rechtsprechung entsprechen dem Stand vom Januar 1986, spätere Entwicklungen konnten nur teilweise berücksichtigt werden. Hamburg, im November 1986 Johann Brunkhorst

Inhaltsverzeichnis

1.

Das Problem: Gleicher Leistungsanspruch bei ungleicher Beitragsbelastung

21

1.1

Das Ausmaß der Beitragssatzunterschiede

25

1.1.1

Beitragssatzunterschiede nach Kassen und Kassenarten: bundesweiter Maßstab

26

Beitragssatzunterschiede im regionalen kassenart-übergreifenden Maßstab

29

1.1.2 1.1.2.1

Die tatsächliche Belastungsungleichheit

31

1.1.2.2

Die Auswirkungen des § 520 R V O auf die Beitragsbelastung

31

1.1.3

Beitragssatzunterschiede nach Personengruppen: Arbeiter und Angestellte

33

Die geteilte Verantwortung für Beitragshöhe und Leistungsumfang in der gesetzlichen Krankenversicherung

36

Beitragsfestsetzung durch die Krankenkasse als eigenständige Risikogemeinschaft

37

1.2.2

Leistungsfestsetzung durch den Gesetzgeber

37

1.2.3

Die Reaktion des Gesetzgebers auf die Beitragssatzunterschiede

1.3

Die Gliederung der Sozialversicherung und die Ausgleichsproblematik

1.3.1

Rentenversicherung

40

1.3.2

Unfallversicherung

41

1.3.3

Krankenversicherung

41

1.4

Die Historische Entwicklung der Gliederung und des versicherten Personenkreises in der Krankenversicherung

42

Formen der Sicherung gegen das Risiko Krankheit vor Inkrafttreten des K V G (bis 1883)

44

1.2 1.2.1

1.4.1 1.4.2

....

38 .

40

Die reichsgesetzliche Pflichtversicherung durch das „Gesetz, betreffend die Krankenversicherung der Arbeiter" (ab 1883)

46

1.4.3

Die Stärkung der räumlichen Gliederung durch die RVO (1911)

....

48

1.4.4

Vereinheitlichungsbestrebungen durch das Aufbaugesetz (1934)

52

1.4.5

Personeller Wandel der Krankenversicherung von der „Arbeiterversicherung" zur „Volksversicherung"

53

8 1.4.6

Inhaltsverzeichnis Zwischenergebnis: Mißverhältnis zwischen Organisationsstruktur und personellem Schutzbereich der gesetzlichen Krankenversicherung . . .

57

1.4.7

Exkurs zur Begrifflichkeit: Pflichtkassen und Ersatzkassen

60

1.5

Die Bildung der Risikostruktur der Kassen durch das Mitgliedschaftsrecht

61

1.6

Zwischenergebnis und Folgerungen für die weitere Untersuchung

66

1.6.1

Zwischenergebnis

66

1.6.2

Folgerungen für die weitere Untersuchung

67

2.

Die Ursachen der Beitragssatzunterschiede in der gesetzlichen Krankenversicherung

69

2.1

Der Beitragssatz als Resultante aus Finanzkraft und Finanzbedarf

70

2.2

Die Ursachen im Überblick

72

2.2.1

Mitgliederstruktur als Ursache der Beitragssatzunterschiede

72

2.2.2

Regionale Einflußgrößen

75

2.2.3

Kasseninterne Einflußgrößen

76

2.3

Der Zusammenhang zwischen Grundlohn und Beitragssatz (Finanzkraft)

76

2.3.1

Methodische Vorbemerkung

77

2.3.2

Zusammenhänge auf Ebene der Kassenarten (bundesweit)

78

2.3.3

Zusammenhänge auf regionaler Ebene

79

2.3.4

Zusammenhang zwischen Grundlohn und Ausgabeniveau

81

2.3.5

Zwischenergebnis: Grundlohnniveau ist kein Indikator für Beitragssatzhöhe

82

2.4

Personelle Bestimmungsfaktoren der Ausgaben der Krankenkassen(Finanzbedarf)

83

2.4.1

Risikofaktor Berufs-und Beschäftigungsstruktur

86

2.4.1.1

Beruflicher Status: Arbeiter oder Angestellter

86

2.4.1.2

Tätigkeit in gesundheitlich belastenden Wirtschaftsbereichen

89

2.4.1.3

Erwerbslosigkeit als Krankheitsursache

91

2.4.2

Risikofaktor Geschlecht

93

2.4.3

Risikofaktor Familienangehörige

96

2.4.4

Risikofaktor Alter

98

...

...

2.4.5

Zwischenergebnis: Risikofaktoren wirken nicht isoliert

101

2.5

Räumliche Bestimmungsfaktoren des Beitragssatzes

101

Inhaltsverzeichnis 2.5.1

Risikofaktor Umweltbelastung

102

2.5.2

Kostenfaktor medizinische Infrastruktur

104

2.5.2.1

Ambulante Versorgung durch niedergelassene Ärzte

105

2.5.2.2

Stationäre Versorgung durch Krankenhäuser

106

2.5.3

Kostenfaktor Preise für medizinische Leistungen

107

2.5.3.1

Ambulanter Sektor

107

2.5.3.2

Stationärer Sektor

108

2.5.4

Zwischenergebnis: Unzureichende Steuerungsmöglichkeiten des regionalen Leistungskostenrisikos durch die Krankenkassen 108

2.5.4.1

Steuerung der umweit-und arbeitsbedingten Gesundheitsrisiken

2.5.4.2

Steuerung der medizinischen Infrastruktur

109

2.5.4.3

Steuerung der Preise für medizinische Leistungen

110

2.5.5

Auswirkungen der räumlichen Bestimmungsfaktoren auf die Wettbewerbssituation der Kassen: Beispielsfall der A O K Hamburg 111

2.5.5.1

Die Beitragssatzdifferenzen in der Region Hamburg

111

2.5.5.2

Das medizinische Versorgungsniveau in der Region

112

2.5.5.3

Die Umwelteinflüsse in der Region

114

2.5.5.4

Personelle Risikostruktur der A O K Hamburg

114

2.5.6

Zwischenergebnis: Finanzausgleich innerhalb einer Region erforderlich 118

2.6

Kasseninterne Einflußmöglichkeiten

2.6.1

Mehrleistungen aufgrund von Satzungsbestimmungen der Krankenkassen 119

2.6.2

Verwaltungskosten

120

2.6.3

Kontrollverhalten der Kassen

121

2.6.3.1

Wirtschaftlichkeitsprüfung bei ärztlichen/zahnärztlichen Leistungen und Krankenhausbehandlung 121

....

108

119

2.6.3.2

Kontrolle der Versicherten

122

2.7

Zusammenfassung der Ergebnisse

123

2.7.1

Die Ursachen der Beitragssatzunterschiede

123

2.7.2

Konsequenzen für die Konstruktion eines Finanzausgleichs

125

3.

Finanzausgleich innerhalb der Sozialversicherung

128

3.1

Finanzausgleich in der Krankenversicherung

129

3.1.1

Historische Entwicklung des Finanzausgleichs in der K V

133

10

Inhaltsverzeichnis

3.1.1.1

Gemeinlast im Krankenkassenverband (1911)

133

3.1.1.2

Gemeinlast für weibliche Versicherte (1923)

134

3.1.1.3

Gemeinlast durch das AufbauG (1934)

136

3.1.1.3.1 Formelle Weitergeltung des Art. 8 § 3 AufbauG

139

3.1.1.3.2 Materielle Weitergeltung des Art. 8 § 3 AufbauG

140

3.1.1.4

Finanzhilfe gemäß § 13 SVAG (1949)

143

3.1.1.5

Finanzausgleich in der Krankenversicherung der Rentner (KVdR-Ausgleich ab 1977) 147

3.1.1.6

Umlage für aufwendige Leistungsfälle (1976)

150

3.1.1.7

Finanzausgleich bei Überschreiten des Bedarfssatzes (1977)

151

3.1.2

Systematik des Finanzausgleichs in der K V

153

3.1.2.1

Reichweite des Ausgleichs

155

3.1.2.2

Verbindlichkeit des Ausgleichs

156

3.1.2.3

Der Ausgleich auf der Einnahmeseite (Finanzbedarfsausgleich)

158

3.1.2.4

Der Ausgleich auf der Ausgabenseite (Gemeinlast)

160

3.1.2.5

Durchführung des Ausgleichsverfahrens

161

3.1.2.6

Angleichungserfolg bei verschiedenen Ausgleichsregelungen

163

3.1.3

Zwischenergebnis: Funktionsbedingungen des Finanzausgleichs in der KV 164

3.1.3.1

Die Akzeptanz des Ausgleichs

165

3.1.3.2

Bundesweiter, kassenartübergreifender Finanzausgleich

167

3.1.3.3

Regionaler, kassenartübergreifender Finanzausgleich

169

3.1.3.4

Kassenartinterner Finanzausgleich

169

3.2

Finanzausgleich in der Unfallversicherung

170

3.2.1

Gemeinlast durch Vereinbarung (freiwillige Gemeinlast)

171

3.2.2

Gemeinlast durch Rechtsverordnung

172

3.2.3

Bildung neuer Berufsgenossenschaften

173

3.2.4

Gesetzliche Gemeinlast der gewerblichen Berufsgenossenschaften und derSee-BG 174

3.2.4.1

Entstehungsgeschichte und Auseinandersetzungen um die gesetzliche Gemeinlast 174

3.2.4.2

Systematik der gesetzlichen Gemeinlast

176

3.2.4.2.1 Solidargedanke in der Unfallversicherung

176

3.2.4.2.2 Reichweite der Gemeinlast

176

3.2.4.2.3 Ausgleich der Rentenlasten

176

Inhaltsverzeichnis 3.2.4.2.4 Freibetragsgrenzen

177

3.2.4.2.5 Durchführung des Ausgleichsverfahrens

177

3.2.4.2.6 Nivellierung der Finanzkraft

III

3.2.5

Zusammenfassende Bewertung des Finanzausgleichs in der Unfallversicherung 178

3.3

Finanzausgleich in der Rentenversicherung

179

3.3.1

Gemeinlast der Arbeiterrentenversicherung

180

3.3.2

Liquiditätsausgleich innerhalb der Arbeiterrentenversicherung sowie im Verhältnis zur Angestelltenrentenversicherung 181

3.3.3

Wirkungen des Finanzausgleichs

181

3.3.4

Erhöhung des Bundeszuschusses zur Rentenversicherung

182

3.3.5

Zusammenfassende Bewertung des Finanzausgleichs

183

3.4

Der Finanzausgleich in der österreichischen Sozialversicherung

183

3.4.1

Der Ausgleich in der Krankenversicherung

184

3.4.1.1

Feststellung des Finanzbedarfs

184

3.4.1.2

Arten der Ausgleichsleistungen

185

3.4.1.3

Verhinderungen von ungerechtfertigten Zuweisungen

185

3.4.1.4

Verfahren der Verteilung

186

3.4.2

Der Ausgleich in der Pensionsversicherung

186

3.4.3

Zusammenfassende Bewertung des Finanzausgleichs in der österreichischen Kranken- und Pensionsversicherung 187

4.

Finanzausgleich zwischen Bund, Ländern und Gemeinden

188

4.1

Bund-Länder-Finanzausgleich

189

4.1.1

Sozialstaatliche Funktion des Ausgleichs (Harmonisierungsgebot)

4.1.2

Bundesstaatliche Funktion des Ausgleichs (Nivellierungsverbot)

4.1.3

Finanzausgleich und Neugliederung des Bundesgebiets

192

4.1.4

Gemeinschaftsaufgaben und Finanzhilfen des Bundes

193

4.1.5

Ausgleich der Steuerkraft durch nicht-zweckgebundene Finanzzuweisungen 194

4.1.5.1

Bereinigung des örtlichen Aufkommens durch Abgrenzung und Zerlegung (Art. 107 Abs. 1 S. 2 u. 3 GG) 196

4.1.5.2

Ausgleich der Steuerkraft im sekundären Finanzausgleich

197

4.1.6

Systematik des Ausgleichs

200

4.1.6.1

Reichweite und Verpflichtungsgrad

200

...

189

....

191

12

Inhaltsverzeichnis

4.1.6.2

Die Bestimmung der Finanzkraft der Länder

200

4.1.6.3.

Die Bestimmung des Finanzbedarfs durch Typisierung

201

4.1.6.4

Grad des Ausgleichs

202

4.1.6.5

Durchführung des Ausgleichs

203

4.1.7

Zwischenergebnis: Unterschiedliche Konstruktionsprinzipien des BundLänder-Ausgleichs im Verhältnis zum Ausgleich in der Sozialversicherung 203

4.2

Kommunaler Finanzausgleich

205

4.2.1

Die Systematik des kommunalen Finanzausgleichs

205

4.2.1.1

Die Bestimmung der Finanzkraft der Gemeinden

206

4.2.1.2

Die Bestimmung des Finanzbedarfs der Gemeinden

207

4.2.1.2.1 Schlüsselzuweisungen

208

4.2.1.2.2 Bedarfszuweisungen

209

4.2.1.2.3 Zweckzuweisungen

209

4.2.1.3

Ausschüttungsquote (Grad des Ausgleichs)

209

4.2.2

Der Ausgleich auf der Ausgabenseite (Gemeinlast)

210

4.2.3

Kritische Bewertung des Ausgleichs

211

4.2.4

Zwischenergebnis: Konstruktionsprinzipien des kommunalen Finanzausgleichs im Vergleich zum Ausgleich in der Krankenversicherung . . 212

5.

Die Angleichung der Risikostrukturen durch den Finanzausgleich in der Krankenversicherung und die sozialpolitischen Alternativen . 214

5.1

Die Gliederungsprinzipien als maßgeblicher Faktor für die Risikostruktur 214

5.2

Die Schwächen des gegenwärtigen Systems des Risikoausgleichs in der Krankenversicherung 215

5.2.1

Der unvollständige personelle Risikoausgleich

215

5.2.2

Der unvollständige räumliche Risikoausgleich

216

5.2.3

Der unvollständige Risikoausgleich zwischen den Kassenarten

217

5.2.4

Das Nebeneinander von obligatorischem und freiwilligem Ausgleich . .

218

5.3

Veränderung der Risikostruktur durch Finanzausgleich unter Beibehaltung der gegenwärtigen Gliederung 218

5.3.1

Elemente eines funktionsfähigen Finanzausgleichs in der Krankenversicherung (interner Finanzausgleich) 218

5.3.1.1

Wahrung des Eigeninteresses der Kassen an sparsamer Mittelverwendung 218

Inhaltsverzeichnis 5.3.1.2

Selbstverwaltungsautonomie der Kassen

219

5.3.1.3

Die Ausgestaltung des Ausgleichsmaßstabs

221

5.3.1.4

Die personelle und räumliche Reichweite des Ausgleichs

221

5.3.1.5

Die Abwicklung des Ausgleichs durch eine neutrale Instanz

223

5.3.1.6

Die Förderung gesundheitspolitischer Initiativen durch Ausgleichszuweisungen 223

5.3.2

Ergänzender externer Finanzausgleich

224

5.3.2.1

Finanzielle Zuweisungen anderer Träger der Sozialversicherung

225

5.3.2.2

Finanzielle Zuweisungen aus dem Bundeshaushalt

226

5.4

Veränderung der Risikostruktur durch Änderung der gegenwärtigen Gliederung 227

5.4.1

Veränderung der Kassenabgrenzungen bei den Ortskrankenkassen . . . 227

5.4.2

Neugründung und Auflösung von Betriebs- und Innungskrankenkassen 229

5.4.3

Bildung einer einheitlichen Krankenversicherung

5.5

Verzicht auf staatliche Steuerung: Freie Wahl der Krankenkasse durch die Versicherten 232

5.6

Zusammenfassung: Die Auswirkungen verschiedener Modelle des Risikoausgleichs auf Beitragssatzdifferenzen und den sozialen Ausgleich . . . 236

6.

Die Prüfung der Beitragssatzunterschiede unter verfassungsrechtlichen

230

Gesichtspunkten

238

6.1

Die Beitragssatzunterschiede und ihre Ursachen

238

6.2

Der zu prüfende Normbereich

239

6.2.1

Der allgemeine Gleichheitssatz als Willkürkontrolle

240

6.2.2

Materielle Kriterien der Willkürprüfung

242

6.2.2.1

Grundrechte des einzelnen

242

6.2.2.2

Die Einwirkung des Sozialstaatsprinzips

243

6.2.3

Zwischenergebnis: Erweiterte Willkürkontrolle bei der Auswahl der Differenzierungskriterien 247

6.2.4

Das Gebot der Systemtreue als Ausprägung des Art. 3 Abs. 1 GG . . . 248

6.3

Die Vereinbarkeit unterschiedlicher Beitragssätze der Kassen mit Art. 3 Abs. 1 GG 250

6.3.1

Die Ausprägung des allgemeinen Gleichheitssatzes i. V . m . dem Sozialstaatsprinzip im Beitragsrecht 250

6.3.2

Die Gliederung nach Kassenarten - Prinzipien und Begründung

253

14

Inhaltsverzeichnis

6.3.2.1

Dezentralisation der Krankenversicherung in örtliche, versichertennahe Krankenkassen 258

6.3.2.2

Die Krankenkassen als homogene Versichertengemeinschaften auf gesellschaftlich vorgegebener beruflicher Grundlage 260

6.3.2.2.1 Die Krankenversicherung der selbständigen Landwirte

263

6.3.2.2.2 Die knappschaftliche Krankenversicherung

263

6.3.2.2.3 Die Krankenversicherung der Seeleute

264

6.3.2.2.4 Die Krankenversicherung durch Angestellten-Ersatzkassen

265

6.3.2.2.5 Die Krankenversicherung durch Arbeiter-Ersatzkassen

269

6.3.2.2.6 Die Krankenversicherung innerhalb des Betriebes

270

6.3.2.2.7 Die Krankenversicherung bei den Innungen des Handwerks

271

6.3.2.2.8 Die örtliche Krankenversicherung durch allgemeine Ortskrankenkassen 273 6.3.2.2.9 Zwischenergebnis: Keine homogene Gruppenbildung in der Krankenversicherung 274 6.3.2.3

Stärkung der Selbstverwaltung durch versichertennahe und berufsbezogene Krankenkassen 274

6.3.2.3.1 Die interne Struktur der Selbstverwaltung

275

6.3.2.3.2 Der Spielraum der Selbstverwaltung im Beitrags- und Leistungsrecht . . 277 6.3.2.4

Kontrolle der Versicherten

278

6.3.2.5

Die Wettbewerbsfunktion der Binnengliederung der Krankenversicherung 279

6.4

Zusammenfassung: Das gesetzgeberische Ziel der Dezentralisation und die Geeignetheit der Gliederungsprinzipien als Differenzierungskriterium 282

6.4.1

Systemwidrige Differenzierung zwischen Arbeitern und Angestellten durch ungleiche Kassenwahlmöglichkeiten 283

6.4.2

Die Versicherungspflichtgrenze für Angestellte in der Krankenversicherung 285

6.5

Die gesetzliche Krankenversicherung als gemeinsame Solidargemeinschaft aller Versicherten 287

6.5.1

Die Geltung des Solidarprinzips im Verhältnis der Kassen zueinander

6.5.2

Die Einstandspflicht des Staates bei unzureichendem Solidarausgleich . 290

6.5.3

Die Grenzen der ungleichen Beitragsbelastung - Kritik des BSG-Urteils vom 22. 5. 1985 291

6.6

Zusammenfassung

. 288

294

Inhaltsverzeichnis 7.

Konsequenzen aus dem Ergebnis der verfassungsrechtlichen Prüfung . . 296

7.1

Die Konsequenzen der Angleichung des Mitgliedschaftsrechts von Arbeitern und Angestellten auf die Organisationsstruktur der gesetzlichen Krankenversicherung 297

7.2

Verfassungsrechtliche Grenzen für gesetzliche Maßnahmen zur Verbesserung des Risikoausgleichs 299

7.2.1

Die Gesetzgebungskompetenz zum Risikoausgleich im Rahmen der Sozialversicherung (Art. 74 Nr. 12 GG) 299

7.2.2

Keine verfassungsrechtliche Bestandsgarantie der bestehenden Organisationsstruktur der gesetzlichen Krankenversicherung 300

7.2.3

Zur Grundrechtsfähigkeit der Krankenkassen

302

Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse

306

Literaturverzeichnis

310

Sachregister

323

Verzeichnis der Tabellen Tab.

1: Beitragssätze für Pflichtmitglieder mit Entgeltfortzahlungsanspruch (1.1. 1985)

22

Tab. 2: Entwicklung der Beitragssätze nach Kassenarten

25

Tab. 3: Personelle Verteilung der Beitragssätze nach Kassenarten (1. 1. 1985) .

28

Tab. 4: Beitragssätze/Mitglieder (ohne Rentner) in Hamburg (1. 1. 1985)

30

...

Tab. 5: Beitragsbelastung bei ausgewählten Kassen in der Hamburger Region .

32

Tab. 6: Erwerbstätige nach Stellung im Beruf und Art der Krankenversicherung (1978)

34

Tab. 7: Durchschnittliche Beitragssätze für Pflichtmitglieder nach Kassenart/ Land (Stand: 1.1. 1985)

35

Tab. 8: Versicherte in der gesetzlichen Krankenversicherung

55

Tab. 9: Korrelation zwischen Grundlohn und Beitragssatz nach Kassenart . . .

78

Tab. 10: Korrelation zwischen Grundlohn und Beitragssatz nach Kassenart und Ländern Tab. 11: Mitglieder (ohne Rentner) nach Stellung im Beruf (1981) Tab. 12: Arbeitsunfähigkeits- und Krankenhausfälle und -tage nach Kassenarten (je 100 Pflichtmitglieder - 1982) Tab. 13: Krankheitsindikatoren der Pflichtmitglieder der Betriebskrankenkassen nach Geschlecht und Wirtschaftsgruppen (1978) Tab. 14: Anteil der Arbeitslosen an den Pflichtmitgliedern (nach Kassenart 1984)

80 87 89 90 91

Tab. 15: Mitglieder (ohne Rentner) nach Geschlecht und Kassenart (August 1984) Tab. 16: Familienlastquote (nach Kassenarten - 1984)

93 97

Tab. 17: Allgemeinärzte/Fachärzte in Hamburg

112

Tab. 18: Mitglieder der K V in Hamburg (Stand: 1. 10. 1983)

115

Tab. 19: Zahl der Krankenkassen von 1914 - 1984

131

Tab. 20: Mittlere Kassengröße von 1914 - 1984

131

Tab. 21: Anspruchsberechtigte Kinder in der G K V (Stand: 1. 10. 1984)

168

Verzeichnis der Übersichten und Abbildungen Übers. 1: Mitgliedschaftsregeln

64

Übers. 2: Ursachen der Beitragsunterschiede

74

Übers. 3: Systematik der Finanzausgleichsmodelle

154

Übers. 4: Sozialpolitische Alternativen der Angleichung der Risikostruktur . . . 237 Übers. 5: Prinzipien der Gliederung

Abb. 1:

255

Anteile der Kassenarten an der Gesamtzahl der Mitglieder (ohne Rentner) im Bundesgebiet von 1949 bis 1984

59

Abb. 2:

Krankheit nach Alter und Geschlecht

Abb. 3:

Anteile der Kassenarten an der Gesamtzahl der Mitglieder in Hamburg von 1957 bis 1985 117

2 Brunkhorst

100

Abkürzungsverzeichnis Abi.

Amtsblatt (von 1945 -1949 auch: Arbeitsblatt)

Abschn.

Abschnitt

a. F.

alter Fassung

AFG

Arbeitsförderungsgesetz

A m t l Anz

Amtlicher Anzeiger (Teil I I des Hamburgischen Gesetz- und Verordnungsblattes

Anm.

Anmerkung

AO

Abgabenordnung

AOK

Allgemeine Ortskrankenkasse

AöR

Archiv des Öffentlichen Rechts (Zeitschrift)

ArbVers

Arbeiterversorgung (Zeitschrift)

Art.

Artikel

AufbauG

Gesetz über den Aufbau der Sozialversicherung

AufbauVO

Verordnung zum Aufbau der Sozialversicherung

AuR

Arbeit und Recht (Zeitschrift)

AuS

Arbeit und Sozialpolitik (Zeitschrift)

AVG

Angestelltenversicherungsgesetz

BArbBl.

Bundesarbeitsblatt

BDA

Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände

BEK

Barmer Ersatzkasse

BfA

Bundesversicherungsanstalt für Angestellte

BG

Berufsgenossenschaft

BGBl.

Bundesgesetzblatt

BKK

Betriebskrankenkasse (gleichzeitig Name der Zeitschrift)

BMAS

Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung

BR-Drs.

Bundesrats-Drucksache

BT-Drs.

Bundestags-Drucksache

Bü-Drs.

Bürgerschafts-Drucksache

BuKn.

Bundesknappschaft

BVAG

Bundesversicherungsamtsgesetz

CDU

Christlich Demokratische Union

Abkürzungsverzeichnis CSU

=

Christlich Soziale Union

DAK

=

Deutsche Angestellten Krankenkasse

DAngVers

=

Die Angestelltenversicherung (Zeitschrift)

DB

=

Der Betrieb (Zeitschrift)

DGB

=

Deutscher Gewerkschaftsbund

DOK

=

Die Ortskrankenkasse (Zeitschrift)

DÖV

=

Die öffentliche Verwaltung (Zeitschrift)

DRV

=

Die Rentenversicherung (Zeitschrift)

DVB1.

=

Deutsches Verwaltungsblatt (Zeitschrift)

ebd.

=

ebenda

EDV

=

Elektronische Datenverarbeitung

ErsK

=

Die Ersatzkasse (gleichzeitig Name der Zeitschrift)

EuGRZ

=

Europäische Grundrechte Zeitschrift

FinÄndG

=

Finanzänderungsgesetz

FN

=

Fußnote

FR

=

Frankfurter Rundschau

GG

=

Grundgesetz

gKV

=

gesetzliche Krankenversicherung

HandwO

=

Handwerksordnung

HKG

=

Hilfskassengesetz

i. d. F.

=

in der Fassung

IKK

=

Innungskrankenkasse

i. V. m.

=

in Verbindung mit

JuRA

=

Juristische Ausbildung (Zeitschrift)

JuS

=

Juristische Schulung (Zeitschrift)

KHG

=

Krankenhausfinanzierungsgesetz

KrV

=

Die Krankenversicherung (Zeitschrift)

KSVG

=

Künstlersozialversicherungsgesetz

KV

=

Krankenversicherung

KVdR

=

Krankenversicherung der Rentner

KVEG

=

Kostendämpfungs-Ergänzungsgesetz

KVG

=

Krankenversicherungsgesetz

KVKG

=

Krankenversicherungs-Kostendämpfungsgesetz

19

KVLG

=

Gesetz über die Krankenversicherung der Landwirte

MittAB

=

Mitteilungen aus der Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (Zeitschrift)

MMG

=

Medizin Mensch Gesellschaft (Zeitschrift)

NJW

=

Neue Juristische Wochenschrift

2*

20

Abkürzungsverzeichnis

OKK

=

Ortskrankenkasse

RAM

=

Reichsarbeitsminister

RArbBl.

=

Reichsarbeitsblatt

RdA

=

Recht der Arbeit (Zeitschrift)

Rdnr.

=

Randnummer

RehaAnglG =

Rehabilitations-Angleichungsgesetz

RGBl.

=

Reichsgesetzblatt

RKG

=

Reichsknappschaftsgesetz

RV

=

Rentenversicherung

RVO

=

Reichsversicherungsordnung

SeeKK

=

See-Krankenkasse

SGb

=

Die Sozialgerichtsbarkeit (Zeitschrift)

SozFort

=

Sozialer Fortschritt (Zeitschrift)

SozSich

=

Soziale Sicherung (Zeitschrift)

SPD

=

Sozialdemokratische Partei Deutschlands

SVAG

=

Sozialversicherungs-Anpassungsgesetz

SVwG

=

Selbstverwaltungsgesetz

TK

=

Techniker Krankenkasse (für Angestellte)

USK

=

Urteilssammlung für die gesetzliche Krankenversicherung

UV

=

Unfallversicherung

UVNG

=

Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetz

VerwArch

=

Verwaltungsarchiv (Zeitschrift)

VSSR

=

Vierteljahresschrift für Sozialrecht (Zeitschrift)

WDStRL

=

Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer

WiDi

=

Wirtschaftsdienst (Zeitschrift)

WiGBl.

=

Gesetzblatt der Verwaltung des Vereinigten Wirtschaftsgebiets (bis 1949)

WzS

=

Wege zur Sozialversicherung (Zeitschrift)

ZIP

=

Zeitschrift für Insolvenzpraxis

ZSR

=

Zeitschrift für Sozialreform

ZVersWiss

=

Zeitschrift für die gesamte Versicherungswissenschaft

z. Z.

=

zur Zeit

1. Das Problem: Gleicher Leistungsanspruch bei ungleicher Beitragsbelastung Die Leistungen, die der einzelne Versicherte im Krankheitsfall von seiner Krankenkasse beanspruchen kann, sind fast vollständig gesetzlich festgelegt. Dies erfolgt durch Normierung des Katalogs der Regelleistungen gem. § 179ff. RVO 1 . Darüber hinaus sind auch Mehrleistungen zulässsig, deren Gewährung ist jedoch nur in den Fällen möglich, in denen die Reichsversicherungsordnung eine Öffnungsklausel für Mehrleistungen enthält (§ 179 Abs. 3 RVO). Der Umfang der Mehrleistungen gegenüber den Regelleistungen fällt finanziell kaum ins Gewicht, da sie insgesamt nur ca. 2% der Reinausgaben der Kassen ausmachen (vgl. unten Kap. 2.6.1). Es besteht daher ein grundsätzlich einheitlicher Leistungsstandard in der gesetzlichen Krankenversicherung, der unabhängig von der jeweiligen Kassenzugehörigkeit des Patienten ist. Der Umfang der medizinischen Betreuung soll allein durch den Gesundheitszustand des Versicherten bestimmt werden und nicht nach seiner sozialen Rangstellung innerhalb der Gesellschaft, die sich möglicherweise in der Kassenzugehörigkeit ausdrückt. Diesem gesetzlich vorgesehenen Katalog der Regelleistungen entspricht jedoch nicht ein ebenfalls gesetzlich fixierter Beitragssatz. Gesetzlich vorgegeben sind allein die Modalitäten der Beitragsfestsetzung, die im Wege der Umlagefinanzierung mit dem Ziel der Bedarfsdeckung jeder einzelnen Kasse (insgesamt ca. 1200 Kassen) als eigenständiger Organisationseinheit vorgenommen wird (vgl. unten Kap. 1.2.1). Das Ausmaß der Beitragssatzunterschiede ist mittlerweise beträchtlich: so bewegten sich die Beitragssätze zum 1.1.85 in einer Spanne von 6% bis 14,4% (siehe Tab. 1, S. 22/23). Aussagekräftiger als die prozentuale Differenz ist es jedoch, wenn man die absolute Differenz bezogen auf ein angenommenes Monatsentgelt von D M 3000,— errechnet. Bei diesem in etwa durchschnittlichen Einkommen eines männlichen Versicherten können sich innerhalb einer Stadt/Region bereits Differenzen im Beitrag von D M 2000,— und mehr jährlich ergeben. Dieser Betrag erhöht sich, je mehr das Einkommen sich der Beitragsbemessungsgrenze (§§ 385 Abs. 1 S. 1; 180 Abs. 1 S. 3; 165 Abs. 1 Nr. 2; 1385 Abs. 2 RVO) nähert, die 1986 monatlich D M 4200,— betrug (vgl. unten Kap. 1.1.2.1, 1.1.2.2). 1

Der Leistungskatalog gem. § 179 R V O gilt sowohl für die Pflichtkassen (§ 225 RVO) als auch für die Ersatzkassen (§ 507 RVO), mithin für alle Kassenarten der gesetzlichen Krankenversicherung.

16

15 11

16

19 14 24 35 20 14 63 20

3

4

7

8 7

2 1 4

-

-

80081 7016 176503 74951 37239 260724 49473 17081 254175 50848 -

23917 7 889 15385 16787 12707 12835 25922 7 184 -

313 119 2 564 7 847 1652 10194

-

1 1

- -

- -

313 119 2 564 - 2 7 847 - 1 1652 - 4 10194 -

6

500 - - - - - -

- -

-

- -

-

-

-

- -

-

-

-

-

- -

-

-

-

-

-

-

-

-

-

-

-

-

-

-

-

-

-

1 -

-

-

-

-

-

-

-

-

-

-

-

-

-

362 774

-

-

-

- -

- -

- -

- -

- - - - - -

- -

- -

-

- -

-

-

-

-

1 221985 - 1 3 364 1 42 541 -

- -

78061 - - - 3 7016 - - - 19 176503 - 14 74951 - - - 24 37239 - - - 33 249271 2 11453 18 29 521 2 19 952 14 17081 - - - 59 231408 4 22 767 17 24 059 3 26 789 -

40

16 23 917 - - 8 7 889 - - - 7 15385 - - - 15 16 787 - 11 12707 - - - - 7 12835 - - - 16 25922 - - - 4 7 184 - - - -

500 - - 1

10.0 68 179 808 63 146599 5 33 209 10.1 6 29855 4 13955 2 15900 10.2 40 99 016 35 71830 5 27186 10.3 15 147139 1 62676 13 77189 1 7 274 10.4 32 646 321 3 194 024 27 74 920 1 14 603 10.5 51 343 012 5 162 000 37 75 234 8 77 466 1 28 312 10.6 28 362 239 2 41860 21 68 537 4 29 857 10.7 12 189 237 2 144705 6 13 853 4 30679 10.8 42 402159 4 179 970 27 64 932 9 111352 10.9 30 660348 7 499 991 17 61 136 6 99 221 -

9.2 9.3 9.4 9.5 9.6 9.7 9.8 9.9

9.1

9.0 41

8.9

8.4 8.5 8.6 8.7 8.8

8,2

8,0

1 1

7,0 7.3 7.5 7.6 7.7 7.8

6

1

6,0

BeitragsKrankenkassen OrtsBetriebsInnungs- SeeBundesErsatzkassen Eirsatzkassen satzin% insgesamt0) krankenkassen krankenkassen krankenkassen Krankenkasse knappschaft c) für Arbeiter für Angestellte des Grund- „ Mit__ Mit- „ Mit- „ Mit- „ Mit- „ Mit- „ Mit- „ Mit. . Kassen .. , Kassen .. , Kassen , Kassen .. . Kassen . Kassen .. . Kassen .. , Kassen .. . lohnes gheder glieder glieder gheder gheder glieder glieder

Tabelle 1: Beitragssätze für Pflichtmitglieder mit Entgeltfortzahlungsanspruch 3) (1. Januar 1985)

glieder

22 1. Gleicher Leistungsanspruch bei ungleicher Beitragsbelastung

55 10 31 16 36 49 28 16 32 40

1195

Insgesamt

-

11,7 3

19917174

1202 4758 8388

1

|

11,96

270 9 343 476

-

j

4758 8388

-

10,24

-

- -

d

j

11,22

[

10,50

|

-

-

-

-

-

-

-

-

11,60

8

1

-

-

j

359 288

- -

- -

-

11,35

7

476 727

j

6166 179

2 2 544 809 1 2 658 441 -

-

- - -

- -

- 4009

- - 20396

41486

- -

1 65 048

- -

-

1 980 1 80 887

267 205

1

1

Beitragssatz in % des Grundlohnes >

1

-

-

- - -

- -

- -

- - -

28312

- - -

- - -

- -

155 1 417437 1

Durchschnittlicher

1 1

- -

-

- - -

- 4948 3780 - - -

- - - 3125 -

-

753 2 335 277

1202

1 1

-

-

-

12,11

a) Für mindestens 6 Wochen. - b) Ohne landwirtschaftliche Krankenkassen, die den Beitragssatz nicht in % des Grundlohnes festsetzen. - c) Darunter rd. 61 000 Pflichtmitglieder (Angestellte), für die der Beitragssatz von 13,48% festgesetzt wurde. - d) Mit der Mitgliederzahl gewogener Durchschnitt. Quelle: Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung.

Insgesamt [

1 1 1

5 89089 2 87456 3 1 633 1 26974 1 26974 - 4 233 419 2 212767 1 256 3 65 274 3 65 274 1 17466 1 17466 - 10 167789 7 160560 1 95 1 2 35 651 2 35 651 - 3 65652 2 60704 4 63575 3 59795 3 103699 3 103699 - -

14.0 14.1 14,4

13.0 13.1 13.2 13.3 13.4 13.5 13.6 13.7 13.8 13.9

1

-

-

- -

349963 4 107 755 35 109 852 16 132 356 391188 4 375 542 3 1786 3 13 860 518 308 8 423 767 16 19 550 7 74 991 255 357 5 137 313 7 76 748 4 41296 470106 8 322 804 15 30674 13 116 628 786126 19 665 800 20 48 500 10 71826 635 551 12 247184 9 37 918 6 83 244 1 267 205 403 936 7 328882 6 50236 3 24 818 492625 16 401159 9 24 506 7 66 960 909312 25 730235 6 14908 7 82 302 -

12.0 22 774 281 10 278 505 10 8 456 1 10593 12.1 7 134 373 4 107 613 1 1124 2 25 636 12.2 20 2 837 834 10 232474 4 8 975 4 51576 12.3 15 3 296 950 10 557100 1 6272 2 10089 12.4 16 292293 11 280751 4 4 373 1 7 169 12.5 20 391645 14 364786 4 12568 2 14291 12.6 7 238241 4 102832 2 134452 1 957 12.7 5 89068 4 88832 1 236 - 12.8 34 1 043202 29 1 009016 1 1014 4 33172 12.9 20 510839 16 465 554 2 833 1 2966 -

11.0 11.1 11.2 11.3 11.4 11.5 11.6 11.7 11.8 11.9

1. Gleicher Leistungsanspruch bei ungleicher Beitragsbelastung

24

1. Gleicher Leistungsanspruch bei ungleicher Beitragsbelastung

Die Zahlung eines höheren Beitrags führt jedoch - abgesehen von den Geldleistungen Krankengeld, Mutterschaftsgeld und Sterbegeld - nicht zu einem entsprechend höheren Anspruch auf Sachleistungen. Die Sachleistungen bei Krankheit, d.h. hauptsächlich ärztliche Hilfe, Arznei-, Heil- und Hilfsmittel sowie Krankenhausversorgung sind nicht beitragsgebunden, sondern bedarfsorientiert. Auch der Umfang der Mehrleistungen der jeweiligen Kasse ist nicht beitragsabhängig; vielmehr ist davon auszugehen, daß Kassen mit niedrigen Beitragssätzen eher in der Lage sind, Mehrleistungen (z.B. Kuren) zu gewähren. Kassen mit hohen Beitragssätzen sind i.d.R. gezwungen, hier Einschnitte vorzunehmen. Die Berechtigung ungleicher Beitragsbelastung wird zudem fragwürdig, wenn man gleichzeitig in Betracht zieht, daß inzwischen ca. 90% der Wohnbevölkerung in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert sind 2 . Wirtschaftlich betrachtet schmälern die Beiträge zur Sozialversicherung zunächst ähnlich wie die Lohn- und Einkommensteuer - das verfügbare Einkommen der Versicherten. Die Versicherten erhalten jedoch - anders als die Steuerzahler 3 - als Gegenleistung für die Beitragsleistung einen klagbaren Anspruch auf bestimmte Sozialleistungen. Es handelt sich mithin um eine allgemeine staatliche Zwangsvorsorge mit Umverteilungseffekten zugunsten der Bedürftigen 4 . Vor dem Hintergrund der Vereinheitlichung des gesetzlichen Katalogs der Regelleistungen und der Tendenz zur Volksversicherung wird die unterschiedliche Beitragsbelastung im Rahmen dieser Arbeit sowohl sozialpolitisch als auch verfassungsrechtlich überprüft werden. Die sozialpolitische Brisanz der Beitragssatzunterschiede wird in der Zukunft eher noch zunehmen, da der allgemeine Kostenanstieg im Gesundheitswesen weitergeht. Dies zeigt sich deutlich an der Entwicklung der Beitragssätze 5 seit 1970, die seither allgemein um knapp 4% gestiegen sind (vgl. Tab. 2). Die Beitragssatzunterschiede in der gesetzlichen Krankenversicherung sind Gegenstand einer Klage von Versicherten der A O K Burgsteinfurt, die mittlerweile vom Bundessozialgericht abgewiesen wurde 6 . Die Versicherten hatten 2

Vgl. Monatsberichte der Deutschen Bundesbank, Januar 1985, S. 29/31: 1983 betrug die Zahl der Versicherten (inkl. Rentner) 35,8 Mill., hinzu kommen ca. 20,5 Mill. Familienangehörige. 3 Hier gilt das steuerliche Non-Affektationsprinzip, nach dem die Steuer gegenleistungsfrei ist, vgl. Isensee (1973), S. 39; nach § 3 I A O stellt die Gegenleistungsfreiheit ein Wesensmerkmal der Steuer dar; zur haushaltsrechtlichen Bedeutung siehe FischerMenshausen (1983), G G K - I I I , Art. 110 Rdnr. 13. 4 Wannagat (1965), S. 153f. 5 Zur Zunahme der Gesamtbelastung der versicherungspflichtigen Arbeitsentgelte mit Sozialabgaben auf z.Z. ca. 35% siehe Monatsberichte der Deutschen Bundesbank, Januar 1986, S. 17ff. 6 BSG 12 RK 15/83 vom 22. 5. 1985 (gleichlautend mit BSG 12 RK 14/83 und 16/83), SozR 2200, § 385 Nr. 14.

25

1.1 Das Ausmaß der Beitragssatzunterschiede

geltend gemacht, daß die Beitragshöhe bei der A O K Burgsteinfurt mit 14,2% bzw. 14,9% z.T. erheblich über den Beitragssätzen der übrigen im Kreis Steinfurt tätigen Kassen lag. Diese hohe Beitragsbelastung treffe insbesondere Arbeiter, die grundsätzlich (d. h. soweit keine Betriebs- oder Innungskrankenkasse zuständig sei) der A O K zugewiesen seien. Eine Wahlmöglichkeit wie sie für Angestellte zu einigen Ersatzkassen bestehe, sei für die klagenden Arbeiter nicht gegeben. Die ungleiche Beitragsbelastung verstoße gegen Art. 3 I i . V . m . dem Sozialstaatsprinzip, wonach Folgen organisatorischer Mängel nicht auf wirtschaftlich Schwächere abgewälzt werden dürften 7 .

Tabelle 2 Entwicklung der Beitragssätze nach Kassenarten Kassenarten

gKV insgesamt

OKK

BKK

IKK

SeeKK

1.4.1970

8,2

8,2

7,5

7,8

6,6

1.1.1975

10,04

10,22

9,06

10,08

1.1.1976

11,22

11,25

10,05

11,01

1.7.1980

11,38

11,71

10,49

1.7.1982

12,00

12,4

10,91

1.7.1983

11,82

12,16

1.7.1984

11,43

1.1.1985

11,73

BuKn

EAR

ΕΑΝ

9,6

8,1

9,1

8,8

11,6

9,93

10,16

9,2

12,6

10,95

11,84

11,22

9,9

12,6

11,01

11,22

11,74

10,6

11,6

11,48

11,94

10,57

11,54

9,8

11,6

11,24

11,90

11,80

10,10

11,05

9,5

11,6

10,6

11,50

11,96

10,24

11,22

10,5

11,6

11,35

12,11

Quelle: Arbeits- und Sozialstatistik, Hauptergebnisse, div. Jgg.

1.1 Das Ausmaß der Beitragssatzunterschiede Das Ausmaß der Beitragssatzunterschiede ist statistisch relativ leicht nachzuvollziehen, indem die Beitragssätze der Kassen miteinander verglichen werden. Dazu werden regelmäßig Übersichten im Bundesarbeitsblatt veröffentlicht, aus denen bundesweit die Beitragssätze für Pflichtmitglieder mit Entgeltfortzahlungsansprüchen - also die größte Gruppe der Versicherten - zu entnehmen sind (1.1.1). Die bundesweite Gegenüberstellung der Beitragssätze nach Kassenarten entspricht jedoch nur der Organisationsform der Seekasse, der Bundesknapp7

Siehe dem Verf. vorliegende Klagschrift v. 8. 5. 1981.

26

1. Gleicher Leistungsanspruch bei ungleicher Beitragsbelastung

schaft sowie der überwiegenden Anzahl der Ersatzkassen der Angestellten und einiger Ersatzkassen der Arbeiter, die bundesweit organisiert sind. Die Orts-, Betriebs- und Innungskrankenkassen sind grundsätzlich örtlich gegliedert, d.h. es treten Unterschiede zwischen und innerhalb der Regionen auf. Besondere Berücksichtigung bedarf daher die ungleiche Beitragsbelastung auf regionaler Ebene (1.1.2). Der Vergleich der Beitragssätze ist auf regionaler Ebene sehr viel aussagekräftiger, da die Faktoren, die die Finanzlage einer Kasse beeinflussen, örtlich bzw. regional wirken. Das sind einerseits - die Wirtschaftsstruktur der Region mit den Auswirkungen auf Lohnniveau, Erwerbsstruktur, Arbeitslosenquote, arbeitsbedingte Gesundheitsgefährdungen sowie umweltbedingte Gesundheitsrisiken. und andererseits - Umfang und Qualität des medizinischen Angebots im ambulanten und stationären Sektor. Schließlich ist die regionale Ebene für Beitragssatzvergleiche relevant, da sich hier die entscheidenden Wahlprozesse der Versicherten zwischen den Kassen abspielen. Dabei ist insbesondere auf die Risikoverschiebungen hinzuweisen, die sich aus dem ungleichen Wahlrecht für Arbeiter und Angestellte ergeben können. Daher soll zumindest ansatzweise versucht werden, die Beitragssätze nicht nur nach Kassenzugehörigkeit, sondern auch nach sozialen Kriterien zu vergleichen (1.1.3). 1.1,1 Beitragssatzunterschiede nach Kassen und Kassenarten: bundesweiter Maßstab Nach dem Stand zum 1.1.1985 (vgl. Tab. 1) betrug der niedrigste Beitragssatz 6% (bei einer B K K ) , der höchste Beitragssatz dagegen 14,4% (bei einer I K K ) . Auch wenn es sich dabei um eine Momentaufnahme handelt, so kann doch davon ausgegangen werden, daß damit die bundesweite Spannbreite abgesteckt ist, innerhalb dessen sich die Beitragssatzdifferenzen schon seit längerer Zeit bewegen. Die Spannbreite der Differenz zwischen niedrigstem und höchstem Beitragssatz hat sich kaum verändert, auch wenn einzelne Kassen ihre Beitragssätze gesenkt oder erhöht haben. Trotz eines anhaltenden Konzentrationsprozesses innerhalb der Krankenversicherung (vgl. unten 1.3) sowie der Durchführung von Finanzausgleichsverfahren (dazu Kap. 3.1) sind die Beitragssatzunterschiede nicht beseitigt worden 8 . Bei einem durchschnittlichen Beitragssatz aller Kassen von 11,73% zum 1.1.1985 lagen insbesondere die Betriebskrankenkassen (10,24%), die Innungskrankenkassen (11,22%) und die Ersatzkassen der Arbeiter (11,35 %) « Huppertz (1982b), S. 529/532; für 1978 vgl. Huppertz u.a. (1981), S. 6ff.

1.1 Das Ausmaß der Beitragssatzunterschiede

27

deutlich niedriger. Über dem Durchschnitt aller Kassen lagen die Ortskrankenkassen (11,96%) und die Ersatzkassen der Angestellten (12,11 %) 9 . Die Betrachtung der Durchschnittswerte der Kassenarten zeigt, daß Extremwerte nur von wenigen Kassen erreicht werden, deutlich wird jedoch die günstigere Position der Betriebskrankenkassen, der Innungskrankenkassen und der Ersatzkassen der Arbeiter im Verhältnis zu den übrigen Kassenarten. Bei einer personellen Betrachtungsweise (vgl. Tab. 3) zeigt sich, daß ca. 48% aller Versicherten in der Gruppe zwischen 12 - 13% und ca. 24% aller Versicherten in der Gruppe zwischen 11 - 12% Beitragssatz liegen. D.h., daß 3 /4 aller Versicherten Beitragssätze zwischen 11 - 13% zu entrichten haben 10 . Auch im kassenartinternen 11 Vergleich zeigen sich erhebliche Differenzen: die größte Spanne zeigt sich bei den B K K zwischen 6 % und 14 %. Auch bei den I K K liegt die Spanne zwischen 9,5% und 14,4% sehr weit. Dagegen liegt die Spanne bei der A O K zwischen 10,3 % und 13,9 % sowie bei den Ersatzkassen der Arbeiter zwischen 10,6% und 13,5%. Die geringste Spanne zeigt sich bei den Ersatzkassen der Angestellten mit Werten zwischen 10,4% und 12,3%. Diese geringe Spannbreite bei den Ersatzkassen der Angestellten ist bereits Ausdruck der bundesweiten Organisation der meisten Ersatzkassen der Angestellten, wodurch regional bedingte Schwankungen der Beitragssätze ausgeglichen werden. Bei einer personellen Gewichtung der Beitragssätze innerhalb der Kassenarten (vgl. Tab. 3) spiegelt sich die Rangstelle der Kassenarten im kassenartübergreifenden Beitragssatzvergleich wider. Bei den B K K liegen ca. 68% der Versicherten in der Gruppe zwischen 9 - 11% Beitragssatz, während bei den I K K ca. 80% der Versicherten zwischen 10 - 12% Beitragssatz liegen. Bei den Ersatzkassen der Arbeiter liegen ca. 62% der Versicherten zwischen 10 11% Beitragssatz; es handelt sich dabei im wesentlichen um die SchwäbischGmünder Ersatzkasse 12. Bei den A O K liegen ca. 77% der Versicherten zwischen 11 - 13% Beitragssatz. Ähnlich ist es bei den Ersatzkassen der Angestellten, bei denen ca. 92% der Versicherten zwischen 12 - 13% liegen; dies sind im wesentlichen die Barmer Ersatzkasse sowie die Deutsche Angestellten Krankenkasse mit jeweils ca. 2,4 Mill. Versicherten 13 .

9 Die Beitragssätze der Seekasse (10,5%) und der Bundesknappschaft (10,6%) können dabei zunächst außer Betracht bleiben, da sie nur für einen relativ kleinen Personenkreis gelten. 10 Für 1978 vgl. Huppertz u. a. (1981), S. 7 - Tab. 1. 11 Für 1978 vgl. Huppertz u.a. (1981), S. 8f. ι 2 Zum Mitgliederkreis dieser Kasse vgl. Stolt / Vesper (1973), S. 126f. 13 Zum Mitgliederkreis dieser Kassen vgl. Stolt / Vesper (1973), S. 121.

-

-

8 - 9

9 - 10

-

100

178 303

414 678

0,05

2 335 277

1202

8,9

37,32

7,63

17,75

100

-

-

49,96 29,65

-

0,83

100

0,92

1417 437

13146

156 449

708 281

980

359 288

24405

100

6,79

1,31

100

19 917174 100

0,07

4,36

9 608 726

48,24

24,82

3 030 862 15,21 4 945 267

6,57

5,05

868 588 14 348

0,11 0,61

92,11

405 315

6166179

0,002

1006 071

122 626

5 679 977 -

%

22 689

500

80 887

-

abs.

62,72 0,27

29,65

225 349

-

106 534

31,51

5,71

abs. %

Alle Kassen abs. %

446 747

80 961

ΕΑΝ

11853

28,61

39,61

0,08

668185

1984

13,75

0,97

5,25

925110

122 626

22 689

0,02

abs. %

EAR

Kassenarten

a) Beitragssätze für Pflichtmitglieder mit Entgeltfortzahlungsanspruch (eig. Berechnungen nach BArbBl. 1985, Heft 6, S. 90 - Tab. 198).

Insgesamt 9 343 476

14 - 15

13 - 14 830 346

3 740 441

3 487 463

11 - 12

12 - 13

IKK

abs. %

500

BKK

40,03

%

1285 226

-

7 - 8

10 - 11

-

abs.

AOK

6-7

Höhe des Beitragssatzes

Tabelle 3: Personelle Verteilung der Beitragssätze8) nach Kassenarten (1.1.1985)

1. Gleicher Leistungsanspruch bei ungleicher Beitragsbelastung

1.1 Das Ausmaß der Beitragssatzunterschiede

29

1.1.2 Beitragssatzunterschiede im regionalen kassenart-übergreifenden Maßstab Nach der Untersuchung von Huppertz u.a. 1 4 , die sich auf das Jahr 1978 bezieht, sind beträchtliche Unterschiede im regionalen Maßstab festzustellen. Die größten Differenzen waren in NRW und Hessen festzustellen, die geringste Varianz lag in den Stadtstaaten vor. Der Untersuchung ist weiterhin zu entnehmen, daß die Beitragssätze auch innerhalb der regional gegliederten Kassenarten (OKK, B K K , I K K ) erheblich differierten. Ein Vergleich mit einer früheren Studie aus dem Jahre 197315 weist aus, daß die Beitragsvarianz trotz der Tendenz zur Zusammenlegung von Kassen nicht gesunken ist. Die Differenz bei den Ortskrankenkassen ist seit 1960 sogar von 3,0 auf 6,2 Prozentpunkte gestiegen16. Die in der Untersuchung gewählten Regionen entsprechen den Bundesländern, für eine kleinräumige Analyse sind daher weitere Untersuchungen heranzuziehen. -Anhaltspunkte für eine kleinräumige Verteilung der Belastungsungleichgewichte ergeben sich aus der Studie von Gonto / Stuppardt für den Kreis Steinfurt in Ost-Westfalen 17. Zum 1.1.1982 betrug die Spannweite dort 10% (bei einer B K K mit 785 Mitgliedern) bis 14,2% (bei der A O K Steinfurt). Die Beitragssätze der überregional tätigen Ersatzkassen der Angestellten und Arbeiter, die ebenfalls deutlich unter denen der A O K lagen, wurden bei der Untersuchung nicht einbezogen. A m Beispiel des Kreises Steinfurt zeigt sich deutlich die strukturell ungünstige Situation der A O K in einer Region, die durch die Strukturkrise der Textilindustrie entscheidend geprägt ist, was sich auch in einer überdurchschnittlich hohen Arbeitslosenquote niederschlägt 18. Eine starke regionale Spannbreite bei den Beitragssätzen läßt sich auch für andere Regionen nachweisen. Hier wären weitere regionalspezifische Untersuchungen erforderlich 19 , im Rahmen dieser Arbeit soll dies exemplarisch für die Region Hamburg unternommen werden, da dem Verf. die hierfür erforderlichen Daten zugänglich waren. Zum 1.1.1985 bewegten sich die Beitragssätze in Hamburg zwischen 8,0% (BKK) und 13,5% (Ersatzkasse für Arbeiter) (vgl. Tab. 4). Bemerkenswert ist dabei der hohe Beitragssatz, den die A O K Hamburg mit 13,4% (ab m Huppertz u.a. (1981), S. 9ff., 22ff. Appelt / Kreifelts (1976), S. 9f. " Huppertz (1982), S. 529/532. 17 Gonto / Stuppardt, Beitragssätze in Steinfurt: Ein regionalspezifisches Strukturproblem, Hg. Bundesverband der BKK'en, Essen (o. J.), dies.: B K K 1981, S. 304ff. 18 Gonto / Stuppardt (o. J.), S. 7ff. 19 Dies gilt z.B. für die Region Kassel, wobei die A O K Kassel mit 13,9% sowie die I K K Kassel mit 13,9% (Stand: 1. 6. 1985) erheblich über dem Beitragssatz der übrigen Ortskrankenkassen in Hessen sowie den ortsansässigen Betriebskrankenkassen und den bundesweiten Ersatzkassen lagen.

30

1. Gleicher Leistungsanspruch bei ungleicher Beitragsbelastung Tabelle 4 Beitragssätze/Mitglieder (ohne Rentner) in Hamburg (1.1.1985) (in Klammern: Stand 1.5.1982) Kasse

Mitglieder

Beitragssatz

(ohne Rentner) DEBEG C. Scholtz Hamburg-Süd

452

8,0

366

9,2

( 9,8) (12,5)

671

9,7

4013

9,8

( 9,7) (9,6)

MBB

5 989

9,8

( 9,4)

ESSO

4 268

9,9

Sloman

125

10,0

( 9,6) (10,0)

SHELL

4 677

10,2

( 9,6)

HEW

5 215

10,2

Axel Springer

5 380

10,2

( 9,8) (11,9)

Phoenix

4447

10,3

(12,8)

Mobil Oil

2170

10,4

( 9,2)

366

10,4

( 8,8)

3 037

10,4

-

Techniker-Krankenkasse

?

10,4

(11,2)

Schwäbisch-Gmünder

?

10,6

(10,5)

Bleiindustrie

138

10,8

Innungskrankenkasse

49 971

11,4

( 8,4) (13,6)

Hamburger Hochbahn

5183

11,5

(10,5)

BP

Thoerl's Daimler-Benz (VerwSt Hamburg)

4116

11,6

(13,2)

51297

11,7

(12,8)

2 812 ?

11,8

(11,8)

11,9 12,0

(11,9) (12,0)

Kaufm. Krankenkasse

527 ?

12,0

(11,9)

Hamb.-Münchner Ersatzkasse

?

12,2

(11,9)

Β armer Ersatzkasse

?

12,2

(12,1)

Deutsche Angest.-KK.

?

12,3

Gärtner Krankenkasse

?

12,3

(11,9) (12,3)

Blohm + Voss Freie und Hansestadt Nordd. Affinerie Hanseatische Ersatzkasse New York Hmb Gummi

Allg. Ortskrankenkasse Hamb. Zimmerer-KK

222221 ?

12,8a> (14,0) 12,9

(13,9)

Braunschweiger Kasse

?

13,2

(13,2)

„Neptun" Beruf skr ankenskasse

?

13,5

(13,9)

a) Ab 1.8.1985 hat die A O K auf 13,4% erhöht.

1.1 Das Ausmaß der Beitragssatzunterschiede

31

1.8.1985) erhebt, sie liegt damit bereits erheblich über dem Beitragssatz der örtlich stark vertretenen Angestellten-Ersatzkassen. Die niedrigen Beitragssätze bis 10,4% werden nur von B K K erhoben, allein die Techniker-Krankenkasse (Ersatzkasse der Angestellten) mit 10,4% und die Schwäbisch-Gmünder Ersatzkasse (für Arbeiter) mit 10,6% liegen ebenfalls in diesem niedrigen Bereich. 1.1.2.1 Die tatsächliche Belastungsungleichheit Bei einem angenommenen20 monatlichen Arbeitsentgelt von D M 3000,— ergeben sich erhebliche finanzielle Mehrbelastungen für die Versicherten und Arbeitgeber bei Kassen mit hohen Beitragssätzen. Bei der B K K mit dem Beitragssatz von 8% ergibt sich danach ein Jahresbeitrag von D M 2880,—, bei der I K K (11,4%) beträgt der Beitrag schon D M 4104,— jährlich, während bei der A O K D M 4824,— zu entrichten sind. Danach kann in diesem Beispiel die Differenz ca. D M 2000,— jährlich betragen, wobei sich für Arbeitnehmer und Arbeitgeber jeweils eine Mehrbelastung von D M 1000,— jährlich ergibt. Dieses Ergebnis fällt noch krasser aus, wenn von einem Einkommen in Höhe der Beitragsbemessungsgrenze ausgegangen wird, die im Jahr 1985 in der Krankenversicherung D M 48600,— jährlich = P M 4050,— monatlich beträgt (§§ 165 I Nr. 2, 180 I i. V . m . § 1385 I I RVO). In diesem Fall beträgt die Differenz ca. D M 2600,— jährlich, d. h. jeweils D M 1300,— für Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Auch wenn es sich dabei um Extremwerte handelt, so ist doch zu bedenken, daß die A O K Hamburg als Basis- und Auffangkasse über 200000 Versicherte hat. Deren Mitglieder haben häufig nicht die Möglichkeit, einer anderen Kasse beizutreten, die niedrigere Beitragssätze erhebt (vgl. 1.5 - Übersicht 1). Die Ungleichbehandlung dieses Personenkreises wiegt um so schwerer, als er keine Möglichkeit hat, sich der hohen Beitragsbelastung zu entziehen. Die Beiträge bei einem angenommenen Entgelt von D M 3000,— monatlich sind der folgenden Tabelle 5 zu entnehmen.

1.1.2.2 Die Auswirkungen des § 520 RVO auf die Beitragsbelastung Bei der Berechnung der finanziellen Unterschiede ist darüber hinaus die Wirkung des § 520 R V O für versicherungspflichtige Mitglieder der Ersatzkassen zu berücksichtigen. Danach hat der Arbeitgeber für diesen Personenkreis den vollen Beitragsanteil abzuführen, den er bei Mitgliedschaft in der - primär - zuständigen Orts-, Betriebs- oder Innungskrankenkasse zu entrichten 20 Die tatsächlichen Arbeitsentgelte für vollzeitbeschäftigte Arbeiter (Leistungsgruppe 1) entsprachen 1983 in Hamburg in etwa D M 3 000,-, während die Gehälter der Angestellten in Industrie und Handel teilweise erheblich darüber lagen; vgl. Stat. Taschenbuch 1984 (hrsg. v. Statistischen Landesamt Hamburg), S. 199ff.

32

1. Gleicher Leistungsanspruch bei ungleicher Beitragsbelastung Tabelle 5 Beitragsbelastung8) bei ausgewählten Kassen in der Hamburger Region

Kasse

BKKI

Allgemeiner Beitragssatz in %

Jahresbeitrag

Monatsbeitrag

in D M

in D M

8,0

2 880,—

240,—

TK

10,4

3 744,—

312,—

IKK

11,4

4 104,—

342,—

BKK II

12,0

4 320 —

360,—

DAK

12,3

4428,—

369,—

AOK

12,8

4 608,—

384,—

(ab.1.8.85)

13,4

4 824 —

402,—

a) Bei einem angenommenen Monatsentgelt von 3000,-.

hätte 21 . Wendet man diese Vorschrift auf einen Versicherten der TechnikerKrankenkasse (10,4%) an, der eigentlich der A O K angehören würde, so zeigt sich, daß der Arbeitnehmeranteil auf 4% sinkt und der Arbeitgeber den restlichen Anteil von 6,4% trägt, da die A O K einen Beitragssatz von 12,8% erhebt. Der Arbeitgeberanteil würde damit D M 2304,—, der Arbeitnehmeranteil D M 1440,— jährlich betragen. Während der Arbeitgeber hinsichtlich seines Beitragsanteils bei A O K und T K gleichgestellt wird, ergeben sich für den Versicherten erhebliche Minderbelastungen, die den ohnehin schon günstigen Effekt des niedrigen Beitragssatzes noch erheblich verstärken. Ein negativer Beitragseffekt für versicherungspflichtige Mitglieder der Ersatzkassen ergibt sich allerdings, wenn die originär zuständigen Kassen niedrigere Beitragssätze erheben, wie dies in Hamburg bei der I K K und den meisten B K K im Vergleich zur D A K und BEK der Fall ist. In dieser Konstellation erhält der Versicherte weniger als die Hälfte des tatsächlichen Beitrags vom Arbeitgeber erstattet. Auch in diesem Fall bleibt es bei der Gleichbehandlung der Arbeitgeber, die nicht finanziell durch die Kassenwahl des Arbeitnehmers belastet werden sollen 22 . 21 Zur historischen Funktion des § 520 R V O siehe unten 1.4.3; bei versicherungsberechtigten Mitgliedern gilt dagegen nach § 405 RVO, daß der Arbeitnehmer stets nur die Hälfte des tatsächlichen Beitrags seiner Kasse erhält. 22 So auch zur Weitergeltung des § 520 RVO: BSG SozR 2200 § 520 Nr. 2; a. A . Peters (KV), § 520 Anm. 2, der eine dem § 405 RVO entsprechende Regelung aus dem „Grundsatz der Hälftigung der Beiträge" entnehmen will, der jedoch übersieht, daß es sich hier um eine Hälftelung in bezug auf die Mitgliedschaft bei den Pflichtkassen handelt.

1.1 Das Ausmaß der Beitragssatzunterschiede

33

1.1.3 Beitragssatzunterschiede nach Personengruppen: Arbeiter und Angestellte In der gesetzlichen Krankenversicherung sind nicht nur Arbeitnehmer, sondern auch viele andere als schutzbedürftig angesehene Personengruppen versichert (siehe dazu unten 1.4.5 sowie 1.5). Die Arbeitnehmer, d.h. Arbeiter und Angestellte, stellen jedoch den größten Anteil an den Versicherten insgesamt. Es soll daher im folgenden versucht werden, festzustellen, bei welchen Kassen Arbeiter und Angestellte überwiegend versichert sind und ob sich demnach unterschiedliche Beitragssätze auch personell zuordnen lassen. Nach den Ergebnissen des Mikrozensus 1978 (vgl. Tab. 6) waren 96,4% aller Arbeiter bei der RVO-Kassen, dagegen nur 3,5% bei den Ersatzkassen für Arbeiter versichert. Bei den Angestellten waren nur 34,3 % bei den RVOKassen, aber 61,4% bei den Ersatzkassen der Angestellten versichert. Innerhalb der RVO-Kassen wiederum sind die Arbeiter bei den jeweiligen Kassenarten unterschiedlich repräsentiert. Da für die Verteilung der Arbeiter und Angestellten keine exakten Daten vorliegen, kann hier nur von Plausibilitätsüberlegungen ausgegangen werden, die allerdings in der Tendenz wohl unbestritten sind. Danach sind ca. 80% der Pflichtmitglieder der Ortskrankenkassen Arbeiter 2 3 , darüber hinaus sind dort in hohem Maße Arbeitslose 24 , versicherungspflichtige Selbständige sowie Nichterwerbspersonen versichert. Zunehmend versichern auch die Sozialämter die Sozialhilfeberechtigten bei den Ortskrankenkassen 25. Bei den Betriebskrankenkassen dürfte der Anteil der Arbeiter erheblich niedriger liegen, da die nicht-versicherungspflichtigen Angestellten häufig der Betriebskrankenkasse weiterhin angehören. Dies ist zum einen auf die meist sehr günstigen Beitragssätze (vgl. 1.1.1) sowie zum anderen zusätzlich auf eine stärkere Identifikation mit dem Betrieb zurückzuführen, die typisch für Großbetriebe ist, die hauptsächlich noch Betriebskrankenkassen haben 26 . Auch die Zahl der Arbeitslosen ist bei den Betriebskrankenkassen erheblich geringer 27 . Bei den Innungskrankenkassen dürften dagegen überwiegend Arbeiter versichert sein. Das Verhältnis von Arbeitern zu Angestellten betrug 1977 im Handwerk ca. 5 : l 2 8 . Allerdings dürfte es den Innungskrankenkassen aufgrund der Betriebs- und Berufsidentifikation selbst bei nur geringen Vorteilen im Beitragssatz eher gelingen, auch die Angestellten an sich zu binden 29 . 23

Paquet (1985), S. 221. Nach Stollenwerk (1985), S. 137, betrug der Anteil der Arbeitslosen an den Pflichtmitgliedern bei den A O K bundesdurchschnittlich 10,31%. 2 5 Paquet (1985), S. 223. 26 Paquet (1985), S. 224. 2 ? Stollenwerk (1985), S. 137. 28 Handwerkszählung 1977. 29 Paquet (1985), S. 224. 24

3 Brunkhorst

1000

insgesamt 6

%

%

Krankenkasse

Insgesamt 21,6 5,9 46,5 4,2 0,1

%

27,6 0,1

21,8

57,3 0,9

9,4

2^8 5/7

36,6 5,9

0,1

21^0 83 3^9 Weiblich 54,0 - 29,9 24,4 20,8 83,7 - 56,1 10,1 6,2 12,7 - 14,5 72,2 32,7 1,9 0,5 64,5 2,7 94,7 0,4 0,5 5,0 0,2

66^2

a) Paquet (1985, S. 177-Tab. 11, nach: Stat. Bundesamt (1978).

9 695

4 857 3 068

16 326

482 903 385

Zusammen

Selbstständige Mithelf. Fam.-angeh. Beamte Angestellte Arbeiter

Zusammen

0,1

7J 2A 04 Männlich Selbstständige 1809 56,4 0,7 46,0 20,9 22,0 Mithelf. Fam.-angeh. 147 91,3 - 85,2 4,4 4,2 Beamte 1883 16,5 8,8 41,3 33,2 Angestellte 4 539 36,0 4,3 0,5 58,1 5,8 Arbeiter 7 948 97,0 2,8 0,3 3,0 -

Selbstständige 2 291 55,9 0,8 42,7 Mithelf. Fam.-angeh. 1049 84,8 - 60,5 9,3 Beamte 2269 15,9 9,8 Angestellte 9 396 34,3 3,1 0,5 61,4 Arbeiter 11016 96,4 2,2 0,4 3,5 0,1 Insgesamt 26 021 62^9 24 7^0 263

. _ 0 „ Stellung 6 im Beruf



-

0,6

0,6

in der gesetzlichen Krankenversicherung in der m. sonst. nicht Γ7ΓΓ " Ζ privaten KrankenkrankenRVOdarunter Ersatz- ^ , .u . , , __ „ Kranken- versicherungs- versichert Kasse I kasse . . . . Knapp- I Landw.Versicherung schütz schaftliche

Erwerbstätige

Tabelle 6: Erwerbstätige nach Stellung im Beruf und Art der Krankenversicherung (1978). Ergebnis des Mikrozensus April 1978a> 34 1. Gleicher Leistungsanspruch bei ungleicher Beitragsbelastung

35

1.1 Das Ausmaß der Beitragssatzunterschiede

Da sich die Beitragssätze der Ersatzkassen der Angestellten überwiegend um den bundesweiten Durchschnitt aller Versicherten gruppieren (vgl. oben 1.1.1), kann gefolgert werden, daß Angestellte i.d.R. einen durchschnittlichen Beitragssatz zu entrichten haben. Arbeiter haben anscheinend ebenfalls einen durchschnittlichen Beitragssatz zu entrichten, wenn sie einer Ortskrankenkasse angehören, einen niedrigeren dagegen, wenn sie einer Betriebsoder Innungskrankenkasse angehören. Die bundesdurchschnittliche Betrachtungsweise relativiert sich jedoch, wenn die regionalen Durchschnittswerte zugrundegelegt werden. Hier zeigt sich, daß die Ortskrankenkassen in den meisten Bundesländern einen höheren Beitragssatz als die Ersatzkassen der Angestellten erheben, besonders kraß ist die Überhöhung in den Stadtstaaten Bremen und Hamburg sowie im Saarland 30 (vgl. Tab. 7). Nur in den Bundesländern Bayern und Baden-Württem-

Tabelle 7 Durchschnittliche Beitragssätze für Pflichtmitglieder nach Kassenart/Land (Stand: 1.1.1985) a ) Ersatzkassen Angst. Arb.

Land

AOK

IKK

BKK

Schleswig-Holstein

12,45

11,44

10,20

12,11

11,35

Hamburg

12,80

11,40

11,21

12,11

11,35

Niedersachsen

12,24

11,29

10,01

12,11

11,35

Bremen

12,90

11,60

10,20

12,11

11,35

Nordrhein-Westfalen

12,36

11,30

10,26

12,11

11,35

Hessen

12,17

12,12

10,32

12,11

11,35

Rheinland-Pfalz

12,29

12,06

10,29

12,11

11,35

Β aden-Württemberg

11,53

10,64

9,89

12,11

11,35

Bayern

11,23

10,77

9,59

12,11

11,35

Saarland

13,20

-

12,11

11,35

Berlin

12,30

12,79

11,14

12,11

11,35

Bund

11,96

11,22

10,24

12,11

11,35

-

a) Nach BArbBl. 1985, Heft 6, S. 91.

30 Im Saarland existieren keine Betriebs- und Innungskrankenkassen, der hohe Beitragssatz der A O K im Saarland kann daher als Ausdruck der besonderen Strukturschwäche dieses Landes, bedingt durch die hohe Arbeitslosenquote, gewertet werden. 3*

36

1. Gleicher Leistungsanspruch bei ungleicher Beitragsbelastung

berg liegt der Beitragssatz der Ortskrankenkassen unter dem der Ersatzkassen der Angestellten 31 . Zusammenfassend ist also festzustellen, daß Arbeiter ohne besondere Kassenzugehörigkeit (BKK, I K K ) in den meisten Regionen gegenüber den Angestellten, die für eine Ersatzkasse votiert haben, benachteiligt sind. Diese Situation kann aufgrund des Wahlrechts der Angestellten und der Konkurrenzsituation um Mitglieder zu einer weiteren Abwanderung von Angestellten von den Ortskrankenkassen zu den Ersatzkassen der Angestellten führen.

1.2 Die geteilte Verantwortung für Beitragshöhe und Leistungsumfang in der gesetzlichen Krankenversicherung In der Rentenversicherung der Arbeiter (§ 1385 RVO) und der R V der Angestellten (§ 112 A V G ) hat sich der Gesetzgeber die Festsetzung eines einheitlichen Beitragssatzes vorbehalten, der nicht nach Mitgliedschaft, Region oder Versicherungszweig differiert 32 . Dies dürfte nicht zuletzt auf die besondere Bedeutung der Alterssicherung und auf die beträchtlichen finanziellen Auswirkungen zurückzuführen sein 33 . Ebenfalls durch den Gesetzgeber wird der einheitliche Beitrag zur Arbeitslosenversicherung festgelegt (§ 174 AFG), der damit auch die staatliche Zuschußpflicht bei Defiziten der Bundesanstalt für Arbeit (§ 187 AFG) beeinflussen kann. In der sozialpolitischen Diskussion wird neuerdings vorgeschlagen, auch die Beiträge in der Krankenversicherung gesetzlich festzulegen, um über einen ,Beitragsstopp' 34 zu erreichen, daß die Kostensteigerung im Gesundheitswesen nicht mehr zu Lasten der Versicherten geht. Dieser Vorschlag hat jedoch gegenwärtig keine Aussicht auf Realisierung, da die derzeitige Bundesregierung aus ordnungspolitischen Gründen eine vollständige Vereinheitlichung der Beitragssätze und eine gesetzliche Fixierung ablehnt 35 . Im folgenden wird daher das Zusammenwirken von staatlicher Leistungsfestsetzung und kassenbezogener Beitragsfestsetzung in der gesetzlichen Krankenversicherung nach geltendem Recht dargestellt.

31 Die Gründe für günstige Beitragssituationen dürften u. a. in der allgemein günstigeren Risikostruktur (dazu unten 2.4) innerhalb der Landesverbände liegen. 32 Ausnahme ist lediglich die knappschaftliche Rentenversicherung, in der höhere Beiträge erhoben werden, vgl. Schewe u.a. (1977), S. 109. 33 Vgl. Frankfurter Rundschau v. 26. 1 1985 - „Rentenversicherung steigt unaufhaltsam", die Anhebung des Beitragssatzes um 0,1 Prozentpunkte bringt pro Jahr Mehreinnahmen von 700 Mill. D M für die Rentenkassen. 34 So die frühere Familienministerin und parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung, Anke Fuchs (SPD), nach FR v. 9. 4. 1985. 35 Siehe dazu Kap. 3.1, FN 10.

1.2 Geteilte Verantwortung für Beitragshöhe und Leistungsumfang

37

1.2.1 Beitragsfestsetzung durch die Krankenkasse als eigenständige Risikogemeinschaft In der gesetzlichen Krankenversicherung wird der jeweilige Beitragssatz nicht durch Gesetz vorgegeben. Die in §§ 389, 390 RVO genannte Grenze von 8% der Grundlöhne 36 ist nicht mehr realistisch, die Beitragssätze bewegen sich seit 1980 zwischen 11,4% bis 12,0% im Durchschnitt aller Kassen37. Durch gemeinsamen Beschluß der Arbeitgeber und Versicherten (Vertreterversammlung) kann in der Satzung ein höherer Beitrag festgesetzt werden, wenn die Mittel nicht ausreichen, um die gesetzlich vorgesehenen Leistungen zu gewähren 38. Gesetzlich festgelegte Beitragssätze gibt es in der Krankenversicherung nur für die Rentner (§ 385 Abs. 4), die Studenten und Praktikanten (§ 381a Abs. 1 RVO) sowie - hinsichtlich der Bemessungsgrundlagen - für Arbeitslose (§ 157 Abs. 2 AFG). Die Höhe des Beitragssatzes wird durch die Vertreterversammlung im Rahmen der Satzungsautonomie festgelegt (§§ 385, 384 RVO i. V.m. §§ 34, 33 SGB IV). Die Satzungsautonomie der Ersatzkassen ergibt sich gemäß Art. 2 § 2 Abs. 2 der 12. V O zum Aufbau der Sozvers. v. 24.12.1935. Die Beiträge sind so zu bemessen, daß die gesetzlich vorgeschriebenen Leistungen (Regelleistungen) und die zugelassenen Leistungen (Ermessensleistungen) sowie die sonstigen Ausgaben (z.B. Verwaltungskosten) gesichert sind (vgl. § 21 SGB IV). Die Beitragsfestsetzung erfolgt nicht völlig autonom, sie unterliegt der staatlichen Aufsicht, da die Satzung der Genehmigung der Aufsichtsbehörde bedarf (§ 324 Abs. 1 RVO, § 34 Abs. 1, S. 2 SGB IV). Soweit bereits aus dem Haushaltsplan hervorgeht, daß die Beitragshöhe nicht ausreicht, um die Leistungsfähigkeit des Versicherungsträgers zur Erfüllung seiner Aufgaben zu gewährleisten, kann die Aufsichtsbehörde den vorgelegten Haushaltsplan beanstanden (§ 70 Abs. 5 SGB IV). 1.2.2 Leistungsfestsetzung durch den Gesetzgeber Dieser relativen Autonomie auf der Beitragsseite entspricht jedoch keine Autonomie auf der Leistungsseite. Um einen qualitativ hochwertigen Standard an Leistungen für alle Versicherten zu gewährleisten, hat der Gesetzge36 Das BSG (E 47,148ff. = NJW 79,1059 (1062)) sieht darin ebenfalls keine „objektive Leistungsgrenze", da ausdrücklich der Fall der weiteren Beitragssatzerhöhung vorgesehen ist. 37 Zum Jahresanfang 1985 lag der Beitragssatz im allgemeinen Durchschnitt bei 11,8%, wobei einzelne Kassen den Beitragssatz um 0,8 Prozentpunkte zum Jahresbeginn erhöhten (vgl. FR v. 16. 1. 1985). 38 Allgemein dazu: Brackmann, Hdbuch d. Sozvers., S. 363a (Stand: Dezember 1976).

38

1. Gleicher Leistungsanspruch bei ungleicher Beitragsbelastung

ber den Leistungskatalog immer stärker gesetzlich fixiert. Neben dem Katalog der Regelleistungen verbleibt nur noch ein geringer Spielraum für satzungsmäßige Leistungen der jeweiligen Kasse. Die besondere Bedeutung eines einheitlichen Leistungsanspruchs hat der Gesetzgeber dadurch hervorgehoben, daß gem. § 31 SGB I der Vorbehalt des Gesetzes für alle Sozialleistungen gilt. Dies macht deutlich, daß die sozialen Leistungen von besonderer politischer Wesentlichkeit sind und daher dem Gesetzgeber vorbehalten bleiben sollen. Die Wesentlichkeit folgt vor allem aus der Bedeutung der Sozialleistungen für die Bürger, die Leistungen dienen der Verwirklichung des sozialen Rechtsstaats und sollten daher nicht im Ermessen der öffentlichen Verwaltung stehen 39 . Die Handlungsmöglichkeit der Selbstverwaltung hat sich damit zunehmend auf die versichertengerechte Darbietung der Leistung verengt, d.h. den Anspruch auf Aufklärung, Beratung und Auskunft (§§ 13 - 16 SGB I) sowie auf versichertengerechte, effiziente und ausreichende Ausführung der Sozialleistungen (§ 17 SGB I). Die Versicherungsleistung muß entsprechend den besonderen persönlichen Bedürfnissen der Versicherten - die wiederum von wirtschaftsstrukturellen oder regionalen Umständen abhängig sind - ausgestaltet werden 40 . 1.2.3 Die Reaktion des Gesetzgebers auf die Beitragssatzunterschiede Obwohl der Bundesgesetzgeber weitgehend den Leistungskatalog (nicht jedoch die Preise für die Erbringung der Sachleistungen) bestimmt, trägt er nicht die Finanzverantwortung. Thiemeyer 41 führt auf die Dezentralisation der Beitragsentscheidungen zurück, daß die Beitragsentwicklung - anders als bei der R V und A1V - weitgehend unbeachtet blieb und erst mit der Kostenexplosion im Gesundheitswesen ins Blickfeld rückte. Das Auseinanderfallen von Leistungs- und Finanzverantwortung hat dazu geführt, daß die Krankenkassen de facto verpflichtet werden, die notwendigen finanziellen Mittel für die vom Bundesgesetzgeber vorgesehenen Leistungen zu beschaffen 42. Der Gesetzgeber hat sich demgegenüber im wesentlichen auf die Vorgabe allgemeiner Strukturdaten im Rahmen der Konzertierten Aktion im Gesundheitswesen sowie auf die Steuerung durch die Kostendämpfungsgesetzgebung beschränkt. Eine direkte Verantwortung des Bundes oder der Länder für die Leistungsfähigkeit, d.h. die Beitragssatzhöhe einer Krankenkasse, ist derzeit nicht 39 Begründung zu § 31 SGB I (BT-Drs. 7/868, S. 27). Kruse / Kruse (1983a), S. 118f. 41 Thiemeyer (1984), S. 168/171. 42 Bley (1982), S. 182; Ruland (1985a), S. 436; Brackmann (Hdb. 1/1), S. 79w (Stand: Dez. 1976); Thiemeyer (1984), S. 168, spricht sogar von einer Degeneration der Selbstverwaltung zum bloßen Vollzugsorgan staatlichen Handelns. 40

1.2 Geteilte Verantwortung für Beitragshöhe und Leistungsumfang

39

gesetzlich geregelt. Die ehemalige Haftung der Gemeinden für die Leistungsfähigkeit der Ortskrankenkassen wurde durch das K V K G 1977 gestrichen, die nach der Rechtsprechung des BSG 4 3 für Extremsituationen geforderte Einstandspflicht des Bundes, die sich aus dem Sozialstaatsprinzip ableitet, bedarf einer - derzeit nicht vorhandenen - gesetzlichen Regelung. In Kenntnis der Rechtsprechung des BSG hat der Gesetzgeber jedoch keine veränderte Garantiehaftung des Bundes vorgesehen, sondern statt dessen Regelungen des Finanzausgleichs zwischen den Kassen geschaffen. Durch die Einführung eines abgestuften Finanzausgleichs sollte den Krankenkassen innerhalb eines Landesverbandes die Möglichkeit zur Überwindung finanzieller Schwierigkeiten gegeben werden 44 . Der noch im Gesetzentwurf vorgesehene abgestufte Ausgleich sah einen fakultativen Ausgleich bei 5%iger Überschreitung der durchschnittlichen Leistungskosten der Kassen des Landesverbandes sowie einen zwingenden Ausgleich bei 15 %iger Überschreitung vor 4 5 . Die schließlich Gesetz gewordene Fassung des Finanzausgleichs enthält nur noch die fakultative Regelung (vgl. Kap. 3.1.1.7). Ebenfalls durch das K V K G 1977 wurde der Finanzausgleich in der K V der Rentner neu geregelt, so daß zumindest für den Bereich der Rentnerkrankenversicherung eine gesetzlich zwingende Regelung zum Ausgleich der unterschiedlichen Ausgaben vorliegt (vgl. 3.1.1.5). In diesem Bereich ist die Verantwortung für die Kostenentwicklung mithin auf die gesetzliche Krankenversicherung als Ganzes übertragen worden. Im übrigen bildet jede Kasse weiterhin eine eigenständige Risikogemeinschaft, die intern einen Risikoausgleich verwirklichen muß. Da der Gesetzgeber insofern also die Gliederung nach verschiedenen Kassen und Kassenarten für ausreichend angesehen hat, sollen zunächst die Grundprinzipien der Gliederung der Krankenversicherung dargestellt werden (1.3). Anschließend wird die historische Entwicklung der Binnengliederung geschildert (1.4), um zu zeigen, welche Gründe für die Schaffung einer gegliederten Krankenversicherung maßgeblich waren und zu prüfen, ob die Gliederung dem gegenwärtigen Stand der personellen Zusammensetzung der Krankenversicherung noch angemessen ist.

43

BSG E 47,148. BR-Drs. 76/77, S. 32 (Begründung zur Streichung der Garantiehaftung durch § 389 I I RVO). 4 5 BR-Drs. 76/77, S. 33 (zu § 414b I I a RVO). 44

40

1. Gleicher Leistungsanspruch bei ungleicher Beitragsbelastung

1.3 Die Gliederung der Sozialversicherung und die Ausgleichsproblematik Das System der Sozialversicherung in der Bundesrepublik ist vielfältig gegliedert. Dies gilt sowohl für die Aufteilung in die verschiedenen Zweige der Versicherung - die Kranken-, Unfall- und Rentenversicherung sowie die Arbeitslosen- und Konkursausfallgeldversicherung - als auch innerhalb dieser Sparten. Dabei folgt die Gliederung innerhalb der jeweiligen Sparte der Sozialversicherung durchaus nicht einheitlichen Prinzipien - für die Verfasser der Sozialenquête bot die Sozialversicherung „ein verwirrendes Bild der äußeren Organisation" 46 - , sondern bestimmt sich nach historisch überkommenen und gewachsenen Prinzipien. Dieses System führt dazu, daß vielfältige Koordinations- und Ausgleichsregelungen notwendig sind, um eine effektive Erbringung der Leistungen für den Versicherten zu gewährleisten 47. Hinsichtlich der gleichmäßigen Verteilung des Versicherungsrisikos zeigen sich häufig unerwünschte Ansammlungen schlechter Risiken bei einzelnen Versicherungsträgern, denen durch korrigierende Maßnahmen des Gesetzgebers oder der Selbstverwaltung der Verbände begegnet werden muß. 1.3.1 Rentenversicherung Die Durchführung der Rentenversicherung obliegt hauptsächlich - der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (RV der Angestellten) - sowie 18 Landesversicherungsanstalten (RV der Arbeiter). Daneben bestehen die Bundesknappschaft und die Seekasse als RV-Träger sowie die Rentenversicherung der Handwerker und der Landwirte. Die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Träger der Rentenversicherung knüpft also an zwei Kriterien: zum einen an den Status als Arbeiter oder Angestellter; zum anderen bei den Arbeitern an die regionale Zugehörigkeit. In beiden Fällen ist die Zugehörigkeit jedoch weder für den Rentenanspruch noch für die Beitragshöhe relevant. Das Leistungsrecht wurde inzwischen angeglichen und die Beitragshöhe wird gesetzlich einheitlich festgelegt (§ 1385 RVO). Der Ausgleich der unterschiedlichen Rentenlasten durch die Verschiebung der Erwerbsstruktur von Arbeitern zu Angestellten erfolgt durch einen umfassenden Finanzausgleich (dazu Kap. 3.3). 46 47

Sozialenquête-Bogs (1965), Rdnr. 275. Siebeck (1982), S. 297ff.

1.3 Gliederung der Sozialversicherung und Ausgleichsproblematik

41

1.3.2 Unfallversicherung Die Durchführung der Unfallversicherung obliegt gegenwärtig folgenden Versicherungsträgern : - 35 gewerblichen Berufsgenossenschaften (§ 646 RVO) einschl. der See-BG (§ 835 RVO) - 19 landwirtschaftlichen BG'en (§ 790 RVO) - 6 Feuerwehrunfallversicherungskassen (§ 656 Abs. 4 RVO) - Bund, Länder, die Bundesanstalt für Arbeit und größere Gemeinden führen die Unfallversicherung der bei ihnen Beschäftigten und der weiteren zugewiesenen Personen selbst durch (Eigenunfallversicherung) (§ 653 - 657 RVO). Die Unfallversicherung kennt keine Unterscheidung nach Status des Arbeitsverhältnisses und regionaler Zugehörigkeit. Das Gliederungsprinzip der U V ist durchgängig das nach Wirtschaftszweigen. Außerdem verwirklicht sie als einzige Versicherung das Prinzip der Risikohaftung, indem bei Höhe der Umlage die Zahl und Schwere der Arbeitsunfälle mit berücksichtigt werden (§ 725 RVO). Damit erfolgt eine Differenzierung der Beiträge je nach der zugrundeliegenden Gefahrenquelle im Betrieb. Die im Bereich der Unfallversicherung aufgetretenen finanziellen Probleme durch Rentenaltlast der Bergbau-B G werden nach einem detailliert geregelten Finanzausgleich auf alle Berufsgenossenschaften verteilt (dazu Kap. 3.2). 1.3.3 Krankenversicherung Die gesetzliche Krankenversicherung erfaßte im April 1982 ca. 90% der bundesdeutschen Bevölkerung 48 , die entweder als Pflicht- bzw. als freiwillige Mitglieder, als Rentner oder als Familienmitglied (d.h. beitragsfrei) versichert waren. Der verbleibende Teil der Bevölkerung war entweder privat krankenversichert (7,9%) oder hatte anderweitigen, gleichwertigen Versicherungsschutz (2,1 %). Darunter sind Ansprüche als Sozialhilfeempfänger, als Kriegsschadenrentner oder Empfänger von Unterhalt aus dem Lastenausgleich sowie der freien Heilfürsorge der Polizei und der Bundeswehr zu verstehen. Bei Krankheit besteht daher für ca. 92% der Bevölkerung Anspruch auf Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung oder gleichwertige Leistungen. Die Krankenversicherung wurde von insgesamt 122249 selbständigen Kassen durchgeführt. Davon waren 48

Stat. Jahrbuch 1985, S. 65 (Ergebnis des Mikrozensus). 9 Stand: August 1984, nach BArbBl. 12/1984, S. 134.

4

42

1. Gleicher Leistungsanspruch bei ungleicher Beitragsbelastung

- 270 Ortskrankenkassen als regionale Basis- und Auffangkassen für alle versicherungspflichtigen Beschäftigten und Selbständigen50 (16,8 Mill. Mitglieder/8,9 Mill. Familienmitglieder). - 761 Betriebskrankenkassen, in denen Arbeitnehmer eines Betriebes, für den der Unternehmer eine B K K errichtet hat, versichert sind. Diese Mitgliedschaft verdrängt die Mitgliedschaft in der örtlich zuständigen A O K . Die BKK'en betreuten 4,5 Mill. Mitglieder sowie 3,1 Mill. Familienangehörige 50 . - 155 Innungskrankenkassen, in denen die Beschäftigten der Innungsbetriebe des Handwerks versichert sind, für die von den jeweiligen Handwerksinnungen (allein oder gemeinsam) eine I K K errichtet wurde. Diese Mitgliedschaft verdrängt ebenfalls die Mitgliedschaft in der örtlich zuständigen A O K . Die IKK'en betreuten 1,6 Mill. Mitglieder sowie 1,1 Mill. Familienangehörige 50. - 8 Ersatzkassen für Arbeiter sowie 7 Ersatzkassen für Angestellte, deren Mitgliedschaft ebenfalls zur Befreiung bei den Pflichtkassen führt. Diese Kassen betreuten 10,0 Mill. Versicherte sowie 5,7 Mill. Familienangehörige 50 . - Die Pflichtversicherung der Seeleute wird in der See-Krankenkasse (bundesweit), die knappschaftliche Krankenkasse bei der Bundesknappschaft (bundesweit) und die landwirtschaftliche Krankenversicherung bei 17 (regional zuständigen) landwirtschaftlichen Krankenkassen durchgeführt. Zwischen allen Krankenkassen werden die Lasten der Rentner-Krankenversicherung gleichmäßig durch den Finanzausgleich der Krankenversicherung der Rentner (KVdR-Ausgleich) verteilt. Darüber hinausgehend bestehen jedoch keine gesetzlich zwingend vorgesehenen Regelungen, sondern nur gesetzliche Ermächtigungen, im Rahmen der Landesverbände der Kassenarten einen Ausgleich herbeizuführen (dazu Kap. 3.1).

1.4 Die historische Entwicklung der Gliederung und des versicherten Personenkreises in der Krankenversicherung Die Gliederung der Krankenversicherung in unterschiedliche Kassenarten, d.h. in personell abgegrenzte Risikogemeinschaften, ist nur historisch als Übernahme der bereits vor Inkrafttreten der reichsgesetzlichen Regelungen durch das „Gesetz, betreffend die Krankenversicherung der Arbeiter" 5 1 beste50 Die Mitgliederanteile inkl. des Anteils der Familienmitglieder im folgenden nach: Stat. Jahrbuch 1985, S. 65, eigene Berechnungen. K V G v. 15. 6. 1883, RGBl. S. 73.

1.4 Die historische Entwicklung in der Krankenversicherung

43

henden Kassen zu verstehen. Die aus unterschiedlichen Motiven entstandenen Formen der institutionellen Sicherung - die teilweise bereits über die Sicherung gegen Krankheit hinausging - bildeten den Grundstock für die reichsgesetzliche Kodifikation der gesetzlichen Krankenversicherung 52. Es gab im wesentlichen drei Formen der Fürsorge bei Krankheit 53 : - die Fürsorge des Arbeitgebers, - die genossenschaftliche Fürsorge der Arbeiter untereinander, - die öffentliche Fürsorge durch die Gemeinde. Der danach gegen das Risiko Krankheit geschützte Personenkreis war jedoch nicht durchgängig erfaßt, insbesondere bei Kassenwechsel54 ergaben sich häufig Zeiten ohne Versicherungsschutz. Hinzu kam, daß nicht in allen Teilen des Reichsgebietes eine Krankenversicherung vorgeschrieben war, teilweise war der Schutz auch unvollständig, weil Gemeinden aus Konkurrenzgründen (wegen der vorgesehenen Arbeitgeberfreibeträge) auf die Errichtung von Zwangskassen verzichteten. Durch die Kodifikation des K V G wurde demzufolge erstmals angestrebt, den Kreis der Fabrikarbeiter 55 umfassend unter den Schutz einer allgemeinen, staatlich beaufsichtigten Versicherung zu stellen 56 . Schon bald zeigte sich jedoch, daß die Beschränkung auf Fabrikarbeiter unzureichend war, weil auch ein Sicherungsbedürfnis für die zunehmende Zahl der damals noch als Betriebsbeamte, Werkbeamte und Handlungsgehilfen bezeichneten Angestellten bestand. In der Folge war demnach eine zunehmende Ausweitung des versicherten Personenkreises festzustellen, eine Tendenz, die noch bis etwa 1980 festzustellen ist (s.u. 5.2.5). Demgegenüber hat sich die damals abzeichnende Organisationsstruktur mit wenigen Änderungen in den Grundstrukturen erhalten 57 .

52 Gitter (1981), S. 260/261; Oldiges (1981), S. 315/316; ders. (1983), S. 11; Siebeck (1982), S. 297/298; Töns (1984), S. 925/928; Kaskel / Sitzler (1912), S. 5. « Kaskel / Sitzler (1912), S. 3; Rosin (1893), S. Iff. 54 v. Woedtke (1883), S. 7 (aus der Begründung zum KVG). 5 5 Kleeis (1928), S. 95, S. 50ff.; Wannagat (1965), S. 51ff. 56 Wobei als Verbesserung gegenüber der staatlichen Armenfürsorge neben der erheblichen Verbesserung der Leistungen anzusehen war, daß auf die neuen Leistungen ein Rechtsanspruch bestand, die Leistungen mithin nicht mehr als Almosen anzusehen waren, vgl. Kaskel / Sitzler (1912), S. 4. 57 Oldiges (1983), S. 11.

44

1. Gleicher Leistungsanspruch bei ungleicher Beitragsbelastung

1.4.1 Formen der Sicherung gegen das Risiko Krankheit vor Inkrafttreten des K Y G (bis 1883) a) Fürsorge des Arbeitgebers

58

Die Fürsorge des Arbeitgebers beruhte auf privatrechtlichen Verpflichtungen des Dienstherrn gegenüber dem Gesinde, des Reeders gegenüber der Schiffsmannschaft sowie des Prinzipals gegenüber den Handlungsgehilfen. Darüber hinaus wurden durch das Reichs-Haftpflichtgesetz die Fälle der Körperverletzung oder Tötung durch Betriebsunfälle (beim Eisenbahnbetrieb, im Bergwerk etc.) erfaßt. Darüber hinaus bestanden bei Schaffung des K V G bereits einige Fabrikkrankenkassen, die aufgrund besonderer Zuschüsse des Arbeitgebers günstiger arbeiten konnten und deren Fortbestehen bei den Beratungen zum K V G ausdrücklich gefordert wurde 59 . b) Genossenschaftliche Fürsorge Die älteste Form der gesetzlichen Vorsorgekassen stellen die Knappschaftsvereine des Bergwerks dar 60 . Vorbildhaft für diese Knappschaftsvereine war die Regelung durch §§ 165ff. Preußisches Berggesetz v. 24. Juni 1865, wonach alle Arbeiter zwangsversichert waren; Werksbeamte - die in etwa gehobenen Angestellten heute vergleichbar waren - konnten sich dagegen freiwillig versichern. Die Knappschaftsvereine gewährten Hilfe bei Krankheit, Unfall, Tod und Invalidität. Da die knappschaftliche Versicherung sich nicht allein auf die Krankenversicherung bezog, behielt sie auch später eine Sonderrolle im System der allgemeinen Krankenversicherung 61. Die Innungskrankenkassen entwickelten sich aus den Zunftkassen des Handwerks und waren ursprünglich nur als genossenschaftliche Zusammenschlüsse der selbständigen Gewerbetreibenden anzusehen62. Durch die Novelle zur Gewerbeordnung vom 18. Juli 1881 (dort § 97 GewO) wurden auch die bei den Mitgliedern der Innung beschäftigten Gesellen und Lehrlinge

58 Umfassend dazu: Rosin (1893), S. 2ff. 59 v. Woedtke (1883), Einleitung S. X V I I I ; Wannagat (1965), S. 57; die Gefahr, daß die Bildung von Betriebskrankenkassen zur Sichtung der Arbeitnehmer nach ihrem Gesundheitszustand führen könnte, wurde in der Begründung zum Entwurf der RVO, dort S. 109ff., angesprochen: eine ungerechtfertigte Verschlechterung der Risiken der Ortskrankenkassen sei damit jedoch nicht verbunden. 60 Rosin (1893), S. 7; Bley (1982), S. 132; Wannagat (1965), S. 45f. Töns (1984), S. 925/928. 62 Gitter (1981), S. 260/261.

1.4 Die historische Entwicklung in der Krankenversicherung

45

erfaßt 63 . Die Unterstützung war für die Fälle der Krankheit, des Todes, der Arbeitsunfähigkeit und bei sonstiger Bedürftigkeit vorgesehen 64. Die Hilfskassen konnten als freiwillige oder als Zwangs-Hilfskassen errichtet werden 65 . D i ε freiwilligen Hilfskassen waren freiwillige Zusammenschlüsse der Arbeitnehmer zur Sicherung gegen das Risiko Krankheit, die gewisse satzungsmäßige Mindestbedingungen zu gewährleisten hatten und deshalb der Genehmigungspflicht einer staatlichen Aufsichtsbehörde unterlagen. Ein bis heute bedeutsamer Unterschied gegenüber den Zwangskassen war, daß nicht nur „lokale", sondern auch „nationale" Kassen mit örtlichen Verwaltungsstellen 6 6 gebildet werden konnten. Die Zwangs-Hilfskassen wurden dagegen durch Ortsstatut der Gemeinde errichtet, „um die Gesellen, Gehilfen, Fabrikarbeiter, welche das 16. Lebensjahr erreicht hatten, zum Beitritt zu zwingen, sofern sie nicht die Mitgliedschaft bei einer anderen eingeschriebenen Hilfskasse nachweisen konnten" 67 . Das Bedürfnis zur Einrichtung der Zwangs-Hilfskassen war dann gegeben, wenn ansonsten die Gemeinde als Träger der Armenfürsorge zu stark belastet würde. Aus der Zeit der Einrichtung der Hilfskassen durch das Gesetz über die eingeschriebenen Hilfskassen vom 7. April 187668 stammt die auch heute noch zutreffende Unterscheidung in Pflichtkassen (die damals als Zwangskassen bezeichnet wurden 69 ) mit gesetzlicher Zwangsmitgliedschaft und Ersatzkassen, bei denen der Beitritt freiwillig war und die Mitgliedschaft bei der Zwangskasse „ersetzte". c) Öffentliche

Fürsorge

Die öffentliche Armenfürsorge, die sich in Art und Ausmaß nach Landesrecht bestimmte, umfaßt i.d.R. die Gewährung von Obdach, des unentbehrlichen Lebensunterhalts, der erforderlichen Pflege im Krankheitsfalle sowie der angemessenen Begräbniskosten 70. Die Pflicht zur Armenunterstützung durch Gemeinden bestand nur gegenüber dem Staat, ein subjektives Recht des Hilfsbedürftigen auf Unterstützung war nicht vorgesehen.

« Töns (1984), S. 925/ 929. 64 Rosin (1891), S. lOf. 65 Kleeis (1928), S. 64f. 66 Kleeis (1928), S. 65. 67 Kleeis (1928), S. 69. 68 RGBl. S. 125, abgedruckt bei v. Woedtke (1883), S. 202ff. 6 9 Kleeis (1928), S. 67. ™ Rosin (1893), S. 12.

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1. Gleicher Leistungsanspruch bei ungleicher Beitragsbelastung

In einigen süddeutschen Ländern gab es - unabhängig von der Einrichtung von Zwangs-Hilfskassen - gemeindliche Versicherungseinrichtungen gegen Beitragserhebung für Dienstboten, Gehilfen und Lehrlinge, die außerhalb ihrer Heimatgemeinde abhängig beschäftigt waren 71 . 1.4.2 Die reichsgesetzliche Pflichtversicherung durch das „Gesetz, betreffend die Krankenversicherung der Arbeiter" 72 (ab 1883) Das K V G war das erste der drei Sozialversicherungsgesetze, dem das Unfallversicherungsgesetz (1887) und das Invaliden- und Altersversicherungsgesetz (1899) folgten 73 . Das K V G stand in engem Zusammenhang mit der Verabschiedung des U V G , weil dort die Übernahme der Kosten des Heilverfahrens erst ab der 14. Woche nach Eintritt des Unfalls vorgesehen war: die Krankenkassen hatten die Aufgabe, die sofortige Heilfürsorge zu gewähren. Daher war auch die Versicherungspflicht in beiden Gesetzen übereinstimmend geregelt 74 . Ausgehend von der unzureichenden Erfassung der schutzbedürftigen Arbeiter durch die vorherige unsystematische Ausgestaltung der Krankenversicherung wurde der Versicherungszwang auf alle Arbeiter ausgedehnt. Die Gruppe der mit Aufsichtsbefugnissen ausgestatteten Betriebsbeamten unterlag dem Zwang nur, soweit der Jahresarbeitsverdienst R M 2000,— nicht überstieg 75 . Der größte Teil, der nunmehr als Angestellte bezeichneten Arbeitnehmer war jedoch nicht vom Versicherungszwang erfaßt. Diese neu entstehende Gruppe der Angestellten wandte sich in der Folge der Hilfskassen zu, die als einzige die Möglichkeit boten, sich für den Fall der Krankheit zu versichern 76. Die Versicherungspflicht für Handlungsgehilfen mit einem Jahresarbeitsverdienst bis R M 2000,— wurde erst 20 Jahre später durch eine Novelle von 1903 eingeführt 77 . In organisatorischer Hinsicht beließ es der Gesetzgeber des K V G bei den schon bestehenden Einrichtungen. Diese Rücksichtnahme beruht darauf, daß es erstmals unternommen wurde, eine allgemeine Versicherungspflicht für Arbeiter einzuführen. Als einzig neue Einrichtung wurde die Gemeinde71

Rosin (1893), S. 13; v. Woedtke (1883), Einleitung S. X V I I . Erst nach Ausweitung des Versicherungszwangs auf Handlungsgehilfen und Lehrlinge durch die Novelle 1892 wurde das Gesetz mit der veränderten Uberschrift „Krankenversicherungsgesetz" neu bekannt gemacht, vgl. Rosin (1893), S. 484. 73 Wannagat (1965), S. 61 ff. 74 v. Woedtke (1883), S. 3 (Begründung zum KVG). 75 Zum Begriff Betriebsbeamte: v. Woedtke (1883), § 1 Anm. 21. 76 Siebeck (1982), S. 297/301. 77 Novelle v. 25. 5. 1903, RGBl. S. 223; siehe dazu Siebeck (1982), S. 297/301. 72

1.4 Die historische Entwicklung in der Krankenversicherung

47

Krankenversicherung vorgesehen, die für Versicherungspflichtige zuständig war, die in keiner der organisierten Krankenkassen aufgenommen wurden. Die Gemeinde-Krankenversicherung war jedoch keine Krankenkasse i.S.d. K V G , sondern eine kommunale Fürsorgeeinrichtung, deren Schaffung den Gemeinden auferlegt wurde, um eine lückenlose Erfassung aller Versicherungspflichtigen zu gewährleisten ( § 4 K V G ) 7 8 . Der Gesetzgeber ging davon aus, daß die Versicherung wegen des überschaubaren Risikos der Krankheit und der Notwendigkeit der sofortigen Hilfeleistung „für nicht allzu große örtliche Bezirke" 79 organisiert werden müsse. Die Verwirklichung des örtlichen, d.h. versichertennahen Prinzips wurde auf berufsbezogener Grundlage angestrebt. Die dafür maßgeblichen Gründe ergeben sich prägnant zusammengefaßt aus der allgemeinen Begründung zum Entwurf der R V O 8 0 : „Die Versicherung auf beruflicher Grundlage wurde bevorzugt, weil die Krankheitsgefahr verhältnismäßig gleich und die Selbstverwaltung wie die gegen Täuschung und Übertreibung unentbehrliche Kontrolle leichter durchführbar erschien. Die schonende Behandlung bestehender Kasseneinrichtungen endlich entsprang neben einer billigen Rücksichtnahme auf das geschichtlich Gewordene auch dem Bedürfnisse, dem völlig neuen und kühnen Bau einer allgemeinen Reichskrankenversicherung in den schon vorhandenen und bewährten Einrichtungen wenigstens einige sichere Grundsteine einzufügen."

Neben den nunmehr vorgesehenen gesetzlichen Kassenarten -

Ortskrankenkasse (auf berufsmäßiger Grundlage - § 16 K V G ) , Betriebs-(Fabrik-)Krankenkasse (§ 59 K V G ) , Bau-Krankenkasse (§ 69 K V G ) , Innungs-Krankenkasse (§ 73 K V G ) , Knappschaftskasse (§ 74 K V G )

wurden die freiwilligen Hilfskassen nach dem Hilfskassengesetz 1876 weiterhin anstelle der Gemeinde-Krankenversicherung oder den gesetzlichen Krankenkassen zugelassen, soweit die Leistungen der Hilfskassen mindestens denen der Gemeinde-Krankenversicherung entsprachen (§ 75 KVG). Dabei konnte die ärztliche Behandlung und Arzneimittelgewährung durch Zahlung eines Krankengeldes ersetzt werden 81 . Die vorherigen Zwangs-Hilfskassen 78

v. Woedtke (1883), Einleitung S. X I X . * v. Woedtke (1883), S. 12 (Begründung zum K V G ) ; Hoffmann (1912), S. 43 (Begründung zur RVO). 80 Hoffmann (1912), S. 43 (Begründung zur RVO); v. Woedtke (1883), S. 12 (Begründung zum KVG). 81 Die freiwilligen Hilfskassen wurden zunächst von den Arbeitern stark genutzt, so daß sie 1885 ca. 10% aller Plichtversicherten erfaßten, erst als aufgrund der Novelle 1892 die GeWährung der ärztlichen Behandlung und der Arzneimittel in Natur verlangt wurde, ging die Zahl der Arbeiter wieder zurück, vgl. Tennstedt (1977), S. 34ff.; Siebeck (1982), S. 297/301. 7

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1. Gleicher Leistungsanspruch bei ungleicher Beitragsbelastung

waren durch die Möglichkeit der Errichtung von (berufsmäßigen) Ortskrankenkassen hinfällig geworden. Die Grundkonzeption des Gesetzgebers des K V G hinsichtlich der Organisation der Träger der Krankenversicherung kann wie folgt zusammengefaßt werden: - örtliche Zusammenfassung zu überschaubaren Einheiten, die ohne größere bürokratische Formalitäten sofort Unterstützung leisten konnten und die Voraussetzungen des Leistungsanspruchs zügig feststellen konnten 82 , - berufliche bzw. betriebliche Zusammenfassung, um eine relative Gleichheit der Krankheitsgefahren zu erfassen, die Selbstverwaltung effektiv zu gestalten und die für notwendig gehaltene Kontrolle der Versicherten zu erleichtern 83 , - Freiheit der Kassenwahl zwischen gesetzlichem Typus 84 und den eingeschriebenen Hilfskassen, soweit diese mindestens dieselben Leistungen wie die Gemeindekrankenversicherung gewährte 85 , - im übrigen Bewahrung der bestehenden Einrichtungen auch soweit sich dadurch der Nachteil der örtlichen Unübersichtlichkeit und mangelnden Orientierung ergab 86 . Hinsichtlich der Wahlmöglichkeiten ist es sicherlich nicht verfehlt, sie zusammenfassend durch den Grundsatz „Kassenzwang, aber nicht Zwangskassen" zu charakterisieren 87. 1.4.3 Die Stärkung der räumlichen Gliederung durch die RVO (1911) Der Gesetzgeber hatte sich bei der Schaffung des K V G im Jahre 1883 noch weitgehend vom Prinzip der Dezentralisierung der Krankenversicherung mit berufsständischer Gliederung leiten lassen. In der Begründung zur RVO wurde nunmehr ausgeführt, die bei der bisherigen Durchführung gemachten Erfahrungen hätten gezeigt, man habe „ein an sich richtiges Prinzip überspannt 88 ". Die Zersplitterung des Kassenwesens in insgesamt 23240 Kassen (Stand des Jahres 1908), von denen 44,6% aller Kassen weniger als 100 Mitglieder aufwiesen (Stand des Jahres 1903), wurde als gravierender Nachteil s2 v. Woedtke (1883), S. 12 (Begründung zum KVG). 83 v. Woedtke (1883), Einleitung S. X V I I . 84 Dabei galt eine genaue Zuweisung innerhalb des gesetzlichen Typus. 85 Es war bereits damals in den Satzungen der Hilfskassen ein Tätigkeitsbereich vorgesehen, der sich über mehrere Bezirke erstreckte und somit dem Prinzip der örtlichen Nähe nicht entsprach, vgl. v. Woedtke (1883), § 74 Anm. 1. 86 v. Woedtke (1883), S. X I . 87 Rosin (1893), S. 30; v. Woedtke (1883), Einleitung S. X V I I . 88 Begründung zur RVO, S. 106.

1.4 Die historische Entwicklung in der Krankenversicherung

49

der bisherigen Organisation angesehen89. Dies führe zu einer mangelnden Übersichtlichkeit und zur Gefährdung der Leistungsfähigkeit bei kleinen Kassen, sobald eine Anhäufung schwerer Krankheitsfälle auftrete. Dem Bedürfnis nach Schaffung leistungsfähigerer Kassen wurde durch Einrichtung einheitlicher - und nicht mehr berufsständischer - allgemeiner Ortskrankenkassen Rechnung getragen. Dabei wurde an bereits erkennbare Bestrebungen der Ortskrankenkassen auf örtlicher Ebene angeknüpft 90 . Damit vollzog der Gesetzgeber eine Richtungsänderung hin zu einer räumlichen Organisationsform 91. Die allgemeinen Ortskrankenkassen traten an die Stelle der GemeindeKrankenversicherung, deren Leistungen nach Art und Ausmaß erheblich hinter den Mindestleistungen der organisierten Krankenkassen zurückblieben und daher als unzureichend angesehen wurden 92 . Mit dem Wegfall der Gemeinde-Krankenversicherung wurde jedoch die Einführung der Garantieträgerschaft der Gemeinden für den Bestand der Ortskrankenkassen eingeführt 93 . Die neu zu schaffenden allgemeinen Ortskrankenkassen waren als „Grundstock der gesamten Organisation" 94 für das Gebiet einer größeren Stadt oder eines Kreises vorgesehen. Demzufolge wurde auch die Neuerrichtung besonderer, d.h. berufsbezogener Ortskrankenkassen untersagt, die bislang bestehenden Kassen konnten jedoch weiterarbeiten (§§ 239ff. RVO). Um eine ausreichende Leistungsfähigkeit der Ortskrankenkassen zu sichern, wurde vorgesehen, daß die Zulassung oder Neuerrichtung der besonderen Kassenarten (Betriebs- und Innungskassen) von der dauernden Leistungsfähigkeit der Ortskrankenkassen abhängig zu machen sei (§§ 248, 251 RVO). Die Existenz von Kassen, die gegründet werden müßten, sei vorrangig vor denen, die gegründet werden könnten 95 . Dabei war auch erwogen worden, „einheitliche örtliche Kassen unter Beseitigung aller beruflichen oder sonstigen Sonderkassen" 96 zu schaffen, mithin eine örtliche Einheitskrankenkasse, wie dies insbesondere aus versicherungs89

Begründung zur RVO, S. 107. Begründung zur RVO, S. 107. So auch Weyrauch (1968), S. 689/692. 92 Begründung zur RVO, S. 111. 93 Die Garantieträgerschaft der Gemeinden gem. § 389 Abs.2 S. 2 R V O wurde mit Urteil des BSG v. 24. 5. 1972 (BSG E 34, 177) für obsolet und damit nicht mehr anwendbar erklärt, weil die gebietlichen Grenzen der Gemeinden sich nicht mehr mit denen der Kassen decken. Die Garantieträgerschaft obliegt damit der Bundesrepublik, zu ihrer Ausführung ist jedoch ein Bundesgesetz notwendig (BSG E 47, 148). 94 Hoffmann (1912), S. 54. 9 5 Hoffmann (1912), S. 56. 9 6 Hoffmann (1912), S. 46. 90

4 Brunkhorst

50

1. Gleicher Leistungsanspruch bei ungleicher Beitragsbelastung

wissenschaftlicher Sicht gefordert wurde. Dieser Gedanke konnte sich jedoch nicht durchsetzen, da sich die bisherigen Kassenarten im wesentlichen bewährt hatten 97 . Die Schaffung der Ortskrankenkassen muß demnach als Kompromiß zwischen der Schaffung einer einheitlichen örtlichen Krankenversicherung und der Bewahrung der bestehenden Kassenarten angesehen werden. Ebenfalls dem Bestreben nach mehr Zentralisation entsprach die Erhöhung von Mindestgrößen bei Kassengründung und der dadurch möglichen Erhöhung der gesetzlichen Mindestleistungen. In organisatorischer Hinsicht wurde erwartet, daß nach Einführung der R V O ca. 13000 - 15000 Kassen eingehen würden, so daß unter Einrechnung der neu zu gründenden allgemeinen Ortskrankenkassen mit einer Reduzierung der Kassenzahl um die Hälfte zu rechnen war 98 . Durch organisatorische Veränderungen der RVO-Kassen wurde auch eine Veränderung des Hilfskassenwesens notwendig. Die Hilfskassen umfaßten Ende 1908 bereits ca. 7,7% aller Versicherten 99 und waren damit wichtige Träger der Krankenversicherung, insbesondere für die entstehende Angestelltenschaft 100 . Die Hilfskassen wurden nunmehr als Ersatzkassen gem. § 503 RVO a.F. zugelassen101, soweit - die Bescheinigung nach § 75 a H K G bereits vor dem 1.4.1909 erteilt worden war, - die Mitgliederzahl dauernd über 1000 Mitglieder lag - und die Satzung keine Schlechterstellung gegenüber den RVO-Kassen beinhaltete. Es wurde auch erwogen, ob überhaupt noch Platz für die Hilfskassen war bzw. ein ausreichendes Bedürfnis für ihren Fortbestand vorlag 101 . Dies lag an dem Dualismus zwischen Pflichtkassen und Hilfskassen ohne gesetzliche Mitgliederzuweisung, der zu einer Gefährdung der Pflichtkassen führen könnte. Dies drückt sich in folgenden Erwägungen in der Begründung zur RVO aus 102 : „Während ferner die Mitgliederkreise der gesetzlichen Kassen genau gegeneinander abgegrenzt sind, können die privilegierten Hilfskassen in diese Mitgliederkreise eingreifen, ohne daß ihnen dabei durch die Rücksicht auf die Leistungs- und Bestandsfähigkeit der gesetzlichen Pflichtkassen irgendwelche Schranken auferlegt wären." 97 Hoffmann (1912), S. 46. 98 Hoffmann (1912), S. 57f. 99 Begründung zur RVO, S. 139. 100 Siebeck (1982), S. 297/301; die zur gleichen Zeit entstandene Rentenversicherung der Angestellten wurde von Kaskel / Sitzler (1912), S. 12, als „Sonderversicherung des Mittelstandes" bezeichnet. 101 Begründung zur RVO, S. 141. 102 Begründung zur R V O , S. 140.

1.4 Die historische Entwicklung in der Krankenversicherung

51

Neben der Gefährdung der Pflichtkassen ergaben sich für die Versicherten dadurch Probleme, daß bei den Hilfskassen kein Arbeitgeberanteil am Beitrag verlangt werden konnte. Dies führte dazu, daß in manchen Bezirken die Arbeitgeber nur Mitglieder der Ersatzkassen einstellten, um sich den Vorteil des ersparten Arbeitgeberanteils zunutze zu machen 103 . Aufgrund des Wunsches der Vertreter der kaufmännischen Krankenkassen 104 entschloß sich der Gesetzgeber, den bereits bestehenden Hilfskassen den Fortbestand als Ersatzkassen auf Antrag zu ermöglichen (§ 514 RVO a.F.). Allerdings wurde die Neugründung von Ersatzkassen nicht mehr zugelassen und auch die bestehenden Kassen durften ihre Mitgliederzahl nur im Rahmen ihres derzeit satzungsmäßig festgelegten Personenkreises ergänzen. Eine Ausdehnung auf Kosten der Pflichtkassen sollte damit ausgeschlossen sein 105 . Um eine Benachteiligung der Pflichtkassenmitglieder bei der Einstellung sowie eine Auszehrung der Pflichtkassen zu verhindern, sah § 517 Abs. 2 RVO a.F. vor, daß Arbeitgeber von versicherungspflichtigen Ersatzkassenmitgliedern ihren Arbeitgeberanteil an die jeweilige Pflichtkasse zu entrichten hatten 106 . Allerdings wurde die Bestandssicherung der Pflichtkassen dadurch geschwächt, daß diese 4/s des Arbeitgeberanteils gem. § 518 Abs. 1 RVO a.F. wieder an die Ersatzkassen abzuführen hatten 107 . Mit der Orientierung des Arbeitgeberanteils am Beitrag der Pflichtkassen sollte gewährleistet werden, daß dem Arbeitgeber aus dem freiwilligen Entschluß des Ersatzkassenmitglieds weder ein Vorteil noch ein Nachteil erwuchs 108 . Durch die Neufassung des § 520 Abs. 1 RVO im Jahre 1923 109 wurde später der volle Arbeitgeberanteil an die Ersatzkassen abgeführt, die Orientierung des Arbeitgeberanteils am Beitrag der Pflichtkassen ist jedoch erhalten geblieben (§ 520 RVO). Zusammenfassend läßt sich die Konzeption des Gesetzgebers der RVO wie folgt charakterisieren: - Der berufsbezogenen Gliederung nach dem K V G wurde als Grundstock eine örtliche Gliederung hinzugefügt, die örtliche Struktur als Basis der Versicherung wurde demzufolge durch gesetzliche Vorschriften vor der 103

Begründung zur RVO, S. 140. Diese hatten vorgetragen, daß für Angestellte in kaufmännischen Berufen die Hilfskassen wegen des häufigen Wohnsitzwechsels wichtig seien, Begründung zur RVO, S. 141. los Kaskel / Sitzler (1912), S. 152. i VPfG

Rentner (§ 1651 Nr. 3)

Angestellte (§ 1651 Nr. 2)

Zuständige Kasse

Sozialrechtlicher Status

versicherungspflichtig Vorrang der Sonderkasse bzw. Ersatzkasse für Arbeiter IKK/BKK, ansonsten AOK des (§ 517 RVO) i. V. m. § 41 Beschäftigungsorts (§ 234) 12. AufbauV

Personenkreis

Arbeiter (§ 165 I Nr. 1)

Übersicht 1: Mitgliedschaftsregeln

64 1. Gleicher Leistungsanspruch bei ungleicher Beitragsbelastung

5

Brunkhorst

versicherungspflichtig

Arbeitslose (§ 155 AFG)

Ehegatten und Kinder (§ 176b)

-

mitversichert bei den nach dem Ende der gilt ebenfalls für Ersatzkassen erwerbstätigen Ehegatten Mitversicherung (§ 514 i.V.m. § 176b RVO) bzw. Elternteil, soweit - bei Tod bzw. Scheidung keine eigene Versicherungsdes Ehegatten pflicht vorliegt - Erlöschen der Familienhilfe (§ 2051) sowie - Studenten nach Ende der Versicherungspflicht kann (binnen 1 Monats) Mitgliedschaft bei der Kasse beantragt werden, der der Versicherte zuletzt angehört hat

mehrere Alternativen (§ 238) 1. AOK des Wohnorts 2. die bei Versicherungspflicht zuständige Kasse

mehrere Alternativen (§ 159 AFG) 1. KK, bei der sie zuletzt Mitglied waren 2. AOK, des zuständigen Arbeitsamtes

mehrere Alternativen (§ 257 a) Ersatzkasse (Arbeiter/ 1. KK, bei der sie zuletzt Angestellte) Mitglied waren (§ 257a IV i. V.m. § 41S. 5 2. KK, bei der zuletzt 12. AufbauV Familienhilfe bestand 3. KK, bei der Ehegatte/Elternteil versichert sind 4. AOK des Wohnorts

mehrere Alternativen (§ 257c) Ersatzkasse (Arbeiter/ 1. KK, bei der sie zuletzt Angestellte) Mitglied waren ( § 257 cIVi.V.m.§4IS.5 2. KK, bei der Ehegatte/Eltern12. AufbauV) teil versichert sind 3. AOK des Wohnorts

Versicherungsberechtigte versicherungsberechtigt, Personengem. § 176 bei Einkommen > VPfG (auch Beamte)

versicherungspflichtig

versicherungspflichtig

Jugendliche in Einrichtungen der Jugendhilfe (§1651 Nr. 2a)

Behindertein geschützten Einrichtungen (§ 1651 Nr. 2b, § 1,2 SVBG)

1.5 Bildung der Risikostruktur durch das Mitgliedschaftsrecht 65

66

1. Gleicher Leistungsanspruch bei ungleicher Beitragsbelastung

1.6 Zwischenergebnis und Folgerungen für die weitere Untersuchung 1.6.1 Zwischenergebnis Die Darstellung des Ausmaßes der Beitragssatzunterschiede hat gezeigt, daß bundesweit sowohl kassenartintern als auch kassenartübergreifend erhebliche Beitragssatzunterschiede vorliegen (1.1.1). Eine schematische, bundesweite Betrachtung vernachlässigt jedoch die regional wirksamen Einflüsse durch Wirtschaftsstruktur und medizinische Infrastruktur auf die Beitragssätze. Direkt vergleichbar sind daher nur die Beitragssätze im regionalen Maßstab (1.1.3). Der Vergleich hat sich allerdings auf alle Kassen und Kassenarten, d.h. auch auf die Ersatzkassen, zu erstrecken, die in der Region Versicherte haben. Für alle Kassenarten - auch die bundesweit tätigen Ersatzkassen - gelten die gleichen regionalen Einflußfaktoren, die sich nur deshalb in unterschiedlicher Weise auf den Beitragssatz auswirken, weil bundesweite Kassen einen innerorganisatorischen Risikoausgleich für alle Regionen durchführen. Die ungleichen Beitragssätze führen zu Beitragsunterschieden, die im Extremfall - d.h. bei Erreichen der Beitragsbemessungsgrenze - bis zu D M 2600,— jährlich betragen können. In personeller Sichtweise ergibt sich darüber hinaus eine unterschiedliche Belastung von Arbeitern ohne besondere Kassenzugehörigkeit, d.h. Versicherten der A O K , sowie Angestellten, die durch die Wahlmöglichkeit für eine Angestellten-Ersatzkasse überdurchschnittlich hohe Beitragssätze vermeiden können (1.1.3). Dies zeigt sich jedoch erst in regionaler Sichtweise, da im Bundesdurchschnitt die Ortskrankenkassen in etwa den Angestellten-Ersatzkassen vergleichbare Beitragssätze erheben. Der Gesetzgeber hat sich - im Gegensatz zum Leistungskatalog - keine direkte Einflußmöglichkeit auf die Höhe des Beitragssatzes der Kassen geschaffen. Die Verantwortung für einen Ausgleich unterschiedlicher Risikostrukturen der Kassen wird nur teilweise durch zwingende Finanzausgleichsregelungen (KVdR-Ausgleich) durch den Gesetzgeber übernommen, im allgemeinen jedoch der Selbstverwaltung der Kassen in den jeweiligen Landesverbänden der Kassen überlassen (1.2). Aus der Binnengliederung der einzelnen Zweige der Sozialversicherung ist infolge von äußeren Einwirkungen (Kriegsfolgen, demographische Veränderungen, Veränderung der Wirtschafts- und Erwerbsstruktur) das Problem der ungleichen Risikostruktur erwachsen (1.3). Die historische Entwicklung der Binnengliederung der Krankenversicherung hat nicht Schritt gehalten mit dem personellen Wandel der gesetzlichen

1.6 Zwischenergebnis und Folgerungen

67

Krankenversicherung von der „Arbeiterversicherung" zur „Volksversicherung". Auch aus der zunehmenden Ausweitung der Angestellten-Ersatzkassen aufgrund des erwerbsstrukturellen Wandels zu Angestelltentätigkeiten bei gleichzeitiger Abnahme der Arbeitertätigkeiten sind bislang vom Gesetzgeber keine organisatorischen Konsequenzen gezogen worden. Diese wären insbesondere im Hinblick auf die Leistungsfähigkeit einiger Ortskrankenkassen erforderlich (1.4.6). Die Darstellung der Mitgliedschaftsregeln der gesetzlichen Krankenversicherung zeigt, daß insbesondere Arbeiter kaum Wahlmöglichkeiten zwischen Pflichtkassen und Ersatzkassen haben. Angestellte sowie die „neuen" Pflichtversicherten haben erheblich größere Wahlmöglichkeiten, die auch eine Entscheidung nach finanziellen Gesichtspunkten zwischen den Kassen ermöglichen (1.5).

1.6.2 Folgerungen für die weitere Untersuchung Wichtigste Voraussetzung für einen Abbau der Beitragssatzunterschiede ist zunächst die Feststellung der Ursachen für ein unter- bzw. überdurchschnittliches Leistungskostenrisiko der einzelnen Kassen (Kap. 2). Dabei wird zu untersuchen sein, welche Kosten die Kassen nicht oder nur geringfügig selbst beeinflussen können und welche Kosten in den eigenen Verantwortungsbereich der Kassen fallen. Daraus sind die Kriterien für einen funktionierenden Finanzausgleich zu entnehmen, der gleichzeitig auch dem bestehenden System der Binnengliederung der Krankenversicherung angepaßt sein muß. Anhand der Darstellung der Finanzausgleichsregelungen in der Krankenversicherung (Kap. 3.1), der Unfallversicherung (Kap. 3.2), der Rentenversicherung (Kap. 3.3), der österreichischen Sozialversicherung (Kap. 3.4) sowie des Finanzausgleichs im staatlichen Sektor (Kap. 4) soll untersucht werden, inwieweit dort funktionsfähige Ausgleichsregelungen bestehen und inwieweit daraus Rückschlüsse für den Finanzausgleich in der Krankenversicherung zu ziehen sind. Die neben dem Finanzausgleich bestehenden sozialpolitischen Alternativen werden in Kap. 5 dargestellt, um die Gestaltungsmöglichkeiten des Gesetzgebers sowie die dabei auftretenden Folgen bezüglich des Risikoausgleichs abzuwägen. Die verfassungsrechtlichen Grenzen der ungleichen Beitragsbelastung der Versicherten werden in Kap. 6 untersucht. Ausgehend von der Inkongruenz zwischen organisatorischer Gliederung und personeller Ausweitung der Krankenversicherung ist dabei zu prüfen, ob die historisch gewachsene Gliederung noch ausreicht, ungleiche Beitragsbelastungen sachlich zu rechtfertigen. 5*

68

1. Gleicher Leistungsanspruch bei ungleicher Beitragsbelastung

Im abschließenden 7. Kapitel wird geprüft, ob eine Neuordnung des Risikoausgleichs in der gesetzlichen Krankenversicherung durch die Gesetzgebungskompetenz des Bundes auf dem Gebiet der Sozialversicherung gedeckt ist und ob dabei eigenständige Grundrechte der Krankenkassen berührt werden.

2. Die Ursachen der Beitragssatzunterschiede in der gesetzlichen Krankenversicherung Nachdem im 1. Kap. das Ausmaß der Beitragssatzunterschiede sowie die strukturbildenden Mechanismen der Risikogemeinschaft „Krankenkasse" dargestellt wurden, sollen nunmehr die finanz-statistischen Ursachen der Beitragssatzunterschiede untersucht werden 1 . Diese Untersuchung ist sowohl für die finanztechnische Ausgestaltung als auch für die sozialpolitische Legitimation von Finanzausgleichsverfahren von Bedeutung: a) Ein wirksamer Finanzausgleich ist nur möglich, wenn sich bestimmte Ursachenkomplexe in ihrer Wirkung nachvollziehbar isolieren lassen (z.B. die K V der Rentner) und ihr Ausgleich nicht gleichzeitig andere Ursachenkomplexe verstärkt zur Wirkung bringt und somit das Ausgleichsziel verfehlt (vgl. dazu Kap. 3.1; 4). b) Für die sozialpolitische Legitimation ist von entscheidender Bedeutung, ob die Ursachen der Beitragssatzunterschiede im Verantwortungsbereich der einzelnen Kassen zu suchen sind oder ob die Ursachenkomplexe den Kassen ohne Einflußmöglichkeit vorgegeben sind. Nicht allein der bloße Beitragssatzunterschied, sondern erst die Tatsache der Nicht-Beeinflußbarkeit der Ursachen schafft die notwendige Legitimation für einen Finanzausgleich zwischen rechtlich autonomen Krankenkassen. Die Vielzahl der Faktoren, die die Beitragssätze beeinflussen, soll im folgenden auf drei Analyseebenen dargestellt werden. a) Wichtigster Ursachenkomplex für die Beitragssatzunterschiede ist die personelle Zusammensetzung der Mitgliedschaft, die je nach sozialer Zusammensetzung das Leistungskostenrisiko bestimmt. Dies gilt sowohl für die Einnahmeseite (2.3) als auch für die Ausgabeseite (2.4). Dieser Ursachenkomplex ist für die Pflichtkassen nicht beeinflußbar, nur die Ersatzkassen können hier durch Werbung eingreifen. b) Das Leistungskostenrisiko wird auch durch regional wirksame Faktoren beeinflußt. Dabei dürfte es nicht gerechtfertigt sein, jene Ausgaben bun1 Die folgende Darstellung der Ursachen der Beitragssatzunterschiede stützt sich im wesentlichen auf bereits vorliegende finanz-statistische Auswertungen von Kassendaten, vgl. insb.: Appelt / Kreifelts (1976); WIdO (1980); Klaas (1980); Huppertz u.a. (1981); Ott (1981b); Gonto / Stuppardt (1981b); Buttler u. a. (1982); Paquet (1985).

70

2. Ursachen der Beitragssatzunterschiede

desweit abzugleichen, denen ein höherer Konsum bestimmter Kassen und ihrer Mitglieder zugrundeliegt (2.5). Dies ist z.B. bei unterschiedlicher medizinischer Versorgungsdichte in der Region der Fall. In räumlicher Hinsicht zeigt sich andererseits, daß der bundesweit gleiche Leistungsanspruch höchst unterschiedlich realisiert werden kann. Ein Ausgleichsbedarf würde dabei entstehen, wenn bei gleichem tatsächlichen Leistungsangebot ungleiche Beiträge erhoben werden bzw. wenn bei ungleichem tatsächlichen Leistungsangebot gleiche Beiträge erhoben werden. Die erste Alternative ist bei einem regionalen Vergleich aller Kassen und Kassenarten festzustellen, die zweite Alternative ist charakteristisch für den Ausgleich in den bundesweiten Ersatzkassen. c) Als dritter Ursachenkomplex soll untersucht werden, inwieweit die Kassen durch direkte organisationsbezogene Maßnahmen den Beitragssatz beeinflussen (2.6). Diese Ausgaben sind im allgemeinen nicht ausgleichsbedürftig, da es nicht sinnvoll ist, z.B. aufwendige Verwaltungskosten einzelner Kassen auf die Gesamtheit aller Kassen umzulegen. Etwas anderes könnte nur gelten, soweit die personelle Zusammensetzung der Kasse (z.B. Rentner, Arbeitslose) eine besonders intensive Betreuung der Versicherten und damit einen hohen Verwaltungsaufwand rechtfertigt. 2.1 D e r Beitragssatz als Resultante aus Finanzkraft und Finanzbedarf Die Höhe des Beitragssatzes der jeweiligen Kasse hängt von zwei sich gegenseitig beeinflussenden Faktoren ab: - der Finanzkraft der Versicherten, die sich nach dem Bruttoarbeitsentgelt (d.h. beitragsrechtlich nach dem Grundlohn - § 180 RVO) bemißt, sowie - dem Finanzbedarf der Kasse, der sich nach den finanziellen Aufwendungen für Sach- und monetäre Leistungen für die Versicherten bemißt. Der Beitragssatz bildet sich idealtypisch gesehen aus dem Verhältnis der Gesamtaufwendungen zu dem durchschnittlichen Grundlohn der Kasse. Dabei führen kurzfristige Überschüsse zur Auffüllung der Rücklagen bzw. Unterschüsse wegen unerwartet hoher Leistungsausgaben zu kurzfristigen Abweichungen von diesem Mechanismus2. Der Beitragssatz kann daher vereinfachend als v.H.-Satz bezeichnet werden, der sich aus dem Verhältnis von Grundlohnsumme zu den Ausgaben ergibt 3 . Die Höhe der Beitragssätze wird demnach durch Veränderungen der beiden Faktoren beeinflußt. 2 3

Appelt / Kreifelts (1976), S. 11. Klaas (1980), S. 393/394.

2.1 Beitragssatz als Resultante aus Finanzkraft und Finanzbedarf

71

Das Zusammenspiel der beiden Faktoren Finanzkraft und Finanzbedarf resultiert aus den entsprechenden beitragsrechtlichen Vorschriften der Krankenversicherung. Maßstab für die Belastung des Versicherten ist seine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, die sich nach der Höhe des Bruttoarbeitsentgelts bemißt (§ 385 I i. V.m. 180 I RVO). Hierin kommt bereits das der Sozialversicherung immanente Prinzip des sozialen Ausgleichs4 zum Ausdruck, indem nicht - wie in der privaten Versicherung - auf das versicherte Risiko abgestellt wird 5 . Der soziale Ausgleich wird allerdings dadurch begrenzt, daß nur das Arbeitsentgelt bis zur Beitragsbemessungsgrenze 6, die in der K V jeweils 75% der Beitragsbemessungsgrenze in der R V beträgt (§ 180 I S. 2 i. V . m . § 165 I Nr. 2, § 1385 I I RVO), herangezogen wird; das darüber hinausliegende Arbeitsentgelt bleibt unberücksichtigt. Die Beitragssätze werden in Prozentsätzen des Grundlohns in der Satzung der Kasse festgelegt (§ 321 Nr. 3 RVO). Die Höhe des Beitragssatzes richtet sich nach dem Finanzbedarf der Kasse. Die Beiträge müssen so festgesetzt werden, daß die im Haushaltsplan vorgesehenen Leistungsausgaben sowie die notwendigen Rücklagen gedeckt sind Prinzip der Globaläquivalenz (§ 21 SGB-IV, § 385 I S. 2 RVO). Darüber hinaus dürfen keine Ausgaben vorgenommen und daher auch keine Mittel verwendet werden (§ 30 I SGB-IV). Der Modus der Beitragsfestsetzung stellt sich mithin als Bedarfs- oder Aufwanddeckungsverfahren 8 dar: die Kassen haben in eigener Verantwortung Einnahmen und Ausgaben zur Deckung zu bringen, staatliche Zuschüsse sind in der Krankenversicherung nicht üblich. Dabei gibt es keine objektive Grenze der Leistungsfähigkeit der Kassen, die an der Höhe des Beitragssatzes festmachbar wäre, die R V O enthält keine zwingende Obergrenze 9 des Beitragssatzes. Zwar enthält das Gesetz eine Obergrenze von 8% Beitragssatz bei Orts-, Betriebs- und Innungskrankenkassen, die jedoch nicht zwingend ist, da der Beitragssatz durch gemeinsamen Beschluß von Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbank auch weiter erhöht werden kann (§§ 389, 390 RVO). In Ausformung des Grundsatzes der Bedarfsdeckung sieht § 389 I I RVO nach Wegfall der 4 Ruland (1985a), S. 380 m.w.N. (dort FN 282); Bley (1982), S. 127f. (CI l a ) ; Krauskopf / Schroeder-Printzen (KV), § 385 Anm. 1; Isensee (1973), S. 16ff. 5 Nur bei monetären Leistungen (Krankengeld, Mutterschaftsgeld, Sterbegeld) gibt es einen mittelbaren Risikobezug, da sich deren Höhe nach dem Bruttoarbeitsentgelt (wiederum bis zur Beitragsbemessungsgrenze) richtet, vgl. Bley (1982), S. 181 (CH 4 a) aa). 6 Der Gesetzgeber verwendet auch den Begriff „Jahresarbeitsverdienstgrenze" (§ 180 I S. 2 RVO). 7 Isensee (1980), S. 461/466. s Bley (1982), S. 183 (CH 4a) aa). 9 Allerdings gibt es Grenzen der Akzeptanz einer weiteren Beitragserhöhung, diese Grenzen sind jedoch nicht rechtlich fixiert.

72

2. Ursachen der Beitragssatzunterschiede

Garantiehaftung der Gemeinden für die Ortskrankenkassen 10 folgerichtig eine unbegrenzte Pflicht zur Beitragserhöhung vor. Bei einigen Personengruppen sind allerdings die Beitragssätze auch in der Krankenversicherung bundeseinheitlich festgelegt (zu den anderen Versicherungszweigen vgl. Kap. 1.2): - der Beitrag für Rentner beträgt z.Z. einheitlich 11,8% (§ 385 I I RVO) bei gesetzlichen Pflichtkassen und Ersatzkassen; - der Beitrag für Studenten beträgt einheitlich 7/io des durchschnittlichen allgemeinen Beitragssatzes aller Kassen (§ 381a RVO), wobei der Grundlohn sich nach dem Bedarfssatz des § 13 Bundesausbildungsförderungsgesetz bemißt (§ 180 I l l b RVO). Abgesehen von diesen Ausnahmen stellt je'de Kasse eine isolierte Umverteilungseinheit dar, in deren Beitragssatz sich die jeweilige personelle Risikozusammensetzung widerspiegelt. Im folgenden werden zunächst die maßgeblichen personellen Risikofaktoren im Überblick dargestellt.

2.2 Die Ursachen im Überblick 2.2.1 Mitgliederstruktur als Ursache der Beitragssatzunterschiede Aufgrund der nicht einheitlichen strukturbildenden Mechanismen, d.h. den Vorschriften über Aufgabenbereich und Mitgliederkreis, ist auch die Versichertengemeinschaft jeder Kasse unterschiedlich zusammengesetzt. Wegen des Prinzips des sozialen Ausgleichs, bei dem im Gegensatz zu primär intertemporalem Ausgleich in der privaten Krankenversicherung die interpersonelle Umverteilung im Vordergrund steht, ist jede Kasse darauf angewiesen, neben den „schlechten" Risiken auch „gute" Risiken unter ihren Versicherten zu haben. Dabei sollen als „schlechte" Risiken diejenigen Versicherten angesehen werden, die - unabhängig von der Höhe ihres Erwerbseinkommens mehr Leistungen erhalten, als sie in die Versicherung einzahlen. Demzufolge kann auch ein Höherverdienender ein „schlechtes" Risiko sein: nämlich dann, wenn der Wert der Leistungen, den er aus der Versicherung erhält (z.B. besonders teuere Behandlung, beitragsfreie Leistungen für Ehegatten und Kinder), höher ist als die Summe der Beiträge 11 . Im folgenden werden die Mitgliederstrukturmerkmale 12 im Überblick dargestellt, die sowohl die Höhe des Grundlohns als auch die Menge der in 10 Dazu Krauskopf / Schroeder-Printzen (KV), § 389 Anm. 3; Bley (1982), S. 184 (CH 4 a) aa). 11 Dabei kann sich das Risiko im Laufe eines Erwerbslebens durchaus wandeln, so daß hier auch eine langzeitbezogene Perspektive zu beachten ist. 12 Vgl. Kruse / Kruse (1983b), S. 323ff.

2.2 Die Ursachen im Überblick

73

Anspruch genommenen Leistungen wesentlich beeinflussen können. Sodann ist zu untersuchen, wie sich diese Mitgliederstrukturmerkmale auf die Einnahmen und Ausgaben der Kassen auswirken und wie sie sich zwischen den Kassen verteilen, um so ihren Anteil an den Beitragssatzunterschieden zwischen den Kassen aufzeigen zu können. a) Risikofaktor

Berufs- und Beschäftigtenstruktur

Je nach Art und Wirtschaftsbereich der ausgeübten Tätigkeit ergeben sich unterschiedliche Gesundheitsgefährdungen 13, die eine unterschiedliche Krankheitshäufigkeit und unterschiedlichen Leistungsbedarf zur Folge haben. Neuere Untersuchungen haben überdies ergeben, daß Arbeitslose überdurchschnittlich häufig - meist bedingt durch psycho-somatische Leiden - medizinische Hilfe benötigen 14 . Andererseits sind erwerbsstrukturelle Merkmale 15 (Verhältnis von Arbeitern und Angestellten, Tätigkeit in einem bestimmten Wirtschaftsbereich) ebenfalls bestimmend für die Höhe des kassenspezifischen Grundlohns. So differierte noch im Jahre 1983 das durchschnittliche Erwerbseinkommen von Arbeitern und Angestellten erheblich: das monatliche Einkommen von Angestellten betrug D M 3 325,—, das wöchentliche Einkommen der Arbeiter dagegen D M 627,— 16 , was in etwa einem monatlichen Einkommen von D M 2 600,— entspricht. Auch die Erwerbstätigenquote ist wichtig, da NichtErwerbstätige häufig ein niedriges Einkommen haben (z.B. Studenten, Rehabilitanden). Bei den freiwillig Versicherten kommt es darauf an, ob es sich um gut verdienende Angestellte mit einem Verdienst über der Versicherungspflichtgrenze handelt (§ 176 a RVO) oder um sonstige freiwillig Versicherte mit niedrigem Einkommen (ζ. B. Sozialhilfeempfänger, Selbständige mit niedrigem Einkommen). b) Risikofaktor

Geschlecht

Es wird die Auffassung vertreten, daß ein hoher Anteil an weiblichen Versicherten zu höheren Leistungsausgaben führt 17 . Dies wird teils auf frauen13 Vgl. Berger u.a. (1978), S. 26f.; S. 131ff. m . w . N . ; Buttler u.a. (1982), S. lOOff.; Kruse / Kruse (1983b), S. 323/326. ι 4 Thomann (1983a), S. 480ff.; ders. (1983b); Brinkmann / Potthoff (1983), S. 378ff. m.w.N.; Debold (1982), S. 5f. 15 Huppertz u.a. (1981), S. 33. 16 Arbeits- und Sozialstatistik, Hauptergebnisse 1984, S. 83, danach ist ebenfalls bemerkenswert, daß Männer durchschnittlich ein höheres Einkommen als Frauen erzielen; bei Arbeitern: Männer D M 6 6 4 - , Frauen D M 460,- Wochenlohn; bei Angestellten: Männer D M 3 863,-, Frauen D M 2453,- Monatslohn. 17 Buttler u.a. (1982), S. 90ff.; Huppertz u.a. (1981), S. 37 m.w.N.

keine Auswirkungen

keine Auswirkungen

c) Kontrollverhalten

partiell ausgabenwirksam

direkt ausgabenwirksam

direkt ausgabenwirksam

direkt ausgaben wirksam

steigend mit steigendem Angebot

risiko

je nach umweltbedingtem Gesundheits-

bei höherem Alter steigende Leistungsausgaben

a) Die Übersicht kann nur die Grundzüge der Ursache-Wirkung-Beziehung wiedergeben, insbesondere kommt in dieser Übersicht nicht zum Tragen, daß die Ursachenfaktoren untereinander in Beziehung stehen (z.B. kann die Zunahme von weiblichen Versicherten mit einer Abnahme von beitragsfrei Mitversicherten verbunden sein).

keine Auswirkungen

indirekte Auswirkungen

keine Auswirkungen

schaftsleistungen starke Steigerung der Leistungsausgaben

bei höherem Alter steigendes Einkommen

keine Auswirkungen

b) Verwaltungskosten

a) Satzungsleistungen

Kasseninterne Gründe

c) Preise für med. Leistungen

je nach arbeitsbedingtem Gesundheitsrisiko

b) Leistungsausgaben

bei hohem Frauenanteil sinkend höhere Ausgaben für Frauen bei Mutter-

je nach Verdienst

a) Grundlohnniveau

b) Medizinische Angebotsstruktur keine Auswirkungen

a) Umweltbelastung

Regionale Einflüsse

d) Altersstruktur

c) Familienangehörige

b) Geschlecht

a) Berufs- und Beschäftigtenstruktur

Mitgliederstruktur

Ursachen

Auswirkungen auf Beitragssatz

Übersicht 2: Ursachen der Beitragsunterschiede8) 74 2. Ursachen der Beitragssatzunterschiede

2.2 Die Ursachen im Überblick

75

spezifische Leistungen (d.h. Mutterschaftshilfe) zurückgeführt, aber auch allgemein auf eine höhere Morbidität 1 8 , wobei die Erklärungsmuster dafür variieren. Auf den Einkommensunterschied zwischen männlichen und weiblichen Versicherten wurde bereits hingewiesen19. c) Risikofaktor

Alter

Es ist davon auszugehen, daß mit zunehmendem Alter der Versicherten im allgemeinen das Bedürfnis nach medizinischen Leistungen steigt, da ältere Menschen länger und schwerer krank sind als junge Menschen 20 . Andererseits wirkt sich jedoch ein hoher Anteil älterer Versicherter (bis auf die Rentner) grundlohnsteigernd aus 21 . d) Risikofaktor

Familienlastquote

Der Bedarf an Leistungen steigt regelmäßig mit der Zahl der beitragsfrei versicherten Kinder und Ehegatten 22 . Dem steigenden Leistungsbedarf entspricht jedoch häufig ein höheres Grundlohnniveau der Kassen, so daß sich diese Faktoren kompensieren. Eine geringe Familienlastquote zeigt an, daß viele Familienangehörige selbst versicherungspflichtig arbeiten, was wiederum wegen der Art der Tätigkeit (meist Teilzeitbeschäftigung von Frauen, Ausbildung bei Jugendlichen) zu einem geringeren Grundlohnniveau führt 23 . Je nach Grundlohnniveau der Kasse insgesamt entscheidet sich also, ob die Familienlastquote sich negativ auf den Beitragssatz auswirkt. 2.2.2 Regionale Einflußgrößen Neben den Merkmalen der Mitgliederstruktur, die auf alle Kassen unabhängig von ihrem räumlichen Tätigkeitsbereich zutreffen, lassen sich auch regional wirksame Einflüsse benennen, die als Ursache für regional merkbare Beitragssatzunterschiede in Frage kommen. a) Risikofaktor

Umweltbelastung

Hier wird untersucht, inwieweit sich Umwelteinflüsse, z.B. Luftverschmutzung, Lärm, Verkehrsrisiken, auf die Inanspruchnahme von Leistungen aus« Kruse / Kruse 19 s. o. FN 16. 20 Kruse/Kruse S. 90ff. 21 Huppertz u.a. 22 Huppertz u.a. 23 Kruse / Kruse

(1983b), S. 323/325; Ott (1981a), S. 90f. (1983 b), S. 323/325; Geißler (1980), S. 20; Buttler u.a. (1982), (1981), S. 33. (1981), S. 37; Buttler u.a. (1982), S. 105ff. (1983b), S. 323/326.

2. Ursachen der Beitragssatzunterschiede

76

wirken. Dies kann insbesondere durch Untersuchung von Krankheitshäufigkeiten in Ballungsgebieten nachgewiesen werden 24 . b) Kostenfaktor

medizinische Infrastruktur

Unbestritten ist, daß das Ausgabeniveau durch das regional verfügbare Angebot an medizinischen Leistungen beeinflußt wird, etwa indem bestimmte Fachärzte leichter erreichbar sind oder eine höhere Bettendichte bei Krankenhäusern vorgehalten und genutzt wird 2 5 . 2.2.3 Kasseninterne Einflußgrößen Neben den Einflußgrößen der Mitgliederstruktur sowie den regionalen Einflußgrößen verbleibt noch der Bereich, den die Kassen selbst beeinflussen können. Dabei ist einerseits das Kontrollverhalten der Kassen26 zu nennen. Dies gilt sowohl für die Kontrolle der Versicherten als Konsumenten (z.B. Überweisungsschein für Facharzt erforderlich) als auch für die Kontrolle der Leistungsanbieter als Produzenten (ζ. B. Verschreibepraxis und Abrechnungsverhalten der Ärzte). Des weiteren können die Kassen die Höhe des Beitrags durch den Umfang der - freiwilligen - Satzungsleistungen sowie den Aufwand für Verwaltungsleistungen beeinflussen. Es soll im folgenden dargestellt werden, wie sich diese Ursachenfaktoren auf den Beitragssatz auswirken bzw. inwieweit die Faktoren gegenseitig voneinander abhängig sind. 2.3 Der Zusammenhang zwischen Grundlohn und Beitragssatz (Finanzkraft) Da die Höhe des Grundlohnniveaus 27 der entscheidende Faktor des Finanzierungspotentials der Kasse ist, könnte man auf den ersten Blick annehmen, daß ein hohes Grundlohnniveau zu einem niedrigen Beitragssatz führt. Diese These ist jedoch in ihrer Allgemeinheit nicht aufrecht zu erhalten, da ein Teil der Grundlohnunterschiede möglicherweise durch Ausgabenunterschiede kompensiert wird. 24 Buttler u.a. (1982), S. 111 ff.; Kruse / Kruse (1983b), S. 323/326; Paquet (1985), S. 298. 25 Borchert (1979), S. 18; Geißler (1980), S. 23; Eichner (1982), S. 204. 26 Huppertz u.a. (1981), S. 39 m.w.N. 27 Als Grundlohn gilt das der Betragsberechnung zugrunde gelegte Bruttoarbeitsentgelt, wobei die Beitragsbemessungsgrenze die Obergrenze darstellt, siehe § 180 RVO.

2.3 Zusammenhang zwischen Grundlohn und Beitragssatz (Finanzkraft)

77

Kruse / Kruse 28 führen dafür folgende Beispiele an: - Ballungsgebiete mit allgemein höherem Einkommensniveau weisen regelmäßig auch höhere Gesundheitsausgaben auf, die z.B. auf besseres Leistungsangebot (Arztdichte, Klinikangebot), höhere Umweltbelastung, größere soziale Distanz zurückzuführen seien, - junge Mitglieder erzielen häufig geringere Arbeitsentgelte, dies wird jedoch durch eine geringere Leistungsinanspruchnahme ausgeglichen29, - ein hoher Anteil an weiblichen Versicherten wirkt sich regelmäßig grundlohnsenkend aus, gleichzeitig sinkt damit jedoch meist auch die Familienlastquote, wenn die nunmehr erwerbstätigen Frauen nicht mehr beitragsfrei als Ehefrau versichert sind, - umgekehrt kann die Zunahme arbeitsloser Ehefrauen trotz nominell steigenden Grundlohnniveaus durch gleichzeitiges Steigen der Familienlastquote von einem Ausgabenanstieg begleitet sein 30 . Es soll im folgenden anhand bereits vorliegender Untersuchungen geprüft werden, ob sich ein statistischer Zusammenhang zwischen Grundlohnhöhe und Beitragssatz nachweisen läßt. 2.3.1 Methodische Vorbemerkung Der statistische Zusammenhang zwischen Grundlohn und Beitragssatz ist in mehreren finanzstatistischen Untersuchungen mittels einer einfachen Korrelationsanalyse 31 untersucht worden. Durch die einfache Korrelationsanalyse wird der statistische Zusammenhang zwischen zwei Faktoren ermittelt. Der Zusammenhang wird als Korrelationskoeffizient ausgedrückt, dessen Wert sich zwischen - 1 und + 1 bewegt. Beträgt der Korrelationskoeffizient 0, dann besteht kein Zusammenhang zwischen beiden Faktoren, positive Werte besagen z.B., daß Höhe des Grundlohns und Höhe des Beitragssatzes sich tendenziell gleich entwickeln; negative Werte besagen dagegen, daß die Höhe des Grundlohns sich tendenziell gegenläufig zur Höhe der Beitragssätze verhält. Bei negativen Werten wäre der Wirkungszusammenhang daher wie folgt: bei steigenden Grundlöhnen ist ein sinkender Beitragssatz zu erwarten. Die Aussagefähigkeit von einfachen Korrelationsanalysen ist jedoch begrenzt, weil nur indirekte Kausalbeziehungen festzustellen sind 32 . Dies liegt 28 Kruse / Kruse (1983b), S. 323/324. s.a. Huppertz u.a. (1981), S. 39, wonach ein hohes Durchschnittsalter sowohl grundlohnsteigend als auch finanzbedarfserhöhend wirkt. 30 Kruse / Kruse (1983b), S. 323/325; Huppertz u. a. (1981), S. 40. 31 Zur Methodik vgl. Appelt / Kreifelts (1976), S. 183ff.; Huppertz u.a. (1981), S. 101 f.; Buttler u.a. (1982), S. 164f. 32 Appelt / Kreifelts (1976), S. 74. 29

2. Ursachen der Beitragssatzunterschiede

78

darin begründet, daß eine - statistisch gesehen - starke Korrelation zwischen zwei isolierten Faktoren auf dem bestimmenden Einfluß eines oder mehrerer weiterer Faktoren beruhen kann, wenn zwischen den untersuchten Faktoren kein Zusammenhang besteht. Andererseits kann eine starke - tatsächlich bestehende - Korrelation aber auch durch andere Faktoren verdeckt werden, so daß der Korrelationskoeffizient die wirkliche Abhängigkeit zweier Faktoren voneinander nicht realistisch widerspiegelt 33 . Die nachfolgend dargestellten Ergebnisse der Korrelationsanalyse können daher nur Tendenzen des Wirkungszusammenhangs zwischen Beitragssatz und Grundlohnsumme, nicht jedoch allgemeingültige Kausalzusammenhänge wiedergeben. 2.3.2 Zusammenhänge auf Ebene der Kassenarten (bundesweit) Die Korrelationsanalysen haben bei einer Untersuchung auf bundesweiter Ebene innerhalb der Kassenarten folgendes Ergebnis gebracht: Tabelle 9 Korrelation zwischen Grundlohn und Beitragssatz nach Kassenart Kassenart

GMD 3 )

WIdO b ) (1978)

Huppertz u. a.c) (1978)

Buttler u.a. d ) (1978)

OKK

- 0,05

ca. 0,0

- 0,09

- 0,03

0,05

ca. 0,0

- 0,04

- 0,13

IKK

- 0,36

- 0,4

- 0,34

- 0,29

EAR

- 0,55

- 0,6

- 0,66

ΕΑΝ

- 0,91

-0,7

- 0,54

GKV

- 0,16

- 0,4

- 0,37

BKK

a) b) c) d)

Appelt/Kreifelts (1976), S. 19. WIdO (1980), S. 46. Huppertz u.a. (1981), S. 103. Buttler u.a. (1982), S. 74.

In allen Untersuchungen zeigt sich, daß bei den O K K und den B K K kein merklicher Zusammenhang auszumachen ist, nur bei den I K K ist ein geringer negativer Zusammenhang festzustellen. Das Ergebnis bei den Ersatzkassen das einen hohen negativen Koeffizienten ausweist - wird allgemein nicht als aussagekräftig angesehen, da dort nur eine geringe Anzahl von Kassen (7 bzw. 33

So auch Huppertz u.a. (1981), S. 102.

2.3 Zusammenhang zwischen Grundlohn und Beitragssatz (Finanzkraft)

79

8 Kassen) einzubeziehen waren 34 . Bei diesen Kassen wäre eine genauere Untersuchung der Risikostruktur notwendig, um die Zusammenhänge zu klären 35 . Insgesamt kommen alle Untersuchungen zu dem Ergebnis, daß bei der bundesweiten Betrachtung nach Kassenarten nicht festzustellen ist, daß für eine bestimmte Kassenart ein hoher Grundlohn regelmäßig zu einem niedrigen Beitragssatz führt 36 . Es wird vielmehr angenommen, daß entsprechende Unterschiede auf der Einnahmeseite durch höhere Leistungsausgaben kompensiert werden 37 , wobei zunächst offen bleibt, worauf höhere Leistungsausgaben im einzelnen beruhen (dazu 2.4 bis 2.6). 2.3.3 Zusammenhänge auf regionaler Ebene Größeren Aufschluß über den Zusammenhang zwischen Grundlohn und Beitragssatz könnte möglicherweise eine regionale Betrachtung ergeben, da bei einer bundesweiten Betrachtung, die zudem noch getrennt nach Kassenarten erfolgt, die regionalen Einkommensunterschiede statistisch verdeckt werden, so daß bundesweit nur ein indifferentes Ergebnis festzustellen ist 38 . Auch unter Berücksichtigung des regionalen medizinischen Angebots erscheint dies plausibel, da solche Unterschiede bei bundesweiter Betrachtung statistisch ausgeglichen werden. Nach Buttler u.a. 3 9 sind deutliche negative Korrelationskoeffizienten bei den Ortskrankenkassen in den Ländern Hessen, Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen festzustellen, die andeuten, daß innerhalb einer Wirtschaftsregion die Kassen bzw. Kassenarten mit hohen Grundlöhnen etwas niedrigere Beitragssätze erheben. Ähnliche Zusammenhänge ergaben sich auch bei den Betriebskrankenkassen und den Innungskrankenkassen (vgl. Tab. 10). Dieses Ergebnis wird durch Huppertz u.a. 4 0 bestätigt, die eine länderbezogene Korrelation unabhängig von Kassenarten vorgenommen haben. Dabei wurden ebenfalls in einigen Ländern (hier: Berlin, Hessen, Niedersachsen) ähnliche Unterschiede festgestellt. 34 Huppertz u.a. (1981), S. 103. 35 Appelt / Kreifelts (1976), S. 78. 36 Appelt / Kreifelts (1976), S. 19, 77; WIdO (1980), S. 44; Huppertz u.a. (1981), S. 103; Buttler u.a. (1982), S. 74. 37 So auch Kruse / Kruse (1983b), S. 323/324. 38 Buttler u.a. (1982), S. 74; vgl. dazu auch die Kontroverse zwischen Rosenberg (1973), S. 304; ders. (1974), S. 67, einerseits, und v. Lescynski (1973), S. 282; ders. (1974), S. 173, andererseits, danach war nicht die Grundlohnhöhe, sondern das medizinische Leistungsangebot maßgeblich für unterschiedliche Beitragssätze. 39 Buttler u.a. (1982), S. 76. 40 Huppertz u.a. (1981), S. 104.

272

-

- 0,03

_

- 0,21

- 0,04

_

- 0,11

- 0,40

- 0,06

- 0,73

- 0,51

- 0,11

- 0,55

80

-

- 0,23

887

166

105

0,28 - 0,13

_

- 0,42

_

9

-

- 0,41

0,55

157

16

- 0,19

0,68 - 0,25

- 0,29

6 0,96

Korrelationskoeffizient ungew. gew.

- 0,30

- 0,96

0,00

- 0,30 - 0,55

- 0,39

-

- 0,42

Zahl der Kassen

- 0,39

- 0,22 - 0,62

-

- 0,42

54

8

- 0,27 - 0,21

_

30 - 0,10

6.

- 0,02

- 0,13

110 0,02

- 0,37

- 0,51

- 0,23

- 0,23

323

0,23

26

- 0,89

- 0,91

- 0,29

9 0,32

13 0,01

28 0,01

42

_

-

10

Korrelationskoeffizient ungew. gew.

IKK

a) Beitragssatz = Leistungsausgaben/Grundlöhne. - b) Alle Kassen auf Bundesebene, deren Datenmaterial Korrelationsrechnungen zuließ.

Bundesrepublik0)

Überregionale Kassen

Berlin

38

Bayern

- 0,48

- 0,18

23

45

Rheinland-Pfalz

Baden-Württemberg

- 0,61

28

- 0,47

- 0,23

Hessen

-

-

- 0,79

Zahl der Kassen - 0,69

BKK

Korrelationskoeffizient ungew. gew.

54

63

16

Zahl der Kassen

OKK

Nordrhein-Westfalen

Bremen

Niedersachsen

Hamburg

Schleswig-Holstein

Land

Tabelle 10: Korrelation zwischen Grundlohn und Beitragssatz3) nach Kassenart und Ländern

80 2. Ursachen der Beitragssatzunterschiede

2.3 Zusammenhang zwischen Grundlohn und Beitragssatz (Finanzkraft)

81

Als einzige Untersuchung, die sowohl regional wie innerhalb einer Kassenart differenziert, sind die Ergebnisse für den Bereich der westfälisch-lippischen Ortskrankenkassen zugänglich41. Dabei konnte kein allgemeingültiger Zusammenhang festgestellt werden 42 . Ein positiver Zusammenhang zwischen Grundlohn und Leistungsausgaben wurde bei vier Kassen festgestellt. Dagegen wurde bei sechs anderen Kassen festgestellt, daß einem hohen Grundlohn geringe Leistungsausgaben gegenüberstehen bzw. daß einem geringen Grundlohn hohe Leistungsausgaben gegenüberstehen (sechs Kassen). Die Auswertung auf regionaler Ebene zeigt daher, daß keine starre Relation zwischen Grundlohn und Leistungsausgaben besteht. Es kommt jeweils darauf an, welche Leistungen die jeweilige Kasse entsprechend ihrer Mitgliederstruktur in welchem Umfang gewährt. Es zeigt sich also, daß die Grundlohnsumme nur ein - wenn auch bedeutsamer 43 - Faktor neben den verschiedenen Posten der Leistungsausgaben ist, der die Höhe des Beitragssatzes bestimmt. Es wird daher in einem nächsten Schritt untersucht, ob sich Zusammenhänge zwischen Grundlohnniveau und Ausgabeniveau in einzelnen Leistungsbereichen feststellen lassen. 2.3.4 Zusammenhang zwischen Grundlohn und Ausgabeniveau Der auf bundesweiter Ebene innerhalb der Kassenarten festgestellte Zusammenhang zwischen Grundlohnhöhe und Leistungsvolumen ergibt sich auch in bezug auf einzelne Leistungsarten. Nach den Berechnungen von Appelt / Kreifelts 44 und W I d O 4 4 hat sich ergeben, daß bei fast allen Leistungsarten eine positive Korrelation festzustellen war. Nur bei der Mutterschaftshilfe lag eine negative Korrelation vor, die darauf zurückzuführen sein dürfte, daß aufgrund der Einkommensunterschiede zwischen männlichen und weiblichen Beschäftigten die Krankenkassen mit einem hohen Anteil an weiblichen Versicherten einen niedrigeren Grundlohn haben 45 . Es zeigt sich überraschenderweise, daß bei keiner Kassenart ein signifikanter Zusammenhang zwischen Grundlohnhöhe und Krankengeldzahlungen besteht, obwohl gerade der Krankengeldanspruch von der Höhe des Entgelts abhängt. Die erhöhten Aufwendungen entstehen daher überwiegend durch höhere Ausgaben bei den einkommensunabhängigen Sachleistungen46. 41 Klaas (1980), S. 393ff.; diese Untersuchung wurde zur Aufklärung der Ursachen für die besonderen Finanzierungsprobleme bei der A O K Burgsteinfurt erstellt, die mit dem Kürzel „ A A " in der Untersuchung bezeichnet ist. 42 Klaas (1980), S. 395. 43 Klaas (1980), S. 393/400; Buttler u.a. (1982), S. 75. 44 Appelt / Kreifelts (1976), S. 20; WIdO (1980), S. 40. 45 Appelt / Kreifelts (1976), S. 75. 46 Appelt / Kreifelts (1976), S. 20; WIdO (1980), S. 38.

6 Brunkhorst

82

2. Ursachen der Beitragssatzunterschiede

Für diesen Ursachenkomplex liegen leider keine vergleichbaren regionalen Auswertungen vor. Damit wären möglicherweise auch die Einflüsse nur regional wirksamer medizinischer Infrastruktur (Arztdichte, Krankenhauskapazitäten) nachweisbar 47. 2.3.5 Zwischenergebnis: Grundlohnniveau ist kein Indikator für Beitragssatzhöhe Die Korrelationsanalysen zwischen Beitragssatzhöhe und Grundlohnniveau der Kassen bzw. Kassenarten haben je nach Ausgleichsebene - Kassenart oder Region - unterschiedliche Ergebnisse gezeigt. Die Grundlohnhöhe allein ist kein relevanter Faktor für die Risikostruktur einer Kasse. Dies ist darauf zurückzuführen, daß der Grundlohn nur einer von mehreren wichtigen Risikofaktoren ist, der von anderen Risikofaktoren auf der Ausgabenseite überlagert wird. Nur bei einem Absinken des Lohnniveaus über einen längeren Zeitraum ist idR bei gleichbleibender Morbiditätsstruktur eine Beitragserhöhung unausweichlich48. Dies hat zur Konsequenz, daß eine Angleichung der Grundlohndifferenzen nicht automatisch eine Angleichung der Beitragssätze zur Folge hat, wie eine Simulation verschiedener Modelle des isolierten Finanzkraftausgleichs zeigt 49 . Bei einem 100% igen Grundlohnausgleich vergrößert sich die Beitragssatzspanne, derselbe Effekt ergibt sich bei einem 75%igen Ausgleich. Bei einem 50% igen Ausgleich zeigen sich unterschiedliche Auswirkungen innerhalb der Kassenarten sowie der Regionen: die kassenartspezifischen Unterschiede sinken, während sich die länderspezifischen Unterschiede erhöhen 50 . Ähnliche Effekte ergeben sich bei einem 25%igen Ausgleich der Grundlohnsumme. Ein isolierter Ausgleich der Grundlohnunterschiede ist daher im Finanzausgleich unzweckmäßig. Im folgenden soll untersucht werden, welche Faktoren auf die Ausgabelast der Kassen einwirken und damit die Höhe des Beitragssatzes ursächlich beeinflussen. Ausgehend von der Ausgangsfragestellung sollen dabei die Faktoren isoliert werden, die nicht in den Verantwortungsbereich einer einzelnen Kasse fallen.

47 48 49 50

Appelt / Kreifelts (1976), S. 20. Kruse / Kruse (1983b), S. 323/324. Huppertz u.a. (1981), S. 362ff.; so auch Appelt / Kreifelts (1976), S. 119. Huppertz u.a. (1981), S. 370f.

2.4 Personelle Bestimmungsfaktoren der Ausgaben (Finanzbedarf)

83

2.4 Personelle Bestimmungsfaktoren der Ausgaben der Krankenkassen (Finanzbedarf) Die Ausgaben der Krankenkassen richten sich danach, in welchem Umfang Aufwendungen für Versicherungsleistungen (medizinische Hilfe, Sachmittel, monetäre Leistungen) sowie für Verwaltungsausgaben (Personal- und Sachkosten) benötigt werden (vgl. § 21 SGB-IV). Der Umfang der Aufwendungen für Versicherungsleistungen wird dabei im wesentlichen von drei Faktoren beeinflußt 51 : - dem Leistungskatalog der Krankenversicherung, d.h. Art und Umfang der vorgesehenen Leistungen; - der Mengenkomponente der Versicherten, d.h. wie häufig und in welchem Ausmaß Leistungen benötigt werden; - der Preiskomponente, d.h. welchen Preis die Kassen für die Leistungen an die Ärzte etc. zahlen müssen. Ausgehend von der These, daß nur ausgleichsbedürftig ist, was nicht eigenem Verhalten der Kassen zuzurechnen ist (s.o. 2), wird im folgenden geprüft, welche Einflußmöglichkeiten die Kassen auf die genannten Faktoren haben. a) Der Leistungskatalog ist im wesentlichen durch die Reichsversicherungsordnung vorgegeben. Daher bedarf es im Rahmen eines Finanzausgleichs nicht erst der Bildung eines typisierenden Bedarfsmaßstabes, der bei den Finanzausgleichen im öffentlichen Sektor (dazu unten 4.16.3; 4.2.1.2) durch die Verwendung der „veredelten Einwohnerzahl" erreicht wird. Darüber hinaus ist auch der Rahmen der Verwaltungsausgaben gesetzlich weitgehend fixiert (§§ 363ff. RVO, §§ 67ff. SGB-IV). Eigene Gestaltungsmöglichkeiten der Kassen bestehen im Bereich der Satzungsleistungen (d.h. „zugelassene Ausgaben" gem. § 21 Nr. 1 SGB-IV). Die Satzungsleistungen werden zum großen Teil als Zuschüsse zu Zahnersatz und Zahnkronen (ca. 80%) 5 2 sowie bei Kuren und als erhöhtes Sterbegeld gewährt. Der Anteil der Satzungsleistungen an allen Leistungsausgaben wird jedoch als sehr gering (ca. 2 % ) 5 3 eingeschätzt, so daß der Spielraum der Kassen im allgemeinen beschränkt ist. Dennoch wäre dieser Ausgabeposten bei einem Finanzausgleich nicht berücksichtigungsfähig. Soweit die Befreiung von Eigenanteilen der Versicherten nach Bedürfniskriterien eine Ermessensentscheidung der Kassen erfordert (z.B. § 182 a S. 3 - Arzneimittel - , § 182 c Abs. 3 - Zahnersatz - ) , besteht hier ein Spielraum Beske / Zalewski (1981), S. 41. 2 Huppertz u.a. (1981), S. 69. 53 Buttler u.a. (1982), S. 83 (unter Hinweis auf Geißler (1980), S. 19. 5

6*

84

2. Ursachen der Beitragssatzunterschiede

für großzügige bzw. restriktive Entscheidungspraxis. Deren Einfluß auf die Gesamthöhe der Ausgaben dürfte jedoch schwer zu beziffern sein. Eine Einbeziehung in einen Finanzausgleich wäre auch unter dem Gesichtspunkt vertretbar, daß hier keine hohen Ausgaben verursacht werden. b) Die Menge der benötigten medizinischen Leistungen hängt von dem persönlichen Risiko eines Versicherten ab, krank zu werden (Morbiditätsrisiko). Je ungünstiger daher das Morbiditätsrisiko und damit die Risikostruktur des Versichertenkollektivs, desto mehr Leistungen werden benötigt. Dabei ist unter Morbiditätsrisiko nicht die subjektive Bereitschaft 54 zu verstehen, Versicherungsleistungen in Anspruch zu nehmen - wie dies häufig mit dem Begriff „Anspruchsdenken" suggeriert wird - , sondern dieses Risiko ist Ausdruck objektiv gegebener Risikolagen für die Gesundheit des Versicherten 55 . Dieses Morbiditätsrisiko differiert nach den bereits aufgeführten Mitgliederstrukturmerkmalen (s. o. 2.2.1), die aber nach allen vorliegenden Analysen entscheidend die Finanzlage der Kassen beeinflussen. Die Mitgliederstruktur ist der jeweiligen Kasse durch den strukturbildenden Mechanismus der Reichsversicherungsordnung vorgegeben und daher von den Kassen nur im geringen Maße zu beeinflussen. Hier bestünde daher ein Ansatzpunkt für Finanzausgleich, soweit die Leistungsausgaben für eine Personengruppe sich besonders nachteilig (Ballung schlechter Risiken) bei einer Kasse auswirken. Die Menge der Leistungen kann darüber hinaus auch durch die regionale Angebotsstruktur beeinflußt werden (Arztdichte, mehr Fachärzte, mehr Spezialkrankenhäuser) 56. Diese angebotsinduzierte Nachfrage müßte für einen Finanzausgleich jedenfalls genau untersucht werden. c) Die Preise für die jeweiligen medizinischen Leistungen bzw. Sachmittel bilden die dritte Komponente des Ausgabenbedarfs. Die globalen Vorgaben für die Preisentwicklung bei medizinischen Leistungen werden im Rahmen der halbjährlich stattfindenden „Konzertierten Aktion im Gesundheitswesen" (§ 405a RVO) entwickelt. Die Verträge über die Höhe der ärztlichen bzw. zahnärztlichen Vergütung werden auf Verbandsebene durch die Landesverbände der Kassen mit den Kassen(zahn)ärztlichen Vereinigungen geschlossen. Die Höhe der Pflegesätze der Krankenhäuser wird durch Vereinbarung zwischen Krankenhausträgern und den Sozialleistungsträgern festgelegt, sie 54

Die geringe Bedeutung der subjektiv motivierten Nachfrage nach Gesundheitsleistungen wird auch bei der Diskussion um Steuerungsmöglichkeiten durch Selbstbeteiligung der Patienten anerkannt, danach sind ca. 85% der Leistungen weitgehend unabhängig von der Patientennachfrage; nur Bereiche, in denen der Patient begrenzte Wahlmöglichkeiten bei der Inanspruchnahme (z.B Massagen) oder Mitsprachemöglichkeiten bei der Auswahl (z.B. Brillen) hat, sind vom Patienten beeinflußbar, vgl. Saekel (1985), S. 176/181. 55 Geißler (1980), S. 20; WIdO (1984), S. 20. 56 Huppertz u.a. (1981), S. 38 m.w.N.

2.4 Personelle Bestimmungsfaktoren der Ausgaben (Finanzbedarf)

85

bedarf allerdings der Genehmigung durch das zuständige Landesministerium (§ 18 K H G ) 5 7 . Die Preisgestaltung für die wichtigsten Ausgabeposten der Krankenversicherung, die Ausgaben für Krankenhausbehandlung sowie für ärztliche bzw. zahnärztliche Leistungen gilt nicht einheitlich für alle Kassen bzw. Kassenarten. Bei den ärztlichen bzw. zahnärztlichen Leistungen gibt es einheitliche Punktwerte für die gesetzlichen Pflichtkassen, die Ersatzkassen vergüten die Einzelleistungen für Ärzte bzw. Zahnärzte jedoch etwas höher 58 . Neuere Berechnungen haben für das Jahr 1982 ergeben, daß die Ersatzkassen, würden sie nach dem niedrigen Honorarniveau der gesetzlichen Pflichtkassen vergüten, schätzungsweise 890 Mill. D M bei Ärzten und 290 Mill. D M bei Zahnärzten einsparen könnten 59 . Im Bereich der Krankenhauspflege verhandeln alle regional betroffenen Kassen bzw. Kassenarten gemeinsam, so daß hier alle Kassenarten die gleichen Preise haben. Einflußmöglichkeiten für die einzelne Kasse bestehen nur mittelbar, da die Verhandlungen auf der Verbandsebene der Kassenart geführt werden. Dennoch wäre für einen Finanzausgleich zu erwägen, ob nicht kassenartspezifische bzw. regionale Preisniveaus, die über dem Durchschnitt liegen, unberücksichtigt bleiben sollten. Damit wäre sichergestellt, daß kein Finanztransfer von Regionen / Kassenarten mit niedrigen Preisen zu solchen mit hohen Preisen erfolgt 60 . Im folgenden sollen die Auswirkungen der einzelnen Ausgabefaktoren auf die Beitragssätze entsprechend der Systematisierung (s.o. 2.2) nach - Mitgliederstruktur - regionalen Einflußgrößen und - kasseninternen Einflußgrößen im einzelnen dargestellt werden. Es können aufgrund der Datenlage in der gesetzlichen Krankenversicherung allerdings nur Tendenzaussagen getroffen werden, da die Statistiken überwiegend nach Leistungsarten, nicht jedoch nach Personengruppen aufgegliedert sind 61 . Hinzu kommt als weitere Unsicherheit, daß die vorliegenden Daten häufig nur einen bundesweiten bzw. kassenarten-bezogenen Durch-

57 Krankenhausfinanzierungsgesetz - K H G - v. 29. 6. 1972, zul. geänd. durch Haushaltsbegleitgesetz 1984 v. 22. 12. 1984 (BGBl. I S. 1532). 58 Smigielski (1983), S. 340/342. 59 WIdO (1984), S. 190. 60 Dazu unten 3.4.1.3 (Österreich). 61 Vgl. Arbeits- und Sozialstatistik, Hauptergebnisse 1984, S. 163ff., so auch Huppertz u.a. (1981), S. 41 ff.

86

2. Ursachen der Beitragssatzunterschiede

schnitt wiedergeben, der keine kleinräumige Beurteilung ermöglicht. Um festzustellen, weshalb der Beitragssatz einer bestimmten Kasse überdurchschnittlich hoch ist, müßte geklärt werden, welche der auf theoretischer Basis ermittelten Faktoren im einzelnen wirksam werden. 2.4.1 Risikofaktor Berufs- und Beschäftigungsstruktur Das Gesundheitsrisiko von erwerbstätigen Versicherten wird - unabhängig von den jahreszeitlich bedingten Infektionskrankheiten - hauptsächlich durch die betriebliche Situation am Arbeitsplatz bestimmt 62 . Das Gesundheitsrisiko wird nur dann von der Unfallversicherung abgedeckt, wenn ein Arbeits- bzw. Wegeunfall oder eine Berufskrankheit vorliegt, im übrigen werden die Gesundheitsrisiken von der Krankenversicherung bzw. von der Rentenversicherung (vorzeitige Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeit ohne direkte Unfalleinwirkung) finanziell getragen 63. Die Risiken der Arbeitswelt schlagen sich je nach Wirtschaftsbereichen, aber auch nach dem beruflichen Status als Arbeiter oder Angestellter nieder. Mit zunehmender Dauerarbeitslosigkeit rückt neuerdings verstärkt ins Blickfeld, daß auch das Fehlen von Erwerbsarbeit sich negativ auf den Gesundheitszustand der Arbeitslosen und ihrer Familienangehörigen auswirken kann 64 . 2.4.1.1 Beruflicher

Status: Arbeiter oder Angestellter

Bei den Pflichtkassen waren im April 1981 65,6% der erwerbstätigeh Mitglieder Arbeiter, während bei den Ersatzkassen 77,2% der Mitglieder Angestellte waren. Der Status als Arbeiter, der rechtlich immer mehr an Bedeutung verliert 65 , wird idR für Tätigkeiten angewendet, die mehr körperlich ausgerichtet sind. Diese Tätigkeiten werden darüber hinaus teilweise unter schlechten klimatischen Bedingungen wie Nässe und / oder Zugluft sowie sonstigen schädlichen Einwirkungen von Werkstoffen durch Staub oder Lärm ausgeübt66. Die Tätigkeit von Angestellten findet demgegenüber meist in geschlossenen Räumen statt und ist weniger durch belastende Umwelteinflüsse und körperliche Anstrengung gekennzeichnet. Angesichts der zunehmenden Rationalisie62

Vgl. dazu Kasiske (1976); Hauß u.a. (1984), S. 75ff.; Eisner (1984), S. 54ff. (mehrere Beiträge). 63 Bieneck (1984), S. 5/9. 64 Siehe Beiträge von Wacker (S. 92), Bohm-Audorff (S. 96), Thomann (S. 100), Brinkmann (S. 106), Büchtemann (S. 112), in: Eisner (Hg.) (1984). 65 s. dazu Kap. 6.3.2.2. 66 Vgl. Müller (1980), S. 465/470.

2.4 Personelle Bestimmungsfaktoren der Ausgaben (Finanzbedarf)

87

rung, die auch den Angestelltenbereich erfaßt und zum vermehrten Einsatz technischer Hilfsmittel, z.B. Datensichtgeräte, führt, bleibt jedoch abzuwarten, ob sich hier nicht anders geartete Krankheitsrisiken vermehren 67 .

Tabelle 11 Mitglieder (ohne Rentner) nach Stellung im Beruf (1981)a>

Stellung im Beruf Selbständige, mithelfende Familienangehörige

RVO-Kassen b ) in 1000 %

665

4,2

Ersatzkassen in 1000 %

494

6,2

307

1,9

200

2,5

3 320

20,9

6180

77,2

10 436

65,6

467

5,8

Erwerbslose

581

3,6

171

2,1

Nichterwerbspersonen

583

3,6

488

6,1

Beamte Angestellte Arbeiter

Insgesamt

15 892

100

8 000

100

a) Eigene Berechnungen nach Stat. Bundesamt FS/3, Reihe 1 (1981), S. 28. b) Ohne BKn und LwKK.

Als typische Erkrankungen, z.B. im Schiffbau, sind Infektionen der Atemwege und grippale Infekte (wegen der Witterungseinflüsse) sowie überdurchschnittliche Beeinträchtigungen des Skeletts und des Bindegewebe- und Muskelsystems anhand von Arbeitsunfähigkeitsdaten einer Ortskrankenkasse festgestellt worden 68 . Ähnliche Symptome ergaben sich bei Lager- und Transportarbeitern, während bei Chemiearbeitern ein erhöhtes Auftreten von Hautkrankheiten festzustellen war. Auch die große angelegte Studie „Krankheit und arbeitsbedingte Belastungen" 69 hat ergeben, daß sich die Arbeitsunfähigkeitsfälle je nach Stellung im Beruf unterschiedlich häufig ereigneten. Danach entfielen fast 3/4 aller Arbeitsunfähigkeitsfälle auf die Gruppe der ungelernten Arbeiter, obwohl die Gruppe nur 60% des untersuchten Personenkreises ausmachte70. Die Arbeits67 Dazu Lappe, in: Eisner (1984), S. 61; Kuhn / Schreiber (1985), S. 28/33. 68 Müller (1980), S. 465ff. 69 Georg / Stuppardt / Zoike (1981 ff.). 70 Ebd., Bd. 2, S. 83.

88

2. Ursachen der Beitragssatzunterschiede

unfähigkeitsrate lag bei Facharbeitern bereits erheblich niedriger und bei den Angestellten in der Altersgruppe der 20 - 60jährigen am niedrigsten 71 . Hinsichtlich der Erkrankungen nach Diagnosegruppen ergab sich ebenfalls, daß die Schwerpunkte bei der Gruppe der ungelernten Arbeiter lagen, während sich besondere Problemlagen bei den Facharbeiterinnen (starker rollenspezifischer beruflicher Streß) sowie männlichen Teilzeitbeschäftigten (möglicherweise aufgrund gesundheitlicher Einschränkungen) zeigten 72 . Das höhere Gesundheitsrisiko von Arbeitern gegenüber Angestellten wird statistisch durch mehrere Indikatoren belegt. Dies zeigt sich bereits am Anteil der Rentenzugänge wegen E U / B U an allen Rentenzugängen. Bei der Rentenversicherung der Arbeiter wurden 1983 insgesamt 219 474 Renten wegen Erwerbsunfähigkeit bzw. Berufsunfähigkeit gewährt, das entspricht 57,4% aller Rentenzugänge73. Demgegenüber betrug der Anteil der Rentenzugänge wegen EU/BU bei der Rentenversicherung der Angestellten 38,6% (93 260 Zugänge) 73 . Der hohe Anteil an EU/BU-Zugängen in der Arbeiter-Rentenversicherung ist auch nicht durch ein Ausweichen der weiblichen Versicherten in der Angestellten-Rentenversicherung auf das Frauen-Altersruhegeld ab 60 zu erklären. Die Anzahl der vorgezogenen Renten an weibliche Versicherte ab 60 ist in beiden Versicherungen etwa gleich hoch. Bei der Unfallversicherung wird dem erhöhten Gesundheitsrisiko in Arbeitertätigkeiten durch Einstufung in höhere Gefährdungsklassen Rechnung getragen 74. Das unterschiedliche Gesundheitsrisiko von Arbeitern und Angestellten schlägt sich entsprechend der unterschiedlichen Verteilung der Arbeiter und Angestellten auf die Kassenarten in der Arbeitsunfähigkeits- und Krankenhausfall-Statistik nieder. Die Zahl der Arbeitsunfähigkeitstage liegt bei den RVO-Kassen merklich höher als bei den Ersatzkassen der Angestellten. Dies gilt mit Ausnahme der Innungskrankenkassen 75 auch für die Dauer der Arbeitsunfähigkeit. In abgeschwächter Form zeigt sich dies bei der Zahl der Krankenhausfälle und der Dauer des Krankenhausaufenthaltes je Fall 76 . Ein weiteres Indiz für ein höheres Morbiditätsrisiko bei Arbeitern ist die Unfallhäufigkeit bei Ausübung einer Erwerbstätigkeit. Nach den Ergebnissen der Mikrozensus-Zusatzbefragung im April 1974 hatten sich im Befragungszeitraum 0,73% der Selbständigen und mithelfenden Familienangehörigen, 0,84% der Beamten und Angestellten, aber 1,97% der Arbeiter eine Unfall7

* Ebd., Bd. 2, S. 83 - Tab. 4.3.2. Ebd., Bd. 2, S. 88. 73 Arbeits- und Sozialstatistik Hauptergebnisse 1984, S. 116; eig. Berechnungen. 74 Schettkat (1983), S. 46/47. 75 Die kürzere Dauer der Arbeitsunfähigkeit bei den Innungskrankenkassen dürfte auf die jüngere Mitgliedschaft in dieser Kassenart (s. o. 2.4.4) zurückzuführen sein; zum Zusammenhang von Alter und Krankheitsdauer siehe WIdO (1984), S. 46. 7 * Buttler u.a. (1982), S. 105. 72

2.4 Personelle Bestimmungsfaktoren der Ausgaben ( F i n a n z b e d a r f ) 8 9

Verletzung (ohne Wegeunfälle) zugezogen77, d.h. daß die Unfallhäufigkeit von Arbeitern mehr als doppelt so hoch als bei Angestellten war. Diese erhöhte Unfallhäufigkeit schlägt sich auch zu Lasten der Kassen mit hohem Arbeiteranteil nieder, da der entschädigungspflichtige Unfallversicherungsträger nur die stationären Ausgaben, nicht jedoch die Ausgaben für Krankenpflege zu erstatten hat (§ 1504 Abs. 1 RVO). Insgesamt dürfte sich daher die Tendenz ergeben, daß mit erhöhtem Arbeiteranteil bei einer Kasse allgemein mit einem höheren Morbiditätsrisiko zu rechnen ist. Tabelle 12 Arbeitsunfähigkeits- und Krankenhausfälle und -tage nach Kassenarten (je 100 Pflichtmitglieder - 1982)a) AUFälle

AUTage je Fall

KHFälle

KHTage je Fall

OKK

111,1

17,2

13,4

15,0

BKK

130,1

16,6

11,1

15,6

IKK

108,5

14,2

10,8

14,6

LwKK

13,3

27,1

8,1

16,2

SeeKK

58,7

29,8

10,7

17,0

BKw

132,3

22,3

14,1

16,1

EAR

93,4

16,1

9,1

15,8

ΕΑΝ

77,2

15,5

11,7

14,4

GKV

103,1

16,6

12,3

14,9

a) Nach Arbeits- und Sozialstatistik, Hauptergebnisse 1982, S. 165f.

2.4.1.2 Tätigkeit in gesundheitlich belastenden Wirtschaftsbereichen Auch hinsichtlich der Wirtschaftsbereiche, in denen die Mitglieder erwerbstätig waren, zeigen sich deutliche Unterschiede zwischen RVO-Kassen und Ersatzkassen. Während im April 1978 ca. 50,5% der Mitglieder der RVOKassen im verarbeitenden Gewerbe und ca. 10,5% im Baugewerbe tätig waren, war der überwiegende Teil der Mitglieder der Ersatzkassen in den Bereichen „Handel" (21,6%) und „sonstige Dienstleistungen" (21,5%) beschäftigt 78 . 77

WIdO 1984, S. 63. ™ Buttler u.a. (1982), S. 104.

90

2. Ursachen der Beitragssatzunterschiede

Besonders deutlich tritt der Zusammenhang zwischen Tätigkeit in einem bestimmten Wirtschaftsbereich bei den Betriebskrankenkassen zutage, die idR branchenbezogene Tätigkeitsbereiche aufweisen. Anhand der Indikatoren „Arbeitsunfähigkeit" und „Krankenhausaufenthalt" läßt sich die unterschiedliche Morbiditätsstruktur der jeweiligen Wirtschaftsbereiche deutlich nachweisen79 (vgl. Tab. 13). Tabelle 13 Krankheitsindikatoren der Pflichtmitglieder der Betriebskrankenkassen nach Geschlecht und Wirtschaftsgruppen (1978) Wirtschaftsgruppen

Männer AUFälle

AUTage

Frauen

KHFälle

KHTage

AUFälle

je 100 Mitglieder

AUTage

KHFälle

KHTage

je 100 Mitglieder

Hüttenwesen

142

2692

12

243

123

2 226

17

279

Metallverarbeitung

161

2 655

11

194

160

2 870

15

229

Chemie, Mineralöl

132

2 256

10

177

144

2475

13

202

Leder, Bekleidung, Textil

136

2 240

12

200

157

2 603

14

217

Steine, Erden

139

2 526

12

214

139

2 367

15

221

Bauwesen

118

2157

12

234

83

1493

22

299

Holz, Papier, Druck

136

2 347

11

209

155

2 856

15

251

Nahrung, Genußmittel

118

2 075

11

203

138

2 325

13

190

Energie, Wasser

93

1534

8

140

98

1679

12

170

Verkehr

124

2 508

9

177

126

2 676

14

209

95

1488

8

149

112

1789

10

158

Verwaltung

104

2 309

13

248

88

1873

15

231

Insgesamt

141

2 428

11

196

131

2 321

13

208

Handel, Kredit, Versicherungen

2.4 Personelle Bestimmungsfaktoren der Ausgaben ( F i n a n z b e d a r f ) 9 1

Bei den Orts- und Innungskrankenkassen liegen keine vergleichbaren Daten über Krankheitshäufigkeit nach Branchen vor, da hier meist ein Querschnitt verschiedener Branchen oder Berufe versichert ist. Die Beeinflussung der Risikostruktur von A O K und I K K ist jedoch branchentypisch denkbar, wenn große Betriebe keine eigene B K K errichten, wie dies z.B. bei DaimlerBenz in Stuttgart und Sindelfingen der Fall ist 80 . 2.4.1.3 Erwerbslosigkeit

als Krankheitsursache

Der Anteil der Erwerbslosen an den Pflichtmitgliedern differiert je nach Kassenart erheblich. Hier zeigt sich ein besonders hoher Anteil bei den Ortskrankenkassen (10,3%) und der Seekasse (10,1%). Erheblich niedriger lag deren Anteil bei den Ersatzkassen der Angestellten (5,8%) und besonders bei den Betriebskrankenkassen (3,3%) (vgl. Tab. 14) 81 . Tabelle 14 Anteil der Arbeitslosen an den Pflichtmitgliedern (nach Kassenart -1984) Kassenart

Arbeitslose absolut

in v . H .

OKK

988 249

10,31

BKK

78 136

3,30

IKK

108 688

7,66

LwKK

742

0,16

SeeKK

2 951

10,05

8 691

3,14

EAR

22 935

6,46

ΕΑΝ

373 234

5,84

1 583 625

7,58

BuKn

Insgesamt

Die Konzentration der Arbeitslosen bei den Ortskrankenkassen durfte darauf beruhen, daß allgemein die Arbeitslosenquote bei Arbeiterberufen höher 79 Buttler u.a. (1982), S. 101; s.a. Georg / Stuppardt / Zoike (1982), S. 61, die typische Diagnosegruppen nach Branchen gegliedert ermittelt haben. 80 Bei A O K und I K K kann der allgemeine Beitragssatz nach Erwerbszweigen und Berufsarten der Versicherten sowie der Beitragsanteil des Arbeitgebers für einzelne Betriebe durch Satzungsbestimmung erhöht werden (§ 384 I RVO), davon ist jedoch kein Gebrauch gemacht worden, dazu Neuhaus (1985), S. 127ff. s* Nach Stollenwerk (1985), S. 133/135 - Tab. 3 sowie S. 137.

92

2. Ursachen der Beitragssatzunterschiede

als die in Angestelltenberufen ist, zum anderen dürfte dies auch in der Auffangzuständigkeit der Ortskrankenkassen für Arbeitslose (§ 159 I I AFG) begründet sein. Es ist in der Sozialmedizin allgemein anerkannt, daß Arbeitslosigkeit zu erhöhter Krankheitsanfälligkeit und Sterblichkeit führen kann 82 . Länger andauernde Arbeitslosigkeit, d.h. mehr als nur einige Wochen, führt zu physiologischem Streß, der seinerseits Bluthochdruck bzw. ein erhöhtes Risiko einer Herzerkrankung nach sich zieht. Bedingt durch den finanziellen Druck sowie den Abbruch vertrauter persönlicher Beziehungen kommt es auch zu psychischen Störungen bis hin zu erhöhten Selbstmordversuchen. Die Auswirkungen treten nicht nur bei den Arbeitslosen selbst, sondern auch bei den (noch) Erwerbstätigen sowie den Familienangehörigen auf 83 . Bereits in den ersten Wochen der Arbeitslosigkeit ist festzustellen, daß sich das psychische Wohlbefinden der Arbeitslosen aufgrund der finanziellen Belastungen merklich verschlechtert, dagegen ist der physische Gesundheitszustand im Anfangsstadium der Arbeitslosigkeit sogar etwas besser 84. Nach einer „Euphoriephase" von etwa acht Wochen nach der Entlassung schließt sich bei längerfristig Arbeitslosen dann eine Phase der Einschüchterung und Mutlosigkeit an, die auch negative gesundheitliche Folgen haben kann. In diesem Stadium können subjektive Entscheidungen verstärkend hinzutreten, indem jetzt bewußt eine - bislang verschleppte - Erkrankung auskuriert wird oder schlimmstenfalls sogar eine Flucht in die Krankheit erfolgt 85 . Ein Zusammenhang zwischen Arbeitslosigkeit und bestimmten Ausgabemerkmalen bei den Krankenkassen ist durch eine Mikroanalyse bei zwei Ortskrankenkassen in den Jahren 1975 und 1979 nachgewiesen worden 86 . Danach wurden ambulante Leistungen nur geringfügig mehr in Anspruch genommen (7 - 10%), aber bereits für stationäre Behandlung lagen die Ausgaben zwischen 2,5 - 3,4fach höher als bei Erwerbstätigen. Insgesamt erhöhten sich die Ausgaben je arbeitsloses Mitglied um ca. 65 - 70%, während die Ausgaben für Familienhilfe für diesen Personenkreis ca. 10 - 15% höher lagen. Es ist demnach folgerichtig, wenn Huppertz u.a. 8 7 auch einen merklichen statistischen Zusammenhang zwischen Beitragssatzhöhe und Arbeitslosenanteil konstatieren. Dieser Zusammenhang zeigt sich sowohl auf Bundesebene 82 Einen informativen Überblick gibt Thomann (1983b); s.a. Brinkmann / Potthoff (1983), S. 378 mit ausführlichen Literaturnachweisen sowie Kurzbericht der W H O ν. 7. 1. 1983, ebd., S. 394. 83 Brinkmann / Potthoff (1983), S. 378/379. 84 Brinkmann / Potthoff (1983), S. 378. 85 Wacker (1977), S. 95ff.; ders. (1982), S. 185ff.; dies zeigt sich auch daran, daß mit zunehmender Dauer der Arbeitslosigkeit der Anteil der Arbeitslosen mit gesundheitlichen Einschränkungen sich erhöht, BArbBl. 1985, Heft 7 - 8, S. 137 - Tab. 229. 86 Debold (1982), S. 6. 87 Huppertz u.a. (1981), S. 112.

2.4 Personelle Bestimmungsfaktoren der Ausgaben ( F i n a n z b e d a r f ) 9 3

als auch innerhalb der einzelnen Bundesländer: mit der Höhe des Arbeitslosenanteils ist demnach eine Steigerung des Beitragssatzes verbunden. Neben den erhöhten Leistungsaufwendungen ist dies auch auf das häufig niedrigere Grundlohnniveau der Arbeitslosen zurückzuführen, das als Ausdruck des erhöhten Arbeitsplatzrisikos zu werten ist 88 . Pläne der früheren Bundesregierung, die Bemessungsgrundlage für die Beiträge der Arbeitslosen von 100% des letzten Bruttogehalts auf 70% abzusenken (§ 157 I I I AFG), hätten aufgrund der ungleichen Verteilung der Arbeitslosen einen Finanzausgleich notwendig gemacht. Der entsprechende Gesetzentwurf, der eine Durchführung des Ausgleichs bei der Bundesanstalt für Arbeit vorsah, wurde noch von der sozial-liberalen Koalition verabschiedet 89, infolge des Regierungswechsels wurde der Finanzausgleich jedoch nicht Gesetz. 2.4.2 Risikofaktor Geschlecht Der Anteil der weiblichen Versicherten (ohne Rentner) außerhalb der Familienhilfeberechtigten ist je nach Kassenart sehr unterschiedlich. So hatten die Ersatzkassen für Angestellte bereits im Jahre 1978 einen überdurchschnittlichen Frauenanteil von 52,4%, während alle übrigen Kassenarten einen deutlich geringeren Anteil aufwiesen (z.B. Ö K K = 34,2% Frauenanteil) 90 . Diese Verteilung stellt sich nunmehr wie folgt dar: Tabelle 15 Mitglieder (ohne Rentner) nach Geschlecht und Kassenart (August 1984)a> Mitglieder

davon Frauen abs.

%

OKK

10 573 880

3 612 909

34,2

BKK

2 719972

722 659

26,7

IKK

1555 644

374 510

24,1

LwKK

481975

53 824

11,2

SeeKK

42331

2 331

5,5

319721

30725

9,6

BKn EAR

419 187

80 361

19,2

ΕΑΝ

9222 871

5 036 888

54,6

a) Eig. Berechnungen nach BArbBl. Heft 12/1984, S. 134.

88 Huppertz u.a. (1981), S. 114; Paquet (1985), S. 313. Frankfurter Rundschau v. 2. 9. 1982 - „Kassen-Finanzausgleich von der Regierung beschlossen"; vgl. auch Cichon u. a. (1982), S. 266. 90 Huppertz u.a. (1981), S. 95; Buttler u.a. (1982), S. 91. 89

94

2. Ursachen der Beitragssatzunterschiede

Unter Verwendung der in der privaten Krankenversicherung üblichen Wagnisstatistik, die das Krankheitskostenrisiko getrennt für männliche und weibliche Versicherte ausweist91, wird von mehreren Autoren angenommen, daß Frauen durchschnittlich mehr Leistungen benötigen als Männer 92 . Als weiterer Beleg für die Aussage, daß Frauen häufiger als Männer krank sind, werden die Mikrozensus-Daten zur Gesundheitssituation der Bevölkerung herangezogen, wonach die Zahl der weiblichen kranken Personen in allen Altersgruppen höher als bei den Männern war 93 . Es ist jedoch umstritten, ob daraus der Schluß gezogen werden kann, daß in der gesetzlichen Krankenversicherung ein hoher Frauenanteil als Ursache für einen hohen Beitragssatz anzusehen ist. Dies ist jedenfalls anhand der vorhandenen Datenlage für die gesetzliche Krankenversicherung nicht nachweisbar. Eine erhöhte Inanspruchnahme ist zunächst nur plausibel hinsichtlich der Leistungen, die nur von Frauen in Anspruch genommen werden können (Mutterschaftshilfe, Schwangerschaftsabbruch etc.). Der Mikrozensus vom April 1978 weist aus, daß der prozentuale Anteil von weiblichen Personen an den kranken- und Unfallverletzten Personen durchschnittlich höher als der der Männer lag. Nur bei den unter 15jährigen Personen waren die Anteile fast gleich 94 . Allerdings sind diese Daten nicht ohne weiteres auf die G K V anzuwenden, da die Definition des Krankheitsbegriffs im Sinne der Umfrage nicht notwendig die Inanspruchnahme medizinischer Leistungen voraussetzt. Danach galt eine Person als krank, wenn sie sich zum Zeitpunkt der Befragung oder innerhalb vier Wochen davor in ihrer Gesundheit so beeinträchtigt fühlte, daß sie ihre übliche Beschäftigung (Berufstätigkeit, Schulbesuch, Hausarbeiten usw.) nicht voll ausführen konnte. Dagegen weist die Krankenstandsstatistik der gesetzlichen Krankenversicherung, die als allgemeiner Indikator für den Gesundheitszustand der Versicherten angesehen werden kann, einen niedrigeren Krankenstand von Frauen aus 95 . Auch die Dauer der Arbeitsunfähigkeit lag im Jahre 1982 bei Männern mit 16,8 Tagen höher als bei Frauen (16,3 Tage), die Dauer des Krankenhausaufenthaltes war durchschnittlich bei Männern (16,4 Tage) länger als bei Frauen (13,4 Tage) 96 .

91

Die private Krankenversicherung - Rechenschaftsbericht 1981 - S. 106 m.w.N. 92 Siebeck (1982), S. 480; Ott (1981a), S. 99; im Ergebnis ebenso: WIdO (1984), S. 45 - Tab. 5, wobei dort eine „Nutzungsvielfache" als Indikator für die Nutzung ärztlicher Leistungen gebildet wird. 93 Buttler u.a. (1982), S. 91 - Tab. 3.11; WIdO (1984), S. 3 7 - T a b . 2. 94 D O K 1982, S. 352 - Tab. 2 (nach: Stat. Bundesamt - FS 12/S 3 - Fragen zur Gesundheit (1978), S. 1 8 - T a b . 1. 95 Arbeits- und Sozialstatistik, Hauptergebnisse 1985, S. 157. 9 6 Ebd., S. 165/166.

2.4 Personelle Bestimmungsfaktoren der Ausgaben (Finanzbedarf)

95

Die Arbeitsunfähigkeitsfälle waren bei Männern (109,4 je 100 Mitglieder) häufiger als bei Frauen (94,8 je 100 Mitglieder). Dieses Verhältnis kehrt sich allerdings bei den Krankenhausfällen um: hier waren die Frauen (14 Fälle je 100 Mitglieder) häufiger als die Männer vertreten (11 Fälle je 100 Mitglieder) 96 . Danach ist aus den Daten der gesetzlichen Krankenversicherung nicht verläßlich zu schließen, ob Frauen durchschnittlich mehr oder weniger Leistungen benötigen 97 , vielmehr deuten auch hier die unterschiedlichen Ergebnisse bei einzelnen Kassen (insbesondere Betriebskrankenkassen, Ersatzkassen für Angestellte) darauf hin, daß andere Merkmale entscheidender sind (Tätigkeitsbereich, Altersstruktur). Die Korrelationsanalyse bei Huppertz u.a. 9 8 weist unter Einbeziehung aller Kassenarten keinen signifikanten Zusammenhang zwischen Frauenanteil und Beitrag aus. Innerhalb der Kassenarten zeigen sich sowohl positive (EAR, Ε Α Ν , I K K ) als auch negative (OKK, B K K ) Korrelationskoeffizienten. Diese unterschiedlichen Auswirkungen bei den Kassenarten deuten darauf hin, daß hier andere Ursachen wirken, die in der Zusammensetzung des Kreises der weiblichen Versicherten zu suchen sind. Die Daten der privaten Krankenversicherung können nicht ohne weiteres übertragen werden, da dort eine individuelle Prämienkalkulation erfolgt, während bei gesetzlichen Krankenversicherungen nur eine Globaläquivalenz angestrebt wird, der erhebliche Umverteilungsströme gerade im Bereich der Familienlasten zugrundeliegen. Im Gegensatz zur PKV, in der jedes Risiko individuell versichert wird, sind die weiblichen Versicherten in der G K V häufig im Rahmen der Familienhilfe versichert und tauchen in der Leistungsstatistik beim männlichen Anspruchsinhaber auf. Die Frauen, die einen eigenen Leistungsanspruch haben, sind dagegen häufig ledig oder ohne Kinder, in jedem Fall entstehen bei ihnen weniger Leistungsansprüche für Familienangehörige 99 . Vergleiche der Leistungsstatistik zwischen PKV und G K V sind aufgrund der unterschiedlichen Leistungserfassung hinsichtlich des Merkmals „Geschlecht" sehr problematisch. Festzuhalten ist danach nur, daß bei individueller Berechnungsweise die Inanspruchnahme von Frauen höher als bei Männern liegt. Demzufolge zeigen sich in der gesetzlichen Krankenversicherung folgende Zusammenhänge: Im Hinblick auf die Grundlohnsumme wirkt sich ein hoher Frauenanteil allgemein grundlohnsenkend 100 und gleichzeitig auch finanzbedarf ssenkend 101 aus, wobei entscheidend ins Gewicht fällt, daß bei einem hohen Frauenanteil weniger Familienhilfeleistungen benötigt werden. Es läßt 97

Anders aufgrund unzureichenden Datenmaterials Buttler u.a. (1982), S. 97ff. « Huppertz u.a. (1981), S. 112-Tab. 58. 99 Paquet (1985), S. 300f. 100 Huppertz u.a. (1981), S. 115-Tab. 60. 101 Huppertz u.a. (1981), S. 116-Tab. 61, sowie zusammengefaßt: S. 40. 9

96

2. Ursachen der Beitragssatzunterschiede

sich danach finanzstatistisch kein direkter Zusammenhang zwischen Beitragssatz und Frauenquote nachweisen 102 . Ein hoher Frauenanteil dürfte nur dann risikosteigernd sein, wenn diese Frauen niedriges Einkommen und gleichzeitig eigene Ansprüche auf Familienhilfe haben. Für die Schaffung eines möglichen Ausgleichs erweist sich daher das Merkmal „Leistungen für Frauen" als ungeeignet, da keine allgemeine Tendenz zur höheren Inanspruchnahme bei Frauen feststellbar ist, vielmehr ergeben sich hier vielschichtige Zusammenhänge mit der Grundlohnhöhe und der Inanspruchnahme von Familienhilfeleistungen. 2.4.3 Risikofaktor Familienangehörige Eine bedeutsame sozialpolitische Komponente der gesetzlichen Krankenversicherung ist der Familienlastenausgleich aufgrund der Familienhilfe gem. § 205 RVO. Damit werden bedeutsame Umverteilungsmaßnahmen zugunsten der unterhaltsberechtigten Ehegatten und Kinder durchgeführt. Für die einzelne Kasse hat dies zur Konsequenz, daß sie Leistungen gewähren muß, ohne Beiträge dafür zu erhalten 103 . Damit führt eine große Anzahl von familienhilfeberechtigten Mitgliedern direkt zur Erhöhung der Leistungsausgaben der Kasse. Auch die Familienangehörigen sind recht unterschiedlich auf die jeweiligen Kassenarten verteilt. Die höchste Familienquote, d.h. die Anzahl der beitragsfrei versicherten Familienangehörigen je 100 Mitglieder 104 , ergab sich bei den L w K K (143,3), den BuKn (113,6) sowie den B K K (102,9). Den niedrigsten Familienlastquotienten wiesen die Ersatzkassen für Angestellte (57,3) sowie die Ortskrankenkassen (69,3) auf. Beim Vergleich der letztgenannten Kassenarten zeigt sich allerdings ein deutlich höherer Familienlastquotient bei den freiwillig Versicherten der Ersatzkassen (110,6) als bei den Ortskrankenkassen (89,0) (vgl. dazu Tab. 16) 105 . Der durchgehend höhere Anteil der Familienlastquote bei freiwilligen Mitgliedern deutet darauf hin, daß gerade Arbeitnehmer mit Kindern bzw. Ehegatten in der gesetzlichen Krankenversicherung verbleiben, während alleinlebende Versicherte die private Krankenversicherung wählen. Dies wäre eine plausible Erklärung für die ungewöhnlich hohe Familienlastquote dieses Personenkreises 106. Daraus folgt, daß eine hohe Familienlastquote dann beson102

Huppertz u.a. (1981), S. 464. Zu den absoluten Leistungsausgaben für mitversicherte Familienangehörige: Ott (1981a), S. 115ff. 104 Dabei ist der Familienlastquotient je 100 Pflicht- und freiwillige Mitglieder für die Bestimmung des Risikofaktors zugrundezulegen, da die Ausgaben der Familienhilfe bei Rentnern über die KVdR ausgeglichen werden. 105 Stollenwerk (1985), S. 133/142-Tab. 12. 106 So auch Ott (1981a), S. 128f. 103

2.4 Personelle Bestimmungsfaktoren der Ausgaben ( F i n a n z b e d a r f ) 9 7

ders risikoerhöhend wirkt, wenn dem keine entsprechend hohen Grundlöhne der Versicherten entgegenstehen (wie dies insbesondere bei den freiwillig Versicherten der Ersatzkassen der Fall ist). Tabelle 16 Familienlastquote (nach Kassenarten -1984) Anspruchsberechtigte Familienangehörige insgesamt in der G K V -Stand 1.10.1984- a ) Auf je 100 Mitglieder entfallen . . . Familienangehörige insgesamt Kassenart

0

je 100 Mitglieder je 100 Pflichtinsgesamt mitglieder

1

2

je lOOfreiw. Mitglieder

je 100 Pflichtund freiw. Mitglieder

je 100 Rentner

3

4

5

OKK

50,8

67,1

89,0

69,3

15,2

BKK

80,8

97,2

137,9

102,9

37,5

IKK

67,0

70,0

114,9

74,7

29,9

LwKK

99,3

147,0

47,5

143,3

34,7

BuKn

55,5

121,3

70,2

113,6

27,4

EAr

70,0

71,5

128,9

80,3

22,7

EAn

49,7

34,3

110,6

57,3

16,6

Sämtliche Kassenb)

56,3

63,1

107,8

71,1

20,4

a) Quelle: Erhebung der Krankenkassen zum Stichtag 1. Oktober 1984 b) Einschließlich Seekrankenkasse

Auch innerhalb einer Kassenart und/oder Region bestehen beträchtliche Unterschiede 107 . Die Belastung mit einem höheren Anteil an mitversicherten Familienangehörigen führt jedoch nicht in jedem Fall zu einem entsprechend höheren Beitragssatz. Dies weist die Korrelationsanalyse von Huppertz u. a. aus 108 . Danach zeigt sich zwar für die O K K ein deutlicher positiver Zusammenhang (r = 0,63), andererseits weist jedoch die Korrelation bei den Ersatzkassen der Angestellten in die entgegengesetzte Richtung (r = —0,42). Die 107

Huppertz u.a. (1981), S. 56ff. - Tab. 15 - 18. io» Huppertz u.a. (1984), S. 106-Tab. 52. 7 Brunkhorst

98

2. Ursachen der Beitragssatzunterschiede

gegensätzlichen Korrelationsquotienten ergeben sich auch bei der Regionalanalyse. Es liegt daher nahe, auch hier einen kompensierenden Einfluß der Grundlöhne anzunehmen. Es ist daher fraglich, ob ein isolierter Ausgleich der Familienlasten, der unter dem Gesichtspunkt der Solidarität der Generationen entsprechend dem Ausgleich der Rentnerlasten von Tons 1 0 9 angeregt wurde, überhaupt zum Ausgleich der Beitragssatzunterschiede tauglich ist. Die Simulation eines Familienlasten-Finanzausgleichs auf Basis des Bedarfssatzes für Familienlasten (Grundlohnsumme im Verhältnis zu Familienhilfeausgaben bei Huppertz u.a.) 1 1 0 zeigt, daß die länderspezifischen Beitragssatzunterschiede erheblich verringert wurden, gleiches gilt für die Orts- und Betriebskrankenkassen. Andererseits vergrößern sich jedoch bei den anderen Kassenarten, insbesondere bei den Ersatzkassen, die Beitragssatzunterschiede. Insgesamt gesehen ist daher auch der Ausgleich der Bedarfssätze für Familienhilfe allein nicht geeignet, die Beitragssatzunterschiede allgemein anzugleichen 111 . 2.4.4 Risikofaktor Alter Die Altersschichtung der erwerbstätigen Mitglieder (ohne Rentner) 112 innerhalb der Kassenarten ist ebenfalls sehr unterschiedlich 113 . Bereits bei der Betrachtung des Durchschnittsalters 114 der Mitglieder zeigt sich, daß die Innungskrankenkassen mit einem Durchschnittsalter von 32,67 Jahren die jüngste Mitgliedschaft hatten. Das Durchschnittsalter bei den Ersatzkassen der Angestellten lag mit 36,1 Jahren knapp unter dem Gesamtdurchschnittsalter (37 Jahre), während die Ortskrankenkassen mit 37,5 Jahren etwas darüber lagen. Ebenfalls bedeutsam ist jedoch der Anteil der über 45-jährigen. Hier zeigt sich deutlich der geringe Anteil bei den Innungskrankenkassen (19,5% über 45-jährig) 115 , auch der Anteil bei den Ersatzkassen der Angestellten lag deutlich unter dem durchschnittlichen Anteil, den alle Kassen hatten, während die Ortskrankenkassen einen etwas über dem Durchschnitt liegenden Anteil aufwiesen (30,7% über 45-j ährig). Der vermehrte Bedarf an Gesundheitsleistungen mit zunehmendem Alter beruht darauf, daß etwa mit dem 45. Lebensjahr vermehrt Krankheiten des Kreislaufsystems, aber auch Krankheiten des Skeletts, Stoffwechselkrankheiten, der Atmungsorgane und der Verdauungsorgane auftreten, während nur 109

Töns (1980), S. 536/544, so auch Ott (1981a), S. 204. no Huppertz u.a. (1981), S. 402ff. m Huppertz u.a. (1981), S. 403. h 2 Die Ausgaben für Rentner werden durch den Finanzausgleich der K V der Rentner fast vollständig ausgeglichen (vgl. Kap. 3.1.1.4) und daher hier nicht behandelt. 113 Buttler u.a. (1982), S. 9 2 - T a b . 3.13. 114 Huppertz u.a. (1981), S. 9 7 - T a b . 47. 115 Buttler u.a. (1982), S. 9 3 - T a b . 3.14.

2.4 Personelle Bestimmungsfaktoren der Ausgaben (Finanzbedarf)

99

die infektiösen Krankheiten nicht ansteigen 116 . Auch die altersspezifische Krankheitshäufigkeit weist ab dem Lebensalter 45 einen deutlichen Anstieg bei langdauernden Krankheiten über sechs Wochen auf, bei einer Krankheitsdauer von 2 - 6 Wochen ist der Anstieg mit zunehmendem Alter relativ gering, während Kurzerkrankungen unter zwei Wochen sogar abnehmen 117 . Insgesamt ist daher davon auszugehen, daß für die meisten Krankheitsarten die Krankheitshäufigkeit mit dem Alter zunimmt, und daß die kostenintensiven Krankheiten mit einer längeren Dauer als zwei Wochen mit dem Alter ebenfalls mehr werden. Als weiterer Indikator für eine mit dem Alter zunehmende Morbidität ist der Anstieg der Frühverrentungen zu werten 118 (insgesamt siehe Abbildung 2). Fraglich ist, ob zwischen der Höhe des durchschnittlichen Mitglieder alters und der Höhe der Beiträge ein meßbarer Zusammenhang besteht. Die Korrelationsanalyse bei Huppertz 119 zeigt keinen eindeutigen Zusammenhang. Allein bei den Ersatzkassen der Angestellten ergibt sich eine negative Korrelation von r = 0,56. Das bedeutet, daß hier die Beitragssätze niedriger lagen je höher das Alter der Versicherten war. Dieser Zusammenhang wird erklärlich, wenn man den Einfluß des Alters auf die Höhe der Grundlöhne in Betracht zieht. Hier gibt es einen deutlichen Zusammenhang (r = 0,53), der besagt, daß das Grundlohnniveau um so höher liegt, je mehr der Altersdurchschnitt steigt 120 . Hier spiegelt sich also die Lohn- und Gehaltsstruktur wider, die entsprechend dem Alter ansteigt. Bei den Arbeitereinkommen wird nach einer Analyse von Erwerbsbiographien durchschnittlich etwa zwischen dem 45. und 50. Lebensjahr das höchste Einkommen erzielt, danach sinkt es wieder ab 1 2 1 . Die negative Korrelation bei den Ersatzkassen der Angestellten wäre demnach mit dem auch in höheren Altersgruppen noch ansteigendem Gehalt der Angestellten zu erklären. Andererseits belegt eine deutliche Korrelation zwischen dem Alter und der Leistungsinanspruchnahme bei Pflichtausgaben (r = 0,42) die höhere Leistungsinanspruchnahme 122 von älteren Versicherten. Eine Angleichung der unterschiedlichen Ausgabelast je nach Alter der Mitglieder würde demnach - selbst bei Außerachtlassung der Schwierigkeiten der Datenerfassung - nicht isoliert wirksam. Ein Ausgleich würde nur unter gleichzeitiger Beachtung der Grundlohnhöhe und des Familienquotienten beitragssatznivellierend wirken. WIdO (1984), S. 4 0 - A b b . 8. » 7 WIdO (1984), S. 41 - Abb. 9, s. a. Buttler u. a. (1982), S. 99 - Tab. 3.20. 118 Vgl. W i d o (1984), S. 4 2 - T a b . 4. 119 Huppertz u.a. (1981), S. 112-Tab. 58. 120 Huppertz u.a. (1981), S. 115-Tab. 60. 121 Göbel (1983), S. 48, 176. 122 Huppertz u.a. (1981), S. 117-Tab. 61. τ

100

2. Ursachen der Beitragssatzunterschiede

2.5 Räumliche Bestimmungsfaktoren des Beitragssatzes

101

2.4.5 Zwischenergebnis: Risikofaktoren wirken nicht isoliert Die Untersuchung der personellen Risikostrukturen hat gezeigt, daß sowohl die Art der ausgeübten Tätigkeit, das Geschlecht des Versicherten, das Alter und die Zahl der mitversicherten Familienangehörigen das Leistungskostenrisiko beeinflussen. Keiner dieser Faktoren wirkt jedoch bei isolierter Betrachtung nur negativ oder positiv, sondern wird häufig von gegenläufigen Faktoren kompensiert. Erst die Kombination mehrerer ungünstiger Risikofaktoren bewirkt eine ungünstige Risikostruktur einer Einzelkasse. Abgesehen vom Risikofaktor „ A r t der ausgeübten Tätigkeit", bei dem über erhöhte Beitragsanteile für Arbeitgeber ein Anreiz für die Abschaffung gesundheitsgefährdender Arbeitsplätze denkbar wäre, sind jedoch keine Ansatzpunkte erkennbar, wonach die übrigen Risikofaktoren allein in den Verantwortungsbereich einer Kasse fallen. Sozialpolitisch wäre ein Ausgleich dieser Risikofaktoren denkbar. Ein Finanzausgleich müßte allerdings die gesamten Leistungsausgaben erfassen, um tatsächlich eine Angleichung der Beitragssätze zu gewährleisten. 2.5 Räumliche Bestimmungsfaktoren des Beitragssatzes Wie bereits dargelegt (2.2.2), sind auch Ursachen der Beitragssatzunterschiede auszumachen, die in erster Linie auf regionale Einflußgrößen zurückzuführen sind. Aus den vorliegenden durchschnittlichen Beitragssätzen der Krankenkassen innerhalb der Landesverbände (Tab. 7) 1 2 3 läßt sich ein deutliches Gefälle zwischen einzelnen Bundesländern feststellen. Es zeigt sich, daß in allen Kassenarten die niedrigsten Beitragssätze in den Ländern Bayern und Baden-Württemberg erhoben werden. Dagegen werden die höchsten Beitragssätze bei den Ortskrankenkassen im Saarland sowie in Hamburg erhoben, hier werden auch die höchsten Beitragssätze bei den Betriebskrankenkassen erhoben. Bei den Innungskrankenkassen werden die höchsten Beitragssätze in Berlin und in Hessen sowie in Rheinland-Pfalz erhoben. Die Beitragssätze der gesetzlichen Pflichtkassen sind jedoch nicht geeignet, ein vollständiges Bild der Risikostruktur auf Regionalebene zu geben, da Beitragssätze der Ersatzkassen nicht regional erfaßt werden 124 . Die Risikostruktur der gesetzlichen Pflichtkassen kann je nach regionalem Anteil der Ersatzkassen an der Gesamtzahl bzw. Struktur der Versicherten erheblich beeinflußt werden. Dies wirkt sich auch auf die Wettbewerbssituation zwischen den Kassen vor Ort aus und kann zu einer strukturellen Benachteiligung der Ortskrankenkassen führen (siehe insb. 2.5.5). 123

Vgl. Kap. 1.1.3. Dem Verf. waren keine regional spezifizierten Daten der bundesweiten Ersatzkassen zugänglich, da diese nur intern verwendet werden. 124

102

2. Ursachen der Beitragssatzunterschiede

2.5.1 Risikofaktor Umweltbelastung Als regional wirksamer Risikofaktor ist zunächst die Umweltbelastung zu nennen. Als Faktoren der Umweltbelastung werden allgemein z.B. Luftverschmutzung, Gewässer- und Bodenverschmutzung, Lärm, Verkehrsrisiken und Streß angesehen125. Die Auswirkungen auf die Gesundheit sind größtenteils noch nicht in ihren Auswirkungen erfaßt, häufig wirken mehrere Faktoren gleichzeitig 126 . Daher können hinsichtlich der Auswirkungen auf das Morbiditätsrisiko vorerst nur Tendenzaussagen aufgrund plausibler Annahmen gemacht werden 127 . Es werden zunehmend Krankheitsarten registriert, die im Zusammenhang mit Umweltbelastungen gehäuft auftreten 128 : - Pseudo-Krupp-Anfälle bei Kleinkindern bei hohen Schwefeldioxydgehalten der Luft 1 2 9 ; - vermehrtes Auftreten von Kehlkopfentzündungen bei erhöhtem Staubauswurf; - Zunahme von Sehstörungen durch hohe Schwermetallbelastung (Blei, Cadmium) in Gemüsen; - Zunahme von Hautallergien; - Schädigung von Säuglingen durch erhöhten Nitratgehalt im Trinkwasser. Auch die Erkrankung an Lungenkrebs ist regional sehr unterschiedlich, statistisch gesehen ist die Zahl der Krebstoten nach Lungenkrebs in Ballungsgebieten höher als in ländlichen Gebieten 130 . Auch sonstige Atemwegserkrankungen treten häufiger in Ballungsgebieten auf. Dabei ist nicht zu übersehen, daß ein großer Teil der Umweltbelastung bereits am Arbeitsplatz anfällt und zu Gesundheitsschädigungen bei Arbeitnehmern führt (s.o. 2.4.1). Hier soll jedoch das darüber hinausgehende Gesundheitsrisiko unabhängig vom Arbeitnehmerstatus erfaßt werden. Als Indikator für die Umweltbelastung wird von einigen Autoren die Bevölkerungsdichte angenommen, da sich durch die sog. Verdichtungsbelastung die negativen Folgen arbeitsplatz- und bevölkerungsbezogener Konzentration 125

Kruse / Kruse (1983b), S. 323/326.; Buttler u.a. (1982), S. 111. Hauff / Müller (1984). 127 Buttler u.a. (1982), S. 137. 128 Vgl dazu Antwort der Β Reg. auf die Anfrage der Grünen (Kranke Umwelt Kranke Kinder. Gesundheitsgefährdung durch Umwelt - speziell Luftverschmutzung) v. 11. 10. 1984, BT-Drs. 10/207. 126

129

Siehe Zusammenstellung bei Hauff / Müller (1984), dort Ziff. 3 - 5. „Zusammenhänge zwischen Luftverschmutzung und Atemwegserkrankungen unverkennbar", FR v. 3. 9. 1984, S. 16. 130

2.5 Räumliche Bestimmungsfaktoren des Beitragssatzes

103

ausdrücken. Neben den schädlichen Umweltein Wirkungen wären hier die spezifischen Arbeits- und Lebensbedingungen sowie schlechtere Erholungsmöglichkeiten in Ballungszentren zu erwähnen 131 . Als Indikator für die Krankheitshäufigkeit wurde dabei von Buttler u. a. 1 3 2 die Höhe der Leistungsausgaben verwendet. Eine Korrelation dieser beiden Faktoren ergab für alle Regionen einen deutlichen positiven Zusammenhang 133 . Eine Korrelation mit den Ausgaben für Familienhilfe ergab dagegen eher einen negativen Zusammenhang zwischen Bevölkerungsdichte und Familienhilfeleistungen. Diese Beziehung wird jedoch plausibel, wenn man berücksichtigt, daß mit steigender Gemeindegröße die Zahl der Ein-Personen-Haushalte überproportional zunimmt 1 3 4 . Daher nimmt mit steigender Gemeindegröße auch die Zahl der Mitversicherten ab. Der Indikator Bevölkerungsdichte schlägt sich auch bei den Krankenständen nieder. Eine Zusammenstellung der Krankenstände bei den Ortskrankenkassen für das Jahr 1980 hat gezeigt, daß in städtischen Ballungsgebieten hohe Krankenstände über 7% zu verzeichnen waren, während in ländlich strukturierten Gebieten überwiegend niedrige Krankenstände festzustellen waren 135 . Bei den Krankenständen sind jedoch auch andere Einflußfaktoren wie Betriebsgröße, Wirtschaftszweig und Arbeitsmarktsituation zu beachten, so daß der Krankenstand als Indikator für Umwelteinflüsse nur begrenzt tauglich ist 1 3 6 . Auch wenn die Auswirkungen der Umweltbelastung auf die Gesundheitslage der Bevölkerung bzw. der Versicherten der jeweils zuständigen Krankenkasse derzeit nicht genau zu ermitteln ist, so dürfte doch die Tendenzaussage einer höheren Gesundheitsgefährdung in Ballungsgebieten plausibel sein. Eine weitere Aufklärung wäre auch durch die Krankenkasse im Rahmen ihrer Sozialberichterstattung 137 zu leisten.

131

Paquet (1983), S. 15/19; Schettkat (1983), S. 46/49. Buttler u.a. (1982), S. 113. 133 Die Korrelationsanalyse berücksichtigt allerdings nicht mögliche kompensierende Effekte durch ein höheres medizinisches Versorgungsniveau in Ballungsgebieten, dazu unter 2.5.2. 134 Buttler u.a. (1982), S. 114; WIdO (1984), S. 27ff. 135 Busch (1982), S. 9 - Tab. 5; ebenso für die Braunschweiger Kasse (Ersatzkasse für Arbeiter im Bekleidungsgewerbe): Kruse / Kruse (1982), S. 204/209. 136 Haußu.a. (1984), S. 59f. 137 So auch Kruse / Kruse (1983b), S. 323/326. 132

104

2. Ursachen der Beitragssatzunterschiede

2.5.2 Kostenfaktor medizinische Infrastruktur In der gesundheitsökonomischen Literatur 1 3 8 wird die Auffassung vertreten, daß die Inanspruchnahme von medizinischen Leistungen nicht allein von der Nachfrage der Patienten gesteuert wird, sondern auch von örtlich verfügbarem Angebot (Ärzte, Krankenhäuser) beeinflußt wird (These von der angebotsinduzierten Nachfrage) 139 . Die These von der angebotsinduzierten Nachfrage geht davon aus, daß der Arzt Inhalt und Umfang seiner Leistung selbst bestimmen kann, und daß es keine zuverlässigen Kriterien zur Überprüfung der ärztlichen Leistung gibt, so daß der Arzt neben den medizinischen Notwendigkeiten auch seine Einkommenssituation berücksichtigen kann 1 4 0 . Hinzu kommt, daß die Nachfrage nach ärztlichen Leistungen grundsätzlich bei kostenfreiem Zugang für den Versicherten - unbegrenzt ist, da die Zunahme der ärztlichen Behandlungen gemeinhin als Erhöhung der Versorgungsqualität angesehen wird 1 4 1 . Auf das Leistungskostenrisiko einer Krankenkasse ergeben sich daher folgende Auswirkungen: wenn nur ein geringes Leistungsangebot vorhanden ist bzw. lange Wege zum Arzt oder zum Krankenhaus erforderlich sind, sinkt demzufolge zwangsläufig die Nachfrage nach medizinischen Leistungen 142 . Umgekehrt zeigt sich bei höherer Arzt/Krankenhausbettendichte bzw. höherem Anteil an Fachärzten und Spezialkrankenhäusern eine Tendenz zur vermehrten Inanspruchnahme und damit einem erhöhten Leistungskostenrisiko. Ein besseres Angebot an medizinischen Leistungen ist regelmäßig in Ballungsgebieten anzutreffen, während dies in ländlichen Regionen meist erheblich ausgedünnt ist 1 4 3 . Die medizinische Infrastruktur ist daher als regionalwirksamer Kostenfaktor in der Ursachenanalyse zu berücksichtigen. Damit ist jedoch noch keine Aussage darüber zu treffen, ob damit eine Überversorgung der Ballungsgebiete vorliegt, da nicht auszuschließen ist, daß die hohe Inanspruchnahme in Ballungsgebieten teilweise dem höheren Gesundheitsrisiko zuzurechnen ist (siehe 2.5.1) 144 . 138 Borchert (1980b), S. 805; Geißler in: WIdO (1980), S. 23; Huppertz u.a. (1981), S. 38; Schicke (1981), S. 85; Buttler u.a. (1982), S. 131; Kruse / Kruse (1983b), S. 323/ 326; Neubauer (1984), S. 111. 139 Vgl. insbes. Adam (1983), S. 6ff.; v. d. Schulenburg (1981), S. 79f. 1 40 Borchert (1980), S. 806. 141 Neubauer (1984), S. 111/112, zu den Auswirkungen der „Ärzteschwemme": Neubauer (1985), S. 97ff.; kritisch dazu: Eichner (1982), S. 204/205. ι 4 2 Kruse / Kruse (1983b), S. 323/326. 1 43 Neubauer (1984), S. 111 (Vergleich der Region München mit dem Landkreis Eichstätt); Schräder / Volkholz (1977), mehrere Beiträge. 1 44 Schicke (1981), S. 85; Paquet (1983), S. 19; Buttler u. a. (1982), S. 134; Neubauer (1984), S. 111/113; das hohe Versorgungsniveau in Ballungsgebieten wird in gewissem Maße auch durch überregionale Inanspruchnahme ausgeglichen, Eichner (1982), S. 204.

2.5 Räumliche Bestimmungsfaktoren des Beitragssatzes

105

2.5.2.1 Ambulante Versorgung durch niedergelassene Ärzte Das Ausgabeniveau im ambulanten Sektor wird entsprechend der These der angebotsinduzierten Nachfrage entweder durch einen Anstieg der abgerechneten Einzelleistungen pro Arzt oder durch einen Anstieg von teureren Einzelleistungen insbesondere durch Fachärzte beeinflußt 145 . Die Zunahme der abgerechneten Leistungen kann dabei auf mehreren Ursachen beruhen 146 : - durch ein besseres Facharztangebot besteht die Möglichkeit einer Überweisung durch den primär behandelnden Allgemeinmediziner oder - was eher wahrscheinlich ist - die Patienten treffen zunehmend selbst die Auswahl für den Facharzt als primär behandelnden Arzt; - durch Konkurrenzsituation zu anderen Ärzten steigt das Bemühen, den eigenen Patientenstamm dadurch zu erhalten, daß eine intensive Behandlung erfolgt bzw. mehr Leistungen (z.B. Arzneimittel) zu gewähren. Die regionale Arztdichte bei Ärzten in freier Praxis ist im einzelnen recht unterschiedlich. Die dichteste ärztliche Versorgung ergab sich 1978 147 in Hamburg (627 Einwohner je Arzt), in Berlin (West) (837 Einwohner je Arzt), wogegen im Saarland (1369 Einwohner je Arzt) und Niedersachsen (1181 Einwohner je Arzt) die niedrigste Versorgungsdichte vorlag. Eine ähnliche Konstellation ergab sich für niedergelassene Zahnärzte. Für eine regionale Beurteilung der Versorgungslage ist jedoch wesentlich aussagekräftiger, wenn der Betrachtung kleinräumige Planungsbereiche zugrundegelegt werden, da somit auch das unterschiedliche Versorgungsniveau innerhalb der Bundesländer abgebildet wird. Danach schwankte die Zahl der niedergelassenen Ärzte im Extrem zwischen 6,2 Ärzte je 10000 Einwohner im Raum Emden und 13,5 Ärzte je Einwohner im Raum München 148 . Der statistische Zusammenhang zwischen Arztdichte und Leistungskostenniveau ist inzwischen in mehreren Korrelationsanalysen nachgewiesen. Buttler u.a. 1 4 9 haben diesen anhand der Leistungsausgaben bei den Orts- und Innungskrankenkassen nach Bundesländern (1978) sowohl für die Ärztedichte allgemein als auch für Fachärzte nachgewiesen. Nach der Untersuchung von Borchert, der sich nur auf die Leistungsausgaben der Ortskrankenkassen (1977) stützt und diese nach den Abrechnungsbezirken der Kassenärztlichen Vereinigungen gliedert, korrelieren hohe Leistungsausgaben besonders deut145 Zu den Auswirkungen unterschiedlicher Honorierungsformen vgl. v. d. Schulenburg (1981), S. 180ff.; insbes. zur Einzelleistungshonorierung: S. 205ff. 146 Buttler u.a. (1982), S. 131. 147 Nach Daten des Gesundheitswesens 1980, S. 214. 14 8 WIdO (1978), S. 47ff. 149 Buttler u.a. (1982), S. 131 ff.

106

2. Ursachen der Beitragssatzunterschiede

lieh mit dem Facharztanteil innerhalb der Region, da hier der durchschnittliche Aufwand je Leistungsfall höher liegt als bei Allgemeinärzten 150 . Das ärztliche Honorarniveau ist im ganzen Bundesgebiet für die RVOKrankenkassen gleich, allerdings zahlen die Ersatzkassen sowohl bei Ärzten als auch bei Zahnärzten ein höheres Honorar je Einzelleistung, so daß zusätzlich zu den regionalen Einflüssen noch die kassenartbezogenen Einflüsse auf die Leistungskostenstruktur im ambulanten Sektor einwirken (dazu 2.5.3.1). 2.5.2.2 Stationäre Versorgung durch Krankenhäuser Im stationären Versorgungsbereich ist ein ausgabewirksamer Zusammenhang zwischen Bettendichte je 10000 Einwohner und Leistungsausgaben der Krankenkassen anzunehmen. Hinzu kommt noch die Qualität der Krankenhausversorgung, wobei im allgemeinen nach Krankenhäusern der Grund-, Regel-, Schwerpunkt- und Zentralversorgung unterschieden wird 1 5 1 . Nach dem Krankenhausbedarfsplan der Freien und Hansestadt Hamburg 1990 Fortschreibung 1984 - vom 18.12.1984 152 werden diese Versorgungsstufen anhand von Art und Anzahl der Fachabteilungen, der vorhandenen diagnostisch/therapeutisch-technischen Einrichtungen sowie der Teilnahme an der Not- und Unfallversorgung abgegrenzt 153. Die Bettendichte nach Bundesländern (je 10000 Einwohner) wies eine etwas andere Verteilung als in der ambulanten Versorgung auf. Im Jahre 1978 war die höchste Bettendichte in Berlin (182,5 Betten je 10000 Einwohner) festzustellen, danach folgte Bremen (127,8) und das Saarland (125), die niedrigste Bettendichte war in Niedersachsen (103,1) festzustellen 154. Ein stärker differenziertes Bild ergab sich bei den Krankenhäusern für Akut-Kranke, wo sehr große regionale Differenzen feststellbar waren: während in Berlin (136,3) und Bremen (123,9) eine hohe Bettendichte vorlag, betrug diese in SchleswigHolstein nur 59,5 je 10000 Einwohner 155 . Ein Indiz für die regional unterschiedliche Ausgabelast ist weiterhin die unterschiedliche Verweildauer im Krankenhaus, die anhand der Ausgabestatistiken für landesunmittelbare Kassen ermittelt wurde. Dabei ergab sich für 1980 eine relativ hohe Verweildauer in Berlin (23,59 Tage je Krankenhaus150

Borchert (1980a), S. 13; ders. (1980b), S. 805/808f. Diese in § 10 I I K H G a.F. enthaltene Einteilung ist durch Art. 1 Nr. 12 des Krankenhaus-Neuordnungsgesetzes - K H N G - v. 20. 12. 1984, BGBl. I S. 1716, gestrichen worden, so daß die Einteilung in Versorgungsstufen den Ländern in eigener Verantwortung obliegt. !52 Amtl. Anz. 1985, S. 301 ff. ι « Ebd., S. 320. 1 54 Daten des Gesundheitswesens (1980), S. 233. 1 5 5 Ebd., S. 234. 151

2.5 Räumliche Bestimmungsfaktoren des Beitragssatzes

107

fall), Hamburg (19,1 Tage), Bremen (19 Tage) sowie im Saarland (18,98 Tage), während die Verweildauer in Schleswig-Holstein (17,26 Tage) und Hessen (17,36 Tage) deutlich niedriger lag 156 . Der Zusammenhang zwischen Bettendichte und Leistungsausgaben der Krankenkassen ist durch Korrelationsanalysen erhärtet worden. So hat eine Untersuchung der Leistungsausgaben der Orts- und der Innungskrankenkassen im Jahre 1978 durch Buttler u.a. 1 5 7 ergeben, daß zwischen beiden Faktoren ein eindeutig positiver Zusammenhang bestand. Die Untersuchung von Borchert anhand großräumiger Planungsbereiche hat darüber hinaus ergeben, daß die Ausgaben für stationäre Leistungen in Ballungsgebieten deutlich höher als in ländlichen Gebieten waren 158 . 2.5.3 Kostenfaktor Preise für medizinische Leistungen 2.5.3.1 Ambulanter Sektor Bei den zahnärztlichen Honoraren gibt es keine regionalen Unterschiede, sondern nur unterschiedliche Vertragsabschlüsse der Ersatzkassen und der RVO-Kassen, da die Verträge von den Bundesverbänden der Kassen mit der Kassenärztlichen Bundesvereinigung geschlossen werden 159 . Bei den ärztlichen Leistungen gibt es noch unterschiedliche Punktwert-Vereinbarungen je nach den verschiedenen Regionen. Teilweise treten auch einzelne Kassen als Vertragspartner auf. Dies führt dann zu einer vielgestaltigen Tarif struktur, die auch bei einheitlich prozentualen Erhöhungen auf Dauer fortgeschrieben wird. Etwaige Unterschiede vergrößern sich bei prozentualem Anstieg sogar auf Dauer. Hinsichtlich der Auswirkungen der Preisunterschiede bei ambulanten ärztlichen und zahnärztlichen Leistungen gibt es Berechnungen auf der Basis des Preisniveaus der Ortskrankenkasse, die im Durchschnitt die niedrigsten Preise aufweisen 160 . Danach hätten sich im Jahre 1978 bei gleichen Preisen die Ausgaben der B K K um D M 8,—, die der I K K um D M 4,—, die der Ersatzkassen der Arbeiter um D M 52,— und die der Ersatzkassen der Angestellten um D M 68,— je Mitglied reduziert. Diese Einsparung hätte bei den Ersatzkassen der Arbeiter zu einer Reduzierung der Beitragssätze um 0,2 beziehungsweise bei den Ersatzkassen der Angestellten um 0,3 Prozentpunkte geführt 161 . 156 Stollenwerk (1981), S. 3 0 0 - T a b . 1. 1 57 Buttler u.a. (1982), S. 134f. ι 5 » Borchert (1980a), S. 18f. 159 Buttler u.a. (1982), S. 140. 160 Buttler u.a. (1982), S. 141-Tab. 3.49. 161 Buttler u.a. (1982), S. 141; Geißler in: WIdO (1980), S. 24.

2. Ursachen der Beitragssatzunterschiede

108

2.5.3.2 Stationärer Sektor Im Bereich der stationären Versorgung gibt es keine unterschiedlichen Preise für die jeweiligen Kassenarten, alle Kassenarten können einheitlich als Nachfrager gegenüber den Krankenhausträgern auftreten. Hier treten demzufolge die regionalen Unterschiede in den Vordergrund. Im Jahre 1980 lagen die Ausgaben je Pflegetag in Hamburg mit D M 216,70 am höchsten, gefolgt von Hessen ( D M 206,44) und Berlin ( D M 200,30), während die Ausgaben je Pflegetag in Bayern ( D M 155,98) am niedrigsten lagen 162 . Demzufolge waren auch die Ausgaben für Krankenhauspflege je Mitglied in den Stadtstaaten am höchsten: Berlin ( D M 1132,71), gefolgt von Hamburg ( D M 881,66) und Bremen ( D M 855,80), während die Ausgaben in Bayern ( D M 625,27) deutlich geringer waren. 2.5.4 Zwischenergebnis: Unzureichende Steuerungsmöglichkeiten des regionalen Leistungskostenrisikos durch die Krankenkassen Die Steuerungsmöglichkeiten der Kassen auf die genannten Risikofaktoren sind sehr unterschiedlich ausgestaltet. Als gemeinsames Merkmal ist jedoch zu konstatieren, daß der Einzelkasse zu wenig effektive Möglichkeiten offenstehen, auf die regionale Gesundheitsbelastung durch Umwelteinflüsse und Arbeitsbedingungen (2.5.1), auf die Ausgestaltung der medizinischen Infrastruktur (2.5.2) oder auf die Preisgestaltung (2.5.3) Einfluß zu nehmen. Die fehlende Möglichkeit, hier kostendämpfend zu steuern, wirkt sich besonders nachteilig für regionale Kassen aus, während bundesweite Kassen regionale Belastung intern kompensieren. 2.5.4.1 Steuerung der umweit- und arbeitsbedingten

Gesundheitsrisiken

Aufgrund der bei den Krankenkassen anfallenden Daten über Krankheitsarten und -häufigkeit der bei ihnen Versicherten wäre denkbar, daß die Krankenkassen auf besondere Gesundheitsrisiken aufmerksam machen und im Interesse ihrer Mitglieder auf Abhilfe drängen 163 . Da es derzeit keine abgestimmte regionale Gesundheitsplanung der beteiligten Akteure (Gesundheitsministerien und -ämter, Ärzte, Kassen, betriebliche ärztliche Dienste, Gewerkschaften, Arbeitgeber) gibt, fehlt somit eine institutionelle Möglichkeit der Einflußnahme. Für den Bereich der arbeitsbezogenen Gesundheitsrisiken wäre allerdings eine Aktivierung der staatlichen 162 163

Stollenwerk (1981), S. 300-Tab. 1. Kruse / Kruse (1983b), S. 323/326.

2.5 Räumliche Bestimmungsfaktoren des Beitragssatzes

109

Arbeitsschutzbehörden denkbar, denen Auskunft über Zahl und Art der Erkrankungen übermittelt werden könnte (§ 343 RVO). 2.5.4.2 Steuerung der medizinischen Infrastruktur Die Einflußmöglichkeiten der Krankenkassen bei der ärztlichen Bedarfsplanung durch die Kassenärztlichen Vereinigungen (§ 368 Abs. 2 RVO) sowie bei der Krankenhausbedarfsplanung (§ 6 KHG) werden durch die Landesverbände der Kassen wahrgenommen. Den Landesverbänden stehen dabei Informations- und Aktionsinstrumente 164 zur Verfügung. Die danach bestehenden Einflußmöglichkeiten der Kassen sind jedoch nur beschränkt dazu geeignet, eine Kostenminimierung bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung des Leistungsstandards zu gewährleisten. Dies gilt zum einen hinsichtlich der kassenärztlichen Bedarfsplanung, die von den Kassenärztlichen Vereinigungen durchgeführt wird 1 6 5 . Dies ist u. a. dadurch bedingt, daß die Zahl der Ärzte, die zur kassenärztlichen Versorgung zuzulassen sind, aufgrund verfassungsgerichtlicher Rechtsprechung 166 nicht mehr durch Verhältniszahlen für den ärztlichen Bedarf gesteuert werden können. Der einzelne Arzt hat - bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen der Zulassungsordnung für Kassenärzte 167 - einen Rechtsanspruch auf Zulassung zur kassenärztlichen Versorgung 168 . Lediglich zur Behebung der ärztlichen Unterversorgung in bestimmten Gebieten sieht das Gesetz vor, daß» der Landesausschuß der Ärzte und Krankenkassen eine Zulassungsbeschränkung für überversorgte Gebiete aussprechen kann, um so die Unterversorgung zu beheben (§ 368, RVO, § 16 ZO-Ärzte). Angesichts der ständig zunehmenden Zahl ausgebildeter Ärzte, die keine Aufnahme mehr im staatlichen Gesundheitswesen finden, wird derzeit als Mittel der Kostendämpfung diskutiert, erneut Regelung zur Ärztezulassung einzuführen 169 . Auf dem Gebiet der Krankenhausbedarfsplanung und der Finanzierung durch Pflegesätze hat auch die Neuregelung durch das Krankenhaus-Neuordnungsgesetz vom 20.12.1984 170 keine entscheidende Stärkung der Rechte der Krankenkassen ergeben. Die Krankenhausplanung obliegt weiterhin den Län164 Nielsen / Mohr, in: Narr / Schräder (Hg.) (1977), S. 93/97ff. ι 6 5 Zum Instrumentarium der Bedarfsplanung siehe Bley (1982), S. 148 f. 166 BVerfGE 11, 30 - Kassenarztzulassung. ι 6 7 ZO-Ärzte v. 28. 5. 1957, zuletzt geändert durch V O v. 14. 12. 1983 (BGBl. I S. 1431). 168 Krauskopf / Schroeder-Printzen (KV), § 368 Anm. 3. 169 Vgl. Herder-Dorneich / Schuller (Hg.) (1985), mehrere Beiträge; Neubauer (1985), S. 97 ff. 1 70 K H N G v. 20. 12. 1984 (BGBl. I S. 1716); dazu mit eingehenden Erläuterungen und Kritik, Kehr (1985), S. 209ff.

110

2. Ursachen der Beitragssatzunterschiede

dem (§ 6 K H G ) , mit den betroffenen Finanziers, d.h. den Krankenkassen bzw. deren Verbänden ist eine „einvernehmliche Regelung . . . anzustreben" (§ 7 Abs. 1 KHG). Bei der Festlegung der Pflegesätze für die Krankenhäuser gilt nunmehr grundsätzlich das Vereinbarungsprinzip, d.h. der Pflegesatz wird zwischen den Kassen und dem Krankenhausträger vereinbart, allerdings bedürfen sie der Genehmigung der zuständigen Landesbehörde (§ 18 KHG). Im Gegensatz zum alten Recht werden die Pflegesätze nunmehr prospektiv vereinbart, so daß auch „Gewinne" bzw. „Verluste" entstehen können. 2.5.4.3 Steuerung der Preise für medizinische Leistungen Die Vergütung der Kassenärzte erfolgt aufgrund des Gesamtvertrages, den grundsätzlich die jeweiligen Landesverbände der Orts-, Betriebs- und Innungskrankenkassen regional, die Ersatzkassen aber bundesweit abschließen 171 . Die Entwicklung der Gesamtvergütung wird jedoch durch die Empfehlung der Konzertierten Aktion im Gesundheitswesen bzw. eine „gemeinsame Erklärung" der Spitzenverbände auf Bundesebene gesteuert (§ 368f. Abs. 4 RVO), so daß sich die Verhandlungen im wesentlichen auf Bundesebene abspielen. Allerdings ist gem. § 368f. Abs. 4 RVO bei der Veränderung der Gesamtvergütung auch „den besonderen regionalen Verhältnissen" Rechnung zu tragen. Diese unterschiedliche Ausgestaltung innerhalb einer Kassenart hat jedoch keine merkbare Bedeutung für unterschiedliche Beitragssätze innerhalb einer Kassenart 172 . Ausgehend von der Annahme, daß ambulante Behandlung kostengünstiger als stationäre Behandlung ist, sind von einigen Landesverbänden mittels eigener Verträge (Bayernvertrag, Hessen vertrag) Versuche unternommen worden, die Einweisungshäufigkeit in Krankenhäuser zu verringern 173 . Diese Verträge gehen von dem Grundsatz aus: „So viel ambulant wie möglich, so viel stationär wie nötig" 1 7 4 . Es ist stark umstritten, ob damit wirklich eine Kostendämpfung erreicht wurde, oder ob damit nur eine Kostenverlagerung zum ambulanten Sektor vorgenommen wurde 175 . Unabhängig vom Ergebnis der veränderten Leistungsstruktur bleibt jedoch festzuhalten, daß damit den Kassenarten innerhalb einer Region ein eigenes Steuerungsinstrument für die Art der Leistungserbringung in die Hand gegeben ist 1 7 6 .

171 Smigielski (1983), S. 340/343. Geißler, in: WIdO (1980), S. 24. ™ Buttler u.a. (1982), S. 135. 174 D O K 1982, S. 538/540 (Der Bayern-Vertrag). 175 Stollenwerk (1982), S. 58 m.w.N. (S. 70). 176 Paquet (1983), S. 15/19. 172

2.5 Räumliche Bestimmungsfaktoren des Beitragssatzes

111

2.5.5 Auswirkungen der räumlichen Bestimmungsfaktoren auf die Wettbewerbssituation der Kassen: Beispielsfall der AOK Hamburg Um die Ursachen der Beitragssatzunterschiede am Beispiel einer Region aufzuzeigen, soll im folgenden die Region Hamburg dargestellt werden. Diese Region eignet sich wegen der Übereinstimmung von Landesgrenze (Stadtstaat Hamburg) und Kassengrenze ( A O K Hamburg, I K K Hamburg sowie mehrere Betriebskrankenkassen) besonders gut zur Darstellung der hier einwirkenden Faktoren 177 . Dabei sind sowohl die allein für eine Kasse wirkenden Faktoren (d.h. deren Marktanteil an allen Pflichtversicherten) als auch die gemeinsam für alle Kassen wirkenden Faktoren (z.B. Krankenhausstruktur, ärztliche Versorgung) zu untersuchen. Hierbei ist von besonderem Interesse, welche Faktoren die Stellung der A O K als der regionalen Basiskasse im Verhältnis zu den anderen Kassen bzw. Kassenarten beeinflussen. 2.5.5.1 Die Beitragssatzdifferenzen

in der Region Hamburg

Wie bereits gezeigt, sind die Beitragssätze nur Parameter für die jeweilige Risikostruktur der Versicherten, die durch regionale Belastungsfaktoren bzw. die regionale medizinische Angebotsstruktur beeinflußt wird. Diese These müßte sich daher anhand der Beitragssätze in Hamburg sowohl im Vergleich zu anderen Regionen als auch im Vergleich innerhalb der Region widerspiegeln. Wie bereits erwähnt (vgl. Tab. 7), liegt der durchschnittliche Beitrag für Hamburger Kassen über dem Bundesdurchschnitt. Dies gilt auch für die einzelnen Kassenarten, wobei die Ursachen hierfür in regionalen Besonderheiten liegen dürften. Inwieweit diese regionalen Ursachen auch bei den Ersatzkassen wirken, war nicht zu ermitteln, da die Ersatzkassen keine regionalen Daten veröffentlichen. Innerhalb der Region Hamburg ergibt sich eine Rangfolge der Beitragshöhe mit der A O K als teuerster Kasse, gefolgt von der Innungskrankenkasse sowie von den Betriebskrankenkassen. Damit ergibt sich eine Rangfolge innerhalb der Pflichtkassen, die auch im Bundesdurchschnitt sowie in allen anderen Bundesländern auftritt. Die Wettbewerbssituation der gesetzlichen Pflichtkassen wird jedoch maßgeblich durch die Beitragshöhe der Ersatzkassen geprägt. Hier zeigt sich ein erstaunliches Ergebnis: während im Bundesdurchschnitt die

177 Eine vergleichbare Analyse liegt bisher nur für den Raum Steinfurt vor, wobei dort allerdings nicht die Ersatzkassen bei der Analyse der „Marktanteile" einbezogen wurden: vgl. Gonto / Stuppardt (1981a); dies. (1981b), S. 304; für den Bereich der westfälisch-lippischen Ortskrankenkassen: Klaas (1980), S. 393ff.

112

2. Ursachen der Beitragssatzunterschiede

Ersatzkassen der Angestellten die höchsten Beitragssätze erhoben, lagen in den Regionen (mit Ausnahme Baden-Württembergs und Bayerns) die Ortskrankenkassen höher. Dies hat in Hamburg zur Folge, daß ein Angestellter die Wahlmöglichkeit zur Ersatzkasse meist nutzen wird, wenn er nicht einer Innungskrankenkasse oder einer Betriebskrankenkasse (mit niedrigerem Beitragssatz) angehört. Hinsichtlich ihrer Wettbewerbsposition um neue Mitglieder ist also die A O K in Hamburg durch ihren hohen Beitrag bei Angestellten kaum wettbewerbsfähig 178 . Dies zeigt sich auch bei einer Einzelbetrachtung aller in Hamburg tätigen Krankenkassen (d.h. einschließlich der Ersatzkassen). Es soll im folgenden dargestellt werden, a) durch welche Faktoren mit hoher Wahrscheinlichkeit die Hamburger Beitragssätze deutlich über dem Bundesdurchschnitt liegen und b) welche Faktoren die Risikolage der A O K in Hamburg besonders negativ beeinflussen. 2.5.5.2 Das medizinische Versorgungsniveau

in der Region

Das medizinische Versorgungsniveau in der Region Hamburg liegt sowohl hinsichtlich Arztdichte und Anzahl der Fachärzte als auch hinsichtlich Krankenhausbettendichte und Anteil der Krankenhäuser der Schwerpunktversorgung an der Spitze aller Bundesländer (siehe 2.5.2.1 für die ambulante ärztliche/zahnärztliche Versorgung sowie 2.5.2.2 für stationäre Versorgung) (siehe Tab. 17). Ein besonders hohes Versorgungsniveau liegt dabei im Krankenhausbereich vor. Aufgrund der Metropolfunktion nimmt Hamburg dabei auch Aufgaben für die gesamte norddeutsche Region wahr, was sich besonders im Anteil der Krankenhäuser der Schwerpunktversorgung niederschlägt. Nach einem Gutachten des Deutschen Krankenhaus-Instituts (DKI) vom November 1982 ist bundesweit von einer Krankenhausstruktur mit 46% Betten in der Grundund Regelversorgung, 31% der Schwerpunktversorgung und 22% der Zentralversorgung als Richtwert auszugehen. Die Krankenhausstruktur in Hamburg weist jedoch nur 26% Betten in der Grund- und Regelversorgung, aber 52% Betten der Schwerpunktversorgung und 22% der Zentralversorgung auf 179 . Die besonders leistungsfähige, aber auch besonders aufwendige Krankenhausversorgung schlägt sich auf die Ausgaben der Krankenkassen nieder, da

178 Wegen des Ausgabenanstiegs, insbesondere im Bereich ambulante und stationäre medizinische Behandlung wird zum 1. 8. 1985 der Beitragssatz auf 13,4% erhöht werden, siehe Hamburger Abendblatt v. 12. 6. 1985. 179 Stellungnahme der Arbeitsgemeinschaft der Krankenkassenverbände in Hamburg zum Krankenhausbedarfsplan 1980 (Mai 1985), S. 14 f. (Typoskript).

8

Brunkhorst

16 000

Frauenärzte

41000

47 500

Chirurgen

50 000

37 000

60 000

66 000

Kinderärzte

Nervenärzte

Orthopäden

Röntgenologen

Urologen

39

24

27

44

32

64

161

54

101

34

66

671

77 96

56

72

109

80

112

329

206

56

125

751

Ist

+

+

+

+

+

+

+

+

42

32

45

65

48

48

+ 168

38

22

59

80

+ 105

+

+

Abweichungen

77,7

133,3

166,7

147,7

150,0

75,0

104,3

97,4

104,0

64,7

89,4

11,9

Überschuß in %

a) Bedarfsplan für die Kassenärztliche Versorgung - Stand: 31.12.1983. b) Die Meßzahl bezeichnet die Anzahl der Personen, die durch einen Arzt versorgt werden sollen, dabei ist für Hamburg eine Einwohnerzahl von 1,610 Mill, zum 31.12.1983 zugrundegelegt worden.

10 000

25 000

Internisten

30 000

HNO-Ärzte

Hautärzte

24 500

2 400

Augenärzte

Fachärzte

Allgemeinärzte

Meßzahlb) Bedarf

Tabelle 17: Allgemeinärzte/Fachärzte in Hamburg")

2.5 Räumliche Bestimmungsfaktoren des Beitragssatzes 113

114

2. Ursachen der Beitragssatzunterschiede

der Pflegesatz für ein Krankenhaus pauschal berechnet und nicht nach konkret erbrachten Leistungen aufgeschlüsselt wird (allgemeiner Pflegesatz nach § 3 Bundespflegesatzverordnung - BPflV). Demzufolge betrugen die Pflegekosten für die Hamburger Krankenkassen je Krankenhausfall D M 4674,— im Jahre 1983, damit lagen die Kosten um D M 900,— über dem Bundesdurchschnitt 180 . Die beiden größten Hamburger Kassen, die A O K sowie die B K K der Freien und Hansestadt mußten danach je Mitglied D M 1157,— bzw. D M 1088,—, und damit ca. 20% mehr als im Bundesdurchschnitt der jeweiligen Kassenart aufwenden 181 . Ähnliche Ergebnisse ergeben sich bei den anderen Kassenarten, wobei wiederum bei den Ersatzkassen die höheren Ausgaben im Vergleich zu anderen Regionen intern ausgeglichen werden können. 2.5.5.3 Die Umwelteinflüsse

in der Region

Wie bereits dargelegt (2.5.1), wird das regionale Morbiditätsrisiko durch den Grad der Umweltbelastung beeinflußt. Hier wirkt sich in Hamburg der hohe Grad der städtischen Verdichtung mit den negativen Einflüssen durch Verkehrsdichte sowie geringere Verfügbarkeit von Erholungsgebieten aus. Auch die Auswirkungen inzwischen bundesweit bekanntgewordener industrieller Produktion (Boehringer Hamburg sowie Norddeutsche Affinerie) dürften sich nicht nur auf die Gesundheit der direkt in der Produktion beschäftigten Arbeitnehmer niederschlagen, sondern auch allgemein bei der Bevölkerung in den mit schädlichen Stoffen belasteten Gebieten auswirken 182 . Auch wenn insoweit noch keine Vergleichsstudien hinsichtlich konkret nachweisbaren höheren Krankheitsrisikos der Allgemeinbevölkerung in Hamburg vorliegen, ist diese These aufgrund der Hinzunahme des Faktors „Bevölkerungsdichte" (oben 2.5.1) als plausibel anzunehmen. Es bleibt jedoch abzuwarten, inwieweit sich ein erhöhtes Morbiditätsrisiko aufgrund vertiefter epidemiologischer Studien auch mit objektivierbaren Daten belegen läßt. 2.5.5.4 Personelle Risikostruktur

der AOK Hamburg

Die Risikostruktur der A O K Hamburg ist zunächst dadurch gekennzeichnet, daß nur ein geringer Anteil der sozialversicherungspflichtigen Mitglieder in der Region Hamburg bei ihr versichert ist. Ein Vergleich der Region Hamburg mit der Region Bayern kann dabei als Indiz dafür dienen, warum die bayerischen Ortskrankenkassen eine bessere 180

Ebd., S. 2. Ebd. 182 Vgl. Umweltpolitisches Aktionsprogramm für Hamburg (Bü-Drs. 11/3159 v. 30. 10. 1984), S. 31 ff. 181

2.5 Räumliche Bestimmungsfaktoren des Beitragssatzes

115

Risikostruktur als die hamburgische Ortskrankenkasse aufweisen. In Hamburg waren zum 1.10.1983 ca. 30% aller Versicherten, in Bayern dagegen ca. 53,4% 1 8 3 bei den Ortskrankenkassen versichert. Im Umkehrschluß gehörten in Hamburg 43,5% aller Versicherten den Ersatzkassen der Angestellten an, während deren Anteil in Bayern nur 27,5 % betrug. Auch der Anteil aller freiwillig Versicherten, die sich einer Ortskrankenkasse angeschlossen hatten, lag in Hamburg mit 9,7% erheblich niedriger als in Bayern (17,5 %).

Tabelle 18 Mitglieder der KV in Hamburg (Stand: 1.10.1983)*) Kasse

Mitglieder insgesamt

Pflichtmitglieder (ohne Rentner)

Rentner

Freiwillige Mitglieder

AOK

376982

211 325

145 199

20459

IKK

66240

47 015

22 036

4 741

BKK

211789

117 497

75 185

19 107

LwKK

3 539

1982

1461

96

SeeKK

18 876

12770

3 457

2649

BuKn

1882

31

1794

57

EAR

31 364

19 268

7 081

5 016

ΕΑΝ

546517

281425

107478

157 614

1257 189

691313

356138

209 738

Insgesamt

a) Nach Arbeits- und Sozialstatistik - Hauptergebnisse 1984 - S. 162.

Die Gruppe der freiwillig Versicherten wird in manchen Untersuchungen gleichgesetzt mit der Gruppe der Angestellten oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze, die sich freiwillig in der gesetzlichen Krankenversicherung versichern können 184 . Diese Gleichsetzung ist jedoch nicht gerechtfertigt, da auch andere Personengruppen mit niedrigem Einkommen freiwillig versichert sind. Dies ist z.B. die Gruppe gering verdienender Selbständiger, Arbeitslose ohne Leistungsanspruch, die nicht in der K V der Arbeitslosen (§ 155 Abs. 1 AFG) versichert sind sowie Sozialhilfeempfänger, die vom Sozialhilfeträger bei der gesetzlichen Krankenversicherung angemeldet werden. Die Personengruppen mit niedrigem Einkommen machen bei der A O K Hamburg etwa 4/s aller frei183

Arbeits- und Sozialstatistik, Hauptergebnisse 1984, S. 162. 1 84 So Gonto / Stuppardt (1981b), S. 304/305. 8*

116

2. Ursachen der Beitragssatzunterschiede

willig Versicherten aus, dies kommt auch darin zum Ausdruck, daß die Grundlohnsumme der freiwillig Versicherten bei der A O K Hamburg unter derjenigen der Pflichtversicherten (ohne Rentner) liegt, während dies üblicherweise umgekehrt ist. Diese besonders ungünstige Risikostruktur der A O K Hamburg wird erklärlich vor dem allgemeinen Hintergrund der Entwicklung der Erwerbsbevölkerung in Hamburg. In Hamburg ist im Laufe der siebziger Jahre ein ständiger Rückgang der Erwerbspersonen im sekundären Sektor erfolgt, der teilweise durch eine Zunahme im Dienstleistungsbereich, d. h. im tertiären Sektor kompensiert wurde. Diese Entwicklung hat sich auf die Mitgliederzahl der Kassen ausgewirkt, weil die wegfallenden Tätigkeiten überwiegend von Arbeitern ausgeführt wurden, während die neu hinzukommenden Tätigkeiten überwiegend im Angestellten-Sektor angesiedelt waren. Im Zeitraum von 1958 bis 1982 ist die Zahl der Angestellten um ca. 82000 angestiegen, während im gleichen Zeitraum die Zahl der Arbeiter um 125000 gesunken ist 1 8 5 . Folge dieses Statuswechsels186 ist eine erweiterte Wahlmöglichkeit der Angestellten, die infolge ihres beruflichen Status die Möglichkeit der Mitgliedschaft bei einer Ersatzkasse haben. Demzufolge verlor die A O K Hamburg im Zeitraum von 1957 bis 1983 ca. 150000 Mitglieder, während die Ersatzkassen der Angestellten ca. 290000 Mitglieder hinzugewannen 187 . Auch die Betriebskrankenkassen ( + 40000 Mitglieder) sowie die Innungskrankenkasse ( + 30000 Mitglieder) konnten ihre Mitgliederzahl im Vergleichszeitraum erhöhen. Diese Verschiebung der Mitglieder sowohl in Anzahl als auch Struktur hat zwei gravierende Folgen: - zum einen sinkt mit der Zahl der versicherten Personen die Ausgleichsfähigkeit der Solidargemeinschaft Ortskrankenkasse allgemein; - zum anderen führt die Konzentration nur einer Gruppe von Beschäftigten nämlich der Arbeiter - bei der A O K Hamburg dazu, daß der örtliche Solidarausgleich nur noch im Segment der Arbeiter stattfindet, während der Ausgleich der Angestelltenrisiken bundesweit erfolgt. Der Solidarausgleich ist daher einseitig zu Lasten der Arbeiterbevölkerung verzerrt. Daß dies zu einer höheren Belastung der A O K Hamburg führt, wurde bereits unter 2.4.1.1 dargelegt, wonach wegen der allgemein mehr gesundheitsgefährdenden Tätigkeit von Arbeitern auch ein höherer Leistungsaufwand zu erwarten ist.

185

Stat. Jahrbuch für Hamburg, div. Jgg. Dabei erfolgt der Statuswechsel naturgemäß nicht nur auf das Individuum bezogen, sondern durch Generationen Wechsel. 187 Auskunft der A O K Hamburg an den Verfasser. 186

2.5 Räumliche Bestimmungsfaktoren des Beitragssatzes

117

118

2. Ursachen der Beitragssatzunterschiede

2.5.6 Zwischenergebnis: Finanzausgleich innerhalb einer Region erforderlich Die Prüfung der regionalen Einflußgrößen hat gezeigt, daß die Differenzen zwischen verschiedenen Regionen auf das regionale medizinische Versorgungsangebot sowie auf spezifische regionale Gesundheitsgefährdungen zurückzuführen sind. Ein Ausgleich der regionalen Risikostrukturen findet jedoch nur bei einem bundesweiten Finanzausgleich (z.B. KVdR, dazu Kap. 3.1) sowie bei bundesweiten Ersatzkassen statt. Bei den regional begrenzten Kassen (insbesondere Orts-, Betriebs- und Innungskrankenkassen) bleibt auch der Ausgleich regional begrenzt. Diese unterschiedlichen Ausgleichsströme erfassen jedoch - was zumindest für die Region Hamburg gezeigt werden konnte - auch die Arbeitnehmer je nach Status unterschiedlich. Im Extremfall kann dies - wie in Hamburg - dazu führen, daß die Ortskrankenkassen faktisch nur noch einen Ausgleich unter Arbeitern durchführen. Nur in den Regionen, in denen die Ortskrankenkassen noch einen höheren Anteil an Angestellten versichern, sind sie hinsichtlich des Beitrags noch konkurrenzfähig zu den anderen Kassenarten. Diese Entflechtung unterschiedlicher Risikostrukturen scheint innerhalb der gegenwärtigen Kassengliederung nicht umkehrbar, weil die Angestelltentätigkeiten auch in Zukunft weiter zunehmen werden und damit die Wahlmöglichkeit für eine steigende Personenzahl eröffnet wird. Die Gruppe der mit Wahlrecht ausgestatteten Angestellten wird für Kassen mit hohen Beitragssätzen jedoch nicht zu gewinnen sein, da der Beitragssatz bei einem gesetzlich weitgehend normiertem und vereinheitlichtem Leistungskatalog eines der entscheidenden Kriterien bei der Wahl der Kasse ist. Hierbei ist als zusätzliches Argument für die Ersatzkassen zu sehen, daß sich der Arbeitgeberanteil bei Pflichtversicherten 188 nach dem der zuständigen Pflichtkassen richtet (§ 520 RVO), so daß der Beitragsanteil für den Versicherten bei hohen Beitragssätzen der Pflichtkasse unter 50% sinken kann (vgl. Kap. 1.1.2.2). Durch die zunehmende Entsolidarisierung der Beschäftigten innerhalb einer Region entsteht zusätzlich ein finanzverfassungsrechtliches Problem. Die regionale medizinische Infrastruktur wird maßgeblich durch Leistungsaufwendungen der gesetzlichen Krankenkassen finanziert. Die reinen Investitionskosten der Länder für den Krankenhausbau sowie die Leistungen der bei privaten Krankenkassen Versicherten erreichen bei weitem nicht das Volumen der finanziellen Aufwendungen durch die gesetzlichen Krankenkassen. Wenn aber die regionale Infrastruktur allen Versicherten in der Region gleich188 Dies gilt nicht für freiwillig versicherte Mitglieder oberhalb der Versicherungspflichtgrenze, da hier maximal die Hälfte des tatsächlichen Beitrags vom Arbeitgeber zu tragen ist (§ 405 RVO).

2.6 Kasseninterne Einflußmöglichkeiten

119

mäßig zugute kommt, ist nicht einsichtig, weshalb bestimmte Versichertengruppen zu höheren Beiträgen als andere Versichertengruppen herangezogen werden. Innerhalb der bundesweiten Ersatzkassen ergibt sich zudem das Problem, daß Versicherte in Gebieten mit geringer medizinischer Angebotsdichte möglicherweise zu Leistungen für besser strukturierte Gebiete mit herangezogen werden. Dies führt zu der Schlußfolgerung, daß die Finanzausgleichsströme innerhalb einer Region und zwischen verschiedenen Regionen bei einem Finanzausgleich für die Risikostruktur einer Kasse maßgeblich sind und daher bei einem Finanzausgleich, der einen effektiven Risikoausgleich bewirken soll, auf jeden Fall berücksichtigt werden müssen. 2.6 Kasseninterne Einflußmöglichkeiten 2.6.1 Mehrleistungen aufgrund von Satzungsbestimmungen der Krankenkassen Neben den gesetzlich vorgeschriebenen Mindestleistungen gewähren die Kassen in bestimmten Bereichen darüber hinausgehende Satzungsleistungen. Dazu gehören u.a. Zuschüsse zu Zahnersatzleistungen, Mehrleistungen zur Gesundheitsvorsorge (z.B. Kuren), erhöhtes Sterbegeld. Diese Leistungen haben als Mittel zur Erhöhung der Attraktivität der einzelnen Kasse eine gewisse Bedeutung. Ihre Bedeutung hinsichtlich des gesamten Leistungsumfangs ist jedoch nicht mehr allzu groß. Geißler 189 nimmt an, daß sie etwa 2% der Reinausgaben ausmachen. Gemessen am Bedarfssatz der Kassen machen sie ca. 1 % aus 190 . Allgemein besteht die Tendenz, die Satzungsleistungen weiter zugunsten eines einheitlichen Leistungsrechts einzuschränken. Dies zeigt sich auch bei der Begrenzung der Ausgaben für Kuren in den Jahren 1982 und 1983 (§ 187a RVO). Es ist also davon auszugehen, daß die Höhe der Satzungsleistungen keinen dominierenden Einfluß auf die Höhe des Beitrags hat. Dies wird auch durch die Korrelationsanalyse von Huppertz u. a. 1 9 1 bestätigt. Danach zeigte sich nur bei den Ersatzkassen der Angestellten eine positive Korrelation, während bei den anderen Kassenarten keine Zusammenhänge festzustellen waren. Da die Satzungsleistungen jedoch autonom von der jeweiligen Kasse festgelegt werden, müßte bei einem Finanzausgleich dieser Kostenfaktor unberücksichtigt bleiben, um die Autonomie der Kassen zu wahren. 189 Geißler, in: WIdO (1980), S. 19. Huppertz u.a. (1981), S. 70 - Tab. 24, der Bedarfssatz wird als Verhältnis von Grundlohnsumme zur Summe der Leistungsausgaben errechnet. 191 Huppertz u.a. (1981), S. 106-Tab. 52. 190

120

2. Ursachen der Beitragssatzunterschiede

2.6.2 Verwaltungskosten Zunächst muß darauf hingewiesen werden, daß die Ausgaben für Verwaltungskosten bei den Betriebskrankenkassen erheblich niedriger sind, weil der Arbeitgeber die persönlichen Verwaltungskosten trägt (§ 362 Abs. 1 RVO). Die übrigen Kassen müssen einen Teil des Beitragsaufkommens für die Verwaltungsaufgaben verwenden. Bei den B K K betrugen die Verwaltungskosten je Mitglied im Jahre 1978 durchschnittlich D M 15,—, während bei den übrigen Kassenarten erheblich mehr auf gewendet wurde 192 . Die Verwaltungskosten lagen bundesweit durchschnittlich bei D M 131,— pro Mitglied, wobei sich die Ausgaben im einzelnen zwischen D M 50,— (bei einer I K K ) und D M 312,— (bei einer A O K ) bewegten. Auch innerhalb der einzelnen Kassenarten bzw. innerhalb einer Region zeigen sich beträchtliche Unterschiede hinsichtlich der Ausgaben für Verwaltung. Die Korrelationsanalyse ergibt durchweg einen positiven Zusammenhang zwischen Höhe der Verwaltungsausgaben und dem Beitragssatz 193. Dieser Zusammenhang könnte dadurch erklärlich sein, daß ein höherer Leistungsaufwand zwangsläufig einen höheren Verwaltungsaufwand erfordert. In der Tat ergab sich 1978 bei den O K K ein positiver Zusammenhang zwischen Leistungsausgaben und Verwaltungskosten, während sich bei den I K K ein diffuses Bild ergab 194 . Insgesamt ist der Anteil der Verwaltungskosten an den Gesamtausgaben relativ gering, so daß von daher keine besonderen Auswirkungen auf Beitragssatzunterschiede feststellbar sind 195 . Da die Ausgaben für Verwaltung jedoch ebenfalls direkt von den Kassen beeinflußbar sind, sollte auch dieser Ausgabeposten im Finanzausgleich unberücksichtigt bleiben. Allenfalls wäre an einen Zuschuß zu denken, soweit besonders intensive Betreuung durch Beratung, allgemeine Information etc. für einzelne Personenkreise (z.B. Rentner 196 , Arbeitslose) notwendig ist. Auf keinen Fall sollten aber aufwendige Verwaltungskosten - z.B. überdimensionierter Ausbau von Verwaltungsgebäuden über einen Finanzausgleich umgelegt werden.

192

Huppertz u.a. (1981), S. 81 - Tab. 33. Huppertz u. a. (1981), S. 106 - Tab. 52, 53; WIdO (1980a), S. 41, 43 - Tab. 22. 194 Buttler u.a. (1982), S. 8 2 - T a b . 3.6. 195 Buttler u.a. (1982), S. 83; Geißler, in: WIdO (1980), S. 25. 196 Siehe den hohen Verwaltungskostenanteil der O K K aufgrund einer höheren Rentnerdichte, Geißler, in: WIdO (1980), S. 31 f. - Tab. 9. 193

2.6 Kasseninterne Einflußmöglichkeiten

121

2.6.3 Kontrollverhalten der Kassen 2.6.3.1 Wirtschaftlichkeitsprüfung bei ärztlichen/zahnärztlichen Leistungen und Krankenhausbehandlung Der Versicherte hat (§ 182 Abs. 2) einen Anspruch auf Krankenpflege, die ausreichend und zweckmäßig ist, aber das Maß des Notwendigen nicht überschreitet. Dies gilt ebenso für die Krankenhauspflege (§184 Abs. 1 S. 2). Dementsprechend darf auch der Arzt (§ 368 e) oder das behandelnde Krankenhaus (§ 372 Abs. 1) keine Leistungen gewähren, die unwirtschaftlich sind. Um dieses Wirtschaftlichkeitsgebot durchzusetzen, werden bei den Kassenärztlichen Vereinigungen Prüfungsausschüsse zur Überwachung der Wirtschaftlichkeit eingerichtet (§ 368η Abs. 4 RVO). In diesen Ausschüssen sind Vertreter der Kassenärzte sowie der Krankenkassen paritätisch vertreten. Dieses Verfahren wurde inzwischen auch auf den Krankenhausbereich übertragen (§ 373 RVO). In den jeweiligen Prüfungsausschüssen zur Überwachung der Wirtschaftlichkeit der Krankenhauspflege sind Vertreter der Krankenkassen und der Krankenhäuser in gleicher Zahl vertreten. Zu prüfen ist nun, ob die Wirtschaftlichkeitsprüfung zu wirksamen Regressen und damit zur Erhöhung der finanziellen Mittel der Krankenkassen beitragen kann. Allgemein werden die Möglichkeiten der Kostenreduzierung durch Wirtschaftlichkeitsprüfungen als wenig effektiv angesehen. Müller 1 9 7 schätzt, daß hierdurch weniger als 1 % der Gesamtvergütung eingespart werden. Diese mangelnde Wirksamkeit hat zwei Gründe: zum ersten handelt es sich um ein sog. „Heckenschnittverfahren" 198 , bei dem nur die überdurchschnittlichen Werte erfaßt werden. IdR wird eine Überschreitung der Durchschnittsfallwerte der Fachgruppe von 20% toleriert, eine Einzelfallprüfung setzt im Bereich bis 50 % ein und erst darüber wird ohne weiteres eine unwirtschaftliche Behandlungsweise angenommen, die zum Regreß führt 1 9 9 . Damit wird also keine Expansion im Gleichschritt erfaßt, sondern nur eine relative Abweichung vom Durchschnitt aller Ärzte. Es werden nur die gröbsten Ausreißer erfaßt. Der zweite Grund ist, daß die jeweiligen Fachgruppendurchschnitte den beteiligten Ärzten mitgeteilt werden. Diese Mitteilung kann zu einem Nachfolgeeffekt führen: derjenige, der noch unter dem Durchschnitt liegt, kann seine Leistungen weiter erhöhen, weil er den Durchschnitt als zuverlässige Norm ansieht 200 . 197

Müller (1981), S. 217/221. 198 Müller (1981), S. 222. i " Krauskopf / Schroeder-Printzen (KV), § 368e Anm. 2.2; BSG, in: SGB 81, S. 359 m. Anm. Lüke.

122

2. Ursachen der Beitragssatzunterschiede

Die Auswirkungen verstärkten Kontrollverhaltens der Kassen können im einzelnen durchaus eine Rolle spielen, wenn es gelingt, das Verhalten bestimmter Ärzte zu beeinflussen. Allerdings dürfte die Wirkung des Regresses durch die Kassenärztliche Vereinigung nicht nur bei einer Kasse bzw. Kassenart positiv durchschlagen, sondern bei allen Kassen, da die ärztlichen Leistungen für alle Kassenarten erbracht werden. Eine alleinige Arztzulassung nur für die Ersatzkassen ist nicht mehr möglich (§ 525c Abs. 1 RVO). Im übrigen liegen auch keine Daten darüber vor, inwieweit ein unterschiedliches Kontrollverhalten einzelner Kassen ursächlich für Beitragssatzunterschiede ist 2 0 1 . Es sind keine Anhaltspunkte dafür bekannt, daß damit eine Kasse gezielt zum Abbau ihrer Ausgaben beitragen könnte, vielmehr wirkt die Wirtschaftlichkeitskontrolle allgemein für alle Kassen. 2.6.3.2 Kontrolle der Versicherten Eine direkte Kontrolle der Versicherten durch die Kasse findet kaum noch statt. Sie ist jedoch möglich bei der Ausgabe von Krankenscheinen, wobei ab 1.1.1984 grundsätzlich nur ein Krankenschein pro Quartal ausgegeben werden darf (§ 188 R V O ) 2 0 2 . Ein Wechsel des Arztes ist dann innerhalb eines Quartals nur nach Überweisung durch den behandelnden Arzt möglich. Die Verordnung einer neuen Brille ist bei gleichbleibender Sehfähigkeit erst nach Ablauf von drei Jahren möglich (§ 182g RVO). Bei einer früheren Verordnung einer neuen Brille hat die Kasse also zu überprüfen, ob sich tatsächlich die Sehschärfe verändert hat. Eine weitere Möglichkeit der Kontrolle der Verordnung von Versicherungsleistungen, der Krankschreibung sowie der Notwendigkeit von Rehabilitationsmaßnahmen ist durch vertrauensärztliche Untersuchung möglich (§ 369 b RVO). Die Durchführung des vertrauensärztlichen Dienstes obliegt den Landesversicherungsanstalten als Gemeinschaftsaufgabe gem. der 3. Aufbau-VO über Gemeinschaftsaufgaben 203. Die Kontrolle der Krankenkasse erfolgt daher nicht durch eigene Ärzte, sondern durch die Rentenversicherungsträger. Es liegen keine Daten darüber vor, inwieweit das Kontrollverhalten bezüglich der Inanspruchnahme durch die Versicherten Auswirkungen auf die Beitragshöhe hat 2 0 4 . Soweit allerdings bei einer genauen Untersuchung der 200 Müller (1981), S. 222; Weichsel (1977), S. 272ff. 201 Geißler, in: WIdO (1980), S. 26. 202 Diese Regelung wird aber aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung nicht von allen Kassen praktiziert. 203 V O v. 18. 12. 1934 (BGBl. I I I 8230-10), zul. geändert durch G. v. 15. 12. 1979 (BGBl. I S. 2241); Krauskopf (KV), vor § 363, Anm. 4. 204 Buttler u.a. (1982), S. 144 unter Bezugnahme auf Geißler, in: WIdO (1980), S. 26.

2.7 Zusammenfassung der Ergebnisse

123

Kostenfaktoren feststellbar wäre, daß überhöhte Leistungsausgaben auf mangelnde Kontrolle des Inanspruchnahmeverhaltens zurückzuführen sind, müßte dies auch beim Finanzausgleich berücksichtigt werden. U m dieses festzustellen, müßte ein Kontroll- und Überprüfungsrecht im Finanzausgleich verankert sein 205 .

2.7 Zusammenfassung der Ergebnisse 2.7.1 Die Ursachen der Beitragssatzunterschiede Sowohl die Dominanz der Leistungsausgaben für die Bestimmung des Beitragssatzes als auch die Abhängigkeit des Leistungskostenrisikos von der Mitgliederstruktur konnten anhand der Ursachenanalyse (vgl. 2.3.2.4) belegt werden. Als weiterer wesentlicher Faktor der Beitragshöhe ist jedoch das örtliche Leistungskostenrisiko festzustellen, das für die regional feststellbaren Leistungsunterschiede verantwortlich ist (vgl. 2.5) 2 0 6 . Darüber hinaus konnte auch gezeigt werden, daß die Risikostruktur in den jeweiligen Regionen sehr unterschiedlich beeinflußt wird durch die jeweiligen Wahlmöglichkeiten der Versicherten, die Ausgangspunkt für den Wettbewerb der Kassen um die Mitglieder sind. Die Untersuchung der Mitgliederstruktur, d.h. der personellen Bestimmungsfaktoren für die Ausgabenhöhe (2.4-2.4.4) hat gezeigt, daß es unmöglich ist, einzelne Risikofaktoren statistisch zu isolieren, die allein für die Beitragssatzunterschiede ursächlich sind 207 . Es ist vielmehr so, daß sowohl auf der Finanzierungsseite (Grundlohn) als auch auf der Ausgabenseite (Leistungskostenrisiko) die genannten personellen Risikostrukturen sich wechselseitig beeinflussen. Dies hat zur Folge, daß sich bestimmte Faktoren gegenseitig in ihrer Wirkung auf den Beitragssatz aufheben: - ein hoher Frauenanteil wirkt wegen des meist geringeren Lohnniveaus idR grundlohnsenkend, dies wird aber kompensiert durch geringere Ausgaben wegen einer geringeren Familienlastquote 208 ; - ein hoher Familienlastquotient ist in der Regel auch ein Indikator für ein hohes Grundlohnniveau einer Kasse und damit auch für ein höheres Finanzierungspotential;

205 Siehe dazu § 414b A b s . 2 a R V O . 206

Siehe dazu die Kontroverse zwischen Ott (1982a), S. 165; ders. (1982b), S. 408, und Huppertz (1982a), S. 292; ders. (1982b), S. 529, sowie Henke / Adam (1982), S. 549. 207 So auch Buttler u.a. (1982), S. 144; Eichner (1983), S. 204. 208 Huppertz u.a. (1981), S. 464.

124

2. Ursachen der Beitragssatzunterschiede

- ein hoher Altersdurchschnitt und damit erhöhtes Leistungskostenrisiko wird - zumindest bei Angestellten - teilweise durch ein höheres Lohnniveau mit steigendem Alter kompensiert; - selbst die Tätigkeit an gesundheitlich besonders belastenden Arbeitsplätzen wird häufig durch besondere Zulagen zum Lohn honoriert, auch diese Lohnbestandteile unterliegen der Beitragsberechnung und erhöhen so die Beitragsleistung. Erst die Kombination mehrerer ungünstiger Risikofaktoren ohne kompensierende Wirkung führt zwangsläufig zu einem überdurchschnittlichen Leistungskostenrisiko und damit zu überdurchschnittlichen Beitragssätzen. Das Leistungskostenrisiko der Kassen wird außerdem durch räumlich wirksame Faktoren beeinflußt (vgl. 2.5). Dabei ist zwischen direkten Auswirkungen auf das Leistungskostenrisiko und den indirekten Auswirkungen, die auf das Konkurrenzverhältnis der Kassenarten untereinander zurückzuführen sind, zu unterscheiden. Das regional verfügbare medizinische Versorgungsniveau wirkt direkt auf das Leistungskostenrisiko der Kasse als Kostenträger. Dies geschieht sowohl bedingt durch das Inanspruchnahme verhalten der Versicherten, das (auch) von Art und Ausmaß des verfügbaren Angebots bestimmt wird, als auch durch das Preisniveau, das zumindest im Krankenhausbereich erhebliche regionale Differenzen aufweist. Dabei kann als Regel angenommen werden, daß sich ein überdurchschnittliches medizinisches Versorgungsniveau in höheren Ausgaben niederschlägt, womit allerdings noch keine Aussage über gesundheitspolitische Notwendigkeiten getroffen ist. Gerade in Ballungsgebieten, die eine gute medizinische Infrastruktur aufweisen, treten häufig vermehrt gesundheitliche Gefährdungen auf (vgl. 2.5.1). Indirekt wirken sich die regionalen Infrastrukturunterschiede auf die Wettbewerbssituation zwischen örtlichen (d.h. den allgemeinen Pflichtkassen) und überörtlichen Kassen (d.h. den Ersatzkassen) aus. Insbesondere die Ersatzkassen der Angestellten stellen einen überörtlichen Risikoausgleich her und kompensieren damit auch regionale Belastungsschwerpunkte. Bei den örtlichen Kassen schlägt das regionale Preis- und Angebotsniveau auf das Leistungskostenrisiko durch, ein überörtlicher Ausgleich besteht nur in Ausnahmefällen (vgl. Kap. 3.1.1.6, 3.1.1.7). Diese unterschiedliche Fähigkeit zum räumlichen Risikoausgleich wirkt sich besonders im Verhältnis zwischen Orts- und Ersatzkrankenkassen aus. Die Betriebs- und Innungskrankenkassen haben aufgrund der besseren personellen Risikostruktur meist die niedrigsten Beitragssätze in der Region, im Verhältnis zu den Ersatzkassen und den Ortskrankenkassen haben sie daher eine relativ günstige Ausgangsposition in der Werbung um die versicherungsberechtigten Mitglieder.

2.7 Zusammenfassung der Ergebnisse

125

Das regionale Versorgungsniveau ist von den einzelnen Kassen regelmäßig nicht zu beeinflussen. Soweit überhaupt Einflußmöglichkeiten bestehen (vgl. 2.5.4), sind diese bei den Landesverbänden der Krankenkassen bzw. bei den Ersatzkassenverbänden angesiedelt. Die Einflußmöglichkeiten sind jedoch insgesamt unzureichend, um Kostendämpfung durch die Krankenkassen i.S. einer wirksamen Interessenvertretung für die Versicherten zu ermöglichen. Als dritter Bereich sind die kasseninternen Ursachen zu nennen. Dieser Bereich ist vom finanziellen Volumen eher gering einzuschätzen. Die Kostenentwicklung in diesem Bereich fällt jedoch allein in den Verantwortungsbereich der Kassen (vgl. Kap. 2.6). 2.7.2 Konsequenzen für die Konstruktion eines Finanzausgleichs Die Ursachenanalyse hat ergeben, daß die Mitgliederstruktur als entscheidender Ursachenkomplex für die Beitragssatzunterschiede anzusehen ist 2 0 9 . Bei diesem Ursachenkomplex ist auch ein Ausgleichsbedarf anzuerkennen, da die Mitgliederzuweisung zumindest für bestimmte Personenkreise gesetzlich festgelegt ist. Überdies entspricht der Ausgleich personeller Risiken geradezu dem Grundanliegen der sozialen Krankenversicherung 210 . Wesentlich vielschichtiger ist die Frage nach dem Ausgleichsbedarf bei den räumlich wirksamen Faktoren. Es mag zunächst einleuchten, daß Versicherte in Regionen mit niedrigem Versorgungsniveau nicht zur Finanzierung eines hohen Versorgungsniveaus in anderen Regionen beitragen sollen 211 , da sie trotz gleichen Leistungsanspruchs nach der RVO - tatsächlich weniger Ansprüche realisieren können. Gleiches gilt auch für ein durch regionale Wirtschaftsstrukturen bedingtes erhöhtes Morbiditätsrisiko. In beiden Fällen entspricht es dem Gedanken der Kosten Verantwortung, hier keinen Ausgleichsbedarf anzuerkennen. Aufgrund der Mobilität der Versicherten ist jedoch anzunehmen, daß Hochleistungseinrichtungen in Ballungsgebieten auch von Versicherten aus geringer versorgten Gebieten genutzt werden. Insoweit ergäbe sich ein Ansatz für einen überregionalen Ausgleich. Zum anderen ist einzuwenden, daß bereits jetzt ein überregionaler Ausgleich bei den überregionalen Kassen sowie ein Ausgleich der Rentnerlasten (dazu 3.1.1.5) stattfindet, und daß der Ausgleich nur bei den Pflichtkassen regional begrenzt ist. Dieses Nebeneinander zweier räumlicher Ausgleichssysteme ist zudem personell zuzuordnen, da die Gruppe der Angestellten i. d. R. bundesweiten Kassen angehört, während die Arbeiter überwiegend regionalen Kassen angehö209

Huppertz u.a. (1981), S. 461; Buttler u.a. (1982), S. 144. 210 So auch BSG 12 R K 15/83 v. 22. 5. 1985, S. 30f. = SozR 2200 § 385 Nr. 14. 211 Ebd., S. 31 f.

126

2. Ursachen der Beitragssatzunterschiede

ren. Der Aspekt der Gleichbehandlung aller Versicherten in bezug auf die Zugehörigkeit zu einer bundesweiten Risikogemeinschaft legt es nahe, hier zu einer Vereinheitlichung - d.h. entweder nur regional oder nur bundesweit zu kommen. Der dritte Ursachenkomplex, der von den Kassen selbst zu beeinflussen ist, darf auf keinen Fall in einen Finanzausgleich einfließen, da dies dem Grundsatz widerspricht, nur die Kosten auszugleichen, die nicht von den Kassen zu beeinflussen sind. Dies würde auch dem Gedanken der sparsamen Wirtschaftsführung und damit der Kostendämpfung zuwiderlaufen 212 . Dieser Ursachenkomplex wird demzufolge vom BSG als „ausgleichsfeindlich" angesehen 213 . Das BSG sieht auch „ein übersteigertes Anspruchsverhalten der Versicherten" als ausgleichsfeindlich an 2 1 4 . Nach der hier vertretenen Auffassung ist demgegenüber von einem gruppenspezifischen Leistungskostenrisiko auszugehen (vgl. 2.4), das nicht subjektiv zurechenbar ist, da es als Ausdruck des objektiv bestehenden Gesundheitsrisikos anzusehen ist. Gegenüber der durchschnittlichen Leistungsinanspruchnahme einer vergleichbaren Versichertengruppe merklich höhere Ausgaben können nicht schon per se als „übersteigert" angesehen werden. Allerdings sind vom Ausgleich die kassenartspezifischen Abweichungen vom durchschnittlichen Honorarniveau für medizinische Leistungen auszunehmen (2.5.3), wie dies bei den Ersatzkassen der Fall ist. Da die zu erbringenden Leistungen für Pflichtkassen- und Ersatzkassen-Patienten gleich sind, darf über den Ausgleich der höhere Preis nicht auf alle Versicherten überwälzt werden. Für die finanztechnische Konstruktion eines Finanzausgleichs hat dies folgende Konsequenzen: - Jedes Ausgleichsverfahren, das auf den Ausgleich der Ausgaben für eine bestimmte, abgrenzbare Mitgliedergruppe beschränkt ist, ist nicht geeignet, eine allgemeine Beitragssatzangleichung herbeizuführen. Das wird durch die Wirkungen des Finanzausgleichs in der K V der Rentner belegt, bei dem jede Kasse proportional mit einem gleichen Prozentsatz der Grundlohnsumme belastet wird (vgl. unten 3.1.1.5): nach Inkrafttreten der jetzt geltenden Form des Rentnerausgleichs im Jahre 1977 hat die Beitragssatzdifferenz nicht abgenommen. Dies würde auch für einen Ausgleich der Leistungen der Familienhilfe gelten, für den im übrigen gute sozialpolitische Gründe sprächen 215 . 212 213 214 215

Huppertz u.a. (1981), S. 466. BSG (FN 210), S. 33. Ebd., S. 32. Huppertz u.a. (1981), S. 468.

2.7 Zusammenfassung der Ergebnisse

127

- Eine allgemeine Angleichung der Risikostrukturunterschiede der Kassen und damit der Beitragssätze wäre nur möglich, wenn sämtliche Leistungsausgaben in den Ausgleich einfließen würden. Dazu müßte auch das unterschiedliche Grundlohnniveau berücksichtigt werden. Dies wäre durch ein Verfahren zu realisieren, in dem ein durchschnittlicher Bedarfssatz ermittelt wird, d.h. in dem die gesamten Leistungsaufwendungen im Verhältnis zur Grundlohnsumme gesetzt werden. Diese Form des Ausgleichs ist bereits für den Teilbereich der Rentner-KV (§ 393b RVO) verwirklicht, der Bedarfssatzausgleich oberhalb eines Schwellenwertes von 5% Abweichung vom durchschnittlichen Bedarfssatz innerhalb eines Landesverbandes ist darüber hinaus auf freiwilliger Basis (§ 414b Abs. 2a RVO) zugelassen. Die mit dem freiwilligen Bedarfssatzausgleich (vgl. Kap. 3.1.1.6) gemachten Erfahrungen könnten auch einem kassenart-übergreifenden Ausgleich sowohl auf örtlicher als auch auf überörtlicher Ebene zugrundegelegt werden. - Hinsichtlich der Ausgestaltung des Ausgleichsverfahrens ist wichtig, daß für bestimmte kasseninterne Gründe - das Kontrollverhalten der Kassen - noch keine genauen Aussagen über ihre Auswirkungen auf die Beitragshöhe gemacht werden können. Ein mögliches Verfahren müßte daher in jedem Fall vorsehen, daß die Ursachen für die Beitragshöhe genau untersucht werden und die ausgleichsbeanspruchende Kasse dazu ihre Bilanzen offenlegen muß, damit die ausgleichsverpflichteten Kassen das Ausgabeverhalten überprüfen können (2.6.3).

3. Finanzausgleich innerhalb der Sozialversicherung

Der Finanzausgleich in der SV ist notwendiges Korrelat der vielgliederigen Ausgestaltung in verschiedene Versicherungssparten (herkömmlich als „Zweige der Sozialversicherung" bezeichnet) und der Untergliederung in verschiedene Träger bzw. Trägergruppen. Die Untergliederung in verschiedene Trägergruppen erfolgte nicht nach unbedingt zweckrationalen Kriterien, sondern ist meist historisch bedingt. Ein Finanzausgleich wird immer dann erforderlich, wenn aufgrund struktureller - meist wirtschaftlich oder demographisch bedingter - Veränderungen beim versicherten Personenkreis die Leistungsfähigkeit einzelner Träger oder auch ganzer Versicherungssparten gefährdet ist. Unter der Geltung des Sozialstaatsprinzips 1 sowie unter Beachtung der mit der Beitragszahlung verbundenen und geschützten Erwartung 1 des Versicherten auf ausreichende soziale Leistungen in der Notlage muß der Gesetzgeber dafür Gewähr bieten, daß die Einrichtungen der sozialen Sicherheit zu jeder Zeit funktionstüchtig bleiben. Soweit insgesamt innerhalb einer Versicherungssparte noch ausreichende Finanzmittel verfügbar sind, greift der Gesetzgeber daher häufig zum Mittel des Ausgleichs. Um unerwünschte bzw. ruinöse Belastungen einzelner Personengruppen zu vermeiden, erfolgen dabei Finanzzuweisungen von einem noch liquiden Versicherungsträger auf andere, die bereits bedürftig sind. Als besonders anschauliches Beispiel ist dabei der Finanzausgleich in der Rentenversicherung heranzuziehen 2. Durch den ständigen Rückgang der Arbeiter an den Erwerbstätigen insgesamt hatte die R V der Arbeiter bis 1972 Defizite in Höhe von 12 Mrd. D M zu erwarten, während im gleichen Zeitraum die R V der Angestellten Überschüsse in Höhe von 6,8 Mrd. D M erwartete. Diesem Strukturwandel der Erwerbsbevölkerung trug der Gesetzgeber durch Einrichtung eines Finanzverbundes zwischen beiden Versicherungsgruppen Rechnung3. Es gibt in allen Zweigen der Sozialversicherung Regelungen zum Ausgleich struktureller Verschiebungen. In der R V ist dies der gesetzliche Mechanismus der Gemeinlast zwischen den Landesversicherungsanstalten (RV der Arbeiter) gem. § 1390 RVO sowie die Auffüllung der Schwankungs-

1

Siehe hierzu ausführlich Kap. 6.2.2. Nipperdey / Säcker (1969), S. lOff. 3 Hier soll zunächst nicht auf den Staatszuschuß zur Rentenversicherung eingegangen werden, dazu unter 3.3. 2

3.1 Finanzausgleich in der Krankenversicherung

129

reserve der Träger der R V der Arbeiter durch die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte gem. § 1383a Abs. 2 RVO. In der U V sind dies die gesetzliche Gemeinlast gemäß Art. 3 U V N G , die Gemeinlast durch Rechtsverordnung des BMAS gemäß § 738 R V O sowie die freiwillige Gemeinlast gemäß § 737 RVO, wonach die gewerblichen Berufsgenossenschaften vereinbaren können, ihre Entschädigungslast ganz oder zum Teil gemeinsam zu tragen. Auch in der Krankenversicherung gibt es eine gesetzlich festgelegte Gemeinlast für die Aufwendungen der Rentner-Krankenversicherung. Da der gemäß § 385 Abs. 2 R V O gesetzlich festgelegte Beitrag zur Rentner-KV (ζ. Z. 11,8%) nicht ausreicht, um die tatsächlichen Aufwendungen für diesen Personenkreis zu decken, wird der verbleibende Finanzierungsanteil durch die Krankenkassen, die Ersatzkassen und die Bundesknappschaft gedeckt (§ 393b RVO). Daneben gibt es noch zahlreiche Formen freiwilliger Finanzausgleichsverfahren innerhalb der jeweiligen Kassenarten, die jedoch nicht in allen Kassenarten gleichmäßig genutzt werden. Es gibt aber - anders als in der Sozialversicherung in Österreich - kein allgemeines Ausgleichsmodell, das alle Leistungsarten bzw. Personengruppen sowie alle Kassenarten erfaßt. Vielmehr haben alle Ausgleichsverfahren nur begrenzte Reichweite, sowohl was den Personenkreis als auch den Kreis der beteiligten Kassen anbelangt. Daher folgt die Darstellung der Ausgleichsverfahren zunächst historischen Entwicklungen (3.1.1), um dann eine Systematisierung nach den grundlegenden Strukturprinzipien vorzunehmen (3.1.2), die bereits im 2. Kapitel entwickelt wurden.

3.1 Finanzausgleich in der Krankenversicherung Das Problem des Finanzausgleichs stellt sich besonders in der K V , da hier die weitgehendste Gliederung aller Versicherungszweige vorliegt. Neben der vielfältigen Gliederung in Orts-, Betriebs-, Innungs- und Ersatzkassen sowie Sonderkassen für Seeleute, Bergleute und Landwirte liegt auch die Zahl der selbständigen Kassen innerhalb der jeweiligen Versicherungsgruppe immer noch relativ hoch 4 . Die Kassen unterscheiden sich sowohl in Größe als auch in Risikostruktur erheblich voneinander. Dabei spielt auch der räumliche Tätigkeitsbereich der jeweiligen Kasse eine wesentliche Rolle für den Risikoausgleich: je größer der räumliche Tätigkeitsbereich (z.B. Ersatzkassen für Angestellte), desto besser ist der Ausgleich zu bewerkstelligen. Dieses Problem begleitet die Geschichte der K V von Anfang an, da bei Inkrafttreten der Sozialgesetze die Zahl der Kassen noch erheblich größer war. Bis zur Verabschiedung der RVO stieg die Zahl der Krankenkassen kon4

Vgl. Kap. 1.3.3.

9 Brunkhorst

130

3. Finanzausgleich i n e r

er Sozialversicherung

tinuierlich an, so daß 1911 insgesamt ca. 23 000 verschiedene Kassen registriert waren, von denen rund 70% nicht mehr als 250 Mitglieder hatten 5 . Diese Vielfalt war durchaus gewollt, weil die Hoffnung bestand, daß die kleinen Kassen nicht als Integrationsobjekte der Arbeiterbewegung dienen könnten. In der Begründung zur R V O wurde dieser Zustand jedoch als der „zurzeit lästigste Mangel unseres Krankenkassenwesens" 6 angesehen. Die Mängel wurden darin gesehen, daß die notwendige Übersichtlichkeit des Aufbaus der Arbeiterversicherung darunter leide, - daß die Leistungsfähigkeit der Kassen wegen der häufig geringen Mitgliederzahl nicht auf Dauer gesichert sei, - daß die Versicherten desselben Ortes beim Wechsel der Beschäftigung fast immer auch die Kasse wechseln mußten. So wurde mit dem Gesetzesentwurf die Erwartung verbunden, die Zahl der Kassen werde nach Einführung der RVO von über 23 000 um ca. 13 000 bis 15 000 sinken 7 . Die Zahl der Kassen wurde also erheblich gesenkt, während gleichzeitig die Zahl der kassenpflichtigen Personen um fast die Hälfte erhöht wurde. Damit sollte die Leistungsfähigkeit der Kassen gestärkt werden, indem der interne Risikoausgleich durch das „Gesetz der großen Zahl" verbessert wurde. Dieser Konzentrationsprozeß hat sich unter der Geltung der RVO ständig fortgesetzt. So ist die Zahl der Ortskrankenkassen von 2 800 im Jahre 1914 auf 270 im Jahre 1984 gesunken. Die Zahl der Betriebskrankenkassen sank während des gleichen Zeitraums von 5 537 auf 764, während die Zahl der Innungskassen von 892 auf 155 abnahm8. Während des gleichen Zeitraums erhöhte sich dementsprechend auch die durchschnittliche Kassengröße, die 1979 bei den Ortskrankenkassen ca. 60 000, bei den Betriebskrankenkassen ca. 5 000 und bei den Innungskrankenkassen ca. 12 000 Mitglieder betrug 9 . Bei den Ersatzkassen, insbesondere bei den Ersatzkassen für Angestellte, ist die durchschnittliche Kassengröße erheblich höher. Dieser Prozeß der Konzentration zu weniger Kassen mit größeren Mitgliederzahlen hat zu einem besseren internen Risikoausgleich und somit zu einer besseren Leistungsfähigkeit der Kassen geführt. Ein kassenübergreifender Risikoausgleich ist damit gleichwohl nicht überflüssig geworden. 5 Siebeck (1982), S. 297/304. 6 Hoffmann (1912), S. 44. 7 Begründung zur RVO, S. 118f. « Nach Siebeck (1982), S. 297/306 sowie BArbBl. 1984/Heft 11, Tab. 354. 9 Siebeck (1982), S. 297/306.

3.1 Finanzausgleich in der Krankenversicherung

131

Tabelle 19 Zahl der Krankenkassen von 1914 -1984 Kassenart

1914

1949

1957

1968

1979

1984a)

OrtsKK

2 800

396

398

401

274

270

BetriebsKK

5 537

1180

1398

1176

871

764

InnungsKK

892

123

143

180

157

155

ErsK für Arbeiter

_

_

_

8

8

8

ErsK für Angestellte

-

- .

-

7

7

7

a) Stand: Juli 1984.

Tabelle 20 Mittlere Kassengröße von 1914 -1984 Kassenart

1914

1949

1957

1968

1979

1984a)

OrtsKK

3 751

34093

35 900

38209

59 845

60151

BetriebsKK

630

1779

2415

3 258

4 868

5 372

InnungsKK

431

2943

5 349

7 594

11826

12 366

_

_

_

_

_

61655

-

-

-

-

-

ErsK für Arbeiter ErsK für Angestellte

1587 225

a) Nach Stollenwerk (1985), S. 133/142-Tab. 13.

Die gegenwärtig in der Krankenversicherung bestehenden Finanzausgleichsverfahren unterscheiden sich sowohl hinsichtlich der Ausgleichstatbestände, ihrer Reichweite als auch hinsichtlich des Grades der Verbindlichkeit für die Einzelkassen. Im einzelnen geht der Grad der Verbindlichkeit von freiwilligen Ausgleichen, bei denen ein Anspruch auf Belastungsausgleich nur bei einem Übereinkommen aller beteiligten Kassen besteht, bis hin zur gesetzlich vorgeschriebenen Gemeinlast, die unabhängig vom Willen der Kassen zustande kommt (obligatorische Regelung). Diese Spannweite von unterschiedlichen Regelungen dürfte Ausdruck des Zielkonflikts zwischen Belastungsgleichheit einerseits und der Erhaltung der finanziellen Autonomie andererseits der Einzelkassen sein. Diese Problematik tritt besonders in der Krankenversicherung mit ihrer relativ starken Gliederung auf und wird begün9*

3. Finanzausgleich i n e r

er Sozialversicherung

stigt durch die Art der zu erbringenden Leistungen. Anders als z.B. in der Rentenversicherung mit der starken Dominanz von Geldleistungen gibt es in der Krankenversicherung noch ein - allerdings kleiner werdendes - Spektrum von Leistungen, das Raum zur eigenständigen Gestaltung läßt. Diesen Zielkonflikt zwischen Belastungsgleichheit und Finanzautonomie drückt die Äußerung von Bundesarbeitsminister Blüm aus 10 : „Ein perfekter (Hervorhebung vom Verf.) Finanzausgleich aber entmündigt die Selbstverwaltung und erniedrigt das gegliederte Krankenversicherungssystem zu einer Türschilderfassade, hinter der jede originelle Anstrengung wieder durch den Finanzsausgleich weggebügelt wird."

Auch Vertreter der Krankenkassen äußern sich teilweise recht deutlich gegen einen kassenartenübergreifenden Finanzausgleich11. Es wird eingewendet, ein Finanzausgleich - gefährde die Finanzhoheit und damit den Handlungsspielraum der Selbstverwaltung, - schwäche die Finanzverantwortung und damit den Anreiz, vernünftig und sparsam zu wirtschaften, - sei nicht zur Ausgabensenkung geeignet und - müsse als erster Schritt zur „Einheitsversicherung" angesehen werden. Speziell auf die Situation der bayerischen Ortskrankenkassen - mit relativ niedrigen Beitragssätzen - wäre bei einer bundesweiten Nivellierung der Beitragssätze eine Summe von ca. 600 Mio. D M von den bayerischen Versicherten zusätzlich (d.h. ohne Leistungsverbesserung) aufzubringen 12. Äußerungen von führenden Verbandsvertretern der Ortskrankenkassen auf Bundesebene sind moderater. Es wird jedoch durchgängig beklagt, daß die regionalen Solidargemeinschaften (womit die Ortskrankenkassen gemeint sind) zunehmend an Boden gegenüber den bundesweiten Kassen (das sind die großen Ersatzkassen) verlieren. Damit ergäben sich unausgewogene Risikostrukturen, die zu nicht mehr tragbaren Beitragsunterschieden führen würden 13 . Insgesamt ist festzustellen, daß positive Äußerungen von Vertretern der Krankenkassen zum Finanzausgleich kaum zu vernehmen sind, allenfalls wird ein Ausgleich für bestimmte Personengruppen favorisiert 14 . Im folgenden sol10

In: „Die Zeit" v. 19. 11. 1982 - Schluß mit den Manipulationen. Siehe Dr. Fritz Schenk (stv. Vors. d. LdOiB), in: D O K 1982, S. 805f. 12 Ebd., S. 806. 13 Balzer, in: D O K 1984, S. 86 (Grundsatzrede zum Abschluß des Ortskrankenkassentages 1983 am 7. 12. 1983). 14 Oldiges (1981), S. 315/327 (für Schwerbehinderte); Töns (1980), S. 536/544 (für Familienangehörige). 11

3. Finanzausgleich in der

rnversicherung

133

len daher zunächst die vielfältigen Formen der Finanzausgleiche historisch und nach strukturellen Aspekten gegliedert dargestellt werden, wobei auch die Stellungnahmen der Akteure der Gesundheitspolitik einbezogen werden.

3.1.1 Historische Entwicklung des Finanzausgleichs in der K V Bereits im Jahre 1923 wurde zum ersten Mal eine Gemeinlast zur Tragung der Ausgaben für weibliche Versicherte geschaffen. Nach deren Außerkraftsetzung im Jahre 1926 wurde mit der Aufbaugesetzgebung im Jahre 1934 der nächste Anlauf zu einer Gemeinlast unternommen. Auch die neue Gemeinlast wurde nicht in die Praxis umgesetzt. Kurz vor Gründung der Bundesrepublik Deutschland schuf der Wirtschaftsrat des vereinigten Wirtschaftsgebiets durch Gesetz v. 17. Juni 1949 eine Finanzhilfe für notleidende Krankenkassen. Auch diese Regelung kam - obwohl lebhaft unter den Kassen diskutiert - nicht zur Anwendung. Die jetzt geltenden Finanzausgleichsregelungen des § 414 b Abs. 2 RVO werden nur in einigen Kassenarten angewendet und fristen im übrigen ein Schattendasein. Im folgenden werden daher ausgehend von den historischen Bestimmungsgründen für die Einführung des Ausgleichs auch die Gründe für die Nichtanwendung der gesetzlichen Regelungen untersucht. 3.1.1.1 Gemeinlast im Krankenkassenverband

(1911)

Einen Ansatz für einen kassenartübergreifenden Ausgleich der Leistungsaufwendungen bietet § 407 Nr. 5 RVO. Danach kann ein Kassenverband die Leistungsausgaben bis zur Hälfte oder innerhalb dieser Grenze für bestimmte Krankheitsarten oder Erkrankungsfälle bis zur vollen Höhe tragen. Mitglieder des Kassenverbandes nach § 406 R V O können die in § 225 R V O genannten Kassen, also Orts-, Betriebs- und Innungskrankenkassen, werden. Räumlich begrenzt ist der Kassenverband auf den Bezirk eines Versicherungsamtes, mit Genehmigung der obersten Verwaltungsbehörde kann sich der Verband auch über mehrere Versicherungsämter erstrecken. Die Möglichkeit des Zusammenschlusses zu Kassenverbänden war bereits nach § 46 Nr. 4 K V G vorgesehen und wurde unverändert von der RVO übernommen. Allerdings wurde davon wenig Gebrauch gemacht, da die Eigeninteressen der Kassenarten an eigenständiger Organisation regelmäßig stärker waren 15 . Kassenverbände waren teilweise als Verbindung zwischen Ortskrankenkassen und Landkrankenkassen anzutreffen. Betriebs- oder Innungskrankenkassen schlossen sich nur ganz vereinzelt an, wenn gemeinsame Verträge mit Heilberufen und Krankenhäusern geschlossen wurden oder wenn Eigen15

Krauskopf / Schroeder-Printzen ( K V ) , § 406 Anm. 1.

134

3. Finanzausgleich i n e r

er Sozialversicherung

betriebe unterhalten wurden. In neuerer Zeit wird diese Rechtsform zum Betrieb gemeinsamer EDV-Rechenzentren benutzt 16 . Die Gemeinlast im Kassenverband wird von Siebeck17 als bester Ansatz für eine versicherungsgerechte Differenzierung der Risikozuordnung angesehen, da hiermit eine auf örtliche Risikobedingungen zugeschnittene Organisation der Versicherung möglich wäre. Um ein einheitliches örtliches Auftreten der Krankenkassen zu gewährleisten, müßten auch die Ersatzkassen örtliche Sektionen bilden und sich an der Tragung des örtlichen bzw. regionalen Risikos beteiligen 18 . Als positiv hinsichtlich des Ausgleichs bewertet Siebeck darüber hinaus, daß damit die Mängel von Ausgleichsverfahren, die auf bestimmte Personengruppen oder Leistungsfälle beschränkt sind, zu vermeiden wären 19 . Die Bezugnahme auf die örtlichen bzw. regionalen Bedingungen ergibt sich für Siebeck daraus, daß sowohl das Angebot an medizinischer und pharmazeutischer Versorgung als auch die Risikostruktur (z.B. Bevölkerungs- und Erwerbstätigenstruktur) örtlich regional bedingt sind, so daß die räumliche Verbreitung als Bezugsgröße für die Organisation angemessen ist 20 . Um auch die übrigen Kassenarten zu einem örtlich / regional wirksamen Risikoausgleich zusammenzuschließen, müßte der Gesetzgeber alle Krankenkassen und Ersatzkassen an dem Kassenverband verpflichtend beteiligen. Bundesweit organisierte Krankenkassen und die Ersatzkassen müßten dann Sektionen gemäß § 415 a R V O bilden, die ortsbezogen Aufgaben wahrnehmen. In der jetzigen Fassung ist der Ausgleich jedoch unvollkommen, da die Ersatzkassen und die besonderen Pflichtkassen nicht beteiligt sind. 3.1.1.2 Gemeinlast für weibliche Versicherte

(1923)

Durch das „Gesetz zur Erhaltung leistungsfähiger Krankenkassen" vom 27.3.1923 21 wurde erstmals eine Gemeinlast geschaffen 22. Nach §§ 367a 367e RVO a.F. war vorgesehen, daß bestimmte Aufwendungen für weibliche Versicherte von den Krankenkassen und Ersatzkassen im Verhältnis ihrer versicherungspflichtigen Mitglieder zu tragen waren. Die Gemeinlast 23 erfaßte die ganzen Aufwendungen für die Wochenhilfe der Versicherten, die Hälfte der Aufwendungen für Familienwochenhilfe 24 sowie einen Teil der Aufwendungen für die Krankenpflege weiblicher Versicherter (§ 367 b R V O a.F.). Siebeck (1982), S. 338ff. Siebeck (1982), S. 529f. ι» Siebeck (1982), S. 530. ι 9 Siebeck (1982), S. 429. 20 Siebeck (1982), S. 530; vgl. ebenso Kap. 2.5. 21 RGBl. I S. 225. 22 Dazu: Peters (KV), § 363 Vorbem. 2; Siebeck (1982), S. 520/527. 23 Zum Begriff vgl. Nipperday / Säcker (1969), S. 23f. 24 Die andere Hälfte wurde den Kassen vom Reich ersetzt (§ 205 d. R V O a.F.). 17

3. Finanzausgleich in der

rnversicherung

135

Für die Berechnung der Sachleistungen (ärztliche Behandlung, Entbindung) wurde ein fester Betrag in Ansatz gebracht. Ebenfalls in die Gemeinlast fielen Mehrleistungen der jeweiligen Kasse, ζ. B. bei der Wochenhilfe, bei der Krankenpflege oder bei der Verlängerung der Bezugsdauer von Wochen- oder Stillgeld 25 . Maßgeblich für die Schaffung der Gemeinlast war die Zielsetzung gewesen, die infolge von Geldentwertung geschwächte Leistungsfähigkeit der Orts- und Landkrankenkassen - die einen hohen Anteil an weiblichen Versicherten aufwiesen, die als schlechte Versicherungswagnisse 26 angesehen wurden - durch eine Gemeinlast zu sichern. Es wurde davon ausgegangen, daß weibliche Versicherte im allgemeinen stärker in den Orts- und Landkrankenkassen vertreten waren als in den Betriebskrankenkassen 27. Die Gemeinlast war demzufolge gesetzlich vorgeschrieben und zwingend, die ausgleichspflichtigen Leistungen wurden von vornherein der Gemeinschaft der Träger zugeordnet 28 , über die vierteljährlich abzurechnen war. Die zur Durchführung der Gemeinlast notwendige V O des Reichsarbeitsministers gemäß § 367 e R V O a. F. wurde kurz nach Inkrafttreten des Gesetzes am 21.4.1923 erlassen 29. Dennoch traten Schwierigkeiten bei der Durchführung auf, da wegen des Währungsverfalls die notwendige Anpassung der Ortslöhne nicht rechtzeitig vorgenommen wurde 30 . Allerdings zeigt der Erlaß des Reichsarbeitsministers vom 12.12.1924 31 , wonach der Ausgleich ab 1.1.1925 wieder aufgenommen werden sollte, daß die Durchführung unabhängig von inflationsbedingten Problemen sehr zaghaft betrieben wurde 32 . Die Gemeinlast wurde aus mehreren Gründen heftig von den Krankenkassen angegriffen. Einerseits wurde die Gemeinlast von den Betriebskrankenkassen als Eingriff in die Selbstverwaltung kritisiert, die die notwendige Anpassung der Leistungen an die besonderen Bedingungen des jeweiligen Versichertenkreises verhindere 33 . Die Ortskrankenkassen kritisierten, daß 25 Krit. dazu Hoffmann (1923), S. 177/181. 26 Wegen hoher Wochenhilfeleistungen sowie häufiger Erkrankungen, vgl. Hoffmann (1923), S 177/180. 27 Hoffmann (1923), S. 177/180, wobei weitergehende Pläne, die Gründung von Betriebskrankenkassen zu erschweren, um den Bestand von Orts- und Landkrankenkassen zu gewähren, damals keine Mehrheit im Reichstag fanden. 28 So auch Siebeck (1982), S. 520/527. 29 RArbBl. 1923, S. 289. 30 Peters (KV), § 363 Vorbem. 2. 31 ArbVers. 1925, S. 67. 32 Siehe Anm. zum Erlaß d. R A M v. 12. 12. 1924, in: ArbVers. 1925, die auf die zwingende Natur der Gemeinlast hinweist. 33 Denkschrift des Verbandes zur Wahrung der Interessen der Betriebskrankenkassen, zitiert nach ArbVers. 1925, S. 462/463.

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Geldleistungen in die Gemeinlast einbezogen wurden, die ohnehin nur beitragsadäquat gezahlt wurden, nicht jedoch Sachleistungen, bei denen der Bezug zum Lohn fehlte und daher der Ausgleich um so notwendiger war 34 . Später wurde als Begründung für das Scheitern der alten Gemeinlast angegeben, daß die Kassen, die entlastet werden sollten, zum Teil noch stärker belastet wurden 35 . Dies sei darauf zurückzuführen gewesen, däß als Verteilungsgrundlage schematisch auf die Zahl der Versicherten abgestellt wurde, ohne die Höhe der Grundlohnsumme der Versicherten zu berücksichtigen 36. Aufgrund der ungünstigen Erfahrungen wurde die Gemeinlast für zwei Vierteljahre vorgenommen, danach verzichteten die Landesregierungen auf die weitere Durchführung. Die Gemeinlast wurde durch das „2. Gesetz über die Abänderung des Zweiten Buches der R V O " vom 9.7.1926 37 mit Wirkung ab 1.10.1926 aufgehoben, die obersten Landesbehörden konnten jedoch das Außerkrafttreten auch für einen früheren Zeitpunkt annehmen. Damit war auch die Möglichkeit gegeben, die Gemeinlast rückwirkend aufzuheben und exekutive Untätigkeit nachträglich zu legitimieren 38 . 3.1.1.3 Gemeinlast durch das Aufbau G (1934) Durch die Aufbaugesetzgebung wurde in der Zeit des Nationalsozialismus durch Abschnitt I I Art. 8 § 3 des Gesetzes über den Aufbau der Sozialversicherung - AufbauG - vom 5. Juli 193439 eine neue Gemeinlast eingeführt. Diese Regelung, die sowohl Pflichtkassen als auch Ersatzkassen erfaßt („Träger der Krankenversicherung", vgl. Abschn. I I Art. 3 § 1 AufbauG i.d.F. vom 1.10.1972) 40 , dient ihrem Wortlaut nach „zum Ausgleich ungerechtfertigter Verschiedenheiten in der Höhe der Beiträge und der Leistungen", dabei bleibt die wirtschaftliche Selbstverantwortung der Kassen unberührt. In der Begründung 41 zum AufbauG wird hervorgehoben, daß es damals erhebliche Unterschiede in der Risikostruktur der einzelnen Kassen gab. Die Unterschiede bestanden hauptsächlich zwischen den Gebietskrankenkassen (also den Allgemeinen Ortskrankenkassen und den Landkrankenkassen) sowie den 34

Siebeck (1982), S. 520/527 (FN 323). 5 Schulte (1935), S. 342f. 36 Schulte (1935), S. 343 Ii. Sp. 37 RGBl. I , S. 407, zuvor war ein Versuch der Reichsregierung, den Ausgleich auf Reichsebene zu einem Reichsausgleich auszuweiten, im Reichstag gescheitert, vgl. Allinger (1967), S. 612/616. 38 Siehe Mitteilung in ArbVers. 1925, S. 412. 39 RGBl. I, S. 577. 40 BGBl. I , S. 1443. 4 1 RAB1. 1934-Teil I V , S. 308/314. 3

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Sonderkassen und Ersatzkassen. Die Risikostruktur unterschied sich u.a. hinsichtlich der Höhe der Grundlöhne, der Verschiedenheit des Familienstandes und des Krankenstandes. Der Ausgleich dieser Verschiedenheiten sei notwendig, um insbesondere die Leistungsfähigkeit der Ortskrankenkassen zu erhalten und den Bestrebungen zu einer Einheitskasse entgegenzutreten. Es wurde auch erwogen, ob nicht ein Ausgleich des Versicherungswagnisses am besten durch eine „Reichsanstalt für Krankenversicherung" zu bewerkstelligen wäre 42 . Obwohl anerkannt wurde, daß die Beibehaltung der Gliederung „eine sachlich nicht zu rechtfertigende Verschiedenheit in der Höhe der Beiträge und der Leistungen" hervorrufe 43 , wurde der Weg der Einheitskasse bewußt nicht gegangen. Maßgeblich waren aus damaliger Sicht folgende Überlegungen: Zum einen bestand die Befürchtung, daß die Verwaltungskosten ansteigen würden, wenn die Folgen des eigenen Handelns der Gemeinschaft überbürdet würden sowie, daß der Verwaltungsaufwand insgesamt durch „den Versuch einer möglichst genauen Gerechtigkeit" steigen würde 44 . Zum anderen wurde vorgetragen, das Interesse des Versicherten an seiner Kasse würde erlahmen, auch das des einzelnen Erwerbszweiges oder Berufes an seiner Kasse würde verschwinden 45. Diese Gesichtspunkte fanden ihren Niederschlag auch in der Begründung zum Aufbaugesetz 46. Als Weg zur Beseitigung der ungerechtfertigten Beitragssatz- und Leistungsunterschiede wurde daher der Weg einer Gemeinlast für bestimmte Leistungsarten angestrebt, für die die Gesamtheit der Versicherten aufzukommen habe 47 . Kernpunkt bei der Ausgestaltung des Ausgleichs war danach die Frage, welche Unterschiede als ungerechtfertigt anzusehen waren (a), welche Bemessungsgrundlage gewählt werden sollte (b) und bis zu welchem Grad die Angleichung vorgenommen werden sollte (c). (a) Als Grundproblem der Beibehaltung des gegliederten Systems hebt die Begründung zum AufbauG hervor, daß die Versicherungswagnisse ungleich auf die Kassenarten verteilt seien. Durch die Möglichkeit der Ersatzkassen bzw. Sonderkassen, sich auf günstige Versicherungswagnisse zu beschränken, bei gleichzeitiger Aufnahmepflicht der Ortskrankenkassen für die wirtschaftlich schlechten Risiken, würden ungerechtfertigte Unterschiede in Beitrag und Leistung erwachsen 48. Knoll 4 9 wies ausdrücklich daraufhin, daß die Ersatzkas-

42

Vgl. Schulte (1935), S. 342/343; Engel (1934), S. IV/381/383; Knoll (1935), S. 68. So Knoll (1935), S. 68. 44 Knoll (1935), S. 68, Krohn (1934), S. 201/207. 4 5 Engel (1934), S. IV/381/384. 46 RArbBl. 1934, S. I V , 310. 47 Knoll (1935), S. 68; Begründung RArbBl. 1934, S. I V , 311. « RArbBl. 1934, S. IV/314 zu Art. 8 § 3. 49 Knoll (1935), S. 68. 43

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sen immer stärker anwüchsen und den Ortskrankenkassen die günstigen Versicherungswagnisse hochbezahlter Versicherter entzögen. In der Begründung zum AufbauG werden darüber hinaus die unterschiedlichen Belastungen durch Familienhilfeleistungen sowie die Wochenhilfeleistungen als ungerechtfertigt angesehen, zumal dadurch keine ausreichende Familienförderung erreicht werde 50 . In der Fachliteratur wurde betont, daß auch die Krankenversicherung der Arbeitslosen, die von den Allgemeinen Ortskrankenkassen durchzuführen war, zu besonderen Belastungen führe 51 . (b) Als Bemessungsgrundlage für den Ausgleich wird in der Fachliteratur die Beitragskraft der Versicherten angesehen, die sich in der Grundlohnsumme ausdrückt. Der Gesamtbetrag der Ausgaben für Familienhilfe und Wochenhilfe, für die Belastung durch Arbeitslose und die für einen allgemeinen Ausgleichsfonds notwendigen Mittel würde die Gemeinlast der Kassen bilden, die entsprechend ihrem Anteil an der gesamten Grundlohnsumme von den einzelnen Kassen aufzubringen wäre 52 . Damit wurde bereits ein Maßstab für die Leistungskraft der Kasse gefunden, der erst später Eingang in die Regelung zum Ausgleich der ΚVdR-Aufwendungen fand (vgl. 3.1.1.4). (c) Wie bereits in Art. 8 § 3 I 2. Hs. AufbauG festgelegt, blieb die wirtschaftliche Selbstverantwortung der Krankenkassen bei dem Ausgleich unberührt. Daraus folgte, daß auch eine Nivellierung der Finanzkraft nicht angestrebt wurde, vielmehr durfte die Zahlung einer Kasse einen bestimmten Höchstsatz nicht übersteigen. Dieser Höchstsatz sollte vom Reichsarbeitsminister im Einvernehmen mit dem Reichswirtschaftsminister und dem Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft bestimmt werden (Art. 8 § 3 I I AufbauG). Die zur Durchführung der Gemeinlast notwendige Festlegung des Höchstsatzes durch Verordnung des Reichsarbeitsministers wurde nie erlassen, so daß die Gemeinlast bislang nicht praktiziert worden ist 53 . Vom damaligen Chefmathematiker im Reichsarbeitsministerium, Wilhelm Dobbernack 54 , wurde später berichtet, daß die Durchführung seinerzeit - entgegen anderslautender Behauptungen - nicht wegen des Gedankens der Gemeinlast selbst oder der Undurchführbarkeit der Regelung scheiterte. Vielmehr sei dies auf die „widerstrebenden Sonderinteressen der beteiligten Gruppen und auf ein gewisses Beharrungsvermögen in den damaligen ministeriellen Instanzen zurückzuführen" gewesen55. 50

RArbBl. 1934, S. IV/314 zu Art. 8 § 3. Schulte (1935), S. 342/343; Knoll (1935), S. 68, allerdings mit dem Hinweis, daß noch geprüft werden müsse, ob diese Belastungen ausgeglichen werden müßten. 52 So Schulte (1935), S. 342/343; Knoll (1935), S. 69/70. 53 Vgl. Peters (KV), vor § 363, Anm. 3. 54 Zu Person und Lebenslauf Dobbernacks siehe: Hansen u. a. (1981), S. 139ff. (dort FN 43). 51

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Da es sich bei der Aufbaugesetzgebung um vorkonstitutionelles Recht handelt, ist zu prüfen, ob Art. 8 AufbauG auch heute noch geltendes Recht ist. Nach Art. 123 Abs. 1 GG gilt vorkonstitutionelles Recht fort, soweit es dem Grundgesetz nicht widerspricht. Dies gilt auch für Vorschriften aus der NSZeit, soweit sie nicht fundamentalen Prinzipien der Gerechtigkeit widersprechen 56 . 3.1.1.3.1 Formelle Weitergeltung des Art. 8 § 3 AufbauG Das AufbauG trug wesentlich zur Vereinheitlichung der Sozialversicherungsträger im nationalsozialistischen Staat bei, darüber hinaus wurde damit auch die Selbstverwaltung der Kassen zugunsten des Führerprinzips beseitigt 5 7 . Nachdem zunächst die Selbstverwaltung im Jahre 1951 wieder hergestellt wurde, wurde das AufbauG in der Folgezeit mehrfach vom Bundesgesetzgeber geändert. Es befindet sich nunmehr in der Sammlung des bereinigten Bundesrechts (dort BGBl. I I I 826-3). Diese Aufnahme hat allerdings nur deklaratorische Wirkung, zu prüfen ist, ob die Vorschrift nicht dem Grundgesetz widerspricht. Der Bundesgesetzgeber hat das AufbauG, das als Artikelgesetz mehrere Regelungsbereiche im Organisationsrecht der Krankenversicherung erfaßt, nach Inkrafttreten des Grundgesetzes mehrfach geändert oder Teile des Gesetzes aufgehoben. Die Vorschriften des Art. 8 AufbauG betrafen - die Verteilung der Beitragslast auf Arbeitgeber bzw. Arbeitnehmer (Art. 8

§1),

- das Haushalts- und Rechnungswesen der Versicherungsträger (Art. 8 § 2), - die Gemeinlast der Krankenversicherung (Art. 8 § 3) sowie - die Ermächtigung zur Verordnung über den einheitlichen Beitragseinzug (Art. 8 § 4). Mit Ausnahme der Vorschriften über die Gemeinlast sind die übrigen Vorschriften des Art. 8 AufbauG inzwischen aufgehoben, da sie in anderen Gesetzen geregelt sind. Der Gesetzgeber hat bei mehrfachen Änderungen die Vorschriften des Art. 8 AufbauG als geltendes Recht angesehen, dabei ist die Vorschrift über die Gemeinlast der Krankenversicherung nicht angetastet worden. Die Gemeinlast ist daher in den Willen des Bundesgesetzgebers aufgenommen worden 58 . 55 Dobbernack (1949a), S. 66/71. 56 Kirn, G G K - I I I (1983), Art. 123, Rdnr. 9 m. W . N . ; Bothe, A K - G G I I (1984), Art. 123 Rdnr. 9. 57 Tennstedt (1977), S. 196ff. 58 Meyer, G G K - I I I (1983), Art. 100 Rdnr. 15ff.; so auch für Art. I I § 1 AufbauG (Gemeinschaftsaufgaben der Krankenversicherung), vgl. BSG E 27, 62; BSG v. 23. 11. 1983 - 8 RK 21/82, in: ErsK 1984, S. 127/128.

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Zur Ausgestaltung der Gemeinlast ist der Erlaß einer Verordnung vorgesehen, die den Hundertsatz vom Grundlohn festlegen soll, den die Ausgleichszahlung nicht übersteigen darf (Art. 8 § 3 Abs. 2 AufbauG) 59 . Diese Verordnung wurde jedoch nie erlassen. Die Verwaltung - der noch zu regelnden Gemeinlast - wurde jedoch bereits im Vorgriff an die Landesversicherungsanstalten als Träger der Krankenversicherung übertragen 60 . Die Gemeinlast des AufbauG bedarf daher noch der konkreten Ausgestaltung durch den Verordnungsgeber. Die Ermächtigung zur Verordnung ist gemäß Art. 129 Abs. 1 GG auf die zuständigen Bundesministerien übergegangen (Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung). Allerdings kommt dabei zusätzlich die Zustimmung des Bundesrates in Betracht, soweit es sich nunmehr um eine zustimmungspflichtige Gesetzesmaterie des Art. 80 Abs. 2 GG handelt 61 . 3.1.1.3.2 Materielle Weitergeltung des Art. 8 § 3 AufbauG Unabhängig von der formellen Weitergeltung des Art. 8 § 3 AufbauG ist jedoch fraglich, ob diese Verordnungsermächtigung dem Bestimmtheitsgebot des Art. 801 GG entspricht, wonach Inhalt, Zweck und Ausmaß der Ermächtigung im Gesetz bestimmt werden müssen. Das Bestimmtheitsgebot ist als Ausfluß des rechtsstaatlichen und demokratischen Verfassungssystems anzusehen. Es ist die notwendige Ergänzung und Konkretisierung des Vorbehalts des Gesetzes, der ebenfalls aus dem Demokratie· und Rechtsstaatsprinzip folgt 62 . Ziel des Bestimmtheitsgebots ist es, die Exekutive an Vorgaben des Parlaments zu binden und somit eine faktische Vormachtstellung der Exekutive zu verhindern 63 . Bei der Prüfung der Ermächtigung des Art. 8 § 3 AufbauG sind folgende Grundsätze zugrundezulegen, die das Bundesverfassungsgericht zu Art. 80 Abs. 1 GG entwickelt hat 64 : - Nach der Selbstentscheidungsformel muß der Gesetzgeber selbst die Entscheidung treffen, welche Fragen durch die V O geregelt werden sollen 59

Krohn u.a. (AufbauG), Anm. 5 zu Art.8 § 3 AufbauG. 3. V O zum Aufbau der Sozialversicherung v. 18. 12. 1934 (BGBl. I I I 8230-10), zul. geändert durch G. v. 15. 12. 1979 (BGBl. I , S. 2241), auch die Verordnung über Gemeinschaftsaufgaben (u. a. vorbeugende Gesundheitsvorsorge, vertrauensärztlicher Dienst) ist weiterhin geltendes Recht, vgl. Krauskopf / Schroeder-Printzen ( K V ) , vor § 363 Anm. 4. 61 BVerfGE 4,193/203; Bothe, A K - G G I I (1984), Art. 129 Rdnr. 6; Kirn, G G K - I I I (1983), Art. 129 Rdnr. 8. 62 BVerfGE 58, 257/277 - hess. Schulverwaltungsgesetz. 63 Vgl. Ramsauer, A K - G G , Art. 80 Rdnr. 42. Dazu m.w.N.: Ramsauer (FN 63); Bryde, G G K - I I I (1983), Art. 80 Rdnr. 20; Maunz (MD), Art. 80 Rdnr. 27. 60

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(Inhalt), muß er die Grenzen der Ermächtigung festlegen (Ausmaß), sowie angeben, welchem Zweck die Regelung dienen soll (Zweck) 65 . Notwendig ist daher neben einer deutlichen Handlungsanweisung an den Verordnungsgeber auch die Vorhersehbarkeit für den Bürger 66 . Es soll danach für den Bürger vorhersehbar und berechenbar sein, in welchen Fällen und mit welcher Tendenz von der Ermächtigung Gebrauch gemacht wird und welchen Inhalt die Verordnung haben wird 6 7 . - In der neueren Rechtsprechung des ΒVerfG wird zunehmend auf das Kriterium der Eingriffsintensität in grundrechtlich geschützte Bereiche sowie auf das Kriterium der Komplexität des zu regelnden Sachverhalts abgestellt, die jeweils den Grad der Konkretheit der Verordnungsermächtigung bestimmen 68 . Je größer die Intensität des Eingriffs in den geschützten Grundrechtsbereich, desto exakter müssen die Vorgaben des Gesetzgebers sein; je komplexer die Regelungsmaterie ist, desto mehr Spielraum für die Exekutive darf der Gesetzgebr belassen. Nach den allgemeinen Auslegungsgrundsätzen, die auch hier zur Anwendung kommen 69 , ist nicht nur auf den Wortlaut der Ermächtigungsnorm abzustellen, sondern ebenso der Sinnzusammenhang der gesetzlichen Regelung sowie die Entstehungsgeschichte und die Begründung des Gesetzes heranzuziehen. Die Verordnungsermächtigung des Art. 8 § 3 Abs. 2 AufbauG besagt, daß ein Höchstbetrag in Form eines v.H.-Satzes der Grundlohnsumme festgelegt werden soll, den die Zahlung der ausgleichsverpflichteten Kasse nicht überschreiten darf. Damit ist zwar die Grundlohnsumme als Maßstab des Ausgleichs vorgegeben, aber noch keine feste Obergrenze des Ausgleichsbetrages. Aus dem Zusammenhang mit Art. 8 § 3 Abs. 1 AufbauG läßt sich entnehmen, daß die Zahlung dem Ausgleich ungerechtfertigter Verschiedenheiten in Beitrag und Leistung dienen soll. Jedoch gibt das Gesetz keine Kriterien darüber, was im einzelnen als „ungerechtfertigt" anzusehen wäre. Die hier implizierte Wertung läßt sich nur ansatzweise aus der Begründung 70 entnehmen, indem dort auf die unterschiedlich hohen Grundlöhne bei allgemeinen Pflichtkassen sowie den Sonderkassen und den Ersatzkassen, die Verschiedenheit im Familienstand und bei Wochenhilfeleistungen sowie auch hinsichtlich des 65 Bryde (GGK-III); Ramsauer (AK-GG), Art. 80 Rdnr. 47; Maunz (MD), Art. 80 Rdnr. 27. 66 BVerfGE 56 1/12. 67 Ramsauer (AK-GG), Art. 80 Rdnr. 45; Bryde (GGK-III), Art. 80 Rdnr. 20; Maunz ( M D ) , Art. 80 Rdnr. 33. 68 BVerfGE 58, 257/278 m.w.N. 69 BVerfGE 8, 274/307; E 58, 257/277. 70 RArbBl. 1934/IV, S. 314.

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Krankenstandes aufgrund der unterschiedlichen Gesundheitsgefährdung hingewiesen wird, wobei wiederum die Sonder- und Ersatzkassen bevorzugt seien gegenüber den Gebietskrankenkassen. Weiter wird dort ausgeführt, daß es ohne übermäßigen Verwaltungsaufwand nicht möglich (und nicht wünschenswert) sei, alle Verschiedenheiten auszugleichen. Die Erwägungen sind offensichtlich nicht abschließend gewesen und haben auch keinen Niederschlag in der Aufbaugesetzgebung gefunden. Die inhaltliche Bestimmung der Gemeinlast sollte vielmehr dem Verordnungsgeber vorbehalten bleiben. Insgesamt läßt sich daher festhalten, daß zwar der Zweck der Ermächtigung zu erkennen ist. Aus dem Gesamtzusammenhang des Aufbaugesetzes ist die wesentliche Zielvorgabe des Gesetzgebers, nämlich der Ausgleich der ungerechtfertigten Verschiedenheiten in der Höhe der Beiträge und Leistungen, zu entnehmen. Allerdings sind Inhalt und Ausmaß völlig unbestimmt, so daß nicht vorhersehbar ist, welchen Inhalt die V O haben könnte. Dies zeigt sich auch im Vergleich zu späteren Regelungen über den Finanzausgleich (§ 414 b Abs. 2 a RVO), bei denen die Ermächtigung an die Kassen, einen Finanzausgleich per Satzung zu schaffen, wesentlich präziser gefaßt ist. Die Regelung des Aufbaugesetzes gibt keine Auskunft darüber, welche Beitrags- bzw. Leistungsunterschiede wegen der Respektierung der wirtschaftlichen Selbstverantwortung der Kassen akzeptabel sind (z.B. Verwaltungskosten, Preise für ärztliche bzw. sonstige medizinische Leistungen) und welche auf strukturellen Verschiedenheiten beruhen. Auch die Frage, welches Ausmaß der Ausgleich haben soll, ob eine Untergrenze für die Leistungsfähigkeit einer Kasse gewollt ist oder ob z.B. eine Eigenquote (ausgleichsfreie Zone) vorgesehen ist, wird nicht im AufbauG beantwortet. Damit sind weder Voraussetzungen noch Ergebnisse der Verordnung für die Krankenkassen bzw. für den mittelbar betroffenen Versicherten erkennbar. Angesichts dieser mangelnden Vorhersehbarkeit der Verordnungsermächtigung kann auch nicht mehr ausschlaggebend sein, daß es sich um einen äußerst komplexen Regelungsbereich handelt (s.o. FN 68). Auch nach damaligem Kenntnisstand wäre eine Konkretisierung bzw. bloße Angabe der Maßstäbe bereits möglich gewesen, wie sich aus der Begründung ergibt. Regelungen über den Finanzausgleich greifen darüber hinaus in grundrechtsrelevante Bereiche ein, obwohl sie direkt nur die Kassen betreffen. Mittelbar 71 wird jedoch auch der Versicherte hinsichtlich Beitragshöhe und Leistungsanspruch betroffen, die Sicherung einer ausgewogenen Belastung durch den Beitrag bei gleichzeitiger Sicherung eines effektiven Leistungsniveaus ist ja die ratio legis des Finanzausgleichs. Auch aus diesem Gesichtspunkt ist die 71 Dabei kann vorerst dahinstehen, ob die Versicherungsträger selbst als Sachwalter der Interessen der Versicherten Grundrechte geltend machen können oder nur die Versicherten selbst, vgl. BVerfGE 21, 362/369; dazu eingehend unter Kap. 7.2.3.

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Ermächtigung nicht hinreichend konkret und wegen Verstoßes gegen Art. 80 Abs. 1 GG unwirksam. 3.1.1.4 Finanzhilfe gemäß § 13 SVAG (1949) Durch das Gesetz über die Anpassung der Leistungen der Sozialversicherung an das veränderte Lohn- und Preisgefüge und über ihre finanzielle Sicherstellung (Sozialversicherungs-Anpassungsgesetz) - SVAG - vom 17. Juni 1949 (WiGBl. S. 99) wurden noch vom Wirtschaftsrat des Vereinigten Wirtschaftsgebietes (britische und amerikanische Besetzungszone) dringend erforderliche Maßnahmen zur Leistungsverbesserung und der finanziellen Absicherung der Sozialversicherung im Bereich des Vereinigten Wirtschaftsgebiets ergriffen 72 . Im Bereich des Leistungsrechts wurden damit beträchtliche Rentenerhöhungen, die Einführung des Prinzips der Mindestrente sowie die Angleichung der Leistungsvoraussetzungen der Rentenversicherung der Arbeiter an die erheblich günstigeren der Angestellten (Berufsunfähigkeitsrente, unbedingte Witwenrente) vorgenommen. Hinsichtlich der Beiträge wurde die hälftige Tragung durch Arbeitgeber und Arbeitnehmer in der K V sowie eine Finanzhilfe zwischen den Trägern der R V und der K V jeweils untereinander eingeführt 73 . Mit dem Gesetz war angesichts der bevorstehenden Gründung der Bundesrepublik Deutschland keine grundsätzliche Neuordnung der Sozialversicherung beabsichtigt 74 , dennoch bildete dieses Gesetz ein Fundament der Sozialversicherungspolitik des ersten Bundestages, indem es von ihm als Bundesgesetz übernommen wurde 75 . Der am heftigsten umstrittene Teil des SVAG war die Regelung über die Gemeinlast in der Rentenversicherung (§ 6 SVAG) sowie über die Finanzhilfe in der Krankenversicherung (§ 13 SVAG). Die Finanzhilfe in der K V sollte auf drei aufeinander abgestimmten Ebenen geregelt werden, wobei wegen der Selbständigkeit der Kassen zunächst eine verbandsinterne Regelung innerhalb der Krankenversicherung angestrebt wurde. - Auf der ersten Stufe ist eine Finanzhilfe innerhalb einer Kassenart (auf Landesebene bzw. für den Bereich eines Oberversicherungsamtes) vorgesehen, soweit die Beiträge nicht zur Deckung der Regel- und Mehrleistungen ausreichen (§ 13 Abs. 1 SVAG);

72 Zur Entstehungsgeschichte des SVAG umfassend Hockerts (1980), S. 85ff. (m.w.N.). 73 Zu den Regelungen im einzelnen vgl. Hockerts (1980), S. 91 ff.; Dobbernack (1949b), S. 62f. 74 Dobbernack (1949b), S. 62. 7 5 Hockerts (1980), S. 90f.

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- auf der zweiten Stufe ist - soweit Maßnahmen nach § 13 Abs. 1 S V A G nicht ausreichen - eine Finanzhilfe zwischen verschiedenen Kassenarten vorgesehen (§ 13 Abs. 2 SVAG); - erst auf der dritten Stufe ist ein behördliches Eingreifen vorgesehen, wenn eine Lösung nicht auf der Ebene der Selbstverwaltung zustande kommt. Zuständig für eine behördliche Regelung zur Finanzhilfe waren: - innerhalb des Bereiches eines Oberversicherungsamtes der Direktor des OVA, - innerhalb eines Landes die oberste Landesbehörde, - darüber hinaus der Direktor der Verwaltung für Arbeit. Der Gesetzgeber ging bei der Formulierung des Gesetzestextes der Finanzhilfe offensichtlich von der Rechtslage in der britischen Zone aus, wo Beitragssätze und Leistungshöhe einheitlich festgesetzt waren 76 . Bei Schaffung der Finanzhilfe waren die Beitragssätze in der britischen Zone einheitlich auf 6% für Versicherungspflichtige und 4,8% für freiwillig Versicherte festgelegt 77 . Die Finanzhilfe hatte ihre wesentliche Berechtigung nach den Worten des maßgeblichen Referenten in der Verwaltung für Arbeit darin, allen Versicherten gleichermaßen die Inanspruchnahme ausreichender Versicherungsleistungen zu ermöglichen, indem der Finanzausgleich die Voraussetzungen für den Ausbau der Regelleistungen der Krankenkassen schaffen sollte 78 . Die Alternative zur Finanzhilfe hätte danach nur in der Freigabe der Beitragshöhe gelegen. Demzufolge mußten Anträge der Krankenkassen auf Erhöhung der Beiträge noch im Jahre 1949 zurückgestellt werden, um zunächst einen Finanzausgleich durchzuführen. Nachdem sich herausstellte, daß ein Finanzausgleich nicht freiwillig erfolgte, sollte eine Beitragserhöhung nur auf höchstens vier Monate bewilligt werden, um in diesem Zeitraum eine Ausgleichsregelung zu schaffen 79. Erst durch das Selbstverwaltungsgesetz - SVwG - vom 22.2.1951 (BGBl. I S. 124) wurde die Beitragsgestaltung wieder freigegeben, einheitliche Beitragssätze und bindende Leistungsvorschriften wurden danach als unvereinbar mit dem Wesen der Selbstverwaltung angesehen80.

76

Vereinigung der Ortskrankenkassenverbände (1950), S. 145/146. Sozialversicherungs-Direktive Nr. 4 v. 14. 10. 1945, in: ABl. f. d. britische Zone 1947, S. 12. ™ Dobbernack (1949a), S. 66/70. 79 Vgl. D O K 1949, S. 327. 8° Vgl. Allinger (1967), S. 612/617. 77

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Das SVAG wurde in der Folgezeit mehrfach vom Bundesgesetzgeber geändert 81 , die Regelungsmaterie findet sich nunmehr in den einschlägigen Sozialversicherungsgesetzen, so daß nur noch § 13 SVAG in der ursprünglichen Fassung in Kraft ist. Die Befugnis der Oberversicherungsämter ist gemäß § 6 Bundesversicherungsamtsgesetz - B V A G - v. 9.5.1956 (BGBl. I S. 415) auf die nach Landesrecht zuständigen Behörden übergegangen, die Befugnisse der Behörden des Vereinigten Wirtschaftsgebiets sind auf Bundesbehörden übergegangen 82. Das SVAG ist somit gemäß Art. 125 GG Bundesrecht geworden, im Saarland ist § 13 SVAG mit Wirkung vom 1.9.1963 in Kraft getreten 83 . Darüber hinaus ist das Gesetz in die Sammlung des bereinigten Bundesrechts aufgenommen worden 84 , was allerdings nur deklaratorische Wirkung hat. Auch das Bundessozialgericht hat festgestellt, daß das SVAG fortgilt, weil der Bundesgesetzgeber dessen Fortgeltung durch mehrere Änderungen bestätigt hat 85 . Die Weitergeltung der Regelungen der 1. und 2. Stufe (§ 13 Abs. 1, Abs. 2 SVAG) ist unbestritten, da es sich hier um freiwillige Finanzhilfen der Krankenkassen untereinander handelt. Insoweit sind Finanzhilfen allerdings auch durch die später geschaffenen Regelungen des § 414 b Abs. 2 RVO möglich. Hinsichtlich der Durchführung der behördlich angeordneten Finanzhilfe gibt es jedoch Bedenken in mehrfacher Hinsicht. Brackmann 86 hält die behördlich angeordnete Finanzhilfe (3. Stufe) für undurchführbar, soweit daran sowohl landesunmittelbare als auch bundesunmittelbare Kassen beteiligt sind. Dadurch würden auch bei Ausgleichsregelungen auf Länderebene bereits dann Entscheidungen der Bundesbehörden erforderlich, wenn eine bundesunmittelbare Kasse beteiligt sei. Der Kritik von Brackmann ist insoweit zuzustimmen, als ein Ausgleich auf Landesebene sowohl innerhalb einer Kassenart als auch kassenartübergreifend problematisch wird, sobald bundesunmittelbare Kassen einbezogen werden. Die Unterscheidung in landes- bzw. bundesunmittelbare Körperschaften, die aus Art. 87 Abs. 2 GG folgt, lag bei Schaffung des SVAG noch nicht vor. Das hat zur Folge, daß Anweisungen von Landesbehörden gegenüber bundesunmittelbaren Versicherungsträgern nicht zulässig sind. Während die Orts- bzw. Innungskrankenkassen regelmäßig landesunmittelbar sind, gibt es zahlreiche Betriebskrankenkassen, die entsprechend der Verbreitung des Trägerbetrie81 Zuletzt geändert durch Finanzänderungsgesetz 1967 v. 21. 12. 1967 (BGBl. I S. 1253). 82 V O v. 8. 9. 1950 (BGBl. I S. 678). 83 § 1 SVAG - Saar v. 15. 6. 1963 (BGBl. I S. 402). 84 BGBl. I I I 826-8. BSG E 47, 148 = NJW 79, 1059 (Garantiehaftung des Bundes). « Brackmann (Hdb. Bd. 1/1), S. 212a (Stand: Aug. 1979).

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bes bundesunmittelbar sind. Insoweit bricht sich bereits bei § 13 SVAG das gedachte Prinzip des länderweiten Ausgleichs mit dem tatsächlich anders strukturierten Aufbau der Versicherungsträger. Dies gilt um so mehr, wenn es zu einem kassenartübergreifenden Ausgleich auf Länderebene kommen soll. Hier wären in jedem Fall die Ersatzkassen einzubeziehen, die regional ein erhebliches Gewicht haben können, obwohl sie idR bundesweit organisiert sind. Allinger 8 7 kritisiert, daß die Befugnis zu einer Finanzhilfe durch Rechtsverordnung des Bundesministers für Arbeit am Maßstab des Art. 80 Abs. 1 GG scheitere. Der im § 13 Abs. 3 SVAG gegebenen Ermächtigung fehle die erforderliche Begrenzung, weil nicht mehr vorhergesehen werden könne, in welchen Fällen und mit welcher Tendenz von ihr Gebrauch gemacht werde bzw. welcher Inhalt die aufgrund der Ermächtigung erlassene V O haben könne. Ebenso wie bei der Gemeinlast des AufbauG ist auch hier der Zweck der Ermächtigung - nämlich die Sicherung der Leistungsfähigkeit durch Rechtsverordnung - bestimmt. Nach dem Wegfall eines einheitlichen Beitragssatzes der Krankenkassen ist eine Sicherung der Leistungsfähigkeit jedoch auch über eine Erhöhung des Beitragssatzes möglich. Die Festlegung eines Höchstbeitragssatzes von 8% für Ortskrankenkassen gemäß § 389 Abs. 1 RVO ist keine Sperre, da eine Erhöhung durch Beschluß der Vertreterversammlung möglich ist und auch weitgehend praktiziert wird. Durch den Wegfall eines Tatbestandsmerkmals fehlt der Finanzhilfe die Bestimmung des Ausmaßes der Hilfe. Die Verordnungsermächtigung des § 13 Abs. 3 SVAG genügt daher nicht dem Bestimmtheitsgebot des Art. 80 Abs. 1 GG. Die Finanzhilfe des § 13 SVAG wurde weder in der Form des freiwilligen Ausgleichs noch in der Form der Finanzhilfe durch Rechtsverordnung durchgeführt. Diese Entwicklung hatte sich schon während der Beratungen des Gesetzes abgezeichnet. Vor allem die Finanzhilfe für die Kassen stieß nämlich auf heftige Kritik der Angestelltengewerkschaft sowie der Bauern- und Arbeitgeberverbände 88 . Diese Interessengruppen befürchten, daß auf verdecktem Wege die Einheitsversicherung 89 eingeführt würde und praktisch andere Versichertenkreise durch die Angestellten subventioniert würden (diese Argumentation bezog sich auch auf den Finanzausgleich zwischen der Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten). 87 Allinger (1967), S. 612/617; der dort vertretenen Ansicht, es handele sich um eine „gesetzesvertretende RechtsVO", kann nicht zugestimmt werden, da die Ermächtigung nur zum Erlaß gesetzesausfüllender Verordnungen gilt. Maßstab der Prüfung ist also nicht Art. 129 Abs. 3 GG, sondern allein Art. 80 Abs. 1 GG (vgl. Kirn, G G K - I I I (1983), Art. 129 Rdnr. 7. 88 Vgl. Hockerts (1980), S. 96f. 89 Zur Typologie der Befürworter und Gegner der Einheitsversicherung siehe instruktiv Hockerts (1980), S. 36f., insb. S. 46 (dort FN 94).

3.1 Finanzausgleich in der Krankenversicherung

147

Deshalb wurde bei der Finanzhilfe in der Krankenversicherung die Handlungsprärogative bei der Selbstverwaltung belassen, indem die ersten beiden Stufen des Finanzausgleichs eine Einigung der Krankenkassen voraussetzten. Man wollte, wie es der Abgeordnete Horn (CDU/CSU) 9 0 im Wirtschaftsrat ausdrückte, „daß die Krankenkassen . . . zunächst die Dinge unter sich bereinigen" 91 . Damit war gleichsam ein Scheitern der Regelung vorprogrammiert. Der Einschätzung, daß die Regelung des § 13 SVAG sich „als nicht praktisch erwies" 92 , kann daher nicht ohne weiteres zugestimmt werden. Das Fehlen exakt bestimmbarer Ausgleichsfaktoren war nur ein - untergeordneter Grund für die Unwirksamkeit der Regelung. Bei entsprechendem Interesse und Willen der beteiligten Kassen wäre eine Ausfüllung der Vorgaben möglich gewesen93. Bezeichnend für die Haltung der Kassenverbände und der Ministerialbürokratie dürfte eine Einschätzung von Allinger sein, der die Regelungen der Finanzhilfe wie folgt charakterisiert: „Notausgänge, die niemand zu benutzen braucht" 94 . 3.1.1.5 Finanzausgleich in der Krankenversicherung der Rentner (KVdR-Aus gleich ab 1977) Die Krankenversicherung der Rentner wurde im Jahre 1941 als Leistung der Rentenversicherung eingeführt 95 . Entsprechend der ursprünglichen Konzeption der Krankenversicherung zum Schutz der abhängig Beschäftigten wurde die KVdR als Risiko der Rentenversicherung angesehen96, die auch die Finanzierung zu tragen hatte. Die Durchführung wurde jedoch den Ortskrankenkassen als Auftragsangelegenheit übertragen, die dabei jedoch nur einen Pauschalbetrag je Rente in Höhe von D M 3,30 ersetzt bekamen und eine „Interessenquote" selbst tragen mußten. Die verbleibende „Interessenquote" sollte die Ortskrankenkassen zu sparsamer Mittelverwendung zwingen 97 . Nachdem die Pauschalbeträge anfangs zur Deckung der Aufwendungen ausreichten, erhöhten sich jedoch nach der Währungsreform zunehmend die Defizite der Ortskrankenkassen, da die Pauschalsätze nicht mehr kostendekkend angehoben wurden 98 . 90 Zum Wirken Horns vgl. Hockerts (1980), S. 146 (dort FN 161). 91 Zitiert nach Allinger (1967), S. 612/617. 92 So Krauskopf / Schroeder-Printzen (KV), § 414b Anm. 5; Peters ( K V ) , vor § 363 Anm. 4. 93 Dobbernack (1949a), S. 66/70, der von einer „Feuerprobe" für die Selbstverwaltung der Krankenkassen sprach. 94 Allinger (1967), S. 612/619. 95 Gesetz über die Verbesserung der Leistungen in der Rentenversicherung v. 24. 7. 1941 (RGBl. I S. 443). 96 Siebeck (1982), S. 520/528. 97 Die Konstruktion sieht Töns (1980), S. 537, als verfehlt an, weil die Kassen den Eintritt des Krankheitsfalles bei den Rentnern nicht beeinflussen können. 10*

3. Finanzausgleich i n e r

er Sozialversicherung

Ab 1956" wurden die Rentner eigenständige Mitglieder der Krankenversicherung, die Durchführung oblag jetzt jedoch allen Kassen, d.h. jede Kasse sollte die Rentner als Mitglieder behalten, die bereits als Arbeitnehmer bei ihr versichert waren 100 . Die Aufwendungen sollten weiterhin von der Rentenversicherung getragen werden. Als Beitrag wurde der allgemeine Beitrag für Erwerbstätige erhoben, der um 1/3 wegen des Fehlens des Krankengeldanspruchs gekürzt wurde. Als „Interessenquote" war wiederum ein Selbstbehalt der Krankenkassen von ca. 8 - 1 0 % vorgesehen, der wirtschaftlich zu Lasten der erwerbstätigen Versicherten ging 101 . Dieses Modell führte zu hohen Defiziten bei den Kassen, da die Risikoentwicklung bei den Rentnern ungünstiger war als der Anstieg der Beitragseinnahmen. Die Belastungen trafen die Kassen je nach Rentnerdichte höchst unterschiedlich, da sich die Erwartung des Gesetzgebers, die Rentner würden sich gleichmäßig auf alle Kassen/Kassenarten verteilen, nicht erfüllte 102 . Besonders benachteiligt waren die Ortskrankenkassen, deren Mitgliederkreis im Jahre 1967 zu 27 % aus Rentnern bestand und die daher besonders unter dem Defizit der KVdR litten 1 0 3 . Als Folge der ungleichen Belastung der Kassen mit Kosten für die KVdR wurde ab 1968 ein Ausgleichsfaktor eingeführt, durch den die unterschiedliche Rentnerdichte ausgeglichen wurde 104 . Außerdem wurde die Beitragsentwicklung an die Entwicklung des Rentenvolumens angepaßt. Auch diese Form der Finanzierung der KVdR erwies sich als unbefriedigend, da zunächst (1968 1970) die Träger der K V Nachzahlungen in Höhe von 910 Mill, von der Rentenversicherung erhielten, ab 1971 bis Mitte 1977 sich jedoch Überzahlungen der Rentenversicherung in Höhe von 17,4 Mrd. ansammelten, die wegen der auftretenden finanziellen Probleme bei den Krankenkassen nicht zurückerstattet wurden 105 . Die nunmehr seit 1977 106 geltende Regelung sieht vor, daß der nicht durch Beiträge der Rentenversicherung (bzw. seit 1983 auch anteilige Beiträge der Rentner) gedeckte Finanzierungsanteil der Rentner-Krankenversicherung von der gesetzlichen Krankenversicherung insgesamt, d.h. von allen aktiven Versicherten, getragen wird. Der Finanzierungsanteil der Krankenversiche9

8 Töns (1980), S. 537; zur gesamten Entwicklung siehe Mathew (1985), S. 169ff. G. über Krankenversicherung der Rentner v. 12. 6. 1956 (BGBl. I S. 500). 100 Töns (1980), S. 538. ιοί Töns (1980), S. 538. ι 0 2 Töns (1980), S. 538; Siebeck (1982), S. 520/528. 103 Allinger (1967), S. 612/619. 104 Art. 1 FinanzänderungsG v. 20. 12. 1967 (BGBl. I S. 1259). 105 Schewe u.a. (1977), S. 207ff.; Mathew (1985), S. 170. 106 Krankenversicherungs-Kostendämpfungsgesetz - K V K G - v. 27. 6. 1977 (BGBl. I S. 1069). 99

3. Finanzausgleich in der

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149

rung lag zuletzt bei 56,8% der gesamten KVdR-Leistungsaufwendungen 107 . Jeder aktive Versicherte - unabhängig von der jeweiligen Krankenkasse wird danach mit einem gleichen v.H.-Satz seines Grundlohns zur Finanzierung der Rentner ausgaben herangezogen, dieser Prozentsatz betrug im Jahre 1983 2,74 % 1 0 8 . Wegen des überdurchschnittlichen Rentneranteils erhalten die Ortskrankenkassen überwiegend Zahlungen aus dem Ausgleichsfonds, während insbesondere die Ersatzkassen überwiegend Einzahler sind. Der Ausgleich des Anteils der Krankenversicherung an den gesamten Leistungskosten für Rentner ist heute grundsätzlich akzeptiert, da die technische Ausgestaltung sich bewährt hat und eine gleichmäßige Belastung der erwerbstätigen Versicherten erfolgt 109 . Es wird jedoch kritisiert, daß der vollständige Ausgleich der Leistungsausgaben (mit Ausnahme des durch die Satzung erhöhten Sterbegeldes - § 393 b Abs. 2 RVO) das Interesse an einer sparsamen Mittelverwendung durch die eigene Kasse erlahmen lasse 110 . Dies zeigt sich bei Leistungen, deren Kosten durch die Kassenarten unterschiedlich zu beeinflussen sind, wie die Ermessensleistungen sowie die Honorarsätze für ärztliche und zahnärztliche Leistungen, die bei den Ersatzkassen um 15% (zahnärztliche Leistungen) bzw. 8% (ärztliche Leistungen) über den Honorarsätzen der übrigen Kassenarten liegen 111 . Dadurch können „Mitnahmeeffekte" bei den Ersatzkassen entstehen 112 . Die höheren Ärztehonorare werden ungeschmälert dem Ausgleichsfonds zugerechnet und gehen damit zu Lasten der Kassen mit niedrigeren Honorarsätzen. Gleiches gilt für die Gewährung von Kuren oder Kurkostenzuschüssen, Zuschüsse für Zahnersatz sowie die Anwendung von Härteklauseln (§§ 182a, 182c, 184a R V O ) 1 1 3 . Als Lösungsmöglichkeit wird hier vorgeschlagen, in diesen Leistungsbereichen nur noch durchschnittliche Beträge als ausgleichsfähig anzuerkennen und nicht mehr die tatsächlichen Aufwendungen abzugleichen 114 .

107

Mathew (1985), S. 176 - Abb. V . Mathew (1985), S. 175; im Ergebnis wird daher ein „Einheitsbeitrag" erhoben, so auch Siebeck (1982), S. 520/529 (dort FN 338). κ» Mathew (1985), S. 177f. 110 Bundesverband der B B K , Belastungsausgleich in der KVdR, S. 18 (Typoskript o.J.). m Smigielski (1983), S. 340/342. 112 Tons (1980), S. 543. 113 Töns (1980), S. 543. 114 Bundesverband der B K K (FN 110), S. 20ff. 108

3. Finanzausgleich i n e r

er Sozialversicherung

3.1.1.6 Umlage für aufwendige Leistungsfälle

(1976)

Nach § 414b Abs. 2 S. 2 R V O können die Satzungen der Landesverbände der jeweiligen Kassenart eine Umlage vorsehen, „um die Kosten insbesondere für aufwendige Leistungsfälle ganz oder teilweise zu decken" 115 . Die Vereinbarung einer Umlage ist auch bei den Verbänden der Ersatzkassen (§ 509 a RVO) sowie bei den landwirtschaftlichen Krankenkassen (§ 60 Abs. 3 K V L G ) zugelassen. Mit der Umlage werden regelmäßig Ausgaben für außergewöhnliche Leistungsfälle, wie z.B. Dialysebehandlung, Bluterkrankheit, Anwendung der Herz-Lungen-Maschine, Organ-Transplantationen usw. gemeinsam von den beteiligten Kassen getragen. Dieses Verfahren entspricht inhaltlich einer Rückversicherung für hohe Risiken, wie es auch in der privaten Versicherungswirtschaft durchaus üblich ist 1 1 6 . Die Möglichkeit zur Bildung einer Umlage wurde bereits vor Inkrafttreten der gesetzlichen Regelung von den Betriebskrankenkassen genutzt: bei allen Landesverbänden (mit Ausnahme Berlins) bestehen derartige Ausgleichsregelungen 117. Der Belastungsausgleich für den Landesverband NordrheinWestfalen der Betriebskrankenkassen hat bereits 1971 ein Umlageverfahren eingeführt. Dort werden die Kosten je Leistungsfall (stationäre Behandlung, ambulant behandelte Dialyse, Gewebetypisierungen vor Organ-Transplantationen, besonders teure Behandlungsmethoden sowie notwendige Krankenhausbehandlung im Ausland) innerhalb von 3 Jahren erstattet, wenn sie den festgesetzten Selbstbehalt von (seinerzeit) D M 35 000,- übersteigen 118 . Im Bereich der Innungskrankenkassen wurde bereits im Jahre 1970 eine „Vereinbarung zur Deckung der Kosten besonders aufwendiger Leistungsfälle" erarbeitet, so daß bei Inkrafttreten des § 414b Abs. 2 R V O schon entsprechende Vereinbarungen bei verschiedenen Landesverbänden bestanden 1 1 9 . Eine Leistungsfall-Umlage, die alle Leistungsaufwendungen für einen Versicherten ausgleicht, die einen festzulegenden Grenzwert überschreiten, ist heute bei allen Landesverbänden der Innungskrankenkassen in der Satzung festgelegt 120 . Wobei der Grenzwert, der gleichzeitig als Interessenquote für die einzelne Innungskrankenkasse wirkt, die die unterhalb des Grenzwertes anfallenden Aufwendungen selbst zu tragen hat, von D M 36 000,- bis D M 77 000,- in sechs Monaten variierte 121 . 115 Eingefügt durch Krankenversicherungs-Weiterentwicklungsgesetz - K V W G - v. 28. 12. 1976 (BGBl. I S. 3871). 116 WIdO, Ursachen (1980a), S. 66. 117 Angaben nach WIdO (1980a), S. 72. us Ebd. 119 Fröhlingsdorf (1980), S. 299/300; dort ist auch eine Musterregelung nach § 414b Abs. 2 R V O für den Bereich der Innungskrankenkassen abgedruckt. 120 Fröhlingsdorf (1980), S. 299/301.

3. Finanzausgleich in der

rnversicherung

151

Im Bereich der Ortskrankenkassen sind dagegen nur vereinzelt Leistungsfall-Umlagen bekannt geworden, so z.B. ein Ausgleich für Leistungsaufwendungen bei Blutern beim Verband der Ortskrankenkassen Rheinland 122 . Neben einer Leistungsfall-Umlage ermöglichen § 414b Abs. 2 RVO sowie § 509 a RVO (für die Ersatzkassen) auch anders konzipierte Ausgleichsverfahren oder auch nur einmalige Stützungszahlungen. Dies geht aus der Formulierung hervor, daß die Kosten „insbesondere" für aufwendige Leistungen ausgeglichen werden können 123 . Nach der Begründung des Gesetzentwurfs ist dabei an die Beseitigung außergewöhnlicher Schwierigkeiten gedacht worden, die nicht dauernder Natur und daher durch finanzielle Hilfen zu beseitigen sind 124 . Damit ist in den Landesverbänden eine größere Flexibilität hinsichtlich der Ausgestaltung der Regelung gegeben. Von dieser Regelung dürfte auch gedeckt sein, wenn jeder Betrag über einer gewissen Mindesthöhe ausgeglichen wird oder ein relativer Satz bezogen auf die Jahresaufwendungen festgelegt wird 1 2 5 . Von dieser flexiblen Regelung haben die westfälischen Ortskrankenkassen mit der Zahlung an die A O K Burgsteinfurt in Höhe von D M 5,3 Mio. Gebrauch gemacht. Bei dieser Finanzhilfe handelte es sich um eine einmalige Aktion im Jahre 1980 zur Deckung des Haushaltsdefizits der A O K Burgsteinfurt 126 . 3.1.1.7 Finanzausgleich bei Überschreiten des Bedarfssatzes

(1977)

Durch das Krankenversicherungs-Kostendämpfungsgesetz - K V K G - v. 27.6.1977 wurde den Landesverbänden der Krankenkassen (nicht jedoch den Ersatzkassen und den landwirtschaftlichen Krankenkassen) die Möglichkeit eröffnet, einen Finanzausgleich unter den beteiligten Kassen herbeizuführen, wenn der Bedarfssatz einer Kasse den durchschnittlichen Bedarfssatz um mehr als 5 v.H. überschreitet (§ 414b Abs. 2a RVO). Nach dem ursprünglichen Regierungsentwurf 127 war ein obligatorischer Ausgleich bei einem Überschreiten des Bedarfssatzes um 15 % vorgesehen. Diese Fassung war als Ersatz für die aufgehobene Garantiehaftung der Gemeinden (§ 398 Abs. 2 RVO) gedacht 128 . Der obligatorische Finanzausgleich wurde jedoch im Ausschuß für 121

Diese Grenzwerte dürften aufgrund von Dynamisierungsvorschriften inzwischen angestiegen sein. 1 22 Angaben nach WIdO (1980a), S. 72. 123 So auch Krauskopf / Schroeder-Printzen (KV), § 414b, Anm. 5.1; anders aber § 60 Abs. 3 K V L G . 124 BT-Drs. 7/3336, S. 27. 125 Krauskopf / Schroeder-Printzen ( K V ) , § 414b, Anm. 5.1; Peters ( K V ) , § 414b, Anm. 7. FR v. 3. 12. 1980. i 2 7 BT-Drs. 8/116, S. 13. * 2 8 Krauskopf / Schroeder-Printzen ( K V ) , § 414b, Anm. 5.1; Peters ( K V ) , § 414b, Anm. 7.

152

3. Finanzausgleich i n e r

er Sozialversicherung

Arbeit und Soziales des Bundestages herausgestrichen, um nicht die strukturell unterversorgten Gebiete an der Finanzierung der Krankenkassen in Gebieten mit hohem medizinischen Versorgungsniveau zu beteiligen 129 . Anstelle der Garantiehaftung der Gemeinden wurde festgelegt, daß die Ortskrankenkassen die Beiträge so erhöhen, daß die zulässigen Ausgaben der Kassen gedeckt sind (§ 389 Abs. 2 S. 2 n.F. RVO). Dagegen ist es bei der Garantiehaftung der Innungen bzw. des Arbeitgebers für Betriebs- und Innungskrankenkassen geblieben (§ 390 RVO). Die Ausgleichsregelung gilt jedoch für Orts-, Innungs- und Betriebskrankenkassen gleichermaßen (§ 414b Abs. 2a i. V . m . § 414 R V O ) 1 3 0 . Nach § 414b Abs. 2a R V O ist als Bedarfssatz das Verhältnis der Leistungsausgaben zur Grundlohnsumme der Versicherten im abgelaufenen Geschäftsjahr anzusehen. Dabei bleiben bestimmte Ausgaben außer Betracht: - die Ausgaben der Rentner (diese sind bereits durch KVdR-Ausgleich erfaßt); - Erstattungsleistungen von Dritten; - Ausgaben für Mehrleistungen, für Zahnarzt und Zahnkronen sowie - Ausgaben für Leistungen, auf die kein Rechtsanspruch besteht (Mehrleistungen). Damit ist schon durch das Gesetz eine detaillierte Regelung vorgegeben, wobei allerdings den Kassenverbänden die Möglichkeit verbleibt, den gesetzlich vorgesehenen Mindest-Grenzwert von 5% heraufzusetzen und so die Eigenverantwortlichkeit der Kassen stärker zu betonen. In der Satzung des Landesverbandes werden darüber hinaus technische Einzelheiten der Durchführung des Ausgleichs geregelt sowie die Berechtigung, Nachforschungen über die Ursachen der Überschreitung des Grenzwertes anzustellen (§ 414 b Abs. 2a S. 6 RVO). Die Möglichkeiten des Bedarfssatz-Ausgleichs wurden bislang nicht in dem Ausmaß wie die Leistungsfall-Umlage von den Landesverbänden genutzt 131 : Bei den Ortskrankenkassen ist bislang keine Regelung bekannt geworden. Allerdings werden gegenwärtig bei den hessischen Ortskrankenkassen Berechnungen angestellt, um die Wirksamkeit eines Ausgleichs zwischen nordhessischen und südhessischen Ortskrankenkassen zu prüfen 132 .

129

BT-Drs. 8/838, S. 66. Die Regelungen über Finanzausgleich und Garantiehaftung werden zu Recht von Siebeck (1982), S. 528, als „wenig konsequent und systemgerecht" bezeichnet. 131 Schriftliche Anfragen d. Verf. bei den Bundesverbänden der Krankenkassen erbrachten keine Ergebnisse, da Auskünfte über Bedarfssatz-Ausgleichsverfahren nur von den Landesverbänden gegeben werden; die folgenden Angaben stützen sich daher auf WIdO (1980a), S. 73 f., sowie Huppertz u.a. (1981), S. 322 ff. 130

3. Finanzausgleich in der

rnversicherung

153

Bei den Innungskrankenkassen sind Bedarfssatz-Ausgleiche in den Landesverbänden Nordrhein/Rheinland-Pfalz, Berlin 1 3 3 , Schleswig-Holstein und Niedersachsen bekannt. Bei den genannten Landesverbänden sind die Grenzwerte mit 5, 6, 7 und 15% sehr unterschiedlich festgelegt 134 . Der Finanzausgleich des Landesverbandes der Innungskrankenkassen Nordrhein und Rheinland-Pfalz hat als Ausgleichsvoraussetzung eine Überschreitung des Bedarfssatzes von 7% festgelegt. Eine Verpflichtung zum Ausgleich besteht nur, soweit das Vermögen der ausgleichspflichtigen Kassen den 1,0-fachen Betrag überschreitet und der Ausgleichsbetrag nicht geringfügig ist. Das Finanzausgleichsvolumen betrug im Jahre 1978 bei den nordrheinischen Innungskrankenkassen D M 2,161 Mio. oder 0,5% der Pflichtausgaben aller Kassen 135 . Bei den Landesverbänden der Betriebskrankenkassen in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg wurden Mischsysteme aus Umlageverfahren (§ 414 b Abs. 2 RVO) und Bedarfssatzausgleich (§ 414b Abs. 2a RVO) geschaffen 136. 3.1.2 Systematik des Finanzausgleichs in der KV Die im historischen Teil (3.1.1) dargestellten Regelungen zum Ausgleich unterschiedlicher Risikostrukturen unterscheiden sich im einzelnen sehr stark sowohl hinsichtlich der Reichweite als auch hinsichtlich der Ansatzpunkte für den Ausgleich. Je nach Tauglichkeit der gewählten Kriterien bemißt sich die Effektivität des Verfahrens im Hinblick auf eine Angleichung der Risikostrukturen, die nicht von den jeweiligen Versicherungsträgern zu vertreten sind. Die unterschiedliche Ausgestaltung ist dadurch bedingt, daß je nach historischer Ausgangssituation bei Schaffung der Regelung nur bestimmte Risikofaktoren als ausgleichsbedürftig angesehen wurden. Die Entscheidung darüber, was ausgleichsbedürftig sei, unterlag also einer politischen Entscheidung. Mit der folgenden Systematisierung - die anknüpft an Erfahrungen mit dem Finanzausgleich im staatlichen Sektor (vgl. Kap. 4) - sollen die systematischen Ansatzpunkte der vorliegenden Regelungen herausgestellt werden, um anhand des Ergebnisses der Risikostrukturuntersuchung (vgl. Kap. 2) zu einer Bewertung der Effektivität der Regelung zu kommen (siehe Übersicht 3).

132 Auskunft des Landesverbandes Hessen an d. Verf. ; nach Drucklegung ist bekannt geworden, daß ein Antrag von sechs nordhessischen AOK's, der auf Durchführung eines Bedarfssatzausgleichs im Landesverband abzielte, aufgrund der ablehnenden Haltung der Arbeitgebervertreter abgelehnt wurde, vgl. Arzte-Zeitung v. 30. 10.1986. 133 Veröffentlichtin: A B l . Berlin 1980, S. 907ff. 1 34 Fröhlingsdorf (1980), S. 299/302. 1 35 WIdO (1980a), S. 74. 156 WIdO (1980a), S. 74.

(Bedarfssatzausgleich)

Globale Ausgleichsmodelle

- sächlich

Leistungsfallumlage (§ 414b II)

KVdR

Bedarfssatzausgleich (§ 414 b II)

-

Kassenart intern

-

-

-

Kassenart örtlich/ übergreifend

Organisatorische Ebene

KVdR

Bedarfssatzausgleich

-

(§ 509a RVO>

nur bei den Ersatzkassen

bundesweit

Leistungsfallumlage (§ 414b II)

regional

Räumliche Ebene

Organisatorische Reichweite des Ausgleichs

3. Finanzausgleich i n e r

- personell

Kausale Ausgleichsmodelle

Auszugleichendes Leistungskostenrisiko

Übersicht 3: Systematik der Finanzausgleichsmodelle

154 er Sozialversicherung

3. Finanzausgleich in der

rnversicherung

155

3.1.2.1 Reichweite des Ausgleichs a) Kassenarten Ausgehend von der versicherungswissenschaftlichen Grundannahme, daß ein Versicherungswagnis um so besser zu tragen ist, je größer die Zahl der Versicherten ist (Gesetz der großen Zahl) 1 3 6 a , ist von wesentlicher Bedeutung, welche Kassen in den Ausgleich einbezogen sind (Reichweite) und des weiteren, ob der Ausgleich obligatorisch ist, d. h. unabhängig vom Willen der Beteiligten, oder fakultativ ist, d.h. die Zustimmung der Beteiligten voraussetzt. Bei einem so tief gestaffelten Versicherungszweig wie der gesetzlichen Krankenversicherung ist hinsichtlich des Ausgleichsergebnisses entscheidend, daß möglichst alle Kassenarten einbezogen sind. Ein kassenartübergreifender Risikoausgleich besteht derzeit nur in der K V der Rentner, bei dem die Aufwendungen aller Kassenarten mit Ausnahme der landwirtschaftlichen Krankenkassen 137 erfaßt sind (§ 393b Abs. 1 R V O sowie § 4 KVdR AusgleichsVO) 138 . Darüber hinaus bestehen nur kassenartinterne Risikoausgleiche. Dies ergibt sich zwangsläufig bei den Sonderkassen der Seeleute und der Bergleute, die bundesweit bei einem einheitlichen Träger zusammengefaßt sind (SeeKrankenkasse, Bundesknappschaft). Dies gilt außerdem sowohl bei den landwirtschaftlichen Kassen (Umlage nach § 60 Abs. 3 K V L G ) , als auch bei den Orts-, Betriebs- und Innungskrankenkassen (§ 414b RVO, § 414b Abs. 2a RVO). Bei den Ersatzkassen ist im Gegensatz zu den RVO-Kassen nur eine Umlage gemäß § 509 a R V O vorgesehen. Die theoretisch denkbare Möglichkeit, im Rahmen eines Kassenverbandes einen begrenzten Ausgleich zwischen den allgemeinen Pflichtkassen herbeizuführen, wird nach dem bisherigen Kenntnisstand nicht genutzt. Hier läge möglicherweise ein Ansatzpunkt für gesetzgeberisches Handeln, indem die Regelung so erweitert wird, daß auch die Ersatzkassen beteiligt werden. b) Regional und überregional Die gesetzlichen Krankenkassen des § 225 R V O sind regional gegliedert, bei ihnen vollzieht sich der Finanzausgleich demzufolge auch regional i36a Siebeck (1982), S. 528 (dort FN 329). 137 Die K V der Landwirte nimmt insofern eine Sonderstellung ein, als es sich hier um eine Versicherung für selbständige landwirtschaftliche Unternehmer handelt ( § 2 K V L G ) , bei der der Bund aus agrarsozialen Gründen besondere Zuschüsse leistet (§63 Abs. 4 K V L G ) . 138 I.d.F. d. Bek. v. 2. 1. 1984 (BGBl. I S. 35).

156

3. Finanzausgleich i n e r

er Sozialversicherung

(Gebietskrankenkassen), wobei sich allerdings die regionalen Grenzen der Landesverbände nicht mit den Bundesländern decken. In den Belastungsausgleich für aufwendige Leistungsfälle (§ 414b Abs. 2 RVO) können alle Kassen der Landesverbände einbezogen werden. Dazu gehören bei den Betriebskrankenkassen auch überregionale Kassen, da die Zugehörigkeit zum jeweiligen Landesverband sich nach dem Sitz der Kasse richtet (§ 414 Abs. 1 S. 2 RVO). Bei länderübergreifenden Landesverbänden (z.B. LdB Nordmark für die Betriebskrankenkassen in Hamburg und Schleswig-Holstein) kann demzufolge eine länderübergreifende Leistungsfall-Umlage vereinbart werden. Der Bedarfssatz-Ausgleich gemäß § 414b Abs. 2a R V O wird nur für die „Mitgliedskassen eines Landes" durchgeführt, die länderübergreifenden Landesverbände müssen also in der Satzung regionale Abgrenzungen vornehmen. In den Bundesländern, in denen nur eine Kasse der jeweiligen Kassenart tätig ist, z.B. in Hamburg gibt es nur eine A O K und eine I K K , ist ein solcher Finanzausgleich nicht notwendig, da die Risiken schon kassenintern über den Beitragssatz gemeinsam getragen werden. Im Gegensatz zu dem regionalen Ausgleich bei den allgemeinen Pflichtkassen vollzieht sich der Ausgleich bei den Ersatzkassen bundesweit. Dies gilt von vornherein bei den bundesweiten Ersatzkassen, aber auch bei den räumlich begrenzten Ersatzkassen ist die Umlage für aufwendige Leistungsfälle bundesweit möglich (§ 509a RVO). Bei den Ersatzkassen wird der Ausgleich über eine Vereinbarung (gegenüber einer satzungsmäßigen Bestimmung bei den allgemeinen Pflichtkassen) geschaffen, womit der Sonderstellung der Ersatzkassen Rechnung getragen wird. Dies hat aufsichtsrechtliche Bedeutung, da eine Vereinbarung keiner aufsichtsbehördlichen Genehmigung bedarf 139 . Auch bei den besonderen Pflichtkassen ist der Ausgleich bundesweit zugelassen. Dies gilt zunächst organisationsbedingt bei der Seekasse sowie der Bundesknappschaft als bundesweite Kassen. Bei den landwirtschaftlichen Kassen ist der bundesweite Ausgleich gemäß § 60 Abs. 3 K V L G zugelassen. Die Vorstellung des Gesetzgebers, daß die Begrenzung des Ausgleichs auf Länderebene der Wahrung der Sozialstruktur des einzelnen Landes dienen sollte 140 , gilt daher nur für die allgemeinen Pflichtkassen. 3.1.2.2 Verbindlichkeit

des Ausgleichs

Die Darstellung der bisher bestehenden Finanzausgleichsverfahren hat gezeigt, daß sowohl freiwillige Regelungen geschaffen wurden, deren Zustandekommen von der Übereinstimmung im jeweiligen Landesverband (bei den 139

Peters ( K V ) , § 509a, S. 17/2404. 140 BT-Drs. 8/557.

3. Finanzausgleich in der

rnversicherung

157

allgemeinen Pflichtkassen) bzw. im Gesamtverband (bei den Ersatzkassen) abhängt, als auch obligatorische Regelungen, deren Zustandekommen unabhängig vom Willen der beteiligten Kassen per Gesetz geregelt ist. Das Eigeninteresse der Kassen ist bei einem freiwilligen Ausgleich nicht immer in Einklang mit dem Interesse an einem Finanzausgleich zu bringen, da ja die - potentiell - belasteten Kassen den Ausgleich blockieren können. Ein Interesse an einem freiwilligen Ausgleich - zumindest für aufwendige Leistungsfälle (§ 414b Abs. 2 RVO) - ist bei den Betriebs- und Innungskrankenkassen durchgängig festzustellen, da für die Kosten kein ausreichender Risikoausgleich in der Mitgliederzahl möglich ist. Das Prinzip der Freiwilligkeit hat bei den Ortskrankenkassen dazu geführt, daß bislang kaum Ausgleiche geschaffen wurden 141 . Für die notleidenden Kassen ist von besonderem Interesse, ob sie das Zustandekommen des Ausgleichs erzwingen können und damit Rechtsansprüche auf Ausgleichszahlungen erhalten. Einen gesetzlichen Anspruch auf Zahlungen erhalten die „berechtigten Kassen" 142 im Finanzausgleich der KVdR, soweit deren Leistungsaufwendungen höher sind als ihr Finanzierungsanteil (§ 393b Abs. 1 S. 3 RVO). In diesem Fall besteht ein Aufrechnungsanspruch gegenüber der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte - BfA - , die die Beitragsanteile der Rentenversicherungsträger zur Krankenversicherung je nach Ausgleichsberechtigung an die Kassen überweist (§ 393a Abs. 1 RVO). Anders ist es bei den fakultativen Regelungen, die nur durch Übereinkunft der beteiligten Kassen zustande kommen. Die Einführung des Ausgleichs sollte nach dem Willen des Gesetzgebers allein der Selbstverwaltung der Kassen überlassen bleiben 143 . Damit ist durch Gesetz die Möglichkeit eröffnet, einen Finanzausgleich zu schaffen und die Beiträge für diesen Zweck zu verwenden 144 . Die Möglichkeit, einen Finanzausgleich zu schaffen, kann - auch bei Vorliegen der Voraussetzungen - nicht zu einem Rechtsanspruch verdichtet werden, da damit die Entscheidungsfreiheit der Kassen eingeschränkt würde. Solange keine Regelung im Landesverband besteht, erlangt eine notleidende Kasse weder einen Leistungsanspruch noch einen Leistungsschuldner 145. Allerdings besteht ein Rechtsanspruch dem Grunde nach, soweit eine verbandliche 141 Krauskopf / Schroeder-Printzen (KV), § 390, Anm. 4; zu den weiteren Gründen siehe unten 3.1.3.1. 142 Krauskopf / Schroeder-Printzen ( K V ) , § 393t>, Anm. 2.1. BT-Drs. 8/338, S. 66. 144 Damit ist gleichzeitig den Anforderungen des § 30 Abs. 1 SGB I V über die Mittelverwendung Genüge getan. So zu § 13 Abs. 1 Abs. 2 SVAG: BSG E 47, 148/157; Töns (1966), S. 542/550; Peters (KV), vor § 363, Anm. 4; Krauskopf / Schroeder-Printzen (KV), § 414b, Anm. 5; Brackmann (Hdb. 1/1), S. 212a.

158

3. Finanzausgleich i n e r

er Sozialversicherung

Regelung vorliegt 146 . Ein Rechtsanspruch auf Durchführung eines Ausgleichs wäre daher nur gegeben, wenn der Gesetzgeber dies ausdrücklich regelt 147 . 3.1.2.3 Der Ausgleich auf der Einnahmeseite (Finanzbedarfsausgleich ) Als entscheidende Einnahmequelle der Krankenkassen sind die Beitragseinnahmen anzusehen, da staatliche Zuschüsse oder Überweisungen anderer Versicherungsträger nur in geringem Ausmaß vorkommen. Als maßgebende Faktoren der Finanzkraft sind daher die Einkommenshöhe (d.h. der maßgebliche Grundlohn) sowie die Höhe des Beitragssatzes anzusehen. Wenn aus Gründen der gleichen Belastung des Einkommens die Höhe des Beitragssatzes bei allen Versicherten angeglichen werden soll, wäre daher ein Ausgleich der Unterschiede der Grundlöhne als mögliches Korrektiv denkbar. Ein solcher reiner Finanzkraftausgleich, der eine Fixierung einer durchschnittlichen Grundlohnsumme erforderlich machen würde, existiert jedoch nicht in der Krankenversicherung 148 . Als Stärkung der Einnahmeseite soll daher im folgenden jede Regelung angesehen werden, die allgemein der Verbesserung der Einnahmesituation dient, ohne daß die Zahlungen an die Verwendung für bestimmte Ausgabearten oder für bestimmte Personengruppen geknüpft werden. Ausgleichszahlungen für eine bestimmte Leistungsart (z.B. Umlage für aufwendige Leistungsfälle) oder für einen bestimmten Personenkreis (z.B. Rentner) dienen der gemeinsamen Tragung bestimmter Ausgaben, der Ausgleich erfolgt daher ausgabenbezogen. In diesen Fällen soll daher von einer Gemeinlast gesprochen werden (dazu unten 3.1.2.4) 149 . Als einzige noch gültige Regelung, die direkt zur Verbesserung der Einnahmesituation taugt, ist die Regelung der § 414b Abs. 2a R V O anzusehen, wobei diese Regelung die Leistungsaufwendungen für die Versicherten in ein Verhältnis zur Grundlohnsumme bringt und somit den durchschnittlichen Bedarfssatz festlegt. Diese Regelung wird daher als Finanzbedarfsausgleich bezeichnet 150 .

i « BSG E 47, 148/157. 147 s. dazu oben 3.1.1.7. 148 Siehe dazu die Modellberechnungen bei Huppertz u. a. (1981), S. 362ff. 149 Diese Terminologie knüpft an finanzwissenschaftliche Kriterien an, die auch in der kommunalrechtlichen Literatur Eingang gefunden haben (vgl. Pagenkopf (1978), S. 87ff.). Hinsichtlich der Definition des Begriffs der „Gemeinlast" deckt sich die Begrifflichkeit mit der von Nipperdey / Säcker (1969), S. 23ff., wogegen die Definition des Begriffs „Finanzausgleich" dort nicht eindeutig ist, weil die Autoren nur auf ein rechtstechnisches Merkmal (Forderung gegenüber anderen Versicherungsträgern) abstellen. 150 Siehe dazu die Modellrechnungen bei Huppertz u.a. (1981), S. 379ff.

3. Finanzausgleich in der

rnversicherung

159

Die Regelung des § 13 Abs. 3 SVAG knüpfte ebenfalls an eine Verbesserung der Einnahmeseite an, da sie von festgelegten, einheitlichen Beitragssätzen ausging, so daß dabei finanztechnisch ein Ausgleich der unterschiedlichen Finanzkraft hatte erfolgen müssen. Diese Regelung ist jedoch wegen Verstoßes gegen das Bestimmtheitsgebot des Art. 80 Abs. 1 GG nicht mehr anwendbar 1 5 1 , so daß im folgenden die Regelung des § 414b Abs. 2a R V O dargestellt wird. Der Finanzbedarf einer Krankenkasse bemißt sich nicht danach, ob die Kasse überhaupt noch ihre gesetzlich vorgeschriebenen Ausgaben erfüllen kann, da es keine objektive Leistungsgrenze gibt. Vielmehr ist die Leistungsfähigkeit dadurch sicherzustellen, daß die Beiträge der jeweiligen Kassen entsprechend erhöht werden (§ 385 Abs. 1 S. 2, § 389 Abs. 2 S. 2 RVO). Eine Beitragshöchstgrenze gibt es derzeit nicht in der gesetzlichen Krankenversicherung 152 . Der Finanzbedarf wird gemäß § 414b Abs. 2a RVO als relativer Bedarf, d.h. als Überschreiten des durchschnittlichen Finanzbedarfs aller Kassen des Landesverbandes festgelegt. Dies wird durch den Vergleich von Gesamtgrundlohnsumme (Maßstab für das Beitragsaufkommen) zu Leistungsausgaben (Maßstab für den Finanzbedarf) erreicht. Dabei sind jedoch bestimmte Leistungen, auf die kein Rechtsanspruch besteht, vom Ausgleich ausgenommen (s.o. 3.1.1.6). Ebenfalls vom Bedarfssatz nicht erfaßt sind die Ausgaben für Verwaltungskosten. Dies ergibt sich aus der Formulierung „Ausgaben für Leistungen" (§ 414b Abs. 2a S. 2 RVO), die allein in den Bedarfssatz einfließen. Als Leistungen der Krankenversicherung sind die gemäß § 179 Abs. 1 RVO aufgeführten Leistungsgruppen anzusehen. In der (abschließenden) Aufzählung sind jedoch Verwaltungsleistungen nicht gesondert aufgeführt, vielmehr geht der Gesetzgeber offensichtlich davon aus, daß die Bereitstellung von Verwaltungseinrichtungen notwendige Voraussetzung für die Verwaltung des Mitgliederbestands ist. Diese Ausgaben werden daher zu den Betriebsmitteln der Krankenkassen gerechnet (§ 364 Abs. 1 Nr. 1 RVO), die bei der Bemessung der Beiträge zu berücksichtigen sind (§ 385 Abs. 1 RVO). Auch bei dem Ausgleich der „Leistungsaufwendungen" in der KVdR sind gemäß § 1 Abs. 1 KVdR-Ausgleichs V O nur die „Reinausgaben" für Versicherungsleistungen zu berücksichtigen, nicht jedoch die Verwaltungskosten 153 . Dies hat seinen Grund darin, daß diese Kosten von den Kassen selbst zu beeinflussen sind. Damit wird dem Gedanken Rechnung getragen, daß sparsam wirtschaftende Krankenkassen nicht zugunsten von unwirtschaftlich bzw. aufwendiger arbei151 152 153

Zur Nicht-Anwendbarkeit des § 13 Abs. 3 SVAG siehe 3.1.1.4. Krauskopf / Schroeder-Printzen ( K V ) , § 389 Anm. 1. Kierstein / Krückel, § 393b, Anm. 2.3 (am Ende).

3. Finanzausgleich i n e r

er Sozialversicherung

tenden Kassen zum Ausgleich herangezogen werden und damit faktisch zu Subventionsgebern werden. Der Bedarfssatz könnte auch um eine Preiskomponente bereinigt werden, die auf unterschiedlichen Honorarsätzen bzw. Gebührensätzen für Krankenhausunterbringung beruht. Im Rahmen eines Landesverbandes könnte dem Rechnung getragen werden, indem die Landesverbände die Verträge mit den Ärzten bzw. Zahnärzten (§ 416e lit. c i. V . m . § 368g Abs. 1 RVO) sowie mit den Lieferanten für Arznei-, Heil- und Hilfsmitteln schließen 154 . Dies gilt auch für Verträge mit den Krankenhausträgern (§ 372 RVO). Die Höhe der Eingriffsschwelle bei 5 % oberhalb des Bedarfssatzes ist als Mindestgrenze anzusehen. Die Landesverbände können daher die Schwelle auch höher ansetzen und damit die Ausgleichsintensität abschwächen155. Allerdings kann mit einer höheren Eingriffsschwelle mit geringerem Finanzvolumen bereits eine Angleichung hinsichtlich der Spitzenabweichungen erzielt werden. Die Ausgleichsintensität ist darüber hinaus auch noch abhängig vom Ausmaß der Zahlungen an die bedürftigen Kassen. Hier sind gleiche Zahlungen an alle Kassen, jedoch auch gestaffelte Ausgleichsgrade nach zunehmender Abweichung vom durchschnittlichen Bedarfssatz 156 denkbar. 3.1.2.4 Der Ausgleich auf der Ausgabenseite (Gemeinlast) Neben den Einnahmen sind die Ausgaben für die Leistungsempfänger maßgebend für die finanzielle Lage der Kassen. Dementsprechend knüpfen einige Ausgleichsregelungen daran an, die Ausgaben für bestimmte Leistungsarten oder für bestimmte Personengruppen auszugleichen (siehe oben 3.1.2.3). Als reiner Belastungsausgleich ist die Umlage für aufwendige Leistungsfälle anzusehen, die für einzelne Leistungsfälle eine gemeinsame Tragung der Kosten vorsieht (siehe oben 3.1.1.5). Damit wird die Belastung für einige festgelegte Leistungsfälle auf alle Kassen verteilt, die am Umlage verfahren teilnehmen. Diese Umlage ist besonders sinnvoll für kleine Kassen, da bei diesen Kassen bereits vereinzelt auftretende teure Leistungsfälle vorübergehende Finanzierungsschwierigkeiten nach sich ziehen, die nur durch Beitragssatzerhöhungen kompensiert werden könnten. Die Umlage ist daher besonders bei Betriebs- und Innungskrankenkassen verbreitet. Der Ausgleich der Leistungsaufwendungen für die Krankenversicherung der Rentner ist dagegen kein reiner Belastungsausgleich, sondern es erfolgt 154

Krauskopf / Schroeder-Printzen ( K V ) , § 414e Anm. 2.3. WIdO (1980a), S. 82ff., mit mehreren Modellrechnungen für den Bereich der Ortskrankenkassen. 156 Huppertz u.a. (1981), S. 324. 155

3. Finanzausgleich in der

rnversicherung

161

ein vollständiger Ausgleich der Ausgaben für Rentner entsprechend der finanziellen Leistungskraft der Krankenkasse. Es soll erreicht werden, daß jeder Beitragszahler einen gleichen Anteil an der Finanzierung der Rentenaufwendungen trägt, indem der Finanzierungsanteil als v.H.-Satz des Grundlohns ermittelt wird 1 5 7 . (§ 393b Abs. 1 S. 2 RVO). Damit ist gewährleistet, daß beim Ausgleich der Aufwendungen auch Unterschiede in der Leistungskraft der Versicherten (durch die Grundlohnhöhe) ausgeglichen werden. Das Beitragsaufkommen der Studenten und Praktikanten wird dabei nicht berücksichtigt, da deren Beiträge gesetzlich festgelegt werden (§ 381a RVO); sie betragen 7/io des durchschnittlichen Beitragssatzes der Krankenkassen und Ersatzkassen. Allerdings wird beim Ausgleich in der KVdR keine Preisbereinigung auf durchschnittliche Honorarsätze für ärztliche Leistungen bzw. für Krankenhauspflegesätze vorgenommen. Daher findet insofern eine Umverteilung der höheren Preise auf die Kassen statt, die unterdurchschnittliche Preise für medizinische Leistungen zu zahlen haben. Dies betrifft zum einen die Ersatzkassen, die für ärztliche Leistungen bis zu 15% und für zahnärztliche Leistungen bis zu 8% mehr als die anderen Kassenarten zahlen 158 . Zum anderen trifft dies auch für die Kassen in Ballungsgebieten zu, die regelmäßig höhere Krankenhauspflegesätze zu entrichten haben. Hier vollzieht sich also eine Lastenverschiebung von den Ersatzkassen zu allen übrigen Kassen sowie von den städtischen Ballungsgebieten zu den ländlichen Regionen. Auch soweit Kassen noch in nennenswertem Umfang Ermessen bei Leistungsgewährung ausüben können, findet kein Ausgleich statt 159 . Auch beim Ausgleich im Kassenverband wäre ein Ausgleich auf der Ausgabenseite vorzunehmen. Gemäß § 405 Ziff. 5 RVO wäre der Ausgleich dabei allerdings auf 50% aller Leistungsausgaben begrenzt. Nur innerhalb dieses Rahmens wäre eine Übernahme aller Ausgaben für bestimmte Krankheitsarten oder Erkrankungsfälle möglich. 3.1.2.5 Durchführung

des A usgleichsverfahrens

Entsprechend dem Verpflichtungsgrad der Regelungen (3.1.2.2) ist i.d.R. auch die Durchführung des Ausgleichsverfahrens geregelt: beim obligatorischen Ausgleich durch staatliche Regelung und beim fakultativen Ausgleich durch verbandliche Regelung. Bei den früheren obligatorischen Regelungen war die Regelung durch Verordnung des Arbeitsministeriums vorgesehen, auch beim KVdR-Ausgleich 157

Begründung zu § 393 b R V O in BT-Drs. 8/160. iss Smigielski (1983), S. 340/342. ι 5 9 s.o. 3.1.1.4; Töns (1980), S. 543. 11 Brunkhorst

162

3. Finanzausgleich i n e r

er Sozialversicherung

erfolgt der Ausgleich aufgrund Rechts Verordnung, die vom BMAS mit Zustimmung des Bundesrates erlassen wird (§ 393c RVO). Der Ausgleich wird durch das Bundesversicherungsamt berechnet (§ 6 ΚVdR-AusgleichsV), die Abrechnung erfolgt über die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (§ 5 KVdR-AusgleichsV), und auch die Bundesverbände der Krankenkassen sind in das Verfahren eingeschaltet, indem sie verpflichtet sind, die Bekanntgabe der jeweiligen Ausgleichssätze an die Kassen sicherzustellen (§ 7 KVdRAusgleichsV). Dieses Verfahren hat sich in der Praxis bewährt, so daß der komplizierte Ausgleich ohne Störungen abgewickelt wurde 160 . Als Berechnungsgrundlagen dienen die Geschäfts- und Rechnungsergebnisse der Krankenkassen 161 sowie die Abrechnungen der Rentenversicherungsträger (§ 6 KVdR-AusgleichsV). Auf dieser Grundlage werden monatliche Abschläge, vorläufiger Jahresausgleich und Schlußausgleich errechnet. Auch ist bei Festlegung der vorläufigen Sätze eine verfahrensmäßige Beteiligung der Spitzenverbände der Kassen durch Anhörungsrechte gesichert (§§ 1 Abs. 3, 2 Abs. 3 KVdR-AusgleichsV). Soweit eine fakultative Regelung entweder durch Satzung (§§ 414b Abs. 2, 414b Abs. 2a RVO) oder durch Vereinbarung (§ 509a RVO) zugelassen ist, erfolgt auch die Durchführung des Ausgleichsverfahrens auf Verbandsebene. Da hier jedoch kein gesetzlicher Anspruch auf Auskunftserteilung vorliegt, muß auch die Auskunftserteilung an den ausgleichsführenden Träger (den Landes- bzw. Bundesverband) geregelt werden. Die Bildung der Landes- bzw. Bundesverbände ist gesetzlich vorgesehen (§ 414 RVO), innerhalb der Verbände erfolgt die Beschlußfassung nach § 64 SGB-IV, d.h. es können Mehrheitsbeschlüsse gefaßt werden. Damit kann auch eine „unwillige" Kasse zur Teilnahme am Ausgleich gezwungen werden. Als Korrelat zur Ausgleichszahlung ist der Landesverband auch befugt, festzustellen, auf welche Ursachen ein erhöhter Bedarfssatz zurückzuführen ist (§ 414b Abs. 2a S. 6 RVO). Damit kann ein gewisser Druck zu verändertem Verhalten bei der ausgleichsberechtigten Kasse ausgeübt werden 162 .

160

Töns (1980), S. 540. Vorzulegen nach § 44 der Verwaltungsvorschrift über das Rechnungswesen bei den Trägern der Sozialen Krankenversicherung i. V. m. § 38 Allgemeine Verwaltungsvorschrift über das Rechnungswesen in der Sozialversicherung v. 3. 8. 1981 (BAnz. 1981 Nr. 153 (Beilage)). 162 Krauskopf / Schroeder-Printzen ( K V ) , § 414b Anm. 5.2. 161

3.1 Finanzausgleich in der Krankenversicherung

163

3.1.2.6 Angleichungserfolg bei verschiedenen Ausgleichsregelungen Modellberechnungen des W I d O 1 6 3 haben ergeben, daß ein Bedarfssatzausgleich nach § 414b Abs. 2a RVO mit relativ geringen Finanzmitteln durchzuführen ist und damit zum Abbau hoher Beitragssätze innerhalb einer Kassenart gezielt beigetragen werden kann. Huppertz u. a. 1 6 4 kommen in ihrer Untersuchung zu dem Ergebnis, daß der Bedarfssatzausgleich nur zu einer geringen Abmilderung der kassenartübergreifenden Beitragssatzdifferenzen führt. Dies führen sie darauf zurück, daß nur etwa die Hälfte der GKV-Mitglieder in den Ausgleich einbezogen ist und daß im übrigen kassenart- und länderspezifische Diskrepanzen nicht tangiert werden. Im Ergebnis ist also festzustellen, daß der Bedarfssatzausgleich des § 414b Abs. 2a dazu taugt, besonders auffällige Beitragsspitzen zu kappen. Er kann jedoch nicht zu einer weitergehenden Angleichung der Beiträge zwischen den Kassenarten sowie den Regionen führen. Die Simulation weiterer denkbarer Modelle bei Huppertz zeigt, daß wesentlich bessere Ergebnisse zu erzielen sind, wenn der Ausgleich sowohl kassenartübergreifend als auch regional übergreifend durchgeführt wird. In einem Modell, das der Gemeinlast der K V d R 1 6 5 nachgebildet ist, wird eine einheitliche Relation zwischen Pflichtausgaben und Grundlohnsumme hergestellt. Nach diesem Modell würden nur die O K K und die B K K Zuweisungen erhalten, während die übrigen Kassenarten Abgaben zu leisten hätten. Regional betrachtet wären außer Baden-Württemberg und Bayern alle Länder Zuweisungsempfänger. Dieses Simulations-Modell hat eine hohe Potenz bezüglich der Angleichung der Beitragssätze. Das Ausgleichsvolumen beträgt D M 1523 Mio. Weiterhin wurde simuliert, das Modell des § 414b Abs. 2a RVO als bundesweiten, kassenartübergreifenden Finanzausgleich auszugestalten166. Damit können innerhalb der Kassenarten die Streubreiten um mehr als 50% verringert werden. Auch bei diesem Ausgleich würden die O K K und die B K K Zuwendungen erhalten, während die übrigen Kassenarten per saldo Abgaben zu leisten hätten. In regionaler Betrachtung wären Baden-Württemberg, Bayern und Berlin per saldo mit Abgaben belastet. Das Ausgleichsvolumen betrüge D M 866 Mio. Die Verfahren zum Ausgleich aufwendiger Leistungsfälle wurden bisher nicht untersucht, weil dafür kein Datenmaterial zur Verfügung stand 167 . Da es 163

164 165 166 167 1 *

WIdO (1980a), S. 82ff. Huppertz, u.a. (1981), S. 379ff. Huppertz u. a. (1981), S. 386ff. Huppertz u.a. (1981), S. 391. WIdO (1980a), S. 109.

164

3. Finanzausgleich i n e r

er Sozialversicherung

bei diesen Verfahren darauf ankommt, besondere Belastungen auszugleichen, ist der Angleichungserfolg nur begrenzt auf den Abbau von Belastungsspitzen. Hinsichtlich des Angleichs der Aufwendungen für einzelne Personengruppen kann auf die Erfahrungen mit der KVdR zurückgegriffen werden. Mit dem Ausgleich in der KVdR wird gewährleistet, daß jede Kasse - unabhängig von der Zahl der bei ihr versicherten Rentner - entsprechend ihrer Grundlohnsumme zur Tragung der gemeinsamen Last herangezogen wird. Ein hoher Anteil von Rentnern an den Versicherten einer Kasse bzw. Kassenart, wie er z.B. bei den OKK'en vorhanden ist, trägt also nicht mehr zur Risikoverschlechterung bei. Vor der Neuregelung der Gemeinlast der Rentner schwankten die - relativen - Ausgaben der einzelnen Kassen außerordentlich stark 168 . Die Neuregelung führte zu einer - relativen - Angleichung der Belastungen, dennoch haben sich in der Folgezeit die Beitragssatzunterschiede kaum verringert. Der Grund wird darin gesehen, daß überdurchschnittliche Belastungen durch Rentner sowohl bei Kassen mit hohen, durchschnittlichen und niedrigen Kosten in der allgemeinen Krankenversicherung auftreten. Daher wirkt die Angleichung der Rentnerkosten nicht generell beitragssatznivellierend, sondern bewirkt nur eine Nivellierung der Ausgaben für den wichtigen Bereich der Rentnerkrankenversicherung 169 . Die gleichen Effekte lassen sich auch feststellen, wenn andere Faktoren wie z.B. die Familienhilfeaufwendungen, unterschiedliche Grundlöhne oder die Krankenhausaufwendungen - isoliert ausgeglichen werden 170 . 3.1.3 Zwischenergebnis: Funktionsbedingungen des Finanzausgleichs in der KV Wie bereits gezeigt (s.o. Kap. 3.1), kennt die gesetzliche Krankenversicherung verschiedene Formen des Finanzausgleichs, die alle vom Fortbestand der gegenwärtigen Gliederung ausgehen. Die Einrichtung von Verfahren zum Ausgleich ungerechtfertigter Belastungsunterschiede ist demnach als Alternative zur organisatorischen Neuabgrenzung der Mitgliederkreise der Kassen anzusehen171. Dies zeigt auch ein Blick auf den kommunalen Finanzausgleich, bei dem durch Finanzzuweisungen die finanzielle Autonomie der dezentralen Verwaltungseinheiten erst gewährleistet wird (s.u. Kap. 4.2).

168

WIdO (1980 a), S. 96. 169 WIdO (1980 a), S. 96. 170 WIdO (1980a), S. 97ff.; Huppertz u.a. (1981), S. 362ff., S. 402ff. 171 Huppertz / Jaschke (1982), S. 263/265 m.w.N.

3. Finanzausgleich in der

rnversicherung

165

Die Effektivität und Wirkungsweise der Finanzausgleichsverfahren im Hinblick auf eine Verringerung der Belastungsunterschiede richtet sich sowohl nach Art und Umfang des ausgleichsfähigen Leistungskostenrisikos als auch nach der organisatorischen Reichweite des Ausgleichs 172 (siehe Übersicht 3). Dabei wird der obligatorische Finanzausgleich in der K V der Rentner allgemein akzeptiert 173 , da ansonsten die ungleiche Verteilung der Rentner auf die Kassenarten zu unzuträglichen Risikodiskrepanzen führen würde. Von den freiwilligen Ausgleichsverfahren wird jedoch in unterschiedlichem Ausmaß Gebrauch gemacht (vgl. Kap. 3.1.1.2). 3.1.3.1 Die Akzeptanz des Ausgleichs Die geringe Akzeptanz der Ausgleichsverfahren des Bedarfssatzausgleichs und der Leistungsfallumlage innerhalb der Ortskrankenkassen dürfte im Konkurrenzverhältnis zu den anderen Kassenarten begründet sein. Auch bei einem Ausgleich im Landesverband würden die Ortskrankenkassen noch einen relativ hohen Beitragssatz behalten, so daß es allenfalls zum Ausgleich besonders auffälliger Beitragsspitzen käme 174 . Damit wäre jedoch das Verhältnis zu den übrigen Kassenarten für die ausgleichspflichtigen Kassen verschlechtert: durch eine Anhebung des Beitragssatzes würden möglicherweise die mobilen Mitglieder zu anderen Kassenarten überwechseln. Da der durchschnittliche Beitragssatz auch nach dem Ausgleich noch relativ hoch wäre, würden auch die ausgleichsberechtigten Kassen keine wesentliche Verbesserung ihrer Wettbewerbslage (bezogen auf den Beitragssatz) erfahren. Daher wird zumindest bei den Ortskrankenkassen erwogen, ob ein Finanzausgleich nicht kassenartübergreifend ausgestaltet sein sollte 175 . Gerade die Konkurrenz zu den Ortskrankenkassen erhöht andererseits bei den Betriebs- und Innungskrankenkassen die Bereitschaft, besondere Leistungsrisiken gemeinsam zu tragen, da hierdurch die Risikostruktur der Kassenart insgesamt gegenüber den Ortskrankenkassen besser verteilt wird. Bei fehlendem Ausgleich wären diese Kassen in Gefahr, aufgelöst zu werden, was zur Folge hätte, daß die versicherungspflichtigen Mitglieder den Ortskrankenkassen zugewiesen würden, während die versicherungsberechtigten Mitglieder zumindest teilweise Mitglieder der Ersatzkassen werden könnten. Das Konkurrenzverhältnis wird besonders deutlich in der Regelung des Landesverbandes Berlin der Innungskrankenkassen: nach Abschn. I I Nr. 1 der Grundsätze * 7 2 Geißler, in: WIdO (1980b), S. 34. ™ Franke (1984), S. 107/108. 174 Oldiges (1979), S. 849/854. 175 Oldiges (1979), S. 849/854; anders wohl: Heitzer (1984a), S. 109/110; Balzer (1984), S. 86/89, die beide darauf abstellen, daß es durch Vereinbarungen der Kassenarten untereinander zur Abgrenzung von Mitgliederkreisen kommen könne.

166

3. Finanzausgleich i n e r

er Sozialversicherung

für den Finanzausgleich v. 28.4.1980 176 ist Voraussetzung für den Finanzausgleich, daß der Beitragssatz der A O K Berlin um mindestens 0,3 Beitragssatzpunkte überstiegen wird. Weiteres Motiv für die Akzeptanz ist die Erwartung, daß die gegenwärtige Organisationsform mit relativ autonomen Kassen keinen Bestand haben könnte, wenn einzelne Kassen leistungsunfähig werden. Die bestehenden Schwächen der Organisation werden so durch eigenes Handeln der selbstverwalteten Kassen abgemildert, um ein drohendes Eingreifen des Gesetzgebers abzuwenden 177 . Darüber hinaus sind auch die sozialpolitischen Motive der Arbeitgeberverbände und der Gewerkschaften zu beachten, die die Politik der Selbstverwaltungsgremien maßgeblich bestimmen. Der Finanzausgleich wird in begrenztem Umfang von der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände ( B D A ) bejaht. Dies gilt vor allem für die Leistungsfallumlage sowie begrenzte finanzielle Hilfen, die jeweils auf Landesverbandsebene begrenzt bleiben sollen 178 . Dagegen lehnt der B D A von ihm so bezeichnete „generelle Finanzausgleiche" ab, da sie nicht das unterschiedliche medizinische Versorgungsniveau und das Nachfrageverhalten der Versicherten berücksichtigen würden 179 . Demgegenüber wird vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) ein kassenartübergreifender Finanzausgleich für die unterschiedliche Belastung mit Ausgaben für Familienangehörige für notwendig gehalten 180 . Im übrigen werden die Ausgleichsmöglichkeiten, die bereits gesetzlich vorgesehen sind, als ausreichend angesehen, um ungerechtfertigte Belastungen innerhalb der Kassenarten abzugleichen 181 . Ein Finanzausgleich auf freiwilliger Ebene innerhalb einer Kassenart ist demnach nur dann erfolgreich, wenn sich damit für alle Kassen ein Vorteil ergibt, dies ist i.d.R. für Ortskrankenkassen selten der Fall, da ihre Wettbewerbsposition gegenüber den Ersatzkassen stark gefährdet ist. KassenartÜbergreif ende Ausgleichsverfahren, wie z.B. der Ausgleich des KVdR, sind nur funktionsfähig, da sie gesetzlich angeordnet sind, ansonsten würde es zu einer Blockade in den Selbstverwaltungsorganen kommen.

™ ABl. Berlin 1980, S. 907. 1 77 Fröhlingsdorf (1980), S. 299. 178 Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, Soziale Sicherung in der Zukunft (März 1982), S. 50/51. ™ Ebd., S. 50. 180 Sozialpolitisches Programm des D G B (o. J.) - Stand: März 1980, S. 35; so auch Oldiges (1979), S. 849 unter Hinweis darauf, daß die Belastung der Ortskrankenkassen aus der Zahl der Familienmitglieder um fast 50 % höher als bei den Ersatzkassen der Angestellten sei. ι « D G B (FN 180), S. 35.

3. Finanzausgleich in der

rnversicherung

3.1.3.2 Bundesweiter y kassenartübergreifender

167

Finanzausgleich

Ein bundesweiter Finanzausgleich, der alle Kassenarten erfaßt und de facto zu einer gleichmäßigen Lastenverteilung des Anteils der Krankenversicherung auf alle Versicherten führt, besteht im Finanzausgleich der KVdR (vgl. 3.1.1.5) 182 . Die Entwicklung, die der Finanzausgleich der KVdR in den verschiedenen Formen genommen hat, zeigt, daß eine befriedigende Lösung für alle Kassenarten erst gefunden wurde, als der Finanzausgleich von der Basis der einzelnen Kasse gelöst und auf eine bundesweite Basis gestellt wurde, die dem Ausgleichsmodus in der Rentenversicherung (dazu unten 3.3) entspricht 183 . Ein entsprechender Ausgleich könnte auch für die Kinderlasten der Krankenversicherung geschaffen werden. Die Tragung der Kosten für die Krankenversicherung der nicht erwerbstätigen Kinder wird danach ebenfalls als solidarisch zu tragende Aufgabe der Krankenversicherung bezeichnet, die als Element des Generationenvertrages der gemeinsamen Tragung der Rentnerlast entspricht 184 . Gleichzeitig wird damit die Erwartung verbunden, daß die Beitragssatzdifferenzen weiter abnehmen könnten 185 . Nach den Erfahrungen mit Ausgleich der KVdR-Lasten ist allerdings zweifelhaft, ob mit dem isolierten Ausgleich eines bestimmten Leistungskostenrisikos (hier: die Ausgaben für mitversicherte Kinder) eine durchgängige Angleichung der Beitragssätze zu erreichen wäre. Dies zeigt die Verteilung der anspruchsberechtigten Kinder auf die verschiedenen Kassenarten. Die Kinderdichte je 100 Pflicht- und freiwillige Mitglieder war demnach bei den L w K K und den BuKn am höchsten. Von den hier interessierenden Krankenkassen, die allgemein für Arbeitnehmer zugänglich sind, haben die B K K und die E A R die höchste Kinderdichte, während die A O K und die I K K eine Mittelposition einnehmen und die Kinderdichte bei den Ersatzkassen der Angestellten deutlich niedriger liegt. Ein Kinderlastenausgleich nach Kassenarten würde demzufolge die B K K und die E A R am meisten begünstigen, während die Ersatzkassen der Angestellten wohl überwiegend Ausgleichszahlungen zu leisten hätten. Die Risikostruktur der Orts- und Innungskrankenkassen dürfte sich danach nur unwesentlich verändern, da ihre Kinderdichte nahe beim Durchschnittswert aller Kassen liegt. Ein Ausgleich der Kinderlasten hätte also zur Folge, daß eine Kassenart mit bisher schon günstigen Beitragssätzen, nämlich die Betriebskrankenkassen, 182

Es ist daher gerechtfertigt, in diesem Bereich der Krankenversicherung von einer »Einheitsversicherung" zu sprechen: so Tons (1980), S. 536/543. ι « So auch Siebeck (1982), S. 520/529. * 8 4 So Tons (1980), S. 536/544. 185 Töns (1980), S. 544.

3. Finanzausgleich i n e r

er Sozialversicherung

Tabellen Anspruchsberechtigte Kinder in der G K V (Stand: 1.10.1984)*) Auf je 100 Mitglieder entfallen . . . Kinder Kassenart

je 100 Mitglieder je 100 Pflichtmitglieder insgesamt

je 100 freiw. Mitglieder

je 100 Pflichtund freiw. Mitglieder

je 100 Rentner

1

2

3

4

5

OKK

30,7

44,0

56,6

45,3

2,6

BKK

43,3

58,7

81,5

61,9

6,6

IKK

39,9

43,8

73,4

46,8

6,5 4,1

0

LwKK

51,1

85,5

22,9

83,1

BuKn

23,5

71,9

23,7

64,6

3,7

EAr

43,8

46,6

83,0

52,2

5,4

EAn

31,9

25,0

70,0

38,6

3,0

Sämtliche Kassenb)

33,5

41,1

67,5

45,8

3,5

a) Quelle: Erhebung der Krankenkassen zum Stichtag 1. Oktober 1984. b) Einschließlich Seekrankenkasse.

noch zusätzlich entlastet würde, während Kassen mit hohen Beitragssätzen, nämlich die Ortskrankenkassen und die Ersatzkrankenkassen, entweder nur unzureichend entlastet bzw. zusätzlich belastet würden. Auch wenn bei diesen Überlegungen noch nicht die Auswirkungen innerhalb der Kassenarten - wo sich entsprechende Be- und Entlastungseffekte je nach Kinderdichte ergeben würden - berücksichtigt sind, ist zu konstatieren, daß sich ein Kinderlastenausgleich nicht allgemein beitragsnivellierend auswirken würde 186 . Wie sich bereits bei der Ursachenanalyse gezeigt hat (s.o. Kap. 2.7), könnte nur ein allgemeiner Bedarfssatzausgleich, der kassenartübergreifend ausgestaltet ist, zu einer wirksamen Angleichung der Beitragssätze beitragen. Damit würden die sich gegenseitig kompensierenden Einflüsse auf den Beitragssatz abgefangen. Allerdings müßte unter sozialpolitischen Gesichtspunkten bestimmt werden, inwieweit der Autonomie der Kassen Rechnung getragen werden soll. Insoweit ist auf die Ausführungen zum Bedarfssatzausgleich (s.o. Kap. 3.1.1.7) zu verweisen. ™ So auch Siebeck (1982), S. 520/529 (dort FN 342).

3. Finanzausgleich in der

3.1.3.3 Regionaler

y

rnversicherung

kassenartübergreifender

169

Finanzausgleich

Ausgehend von den regionalen Einflußfaktoren könnte auch ein regionaler Finanzausgleich erfolgen. Um innerhalb einer Region zu vergleichbaren Beitragssätzen zu kommen, müßte allerdings der Ausgleich kassenartübergreifend sein und insoweit über den bereits bestehenden Bedarfssatzausgleich innerhalb einer Kassenart hinausgehen. Die bundesweiten Ersatzkassen hätten zu diesem Zweck Sektionen zu bilden, die den Regionen entsprechen, innerhalb derer der Finanzausgleich durchzuführen wäre 187 . Wenn der Ausgleich nur eines personellen Leistungskostenrisikos (z.B. Kinderlast) erfolgen sollte, ergeben sich hinsichtlich der Auswirkungen auf den Beitragssatz ähnliche Ergebnisse wie bei dem bundesweiten Ausgleich (s.o. 3.1.3.2). Dieses Modell hätte einzig den Vorteil, daß damit das unterschiedliche regionale Versorgungsniveau berücksichtigt werden könnte. 3.1.3.4 Kassenartinterner

Finanzausgleich

Ein obligatorischer Finanzausgleich innerhalb der Landesverbände der Kassen - wie er bereits im Bedarfssatzausgleich vorgesehen ist - würde zwar zur Angleichung der Kassenart beitragen. Dessen geringe Akzeptanz bei den Ortskrankenkassen, die auf einer Verschlechterung der Konkurrenzbedingungen zu den anderen Kassenarten beruht, zeigt jedoch auch die Schwachstelle eines solchen Ausgleichs. Durch die partielle Nivellierung innerhalb eines Landesverbandes würden die noch bestehenden günstigen Risikostrukturen insbesondere bei den Ortskrankenkassen gefährdet. Anhand der Länderdurchschnitte bei den Ortskrankenkassen188 zeigt sich, daß damit die Wettbewerbsfähigkeit gerade gegenüber den Ersatzkassen erheblich geschmälert würde, die Betriebs- und Innungskrankenkassen hätten danach durchgehend geringere Beitragssätze. Die bestehenden Regelungen des kassenartinternen Risikoausgleichs berücksichtigen demnach nur unzureichend das Konkurrenzverhältnis der Kassenarten zueinander. Für Ortskrankenkassen ist die bestehende Regelung daher keine praktikable Lösung, da bei einer durch den Ausgleich bedingten Erhöhung der Beitragssätze der Kassen mit guter Risikostruktur auch dort die Gefahr einer vermehrten Abwanderung zu den Ersatzkassen zu befürchten wäre. Insgesamt sind die kassenartinternen, freiwilligen Ausgleichsregelungen daher nicht zum Abbau der Beitragssatzdifferenzen geeignet.

187

Siebeck (1982), S. 520/530. iss BArbBl. 1985, Heft 6, S. 91 - Tab. 199.

170

3. Finanzausgleich i n e r

er Sozialversicherung

3.2 Finanzausgleich in der Unfallversicherung Auch in der Unfallversicherung, die nach Wirtschaftszweigen gegliedert ist 1 8 9 , haben sich aufgrund wirtschaftlicher Strukturveränderungen Finanzierungsprobleme ergeben, die aufgrund des Finanzierungsverfahrens (Umlage bei den beteiligten Unternehmen) nicht von dem jeweils betroffenen Unfallversicherungsträger zu bewältigen sind. Dies gilt insbesondere für die Rentenlast der Bergbau-Berufsgenossenschaft, die aufgrund zurückgehender Beschäftigtenzahlen im Bergbau auf Zahlungen der übrigen Berufsgenossenschaften angewiesen ist. Der Ausgleich vollzieht sich über das Lastenausgleichsverfahren des Art. 3 U V N G 1 9 0 (3.2.4). Die Regelung des Art. 3 U V N G ist abstrakt gefaßt, seit Schaffung des Lastenausgleichsverfahrens 1968 ist stets die Bergbau-BG Empfängerin gewesen, wogegen die übrigen 34 Berufsgenossenschaften Einzahler in das Lastenausgleichsverfahren gewesen sind 191 . Neben der gesetzlichen Gemeinlast des Art. 3 U V N G sieht die R V O noch weitere Möglichkeiten des Ausgleichs der Risikostruktur vor: es sind dies die freiwillige Gemeinlast gem. §§ 736, 737 RVO und die Gemeinlast durch Rechtsverordnung des BMAS gem. § 738 R V O (3.2.1, 3.2.2). Als grundsätzliche Alternative zu Ausgleichsregelungen zwischen den bestehenden Trägern besteht die Möglichkeit der Bildung neuer Risikogemeinschaften mittels organisatorischer Veränderungen durch den Gesetzgeber (3.2.3). Grundsätzlich entspricht es der organisatorischen Gliederung der Unfallversicherung nach Wirtschaftszweigen, daß jede Berufsgenossenschaft die notwendigen Mittel entsprechend dem auf sie entfallenden Risiko durch Beiträge der Unternehmer deckt (§ 723 RVO). Der Gesetzgeber hat jedoch auch eine Solidarhaftung, die sich über die Grenzen der einzelnen BG' erstreckt, im Ausnahmefall vorgesehen 192. Abgesehen von den Extremsituationen, in denen die Leistungsfähigkeit einzelner Berufsgenossenschaften gefährdet ist (vgl. 3.2.2, 3.2.4), gilt dabei jedoch der Grundsatz der Freiwilligkeit des Finanzausgleichs 193 .

189

s.o. Kap. 1.2 Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetz - U V N G - v. 30.4.1963. (BGBl. I S. 241); die geltende Fassung des Art. 3 U V N G ist seit 1.1.1968 in Kraft und beruht auf Art. 2 § 4 FinÄndG 1967 v. 21.12.1967 (BGBl. I S. 1259). 191 Auskunft des Hauptverbandes der gewerblichen Berufsgenossenschaften an d. Verf. v. 1.4.1985. 192 Brackmann (Hdb.), S. 212d, S. 549a (Aug. 79). 193 Bley (1982), S. 183, CH 4a) aa; Lauterbach / Watermann (UV), § 736 Anm. 1. 190

3.

Finanzausgleich in der

nalversicherung

171

3.2.1 Gemeinlast dureh Vereinbarung (freiwillige Gemeinlast) Die Solidarhaftung gem. § 737 R V O beruht auf einer freiwilligen Vereinbarung zwischen den gewerblichen Berufsgenossenschaften. Diese Regelung gilt auch für die See-Berufsgenossenschaft (§ 880 RVO) sowie die landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften (§ 818 RVO). Diese Regelung gilt jedoch nicht für die Eigenunfallversicherungsträger (§ 767 Abs. 2 Nr. 6 RVO), da deren Kosten nicht durch Beiträge von Versicherten, sondern aus allgemeinen Haushaltsmitteln aufgebracht werden 194 . Die zu verteilende Last ist als „Entschädigungslast" bezeichnet. Damit sind alle Aufwendungen für unfallbedingte Sach- und Geldleistungen gemeint, nicht dagegen sonstige Kosten (z.B. Verfahrenskosten), die der B G aus Anlaß von Arbeitsunfällen erwachsen 195 . Es steht jedoch im Ermessen der Berufsgenossenschaften, ob sie eine vollständige oder nur teilweise gemeinsame Lastentragung vereinbaren, ob z.B. nur Leistungen bis zu einem bestimmten Stichtag oder nur Geldleistungen gemeinsam getragen werden sollen. Die Vereinbarung muß den Verteilungsmodus bestimmen (§ 737 Abs. 2 RVO) und darf nur zu Beginn eines Geschäftsjahres wirksam werden (§ 737 Abs. 3 RVO). Sie bedarf darüber hinaus der Zustimmung der Vertreterversammlung sowie der Aufsichtsbehörde (§ 737 RVO). Es hat seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland mehrfach freiwillige Stützungsaktionen unter den gewerblichen Berufsgenossenschaften gegeben. Lauterbach / Watermann 196 führen als Beispiel für eine freiwillige Darlehensunterstützung die Hilfsmaßnahmen für die See-B G nach dem Zusammenbruch an, da die deutsche Seeschiffahrt zum damaligen Zeitpunkt nur noch über eine geringe Tonnage verfügte. Die Darlehen sind im Verlauf des wirtschaftlichen Aufstiegs durch die Seeschiffahrt voll zurückgezahlt worden. Darüber hinaus sind die Darlehensgewährung an die Binnenschiffahrts-B G sowie die gemeinsame Übernahme der personellen Lasten der Danziger Versorgungsfälle früherer Angestellter (Maßnahme nach Art. 131 GG) zu nennen 197 .

194 Lauterbach / Watermann ( U V ) , § 767 Anm. 9; soweit die Stadtstaaten von der Befugnis zur Errichtung von Unfallkassen Gebrauch machen, kommen die Vorschriften über die Gemeinlast nicht zur Anwendung (§ 655 Abs. 4 RVO). i* 5 Lauterbach / Watermann ( U V ) , § 737 Anm. 3; Brackmann (Hdb. 1/1), S. 213. 196 Lauterbach / Watermann ( U V ) , § 738 Anm. 8, ausführlich dazu: Wickenhagen (1980), S. 630 ff. 197 Auskunft des Hauptverbandes an d. Verf. v. 1.4.1985.

172

3. Finanzausgleich i n e r

er Sozialversicherung

3.2.2 Gemeinlast durch Rechtsverordnung Subsidiär zur freiwilligen Gemeinlast kann der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung mit Zustimmung des Bundesrates bestimmen, daß BG'en ihre Entschädigungslast ganz oder teilweise gemeinsam tragen. Soweit nur landesunmittelbare BG'en beteiligt sein sollen, gilt die Ermächtigung für die jeweilige Landesregierung. Wie sich aus dem Bericht des sozialpolitischen Ausschusses des Bundestages ergibt, sollte es sich dabei um eine Ausnahme handeln, eine generelle Andersverteilung der Last sei nicht gewollt 198 . Der Ausnahmecharakter wird - neben der subsidiären Geltung - besonders durch den Maßstab der Erforderlichkeit betont. Die Anordnung der Gemeinlast muß das einzige Mittel zur Abwendung der Leistungsgefährdung sein, reine Billigkeitserwägungen sind nicht ausreichend 199 . Hinzu kommt, daß eine nur vorübergehende Verknappung der Mittel nicht ausreichen soll. Praktisch bedeutet das, daß eine Gefährdung der Leistungsfähigkeit nur anzunehmen ist, wenn die Leistungen nicht mehr durch Umlage von den Mitgliedern gedeckt werden können oder die Höhe der Umlage aus sozial- und wirtschaftspolitischen Erwägungen nicht mehr vertretbar erscheint 200 . Darüber hinaus sind auch zeitlich begrenzte Stützungsmaßnahmen für eine vorübergehend nicht leistungsfähige Β G möglich (§ 738 Abs. 1 , 2 . Alternative). Dies kommt infrage, wenn abzusehen ist, daß die Leistungsfähigkeit der BG in absehbarer Zeit wieder hergestellt werden kann. Es handelt sich hierbei nicht um eine Anspruchsnorm für eine notleidende BG, da die Regelung als „kann"-Vorschrift ausgestaltet ist. Der Vorschrift ist auch kein gebundenes Ermessen zu entnehmen, da neben dem Ausgleich noch die weitere Möglichkeit der Auflösung einer BG besteht (§ 652 R V O ) 2 0 1 . Bisher ist jedoch noch keine Gemeinlast durch Rechtsverordnung des Bundesministers begründet worden 202 . Nach den bereits zu 3.1 entwickelten Maßstäben, die an eine Verordnungsermächtigung gem. Art. 80 Abs. 1 GG anzulegen sind, fehlt es auch bei der Ermächtigung des § 738 Abs. 1 RVO an einer Bestimmung des Ausmaßes der Ermächtigung, da die Höhe der Unterstützung erst in der Verordnung zu regeln ist 2 0 3 . Maßstäbe dafür sind dem Gesetz nicht zu entnehmen. Die Ermächtigung des § 738 Abs. 1 RVO ist daher unwirksam.

198 BT-Drs. IV/938, S. 24. 199 Vgl. Lauterbach / Watermann, § 738 Anm. 3. 200 Brackmann (Hdb.), S. 213, S. 549b. 201 Lauterbach / Watermann ( U V ) , § 738 Anm. 4. 202 Auskunft des Hauptverbandes an d. Verf. v. 1.4.1985. 203 Lauterbach / Watermann ( U V ) , § 738 Anm. 10.

3. Finanzausgleich in der

nalversicherung

173

3.2.3 Bildung neuer Berufsgenossensehaften Die gegenwärtige Organisation der gewerblichen Berufsgenossenschaften (siehe Ani. 1 zu § 646 RVO), der landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften (siehe Ani. 2 zu § 790 RVO), der See-Berufsgenossenschaft (§ 850 RVO) sowie der Eigenunfallversicherungsträger (§ 766 RVO) beruht auf gesetzlichen Vorschriften. Sie kann demzufolge auch durch Entscheidungen des Gesetzgebers geändert werden. Dies erfolgt bei den gewerblichen Berufsgenossenschaften auf folgende Weise: - die sachliche Zuständigkeit einer Berufsgenossenschaft kann nach Art und Gegenstand der Unternehmen durch Rechtsverordnung geändert werden (§ 464 Abs. 2 RVO); - eine Berufsgenossenschaft kann geteilt werden (§ 649 RVO); - mehrere Berufsgenossenschaften können vereinigt werden (§ 651 RVO); - eine Berufsgenossenschaft kann auch aufgelöst werden (§ 652 RVO). Bei der Verabschiedung des U V N G war der Gesetzgeber daran interessiert, den Bestand von BG'en zu verringern. Nach Art. 4 § 13 U V N G war vorgesehen, daß der Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften bis zum 30.6.1964 einen Plan zur Zusammenlegung der gewerblichen BG'en vorlegen sollte. Der Hauptverband konnte jedoch unter Hinweis auf die Bewährung der bisherigen fachlichen Gliederung nach Wirtschaftszweigen eine Zusammenlegung abwenden 204 . Es wurde vorgeschlagen, einzelne BG'en für das gesamte Bundesgebiet zusammenzufassen sowie nötigenfalls bei akuter Leistungsgefährdung eine Gemeinlast durchzuführen. Seitdem wurde nur die Holz-BG durch Zusammenlegung der Süd- und Norddeutschen-HolzBG neu geschaffen 205. Der Bedeutung der Bildung neuer Risikogemeinschaften durch gesetzgeberisches Handeln ist auch in den Entscheidungen des BVerfG zum Finanzausgleich in der U V betont worden. Dies zeige, daß von einer unabänderlichen Autarkie der bestehenden Berufsgenossenschaften nicht ausgegangen werden könne, ein Risikoausgleich über die Grenzen einer B G hinaus - gleichsam als ein „weniger" gegenüber der organisatorischen Veränderung - sei der U V also nicht fremd 206 . Unter Bezugnahme auf ursprüngliche Überlegungen bei den Beratungen zur Schaffung der Unfallversicherung im Jahre 1881 hält das Gericht auch einen völligen, zeitlich unbegrenzten Lastenausgleich durch Schaffung eines einheitlichen UV-Trägers für zulässig 207 . 2