Der Aufbau der Fahrlässigkeitsstraftat: Unrecht, Schuld, Strafwürdigkeit und deren Bezüge zur Normentheorie [1 ed.] 9783428547449, 9783428147441

Für die überwiegende Auffassung in der strafrechtlichen Literatur und Rechtsprechung scheint unverbrüchlich festzustehen

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Der Aufbau der Fahrlässigkeitsstraftat: Unrecht, Schuld, Strafwürdigkeit und deren Bezüge zur Normentheorie [1 ed.]
 9783428547449, 9783428147441

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Strafrechtliche Abhandlungen Neue Folge · Band 271

Der Aufbau der Fahrlässigkeitsstraftat Unrecht, Schuld, Strafwürdigkeit und deren Bezüge zur Normentheorie

Von

Thomas Kröger

Duncker & Humblot · Berlin

THOMAS KRÖGER

Der Aufbau der Fahrlässigkeitsstraftat

Strafrechtliche Abhandlungen · Neue Folge Begründet von Dr. Eberhard Schmidhäuser (†) em. ord. Prof. der Rechte an der Universität Hamburg

Herausgegeben von Dr. Dres. h. c. Friedrich-Christian Schroeder em. ord. Prof. der Rechte an der Universität Regensburg

und Dr. Andreas Hoyer ord. Prof. der Rechte an der Universität Kiel

in Zusammenarbeit mit den Strafrechtslehrern der deutschen Universitäten

Band 271

Der Aufbau der Fahrlässigkeitsstraftat Unrecht, Schuld, Strafwürdigkeit und deren Bezüge zur Normentheorie

Von

Thomas Kröger

Duncker & Humblot · Berlin

Zur Aufnahme in die Reihe empfohlen von Professor Dr. Winrich Langer, Marburg Der Fachbereich Rechtswissenschaften der Philipps-Universität Marburg hat diese Arbeit im Jahre 2014 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2016 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme: L101 Mediengestaltung, Berlin Druck: buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany ISSN 0720-7271 ISBN 978-3-428-14744-1 (Print) ISBN 978-3-428-54744-9 (E-Book) ISBN 978-3-428-84744-0 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

„Dies haben unsere Vorfahren aus gutem Grunde so geordnet, und wir stellen es aus gutem Grunde nun wieder ab.“ Georg Christoph Lichtenberg, Sudelbuch C 234 (1772–1773)

„Ich kann freilich nicht sagen, ob es besser werden wird wenn es anders wird; aber so viel kann ich sagen, es muß anders werden, wenn es gut werden soll.“ Georg Christoph Lichtenberg, Sudelbuch K 293 (1793–1796)

Vorwort Hiermit lege ich meine Promotionsschrift vor, die vom Fachbereich Rechtswissenschaften der Philipps-Universität Marburg im August 2014 als Dissertation angenommen worden ist. Bis zum September 2015 erschienenes Schrifttum habe ich – soweit möglich – eingearbeitet. Den am langwierigen Entstehungsprozess der Arbeit Beteiligten möchte ich nun danken: Zuvörderst meinem äußerst verehrten akademischen Lehrer und Doktorvater, Herrn em. ord. Prof. Dr. Winrich Langer, der mein Interesse an der Strafrechtsdogmatik geweckt, mich unermüdlich angeleitet und – selbst wo wir einmal anderer Ansicht sind und waren – stets gefördert und ermutigt hat. Sein umfassend wissenschaftlicher Geist – gepaart mit unprätentiösem Auftreten – wird mir immer ein Vorbild sein. Nicht weniger Dank gilt meinem anderen akademischen Lehrer, Herrn Prof. Dr. Dr. h. c. Georg Freund, an dessen Lehrstuhl ich etliche schöne Jahre verbringen durfte. Mögen sich seine strafrechtsdogmatischen Ansichten auch weniger in der hier vertretenen Normentheorie wiederfinden, hat er mich durch sein stringentes Denken – mehr als es durch bloßes Betrachten des Fußnotenapparats zum Ausdruck kommen wird – beeindruckt und nachhaltig geprägt. Gedankt sei auch den Herren Markus Bender und Dr. Philipp Georgy sowie Frau Dr. Frauke Rostalski für die zahlreichen hilfreichen Diskussionen am Institut für Kriminalwissenschaften. Für die – wenig strafrechtsdogmatische – Zerstreuung möchte ich stellvertretend für viele andere, meinen Freunden, den Herren Christoph Döll, Dr. Benjamin Krause, Dr. Volker Lemmer und Tobias Rummeleit danken. Ferner gebührt der Studienstiftung des Deutschen Volkes für die Aufnahme in ihr Stipendiatenprogramm und die damit verbundene finanzielle Förderung aufrichtiger Dank. Zu tiefem Dank bin ich nachdrücklich meinen lieben Eltern verpflichtet. Sie haben mir zahlreiche Freiheiten – nicht zuletzt bei der Studienwahl – eingeräumt und mich immer unterstützt, ohne viel Aufhebens zu machen. Abschließend danke ich von Herzen der Frau an meiner Seite, Frau Dr. Hannah Katharina Delille, dafür, zu sein, wer und wie sie ist. Ihr ist diese Arbeit gewidmet. Wiesbaden, im Oktober 2015

Thomas Kröger

Inhaltsverzeichnis Kapitel 1 Einleitung 17 A. Problemaufriss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 B. Überlegungen zur Methodik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 I. Rechtsvergleichung, Gemeinschaftsrecht, Verfassungsrecht, Zivilrecht . 22 II. Rechtsprechungsanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 III. Rechtsphilosophie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 IV. Etymologie des Begriffs „Fahrlässigkeit“ und Rechtsgeschichte . . . . . 35 V. Abschließende Konkretisierung der auf die gesetzliche Systematisierung ausgerichteten Herangehensweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 C. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 Kapitel 2

Rechtsgeschichtliche Entwicklung 48

A. Die Ausgangsdebatte zwischen Adolf Merkel und Rudolf von Jhering . . . . 49 B. Fortentwicklung zur „klassischen Verbrechenssystematik“ . . . . . . . . . . . . . . 52 I. Karl Binding – Die Norm als Dreh- und Angelpunkt . . . . . . . . . . . . . 52 II. August Thon – Die Imperativentheorie; Grundlegung für die Differenzierung in Bewertungs- und Bestimmungsnorm . . . . . . . . . . . . . . . . 56 III. Franz von Liszt – Die Handlung und deren Attribute: rechtswidrig, schuldhaft, mit Strafe bedroht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 1. Naturwissenschaftlicher Positivismus und scharfe Begrifflichkeiten des klassifikatorischen Systems als geistesgeschichtliche Grund­ lagen der „klassischen“ Verbrechensauffassung . . . . . . . . . . . . . . . . 59 2. Verbrechensauffassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 IV. Gustav Radbruch – Aufspaltung der Fahrlässigkeit auf Rechtswidrigkeit und (psychologische) Schuld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 V. Ernst Beling – Der Tatbestand als Bezugspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 C. Fortentwicklung zur „neoklassischen Verbrechenslehre“ . . . . . . . . . . . . . . . . 73 I. Max Ernst Mayer – Rechts- und Kulturnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 1. Normentheoretische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 2. Der Neukantianismus als Bezugspunkt für die Verbrechenslehre – die normative Wende in der Strafrechtswissenschaft . . . . . . . . . . . . 76 3. Verbrechensauffassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77

10 Inhaltsverzeichnis II. Alexander Freiherr Hold v. Ferneck – Imperativentheorie und Ineinssetzung von Unrecht und (generell verstandener) Schuld . . . . . . . . . . . 81 III. Franz Exner, August Köhler und Hermann Mannheim – drei nahezu zeitgleiche, aber differierende Ansätze, das Wesen der Fahrlässigkeit systematisch zu ergründen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 1. Franz Exner – Die Gefühlsschuld als Anknüpfungspunkt für die Fahrlässigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 2. August Köhler – Fahrlässigkeit als Ablehnung der Anregung, auf die Gefährlichkeit des geplanten Verhaltens zu achten . . . . . . . . . . 91 3. Herrmann Mannheim – Fahrlässigkeit als Nichtvorhersehen des Erfolges trotz Vorhersehensollens und objektiven Könnens . . . . . . . 93 IV. Edmund Mezger – Unrecht als Widerspruch gegen die adressenlose, objektive Bewertungsnorm, Schuld als die persönliche, subjektive Vorwerfbarkeit begangenen Unrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 V. Karl Engisch – Der „formelle“ Schuldgehalt der Fahrlässigkeit, insbesondere die äußere und innere Sorgfalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 1. Die Rechtsfahrlässigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 2. Das Irrtumsmoment bei der Fahrlässigkeit und die äußere und innere Sorgfalt  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 3. Die Unterscheidung der verschiedenen Sorgfaltstypen . . . . . . . . . . . 104 4. Einbettung des Sorgfaltsbegriffs in den Deliktsaufbau . . . . . . . . . . . 107 5. Subjektiver oder objektiver Sorgfaltspflichtmaßstab und die sog. Sondernormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 6. Das Erfordernis der Erkennbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 7. Die Schuld im materiellen Sinne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 D. Der Finalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 I.

Hans Welzels wissenschaftstheoretischer Ausgangspunkt seines finalistischen Systems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115

II. Durch die Grundannahmen des Finalismus bedingte, in dessen ­Entwicklung relativ konstant gebliebene strafrechtsdogmatische Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 III. Finalistische Grundannahmen und die Fahrlässigkeitstat . . . . . . . . . . . 121 1. Der Ausgangspunkt: Die Fahrlässigkeit als potentielle Finalität . . . 122 2. Einwände gegen den Ansatz der potentiellen Finalität durch den Finalisten Werner Niese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 3. Änderungen der Welzelschen Fahrlässigkeitsdogmatik nach der Kritik Werner Nieses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 E. Rekapitulierender rechtsgeschichtlicher Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138

Inhaltsverzeichnis11 Kapitel 3

Kritische Darstellung des aktuellen Sach- und Streitstandes 143

A. In Unrecht und Schuld differenzierende Auffassungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 I. Die Lehren von der sog. objektiven (unrechtsrelevanten) und subjektiven (schuldrelevanten) Sorgfalts(pflicht)verletzung – Das fahrlässige Delikt als eigenständiger Typus, als Aliud zum vorsätzlichen . . . . . . . 144 1. Der (Unrechts-)Tatbestand des fahrlässigen Delikts . . . . . . . . . . . . . 144 a) Der Handlungsunwert und die objektive Sorgfaltspflichtverletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 aa) Das (grundsätzliche) Nichteinhalten rechtlicher Sollens-Anforderungen und die (objektive) Sorgfaltspflichtverletzung als Handlungsunwert des Fahrlässigkeitsdelikts . . . . . . . . . . 146 (1) Grundlagen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 (2) Das Fahrlässigkeitsdelikt als in ihrer Finalität rechtlich relevante Handlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 (3) Das Fahrlässigkeitsdelikt ohne Berücksichtigung des konkreten Willensinhalts, ohne Bezugnahme auf einen sog. subjektiven Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 (4) Gefahr der Normverdoppelung: Das Verhältnis der „allgemeinen“ Norm zur „Sorgfaltsnorm“ . . . . . . . . . . . 158 bb) Objektive Sorgfaltswidrigkeit und ihr Verhältnis zur sog. objektiven Vorhersehbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 (1) Objektive Vorhersehbarkeit als notwendiges Merkmal des Handlungsunwerts? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 (2) Objektive Vorhersehbarkeit und Erfolg(sunrecht)? – Klärung des Bezugspunktes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 (3) Bestimmung der objektiven Sorgfaltswidrigkeit ohne objektive Vorhersehbarkeit? – Klärung des Beurteilungsmaßstabs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 (a) Die Normativität der Sorgfaltstypen als Grund auf „die“ Vorhersehbarkeit zu verzichten? . . . . . . . . . . . 164 (b) Die Bestimmung der Sorgfaltswidrigkeit ausschließlich mittels einer Interessenabwägung . . . . . 166 (c) Der objektive Tatbestand als objektive Vermeidbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 (4) Zwischenfazit: Keine objektive Sorgfaltspflichtverletzung ohne objektive Vorhersehbarkeit . . . . . . . . . . . . . . 172 cc) Die Sorgfaltspflichtverletzung und deren Maßstab . . . . . . . . 174 (1) Grundlagen: Der Verkehrskreis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 (2) Orientierung an so genannten „konkreten Sonder­ normen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 (3) Vertrauensgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 (4) Sonderwissen und Sonderfähigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . 184

12 Inhaltsverzeichnis b) Der Erfolgsunwert – die Lehre von der objektiven Zurechnung . 187 aa) Die Grundformel der objektiven Zurechnungslehre . . . . . . . 190 bb) Um die Schaffung eines unerlaubten / rechtlich relevanten etc. Risikos kreisende Fallgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 cc) Um die Verwirklichung / die Realisierung etc. des unerlaubten Risikos kreisende Fallgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 (1) Die Lehre vom Schutzzweck der Norm . . . . . . . . . . . . 196 (2) Der Pflichtwidrigkeitszusammenhang . . . . . . . . . . . . . . . 200 dd) „Weitere Zurechnungskriterien“ bzw. um die „Reichweite des Tatbestandes“ kreisende Fallgruppen . . . . . . . . . . . . . . . 203 ee) Objektive Zurechnung und Finalismus – kritische Stellungnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 c) Zwischenfazit zur Fundierung von Handlungs- und Erfolgsunwert des fahrlässigen Delikts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 2. Die „Rechtswidrigkeit“ des fahrlässigen Delikts – sachlich: Der Unrechtsausschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 a) Die Grundlagen: Das Verhältnis von Tatbestandsmäßigkeit und Rechtswidrigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 aa) Der Leitbildtatbestand, der Tatbestand als Unrechtstypus. . . 217 bb) Der Gesamtunrechtstatbestand, die Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 cc) Gegenwärtig verbreitete Mischformen . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 b) Die „Rechtswidrigkeit“ betreffende Besonderheiten beim Fahrlässigkeitsdelikt  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 aa) Das Verhältnis von objektiver Sorgfaltspflichtverletzung und „Rechtswidrigkeit“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 (1) Auffassungen, die zwischen Sorgfaltswidrigkeit und Rechtswidrigkeit nicht differenzieren, beide Begrifflichkeiten in eins setzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 (2) Die straftatsystematische Verortung der Rechtfertigungsgründe im Rahmen der Rechtswidrigkeit . . . . . . . 224 (3) Die objektive Sorgfaltswidrigkeit, das erlaubte Risiko auf Rechtswidrigkeitsebene? – zusammenfassende Bemerkungen und Exkurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 bb) Weitere Charakteristika der Rechtfertigung beim fahrlässigen Delikt – insbesondere: Das subjektive Rechtfertigungselement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 3. Die Schuld des fahrlässigen Delikts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 a) Allgemeine Grundlagen der Schuldlehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 aa) Das Grundsatzurteil BGHSt 2, 194 ff. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 bb) Die Theorie des Andershandelnkönnens – unter Rückgriff auf einen Anderen an Stelle des Täters bzw. ohne Beantwortung der Freiheitsfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242

Inhaltsverzeichnis13

II. III. IV.

V.

VI.

cc) Das Wiedererstarken deterministischer Konzepte durch Erkenntnisse der neueren Hirnforschung . . . . . . . . . . . . . . . . 244 dd) Der funktionale Schuldbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 ee) Die Schuld als unrechtliche Gesinnung . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 ff) Schuldausschluss ohne Schuldtatbestand? . . . . . . . . . . . . . . . 251 b) Spezifische Fahrlässigkeitsschuld bzw. Momente fahrlässiger Schuld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 aa) Die sog. subjektive Sorgfaltswidrigkeit: Allgemeine ­Inhaltsbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 bb) Subjektive Sorgfaltswidrigkeit und ihr Verhältnis zum Tatund Unrechtsbewusstsein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 (1) Wiederkehrende Probleme: Subjektiver Sorgfaltsbegriff und Vorhersehbarkeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 (2) Das Unrechtsbewusstsein und die sog. subjektive Sorgfaltswidrigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 (3) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 cc) Weitere wiederkehrende Probleme: (Subjektiver) Sorgfaltsbegriff im Verhältnis zu den Ausschlussgründenden, insbesondere zur Zumutbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 4. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 Die objektive Sorgfaltspflichtverletzung als allgemeines Zurechnungserfordernis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 Fahrlässigkeit als individuelle Sorgfaltspflichtverletzung auf der Unrechtsebene – Zumindest formell eine erhebliche Unterschiedlichkeit zwischen Vorsatz- und Fahrlässigkeitsdelikt aufweisende Ansätze . . . . 276 Fahrlässigkeit als Obliegenheitsverletzung, als (eine) Sorgfaltspflichtverletzung auf (Unrechts-)Tatbestandsebene – Das Konzept „außerordentlicher Zurechnung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 1. Das Konzept objektiver Normwidrigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 2. Die Erwiderung auf Grundlage (und postulierter Weiterentwicklung) der personalen Unrechtslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 3. Weitere der außerordentlichen Zurechnung nahestehende Ansätze . 292 Fahrlässigkeit und Spätfinalismus – Die „ohne-zu-Kompenente“ und die Fahrlässigkeit als Kenntnis des Risikosyndroms im Rahmen des subjektiven (Unrechts-)Tatbestandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 1. Die „ohne-zu-Komponente“ als sog. Rechtspflichtmerkmal . . . . . . . 294 2. Fahrlässigkeit als Kenntnis des Risikosyndroms  . . . . . . . . . . . . . . . 296 Fahrlässigkeit auf (Unrechts-)Tatbestandsebene als individuelle Erkennbarkeit: der Tatbestandsverwirklichung, der Überschreitung des erlaubten Risikos oder dergleichen – unter Verzicht auf das Merkmal der Sorgfaltspflichtverletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 1. Fahrlässigkeit als individuelle Erkennbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 2. Vorarbeiten zur Fahrlässigkeit als (individueller) Erkennbarkeit . . . 302

14 Inhaltsverzeichnis 3. Vergleichende Zusammenschau – insbesondere das Verhältnis zur Auffassung der Fahrlässigkeit als individueller Sorgfaltswidrigkeit . 304 VII. Das fahrlässige Delikt ohne Sorgfaltspflichtverletzung unter Einbettung in die (objektive) Risikodogmatik – „Teilidentität“ zwischen vorsätzlichem und fahrlässigem Delikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 1. Das Fahrlässigkeitsdelikt ohne eigenständigen Fahrlässigkeitsbegriff, als Überschreitung des erlaubten Risikos . . . . . . . . . . . . . . . . 306 2. Fahrlässigkeit als Handeln trotz individueller Vorhersehbarkeit und Vermeidbarkeit einer gesellschaftsplanwidrigen, erhöhten Gefahrschaffung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 3. Fahrlässigkeit als subjektive Erkennbarkeit eines objektiv vorhersehbaren, adäquaten, sozial missbilligten (rechtlich unerlaubten) Erfolgsrisikos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 4. Fahrlässigkeit als individuelle Erkennbarkeit einer über das normale, tolerierte Lebensrisiko hinausgehenden und objektiv im Tatbestand erfassten Gefahr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312 VIII. Vergleichende Zusammenschau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 B. Die Differenzierung in Unrecht und Schuld nivellierende Auffassungen . . . 320 I. Ineinssetzende Lehren ohne spezifisch ausgearbeitete ­Fahrlässigkeitsdogmatik nach geltendem Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 1. Primär rechtsphilosophisch fundierte Untrennbarkeitsthesen . . . . . . 322 2. Die primär auf rechtspolitischen, rechtskonstruktiven Erwägungen fußende Ineinssetzung von Unrecht und Schuld . . . . . . . . . . . . . . . . 326 II. Die Verhaltensnorm als Unrecht und Schuld verschmelzende ­Kategorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 C. Normentheoretische Fehlprämissen und deren Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333 I. Grundsätzliches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333 1. Die Umdeutung der Strafgesetze in individuell adressierte Verbotsbzw. Gebotsnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333 2. Die Lehre von der rechtlichen Verhaltensnorm als Fiktion . . . . . . . 336 a) Unhaltbarkeit des Logikarguments . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 b) Unhaltbarkeit der These, es handle sich bei den vorausgesetzten Verhaltensnormen um selbständige Rechtspflichten . . . . . . . 338 c) Unhaltbarkeit der These, es gebe zwei verschiedene Adressaten der Rechtsnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 3. Die einseitige Adressierung der Rechtsnormen als Alternative . . . . 344 4. Zwischenfazit: Recht als Recht des Rechtsstabes; strafrechtliches Unrecht ohne Verletzung einer rechtlichen Verhaltensnorm, ohne Nachweis einer Bestimmungsnormwidrigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 348 II. Wider die Normentheorie, das Bestimmtheitsdefizit, den Sorgfaltsbegriff und das Aliud-Theorem der „herrschenden Meinung“ . . . . . . . . . 351 1. Allgemeines – Kausierungsverbote und gesetzliche Bestimmtheit . 351 2. Die angebliche Verhaltensnormkonturierung durch den Sorgfaltsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 352

Inhaltsverzeichnis15 a) Sondernormen, Schutzzwecklehre und Sorgfaltsbegriff . . . . . . . 353 b) „Sondernormfreie“ Regelungsbereiche und Sorgfaltsbegriff . . . . 357 c) Das Problem der gedoppelten Sorgfaltsprüfung – Sonderwissen und -fähigkeiten als Knackpunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359 d) Die Sorgfalt und die Vorsatz-Fahrlässigkeitskombinationen bzw. die erfolgsqualifizierten Delikte, sowie die Tätigkeitsdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361 e) Der Sorgfaltsbegriff im Übrigen – ein auch in etymologischer Hinsicht schwarzes Loch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 362 3. Das Aliud-Theorem  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 364 III. Wider die verschiedenen Spielarten der sog. individualisierenden, Unrecht und Schuld angeblich trennen könnenden, Fahrlässigkeits­ lehren – Verhaltensnormtheoretisch vermittelnde Auffassungen . . . . . . 368 1. Strafbarkeit nur der sog. bewussten Fahrlässigkeit – bei konsequenter Befolgung der Prämissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369 2. Unpassende Terminologie – Sorgfalts- und Vermeidepflichtverletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370 3. Probleme einen konsistenten Bezugspunkt des Individuellen (e. g. der sog. individuellen Sorgfaltswidrigkeit) aufzufinden . . . . . 371 a) Die individuelle Sorgfaltswidrigkeit als untrennbare Einheit ohne echten Bezugspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371 b) Die Ermittlung des Bezugsgegenstandes anhand eines objektiven, gefahrbezogenen Maßstabes trotz rein individuellem Fahrlässigkeitsbegriff? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372 c) Fahrlässigkeit als individuelle Erkennbarkeit – nur von was? . . 374 d) Die Auswechselung des Bezugsgegenstandes – die Obliegenheitsverletzung als Wesen des fahrlässigen Deliktes? . . . . . . . . . 375 4. Unmöglichkeit, Unrecht und Schuld nach materiellen Kriterien abzugrenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 376 IV. Wider die Verhaltensnorm als Unrecht und Schuld v ­ erschmelzende Kategorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 380 V. Wider die Obliegenheitsverletzung aus ex post-Sicht . . . . . . . . . . . . . . 385 VI. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387 Kapitel 4

Eigene Grundlegung 390

A. Das tatbestandsmäßige Unrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 391 I. Die gesetzliche Beschreibung des m ­ ateriellen Rechtsgutsangriffs – die Unrechtsbegründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 392 1. Rechtsgut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 392 2. Verletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393 a) Die „objektive“ Intensität des Tatobjektangriffs – der Gefahrbegriff und die objektive Zurechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 395

16 Inhaltsverzeichnis b) Die „subjektive“ Intensität des Tatobjektsangriffs – die poten­ tielle Tatumstandskenntnis als Mindestvoraussetzung . . . . . . . . . 399 3. Thesenartige Zusammenfassung der bisher gefundenen Ergebnisse . 407 II. Der Unrechtsausschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 408 1. Das Grundprinzip materieller Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 410 2. Notwendigkeit subjektiver Rechtfertigungselemente auch beim fahrlässigen Delikt? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 410 3. Rechtfertigung aus überindividueller Zweckhaftigkeit – insbesondere: das erlaubte Risiko . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 411 B. Die tatbestandsmäßige Schuld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 425 I. Die gesetzliche Beschreibung der geistigen Wertverfehlung – die Schuldbegründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 428 1. Die Fahrlässigkeit als Schuldform, als potentielles ­Unrechtsbewusstsein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 430 2. Besondere Schuldtatbestandsmerkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 437 3. Klarstellende Einzelfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 438 a) Willensschuld und unbewusste Fahrlässigkeit – der Indeterminismus als notwendige Prämisse? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 438 b) Bewusste Fahrlässigkeit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 441 c) Die Rechtsfahrlässigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 442 d) Der sog. Erlaubnistatbestandsirrtum bei den Fahrlässigkeitsdelikten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 446 e) Die gesetzliche Kombination von Schuldformen, insb. die sog. erfolgsqualifizierten Delikte, sowie die Leichtfertigkeit . . . . . . . 448 II. Der Schuldausschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 450 C. Die tatbestandsmäßige Strafwürdigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 451 I. Die gesetzliche Beschreibung des gemeinschaftszerstörenden Angriffs auf die Grundlagen des Zusammenlebens – die Strafwürdigkeitsbegründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 453 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 453 2. Das sog. Eigenverantwortlichkeitsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 456 3. Das sog. rechtmäßige Alternativverhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 462 II. Der Strafwürdigkeitsausschluss  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 466 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 467 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 473 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 522

Kapitel 1

Einleitung A. Problemaufriss Das Schreiben einer strafrechtsdogmatischen1 Arbeit erscheint bereits für sich genommen begründungsbedürftig – wird doch mitunter das Anschwellen der strafrechtswissenschaftlichen Literatur im Allgemeinen2 moniert und auf die Übersystematisierung durch die Strafrechtsdogmatik (bei gleichzeitig geringem Erkenntnisgewinn) im Besonderen3 hingewiesen. Keinesfalls geringer wird der aufzubringende Begründungsaufwand will man sich mit der hier gewählten Thematik, den Fahrlässigkeitsdelikten4, beschäftigen, da schon Schünemann im Jahre 1975 feststellte, dass diese von Stief- zu Lieblingskindern der Strafrechtsdogmatik avanciert waren.5 Dass sich auch über 40 Jahre später nichts an diesem Befund geändert hat, belegen insbesondere die umfangreichen Monographien von Duttge6 und Sauer7 aus jüngerer Zeit. Es drängt sich also die Frage auf, was eine weitere Arbeit auf diesem Gebiet Neues leisten können sollte. 1  Was man unter dem Begriff der Strafrechtsdogmatik genau zu verstehen hat, ist Gegenstand lebhafter Auseinandersetzung im Schrifttum. Einen umfangreichen Überblick über die – keineswegs immer kontroversen – Positionen gibt Burkhardt, in: Strafrechtswissenschaft, S. 112 ff. – Hier wird unter anderem mit Alexy, Argumentation, S. 307 ff., die Auffassung vertreten, dass es sich bei der Dogmatik um ein „Gemenge verschiedener Tätigkeiten“ handelt; eine handfeste Orientierung liefert insofern Langer, GA 1990, 435 ff., der für eine wissenschaftliche Strafrechtsdogmatik die Kriterien der Begriffsklärung, Systematisierung und Methodenreflexion herausarbeitet; vgl. noch Roxin, in: Strafrechtswissenschaft, S. 370. 2  Vgl. dazu Arzt, Armin Kaufmann-GS, S. 839 ff., insb. S. 851 ff, der von einer „Publikationsflut“ spricht. 3  Vgl. Lackner, GA-FS, S. 150 ff. und S / S27-Lenckner / Eisele, Vorbem §§  13 ff. Rn. 22; Conde bei Gropengießer, in: Strafrechtswissenschaft, S. 229, spricht von „Haarspalterei“ der deutschen Strafrechtsdogmatik. 4  Die Begriffe Fahrlässigkeitsstraftat und Fahrlässigkeitsdelikt werden im Rahmen der Arbeit synonym gebraucht. 5  Schünemann, JA 1975, 435. – Vgl. in diesem Zusammenhang auch die Bemerkung von Rudolphi, JuS 1969, 549, der das Unrecht der fahrlässigen Delikte Ende der sechziger Jahre noch als „Stiefkind der strafrechtlichen Dogmatik“ bezeichnet hatte. 6  Duttge, Bestimmtheit. 7  Sauer, Fahrlässigkeitsdogmatik.

18

Kap. 1: Einleitung

Zunächst ist das Augenmerk jedoch auf die (vermeintlich) merkwürdig anmutende Tatsache zu lenken, dass es ungeachtet der zahlreich erschienenen Publikationen bisher nicht gelungen ist, ein zumindest annähernd einheitliches Aufbauschema der Fahrlässigkeitsstraftat herauszuarbeiten.8 Berechtigterweise wird in der Literatur von „einer schwer überschaubaren Vielfalt von Aufbaumodellen und Systembegriffen“9 gesprochen und angemerkt, dass „kaum ein Bereich der Dogmatik des AT des StGB so umstritten ist, wie die unwertbegründenden Elemente der Fahrlässigkeit“10. Gössel bezeichnet die Fahrlässigkeitstat gar als „das unbekannte Wesen“11. Zur Jahrtausendwende meinte Burkhardt dann – trotz der unterschiedlichsten Ansätze – konstatieren zu können, dass „in den letzten 70 Jahren, was den Begriff der Fahrlässigkeit angeht, […] auch kein nennenswerter Fortschritt im analytischen Sinn erzielt worden“ sei.12 All diese Stellungnahmen sind von größter Skepsis geprägt, lassen aber zumindest den Schluss zu, dass das Ende des kritischen Fragens im Hinblick auf die Fahrlässigkeitsstraftat noch nicht erreicht sein kann; obwohl doch mitunter der Versuch unternommen wurde, sich „neue Wege“13 oder „neue Horizonte“14 in der Fahrlässigkeitsdogmatik zu erschließen. Die Schwierigkeit scheint aber zu sein, die Hebel für die Bearbeitung dieses Themenkomplexes richtig anzusetzen. Die zu beantwortende Frage kann demnach, plakativ gewendet, nur lauten: Wo liegt ein solcher tauglicher Anknüpfungspunkt? Für die aktuelle Diskussion um den Aufbau der Fahrlässigkeitsstraftat muss es – ohne späteren Analysen allzu weit vorzugreifen – als üblich bezeichnet werden, die Auseinandersetzung darauf zu konzentrieren, ob nun diesem Sinne auch Otto, Schlüchter-GS, S. 77. StGB, § 15 Rn. 35; ähnlich auch Wolter, GA-FS, S. 311, „verworren und umstritten“. 10  Gropp, Strafrecht AT, § 12 Rn. 65. 11  Gössel, Bengl-FS, S. 23. 12  Burkhardt, in: Strafrechtswissenschaft, S. 144; vgl. auch Sauer, Fahrlässigkeitsdogmatik, S. 2: Beide meinen, dass die Fahrlässigkeit seit der grundlegenden Monographie von Engisch, Untersuchungen, S. 239 ff., aus dem Jahre 1930, weitgehend durchleuchtet sei. Dies kann an dieser Stelle zunächst dahinstehen, erscheint aber schon deshalb fragwürdig, da es Engisch – seinem eigenen Ansatz nach – nicht primär darum ging, die Fahrlässigkeit insgesamt (d. h. materiell und formell) zu durchleuchten, sondern er einige Bereiche von vornherein ausgliederte (und diese dann lediglich anhangsweise erörterte); außerdem ist darauf hinzuweisen, dass Engisch, Untersuchungen, S. 346, trotz seiner erzielten, vor allem normentheoretischen Ergebnisse unter anderem betonte, für das Unrecht des fahrlässigen Delikts „keine terminologischen Konsequenzen“ ziehen zu wollen, also damit der heute fast allgemein abgelehnten, reinen „Schuldlösung“ das Wort redete, siehe dazu aber ausführlich unten S. 107 ff. 13  Dies bemerkt Gössel, Bengl-FS, S. 23, bereits in der Überschrift seines Aufsatzes. 14  Auch Schünemann, Schaffstein-FS, S. 159, verortet dies im Titel. 8  In

9  Lackner / Kühl,



A. Problemaufriss19

ein so genannter „objektiver“ oder ob ein so genannter „individueller“ Sorgfaltspflichtmaßstab im Rahmen des bei jeder Straftat zu prüfenden tatbestandlichen Unrechts anzulegen ist;15 mit anderen Worten, ob sich also die Prüfung der für die Fahrlässigkeit angeblich so wichtigen Sorgfaltswidrigkeit zunächst auf standardisierte Fähigkeiten im Sinne eines einsichtigen und besonnen Angehörigen des betroffenen Verkehrskreises beschränkt (sog. objektive Maßfigur) oder ob die Sorgfaltswidrigkeit überhaupt nur dann aufweisbar ist, wenn der Täter die persönlichen Kenntnisse und Fähigkeiten mitbringe, der Sorgfalt Genüge zu tun. Ein Folgeproblem dieser viel Raum in Anspruch nehmenden Diskussion ist, ob ein eigenständiger subjektiver Sorgfaltspflichtverstoß außerdem im Rahmen der Schuld Bedeutung erlangt, wie es „die“ „objektive“ Lehre für richtig hält, oder ob diese Aspekte alleine im Unrecht zu verorten sind. Die Heftigkeit mit der diese Streitigkeiten im Schrifttum ausgetragen werden ist bemerkenswert.16 So wird der individuellen Auffassung beispielsweise vorgeworfen, sie drohe „unsere gesamte, auf der Unterscheidung von Unrecht und Schuld aufbauende Verbrechenslehre in Grund und Boden zu stampfen“.17 Demgegenüber wird von Vertretern „der“ individualisierenden Auffassung die Behauptung aufgestellt, dass der Streit „im Ergebnis keine große Bedeutung“ habe.18 Zu konstatieren bleibt, dass die Fronten im Rahmen der Lösung dieses Einzelproblems als extrem verhärtet zu bezeichnen sind, und dies obwohl eines der angeführten Hauptargumente, nämlich die Folgen für Unrecht und Schuld zu bedenken, noch nicht prononciert in den Mittelpunkt einer monographischen Arbeit gestellt wurde. In diese Lücke der strafrechtswissenschaftlichen Diskussion will die vorliegende Dissertation stoßen. Die Gesetzesbegriffe Unrecht und Schuld und die ihnen zugrunde liegenden Unwerte sollen einer Begriffsbestimmung zugeführt werden, um die sich stellenden Einzelprobleme der Fahrlässigkeitsstraftat aus einem übergeordneten Blickwinkel systematisieren zu können. Es ist der Versuch zu unternehmen, von der bestehenden Gesamtsystematik auf die Fahrlässigkeit rückzufragen. Zwar mag man sich durch ein solches Vorgehen der Gefahr aussetzen, sich in der Breite des Diskussionsspektrums zu verlieren,19 aber nur durch ein dafür Wieseler, Sorgfaltspflichtmaßstab. auch Jakobs, in: Beiheft Teheran, S. 11: „Was zur Fahrlässigkeit kontrovers ist, betrifft vornehmlich nicht ihren Inhalt, sondern ihre Zuordnung zu Unrecht oder Schuld oder aufgeteilt zu Unrecht und Schuld.“ 17  Schünemann, JA 1975, 513; ähnlich, aber gemäßigter Fünfsinn, Aufbau, S. 71, der von einer „partiellen Aufhebung der strafrechtsdogmatisch sinnvollen und bisher allgemein akzeptierten Unterscheidung von Unrecht und Schuld“ spricht. 18  Sauer, Fahrlässigkeitsdogmatik, S. 55. 19  Um den Umfang der Arbeit zu begrenzen und eine Schwerpunktsetzung zu ermöglichen, ist bereits an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass sich das Hauptau15  Exemplarisch 16  Vgl.

20

Kap. 1: Einleitung

solches Vorgehen kann der Tatsache Rechnung getragen werden, dass nun einmal die Grundlagenbegrifflichkeiten das umstrittenste Moment darstellen. Es wäre nicht recht einzusehen, wie man Einzelprobleme systematisch korrekt lösen können sollte, wenn die diese Spezialproblematiken betreffenden allgemeinen Voraussetzungen noch im Dunkeln liegen.20 Der von Unrecht und Schuld ausgehende Erklärungsansatz hat auch zum Ziel, die bisweilen beklagte Überkomplexität des Aufbausystems der Fahrlässigkeitsstraftat21 zu vermindern und die Möglichkeit eines einfacheren und handhabbareren Prüfungsschemas auszuloten. Dabei geht es der Arbeit schwerpunktmäßig nicht darum, anders lautende Einzelfallentscheidungen herbeizuführen, sondern „lediglich“ um das Streben, Ergebnisse rational begründbar zu machen. Denn: Aufgabe der Strafrechtsdogmatik hat es zu sein, die Gleichheit und Berechenbarkeit der Strafrechtsanwendung sicherzustellen22, was zwingendermaßen die genaue Fundierung von Grundlagenbegrifflichkeiten voraussetzt23. Dass die systematische Durchdringung der Fahrlässigkeitsstraftat auch aus praktischer Sicht absolut notwendig erscheint, darf als unmittelbar einsichtig bezeichnet werden. Wohl die Hälfte aller begangenen Straftaten entfällt auf die Fahrlässigkeitsdelikte.24 Dies mag zunächst überraschen, da genmerk der Ausarbeitung auf den „gesetzlichen Regelfall“ des Fahrlässigkeitsdelikts – nämlich das täterschaftliche, vollendete Begehungsgemeindelikt – richtet; andere Erscheinungsformkombinationen (so sie denn überhaupt möglich erschienen), samt der ihnen eigen Problematiken, werden nur am Rande behandelt, zum Begriff der Erscheinungsform siehe Langer, Sonderstraftat, S. 182 ff.; vgl. ferner Schröder, von Weber-FS, S.  233 ff. 20  Ein solches – vom Allgemeinen zum Besonderen schreitendes – Vorgehen (zumindest ansatzweise) präferierend auch Hauck, GA 2009, 282. 21  Vgl. Jescheck / Weigend, Strafrecht AT, § 54 I 2 Fn. 5, die sogar einräumen, dass eine lesbare Definition ihres Fahrlässigkeitsbegriffs nur in vereinfachter Form möglich sei. 22  Langer, GA 1990, 436. 23  Die Wichtigkeit der Erarbeitung von Grundlagenbegrifflichkeiten betont vor allem Langer, Meurer-GS, S. 28. – Auch Frisch, in: Straftat, S. 138 ff., 156 ff., 161 ff., weist berechtigterweise auf die Notwendigkeit hin, einen materiellen Verbrechensbegriff unter fundierter Ausarbeitung der Systemkategorien (Unrecht, Schuld, sowie gegebenenfalls von Strafwürdigkeit und Strafbedürftigkeit) entwickeln zu müssen. Vgl. ferner Freund, Küper-FS, 65, der „gravierende Defizite [bei Begriffsdefinitionen] im Bereich des Allgemeinen Teils“ bemängelt. Auch Zabel, HRRS 2007, 258, betont zu Recht, dass es gerade eines „Ringens um […] begriffliche Klarstellung häufig selbstverständlicher und in der strafrechtlichen (Schuld-)Dogmatik unhinterfragter Argumentations- und Begründungsformen“ bedarf. 24  Vgl. Schünemann, JA 1975, 435 und Roxin, Strafrecht AT I, § 24 Rn. 1. – Zur kriminologischen Begutachtung der Verkehrsdelinquenz – als derjenigen Deliktsgruppe mit dem wohl größten Anteil an Fahrlässigkeitsstraftaten – siehe exempla-



A. Problemaufriss21

der § 15 StGB25 statuiert, dass nur vorsätzliches Handeln strafbar ist, „wenn nicht das Gesetz fahrlässiges Handeln ausdrücklich mit Strafe bedroht.“ Dementsprechend sind die ein fahrlässiges Verhalten normierenden Tatbestände im Besonderen Teil des StGB eindeutig in der Minderzahl, finden sich dann aber vor allem bei der Verletzung von Leib und Leben (fahrlässige Tötung gemäß § 222 und fahrlässige Körperverletzung gemäß § 229), bei den gemeingefährlichen Straftaten (§§ 306  ff.), im Umweltstrafrecht (§§ 324 ff.) und bei den Insolvenzdelikten (§§ 283 ff.). Gänzlich anders stellt sich die Situation im Nebenstrafrecht dar. Hier kommt es nicht selten vor, dass fast allen Vorsatzdelikten eine entsprechende fahrlässige Strafdrohung beigeordnet ist.26 Ein Grund für das Anschwellen der Fahrlässigkeitsstraftaten – und demnach auch für die praktische Notwendigkeit ihrer systematischen Analyse – dürfte vor allem in der zunehmenden Ausdifferenzierung der Gesellschaft zu finden sein.27 So führt der technische Fortschritt zwar einerseits zu mehr Sicherheit als früher28, bedingt aber auch das Erschließen neuer Gefahrenquellen, die aufgrund ihrer Komplexität relativ schwer zu übersehen und zu kalkulieren sind.29 Da der einzelne Mensch diese Gefährdungen nicht immer richtig einzuschätzen weiß,30 kommt es mitunter zu Fehlleistungen und hernach zu ungewünschten Folgen, die bei geringer Spezialisierung der Regelungsbereiche kaum entstanden wären. Die Aufgabe der Strafrechtsdogmatik muss es nun sein, Kriterien aufzufinden, die eine Scheidung von für die Fahrlässigkeitsstraftat beachtlichen und unbeachtlichen Fehlleistungen zulassen und diese in einen systematischen, rational überprüfbaren Zusammenhang zu stellen. Gerade letzterem Punkt einen Schritt näher zu kommen, ist das Ziel der vorliegenden Arbeit. risch Kaiser, Kriminologie, § 77 Rn. 1 ff., insb. 15 f., 18; sowie Schlüchter, KaiserFS, S.  359 ff. 25  Alle folgenden Paragraphenangaben sind – soweit nicht anders bezeichnet – solche des StGB. 26  Vgl. zum Beispiel § 1 IV WiStG oder §§ 51 IV, 52 IV WaffenG. – Eine noch weitergehende Angleichung der Vorsatz- an die Fahrlässigkeitsdelikte findet sich im Ordnungswidrigkeitenrecht. Dort wird mitunter eine vollumfängliche Gleichstellung in den Rechtsfolgen – sprich der Geldbuße – möglich gemacht, vgl. zum Beispiel § 53 I, II WaffenG. 27  Vgl. zur Zunahme der Fahrlässigkeitsstraftaten bereits die Darlegungen von Welzel, Fahrlässigkeit, S. 5 ff. 28  Dies betonen mit Recht Kuhlen, GA 1994, 360, und Schünemann, GA 1995, 211. 29  Vgl. auch Seebaß, in: Jahrbuch für Recht und Ethik 1994, S. 375 f. 30  Hall, Mezger-FS, S. 248, bezeichnet den Menschen gar als „ein fahrlässiges Wesen“.

22

Kap. 1: Einleitung

B. Überlegungen zur Methodik Bereits im Problemaufriss wurde angedeutet, dass der Anknüpfungspunkt für die hiesige Erläuterung des Aufbaus der Fahrlässigkeitsstraftat vor allem in den Gesetzesbegriffen Unrecht und Schuld gesucht werden soll. Ein solches Vorgehen bedarf jedoch der methodischen Absicherung und Rechtfertigung, da zahlreiche abweichende Herangehensweisen nicht per se als unplausibel verworfen werden können. Eine Auseinandersetzung mit diesen soll es ermöglichen, den eigenen Ansatz, samt dessen Vorzügen, klarzulegen und gegebenenfalls zu spezifizieren.31

I. Rechtsvergleichung, Gemeinschaftsrecht, Verfassungsrecht, Zivilrecht Rechtsvergleichendes und / oder international ausgerichtetes Arbeiten erfreut sich in jüngster Vergangenheit auch in der Teilrechtsordnung des Strafrechts eines immer reger werdenden Zuspruchs, könnte also theoretisch ebenfalls für die vorliegende Arbeit von Interesse sein; dies nicht zuletzt deshalb, da die fortschreitende Globalisierung (zumindest aber Europäisierung) zum Erlass neuer, auch für das deutsche Strafrecht verbindlicher Vorgaben geführt hat.32 Die internationalen Einflüsse beschränken sich dabei nicht ausschließlich auf das Strafprozessrecht – obwohl hier der Schwerpunkt des gemeinsamen Arbeitens liegen dürfte33 –, sondern umfassen ebenfalls die allgemeinen Lehren des Strafrechts. Fernliegend scheint demnach ein Einfluss auf die in Deutschland betriebene Fahrlässigkeitsdogmatik zumindest nicht zu sein. So zeigt man sich anfänglich auch nicht verwundert, wenn im Schrifttum referiert wird: „Und darüber hinaus besteht aufgrund des Vorrangs des EU-Rechts ein erheblicher Einfluss auf das nationale Strafrecht, der sogar die Konkretisierung der Fahrlässigkeit durch europäische Vorgaben umfasst.“34 Neben dieser durch gemeinschaftsrechtliche Gesetzesvorgaben bedingten internationalen Ausrichtung ist neuerdings ein verstärktes Bemühen, um einen strafrechtswissenschaftlichen, rechtsverglei31  Jedoch ist bereits an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass die Ablehnung eines methodischen Ansatzes nicht zwingend dessen Gesamtuntauglichkeit belegt; eine partielle Berücksichtigung bleibt unweigerlich möglich. 32  Vgl. dazu allgemein Hirsch, ZStW 116 (2004), 836 f. – Zur Notwendigkeit richtlinienkonformer Auslegung der Fahrlässigkeitstatbestände vgl. etwa Hecker, JuS 2014, 392 f. 33  Vgl. auch Dannecker, Jura 2006, 96. 34  So Dannecker, ZStW 117 (2005), 698, unter Verweis auf die Arbeit von Satzger, Europäisierung, S. 606 ff.; vgl. auch Frisch, GA 2009, 401 ff. (mit zahlreichen Nachweisen); sowie Schröder, NStZ 2006, 669 ff.



B. Überlegungen zur Methodik23

chenden Wissensaustausch festzustellen.35 Insgesamt scheint also ein nicht lediglich auf nationale Belange gemünztes Vorgehen zunächst geboten. Entgegen dem ersten Anschein lassen sich aber einige Einwände finden, die es zumindest zweifelhaft erscheinen lassen, ob sich der Aufbau der Fahrlässigkeitsstraftat unter den heutigen Voraussetzungen tatsächlich über die Heranziehung nicht-nationalen Rechts tauglich erschließen lässt. Zwar ist es absolut richtig, dass das (teilweise) Aufbrechen der Nationalstaaten auch auf die bisherige Allianz von Strafrecht und Staat Einfluss nimmt36, aber selbst diese Entwicklung berücksichtigend, bleibt immer noch zu konstatieren, dass das Strafrecht vor allem eine starke nationale Verwurzelung aufweist37. Daneben haben jüngere strafrechtsvergleichende Arbeiten auf dem Gebiet der Fahrlässigkeitsdelikte gezeigt, dass sie eher wenig geeignet sind, die im deutschen Strafrecht vorhandenen Voraussetzungen zu präzisieren;38 so begegnet einem in ähnlicher Art und Weise auch im Ausland lediglich die in Deutschland weit verbreitete Rede von der Sorgfaltspflichtverletzung bzw. der Sorgfaltswidrigkeit.39 Noch prekärer würde es, wollte man den ausländischen (oder übergeordneten) Rechtsordnungen konkrete Hinweise auf eine systematische Aufschlüsselung der Fahrlässigkeitsdelikte entnehmen, da eine – wie auch immer geartete – Systematik in bedeutend höherem Maße durch die nationalen Voraussetzungen geprägt ist, als dies beim Auffinden allgemeiner Topoi der Fall ist.40 Daneben sei auf einige allgemeine Schwierigkeiten der rechtsver35  Exemplarisch sei dazu auf die jüngste Auflage des Lehrbuchs von Roxin, Strafrecht AT I, S. VII, verwiesen, der erstmals flächendeckender ausländische (vor allem südeuropäische) Literatur in seine Gesamtdarstellung eingeflochten hat. 36  Jung, JuS 1998, 1. 37  Siehe Perron, ZStW 109 (1997), 296; dies hebt selbst Roxin, in: Strafrechtswissenschaft, S. 369, hervor. 38  So mit Recht Duttge, Bestimmtheit, S. 221 f. zu den Arbeiten von Schlüchter, Fahrlässigkeit, S. 66 ff. und Anhang, sowie Koch, Entkriminalisierung; wobei er ausdrücklich herausstellt, dass es beiden Arbeiten – zugegebenermaßen – eher um kriminalpolitische Zielsetzungen, denn um die Präzisierung des Begriffs der Fahrlässigkeit ging. 39  Vgl. dazu die Literaturnachweise bei Duttge, Bestimmtheit, S. 224  f., insb. Fn. 47, 49, 50; Giezek, Gössel-FS, S. 118, insb. Fn. 5; Moos, Burgstaller-FS, S. 113 f., Fn. 10 ff.; und die Übersicht bei Schlüchter, Fahrlässigkeit, Anhang 2 „Straftatsystematik des Fahrlässigkeitsdelikts im europäischen Vergleich“; vgl. außerdem für die ehemalige DDR §§ 7 ff. StGB-DDR; für Österreich § 6 öStGB; für Polen Art. 9 § 2 polStGB; für die Schweiz Art. 18 III schwStGB. 40  Vgl. auch Weigend bei Zieschang, ZStW 109 (1997), 841, der darauf aufmerksam macht, dass in den europäischen Rechtsordnungen bestimmte Sachprobleme an unterschiedlichen Stellen loziert sind. – Vgl. ferner Sieber, ZStW 121 (2009), 1: „Ein systematisches Gesamtkonzept oder gar ein System des Europäischen Strafrechts existiert derzeit nicht.“ – Mylonopoulos, ZStW 121 (2009), 85, führt aus, es

24

Kap. 1: Einleitung

gleichenden Methode hingewiesen. So hat man sich vor Augen zu führen, dass nicht „alles mit allem“ verglichen werden kann41 und dass zwischen verschiedenen Rechtsordnungen teilweise beachtliche Unterschiedlichkeiten in der „Rechtstradition“ (und natürlich der Sprache) bestehen42. Aus diesen Gründen erscheint es unter den jetzigen Voraussetzungen sachgerecht, zunächst eine fundierte Analyse der deutschen Fahrlässigkeitsdelikte zu betreiben, und erst in einem zweiten Schritt, nach den europäischen bzw. internationalen Auswirkungen zu fragen.43 Dass eine solche Methodik naheliegend ist, zeigt auch die Arbeit von Satzger44, der, obwohl vom Thema der Europäisierung kommend, anfänglich die nationale Fahrlässigkeitsdogmatik darstellt und erst anschließend die gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben behandelt.45 Unter Berücksichtigung eines solchen Vorgehens kann auch dem berechtigterweise erhobenen Postulat einer Interna­ tionalisierung auf dem Wege „von unten nach oben“46 Rechnung getragen werden. Einen rechtsvergleichenden Ansatz zum Ausgangspunkt der Erläusei evident, „dass die Strafrechtsnormen der internationalen Verträge (z. B. Statut des IntStrGH), Richtlinien oder Rahmenbeschlüsse, meistens nicht von Strafrechtlern (ja nicht einmal von Juristen) stammen“. 41  So pointiert Jung, JuS 1998, 3. 42  Coing, NJW 1990, 940; Perron, ZStW 109 (1997), 301; leicht einschränkend Kühl, ZStW 109 (1997), 793 f. 43  Letzteren Punkt zu klären, ist nicht Ziel dieser Arbeit. Er bleibt damit weiteren Untersuchungen vorbehalten. – Vgl. aber die bereits jetzt den rechtsvergleichenden Weg einschlagenden Arbeiten von Colombi Ciacchi und Pfefferkorn: Hingewiesen sei an dieser Stelle auf die Skepsis von Pfefferkorn, Fahrlässigkeit, S. 283, der „so etwas wie einen deutsch-französischen Strafrechtsdiskurs“ noch in erheblicher Ferne sieht. Damit ist aber natürlich nicht gesagt, dass die Ausarbeitung einer europäischen Fahrlässigkeitsdefinition per se nicht wünschenswert wäre (dazu Colombi Ciacchi, Fahrlässigkeit, S. 189); nur scheint es dafür zunächst der Beschäftigung mit den eigenen Grundlagen zu bedürfen. – Eine Darstellung der englischen „Fahrlässigkeitslehre“ findet sich bei Safferling, Vorsatz und Schuld, insb. S. 362 ff., 368 ff., vgl. vor allem dessen skeptische Einschätzung, S. 369: „Das Interesse an einer konklusiven Fahrlässigkeitsdogmatik scheint in England nicht sehr verbreitet.“ Vgl. zum spanischen / lateinamerikanischen Rechtsraum Gatzweiler, Fahrlässigkeit, passim, der seine Unterscheidung aber nahezu ausschließlich auf die von ihm nicht hinterfragte Rechtsfigur des sog. „dolus eventualis“ hin ausrichtet. 44  Satzger, Europäisierung, S. 606 ff.; vgl. dazu den Fließtext bei Fn. 34 (Kap. 1). 45  Wohl aufgrund einer notwendigen thematischen Beschränkung fehlt es der Arbeit Satzgers jedoch an einer umfassenden Würdigung der zu den Fahrlässigkeitsdelikten vertretenen Auffassungen. So legt Satzger seiner monographischen Abhandlung nicht näher begründete, äußerst umstrittene Prämissen zugrunde (vgl. nur seine Thesen zur „äußeren und inneren Sorgfalt“ und zu den „Sondernormen“), die die Aussagekraft seiner Erkenntnisse in Bezug auf den Einfluss des Gemeinschaftsrechts auf das Fahrlässigkeitsdelikt schmälern. 46  So Schlüchter bei Zieschang, ZStW 109 (1997), 831.



B. Überlegungen zur Methodik25

terung des Aufbaus der (deutschen) Fahrlässigkeitsstraftat zu machen, muss demnach unter den jetzigen Bedingungen als wenig zielführend bezeichnet werden. Womöglich aber lassen sich aus Verfassungsprinzipien, bzw. genauer aus dem Grundgesetz, Erkenntnisse gewinnen, die die Möglichkeit eröffnen, den Aufbau des Fahrlässigkeitsdeliktes zu erhellen und zu präzisieren. Einige Autoren in der Literatur haben dann auch unter Zugrundlegung eines prononciert verfassungsrechtlichen Vorgehens versucht, konkrete Rückschlüsse aus dem Grundgesetz für die Fahrlässigkeitsstraftat zu ziehen; hier sind insbesondere die Autoren Marxen47 und Wolter48 hervorzuheben. Gerade letzterer verficht die für den Aufbau der Fahrlässigkeitsstraftat bedeutsame These, dass objektiv sozialadäquate Handlungen aus dem Unrechtstatbestand zu verbannen seien, „um dem Wesensgehalt der Handlungsfreiheit nach Art 2 I, 19 II GG und des Rechtsstaatsprinzips nach Art. 20 III GG Genüge zu tun.“49 Jedoch zeigt sich bereits an dieser Stelle – ohne sich mit den konkreten dogmatischen Konsequenzen der von Wolter vertretenen Auffassung auseinander zu setzen –, dass er zwar mit Recht die Bedeutung des Verfassungsrechts betont50, er sich aber nur unter Zuhilfenahme der im einfachen Gesetz statuierten Begrifflichkeiten von Unrecht und Schuld in der Lage sieht, die von ihm proklamierten systematischen Ergebnisse zum Ausdruck zu bringen. Ein solcher Rückgriff auf das einfache Gesetzesrecht ist keineswegs verwunderlich, ist doch unsere Verfassung als „rechtliche Grundordnung des Staates“51 konzipiert. Als solche enthält sie „in der Regel nur das für die Ordnung der Rechtsgemeinschaft Grundsätzliche und Bedeutsame“, ist also bewusst „auf Ergänzung und Ausfüllung angelegt.“52 Diese Tatsachen hat wohl auch Marxen bei der Fundierung seiner „verfassungsrechtlichen Straftatlehre“53 vor Augen gehabt. So hebt er zwar die Wichtigkeit des Gesetzlichkeitsprinzips (Art. 103 II GG) und des Schuldgrundsatzes (Art. 1 I GG, Rechtsstaatsprinzip) hervor,54 räumt dann aber ein, dass für die Fahrlässigkeit nur „vorsichtige Ableitungen aus dem Versfassungsrecht“55 möglich sind, die ihn dann dazu bewegen, „zwischen 47  Marxen,

Straftatsystem und Strafprozeß, S. 324 ff. zu dessen verfassungsrechtlicher Methode, Wolter, NStZ 1993, 1 ff. 49  Wolter, GA-FS, S. 305. 50  So hat man sich nur die strikte Bindung des Gesetzgebers an die Verfassung gemäß Art. 1 III, 20 III GG oder die Regelung des Art. 103 II GG vor Augen zu führen. 51  Isensee, HBStR II, § 15 Rn. 187. 52  Stern, Staatsrecht I, S. 106. 53  Marxen, Straftatsystem und Strafprozeß, insb. S. 324 ff. 54  Marxen, Straftatsystem und Strafprozeß, S. 347. 55  Marxen, Straftatsystem und Strafprozeß, S. 357. 48  Einführend

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Kap. 1: Einleitung

objektiver und subjektiver Fahrlässigkeit zu trennen und sie unterschiedlichen Hauptelementen der Straftat, nämlich einerseits dem Tatbestand, andererseits der Schuld, zuzuweisen.“56 Ungeachtet der Zweifelhaftigkeit (und ohne nähere Diskussion57) dieses gefundenen Ergebnisses, zeigt sich freilich an dieser Stelle erneut, dass die eigentlichen dogmatischen Auseinandersetzungen maßgeblich durch die Straftatelemente und Gesetzesbegriffe Unrecht und Schuld bestimmt werden. Ohne die „Richtlinien und Impulse“ unseres Grundgesetzes gänzlich auszublenden,58 wird man dann also insgesamt konzedieren können, dass „sich dem Verfassungsrecht ohne Zweifel keine bis ins einzelne gehende Straftatlehre entnehmen [lässt]“59; dies ist – wie bereits oben angedeutet – bedingt durch die Offenheit und Weite unseres Grundgesetzes.60 Daneben hat man sich vor Augen zu führen, dass es bei der verfassungsrechtlichen Eingrenzung von Strafrecht immer darum geht, verschiedene Perspektiven im Auge zu behalten, nämlich die Eingriffsperspektive von Strafrecht einerseits und die Schutzperspektive andererseits.61 Schon aus diesem Grund muss es als schwerlich möglich bezeichnet werden, aus einzelnen verfassungsrechtlichen Vorschriften – wie der allgemeinen Handlungsfreiheit nach Art. 2 I GG – einseitig verbindliche Vorgaben abzuleiten. Festzuhalten ist also: Eine präzise Bestimmung des Aufbaus des Fahrlässigkeitsdeliktes zu entwickeln, kann vor allem aufgrund der Konkretisierungsbedürftigkeit der grundgesetzlichen Vorgaben nicht die primäre Aufgabe des Verfassungsrechts sein, sondern bleibt in erster Linie die Angelegenheit der Strafrechtsdogmatik. Jedoch käme in Betracht, sich den Aufbau des strafrechtlichen Fahrlässigkeitsdeliktes über die Analyse dessen Pendants in der Teilrechtsordnung des 56  Marxen,

Straftatsystem und Strafprozeß, S. 357. aber unten S. 144 ff., 351 ff. 58  Hierauf weist nachdrücklich Freund, GA 1992, 334, hin, der – in Abgrenzung zu Tiedemann, Verfassungsrecht und Strafrecht – betont, dass es immer der Rückversicherung bei den Grundlagen bedürfe, um nicht Gefahr zu laufen, spezifisches Verfassungsrecht zu verletzen. Dies dürfte aber eher eine geringer zu bewertende Problematik darstellen, da auch Tiedemann, Verfassungsrecht und Strafrecht, S. 6 festhält: „Fundamentalfragen der Strafrechtsdogmatik sind in begrenztem Umfang für direkte verfassungsrechtliche Einflüsse offen, stehen also aus der Sicht des Grundgesetzes gleichsam auf der Grenze zu und im Verbund mit der Kriminalpolitik.“ 59  Appel, Verfassung und Strafe, S. 306 f.; vgl. dazu auch Lagodny, Strafrecht, S. 511, der betont, dass die Grundrechte „wenig verbindliche Schranken setzen“ und lediglich „den Rahmen“ bilden. 60  Vgl. dazu Stern, Staatsrecht I, S. 83 und den Fließtext bei Fn. 50, 51 (Kap. 1). 61  Siehe dazu Appel, Verfassung und Strafe, S. 594; ähnlich Duttge, Bestimmtheit, S. 232. 57  Vgl.



B. Überlegungen zur Methodik27

Zivilrechts zu erschließen. Ein solches Vorgehen ist, so scheint es anfänglich, nicht ohne weiteres von der Hand zu weisen, gleichen sich doch – hier wie dort – einige der diskutierten Problemkonstellationen.62 Vor allem aber könnte eine genauere Untersuchung des Zivilrechts womöglich deshalb zu einem Erkenntnisgewinn führen, da der § 276 II BGB im Gegensatz zum StGB ausdrücklich statuiert, was unter Fahrlässigkeit zu verstehen ist: „Fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt.“ Einige Autoren in der Literatur fordern dann auch vehement, den § 276 II BGB für den strafrechtlichen Fahrlässigkeitsbegriff heranzuziehen: „Was § 276 II BGB für die zivilrechtliche Fahrlässigkeit fordert, muss jedenfalls als Mindestvoraussetzung auch für die strafrechtliche gelten“, da sich sonst das Recht selbst widerspräche.63 Und weiter: „Aber auch umgekehrt geht irre, wer eine Außerachtlassung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt und eine ‚fahrlässige‘, nach § 823 I BGB ersatzpflichtig machende Lebensverletzung bejaht, und dann für möglich erklärt […], dass sie keine fahrlässige Todesverursachung i. S. v. § 222 StGB sei.“64 Wollte man es anders sehen, „wäre es Willkür und Widersinn“; „das gesetzliche Kriterium […] auch für das Strafrecht gelten zu lassen ist ein elementares und offensichtliches Gebot der systematischen, Wertungswidersprüche vermeidenden Gesetzesauslegung.“65 Missachtete man den § 276 BGB hieße das, „eine Teildefinition von Gesetzesrang [zu] ignorieren.“66 Herzberg scheint also seinen Ausführungen – zumindest im hier interessierenden Zusammenhang – das nicht selten postulierte Prinzip der „Einheit der Rechtsordnung“67 zu Grunde zu legen; anderenfalls ließe sich kaum erklären, wie er die zivilrechtliche Legaldefinition direkt für das Strafrecht handhabbar machen wollte. An dieser Stelle ist jedoch zunächst darauf hinzuweisen, dass die Argumentationsfigur der „Einheit der Rechtsordnung“ kaum als absolut konsistent und unumstritten bezeichnet werden kann, vor allem dann nicht, wenn es darum gehen soll, unterschiedliche Teilrechtsordnungen in ihren Ergebnissen gleichzuschalten.68 Zwar ist einzuräumen, dass es aufgrund der „Subsidiarität des Strafrechts“ tatsächlich einen unerträglichen Wertungswiderspruch darstellte, wenn ein in irgendeinem Rechtsgebiet gestattetes Ver-

dazu Wieseler, Sorgfaltspflichtmaßstab, S. 61 ff. NStZ 2004, 662; fast wortgleich Herzberg, GA 2001, 573; ähnlich auch Schlüchter, Strafrecht AT, S. 38: „Denn was im Zivilrecht oder Öffentlichen Recht erlaubt ist, kann im Strafrecht nicht verboten sein.“ 64  Herzberg, NStZ 2004, 662. 65  Herzberg, NStZ 2004, 662. 66  Herzberg, GA 2001, 573. 67  Umfassend dazu Felix, Einheit der Rechtsordnung. 68  Siehe Felix, Einheit der Rechtsordnung, S. 399 ff. 62  Vgl.

63  Herzberg,

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Kap. 1: Einleitung

halten gleichwohl bestraft würde;69 damit ist aber keineswegs gesagt, dass umgekehrt zum Beispiel das „zivilrechtliche Verbotensein“ zwingend dazu führen muss, ein strafrechtliches Unrecht zu begründen.70 Dies fußt auf der Tatsache, dass die einzelnen Rechtsgebiete innerhalb einer komplexen und ausdifferenzierten Rechtsordnung durchaus eigene, von den übrigen Teilrechtsordnungen differierende Zielsetzungen und Zwecke verfolgen können. So geht es im Zivilrecht regelmäßig um den nachträglichen Ausgleich eines eingetretenen Schadens, im Strafrecht dagegen „um die Missbilligung eines individuell-personalen Fehlverhaltens“.71 Demnach kann es auch nicht verwundern, dass im zivilrechtlichen Schrifttum regelmäßig darauf hingewiesen wird, dass der Begriff der Fahrlässigkeit im Privatrecht einen anderen Inhalt als im Strafrecht aufweist.72 Dies hat praktische Konsequenzen: So definiert die ständige zivilrechtliche Rechtsprechung und die eindeutige Mehrzahl der Literaturstimmen,73 dass es im Rahmen der „verkehrserforderlichen Sorgfalt“ nicht auf individuelle Fähigkeiten ankommt, sondern, dass „ein auf die allgemeinen Verkehrsbedürfnisse ausgerichteter objektiv-abstrakter Sorgfaltsmaßstab“ gilt.74 „Unberücksichtigt bleiben daher subjektive Ent­ lastungsgründe“.75 Die bürgerlich-rechtliche Fahrlässigkeitsschuld wird also typisiert und verobjektiviert, was – so würde wohl auch Herzberg zugestehen müssen76 – mit dem strafrechtlichen Fahrlässigkeitsschuldvorwurf nicht konform geht, da letzterer – unabhängig aller Diskussionen um die Einordnung der so genannten „subjektiven Sorgfaltswidrigkeit“ – individuell bestimmt wird. Man hat sich also nur ins Gedächtnis zu rufen, dass die Schuld im Rahmen des Strafrechts eben auf die Rechtsfolge der Strafe hin auszurichten ist.77 So bestehen dann auch gewichtige Unterschiede zum bürger­ 69  Dazu Roxin, Strafrecht AT I, § 14 Rn. 32 und ähnlich Felix, Einheit der Rechtsordnung, S. 401: „Dies bedeutet, dass die aus anderen Rechtsgebieten stammenden Erlaubnisse gleichsam automatisch in das Strafrecht ‚durchschlagen‘.“ 70  Vgl. Schmidhäuser, Strafrecht AT-StB, 6 / 25; aber auch Duttge, GA 2003, 465 f.; Roxin, Strafrecht AT I, § 14 Rn. 33. 71  So die Terminologie von Freund, Strafrecht AT, § 5 Rn. 13. 72  Siehe nur Palandt-Grüneberg, § 276 Rn. 15; HK-BGB-Schulze, § 276 Rn. 1. 73  Siehe auch Kaminski, Tatbestand des Fahrlässigkeitsdelikts, S. 105 ff. 74  Palandt-Grüneberg, § 276 Rn. 15; siehe exemplarisch aus der höchstrichterlichen Rechtsprechung BGHZ 39, 281 (283); BGH NJW 2000, 2812 (2813); BGH NJW 2001, 1786 f.; und aus der Literatur MK-BGB-Grundmann, § 276 Rn. 54 ff.; Staudinger-Caspers, § 276 Rn. 29 ff.; Schmidt-Kessel, PWW-BGB, § 276 Rn. 10; HK-BGB-Schulze, § 276 Rn. 13; Westermann, in: Erman, BGB, § 276 Rn. 10; eine gewisse Subjektivierung erfolgt erst durch die Einbeziehung des jeweiligen „Verkehrskreises“, dazu Palandt-Grüneberg, § 276 Rn. 17. 75  MK-BGB-Grundmann, § 276 Rn. 56, unter Verweis auf zahlreiche Fälle aus der Rechtsprechung. 76  Vgl. Herzberg, NStZ 2004, 664.



B. Überlegungen zur Methodik29

lichen Deliktsrecht im Hinblick auf die Schuldfähigkeit: „Dort sind Schuldunfähigkeit und eingeschränkte Schuldfähigkeit an andere Altersgrenzen geknüpft als im Strafrecht“.78 Außerdem erscheint es sehr fraglich, ob eine fundierte Analyse der zivilrechtlichen Judikatur und Literatur dazu führt, den Aufbau des Fahrlässigkeitsdeliktes zu erhellen, wenn schon im zivilrechtlichen Schrifttum konstatiert wird: „Mit der rechtsdogmatischen Einordnung der Fahrlässigkeit hat sich vor allem die Strafrechtslehre befasst.“79 Insgesamt ist also festzuhalten, dass auch ein vergleichendes Heranziehen des Bürgerlichen Rechts nicht dazu führen kann, den Aufbau des Fahrlässigkeitsdeliktes fundiert herauszuarbeiten, und eine spezifisch strafrechtliche Erfassung schon deshalb geboten ist, da der Staat hier auf abweichendes Verhalten mit der Rechtsfolge der Strafe reagiert. Nicht das Telos Schadensausgleich, sondern die Strafe muss im Mittelpunkt des Fragens stehen. Auch ein „zivilrechtlicher Ansatz“ ist demnach abzulehnen. 77

II. Rechtsprechungsanalyse Nachdem aufgewiesen wurde, dass eine Heranziehung „anderer (Teil-) Rechtsordnungen“ wenig zielführend ist, den Aufbau des im StGB verankerten Fahrlässigkeitsdeliktes zu erhellen, muss hinterfragt werden, ob dies nicht womöglich eine fundierte Rechtsprechungsanalyse zu leisten vermag; wenn es doch heißt: „Daß die Strafrechtsprechung überhaupt Strafrechtsdogmatik betreibt, wird man nicht ernsthaft bestreiten können.“80 So haben sich dann auch in jüngerer Zeit die Autoren Duttge und Sauer zum Ziel gesetzt, die zu den Fahrlässigkeitsdelikten erschiene Rechtsprechung umfassend darzustellen und auszuwerten.81 Dass einem solchen induktiven Vorgehen zugetraut wird, neue Erkenntnisse zu Tage zu fördern, macht schon folgende Anmerkung Krieles deutlich: „Denn woher in aller Welt kann man 77  Dies

wird noch unten zu vertiefen sein, siehe S. 44 ff. richtig, der von Herzberg, NStZ 2004, 664, hochgelobte MK-Schlehofer, Vor §§ 32 ff. Rn. 175, der außerdem festhält: „Entsprechend strafrechtsspezifisch hat der Gesetzgeber die strafrechtliche Schuld geregelt.“ 79  MK-BGB3-Hanau, § 276 Rn. 77; vgl. auch die Darstellung von MK-BGBWagner, § 823 Rn. 1 ff., der sich sehr stark an im Strafrecht (vermeintlich) gewonnenen Erkenntnissen orientiert. 80  Sauer, Fahrlässigkeitsdogmatik, S. 1; siehe auch Langer, GA 1990, 437. 81  So die Arbeit von Duttge, Bestimmtheit, insb. S. 266, der den Anspruch hat, seiner Arbeit „sämtliche Judikate aller Strafgerichte (BGH, OLGʼs; LGʼs, und AGʼs) seit Inkrafttreten des RStGB 1871, soweit sie überhaupt in einem allgemein zugänglichen Publikationsorgan verzeichnet sind“, zugrunde zu legen; siehe ferner die ebenfalls sehr umfangreiche Arbeit von Sauer, Fahrlässigkeitsdogmatik, insb. S. 289, der für seine Abhandlung nach eigenen Angaben 1090 – teilweise unveröffentlichte – Entscheidungen fruchtbar gemacht hat. 78  So

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Kap. 1: Einleitung

die Maßstäbe für die Beurteilung der guten oder schlechten Praxis gewinnen, wenn nicht aus der analysierenden Beobachtung dessen, was die Praxis tut?“82 Erfolgversprechend könnte ein die Rechtsprechung verwertender Ansatz also deshalb sein, da uns Recht eben nicht rein abstrakt, sondern – so der bekannte Slogan – als „law in action“ begegnet.83 Doch auch an dieser Stelle ist auf einige Schwierigkeiten einer solchen Herangehensweise hinzuweisen. Zunächst hat man sich die Problematik vor Augen zu führen, dass sich ein induktives Vorgehen deshalb gewisser Kritik ausgesetzt sieht, da es selbst eine Vielzahl von Einzelbeobachtungen nicht zulässt, auf alle anderen, übrigen denkbaren Fälle zu schließen.84 Diese grundsätzlich bestehende Problemlage wird man zwar dadurch abmildern können, dass der eigenen Arbeit eine erhebliche Anzahl von Prüfaussagen zugrundegelegt wird – um so die Fehlerwahrscheinlichkeit des gefundenen Ergebnisses zu minimieren –, jedoch ist auch dann nicht wegzudiskutieren, dass dies letztlich nicht zu einem zweifelsfrei richtigen Induktionsschluss führt.85 Dementsprechend ist ein rein induktives Vorgehen abzulehnen,86 was auch ausdrücklich von Duttge87 und mittelbar von Sauer88 eingeräumt wird. Nicht reines „Problemdenken“ – wie es eine systemfeindlich89 verstandene Technik der Topik90 für richtig halten würde – bestimmt deren 82  Kriele,

Rechtsgewinnung, S. 287 f. dazu Zippelius, Rechtsphilosophie, § 4 III; auch Alwart, Recht und Handlung, S. 85. 84  Siehe dazu das von Popper, Logik der Forschung, S. 3  ff., herangezogene Schwanen-Beispiel bei dem er ausführt, dass auch noch so viele Beobachtungen von weißen Schwänen nicht zu dem Satz berechtigt, dass alle Schwäne weiß sind; siehe auch Neumann, in: Rechtsphilosophie, S. 391 f.; ferner wird sogar ganz allgemein die Auffassung vertreten, dass rechtliche Theorien deduktiv sein müssten, dazu Schuhr, Rechtsdogmatik, S. 45. 85  Dies bestreitet auch Duttge, Bestimmtheit, S. 260 f., nicht. 86  Dazu exemplarisch Arthur Kaufmann, in: Rechtsphilosophie, S. 130. 87  Duttge, Bestimmtheit, S. 261 f. 88  So entwickelt Sauer, Fahrlässigkeitsdogmatik, zunächst einen eigenständigen Ansatz weitgehend ohne Rückgriff auf konkrete Fallgestalten, S. 232 ff., 269 ff., und formuliert erst hernach, auf diesen Grundlagen aufbauend, „Fragen an die Rechtsprechung“, S. 283 ff. Auch ist darauf hinzuweisen, dass Sauer, S. 5 f., der Fahrlässigkeit „einen systematisch stimmigen Rahmen“ geben will, und in diesem Zuge die „Schaffung – oder Widerentdeckung – eines einfacheren Straftatsystems“ fordert. 89  Vgl. insofern Otto, ARSP 55 (1969), 504 ff., insb. 515, sowie Haas, Kausalität, insb. S. 45 Fn. 149 f. 90  Dazu Viehweg, Topik und Jurisprudenz, insb. S. 14, der unter Topik eine durch die „Rhetorik entwickelte Techne des Problemdenkens“ versteht, dessen geistiges Gefüge sich „bis in Einzelheiten hinein eindeutig von einem deduktiv-systematischen unterscheidet.“ Ausführliche Darstellung von Viehwegs Ansatz bei Launhardt, Topik, die außerdem den Versuch antritt, die bei Viehweg vorhandene (wohl zumindest als 83  Vgl.



B. Überlegungen zur Methodik31

Arbeiten, sondern darüber hinaus machen sich beide Autoren die gesetzlich vorgegebene Systematik zu Nutze. Dies ist auch notwendig, wollen sie ihren eigenen Ansprüchen genügen, da Duttge seine Ergebnisse einer „nachträglichen Richtigkeitskontrolle“ – unter anderem anhand ausgewählter strafrechtsdogmatischer Grundfragen – unterziehen will91; und Sauer von der Strafrechtslehre von vornherein „eine Rückbesinnung auf die gesetz­ lichen Merkmale der Straftat und ihren legitimen Anwendungsbereich“ fordert92. Die Notwendigkeit, sich auf alle im StGB vorhandenen gesetzlichen Voraussetzungen zu konzentrieren, verstärkt sich nochmals, wenn im Schrifttum über die Fahrlässigkeit die Behauptung aufgestellt wird, dass sie das Anliegen des Bestimmtheitsgebots (Art. 103 II GG) von Grund auf verfehle und gerügt wird, dass sich das Gesetz auf die bloße Nennung des Fahrlässigkeitserfordernisses beschränke und keine explizite Begriffsbestimmung durch die §§ 15, 16 und 18 erfolge.93 Umso erstaunlicher ist es dann, wenn den positivierten Straftatelementen Unrecht und Schuld nur geringe, allenfalls ergänzende Bedeutung zugemessen wird. Dies wird schon an der Anzahl der diesen Gesetzesmerkmalen ausdrücklich gewidmeten Seiten deutlich: Bei Duttge erfolgt die „nachträgliche Richtigkeitskontrolle“ in Bezug auf Unrecht und Schuld auf sechs von insgesamt 498 Seiten; Sauer erörtert die Problematik auf neun von insgesamt 645 Seiten.94 Hier besteht also noch Diskussionsbedarf, den ein die Rechtsprechung in den Mittelpunkt stellender Ansatz nicht abzudecken im Stande scheint. Dieser Befund verstärkt sich, wenn Sauer selbst feststellt, dass die von ihm an die Rechtsprechung gestellten Fragen nur teilweise als beantwortet gelten können.95 Es ist mithin zu konstatieren, dass zwar zwei umfangreiche, die Rechtsprechung analysierende Arbeiten vorliegen, beide es aber – wohl auch aus verständlichen Platzgründen – ihrem eigenen Anspruch zuwider vermeiden, die von ihnen gefundenen Ergebnisse vollumfänglich systematisch abzusichern. Es drängt sich also insgesamt weiterhin die Frage auf, ob sich die von Duttge und Sauer aus der Rechtsprechungsanalyse gezogenen Konsequenzen tatsächlich so reibungslos in die bestehende Systematik einfügen, wie es von ihnen behauptet wird96. Somit bleibt festzuhalten, dass ein „unglücklich“ zu bezeichnende) Entgegensetzung von System- und Problemdenken zu rechtfertigen, insb. S. 77 ff. 91  Duttge, Bestimmtheit, S. 450 ff. 92  Sauer, Fahrlässigkeitsdogmatik, S. 5 (Hervorhebung von mir). 93  So vor allem MK-Duttge,§ 15 Rn. 33  ff., insb. 37; Duttge, Kohlmann-FS, S. 26 ff.: „Unbestimmtheit des gesetzlichen Fahrlässigkeitsbegriffs“. 94  Duttge, Bestimmtheit, S. 454 ff.; Sauer, Fahrlässigkeitsdogmatik, S. 55 ff. (vgl. dazu auch Fn.17 (Kap. 1)). 95  Sauer, Fahrlässigkeitsdogmatik, S. 638. 96  Vgl. Duttge, Bestimmtheit, S. 495 f.; Sauer, Fahrlässigkeitsdogmatik, S. 55 ff.

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Kap. 1: Einleitung

„Rechtsprechungsansatz“ zwar nicht per se verworfen werden kann,97 er aber zwingendermaßen der eigenständigen und umfangreichen Ergänzung durch einen die gesetzliche Systematik besonders beachtenden Ansatz bedarf.98 Auch eine fundierte Rechtsprechungsanalyse kann somit nicht den hier gewählten Anknüpfungspunkt, das heißt insbesondere die Gesetzesmerkmale Unrecht und Schuld heranzuziehen, entkräften.99

III. Rechtsphilosophie Ferner mag man darüber nachdenken, verstärkt rechtsphilosophische Gesichtspunkte zu thematisieren, um den Aufbau des strafrechtlichen Fahrlässigkeitsdeliktes zu erfassen. Denn dass auch allgemeine (rechts-)philosophische Erwägungen sehr konkreten Einfluss auf Einzelfallentscheidungen haben können, zeigen vor allem die Ausführungen von Köhler100, der sich insbesondere mit dem hier interessierenden Bereich der Fahrlässigkeitsstraftaten beschäftigt hat. Köhler vertritt – wohl auch de lege lata101 – die Auffassung, dass die Fahrlässigkeitsstrafbarkeit nur dann in Betracht komme, wenn der Fall „eines objektiv (schwer) sorgfaltswidrigen und subjektiv be97  Aus dem Grunde, dass bereits zwei neue, äußerst ausführliche Arbeiten vorliegen, hätte man sich außerdem ausdrücklich die Frage zu stellen, ob man diesen methodischen Ansatz nochmals zum Mittelpunkt der Diskussion machen sollte und inwieweit man neue Erkenntnisse erwarten dürfte, vgl. zur Problematik der „Literaturflut“ auch S. 15. 98  Treffend spricht Langer, Dünnebier-FS, S. 421 von einem „kritischen Gespräch zwischen Rechtsprechung und Rechtslehre.“ 99  Erinnert sei in diesem Zusammenhang auch an folgenden Satz von v. Jhering, Gesammelte Schriften I, S. 15 f. (S. 18 im Original): „Das ist auch eine von den guten Lehren, die uns die römische Jurisprudenz gegeben hat, daß die Wissenschaft um praktisch zu sein, sich nicht auf das Praktische beschränken darf.“ – Die Arbeit wird sich folglich primär mit den im Schrifttum vertretenem Meinungsspektrum auseinanderzusetzen haben. 100  Siehe dazu dessen Gesamtdarstellung, Köhler, Strafrecht AT, aber auch seine strafrechtlich-rechtsphilosophisch ausgerichtete Habilitation, Köhler, Die bewußte Fahrlässigkeit. 101  Zwar lässt Köhler in seiner Habilitation nicht selten die praktischen Konsequenzen seines Ansatzes außer Betracht, vgl. dazu auch Seelmann, NJW 1983, 1042, deutet dann aber in seinem Lehrbuch an, dass sich die Rechtsprechung der von ihm präferierten Begriffsbildung zumindest annähere, so Köhler, Strafrecht AT, S. 201, auch 191, und bringt damit zum Ausdruck, dass seine Konzeption anscheinend auch auf der Grundlage des geltenden Strafrechts möglich ist; vgl. jedoch auch die unklare Formulierung auf S. 202: „Soweit es [das Gesetz] aber – widersprüchlicherweise – einfache Fahrlässigkeit hinsichtlich der schweren Folge genügen läßt (z. B. § 226 in Verbindung mit § 18), ist das schon im Grundsatz unzureichend“.



B. Überlegungen zur Methodik33

wußten (vorsätzlichen) Gefahrhandelns“ vorliege.102 Er beruft sich für die Begründung, dass „die bloß unbewußte Fahrlässigkeit, also das unwillkürliche Versehen, der Wahrnehmungsfehler,“ nicht tatbestandsmäßig sein könne, unter anderem auf die Hegelsche Rechtsphilosophie.103 Köhler sieht sich damit – auch nach eigener Aussage – im Widerspruch zu vielen von der Rechtsprechung gefundenen Ergebnissen;104 er deduziert also aus den von ihm für beachtlich gehaltenen rechtsphilosophischen Erwägungen sehr konkrete, von der Judikatur abweichende Ergebnisse. In der Sache gelangt auch Arthur Kaufmann zu den gleichen Einsichten, wenn er feststellt, dass die unbewusste Fahrlässigkeit zu keinem materiellen Schuldvorwurf berechtige.105 Weit vorsichtiger ist dieser aber, wo es um die Übertragung seiner rechtsphilosophischen Ergebnisse auf die Strafpraxis geht. So stellt er ausdrücklich fest: „Einen Bahnwärter, der vergessen hat, die Schranken zu schließen, und dadurch den Tod von zwanzig Menschen verursacht hat, nicht zu bestrafen, […] ist unter den heutigen Umständen indiskutabel“; Arthur Kaufmann räumt sodann – zunächst in Frageform, später unumwunden – ein, dass seine Erkenntnis zur unbewussten Fahrlässigkeit „keine praktischen Folgen hat“.106 Dennoch sei auch diese „Wahrheit“ nützlich, da sie deutlich mache, welcher Fragwürdigkeit das Strafen ausgesetzt sei.107 Ist es auch höchst wichtig, die Problematiken um das staatliche Strafen zu bedenken, so darf man die bestehenden strafrechtlichen Realitäten nicht aus den Augen verlieren. Rechtsphilosophie muss auch auf die gesellschaftliche Praxis zurückwirken.108 Wird nun versucht, Tatsächliches zu negieren, kann es der Rechtsphilosophie kaum gelingen, eine Rechtsdogmatik zu entwickeln, die im Alltag der Strafgerichte Beachtung finden 102  Köhler, Strafrecht AT, 171 f.; vgl. auch Köhler, Die bewußte Fahrlässigkeit, S.  414 f. 103  Siehe exemplarisch Köhler, Strafrecht AT, S. 178, Fn. 134; vgl. auch Hegel, Rechtsphilosophie, §§ 115 ff., und dort insbesondere § 117: „Das Recht des Willens aber ist, in seiner Tat nur dies als seine Handlung anzuerkennen, und nur an dem schuld zu haben, was er von ihren Voraussetzungen in seinem Zwecke weiß, was davon in seinem Vorsatze lag. – Die Tat kann nur als Schuld des Willens zugerechnet werden; – das Recht des Wissens.“ 104  Dazu Köhler, Strafrecht AT, S. 181: „Die Rechtsanwendung hält daher in der geschilderten Tradition des Positivismus sowohl die bewußte als auch die unbewußte Fahrlässigkeit für strafbar.“ 105  Arthur Kaufmann, Das Schuldprinzip, S. 162 ff.; vgl. außerdem bereits Arthur Kaufmann, Unrechtsbewusstsein, S. 98 f. 106  Arthur Kaufmann, Das Schuldprinzip, S. 164, sowie 165, dort: „mag man auch keine praktischen Konsequenzen daraus herleiten.“ 107  Arthur Kaufmann, Das Schuldprinzip, S. 164. 108  Siehe dazu Alwart, Recht und Handlung, S. 4; sowie Alwart, Gedenken an Eberhard Schmidhäuser, S. 26 ff.

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Kap. 1: Einleitung

wird.109 Wo rechtsphilosophische Erkenntnisse – wie es bei Arthur Kaufmann der Fall ist – nicht herangezogen werden sollen, Praxisrelevanz zu entfalten, kann das den hiesigen Ansatz nicht entkräften, da ein solches methodisches Vorgehen schon von seinem Ausgangspunkt ungeeignet ist, Antworten auf konkrete Aufbaufragen zu liefern. So entgeht Arthur Kaufmann zwar dem Vorwurf, durch reine Deduktion praxisferne Ergebnisse zu produzieren, muss aber (wohl) hinnehmen, dass seine Rechtsphilosophie dogmatisch irrelevant bleiben wird. Ferner ist darauf aufmerksam zu machen, dass ein Ansatz, der sich in die Tradition vor allem einer (rechts-) philosophischen Denkrichtung begibt, gelegentlich Gefahr läuft, gewisse Aussagen als unumstößliche Dogmen zu begreifen. Selbst Köhler ist vor dieser Gefährdung nicht vollumfänglich gefeit, wenn er unter Rückgriff auf die Hegelsche Rechtsphilosophie die unbewusste Fahrlässigkeit als nicht strafbegründend anerkennt.110 Dazu sei an diesem Punkt lediglich bemerkt, dass – der von Köhler nicht selten zitierte111 – Kant die Fahrlässigkeit keineswegs in Frage gestellt hat112; sowie darauf, dass der – ebenfalls vorrangig vom Hegelschen Gedanken ausgehende – Strafrechtler Mayer die unbewusste Fahrlässigkeit in seinen Lehrbüchern ohne ausschweifende Diskussionen für strafbar gehalten hat113. Durch diese Hinweise ist zwar nicht die oftmals gegebene Eigenständigkeit und Geschlossenheit von rechtsphilosophischen Ansätzen insgesamt in Abrede gestellt, es zeigt sich aber, dass selbst dann, wenn ähnliche Prämissen gesetzt werden114, eine – konkrete Aufbaufragen beantwortende – Rechtsdogmatik nicht einfach aus „den luftigen und sauerstoffarmen Höhen der Rechtsphilosophie“115 auch Duttge, Bestimmtheit, S. 228. dazu schon oben Fn. 102 (Kap. 1); Schmidhäuser, GA 1998, 369, stellt jedoch bereits hier die nicht unbegründete Frage, inwieweit Hegel überhaupt an die Fahrlässigkeit gedacht hat, da dessen Überschriften in diesem Zusammenhang zumindest nicht eindeutig sind; vgl. Hegel, Rechtsphilosophie, vor § 115: „Der Vorsatz und die Schuld.“ und vor § 119: „Die Absicht und das Wohl.“ – Zweifel sind also gegenüber Holl, Entwicklungen der Fahrlässigkeitsdogmatik, S. 45, angebracht: „Eine Zurechnung der Fahrlässigkeit findet [bei Hegel] nicht statt!“; vgl. zum Ganzen auch die Darstellung bei Sacher, Sonderwissen, S. 35 f. 111  Siehe dazu exemplarisch die Kant Zitate – an herausgehobener Stelle (im Begründungszusammenhang) – bei Köhler, Strafrecht AT, S. 23, Fn. 65 und S. 117, Fn. 4. 112  Siehe dazu Kant, Metaphysik der Sitten, Einleitung, S. 24: „Eine unvorsätzliche Übertretung, die gleichwohl zugerechnet werden kann, heißt bloße Verschuldung (culpa).“ 113  Mayer, Strafrecht AT-LB, § 40 und Mayer, Strafrecht AT-StB, § 29. 114  Vgl. dazu ganz allgemein die (aus den Lehren Hegels gezogenen) gewichtigen, dogmatischen Unterschiede zwischen Mayer, Strafrecht AT-LB und Köhler, Strafrecht AT; zum Ganzen auch Schmidhäuser, GA 1998, 363 ff. 115  So Duttge, Bestimmtheit, S. 228. 109  Vgl.

110  Siehe



B. Überlegungen zur Methodik35

deduzierbar ist.116 Daneben ist ergänzend zu sagen, dass rechtsphilosophische Ansätze mitunter dazu neigen, Problematiken in einer im übertragenen Sinn geführten Rede zu behandeln, so dass das eigentlich Gemeinte erst in einem weiteren Schritt herauszudenken ist.117 Werden aber sprachliche Barrieren errichtet, kann das einem Aufbauschema, das auch in der Praxis Relevanz entfalten will, nicht zupass kommen. Insgesamt ist also festzuhalten: Auch ein rechtsphilosophischer Ansatz erscheint nicht geeignet, um den Aufbau des im StGB positivierten Fahrlässigkeitsdeliktes konkret herauszuarbeiten.

IV. Etymologie des Begriffs „Fahrlässigkeit“ und Rechtsgeschichte Um sich den Aufbau der Fahrlässigkeitsstraftat zu erschließen, könnte man weiterhin auf die Idee verfallen, etymologische oder rechtsgeschichtliche Entwicklungen als Anknüpfungspunkt zu wählen. Jedoch macht insofern bereits ein kurzer Blick in das Schrifttum wenig Mut, da beispielsweise August Köhler die These aufstellt, dass die Etymologie – zur Bewältigung der Schwierigkeiten in Bezug auf die Fahrlässigkeit – so gut wie gar nicht gewinnbringend herangezogen werden könne; nebenbei sei bemerkt, dass er der Rechtsgeschichte ebenfalls „nur wenig“ zutraut.118 Betrachtet man sodann die zum Begriff der Fahrlässigkeit vertretenen Bedeutungszuschreibungen, zeigt sich in der Tat ein recht uneinheitliches, wenig präzises Bild. So will eine nicht geringe Zahl von Autoren die Wurzeln der Fahrlässigkeit in den mittelhochdeutschen Begrifflichkeiten „varn lāzen“ bzw. „varn lān“ sehen, was soviel bedeutet wie geschehen lassen, nachlassen bzw. vernachlässigen; auch wird darauf verwiesen, die Dinge (oder sich) fahren gelassen zu haben.119 Andere leiten die Fahrlässigkeit aus dem Wort „verlāz“ bzw. „vürlāz“ her, womit in älterer Zeit die Lässigkeit und Versäumnis gekenn116  Auch Loos, Maiwald-FS, insb. S. 158 ff., macht am Beispiel der rechtsphilosophischen Erklärungsansätze zu § 34 StGB deutlich, dass die „rechtsphilosophische Argumentation nur einen überredenden, bestenfalls grob orientierenden Hintergrund [abgibt]“, sie „aber die jeweilige Entscheidung nicht [trägt]“; dort auch zur Problematik der Abstraktheit von solch allgemeinen Prinzipien. – In diesem Zusammenhang mag auch an Gallas erinnert werden: „Obwohl oder gerade weil Gallas Kenner der Philosophie und Rechtsphilosoph war, war er als Strafrechtsdogmatiker bewußt und entschieden Jurist.“ Diesen Satz entnehme ich Puppe, in: In memoriam, S. 33. 117  Vgl. Schmidhäuser, GA 1998, 376 f.; Seelmann, NJW 1983, 1042. 118  August Köhler, Fahrlässigkeit, S. 2; sehr ähnlich – zumindest in Bezug auf ein etymologisches Herangehen – Engisch, Untersuchungen, S. 29 Fn. 10: „Übrigens erweist sich die Etymologie als recht unsicher.“ 119  Siehe dazu vor allem Trübners Deutsches Wörterbuch Bd. 2, S. 278 f.; sowie Duden, Das Große Wörterbuch Bd. 3, S. 1158; Hall, Fahrlässigkeit im Vorsatz,

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Kap. 1: Einleitung

zeichnet war.120 Wieder andere sehen einen Anknüpfungspunkt für den Begriff der Fahrlässigkeit in der Umschreibung „vārelos“ bzw. „vārelosigkeit“, womit man heute zum Ausdruck bringen würde, dass der Täter „ohne böse Absicht“ gehandelt hat; die Urbedeutung wäre bei einer solchen Ableitung also lediglich als „bloße Negation des Dolus“ aufzufassen.121 Viertens wird die Fahrlässigkeit mit dem Begriff der „Fahr“ (Gefahr) in Verbindung gebracht.122 Gegen all diese Begriffsbestimmungen wendet sich aber Kadečka, der in die Fahrlässigkeit einen Vorwurf hineinlesen möchte und deshalb die bisherigen Ableitungsversuche für unpassend hält.123 Er meint, auf das aus dem Mittelhochdeutschen stammende Adjektiv „warlôs“ bzw. auf das Subjektiv „warloese, warlôse, warlôsec-heit“ abstellen zu können.124 All diese Begrifflichkeiten sind dem weiblichen Hauptwort „war oder ware“ entlehnt, was im neuhochdeutschen mit Wahrnehmung, Beobachtung, Acht, Aufmerksamkeit oder Obhut umschrieben werden könnte; Fahrlässigkeit bedeutete also Achtlosigkeit, Unaufmerksamkeit etc. Jedoch ist festzuhalten, dass selbst eine solche, eher auf die Bedürfnisse des Rechts zugeschnittene Umschreibung aufgrund ihrer Allgemeinheit und Unspezifität bei weitem nicht geeignet wäre, den Aufbau der Fahrlässigkeitsstraftat zu erhellen. Das gleiche gilt für den Versuch, die heutige Alltagssprache fruchtbar machen zu wollen, da zwar anzuerkennen ist, dass die ursprüngliche Begrifflichkeit der Fahrlässigkeit nicht ausschließlich auf den Bereich der Rechtssprache beschränkt war – so finden sich laut His seit dem 15. Jahrhundert Belege dafür, dass der Begriff Fahrlässigkeit im Sinne von Gleichgültigkeit und Trägheit verwendet wurde125 –; jedoch ist darauf hinzuweisen, dass die eigentliche Verbreitung des Begriffs erst durch den rechtlichen Sprach­ ­ S. 26; Kluge, Etymologisches Wörterbuch, S. 199; vgl. außerdem Grimm / Grimm, Deutsches Wörterbuch Bd. 3, Spalte 1260 und Jhering, Zweck II, S. 67 f. 120  So Weigand, Deutsches Wörterbuch, 5. Aufl., 1909, Spalte 492; (zitiert nach MK-Duttge, § 15 Rn. 39; Kadečka, ZStW 53 (1934), 135 und August Köhler, Fahrlässigkeit, S. 2). 121  So ausdrücklich August Köhler, Fahrlässigkeit, S. 2 im Anschluss an Binding, Normen IV, S. 453. 122  Vgl. Rotering, Fahrlässigkeit und Unfallgefahr, 1892, S. 22 (zitiert nach Engisch, Untersuchungen, S. 29 Fn. 10) und Sanders, ohne Quellenangabe (zitiert nach Kadečka, ZStW 53 (1934), 135). 123  Siehe dazu Kadečka, ZStW 53 (1934), 135 f.; sowie zu den folgenden Ausführungen. 124  Trübners Deutsches Wörterbuch, S. 278 stellt aber zu diesem Herleitungsversuch fest, „ist wegen der lautlichen Unmöglichkeit abzulehnen.“ 125  His, Geschichte, S. 12, der aber auch darauf hinweist, dass die Wendungen, wenigstens in älterer Zeit, nicht immer klar waren: „Man weiß mitunter nicht, ob sie wirklich den heutigen Begriff der Fahrlässigkeit wiedergeben oder etwa nur den Mangel der Arglist oder nur auf die objektive Gefährlichkeit der Handlung hinweisen wollen.“



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gebrauch stattgefunden hat,126 und er demzufolge inhaltlich sehr durch diesen – und gerade nicht durch die Alltagssprache – geprägt ist. Insgesamt ergibt sich also, dass auch eine etymologische Begutachtung für den Aufbau der Fahrlässigkeitsstraftat nicht geeignet ist, tiefergehende Erkenntnisse zu liefern. Trotz der bereits oben angeklungenen skeptischen Bemerkung,127 ist zu hinterfragen, ob sich womöglich ein rechtsgeschichtlicher Ansatz dennoch für die vorliegende Arbeit eignet. Wird das Fach der Rechtsgeschichte nämlich so begriffen, dass es ihr „um die Grundlagen der geltenden Rechtsordnung geht“128, und vertritt man ferner die Auffassung, dass sich jede rechtliche Regel nur bei geschichtlicher Betrachtungsweise voll verstehen lasse und die Rechtsgeschichte außerdem eine Überprüfung von Gerechtigkeitsgehalten ermögliche, kann ein solcher methodischer Ansatz kaum direkt, das heißt ohne nähere Auseinandersetzung, verworfen werden.129 Insbesondere Binding130 in älterer und Schlüchter131 in neuerer Zeit haben sich dann auch verstärkt einer solchen Herangehensweise zugewandt.132 Beide Arbeiten thematisieren die Entwicklung der fahrlässigen Straftat ausgehend vom römischen Recht bis hin zum Reichsstrafgesetzbuch von 1871; dabei werden 126  Trübners Deutsches Wörterbuch, S. 278 f.; vgl. auch Engisch, Untersuchungen, S. 29; damit ist aber nicht gesagt, dass der Alltagssprachgebrauch gänzlich ungeeignet ist, vorhandene Strukturen zu verdeutlichen und nachzuzeichnen, sondern nur dargetan, dass eine vertieftere Analyse der Verwendung des Begriffs „Fahrlässigkeit“ außerhalb der Rechtssprache als wenig hilfreich erscheint; vgl. zum Verhältnis von Alltagssprachgebrauch und Fahrlässigkeit auch Schmidhäuser, Schaffstein-FS, 146. 127  Vgl. dazu Fn. 117 (Kap. 1). 128  So Köbler, Deutsche Rechtsgeschichte, S. V (Hervorhebung von mir). 129  Auch dazu Köbler, Deutsche Rechtsgeschichte, S.  2; ähnlich Kroeschell, Deutsche Rechtsgeschichte I, S. 8, der betont, dass die Rechtsgeschichte nicht aufhöre im gegenwärtigen Rechtsdenken anwesend zu sein; Ebel / Thielmann, Rechtsgeschichte, Rn. 1, geben aber zu bedenken: „Es geht nicht um die Nützlichkeit der einzelnen erkannten Fakten für die Gegenwart im Detail“; dort auch kritisch zur Thematik der „Gerechtigkeitsüberprüfung“ durch Rechtsgeschichte. – Die wohl herrschende Auffassung im Schrifttum geht laut Eisenhardt, Deutsche Rechtsgeschichte, S. 1, davon aus, dass es eine Evolution der Rechtsentwicklung gebe, so dass man das historische Recht als Mittel zum besseren Verständnis der geltenden Rechtsordnung heranziehen könne, vgl. insofern exemplarisch Conrad, Deutsche Rechtsgeschichte I, S. XVII f. 130  Binding, Normen IV, S. 8 ff. 131  Schlüchter, Fahrlässigkeit, S. 28 ff.; eine geschichtliche Darstellung seit der Zeit Feuerbachs liefert Holl, Entwicklungen der Fahrlässigkeitsdogmatik; siehe auch die Ausarbeitung von MK-Duttge, § 15 Rn. 42 ff. 132  Eine gute Übersicht – jedoch erst seit Feuerbach (bis 1910) – liefert auch Exner, Fahrlässigkeit, S. 12 ff.; vgl. außerdem noch die – stark mit wertenden Ausführungen durchsetzte, dennoch instruktive – Kurzdarstellung bei Degener, Schutzzweck der Norm, S. 154 ff.

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die Regelungen der germanischen Volksrechte genauso in den Blick genommen, wie die Zeit der (Post-)Glossatoren; ferner werden behandelt: „Vom Klagespiegel über die Carolina hin zum gemeinen Recht“, sowie daran anknüpfend: „Von der Aufklärung bis zum RStGB 1871“.133 Aus der den Arbeiten zugrundliegenden Stofffülle seien an dieser Stelle aber nun einige Ausschnitte exemplarisch herausgegriffen, die tatsächlich die Auffassung begründet erscheinen lassen, dass eine noch tiefergehende Behandlung mit der Rechtsgeschichte wenig geeignet wäre, die hiesige Thematik einer tauglichen Lösung zuzuführen. So konnte beispielsweise das rechtsgeschichtliche Schrifttum zwar den Nachweis erbringen, dass die ursprünglich bei den Römern bestehende Haftung für die bloße Herbeiführung von Erfolgen (sog. reine Erfolgshaftung) – zumindest partiell – abgeschafft wurde,134 jedoch ist für das daran anknüpfende „System“, Taten in dolus, culpa und casus zu scheiden, sehr zweifelhaft, ob die Römer bei dieser Abgrenzung zu prinzipieller Klarheit gelangt sind, so dass wohl niemand bestreiten würde, „daß die Grenzlinien zwischen Fahrlässigkeit und Zufall im römischen Recht nicht begrifflich scharf gezogen sind.“135 Selbst über die – der Fahrlässigkeit neue Impulse verleihende136 – Rezeption und Weiterbildung des römischen Rechts vor allem durch italienische (Post-)Glossatoren im Mittelalter heißt es: „Nicht gelungen ist den Italienern die feste Grenzlegung zwischen dem dolus und der Schuldart culpa, d. h. der heutigen Fahrlässigkeit.“137 Auch die bereits entwickelteren Rechtsbücher der Constitutio Criminalis Bambergensis aus dem Jahre 1507 sowie die Constitutio Criminalis Carolina (1532) gingen bei der Fahrlässigkeit – mit noch immer unsicherer Terminologie – zwar von einer eigenständigen Kategorie des strafbaren Verschuldens aus,138 kannten aber keine verallgemeinerungsfähige, sondern nur eine punktuelle, auf Einzelfälle beschränkte Bestrafung selbiger.139 Bereits 133  Die Zitate sind Überschriften aus der Arbeit Schlüchters, Fahrlässigkeit, S. 37 und 44; die Darstellung bei Binding, Normen IV, S. 8 ff., ist im Ablauf aber nahezu identisch. 134  Vgl. Schlüchter, Fahrlässigkeit, S. 29. 135  So ausdrücklich August Köhler, Fahrlässigkeit, S. 3 Fn. 4; noch weitergehend Beschütz, Fahrlässigkeit, S. 64 der behauptet, dass sogar das entwickelte römische Strafrecht keine selbständige Schuldform neben dem dolus kannte. 136  Dazu MK-Duttge, § 15 Rn. 47. 137  August Köhler, Fahrlässigkeit, S. 8. – Hinzuweisen ist an dieser Stelle aber darauf, dass die culpa der (Post-)Glossatoren nicht gänzlich deckungsgleich mit unserer heutigen Fahrlässigkeit gewesen sein wird, sondern wohl zumindest auch in den heutigen („unteren“) Vorsatzbereich geragt haben wird; vgl. insofern einführend die Übersicht bei Schlüchter, Fahrlässigkeit, S. 63. 138  Vgl. MK-Duttge, § 15 Rn. 50. 139  Ferner hat man zu bedenken, dass selbst die daran anknüpfenden, detaillierten Studien Carpzovs zwar Beispielsfälle aufwiesen, aber verallgemeinerungsfähige



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diese Anmerkungen zeigen, dass eine rechtsgeschichtliche Begutachtung mit beachtlichen Unsicherheiten zu kämpfen hat; was insbesondere damit zusammenhängen wird, dass der Begriff der Fahrlässigkeit eben einer der spätesten ist, der im Strafrecht auftauchte140. Aber auch selbst im 18. und 19. Jahrhundert erschienene Schriften – wie auch Kodifikationen141 – lassen keine geradlinige Hinentwicklung zu einem einheitlichen Fahrlässigkeitsbegriff – oder gar zu einem System – erkennen, sondern eröffnen eher ein verwirrendes Bild142. Festzuhalten bleibt also, dass aus einer bereits zeitlich früh einsetzenden rechtsgeschichtlichen Betrachtung keine absolut konsistenten, auch noch heute Relevanz entwickelnden Aufbauschemata für das Fahrlässigkeitsdelikt gewonnen werden können. Allenfalls die Inaugenscheinnahme jüngerer Entwicklungen könnte geeignet sein, die Strukturen der „Haftung“ für fahrlässiges Verhalten nach geltendem Recht zu präzisieren. Ein solches rechtsgeschichtliches Vorgehen – soviel sei vorweggenommen – deckte sich aber auch mit dem hiesigen Ausgangspunkt, nämlich die (heutigen) Gesetzesund Systembegriffe Unrecht und Schuld in den Mittelpunkt zu stellen, da diese Begrifflichkeiten gerade ab dem Ende des 19. Jahrhunderts systematisch entwickelt und verstärkt nutzbar gemacht worden sind und für zahlreiche Veränderungen in der Prüfung und Einordnung der Fahrlässigkeit verantwortlich waren;143 und – das ist das maßgebliche Faktum – auch noch immer sind. Mit anderen Worten: Wenn die jüngere rechtsgeschichtliche Entwicklung der Fahrlässigkeit in den Blick genommen wird, hängt sie sehr Aussagen auch hierauf schwerlich gestützt werden können; zu Carpovz vgl. die ausführliche Darstellung bei Binding, Normen IV, S. 158 ff., mit umfangreichen Literaturangaben. 140  So bereits ausdrücklich Kohler, GA 1916, 244. 141  Hier sind vor allem folgende zu nennen: Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten (1794), vgl. dort insb. im Allgemeinen Teil des Strafrechts (2. Teil, 20. Titel) die §§ 28 ff.; Strafgesetzbuch für das Königreich Bayern (1813) dort vor allem die Art. 64, 65, 68; beide Kodifikationen enthielten Definitionsversuche, was man unter Fahrlässigkeit zu verstehen habe; anders dagegen das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten (1851), das ohne allgemeine Begriffsbestimmung auskam; auch das Strafgesetzbuch für den Norddeutschen Bund (1870) und das (damit identische) bereits oben angesprochene Reichsstrafgesetzbuch (1871) enthielten sich einer legislatorischen Festlegung. 142  Vgl. Schlüchter, Fahrlässigkeit, S. 47; von Almendingen, Kleine jurid. Schriften 2, S. 1, konnte 1806 gar sagen, dass bisher kein Gegenstand des Kriminalrechts dunkler geblieben ist als die Natur des aus Fahrlässigkeit begangenen Verbrechens (zitiert nach August Köhler, Fahrlässigkeit, S. 9). 143  Die starke Verzahnung von Fahrlässigkeit und insbesondere dem systematischen Schuldbegriff wird besonders deutlich bei Achenbach, Schuldlehre, vgl. dort S. 21 und ferner S. 32, 40, 59, 60 etc., worauf bereits an dieser Stelle hinzuweisen ist.

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Kap. 1: Einleitung

eng mit den Erkenntnissen der Lehre von der Straftat insgesamt, das heißt vor allem mit den Begrifflichkeiten Unrecht und Schuld zusammen, und kann damit das hiesige angedachte Vorgehen nicht entkräften, sondern bestätigt es vielmehr. Sollte dagegen eine weitere, bereits bei den Römern einsetzende umfassende Aufarbeitung der Rechtsgeschichte der Fahrlässigkeitsstraftat erfolgen, sind aufgrund der oben exemplarisch aufgewiesenen Unsicherheiten, kaum neue begriffliche, geschweige denn aufbautechnische Erkenntnisse zu erwarten. Insgesamt gilt also, dass auch ein primär rechtsgeschichtlicher Ansatz keineswegs besser geeignet wäre, den heutigen Aufbau des Fahrlässigkeitsdeliktes zu erhellen.

V. Abschließende Konkretisierung der auf die gesetzliche Systematisierung ausgerichteten Herangehensweise Bis hierhin konnte der Nachweis erbracht werden, dass unter den obwaltenden Voraussetzungen keiner der übrigen in Betracht kommenden methodischen Ansätze von seiner Ausrichtung dem hier präferierten überlegen ist. Für die gesamtsystematische Behandlung des fahrlässigen Delikts spricht aber insbesondere Folgendes: Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die im StGB keineswegs selten anzutreffenden Begrifflichkeiten von Unrecht144 und Schuld145 nicht lediglich den Status von „einfachen“ Gesetzesbegriffen haben, sondern ihnen auch eine – für alle Delikte Relevanz entfaltende – systematische Aufgabe zukommt, nämlich die der Gliederung des allgemeinen Verbrechensbegriffs;146 so werden an ihr Vor- bzw. Nichtvorliegen ganz spezifische Rechtsfolgen geknüpft147, 148 144  Vgl.

dazu exemplarisch die §§ 17; 20; 21; 56b I, III; 174 IV; 182 IV. die §§ 17; 19; 20; 21; 29; 35 I; 46 I; 57a I Nr. 2; 57b; 63, 64 I; 66b III; 69 I; 70 I; 71 I; 74 III aus dem Allgemeinen und lediglich beispielhaft die §§ 113 IV, 129 V, 142 II Nr. 2, 157, 213 aus dem Besonderen Teil. 146  Dies ist – unter anderem aufgrund der klaren gesetzlichen Bestimmungen, vgl. insofern Haas, Kausalität, S. 88 – nahezu allgemeine Meinung, siehe dazu nur S / S-Eisele, Vorbem §§ 13 ff. Rn. 20; Frisch, in: Straftat, S. 161 ff.; Haft, Strafrecht AT, S. 116; Lackner / Kühl, vor § 13 Rn. 6; Küper, JZ 1983, 95; Langer, Sonderstraftat, S.  24 ff.; NK-Paeffgen, Vor §§ 32 bis 35 Rn. 27; LK-Rönnau, Vor §32 Rn. 8 insb. Fn. 9; Roxin, Strafrecht AT I, § 7 Rn. 4, 13; Stratenwerth / Kuhlen, Strafrecht AT, § 7 Rn. 1; sehr knapp auch Kindhäuser, Strafrecht AT, § 6 Rn. 1 f.; anders aber – hauptsächlich jedoch de lege ferenda argumentierend – Walter, Kern des Strafrechts, S. 196, der dafür plädiert nur noch verschiedene Gedankenschritte, nicht aber Systemkategorien zu unterscheiden (Wie kann es sich aber um verschiedene Schritte handeln, wenn man diese nicht voneinander systematisch sollte abgrenzen können?); siehe auch die kritischen Darstellungen zur Trennbarkeit von Unrecht und Schuld bei MK-Freund, Vor §§ 13 ff. insb. Rn. 268; Lesch, Der Verbrechensbegriff, S. 205 ff., zusammenfassend S. 277, und Pawlik, Otto-FS, S. 133 ff.; auch Sinn, Gießen-FS, 145  Vgl.



B. Überlegungen zur Methodik41

Teilweise wird aber gegen eine Straftatlehre, die ihre Legitimation (unter anderem) aus den aktuellen gesetzlichen Vorgaben zieht, zum einen eingewandt, dass sie „festgeschriebene Aktualität von gestern“149 sei, und zum anderen – bedeutend allgemeiner –, dass das Gesetz überhaupt keine verbindlichen Entscheidungen treffe und man insofern endlich aufhören sollte, „sich und anderen etwas vorzumachen.“150 Grasnick formuliert weiter: „Der Gesetzestext als Denkanstoß. Das ist es. Mehr nicht.“151 Dass man sich mit solchen Äußerungen in ein nicht unerhebliches Spannungsverhältnis zum Gesetzlichkeitsgrundsatz des Art. 103 II GG und des § 1 des geltenden Strafgesetzbuches begibt,152 scheint nicht zu stören; Grasnick nennt den Art. 103 II GG dann auch einen „unerfüllbaren“ und führt sogleich die Fahrlässigkeitsdelikte an, um zu begründen, dass es mit der gesetzlichen Bestimmtheit „wenig mehr als nichts“ auf sich habe.153 Richtig ist mit Sicherheit, dass sich der Gesetzgeber einer ausdrücklichen Positivierung dessen enthalten hat, was unter „Fahrlässigkeit“ genau zu verstehen ist. Damit ist aber keineswegs der Nachweis erbracht, sich einer am Gesetz orientierten 147

148

S. 321 ff., versucht, die von ihm so bezeichnete „Trennungsthese“ (a. a. O., S. 328), zu widerlegen. – Letztgenannte Autoren bezweifeln zwar die Unterscheidbarkeit der Begrifflichkeiten von Unrecht und Schuld, können damit aber nicht das hier angedachte Vorgehen entkräften, da das geltende Strafrecht von einer klaren Trennbarkeit beider ausgeht: Sie sind für ihre Annahmen verstärkt „beweispflichtig“. – Kohlschütter, Konstitution der Straftat, S. 57, wartet gar mit der These auf: „Der Terminus ‚Unrecht‘ sollte lediglich im Kontext einer Theorie der Gesetzgebung verwendet werden. […] Er ist keine strafrechtstheoretische Kategorie, die neben dem Terminus ‚Straftat‘ eine eigene Daseinsberechtigung hat.“ Wie aber dann mit dem eindeutigen Gesetzeswortlaut zu verfahren ist, erläutert er nicht. Und dies obwohl er doch augenscheinlich um „aufeinander abgestimmte“ Terminologie bemüht ist, siehe a. a. O., S. 18, und er mehrfach die grundsätzliche Bedeutung des Art. 103 II GG herausstreicht, vgl. nur a. a. O., S. 26, 48, 59. 147  Vgl. dazu nur die Regelungen über die Teilnahme, §§ 26 ff. 148  Vgl. auch Wolter, Zurechnung, S. 22. 149  Naucke, Grundlinien, S. 33. 150  Grasnick, ZRph 2005, 21 f. 151  Grasnick, ZRph 2005, 23; siehe dort außerdem S. 24: „lässt sich am besten lernen bei denen, die von vornherein frei aufwuchsen, will sagen, ungegängelt durch Gesetze, verschont von Gesetzesfetischisten.“ Hinzuweisen sei dagegen an dieser Stelle nur auf die Ausführungen des aus dem angloamerikanischen Rechtskreis kommenden Autors Dubber, ZStW 117 (2005), 518, „stellt doch der Versuch, ein stringentes und in sich schlüssiges System des Strafrechts zu entwickeln, ein nützliches Gegengewicht zum immer noch weit verbreiteten induktiven Pragmatismus des amerikanischen Strafrechtsdenkens dar“. 152  Anzumerken sei, dass hier die Auffassung zugrundegelegt wird, dass der Art. 103 II GG nicht nur für den Besonderen, sondern ebenfalls für den Allgemeinen Teil des Strafgesetzbuches Geltung beansprucht; dies steht im Einklang mit der wohl herrschenden Meinung, vgl. nur MK-Joecks, § 1 Rn. 13 ff. 153  Grasnick, ZRph 2005, 23.

42

Kap. 1: Einleitung

gesamtsystematischen Fundierung enthalten zu dürfen. So ist es zwar korrekt, nicht von einem in der Verfassung vertypten absoluten und unbedingten Bestimmtheitsgebot auszugehen,154 aber es ist nach wie vor zu verlangen, „daß sich die Gerichte in ihren Entscheidungen auf das jeweilige Strafgesetz beziehen, – daß sie dartun, wie sie das Gesetz verstehen, und die Entscheidung aus dem von ihnen verstandenen Gesetz begründen.“155 Die gesetzlichen Bestimmungen sind eben nicht rein unverbindlich; sie bleiben der zentrale Punkt des Fragens und verlangen – insbesondere von Rechtsprechung und Verwaltung bzw. vom Rechtsstab –, die gefundenen Ergebnisse in einen argumentativen Begründungszusammenhang zu stellen156 – ohne natürlich die einzelne Problemlösung zu vernachlässigen; man hat sich also gerade nicht – vereinfachend ausgedrückt – zwischen Begriffsjurisprudenz einerseits und Freirechtslehre andererseits zu entscheiden.157 Auf den Einwand Nauckes, die im Gesetz niedergelegten Begrifflichkeiten seien „festgeschriebene Aktualität von gestern“158 hat bereits Roxin mit Recht entgegnet, dass die genannten systematischen Grundbegriffe eine Entwicklung durchgemacht haben und dementsprechend keineswegs den Stand vom Ende des 19. Jahrhunderts wiedergeben;159 eine am Gesetz ausgerichtete systematische Stoffdurchdringung kann also nicht als „unaktuell“ verworfen werden.160 Dennoch ist auf einige – zweifelsohne vorhandene – Schwierigkeiten des systematischen Denkens hinzuweisen, um nicht Gefahr zu laufen, die andererseits bestehenden klaren Vorteile dieser Herangehensweise (aufgrund feh154  Dies wäre schon aufgrund der gegebenen Weite des Sprachverstehens ein unmögliches Anliegen, vgl. dazu nur Schmidhäuser, Martens-GS, S. 232. 155  So ausdrücklich Schmidhäuser, Martens-GS, S. 242. – Siehe insbesondere auch Langer, Dünnebier-FS, S. 430: „Weiter verlangt der Gesetzlichkeitsgrundsatz vom Richter, daß sich der Akt der Verurteilung zu Strafe als Gesetzesanwendung darstellt.“ – Mit Recht kritisch gegenüber der Auffassung Grasnicks, dass die richterliche Entscheidung contra legem etwas Natürliches sei, Freund bei Dietmeier, ZStW 112 (2000), 898 f. 156  Dass es sich dabei aber nicht um gänzlich losgelöste Argumentation handelt, macht auch Zaczyk, Küper-FS, S. 731, deutlich. 157  So mit Recht die ausgewogene Auffassung von Zippelius, Juristische Methodenlehre, S. V. 158  Siehe oben Fn. 148 (Kap. 1). 159  Roxin, Strafrecht AT I, § 7 Fn. 9. 160  Pawlik, Paeffgen-FS, S. 15, meint, kritikwürdig sei „der unter Strafrechtlern bis heute verbreitete Glaube an eine von der konkreten Kommunikationspraxis abgelöste, zeitübergreifend identisch bleibende Bedeutungssubstanz bestimmter grundlegender Kategorien wie Strafe, Schuld und Unrecht“. – Selbst wenn man diese These für richtig erachten sollte, kann die Lösung des Problems sicherlich nicht darin liegen, die Zentralbegriffe des geltenden Strafgesetzbuches undefiniert zu lassen.



B. Überlegungen zur Methodik43

lenden Reflektierens) unnötiger Kritik auszusetzen.161 So kann es nämlich bei streng aus der Systematik abgeleiteten Lösungen bisweilen zu drei – miteinander eng verzahnten – Gefährdungen kommen: Zum einen die Gerechtigkeit im einzelnen Fall nicht angemessen zu berücksichtigen, zum anderen in Betracht kommende Problemlösungsmöglichkeiten zu reduzieren und damit andere Begründungen von vornherein auszublenden und schließlich – durch die einseitige Ausrichtung – kriminalpolitisch schwer legitimierbare System­ ableitungen zu produzieren. Daneben ist noch darauf hinzuweisen, dass durch das Systemdenken teilweise sehr abstrakte Begrifflichkeiten verwendet werden, die unter Umständen wenig geeignet erscheinen, den Kontakt zur „Wirklichkeit“ aufrecht zu erhalten. Ist man sich dieser Gefahren aber bewusst, können diese Risiken keine hinreichende Durchschlagskraft entfalten; dies gilt umso mehr, da im Rahmen der hiesigen Ausarbeitung insbesondere zwei neuere Arbeiten162 nicht unbeachtet bleiben sollen, die den Versuch unternehmen, die von der Rechtsprechung verwendeten fahrlässigkeitsrelevanten Topoi ausfindig zu machen, – die sich also gerade mit der geforderten Begutachtung und Analyse von problematischen Einzelfällen beschäftigen. Im Übrigen treten die Vorteile einer systematisierenden Herangehensweise163 insofern deutlich zu Tage, als sie zu einer allgemeinen Erleichterung der Fallprüfung und damit zur Vereinfachung164 und besseren Handhabbarkeit des Rechts führt, da die notwendigen Denkschritte in eine logische und stringente Abfolge gebracht werden.165 Außerdem leistet die Systematisierung dort wichtige Dienste, wo es um die Gewährleistung der Gleichmäßigkeit166 und Differenziertheit der Rechtsanwendung geht.167 Zusammenfassend lässt sich 161  Zur

39 ff.

Gesamtproblematik ausführlich Roxin, Strafrecht AT, § 7 Rn. 44 ff. und

162  Siehe

dazu oben S. 29 ff. ist nur zu bemerken, dass wohl keine Wissenschaft ohne ein System auskommt, so Puppe, bei Zieschang, ZStW 109 (1997), 839; selbst die Alltagssprache systematisiert in nicht unerheblichem Umfang, vgl. dazu auch Wittengsteins Begriff der „Familienähnlichkeiten“, Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, §§ 66 f., S.  56 ff. 164  Dass es notwendig erscheint, gerade im Bereich der Fahrlässigkeitsdogmatik den Versuch anzutreten, das „bestehende“ System zu vereinfachen, wurde bereits oben aufgewiesen, vgl. Fn. 20 (Kap. 1). 165  Bereits Gallas, ZStW 67 (1955), 1, hat in Bezug auf die allgemeine Lehre vom Verbrechen mit Recht betont, dass das begriffliche Denken den Gegenstand in seiner wesensmäßigen Einheit nicht unmittelbar erfassen kann, so dass man auf eine logische Zergliederung in Einzelmerkmale angewiesen ist. 166  Welzel, Maurach-FS, S. 5, spricht davon, dass die Dogmatik einen „ideologisch neutralen Raum“ schafft. 167  Dazu Gimbernat Ordeig, ZStW 82 (1970), 405 ff. – Roxin, Strafrecht AT I, § 7 Rn. 42, nennt darüber hinaus als weiteren Vorteil des Systemdenkens: „Der Systemzusammenhang als Wegweiser der Rechtsfortbildung“. 163  Es

44

Kap. 1: Einleitung

also sagen, dass die Systembildung für eine entwickelte, rationale Rechtskultur unverzichtbar ist.168 Bisher war vornehmlich davon die Rede, die Arbeit auf die Gesetzesbegriffe Unrecht und Schuld hin auszurichten. Dies erscheint auch insbesondere deshalb geboten, da die heftigsten Streitigkeiten über die Fahrlässigkeitsdelikte – nahezu ausschließlich – unter Bezugnahme auf diese beiden Kategorien stattfinden.169 Gerade im Rahmen des Unrechts der Fahrlässigkeitsstraftat bestehen beachtliche – weit über die Streitigkeiten beim Vorsatzdelikt hinausgehende – Unsicherheiten, ob, und wenn ja, wie man „die Norm“ dieses Deliktstyps bestimmen könne,170 obwohl die daraus zu ziehenden Konsequenzen für die Folgerichtigkeit und Widerspruchslosigkeit der darauf aufbauenden Systematik einen höchst zentralen Charakter haben.171 Es ist im Rahmen der vorliegenden Arbeit also verstärkt der Frage nachzugehen, ob die der Lehre von der (Fahrlässigkeits-)Straftat zugrunde liegenden normentheoretischen Prämissen tatsächlich geeignet sind, die vor allem im Schrifttum postulierten, dogmatischen Aufbauschemata zu tragen;172 und wenn dies nicht der Fall sein sollte, wie ein dem geltenden Gesetz entsprechender Aufbau des fahrlässigen Delikts – gesamtsystematisch korrekt – konstruiert werden könnte. Eine gute Dogmatik zeichnet sich nämlich insbesondere durch ihre Konsequenz aus;173 ihr Wert bemisst sich nicht primär daran, von bisherigen Lösungsversuchen abweichende Einzelfallentscheidungen zu produzieren, sondern hat insbesondere zum Ziel, die Zusammenhänge besser als vorher verstehbar zu machen174. Um den gesamtsystematischen Zusammenhängen umfassend Rechnung zu tragen, ist an dieser Stelle vor allem noch auf die bisher weitgehend 168  Mit Recht stellt Langer, GA 1990, 440, die Systematisierung als eines der zentralen Merkmale der Strafrechtswissenschaft dar. – Siehe auch ausdrücklich Schünemann, in: Grundfragen, S. 18, der aber auch darauf aufmerksam macht, die Tragweite des erreichten Systems nicht zu überschätzen. 169  Vgl. bereits oben S. 18 f. 170  Siehe dazu einführend insbesondere Ida, Hirsch-FS, S.  225  ff.; Weigend, Gössel-FS, S. 130 ff., und für den Bereich der fahrlässigen Erfolgsdelikte Mikus, Verhaltensnorm des fahrlässigen Erfolgsdelikts, S. 15 ff. 171  Vgl. dazu beispielsweise die Vorwürfe die Kremer-Bax, Verhaltensunrecht der Fahrlässigkeitstat, S. 181 ff., insb. 184 gegen die herrschende Meinung richtet. 172  Die enge Verknüpfung von rechtsdogmatischen und normentheoretischen Überlegungen zeigt ausdrücklich Giannidis, Rechtsnorm, S. 59 ff.; wobei darauf hinzuweisen ist, dass die Normentheorie insbesondere auch rechtsphilosophische und rechtstheoretische Fragenkomplexe berührt, siehe dazu Giannidis, Rechtsnorm, S. 10 ff.; insoweit entwickelt die Rechtsphilosophie dann partiell auch für den hiesigen Ansatz Relevanz. 173  Vgl. Fletcher, in: Strafrechtswissenschaft, S. 248. 174  Vgl. auch Jakobs bei Gropengießer, in: Strafrechtswissenschaft, S. 226.



B. Überlegungen zur Methodik45

vernachlässigten Begrifflichkeiten der Strafe, der Strafwürdigkeit und der Strafbedürftigkeit hinzuweisen. Deren Ausklammerung erschien bis zu diesem Zeitpunkt vertretbar, da diese Begriffe von der überwiegenden Auffassung in Literatur und Rechtsprechung nicht zur Begründung einer eigenständigen Systemkategorie des allgemeinen Verbrechensbegriffs – und somit auch nicht unmittelbar für die Dogmatik der Fahrlässigkeitsstraftat – herangezogen werden. Ist man aber inzwischen nahezu allgemein zu der Überzeugung gelangt, dass eine rein klassifikatorische Systematisierung des allgemeinen Straftatbegriffs – d. h. die Ordnung des Verbrechens ausgehend vom Oberbegriff der Handlung an den dann lediglich weitere klassifizierende Merkmale, nämlich Tatbestandsmäßigkeit, Rechtswidrigkeit und Schuld, angehängt werden – ungeeignet ist, das Wesen der Straftat sachgerecht zu beschreiben, und hat man weiter erkannt, dass wohl einzig eine teleologische175 Herangehensweise – d. h. die Ordnung der Elemente des Verbrechens ausgehend von den Strafzwecken, mit dem Ziel eine sachangemessene Strafrechtsfolge zu erreichen – dies leisten kann176, mutet die weitgehende dogmatische Vernachlässigung des Begriffs der Strafe sehr merkwürdig an. Einfach gewendet: Die Rechtsfolge der Strafe177 bildet also den zentralen Punkt, an dem sich jede spezifisch strafrechtliche Systematik messen lassen muss.178 Nur wenn das unrechtliche, schuldhafte Verhalten auch strafwürdig und strafbedürftig erscheint, darf der Staat – natürlich nur bei Vorliegen der gesetzlich vertypten, tatbestandlichen Voraussetzungen – zur ultima ratio, der Strafe, greifen. Auf diese Weise trägt die teleologische Verbrechensauffassung insbesondere den verfassungsrechtlichen Vorgaben, wie zum Beispiel dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, dem Schuldprinzip und dem

175  Das griechische Wort „telos“ meint Ziel, Zweck, dazu einführend Schmidhäuser, JuS 1987, 374. 176  Siehe dazu nur Langer, GA 1990, 449 ff.; vgl. auch Freund, JZ 1992, 1000. 177  Dass es bei den außerdem im Strafgesetzbuch vertypten Rechtsfolgen der Maßregeln der Besserung und Sicherung nicht um Strafrecht im eigentlichen Sinne gehe; es sich hierbei um spezialpräventiv motivierte Rechtseingriffe handle, die einer eigenständigen Legitimation bedürften, betont MK-Freund, Vor §§  13 ff. Rn.  98 ff. – Dennoch bedarf es der zwingenden Analyse, ob die im Rahmen der §§ 63 ff. StGB genannten Rechtsfolgen nicht des Nachweises (eines eigenständigen, d. h. abgrenzbaren) strafrechtlichen Unrechts bedürfen. 178  Dies betont sogar Hirsch, Köln-FS, S. 416, unter anderem für die Welzelsche Systematik: „Vielmehr soll jedes Straftatsystem dem Zweck dienen, die generellen Voraussetzungen des Delikts zu bestimmen, an das die Rechtsfolge der Strafe geknüpft ist.“ und weiter „Alle drei Deliktsmerkmale haben also eine auf das Vorliegen der Straftat ausgerichtete Funktion.“ (Hervorhebungen im Original), und dies obwohl gerade Welzel sein System aus ontischen Gegebenheiten abgeleitet wissen will; vgl. dazu Welzel, Strafrecht, S. 33 ff., und unten S. 115 ff.

46

Kap. 1: Einleitung

Subsidiaritätsgebot, Rechnung.179 Dennoch wird vereinzelt vorgetragen, eine auf die Strafzwecke ausgerichtete Verbrechenslehre könne nicht überzeugen, da man über die positiven Wirkungen von Strafe – aufgrund oftmals kaum möglicher empirischer Nachweisbarkeit – nur sehr wenig wisse180 und man deshalb aus den Strafzwecken schwerlich konkrete rechtliche Folgerungen ableiten könne.181 Diese Argumentation verfängt aber schon deshalb nicht, da eine teleologische Straftatsystematik nicht absolut zwingend auf die empirische Beweisbarkeit der ihr zugrunde liegenden Strafzwecke angewiesen ist; vielmehr ist entscheidend, welche Funktionen der Staat der Strafe zukommen lassen will182 (und dass die an der Strafgesetzgebung beteiligten Personen – „der Gesetzgeber“ – ganz ursprünglich etwa einen generalpräventiven Zweck verfolgen, dürfte wohl von niemandem bestritten werden). Außerdem geben kriminologische Forschungen kaum Anlass zu glauben, die Strafe sei beispielsweise ungeeignet, überhaupt generalpräventive Wirkungen zu entfalten.183 Auch um die der Straftat eigenen Unwertgehalte bestimmen und definieren zu können, bedarf es einer auf das Telos der Strafe bezogenen Ausrichtung der Arbeit; wollte man dagegen die Zweck- und Werterwägungen, die mit dem Begriff der Strafe verbunden sind, ausblenden, wäre vollkommen offen, wie man die konkret in Rede stehende Rechtsfolge, nämlich den Strafausspruch, erklärbar machen sollte.184 Es bleibt also festzuhalten, dass es einer verstärkten Berücksichtigung der Strafe schon deshalb bedarf, weil die Unwertgehalte von Unrecht und Schuld im Rahmen des Strafrechts eben naturgemäß auf die Strafe bezogen sind.185 Hat man also einmal die enorme Relevanz der Strafe für die allgemeine Dogmatik erkannt, drängt sich die 179  Die von Herzberg, JuS 2005, 6, vorgetragene Kritik (vgl. auch Kratzsch, Verhaltenssteuerung, S. 131 ff.), dass die „teleologische Auslegung augenscheinlich die Tendenz der Strafbarkeitsausdehnung“ habe (Hervorhebung im Original), erweist sich bereits an dieser Stelle als gegenstandslos; schon Schmidhäuser, Strafrecht ­AT-StB, 3 / 40 ff., hat auf die Wichtigkeit einer prononciert verfassungsrechtlichen, objektiv teleologischen Auslegung hingewiesen. 180  Stratenwerth, Lehre von den Strafzwecken, S. 7 ff. 181  Siehe wiederum Stratenwerth, Lehre von den Strafzwecken, S. 14 ff. 182  Dazu auch Roxin, Strafrecht AT I, § 7 Fn. 44. 183  Vgl. Lampe, Roxin-FS, S. 53. 184  Walter, Kern des Strafrechts, S. 12 f., verkennt bei seiner recht oberflächlich gehaltenen Kritik der teleologischen Verbrechensauffassungen, dass die mit der Strafe verfolgten Zweckvorstellungen nicht lediglich auf die Aspekte der General- und Spezialprävention beschränkt sind; dies hat bereits Langer, GA 1990, 451 f., in Auseinandersetzung mit Engisch, in: Beiträge, S. 114, ausdrücklich herausgestellt. – Vgl. dazu auch insgesamt Schmidhäuser, Vom Sinn der Strafe, S. 3 ff.; prägnant zusammengefasst bei Schmidhäuser, Strafrecht AT-StB, 2 / 12 ff. 185  Vgl. dazu bereits die Anmerkungen oben, S. 28.



C. Gang der Untersuchung47

Frage auf, warum man nicht eine neben den allgemein anerkannten Systemstufen Unrecht und Schuld stehende dritte – auf den Strafbegriff bezogene – Kategorie des allgemeinen Verbrechensbegriffs anerkennen sollte.186 Gerade dem Aufbau der Fahrlässigkeitsstraftat könnte die Beschäftigung mit dieser bisher wenig berücksichtigten Fragestellung insbesondere deshalb neuen Schwung geben, da sich nicht wenige fahrlässigkeitsspezifische Probleme – exemplarisch sei nur auf die Diskussion um das sog. hypothetisch-sorgfältige Alternativverhalten hingewiesen – im Randbereich des Strafwürdigen / Strafbedürftigen bewegen, und es wohl noch keiner der in Schrifttum und Rechtsprechung vertretenen Auffassungen gelungen ist, diese überzeugend im Straftataufbau zu verorten.187

C. Gang der Untersuchung Die bis zu diesem Zeitpunkt getätigten Überlegungen zur bestehenden Problematik um die Fahrlässigkeitsdogmatik und die daran anschließenden Betrachtungen um den relativ besten methodischen Lösungsansatz weisen nun den Weg für die weitere Gliederung der Arbeit. In einem ersten Schritt ist die neuere rechtsgeschichtliche Entwicklung des Streits um den Aufbau der Fahrlässigkeitsstraftat darzustellen. Daran anknüpfend wird eine kritische Auseinandersetzung mit dem heute in Literatur und Rechtsprechung vertretenen Meinungsspektrum erfolgen. Abschließend ist aus den zuvor gewonnenen Erkenntnissen eine eigene gesamtsystematische Fundierung des Aufbaus der Fahrlässigkeitsstraftat – unter Bezugnahme auf strittige Einzelprobleme – zu entwickeln, wobei den auf den Begriff der Strafe bezogenen gesetzlichen Kategorien von Unrecht und Schuld besondere Bedeutung zukommen wird. Die Darstellung wird sich – aus Platzgründen – am gesetzlichen statistischen Regelfall orientieren, d. h. primär das fahrlässige Handlungsgemeindelikt in den Blick nehmen. Auf die auch beim Fahrlässigkeitsdelikt möglichen anderen Erscheinungsform(en)(kombinationen) ist, wenn nötig, allenfalls am Rande einzugehen.188 186  In die Richtung der Anerkennung einer insofern bestehenden eigenständigen Deliktskategorie weisen etwa – mit gewissen Unterschieden im einzelnen – die Ausführungen von Langer, Sonderstraftat, S. 141  ff., und Schmidhäuser, Strafrecht AT-LB, 12 / 1 ff., 13 / 1 ff.; vgl. auch Sax, JZ 1976, 9 ff., 80 ff., 429 ff. 187  Siehe dazu beispielhaft nur die prägnanten Formulierungen bei Küper, Lackner-FS, S. 247 ff., vor allem aber S. 262 f. und S. 282. 188  Man beachte aber, dass sich – im Gegensatz zum Vorsatzdelikt – Besonderheiten bei Versuch und Vollendung, ebenso wie bei Täterschaft und Teilnahme zeigen, vgl. insbesondere zu Letzterem Schröder, von Weber-FS, S. 233 ff. – Zum Begriff der Erscheinungsform siehe explizit Langer, Sonderstraftat, S. 185 ff.

Kapitel 2

Rechtsgeschichtliche Entwicklung Oben wurde bereits eingehend dargestellt, dass ein rechtsgeschichtlicher Ansatz mit dem Ziel, die Gesamtentwicklung der Fahrlässigkeitsstraftat vollumfänglich nachzuzeichnen, der Diskussion um deren systematische Fundierung kaum neue Impulse verleihen wird.1 Jedoch wurde andererseits darauf hingewiesen, dass die Inaugenscheinnahme der geschichtlichen Entwicklung der auf den Strafbegriff bezogenen, heutigen Gesetzesmerkmale Unrecht und Schuld durchaus geeignet ist, der Auseinandersetzung um eine folgerichtige Systematik weiterführende Gesichtspunkte beizusteuern. Letztgenannte Annahme fußt vor allem auf zweierlei: Erstens wird der Streit um die systematische Trennung von Unrecht und Schuld als der Ausgangspunkt der modernen Strafrechtsdogmatik überhaupt angesehen werden können2 und zweitens werden Unrecht und Schuld – allen dogmengeschichtlichen Wandlungen zum Trotz – noch immer als der Angelpunkt der allgemeinen Verbrechenslehre bezeichnet3, womit auch deren immense Wichtigkeit für den Aufbau der Fahrlässigkeitsstraftat unterstrichen ist. Wenn also die heute vertretenen dogmatischen Ansätze innerhalb der Diskussion noch immer auf die seit dem Ende des 19. Jahrhunderts gelegten Grundlagen rekurrieren,4 bestünde bei deren Ausblendung die Gefahr, die Sachzusammenhänge nicht angemessen beschreiben zu können. Rechtsgeschichtliche Erwägungen sind demnach insoweit zu berücksichtigen, wie sie heute noch Relevanz für die Systematik des fahrlässigen Delikts entwickeln. Hieran orientiert sich die Darstellung: So ist – dem postulierten Ausgangspunkt folgend (gesamtsystematische Ausrichtung an Unrecht und Schuld) – nicht jedwede zur Fahrlässigkeit ehemals vertretene Position zu referieren, sondern es sind nur die für das heutige Verständnis

1  Siehe

dazu S. 35 ff. ausdrücklich Zielinski, Unrechtsbegriff, S. 17; siehe auch v. Hippel, Deutsches Strafrecht II, S. 183, und Koriath, Zurechnung, S. 260. 3  Siehe dazu nur Jescheck / Weigend, Strafrecht AT, § 39 I; vgl. ferner Mylonopoulos, Handlungs- und Erfolgsunwert, S. 1, sowie Fn. 138 ff. und den dortigen Fließtext. 4  Exemplarisch sei nur auf die bis heute nicht beendete Diskussion um die Imperativentheorie hingewiesen, vgl. dazu zunächst nur Giannidis, Rechtsnorm, S. 27 ff. 2  So



A. Die Ausgangsdebatte zwischen Adolf Merkel und Rudolf von Jhering 49

noch entscheidenden Entwicklungszusammenhänge5 darzutun.6 Keinen Einwand stellt es dar, dass die folgenden Ausführungen auf den ersten Blick als zu wenig „fahrlässigkeitsspezifisch“ erscheinen; auf den allgemeinen Grundlagen fußt die heutzutage geführte Debatte. Zu beginnen ist mit der für die moderne Systematik grundlegenden Kontroverse um das schuldlose Unrecht.7

A. Die Ausgangsdebatte zwischen Adolf Merkel und Rudolf von Jhering Die heute gesetzlich vertypten Systembegriffe Unrecht und Schuld haben eine wechselvolle Entwicklung hinter sich. Ihren eigentlichen Startpunkt fand die Debatte um die inhaltliche und systematische Ausgestaltung dieser Begrifflichkeiten im Jahre 1867. Zu diesem Zeitpunkt veröffentlichte Merkel seine Schrift „Zur Lehre von den Grundeintheilungen des Unrechts und seiner rechtlichen Folgen“8. In dieser vertrat er mit eingehender Begründung die vor allem gegen die Hegelsche Lehre9 gerichtete These der Einheitlichkeit allen Unrechts,10 und entwickelte darüber hinaus die später noch kontroverser diskutierte Theorie, dass es zur Verletzung des Rechts der 5  Was als entscheidend aufzufassen ist, richtet sich vor allem danach, welchen Niederschlag die vertretene Auffassung in Rechtsprechung und Schrifttum, beispielsweise in Fußnotenapparaten, gefunden hat und noch findet. 6  Die Ausarbeitung will sich also ausdrücklich nicht so verstanden wissen, als handle es sich bei der dargestellten Entwicklung um eine absolut geradlinige; auf die Verschlingungen der Diskussion insbesondere in Bezug auf den Schuldbegriff haben schon Achenbach, Schuldlehre, S. 15, und Mayer, Strafrecht AT-LB, S. 212 und Fn. 12, hingewiesen. 7  Gewichtige Vorarbeiten für die klassische Gliederung des Verbrechensbegriffs haben aber beispielsweise schon die Autoren Luden und Berner geleistet: Luden, Über den Thatbestand des Verbrechens nach gemeinem teutschen Rechte, 1840, S. 110, verlangte – dem späteren dreigliedrigen Verbrechenssystem bereits sehr nahe kommend: „Erstens: Eine verbrecherische, durch eine menschliche Handlung hervorgebrachte Erscheinung. Zweitens: Rechtswidrigkeit dieser Handlung. Drittens: Dolose oder culpose Eigenschaft dieser Handlung.“ (zitiert nach Schweikert, Tatbestandslehre, S. 11); Berner, Lehrbuch des deutschen Strafrechts, 1. Auflage, 1857, S. 108 und S. 138, verlieh dagegen dem Handlungsbegriff – der allerdings noch die Zu­ rechenbarkeit einschließen sollte – erstmals Gestalt (zitiert nach Jescheck, ZStW 73 (1961), 182; siehe dazu auch v. Bubnoff, Entwicklung des Handlungsbegriffes, S. 68 ff.). – Es ist aber ausdrücklich anzumerken, dass beide noch nicht den systematischen Gehalt des Begriffs der Schuld erfasst hatten. 8  Merkel, Kriminalistische Abhandlungen I. 9  Siehe insbesondere Hegel, Rechtsphilosophie, §§ 82 ff., wo dieser unbefangenes (Zivil-)Unrecht, den Betrug und das Verbrechen scheidet. 10  Merkel, Kriminalistische Abhandlungen I, S. 4 ff.

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Kap. 2: Rechtsgeschichtliche Entwicklung

„Zurechenbarkeit“ bedürfe.11 Damit machte er die Schuld12 zur Voraussetzung von Unrecht; er identifizierte beide. Diese Annahme sieht sich in seiner Auffassung vom Recht begründet, das er bezeichnet, „als ein Inbegriff von Geboten und Verboten rechtlichen Charakters“.13 Da sich die rechtlichen Befehle nur an den zurechnungsfähigen Menschen richteten, könne Unrecht – „als eine Verletzung solcher Gebote oder Verbote“ – nicht durch Zufall, Naturereignisse oder die Tat eines Wahnsinnigen verwirklicht werden.14 Nach Merkel würde also Folgendes gelten: Wer unzurechnungsfähig ist, dem legt das Recht keine Pflichten auf, der kann kein Unrecht begehen: „Es gibt keine Pflicht, das für den Menschen Unmögliche zu bewirken, das Unvermeidliche vorherzusehen und zu vermeiden.“15 Die „Herrschaft des Rechts als einer geistigen Macht“ könne von einem Ereignis nur dann tangiert werden, wenn es „auf den intelligibeln Willen des Menschen bezogen werden kann“, wenn das „betreffende Individuum […] als denkendes und wollendes, sich verantwortlich wissendes Wesen [erscheint], d. i. eben als Mensch“.16 Auf diesen Grundlagen aufbauend (Schuld – später definiert als „das pflichtwidrige Wirken oder Nichtwirken einer Person, das ihr als solches den geltenden Werturteilen gemäß in Anrechnung gebracht ist“17 – als Voraussetzung für Unrecht) ordnet Merkel in seinem Lehrbuch von 1889 dann auch die Fahrlässigkeit als eine neben dem Vorsatz bestehende Möglichkeit der zurechenbaren Deliktsverwirklichung ein; sie ist demnach – systematisch noch wenig aussagekräftig – schuldhafte Handlung. Die fahrlässige Begehung sei „eine zwar nicht gewollte, aber auf Grund pflichtwidriger Unaufmerksamkeit oder Gleichgültigkeit erfolgende Begehung. Die That wurzelt hier in einer Willensbestimmung, welche dadurch charakteristisch ist, daß man zwar die vom Rechte geschützten Interessen und seine Anforderungen nicht verletzen, aber diese Verletzung nicht, wie man sollte, vermeiden will.“18 Dabei arbeitet er – anders als bei der Vorsatztat – noch ausdrücklich heraus, dass es, um die Fahrlässigkeit zu begründen, der Feststellung der Verletzung objektiver, allgemein anerkannter (Sorgfalts-) Regeln bedürfe.19 11  Merkel,

Kriminalistische Abhandlungen I, S. 42. Begriffe Zurechenbarkeit und Schuld werden bei Merkel, Kriminalistische Abhandlungen I, vgl. zum Beispiel S. 42 und S. 50 f., (noch) synonym verwendet. 13  Merkel, Kriminalistische Abhandlungen I, S. 43. 14  Siehe dazu Merkel, Kriminalistische Abhandlungen I, S. 43 f. 15  Merkel, Kriminalistische Abhandlungen I, S. 44. 16  Merkel, Kriminalistische Abhandlungen I, S. 46 (Hervorhebung von mir). 17  Merkel, Lehrbuch, S. 70. 18  Merkel, Lehrbuch, S. 85. 19  Merkel, Lehrbuch, S. 87 f. 12  Die



A. Die Ausgangsdebatte zwischen Adolf Merkel und Rudolf von Jhering 51

Die Auffassung von Merkel, Unrecht und Schuld zu identifizieren, hat aber bereits in der ebenfalls 1867 erstmals erschienen Schrift von v. Jhering „Das Schuldmoment im römischen Privatrecht“20 pointierte Kritik erfahren. Dort argumentiert letztgenannter folgendermaßen: „Wie sollen wir denn den Zustand des gutgläubigen Besitzers einer fremden Sache bezeichnen? Ein rechtmäßiger ist er nicht; also bleibt nichts übrig, als ihn einen unrechtmäßigen zu nennen.“21 Die zivilrechtliche Fallgestalt des gutgläubigen Fremdbesitzers führt ihn also zu der Feststellung, dass ohne den Begriff des „schuldlosen Unrechts“ nicht auszukommen sei. Man habe objektives Unrecht – als die schlichte Verletzung eines Guts durch menschlichen Willen – von subjektivem Unrecht zu trennen.22 Zu unterscheiden seien beide Be­ griffe anhand des Moments Schuld: „das subjective Unrecht ist verschuldete, das objective unverschuldete Rechtsverletzung.“23 Weiter wendet er gegen Merkel ein, dass man unter Zugrundelegung eines verschuldensfreien, objektiven Unrechtsbegriffs keineswegs genötigt sei, rein natürliche, physische Gegebenheiten („Wind und Wetter“) dem rechtlichen Bereich zu unterstellen, da „das objective Unrecht zwar das Moment der Verschuldung, nicht aber das des menschlichen Willens ausschließt“; auch er will also „den Kampf zwischen Recht und Unrecht“ auf das durch Menschen vermittelte Gebiet beschränkt wissen.24, 25 Die dargestellten Ausführungen v. Jherings galten zwar nicht ausdrücklich dem Bereich der Strafrechtslehre haben aber auf diese einen enormen Einfluss ausgeübt. Die der Schrift sachlich zugrunde liegende Unterscheidung von Unrecht und Schuld, sowie die Gliederung in objektive und subjektive Merkmale, strahlte auf zahlreiche weiterführende Abhandlungen aus: Dadurch dass v. Jhering „das Moment der Verschuldung“ zur Differenzierung verschiedener Unrechtsarten machte, legte er insofern den Grundstein für die Strafrechtswissenschaft, als diese „nur noch“ den Begriff der Schuld als Systemstufe in die Verbrechenslehre implementieren musste. Denn: Es bedarf nicht vieler weiterer Denkschritte, die Kategorie des schuldhaften Unrechts mit der des strafbaren in Verbindung zu setzen. dazu v. Jhering, Das Schuldmoment. Jhering, Das Schuldmoment, S. 160. 22  v. Jhering, Das Schuldmoment, S. 159. 23  v. Jhering, Das Schuldmoment, S. 161. 24  v. Jhering, Das Schuldmoment, S. 160 f. 25  Bereits hier sei darauf hingewiesen (zum Adressatenproblem aber ausführlich noch unten, S. 333 ff. und passim), dass es v. Jhering, Zweck I, S. 329 ff., im Unterschied zur Auffassung von Merkel vor allem auch darum ging, den Nachweis zu erbringen, dass sich die Rechtsnormen – die sich von den Imperativen der Moral durch ihren staatlichen Zwangscharakter abhöben – ausschließlich „an die Organe, die mit der Handhabung des Zwanges betraut sind“ (a. a. O., S. 336), richteten. 20  Siehe 21  v.

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B. Fortentwicklung zur „klassischen Verbrechenssystematik“26 I. Karl Binding – Die Norm als Dreh- und Angelpunkt Nicht verwunderlich ist es also, wenn Binding alsbald dem Begriff der Schuld erstmals einen zentralen Platz in einem geschlossenen Verbrechenssystem einräumte. In seinem 1872 begonnenen, bis 1919 auf vier Bände angewachsenen Werk „Die Normen und ihre Übertretung“ definierte dieser das Verbrechensmerkmal wie folgt: Schuld ist „der auf eine Widerrechtlichkeit gerichtete Wille eines Handlungsfähigen“.27 Wille und Handlungsfähigkeit sind also deren Elemente. Dieser Gattungsbegriff der Schuld soll sich dann – anders als der auch den Kausalzusammenhang und Wertmomente einschließende, komplexe Begriff bei Adolf Merkel – ausdrücklich in zwei Arten gliedern, nämlich den Vorsatz und die Fahrlässigkeit.28 Diese beiden Schuldarten seien aber nicht als Normwidrigkeitsmerkmale, sondern lediglich als Strafbarkeitsmerkmale aufzufassen.29 Um diese für die Fahrlässigkeit entscheidende Differenzierung nachvollziehen zu können, ist aber zunächst Bindings Grundkonzeption zu erläutern.30 Dreh- und Angelpunkt bei Binding ist folgende rechtstheoretische These: Dem Strafgesetz geht begrifflich ein rechtliches Verbot oder Gebot voraus, die sog. Norm; nur diese übertritt der Täter, nicht dagegen das einzelne Strafgesetz, das ja gerade erfüllt wird, indem jemand beispielsweise einen Diebstahl im Sinne des § 242 begeht.31 Die Norm ist „ein reiner, unmotivirter, insbesondere nicht durch Strafdrohung motivirter Befehl“32, zum Beispiel in der Form: Ihr sollt nicht stehlen.33 Binding entwickelt die Norm also durch Umwandlung aus dem ersten Teil des einzelnen Strafgesetzes.34 Letztgenanntes ist im Verhältnis zur Norm sekundär; es bedroht lediglich die Normverlet26  Siehe

zur Verwendung der Begrifflichkeit „klassisch“ unten S. 59 f. Normen II, S. 293 f. – Hier zitiert nach der Zweitauflage von 1914, die aber inhaltlich keine entscheidenden Änderungen gegenüber der Vorauflage aufweist, siehe dazu Binding selbst, Normen II, S. VI. 28  Binding, Normen II, S. 324 ff. 29  Binding, Normen II, S. 324 i. V. m. Binding, Normen I, S. 194 ff. – Auch der erste Band der Normen wird hier inhaltlich nach der Zweitauflage (1890) zitiert. 30  Vgl. dazu auch die ausführliche Darstellung bei Armin Kaufmann, Bindings Normentheorie, S.  3 ff. 31  Siehe dazu Binding, Normen I, S. 4 ff. 32  Binding, Handbuch, S. 164. 33  Binding, Normen I, S. 43. 34  Binding, Normen I, S. 45. 27  Binding,



B. Fortentwicklung zur „klassischen Verbrechenssystematik“ 53

zung mit Strafe oder lässt sie eben straffrei.35 Die Strafgesetze legen mit anderen Worten also fest, welches Delikt – welche Normwidrigkeit – strafbar ist und wie die Strafe zu bemessen ist.36 Das strafbare Delikt wird bei Binding als Verbrechen bezeichnet.37 Wesentlich für seine Auffassung ist weiterhin, dass das Delikt als eine komplexe Einheit verstanden wird. So geht er – im Ergebnis ähnlich wie Merkel – davon aus, dass sich die Norm nur an den „Handlungsfähigen“ – im Rahmen des Strafrechts an den „Deliktsfähigen“38 – richtet.39 Auch deshalb prägt er wohl das seine Auffassung symbolisch zum Ausdruck bringende Bild des sog. „Deliktsringes“40, aus dem weder die subjektive Schuld noch die Rechtswidrigkeit gelöst werden dürfe: „Untrennbar sind in ihm [dem Delikt] Willens- und Tatmoment verknüpft.“41 Nur für die „theoretische Analyse“ unterscheidet Binding in dieser Einheit des Delikts verschiedene Seiten:42 Zum einen die Tatseite, den objektiven Tatbestand als die „der Norm widersprechende Aenderung in der Aussenwelt“, soweit sie eine „aus menschlicher Tätigkeit entsprungene“ ist und zum anderen die Schuldseite, den subjektiven Tatbestand, bestehend aus „Schuldfähigkeit“ und dem auf Herbeiführung jener Tatseite gerichteten schuldhaften Willen. Dabei betont er aber ausdrücklich: „Die Grenze zwischen objektivem und subjektivem Tatbestand verläuft […] ganz innerhalb der Willensseite zu der rechtswidrigen Tat, zwischen schuldhaftem und nicht schuldhaftem Wollen derselben, und nicht zwischen dem Innern des Menschen und der Außenwelt.“43 Nach alledem kann festgehalten werden, dass auch Binding im Rahmen des strafbaren Unrechts44 – ähnlich wie Merkel – eine konsequent subjektive Auffassung vertritt:45 „Alles unverschuldete Unrecht ist 35  Binding,

Normen I, S. 45. Binding, Normen I, S. 188 f. 37  Binding, Handbuch, S. 499. 38  Unter Deliktsfähigkeit versteht Binding, Normen II, S. 170, „das Vermögen die eigene Tat im Verhältnisse zur Norm zu erkennen und im Einklange mit ihr zu erhalten“. 39  Zu den einzelnen Voraussetzungen der „Handlungsfähigkeit“, siehe Binding, Normen II, insb. S. 134 ff. 40  Binding, Normen II, 271. 41  Binding, Handbuch, S. 503. 42  Dazu und zum folgenden Binding, Handbuch, S. 503; die von Binding anfänglich angenommene, dritte Stufe des Delikts, die sog. „Zurechenbarkeit“ kann hier außer Betracht bleiben, siehe dazu ausführlich Armin Kaufmann, Bindings Normentheorie, S. 18 f, insbesondere Fn. 133. 43  Binding, Abhandlungen I, S. 140. 44  Das Unrecht ganz allgemein definiert Binding, Normen I, S. 298, als „alles einem subjektiven Rechte widerstreitende Verhalten oder Geschehen“. 45  Leicht unklar sind insofern die Ausführungen von Armin Kaufmann, Bindings Normentheorie, S. 145 ff., insb. 147. So ist es zwar richtig, dass Binding, Normen II, 36  Siehe

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vom Standpunkt der Normen aus gesehen kein Unrecht, vielmehr Zufall und für die Deliktslehre juristisch bedeutungslos.“46 Somit kommt auch er zwar nicht zu einer vollumfänglichen Trennung von Schuld und Unrecht im Rahmen der Strafrechtsdogmatik, weist der Fahrlässigkeit aber durch die von ihm vorgenommene „theoretische“ – und darüber hinaus sogar als „unumgänglich“ bezeichnete47 – Scheidung einen festen systematischen Platz innerhalb der Schuld zu. Dass die Fahrlässigkeit, wie auch der Vorsatz, dabei nicht als Normwidrigkeitsmerkmale – dies sind solche, die eine präzise Charakterisierung des von der Norm geregelten Verhaltens geben48 – verstanden werden, fußt auf Bindings Verständnis vom Zweck der Normen: Da die einzelne Norm nicht Gehorsam an sich erzwingen, sondern Rechtsgüter schützen will, erhebt sie an die Menschen die Forderung, ihre Handlungen so einzurichten, dass die Schädigung rechtlich geschützter Interessen insgesamt vermieden wird,49 deshalb betont Binding dann auch, dass die Norm genauso die vorsätzliche wie die fahrlässige Übertretung betrifft.50 Normentheoretisch löst er diesen Gleichlauf wie folgt: Jede einzelne Norm, zum Beispiel das bereits oben angesprochene „Ihr sollt nicht stehlen“, enthalte folgenden unselbständigen Pflichtteil: „das Gebot der Aufmerksamkeit“, das „Gebot der Anspannung der Denkkraft“.51 Systematisch kommt er also insgesamt zu folgendem Ergebnis: „Der objektive Tatbestand jedes fahrlässigen Deliktes ist genau der gleiche, wie der des bewussten Deliktes der gleichen Gattung.“52 Unterschiede zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit sieht Binding demnach nicht im Bereich der Norm, da sich diese gegen jede schuldhafte Verletzung wendet, sondern ausschließlich – wie bereits oben angedeutet – im Rahmen der StrafbarS. 301, ausdrücklich festhält, dass auch der Zufall, zum Beispiel ein Naturereignis, tauglicher Urheber für Unrecht sein könne; dies gilt aber nicht im hier alleine interessierenden Bereich des Strafrechts, wo es eben einer (schuldhaften) Normwidrigkeit bedarf. – Es ist darauf hinzuweisen, dass Binding gerade keinen einheitlichen Unrechtsbegriff wie Adolf Merkel und v. Jhering vertritt, vgl. dazu ausdrücklich Binding, Normen I, 291: „Die nachgewiesene fundamentale Verschiedenheit beider Rechtsfolgen [gemeint sind Strafe und Schadensersatz] ist mit der Einheit des Unrechts schlechthin unverträglich“; zu dieser Entgegensetzung siehe auch, S. 308 f.: „Das Delikt als subjektive Rechtsverletzung darf schlechterdings nur als Verletzung des Rechts als Botmäßigkeit gefasst werden. […] Das bürgerliche Unrecht als solches erschöpft sich rein in der Privatrechtsverletzung“. 46  Binding, Normen I, S. 299. – Hingewiesen sei auf die inhaltlich falsche Zitierung dieser Passage bei Lampe, Unrecht, S. 29. 47  Binding, Handbuch, S. 503. 48  Vgl. dazu Binding, Handbuch, S. 508. 49  Binding, Normen I, S. 54. 50  Binding, Normen I, S. 55. 51  Dazu Binding, Normen II, S. 238 und S. 242; siehe auch Binding, Normen IV, S. 499 ff.: „die sog. Vorprüfungspflicht.“ 52  Binding, Normen IV, S. 451.



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keit. Strafbarkeitsmerkmale sind für Binding solche Artmerkmale, die das Verbrechen vom Delikt scheiden;53 die beiden Schuldarten bezeichnet er sodann als „die wichtigsten, „die es überhaupt giebt“, da der Gesetzgeber mit ihnen eine ganz allgemeine und einschneidende Wirkung auf die Feststellung des Obs und der Bestimmung von Art und Maß der Strafe ausübt.54 Der bei allen Deliktsarten wiederkehrende enorme Einfluss rühre daher, weil Vorsatz und Fahrlässigkeit eben „der prinzipiellen Stellung des Schuldigen zur Rechtsordnung im Augenblick der Tat entnommen“ seien.55 „Basis für die Schuldunterscheidung“, d. h. von Vorsatz und Fahrlässigkeit, bildet – wie bereits mittelbar zu Ausdruck gekommen sein mag – nicht der Wille der Rechtwidrigkeit56, sondern „allein das den schuldhaften Willen begleitende Bewusstsein“:57 Vorsatz ist der „bewusst rechtswidrige Wille“, Fahrlässigkeit dagegen der „unbewusst rechtswidrige Wille“; ausdrücklich betont er dabei aber, dass der Vorsatz „als solcher nicht nur eine schwerere, sondern eine anders geartete Schuldform als die Fahrlässigkeit“ sei58. Begrifflich tritt Binding im Rahmen der Fahrlässigkeit für einen individualisierenden Maßstab ein – was auch logische Konsequenz seines Schuldbegriffes ist.59 So definiert er, dass es „allein auf die nach Rechtsauffassung vorhandene Fähigkeit des Angeklagten, das widerrechtliche Verhalten zu meiden, zur Zeit der Tat ankommt.“60 Wollte man dagegen auf „die durchschnittliche Leistungsfähigkeit eines bald grösser bald kleiner bemessenen Lebenskreises“ abstellen, verwandelte man „den noch immer relativ bestimmten Maassstab in einen vollständig unbestimmten.“61 Außerdem sei die im § 276 BGB anzutreffende (objektivierende) Redeweise von der Außerachtlassung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt „für das Strafrecht in keiner Weise“ passend, da sie „einen vollständig anderen Zweck“ verfolge.62 Als „schwankend“ muss aber Bindings Einordnung des (nicht nur) nach seinen Schilderungen mit der Fahrlässigkeit aufs Engste in Zusammenhang dazu Binding, Normen I, S. 196 ff. Normen II, S. 324 f. 55  Binding, Normen II, S. 325. 56  Siehe dazu auch Binding, Normen IV, S. 365: „Ob etwas Rechtswidriges oder etwas Rechtmässiges gewollt wird, darüber entscheidet also souverän – ohne jede Konkurrenz der Willensmeinung des Handelnden – das Recht selbst.“ 57  Binding, Normen II, S. 325 f. 58  Binding, Normen II, S. 326. 59  Binding, Normen IV, S. 513 f. – Im übrigen hält er aber die weitverbreitete, strikte Entgegensetzung von objektivem und subjektivem Maßstab für eine „hässliche dogmatische Konfusion“, dazu Binding, Normen IV, S. 516 ff. 60  Binding, Normen IV, S. 527. 61  Binding, Normen IV, S. 526 f. 62  Binding, Normen IV, S. 524 f. 53  Vgl.

54  Binding,

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stehenden Begriffs des erlaubten Risikos – der „Handlung mit maassvollem Risiko“ – bezeichnet werden.63 So stellt er zwar heraus, dass sich alles Risiko „nur durch seine Erforderlichkeit zur Handlung [rechtfertigt]“,64 unterlässt es aber, deutlich zu machen, ob das in diesem Sinne bestimmte maßvolle Risiko eine Begrenzung der Fahrlässigkeitsschuld oder demgegenüber einen Ausschluss der Rechtwidrigkeit nach sich ziehen soll.65 Eine Lösung dieses Problems war für ihn jedoch schon deshalb nicht von höchster Priorität, da er ja – wie oben gesehen – Schuld und Unrecht noch dergestalt miteinander verband, dass es „nur verschuldetes, kein unverschuldetes Unrecht [giebt]“.66 An die richtungsweisenden Bindingschen, vor allem normentheoretischen Ausführungen knüpft nun nachdrücklich Thon an.67

II. August Thon – Die Imperativentheorie; Grundlegung für die Differenzierung in Bewertungs- und Bestimmungsnorm Thons 1878 erstmals veröffentlichte, zentrale These lautet: „Das gesamte Recht einer Gemeinschaft ist nichts als ein Complex von Imperativen“.68 „Im Rechte sucht die Rechtsordnung […] den ihren Satzungen Unterworfenen einen Impuls zu einem bestimmten Verhalten zu geben […]. Dieser Impuls 63  Binding,

Normen IV, S. 432 ff. Normen IV, S. 442. 65  Vgl. dazu nur die unterschiedlichen Textstellen bei Binding, Normen IV, S. 446: Man könne dem Täter in solchen Fällen „persönlich keinen Vorwurf machen. Er hat schuldlos ihm persönlich Unverbotenes getan: die Rechtsordnung nimmt die erduldete Verletzung hin“, einerseits, und andererseits a. a. O., S. 432 f. Fn. 1, wo Binding der an ihm geübten Kritik „durchaus recht“ gibt, er habe die ganze Materie unter den „Gesichtspunkt mangelnder Fahrläss. gebracht“, obwohl es sich „um den Ausschluss des Rechtswidrigkeit“ handle, und sodann Graf zu Dohnas Zuweisung zur Rechtswidrigkeit rühmt. 66  Binding, Normen I, S. 244. 67  Dies stellt Thon, Rechtsnorm, S. VII, selbst ausdrücklich heraus. 68  Thon, Rechtsnorm, S. 8. – Hierin liegt der gewichtige Unterschied zur Auffassung Bindings, siehe dazu Binding selbst, Normen I, S. 99 Fn. 9, wo er unter anderem gegen Thon anführt: „Die Rechtssätze, die sich […] auch an Handlungsunfähige wenden, darf man nicht in vollem Umfange als Normen ansehen“, und S. 100 Fn. 10. Die Normwidrigkeit ist bei Binding – wie gezeigt – gerade keine konstitutive Voraussetzung für den Eintritt von Rechtsfolgen, sondern es bedarf deren zwingenden Nachweises „nur“ für deliktisches Handeln. Mit anderen Worten: Subjektive Rechte können bei Binding weiter reichen, als der ihnen zuteil werdende Normschutz; man habe eben die Gebundenheit durch subjektive Rechte von der Gebundenheit durch das staatliche Gehorsamsrecht zu scheiden. 64  Binding,



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erfolgt durch Befehle“.69 Das „Du sollst“ bzw. das „Du sollst nicht“ dieser Ge- und Verbote könne sich laut Thon ausdrücklich nur an den Menschen richten, da ausschließlich dieser – dies bringt er mittelbar zum Ausdruck – in der Lage sei, „das Verbotene fernzuhalten, das Gebotene zu erreichen.“70 Aber anders als Adolf Merkel – hier mag v. Jherings Kritik also gewirkt haben – zieht Thon nicht die Konsequenz, die Imperative nur an den zurechnungsfähigen Menschen zu adressieren, sondern er bezieht vielmehr ebenfalls den nicht Willensfähigen in den Adressatenkreis des Rechts mit ein.71 Er bejaht also auch grundsätzlich die Möglichkeit der Verwirklichung schuldlosen Unrechts; dies gelte jedoch aufgrund des durchgehenden Gebots der Gerechtigkeit explizit nicht im Bereich des Strafrechts, wo er demgegenüber zu folgendem Ergebnis kommt: „Keine Strafbarkeit ohne Schuld, kein Strafur­ theil und keine Strafvollstreckung gegen einen Unzurechnungsfähigen.“72 Schuldloses Unrecht könne aber im Zivilrecht bzw. überall dort begangen werden, wo das Unrecht nicht die Bedingung einer Sanktion sei.73 Es gebe eben Rechtsfolgen, die ein Schuldmoment gerade nicht voraussetzten: „So ist nicht abzusehen, warum die Nichtschuld des Uebertretenden die gar nicht um seiner Schuld willen eintretenden Rechtsfolgen hintanhalten soll.“74 Diesen Punkt aufgreifend fragt Thon – nicht ohne Pathos und eher pragmatisch in der Argumentation –, ob es denn billig und gerecht sei, jemandem die gerichtliche Hilfe gegen die Tat eines Wahnsinnigen zu verwehren, „da deren Voraussetzung, eine Normwidrigkeit, ermangelt“.75 Auch meint er einen positiven Nachweis dafür liefern zu können, dass die Normen „in der That auch dem Unzurechnungsfähigen gelten“: „Es ergiebt sich aus der einen unzweifelhaften und nie bezweifelten Thatsache: dass die Rechtsordnung Verpflichtungen der Unzurechnungsfähigen kennt.“76 Mit der von Thon durchgeführten, zweifach am Maßstab der Norm gemessenen Prüfung bzw. mit der zwar nicht in aller Deutlichkeit postulierten, 69  Thon, Rechtsnorm, S. 2. – Die Imperativentheorie wurde bereits vorab (von Thon wohl unerkannt) von Bentham und Austin entwickelt, siehe dazu Renzikowski, ARSP Beiheft 104 (2005), S. 115 ff.; Renzikowski, Gössel-FS, S. 7 ff.; Renzikowski, ARSP 87 (2001), 111. 70  Thon, Rechtsnorm, S. 3 f. 71  Thon, Rechtsnorm, S. 89, 95; ganz ausdrücklich auch Thon, in: Jherings Jahrbücher 50 (1906), 46 f. – A. A. aber Maier, Objektivierung des Versuchsunrechts, S. 128 f., der behauptet Thon hätte die Imperative nur an den Rechtsstab adressiert; vgl. auch Koriath, Zurechnung, S. 284. 72  Thon, Rechtsnorm, S. 84. 73  Siehe Thon, Rechtsnorm, S. 85 ff. 74  Thon, Rechtsnorm, S. 78. 75  Thon, Rechtsnorm, S. 92. 76  Thon, Rechtsnorm, S. 92.

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aber der Sache nach vorgenommenen Unterscheidung von objektivem Unrecht, verstanden als dem durch Menschen vermittelten Widerspruch gegen einen vom Recht positiv bewerteten äußeren Zustand, und Schuld77 als der absichtlichen, subjektiv pflichtwidrigen Herbeiführung eines der Norm widersprechenden Verhaltens, hat er die Grundlagen für die später erfolgende Differenzierung in sog. Bewertungs- und Bestimmungsnormen gelegt.78 Hierauf wird noch zurückzukommen sein.79 Dagegen sind Thons explizite Äußerungen zum Aufbau und Begriff der Fahrlässigkeitsstraftat eher begrenzter Natur:80 Hinzuweisen ist aber darauf, dass er die Fahrlässigkeit ebenfalls im Bereich der Schuld verortet wissen will und deutlich macht, dass sie – ebenso wie der Vorsatz – einen Willensfehler darstelle, er bezeichnet sie ausdrücklich als „positives Wollen des Verbotenen“. So führt er dann auch aus: „Das fahrlässige Delict besteht meines Erachtens in der absichtlichen Uebertretung eines Verbots gefährdender Handlungen, welche jedoch nicht allein für sich, sondern erst unter der Bedingung des Hinzutritts gewisser Folgen unter Strafe gestellt werden – zumeist unter der Bedingung, dass aus der Gefährdung eines rechtlich geschützten Guts eine Verletzung des letzteren entsprungen sei.“81 Anders als Binding versucht Thon also die Fahrlässigkeitsdelikte nicht auf einen „unbewussten Willen“82 im Rahmen der Schuld zurückzuführen, sondern er deutet die Fahrlässigkeit vielmehr als Übertretung eines Gefährdungsverbotes. Diese Konstruktion wählt Thon wohl deshalb, da er zum einen Bindings extrem weiten Willensbegriff (alles Bewirkte ist gewollt) ausdrücklich ablehnt, er aber zum anderen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit folgenden von Stübel geprägten Satz unterschrieben hätte:83 „Ein Verbrechen [kann] ohne den Willen des Verbrechers, solches zu verüben, demselben zur Strafe nicht zugerechnet werden.“84 An dieser Stelle zeigt sich also 77  Siehe auch Thon, Rechtsnorm, S. 78: „Ein Sichbestimmen zu einem den Thatbestand einer Normwidrigkeit bildenden Verhalten nennen wir Schuld.“ 78  Zum gleichen Ergebnis gelangt auch die Analyse von Zielinski, Unrechtsbegriff, S. 18. 79  Siehe dazu nur unten S. 95 ff., 333 ff. 80  Dies zeigt sich bereits anhand der Erwähnung in lediglich einer einzelnen Fußnote, siehe hierzu Thon, Rechtsnorm, S. 78 ff. Fn. 20; anzumerken ist freilich, dass Thon vor allem Zivilrechtler war. 81  Thon, Rechtsnorm, S. 78 Fn. 20 (Hervorhebung von mir). 82  Dazu nochmals exemplarisch Binding, Normen IV, S. 332 Fn. 60, unter ausdrücklicher Verwendung des Begriffs des „unbewussten Willens“; anders aber Exner, Fahrlässigkeit, S. 34, der sich ausdrücklich dagegen verwehrt, dass man Binding „eine Theorie des unbewußten Willens andichtet“. 83  Siehe dazu Thon, Rechtsnorm, S. 80 Fn. 20, dort auch eine ausdrückliche Bezugnahme auf Stübel. 84  Stübel, Neues Archiv des Criminalrechts 8 (1826), 305.



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erneut das Spannungsfeld mit dem sich auch die dogmatische Analyse der Fahrlässigkeitsstraftat beschäftigen muss: Einerseits besteht der nicht selten gehegte Wunsch selbige – so wie die Vorsatztat – als „Schuld des Willens“ zu erfassen, andererseits aber scheint es trotz der insofern bestehenden, augenscheinlichen Probleme, ein ausdrückliches gesellschaftliches Bedürfnis zu geben, auch die (unbewusste) fahrlässige Deliktsbegehung mit der Rechtsfolge der Strafe zu belegen. Auch auf diese dogmatische Herausforderung, nämlich den Schuldbegriff so zu fassen, dass er die Fahrlässigkeit ohne logischen Bruch in sich aufnimmt, wird noch mehrfach zurückzukommen sein. Fortzuschreiten ist nun aber zu v. Liszt, dessen Œuvre – neben dem von Beling85 – wohl als das Hauptwerk der „klassischen“ Verbrechenssystematik zu bezeichnen ist.

III. Franz von Liszt – Die Handlung und deren Attribute: rechtswidrig, schuldhaft, mit Strafe bedroht Nachdem bereits bei der bisherigen Darstellung – vor allem bei der Auseinandersetzung mit der Bindingschen Verbrechenslehre – deutlich geworden sein wird, dass sich die Autoren des ausgehenden 19. Jahrhunderts einer begriffsorientierten, „rein“ juristischen Systematik verpflichtet fühlten, ist nun das (ebenfalls) ausnehmend stark vom Positivismus geprägte Werk von v. Liszt in den Blick zu nehmen. 1. Naturwissenschaftlicher Positivismus und scharfe Begrifflichkeiten des klassifikatorischen Systems als geistesgeschichtliche Grundlagen der „klassischen“ Verbrechensauffassung Auch v. Liszt verfolgte nicht mehr die in der deutschen Strafrechtswissenschaft seit 1840 – bis ungefähr zum Jahre 1870 – herrschende86 dialektische Methode der Hegelianer:87 Diese zeichnete sich noch dadurch aus, 85  Siehe dazu unten S.  68  ff.; dort auch zur Verwendung des Begriffs der „klassischen“ Verbrechenslehre. 86  Dazu Loening, ZStW 3 (1883), 256 i. V. m. 349 ff., der inhaltlich sogar von einer völligen Herrschaft der Hegelschen Richtung im Strafrecht zu besagtem Zeitraum spricht. 87  Siehe dazu und zum folgenden Schmidt, Geschichte der Strafrechtspflege, §§ 267 ff., unter Kurzdarstellung zahlreicher strafrechtlicher, durch Hegel beeinflusster Werke dieser Zeit, sowie Holl, Entwicklungen der Fahrlässigkeitsdogmatik, S. 33 ff. – Vgl. darüber hinaus v. Hippel, Deutsches Strafrecht I, S. 305 ff., und die kurze aber prägnante Darstellung bei Achenbach, Schuldlehre, S. 22.

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Kap. 2: Rechtsgeschichtliche Entwicklung

von einem Gegebenen (Thesis) über den Gegensatz (Antithesis) zu einem neuen Dritten (Synthesis) zu gelangen, und hatte zum Ziel, den Entwicklungsgedanken (die Geschichtlichkeit) der Idee methodisch zu erfassen. Das Maßgebliche dieser Systematik war also, im Wege auseinander hervorgehender, in immer höhere konkrete Allgemeinheit aufsteigender dialektischer Schritte zu verfahren; dem kategorialen, kantischen Denken war damit also eine deutliche Absage erteilt. Demgegenüber sah sich v. Liszt von einer anderen Herangehensweise beeinflusst,88 nämlich der des „rechtswissenschaftlichen Positivismus“, „welcher die Rechtssätze und ihre Anwendung ausschließlich aus System, Begriffen und Lehrsätzen der Rechtswissenschaft ableitet, ohne außerjuristischen, etwa religiösen, sozialen oder wissenschaftlichen Wertungen rechtserzeugende oder rechtsändernde Kraft zuzuge­ stehen.“89 Ferner wurde v. Liszt nicht unerheblich durch den allgemeinwissenschaftlichen Positivismus geprägt,90 dessen hervorstechendes Charakteristikum in der Übertragung naturwissenschaftlicher Methoden auf das Gebiet der geisteswissenschaftlichen Disziplinen liegt. So macht v. Liszt dann auch deutlich: „Sie [die Rechtswissenschaft] strebt nach dem System, nach der Über- und Unterordnung der Begriffe und der sie verbindenden Sätze. Denn nur die systematische Ordnung verbürgt die volle Beherrschung des Einzelnen. Immer höher steigt sie auf dem Wege der Abstraktion von den besonderen zu den allgemeinen Begriffen“.91 Nicht mehr dialektische Denkschritte prägten also das Vorgehen, sondern auf Vollständigkeit ausgerichtete Klassifikation und Deduktion wurden als die die Systematik bestimmenden Faktoren ausgemacht,92 eine strenge naturwissenschaftliche Methode wurde postuliert,93 um so dem rechtsstaatlichen Anliegen des Positivismus, nämlich dem unbedingten Streben nach Sicherheit und Berechenbarkeit des Rechts Genüge zu tun.94

88  Dazu ganz ausführlich Welzel, Naturalismus und Wertphilosophie, S. 22  ff., sowie Schmidt, Strafrechtspflege, §§ 305 ff. 89  So die Definition von Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 431; sich diesem anschließend Jescheck, ZStW 73 (1961), 183. 90  Zur wohl notwendigen Unterscheidung zwischen rechtswissenschaftlichem und dem allgemeinen wissenschaftlichen Positivismus siehe ausführlich Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S.  431 f. 91  v. Liszt, ZStW 6 (1886), 666. 92  Vgl. v. Liszt, ZStW 6 (1886), 665 ff. 93  v. Liszt, Abhandlungen II, S. 290. 94  Siehe zur rechtsstaatlichen Fundierung exemplarisch v. Liszt, in: Abhandlungen II, S. 80.



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2. Verbrechensauffassung Im Wege der Abstraktion, durch eine real gegenständliche Betrachtungsweise gelangt v. Liszt dann auch zum Zentralbegriff seiner Verbrechenslehre: der Handlung95. Diese stehe aus folgendem Grund im Mittelpunkt des dogmatischen Interesses: „Ist das Verbrechen eine bestimmt geartete Handlung, so kenne ich die Merkmale des Verbrechens vollständig erst in dem Augenblicke, in welchem auch der Begriff der Handlung feststeht.“96 Zu definieren habe man sie sodann als „Veränderung, d. h. Verursachung oder Nichthinderung einer Veränderung (eines Erfolges), der Außenwelt durch willkürliches Verhalten“ oder kürzer: „Handlung ist willkürliches Verhalten zur Außen­ welt“,97 womit schon deutlich hervortritt, dass die Kausalität nach v. Liszts Verständnis in den Handlungsbegriff einzubetten ist. An den so bestimmten Gattungsbegriff der (natürlichen) Handlung habe man dann lediglich weitere Attribute anzufügen, um von einem Verbrechen sprechen zu können: „Verbrechen ist die mit Strafe bedrohte schuldhafte rechtswidrige Handlung […]; die ersten drei sind die Gattungsmerkmale des Delikts, das vierte ist das Artmerkmal des Verbrechens.“98 Das bei v. Liszt in der Prüfungsreihenfolge zuerst auftauchende Merkmal,99 die „Rechtswidrigkeit“ bzw. die „rechtswidrige Handlung“, wird dann definiert als „ein Angriff auf die durch die Rechtsnormen geschützten Lebensinteressen des einzelnen oder der Gesamtheit, mithin [als] die Verletzung oder Gefährdung eines Rechtsgutes.“100 Damit geht er 95  Die Darstellung des Verbrechens als Handlung übernahm v. Liszt von Berner, vgl. dazu bereits oben Fn. 7 (Kap. 2); ohne im Begriff der Handlung freilich die Zurechenbarkeit zu verorten. 96  v. Liszt, ZStW 6 (1886), 687. 97  v. Liszt, Lehrbuch, S. 116. – Hier zitiert nach der letzten von v. Liszt alleine bearbeiteten Auflage (21. / 22.); zu den an dieser Stelle vernachlässigten, leichten Veränderungen in v. Liszts Handlungsbegriff siehe ausführlich v. Bubnoff, Entwicklungen des Handlungsbegriffes, S. 137 ff., der darauf aufmerksam macht, dass v. Liszt zunächst Schwierigkeiten hatte, die Unterlassungsdelikte systematisch zu erfassen – dies aufgrund der anfänglichen Ausrichtung des Handlungsbegriffs auf das Merkmal der Körperlichkeit. 98  v. Liszt, Lehrbuch, S. 112. 99  Falsch ist die Behauptung von Holl, Entwicklungen der Fahrlässigkeitsdogmatik, S. 117, dass die erste Voraussetzung dessen Verbrechenssystems die Tatbestandsmäßigkeit sei. Hier verwechselt Holl wohl die Belingsche mit der v. Lisztschen Straftatlehre; siehe dazu auch v. Liszt, Lehrbuch, S. 182, wo die Darstellung der „Tatbestandsmäßigkeit“ erst nach der Behandlung von Rechtswidrigkeit und Schuld erfolgt. 100  v. Liszt, Lehrbuch, S. 132; hinzuweisen ist aber darauf, dass v. Liszt in den frühen Auflagen seines Lehrbuches primär auf die formelle Rechtswidrigkeit, d. h. den Widerspruch zu den Imperativen der Rechtsordnung, abhebt; siehe dazu auch v. Bubnoff, Entwicklungen des Handlungsbegriffes, S. 138.

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einen anderen Weg als Binding, der ausschließlich das formelle Moment – nämlich die Normwidrigkeit – als das Maßgebliche der Rechtswidrigkeit herausgearbeitet hatte. Entgegengesetzt zur Bindingschen Normentheorie verlangt v. Liszt also den ausdrücklichen Nachweis materiell rechtswidrigen Handelns, indem er den Begriff des Rechtsgutes101 – definiert als rechtlich geschütztes Interesse102 – für seine Systematik nutzbar macht. Hier bricht v. Liszt also aus der Struktur des strikten Gesetzespositivismus aus: „Es ist klar, daß mit dem ‚Rechtsgute‘ der Zweckgedanke seinen Einzug in das Gebiet der Rechtslehre hält, daß die teleologische Betrachtung des Rechts beginnt und die formal-logische ihr Ende findet.“103 Durch diese materielle Fundierung der Rechtswidrigkeit bereitete er unter anderem dem Prinzip der Interessenabwägung den Boden.104 Dagegen findet sich die formaljuristische, naturalistische Herangehensweise dann wieder deutlich im Rahmen der Abgrenzung von Rechtswidrigkeit und Schuld. Da diese beiden Gattungsmerkmale des Verbrechens lediglich als Attribute der Handlung und somit für v. Liszt als klar scheidbar erscheinen, kommt er zu dem wohl an Einfachheit und Prägnanz kaum zu überbietenden Schema: Die Rechtswidrigkeit ist rein objektiv, die Schuld dagegen rein subjektiv zu bestimmen.105 Schuld als die „subjektive Beziehung zwischen Tat und Täter“, so führt v. Liszt aus, „kann nur eine psychologische sein“.106 Um dem Täter die Schuld zurechnen zu können, bedürfe es zweierlei: zum einen müsse der Täter schuldfähig, d. h. durch Normen determinierbar sein, und zum anderen müsse Zurechenbarkeit der Tat vorliegen.107 Letzteres sei der Fall, wenn man eine der beiden Schuldarten nachweisen könne: Also dann, „wenn der Täter entweder die antisoziale Bedeutung seines Ver101  Der Begriff geht auf Birnbaum, Archiv des Criminalrechts 15 (1834), 149 ff., zurück; ausführlich dazu Amelung, Rechtsgüterschutz, S. 43 ff. 102  Siehe dazu v. Liszt, ZStW 6 (1886), 673. 103  v. Liszt, ZStW 6 (1886), 673 (Hervorhebungen im Original). 104  Näher ausgeführt bei Heinitz, ZStW 81 (1969), 584. 105  Vgl. v. Liszt, Lehrbuch, S. 151. – Dass v. Liszt zur Streitfrage nach dem objektiven oder subjektiven Charakter der Rechtswidrigkeit nicht bereits in den ersten Auflagen seines Lehrbuches Stellung genommen hat, kann hier dahinstehen, siehe zur genauen Entwicklung Heinitz, ZStW 81 (1969), 582. 106  Den psychologischen Charakter der Schuld zu betonen, ist der Kerngedanke von v. Liszt und blieb trotz nicht seltener Wandlungen in dessen Schuldlehre ein mehr als nur relativ beständiger Bezugspunkt; kritischer im Hinblick auf die Konstanz der v. Listzschen Auffassung Rosenfeld, ZStW 32 (1911), 466 ff., insb. 468, siehe aber auch Achenbach, Schuldlehre, S. 39 ff. – Beachte auch, dass diese späte Definition der Schuld schon durch zahlreiche andere Arbeiten beeinflusst gewesen sein wird; zu nennen seien hier exemplarisch die Autoren Kohlrausch und Liepmann. 107  v. Liszt, Lehrbuch, S. 152.



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haltens gekannt hat [Vorsatz und Bewusstsein der Rechtswidrigkeit], oder wenn er sie hätte kennen können und sollen [Fahrlässigkeit]; wenn er also, trotz seiner allgemeinen Determinierbarkeit, im Einzelfall durch die Normen des sozialen Verhaltens nicht determiniert worden ist.“108 Die Schuld erschöpft sich bei v. Liszt also sachlich in der Funktion, Oberbegriff für Vorsatz und Fahrlässigkeit zu sein; und dies deshalb, da beide Schuldarten nach seiner Auffassung wenig gemein haben. So wird deren Schuldmoment – wie noch unten genauer zu zeigen sein wird – in völlig heterogenen Merkmalen gefunden; inhaltlich verbunden seien beide lediglich durch ihre strafbegründende Funktion. Der Vorsatz zeichne sich durch „die die Willensbetätigung begleitende Kenntnis der sämtlichen zum gesetzlichen Tatbestande gehörenden Tatumstände“ aus.109 Dagegen sei Fahrlässigkeit „formell Nichtvoraussicht des voraussehbaren Erfolges bei Vornahme der Willensbetätigung.“110 „Voraussehbar ist der Erfolg,“ so führt v. Liszt aus, „wenn der Täter ihn hätte voraussehen sollen und können. Fahrlässige Handlung ist mithin die willkürliche Verursachung oder Nichthinderung eines nicht vorausgesehen, aber voraussehbaren Erfolges“111 und weiter: „Fahrlässigkeit ist das vermeidbare Nichtkennen eines Tatbestands­merkmals“.112 Das bereits oben angesprochene Bemühen den Nachweis zu führen, dass die Schuldelemente auf psychologischen, „rein“ deskriptiven, von richter­ lichem Werturteil unabhängigen Feststellungen gründen, zeigt nochmals v. Liszts rechtsstaatlich-liberale, naturwissenschaftliche Herangehensweise. Eine solche, ihrem Anspruch nach völlig objektivierbare, „psychologische Schuldlehre“ hat aber gerade im Rahmen der Fahrlässigkeit mit beachtlichen Schwierigkeiten zu kämpfen – worauf v. Liszt teilweise selbst verweist113. So ist es höchst problematisch die – unter anderem auch von v. Liszt für strafbar gehaltene – sog. unbewusste Fahrlässigkeit psychologisierend zu erklären, mangelt es hier der Beziehung zwischen Tat und Täter doch gerade am sonst maßgeblichen subjektiv-seelischen Moment. Erklärbar sei selbige – die im Rahmen der Straftatprüfung, was hier nochmals betont sei, auf Rechtswidrigkeitsebene lediglich einen schlichten „Angriff auf die Rechtsgüterwelt“ (z. B. bloße Verursachung der, nicht ausnahmsweise gestatteten, Verletzung menschlichen Lebensinteresses) als Voraussetzung auf­weise114 – aber dann, 108  v.

Liszt, Lehrbuch, S. 152. Liszt, Lehrbuch, S. 163. 110  v. Liszt, Lehrbuch, S. 176. 111  v. Liszt, Lehrbuch, S. 176. 112  v. Liszt, Lehrbuch, S. 176. 113  Siehe zum Beispiel v. Liszt, Lehrbuch, S. 176 Fn. 1. 114  So die ganz knappe, exemplarische Umschreibung bei v. Liszt, Lehrbuch12 / 13, S. 141. 109  v.

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so die Behauptung v. Liszts, wenn man sie auf den materiellen Gehalt der Schuld zurückführte.115 Dies versucht er auf folgendem Wege zu gewährleisten:116 So wird die Fahrlässigkeit – anders als der Vorsatz – nicht vollumfänglich als „Willensschuld“ gedeutet, sondern vielmehr in einen Willens- und einen Verstandesfehler untergliedert. Ersterer liege dann vor, wenn der Täter die durch die Rechtsordnung gebotene und nach Lage der Umstände erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen habe: „Mangel an Vorsicht bei der Willensbetätigung“. Zu bestimmen habe man diesen Mangel, so v. Liszt, allgemein nach der objektiven Natur der vorgenommenen Handlung, nicht nach der besonderen Eigenart des Handelnden. Dagegen sei der „Mangel an Voraussicht“, der den Verstandesfehler begründen soll, anhand eines subjektiven Maßstabes zu ermitteln, so führt v. Liszt dann auch aus: „es muß dem Handelnden möglich gewesen sein, den Erfolg als Wirkung der Körperbewegung (wenn auch nur in allgemeinen Umrissen) vorherzusehen und das Vorliegen der übrigen Tatbestandsmerkmale zu erkennen.“ Insgesamt bleibt festzuhalten, dass v. Liszt mit der klaren Abgrenzung von objektiver Rechtswidrigkeit und subjektiver Schuld, also – seinen eigenen Anspruch absolut erfüllend – durch die Verwendung schneidiger Begrifflichkeiten, ein System geschaffen hat, das an Einfachheit und Prägnanz bis zum heutigen Tage unerreicht geblieben117 und wohl insbesondere deshalb zur Grundlage für zahlreiche weiterführende Arbeiten geworden ist. Nur ließ sich auch deutlich machen, dass die verwendete formalistische Betrachtungsweise – durch die (weitgehende) Aussparung wertausfüllungsbedürftiger Begrifflichkeiten – zwar die mitunter gegebene begriffliche Unschärfe einer normativen Sichtweise vermeidet und so den Anschein von absoluter Rechtssicherheit erwecken kann, sich aber diese postulierte Stringenz kaum im Rahmen der Fahrlässigkeit aufrecht erhalten lässt – wird bei dieser doch das (materielle) Schuldurteil unter anderem auf ein gänzlich anderes, im Gegensatz zum Vorsatz neuartiges Moment, den Verstandesfehler, gestützt.

115  Auch hier deutet sich an, dass v. Liszt selbst gesehen hat, dass eine rein formalistische Betrachtung nicht zum Ziel führen kann, betont er doch die Beachtung des materiellen Moments im Rahmen des Schuldbegriffs – obwohl er doch bei den Schuldarten an der rein psychologischen Sichtweise festhalten will. 116  Dazu und zum folgenden v. Liszt, Lehrbuch, S. 176 f. 117  Ähnlich auch Gallas, ZStW 67 (1955), 2 f.



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IV. Gustav Radbruch – Aufspaltung der Fahrlässigkeit auf Rechtswidrigkeit und (psychologische) Schuld Bevor sich aber eine, die angesprochenen Ungereimtheiten vermeidende, stärker wertbezogene Auffassung durchsetzen konnte, wurde insbesondere für den Bereich der Schuldarten der Versuch unternommen, die gewonnenen (vermeintlich) klaren und trennscharfen Begrifflichkeiten zu bewahren. Einen solchen – stark an v. Liszt angelehnten – Versuch trat unter anderem Radbruch an,118, 119 der das Verbrechen als „rechtswidrige, schuldhafte, strafbare Handlung120 eines Zurechnungsfähigen“ definierte und ausdrücklich betonte, dass man die in der Definition aufgewiesenen zentralen Merkmale streng voneinander scheiden müsse.121 Jedoch gelangte auch er – ähnlich wie v. Liszt – zur Überzeugung, dass es schwerlich möglich sei, Vorsatz und Fahrlässigkeit als die beiden Schuldarten „unter einen sie und nur sie umfassenden Gattungsbegriff zu bringen“, da Vorsatz – beschrieben als Wille oder Voraussicht – doch einen wirklichen psychischen Zustand darstelle, Fahrlässigkeit demgegenüber ein Mangel der normalen Voraussicht sei, „also nicht nur ein wirklicher Zustand, sondern auch die Abweichung dieses wirklichen Seelenzustandes vom normalen, richtigen.“122 Um eine Vereinbarkeit beider Schuldarten nun doch zu gewährleisten, meinte Radbruch davon ausgehen zu können, das von ihm herausgearbeitete tatsächliche Moment der Fahrlässigkeit – dass der Täter also unvorsichtig gewesen ist – in der Schuld zu belassen, dagegen das der Fahrlässigkeit außerdem anhaftende Moment der Wertung – dass der Täter also unvorsichtiger als der Normalmensch gewesen ist – im Rahmen der Rechtswidrigkeit zu verorten.123 Das Wertungsmoment gehöre deshalb in die Rechtswidrigkeit, „da nur übernormale Unvorsichtigkeit“, wie Radbruch herausgestellt wissen will, „rechtswidrig ist.“124 Damit fordert er also ausdrücklich neben der 118  Weitere – im einzelnen stark differierende – Ansätze einer psychologischen Schuldlehre finden sich bei Achenbach, Schuldlehre, S. 62 ff., behandelt. 119  Man beachte, dass selbst der hier in Rede stehende „frühe“ Radbruch mit nicht unbeachtlichen Argumenten teilweise als „Nichtpositivist“ eingeordnet wird, siehe insofern Paulson, JZ 2008, insb. 108 ff. 120  Dass Radbruch, Frank-FG I, S. 161 f., den Handlungsbegriff später nicht mehr wie v. Liszt als den Fundamentalbegriff der Verbrechenslehre angesehen hat, kann hier dahinstehen, siehe dazu v. Bubnoff, Entwicklung des Handlungsbegriffes, S. 144 f.; beachte darüber hinaus, dass Radbruch an der zitierten Stelle in der FrankFestgabe ferner die kategoriale Systematik v. Liszts als nicht restlos durchführbar bezeichnete, sich also auch insofern von ihm distanzierte. 121  Radbruch, ZStW 24 (1904), 333. 122  Radbruch, ZStW 24 (1904), 345. 123  Radbruch, ZStW 24 (1904), 345 f. 124  Radbruch, ZStW 24 (1904), 346.

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Rechtswidrigkeit des Erfolges eine des Willens. Hierin sieht er auch einen Gleichlauf zu den Unterlassungsdelikten hergestellt, wo es ebenfalls des Nachweises einer doppelten Rechtswidrigkeit bedürfe.125 Dass man im Ge125  Radbruch, ZStW 24 (1904), 346 f. – In diesem Zusammenhang ist noch ausdrücklich auf den knapp ein Jahrzehnt später ausgearbeiteten Ansatz von Goldschmidt, Notstand, insbesondere S. 21 ff., hinzuweisen. Dort macht der Autor ganz explizit klar, dass er – ebenso wie Radbruch – von einem weitgehenden Gleichlauf der Unterlassungs- und (unbewussten) Fahrlässigkeitsdelikte ausgeht. Um so bemerkenswerter ist diese Tatsache, da Goldschmidt einen von der überwiegenden Meinung stark differierenden normentheoretischen Ansatz für richtig erachtet. So differenziert er zwischen den Rechtsnormen, die vom einzelnen ein bestimmtes äußeres Verhalten forderten, und den danebenstehenden, unausgesprochenen Pflichtnormen, a. a. O., S. 17, die dem einzelnen auferlegten, „sein inneres Verhalten so einzurichten, wie es nötig ist, um den von der Rechtsordnung an sein äußeres Verhalten gestellten Anforderungen entsprechen zu können.“. Goldschmidt geht davon aus, dass eine Übertretung der Rechtsnorm das Wesen der objektiven Rechtswidrigkeit ausmache, dagegen eine Missachtung der Pflichtnorm zur sog. Pflichtwidrigkeit führe, die bei ihm das normative Element des Schuldbegriffs bildet (in der Normativität der Schuld liegt der wohl gewichtigste Unterschied zur Auffassung Radbruchs). (An der strikten Entgegensetzung von objektiv verstandener Rechtswidrigkeit und subjektiver Schuld hat Goldschmidt, Frank-FG, S. 458 ff., dauerhaft festgehalten, wie sich unter anderem an der Ablehnung subjektiver Unrechtsmerkmale zeigen lässt.) Die Ähnlichkeit zwischen der Unterlassung und der Fahrlässigkeit erklärt Goldschmidt, Notstand, S. 23, nun wie folgt: „Aber wie bei den Begehungsdelikten durch Unterlassung die rechtswidrige Nichthinderung des Erfolges als eine Quasi-Kausalbeziehung betrachtet wird, so ist bei der unbewußten Fahrlässigkeit die pflichtwidrige Nichtvorstellung des Erfolges als eine quasi-psychologische Erfolgsbeziehung zu betrachten.“ Nachdem so also die psychologische Komponente – genau wie beim Vorsatz – nachgewiesen scheint, versucht auch Goldschmidt, wie Radbruch vor ihm, ein normatives Moment neben der Fahrlässigkeit (und dem Vorsatz) zu statuieren, nur will er dieses nicht im Rahmen der Rechtswidrigkeit (vgl. dazu Radbruchs Rede von der dreifachen Normwidrigkeit) aufgefunden wissen, sondern im Bereich der normativen Schuld, in der Verletzung der Pflichtnorm. So betont Goldschmidt: Das Schuldmoment der Fahrlässigkeit setze in demselben Sinne eine doppelte Pflichtwidrigkeit voraus, wie die Verantwortung wegen der Unterlassung eine doppelte Rechtswidrigkeit. Diesem Ansatz gemäß soll die Schuld der unbewussten Fahrlässigkeit ein zweifaches normatives Schuldelement enthalten, a. a. O., S. 32: „Einmal die Verletzung der dem Täter obliegenden besonderen Sorgfaltspflicht und zweitens die Verletzung der dadurch bedingten Pflicht zur Selbstmotivation mittels der Erfolgsvorstellung, welche der Pflicht, sich durch die (vorhandene) Erfolgsvorstellung motivieren zu lassen, gleichsteht.“ Goldschmidt stellt – siehe dazu auch a. a. O., S. 26 f. – mit anderen Worten ausdrücklich heraus, dass der Vorwurf bei der unbewussten Fahrlässigkeit gerade in der Verletzung einer besonderen („vorherigen“) Sorgfaltspflicht bestehe und insofern auch als bewusste Pflichtwidrigkeit bezeichnet werden könne. Die Pflichtnorm laute eben nicht nur, a. a. O., S. 27: „1. Laß Dich durch die Vorstellung, daß Deine Willensbetätigung kausal für den Tod eines anderen sein wird oder kann, davon abhalten; sondern auch: 2. Halte Dich selbst mittels der Vorstellung, daß deine Willensbetätigung kausal für den Tod eines anderen sein wird oder kann, davon ab, sofern Du dazu im stande und besonders verpflichtet bist.“ – Alle Her-



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gensatz zu den Vorsatzdelikten noch „eine besondere Rechtswidrigkeit des Willens zum Erfolge“ fordere, sei dementsprechend keineswegs außergewöhnlich, ist doch die Fahrlässigkeit nach Radbruchs Auffassung „Unterlassung einer inneren […] und die Unterlassung einer äußeren Handlung“.126 Gehört „das Erfordernis eines übernormalen Grades der Unvorsichtigkeit“ nicht der Fahrlässigkeit, sondern vielmehr „der Rechtswidrigkeit der fahrlässigen Handlung“ an, verbleibt dem Fahrlässigkeitsbegriff „nur das Erfordernis der Unvorsichtigkeit, der Nicht-Voraussicht des voraussehbaren Erfolges.“127 Der von Radbruch getätigte Versuch ein „Wertungsmoment“ der Fahrlässigkeit auszumachen und dieses nicht im Schuldbereich, sondern auf der Rechtswidrigkeitsebene anzusiedeln, um so die bei v. Liszt vorhandenen Schwierigkeiten bei der Zusammenführung von Vorsatz und Fahrlässigkeit zu vermeiden, muss als bemerkenswert bezeichnet werden. So stellt Radbruch ausdrücklich heraus, dass auch die fahrlässige Handlung als rechtswidrig zu bezeichnen ist – und nicht lediglich der herbeigeführte Erfolg; ebenfalls macht er in diesem Zusammenhang deutlich, dass man keineswegs genötigt ist, die eng mit der Fahrlässigkeit verbundenen „Haftungsstrukturen“ ausschließlich auf eine Systemkategorie beschränken zu müssen. Damit weist Radbruchs Ansatz weit in die Zukunft, vertritt die heute wohl herrschende Auffassung doch einen auf zwei Systemstufen aufgeteilten Fahrlässigkeitsbegriff. Jedoch muss auch darauf aufmerksam gemacht werden, dass die angeblich von Wertungsmomenten freie, in der Schuld verbleibende Fahrlässigkeit bei Radbruch noch immer nicht rein psychologisierend erklärt werden kann, wie sich schon deutlich anhand der Definition zeigen lässt; findet sich doch in dieser das eindeutige – nicht rein psychologisch erklärbare – Moment der Wertung: die Voraussehbarkeit. Am Rande sei bemerkt, dass Radbruch im Gegensatz zu den rein psychologisierend aufgefassten Schuldarten von Vorsatz und Fahrlässigkeit einen eher materiellen „Gesamtschuldbegriff“ – der antisozialen Gesinnung128 – vertritt, wie dies aber genau zusammengehen soll, bleibt in seinen Ausführungen unklar.

vorhebungen sind solche des Originals; vgl. zur Kritik auch Kriegsmann, ZStW 35 (1913), 316 ff. 126  Radbruch, ZStW 24 (1904), 346. 127  Radbruch, ZStW 24 (1904), 348. 128  Radbruch, ZStW 24 (1904), 348; man beachte insofern, dass Radbruch die antisoziale Gesinnung nicht als unmittelbare Definition ausweist, sondern dass er den Schuldbegriff als Ganzen eher beiläufig erwähnt.

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V. Ernst Beling – Der Tatbestand als Bezugspunkt Beling gilt neben v. Liszt als der Begründer der so genannten „klassischen Verbrechensauffassung“. Zu der letztgenannten, auch in dieser Arbeit verwendeten Begrifflichkeit sei aber aus Klarstellungsgründen zunächst folgendes angemerkt: Die „klassische Straftatlehre“129 hat es nie gegeben, lassen sich doch nicht nur unerhebliche Unterschiede zwischen den Auffassungen von v. Liszt und Beling nachweisen,130 sondern sich auch von Beling im Arbeitsprozess selbst vorgenommene Änderungen an seiner Systematik aufzeigen.131 Wenn nun dennoch – in gewissem Maße pauschalierend – dem allgemeinem Sprachgebrauch gefolgt und der Begriff der „klassischen Straftatlehre“ verwendet wird, erscheint dies deshalb gerechtfertigt, da beide Autoren stark vom Naturalismus132 beeinflusst waren und sich ihre Grundanschauungen weitestgehend deckten; vor allem postulierte jeder der beiden eine klare Scheidung von objektivem Unrecht und subjektiver Schuld133 – diese Tatsache wird ganz nachdrücklich dazu beigetragen haben, beide als Einheit wahrzunehmen. Gemeinsamkeiten zeigen sich sodann beispielsweise im Rahmen des Handlungsbegriffs. So ist – wie bei v. Liszt – auch Belings Umschreibung der Handlung dem – auf eine real-gegenständliche Betrachtung ausgerichteten – Zeitgeist geschuldet: „Die Handlung ist allemal zu bejahen, wenn ein vom Willen getragenes menschliches Verhalten vorliegt, einerlei, worin es besteht, einerlei, wohin der es meisternde Wille zielte.“134 Beling kommt zu dem schlichten Ergebnis, dass Handlung Willensbetätigung sei; erforderlich sei lediglich ein inhaltsloser Handlungswille, sowie zur äußeren Seite hin die Vornahme einer Körperbewegung oder Nichtbewegung.135 Dass auf diese Weise der Begriff „zum blutleeren Gespenst wird“ hat er 129  In der Literatur ist oftmals auch die synonym gebrauchte Bezeichnung des Liszt-Belingschen Systems anzutreffen; vgl. Puppe, Otto-FS, S. 394; Roxin, Strafrecht AT I, § 7 Rn. 15. 130  Teilweise werden diese aber unberechtigterweise nivelliert, so zum Beispiel bei Holl, Entwicklungen der Fahrlässigkeitsdogmatik, S. 117, siehe dazu schon oben Fn. 99 (Kap. 2). 131  Siehe exemplarisch Beling, Lehre vom Tatbestand, S. 23, wo sich dieser veranlasst sah, seine Lehre nochmals, „von früheren Unmanieren geläutert“ vorzustellen. – Zu den Änderungen die v. Liszt an seinem Werk vorgenommen hat, vgl. bereits oben bei Fn. 97, 100, 106 (Kap. 2). 132  Siehe dazu bereits oben, S. 59 f. – Bei Beling machen sich allerdings auch nicht nur unbeachtliche Einflüsse des sog. „südwestdeutschen Neukantianismus“ bemerkbar, dazu Plate, Ernst Beling, S. 15 ff. und unten S. 76. 133  Ganz deutlich Beling, Schuld, S. 4; zu v. Liszt siehe oben bei Fn. 105 (Kap. 2). 134  Beling, Lehre vom Verbrechen, S. 17; man beachte, dass sich Belings Handlungsbegriff bedeutend inhaltsärmer als der v. Liszts darstellt.



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selbst erkannt; darin liege aber gerade seine Stärke, und im Endeffekt begründe dies seine Tauglichkeit für die Verwendung im Bereich der allgemeinen Rechtslehre.136 Alle äußeren Umstände der Willensbetätigung wie der Erfolg, das Mittel, das Objekt der Tat, sowie die kausale Beziehung zwischen Handlung und Erfolg und die persönlichen, räumlichen und zeitlichen Beziehungen werden also aus dem Handlungsbegriff ausgeschieden137 und dem Tatbestand zugeschlagen.138 Der Handlungsbegriff erfüllt dementsprechend nur eine negative Funktion: Diese liege „in der Ausschaltung aller Vorkommnisse, die nicht Handlung sind, als für das Strafrecht von vornherein nicht in Betracht kommend, in der Überflüssigmachung jeder weiteren strafrechtlichen Betrachtung.“139 Obwohl vordergründig daran festgehalten wird, dass es die Handlung als Oberbegriff sei, an die man lediglich das Attribut der Tatbestandsmäßigkeit anzufügen habe – neben Rechtswidrigkeit und Schuldhaftigkeit –, ist herauszustellen, dass im Grunde also bereits Belings Verbrechenslehre auf dem Tatbestand – der Tatbestandsmäßigkeit – aufbaut140. 135

Unter dem Tatbestand versteht Beling den „Inbegriff der Merkmale, die ergeben, um welches Verbrechen es sich typisch handelt“141 oder anders gewendet: „Zu definieren ist der Tatbestand als der Umriß des Verbrechenstypus.“142 Dessen Hauptcharakteristika sind nach Belings Meinung vor allem seine „objektive“ und „deskriptive“ Natur. Ausschließlich objektiv sei der Tatbestand deshalb, da ihm bereits dann Genüge getan sei, „wenn die Handlung sich äußerlich als typische darstellt, als ‚Tötung eines Menschen‘ u. s. w.“143 Der Verbrechenstypus sei eben „nichts anderes als ein 135  Siehe dazu Beling, Lehre vom Verbrechen, S. 14. – Beachte: Wie man eine Nichtbewegung „vornehmen“ können soll, ist aber zumindest als schwer konstruierbar zu bezeichnen. 136  Beling, Lehre vom Verbrechen, S. 17. 137  Beling, Lehre vom Verbrechen, S. 14. 138  Beling, Lehre vom Verbrechen, S. 202 ff. 139  Beling, Lehre vom Verbrechen, S. 17. 140  Dies betont bereits mit Recht Radbruch, Frank-FG I, S. 162 und Fn. 2. 141  Beling, Lehre vom Verbrechen, S. 3. 142  Beling, Lehre vom Verbrechen, S. 110. – Dass Beling den Tatbestand später nicht mehr als Verbrechenstypus definierte, sondern ihn als „Leitbild“, als aus dem Deliktstypus abstrahiertes reines Vorstellungsgebilde ansah, kann hier dahinstehen, siehe dazu Beling, Lehre vom Tatbestand, S. 3 ff., und zur geschichtlichen Darstellung der Entwicklung seines Tatbestandsbegriffs außerdem Plate, Ernst Beling, S. 79, insbesondere Fn. 25, und Schweikert, Wandlungen der Tatbestandslehre, S.  76 ff., sowie Gallas, ZStW 67 (1955), 29. 143  Beling, Lehre vom Verbrechen, S. 178. – Zur später modifizierten Begründung, warum der Tatbestand – verstanden als „Leitbild“ – objektiver Natur sei, siehe ausführlich Plate, Ernst Beling, S. 54 ff.

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objektiver Umriß.“144 Deskriptiv soll der Tatbestand insofern sein, als er keine normativen Bestimmungen enthält; diese „knüpfen nur an ihn an.“145 Damit will Beling zum Ausdruck bringen, dass der Tatbestand als reine Beschreibung und Charakterisierung eines Handlungsinhaltes noch nichts über die Rechtswidrigkeit der Tat aussagt: „Die Feststellung, daß man einen Tatbestand erfüllt habe, belastet für sich allein niemanden. Im Tatbestand liegt kein Werturteil.“146 Konzipiert man einen solch wertfreien Tatbestand, stellt sich aber die Frage, worauf sich das in der Prüfungsreihenfolge anschließende Merkmal der Rechtswidrigkeit (als Urteil) gründen soll. Hier kommen für Beling nun die Normen ins Spiel: Wann man ein tatbestandliches Verhalten als rechtswidrig anzusehen habe, sei den Normen in ihrer Gesamtheit – der Rechtsordnung als Ganzer – zu entnehmen.147 Anders als Binding dies für richtig erachtet, sollen also aus den Strafgesetzen nicht detaillierte Einzelnormen herauszupräparieren sein, sondern man habe mit der „Normalität oder Nichtnormalität der Handlung überhaupt“ zu arbeiten.148 Dies sei im Folgenden verdeutlicht: Das Strafgesetz soll nach Belings Auffassung lediglich gewisse Einzelnormen indizieren – wie zum Beispiel im Rahmen des § 211 das „Du sollst nicht töten“ –, aber diese indizierte Norm sei gerade nicht identisch mit der jeweiligen Vorschrift – im Beispiel mit dem § 211 –, da sich die Norm eben noch „Durchbrechungen gefallen lassen [muß]“.149 Erst nach Berücksichtigung dieser den Normen immanenten Schranken – also unter Einbeziehung der gesamten Rechtsordnung –, könne man nicht nur den Schluss regelmäßiger Rechtswidrigkeit ziehen, sondern selbige dann auch tatsächlich bejahen.150 Dieses Vorgehen fußt auf Belings rechtstheoretischem Grundverständnis: Die vor den Strafgesetzen und über ihnen stehenden,151 wertenden152 Rechts153-Normen seien eben nicht scharf formuliert154, sondern sie „sind inhaltlich flüssig gegeneinander im Gegensatz zu den Tatbeständen des positiven Rechts, die starren Blöcken oder Quadern 144  Beling,

Lehre vom Verbrechen, S. 178. Lehre vom Verbrechen, S. 112 und 153. 146  Beling, Lehre vom Verbrechen, S. 147. 147  Beling, Lehre vom Verbrechen, S. 120. 148  Beling, Lehre vom Verbrechen, S. 118. 149  Beling, Lehre vom Verbrechen, S. 125, siehe auch S. 162 f. 150  Vgl. Beling, Lehre vom Verbrechen, S. 162 f. 151  Dazu Beling, Lehre vom Verbrechen, S. 116. 152  Siehe Beling, Lehre vom Verbrechen, S. 120: „Die Norm wertet nur, sie drückt der Tat keinen Typus auf“. 153  Siehe Beling, Lehre vom Verbrechen, S. 115 f. 154  Siehe dazu Beling, Lehre vom Verbrechen, S. 118, 161 f. 145  Beling,



B. Fortentwicklung zur „klassischen Verbrechenssystematik“ 71

gleichen.“155 Das den Normen in ihrer Gesamtheit zu entnehmende Urteil der Rechtswidrigkeit (bzw. des Unrechts156), so macht Beling deutlich, müsse ein objektives sein, da zur äußeren Tatseite gehörend.157 Hierin liege auch der maßgebliche Unterschied zur Verbrechenskategorie der Schuld (der inneren Tatseite), diese sei rein subjektiv geprägt.158 Anders als vor allem Binding, v. Liszt und Radbruch dies taten, stützt er aber die Schuld außerdem auf ein Werturteil; diese Erkenntnis hatte bis zu diesem Zeitpunkt kaum Eingang in den systematischen Schuldbegriff gefunden – mit Ausnahme von Adolf Merkel.159 So definierte Beling bereits im Jahre 1906 die Schuld als „ein psychisches Moment, um dessentwillen der Schuldige dem Rechte gegenüber für verantwortlich erklärt wird.“160 In dieser Begriffsbestimmung ist also bereits das in späteren Schriften noch prägnanter herausgearbeitete „nomologische (normative)“161 Moment angelegt.162 Im Anschluss an die Arbeit von Frank163 heißt es dann 1910 dementsprechend 155  Beling,

Lehre vom Verbrechen, S. 121. verwendet – wie es in der Strafrechtswissenschaft nicht unüblich ist – beide Begriffe synonym, siehe dazu exemplarisch Beling, Lehre vom Verbrechen, S.  40 f. 157  Ganz deutlich Beling, Schuld, S. 4, und ders., Lehre vom Verbrechen, S. 76 f. – Hinzuweisen ist aber darauf, dass Beling, Lehre vom Verbrechen, S. 170, auch den Begriff der „ ‚subjektiven‘ Rechtswidrigkeit“ verwendet. Damit will er jedoch nur aufzeigen, dass die Rechtswidrigkeit insofern subjektiv geprägt ist, wie sie einen direkten Bezug zu menschlichem Handeln aufweist; ausdrücklich verweist er darauf, nicht der Imperativentheorie folgen zu wollen. 158  Beling, Lehre vom Verbrechen, S. 178. 159  Vgl. dazu oben S. 49 f. 160  Beling, Lehre vom Verbrechen, S. 79 (Hervorhebung von mir), siehe auch S. 80 Fn. 2, wo ausdrücklich die ältere Auffassung von v. Liszt – Schuld als psychische Beziehung des Täters zum Erfolge – kritisiert wird. 161  Beling, Schuld, S. 11. 162  Entgegen Schweikert, Wandlungen der Tatbestandslehre, S. 21, ist also nicht davon auszugehen, dass Beling erst ab 1910 einen beschränkt normativen Schuldbegriff vertreten hat; freilich ist zuzugeben, dass erst ab diesem Zeitpunkt eine deutlichere Herausstellung und auch Akzentverschiebung zugunsten des wertenden Moments stattgefunden hat. 163  Frank, Aufbau des Schuldbegriffs, S. 4 ff., insb. S. 11. – Die in vorstehender Fn. getätigte Stellungnahme sieht sich auch insofern nicht entkräftet, als Frank regelmäßig als Begründer der normativen Schuldlehre angesehen wird, da schon Achenbach, Schuldlehre, S. 101 ff. und 57, mit Recht darauf hingewiesen hat, dass die von Frank vorgenommene Ausrichtung des Schuldbegriffs auf die „Vorwerfbarkeit“ – aus dem Jahre 1907 – zwar als bemerkenswert anzusehen ist, man sie aber keineswegs als seine Entdeckung einordnen darf; sie war vielmehr dem allgemeinen Bewusstseinswandel geschuldet. – Franks eigentliches Verdienst liegt wohl vielmehr in der Tatsache begründet, die bis zu diesem Zeitpunkt übliche These vom Schuldartendogma aufgebrochen zu haben: So wurden Vorsatz und Fahrlässigkeit bei Frank 156  Beling

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Kap. 2: Rechtsgeschichtliche Entwicklung

deutlicher: Schuld als „Vorwerfbarkeit oder Tadelhaftigkeit der Tat nach ihrer psychischen Seite hin“.164 Unter Zugrundlegung dieser Begriffsdefinition soll sich die Vorwerfbarkeit der Fahrlässigkeit165 im Rahmen der Schuld folgendermaßen bestimmen lassen: „Der Fahrlässigkeitsvorwurf trifft denjenigen, der unsorgfältig verfahren ist, insofern er aus dem Komplex der Vorstellungen heraus, die er hatte, zu ergänzenden Vorstellungen, die ihn dann von der Handlung hätten abhalten sollen, hätte gelangen sollen und können. Bei diesem Können sind die persönlichen Fähigkeiten des Betreffenden zugrunde zu legen (es genügt nicht, dass ein ‚Durchschnittsmensch‘ es konnte).“166 Folgende Differenzierung will Beling sodann verwendet wissen: Fahrlässigkeit sei einerseits als sog. unbewusste zu bejahen, wenn der Täter bei Vorliegen eines vorsatzausschließenden Irrtums „bei gehöriger Aufmerksamkeit den Irrtum hätte vermeiden können“; andererseits sei von sog. bewusster Fahrlässigkeit zu sprechen, wenn der Täter zwar einen Zweifel „in den Wind geschlagen hat“, ihm aber insofern „kein dolus eventualis zur Last liegt“ und „wenn der Handelnde bei gehöriger Aufmerksamkeit den Ernst der Sachlage erkannt hätte.“167 Angemerkt sei außerdem, dass Beling ohne weiteres davon ausgeht, dass es keines Beweises bedürfe, dass der Vorwurf bewusster Fahrlässigkeit, „die ja an den Vorsatz anstreift“, schwerer sei als derjenige bei der unbewussten.168 Zu konstatieren bleibt, dass Beling im Rahmen der Fundierung der Schuld eine Mittler-Stellung zwischen der psychologischen (v. Liszt, Radbruch) und der kurze Zeit später aufgekommenen normativen Schuldlehre (Frank169) einnimmt: Auf der einen Seite macht er klar, dass die Schuld rein subjektivpsychisch zu konstruieren sei, betont jedoch auf der anderen Seite durch die klare Anbindung eines Wert- und Urteilsmomentes die Beziehung des Schuldbegriffs auf einen zu erhebenden Vorwurf. Ähnlich wie dies schon bei Radbruch der Fall war, bleibt aber auch er den expliziten Nachweis nun als alternative Bestandteile des Schuldbegriffs neben anderen angesehen, dazu ausführlich Achenbach, Schuldlehre, S. 103. 164  Beling, Schuld, S. 8. 165  Die andere, einzig weitere Möglichkeit, sich einem Schuldvorwurf aussetzen zu müssen, sei das rechtswidrige Handeln qua Vorsatz, zu dessen Begriffsdefinition siehe, Beling, Schuld, S. 53 f. Man beachte insofern, dass dieser Komplexbegriff bei Beling die Kenntnis der Tatbestandsmäßigkeit und der Rechtswidrigkeit, sowie die Billigung beider Momente umfasst, wodurch der Fahrlässigkeit ein sehr weiter Anwendungsbereich erschlossen wird. 166  Beling, Grundzüge des Strafrechts, S. 52; siehe aber auch die wortreicheren Ausführen bei Beling, Schuld, S. 54 f. 167  Beling, Grundzüge des Strafrechts, S. 52. 168  Beling, Schuld, S. 58. 169  Beachte aber insbesondere Fn. 163 (Kap. 2).



C. Fortentwicklung zur „neoklassischen Verbrechenslehre“73

schuldig, wie sich diese beiden Feststellungen genau zueinander verhalten sollen; insbesondere im Rahmen der unbewussten Fahrlässigkeit kann bei ihm ein ausdrückliches Abstellen auf ein psychisches Moment nicht mehr nachgewiesen werden. Belings Tatbestandslehre ist dagegen der Tatsache geschuldet, dass es – wie Bindings Werk eindrucksvoll gezeigt hat170 – äußerst schwierig ist, den Beweis zu führen, dass unseren Strafgesetzen zeitlich und logisch, rechtliche Einzelnormen vorgelagert sind. Beling wählt also einen anderen, seiner Ansicht nach einfacheren Weg, indem er aus den Strafgesetzen gerade keine einzelnen, spezifisch zugeschnittenen Normen ableitet, sondern lediglich Typen von Verhalten (Tatbestände) herauspräpariert, – die er selbst auch als Schablonen171 kennzeichnet, die man aber wohl genauso gut als „Schema­ ta“172 beschreiben könnte. Dieses Vorgehen zielte insgesamt zwar vornehmlich darauf ab, der begrifflichen Unschärfe der Bindingschen Normen zu entfliehen, schärft aber außerdem unseren Blick für folgenden Gesichtspunkt: Beling begreift seinen formalistisch gefassten, deskriptiven, wertfreien Tatbestand als reines Denkverfahren: Die im Besonderen Teil des StGB niedergelegten Verhaltensweisen werden durch die tatbestandliche Fassung ganz nachdrücklich charakterisiert und individualisiert.173 Oder einfach gewendet: Der Tatbestand als Form, der strafbares Verhalten spezifiziert. Dieser Aspekt wird noch vertieft zu beleuchten sein.

C. Fortentwicklung zur „neoklassischen Verbrechenslehre“ I. Max Ernst Mayer – Rechts- und Kulturnormen Ein weiterer Blick ins Schrifttum jener Zeit führt uns nun zu Max Ernst Mayer, der sich – wie es bereits bei Beling der Fall war – auch ausführlich mit den durch normentheoretische Prämissen hervorgerufenen Implikationen auseinander setzte, da auch er Probleme sah, die Normen im Bindingschen Sinne zu fundieren. Freilich ist sein Ansatzpunkt ein gänzlich anderer, dazu aber im Folgenden mehr. 170  Siehe Binding selbst, Normen I, S. 36 ff., 51 ff., 55 ff. – Zur Schwierigkeit des Bindingschen Nachweises der Normen und ihrer Inhaltsbestimmung siehe vor allem die ausführliche Darstellung bei Armin Kaufmann, Bindings Normentheorie, insbesondere S.  3 ff., 36 ff., 102 ff., 234 ff. 171  Beling, Lehre vom Verbrechen, S. 242, 322; vgl. auch S. 29: schablonenhaft. 172  So jedenfalls die Formulierung bei Koriath, Zurechnung, S. 307. 173  Dieser Gesichtspunkt ist bereits ausdrücklich von Plate, Ernst Beling, S. 142 ff. und 155, 157, herausgearbeitet worden; siehe auch Tiedemann, Tatbestandsfunktionen, S. 79 ff., insbesondere S. 85.

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Kap. 2: Rechtsgeschichtliche Entwicklung

1. Normentheoretische Grundlagen Zunächst ist festzuhalten, dass sich Max Ernst Mayers Lehre und diejenige Bindings im Ausgangspunkt nicht unterscheiden. Beide Autoren sind der Auffassung, dass neben den Strafgesetzen noch andere für die Fundierung des Strafrechts elementare Vorschriften existieren müssten, da der Verbrecher – so deren gleichlaufende Lesart – ja gerade nicht das Strafgesetz verletze, sondern vielmehr diesem gemäß handle.174 Damit einher geht auch ihre gemeinsame ablehnende Haltung gegenüber denjenigen Rechtswissenschaftlern, die die These vertreten, dass die Strafgesetze vor allem Befehle für das Volk aufstellten.175 Verneint man aber beharrlich, dass die strafgesetzlichen Vorschriften durch Täterhandeln verletzbar seien und Imperative an den einzelnen enthielten, liegt die Frage nicht fern, was denn an deren Stelle verletzbar sein sollte und außerdem, wo man sonst diese gearteten Befehle sollte auffinden können. Bekanntermaßen bringt Binding an diesem Punkt seine Normen ins Spiel, die er als rechtliche Verbote bzw. Gebote definiert.176 Hier aber endet nun der Gleichlauf zur Auffassung Max Ernst Mayers, da dieser die Normen mit Befehlscharakter an das Volk – also an jedermann – nicht im Recht (unter anderem aufgrund der Schwierigkeit ihres Nachweises177), sondern in der Kultur aufgefunden wissen will.178 Letztgenannten Begriff bestimmt er sodann wie folgt: „Kultur ist Pflege eines gemeinsamen Interesses und der dadurch geschaffene wertbetonte Zustand.“179 Die nun aus der Kultur abgeleiteten Normen, die sog. Kulturnormen, definiert er als „Verbote und Gebote, durch die eine Gesellschaft das ihrem Interesse entsprechende Verhalten fordert.“180 Diese Kulturnormen sollen nun in engster Beziehung mit den Rechtsnormen stehen. Jedoch sei die Korrelation nicht vollumfänglich, da keine Kulturnorm unverarbeitet in das Strafgesetz übernommenen werden könne: „Immer ist die 174  Max Ernst Mayer, Rechtsnormen und Kulturnormen, S. 3 f.; zu Binding siehe oben S.  52 ff. 175  Max Ernst Mayer, Rechtsnormen und Kulturnormen, S. 3. 176  Siehe nochmals oben S. 52 f. 177  Max Ernst Mayer, Rechtsnormen und Kulturnormen, S. 132 f. 178  Siehe dazu Max Ernst Mayer, Rechtsnormen und Kulturnormen, S. 130 ff., wo er sich einer ausführlichen Auseinandersetzung mit der Bindingschen Auffassung widmet; dort auch zum unterschiedlichen Vokabular beider. 179  Max Ernst Mayer, Rechtsphilosophie, S. 33; vgl. aber auch Max Ernst Mayer, Rechtsnormen und Kulturnormen, S. 43, dort ist bereits eine ähnliche Definition angelegt. 180  Max Ernst Mayer, Strafrecht Allgemeiner Teil, S. 44 und siehe auch S. 38 Fn. 2; beachte dagegen noch die ältere, aufgegebene Definition der Kulturnorm „als einen Sammelnamen“ bei Max Ernst Mayer, Rechtsnormen und Kulturnormen, S. 17; diesen Punkt vernachlässigt, Kim, Max Ernst Mayer, S. 27 ff.



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Kulturnorm nur das Material, aus dem der Gesetzgeber die Rechtsnorm macht.“181 Dass gewisse „Unterschiede“ nachweisbar seien, werde insbesondere dann klar, „wenn man die Funktionen der Strafrechtssätze, die den Kulturnormen fehlen, ins Auge fasst“: „Zwar haben beide Normengruppen garantierende Funktionen, aber bloß die Rechtssätze stehen unter der Garantie des äußeren Zwanges, der das Attribut der Herrschaftsmacht ist, und nur für die Rechtssätze ist die Adressierung an das Heer von Staatsorganen, d. h. die die Entscheidung normierende Funktion charakteristisch.“182 Bereits hier wird deutlich, dass Max Ernst Mayer die Rechtsnormen an die Staatsorgane adressieren will; aber er geht noch weiter, indem er ausschließt, dass die Rechtsnormen an das Volk gerichtet seien könnten: „Es genügt, die Thatsachen des Lebens und der Rechtspflege unbefangen anzusehen; dann erweist sich die Ansicht, dass das Gesetz an die Unterthanen adressiert ist, als eine große Fiktion“.183 Diesen Gedanken konsequent weiterverfolgend hält Max Ernst Mayer darüber hinaus fest: „An die Organe des Staates, die das Recht handhaben, wenden sich die Rechtsnormen, ihnen erteilen sie Befehle, ihnen geben sie Anweisungen, wie das Recht gepflegt werden soll.“184 Diese ausschließliche Adressierung an die zur Anwendung berufenen Staatsorgane ändere aber nichts an der Tatsache, dass die Rechtsnormen trotzdem für die Staatsbürger verbindlich seien, da diese eben mit den Kulturnormen übereinstimmten und von den Untertanen gekannt und anerkannt würden.185 Inwiefern sich diese normentheoretische Konstruktion nun auf Max Ernst Mayers strafrechtliche Dogmatik ausgewirkt hat, wird im weiteren Verlauf zu zeigen sein. Zunächst wird jedoch eine kürzere Inaugenscheinnahme der seiner Arbeit zugrundeliegenden philosophischen Verankerung notwendig werden, um hieran exemplarisch die Gründe für die Wegentwicklung von der klassischen Straftatlehre auch geistesgeschichtlich aufzeigen zu können.

181  Max

Ernst Mayer, Strafrecht Allgemeiner Teil, S. 49. Ernst Mayer, Strafrecht Allgemeiner Teil, S. 49. 183  Max Ernst Mayer, Rechtsnormen und Kulturnormen, S. 6; siehe auch Max Ernst Mayer, Strafrecht Allgemeiner Teil, S. 35 ff. – Man beachte, dass Max Ernst Mayer in dem angeführten Zitat zwar von „Gesetz“ spricht und es damit für den unbefangenen Leser den Anschein erwecken könnte, als decke sich diese Auffassung mit derjenigen Bindings, da auch dieser nicht das Gesetz, sondern die Rechtsnorm an das Volk adressiert wissen will, aber für Max Ernst Mayer ist das Gesetz (als abstrakter Imperativ an die Staatsorgane, dazu Max Ernst Mayer, Rechtsnormen und Kulturnormen, S. 40) eben identisch mit der Begrifflichkeit der Rechtsnorm, die sich jedoch nach Bindings Auffassung gerade an das Volk richten soll. 184  Max Ernst Mayer, Rechtsnormen und Kulturnormen, S. 30. 185  Max Ernst Mayer, Rechtsnormen und Kulturnormen, S. 16 f. 182  Max

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Kap. 2: Rechtsgeschichtliche Entwicklung

2. Der Neukantianismus als Bezugspunkt für die Verbrechenslehre – die normative Wende in der Strafrechtswissenschaft Bereits bei der Auseinandersetzung mit der „späten“ klassischen Verbrechenslehre – insbesondere beim Schuldbegriff des Belingschen Werkes – sollte zum Ausdruck gekommen sein, dass sich selbst die vornehmlich positivistisch geprägten Strafrechtslehrer nicht gänzlich davor scheuten, normative Gesichtspunkte in ihre Systematik einzuflechten. Die Tatsache auch wertbezogene Elemente in den Straftataufbau zu integrieren, war der allgemeinen geistesgeschichtlichen Entwicklung geschuldet. So begann sich die Strafrechtswissenschaft etwa um die Jahrhundertwende vom Positivismus zu lösen und sich verstärkt derjenigen Richtung zuzuwenden, die sich auf die philosophischen Lehren Kants berief, sog. Neukantianismus.186 Nichtsdestotrotz blieben die normativen Bezugspunkte bei den „Klassikern“ allenfalls Randerscheinungen. Den eigentlichen Anfang, die neukantianische Lehre sehr bewusst und insbesondere von Beginn seines Schaffens an auf strafrechtliche Fragen zu übertragen, machte erstmals Max Ernst Mayer, wie sich anhand der ganz ausdrücklichen Bezugnahme auf die neukantischen Rechtsphilosophen Windelband und Rickert nachweisen lässt.187 Diesen Autoren ging es insbesondere darum die Philosophie als Wertwissenschaft zu begreifen; man wandte sich gegen naturalistische, empiristische und relativistische Strömungen;188 das Wesen des Sozialen wurde betont, sowie eine eigene geisteswissenschaftliche Methode propagiert: den Naturwissenschaften seien die Kulturwissenschaften entgegenzusetzen, man habe wertbezogen, also kulturwissenschaftlich zu denken.189 Diese Ausrichtung schärfte das – seit Vordringen des Positivismus vernebelte – Bewusstsein, dass sich die Strafrechtswissenschaft nicht mit der bloßen Aufstellung und Systematisierung von faktischen und logischen Bezügen zufrieden geben darf. Dass unter anderem Max Ernst Mayers Kulturnormentheorie diesem Ansatz entspricht, bedarf schon aufgrund der verwendeten klaren Terminologie keiner weiteren Erläuterungen. Zu rekapitulieren bleibt also: Die Be186  Siehe dazu Larenz, Methodenlehre, S. 92 ff. – Dort auch zur hier vernachlässigten Abgrenzung zwischen dem sog. „Marburger“ und dem sog. „südwestdeutschen“ Neukantianismus. Es sei aber angemerkt, dass sich Max Ernst Mayer (wie die weit überwiegende Anzahl der Strafrechtler) gerade von letzterer Richtung beeinflusst sah; deshalb wird sich die Darstellung vor allem an dieser orientieren. – Einen lesenswerten Überblick über die sonstigen, zahlreichen Facetten des Neukantianismus gibt Ollig, Neukantianismus – Texte, S. 5 ff., insbesondere S. 15 ff. 187  Siehe dazu Max Ernst Mayer, Die schuldhafte Handlung, S. 1 ff., aus dem Jahre 1901 stammend. 188  Vgl. dazu Glock, in: Neukantianismus, S. 509. 189  Vgl. dazu Amelung, in: Neukantianismus, S. 364 f.



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zugnahme auf die philosophische Denkweise des Neukantianismus führte zu einer verstärkt normativen Ausrichtung der Strafrechtslehre. 3. Verbrechensauffassung Nun bleibt noch zu zeigen, wie sich die normentheoretischen und philosophischen Grundlegungen auf Max Ernst Mayers Fahrlässigkeitsbegriff im Gesamtkonzept seiner Verbrechenslehre ausgewirkt haben. Max Ernst Mayer rügte die zu seiner Zeit regelmäßig fehlende Anbindung der Fahrlässigkeit an den Schuldbegriff.190 Im Gegensatz zu den von ihm kritisierten Auffassungen definierte er „das fahrlässige Verhalten“ deshalb wie folgt: „Die pflichtwidrige Herbeiführung eines tatbestandsmäßigen Erfolges ist fahrlässig, sowohl wenn dem Täter die Vorstellung, der Erfolg werde eintreten, gefehlt hat, als auch wenn die Hoffnung, er werde ausbleiben, der entscheidende Grund gewesen ist, die Willensbetätigung vorzuneh­ men.“191 Die Fahrlässigkeit erscheint demnach als eng mit dem Schuldbegriff verknüpft, als eingebettet, da die Schuld – als schuldhafte Handlung – bei ihm folgende Begriffsbestimmung erhielt: „Sie ist eine pflichtwidrige Willensbethätigung, die einen rechtswidrigen Erfolg zur Wirkung hat.“192 Die strafrechtliche Schuld ihrerseits wird – durch das Abstellen auf das Kernelement der Pflichtwidrigkeit – also ausdrücklich auf ein Werturteil bezogen; sie gehe auf den ethischen Begriff der Schuld zurück.193 Max Ernst Mayer betont in diesem Sinne dann auch, dass die Strafrechtswissenschaft die Schuld lediglich aus zweiter Hand empfange; und da sich das Recht im Gegensatz zur Ethik auf die Mindestanforderungen beschränke, gelte:194 „Die rechtliche Schuld ist daher das Minimum der sittlichen.“195 Insgesamt zeigt sich also ganz deutlich die Einflussnahme neukantianischen Gedankenguts – der Wertlehre.196 Bezieht man aber die Schuld dergestalt auf den Bereich der Ethik, so meint Max Ernst Mayer, müsse man sich zu

190  Max

Ernst Mayer, Strafrecht Allgemeiner Teil, S. 251 Fn. 2. Ernst Mayer, Strafrecht Allgemeiner Teil, S. 251. 192  Max Ernst Mayer, Die schuldhafte Handlung, S. 106; wortgleich auch Max Ernst Mayer, Rechtsnormen und Kulturnormen, S. 78. 193  Siehe insofern Max Ernst Mayer, Die schuldhafte Handlung, S. 104. 194  Siehe Max Ernst Mayer, Die schuldhafte Handlung, S. 104. 195  Max Ernst Mayer, Die schuldhafte Handlung, S. 105. 196  Vgl. aber auch die auffällige Ähnlichkeit zur Auffassung Merkels, oben S. 50 f., wobei jedoch zu beachten ist, dass Max Ernst Mayers Lehre eine größere systematische Klarheit aufweist (insbesondere aufgrund des Scheidens von Kausal- und Schuldzusammenhang) – was aber auch angesichts der zwischenzeitlich erzielten dogmatischen Fortschritte keinesfalls verwundern sollte. 191  Max

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Kap. 2: Rechtsgeschichtliche Entwicklung

dem Satz bekennen: „Alle Schuld ist Willensschuld.“197 Dies gelte aus folgendem Grund: „Gut und böse, verdienstvoll und schuldhaft, sind Prädikate, die einen Sinn haben nur in Beziehung auf einen Willen.“198 Jedoch wirft dies für den Bereich der unbewussten Fahrlässigkeit nicht zu vernachlässigende Probleme auf: „Insonderheit entsteht nun die Frage, wie dem Willen ein Erfolg zugerechnet werden kann, dessen hervorragendes Merkmal es ist, dass er ohne den Willen seines Urhebers eingetreten ist.“199 Max Ernst Mayer will den nun insofern bestehenden Zweifel durch eine – zugegebenermaßen systematisch unbefriedigende200 – Hilfskonstruktion beseitigen: „Der Erfolg, der zwar nicht gewollt war, hätte vermieden werden sollen; der Unaufmerksame hätte aufmerksam sein sollen.“ Das fahrlässige Handeln sei – ebenso wie das vorsätzliche – schlicht und ergreifend deshalb als schuldhaft zu bezeichnen, weil die Vorstellung vom rechtswidrigen Erfolg „hätte Gegenmotiv sein können und sollen.“201 Die Prüfung der Fahrlässigkeit im Rahmen des Schuldbegriffs hat sich nach Max Ernst Mayers Dafürhalten in zwei Schritten zu vollziehen. In einem ersten sei der Widerspruch mit dem bereits mehrfach benannten Sollen festzustellen. Bestimmen lasse sich dessen Inhalt und Umfang – gleichlaufend zum Vorsatzdelikt – „nach dem Pflichtenkreis, in dem der Täter steht, oder was dasselbe heißt, nach den staatlich anerkannten Kultur­ normen.“202 Dieser Maßstab sei ein rein objektiver (Max Ernst Mayer verweist dazu erläuternd auf den § 276 BGB und die §§ 347, 429 HGB203); eine subjektive Feststellung erfolge dagegen nur beim Können als Gegenstand der Beurteilung.204 Letzteres – das heißt, ob der Täter die Pflichtwidrigkeit vermeiden konnte – stelle den zweiten Teil der Prüfung dar. Hier seien die „konkreten Umstände der Tat und die individuellen Fähigkeiten des Täters“ zu berücksichtigen, so dass man eigentlich gar nicht von einem Maßstab sprechen könne: „Was einer soll, ist begrifflich bestimmbar, was einer kann, nur frei beurteilbar“.205 197  Max

Ernst Mayer, Die schuldhafte Handlung, S. 35. Ernst Mayer, Die schuldhafte Handlung, S. 35. 199  Max Ernst Mayer, Die schuldhafte Handlung, S. 181. 200  So Max Ernst Mayer, Die schuldhafte Handlung, S. 182, selbst. – Die zwar systematisch konsequente Argumentation Bindings, vgl. oben Text bei Fn. 58, 82 ff. (Kap. 2), sei aber deshalb abzulehnen, da sie den klar auf der Hand liegenden Unterschied zwischen „etwas wollen“ und „einen nicht vorgestellten Zustand durch Wollen verursachen“ negiere. 201  Max Ernst Mayer, Die schuldhafte Handlung, S. 183; siehe auch Max Ernst Mayer, Strafrecht Allgemeiner Teil, S. 246. 202  Max Ernst Mayer, Strafrecht Allgemeiner Teil, S. 253 f. 203  Max Ernst Mayer, Strafrecht Allgemeiner Teil, S. 254 Fn. 6. 204  Max Ernst Mayer, Strafrecht Allgemeiner Teil, S. 256. 198  Max



C. Fortentwicklung zur „neoklassischen Verbrechenslehre“79

Nun bleibt noch abschließend festzuhalten, dass Max Ernst Mayer durch die von ihm aufgewiesene gemeinsame Struktur von Vorsatz und Fahrlässigkeit den Blick dafür schärfte, beide nicht als bloß unverbundene Arten des Oberbegriffs Schuld (sog. Schuldartendogma) anzusehen206, sondern deutlich gemacht wissen wollte, dass die (aktuelle / potentielle) Kenntnis der Pflichtwidrigkeit ein Merkmal mit allgemeiner Bedeutung für den Schuldbegriff sei.207 205

Aber nicht nur seine philosophischen, sondern auch seine normentheoretischen Prämissen sind mit der von ihm entworfenen allgemeinen Verbrechenslehre aufs Engste verknüpft. Geht man davon aus, dass das Strafgesetz den Normalbürgern des Staates unbekannt ist,208 müsse, so Max Ernst Mayers Auffassung, eine Verurteilung der Bürger aufgrund von ihnen nicht geläufigen Gesetzen im Hinblick auf das Schuldprinzip zumindest als schwer vermittelbar erscheinen. Wolle man nun nicht den Weg beschreiten, die Gesetzeskenntnis der Bürger einfach durch die Zuhilfenahme kühner juristischer Konstruktionen zu fingieren,209 biete wohl einzig seine Normentheorie einen tauglichen Ausweg. So seien den Menschen zwar nicht die Gesetze bekannt, jedoch die mit diesen übereinstimmenden Kulturnormen: „Einen Menschen, der von religiösen und moralischen Vorschriften nichts weiss, nennen wir einen Idioten. Der Zurechnungsfähige kennt seine Pflichten und erkennt sie an.“210 Deshalb sei eine Verurteilung trotz fehlender Gesetzeskenntnis möglich, da sich die Schuld nach Max Ernst Mayer gerade nicht auf die rechtliche Vorschrift als solche, sondern eben auf die diesem Gesetz zugrundeliegende Kultur beziehe. Leicht vereinfacht211 würde zusammenfassend also exemplarisch folgendes gelten: Hat der Täter fälsch205  Max

Ernst Mayer, Strafrecht Allgemeiner Teil, S. 255. dazu im entgegengesetzten Sinne noch die Darstellung von v. Liszt, oben Text bei Fn. 108 f. (Kap. 2). 207  Vgl. dazu Max Ernst Mayer, Die schuldhafte Handlung, S. 114 f.; der dort zum Ausdruck gebrachte Grundgedanke wird leicht modifiziert bei Max Ernst Mayer, Rechtsnormen und Kulturnormen, S. 81: Auch für die Vorsatztat reiche – wie für die Fahrlässigkeit – das bloß virtuelle (potentielle) Bewusstsein der Pflichtwidrigkeit aus. 208  So Max Ernst Mayer, Rechtsnormen und Kulturnormen, zum Beispiel S. 6 ff., dort weist er auch darauf hin, dass eine Gesetzeskenntnis dem Bürger noch nicht einmal empfohlen werden könnte – unter anderem aufgrund der speziellen Natur der Gesetze, insbesondere hinsichtlich Sprache und Umfang. 209  Vgl. Max Ernst Mayer, Rechtsnormen und Kulturnormen, S. 11. 210  Max Ernst Mayer, Rechtsnormen und Kulturnormen, S. 18. 211  Beispielsweise ohne die Berücksichtigung von Entschuldigungsgründen, die bereits von Max Ernst Mayer, Strafrecht Allgemeiner Teil, S. 300 ff., im Anschluss an Goldschmidt, Österreichische Zeitschrift für Strafrecht 1913, 129 ff. und 224 ff., anerkannt wurden; siehe auch insofern den Sonderdruck, Goldschmidt, Notstand. 206  Vgl.

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Kap. 2: Rechtsgeschichtliche Entwicklung

licherweise seinem Handeln nicht die Qualität beigemessen, den Tod eines Menschen zu verursachen, und hätte er aber die Pflichtwidrigkeit seines Tuns vermeiden sollen und können (Möglichkeit des Bewusstseins der Pflichtwidrigkeit), ist von den Rechtsorganen – aufgrund von Rechtsnormen verlangt –, wegen einer schuldhaften fahrlässigen Handlung gemäß § 222 zu strafen, da dem Täter zwar das Gesetz unbekannt sein wird, nicht aber die dieser Vorschrift immanente Kulturnorm, die in der Form „Du sollst nicht töten“ daherkommt. Hinzuweisen ist außerdem darauf, dass Max Erst Mayer die Scheidung von Unrecht und Schuld anhand des Gegensatzpaares objektiv und subjektiv verwarf212 und damit das wohl zentralste Moment der „klassischen“ Verbrechenslehre negierte;213 sowie er darüber hinaus der Lehre von der Wertfreiheit des Tatbestandes durch den Nachweis normativer Tatbestandselemente eine Absage erteilte.214 Insbesondere aber wollte er – unter Zuhilfenahme eines veranschaulichenden Beispiels – deutlich gemacht wissen, dass es subjektive Rechtswidrigkeitselemente gebe: „Es ist nicht einerlei, ob der junge Mediziner Mephistos Anregung, und fasset sie ‚wohl um die schlanke Hüfte frei, zu sehn, wie geschnürt sie sei,‘ in der Absicht befolgt, die der Teufel meint, oder in jener, die er zu meinen vorgibt; das eine ist verboten, 212  Spendel, Küper-FS, S. 599, meint darauf hinweisen zu können, Max Ernst Mayer habe klar den Merkmalen der Außenwelt (objektiv), die der Innenwelt (subjektiv) gegenübergestellt. Diese Feststellung ist jedoch zumindest missverständlich: So macht Max Ernst Mayer – in Bezug auf seinen eigenen Ansatz – ausdrücklich deutlich, dass diese (vorläufige) „Zweiteilung unvollständig ist“, siehe insofern Max Ernst Mayer, Strafrecht Allgemeiner Teil, S. 8. 213  Hinzuweisen ist darauf, dass der ebenfalls neukantianisch geprägte Graf zu Dohna, GS 65 (1905), vor allem 311 f., sehr ähnliche Grundgedanken entwickelte. Wegen dieses vorhandenen Gleichlaufes (insbesondere im Rahmen der Schuld: Schuld als pflichtwidrige Willensbetätigung) erscheint es gerechtfertigt, seine dennoch eigenständige Verbrechenslehre keiner umfassenden Begutachtung zuzuführen. Zu bemerken bleibt aber, dass Graf zu Dohna, Rechtswidrigkeit, S. 54, auch im Rahmen des Unrechts bemerkenswerte dogmatische Anregungen gab, so definierte er: „Ein rechtswidriges Verhalten im Sinne unserer Reichsgesetzgebung ist in erster Linie ein unrichtiges Verhalten, d. h. ein solches, welches nicht anerkannt werden kann als rechtes Mittel zu rechtem Zweck; eine weitere Bedingung der Rechtswidrigkeit bildet dann eine dahingehende positivrechtliche Erklärung.“ Von einer objektiven Unrichtigkeit des Verhaltens könne man erst dann reden, „wenn es der Angeklagte an der erforderlichen Prüfung und Sorgfalt bei Vornahme der inkriminierten Handlung hat fehlen lassen“, so dass also die Pflichtwidrigkeit zum essentialen Moment des Unrechts wird, siehe Graf zu Dohna, Rechtswidrigkeit, S. 77 f. Dass eine auf diesen Grundlagen aufbauende Abgrenzung von Rechtswidrigkeit und Schuld mit beachtlichen Schwierigkeiten zu kämpfen hat, hat Graf zu Dohna, GS 65 (1905), 311 Fn. 1, selbst einräumen müssen; nichtsdestotrotz knüpften hieran einige spätere Strafrechtler an, siehe dazu unten Fn. 271, 309 (Kap. 2). 214  Max Ernst Mayer, Strafrecht Allgemeiner Teil, S. 182 ff.



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das andere erlaubt.“215 Habe der Mediziner beispielsweise in einem verzeihlichen Irrtum ihre Einwilligung angenommen, so habe „er widerrechtlich und doch nicht schuldhaft beleidigt.“216 Max Ernst Mayer will die Scheidung beider Systemkategorien also wie folgt vornehmen: „Eine Handlung wird zur Schuld zugerechnet, wenn sie aus tadelnswerten Motiven entstanden ist“; „die Beurteilung der Rechtswidrigkeit“ ergreife die Handlung dagegen als „Mittel für Zwecke“, die – im Gegensatz zu den Motiven – „immer über den Erfolg hinausragen.“217 Für ihn erfolgt die Feststellung der Rechtswidrigkeit also mittels einer die Zwecke des Täters in den Blick nehmenden (von ihm als teleologisch bezeichneten) Betrachtung. Aber nicht nur aufgrund dieser hier zuletzt angeführten Feststellung, wird auf das Opus von Max Ernst Mayers noch mehrfach zurückzukommen sein. Haben wir bei der Auseinandersetzung mit Max Ernst Mayers Verbrechenslehre sehen können, dass er meinte, die (unbewusste) Fahrlässigkeit – aufgrund seines zugrundeliegenden Willensschuldbegriffs – nur mittels einer Hilfskonstruktion erklären zu können und dass er im Rahmen des Unrechts auch subjektive Merkmale statuiert wissen wollte, ist nun die Auffassung von Hold v. Ferneck in den Blick zu nehmen. Dies gerade deshalb, da letztgenannter die angesprochenen Problematiken einer sehr eigenständigen Lösung zugeführt hat.

II. Alexander Freiherr Hold v. Ferneck – Imperativentheorie und Ineinssetzung von Unrecht und (generell verstandener) Schuld Hold v. Ferneck ist strenger Imperativentheoretiker. Er vertritt – wie Thon218 – die Auffassung, „dass das Recht als objective Macht ein Complex von Imperativen oder Normen ist.“219 Anders als dieser will Hold v. Ferneck aber gerade die aus der Rechtsordnung erwachsenden Befehle nicht auch an die nicht willensfähigen Personen adressiert wissen, sondern er beschränkt ausdrücklich deren Empfängerkreis: „Die Normen richten sich sonach nicht an alle Menschen, sondern nur an principiell taugliche Befehlsempfänger.“220 Dies gelte aus folgendem Grund: „Würde der Gesetzgeber das voraussicht215  Max

Ernst Mayer, Strafrecht Allgemeiner Teil, S. 185, siehe auch S. 12. Ernst Mayer, Strafrecht Allgemeiner Teil, S. 186. 217  Alle Zitate aus Max Ernst Mayer, Strafrecht Allgemeiner Teil, S. 186 f. (Hervorhebungen im Original). 218  Siehe dazu oben, S. 56 f. 219  Hold v. Ferneck, Rechtswidrigkeit I, S. 198; zu dessen Rechtsdefinition in toto siehe dort S. 208. 220  Hold v. Ferneck, Rechtswidrigkeit I, S. 199. 216  Max

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lich Unerreichbare trotzdem wollen [– zum Beispiel Säuglingen Befehle zu erteilen –], so müsste ihm das Prädikat der Vernünftigkeit […] unweigerlich abgesprochen werden.“221 Hold v. Ferneck zieht aus dieser Grundprämisse dann die für den Verbrechensaufbau sehr konkrete Schlussfolgerung, dass Unrecht und Schuld völlig gleichzustellen seien; so stehe fest, dass „es nur schuldhaftes ‚Unrecht‘ und nur eine Rechtswidrigkeit im subjektiven und objektiven Sinne gebe“.222 Eine Zerfällung in eine objektive und subjektive Seite sei schlechterdings unrichtig und unnötig, da „sich das Recht selbst nie auf die Subjektivität, das Innere des Menschen allein bezieht, und andererseits, da es Macht über den Willen von Menschen ist, nie bloß das äußere Handeln umfasst.“223 Rechtswidrig bedeute eben: wider das subjektive Recht; und da man dem subjektiven Recht nichts anderes beimessen könne, als dass jemand verpflichtet sei, empfehle es sich gar, nur noch den Begriff „pflichtwidrig“ anstelle der üblichen (missbrauchten) Terminologie „rechtswidrig“ zu verwenden.224 Setzt man also nun, wie Hold v. Ferneck es tut, Unrecht und Schuld ineins, verwundert es auf den ersten Blick, dass dieser die Begrifflichkeit der Schuld dennoch im Rahmen seiner Verbrechenslehre verwendet wissen will. Aber bereits seinem Ausgangspunkt nach wird der Begriff in einen neuartigen, von den übrigen Auffassungen abweichenden Begründungszusammenhang gestellt: Schuld sei „Strafbarkeit im Sinne des Gesetzes“225 und weiter: „Schuld im Rechtssinne ist […] nicht eine ‚subjektive Beziehung‘, sondern generelle Voraussehbarkeit.“226 Dass Hold v. Ferneck für den Schuldbegriff einen (vereinheitlichenden) generellen Maßstab, anstelle der sonst üblichen individuellen Ausrichtung wählt,227 hat seinen Grund in der Rechtsfigur der Fahrlässigkeit228: „Es sind 221  Hold

v. Ferneck, Rechtswidrigkeit II, S. 29. v. Ferneck, Rechtswidrigkeit II, S. 14 f.; hier auch eine Kurzzusammenfassung der Hauptthese des Bandes I. 223  Hold v. Ferneck, Rechtswidrigkeit II, S. 6; siehe auch Hold v. Ferneck, Rechtswidrigkeit I, S. 277. 224  Siehe Hold v. Ferneck, Rechtswidrigkeit I, S. 149. 225  Hold v. Ferneck, Idee der Schuld, S. 97. 226  Hold v. Ferneck, Idee der Schuld, S. 55. 227  Bemerkenswert ist, dass Kohlrausch, in: Reform des Strafrechts, S. 22, zu sehr ähnlichen Ergebnissen im Rahmen der Fundierung der Schuld gelangt: „ ‚Schuldhaft‘ begeht derjenige eine rechtswidrige Handlung, von dem rechtmäßiges Handeln erwartet und folglich gefordert werden durfte“, und weiter, S. 26: „Jedes ‚Schuld‘urteil […] fordert aber […] eine Generalisierung, d. h. eine Vergleichung jener individuellen psychologischen Situation mit einem zu fordernden Durchschnittsmaß an Einsicht und Widerstandskraft. Wenn man einen ‚fahrlässigen‘ Täter denjenigen nennt, der den Erfolg hätte vorhersehen müssen, so muß man doch auch darüber hinwegkommen, daß er ihn eben rebus sic stantibus nicht vorhergesehen hat. Und man kommt darüber hinweg, wenn man sich klar macht, daß die ‚Schuld‘ des 222  Hold



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just die Fahrlässigkeitsdelikte und speziell die Fälle der unbewußten Kulpa – für welche noch kein Schriftsteller eine Beziehung der Psyche des Täters zum Erfolge aufweisen konnte –, die in uns den Zweifel wachgerufen haben, ob die rechtliche Schuld tatsächlich als individuelle Schuld zu fassen ist.“229 Diesen Punkt vor Augen habend, hebt er dann hervor: „Man kann sagen, daß gerade die unbewußte Schuld den Punkt darstellt, wo die Schuldlehre den Hebel anzusetzen hat.“230 So müsse man insbesondere versuchen, folgende Problematik in den Griff zu bekommen: „Der unbewussten Fahrlässigkeit korrespondiert keine Norm. Man könnte höchstens folgendes Gebot formulieren: Du sollst von deinem (wenn auch vielleicht rechtlich einwandfreien) Vorhaben abstehen, daß es zu einem verpönten Erfolg führt. Eine solche Norm wäre praktisch mit dem Verbote jeglichen Handelns identisch. Theoretisch betrachtet würde sie eine Norm im Rechtssinne gar nicht darstellen. Denn Norm ist Motivation, normwidriges Verhalten ist ein Verhalten im Widerstreit mit einem Gegenmotiv; die unbewußte Kulpa besteht aber […] begrifflich gerade darin, daß das Verhalten des Täters ein Gegenmotiv nicht findet.“231 In diesen Ausführungen Hold v. Fernecks zeigt sich erneut – hier aber besonders nachdrücklich und klar formuliert – das Ver228

Täters gerade in der Abweichung seiner Individualität von jenem Durchschnittstyp liegt.“ Zu beachten ist jedoch, dass Kohlrausch im Gegensatz zu Hold v. Ferneck keinen imperativentheoretischen Ansatz wählt. Dennoch: Diese ebenfalls generalisierende Grundlegung erscheint um so beachtlicher, da Kohlrausch in seinen frühen Schriften noch als Anhänger eines subjektiv-psychologischen Schuldbegriffs in Erscheinung getreten war, siehe dazu Kohlrausch, in: Reform des Reichsstrafgesetzbuchs I, S. 180 ff., insbesondere S. 194 ff. und S. 208 f., und dort – entgegengesetzt zu obiger These – zum Ausdruck gebracht hatte, dass die unbewusste Fahrlässigkeit nicht hinreiche, um eine Schuldform zu konstruieren; die bewusste Fahrlässigkeit ist dagegen wie folgt erklärt worden: Sie sei schuldhafte Übertretung eines Gefährdungsverbotes, dass in jeder Fahrlässigkeitsnorm enthalten sei. – Eine nicht zu verleugnende Nähe zu den Arbeiten von Hold v. Ferneck und den späten Ausführungen von Kohlrausch zeigt die Auffassung v. Bars, Gesetz und Schuld II, S. 444: „Die Strafe der unbewußten Fahrlässigkeit ist also im Grunde eine Charakterstrafe, zwar nicht unmittelbar des Charakters, wohl aber wie es einem allgemeinen strafrechtlichen Prinzip entspricht, der Betätigung eines unerzogenen, rücksichtslosen Charakters, eine Strafe dafür, daß das Individuum sich nicht zum besseren Wissen und zur Aufmerksamkeit erzogen hat und nach diesem Gesichtspunkte müßte man in letzter Konsequenz dazu gelangen, die Fahrlässigkeit ohne Rücksicht auf einen wirklichen eingetretenen Schaden als gefährliche Handlung zu strafen.“ 228  Hold v. Ferneck, Idee der Schuld, S. 4 ff., weist nachdrücklich auf die bei anderen Autoren herkömmlich anzutreffende Uneinheitlichkeit der Unterscheidung von Vorsatz und Fahrlässigkeit hin. – Bemerkenswert ist weiterhin, dass er für die Beschreibung der Fahrlässigkeit nicht explizit auf das Merkmal der gemeinhin verwendeten „Sorgfaltspflichtverletzung“ abstellt. 229  Hold v. Ferneck, Idee der Schuld, S. 7 f. 230  Hold v. Ferneck, Idee der Schuld, S. 22. 231  Hold v. Ferneck, Idee der Schuld, S. 24.

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wobensein der Problematik um die Statuierung eines angemessenen Schuldbegriffs mit vor allem normentheoretischen Fragestellungen, und dies gerade im Bereich der sog. unbewussten Fahrlässigkeit. Die Feststellung in dem zuletzt genannten Strafbarkeitsbereich keine sachgerechte, individual zugeschnittene Norm finden zu können, treibt Hold v. Ferneck dann auch schließlich zu der These: „Die Strafe der Fahrlässigkeit ist und bleibt eben […] nichts als eine – wenn auch eine wenig verfeinerte – Erfolgshaftung“.232 Führe man sich weiter vor Augen, dass das Recht genereller Natur sei und die Befehle nicht auf die einzelnen Individuen zugeschnitten seien, sondern auf den Durchschnittsmenschen bezogen, könne also nur gelten, dass „rechtliche Schuld niemals Attribut einer Individualität sein [kann].“233 Hierin liege auch der maßgebliche Unterschied zum Schuldbegriff der Moral; dieser setze eine subjektive Beziehung zum herbeigeführten Erfolg voraus.234 Die Schuld im Rechtssinne, verstanden als allgemeine, generelle Voraussehbarkeit, ermögliche dagegen sogar in Ausnahmefällen die Bestrafung für Unwissentlichkeit; in diesen Fällen hafte der Täter eben für die Abweichung vom Durchschnitt.235 Dieser Befund erlaubte dann auch abschließend die neuartige Normformulierung: „ ‚Du sollst von deinem …. Vorhaben abstehen, wenn es voraussichtlich (d. h. nach allgemeiner Annahme, nach Voraussicht des Durchschnittsmenschen) einem Interesse wider­ streitet‘.“236 Hold v. Ferneck weist in seiner Arbeit über den Schuldbegriff aber noch auf einen weiteren sehr beachtlichen Aspekt in Bezug auf die Normenproblematik hin. Die Diskussion findet ihren Ausgangspunkt in seiner These, Vorsatz und Fahrlässigkeit seien diejenigen Schuldformen, „wo dem verpönten Erfolg eine ausschlaggebende Bedeutung zukommt“.237 Beschränkt man jedoch die „klassischen“ Schuldformen dergestalt, dass sie auf einen verpönten Erfolg Bezug nehmen müssen, stellt sich die Frage, wie man solche Delikte erklärt, bei denen „der Erfolg in den Hintergrund und die Handlung in den Vordergrund tritt.“238 Hold v. Ferneck will diese „ganz 232  Hold v. Ferneck, Idee der Schuld, S. 34; vgl. auch dort S. 21; und außerdem S. 69, wo darauf hingewiesen wird, dass diese „Erfolgshaftung“ doch auch „in einem gewissen Maß vom moralischen[!] Standpunkt zu rechtfertigen“ sei. 233  Hold v. Ferneck, Idee der Schuld, S. 40; siehe auch dort S. 40 ff. 234  Siehe dazu Hold v. Ferneck, Idee der Schuld, S. 50 ff., insbesondere S. 55, 57. 235  Siehe Hold v. Ferneck, Idee der Schuld, S. 54 f. 236  Hold v. Ferneck, Idee der Schuld, S. 57 (Hervorhebung im Original); beachte aber, dass Hold v. Ferneck, Idee der Schuld, S. 58, für den Bereich, dass der Täter den Erfolg auch noch gewollt hat folgende Norm für richtig erachtet: „ ‚Du sollst nichts unternehmen, was auf die Herbeiführung eines verpönten Erfolges abzielt‘.“ 237  Hold v. Ferneck, Idee der Schuld, S. 72. 238  Hold v. Ferneck, Idee der Schuld, S. 72.



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neutral als Begehungsdelikte bezeichnen“239 und die diesen Straftaten korrespondierende Schuldform „Willkür“240 nennen; er kommt daher im Gegensatz zur herrschenden Meinung zum Aufweis dreier Schuldformen: Vorsatz und Fahrlässigkeit, die auf den Erfolg bezogen seien, und die Willkür, die demgegenüber auf die Handlung Bezug nehme. Trotz dieses Unterschiedes gebe es ein vereinheitlichendes Moment. Gemeinsam sei ihnen allen die Verbindung zur Norm: „Handlung oder Erfolg bilden die Brücke vom Täter zur Norm“241, so dass dementsprechend gelte: „Die generelle Voraussehbarkeit ist […] in letzter Linie auf die Norm zu beziehen.“ Dies führt ihn schließlich dazu zu sagen: „Wir dürfen nunmehr die allgemeine Voraussehbarkeit der Norm als die rechtliche Schuld […] betrach­ ten.“242 Mit anderen Worten könnte man also die Schuld bei Hold v. Ferneck auch als potentielles Normwidrigkeitsbewusstsein bezeichnen.

III. Franz Exner, August Köhler und Hermann Mannheim – drei nahezu zeitgleiche, aber differierende Ansätze, das Wesen der Fahrlässigkeit systematisch zu ergründen Vorstehend konnte gezeigt werden, dass sich Hold v. Ferneck aufgrund der Rechtsfigur der unbewussten Fahrlässigkeit veranlasst sah, den (einheitlich aufzufassenden) Begriff der Schuld nicht mehr im üblichen Sinne als eine individuelle, sondern vielmehr als eine generelle „Beziehung“ zu deuten. Aber nicht nur bei Hold v. Ferneck wuchs Anfang der 1910er Jahre das Bewusstsein um die Schwierigkeit, die (unbewusste) Fahrlässigkeit in den Schuldbegriff zu integrieren. Dementsprechend kann es nicht verwundern, dass sich aus jener Zeit drei umfassende Arbeiten finden lassen, die sich dezidiert mit der Problematik der Fahrlässigkeitsstraftaten auseinander gesetzt haben. Diese monographischen Abhandlungen sind nun exkursorisch nacheinander in den Blick zu nehmen.

239  Hold v. Ferneck, Idee der Schuld, S. 74; eine Fallgruppe der Begehungsdelikte seien die sog. Gefährdungsdelikte, siehe dazu dort S. 81. 240  Hold v. Ferneck, Idee der Schuld, S. 80. 241  Siehe Hold v. Ferneck, Idee der Schuld, S. 94 f. – Zielinski, Unrechtsbegriff, S. 20, meint bei Hold v. Ferneck herauslesen zu können, dass dieser der Auffassung sei, dass „dem Erfolg für das Recht an sich gar keine Bedeutung zukomme.“ Ob dies aber in dieser Pauschalität zutrifft darf bezweifelt werden, vgl. dazu beispielsweise Hold v. Ferneck, Idee der Schuld, S. 69. Richtig ist nur, dass Hold v. Ferneck festhält, dass es die Handlung ist, die verboten wird – und nicht der Erfolg. 242  Hold v. Ferneck, Idee der Schuld, S. 96.

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1. Franz Exner – Die Gefühlsschuld als Anknüpfungspunkt für die Fahrlässigkeit Exners Arbeit ist dem Ziel gewidmet, „das Wesen der Fahrlässigkeit klarzulegen und die Bedingungen zu bezeichnen, unter welchen – den Prinzipien eines Schuldstrafrechts entsprechend – eine Verantwortlichkeit für ungewollte Handlungsfolgen eintreten kann.“243 Der Anlass sich mit dieser Thematik zu beschäftigen, liegt für ihn vor allem in der Schwierigkeit begründet, die unbewusste Fahrlässigkeit zu erklären: „Hier aber ist der Erfolg weder gewollt, noch auch – nach dem Begriffe schon – bewußt vorausgesehen. Die Beziehungslosigkeit scheint in die Definition erhoben zu sein.“244 Dieser Sachlage auf den Grund gehen wollend, untersucht er sämtliche bis zu diesem Zeitpunkt vertretenen Auffassungen, die versucht haben, das Problem der Fundierung der Fahrlässigkeit im Schuldbereich einer Lösung zuzuführen. Der Sache nach geht es primär um die Frage, ob der „seit Feuerbachs ‚Betrachtungen über dolus und culpa‘ “ herrschenden Ansicht: „Fahrlässigkeit ist Willensschuld“ eine taugliche Begründung beigelegt werden kann.245 Exner konstatiert aber nach kritischer Durchsicht, dass all die bisher vertretenen Ansätze abzulehnen seien. Bindings Auffassung246 den Willensschuldgehalt der Fahrlässigkeit in einem sog. „unbewussten Willen“ zu finden, sei schon aus folgendem Grunde unrichtig: „Dem Willen die Vorstellung seines Objekts nehmen heißt ihn negieren.“247 Außerdem sei es bei einer solchen Definition extrem schwer, nicht alle auch zufälligen Handlungsfolgen als gewollt zu bezeichnen.248 Ähnliche Kritik an Binding hatten wir schon bei der Auseinandersetzung mit Thons Auffassung kennen gelernt.249 Aber auch dessen Ansatz könne nicht überzeugen, da dieser zwar die Fahrlässigkeit als willentliches, vorsätzliches Delikt konstruiere, dieses aber nichts mit dem zugerechneten, konkret eingetretenen Erfolg zu tun habe: „Der springende Punkt dieser Theorie ist der, daß […] nicht die Verursachung des Erfolges, etwa die Tötung oder Einsperrung, sondern die vorangehende gefährliche Handlung, das Sichbetrinken, die Nichtaneignung bestimmten Wissens zugerechnet wird. In Wahrheit gelingt es also dieser Theorie nicht, die Fälle der unbe243  Exner,

Fahrlässigkeit, S. 218. Fahrlässigkeit, S. 10. 245  Siehe Exner, Fahrlässigkeit, S. 58 (Hervorhebung im Original). – Vgl. dazu beispielsweise Bindings Ausspruch: „Das Nichtgewollte ist aber selbstverständlich zum Willen nicht zurechenbar“, Binding, Normen II, S. 349. 246  Siehe dazu oben S. 55. 247  Exner, Fahrlässigkeit, S. 59 f. 248  Exner, Fahrlässigkeit, S. 60 f. 249  Siehe oben S. 58. 244  Exner,



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wußten Kulpa in dolose Gefährdung zu verwandeln, sie errichtet vielmehr gänzlich neue Tatbestände, schafft neue, andersartige Delikte, bestraft wegen dieser und läßt die daraus entspringenden Folgen unberücksichtigt.“250 Aber genauso wenig wie die gerade geschilderte Auffassung Thons befriedige, die die Fahrlässigkeit quasi zu einer zweiten Gattung des Vorsatzes machte, könne deren extremes Gegenstück durchschlagende Argumente für sich verbuchen; so sei es schon dem Ausgangpunkt nach falsch, aufgrund eines postulierten Willensschuldbegriffes den Schluss zu tätigen: „Es gibt keine kriminelle Kulpa.“251 Diese Prämisse könne sachgerecht nur mittels einer die unbewusste Fahrlässigkeit konsequent in den Schuldbereich integrierenden Herangehensweise entkräftet werden. Dies sei aber auch insbesondere denjenigen Auffassungen nicht gelungen, die in Weiterentwicklung der Willensschuldansätze von Feuerbach252 und Klein253 für die Fahrlässigkeit – wie zum Beispiel Merkel – eine pflichtwidrige Unaufmerksamkeit254 verlangen. Wenn bereits Feuerbach nicht habe begründet nachweisen können, dass die Fahrlässigkeit in der von ihm behaupteten Verletzung einer (allgemeinen) Diligenz- bzw. Sorgfaltspflicht bestehe (da es laut Exner bei einer solchen Grundlegung an der Beziehung des Täters zu dem konkret einge250  Exner,

Fahrlässigkeit, S. 66. Fahrlässigkeit, S. 70 f. 252  Siehe zu dessen Auffassung Feuerbach, Lehrbuch, § 54: Fahrlässigkeit als „eine gesetzeswidrige Bestimmung des Willens zu einer Handlung oder Unterlassung, woraus nach den Gesetzen der Natur, ohne die Absicht der Person, die Rechtsverletzung entsteht.“; sehr ähnlich bereits die Formulierung bei Feuerbach, Revision II, S. 64 f. Da Feuerbach erst von der Gesetzeswidrigkeit der Willensbestimmung ausgeht, wenn der Täter die obligatio ad diligentiam, die Verbindlichkeit zu gehörigem Fleiß, übertritt, dies aber nach seiner Auffassung wiederum unter anderem voraussetzt, dass der Täter das diesbezügliche Bewusstsein aufweist, kommt Exner dazu, Feuerbachs Theorie folgendermaßen (pointiert kritisch) zusammenzufassen: „Der Fahrlässige will unaufmerksam sein“; zum Ganzen Exner, Fahrlässigkeit, S. 16 ff., insbesondere S. 19, auch S. 76 ff. – Eine prägnante Beschreibung der Feuerbachschen Fahrlässigkeitsdoktrin findet sich außerdem bei Lesch, Verbrechensbegriff, insbesondere S. 65 ff.; vgl. auch Greco, Feuerbachs Straftheorie, S. 64 f.; siehe zu den verschiedenen Spielarten der Rechtsverletzungslehren – insb. derjenigen von Feuerbach – Stübinger, Paeffgen-FS, S. 59 ff. 253  Klein, Archiv des Criminalrechts I, 2, 56 ff., insbesondere 61: Fahrlässigkeit als der negativ-böse Wille, im Gegensatz zum Vorsatz als dem positiv-bösen Willen, sehr ähnlich später auch Kadečka, ZStW 59 (1940), 21 f.; auch Kleins Theorie fasst Exner, Fahrlässigkeit, S. 19, folgendermaßen – mit kritischem Unterton – zusammen: „Der Fahrlässige will nicht aufmerksam sein.“ – Abzulehnen sei Kleins Auffassung, da sich folgendes ergebe, Exner, Fahrlässigkeit, S. 74: „Der negativ-böse Wille ist ein Phantom. Bei der erstbesprochenen Auffassung ist der Wille zwar böse, aber nur scheinbar negativ, bei der zweiten ist er zwar negativ, aber nur scheinbar böse. Dort ist er dem Dolus, hier dem Kasus gleichbedeutend.“ 254  Siehe für diese Auffassung die bereits obige Darstellung bei Merkel, Fließtext bei Fn. 18 (Kap. 2). 251  Exner,

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Kap. 2: Rechtsgeschichtliche Entwicklung

tretenen Erfolg fehlen soll) und es falsch sei, die Unvorsichtigkeit – die „Unterlassung“ – als solche zu bestrafen, dann richte sich dieser Vorwurf mutatis mutandis ebenfalls gegen dessen Nachfolger, also gegen die herrschende Auffassung.255 Schlussendlich sei aber auch der Versuch die Fahrlässigkeit als Verstandesschuld, als Verstandesfehler zu deuten, definitiv abzulehnen.256 Für eine am Strafzweck der Vergeltung orientierte Theorie müsse dies bereits aufgrund folgender Tatsache gelten: „Wer nur wegen Unverstandes und reduzierter Geistesbildung Schaden anrichtet ist bedauernswert, nicht strafwürdig“.257 Im Endeffekt sei dieser Gesichtspunkt aber selbst für diejenigen Autoren maßgebend, die sich einem präventiven strafzwecktheoretischen Ansatz verpflichtet fühlten: „Das Gesetz will nicht überzeugen, nicht durch Verstandesgründe vom Verbrechen abhalten. […] Das Willens- und Gefühlsleben […] ist es, worauf die Strafe zu wirken bestimmt ist. Die Strafe soll im Bestraften Unlustgefühle hervorrufen. Allein auf die Gefühlsseite wirken, wo es auf der Intellektseite fehlt, dort wirken, wenn hier die Wirkung nötig ist, erscheint vollkommen zwecklos.“258 Bereits an dieser Stelle deutet Exner den Ansatzpunkt für seine Theorie an, die er hernach unter Zuhilfenahme psychologischer Erkenntnisse entwickelt.259 Exner kommt zu dem (psychologisch fundierten) Ergebnis, dass die Voraussehbarkeit im individuellen Sinne das Erfordernis jeder Fahrlässigkeit sei.260 Da jedoch intellektuelle Mängel keineswegs imstande seien, ein Schuldurteil zu tragen, das auf dem Nichtvorhersehen eines schädlichen Erfolges beruht, könne das Tadelnswerte dieses fehlenden Voraussehens „nur in den emotionellen Mängeln, in den Fehlern der Gefühlsseite liegen.“261 Um diesen Mängeln und Fehlern nun Gestalt zu verleihen, hebt Exner die Bedeutung des Wertbegriffs262 hervor, den er sodann auch für seine Definition nutzbar macht: „Wäre ihm [dem Täter] das verletzte Gut ein wirklich wertvolles gewesen, der Gedanke an seine Gefährdung wäre nicht ausgeblieben“263, und weiter: „Das Schuldmoment, das dem kulposen Delikt zu Grunde liegt, besteht in der pflichtwidrigen Geringwertung des Rechtsgutes, infolge deren der Täter unversehens eine Verletzung begeht, 255  Exner,

Fahrlässigkeit, S. 78 f.; dort auch S. 84 ff. exemplarisch zu einem solchen Versuch bereits oben bei v. Liszt, S. 64. 257  Exner, Fahrlässigkeit, S. 99. 258  Exner, Fahrlässigkeit, S. 99 f. 259  Siehe dazu Exner, Fahrlässigkeit, S. 145 ff., insbesondere S. 157. 260  Exner, Fahrlässigkeit, S. 165. 261  Exner, Fahrlässigkeit, S. 165. 262  Siehe Exner, Fahrlässigkeit, S. 168 ff., dort vor allem unter Bezugnahme auf die Brentano-Schüler Meinong und Ehrenfels. 263  Exner, Fahrlässigkeit, S. 173. 256  Siehe



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die er zu begehren nicht Willens ist“264, oder mit anderen Worten: in einem „Manko an derjenigen Wertschätzung rechtlich geschützter Güter […], die vom einzelnen Staatsbürger füglich gefordert werden darf.“265 Abschließend überträgt er diesen vor allem am Problem der Fahrlässigkeit entwickelten (Teil-)Gedanken der „Gefühlsschuld“ dann auf eine allgemeine, der herrschenden Auffassung entgegengesetzte, vereinheitlichende Definition: „Dem alten Dogma: alle Schuld beruht auf einer Mangelhaftigkeit des Willens, ist also der Satz entgegenzustellen: alle Schuld beruht auf einem Mangel an gehörigem Interesse für die Erhaltung der vom Rechte geschützten Güter.“266 Neben dieser neuartigen Einbettung der Fahrlässigkeit in den Schuldbegriff enthält Exners Opus aber noch einen weiteren bedeutsamen, in Beschreibungen seines Werkes jedoch nicht selten vernachlässigten Gesichtspunkt.267 Exner macht darauf aufmerksam, dass das von ihm für die Fahrlässigkeit herausgearbeitete Merkmal der individuellen Voraussehbarkeit zwar ein für den Nachweis der Strafbarkeit notwendiges sei, es aber insofern nicht immer hinreiche; denn: „Nicht alle vorhergesehenen, nicht alle vorhersehbaren schädlichen Handlungsfolgen sind dem Täter zurechenbar.“268 Die übliche Antwort der Lehre auf diese Sachlage sei nun: „Hat der Täter die ‚im Verkehr erforderliche Sorgfalt‘ angewandt, […] so ist er außer Schuld“.269 Exner will diese Thematik aber anders angegangen wissen, indem er darauf aufmerksam macht, dass sich hier „zwei Probleme berühren, das der Schuld und das der Rechtswidrigkeit.“270 Unter Heranziehung einiger Fallgestalten – zum Beispiel der des fachgemäß operierenden Arztes – macht er sodann klar, dass jemand, der sich rein objektiv einwandfrei verhält, bereits nicht rechtswidrig handeln könne, wenn auch sein Tun mit gewissen Gefahren verknüpft ist; die Frage der Schuld werde in solchen Fällen gar nicht aktuell.271 Die von ihm angesprochene Einhaltung der im Verkehr erforderlichen 264  Exner, Fahrlässigkeit, S. 177, siehe auch S. 199 und S. 207; beachte aber, dass es sich bei der Verwendung des Wortes „begehren“ wohl um einen Sinn entstellenden Rechtsschreibfehler handelt, richtig muss es „begehen“ lauten. 265  Exner, Fahrlässigkeit, S. 208. 266  Exner, Fahrlässigkeit, S. 233 f.; siehe zu gewissen – durch Ausführungen von Engisch beeinflussten – Modifikationen seiner eigenen Lehre unten, insb. Fn. 429 (Kap. 2). 267  Völlig fehlt die Darstellung des Folgenden in den älteren, zeitnahen Besprechungen seiner Arbeit, siehe insofern Gutherz, Archiv für Kriminal-Anthropologie und Kriminalistik 39 (1910), 90 ff.; Kriegsmann, ZStW 30 (1910), 940 ff., und Stooss, SchwZStr 23 (1910), 391 ff. 268  Exner, Fahrlässigkeit, S. 192. 269  Exner, Fahrlässigkeit, S. 192 f. (Hervorhebung von mir). 270  Exner, Fahrlässigkeit, S. 193 (Hervorhebung im Original). 271  Siehe Exner, Fahrlässigkeit, S. 193 f. – Ähnliche Andeutungen in Bezug auf die Verortung der Sorgfalt im Verbrechensaufbau hatte davor bereits Graf zu Dohna

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Kap. 2: Rechtsgeschichtliche Entwicklung

Sorgfalt sieht er dabei aber nicht als ein absolut einheitliches, fest umrissenes äußeres Verhalten an, sondern er will sie vielmehr als ein über die Erfolgschancen urteilendes Verhalten beschrieben wissen (die erforderliche Sorgfalt als „schmiegsamer Begriff“272), bei deren Bewertung man vornehmlich auf „die Größe der Verletzungsmöglichkeit“, auf „die Größe der möglichen Verletzung“ und auf den „Zweck, den die zu beurteilende Handlung verfolgt“, abzustellen habe.273 Ohne sich insgesamt zu einer genau definierten Grenzziehung der beiden soeben angerissenen Prüfstufen (Rechtswidrigkeit und Schuld) zu bekennen und ohne dem Leser absolut konsistente Begriffsbestimmungen an die Hand zu geben,274 schafft es Exner dennoch, das allgemeine Bewusstsein auf die Problematik zu lenken, dass sich einige gewichtige (vor allem oder gar ausschließlich(?) fahrlässigkeitsspezifische) Probleme nicht sachgerecht im Rahmen der Schuld verorten lassen,275 sondern bereits die Systemstufe des Unrechts berühren.276 Trennt man Unrecht und Schuld schärfer als dies zum Beispiel noch Binding tat, drängt die dogmatische Verortung des erlaubten Risikos, des Sorgfaltsbegriffs nach einer deutlicheren Lösung.277

gemacht, siehe insofern Fn. 213 (Kap. 2); vgl. außerdem noch Graf zu Dohna, ZStW 32 (1911), 327 Fn. 10 (keine Rechtswidrigkeit bei sozial wertvollen Handlungen trotz ihrer unverkennbaren Gefahren – zum Beispiel bei Bergwerksunternehmungen); siehe auch die späteren Ausführungen bei Mannheim, Maßstab der Fahrlässigkeit, S. 52 ff., dazu unten S. 93 ff. 272  Exner, Fahrlässigkeit, S. 201. 273  Exner, Fahrlässigkeit, S. 199, siehe noch S. 193, 196; bereits hier sei bemerkt (siehe aber auch sogleich im Text und in der folgenden Fn.), dass sich den Exnerschen Ausführungen nicht völlig klar entnehmen lässt, auf welcher Systemebene diese Fragestellungen Relevanz entfalten sollen und inwieweit eine Subjektivierung des Sorgfaltsbegriffs bezweckt ist. 274  Siehe vor allem bei Exner, Fahrlässigkeit, S. 193; vgl. zum Gesamtproblem auch die gute Darstellung bei Jakobs, Studien, S. 57 f. 275  Freilich von einem ganz anderen Ausgangspunkt kommend, hatte bereits Radbruch, siehe oben S. 65 ff., auf die Notwendigkeit einer „Aufsplittung“ hingewiesen. 276  Diese Leistung Exners wird im neueren Schrifttum teilweise übersehen und dagegen der erst knapp 20 Jahre später erschienen Schrift von Engisch, Untersuchungen, siehe dazu unten S. 101 ff., zugesprochen; siehe insofern vor allem Duttge, Bestimmtheit, S. 64 f.; vgl. auch Sauer, Fahrlässigkeitsdogmatik, bei dem das Buch Exners nicht im Literaturverzeichnis auftaucht. 277  Vgl. insofern nochmals oben S. 55 f.



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2. August Köhler – Fahrlässigkeit als Ablehnung der Anregung, auf die Gefährlichkeit des geplanten Verhaltens zu achten Ähnlich wie Exner setzt sich auch August Köhler mit den im Schrifttum vertretenen Auffassungen zum Wesen der Fahrlässigkeitsstraftat auseinander; und er kommt ebenfalls zu dem umfassend begründeten Ergebnis, dass alle bisherigen literarischen Stellungnahmen nicht geeignet seien, einen Schuldnachweis bei der (unbewussten) Fahrlässigkeit zu begründen.278 Ausdrücklich lehnt er aber auch den Exnerschen Ansatz ab, gegen den er folgenden Einwand für durchschlagend erachtet: „Wäre Exners Ansicht richtig, so wäre es unmöglich, einen Gegenstand, den man außerordentlich hochschätzt, fahrlässig zu verletzen.“279 Ferner werde außerdem übersehen, „daß es unendlich viele Objekte [gemeint sind hier Rechtsgutsobjekte280] gibt, die einem Menschen Wert sein können und wert sein sollen. Es ist ein Unding, von ihm zu fordern, daß er an alle fortwährend denken solle.“281 August Köhler will seine Willensschuldtheorie zum fahrlässigen Verhalten entgegen den übrigen, seiner Ansicht nach entkräfteten Auffassungen darauf stützen, „daß der zurechnungsfähige Täter, ohne sich in einer Notlage zu befinden, durch eine Willenshandlung die Anregung abgelehnt hat, eine Gefahr für Rechtsgüter als Folge seines geplanten Verhaltens auf ihren Wirklichkeitsgehalt näher zu prüfen.“282 Mit anderen Worten genügt für ihn also bereits „die willentliche Ablehnung einer Gehirnfunktion, nämlich des Nachdenkens über eine Schädigungsmöglichkeit“, um die Schuld als gege278  August Köhler, Fahrlässigkeit, S. 11 ff. – Zusätzlich zu der Darstellung bei Exner setzt sich August Köhler, Fahrlässigkeit, insb. S. 64, noch mit dem Ansatz von Schmitt, Schuld, insb. S. 92 (nachfolgende Hervorhebung von mir), auseinander, der die Schuld als objektiv bösen Willen auffasst: „Schuld ist die konkrete den Zwecken des Rechts nicht entsprechende Zwecksetzung eines zurechnungsfähigen Menschen bei dem das Bewusstsein der Pflichtwidrigkeit möglich war.“ Abzulehnen sei diese Auffassung, da Schmitt dem Täter nicht die tatsächliche Pflichtversäumung vorwerfen könne; außerdem sei eine taugliche Abgrenzung der echten Fahrlässigkeit zum Zufall nicht möglich; zur Diskussion um den Schmittschen Ansatz siehe auch die gehaltvolle Besprechung von Kriegsmann, ZStW 31 (1911), 707 ff. 279  August Köhler, Fahrlässigkeit, S. 30; August Köhler nimmt insofern Bezug auf einen bereits von Stooss, SchwZStr 23 (1910), 392 f., gemachten Einwand; Stooss, a. a. O., S. 391, weist darüber hinaus noch darauf hin, dass doch niemand zur Wertschätzung fremder Rechtsgüter rechtlich verpflichtet sei, es gelte lediglich der Grundsatz „neminem laede“. 280  Zu dieser Terminologie vergleiche Schmidhäuser, Strafrecht AT-StB, 5 / 29 und 5 / 37. 281  August Köhler, Fahrlässigkeit, S. 32. 282  August Köhler, Fahrlässigkeit, S. 94 f. (Hervorhebung im Original). – Siehe zu seinem Ansatz aber auch die kritischen Besprechungen bei Fischer, Vergessen als Fahrlässigkeit, S. 16 ff. und Kriegsmann, ZStW 33 (1912), 738 ff.

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Kap. 2: Rechtsgeschichtliche Entwicklung

ben zu betrachten.283 Die für notwendig erachtete willentliche Ablehnung könne auch dann vorliegen, wenn der Täter keine Schadensvorstellung gehabt habe, also auch beim Vergessen; hier wird sich der Willensvorgang zwar „meist nicht im Zentralpunkt unseres Bewußtseins, sondern mehr in einer peripherischen Zone desselben abspielen“, so August Köhler, aber dennoch sei auch in solchen Fällen eine Bewusstseinsvorstellung nachweisbar, „welche mit dem Unlustgefühl der Spannung verknüpft war, ob nicht aus dem vorgestellten Verhalten sich Gefahren […] ergeben.“284 Einfach gewendet: Der Täter lehnt es ab, seine unbestimmten Vorstellungen in weiterer Prüfung zu konkretisieren, da er an keine Gefahr glauben mag; und handelt insofern fahrlässig. August Köhler behauptet sodann, dass sich dieser Ablehnungswille auch auf den Erfolg beziehen lasse, und zwar unter folgenden Bedingungen: „Um eine Richtung des Willens gegen ein Objekt für gegeben zu erachten, genügt es […], wenn die unterdrückte Vorstellung den Täter, wie er wußte, zur genaueren Feststellung führen könnte, ob ein Objekt in concreto gefährdet sei.“285 Prüfen will August Köhler die – wohl ausschließlich im Schuldbereich angesiedelte286 – Fahrlässigkeit in einem zweistufigen Verfahren.287 Zunächst habe man zu problematisieren, ob der Täter „entweder die allgemein nach den Verkehrsanschauungen erforderliche Sorgfalt oder die bei den etwaigen besonderen Kenntnissen des Täters (nach sachverständigem Urteil) zu verlangende Sorgfalt [außer acht gelassen hat]“, sog. objektiver Maßstab.288 Dann sei darüber hinaus – mittels eines subjektiven bzw. individuellen Maßstabes – zu hinterfragen, ob die „persönlichen Kenntnisse des Täters“ und „seine augenblickliche Gemütsverfassung ihn zur Beobachtung der objektiv von ihm zu fordernden Sorgfalt instand gesetzt haben.“289 Die Schwere der Vorwerfbarkeit der Fahrlässigkeit richte sich dann insbesondere290 danach, wie dringlich sich die warnenden Vorstellungen geltend zu machen such283  August

Köhler, Fahrlässigkeit, S. 107. Köhler, Fahrlässigkeit, S. 96 f. 285  August Köhler, Fahrlässigkeit, S. 115. 286  Sämtliche die Fahrlässigkeit unmittelbar berührenden Bereiche werden bei August Köhler, Strafrecht AT, im dritten Kapitel – „Die Schuldseite des Verbrechens“ – seines Lehrbuchs verortet. Siehe aber noch unten Fn. 293 (Kap. 2) und Engisch, Untersuchungen, S. 286 Fn. 6. 287  Siehe dazu ausführlich August Köhler, Fahrlässigkeit, S. 124 ff., insb. S. 131 f. 288  August Köhler, Strafrecht AT, S. 280. 289  August Köhler, Strafrecht AT, S. 281. 290  Im weiteren Verlauf der Arbeit führt, August Köhler, Fahrlässigkeit, S. 180 ff., darüber hinaus noch zwei weitere für die Bewertung der Fahrlässigkeit beachtenswerte Gesichtspunkte an, nämlich (in zweiter Linie) „die Dringlichkeit der gefühlbetonten Gegenvorstellung“ und (in dritter Linie) den „Grad von Rücksicht, den der 284  August



C. Fortentwicklung zur „neoklassischen Verbrechenslehre“93

ten.291 Die Dringlichkeit des Spannungsgefühls sei wiederum besonders durch dreierlei beeinflusst: „durch aufgespeicherte Erfahrungen i. e. S. oder sonstige vorhandene Elemente zu naheliegenden Schlußfolgerungen […]; durch den Inhalt und Umfang einer Gefahrmöglichkeit, welche etwa vorübergehend als gefühlbetonte Vorstellung über die Bewußtseinsschwelle getreten ist; […] [und] durch den ins Bewußtsein etwa gelangten Grad von Wahrscheinlichkeit einer gedachten Erfolgsmöglichkeit.“292 Abschließend ist noch darauf hinzuweisen, dass auch August Köhler solche Fälle, in denen bestimmte zulässige verkehrsübliche, aber gefährliche Handlungen vorgenommen werden, nicht erst bei der Außerachtlassung der vom Verkehr geforderten Sorgfalt verorten will, sondern bereits die vom Täter bestimmt geartete Tätigkeit als erlaubt bezeichnen möchte.293 3. Herrmann Mannheim – Fahrlässigkeit als Nichtvorhersehen des Erfolges trotz Vorhersehensollens und objektiven Könnens Mannheim wählt einen gänzlich anderen Ansatzpunkt, die Fahrlässigkeit in das Strafrechtssystem zu implementieren. Sein rechtstheoretischer Ausgangsgedanke ist folgender: „Der objektive Maßstab entspricht allein dem Zwecke der Strafe“.294 Dies gelte deshalb, da nur eine feste, allgemein erkennbare Richtschnur – eben ein objektiver Maßstab – geeignet sei, eine angemessene generalpräventive Wirkung zu entfalten.295 Diese von ihm herausgearbeitete Grundlegung sei auch mit dem Wesen der Schuld vereinbar, jedoch nur „wenn man diese als ‚generelle Voraussehbarkeit‘ auffaßt“, nicht dagegen, „wenn man unter Schuld eine ‚subjektive Beziehung‘ versteht.“296 Mannheim kommt zu diesen Ergebnissen, da man bei einer anderen Herangehensweise die Fahrlässigkeit nicht tauglich in den Verbrechensaufbau einordnen könne. So sei die von der herrschenden Meinung präferierte „subjektive Theorie297, die den Täter nach seinem eigenen Maße Täter der aufgetretenen warnenden Vorstellung noch zuteil werden ließ, ehe er seine Gedanken ablenkte.“ 291  Siehe August Köhler, Fahrlässigkeit, S. 179. 292  August Köhler, Fahrlässigkeit, S. 179 f. 293  Siehe August Köhler, Fahrlässigkeit, S. 140, sowie die folgenden Seiten. – Freilich ist darauf aufmerksam zu machen, dass August Köhler sich nicht gänzlich klar zur Einordnung dieses von ihm beschriebenen Phänomens positioniert und auch nicht vollumfänglich deutlich machen kann, wo die (vermeintlichen) Unterschiede zu der bereits oben beschriebenen Auffassung Exners liegen, siehe oben S. 89 f. 294  Mannheim, Maßstab der Fahrlässigkeit, S. 42. 295  Siehe dazu Mannheim, Maßstab der Fahrlässigkeit, S. 23 ff. 296  Mannheim, Maßstab der Fahrlässigkeit, S. 42. 297  Hinzuweisen ist darauf, dass Mannheim unter den subjektiven Theorien auch solche Auffassungen eingeordnet wissen will, die überhaupt individuelle Momente

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Kap. 2: Rechtsgeschichtliche Entwicklung

messen will, […] entweder willkürlich oder logisch unmöglich.“298 Gerade auf letzteren Punkt weist er mit Nachdruck hin: Der subjektive Maßstab müsse schon deshalb versagen, da „er naturgemäß wenigstens eine Handlung unberücksichtigt lassen [muss], nämlich die zur Beurteilung stehende Straftat selbst.“299 Mannheim will die Fahrlässigkeit sodann „als Nichtvorhersehen des Erfolges trotz Vorhersehensollens und objektiven -könnens definieren“.300 Das von ihm deutlich herausgearbeitete Kriterium des objektiven Könnens301 wird dabei jedoch nicht als selbständige Prüfstufe verstanden, sondern „es bezeichnet nur den Grund für das Sollen. Das Können der anderen wird für den Täter zum Sollen.“302 Demnach handelt fahrlässig, „wer unvorsätzlich einen Erfolg herbeiführt, den ein anderer vorausgesehen hätte und den der Täter daher voraussehen sollte.“303 Dazu will Mannheim jedoch nicht auf einen Idealmenschen abstellen, sondern vielmehr den tüchtigen Durchschnittsmenschen für die Prüfung als maßgebend betrachten.304 Dennoch erfährt dieser objektive Maßstab auch bei ihm Einschränkungen: „Das Maß des Sollens richtet sich nach dem Typus, dem der Täter angehört, und zwar nach den Anforderungen, die wir an ein Durchschnittsexemplar aller tüchtigen Angehörigen dieses Kreises stellen.“305 Mit anderen Worten: Man habe die äußeren Umstände, unter denen der Täter handeln muss, seinen Beruf, seine Bildung und die körperlichen Eigenschaften zu berücksichtigen; dabei werde aber immer – und dies sei der springende Punkt – ein objektiver Maßstab angelegt.306 Auf eine weitere im Ansatz von Mannheim nicht nachdrücklich bezeichnete Einschränkung dieser Generalisierung geistiger Art im Rahmen der Fahrlässigkeit berücksichtigen (so zum Beispiel die Prüfung der Fahrlässigkeit anhand eines doppelten, objektiven und subjektiven Maßstabes bei v. Liszt, siehe insofern oben S. 63 f.), vgl. dazu Mannheim, Maßstab der Fahrlässigkeit, S. 4 ff., insbesondere S. 8 f. – Die von Kriegsmann, ZStW 34 (1913), 755 f., geübte Kritik, dass Mannheim zwischen den zu jener Zeit vertretenen Auffassungen nicht sachgemäß differenziert hätte, erscheint unbegründet (siehe exemplarisch Frank, StGB, § 59 VI.; vgl. aber auch Max Ernst Mayer, Strafrecht Allgemeiner Teil, S. 253 Fn. 5). 298  Mannheim, Maßstab der Fahrlässigkeit, S. 43. 299  Mannheim, Maßstab der Fahrlässigkeit, S. 42. 300  Mannheim, Maßstab der Fahrlässigkeit, S. 43. 301  Vgl. dazu auch oben den ähnlichen Ansatz bei Hold v. Ferneck, der die Schuld als generelle Voraussehbarkeit definieren wollte, siehe dort insbesondere auch Fn. 227 (Kap. 2). 302  Mannheim, Maßstab der Fahrlässigkeit, S. 43. 303  Mannheim, Maßstab der Fahrlässigkeit, S. 43. 304  Mannheim, Maßstab der Fahrlässigkeit, S. 45. 305  Mannheim, Maßstab der Fahrlässigkeit, S. 48. 306  Dies betont Mannheim, Maßstab der Fahrlässigkeit, S. 47, unter Verweis auf die sehr ähnlichen Ausführungen von Liepmann, Einleitung Strafrecht, S. 145.



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hat bereits Kriegsmann hingewiesen:307 So will Mannheim bei der Bewertung, ob Fahrlässigkeit vorliegt, stets den sozialen Wert dessen, was der Täter in Wirklichkeit ausführen wollte, berücksichtigen; und betont insofern: „Dieser Gesichtspunkt darf aber nur individuell, nicht schablonenhaft berücksichtigt werden.“308 Man beachte, dass Mannheim in diesem Zusammenhang wohl davon ausgeht, dass die individuellen Zwecksetzungen (bei Angemessenheit selbiger) bereits die Rechtswidrigkeit und nicht erst die Schuld ausschließen sollen; er also die insbesondere von Exner und Graf zu Dohna309 bei der Fahrlässigkeit betonte Unterscheidung – Probleme auf unterschiedlichen Systemstufen zu verorten – erneut fruchtbar machen will. Nachdem nun gezeigt werden konnte, dass zwar alle drei Autoren aufgrund einer differenzierten Beschäftigung mit der Fahrlässigkeit keine gleichlaufenden Ergebnisse im Schuldbereich erzielt haben, ist es doch als bemerkenswert zu bezeichnen, dass jeder von ihnen – trotz der gänzlich unterschiedlichen Ansatzpunkte – darauf hingewiesen hat, dass gewisse (fahrlässigkeits)spezifische Fallgestalten existieren, die sich nicht sachgerecht im Rahmen der Schuld verorten lassen. Auf alle drei Arbeiten wird noch zurückzukommen sein. Zunächst ist jedoch der Blick wieder auf die allgemeine dogmatische Entwicklung zu lenken. Das umfassende Opus von Mezger ist insofern schlaglichtartig zu beleuchten.

IV. Edmund Mezger – Unrecht als Widerspruch gegen die adressenlose, objektive Bewertungsnorm, Schuld als die persönliche, subjektive Vorwerfbarkeit begangenen Unrechts Mezgers Gesamtwerk ist in ganz wesentlicher Weise von der Begriffsbestimmung der „grundlegenden Merkmale […] von Unrecht und Schuld“ geprägt.310 Er setzt sich, um diese Aufgabe von höchstem Rang zu erfüllen, mit zahlreichen hier bereits behandelten Ansätzen auseinander. Insbesondere gilt seine Begutachtung denjenigen Auffassungen, die „nach dem Vorbild von Adolf Merkel zur Identifizierung von Unrecht und Schuld führen“.311 Gemeinsam sei diesen Meinungen die Anschauung über das Wesen des Rechts: „die Rechtsnorm ist ihnen überall primär und ausschließlich eine Bestimmungsnorm für menschliches Handeln.“312 Damit ist von Mezger die 307  Kriegsmann,

ZStW 34 (1913), 756 f. Maßstab der Fahrlässigkeit, S. 55, siehe auch S. 52 ff. 309  Siehe zu beiden Autoren oben Fn. 271 (Kap. 2), vgl. auch Fn. 213 (Kap. 2). 310  Mezger, GS 89 (1924), 239 (Hervorhebung im Original). 311  Mezger, GS 89 (1924), 239 (Hervorhebung im Original). 312  Mezger, GS 89 (1924), 240 (Hervorhebung von mir). 308  Mannheim,

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Kap. 2: Rechtsgeschichtliche Entwicklung

strenge Imperativentheorie angesprochen,313 die er jedoch bereits aus erkenntnistheoretischen Überlegungen verworfen wissen will: „Logisches Prius des Rechts als Bestimmungsnorm ist überall das Recht als Bewertungsnorm, als ‚objektive Lebensordnung‘ “, „denn wer jemanden zu etwas ‚bestimmen‘ will, der muss zuvor wissen, zu was er ihn bestimmen will: er muß jenes Etwas in bestimmtem positivem Sinne ‚bewerten‘.“314 Mit dieser Argumentation ist nach Mezgers Auffassung aber bisher nur dargebracht, sich das Recht nicht alleine aus Imperativen bestehend denken zu können; so bliebe es noch immer möglich, das Recht – in von der Bewertungsnorm abgeleiteter Form – auch als Bestimmungsnorm (quasi subjektivistisch) zu begreifen. Eine solche Herangehensweise sei aber vor allem praktisch-unzweckmäßig, denn: „Wir bedürfen einer Orientierung alles Rechts und alles Strafrechts in erster Linie an objektiven Gesichtspunkten“, um so „ein äußerlich geordnetes Zusammenleben zu gewährleisten.“315 Dies bringt ihn zu der Erkenntnis: „Recht ist objektive Lebensordnung, Unrecht also die Verletzung dieser objektiven Ordnung.“316 Eine diese Tatsachen berücksichtigende Normentheorie müsse sich demzufolge das Recht gerade nicht aus Imperativen, sondern aus Bewertungsnormen aufgebaut denken. Die einzelne Norm habe man sich folgerichtig vorzustellen als „unpersönliches Soll, dem der Adressat kein wesentliches Erfordernis ist.“317 Anders gewendet: Mezger gewinnt einen abstrakten Begriff der Norm, den er in die „adressenlose“ Form: „Es soll!“ gebracht wissen will.318 Dagegen bezeichnet er das „Du sollst!“, den Imperativ, den er auch als „Normverwirklichungsmittel“ charakterisiert, lediglich als aus der Norm abgeleitet.319 Die Normen des Rechts – verstanden als Bewertungsnormen, gerichtet auf bestimmte objektive soziale Zustände – und die daraus folgenden einzelnen Imperative sind also bei Mezger streng geschieden.320 Diese Überlegungen gipfeln dann in folgender Definition: „Unrecht ist Widerspruch gegen das Recht als Bewertungsnorm, Veränderung eines rechtlich gebilligten bzw. Herbeiführung eines rechtlich missbilligten Zustandes, nicht rechtlich missbilligte Veränderung eines Zustandes.“321 Den materiellen Gehalt dieses Unrechts findet Mezger nun in der „Verletzung menschlicher Interessen“ und dies deshalb, da das Endziel allen Rechts bestimmt ist „als das Streben nach dazu insbesondere die Auffassung von Hold v. Ferneck, oben S. 81 f. GS 89 (1924), 241. 315  Mezger, GS 89 (1924), 242 (Hervorhebung im Original). 316  Mezger, GS 89 (1924), 242. 317  Mezger, GS 89 (1924), 245, auch 242. 318  Mezger, GS 89 (1924), 245. 319  Mezger, GS 89 (1924), 245. 320  Mezger, GS 89 (1924), 245. 321  Mezger, GS 89 (1924), 245 f. 313  Siehe

314  Mezger,



C. Fortentwicklung zur „neoklassischen Verbrechenslehre“97

dem kompossiblen Maximum der Interessenbefriedigung.“322 Man könnte auch sagen, dass das materielle Unrecht für Mezger definiert ist als „die Verletzung oder Gefährdung eines Rechtsgutes“, wobei ausdrücklich darauf hinzuweisen ist, dass die Rechtsgutsverletzung bei ihm nicht naturalistisch, als Schädigung eines bestimmten Handlungsobjektes verstanden wird, sondern vielmehr als die Zuwiderhandlung gegen einen ideellen Wert.323 Hiervon scheidet Mezger den formellen Gehalt des Unrechts, der für ihn in dem „Widerspruch mit dem Recht als adressenloser Bewertungsnorm“ liegt.324 Zu Beginn seiner Ausführungen zum Begriffsmerkmal der Schuld stellt Mezger ganz ausdrücklich fest: „Ohne Unrecht keine Schuld“,325 und weiter „Schuld bedeutet lediglich die persönliche Vorwerfbarkeit eines begangenen Unrechts.“326 Er findet also im Schuldurteil – ebenso wie im Rechtswidrigkeitsurteil – ein normatives Element und sieht sich damit im Einklang mit denjenigen Autoren, die darauf verzichten, „ein bestimmtes einheitliches Merkmal der Schuld in der Person des Täters anzugeben“, und „das eigentliche Wesen der Schuld in dem Widerspruch des Täters mit den ethischrechtlichen Normen [sehen]“, sog. normative Schuldauffassung.327 Das normative Element der Schuld soll nach Mezger nun in der sog. „Pflichtwidrigkeit“ stecken.328 Die Schuld wird augenscheinlich in engste Verbindung mit der Verletzung „der an den persönlich Verpflichteten ‚einzeln‘ adressierten Pflichtnorm als Bestimmungsnorm“ gebracht.329 Man habe aber zu beachten, dass sich dieses Merkmal der Pflichtwidrigkeit nicht mit demjenigen (gleichlautenden) normativen Element in der Rechtswidrigkeit decke: So sei die Schuld in all ihren Formen und Wendungen zwar „echtes Derivat der Rechtswidrigkeit“ und übernehme damit „das im Unrecht enthaltene Werturteil“, aber daneben habe man „die Existenz eines spezifischen 322  Mezger,

GS 89 (1924), 248. diesem Sinne vor allem Mezger, Strafrecht AT, S. 199 f. i. V. m. S. 188 f. 324  Mezger, GS 89 (1924), 249, auch 257. 325  Mezger, GS 89 (1924), 250, diese nachdrückliche Beteuerung ist der zu jener Zeit teilweise vertretenen Auffassung geschuldet, die sich völlig von der Tat lösen und die Schuld zum Angelpunkt der Lehre vom Verbrechen machen wollte, dazu auch Achenbach, Schuldlehre, S. 123 ff. – Zur später aufkommenden sog. „österreichischen Schule“ – Schuld ohne Unrecht – zusammenfassend Zielinski, Unrechtsbegriff, S. 24 Fn. 43 und 41 ff. 326  Mezger, GS 89 (1924), 250, sowie fast wortgleich 251. – Große Ähnlichkeiten bestehen zur Schuldlehre v. Hippels, Deutsches Strafrecht II, S. 270 ff., beachte aber auch die Ausführungen zu den Unterschieden beider bei Achenbach, Schuldlehre, S.  168 ff. 327  Mezger, GS 89 (1924), 250, unter ausdrücklichem Verweis auf Goldschmidt, siehe dazu oben Fn. 125 (Kap. 2). 328  Mezger, GS 89 (1924), 251 f. 329  Mezger, Strafrecht AT, S. 166. 323  In

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Kap. 2: Rechtsgeschichtliche Entwicklung

Schuldmoments normativen Charakters anzuerkennen […]: ohne ein solches ist das Wesen der Schuld nicht verständlich.“330 Die schwierige Aufgabe sei nur, dessen Gegenstand sauber herauszuarbeiten. Um das normative Element der Schuld nun nachweisen zu können, setzt sich Mezger auffällig intensiv mit der Rechtsfigur der Fahrlässigkeit auseinander. Wohl deshalb, weil – neben den anderen Schuldmerkmalen der Zurechnungsfähigkeit und dem Fehlen besonderer Schuldausschließungsgründe – gerade die „Schuldformen“331 (Vorsatz und Fahrlässigkeit) für ihn zentrale Merkmale darstellen: Sie bestimmen die Form, „die die Handlung als rechtlich missbilligten Ausdruck der Persönlichkeit erscheinen läßt.“332 In diesem Zusammenhang behandelt er dann unter anderem die Auffassung Tesars333, der aufgrund von Untersuchungen zu den psychologischen Grundlagen von dolus eventualis und culpa meint, sagen zu müssen, dass die Schuld als Moment der Einzeltat nicht zu halten sei; man habe die strafrechtliche Schuld vielmehr charakterologisch zu bestimmen. Dem entgegnet Mezger entschieden, eine solche Sichtweise würde fälschlicherweise das Tatprinzip des geltenden Rechts aushebeln; allenfalls einen richtigen Kern habe diese Verbrechensauffassung: So könne man nicht sagen, „daß unter den verschiedenen Schuldvoraussetzungen überhaupt keine Voraussetzungen charakterologischer Natur sein könnten.“334 Diese den Gesamtcharakter des Täters betrachtende Herangehensweise will er wohl deshalb nicht gänzlich verwerfen, da er darauf hinweist, dass die andere von ihm behandelte, die „konkret-psychologische Schuldauffassung“ – Schuld als „die subjektive, psychologische Beziehung des Täters zu seiner Tat“ – immer Schwierigkeiten gehabt habe, die sog. unbewusste Fahrlässigkeit zu erklären.335 Aber auch er geht im Grunde davon aus, eine „psychische Beziehung des Täters zu der von ihm verursachten Tat“ selbst bei der unbewussten Fahrlässigkeit aufzeigen zu können und – dies ist von größter Bedeutung – es schlechterdings zu müssen.336 Mezger hält nämlich folgende Prämissen für unbestreitbar: „Der Täter muß zur ‚Sorgfalt‘, zur ‚Vorsicht‘ verpflichtet sein – sonst kann von Fahrlässigkeit bei ihm keine Rede sein. Er muß zu dieser Pflichterfüllung aber auch ‚imstande‘ sein. Imstande ist der Täter aber nur zur Erfüllung einer Pflicht, die er kennt.“337 Notwendig sei somit immer, dem 330  Mezger,

GS 89 (1924), 252. bereits Mezger, MschrKrim 13 (1922), 56 ff. 332  Mezger, Strafrecht AT, S. 269. 333  Siehe Tesar, ZStW 32 (1911), 379 ff., insbesondere 411 f. 334  Mezger, GS 89 (1924), 252 f. 335  Mezger, GS 89 (1924), 253 (Hervorhebung von mir). 336  Mezger, GS 89 (1924), 257. 337  Mezger, GS 89 (1924), 254. 331  Dazu



C. Fortentwicklung zur „neoklassischen Verbrechenslehre“99

Handelnden eine „bewußte Pflichtverletzung“ nachzuweisen. Hervorzuheben ist, dass Mezger in diesem Zusammenhang ein sehr umfassendes, äußerst spezielles Verständnis von den in Betracht kommenden Pflichten zugrunde zu legen scheint, da er exemplarisch die Pflicht des Lokomotivführers, sein „neues Reglement“ zu studieren, anführt. Ausdrücklich arbeitet er sodann heraus, dass eine Verletzung dieser angesprochenen Pflichten auch weit vor dem späteren Erfolgseintritt liegen könne:338 „Überall beginnt die fahrlässige Tat in diesem Zeitpunkt des bewußten Aktes oder der bewußten Vernachlässigung, wenn sie auch erst später endet.“339 Beispielhaft veranschaulicht: Die Fahrlässigkeit unseres Lokführers würde also im bewussten Nichtstudium seiner Unterlagen und nicht etwa in der späteren Missdeutung eines neuen, in den Unterlagen beschriebenen Signals liegen, wenn hernach ein Unglück die Folge wäre. „Er kann wegen seiner Fahrlässigkeit hierfür haftbar gemacht werden, denn er weiß, daß die Vorschriften seines Dienstes die Sicherheit des Verkehrs betreffen.“340 Ferner macht Mezger darauf aufmerksam, dass es neben dem Erfordernis der bewussten Pflichtverletzung noch eines weiteren Moments bedürfe, da unser geltendes Recht nicht ein allgemeines crimen culpae (das heißt ein einziges, einheitliches Fahrlässigkeitsdelikt, bestehend in dem Verstoß gegen bestimmte Pflichten) kenne, sondern gerade nur eine Reihe von crimina culposa (das heißt verschiedene, nach dem Erfolg getrennte Fahrlässigkeitsdelikte), wie zum Beispiel die fahrlässige Tötung nach § 222.341 Infolgedessen müsse die vom Täter missachtete Pflicht selbst in Beziehung zum Erfolg stehen, um beim fahrlässigen Delikt nicht das bloße versari in re illicita zu strafen, das heißt bereits dann einen Vorwurf zu erheben, nur weil der Täter sich in einer unerlaubten Lage befindet, die später zu einem zufälligen Erfolg führt; anders gewendet: „Nicht jede Pflichtverletzung kann die geeignete Grundlage zum Fahrlässigkeitsurteil abgeben, sondern nur die Verletzung einer solchen Pflicht, die gerade Erfolge dieser Art verhindern wollte.“342 Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass nach Mezger der Täter immer nur dort fahrlässig handelt, „wo ihm irgend eine bewußte Pflichtverletzung zur Last fällt und wo er sich bei dieser Verletzung zugleich bewußt 338  Mezger,

GS 89 (1924), 255, insbesondere Fn. 2. Strafrecht AT, S. 356. 340  Mezger, GS 89 (1924), 256. – Trotz der sonst vorhandenen Nähe zur Auffassung August Köhlers, oben S. 91 ff., macht Mezger, siehe auch a. a. O., 255 Fn. 1, die Begründung der Fahrlässigkeit also nicht davon abhängig, ein affektives Moment nachzuweisen; er hält das bloße Wissen des Täters von der Pflicht für genügend, ohne dass es der „Gefühlsbetonung“ bedürfte; vgl. ebenfalls Fischer, Vergessen als Fahrlässigkeit, S. 20. 341  Mezger, GS 89 (1924), 256 und Mezger, Strafrecht AT, S. 356. 342  Mezger, GS 89 (1924), 256. 339  Mezger,

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Kap. 2: Rechtsgeschichtliche Entwicklung

ist, daß die an ihn herangetretene Forderung dazu bestimmt war, Erfolge dieser Art zu verhindern.“343 Damit meint er, eine, wenn auch nur abstrakte, aber immerhin psychische Beziehung des Täters zu der von ihm verursachten Tat aufzeigen und schlussendlich daran festhalten zu können, dass die wesentliche Beziehung des Schuldurteils auf inneren, also auf subjektiven Vorgängen des Täters beruht: „Die Schuld ist eine persönliche, subjektive Beziehung des Täters zu seiner Tat.“344 Mezger kommt also zu einem vordergründig der „klassischen Verbrechensauffassung“ sehr nahestehenden Ergebnis: „Das Unrecht ist mithin grundsätzlich objektivistisch, die Schuld grundsätzlich subjektivistisch orien­ tiert.“345 Nur geht er einen Schritt weiter als im Liszt-Belingschen System vorgesehen, indem er diese Einteilung nicht verabsolutiert, sondern darauf hinweist, dass es im geltenden Recht subjektive Unrechtselemente gebe:346 Zwar sei das Recht grundsätzlich objektive Interessenverletzung, aber diese lasse sich nicht immer unabhängig von der „subjektiven“ Willensrichtung desjenigen bestimmen, der sich gegen fremde Interessen wendet.347 Möglich wird die Einbeziehung subjektiver Elemente in den Unrechtsbereich durch Mezgers (vor allem an Hertz und Keßler orientierten348) erweiterten Rechtsgutsbegriff, der gerade nicht mehr lediglich am „Handlungsobjekt“ der Unrechtshandlung ausgerichtet ist, sondern das rechtlich geschützte Interesse des Verletzten in den Mittelpunkt der Betrachtung stellt: Beschränkt man das Interesse nicht auf ein bestimmtes Objekt der realen Wirklichkeit, sondern erstreckt es auf jedes „Unterbleiben einer Handlung“, „deren Schädlichkeit nur möglich erscheint“, kann das Rechtsgut verletzt sein, obwohl sich die Handlung, „wenn gleichwohl geschehen, hinterdrein als objektiv indifferent herausstellt.“349 Trotz des Nachweises subjektiver Unrechtselemente ist nochmals deutlich festzuhalten, dass Mezger – wie oben gezeigt – 343  Mezger,

GS 89 (1924), 257. GS 89 (1924), 257. 345  Mezger, GS 89 (1924), 257. 346  Siehe zu Mezgers Differenzierungen bei den subjektiven Unrechtselementen ausführlichst Sieverts, Lehre von den subjektiven Unrechtselementen, S. 24 ff. – Hinzuweisen sei an dieser Stelle noch darauf, dass Mezger, Traeger-FS, S. 187 ff., insb. S. 197 ff., die subjektiven Unrechtsmerkmale später als subjektive Tatbestandsmerkmale bezeichnete, um so Folgendes (Mezger, Strafrecht AT, S. 190, Fn. 17) herauszuarbeiten: „Im Rahmen der Tatbestandslehre aber bedarf es der besonderen Hervorhebung, daß der Tatbestand (der für uns immer ‚Unrechts‘-Typus ist), subjektive Elemente in sich schließt.“ 347  Mezger, GS 89 (1924), 259 ff., mit Max Ernst Mayer, siehe oben Fließtext bei Fn. 215 (Kap. 2), erkennt er beispielsweise die unzüchtige Handlung als subjektives Unrechtsmerkmal an. 348  Siehe dazu vor allem Mezger, Strafrecht AT, S. 199. 349  Die Zitate entstammen Keßler, GS 40 (1888), 598. 344  Mezger,



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keinesfalls davon Abstand genommen hat, die Fahrlässigkeit im Sinne der bis dahin allgemeinen Meinung im Schulbereich zu verorten: Verlangt man nämlich für die Annahme eines subjektiven Unrechtselementes, dass dem rechtsgutsverletzenden, bzw. interesseverletzenden Charakter der Tat etwas Neues hinzugefügt werden müsse (wie es zum Beispiel beim Absichtsdelikt der Urkundenfälschung geschehe),350 stellt sich für Mezger nicht einmal die Frage, von der bisherigen Zuordnung abzugehen. Vereinfacht gewendet: Die Fahrlässigkeit – deren Prüfung im Unrechtsbereich lediglich eine tatbestandlich umschriebene, nicht gerechtfertigte Erfolgsherbeiführung voraussetzt – bleibt als rechtlich missbilligter Ausdruck der Persönlichkeit Bestandteil der normativ bestimmten Schuld.351

V. Karl Engisch – Der „formelle“ Schuldgehalt der Fahrlässigkeit, insbesondere die äußere und innere Sorgfalt Haben wir bei der Auseinandersetzung mit Mezgers Verbrechenssystem sehen können, dass für ihn das Auffinden einer angemessenen Definition der allgemeinen Straftatelemente (Unrecht und Schuld) ein vorrangiges, das primäre Ziel darstellte, werden wir nun bei der Inaugenscheinnahme der die Thematiken Vorsatz und Fahrlässigkeit behandelnden, grundlegenden dogmatischen Monographie von Engisch352 einen gänzlich anderen Anknüpfungspunkt ausfindig machen. Engisch will für seine Arbeit zunächst einige Fragenbereiche ausgeklammert wissen. So beschreitet er vor allem nicht den zu jener Zeit in der literarischen Auseinandersetzung regelmäßig eingeschlagenen Weg, das Wesen der Schuld zunächst anhand von materiellen Erwägungen (zum Beispiel anhand des Streits um den Willensschuldbegriff) zu bestimmen, um dann aufgrund der insofern erzielten Ergebnisse womöglich – den tatsächlichen Gegebenheiten, der „Volksanschauung“ entgegengedazu vor allem Mezger, Traeger-FS, S. 199 und 206 f. dieser Stelle sei noch kurz auf die Schlussfolgerungen zur Mezgerschen Strafrechtsdogmatik von Thulfaut, Mezger, S. 32 ff., hingewiesen, insbesondere aber auf die These auf S. 49, „daß sich Mezger vor dem Hintergrund seines rein positivistischen Ausgangspunktes und seiner immer mehr in die Abstraktion getriebenen Zerlegungssucht als unfähig erwies, die Entdeckung der subjektiven Unrechtselemente zum Aufbau einer realitätsorientierten Dogmatik zu nutzen.“ Diese Behauptung muss schon deshalb als nicht haltbar bezeichnet werden, da sich gerade die Mezgersche Lehre dadurch auszeichnete, das Verbrechen teleologisch-wertbezogen zu betrachten und dem „Formalismus“ und „Naturalismus“ der klassischen Lehre entgegengesetzt war (man denke nur an den ideell, nicht realgegenständlich ausgestalten Rechtsgutsbegriff, die Anerkennung subjektiver Unrechtselemente und den normativen Schuldbegriff), vgl. dazu auch Gallas, ZStW 67 (1955), 3. 352  Engisch, Untersuchungen, aus dem Jahre 1930. 350  Siehe 351  An

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setzt353 – zu folgern, dass „die Fahrlässigkeit, soweit sie jenen Merkmalen nicht entspricht, keine Schuldform [ist].“354 Mit anderen Worten: Der Schwerpunkt seines Arbeitens geht gerade nicht dahin, eine „theoretische“ (Gesamt-)Definition der Schuld zu entwickeln, sondern sein Hauptaugenmerk liegt darauf, die Schuld im formellen Sinne zu charakterisieren, das heißt die Bedingungen zu ermitteln, „die ein tatbestandsmäßiges rechtswidriges Verhalten des Täters erfüllen muß, um als vorwerfbar und damit strafwürdig zu erscheinen.“355 Dementsprechend ist der Charakter des Buches von der Behandlung zahlreicher Einzelausführungen und -probleme geprägt.356 1. Die Rechtsfahrlässigkeit Engisch stellt an den Beginn seiner Erläuterungen zum Themenbereich der Fahrlässigkeit die Frage nach der sog. Rechtsfahrlässigkeit. Charakterisiert sei diese dadurch, „daß abgesehen davon, daß dem Täter die erforderliche Beziehung zur Rechtswidrigkeit fehlt, die Vorsatzerfordernisse erfüllt sind, daß also die erforderliche Beziehung zu den Tatumständen obwaltet.“357 Von Tatsachenfahrlässigkeit will Engisch dagegen sprechen, „wenn der Vorsatz schon hinsichtlich der Tatbestandsverwirklichung fehlt.“358 Engisch bringt zum Ausdruck, dass eine Abgrenzung beider Institute möglich sei359 und schon aufgrund der Tatsache vorgenommen werden müsse, weil die Differenzierung Eingang in die gesetzespolitischen Diskussionen gefunden hätte (Engisch verweist unter anderem auf die Entwürfe von 1919 und 1927): Die Rechtsfahrlässigkeit werde einerseits nicht vollumfänglich den Rechtsfolgen des Vorsatzes unterstellt, andererseits aber – seiner Meinung nach berechtigterweise – auch nicht wie die Tatfahrlässigkeit behandelt.360 Einer abschließenden Stellungnahme in Bezug auf die „richtigen“ Rechtsfolgen enthält sich Engisch aber.

dazu vor allem Engisch, Untersuchungen, S. 44, 239 f. Untersuchungen, S. 46. 355  Engisch, Untersuchungen, S. 25, siehe unter anderem auch S. 38 f., 240, 451. 356  Dies betonen mit Recht Exner, MschrKrim 22 (1931), 54, und Schwinge, ZStW 52 (1932), 341. 357  Engisch, Untersuchungen, S. 245, siehe auch S. 250. 358  Engisch, Untersuchungen, S. 255, siehe auch S. 245. 359  Engisch, Untersuchungen, S. 250 ff. 360  Engisch, Untersuchungen, S. 247 f. 353  Siehe

354  Engisch,



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2. Das Irrtumsmoment bei der Fahrlässigkeit und die äußere und innere Sorgfalt Im weiteren Verlauf der Arbeit meint Engisch – nach ausführlicher Diskussion –, den Nachweis erbracht zu haben, dass ein „Irrtumsmoment […] der Fahrlässigkeit nicht prinzipiell eigentümlich [ist]“,361 und lehnt es aufgrund dessen ab, „die Fahrlässigkeit als Nichtvoraussicht, Unkenntnis usw. der Tatumstände und der Rechtswidrigkeit zu bestimmen“;362 denn es seien „Fälle denkbar, in denen der Täter sich nicht in Unkenntnis der Sach- und Rechtslage befindet und dennoch fahrlässig handelt, bewogen von der leichtsinnigen ‚Hoffnung der Erfolg werde nicht eintreten‘ “.363 Für die Diskussion um die Fahrlässigkeit müsse daher vielmehr die Tatsache den maßgeblichen Anknüpfungspunkt bilden, dass der Täter „das tatbestandsmäßige Unrecht [hätte] vermeiden können und sollen“.364 Wenn „die herrschende Lehre von alters her“ für die Beschreibung dieser Umstände den Begriff der Sorgfalt verwende, müsse man diesen demnach ausführlich bestimmen.365 Engisch versucht nun dem entwickelten Gedanken insofern Rechnung zu tragen, als er sich der Analyse der Differenzierung von sog. äußerer und innerer Sorgfalt widmet. Letztere, psychologisch fundierte Begrifflichkeit werde dann verwendet, wenn „die Sorgfalt in ‚Handlungen des Gemüts‘ besteht“; der Begriff der äußeren Sorgfalt umfasse dagegen „äußere Handlungen und Unterlassungen, dessen Umkehr vornehmlich die ‚gefährliche‘ Handlung ist.“366 Um die Eigenständigkeit der beiden „Institute“ herauszustellen und beide voneinander abzuschichten, will Engisch unter anderem folgendes – bereits schon von Frank367 geschildertes – Fallbeispiel fruchtbar machen: Einem chirurgisch nicht genügend ausgebildeten Arzt gelinge es trotz „aller nur möglichen Aufmerksamkeit“ nicht, den Tod seines Patienten zu verhindern.368 Nach Engischs Auffassung soll es hier zwar nicht an der inneren, aber an der Beachtung der äußeren Sorgfalt fehlen, weil der Arzt schon aufgrund seiner mangelnden Sachkenntnis die Verrichtung nicht hätte übernehmen dürfen. Zur nochmaligen Verdeut­ 361  Engisch, Untersuchungen, S. 265; vorher aber bereits S. 256 ff.; auch später S. 279. 362  Engisch, Untersuchungen, S. 266. 363  Engisch, Untersuchungen, S. 266 f.; Beispiel sogleich im Text; siehe zur „bewussten Fahrlässigkeit“ auch unten S. 111. 364  Engisch, Untersuchungen, S. 268. 365  Engisch, Untersuchungen, S. 268 f. 366  Engisch, Untersuchungen, S. 270. 367  Frank, StGB, § 59 VIII. 368  Engisch, Untersuchungen, S. 274; dort auch die Bezugnahme auf ein Beispiel von v. Hippel; weitere Beispiele auf S. 279.

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lichung: Die innere Sorgfalt (synonym: Aufmerksamkeit, Vorsicht) ist bei ihm beschrieben als „eine gewisse Leistung der Konzentration, ein Zusammennehmen der fünf Sinne, ein Anspannen der Geisteskräfte, ein Inzuchtnehmen des psychologischen Apparates“ und mit dem gleichgesetzt, „was Binding als die Erfüllung der Vorprüfungspflicht bezeichnet hat.“369 Andererseits sei die Außerachtlassung der äußeren Sorgfalt gerade nicht dadurch charakterisiert, dass die in Betracht kommenden Täter „ungenügend auf Gefahrenquellen geachtet haben, sondern daß sie (womöglich trotz klarer Erkenntnis der Gefahr) etwas getan haben, was sie nicht tun sollten, nämlich daß sie eine gefährliche Handlung vorgenommen haben“, und er führt sogleich weitere Beispiele vor allem aus dem Straßenverkehr an, bei denen man sogleich frage: „Worauf ist der Unfall zurückzuführen, […] auf Unterlassung von Signalgeben, auf Nichteinhalten der richtigen Straßenseite usw.?“370 Engisch weist sodann mit Nachdruck darauf hin, dass diesem letztgenannten Aspekt, der Außerachtlassung der äußeren Sorgfalt, in der Literatur meist zu wenig Beachtung geschenkt werde;371 insbesondere begünstigt durch die herrschende Verbrechenslehre mit ihrer Fixierung auf Bedingungstheorie (Kausalität) und Fahrlässigkeitsdefinition (Erkennbarkeit, „schuldhafte Unkenntnis“).372 Ferner macht er deutlich, dass der gesamte Sorgfaltsbegriff von Wertmomenten durchzogen sei, so dass es eigentlich immer nur darum gehe, herauszufinden, was man denn als erforderliche Sorgfalt zu qualifizieren habe; dabei sei aber nicht darauf abzustellen, „was dem Täter als erforderliche Sorgfalt erscheint, auf die subjektive Sorgfalt, sondern auf das, was erforderliche Sorgfalt ist, auf die objektive Sorgfalt.“373 3. Die Unterscheidung der verschiedenen Sorgfaltstypen Die sich hieran anschließenden Kapitel widmet Engisch der Aufgabe, diese sog. erforderliche Sorgfalt „an Hand ihrer wesentlichen Erscheinungsformen klarzulegen“.374 Er findet die wichtigsten Sorgfaltstypen durch folgendes charakterisiert: Die Sorgfalt „als Unterlassung gefährlicher Handlungen“375, 369  Engisch, Untersuchungen, S. 271  ff.; siehe dazu auch Binding, Normen IV, S. 499 ff. und Normen II, S. 235 ff., jeweils mit weiteren Nachweisen, und den Fließtext oben bei Fn. 51 (Kap. 2). 370  Engisch, Untersuchungen, S. 274 f. 371  Engisch, Untersuchungen, S. 275. 372  Engisch, Untersuchungen, S. 277. 373  Engisch, Untersuchungen, S. 282. 374  Siehe dazu die Zusammenfassung bei Engisch, Untersuchungen, S. 324 f. 375  Engisch, Untersuchungen, S. 283 ff.



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zweitens „als äußeres Handeln in Gefahrsituation“376, und drittens „als Erfüllung der Rechtsbeachtungspflicht“377. Im Rahmen des ersten Punktes, „der Unterlassung gefährlichen äußeren Handelns“, wird besonderes Augenmerk auf die Rechtsfigur des sog. „erlaubten Risikos“ gelegt, für das besonders charakteristisch sei, dass „in jedem Falle eine Güterabwägung“ vorgenommen werden müsse.378 Zur Verdeutlichung dieser abstrakten Beschreibung: Engisch vertritt nicht die Auffassung, dass die Verpflichtung gefährliche Handlungen zu unterlassen, ausnahmslos gilt, sondern vielmehr, dass diese Pflicht erst dann eingreife, wenn der Täter das erlaubte Risiko überschreitet: Ist das gefährdende Verhalten also „zur Erreichung eines gebilligten Zwecks geeignet und notwendig“ und im Hinblick auf die Gewichtung der in Rede stehenden Rechtsgüter angemessen, soll von einer Verletzung der Sorgfalt nicht gesprochen werden können; als solche gebilligten Zwecke kämen etwa Operationen und Rettungswerke, gefährliche Experimente zum Fortschritt der Wissenschaft, aber auch der Betrieb von Bergwerken, Fabriken und Steinbrüchen in Betracht.379 Bei der zweiten Gruppe, den Handlungspflichten, die sich aus Gefahrsituation ergeben, „gewissermaßen das Gegenbeispiel zu der eben besprochenen“, gehe es nicht um die Unterlassung einer gefährlichen Handlung, sondern demgegenüber „um die Vornahme geeigneter Bedingungssetzungen in der Außenwelt, um auf diese Weise einen tatbestandsmäßigen Erfolg zu verhüten“.380 Diese Form der Sorgfalt, die uns bei den Unterlassungsdelikten begegne, bestimme sich danach, was der einsichtigste Mensch an der Stelle des Täters nach den Regeln der Erfahrung getan hätte, um die Tatbestandsverwirklichung zu vermeiden.381 Die in Rede stehenden Vermeidegebote exemplifiziert er folgendermaßen: „So ist es etwa in gefährlichen Fabrikbetrieben geboten, Körperverletzungen und Tötungen hintanzuhalten durch Verkleidung laufender Transmissionen, durch Einfassung von Maschinen und Anbringung von Warnungstafeln“, wie auch der Chirurg „die Kunstregeln seines Berufs, die Prinzipien der antiseptischen Behandlung“ und „der Leiter eines Baus die Regeln der Baukunst“ befolgen müsse.382 Bevor Engisch dann die dritte Form der Sorgfalt einer genaueren Begutachtung unterzieht, hält er noch ausdrücklich fest, dass die behandelten 376  Engisch,

Untersuchungen, S. 290 ff. Untersuchungen, S. 306 ff. 378  Siehe Engisch, Untersuchungen, S. 288 und 284. 379  Engisch, Untersuchungen, S. 285 ff., insb. 287. 380  Engisch, Untersuchungen, S. 290 (Hervorhebung im Original). 381  Engisch, Untersuchungen, S. 298 ff., insb. 301 f. 382  Engisch, Untersuchungen, S. 292. 377  Engisch,

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ersten beiden Formen „äußerer“ Sorgfalt nur für die Erfolgsdelikte passten. Die Rechtsbeachtungspflicht383 (bei Binding in ähnlicher Weise als Vorprüfungspflicht gekennzeichnet), bei der die sog. innere Sorgfalt ihr eigentliches Tätigkeitsfeld habe, entfalte dagegen bei allen Delikten Relevanz: So müsse etwa der Zeuge vor Gericht genau zuhören, sein Erinnerungsvermögen anstrengen und Überlegungen anstellen, der Arzt müsse sich über die Fortschritte seines Faches auf dem Laufenden halten und der Lokomotivführer die Signalvorschriften studieren.384 Aber es sei zu eng, diese Pflicht zur Verschaffung der erforderlichen Erkenntnisse mit Binding ausschließlich als Pflicht zu geistig sinnlicher Erkenntnisarbeit385 aufzufassen: „Denn einmal lässt sich die […] innere Sorgfalt häufig nicht von einem äußerlich sorgfältigen Verhalten loslösen. Das sich ‚nach allen Seiten umsehen‘ bedeutet doch auch ein Wenden des Kopfes nach allen Seiten. Zum anderen aber hat die geistig sinnliche Erkenntnisarbeit ihrerseits öfters wieder zur Voraussetzung ein äußeres Verhalten“, so zum Beispiel bei der Erkundigungspflicht des Steuerpflichtigen.386 Wolle man nun die Basis dieser Rechtsbeachtungspflicht ermitteln, müsse man stets auf „die konkrete Situation“ abstellen, und zwar „soweit diese von einem einsichtigsten Menschen (an der Stelle des Täters) ins Bewusstsein erhoben werden kann.“387 Den gegen ein derartiges Verständnis erhobenen Vorwurf, eine so definierte Kenntnisverschaffungspflicht überspanne die Fähigkeiten des Einzelnen, lässt Engisch nicht gelten: Solche Bedenken würden nur dann durchgreifen, ginge man von einer obligatio ad dilligentiam aus, die jedermann verpflichtete, „bei jeder Handlung nach jeder Richtung zu überlegen, ob nicht eine Rechtsgüterverletzung irgendeiner Art oder einer bestimmten Art entstehen kann.“388 Gehe man dagegen wie er von einer „allgemeinen“ Sorgfaltspflicht lediglich in dem Sinne aus, „daß die Rechtsbeachtungspflicht nur dann Platz greift, wenn eine Tatbestandsverwirklichung, deren fahrlässige Begehung strafbar ist, am Horizont erscheint“, entfalteten solche Einwände keine Durchschlagskraft.389 Außerdem sei die Pflicht zur Kenntnisverschaffung auch noch in normativer Hinsicht einzuschränken: „Die Rechtsbeachtungspflicht gilt nur im Rahmen vernunftgemäßen Fordernkönnens.“390 383  Diese Terminologie stammt von Engelmann, siehe dazu Engelmann, TraegerFS, S. 133 ff.; zu den zwischen Engisch und Engelmann verbleibenden Unterschieden siehe Engisch, Untersuchungen, S. 310 ff., insb. S. 312. 384  Engisch, Untersuchungen, S. 309. 385  So Binding, Normen IV, S. 500. 386  Engisch, Untersuchungen, S. 309 f. 387  Engisch, Untersuchungen, S. 313. 388  In diesem Sinne beispielsweise die Feuerbachsche Auffassung, siehe dazu oben Fn. 252 (Kap. 2) und Engisch, Untersuchungen, S. 321. 389  Engisch, Untersuchungen, S. 321 und beispielsweise S. 331 f.



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4. Einbettung des Sorgfaltsbegriffs in den Deliktsaufbau Danach nimmt sich Engisch der gewichtigen Fragestellung an, inwiefern sich sein entwickelter Sorgfaltsbegriff in das Gesamtsystem einfüge. Dazu weist er zunächst nochmals darauf hin, dass die Sorgfalt nicht als ein eindeutig psychischer Sachverhalt mit dem allzeit selben Inhalt – als „bloße“ Aufmerksamkeit – erscheine, sondern immer eine „innere Beziehung zu den besonderen Arten der Tatbestandsverwirklichung“ aufweise.391 Im Hinblick auf die (an Binding angelehnte) Normentheorie stellten sich die Zusammenhänge zwischen der Sorgfalt und dem einzelnen Tatbestand – exemplarisch gezeigt – wie folgt dar: „Die Norm, Tötungen zu vermeiden, ist identisch mit der Norm, Sorgfalt zur Vermeidung von Tötungen anzuwenden. Die letztere drückt nur die erstere auf eine andere Weise aus.“392 Engisch will damit den Beweis gegen die Einförmigkeit und Selbständigkeit der Sorgfaltspflicht angetreten wissen. Dadurch dass die Strafdrohung allerdings immer auf die schuldhafte Tatbestandsverwirklichung bezogen sei, bedürften die gemachten Überlegungen der Modifikation: „Soweit allein die vorsätzliche Tatbestandsverwirklichung unter Strafe gestellt ist, kann der Strafdrohung nur entnommen werden die Norm, die Tatbestandsverwirklichung dann zu vermeiden, wenn man um sie weiß“, dagegen könne man aus der Strafdrohung keine „allgemeinste“ Pflicht zur Rechtsbeachtung herauslesen, da dies das Handlungsleben innerhalb der Gesellschaft zu stark beschränkte.393 Dementsprechend gelte vielmehr: „Die Verpflichtung zur Vermeidung auch der nichtvorgestellten Tatbestandsverwirklichung und die Rechtsbeachtungspflicht können, abgesehen von besonderen Normierungen, nur angenommen werden, wenn und soweit die fahrlässige Tatbestandsverwirklichung unter Strafe steht.“394 Jedoch sei – bei Strafbarkeit der Fahrlässigkeit – die 390

390  Engisch,

Untersuchungen, S. 323. Untersuchungen, S. 327 ff., insb. 331, 328. – Diese vor allem gegen Exner gewandten Ausführungen, der behauptete, dass man eine „allgemeine“ Sorgfaltspflichtverletzung nicht dazu heranziehen könne, einen Schuldvorwurf bei der Fahrlässigkeit – aufgrund einer fehlenden Beziehung zum eingetretenen Erfolg – zu begründen (vgl. dazu oben Fließtext bei Fn. 255 (Kap. 2)), sind aber teilweise irreführend, benutzt Exner – wie wir gesehen haben – den Begriff der Sorgfalt doch nicht nur im Sinne von „Aufmerksamkeit“, sondern später (zumindest auch) zur Kennzeichnung von „äußerem“ Verhalten (vgl. dazu oben Fließtext bei Fn. 273 (Kap. 2)). 392  Engisch, Untersuchungen, S. 337. 393  Engisch, Untersuchungen, S. 337 f. 394  Engisch, Untersuchungen, S. 338. – Man beachte, dass Engisch hiermit also die Rechtsbeachtungspflicht von den anderen beiden Formen der Sorgfalt, die sich ausschließlich auf das sog. äußere Verhalten beziehen, klar separiert. Mit anderen Worten: Die ausschließlich äußere Sorgfalt soll überall (d. h. bei Vorsatz- und Fahrlässigkeitstaten) Relevanz entfalten, die Rechtsbeachtungspflicht dagegen nur dort, wo die Fahrlässigkeit besonders unter Strafe gestellt ist. – Vgl. noch Engisch, Un391  Engisch,

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jeweilige, spezielle Norm bereits immer dann als verletzt anzusehen, wenn der Täter – durch welches Verhalten auch immer – „die geforderte Sorgfalt außer acht gelassen“ habe.395 Erst nachdem Engisch nochmals hervorgehoben hat, dass der Gesetzgeber „(gedanklich antizipierte) Normverletzungen unter Strafe [nimmt], indem er Tatbestände aufstellt“, sieht er „die Basis geschaffen für die Einordnung der Außerachtlassung der erforderlichen Sorgfalt.“396 Die Verletzungen der beiden Formen äußerer Sorgfalt – die Vornahme gefährlicher Handlungen und die Nichtvornahme gebotener äußerer Handlungen zur Abwendung von drohenden Tatbestandsverwirklichungen – seien als das Unrecht konstituierende Tatbestandsmerkmale einzuordnen. Aber selbst für die Verletzung der Rechtsbeachtungspflicht könne eine entsprechende Einordnung in den gesetzlichen Tatbestand als angemessen bezeichnet werden: Erstens enthalte die Kenntnisverschaffungspflicht – wie gesehen – sowohl Pflichten zu äußerem wie auch innerem Verhalten, die eng miteinander verzahnt seien, so dass eine Zerreißung dieser (einerseits Tatbestand, andererseits Fahrlässigkeitsbegriff) unsachgemäß erschiene, und zweitens beziehe sich die zur Fahrlässigkeit gehörende Erkennbarkeit397 jeweils auf die die Außerachtlassung der gebotenen Sorgfalt begründenden Umstände, mit anderen Worten: diejenigen Umstände, die Gegenstand der Erkennbarkeit seien, müssten den Merkmalen des gesetzlichen Tatbestandes unterfallen.398 Jedoch sollen diese grundsätzlichen, den gesamten Sorgfaltsbegriff in den gesetzlichen Tatbestand einordnenden Überlegungen ausdrücklich „keine terminologischen Konsequenzen haben“; es sei „vielmehr unschädlich, in der gewohnten Weise von der Versäumung der gebotenen Sorgfalt in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Fahrlässigkeitsbegriff und seiner Anwendung auf den konkreten Fall zu sprechen.“399 Einfach gewendet: Obwohl Engisch meint, „daß die Verpflichtung zur Sorgfalt nur in der Form der Rechtsbeachtungspflicht etwas speziell dem Fahrlässigkeitsbegriff Zugeordnetes bedeutet“, sei es möglich, den gesamten, schillernden Sorgfaltsbegriff im Schuldbereich abzuhandeln.400 tersuchungen, S. 342, 341: „Das Strafgesetz normiert in größerem Umfange als es straft.“ und außerdem: Man habe zu berücksichtigen, „daß Norm und Strafgesetz nicht identisch sind.“ 395  Engisch, Untersuchungen, S. 341. 396  Engisch, Untersuchungen, S. 343 f. (Hervorhebung im Original). 397  Dies wird bei Engisch erst in späteren Kapiteln ausführlich erörtert, insb. Engisch, Untersuchungen, S. 365 ff., 410 ff.; dazu unten S. 110 ff. 398  Engisch, Untersuchungen, S. 345 f. – Man bedenke aber: Das erlaubte Risiko soll formal „einen Unrechtsausschließungsgrund, ein negatives Tatbestandsmerkmal“ darstellen, Engisch, Untersuchungen, S. 344, S. 286. 399  Engisch, Untersuchungen, S. 346 (Hervorhebung im Original). 400  Vgl. Engisch, Untersuchungen, S. 347.



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5. Subjektiver oder objektiver Sorgfaltspflichtmaßstab und die sog. Sondernormen Nun wendet sich Engisch der Frage zu, inwieweit die Sorgfaltspflicht von den persönlichen Verhältnissen des Pflichtigen, insbesondere von dessen Können, abhängig sei; und kommt zu dem zunächst eindeutig scheinenden Ergebnis: „Mit Leichtigkeit lässt sich nachweisen, daß […] die erforderliche Sorgfalt häufig nur unter Berücksichtigung des „Könnens“ des Täters bestimmt werden kann“, als Beispiele für ein solch fehlendes Können fungieren „Mängel der Sinneswerkzeuge“ und nicht hinreichende Spezialkenntnisse des Täters.401 Diese klare Grundlegung wird dann aber ausdrücklich eingeschränkt, indem betont wird: „So ist es auf der anderen Seite nicht berechtigt, die Sorgfaltspflicht schlechthin vom Vermeidenkönnen abhängig zu machen. Vielmehr bin ich der Ansicht, daß in einem Punkt die erforderliche Sorgfalt prinzipiell objektiv festzustellen ist.“402 Engisch sieht sich jedoch zunächst nur in der Lage, diese Einschränkung unter Heranziehung eines Beispielsfalls – nicht aber abstrakt – deutlich zu machen: „Ein Dienstbote schließt den Ofen vorzeitig ab und verursacht dadurch eine Kohlenoxydgasvergiftung; handelnd kommt ihm der böse Erfolg nicht in den Sinn, weil er die Möglichkeit des Gasausströmens nicht kennt, von einer Kohlenoxydgasvergiftung nie etwas gehört hat.“403 Hier soll nach Engischs Auffassung die Sorgfaltspflicht – obwohl der Dienstbote, so die Schilderung, nicht erkannte und nicht erkennen konnte – ausdrücklich verletzt sein, da es insbesondere dem positiven Recht widersprechen würde, die Sorgfaltspflicht von einer individuellen, rein täterbezogenen404 Erkennbarkeit abhängig zu machen.405 Darüber hinaus geht Engisch grundsätzlich davon aus, dass man eine Sorgfaltspflichtverletzung anzunehmen habe, wenn sog. Sondernormen, das heißt Vorschriften (Gesetzte, Polizeiverordnungen, Instruktionen etc.), „die darauf abzielen, gefährliche Handlungen hintanzuhalten oder in Gefahrsituation zu Vorsichtsmaßregeln Veranlassung zu geben,“ übertreten werden.406 401  Engisch, Untersuchungen, S. 352, unter der Feststellung, „daß Binding mit seiner Auffassung der Abhängigkeit der erforderlichen Sorgfalt von den persönlichen Fähigkeiten des Täters zum mindesten teilweise recht hat.“ – Siehe dazu oben Fließtext bei Fn. 60 (Kap. 2). 402  Engisch, Untersuchungen, S. 356; siehe auch S. 365 f. 403  Engisch, Untersuchungen. S. 357 f. – Das ursprünglich von Exner stammende Beispiel diente diesem dazu, seine rein individuelle Fahrlässigkeitsauffassung zu begründen (siehe oben insb. Fn. 260 (Kap. 2)); hiergegen wendet sich Engisch ausdrücklich. 404  Diese Ergänzung stammt von mir, sie ergibt sich aber aus Vorherstehendem. 405  Vgl. Engisch, Untersuchungen, S. 358. 406  Engisch, Untersuchungen, S. 360 ff.

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Insgesamt erscheint es demnach jedenfalls nicht berechtigt, Engisch denjenigen Autoren zuzuordnen, die – wie zum Beispiel Binding – einen klar individualisierenden Maßstab vertreten.407 6. Das Erfordernis der Erkennbarkeit Die Zusammenhänge zwischen Sorgfalts- und (originärem) Fahrlässigkeitsbegriff verkomplizieren sich jetzt nochmals, indem Engisch zu dem Ergebnis kommt, dass „neben der Erkennbarkeit durch Sorgfalt […] eine zweite Form der Erkennbarkeit“ bestehen soll.408 Die notwendige Differenzierung vollziehe sich folgendermaßen: „Für die Frage, was objektiv erforderliche Sorgfalt ist, ist zugrunde zu legen die Erkennbarkeit seitens eines einsichtigsten Menschen.“409 Neben diese (objektive) Sorgfaltspflichtverletzung trete „die Erkennbarkeit als besonderes Fahrlässigkeitsmerkmal.“410 Diese zweite, den Schuldvorwurf begründende Form der Erkennbarkeit sei aber nicht zwingend eine solche – „wie man so gerne sagt“ – „ ‚bei Beobachtung der pflichtgemäßen Sorgfalt, Aufmerksamkeit und Überlegung‘ “,411 sondern vielmehr oftmals dadurch gekennzeichnet, dass der Täter „gedankenlos [ist], weil er – wie wir vorgreifend bemerken können – uninteressiert ist an der Vermeidung von Tatbestandsverwirklichungen.“412 Dass man eine objektive Erkennbarkeit von dieser zweiten Erkennbarkeitsform – des Desinteresses – zu scheiden habe, zeige sich auch schon daran, dass man bei einer anderen Sicht der Dinge in einen regressus ad infinitum gelangte: Die individuelle Erkennbarkeit könne schon deshalb keine durch Überle407  A.  A. aber ausdrücklich Duttge, Bestimmtheit, S. 46 f. – Verantwortlich für Duttges Fehlinterpretation dürfte wohl die Tatsache sein, dass die bei Engisch vorgenommene Differenzierung zwischen Sorgfalt und Erkennbarkeit äußerst verschachtelt daherkommt; siehe dazu insbesondere Duttge, a. a. O., Fn.  47: Engisch, Untersuchungen, weicht auf S. 356 nicht von den auf S. 418, 425 ff., aufgestellten Grundsätzen ab, er unterscheidet eben zwischen objektiv gebotener Sorgfalt – die nicht unerheblich vom Können des Täters abhängig sei – und einem subjektiven Maßstab der Erkennbarkeit. Ob dies allerdings, wie Engisch behauptet, in der Sache möglich ist, kann hier zunächst dahinstehen. Duttge liegt – mit dem Vorangegangenen in Zusammenhang stehend – ebenfalls falsch, wenn er (a. a. O., S. 46) behauptet, Engisch prüfe grundsätzlich eine sog. subjektive Sorgfaltspflichtverletzung, bezieht sich die von Duttge bei Engisch, Untersuchungen, S. 352, zitierte Passage doch zunächst explizit nur auf die Fälle zur „pflichtmäßigen Anwendung geeigneter Mittel zur Vermeidung einer gesetzlich verpönten Tatbestandsverwirklichung“, also auf Fälle der Unterlassungsdelikte. – Näheres zum Ganzen sogleich im Text. 408  Engisch, Untersuchungen, S. 371. 409  Engisch, Untersuchungen, S. 365. 410  Engisch, Untersuchungen, S. 366. 411  Engisch, Untersuchungen, S. 369. 412  Engisch, Untersuchungen, S. 370 (Hervorhebung im Original).



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gung sein – brauche einen festen, objektiven Bezugspunkt –, weil man sich ansonsten in der Zwangslage sähe, fragen zu müssen, ob dem Täter die Erkennbarkeit auch erkennbar war, und diese wiederum erkennbar war und so fort.413 Im Anschluss hieran setzt sich Engisch dezidiert mit dem Gegenstand der Erkennbarkeit auseinander und hält diesbezüglich fest: „Dem fahrlässigen Täter muss ebensoviel erkennbar sein, wie ihm im Falle wirklicher Erkenntnis zum Vorsatz gereichen kann“;414 was ihn schließlich dahin bringt, in der Zusammenfassung – wiederum analog zur Vorsatzstraftat – zu postulieren: Die für die Fahrlässigkeit erforderliche Erkennbarkeit „muß sich in jedem Falle auf die konkrete Tatbestandsverwirklichung in ihrer (vom Gesetz beschriebenen) Eigenart beziehen.“415 Die Notwendigkeit, nach der gerade beschriebenen Erkennbarkeit zu fragen, entfalle allerdings dann, wenn der Täter in allen wesentlichen Punkten wirkliche Kenntnis habe; was aber keineswegs dazu führen müsse, die Rechtsfigur der Fahrlässigkeit von vornherein auszuschließen: So bestehe die Möglichkeit von bewusster Fahrlässigkeit zu sprechen, wenn dem Verhalten des Täters die „Erkenntnis der konkreten Tatbestandsverwirklichung“ und sogar auch das „Bewußtsein, daß diese Tatbestandsverwirklichung rechtswidrig ist,“ zugrunde liegt.416 Für diesen Teilbereich der Fahrlässigkeit, der bewussten, nimmt Engisch nun an, dass er mit dem Gefährdungsvorsatz zu identifizieren sei;417 und stellt deshalb sogleich heraus, „daß alle dazu Engisch, Untersuchungen, S. 370 f. Untersuchungen, S. 373. – Am Rande sei erwähnt, dass Engischs Erörterungen, a. a. O., vor allem S. 377 ff., insbesondere dem Gesichtspunkt gewidmet sind, dass nicht nur der Erfolg, sondern auch der Kausalzusammenhang für den Täter erkennbar sein müsse; ähnlich wie beim Vorsatzdelikt will er zahlreiche Einzelfragen über die sog. Adäquanztheorie gelöst wissen. 415  Engisch, Untersuchungen, S. 388. 416  Vgl. dazu schon oben bei Fn. 363 (Kap. 2) und Engisch, Untersuchungen, S.  388 f. 417  Engisch, Untersuchungen, S. 402 ff., insb. 405, 408 f. – Den um den Gefährdungsvorsatz kreisenden Gedanken hatten wir unter anderem schon bei Thon (oben S. 58) und auch in den frühen Arbeiten von Kohlrausch (oben Fn. 227 (Kap. 2)) kennengelernt. Dass die Fahrlässigkeit aber nicht in Gänze als bewusste daherkomme, verneint Engisch, a. a. O., S. 390 ff., ausdrücklich; dort unter anderem in Auseinandersetzung mit Köhlers Auffassung (siehe dazu oben insb. S. 91 f.), gegen den er einwendet, dass dessen Theorie zwar für manches fahrlässige Delikte passe, aber eben insgesamt unzulässig verallgemeinere; nicht jedem fahrlässigen Delikt sei ein Verdrängungsakt wesentlich. Auch Mezgers Theorem nur die bewusste Fahrlässigkeit anzuerkennen (siehe dazu oben insb. S. 98 f.) stößt bei Engisch auf Ablehnung, da auch sie nicht geeignet sei, alle der Fahrlässigkeit zu unterstellenden Fälle zu erfassen. 413  Siehe

414  Engisch,

112

Kap. 2: Rechtsgeschichtliche Entwicklung

Bemühungen, zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit einen prinzipiellen Strukturunterschied nachzuweisen, fehl gehen“.418 Liegt aber andererseits keine Kenntnis des Täters vor, stellt sich die Frage, wann denn der Vorwurf der Fahrlässigkeit genau zu erheben ist, oder anders ausgedrückt, wann von einem „Erkennkönnen“ des Täters exakt gesprochen werden kann. Engisch macht dazu zunächst deutlich, dass die spezifische Ermittlung der Erkennbarkeit ausdrücklich unabhängig von dem Streit um eine deterministische bzw. indeterministische Grundanschauung sei,419 um sich hernach vielmehr der Problematik widmen zu können, welche Faktoren man für die Erkennbarkeitsermittlung zu berücksichtigen habe. Seine – der eigenen Diktion nach – nicht abschließende Aufzählung stellt dann insbesondere folgende Punkte heraus:420 Die konkreten „äußeren Umstände des Falles“, die Sinnesorgane und das abstrakte Erfahrungswissen des Täters, die Urteilskraft des jeweiligen Menschen, andere geistige Befähigungen, wie zum Beispiel „Gedächtnis, Konzentrationsfähigkeit, Geschwindigkeit im Denken usw.“, und außerdem die zur Verfügung stehende Zeit. Engisch individualisiert hier also und sieht seine Grundsätze folgerichtig im Einklang mit „der Theorie des ‚subjektiven Maßstabes‘ der Erkennbarkeit“.421 Gegen die Objektivisten führt er sodann an, dass man nur bei einer subjektiven Herangehensweise der Schuldidee gerecht werde: „Schuldhaftung bedeutet […] immer Individuali­ sierung.“422 Auch ließen sich seiner Sichtweise keine praktischen Bedenken entgegenhalten. Vor allem das nicht selten angeführte Argument, dass die Generalprävention leide, entfalte keine Durchschlagskraft, da man den Täter mit Strafe sowieso nur dann zu belegen habe, wenn diese tatsächlich angemessen sei: „Mängel an Erfahrungswissen durch Strafen zu beheben, ist zum mindesten keine adäquate ‚Behandlung‘.“423 Auch der angebliche Einwand Mannheims der „logischen Unmöglichkeit des Messens nach eigenem Maße“424 lasse sich gleichermaßen gegen den von diesem präferierten Ansatz wenden, weil es genauso unmöglich sein müsse, „den Normaltyp eindeutig festzulegen oder auch im Einzelfall nur annähernd zu bestimmen.“425 418  Engisch, Untersuchungen, S. 409. – Es sei aber an dieser Stelle erwähnt, dass Engisch von der Trennbarkeit von bewusster Fahrlässigkeit und (bedingtem) Vorsatz ausgeht. Er meint, das beide scheidende Element in einer voluntativen Komponente, einem höheren Grad von Gleichgültigkeit, finden zu können, a. a. O., insb. S. 233 f. 419  Engisch, Untersuchungen, S. 410 ff. 420  Engisch, Untersuchungen, S. 419 ff. 421  Engisch, Untersuchungen, S. 425. 422  Engisch, Untersuchungen, S. 432. 423  Engisch, Untersuchungen, S. 434. 424  Siehe dazu oben Fn. 298 (Kap. 2). 425  Engisch, Untersuchungen, S. 437; dies unter Verweis auf die vorher bereits bei Hirschberg, Schuldbegriff, S. 90, erhobene Kritik gegen die Mannheimsche Meinung.



C. Fortentwicklung zur „neoklassischen Verbrechenslehre“113

7. Die Schuld im materiellen Sinne Anhangsweise426 erörtert Engisch die – zunächst ausgeklammerte427 – Frage nach der materiellen Schuld von Vorsatz und Fahrlässigkeit, um seine gefunden (formellen) Ergebnisse mit den insofern bestehenden Lehrmeinungen abzugleichen. Dementsprechend setzt auch er sich mit den im Rahmen der Arbeit bereits aufgezeigten Theorien um die Willens-, Gefühls-, Verstandes- und Charakterschuld auseinander,428 um sich schlussendlich – mit gewissen Modifikationen – der maßgeblich von Exner entwickelten Theorie der Gefühlsschuld anzuschließen. Hatte Exner – ursprünglich429 – den Schuldvorwurf noch auf ein mangelndes Interesse an der Integrität des verletzten Rechtsguts bezogen, merkt Engisch an, dass vielmehr ein Interessenmangel an der Vermeidung der Tatbestandsverwirklichung wesentlicher Bezugspunkt sein müsse.430 Auch verneint Engisch die Exnersche Annahme, die pflichtwidrige Geringschätzung als eine konstante Charaktereigenschaft zu deuten, obwohl er andererseits auch nicht den von Kriegsmann431 und Sauer432 eingeschlagenen Weg für richtig erachtet, den Mangel an Interesse schlechthin als ein Moment der Einzeltat zu begreifen, da man so die un426  Am Rande sei bemerkt, dass sich Engisch, Untersuchungen, S. 441 ff., außerdem mit der Verortung des Problems um die „Zumutbarkeit“ von Bestrafung auseinander setzt. Dogmatisch verankern will er das Merkmal – losgelöst von Vorsatz und Fahrlässigkeit, die positive Schuldmerkmale seien – als negative Voraussetzung für die Fällung eines Schuldurteils; allgemein zur Debatte um die Zumutbarkeitsdoktrin Achenbach, Schuldlehre, S. 143 ff., auch S. 191 f. 427  Darauf, dass die von Engisch postulierte Aufsplittung in formelle und materielle Gesichtspunkte kaum in absoluter Reinheit möglich ist, sei aber bereits hier hingewiesen; vgl. exemplarisch zur unumgänglichen Verknüpfung beider Bereiche Engisch selbst, Untersuchungen, S. 233. 428  Engisch, Untersuchungen, S. 451 ff. – Siehe zur Darstellung dieses Problemkreises vor allem die Ausführungen zum Wirken Exners, oben S. 86 ff. Anders als Exner meint Engisch, a. a. O., S. 453 ff., aber, dass es prinzipiell möglich sei, den Begriff der Verstandesschuld als materiellen Schuldbegriff zu verwenden, da auch die Ethik in neuerer Zeit einen stärker ästhetischen Einschlag aufweise (zur Vertiefung vgl. Gutherz, Archiv für Kriminal-Anthropologie und Kriminalistik 39 (1910), 93). Jedoch beiße sich die Verstandesschuld mit (s)einem individuellen Maßstab für die Bestimmung der Erkennbarkeit, da ja gerade hier von der Fahrlässigkeit freigesprochen werde, wenn sich zeigen lasse, dass die Tatbegehung auf einem Verstandesfehler beruhe. 429  Bemerkenswert ist, dass sich Exner den seine Auffassung abwandelnden Ausführungen Engischs anschließt, siehe dazu Exner, MschrKrim 22 (1931), 53 f.: „Hier nimmt der Verfasser – mit einer berechtigten Korrektur – die Lehre des Referenten an.“ 430  Engisch, Untersuchungen, S. 477. 431  Kriegsmann, ZStW 34 (1913), 757. 432  Sauer, Grundlagen, S. 564.

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Kap. 2: Rechtsgeschichtliche Entwicklung

bewusste Fahrlässigkeit nicht tauglich erfassen könne;433 bevorzugt wird also ein Mittelweg: „Wenn […] auch die ‚Gesamtmotivation‘ berücksichtigt werden muß, sowohl zur psychologischen Erklärung der Tat wie auch bei der Strafzumessung, so wird doch andererseits daran festzuhalten sein, daß Gegenstand des Schuldvorwurfs nicht die Gesamtmotivation selbst ist, insbesondere nicht das (meist harmlose) Motiv, das den Täter zur Tat gedrängt hat, sondern immer die Schwäche des Interesses, die allerdings nach dem eben Gesagten nur als relative Schwäche begriffen werden kann.“434 Engisch deutet den Schuldgehalt der Fahrlässigkeit demnach abschließend (materiell) wie folgt: „Das Interesse, das wir beim fahrlässigen Täter vermissen, ist […] Besorgnis, kein Unrecht zu begehen, sagen wir ruhig: eine gewisse Ängstlichkeit, die kein guter Staatsbürger entbehren kann. In ihr besteht die ‚Gefühlsbetonung‘ der Vorstellung der Rechtsverletzung.“435

D. Der Finalismus Nachdem vorstehend das Werk Engischs in der seiner Bedeutung für die Strafrechtsdogmatik angemessener Ausführlichkeit behandelt wurde,436 soll nun der strafrechtliche Ansatz von Welzel in den Mittelpunkt der Betrachtung treten. Die Auseinandersetzung mit dessen Konzeption erscheint an dieser Stelle437 nicht nur deshalb sachangemessen, weil sich Welzel – wie 433  Engisch, 434  Engisch,

107 ff.

435  Engisch,

Untersuchungen, S. 464, 472 ff. Untersuchungen, S. 473; anknüpfend an Heims, ZStW 41 (1920),

Untersuchungen, S. 474 f. (Hervorhebung im Original). dazu auch nochmals oben bei Fn. 11 (Kap. 1). 437  Man beachte aber, dass die sich bei Schünemann, Grundfragen, S. 33 f., so bezeichnete – sich in streng historischer Herangehensweise direkt anschließende – Epoche der „Ganzheitsbetrachtung“, die zeitlich nahezu mit der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft zusammen fällt, hier weitestgehend außer Betracht bleiben wird; dies deshalb, weil sie in fahrlässigkeitsdogmatischer Hinsicht kaum Neuartiges leistete. Zu den aus dieser Zeit resultierenden Leistungen Schaffsteins vgl. aber exemplarisch Langer, Sonderstraftat, S. 54 ff., der darauf hinweist, dass der Ursprung der so genannten personalen Unrechtslehre bei Schaffstein, in: Grundfragen, S. 128, 114, zu finden sei: „Am Ursprung der personalen Unrechtslehre überhaupt stand die Erkenntnis, ‚daß es schon nach dem bisher geltenden Recht falsch ist, den [im Original: dem] materiellen Unrechtsgehalt sämtlicher Delikte ausschließlich in einer Rechtsgutsverletzung zu sehen [im Original: suchen]‘; das Strafrecht muß vielmehr ‚notwendig ausgehen von der Person des Verpflichteten und ihrem konkreten Pflichtenkreis‘ “. Daneben hat Schaffstein, ZStW 57 (1938), 309, unter anderem wesentlich zur Durchdringung der sog. „doppelfunktionellen Tatbestandsmerkmale“ – dazu ebenfalls Langer, Sonderverbrechen, S. 347, insb. Fn. 218 – beigetragen: „Unrecht und Schuld bezeichnen […] Wertungen, welche für die Strafwürdigkeit eines Verhaltens bedeutsam sind, während die einzelnen Tatbestände und 436  Vgl.



D. Der Finalismus115

sich zeigen wird – verstärkt durch Anregungen von Engisch beeinflusst sah, sondern vor allem deshalb, weil sein strafrechtliches Denken eine neue „Systemepoche“ einleitete.

I. Hans Welzels wissenschaftstheoretischer Ausgangspunkt seines finalistischen Systems Versucht man einen – wenn nicht gar den – zentralen Gesichtspunkt des rechtsphilosophischen und strafrechtsdogmatischen Wirkens von Welzel herauszuarbeiten, sieht man sich früher oder später zwingend mit seinem alles verknüpfenden Gedanken der sog. „sachlogischen Strukturen“438 konfrontiert. Weder eine einseitig naturalistische Sichtweise – wie zum Beispiel bei v. Liszt präferiert – noch das am Wertrelativismus und Normativismus ausgerichtete neukantianische Strafrechtsdenken hielt Welzel für geeignet, die Strukturen des Strafrechts sachangemessen beschreiben zu können.439 Vielmehr habe man sich vor Augen zu führen, dass der Gegenstand der Rechtsdogmatik an vorrechtliche Strukturen anknüpfe: „Aufgabe der Interpretation des positiven Rechts ist es, diejenigen ontologischen Merkmale zu erforschen und herauszuarbeiten, an die das Gesetz seine Bewertungen geknüpft hat.“440 Er war davon überzeugt, dass man rechtliche Regelungen weder tauglich anordnen noch verstehen könne, wenn man nicht auf deren in der Wirklichkeit vorhandenes Substrat Bezug nehme: „Das werthafte Sein ist vor aller Theorie und vor jedem Begriff gesetzt durch die ontische Wesensstruktur des Menschen, durch die im Metaphysischen wurzelnde Haltung des konkreten Mensch-Seins gegenüber der Welt. […] Unsere künftige Rechtswissenschaft wird darum durch die gesetzlichen Begriffe hindurch zu den konkreten realen Lebensgestaltungen hinabsteigen müssen.“441 Welzel Tatbestandsbegriffe sich bei genauerer Analyse oft genug als Produkt beider Faktoren, sowohl des Unrechts wie der Schuld, erweisen.“ 438  Dass sich dieser Terminus wohl zum ersten Male in der ersten Auflage von Welzels, Naturrecht, S. 197 (aus dem Jahre 1951) findet, entnehme ich Loos, in: Rechtswissenschaft, S. 497 Fn. 43; dazu, dass die Grundgedanken jedoch schon weit früher (in den 1930er Jahren) entwickelt wurden, siehe sogleich im Text. – Vgl. insofern auch Engisch, ZStW 90 (1978), S. 4 und Hirsch, ZStW 116 (2004), 2. – Kurze aber sehr prägnante Zusammenfassung bei Hall, Fahrlässigkeit im Vorsatz, S. 12. 439  Siehe exemplarisch Welzel, in: Abhandlungen, S. 23. – Vgl. auch Bacigalupo, Eser-FS, S. 64, der aufzeigt, dass Welzels Werk unter anderem als „Produkt der Kritik des Positivismus und des Neukantianismus“ erscheint. 440  Welzel, in: Abhandlungen, S. 26. 441  Welzel, Naturalismus und Wertphilosophie, S. 75.

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schwebt folglich eine Verbindung von ontologischen und axiologischen Gesichtspunkten vor, die Verknüpfung von Wirklichkeit und Wert, ohne dabei aber dem sog. naturalistischen Fehlschluss aufzusitzen, dem die wertfreie rein naturwissenschaftliche Denkweise verfallen war, und ohne den Weg zu beschreiten, manches als Wert zu qualifizieren, obwohl lediglich ein „ontologisches Merkmal des Gegenstandes“ zu beschreiben war:442 Dem Gesetzgeber „sind die ontologischen Strukturen des Seins vorgegeben; er schafft sie nicht und darum kann er sie nicht ändern oder aufheben; er ist an sie gebunden; (relativ) frei ist er allein in der Wertung dieser Struktu­ ren.“443 Als die im Strafrecht grundlegendste sachlogische Struktur, als herausragendes ontologisches Merkmal444 will Welzel sodann die menschliche Handlung ausgemacht wissen.445 Er beschreibt selbige bereits in seiner ersten programmatischen Veröffentlichung nicht bloß als kausal verursacht, sondern vielmehr als „intentional ‚gesetzt‘, d. h. auch der in ihr wirkende kausale Mechanismus untersteht einer neuartigen Determination, die durch das Merkmal der Intentionalität gekennzeichnet ist, einer Ordnung im Sinne oder der Sinnbewusstheit.“446 Den hier bereits angelegten Handlungsbegriff spezifiziert Welzel in zahlreichen seiner späteren Schriften. Immer aber bleibt die Finalstruktur des menschlichen Handelns das insofern bestimmende Moment; so stellt er die Fähigkeit des Menschen heraus „auf Grund seines Kausalwissens die möglichen Folgen seines Tätigwerdens in bestimmtem Umfange vorauszusehen, sich darum verschiedenartige Ziele [zu] setzen und sein Tätigwerden auf diese Zielerreichung hin planvoll [zu] lenken“.447 Einfach gewendet: Die menschliche Handlung ist für Welzel mehr als nur ein vom Willen getragener Ablauf, sondern sie ist „Ausübung der Zwecktätigkeit“448 und in dieser Gestalt dem Recht vorgegeben. Für das Strafrecht soll dieses vorrechtliche, der Wirklichkeit zu entnehmende PhäWelzel, in: Abhandlungen, S. 23. Finale Handlungslehre, S. 10. 444  Zu einem zweiten, dem Strafrecht vorgegebenen Phänomen – nämlich der Schuld – siehe unten S. 118 f.; Welzel benannte außerdem noch ein drittes Gebiet der Sachlogik im Strafrecht, nämlich die Notwendigkeit, Anstiftung und Beihilfe auf eine vorsätzliche Haupttat zu beziehen, siehe dazu mit weiteren Nachweisen Armin Kaufmann, in: Strafrechtsdogmatik, S. 286 Fn. 20. 445  Welzels Handlungslehre dürfte wohl auch der Grund für seinen immensen internationalen Erfolg sein. Gerade der Nachweis ontologischer Strukturen wird den Eindruck vermittelt haben, dass sein Ansatz Gültigkeit für die unterschiedlichsten positiven Strafrechtsordnungen entfalten könne; so schon Loos, in: Rechtswissenschaften, S. 486 ff., und Loos, JZ 2004, 1115. 446  Welzel, in: Abhandlungen, S. 4. 447  Welzel, Strafrecht, S. 33; gleichlautend Welzel, Das neue Bild, S. 1. 448  Welzel, Strafrecht, S. 33; gleichlautend Welzel, Das neue Bild, S. 1. 442  Vgl.

443  Welzel,



D. Der Finalismus117

nomen insbesondere deshalb von besonderer Bedeutung sein, da die „finale Struktur des menschlichen Handelns […] für die strafrechtlichen Normen schlechthin konstitutiv“ sei; „Rechtsnormen, d. s. die Verbote oder Gebote des Rechts, können sich nicht an blinde Kausalprozesse, sondern nur an Handlungen wenden, die die Zukunft zwecktätig zu gestalten vermögen. Normen können nur ein zwecktätiges Verhalten gebieten oder verbieten.“449

II. Durch die Grundannahmen des Finalismus bedingte, in dessen Entwicklung relativ konstant gebliebene strafrechtsdogmatische Folgerungen Sich die Finalstruktur der menschlichen Handlung vor Augen geführt zu haben, war für Welzel keineswegs reiner Selbstzweck, sondern hatte vielmehr gewichtige Umgestaltungen des gesamten Verbrechensaufbaus zur Folge. Hatte die objektivistische Unrechtslehre – selbst bei partieller Anerkennung subjektiver Unrechtselemente – einseitig die Herbeiführung des in der gesetzlichen Schilderung vertypten Erfolges, den sog. Erfolgsunwert (als Rechtsgutsverletzung), in den Vordergrund der Betrachtung gerückt, arbeitete Welzel einen – seiner Ansicht nach gerade im Gegensatz zum Erfolgsunwert – immer notwendigerweise nachzuweisenden, zweiten Unrechtsgesichtspunkt heraus, den sog. Handlungsunwert: „Rechtswidrigkeit ist immer die Mißbilligung einer auf einen bestimmten Täter bezogenen Tat. Unrecht ist täterbezogenes, ‚personales‘ Handlungsunrecht.“450 So kam Welzel dann auch zu dem Ergebnis, dass der „primäre Gegenstand des Strafrechts […] der Handlungsunwert“ sein müsse.451 In diesen konzeptuellen Zusammenhang scheint sich das vorsätzliche Delikt unproblematisch einzufügen – insbesondere wohl deshalb, weil es für Welzel den Ausgangspunkt seines strafrechtlichen Denkens darstellte,452 und – damit aufs Engste verwoben – vor allem aufgrund der Tatsache, dass die finale Handlungslehre 449  Welzel,

Strafrecht, S. 37; gleichlautend Welzel, Das neue Bild, S. 4 f. Strafrecht, S. 62; gleichlautend Welzel, Das neue Bild, S. 29 f. – Das gesamte Zitat erscheint in beiden Schriften im Sperrdruck. 451  Welzel, in: Abhandlungen, S. 147. – Beachte: Welzel, Strafrecht, S. 2, benutzt auch die Begrifflichkeit des Aktunwertes für „eine Handlung, die auf einen zu mißbilligenden Erfolg abzielt“. 452  Ganz ausdrücklich Welzel, in: Abhandlungen, S. 130: „Der primäre Ausgangspunkt strafrechtlicher Dogmatik ist die finale (vorsätzliche) Handlung.“ – Dass das vorsätzliche Delikt für Welzel im Vordergrund seines Denkens stand, zeigt sich unter anderem bereits daran, dass er im Rahmen der Behandlung des Unrechts der vorsätzlichen Delikte mit Allgemeinverbindlichkeit daherkommende, zentralste Aussagen getroffen hat; so sind unter anderem die beiden vorhergehenden Fußnoten trotz ihrer weitumfassenden, gerade nicht nur die Vorsatzstraftat betreffenden Bedeutung dem thematischen Bereich der Vorsatzdelikte entnommen. 450  Welzel,

118

Kap. 2: Rechtsgeschichtliche Entwicklung

eine „innere Zusammengehörigkeit […] von Finalität und Vorsätzlichkeit“ annahm.453 Geht man davon aus, „daß der Vorsatz essentielles Moment der Finalität ist“,454 beide mit anderen Worten folglich als gleichgesetzt erach­ tet,455 nimmt es schlussendlich nicht wunder, dass Welzel zu folgender Feststellung gelangt: „Auch bei den Delikten ohne (spezielle) subjektive Unrechtselemente ist Unrecht niemals bloß die ‚objektive‘ Rechtsgüterverletzung, sondern sozialethisch unerträglicher Akt, d. h. es umfaßt auch den subjektiven Tatbestand, also den Vorsatz als generelles subjektives Unrechts­ element“.456 Durch diese Verortung des Vorsatzes im (subjektiven) Tatbestand ergab sich auch insgesamt eine neuartige Ausgestaltung letztgenannter Begrifflichkeit. War der gesetzliche Tatbestand für Beling noch wertneutrales Leitbild, erschien er bei Welzel – aufgegliedert in einen objektiven (vor allem die Ausführungshandlung mit dem Erfolgssachverhalt beinhaltend) und einen subjektiven Teil (Vorsatz und etwaige Tendenzen und Absichten)457 – als normativ gefärbt: „Die Bejahung der Tatbestandsmäßigkeit enthält die Feststellung der strafrechtlichen Wertdifferenz einer Handlung; ja noch mehr: da der Tatbestand die Beschreibung einer Verbotsmaterie ist, ‚indiziert‘ die Verwirklichung des Tatbestandes die Widerrechtlichkeit der Hand­ lung.“458 Unterscheiden will Welzel die Tatbestandsmäßigkeit von der Rechtswidrigkeit sodann wie folgt: Beide stünden im Verhältnis von (abstrakter) Verbotsnorm zu (besonderem) Erlaubnissatz.459 „Rechtswidrigkeit ist also der Widerspruch einer Tatbestandsverwirklichung zur Rechtsordnung als Ganzer (nicht bloß gegen eine einzelne Norm!).“460 In diesem Sachzusammenhang thematisiert Welzel dann auch die Rechtsfigur der von ihm so benannten „Sozialadäquanz“: Bewege sich eine Handlung „völlig im Rahmen der ‚normalen‘ geschichtlich gewordenen sozialen Ordnung des Lebens“, liege auch dann keine tatbestandsmäßige Verletzungshandlung vor, wenn in ihrem Gefolge eine Rechtsgutsverletzung eintrete.461 453  Welzel,

Finale Handlungslehre, S. 6. Finale Handlungslehre, S. 9. 455  Vgl. auch Welzel, Strafrecht, insbesondere S. 37, 61; und Welzel, Das neue Bild, S.  4 f., 28 f. 456  Welzel, Finale Handlungslehre, S. 15. 457  Siehe dazu die Gliederung bei Welzel, in: Abhandlungen, S. 146. 458  Welzel, Strafrecht, S. 53; gleichlautend Welzel, Das neue Bild, S. 20. – Dass Welzel Ausnahmen von diesem Grundsatz kannte und zwischenzeitlich einen eher an die kausale Theorie erinnernden Tatbestandsbegriff vertrat, kann hier zunächst dahinstehen, vgl. aber unten, insb. S. 128 ff., sowie die prägnante Zusammenfassung bei Roeder, Einhaltung des sozialadäquaten Risikos, S. 14 ff. 459  Welzel, Strafrecht, insb. S. 80 f. 460  Welzel, Strafrecht, S. 50; gleichlautend Welzel, Das neue Bild, S. 17. 461  Siehe Welzel, Strafrecht, S. 56 und 57; außerdem bereits Welzel, in: Abhandlungen, S.  141 ff.; Welzel, Strafrecht2, S. 36 ff. – Man beachte jedoch, dass er diese 454  Welzel,



D. Der Finalismus119

Diese gesamten, durch den nachdrücklichen Aufweis der Finalität der menschlichen Handlung bedingten Neuerungen blieben auch nicht für die Bestimmung des Verhältnisses von Unrecht und Schuld ohne Auswirkung.462 So waren es auch hier weniger normentheoretische Überlegungen, denn die Differenz zweier psychischer Prozesse, nämlich einerseits der Handlungs-, andererseits der Antriebssteuerung463, die ihn zur Trennung der beiden strafrechrechtlichen Kategorien bewogen haben.464 Wir hatten gesehen, dass für Welzel besondere subjektiv-personale Momente, wie auch das Merkmal des Vorsatzes, zum Tatbestand und damit zum Unrecht gehören sollen; weil diese nach seinem Dafürhalten geeignet seien, „den sozial-ethischen Gehalt der Handlung in einem bestimmten Sinne [zu] färben“.465 Unrecht ist für Welzel dann das „rechtwidrige Verhalten“; und die „Rechtswidrigkeit“, die nichts anders ist als eine Eigenschaft an diesem Verhalten, wird dementsprechend definiert als „eine Relation zwischen Handlung und Rechtsordnung, die das Missverhältnis der ersteren zur letzteren ausdrückt: Die Willensverwirklichung ist nicht so, wie das Recht von Handlungen im sozialen Bereich objektiv erwartet.“466 Schuld dagegen sei das „Verfehlen von Aufgaben (Sollensanforderungen) infolge unzulänglichen Einsatzes von Steuerungs­ akten“.467 Sie enthalte eine zweite „Relation“, sie sei eine weitere „Beschaffenheit“, eine „Unwerteigenschaft“ der bereits als rechtswidrig beurteilten Rechtsfigur nicht immer auf Tatbestandsebene verortete, sondern zeitweise die Sozialadäquanz auf der Deliktsstufe der Rechtswidrigkeit – als (gewohnheitsrechtlichen) Rechtfertigungsgrund – angesiedelt sehen wollte, siehe (im Lehrbuch) erstmalig in Welzel, Strafrecht3, S. 61; deutlicher in Welzel, Strafrecht4, S. 62 und letztmalig in Welzel, Strafrecht8, S. 76. Womöglich haben ihn dann unter anderem – im Sinne dieser These aber nachdrücklich Klug, Schmidt-FS, S. 255 – die in Rede stehenden Irrtumskonsequenzen, bedingt durch die von ihm vertretene sog. strenge Schuldtheorie, dazu bewogen, von der Zuordnung zur Rechtswidrigkeit erneut Abstand zu nehmen, vgl. zur „Irrtumsdiskussion“ vor allem die Ausführungen seines Schülers Hirsch, Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen, S. 286 ff.; sowie Schaffstein, ZStW 72 (1960), 369 ff., und wiederum Hirsch, ZStW 74 (1962), insb. 79 f. – Zu den verwickelten Auswirkungen der Verortung der sozialen Adäquanz im Aufbau der Fahrlässigkeitstat siehe ausführlich unten, S. 133 ff. 462  Es sei aber darauf hingewiesen, dass sich Welzels Äußerungen (insbesondere) zur Definition des Schuldbegriffs nie durch absolute Klarheit ausgezeichnet haben (man achte beispielsweise nur auf die Redeweise von engerem und weiterem Schuldbegriff; Welzel, Strafrecht6, S. 121); siehe zu dieser Problematik auch Nowakowski, JZ 1958, 392 f. 463  Ganz deutlich in diesem Sinne Welzel, Das neue Bild, S. 4. 464  Siehe dazu schon zusammenfassend Koriath, Zurechnung, S. 296 ff. und Loos, in: Rechtswissenschaften, S. 499; vgl. auch Lampe, Unrecht, insb. S. 43 und Schmidhäuser, Gesinnungsmerkmale, S. 148 ff. 465  Siehe nur Welzel, Strafrecht, S. 77. 466  Welzel, Strafrecht, S. 152. 467  Welzel, in: Abhandlungen, S. 209 und 218.

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Kap. 2: Rechtsgeschichtliche Entwicklung

Handlung, das heißt zum Nicht-rechtswidrig-sei-sollen trete noch das Rechtmäßig-sein-können468, also ein Dafür-Können469 des Täters: Die Schuld „begründet den persönlichen Vorwurf“; er „hätte sich normgemäß motivieren können.“470 Gegenstand der Vorwerfbarkeit, die das Wesen der Schuld ausmache, ist also für Welzel primär der Handlungswille (und erst durch ihn hindurch auch die ganze Handlung).471 Die Schuld bezeichnet – anders als das Unrecht – folglich nicht einen eigenen Sachverhalt, sondern bewertet lediglich das rechtswidrige Verhalten, den Willen unter Zugrundelegung anderer Aspekte472: „Ob der Wille die eine oder die andere Möglichkeit wählt und ausführt, hat nichts mit der finalen (antizipatorischen) Beziehung des Willens zu den konkret möglichen Kausalreihen zu tun, sondern beruht auf der emotionalen Wertentscheidung des Willens zugunsten einer der final-möglichen Verhaltensweisen.“473 Somit gilt für Welzel: „Das Schuldmoment bei der finalen Handlung betrifft die Entscheidung des Willens zugunsten des niederen Wertes (Unwertes) entgegen dem höheren Wert.“474 Hat man in diesem Sinne den Gegenstand der Vorwerfbarkeit festgezurrt, bleibt schließlich noch die Frage nach deren genauen Voraussetzungen und Elementen zu beantworten: Existenziell sei zuallererst der Aufweis der Schuld- bzw. Zurechnungsfähigkeit475 des Täters; sowie dann in einem zweiten Schritt der Nachweis, dass für den Handelnden die Möglichkeit der Unrechtseinsicht476 bestand. Außerdem dürfe das rechtmäßige Verhalten nicht unzumutbar gewesen sein (hier will Welzel beispielsweise den entschuldigenden Notstand verortet wissen, §§ 54, 52 a. F.).477

468  So die Formulierung noch in der 8. Auflage bei Welzel, Strafrecht8, S. 120 und Welzel, Das neue Bild, S. 39. 469  So die Formulierung ab der neunten Auflage bei Welzel, Strafrecht9, S. 124, ebenso also auch die Letztauflage: Welzel, Strafrecht, S. 138. – Zwischen den Begrifflichkeiten des Rechtmäßig-sein-könnens und des Dafür-Könnens soll wohl kein Unterschied bestehen, vgl. Welzel, Strafrecht9, S. 126 f.; nicht ganz genau dagegen Jakobs, Strafrecht AT, 17 / 16 Fn. 40. 470  Welzel, Strafrecht, S. 138. 471  Sehr deutlich Welzel, Das neue Bild, S. 39. 472  Vgl. insofern auch die Bemerkungen von Schmidhäuser, Jescheck-FS, S. 500. – Missverständlich ist in diesem Zusammenhang die Äußerung von Koriath, Zurechnung, S. 300: „Die zweite Dimension besteht in der Bewertung dieser Zurechnung, die selbst kein Werturteil ist.“ Es ist davon auszugehen, dass sich der Relativsatz nur auf den Begriff der Zurechnung beziehen soll. 473  Welzel, in: Abhandlungen, S. 109 (Hervorhebung von mir). 474  Welzel, in: Abhandlungen, S. 131. 475  Welzel, Strafrecht, S. 152 ff. 476  Welzel, Strafrecht, S. 157 ff. 477  Welzel, Strafrecht, S. 178 ff.



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III. Finalistische Grundannahmen und die Fahrlässigkeitstat Neben den aus dem finalistischen Ansatz478 herrührenden, in dessen Entwicklung relativ konstant gebliebenen strafrechtsdogmatischen, soeben aufgewiesenen Folgerungen, bereiteten der Welzelschen Doktrin aber insbesondere die Fahrlässigkeitsdelikte – auch nach deren eigener Einschätzung479 – extreme Schwierigkeiten.480 Richtet man die strafrechtliche Dogmatik insgesamt auf die finale (vorsätzliche) Handlung hin aus,481 können die auftretenden Probleme aber kaum überraschen: Hatte Binding noch bei vielen der zu seiner Zeit agierenden Autoren eine „Jagd nach dem Vorsatz in der Fahrlässigkeit“482 ausgemacht – um (vermeintlicherweise) den Schwierigkeiten des Nachweises der Willensschuld entfliehen zu können –, qualifiziert Arthur Kaufmann das sich den Finalisten stellende Problem, in deutlicher Anlehnung an diesen Ausspruch, als die „Jagd nach der Finalität in der Fahrlässigkeit“483. Die Antworten, die die finale Handlungslehre unter dem maßgeblichen Einfluss von Welzel hierzu entwickelt hat, seien im Folgenden skizziert. Zunächst sei aber noch auf einen trotz aller vorgenommenen Änderungen gleichgeblieben Ansatzpunkt484 in der finalistischen Erklärung der Fahrlässigkeitsdelikte hingewiesen, nämlich auf die grundlegende Unterscheidung von Akt-, Handlungs(un)wert einerseits und dem Sachverhalts- oder Erfolgs­ 478  Wird im weiteren Verlauf der Arbeit von den sog. „Finalisten“ gesprochen, handelt es sich um eine sprachliche Verkürzung. Damit soll lediglich in einfacher Form zum Ausdruck gebracht werden, dass es sich bei den in Rede stehenden Autoren um Anhänger der finalen Handlungslehre handelt. 479  Welzel, Strafrecht, insb. S. 129. 480  Dass die finale Handlungslehre auch mit erheblichen Erklärungsschwierigkeiten der Unterlassungsdelikte zu kämpfen hatte und dies ebenfalls nicht lediglich unerhebliche Umgestaltungen der eigenen Auffassung bedingte, sei hier nur am Rande erwähnt. Siehe dazu exemplarisch – den aus der Welzel-Schule stammenden, bekennenden Finalisten – Armin Kaufmann, Unterlassungsdelikte, insb. S. 66 ff.: „Die Unterlassung […] kann sinnvollerweise nur gekennzeichnet werden als ‚potentielle Finalität‘ “ und weiter: „Eine effektive Finalsteuerung ist weder der Unterlassung wesentlich, noch bei ihr überhaupt möglich.“ – Vgl. zusammenfassend zum Ganzen auch einerseits Baumann / Weber / Mitsch, Strafrecht AT, § 13 Rn. 68 ff., insb. 80 ff., und andererseits Küpper, Strafrechtsdogmatik, S. 51 ff., insb. S. 56 ff., jeweils mit weiteren Nachweisen. 481  Siehe dazu nochmals oben Fn. 452 f. (Kap. 2). 482  Binding, Normen IV, S. 328. 483  Arthur Kaufmann, Das Schuldprinzip, S. 166. 484  Dies bestreitet – ohne nähere Begründung – Holl, Entwicklungen der Fahrlässigkeitsdogmatik, S. 126, der behauptet, dass erst ab der zweiten Auflage des Lehrbuchs von Welzel der Fahrlässigkeit ein eigenständiger Handlungscharakter eingeräumt wurde, siehe dazu auch insbesondere unten Fn. 487 (Kap. 2).

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(un)wert andererseits.485 Diese maßgeblich anhand der Vorsatzstraftaten entwickelte Differenzierung sollte auch bei der Fahrlässigkeit Relevanz entfalten, musste aber hier schon deshalb Schwierigkeiten bereiten, weil der (regelmäßig) vom Gesetz vorgegebene, tatbestandliche Erfolg gerade nicht vom – sonst für die Finalisten so überragend wichtigen – Handlungswillen umfasst ist486. Der Versuch, an einen fahrlässigkeitsspezifischen Aktunwert zu gelangen und diesen herauszupräparieren, ist also mit anderen Worten die gerade beschriebene Jagd nach der Finalität in der Fahrlässigkeit. 1. Der Ausgangspunkt: Die Fahrlässigkeit als potentielle Finalität Ursprünglich487 stand für die finale Handlungslehre fest, dass man das Handlungselement des Fahrlässigkeitsdelikts im Gegensatz zu dem der Vorsatztat nicht in einer wirklichen, sondern nur in einer möglichen finalen, einer gänzlich eigenständigen488 Beziehung finden könne, da das fahrlässige Geschehen im objektiven Verlauf gerade nicht final überdeterminiert, nicht zweckmäßig ausgewählt und zielgerichtet sei; so habe man sich bei der Begutachtung der bei der Fahrlässigkeit anzutreffenden Umstände vielmehr 485  Vgl. dazu bereits oben S. 117 f. und ausführlich Welzel, Strafrecht AT, S. 1 f.; siehe auch die weiterführende Analyse von Rudolphi, Maurach-FS, insb. S. 54 f. – Ganz deutlich und bewusst herausgearbeitet wird die von Welzel zugrunde gelegte Unterscheidung beider Aspekte jedoch erst ab der siebten Auflage des Lehrbuchs, siehe dazu unten S. 133 f. 486  Die sog. Rechtsfahrlässigkeit bleibe hier einmal außer Betracht. 487  Holl, Entwicklungen der Fahrlässigkeitsdogmatik, S. 125 f., glaubt dagegen, eine noch frühere Entwicklungsstufe bei Welzel ausmachen zu können (ähnlich wohl Rodríguez Muñoz, La doctrina de la acción finalista, 1953, S. 126 ff.; zitiert nach Cerezo, ZStW 71 (1959), 45). Er will sie in dessen Behauptung finden, dass die fahrlässigen Handlungen „gleichsam ‚Kümmerformen‘ menschlicher Zwecktätigkeit“ seien. Worin Holl hier jedoch einen Unterschied zum Ansatz der von ihm hernach dargestellten „potentiellen Finalität“ finden will, bleibt leider unbegründet und unklar, heißt es doch bei Welzel, Der allgemeine Teil des deutschen Strafrechts1, S. 80, bereits in der Erstauflage: „Fahrlässige Handlungen sind solche Verursachungen eines mißbilligten Erfolges, die zwecktätig vermeidbar waren.“ und auf S. 23: „Das Geschehen [hier der versehentlich herbeigeführte Tod eines Menschen] ist zwar blindkausal, aber es ist auf die Finalität (die mögliche Zwecktätigkeit des Handelnden) bezogen.“ – Nur am Rande sei darauf hingewiesen, dass – entgegen Holls impliziter Behauptung – der Begriff der „potentiellen Finalität“ (von Welzel selbst übersetzt als „mögliche Zwecktätigkeit“) nicht erst bei Welzel, Strafrecht2, S. 22 f., aus dem Jahre 1949 auftaucht, sondern beispielsweise schon bei Welzel, Der allgemeine Teil des deutschen Strafrechts3, S. 33 (1944), zu finden ist. 488  Zum angeblich „fundamentalen Unterschied“ zwischen fahrlässiger und vorsätzlicher Handlung – um den keine Theorie herumkomme – siehe auch Welzel, Finale Handlungslehre, S. 17.



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vor Augen zu führen, dass „der entscheidende unerwünschte Erfolg wirklich nur blind-kausal verursacht [ist].“489 Von strafrechtlichem Interesse seien die fahrlässigen Handlungen trotz ihrer Eigenschaft als „objektiv bloße kausale Erfolgsverursachungen“ dennoch aus folgendem Grund: „Über einen bloßen blinden Naturvorgang heben sie sich dadurch hinaus, daß die Erfolgsverursachung zwecktätig vermeidbar war.“490 Mit anderen Worten: Anders als bei der vorsätzlichen Handlung, bei der die Finalität als „wirkliche Zwecktätigkeit real-gestaltender Faktor“, als „aktuelle“ daherkomme, sei die Finalität „bei der fahrlässigen Handlung als mögliche Zwecktätigkeit nur Bezugsmoment“, eben eine „potentielle“.491 Den inneren Grund, warum der Täter die Erfolgsverursachung nicht zwecktätig vermieden habe, will Welzel sodann in der ungenügenden Sorgfalt des Täters bei seinem Tun finden.492 Da der – auf diese Weise für maßgeblich erklärte – Sorgfaltsbegriff seiner Ansicht nach aber zwingend die „sinnvolle Einsicht in die Handlungspflichten und die Fähigkeit, sich nach ihnen zu richten,“ voraussetze, müsse – in fundamentaler Abweichung zum Vorsatzdelikt – die Folge sein, dass „die Fahrlässigkeitstatbestände nur von einem schuldfähigen Täter verwirklicht werden“ könnten: „Bei den Fahrlässigkeitsdelikten ist die Unterscheidung von Rechtswidrigkeit und Schuld gegenstandslos und sachlich unmöglich.“493 Welzel ging also zunächst von dem Gedanken aus, dass bereits die fahrlässigen (Unrechts-) Tatbestände „die Vorwerfbarkeit nichtfinaler Handlungsfolgen [normieren]“;494 die sonst als „Wesen der Schuld“ ausgewiesene Vorwerfbarkeit sei hier schon deshalb Tatbestandserfordernis, da man bei der Fahrlässigkeit495 „die 489  Welzel,

in: Abhandlungen, S. 178. Welzel, Der allgemeine Teil des deutschen Strafrechts3, S. 116, Welzel, Strafrecht2, S. 85. 491  Wiederum exemplarisch Welzel, Der allgemeine Teil des deutschen Strafrechts3, S. 33, auch 116 f., Welzel, Strafrecht2, S. 22 f., auch 85 f. 492  Welzel, Der allgemeine Teil des deutschen Strafrechts3, S. 117; Welzel, Strafrecht2, S. 85. 493  Welzel, Der allgemeine Teil des deutschen Strafrechts3, S. 117; Welzel, Strafrecht2, S. 85; sowie ausführlicher dazu Welzel, in: Abhandlungen, S. 179 ff. 494  Welzel, Finale Handlungslehre, S. 22 Fn. 22a. 495  Die folgenden Ausführungen bezieht Welzel zunächst nur auf die sog. unbewusste Fahrlässigkeit, was jedoch als unschädlich zu bezeichnen ist, da er an späterer Stelle von einer flüssigen Grenze von bewusster und unbewusster Fahrlässigkeit ausgeht und für beide die gleichen dogmatischen Regeln verwendet wissen will, Welzel, in: Abhandlungen, S. 181: Eine Trennung beider sei „nicht nur praktisch unverwertbar, […], sondern auch überflüssig.“ – Ausdrücklich sei aber darauf hingewiesen, dass Welzel in anderem Zusammenhang – nämlich in Bezug auf den Schuldgehalt der Fahrlässigkeit – von einer in theoretischer Hinsicht notwendigen Auftrennung von bewusster und unbewusster Fahrlässigkeit auszugehen scheint, da gerade letztere in Bezug auf ein nachzuweisendes Schuldmoment Probleme bereite, 490  Beispielsweise

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Möglichkeit finaler Voraussicht und damit die Möglichkeit zweckbewussten Handelns im entscheidenden Augenblick“ immer nur dann annehmen könne, wenn „der Mangel der finalen Voraussicht auf eine unrichtige Werteinstellung des Täters“ zurückführbar sei, wenn „diese unrichtigen Werteinstellungen für den Täter sinnhaft vermeidbar waren“.496 Der subjektive (Unrechts-)Tatbestand497 der fahrlässigen Straftat, „die zwecktätige Vermeidbarkeit“ als Handlungskern musste somit nach anfänglicher Auffassung zahlreiche Momente in sich vereinigen: So sollte er die zweistufig zu prüfende, nämlich die objektive und subjektive Verletzung einer Sorgfaltspflicht, sowie die individuelle Voraussehbarkeit der Erfolgsherbeiführung und schließlich das (zumindest mögliche) Bewusstsein der Pflichtwidrigkeit beinhalten.498 Das heißt, es wurde der Versuch unternommen ein objektives und subjektives Vermeiden-Sollen und ein subjektives Vermeiden-Können auf einer einzigen Prüfstufe, der „Super-Kategorie“ der zwecktätigen Vermeidbarkeit zu vereinen. Mit Hilfe dieser Gesamtkonstruktion, die die Zwecktätigkeit – wahlweise als mögliche, dann Fahrlässigkeit, oder als wirkliche, dann Vorsatz – in den Mittelpunkt der Betrachtung rückte, glaubte Welzel wohl – trotz der Unterschiedlichkeit der beiden Handlungsformen – die Einheit seines Handlungsbegriffs und damit auch die Einheit des von ihm für so wichtig gehaltenen Handlungs- bzw. Aktunwertes gewahrt zu haben; die Finalität als ontologiund zwar aufgrund des Fehlens einer bewussten Pflichtverletzung bei Vornahme der Verletzungshandlung. Finden will er das Schwierigkeiten bereitende Moment sodann in einer „Charakterschuld“: Wesentlich sei der unbewussten Fahrlässigkeit eine Fehleinstellung, nämlich „eine auf Willensmängeln beruhende Fehleinstellung des erworbenen Charakters“, exemplarisch Welzel, Strafrecht2, S. 88, ausführlicher Welzel, in: Abhandlungen, S. 218 ff., insb. 223, siehe dazu auch die der Sache nach wohl identischen Formulierungen in der Letztauflage bei Welzel, Strafrecht, S. 151, 176. 496  Welzel, in: Abhandlungen, S. 179 f. (Hervorhebung im Original), die Betonung liegt für den hiesigen Zusammenhang vor allem auf der Begrifflichkeit „sinnhaft“. 497  Daneben – prüftechnisch vorgelagert – habe man noch den objektiven Tatbestand, die reine (Erfolgs-)Verursachung festzustellen, siehe nur Welzel, Der allgemeine Teil des deutschen Strafrechts3, S. 117. 498  Welzel, Der allgemeine Teil des deutschen Strafrechts1, S.  81 f., Welzel, Der allgemeine Teil des deutschen Strafrechts3, S.  118 ff.; Welzel, Strafrecht2, S. 86 f. – Man beachte, dass in der Erstauflage von 1940 die sog. subjektive Sorgfaltspflichtverletzung und die individualisiert zu bestimmende Voraussehbarkeit noch unter einem gemeinsamen Prüfungspunkt abgehandelt wurden. Nicht so in den beiden anderen zitierten Auflagen, dort erfolgte eine ausdrückliche Auseinandersetzung mit der objektiven und subjektiven Sorgfaltspflichtverletzung unter einem eigenständigen Gliederungspunkt, sowie eine davon gesonderte Abhandlung der „Voraussehbarkeit der Erfolgsherbeiführung“. Inwieweit sich aber die subjektive Sorgfaltspflichtverletzung und die individuelle Voraussehbarkeit der Erfolgsherbeiführung genau unterscheiden sollen, erläutert Welzel, a. a. O., nicht.



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sche Kategorie sei zumindest immer als Bezugspunkt von entscheidender Bedeutung. 2. Einwände gegen den Ansatz der potentiellen Finalität durch den Finalisten Werner Niese Der soeben beschriebene, ursprüngliche Ansatzpunkt der finalen Handlungslehre, nämlich die Annahme einer potentiellen Finalität als ontologischer Struktur, blieb aber nicht lange ohne Widerspruch. Insbesondere der aus der Welzel-Schule stammende Niese brachte insofern eindringliche Einwände gegen seinen akademischen Lehrer vor.499 Sein Hauptargument lautete: „Finalität ist ein Seinssachverhalt, der entweder ‚ist‘ oder ‚nicht ist‘; es hat jemand einen bestimmten Erfolg gewollt zweckhaft verwirklicht oder er hat es nicht. […] In diesem ‚Sein oder Nichtsein‘ liegt gerade das Wesen dieser ‚ontologischen Kategorien‘. Deshalb ist auch mögliche Finalität keine Finalität“.500 Billigt man aber der potentiellen Finalität nicht den Status einer ontologischen Kategorie zu und räumt ihr demgemäß ebenfalls nicht die Fähigkeit ein, einen Handlungsunwert tauglich beschreiben zu können, stellt sich die Frage, was man denn sonst unter dieser Begrifflichkeit zu verstehen habe. Nieses Antwort: „Die ‚potentielle Finalität‘ [gehört] nicht in die Handlungs-, sondern in die Schuldlehre.“501 Und dies hauptsächlich aus folgendem Grund: Die „Einheitlichkeit in der Substanz des Schuldurteils ist […] nur dann aufrecht zu erhalten, wenn man ihren Gegenstand, die – aktuellen oder potentiellen – psychischen Beziehungen des Täters zur Tat einerseits, zum rechtlichen Unwerturteil über die Tat andererseits beibehält. Die letztere wiederum setzt das Unwerturteil selbst, die Rechtswidrigkeit, voraus.“502 Niese wollte damit offenbar der Konsequenz entgehen, ein Schuldurteil in die – auch von ihm für richtig erachtete503 – vorjuristische, ontologische Handlungslehre einbauen zu müssen;504 nur ist mit dieser ablehnenden Haltung noch kein positiver Erklärungsansatz für eine geeignete 499  Beachte aber auch die von Niese herangezogenen Abhandlungen von Bockelmann, Täterschaft und Teilnahme, S. 20 ff., insb. S. 31, und Mezger, Edmund, Moderne Wege der Strafrechtsdogmatik, Berlin 1950, insb. S. 9 und 19 (zitiert nach Niese, Finalität, S. 44, 5). 500  Niese, Finalität, S. 43; siehe auch S. 52, wo Niese darlegt, dass „die poten­ tielle Finalität als Handlungsmoment ausfällt.“ 501  Niese, Finalität, S. 51, siehe auch sehr deutlich S. 45. 502  Niese, Finalität, S. 51; siehe dazu auch S. 64  f.: „Der Schuldbegriff ist für vorsätzliches und unvorsätzliches Handeln ein einheitlicher: Vorwerfbarkeit fehlerhafter Motivation.“ 503  Dazu Niese, Finalität, insb. S. 6 ff. 504  Vgl. Niese, Finalität, S. 45.

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Bestimmung des Handlungsunwertes der Fahrlässigkeitstat geliefert. Sein diese Tatsache berücksichtigender Begründungsversuch nimmt seinen Ausgangspunkt nun jedoch nicht direkt bei den fahrlässigen, sondern vielmehr bei den vorsätzlichen Delikten. Man habe sich vor Augen zu führen, dass „ ‚Vorsatz‘ mit ‚Finalität‘ nicht ohne weiteres gleichzusetzen ist […], weil zwar Vorsatz seinem Wesen immer Finalität, aber nicht alle Finalität auch Vorsatz ist;“ Vorsatz sei eben richtigerweise lediglich als ein Unterfall der Finalität zu qualifizieren.505 Mit anderen Worten: Nicht die Finalität „als solche“ könne für die Bestimmung des Handlungsunwertes herangezogen werden; sondern für die Annahme eines Vorsatzdeliktes sei immer „die auf die Verwirklichung eines Tatbestandes gerichtete Finalität“ – eben Vorsatz – notwendig.506 Bei den Fahrlässigkeitsdelikten liege die Sache anders. Hier sei es nicht eine missbilligte Finalität, sondern demgegenüber „eine ‚rechtlich mißbilligte Erfolgsverursachung durch eine in ihrer Finalität nicht mißbilligte Handlung‘ “, die dem Tatbestand sein Gepräge verleihe.507 Das hieße also, dass die Fahrlässigkeitsstraftaten – ebenso wie die Vorsatzdelikte – zwar durch finale Handlungen begangen würden, sich deren Finalität „aber auf einen anderen als den tatbestandsmäßigen Erfolg“ richtete.508 Dass sich jedoch gerade der (Unrechts-)Tatbestand der fahrlässigen Delikte unter Zugrundelegung eines solchen Verständnisses – das heißt Unrecht gedacht als außertatbestandliche Finalität plus tatbestandlich erfasste Kausalität – ähnlichen Weiterungen wie im Rahmen der kritisierten kausalen Handlungslehre ausgesetzt sieht, beschäftigte auch Niese und führte ihn deshalb zu der Frage, ob man denn tatsächlich „jede Verursachung eines tatbestandsmäßigen Erfolgs“ hinreichen lassen könne, um eine „tatbestandsmäßige Erfolgsverursachung“ anzunehmen.509 Dass es sich bei der aufgeworfenen Abgrenzungsfrage nicht nur um eine Façon de parler handelt, machte er allerdings sogleich deutlich, indem er alle „unvermeidbaren Erfolgsverursachungen im Rahmen eines von der Sozialordnung anerkannten gefährlichen Betriebs [als] weder tatbestandsmäßig noch rechtswidrig“ charakterisierte; treffend seien diese Fälle mit dem von Welzel geprägten Begriff der sozialen Adäquanz umschrieben.510 Scheiden könne man sozial­ 505  Niese,

Finalität, S. 54. Finalität, S. 56 (die partielle Hervorhebung ist von mir). – Am Rande sei darauf hingewiesen, dass Niese, Finalität, S. 65, dementsprechend für den Begriff des Vorsatzes nicht voraussetzt, dass der Täter mit aktueller Verbotskenntnis handelt; potentielle Verbotskenntnis (freilich davon abgekoppelt, im Rahmen der Schuld) soll für den Nachweis des Vorsatzdelikts genügend sein; siehe dazu auch unten Fn. 515 (Kap. 2). 507  Niese, Finalität, S. 58. 508  Niese, Finalität, S. 58 f. 509  Niese, Finalität, S. 59 ff. 510  Niese, Finalität, S. 60 f. 506  Niese,



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adäquates von -inadäquatem Verhalten unter Zuhilfenahme der Grenze der objektiven, im Verkehr erforderlichen Sorgfalt.511 Der Handlungsunwert der fahrlässigen Tat liege dann in dem unfinalen Verstoß gegen diese objektive Sorgfaltspflicht (das rechtliche Sollen); also „im pflichtwidrigen ‚Nichtbedenken‘ der unfinalen Folgen.“512 Auch für Niese steht damit – in Anlehnung an Welzel – ausdrücklich fest, dass keineswegs „die bloße Erfolgs­ verursachung schon den Unrechtstatbestand der Fahrlässigkeitsdelikte [erfüllt]“.513 Habe man mit der Verletzung der objektiven Sorgfaltspflicht das tatbestandsmäßige Unrecht des „So-Handelns“ nachgewiesen, sei die Schuld jedoch noch nicht zwingend als gegeben zu betrachten: „Der Schuldvorwurf […] kann nämlich entfallen, wenn der Täter nach seinen persönlichen Fähigkeiten und Umständen bei der Tat die Sorgfaltspflicht nicht erfüllen konnte, wenn er zurechnungsunfähig war oder ihm die pflichtgemäße Abschätzung der möglichen Folgen seiner Tat nicht zuzumuten war.“514 Der zur Fahrlässigkeit abgemilderte Schuldvorwurf sei demnach dann zu erheben, „wenn der Täter in vermeidbarem Tatbestandsirrtum (potentielle Tatbestandskenntnis) und vermeidbarem Verbotsirrtum (potentielle Verbotskenntnis) gehandelt hat.“515 Sodann führt Niese für seine Gesamtargumentation noch verstärkend an, dass der von ihm herausgearbeitete Handlungsunwert der Fahrlässigkeitstat – das pflichtwidrige Nichtbedenken der unfinalen Folgen, der unfinale Verstoß gegen ein rechtliches Sollen gelegentlich einer Handlung – für sich genommen nichts Außergewöhnliches darstelle, so seien die Fahrlässigkeitsdelikte „im Grunde […] unechte Unterlassungsdelikte“; bei beiden gehe es nämlich um das Nichterfüllen einer Sorgfaltspflicht.516 511  Niese, Finalität, S. 61. – Die von Lampe, Unrecht, S. 83 vorgebrachte Kritik, die Konstruktion Nieses löse „die objektiven Wertungsmaßstäbe des Rechts inhaltlich nach der jeweiligen Person des Täters auf“ und atomisiere sie damit, muss als unberechtigt zurückgewiesen werden, richtet Niese doch die Voraussehbarkeit im Rahmen der Sorgfaltspflicht auf ein generelles „Vorhersehen-sollen“ und eben nicht auf individuelle Maßstäbe hin aus. 512  Niese, Finalität, S. 62 f. 513  Niese, Finalität, S. 63. 514  Niese, Finalität, S. 63. 515  Niese, Finalität, S. 65. – Niese meint demnach – trotz der missverstehbaren Formulierung –, dass die potentielle, individuelle Tatbestandskenntnis (also anders als die „aktuelle“, individuelle Tatbestandskenntnis beim Vorsatz) nur im Rahmen der Schuld zu verorten sei. Beachte auch: Der volle Schuldvorwurf soll den Täter treffen bei einem Handeln mit Vorsatz und aktueller Verbotskenntnis oder zumindest potentieller Verbotskenntnis, aber in unverzeihlichem Verbotsirrtum; dagegen sei ein milderer Vorwurf dann zu erheben, wenn der Täter mit Vorsatz gehandelt hat, sich aber in einem vermeidbaren Verbotsirrtum befand; dazu auch Niese, Finalität, S. 38 f. 516  Siehe insbesondere Niese, Finalität, S. 62.

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Kap. 2: Rechtsgeschichtliche Entwicklung

Am Ende der Arbeit wird noch ein abschließendes Resümee zum Verhältnis von Vorsatz und Fahrlässigkeit gezogen: So sei es nicht mehr haltbar, beide Begrifflichkeiten auf der Ebene der Schuld einander gegenüberzustellen, da der Vorsatz schuldindifferent517 sei, die Fahrlässigkeit demgegenüber eine Bezeichnung für einen Schuldgrad darstelle.518 Vorsatz und Fahrlässigkeit sind demnach nicht mehr gleichlaufend, sind voneinander entkoppelt. 3. Änderungen der Welzelschen Fahrlässigkeitsdogmatik nach der Kritik Werner Nieses Nicht selten findet man in der Literatur die Behauptung, Welzel habe sich in der dritten Auflage seines Lehrbuches Nieses Konstruktion der fahrlässigen Straftat angeschlossen.519 Dies scheint vordergründig richtig, ordnet Welzel doch die einzelnen Fahrlässigkeitselemente den Deliktsstufen Unrecht und Schuld größtenteils im Sinne der kritischen Anmerkungen seines Schülers neuartig zu; insbesondere wird den beiden Systemkategorien überhaupt ein eigenständiger Anwendungsbereich zugebilligt – Unrecht und Schuld werden entgegen dem Erstentwurf als trennbar angesehen.520 Ganz im Sinne Nieses wird außerdem ausdrücklich betont, dass das fahrlässige Verhalten einem Gebot – einer Pflicht zur Unterlassung – widerspreche: „Der Handlungsunwert der fahrlässigen Delikte besteht in der Unterlassung der vom Recht gebotenen besseren finalen Steuerung im Hinblick auf die Vermeidung von Rechtsgüterverletzungen.“521 Im Einzelnen gliedert sich Welzels Fahrlässigkeitsaufbau (der Drittauflage) wie folgt: Die Tatbestandsmäßigkeit sei bereits dann zu anzunehmen, wenn der Täter durch eine beliebige Willenshandlung eine Rechtsgüterverletzung (in Ausnahmefällen eine 517  An dieser Stelle sei aber bereits darauf hingewiesen, dass es zumindest merkwürdig anmutet, dass der angeblich so schuldindifferente Begriff des Vorsatzes – wie später auch, freilich unmittelbarer, die Begrifflichkeit der Fahrlässigkeit – unabdingbar erscheint, den Schuldvorwurf zu erklären; siehe dazu die Gliederung der verschiedenen Schuldgrade bei Niese, Finalität, S. 65. 518  Niese, Finalität, S. 66. 519  Ganz ausdrücklich in diesem Sinne vor allem Lampe, Unrecht, S. 84, und Achenbach, Schuldlehre, 209 f.; mit Recht vorsichtiger dagegen Jakobs, Studien, S. 72; vgl. auch Maihofer, Handlungsbegriff, S. 40 ff., insb. 42. – Dagegen fehlt unberechtigterweise die Behandlung des Werks von Niese – in der sonst jedoch instruktiven Darstellung der vornehmlich von Welzel geprägten finalistsichen Dogmatik – bei Sacher, Sonderwissen, S. 62 ff. 520  Dazu Welzel, Strafrecht3, S. 94 ff., 117 ff. – Dass Welzel diese gewichtige Neuausrichtung und Anlehnung an Niese (abermals) nicht an textlich exponierter Stelle, sondern lediglich im Vorwort (S. IV) deutlich macht, sei nur am Rande vermerkt. 521  Welzel, Strafrecht3, S. 95.



D. Der Finalismus129

bloße Rechtsgütergefährdung) herbeigeführt habe.522 Trotz Bejahung der Tatbestandsmäßigkeit könne man damit aber den Handlungsunwert der Fahrlässigkeitstat noch nicht als nachgewiesen bezeichnen, – da es eben ein striktes Verbot von Rechtsgüterverletzungen nicht gebe, – so dass man auf der Deliktsebene der Rechtswidrigkeit noch die „Nichtbeachtung der rechtlich gebotenen Sorgfalt“ aufzuzeigen habe.523 Dass sich die Feststellung des Handlungsunwertes der Fahrlässigkeitstat über zwei Prüfstufen erstrecken soll, hängt mit Welzels (für diese Problematik modifiziertem) Verständnis des Verhältnisses von Tatbestandsmäßigkeit und Rechtswidrigkeit zusammen. Der Regel nach indiziere der Tatbestand – als die Verbotsmaterie strafrechtlicher Bestimmungen524 – zwar die Rechtswidrigkeit eines Verhaltens, nicht aber bei den sog. offenen Tatbeständen, zu denen insbesondere die fahrlässigen Delikte zählten: Hier sei die Verbotsmaterie „nicht allseitig und erschöpfend durch sachlich-gegenständliche Merkmale umschrieben“, so dass es des zwingenden, positiven Nachweises der Rechtswidrigkeit bedürfe.525 Dies gelinge im Rahmen der Fahrlässigkeitstat aber gerade nur bei Verletzung des Erfordernisses der rechtlich gebotenen Sorgfalt: Vom Handelnden werde „die Erfüllung eines objektiv-allgemeinen Mindestmaßes an finaler Steuerung“ verlangt, das heißt eines Maßes, „das ein einsichtiger und besonnener Mensch in der Lage des Täters erbringen kann.“526 Entscheidend sein dabei nicht, „was der Täter zur Vermeidung der Rechtsgüterverletzung hätte tun können, sondern was er hätte tun sollen.“527 Zu fragen habe man sich demnach im Rahmen der Prüfung der Rechtswidrigkeit528: Erstens, ob die Rechtsgutsverletzung objektiv voraussehbar (erkennbar) gewesen ist und zweitens, ob – bei Bejahung der objektiven, einsich522  Welzel, Strafrecht3, S. 96, 412 f.; Welzel bezeichnete den Tatbestand der fahrlässigen Delikte zu dieser Zeit lediglich als einen „Torso“. 523  Welzel, Strafrecht3, S. 94, 96, 413. 524  Exemplarisch Welzel, Strafrecht3, S. 40. 525  Welzel, Strafrecht3, S. 59 f. – Die Indizierung der Rechtswidrigkeit soll auch bei sog. geschlossenen Tatbeständen nicht gelten, wenn es sich um ein sozialadäquates Verhalten des Täters handelt (so in der 3. bis zur 8. Auflage des Strafrechtslehrbuchs), siehe beispielhaft Welzel, Strafrecht3, S. 61 und beachte bereits oben Fn. 461 (Kap. 2). Dass Welzel später (Strafrecht9, S. 75 f., bis zur Letztauflage, Strafrecht, S. 82) aufgrund der differierenden Einordnung der sozialen Adäquanz – freilich ohne explizit darauf hinzuweisen – zwei verschiedenartige Begriffe der offenen Tatbestände benutzt hat, kann hier nur am Rande aufgezeigt werden. 526  Welzel, Strafrecht3, S.  96 f. 527  Welzel, Strafrecht3, S. 413. 528  Man beachte aber, dass Welzel, Strafrecht3, S. 96 ff., die oben beschriebene Trennung zwischen Tatbestand und Rechtswidrigkeit bei den fahrlässigen Delikten noch nicht in vollumfänglicher Klarheit vollzogen hatte, behandelte er doch im Fließtext die Rechtswidrigkeitsgesichtspunkte der objektiven Sorgfalt – im Gegensatz zu der Darstellung innerhalb der Schemata des Verbrechensaufbaus – unter der

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Kap. 2: Rechtsgeschichtliche Entwicklung

tigen Erkennbarkeit – dem Verlangen der objektiven Sorgfalt Rechnung getragen wurde, nur eine solche finale Steuerung des Verhaltens vorzunehmen, die eine sozial-inadäquate Gefährdung des Rechtsgutes vermieden hätte;529 oder anders gewendet: „Welches Verhalten hätte der Täter auf der Grundlage der ihm zur Verfügung stehenden Handlungsmittel und Fertigkeiten zur Vermeidung der Rechtsgutsverletzung einschlagen sollen?“530 Auf der Ebene der Schuld stelle sich dann – neben der obligatorischen Schuldfähigkeit – die Frage, „ob dieser Täter die objektiv gesollte Sorgfaltspflicht subjektiv hätte erfüllen können.“531 Dies sei durch dreierlei bedingt: Erstens durch die subjektive Voraussehbarkeit des Erfolges (im Fließtext beschrieben als die „Erkennbarkeit der Tatbestandsverwirklichung“532), zweitens durch die (subjektive) Erkennbarkeit der Sorgfaltspflicht (im Fließtext beschrieben als die „Erkennbarkeit der Rechtswidrigkeit“533) und drittens durch die Frage, ob dem Täter die objektive Sorgfaltsverletzung in dieser Situation auch vorgeworfen werden könne, was (unter Umständen) auszuschließen sei bei unverschuldeten Erregungs- und Ermüdungszuständen und bei der Unzumutbarkeit rechtmäßigen Verhaltens.534 Systematisch trennt Welzel also intellektuelle Momente der Vorwerfbarkeit (die ersten beiden Prüfungspunkte) von dem voluntativen Moment der Vorwerfbarkeit, der Zumutbarkeit des Rechtsgehorsams.535 Warum nun aber insgesamt nur von einer scheinbaren Übernahme der Konzeption Nieses durch Welzel gesprochen werden kann, lässt sich insbesondere an der Anbindung des Sorgfaltsbegriffs an denjenigen der Handlung zeigen. Ging Niese davon aus, dass es gerade nicht die aktuelle Finalität sei, Überschrift: „Der Unrechtstatbestand der fahrlässigen Delikte im einzelnen“; genauer dagegen dann Welzel, Strafrecht4, S.  95 ff. 529  Welzel, Strafrecht3, S. 97 ff., insb. 98; 413. 530  Welzel, Strafrecht3, S. 413. – Lampe, Unrecht, S. 84, will wohl in diese Formulierung die Statuierung eines „subjektiven Vermeiden-Könnens“ hineingedeutet wissen. Zu beachten ist jedoch, dass Welzel, Strafrecht3, S. 97, zwar die gegebenen „realen Handlungsbedingungen (Situation, Handlungsmittel, Fertigkeiten, Sinnesschärfe)“ des jeweiligen Täters (in der Drittauflage) berücksichtigt wissen will, er aber dennoch „die auf Grund dieser realen Bedingungen erwartete einsichtige und besonnene finale Leistung“ verobjektiviert (im Sinne von generalisiert); insofern kann in diesem Zusammenhang kaum von einem sog. subjektiven VermeidenKönnen die Rede sein. Richtig ist nur, dass diese individualisierende Einschränkung ab der fünften Auflage nicht mehr zu finden ist, vgl. Welzel, Strafrecht5, 103 ff. 531  Welzel, Strafrecht3, S. 414 (Hervorhebungen im Original). 532  Welzel, Strafrecht3, S.  117 f. 533  Welzel, Strafrecht3, S.  118 ff. 534  Welzel, Strafrecht3, S. 414. 535  Siehe insbesondere Welzel, Strafrecht3, S.  130 f.



D. Der Finalismus131

die man einem Missbilligungsurteil zuführe, sondern dass es demgegenüber lediglich der unfinale Verstoß gegen ein rechtliches Sollen gelegentlich einer Handlung sei, der negativ bewertet werde,536 knüpfte Welzel den Begriff der Sorgfaltswidrigkeit enger an den der Handlung; die Sorgfaltswidrigkeit wird – wenn auch in der Drittauflage noch nicht hervorstechend, zumindest aber mittelbar – als Eigenschaft der Handlung gedeutet: So vollzieht sich der Sollensverstoß bei Welzel nicht gelegentlich einer Handlung, sondern er liegt vielmehr in der unsorgfältigen Ausführung selbiger.537 In der vierten Auflage seines Lehrbuches ergänzte Welzel – bei sonst gleichlaufendem Fahrlässigkeitsaufbau538 – die Prüfung der Verletzung der objektiven Sorgfalt innerhalb der Rechtswidrigkeit um den seiner Ansicht nach nun explizit notwendigen Nachweis, dass „die Rechtsgüterverletzung gerade wegen der Sorgfaltsverletzung eingetreten sein“ müsse:539 „Selbst wenn der Täter die im Verkehr erforderliche Sorgfalt verletzt hat, ist die Rechtsgüterverletzung nicht rechtswidrig herbeigeführt, wenn sie auch bei sorgfältiger Vornahme der Handlung eingetreten wäre.“540 Sachlich soll es hier also um „das zur Rechtswidrigkeit der fahrlässigen Delikte erforderliche Merkmal der Vermeidbarkeit des Erfolges bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt“ gehen.541 Mit der sechsten Auflage spezifizierte Welzel seine Darstellung der Fahrlässigkeitstat nicht lediglich in einem Einzelpunkt, sondern er rückte vielmehr die Allgemeingültigkeit beanspruchenden Begründungszusammenhänge partiell – aber keineswegs nur unerheblich – in ein neues Licht. So änderte sich die dogmatische Einordnung des Merkmals der objektiven Voraussehbarkeit der Rechtsgutsverletzung. War dieses Erfordernis in den 536  Siehe

dazu oben den Fließtext bei Fn. 512 (Kap. 2). Welzel, Strafrecht3, S. 94 ff. im Ganzen. Dort heißt es zum Beispiel (S. 95), dass nur „Handlungen, die infolge der Nichtbeachtung dieser objektiven Sorgfaltspflicht zu Rechtsgüterverletzungen führen“, rechtswidrig im Sinne der fahrlässigen Delikte seien (Hervorhebung von mir). Die Anbindung des Sorgfaltsgedankens an den Handlungsbegriff wird sich noch deutlicher in späteren Auflagen zeigen, vgl. dazu die sogleich folgenden Ausführungen. – Zu einer gleichlaufenden Deutung der Welzelschen Auffassung siehe Struensee, JZ 1987, 56, der mit Recht darauf hinweist, dass Welzel – anders als Niese mit seiner „rechtlich indifferenten Finalität“ – den Willensinhalt nie in seiner Totalität für unerheblich erklärt hat, sowie Jakobs, Studien, S. 72 f. 538  Hinzuweisen ist darauf, dass Welzel, Strafrecht4, S. 96, den Unterschied zu Niese etwas deutlicher erkennen lässt: „Die Fahrlässigkeit ist die Rechtswidrigkeit der unvorsätzlichen Handlungen, nämlich das Mißverhältnis, das die wirkliche Handlung gegenüber dem rechtlich gebotenen Verhalten aufweist.“ 539  Welzel, Strafrecht4, S. 100 (Hervorhebung im Original). 540  Welzel, Strafrecht4, S. 418. 541  Welzel, Strafrecht4, S. 38. 537  Siehe

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Kap. 2: Rechtsgeschichtliche Entwicklung

Vorauflagen noch auf der Rechtswidrigkeitsebene verortet, sollte es nun bereits im Rahmen der Tatbestandsmäßigkeit zu prüfen sein; und dies aus folgendem Grund: Da bei den fahrlässigen Delikten das „finale Korrektiv des Tatbestandsvorsatzes für die Ausscheidung nicht-relevanter Kausalverläufe“ fehle, könnten die Tatbestände der Fahrlässigkeitsstraftaten zumindest nur solche ungewollten Nebenfolgen einer Handlung erfassen, „deren Eintritt nach menschlicher Einsicht voraussehbar und darum bei sachgemäßer finaler Steuerung des Verhaltens vermeidbar sind.“542 Demnach steht für Welzel fest, dass nur adäquate Verursachungen einer Rechtsgüterverletzung von den Fahrlässigkeitstatbeständen umfasst sind.543 Auffällig – und damit in Zusammenhang stehend – ist sodann, dass die „fahrlässige Handlung“ in der sechsten Auflage seines Lehrbuchs wieder ausdrücklich im Rahmen der allgemeinen Überlegungen zum Handlungsbegriff diskutiert wird: „ ‚Fahrlässige‘ Handlungen sind solche finale Handlungen, die nichtfinale, also rein kausale, Nebenfolgen haben, welche durch bessere finale Steuerung der Handlung bei Auswahl und Anwendung der Handlungsmittel (einschließlich der eigenen Körperbewegung) hätten vermieden werden können.“544 Welzel machte in diesem Kontext deutlich, dass man die Fahrlässigkeit auf einen Mangel einer vom Menschen zu erbringenden Leistung545 zu beziehen habe.546 So wird der Versuch unternommen, Sorgfalts- und Handlungsbegriff enger als bisher zu verknüpfen. Zwar sei der Zweck der fahrlässigen Handlung (regelmäßig) rechtlich irrelevant, aber nicht vernachlässigen dürfe man Strafrecht6, S. 43. Welzel, Strafrecht6, S. 461, sowie 112. – Bei dem hier verwendeten Begriff der Adäquanz soll es sich um die sog. kausale handeln; nicht dagegen um die soziale Adäquanz, die weiterhin auf der Deliktsstufe der Rechtswidrigkeit verbleibe. Bemerkenswert ist aber, dass Welzel, a. a. O., S. 43, schon bei der Begriffsklärung der kausalen Adäquanz auf Umschreibungen wie den „sozialen Raum“ (Hervorhebung von mir) zurückgreift. – In Rechtsgeschichtlicher Sicht dürfen uns die – freilich undogmatisch anmutenden – begrifflichen Verschlingungen nicht verwundern, wurde doch schon früh versucht, den Adäquanzgedanken nicht nur auf Fälle der sog. unvorhersehbaren Kausalität anzuwenden, sondern auch auf solche Fälle zu erstrecken, bei denen trotz der unter Umständen drohenden erheblichen Gefahren der soziale Nutzen überwiegt, vgl. insofern Thyren, Bemerkungen zu den kriminalistischen Kausalitätstheorien, Abhandlungen aus dem Strafrechte und der Rechtsphilosophie I, Lund 1894, S. 134 f., 137 (zitiert nach Preuß, Untersuchungen zum erlaubten Risiko, S. 33). 544  Welzel, Strafrecht6, S. 32. 545  Zu Welzels – auch normativ, nicht lediglich ontisch gefärbtem – Leistungsbegriff vgl. darüber hinaus Lampe, Unrecht, S. 87 ff. – Dass der von Welzel auf den Begriff der Leistung bezogene Handlungsbegriff weiter als der von ihm sonst verwendete ist, kann hier nicht vertieft werden; siehe dazu Cerezo, ZStW 71(1959), 143, und sodann die bereits frühen, in eine ähnliche (normativerende) Richtung deutenden Ausführungen von Engisch, Kohlrausch-FS, S. 141 ff. 546  Welzel, Strafrecht6, S.  31 f. 542  Welzel, 543  Siehe



D. Der Finalismus133

den Willensinhalt in Bezug auf das angewendete Mittel und die Art seiner Anwendung: „Fahrlässigkeit ist der Mangel der wirklichen Willenssteuerung bei der Mittelauswahl und der Mittelanwendung im Verhältnis zu dem im Verkehr (zwecks Vermeidung unerwünschter Nebenfolgen) gebotenen Mindestmaße an Finalsteuerung.“547 Neben dieser nun ausdrücklicheren Berücksichtigung von Steuerung und Lenkung, also zumindest eines Teils des Willensinhalts bei der fahrlässigen Handlung, ist noch darauf hinzuweisen, dass auch die Darstellung der (fahrlässigen) Schuldlehre gewisse Änderungen erfahren hat. Diese waren jedoch – von Welzel freilich nicht besonders verdeutlicht – wohl primär klarstellender Natur;548 hervorzuheben ist aber, dass dort – nun an exponierterer Stelle – nochmals der „fundamentale Unterschied zwischen vorsätzlicher und unvorsätzlicher Tatbestandsverwirklichung“ betont wird. In der siebten (und damit auch in der unveränderten achten) Auflage des Lehrbuchs unterlag das Aufbauschema des fahrlässigen Deliktes neuerlichen Umwälzungen.549 Die gewichtigste Änderung betraf hierbei erneut die Prüfstufe der sog. Tatbestandsmäßigkeit. Hatten wir bereits in der sechsten Auflage die „Wanderung“ der objektiven Vorhersehbarkeit von der Rechtswidrigkeitsebene in den Bereich des Tatbestandes mitverfolgen können, sollte nach Welzels Auffassung nun auch der Aspekt der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt dort vollumfänglich zu verorten sein. Die Tatbestandshandlung – die jetzt ausdrücklich als solche bezeichnet wird – sei demnach als die Verletzung des gebotenen Verhaltens, der objektiv ausgestalteten Sorgfalt zu qualifizieren, was auch treffend im § 276 BGB550 umschrieben sei.551 Den in der Vorauflage noch ausdrücklich separierten Aspekt der objektiven Voraussehbarkeit will Welzel – gleichlaufend zu seinem ursprüngStrafrecht6, S. 37. dazu ausführlich die überzeugende Darstellung von Nowakowski, JZ 1958, 391 ff., insb. 392. 549  Siehe dazu überblicksweise die schematische Darstellung bei Welzel, Strafrecht8, S. 481, im Vergleich zu Welzel, Strafrecht6, S.  461 f. 550  Gemeint ist der heutige § 276 II BGB. 551  Welzel, Strafrecht8, S. 114. – Man beachte, dass Welzel die „fahrlässige Handlung“ im Gegensatz zur Vorauflage nicht mehr im Rahmen der allgemeinen Ausführungen zum Handlungsbegriff ansprach. Schon hier sei angemerkt: Welzel scheint also eine Eingrenzung und Erklärung der Fahrlässigkeit nicht im Rahmen einer ontologisch fahrlässigen Handlung finden zu können, sondern „lediglich“ in einer tatbestandlich gefassten fahrlässigen Handlung. Darüber hinaus ist bemerkenswert, dass Welzel keinen expliziten Grund für die neuartige Verortung des Sorgfaltsbegriffs auf Tatbestandsebene darbringt; und warum man – trotz gleicher Regelungsmaterie (was wohl auch Wolski, Soziale Adäquanz, S. 13, zum Ausdruck bringen will) – demgegenüber die „allgemeine“ soziale Adäquanz weiterhin auf Rechtswidrigkeitsebene zu prüfen habe, vgl. Welzel, Strafrecht8, S. 76. 547  Welzel, 548  Siehe

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Kap. 2: Rechtsgeschichtliche Entwicklung

lichen Ansatz – wiederum in den Sorgfaltsbegriff552 integriert wissen: „Das Adäquanzurteil geht insoweit im Begriffe der objektiven Sorgfalt auf.“553 Neben der Tatbestandshandlung wird außerdem erstmals ausführlich die besondere Bedeutung des sog. Erfolgssachverhaltes – definiert als „die Rechtsgutsverletzung oder -gefährdung“ – für die fahrlässigen Delikte betont.554 Hier will Welzel der Sache nach die in der vierten Auflage – dort jedoch noch auf Rechtswidrigkeitsebene – ausfindig gemachte „Vermeidbarkeit des Erfolges bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt“ prüfen. Die neuartig nachdrückliche Herausstellung eines vom Handlungsunwert abschichtbaren, eigenständigen Unwertes, nämlich des sog. Erfolgsunwertes im Rahmen der Fahrlässigkeitsstraftat, ist bei ihm unmittelbare Folge der Statuierung des Sorgfaltsbegriffs auf Tatbestandsebene. Hatte Welzel bis zur sechsten Auflage die Sorgfaltsverletzung noch nach der Feststellung des tatbestandsmäßigen Erfolges thematisiert, und dementsprechend für ihn keine Möglichkeit bestanden, Sorgfalt und Erfolg miteinander auf einer Prüfstufe zu verknüpfen, glaubte er jetzt – das heißt bei vorheriger Diskussion der gebotenen Sorgfalt – gewisse „Zufälligkeiten“ im Rahmen des Erfolges der fahrlässigen Delikte ausscheiden zu können: „Der Erfolgseintritt [muß] die Realisierung gerade der Sorgfaltsverletzung sein.“555 Auch auf diese Wanderbewegung wird noch zurückzukommen sein. Insgesamt bleibt festzuhalten, dass Welzel in der siebten / achten Auflage davon ausging, dass die Rechtswidrigkeit mit Bejahung der Tatbestandsverwirklichung als indiziert gelte, aber durch Rechtfertigungsgründe ausgeschlossen sein könne,556 und dass die Schuld (unter nochmaliger Änderung der die „Elemente der Vorwerfbarkeit“ aufbereitenden Darstellung557) wie gehabt zu prüfen sei558. 552  Hervorzuheben ist noch, dass Welzel, Strafrecht8, S. 115 f., die Wichtigkeit des „Vertrauensgrundsatzes“ für die Konkretisierung des Sorgfaltsbegriffs herausarbeitete. 553  Welzel, Strafrecht8, S. 114. 554  Welzel, Strafrecht8, S.  117 ff. 555  Welzel, Strafrecht8, S. 118. – Kay H. Schumann, Jura 2008, 412, sieht Welzels Lehre von der Sozialadäquanz aber offenbar als eine der zentralen Entwicklungsstufen im Rahmen der Entfaltung der objektiven Zurechnungslehre. Dass Welzel aber die Rechtsfigur der Sozialadäquanz relativ unabhängig vom Erfolgsunwert, insbesondere von der sog. objektiven Zurechnung entwickelte und erst spät mit diesem / dieser in unmittelbare Verbindung brachte, sollte bereits deutlich geworden sein. Kay H. Schumanns Ausführungen sind insofern zumindest als irreführend zu bezeichnen. Man beachte: Frisch, GA 2003, 728 Fn. 47, sieht Welzel gar als einen der Hauptkritker der objektiven Zurechnungslehre an. 556  Welzel, Strafrecht8, S. 120, 481. 557  Vgl. dazu insbesondere Welzel, Strafrecht8, S. 138 ff., im Vergleich zu Welzel, Strafrecht6, S.  136 ff. 558  Siehe zur gleichlaufenden Schuldprüfung Welzel, Strafrecht8, S. 481, und Welzel, Strafrecht6, S.  462 f.



D. Der Finalismus135

In der neunten Auflage lassen sich einmal keine expliziten Änderungen im Aufbau der fahrlässigen Straftat finden, demgegenüber versuchte Welzel dort gleichwohl – stärker indessen noch in dem zwischenzeitlich erschienenen Aufsatz über „Fahrlässigkeit und Verkehrsdelikte“559 – neuartige, gewissermaßen nachgeschobene, spezifizierende Begründungen für sein dogmatisches Vorgehen darzubringen.560 So stand für Welzel nun ausdrücklich fest, dass der bei der Fahrlässigkeit Relevanz entfaltend sollende, objektiv ausgestaltete Sorgfaltsbegriff561 zwingend auf Tatbestandsebene verortet werden müsse. Dieses Ergebnis hatte er zwar bereits in der Vorauflage vertreten, dort aber nicht hinlänglich untermauert bzw. untermauern können. Zu Hilfe kam ihm nun aber (mittelbar) seine veränderte Einordnung der Rechtsfigur der sozialen Adäquanz, die der Sache nach die gleiche Materie umreißt wie der Begriff der Sorgfalt.562 War erstgenannte Begrifflichkeit in der achten Auflage563 noch auf der Prüfstufe der Rechtswidrigkeit angesiedelt, sollte sie nun – ebenso wie der Sorgfaltsbegriff – dem Tatbestand unterfallen (müssen), ihm gewissermaßen sein Gepräge verleihen. Dies – hier mit den Worten seines Schülers Hirschs umschrieben – vor allem aus folgendem Grund: „Wenn […] der Tatbestand nur solche Handlungen umfaßt, die aus den ‚Ordnungen des sozialen Lebens schwerwiegend herausfallen‘, läßt sich nicht gleichzeitig sagen, daß sozialadäquates Verhalten tatbestandsmäßig und nur gerechtfertigt sei. Denn sozialadäquate Handlungen halten sich bereits im Rahmen der geschichtlich gewordenen Ordnung 559  Welzel,

Fahrlässigkeit, S. 5 ff. beachte also, dass der in der neunten Auflage des Lehrbuchs erstmals zitierte Aufsatz über „Fahrlässigkeit und Verkehrsdelikte“ entscheidenden Anteil an der verdichteten Argumentation im Allgemeinen Teil gehabt haben wird. 561  Die Notwendigkeit den Sorgfaltsbegriff objektiv bestimmen zu müssen, da nur so der „Inhalt des gesollten Verhaltens“ sachangemessen beschrieben werden könne, stellte Welzel, Fahrlässigkeit, insb. S. 25 nochmals heraus. – Man beachte aber auch, dass Welzel ab der neunten Auflage, vgl. Strafrecht9, S. 118, nicht mehr die Kennzeichnung des „gebotenen Verhaltens“ für die „im Verkehre erforderliche Sorgfalt“ benutzte, so aber noch Welzel, Strafrecht8, S. 118. Ob damit eine Abkehr von der These der Parallelität zum Unterlassungsdelikt verbunden ist, vgl. oben bei Fn. 521 (Kap. 2), erläutert Welzel freilich nicht. 562  Zu einer Grenzziehung zwischen beiden Begrifflichkeiten hat sich Welzel – soweit ersichtlich – nie explizit bekannt; regelmäßig werden beide gemeinsam, mitunter synonym verwandt, vgl. bereits exemplarisch Welzel, in: Abhandlungen, S. 142, 177, wo er unter anderem den Begriff der sozialen Adäquanz erstmalig entwickelte. – Genauso wie die soziale Adäquanz für Welzel „ein allgemeines Auslegungslegungsprinzip“ darstellt (exemplarisch Welzel, Strafrecht9, S. 52), bezeichnet er die Fälle des maßvollen Risikos als „Unterfälle des allgemeinen Rechtsprinzips“ der objektiven Sorgfalt (Welzel, Fahrlässigkeit, S. 25). 563  Nochmals: Nachdrücklich wurde ab der vierten bis zur achten Auflage das sozial adäquate Verhalten auf Rechtfertigungsebene verortet, siehe oben Fn. 461 (Kap. 2). 560  Man

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Kap. 2: Rechtsgeschichtliche Entwicklung

des Gemeinschaftslebens.“564 In die gleiche Richtung gingen die – mehr normentheoretischen – Ausführungen von von Caemmerer, die sich Welzel gleichfalls zu eigen machte565: Jener betonte, dass man Verhaltensnormen (Verbote) nicht lediglich an die Tatsache knüpfen dürfe, dass eine Handlung irgendwie gefährlich sei, sondern dass es vielmehr immer der Abwägung bedürfe, um eine taugliche Sorgfaltspflicht statuieren zu können.566 Die Verortung der Sorgfaltspflicht auf Tatbestandsebene meinte Welzel sodann beispielhaft am Phänomen des Autofahrens zeigen zu können: Je stärker der – einen körperverletzenden Zusammenstoß herbeiführende – Autofahrer „die Kurven schneidet, desto sorgfaltswidriger und damit desto unrechtmäßiger ist“ sein Tun.567 Daran werde deutlich, „daß für die Erfassung des fahrlässigen Deliktes nicht der bloße ‚erfolgsverursachende Willkürakt‘, sondern der konkrete Vollzug, die konkrete Steuerung, der finalen Handlung maßgebend ist, indem diese Steuerung in Vergleich gesetzt wird mit einem maßstäblichen Sozialverhalten, das an der Vermeidung sozial unerwünschter Erfolge orientiert ist“ – und in dieser Relation werde eben die Tatbestandsmäßigkeit des fahrlässigen Delikts festgestellt.568 Dahinter hat die folgende – hier frei formulierte – übergeordnete Überlegung gestanden: Nicht eine irgendwie geartete Herbeiführung des Erfolges, die Erfolgsverursachung „an sich“ sei das Entscheidende der Straftat, sondern eben die Handlung, da man vernünftigerweise auch lediglich letztere mit den Begrifflichkeiten erlaubt oder verboten belegen könne. Bezieht man aber den Erfolg auf eine erlaubte oder verbotene Handlung, ist die Thematisierung des tatbestandsmäßigen Erfolges nach der Feststellung der verbotenen Handlung naheliegend. Der Handlungsunwert der fahrlässigen Delikte scheint also abschließend auf einer einzigen Prüfstufe – der Tatbestandsmäßigkeit – ausfindig gemacht. Hinzuweisen ist noch darauf, dass ebenfalls – obwohl vordergründig aufbautechnisch unangetastet569 – die Darstellung der Schuldlehre spezifiziert wurde. Insbesondere entfiel der noch in der achten Auflage zu findende Satz, dass es einen fundamentalen Unterschied zwischen vorsätzlicher und fahrlässiger Tat auf der Schuldebene gebe, ebenso wie die Äußerung, dass die Elemente der Vorwerfbarkeit bei beiden grundlegend verschieden seien.570 Vielmehr betonte Welzel nunmehr: „Bei den fahrlässigen Delikten gelten dieselben Grundsätze der Vorwerfbarkeit wie bisher“.571 ZStW 74 (1962), 80; vgl. auch Welzel, Strafrecht9, S. 52. Fahrlässigkeit, S. 24 Fn. 57. 566  v. Caemmerer, Hundert Jahre DJT-FS II, S. 78. 567  Welzel, Strafrecht9, S. 117. 568  Welzel, Strafrecht9, S. 117. 569  Vgl. insofern Welzel, Strafrecht9, S. 511 f., und Welzel, Strafrecht8, S. 481. 570  In diesem Sinne noch Welzel, Strafrecht8, S. 139. 571  Welzel, Strafrecht9, S. 159. 564  Hirsch, 565  Welzel,



D. Der Finalismus137

Dies erreichte er – erneut ohne auf die bedeutsame Änderung aufmerksam zu machen – durch die Einbettung des noch in der achten Auflage mit Vehemenz postulierten Erfordernisses der „Erkennbarkeit der Tatbestandsverwirklichung“ in die „Erkennbarkeit der Rechtswidrigkeit“.572 Diese Integration sei aufgrund der Tatsache möglich,573 dass beim fahrlässigen Delikt die „ ‚Erkennbarkeit der Rechtswidrigkeit‘ die individuelle Erkennbarkeit der Sorgfaltswidrigkeit der Täterhandlung“ bedeute und diese wiederum bezogen sei „auf eine mögliche Rechtsgutsverletzung“,574 was für Welzel also schlussendlich genau den Aspekt darstellte, den er mit der Erkennbarkeit der Tatbestandsverwirklichung zunächst hatte separiert wissen wollen.575 Mit anderen Worten: Der Schuldvorwurf erschiene damit bei Vorsatz- und Fahrlässigkeitsdelikt auf den gleichen Begriff – das Unrechtsbewusstsein – bezogen, lediglich das Objekt der Vorwerfbarkeit – das Unrecht – wiese bei beiden noch eine eigenständige Struktur auf. Den in der neunten Auflage erreichten Stand der Fahrlässigkeitsdogmatik hat Welzel bis zur Letztauflage des Lehrbuchs ohne gravierende Änderungen – weder im Aufbau, noch in der diesem zugrundeliegenden Begründung576 – beibehalten. Dessen ungeachtet räumte er insgesamt ein, dass die 572  Welzel, Strafrecht9, S. 159. – Man beachte, dass die „Erkennbarkeit der Tatbestandsverwirklichung“ in Welzel, Strafrecht9, S. 527, nicht einmal mehr im Sachverzeichnis Erwähnung findet. 573  Die vorgenommenen Änderungen werden nicht zuletzt durch die fundierte Kritik von Nowakowski, JZ 1958, 340 und 391 ff., beeinflusst worden sein (bereits Welzel, Strafrecht7, S. VI, hob ihn als seinen „scharfsinnigsten“ Kritiker heraus), der insbesondere den vermeintlich eigenständigen Gehalt der Tatbestandskenntnis auf der Schuldebene kritisiert hatte. Dies wird Welzel auch zu einigen Modifikationen seiner – hier aus Platzgründen nicht darstellbaren – (Un-)Zumutbarkeitsdoktrin bewogen haben; man beachte nur, dass die Zumutbarkeit ab der neunten Auflage darstellungstechnisch nicht mehr in die „Elemente der Vorwerfbarkeit“ integriert wurde, sondern ihr vielmehr ein eigenständiger Paragraph gewidmet wurde, vgl. Welzel, Strafrecht9, S.  160 ff. 574  Welzel, Strafrecht9, S. 159. 575  Der Grund für die ursprüngliche Akzentuierung des Merkmals der Kenntnis / Erkennbarkeit der Tatbestandsverwirklichung dürfte Welzels Versuch gewesen sein, einen für Vorsatz- und Fahrlässigkeitsdelikt je eigenständigen Schuldunwert ausfindig zu machen. 576  Am Rande sei darauf hingewiesen, dass Welzel, Strafrecht, S. 132, ehemals vertretene Positionen auch sprachlich weiter schleifte. So entfiel beispielsweise der Hinweis, dass das – ehemals abgetrennte – Adäquanzurteil im Begriff der objektiven Sorgfalt aufgehen soll. – Die (in der über die „Irrungen und Wirrungen“ der Welzelschen Fahrlässigkeitsdoktrin leider kaum berichtende Zusammenschau) zu findende Behauptung von Koriath, Jung-FS, S. 404, jener habe über die Umarbeitungen des Fahrlässigkeitskapitels „in einer Offenheit, die unter strafrechtlichen Autoren leider keineswegs selbstverständlich ist“ berichtet, muss nach allem deutlich zurückgewiesen werden.

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Kap. 2: Rechtsgeschichtliche Entwicklung

vom ihm zur Kennzeichnung der Handlung gewählte Begrifflichkeit der Finalität zahlreiche Missdeutungen heraufbeschworen hatte, die man seiner Ansicht nach womöglich mit dem zwischenzeitlich in der Kybernetik entwickelten Begriff der Handlung vermieden hätte, da dieser sachgerecht ihre „entscheidende Eigenart, nämlich ihre Steuerung und Lenkung“ herausstelle.577 So seien auch die fahrlässigen Delikte besser erklärbar: Bei diesen komme es nicht auf das Ziel (finis) der Handlung an, sondern die Art und Weise der Steuerung und Lenkung sei das entscheidende Unrechtsmoment – mit anderen Worten die Sorgfaltswidrigkeit.578

E. Rekapitulierender rechtsgeschichtlicher Überblick Die auf die Konstruktion der Fahrlässigkeitsstraftat unter rechtsgeschichtlichen Aspekten blickende, im Jahre 1867 einsetzende, kritische Durchsicht hat mehrere zentrale, in nahezu sämtlichen Diskussionen wiederkehrende Problembereiche ausfindig machen können. Hinzuweisen ist zunächst darauf, dass die Entwicklung des Aufbaus des „speziellen“, fahrlässigen Delikts und die allgemeine Straftatlehre als eng verwobene, sich gegenseitig bedingende Komplexe erscheinen; nicht selten fungiert die Fahrlässigkeit gar als Ausgangspunkt, die tradierten Lehren insgesamt zu hinterfragen.579 Folgende Kernthematiken ziehen sich wie ein roter Faden durch die geschichtliche Debatte: In Sonderheit sind das zum einen die Normentheorie und zum anderen die Bestimmung des materiellen Schuldgehalts der (unbewussten) Fahrlässigkeit580; damit oftmals einher geht der Versuch, verschiedenartige (Wertungs-)Momente vom „originären“, auf der Schuldebene verorteten Fahrlässigkeitsbegriff abzuschichten und anderen Prüfungsstufen (Tatbestandsmäßigkeit, Rechtswidrigkeit) zuzuweisen. Ferner bedient man sich bei der Umschreibung der Fahrlässigkeit zumeist des – aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch entlehnten – Terminus der „Außerachtlassung der erforderlichen Sorgfalt“, diesbezüglich steht vor allem in Streit, wie man dessen Maßstab zu bestimmen hat. Für die Zeit, als die Strafrechtslehre begann unter Zuhilfenahme der Begrifflichkeiten von Unrecht (bzw. Tatbestandsmäßigkeit, Rechtswidrigkeit) und Schuld Sachverhalte in systematisch stringenter Hinsicht zu beurteilen, lässt sich in freilich vergröbernder, idealtypischer Betrachtung, ohne um577  Welzel,

Strafrecht, S. 37. Strafrecht, S. 131. 579  Erinnert sei nur an das Werk Exners, siehe dazu S. 86 ff. 580  Siehe insofern auch Koriath, Jung-FS, S. 399 ff., und den zusammenfassenden Aufsatz von Koch, ZIS 2010, 175 ff., sowie die diesbezüglich kritischen Anmerkungen von Spilgies, ZIS 2010, 490 ff. (vgl. dazu noch unten, S. 438 ff.). 578  Welzel,



E. Rekapitulierender rechtsgeschichtlicher Überblick139

fangreiche Literaturhinweise zu bemühen, folgendes Bild zeichnen: Sieht man das Unrecht, die Rechtswidrigkeit bereits dann als verwirklicht an, wenn eine – das Rechtsgut Leben diene hier der Exemplifizierung – durch Willensverhalten verursachte, nicht ausnahmsweise gestattete Verletzung menschlichen Lebensinteresses gegeben ist, erschöpft sich das Unrecht also in einer reinen Kausalbetrachtung, stellt sich die Frage nach der Fahrlässigkeit (in striktem Gleichlauf zum Vorsatz) ausschließlich als Schuldproblem dar.581 Zieht man zur Kennzeichnung der Fahrlässigkeit sodann den – bereits im Zivilrecht (§ 276 BGB) angelegten und dort bewährten – Begriff der Sorgfaltspflichtverletzung heran, tritt jedoch weiterhin das bereits oben aufgewiesene Problem nach dem insofern anzulegenden Maßstab zu Tage. An dieser Stelle – also im Rahmen der Schuld – offenbaren sich nun (vermeintlich) verschiedenste Lösungsmöglichkeiten: Die (wohl nur theoretisch vertretenen) Extrempositionen in Bezug auf die Maßstabskonturierung lassen sich am ehesten durch das Gegensatzpaar „individuell / generell“ (bzw. ungenauer duch die Antagonisten „subjektiv / objektiv“) beschreiben – alle der vordergründig mannigfaltigen Ansätze bewegen sich innerhalb dieses Meinungsspektrums und rekurrieren auf die gerade benannten Begrifflichkeiten, jeweils mit Ausschlag in die eine oder andere Richtung. Erinnert sei beispielsweise an den individualisierenden Maßstab Bindings, der „allein auf die nach Rechtsauffassung vorhandene Fähigkeit des Angeklagten, das widerrechtliche Verhalten zu meiden, zur Zeit der Tat“ abstellt,582 und im Gegensatz dazu an die Ausführungen Mannheims: So handle fahrlässig, „wer unvorsätzlich einen Erfolg herbeiführt, den ein anderer vorausgesehen hätte und den der Täter daher voraussehen sollte.“583 Für Binding war das Ergebnis unmittelbare Folge seines Schuldbegriffs, Mannheim sah sich dagegen veranlasst, das Wesen der Schuld gänzlich umzudeuten, es zu verobjektivieren. Hiermit ist bereits das bestehende Spannungsverhältnis aufgewiesen: Regelmäßig wurde die Schuld subjektiv, psychologisch gedeutet; lassen sich aber gerade im Begriff der Sorgfalt verstärkt „objektive Momente“ finden, scheint das den auf der Schuldebene verorteten „üblichen“ Fahrlässigkeitsbegriff zu sprengen. Ungeachtet dessen war eine sowohl objektive wie subjektive Aspekte berücksichtigende „Definition“ des Sorgfaltsbegriffs gebräuchlich; eine Notwendigkeit, diese Unterscheidung auch zum Anlass für eine systematische Differenzierung zu nehmen, wurde augenscheinlich nicht gesehen.584 Vereinzelt wurde daraufhin jedoch versucht, diesen äußerst komplexen – vor allem die Momente des Nichtdürfens und der subjektiven nur die Verbrechensauffassung von v. Liszt, oben S. 61 ff. oben S. 55. – Man beachte aber die insgesamt skeptische Haltung Bindings zum Begriff der „im Verkehr erforderlichen Sorgfalt“. 583  Siehe zum Ganzen oben S. 93 f. 584  Vgl. wiederum exemplarisch die Lehrmeinung v. Liszts, oben S. 62 f. 581  Vgl.

582  Siehe

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Kap. 2: Rechtsgeschichtliche Entwicklung

Erkennbarkeit beinhaltenden – Fahrlässigkeitsbegriff aufzulösen.585 Insofern sei insbesondere auf den Versuch Radbruchs586 hingewiesen, des Weiteren auf die späteren – im Schrifttum aber weit ausführlicher diskutierten – Ansätze von Exner587 und Engisch588. Die „Herauslösung“ gewisser, sonst dem Fahrlässigkeitsbegriff auf der Schuldebene zugeordneter Bereiche wurde ferner – womöglich sogar vor allem – durch eine vertiefte Auseinandersetzung mit normentheoretischen Argumenten befeuert. Ins Gedächtnis rufe man sich abermalig nur Folgendes: Engisch, der sich die von Binding postulierte Trennung von Norm und Strafgesetz zu eigen gemacht hatte, formulierte folgendermaßen:589 „Die Norm […] verlangt […] Vermeidung der Tatbestandsverwirklichung, und das bedeutet […]: sie verlangt Anwendung der entsprechenden Mittel, m. a. W. Sorgfalt.“590 Und weiter: Da „alle Merkmale, die das Unrecht konstituieren, in den Tatbestand eingehen,“ „sind gerade die Merkmale der Normverletzung wie Gefährlichkeit der Handlung usw. Merkmale der Tatbestandsmäßigkeit“.591 So dass für Engisch schlussendlich feststand: „Die Außerachtlassung der erforderlichen Sorgfalt [ist] in jeder Form in den gesetzlichen Tatbestand einzubeziehen“.592 Die Betonung des Charakters der Norm, auf den Einzelnen qua „ ‚Befehl‘, ‚Imperativ‘, ‚Gebot‘ bzw. ‚Verbot‘ “ regelnd einzuwirken,593 ihre „ ‚Bestimmungsfunktion‘ “594, scheint also der Grund für die Verortung der Sorgfaltspflicht im Rahmen des Unrechts gewesen zu sein. Dass Teile der sog. Imperativentheoretiker durch die Adressierung der Rechtsnorm an den Staatsbürger (so zum Beispiel Hold v. Ferneck595) den Schluss zogen, Unrecht und Schuld für untrennbar zu halten, mag an dieser Stelle nur neuerlich erwähnt werden. Nochmals sei dagegen ausdrücklich betont, dass sich nach zu jener Zeit vordringender 585  Man führe sich in diesem Zusammenhang noch die Worte von Jakobs, Strafrecht AT, 9 / Fn. 12, vor Augen: „Das bei der Fahrlässigkeit nicht genuin, aber praktisch angesiedelte Problem des erlaubten Risikos [drängte] zu einer Lösung, die mit dem Fahrlässigkeitsbegriff vermischt wurde.“ 586  Siehe oben S. 65 ff. 587  Siehe oben S. 89 f. 588  Siehe oben insbesondere S. 107 ff. 589  Siehe oben S. 104 ff. 590  Engisch, Untersuchungen, S. 341. 591  Engisch, Untersuchungen, S. 344. 592  Engisch, Untersuchungen, S. 346. – Dass er aus dieser Erkenntnis keine „terminologischen Konsequenzen“ ziehen wollte, kann hier unberücksichtigt bleiben. 593  Dies sind die von Engisch, Gerechtigkeit, S. 29, in späterer Zeit verwandten, den bereits in den „Untersuchungen“ angelegten Gedanken noch deutlicher zum Ausdruck bringenden Begrifflichkeiten. 594  Engisch, Gerechtigkeit, S. 34, vgl. vorherstehende Fn. 595  Siehe dazu oben S. 81 ff.



E. Rekapitulierender rechtsgeschichtlicher Überblick141

Auffassung die Beschreibung der Norm – im Unrecht – nicht mehr ausschließlich auf den sog. Bewertungscharakter beschränkte (so aber vor allem noch Mezger596), sondern der Aspekt der Bestimmungsnorm weiter in den Vordergrund des Interesses trat.597 Diese Fundierung – worauf bereits hier hingewiesen werden soll – hat dem strafrechtlichen Schrifttum in der Folgezeit, das heißt bis heute, zahlreiche Schwierigkeiten bereitet: Will man die Bestimmungsfunktion nicht als bloßes Verursachungsverbot aufgefasst wissen, da sie sonst – so der oft erhobene Vorwurf598 – „als konkreter Verhaltensmaßstab […] sinnlos“ sei, sieht man sich regelmäßig dazu veranlasst, ein Tun oder Unterlassen, das „ein Mindestmaß an Sorgfaltsvorkehrungen“ einhält, das sich „innerhalb der Grenzen dieses erlaubten Risikos“ bewegt, als nicht gegen die Bestimmungsnorm verstoßend zu betrachten.599 Die Zurückdrängung der die Fahrlässigkeit ausschließlich im Schuldbereich verortenden Auffassung wurde weiterhin ganz nachdrücklich durch die sog. finale Handlungslehre forciert. Nachdem „die Neokausalisten“ zunächst erkannt hatten, dass sich gewisse Tatbestände nicht ohne ein Abstellen auf sog. subjektive Unrechtsmomente erfassen lassen,600 glaubte Welzel, den nach damalig allgemeiner Meinung im Schuldbereich angesiedelten Vorsatz ebenfalls im Rahmen der Tatbestandsmäßigkeit verorten zu müssen: Nicht der „blind-kausale“ Erfolgsunwert stelle das Maßgebliche dar, sondern der sog. Handlungsunwert müsse den Angelpunkt der strafrechtlichen Systematik bilden, um den personalen Charakter des Unrechts sachangemessen erfassen zu können.601 Ließ sich dieser, bei jedweder Straftat zu fordernde Handlungsunwert bei den Vorsatzdelikten – als finaler Verwirklichungswille – relativ problemlos finden, verursachte dessen „Entdeckung“ bei den Fahrlässigkeitsstraftaten größte Schwierigkeiten.602 Anfangs versuchte Welzel den gefundenen Grundgedanken auf die Fahrlässigkeitsdelikte mit Hilfe der Konstruktion „potentieller Finalität“ zu übertragen, die „zwecktätige Vermeidbarkeit“ sollte demnach den Handlungsunwert darstellen; mit der zunächst für unabwendbar gehaltenen Folge, die Unterscheidbarkeit von 596  Siehe

oben S. 95 ff. Armin Kaufmann, Bindings Normentheorie, S. 69 ff., insb. 75, hat später – unter wörtlicher Berufung auf die Studien von Hartmann, Ethik, S. 170 ff., insb. 171 – der Bewertungsnorm als dem sog. logischen Prius entgegengesetzt, dass ein Sollensmoment schon zum Wesen des Wertes gehöre, in seiner idealen Seinsweise schon enthalten sein müsse. Siehe dazu auch Münzberg, Verhalten, S.  62 ff. 598  Siehe nur Weigend, Gössel-FS, 131. 599  Siehe dazu an dieser Stelle nur Schünemann, JA 1975, 438; aber auch unten, exemplarisch S.  214 f. 600  Siehe dazu oben bei Max Ernst Mayer S. 80 f., und bei Mezger S.  100 f. 601  Siehe oben S. 115 ff. 602  Siehe oben S. 121 f. 597  Insbesondere

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Kap. 2: Rechtsgeschichtliche Entwicklung

Unrecht und Schuld leugnen zu müssen.603 Insbesondere Nieses Kritik604 führte bei Welzel jedoch im weiteren Verlauf der Debatte ein Umdenken herbei: So meinte letztgenannter zunächst, die Verletzung des Erfordernisses der rechtlich gebotenen Sorgfalt – den Handlungsunwert – im Rahmen der Rechtswidrigkeit zu verorten,605 und später, diesen Punkt der objektiven Sorgfaltswidrigkeit zum Tatbestand schlagen zu müssen606. Für den Bereich der Schuld verblieb somit nur noch ein geringer Teil des äußerst umfassenden, sich über mehrere Systemstufen erstreckenden Begriffes der Fahrlässigkeit – die „individuelle Sorgfaltswidrigkeit“. Am Abschluss der rechtsgeschichtlichen Entwicklung scheint demnach, ein – von anderen Formen der Straftatbegehung deutlich unterschiedener – Komplexbegriff zu stehen: „Die Fahrlässigkeit ist […] ein besonderer Typus des strafbaren Verhaltens, der Unrechts- und Schuldmomente in sich vereinigt.“607

603  Siehe

oben S. 122 ff. oben S. 125 ff. 605  Siehe oben S. 128 ff. 606  Siehe oben S. 133 ff. 607  Hier in der aktuellen Formulierung von Wessels / Beulke / Satzger, Strafrecht AT, Rn. 657; vgl. in diesem Sinne auch BGHSt 4, 340 (341). 604  Siehe

Kapitel 3

Kritische Darstellung des aktuellen Sach- und Streitstandes Nochmals sei daran erinnert, dass die Begutachtung der rechtsgeschichtlichen Entwicklung im vorherigen Kapitel unter anderem gezeigt hat, dass die Begrifflichkeit der Fahrlässigkeit (wie auch die mit ihr eng verwandten Rechtsinstitute) bis zum Zeitpunkt des Welzelschen Wirkens regelmäßig auf der Schuldebene verortet wurden. Welzel, dem es insbesondere um den Aufweis des sog. Handlungsunwertes der Fahrlässigkeit ging, hat mit dieser Tradition indes jäh gebrochen. Zunächst postulierte er, dass eine Unterscheidung von Rechtswidrigkeits- und Schuldelementen bei den Fahrlässigkeitsdelikten überhaupt nicht in Betracht komme, sodann – in deutlicher Abkehr von dieser Sichtweise –, dass die fahrlässige Straftatbegehung sowohl auf Tatbestands-, wie auch auf Schuldebene Relevanz entfalte, dass mit anderen Worten also Unrecht und Schuld bei dieser sehr wohl getrennt werden müssten. Obwohl (oder gerade weil) zahlreiche Autoren – wie noch im Einzelnen zu zeigen sein wird – diesen von Welzel „zweigeteilten Fahrlässigkeitsbegriff“ zum Ausgangspunkt ihrer eigen Fundierung der fahrlässigen Delikte gemacht haben (ohne zwingend dessen finalistische Prämissen zu teilen), ist die Debatte um deren Handlungsunwert nie abgebrochen. Bei allem Streit um die richtige Herleitung dieses heute nahezu allgemein1 für notwendig erachteten (personalen) „Verhaltensunrechts“ geht die ganz überwiegende Anzahl der im Schrifttum vertretenen Auffassungen davon aus, die Trennung von Unrecht und Schuld aufrechtzuerhalten. Die insofern vertretenen Theorien sind in einem ersten Schritt zu begutachten; hernach diejenigen, die – nur im Ergebnis mit der früheren Welzelschen Position gleichlaufend – die Unterscheidung von Unrecht und Schuld (auch für die Fahrlässigkeit) nivellieren wollen.

1  Ausnahmen im aktuellen Schrifttum sind die Auffassungen von Baumann / Weber / Mitsch, Strafrecht AT, exemplarisch § 22 Rn. 15 ff., und Spendel, siehe nur Weber-FS, insb. S. 14 ff.

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Kap. 3: Kritische Darstellung des aktuellen Sach- und Streitstandes

A. In Unrecht und Schuld differenzierende Auffassungen I. Die Lehren von der sog. objektiven (unrechtsrelevanten) und subjektiven (schuldrelevanten) Sorgfalts(pflicht)verletzung – Das fahrlässige Delikt als eigenständiger Typus, als Aliud zum vorsätzlichen 1. Der (Unrechts-)Tatbestand des fahrlässigen Delikts a) Der Handlungsunwert und die objektive Sorgfaltspflichtverletzung Für die (noch) herrschende Auffassung im Schrifttum ist die fahrlässige Straftat auf (Unrechts-)Tatbestandsebene – in starker Abweichung zur Vorsatztat – zuallererst durch den Verstoß gegen eine objektive Sorgfaltspflicht gekennzeichnet.2 Als bei Weitem nicht unproblematisch stellt sich nun 2  Beck, JA 2009, 112 ff.; Birnbaum, Leichtfertigkeit, S. 145 ff., 160; Blei, Strafrecht AT, S.  296 ff.; Bockelmann, in: Aufsätze, S. 202 f.; Bockelmann / Volk, Strafrecht AT, S.  158 ff.; Börner, GA 2002, 280; Bohnert, ZStW 94 (1982), 68 ff.; Bringewat, Grundbegriffe, Rn.  634 ff.; Brodag, Strafrecht AT, Rn. 152 ff.; Burgstaller, Fahrlässigkeitsdelikt, S.  30 ff., 32 ff.; Ebert, Strafrecht AT, S. 164 ff.; S / S-Eisele, Vorbem §§  13 ff. Rn.  54 ff.; Eser, Strafrecht II, S. 21 ff.; Fischer, StGB, § 15 Rn. 12a; Peter Frisch, Fahrlässigkeitsdelikt, S. 75 ff., 83 ff.; Haft, Strafrecht AT, S. 163 ff., (der jedoch, worauf bereits hier hinzuweisen ist, auf Tatbestandsebene obendrein noch einen – zumindest in gewissem Gleichlauf zur Vorsatztat – explizit subjektiven Tat­ bestand konstruieren will, siehe dazu auch unten bei Fn. 136 (Kap. 3)); MK-Hardtung, § 222 Rn. 9 ff., (der jedoch der „Aliud-These“ der herrschenden Auffassung kritisch gegenübersteht, siehe a. a. O., Rn. 1); Hauf, Strafrecht AT, S. 54 ff.; Heinrich, Strafrecht AT, Rn. 982 f., 1010, 1027 ff.; Hilgendorf / Valerius, Strafrecht AT, § 12 ­ Rn.  17 ff.; Hirsch, ZStW 94 (1982), 266 ff., 275 f.; Hirsch, Lampe-FS, S. 519 ff.; Hoffmann-Holland, Strafrecht AT, Rn. 814 ff.; Horn, Konkrete Gefährdungsdelikte, S.  196 ff.; Jäger, Strafrecht AT, Rn. 374; Jescheck, Fahrlässigkeit, S. 7  ff.; Jescheck / Weigend, Strafrecht AT, § 54 I 3, 4, § 55 I; Kaminski, Tatbestand des Fahrlässigkeitsdelikts, insb. S. 55 f., 69 ff., 146 ff.; Kamps, Fahrlässigkeitsdelikt, S. 67 ff., 54 ff., 261 f.; Armin Kaufmann, ZfRV 1964, 45 ff.; Armin Kaufmann, Welzel-FS, S.  404 ff., 408 ff.; Kaspar, JuS 2012, 17 ff.; Kretschmer, Jura 2000, 269 ff.; Krey / Esser, Strafrecht AT, Rn. 1339 ff.; Krümpelmann, Bockelmann-FS, S. 443 (unter Betonung, dass die konkrete Situation – d. h. sowohl die Handlungssituation als auch die Situation des Gefährdeten – bei der Konturierung der Sorgfaltspflicht berücksichtigen werden müsse (a. a. O., insb. S. 446)); Kudlich, Beck-OK, § 15 Rn. 35 ff.; Kudlich, Strafrecht AT, S. 119 ff.; Lackner / Kühl, StGB, § 15 Rn. 36 ff.; Kühl, Strafrecht AT, § 17 Rn. 5 ff.; Kühn, Sportstrafrecht, S. 26  ff.; Küpper, Strafrechtsdogmatik, S.  100 ff.; Lenckner, in: Handbuch I, S. 57 f.; Lenckner, Engisch-FS, S. 492 f., 498 ff.; Lissel, Strafrechtliche Verantwortung, S. 129 ff.; Maiwald, JuS 1989, 188 ff.; Maiwald, Dreher-FS, S. 451 ff.; Murmann, GK Strafrecht, § 30 Rn. 8 ff.; Mylonopoulos, Handlungs- und Erfolgsunwert, S. 104 ff.; zusammenfassend S. 129 ff.; Nowakowski, JBl 1972, 30 f.; Platzgummer, JBl 1971, 240; Regner, Fahrlässigkeit bei Konkursde-



A. In Unrecht und Schuld differenzierende Auffassungen145

aber die genauere inhaltliche Konturierung dieser Begrifflichkeit – der objektiven Sorgfaltspflichtverletzung (gleichbedeutend: Pflichtwidrigkeit, Sorgfaltswidrigkeit)3 – dar. Die insofern bestehenden Schwierigkeiten, eine zumindest definitionsähnliche Umschreibung des Begriffs zu liefern, liegen in der Komplexität der – für die herrschende Auffassung augenscheinlich rein fahrlässigkeitsspezifischen – Sorgfaltsverletzung begründet; selbige fungiert nämlich unter anderem als Angelpunkt ihrer Unrechtskonlikten, S.  58 ff.; Rengier, Strafrecht AT, § 52 Rn. 11 ff.; Rössner, Hirsch-FS, S. 321 ff.; Preuß, Untersuchungen zum erlaubten Risiko, S. 103 f.; Rudolphi, JuS 1969, 549 ff.; Safferling, Vorsatz und Schuld, S. 194 ff.; Sax, JZ 1976, 84; Schaefer, in: Leipold / Tsambikakis / Zöller, § 15 Rn. 48 ff.; Schaffstein, Welzel-FS, S.  558 f.; SchmittSchönenberg, Fahrlässigkeitsbegriff, S. 124 f., 136 ff.; Schröder, NStZ 2006, 669 f.; Schünemann, JA 1975, 436 ff., 442; S / S-Sternberg-Lieben / Schuster, StGB, § 15 Rn.  116 ff.; Tamm, Außenseitermethoden und Sorgfaltspflichten, S. 115 ff.; Tschichoflos, Fahrlässigkeitsstrafbarkeit, S. 19 ff., 258; Ulsenheimer, JZ 1969, 367; Ulsenheimer, Arztstrafrecht, Rn.  43 ff.; Weidemann, GA 1984, 413 (Sacher, Sonderwissen, S. 121 Fn. 200, will Weidemann, GA 1984, 423, – wohl berechtigterweise (vgl. auch S. 425) – so verstehen, als konstruiere dieser zusätzlich noch einen subjektiven ­Tatbestand); Weißer, Kausalitäts- und Täterschaftsprobleme, S. 146 ff.; Weißer, JZ 1998, 236; Wessels / Beulke / Satzger, Strafrecht AT, Rn. 658, 664, 667 ff.; Zieschang, Strafrecht AT, Rn. 422 ff. – Nicht ganz eindeutig äußert sich Momsen, in: Satzger / Schluckebier / Widmaier-StGB, § 15 Rn. 62 ff., gliedert aber im Sinne der herrschenden Meinung. – Vgl. auch Lampe, ZStW 101 (1989), 38 f.; 48 f., (der jedoch – zumindest terminologisch leicht abweichend – von einer „intersubjektiven“ Sorgfaltsverletzung spricht). – Ähnlich zur herrschenden Meinung verfährt auch Gössel, Bengl-FS, S. 28 ff., insb. 32, 34 f., sowie Maurach / Gössel, Strafrecht AT II, § 42 Rn. 43, § 43 Rn. 17 ff., insb. 29 f., sowie 110 ff., insb. 112, der aufgrund seiner normentheoretischen Konzeption für eine Trennung der Außerachtlassung bestehender (objektiver) Sorgfaltsregeln von der individuellen Voraussicht bzw. Erkennbarkeit der sorgfaltswidrigen Rechtsgutsbeeinträchtigung plädiert, sodann jedoch, d. h. „trotz grundsätzlicher Anerkennung des doppelten Maßstabes“, betont, dass das Merkmal der individuellen Erkennbarkeit bereits auf (subjektiver) Tatbestandsebene, und nicht erst im Rahmen der Schuld relevant werde (in diesem Sinne argumentieren aber, wie später zu zeigen sein wird, die zuerst dargestellten Autoren); damit entfernt sich Gössel außerdem – zumindest ansatzweise – von der „Aliud-These“ der herrschenden Meinung, (siehe dazu noch Maurach / Gössel, Strafrecht AT II, § 42 Rn. 31, aber auch 35). – Auch Zielinski, Unrechtsbegriff, S. 152 ff., insb. 171 ff., steht der herrschenden Meinung nicht fern, präferiert doch auch er zunächst die Bildung abstrakter (objektiver) Sorgfaltsregeln. – Die Darstellungen von Herzberg und Puppe werden aufgrund ihrer zum Teil eigenständigen Begründungsansätze noch kurz unten – S. 274 ff.– zu behandeln sein; zu den – die Begrifflichkeit der Sorgfaltspflichtverletzung anders deutenden – Auffassungen von vor allem Hruschka und Kindhäuser siehe unten S. 283 ff. 3  Vgl. MK-Hardtung, § 222 Rn. 9. – Die unterschiedliche Terminologie scheint nicht sonderlich zu stören; zu diesem bemerkenswerten Phänomen vgl. auch die zu Recht kritischen Bemerkungen von Sauer, Fahrlässigkeitsdogmatik, S. 11. – Sollten einmal dennoch ausdrückliche Differenzen bestehen, wird darauf gesondert hingewiesen.

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Kap. 3: Kritische Darstellung des aktuellen Sach- und Streitstandes

zeption. Diesem Punkt ist vorab Beachtung zu schenken; erst dann sind die damit verbundenen „Einzelprobleme“ auszuleuchten. aa) Das (grundsätzliche) Nichteinhalten rechtlicher Sollens-Anforderungen und die (objektive) Sorgfaltspflichtverletzung als Handlungsunwert des Fahrlässigkeitsdelikts (1) Grundlagen Die heute herrschende (hier weit verstandene4), so genannte personale Unrechtslehre5 – mit den Worten von Lenckner / Eisele zum Ausdruck ge­ bracht – erklärt „die Rechtswidrigkeit6 eines Verhaltens nicht lediglich als Widerspruch zu einer ‚adressenlos‘ verstandenen objektiven Bewertungsnorm […], die nur ein unpersönliches ‚(Nicht-)Sein-Sollen‘ enthält, indem sie bestimmte Zustände und Ereignisse positiv oder negativ bewertet und so als erwünscht oder unerwünscht kennzeichnet“, sondern sie sieht in der (strafrechtlichen) Rechtswidrigkeit vielmehr „auch den Widerspruch zu einem Rechtssatz i. S. einer Bestimmungs- oder Verhaltensnorm, die ein ‚NichtTun‘ – oder ‚Tun-Sollen‘ betrifft und deren Adressat ohne Rücksicht auf die 4  Soll

heißen: Auch „finalistische Ansätze“ mitumfassend. dieser Stelle ist darauf hinzuweisen, dass sich nicht wenige Autoren einer klaren Stellungnahme ihrer – der Sache nach aber unumgänglichen – strafrechtssystematischen Prämissen enthalten, so dass eine Auseinandersetzung schon aus diesem Grunde vergröbernde Züge annehmen muss. Dies betont in Bezug auf die normentheoretischen Grundlagen zu Recht Eser, Lenckner-FS, S. 31; mitunter wird sogar bei der Darlegung der eigenen Auffassung – innerhalb einer monographisch ausgerichteten, sich ausschließlich um das strafrechtliche Unrecht drehenden Arbeit – nahezu gänzlich auf die Normentheorie verzichtet, vgl. nur Rehr-Zimmermann, Struktur des Unrechts, S. 70 ff., andeutungsweise aber zum Beispiel S. 109 f. Daneben ist zu beachten, dass sich zahlreiche literarische Ausführungen – ungeachtet der bestehenden terminologischen Abweichungen (auf die nicht in allen Facetten eingegangen werden kann / muss) – inhaltlich decken sollen, wie man aus der gegenseitigen widerspruchslosen Zitierung schließen darf. 6  Man bedenke: „Die Begriffe Rechtswidrigkeit und Unrecht werden im Schrifttum meistens synonym gebraucht, obwohl sie etwas Unterschiedliches zum Ausdruck bringen können“; Rechtswidrigkeit drücke die Nichtübereinstimmung mit den Normen des rechtlichen Sollens aus und sei eine nicht steigerbare Begrifflichkeit, dagegen sei eine Quantifizierung mit Hilfe des Unrechtsbegriffs möglich, darin „steckt nämlich der mit der rechtswidrigen Tat verbundene sozialethische Unwert als solcher“, so Wessels / Beulke / Satzger, Strafrecht AT, Rn. 281; in diesem Sinne beispielsweise auch Engisch, Hundert Jahre DJT-FS I, S. 402 f.; Krümpelmann, Bagatelldelikte, S. 27 ff.; sowie S / S-Eisele, Vorbem §§ 13 ff. Rn. 50 f., jeweils mit weiteren Hinweisen (dort auch zur Abgrenzung zwischen sog. formeller und materieller Rechtswidrigkeit); diese Sicht der Dinge hatten wir schon bei Welzel kennen gelernt vgl. oben Fließtext bei Fn. 459 f. (Kap. 2). 5  An



A. In Unrecht und Schuld differenzierende Auffassungen147

individuelle Motivierbarkeit – daher die Möglichkeit schuldlosen Unrechts – jeder ist, der dem Gegenstand nach dafür in Betracht kommt“.7, 8 So laute etwa die Verbotsnorm des § 212: „Du sollst nicht töten!“, und die Gebotsnorm des § 323c: „Du sollst bei Unglücksfällen und gemeiner Not in den 7  S / S27-Lenckner / Eisele, Vorbem §§ 13 ff. Rn. 49. – In diesem Sinne auch Bringewat, Grundbegriffe, Rn.  27 ff., 367 ff.; Ebert / Kühl, Jura 1981, 228 ff.; Engisch, DJT-FS I, S. 413 ff.; Eser / Burkhardt, Strafrecht I, 3 / 97 ff.; Gallas, Bockelmann-FS, S. 155 ff., insb. 158; SK-Günther, 28. Lieferung, Vor § 32 Rn. 13 ff.; Jescheck / Weigend, Strafrecht AT, § 24 II 2; Kamps, Fahrlässigkeitsdelikt, S. 62 ff., 55 ff.; Armin Kaufmann, Bindings Normentheorie, S. 105 ff., 121 ff. und passim; Krauß, ZStW 76 (1964), 33 ff.; Kühl, Strafrecht AT, § 3 Rn. 4 ff.; Lackner / Kühl, StGB, Vor § 13 Rn. 20; Zielinski, Unrechtsbegriff, S. 120 ff.; 114 ff. – In eine ähnliche Richtung deuten die Ausführungen von Bockelmann / Volk, Strafrecht AT, S. 47 ff.; Ebert, Strafrecht AT, S. 2 f., 30 ff. – Nicht selten finden sich auch lediglich solch äußerst rudimentären Erläuterungen wie bei Krey / Esser, Strafrecht AT, Rn. 260 f., die aber ebenfalls in die von Lenckner / Eisele aufgezeigte Richtung zu gehen scheinen; ähnlich knapp Hirsch, ZStW 93 (1981), 839, 846 und ZStW 94 (1982), 241, 268 ff. – Verwandt auch Lampe, Baumann-FS, S. 24 ff., der das Unrecht aber als „soziales ‚Beziehungsunrecht‘ “ deutet und bereits an dieser Stelle auf den Gesichtspunkt der Motivierbarkeit Bezug nehmen will – mit der Konsequenz, das Unrechtsbewusstsein für das Unrecht als relevant anzuerkennen (ähnlich Otto, siehe einführend Otto, Allgemeine Strafrechtslehre, § 7 Rn. 60, 61 ff., sowie ausführlicher den äußerst instruktiven Aufsatz von Otto, ZStW 87 (1975), insb. 545 ff., 563 ff., 588 ff.) –, näher zu diesem Begriff auch Lampe, Hirsch-FS, S. 83 ff. 8  Der kritische Leser sei darauf hingewiesen, dass zwischen der Lehre von der Bestimmungsnorm und der Imperativentheorie (– die einfach gewendet besagt, dass die gesamte Rechtsordnung ausschließlich aus handlungsanleitenden, imperativen Rechtssätzen besteht; siehe dazu auch nochmals insbesondere die Ausführungen zu Thon und Hold von Ferneck, oben S. 56 ff., 81 ff. –) regelmäßig nicht mit der gebotenen Genauigkeit differenziert wird. Exemplarisch findet man bei Jescheck / Weigend, Strafrecht AT, § 24 II 2 Fn. 20, in den Nachweisen zur „Imperativentheorie“ „für das Zivilrecht (!?)“ gar den Hinweis auf Larenz, Engisch-FS, S. 157. In selbigem Aufsatz (a. a. O., S. 150 ff.) differenziert der Autor (man beachte: anders als die wohl überwiegende Meinung) aber ausdrücklich zwischen Imperativen und Bestimmungsnormen: Während erstere die Intention hätten, auf den Willen unmittelbar einzuwirken, bezögen sich letztere nicht notwendigerweise auf menschliches Verhalten: „Die Bestimmung mag letzten Endes zwar auch dem Ziele dienen, das Verhalten anderer zu beeinflussen; unmittelbar richtet sie sich aber nur darauf, daß das Bestimmte fortan gelten, rechtens maßgeblich sein solle.“ (a. a. O., S. 157); (vgl. dazu auch Larenz / Canaris, Methodenlehre, S. 71 ff., insb. S. 78: „Wenn man erkannt hat, daß die Rechtssätze keine Aussagesätze sind, weil sie nicht behaupten, sondern etwas anordnen, dann glaubt man, sie nur noch der Klasse der Befehlssätze (Imperative) zuordnen zu können. In Wahrheit bilden die Bestimmungssätze eine weitere Klasse von Sätzen für sich, und die Rechtssätze ihren wichtigsten, wenn nicht sogar ihren einzigen Anwendungsfall.“; sowie die Darstellung von Schmidhäuser, Von den zwei Rechtsordnungen, S. 2 ff.) – Siehe zum Gesamtproblem noch Münzberg, Verhalten, S. 49  ff. (mit zahlreichen weiterführenden Belegen), sowie Baumeister, Rechtswidrigwerden, S.  125 ff.

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Kap. 3: Kritische Darstellung des aktuellen Sach- und Streitstandes

Grenzen der Zumutbarkeit Hilfe leisten!“9 Aus dem Charakter und der Funktion der Norm, auf andere in Gestalt von Verboten oder Geboten (zur Vermeidung tatbestandsmäßiger Rechtsgutsverletzungen) motivierend einzuwirken, wird also geschlossen, dass sich die jeweilige Verhaltensnorm nur auf menschliche Akte beziehen könne und sich dementsprechend das (unter anderem) als Normwidrigkeit verstandene Unrecht zuvörderst als „Handlungsunwert“ offenbaren müsse. Die durch die finale Handlungs- bzw. finale Unrechtslehre eingeleitete Fokussierung auf den Handlungsunwert scheint demnach auch normentheoretisch abgesichert.10 Dieser fast zum Allgemeingut avancierte, übereinstimmende Ausgangspunkt wird auch nicht dadurch in Frage gestellt, dass innerhalb der Anhänger des (strafrechtlichen) personalen Unrechts in Streit steht, ob darüber hinaus der so genannte Erfolgsunwert durchschlagende Relevanz für den Unrechtsbegriff entfalten soll. Bestritten wird dies von Autoren, die den Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolges – in völliger Umkehrung der früheren erfolgsorientierten Lehren – als bloße Strafbarkeitsbedingung auf­ fassen, die mit den Worten von Gallas also „einen monistisch-subjektiven Unrechtsbegriff“11 vertreten: „Unrecht ist identisch mit Handlungsunrecht, Handlung ist die ‚verbietbare‘ Handlung, der ‚Akt‘.“12 Demgegenüber fasst die überwiegende Literaturmeinung den Erfolgsunwert sehr wohl als Bestandteil des Unrechts auf. Dabei ist innerhalb dieser Position dann wiederum umstritten, ob sich der Handlungsunwert – zumindest beim Vorsatzdelikt13 – in einem „Intentionsunwert“ erschöpfen soll, und man demzufolge dem Erfolgsunwert14 sämtliche „objektiven“ Merkmale zuzuschlagen 9  Wessels / Beulke / Satzger, Strafrecht AT, Rn. 81. – Bemerkenswerterweise lassen sich solche „konkreten“ Formulierungen im Schrifttum eher selten finden. 10  Bereits Gallas, Bockelmann-FS, S. 155 Fn. 1, hat mit Recht darauf hingewiesen, dass die neueren Spielarten der personalen Handlungslehre eher den Begriff der Norm als den der Handlung in den Mittelpunkt stellen. 11  Gallas, Bockelmann-FS, S. 155. 12  Horn, Konkrete Gefährdungsdelikte, S. 79, ferner 78 ff. – Zum selben Ergebnis gelangen exemplarisch: Dornseifer, Armin Kaufmann-GS, S. 427 ff.; Armin Kaufmann, Welzel-FS, S. 403, 410 f.; Lüderssen, ZStW 85 (1973), 292; Sancinetti, Subjektive Unrechtsbegründung, siehe nur S. VII ff., 9 ff., und passim; mit äußerst umfangreicher Begründung Zielinski, Unrechtsbegriff, insb. S. 128 ff., 200 ff., und passim; letztgenanntem Autor zustimmend: Schaffstein, GA 1975, 342 f. – Die Autoren nehmen für sich in Anspruch, die durch den „Finalismus“ gesetzten Prämissen konsequent fortzuentwickeln. – Vgl. dazu auch Schroeder, Otto-FS, S. 172 ff. 13  Zu den gegebenen Abweichungen beim Fahrlässigkeitsdelikt siehe sogleich im Fließtext. – Bereits hier sei aber darauf hingewiesen, dass einige Autoren nicht nur die Vorsatzstraftat, sondern auch das Fahrlässigkeitsdelikt im Sinne eines „Inten­ tionsunwertes“ deuten wollen. 14  Im Schrifttum findet sich in synonymer Verwendung auch die Begrifflichkeit des sog. „Sachverhaltsunwertes“.



A. In Unrecht und Schuld differenzierende Auffassungen149

habe,15 oder – so die Gegenauffassung – ob bereits der Handlungsunwert durch spezifisch „objektive“ Merkmale gekennzeichnet sei16.17 Werden – wie zum Beispiel bei Lenckner / Eisele – Erfolgs- und Handlungsunwert als objektive und subjektive Tatseite voneinander abgegrenzt, lassen sich wiederum primär normentheoretische Gründe für die geltend gemachte Differenzierung aufspüren: Der Verstoß gegen die Bestimmungsnorm kennzeichne den Handlungsunwert, während die Verletzung der Bewertungsnorm den Schachverhalts- bzw. Erfolgsunwert ausmache.18 15  In diesem Sinne beispielsweise: S / S-Eisele, Vorbem §§  13 ff. Rn.  56 ff.; Rudolphi, Maurach-FS, S. 57 f., 65, 70, der soweit ersichtlich den Begriff des sog. Intentionsunwertes zuerst verwandte (vgl. zur heutigen Ansicht Rudolphis aber noch folgende Fn.); vgl. außerdem Burgstaller, Fahrlässigkeitsdelikt, S. 175 ff., sowie die schon frühen Ausführungen bei Schaffstein, MDR 1951, 199. – Stratenwerth, Schaffstein-FS, 178 ff. dürfte – entgegen der beachtlichen Einwände von Röttger, Unrechtsbegründung, S. 32 Fn. 13, S. 38 Fn. 42 – dieser Auffassung indessen nicht mehr anhängen, da Stratenwerth, a. a. O. Fn. 9, ausdrücklich festhält, „daß der Handlungsunwert zwar durch subjektive Momente wesentlich geprägt wird, sich aber in subjektiven Momenten nicht erschöpft“. 16  So zum Beispiel Ebert / Kühl, Jura 1981, 231  ff.; Gallas, Bockelmann-FS, S.  156 ff.; Hohn, JuS 2008, 495; Jescheck / Weigend, Strafrecht AT, § 24 III; Krauß, ZStW 76 (1964), S. 38 ff., zusammenfassend S. 65 ff.; Krümpelmann, GA 1968, 135; Lackner / Kühl, StGB, Vor § 13 Rn. 20 f.; Wessels / Beulke / Satzger, Strafrecht AT, Rn. 15 f.; so jetzt auch Rudolphi, Armin Kaufmann-GS, S. 379 f. 17  Siehe zum Ganzen noch ausführlich Röttger, Unrechtsbegründung, S. 29 ff. 18  S / S28-Lenckner / Eisele und S / S-Eisele, Vorbem §§ 13  ff. Rn. 56 f. – Dieser Begründung liegt unter anderem ein zur Gegenauffassung (vgl. exemplarisch Jescheck / Weigend, Strafrecht AT, § 24 III 3) erweiterter Erfolgs(unwert)begriff zugrunde; vgl. auch Roxin, Strafrecht AT I, § 10 Rn. 97 Fn. 146, und Röttger, Unrechtsbegründung, S. 38 Fn. 42. – Exkursorisch ist insgesamt noch Folgendes anzumerken: Es ist zumindest als verwunderlich zu bezeichnen, dass sich bei genanntem Autorenduo Lenckner / Eisele die dargebrachte normentheoretische Grundlegung erst im Rechtswidrigkeitsabschnitt finden lässt – und sie somit keine vordringliche, der Sache nach gebotene Behandlung im Rahmen des (Unrechts-)Tatbestandes erfährt (siehe ebenfalls Eser, Lenckner-FS, S. 44 f.). Denn: Ist der Unrechtstatbestand „Verkörperung des ‚Unrechtstypus‘ “ und soll er in dieser Eigenschaft alle diejenigen Merkmale umfassen, „die den spezifisch strafrechtlichen Unrechtsgehalt einer bestimmten Deliktsart begründen“ [so S / S-Eisele, Vorbem §§ 13 ff. Rn. 45.; im gleichen Sinne insbesondere Gallas, ZStW 67 (1955), 16 ff., 31; außerdem Dreher, Heinitz-FS, S. 219; Eisele, Regelbeispielsmethode, S. 116 ff.; Engisch, Mezger-FS, S. 132; Jescheck / Weigend, Strafrecht AT, § 25 I; Lackner / Kühl, StGB, Vor § 13 Rn. 15; Wessels / Beulke / Satzger, Strafrecht AT, Rn. 118 ff. – auf die im Schrifttum verbreitete Auffassung, dass auch die Umstände, die zur Annahme eines Rechtfertigungsgrundes führen, als sog. „negative Tatbestandsmerkmale“ zum Unrechtstatbestand gehören, sei hier lediglich am Rande hingewiesen; siehe als Vertreter dieser Auffassung exemplarisch Engisch, Hundert Jahre DJT-FS I, S. 406 ff.; Schaffstein, ZStW 72 (1960), 389 ff.; Schünemann, GA 1985, 347 ff.; sowie den frühen Roxin, ZStW 74, 536, anders jetzt aber Roxin, Strafrecht AT I, § 10 Rn. 19 ff.], gehörten Handlungs- und Erfolgsunwert – und folglich auch die normentheoretischen Prä­

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Kap. 3: Kritische Darstellung des aktuellen Sach- und Streitstandes

Die vordringlich anhand des Vorsatzdeliktes entwickelten, im Großen und Ganzen aber übergreifende Relevanz beanspruchenden, das heißt grundsätzlich für beide Deliktsarten gelten sollenden Ausführungen19 erfahren aber bei weitem nicht nur marginale Modifikationen im Rahmen der Auseinandersetzung mit dem Fahrlässigkeitsdelikt. So bereitet für die einen bereits die Feststellung, dass der (vorsätzliche) Handlungsunwert rein subjektiv, als „Intentionsunwert“ daherkomme, bei der Fahrlässigkeit erhebliche Schwierigkeiten, da der tatbestandsmäßige Erfolg bei diesem „Straftattypus“ doch gerade nicht intendiert ist.20 Aber auch für diejenigen, die einen (beim Vorsatzdelikt) gemischt objektiv-subjektiven Handlungsunwert für richtig erachten, erscheint dessen Nachweis bei der Fahrlässigkeitsstraftat bei weitem nicht unproblematisch, verlangen sie doch (im Vorsatzbereich) für den subjektiven Handlungsunwert einen auf die Herbeiführung des verbotenen Verhaltens gerichteten Willen – einen deliktischen Tatentschluss, eben Vorsatz. Die hier nun aufzuzeigenden, angebotenen Lösungsversuche sind im Einzelnen mannigfaltig, rekurrieren aber allesamt auf die Begrifflichkeit der objektiven Sorgfalts(pflicht)verletzung. Vorab ist noch zu betonen, dass (soweit ersichtlich) sämtliche der nachfolgenden Autoren – wohl aufgrund der bereits angedeuteten Schwierigkeiten –, wie im Übrigen auch die Gerichte, davon ausgehen, dass die Fahrlässigkeit „nicht eine mildere Form des Vorsatzes, sondern etwas anderes als der Vorsatz“21 missen – zwingend an dieser Stelle und nicht erst im Rahmen der Rechtswidrigkeit erörtert. 19  Die auf den ersten Blick schwammig erscheinende Formulierung fußt auf Folgendem: Im strafrechtlichen Schrifttum herrscht eine gewisse Unsicherheit, wie mit der Fahrlässigkeitsstraftat und deren Grundlagen umzugehen ist, wie sich nachdrücklich anhand der dieser zuteil werdenden Darstellungen zeigen lässt: Die der Sache nach allgemeingültigen strafrechtsdogmatischen Prämissen werden – in „guter“ Welzelscher Tradition – regelmäßig ausschließlich in Auseinandersetzung mit dem Vorsatzdelikt entwickelt, dagegen wird das Fahrlässigkeitsdelikt als (relativ) eigenständiger Annex behandelt; dennoch wird auf die vorab dargelegten (eigentlich vorsatzbezogenen) Ausführungen mehr oder minder pauschalierend verwiesen. Vgl. dazu lediglich die weite Verbreitung findenden Lehrwerke von Jescheck / Weigend, Strafrecht AT, §§ 24 ff. und 54 ff. und Kühl, Strafrecht AT, §§ 3 ff. und §§ 17 f. Diese Problematik spricht ebenfalls Freund, Strafrecht AT, S. V, an. 20  Die Rechtsfigur der sog. „Rechtsfahrlässigkeit“ bleibe hier zunächst außer Betracht. Dies erscheint an dieser Stelle auch sachgerecht, soll im Sinne der überwiegenden Auffassung in Literatur und Rechtsprechung diese doch den Rechtsfolgen der Vorsatzstraftat unterstellt werden. – Mit der Feststellung, dass der Erfolg bei den Fahrlässigkeitsdelikten nicht intendiert ist, ist natürlich noch keine Aussage darüber getätigt, dass der Erfolg beim Vorsatzdelikt tatsächlich immer intendiert sein müsste. 21  Hier wiedergegeben mit den Worten von Jescheck / Weigend, Strafrecht AT, § 54 I 2. Ebenso ausdrücklich beispielsweise: Maurach / Gössel, Strafrecht AT II, § 42 Rn. 35; Jähnke, Schlüchter-GS, S. 100; Mylonopoulos, ZStW 99 (1987), insb. 695 ff.; Schaffstein, NJW 1952, 729; S / S-Sternberg-Lieben / Schuster, § 15 Rn. 3; der



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sei, beide stünden gerade „nicht im Verhältnis des Mehr oder Weniger zueinander“22. (2) D  as Fahrlässigkeitsdelikt als in ihrer Finalität rechtlich relevante Handlung Anknüpfend an die späten Welzelschen Ausführungen23 zur strafbaren Fahrlässigkeit definieren die heutigen Anhänger der finalen Handlungslehre – (mehr oder minder) weiterentwickelnd –,24 dass sich das Fahrlässigkeitsdelikt durch ein Sorgfaltswidrigkeitsurteil beschreiben lasse, dessen Gegenstand immer – und dies ist der entscheidende Gesichtspunkt – eine rechtlich bedeutsame finale Handlung sein müsse:25 Bei der Begehungsfahrlässigkeit drehe „es sich um Handlungen, und zwar um willentliche Handlungen, bei denen gerade auch der Willensinhalt rechtlich relevant ist.“26 Dieser Grundüberzeugung sind auch die Äußerungen Hirschs geschuldet: So ergebe sich die inhaltliche Maßgeblichkeit und rechtliche Relevanz der Finalität beim fahrlässigen Delikt bereits aus folgender Überlegung: „Ohne sie [die Finalität] wäre gar kein vom Willen beherrschtes Geschehen gegeben, und ohne den Willensinhalt könnte gar nicht bestimmt werden, was Gegenstand des Sorgfaltswidrigkeitsurteils sein soll“, außerdem beeinflusse „der Willensinhalt den Grad des Handlungsunwerts.“27 Was die Berücksichtigung der Finalität als solcher angeht, scheinen Vorsatz und Fahrlässigkeitsvoraussetzungen nun (doch) nicht entscheidend zu differieren. Sache nach ebenfalls Schröder, Sauer-FS, S. 207 f., 244 f.; abwägend dagegen Kühl, Strafrecht AT, § 17 Rn. 4; Lackner / Kühl, StGB, § 15 Rn. 56. – Zur Widerlegung der Aliud-Theorie siehe unten, S. 364 ff. 22  BGHSt 4, 340 (344); anders aber noch RGSt 41, 389 ff. und RGSt 59, 83 f. 23  Erinnert sei daran, dass Welzel gerade nicht Nieses Konzeption übernommen hat, dass sich der Sollensverstoß nur gelegentlich einer Handlung vollziehe; Sorgfaltswidrigkeit und Handlung erscheinen vielmehr – zumindest ansatzweise – verknüpft, siehe dazu oben S. 130. 24  Man beachte: Trotz eines Bekenntnisses zum Finalismus distanziert man sich mitunter ausdrücklich von der finalistischen Ursprungsthese vom ontologischen Charakter des Handlungsbegriffs, so Zielinski, Unrechtsbegriff, insb. S. 126 f. – Schon aus diesem Grunde erscheint eine strikte Entgegensetzung von „finaler“ und „nicht finaler (einer eng verstandenen personalen, mehr normativierenden)“ Handlungslehre unberechtigt. 25  Siehe zum Beispiel – neben den sogleich folgenden Zitaten – Kaminski, Tatbestand des Fahrlässigkeitsdelikts, S. 72; Küpper, Strafrechtsdogmatik, S. 54. 26  Armin Kaufmann, ZfRV 1964, 46 (Hervorhebungen im Original). Siehe auch Armin Kaufmann, Welzel-FS, S. 409, wo dieser (selbst)kritisch festhält, dass der „finale Kern“ lange auch im Kreise der Finalisten nicht präzise genug herausgearbeitet worden ist. 27  Hirsch, ZStW 93 (1981), 858.

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Kap. 3: Kritische Darstellung des aktuellen Sach- und Streitstandes

Exkursorisch sei bereits an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass auch Zielinski eine ähnliche Stoßrichtung verfolgt;28 seine Ausführungen zielen dezidiert darauf ab, einen Handlungsunwert der Fahrlässigkeitsstraftat zu konstruieren, der auf dem Unwert des intendierten Zieles fußt – und dies trotz des ausdrücklichen Befundes, dass die Finalität „keine Beziehung zur Rechtsgutsverletzung, dem Erfolg aufweist“.29 Verboten soll es („dennoch“) sein, „eine Handlung in bestimmter Sobeschaffenheit durchzuführen“;30 was dann (unter anderem) bei Zielinski in der die finale Handlungslehre durchaus konsequent durchführenden Feststellung gipfelt, dass auch das unbewusst fahrlässige Delikt nichts anderes sei „als ein – tatbestandlich nicht umschriebenes – Vorsatzdelikt.“31 Eine mit diesen Schlussfolgerungen vergleichbare Sicht der Dinge ist uns bereits bei der Begutachtung der rechtsgeschichtlichen Entwicklung begegnet32 – und von nicht wenigen Autoren ablehnend beschieden worden33. Ob mit einer solchen Herangehensweise also tatsächlich die postulierte bruchlose Einbettung des fahrlässigen Delikts unter die finalistischen Prämissen gelungen ist, wird zu thematisieren sein.34 Zu der Erkenntnis zu gelangen, dass es sich auch im Rahmen der Fahrlässigkeitsstraftat um inhaltlich relevante finale Handlungen dreht, hatte der finalistischen Position im Hinblick auf normentheoretische Zusammenhänge erhebliche Schwierigkeiten bereitet – bzw. bereitet ihr noch immer solche. Als einer der insofern maßgeblichen Gründe lässt sich unschwer die regelmäßig anzutreffende Redeweise von der „Außerachtlassung der Sorgfalt“ ausmachen. Legt man diese Begrifflichkeit zugrunde erscheint folgende fragende Herangehensweise regelrecht präsumiert: „Was hätte der Täter tun müssen, um den Erfolg zu vermeiden?“, man ist also versucht, ein sorgfaltsgemäßes Handeln im Sinne einer gebotenen Leistung zu ermitteln;35 ein 28  Siehe zu dessen – von der herrschenden Meinung in einigen Punkten abweichender – Erklärung des fahrlässigen Delikts noch ausführlicher unten, S. 294 ff. 29  Zielinski, Unrechtsbegriff, S. 154; siehe dazu bereits Niese, Finalität, S. 40 ff., und oben S. 125 ff. 30  Die Formulierung stammt von Armin Kaufmann, Welzel-FS, S. 410, dessen Position sich insofern mit derjenigen Zielinskis deckt. 31  Zielinski, Unrechtsbegriff, S. 191; AK-Zielinski, §§ 15, 16 Rn. 89; ebenso Weidemann, GA 1984, 423 ff., sowie Hirsch, ZStW 93 (1981), 857 f.; vgl. außerdem Struensee, JZ 87, 57 ff. 32  Man denke nur an die Ausführungen von Thon, vgl. dazu oben S. 58 f., und von August Köhler, vgl. dazu oben S. 91 ff., die im Rahmen der Fahrlässigkeitsstraftat auf die willentliche Verletzung einer Diligenzpflicht abstellen wollen. 33  Erinnert sei insbesondere an die kritischen Bemerkungen von Exner, vgl. oben S.  86 ff. 34  Siehe insofern nur unten S. 402. 35  Vgl. dazu vertiefend Schmidhäuser, Schaffstein-FS, insb. S. 134 f.



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unmittelbarer Gleichlauf zu den Unterlassungsstraftaten scheint herstellbar und naheliegend: Für den Täter bestand eine Rechtspflicht, sorgfältig(er) zu handeln. Dieser Sorgfalt ist er jedoch gerade nicht nachgekommen. Das Unrecht mutet dementsprechend nicht als etwas, sondern vielmehr als das Fehlen von etwas, nämlich dem Nichterbringen einer Leistung an. Man könnte daher meinen: Der Täter unterlässt; er verstößt gegen das Gebot sorgfältig zu sein.36 Dagegen wendet sich aber inzwischen auch die Mehrzahl der Finalisten, vor allem unter Zuhilfenahme nachstehenden Gedankengangs: „Im Begehungsbereich ist nicht etwa sorgfältiger Umgang mit Streichhölzern geboten, sondern sorgloser Umgang verboten“,37 wie der Täter die „bestimmte ‚So-Beschaffenheit‘ der Handlung vermeidet, ist ihm freigestellt.“38 Die These, dass es sich beim Fahrlässigkeitsdelikt um ein tatbestandlich nicht umschriebenes Vorsatzdelikt handle, erscheint bei zahlreichen Autoren eng verknüpft mit der Frage nach der genügenden gesetzlichen Bestimmtheit der fahrlässigen Straftaten – welche von beiden Aussagen nun Grund und welche Folge ist, lässt sich jedoch aus den getätigten Stellungnahmen nicht immer mit Gewissheit herauspräparieren. Jedenfalls deutet die Formulierung der fehlenden Tatbestandsumschreibung auf eine unmittelbare Konfliktlage mit den Erfordernissen des grundgesetzlich verbürgten nullum crimen-Satzes (Art. 103 II GG und § 1) hin. Verlangt man für die Fahrlässigkeit exemplarisch ein vorsätzliches Ziegel-vom-Dach-werfen (ohne Absperrungsmaßnahmen vor dem Haus getroffen zu haben), könnte man sich aufgrund der fehlenden ausdrücklichen (straf-)gesetzlichen Vertypung des 36  In diesem Sinne mit Nachdruck dann auch bekanntlich Niese, vgl. oben bei Fn. 516 (Kap. 2) und Welzel, vgl. oben S. 128; beachte zur womöglich geänderten Auffassung des letztgenannten Autors jedoch noch oben Fn. 561 (Kap. 2). – Den Gesichtspunkt der Unterlassung betonte auch anfänglich Armin Kaufmann, Bindings Normentheorie, S. 284 f. und 105, der jedoch den „Gebotsverstoß“ nur auf den „Sorgfaltsfähigen“ beschränken wollte; seit Armin Kaufmann, ZfRV 1964, 46 f., aber aufgegebene Ausdeutung, siehe ferner Armin Kaufmann, Welzel-FS, S. 410. – Zu einer nicht lediglich auf die Finalisten beschränkten Behandlung siehe auch Bina­ vince, Fahrlässigkeitsdelikte, S. 37 ff., sowie die rechtsgeschichtlichen Anmerkungen vor allem zu Radbruch und Goldschmidt, oben S. 65 ff., insb. Fn. 125 (Kap. 2). 37  Jakobs, Strafrecht AT, 9 / 6. – Dass Jakobs hier trotz seines vom „ursprünglichen“ Finalismus dogmatisch differierenden Ausgangspunktes zitiert ist, ist einzig der Prägnanz des Beispiels geschuldet; und dessen Anführung erscheint – das (eigentliche) Problem um die Ausgestaltung des Sorgfaltspflichtbegriffs bleibe an dieser Stelle einmal ausgeblendet – aufgrund der insofern bestehenden Deckungsgleichheit in der Argumentation vertretbar. 38  Weidemann, GA 1984, 416; ebenso Armin Kaufmann, ZfRV 1964, 46 f., sowie Armin Kaufmann, Welzel-FS, S. 410. – Der Sache nach ferner: Hirsch, ZStW 94 (1982), 268 f.; Kaminski, Tatbestand des Fahrlässigkeitsdelikts, S. 83 ff.; Zielinski, Unrechtsbegriff, S.  169 ff.

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Kap. 3: Kritische Darstellung des aktuellen Sach- und Streitstandes

Verbots einer solchen Handlung dahingehend genötigt sehen, das fahrlässige – gerade im Gegensatz zum vorsätzlichen – Delikt als einen so genannten „offenen Tatbestand“ zu beschreiben.39 Meint man also, feststellen zu können, „daß der im Gesetz nachzulesende Fahrlässigkeitstatbestand niemals in der Lage ist, die im Einzelfall verbotene Handlung subsumtionsfähig zu umschreiben“,40 scheint einzig die „Denkfigur des objektiven Beobachters“41 die – grundgesetzlich geforderte – Abhilfe, in Bezug auf das (vermeintliche) Problem mangelnder Bestimmtheit, schaffen zu können – und damit gleichzeitig „nochmals“ die Notwendigkeit des Erfordernisses der Außerachtlassung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt untermauert.42 Nach alledem kommt Weidemann zum Ergebnis: Der Fahrlässigkeitstatbestand muss, „weil ihm dies immanent ist, notwendigerweise ergänzungsbedürftig und damit offen sein, weil sich anders eine ‚fahrlässig begehbare Tat‘ nicht umschreiben lässt. […] Der Unterschied zum vorsätzlichen Delikt liegt beim fahrlässigen darin, daß […] die die Norm verletzende Handlung jeweils im Einzelfall erst herausgefiltert werden muß.“43 (3) D  as Fahrlässigkeitsdelikt ohne Berücksichtigung des konkreten Willensinhalts, ohne Bezugnahme auf einen sog. subjektiven Tatbestand Für die überwiegende Anzahl der Literaturstimmen, die im Rahmen des (Unrechts-)Tatbestandes auf das Merkmal der objektiven Sorgfalts(pflicht) verletzung abstellen und die nicht (unmittelbar) den gerade referierten Prämissen der finalen Handlungslehre folgen, bildet regelmäßig folgender – augenscheinlich vom Vorsatzdelikt stark abweichender – Gesichtspunkt die Grundlage für die Erklärung der fahrlässigen Straftat: „Jede Rechtsnorm, die fahrlässiges Verhalten unter Strafe stellt, verlangt von jedermann die Anwendung der objektiv gebotenen Sorgfalt, die erforderlich ist, um die Verwirklichung des Tatbestandes zu vermeiden.“44 „Die Anziehungskraft dieses Modells“ mit seiner Zentrierung auf den Aspekt des Außerachtlassens 39  In diesem Sinne dann auch Weidemann, GA 1984, 420 ff., der seine Auffassung im Anschluss an Welzel, Fahrlässigkeit, S. 15, – siehe zu diesem schon oben insb. S. 129 mit Fn. 525 (Kap. 2) – und Niese, Schmidt-FS, S. 368, entwickelt. 40  Weidemann, GA 1984, 420. 41  So die Formulierung von Zielinski, Unrechtsbegriff, S. 172, der aber das für andere Finalisten offenkundig bestehende Problem fehlender gesetzlicher Typisierung – soweit ersichtlich – nicht einmal erwähnt. 42  Siehe dazu wiederum Welzel, Fahrlässigkeit, S. 15, dort auch mit dem abermaligen Hinweis auf einen Gleichlauf mit den Unterlassungsstraftaten. 43  Weidemann, GA 1984, 423. 44  Jescheck / Weigend, Strafrecht AT, § 55 I 1.



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der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt ergebe sich „aus der personalen Unrechtslehre.“45 Und zwar aus folgendem – aufgrund der Seltenheit und Klarheit des Gedankenganges hier ausführlich wiederzugebendem – Grunde: „Der Tatbestand des Fahrlässigkeitsdelikts würde keine ausreichende Vertypung strafwürdigen Unrechts darstellen, wenn er sich in der kausalen Herbeiführung des tatbestandsmäßigen Erfolges erschöpfen würde. Er bedarf deshalb einer ‚Komplettierung‘ durch die Sorgfaltspflichtverletzung bzw. die Erkennbarkeit der Tatbestandsverwirklichung, also durch einen Verhaltensfehler, der den Handlungsunwert des Fahrlässigkeitsdeliktes ausmacht. Da bloße Verursachungsverbote von Menschen nicht eingehalten werden können, kann der Bereich des unrechten Verhaltens sinnvollerweise erst dort beginnen, wo einer Person ein vermeidbarer Fehler (eine Fahrlässigkeit, eine Nachlässigkeit) unterläuft.“46 Aufgrund der Tatsache, dass die von einigen Autoren für die Vorsatztat präferierte Begrifflichkeit des Intentionsunwertes außerdem für den hiesigen Problembereich offensichtlich ungeeignet47 wirkt, scheint sich ein Abstellen auf den „äußerlich in Erscheinung getretenen ‚Sorgfaltsmangelunwert‘ “48 als Lösung für die Definition des Handlungsunwertes der Fahrlässigkeitstat förmlich aufzudrängen. Dabei habe man aber – entgegen dem ausdrücklichen Anliegen der Finalisten – keineswegs festzustellen, dass die Handlung in ihrer Finalität (auch nicht in Auszügen49) rechtlich relevant sei; vielmehr sei „ein bestimmter Akt final immer nur im Rahmen des ganzen Finalgefüges, immer nur im Hinblick auf den angestrebten Zweck“; und da dieser eben im Rahmen der 45  Kühl,

Strafrecht AT, § 17 Rn. 9. Strafrecht AT, § 17 Rn. 9. – Siehe ergänzend noch Wessels / Beulke / Satzger, Strafrecht AT, Rn. 667; vgl. ferner auch Schatz, NStZ 2003, 587, sowie Barnick, Systematik der Gesetzgebung bei den Fahrlässigkeitsdelikten, S. 9 Fn. 24 f. 47  Die von Struensee entwickelte Auffassung bleibe hier einmal außer Betracht, dazu noch unten S. 296 ff. 48  So die Formulierung von S / S-Eisele, Vorbem §§ 13 ff. Rn. 56. – Hinzuweisen ist noch nachdrücklich darauf, dass bei S / S28-Lenckner / Eisele und S / S-Eisele, Vorbem §§ 13 ff. Rn. 63, – da sie den Handlungsunwert rein subjektiv fassen wollen, um ihn vom Erfolgsunwert abgrenzen zu können – die objektive Sorgfaltspflichtverletzung den subjektiven Tatbestandselementen zugeordnet wird. Der „Sorgfaltsmangel“ trete „als unrechtsbegründendes Merkmal an die Stelle des Vorsatzes“. Da diese Konsequenz offensichtlich „unschön“ erscheint, sieht man sich anschließend wohl zu folgender Formulierung gedrängt: „Ob der Sorgfaltsmangel – bei den fahrlässigen Erfolgsdelikten als verbotene Gefahrschaffung zugleich die Grundlage der Erfolgszurechnung – als ‚subjektiver Tatbestand‘ bezeichnet werden sollte, ist jedoch zumindest zweifelhaft“. 49  Erinnert sei an Welzels Versuche, auf die wirkliche Mittelauswahl und den wirklichen Mitteleinsatz abzustellen, siehe oben S. 128 ff., insb. 131 f. 46  Kühl,

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Kap. 3: Kritische Darstellung des aktuellen Sach- und Streitstandes

Fahrlässigkeit keine Bedeutung besitze, sei „notwendig der ganze Finalzusammenhang rechtlich irrelevant.“50 Dieses Leugnen der rechtlichen Relevanz der Finalität beim Fahrlässigkeitsdelikt muss – so würde der unbefangene Leser wohl urteilen – im Gegensatz zur vorab referierten Ansicht51 erhebliche aufbautechnische Änderungen bedingen, handelt es sich beim Merkmal der Finalität doch um den Dreh- und Angelpunkt der – wie der Name schon deutlichst zum Ausdruck bringt – finalen Handlungslehre. Umso mehr nimmt es wunder, dass sich in der Sache nun keinerlei Differenzen ausfindig machen lassen.52 Auch bei deutlicher Ablehnung der finalistischen Prämissen wird nicht nur das Merkmal der objektiven Sorgfaltspflichtverletzung in den Mittelpunkt der Betrachtung gestellt, sondern auch die sich bei den Finalisten aufgewiesenen Problemstellungen kehren in gleichem Gewande wieder. So deuten exemplarisch Bockelmann / Volk ebenfalls eine inhaltliche Nähe der Fahrlässigkeitsdelikte zu den Unterlassungsstraftaten an: „Die Nichterfüllung der Sorgfaltspflicht hat den Charakter des Unterlassens. Dies Unterlassen begründet Strafbarkeit unter Voraussetzungen, die denen entsprechen, von welchen die Strafbarkeit der vorsätzlichen Begehung durch Unterlassen abhängt.“53 Auch scheint das Problem um die Einhaltung des nullumcrimen-Satzes bisweilen „Bauchschmerzen“ zu bereiten: So meint man zwar, dass der „Tatbestand der Fahrlässigkeitsdelikte […] durch zusätzliche richterliche Wertungen zu ergänzen“ sei, sieht darin aber „keine Verletzung des Bestimmtheitsgebots“ und argumentiert ergebnisbezogen: Anders „als 50  Arthur Kaufmann, JuS 1967, 150 (ähnlich bereits Arthur Kaufmann, Hellmuth Mayer-FS, S. 95); im gleichen Sinne, mit weiteren Literaturhinweisen auch Jescheck / Weigend, Strafrecht AT, § 23 III 2 b: „Die für die strafrechtliche Beurteilung allein relevante Sorgfaltswidrigkeit steht gewissermaßen neben der Finalität der Handlung“ (Hervorhebung im Original); sowie S / S-Eisele, Vorbem §§ 13 ff. Rn. 31. 51  Siehe oben S. 151 ff. 52  Dies machte bereits Welzel, Strafrecht, S. 130, gegenüber der ihn attackierenden Kritik deutlich: „Harte Worte, die mich nur darum milde stimmen (aber auch verwundern), weil sowohl Jescheck wie Blei die von mir auf Grund der finalen Handlungslehre entwickelte Handlungslehre übernehmen.“ 53  Bockelmann / Volk, Strafrecht AT, S.  158; man beachte demgegenüber aber (a. a. O.), dass die „Verursachung des tatbestandsmäßigen Erfolges […] Aktivität, Tun“ sein soll und gewisse „Modifikationen“ in Bezug auf die Unterlassungskomponente notwendig seien. – Auch Jescheck / Weigend, Strafrecht AT, beispielsweise § 54 I 4, betonen – freilich vorsichtiger – mehrfach den Aspekt der Außerachtlassung der gebotenen Sorgfalt. – Vgl. dazu ebenfalls – mit vor allem rechtstheoretischen Bezügen – ganz explizit Röhl, JA 1999, 604: Es „[gibt] keine fahrlässige Normverletzung durch positives Tun, vielmehr besteht jeder fahrlässige Normverstoß in einer Unterlassung“; sowie ders., JA 1999, 900: „Sorgfaltspflichten begründen […] Handlungsgebote. Da pflichtgemäßes Handeln geboten ist, stellt jede Fahrlässigkeit eine Unterlassung pflichtmäßigen Handelns dar“.



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im Wege der Gerichtspraxis“ könne man die „sich ständig weiterentwickelnden Sorgfaltspflichten“ gar nicht konkretisieren, und schiebt dann noch nach, dass „der Bürger sich darüber durch eigene Anschauung vielfach auch leichter unterrichten kann als über den Inhalt von Gesetzen.“54 Zu rekapitulieren bleibt: Auch das nachdrückliche Bekenntnis zu einer vom Finalismus differierenden Position – das heißt in Bezug auf den „richtigen“ strafrechtlichen Handlungsbegriff – führt also nicht zwangsläufig, sondern gerade gewöhnlich nicht dazu, Aufbaufragen im Rahmen des Fahrlässigkeitsdeliktes abweichend zu bescheiden:55 Finale und soziale56, sowie weitere eigenständige57 Handlungslehren gelangen insofern regelmäßig zu identischen Ergebnissen; der (ehemals) mit äußerster Vehemenz geführte Streit um die sachgerechte Definition der strafrechtlichen Handlung hat demnach (hier) keine unmittelbaren Konsequenzen. Einzig lässt sich zeigen, dass die dargebrachten Argumentationsketten je nach vertretener Handlungslehre unterschiedlich stark ausgeprägt erscheinen: Normentheoretische Überlegungen nehmen bei den „Finalisten“ einen eher untergeordneten Rang ein;58 da54  Jescheck / Weigend, Strafrecht AT, § 54 I 3. – Vgl. obendrein Haft, Strafrecht AT, S. 164 f., der die Fahrlässigkeitsdelikte als sog. „ergänzungsbedürftige Tatbestände“ beschreibt. 55  Dies macht sich schon alleine dadurch bemerkbar, dass man sich unter Zugrundelegung des sog. sozialen Handlungsbegriffs im Rahmen der Darstellung des fahrlässigen Delikts nicht veranlasst sieht, besondere Ausführungen zum Handlungsbegriff als solchen zu tätigen. 56  Als Anhänger einer solchen Auffassung, die allesamt das Handeln als sinnhaft gestaltenden Faktor der sozialen Wirklichkeit erfassen wollen, seien hier ohne genaueres Referat nur zu nennen: Schmidt, Engisch-FS, S. 339 ff.; sowie Jescheck, SchmidtFS, S. 151 („Handlung ist alles sozial-erhebliche Verhalten“); Jescheck, Strafrecht AT, § 23 VI (mit zahlreichen weiterführenden Literaturhinweisen); Maihofer, Schmidt-FS, S. 178 (Handlung als „jedes objektiv beherrschbare Verhalten mit Richtung auf einen objektiv voraussehbaren Erfolg“); Wessels / Beulke / Satzger, Strafrecht AT, Rn. 93 (Handlung als „das vom menschlichen Willen beherrschte oder beherrschbare sozialerhebliche Verhalten“). – Eingehend zum Ganzen Bloy, ZStW 90 (1978), 609 ff. 57  Einen „personalen“, aber stark an die soziale Handlungslehre angelehnten Handlungsbegriff entwickelt Arthur Kaufmann, Hellmuth Mayer-FS, 116 („Menschliches Handeln ist verantwortliche, sinnhafte Gestaltung der Wirklichkeit mit vom Willen beherrschbaren (dem Handelnden daher zurechenbaren) kausalen Folgen (im weitesten Sinne)“); ähnlich auch Roxin, Strafrecht AT, § 8 Rn. 44 ff. („Die Handlung als Persönlichkeitsäußerung“), zu dessen – nicht aufgrund des Handlungsbegriffs abweichender – Fahrlässigkeitsposition noch unten S. 306 f. – S / S-Eisele, Vorbem §§ 13 ff. Rn. 37 ff., lässt dagegen „dem Handlungsbegriff als allgemeines Verbrechenselement nur eine negative Filterfunktion“ zukommen. Diese Ansicht ist jedoch keinesfalls mit der Auffassung von Herzberg, GA 1996, 1 ff., deckungsgleich, der einen sog. „negativen Handlungsbegriff“ vertritt. 58  Dies gilt jedoch weniger für diejenigen, die nicht mehr die ontologische Struktur des Handlungsbegriffs als Ausgangspunkt der Straftatlehre betrachten.

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Kap. 3: Kritische Darstellung des aktuellen Sach- und Streitstandes

gegen wird bei diesen verstärkt der Versuch unternommen, den spezifischen Willensinhalt der Handlung herauszuarbeiten und für die Fahrlässigkeitsdogmatik fruchtbar zu machen. Ergebnisrelevante Unterschiede sind demgegenüber – was nochmals betont sei – nicht ausfindig zu machen. (4) G  efahr der Normverdoppelung: Das Verhältnis der „allgemeinen“ Norm zur „Sorgfaltsnorm“ Trotz der im strafrechtlichen Schrifttum bestehenden Einigkeit und des unumstößlich scheinenden Postulats, die objektive Sorgfalts(pflicht)verletzung zum allgemeinen Ausgangspunkt des fahrlässigen Deliktes machen zu müssen, drängt sich immer noch die bis hierhin nur andeutungsweise behandelte Frage59 auf, wie sich nun das genaue Verhältnis zwischen der für die (Vorsatz-)Straftat exemplarisch ausfindig gemachten Norm „Du sollst nicht töten!“ und der Begrifflichkeit der Sorgfaltswidrigkeit / dem Sorgfaltsverstoß / der Sorgfaltspflichtverletzung darstellt. Insbesondere sieht man sich dem Problem gegenüber, der hervorgehobenen Sorgfaltswidrigkeit einen eigenständigen Inhalt gegenüber der im Rahmen der Vorsatztat zugrundeliegenden „einfachen“ Verbotsnorm beizulegen; was gerade dann umso schwerer erscheint, wenn man der Sichtweise, bei der Fahrlässigkeit handle es sich um ein Form des Unterlassungsdelikts, ablehnend gegenüber steht. Ließe sich ein unabhängig materieller Gehalt nicht finden, wäre das Merkmal der „Sorgfalts(pflicht)verletzung“ bestenfalls überflüssig. Andererseits hatten bereits einige der im Rahmen der rechtsgeschichtlichen Entwicklung aufgewiesenen Autoren60 vor der Gefahr gewarnt, einen selbständigen Pflichtteil bei der Fahrlässigkeit zu konstruieren, und darauf hingewiesen, den Sorgfaltsaspekt nicht in zweierlei Verstöße (einerseits gegen eine allgemeine Sorgfaltspflicht / andererseits gegen sog. „Sondernormen“) zu zerlegen, quasi zu verdoppeln. So gehe es doch auch bei der Fahrlässigkeit immer nur um die Missachtung des allgemeinen Gefährdungs- bzw. Verletzungsverbots: Neminem laede! Da der – bei dem sich fahrlässig verhaltenden Täter – vorhandene Mangel an Tatsachenkenntnis aber durch eine solche abstrakte Verhaltensrichtschnur scheinbar nicht korrigiert werden kann, müsse die (Fahrlässigkeits-)Norm – so die daraufhin angestellte Folgerung – „in bezug auf den betreffenden Sachverhalt zu einer Verhaltens­ anordnung konkretisiert werden, damit den in die Tatsituation geratenen Personen ein Verhaltensmaßstab geboten wird.“61 Ob und wenn ja, wie sich aber die eigenständigen Ausführungen Zielinkis, oben S. 152 i. V. m. 294 ff. dazu oben bei Binding, S. 54, und Engisch, S.  107 f. 61  Ida, Hirsch-FS, 225  f.; man beachte, dass Ida wiederum vom Normgebot spricht. 59  Vgl.

60  Siehe



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nun die „Sorgfaltsnorm“ in die allgemeinen normentheoretischen Zusammenhänge – trotz des bestehenden Spannungsverhältnisses – einbettet, soll demnach (unter anderem) eine Frage der Konkretisierung des Begriffs der Sorgfaltspflichtverletzung sein;62 dies ist nun im Einzelnen zu hinterfragen. Nachdem nun die allgemeinen Grundlagen erläutert wurden, gilt es zu versuchen, einzelne Problemkreise des Komplexbegriffs der Sorgfaltspflichtverletzung zu separieren, um so den vorhandenen Einzelproblemen besser gerecht werden zu können. Dass durch ein solches Vorgehen gewisse Doppelungen in der Darstellung auftreten können, liegt in der Natur der Sache und stellt das komplexitätsreduzierende Vorgehen nicht in Frage; nur so erscheint es möglich, dem aufgewiesenen Problem um die „Konkretisierung“ Herr zu werden. bb) Objektive Sorgfaltswidrigkeit und ihr Verhältnis zur sog. objektiven Vorhersehbarkeit Nachdrücklich umstritten ist, in welchem Verhältnis das – für die herrschende Literaturauffassung notwendig nachzuweisende – Merkmal der objektiven Sorgfaltspflichtverletzung und die Begrifflichkeit der sog. objektiven Vorhersehbarkeit (synonym: Voraussehbarkeit, Erkennbarkeit)63 zueinander stehen; beziehungsweise, ob die objektive Vorhersehbarkeit als Bestandteil des Handlungsunwerts (respektive des Erfolgsunwerts64), d. h. im Rahmen des Unrechtstatbestandes des fahrlässigen Delikts überhaupt zu berücksichtigen ist. (1) O  bjektive Vorhersehbarkeit als notwendiges Merkmal des Handlungsunwerts? Nicht selten65 wird die Ansicht vertreten, die objektive Sorgfaltspflichtverletzung und die objektive Vorhersehbarkeit seien „innerlich verbunden“66, „untrennbar miteinander verknüpft“67, so dass beide Merkmale „nicht isoinsbesondere Ida, Hirsch-FS, S. 229, 232 ff. nur Lackner / Kühl, StGB, § 15 Rn. 36; Wessels / Beulke / Satzger, Strafrecht AT, Rn.  667 f. 64  Die hier vermeintlich nicht hingehörende, inhaltliche Auseinandersetzung mit Aspekten des Erfolgsunrechts wird sich sogleich aufklären, vgl. auch unten im Fließtext bei Fn. 75 (Kap. 3). 65  Man beachte, dass sich viele Autoren einer expliziten Stellungnahme zu dieser Problematik enthalten, so dass eine Klassifizierung in „herrschende Meinung“ etc. – soweit dies überhaupt sinnvoll ist – kaum möglich erscheint. 66  Lackner / Kühl, StGB, § 15 Rn. 36. 67  Krey / Esser, Strafrecht AT, Rn. 1343. 62  Vgl. 63  Vgl.

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liert nebeneinander“68 begutachtet werden könnten.69 Man scheint der objektiven Vorhersehbarkeit einen eigenständigen – in gewissem Maße gleichrangigen – Stellenwert zuzubilligen. Worin dieser jedoch genau liegen soll, bleibt regelmäßig diffus, werden doch die problematischen Fälle zumeist unter alleinigem Rückgriff auf das Merkmal der objektiven Sorgfaltspflichtverletzung exemplifiziert. Wenig Genaueres erfährt man bei denjenigen Autoren, die die objektive Voraussehbarkeit neben der objektiv zu bestimmenden Sorgfaltswidrigkeit (und der objektiven Zurechnung), d. h. als gänzlich eigenständigen Prüfungspunkt, angesiedelt wissen wollen; so wird man bei diesen lediglich auf bereits im Rahmen der objektiven Sorgfaltspflichtverletzung getroffene Festlegungen verwiesen.70 Wieder andere behandeln das Merkmal der Voraussehbarkeit deutlich als Untermerkmal der Sorgfaltspflichtverletzung und beschreiben es als „wesentlich“ für die Feststellung der „Pflichtwidrigkeit“.71 Ob damit freilich gemeint ist, dass die Vorhersehbarkeit „ein konstitutives Element der Sorgfaltswidrigkeit“72, oder aber lediglich „ein Indiz“73 für deren Bestimmung ist, kann nicht immer mit Sicherheit beantwortet werden.74 Die vermeintlichen Unterschiede erscheinen aber weniger groß als zunächst angenommen, zitiert man sich doch oftmals gegenseitig, ohne auf etwaige Diskrepanzen einzugehen. Einigkeit scheint also insoweit herstellbar, dass alle diese Autoren davon ausgehen, der objektiven Vorhersehbarkeit für die Begründung des Handlungsunrechts des fahrlässigen Delikts zumindest maßgebliche Relevanz einzuräumen. (2) O  bjektive Vorhersehbarkeit und Erfolg(sunrecht)? – Klärung des Bezugspunktes Der scheinbar gefundene gemeinsame Ausgangspunkt gerät jedoch deshalb wieder ins Wanken, da nicht wenige Literaturstimmen die Frage um 68  Kaminski,

Tatbestand des Fahrlässigkeitsdelikts, S. 55. in diesem Sinne Wessels / Beulke / Satzger, Strafrecht AT, Rn. 667; siehe auch Rengier, KK OWiG, § 10 Rn. 30. 70  Siehe insbesondere Brodag, Strafrecht AT, Rn. 157  f.; Ebert, Strafrecht AT, S.  166 f.; 168; Jäger, Strafrecht AT, Rn. 374. – Undeutlich auch Kretschmer, Jura 2000, 269, der von einer objektiven Sorgfaltspflichtverletzung „bei objektiver Vorhersehbarkeit“ spricht. 71  In diesem Sinne deutlich Eser, Strafrecht II, S. 22. 72  So Hirsch, Lampe-FS, S. 523. 73  Zu diesem Ergebnis gelangt MK-Hardtung, § 222 Rn. 16. 74  Aufschlussreich ist auch die äußerst unsichere Formulierung bei Kühl, Strafrecht AT, § 17 Rn. 19, der zur Voraussehbarkeit festhält, dass sie „ein wesentlicher Bestandteil des Fahrlässigkeitsbegriffs ist, möglicherweise sogar eine ‚notwendige Voraussetzung‘ der objektiven Sorgfaltswidrigkeit.“ – Kryptische Ausführungen auch bei Burgstaller, Fahrlässigkeitsdelikt, S. 40 f. i. V. m. S. 36 Fn. 6. 69  Ganz



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die objektive Vorhersehbarkeit im Rahmen des sog. Erfolgsunrechts der Fahrlässigkeitstat verorten wollen – quasi als Ersatz bzw. als einen Unterpunkt der sonst regelmäßig herangezogenen Rechtsfigur der objektiven Zurechnung.75, 76 Die „inhaltliche Nähe“ der objektiv ausgestalteten Erkennbarkeit zum Erfolg(sunrecht) zeigt sich aber nicht nur bei den unmittelbar zuvor genannten Autoren,77 sondern lässt sich (nahezu) überall finden; – nämlich dann, wenn man den eigentlichen Bezugspunkt der objektiven Vorhersehbarkeit in den Blick nimmt. So scheint es allgemeine Meinung zu sein, dass sich diese vor allem auf den tatbestandlichen Erfolg zu beziehen habe.78 Streit herrscht dann freilich dahingehend, ob der Täter außerdem den Kausalverlauf in seinen wesentlichen Zügen erkennen können muss; was von der nahezu einhelligen Literaturauffassung bejaht wird,79 hier aber zunächst vernachlässigt werden kann, da auch bei einer solchen Sichtweise der Bezugspunkt „Erfolg“ keineswegs nivelliert wird. 75  Vgl.

schon oben Fn. 64 (Kap. 3). vor allem Safferling, Vorsatz und Schuld, S. 194, unter zumindest fragwürdiger Berufung auf Wessels / Beulke, Strafrecht AT, Rn. 664. – Weiterhin tendieren in diese Richtung Bockelmann / Volk, Strafrecht AT, S. 157 (vgl. aber auch S. 160, wo die Erkennbarkeit ebenfalls noch im Rahmen des sog. Aktunwertes – also der Sorgfaltspflichtverletzung – auftaucht); ferner Heinrich, Strafrecht AT, Rn. 1013 ff, der sich fälschlich auf MK-Duttge, § 15 Rn. 109 f. beruft, dort stellt dieser explizit klar, dass er die Voraussehbarkeit lediglich als unselbständigen Bestandteil der Pflichtwidrigkeit begreife (auch scheint Heinrich, a. a. O., Rn. 1034, gewisse Erkennbarkeitsmerkmale im Rahmen der „Begrenzung der Sorgfaltspflichten“ berücksichtigen zu wollen); sowie S / S-Sternberg-Lieben / Schuster, StGB, § 15 Rn. 125 f. und 180 ff., die zwar festhalten, dass die objektive Voraussehbarkeit zum Handlungsunrecht gehöre, diesen Aspekt hernach dennoch im Zusammenhang mit der Zurechnung des Erfolges behandeln; und außerdem Jescheck / Weigend, Strafrecht AT, § 55 II 3, zu diesen sogleich ausführlicher im Text. – Auch Triffterer, Bockelmann-FS, S. 223 f., scheint eine ähnliche Ausrichtung zu präferieren, ohne sich zu einer Verortung im Rahmen der objektiven Zurechnung abschließend zu bekennen, vgl. a. a. O., S. 201 Fn. 1a. 77  Siehe vorstehende Fn. 78  Auf die „Erfolgsvoraussehbarkeit“ stellen vor allem ab: Eser, Strafrecht II, S. 22; Kaminski, Tatbestand des Fahrlässigkeitsdelikts, S. 38 ff.; Jäger, Strafrecht AT, Rn. 374; Kretschmer, Jura 2000, 269; Krey / Esser, Strafrecht AT, Rn. 1343. – Diese literarischen „Stellungnahmen“ dürfen allerdings nicht überbewertet werden, äußern sich diese Autoren doch nicht explizit zum Streitstand, so dass es nicht ferliegend erscheint, dass sie die objektive Erkennbarkeit nicht nur auf den tatbestandsmäßigen Erfolg, sondern ggf. auch auf den Kausalverlauf erstrecken. – Auch die Rechtsprechung betont seit jeher die Notwendigkeit, den Nachweis zu führen, dass der Täter den Erfolg im Endergebnis habe erkennen können, siehe exemplarisch RGSt 73, 370, 372, BGHSt 12, 75, 77 f.; sowie m. w. N. LK-Vogel, § 15 insb. Rn. 252, sowie MK-Duttge, § 15 Rn. 109. 79  Siehe nur Brodag, Strafrecht AT, Rn. 157; Ebert, Strafrecht AT, S. 166  f.; S / S-Sternberg-Lieben / Schuster, StGB, § 15 Rn. 180. 76  So

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Der Grund für die auch heute noch vorgenommene Verortung der objektiven Vorhersehbarkeit im Rahmen des Erfolgsunrechts dürfte darin begründet liegen, dass die Lehre vom Handlungsunrecht zwar allgemein postuliert, nicht aber von allen Autoren gänzlich umgesetzt wird. Blickt man – ob dies bewusst oder unbewusst geschieht, mag hier dahinstehen – auf das strafrechtliche Delikt vom tatbestandlichen Erfolg her, legt man also – wie das noch immer geschieht – ganz im Sinne der Äquivalenztheorie80 zunächst einen weit verstandenen Ursachenzusammenhang zugrunde, sieht man sich der Notwendigkeit gegenüber, diesen ausufernden „Haftungsrahmen“ zu begrenzen. Um dies zu gewährleisten, hat man sich insbesondere zweier, die Erfolgszurechnung begrenzender Rechtsinstitute bedient, bzw. bedient sich ihrer weiterhin, namentlich sind das: das strafrechtliche Adäquanzprinzip81 und die objektive Zurechnungslehre82. Da sich im weiteren Verlauf der Debatte um die – zwischenzeitlich als notwendig nachgewiesene – Fundierung des Handlungsunwerts der Fahrlässigkeitsstraftat nun extreme Schwierigkeiten auftaten, hat man wohl diese übliche, gewohnte Blickrichtung – nämlich die vom Erfolg ausgehende – partiell beibehalten: Nicht das primär aufzuweisende Handlungsunrecht (aus ex ante-Sicht) fungiert als echter strafbarkeitsbegrenzender Filter, sondern das der Sache nach erst sekundäre Erfolgsunrecht. Eindringlicher Beleg dafür ist das Lehrbuch von Jescheck / Weigend: So soll die „Erkennbarkeit der Gefahr der Verwirklichung des Tatbestandes“ zwar das erste Merkmal des Unrechtstatbestandes der Fahrlässigkeitstat darstellen,83 jedoch sucht man sodann dessen eigenständige Behandlung im Bereich des Handlungsunrechts vergeblich.84 Vielmehr findet sich dieser angeblich unabhängige Gesichtspunkt dort lediglich als Pflicht gekennzeichnet, „die sich aus dem allgemeinen Sorgfaltsgebot ergibt“, sie bestehe darin, „Gefahren für das geschützte Rechtsgut zu erkennen und richtig einzuschätzen“.85 Hernach – unter dem Punkt „Eintritt, Verur­ sachung und Voraussehbarkeit des Erfolgs“86 (bei den fahrlässigen Erfolgs80  Siehe zur Darstellung dieser in ihren unterschiedlichen Spielarten ausführlich Haas, Kausalität, S. 144 ff. 81  Vgl. dazu Wolter, GA 1977, 257 ff. – Dass sich im Rahmen des Fahrlässigkeitsdelikts für die Durchsetzung des (kausalen) Adäquanzprinzips der Terminus der objektiven Vorhersehbarkeit bzw. Erkennbarkeit eingebürgert hat, ist schon bei der Auseinandersetzung mit Welzel, siehe oben insb. S. 132 f., deutlich geworden; siehe dazu insbesondere Maihofer, Rittler-FS, S. 156 Fn. 43, und Roxin, Honig-FS, S.  136 f., sowie Burgstaller, Fahrlässigkeitsdelikt, S. 76, Maihofer, ZStW 70 (1958), 164. 82  Vgl. dazu Triffterer, Bockelmann-FS, S. 200 ff., insb. 206 ff., 218 ff. 83  Jescheck / Weigend, Strafrecht AT, § 54 I 4. 84  Jescheck / Weigend, Strafrecht AT, § 55. 85  Jescheck / Weigend, Strafrecht AT, § 55 I 2. 86  Jescheck / Weigend, Strafrecht AT, § 55 II.



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delikten) – sieht man sich überdies der Voraussetzung gegenüber, dass der „Erfolg in seiner konkreten Gestalt und der Kausalverlauf in seinen wesentlichen Merkmalen […] endlich voraussehbar gewesen sein [müssen]“87. Welche inhaltliche Ausscheidungsfunktion dieses Merkmal – gerade im Verhältnis zu der oben aufgewiesenen Erkennbarkeit der Gefahr der Tatbestandsverwirklichung – aber genau leisten soll, wird leider nicht deutlich exemplifiziert. Als Merkmal mit klarer Ausscheidungsfunktion kann man diese auf Erfolg und Kausalverlauf blickende objektive Voraussehbarkeit wohl nur bezeichnen, wenn man die Prüfung des Handlungsunrechts bei den Erfolgsdelikten bestenfalls nicht Ernst nimmt (oder ungeachtet der gleichlautenden Terminologie andersartige Maßstäbe bzw. Blickwinkel anlegt)88. Dass ein Abstellen auf die Erfolgsvoraussehbarkeit (unabhängig von einer Verortung im Erfolgsunrecht) nicht der entscheidende Gesichtspunkt sein kann, zeigt sich schlussendlich aber bei sämtlichen Autoren, sobald man den Blick von den fahrlässigen Erfolgsstraftaten weg, hin zu den (schlichten) Tätigkeitsdelikten, wie etwa § 163 oder § 316 II, wendet.89 So kann man in diesem Zusammenhang explizit lesen, dass bei letztgenannten „an die Stelle der Voraussehbarkeit des ‚Erfolges‘ die Erkennbarkeit der Tatbestandsverwirklichung“ trete;90 der sonst für maßgeblich erklärte Erfolgsbezug scheint hier irrelevant. 87  Jescheck / Weigend, Strafrecht AT, § 55 II 3; als gänzlich unklar – gerade im Verhältnis zum Merkmal der subjektiven Vorhersehbarkeit (zu diesem Problem ausführlich unten, S. 254 ff.) – muss es sodann bezeichnet werden, wenn die Autoren insofern betonen: „Handlung und Erfolg müssen also nicht nur objektiv, sondern auch subjektiv insoweit verknüpft sein, als der Täter bei pflichtgemäßer Sorgfalt hätte erkennen können, daß und auf welche Weise sich der Erfolg verwirklichen wird.“ (Hervorhebung von mir). 88  Nochmals: Deutliche Differenzen zwischen den zwei beschriebenen Erkennbarkeiten könnten sich dann ergeben, wenn man bei der Bestimmung beider unterschiedliche Maßstäbe anwendete – was jedoch, soviel sei schon hier vorweggenommen, bei Jescheck / Weigend, Strafrecht AT, vgl. insofern § 55 I 2 b und § 55 II 3, nicht passiert. Zur Maßstabskonturierung siehe noch ausführlich unten, S. 174 ff., insb. aber auch Fn. 126 (Kap. 3), dort ebenfalls zur Problematik, dass den differierenden Voraussehbarkeiten vielmehr unterschiedliche Blickwinkel untergeschoben werden. 89  Dass die fahrlässigen Erfolgsdelikte im StGB deutlich in der Mehrzahl sind, wird die „Beharrungstendenzen“ deutlich verstärkt haben. 90  Wessels / Beulke / Satzger, Strafrecht AT, Rn. 665. – Siehe noch Brodag, Strafrecht AT, Rn. 152; Ebert, Strafrecht AT, S. 168; Heinrich, Strafrecht AT, Rn. 1015; Kühl, Strafrecht AT, § 17 Rn. 12. – Die offensichtlich fehlende Möglichkeit, die Erkennbarkeit bei den fahrlässigen Tätigkeitsdelikten im Rahmen des Erfolgsunrechts zu verorten, wird auch Jescheck / Weigend dazu bewogen haben, selbige – zumindest partiell, trotz sonst erfolgszentrierter Sicht – im Handlungsunrecht zu verankern.

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Man wird nach alledem festhalten können, dass – hielten sich die vorstehenden Autoren an ihre Prämissen, vor allem an die auf das sog. personale Unrecht bezogenen – es trotz weit verbreiteter sprachlicher Verwirrungen91 schlussendlich unumstritten sein müsste, dass eine auf die allgemeine Tatbestandsverwirklichung (auf die Gefahren / Risiken für eine Rechtsgut und nicht lediglich auf den Erfolg) blickende objektive Vorhersehbarkeit notwendige Bedingung für die Feststellung des Handlungsunrechts des fahrlässigen Deliktes ist – und sie in engster Verbindung mit der Begrifflichkeit der objektiven Sorgfaltswidrigkeit steht. (3) B  estimmung der objektiven Sorgfaltswidrigkeit ohne objektive Vorhersehbarkeit? – Klärung des Beurteilungsmaßstabs Neben den gerade behandelten Auffassungen wird aber vereinzelt explizit92 – so behaupten jedenfalls einige Autoren im Schrifttum93 – die Ansicht vertreten, die objektive Sorgfaltswidrigkeit ließe sich gänzlich ohne eine Bezugnahme auf „den“ Vorhersehbarkeitsgedanken bestimmen. (a) Die Normativität der Sorgfaltstypen als Grund auf „die“ Vorhersehbarkeit zu verzichten? Mit (vermeintlicher) Vehemenz verficht Armin Kaufmann das Theorem, die Feststellung „der“ Voraussehbarkeit sei für die Fahrlässigkeitstat irrelevant. So erklärt er das (kausale) „Adäquanzurteil“ – also der Sache nach die objektive Vorhersehbarkeit – nicht nur deshalb zur Bestimmung der Sorgfaltswidrigkeit für bedenklich, weil es maßgeblich für Fälle entwickelt worden sei, die „ganz am Rande liegen“,94 sondern er hält es sogar dann für unbrauchbar, wenn es nur als „ein Kriterium unter anderen“ für die 91  Das heutige inhaltliche Kunterbunt ist bereits durch die wechselvolle geschichtliche Entwicklung bedingt. Vgl. dazu nochmals obige Ausführungen zur Erkennbarkeit, insbesondere bei der Auseinandersetzung mit Engisch und Welzel, S.  110 ff. und 128 ff. 92  Man beachte: Nicht berücksichtigt werden hier diejenigen Autoren, die vordergründig zwar die Eigenständigkeit des Merkmals der objektiven Vorhersehbarkeit postulieren, aber in der Sache Sorgfaltswidrigkeit und Erkennbarkeit als Einheit betrachten, siehe dazu nochmals oben Fn. 70 (Kap. 3), sowie den dortigen Fließtext. 93  Siehe dazu vor allem die sogleich folgenden Hinweise auf Kaminski, Tatbestand des Fahrlässigkeitsdelikts, passim. 94  Armin Kaufmann, ZfRV 1964, 48, verweist auf Fälle, „wo der Verletzte später im Krankenhaus verbrennt oder der Bauer seinen Knecht durch Blitz erschlagen lassen will.“



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Begrenzung des Bereichs des Sorgfaltswidrigen verwandt werde.95 Dies möchte er mit folgendem Fall veranschaulicht wissen:96 Ein Kraftfahrer entdeckt vor Fahrtantritt einen Riss im Lenkgehäuse. Der Schaden sieht für ihn – wie für jeden anderen besonnenen und erfahrenen Kraftfahrer – höchst gefährlich aus, ist es aber in Wirklichkeit nicht, so dass etwa die TechnischPhysikalische Bundesanstalt urteilen würde: „Der Riß sitzt um einige Millimeter zu weit links, um Folgen haben zu können.“ Wendete man nun den regelmäßig97 zum Adäquanzurteil vertretenen Maßstab auf den Fall an – nämlich den des objektiven Beurteilers, der ex ante zu dem Urteil gelangen muss, dass die Möglichkeit eines Erfolgseintritts besteht, also „ausgestattet mit dem ontologischen Wissen eines einsichtigen Beobachters und dem etwaigen ontologischen Sonderwissen des Täters, im Besitze des Höchstwissens seiner Zeit“ –, könnte nur ein Freispruch die Folge sein.98 Und dies, obwohl doch „selbstverständlich“ sei, „was die im Verkehr objektiv erforderliche Sorgfalt in diesem Falle verlangt: ‚Schleunigst in die Werkstatt!‘ “ Gegen eine solche Deutung des objektiven Vorhersehbarkeitskriteriums – unter Einräumung, dass ein in dieser Form erzieltes Ergebnis „in der Tat wenig überzeugend [wäre]“99 – spricht sich mit Nachdruck Kaminski aus: Armin Kaufmann deute die von ihm zitierten Autoren falsch, so verkenne er, dass man für die Ermittlung der nomologischen Urteilsbasis nicht auf die „prognostischen Fähigkeiten eines Fachmanns“, sondern auf ein „allgemeines Erfahrungswissen“ von den Kausalverläufen abzustellen habe.100 Diese Möglichkeit, die kausale Adäquanz in „Basis, Maßstab oder Beurteilungstendenz“ zu modifizieren, hat freilich auch Armin Kaufmann gesehen101, weist dies jedoch gerade als die Crux aus: „Irgendwo zwischen dem exquisit Dummen und dem La Place’schen Weltgeist muß unser ex-ante-Beurteiler ja aufgebaut werden! […] Was auch immer wir in die Retorte hineintun, der dann der objektive Beurteiler entsteigt: Dieser wird immer einen Teil der Fälle so, einen anderen anders beurteilen; dazu ist er ja da.“ Führen wir 95  Armin

Kaufmann, ZfRV 1964, 49. insofern Armin Kaufmann, ZfRV 1964, 49. 97  Armin Kaufmann, ZfRV 1964, 48, legt seiner Darstellung die Auffassungen Engischs und Welzels zugrunde. 98  Freilich macht Armin Kaufmann, ZfRV 1964, 49, deutlich, dass dies nur etwaige Tatbestände eines kupierten fahrlässigen Erfolgsdeliktes, sowie eines fahrlässigen Gefährdungsdeliktes beträfe. 99  Hier sei nur Folgendes angemerkt: Warum sollte denn ein Ergebnis „Freispruch“ überhaupt wenig überzeugend sein, wenn doch der Riss „keine relevanten“ Gefahren birgt, er zu keinem „Erfolgseintritt“ führen kann? Schwebt den Autoren ein sog. fahrlässiger untauglicher Versuch vor? 100  Kaminski, Tatbestand des Fahrlässigkeitsdelikts, S. 31 (Hervorhebung im Original). 101  Dies unterschlägt Kaminski, Tatbestand des Fahrlässigkeitsdelikts, S. 31. 96  Siehe

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uns nun noch die damit zusammenhängenden weiteren Ausführungen Armin Kaufmanns vor Augen, wird indessen klar, dass er – aufgrund der gerade angesprochenen Starrheit des Kriteriums – zwar zunächst darauf hingewiesen wissen will, dass nicht ein „gänzlich abstrakter ex-ante Mensch“ zur Ermittlung der Sorgfalt zugrundegelegt werden dürfe; er dann aber prompt deutlich macht, dass man demgegenüber auf „aus dem jeweiligen Lebensbereich entwickelte, angepaßte und anpassungsfähige Typen“ Bezug nehmen müsse; und – dies ist der entscheidende Gesichtspunkt – er im Hinblick auf diese sogleich unumwunden einräumt: „Gewiß, auch diese Sorgfaltstypen sind Homunkuli, denen ein Wissen imputiert ist und die Gefahren beurteilen müssen.“102 Die eigentliche Frage scheint demnach nicht zu sein, ob es eines Vorhersehbarkeitsmaßstabes im Sinne eines Wissens-Könnens / Müssens auf (Unrechts-)Tatbestandsebene überhaupt bedarf, sondern nur wie man dessen Maßstab auszugestalten hat. Augenscheinlich versucht Armin Kaufmann vornehmlich darzutun, dass die (kausale) Adäquanzformel das Faktum verschleiert, dass es bei der Frage nach der Sorgfaltswidrigkeit eines Verhaltens um „Interessenkollisionen“, um ein „Geflecht normativer Bezüge“ geht.103 Anders gewendet: „Es ist a priori ausgeschlossen, axiologische Erwägungen bruchlos in intellektuelle Tatsachenprognosen zu transferieren.“104 Festzuhalten bleibt demnach, dass Armin Kaufmann im Rahmen der Bestimmung der Sorgfaltswidrigkeit nicht ohne ein Kriterium der Vorhersehbarkeit operiert, er hält nur den nicht unüblichen Terminus der kausalen Adäquität – einfach ausgedrückt – für zu wenig normativ. Bevor dem gerade ausgemachten zentralen Problem der Maßstabskonturierung in Bezug auf Vorhersehbarkeit (und Sorgfaltswidrigkeit) weiter nachgegangen werden kann, sind zunächst noch die Auffassungen von Schünemann und Gössel in den Blick zu nehmen, die mit jeweils unterschiedlicher Begründung die Sorgfaltswidrigkeit – wie es zunächst den Anschein hat – ohne Zuhilfenahme „der“ Vorhersehbarkeit bestimmen wollen. (b) D  ie Bestimmung der Sorgfaltswidrigkeit ausschließlich mittels einer Interessenabwägung Eines von Schünemanns vorrangigen dogmatischen Anliegen ist es, die „Ermittlung der objektiven Fahrlässigkeit“, das heißt der Sorgfaltswidrigkeit, nicht an der „Orientierung an einer fiktiven Maßfigur“ auszurichten, sondern der Sorgfaltsermittlung vielmehr eine umfassende Methode der 102  Armin

Kaufmann, ZfRV 1964, 51 (Hervorhebungen im Original). Kaufmann, ZfRV 1964, 51. 104  Armin Kaufmann, ZfRV 1964, 49. 103  Armin



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Interessenabwägung zugrunde zu legen.105 Das von ihm präferierte Vorgehen der Bewertung der Sorgfaltsanforderungen, „indem das Interesse an der Vornahme der gefährlichen Handlung gegen das Interesse an der Unversehrtheit der von ihr gefährdeten Rechtsgüter abgewogen wird“,106 soll dabei wohl ohne ein Abstellen auf den „Adäquanzzusammenhang (damit ist die objektive Vorhersehbarkeit gemeint)“107 auskommen, da letztgenannter ausdrücklich erst im Rahmen der Erfolgszurechnung behandelt wird108. Für den eigentlichen Abwägungsprozess will Schünemann verschiedene Arten von Handlungszielen separieren, die er auf einer gleitenden Skala angeordnet sieht: Luxushandlungen erforderten keine bzw. vollständig entschärfte Risiken, sozialübliche Handlungen setzten – bei bescheidenem Gefahrenpotential – „theoretisch ausreichenden Schutz“ voraus, sozialnützliche Handlungen verlangten das Hinnehmen-Müssen eines maßvollen Gefährdungsrests, „der weder durch die zumutbaren Sicherungsmaßregeln noch durch die Vorsichtsmaßnahmen des Verkehrs beseitigt werden kann“ und schließlich gelte für sozial-notwendige Handlungen, dass „selbst erhebliche Betriebsgefahren hingenommen werden müssen, wenn wirksame Sicherungsvorkehrungen entweder nicht möglich oder für den Betrieb nicht verträglich sind.“109 Dahinstehen mag hier, ob mit Hilfe eines solchen Vorgehens anspruchsgemäß konsistentere Ergebnisse im Vergleich zur von ihm kritisierten „herrschenden Lehre“ erzielt werden können;110 an dieser Stelle sei diesbezüglich lediglich auf Schünemanns selbstrelativierende Feststellung hingewiesen, „daß die erforderliche Interessenabwägung […] im letzten nur dezisionistisch […] vorgenommen werden kann“. Kritisch beleuchtet werden muss hier hingegen, ob im Rahmen der Bestimmung der Sorgfaltswidrigkeit tatsächlich ohne Vorhersehbarkeitskriterium auszukommen ist. Zweifel drängen sich diesbezüglich bereits deshalb auf, da Schünemann den 105  Schünemann, JA 1975, 575; vgl. auch Schünemann, GA 1985, 359, dort vor allem in Auseinandersetzung mit LK10-Schroeder, § 16. 106  Schünemann, JA 1975, 575. 107  Schünemann, JA 1975, 578. 108  Schünemann, JA 1975, 580 ff. 109  Schünemann, JA 1975, 576. 110  Äußerst kritisch insofern Kaminski, Tatbestand des Fahrlässigkeitsdelikts, S. 23 f.; ähnlich S / S-Sternberg-Lieben / Schuster, StGB, § 15 Rn. 141; auch MKDuttge, § 15 Rn. 119 f., rügt die „hochgradige Unbestimmtheit“ und gibt ferner zu Bedenken, dass „eine solch utilitaristische Betrachtungsweise offensichtlich freiheitsfeindlich“ wirke, sei es doch zuvörderst Sache des Einzelnen, „selbst den ‚Sinn‘ des eigenen Verhaltens zu bestimmen.“ Für die Unrechtsbegründung kommt es nicht auf Aspekte der „sozialen ‚Nützlichkeit‘ “ an! – SK5-Samson, 12. Lieferung, Anh zu § 16 Rn. 13, bemängelt vor allem – und dies nicht zu Unrecht –, dass Schünemann, JA 1975, 577, die von ihm kritisierte fiktive Maßfigur dann doch wieder einführt, wenn „weder legislatorische noch industrielle Sorgfaltsregeln zur Hand sind“.

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außerhalb des StGB stehenden „gesetzlichen Sorgfaltsnormen“ – wie der Straßenverkehrsordnung – besondere Bedeutung im Abwägungsprozess zukommen lassen will und herausstellt, dass die exemplarisch benannte StVO „geronnene Erfahrung“ darstelle;111 er sich also ebenfalls einer „ ‚Erfolgs‘­ vorhersehbarkeit“ bedient, sich dieses Kriteriums bedienen muss112. Problematisch ist vielmehr auch hier allein die Bestimmung des zugrundliegenden Maßstabs. Noch deutlicher wird die Tatsache, dass ohne ein Erkennbarkeitskriterium nicht operiert werden kann, wenn man sich den von Schünemann mehrfach verwendeten Gefahrbegriff113 etwas genauer beschaut. So hat man sich nur klarzumachen – wie eindringlich von Langer dargelegt –, dass der „Begriff der Gefährdung114 […] seine Existenz und seine Berechtigung allein der Begrenztheit menschlicher Erkenntnisfähigkeit [verdankt]; für denjenigen, der alle Kausalfaktoren eines gemeinhin als ‚gefährlich‘ erachteten physikalischen Zustands kennt, gibt es keine Gefahr, sondern sein Urteil kann nur auf sicher bevorstehende Schädigung oder sichere Unschädlichkeit lauten“;115 und weiter, dass schon „aus dem Gefahrbegriff folgt, daß als Gefährdung eines Tatobjekts nur ein solches Verhalten bezeichnet werden kann, bei dem die naheliegende Möglichkeit des Schadenseintritts überhaupt für Menschen erkennbar ist.“116 Festzuhalten bleibt demnach: Ein strafrecht111  Schünemann,

JA 1975, 577. dazu auch Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 90 ff., insb. 103 f., der deutlich macht, dass durch das Abstellen auf ein solches „angewandtes Erfahrungswissen“ jedenfalls eines ermöglicht werde, nämlich „die Fundierung des für die Tatbestandsmäßigkeit bestimmter Verhaltensweisen unentbehrlichen Voraussehbarkeitsurteils.“ (Hervorhebungen im Original). 113  Bereits hier sollte man sich vor Augen führen, dass die Begrifflichkeiten „Gefahr“ und „Risiko“ im Rahmen des (Unrechts-)Tatbestandes regelmäßig synonym gebraucht werden, ohne dass man dies ausdrücklich herausstellte, vgl. nur Frisch, Vorsatz und Risiko, S. 119 ff., S. 82. – Dass der Gefahrbegriff für das Strafrecht – neben den zweifelsohne wichtigen Vorschriften wie etwa §§ 34, 35, 63, 64, 177, 218a II, 249, 315c, 323c – vor allem auch für die Feststellung des „tatbestandsmäßigen Verhaltens“ ganz allgemeine Bedeutung erlangt, wird jedoch oftmals, in zumindest fragwürdiger Weise ausgeblendet; vgl. nur Zieschang, GA 2006, 6 ff. – Siehe zum Gefahrbegriff auch unten S. 395. 114  An dieser Stelle wird nicht, wie unter anderem von Kindhäuser, GA 1994, 199 f., vorgeschlagen, zwischen den Begrifflichkeiten (verhaltensbezogener) „Gefährlichkeit“ und (erfolgsbezogener) „Gefährdung“ unterschieden. 115  Langer, Sonderstraftat, S. 49 Fn. 51. – Aus diesem Grunde kann auch kein Laplace’scher Geist dem Gefahrbegriff zugrundegelegt werden, da dieser schlechthin allwissend ist – „Zukunft wie Vergangenheit wären vor seinen Augen gegenwärtig“ –, vgl. dazu Lorenz, Maßstab des einsichtigsten Menschen, S. 63 f.; in Bezug auf die Konturierung des Laplace’schen Geistes ungenau Freund, Strafrecht AT, § 7 Rn. 41; vgl. zum Ganzen auch Börgers, Gefahrurteil, S. 67 m. w. N. 116  Langer, Sonderstraftat, S. 49 Fn. 52 (Hervorhebung von mir). – Ebenfalls sei in diesem Zusammenhang auf die Äußerungen von Reinhard v. Hippel, Gefahrur­ 112  Vgl.



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licher Gefahrbegriff ist ohne ein Vorhersehbarkeitsurteil – wie auch immer man dessen Maßstab bestimmt – nicht konstruierbar. Im Übrigen scheint auch Schünemann – trotz der grundsätzlich richtigen Betonung einer normativen Begutachtung der Fahrlässigkeitsstraftat – eine dem ursprünglichen, erfolgszentrierten Denken nahestehende Herangehensweise noch nicht gänzlich abgelegt zu haben, so er die Verortung der objektiven Vorhersehbarkeit im Rahmen der Erfolgszurechnung abhandelt. Auf die von Gössel gegen „das“ Erkennbarkeitskriterium vorgebrachten Einwände ist aufgrund der relativ ausführlichen vorstehenden Ausführungen abschließend nur noch kurz einzugehen. (c) Der objektive Tatbestand als objektive Vermeidbarkeit Gössel will seine auf das Merkmal der Vorhersehbarkeit bezogene Kritik insbesondere auf folgende Überlegung gestützt wissen: Würde man sich bei der Prüfung der sog. objektiven Vermeidbarkeit „mit der dem Vorsatz entsprechenden Erkennbarkeit der Tatbestandsverwirklichung begnügen, so würde etwa eine im letzten Augenblick vor dem Zusammenstoß erkennbare schwerwiegende Verletzung des bis dahin völlig unvorhersehbar vor ein Kfz taumelnden Betrunkenen als vermeidbare Verletzung des Verletzungsverbots und also als tatbestandsmäßig i. S. des § 230 [a. F., heute § 229 StGB] anzusehen sein“.117 Aus diesem Grunde könne jenen Autoren nicht gefolgt werden, die einem sich verkehrsrichtig verhaltenden Fahrer – bei gegebener Erkennbarkeit – sagen müssten, er habe den jeweiligen Fahrlässigkeitstatbestand verwirklicht; es bedürfe gerade für solche Fälle des Nachweises einer teile, S. 96, hingewiesen, der „die Unmöglichkeit eines ontologischen und ontologisch wahren Gefahrurteils dargelegt“ wissen will. – Scheinbare Differenzen tun sich zum Gefahrbegriff von Schmidhäuser, Strafrecht AT-LB, 8 / 33 auf: Es ergebe sich, „daß der Gefahrbegriff davon unabhängig ist, ob der Handelnde oder irgendein Mensch die Gefahr erkennt oder erkennen kann, und ebenso unabhängig davon, ob der Handelnde oder irgendein Mensch den Eintritt des Ereignisses für sicher hält oder nicht.“ Etwaige Unterschiede dürften zu vernachlässigen sein, weil auch Schmidhäuser a. a. O. einräumt, dass eine – untechnisch gesprochen – Beschuldigung eine „erkannte Gefahr“ voraussetzt. Insgesamt geht es Schmidhäuser nicht darum, die prognostische Seite des Gefahrurteils zu leugnen, sondern eher darum, aufzuzeigen, dass man verstärkt auf den „Gefährdungserfolg“ zu blicken hat (d. h. Erweiterung der Prognosebasis auf ex post gewonnene Kenntnisse und Erkenntnisse; Hruschka, Strafrecht, S. 412, spricht insofern von einem nachträglichen ex-anteStandpunkt); siehe dazu vor allem auch die äußerst instruktive Darstellung von Gallas, Heinitz-FS, S. 177 ff.; vgl. ferner Börgers, Gefahrurteil, insb. S. 55 und passim. 117  Maurach / Gössel, Strafrecht AT II, § 43 Rn. 17.

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objektiv sorgfaltswidrigen Tatbestandsverwirklichung.118 Es hat also zunächst den Anschein, als konstruiere Gössel das Merkmal der Sorgfaltswidrigkeit im Rahmen des objektiven Tatbestands des fahrlässigen Delikts – der nach seinem Dafürhalten durch eine „generell-sorgfaltswidrige“119, „unsorgfältig-vermeidbare Rechtsgutsbeeinträchtigung“120 gekennzeichnet sein soll –, gänzlich ohne auf ein Erkennbarkeitskriterium zu rekurrieren. In diesem Sinne deutet dann auch Kaminski die in Rede stehende Arbeit;121 der aber wohl übersieht, dass auch Gössel an späterer Stelle einräumen muss, dass die „generelle Erkennbarkeit“ als „objektives Merkmal der normwidrigen Rechtsgutsbeeinträchtigung […] im objektiven Tatbestand angesiedelt [ist]“122. Für die schlichten Tätigkeitsdelikte hält Gössel ferner ausdrücklich fest, dass die objektive Vorhersehbarkeit „schon durch die Außerachtlassung der zum Schutz des jeweiligen Rechtsguts bestehenden Sorgfaltsregeln […] begründet“ werde;123 Sorgfaltswidrigkeit und Erkennbarkeit erscheinen demnach auch hier als „innerlich verbunden“. Warum sich die objektive Vorhersehbarkeit demgegenüber „bei den Erfolgsdelikten als allgemeines Merkmal der objektiven Zurechnung strafrechtsrelevanter Erfolge“ erweisen soll,124 klärt aber auch Gössel nicht.125 Hier liegt ebenfalls der – bereits oben aufgewiesene – Verdacht nahe, dass die Lehre vom Handlungsunrecht entgegen eigener Beteuerungen nicht gänzlich umgesetzt wird. Insofern sei 118  Siehe dazu Maurach / Gössel, Strafrecht AT II, § 43 Rn. 20. – Dass keiner der von Gössel benannten Autoren dazu käme, das Unrecht der betreffenden Fahrlässigkeitstat zu bejahen, sei hier nur am Rande erwähnt. 119  Maurach / Gössel, Strafrecht AT II, § 43 Rn. 41. 120  Maurach / Gössel, Strafrecht AT II, § 43 Rn. 39. 121  Siehe insofern Kaminski, Tatbestand des Fahrlässigkeitsdelikts, S. 25 ff. 122  Maurach / Gössel, Strafrecht AT II, § 43 Rn. 112. 123  Maurach / Gössel, Strafrecht AT II, § 43 Rn. 112. – Dieser Hinweis fehlt aber bei Gössel, Bengl-FS, S. 28 ff., bei sonst sehr ähnlicher Darstellung. 124  Maurach / Gössel, Strafrecht AT II, § 43 Rn. 112, vgl. auch Rn. 85 (dort bei der Behandlung der Rechtsfigur der objektiven Zurechnung): „Mit der Formel der Adäquanztheorie ist entscheidend, ob nach dem verständigen Urteil eines objektiven Beobachters (Richters) damit zu rechnen war, daß die sorgfaltswidrige Handlung zu dem weiteren tatsächlichen Geschehensablauf einschließlich des Erfolgseintritts führen würde“. 125  Dies bemängelt auch Kaminski, Tatbestand des Fahrlässigkeitsdelikts, S. 25 ff. – Man beachte: An dieser Stelle ist vornehmlich darzutun, in welchem Verhältnis die vom überwiegenden Schrifttum für notwendig erklärte objektive Sorgfaltswidrigkeit und die objektive Vorhersehbarkeit zueinander stehen; auf die von Kaminski, a. a. O., S. 26 f., darüber hinaus geübte Kritik kann deshalb nur am Rande hingewiesen werden: Berechtigterweise rügt dieser, dass Gössel bei seiner Abqualifizierung des Merkmals der Vorhersehbarkeit die Tatsache außer Betracht lässt, dass einzig der Zeitpunkt der Handlungs„vornahme“ für die Erkennbarkeitsprüfung entscheidend sein kann.



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außerdem noch Folgendes angemerkt: Gössel scheint als Grund für die divergierende Verortung der Vorhersehbarkeit im Prüfungsaufbau nicht – wie von ihm angedeutet – die vordergründig ausgewiesenen, unterschiedlichen Bezugspunkte (einmal Tatbestandsverwirklichung, einmal Erfolg) als entscheidendes Differenzierungskriterium zu begreifen, sondern vielmehr – freilich unausgesprochen – entweder zugrunde zu legen, dass bei den Erfolgsdelikten nur ein engerer Vorhersehbarkeitsmaßstab als bei den Tätigkeitsdelikten gelten könne, oder – was bedeutend wahrscheinlicher ist – dass man den auf „die“ Erkennbarkeit jeweils anzulegenden Blickwinkel auszutauschen habe – nämlich ex ante bei den Tätigkeitsdelikten und ex post bei den Erfolgsdelikten; die einheitlich bezeichnete, „eine“ „objektive Vorhersehbarkeit“ wäre in Wirklichkeit disparater Natur.126

126  Vgl. dazu auch bereits oben Fn. 88 (Kap. 3) und den dortigen Fließtext bei der Auseinandersetzung mit Jescheck / Weigend. – Auch bei Kaminski, Tatbestand des Fahrlässigkeitsdelikts, S. 29, wird deutlich, dass der Sache nach nicht unterschiedliche Bezugspunkte, sondern vielmehr andersartige Maßstäbe bzw. Blickwinkel benutzt werden: Die „konkrete Sorgfaltswidrigkeit hinsichtlich des Erfolges […] erfordert [mehr], als die bloße Verwirklichung einer nur abstrakt gefährlichen Handlung.“ – Man sieht sich ganz allgemein formuliert mit folgender Problemlage konfrontiert: Nicht alle (vorhersehbaren) „Sorgfaltswidrigkeiten“ können – oder vielmehr sollen – für die Erfolgsherbeiführung zu berücksichtigen sein; auch wenn sie „generell gesehen“ zur Herbeiführung eben eines solchen gegebenen Erfolgs sehr wohl als geeignet in Betracht zu ziehen sind. Um diese – Schwierigkeiten bereitenden – sorgfaltswidrigen Handlungen nun auszuscheiden, bedient man sich des Merkmals der Vorhersehbarkeit ein zweites Mal: Nur tauscht man dazu – ohne darauf gesondert aufmerksam zu machen – den „dem“ Erkennbarkeitskriterium zugrundeliegenden Blickwinkel von einer „ex ante“ („Mit einem Todeserfolg kann man bei einer solchen Handlung rechnen, weil die Handlung die Gefahr des Erfolgseintritts erhöht bzw. begründet; er ist erkennbar!“) zu einer normativ aufgeladenen „ex post“-Betrachtung („Mit einem solchen Todeserfolg (und Kausalverlauf) musste man nicht rechnen, obwohl die Handlung als solche eigentlich ausreichend – im Sinne von: in Bezug auf das konkrete ‚Tatobjekt‘ genügend gefährlich – gewesen ist; der Erfolg ist nicht erkennbar!“); vgl. dazu auch Maurach / Gössel, Strafrecht AT II, § 43 Rn. 87 f., 112, und Gössel, Bengl-FS, S. 33 ff. Diese zweite eingrenzende Herangehensweise hat aber nichts mit einer von der Handlung aus blickenden irgendwie gearteten Vorhersehbarkeit des Erfolges zu tun, sondern ist ausschließlich eine Frage danach, ob sich genau die vom Täter geschaffene Gefahr im Erfolg realisiert hat. Es handelt sich um eine nachträgliche Bewertung des eingetretenen Erfolges. Auch Wolter, Zurechnung, S. 223 ff., macht deutlich, dass man zwischen der Schaffung eines adäquaten Gefährdungsrisikos (Verletzungsrisikos) aus ex ante-Sicht und der Realisierung dessen in einem konkreten Gefahrerfolg mit Hilfe einer Prognose (und Diagnose) ex post zu differenzieren habe; bemerkenswerterweise bezeichnet er die „Risikoverwirklichung“ als „2. Adäquanzurteil“. Vgl. zum Ganzen auch Stratenwerth, Gallas-FS, S. 227 ff.

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(4) Z  wischenfazit: Keine objektive Sorgfaltspflichtverletzung ohne objektive Vorhersehbarkeit Die Behandlung der vorherstehenden, grundsätzlich auf die so genannte objektive Sorgfaltspflichtverletzung abstellenden Autoren hat uns bewusst machen können, dass trotz partiell vorhandener Beteuerungen in Wahrheit niemand ohne zumindest ein – irgendwie geartetes – Vorhersehbarkeitskriterium im Rahmen des Handlungsunrechts des fahrlässigen Deliktes operiert. Die Vorhersehbarkeit gibt es entgegen der üblichen Redeweise der „herrschenden Meinung“ allerdings nicht; Gleiches gilt selbstverständlich – dies sei hier nochmals hervorgehoben – für die (regelmäßig) synonym verwandten Begriffe der Erkennbarkeit oder Voraussehbarkeit127. Als problematisch und als in der Sache128 äußerst umstritten erweist sich dagegen, welchen Bezugspunkt und welchen Maßstab man „der“ Erkennbarkeit zugrunde zu legen hat; wenig reflektiert wird außerdem, wie auf „die“ Erkennbarkeit zu blicken ist, ob ex ante oder ex post. Die Diskussion um die Relevanz des Vorhersehbarkeitskriteriums sieht sich nochmals durch die Tatsache verkompliziert, dass sich bei vielen Autoren neben den Begriffen der Erkenn-, Vorher- und Voraussehbarkeit noch die ähnlich- bzw. gleichgelagerte Begrifflichkeit der (kausalen) Adäquanz eingebürgert hat. Jedoch unterstreicht auch dieser Befund lediglich, dass augenscheinlich verschiedene Arten von „Erkennbarkeiten“ auseinander zu halten sind; diejenigen die vor allem auf die (kausale) Adäquanz zurückgreifen, werden wohl einen weniger normativ aufgeladenen Begriff der Erkennbarkeit vor Augen haben, als diejenigen, die im Rahmen der Vorhersehbarkeit zum Beispiel auf den gewissenhaften und besonnenen Menschen des Verkehrskreises des Handelnden rekurrieren. Insgesamt wird es nicht verwundern, wenn uns die Streitigkeiten um den „richtigen“ Maßstab gerade bei den Versuchen, den (angeblich) zentralen Begriff der objektiven Sorgfaltspflichtverletzung genauer zu konturieren, wiederbegegnen – vor allem deshalb, da beide Begriffe zumeist als Einheit aufgefasst werden. In Erinnerung sei nochmals gerufen, dass sich auch das ältere Schrifttum schon bei der Herausarbeitung „des“ anzulegenden Maßstabes bzw. der 127  Dass jedoch auch Teile der „herrschenden Meinung“ ansatzweise – intuitiv – zwischen verschiedenen Erkennbarkeiten differenzieren, zeigt sich daran, dass mitunter von einer „Voraussehbarkeit des ‚Erfolges‘ “ im Gegensatz zur „Erkennbarkeit der Tatbestandsverwirklichung“ gesprochen wird; freilich wird diese Abschichtung nicht vollumgänglich durchgehalten, siehe Wessels / Beulke / Satzger, Strafrecht AT, insb. Rn. 665, sowie 667 ff. (Hervorhebungen von mir); ebenso zum Beispiel Ebert, Strafrecht AT, S. 166 f., 168. 128  Dass sich dieser Punkt nur als „in der Sache“ umstritten erweist, fußt darauf, dass der Streitgegenstand oftmals nicht als eigenständiger aufgewiesen wird; dies dürfte eine der Hauptschwierigkeiten darstellen.



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Maßstäbe extrem schwer getan hat: Beispielsweise129 ließ Mannheim trotz seines Leitgedankens der „generellen Voraussehbarkeit“ und der damit angeblich verbundenen, mit höchstem Nachdruck postulierten Objektivität gewisse Einschränkungen der (mittels eines tüchtigen Durchschnittsmenschen entwickelten) Generalisierung zu.130 Ferner ging es insbesondere Engisch um die Klarlegung verschiedenartiger Erkennbarkeiten und Sorgfaltsbegriffe.131 Hinzuweisen ist nicht zuletzt auf Welzels Versuche, „der“ (kausalen) Adäquanz bzw. der objektiven Voraussehbarkeit Herr zu werden.132 Vor allem dessen wechselnde Verortung der Sachprobleme, unter Verwendung unterschiedlichster Terminologie – gerade im Zusammenhang mit der Fundierung des Handlungsunrechts bei den fahrlässigen Delikten –, hat die heutigen Unsicherheiten befeuert und maßgeblich zum laxen Umgang mit „der“ Erkennbarkeit beigetragen. Aufzuzeigen ist noch, dass sich im hiesigen Zusammenhang lediglich mit einer der Mindestbedingungen der Fahrlässigkeit beschäftigt wurde. Die „herrschende Meinung“ zieht eine Fahrlässigkeitsstrafbarkeit aber nicht lediglich bei „Vorhersehbarkeit“ in Betracht, sondern gar auch dann, wenn „der Täter die Gefahr […] erkannt […] hat“; um eine solche Konstellation dann von der Vorsätzlichkeit abschichten zu können, wird noch ergänzt, dass der Täter – gerade anders als beim Vorsatz – „pflichtwidrig darauf vertraut hat, daß der Erfolg ausbleiben werde.“133 Diese „Art“ oder „Erscheinungsform“ der Fahrlässigkeit firmiert unter dem Begriff der bewussten; bei deren Widerpart dagegen – der sog. unbewussten Fahrlässigkeit – denke „der Täter infolge einer Verletzung der gebotenen Sorgfalt nicht an die Möglichkeit, daß er den gesetzlichen Tatbestand verwirklichen könnte“.134 Interessant zu erfahren wäre es allerdings, inwieweit sich im Rahmen der bewussten Fahrlässigkeit überhaupt noch von einem objektiven Maßstab der Vorhersehbarkeit sprechen lässt, da diese „Erscheinungsform“ doch gerade unmittelbar vom tatsächlich vorhandenen Wissen des Täters geprägt sein 129  Die Aufzählung ließe sich – wie es der rechtsgeschichtliche Teil zum Ausdruck gebracht haben sollte – problemlos erweitern. 130  Siehe oben S. 93 f. 131  Siehe insb. oben S. 104 ff. 132  Siehe oben S. 132 f. 133  Siehe nur Jescheck / Weigend, Strafrecht AT, § 55 II 3; sowie Wessels / Beulke / Satzger, Strafrecht AT, Rn. 661; zu den weiteren umfangreichen, hier nicht zu behandelnden Abgrenzungstheorien zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit siehe nur die ausführliche Zusammenstellung bei Hillenkamp, 32 Probleme Strafrecht AT, S.  1 ff. 134  Jescheck / Weigend, Strafrecht AT, § 54 II 1; Wessels / Beulke / Satzger, Strafrecht AT, Rn. 661. – Diese Differenzierung hat sich mitunter auch die Rechtsprechung ausdrücklich zu Eigen gemacht, vgl. nur RGSt 56, 343, 349.

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soll;135 teilweise wird die Differenzierung zwischen bewusster und unbewusster Fahrlässigkeit – wohl aufgrund der erkannten Schwierigkeiten, jedoch ohne genauere Erläuterungen – in einen dem Vorsatzdelikt angeglichenen subjektiven Tatbestand verlegt.136 Zurückzukehren ist nun zum für die herrschende Meinung eigentlich zentralen Begriff – der objektiven Sorgfaltspflichtverletzung; auch wenn zu diesem durch mittelbare Ausführungen schon partiell Stellung genommen worden sein sollte. Die Begrifflichkeit der objektiven Sorgfaltspflichtverletzung ist es auch, anhand derer die herrschende Meinung das oben ausgewiesene, zentrale Problem des „richtigen“ Maßstabes genauer behandelt wissen will. cc) Die Sorgfaltspflichtverletzung und deren Maßstab (1) Grundlagen: Der Verkehrskreis Der Ausgangspunkt für die hier interessierende Maßstabsbestimmung scheint bei Sichtung der überwiegenden Literaturstimmen ein der Sache nach einfacher zu sein: „Die objektive Sorgfaltspflichtverletzung ist nach dem allgemeinen Maßstab der Anforderungen zu bestimmen, die an einen einsichtigen und besonnenen Menschen in der konkreten Lage des Täters, namentlich in dem jeweiligen Verkehrskreis zu stellen sind“.137 Konzeptuell 135  Siehe zu diesem, in seiner Tragweite erst nach Erörterung der sog. subjektiven Vorhersehbarkeit zu erfassenden Problem, ausführlich unten S. 265 ff. 136  Haft, Strafrecht AT, S. 163, 170. – In der Tendenz zu Recht, wenn auch nicht mit der in der Sache gebotenen Schärfe, bemerkt Roxin, Strafrecht AT I, § 24 Rn. 73, dass die Frage, „ob und wie man beim fahrlässigen Delikt einen objektiven und subjektiven Tatbestand unterscheiden kann, […] eine zweifelhafte und wenig behandelte Frage [ist].“ – Es ist nochmals ausdrücklich zu betonen, dass die herrschende Meinung im Rahmen der Prüfung des fahrlässigen Deliktes regelmäßig keinen subjektiven Tatbestand anerkennt. Burkhardt, in: Straftat, S. 129, bezeichnet die Zuordnung von Täterindividuellem in den objektiven Tatbestand als „Kardinalfehler“. 137  Lackner / Kühl, StGB, § 15 Rn. 37. – Inhaltsgleiche Formulierungen finden sich exemplarisch bei Bockelmann, in: Aufsätze, S. 203, 220 Fn. 27; Jescheck / Weigend, Strafrecht AT, § 54 I 2 b; Kaminski, Tatbestand des Fahrlässigkeitsdelikts, insb. S. 121  ff., zusammenfassend S. 146  ff.; Kaspar, Strafrecht AT, Rn. 862  ff.; S / S-Sternberg-Lieben / Schuster, StGB, § 15 Rn. 135 ff.; Wessels / Beulke / Satzger, Strafrecht AT, Rn. 669. – Identische Ergebnisse erzielt Burgstaller, Fahrlässigkeitsdelikt, S. 44 ff., der allerdings in systematischer Hinsicht – ohne dass sich irgendwelche Abweichungen zeigten – zunächst die Rechts- und Verkehrsnormen behandelt wissen will, dazu sogleich unten (außerdem macht er darauf aufmerksam (a. a. O., S. 57 Fn. 62), dass durch die von ihm präferierte Formulierung des „gewissenhaften und einsichtigen Menschen“ (oder ähnliche Formeln) „sicher“ keine sachlichen Unterschiede bezweckt seien). – Vgl. ferner noch Zielinski, Unrechtsbegriff, S. 168 ff. (der



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bildet man also eine „differenzierte Maßfigur“138, die sich (insbesondere) am leitbildhaften Verkehrskreisteilnehmer ausrichten soll. Unterschiede zu Welzels Bestimmung der erforderlichen Sorgfalt zeigen sich nicht; so ist man sich – trotz teilweise mehrdeutiger Verwendung des Begriffs „durchschnittlich“ – einig, dass nicht der Durchschnittsmensch, also „die Sorgfalt, die im Verkehr tatsächlich geübt wird,“ maßgeblich sei,139 „weil das Verhalten des großen Durchschnitts erfahrungsgemäß zur Laxheit tendiert und in bestimmten Fällen sogar ausgesprochen bedenklich sein kann.“140 Relevant sei vielmehr die von Burgstaller so bezeichnete „Modellfigur“, die normativ gedeutet werden müsse;141 deren Ermittlung erfolge – wie bereits oben angedeutet – durch Vergleich des konkreten Täterverhaltens mit dem geforderten Verhalten einer „Verkehrskreisperson“ in gleichen Tatumständen: „Je nach Sachzusammenhang ist über die objektive Sorgfaltswidrigkeit eines Verhaltens anhand der Überlegung zu entscheiden, wie sich in der konkreten Tatsituation ein gewissenhafter und einsichtiger Kraftfahrer, Arzt, Baumeister, Installateur, Rauchfangkehrer usw. verhalten hätte.“142 Auf welche dieser Leitbildfiguren man abzustellen habe, entscheide der „Handlungsbzw. Lebensbereich“, „um den es jeweils konkret geht“: Decke der Hausmeister Dachziegel, sei nicht der Maßstab des gewissenhaften und einsichtigen Hausmeisters, sondern der des Dachdeckers ausschlaggebend.143 „Heikel“ werde es „nur“, „wenn das Problem auftaucht, wie weit die Differenzierung innerhalb eines bestimmten Lebensbereiches fortgeführt werden soll.“144 Als allgemeine Richtlinie – so Burgstaller – werde man aber annehmen können, „daß Spezialisierungen insoweit zu berücksichtigen sind, als sie sich zu festen sozialen Positionen verdichtet haben, an die von der Gesellschaft typische Rollenerwartungen geknüpft werden“: Abzustellen habe man beispielsweise nicht auf den Arzt schlechthin, sondern bei vorhandener Befähigung auf den jeweiligen Facharzt, ebenso müsse man exemplarisch bei der Feststellung des Leitbilds des „gewissenhaften und einsichtigen Kaufmannes“ zwischen dem „kleinen Gebrauchtwarenhändler“ und dem „Vorstandsdirektor einer AG“ differenzieren.145 aber freilich, AK-Zielinski, §§ 15, 16 Rn. 94, einschränkend einräumt, dass es weitgehend um eine „Selbstableitung der Handlungsverbote“ gehe). – Vgl. auch in zivilrechtlicher Hinsicht Deutsch, Fahrlässigkeit, S. 128 ff., 461 ff. 138  So dann auch die Überschrift bei Burgstaller, Fahrlässigkeitsdelikt, S. 54 ff. 139  Siehe nur Welzel, Strafrecht, S. 132. 140  Burgstaller, Fahrlässigkeitsdelikt, S. 55. 141  Burgstaller, Fahrlässigkeitsdelikt, S. 56. 142  Burgstaller, Fahrlässigkeitsdelikt, S. 57. 143  Das Ursprungsbeispiel stammt von Armin Kaufmann, ZfRV 1964, 51. 144  Burgstaller, Fahrlässigkeitsdelikt, S. 57. 145  Burgstaller, Fahrlässigkeitsdelikt, S. 57.

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Kaminski spezifiziert diese hier aufgewiesene Abschichtung nach Verkehrskreisen dann dahingehend, dass eine Verkehrskreisbildung zunächst gruppentypisches Verhalten voraussetze („Kriterium der Verhaltenstypizität“): Wolle man beispielsweise innerhalb des ohnehin schon eng gefassten Kreises der Segelschiffkapitäne noch nach dem Grad der jeweils vorhandenen nautischen Erfahrungen weitere Gruppen unterscheiden,146 so sei dies sachwidrig, änderten sich doch die „typischen Verrichtungen eines Segelschiffkapitäns […] nicht mit dem Grad seiner nautischen Erfahrungen.“147 Weiterhin habe man die Verkehrsgruppen so zu bilden, dass der Gesetzgeber sie sinnvollerweise zum Adressat von Verhaltensregeln machen könnte – so verfiele nach Kaminskis Auffassung kein Gesetzgeber der Idee „den Kreis der kleinen oder mittleren Besitzer und Gewerbetreibenden auf dem platten Lande mit einer gruppenspezifischen Norm erfassen zu wollen.“148 Darüber hinaus sei es notwendig, dass „das zu bewertende Verhalten auf der einen und die ins Auge gefaßte Gruppe bzw. Gruppenbezeichnung auf der anderen Seite in funktionalem Zusammenhang stehen.“149 Dies lasse sich anhand folgenden Falles veranschaulichen: Überschreitet der zu einem dringenden Patientenbesuch fahrende Arzt die zulässige Höchstgeschwindigkeit und kommt es infolgedessen zu einem Verkehrsunfall mit Personenschaden, sei es unrichtig, im Rahmen der Maßstabsfindung auf den „besonnenen und gewissenhaften Mediziner“ abzustellen, da „ein funktionaler Zusammenhang zwischen dem zu bewertenden Verhalten – Fahren mit überhöhter Geschwindigkeit – und der gewählten Gruppe bzw. Gruppenbezeichnung nicht herzustellen ist“; das Autofahren „ist kein Aspekt der Verhaltensweisen, die im ersten Prüfungsschritt als konstituierend für den Verkehrskreis der Ärzte festgestellt wurden.“150 (2) Orientierung an so genannten „konkreten Sondernormen“ Die weitergehende151 „Bestimmung von Inhalt und Ausmaß der Sorgfaltspflichten“ sehe sich vielfach erleichtert durch „spezielle außerstrafrechtliche 146  In diesem Sinne – freilich einen zivilrechtlichen Fall betreffend – will dann auch das OLG Kiel differenzieren, vgl. bei RGZ 119, 397 ff., insb. 401 f.; es sei jedoch darauf hingewiesen, dass das Reichsgericht der Entscheidung des OLG in Bezug auf die ausdifferenzierte Gruppenbildung gerade nicht gefolgt ist. 147  Kaminski, Tatbestand des Fahrlässigkeitsdelikts, S. 136 f. 148  Kaminski, Tatbestand des Fahrlässigkeitsdelikts, S. 142 f. 149  Kaminski, Tatbestand des Fahrlässigkeitsdelikts, S. 144. 150  Kaminski, Tatbestand des Fahrlässigkeitsdelikts, S. 144 f. 151  Teilweise wird aber – wie bereits ausgeführt, vgl. dazu Burgstaller oben bei Fn. 137 (Kap. 3) – dem Rechtsanwender nahe gelegt, er solle die Prüfung der objektiven Sorgfaltspflichtverletzung mit der Thematisierung der speziellen Rechts-



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Rechtsvorschriften (sog. Sondernormen152, zB §§ 3, 4, 14 II 2 StVO, §§ 5 I, 6 II AtomG, § 42 I WaffG, § 24 II SprengstoffG) und allgemeine Erfahrungssätze (zB die Regeln der ärztlichen Kunst)“.153 Diese sollen jedoch nach der überwiegend vertretenen Auffassung insgesamt nur indizielle Bedeutung haben; dies besage, dass einerseits deren Befolgung nur ein Anzeichen für die Verkehrsrichtigkeit des Täterverhaltens darstelle, andererseits jedoch deren Nichtbeachtung auch lediglich ein fehlerhaftes Verhalten indiziere, nicht aber die Sorgfaltspflichtverletzung als zwingend erscheinen lasse.154 Teilweise wird die Indizwirkung – zumindest diejenige der (positivierten) „Rechtsnormen“ – mit folgender Begründung untermauert: „Jede Gesetzes- oder Verordnungsbestimmung ist notwendigerweise abstrakt, der

und Verkehrsnormen beginnen, so dann auch – trotz anders ausgerichteter systematischer Herleitung – Wessels / Beulke / Satzger, Strafrecht AT, Rn. 672. 152  Definitorisch geklärt ist die Begrifflichkeit der „Sondernorm“ allerdings nicht; teilweise wird diese nicht nur als Oberbegriff für Verhaltensvorschriften mit Gesetzes- oder Verordnungsrang benutzt, sondern etwa auch für „Spielregeln beim Kampfsport“ (vgl. Lackner / Kühl, StGB, § 15 Rn. 39). Eine strenge Abgrenzung zu den allgemeinen Erfahrungsregeln (teilweise auch als sog. „Verkehrsnormen“ bezeichnet) findet regelmäßig nicht statt, scheint aber wohl sachlich entbehrlich zu sein – siehe dazu auch sogleich im Fließtext und in den Fn., insb. 159 (Kap. 3). 153  Wessels / Beulke / Satzger, Strafrecht AT, Rn. 672. – Siehe ebenso beispielsweise Jescheck / Weigend, Strafrecht AT, § 55 I 3 d; Lackner / Kühl, StGB, § 15 Rn. 39; S / S-Sternberg-Lieben / Schuster, StGB, § 15 Rn. 135. 154  Siehe wiederum nur Jescheck / Weigend, Strafrecht AT, § 55 I 3 d; Kühl, Strafrecht AT, § 17 Rn. 24; Wessels / Beulke / Satzger, Strafrecht AT, Rn. 672, und aus der Rechtsprechung zum einen RGSt 59, 341, 342, und RGSt 77, 28, 31 (Möglichkeit einer Sorgfaltspflichtverletzung selbst bei Einhaltung bestehender (Verkehrs-)Vorschriften), sowie zum anderen RGSt 67, 12, 20 f., und BGHSt 4, 182, 185 (Verletzung einer (Verkehrs-)Vorschrift als Beweisanzeichen für eine Sorgfaltspflichtverletzung). (Exkurs: Kudlich, Otto-FS, S. 384, merkt zum zuletzt zitierten Urteil an, der BGH habe in diesem nicht die Bedeutung des Sondernormverstoßes für die Sorgfaltspflichtverletzung grundsätzlich in Frage gestellt, sondern bei der Bestätigung des Freispruchs vielmehr auf andere „Strafbarkeitsvoraussetzungen“ abgestellt: So rekurriere er zum einen „auf die Voraussetzung der Vorhersehbarkeit“ und zum anderen „auf den – um den Gedanken der Selbstgefährdung ergänzten – Schutzzweck der Norm“, so dass der Autor meint, unter anderem aufgrund der Unergiebigkeit des Urteils, hernach postulieren zu können, a. a. O., S. 387: „Ein Verstoß gegen eine gesetzliche Sondernorm führt generell zur Annahme einer Sorgfaltspflichtverletzung.“ Eine solche Deutung der Judikatur trägt aber schon deshalb nicht, da auch der BGH nicht scharf zwischen der „Vorhersehbarkeit“ und dem Begriff der „Sorgfaltspflichtverletzung“ trennt / trennen kann; er beide vielmehr als Einheit betrachtet. Das Urteil bringt also entgegen der Auffassung Kudlichs sehr wohl zum Ausdruck, dass nicht jeder Verstoß gegen eine gesetzliche Sondernorm eine fahrlässigkeits­ relevante Sorgfaltspflichtverletzung begründet.) – Vgl. zum „Anscheinsbeweis“ auch Volk, GA 1973, 161 ff., insb. 170 ff., mit weiteren Beispielen aus der Rechtsprechung.

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Begriff der objektiven Sorgfaltswidrigkeit dagegen wesensmäßig konkret.“155 Kommt den „Sondernormen“ eine solche Rechtssatzqualität zu, wollen einige Autoren aber nicht lediglich eine Indizwirkung annehmen, sondern festgehalten wissen, dass bei ihrer Einhaltung eine Sorgfaltswidrigkeit ausscheide; jedoch dürften in der praktischen Anwendung kaum bzw. keine Differenzen entstehen, räumen doch auch diese Autoren ein, dass dies nur gelte, „sofern diese Vorschriften das erlaubte Risiko abschließend festlegen und im Einzelfall keine atypische Gefahrenlage vorlag“.156 Gleiches gilt bei den zitierten Bearbeitern für den umgekehrten Fall, bei dem deutlich herausgestellt wird, dass bei einer Zuwiderhandlung gegen entsprechende Sondernormen nur „grundsätzlich“ ein Sorgfaltsverstoß vorliege.157 Man wird also schlussendlich – mit der eine Indizfunktion befürwortenden Auffassung – gleichlaufende Ergebnisse erzielen. Wie bereits oben angedeutet, soll – die Indizwirkung betreffend – letztlich nichts anderes für die sog. „Verkehrsnormen“158 – für deren Annahme bisweilen „die schriftliche Fixierung bloß in der Aufnahme in Lernbefehle für Prüfungen und dergleichen“ für ausreichend gehalten wird159 – gelten;160 und das ungeachtet der Tatsache, dass diese „nicht unmittelbar rechtlich 155  Burgstaller,

Fahrlässigkeitsdelikt, S. 45. StGB, § 15 Rn. 135. 157  S / S-Sternberg-Lieben / Schuster, StGB, § 15 Rn. 135. 158  Terminus von Burgstaller, Fahrlässigkeitsdelikt, S. 50 ff. 159  Vgl. dazu Burgstaller, Fahrlässigkeitsdelikt, S. 51. – Enger im hier interessierenden Zusammenhang wohl Bohnert, JR 1982, 6, der zwar für die Begrifflichkeit der Sondernorm keine Rechtssatzqualität der Verhaltensandordnung fordert, aber sodann nur „die auf Grund gesetzlicher Ermächtigung“ getroffenen Feststellungen „von Spezialistengremien außerhalb der staatlichen Normsetzungsorgane“ gelten lässt; sich diesem anschließend Kuhlen, Produkthaftung, S. 114, der aber – um das terminologische Wirrwarr zu komplettieren – anscheinend den Begriff der „Verkehrsnorm“ als allgemeinen Ausgangspunkt der Diskussion ansieht (obwohl dieser Begriff doch regelmäßig dem Bereich der Verhaltensanordnung ohne Rechtssatzqualität vorbehalten wird). Beachtenswerte sachliche Unterschiede zeigen sich aber – worauf nochmals hingewiesen sei – nicht. 160  Unter anderem Burgstaller, Fahrlässigkeitsdelikt, S. 52 f. Fn. 38, sieht – trotz der (Ergebnis-)Parallelität – die Notwendigkeit zwischen Rechts- und Verkehrsnormen differenzieren zu müssen: „Während bei gegebener Rechtsnormwidrigkeit eine objektive Sorgfaltsverletzung ausschließlich wegen der atypisch ungefährlichen Gestaltung des konkreten Einzelfalles zu verneinen ist, kann dies bei einem Zuwiderhandeln gegen eine Verkehrsnorm ganz allgemein zutreffen, wenn nämlich die betreffende Verkehrsnorm generell mit der – rechtlich maßgebenden – Verkehrssitte nicht in Einklang steht“; er räumt jedoch – ohne eine praktische Relevanz der Abgrenzung darzutun – sogleich unvermittelt ein, dass es sich um einen „gewiß subtilen Unterschied“ handle. Hinter dieser Formulierung wird folgendes stehen: Man will den Verkehrsnormen – unter anderem aufgrund ihrer Staatsferne – keine gleich starke Indizwirkung zubilligen, da es bei diesen – einfach gewendet – (noch) mehr 156  S / S-Sternberg-Lieben / Schuster,



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verbindlich sind.“161 Auch zum Beispiel technische Normen (wie DIN-, VDE- oder DVGW-Normen) entfalteten indizielle Bedeutung; sie seien „nichts anderes als sachverständige Äußerungen darüber, was der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt entspricht.“162 Demgegenüber soll die Beurteilung der Verletzung von „Spiel- und Wettkampfregeln“ – wenngleich dem Bereich der Verkehrsnormen zugehörig – eine Sonderstellung einnehmen: So sei der Verstoß gegen eine Sportregel „nicht nur nicht mit einer objektiven Sorgfaltsverletzung identisch, er vermag eine solche nicht einmal zu indizieren.“163 Dies folge aus den Besonderheiten des wettkampfbezogenen, dynamischen (Kampf-)Sports: „Die Schwelle zur strafbaren Körperverletzung muss […] beim gegeneinander betriebenen Sport, bei dem die körperliche Auseinandersetzung geradezu intendiert ist, höher angesetzt werden als im täglichen Leben“.164 Grundsätzlich könnten / müssten leichte Regelverstöße geduldet werden, um ein Funktionieren der jeweiligen Sportart zu gewährleisten.165 Die Regelanwendung des Sportbetriebs sei – aus spielspezifischen Gründen – strenger.166 (3) Vertrauensgrundsatz Eine Begrenzung und weitergehende Konturierung der Sorgfaltsanforderungen versucht man bei der herrschenden Meinung sodann über die Rechtsfigur des so genannten Vertrauensgrundsatzes zu erzielen: „Ganz allgemein Ausnahmen als bei den Sondernormen mit Rechtssatzqualität gibt; ohne dass man sich in der Lage sähe, diese Ausnahmen auf den Begriff zu bringen. 161  Burgstaller, Fahrlässigkeitsdelikt, S. 51 f. 162  Lenckner, Engisch-FS, S. 502. – Im Großen und Ganzen ebenso Große Vorholt, Produkthaftung, S. 106 ff., 176 ff., der aber herausstellt (a. a. O. S. 176), dass sich die Regeln der Technik nicht nur als sachverständige Zusammenfassungen beschreiben ließen, sondern dass sie „durchaus ein taugliches Risikokonkretisierungsmoment darstellen und vom Staat sogar zu diesem Zweck benutzt werden.“; siehe auch Schürer-Mohr, Erlaubte Risiken, S. 182 ff., 192 ff., die die technischen Normen zwar nicht als sog. antizipierte Sachverständigengutachten anerkennen will, ihnen aber „indizielle Bedeutung“ beimisst. – Vorsichtiger dagegen Schünemann, LacknerFS, S. 386, der den „einschlägigen technischen Regeln nur den Status von ‚Spiel­ material‘, nicht aber denjenigen von antizipierten Sachverständigengutachten“ zubilligt; sie seien „allein […] Dokumentation der redlichen Praxis“, vgl. auch insb. S.  388 f., sowie Schünemann, Meurer-GS, S. 60 f. 163  Burgstaller, Fahrlässigkeitsdelikt, S. 53 f. – Ganz in diesem Sinne mit weiterführenden Literaturhinweisen S / S-Sternberg-Lieben / Schuster, StGB, § 15 Rn. 214, sowie die in den folgenden drei Fn. Genannten. 164  Dölling, ZStW 96 (1984), 58. 165  Siehe insbesondere Eser, JZ 1978, 373. 166  Siehe dazu Rössner, Hirsch-FS, insb. S. 324; diesem folgend LK11-Hirsch, § 228 Rn. 12.

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formuliert, besagt er, daß innerhalb seines Anwendungsbereiches jedermann bei der Gestaltung seines eigenen Verhaltens davon ausgehen darf, daß alle anderen Personen sich rechtmäßig verhalten.“167 Seine wichtigsten Wurzeln und zugleich seinen bedeutsamsten praktischen Anwendungsbereich hat der Vertrauensgrundsatz im Bereich des Straßenverkehrs, wo er im Ergebnis allgemein akzeptiert ist: „So darf sich z. B. der Vorfahrtsberechtigte darauf verlassen, dass der Wartepflichtige die Vorfahrt beachtet; der Vorfahrtsberechtigte braucht deshalb seine Geschwindigkeit beim Heranfahren an eine Kreuzung nicht herabzusetzen.“168 Das ursprüngliche, in der Anfangszeit des motorisierten Verkehrs von der Rechtsprechung entwickelte Verlangen, der Autofahrer müsse auch mit unverständigem, nicht der Regel entsprechendem Verhalten von anderen Verkehrsteilnehmern rechnen,169 ist damit gerade in sein Gegenteil verkehrt.170 Die den Vertrauensgrundsatz bejahende, im Laufe der Zeit zum Straßenverkehrsrecht entstandene bunte Kasuistik171 soll aber nach der heute vorherrschenden Auffassung inhaltlich nicht auf diesen umgrenzten Bereich beschränkt bleiben, sondern der Sache nach auch auf andere Gebiete erstreckt werden: Die Rechtsfigur führe „überall dort zu einer Begrenzung der Sorgfaltsanforderungen, wo gefahrträchtige Handlungen arbeitsteilig vorgenommen werden“.172 So soll der Vertrauensgrundsatz bei der ärztlichen Heilbehandlung, insbesondere einer Opera­ 167  Burgstaller, Fahrlässigkeitsdelikt, S. 58; sehr ähnlich exemplarisch Kudlich, Beck-OK, § 15 Rn. 46. 168  So Kühl, Strafrecht AT, § 17 Rn. 36, der das Urteil BGHSt 7, 118, rekapituliert; siehe ebenfalls nur BGHSt 9, 92: „Der Kraftfahrer darf regelmäßig darauf vertrauen, daß ein in der Begleitung eines Erwachsenen befindliches und von ihm erkennbar behütetes Kind sich nicht ohne weiteres aus dem Schutzbereich des Erwachsenen entfernen und in den Gefahrenbereich des Straßenverkehrs begeben wird.“ – Siehe beispielhaft noch die weiteren, den Vertrauensgrundsatz akzeptierenden Literaturstimmen von Jescheck / Weigend, Strafrecht AT, § 55 I 3 d, und Wessels / Beulke / Satzger, Strafrecht AT, Rn. 671. 169  Siehe aus der Rechtsprechung nur RGSt 61, 122 und RGSt 65, 136. 170  Siehe dazu Heribert Schumann, Handlungsunrecht, S. 7. 171  Vgl. dazu die umfangreichen Nachweise bei S / S27-Cramer / Sternberg-Lieben, StGB, § 15 Rn. 211 ff. 172  S / S-Sternberg-Lieben / Schuster, StGB, § 15 Rn. 151  ff.; siehe daneben beispielsweise noch Ebert, Strafrecht AT, S. 166, und Krey / Esser, Strafrecht AT, Rn. 1351. – Vgl. (bereits hier) aber auch die insofern als Grundlage dienenden Ausführungen von Stratenwerth, Schmidt-FS, S. 383 ff. – In Teilbereichen enger dagegen Burgstaller, Fahrlässigkeitsdelikt, S. 63, der den Vertrauensgrundsatz nur überall dort anwenden will, „wo die Erreichung eines sozial erwünschten und vom Recht als wertvoll anerkannten Zustandes nur möglich erscheint, wenn man den Handelnden von der generellen Einkalkulierung fremden Fehlverhaltens freistellt.“ Hierzu zählt Burgstaller, a. a. O., aber grundsätzlich auch „die Zusammenarbeit von Ärzten untereinander sowie von Ärzten und ärztlichem Hilfspersonal, vor allem bei einer Operation.“



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tion173 Relevanz entfalten und im Verhältnis zwischen Ausbilder und Auszubildendem gelten; dem Fahrschüler, „der sich an die Anweisungen seines Fahrlehrers hält,“ soll ein fahrlässiges Verhalten demnach nur dann zur Last fallen, „wenn er einen Fahrfehler begeht, den er nach Maßgabe seines subjektiven Wissens und Könnens unschwer hätte vermeiden können.“174, 175 Nicht zuletzt aufgrund der vorhergehenden Ausführungen tritt noch das allgemein zu diskutierende Problem zu Tage, dass der Vertrauensgrundsatz auch unter Maßgabe der herrschenden Meinung freilich keine uneingeschränkte Geltung erfahren kann, sondern vielmehr gewissen Schranken unterliegen muss. Die nun maßgebliche Frage, wo die genauen Grenzen dieser Rechtsfigur liegen, lässt sich jedoch nur dann einer tauglichen Beantwortung zuführen, wenn zunächst geklärt ist, was denn überhaupt als theoretisches Fundament des Vertrauensgrundsatzes fungiert. Die insofern aufgewiesenen Begründungen sind – zumindest was die Terminologie betrifft – mannigfaltig.176 Mitunter sieht die Rechtsprechung den Vertrauensgrundsatz in enger Verbindung mit der uns bereits in den vielfältigsten Zusammenhängen begegneten Begrifflichkeit der Vorhersehbarkeit: „Der Vertrauensgrundsatz ist keine Rechtsnorm […]; indem er besagt, daß ein Verkehrsteilnehmer mit verkehrsgerechtem Verhalten der anderen Verkehrsteilnehmer rechnen darf, gibt er lediglich Anhaltspunkte für die Beurteilung des tatsächlichen Sachverhaltes, nämlich der Vorhersehbarkeit.“177 Damit muss das Begriffsverständnis in Bezug auf die Vorhersehbarkeit aber weit enger als sonst üblich 173  Vgl. dazu BGH, NJW 1980, 650 f. (Abgrenzung von Verantwortungsbereichen im Bereich der postoperativen Sorge). 174  BGH, NJW 1979, 993. 175  Vgl. zum Ganzen – das heißt zur Ausdehnung des Vertrauensgrundsatzes „bei Verwendung fremder Leistungen“ und „bei weisungsabhängiger Tätigkeit“ – noch Heribert Schumann, Handlungsunrecht, S. 19 ff., 29 ff. 176  Auf die von Gülde, JW 1938, 2785 ff., zum Vertrauensgrundsatz entwickelte sog. „Prämientheorie“ (diese Bezeichnung wird unter anderem von LK11-Schroeder, § 16 Rn. 168 Fn. 268, und Brinkmann, Vertrauensgrundsatz, S. 117, benutzt) braucht an dieser Stelle nicht besonders eingegangen zu werden, da sie – soweit ersichtlich – von keinem der auf dem Boden der herrschenden Meinung stehenden Autoren explizit, in Reinform vertreten wird. Ungeachtet dessen sei darauf hingewiesen, dass Gülde, a. a. O., 2785, die Anwendung des Vertrauensgrundsatzes vom eigenen Wohlverhalten des Verkehrsteilnehmers abhängig machen und die Rechtsfigur insofern als Belohnung, Prämie für sorgfältiges Handeln und zur Durchsetzung der allgemeinen Verkehrsdisziplin verstanden wissen will: „Ließe man gegenüber den Schwächen und Unvollkommenheiten die Zügel locker, so förderte man diejenigen, welche ihre Pflichten gegenüber der Volksgemeinschaft mangelhaft oder gar nicht erfüllen und dadurch ihr Volk schädigen, zum Nachteil der pflichtgetreuen Volksgenossen.“ 177  OLG Hamburg, VerkMitt 1967, Nr. 113; vgl. daneben noch die von Burgstaller, Fahrlässigkeitsdelikt, S. 59, gegebenen Hinweise.

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sein – das heißt es bedarf einer normativen Einschränkung, wie es auch in der Formulierung zum „Rechnen-Dürfen“ zum Ausdruck kommt. Die eigentliche Rechtsnatur bleibt trotz dieser (allenfalls mittelbar erfahrbaren) Feststellung freilich weiterhin ungeklärt und wird darüber hinaus sogar noch teilweise verunklart, geht doch die Rechtsprechung sonst wie selbstverständlich davon aus, dass fremdes Fehlverhalten nach der allgemeinen Lebenserfahrung vorhersehbar ist. Zumindest dem Anschein nach aussagekräftiger sind dagegen die von Teilen der Literatur vorgenommenen Einordnungen. Das herrschende Schrifttum bringt den Vertrauensgrundsatz unmittelbar mit dem Gesichtspunkt des „erlaubten Risikos“ in Verbindung: So soll der Vertrauensgrundsatz das erlaubte Risiko konkretisieren,178 einen „Sachgrund“179 für dieses abgeben, einen „Anwendungsfall“180 dessen darstellen; der Vertrauensgrundsatz sei herzuleiten „aus dem Gesichtspunkt fehlender unzulässiger Gefahrschaffung“181. Sternberg-Lieben / Schuster stellen das Problem dann auch in den im Folgenden kurz nachzuzeichnenden übergeordneten Begründungszusammen­ hang:182 Da das allgemeine Gefährdungsverbot in einer hochtechnisierten Gesellschaft nicht ohne Einschränkungen bleiben könne, sei es auch unmöglich, jede Gefährdung anderer zu verbieten, „obwohl sie voraussehbar und vermeidbar wäre; diese Gefährdung stellt sich vielmehr als ein ‚erlaubtes Risiko‘ dar.“ Der „unvermeidliche Rest“ der mit dem Betrieb von gefähr­ lichen Unternehmungen verbundenen Gefahren werde eben nur wegen seines „sozialen Nutzens“ von der Rechtsordnung hingenommen. „Das jeder Rechtsordnung immanente ‚neminem laede‘ […] erfährt hier eine Modifikation“. Fasst man das erlaubte Risiko, das – unter anderem in Anlehnung an Welzel – auch als „Ausdruck der sozialen Adäquanz“ verstanden wird, also als einen die (umfassende) Verbotsnorm umgestaltenden Faktor auf, scheint es auf der Hand zu liegen, dass „der Gesichtspunkt des sozialadäquaten Risikos schon das Maß der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt [begrenzt]“ und damit „bereits zum Tatbestandsausschluss [führt]“. Zusammenfassend lässt sich demnach sagen, dass der Vertrauensgrundsatz – als 178  Kühl,

Strafrecht AT, § 4 Rn. 49. Beck-OK, § 15 Rn. 46.1. 180  Vgl. bereits hier die sich mit der herrschenden Auffassung insofern vollumfänglich deckenden Ausführungen von Roxin, Strafrecht AT I, § 24 Rn. 22. 181  So S / S-Sternberg-Lieben / Schuster, StGB, § 15 Rn. 148, unter anderem unter Verweis auf Burgstaller, Fahrlässigkeitsdelikt, S. 63. 182  Siehe dazu S / S-Sternberg-Lieben / Schuster, StGB, § 15 Rn. 144 ff. – Leider machen die Autoren nicht deutlich, ob und wenn ja, worin sich die durch Überschriften voneinander separierten Bereiche „Der Sorgfaltsmaßstab“ (a.  a.  O., Rn. 133 ff.) und die soeben erläuterte Problematik „Erlaubtes Risiko beim Betrieb gefährlicher Unternehmungen“ (a. a. O., Rn. 144 ff.) unterscheiden. 179  Kudlich,



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Sonderfall des erlaubten Risikos – auf der (Unrechts-)Tatbestandsebene eine „sorgfaltspflichtbegrenzende Wirkung“ entfalten soll.183 Deutlich stellt Krümpelmann den eigentlich zentralen Gesichtspunkt heraus: Der Vertrauensgrundsatz „ist das Resultat einer Interessenabwägung“.184 Mit Hilfe einer solchen Interessen und Gegeninteressen bewertenden Gegenüberstellung bestimmt die herrschende Meinung dann auch die „Schranken“ und „Grenzen“ des Vertrauensgrundsatzes: So ergäben sich Ausnahmen „naturgemäß dann, wenn dem Vertrauen auf richtiges Verhalten anderer erkennbar die Grundlage entzogen ist.“185 Dies könne unter anderem der Fall sein, wenn sich der Verkehrsteilnehmer selbst verkehrswidrig verhält.186 183  Ergänzend sei jedoch darauf hingewiesen, dass gewisse dem Vertrauensgrundsatz unterfallende Anwendungsbereiche (Fälle der Arbeitsteilung) aber gerade „nicht vom Makel objektiver Sorgfaltswidrigkeit“ befreien sollen, sondern erst die Erkenntnisverschaffungspflicht begrenzten, siehe S / S-Sternberg-Lieben / Schuster, StGB, § 15 Rn. 153. Inwieweit dann aber der Vertrauensgrundsatz noch als einheitliches, konsistentes Rechtsinstitut aufgefasst werden kann, wird nicht näher erläutert; sowie – damit zusammenhängend – nicht näher ausgeführt wird, wann denn die Ebene der im (Unrechts-)Tatbestand verorteten „objektiven Sorgfaltsnormen“ und wann die – erst die Ebene der Fahrlässigkeitsschuld betreffen sollende – Erkenntnisverschaffungspflicht berührt sei. Mit anderen Worten: Welche (unterschiedlichen) Kriterien sprechen für die eine wie die andere Einordnung? – Ferner beachte man, dass einige wenige Autoren – jedoch ohne nähere Begründung – den Vertrauensgrundsatz erst im Rahmen der (objektiven) Zurechnung behandelt wissen wollen, siehe Jäger, Strafrecht AT, Rn. 374; vgl. außerdem ergänzend Hillenkamp, 32 Probleme Strafrecht AT, S.  244 f. 184  Krümpelmann, Lackner-FS, S.  298  f.; erinnert sei auch nochmals (oben S.  166 ff.) an Schünemanns, JA 1975, 575 f., „Methode der Interessenabwägung“; vgl. auch Kirschbaum, Vertrauensschutz, S. 220 ff., insb. Fn. 495, der auf den Terminus der „gerechten Risikoverteilung“ abstellen will. – Ob die von Kuhlen, Produkthaftung, S. 133 f., vertretene Auffassung tatsächlich als eine von den soeben referierten Meinungen abweichende, eigenständige „Theorie“ zu bezeichnen ist (so Brinkmann, Vertrauensgrundsatz, S. 126 ff.: „ ‚erweiterte‘ Interessentheorie“), erscheint zumindest fragwürdig, da Kuhlen, a. a. O., lediglich deutlich macht, dass eine rein rechtsgutsorientierte Begründung des Vertrauensgrundsatzes nicht ausreichend sei, sondern man „auch den [Aspekt] der Eigenverantwortlichkeit der anderen und der Handlungsfreiheit des Sorgfaltspflichtigen zu berücksichtigen“ habe. 185  S / S-Sternberg-Lieben / Schuster, StGB, § 15 Rn. 150. 186  S / S-Sternberg-Lieben / Schuster, StGB, § 15 Rn. 150, 210. – Ob und gegebenenfalls wann ein eigenes verkehrswidriges Verhalten zu einer Einschränkung des Vertrauensgrundsatzes führt, ist aber als umstritten zu bezeichnen. Siehe für eine Einschränkung des Vertrauensgrundsatzes aus der Rechtsprechung nur BGHSt 9, 93 f., und aus der Literatur – im Sinne einer Verwirkung – insbesondere Mühlhaus, Fahrlässigkeit, S. 61; andererseits aber Krümpelmann, Lackner-FS, S. 292, der festhält, „daß der Verwirkungssatz keine ergebnisbegründende Funktion hat.“ – Die Entscheidung für die eine oder andere Auffassung wird auch damit zusammenhängen, inwieweit man im Rahmen der Interessenabwägung noch einen irgendwie ge-

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Hinzuweisen ist abschließend noch darauf, dass teilweise der Schwerpunkt bei der Begründung des Vertrauensgrundsatzes aber alternativ bzw. kumulativ auf andere (oder zumindest auf anders benannte) Prinzipien gestützt wird. Die insofern geltend gemachten Abweichungen dürften jedoch nicht selten vornehmlich sprachlicher Natur sein. Mitunter wird jedoch deutlich auf die Entscheidungserheblichkeit des Prinzips der Selbstverantwortung (bzw. Eigenverantwortlichkeit187) hingewiesen.188 (4) Sonderwissen und Sonderfähigkeiten Hat man nach alledem einen – wie es scheint – objektiven und konsistenten Maßstab für die Bestimmung der auf Tatbestandsebene verorteten Sorgfaltswidrigkeit ausfindig gemacht, stellt sich schließlich noch die Frage, ob und gegebenenfalls wie das Verhalten eines Täters strafrechtlich zu bewerten ist, der ein größeres Wissen bzw. größere Fähigkeiten als der „homunculus normalis“ besitzt, hiervon jedoch gerade keinen Gebrauch macht, sich ungeachtet dessen aber nicht über die sonst von der „differenzieren Maßfigur“ verlangten Anforderungen hinwegsetzt. Zwei Beispiele: Handelt der mit international konkurrenzlosen Techniken und Fertigkeiten ausgestattete Spitzenchirurg „objektiv fahrlässig“, wenn er einen Menschen zu Tode arteten „Prämiengedanken“ berücksichtigt, vgl. bereits oben Fn. 176 (Kap. 3), sowie Kirschbaum, Vertrauensschutz, S. 118 ff., insb. 122, ferner noch die kritischen Ausführungen von Puppe, Jura 1998, 23. 187  Diese Begrifflichkeit verwendet LK11-Schroeder, § 16 Rn. 171. 188  Siehe zum Beispiel – für wohl kumulative Berücksichtigung – Kühl, Strafrecht AT, § 17 Rn. 37; vgl. auch Maurach / Gössel, Strafrecht AT II, § 43 Rn. 67 ff., insb. 70 ff. Den Gedanken der Güterabwägung für die Begründung des Vertrauensgrundsatzes dagegen vollständig ablehnend Heribert Schumann, Handlungsunrecht, S. 10, der ausdrücklich betont, dass der Vertrauensgrundsatz „seine Grundlage im Verantwortungsprinzip findet“. – Vgl. außerdem Stratenwerth, Strafrecht AT3, Rn. 1155 ff. (sowie ergänzend Stratenwerth, Schmidt-FS, S. 383 ff.), der in der Dritt­ auflage noch insbesondere auf den Gesichtspunkt der Selbstverantwortung abgestellt hatte, seit der Folgeauflage hingegen – ohne darauf gesondert aufmerksam zu machen – die Wichtigkeit des Gedankens des erlaubten Risikos und der Interessenabwägung betont und der in Bezug auf die Selbstverantwortung nun deutlich herausstellt: „Ob sich das Prinzip in dieser Allgemeinheit vertreten lässt, ist mehr als zweifelhaft“, siehe insofern Stratenwerth, Strafrecht AT4, § 15 Rn. 67, sowie Stratenwerth / Kuhlen, Strafrecht AT, § 15 Rn. 65. – Zum Selbstverantwortungsprinzip als Begründung für den Vertrauensgrundsatz vgl. noch Brinkmann, Vertrauensgrundsatz, S. 131 ff., der für diesen Ansatz den Terminus „Die Lehre von den Verantwortungsbereichen“ verwendet. – Siehe zum Ganzen ebenfalls noch unten S. 203 ff.: Das erst an jener Stelle zahlreiche, der auch prinzipiell bereits hier relevanten, Erörterungen verortet werden, ist einzig der Tatsache geschuldet, dass die herrschende Meinung wohl dort den „Schwerpunkt“ der Diskussion sieht. Es sei insofern schon hier auf die extreme Verwobenheit von Handlungs- und Erfolgsunwert hingewiesen.



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operiert und dabei – weit unter seinem Niveau – nur so viel leistet, wie es dem Mindeststandard der Verkehrskreisperson des einsichtigen und besonnen Chirurgen entspricht? Sind bei der Feststellung der objektiven Sorgfaltspflichtverletzung die Kenntnisse eines Kraftfahrers zu berücksichtigen, der um die besondere Gefährlichkeit einer normalerweise nicht als so gefährlich zu erkennenden Kreuzung weiß? Konnte bei der Darstellung der zum Begriff der objektiven Sorgfaltspflichtverletzung vertretenen Ansichten bis hierhin ein zumindest relativ einheitliches Bild gezeichnet werden, muss an dieser Stelle betont werden, dass sich beim nun zu diskutierenden Problemkomplex zahlreiche unterschiedlich konturierte Auffassungen innerhalb der traditionellen Fahrlässigkeitsdogmatik herausgebildet haben. Es dürfte sich hierbei also um den Knackpunkt im Lager der „Objektivisten“ handeln. In Bezug auf die Einbeziehung etwaig vorhandener Sonderfähigkeiten einer Person lassen sich dennoch zwei Hauptströmungen herausarbeiten: Ihren eigen Prämissen vollumfänglich gerecht werdend kommt die eine der beiden wohl etwa gleich großen Meinungsgruppen zu dem Ergebnis, keinerlei Sonderfähigkeiten des Täters bei der Bestimmung der Sorgfaltswidrigkeit berücksichtigen zu dürfen.189 Wohingegen der zweite Meinungsblock meint, diesbezüglich gewisse Durchbrechung zulassen zu können.190 Relative Einigkeit scheint jedoch dann wieder hergestellt, wenn es darum geht, etwaige Sonderkenntnisse / Sonderwissen des Täters für die Bestimmung des objektiven Sorgfaltswidrigkeitsurteils heranzuziehen;191 hier schlage der Grundsatz „Wissen verpflichtet“ durch.192 189  Siehe exemplarisch Bockelmann / Volk, Strafrecht AT, S. 160  f.; Burgstaller, Fahrlässigkeitsdelikt, S.  65 f.; Jescheck / Weigend, Strafrecht AT, § 54 I 3, insb. Fn. 15. 190  Blei, Strafrecht AT, S. 301; Haft, Strafrecht AT, S. 166; Krey / Esser, Strafrecht AT, Rn. 1349; S / S-Sternberg-Lieben / Schuster, StGB, § 15 Rn. 139; ähnlich Bauman / Weber / Mitsch, Strafrecht AT, § 22 Rn. 46 ff. – Den Standpunkt der „Objektivisten“, der – worauf deutlich hinzuweisen ist – sein eigener ist, konterkariert besonders schön Rengier, Strafrecht AT, § 52 Rn. 21, so scheinen seine Ausführungen von einem Vertreter der individuellen Sorgfaltswidrigkeitslehre herzurühren (siehe dazu unten, exemplarisch S. 276 ff.: Sonderwissen und -können seien schon deshalb zu berücksichtigen, „weil man durchschnittliche Fähigkeiten und Sonderfähigkeiten überhaupt nicht sinnvoll unterscheiden kann und letztlich jeder Mensch ein Individuum ist.“ 191  Die im Schrifttum zu findende Differenzierung zwischen Sonderwissen und -fähigkeiten ist hier als gegeben zu akzeptieren. Ob eine solche Problemabschichtung aber tatsächlich notwendig ist, mag hier zunächst dahinstehen. – Vgl. auch Murmann, Herzberg-FS, S. 126 Fn. 21. 192  Siehe in diesem Sinne ausdrücklich Burgstaller, Fahrlässigkeitsdelikt, S. 66, der sich des bereits von Graßberger, ZfRV 1964, 25, verwandten Ausspruchs bedient; vgl. ferner exemplarisch Jescheck / Weigend, Strafrecht AT, § 55 I 2 b;

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Kap. 3: Kritische Darstellung des aktuellen Sach- und Streitstandes

Wird – getreu dem objektiven Ansatz – die Berücksichtigung von Sonderfähigkeiten des Täters abgelehnt, sieht man sich regelmäßig dem Hauptargument gegenüber, dass die Gegenauffassung jedenfalls zur Folge hätte, „den besonders Befähigten zu ständigen Höchstleistungen zu verpflichten“,193 was schlussendlich auch dazu führte, den grundgesetzlich verbürgten Gleichheitssatz zu vernachlässigen194. In die selbe Kerbe schlägt die zugespitzte Begründung, „daß die Einbeziehung von Sonderfähigkeiten in das Fahrlässigkeitsurteil freiwillige Vorkehrungen zur Erfolgsverhütung in bedenklicher Weise lähmen muß. Die Bereitschaft, […] vor Operationen besonders komplizierte Voruntersuchungen durchzuführen, […] würde schlecht belohnt und letztlich gehindert, wenn alle dabei gewonnenen Fähigkeiten sofort zur Pflicht würden.“195 Daneben wird darauf abgehoben, dass die Gegenauffassung nicht nur mit Beweisschwierigkeiten zu kämpfen hätte,196 sondern auch die Grenzen von Recht und Moral ignorierte.197 Schließlich wird das Anliegen, Sonderfähigkeiten bei der Feststellung der Sorgfalts­ widrigkeit einzubeziehen, als in der Praxis nahezu irrelevant abqualifiziert: So handle es sich bei dieser Frage um eine „praktisch nicht sonderlich bedeutsame“.198 Die der scharfen Kritik ausgesetzte Gegenauffassung will demgegenüber überdurchschnittliche Fähigkeiten schon deshalb berücksichtigt wissen, um keiner ungerechtfertigten Privilegierung das Wort zu reden: „Wer […] fähiger ist als das ‚mittlere‘ Maß, muss daher bei gefährlichen Handlungen eben vorsichtiger sein als der Durchschnittsmensch.“199 Jedermann habe das S / S-Sternberg-Lieben / Schuster, StGB, § 15 Rn. 139; Wessels / Beulke / Satzger, Strafrecht AT, Rn. 670. – Anders in Bezug auf die Berücksichtigung von „Sonderwissen“ aber zum Beispiel Bockelmann / Volk, Strafrecht AT, S. 160 f., die also weder die bereits oben angesprochenen Sonderfähigkeiten noch das Sonderwissen für die Bestimmung der objektiven Sorgfaltspflichtverletzung herangezogen wissen wollen. – Siehe zum Ganzen auch Greco, ZStW 117 (2005), 519 ff. 193  Kaminski, Tatbestand des Fahrlässigkeitsdelikts, S. 88. 194  Siehe insofern Jescheck / Weigend, Strafrecht AT, § 54 I 3. 195  LK11-Schroeder, § 16 Rn. 148; ähnlich Wolter, GA 1977, 270 f., der aber noch zwischen privaten und beruflichen Sonderfähigkeiten differenzieren will. – Man beachte jedoch, dass beide Autoren, die Fahrlässigkeitsdogmatik nicht ausgehend vom Begriff der objektiven Sorgfaltspflichtverletzung entwickeln. Da aber beide von der herrschenden Meinung im interessierenden Zusammenhang zitiert werden, erscheint deren Nennung hier notwendig und angebracht. 196  Vgl. zu diesem Vorwurf insbesondere Salm, Das vollendete Verbrechen I 1, S.  73 f. 197  Burgstaller, Fahrlässigkeitsdelikt, S. 66. 198  Burgstaller, Fahrlässigkeitsdelikt, S. 65; Maurach / Gössel, Strafrecht AT II, § 43 Rn. 31; einen ähnlichen Hinweis in Bezug auf die wohl äußerst geringe Praxisrelevanz liefert Blei, Strafrecht AT, S. 299. 199  Siehe nur S / S-Sternberg-Lieben / Schuster, StGB, § 15 Rn. 141.



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Optimum zu leisten, „was er zur Vermeidung von Gefahren zu leisten imstande ist“.200 Damit ist zum Ausdruck gebracht, dass der Fahrlässigkeitstat ein der Sache nach flexibler Bewertungsgegenstand zugrunde liege: Nach „oben“ wird (in gewissem Maße) individualisiert, nach „unten“ – d. h. für geringere als durchschnittliche Fähigkeiten – wird hingegen an der generalisierenden, „objektiven“ Betrachtung festgehalten. Unter Zugrundelegung der zuletzt referierten Meinung käme man also dazu, den unter seinem Niveau operierenden Topchirurgen wegen einer fahrlässigen Tötung zu belangen. Dagegen müsste die zuerst benannte, die Sonderfähigkeiten nicht berücksichtigende Auffassung zu einem Freispruch kommen. Relativ einmütig201 wird dagegen das zweite – das Sonderwissen betreffende – Beispiel gelöst: So handle der um die besondere Gefährlichkeit der Kreuzung wissende Autofahrer fahrlässig. Warum dem – gerade im Verhältnis zum sonst teilweise nicht für notwendig erachteten Einsatz von Sonderfähigkeiten – so sein soll, wird jedoch üblicherweise nicht expressis verbis ausgeführt. Denkbar erschiene für die differierende Behandlung aber folgende Überlegung: Man geht wohl davon aus, dass die Berücksichtigung des Sonderwissens – im Gegensatz zu den Sonderfähigkeiten – keine Überspannung der Kräfte des Täters bedingt.202 Mit den zum Sonderwissen und zu den Sonderfähigkeiten getätigten Ausführungen ist der den Handlungsunwert der Fahrlässigkeitstat (im Sinne der herrschenden Meinung) beschreibende Teil nun zum Abschluss gebracht. So wurde der Versuch unternommen, den schillernden Begriff der objektiven Sorgfaltspflichtverletzung zu durchleuchten; diesbezüglich sollte deutlich geworden sein, dass eine der Hauptproblematiken um die Findung des richtigen Maßstabes kreist und sich diese in (nahezu) sämtlichen mit dem Begriff der Sorgfalt „verknüpften“ Bereichen (Normentheorie, Vorhersehbarkeit) wiederfindet. Voranzuschreiten ist nun zur Frage nach dem Erfolgsunwert des fahrlässigen Deliktes. b) Der Erfolgsunwert – die Lehre von der objektiven Zurechnung Die meisten der fahrlässigen Straftatbestände setzen nicht nur eine rechtsgutsverletzende Handlung, einen Handlungsunwert – den die herrschende 200  S / S-Sternberg-Lieben / Schuster,

StGB, § 15 Rn. 139. jedoch die äußerst geringe Zahl von Autoren, die auch keine Berücksichtigung von Sonderwissen gelten lassen wollen, siehe die schon oben bei Fn. 192 (Kap. 3) benannten Bockelmann / Volk, Strafrecht AT, S. 160 f.; vgl. außerdem noch LK11-Schroeder, § 16 Rn. 148: „Soll der freiwillige Besuch von Fortbildungskursen mit der Inpflichtnahme des erworbenen Wissens bestraft werden?“ 202  So auch schon treffend formuliert von Castaldo, Non intelligere, S. 96. 201  Anders

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Kap. 3: Kritische Darstellung des aktuellen Sach- und Streitstandes

Meinung im hier interessierenden Bereich bekanntlich in dem Begriff der objektiven Sorgfaltspflichtverletzung erkennen will – voraus,203 sondern verlangen zusätzlich ein der Handlung zeitlich nachfolgendes ablösbares Ereignis, einen tatbestandlichen „Erfolg“.204 Dass sich die für die zwischen der Handlung und dem Erfolg nachzuweisende Beziehung nicht lediglich in einer bloßen Kausalgesetzmäßigkeit erschöpfen kann, sondern auch nach dem Maßstab objektiver Zurechnung zu beurteilen ist, „scheint heute prima facie zu dem als inzwischen gesichert geltenden Bestand der deutschen Strafrechtsdogmatik zu gehören.“205 Ganz in diesem Sinne stellt dann auch Schroeder fest: Es sei seit „Mitte der achtziger Jahre die Lehre von der objektiven Zurechnung in allen größeren Lehrbüchern und Kommentaren zum deutschen Strafrecht anerkannt.“206 Diesen Befund bestätigen ebenfalls Heribert Schumann / Antje Schumann: „Diese Zurechnungslehre kann in ihren Grundannahmen mittlerweile als herrschende Lehre bezeichnet werden.“207 Auch Schünemann merkt an, dass die objektive Zurechnungslehre „eine ähnlich fundamentale Bedeutung […] wie der Finalismus in den Jahrzehnten vor 1975 oder wie der Begriff der Kausalität in der Epoche des strafrechtlichen Naturalismus“ erlangt habe.208 Frisch äußert – unter Verweis auf zahlreiche literarische Stellungnahmen – gar: „Es gibt wohl kaum ein strafrechtsdogmatisches Thema des Allgemeinen Teils, über das in den letzten drei Jahrzehnten so viel geschrieben worden ist wie über die objektive Zurechnung.“209 Lassen sich aber derart viele Beiträge finden, nimmt es – zumindest die Ausziselierungen betreffend – nicht wunder, dass der „Diskussionsstand komplex und unübersichtlich“ geworden ist.210 Demgegenüber muss es sehr wohl als merkwürdig bezeichnet werden, dass sich trotz der scheinbar allgemeinen Akzeptanz dieser Kategorie, es schwerlich bestritten werden kann, „daß schon über den Grund der objektiven Zurechnung als 203  Anders aber zum Beispiel die Fahrlässigkeitsstraftaten gemäß §§ 153 ff., 161 StGB oder § 316 II StGB. 204  Dies rechtfertigt jedoch nicht das Vorgehen vieler Autoren, sich ausschließlich mit den fahrlässigen Erfolgsdelikten zu beschäftigen und nur für diese eine Dogmatik anzubieten, siehe insofern bereits die kritische Bemerkung bei Röttger, Unrechtsbegründung, S. 62. 205  Kahlo, Küper-FS, S. 249. 206  Schroeder, Androulakis-FS, S. 668. 207  Heribert Schumann / Antje Schumann, Küper-FS, S. 543. 208  Schünemann, GA 1999, 207. 209  Frisch, GA 2003, 719. – Ganz in diesem Sinne auch Seher, GA 2006, 715, der den Diskussionszeitraum noch weiter sieht: „Die objektive Zurechnung ist seit nunmehr vier Jahrzehnten die am intensivsten diskutierte strafrechtliche Rechtsfigur“. 210  Frisch, GA 2003, 720. – Weitere Literaturhinweise finden sich auch bei Müssig, Rudolphi-FS, insb. S. 172 f. i. V. m. Fn. 26 ff.



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Straftatmerkmal weitgehender Dissens besteht und daß in Folge dessen […] auch ihre Grenzen […] vielfach unklar geblieben sind.“211 So findet man durchaus kritische Stellungnahmen im Schrifttum, in denen die objektive Zurechnungslehre – vor allem deren Heterogenität angreifend – als „Ensemble von Topoi“212, als „riesiger Krake mit zahllosen Tentakeln“213 oder als „den Effekt eines den gesamten Tatbestand an sich reißenden und in sich ertränkenden Strudels [entfaltend]“214 bezeichnet wird.215 Insgesamt wird man zu konzedieren haben, dass die von der objektiven Zurechnungslehre aufgewiesen Sachprobleme – sowie (größtenteils) deren Ergebnisse – kaum wegdiskutiert und der Sache nach bestritten werden können, jedoch deren straftatsystematische Verortung bei weitem nicht so eindeutig, wie teilweise suggeriert, erscheint.216 Dass beispielsweise einige Autoren die objektiven Zurechnungsprobleme beim Fahrlässigkeitsdelikt (verdeckt) unter dem Prüfungspunkt der objektiven Voraussehbarkeit des Kausalverlaufs und Erfolgseintritts behandeln wollen, ist bereits oben gezeigt worden.217 Nachdrücklich lässt sich dies aber auch anhand der Rechtsprechung zeigen. So ist diese zwar seit jeher mit solchen, also nach herrschender Diktion die objektive Zurechnungslehre betreffenden Problemen befasst,218 behandelt diese jedoch regelmäßig nicht ausdrücklich unter Bezugnahme auf diese Rechtsfigur.219 Aufgrund des alles in allem äußerst buntscheckigen Meinungsbildes kann die sog. objektive Zurechnungslehre hier nur in ihren Grundstrukturen, nicht jedoch in allen Verästelungen behandelt werden; was aber auch nicht zwingend notwendig erscheint, solange 211  Kahlo, Küper-FS, S. 249. – Siehe auch hier wiederum Seher, GA 2006, 715, dessen soeben (Fn. 209) zitierter Satz noch dahingehend erweitert wird: „ohne dass es bisher gelungen wäre, ihr [der objektiven Zurechnung] konsensfähige Konturen zu verleihen.“ 212  Armin Kaufmann, Jescheck-FS, S. 271. – Dass es sich bei der objektiven Zurechnungslehre um ein „Sammelsurium von Topoi“ handle, stimmt auch Puppe, ZJS 2008, 608 f., beim Blick auf die gängige Darstellung in Lehrbüchern zu. 213  Schünemann, GA 1999, 207. 214  Struensee, GA 1987, 97. 215  Weitere Beispiele bringt Gössel, Frisch-FS, S. 428 ff. 216  Kühl, Strafrecht AT, § 4 Rn. 97, bemerkt zur Lehre von der objektiven Zurechnung selbstkritisch, dass sie „noch nicht zu einem allgemein anerkannten System ausgebaut“ sei. 217  Siehe nochmals nur Jescheck / Weigend, Strafrecht AT, § 55 II 3, sowie ferner Rengier, Strafrecht AT, § 52 Rn. 25. 218  Hierauf hat insbesondere Puppe, Erfolgszurechnung, insb. S. 73 ff., hingewiesen, wie schon zu Recht Kahlo, Küper-FS, F. 251, bemerkt. 219  Eine Ausnahme bildet insofern BGH, NJW 2000, 2757: „Weiter muss bei den Erfolgsdelikten zur sachgemäßen Begrenzung der objektiven Zurechenbarkeit der Erfolg seinen Grund gerade in der objektiven Pflichtverletzung haben.“

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Kap. 3: Kritische Darstellung des aktuellen Sach- und Streitstandes

die die Fahrlässigkeitstat unmittelbar betreffenden Aufbaufragen und Zusammenhänge deutlich werden. Dies soll im Folgenden versucht werden. aa) Die Grundformel der objektiven Zurechnungslehre Es steht für die herrschende Lehre fest, dass die Zurechnung eines Erfolges – nicht nur, aber gerade220 auch beim Fahrlässigkeitsdelikt – auf der Ebene des (Unrechts-)Tatbestandes voraussetzt, „daß dieser Erfolg nicht nur vom tatbestandsmäßigen Verhalten im Sinne der Äquivalenztheorie verursacht wurde, sondern zu ihm auch noch in einer spezifisch normativen Beziehung steht“.221 Dieser geforderte normative Zusammenhang – für den Burgstaller explizit den Terminus der „objektiven Voraussehbarkeit“ ablehnt – sei dann gegeben, wenn sich die Erfolge „als Verwirklichung gerade derjenigen Gefahr erweisen, derentwegen das Verhalten verboten war.“222 Geläufiger dürfte noch folgende Formulierung sein: „Objektiv zurechenbar ist ein Erfolg dann, wenn der Täter eine rechtlich relevante Gefahr geschaffen hat, die sich im tatbestandsmäßigen Erfolg realisiert.“223 Im Schrifttum finden sich jedoch nicht selten gewisse terminologische Modifikationen dieser „Grundregel“,224 die sich vor allem auf den ersten Teil – den Aspekt der Gefahrschaffung bzw. Gefahrerhöhung – beziehen. Relativ unangetastet bleibt dagegen das zweite Element: Diesbezüglich kann man allenfalls lesen, dass sich die Gefahr „verwirklicht“,225 – oder seltener – „niedergeschla­ gen“226 oder „ausgewirkt“227 haben müsse. Dagegen sind – wie bereits angemerkt – recht unterschiedliche Formulierungen die „rechtlich relevante Gefahr“ betreffend auszumachen: Ähnlich vorsichtig ist beispielsweise die Wortwahl von Haft, der eine „tatbestandsrelevante Gefahr“228 fordert, sowie 220  Dass gewisse objektive Zurechnungsgesichtspunkte „gerade bei den Fahrlässigkeitsdelikten ihre besondere Bedeutung erlangen“ betonen exemplarisch Wessels / Beulke / Satzger, Strafrecht AT, Rn. 673. 221  Burgstaller, Fahrlässigkeitsdelikt, S. 76. 222  Burgstaller, Fahrlässigkeitsdelikts, S. 76 f. 223  Wessels / Beulke / Satzger, Strafrecht AT, Rn. 179. 224  Teilweise wird aber überhaupt – trotz identischer Ergebnisse – auf eine positive Begriffsbildung verzichtet. So hält Ebert, Strafrecht AT, S. 48, – unter dem anschließenden Aufweis von seiner Ansicht nach einschlägigen Einzelfällen (Fallgruppen) – lediglich fest: Als Korrektiv der (Äquivalenz-)Kausalität dienten „zusätzliche Kriterien objektiver Zurechnung, die unter normativen Aspekten die objektive Zurechenbarkeit einschränken.“ 225  So zum Beispiel Fischer, StGB, Vor § 13 Rn. 25; Jescheck / Weigend, Strafrecht AT, § 28 IV. 226  Mitsch, JuS 1995, 889. 227  SK-Hoyer, Anh. zu § 16 Rn. 66. 228  Haft, Strafrecht AT, S. 55.



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diejenige von Kühl, der eine „Gefahr (bzw. ein Risiko) qualifizierter Art“229 verlangt; andererseits stellen nicht wenige Autoren auf eine „rechtlich missbilligte“230 oder „rechtlich verbotene Gefährdung“231 ab; ebenso wird von einer „unerlaubten“232, sowie „über das erlaubte Maß hinausgehenden“233 Gefahr gesprochen. Zu den offensichtlich bestehenden sprachlichen Differenzen merkt aber Kühl an, dass die verschiedenartigen Formulierungen keine sachlichen Unterschiede begründeten. Dies sieht sich letztlich auch dadurch bestätigt, dass man sich regelmäßig gegenseitig zitiert, ohne etwaige materielle Diskrepanzen aufzuweisen; teilweise werden die unterschiedlichen Begrifflichkeiten sogar synonym verwandt.234 Als Argument für die teilweise „zurückhaltenden“ Formulierungen – wie diejenige der Gefahr „qualifizierter Art“ – wird angeführt, dass man einer Verwechselungsgefahr vorbeugen wolle: Es handle sich eben bei der objektiven Zurechnung nicht mehr um eine Rechtswidrigkeits-, sondern um eine Tatbestandsfrage.235 Operiert man auf der Ebene des (Unrechts-)Tatbestandes also – anders als noch der Begründer der strafrechtlichen236 objektiven Zurechnungslehre 229  Kühl,

Strafrecht AT, § 4 Rn. 43. 26. Lieferung, Vor § 1 Rn. 57; Samson, Strafrecht I, S. 15; siehe ferner Erb, JuS 1994, 453. 231  Jescheck / Weigend, Strafrecht AT, § 28 IV. – S / S-Eisele, Vorbem §§  13 ff., Rn. 92 verlangt in gleicher Hinsicht, dass der Täter „verbotswidrig ein entsprechendes Erfolgsrisiko geschaffen bzw. ein solches erhöht“ haben müsse. 232  Siehe bereits hier Roxin, Armin Kaufmann-GS, S. 239, und Roxin, TröndleFS, S. 185, der aber teilweise – Roxin, Strafrecht AT, § 11 Rn. 47 – auch die Formulierung der „nicht durch ein erlaubtes Risiko gedeckten Gefahr“ benutzt; in der frühen Abhandlung Roxin, Honig-FS, verwendet dieser außerdem die differierenden Begrifflichkeiten: „Schaffung oder Nichtschaffung eines rechtlich relevanten Risikos“ (a. a. O., S. 136 ff.) bzw. „Steigerung oder Nichtsteigerung des erlaubten Risikos“ (a. a. O., S. 138 ff.); siehe zur Begriffsvielfalt sogleich den Fließtext, sowie Fn. 234 (Kap. 3). 233  Otto, Allgemeine Strafrechtslehre, § 10 Rn. 18. 234  Siehe dazu beispielsweise Haft, Strafrecht AT, S. 55, der unter der Überschrift „Tatbestandsrelevante Gefahr“ den Terminus der „rechtlichen Missbilligung“ gleichbedeutend verwendet; vgl. auch Erb, JuS 1994, 453. 235  Kühl, Strafrecht AT, § 4 Rn. 43. 236  Als Begründer der objektiven Zurechungslehre überhaupt wird man wohl den Zivilrechtler Larenz, Begriff der objektiven Zurechnung, passim, bezeichnen können. Siehe zu dessen Konzept nur die prägnante Darstellung von Haas, in: Zurechnung, S. 193 ff. – Einen Versuch, Larenzs Zurechnungsgesichtspunkte auf eine Definition zu bringen, unternimmt – in Anschluss an Honig – Hübner, Entwicklung der objektiven Zurechnung, S. 51: „Objektiv zurechenbar ist der Erfolg dem Täter dann, wenn dieser nicht als konkretes Individuum, sondern als abstrakte Person die Möglichkeit hatte, den Erfolg durch seinen Willen zu steuern und ihn bezwecken zu können. Dies ist dann der Fall, wenn der konkrete Erfolg durch die Handlung des Täters von einem Menschen hätte bezweckt werden können, also unmittelbar vor der Handlungsvornahme in der Situation des Täters vorhergesehen werden konnte.“ 230  SK-Rudolphi,

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Honig237 – mit spezifisch rechtlichen Kriterien, muss es als naheliegend bezeichnet werden, dass es bestimmter Spezifikationen der soeben formulierten – gelinde gesagt: relativ offenen – Grundregel bedarf. Diesem Bestimmtheitsproblem versucht die herrschende Meinung mittels der Bildung von Fallgruppen abzuhelfen, um so ihrem eigenen Anspruch gerecht zu werden, „vorbehaltlich etwaiger Rechtfertigungsgründe auch abschließende Aussagen über den Unrechtscharakter eingetretener Folgen zu machen“238. Bevor nun die Fallgruppen im Einzelnen kurz skizziert werden sollen, ist noch darauf hinzuweisen, dass im Schrifttum freilich kein Einvernehmen darüber herrscht, welche der Fallgruppen nun unter welchen Teil der Zurechnungsformel zu subsumieren sind. Die sich anschließende Darstellung – die „lediglich“ den Versuch antritt, den Gedankengang der herrschenden Lehre nachzuzeichnen – sieht sich jedoch nochmals vor erhebliche Schwierigkeiten gestellt, da gewisse Fallgruppen bei einigen Autoren gar gänzlich außerhalb der Grundformel zu stehen scheinen; ungeachtet dessen aber sehr wohl dem Anwendungsbereich der objektiven Zurechnungslehre unterfallen sollen – siehe dazu unten dd). Ferner ist noch zu betonen, dass die zwar (regelmäßig) anhand der Vorsatztaten entwickelte, aber ganz allgemein für anwendbar erklärte239, soeben aufgewiesene Grundformel für die Fahrlässigkeitsdelikte ohne große Umschweife dahingehend „spezifiziert“ wird, dass ein Erfolg nur dann zugerechnet werden könne, „wenn sich gerade die durch die mangelnde Sorgfalt des Täters gesetzte Gefahr im eingetretenen Erfolg realisiert hat und der Erfolg in den Schutzbereich der Norm fällt: Risiko-Zusammenhang“; darüber hinaus sei die Zurechnung von Erfolgen nur dann möglich, „wenn sie im Falle eines hypothetischen, im Rahmen des rechtlich Zulässigen liegenden Verhaltens des Täters […] nicht eingetreten wären: Pflichtwidrigkeitszusammenhang.“240 ­ 237  Honig, Frank-FG I, S. 174  ff. Dessen Zurechnungsformel der „objektiven Zweckhaftigkeit“ wie folgt lautet: „Zurechenbar ist […] derjenige Erfolg, welcher als zweckhaft gesetzt gedacht werden kann“ (a. a. O., S. 184). 238  Frisch, GA 2003, 722. 239  Dies geschieht üblicherweise durch eine „Verweistechnik“, exemplarisch Kühl, Strafrecht AT, § 17 Rn. 45: „Da die Darstellung der Lehre von der objektiven Zurechnung bereits beim vorsätzlichen Vollendungsdelikt breiten Raum einnahm […] und zahlreiche Fahrlässigkeits-Beispiele behandelte […], soll hier nur noch auf zwei bisher ausgesparte Zurechnungsprobleme eingegangen werden, die nur oder doch vor allem beim Fahrlässigkeitsdelikt auftreten: Der sog. Pflichtwidrigkeitszusammenhang und der sog. Schutzzweckzusammenhang.“ – In folgender oder ähnlicher Form kann man lesen: „Die allgemeinen Regeln, nach denen sich die objektive Zurechnung richtet, sind bei den Fahrlässigkeits- und Vorsatzdelikten grundsätzlich dieselben“; hier nach Kretschmer, Jura 2000, 273 (Hervorhebung von mir). Wie etwaige Unterschiede aber aussähen, erfährt man freilich nicht. 240  S / S-Sternberg-Lieben / Schuster, § 15 Rn. 156.



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Auch insofern bestehen aber nicht nur terminologische Unterschiede,241 vielmehr wird um eine taugliche Begründung und Erklärung dieser „Institute“242 intensiv gerungen. Beide werden zumeist243 als den Aspekt der Gefahrrealisierung betreffende Probleme eingeordnet – unten cc). bb) Um die Schaffung eines unerlaubten / rechtlich relevanten etc. Risikos kreisende Fallgruppen Dem (nahezu244) allgemeinen Grundverständnis der Lehre von der objektiven Zurechnung entspricht es zunächst einmal, dem Täter solche Erfolge – trotz unbestreitbarer Existenz eines Kausalzusammenhanges – nicht zuzurechen, wenn er das tatbestandliche Risiko verringert bzw. minimiert, „ohne zugleich eine eigenständige, andersartige Gefahr für den Betroffenen zu begründen.“245 Gleiches gelte in Fällen „ganz entfernter, rechtlich offen241  Gerade die den sog. Pflichtwidrigkeitszusammenhang betreffenden Fälle werden mit den unterschiedlichsten Termini belegt. Häufig findet man insofern noch die Begrifflichkeit „Rechtswidrigkeitszusammenhang“, exemplarisch Erb, Rechtmäßiges Alternativverhalten, S. 70 (teilweise wird der Begriff des Rechtswidrigkeitszusammenhangs aber sowohl für die Fälle des sog. rechtmäßigen Alternativverhaltens als auch für die Lehre vom Schutzzweck der Norm verwandt, siehe insofern Jescheck / Weigend, Strafrecht AT, § 55 II 2 b); vgl. auch überblicksweise Wessels / Beulke / Satzger, Strafrecht AT, Rn. 677. – Wie austauschbar die Begriffe scheinen, zeigt sich beim Blick in die monographische Abhandlung von Schünemann, JA 1975, 578 ff.: Dieser bezeichnet die Fälle, die hier mit dem Terminus des Pflichtwidrigkeitszusammenhangs belegt wurden, als den „Risikozusammenhang“ betreffend und grenzt diese wiederum von den Fällen des „Schutzweckzusammenhanges“ (a. a. O., 715 ff.) ab. 242  Dabei scheint es noch nicht einmal allgemein anerkannt zu sein, dass es sich um mehrere, verschiedene Institute handelt. Burgstaller, Fahrlässigkeit, S. 77, führt aus: „Näheres Zusehen zeigt überhaupt, daß die angeführten drei Zurechnungskriterien [gemeint sind: die objektive Zurechnungslehre, die Lehre vom Schutzzweck der Norm und der Begriff des Rechtswidrigkeitszusammenhangs] im Ergebnis weithin zusammenfallen.“ Die Lehre vom Rechtswidrigkeitszusammenhang sei – folgerichtig durchgeführt – mit der These vom Schutzzweck der Norm identisch und von der Normzwecklehre werde wiederum allgemein anerkannt, „daß sie zumindest den Kernbereich aller derjenigen Auffassungen abdeckt, die bei der objektiven Zurechnung unmittelbar darauf abstellen, daß sich im Erfolg gerade der tatbestandsmäßige Sorgfaltsverstoß realisierst hat.“ An welches der drei Kriterien man nun anknüpfe, sei „nach rein pragmatischen Erwägungen zu beantworten.“ 243  Siehe aber exemplarisch auch Wessels / Beulke / Satzger, Strafrecht AT, Rn. 674, 179, 182. 244  Auf die Gegenauffassung von Schmidhäuser, Strafrecht AT-LB, 8 / 120, sei aber bereits hier hingewiesen: Beim „Handeln mit optimaler Gefahrenminderung“ mangele es bereits am Handlungsunwert. 245  Wessels / Beulke / Satzger, Strafrecht AT, Rn. 193 f.; ausführlich Lee, Objektive Zurechnung bei Risikoverminderung, passim.

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sichtlich nicht einschlägiger Verursachungen“,246 so dass auch beispielsweise eine rechtlich relevante Gefahrschaffung im sog. „Gewitterfall“ – jemand schickt „einen anderen bei einem aufkommenden Gewitter in den Wald […] in der Hoffnung, der andere werde durch einen Blitz erschlagen werden“247 –, wie auch beim „Treppensteigen, Baden, Bergwandern usw.“ abzulehnen sei.248 Aber nicht nur die Fälle der geringen Wahrscheinlichkeit des Erfolgseintritts führten zum Zurechnungsausschluss, sondern auch solche, in denen der Täter zwar ein nicht unerhebliches Risiko begründet, „dieses aber im Rahmen des erlaubten Risikos liegt“.249 Dass diese innerhalb der Feststellung des Erfolgsunwertes verortete Frage250 nach der Erlaubtheit der Gefahr aber mit „der Frage nach der objektiven Sorgfaltspflichtwidrigkeit eines Verhaltens“ „identisch ist“, wird auf Grundlage der herrschenden Meinung ausnahmsweise von den Autoren Lenckner / Eisele herausgestellt251 – wofür diesen ausdrücklich Respekt zu zollen ist. Wie sich dann indessen Handlungs- und Erfolgsunwert beim Fahrlässigkeitsdelikt, bei dem ja die Grundregel der objektiven Zurechnung genauso wie beim Vorsatzdelikt Relevanz entfalten soll252, exakt abgrenzen lassen, erörtern die Autoren jedoch nicht. Mit anderen Worten: Ist die Frage um die Unerlaubtheit der Gefahr bei der fahrlässigen Straftat nun eine, die bei der Statuierung des Handlungsunwertes aufzugreifen ist – wie es die Begrifflichkeit der Sorgfaltspflichtverletzung nahe legt253 –, oder stellt sich diese Frage erst – im (von den Autoren ja angeblich für richtig erachteten) Gleichlauf zu den Vorsatzdelikten – im Rahmen der objektiven Zurechnung, also bei der Feststellung des Erfolgsunwertes? Beides zugleich kann nicht richtig sein:254 insofern Kühl, Strafrecht AT, § 4 Rn. 46. des Falles nach Welzel, Strafrecht, S. 66, der die Straflosigkeit des Schickenden allerdings mittels einer Vorsatzverneinung erzielen will. 248  Roxin, Strafrecht AT, § 11 Rn. 55, 44. 249  Siehe wiederum Kühl, Strafrecht AT, § 4 Rn. 48. 250  S / S28-Lenckner / Eisele und S / S-Eisele, Vorbem §§ 13 ff. Rn. 93, benutzen den Begriff der „entscheidenden Ausgangsfrage der Erfolgszurechnung“ (Hervorhebung von mir), um womöglich den Anschein zu erwecken, es handle sich um eine „Vorfrage“, um eine nicht (gänzlich) innerhalb der Erfolgszurechnung stehende Frage. Hierfür spricht auch die sich sogleich anschließende Zitierung von Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 69 ff., der ja bekanntlich den Schwerpunkt auf „Vorrang und Eigenständigkeit des tatbestandsmäßigen Verhaltens gegenüber der Erfolgszurechnung“ bzw. auf eine „rechtlich missbilligte Risikoschaffung“ legt, siehe dazu noch Wolter, GA 1991, 534 f., sowie unten S. 312 ff. 251  S / S28-Lenckner / Eisele und S / S-Eisele, Vorbem §§ 13 ff. Rn. 93. 252  Siehe dazu S / S28-Lenckner / Eisele und S / S-Eisele, Vorbem §§ 13 ff. Rn. 92. 253  Siehe dazu oben, S. 144 ff. 254  Es läge wenigstens ein Verstoß gegen das für die Strafrechtsdogmatik unverzichtbare Prinzip der Begriffsökonomie vor. Die Frage nach der Substratadäquanz 246  Siehe

247  Wortlaut



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Entweder ist das „unerlaubte Risiko“ kein originärer Aspekt der Sorgfaltspflichtverletzung, dann aber wären die oben getätigten Ausführungen Makulatur – was äußerst unwahrscheinlich erschiene –, oder die anhand des Vorsatzdeliktes entwickelte und die für die Fahrlässigkeitsstraftat unmittelbar für anwendbar erklärte Grundregel der objektiven Zurechnung bedarf einer Modifikation. Führt man diese Frage allerdings keiner ausdrücklichen Lösung zu, kann und darf es den Leser nicht verwundern, dass sich gewisse „Doppelungen“ im Schrifttum finden lassen, also scheinbar bereits abgehandelte Rechtsfiguren erneut fruchtbar gemacht werden: Gerade in Fällen, die früher unter Zuhilfenahme der Lehre vom Regressverbot gelöst wurden, werden unter anderem der Vertrauensgrundsatz und die soziale Adäquanz, die ja beide eigentlich schon den objektiven Sorgfaltsmaßstab bestimmen sollen, „auch“ zur Lösung von objektiven Zurechnungsproblemen herangezogen.255 Der Sache nach tauchen bei (vorgelagerter) unsauberer Bestimmung des Handlungsunwertes hier also alle Probleme um das „unerlaubte Risiko“ erneut bzw. besser gesagt erstmalig auf.256 cc) Um die Verwirklichung / die Realisierung etc. des unerlaubten Risikos kreisende Fallgruppen Hat man dem Täter nachgewiesen, ein unerlaubtes / rechtlich relevantes etc. Risiko begründet zu haben, bedarf es nach herrschender Meinung weiterhin der Feststellung, dass sich dieses Risiko in der Rechtsgutsschädigung verwirklicht / realisiert usw. hat. Demnach sei es für die Zurechnung ungenügend, wenn der Erfolg nicht als Auswirkung der unerlaubten Gefahr, „sondern nur in zufälligem Zusammenhang mit ihr eintritt.“257 Dies sei zum Beispiel bei atypischen Kausalverläufen der Fall: Das durch einen Tötungsversuch verletzte Opfer stirbt nicht an dem Anschlag selbst, sondern durch bleibe hier noch außer Betracht. – Zu diesen „beiden Fundamentalprinzipien einer jeden wissenschaftlichen Systembildung“ siehe auch Schünemann, JA 1975, 440. 255  Siehe dazu bei Kühl, Strafrecht AT, § 4 Rn. 49 ff.; vgl. auch Frisch, GA 2003, 723. 256  Besonders eindrucksvoll belegt Rengier, Strafrecht AT, § 52 Rn. 11, die ungeklärte Verortung des erlaubten Risikos: „Auch wenn sich die objektive Sorgfaltspflichtverletzung mit dem zur objektiven Zurechnung gehörenden Kriterium der Schaffung einer rechtlich missbilligten Gefahr überschneidet, sollte sie als Prüfungspunkt hervorgehoben werden“, man mag den Eindruck gewinnen, hier ginge es um Strafrechtsdogmatik als Selbstzweck. – Es sei auch darauf hingewiesen, dass Reyes, ZStW 105, insb. 128 ff., wohl nicht zuletzt aufgrund der zahlreich auftretenden Abschichtungsschwierigkeiten die Konsequenz ziehen will, „daß man die objektive Zurechnungslehre als Ersatz für das auffaßt, was traditionell als strafrechtlicher Handlungsbegriff bezeichnet wurde.“ 257  Roxin, Strafrecht AT, § 11 Rn. 69.

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das von einem Herzschlag ausgelöste Fallenlassen der Trage des herbeigerufenen Sanitäters.258 Ergänzend wird regelmäßig angemerkt: Die Auswirkungen allgemeiner Lebensrisiken habe jeder selbst zu tragen.259 Insgesamt versucht man also, innerhalb des Realisierungs- bzw. Risikozusammenhangs einen Abgleich zwischen der aus ex ante-Sicht zu bestimmenden Gefahrschaffung und dem ex post definierten Geschehensablauf vorzunehmen. (1) Die Lehre vom Schutzzweck der Norm Verletzt nun ein Täter eine gegen bestimmte Gefahrschaffungen gerichtete (Sonder-)Norm, begeht er zum Beispiel eine Geschwindigkeitsübertretung wider die Straßenverkehrsordnung oder kommt er dem ebenda normierten Beleuchtungsgebot nicht nach, und schafft somit eine rechtlich relevante Gefahr, habe man weiterhin260 zu prüfen, ob der verursachte Erfolg nicht als ein „außerhalb des Schutzbereichs der verletzten Norm“ stehendes Ereignis zu qualifizieren sei.261 Ein Beispiel: „Fahren zwei Radfahrer bei Dunkelheit ohne Licht hintereinander und stößt ein entgegenkommender Radfahrer mit dem ersten zusammen, so ist der zweite Radfahrer für den Unfall nicht verantwortlich, weil die für ihn bestehende Beleuchtungspflicht nicht den Sinn hat, daß andere Fahrzeuge beleuchtet werden.“262 Die nach Wessels / Beulke / Satzger, Strafrecht AT, Rn. 196. Strafrecht AT, § 4 Rn. 61. – Kühl räumt (a. a. O., Rn. 62) – unter Verweis auf Roxin, Armin Kaufmann-GS, S. 241 – jedoch ein, man könne im Falle der atypischen Kausalverläufe auch sagen, dass durch den Tötungsversuch als solchen schon „keine rechtlich relevante Gefahr für einen Unfalltod […] geschaffen wurde.“ 260  Dazu, wie sich die Lehre vom Schutzzweck der Norm in die „Grundformel“ genau einfügen soll, findet man im Schrifttum wenig: Nicht selten – hier nach Roxin, Strafrecht AT, § 11 Rn. 84 – liest man lediglich die lapidaren Feststellungen, dass zwar eine Überschreitung des erlaubten Risikos, sowie eine Gefahrverwirklichung vorliege, „eine Erfolgszurechnung aber trotzdem nicht stattfinden darf.“ – Wessels / Beulke / Satzger, Strafrecht AT, Rn. 674, 179, 182, wollen den Aspekt – anders als hier dargestellt – im Rahmen der rechtlich relevanten Gefahrschaffung einordnen. Wie es jedoch gelingen soll, die notwendig nachzuweisende objektive Sorgfaltspflichtverletzung nicht als „ein rechtlich relevantes Risiko“ zu qualifizieren, bleibt unklar. – Man beachte noch: Die Fallgruppe um den Schutzzweck der Norm wird oft als die praktisch wichtigste innerhalb der objektiven Zurechnung beim fahrlässigen Delikt angesehen. 261  Vgl. Frisch, GA 2003, 724. 262  Jescheck / Weigend, Strafrecht AT, § 55 II 2 b bb; unter Verweis auf RGSt 63, 392 ff. Interessant zu erfahren wäre es allerdings, inwieweit man überhaupt zur (nach allen Auffassungen notwendigerweise vorrangigen) Bejahung der Gefahrerhöhung durch den zweiten Radfahrer kommen sollte: Erhöht dieser durch das Radfahren ohne Licht das Risiko des Erfolgseintritts für den ersten oder bleibt dieses nicht vielmehr konstant (unveränderte Dunkelheit)? – Ein anderes, in diesem Zusammenhang oft zitiertes Beispiel (ebenfalls a. a. O. mit zahlreichen Verweisen auf die 258  Beispiel 259  Kühl,



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Schutzzwecklehre ist zwar zivilrechtlicher Provenienz,263 nunmehr aber grundsätzlich – bei freilich vorhandenen Kontroversen „im Detail“ – auch im Strafrecht fast allgemein anerkannt.264 Vorzugehen habe man bei dem Verfahren im Einzelnen wie folgt, wobei angemerkt wird, dass es „ziemlich kompliziert“ sei:265 Als erstes müsse festgestellt werden, „die Abwendung welcher spezifischen Gefahr die vom Handelnden übertretene Sorgfaltsnorm im einzelnen bezweckt, und anschließend zu prüfen, ob gerade diese spezifische Gefahr sich im eingetretenen Erfolg realisiert hat“; ebenso gut könne man aber auch umgekehrt vorgehen, indem man zuerst ermittle, „welche spezielle Gefahr sich im verursachten Erfolg verwirklicht hat, und dann weiter fragt, ob die vom Täter verletzte Sorgfaltsnorm gerade dieser speziellen Gefahr entgegen wirken wollte.266 Insbesondere müsse man darauf Rechtsprechung) sei außerdem noch angeführt: „Die Tatsache, daß ein Kraftfahrer bei Einhaltung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit die Unfallstelle erst erreicht haben würde, nachdem sie der Verunglückte bereits passiert hatte, [ist] für den Erfolg irrelevant, denn Geschwindigkeitsbegrenzungen haben nicht den Zweck, das Eintreffen des Kraftfahrers an einem bestimmten Ort zu verzögern.“ Dieser Fall erscheint aber deshalb nicht vollumfänglich passend, da er mitunter auch ohne Rückgriff auf originäre Schutzzwecküberlegungen – siehe zum Beispiel Roxin, Strafrecht AT, § 11 Rn. 75, (vgl. aber auch a. a. O., Rn. 87) – gelöst wird. Ob dieser Fall also zum – wenn es so etwas überhaupt gibt – „gesicherten“ Schutzzweckkanon gehört, kann nicht mit Sicherheit beschieden werden. 263  Im Zivilrecht erschien die Entwicklung normativer Zurechnungselemente schon deshalb von besonderer Bedeutung, „weil das Verschulden – anders als im Strafrecht – als Korrektiv nicht in allen Fällen zur Verfügung steht“, siehe dazu Rönnau / Faust / Fehling, JuS 2004, 116. – Die Schutzzwecklehre wird im Zivilrecht dazu verwandt, die Adäquanztheorie zu ersetzen – in diesem Sinne exemplarisch v. Caemmerer, in: Gesammelte Schriften I, S. 395 ff. –, bzw. nach anderer Ansicht, diese zu ergänzen, so beispielsweise Deutsch / Ahrens, Deliktsrecht, § 5 Rn. 56. – Siehe ferner noch Haas, in: Zurechnung, S. 200 f. (Hervorhebung im Original), der außerdem auf die enge Verbindung von der (zivilrechtlichen) Schutzzwecklehre und den (gegenüber der Allgemeinheit geltenden) Verkehrssicherungspflichten hinweist; „Zweck der Verhaltensnorm muss es sein, den Eintritt gerade dieser Rechtsgutsschädigung zu verhindern.“ 264  Siehe nur Burgstaller, Fahrlässigkeitsdelikt, S. 96 ff.; S / S-Eisele, Vorbem §§ 13 ff. Rn. 95; Erb, JuS 1994, 453 f.; LK11-Jescheck, Vor § 13 Rn. 67; Kretschmer, Jura 2000, 275; Krümpelmann, Bockelmann-FS, S. 443 ff.; Roxin, Strafrecht AT, § 11 Rn.  84 ff.; Rudolphi, JuS 1969, 549 ff.; S / S-Sternberg-Lieben / Schuster, § 15 Rn. 157. – Dass es die Lehre vom Schutzzweck der Norm freilich nicht gibt, weist zu Recht Degener, Schutzzweck der Norm, S. 511, 50 f., unter vorheriger Darstellung der vertretenen Meinungen, S. 19 ff., auf; und formuliert (a. a. O., S. 50) sodann: „Überspitzt: Jeder Vertreter einer strafrechtlichen Schutzzwecklehre pflegt seine ‚private‘ Sammlung von Fallkonstellationen; diese werden zumeist beliebig aneinandergereiht.“ 265  Burgstaller, Fahrlässigkeitsdelikts, S. 96. 266  Burgstaller, Fahrlässigkeitsdelikts, S. 97; siehe dazu auch Rudolphi, JuS 1969, 552.

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achten, „die Zweckbestimmung der übertretenen Sorgfaltsnorm nicht zu allgemein zu formulieren“,267 sowie darauf, dass die (strafrechtliche) Lehre vom Schutzbereich der Norm – anders als im Zivilrecht – nicht das Ziel des gerechten Schadensausgleichs verfolge, sondern darauf ausgerichtet sei, eine kriminalpolitisch sachgemäße Reaktion zu begründen268: „Bei der Ermittlung des Schutzbereichs der übertretenen Norm ist ‚immer auf die Rechtsfolge der Strafe hin zu fragen.‘ “269 Darauf, dass der – teilweise auch so genannte – Schutzzweckzusammenhang einer rein strafrechtlich teleologischen Ausgestaltung bedürfe, weist auch Schünemann explizit hin: „Die Erfolgszurechnung ist deshalb im Strafrecht nur dann kriminalpolitisch sinnvoll, wenn sie sich in einen generalpräventiven Wirkmechanismus einfügen läßt.“270 Uneins ist man sich aber in der Frage, ob der soeben dargestellte Gedanke noch einer (weitergehenden) Ausdifferenzierung bedarf, d. h. ob es innerhalb der Fälle eines umfassenden Schutzzwecks der Norm noch weitere, andersartige gibt, die eine Abschichtung notwendig machten. Nicht selten wird die Schutzzwecklehre äußerst extensiv verstanden – so unter anderem von den Autoren Rudolphi und Schünemann, sowie grundsätzlich auch von Burgstaller.271 Dagegen verficht Roxin einen (leicht) differierenden Ansatz: In grundsätzlicher Übereinstimmung betont er zwar, dass der „Schutzbereich der Norm“ im Sinne des jeweiligen Rechtsgebietes ausgelegt werden müsse – im Strafrecht bedürfe es „kriminalpolisch sachgemäßer Reaktionen“ –,272 scheint diese Herangehensweise und die nach diesem Prinzip zu lösenden Fallgestalten aber sodann mit dem Terminus des Schutzzwecks der Tatbestandsnorm273 erfassen bzw. diese neuerdings unter die Begrifflichkeit 267  Burgstaller,

Fahrlässigkeitsdelikts, S. 97. insofern auch Rudolphi, in: Grundfragen, S. 69 ff., insb. 82 f. 269  Burgstaller, Fahrlässigkeitsdelikts, S. 98. 270  Schünemann, GA 1999, 214. 271  Zu Unterschieden im Einzelnen siehe Degener, Schutzzweck der Norm, S. 20 ff. – Dass Burgstaller das Kriterium „Schutzzweck der Norm“ unter dem Synonym „Risikozusammenhang“ darstellt, wurde bereits am Rande erwähnt; siehe auch hierzu – wiederum vertiefend – Degener, Schutzzweck der Norm, S. 34 ff. 272  Roxin, Honig-FS, S. 144 f., wo sich ferner folgende Feststellung findet: Man könne „gegebenenfalls etwas zivilrechtlich als Tötungshandlung betrachten […], was strafrechtlich diese Bezeichnung nicht verdient.“ – Darauf, dass Roxin (a. a. O.) auf die Tötungshandlung und nicht auf den Aspekt des tatbestandlichen Erfolges rekurriert, sei nur am Rande hingewiesen. 273  So noch Roxin, Gallas-FS, S. 241 ff.; sich diesem grundsätzlich anschließend Wolter, Zurechnung, S. 341 ff., der die Fälle der „eigentlichen Schutzzweckproblematik“, bei der sich der Blick auf den nachgeordneten Straftatbestand selbst (exemplarisch § 222 StGB) zu richten habe, von den unechten Fällen des Normschutzzwecks scheiden will; bei letztgenannten gehe es um „die übertretene vorgelagerte 268  Siehe



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der „Reichweite des Tatbestandes“ subsumieren zu wollen.274 Den Zurechnungsausschluss bei Erfolgen, die nicht durch den Schutzzweck der Sorgfaltsnorm gedeckt werden, scheint er dagegen „allem Anschein nach nicht rechtsgebietsspezifisch“ auszudeuten.275 Roxin differenziert demnach – wohl anders als die oben Zitierten – im Rahmen eines potentiell weit verstehbaren Schutzzweckzusammenhanges zwischen strafrechtlichen Verhaltensnormen („das Tötungs-, Verletzungs-, Beschädigungsverbot usw.“) und solchen Normen, die das erlaubte Risiko begrenzen, den Sorgfaltsnormen („das Beleuchtungsgebot […] usw.“).276 Festzuhalten ist insofern, dass der Bereich des Schutzzwecks der Sorgfaltsnorm demnach inhaltlich dezimiert erscheint und dass die zahlreiche Fallgruppen umfassende und prüfungstechnisch nachgelagerte Kategorie der „Reichweite des Tatbestandes“ neuerdings gar ohne den Terminus des Schutzzwecks auskommt. Diese unter anderem von Roxin nun befürwortete abschichtende (restriktive) Darstellung277 soll auch im Folgenden zugrunde gelegt werden. Dass nicht wenige Autoren allerdings ein weiteres Verständnis an die „Lehre vom Schutzzweck der (Sorgfalts-)Norm“ herantragen und dementsprechend unter diesem Terminus zahlreiche (unten noch zu behandelnde, vgl. dd), äußerst heterogene) Fallgestalten diskutiert wissen wollen, sei hier nochmals betont.278

Schutznorm“. Wolter, GA 1991, 536, 551, hat sich jedoch in der Zwischenzeit in Bezug auf die Schutzzwecklehre äußerst kritisch geäußert: Er bezeichnet selbige als farblos, sowie er anfügt, dass „Gesichtspunkte wie die Eigenverantwortlichkeit des Opfers oder der Vertrauensgedanke […] sich nur schwer als Konkretisierung eines Schutzzweckansatzes begreifen [lassen].“ 274  Roxin, Strafrecht AT, § 11 Rn. 87, 106 ff., insb. Fn. 184. 275  So schon deutlich Haas, in: Zurechnung, S. 201. 276  Roxin, Strafrecht AT, § 11 Rn. 87. – Man beachte aber, dass insgesamt eine eigentlich notwendige normentheoretische Diskussion keineswegs stattfindet. Als überdurchschnittlich in Bezug auf die Normfundierung muss bereits die folgende Feststellung von Kühl, Strafrecht AT, § 17 Rn. 68, gelten: „Unter ‚Norm‘ ist dabei eine begrenzte Sorgfaltsnorm zu verstehen, die nur dem Eintritt bestimmter Erfolge gegensteuern will.“ 277  Ein Probleme abschichtendes und insofern restriktives Verständnis von der Schutzzwecklehre vertreten unter anderem auch S / S-Eisele, Vorbem §§ 13 ff. Rn. 95, 100 ff., die zahlreiche der sonst im Rahmen der Schutzzwecklehre diskutierten Fälle (wie diejenige der durch „Dritt- bzw. Opferverhalten vermittelten Kausalität“) nicht im Rahmen der „Grundregel“ der objektiven Zurechnung abhandeln wollen, sondern eine Lösung „durch eine aus dem Verantwortungsprinzip abzuleitende Lehre von den Verantwortungsbereichen“ anstreben; vgl. ferner Kühl, Strafrecht AT, § 4 Rn. 75 ff. 278  Siehe insofern noch die Literaturzusammenschau bei Degener, Schutzzweck der Norm, insb. S. 44 f., wobei zu beachten ist, dass Degener auch die „neuere“ Ausdifferenzierung Roxins als eine extensive begreift.

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(2) Der Pflichtwidrigkeitszusammenhang Als weitere, der Sache nach ebenfalls weitgehend unbestrittene Einschränkung der als zu weit empfundenen Kausalitätshaftung soll nach herrschender Auffassung noch der sog. Pflichtwidrigkeitszusammenhang279 zu prüfen sein:280 Für den Zusammenhang zwischen dem pflichtwidrigen Verhalten des Täters und dem Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolges habe man zu verlangen, „dass sich im konkreten Erfolg gerade die ‚Pflichtwidrigkeit‘ des Täterverhaltens, dh diejenige rechtlich missbilligte Gefahr verwirklicht hat, die durch die Sorgfaltspflichtverletzung des Täters geschaffen worden ist.“281 Mit diesem Kriterium sei es möglich, Fälle auszuscheiden, in denen ein sog. rechtmäßiges Alternativverhalten den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges auch nicht verhindert hätte.282 Zur Veranschaulichung: Wird bei einer Operation zu Narkosezwecken fehlerhafterweise Kokain statt Novokain verwendet und stirbt der Patient daran, sei die objektive Zurechnung jedoch dann ausgeschlossen, wenn das Opfer – infolge einer gegen jede Art von Narkotika bestehenden Überempfindlichkeit – auch bei Anwendung von Novokain gestorben wäre.283 Wäre – wie augenscheinlich im 279  Auf einige der zahlreich vorhandenen abweichenden Termini ist schon oben in Fn. 241 (Kap. 3) hingewiesen worden. Siehe außerdem noch exemplarisch Puppe, ZStW 99 (1987), 601, die die Begrifflichkeit „Kausalität der Sorgfaltspflichtverletzung“ verwendet, insofern jedoch sogleich bemerkt, dass der Ausdruck zwar sprachlich inkorrekt sei, aber den richtigen Ort des Problems angebe; vgl. ferner Küper, Lackner-FS, S.  247 ff. 280  Es ist auch hier wiederum darauf hinzuweisen, dass sich im Schrifttum kaum explizite Stellungnahmen finden lassen, wie sich der „Pflichtwidrigkeitszusammenhang“ in die „Grundformel“ der objektiven Zurechnung integrieren lassen soll. Ungeachtet dessen scheint die herrschende Auffassung, diesen Aspekt im Rahmen der Erfolgsrealisierung behandeln zu wollen (Küper, Lackner-FS, S. 255, prägt insofern den Begriff „Realisierungstheorie“). Siehe insofern auch die – wohl selbstkritisch zu verstehenden – Ausführungen von Kühl, Strafrecht AT, § 17 Rn. 54 ff. 281  Wessels / Beulke / Satzger, Strafrecht AT, Rn. 675. – Siehe ferner nur noch Burgstaller, Fahrlässigkeitsdelikt, S. 129 ff.; S / S-Eisele, Vorbem §§  13 ff. Rn.  99 f.; Jescheck / Weigend, Strafrecht AT, § 55 II 2 b aa; Kühl, Strafrecht AT, § 17 Rn. 47; vgl. außerdem Bindokat, JuS 1985, 32 ff. 282  Dass es sich dabei nach herrschender Auffassung um ein auf rein hypothetischen Annahmen beruhendes Verfahren handelt, sei bereits hier ausdrücklich betont. Neben der sogleich darzustellenden Hauptkontroverse bestehen demgemäß zahlreiche, hier aus Raumgründen nicht darstellbare Streitigkeiten, insbesondere dergestalt, welche Faktoren man in die Hypothesenbildung einzubeziehen habe. – Schatz, NStZ 2003, 583, betont insofern: Hier „fangen die eigentlichen Schwierigkeiten […] an“; vgl. ferner NK-Puppe, Vor § 13 Rn. 200 ff. 283  Fall nach Jescheck / Weigend, Strafrecht AT, § 55 II 2 b aa, der ihn – ohne darauf gesondert aufmerksam zu machen – dem Urteil RG, JR 1926 Band II: Die Rechtsprechung (später: HRR), Nr. 2302, nur nachempfindet, da es dort heißt, dass der Erfolg bei sachgerechtem Verhalten nur möglicherweise verhindert worden wäre.



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soeben zitierten Fall – der Erfolgseintritt also ebenso „bei sorgfaltsgemäßem Verhalten mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht vermieden worden“, scheinen hinsichtlich der Lösung des Falles keinerlei Zweifel zu bestehen – soll heißen: Straflosigkeit.284 Äußerst umstritten ist die Reichweite dieses Zurechnungsausschlusses dagegen, wenn der tatbestandliche Erfolg nicht sicher, sondern nur wahrscheinlich oder gar lediglich möglicherweise verhindert worden wäre. In der Nachkriegszeit entbrannten diese Streitigkeiten insbesondere bei der Lösung des sog. „Radfahrerfalles“:285 Ein Lastzugfahrer überholt einen Radfahrer mit einem zu geringen Seitenabstand von 75 cm. Während des Überholvorganges gerät der mit einem Blutalkoholgehalt von 1,96 ‰ fahrende Radler aufgrund einer alkoholbedingten Kurzschlussreaktion – er zieht das Fahrrad nach links und stürzt – unter den rechten Hinterreifen des Anhängers. Es wird festgestellt, dass sich der Unfall mit „hoher Wahrscheinlichkeit in gleicher Weise zugetragen haben würde“, falls der Lastzugfahrer einen „genügenden Zwischenraum von 1 bis 1,50 m eingehalten hätte.“286 Der Bundesgerichtshof ist bei der Beurteilung dieses Falles zu dem Ergebnis gekommen, dass die vom Lastzugfahrer gesetzte Bedingung „nach rechtlichen Bewertungsmaßstäben für den Erfolg“ nicht „bedeutsam“ war; angeführt wird dazu, dass man den Grundsatz im „Zweifel für den Angeklagten“ nicht unsachgemäß einengen dürfe.287 Die danach mehrfach bestätigte und inzwischen als gesichert geltende Rechsprechung288 sowie die herrschende Literatur sprechen demnach nicht nur dann frei, „wenn die Unvermeidbarkeit 284  So jedenfalls Jescheck / Weigend, Strafrecht AT, § 55 II 2 b aa. – Anderer Auffassung aber die bei Hillenkamp, 32 Probleme Strafrecht AT, S. 235 f., so bezeichneten Vertreter der „Kausalitätstheorie“: Siehe dazu nur Binavince, Fahrlässigkeitsdelikte, S. 220 f., und Spendel, Schmidt-FS, S. 194 ff. 285  BGHSt 11, 1 ff. – Die Diskussion setzte jedoch freilich schon früher ein und beschäftigte bereits RGSt 15, 151 ff. (hier leicht vereinfacht): Ohne die Vorlage eines neuen Rezeptes verabfolgt ein Apotheker eine giftige Arznei, an der der Patient hernach stirbt. Dafür, dass der behandelnde Arzt das Rezept auf Anfrage erneuert hätte, besteht aber eine Wahrscheinlichkeit, da es zum Zeitpunkt der Aushändigung an einem äußeren Anlass mangelte, die Kur zu unterbrechen. Siehe ebenfalls RGSt 63, 211 ff. (auch dieser leicht vereinfacht): Nicht desinfizierte chinesische Ziegenhaare, die ein Fabrikant zum Zwecke der Pinselherstellung verarbeiten lässt, führen durch Milzbrandbazillen zum Tode von mehreren Arbeitern; jedoch wäre die Ansteckungsgefahr auch durch eine Desinfektion nicht völlig auszuschließen gewesen. 286  BGHSt 11, 5. 287  BGHSt 11, 6 f. – Hinzuweisen ist an dieser Stelle nochmals darauf, dass die höchstrichterliche Rechtsprechung den Terminus der objektiven Zurechnung meidet, jedoch – im direkten Vergleich mit Stellungnahmen aus dem Schrifttum – gleichgelagert argumentiert. 288  Siehe insofern nur BGHSt 21, 59, 61; BGHSt 25, 31, 34; vgl. auch BGHSt 37, 106, 127.

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Kap. 3: Kritische Darstellung des aktuellen Sach- und Streitstandes

mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststeht, sondern bereits dann, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der tatbestand­ liche Erfolg auch bei sorgfältigem, fehlerfreiem Verhalten möglicherweise eingetreten wäre“ (Lösung nach der Formel „in dubio pro reo“).289 Dieser im Schrifttum oftmals als „Vermeidbarkeitstheorie“290 bezeichneten Auffassung tritt aber die von Roxin begründete,291 inzwischen zahlreiche Anhänger zählende, so genannte „Risikoerhöhungstheorie“ entgegen.292 Kernaussage selbiger ist folgende (hier am Radfahrerfall veranschaulicht): „Überschreitet der Täter […] das erlaubte Risiko und tritt nunmehr der Erfolg als Auswirkung der im Überholen liegenden Gefahr ein, so ist er als Realisierung einer verbotenen Gefahr zurechenbar. Es besteht keine Veranlassung, dem Täter auch hier das Risiko abzunehmen und ihn freizusprechen; denn die äußere Grenze des tolerierbaren Risikos wird durch den gesetzlichen Sicherheitsabstand gezogen. Jede Erhöhung dieses Risikos lässt die Folgen über den Täter kommen.“293 Das von der Gegenauffassung hiergegen vorgebrachte Argument, es liege bei einer solchen Sicht der Dinge ein Verstoß gegen „in dubio pro reo“ vor, sei bereits deshalb unrichtig, da es nicht möglich sei, „zwischen einem erlaubten Teil und einem unerlaubten Teil der Gefährdung zu trennen und deshalb die Erfolgszurechnung mit der Begründung zu verneinen, daß es nicht feststehe, ob sich in dem Erfolgseintritt nur das erlaubte oder (auch) das unerlaubte Quantum der verursachten Gefährdung realisiert habe“; missbillige der Gesetzgeber „die Gefährlichkeit einer Handlung und die dadurch bewirkte tatsächliche Gefährdung eines Rechtsgutes von einem bestimmten Grad an“, so missbillige „er damit die das erlaubte Maß übersteigende Gefährlichkeit eines Verhaltens ebenso in ihrer Gesamtheit wie die durch dieses Verhalten begründete, das erlaubte Maß übersteigende konkrete Gefährdung“.294 Auch der weitergehende Vor289  Wessels / Beulke / Satzger, Strafrecht AT, Rn. 681. – Siehe ferner nur Kretschmer, Jura 2000, 274; Krümpelmann, GA 1984, 491 ff.; Schlüchter, JuS 1977, 107 f.; S / S-Sternberg-Lieben / Schuster, § 15 Rn. 173 ff., insb. 179; vgl. außerdem noch – jedoch auf differierender theoretischer Grundlage – Toepel, Pflichtwidrigkeitszusammenhang, S. 128 ff., zusammenfassend S. 222 ff. 290  Vgl. nur Schatz, NStZ 2003, 583. 291  Siehe insofern Roxin, ZStW 74 (1962), 430 ff.: „Das Prinzip der Risikoerhöhung“; Roxin, ZStW 78 (1966), 217 ff. 292  Siehe dazu exemplarisch nur noch Burgstaller, Fahrlässigkeitsdelikt, S. 135 ff. und Lackner / Kühl, StGB, § 15 Rn. 44. 293  Roxin, Strafrecht AT, § 11 Rn. 89. 294  SK-Rudolphi, 26. Lieferung, Vor § 1 Rn. 68. – Bemerkenswert ist, dass Roxin, Strafrecht AT, § 11 Rn. 91, in diesem Zusammenhang wiederum auf das Argumentationsmuster „Schutzzweck der Sorgfaltsnorm“ – trotz vordergründiger Separierung dieser Bereiche – zurückgreifen will. Vgl. ferner Roxin, (a. a. O., Rn.  104 f.), wo dieser betont, dass die Risikoerhöhungstheorie um Schutzzwecküberlegungen er-



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wurf, die Risikoerhöhungslehre verwandle Verletzungsdelikte in Gefähr­ dungsdelikte,295 könne keinen Bestand haben, „weil die Zurechnung eines Erfolges zum objektiven Tatbestand immer nur durch eine vom Täter geschaffene Gefährdung vermittelt wird.“296 dd) „Weitere Zurechnungskriterien“ bzw. um die „Reichweite des Tatbestandes“ kreisende Fallgruppen Bereits oben wurde deutlich gemacht, dass der ganz überwiegende Teil der „herrschenden Literatur“ weitere Fallgruppen als für die objektive Zurechnungslehre – hier sei eine ganz unspezifische Formulierung gewählt – „relevant“ betrachtet. Die Schwierigkeit, diese quasi übriggebliebenen Fallgestalten einer Darstellung zuzuführen, liegt nun zum einen in der Tatsache begründet, dass der – so die Eigenwahrnehmung jener Autoren – „gegenwärtige Diskussionstand […] von einer abschließenden Klärung weit entfernt [ist]“297 und zum anderen darin, dass sich die Fallgruppen augenscheinlich kaum auf einen gemeinsamen Nenner bringen lassen – worauf zumindest das Fehlen einer inhaltlich aussagekräftigen Definition hindeutet (bereits das Finden einer Überschrift müsste mitunter als deutlicher Gewinn bezeichnet werden). Dass zahlreiche Autoren die folgenden Problembereiche in unmittelbarer Verbindung mit der Grundformel der objektiven Zurechnungslehre, insbesondere im Zusammenspiel mit Schutzzwecküberlegungen behandeln wollen, sich aber insofern einer genauen Erläuterung enthalten, sollte hinlänglich klar geworden sein; der Leser wundere sich also nicht, wenn er zum Beispiel die „eigenverantwortliche Selbstgefährdung“ an jener Stelle „unmittelbar“ verortet findet.298 Bei der Sichtung der Fallgestalten stößt man trotz derer grundsätzlich vorhandenen Heterogenität gänzt werden könne – dies unter Aufweis von zwischen Risikoerhöhungs- und Vermeidbarkeitstheorie vermittelnden Positionen (siehe insofern Krümpelmann, Jescheck-FS, insb. S. 331 (Theorie der normativen Korrespondenz), und Ranft, NJW 1984, 1425 ff.). 295  In diesem Sinne aber unter anderem Küpper, Strafrechtsdogmatik, S. 102; LK-Schroeder, § 16 Rn. 190; Baumann / Weber / Mitsch, Strafrecht AT, § 14 Rn. 87; sowie Ebert / Kühl, Jura 1979, 573. 296  Roxin, Strafrecht AT, § 11 Rn. 93. – In diesem Sinne grundlegend Stratenwerth, Gallas-FS, 237 f.; siehe ferner SK-Rudolphi, 26. Lieferung, Vor § 1 Rn. 70; Wolter, Zurechnung, S. 36 f.; sowie Schünemann, StV 1985, 230, der im Übrigen behauptet, eine „normativ reformierte Risikoerhöhungstheorie“ zu verfechten (a. a. O., 231). 297  Lackner / Kühl, StGB, § 15 Rn. 45. 298  Die verschiedenartigen Einordnungen scheinen auch nicht (besonders) zu stören, zitiert man sich doch – wie so oft – regelmäßig gegenseitig, ohne irgendwelcher Diskrepanzen aufzuweisen. – Einen ersten Überblick zu den verschiedenen

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jedoch auf ein wiederkehrendes Argumentationsmuster; soweit im Schrifttum Stellung bezogen wird, sieht man sich mit folgenden oder ähnlich lautenden Formulierungen konfrontiert: Die Grundregel der objektiven Zurechnungslehre sei „durch eine aus dem Verantwortungsprinzip abzuleitende Lehre von den Verantwortungsbereichen zu ergänzen“;299 sowie: „Das Prinzip der Eigenverantwortlichkeit hat sich zunehmend zu einem selbständigen Prinzip der Lehre von der objektiven Zurechnung entwickelt“.300 Dieses „Verantwortungs-“,301 „Eigenverantwortungs-“302 bzw. „Eigenverantwortlich­ keitsprinzip“303 soll bunteste Aufgaben erfüllen: Es ermögliche, „Inhalt und Reichweite der Gefährdungsverbote und damit die Grundregel zu konkretisieren. Außerdem hat es insofern jedoch auch eine eigenständige Bedeutung, als es deren Ergebnisse zT korrigiert.“304 Insbesondere führe ein solches nicht nur erläuterndes, sondern vielmehr berichtigendes Kriterium zu differenzierteren Lösungen als es die Regressverbots- und verwandten Theorien ermöglichten, „wenn von diesen der Zurechnungszusammenhang erst beim freien Eintritt eines vorsätzlich oder in Kenntnis der Gefahrensituation Handelnden in die vom Erstverursacher in Gang gesetzte Kausalreihe verneint wird […] oder eine Haftung bei einem nachträglichen Fehlverhalten eines voll verantwortlichen Dritten stets entfallen soll.“305 Grundfeste des Prinzips sei, „dass jeder grundsätzlich nur für sein eigenes Verhalten verantwortlich ist“; womit zugleich – quasi als Kehrseite – einhergehe, „dass man für das eigenverantwortliche Verhalten anderer Personen grundsätzlich nicht verantwortlich ist.“306 Relevant soll dies vor allem in Fällen so genannter „Mitwirkung an fremder eigenverantwortlicher Selbstgefährdung“ werden – insbesondere (womöglich gar ausschließlich)307 bei der (Mit-)Herbeiführung von lebensbeTheorien der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung bzw. einverständlichen Fremdgefährdung gibt Lasson, ZJS 2009, 359 ff. 299  S / S-Eisele, Vorbem §§ 13 ff. Rn. 100. 300  Kühl, Strafrecht AT, § 4 Rn. 83; fast gleichlautend Wessels / Beulke / Satzger, Strafrecht AT, Rn. 185. 301  Dies ist der Terminus den S / S-Eisele, Vorbem §§ 13 ff. Rn. 100, verwendet. 302  So die Formulierung von Kretschmer, Jura 2000, 275. 303  Diese Begrifflichkeit präferieren Wessels / Beulke / Satzger, Strafrecht AT, Rn. 684. 304  S / S-Eisele, Vorbem §§ 13 ff. Rn. 100. 305  S / S-Eisele, Vorbem §§ 13 ff. Rn. 100. 306  Kühl, Strafrecht AT, § 4 Rn. 84; sowie nahezu wortgleich Kretschmer, Jura 2000, 275. 307  Man beachte, dass sowohl die Fallgruppe der sog. eigenverantwortlichen Selbstgefährdung, wie auch die später zu diskutierende Rechtsfigur der sog. einverständlichen Fremdgefährdung (nahezu) ausschließlich für die Fälle konkret bestehen-



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drohenden Risiken. Eine solche Fallgestalt habe dem Bundesgerichtshof im „1. Heroinspritzenfall“ vorgelegen: Hier wurde einem Drogensüchtigen – dem späteren Opfer – eine noch leere Spritze zu Zwecken des Heroinkonsums überlassen; nach selbständiger Befüllung und Benutzung dieser verstarb der Drogensüchtige, während der am Tatort mitkonsumierende Spritzenbeschaffer überlebte.308 Entgegen den in früherer Rechtsprechung309 entwickelten Grundsätzen wurde der die noch ungefüllte Spritze Überlassende nicht wegen fahrlässiger Tötung verurteilt – ohne dass sich der Bundesgerichtshof allerdings zu einer systematischen Einordnung seines entwickelten (untechnisch gesprochen) „Strafbarkeitsausschlusses“ bekannt hätte. Dem erzielten Ergebnis stimmt aufgrund des oben aufgewiesenen Grund­ satzes auch die Literatur weitgehend zu, da der Tod „ausschließlich Werk des Opfers“ sei, könne er „dem dafür nur eine Bedingung Setzenden nicht objektiv zugerechnet werden.“310 In der praktischen Anwendung dieser Fallgruppe zeigen sich jedoch – trotz scheinbarer Klarheit – beachtliche Schwierigkeiten. So ist insbesondere die Frage umstritten, welche Anforderungen man an die „Freiverantwortlichkeit“ des Opfers zu stellen habe.311 der Lebensgefahren herangezogen werden, ohne dass auf diese (zumindest dem ersten Anschein nach) beachtliche Eingrenzung eingegangen würde. Bereits hier sei der Verdacht mitgeteilt, dass zumindest die Fallgruppe der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung womöglich den einzigen Zweck erfüllt, die wohl als problematisch empfundenen gesetzlichen „Schranken der Autonomie, die die §§ 216, 228 der Disposition über das eigene Leben bzw über die Körperintegrität setzen,“ (Formulierung nach Wessels / Beulke / Satzger, Strafrecht AT, Rn. 190d) partiell außer Kraft zu setzen. 308  Siehe insofern BGHSt 32, 262 ff. – Zu weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung siehe exemplarisch Fischer, StGB, Vor § 13 Rn. 36a. 309  Zu dieser „Wendung der Rechtsprechung“ siehe noch Roxin, Strafrecht AT, § 11 Rn. 110. 310  Siehe nur Kühl, Strafrecht AT, § 4 Rn. 86. – Man beachte aber, dass noch zahlreiche weitere Argumentationslinien zur „Absicherung“ dieses Ergebnisses herangezogen werden. Insbesondere bedient man sich folgenden Gedankengangs, hier mit den Worten von Schünemann, ZStW 1982, 62 (Hervorhebung im Original), wiedergegeben: „Die Bestrafung jeglicher Mitwirkung an einer zur Selbstverletzung führenden fremden Selbstgefährdung würde angesichts der Straflosigkeit der vorsätzlichen Selbstmordteilnahme zu schweren Wertungswidersprüchen führen, weil die Rechtsgutsverletzung in beiden Fällen auf den freien Handlungen des Rechtsguts­ trägers beruht und die bloße Mitwirkung an einer Selbstgefährdung als schwächere Form nicht intensiver bestraft werden darf als die stärkere Form der vorsätzlichen Selbstmordbeförderung.“ Vgl. ferner Otto, Schlüchter-GS, insb. S. 80 ff. 311  Ein Teil des Schrifttums präferiert hier die für eine Fremdschädigung geltenden Exkulpationsregeln, vgl. § 20 StGB, sowie § 35 StGB, § 3 JGG, siehe insofern nur Dölling, GA 1984, 78, sowie 74 i. V. m. Fn. 21, vgl. weiterhin Roxin, Strafrecht AT, § 11 Rn. 114. Die Gegenauffassung hält jedoch den strengeren Maßstab der Einwilligungsfähigkeit des Selbstschädigers für berechtigt, siehe dazu nur Amelung, NJW 1996, 2395 ff., und Otto, Tröndle-FS, S. 174.

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Noch größere Probleme tun sich jedoch auf, versucht man die Grenzen dieses Instituts auszuloten – gerade in Abgrenzung zur Rechtsfigur der (hier exkursorisch zu behandelnden) sog. „einverständlichen Fremdgefährdung“, für die Roxin bereits im einleitenden Satz innerhalb des ihr gewidmeten Kapitels festhält, es handle sich um eine „noch wenig erschlossene Fall­ gruppe“.312 Letztere soll dann vorliegen, „wenn sich jemand der von einer anderen Person drohenden Gefahr im Bewusstsein des Risikos aussetzt, diese Person aber die Tatherrschaft über das Geschehen innehat.“313 In der soeben dargestellten Umschreibung scheint schon das Abgrenzungskriterium zu den Fällen der „eigenverantwortlichen Selbstgefährdung“ durch, das (unter anderem) der Bundesgerichtshof ganz ausdrücklich in der „Trennungslinie zwischen Täterschaft und Teilnahme“ finden will.314 Der Anwendungsbereich der (mittelbaren) Täterschaft – mit anderen Worten: das Kriterium der Tatherrschaft – wird vielfach jedoch äußerst extensiv verstanden, um dem Handelnden nicht das „Privileg“ der Tatbestandslosigkeit – die nach dem Bundesgerichtshof ja nur für die eigenverantwortliche Selbstgefährdung, nicht aber für die einverständliche Fremdgefährdung gelten soll – zuteil werden zu lassen. So könne die Strafbarkeit dort beginnen, „wo der sich Beteiligende kraft überlegenen Sachwissens das Risiko besser erfasst als der sich selbst Gefährdende“;315 dies sei selbst dann der Fall (hier veranschaulicht am Fall des ungeschützten Sexualkontaktes eines HIV-Infizierten), „wenn der Betroffene, der das konkrete Risiko einer HIV-Übertragung nicht erkannt hat, damit rechnet, daß er den Sexualkontakt mit einer Person ausübt, die einer der sog. Risikogruppen angehört.“316 Ungeachtet des soeben zitierten Falles hält es der Bundesgerichtshof bei einer tatbestandsmäßigen einverständlichen Fremdgefährdung aber für möglich (deshalb erfolgte der obige Hinweis exkursorischer Behandlung), dass „der täterschaftlich Handelnde noch aufgrund der Einwilligung des Geschädigten gerechtfertigt ist.“317 Neben diesem Ergebnis zumindest in systematischer Hinsicht zu312  Roxin,

Strafrecht AT, § 11 Rn. 121. StGB, Vor § 13 Rn. 37. 314  BGHSt 49, 34, 39; mit zustimmender Anmerkung Sternberg-Lieben, JuS 2004, 955, Fn. 1; weitere Fälle in denen der BGH auf das Tatherrschaftskriterium abstellt liefert unter anderem Beulke, Otto-FS, S. 208 ff. 315  BGHSt 32, 262, 265. 316  BGHSt 36, 1, 18. – Zustimmend auch LK-Schünemann, § 25 Rn. 111, der jedoch zumindest darauf aufmerksam macht, dass der Bundesgerichtshof und andere diese Konstellation nicht „in die Rubrik der mittelbaren Täterschaft eingereiht haben.“ 317  BGHSt 49, 34, 40 (Hervorhebung von mir); vgl. auch BGHSt 49, 166, 169 ff. – Man beachte aber, dass der Bundesgerichtshof in beiden Fällen (das Opfer verstarb jeweils), gerade keine rechtswirksame Einwilligung angenommen hat. – Um die Konfusion um die Einordnung „abzurunden“, sei noch auf das Urteil BGHSt 4, 313  Fischer,



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stimmenden literarischen Stellungnahmen318 will jedoch ein nicht unbeachtlicher Teil des Schrifttums auch (gewisse) Fälle der einverständlichen Fremdgefährdung nicht erst auf der Ebene des Unrechtsausschlusses, also bei der Einwilligung319, sondern bereits im Rahmen der Tatbestandsmäßigkeit, das heißt bei der objektiven Zurechnung behandelt wissen: Die Rechtsfigur der einverständlichen Fremdgefährdung müsse ebenso wie diejenige der Selbstgefährdung zu einer Verneinung der objektiven Zurechnung führen, sofern sie dieser „unter allen relevanten Aspekten gleichsteht“; was nur dann in Betracht komme, „wenn der Schaden die Folge des eingegangenen Risikos und nicht hinzukommender anderer Fehler ist.“320 Ergänzend wird für die Gleichstellungsthese angeführt, dass die Gegenauffassung mit beachtlichen Abgrenzungsschwierigkeiten zu kämpfen habe und die Unterscheidungsversuche „oft von Zufälligkeiten“ geprägt seien.321 Neben diesen Fällen der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung bzw. denen der einverständlichen Fremdgefährdung wird das Kriterium der Eigenverantwortlichkeit im Rahmen der objektiven Zurechnung insbesondere noch in Fällen fruchtbar gemacht, in denen es um eine „Abgrenzung von Verantwortungsbereichen“322 gehe.323 Um einen in diese Fallgruppe gehörenden Sachverhalt soll es sich bei folgendem, vom Bundesgerichtshof 88, 93 [dort insbesondere unter Hinweis auf RGSt 57, 172 ff. („Memel-Fall“, wo es aufgrund der auf ausdrücklichen Wusch der beiden Passagiere vom Fährmann durchgeführten Überfahrt bei Sturm und Hochwasser zum Tod der Reisenden infolge Kenterns kam); vgl. auch BGHSt 7, 112, 115], aufmerksam gemacht: Hier hatte der Bundesgerichtshof noch betont, dass unter besonderen Voraussetzungen bereits „die Pflichtwidrigkeit eines Verhaltens zu verneinen sein [kann], wenn jemand eine gewisse Gefahr in klarer Erkenntnis in Kauf genommen und der Täter seiner allgemeinen[?] Sorgfaltspflicht genügt hat.“ Roxin, JZ 2009, 399, kennzeichnet diese BGHAuffassung als „Sorgfaltswidrigkeitslösung“. 318  So wollen exemplarisch folgende Autoren die einverständliche Fremdgefährdung auf der Ebene der „Rechtswidrigkeit“ behandelt wissen: Fischer, StGB, Vor § 13 Rn. 37; Kühl, Strafrecht AT, § 17 Rn. 82; S / S-Lenckner / Sternberg-Lieben, Vorbem §§ 32 ff. Rn. 107; SK-Rudolphi, 26. Lieferung, Vor § 1 Rn. 81a. 319  Ob hingegen die Einordnung der Einwilligung auf der Ebene des Unrechtsausschlusses überhaupt sachgerecht ist, mag hier dahinstehen. 320  Roxin, Strafrecht AT, § 11 Rn. 123 f. – Siehe in diesem Sinne auch Hellmann, Roxin-FS, S.  282 ff. 321  Siehe dazu Beulke, Otto-FS, S. 217, der jedoch die „Einwilligungslösung“ bevorzugt, demnach also beide Fallgruppen im Rahmen der Rechtfertigungsgründe angesiedelt sieht. 322  So der Terminus von Kühl, Strafrecht AT, § 4 Rn. 83. 323  Nochmals sei darauf hingewiesen, dass sich zum Teil sehr deutliche Überschneidungen innerhalb dieser drei „Institute“ zeigen; einige Autoren wollen die „Lehre von den Verantwortungsbereichen“ als das wohl übergeordnete Prinzip verstehen, so S / S-Eisele, Vorbem §§ 13 ff. Rn. 100.

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Kap. 3: Kritische Darstellung des aktuellen Sach- und Streitstandes

entschiedenen Fall handeln:324 Eine Polizeistreife stoppt einen bei völliger Dunkelheit fahrenden Lastzug, der rückwärtig ungenügend beleuchtet ist. Zur Absicherung des von hinten kommenden Verkehrs legt ein Polizeibeamter eine rotbrennende Taschenlampe auf die Fahrbahn. Nach Verwarnung des LKW-Fahrers aber noch vor Beginn der angeordneten Sicherungsfahrt zur nächsten Tankstelle nimmt der Beamte die Taschenlampe auf. Unmittelbar darauf stößt ein weiterer LKW mit dem noch parkenden Lastzug zusammen; in Folge der Kollision verstirbt der Beifahrer des auffahrenden Lastkraftwagens. Roxin hält die Strafbarkeit gemäß § 222 StGB – entgegen der Ansicht des Bundesgerichtshofes, der den Freispruch des Lastzugfahrers vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung aufgehoben hat – schon aus folgendem Grund für ausgeschlossen: „Nachdem die Polizei einmal die Verkehrssicherung übernommen hatte, fiel das weitere Geschehen in ihren Verantwortungsbereich und kann [dem ersten Lastzugfahrer] schon deshalb nicht mehr zugerechnet werden.“325 Eine solche Entlastung des die Lebensgefahr (mit-)verursachenden Ersttäters soll ebenfalls unter Anführung der „Lehre von den Verantwortungsbereichen“ in etlichen anderen Konstellationen erzielt werden; so sei zum Beispiel eine Unfallhaftung „des Fahrgasts, der ein erkennbar verkehrsunsicheres Taxi besteigt und dadurch Anlass zu der Unfallfahrt gibt“ zu verneinen.326 Auch in Fällen, in denen „Dritte das eigene Verhalten zum Anlass nehmen, eine vorsätzliche Straftat zu begehen“, soll es möglich sein, die objektive Zurechnung auszuschließen.327 Abschließend ist noch darauf aufmerksam zu machen, dass zahlreiche der soeben aufgewiesenen Topoi insbesondere für die Fälle mit sog. „Retterschäden“ – ein (Berufs-)Retter erleidet bei dem Versuch helfend tätig zu werden eine Rechtsgutsverletzung – herangezogen werden. Im Kunterbunt der insofern vertretenen Meinungen offenbart sich exemplarisch die Schwierigkeit, eine konsistente Abgrenzung nach Verantwortungsbereichen herzustellen, sowie das damit eng verwobene Problem offen zu Tage tritt, ob, und wenn ja, 324  Siehe

dazu BGHSt 4, 360 f. (leicht verkürzt). Strafrecht AT, § 11 Rn. 137. – Diesem Ergebnis stimmt die ganz überwiegende Literatur zu, vgl. nur noch Maurach / Zipf, Strafrecht AT I, § 18 Rn. 67. 326  Siehe – auch mit weiteren Beispielen – S / S-Eisele, Vorbem §§  13 ff. Rn.  101 ff. – Besondere Schwierigkeiten zeigten sich dagegen, wenn „das vom Ersttäter nur verletzte Opfer auf Grund ärztlichen Fehlverhaltens zu Tode kommt.“ So ausdrücklich Roxin, Strafrecht AT, § 11 Rn. 141: „schwierigste und ungeklärteste Fallgruppe“. 327  Vgl. dazu nur Kühl, Strafrecht AT, § 4 Rn. 49, 85; sowie S / S-Sternberg-Lieben / Schuster, § 15 Rn. 171. – Die Argumentation sieht sich aber um vielfältige bereits abgehandelte Rechtsfiguren ergänzt; insbesondere werden noch der Vertrauensgrundsatz und das erlaubte Risiko als bestärkende Begründungen für die „Straflosigkeit“ angeführt. Dass diese „Institute“ aber nach überwiegender Auffassung bereits den Handlungsunwert und nicht erst die Frage nach dem Erfolgsunwert betreffen sollen, scheint nicht zu stören. 325  Roxin,



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wann eine durchgeführte Rettungshandlung als eigen- bzw. freiverantwortlich bezeichnet werden kann.328 ee) Objektive Zurechnung und Finalismus – kritische Stellungnahmen Der hier soeben dargestellten facettenreichen objektiven Zurechnungslehre sind jedoch auch prinzipielle Einwände entgegengebracht worden – besser gesagt geschieht dies noch immer. So werden gerade von Seiten des Finalismus nicht nur gegen gewisse Ausdifferenzierungen dieser Rechtsfigur gerichtete Argumente, sondern vielmehr das Gesamtkonstrukt in Frage stellende vorgebracht. Ungeachtet dessen scheinen zumindest für den hier unmittelbar interessierenden Bereich der Fahrlässigkeitsdelikte – wie Frisch bemerkt – „die Grundvoraussetzungen der objektiven Zurechnungslehre in der Sache weitgehend anerkannt. Die Unterschiede sind im Wesentlichen terminologischer Art“.329 Zwar mögen die erzielten Ergebnisse identisch sein, deren straftatsystematische Verortung ist es bei genauer Betrachtung nicht unbedingt. Einer der Haupteinwände wird von den Kritikern zumeist darin erblickt, dass der objektiven Zurechnungslehre ein eigenständiger Anwendungsbereich fehle; sie sei als überflüssig zu kennzeichnen: „Während sich beim Vorsatzdelikt die allgemeinen Grenzen des objektiven Tatbestandes aus dem Handlungsbegriff ableiten, bedarf es beim fahrlässigen Delikt wegen der noch nicht auf den konkreten Erfolg hin festgelegten, den Gegenstand der Sorgfaltswidrigkeitsbewertung bildenden Risikohandlung (z.  B. das zu schnelle Fahren) weiterer Kriterien neben der Kausalität, um die Verknüpfung von Sorgfaltswidrigkeit der Handlung und eingetretenem Erfolg zu begründen. Hierbei geht es um Notwendigkeiten, die sich aus der Struktur des fahrlässigen Delikts ergeben. Sie sind deshalb […] schon unabhängig von der objektiven Zurechnungslehre anerkannt, so daß diese bei der Fahrlässigkeit nichts bringt, was sich nicht schon aus den Besonderheiten des fahrlässigen Delikts selbst ableiten läßt.“330 Die sonst im Rahmen der objektiven Zurech328  Um einen ersten Überblick über die einzelnen Auffassungen zu bekommen, siehe Radtke / Hoffmann, GA 2007, 201 ff. – Dass bei der Problemlösung wohl oftmals nur eine eher emotionale Argumentationsführung möglich erscheint, lässt die Entwicklung des Gedankengangs bei Roxin, Strafrecht AT, § 11 insb. Rn. 139 f. (vgl. auch Rn. 115 ff.), vermuten. – Der Bundesgerichtshof vertritt jedenfalls einen die „Zurechnung“ grundsätzlich bejahenden Standpunkt, siehe BGHSt 39, 322 ff. 329  Frisch, GA 2003, 728. 330  Hirsch, Lenckner-FS, S. 131  ff., insb. S. 140. – Im gleichen Sinne Hirsch, Köln-FS, insb. S. 406; Küpper, Strafrechtsdogmatik, S. 91 ff. (Irrelevanz beim vorsätzlichen Delikt) und S. 100 ff., insb. S. 108 (Irrelevanz beim fahrlässigen Delikt); siehe auch zum (vermeintlichen) Nachweis der Irrelevanz der objektiven Zurech-

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nung verorteten, für besonders praxisrelevant gehaltenen Fälle des sog. Schutzzweck- bzw. Pflichtwidrigkeitszusammenhangs habe man demnach über die traditionellen Kategorien der Sorgfaltswidrigkeit bzw. über die Rechtsfigur des Rechtswidrigkeitszusammenhanges zu lösen.331 Daneben wird der Lehre von der objektiven Zurechnung vorgeworfen, sie sei aufgrund des Abstellens auf die Begrifflichkeiten des verbotenen bzw. erlaubten Risikos normativ überfrachtet; sie sei konturenlos, insbesondere dann, wenn eine umfassende Güter- und Interessenabwägung („von was?“, so die kritische Frage von Küpper) vorgenommen werde.332 Außerdem wird noch dargetan, dass der Terminus der Objektivität nicht passend sei, da man für die Frage nach der rechtlich missbilligten Gefährlichkeit auch das Täterwissen einzubeziehen habe: „Sobald der Täter […] mehr weiß als ein Beobachter seines Verhaltens, muß dieses Wissen Berücksichtigung finden. Indem man es deshalb bei der Bestimmung der Gefährlichkeit mit heranzieht, zeigt sich, daß diese mit abhängig vom Informationsstand des Täters ist und sich deshalb nicht von der subjektiven Tatseite lösen läßt.“333 Beschaut man sich nun zusammenfassend die gegen die objektive Zurechnungslehre vorgebrachten Argumente, mag man (zumindest partiell) an der Stichhaltigkeit dieser zweifeln, da doch auch deren Gegner zumindest im Bereich der Fahrlässigkeitsstraftaten die angestellten Sachüberlegungen teilen.334 Diesbezüglich ist vor allem bemerkenswert, der objektiven Zurechnungslehre den Vorwurf zu machen, sie sei aufgrund ihrer hohen Normativität abzulehnen, stante pede jedoch unter anderem den wohl kaum weniger normativ aufgeladenen, vereinnahmenden Begriff der Sorgfaltswidrigkeit als problemlösenden Gesichtspunkt anzuführen. Dass die Gegner der objektiven Zurechnungslehre und deren Befürworter oftmals weit näher beieinander stehen, als es die literarischen Stellungnahmen zunächst vermitnungslehre beim Vorsatzdelikt Armin Kaufmann, Jescheck-FS, S. 251 ff., zusammenfassend S.  269 ff. 331  Siehe nur Küpper, Strafrechtsdogmatik, S. 108: „Der Schutzzweck der Norm ist bereits bei der Konkretisierung der Sorgfaltswidrigkeit zu berücksichtigen“, sowie S. 106, wo der Grundgedanke des Rechtswidrigkeitszusammenhangs für tauglich befunden wird. – Vgl. außerdem noch die Nachweise bei Frisch, Roxin-FS, insb. S. 220. 332  Küpper, Strafrechtsdogmatik, insb. S. 101 ff. 333  Hirsch, Köln-FS, S. 405. – Dass gerade diese Erkenntnis bei einigen Autoren zu der Überzeugung führt, das Merkmal der objektiven Sorgfaltswidrigkeit insgesamt abzulehnen, sei hier nur angedeutet, siehe dazu insbesondere Struensee, GA 1987, 99 ff., und Struensee, JZ 1987, 57 ff., sowie 541 ff., sowie noch unten S. 296 ff. 334  Der folgende Gedankengang kann in der vorliegenden Form unmittelbar nur für die Fahrlässigkeitsdelikte Geltung beanspruchen, was hier nochmals ausdrücklich betont sei. – Auf den Vorwurf fehlender Objektivität wird noch zurückzukommen sein.



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teln, zeigt sich bereits in Folgendem: Selbst bei Welzel als dem Begründer der finalen Handlungslehre tauchen im Rahmen der Bestimmung der „im Verkehr erforderlichen Sorgfalt“ die Begrifflichkeiten des „maßvollen Risikos“ und der „Gefahr“ auf,335 die von den Befürwortern der objektiven Zurechnungslehre – so oder so ähnlich – in ihrer „Grundformel“ Verwendung finden sollen.336 Einzig deren Verortung – ob (eher) dem Handlungsoder (eher) dem Erfolgsunwert zugehörig337 – scheint umstritten. Doch auch insofern lassen sich der Vereinheitlichung zugängliche (deshalb freilich nicht weniger kritisch zu sehende) Tendenzen aufweisen:338 So sollte bereits deutlich geworden sein, dass es bei den die objektive Zurechnungslehre befürwortenden Autoren regelmäßig nicht gänzlich klar ist, ob die Bestimmung des „erlaubten Risikos“ nun als eine Frage des Handlungs- oder Erfolgsunwertes erscheint; bei diesen also – mit anderen Worten – ebenfalls Stimmen auszumachen sind, die einer Verortung des Aspekt der (Un-)Erlaubtheit des Risikos im Rahmen des Handlungsunwertes – trotz formaler Gegenbeteuerungen – nicht ablehnend gegenüberstehen.339 c) Zwischenfazit zur Fundierung von Handlungs- und Erfolgsunwert des fahrlässigen Delikts Zusammenfassend lässt sich holzschnittartig folgendes Bild zeichnen: Zentrales Moment der Fahrlässigkeitstat ist nach herrschender Diktion die objektive Sorgfaltswidrigkeit; sie soll den Handlungsunwert dieses Delikts­ typs kennzeichnen – und dies scheint grundsätzlich unabhängig von der beim Handlungsbegriff vertretenen Auffassung zu gelten. Der (ehemals) mit 335  Welzel,

Strafrecht, siehe nur S. 132; sowie ausführlich oben S. 128 ff. oben S. 190 ff. 337  Für eine Zuordnung der hier im Rahmen des Erfolgsunwertes (objektive Zurechnung) verorteten Probleme (eher) beim Handlungsunwert (Sorgfaltswidrigkeit) plädieren grundsätzlich die Finalisten, siehe insofern nochmals die deutlichen Formulierungen bei Küpper, Strafrechtsdogmatik, S. 108 (obwohl ja auch Welzel, Strafrecht, S. 135, einen gesonderten „Erfolgssachverhalt“ beim Fahrlässigkeitsdelikt festgestellt wissen will). 338  Unter anderem dieser Tatsache wird der Aufsatz von Jakobs, Hirsch-FS, S. 45 ff., geschuldet sein. In selbigem strebt der Autor an, eine Möglichkeit aufzuzeigen, „die Lehre von der objektiven Zurechnung in den Teilen, die nicht die Erfolgszurechnung betreffen, vom Zurechnungsvorgang, so man will, zu lösen und auf eine bestimmte Norminterpretation zu reduzieren, mit den Worten von Frisch: auf eine Lehre vom tatbestandsmäßigen Verhalten, genauer noch vom Inhalt des Tatbestands, wie Hirschs Lehre von der objektiven Beherrschbarkeit […] als eine solche vom Inhalt des Tatbestands verstanden werden kann“ (a. a. O., S. 45). – Siehe zum Ganzen noch Frisch, Roxin-FS, S. 213 ff. 339  Siehe nochmals die obigen Ausführungen auf S. 193 f. 336  Siehe

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äußerstem Nachdruck geführte Streit, insbesondere zwischen kausaler, finaler und sozialer Handlungslehre, ist also für die Zentrierung auf den Begriff der Sorgfaltspflichtverletzung der Sache nach irrelevant.340 Da zahlreiche fahrlässige Straftaten – wie die fahrlässige Tötung oder Körperverletzung – aber neben der Handlung, dem Handlungsunwert ein zeitlich nachfolgendes Ereignis verlangen (den tatbestandlichen Erfolg), bedarf es in diesen Fällen noch einer weitergehenden Feststellung, nämlich der des Nachweises eines Erfolgsunwertes.341 Insofern wird – das heißt regelmäßig innerhalb der den Erfolgsunwert ausmachenden objektiven Zurechnungslehre – zunächst das Vorliegen einer unerlaubten Gefahr verlangt. Als schwierig erweist sich nun unter Zugrundlegung dieser Prämissen, den beiden getrennten Bereichen – sprich: Handlungs- und Erfolgsunwert – einen augenscheinlich für notwendig erachteten, eigenständigen Anwendungsrahmen zuzuweisen. Formal wird an einer strikten Abgrenzung festgehalten, die jedoch schon deshalb ins Rutschen geraten muss, weil innerhalb der Erörterungen, wenn nicht gar auf gleichlautende, so doch auf austauschbare Begrifflichkeiten abgestellt wird.342 Lediglich ein Beispiel aus der Kommentarliteratur sei nochmals angeführt: So wird die „Verletzung der gebotenen Sorgfalt“, die Sorgfaltswidrigkeit als Handlungsunwert unter anderem als „Überschreitung des noch erlaubten Risikos“ angesehen,343 im Rahmen der Erfolgszurechnung dann aber (nochmals oder womöglich erstmalig) geprüft, ob die Handlung unverboten ist, weil sie „im Hinblick auf das betroffene Rechtsgutsobjekt […] für dieses keine rechtlich relevante Gefahr geschaffen hat.“344 Wo nun also genau die Feststellung der Zuwiderhandlung gegen das Verbot, die Überschreitung des erlaubten Risikos verortet erscheint, bleibt damit unbeantwortet. Lehnt man dagegen die objektive Zurechnungslehre (vordergründig) ab (– auch deren, zumeist der finalen Handlungslehre anhängenden Kritiker kommen jedoch nicht umhin, die gleichen Sachgesichtspunkte in Rechnung zu stellen –),345 werden die sonst im Rahmen der Prüfung der objektiven Zurechnung thematisierten Fallgestalten vorwiegend dem Begriff 340  Siehe

oben zusammenfassend S. 157. einige Autoren den Erfolgsunwert nicht auf der Ebene des (Unrechts-) Tatbestandes verorten wollen, bleibe hier einmal außer Betracht, siehe insofern Zielinski, Unrechtsbegriff, insb. S. 128 ff., sowie bereits oben S. 4. – Freund, Strafrecht AT, § 2 Rn. 56, hält insofern nicht ganz zu Unrecht fest: „Der Unterschied entpuppt sich bei näherer Betrachtung jedenfalls weitgehend als ein rein terminologischer.“ 342  Siehe insbesondere oben S. 193 ff. 343  Siehe S / S-Sternberg-Lieben / Schuster, §  15 Rn.  116  ff., insb. 127, sowie S / S-Eisele, Vorbem §§ 13 ff. Rn. 70c, S / S-Lenckner / Sternberg-Lieben, Vorbem §§ 32 ff. Rn. 94. 344  S / S-Eisele, Vorbem §§ 13 ff. Rn. 93; vgl. auch S / S-Sternberg-Lieben / Schuster, § 15 Rn. 128. 345  Siehe dazu oben S. 209 ff. 341  Dass



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der Sorgfaltswidrigkeit zugeschlagen, so dass dieser Terminus eine noch stärker – bei äußerst wohlwollender Betrachtung – „integrierende“ Funktion wahrnehmen muss. Bekanntermaßen erscheint die Bestimmung des Begriffs der objektiven Sorgfalts(pflicht)verletzung auch ohne eine solche weitergehende Zuweisung schwer genug. Denn: Die Sorgfaltswidrigkeit ist ein sich aus zahlreichen Quellen speisendes heterogenes Konvolut. Um deren Inhalt klarzulegen, habe man sich unter anderem an „konkreten Sondernormen“ bzw. „Verkehrsnormen“ zu orientieren.346 Verletzt der Täter eine solche, folge für den Begriff der Sorgfaltspflichtverletzung je nach Ausgestaltung der Sonder- bzw. Verkehrsnorm eine unterschiedliche Indizwirkung: Handelt der Täter exemplarisch einer bloßen DIN-Norm zuwider, sei das Indiz für ein sorgfaltswidriges Verhalten (grundsätzlich) geringer als bei einem Verstoß gegen zum Beispiel die StVO. Die herrschende Meinung sieht sich also ganz allgemein formuliert dem Problem gegenüber, einen sachangemessenen Maßstab für die Sorgfaltswidrigkeit (im Einzelfall) ausfindig zu machen. Zur Ermittlung dessen wird gewöhnlich (originär bzw. ergänzend) auf einen leitbildhaften Verkehrskreisteilnehmer abgestellt,347 wobei dann wiederum Schwierigkeiten auftauchen, die für beachtlich erklärten Verkehrskreise einer für sich sprechenden Typisierung zuzuführen. Ganz besonders umstritten zeigt sich ferner, ob eine etwaige Berücksichtigung von Sonderwissen und Sonderfähigkeiten stattfinden kann und darf – vor allem im Hinblick auf eine Vereinbarkeit mit der postulierten objektiven Ausrichtung der Sorgfaltswidrigkeit.348 Die Anstrengungen den Begriff der Sorgfaltspflichtverletzung zu konkretisieren, sehen sich damit aber noch nicht zum Abschluss gebracht: So verweist die herrschende Meinung noch auf die Beachtlichkeit des sog. Vertrauensgrundsatzes.349 Diese zunächst für den Bereich der Straßenverkehrsdelikte entwickelte Rechtsfigur wird nun aber auch auf unterschiedlichste andere Bereiche erstreckt und insbesondere mit dem Prinzip der Eigenverantwortlichkeit in Verbindung gebracht.350 Gerade letzteres Institut wird aber selten im Bereich der objektiven Sorgfaltspflichtverletzung als solcher, sondern demgegenüber eher im Rahmen des Erfolgsunrechts – der objektiven Zurechnung – diskutiert. Auch insofern offenbaren sich also die bereits oben aufgewiesenen Zuordnungsprobleme. Diese die Abgrenzung zwischen Handlungs- und Erfolgsunwert betreffenden Schwierigkeiten zeigen sich ferner dort, wo sich die herrschende Meinung mit dem Begriff der objektiven Vorhersehbarkeit gerade im Verhältnis zur Sorgfalts346  Siehe

dazu oben S. 176 ff. dazu oben S. 174 ff. 348  Siehe dazu oben S. 184 ff. 349  Siehe dazu oben S. 179 ff. 350  Siehe zum Gesichtspunkt der „Eingenverantwortlichkeit“ insbesondere S.  203 ff. 347  Siehe

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widrigkeit auseinandersetzt.351, 352 Zwar wird „die“ Vorhersehbarkeit nicht selten unmittelbar im Erfolgsunrecht verortet bzw. (vordergründig) alleine auf den Begriff des tatbestandlichen Erfolges bezogen,353 erweist sich jedoch bereits auch – das heißt zumindest in einer „Erscheinungsform“, nämlich im Rahmen des Gefahrbegriffs354 – als notwendige Mindestbedingung des Handlungsunwertes der Fahrlässigkeitstat. Es sind aber noch verschiedene weitere Erkennbarkeiten abzuschichten; diese können sowohl hinsichtlich des Gegenstandes, des anzulegenden Maßstabes, sowie im Hinblick auf eine ex ante bzw. ex post-Betrachtung von der „Minimalerkennbarkeit“ im Rahmen des Gefahrbegriffs abweichen. Gelingt die insofern erforderliche Differenzierung nicht, kann es nicht verwundern, dass sich Unklarheiten hinsichtlich der straftatsystematischen Verortung ausfindig machen lassen; insbesondere weil für die verschiedenen Erkennbarkeiten – ohne darauf gesondert aufmerksam zu machen – meist nur ein (undifferenzierter) Terminus „der“ „Vorhersehbarkeit“ verwandt wird.355 Die wohl intuitiv gefühlte, notwendige Abschichtung der Erkennbarkeiten vom Begriff der Sorgfaltswidrigkeit kann bei einer undifferenzierten Sicht naturgemäß nicht gelingen. Angesichts des sich bietenden bunten Bildes kann und darf es uns nicht verwundern, dass auch die normentheoretische Absicherung der Fahrlässigkeitstat noch einer (abschließenden) Beantwortung harrt. Hatte man uns in Aussicht gestellt, dass man durch Konkretisierung des Sorgfaltsbegriffs zum Inhalt der Fahrlässigkeitsnorm vordringen könnte,356 lässt sich nach Aufweis der Präzisierungsversuche der herrschenden Meinung nur ein ernüchterndes Bild zeichnen: Soweit ersichtlich sieht sich niemand in der Lage, 351  Zu

diesem Gesamtkomplex siehe oben S. 159 ff. die „herrschende Meinung“ mit beachtlichen Schwierigkeiten zu kämpfen hat, dem Handlungs- und Erfolgsunwert beim Fahrlässigkeitsdelikt einen eigenständigen Gehalt zuzuweisen, beide sauber abzuschichten, offenbart sich übrigens bereits bei einem exemplarischen Blick in eines der wohl gängigsten Lehrbücher zum Allgemeinen Teil des Strafrechts: den Wessels / Beulke / Satzger, Strafrecht AT, Rn. 663 ff. So ist es als äußerst verwunderlich zu bezeichnen, dass dort der Umfang der Behandlung der objektiven Zurechenbarkeit des Erfolges einen weit breiteren Raum einnimmt als diejenige der Verletzung der objektiven Sorgfaltspflicht; und dies, wo doch bei der Darstellung Erstgenannter (nahezu(?)) vollumfänglich auf die „bereits bei den Vorsatzdelikten […] ausführlich dargestellte“ „Lehre von der objektiven Zurechnung“ „verwiesen werden kann“ (a. a. O., Rn. 673), denn eigentlich soll ja im Rahmen des Unrechts nur der Handlungsunwert von Vorsatz- und Fahrlässigkeitstat differieren. Dann aber müsste – so würde doch wohl der unbefangene Leser meinen – gerade umgekehrt die Darstellung der Sorgfaltspflichtverletzung den weit breiteren Raum einnehmen. 353  Siehe insofern S. 160 ff. 354  Siehe dazu oben S. 168 f. 355  Siehe dazu nochmals oben S. 171 ff., insbesondere Fn. 126 (Kap. 3). 356  Siehe dazu insbesondere bei Fn. 62 (Kap. 3). 352  Dass



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eine alle Facetten beinhaltende Norm der Fahrlässigkeitsstraftat zu konstruieren – obwohl doch der Verhaltens- bzw. Bestimmungsnormwidrigkeit im (Unrechts-)Tatbestand prinzipiell ein überragendes Gewicht zukommen soll.357 Einig ist man sich anscheinend aber zumindest dahingehend, dass die Verletzung eines „Verursachungsverbotes“ als Norm – exemplarisch: „Du sollst nicht töten!“ bzw. „Verursache nicht den Tod eines anderen!“ – nicht ausreichend sein könne, da insofern keine taugliche Leitlinie vorgegeben werde. Gerade diese vermeintliche Tatsache scheint die Notwendigkeit des Nachweises einer Sorgfaltspflichtverletzung nochmals zu untermauern, weil ja zum Beispiel das Rechtsfahrgebot im Sinne der StVO als Verhaltensanweisung wesentlich spezifischer anmutet als die des bloßen Todesverursachungsverbotes.358 Da aber nun unter anderem neuerdings auch das – regelmäßig auf Erfolgsunrechtsebene angesiedelte – Eigenverantwortlichkeitsprinzip die ermittelten Gefährdungsverbote bezüglich Inhalt und Reichweite modifizieren können soll,359 und sich wie gesehen zur Bestimmung der Frei- bzw. Eigenverantwortlichkeit noch keine einigermaßen konsistente Meinung gebildet hat, ist die fehlende Formulierung einer Fahrlässigkeitsnorm wohl schon deshalb zwangsläufige Folge. Die Schwierigkeiten den Normbegriff überhaupt ansatzweise klarzulegen treten auch dort offen zu Tage, wo mit dem Terminus „Schutzzweck der Norm“ oder ähnlichen Begrifflichkeiten – wiederum zumeist auf der Ebene des Erfolgsunrechts – operiert wird,360 ohne dass man sich in der Lage sähe, die Form und den Inhalt dieser „Norm“ zu spezifizieren. Das insofern bestehende terminologische Wirrwarr wird unter anderem deshalb so ausgeprägt sein. Auswirkungen zeigt die bestenfalls unpräzise Fundierung der für notwendig erachteten Fahrlässigkeitsnorm und die Redeweise von der Sorgfaltspflichtverletzung (der Außerachtlassung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt) aber auch dort, wo man meint, das Fahrlässigkeitsdelikt liege in einer Unterlassung; der Täter verstoße gegen das Gebot, sorgfältig zu sein.361 Ferner treiben die Normfindungsschwierigkeiten einige Autoren gar zu der Feststellung, beim Fahrlässigkeitsdelikt müsse es sich um ein nicht umschriebenes Vorsatzdelikt handeln;362 was dann wiederum Zweifel an der genügenden gesetzlichen Bestimmtheit des selbigen aufkommen lässt.363

357  Siehe

dazu oben S. 146 ff. dazu nochmals allgemein den Fließtext bei Fn. 46 (Kap. 3). 359  Siehe dazu oben bei Fn. 304 (Kap. 3). 360  Siehe dazu oben S. 196 ff. 361  Siehe dazu oben Fn. 42 (Kap. 3), S. 152 f., 158 f. 362  Siehe dazu oben S. 152. 363  Siehe dazu oben S. 153, sowie außerdem S. 156. 358  Vgl.

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Kap. 3: Kritische Darstellung des aktuellen Sach- und Streitstandes

Nach alledem ist zu konzedieren, dass sich der (Unrechts-)Tatbestand des fahrlässigen Deliktes im Sinne der „herrschenden Auffassung“ als eine Kategorie umfassender Interessenabwägung erweist. Es geht einfach gewendet um die Bestimmung des erlaubten Risikos: Widerstreitende Gesichtspunkte werden gegeneinander gehalten und einer Bewertung zugeführt, um zum Urteil des Verboten- bzw. Erlaubtseins des in Rede stehenden Verhaltens zu gelangen. Wo dieser zentrale Punkt im Rahmen der „Tatbestandsmäßigkeit“ allerdings genau verortet erscheint, muss als bislang ungeklärt bezeichnet werden. Gerade das wohl mit verschiedenartigen Vorverständnissen belastete und ausschließlich für die Fahrlässigkeitstat entwickelte Merkmal der Sorgfaltspflichtverletzung scheint die vorhandenen Unsicherheiten zu forcieren. Für das „Wie“ des strafrechtsdogmatisch nicht präzise verankerten Vorgangs werden sodann zahlreiche unterschiedliche Topoi präsentiert, die mitunter den Eindruck erwecken, den dogmatischen Ausgangspunkt zu konterkarieren: Wie zum Beispiel lässt sich ein scheinbar weitreichendes Prinzip der Eigenverantwortlichkeit konsistent in die Lehre von den Verhaltensnormen einfügen? Versteht man die Sorgfaltspflichtverletzung (bzw. das Merkmal der „Unerlaubtheit“ im Rahmen der objektiven Zurechnung) als die eine Superkategorie, die das „verbotene Verhalten“, das unerlaubte Risiko unter Abwägung aller beteiligten Wertungsgrößen insgesamt kennzeichnen soll, kann es nicht verwundern, dass sich mannigfaltige Schwierigkeiten ausmachen lassen, den (angeblich) einen zugrundeliegenden Maßstab ausfindig zu machen. Zum Abschluss nur folgendes Zitat: „Der Inhalt der einzelnen Sorgfaltspflichten ist so unterschiedlich, dass er bisher kaum systematisiert wurde.“364 Zu der bereits am Anfang der Arbeit aufgewiesenen These zu gelangen, Engischs Werk365 sei in analytischer Hinsicht noch immer das Maß der Dinge,366 mag unter Zugrundelegung der vorgetragenen, insbesondere auf den Begriff der Sorgfaltswidrigkeit zentrierten Prämissen also nicht verwundern. Im weiteren Verlauf der Darstellung ist nun der Frage nachzugehen, wie sich die unspezifisch im (Unrechts-)Tatbestand (das heißt teilweise im Rahmen der Sorgfaltswidrigkeit bzw. teilweise im Rahmen der objektiven Zurechnung) verankerte umfassende Interessenabwägung zum hernach zu prüfenden Straftatmerkmal der Rechtswidrigkeit verhält. Mit anderen Worten: Wenn die Tatbestandsmäßigkeit den (scheinbar) bereits umfassend geprüften Verstoß gegen die (fahrlässige) Sollensnorm zum Inhalt haben soll, welcher Gehalt kann dann noch der spätestens seit v. Liszt / Beling mit 364  Kühl,

Strafrecht AT, § 17 Rn. 34. dessen vorgenommener Systematisierung der Sorgfaltspflichten siehe ausführlich oben S. 104 ff. 366  Siehe insofern oben bei Fn. 11 (Kap. 1). 365  Zu



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elementarer, eigenständiger Funktion versehenen Rechtswidrigkeit zugewiesen werden? 2. Die „Rechtswidrigkeit“ des fahrlässigen Delikts – sachlich: Der Unrechtsausschluss Für die ganz überwiegende Meinung innerhalb derjenigen Autoren, die die objektive Sorgfaltswidrigkeit zum zentralen Merkmal der Prüfung der Fahrlässigkeitsstraftat erklären, steht grundsätzlich fest, dass auch im Rahmen der fahrlässigen Delikte „ein Ausschluss der Rechtswidrigkeit durch Rechtfertigungsgründe ebenso möglich [ist] wie bei Vorsatzdelikten“.367 Man sieht sich also wiederum – mittels der uns bereits im Rahmen der Diskussion um die objektive Zurechnung begegneten „Verweistechnik“ – unmittelbar mit den (zunächst für primär aufgewiesenen) Ausführungen zum Vorsatzdelikt konfrontiert. Dementsprechend kann man – hier wie dort – nicht selten Folgendes lesen: „Die Tatbestandsmäßigkeit indiziert die Rechtswidrigkeit.“368 Was man darunter genau zu verstehen haben soll – gerade auch unter Berücksichtigung der ebenfalls auffindbaren Gegenauffassungen –, kann wohl nur deutlich gemacht werden, wenn man versucht, sich das grundsätzliche Verhältnis von „Tatbestandsmäßigkeit“ und „Rechtswidrigkeit“ genauer zu beschauen. a) Die Grundlagen: Das Verhältnis von Tatbestandsmäßigkeit und Rechtswidrigkeit aa) Der Leitbildtatbestand, der Tatbestand als Unrechtstypus Von vielen Autoren wird zur Klärung der Beziehung von Tatbestandsmäßigkeit und Rechtswidrigkeit (neuerdings) maßgeblich auf normentheoretische Erkenntnisse rekurriert. Man bezeichnet das Verhältnis als eines „von 367  S / S-Lenckner / Sternberg-Lieben, Vorbem §§ 32 ff. Rn. 92. – Siehe ebenso nur Beck, JA 2009, 269; Burgstaller, Fahrlässigkeitsdelikt, S. 150 f.; Fischer, StGB, § 15 Rn. 15; Jescheck / Weigend, Strafrecht AT, § 56 I 1; Wessels / Beulke / Satzger, Strafrecht AT, Rn. 691. – Auch der BGHSt 25, 229 ff., scheint dieser Meinung sein Placet zu erteilen. – Vgl. ferner Schaffstein, Welzel-FS, S. 562, der diese auf die Rechtfertigung beim Vorsatzdelikt verweisende Auffassung als „heute so gut wie unbestritten“ kennzeichnet, sodann jedoch einräumt, dass „nur[!] die systematische Zuordnung“ umstritten sei. 368  Bringewat, Grundbegriffe, Rn. 461; Ebert, Strafrecht AT, S. 28, sowie sehr ähnlich S. 64. – Ebenso verfahren neben den in der vorstehenden Fn. zuerst genannten Autoren unter anderem noch S / S-Sternberg-Lieben / Schuster, § 15 Rn. 188 f.; Lackner / Kühl, StGB, § 15 Rn. 48; Maurach / Zipf, Strafrecht AT, § 24 Rn. 7; vgl. auch Börner, GA 2002, 277 f.

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Verbotsnorm und Erlaubnissatz“.369 Da die Rechtsordnung eben nicht nur aus (abstrakten) Verboten (Geboten) – das heißt im hier interessierenden Zusammenhang aus den aus den einzelnen Straftatbeständen herauszupräparierenden Verhaltensnormen – bestehe, sondern auch Gewährungen kenne, „die die Verbote unter bestimmten Voraussetzungen aufheben“, werde also, „wenn ein Rechtfertigungsgrund vorliegt, […] die im Unrechtstatbestand enthaltene Verbotsnorm als Rechtspflicht für den Einzelfall nicht wirksam.“370 Dass sich der Tatbestand im Verhältnis zur Rechtswidrigkeit gerade auch „als eine selbständige strafrechtliche Wertungsstufe“ erweise, wird ebenfalls normentheoretisch begründet: So fungiere der Tatbestand als ein Warnsignal für jedermann, „durch welches angezeigt wird, wo die Grenzen einer strafrechtlich sanktionierten Verbotsnorm verlaufen“; die postulierte Eigenständigkeit wird mit dem Schlagwort „Appellfunktion des Tatbestandes“ umschrieben.371 Diese vorwiegend formellen, d. h. auf die Norm bezogenen Erwägungen werden im neueren Schrifttum zumeist noch durch schon seit über einem halben Jahrhundert eingeführte, eher auf den Begriff der Typizität bezogene Überlegungen ergänzt. Bereits Gallas hatte die Unterscheidung von „Unrechtstypus und atypischer Erlaubnissituation“ zur Abgrenzung von Unrechtstatbestand und Rechtfertigung fruchtbar machen wollen.372 Maurach / Zipf beschreiben das Verhältnis in diesem Sinne sodann wie folgt: „In den Tatbeständen sucht der Gesetzgeber auf Grund einer Sichtung der besonders typischen und gefährlichen Rechtswidrigkeitsakte diese in ‚Leitbildern‘, typischen Erscheinungsformen, abschließend zu umreißen“.373 Da dieses Abgrenzen jedoch lediglich schematisch, ohne Ansehung des Einzel-, sondern nur unter Berücksichtigung des Normalfalles, eben typisierend vollzogen werde,374 erklärt sich auch die bereits oben aufgewiesene Redeweise vom „Indiz für die Rechtswidrigkeit“.375 Der Tatbestand – der, sobald ein Rechtfertigungsgrund einschlägig sei, zwar nicht entfalle, jedoch seinen Aussagewert verliere – wird folglich nicht als ratio essendi, d. h. als Seinsbzw. Realgrund, als abschließende Beschreibung der Grenzen von Recht und Unrecht, sondern vielmehr als (bloßer) Erkenntnisgrund (ratio cognosunter anderem Jescheck / Weigend, Strafrecht AT, § 31 I. Strafrecht AT, § 31 I 2, unter Aufweis weiterer zahlreicher Schrifttumsangaben. 371  Jescheck / Weigend, Strafrecht AT, § 31 I 2 (Hervorhebung von mir); siehe ferner Paeffgen, Armin Kaufmann-GS, S. 407 f. 372  Gallas, ZStW 67 (1955), insb. 27 f. 373  Maurach / Zipf, Strafrecht AT I, § 24 Rn. 1. 374  Siehe wiederum nur die Darlegungen von Jescheck / Weigend, Strafrecht AT, § 31 I 2, 3. 375  Weitere mit der Rede von der Indizwirkung zusammenhängende Phänomene weist Schmidhäuser, Lackner-FS, S. 79 ff., auf. 369  So

370  Jescheck / Weigend,



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cendi) der Rechtswidrigkeit verstanden.376 Teilweise ist noch zu lesen, dass Tatbestandsmäßigkeit und Rechtswidrigkeit im Verhältnis von Regel und Ausnahme zueinander ständen;377 jedoch sehen sich einige Autoren sogleich genötigt, diese formale Sicht der Dinge dahingehend erläutern zu müssen, dass dabei nicht „an die größere oder geringere Häufigkeit der Fälle auf der einen oder anderen Seite gedacht sein kann“, sondern nur daran, „daß die Straftatbestände ‚Regeln‘ enthalten, die von den Rechtfertigungsgründen als ‚Ausnahmen‘ durchbrochen werden“.378 Deutet man die Rechtswidrigkeit also (vermeintlich) normentheoretisch abgesichert als atypische Erlaubnissituation im Gegensatz zum (Unrechts-) Tatbestand, der das deliktische (Unrechts-)Leitbild aufweisen soll, könnte der unbefangene Leser meinen, eine nicht unbeachtliche Nähe zur uns bereits im Rahmen der Diskussion des Welzelschen Werkes begegneten Position nachweisen zu können – gemeint ist dessen Lehre von den sog. offenen Tatbeständen.379 So ging auch Welzel davon aus, dass der Tatbestand grundsätzlich die Verbotsmaterie kennzeichne, eine Indizwirkung besitze – nur eben nicht immer. Diese Annahme scheint auch auf der Grundlage der soeben referierten Position vertretbar – gerade dann, wenn man den Tatbestand nur als etwas Typisches, als Regel bezeichnet. Um so verwunderlicher ist es nun, dass es wohl als gesichert bezeichnet werden kann, dass sich die Lehre von den offenen Tatbeständen „nicht durchgesetzt hat“380. Selbige wird vielmehr scharf angegangen: Denn „wenn der Tatbestand als Unrechts­ typus verstanden wird, kann er nur ‚geschlossen‘ gedacht werden, weil ihm sonst die Typuseigenschaft gerade fehlen würde.“381 Allerdings wird dann einschränkend eingeräumt, dass „der Grad der Ausformung der Verbotsmaterie bei den einzelnen Strafvorschriften [freilich] verschieden“ sein könne; deren Umschreibung bedürfe mitunter gewisser tatbestandlicher Ergänzungen.382 So sei es unter anderem bei der Nötigung gemäß § 240 StGB notwendig, das Merkmal der Verwerflichkeit – ungeachtet des entgegenstehenden Gesetzeswortlauts – nicht auf der Ebene der Rechtswidrigkeit, sondern 376  Vgl. dazu LK-Rönnau, Vor § 32 Rn. 11, sowie Schmidhäuser, Strafrecht ATLB, 9 / 8 f. 377  Siehe insofern Baumann / Weber / Mitsch, Strafrecht AT, § 12 Rn. 11 f.; sowie außerdem Kühl, Strafrecht AT, § 6 Rn. 1 ff. 378  So ausdrücklich Jescheck / Weigend, Strafrecht AT, § 31 I 3. 379  Siehe dazu oben S. 129. 380  Dies konzediert MK-Freund, Vor §§ 13 ff. Rn. 18; vgl. aber demgegenüber beispielsweise Wessels / Beulke / Satzger, Strafrecht AT, Rn. 286. 381  Jescheck / Weigend, Strafrecht AT, § 25 II 1 (Hervorhebung im Original). – Siehe außerdem noch S / S-Eisele, Vorbem §§ 13 ff. Rn. 66; vgl. ausführlich zum Ganzen auch Roxin, Offene Tatbestände, S. 53 ff., insb. S. 96 f. 382  Jescheck / Weigend, Strafrecht AT, § 25 II 1.

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bereits auf Tatbestandsebene zu verorten, um so die anderenfalls zu wenig bestimmte Verbotsmaterie aufzufüllen. Dann ist jedoch wiederum fraglich, ob bei solchen sog. „gesamttatbewertenden Merkmalen“ wie der Verwerflichkeit nach § 240 II StGB überhaupt noch eine „normale“ Berücksichtigung der Rechtfertigungsgründe in Betracht kommen könne.383 bb) Der Gesamtunrechtstatbestand, die Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen Den soeben dargestellten Schwierigkeiten, ein sachliches Differenzierungskriterium zur Trennung von Tatbestandsmäßigkeit und Rechtswidrigkeit herauszuarbeiten, sucht die im Schrifttum recht weit verbreitete Lehre vom „Gesamtunrechtstatbestand“ zu entgehen.384 Nach dieser soll der (Unrechts-)Tatbestand nicht lediglich die „deliktstypischen“, sondern alle für das Rechtswidrigkeitsurteil relevanten Merkmale umfassen. Die Voraussetzungen der Rechtfertigungsgründe werden hier deshalb als negative Tatbestandsmerkmale bezeichnet. Sie dürfen nicht vorliegen (ebenso wie die positiven naturgemäß vorliegen müssen), um den Gesamtunrechtstatbestand, der demnach Geltungs- und Realgrund der Rechtwidrigkeit ist (ratio essendi), als verwirklicht zu betrachten. Der klassischen, Liszt / Belingschen Dreiteilung der Straftatsystematik ist damit eine Absage erteilt. Man anerkennt nur noch zwei Deliktskategorien – Unrecht und Schuld. Anzumerken ist jedoch, dass gerade das vor allem durch die Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen forcierte Aufkommen eines zweistufigen Verbrechensaufbaus weniger strafrechtsdogmatischen Grundüberzeugungen geschuldet ist, sondern vielmehr der Annahme Rechnung trägt, nur so scheinbar systematisch bedingte, unerwünschte Ergebnisse der Irrtumslehre vermeiden zu können.385 383  Eine Auffassung will „die etwaige Rechtfertigung […] wie auch sonst erst auf der Stufe der Rechtfertigung“ berücksichtigen, so Jescheck / Weigend, Strafrecht AT, § 25 II 3, sowie exemplarisch noch Armin Kaufmann, Klug-FS II, S. 283. – Die Gegenauffassung bestreitet dies, so unter anderem S / S-Eisele, Vorbem §§  13 ff. Rn. 66; ebenso verneinend Roxin, Strafrecht AT, § 10 Rn. 45 ff., insb. 48, der noch festhält, dass „die Lehre vom ‚Unrechtstyp‘ hier versagt“ und deutlich herausstellt, dass er damit von „einer ausnahmsweisen Einebnung der systematischen Dreistufigkeit“ ausgeht. 384  Siehe dazu nur Engisch, Hundert Jahre DJT-FS I, S. 406 ff.; Arthur Kaufmann, JZ 1956, 353 ff., 393 ff.; Rödig, Lange-FS, S. 47 ff.; Schaffstein, ZStW 72 (1960), 386 ff.; Schünemann, GA 1985, 347 ff.; siehe auch MK-Schlehofer, Vor §§  32 ff. Rn. 36 ff.; vgl. ferner bereits oben Fn. 18 (Kap. 3). 385  Einen eindrucksvollen Beleg jüngeren Datums einer Verteidigung des sog. zweistufigen Deliktsaufbaus unter vordringlicher Ausrichtung auf Irrtumskonstellationen, hauptsächlich auf die der Verkennung der sachlichen Voraussetzungen eines



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cc) Gegenwärtig verbreitete Mischformen Neben diesen mehr oder weniger harten Gegenpositionen haben sich in der Literatur zahlreiche, Argumente beider Auffassungen berücksichtigende Mischformen herauskristallisiert. Nicht selten wird der zweistufigen Straftatlehre zugebilligt, sie gehe recht in der Annahme, nur zwei Wertungskategorien anzuerkennen; dies sehe sich auch insbesondere durch die Schwierigkeiten der herrschenden Meinung bestätigt, „das erlaubte Risiko als Tatbestandsausschluss oder Rechtfertigungsgrund einzustufen.“386 Ungeachtet dessen gebe „es strukturelle und pragmatische Gründe, die es rechtfertigen, Tatbestand und Rechtswidrigkeit getrennt zu behandeln.“387 Gerade der Aspekt der „Zweckmäßigkeit“ wird in diesem Zusammenhang herausgestri­chen,388 der Gesetzgeber gehe nun einmal von deliktischen Leitbildern und Typen aus,389 anerkannten Rechtfertigungsgrundes (sog. Erlaubnistatbestandsirrtum), liefert Rinck, Der zweistufige Deliktsaufbau, S. 21 ff., zusammenfassend S. 468 ff. Bemerkenswerterweise meint Rinck, a. a. O., S. 145 f. Fn. 233, die sog. Vorsatztheorie, die ebenfalls zu den von ihm beim Erlaubnistatbestandsirrtum präferierten Ergebnissen kommt, nur in einer Fußnote (eine Erwähnung dem Namen nach findet sich immerhin noch a. a. O. auf S. 74) seines fast 500 Seiten zählenden Werkes „behandeln“ zu können respektive zu müssen. – Vgl. auch LK-Rönnau, Vor § 32 Rn. 9, der festhält, dass der „eigentliche Grund“ des Theorienstreits „in der Behandlung des Irrtums über rechtfertigende Tatumstände“ liegt. 386  LK-Rönnau, Vor § 32 Rn. 12, 14. 387  LK-Rönnau, Vor §  32 Rn. 15. – Otto, Allgemeine Strafrechtslehre, § 5 Rn. 23 f., verficht eine zweistufige Straftatgliederung, erachtet allerdings die Trennung zwischen Tatbestandsmäßigkeit und Rechtswidrigkeit für „zweckmäßig“; auch Renzikowski, Notstand, S. 156 f., hält fest, dass die Differenzierung „nur technische Bedeutung“ habe, „eine Frage der Zweckmäßigkeit“ sei, betont aber sodann, dass die Unterscheindung doch Sinn ergebe: „Sie verdeutlicht den dialogischen Charakter der Rechtsfindung“; Wolter, Zurechnung, S. 143 ff., geht von „nur zwei rechtlichen Wertungsstufen bei der Straftat“ aus, hält gleichwohl „gewichtige Gründe dafür“ gegeben, „daß zunächst die Tatbestandsmäßigkeit festgestellt werden muß“; beachte auch Perron, Rechtfertigung, S. 88 f., der ausführt, dass die Unterscheidung „lediglich auf systematischen Ordnungsprinzipien“ beruhe, jedoch sogleich ein Nähverhältnis zur Typuslehre konstruiert; nicht unähnlich ebenfalls Herzberg, JA 1986, 194 ff., insb. 195, der zwar einen dreistufigen Deliktsaufbau für richtig erachtet, jedoch meint, zeigen zu können, dass Tatbestands- und Rechtswidrigkeitsvoraussetzungen, „oft nicht voneinander zu trennen“ seien; zwischen dem dreistufigen Verbrechensaufbau und der Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen versucht schließlich noch Jäger, Zurechnung, zusammenfassend S. 43 f., zu vermitteln; auch S / S28-Lenckner / Eisele, Vorbem §§ 13 ff. Rn. 17 ff., mag man hier nennen, obwohl sie doch insbesondere an der Redeweise von der Indizfunktion festhalten; gerade Lenckner hat wohl das Vordringen der vermittelnden Positionen eingeleitet. 388  Siehe nochmals nur Renzikowski, Notstand, S. 157. 389  Siehe zum Grundsätzlichen wiederum Gallas, ZStW 67 (1955), 16 ff.

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es sei ein systematisches Ordnungsprinzip390 nachweisbar. Der Tatbestand wird somit nicht mehr als eigenständige Wertungsstufe aufgefasst, und er wird von der Rechtswidrigkeit nur deshalb getrennt, weil es eine gewisse „Funktionsdifferenz“ gebe;391 – primär gemeint ist damit wohl das bereits oben beschriebene Verhältnis von Verbotsnorm und Erlaubnissatz, das nun aber gerade nicht mehr als ein scharf Trennbares verstandnen wird, sondern eben unter einer Wertungskategorie – dem Unrecht, der Rechtswidrigkeit – zusammengefasst wird, ohne dabei freilich der Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen das Wort reden zu wollen.392 b) Die „Rechtswidrigkeit“ betreffende Besonderheiten beim Fahrlässigkeitsdelikt Der den Unrechtsausschluss behandelnde Abschnitt wurde mit den Worten eingeleitet, dass auch beim Fahrlässigkeitsdelikt die Prüfung von Rechtfertigungsgründen prinzipiell genauso stattfinden müsse wie bei den Vorsatzstraftaten. Haben wir aber soeben schon gesehen, wie schwer sich die herrschende Literatur bereits bei der grundsätzlichen Scheidung von Unrechtstatbestand und Rechtswidrigkeit tut,393 wird es uns nicht verwundern, dass die Differenzierungsprobleme bei der Fahrlässigkeitstat noch offensichtlicher zu Tage treten. Gerade der Begriff der Sorgfaltspflichtverletzung dürfte – wie schon hier gesagt werden soll – zumindest mitursächlich sein, dass uns die Schwierigkeiten beim fahrlässigen Delikt in zugespitzter Art und Weise begegnen.

390  Dieser die Aussage wohl untermauern sollende Pleonasmus findet sich bei Perron, Rechtfertigung, S. 88, siehe dazu bereits Fn. 387 (Kap. 3). 391  LK-Rönnau, Vor § 32 Rn. 15 Fn. 33. – Rönnau spricht von einer „gewissen systematischen Selbständigkeit des Straftatbestandes“ (a. a. O., Rn. 16, Hervorhebung von mir); hier scheinen die insbesondere von Gallas, ZStW 67 (1955), 16 ff., insb. 31, separierten Tatbestandsbegriffe wohl etwas durcheinander zu geraten; gemeint sein dürfte der Unrechtstatbestand. 392  Bemerkenswert ist, dass S / S28-Lenckner / Eisele, Vorbem §§ 13 ff. Rn. 17 nur „zwei Wertkategorien“ – nämlich Rechtswidrigkeit und Schuld – anerkennen wollen, im Rahmen der Rechtswidrigkeit jedoch „zwei Wertungsvorgänge“ (a. a. O., Rn. 18) für nachweisbar halten; eine trennscharfe Abgrenzung findet sich – soweit ersichtlich – aber nicht. 393  Neuerdings möchte Kretschmer, NStZ 2012, 177 ff., 184, gar „die Rechtfertigungsgründe als Topos der objektiven Zurechnung“ begreifen.



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aa) Das Verhältnis von objektiver Sorgfaltspflichtverletzung und „Rechtswidrigkeit“ (1) A  uffassungen, die zwischen Sorgfaltswidrigkeit und Rechtswidrigkeit nicht differenzieren, beide Begrifflichkeiten in eins setzen Dass vor allem die Begrifflichkeit der Sorgfaltswidrigkeit entscheidenden Einfluss auf die allgemeine Strafrechtsdogmatik ausübt, wird ganz deutlich, wenn man sich die Ausführungen von Peter Frisch anschaut: Dieser diskutiert, ob es „mit der Erfüllung des Unrechtsmerkmals der objektiven Sorgfaltspflichtverletzung“ überhaupt noch eine Notwendigkeit geben kann, „das Fehlen der herkömmlichen Rechtfertigungsgründe“ gesondert festzustellen.394 Er meint nun: „Eine Stellungnahme zu dieser Frage erfordert nicht notwendig eine Auseinandersetzung mit der Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen.“395 Denn es sei im Rahmen der Fahrlässigkeitsdelikte bereits für sich genommen „nicht sinnvoll, erst eine ‚an sich‘ erforderliche Sorgfalt zu ermitteln und dann erst eine Konkretisierung der Sorgfaltspflicht aufgrund der Anforderungen der konkreten Situation vorzunehmen,“ da die Bestimmung der Sorgfaltspflicht doch nach allgemeiner Meinung immer situationsbezogen erfolge; vielmehr seien alle Merkmale, die eine Situation prägen, von vornherein zu erfassen.396 Eine Unterscheidung „zwischen tatbestandszugehöriger Verbotsnorm und rechtfertigender Erlaubnisnorm“ sei – bedingt durch die Anerkennung der „Verletzung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt als unrechtskonstitutives Merkmal“ – folglich verunmöglicht.397

394  Peter

Frisch, Fahrlässigkeitdelikt, 84. Frisch, Fahrlässigkeitdelikt, 85. 396  Peter Frisch, Fahrlässigkeitdelikt, 85. – Siehe außerdem Arzt, ZStW 91 (1979), 868 ff., insb. 869, sowie 885, der unter ausdrücklichem Hinweis auf Peter Frisch festhält, „daß es angesichts der Situationsbezogenheit des Fahrlässigkeitsmaßstabes nicht möglich, jedenfalls nicht sinnvoll ist, das Gefahrwissen bei der bewußten Fahrlässigkeit als Schaffung eines ‚grundsätzlich‘ verbotenen Risikos zu interpretieren und so Raum zu schaffen für eine ‚ausnahmsweise‘ Rechtfertigung“ und ferner: „Beim fahrlässigen Erfolgsdelikt funktioniert die vom vorsätzlichen Erfolgsdelikt geläufige Unterscheidung zwischen der dem Tatbestand zugeordneten Materie der Verbotsnorm und der der Rechtswidrigkeit zugeordneten Materie des Erlaubnissatzes nicht. […] Tatbestands- und Rechtswidrigkeitsüberlegungen sind im situationsbezogenen Sorgfaltsmaßstab verschmolzen.“ Vgl. außerdem Otto, NStZ 2001, 594 f.: „Verallgemeinert bedeutet das […], […] dass ein objektiv rechtmäßiges Verhalten nicht zugleich objektiv sorgfaltsrechtspflichtwidrig sein kann“. 397  Peter Frisch, Fahrlässigkeitdelikt, 85. – Im Ergebnis argumentieren so auch Ludes / Pannenborg, Jura 2013, 28, ohne allerdings die Auffassung von Peter Frisch zu zitieren: „Dies hat zur Folge, dass bei Fahrlässigkeitsdelikten das Vorliegen eines 395  Peter

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Zu gleichgelagerten Ergebnissen gelangen – wie nach obiger Diskussion offensichtlich sein sollte – diejenigen Autoren, die einen Gesamtunrechtstatbestand im Sinne der Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen konstruieren.398 (2) D  ie straftatsystematische Verortung der Rechtfertigungsgründe im Rahmen der Rechtswidrigkeit Dem soeben dargestellten – die Rechtfertigung vereinnahmenden – Sog des Merkmals der Sorgfaltswidrigkeit versucht sich aber, wie oben schon bemerkt, die überwiegende Meinung zu entziehen. Nach Feststellung der objektiven Sorgfaltspflichtverletzung (also der „eigentlichen“ Bestimmung des erlaubten Risikos) soll sich die Prüfung der Rechtfertigungsgründe – die „normale“ Rechtswidrigkeit – anschließen.399 Das mit einer solchen Abfolge zwingend einhergeht, ein hernach gerechtfertigtes Verhalten zunächst einmal als objektiv sorgfaltswidrig bezeichnet zu haben, scheint auch den Vertretern der herrschenden Meinung Unbehagen zu bereiten. Wohl deshalb wählen sie im Rahmen der Feststellung der Sorgfaltswidrigkeit, das heißt vor der Diskussion des Eingreifens etwaiger Rechtfertigungsgründe, nicht selten die Terminologie, das Verhalten sei „an sich sorgfaltswidrig“.400 Der Begriff der Sorgfaltspflichtverletzung scheint also doch eine irgendwie geartete Nähe zu den Rechtfertigungsgründen aufzuweisen: Eine allumfassende, nicht lediglich die „an sich“ Feststellung der Sorgfaltswidrigkeit kann wohl erst nach der Diskussion der Rechtfertigungsgründe erfolgen. Lenckner / Sternberg-Lieben heben – das terminologische Wirrwarr um das erlaubte Risiko quasi komplettierend – dann auch Folgendes hervor: Fälle, in denen „der Täter ausnahmsweise auf Grund einer besonderen Handlungsbefugnis die an sich sorgfaltswidrige Handlung auf die Gefahr hin vornehmen durfte, dass es zu dem tatbestandsmäßigen Erfolg kommt“, seien „die Fälle des im eigentlichen Sinn ‚erlaubten‘, d. h. gerechtfertigten Risikos“.401 Ist das erRechtfertigungsgrundes nicht nur Auswirkungen auf die Rechtswidrigkeit des Handelnden, sondern auch bereits auf das Vorliegen des Tatbestandes zeitigt“. 398  Dies hebt auch Rost, Rechtfertigungsgründe, S. 42, hervor. 399  Siehe nochmals oben Fn. 367  f. (Kap. 3); vgl. auch Otto, Schlüchter-FS, S. 84 f., sowie S. 77 f. Fn. 4. 400  In diesem Sinne arbeitet zum Beispiel S / S-Lenckner / Sternberg-Lieben, Vorbem §§ 32  ff. Rn. 94, 100 (Hervorhebung von mir). – Auch MK-Duttge, § 15 Rn. 195, räumt zumindest Schwierigkeiten in der Begriffsbildung ein: So will er „allenfalls“ – aber immerhin – terminologische Widersprüchlichkeiten erkennen. Man beachte aber, dass dieser von einem „pflichtwidrigen“, nicht von einem objektiv pflichtwidrigen Verhalten ausgeht, siehe dazu noch unten S. 298 ff. 401  S / S-Lenckner / Sternberg-Lieben, Vorbem §§ 32 ff. Rn. 100; ähnlich auch die Darstellung bei Jescheck, Strafrecht AT3, § 56 III 1. – In der Sache gleichlaufend



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laubte Risiko also doch nicht (vollumfänglich) auf der Unrechtstatbestandsebene, sondern im Sinne der zwischenzeitlich von Welzel vertretenen „offenen“ Konstruktion im Rahmen der Rechtswidrigkeit verortet? (3) D  ie objektive Sorgfaltswidrigkeit, das erlaubte Risiko auf Rechtswidrigkeitsebene? – zusammenfassende Bemerkungen und Exkurs Der aktuelle Konfusionen stiftende Streitstand bezüglich der Verortung der objektiven Sorgfaltswidrigkeit und des erlaubten Risikos macht es erforderlich, die gegenwärtig noch fortwirkenden Entwicklungslinien nochmalig kürzestmöglich zusammen zu fassen. Vorab ist aber noch Folgendes zu betonen: Regelmäßig werden im Rahmen der Fahrlässigkeitsstraftat die Begrifflichkeiten der sozial inadäquaten Gefahr, des nicht mehr erlaubten Risikos, der Sorgfaltswidrigkeit usw. synonym verwendet. Jedoch hat man sich insofern eindringlich vor Augen zu führen, dass wohl eine erhebliche Hürde für jede sich der systematischen Einordnung des erlaubten Risikos (und der mit diesem Begriff verbundenen Rechtsfiguren) widmenden Darstellung bereits in der Tatsache begründet liegt, bisher keine auch nur annähernde Einheitlichkeit in der Terminologie erzielt zu haben.402 Eine sich als argumentiert Maurach / Gössel, Strafrecht AT II, § 44 Rn. 11 (Hervorhebung im Original), der von „erlaubten normwidrigen, tatbestandlich-rechtsgutsbeeinträchtigenden sorgfaltswidrigen Handlungen“ spricht; vgl. ferner bereits Gössel, Bruns-FS, S. 53. 402  Zu den unterschiedlichen Begriffsbestimmungen zum erlaubten Risiko siehe vor allem die ausführliche Gesamtschau von Preuß, Untersuchungen zum erlaubten Risiko, der insofern gänzlich heterogene Anwendungsbereiche (Fallgruppen) nachweist (a. a. O., zusammenfassend S. 19 ff., sowie im Einzelnen S. 63 ff.). Im Rahmen der Fahrlässigkeit sieht sich das erlaubte Risiko freilich fast ausschließlich mit dem Gesichtspunkt der Interessenabwägung, mit der Fallgruppe des „überwiegend sozialen Nutzens“ verbunden (a. a. O., S. 46 ff.). Vgl. ferner Lackner / Kühl, Vor § 32 Rn. 29; NK-Paeffgen, Vor §§ 32 bis 35 Rn. 23 ff.; Schürer-Mohr, Erlaubte Risiken, S. 26 ff.; sowie die bisherigen Aufweise in dieser Arbeit, siehe dazu im Rahmen des Kapitels zur rechtsgeschichtlichen Entwicklung S.  55, 89, 93, 104  ff., 118, 126, 133  ff., 140 und im Rahmen dieses Kapitels nur S.  182, 190  f., sowie ausführlich 193  ff., 211  ff.; wie groß die Schwierigkeiten im Schrifttum noch immer sind, das erlaubte Risiko auf einen ansatzweise handhabbaren juristischen Begriff zu bringen, wird auch nachdrücklich deutlich bei einem Blick in die Abhandlung von Prittwitz, Risiko, S. 267 ff. und passim. – Siehe außerdem noch die weit überdurchschnittliche – weil abschichtende, dogmatische – Darstellung von Maiwald, Jescheck-FS, S. 405 ff. (siehe dazu aber unten den Fließtext bei Fn. 117 (Kap. 4)), der deutlich gemacht wissen will, dass das erlaubte Risiko lediglich einen Formalbegriff darstelle, der keinen Grund für das Erlaubtsein des Verhaltens abgebe; demgegenüber benenne die Sozialadäquanz (zumindest in gewissem Maße) Sachgründe für die Erlaubnis; die soziale Adäquanz könne somit eine Voraussetzung – neben anderen – für ein erlaubtes Risiko sein; beide Begriffe lägen auf unterschied-

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echte Wissenschaft begreifende Strafrechtsdogmatik sollte jedoch zumindest den (zugegebnermaßen nicht einfachen) Versuch antreten, die verwendeten Begrifflichkeiten wenn nicht klarzulegen, so doch zumindest gegen andere abzugrenzen – gerade wenn die ähnlich anmutenden Termini auf unterschiedlichen Deliktsebenen zum Einsatz kommen sollen. Wir hatten gesehen, dass der Sorgfaltsaspekt, also der die Interessenabwägung beinhaltende Begriff des erlaubten Risikos zunächst – also historisch gesehen: vor der Zentrierung auf einen deliktischen Handlungsunwert – regelmäßig im Rahmen der Schuld eingeordnet wurde. Nicht selten tauchte der Begriff allerdings lediglich verklausuliert auf, wie zum Beispiel bei v. Liszt als „Mangel an Vorsicht bei der Willensbetätigung“403, aber auch deutlicher wie zum Beispiel bei Beling404 und Mezger405. Man beachte demgegenüber jedoch auch die auftrennende Verortung bei Radbruch406, und die unsicher anmutende Einordnung des sog. maßvollen Risikos bei Binding407, sowie die nicht weiter vertiefenden Hinweise bei August Köhler408 und Mannheim409; man vergleiche ferner noch die Auffassungen von Exner410 und Engisch411, die das als Sorgfalt bezeichnete erlaubte Risiko nunmehr primär auf der Stufe der Rechtswidrigkeit angesiedelt sahen. Die die systematische Zuordnung betreffenden Schwierigkeiten werden dadurch verstärkt worden sein, dass bei der Bestimmung und Herausarbeitung des Erlaubtseins eines Verhaltens disparate Gegenstände miteinander zu kollidieren scheinen. Je nach Schwerpunktsetzung meinte man die – allerdings noch nicht als eigenständig anerkannte – Rechtsfigur des erlaubten Risikos, (eher) dem Unrecht oder (eher) der Schuld zuweisen zu müssen: Je lichen gedanklichen Ebenen, schon deshalb sei eine echte „Abgrenzung“ nicht möglich. (a. a. O., S. 408 f., Fn. 18). Auch der Begriff der „im Verkehr erforderlichen Sorgfalt“ sei ein zum „erlaubten Risiko“ gleichlaufender bloßer Formalbegriff; letztgenannter habe aber zumindest verdeutlichenden Charakter: „Er stellt klar, daß ‚sorgfältig‘ auch der handeln kann, der andere gefährdet, wenn er nur die […] Gefährdungserlaubnisse nicht überschreitet“ (a. a. O., S. 412). Zu Maiwalds Behauptung, das erlaubte R ­ isiko könne kein materiales Prinzip sein, siehe dessen Zusammenfassung, a. a. O., S. 424 f., vgl. dazu aber im Ganzen unten, S. 411 ff., insb. den Fließtext bei Fn. 117 (Kap. 4). 403  Siehe oben bei Fn. 116 (Kap. 2). 404  Siehe oben S. 72. 405  Siehe oben S. 98 f. 406  Siehe dazu ausführlich oben S. 65 ff. 407  Siehe oben S. 55. 408  Siehe oben S. 93. 409  Siehe oben S. 93 f. 410  Siehe dazu oben S. 89. 411  Siehe dazu ganz ausführlich oben S. 107 ff.



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stärker man im Unrecht auf das (einer Bestimmungsnorm zuwiderlaufende) Täterverhalten rekurriert, desto näher liegt die Verortung im Rahmen des Unrechts, denn was sollte die Rechtsordnung mehr verlangen können als die Einhaltung der gebotenen Sorgfalt – zu was sollte sie mehr verpflichten können? Dann aber hat man augenscheinlich größte Schwierigkeiten, einen davon überhaupt abschichtbaren, eigenständig materiellen Schuldgehalt aufzuweisen. Stellt man indessen im Unrechtsbereich (eher) auf die (einer Bewertung entgegenstehende) Erfolgsverursachung ab und statuiert den Pflichtbegriff auf der Schuldebene, konzipiert den Straftataufbau im Sinne einer grundsätzlichen Trennung von objektiv und subjektiv, sieht man sich regelmäßig schwerlich in der Lage, einen zum Beispiel kausal bedingten Todeserfolg als rechtmäßig zu bezeichnen; auch ist dann offensichtlich Erklärungsbedarf dahingehend vorhanden, warum das erlaubte Risiko keine bzw. keine berücksichtigungswürdige „objektive“ Komponente beinhalten soll. So drängt die Frage nach Beantwortung, ob es denn nicht originäre Aufgabe der Rechtsordnung sein muss, objektiv festzulegen, was erlaubt und was verboten ist. Ungeachtet dieser, wohl noch nicht in ihrer ganzen Tragweite erkannten verzahnten Probleme412 war man sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts allerdings weitestgehend darin einig, dass der Sorgfaltsgedanke, das erlaubte Risiko nicht auf Tatbestandsebene zu verorten sei; dies wohl deshalb, da Beling soeben erst seine Lehre von der Wertfreiheit des Tatbestandes begründet hatte. Welzel hat die Außerachtlassung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt in sein Straftatsystem bekanntlich wechselnd eingeordnet. Glaubte er zunächst, die Sorgfaltswidrigkeit – nachdem er die „Untrennbarkeitsthese“ aufgegeben hatte413 – nur auf Rechtswidrigkeitsebene verorten zu können,414 meinte er später, selbige im Rahmen des Tatbestandes statuieren zu müssen, um so Handlungsbegriff und Sorgfaltswidrigkeit noch näher – als es bereits durch die Lehre vom offenen Tatbestand versucht wurde – aneinander zu binden;415 maßgebliche Gründe für ein solches Vorgehen lieferten aber vielmehr andere Autoren.416 Die Schwierigkeit, den Handlungsunwert des fahrlässigen Deliktes heraus zu präparieren, bewirkte letztlich die schwankende Bestimmung von Tatbestandsmäßigkeit und Rechtswidrigkeit. Diese Probleme sind trotz anderslautender Beteuerungen bei weitem noch nicht ausge412  Siehe zum Ganzen auch die prägnante Zusammenfassung bei Preuß, Untersuchungen zum erlaubten Risiko, S. 30 ff.; sowie Roeder, Einhaltung des sozialadäquaten Risikos, S. 65 ff. 413  Siehe dazu oben S. 122 ff. 414  Siehe dazu oben S. 128 ff. 415  Siehe dazu oben S. 131 ff. 416  Siehe dazu oben S. 135 f. – Der Eindruck, Welzel habe sich getrieben gesehen, habe womöglich „fremdbestimmt“ gehandelt, scheint nicht gänzlich fernliegend.

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räumt; dies wird bei Begutachtung neuerer Differenzierungsversuche – wie dem der Abschichtung eines „an sich“ sorgfaltswidrigen Verhaltens und den Fällen des „im eigentlichen Sinn“ erlaubten Risikos – besonders deutlich.417 Die Strahlkraft des Merkmals der Sorgfalt, der objektiven Sorgfaltspflichtverletzung scheint – weil (angeblich) den für zentral gehaltenen Handlungsunwert bestimmend – ungebrochen und eine Abgrenzung von Tatbestandsmäßigkeit und Rechtswidrigkeit nur dem Worte, nicht aber der Sache nach zuzulassen. Unrechtstatbestand und Unrechtsausschluss werden mehr oder weniger formal geschieden, sehen sich aber vor allem im Rahmen der Fahrlässigkeitsstraftat durch die Verwendung des offenen Begriffs der Sorgfalt materiell unabgrenzbar. Es ist demnach zu konstatieren, dass nicht lediglich die Zuordnung des erlaubten Risikos innerhalb der Tatbestandsmäßigkeit – sprich: ob dem Handlungs- bzw. Erfolgsunwert zugehörig – umstritten ist, sondern außerdem – nach wie vor – die Frage nach der Rechtswidrigkeit umgreift. Nicht verwundern kann uns also, dass sich trotz des grundsätzlichen Ausgangspunktes – nämlich der Prüfung der objektiven Sorgfaltspflichtverletzung im Rahmen des (Unrechts-)Tatbestandes – gewisse „Zwitterauffassungen“ finden lassen, die das „erlaubte Risiko“ – zumindest teilweise – als Problem der Rechtswidrigkeit bestimmen wollen. Paeffgen behauptet gar, dass die herrschende Meinung den „Topos des ‚erlaubten Risikos‘ “ noch immer als Rechtfertigungsgrund einstufte / einstuft.418 Auch der Autor selbst hängt – unter Hinweis auf die ähnliche Abschichtung von u.  a. Lenckner – einer „differenzierenden Sicht“ an:419 „Wenn es in Wirklichkeit nicht um ‚erlaubte‘, (d. h. an sich: tatbestandsmäßige) Verhaltensweisen, sondern um ‚unverbotene‘ (d. h. nicht tatbestandsmäßige) geht, so stellt sich in der Tat die Frage nach einem Rechtfertigungsgrund gar nicht. Dies gilt für Fälle vom Typus der Flugreise-Empfehlung an den Erbonkel und andere Katheder-Fälle […]. Davon zu trennen sind diejenigen Fälle, in 417  Ergänzend sei noch Folgendes angemerkt: Wie sollte auch „plötzlich“ eine saubere Trennung möglich sein, wenn doch die Welzelschen strafrechtsdogmatischen Prämissen, wie unter anderem die der „Verbotsmaterie“, sachlich unangetastet bleiben? 418  NK-Paeffgen, Vor §§ 32 bis 35 Rn. 23. 419  Weitere differenzieren wollende Autoren sind exemplarisch: Gössel, BenglFS, S. 31 f. und 38 f.; und Preuß, Untersuchungen zum erlaubten Risiko, S. 185 f. Letzterer versucht a. a. O. ein materielles Unterscheidungskriterium herauszuarbeiten. Er will auf Tatbestandsebene solches Verhalten ausgeschlossen wissen, das „sozial selbstverständlich“, „sozialkongruent“ ist; eine solche Vorbewertung gelte für die Rechtfertigungsgründe dagegen nicht. – Zum Merkmal der „Sozialkongruenz“ vgl. auch Klug, Schmidt-FS, S. 262 ff. Diese soll das tatbestandsmäßige Verhalten ausschließen, während der „Sozialadäquanz“ rechtfertigende Kraft beigemessen werden soll.



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denen an sich tatbestandsmäßiges Tun vorliegt, das auch konkret Risiken für Rechtsgüter birgt. Dies gilt etwa für riskante Rettungshandlungen (in denen, etwa wegen zu geringer Ungleichwertigkeit der Güter, § 34 nicht zum Zuge kommt).“420 Ein materielles Unterscheidungskriterium liefert Paeffgen allerdings nicht.421 Auch er argumentiert lediglich dahingehend ­ formal, dass man „einer möglichen Verschleifung von Verbot- und Erlaubnissatz“ entgegenzuwirken habe: „Erlaubt sollte man aber nur das nennen, was trotz seiner grundsätzlichen Tatbestandsmäßigkeit (Verbotenheit) ausnahmsweise gestattet ist.“422 Weniger große Schwierigkeiten, Tatbestandsmäßigkeit und Rechtswidrigkeit – auch bzw. gerade bei der Fahrlässigkeitsstraftat – abzuschichten, haben naturgemäß die nicht auf einen Handlungsunwert rekurrierenden Autoren Baumann / Weber.423 Ihr Ansatz ist an dieser Stelle aber nur exkursorisch zu behandeln, da bei ihnen die Sorgfaltswidrigkeit nicht zum zentralen Merkmal der Tatbestandsmäßigkeit erklärt wird. Die Autoren sehen sich zumindest diesbezüglich in guter Tradition mit der älteren (neo-)klassischen Verbrechenslehre. Zwar ordnen Baumann / Weber die Sorgfaltswidrigkeit nicht mehr im Rahmen der Schuld ein, meinen aber „die objektive Sorgfaltspflichtverletzung“ (und die damit verflochtenen Merkmale – nämlich „die objektive Vorhersehbarkeit und Vermeidbarkeit der Tatbestandsverwirklichung“) als „Rechtswidrigkeitsmerkmale des Fahrlässigkeitsdelikts“ qualifizieren zu können,424 und wollen hier, das heißt im Rahmen ihrer „Rechtswidrigkeitslösung“, „dieselben Sachprobleme“ diskutiert wissen, mit 420  NK-Paeffgen, Vor §§ 32 bis 35 Rn. 24. – Meint Paeffgen also, dass der mit der abwertenden Katheder-Floskel belegte Fall der Flugreise keine konkreten Risiken für Rechtsgüter in sich birgt? Dies dürfte dann auf einer Verkennung der Realitäten fußen. 421  Das Fehlen eines materiellen Abgrenzungskriteriums tritt bei Paeffgen öfters deutlich zu Tage: „Es ist demzufolge eher eine Frage der Vereinbarung und der Pragmatik, ob man die ‚soziale Adäquanz‘ als ein weiteres Korrektiv in der Stufe der ‚normativen Zurechnung‘ ansieht – oder i. S. des erwähnten Vorfilters diesen Komplex vor der eigentlichen Tatbestands-Prüfung erörtert.“ (NK-Paeffgen, Vor §§ 32 bis 35 Rn. 36). Man wird sich des Eindrucks gewisser Beliebigkeit kaum erwehren können. 422  NK-Paeffgen, Vor §§ 32 bis 35 Rn. 28 f. 423  Siehe dazu Baumann / Weber / Mitsch, Strafrecht AT, § 3 Rn. 16 f.; § 22 Rn. 22. 424  Baumann / Weber / Mitsch, Strafrecht AT, § 22 Rn. 26. – Zu ähnlichen Ergebnissen gelangt ferner Oehler, Schmidt-FS, S. 232 ff., insb. 246: Dieser sieht sich allerdings noch näher an der althergebrachten Lösung, so er „die Beachtung der objektiven Sorgfaltspflicht“ „niemals […] zum Unrechtsausschließungsgrund gemacht“ wissen will, ungeachtet dessen postuliert er „für die rechtlich erlaubte gefahrvolle Handlung des Verkehrsteilnehmers oder des Unternehmers eines gefährlichen Betriebes“ sogleich einen engen Rechtfertigungsgrund. Siehe auch Oehler, Das objektive Zweckmoment, S. 70 ff., insb. 74 f.

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Kap. 3: Kritische Darstellung des aktuellen Sach- und Streitstandes

denen sich auch die herrschende auseinandersetze.425 Für die Tatbestandsmäßigkeit verbleibe demnach (neben der im Sinne des wertfreien, sog. kausalen Handlungsbegriffs zu bestimmenden Täterhandlung426) lediglich „bei Erfolgsdelikten der vom Tatbestand geforderte Erfolg und die Verbindung von Handlung und Erfolg, die Kausalität.“427 Den Grund für die nicht mehr im Rahmen der Schuld vorgenommene Verortung des Sorgfaltsgedankens sehen Baumann / Weber vor allem in Folgendem: „Die lückenlose Normierung wichtiger moderner Lebensbereiche […] mußte zu der Erkenntnis führen, daß bei völlig normgemäßem Verhalten über den Handelnden bereits nicht das Urteil der Rechtswidrigkeit gefällt werden kann.“428 bb) Weitere Charakteristika der Rechtfertigung beim fahrlässigen Delikt – insbesondere: Das subjektive Rechtfertigungselement Besonders umstritten ist weiterhin, ob und wenn ja, inwieweit bei der Fahrlässigkeitstat im Rahmen der Rechtswidrigkeit auch ein subjektives Rechtfertigungselement zu verlangen ist oder ob bei diesem „Deliktstyp“ bereits das Vorliegen der rein objektiven Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes für den Unrechtsausschluss genügt. Die überwiegende Literaturauffassung geht nun dahin, dem so genannten Verteidigungswillen im Sinne des § 32 StGB oder dem Begehen „um abzuwenden“, einem „Rettungswillen“ gemäß § 34 StGB etc. – also den subjektiven Rechtfertigungselementen – beim fahrlässigen Delikt im Ergebnis keine Relevanz beizumessen. Allerdings differieren die insofern vertretenen dogmatischen Lösungsansätze nicht unbeträchtlich. Jedoch ist allen Auffassungen gemein, zur Problemlösung auf die bereits im Rahmen des (Unrechts-)Tatbestandes geltend gemachte Differenzierung in Handlungs- und Erfolgsunwert – zumindest mittelbar – zu rekurrieren. Dies ist zwangsläufige Folge des Verständnisses des der Rechtfertigung zugrundliegenden Prinzips. Hierzu sind vorab einige 425  Baumann / Weber / Mitsch, Strafrecht AT, § 22 Rn. 22; siehe sodann die Einzelausführungen (a. a. O., Rn. 30 ff.), wo sich die Autoren den bekannten Problembereichen wie unter anderem dem Vertrauensgrundsatz (Rn. 44), sowie der Frage nach der Berücksichtigung von Sonderfähigkeiten und -wissen (Rn. 45 ff.) widmen. Bemerkenswert ist die Verortung der Fälle des oben so bezeichneten rechtmäßigen Alternativverhaltens und der Rechtsfiguren des Pflicht- oder Rechtswidrigkeitszusammenhangs im Rahmen der Rechtswidrigkeit. Wäre der Erfolg „auch bei pflichtgemäßem (sorgfaltsgerechtem) Verhalten eingetreten“, führe dies zur „Unvermeidbarkeit der Erfolgsherbeiführung“ (Rn. 49 ff.). 426  Baumann / Weber / Mitsch, Strafrecht AT, § 22 Rn. 15 ff. 427  Baumann / Weber / Mitsch, Strafrecht AT, § 22 Rn. 28. 428  Baumann / Weber / Mitsch, Strafrecht AT, § 22 Rn. 19.



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klarstellende Worte geboten.429 Nahezu allgemein anerkannt – selten aber ausdrücklich dargetan – ist folgendes Verständnis des Unrechtsausschlusses durch Rechtfertigung:430 Die Unwertkomponenten des Unrechts können durch werthafte Momente ausgeglichen werden – und zwar dann, wenn die in einem Rechtfertigungsgrund umschriebenen Voraussetzungen erfüllt sind. Handlungs- und Erfolgsunwert können durch ihre positiven, wertverwirklichenden Gegenstücke, nämlich Handlungs- und Erfolgswert elementweise kompensiert werden. Den Unrechtstatbestandskomponenten sollen also – quasi spiegelbildlich – Rechtfertigungskomponenten entsprechen. Einfach gewendet: Liegt zum Beispiel im Sinne des § 32 StGB ein gegenwärtiger, rechtswidriger Angriff vor, und ist eine (in objektiver Hinsicht) geeignete und erforderliche Verteidigungshandlung gegeben, liegt also eine Rechtfertigungskomponente vor, soll sie ihren Widerpart auf Tatbestandsseite aufwiegen, aufheben können. Im Einzelnen: Eine Auffassung meint nun, dass beim Fahrlässigkeitsdelikt im Unterschied zur Vorsatztat auf das Vorliegen eines subjektiven Rechtfertigungselements schon von vornherein verzichtet werden müsse; ein solches Erfordernis zu verlangen, laufe – auch in einer der Fahrlässigkeit angepassten Form, d. h. jedenfalls Kenntnis der Rechtfertigungslage bzw. einen allgemeinen, generellen Verteidigungswillen etc. des Täters zu fordern – dem Wesen des Fahrlässigkeitsdelikts zuwider,431 da in einem solchen Fall bereits „kein strafbarer Handlungsunwert (= folgenlose Sorgfaltspflichtverletzung) vorliegt, der durch ein subjektives Rechtfertigungselement ‚aufgehoben‘ werden müsste.“432, 433 429  Dies gilt umso mehr, da die im Schrifttum zu findenden, auf das subjektive Rechtfertigungselement beim Fahrlässigkeitsdelikt bezogenen Darstellungen nicht selten die unterschiedlichen Begründungen wenn nicht falsch, so doch ungenau wiedergeben. 430  Siehe zum Ganzen – nicht nur für detaillierte Literaturhinweise – vor allem Röttger, Unrechtsbegründung, S. 13 ff., insb. S. 15 Fn. 4; sowie Puppe, Stree / Wessels-FS, S. 183 ff., die dieses Verfahren als sog. „Saldierungsmodell“ kennzeichnet. 431  Vgl. insofern vor allem Frisch, Lackner-FS, S. 130 ff. 432  So dann auch Kühl, Strafrecht AT, § 17 Rn. 80; sowie sehr ähnlich, dabei aber noch deutlicher auf den Handlungsunwert abstellend Kretschmer, Jura 2002, 117 (es liege kein „auszugleichender – strafbarer – Handlungsunwert“ vor); siehe außerdem noch Streng, Otto-FS, S. 485 f. – Man beachte: Alle drei Autoren zitieren für die Bestätigung ihrer Auffassung unter anderem Jescheck / Weigend, Strafrecht AT, § 56 I 3, die aber – freilich nur für die Erfolgsdelikte – ausdrücklich das Handlungsunrecht für gegeben und nur das Erfolgsunrecht für ausgeschlossen erachten. Man kann also bereits hier Bedenken anmelden, ob die verschiedenen Begründungen tatsächlich sachlich differieren sollen. Exemplarisch: Man könnte Kühl (a. a. O.) wohl ebenfalls so deuten, als wolle er nur kundtun, dass nur kein strafbarer Handlungsunwert vorliege, weil es eben am Erfolgsunwert mangele und der Handlungsunwert als solcher bei der Fahrlässigkeitstat eben nicht strafbar sei (dies würde al-

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Die überwiegende Auffassung verfolgt jedoch eine wohl andere Argumentationslinie: Den subjektiven Rechtfertigungselementen wird bei der Fahrlässigkeitstat nicht per se die Relevanz für den Ausschluss der Rechtswidrigkeit (bzw. der Strafbarkeit) abgesprochen;434 man sieht sich vielmehr folgender, zunächst auf das Vorsatzdelikt verweisender Begründung gegenüber:435 Eine Tat könne nur dann gerechtfertigt sein, wenn beiderlei Unwerte gleichermaßen entfielen;436 bleibe der Handlungsunwert bestehen, 433

lerdings ausdrücklich nur für die „klassischen“ Erfolgsdelikte gelten – worauf freilich nicht deutlich hingewiesen wäre). Dann aber dürfte die von ihm a.  a.  O. dargestellte Gegenposition (dazu sogleich im Fließtext) nicht mehr als solche gelten – beide Begründungsansätze wären vielmehr deckungsgleich. Sollte dagegen erstere Deutung der Äußerungen von vor allem Kühl und Kretschmer richtig sein (kein auszugleichender Handlungsunwert), stellt sich die Frage, ob beide Autoren dann nicht quasi über Kreuz saldieren: Warum sollte man einen Erfolgswert (Vorliegen der objektiven Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes) „plötzlich“ mit dem Handlungsunwert (objektive Sorgfaltspflichtverletzung) verrechnen dürfen? Oder gehen die Autoren womöglich doch davon aus, dass die Fahrlässigkeitstraftat entgegen eigener Beteuerungen gar keinen „echten“ Handlungsunwert aufweist? In diese Richtung deuten jedenfalls die Äußerungen von Streng, Otto-FS, S. 485: „Mangels finalem Handlungsunrecht kann insofern auch kein Element der Tatunrechtskompensation in Form eines Bewußtseins oder Willens zum ‚recht-Handeln‘ verlangt werden.“ Da Streng a. a. O. seine Folgerungen ausdrücklich nur auf den „Bereich des fahrlässigen Erfolgsdelikts“ erstrecken will, wäre es interessant zu wissen, ob denn die fahrlässigen Tätigkeitsdelikte aus seiner Sicht „plötzlich“ finales Handlungsunrecht aufweisen sollen – wollte er zwischen Tätigkeitsdelikten und Erfolgsdelikten in Bezug auf die Relevanz der subjektiven Rechtfertigungselemente nicht differenzieren, wäre seine einleitende Beschränkung auf die Erfolgsdelikte unerklärlich. 433  Nicht unähnlich argumentiert Schmitt, JuS 1963, insb. 68, der, „weil sie alle in diesem Bereich [der Fahrlässigkeitsstraftaten] mit einem rein objektiven Unrechtsbegriff arbeiten“, zum Ergebnis kommt: „Insoweit genügen folglich die objektiven Rechtfertigungsmerkmale.“ 434  Man beachte aber, dass sich neben der soeben dargestellten auch noch andere Auffassungen finden lassen, die – freilich mit anderer Begründung – die subjektiven Rechtfertigungselemente bei der Fahrlässigkeitstat gewissermaßen von vornherein für unmaßgeblich halten. Siehe insofern nur: Puppe, Stree / Wessels-FS, S. 183 ff., insb. 187, die das (nahezu) allgemein angewandte, verschiedene Unwerte und Werte saldierende (Rechtfertigungs-)Modell ablehnt und festhält, dass es ausreichend sei, „daß objektiv zwischen dem Erfolgsunwert und dem Erfolgswert diejenigen Beziehungen bestanden, kraft deren der Erfolgsunwert herbeigeführt werden durfte.“ Vgl. ferner die Ausführungen von MK-Hardtung, § 222 Rn. 57 f., der die Rechtswidrigkeit bereits für ausgeschlossen erachtet, wenn nur einer der „(maximal drei) Unrechtsposten, die für die Bejahung des Tatbestandes nötig sind (Erfolgsunrecht, Verhaltensunrecht, Vorstellungsunrecht), […] entfällt.“ Liegen die Umstände, die zur Rechtfertigung notwendig sind, objektiv vor, sei die Rechtswidrigkeit (bezogen auf den § 222 StGB) – mangels Erfolgsunrechts – zwingend zu verneinen. 435  Ganz in diesem Sinne Burgstaller, Fahrlässigkeitsdelikt, S. 175 ff. 436  Siehe nur Geppert, Jura 1995, insb. 104; S / S-Lenckner / Sternberg-Lieben, Vorbem §§ 32 ff. Rn. 13; sowie Wessels / Beulke / Satzger, Strafrecht AT, Rn. 277; vgl.



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so sei die Tat rechtswidrig und es stelle sich im Rahmen des Vorsatzdeliktes „nur noch“ die Frage, ob man wegen Vollendung oder Versuch zu strafen habe. Letztgenannter Variante (der sog. Versuchslösung437) will die inzwischen herrschende Auffassung nun deshalb folgen, da der Erfolgsunwert ja bekanntlich aufgrund der objektiv gegebenen Rechtfertigungslage wegfallen soll; der Handlungsunwert allerdings bleibe bestehen, was der Deliktsstruktur des Versuchs ähnle und demzufolge eine – so wiederum die überwiegende Meinung – entsprechende438 Anwendung der Versuchsvorschriften bedinge. Sodann vollführt man einen Brückenschlag: Im Rahmen der Fahrlässigkeitsstraftat mangle es jedoch gerade an der beim Vorsatzdelikt vertypten Strafbarkeit des Versuchs: „Es gibt keinen fahrlässigen Versuch“439, so dass der lediglich bestehende Handlungsunwert nicht strafbar sein könne.440 Umstritten ist dann aber weiter, ob diese Argumentation auch für die Tätigkeitsdelikte durchgreife. Verneint wird dies unter anderem von Jescheck / Weigend, die – ohne dies ausdrücklich darzutun – wohl davon ausgehen, dass hier der durch das bloße Vorliegen der objektiven Rechtfertigungsvoraussetzungen unkompensiert bleibende Handlungsunwert ausnahmsweise als solcher strafbar sei.441 Andererseits wird darauf abgestellt, dass es auch den Tätigkeitsdelikten „in einem weiteren Sinne nicht an einem sozialinadäquaten ‚Erfolg‘ [fehlt], der durch die objektiven Voraussetzungen eines Erlaubaußerdem – auf die beiden Erstgenannten ausdrücklich verweisend – MK-Duttge, § 15 Rn. 200. 437  Siehe für umfassende Literaturhinweise zu diesem zunächst nur die Vorsatzdelikte betreffenden Problem Hillenkamp, 32 Probleme Strafrecht AT, S. 35 ff., und Jescheck / Weigend, Strafrecht AT, § 31 IV 2 Fn. 33 f. 438  Für entsprechende Anwendung der Versuchsregeln zum Beispiel Jescheck / Weigend, Strafrecht AT, § 31 IV 2; Wessels / Beulke / Satzger, Strafrecht AT, Rn. 278 f. – Für direkte Anwendung allerdings exemplarisch MK-Schlehofer, Vor §§ 32 ff. Rn. 98, und wohl auch MK-Hardtung, § 222 Rn. 57 f., der auf die Ausführungen bei Schlehofer verweist. 439  Jescheck / Weigend, Strafrecht AT, § 56 I 3. 440  Siehe ferner Stratenwerth / Kuhlen, Strafrecht AT, § 15 Rn. 42 ff.; sowie Roxin, Strafrecht AT, § 24 Rn. 103, der – etwas unbestimmt – nur davon spricht, „dass subjektive Rechtfertigungselemente beim Fahrlässigkeitsdelikt normalerweise nicht erforderlich sind.“; außerdem noch Burgstaller, Fahrlässigkeitsdelikt, S. 180 f., der aufgrund des rein objektiven Handlungsunwertes der Fahrlässigkeitstat darüber sinniert, das „in Rede stehende Element [gemeint ist das subjektive Rechtfertigungsmerkmal] entsprechend zu objektivieren“, der dann aber ebenfalls – mangels Inkriminierung des fahrlässigen Versuchs – zur Straflosigkeit gelangt (vgl. zu einem solchen Versuch nur Röttger, Unrechtsbegründung, S. 57). – S / S-Lenckner / Sternberg-Lieben, Vorbem §§ 32 ff. Rn. 97 ff., wollen nach unterschiedlichen subjektiven Merkmalen differenzieren, halten die subjektiven Rechtfertigungselemente aber weitestgehend für „ohne Bedeutung.“ 441  Jescheck / Weigend, Strafrecht AT, § 56 I 3; so wohl auch Rönnau, JuS 2009, 596.

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nissatzes kompensiert werden kann“.442 Kommen die vorstehenden Autoren – zumindest für die Erfolgsdelikte – also samt und sonders zu dem Ergebnis, den subjektiven Rechtfertigungselementen für die Fahrlässigkeitsstraftat keine Relevanz zuzubilligen, darf man diese Argumentation – ungeachtet gleicher Ergebnisse – nicht mit einer heute wohl kaum bzw. eher nicht mehr vertretenen rein objektiven Unrechtslehre identifizieren.443 Die Gegenposition, der auch die Judikatur zuzuneigen scheint,444 verlangt demgegenüber das Vorliegen subjektiver Rechtfertigungselemente auch bei der Fahrlässigkeitstat – jedenfalls in modifizierter Form. Angeführt wird dafür, dass man anderenfalls – „folgerichtig weiter gedacht“ – „eine Rechtfertigung schon beim Vorliegen schlicht der objektiven Rechtfertigungsseite eintreten lassen“ würde.445 Einige Autoren postulieren dann auch das Vorliegen des „Widmungszwecks (Verteidigungswille, Gefahrabwendungswille u. dgl.)“446 bzw. verlangen ein „Weil-Motiv“ des Täters zur Rechtfertigung, fordern also ebenso wie bei der Vorsatztat, „daß er rea­giert“,447 beziehen insofern eine strenge Position.448 Andere Literaturstimmen wollen sich da442  MK-Duttge, § 15 Rn. 201; siehe auch Roxin, Strafrecht AT, § 24 Rn. 106. – Man beachte bereits an dieser Stelle: Eine solche Argumentation kann nur so verstanden werden, als halte man im Ergebnis eine Über-Kreuz-Saldierung von Erfolgswert und Handlungsunwert für möglich. 443  Siehe insofern nur LK11-Spendel, § 32 Rn. 138 ff., 60 ff., sowie Spendel, Bockelmann-FS, S. 245 ff. (beide Stellungnahmen mit weiterführenden, zumeist älteren Literaturhinweisen). Selbiger verneint die Relevanz subjektiver Rechtfertigungselemente überhaupt, das heißt für Fahrlässigkeits- und Vorsatzdelikt – und zwar hauptsächlich mit der Begründung einer anderenfalls eintretenden Bestrafung des bloß bösen Willens, einer reinen Gesinnungsstrafe; selbst eine Versuchsstrafbarkeit (beim Vorsatzdelikt) soll ausdrücklich ausscheiden, siehe wiederum nur LK11-Spendel, § 32 Rn. 138 Fn. 276. – Dass die herrschende Meinung und die „Objektivisten“ aber gleichwohl bemerkenswert nah beieinander sind, weist eindrucksvoll Alwart, GA 1983, 455, nach: „Eine solche Unrechtsbetrachtung [der elementweisen Saldierung nach herrschender Diktion] erscheint als reiner Objektivismus, nur eben unter dem umgekehrten Vorzeichen des Unrechtsausschlusses. Das überrascht, wenn man sich an die üblichen Bekenntnisse zur subjektivistischen Lehre vom personalen Unrecht erinnert. Die Sachgerechtheit der zugrunde gelegten Begriffe müßte schon von daher allseits in Frage gestellt werden.“ 444  OLG Hamm NJW 1962, 1169  f.; ausdrücklich offen gelassen dagegen in BGHSt 25, 229, 232. – Weitere Hinweise bei Geppert, Jura 1995, 107. 445  NK-Paeffgen, Vor §§ 32 bis 35 Rn. 143, dort auch zu diese Konesequenz tatsächlich ziehenden, weiteren Literaturstimmen. 446  LK11-Hirsch, Vor § 32 Rn. 58. 447  Alwart, GA 1983, 455; zu beachten ist jedoch, dass der Autor daneben auch Rechtfertigungsgründe anerkennt, die ein subjektives Rechtfertigungselement gerade nicht voraussetzen (a. a. O., S. 452 Fn. 37). 448  In diesem Sinne auch NK-Paeffgen, Vor §§ 32 bis 25 Rn. 144, der insbesondere die „pseudo-mathematisierende Saldierung“ kritisiert.



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gegen mit „der bloßen Kenntnis des Täters“ von der Rechtfertigungssitua­ tion in subjektiver Hinsicht zufrieden geben, da ja „in der Fahrlässigkeitstat im Vergleich zur Vorsatztat nur minder schweres Handlungsunrecht zum Ausdruck kommt“,449 oder verlangen (ergänzend) das Vorliegen „eines generellen Verteidigungswillens“.450 Eine vermittelnde Position nimmt Jung­ claussen ein, der zwar festhält, „daß auch die Rechtfertigung der Fahrlässigkeitstat in der Regel subjektive Rechtfertigungselemente erfordert“ und bei dieser „keine vom Vorsatzdelikt verschiedene, ihm gegenüber modifizierte Struktur der subjektiven Rechtfertigungselemente“ grundsätzlich nachweisbar sei,451 dann aber kund tut: „Im Falle des teilweisen oder vollständigen Fehlens des subjektiven Rechtfertigungselements mindert die gegebene objektive Rechtfertigungslage jedoch die Höhe des dem Täter vorzuwerfenden Unrechts. Diese Minderung […] kann in bestimmten Ausnahmefällen ein solches Ausmaß erreichen, daß das vom Täter verwirklichte Unrecht qualitativ und quantitativ dem Unrecht des fahrlässigen Versuchs gleichsteht.“452 Auf weitere die Rechtfertigung der Fahrlässigkeitstat betreffende Besonderheiten braucht an dieser Stelle – weil bereits oben der Sache nach aufgewiesen453 – nur kurz eingegangen zu werden. Insbesondere wird diskutiert, ob und wenn ja, unter welchen Voraussetzungen eine – regelmäßig auf Rechtfertigungsebene verortete454 – Einwilligung des Verletzten auch in Lebensgefährdungen möglich sei.455 Von der wohl herrschenden Meinung wird dies bejahend beantwortet.456 Andere Autoren weisen demgegenüber 449  Siehe insofern Geppert, ZStW 83 (1971), 979 (dort allerdings nur für den Bereich der Einwilligung argumentierend, die „– anders als die diversen rechtfertigenden Notrechte – nicht schon begrifflich einen bestimmten Verteidigungswillen“ voraussetze; siehe auch Hassemer, JuS 1980, 414, der allerdings keiner Einschränkung ausdrücklich das Wort redet. 450  Siehe dazu Geppert, Jura 1995, 107; vgl. auch Maurach / Gössel, Strafrecht AT II, § 44 Rn. 18. 451  Jungclaussen, Die subjektiven Rechtfertigungselemente, S. 175. 452  Jungclaussen, Die subjektiven Rechtfertigungselemente, S. 180. Siehe dort auch weitergehend: „Ein solcher Ausnahmefall liegt dann vor, wenn der Täter im konkreten Einzelfall die fahrlässige Handlung mit Hilfe des subjektiven Rechtfertigungselements im Hinblick auf die vom Rechtfertigungsgrund angestrebte Rechtsgutserhaltung nicht hätte sorgfältiger vornehmen können.“ 453  Siehe oben S. 204 ff. 454  Anders aber – worauf bereits hier hingewiesen sei – exemplarisch Langer, Die Sonderstraftat, S. 47 ff., 72 f., 77 f., der die wirksame Einwilligung als sog. Tatbestandsausschluss, als Fall einer scheinbaren Rechtsgutsverletzung, demnach im Rahmen der Unrechrechtsbegründung einordnet. 455  Eine in eine Falllösung verpackte Kurzzusammenstellung der vertretenen Meinungen liefert Irene Sternberg-Lieben, JuS 1998, 429 f.; zusammenfassend auch Otto, Tröndle-FS, insb. S. 172 ff.; vgl. ferner Christmann, Jura 2002, insb. 681 ff. 456  Siehe nur Berz, GA 1969, 148; LK11-Schroeder, § 16 Rn. 180.

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darauf hin, dass „eine Einwilligung in den Erfolg […] selbst bei bloßer Verletzung selten vorliegt, weil derjenige, der sich einem Risiko aussetzt, auf einen glücklichen Ausgang zu vertrauen pflegt; eine Einwilligung in die bloße Gefährdung könnte aber das Unrecht nur ausschließen, wenn nicht auch der Erfolg wesentlicher Bestandteil des Unrechts wäre.“457 Nicht selten wird deshalb die Schaffung einer eigenen Rechtsfigur befürwortet: „In den Fällen, in denen der Täter lediglich in eine ‚Gefährdung‘ eingewilligt hat, handelt es sich um das Problem der ‚einverständlichen Fremdge­ fährdung‘.“458 Abschließend ist nochmals – zusammenfassend – auf eine bemerkenswerte Besonderheit im Rahmen der Rechtfertigung der Fahrlässigkeitsstraftat nachdrücklich hinzuweisen. Die überwiegende Auffassung im Schrifttum geht dahin, das Vorliegen der rein objektiven Rechtfertigungsvoraussetzungen genügen zu lassen, um wenn nicht zur Rechtfertigung, so doch zumindest zur Straflosigkeit des in Rede stehenden fahrlässigen Deliktes zu gelangen; insofern zeigt sich eine deutliche Nähe zu denjenigen Autoren, die insgesamt eine rein objektiv ausgerichtete Unrechtslehre befürworten.459 Dies erscheint um so verwunderlicher, da man für die Unrechtsbegründung doch sonst so deutlich auf den personalen Charakter des Unrechts, den 457  So exemplarisch Roxin, Strafrecht AT, § 11 Rn. 121; vgl. auch Renzikowski, JR 2001, 248. – Dieser Kritik will Schaffstein, Welzel-FS, S. 563 ff., insb. 567 f., dadurch entgehen, dass er die Einwilligung nicht auf den Erfolg, sondern nur auf die Gefährdung bezieht – der Handlungsunwert begründe bei der fahrlässigen Straftat allein das Unrecht. 458  Siehe nochmals nur Roxin, Strafrecht AT, § 24 Rn. 108. 459  Ausgenommen sind freilich diejenigen Autoren, die auch bei der Fahrlässigkeitstat – zumindest im Grundsätzlichen – keine Abstriche vom Erfordernis der subjektiven Rechtfertigungselemente machen. – Stilblüten treibt aber auch die extreme Gegenposition; siehe zum Folgenden Zielinski, Unrechtsbegriff, insb. S. 255 ff.: Zielinski begründet den Unrechtsausschluss – wie auch die Unrechtsbegründung – subjektiv: „Nur dadurch, daß die ‚an sich sorgfaltswidrige‘ Handlung zugleich ein rechtlich positiv bewertetes Handlungsziel intendiert und damit einen Handlungswert realisiert, ergibt sich die Möglichkeit, den durch die Sorgfaltswidrigkeit ‚an sich‘ konkretisierten Handlungsunwert zu kompensieren und das Unrecht auszuschließen“ (a. a. O., 255). Zu Recht weist aber Stratenwerth, Schaffstein-FS, S. 191 (vgl. auch Röttger, Unrechtsbegründung, S. 48), darauf hin, „daß mit der positiven Intention allein wenig auszurichten ist: Schießt etwa jemand mit Schrot auf eine fremde Katze, die in seinem Fischweiher wildert, und verletzt ein Kind schwer, das er übersehen hat, so kann offenbar das ‚rechtlich positiv bewertete Handlungsziel‘ (vgl. § 228 BGB) an der Fahrlässigkeit seines Verhaltens nicht das geringste ändern.“ Beachte: Auch Zielinski (a. a. O., insb. S. 276) will bei fahrlässiger Annahme einer Rechtfertigungslage die Möglichkeit einer Fahrlässigkeitsbestrafung freilich nicht grundsätzlich ausschließen („was der Täter zu tun glaubte, durfte er tun; er durfte es aber nicht glauben!“). Im Ergebnis ist damit eine rein subjektive Unrechtslehre aufgegeben.



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Handlungsunwert verweist – was ja insbesondere dazu führen soll, den Vorsatz als zentrales subjektives Merkmal auf der Unrechtsebene verorten zu müssen.460 Lässt man nun aber – einfach gewendet – etwas rein Objektives, einen Erfolgswert ausreichen, um den sog. Handlungsunwert bei der Fahrlässigkeitstat als ausgeglichen oder zumindest als straflos zu betrachten,461 mag man zumindest Zweifel hegen, ob man dann noch die Handlung als das zentrale personale Moment der Fahrlässigkeit bezeichnen kann, oder ob mit diesem Konzept nicht die Folgerung einhergehen müsste, der Fahrlässigkeitstat letztlich einen „echten“ Handlungsunwert abzusprechen. Diese Überlegung ist zwar keine originär aus der Struktur der Rechtfertigung folgende, sondern sie berührt vielmehr bereits dessen gedanklichen Ausgangspunkt, nämlich die Frage nach der Unrechtsbegründung, und wird an dieser Stelle erneut462 besonders deutlich; sie tritt hier gewissermaßen mit umgekehrten Vorzeichen nochmals auf. Die vermeintlichen, scheinbar auch die Rechtfertigung ergreifenden Unterschiede werden viele Autoren dahingehend bewegen, Vorsatz- und Fahrlässigkeitsdelikt nicht als im Verhältnis von Plus zu Minus stehend zu betrachten, sondern deren AliudCharakter zu betonen. 3. Die Schuld des fahrlässigen Delikts Bevor nun inhaltlich in die Diskussion um die Schuld beim Fahrlässigkeitsdelikt vertiefter einzusteigen ist, muss einleitend noch auf folgende Problemkonstellation hingewiesen werden: Zu einer ansatzweise umfassenden und insbesondere angemessenen Darstellung des Schuldbegriffs „der herrschenden Meinung“ zu gelangen, erscheint gerade bei der Fahrlässigkeitstat von immenser Schwierigkeit. Einerseits sieht man sich hier nicht nur der Tatsache gegenüber, dass nahezu sämtliche Autoren die Schuld größtenteils ­lediglich mittels Verweises auf allgemeinere, regelmäßig das Vorsatzdelikt betreffende Stellungnahmen behandeln (ungeachtet des doch angeblich be­ stehenden Aliud-Verhältnisses), sondern man wird auch mit dem Faktum konfrontiert, dass der Umfang der Ausführungen im Vergleich zum Unrechts460  Verquer mutet es an, dass Jungclaussen, Die subjektiven Rechtfertigungselemente, exemplarisch S. 104 f., 157 ff., demgegenüber den Beweis gegen Anhänger einer personalen Unrechtslehre erbringen muss, dass der Verzicht auf subjektive Rechtfertigungselemente beim Fahrlässigkeitsdelikt gerade nicht aus der personalen Unrechtslehre folgt. 461  Weiterhin sei daran erinnert, dass es daneben äußerst fraglich erscheint, wie eine Saldierung ungleichartiger Momente aussehen können sollte; vgl. dazu noch Jungclaussen, Die subjektiven Rechtfertigungselemente, S. 102. 462  Die Schwierigkeiten, einen Handlungsunwert bei der Fahrlässigkeitstat herauszupräparieren, sollten insbesondere – sicherlich nicht nur – bei der Auseinandersetzung mit der Geschichte des Finalismus deutlich geworden sein.

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Kap. 3: Kritische Darstellung des aktuellen Sach- und Streitstandes

bereich relativ gering ist. Exemplarisch: Burgstaller behandelt die dem Unrecht der Fahrlässigkeitstat zuzurechnenden Überlegungen auf knapp 150 Seiten, die die Schuld betreffenden Darlegungen belaufen sich dagegen auf nicht einmal 20 Buchseiten.463 Anderseits scheint dadurch, dass der Schuld des Fahrlässigkeitsdeliktes so wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird, der unbestreitbare Befund konterkariert, dass sich zum Schuldbegriff als solchen zahlreichste Theorien finden lassen, die in fast unzähligen Einzelmonographien entfaltet werden.464 Beschaut man sich nun aber diese unterschiedlichen Schuldbegriffe in Bezug auf ihre Rückwirkung auf die spezielle Fahrlässigkeitsschuld – wenn, was ebenfalls nicht unumstritten ist, es eine solche überhaupt gibt –, herrscht dann jedoch, wie im weiteren Verlauf noch genauer zu zeigen sein wird, relative Einmütigkeit; so lassen sich ungeachtet des vertretenen allgemeinen Schuldbegriffs kaum nennenswerte Auswirkungen auf die Einzelanforderungen der Fahrlässigkeit ausmachen. Man hat sich an dieser Stelle nochmals eindringlich vor Augen zu führen, dass die Diskussion um den allgemeinen Schuldbegriff in beachtlicher Weise „vom Philosophieren“ geprägt ist,465 wie es bereits die rechtsgeschichtliche Debatte gezeigt haben sollte – erinnert sei nur an die immer wiederkehrende Diskussion um den Willensschuldbegriff. Diese festzustellende geringe Ergebnisrelevanz soll freilich – wie erneut zu betonen ist – keine grundsätzliche Abqualifikation eines philosophischen Ansatzes darstellen, lässt jedoch die Frage aufkommen, ob bei ausführlicher Diskussion der insofern vertretenen Theorien Nennenswertes zu gewinnen wäre, gerade wenn die Fahrlässigkeit in vielen der 463  Siehe Burgstaller, Fahrlässigkeitsdelikt, S. 31  ff., 182 ff. – Das angeführte Beispiel könnte gleichsam beliebig ergänzt werden, vgl. noch Kühl, Strafrecht AT, § 17, wo die „klausurrelevanten“ Ausführungen zum Unrecht ca. 30, die zur Schuld keine vier Seiten einnehmen, wobei sich die Erläuterungen zu letzterer fast hälftig auf die Problematik der „actio libera in causa“ konzentrieren. 464  Für eine erste Literaturübersicht vgl. nur S / S-Eisele, Vorbem §§ 13  ff. vor Rn. 103 / 104. 465  Als Beispiele für (fast) ausschließlich rechtsphilosophisch begründete Erklärungsansätze sind aus jüngerer Zeit insbesondere zu nennen: Reinhard Merkel, Willensfreiheit und rechtliche Schuld, S. 7 ff., zusammenfassend S. 133 ff., sowie Günther, Schuld und kommunikative Freiheit, insb. S. 245 ff. (zu letztgenanntem kritisch Zaczyk, GA 2006, 647, der nicht unberechtigterweise festhält, dass der Autor „geradezu gezielt jeder Auseinandersetzung mit der von Kant ausgehenden Freiheitsphilosophie ausgewichen ist“, sowie Kelker, ZStW 118 (2006), 215 ff., insb. 222 ff.) – Vgl. ferner Schünemann, Lampe-FS, S. 540, der deutliche Worte verliert: „Die gegenwärtig dominierende Auseinandersetzung um den Inhalt des strafrechtlichen Schuldbegriffs betrifft aber fast nur noch beiläufig […] inhaltliche Fragen, während statt dessen die Einfügung in philosophische Gesamtsysteme in den Vordergrund getreten ist, von denen für die Rechtsfolgen und damit für die juristische Praxis nichts abhängt. Diese Ersetzung der Sachdiskussion durch Philosopheme ist in den letzten fünf Jahren sogar zur Modeströmung der deutschen Strafrechtswissenschaft avanciert“.



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angesprochenen Darstellungen, wenn nicht gar überhaupt nicht, so doch zumeist bloß am Rande „mitbehandelt“ wird. Leitende Kraft wird deshalb dem bereits in der Einleitung beschriebenen Umgang mit rechtsphilosophischen Theorien zukommen müssen: Die philosophischen „Untermauerungen“ werden dort anzusprechen sein, wo sie – im Bewusstsein um die Angreifbarkeit einer solchen Formulierung – „durchschlagende Relevanz“ entwickeln bzw. entwickeln sollen. Der Umfang der hier zu leistenden Darstellung wird sich zumindest näherungsweise an den gängigen Lehrwerken zu orientieren haben. Eine überblicksweise Darlegung der allgemeinen Grundlagen erscheint gleichwohl unverzichtbar. a) Allgemeine Grundlagen der Schuldlehre Heute ist so gut wie allgemein anerkannt, dass das geltende deutsche Strafrecht uneingeschränkt unter der Herrschaft des Schuldgrundsatzes steht. Dies folgt nicht nur aus den einfachgesetzlichen Vorgaben, sondern ist vom Bundesverfassungsgericht explizit herausgearbeitet und begründet worden.466 Alleine deshalb ist den wenigen Autoren, die einer Abkehr vom Schuldstrafrecht467 – sogar bisweilen vom Strafrecht überhaupt468 – das Wort reden, mit Arthur Kaufmann entgegenzuhalten: „Gegenüber solchen Extremforderungen kann man […] getrost zur Tagesordnung übergehen.“469 466  Vgl. insofern nur BVerfGE 9, 167, 169; 20, 323, 331; 110, 1, 13. – Ob der Grundsatz „nulla poena sine culpa“ nun aus Art. 1 I, 2 I GG und dem Rechtsstaatsprinzip folgt oder wie Frister, Schuldprinzip, S. 18 ff., zusammenfassend S. 37 f., mit guten Gründen meint, dass das „ ‚Recht‘, nicht ohne Schuld bestraft zu werden, […] vielmehr in jeder Grundrechtsgewährleistung enthalten“ sei, mag hier dahinstehen. 467  Siehe dazu unter anderem Baurmann, Zweckrationalität, S. 302: „Die tatsächliche Einschränkung des Strafrechts durch die Festlegung der einzelnen Regeln der strafrechtlichen Zurechnung orientiert sich denn auch nicht an dem Schuldbegriff: Das Kriterium für die Verhältnismäßigkeit des strafrechtlichen Mitteleinsatzes ist nicht die Schuld des Täters, sondern die Sozialschädlichkeit seiner Handlung.“ – Weitere kritische Schrifttumsnachweise bei Lackner / Kühl, StGB, Vor § 13 Rn. 22; eine einführende Darstellung in die unterschiedlichen Positionen findet sich bei Schulz, JA 1982, 532 ff. 468  In diesem Sinne beispielsweise Plack, Abschaffung des Strafrechts, insb. S.  205 ff., 291 ff. 469  Arthur Kaufmann, Lange-FS, S. 27. – Daneben ließen sich die Gegenargumente in Zahl und Umfang noch deutlich erweitern, so bedenke man nur: Welches rechtsstaatlichere Merkmal anstelle der Schuld, des Schuldgrundsatzes sollte denn als Angelpunkt für das Straf- bzw. Maßnahmerecht in Betracht kommen? Der insofern gern genannte Verhältnismäßigkeitsgrundsatz könnte nur wenig helfen, da ihm die materielle Fundierung fehlt; er ist als solcher – wie bereits Arthur Kaufmann, a. a. O., S. 33, zu Recht betonte – lediglich „rein formales Prinzip: die Proportion, die Beziehung, das Verhältnis (habitudo) eines Seienden zu einem anderen.“ – Siehe zum Ganzen auch ausführlich Frisch, NStZ 2013, 249 ff.

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Kap. 3: Kritische Darstellung des aktuellen Sach- und Streitstandes

Die herrschende Meinung in der Literatur bekennt sich heute mehr oder minder ausdrücklich zu einem normativen Schuldbegriff, der die Nachfolge des psychologischen angetreten habe;470 bestimmt wird er schlagwortartig als „persönliche Vorwerfbarkeit“.471 Umstritten ist dann jedoch insbesondere die Frage, was denn eigentlich den Schuldvorwurf inhaltlich begründen soll und – damit zwangsläufig einhergehend – in welchem Verhältnis die Begrifflichkeiten Schuld und Vorwerfbarkeit zueinander stehen.

aa) Das Grundsatzurteil BGHSt 2, 194 ff. Nicht selten wird im Schrifttum zur Klärung der Frage nach der inhaltlichen Ausgestaltung des normativen Schuldbegriffs auf das Grundsatzurteil des Großen Senats – BGHSt 2, 194 ff. – rekurriert.472 Dieser war zu dem Ergebnis gekommen: „Schuld ist Vorwerfbarkeit“473 und hatte zur Begründung folgendes angeführt: „Mit dem Unwerturteil der Schuld wird dem Täter vorgeworfen, daß er sich nicht rechtmäßig verhalten, daß er sich für das Unrecht entschieden hat, obwohl er sich rechtmäßig verhalten, sich für das Recht hätte entscheiden können. Der innere Grund des Schuldvorwurfes liegt darin, daß der Mensch auf freie, verantwortliche, sittliche Selbstbestimmung angelegt und deshalb befähigt ist, sich für das Recht und gegen das Unrecht zu entscheiden, sein Verhalten nach den Normen des rechtlichen Sollens einzurichten und das rechtlich Verbotene zu vermeiden, sobald er die sittliche Reife erlangt hat und solange die Anlage zur freien sittlichen Selbstbestimmung nicht durch die in § 51 StGB [a. F.] genannten krankhaften Vorgänge vorübergehend gelähmt oder auf Dauer zerstört ist.“474 Der Bundesgerichtshof bekennt sich damit nicht nur ausdrücklich zu einer indeterministischen Weltsicht, sondern bestimmt die Schuld – hier mit Welzels Worten formuliert – „im Anschluß an eine lange juristische und philosophische Tradition als das ‚Dafür-Können‘ der Person für ihre rechtswidrige 470  Siehe

zu dieser verkürzenden Redeweise jedoch bereits oben Fn. 163 (Kap. 2). nur Hirsch, ZStW 106 (1994), 746 f.; sowie Fischer, StGB, Vor § 13 Rn. 47; S / S-Eisele, Vorbem §§ 13 ff. insb. Rn. 113 f.; Wessels / Beulke / Satzger, Strafrecht AT, Rn. 406 ff.; vgl. außerdem Jescheck, ZStW 73 (1961), 185 f., 194, 208 f.; Lackner / Kühl, StGB, Vor § 13 Rn. 23. 472  Man beachte: Ob der Bundesgerichtshof tatsächlich einen – wie es in der Literatur regelmäßig suggeriert wird – normativ ausgerichteten Schuldbegriff vertritt, erscheint zumindest nicht vollumfänglich gesichert, arbeitet das Urteil BGHSt 2, 194 ff., doch in zentralen Passagen mit stark ontologisch geprägten Behauptungen, siehe dazu vor allem Neumann, BGH-FG IV, S. 83 ff., insb. 85 f. 473  BGHSt 2, 200. 474  BGHSt 2, 200 f. 471  Siehe



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Willensbildung.“475 Definiert man also die Schuld als Vorwerfbarkeit und setzt diese mit jener gleich, scheint es aber noch immer an einem materiellen Moment des Schuldvorwurfs zu mangeln – so bezeichnet die Vorwerfbarkeit eben nur die negative Wertung selbst, benennt jedoch keinen Grund hierfür: Warum kann denn nun der Täter dafür? Die Antwort scheint einfach und vom Bundesgerichtshof bereits gegeben. Man möchte sich sogleich auf den Standpunkt stellen: Er kann dafür, weil er frei ist, schlussendlich anders zu handeln. Man bedenke aber schon hier: Ein eigenständiger, über das Unrecht hinausgehender Unwertsachverhalt wäre damit nicht ausfindig gemacht, denn dass der Mensch die Freiheit besitzt – was an dieser Stelle zunächst als Prämisse akzeptiert werden soll –, sich für oder gegen etwas zu entscheiden, und hernach in diesem Sinne zu handeln, wird wohl niemand ernstlich als Unwert bezeichnen wollen; vielmehr wird ein solcher bereits vollumfänglich vorausgesetzt. Anders gewendet: Wie sollte es ein eigenes Werturteil der Schuld ohne ein nur ihm zugehöriges Substrat geben?476 Einige Autoren halten einen solchen Nachweis – zumeist unter ausdrücklicher Zugrundelegung finalistischer Positionen – aber nicht für zielführend, gar für explizit falsch: So betont Hirsch unter Bezugnahme der Auffassung, dass Schuld einen selbständigen Bewertungsgegenstand habe: „Das war jedoch schon damals unzutreffend; denn der Vorsatz, also der Tatentschluß, und auch die Fahrlässigkeit lassen sich nicht vom Unrecht isolieren. Es geht bei der Schuld eben nicht um etwas gegenüber dem Unrecht Unabhängiges, sondern etwas Akzessorisches. Das Delikt setzt sich aus Wertungsstufen zusammen, und jede beinhaltet die vorhergehende als Voraussetzung. Jede nachfolgende erweitert den Wertungsgegenstand um hinzukommende spezifische Voraussetzungen.“477

475  Welzel, Strafrecht, S. 140. – Zum Verhältnis des Urteils BGHSt 2, 194, zu Welzels Doktrin, vgl. noch Mangakis, Unrechtsbewußtsein, S. 83 f. 476  Siehe hierzu ausführlich Schmidhäuser, Strafrecht AT-LB, 6 / 14, sowie Schmidhäuser, Jescheck-FS, S. 499 f. – Vgl. außerdem noch S / S-Eisele, Vorbem §§ 13 ff. Rn. 114, die die Redeweise von der „Schuld als Vorwerfbarkeit“ zumindest als ungenau bezeichnen, „denn die Vorwerfbarkeit kann nur die Folge von Schuld sein, nicht aber diese selbst“ und weiter: „In der Zusammenfassung von Objekt der Wertung und Wertung des Objekts ist der Schuldbegriff daher notwendig komplexer Natur; einen Schuldbegriff, der auf sachlich-inhaltliche Merkmale verzichten könnte, gibt es nicht“. – Anders freilich der schon angeführte Welzel, Strafrecht, S. 140 und Maurach / Zipf, Strafrecht AT I, § 30 Rn. 19 ff.: Schuld als reines Werturteil. – In der Zielrichtung undeutlich: Burkhardt, GA 1976, 334. 477  Hirsch, Otto-FS, S.  318  f.; vgl. ferner LK11-Hirsch, Vor § 32 Rn. 182 ff., insb. 183: „Auch berührt die Notwendigkeit, die Schuldfrage durch negative Gesichtspunkte, also die Prüfung von Schuldausschließungsgründen (vgl. § 20, § 17, § 35), zu bestimmen, nichts daran, daß es sich um ein positives Deliktsmerkmal handelt.“

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bb) Die Theorie des Andershandelnkönnens – unter Rückgriff auf einen Anderen an Stelle des Täters bzw. ohne Beantwortung der Freiheitsfrage Eine weitergehende, auch im Schrifttum nahezu allgemein gesehene Schwierigkeit der soeben angesprochenen Urteilsbegründung liegt in der Tatsache begründet, dass sich der Bundesgerichtshof nicht lediglich auf die zwar unbeweisbare, aber zumindest theoretisch denkbare Entscheidungsfreiheit des Menschen stützt, sondern darüber hinaus noch sachlich verlangt, dass der individuelle Täter im Tatzeitpunkt tatsächlich anders handeln konnte.478 Zahlreiche Autoren versuchen der empirischen Nichterweisbarkeit, der Unmöglichkeit einer solchen Feststellung nun dadurch zu entkommen, dass sie nicht mehr auf das individuelle Täterkönnen abstellen, sondern sich „des generellen, erfahrungsmäßig gegebenen Könnens des Durchschnittsmenschen bedienen“.479 Jescheck / Weigend formulieren dann ganz in diesem Sinne folgendermaßen: „Der Täter hätte in der Situation, in der er sich befand, in dem Sinne anders handeln können, als nach unserer Erfahrung mit gleichliegenden Fällen ein anderer an seiner Stelle bei Anspannung der Willenskraft, die dem Täter möglicherweise gefehlt hat, unter den konkreten Umständen anders gehandelt hätte.“480 Man bekennt sich damit ebenfalls zum Indeterminismus – in der Ausprägung des sog. relativen: Der Mensch „als mehrschichtiges Wesen [hat] die Fähigkeit zur ‚Überdetermination‘ kausaler Determinanten“;481 ungeachtet dessen wird nicht geleugnet, dass „der Wille vielfältigen Einflüssen ausgesetzt ist, die sowohl von außen als auch aus der Psyche kommen können“.482 Regelmäßig wird zur Absicherung dieses willensfreiheitsbejahenden Postulats auf verschiedenste Begründungsmuster 478  Die Kritik aus der Literatur ist mitunter von bemerkenswerter Härte, siehe nur Bockelmann, ZStW 75 (1963), 380, der zum Freiheitsproblem festhält: Selbiges sei doch schon theoretisch unlösbar, es aber „mit Bezug auf einen konkreten Fall und einen bestimmten Menschen praktisch zu lösen“, das „wäre in der Tat der bare Unsinn.“ 479  Mangakis, ZStW 75 (1963), 517 f., der aber noch betont, dass „das generelle Können des Durchschnittsmenschen nicht den Grund für die Erhebung des Schuldvorwurfs“ darstelle, sondern es „nur das praktische Kriterium [ist], an Hand dessen die anders unmöglich zu erbringende Feststellung des vorwurfsbegründenden individuellen Könnens des Täters getroffen wird“ – der eigentliche Vorwurf sei „im individuellen Können des konkreten Täters zu erblicken“. Mangakis, a. a. O., 520, räumt dann später ein, dass nach seinem Konzept „das Bestehen der Schuld im Einzelfall präsumiert wird.“ – Mangakis folgend SK-Rudolphi, 38. Lieferung, § 20 Rn. 25, dort auch weitere Literaturhinweise. 480  Jescheck / Weigend, Strafrecht AT, § 37 I 2 b (Hervorhebung im Original). 481  Siehe dazu nur S / S-Eisele, Vorbem §§ 13 ff. Rn. 108, 110. 482  Dreher, Spendel-FS, S. 15, der dort auch auf seine ausführlichere Schrift Dreher, Willensfreiheit, S. 5, Bezug nimmt.



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zurückgegriffen – (ansatzweise) zusammenfassend argumentiert Cerezo Mir: „Der materielle Schuldbegriff als die Fähigkeit, anders handeln zu können, wird […] nicht nur durch normative Erfordernisse (Menschenbild der Verfassung) gestützt, sondern auch durch die Auffassung der Menschen, die in der modernen Anthropologie und der vergleichenden Psychologie vorherrscht, ferner durch die Anerkennung der Willensfreiheit in der sozialen Wirklichkeit, die Objekt der rechtlichen Ordnung ist.“483 Andere Autoren meinen dagegen den Schuldvorwurf ohne Bekenntnis zur Freiheitsfrage im Sinne eines Andershandelnkönnens begründen zu können; so liege dessen Kern vielmehr darin, „dass der Täter rechtswidrig gehandelt hat, obwohl er unter den konkreten Umständen fähig war, sich von der Rechtspflicht zu normgemäßem Verhalten bestimmen zu lassen.“484 Es sei bei der Feststellung von Schuld gerade „kein aus dem ethischen Indeterminismus abgeleiteter Vorwurf wegen einer individuellen sittlichen Verfehlung gemeint, sondern nur ein sozialer Tadel wegen des Zurückbleibens hinter Verhaltensanforderungen, die der freiheitlich verfasste und daher menschliche Freiheit anerkennende Staat an seine Bürger mit normaler Motivierbarkeit durch soziale Normen als Grundbedingung friedlichen Zusammenlebens stellen muss.“485 Teilweise wird ein solcher Schuldbegriff als „sozialer“ gekennzeichnet,486 dessen Unterschied zu einem auf (relativem) Indeter­ minismus beruhenden System jedoch nicht allzu groß sein dürfte – wenn es überhaupt einen gibt487 –, da doch nicht zuletzt auch die meisten Ver­ 483  So Cerezo Mir, ZStW 108 (1996), 21, der ferner noch auf Schünemann, in: Grundfragen, S. 163 ff. (siehe außerdem noch zur „Theorie der gesellschaftlichen Realität der Willensfreiheit“ Schünemann, GA 1986, 293 ff.), verweist: Das Freiheitsbewusstsein der Bürger und die Wahrnehmung, die diese von sich und der Welt haben, könne das Recht „nicht einfach ignorieren; wie Schünemann dargestellt hat, spiegelt sich diese Sicht sogar in den Strukturen der Sprache und der gesellschaftlichen Rekonstruktion von Wirklichkeit wider.“ – Daneben lassen sich freilich noch andere bzw. ergänzende Erklärungen finden: Dreher, Spendel-FS, S. 16, argumentiert beispielsweise mit einfachgesetzlichen Vorschriften wie dem § 213 StGB; das Gesetz unterstelle selbst in extremen Situationen die Fähigkeit zum Andershandelnkönnen. 484  Lackner / Kühl, StGB, Vor § 13 Rn. 23; sehr ähnlich Roxin, Strafrecht AT, § 19 Rn. 3: „Der Täter handelt schuldhaft, wenn er strafrechtliches Unrecht verwirklicht, obwohl er in der konkreten Situation von der Appellwirkung der Norm (noch) erreicht werden konnte, und eine hinreichende Fähigkeit zur Selbststeuerung besaß, so dass eine rechtmäßige Verhaltensalternative ihm psychisch zugänglich war.“ 485  Lackner / Kühl, StGB, Vor § 13 Rn. 23. 486  Berechtigterweise weist aber Maiwald, Lackner-FS, S. 153, auf Folgendes hin: „ ‚Den‘ sozialen Schuldbegriff dürfte es wohl nicht geben.“ 487  Tiemeyer, ZStW 105, 511, meint jedoch – insbesondere in Auseinandersetzung mit Drehers Freiheitsmodell – zeigen zu können, dass es beachtliche Unterschiede gäbe, man siehe insofern nur: „Schwerwiegendste Folge ist die eklatante Fehlein-

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treter indeterministischer Theorien die Willensfreiheit für (empirisch) unbeweisbar halten.488 cc) Das Wiedererstarken deterministischer Konzepte durch Erkenntnisse der neueren Hirnforschung Durch die neuere Hirnforschung hat der Fragenkomplex um die Willensfreiheit des Menschen – zumindest was die Anzahl von Stellungnahmen im Schrifttum anlangt, in der Sache aber wohl nur vermeintlich489 – neuen Auftrieb erhalten.490 So nehmen einige, nicht (originär) mit dem Strafrecht befasste Autoren – wie Prinz, Roth und Singer – an,491 dass man die menschlichen Entscheidungsprozesse als schlicht elektro-chemische Prozesshaftigkeiten entlarven könne; dies unter anderem deshalb, da bestimmte Hirnareale um eine gewisse Zeit492 früher elektrisch aktiviert werden (Nachweisbarkeit von Bereitschaftspotentialen), bevor sich der Wille in der Bewusstseinsebene zu einer bestimmten Handlung ausbildet und diese nachfolschätzung in Beziehung auf das geltende Strafrecht, daß jene strafrechtlichen termini technici, bei denen es entscheidend auf die Abwesenheit von speziell definierten äußeren Umständen ankommt, essentiell indeterministisch auszulegen seien.“ – Zu dessen angebotenem Alternativbegriff „einer ‚relativen Freiheit‘ “ siehe nur Tiemeyer, GA 1984, 220 ff., weitere Hinweise hierzu bei Tiemeyer, ZStW 105, 522 Fn. 128. 488  Siehe nur Otto, GA 1981, 486 f.; sowie Griffel, GA 1996, 457 ff.; vgl. auch Grasnick, JR 1991, 365 (Hervorhebung im Original): „Haargenau dasselbe ist von der Willensfreiheit zu sagen: Sie ist. Nicht als ein mit Händen zu greifendes oder sonstwie sinnlich erfahrbares Phänomen. Auch nicht als bloße Abstraktion. Noch einmal und mit anderen Worten: Empirische Ergebnisse sind bei der Suche nach Freiheit, auch der Freiheit des Willens, nicht zu haben. Ihr Ausbleiben sollte nicht länger als Defizit beklagt oder als Alibi mißbraucht werden, den Indeterminismus als verfehlt abzutun.“ – Vgl. zum Ganzen bereits Lackner / Kühl, Vor § 13 Rn. 26. 489  Müller-Dietz, GA 2006, 340, merkt dann auch berechtigterweise an, dass lediglich „die alte Determinismuskonzeption in mehr oder minder neuem Gewand ins Feld geführt“ wird, und weiter: „Im Kern liegt dieser Sichtweise – wieder einmal – die These zugrunde, dass der Täter gar nicht hätte anders handeln können, als er tatsächlich gehandelt hat.“ Auch Lampe, ZStW 118 (2006), 1, spricht von einer „ewigen Wiederkehr der Diskussion“. 490  Siehe zum stark angewachsenen Schrifttum nur die Zusammenstellung bei Lackner / Kühl, Vor § 13 Rn. 26 a; eine Auswertung der jüngeren Diskussion als „Zwischenbilanz“ liefert Hillenkamp, ZStW 127 (2015), 10 ff. 491  Siehe zu deren einschlägigen Veröffentlichungen die Nachweise bei Hillenkamp, JZ 2005, 313 ff.; Lampe, ZStW 118 (2006), 1 Fn. 1 f., 8 Fn. 27 ff., 30 ff. Fn.  110 ff.; Spilgies, HRRS 2005, insb. 43 Fn. 2; Spilgies, ZIS 2007, insb. 155 Fn. 1 f.; sowie ergänzend Merkel, Willensfreiheit und rechtliche Schuld, S. 30 ff., der diese Autoren unter folgenden Oberbegriff fasst: „Neuronaler, nicht universaler Determinismus“. 492  Roth, Lampe-FS, S. 52, spricht von 1 bis 2 Sekunden.



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gen lässt: Der Mensch sei determiniert. Hierzu soll an dieser Stelle mit Paeffgen nur so viel angemerkt werden: „Merkwürdigerweise wird überhaupt nicht diskutiert, wieso die hirnphysiologischen Vorgänge das Sachproblem nicht lediglich um eine halbe Sekunde vorverlagern (wie kommt es zu den Bereitschaftspotentialen?!).“493 Deterministische Konzepte wurden freilich schon vor Erzielung der soeben kurz referierten neurobiologischen Erkenntnisse vertreten – und dies nicht zwangsläufig unter Abkehr von einem vergeltenden Strafrecht: „Auch der strenge Determinist kann ein Vergeltungsstrafrecht befürworten, da dem Verbrecher nicht ein individual-ethischer, sondern ein sozial-ethischer Vorwurf gemacht wird.“494 Gestützt wird der – so bezeichnete – Schuldvorwurf dann mitunter auf eine „Charakterschuld“: Einer Beantwortung der Frage nach einem Andershandelnkönnen des Täters in der konkreten Tatsituation bedürfe es nicht, weil der „uns zur Schuld gereichende Mangel an Willenskraft oder Besorgnis […] im Charakter [wurzelt]“ und „dieser letztlich den Schuldvorwurf zu tragen und sich zu verantworten“ habe.495 Damit sieht sich diese Auffassung in großer Nähe zu dem bereits von Mezger formulierten Gedanken einer „Lebensführungsschuld“.496 In – mehr oder weniger – modifizierter Form wird ein solcher Ansatz unter anderem noch von Figueiredo Dias vertreten, da der Mensch eine „Grundwahl“ treffe, sich „zu sich selbst entscheidet und dadurch sein eigenes Sein schafft oder sein eigenes Sein festlegt“, sich also „seine eigene Grundgestalt“ gebe.497 Schuld sei zu definieren als „Einstehenmüssen für die Persönlichkeit, in der die Begehung eines Unrechtstatbestandes ihren Grund hat“.498 Dass solche 493  NK-Paeffgen, Vor §§ 32 bis 35 Rn. 230a. – Von einem grundsätzlich anderen Verständnis scheint Streng, Jakobs-FS, S. 675 ff., insb. 691, auszugehen, der wohl glaubt, dass die Hirnforschung prinzipiell das Potential habe, „beweisen“ zu können (– wenn er den Eintritt eines solchen Falles jedoch auch künftig für wenig wahrscheinlich hält (sog. „worst case-Szenario“). 494  Heinitz, ZStW 63 (1951), 63 f. 495  Engisch, Willensfreiheit, S. 65; vgl. auch Engisch, ZStW 61 (1942), 172 ff. 496  Mezger, ZStW 57 (1938), 688. 497  Figueiredo Dias, ZStW 95 (1983), 240, mit weiterführenden Hinweisen. – Ambos, GA 2009, 561 ff., 571, weist jedoch unter Heranziehung zahlreicher anderer vertiefender Schriften von Figueiredo Dias darauf hin, dass in diesem Aufsatz „manches […] viel zu knapp geraten ist“; auch zeigt er auf, dass Figueiredo Dias’ Lehre nicht per se den „Charakterlehren“ zugeordnet werden dürfe (a. a. O., 575 ff.), um dann jedoch zum Ergebnis zu kommen, dass man all diese „auf die Täterpersönlichkeit abstellenden Lehren, einschließlich der traditionellen Charakterlehren, […] als Persönlichkeitslehren“ (a. a. O., 578) (unter Aufweis von insofern bekannten Einwänden) zu kategorisieren habe. 498  Figueiredo Dias, ZStW 95 (1983), 242, dort (insb. Fn. 88) auch mit zusätz­ lichen Verweisen auf ähnliche Schuldbestimmungen in der deutschen Lehre.

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Kap. 3: Kritische Darstellung des aktuellen Sach- und Streitstandes

Konzepte499 aber weit in der Minderzahl geblieben sind, liegt wohl nicht nur daran, dass „nicht jede schuldhafte Tat Ausdruck eines Charaktermangels i. S. einer relativ stabilen Charaktereigenschaft (zB Versagen im Straßenverkehr) [ist]“,500 sondern ist ebenfalls damit zu begründen, dass eine solche Lehre „das Schuldprinzip auch in seiner rechtspolitischen Substanz unterhöhlt, indem sie nicht mehr plausibel machen kann, warum der Geisteskranke oder sonst Zurechnungsunfähige nicht schuldhaft handelt, da auch er nur gemäß seiner Wesensbeschaffenheit tätig wird.“501

dd) Der funktionale Schuldbegriff Von der herrschenden Meinung abgelehnt werden auch die sog. funktionalen Schuldlehren. Insbesondere der Ansatz von Jakobs sieht sich weitgreifender Kritik ausgesetzt. Waren uns bei der Diskussion um den Schuldbegriff bisher zwar immer wieder (enge) Bezüge zum Begriff der Strafe, zu den Zielen staatlichen Strafens begegnet, treibt Jakobs diesen Gedanken noch bedeutend weiter: Zumindest in der Frühfassung502 seiner Schuldlehre definiert er die (jedenfalls zu dieser Zeit vom Unrecht geschiedene) Schuld (ausschließlich) als „Derivat der Generalprävention.“503 Aber auch später hält er ausdrücklich fest, dass der Schuldbegriff funktional gebildet werden müsse,504 „d. h. als Begriff, der eine Regelungsleistung nach einer bestimmten Regelungsmaxime (nach den Erfordernissen des Strafzwecks) für eine Gesellschaft bestimmter Verfassung erbringt“; dieser Strafzweck sei nach seiner Konzeption die positive Generalprävention, das heißt: „die Erhaltung instruktive Darstellung findet sich bei Ebert, Kühl-FS, S. 137 ff. der Vorwurf von S / S27-Lenckner / Eisele, Vorbem §§ 13 ff. Rn. 109a. 501  Siehe dazu – in ausführlicher Auseinandersetzung mit vor allem Engisch und Figueiredo Dias – Roxin, Strafrecht AT, § 19 Rn. 29 ff., insb. 31. – Ferner müssen die eher philosophisch ausgerichteten Annahmen der Charakterschuldlehre als ebenso empirisch unbeweisbar bezeichnet werden wie selbige der Theorie des Andershandelnkönnens. – Konsequenter ist es dagegen, wenn auf Vergeltung und sittlichen Vorwurf insgesamt verzichtet wird und man das Strafrecht allein auf präventive Zwecke beschränkt, vgl. in diesem Sinne nur Nowakowski, Rittler-FS, S. 55 ff. Damit dürfte dann allerdings bloße „Haftung“, nicht aber „Schuld“ bezeichnet sein, vgl. dazu Otto, GA 1981, 483. 502  Einen äußerst ausführlichen Einblick in die Schuldlehre von Jakobs – unter Bezugnahme auf dessen im Laufe der Zeit gewandelten Begründungsansatz – vermittelt NK-Paeffgen, Vor §§ 32 bis 35 Rn. 212 ff. 503  Jakobs, Schuld und Prävention, S. 32. 504  Jakobs, ZStW 118 (2006), 839: „Warum sollte von Schuld die Rede sein, wenn nicht wegen ihrer gesellschaftlichen Funktion?“ – Nicht unähnlich MK-Streng, § 20 Rn. 23 ff.: „Sozialpsychologisch-funktionales Schuldverständnis“. 499  Eine 500  So



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allgemeiner Normanerkennung (nicht Abschreckung)“.505 Strafe erfolge „zur Einübung in Rechtstreue.“506 Indes halten auch Hegelsche Gedanken bei Jakobs (im Laufe der Zeit vermehrt) Einzug, werden mit dem Präventionsansatz verwoben (und bedingen nach und nach gewisse Änderungen507): Hegel sei zu folgen, wenn er „die Straftat als ‚etwas Negatives‘, scil. als Verletzung des Rechts im Sinn einer Negierung des Rechts [deutet]. Diese Verletzung erhebt einen Anspruch auf Geltung, aber dem Anspruch begegnet die Strafe als ‚Verletzung der Verletzung‘ und somit ‚Wiederherstellung des Rechts‘ “508; es gehe „bei der Sequenz von Tat und Strafe […] um Rede und Antwort.“509 Ferner wird Luhmannsches Gedankengut fruchtbar gemacht. So geht der Blick weg vom Individuum;510 die Person als Rollenträger wird in den Mittelpunkt der Betrachtung gestellt: „Person sein heißt, eine Rolle zu spielen haben; persona ist die Maske, also gerade nicht der Ausdruck der Subjektivität ihres Trägers, vielmehr Darstellung einer gesellschaftlich verstehbaren Kompe­ tenz.“511 Schuld könne deshalb nichts mit Individualisierung zu tun haben: „Wer als Person definiert wird, von dem wird Normbefolgung erwartet“, so dass das Schuldurteil „nach einem gesellschaftlich bestimmten Maßstab [fällt]: Die geforderte Personalität wurde nicht erreicht.“512 Oder anders formuliert: „Mit dem Schuldmaßstab wird also nicht ein Subjekt gemessen, sondern eine Person, und zwar die denkbar allgemeinste Person, deren Rol505  Jakobs,

Strafrecht AT, 17 / 22, beachte aber auch unten Fn. 523 (Kap. 3). nur Jakobs, ZStW 101 (1989), 517. 507  Vgl. zu seinem Ansatz (bzw. zu in seinem Gefolge entwickelten Ansätzen) auch noch unten S. 320 ff. 508  Jakobs, Strafrecht AT, 1 / 21. – Die Nähe zu den absoluten Straftheorien wird später ganz besonders deutlich bei Jakobs, Norm, Person, Gesellschaft, S. 106: „Die verbreitete Rede vom Zweck einer Sanktion ist bei dem skizzierten Konzept zumindest ungenau; denn die Sanktion hat nicht einen Zweck, sondern ist selbst Zweckerreichung, scil. Feststellung der unveränderten Wirklichkeit der Gesellschaft.“ – Ob und inwieweit beides miteinander vereinbar erscheint, wird – soweit ersichtlich – von Jakobs nicht explizit erläutert. 509  Siehe dazu Jakobs, ZStW 101 (1989), 537. 510  Jakobs, Norm, Person, Gesellschaft, S. 95 f., geht aber wohl davon aus, dass damit keine (echte) Entindividualisierung verbunden sei: „Die Akzeptation der Definition als Person, also das Selbstverständnis als Subjekt gelingt nur, solange das Individuum in der Gesellschaft sein Auskommen findet. Den unverzichtbaren Bestandsbedürfnissen der Gesellschaft stehen also ebenso unverzichtbare des Individuums gegenüber. Die Güte einer Ordnung zeigt sich […] in ihrer Fähigkeit, zwischen Personen und Individuen im großen und ganzen in für beide Seiten auskömmlicher Weise zu vermitteln.“ 511  Jakobs, ZStW 107 (1995), 843 ff., insb. 859. 512  Jakobs, Norm, Person, Gesellschaft, S. 88. 506  Siehe

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le es ist, das Recht zu respektieren.“513 Schuld wird damit verstanden als die Verfehlung eines objektiv fixierten Standards; sie ist bloße Zurechnung. Aus dieser Grundlegung ergibt sich sodann – man könnte sagen: von selbst – Jakobs Einstellung zur Willensfreiheit: Er erklärt selbige für irrelevant. So sei der „keine soziale Dimension“ aufweisende Begriff der Willensfreiheit nur dann nötig, „wenn mit dem Schuldurteil nicht allein ein sozialer Effekt erreicht werden soll, sondern auch eine Abwertung des Individuums (‚Vorwerfbarkeit‘).“514 Nicht zuletzt die Begründung, dass Schuld lediglich um eines sozialen Zweckes wegen ausgesprochen werde, wurde und wird zum Ansatzpunkt der – in der Sache äußerst vielschichtigen515 – Kritik an Jakobs’ modern wirkender Lehre erkoren. Unter anderem Hirsch betont, dass – gerade umgekehrt – die Schuld „als ein die Grenze individueller Verantwortlichkeit markierendes Bollwerk gegen Ausuferungen der Generalprävention“ dienen muss.516 Schünemann weigert sich, ein solches, der „Systemtheorie eigentümliches, sinnentleertes Verständnis von Gesellschaft“ zugrunde zu legen;517 Schuld und Strafe dürften nicht an der Person – einem „bloßen Kunstprodukt des Rechts“ – ausgerichtet werden, Strafrechtstheorie müsse insgesamt mehr darstellen „als einen bloßen Kotau vor dem Gesetzgeber“.518 Aber auch Bock hält Jakobs Grundsätzliches entgegen: Das Prinzip der Normstabilisierung könne insgesamt nicht funktionieren, da es den Bürgern gerade an einem Leitbild fehle, das ihnen das Verständnis für die Verbindlichkeit der Normen und die sog. Normentreue erläutert.519 Darauf, dass Jakobs520 auf den weiteren Vorwurf, sein Ansatz führe zu einer totalen Instrumentalisierung des Individuums zugunsten kollektiver Interessen, und dass er das Schuldprinzip der Kraft beraube, den Einzelnen vor präventiven Exzessen der Strafgewalt zu schützen,521 513  Jakobs,

ZStW 107 (1995), 866. Strafrecht AT, 17 / 23. 515  Umfangreiche Literaturhinweise finden sich bei NK-Paeffgen, Vor §§ 32 bis 35 Rn. 222; sowie MK- Streng, § 20 Rn. 22. 516  Hirsch, Otto-FS, S. 322 f. 517  Schünemann, Lampe-FS, S. 548. 518  Schünemann, Lampe-FS, S. 553. – Ähnlich argumentiert Bustos Ramírez, Tiedemann-FS, S. 352: Jakobs verfalle „in das Extrem, den Staat auf der Grundlage der Redlichkeit zu vergöttern, womit er sich in noch größere Irrationalität und Enthumanisierung verfängt.“ 519  Ausführlich Bock, ZStW 103 (1991), 649 ff., der a. a. O., S. 651 fragt: „Was hat es wohl für die Einübung in Normanerkennung zur Folge, wenn dem in seiner Normanerkennung verunsicherten Bürger, sozusagen hinter vorgehaltener Hand, versichert wird, hier werde nur Theater gespielt, um ihn bei der Stange zu halten?“. 520  Jakobs, ZStW 101 (1989), 535 ff. 521  So jedenfalls Roxin, SchwZStr 104 (1987), 365 ff. – Ähnlich kritisch Rössner, Keller-GS, S.  220 f. 514  Jakobs,



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„auffallend gereizt“ reagiert,522 sei hier nur noch abschließend exemplarisch523 hingewiesen. ee) Die Schuld als unrechtliche Gesinnung Schließlich ist noch auf einen weiteren großen Meinungsblock bei der Bestimmung der Schuld einzugehen. Zahlreiche Autoren orientieren sich (unter anderem) am Merkmal unrechtlicher Gesinnung,524 vertreten einen materiell ausgerichteten, mit eigenständigen Definitionskriterien versehenen Schuldbegriff, sehen die Schuld also anders als insbesondere die Autoren einer funktionalen Schuldlehre nicht als bloßes Zurechnungsprinzip, als Zuschreibung. Diese Lehre geht in ganz entscheidendem Maße auf Gallas zurück,525 der definierte: „Schuld ist […] Vorwerfbarkeit der Tat mit Rück522  Dies bemerkt nicht zu Unrecht Bock, ZStW 103 (1991), 637, tituliert Jakobs, ZStW 101 (1989), 536, die Gegenauffassung doch unter anderem als „Schimäre“. 523  Auf eine weiterführende Darstellung kritischer Anmerkungen muss hier aus Raumgründen verzichtet werden. Man beachte aber, dass sich die vorgetragenen Gegenargumente zumeist gegen den frühen Ansatz von Jakobs richten. Inzwischen räumt Jakobs (siehe beispielsweise ders., ZStW 118 (2006), 939 Fn. 34 (Hervorhebung im Original)) ein, „dass die funktionale Schuld- und Straftheorie einige Zeit zu eingleisig verfahren ist: Sie hat nicht genug herausgestellt, dass jede normative Institution nur bei einer gewissen kognitiven Untermauerung wirklich Orientierung leisten kann, so dass nicht nur der Widerspruch der Strafe gegen den Normwiderspruch des Täters, sondern auch die kognitive Untermauerung durch den Strafschmerz die Kommunikation zu bestimmen hat.“ – Jakobs’ Konzeption hat ungeachtet dessen beachtliche Schwierigkeiten, zu erklären, warum man dem Delinquenten materiell den Personen-Status abzusprechen habe, ihn aber sodann als Person fingieren müsse, vgl. dazu Jakobs, Norm, Person, Gesellschaft, S. 100 ff. Daneben erscheint der für äußerst zentral gehaltene Rollenbegriff von bemerkenswerter Unschärfe, sowie seine Konzeption in Spannung zum geltenden Strafgesetz zu stehen scheint, vgl. § 21 StGB. – Siehe zum Ganzen wiederum NK-Paeffgen, Vor §§ 32 bis 35 insb. Rn. 214, 216; aber auch Schünemann, ZStW 126 (2014), 1 ff. 524  Dass ein solcher an materiellen Momenten orientierter Ansatz dem Grunde nach als der „eines altmodischen Schuldverständnisses“ – so Hörnle, JZ 1999, 1086 – tituliert wird, darf nicht darüber hinweg täuschen, dass er im aktuellen Schrifttum nicht nur vereinzelt, sondern vielmehr von etlichen Autoren befürwortet wird: Siehe nur (alle – bis auf Ebert – mit weiteren Nachweisen) Bringewat, Grundbegriffe, Rn. 502; Ebert, Strafrecht AT, S. 93; S / S28-Lenckner / Eisele und S / S-Eisele, Vorbem §§ 13 Rn. 119, 122; Jescheck / Weigend, Strafrecht AT, § 39 II 1, sowie § 38 II 5; Wessels / Beulke / Satzger, Strafrecht AT, Rn. 400. – Bemerkenswert ist, dass Gallas, ZStW 67 (1955), 30, den materiellen Schuldbegriff vorwerfbarer Gesinnung im Jahre 1955 in Entgegensetzung zu den (vermeintlich) so modernen Begriffen der Schuld als Zurechnung entwickelte. 525  Wie Schmidhäuser, Jescheck-FS, S. 485, zu Recht betont, war dieser Begriff aber schon bei Mezger angelegt, vgl. auch oben S. 97 ff. im Rahmen der Rechtsgeschichte.

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sicht auf die darin betätigte rechtlich missbilligte Gesinnung.“526 Gallas sah seinen Schulbegriff mit dem Wertungsobjekt der Rechtswidrigkeit folgendermaßen normativ verknüpft: Der Grund für die Verbindung von Vorwerfbarkeit und Können „liegt darin, daß wer sich in Freiheit gegen das Recht entscheidet, eine Haltung bekundet, die der widerspricht, die die Rechtsordnung von dem ordentlichen und gewissenhaften Rechtsgenossen fordert.“527 Hieran knüpfen dann auch vor allem Lenckner / Eisele sowie Jescheck / Weigend an.528 Die genannten Autoren halten gleichfalls ein Bekenntnis zur Willensfreiheit, zum Ansatz des Andershandelnkönnens für notwendig und unumgänglich. Wohl deshalb werden solche Lehren mitunter als „Supervereinigungstheorien“529, als „Tanz auf sämtlichen Hochzeiten“530 bezeichnet; sie sehen sich (auch) der Schwierigkeit gegenüber, die gegen die Auffassung vom Andershandelnkönnen vorgebrachten Argumente zu entkräften.531 Dies sucht – wie schon hier bemerkt sei – die von Schmidhäuser auf Grundlage der soeben referierten Lehrmeinung weiterentwickelte Theorie zu vermeiden: „Schuld ist als unrechtliche Gesinnung geistiges Verhalten“,532 wobei man hierbei nicht an Dauer-, sondern vielmehr an Einzeltatgesinnung zu denken habe.533 Schmidhäuser deutet die Schuld weiter als „ein Nichternstnehmen des Rechtsguts, das […] hernach im Handeln oder Nichthandeln vom Täter verletzt worden ist“; fasst man die Schuld also als „Entstehensgrund der unrechten Tat“ auf,534 wird sogleich der Unterschied zu den bisherigen theoretischen Ansätzen deutlich: Diese gehen – wie es im Rahmen der späteren Fallprüfung freilich richtigerweise erfolgt – vom Unrecht an die Schuld heran, so dass einzig die Frage interessant erscheint, ob das gegebene Unrecht hätte vermieden werden können. Blickt man aber von der im tatsächlichen Geschehensablauf vorangehenden Schuld auf das Unrecht, kann es für den Schuldvorwurf naturgemäß nicht auf den Nachweis eines Andershandelnkönnens ankommen. Schmidhäuser hält dann auch ferner fest, dass es keiner Stellungnahme zum Problem der 526  Gallas,

ZStW 67 (1955), 45. ZStW 67 (1955), 45. 528  Siehe oben Fn. 524 (Kap. 3). 529  Siehe dazu Schünemann, Lampe-FS, S. 539. 530  Siehe insofern Jakobs, in: Strafe, S. 29. 531  Beachte bereits oben S. 242 ff: Entweder hat man das – jedoch kaum zu enträtselnde – Problem der empirischen Nichterweisbarkeit des Andershandelnkönnens in der konkreten Tatsituation zu lösen, oder man sieht sich der Fragwürdigkeit gegenüber, dass von einem individuellen, personalisierten Schuldvorwurf gesprochen wird, obwohl man doch lediglich auf einen vergleichbar anderen Täter abstellt. 532  So zuletzt ausführlich zu lesen bei Schmidhäuser, Jescheck-FS, S. 491. 533  Schmidhäuser, Jescheck-FS, S. 493. – Ganz ausführlich zu anderen Gesinnungsbegriffen Schmidhäuser, Gesinnungsmerkmale, S. 24 ff., 33 ff., 95 ff. 534  Schmidhäuser, Jescheck-FS, S. 493. 527  Gallas,



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philosophischen Willensfreiheit bedürfe; insbesondere sei „die Frage weder bejaht noch verneint, ob dieser Täter als der, der er ist, überhaupt in der Lage war, den verletzten Wert in dieser Tatsituation ernst zu nehmen. Wir müssen uns damit begnügen, den geistigen Kontakt des Täters mit dem verletzten Wert für die Tatzeit und in diesem Sinne eben auch die geistige Wertverfehlung festzustellen.“535 ff) Schuldausschluss ohne Schuldtatbestand? Bevor nun der Bereich der allgemeinen Grundlagen des Schuldbegriffs zu verlassen ist, muss noch auf eine nicht lediglich die hiesige Darstellung betreffende, sondern auf die Begriffsbildung durchschlagende systematische Vorfrage hingewiesen werden. Haben wir im Rahmen des Unrechts eine Abschichtung von Tatbestandsmäßigkeit (im Sinne einer Unrechtsbegründung) und Rechtswidrigkeit (im Sinne eines Unrechtsausschlusses) kennen gelernt, mangelt es im Schuldbereich regelmäßig an einer solch explizit durchgeführten Differenzierung. Teilweise wird gar ausdrücklich bestritten, es könne einen – zum Unrechtstatbestand, aber auch zum Schuldausschluss – abgrenzbaren Schuldtatbestand geben.536 Das Leugnen oder Abqualifizieren letztgenannter Begrifflichkeit beruht vor allem darauf, dass – wie gezeigt – zahlreiche Autoren die Existenz eines selbständigen Schuldsachverhaltes negieren; und da es ihnen an einem abschichtbaren Gegenstand mangelt, kann es naturgemäß keine diesbezüglich nachweisbare Unwerttypisierung im Sinne eines Schuldtatbestandes geben.537 Nicht verwundern darf uns also, wenn im Schrifttum die Auffassung vertreten wird, dass sich das Straftatmerkmal der Schuld in (zumeist) rein negativen Feststellungen erschöpfen soll: „Resümee: Bei der dritten Deliktsstufe ‚Schuld‘ wird grundsätzlich[?] nur geprüft, ob Schuldausschließungs- oder Entschuldi535  Schmidhäuser,

Strafrecht AT-LB, 10 / 6. LK11-Hirsch, Vor § 32 Rn. 187; sowie Maurach / Zipf, Strafrecht AT I, § 24 Rn. 2. – Teilweise wird der Begriff des Schuldtatbestandes lediglich als eine „Façon de parler“ bezeichnet, so beispielsweise NK-Paeffgen, Vor §§ 32 bis 35 Rn. 239. Auch LK-Rönnau, Vor § 32 Rn. 317, schließt sich dem an: „Diese systematische Kategorisierung ist im Wesentlichen begrifflicher Natur.“ – Anders freilich zum Beispiel Jescheck / Weigend, Strafrecht AT, die den Schuldtatbestand (§ 42) ausdrücklich von den Entschuldigungsgründen (§ 43) scheiden; sowie Langer, Sonderstraftat, S. 113 ff.; der ursprüngliche Aufweis des Schuldtatbestandes geht maßgeblich auf Gallas, ZStW 67 (1955), 31, Engisch, Hundert Jahre DJT-FS I, S. 424 ff., sowie Schmidhäuser, Gesinnungsmerkmale, S. 212 f., zurück. – Vgl. aber auch Jakobs, Strafrecht AT, 17 / 43 ff., und Kindhäuser, Strafrecht AT, § 21 Rn. 11. 537  Vgl. insbesondere Langer, Sonderstraftat, S. 113 Fn. 32: Die Begriffsbildung des Schuldtatbestandes „setzt eben die Erkenntnis von der Existenz […] eines selbständigen […] Schuldsachverhalts zwingend voraus.“ 536  Siehe

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gungsgründe anzunehmen sind.“538 Die so genannten Schuldausschließungsgründe sollen dabei die Schuldfähigkeit des Täters betreffen – gesetzlich einschlägig seien die §§ 19, 20 und § 17 S. 1 StGB;539 die Entschuldigungsgründe beruhten dagegen – neben einer erheblichen Unrechtsreduzierung – auf einer massiven Schuldminderung aufgrund des Bestehens einer außergewöhnlichen Motivationslage, wie es in den §§ 35 und 33 StGB zum Ausdruck komme.540 Andere Autoren führen die „Gründe fehlender Schuld“ entweder auf das „Fehlen der Möglichkeit der Unrechtseinsicht (Frage des intellektuellen Schuldelements)“ oder auf das „Fehlen der Möglichkeit, sich der Unrechtseinsicht gemäß zu verhalten (Frage des voluntativen Schuldelements – Unzumutbarkeit insbesondere)“, zurück.541 Teilweise werden aber auch die Prüfungspunkte Schuldfähigkeit, Unrechtsbewusstsein und Entschuldigungsgründe gewissermaßen gleichrangig nebeneinandergestellt – werden schlicht dem Oberbegriff Schuld unterstellt.542 Wieder andere prüfen – wohl nicht zwangsläufig unter Rückgriff auf einen spezifischen Unwertsachverhalt543 – dagegen noch bedeutend umfassender und wollen im Rahmen der Schuld vier bzw. fünf Prüfungspunkte ausgemacht wissen: Schuldfähigkeit, Schuldform, Unrechtsbewusstsein, Fehlen von Entschuldigungsgründen, sowie gegebenenfalls spezielle Schuldmerkmale.544 Zuletzt ist noch auf diejenigen Autoren hinzuweisen, die die Schuldfähigkeit nicht „nur“ als eigenständiges Schuldelement einordnen, sondern selbige als Schuldvoraussetzung statuiert wissen wollen; 538  Siehe Krey / Esser, Strafrecht AT, Rn. 267, sowie Rn. 687; ferner Rn. 690, wo wiederum festgehalten wird, dass sich „die Prüfung der Schuld grundsätzlich in einem rein negativen Verfahren“ erschöpfe, obwohl sich in der sodann anschließenden Abschlussbemerkung bemerkenswerterweise keine Bezugnahme auf das Wort „grundsätzlich“ findet. – Sehr ähnliche Differenzierung bei Kühl, Strafrecht AT, §§ 11, 12, der nur Schuldausschließungsgründe und Entschuldigungsgründe behandelt.– Außerdem sei auf die Ausführungen von LK11-Hirsch, Vor § 32 vor Rn. 181, und LK-Rönnau, Vor § 32 vor Rn. 308, hingewiesen, welche die die Schuld in ihrer Gesamtheit betreffenden Ausführungen in rein negativer Wendung überschreiben: „Schuldausschluss (Entschuldigung)“, gleichlaufend NK-Paeffgen, Vor §§ 32 bis 35 vor Rn. 207. 539  Krey / Esser, Strafrecht AT, Rn. 693 ff. 540  Krey / Esser, Strafrecht AT, Rn. 748 ff. 541  LK11-Hirsch, Vor § 32 Rn. 190 ff.; LK-Rönnau, Vor § 32 Rn. 319 ff. 542  Siehe insofern beispielsweise Jäger, Strafrecht AT, Rn. 168, 187, 190; vgl. auch Ebert, Strafrecht AT, S. 97 ff. 543  Aufgrund der Tatsache, dass die Prämissen nicht immer vollumfänglich offen gelegt werden, erscheint einzig die gewählte Formulierung möglich. 544  Siehe insofern Bringewat, Grundbegriffe, Rn. 506  ff.; Haft, Strafrecht AT, S.  127 ff.; Hauf, Strafrecht AT, S. 45  ff.; Wessels / Beulke / Satzger, Strafrecht AT, Rn. 409 ff. (Letztgenannte allerdings mit anderer Reihung der Merkmale).



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nur bei Schuldfähigkeit werde Schuld „überhaupt erst ermöglicht.“545 Ohne dass sich sodann vordergründig sachlich große Unterschiede in den Einzelanforderungen zeigten, ist zu konzedieren, dass nicht nur die terminologische, sondern auch die dogmatische Durchdringung der Schuld einer ansatzweise abschließenden Beantwortung harrt.546 Trotz der Tatsache, dass gewisse – zunächst nur sprachlich scheinende – Abweichungen nicht selten nivelliert werden,547 ist nunmehr zu prüfen, ob sich die Fahrlässigkeit in die allgemeine Schuldlehre tatsächlich bruchlos einfügt. b) Spezifische Fahrlässigkeitsschuld bzw. Momente fahrlässiger Schuld Zumindest für diejenigen Autoren, die die Schuld nicht lediglich als bloße Zuschreibung oder als reines Werturteil begreifen und insofern einen Komplexbegriff mit eigenständigem Unwerturteil vertreten, ergibt sich die Notwendigkeit des Nachweises spezifischer Fahrlässigkeitsschuld letztlich von selbst. Aber auch die Autoren, die Schuld nur zuschreiben bzw. im Sinne purer Wertung verstanden wissen wollen, kommen nicht umhin, irgendwie geartete (Fahrlässigkeits-)Schuld festzustellen, was schon daraus folgt, dass der Begriff der Schuld – nach (nahezu) allgemeiner Meinung548 – notwendig auf das Unrecht bezogen ist und sich die bei diesem Merkmal angestellten Wertungen bei jenem wiederholen, wiederfinden müssen. Es kann also allenfalls als umstritten bezeichnet werden, ob es neben den im Unrecht angelegten Unterschieden zur Vorsatztat noch des Nachweises zusätzlich schuldspezifischer Gesichtspunkte bei der Fahrlässigkeitstat bedarf. Einfach gewendet: Es stellt sich die – scheinbar durch die allgemeinen Ausführungen schon mittelbar beantwortete – Frage, ob, ebenso wie es ausdrückliche Unterschiede zwischen vorsätzlichem und fahrlässigem Delikt auf der Unrechtsebene gibt, auch solche auf der Schuldebene belegbar sind, oder ob diese ausschließlich vermittelt über das Straftatmerkmal des Un545  Deutlich in diesem Sinne Baumann / Weber, Strafrecht AT, § 19 Rn. 1. – Eine solche Kategorisierung ist mit der Annahme eines eigenständigen Schuldunwertes eng verbunden. 546  Allgemein gilt: Sind bereits Schwierigkeiten auszumachen, die Sachprobleme auf (halbwegs) anerkannte Begrifflichkeiten zu bringen, besteht ein untrügliches Anzeichen dafür, dass auch in dogmatischer Hinsicht ein Ende der Diskussion fernliegend erscheint. 547  Siehe nochmals exemplarisch LK-Rönnau, Vor § 32 Rn. 318: „Mag die Diskussion um die Kategorisierung der Schuldfähigkeit auch vom jeweiligen Vorverständnis der Schuld geprägt sein, so dürfte sie sich letztlich doch auf einer rein begrifflichen Ebene bewegen.“ 548  Die Lehre der von Zielinski, Unrechtsbegriff, S. 41 ff., so bezeichneten österreichischen Schule (Schuld ohne Unrecht) kann hier mangels Gefolgschaft im aktuellen Schrifttum außer Betracht bleiben.

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Kap. 3: Kritische Darstellung des aktuellen Sach- und Streitstandes

rechts auftreten. Die vorstehenden Darlegungen haben unter anderem zeigen können, dass insbesondere Autoren, die der finalen Handlungslehre nahe stehen, einen hinzutretenden, andersartigen Unwertsachverhalt im Rahmen der Schuld für nicht existent erachten.549 Man könnte also meinen – und so würde wohl auch der unbefangene Leser urteilen –, dass sich für diese die Feststellung von Schuld im hier interessierenden Zusammenhang zwingend in den allgemeinen Merkmalen erschöpfen müsste. Nun nimmt es aber wunder – weshalb das Vorangegangene nochmals explizit zu betonen war –, dass sich die in Wezlels Gefolgschaft befindenden Autoren im Rahmen der Feststellung von (Fahrlässigkeits-)Schuld doch plötzlich spezifischer, rein auf das Fahrlässigkeitsdelikt zugeschnittener Begrifflichkeiten bedienen; und sich schlussendlich – wie im Folgenden genauer zu zeigen sein wird – kaum bzw. keinerlei Abweichungen im Vergleich zu differierenden allgemeinen Schuldbestimmungen finden lassen. aa) Die sog. subjektive Sorgfaltswidrigkeit: Allgemeine Inhaltsbestimmung Welzel selbst hatte in der Letztauflage seines Lehrbuches für die Schuld des fahrlässigen Deliktes (wohl am Beispiel des § 222 StGB) spezifisch vorausgesetzt, „a) daß der Täter auch subjektiv die Möglichkeit der Todesfolge voraussehen konnte, b) daß er erkennen konnte, daß seine Handlung außerhalb des sozial-adäquaten (maßvollen) Risikos lag, c) daß Gründe für die Nichtzumutbarkeit rechtmäßigen Verhaltens fehlen“.550 Hieran knüpfen dann auch die heutigen Finalisten an, wenn sie beispielsweise für die fahrlässige Körperverletzung fordern, dass man dem Täter sein objektiv sorgfaltswidriges Verhalten auch „subjektiv vorzuwerfen“ habe, was dann der Fall sei, wenn „er die Möglichkeit des Erfolgseintritts voraussehen konnte.“551 Inzwischen ist man von Seiten der finalen Handlungslehre zwar bemüht, diese selbst regelmäßig als „subjektive Sorgfaltsverletzung“ bezeichneten Gesichtspunkte einer – so die bemerkenswerte Feststellung – „terminologischen Begradigung“ zuzuführen, da es sich bei der sog. „subjektiven Sorgfalt“ doch lediglich um „das im Unterschied zum Zivilrecht notwendige allgemeine strafrechtliche Schulderfordernis [handelt], daß der Täter die Möglichkeit der Unrechtseinsicht gehabt hat“;552 was aber freilich 549  Siehe nur oben im Fließtext bei Fn. 476 f. (Kap. 3); weiterführende Hinweise im rechtsgeschichtlichen Teil, siehe insbesondere S. 137. 550  Welzel, Strafrecht, S. 563 (Hervorhebung im Original). 551  Küpper, JuS 1985, 396. 552  Hirsch, Lampe-FS, S. 528 f.; ähnliche vereinheitliche Tendenzen waren schon bei Armin Kaufmann, ZfRV 1964, 52, feststellbar: „So erfordert die Vorwerfbarkeit



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nichts daran ändert, dass gerade Welzel die Eigenständigkeit dieses Merkmals – zumindest partiell – neben der „Kenntnis bzw. Erkennbarkeit der Rechtswidrigkeit“ herausgestrichen hatte: „Die individuelle Voraussehbarkeit (der subjektive Nachvollzug des objektiven Adäquanzurteils) [ist] ein konstitutives Merkmal für die Vorwerfbarkeit jener objektiven Sorgfalts­ verletzung.“553 Welzel hält obendrein fest, dass unter anderem Jescheck, der einen materiell ausgerichteten Gesinnungsschuldbegriff vertritt, seine Fahrlässigkeitslehre übernommen habe.554 Letztgenannter definiert (auch in Zusammenarbeit mit Weigend) die Fahrlässigkeitsschuld – unter ausdrücklichem Hinweis darauf, dass die Merkmale selbiger „jedoch zum Teil andere als die der schuldhaft vorsätzlichen Handlung“ seien555 – wie folgt: „Sie verlangt den Nachweis, daß das objektive Sorgfaltsgebot dem individuellen Täter nach seiner Intelligenz und Bildung, seiner Geschicklichkeit und Befähigung, seiner Lebenserfahrung und sozialen Stellung erfüllbar gewesen sein muß.“556 Neben den allgemeinen Merkmalen der Schuldfähigkeit und des Bewusstseins der Rechtswidrigkeit soll der Schuldvorwurf mit anderen Worten davon abhängen, „daß der Täter nach seinen persönlichen Fähigkeiten in der Lage ist, die Sorgfaltsanforderungen, die nach dem objektiven Maßstab an ihn zu stellen sind, zu erkennen und zu erfüllen“557, sowie dem Täter bei den fahrlässigen Erfolgsdelikten – ebenfalls unter Zugrundelegung seiner persönlichen Fähigkeiten und Kenntnisse – „der tatbestandsmäßige Erfolg und der Kausalverlauf in ihren wesentlichen Zügen“ subjektiv vorhersehbar gewesen sein müssten558. Umstände, die dem Täter nicht zum Vorwurf gereichen, seien „körperliche Mängel, Verstandesfehler, Wissens- und Erfahrungslücken, Altersabbau, sowie besondere Situationsschwierigkeiten, denen er nicht gewachsen sein konnte“; ungeachtet dessen sei es zur Begründung der Fahrlässigkeitsschuld freilich nicht ausgeschlossen, den Gesichtspunkt des sog. Übernahmeverschuldens anzuführen – d. h. dem Täter gegenüber den vorgeauch bei der Fahrlässigkeitstat Erkennenkönnen der Rechtswidrigkeit. Erkennbarkeit der Rechtswidrigkeit – das bedeutet beim fahrlässigen Delikt: Erkennbarkeit der Sorgfaltswidrigkeit“. 553  Welzel, Strafrecht8, S. 141; vertiefend oben S. 137 f. 554  Welzel, Strafrecht, S. 130. 555  Jescheck / Weigend, Strafrecht AT, § 57 vor I. – Schon aufgrund dieser Tatsache erscheint Welzels Feststellung (siehe vorherige Fn.), dass sich unter anderem Jescheck seiner Lehre angeschlossen habe, fragwürdig. Womöglich ist Welzels Äußerung – anders herum – als Eingeständnis dahingehend zu verstehen, dass es doch des Nachweises eigenständiger, spezifischer Fahrlässigkeitsschuld bedarf. 556  Jescheck, Fahrlässigkeit, S. 21. 557  Jescheck / Weigend, Strafrecht AT, § 57 II 1. 558  Jescheck / Weigend, Strafrecht AT, § 57 III 1.

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lagerten, inhaltlich aber Gleiches voraussetzenden Vorwurf zu erheben, er habe bereits eine Tätigkeit ohne die erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten vorgenommen.559 Diese Gesamtfeststellungen wird man – im Bewusstsein um die Gefährlichkeit solcher Typisierungen – als herrschende Meinung bezeichnen können.560 Bedarf die Frage nach der Schuld des Fahrlässigkeitsdelikts also der Beantwortung, ob das zugrundeliegende Verhalten auch subjektiv sorgfaltswidrig war, handelt es sich hierbei nach überwiegender Auffassung jedoch nicht um eine Prüfung im Sinne kompro559  Jescheck / Weigend,

Strafrecht AT, § 57 II 2, 3. nur Beck, JA 2009, 270; Birnbaum, Leichtfertigkeit, S. 157 ff.; Blei, Strafrecht AT, S.  303 f.; Bockelmann, in: Aufsätze, S. 210  ff.; Bockelmann / Volk, Strafrecht AT, S.  167 ff.; Bringewat, Grundbegriffe, Rn. 657 ff.; Brodag, Strafrecht AT, Rn. 152, 161; Burgstaller, Fahrlässigkeitsdelikt, S. 182 ff.; Ebert, Strafrecht AT, S.  170 f.; Eser, Strafrecht II, S. 24 f.; Haft, Strafrecht AT, S. 170 f.; MK-Hardtung, § 222 Rn. 63 f., 10; Hauf, Strafrecht AT, S. 58 f.; Heinrich, Strafrecht AT, Rn. 1022 ff.; Hilgendorf / Valerius, Strafrecht AT, § 12 Rn. 38 ff.; Hoffmann-Holland, Strafrecht AT, Rn.  832 ff.; Jäger, Strafrecht AT, Rn. 374; Kamps, Fahrlässigkeitsdelikt, S. 261 ff.; Kretschmer, Jura 2000, 276; Krey / Esser, Strafrecht AT, Rn. 1365 ff.; Kudlich, BeckOK, § 15 Rn. 63 ff.; Kaspar, JuS 2012, 116; Kudlich, Strafrecht AT, S. 120; Lackner / Kühl, StGB, § 15 Rn. 49 ff.; Kühl, Strafrecht AT, § 17 Rn. 89 ff.; Kühn, Sportstrafrecht, S. 27; Lenckner, in: Handbuch I, S. 58 f.; Lenckner, Engisch-FS, S. 503 f.; Lissel, Strafrechtliche Verantwortung, S. 131; Maiwald, JuS 1989, 189 f.; Maiwald, Dreher-FS, S.  451 ff.; Momsen, in: Satzger / Schmitt / Widmaier-StGB, § 15 Rn. 89 ff. (gleichwohl sei auf Fn. 2 hingewiesen); Murmann, GK Strafrecht, § 30 Rn. 23 ff.; Nowakowski, JBl 1972, 30 f.; Platzgummer, JBl 1971, 240; Rengier, Strafrecht AT, § 52 Rn. 12, 82 ff.; Safferling, Vorsatz und Schuld, S. 193 f.; Schaefer, in: Leipold / Tsambikakis / Zöller, § 15 Rn. 58 ff.; Schmitt-Schönenberg, Fahrlässigkeitsbegriff, S.  124 f.; Schünemann, JA 1975, 487 ff.; S / S-Sternberg-Lieben / Schuster, § 15 Rn.  190 ff.; Tamm, Außenseitermethoden und Sorgfaltspflichten, S. 115 ff.; Tschichoflos, Fahrlässigkeitsstrafbarkeit, S.  242  ff.; Ulsenheimer, Arztstrafrecht, Rn. 44, 562 ff.; Baumann / Weber / Mitsch, Strafrecht AT, § 22 Rn. 28, 57 ff.; Wessels / Beulke / Satzger, Strafrecht AT, Rn. 692; Zieschang, Strafrecht AT, Rn. 437 ff.; gleichlaufend Herzberg, Jura 1984, 411 ff., insb. 413, unter ausdrücklicher Betonung, dass den normierten Schuldregeln (§§ 17, 20 StGB, § 3 JGG, sowie den §§ 19, 33, 35 StGB) vor dem spezifischen Fahrlässigkeitsschuldkriterium, „der Sonderzone des auf Fahrlässigkeitstaten beschränkten Schuldausschlusses“ ein normlogischer Anwendungsvorrang gebühre; inzwischen hat Herzberg, NStZ 2004, 664 f., unter Anschluss an MK-Schlehofer, Vor §§ 32 ff. Rn. 234 ff., seine Auffassung dahingehend modifiziert, dass das Merkmal der „subjektiven Sorgfaltswidrigkeit“ „überflüssig“ und „systemwidrig“ sei, man habe sich vielmehr danach zu richten, „wann das Gesetz“ gewisse Momente, wie zum Beispiel seelische Erschütterungen „als verantwortungsausschließend anerkennt“; im Einzelfall seien allenfalls analoge Anwendungen der gesetzlichen Vorschriften zu akzeptieren. – Siehe zum Merkmal der Vorhersehbarkeit des Kausalverlaufs in seinen wesentlichen Zügen durch den Täter die spezifizierenden Ausführungen von Puppe, JZ 1989, 732 f.: Wesentlichkeit eines Umstandes des Kausalverlaufes liege dann vor, „wenn er eine Sorgfaltspflicht des Täters konstituiert, die ohne diesen Umstand nicht gegeben wäre“. – Vgl. zum Ganzen auch Mitsch, JuS 2001, 111 f. 560  Siehe



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missloser Individualisierung;561 vielmehr habe man in Rechnung zu stellen, dass das „individualisierende Verständnis der Fahrlässigkeitsschuld […] allerdings in verschiedener Hinsicht begrenzt [ist]“.562 Zum einen sehe man sich dem Problem gegenüber, dass sich die „persönlichen Fähigkeiten des Täters als Grundlage des Schuldvorwurfes […] wie jede subjektive Tatsache nur aus objektiven Anhaltspunkten rückschließend feststellen [lassen]“, so dass bereits ein „Anscheinsbeweis“ ausreichen müsse – gebe es keine Anhaltspunkte für das Gegenteil, dürfe der Richter die Fahrlässigkeitsschuld als gegeben ansehen; ein Urteil über das persönliche Können sei „nur in der Weise möglich, daß gefragt wird, ob ‚ein anderer‘, den man sich an Lebensalter, Intelligenz und Kenntnissen dem Täter gleich zu denken hat, an seiner Stelle und in seiner Lage nach unserer Erfahrung fähig gewesen wäre, den Anforderungen an die innere und äußere Sorgfalt zu genügen“.563 Zum anderen: Käme es tatsächlich ganz auf die individuellen Eigenschaften an, müsste man auch rein charakterliche Mängel berücksichtigen, was nicht richtig sein könne: „Was im Bereich vorsätzlicher Schädigung selbstverständlich ist, kann bei der Fahrlässigkeit nicht völlig anders sein: Für seinen Charakter hat man einzustehen.“564 bb) Subjektive Sorgfaltswidrigkeit und ihr Verhältnis zum Tat- und Unrechtsbewusstsein (1) W  iederkehrende Probleme: Subjektiver Sorgfaltsbegriff und Vorhersehbarkeit Nun ist darauf hinzuweisen, dass innerhalb der Diskussion um die subjektive Sorgfaltswidrigkeit nahezu sämtliche der im Rahmen der Themati561  In diese Richtung deuten zunächst die Ausführungen von Lenckner, in: Handbuch I, S. 58 f., der betont, dass „bei der Prüfung der Schuldfrage eine strenge Individualisierung geboten“ sei und dass „es für das Schuldelement ganz auf die individuellen Eigenschaften und Verhältnisse des einzelnen Täters ankommt“. Selbiger macht dann aber im weiteren Verlauf (a. a. O., S. 59) deutlich, dass man bei der praktischen Ermittlung nur auf einen „Vergleich mit einem Durchschnittstypus von der Art und Beschaffenheit des Täters“ abstellen könne. 562  Bringewat, Grundbegriffe, Rn. 659. 563  Jescheck / Weigend, Strafrecht AT, § 57 II 4, 1. – Auch Bringewat, Grundbegriffe, Rn. 659, und Burgstaller, Fahrlässigkeitsdelikt, S. 189, vgl. ferner 194 f., ziehen diesen bereits im Rahmen der allgemeinen Ausführungen kennen gelernten Vergleich mit dem „Durchschnittsmenschen“ heran; gar Lenckner, in: Handbuch I, S. 59, streicht dies heraus. 564  So ausdrücklich Herzberg, Jura 1984, 413; sich diesem anschließend Bringewat, Grundbegriffe, Rn. 659; ganz ähnlich bereits Burgstaller, Fahrlässigkeitsdelikt, S. 190, sowie Jescheck / Weigend, Strafrecht AT, § 57 II 1.

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Kap. 3: Kritische Darstellung des aktuellen Sach- und Streitstandes

sierung der objektiven Sorgfaltsverletzung aufgewiesen Probleme, man könnte sagen, unter anderen Vorzeichen erneut auftauchen. Man beschaue sich an dieser Stelle nur die zum Verhältnis von – jeweils subjektiver – Sorgfaltspflicht und Voraussehbarkeit vertretenen Ansichten: Beide stünden „in engen Wechselbeziehungen. Auf Ereignisse, die man nicht vorhersehen kann, kann man sich nicht einstellen, braucht sie also bei der Überlegung der notwendigen Sorgfalt nicht zu berücksichtigen.“565 Neben diesem postulierten, uns wohl bekannten „Untrennbarkeitsproblem“ erweist sich aber auch ein Auffinden des Bezugspunktes dieser Vorhersehbarkeit als äußerst schwierig. Mag die folgende Formulierung: „Bei den fahrlässigen Erfolgsdelikten müssen der tatbestandliche Erfolg und der Kausalverlauf in den wesentlichen Grundzügen auch subjektiv vorhersehbar gewesen sein“,566 auf den ersten Blick durchaus plausibel erscheinen, offenbaren sich bei näherem Zusehen zahlreiche Fragen. Zunächst einmal muss es als ungeklärt bezeichnet werden, ob und wenn ja – wie es den Anschein hat –, warum die subjektive Vorhersehbarkeit nur bei den fahrlässigen Erfolgsdelikten zu prüfen sein soll. Sodann erweist sich folgender Fragenkomplex als kaum beachtet: Die herrschende Meinung differenziert zwischen bewusster und unbewusster Fahrlässigkeit, d. h. sie unterscheidet zwischen Fällen, in denen es der Täter „für möglich hält, dass er den gesetzlichen Tatbestand verwirklicht“ und solchen, in denen er „den gesetzlichen Tatbestand verwirklicht, ohne dies zu erkennen“.567 Nur wird nicht explizit erörtert an welcher Stelle bzw. an welchen Stellen diese Differenzierung prüfungstechnisch zum Tragen kommen soll.568 Nun kann man zwar – wie bereits gezeigt569 im Rahmen der Behandlung des Unrechtstatbestandes der fahrlässigen Straftat – lesen, dass die Frage „der Voraussehbarkeit“ bei der bewussten Fahrlässigkeit einfach zu beantworten sei, „denn hier hat der Täter die Gefahr immerhin erkannt, wenn er auch pflichtwidrig darauf vertraut hat, daß der Erfolg ausbleiben werde“.570 Dann stellt sich aber sogleich das Anschlussproblem, 565  S / S-Sternberg-Lieben / Schuster, § 15 Rn. 199. – Zum Komplementärproblem siehe oben S. 159 ff. 566  Wessels / Beulke / Satzger, Strafrecht AT, Rn. 692; nahezu gleichlaufend formulieren Jescheck / Weigend, Strafrecht AT, § 57 III 1; vgl. auch Burgstaller, Fahrlässigkeitsdelikt, S. 187. 567  Wessels / Beulke / Satzger, Strafrecht AT, Rn. 661. 568  Regelmäßig wird die aufgewiesene Differenzierung – ohne genauere systematische Bezüge – vorab behandelt: siehe nur Bringewat, Grundbegriffe, Rn. 636; Ebert, Strafrecht AT, S. 163; Jescheck / Weigend, Strafrecht AT, § 54 II 1; Wessels / Beulke / Satzger, Strafrecht AT, Rn. 661. 569  Vgl. dazu bereits oben S. 173. 570  Jescheck / Weigend, Strafrecht AT, § 55 II 3, unter Bezugnahme auf das OLG Stuttgart, JuS 1977, 52, das jedoch – wie die diesbezüglichen Ausführungen von Hassemer, JuS 1977, 52 f., nahe legen – den Gesichtspunkt der „Voraussehbarkeit



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welcher Anwendungsbereich denn der subjektiven Vorhersehbarkeit im Rahmen der Schuld verbleiben sollte – ein solcher scheint unauffindbar.571 Mit anderen Worten: Eine der beiden auf den Erfolg – und regelmäßig zusätzlich auf den Kausalverlauf – bezogenen Erkennbarkeiten ist im Rahmen der bewussten Fahrlässigkeit irrelevant.572 Diese Konsequenz lässt sich allerdings nicht auch ohne weiteres für die unbewusste Fahrlässigkeit ziehen. Denn bei dieser sieht sich die Vorhersehbarkeit im Unrechtstatbestand – so jedenfalls die herrschende Diktion – ja ausdrücklich anhand eines objektiven, d. h. vom Täter (grundsätzlich573) unabhängigen Maßstabes bestimmt. Demnach scheint ein dogmatischer Bruch zwischen unbewusster und bewusster Fahrlässigkeit zu verlaufen. (2) D  as Unrechtsbewusstsein und die sog. subjektive Sorgfaltswidrigkeit Besondere Beachtung ist nun dem in der Literatur nicht selten vernachlässigten Verhältnis der Begrifflichkeiten des Unrechtsbewusstseins und der subjektiven Sorgfaltswidrigkeit (unter Einschluss des mit ihr „verbundenen“ Begriffs der subjektiven Vorhersehbarkeit) zu schenken. Bisher wurde zwar des tatsächlichen Erfolges“ im Rahmen des Fahrlässigkeitsschuldvorwurfes berücksichtigen will. 571  Jescheck / Weigend, Strafrecht AT, § 57 III 2, lösen diese Schwierigkeit „recht pragmatisch“, indem sie einfach die in vorstehender Fn. zitierte Passage fast wortgleich wiederholen, auch unter erneutem Verweis auf dieselbe – angeblich weiterführende – Fundstelle aus der Rechtsprechung. – Als im besten Falle unsinnig müsste man es bezeichnen, der subjektiven Vorhersehbarkeit auf der Schuldebene bei der bewussten Fahrlässigkeit insofern einen Anwendungsbereich zu bewahren, indem man die Prüfung der objektiven Vorhersehbarkeit im Unrechtstatbestand nicht am Merkmal des – wie beschrieben – tatsächlich Erkannten ausrichtete, sondern auch insofern – vordergründig – auf eine am Verkehrskreis orientierte Maßstabsperson (gegebenenfalls mit Sonderwissen) rekurrierte. Aber auch dann erschiene es unmöglich, einen Fall zu konstruieren, bei dem es zu einem sachlich begründbaren Auseinanderfallen beider Begriffe kommen könnte (wollte man dennoch anderes vertreten, sähe man sich genötigt einen Fall zu bilden, bei dem man zu folgender – schizophren anmutender – Feststellung kommen müsste: Der Täter konnte objektiv nicht vorhersehen, obwohl er tatsächlich vorhergesehen hat). 572  Thematisiert man das aktuelle – nicht nur potentielle, d. h. erlangbare – Tatbewusstsein des individuellen – nicht an einer Maßstabsfigur ausgerichteten – Täters bereits im Unrechtstatbestand und erweist damit die Unbeachtlichkeit des Erfordernisses der sog. subjektiven Vorhersehbarkeit auf der Schuldebene, zeigt sich insofern eine große Ähnlichkeit zwischen dem bewusst fahrlässigen und dem vorsätzlichen Delikt. 573  Erinnert sei aber an das Vorgehen der herrschenden Meinung, dass man bei der Bestimmung des objektiven Maßstabes solche Verkehrskreise zu berücksichtigen habe, in denen sich der Täter bewege.

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aufgewiesen, dass von Seiten der Finalisten mitunter der Versuch angetreten wird, die ehemals ausdrücklich betonten Unterschiede beider Merkmale – im Stile eines Rückzugsgefechts – zu nivellieren; hält man jedoch – wie es die Regel ist – an beiderlei Begriffen zur Kennzeichnung des Schuldvorwurfes des Fahrlässigkeitsdeliktes fest, müssen bzw. müssten eigenständige Gehalte nachweisbar sein. Durch das bloße Postulieren, man habe beide zu prüfen, ist ein solcher Nachweis freilich nicht erbracht. Ungeachtet dessen liest man – ohne irgendwie geartete Problematisierung der Beziehung der zwei Begriffe zueinander – nicht selten: „Hinsichtlich […] des Unrechtsbewusstseins gilt dasselbe wie sonst auch“;574 man wird also auf die Ausführungen zum Vorsatzdelikt verwiesen, wo es jedoch am Merkmal der subjektiven Sorgfaltswidrigkeit bzw. an einem diesbezüglichen Äquivalent mangelt – eine wenn auch nur mittelbare, eigenständig zu leistende Erschließung des Verhältnisses ist schon deshalb unmöglich. Teilweise taucht der Begriff des Unrechtsbewusstseins aber gar nicht ausdrücklich auf, sondern wird lediglich verklausuliert vorausgesetzt, wobei man dann jedoch wiederum im Unklaren gelassen wird, wann er genau Relevanz entfaltet / entfalten soll: „Die Schuld des Fahrlässigkeits-Täters kann auch infolge eines unvermeidbaren Verbotsirrtums ausgeschlossen sein. So z. B. wenn jemand, ohne dies zu bemerken, im Stadtverkehr mit 70 km / h statt mit den erlaubten 50 km / h fährt, diese überhöhte Geschwindigkeit aber für die erlaubte hält; hier ist der fahrlässig verursachte Unfall im Verbotsirrtum herbeigeführt. Häufig wird es schon an der individuellen Erkenntnis des Sorgfaltsverstoßes fehlen, so dass § 17 [StGB] nicht mehr bemüht werden muss.“575 Zunächst einmal ist dazu festzuhalten, dass durch die fehlende ausdrückliche Benennung der im § 17 StGB gesetzlich positivierten „Einsicht, Unrecht zu tun,“ der (falsche) Anschein erweckt wird, als sei selbige für die Fahrlässigkeitstat von vornherein nicht von besonderer Bedeutung. Nimmt man die Formulierung im letzten Satz dagegen (grundsätzlich576) ernst, muss es – wenn auch nur einige wenige – Fälle geben, bei denen das Unrechtsbewusstsein Gewicht erlangt / erlangen soll. Überprüfen wir dies zunächst abstrakt anhand der uns präsentierten Terminologie, sodann unter Berücksichtigung des aufgewiesenen Sachverhalts. Soll der individualisierte Fahrlässigkeitsvorwurf voraus574  Wessels / Beulke / Satzger, Strafrecht AT, Rn. 692, 427 ff.; siehe ferner exemplarisch Bringewat, Grundbegriffe, Rn. 642, 520 ff.; Maurach / Gössel, Strafrecht AT II, § 44 Rn. 56 (Der Gegenstand des hiesigen Unrechtsbewusstseins sei „inhaltsgleich mit dem Unrechtsbewußtsein beim Vorsatzdelikt“); vgl. auch Hauf, Strafrecht AT, S. 55, 48. – Gänzlich unklar beispielsweise Krey / Esser, Strafrecht AT, Rn.  1365 ff. 575  Kühl, Strafrecht AT, § 17 Rn. 96. 576  Warum der Autor von einer „individuellen Erkenntnis“ anstelle einer „individuellen Erkennbarkeit“ spricht, kann nicht mit Sicherheit beantwortet werden.



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setzen, „dass der Täter nach seinen persönlichen Fähigkeiten in der Lage war, die objektive Sorgfaltspflicht zu erfüllen“, müssen sich seine „geistigen und körperlichen Kräfte, seine Kenntnisse und Erfahrungen“ nachgerade auf die objektive Sorgfaltspflicht beziehen.577 Muss diese objektive Sorgfaltspflicht sodann nach Ansicht sämtlicher Autoren in jedem Einzelfall als rechtlich anzuerkennende zu qualifizieren sein,578 muss der in Rede stehende Täter also auch die Fähigkeit besitzen, der Pflicht als Rechtspflicht zu genügen (was bereits denklogisch deren individuelle Erkennbarkeit ex ante voraussetzt)579. Erkennt der Täter nicht, obwohl er erkennen konnte, dass er einer Rechtsnorm zuwider handelt, bedeutet dies, dass er insofern mit potentiellem Unrechtsbewusstsein handelt. Beide Begriffe – subjektive Sorgfaltspflichtverletzung und potentielles Unrechtsbewusstsein – wären insofern deckungsgleich.580 Kann der individuelle Täter nicht erkennen bzw. muss der Täter nicht erkennen und erkennt nicht, dass er die erlaubte Geschwindigkeit um 20 km / h überschreitet, müsste es bei konsequenter Anwendung der uns angebotenen Terminologie bereits am Merkmal der subjektiven Sorgfaltswidrigkeit fehlen, zur eigenständigen Behandlung eines unvermeidbaren Verbotsirrtums, zur Frage nach dem Unrechtsbewusstsein des Täters gelangte man nicht. Erkennt der Täter dagegen nicht, dass er eine unerlaubte Geschwindigkeitsübertretung begeht, obwohl er hätte erkennen können und müssen, hat er also subjektiv sorgfaltswidrig gehandelt, ist es schlech-

dazu Kühl, Strafrecht AT, § 17 Rn. 90. zwingendermaßen rechtlichen Charakter von Sorgfaltspflichten herauszuarbeiten, stellt eine beachtliche Schwierigkeit dar. Erinnert sei nur an die problematische Fragestellung, wann zum Beispiel technische, nicht vom Gesetzgeber oder der Exekutive erarbeitete Normen hinreichten, einen rechtlich zu berücksichtigenden Sorgfaltsverstoß zu begründen, siehe oben S. 178 f., insb. Fn. 159 (Kap. 3). 579  Auch hier zeigt sich wieder einmal, dass die Begriffe Erkennbarkeit und Sorgfalt nicht (sauber) trennbar sind – wenn man denn die Verwendung des Sorgfaltsbegriffes überhaupt für zielführend erachtet. 580  Jescheck / Weigend, Strafrecht AT, § 57 I 2 (Hervorhebung im Original), scheinen vordergründig eine andere Position vertreten zu wollen, da sie zunächst darauf hinweisen, dass das „Bewusstsein der Rechtswidrigkeit“ auch beim Fahrlässigkeitsdelikt selbständige Bedeutung habe: Der Täter müsse wissen, „daß es sich bei den objektiven Sorgfaltsanforderungen, die im konkreten Fall zu erfüllen sind, um echte Rechtspflichten und nicht bloß um Gebote der Höflichkeit oder der auf Sitte und Anstand zu nehmenden Rücksicht handelt“, verweisen dann aber im Rahmen der unbewussten Fahrlässigkeit ausdrücklich auf die Ausführungen zur sog. subjektiven Sorgfaltswidrigkeit und bestätigen damit (mittelbar) das hier aufgewiesene Ergebnis. – Auf Jescheck / Weigend rekurrieren auch S / S-Sternberg-Lieben / Schuster, § 15 Rn. 193, die betonen: „Freilich wird der Vorwurf, vermeidbare Gefahren nicht erkannt und sich nicht auf sie eingestellt zu haben, mit dem Vorwurf, die Rechtswidrigkeit des Verhaltens nicht erkannt zu haben, praktisch[?] identisch sein.“ 577  Siehe 578  Den

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terdings unvorstellbar, wie man zur Annahme eines unvermeidbaren Verbotsirrtums gelangen sollte.581 Rudolphi versucht demgegenüber eine eigenständige Bedeutung des Unrechtsbewusstseins in solchen Fällen – d. h. bei vom Täter nicht gesehener Möglichkeit der (Unrechts-)Tatbestandsverwirklichung – mit Hilfe folgender, von Arzt – wie schon hier gesagt werden soll: zu Recht – als „Kunstgriff“582 bezeichneter Überlegung nachzuweisen:583 So gebe es einen lediglich durch die mangelnde Tatbestandskenntnis verdeckten Verbotsirrtum, der selbständig zu berücksichtigen sei; dieser werde sichtbar, wenn man hypothetisch davon ausgehe, dass der Täter die Möglichkeit der Verwirklichung des (Unrechts-)Tatbestandes gesehen und ein solches Verhalten für rechtmäßig, d. h. für von einem Rechtfertigungsgrund gedeckt gehalten hätte. Exemplarisch:584 „A verfolgt einen ohne Beute flüchtenden Dieb und will ihn mit einem Warnschuss zum Stehenbleiben veranlassen. Infolge einer Unvorsichtigkeit trifft sein Schuß den Dieb in das rechte Bein. War A in diesem Fall der irrigen Meinung, man dürfe auch einen ohne jede Beute fliehenden Dieb durch einen gezielten Schuß an der weiteren Flucht hindern, so befand er sich […] in einem Verbotsirrtum.“585 Wäre es A in dem soeben gebildeten Fall – so die weitergehende Schlussfolgerung von Rudolphi – jedoch klar gewesen, „daß es rechtlich verboten ist, einen ohne jede Beute fliehenden Dieb durch einen Schuß zu verletzen, er also rechtlich verpflichtet war, eine solche Verletzung durch einen ‚Warnschuß‘ zu vermeiden, so wiegt seine Schuld schwerer als die eines Täters, dem dies alles unbekannt war. Denn während für ersteren auf Grund seiner Kenntnis der abstrakten Pflicht ein unmittelbarer Anlaß gegeben war, seine Aufmerksamkeit auf das Erkennen der Möglichkeit und das Vermeiden einer solchen Verletzung zu konzentrieren, fehlte für letzteren ein solcher Impuls völlig.“586 Begründet sieht sich das Ergebnis also mit der wenn auch nur hilfsweisen 581  Wenn also an der Prüfung der subjektiven Sorgfaltspflichtverletzung festgehalten wird, müsste sich auch die von Armin Kaufmann, ZfRV 1964, 52, getätigte Aussage erledigen: „Die Fahrlässigkeit ist die Domäne des Verbotsirrtums schlechthin!“, da man zur Thematisierung der im § 17 StGB (Verbotsirrtum) benannten Unrechtseinsicht nicht gelangt. 582  Arzt, ZStW 91 (1979), 879. 583  Siehe zum Ganzen Rudolphi, Unrechtsbewusstsein, S. 174 ff. 584  Auch der unter anderem von NK-Neumann, § 17 Rn. 87, aufgegriffene Fall – „Ein Zeuge, der vor Gericht fahrlässig eine falsche Altersangabe macht, glaubt irrtümlich, die Wahrheitspflicht beziehe sich nicht auf Angaben zur Person“. – kann keinen Nachweis für die behaupte Eigenständigkeit des Unrechtsbewusstseins im Verhältnis zur sog. subjektiven Sorgfaltswidrigkeit liefern, da dessen Fall nicht die hier interessierende Rechtfertigungsebene betrifft. 585  Rudolphi, Unrechtsbewusstsein, S. 176. 586  Rudolphi, Unrechtsbewusstsein, S. 177.



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Überlegung, dass selbst die gesehene Gefahr der Tatbestandsverwirklichung keine Warn- bzw. Appellfunktion beim Täter hätte entfalten können: Dass was wir bei Kenntnis des Risikos schuldmindernd bzw. schuldausschließend in Ansatz bringen, müsse auch bei nicht wahrgenommener Gefahr eine gleichartige Wirkung entfalten. Im Hinblick auf das Beispiel von Rudolphi sei an dieser Stelle jedoch nur angemerkt, dass es das gewünschte Ergebnis schon deshalb nicht begründen kann, da in dessen 1. Variante gerade die Unvermeidbarkeit des Verbotsirrtums in tatsächlicher Hinsicht offen bleibt. Zu Rekapitulierungszwecken: Bezieht man im Rahmen der Schuld die subjektive Sorgfaltswidrigkeit einzig auf die den (Unrechts-)Tatbestand kennzeichnende objektive Sorgfaltswidrigkeit und nicht auch auf die Rechtfertigungsgründe – was für zahlreiche Autoren aufgrund der aufgewiesenen, vereinnahmenden Struktur des Sorgfaltsbegriffs bereits schwer genug erscheinen dürfte587 –, kann man weiterhin versuchen, die Eigenständigkeit des Unrechtsbewusstseins dadurch zu kennzeichnen, dass der Täter zusätzlich auch um das Nichtvorliegen oder Nichteinschlägigsein von Rechtserfertigungsgründen hätte wissen können:588 Sieht der Täter die tatbestandlich umschriebene Gefahr nicht, hätte diese aber erkennen können und müssen, handelt also subjektiv sorgfaltswidrig, ist es jedoch bisher keinem Autor überzeugend gelungen (wie es auch in Zukunft nicht gelingen wird), einen Fall zu konstruieren, bei dem der Täter darauf hätte „vertrauen dürfen“, dass ein – in Wirklichkeit nicht gegebener – Rechtfertigungsgrund eingriffe, so dass man trotz vorhandener subjektiver Sorgfaltswidrigkeit das potentielle Unrechtsbewusstsein ausschließen könnte. Vorgetragen wird nun aber, dass bei Annahme eines hypothetischen Sachverhaltes – wie oben ausführlich geschildert – auch eine Milderung bzw. ein Ausschluss des Unrechtsbewusstseins beachtlich sein würde;589 verwiesen wird dabei auf Fälle der sog. bewussten Fahrlässigkeit – nur ist damit für die unbewusste Fahrlässigkeit, d. h. der Täter erkennt die (Unrechts-)Tatbestandsverwirklichung nicht, also für die hier interessierende Fallgruppe keineswegs dargetan, dass der Nachweis des (erlangbaren) Unrechtsbewusstseins ein notwendiger sei,

587  Siehe

bereits ausführlich oben S. 211 ff., 222. Schwierigkeiten müsste es aber auch bereiten, die Erkennbarkeit von etwas nicht Existentem nachzuweisen. 589  Arzt, ZStW 91 (1979), 880, hat darauf hingewiesen, dass man damit einer „Figur des rechtswidrig-schuldlosen Alternativverhaltens“ das Wort redet, und stellt dann die beachtliche Frage: „Kann sich der Täter, der einen vorwerfbaren Fehler gemacht hat, dadurch entlasten, daß er, hätte er sich nicht so falsch verhalten, er sich anders falsch verhalten hätte und ihm daraus kein Vorwurf zu machen wäre?“ 588  Erhebliche

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Kap. 3: Kritische Darstellung des aktuellen Sach- und Streitstandes

und warum sich in einem solchen Fall die Prüfung nicht bereits im Merkmal der subjektiven Sorgfaltswidrigkeit erschöpfte.590 Bei der sog. bewussten Fahrlässigkeit hält die herrschende Meinung das Aufzeigen eines Verbotsirrtums dagegen für „leicht lösbar“591. Bei diesen Fällen – in denen der Täter also erkennt, dass „sein Verhalten möglicherweise einen bestimmten Erfolg verursachen wird“ – sei der Schuldvorwurf ja dadurch gekennzeichnet, dass das Unrechtsbewusstein des Täters „prinzipiell dem eines Vorsatztäters gleichgelagert [ist]“, einfach gewendet: der Täter handelt mit Unrechtskenntnis.592 Damit gleiche der Verbotsirrtum „eines bewußt fahrlässigen Täters prinzipiell dem eines Vorsatztäters. Er ist gekennzeichnet durch das Fehlen eines im Normalzustand jederzeit aktivierbaren Wissens von der materiellen Rechtswidrigkeit der in dem eigenen Verhalten liegenden Gefährdung.“593 590  Haft, Strafrecht AT, der dem Unrechtsbewusstsein beim Vorsatzdelikt noch einen eigenen Abschnitt gewidmet hatte (a. a. O., S. 160 f.), betont gar: „Bei der unbewußten Fahrlässigkeit hat der Täter kein Unrechtsbewusstsein. Ein Verbotsirrtum ist hier nicht möglich“ (a. a. O., S. 263), und negiert damit in der Sache die selbständige Bedeutung des Unrechtsbewusstseins für die unbewusste Fahrlässigkeit in Gänze. – Dem halten Maurach / Gössel, Strafrecht AT II, § 44 Rn. 59 ff. (vgl. ferner Schöne, Hilde Kaufmann-GS, S. 668 ff.), entgegen, dass man nicht verkennen dürfe, „daß umgekehrt nicht jeder Verbotsirrtum auch im Bereich der unbewußten Fahrlässigkeit auf einem ‚Tatbestandsirrtum‘ aufbaut (z. B. Schuß mit einer vermeintlichen Platzpatrone […] in irrig angenommener Notwehrlage […])“. Allerdings löst man mit einem solchen Hinweis nicht das für die herrschende Meinung bestehende Problem, dass es offensichtlich widersprüchlich ist, zu sagen, der Täter habe zwar subjektiv sorgfaltswidrig gehandelt, ein solches Verhalten sei aber unvermeidbar. Damit würde man nachgerade die eigenen normentheoretischen Prämissen konterkarieren. Wenn der Satz „ultra posse nemo obligatur“ Geltung beanspruchen soll, kann man nicht einerseits festhalten, dass der Täter die Fähigkeit hatte, der Verhaltensnorm Folge zu leisten, und dies auch musste (subjektive Sorgfaltspflichtverletzung), andererseits aber die fehlende Vermeidbarkeit des Handelns konzedieren. Anders, ohne allerdings die normentheoretischen Folgen hinterfragt zu haben, Börner, GA 2002, 276 ff. (vgl. zu diesem auch unten, S. 446 ff.), der im Rahmen eines ebenfalls gebildeten Putativnotwehr-Falles festhält, „die mit dem Schuss verwirklichte Todesgefahr“ sei für den Täter nach seinen persönlichen Fähigkeiten „vermeidbar gewesen“ (a. a. O., 280 f.), um sodann nochmals die „Unvermeidbarkeit“ anhand von § 17 StGB zu thematisieren (a. a. O., 285 f.). Wollte man bei einem solchen Sachverhalt tatsächlich die subjektive Sorgfaltswidrigkeit bejahen, offenbarte dies erneut wie unspezifisch – man könnte auch sagen: beliebig – diese angeblich das Fahrlässigkeitsdelikt prägende Pflichtwidrigkeit für die Dogmatik ist. Die Sorgfaltspflichtverletzung ist und bleibt in jedem Falle irrelevant. 591  So die Formulierung von Roxin, Strafrecht AT I, § 24 Rn. 111. 592  Rudolphi, Unrechtsbewusstsein, S. 173, wo er – leider undeutlich bleibend – unter Verweis auf S. 132 Fn. 49 noch herausstellt, dass einzig der Gegenstand der Unrechtseinsicht ein anderer sei – so werde lediglich auf das Gefährdungs-, nicht aber auf das Verletzungsunrecht Bezug genommen.



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Das sich der herrschenden Meinung stellende Problem kann nach alledem – in anderer Einkleidung – auf eine schlichte (von ihr aufgrund innerer Friktionen wohl immer unbeantwortet bleibende) Frage zurückgeführt werden: Worin genau unterscheidet sich der Schuldgehalt eines Vorsatzdeliktes im vermeidbaren Verbotsirrtum von Fahrlässigkeitsschuld? 593

(3) Zusammenfassung Zum Verhältnis des Unrechtsbewusstseins und der subjektiven Sorgfaltspflichtverletzung ist also insgesamt festzuhalten, dass – prüft man die subjektive Sorgfaltswidrigkeit (abgesehen von der Schuldfähigkeit) im Rahmen der Schuld zuerst – die Relevanz des Unrechtsbewusstseins nur im Rahmen der sog. bewussten Fahrlässigkeit eindeutig sichtbar wird; bei der sog. unbewussten kann dessen Gewicht hingegen allenfalls mittelbar, d. h. unter Berücksichtigung eines hypothetischen Sachverhaltes „nachgewiesen“ werden. Prüfte man – wie es im Schrifttum jedoch grundsätzlich nicht angedacht sein dürfte594 – das Unrechtsbewusstsein vor der Thematisierung der subjektiven Sorgfaltswidrigkeit, scheint für letztgenannten Terminus keinerlei Anwendungsbereich zu verbleiben; er wäre offenbar obsolet. Das Unrechtsbewusstsein mutet immer als der weitere, mithin als der die subjektive Sorgfaltswidrigkeit umgreifende Begriff an. Warum also hält die herrschende Meinung an der Prüfung des individuellen Sorgfaltspflichtverstoßes (und der mit diesem Begriff – naturgemäß – verbundenen subjektiven Vorhersehbarkeit) fest? Dies fußt wohl insbesondere auf der Tatsache, dass man anderenfalls keinerlei Möglichkeit hätte, dem sonst gewissermaßen herrenlosen Tatbewusstsein – des individuellen Täters – einen (möglichst) eigenständigen Prüfungspunkt innerhalb des Straftataufbaus zu bewahren. Aller593  Rudolphi, Unrechtsbewusstsein, S. 173, der insofern auch ein (hier zu Verdeutlichungszwecken leicht abgewandeltes) Beispiel liefert: Ein Arzt (A), der von einer Party zu einer nicht sonderlich schwer erkrankten Patientin gerufen wird, setzt sich in absolut fahruntüchtigem Zustand ans Steuer, obwohl ihm klar ist, dass es dabei zu schweren Unfällen kommen kann. Verursacht er aufgrund seiner Fahruntüchtigkeit sodann den Tod eines Menschen, glaubte er jedoch irrigerweise daran, durch Notstand gerechtfertigt zu sein, „so befand er sich in einem Verbotsirrtum, der den Schuldvorwurf der bewußt fahrlässigen Tötung mildert oder gar, falls A nicht in der Lage gewesen wäre, die Rechtswidrigkeit seines Verhaltens zu erkennen, ausschließt“, was etwa dann der Fall wäre, wenn auf der Feier anwesende Juristen den Arzt eindringlich falsch belehrt hätten. 594  Man beachte aber die Gliederungspunkte bei Jescheck / Weigend, Strafrecht AT, § 57 I 2 und II, wo das „Bewußtsein der Rechtswidrigkeit bzw. die Vermeidbarkeit des Verbotsirrtums“ gliederungstechnisch vor der „Erkennbarkeit und Erfüllbarkeit der objektiven Sorgfaltspflicht“ abgehandelt wird, vgl. aber dazu auch Fn. 580 (Kap. 3).

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dings erlangt diese Feststellung „lediglich“ für die unbewusste Fahrlässigkeit Gewicht, da das Wissen um die Tatbestandsverwirklichung bei der bewussten – so die herrschende Meinung – ja bereits im Unrechtstatbestand zu prüfen ist; nur bei der unbewussten Fahrlässigkeit sieht man sich – in gravierendem Unterschied zur Vorsatz- und bewussten Fahrlässigkeitstat – veranlasst, das Tatbewusstsein auf der Schuldebene abzuhandeln, und da man auch sonst Tat- und Unrechtsbewusstsein streng voneinander scheidet, meidet man das Vorgehen, ersteres dem letzteren zu unterstellen und thematisiert das Tatbewusstsein – leider bloß verklausuliert – im Rahmen der subjektiven bzw. individuellen Sorgfaltspflichtverletzung. In Bezug auf die mehrfach angesprochene und auch bzw. offenbar gerade im Rahmen der Schuld beachtlich werdende Differenzierung von bewusster und unbewusster Fahrlässigkeit bedarf es abschließend noch weiterer zusammenfassender, teilweise – weil das Vorsatzdelikt betreffend – exkursorischer Bemerkungen. Den unbefangenen Leser mag es verwundert haben, dass die herrschende Meinung trotz der immer wieder nachdrücklich behaupteten Verschiedenheit von Vorsatz- und Fahrlässigkeitsdelikt zum Ergebnis kommt, den Schuldvorwurf beider Deliktstypen grundsätzlich ­ gleichlaufend ausgestalten zu wollen: So soll ein Fahrlässigkeitsdelikt ohne weiteres in Betracht kommen, wenn der Täter gar mit aktuellem Unrechtsbewusstsein gehandelt hat (was wiederum denknotwendig aktuelles Tatbewusstsein voraussetzt)595. Wo aber liegen dann die Unterschiede zwischen vorsätzlicher und fahrlässiger Tat, kann es überhaupt spezifisch fahrlässige Schuld – mit den behaupteten „im Vergleich zum Vorsatzdelikt weitreichenden Unterschieden“596 – geben? Wartet man mit der Behauptung auf, dass auch das fahrlässige Delikt mit „vollem“, d. h. aktuellem Unrechtsbewusstsein begangen werden kann,597 scheinen die zunächst so eindringlich betonten Gegensätze wohl einzig im Bereich des Unrechts auffindbar zu sein;598 595  Auf die Tatsache, dass die herrschende Meinung – freilich unter massivem Protest der Vorsatztheorie – bei gewissen Sachverhalten andererseits auch auf ein Vorsatzdelikt bei nur potentiellem Unrechtsbewusstsein erkennen will, kann an dieser Stelle nur am Rande hingewiesen werden. Vorsatz- und Fahrlässigkeitsdelikt scheinen hinsichtlich der Anforderungen an das Unrechtsbewusstsein nicht zu differieren. 596  So jedenfalls Schünemann, JA 1975, 787. 597  Als Beispiel diene hier erneut der Fall des Autofahrers der die innerorts erlaubte Geschwindigkeit von 50 km / h bewusst übertritt (also um das Unerlaubte seines Tuns aktuell weiß) und aufgrund dieses Zuschnellfahrens sodann „ungewollt“ einen Menschen tötet. 598  Schon hier muss Folgendes bemerkt werden: Keines der neben dem Unrechtsbewusstsein allgemein akzeptierten Schuldelemente könnte in Betracht kommen die behauptete Unterschiedlichkeit im Rahmen der Schuld zu tragen. Zwar wird regelmäßig betont Vorsatz und Fahrlässigkeit seien auch unterschiedliche Schuldfor-



A. In Unrecht und Schuld differenzierende Auffassungen267

können aber nicht unmittelbar beim – d. h. bei einem für Vorsatz- und Fahrlässigkeitsdelikt mit gleichem Bezugspunkt definierten – Merkmal des Tatbewusstseins verankert liegen, da der mit aktuellem Unrechtsbewusstsein handelnde Täter eben unumgänglicherweise aktuelles Tatbewusstsein haben muss. Die herrschende Meinung findet den Unterschied zwischen bedingtem Vorsatz (dolus eventualis) und bewusster Fahrlässigkeit (luxuria) sodann auch nicht durch das Tatbewusstsein vermittelt, sondern „auch“ oder wohl eher „ausschließlich“ in einer voluntativen Komponente.599 Nochmals: Sobald man die These vertritt, dass die Fahrlässigkeit auch mit aktuellem Unrechtsbewusstsein begehbar erscheint, können Vorsatz und Fahrlässigkeit nur durch die Statuierung eines voluntativen Voratzelementes – oder eines dieses ersetzenden Merkmals600 – voneinander geschieden werden. Das Unrechtsbewusstsein als solches ist für die Differenzierung in Vorsatz- und men und insofern darauf verwiesen, dass „die individuelle Vorwerfbarkeit von Sorgfaltsverstößen“ die Fahrlässigkeitsschuld ausmache (exemplarisch Bringewat, Grundbegriffe, Rn. 518), nur ist selbige Begrifflichkeit der subjektiven Sorgfaltswidrigkeit – wie bereits gezeigt – vollumfänglich vom Merkmal des Unrechtsbewusstseins umfasst, kann also bereits deshalb keinen eigenständigen, den Unterschied begründenden Gehalt aufweisen. Und was sollte die oftmals angeführte Formel für die Voratzschuld (vgl. wiederum nur Bringewat, a. a. O.) als der „rechtsfeindlichen oder gleichgültigen Einstellung des Täters zu den Verhaltensanforderungen des Rechts“ (Vorsatz als „Träger des in der Tat aktualisierten Gesinnungsunwertes“) anderes sein können als „aktuelles Unrechtsbewusstsein“? – Siehe dazu auch Langer, Sonderstraftat, S. 125 ff. 599  Siehe dazu nur die umfangreichen Literaturhinweise bei Hillenkamp, 32 Probleme Strafrecht AT, S. 6 ff. 600  Ein solches Vorgehen schwebt beispielsweise Herzberg, JuS 1986, 249  ff., insb. 260, 262 (Hervorhebungen im Original), vor, der im Rahmen des objektiven Tatbestandes, um zur Vorsatzstrafbarkeit zu kommen, „ein nicht nur unerlaubtes, sondern nach Art und Größe noch weiter qualifiziertes Risiko voraussetzt“, er konstruiert ein „Kriterium der ‚unabgeschirmten Gefahr‘ “, es komme für den Vorsatz also nicht darauf an, „daß der Täter eine erkannte Gefahr ernstgenommen hat, sondern daß er eine ernstzunehmende Gefahr erkannt hat.“; siehe auch Herzberg, JZ 1988, 573 ff., 635 ff., insb. 638 ff.; sowie ähnlich Puppe, ZStW 103 (1991), 1 ff., insb. 41 f., die ebenfalls den Nachweis einer sog. Vorsatzgefahr – auf das sich naturgemäß das Bewusstsein des Täters beziehen müsse – für entscheidend hält, d. h. einer so großen Gefahr, „daß ein Vertrauen auf den guten Ausgang unrealistisch und unvernünftig wäre“; siehe auch Puppe, GA 2006, 73: „Der Begriff der Vorsatzgefahr, die danach den Vorwurf begründet, sich für den Verletzungserfolg entschieden zu haben, auch wenn dieser dem Täter unwillkommen war und er auf sein Ausbleiben gehofft hat, ist nicht identisch mit der unerlaubten Gefahr. Eine unerlaubte Gefahr setzt auch derjenige, der bewusst fahrlässig handelt.“ – Mit anderen Worten: Beide Autoren verlangen für die Vorsatzbestrafung mehr als nur ein „normales“, ein „qualifiziertes“ aktuelles Tatbewusstsein; und können deshalb im Rahmen der Fahrlässigkeit auch ein aktuelles Unrechtsbewusstsein konstruieren, das als Bezugspunkt „lediglich“ das „normale“ aktuelle Tatbewusstsein aufweist, vgl. nur noch Herzberg, NStZ 2004, 664 f.

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Kap. 3: Kritische Darstellung des aktuellen Sach- und Streitstandes

Fahrlässigkeitstat – freilich nur im Sinne der herrschenden Meinung – schlichtweg unbeachtlich. Ein (anscheinend unentdeckter) tiefer dogmatischer Graben verläuft zwischen der sog. bewussten und der sog. unbewussten Fahrlässigkeit. Vorsatzund bewusstes Fahrlässigkeitsdelikt tun sich demgegenüber als gleichlaufende „Deliktstypen“ hervor; bei ihnen soll das Tatbewusstsein als zentrales Moment im Rahmen des Unrechtstatbestandes zu thematisieren sein, eine eigenständige Prüfung einer sog. subjektiven Sorgfaltswidrigkeit erübrigt sich bei diesen, das Unrechtsbewusstsein soll entweder als aktuelles oder potentielles beim Täter vorhanden sein können – geschieden sehen sich beide, wie soeben erwähnt, lediglich durch eine voluntative (bzw. diese ersetzende) Komponente im Rahmen des Unrechts. Dagegen muss die Prüfung des unbewussten Fahrlässigkeitsdeliktes gänzlich anders erfolgen. Hier mangelt es definitionsgemäß an der Kenntnis des Täters von der Tatbestandsverwirklichung, dem Tatbewusstsein. Prüfte man nun bereits hier (im Unrechtstatbestand), ob unser Täter – und nicht eine irgendwie geartete Maßstabsfigur – Tatbewusstsein hätte erlangen können, verbliebe für die später postulierte Prüfung der subjektiven Sorgfaltswidrigkeit,601 wie auch für das Unrechtsbewusstsein nichts602 – Unrecht und Schuld rückten in eins. Um dieser Konsequenz zu entgehen, richtet man die Prüfung des potentiellen Tatbewusstseins nicht an dem in Rede stehenden Täter aus, sondern konstruiert die uns hinlänglich bekannte Maßstabsperson, auf die sich im Rahmen der Schuld die sog. subjektive Vorhersehbarkeit beziehen soll603 – Unrecht und Schuld erscheinen wiederum, wie vom Gesetz ausdrücklich gefordert, als trennbare und getrennte Bereiche. Man sieht sich sodann – vermeintlicherweise – nur noch der Problematik gegenüber, dem Unrechtsbewusstsein einen eigenständigen Gehalt zuzuweisen, was die herrschende Meinung aber (mit schneller Hand) unter Zuhilfenahme der oben aufgewiesenen hypothetischen Überlegung gelöst wissen möchte.604 Eine Sonderdogmatik für das unbewusste Fahrlässigkeitsdelikt ist konstruiert. 601  Siehe

dazu bereits oben S. 259 ff., insb. Fn. 571 (Kap. 3). unser individueller Täter hätte erkennen können und müssen, dass er einer Rechtspflicht zuwider handelt und kein Rechtfertigungsgrund eingreift, verbleibt dem Unrechtsbewusstsein kein (unmittelbar) eigenständiger Anwendungsbereich, siehe auch dazu oben S. 259 ff. 603  Bemerkenswerterweise halten S / S-Sternberg-Lieben / Schuster, § 15 Rn. 200, fest: „Das Merkmal der Vorhersehbarkeit entspricht dem des Wissens beim Vorsatz“; sie benennen jedoch leider keinen Grund, warum man das eine, beim Vorsatzdelikt und der bewussten Fahrlässigkeit auftauchende (aktuelle) Tatbewusstsein im Rahmen des sog. subjektiven Tatbestandes, das andere, bei der unbewussten Fahrlässigkeit auftauchende (potentielle) Tatbewusstsein, dagegen im Rahmen der Schuld zu prüfen habe. 604  Siehe oben S. 262 f. 602  Wenn



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Es gilt festzuhalten: Die von der herrschenden Meinung oftmals behauptete Wesensverschiedenheit von Vorsatz- und Fahrlässigkeitsdelikt zeigt sich entgegen eigener Beteuerungen prüfungstechnisch nicht in (großen) Unterschieden zwischen solchen Delikten, die mit bedingtem Vorsatz (dolus eventualis) und solchen, die mit bewusster Fahrlässigkeit (luxuria) begangen werden, sondern lässt sich allenfalls bei der Abgrenzung von bewusster und unbewusster Fahrlässigkeit finden, obwohl dann insofern betont wird, dass beide „Arten der Fahrlässigkeit“ „in der Praxis oft nicht scharf zu unterscheiden“ seien und dass zwischen beiden gerade „kein Stufenverhältnis“ dergestalt bestehe, dass die bewusste immer als die schwerwiegendere aufzufassen sei.605 cc) Weitere wiederkehrende Probleme: (Subjektiver) Sorgfaltsbegriff im Verhältnis zu den Ausschlussgründenden, insbesondere zur Zumutbarkeit Auch das durch die Begrifflichkeit der Sorgfalt bedingte „Aufsaugen“ von sonst abgeschichteten Problembereichen begegnet uns wieder: Wird im Rahmen des Unrechts postuliert, eine gesonderte Prüfung von Rechtfertigungsgründen habe keinen Wert, da die Sorgfaltswidrigkeit immer situa­ tionsabhängig konkretisiert werden müsse, so dass eine vorherige Feststellung eines „an sich“ sorgfaltswidrigen Verhaltens irrelevant sei,606 wird innerhalb der Schuld vertreten, „daß sämtliche Entschuldigungsgründe […] aufbaumäßig vorgelagert im Rahmen der Grenzen der subjektiven Sorgfaltspflicht erörtert werden [können], so daß der Prüfungspunkt ‚Fehlen von Entschuldigungsgründen‘ […] keine eigenständige Rolle bei den Fahrlässigkeitsdelikten mehr spielen würde.“607 Zur Untermauerung dieses Ergebnisses wird auch der Aspekt der „Zumutbarkeit normgemäßen Verhaltens“608 herangezogen:609 „Im Unterschied zu den Vorsatzdelikten ist bei Fahrlässigkeitsdelikten die Zumutbarkeit ein konstitutives Element der Haftung. Der Schuldvorwurf entfällt, wenn dem Täter ein anderes Handeln nicht zumutbar ist“; und da der gegenüber § 35 StGB – gerade für Pflichtenkollisionen – erweiterte Anwendungsbereich des Unzumutbarkeitsgesichtspunk605  Siehe insofern nur Jescheck / Weigend, Strafrecht AT, § 54 II 1; Koch, ZIS 2010, 181. 606  Es sei explizit nur an den Vorschlag von Peter Frisch erinnert, siehe oben S.  223 f. 607  Hauf, Strafrecht AT, S. 58 f.; siehe außerdem Haft, Strafrecht AT, S. 171. 608  Dieser Terminus ist im Schrifttum weit verbreitet, siehe nur S / S-SternbergLieben / Schuster, § 15 Rn. 204. 609  Siehe insbesondere wiederum Hauf, Strafrecht AT, S. 58 f.

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Kap. 3: Kritische Darstellung des aktuellen Sach- und Streitstandes

tes alle Entschuldigungsfälle mit umfasse, könnten die Entschuldigungsgründe gerade keine selbständige Rolle mehr spielen.610 Bevor dem Phänomen der „Unzumutbarkeit“ weiter nachzugehen ist, ist noch deutlich zu betonen, dass die vereinnahmenden Tendenzen des Sorgfaltsbegriffs auf der Schuldebene regelmäßig weniger stark ins Auge fallen als dies auf der Unrechtsebene der Fall ist, da zahlreiche Autoren im Rahmen der Schuld „nicht mit gleicher Sorgfalt“ schuldbegründende von schuldausschließenden Merkmalen trennen.611 Wird insofern nicht differenziert, muss es zumindest als nicht fernliegend bezeichnet werden, dem Merkmal der subjektiven Sorgfaltswidrigkeit auch das Fehlen von Entschuldigungsgründen direkt zu unterstellen. Nicht nur in diesem Zusammenhang wäre es aber interessant zu erfahren, wie sich das Merkmal „der subjektiven Fahrlässigkeit“ – nach dem man, wie bereits aus dem Schuldprinzip folge, fragen müsse – überhaupt zur angeblich (grundsätzlich) rein negativen Schuldfeststellung verhält bzw. verhalten soll;612 oder ob damit nicht gerade aufgewiesen ist, dass eine solche Grundlegung Friktionen zeitigt. Dass man das Merkmal der Zumutbarkeit zwingend auf Schulebene zu verorten habe, kann nicht als allgemein anerkannte Meinung bezeichnet werden. So will zwar die Mehrzahl der Autoren dieses Moment nicht schon als Einschränkung der objektiven Sorgfaltspflicht, des erlaubten Risikos verstanden wissen;613 jedoch herrscht dann dahingehend Streit, ob es sich hierbei um einen übergesetzlichen Schuldausschließungsgrund614 oder um 610  Haft,

Strafrecht AT, S. 171. abschichtend gehen aber unter anderem Jescheck / Weigend, Strafrecht AT, § 43, vor. 612  Vgl. dazu Krey / Esser, Strafrecht AT, Rn. 267, 687, 690, 1365 (auch oben Fn. 538 ff. (Kap. 3)). Freilich erhält man insofern keine Antwort. – Auch LK11Hirsch, Vor § 32 Rn. 187, dürfte Schwierigkeiten haben, „die Frage der individuellen Erkennbarkeit der Sorgfaltswidrigkeit“ – „ein Punkt, der beim fahrlässigen Delikt stets positiv ermittelt werden muß“ – unter den von ihm verwandten rein negativ geprägten Oberbegriff „Schuldausschluß (Entschuldigung)“ zu bringen. 613  So aber vor allem Mayer, Strafrecht AT-StB, S. 135 f. – Siehe auch Henkel, Mezger-FS, S. 285 ff., der jedoch darauf hinweist, dass sich diese Rechtsfigur nicht in der Relevanz für den Unrechtsbereich erschöpft, sondern sehr wohl auch Auswirkungen für die im Schuldbereich zu verortende subjektive Voraussichts- und Motivationspflicht haben könne; er betont vielmehr die „Mehrschichtigkeit des Zumutbarkeitsproblems bei den Fahrlässigkeitsdelikten“ (a. a. O., S. 286); gleichlaufend argumentieren heute S / S-Sternberg-Lieben / Schuster, § 15 Rn. 204. 614  So zum Beispiel Kühl, Strafrecht AT, § 17 Rn. 97, vgl. auch § 12 Rn. 12; Baumann / Weber / Mitsch, Strafrecht AT, § 23 Rn. 59 ff.; die Autoren betonen dabei den Ausnahmecharakter dieser Rechtsfigur unter anderem für den hier interessierenden Fall der Fahrlässigkeitsdelikte. – Dagegen will zum Beispiel Lücke, JR 1975, 55 ff., den Nachweis erbringen, dass es sich um einen allgemeine Geltung beanspruchenden Schuldausschließungsgrund handle: Die seiner Ansicht nach vorhandene 611  Ausdrücklich



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eine Rechtsfigur handle, die die vom Täter persönlich zu erbringende – subjektive – Sorgfaltspflicht begrenze615. Andere Autoren wollen sie dagegen insbesondere wegen ihrer Offenheit für irrelevant erklären.616, 617 Gerade die Unzumutbarkeitsdoktrin kann als einer der Kulminationspunkte des Streits um die allgemeine Schuldlehre gelten – wenn nicht gar um die Lehre von der Straftat in ihrer Gänze. Dies wird nicht zuletzt an der begrifflichen Weite dieses Merkmals liegen: Zumutbarkeit kann (vor allem) synonym mit Vorwerfbarkeit – dem Zentralbegriff der sog. normativen Schuldlehre – verwendet werden. Schon aus diesem Grunde darf man an dieser Stelle keine Einheitlichkeit erwarten. Ungeachtet dessen besteht ein gewisser Konsens, dass einige Verhaltensweisen – über die Anwendbarkeit des § 35 StGB hinaus – nicht mit Fahrlässigkeitsstrafe zu belegen seien; und regelmäßig wird – unabhängig von der dogmatischen Verortung – in solchen Fällen auf die Begrifflichkeit der Zumutbarkeit rekurriert.618 Als Grundfall wird immer noch eine Entscheidung des Reichsgerichts aus dem Jahre 1898 heran gezogen:619 Ein Kutscher hatte „auf Befehle seines Dienstherrn“ eine Fahrt mit einer Pferdedroschke unternommen, obwohl er wusste, dass eines der Pferde ein sog. Leinenfänger war, „d. h. es hatte zeitweise die Gewohnheit, den Schweif über die Fahrleine zu schlagen und diese mit demselben herunter- und fest an den Körper zu drücken“ und neigte deshalb zum Durchgehen.620 Tatsächlich führte der soeben beschriebene – „auch dem Dienstherrn bekannte“ – „Fehler“ zum Sturz eines Passanten, „so daß dieser unter den Wagen geriet und einen Beinbruch erlitt.“621 Das Reichsgericht sprach den Gesetzeslücke sei durch eine Analogie zu § 242 BGB zu stopfen, was schon aus dem Gesichtspunkt der Gerechtigkeit als einem Element des Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 II und III) folge. 615  So exemplarisch Burgstaller, Fahrlässigkeitsdelikt, S. 199; Jescheck / Weigend, Strafrecht AT, § 57 IV. 616  Am schärfsten in diese Richtung argumentierend Maiwald, Schüler-Springorum-FS, S. 475 ff.; siehe aber auch Momsen, Zumutbarkeit, S. 461 f.; sowie Achenbach, Jura 1997, insb. 634 ff., der jedoch einschränkend betont (a. a. O., 635), dass es im Einzelfall geboten sein könne, „eine behutsame Fortentwicklung des geltenden Rechts bei scharf umrissenen Fallgruppen bzw. die Entstehung einzelner inhaltlich begrenzter Entschuldigungsgründe im Wege vorsichtiger Analogie“ zu betreiben. 617  Vgl. zum Ganzen noch S / S-Lenckner / Sternberg-Lieben, Vorbem §§  32 ff. Rn. 122 / 123 ff.; sowie Momsen, Zumutbarkeit, S. 447 ff. und passim. 618  Vgl. aber die soeben in Fn. 616 Zitierten, sowie den Hinweis von Roxin, Strafrecht AT, § 24 Rn. 123, Fn. 166, dass der Täter im sogleich zu besprechenden sog. Leinenfängerfall „heute aus arbeitsrechtlichen Gründen nicht mehr in eine solche Zwangslage kommen [würde].“. 619  RGSt 30, 25 ff. 620  RGSt 30, 28, 25. 621  RGSt 30, 25 f.

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Kap. 3: Kritische Darstellung des aktuellen Sach- und Streitstandes

Kutscher ungeachtet der „unzweifelhaft festgestellten“ Vorhersehbarkeit vom Vorwurf „fahrlässiger Verursachung der Körperverletzung“ frei, da für die Fahrlässigkeit noch „etwas Weiteres hinzukommen [muß], nämlich das, daß die Vornahme der Handlung im gegebenen Falle eine Nichterfüllung desjenigen Maßes von Aufmerksamkeit und von Rücksicht auf das Allgemeinwohl in sich schließt, dessen Prästierung von dem Handelnden billigerweise gefordert werden darf“; hieran fehle es: Die Frage, ob es dem Kutscher „als Pflicht zugemutet werden konnte, eher dem Befehle seines Dienstherrn sich zu entziehen und den Verlust seiner Stellung auf sich zu nehmen, als durch Benutzung des ihm zugewiesenen Pferdes zum Fahren bewußterweise die Möglichkeit der körperlichen Verletzung eines anderen zu setzen, oder ob er diese letztere Rücksicht […] zurückstehen lassen durfte“, sei von der freisprechenden Vorinstanz nicht rechtsirrtümlich beantwortet worden, da der Kutscher unter anderem die begründete Besorgnis hatte, „durch eine Weigerung […] seine Stelle und sein Brot zu verlieren.“622 Die Unzumutbarkeit ließe sich demnach „vornehmlich“ umschreiben als „anormale Beschaffenheit der äußeren Umstände, die dem Täter die Erfüllung der objektiven Sorgfaltspflicht in außergewöhnlichem Maße erschweren“.623 Das Problem, dass ein so verstandenes Gebilde andere anerkannte Rechtsinstitute und Gesetzesbegriffe berührt, sich mit diesen (teilweise) gar überschneidet, wird – bei ausdrücklicher Beibehaltung der Begrifflichkeit der Unzumutbarkeit – auch im Schrifttum des Öfteren gesehen: Bei der ganzen Fallgruppe sei eine Exkulpation deshalb angebracht, „weil sie im Grenzbereich des subjektiven Unvermögens liegt und ein Ausschluss der Verantwortlichkeit die bei Feststellung des subjektiven Unvermögens notwendig auftretende Unsicherheit ausgleichen kann.“624 Insgesamt bleibt nur Folgendes festzuhalten: Die vorhandene Schwierigkeit, das Unzumutbarkeitsproblem auf einen Begriff zu bringen, untermauert wieder einmal das hier vorgeschlagene Bemühen, verschiedenartige Unwertsachverhalte abzuschichten, und diese für den Aufbau der Fahrlässigkeitsdogmatik insgesamt nutzbar zu machen; eines höchst unbestimmten, zahlreiche Topoi beinhaltenden Begriffs der Unzumutbarkeit als konstitutiver Rechtsfigur der Fahrlässigkeitsdelikte bedürfte es nicht. 622  RGSt

30, 26 ff. dazu Burgstaller, Fahrlässigkeitsdelikt, S. 200. – Eine (subsumtionsfähige) Definition im eigentlichen Sinne hat der Verfasser bei Sichtung des Schrifttums jedoch nicht finden können. 624  Siehe dazu nur die Ausführungen bei Roxin, Strafrecht AT, § 24 Rn. 124 ff., der weitere, schwer abzugrenzende Institute benennt, so seien auch der Unzumutbarkeit zu unterstellende Sachverhalte denkbar, die an der „Grenze des unvermeidbaren Verbotsirrtums“ lägen; sowie ferner: „Ebenso wird man fahrlässige Taten entschuldigen können, wenn sie in Bewusstseinszuständen erfolgen, die denen der §§ 20 oder 33 [StGB] nahe kommen.“ 623  Vgl.



A. In Unrecht und Schuld differenzierende Auffassungen273

4. Zusammenfassung Nach der hiermit zum Abschluss gelangten Begutachtung der sog. „herrschenden Meinung“625 wird sich der aufmerksame Leser die prinzipiell nicht unberechtigte Frage stellen, ob man die vorangegangene Darstellung überhaupt unter den einen, zusammenfassenden Terminus der „herrschenden Meinung“ stellen durfte. Ungeachtet der zwar unzweifelhaft vorhandenen Differenzen in Einzelfragen626 und der darüber hinaus teilweise das Grundgerüst der Straftatlehre berührenden, d. h. bereits im Grundsätzlichen voneinander abweichenden Herangehensweisen627 erscheint eine solche Zusammenfassung nicht nur möglich, sondern gar geboten: Gerade trotz der mitunter das Vorverständnis – insbesondere die Handlungslehre – betreffenden Unterschiede, ist die sich hernach einstellende Gleichförmigkeit in der Erklärung des Aufbaus des fahrlässigen Deliktes als bemerkenswert zu bezeichnen. So wird die Fahrlässigkeitsstraftat als „Aliud“ zum Vorsatzdelikt konstruiert. Prägend soll auf (Unrechts-)Tatbestandsebene – holzschnittartig formuliert – der Verstoß gegen eine objektive Sorgfaltsnorm sein, wohingegen die „subjektive Sorgfaltspflichtverletzung“ den Schuldvorwurf ausmache. Bevor nun aber die Auffassungen in den Blick genommen werden, die sich von der dogmatischen Grundausrichtung der herrschenden Meinung „entfernen“, ist darauf hinzuweisen, dass einige der sogleich gesondert zu behandelnden Autoren schon mittelbar berücksichtigt wurden; denn: eine (zum Teil) abweichende Grundlegung bedeutet freilich nicht, dass die gefundenen (Einzel-)Ergebnisse – unter Umständen auch in recht weitgehender Art und Weise – differieren müssten.628 Dies zeigt sich nicht zuletzt bei einer Inaugenscheinnahme der nun zu behandelnden Stellungnahmen von Herzberg und Puppe.

625  Man beachte zu Überblickszwecken auch einzelne Zwischenfazits, siehe oben S.  172 ff., 211 ff., 225 ff.; 265 ff. 626  Erinnert sei nur an die Differenzen bezüglich der Berücksichtigung des etwaigen Sonderwissens und der Sonderfähigkeiten des Täters bei der Bestimmung der objektiven Sorgfaltsanforderungen, siehe oben S. 184 ff. 627  Zu denken ist hier vor allem an den Streit zwischen den in der Gefolgschaft Welzels stehenden Finalisten und deren Gegnern, dazu zusammenfassend oben S. 157. 628  Wo nicht gesondert auf Unterschiede zwischen „herrschender“ und „abweichender“ Auffassung hingewiesen wird, kann regelmäßig davon ausgegangen werden, dass die auftauchenden Problemkonstellationen hier wie dort (nahezu) identisch sind. Es darf bei der Begutachtung der folgenden Darstellungen also nicht erwartet werden, dass jeder Ansatz in allen Verästelungen, das heißt insbesondere auch in seinen Übereinstimmungen mit der herrschenden Meinung, behandelt wird.

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Kap. 3: Kritische Darstellung des aktuellen Sach- und Streitstandes

II. Die objektive Sorgfaltspflichtverletzung als allgemeines Zurechnungserfordernis Herzberg und Puppe greifen für die Entwicklung ihrer Straftatkonzepte – mehr oder minder ausdrücklich – auf die von der herrschenden Meinung vertretene normentheoretische Grundkonzeption zurück: Bestimmungs- und Bewertungsnormwidrigkeit werden als Aspekte der Normwidrigkeit ausfindig gemacht und als Bestandteil des (Unrechts-)Tatbestandes vorausgesetzt.629 Beide Autoren halten außerdem die – gesetzlich angezeigte630 – Trennung von Unrecht und Schuld für zwingend,631 ebenso wie sie – ganz im Sinne der überwiegenden Auffassung – die Prüfung des Begriffs der objektiven Sorgfaltspflichtverletzung für den Aufbau des fahrlässigen Deliktes für notwendig erachten. Dabei wollen sie die Begrifflichkeit der Sorgfaltspflichtverletzung jedoch nicht nur für jedwede Fahrlässigkeitsstrafbarkeit nachgewiesen wissen, sondern – und hierin liegt der gewichtige Unterschied zur herrschenden Meinung – sie begreifen den Terminus klar vernehmlich als „allgemeines Zurechnungserfordernis“:632 Man müsse, „auch 629  Zu bemerken ist jedoch, dass die Autoren die Normentheorie nicht in den Mittelpunkt des strafrechtsdogmatischen Interesses stellen, beide diese vielmehr nur en passant „entwickeln“, vgl. jedoch exemplarisch Herzberg, NStZ 2005, 603 f., wo dieser von „Bürgerbelehrung“, „dem Normadressaten“ und „Sorgfaltspflichten“ spricht, auch steht er (a. a. O., 605) „einer Geringschätzung rechtlicher Verhaltensbefehle“ ablehnend gegenüber; auch NK-Puppe, Vor § 13, spricht im Rahmen der Bestimmung der sog. Tatbestandsmäßigkeit von der Verletzung einer einzelnen „Verbotsnorm“ (a. a. O., Rn. 10), sodann bei der Entwicklung ihrer Auffassung materiellen Unrechts von „den Tatbeständen zugrunde liegenden Verhaltensnormen“, sowie von „Appellwirkung“ und einem „normtheoretischen Unrechtsbegriff“ (a.  a.  O., Rn. 19 ff.); außerdem erfülle der Tatbestand „eine verhaltensleitende Funktion für den Bürger selbst, indem er diejenigen Verhaltensnormen festlegt, deren Übertretung bei Strafe verboten ist“ (a. a. O., Rn. 24); deutlich auch Puppe, GA 1974, 110 f., 115, wo sie den Versuch antritt, die „Bestimmungsnorm“ des § 330a [a. F.] zu konstruieren. 630  Die Notwendigkeit und immense Wichtigkeit, die gesetzliche Begrifflichkeit in den Mittelpunkt der Strafrechtsdogmatik zu stellen, wird von Herzberg immer wieder zu Recht betont und kann als ein sein strafrechtsdogmatisches Wirken durchziehender roter Faden bezeichnet werden; siehe nur Herzberg, JuS 2008, 385 ff., Herzberg, JuS 1996, 384. 631  Herzberg, Jura 1984, 402 ff., enthält sich jedoch einer ausdrücklichen Definition des Gesetzesmerkmals der Schuld, er formuliert lediglich Gründe, wann selbige ausgeschlossen sein soll; Puppe, ZStW 103 (1991), 41, scheint (unter anderem) den „Gesichtspunkt der Tatgesinnung als Schuldelement“ berücksichtigen zu wollen; deutlicher – jedenfalls bei speziellen Schuldmerkmalen – auf die verwerfliche Gesinnung abstellend Puppe, ZStW 120 (2008), 520 ff.; den Eindruck einer (wohl eher) rein negativ ausgerichteten Schuldprüfung vermittelt dagegen NK-Puppe, Vor § 13 Rn. 7, 17 f., vgl. auch Puppe, Otto-FS, S. 402. 632  NK-Puppe, Vor § 13 Rn. 154.



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wenn ein Vorsatzdelikt in Rede steht, bereits im Rahmen von Tatbestand und Rechtswidrigkeit das Vorliegen von Fahrlässigkeit klären“.633 Damit ist auch bereits deutlich Stellung zur Aliud-These der herrschenden Meinung bezogen. Beide erteilen ihr eine klare Absage und betonen, „dass das Vorsatzdelikt im Verhältnis zum Fahrlässigkeitsdelikt ein plus ist und nicht ein aliud.“634 Damit entgehen beide unter anderem der kaum aufzulösenden Schwierigkeit, bei einem non liquet – ob Fahrlässigkeit, ob Vorsatz – ein, trotz der behaupteten Andersartigkeit der beiden Deliktstypen, „normatives Stufenverhältnis“635 konstruieren zu müssen, um so unbillige Ergebnisse zu vermeiden. Auch sieht sich eine solche Auffassung – zumindest ansatzweise – in der Lage, das bei der herrschende Meinung unsicher verortete „unerlaubte Risiko“ strafrechtsdogmatisch gleichförmiger einzuordnen: Puppe spricht von einer (übergreifenden) sog. „Fahrlässigkeitszurechnung“, die Sorgfaltspflichtverletzung habe „also den logisch systematischen Vorrang vor der sog. objektiven Zurechnung“;636 ähnlich argumentiert Herzberg, wenn er sagt, dass die die unerlaubte Gefahren kennzeichnende Lehre von der objektiven Zurechnung bei der vorsätzlichen Straftat (nur) „im Kern richtig ist“: „Gemeint ist damit eine allgemein geltende Voraussetzung des objektiven Tatbestandes, der man beim Vorsatzdelikt dieselbe Aussonderungsfunktion zuweist, die beim fahrlässigen Vergehen immer schon die Sorgfaltspflichtverletzung hatte.“637 Ungeachtet dieser gegenüber der herrschenden Meinung bestehenden dogmatischen Vorzüge haben jedoch auch Herzberg und Puppe (unter anderem) das nicht unbeachtliche Problem, den Begriff der Sorgfaltspflichtverletzung mit Leben zu füllen; auch sie sehen sich mit den uns wohlbekannten Schwierigkeiten der Spezifizierung dieses äußerst vielschichtigen Terminus 633  Herzberg,

RECPC 10 (2008), 19 Fn. 45. Vor § 13 Rn. 154; siehe außerdem Puppe, Strafrecht AT, § 15 Rn. 4. – Ebenso, in ganz ausführlicher Auseinandersetzung mit MK-Duttge, § 15, Herzberg, NStZ 2004, 595 ff., vgl. ferner Herzberg, GA 2001, 572 f.; sowie, in Auseinandersetzung mit der Judikatur des Bundesgerichtshofs, Herzberg, BGH-FG, S.  58 ff. 635  Erinnert sei insofern nur an die mit größtem Begründungsaufwand betriebenen Ausführungen von Mylonopoulos, ZStW 99 (1987), 685 ff. 636  Puppe, Otto-FS, S. 396 ff. 637  Herzberg, JuS 1996, 381. – Siehe ferner Herzberg, RECPC 10 (2008), 21: „Hirschs Abneigung gegen die Lehre von der objektiven Zurechnung teile ich. Dieses Merkmal ist ein Verlegenheitsprodukt, das […] sein Anerkanntsein nur dem Umstand verdankt, dass […] das Einschließungs- oder Plus-Minus-Verhältnis von Vorsatz- und Fahrlässigkeitsdelikt [nicht nachvollzogen wird.]“ Es gehe immer um die Wertungsfrage, ob „das ‚erlaubte Risiko‘ und die Beachtung der ‚im Verkehr erforderlichen Sorgfalt‘ “ gegeben sind, „also um die Frage, ob Fahrlässigkeit vorliegt oder nicht.“ (Hervorhebungen im Original). 634  NK-Puppe,

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Kap. 3: Kritische Darstellung des aktuellen Sach- und Streitstandes

konfrontiert; auch sie halten an einer vermeintlich durchführbaren Differenzierung von streng objektiven und subjektiven Merkmale fest.638

III. Fahrlässigkeit als individuelle Sorgfaltspflichtverletzung auf der Unrechtsebene – Zumindest formell eine erhebliche Unterschiedlichkeit zwischen Vorsatzund Fahrlässigkeitsdelikt aufweisende Ansätze Der nun zu behandelnde dogmatische Ansatz stellt wiederum den Begriff der Sorgfaltspflichtverletzung in den Mittelpunkt der Erklärung des fahrlässigen Deliktes. Man scheint sich also im bekannten Fahrwasser der zwei vorherigen Erklärungsversuche zu bewegen, was sich auch dadurch bestätigt sieht, dass man die Überzeugung, Unrecht und Schuld als getrennte Deliktsmerkmale behandeln zu müssen, ebenso teilt wie man die normentheoretischen Grundüberzeugungen der herrschenden Lehre für richtig erachtet. Gerade aufgrund genauerer Begutachtung des zuletzt angesprochenen Punktes wollen einige Literaturstimmen nun aber aufbautechnisch differierende Ergebnisse erzielen – in den Blick wird insbesondere die Bestimmungsfunktion der Norm genommen: „Von der Motivierungsfunktion der Verhaltensnorm leitet sich die Erforderlichkeit des individualisierten Sorgfaltsmaßsta638  Daneben ist freilich zu betonen, dass sich auch Unterschiede (und eigenständige Problemkomplexe) in den Auffassungen beider Autoren aufzeigen lassen. So plädiert Herzberg exemplarisch für eine ausdrückliche Übernahme der im § 276 II BGB formulierten Fahrlässigkeitsdefinition (siehe nur Herzberg, NStZ 2004, 660 ff.), sowie er sich sodann nicht ausführlich mit einer auch von ihm für richtig erachteten Berücksichtigung von Sonderwissen des Täters bei der Bestimmung der doch sonst objektiven Sorgfaltswidrigkeit auseinander setzt (vgl. Herzberg, JZ 1987, 537, siehe dazu bereits Sacher, Sonderwissen, S. 203 Fn. 53; vgl. aber außerdem noch den Begründungsversuch von Herzberg, Jura 1984, 410, siehe dazu aber bereits Castaldo, Non intelligere, S. 98 f.). Puppe dagegen versucht, die Bestimmung der Sorgfaltspflichten zwar zunächst anhand der allgemein bekannten Formel, der „Meta­ regel“ des besonnenen und gewissenhaften Angehörigen des betreffenden Verkehrskreises auszurichten, will von dieser aber auch alles das umfasst sehen, „was der Täter weiß“, lehnt also ausdrücklich eine an Rollenerwartungen (in diesem Sinne aber zum Beispiel Jakobs, Strafrecht AT, 7 / 50) ausgerichtete Spezifizierung ab und verfolgt sodann das Ziel, eine zwischen der „generellen“ (h. M.) und der „individuellen“ (siehe sogleich unten im Fließtext) Sorgfaltspflichtbestimmung differenzierende Lösung zu entwickeln (NK-Puppe, Vor § 13 Rn. 157 ff.). Ferner zeigen sich gewisse Differenzen zwischen Herzbergs Lehre von der „Vorsatzgefahr“ und derjenigen Puppes (vgl. dazu nur Herzberg, Schwind-FS, S. 326 ff., sowie bereits oben Fn. 600 (Kap. 3)). Zu Puppes Rechtfertigungsmodell vgl. bereits oben Fn. 434 (Kap. 3). Zu Herzbergs (sowie Schlehofers) Versuch, dem Unrechtsbewusstsein auch im Rahmen der Fahrlässigkeitsstraftat einen Anwendungsbereich zu eröffnen, siehe noch unten S. 379 f.



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bes im Tatbestand her.“639 Aus demselben normentheoretischen Grunde plädiert auch Samson für die „Theorie von der individuellen Sorgfaltswidrigkeit als Unrechtselement“: „Dem Täter ist […] die Handlung verboten, die diejenige Sorgfalt nicht aufweist, die angesichts der dem Täter erkennbaren Erfolge angebracht ist.“640 Man erteilt der objektiven, an Verkehrskreisen ausgerichteten Lehre eine deutliche Absage: Nicht „das Maß, das für ein normales Individuum derselben sozialen Kategorie gilt,“ sei für die Verhaltensnormkonturierung entscheidend, sondern eben der in Rede stehende Täter selbst.641 Castaldo fasst dies dann dahingehend zusammen: „Die Norm besitzt für den Rechtsadressaten nur dann den Charakter einer Verhaltensorientierung, wenn sie für ihn inhaltlich einen Sinn hat. Überschreitet sie dagegen die Grenze des individuellen Könnens, d. h. die Motivationsmöglichkeit des Täters, so verliert sie unweigerlich ihre kriminal­ politische Funktion und verwandelt sich in einen Befehl zu blindem Gehorsam.“642 Für die Individualisierung des Sorgfaltsmaßstabes beim Fahrlässigkeitsdelikt ist auch ganz nachdrücklich Stratenwerth eingetreten.643 Auch er erläutert die Ablehnung der zweistufigen Sorgfaltsprüfung normentheoretisch;644 was er unter anderem an folgendem Sachverhalt illustriert wissen möchte: Ein Skifahrer „[sollte] sich im Tiefschnee so verhalten […], seine Spur so wählen, daß er keine Lawine auslöst, die andere in Gefahr bringen könnte: Hier gäbe es je nach Schneeverhältnissen, Tageszeit, Sonneneinstrahlung, usw. möglicherweise eine ‚ideale‘ Fahrroute, bei der sich eine Gefährdung ausschließen ließe. Allerdings bedürfte es hochspezialisierter Erfahrung, um sie zu erkennen. Da sich eine solche Erfahrung nicht normativ voraussetzen 639  Castaldo,

Non intelligere, S. 78. 12. Lieferung, Anh zu § 16 Rn. 13, 14a. 641  Castaldo, GA 1993, 496. 642  Castaldo, GA 1993, 496. 643  Nun auch in der aktuellen Auflage seines Lehrbuchs in Zusammenarbeit mit Kuhlen: Stratenwerth / Kuhlen, Strafrecht AT, § 15 Rn. insb. 11 ff.; weitere Nachweise folgen sogleich. – Auch Kraatz, Mittäterschaft, S. 283 Fn. 151, will der „aufkommenden Ansicht die Fahrlässigkeit rein individualisiert zu bestimmen“, folgen, benennt aber insofern äußerst heterogene Ansätze. Trotz seines Hinweises auf die Auffassungen von Freund und Kremer-Bax, hält er augenscheinlich an der Trennung von Unrecht und Schuld fest (a. a. O., S. 285). 644  Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass Stratenwerth seine ursprüngliche (normentheoretische) Begründung leicht modifiziert hat. Hatte er zunächst noch ganz ausdrücklich den Gleichlauf zu den Unterlassungsdelikten betont (siehe dazu auch Jakobs, Studien, Vorwort), streicht er später heraus, dass ein „solcher Vergleich […] dem bisher Gesagten sicherlich keine neuen Sachgesichtspunkte hinzufügt“; er hält eine solche Argumentation lediglich für geeignet, das Gemeinte „etwas zu verdeutlichen.“ (Stratenwerth, Jescheck-FS, S. 290). 640  SK5-Samson,

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lässt, ist von vornherein klar, wie eine generelle Norm nicht lauten könnte: Sie könnte nicht für jedermann in dem Verbot bestehen, das kritische Gebiet auf einer anderen als der Idealspur zu durchqueren. In dieser Form gäbe sie vielmehr nur für denjenigen Sinn, der über die nötige Erfahrung verfügt. Jedem anderen könnte nur verboten werden jenes Gebiet überhaupt zu betreten.“645 Schon deshalb könne es also „bei der ‚Generalisierung‘ von Verhaltensnormen nicht auf die äußeren Eigenschaften einer Handlung ankommen […], sondern allein auf das Risiko, das von ihr ausgeht.“646 Den um den Skifahrer kreisenden Gedankengang hebt dann auch Samson – mit etwas anderer Schwerpunktsetzung – auf eine allgemeinere Begründungsebene: „Wenn versucht wird, den objektiven Sorgfaltstyp an dem Leitbild eines umsichtigen Verkehrkreisteilnehmers zu orientieren, so muß dieses Unternehmen, eine mittlere Ebene zwischen höchster Abstraktion und rein täterbezogener Konkretisierung der Sorgfalt zu finden, mangels eines geeigneten Maßstabes scheitern.“647 Neben diesen, wie man sagen könnte, bestimmungsnorm- bzw. motivationsfunktionellen Argumenten648 wähnt man sich gegenüber der herrschenden Meinung außerdem im Vorteil, wenn es bei der Bildung des Sorgfaltsmaßstabs um die – auch sonst regelmäßig für richtig erachtete649 – Berücksichtigung von Sonderwissen (und -fähigkei645  Stratenwerth,

Jescheck-FS, S. 294 f. (Hervorhebung im Original). Jescheck-FS, S. 295. 647  SK5-Samson, 12. Lieferung, Anh zu § 16 Rn. 13. 648  Insgesamt ähnlich verfährt Moos, Burgstaller-FS, S. 117 f., der sich ebenfalls ausdrücklich gegen die sonst für richtig erachtete objektive, generelle Bestimmung des Sorgfaltspflichtmaßstabes ausspricht, da die objektive Sorgfaltspflicht lediglich „das allgemeine Verbot an jedermann, die Sorgfaltspflicht zu verletzen,“ betreffe. Die subjektive Sorgfaltspflicht – „die nichts anderes als die Individualisierung der allgemeinen Sorgfaltspflicht“ bedeute – stelle dagegen die notwendig „korrigierende Feinjustierung der Sorgfaltspflicht im Unrecht dar.“ Nur so könne auch „das Verbot unsorgfältigen Verhaltens als Bestimmungsnorm bzw. als ein Normbefehl zur Verhaltenssteuerung des konkret Betroffenen“ wirken. Dass Moos (a. a. O., S. 118) damit grundsätzlich an einer zweigeteilten Prüfung – d. h. an einer Differenzierung von objektiver und subjektiver Sorgfaltspflichtverletzung („vom ‚Allgemeinen zum Besonderen‘ “) – festhält, wird vor allem mit der Regelung im österreichischen Recht zu tun haben (vgl. § 6 öStGB). Diese Aufspaltung wird innerhalb dieses Meinungsblocks sonst jedoch nicht geteilt – man distanziert sich vom Bestehen einer solch losgelösten „allgemeinen“ Sorgfaltspflicht (vgl. dazu nur Mitsch, GA 1995, 289: Es „fragt sich, ob der ganze Aufwand um die Bestimmung des betroffenen Verkehrskreises und seines gewissenhaften Angehörigen nicht eine Verkomplizierung und Aufblähung der Rechtsanwendungsvorgangs ohne Erkenntnisgewinn ist.“). Moos hat sich damit mit Gegenargumenten von beiderlei Seiten zu beschäftigen (erinnert sei in diesem Zusammenhang auch an die nicht unähnliche Herangehensweise von Maurach / Gössel, Strafrecht AT II, §§ 42 ff.; vgl. auch Triffterer, Bockelmann-FS, S. 210; sowie Schmoller, Frisch-FS, insb. S. 255 f.). 649  Vgl. dazu oben S. 184 ff. 646  Stratenwerth,



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ten) des Täters geht.650 Castaldo wirft der herrschenden Meinung insofern eine „merkwürdige Lösung“ vor, und bezeichnet deren Vorschlag als „Individualisierung auf halbem Weg“.651 Mit einem solchen Vorgehen wird jedoch freilich nicht angestrebt, „den Täter nach seinem eigenen Maße [zu] messen“;652 deutlich wird das etwa, wenn betont wird, dass sich die Bestimmung des rechtlich einwandfreien Verhaltens, gerade „nicht nur“ – aber eben auch – „im Blick auf allgemeine Normen, sondern ebenso im Blick auf die Handlungsmöglichkeiten des Täters“ vollziehe;653 sowie durch die klärende Feststellung, dass die individualisierende Auffassung nie geleugnet habe, dass „die individuellen Fähigkeiten auf objektive Anforderungen bezogen werden müssen.“654 Es sind gegen die auf der Unrechtstatbestandsseite individualisierende Auffassung aber auch zahlreiche Einwände erhoben worden.655 Der wohl massivste lautet wie folgt: Hinter ihr stehe „die heute allgemein abgelehnte radikale Imperativentheorie mit ihrer Ineinssetzung von Unrecht und Schuld“.656 Diesem Vorwurf ist jedoch Stratenwerth mit Verve entgegengetreten: Es gehe ihm ausdrücklich nicht darum, die Unterschiede zwischen Unrecht und Schuld zu nivellieren; Meinungsverschiedenheiten könnten vielmehr „von vornherein nur in der einen und einzigen Frage bestehen: welche Fähigkeiten über das Unrecht entscheiden und wie sie von den weiteren Fähigkeiten abzugrenzen sind, auf die es erst bei der Schuld ankommen soll.“657 Die von der herrschenden Meinung behauptete Gegenüberstellung einer auf (Unrechts-)Tatbestandsebene verorteten „normalen“ und eben der – auf Schuldebene angesiedelten – „individuellen“ Fähigkeit des Täters zu sorgfaltsgemäßem Handeln sei bereits deshalb unrichtig, da die individuellen Fähigkeiten in „zwei ganz verschiedene Bereiche“ zerfielen: 650  Siehe nur Stratenwerth, Jescheck-FS, S. 299  ff.; dort (a. a. O., S. 300) auch insbesondere zum Vorwurf, der besonders Befähigte werde zu ständigen Höchstleistungen verpflichtet. 651  Castaldo, Non intellegere, S. 114 ff.; siehe auch Castaldo, GA 1993, 507 ff., sowie zum Gesamtproblem 503 ff. 652  Siehe zu diesem bereits in der rechtsgeschichtlichen Debatte insbesondere von Mannheim erhobenen Vorwurf, oben Fn. 298 (Kap. 2). 653  Stratenwerth / Kuhlen, Strafrecht AT, § 15 Rn. 15. 654  Stratenwerth, Jescheck-FS, S. 296 Fn. 41. – Siehe zur Vertiefung noch die Darstellung bei Duttge, Bestimmtheit, S. 82 ff. – Unter anderem Schünemann, JA 1975, 514, sieht hierin dagegen „eine weitgehende Desavouierung der subjektiven Fahrlässigkeitsbestimmung“; vgl. auch AK-Zielinski, §§ 15, 16 Rn. 99. 655  Diese werden in geordneter Zusammenstellung überblicksweise präsentiert von Wieseler, Sorgfaltspflichtmaßstab, S. 93 ff. 656  So ausdrücklich Hirsch, ZStW 94 (1982), 269. – Sachlich gleichlaufend Schünemann, Schaffstein-FS, S. 160 ff.; Schünemann, JA 1975, 512 ff. 657  Stratenwerth, Jescheck-FS, S. 286.

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Zum einen in das „ ‚instrumentelle‘ Können“, also diejenige Fähigkeit des Täters, „das unerlaubte Risiko, das er schafft zu erkennen und zu beherrschen“, und zum anderen in die „ ‚sittliche‘ Anstrengung“, also diejenige Fähigkeit, sich dem instrumentellen Können gemäß verantwortlich und gewissenhaft zu verhalten.658 Erstere Fähigkeit soll dem Unrecht, letztere der Schuld zugewiesen werden.659 Ferner äußert die herrschende Meinung insofern Kritik, dass sie die Auflösung „objektiver“ bzw. genereller Standards beklagt.660 Diesem Vorwurf tritt erneut Stratenwerth nachdrücklich entgegen, und zwar zunächst mit der Überlegung, dass „auch strafrechtlich unverbotenes Verhalten selbstverständlich rechtswidrig sein kann.“661 Sodann verweist er darauf, dass sich „plakative Verhaltensrichtlinien“ – wiederum unter Zuhilfenahme der Bekräftigungsformel „selbstverständlich“ – auch dann formulieren ließen, wenn man auf individuelle Fähigkeiten abstelle: „Die ‚Objektivierung der Sorgfaltsanforderungen […] könnte […] höchstens den Eindruck erwecken, als beharre die Rechtsordnung auf der Befolgung auch solcher Verhaltensnormen, die den Einzelnen überfordern, statt ihm in solchem Falle die entsprechende Tätigkeit ganz zu verbieten. […] Bekräftigt werden kann immer nur die Geltung der allgemeinen Verhaltensnorm, nicht der konkreten Handlungsanweisung, die sich in einer bestimmten Situation für einen bestimmten Adressaten aus ihr ergibt. Und bewirken lässt sich auch im besten Falle nicht mehr, als daß der Einzelne sich nach Kräften bemüht, rechtlichen Anforderungen zu genügen.“662 Mit einer solchen Beweisführung versucht man gleichzeitig, den ebenfalls erhobenen Vorwurf, „die Generalprävention wäre herabgesetzt“,663 zu entkräften und meint gar umgekehrt, dass mit dem individualisierenden Ansatz „das Ziel der Generalprävention und v. a. sein positiver Aspekt weit besser verwirklicht werden“ könne.664 Einen anders konnotierten, jedoch grundsätzlich mit dem Vorangegangenen verwobenen Kritikpunkt, meint vor allem Triffterer ausfindig gemacht zu haben: 658  Stratenwerth, Jescheck-FS, S. 286 f., wo er auch deutlich darauf hinweist, dass diese Unterscheidung „mit der Gegenüberstellung von generellen und individualisierten Sorgfaltsgeboten nicht das geringste zu tun“ habe, von dieser also gerade unabhängig sei. 659  Dem schließt sich auch ausdrücklich Castaldo, Non intellegere, S. 124  ff., sowie Castaldo, GA 1993, 498, an. 660  Siehe dazu exemplarisch Schünemann, JA 1975, 514; vgl. ferner Jescheck, ZStW 98 (1986), 14. 661  Stratenwerth, Jescheck-FS, S. 293. 662  Stratenwerth, Jescheck-FS, S. 296. 663  Siehe zu einem solchen Einwand nur Schünemann, Schaffstein-FS, S. 165, 163. 664  So ausdrücklich Castaldo, GA 1993, 498 (mit weiteren Literaturhinweisen), unter Hinweis auf die „ ‚sittenbildende Kraft‘ der Generalprävention“ und die diesbezüglich allgemeinen Ausführungen bei unter anderem Hassemer, JuS 1987, 257 ff.



A. In Unrecht und Schuld differenzierende Auffassungen281

Er wirft der „eine rein subjektive Ausrichtung der Pflichtwidrigkeit“ vertretenen Auffassung vor, sie vernachlässige einen der zwei unterschiedlichen Aspekte des Gleichheitsgrundsatzes, so werde zwar dessen materieller Aspekt, die Einzelfallgerechtigkeit, ausreichend berücksichtigt, jedoch die Rechtssicherheit (Verallgemeinerungsfähigkeit eines notwendigen objektiven Tatbestandes) zu gering geachtet.665 Dem tritt Castaldo mit der Überlegung entgegen, dass sicherlich jeder vor dem Gesetz „gleich [ist], allerdings nur unter der hier nicht gegebenen Voraussetzung, daß auch ‚gleiche Bedingungen‘ existieren.“666 Auch vermöge die letzte Gruppe von Einwänden, die „sich auf das einige strafrechtliche Maßregeln (§§ 63 ff. [StGB]) und für den Tatbestand des Vollrauschs (§ 323a StGB) geltende Erfordernis einer ‚rechtswidrigen Tat‘ [stützt]“, nicht zu überzeugen:667 Entweder stellten sich für beide Auffassungen identische Probleme (so bei den §§ 63 ff. StGB668) oder aber – wie im Falle des Vollrauschs – liege „der Schwerpunkt der Frage bei der angemessenen Interpretation des §  323a [StGB], nicht beim Aufbau des Fahrlässigkeitsdeliktes.“669 Auch das Problem, ob und wenn ja, unter welchen Voraussetzungen Notwehr gegen einen zwar objektiv, aber nicht individuell sorgfaltswidrigen Angriff möglich sei,670 soll das gefundene Ergebnis nicht entkräften können – und dies obwohl der § 32 StGB doch explizit einen „rechtswidrigen Angriff“ voraussetzt: So möge man die bei der Notwehr vorausgesetzte Rechtswidrigkeit als „objektiv pflichtwidrig“ (sic!) deuten; im Ergebnis sei die Frage jedoch „eher von dogmatischer als von praktischer Bedeutung“, da nach richtiger Auffassung sowieso Notwehreinschränkungen – „wie praktisch allgemein anerkannt wird“ – bei Angriffen von Schuldunfähigen und Irrenden gelten würden.671, 672 665  Triffterer,

Bockelmann-FS, S. 209 f. GA 1993, 499 f.: Keine „Desavouierung des Gleichheitssatzes“. 667  Zur von der herrschenden Meinung geführten Replik siehe nur Kaminski, Tatbestand des Fahrlässigkeitsdelikts, S. 92 ff. 668  Mit Ausnahme des Verfalls (§ 73 StGB), was jedoch „allein wohl eine etwas magere Ausbeute“ bilde, „wenn der Nachweis geführt werden soll, daß die individualisierende Auffassung bei den Maßregeln ‚versage‘ “, so jedenfalls argumentiert Stratenwerth, Jescheck-FS, S. 299. 669  Ausführlich zum Ganzen Stratenwerth, Jescheck-FS, S. 297 ff.; siehe ferner Castaldo, GA 1993, 500 ff. 670  Bemerkenswert ist jedoch, dass sich beide in vorstehender Fußnote benannte Autoren in ihren umfangreichen Abhandlungen nicht mit dieser Frage auseinander gesetzt haben, vgl. aber zumindest andeutungsweise Castaldo, GA 1993, 500 Fn. 20. 671  Stratenwerth / Kuhlen, Strafrecht AT, § 9 Rn. 73, 87 (Hervorhebung im Original). – Auch Castaldo, Non intellegere, S. 142 Fn. 145 (Hervorhebungen im Original), präferiert die Deutung „eines nicht einheitlichen Begriffs von Rechtswidrigkeit“, als „Voraussetzung der Notwehr ist erforderlich, daß das Verhalten des An666  Castaldo,

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Hinzuweisen ist abschließend noch darauf,673 dass mit einer solchen, die individuellen Fähigkeiten des Täters auf der Unrechtsebene berücksichtigenden Grundlegung – wohl allem Anschein nach – ein positiv formulierter, materiell ausgerichteter Schuldbegriff nicht einhergehen kann. So entwickelt dann auch Stratenwerth einen augenscheinlich durch (rein) negative Momente bestimmten, für Voratz- und Fahrlässigkeitsdelikt gleiches voraussetzenden674 Begriff:675 Nicht die Gesinnung des Täters sei der die Schuld kennzeichnende Gesichtspunkt,676 sondern die – bedeutend allgemeiner gehaltene – „Frage nach der Verantwortlichkeit des Täters, danach also, ob ihm das begangene Unrecht zur Last gelegt werden kann“ sei maßgeblich;677 insofern scheint allerdings ein Positivnachweis nicht erzielbar zu sein, so dass es – in diesem Sinne argumentiert jedenfalls Stratenwerth – schlussendlich verständlich werde, „weshalb auch auf der Wertungsstufe der Schuld 672

greifers allgemein rechtswidrig, nicht aber, daß es auch strafrechtswidrig ist. […] Der nicht-sorgfältig handelnde Täter, der das geschützte Rechtsgut verletzt, handelt deshalb nicht strafrechtswidrig (also, nicht straftatbestandsmäßig, aber doch rechtswidrig). 672  Dagegen will Samson die Fragestellung wohl mittels folgender Überlegung gelöst sehen: „Ob fahrlässiges Verhalten einen rechtswidrigen Angriff i. S. von § 32 [StGB] darstellt, ergibt sich nicht aus dem Handlungsunwert des Fahrlässigkeitsdeliktes, sondern aus dem Zweck der Notwehrregelung.“ (SK5-Samson, 12. Lieferung, Anh zu § 16 Rn. 14). – Hinzuweisen ist aber darauf, dass Samson damit gerade nicht den Kern des Problems zu fassen bekommt, geht es doch nicht darum, wann ein fahrlässiges – also in seinem Sinne: ein subjektiv sorgfaltswidriges – Verhalten einen rechtswidrigen Angriff darstellt, sondern vielmehr um die Frage, ob ein schon auf Tatbestandsebene nicht subjektiv sorgfaltswidriges Verhalten dennoch als ausreichend betrachtet werden kann, das vom § 32 StGB vorausgesetzte Erfordernis eines rechtswidrigen Angriffs als erfüllt zu begreifen. 673  Man beachte am Rande aber auch, dass bei einem solchen Ansatz das Verhältnis des Begriffs der (individuellen) Sorgfaltspflichtverletzung zu der allgemein akzeptierten Unterscheidung von Handlungs- und Erfolgsunwert (vor allem zur Lehre von der objektiven Zurechnung) – man könnte fast sagen: naturgemäß – im Dunkeln bleibt, vgl. nur Stratenwerth / Kuhlen, Strafrecht AT, § 15 Rn. 16, sowie § 8 Rn.  15 ff. 674  Siehe dazu Stratenwerth / Kuhlen, Strafrecht AT, § 15 Rn. 44: So ergebe sich bei der Fahrlässigkeitsstraftat „auf der Wertungsstufe der Schuld kein struktureller Unterschied zum Vorsatzdelikt“. 675  Auch Castaldo, Non intellegere, S. 121 Fn. 103, deutet dies an: Er scheint einerseits die Lehre vom Andershandelnkönnen verwerfen zu wollen, sowie er sich wohl andererseits auf die von Roxin gegründete „Kategorie der Verantwortlichkeit oder auf die Meinung von Jakobs“ beziehen will. 676  Siehe dazu Stratenwerth, von Weber-FS, S. 171 ff., insb. 186 f. 677  Stratenwerth / Kuhlen, Strafrecht AT, § 7 Rn. 24 (Hervorhebung im Original); a. a. O., Rn. 26 (Hervorhebung von mir), spezifiziert Stratenwerth diese Fragestellung noch dahingehend, dass deliktisches Verhalten nur dann vorwerfbar sei, wenn dem Täter die Freiheit zugesprochen wird, sich der rechtlichen Norm zu fügen.“



A. In Unrecht und Schuld differenzierende Auffassungen283

nicht von positiven Voraussetzungen, sondern negativ von Schuldausschlussoder Entschuldigungsgründen die Rede ist.“678 Was sollte man in positiver Hinsicht auch Weiterführendes verlangen können, wenn auf der Unrechts­ ebne bereits festgestellt wurde, dass der individuelle Täter in der Lage war, das unerlaubte Risiko zu erkennen und zu beherrschen?679

IV. Fahrlässigkeit als Obliegenheitsverletzung, als (eine) Sorgfaltspflichtverletzung auf (Unrechts-)Tatbestandsebene – Das Konzept „außerordentlicher Zurechnung“ Nun ist noch ein weiterer – vorletzter – Ansatz in den Blick zu nehmen, der am Kriterium der Sorgfaltspflichtverletzung zur Erklärung des (nicht nur) fahrlässigen Deliktes festhält – mag dies auch in modifizierter Art und Weise geschehen. Angesprochen ist das Konzept, die Fahrlässigkeit nicht als „ordentliche“, sondern vielmehr als „außerordentliche Zurechnung“680 begreifen zu wollen:681 Gedanklicher Ausgangspunkt ist die Differenzierung in zweierlei Arten von Freiheit682 – in die Handlungs- und die Willensfrei678  Stratenwerth / Kuhlen,

Strafrecht AT, § 7 Rn. 27 f. Schmoller, Kühl-FS, insb. S. 447 f., mag zwar richtigerweise die Trennung von Unrecht und Schuld für zwingend erachten, bleibt dann aber ein Beispiel schuldig, in dem es trotz Bejahung der „subjektiven Sorgfaltswidrigkeit“ einmal auf die Feststellung von (Fahrlässigkeits-)Schuld, die die Einstellung des Täters zum Unrecht der Tat beschreiben soll, ankäme; der Sache macht er das zentrale Schuldmerkmal des (potentiellen) Unrechtsbewusstseins zum Bestandteil des (Unrechts-) Tatbestandes, vgl. bereits oben S. 259 ff. sowie unten S. 376 ff. 680  Zu dieser auf Pufendorf zurückgehenden Differenzierung siehe ausführlich Hruschka, ZStW 96 (1984), 661 ff.; sowie Hruschka, in: Rechtfertigung, S. 144 ff., insb. 146 ff. 681  Die nachfolgende Herleitung des Gedankengangs orientiert sich an der Darstellung von Toepel, Pflichtwidrigkeitszusammenhang, S. 20 ff., der auch zu Recht deutlich macht, dass sich im neueren Schrifttum insbesondere Hruschka (siehe – neben den in vorstehender Fn. zitierten Aufsätzen in ihrer Gänze – nur Hruschka, Strafrecht, S. 274 ff., 306, 313 ff., 326 ff., 337 ff., 341 ff., sowie Hruschka, Rechtstheorie 22 (1991), 449 ff.) und Kindhäuser (siehe nur Kindhäuser, Gefährdung, S. 34 ff., 41 ff., sowie S. 81 und passim) um die Wiederbelebung einer solchen Zurechnungslehre bemüht haben – bei freilich leichten Abweichungen im Einzelnen: Hruschka leitet vornehmlich historisch her, Kindhäuser dagegen primär unter Bemühung der analytischen Sprachphilosophie. – Siehe ferner Joerden, Strukturen, S. 30 ff.; Vogel, Norm und Pflicht, S. 57 ff.; Renzikowski, Täterbegriff, S.  219 ff.; Dehne-Niemann, GA 2012, 92 ff. 682  Zu den zwei Freiheitsbegriffen siehe auch Joerden, Strukturen, S. 33. – Anzumerken ist dazu jedoch, dass Toepel, Pflichtwidrigkeitszusammenhang, S. 21, es offen lässt, ob sich seine, an Kindhäuser orientierte, verschiedene Intentionsstufen nachweisende Differenzierung tatsächlich vollumfänglich mit der „in früheren Zeiten“ vorgenommenen Trennung in „imputatio facti“ und „imputatio iuris“ deckt. 679  Auch

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heit. Diese (Grob-)Unterscheidung soll sogleich zur Abschichtung zweier Zurechnungsstufen dienen: Habe der Täter die Fähigkeit, frei, das heißt anders,683 zu handeln, sei eine Zurechnung zum Tatbestand möglich, während die Freiheit seinem Willen gemäß zu handeln, ein Kriterium der Schuld darstelle. Letzteres sei dann erfüllt, wenn der Täter „in der Lage ist, frei zwischen mehreren möglichen Handlungen auszuwählen und die ausgewählte Handlung in die Tat umzusetzen.“684 Aufgrund der Tatsache, dass die Handlungsfähigkeit des Täters – die ja das Kriterium für die „Zurechnung zum Tatbestand“685 (bzw. zum „Unrecht“686), oder für die sog. „1. Stufe der Zurechnung“687 sein soll – aktuell oder potentiell vorliegen könne, müsse man zwischen zwei Fallvarianten differenzieren: So gebe es Fälle in denen „die Herbeiführung bzw. Nichtherbeiführung des Normverstoßes unmittelbar durch den Täter beherrscht werden [kann]“ und solche, in denen der Täter im Augenblick des Verstoßes zwar „keine Möglichkeit zur Vermeidung gehabt [hat]“, er jedoch „Vorsorgemaßnahmen unterlassen [hat], welche, wenn er sie eingehalten hätte, ihm in der Situation ermöglicht hätten, 683  Kindhäuser, Gefährdung, S. 35, fasst dies so zusammen: „Der Adressat kann nur im Rahmen seiner Handlungsfähigkeit an die Norm gebunden sein. Bedingung der Annahme einer Pflichtverletzung ist es also, daß der Täter nicht so handelt, wie er handeln könnte und müßte, wenn das Gesollte sein intentionales Objekt wäre; wer nicht tut (unterlässt), was er tun (unterlassen) könnte und müßte, wenn er das Vorgeschriebene wollte, zeigt, daß er die Norm nicht als verbindlichen Grund seines Handelns anerkennt.“ – Hruschka, Strafrecht, S. 337 f., spricht in ähnlicher Art und Weise davon, dass „das Subjekt zu dem Vorgang eine Alternative“ hätte haben müssen, d. h. dass „das Subjekt die Möglichkeit und das Vermögen hatte, die fragliche Handlung zu unterlassen [bzw. vorzunehmen]“; ganz ähnlich auch zu lesen bei Hruschka, Rechtstheorie 22 (1991), 452. 684  So definiert Toepel, Pflichtwidrigkeitszusammenhang, S. 22, unter Rekurs auf philosophische Ausführungen von Frankfurt. – Hruschka, Strafrecht AT, S. 338, spricht in diesem Zusammenhang von „der Entscheidungsfreiheit des Täters“; siehe ferner Hruschka, Rechtstheorie 22 (1991), 455. – Eine auf Grundlage der (außerordentlichen) Zurechnungskonzeption ausformulierte, nach eigener Beteuerung material ausgerichtete Bestimmung des Schuldbegriffs versucht Kindhäuser, ZStW 107 (1995), 701 ff., zu liefern: Er versteht „Schuld im demokratischen Rechtsstaat“ als „ein Handeln, das mangelnde Rechtstreue – also ein Defizit an kommunikativer Loyalität, die rechtsförmige Verständigung überhaupt erst ermöglicht – ausdrückt.“ (a. a. O., S. 725 f.); ähnlich in Bezug auf einen solch „diskursiven“ Schuldbegriffs auch Günther, Schuld und kommunikative Freiheit, S. 245 ff. (vgl. dazu auch oben Fn. 465 (Kap. 3)), sowie Günther, in: Jahrbuch für Recht und Ethik 1994, S. 143 ff., vgl. ferner Feijoo Sánchez, Frisch-FS, S. 564 ff.; zur Kritik an Kindhäusers Ansatz siehe nur die Einwände bei Zieschang, ZStW 107 (1995), 907 ff. 685  So die Formulierung bei Toepel, Pflichtwidrigkeitszusammenhang, S. 23. 686  So die ergänzend gebrauchte Formulierung bei Vogel, Norm und Pflicht, S. 68. 687  So die Formulierung bei Joerden, Strukturen, S. 32.



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den Normverstoß zu vermeiden.“688 Da es ohne das Vorhandensein von aktuellem Tatbewusstsein beim Täter auch keine Verhaltensalternative für diesen gebe, scheide eine ordentliche Zurechnung (die zuerst beschriebene Fallvariante) naturgemäß aus;689 ungeachtet des fehlenden Vorsatzes690 könne man dennoch zur Zurechnung gelangen, nämlich zu einer außerordent­ lichen (der soeben beschriebenen zweiten Variante), „wenn der Täter für seine Unfreiheit verantwortlich war.“691 Hierfür genüge jedoch nicht „die bloße Möglichkeit, das fehlende Tatbewusstsein zu erlangen“, vielmehr „muß der Täter rechtlich verpflichtet sein, diese Möglichkeit wahrzunehmen“; womit (mittelbar) auch dem Begriff der Fahrlässigkeit Gestalt verliehen ist.692 Die Unterscheidung zwischen ordentlicher und außerordentlicher Zurechnung (den „zwei Weisen der Zurechnung“693) deckt sich bei Zugrundelegung einer solchen Konzeption mit der gesetzlichen Trennung von Vorsatz und Fahrlässigkeit. Letztgenannte erweise sich als „Surrogat“, als „Ersatz“ für (fehlenden) Vorsatz,694 und soll aufgrund ihrer Zurechnungsstruktur der Rechtsfigur der „actio libera in causa“ entsprechen.695 Denn: Stehe dem Täter im entscheidungsrelevanten Zeitpunkt696 – mangels Tatbewusstsein – eine Handlungsalternative nicht zur Verfügung, soll die ordentliche Zurechnung ja verunmöglicht sein; man könne lediglich – und eben hier zeige sich der Gleichlauf zur a. l. i. c. – auf einen früheren Zeitpunkt (mit Verhaltensalternative) abstellen. Habe der Täter zu besagtem, früherem Zeitpunkt nun eine Verhaltensregel missachtet, die der „Sicherstellung des Tatbewusstseins“ diene, sei es ihm hernach versagt, sich auf seine fehlende Handlungsalternative im – untechnisch gesprochen – Vollendungszeitpunkt 688  Toepel,

Pflichtwidrigkeitszusammenhang, S. 24. Norm und Pflicht, S. 75 (Hervorhebung von mir), betont für den umgekehrten Fall, d. h. „unter der Voraussetzung des aktuellen Wissens und Könnens“, dass die Zurechnung „theoretisch und axiologisch keine Probleme [bereitet].“ 690  An dieser Stelle wird aus Vereinfachungsgründen – wie es im hiesigen Kontext auch beim aufgewiesenen Schrifttum nicht unüblich ist – aktuelles Tatbewusstsein mit dem Vorsatzbegriff identifiziert. Freilich wird damit nicht verkannt, dass die wohl (noch) überwiegende Auffassung außerdem ein voluntatives Vorsatzelement fordert. 691  Renzikowski, Täterbegriff, S. 219. 692  Siehe dazu Renzikowski, Täterbegriff, S.  219 f. 693  Hruschka, Rechtstheorie 22 (1991), 456 (Hervorhebung im Original). 694  Siehe insofern nur Hruschka, Strafrecht AT, S. 188, 325 ff.; Kindhäuser, Gefährdung, S.  129 f.; Renzikowski, Täterbegriff, S. 219; Toepel, Pflichtwidrigkeitszusammenhang, S. 213. 695  Hruschka, JZ 1997, 24 ff.; Hruschka, JZ 1989, 314; Kindhäuser, GA 1994, 204 Fn. 28; Vogel, Norm und Pflicht, S. 79; Renzikowski, Täterbegriff, S. 219; vgl. auch Toepel, Pflichtwidrigkeitszusammenhang, S. 24. 696  Siehe dazu auch Kindhäuser, GA 1994, 198 Fn. 7. 689  Vogel,

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zu berufen: „Er wird also so behandelt, als ob er […] eine Verhaltensalternative besessen hätte oder anders ausgedrückt: als ob er gehandelt hätte.“697 Für die von Renzikowski gebrauchte Formulierung der Verhaltensregeln, „die die Sicherstellung des Tatbewusstseins gebieten,“ hat insbesondere Hruschka versucht, den aus dem Zivilrecht bekannten Terminus der Obliegenheit nutzbar zu machen.698 Grund für die Einführung dieser Begrifflichkeit ist es, den Unterschied zwischen „primären Verhaltensanweisungen“, den Ver- und Geboten, beispielsweise dem: „Du sollst nicht töten!“, und „Sekundäranweisungen“ zu verdeutlichen, die „sich als Implikationen der jeweiligen Verhaltensanweisung, auf die sie sich beziehen, verstehen“ ließen.699 Auch Kindhäuser betont die Notwendigkeit zwischen der „Vermeide­ pflicht“700, also „der (primären) Verpflichtung, die Norm zu befolgen,“ und der „(sekundären) Anforderung, für die Fähigkeit zur Normbefolgung Sorge zu tragen“, also der Obliegenheit, differenzieren zu müssen.701 Renzikowski übersetzt das so: Die Obliegenheiten sollen sich von den Verletzungsverboten in ihrer verpflichtenden Kraft unterscheiden: „So gelte das Verbot ‚neminem laede!‘ als kategorischer Imperativ unbedingt, soweit die Rechtssphären gegeneinander abgegrenzt sind. Die Sorgfaltspflicht [besser: Die Obliegenheit] ‚respice finem!‘ formuliere dagegen nur eine Klugheitsregel, deren Verpflichtungswirkung von der individuellen Verhaltensplanung abhängig sei.“702 Anzumerken bleibt insofern noch: Das was Hruschka als 697  Renzikowski,

Täterbegriff, S.  220 f. vor allem Hruschka, Bockelmann-FS, S. 422 ff., insb. 426 ff. – Siehe außerdem Kindhäuser, Gefährdung, S. 65 ff., der jedoch inzwischen (Kindhäuser, Strafrecht AT, § 33 Rn. 16 Fn. 17) konzediert, dass sich die von Hruschka „vorgeschlagene Terminologie, die erforderliche Sorgfalt nicht als Pflicht, sondern als Obliegenheit zu bezeichnen, […] leider nicht durchgesetzt [hat].“ Den Terminus der Obliegenheit verwenden ferner noch Joerden, Strukturen, S. 46 Fn. 104, 105, S. 54; Vogel, Norm und Pflicht, S. 79 f. – Kritisch mit Hrusckas Modell der außerordentlichen Zurechnung setzt sich unter anderem Herzberg, Spendel-FS, 231 ff., auseinander, der insbesondere auf die Gefahr hinweist, „ungesetzliche Bestrafungen“ heraufzubeschwören (a. a. O., S.  233). 699  Hruschka, Bockelmann-FS, S.  426  f.; siehe auch Hruschka, Strafrecht, S. 415 ff. – Eine bessere, subsumtionsfähige(re) Definition des Begriffs der Obliegenheit bzw. der Obliegenheitsverletzung liefert Hruschka, soweit ersichtlich, nicht. Hilfreich erscheinen insofern jedoch die erläuternden – teilweise aber kritischen – Ausführungen von Neumann, GA 1985, insb. 394 ff. 700  So die Formulierung bei Kindhäuser, GA 1994, 210. 701  Kindhäuser, Gefährdung, S. 65. 702  Siehe Renzikowski, Täterbegriff, S. 220 Fn. 42, wo er auch ein veranschaulichendes Beispiel aufweist: „So könne man […] wählen, ob man die Verkehrsregeln lernen oder das Autofahren unterlassen wolle. Bei einem Verzicht auf das Autofahren bestehe kein Grund, den Erwerb entsprechender Fähigkeiten zum Umgang mit Kraftfahrzeugen zu fordern.“ Hinzuweisen ist jedoch noch darauf, dass Renzikowski (a. a. O.) sogleich an der Durchführbarkeit der Gegenüberstellung von „kategorischen 698  Siehe



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Obliegenheit, als „Erkennen müssen“ des Gefährlichen des Tuns, bezeichnet, „heißt häufig, wenn auch durchaus nicht immer, ‚Sorgfaltspflicht‘.“703 Was nun aber insgesamt als äußerst beachtlich herausgestellt werden muss, ist die Tatsache, dass ein solches, sich am Begriff der (außerordentlichen) Zurechnung orientierendes Konzept, die Fahrlässigkeitsstraftat zu erklären, augenscheinlich – wie bereits andeutungsweise zum Ausdruck gekommen sein mag – auf unterschiedlichen (verhaltens-704)normtheoretischen Prämissen fußen kann. 1. Das Konzept objektiver Normwidrigkeit Zunächst mutet es an, als bewege sich der nun aufzuweisende normtheoretische Diskussionsansatz unweit der herrschenden Lehre, werden die an jedermann gerichteten Verhaltensnormen – deren Verletzung ja notwendige Voraussetzung für jedwede Strafbarkeit sein soll – doch durch kontradiktorische Formulierung der gesetzlichen Deliktstatbestände gewonnen.705 Anders als es die überwiegende Auffassung tut, wird die Verhaltensnorm sodann jedoch als „eine echte, kategorisch gebietende Norm, z. B. ‚Kein Mensch soll einen anderen töten!‘ “, definiert; sie beanspruche unbedingte Geltung, so dass sie von dem Normadressaten immer schon dann übertreten worden sein soll, „sobald dieser kausal den Tod eines anderen Menschen herbeigeführt hat.“706 Ein Verhalten ist nach einem solchen Ansatz also bereits dann normwidrig, wenn es tatbestandsmäßig ist; und um zu dieser und hypothetischen Imperativen“ zweifelt; sowie darauf, dass seine erläuternde Darstellung wohl vornehmlich Hruschkas Konzept vor Augen hat. 703  So Hruschka, JZ 1997, 25. – Angesichts dieser Terminologie darf uns nicht verwundern, dass auch einige der die „außerordentliche Zurechnung“ befürwortenden Autoren, den Terminus der Obliegenheit ablehnen und weiterhin von Sorgfaltspflichten (und damit auch von Sorgfaltspflichtverletzungen) sprechen, siehe nur Toepel, Pflichtwidrigkeitszusammenhang, S. 38 f., 31 ff., Dehne-Niemann, GA 2012, 93, sowie noch Renzikowski, Täterbegriff, insb. S. 224 ff. Auch Hruschka, Strafrecht, S. 418, betont, dass es „an sich gleichgütig wäre“, die insbesondere von der herrschenden Lehre gewählte Terminologie – anstelle seiner – zu verwenden, „wenn damit nicht die notwendigen sachlichen Unterschiede verwischt würden.“ 704  Auf eine Darstellung der innerhalb dieser Theorie (wohl) einheitlich bejahend beantworteten Frage, ob es notwendig erscheint, zwischen Verhaltens- und Sanktionsnormen differenzieren zu müssen, kann an dieser Stelle verzichtet werden. 705  Siehe nur Kindhäuser, Gefährdung, S. 29; ders., Maiwald-FS2, S. 401 f.; ferner auch Vogel, Norm und Pflicht, S. 28; vgl. außerdem Toepel, Pflichtwidrigkeitszusammenhang, S. 16 ff. – Kuhlen, GA 1990, 480, betont bezogen auf ein solches – wie man sagen könnte – Umdeutungsverfahren zu Recht, dass die „Gleichsetzung von normwidrigem und tatbestandsmäßigem Verhalten […] weitverbreitet [ist]“. 706  Toepel, Pflichtwidrigkeitszusammenhang, S. 16 f.

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wie jener Feststellung zu gelangen – so eine weitere Prämisse –, könne nur eine ex post-Betrachtung angelegt werden.707 Die Gegenauffassung, die – wie es sonst nahezu allgemeine Meinung ist – unter Zugrundelegung einer ex ante-Sicht operiert, könne schon deshalb nicht überzeugen, weil sie zum einen „den Bereich des Verbotenen um ein Vielfaches“ erweitere und Verletzungs- in Gefährdungsverbotsnormen umdeute, und zum anderen, da „Güter keineswegs nur gegenüber (potentiell) finalen Eingriffen schutzwürdig“ seien.708 Ganz in diesem Sinne betont Kindhäuser, dass die herrschende personale Unrechtslehre abzulehnen sei, da selbige mit der güterschützenden Funktion der Verhaltensnormen unvereinbar sei: „Das rechtlich Richtige ist keine Funktion der Fähigkeit, das rechtlich Richtige in die Tat umzusetzen.“709 Weil eine so verstandene „objektive“710 Normwidrigkeit jedoch schon aufgrund des allgemein anerkannten Grundsatzes „ultra posse nemo obligatur“ nicht ausreichen kann, um die Rechtsfolge Strafe zu verhängen, müsse das normwidrige Verhalten dem Handelnden – wie bereits oben gezeigt – auch als Normwiderspruch zurechenbar sein, was – neben der prüfungstechnisch nachrangigen Zurechnung zur Schuld – zunächst voraussetze, dass man das Verhalten als Pflichtverletzung qualifizieren könne.711 Demnach soll Folgendes gelten: „Normwidrigkeit ist eine objektive; Pflichtwidrigkeit eine personale Kategorie“.712 Oder anders gewendet: „Mit Pflicht ist die Bindung des Normadressaten hinsichtlich seines Könnens an das objektive Sollen gemeint“.713 Sodann wird auch klar, dass die Sorgfaltswidrigkeit, die Obliegenheitsverletzung „kein Element des objektiven Tatbestandes, also des Zurechnungsgegenstandes,“ der Normwidrigkeit sein kann; „als Surrogat des fehlenden Vorsatzes“ ist ihr Prüfungsstandort der sog. subjektive Tatbestand.714 Ungeachtet dessen könne die „Maßfigur der Sorgfalt nicht der Täter selbst sein“, sondern vielmehr nur „der vom Straf707  Siehe dazu insbesondere Kindhäuser, Gefährdung, S. 53; sowie Vogel, Norm und Pflicht, S. 49. 708  Vogel, Norm und Pflicht, S. 56; ähnlich bereits Kindhäuser, Gefährdung, S.  61 f. 709  Kindhäuser, Gefährdung, S. 18. 710  Diese Beschreibung nutzt ausdrücklich Vogel, Norm und Pflicht, S. 53. 711  Siehe dazu insbesondere Vogel, Norm und Pflicht, S. 41 ff. 712  Vogel, Norm und Pflicht, S. 43. 713  Kindhäuser, GA 1994, 198. 714  Kindhäuser, GA 1994, 208, dort auch Fn. 38; Kindhäuser, in: Jahrbuch für Recht und Ethik 2005, 528. – Undeutlich aber Kindhäuser, Strafrecht AT, § 9 Rn. 6 (Hervorhebung von mir), wo er die „subjektive Fahrlässigkeit“ bei den subjektiven Tatbestandsmerkmalen verortet sieht, und damit zum Ausdruck bringt, als gäbe es hiervon noch eine ablösbare „objektive“. – In einer jüngeren Veröffentlichung macht Kindhäuser, GA 2007, 447, ausdrücklich deutlich – es verstehe sich „von selbst“ –, „dass auch die Subsumtion eines Geschehens unter den subjektiven Tatbestand nach



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zweck vorausgesetzte rechtstreue und rational entscheidende Normadressat, freilich mit der psychischen und intellektuellen Konstitution des Täters.“715 Es soll also auch im Rahmen des subjektiven Tatbestandes die „erwartete“, die „generalisierte“, „die im Verkehr erforderliche“ Sorgfalt – einfach gewendet – eine gewisse Rolle spielen.716 Zusammengefasst: Sorgfaltswidrigkeit sei dann gegeben, „wenn der Täter mit einem Wissen agiert, das einem rechtstreuen und rational entscheidenden Bürger hinreichenden Anlaß zur handlungswirksamen Bildung der Intention gäbe, ein Verhalten zu vermeiden, durch dessen Vollzug er die Unvermeidbarkeit einer Tatbestandsverwirklichung nicht mehr ausschließen kann.“717 Im Ergebnis – und insofern zeigt sich ein deutlicher Gleichlauf zur „individualisierenden Auffassung“ – soll es bei der ausschließlich auf (Unrechts-)Tatbestandsebene verorteten Fahrlässigkeit einzig und allein um die „individuelle Vermeidbarkeit der Tatbestandsverwirklichung“ gehen.718 2. Die Erwiderung auf Grundlage (und postulierter Weiterentwicklung) der personalen Unrechtslehre Insbesondere Renzikowski hat sich jüngst darum bemüht, aufzuzeigen, dass das zur Erklärung der Fahrlässigkeitstat herangezogene dogmatische Konzept der außerordentlichen Zurechnung keineswegs zwingend mit einem, wie dem soeben dargestellten, objektiven Normmodell verbunden sein muss.719 Zwar gelangt auch er, wie die Vertreter des objektiven Normmodells, dazu, einem Täter eine Pflichtverletzung auf der Unrechtsebene erst dann zuzurechnen, wenn dieser das individuelle Wissen und Können hat, sie zu vermeiden; jedoch statuiert er dazu gerade kein vorrangiges, abgelöstes objektives Sollen. Für Renzikowski sind Norm- und Pflichtwidrigkeit vielmehr identisch.720 Vorgeworfen wird dem objektiven Normkonzept, es verlagere die „mitunter schwierigen Fragen der Konkretisierung der rechtlichen Ordnung“721 objektiven Regeln erfolgt“, dort (S. 447 ff.) auch ausführlicher zur Differenzierung zwischen Zurechnungsgegenstand und Zurechnungsgründen. 715  Kindhäuser, GA 1994, 208; vgl. auch Toepel, Pflichtwidrigkeitszusammenhang, S. 37. 716  Vgl. insofern Kindhäuser, Strafrecht AT, § 33 Rn. 16 ff., 53 ff. 717  Kindhäuser, GA 1994, 208; siehe vertiefend auch a. a. O., S. 212. 718  Kindhäuser, GA 1994, 212. 719  Renzikowski, Täterbegriff, S.  224 ff., 255 ff. 720  Siehe dazu nur Renzikowski, Täterbegriff, S. 257. 721  Siehe zu dieser Formulierung Freund, Strafrecht AT, § 2 Rn. 28; dort billigt dieser dem objektiven Normmodell zwar zu, dass es „vordergründig betrachtet“

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lediglich „von der Ebene der Verhaltensnorm auf die der Pflichtwidrigkeit“;722 ein weiterer zentraler Kritikpunkt lautet, dass (bloße) Erfolgsverursachungsverbote bzw. Erfolgsabwendungsgebote nicht verhaltensorientierend wirken könnten.723 Ergänzend wird noch vorgetragen, dass es aufgrund der erst Ex-post-Feststellbarkeit der Normen in der Handlungssituation an einem Maßstab mangele, zwischen verbotenem und erlaubtem Verhalten zu differenzieren, so dass die Normen einerseits zu weit, andererseits zu eng seien: Denn „normwidrig sind danach auch Handlungen die ex ante betrachtet erlaubt sind“ und „nicht normwidrig sind auch ex ante betrachtet verbotene Handlungen, sofern nur der tatbestandliche Erfolg ausbleibt“.724 Wird also das objektive Normmodell abgelehnt, ist damit jedoch noch keine „positive“ Einbettung des Konzepts der außerordentlichen Zurechnung in die Normentheorie der personalen Unrechtslehre – und natürlich in das geltende Recht – geliefert. Dem versucht Renzikowski nun durch die Annahme Rechnung zu tragen, man habe den Sorgfaltsbegriff „als Konkretisierung der Verhaltensnorm“, sowie „als Gegenstand einer Erkenntnisobliegenheit“ zu deuten.725 Zunächst einmal stelle die eine726 denkbare Sorgfaltswidrigkeit (exemplarisch:727 „Du sollst nicht mit Schußwaffen auf Menschen schießen!“) kein Spezifikum der fahrlässigen Tat dar, da die Sorgfaltsregeln durch „Klarheit und Einfachheit“ besteche, zeigt aber sogleich auf (a. a. O., Rn. 29), dass es sich hierbei lediglich um eine reine Problemverschiebung handle; siehe insofern schon Freund, Erfolgsdelikt und Unterlassen, S. 121 ff. 722  Renzikowski, Täterbegriff, S. 258. 723  Siehe insofern Renzikowski, Täterbegriff, S. 247; ferner noch Freund, Erfolgsdelikt und Unterlassen, S. 121; Mikus, Verhaltensnorm des fahrlässigen Erfolgsdelikts, S. 30 ff.; vgl. auch Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 71 f., dort insbesondere zur Rechtfertigung der ex ante-Sicht. – Zur Entgegnung seitens der „objektiven“ Auffassung, siehe (mit weiteren Nachweisen) nur Vogel, Norm und Pflicht, S.  55 f. 724  Kuhlen, GA 1990, 480, der ferner darauf hinweist, dass Kindhäuser ersteres Problem zwar durch seinen Pflichtbegriff auffängt (erinnert sei an das Stichwort: Problemverschiebung), letztere Schwierigkeit, die den Versuch betreffende, dagegen nur mit Hilfe der Konstruktion eindämmen kann, dass mitunter auch explizit nicht normwidriges Verhalten strafbar zu sein hat; und zu dem Straftatmodell sodann insgesamt festhält: „konstruktiv möglich, aber doch nicht wirklich überzeugend.“ 725  Renzikowski, Täterbegriff, S.  224 ff., 226 ff. 726  Unter explizitem Hinweis auf die „Doppeldeutigkeit des Ausdrucks ‚Sorgfaltspflichtverletzung‘ “. 727  Renzikowski, Täterbegriff, S. 224, exemplifiziert seinen Gedankengang am „Logenschließer-Fall“ des Reichsgerichts (RGSt 34, 91 ff.): Hier hatte ein Theaterbesucher seinen Mantel an der Garderobe abgegeben, in dessen Seitentasche sich – wie er wusste – ein geladener und ungesicherter Revolver befand; als die Garderobenfrau den Mantel später bereitlegte, fiel die Waffe auf den Boden, wurde von einem anwesenden Logenschließer aufgehoben, der sie in dem Glauben selbige sei ungeladen, auf einen anwesenden Kastellan anlegte, abdrückte und diesen erschoss.



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in diesem Sinne unmittelbar zur Vermeidung von Rechtsgutsverletzungen dienten und sich „als Gebrauchsanweisungen zu tatbestandslosem Verhalten“ darstellen ließen; dies sei auch beim Vorsatzdelikt so: „So wird etwa der Mörder gerade die Sorgfaltsregeln verletzen, bei deren Beachtung der Tod eines Menschen vermieden werden könnte“.728 Die Sorgfaltsregeln seien insofern „nichts anderes als Ableitungen der generellen Verhaltensnorm für den konkreten Einzelfall“, so dass der Sorgfaltspflicht richtigerweise auch keine eigenständige normtheoretische Bedeutung zugemessen werde.729 Nicht selten wird – wie bereits angedeutet730 – die Sorgfaltsnorm jedoch noch anders gebildet: „Du sollst nicht eine Pistole auf einen anderen Menschen abdrücken, wenn du zuvor nicht geprüft hast, ob sie ungeladen ist!“731 Der Vorteil einer solchen Normbildung bestehe darin, dass NichtSchießen nur derjenige könne, „der annimmt, daß die Pistole geladen ist“; diese Verhaltensanweisung habe aber einen anderen Bezugsgegenstand als die zuerst aufgewiesene, sie diene nicht unmittelbar der Vermeidung einer Rechtsgutsverletzung („Pflicht, fremde Rechtsgüter nicht zu verletzen“), sondern statuiere die davon zu unterscheidende „Pflicht, sich den Folgen seines eigenen Verhaltens zu vergewissern“, letztgenannte bezwecke also „lediglich“ „die Sicherung der Vermeidefähig­keit.“732 Nur bei der Fahrlässigkeitstat – als außerordentlicher Zurechnung – sei der Nachweis der Verletzung dieser von Renzikowski so bezeichneten „Erkenntnisobliegenheit“ notwendig.733 Ungeachtet der Qualifizierung dieser Obliegenheitsverletzung, bzw. „Sorgfaltspflichtverletzung als Voraussetzung der Verhaltenszurechnung“ bleibe es dabei, dass der „Strafgrund der Fahrlässigkeit nicht die Verletzung einer Erkenntnisobliegenheit“ sei, „sondern wie – beim Vorsatztäter – die Verletzung einer Verhaltenspflicht zum Schutz von Rechtsgütern.“734 Nach alledem zeigt sich auch hier wiederum ein gewisser Gleichlauf zur individualisierenden Auffassung (beispielsweise von Stratenwerth), zugerechnet wird nur bei Bejahung „der individuellen Vermeidbarkeit als Ausdruck der Selbstverantwortung des Täters“; man habe auch „beim Fahrläs-

728  Renzikowski,

Täterbegriff, S.  224 f. Täterbegriff, S. 225. 730  Vgl. dazu nochmals oben S.  152  f., sowie unten S. 294  ff., insbesondere Zielinskis „ohne-zu-Komponente“. 731  Renzikowski, Täterbegriff, S. 226. 732  Renzikowski, Täterbegriff, S. 227. 733  Renzikowski, Täterbegriff, S. 229, beim Vorsatztäter stelle „sich die Frage nach der Verletzung einer Erkenntnisobliegenheit von vornherein nicht, da er sein Verhalten anhand der von ihm vorhergesehenen Konsequenzen ausrichten und so die Rechtsgutsverletzung aktuell vermeiden kann.“ 734  Renzikowski, Täterbegriff, S. 232 (Hervorhebung im Original). 729  Renzikowski,

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sigkeitsdelikt einen subjektiven Tatbestand anzuerkennen.“735 Nicht verwundern darf uns also, wenn Renzikowski sich fürderhin mit den selben Einwänden auseinander zu setzen hat, die den individualisierenden Konzepten insgesamt entgegen gehalten werden.736 3. Weitere der außerordentlichen Zurechnung nahestehende Ansätze Dem Erklärungsansatz der sog. außerordentlichen Zurechnung stehen auch Burkhardt und sein Schüler Sauer nahe, ohne dass sich jedoch insbesondere letztgenannter ausdrücklich zu einem der „angebotenen“ normentheoretische Konzepte bekennt. So hat Sauer zwar „gegen das Modell ‚außerordentlicher Zurechnung‘, das Kindhäuser in Anschluss an Hruschka vertritt, grundsätzlich nichts einzuwenden“,737 deutet anschließend aber die Ablehnung des insbesondere von Kindhäuser entwickelten objektiven Bestimmungsnormkonzepts an, um sich insofern jedoch einer abschließenden, genaueren Festlegung zu enthalten, indem er aufweist, dass die normentheoretische „Kontroverse [zum Verständnis jedenfalls der Fahrlässigkeitslehre] nicht weiterverfolgt werden“ müsse; ferner erachtet er die – insbesondere von der Lehre der außerordentlichen Zurechnung angeführte – „Tragfähigkeit der Parallele zur ‚actio libera in causa‘ “ für „begrenzt“.738 Auch Burkhardt legt leider nicht in der gebotenen Deutlichkeit dar, welches der doch augenscheinlich so wichtigen Normenmodelle er präferiert.739 Ungeachtet dessen sind die Gemeinsamkeiten mit dem (gerade im Stile Kindhäusers geprägten) Modell der außerordentlichen Zurechnung insgesamt als frappierend zu bezeichnen:740 So wird ausdrücklich anerkannt, dass es sich bei der 735  Renzikowski, Täterbegriff, S. 242. – Freilich ist darauf hinzuweisen, dass Stratenwerth explizit keinen subjektiven Tatbestand der Fahrlässigkeitsstraftat anerkennt. 736  Siehe dazu Renzikowski, Täterbegriff, S. 247 ff. – Erinnert sei an die Einwände, dass der Grundsatz „ultra posse“ nur für Unterlassungsdelikte gelte, dass Verhaltenspflichten unannehmbar relativiert, sowie Unrecht und Schuld konfundiert würden, und ferner daran, dass ein solcher Ansatz die Notwehrbefugnis verkürze; siehe dazu bereits oben S. 279 ff. 737  Sauer, Fahrlässigkeitsdogmatik, S. 133, wo allerdings als Kritikpunkt angeführt wird, dass das Modell der außerordentlichen Zurechnung „in vielen landläufig als Fällen ‚bewusster‘ Fahrlässigkeit bekannten Konstellationen zur Einführung einer Art ‚juristischer Sekunde‘ “ zwinge. – Siehe zu diesem auch von Vertretern der außerordentlichen Zurechnung gesehenen Problem (neben den von Sauer gegebenen Hinweisen) noch Renzikowski, Täterbegriff, S.  229 f. 738  Sauer, Fahrlässigkeitsdogmatik, S. 134 Fn. 397. 739  Vgl dazu Burkhardt, in: Straftat, S. 99 ff. 740  Vgl. nur Burkhardt, in: Straftat, S. 116 Fn. 74: „Die folgenden Einsichten finden sich samt und sonders in etwas anderer Verpackung bei Kindhäuser, GA



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(die Fahrlässigkeit kennzeichnenden) Kenntnisverschaffungspflicht um „keine selbständige Pflicht“ handle; dies bedeute freilich nicht, „daß sie als Fahrlässigkeitskriterium überflüssig wäre. Sie ist Voraussetzung dafür, daß dem Täter die Fehleinschätzung angelastet werden kann“:741 „Die innere Sorgfaltswidrigkeit ist kein Bestandteil des Vorsatzdeliktes, sondern ein ‚Surrogat für fehlenden Vorsatz‘ “.742 In Übereinstimmung mit Kindhäuser, der es beim Fahrlässigkeitsdelikt als „selbstverständlich“ bezeichnet, einen sog. subjektiven (Unrechts-)Tatbestand zu konstruieren, bekunden auch Burkhardt und Sauer mehr als nur eine dahingehende Präferenz.743 Abschließend ist noch darzutun, dass innerhalb der Auffassung, die die Fahrlässigkeit als außerordentliche Zurechnung deuten (bzw. einem solchen Erklärungsansatz nahe stehen), augenscheinlich keine Einigkeit darüber erzielbar ist, ob Vorsatz und Fahrlässigkeit nun in einem Plus-Minus-Verhältnis stehen oder ob man beide als Alia aufzufassen hat.744 Trotz des Aufweises eines einheitlichen Zurechnungsgegenstandes von Vorsatz- und Fahrlässigkeitsdelikt ist man also nicht davor gefeit, beide als (gänzlich) unterschiedliche, als nicht gestufte „Deliktstypen“ zu betrachten.

1994, 197 ff., 198, 208 f.“. Man beachte ferner Burkhardts zentrales Anliegen, sowohl das Vorliegen einer Gefahr als auch das diesbezügliche Missbilligungsurteil im objektiven Tatbestand mittels einer ex post-Perspektive zu ermitteln, (a.  a.  O., S.  99 ff.). 741  Burkhardt, in: Straftat, S. 122 f. 742  Burkhardt, in: Straftat, S. 130. 743  Siehe dazu Burkhardt, in: Straftat, S. 130 f., insb. Fn. 148, sowie Sauer, Fahrlässigkeitsdogmatik, S. 55 ff., insb. S. 63, ferner S. 134: Beide halten das die Fahrlässigkeit betreffende „Einordnungsproblem“ (ob auf Tatbestands-, ob auf Schuldebene) aber nicht für zentral, was sich auf ihre, insofern notwendigerweise nicht gänzlich klare, strafrechtsdogmatische Grundlegung auswirkt. Die systematische Zuordnung eines zentralen Straftatmerkmals kann jedoch nie eine Frage des „Geschmacks“ sein. – Auf weitere, der außerordentlichen Zurechnung – mehr oder minder – nahestehende Auffassungen weist LPK-Kindhäuser, § 15 Rn. 83, hin. – Anzumerken ist an dieser Stelle nochmals, dass sich einige Autoren (teilweise auch ohne ausdrücklichen Hinweis) gewisser Versatzstücke aus den unterschiedlichen Theorieblöcken bedienen bzw. ein Vordringen verschiedener Ansätze partiell beeinflusst haben. Eine strikte Zuordnung ist bei diesen kaum möglich. Erinnert sei in diesem Zusammenhang wiederum an Maurach / Gössel, Strafrecht AT, §§ 42 ff., insb. § 43 Rn. 19 (dort betont dieser die Ähnlichkeit zu Hruschkas Lehre von der Obliegenheitsverletzung), vgl. auch oben Fn. 648 (Kap. 3). 744  Siehe nur Vogel, Norm und Pflicht, S. 78, für die Aliud-These; vgl. aber auch Kindhäuser, Strafrecht AT, § 33 Rn. 13, der bekanntlich die Parallelität von Vorsatzund Fahrlässigkeitsdelikt betont.

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V. Fahrlässigkeit und Spätfinalismus – Die „ohne-zu-Kompenente“ und die Fahrlässigkeit als Kenntnis des Risikosyndroms im Rahmen des subjektiven (Unrechts-)Tatbestandes Bei Inaugenscheinnahme der insbesondere zuletzt behandelten Auffassung ist immer wieder – im direkten Widerspruch zur (noch) herrschenden Lehre – von der Statuierung eines (zumindest modifizierten) sog. subjektiven (Unrechts-)Tatbestandes (ebenso) beim Fahrlässigkeitsdelikt die Rede gewesen. Mit diesem Problem haben sich bekanntlich schon intensivst die Vertreter der finalen Handlungslehre beschäftigt bzw. – besser gesagt – beschäftigen ­müssen, steht für sie doch ausdrücklich fest, dass der bei den Vorsatzdelikten im subjektiven Tatbestand verortete Vorsatz „essentielles Moment der Finalität“745 sein soll; will man nun die Lehre um die finale (zumeist als sachlogische Struktur aufgefasste) Handlung nicht in Gänze über Bord werfen, bedarf es offenkundig zumindest eines Nachweises, „daß die subjektive Unrechtsseite als Gegenstand des Unwerturteils“ auch beim Fahrlässigkeitsdelikt „unentbehrlich“ ist746. Dass zahlreiche Finalisten den Versuch angetreten haben, dieses subjektive Unwerturteil in der sog. objektiven Sorgfaltspflichtverletzung ausfindig zu machen (da der Erfolgseintritt ja gerade „nicht vom Finalnexus umspannt [ist]“747), braucht hier nicht nochmals explizit herausgearbeitet zu werden.748 Zielinski hat nun auf Grundlage der finalen Handlungslehre versucht, das – untechnisch gesprochen – subjektive Moment insofern in die Fahrlässigkeitslehre zu integrieren, dass er bei der Feststellung der Sorgfaltspflichtverletzung, nicht wie sonst üblich die Sicht einer objektiven Maßstabsfigur herangezogen wissen will, sondern auf die konkrete Täterperspektive ex ante rekurriert. 1. Die „ohne-zu-Komponente“ als sog. Rechtspflichtmerkmal Im Einzelnen: Den Ausgangspunkt seiner (vor allem die unbewusste Fahrlässigkeit berührenden) Erläuterungen bildet die Differenzierung zwischen einerseits abstrakten – nicht notwendigerweise vom Gesetzgeber erlassenen – Sorgfaltsregeln und andererseits situationsbezogenen, konkret sorgfaltswidrigen Handlungen:749 Da die Sorgfaltsregeln als „vom objekti745  Welzel, 746  So

Finale Handlungslehre, S. 9, siehe vertiefend oben bei Fn. 454 (Kap. 2). die berechtigte Feststellung von Sacher, Sonderwissen, S. 116, vgl. auch

S.  60 f. 747  So die Formulierung von Armin Kaufmann, Welzel-FS, S. 409. 748  Siehe dazu oben, S. 151 ff. 749  Zielinski, Unrechtsbegriff, S. 171 ff. – Den Aufweis rechtlich relevanter Finalität hält Zielinski, Unrechtsbegriff, S. 156 ff., bei der sog. bewussten Fahrlässigkeit



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ven Beobachter“ aufgestellte, „generalisierte Normen“ nur für typische Fallkonstellationen gelten, verbleibe die Möglichkeit, dass die Handlung im Einzelfall ungefährlich sei; nun müsse es doch aber als offensichtlich bezeichnet werden, „daß der spezifische Unrechtsgehalt der Fahrlässigkeitsdelikte in einer konkreten Gefährdung von Rechtsgutsobjekten liegt“, so dass ein Verbot auch nur in solchen Fällen angemessen erscheine.750 Konkret gefährlich751 und demnach sorgfaltswidrig sei ein Verhalten nur dann, wenn vom Täter „in concreto keine zusätzlichen Sicherheitsvorkehrungen getroffen werden“, was zum Beispiel in folgenden Situationen gegeben sei: „Ziegel vom Dach zu werfen, ohne Absperrungsmaßnahmen vor dem Haus getroffen zu haben“ oder „Kleinkinder in einem zur Straße offenen Garten spielen zu lassen, ohne sie zu beaufsichtigen.“752 Zielinski bezeichnet diese den Fahrlässigkeitsstraftaten eigene sprachliche Gestalt als „ohne-zu-Komponente“, ihr komme – aufgrund des Nachweises situationsbezogener Gefährlichkeit, im Gegensatz zur „nur“ generalisierenden Norm – „die eigentliche unrechtsbegründende Funktion zu“; was aber nicht bedeute, dass sie „Bestandteil der Handlungsumschreibung“ sei, da sie ja sonst „vom Finalitätszusammenhang umfasst sein [müsste].“753 Auch könne man sie nicht als Bedingung der (generellen) Norm deuten; anderenfalls würde ihrem Bestimmungscharakter, ihrer Motivationsfunktion nicht ausreichend Rechnung getragen, da dem Täter bei der unbewussten Fahrlässigkeit ja gerade der die Normengeltung auslösende Umstand – die konkrete Gefahr – verborgen bleibe.754 Richtigerweise habe man die „ohne-zu-Komponente“ als Voraussetzung der (konkreten) Pflicht, als sog. Rechtspflichtmerkmal aufzufassen:755 So gelte zwar, dass das „Unrecht des Fahrlässigkeitsdelikts […] in der Aktualisierung der in der Norm tatbestandlich umschriebenen Finalität [besteht], die qua Finalität einem negativen Werturteil unterliegt, das den Handlungsunwert begründet“, aber nicht jede normwidrige Handlung sei bereits auch pflichtwidrig; „vielmehr konkretisiert sich die Norm zur Pflicht dagegen für (relativ) leicht lösbar, da sie „eine unverkennbare Nähe zum (bedingt) vorsätzlichen Delikt“ aufweise: „Bewußte Fahrlässigkeit ist bedingter Vorsatz“ (a. a. O., S.  168). 750  Zielinski, Unrechtsbegriff, S. 173. 751  Man beachte bereits hier (näheres sogleich im Fließtext), dass Zielinski, Unrechtsbegriff, S. 185 ff., insb. S. 190, seiner ex-ante ausgerichteten Gefährlichkeitsprognose „das ontologische Wissen des Täters“ in der Handlungssituation zugrunde legt. 752  Zielinski, Unrechtsbegriff, S. 173 f. (Hervorhebungen im Original). 753  Zielinski, Unrechtsbegriff, S. 174. 754  Zielinski, Unrechtsbegriff, S. 178. 755  Zielinski verweist hierzu auf die von seinem akademischen Lehrer Armin Kaufmann, Bindings Normentheorie, S. 97 ff., 133 ff., 148 ff., entfaltete Differenzierung zwischen Norm und Pflicht.

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nur unter der Voraussetzung, daß der normwidrigen Finalität nicht durch Einbettung in einen weiteren Finalzusammenhang i. S. der ‚ohne-zu-Komponente‘ die Gefährlichkeit genommen bzw. auf das erlaubte (sozialadäquate) Risiko reduziert wird.“756 Wie bereits mehrfach angedeutet will Zielinski die Feststellung der Gefährlichkeit nun nicht anhand „einer ‚objektiven‘ Gefahrprognose i. S. von richtig oder falsch“ betreiben, sondern deutlich gemacht wissen, dass „sie [die Gefahrprognose] immer nur relativ zum Kenntnisstand des Beurteilers gegeben werden“ könne;757 „alle dem Täter bekannten Risikofaktoren gehen in die Gefährlichkeitsprognose, d. h. in die Sorgfaltswidrigkeitsbewertung ein“, so dass er unter ausdrücklicher Berufung auf Struensee zu folgendem Ergebnis gelangt: „Insofern ist es richtig, auch beim Fahrlässigkeitsdelikt von einem ‚subjektiven Tatbestand‘ zu sprechen; er bezieht sich auf den tatbestandsrelevanten Ausschnitt derjenigen als objektiv vorliegend vorgestellten Bedingungen eines – später – eingetretenen Erfolges, von dem nach Bewertung der Rechtsordnung eine intolerable Gefahr (= ‚unerlaubtes Risiko‘) ausgeht.“758 2. Fahrlässigkeit als Kenntnis des Risikosyndroms Das erstmals von Zielinski ausformulierte Bemühen, „den Handlungsunwert bei der Fahrlässigkeit auf dem Unwert des intendierten Zieles aufzubauen“, hält Struensee grundsätzlich für den (bisher) „konsequtentesten Ansatz“ zur Deutung des Fahrlässigkeitsunrechts auf Basis der finalen Handlungslehre, bemerkt aber sogleich, dass dessen Rechtspflichtmerkmalslehre diesen zutreffenden Anknüpfungspunkt konterkariere.759 So bleibe doch – entgegen dem ursprünglich angestrebten Ziel – der „Aktunwert auf der Strecke. Denn einerseits soll die ohne-zu-Komponente die eigentliche 756  Zielinski,

Unrechtsbegriff, S. 183. §§ 15, 16 Rn. 90. – Siehe bereits Zielinski, Unrechtsbegriff, S. 185 ff.: Für die Gefährlichkeitsprognose wird also nicht die „objektive“ Gesamtsituation, sondern die „Handlungssituation“ des Täters in den Blick genommen (a. a. O., S. 190). Zu Klarstellungszwecken: Auf eben jener Seite (Hervorhebung von mir) muss es wohl richtiger heißen: „[…] daß dem aus dem Erfahrungswissen gefolgerten Urteil ‚[unerlaubt] gefährlich‘ die Voraussetzungen entzogen werden.“ 758  AK-Zielinski, §§ 15, 16 Rn. 92. – Aus Klarstellungsgründen sei hier allerdings noch deutlich dargetan, dass Zielinski (a. a. O., Rn. 93) festhält, dass zu „dem dem Fahrlässigkeitstäter bekannten Risikosachverhalt […] nicht die Gefahr selbst oder deren Erkennbarkeit durch den Täter [gehört]. Diese ist das normativ definierte Kriterium für das Verbot des Handlungsprojekts.“ 759  Struensee, JZ 1987, 57, in ausdrücklichem Widerspruch zu Krümpelmann, Bockelmann-FS, S. 446, der Zielinskis Vorgehen insofern für einen „der fruchtbarsten Ansätze der neueren Fahrlässigkeitsdogmatik“ hält. 757  AK-Zielinski,



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unrechtsbegründende Funktion übernehmen, andererseits soll sie außerhalb des Finalzusammenhangs stehen.“760 Für seinen eigenen Begründungsansatz räumt Struensee anfänglich freimütig ein, „daß sich im Falle des fahrlässigen Delikts die Finalität des Handelnden nicht auf den im Gesetz geschilderten tatbestandsmäßigen Erfolg erstreckt“; hieraus ergebe sich aber gerade nicht – wie die herrschende Meinung glaube – eine rechtliche Irrelevanz des Willensinhalts, sondern vielmehr nur, dass der „tatbestandsmäßige Erfolg […] nicht denjenigen Sachverhaltsunwert enthalten [kann], der dem Intentionsunwert der fahrlässigen Handlung zugrunde liegt,“761 so dass man eben aufgefordert sei, einen anderen unwertigen Sachverhalt, „auf den sich die Finalität des sorgfaltslos Handelnden bezieht“, herauszupräparieren – gerade um auch „am Erfordernis eines einheitlich strukturierten Handlungsunwertes festhalten“ zu können. Den gesuchten Sachverhalt will er sodann „in einer bestimmten Konstellation objektiver Umstände“ finden, deren negative Bewertung darauf fuße, dass „die Rechtsordnung an sie die Prognose möglicher Rechtsgutsverletzung (Verursachung des tatbestandsmäßigen Erfolges) knüpft und darum die finale Herbeiführung einer solchen Konstellation verbietet.“762 So konstruiert er zunächst einen weiten bzw. „kargen“763 objektiven Tatbestand, der beim Handlungsdelikt bereits dann erfüllt sein soll, „wenn die Handlung (Körperbewegung) gesetzmäßige Bedingung des – wie auch immer bestimmten – tatbestandsmäßigen Erfolgs ist“;764 bereits den Begriff des Sachverhaltsunwertes auf nur bekannte oder „wem auch immer“ erkennbare Umstände zu beschränken, verbiete sich schon deshalb, da „der Gegenstand […] lösgelöst von seiner Kenntnis (oder von objektiver oder individueller Erkennbarkeit) festgelegt werden“ müsse.765 „Die notwendige Einschränkung der Tatbestandsmäßigkeit“ habe eben „wie beim Vorsatzdelikt am subjektiven Tatbestand“ anzusetzen;766 und dieser subjektive Tatbestand des fahrlässigen Delikts (die Sorgfaltswidrigkeit) soll jetzt darin bestehen, „daß der Handelnde von den Bedingungen des eingetretenen Erfolgs einen tatbestandsrelevanten Ausschnitt kennt, vom dem nach Bewertung der Rechts760  Struensee,

JZ 1987, 57. JZ 1987, 57. 762  Struensee, JZ 1987, 58. 763  Vgl. insofern die Bezeichnung bei Herzberg, JZ 1987, 538; sowie die diesbezügliche „Akzeptanz“ des (vermeintlichen) Einwandes bei Struensee, JZ 1987, 542: Nicht der objektive Tatbestand sei karg, sondern nur das, „was nach herrschender Ansicht für die Kongruenz auf subjektiver Seite genügen soll“. 764  Struensee, GA 1987, 105. 765  Struensee, JZ 1987, 58. 766  Struensee, GA 1987, 105. 761  Struensee,

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Kap. 3: Kritische Darstellung des aktuellen Sach- und Streitstandes

ordnung eine intolerable Gefahr (‚unerlaubtes Risiko‘) ausgeht“;767 den Bezugsgegenstand der Finalität, den Unwertsachverhalt, „der im Vorfeld des Eintritts des tatbestandsmäßigen Erfolgs liegt“, bezeichnet Struensee dabei als sog. „Risikosyndrom“.768 Angenommen, der Täter kenne nun lediglich so wenige Faktoren der Erfolgsbedingung, dass es unmöglich sei, eine Kongruenz zwischen objektivem und subjektivem Tatbestand herzustellen, könne man davon sprechen, dass er im erlaubten Risiko handelte, bzw. aus seiner Sicht treffender – und hierin liegt die Neuartigkeit der verwendeten Terminologie – von einem „Fahrlässigkeitstatbestandsirrtum“.769 Für Struensee steht nach alledem fest: „über die Sorgfaltswidrigkeit entscheidet, was der Handelnde erkannt, nicht was er verkannt hat“;770 es bedürfe nachgerade einer „erforderlichen Minimalintention risikorelevanter Faktoren“.771

VI. Fahrlässigkeit auf (Unrechts-)Tatbestandsebene als individuelle Erkennbarkeit: der Tatbestandsverwirklichung, der Überschreitung des erlaubten Risikos oder dergleichen – unter Verzicht auf das Merkmal der Sorgfaltspflichtverletzung Bemerkenswert ist nun, dass andere gewichtige Literaturstimmen trotz der Nichtberücksichtigung des bis zu diesem Zeitpunkt immer für äußerst bedeutsam gehaltenen Terminus der Sorgfaltspflichtverletzung – insbesondere im direkten Vergleich mit der vorstehend referierten Auffassung „individueller Sorgfaltswidrigkeit“ (oben III.) – (nahezu) identische Ergebnisse erzielen. 1. Fahrlässigkeit als individuelle Erkennbarkeit Angesprochen ist damit insbesondere diejenige Lehrmeinung, die die Fahrlässigkeit im Rahmen des subjektiven (Unrechts-)Tatbestandes als „in767  Struensee,

JZ 1987, 60 (Hervorhebung von mir). JZ 1987, 62. 769  Struensee, GA 1987, 102; siehe dazu auch Struensee, JZ 1987, 60, 62 f. 770  Struensee, JZ 1987, 62. – Ergänzend muss Struensee (a. a. O., S.  62 f.) jedoch sogleich einräumen: „In Bezug auf welche risikorelevanten Faktoren die Unkenntnis Straffreiheit (Risikoerlaubnis) verdient, ist eine durch die Unrechtsstruktur nicht präjudizierbare normative Frage der Tatbestandsbildung“; zugestanden sei ihm freilich, dass sich der Sache nach alle Auffassungen mit dieser Problematik zu beschäftigen haben. 771  Struensee, JZ 1987, 60; vgl. auch die gleichgelagerten Ausführungen bei ­Hoyer, Strafrechtsdogmatik, S. 245 ff. 768  Struensee,



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dividuelle Erkennbarkeit der Tatbestandsverwirklichung“ deutet.772 Der Widerstand von Jakobs – dem Begründer dieser Lehrmeinung – gegen die Verwendung der Sorgfaltspflichtverletzung zur Erklärung des fahrlässigen Delikts ist hauptsächlich normentheoretisch fundiert:773 „Was zunächst eine angeblich bestehende Sorgfaltspflicht angeht oder einen die Fahrlässigkeit kennzeichnenden Sorgfaltsverstoß, so gibt es bei Fahrlässigkeit – wie bei Vorsatz – keine andere Pflicht als die sich aus der Norm ergebende Pflicht und nur gegen diese Pflicht wird verstoßen: […] Insbesondere ist beim Begehungsdelikt die geläufige Rede, der Täter habe die gebotene Sorgfalt fehlen lassen, normlogisch falsch“.774 Jakobs merkt – gerade unter Berücksichtigung der Tatsache, dass es keine besondere Sorgfaltspflicht oder ähnliches gebe – sogleich klarstellend an, dass „parallel zum Vorsatz“ natürlich „nicht jede Voraussehbarkeit einer Folge eine strafrechtlich relevante Fahrlässigkeit“ sei; „vielmehr schlagen die Einschränkungen des objektiven Tatbestands, die durch die objektive Zurechnung erfolgen, auch auf die Fahrlässigkeit durch: Strafrechtlich relevant ist nur die Voraussehbarkeit eines Risikos, das außerhalb des erlaubten Risikos liegt und auch sonst objektiv zurechenbar ist.“775 Insgesamt gleichlaufend definiert Duttge die Fahrlässigkeit: Sie liege „nicht im ‚Überschreiten des erlaubten Risikos‘, sondern in seiner individuellen Erkennbarkeit.“776 Zu diesem Ergebnis gelangt auch er aufgrund von normentheoretischen Überlegungen: So bedürfe es „einer Rückbesinnung 772  Jakobs, Strafrecht AT, 9 / 5. – Man beachte: Jakobs hat seinen Fahrlässigkeitsbegriff der individuellen Erkennbarkeit auf Grundlage seines ursprünglichen, d. h. vom Unrecht getrennten, Schuldkonzepts (Schuld als Derivat der Generalprävention) entwickelt, siehe oben S. 246 ff. Ob er heute, unter massiver Einbeziehung Hegelscher Gedanken und – damit einhergehend – des Personenbegriffs, noch zu gleichen Ergebnissen kommen würde, kann nicht mit Sicherheit beantwortet werden, vgl. dazu noch unten S. 320 f. 773  Dass Jakobs, beispielsweise in Jakobs, Welzel-FS, 309, der Bestimmungsfunktion der Norm eine außerordentlich wichtige Bedeutung beimisst, hat bereits Sacher, Sonderwissen, S. 217, berechtigterweise angemerkt, dort auch insgesamt ausführlich zu Jakobs – auf das vermeidbare Verhalten ausgerichteter – Normen­ theorie (a. a. O., S.  216 ff.). 774  Jakobs, Strafrecht AT, 9 / 6, siehe schon oben bei Fn. 37 (Kap. 3). 775  Jakobs, Strafrecht AT, 9 / 7. – Angemerkt sei hier noch folgendes Jakobs präferiert einen Rollenbegriff zur Bestimmung des erlaubten Risikos (siehe a. a. O., 7 / 47 ff.), er differenziert – seinem funktionalistischen Ansatz gemäß – nach „Zuständigkeiten“. 776  MK-Duttge, § 15 Rn. 107; ähnlich auch Frister, Strafrecht AT, Kap. 12 Rn. 8. – Außer Betracht kann hier zunächst bleiben, dass Duttge „zur Erläuterung der ‚individuellen Erkennbarkeit‘ “ auf ein von ihm sogenanntes „Veranlassungsmoment“ abstellen will, siehe a. a. O., Rn. 112, 120 ff.; siehe insofern bereits Duttge, Bestimmtheit, S. 279 ff., 356 f., 373 ff.; dazu auch sogleich im Fließtext.

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auf das grundlegende Anliegen des Strafrechts, also den (subsidiären) Rechtsgüterschutz, mit dem in ihm wurzelnden Fundamentalgebot des ‚alterum non laedere‘ “; aus diesem Schädigungsverbot folge, dass „ebenso wie dem Vorsatz auch der (strafrechtlich relevanten) Fahrlässigkeit hinsichtlich des bewahrenswerten Tatobjekts (bzw. beim schlichten Tätigkeitsdelikt: bezüglich des in der Vornahme des pönalisierten Verhaltens liegenden ‚Erfolges‘) eine spezifische ‚Vermeidepflichtverletzung‘ immanent sein“ müsse777 (wie es schon treffend Otto herausgearbeitet habe778) – einzig die Zuwiderhandlung gegen diese, wenn man denn trotz der bestehenden Verwirrungsgefahr so sagen wolle, „allgemeine Sorgfaltspflicht“ sei das Entscheidende, und nicht etwa die Verletzung einer fahrlässigkeitsspezifischen zusätzlichen Sorgfaltspflicht, „einer ‚zweiten Rechtspflicht‘ “.779 Die strafrechtlich bewehrte Verhaltensnorm des Fahrlässigkeitsdelikts könne sich nach alledem „nur auf die Vermeidung individuell vermeidbarer Rechtsgutsbeeinträchtigungen richten“.780 Spezifiziert wissen will Duttge diese „recht“ allgemeine Norm durch das von ihm herausgearbeitete sog. „Veranlassungsmoment“: „Es ist das Verbot, mit einer Verhaltensweise zu beginnen oder eine solche fortzuführen trotz eines hinreichenden Warnsignals, das eine 777  MK-Duttge,

§ 15 Rn. 88. den (für Vorsatz- und Fahrlässigkeitsdelikt einheitlich gelten sollenden) Terminus der Vermeidepflichtverletzung stellt Duttge immer wieder ab, siehe exemplarisch MK-Duttge, § 15 Rn. 88, 94, 95. Er entnimmt ihn insbesondere der Veröffentlichung von Otto, Schlüchter-GS, S. 89, 91. Letztgenannter hat diesen Begriff freilich schon bedeutend früher (auch) zur Erläuterung seiner Fahrlässigkeitslehre verwandt (vgl. dazu bereits die Übersichten bei Otto, Maurach-FS, S.  104 f., und Otto, JuS 1974, 708, aber auch die diesbezüglichen Anmerkungen von Schmidhäuser, Schaffstein-FS, S. 134.) Gänzlich entfaltet ist das Konzept der Vermeidepflichtverletzung in Ottos Lehrbuch, siehe dazu Otto, Allgemeine Strafrechtslehre, § 5 Rn. 10 ff., § 10 Rn. 11 ff., § 18 Rn. 49, § 21 Rn. 8 ff. Auch Otto erachtet die Prüfung der Sorgfalt nach einem doppelten Maßstab im Sinne der herrschenden Meinung weder „für nötig, noch sachlich angemessen“: „Sorgfaltspflichtverletzung und damit Vorhersehbarkeit sind nach den individuellen Fähigkeiten des Verpflichteten zu bestimmen, der Fiktion eines generellen Maßstabs bedarf es nicht.“ (JuS 1974, 707). Zentrales Merkmal der Fahrlässigkeit soll – wie bei Jakobs und Duttge – die Erkennbarkeit, „die Vorhersehbarkeit des rechtsgutsbeeinträchtigenden Geschehens durch den Täter“ sein, und selbige müsse als rechtspflichtwidrig bezeichnet werden können, um schlussendlich die Vermeidepflichtverletzung zu bejahen: „Erfolgsvermeidepflicht und Sorgfaltspflicht sind damit […] nicht zwei selbständige Elemente des Fahrlässigkeitsdelikts, vielmehr konkretisiert die Sorgfaltspflicht das Maß der aufzuwendenden Sorgfalt bei der Erfüllung der Erfolgsvermeidepflicht.“ (Otto, Allgemeine Strafrechtslehre, § 10 Rn. 4, 11). Siehe dazu noch ergänzend Duttge, GA 2003, 458, 461; sowie ganz ausdrücklich auch Duttge, Kohlmann-FS, S. 33 ff. 779  MK-Duttge, § 15 Rn. 111 ff. 780  MK-Duttge, § 15 Rn. 89. 778  Auf



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bevorstehende Rechtsgutsbeeinträchtigung ankündigt.“781 Es bedürfe eben neben dem Voraussehen-Können eines sowohl täter- wie auch situationsspezifischen Voraussehen-Müssens, was gerade nur dann gegeben sei, wenn aus der Sicht des Normadressaten eine konkrete und damit auch triftige Veranlassung bestehe, „die bevorstehende Rechtsgutsbeeinträchtigung miteinzu­ kalkulieren“.782 Auch Weigend hat als einer der wenigen Autoren im strafrechtlichen Schrifttum versucht, die regelmäßig bloß allgemein postulierte Verhaltensnorm des Fahrlässigkeitsdelikts auszuformulieren und zu spezifizieren.783 Er will den Grund für die kaum stattfindende Beschäftigung mit dieser Problematik in der prinzipiellen Schwierigkeit aufgefunden wissen, „ob bei der Fahrlässigkeitsstrafbarkeit die nachträgliche Bewertung menschlichen Verhaltens oder dessen präventive Steuerung im Vordergrund steht.“784 Wenn man nun – wie es im herrschenden Schrifttum nahezu allgemeine Meinung sein dürfte – die „Bestimmungsnorm“ für ein wichtiges bzw. das zentrale Moment der Unrechtsbegründung halte, tue man sich unweigerlich schwer, eine solche menschliches Verhalten anleitende Norm für das Fahrlässigkeitsdelikt aufzufinden, stehe doch „immerhin fest, daß der fahrlässige Täter die Verwirklichung des Tatbestandes nicht mit Wissen und Willen anstrebt“; weiterhin werde deutlich, dass die Verhaltensnorm „Vermeide strafbare Erfolge!“ kein Gebot sei, „nach dem man sein Verhalten richten kann.“785 Denkbar sei immerhin, auf die Norm „Verhalte dich sorgfältig!“ zu rekurrieren, jedoch sei diese „freilich ersichtlich zu unbestimmt, als daß sie als strafbewehrte Verhaltensnorm taugen könnte“; auch auf die Anweisung „Beachte alle Regeln und Normen!“ abzustellen, helfe nicht weiter, da deren Verwendung nicht nur daran kranke, dass sie zu unbestimmt sei, sondern sich „darüber hinaus als unvollständig“ erweise.786 Man habe sich vielmehr vor Augen zu führen, dass es bei Fahrlässigkeit (wie im übrigen auch bei Vorsätzlichkeit) um die „Missachtung fremder Rechtgüter“ gehe; „konstitutives Merkmal des fahrlässigen Delikts ist daher (nicht die Verletzung einer abstrakten Sorgfaltsregel, sondern) das Eingehen eines erkennbaren (und damit auch zumeist vermeidbaren) unerlaubten Risikos für das Rechtsgut. Erst aus der Erkennbarkeit des Risikos, ergibt sich für den Täter die Pflicht, 781  Duttge, Bestimmtheit, S. 460 (Hervorhebung im Original). – Diesem Ansatz schließt sich auch Hauck, GA 2009, 288 ff. an; er bildet eine „Verhaltensnorm, die konkret erkennbare Gefahr zu vermeiden“, und zwar „aus Sicht des Handelnden in seiner Situation“ (a. a. O., 290 f.). 782  Duttge, Bestimmtheit, S. 356. 783  Weigend, Gössel-FS, S. 129 ff. 784  Weigend, Gössel-FS, S. 130. 785  Weigend, Gössel-FS, S. 131. 786  Weigend, Gössel-FS, S. 131 f.

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die Gefahr für das Rechtsgut […] auszuschalten.“ Die daraus ableitbare Norm „Achte auf die Rechtsgüter anderer!“ hält er jedoch noch „als praktische Verhaltensanweisung [für] zu vage und zu weit“.787 Auch er will deshalb ein auf Rechtsgüterschutz gerichtetes Vermeideverhalten nur dann gebieten, „wenn ein situativer Anlaß hierzu besteht,“ so dass die Verhaltensnorm demnach lauten soll: „Wenn erkennbarer Anlaß zu der Annahme besteht, du könntest durch dein Verhalten fremde Rechtsgüter beeinträchtigen, dann achte darauf und tue (bzw. unterlasse), was notwendig ist, um die Beeinträchtigung zu vermeiden!“788 Weigend hält es dabei – unter Rekurs auf Jakobs789 – für zwingend, die Norm auf die individuellen Fähigkeiten des Täters zuzuschneiden, und damit folgende Formulierung für sachgerecht: „Strenge deine individuellen Fähigkeiten bestmöglich an, um mögliche Rechtsgutsgefahren zu erkennen!“790 Die hiergegen von den Vertretern der Lehre von der objektiven Sorgfaltspflichtverletzung vorgebrachten Einwände erachtet auch er für nicht überzeugend und bedient sich dazu der insbesondere von Stratenwerth vorgetragenen Argumentation.791 2. Vorarbeiten zur Fahrlässigkeit als (individueller) Erkennbarkeit Exkursorisch ist an dieser Stelle noch Folgendes anzumerken: Beachtliche Vorarbeiten zur Verwendung des Begriffs der Erkennbarkeit der Tatbestandsverwirklichung und zur Ablehnung der objektiven Sorgfaltspflichtverletzung zur Statuierung des Handlungsunwertes der Fahrlässigkeitstat hatte bereits Schroeder geleistet – auf den sich vorstehende Autoren insofern auch folgerichtig regelmäßig beziehen.792 So beklagt dieser unter anderem nachdrücklich die Vieldeutigkeit des der Sorgfaltspflichtverletzung vorangestellten Zusatzes „objektiv“.793 Zudem macht er deutlich, dass sich Gefahren für ein Rechtsgut in der Regel durch mehrere verschiedene Handlungen kompensieren lassen: So müsste man „von der ‚Sorgfaltspflichtenverlet787  Weigend,

Gössel-FS, S. 133 f. Gössel-FS, S. 135 f. 789  Jakobs, Studien, S. 64 f., 68. 790  Weigend, Gössel-FS, S. 140. 791  Vgl. insbesondere oben S. 276 ff. 792  Insbesondere LK11-Schroeder, § 15 Rn. 10, 16, weist wiederholt darauf hin, dass die Ablehnung der Sorgfaltspflichtverletzung als positiver Voraussetzung der Fahrlässigkeit von ihm bereits in der 9. Auflage des Leipziger Kommentars aufgewiesen worden war. 793  Schroeder, JZ 1989, 776 f., zeigt zahlreiche gänzlich verschiedenartige Ausdeutungen auf: So wird „objektive Sorgfalt“ verstanden als „wirkliche“ oder „generelle“, sowie sie bei unterschiedlicher Schwerpunktsetzung mit den Begriffen „innere“ und „äußere Sorgfalt“ identifiziert wird. 788  Weigend,



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zung‘ sprechen. Daß ein derartiges Bündel alternativer Sorgfaltspflichten [aber] keinerlei präventive Wirkung entfalten kann, versteht sich von selbst.“794 Mangels durchgängiger positiver Umschreibung – und bei Fehlen einer solchen Vertypung sogleich stattfindender Konstruktion im Einzelfall – könne die Sorgfaltspflichtverletzung auch „keine kritische Funktion“ wahrnehmen, was sich nicht zuletzt darin äußere, dass auch „ein Verstoß gegen eine normierte Sorgfaltspflicht eine Fahrlässigkeit nur indizieren“ können soll.795 Ferner zerreiße „die Lehre von der objektiven Sorgfaltspflichtverletzung […] das Element der Erkennbarkeit“ und mache deshalb „komplizierte Konstruktionen erforderlich“, die schließlich in „einer radikalen Spaltung des Verbrechensaufbaus“ gipfelten.796 Schroeder definiert die Fahrlässigkeit nach alledem als „Kenntnis oder Erkennbarkeit der Möglichkeit der Tatbestandsverwirklichung“.797 Weshalb seine Auffassung trotz (nahezu) identischer Wortwahl jedoch nicht als deckungsgleich mit der vorab aufgewiesenen bezeichnet werden kann, liegt vor allem daran, dass er die Erkennbarkeit – ähnlich der herrschenden Herangehensweise – ausdrücklich anhand eines doppelten Maßstabes bestimmen will. So führt er die Wichtigkeit der standardbildenden Funktion einer der „Erkennbarkeit für den Täter“ noch vorgeschalteten, anhand eines objektiven Maßstabs („Differenzierung nach Verkehrskreisen“) zu ermittelnden Erkennbarkeit ins Feld;798 ferner scheitert eine Einordnung „ins Lager Jakobs’“ daran, dass er sich nicht deutlich dazu bekennt, wo man denn diese Erkennbarkeit(en) straftatsystematisch genau zu verorten hat.799, 800 794  Schroeder,

JZ 1989, 777 (Hervorhebung von mir). JZ 1989, 777 f. 796  Schroeder, JZ 1989, 778 ff. – Die Irrelevanz des Begriffs der Sorgfaltspflichtverletzung exemplifiziert Schroeder nachdrücklich an den sog. erfolgsqualifizierten Delikten, a. a. O., 778. 797  LK11-Schroeder, § 16 Rn. 127 f. – Dass Schroeder (unter Umständen) auch auf Fahrlässigkeit bei Kenntnis der Möglichkeit der Tatbestandsverwirklichung erkennen will, ist Folge seines voluntativ geprägten (bedingten) Vorsatzbegriffs, vgl. dazu a. a. O., nur Rn. 93. – Schroeder, JZ 1989, 776, überschreibt seinen Aufsatz mit: „Die Fahrlässigkeit als Erkennbarkeit der Tatbestandsverwirklichung“. 798  LK11-Schroeder, § 16 Rn. 146 ff. 799  Siehe insofern Schroeder, JZ 1989, 780, wo er sich – entgegen der Ausarbeitung im Leipziger Kommentar – nicht einmal zur sonst für richtig erachteten Prüfung der „Erkennbarkeit nach einem doppelten Maßstab“ äußert. Auch LK11-Schroe­ der, § 15 Rn. 12 ff., sowie § 16 Rn. 127 ff., 144 ff., 155, enthält sich einer genauen Einordnung – ob auf Tatbestands-, ob auf Schuldebene. – Hinzuweisen ist an dieser Stelle noch darauf, dass auch Schmidhäuser die Fahrlässigkeit, ohne ein Abstellen auf den Terminus der Sorgfaltspflichtverletzung, als potentielles, d. h. erlangbares Tat- und Unrechtsbewusstsein deutet, vgl. dazu an dieser Stelle nur Schmidhäuser, Strafrecht AT-StB, 7 / 105, für diesen ist die Fahrlässigkeit aber ausschließlich im Schuldtatbestand verortet, hier also nicht zu behandeln. 795  Schroeder,

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3. Vergleichende Zusammenschau – insbesondere das Verhältnis zur Auffassung der Fahrlässigkeit als individueller Sorgfaltswidrigkeit Abschließend ist darauf hinzuweisen, dass die Unterschiede der soeben genannten Auffassung zu derjenigen individueller Sorgfaltswidrigkeit wohl primär sprachlicher Natur sein dürften.801 Dieser Befund sieht sich insbesondere dadurch bestätigt, dass sämtliche obiger Autoren gerade auf Jakobs (normentheoretische) Argumentation verweisen.802 Sie scheinen das von der herrschenden Meinung noch für zentral gehaltene Merkmal der Sorgfaltswidrigkeit, der Sorgfaltspflichtverletzung lediglich mitzuschleppen, oh800

800  Ganz ähnlich wie Schroeder – jedoch unter ausdrücklicher Zuordnung der Erkennbarkeit(en) – formuliert auch Mitsch, Recht der Ordnungswidrigkeiten, § 8 Rn. 23 ff., der die Charakterisierung der Fahrlässigkeit als Sorgfaltspflichtverletzung „für wenig hilfreich“ erachtet und sie im subjektiven Tatbestand stattdessen als „Nicht-Erkennen trotz Erkennbarkeit“ definieren will. Mitsch weist (a. a. O., § 8 Rn. 23) darauf hin, dass eine „Konfundierung der Begriffe“ drohe, „wenn das Wesen der Fahrlässigkeit als objektive Pflichtwidrigkeit bestimmt und mit der Verwirklichung des objektiven Tatbestandes identifiziert wird.“ Fahrlässigkeit sei, wie notabene auch der Vorsatz, „ein Fehler der Verhaltenssteuerung“, „also mangelhaftes Wissen bzw. Willensbildung auf mangelhafter Wissensgrundlage. Der Täter sieht nicht die Gefahr der Tatbestandsverwirklichung, obwohl genügend Gefahrindikatoren vorliegen“ (a. a. O., Rn. § 8 Rn. 24 f.); dabei gelte „ein objektiver [sic!] Maßstab“: „Ob fahrlässigkeitserhebliche Umstände erkennbar waren oder nicht, richtet sich nicht nach den besonderen individuellen Erkenntnismöglichkeiten des Täters, sondern nach den Fähigkeiten eines durchschnittlichen Normadressaten in der konkreten Situation“ (a. a. O., § 8 Rn. 27). Mit der Festlegung, dass die „objektive Erkennbarkeit“ zur Begründung des Fahrlässigkeitsunrechts ausreiche, sei das Fahrlässigkeitsdelikt jedoch noch nicht abschließend beschrieben. Auf der Schuldebene bedürfe es des positiven Nachweises, „daß gerade der konkrete Täter in der Lage gewesen wäre, die Umstände zu erkennen, die die objektive Tatbestandsmäßigkeit seines Verhaltens begründen. Diese ‚subjektive Erkennbarkeit‘ ist also ein besonderes Vorwerfbarkeitselement des Fahrlässigkeitsdelikts“ (a. a. O., § 10 Rn. 24). Am Rande sei noch bemerkt, dass Mitsch das – seiner Auffassung nach noch daneben zu prüfende – Merkmal des potentiellen Unrechtsbewusstseins (ebenfalls) lediglich mittels einer hypothetischen Annahme nachweisen kann (a. a. O., § 10 Rn. 25). 801  Der Satz ist zumindest aus heutiger Sicht zutreffend. Exemplarisch: Stratenwerth hat freilich erst im Laufe der Zeit immer mehr die ursprünglich ausdrücklich vertretene Aliud-Theorie auch sprachlich geschleift. 802  Siehe nur Castaldo, Non intelligere, S. 78 ff.; SK5-Samson, 12. Lieferung, Anh zu § 16 insb. Rn. 12, 14 f.; Stratenwerth, Jescheck-FS, S. 286 ff., 292, 296 f., 299, 301. – Leicht missverständlich verfährt aber SK5-Samson, 12. Lieferung, Anh zu § 16 insb. Rn. 12, wenn er behauptet Jakobs würde „die Sorgfaltswidrigkeit allein an Kenntnissen und Fähigkeiten des Täters orientieren“, da Jakobs doch gerade das Erfordernis einer selbständigen Sorgfaltswidrigkeit für irrelevant hält; was aber auch die sogleich aufzuweisende These untermauert, dass der angeblich zentrale Sorgfaltsbegriff von den Vertretern der individuellen Sorgfaltswidrigkeit in der Sache nicht mehr (sonderlich) ernst genommen wird.



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ne dass damit ein irgendwie gearteter Erkenntnisgewinn verbunden wäre, soll die Sorgfaltswidrigkeit doch auch bei ihnen immer unter Rückgriff auf die individuelle Erkennbarkeit zu ermitteln sein. Die von der herrschenden Meinung nicht nur sprachlich gezogene Trennlinie zwischen vorsätzlichem und fahrlässigem Delikt – beide seien Alia – muss damit unweigerlich ins Rutschen geraten, was – und dies ist nochmals zu betonen – ungeachtet der Tatsache gilt, dass die Lehre individueller Sorgfaltswidrigkeit für die Fahrlässigkeitsstraftat formal am Vorliegen einer (dem Vorsatzdelikt scheinbar unbekannten) Sorgfaltspflichtverletzung festhält.803 Einfach gewendet: Erkennbarkeitsgesichtspunkte scheinen also nicht nur bei der soeben dargestellten Auffassung das „Wesen“ des fahrlässigen Deliktes zu prägen (was dem aufmerksamen Leser bereits bei Begutachtung der Lehre von der außerordentlichen Zurechnung vor Augen getreten sein wird, stellen doch auch diese Autoren zur Erklärung des fahrlässigen Delikts exemplarisch auf die Verletzung von sog. Erkenntnisobliegenheiten ab; notabene: Struensee will gar immer auf Kenntnisse rekurrieren). Nicht verschwiegen werden darf jedoch, dass man trotz des Nachweises des prüfungstechnischen Gleichlaufs von Vorsatz- und Fahrlässigkeitsdelikt („Strukturgleichheit“), unter (deutlicher) Ablehnung eines für die Fahrlässigkeit mit eigenständigem Gehalt versehenen Begriffs der Sorgfaltspflichtverletzung, mitunter die These vertreten sieht, beide stünden keineswegs im Verhältnis Plus zu Minus, sondern die Fahrlässigkeit stelle (ganz im Sinne der herrschenden Meinung) vielmehr ein Aliud zum Vorsatz dar804 – ohne dass freilich dargetan würde, welche (dogmatischen) Konsequenzen ein solches Ergebnis nach sich ziehen sollte.805 803  Dass sich einige Autoren noch an das (angebliche) Erfordernis der Sorgfaltswidrigkeit klammern, hängt mit den noch immer vorhandenen Nachwirkungen der finalen Handlungslehre zusammen. Erst nach und nach sieht man sich in der Lage, alte Zöpfe abzuschneiden. 804  Im Gegensatz zur herrschenden Meinung ohne Not verficht Duttge dieses Theorem, siehe nur MK-Duttge, § 15 Rn. 101 ff., und Duttge, GA 2003, 466 ff. 805  Dies arbeitet auch Herzberg, NStZ 2004, 595 ff., insb. 599, ganz überzeugend heraus. So würde man doch von MK-Duttge, § 15 Rn. 104 – seinen theoretischen Ansatz konsequent weiterverfolgend – erwarten, dass er im Falle eines non liquet – ob Vorsatz, ob Fahrlässigkeit – zu einem Freispruch des Täters kommen müsste, was jedoch auch er verneint, da zwischen beiden Deliktstypen zwar kein begriffslogisches, aber ein normatives Stufenverhältnis bestehe. MK-Duttge, § 15 Rn. 103, befürchtet wohl (ohne allerdings Beispielsfälle aufzuweisen), dass mit der Annahme eines PlusMinus-Verhältnisses insgesamt ein die Strafbarkeit ausdehnendes Verständnis einhergehen müsste; er übersieht jedoch unter anderem, dass der Plus-Minus-Ansatz bei weitem nicht immer mit einer „Verabsolutierung“ der objektiven Zurechnungslehre korreliert. – Ob durch den an den Herzberg-Schüler Scheinfeld, JuS 2002, 254, gerichteten Vorwurf „missionarischen Eifers“ (Duttge, GA 2003, 466 Fn. 79) eine sachliche Debatte in Gang gebracht werden kann, mag man bezweifeln.

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VII. Das fahrlässige Delikt ohne Sorgfaltspflichtverletzung unter Einbettung in die (objektive) Risikodogmatik – „Teilidentität“ zwischen vorsätzlichem und fahrlässigem Delikt Schon bei Inaugenscheinnahme der herrschenden Lehre konnten wir feststellen, dass einige Autoren eine der zentralen Schwierigkeiten der Fahrlässigkeitsstraftat, nämlich die Herausarbeitung des erlaubten Risikos, (auch) im Rahmen der objektiven Zurechnungslehre behandeln wollen. Es konnte gezeigt werden, dass zahlreiche Unsicherheiten bestehen, die Begrifflichkeit der (objektiven) Sorgfaltspflichtverletzung und die vermeintlich die objektive Zurechnung ausmachenden Aspekte voneinander abzugrenzen.806 Die nun darzustellenden Autoren versuchen diese Problematik unter anderem so einer Lösung zuzuführen, dass sie gänzlich auf die Begrifflichkeit der Sorgfaltswidrigkeit zur Erklärung des fahrlässigen Deliktes verzichten. Vielmehr treten sie allesamt den Versuch an, die Fahrlässigkeit in die allgemeine (Risiko-)Dogmatik einzubetten bzw. gar in ihr aufgehen zu lassen – mögen ihre Ansätze gerade auch in Bezug auf die Statuierung eines subjektiven Unrechtstatbestandes differieren. 1. Das Fahrlässigkeitsdelikt ohne eigenständigen Fahrlässigkeitsbegriff, als Überschreitung des erlaubten Risikos Dass das Opus von Roxin an dieser Stelle noch einer eigenständigen Begutachtung unterzogen wird, mag auf den ersten Blick verwundern, ist doch bereits wiederholt auf seine Ausführungen, insbesondere auf diejenigen zur objektiven Zurechnungslehre, Bezug genommen worden.807 Zunächst ist festzuhalten, dass seine Fahrlässigkeitslehre tatsächlich mit der Meinung von Autoren wie etwa Jescheck / Weigend, Kühl und Lenckner / Eisele „eng verwandt“ ist, was sich nicht zuletzt an den zu findenden (auf Gegenseitigkeit beruhenden) Zitierungen zeigt. Dennoch ist ausdrücklich darzutun, dass Roxin einen der von der überwiegenden Meinung für ganz zentral gehaltenen Punkt der Fahrlässigkeitsdogmatik gerade nicht teilt. So lehnt er die zur Kennzeichnung des Handlungsunwertes auf (Unrechts-) Tatbestandsebene üblicherweise verwendete Bezeichnung der „Sorgfaltspflichtverletzung“ als wenig präzise „Generalklausel“ ab; sie sei „entbehrlich“ und unter Hinweis auf die Ausführungen von Jakobs, „genau genommen, ‚normlogisch falsch‘.“808 Hinter diesem Merkmal würden sich vielmehr „verschiedene Zurechnungselemente“ verbergen; richtig sei es, den „Tatbe806  Siehe

insbesondere oben S. 193 f. oben S. 190 ff. 808  Roxin, Strafrecht AT, § 24 Rn. 10, 12. 807  Siehe



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stand der fahrlässigen Delikte, soweit er nicht eine zusätzliche Verhaltensbeschreibung enthält, allein durch die Lehre von der objektiven Zurechnung“ aufzufüllen.809 Ganz in diesem Sinne hält er dann auch fest, dass Sorgfaltspflichtverletzung und Erfolgszurechnung nicht voneinander zu trennen seien, „weil die Voraussetzungen der Zurechnung mit denen der Sorgfaltspflichtverletzung identisch sind.“810 Gleichwohl könne und müsse – und hier zeigt sich wiederum die Nähe zur herrschenden Meinung (auf die hier insofern uneingeschränkt verwiesen werden kann811) – „bei der Bestimmung dessen, was als ‚Schaffung einer unerlaubten Gefahr‘ anzusehen ist, alles berücksichtigt werden, was Rechtsprechung und Schrifttum zur Feststellung der Sorgfaltspflichtverletzung erarbeitet haben“;812 insbesondere stellt auch er zur Bestimmung der unerlaubten Gefahr auf die uns zur Genüge bekannte so genannte „differenzierte Maßfigur“ ab.813 Er präferiert demgemäß die Auffassung, dass „unterdurchschnittliche Fähigkeiten nicht das Unrecht, sondern erst die Schuld814 [sollen] ausschließen können,“ was sich bereits aus der Struktur des Verbrechensaufbaus ergebe.815 Was die Statuierung eines subjektiven Tatbestandes auch bei der Fahrlässigkeitstat angeht, formuliert Roxin äußerst vorsichtig, es handle sich um „eine zweifelhafte und wenig behandelte Frage.“816 Dennoch sei es angemessen, „bei der bewussten Fahrlässigkeit einen subjektiven Tatbestand anzuerkennen, der in der Vorstellung aller Tatumstände wie einer unerlaubten Gefahr und dem Ver809  Roxin, Strafrecht AT, § 24 Rn. 10. – Der Sache nach stimmt dem Staudt, Medizinische Richt- und Leitninien, S. 49 ff., 64 f., zu; nahestehend ebenfalls Yamanaka, ZStW 102 (1990), 944 (Hervorhebung von mir), der davon spricht die objektive Sorgfaltswidrigkeit „im Kriterium der objektiven Zurechnung aufgehen“ zu lassen (ohne allerdings Fahrlässigkeit und objektive Zurechenbarkeit gleichzusetzen), dort auch mit Hinweisen auf weitere, Gleiches fordernde japanischsprachige Veröffentlichungen; siehe außerdem Heinrich, in: Dölling / Duttge / Rössner, Vorbemerkungen zu § 13 Rn. 82. 810  Roxin, Strafrecht AT, § 24 Rn. 12. 811  Siehe oben S. 174 ff. 812  Roxin, Strafrecht AT, § 24 Rn. 14. 813  Roxin, Strafrecht AT, § 24 Rn. 34 f. 814  Anzumerken ist hier noch Folgendes: Die Schuld – verstanden als Verwirklichung von Unrecht trotz normativer Ansprechbarkeit – stellt bei Roxin, Strafrecht AT, § 19 Rn. 1 ff., keine eigenständige Systemstufe mehr dar. Vielmehr soll für die Feststellung der Strafbarkeit eines Verhaltens neben dem Unrecht noch die „Verantwortlichkeit“ bejaht werden müssen. Selbige hänge von zwei Gegebenheiten ab: der Schuld des Täters und der aus dem Gesetz zu entnehmenden präventiven Notwendigkeit strafrechtlicher Ahndung. 815  Roxin, Strafrecht AT, § 24 Rn. 58; Roxin (a. a. O., Rn. 57) vertritt wie er selbst meint, im Gleichlauf mit S / S-Sternberg-Lieben / Schuster, § 15 Rn. 133 ff. (siehe dazu oben S. 186 f.), eine „vermittelnde Auffassung“. 816  Roxin, Strafrecht AT, § 24 Rn. 73.

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Kap. 3: Kritische Darstellung des aktuellen Sach- und Streitstandes

trauen auf das Ausbleiben der Tatbestandsverwirklichung“ bestehen soll; dagegen fehle der unbewussten Fahrlässigkeit ein solcher, „weil der Täter die Merkmale und Voraussetzungen des objektiven Tatbestandes gerade nicht in seine Vorstellung aufgenommen hat.“817 Ob und inwieweit diese für das unbewusste Fahrlässigkeitsdelikt entwickelte Sonderdogmatik818 nicht deutliche Friktionen aufweist, erläutert Roxin nicht. Er räumt lediglich ein, dass zwar auch die – mit der objektiven Zurechnung gleichgesetzte – unbewusste Fahrlässigkeit an „innerpsychische Faktoren anknüpft“, meint jedoch sogleich aufgrund der Tatsache, dass selbige „nicht abstrakt angebbar sind“, auf den sonst für allgemein notwendig erachteten subjektiven Tatbestand verzichten zu können.819 Die Prüfung des Fahrlässigkeitsdeliktes scheint nach alledem völlig ohne eine Definition des Begriffs der Fahrlässigkeit und ohne die Feststellung gesonderter fahrlässigkeitsspezifischer Anforderungen auszukommen – die Fahrlässigkeitsstraftat ohne Begriff der Fahrlässigkeit, als allgemeiner Grundtypus, als bloße Zurechnung. 2. Fahrlässigkeit als Handeln trotz individueller Vorhersehbarkeit und Vermeidbarkeit einer gesellschaftsplanwidrigen, erhöhten Gefahrschaffung Auch Gropp ist äußerst bemüht, die Fahrlässigkeit eng mit dem Gefahrbegriff zu verbinden. Im Ansatzpunkt verfährt er sehr ähnlich zur Auffassung Roxins (Ablehnung der „Formel von der Verletzung einer Sorgfalts­ pflicht“820), will aber im Rahmen (des Unrechts-)Tatbestandes nicht auf eine unerlaubte, sondern auf eine nicht unerheblich erhöhte, gesellschaftsplanwidrige Gefahr abgestellt wissen, da nur so eine angemessene Abgrenzung zu den Rechtfertigungsgründen zu gewährleisten sei821 (im Anschluss an Burkhardt822 hält er dann noch ergänzend fest, dass man den Gefahrbegriff aus einer ex post-Perspektive zu bestimmen habe).823 Ungeachtet der, was den Begriff der Unerlaubtheit betrifft, terminologischen Abweichung scheint Gropp, ohne dass er dies allerdings explizit einräumte, für die Feststellung der „Gesellschaftsplanwidrigkeit“ der Sache nach doch die gerade von Roxin und der herrschenden Meinung zur Bestimmung des unerlaubten Verhaltens verwendete „differenzierte Maßfigur“ bemühen zu müssen, da er 817  Roxin,

Strafrecht AT, § 24 Rn. 73 f. dazu bereits oben S. 268 f. 819  Roxin, Strafrecht AT, § 24 Rn. 76. 820  Siehe dazu Gropp, GA 2009, 270 f. 821  Hingewiesen sei in diesem Zusammenhang auf obige Ausführungen, S. 224 f. 822  Siehe dazu oben Fn. 740 (Kap. 3). 823  Gropp, Strafrecht AT, § 12 Rn. 71. 818  Siehe



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die objektive Zurechnung unter anderem dann für ausgeschlossen erachtet, wenn „der Täter durch sein Verhalten sich innerhalb der Grenzen des erlaubten Risikos gehalten hat“.824 Insgesamt soll für die Zurechnung Folgendes gelten: Die selben Elemente, „die uns in der Form der objektiven Zurechnung beim Vorsatzdelikt bereits bekannt sind,“ entfalteten auch beim Fahrlässigkeitsdelikt durchschlagende Wirkung. Gewichtigere, systematisch bedeutsame Änderungen zeigen sich dagegen bei der Statuierung des subjektiven Tatbestandes, den er – als notwendiges Pendant zur vorsätzlichen Straftat – durch die Merkmale der individuellen Vorhersehbarkeit und Vermeidbarkeit ausgefüllt sieht.825 Insofern zeigt sich eine beachtliche Ähnlichkeit zu Autoren wie Jakobs, Duttge und Weigend; bestenfalls missverständlich formuliert Gropp aber, wenn er behauptet, dass seiner Auffassung nach das „Vorliegen fahrlässigen Handelns ausschließlich nach individuellen Kriterien zu beurteilen“, und damit gerade unabhängig von der sonst objektiven Maßstabsfigur der „im Rechtsverkehr erforderlichen Sorgfalt“ sei,826 berücksichtigt er doch eben diesen Gesichtspunkt (wenn auch nicht mit dem gebotenen Nachdruck) im Rahmen der objektiven Zurechnung beim erlaubten Risiko; die nicht rein individuelle Bestimmung fahrlässigen Verhaltens sieht sich nicht zuletzt deshalb bestätigt, da er seinen Ausführungen voranstellt, er wolle einen „gefahrbezogenen individuellen Fahrlässigkeitsbegriff“ bilden.827 Äußerst bemerkenswert sind weiterhin die Ausführungen Gropps zur „Fahrlässigkeit als Schuldform“: So ist er zwar ausdrücklich bestrebt, dieser einen eigenständigen Vorwurf zu bewahren; meint aber sodann, diesen in der „individuellen Vorhersehbarkeit“ finden zu können.828 Dass man dieses Merkmal bereits im Rahmen des (subjektiven) Tatbestandes geprüft habe, sei unschädlich, man habe es eben „auch als Element der Schuldhaf824  Gropp, Strafrecht AT, § 12 Rn. 73 (Hervorhebung im Original). – Auch können Gropps (a. a. O., Rn. 107 f.) ergänzende Ausführungen zum erlaubten Risiko keine (umfassende) Klarheit in die systematische Verortung dieses Rechtsgedankens bringen: Wie sollte man eine „gesellschaftsplanwidrige Gefahr“ ohne Berücksichtigung „objektiver Standards“ feststellen können? 825  Gropp, Strafrecht AT, § 12 Rn. 93. 826  Siehe dazu insbesondere Gropp, Strafrecht AT, § 12 Rn. 80 ff. 827  Gropp, Strafrecht AT, § 12 Rn. 65 ff. – Auch scheint Gropp den Pflichtbegriff nicht so ernst zu nehmen, wie zunächst behauptet, so erweckt er anfangs (a. a. O., Rn. 79) den Anschein, als könne ein Verhalten erst dann als pflichtwidrig bezeichnet werden, wenn es nicht gerechtfertigt ist (dies benennt er als den zentralen Grund für die Ablehnung der objektiven Sorgfaltspflichtverletzungslehre), um dann sogleich – vor der Thematisierung der Rechtfertigungsgründe – selber festzuhalten (a. a. O., Rn. 82), dass den Täter bei (individueller) Vorhersehbarkeit die Pflicht treffe, die Tatbestandsverwirklichung zu vermeiden. Wie sollte man einen Verstoß gegen diese vor dem Unrechtsausschluss zu prüfende, angeblich individuell bestehende Pflicht anders als pflichtwidrig bezeichnen können? 828  Gropp, Strafrecht AT, § 12 Rn. 110 ff.

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Kap. 3: Kritische Darstellung des aktuellen Sach- und Streitstandes

tigkeit der Handlung zu verstehen.“829 Ob damit freilich der Begriffsökonomie und der Substratadäquanz Genüge getan ist, ist zu bezweifeln. 3. Fahrlässigkeit als subjektive Erkennbarkeit eines objektiv vorhersehbaren, adäquaten, sozial missbilligten (rechtlich unerlaubten) Erfolgsrisikos Neben Roxin und Gropp ist auch Wolter (der Sache nach830) bestrebt, insbesondere die sog. objektive Seite der Unrechtsbegründung für die zwei Formen der Straftatverwirklichung – Vorsätzlichkeit und Fahrlässigkeit – einheitlich auszuweisen.831 So konstruiert er für beide ein übereinstimmendes sog. „primäres Erfolgsunrecht“, das er auch als Gefährlichkeitsunrecht tituliert, und unter dem er die Sachgesichtspunkte der objektiven Vorhersehbarkeit, Konkretheit, Adäquanz und sozialen Missbilligung des (weitverstandenen) Erfolges zusammengefasst sehen will; er bestimmt dieses ausschließlich aus ex ante-Sicht.832 Dem „Kriterium der Sorgfaltspflichtverletzung“ misst er – wie die vorstehend bezeichneten Autoren – dann auch „gegenüber der objektiven Erkennbarkeit […] keinen eigenständigen dogmatischen Stellenwert“ bei.833 Vorsatz- und Fahrlässigkeitsdelikt unterschieden sich einzig innerhalb der „subjektiven Zurechnung“, die sowohl innerhalb des Unrechts als auch innerhalb der Schuld relevant werde; für die vorsätzliche Straftat sei es bereits berechtigterweise nachgewiesen worden, dass das Merkmal des Vorsatzes eine Doppelrelevanz entfalte (einerseits als Kernstück des Handlungsunrechts, andererseits als Träger des Gesinnungsunwertes), nicht anders verhalte es sich bei der Fahrlässigkeit: Viel spreche dafür „auch die subjektive Fahrlässigkeit als ein solches doppelrelevantes Merkmal anzusehen. Dies gilt sowohl für die bewußte wie die unbewußte Fahrlässigkeit. 829  Gropp,

Strafrecht AT, § 12 Rn. 112. dazu aber auch die Hinweise bei Röttger in Fn. 832. 831  Die „Angleichung der Strukturen von Vorsatz- und Fahrlässigkeitsdelikt“ stellt für ihn aber auch insgesamt ein zentrales Anliegen dar, vgl. dazu nur Wolter, GAFS, S. 271. 832  Siehe dazu nur Wolter, Zurechnung, S. 75, 82 ff., 94, 109 ff., 174 f. mit Fn. 467, 197 f.; sowie weitere ergänzende (Fußnoten-)Hinweise bei Röttger, Unrechtsbegründung, S. 62 f., sowie S. 38 mit Fn. 40. – Man beachte, dass Wolter, Zurechnung, insb. S. 68 f., von dem „primären Erfolgsunrecht“ ein sog. „sekundäres Erfolgsunrecht“ abschichtet; letzteres firmiert bei anderen Autoren regelmäßig unter dem Terminus der „objektiven Erfolgszurechnung“; vgl. dazu auch bereits oben Fn. 126 (Kap. 3). 833  Wolter, Zurechnung, S. 195; ganz deutlich auch Wolter, GA 1977, 262, 274: die „objektive Sorgfaltswidrigkeit“ sei entweder „Leerformel oder bei grundsätzlich gefährlichen Verhaltensweisen dienendes Prinzip zur Ausmittlung der Vorhersehbarkeit“; vgl. aber auch die missverständliche Kennzeichnung bei Wolter, GA-FS, S.  311 f. 830  Vgl.



A. In Unrecht und Schuld differenzierende Auffassungen311

Beide Fahrlässigkeitsformen vermögen zugleich Träger des Handlungsunwertes wie Mitkonstituens dieser schwächeren Schuldform zu sein.“834 Dieser Gleichlauf von Vorsatz- und Fahrlässigkeitsdelikt sei gerade auch deshalb angezeigt, „weil die objektive Vorhersehbarkeit bzw. Adäquanz des Geschehens gleichermaßen die Untergrenze strafrechtlicher Relevanz bildet“ und zum anderen nur so die „Fortschreibung der Vorsatzsystematik in den Fahrlässigkeitsbereich hinein“ sachgerecht umgesetzt werden könne835 (auch die Fahrlässigkeitsstraftat soll demnach neben dem objektiven einen subjektiven Tatbestand aufweisen). Gekennzeichnet sei die (subjektive) Fahrlässigkeit durch die „subjektive Erkennbarkeit des tatbestandsmäßigen Erfolgsrisikos (und des darauf beruhenden objektiv zurechenbaren Erfolgs)“;836 so gehe es bei dieser zwar nicht wie beim Vorsatzdelikt um ein „wissentliches“ Erfolgsrisiko, aber in weitestgehender Analogie hierzu um ein „subjektiv erkennbares“.837 Bemerkenswerterweise verwendet er zur Kennzeichnung der Fahrlässigkeit auf der Unrechtsebene – wenn auch eher versteckt – den Terminus des „potentiellen Tatbewußtseins“.838 Was dagegen den aus seiner Sicht „allen Straftaten vorgelagerten objektiven Maßstab“ angeht,839 vertritt Wolter mittlerweile eine (leicht) modifizierte Auffassung: Auf der Grundlage seines zwischenzeitlich entwickelten, verfassungsrechtlich ausgerichteten Straf- und Strafprozessrechtssystems840 meint er, „ ‚Strafrechtsausschlußgründe‘ vor der 1. Deliktsstufe“841 ausmachen zu können. Diese bezeichne834  Wolter,

Zurechnung, S. 152 ff. Zurechnung, S. 156. 836  Wolter, GA-FS, S. 280. 837  Wolter, GA-FS, S. 293; vgl. auch Wolter, Zurechnung, S. 42 f., 152 ff. 838  Wolter, GA-FS, S. 312. – Wie Wolter es (a. a. O., S. 312) aber vermeiden will, das „potentielle Tatbewußtsein“, das doch bereits auf das rechtlich unerlaubte Erfolgsrisiko bezogen sein soll, mit dem „virtuellen Unrechtsbewußtsein“ zu identifizieren, erläutert er leider nicht. Wenig hilfreich erscheint insofern seine Formulierung (a. a. O., S. 308), dass diese „Unterscheidung […] äußerst schwierig sein [mag] […]. Unmöglich ist sie nicht.“ Man bedenke: Richtet man das im Unrechtstatbestand zu prüfende potentielle Tatbewusstsein bereits auf den Aspekt des Unerlaubten hin aus, stellt sich sogleich die Frage, was denn noch Eigenständiges im Rahmen des auf der Schuldebene verorteten potentiellen – oder in der Terminologie Wolters: virtuellen – Unrechtsbewusstseins zu prüfen sein sollte; vgl. dazu auch die obigen Ausführungen, S. 259 ff. Man beachte hier bereits außerdem, dass insbesondere der von Wolter zur Bestätigung seiner Ansicht benannte Autor Langer den Bezugspunkt des Tatbewusstseins gerade anders bestimmt – nämlich auf das einzelne Rechtsgut bezogen und nicht unter Zugrundlegung einer umfassenden Güter- und Interessenabwägung. 839  Siehe dazu Wolter, Zurechnung, S. 156. 840  Dazu ausführlich Wolter, NStZ 1993, 1 ff.; siehe ferner noch Wolter, GA-FS, S. 305, und Wolter, GA 1996, 209 f. 841  Wolter, GA 1996, 208 (Hervorhebung von mir). – Undeutlich dagegen wiederum Wolter, in: Straftat, S. 13 (Hervorhebung im Original): Es gebe „auf objektivem 835  Wolter,

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Kap. 3: Kritische Darstellung des aktuellen Sach- und Streitstandes

ten Konstellationen, „die wegen Geringfügigkeit, genereller Erlaubnis („erlaubten Risikos“) oder sozialer Adäquanz (sozialer Üblichkeit / Akzeptanz) gänzlich aus dem Unrechtstatbestand herausfallen.“842 4. Fahrlässigkeit als individuelle Erkennbarkeit einer über das normale, tolerierte Lebensrisiko hinausgehenden und objektiv im Tatbestand erfassten Gefahr Zwar liegt auch Frischs Ansatz grundsätzlich auf der Linie der insbesondere von Wolter verfochtenen, versucht er doch ebenfalls eine „Übereinstimmung in der Grundstruktur des objektiven Tatbestandes“ bei Vorsatzund Fahrlässigkeitsdelikt nachzuweisen,843 nur ist der von ihm gewählte Anknüpfungspunkt ein anderer. Hatte Wolter sich noch befleißigt, die Übereinstimmung in einem sog. „primären Erfolgsunrecht“ zu finden, kritisiert Frisch das Herangehen, „eine ex ante betriebene Gefährlichkeitsbetrachtung als primären Erfolgsunwert zu charakterisieren,“ man stehe dann nämlich unter anderem vor dem Problem, einen „Teil des Erfolgsunwertes im Wege einer (sonst doch für den Handlungsbereich typischen) ex anteBetrachtung“ beurteilen zu müssen.844 Ihm geht es vielmehr darum, bereits das „tatbestandsmäßige Verhalten“ bestmöglich zu vereinheitlichen.845 Unter Zugrundlegung einer zweckrationalen – beim Güterschutz durch rechtsbeFelde […] drei Gruppen von Strafrechtsausschlußgründen“ für die er festhält: „Die Einordnung der Strafrechtsausschlußgründe unmittelbar vor oder in den Unrechtstatbestand (1. Deliktsstufe) ist dabei nicht entscheidend und je nach Sachlage unterschiedlich.“ – Dass Wolter damit einhergehend – straftatsystematisch übergeordnet – vorschwebt, die Gesetzesbegriffe Unrecht und Schuld nicht mehr als eigenständige Stufen des Verbrechensaufbaus zu behandeln, sondern vielmehr die Deliktskategorien der Strafwürdigkeit und Strafbedürftigkeit nutzbar zu machen, kann hier nur am Rande erwähnt werden, vgl. dazu überblicksweise schon Wolter, GA-FS, S. 288 f.; berechtigterweise rügt Frisch, in: Straftat, S. 156 ff., insofern unter anderem die „Unterthematisierung von Unrecht und Schuld“. 842  Wolter, GA 1996, 208 f.; vgl. auch Wolter, GA-FS, S. 285, 290, dort findet sich auch die wenig hilfreiche Feststellung: „ ‚Im Rechtsraum vor dem Unrechtstatbestand‘ “ seien „Merkmale zusammengefasst, die – trotz Verwendung von Unrechtsmaßstäben – noch nicht zum objektiven Unrechtstatbestand gehören.“ Was hiermit straftatsystematisch zu gewinnen sein soll, bleibt jedoch im Dunkeln. 843  Frisch, Vorsatz und Risiko, siehe nur S. 84 f., 490, 504. 844  Frisch, Vorsatz und Risiko, S. 91 f. Fn. 134a (Hervorhebungen im Original); siehe auch mit weiteren Einwänden a. a. O., S. 120 f. Fn. 9, sowie S. 78 f. Fn. 98. 845  Siehe dazu nur Frisch, Vorsatz und Risiko, S. 118 ff.; sowie das diesem Thema gewidmete fast 700 Seiten zählende Werk: Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten; einen Überblick über diese – ob ihrer „Kreativität“ – „ ‚chronologisch‘ zum Teil nicht fassbare“ Monographie liefert Wolter, GA 1991, 531 ff., dort versucht Wolter auch insbesondere seine eigene normentheoretische Grundlegung zu spezifizieren (a. a. O., S.  548 f. Fn.  42).



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währende Generalprävention ansetzenden – Methode,846 die er nachdrücklich normentheoretisch fundiert,847 kommt er dann zum Ergebnis, den Gegenstand, den Bezugspunkt von Vorsatz und Fahrlässigkeit zu identifizieren. So müsse das Verhalten „bei Hinzunahme des einschlägigen Erfahrungswissens ein konstatierbares Risiko des Erfolgseintritts bergen; es muß in Richtung auf den Erfolgseintritt ‚gefährlich‘ sein“848 (was jedoch nicht nur für die sog. klassischen Erfolgsdelikte gelte, da „das verbotene Verhalten auch jenseits der Erfolgsdimension im engeren Sinne über Risikomomente definiert ist.“849). Frisch hält weiterführend fest: „Das in den Vorsatz- und den Fahrlässigkeitsdelikten je vorausgesetzte verbotene Verhalten“ (nochmals: das durch einen spezifischen Risikobezug des Verhaltens zum Erfolg, durch eine dem Verhalten eignende Erfolgstendenz, gekennzeichnet sein soll), „stimmt hinsichtlich seines grundsätzlichen Charakteristikums offenbar überein.“850 Es gehe immer um Verhaltensweisen, die gefährlich sind, die einen „Gefahrenkern“ aufweisen; darüber könne auch das bei den Fahrlässigkeitsdelikten sonst „vielfach herausgekehrte Moment des Sorgfaltsverstoßes […] nicht hinwegtäuschen.“851 Um das Gefahrurteil fällen zu können, benötige es jedoch mehr als des Nachweises einer bloß abstrakten Gefahr, es bedürfe vielmehr eines Verhaltens – festgestellt „auf der Basis der ex ante erkennbaren Umstände und des ex ante verfügbaren nomologischen Wissens“852 – das eine „Erfolgstendenz in concreto aufweist“853. Es handle sich hierbei sicher um ein objektives, gerade nicht auf die tatsächliche Einschätzung des Subjekts gestütztes Urteil.854 Fraglich sei nur – und insofern spezifiziert Frisch mittelbar die regelmäßig im Schrifttum aufzufindende unsaubere Redeweise –, „ob man diese „objektive ex-ante-Beurteilung nun nach mehr oder weniger generellen oder nach individuellen Kriterien durchzuführen“ habe.855 Für den (ihn maßgeblich interessierenden) Bereich der insofern beispielsweise Frisch, Vorsatz und Risiko, S. 46 ff. Vorsatz und Risiko, S. 59 f. – Darauf, dass Frisch, Vorsatz und Risiko, S. 59 Fn. 18, entgegen seiner ersten Ankündigung die den Sanktionsnormen (also im hier interessierenden Zusammenhang: den strafrechtlichen Tatbeständen) zugrundeliegenden Verhaltensnormen oftmals als Bestimmungsnormen versteht, hat berechtigterweise bereits Röttger, Unrechtsbegründung, S. 74, hingewiesen. 848  Frisch, Vorsatz und Risiko, S. 82 (Hervorhebung von mir). 849  Frisch, Vorsatz und Risiko, S. 407. 850  Frisch, Vorsatz und Risiko, S. 84. 851  Frisch, Vorsatz und Risiko, S. 84. 852  Frisch, Vorsatz und Risiko, S. 128. – Gegen eine ex post-Gefahrbeurteilung wendet sich – gerade in ausführlicher Auseinandersetzung mit Burkhardt (vgl. oben Fn. 740 (Kap. 3)) – Frisch, in: Straftat, S. 172 ff. 853  Frisch, Vorsatz und Risiko, S. 120. 854  Frisch, Vorsatz und Risiko, S. 128. 855  Frisch, Vorsatz und Risiko, S. 129 (Hervorhebung im Original). 846  Siehe

847  Frisch,

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Kap. 3: Kritische Darstellung des aktuellen Sach- und Streitstandes

Vorsatzdelikte hält er sogleich gar fest: „Wegen des ‚entschärfenden‘ Effekts des Vorsatzerfordernisses856 ließe sich im Subsystem der Vorsatztat zur Not auch mit der durchgängigen Zugrundlegung eines optimalen Urteils ex ante auskommen – Unzuträglichkeiten würden hier schon im Unrechtsbereich durch das Vorsatzerfordernis korrigiert.“857 Aufgrund der insofern andersartigen Struktur der Fahrlässigkeitstat sieht er sich aber gezwungen, diesen am Optimum ausgerichteten Maßstab zu verwerfen; „nur eine differenzierte, abwägende Berücksichtigung verschiedener normativ bedeutsamer Faktoren“ könne „zu einer überzeugenden Problemlösung führen“ – insbesondere die „Erarbeitung adäquater Bewertungs- und Verhaltensnormen“ scheint ihn nachdrücklich anzutreiben.858 Man kann bereits hier festhalten: Schwierigkeiten bereitet die Tatsache, ein objektiv unerlaubtes Risiko ausfindig zu machen – ohne dabei vollumfänglich zu individualisieren und damit den in der Alltagssprache angelegten Charakter der Norm als allgemeinverbind­ liche Richtschnur zu wahren, und ohne vollumfänglich zu generalisieren (Ausrichtung am Optimum) und damit zu vermeiden, eine „weithin […] unrealistische und normativ inadäquate Prämisse“859 zu setzen, oder mit anderen Worten: der „Konstruktion überstrenger Normen“860 das Wort zu reden. Frisch will das aufgewiesene Problem nun grundsätzlich durch die Berücksichtigung so genannter „sozialer Rollen“ – und damit auf eingetretenen Pfaden – lösen: So gebe es Erwartungen, die uns „in den bekannten Figuren des einsichtigen Verkehrsteilnehmers, Statikers, Arztes usw. in personifizierter Form“ begegneten.861 Überschreite der Täter die so festgelegte, normativ nicht mehr akzeptierte Gefahrhöhe, müsse „das einschlägige Verhalten als missbilligt angesehen werden – auch wenn dem Täter die entsprechende Einsicht aufgrund eines hinter dem Standard zurückbleibenden Wissens verschlossen ist.“862 Wechselnd hat Frisch dagegen solche Fälle beurteilt, in denen es an einem mehr oder weniger klar definierten Standard mangelt (was an dieser Stelle auch grundsätzlich die Fallgestalten umfassen soll, in denen der Täter mit sog. Sonderwissen tätig wird863). Hier hat er zunächst die Auffassung vertreten, dass wenn „es an einem Zwang zum Handeln fehlt“, „von vornherein alles dafür [spricht], einen ‚schärfe856  Dass Frisch, Vorsatz und Risiko, insb. S. 260 ff., 342 f., den Vorsatz rein kognitiv unter Verzicht sowohl auf voluntative als auch auf emotionale Elemente definiert, sei hier nur am Rande erwähnt. 857  Frisch, Vorsatz und Risiko, S. 130. 858  Frisch, Vorsatz und Risiko, S. 130 f. 859  So die Formulierung bei Frisch, in: Straftat, S. 189. 860  Frisch, in: Straftat, S. 181. 861  Frisch, Vorsatz und Risiko, S. 132. 862  Frisch, Vorsatz und Risiko, S. 132. 863  Siehe dazu vertiefend Frisch, Vorsatz und Risiko, S. 133 f.



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ren‘, aussagekräftigeren Beurteilungsmaßstab, nämlich das optimale Urteil ex ante zugrunde zu legen“, da es nicht einzusehen sei, warum sich eine Person, „auf die Nichtbegründbarkeit eines relevanten Risikos nach dem Standard soll berufen können, wenn durch eine (mögliche) Vergewisserung eine Präzisierung des Risikos […] zu erreichen gewesen wäre.“864 Gänzlich anders argumentiert Frisch dagegen in einer neueren Veröffentlichung – mit dem bereits oben aufgewiesenen Argument, der anderenfalls stattfindenden „Konstruktion überstrenger Normen“. Fehle es also im interessierenden Bereich an normativen Standards, komme „es auf das individuelle Wissen und Wissen-Müssen der gefahrbegründenden Umstände an.“865 „Im Ergebnis“ gelangt er also dazu, jener neueren Lehre recht zu geben, „die schon für das Unrecht des Fahrlässigkeitsdelikts auf die individuelle Vermeidbarkeit der Risikoschaffung abstellt“;866 kenne der Täter die für die Vermeidbarkeit relevanten Bedingungen nicht, und müsse er selbige auch nicht kennen, fehle es „an einer Verhaltensnormverletzung und am Fahrlässigkeits­ unrecht“867 – obwohl er ungeachtet dessen grundsätzlich noch an einer Vorabprüfung des objektiven Standards festhält, da „die Vorschaltung des Objektiven […] dem Persönlichkeitsschutz“ diene und „insoweit sinnvoll“ sei.868 Insgesamt lässt sich also festhalten, dass uns damit eine zwar ausschließlich auf der Ebene des Unrechts ansetzende,869 aber der Sache nach auch hier sog. zweistufige, zunächst eine objektive Maßstabsfigur zugrunde legende Prüfung präsentiert wird – und dies im Verhältnis zur herrschenden Meinung in allenfalls leicht modifiziertem Gewande.870 Gleichwohl arbeitet 864  Frisch,

Vorsatz und Risiko, S. 134 f. in: Straftat, S. 195. 866  Frisch, in: Straftat, S. 194. 867  Frisch, in: Straftat, S. 189. 868  Frisch, in: Straftat, S. 194: Tatsächlich schaffe „nämlich überhaupt erst die Feststellung eines mißbilligten Risikos auf der objektiven (standardisierten) Basis die Legitimation, sich mit Interna des Täters zu beschäftigen.“ – Vgl. ferner noch a. a. O., S. 194 f.: Es bedürfe bei der Feststellung des Objektiven lediglich in äußerst begrenzten Fällen eines Vorgriffs auf das Subjektive – „nämlich nur dann, wenn Anhaltspunkte für ein gefahrrelevantes Sonderwissen (in Bezug auf objektive Umstände) vorliegen“; was, wie eingangs erwähnt, allerdings voraussetze, dass es überhaupt einen normativen Standard gebe. Berücksichtige man solches Subjektive, werde die Objektivität des Gefahrurteil keineswegs in Frage gestellt, da die Gefahr immer noch auf objektive bzw. wirkliche Umstände gegründet werde; es komme lediglich zu einer teilweisen Extension des Gefahrurteils (a. a. O., S. 183 f.), die er augenscheinlich für nicht „schlimm“ erachtet (a. a. O., S. 185). 869  Vgl. aber noch die undeutlichen Ausführungen bei Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 467 Fn. 373, S. 631 Fn. 284. 870  Nicht näher erläutert werden soll hier Frischs Schuldbegriff, den er diskurstheoretisch fundiert wissen will, vgl. dazu aber oben Fn. 465 und 684 (Kap. 3) sowie Frisch, Kühl-FS, S. 210 ff. 865  Frisch,

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Kap. 3: Kritische Darstellung des aktuellen Sach- und Streitstandes

er deutlich (und nicht bloß innerhalb des Gedankens der Sorgfaltspflichtverletzung verklausuliert) heraus, dass das entscheidende Kriterium der Fahrlässigkeitsdelikte die (subjektive) Erkennbarkeit des missbilligten Risikos ist: So sei es – unter Verweis auf Jakobs – eben ausreichend, „daß der Täter zu erkennen vermag, daß mit seinem Verhalten eine über das normale, tolerierte Lebensrisiko hinausgehende und (objektiv) im Tatbestand erfaßte Gefahr der Herbeiführung des tatbestandsmäßigen Erfolgs verbunden ist.“871 Es sei lediglich zu fordern, dass dem Täter „die Komponenten der Risikoprognose verfügbar sind: Ihm müssen also die hic et nunc gegebenen Umstände erkennbar sein, bei deren Gegebensein die von ihm vorgenommene Handlung nach dem Erfahrungswissen den Erfolgseintritt (normrelevant) möglich erscheinen läßt, und: er muß über das Erfahrungswissen so verfügen, daß er es auf seinen Fall beziehen kann.“872 Da Frisch den Gesichtspunkt der unerlaubten Gefahrschaffung für das Vorsatz- und Fahrlässigkeitsdelikt einheitlich im Rahmen des „tatbestandsmäßigen Verhaltens“ verortet, gelingt es ihm im Gegensatz zur überwiegenden Auffassung, ein insofern nicht direkt als heterogen zu entlarvendes System zu konstruieren: Er vermeidet es zu Recht, den Aspekt der unerlaubten Gefahrschaffung, den für zentral gehaltenen Unrechtsunwert, einmal – insbesondere beim Vorsatzdelikt – im Rahmen der objektiven Zurechnung, ein andermal – insbesondere beim Fahrlässigkeitsdelikt – im Rahmen der Gefahrschaffung, unter dem Gesichtspunkt der Sorgfaltswidrigkeit zu verorten. Dass mit einer solchen Grundlegung aber auch andere Probleme einhergehen bzw. weiterhin als ungelöst zu betrachten sind, hat Frisch – jedenfalls zum Teil – selbst gesehen.873 Schwierigkeiten tun sich unter anderem nämlich dann auf, wenn es um die Abgrenzung von (Unrechts-)Tatbestand und Rechtswidrigkeit geht. Versteht man bereits die Tatbestandsmäßigkeit des Verhaltens als „subtile Interessenabwägung“874 müsste es konsequenter­ weise dazu kommen, die „klassischen“, (regelmäßig) gesetzlich normierten Rechtfertigungsgründe, die ja der Inbegriff der Regelung von Interessenkollisionen sind, in die Verhaltensnorm zu integrieren. Nun meint Frisch allerdings aus traditionellen, wissenschaftssystematischen und lerntheoretischen Gründen an der Abspaltung der Rechtfertigungslehre festhalten zu dürfen; 871  Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 636; siehe zu einer von diesem „Prinzip“ insoweit geltenden Ausnahme a. a. O., S. 637. Vgl. insgesamt noch a. a. O., S.  631 ff., sowie S.  33 ff., 466 ff. 872  Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 636; vgl. auch a. a. O., S. 638: „Dem Täter müssen die einschlägigen Gefahrendimensionen seiner Handlung soweit erkennbar sein, daß er die Gefahr, die sich realisiert hat, gezielt vermeiden oder abwenden kann.“ 873  Siehe dazu ausführlich Röttger, Unrechtsbegründung, S. 77 ff. 874  Frisch, Vorsatz und Risiko, S. 139.



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insbesondere „der Gedanke der Formulierung möglichst einfacher, leitbildfähiger Verhaltensnormen“ spreche hierfür.875 Wie man auf einer solchen Grundlage die – insbesondere von Schmidhäuser876, aber auch von Langer877 vertretene – Gegenauffassung, die unter Zugrundelegung materialer Kriterien die bei Frisch „aufgeteilte“ Interessenabwägung einheitlich auf der Ebene des Unrechtsausschlusses abhandelt, als „formalistisch“ bezeichnen können sollte, bleibt jedoch gänzlich unklar.878

VIII. Vergleichende Zusammenschau Nachdem nun – soweit ersichtlich – alle in der aktuellen Diskussion (mehr oder weniger) ausgearbeiteten Fahrlässigkeitslehren, die an der Differenzierung von Unrecht und Schuld festhalten, in Augenschein genommen wurden,879 bedarf es einer Zusammenfassung der gewonnenen Erkenntnisse. Zunächst ist auffällig, dass sich im neueren Schrifttum ein eindeutiger Trend dahingehend zeigt, das ursprünglich ausschließlich für die Erklärung des fahrlässigen Deliktes aufgewiesene, separierende Merkmal der Sorgfaltspflichtverletzung zu verwerfen. Entweder wird versucht, es als übergreifenden, allgemeinen Terminus der Verbrechenslehre zu verwenden,880 oder es wird der Weg beschritten, es für gänzlich irrelevant zu erklären881. Beharrt man dagegen auch bei neueren Lehren auf der Sorgfaltswidrigkeit882 als Anknüpfungspunkt, ist eine deutliche Nähe zur insbesondere von Jakobs beeinflussten Lehre der Fahrlässigkeit als individueller Erkennbarkeit zu konstatieren.883 Allerdings hat Jakobs bei der Entwicklung seiner – immer wieder gern zitierten – Auffassung den Fokus fast ausschließlich auf den soeben beschriebenen Gesichtspunkt, und dementsprechend weniger auf den Gegenstand dieser augenscheinlich den Kern der Fahrlässigkeit kennzeichnenden Voraussehbarkeit gelegt (obwohl er später gleichwohl deutlich ge875  Frisch,

Vorsatz und Risiko, S. 155. bereits Schmidhäuser, Engisch-FS, S. 450 ff.; sowie noch Schmidhäuser, Strafrecht AT-StB, 6 / 1. 877  Siehe insbesondere Langer, Sonderstraftat, S. 94 ff.; sowie nur noch Langer, JR 1993, 2 f. 878  Frisch, Vorsatz und Risiko, S. 155, der jedoch bei der Ausformulierung der Kritik anscheinend Zweifel verspürt, kleidet er sie doch lediglich in Frageform. 879  Einzig die Lehren von Schmidhäuser und Langer wurden lediglich am Rande erwähnt. Aufgrund deren grundsätzlicher Nähe zur hier später zu entfaltenden Auffassung werden diese noch „mitbehandelt“ werden müssen. 880  Siehe zum Beispiel oben S. 274 f. 881  Siehe oben S. 306 ff. 882  Hier allerdings „individuell“ verstanden. 883  Siehe dazu schon oben S. 304 f. 876  Siehe

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macht hat, dass es der „Erkennbarkeit eines objektiv zurechenbaren Risikos“ bedürfe884). Der – wie wohl kaum jemand ausdrücklich bestreiten würde – notwendige Aufweis eines klar definierten Bezugsgegenstandes geht dann auch im Schrifttum nicht selten unter – so bei den in Gefolgschaft von Jakobs stehenden Autoren oder bei den Vertretern der (nach eigener Lesart eng verwandten) Lehre der Fahrlässigkeit als individueller Sorgfaltswidrigkeit. Zwar betont exemplarisch Stratenwerth, dass auch für seinen Sorgfaltsbegriff zweifelsohne „objektive“ Gesichtspunkte Berücksichtigung fänden, kann diesen aber keinen eigenen dogmatischen Platz zuweisen.885 Auch Duttge und Weigend vereinigen – um mit den Vertretern der außerordentlichen Zurechnung886 zu sprechen – Zurechnungsgegenstand und Zurechnungsgrund, und dies – wie man sagen könnte – in einer Zwangsehe. Gerade der verhaltensnormtheoretische Ansatz scheint sie hierzu zu drängen: Nimmt man den sog. Bestimmungscharakter der Norm ernst (also verstanden als konkrete(re) Verhaltensrichtschnur ex ante und nicht als bloßes Verursachungsverbot), müssen subjektive Gesichtspunkte in die Normkonturierung einfließen – nur wenn der Täter zumindest wissen bzw. erkennen kann, kann er sich überhaupt von der Norm bestimmen lassen. Da nun aber die Normverletzung der Ausgangspunkt jedweder Strafbarkeitsprüfung sein soll, erscheint es schwierig wenn nicht gar unmöglich, den eigentlichen Bezugspunkt der individuellen Erkennbarkeit abzuschichten. Die rechtliche Verhaltensnorm verlangt eine Vereinigung beider Momente. Einen etwas anderen Weg schlagen demgegenüber die Autoren – wenn man denn diese pauschalierend unter einen gemeinsamen Oberbegriff stellen will – aus dem Bereich der Risikodogmatik ein. Hat Roxin noch versucht, das (unbewusste) Fahrlässigkeitsdelikt gänzlich in der – für die Vorsatzstraftat weitestgehend unbestrittenen – objektiven Erfolgszurechnungslehre aufgehen zu lassen, setzt sich inzwischen vermehrt die Auffassung durch, dass auch die (unbewusste) Fahrlässigkeit einen bereits unrechtsrelevanten subjektiven Bezug zur – als unerlaubt bewerteten – Gefahr aufweisen müsse (um so nicht zuletzt die Strukturgleichheit von Vorsatzund Fahrlässigkeitsdelikt zu dokumentieren).887 Aber gerade die Vorab-Be884  Dazu

auch gleich nochmals im Fließtext. dazu oben bei Fn. 654 (Kap. 3). 886  Siehe dazu oben S. 283 ff. 887  Siehe dazu insgesamt oben S. 306 ff.; auch hier begegnet uns also die „individuelle Erkennbarkeit“ als „Wesen“ der Fahrlässigkeit. – Insofern zeigt sich ein nahezu vollumfänglicher Gleichlauf mit der Auffassung von Jakobs, sowie mit einigen Vertretern der Lehre von der außerordentlichen Zurechnung, bzw. dieser nahestehenden Autoren (vgl. dazu oben S. 283 ff., insbesondere bei Hruschka, Renzikowski und Sauer). Es gilt jedoch zu beachten, dass trotz der Erzielung fast identischer Ergebnisse gerade die Autoren Gropp und Wolter andere Schwerpunkte setzen. 885  Siehe



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stimmung eines objektiv missbilligten, nicht mehr tolerierten etc. Risikos erweist sich als extrem diffizil. Zwar hat gerade Frisch deutlich machen können, dass diese Frage für Vorsatz- und Fahrlässigkeit sachgerecht nur einheitlich beantwortet werden kann, und die Problemlösung hat seiner Diktion nach innerhalb des „tatbestandsmäßigen Verhaltens“ und nicht innerhalb der objektiven Erfolgszurechnung anzusetzen,888 nur ist damit noch nicht dargetan, wie man sie erreichen kann. Dass er gerade bei diesem Problem im Laufe der Zeit zu unterschiedlichen Lösungsansätzen gekommen ist, untermauert das bestehende Dilemma. Stellt man beispielsweise – ganz im Sinne der herrschenden Meinung – zur Kennzeichnung des objektiv Unerlaubten auf den „homunkulus normalis“ ab, sind jedoch solche Fallgestalten noch ungelöst, in denen der Täter mit sog. Sonderwissen agiert oder es gerade an einem Verkehrskreis mangelt. Beschreitet man nun in diesen Fällen den Weg, bereits auf Subjektives vorzugreifen, nämlich das Täterwissen zumindest partiell zugrunde zu legen,889 scheint der insbesondere von den (Spät-)Finalisten890 erhobene Einwand gegen die objektive (Zurechnungs-)Lehre durchschlagend: dass über das Unerlaubte nur unter Berücksichtigung dessen entschieden werden könne, was der Handelnde (vorab) erkannt hat.891 Die individuelle Wissensbasis des Täters fungiert als ein Faktor des Aufweises des erlaubten Risikos; normentheoretisch gewendet: Es scheint unmöglich, einen Bestimmungsnormverstoß – wenn man diese Funktion denn hochhält – ohne Feststellung der Wissensbasis des Täters zu kreieren. Die von der herrschenden Meinung (und der Sache nach auch von Jakobs und den aus dem Bereich der objektiven Erfolgszurechnungslehre stammenden Autoren) präferierte objektive Maßstabsfigur zur Bestimmung des erlaubten bzw. unerlaubten Risikos (im objektiven Tatbestand) ist entgegen der verwendeten Terminologie keine umfassend objektive; der Bezugspunkt, der (Zurechnungs-)Gegenstand der für die Fahrlässigkeit als zentral herausgearbeiteten individuellen Erkennbarkeit erscheint demnach – zumindest in Teilen – als ungesichert. Ungeachtet dessen ist nochmals zu betonen, dass sich die neueren An­ sätze zur Bestimmung der Fahrlässigkeit als Straftatmerkmal verstärkt darBei diesen steht die objektive Erfolgszurechnung im Vordergrund, während insbesondere bei Hruschka und Jakobs der Ansatz der (objektiven) Zurechnung in einem umfassenderen Sinn verstanden wird, vgl. dazu auch Frisch, GA 2003, 725, ferner noch – insbesondere zu Jakobs – Müssig, Jakobs-FS, S. 405 ff. 888  Siehe dazu oben S. 312 ff. 889  Dass sich insbesondere Frisch zu dieser Folgerung gerade aus verhaltensnormtheoretischer Sicht gezwungen sieht, ist hier nochmals ausdrücklich hervorzuheben. 890  Siehe dazu oben S. 294 ff. 891  Siehe dazu oben S. 298.

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um bemühen, einen (gewissen) strukturellen Gleichlauf von Vorsatz- und Fahrlässigkeitsdelikt herauszuarbeiten. Sie greifen dabei – obwohl von unterschiedlichen Prämissen kommend – nahezu umfänglich auf den Begriff der „individuellen Erkennbarkeit“ bereits im (subjektiven) Unrechtstatbestand der fahrlässigen Straftat zurück. Uneinigkeit herrscht jedoch, wie deren (mehr oder weniger objektiver) Bezugspunkt auszusehen habe; damit verbunden erscheint die Einbettung in die für unabdingbar gehaltene Normentheorie nicht unproblematisch. Insbesondere ist es sodann als bemerkenswert zu bezeichnen, dass der Schuldbereich der fahrlässigen Delikte – obwohl grundsätzlich für wichtig erachtet – in der neueren Debatte schlichtweg kaum einer – wenn nicht sogar keiner – Thematisierung zu bedürfen erscheint (nicht beantwortet wird beispielsweise die Frage, ob denn das (potentielle) Unrechtsbewusstsein im Aufbau des fahrlässigen Delikts überhaupt noch eine Rolle zu spielen habe). Nicht verwundern kann uns also, wenn einige Autoren – den soeben referierten Gedanken gewissermaßen weiterführend – meinen, die Trennung von Unrecht und Schuld (auch) für die Fahrlässigkeitsstraftat nivellieren zu dürfen. Diese sind nun in den Blick zu nehmen.

B. Die Differenzierung in Unrecht und Schuld nivellierende Auffassungen In jüngster Zeit haben sich – aus historischer Sicht gesprochen: wieder einmal892 – verschiedene Literaturauffassungen herauskristallisiert, die meinen, auf die gesetzliche Differenzierung von Unrecht und Schuld verzichten zu können – und dies auch zu dürfen. Durch gegenseitige Zitierung vermitteln selbige den Anschein, als stünden sie auf demselben dogmatischen Fundament, als handle es sich um einen (relativ konsistenten) Meinungsblock. Dieser Schein trügt.

I. Ineinssetzende Lehren ohne spezifisch ausgearbeitete ­Fahrlässigkeitsdogmatik nach geltendem Recht Zum einen sieht sich die hier zu diskutierende Auffassung, die die Trennung von Unrecht und Schuld nivellieren will, insbesondere von Schülern Jakobs’ beeinflusst. Hatte sich Letztgenannter ursprünglich noch für ein abschichtendes, wenn auch rein funktional ausgerichtetes, Vorgehen ausge892  Verwiesen sei hier auf die rechtsgeschichtliche Herleitung, insbesondere auf die Auffassung von Hold v. Ferneck, siehe oben S. 81 ff.



B. Differenzierung in Unrecht und Schuld nivellierende Auffassungen321

sprochen893 (auf dessen Grundlagen wohlgemerkt auch seine Fahrlässigkeitslehre ruht894), ist er hierzu später (mehr oder weniger ausdrücklich) auf Distanz gegangen.895 Bemerkenswert ist insofern jedoch, dass auch noch seine im Jahre 1993 in Zweitauflage erschienene, in Gänze entfaltete Straftatlehre nicht ohne die – von Kritikern so bezeichnete – „Trennungsthese“ auszukommen scheint, formuliert Jakobs doch ausdrücklich Folgendes: „Ungeachtet der Entscheidung welcher Teil des gestuften Zurechnungsgefüges als Handlung bezeichnet wird, bleibt doch die Trennung von mindestens zwei Stufen: einer Zurechnung als Unrecht und einer Zurechnung als Schuld. Diese Trennung ist notwendig; denn für einen Teil der Zurechnung, eben für die Schuld, kann die Beziehung des Täters zu einem vorgehenden Teil, eben zum Unrecht, bedeutsam sein. Es geht vorweg um die Fähigkeit zur Einsicht in das Unrecht und zum Verhalten gemäß der Einsicht (§§ 17, 20, 21 StGB, § 3 JGG). Mit anderen Worten die erste Zurechnungsfrage, ob jemand durch sein Verhalten gegen eine Norm verstößt, sich also unrecht verhält, ist von der zweiten Zurechnungsfrage zu trennen, ob der Normverstoß durch einsichtiges Verhalten zu vermeiden war. Keine Norm kann nur für den Fall ihrer Erkennbarkeit gelten; denn sie muß als schon geltende Norm Gegenstand der Einsicht sein.“896 Bereits ein Jahr zuvor hatte er demgegenüber betont: „Nur wer die Verhaltensnorm als verantwortlicher, also als Schuldiger bricht, verstößt gegen diese Norm, und in diesem Normbruch kristallisiert der Strafzweck; denn dieser Normbruch ist die Beschädigung der Normgeltung.“897 Der Unrechtsbegriff verkommt bei Jakobs also zu einem aus strafrechtlicher Sicht bloßen „Hilfsbegriff“.898 Allerdings hält er diesbezüglich dann wiederum fest, dass er ausdrücklich nicht gegen die „Notwendigkeit, den Unrechtsbegriff als Hilfsbegriff zur Ermittlung der Schuld beizubehalten,“ argumentieren wolle; denn: „Die Trennung zwischen dem Unrecht als Regelverstoß und der Schuldhaftigkeit des Unrechts als Einstehenmüssen für den Verstoß [wird] logisch erzwungen, und zur Kennzeichnung dieser Unterscheidung mag man das allen 893  Siehe dazu oben S. 246 ff., wo aber bereits auf die von Jakobs im Laufe der Zeit vorgenommenen differierenden Schwerpunktsetzungen (insbesondere die verstärkte Ausrichtung an der Straftheorie Hegels) ausdrücklich hingewiesen worden ist. 894  Siehe dazu oben S. 298 f. 895  Siehe dazu aus dem Jahre 1992 Jakobs, Handlungsbegriff, insb. S. 41 ff.; sodann Jakobs, ZStW 107 (1995), 843 ff., 863 ff.; Jakobs, GA 1996, 253 ff.; Jakobs, GA 1997, 555 i. V. m. Fn. 9.; Jakobs, Rudolphi-FS, S. 119 ff., insb. 122. – Weitere vertiefende Literaturhinweise liefert Greco, GA 2009, 636 Fn. 6. 896  Jakobs, Strafrecht AT, 6 / 4. 897  Jakobs, Handlungsbegriff, S. 43 f. 898  Jakobs, Handlungsbegriff, S. 43 f.

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Unrechtstatbeständen Gemeinsame die Unrechtshandlung nennen.“899 Einerseits halten ihn also logische Zwänge zur Trennung an,900 andererseits scheint ihn die Verhaltensnormtheorie zur Aufhebung derselben zu nötigen. Dabei ist Folgendes insgesamt als auffällig zu bezeichnen: Je konkreter, praxisnäher er formuliert (wie es in seiner allgemeinen Straftatlehre geschieht), desto deutlicher tritt die Differenzierung von Unrecht und Schuld zu Tage; wandelt er hingegen auf eher rechtsphilosophischen (insbesondere von Hegel beeinflussten) Pfaden, nimmt Jakobs also nicht das gesetzliche (Gesamt-)System zum Ausgangspunkt der ihn bewegenden Fragestellung, ist eine nivellierende Tendenz unverkennbar. Einfach gewendet: Je mehr Hegel, je mehr Argumentation „de lege ferenda“901, je mehr Rede in einem „übertragenen Sinne“902, desto leichter scheint eine Verabschiedung von der Trennung von Unrecht und Schuld. 1. Primär rechtsphilosophisch fundierte Untrennbarkeitsthesen Insbesondere Lesch und Pawlik, beide Schüler von Jakobs, folgen ihm in das Gebiet der Rechtsphilosophie. Nicht das Gesetz ist Ausgangspunkt der Strafrechtsdogmatik, sondern die Ideen Hegels. Besonders schön formuliert das Lesch: „Eine tatschuldorientierte, normativ-funktionale Revision des Verbrechensbegriffs kann nicht auf dem Feuerbach-v. Lisztschen, sondern nur auf dem Hegelschen Wege gelingen.“903 Auf Grundlage der für notwendig erachteten funktionalen Neubestimmung – „kurz: Unrecht, Norm und Strafzweck sind auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen“904 – schließt er, dass strafrechtliches Unrecht als objektive Pflichtverletzung (und gerade nicht als äußerlich-kausale Rechtsguts(objekts)verletzung) zu konstruieren sei, es gehe – mit Hegel gesprochen – „nicht um dasjenige, was (in einem rein empirischen Sinne) ist (das Unvernünftige), sondern um 899  Jakobs,

Handlungsbegriff, S. 43 (Hervorhebung im Original). (Jakobs, Rudolphi-FS, S. 122) räumt er die ursprünglich aufgewiesenen logischen Zwänge jedoch – ohne nähere Begründung – schlicht bei Seite: „Wer Zusammengehörendes aus liebgewordener Gewohnheit scheidet (eben wegen der üblichen und bequemen Didaktik des Deliktsaufbaus), muss mit Bedeutungsverlusten rechnen (er kann die Tatbestandsunkenntnis aus Rechtsgleichgültigkeit nicht formulieren).“ 901  Vgl. beispielsweise Jakobs, GA 1996, 254: „In strafrechtlicher Sicht unterscheidet sich die rechtswidrige Tat eines Schuldlosen oder Entschuldigten von natürlichen Vorgängen nun einmal nicht. Die limitierte Akzessorietät des positiven Rechts entpuppt sich damit als eine seltsame Konstruktion“. 902  Vgl. dazu bereits die Feststellungen von Schmidhäuser, GA 1998, insb. 376 f., zu Köhlers (ebenfalls an Hegel) ausgerichteter Straftatlehre. 903  Lesch, Verbrechensbegriff, S. 173. 904  Lesch, Verbrechensbegriff, S. 185. 900  Später



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dasjenige, was nicht ist (das Vernünftige, Gesollte)“.905 Es komme im Rahmen der Unrechtszurechnung also nicht darauf an, „was der Täter – faktisch – will, sondern darauf, ob das was er will, dem entspricht, was er – normativ – wollen soll“.906 In einem solchen System erscheinen Tat und Täter als untrennbare Einheit, Unrecht und Schuld als nicht unterscheidbar:907 „Straf­ unrecht ist danach kein bloßer ‚Hilfsbegriff‘ zur Ermittlung von Schuld, sondern Strafunrecht ist die strafrechtliche Schuld selbst, soweit man diese Schuld im Sinne des Tatschuldprinzips als per Strafe auszugleichende soziale Störung definiert – und eine andere Definition kommt nicht in Betracht, weil ein Schuldausgleich ohne gesellschaftliche Funktion nicht legitimiert werden kann“.908 „Unrechtsbegründung im Strafrecht ist damit durch und durch eine Frage objektiver Zurechnung“.909 Es gehe bei Strafe „ausschließlich um die Negation der Tat, nicht um die Abwertung des Täters“; „Schuld ist immer Tatschuld, keine Täterschuld, scil. keine falsche Willensbildung, keine falsche ‚Steuerung seelischer Antriebe‘, kein fehlerhafter Motivationsprozess, keine mißbilligenswerte subjektive Einstellung oder Haltung des Täters zum Recht (namentlich kein inneres Manko an rechtlicher Gesinnung resp. Rechtstreue), sondern falsche Willensverwirklichung, die soziale Störung selbst, d. h. der Normwiderspruch, der besondere Wille, das individuelle Gesetz des Täters, das sich in der Tatsituation für die unrealisierte Geltungserwartung subsituiert.“910 Eine solche Ausdeutung mag man auf der Grundlage von Hegels Rechtsphilosophie für zwingend halten; dem Gesetz mit seiner Trennung von 905  Lesch,

Verbrechensbegriff, S. 204. Verbrechensbegriff, S. 204. 907  Warum sich aber – wenn man Hegels Prämissen nicht, wie Lesch es tut, verabsolutiert – Unrecht und Schuld ausschließlich durch eine Entgegensetzung von Tat und Täter beschreiben lassen sollen, weist Lesch nicht nach. Hängt dies womöglich damit zusammen, dass er (zwischen der naturalistischen Auffassung von v. Liszt einerseits und der aus seiner Sicht normativierenden von Hegel andererseits) differenzierende Positionen nicht zur Kenntnis nehmen will? Ein solcher Eindruck drängt sich jedenfalls auf, wenn man sich die Ausführungen von Lesch, JA 2002, insb. 604 f., beschaut. Dort unterlässt er beim Aufweis der „dogmatischen Ungereimtheiten im Schuldbereich“ nämlich eine Auseinandersetzung mit dem materiellen Gesinnungsschuldbegriff. Dieser wird später lediglich „miterledigt“, en passent für abwegig erklärt (vgl. a. a. O., 609); es stellt sich insofern die Frage, ob hier nicht nach dem Prinzip: „Es kann nicht sein, was nicht sein darf!“ verfahren wird. – Auch Heuchemer, Erlaubnistatbestandsirrtum, siehe nur S. 23 i. V. m. Fn. 13, S. 38 ff., 104 ff., 275 ff., zusammenfassend 353 ff., folgt Lesch in der „Überwindung der Zersplitterung des Verbrechensbegriffs in seine einzelnen ‚Systemteile‘ “, und findet dieses Ergebnis rechtstheoretisch abgesichert durch die normative Zurechnungslehre Hegels. 908  Lesch, Verbrechensbegriff, S. 205, vgl. auch zusammenfassend S. 277. 909  Lesch, Verbrechensbegriff, S. 204. 910  Lesch, Verbrechensbegriff, S. 206. 906  Lesch,

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Unrecht und Schuld liegt sie ersichtlich nicht zugrunde. Jedenfalls kann eine ausführlichere Diskussion dieser Auffassung auch bereits deshalb nicht erfolgen, da es schlicht an einem ausgearbeiteten Fahrlässigkeitsmodell mangelt.911 Die in die selbe Kerbe schlagenden Ausführungen von Pawlik bedürfen aus gleichgelagerten Gründen keiner dezidierten Auseinandersetzung. Es ist allerdings einzuräumen, dass seine Erwägungen weniger stark auf (mit Absolutheitsanspruch auftretenden) rein rechtsphilosophischen Prämissen fußen; ungeachtet dessen nehmen selbige den zentralen Platz in seiner Strafrechtstheorie ein. So betont Pawlik dem Ansatze nach zwar absolut zu recht, dass „zwischen Verbrechensbegriff und Strafbegründung ein untrennbarer Zusammenhang besteht“,912 meint dann aber (leider vorschnell, ohne sich ausdrücklich mit anderen im Schrifttum zu dieser Problematik entwickelten Ansätzen beschäftigt zu haben913), diesen Zusammenhang nur unter direktem Rekurs auf die Rechtsphilosophie von Hegel nachweisen zu können: Das Delikt müsse „vorrangig als Angriff auf die rechtlich verfasste Daseinsordnung von Freiheit – in der Terminologie Hegels gesprochen: als Verletzung des Rechts als Recht – begriffen werden.“914 „Wer kein subjektiv zurechenbares Unrecht begeht, der begeht überhaupt kein kriminalrechtlich relevantes Unrecht.“915, 916 Neben der Überbetonung der Rechtsphilosophie 911  Freilich ist anzuerkennen, dass einige der von Lesch, Verbrechensbegriff, S. 227 ff., insbesondere zum unerlaubten Risiko entwickelten Thesen nicht nur auf der Grundlage seines ganz bestimmten rechtsphilosophischen Systems bedenkenswert erscheinen. Man beachte nur dessen gleichlaufende Bestimmung der „ ‚tatbestandsmäßigen‘ Handlung“ bei Vorsatz- und Fahrlässigkeitsdelikt, insb. S. 249 ff., sowie zusammenfassend S. 279 f. 912  Pawlik, Otto-FS, S. 140. – Siehe dazu ferner – den mit guten Gedanken gespickten Aufsatz von – Pawlik, Jakobs-FS, S. 469 ff, insb. S. 478 Fn. 56, S. 490 f., S. 494 f. Dort (a. a. O., S. 474) gelangt er exemplarisch auch zu folgender Sacheinsicht: „Zu Recht hat Hegel sich gegen die Vorstellung gewandt, daß durch die systematische Entwicklung des philosophischen Rechtsbegriffs ‚ein positives Gesetzbuch, d. i. ein solches, wie der wirkliche Staat eines bedarf, herauskommen‘ könne.“ 913  Hingewiesen sei bereits hier auf die gesamtsystematisch eingebettete Lehre von der tatbestandsmäßigen Strafwürdigkeit, erstmals entfaltet bei Langer, Sonderverbrechen, S. 327 ff., 360 ff.; sowie in jüngster Zeit bei Langer, Die Sonderstraftat, S.  141 ff., und Langer, Otto-FS, 107 ff. 914  Pawlik, Otto-FS, S. 142. – Siehe auch Pawlik, Jakobs-FS, S. 483. Ausführlich dazu noch Pawlik, Person, Subjekt, Bürger, S. 76 ff. 915  Pawlik, Person, Subjekt, Bürger, S. 79. – Zunächst hat es den Anschein, als könnte dem auch die ganz überwiegende Meinung zustimmen. Allerdings verlangt Pawlik für die „subjektive Zurechnung“ (terminologisch unglücklich), die Fähigkeit das eigene „Handeln an ‚Normsinngehalten‘ “ ausrichten zu können; die herrschende Meinung würde hier wohl von „Schuld“ sprechen. 916  Daneben sei aber noch exemplarisch darauf hingewiesen, dass Pawliks Ablehnung der Trennung von Unrecht und Schuld augenscheinlich von der (freilich un-



B. Differenzierung in Unrecht und Schuld nivellierende Auffassungen325

ist aber auch hier die Tatsache von größerem Gewicht, dass es schlussendlich an einem ausformulierten Fahrlässigkeitskonzept mangelt.917 Auch die Ausführungen Sinns stützen sich nicht unmaßgeblich auf die Hegelschen Stellungnahmen zur Straftheorie; alles dreht sich um folgende – wohl für unumstößlich gehaltene – Prämissen: „Die Straftat ist die äußerlich gewordene Verneinung des Rechts und deshalb die Begehung einer Straftat Kommunikation über die Geltung des Rechts. Die Straftat muss deshalb als Unrecht begriffen werden. Dieser Unrechtsbegriff muss funktional auf die Rechtsfolge ‚Strafe‘ abgestimmt werden.“918 Begründet wird richtigen) Überzeugung getragen ist, die (schuldlose) Unrechtskategorie könne „lediglich negativ bestimmt“ werden, ihr werde „kein positiver systematischer Eigengehalt zugesprochen“ (Pawlik, Otto-FS, S. 137, Hervorhebungen im Original). Wäre dem wirklich so, d. h. der Prüfungsaufbau eine bloße Frage der Didaktik (vgl. auch a. a. O., S.  148), wäre Pawliks Kritik als beachtlich einzustufen. Dass es sich hierbei jedoch um eine Fehleinschätzung handelt, ist später noch ausdrücklich aufzuweisen, siehe unten S. 390 ff.; hier nur soviel: Den Deliktskategorien liegen eindeutig abschichtbare Unwertsachverhalte zugrunde. 917  Auch die „älteren“, Unrecht und Schuld ineinssetzenden Auffassungen, einerseits von v. der Linde, Rechtfertigung und Entschuldigung, S. 135 ff., der sogleich nach zahlreichen neuen Vorschriften de lege ferenda ruft (a. a. O., S. 289 f.), sowie andererseits von Schild, Straftat, S. VI, insb. S. 38 ff., 69 ff., 129 f., 134, der seine Arbeit unter den Programmsatz Hegels „Das Wahre ist das Ganze“ stellt, können hier aufgrund ihrer für den Aufbau der Fahrlässigkeitsdelikte lediglich am Rande erzielten Ergebnisse nicht ausführlich behandelt werden. Notabene: Zwar lehnt Schild (a. a. O., S. 130) aus „substantieller Sicht“ eine Trennung von Unrecht und Schuld ab, im Rahmen der Fallprüfung soll dann aber Folgendes gelten: „Im Fallprüfungsschritt ‚Rechtswidrigkeit‘ ist das Verhalten unabhängig von der Frage der Schuldfähigkeit zu untersuchen, die Rechtswidrigkeit ist auch in gleicher Weise sowohl für Schuldfähige als auch für Schuldunfähige zu begründen. Ebenso kann es durchaus sinnvoll sein, von ‚Unrecht‘ im Zusammenhang mit Zurechungsunfähigkeit zu sprechen: etwa im Bürgerlichen Recht oder Entmündigungsrecht, aber auch in Bezug auf die Maßnahmen im Strafrecht und den ‚rechtswidrigen‘ Angriff als Voraussetzung der Notwehr.“ Eine solche Grundlegung ist bereits auf den ersten Blick ungeeignet, Fundament für eine konsistente Strafrechtsdogmatik zu sein. Vgl. zu seiner Auffassung ferner AK-Schild, Vor §§ 13, insb. Rn. 64 ff., 133, 197 ff. – Auch der die Trennung von Unrecht und Schuld ablehnende Koriath, Zurechnung, zusammenfassend S. 304, 329, versucht kein eigenständiges Fahrlässigkeitskonzept zu entwickeln; er konzediert lediglich ein (aus seiner Sicht wohl unauflösbares) „Dilemma der Fahrlässigkeit“ (a. a. O., S. 655 ff.). – An späterer Stelle ist noch darauf einzugehen, ob durch die (auf gute Gründe gestützte) Ablehnung des Begriffs der „Rechtspflicht“, verstanden als „das konkrete Sollen eines individuellen Normadressaten in einer bestimmten (zeitlich-räumlich fixierten) Situation“ (so Hoyer, Strafrechtsdogmatik, zusammenfassend S. 79  ff.), dazu führen muss, die gesetzliche Trennung von Unrecht und Schuld zu negieren (a. a. O., S. 84 ff., zusammenfassend S.  120 f.). Zu Hoyers Konzept der Fahrlässigkeit vgl. a. a. O., S. 233 ff. 918  Sinn, Gießen-FS, S. 334. – Sinn, Straffreistellung, versucht seine „Einheits­ these“ insbesondere soziologisch abzusichern. So untersucht er unterschiedlichste

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die Ablehnung der im Gesetz angelegten Gegenauffassung – der nahezu allgemeinen Meinung – hauptsächlich (oder gar ausschließlich) mit folgender Argumentation: „Die Notwendigkeit der Zerteilung des Verbrechens in objektives (Tat)Unrecht und subjektive (Täter)Schuld lässt sich, wie gesehen, dogmengeschichtlich nicht nachweisen.“919 Nur: Eine solche – wie Sinn es nennt – „Zerteilung des Verbrechens“ in objektive Gesichtspunkte, dann Unrecht, und subjektive Gesichtspunkte, dann Schuld, vertritt (heute) niemand (mehr). 2. Die primär auf rechtspolitischen, rechtskonstruktiven Erwägungen fußende Ineinssetzung von Unrecht und Schuld Einen differierenden Anknüpfungspunkt – ohne ausdrückliche (Rück-) Anbindung an die Rechtsphilosophie – wählt dagegen Walter. Dessen „postfinalistisches Verbrechensmodell nimmt seinen Ausgang von der Erkenntnis, daß Unrecht und Schuld eine unlösbare Einheit sind.“920 Und dies aus folgendem Grund: „Das Recht ist, sofern man dagegen verstoßen kann, eine Pflicht. Unrecht ist ein Pflichtverstoß. Unrecht setzt also ein Verhalten voraus und kommt als solches vor oder nach den Zuständen, weil es sie herbeiführt oder ihnen nicht abhilft. Ausgangspunkt sind die materiellen Sorgfaltsmängel: Sie zu vermeiden ist die Aufgabe der Rechtsgenossen.“921 Walter kommt sodann zum entscheidenden Punkt: Um einen Sorgfaltspflichtverstoß zu begehen, müsse „es dem Handelnden […] möglich sein, sich anders: sorgfaltsgerecht zu verhalten (impossibilium nulla obligatio).“922 Diesen zentralen Satz seiner Straftatsystematik erläutert er im direkten Anschluss nochmals eindringlich: Zum einen müsse das Alternativverhalten dem Handelnden äußerlich, zum anderen aber auch innerlich möglich sein; und letzteres setze gerade Folgendes voraus: „Der Handelnde muß eine Ahnung davon haben, daß er sorgfaltswidrig agiert. Denn anderenfalls ist pflichtgemäßes Verhalten höchstens als Zufall denkbar, doch nicht als Leistung rechtstreuer Willensbildung, und es soll doch gerade die Rechtstreue (Normgemäßheit) der Willensbildung sein, die Schuld und Unrecht unter„Machttheorien“ (a. a. O., S. 45 ff.), und kommt auf deren Grundlage – nach zwischenzeitlicher machttheoretischer Spurensuche bei verschiedenen Strafrechtlern (a. a. O., S. 143 ff.) – schlussendlich zum Ergebnis, dass nur schuldhaftes Unrecht als „Machtmissbrauch“ qualifiziert werden könne (a. a. O., insb. S. 287 ff., zusammenfassend S.  372 ff.). 919  Sinn, Gießen-FS, S. 334. – Vgl. zu dieser Ausdeutung – an ganz zentraler Stelle – ebenfalls noch Sinn, Straffreistellung, S. 373. 920  Walter, Der Kern des Strafrechts, S. 80. 921  Walter, Der Kern des Strafrechts, S. 83. 922  Walter, Der Kern des Strafrechts, S. 83.



B. Differenzierung in Unrecht und Schuld nivellierende Auffassungen327

scheidet. Von jemandem Zufall zu verlangen ist aber ebenso sinnlos, wie Unmögliches zu verlangen. […] Also verlangt Unrecht das Bewußtsein, anders handeln zu sollen, und die Fähigkeit, tatsächlich diesem Bewußtsein gemäß zu handeln“; und da das Unrechtsbewusstsein gemeinsam mit der Steuerungsfähigkeit den Schuldbegriff ganz und gar ausfülle, stehe unweigerlich fest: „kein Unrecht ohne Schuld.“923 Später – in seinen Ausführungen zum von ihm präferierten „postfinalistischen Schuldbegriff“ – hält er dann aber fest: „Daß es schwerfällt, mit unserem Schuldbegriff die Haftung für unbewußte Fahrlässigkeit zu erklären, ist ebenfalls kein Mangel dieses Schuldbegriffs, sondern deckt nur auf, daß die besagte Haftung mitunter zweifelhaft ist und im Strafrecht Zurückhaltung verlangt. Daher ist auch § 17 [StGB] mit dem postfinalistischen Schuldbegriff nicht vereinbar, insofern er (unbewußte) Fahrlässigkeit wie reguläre Schuld behandelt.“924 Nicht zuletzt aufgrund dieser (vermeintlichen) Unvereinbarkeit sieht sich Walter gezwungen, eine eigene Straftatsystematik zu entwickeln; er formuliert eine Irrtumsdogmatik aus, die die (auch) für die Fahrlässigkeitsdelikte zentralen §§ 15 ff. StGB gänzlich neu fasst, und die er in seine „modellhafte“ Verbrechenslehre eingebettet wissen will.925 Ein solches systematisches Herangehen – mag es de lege ferenda auch noch so berechtigt erscheinen – ist und bleibt aber ein rechtspolitisches. Es kann für die aktuelle gesetzliche Straftatsystematik allenfalls indirekte Bedeutung erlangen. Da der hiesige Ansatz der Grundüberzeugung geschuldet ist, die „im Moment“ verbindlichen gesetzlichen Vorgaben für den Aufbau der Fahrlässigkeitsstraftat heranzuziehen, steht unweigerlich fest, in nur welchem Sinne Walters Vorgaben Berücksichtigung finden können: nämlich mittelbar.

923  Walter,

Der Kern des Strafrechts, S. 84. Der Kern des Strafrechts, S. 116 f. 925  Vgl. nur Walter, Der Kern des Strafrechts, S. 196 ff., tabellarischer Überblick seines Straftatmodells auf S. 212 f., konkrete Gesetzesvorschläge zur Irrtumslehre auf S. 443 ff. – In systematischer Hinsicht bleibt allerdings unklar, warum Walter, a. a. O. S. 241 bis S. 367, die von Welzel geprägte Schuldtheorie als – man könnte sagen – „gegeben“ akzeptiert, sie als alleinigen Ausgangpunkt der Diskussion heranzieht und nicht selbständig versucht, die de lege lata vorhandenen Vorschriften (in seinem Sinne) bestmöglich zu interpretieren. Wohlgemerkt: Sämtliche Vorschläge der Vorsatztheorie (a. a. O., S. 428 ff.) werden auf nicht einmal zwei Seiten (des ohne Literaturverzeichnis über 450 Seiten zählenden Buches) behandelt und insbesondere in der von Schmidhäuser und Langer geprägten Variante mit der bloßen Behauptung: „Natürlich hat sich § 17 [StGB] für die Schuldtheorie entschieden“ verworfen. – Weitere kritische Bemerkungen finden sich bei Gössel, GA 2007, 604 f., und Kuhlen, ZStW 120 (2008), 146 ff.; vgl. ferner Heger, JZ 2008, 35 f. 924  Walter,

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Kap. 3: Kritische Darstellung des aktuellen Sach- und Streitstandes

II. Die Verhaltensnorm als Unrecht und Schuld verschmelzende Kategorie Den vorstehend aufgewiesenen Auffassungen war gemein, eine (strafrechtliche) Trennung von Unrecht und Schuld für unmöglich zu erachten. Auch der nun zu diskutierende Ansatz von Freund und Kremer-Bax verfolgt ein ebensolches Ziel, unterscheidet sich aber von den zuvor genannten nicht unmaßgeblich dadurch, dass ihm ein (auch) für die Fahrlässigkeitsstraftat ausgearbeitetes (Gesamt-)Konzept zu Grunde liegt; der Aufbau des fahrlässigen Deliktes wird bei beiden Autoren umfassend – auch die Einzelheiten betreffend – hinterleuchtet. Zwar weist Freund insbesondere in einer jüngeren Veröffentlichung darauf hin, dass die „Zeit […] reif“ sei, die Prämissen seiner Fahrlässigkeits- und Straftatlehre (besser) zu kodifizieren;926 grundsätzlich hat man ihn – im Gegensatz zu Walter – aber so zu verstehen, dass sein Konzept ungeachtet der angeregten Gesetzesvorschläge bereits de lege lata Relevanz entfaltet.927 Freund und Kremer-Bax verfechten einen dezidiert normentheoretischen Ansatz. Beide halten die derzeit im Schrifttum (noch) vorherrschende Meinung mit ihrer insbesondere beim Fahrlässigkeitsdelikt „zweistufig“ ausgerichteten Prüfung für einen bloßen „Zwischenschritt im Rahmen eines Systemwandels“:928 Als abgeschlossen könne dieser Umwälzungsprozess schon deshalb nicht bezeichnet werden, da die herrschende Literatur dem Aspekt der Verhaltens- bzw. (nach althergebrachter Terminologie) der Bestimmungsnorm noch immer nicht genügend Rechnung trage.929 Ein Konzept, das (mehr oder weniger) bloße Verursachungsverbote statuiere, stifte allenfalls Verwirrung darüber, welche Verhaltensweisen nun rechtlich zu beanstanden seien und welche nicht.930 Sachgerecht könne (echtes) personales Verhaltensunrecht nur „unter Einschluss der bisherigen Rechtfertigungsund Schuldaspekte“ erfasst werden.931 Beide Autoren bekennen sich dann auch zur (zwischenzeitlich überwunden geglaubten) „Imperativentheorie“.932 926  Siehe zu den Gesetzesvorschlägen für die allgemeinen Kriterien einer Straftat, fahrlässiges, sowie vorsätzliches Verhalten Freund, Küper-FS, S. 78, 82. – Auch für den Bereich des „begehungsgleichen Unterlassens“ (§ 13 StGB) wartet Freund, Herzberg-FS, S. 243, mit einer neuen Gesetzesfassung auf. 927  Vgl. Freund, Küper-FS, S. 79, 82. 928  Siehe nur Freund, Küper-FS, S. 69. 929  Ausführlich dazu Freund, Strafrecht AT, § 5 Rn. 16  ff., sowie Kremer-Bax, Verhaltensunrecht der Fahrlässigkeitstat, S. 31 ff., 183. 930  Siehe Freund, Strafrecht AT, § 1 Fn. 19. 931  So bereits im Vorwort zur Erstauflage, Freund, Strafrecht AT, VII. 932  Freund, Strafrecht AT, § 5 Fn. 31; Kremer-Bax, Verhaltensunrecht der Fahrlässigkeitstat, S. 184 ff. – Man beachte dazu aber auch oben Fn. 8 (Kap. 3). Beide



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Ausgangspunkt der (Fahrlässigkeits-)Straftatprüfung hat nach Freund und Kremer-Bax immer die Frage nach dem tatbestandsmäßigen Verhalten zu sein.933 Da dessen Nachweis jedoch gerade kein Spezifikum der fahrlässigen Delikte sei, sondern vielmehr ein allgemeines Kriterium darstelle, kommen beide dann auch schnell dahin, das Verhältnis von Vorsatz- und Fahrlässigkeitsstraftat nicht als das von Alia anzusehen, sondern als eines von Plus zu Minus; es bedürfe eben immer eines spezifischen, rechtlich missbilligten Fehlverhaltens.934 Man könne gar sagen, „dass das fahrlässige Verhalten der Grundtyp personalen Fehlverhaltens ist.“935 Konkretisierbar sei dieser Typus einzig durch Herausarbeitung der allgemeinen Kennzeichen tatbestandsmäßigen Verhaltens. So bedürfe es zur „Begründung eines entsprechend tatbestandsmäßig missbilligten Verhaltens […] der sachlichen Legitimation einer spezifischen Verhaltensnorm (in Form eines Ver- oder Gebots), gegen die der Betroffene verstoßen haben soll.“936 Um eine Verhaltensnorm handele es sich etwa bei dem Verbot „Du sollst nicht töten!“, das man für den in Rede stehenden Einzelfall freilich noch genauer zuzuschneiden habe.937 Einhergehend mit der (bereits oben erwähnten) Fähigkeit des Normadressaten, dem Normappell entsprechen zu können („Ultra posse nemo obligatur!“),938 bedürfe es zur Legitimation im speziellen Fall (als Minimalbedingungen) nun zunächst der Erkennbarkeit und Vermeidbarkeit der Eröffnung einer bestimmten dürften (vereinfacht gesprochen) eine im Rahmen des Strafrechts nicht zwischen Unrecht und Schuld differenzierende Lehre von der Bestimmungsnorm vertreten. Erinnert sei exemplarisch daran, dass Binding – obwohl nach Selbsteinschätzung gerade kein Vertreter der Imperativentheorie (Normen I, S. 101 ff.) – zu der zu Freund und Kremer-Bax nicht unähnlichen Lehre vom sog. „Deliktsring“ gelangte, oben S.  52 ff. 933  Insofern knüpft Freund tatsächlich an die Herangehensweise seines Lehrers Frisch an, siehe zu dessen Konzept oben S. 312 ff. Gewichtige Unterschiede bestehen aber zwischen beiden (und insofern sind die Äußerungen bei Duttge, Bestimmtheit, S. 114 ff., insb. Fn. 582, bestenfalls mehrdeutig), wo es um die Ausgestaltung des Gefahrbegriffs (insbesondere dessen Perspektive) geht. Freund verficht gerade keine prononciert „objektive“ Bestimmung des (unerlaubten) Risikos (vgl. aber auch die von Duttge, a. a. O. Fn. 618, zitierte, leicht missverständliche Formulierung bei Freund, Erfolgsdelikt und Unterlassen, S. 167, klarstellend dazu aber bereits Freund, a. a. O., S. 56 ff.), weiterführendes sogleich im Fließtext. – Notabene: Auch verwirft Frisch gerade nicht die gesetzliche Differenzierung in Unrecht und Schuld. 934  Siehe nur Freund, Küper-FS, S. 69 f.; ferner noch Kremer-Bax, Verhaltensunrecht der Fahrlässigkeitstat, S. 15 ff. 935  Freund, Küper-FS, S. 79. 936  MK-Freund, Vor §§ 13 ff. Rn. 133 (Hervorhebung im Original). 937  Freund, Strafrecht AT, § 1 Rn. 6. 938  Siehe MK-Freund, Vor §§  13 ff. Rn.  135 ff.

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Kap. 3: Kritische Darstellung des aktuellen Sach- und Streitstandes

Schädigungsmöglichkeit.939 Zur Ermittlung dessen habe man folgende Perspektive zugrunde zu legen: Einzig relevant seien die „für den Handelnden oder Unterlassenden verfügbaren Fakten unter Berücksichtigung seiner individuellen Verhältnisse“940 (und zwar aus einer ex ante-Sicht, da man anderenfalls die verhaltensanleitende Funktion der Norm verunmögliche).941 Aber nicht nur an dieser Stelle, sondern vielmehr insgesamt, d. h. bei der Prüfung des rechtlichen Vermeidenmüssens in toto komme ausschließlich diese rein individuelle Beurteilungsperspektive zur Anwendung. Dies hängt nach jenem Ansatz schon damit zusammen, „dass die drei Merkmale der Erkennbarkeit, Vermeidbarkeit und des Vermeidenmüssens keineswegs unverbunden nebeneinander [stehen]; das Handeln im Rahmen des tolerierten Risikos begrenzt von vornherein die rechtlich relevante Fahrlässigkeit, d. h. strafrechtlich relevant ist nur die Erkennbarkeit und Vermeidbarkeit eines Risikos, das außerhalb eines tolerierten Bereichs liegt.“942 An dieser Stelle offenbart sich der Charakter der Verhaltensnorm als zahlreiche – zumindest bisher als heterogen ausgewiesene – Aspekte vereinnahmende „Superkatego­ rie“:943 Sie habe, um legitimierbar zu sein, dem verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu genügen und müsse dementsprechend den 939  Freund, Strafrecht AT, § 5 Rn. 42 ff.; Kremer-Bax, Verhaltensunrecht der Fahrlässigkeitstat, S. 45 ff. (man beachte jedoch, dass Kremer-Bax, a. a. O., Fn. 12, gerade entgegen des von ihr zu Bestätigungszwecken angeführten Zitats nur „WissenKönnen“, nicht aber „Wissen“ verlangt). – Hingewiesen sei hier noch darauf, dass Freund und Kremer-Bax die Legitimationsgründe der Verhaltensnormen zunächst noch weit abstrakter beschreiben. So kämen zur Legitimation der mit jedem Veroder Gebot verbundenen Einschränkung der grundgesetzlich verbürgten allgemeinen Handlungsfreiheit lediglich zwei Aspekte in Betracht. Einerseits diene der Rechtsgüterschutz als primäres und grundlegendes Legitimationsdatum, andererseits fungiere eine etwa vorhandene rechtliche Sonderverantwortlichkeit als zusätzliches Moment. Die hier interessierenden, d. h. von den Fahrlässigkeitsdelikten vorausgesetzten Verhaltensnormen sind nach jenem Konzept allesamt als „doppeltfundiert“ zu bezeichnen, d. h. sie dienen dem Rechtsgüterschutz, wie sie auch eine Sonderverantwortlichkeit des Täters voraussetzen. Ausführlich zum Ganzen Freund, Strafrecht AT, § 2 Rn. 10 ff., 16 ff., siehe ferner § 5 Rn. 14; MK-Freund, Vor §§ 13 ff. Rn. 134, 135 ff., 153 ff.; Kremer-Bax, Verhaltensunrecht der Fahrlässigkeitstat, S. 23 ff. – Zur Güterund Interessenabwägung siehe sogleich im Fließtext. 940  Freund, Küper-FS, S. 74 f. 941  Siehe zum Ganzen Freund, Strafrecht AT, § 2 Rn. 23  ff.; MK-Freund, Vor §§  13 ff. Rn.  179 ff.; Kremer-Bax, Verhaltensunrecht der Fahrlässigkeitstat, S. 55 ff. 942  Kremer-Bax, Verhaltensunrecht der Fahrlässigkeitstat, S. 46. 943  Man führe sich (nochmals) eindringlich vor Augen, dass die Verhaltensnorm unter anderem durch die Momente der Schuldfähigkeit, des Gefahrbegriffs, der Rechtsgutsverletzung, des (potentiellen) Tat- und Unrechtsbewusstseins und des erlaubten Risikos, sowie der Sache nach auch durch die Rechtfertigungsgründe geprägt sein soll. – Freund, Strafrecht AT, § 3, versucht den Unrechtsausschlussgründen (zumindest beim Vorsatzdelikt, vgl. jedoch § 5 Rn. 59) aber einen gewissen ­eigenständigen, formalen Bereich zu bewahren; so spricht er – bevor er die Recht-



B. Differenzierung in Unrecht und Schuld nivellierende Auffassungen331

Kriterien der Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit Rechnung tragen; sie sei der „Ort“ der umfassenden Interessenabwägung.944 Im (etwaig stattfindenden) Strafverfahren habe man sich also „einfühlend“ zu fragen, „ob das gezeigte ‚Verhalten‘ aus der maßgeblichen Perspektive dieser Person vermeidbar war und von Rechts wegen vermieden werden mußte.“945 Der Gefahr einer gänzlichen Ausforschung des Individuums946 wollen Freund und Kremer-Bax sodann mit folgender Überlegung entgegen treten: „Im konkreten Einzelfall [muß] die gebotene Wertabwägung ergeben, daß die Erforschung von bestimmten individuellen Umständen bei der prozessualen Tatsachenfeststellung deshalb gerechtfertigt ist, weil die dabei erreichbare Annäherung an die materielle Wahrheit Vorrang vor der gleichzeitig eintretenden Beeinträchtigung der Persönlichkeitsrechte des Angeklagten hat.“947 Neben der erforderlichen Legitimation der Verhaltensnorm soll personales Verhaltensunrecht – wie bereits angedeutet – aber noch Weiteres voraussetzen. So müsse das „Erfordernis hinreichend gewichtigen Fehlverhaltens“ erfüllt sein.948 Mit dieser (wohl dem Bereich der sog. Sanktionsnorm949 zuzuschlagenden) Frage sollen unter anderem solche Fälle erfasst werden, die nach herrschender Terminologie (regelmäßig) unter den Bereich der fertigungsgründe thematisiert – bloß von „grundsätzlich“ tatbestandlicher Verhaltens­ missbilligung. 944  Freund, Strafrecht AT, § 1 Rn. 17 ff.; MK-Freund, Vor §§  13 ff. Rn.  163 ff.; Kremer-Bax, Verhaltensunrecht der Fahrlässigkeitstat, S. 65 ff. – Gerade mit der ­Verortung der umfassenden Güter- und Interessenabwägung hatte sich insbesondere die „herrschende Meinung“ äußerst schwer getan, siehe nochmals oben S. 211 f., 193 f. 945  Kremer-Bax, Verhaltensunrecht der Fahrlässigkeitstat, S. 165 f. – Die weiterführenden, exemplifizierenden Bemerkungen von Kremer-Bax, a. a. O., S.  129 ff., insb. 139 ff., wann denn von einem Vermeiden-Müssen gesprochen werden kann, können hier nicht ausführlich wiedergegeben werden; herangezogen werden von dieser zur Bestimmung dessen beispielsweise personale Faktoren (psychische und intellektuelle Fähigkeiten, etwa das allgemeine Erfahrungswissen, die Urteilskraft des Individuums), sowie situative Faktoren (z. B. die Entscheidungszeit, der „Anlaß“ zur individuellen Erkennbarkeit der Gefahrensituation). 946  Man beachte aber die in diese Richtung gehende Kritik von Frisch, in: Straftat, S. 194. 947  Kremer-Bax, Verhaltensunrecht der Fahrlässigkeitstat, S. 169, unter Hinweis auf Freund, Normative Probleme der „Tatsachenfeststellung“, S. 43. 948  Freund, Strafrecht AT, § 2 Rn. 37 f., § 4; MK-Freund, Vor §§  13 ff. Rn.  207 ff., 237 ff. 949  Die „Sanktionsnormen“ des Strafgesetzbuches – beispielsweise das „(‚Wer einen Menschen tötet …, wird … bestraft‘, § 212 I)“ – sollen ein Verhaltensnormsystem, eine im oben geschilderten Sinne geprägte, primäre Normenordnung voraussetzen, siehe dazu Freund, Strafrecht AT, § 1 Rn. 9 ff.

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Kap. 3: Kritische Darstellung des aktuellen Sach- und Streitstandes

Entschuldigungsgründe fielen, sowie solche, die als „Bagatellunrecht“ qualifiziert würden.950 Pflichtverletzungen mit minimalem Unwertgehalt, wie solche „der allerleichtesten Fahrlässigkeit“, reichten nicht aus, um ein hinreichendes Gewicht des vorhandenen Verhaltensnormverstoßes zu konzedieren.951 Zahlreiche Tatbestände – gerade solche, die ein fahrlässiges Verhalten beschrieben, – verlangten aber ungeachtet des personalen Verhaltensunrechts noch das Vorliegen zusätzlicher materiellstrafrechtlicher Sanktionserfordernisse: Beispielsweise griffe die „Sanktionsnorm“ der fahrlässigen Tötung (§ 222 StGB) nur dann ein, wenn sich der Tod des Menschen als ein Endglied eines schadensträchtigen Verlaufs erweise, „der durch richtiges Verhalten hätte vermieden werden können und sollen“; der eingetretene Erfolg müsse eben spezifische Folge des fahrlässigen Fehlverhaltens sein.952 Nach alledem kann festgehalten werden, dass Freund und Kremer-Bax einen vollumfänglich individualisierenden Fahrlässigkeitsansatz vertreten.953 Mögen sich die von beiden Autoren vorgebrachten Kritikpunkte gegen das Konzept der (noch) herrschenden Auffassung mit ihrer objektiven Maßstabsperson auch im Ansatz nicht von denen der insbesondere von Stratenwerth eingeführten Lehre der Fahrlässigkeit als individueller Sorgfaltswidrigkeit unterscheiden,954 so schließen sie doch aus den gewonnenen Ergebnissen auf einen beachtlich differierenden Straftataufbau zurück. Die 950  Freund, Strafrecht AT, § 4 Rn. 6. – Man beachte aber: Die Schuldfähigkeit als solche (und dementsprechend auch (regelmäßig) die Frage nach den sog. Schuldausschließungsgründen) soll nach jenem Konzept bereits ein Problem der Legitimation der Verhaltensnorm darstellen. Der im ganz überwiegenden Schrifttum einheitlich behandelte Schuldbereich wird also augenscheinlich auf die Verhaltensnorm, die die Schuldfähigkeit aufnehmen soll, und die Sanktionsnorm, die u. a. den Bereich der („recht verstandenen“) Entschuldigungsgründe umfasse, verteilt. 951  Freund, Strafrecht AT, § 4 Rn. 21. 952  Vgl. Freund, Strafrecht AT, § 2 Rn. 43 ff., insb. 75a, vgl. auch § 5 Rn. 61 ff., insb. 87 f. – Freund, Strafrecht AT, § 5 Rn. 67 ff., betont ausdrücklich, dass man gerade nicht – wie im Schrifttum üblich – verschiedene Zusammenhänge zwischen Verhalten und Erfolg (quasi nebeneinander) statuieren dürfe; es gebe nur ein einheitliches Erfordernis: „Der Wirklichkeit gewordene schadensträchtige Verlauf muss im Schutzbereich der übertretenen Verhaltensnorm gelegen haben, also von deren Schutzzweck erfasst sein.“ Ferner erteilt er den sog. Risikoerhöhungslehren eine deutliche Absage (a. a. O., Rn.  78 ff.). 953  Dem schließt sich auch Georgy, Verantwortlichkeit, S. 184 ff., an. 954  So wird bemängelt, dass die Bildung von Verkehrskreisen bestenfalls in Standardfällen funktioniere, nicht jedoch bei seltenen Ereignissen („fiktives Subjekt“), sowie dargetan, dass man nach einem solchen Konzept Sonderwissen und Sonderfähigkeiten nicht bruchlos in den Straftataufbau integrieren könne, siehe dazu Freund, Küper-FS, S. 70 ff.; Freund, Strafrecht AT, § 5 Rn. 22 ff.; Kremer-Bax, Verhaltensunrecht der Fahrlässigkeitstat, S. 85 ff.



C. Normentheoretische Fehlprämissen und deren Folgen333

gravierendste Änderung stellt die (bis zu diesem Zeitpunkt von nahezu sämtlichen Autoren vermiedene) Ineinssetzung von Unrecht und Schuld dar. Sie fußt auf dem verhaltensnormtheoretischen Ansatz; man habe alleine auf die konkrete Tätersicht ex ante abzustellen.955 Das Vorliegen einer realen Gefahr956 soll danach für die Verhaltensnormkonturierung gänzlich irrelevant sein; (objektiv) bewertet wird nur der Blick des Individuums auf das Geschehen. Wir sehen uns also auch an dieser Stelle wiederum mit der Frage nach der „richtigen“ Normentheorie konfrontiert. Alles steht und fällt mit der Überzeugungskraft ihrer Prämissen. Ihr haben wir im Folgenden unsere Aufmerksamkeit zu widmen.

C. Normentheoretische Fehlprämissen und deren Folgen I. Grundsätzliches 1. Die Umdeutung der Strafgesetze in individuell adressierte Verbots- bzw. Gebotsnormen Im Zuge der Diskussion um den Aufbau des fahrlässigen Deliktes sind uns verschiedenste normentheoretische Modelle präsentiert worden. Geeint sehen sich die differierenden Konstrukte – ungeachtet ihrer Ausgestaltung im Einzelnen – insbesondere durch folgende Überlegung: Das (normentheoretische) Rechtsverständnis der sog. personalen Unrechtslehre ist von der Überzeugung getragen, dass die Rechtssätze des Besonderen Teils des Strafgesetzbuches (sowie des Nebenstrafrechts; in beiden Fällen unter Umständen auch in Verbindung mit Vorschriften des Allgemeinen Teils) an den einzelnen Bürger gerichtete Imperative (Bestimmungsnormen957) enthielten, 955  Hingewiesen sei in diesem Zusammenhang nochmals auf den insofern gleichgelagerten Versuch von Zielinski, oben S. 296. 956  Siehe dazu näher unten S. 395. 957  Zur (teilweise) vorgenommenen Differenzierung zwischen Imperativ(entheorie) und Bestimmungsnorm(entheorie) vgl. nochmals oben Fn. 8 (Kap. 3) (und ergänzend Fn. 932 (Kap. 3)), sowie unten Fn. 961 (Kap. 3). Man berücksichtige, dass zahlreiche Streitigkeiten auf den miteinander verwobenen Begrifflichkeiten des Imperativs, der (Bestimmungs-)Norm, des Ver- und Gebots, des (äußerst vielschichtigen) Sollens etc. fußen; siehe dazu vor allem: Giannidis, Rechtsnorm, S. 12 ff., 24 ff.; Armin Kaufmann, Bindings Normentheorie, S. 36 ff., (der zahlreiche „Äquivokationen“ ausfindig macht); Münzberg, Verhalten, S. 49 ff.; sowie Weinberger, Norm, S. 55 ff., 85 ff.; vgl. außerdem die allgemeiner angelegte Einführung von Seelmann, Rechtsphilosophie, § 2 insb. Rn. 30 ff., 40 ff.; sowie Röhl / Röhl, Allgemeine Rechtslehre, Kapitel 4; ferner noch Ast, Normentheorie, S. 10 ff. – Eine vollumfängliche Darlegung und Entwirrung des insbesondere rechtstheoretischen Streits darf hier nicht

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Kap. 3: Kritische Darstellung des aktuellen Sach- und Streitstandes

diese voraussetzten; und zwar in der Form von selbständigen, unbedingten Rechtspflichten: „Du sollst p nicht tun!“ (Verbot) bzw. „Du sollst q tun!“ (Gebot).958 Jedoch formuliert unser geltendes Strafgesetzbuch an keiner Stelle befehlende Sollenssätze in obig beschriebener Form; exemplarisch: ein an den Einzelnen adressiertes „Du sollst nicht töten!“ wird man in unserer gesamten Rechtsordnung nicht positiviert finden. Demgegenüber lassen sich ohne weiteres Rechtssätze entdecken, die in der Form einer Wenn-dann-Beziehung daherkommen; so formuliert beispielsweise § 212 StGB „Wer einen Menschen tötet […], wird […] mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft.“ Die ganz überwiegende Meinung muss also folgendermaßen vorgehen: Sie sieht sich genötigt, den ersten Teil der vorhandenen Strafgesetze (die aufgrund der ihnen eigenen Wenn-dann-Struktur auch als hypothetische, konditionale Imperative bezeichnet werden,959 oder als Sanktionsnormen bzw. in noch allgemeinerer Fassung als sekundäre Normen tituliert werden960) in kategorische, d. h. unbedingte Befehlssätze umzudeuten.961 Man erwartet werden; vor allem der Begriff der „Norm“ könnte als Paradebeispiel für das Kinderspiel des Teekesselchens dienen – wären nur die Gesamtzusammenhänge nicht so kompliziert. 958  Dass sich eine solche Unrechtslehre auch „im Einklang mit dem in der deutschen Jurisprudenz herrschenden Rechtsverständnis [befindet], das maßgeblich geprägt ist von der Vorstellung einer Steuerung der Bürger durch Sollensnormen, welche Rechtspflichten und subjektive Rechte begründen“, entnehme ich Maier, Objektivierung des Versuchsunrechts, S. 140. 959  Vgl. dazu Giannidis, Rechtsnorm, S. 16 f.; Henkel, Rechtsphilosophie, S. 42; Maier, Objektivierung des Versuchsunrechts, S. 140 Fn. 8. 960  Siehe dazu Renzikowski, ARSP Beiheft 104 (2005), S. 115 ff.; Renzikowski, Gössel-FS, S.  3 ff.; Renzikowski, ARSP 87 (2001), 110 ff., 121 f.; Röhl / Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 223 f.; Vogel, Methodik, S. 73 f. – Nicht zu verwechseln ist die Bezeichnung der sekundären Normen mit der von Hart, The concept of law, S. 79 ff. und passim, verwendeten Formulierung der „secondary rules“, die man von den „primary rules“ zu scheiden habe. Als letztere bezeichnet dieser alle Gebots- und Verbotsnormen plus die Sanktionsnormen im soeben beschriebenen Sinne; die „secondary rules“ dagegen seien Normen, nach denen sich die Geltung der „primary rules“ bestimme; siehe dazu insbesondere Alwart, Recht und Handlung, S. 140 ff.; sowie Renzikowski, Gössel-FS, S. 11 f. 961  Hier seien insbesondere bis zu diesem Zeitpunkt weniger beachtete (rein) rechtstheoretisch ausgerichtete Stellungnahmen berücksichtigt. Siehe im Sinne eines solchen Umdeutungsverfahrens nur Adomeit / Hähnchen, Rechtstheorie, Rn. 19 ff.; Engisch, Einführung, S. 19 ff.; Koller, Theorie des Rechts, S. 81 ff., insb. 83 f.; Larenz / Canaris, Methodenlehre, S. 71 ff.; Philipps, in: Rechtsphilosophie, S. 320 ff.; Renzikowski, ARSP Beiheft 104 (2005), S. 115 ff.; Röhl / Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S.  223 ff.; Rüthers / Fischer / Birk, Rechtstheorie, Rn. 111 ff., 148 ff.; Vogel, Methodik, S. 67 ff., insb. 73 f.; Weinberger, Norm, S. 88 ff. Siehe ferner Giannidis, Rechtsnorm, S. 17 ff., der jedoch die Verwendung des Terminus Imperativ / Befehl – trotz des (aus dem Gesetz herauspräparierten) Aufweises eines „Du sollst nicht töten“ –



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folgt also insofern dem Grundgedanken der bereits von Binding entwickelten Normentheorie.962 Beschaut man sich nun aber die für ein solches Vorgehen angeführten Begründungen, stellt sich schnell Ernüchterung ein. Argumentationsketten, wie die folgende, sind die Regel: Dass sich die „Verhaltensnormen“ nur mittelbar erschlössen, sei zwar unbestreitbar, gleichwohl seien „sie doch die selbstverständliche Voraussetzung der Sanktionsnormen und damit Inhalt des Strafgesetzes selbst.“963 Bereits Mezger hatte in ähnlich lapidarer Form behauptet,964 „daß das Recht (auch) Bestimmungsnorm ist, ist unbestreitbar“.965 Gestritten wird – so hat es jedenfalls bei Begutachtung der herrschenden Lehre den Anschein – nur darüber, ob man denn der Bewertungsnorm – in diesem Sinne argumentierte ja bekanntlich noch Mezger („logisches Prius“) – oder der Bestimmungsnorm die primäre Funktion innerhalb der Erklärung der Deliktstatbestände einzuräumen hat. Wohl eher im letztgenannten Sinne will die heute herrschende Meinung das Verhältnis beider Normfunktionen verstanden wissen, d. h. „hauptsächlicher Zweck und Inhalt“ der Norm sei die „Motivation“966 (wenn sie denn überhaupt noch vom Vorliegen abgrenzbarer, unterschiedlicher „Stoßrichtungen“ ausgeht: Auffällig ist nämlich, dass einige Autoren aus jüngerer Zeit eine eigenständige Behandlung des Aspekts der Bewertungsnorm für irrelevant erachten; die im Endergebnis wohl zu konzedierende, den Normgegenstand betreffende Nichtabgrenzbarkeit von Bewertungs- und Bestimmungsnorm für die syntaktische Erfassung der Rechtsnorm ablehnt; auch Henkel, Rechtsphilosophie, S. 42 ff., spricht sich trotz der Anerkenntnis der „Verhaltensnorm als Verbotsoder Gebotsnorm“ gegen die Verwendung der Begrifflichkeit des Imperativs, des Befehls aus. – Aus primär strafrechtsdogmatischer Sicht beschaue man sich nur (nochmals) S / S-Eisele, Vorbem §§  13 ff. Rn.  48 f.; Freund, Strafrecht AT, § 1 Rn.  5 ff.; Heghmanns, Dogmatik. S. 42 ff.; Jescheck / Weigend, Strafrecht AT, § 24 II; Mikus, Verhaltensnorm des fahrlässigen Erfolgsdelikts, S. 19 ff.; Zielinski, Unrechtsbegriff, S.  120 ff.; 114 ff.; Zoll, Roxin-FS, S. 93 ff. – Zur wiederholten Klarstellung: Die These, die Deliktstatbestände des Strafgesetzbuches enthielten Bestimmungsbzw. Verhaltensnormen, ist nicht zu verwechseln mit der Lehrmeinung, dass das gesamte Recht aus Imperativen bestehe (Imperativentheorie). Erstere These kann unabhängig von letzterer vertreten werden. 962  Siehe oben S. 52 ff. 963  Röhl / Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 224 f. (Hervorhebung von mir). 964  Siehe zu dessen Opus ausführlich oben, S. 95 ff. 965  Mezger, GS 89 (1924), 240. 966  Heghmanns, Dogmatik, S. 45 ff. – Man beachte aber, dass Heghmanns, a. a. O., Fn. 27 und 32, die Textstelle bei Langer, Sonderverbrechen, S. 314 f., explizit falsch versteht. Langer geht gerade nicht nur von einer „weitgehenden Identität von Bewertungs- und Bestimmungsnorm aus“, sondern betont vielmehr „die Identität ihres Gegenstandes“; er erweist beide als – eben je nach Blickrichtung – unterscheidbare Aspekte, einfach gewendet: als zwei Seiten einer Medaille, nicht aber als verschiedenartige Momente; ausführlich dazu Langer, a. a. O., S. 281 ff.; siehe außerdem die inhaltlich unveränderte Position bei Langer, Sonderstraftat, S. 33, 38, 66 f.

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Kap. 3: Kritische Darstellung des aktuellen Sach- und Streitstandes

offenbart sich auch nicht zuletzt in der gerade im neueren Schrifttum präferierten Verwendung des strafrechtsdogmatisch „unverbrauchten“, zusammenführenden Begriffs der Verhaltensnorm967). Einfach ausgedrückt gilt nach herrschender Diktion also Folgendes: Jeder in einem Deliktstatbestand des Besonderen Teils niedergelegten Sanktionsnorm – dem Strafgesetz, zum Beispiel § 212 StGB – soll eine rechtliche Verbots- bzw. Gebotsnorm (logisch968) vorausgehen. Diese rechtliche Verhaltensnorm untersage bzw. gebiete dem einzelnen Bürger die Vornahme einer spezifischen Handlung; darüber hinaus soll sie eine – man könnte sagen – Mittlerfunktion zu der an den Rechtsstab gerichteten Sanktionsnorm erfüllen: die Verhaltensnorm fungiert also als (logische und sprachliche) Voraussetzung der Sanktionsnorm, sowie sie gleichzeitig zu deren Inhalt wird.969 Mittelbar ist damit bereits zum Ausdruck gebracht, dass die herrschende Auffassung einer so genannten zweigliedrigen Adressatentheorie das Wort redet. Hoerster bringt diese auf den Punkt, wenn er – natürlich in Übereinstimmung mit seiner Position – festhält, dass in der „deutschen Strafrechtswissenschaft ziemlich einhellig gelehrt [wird], Adressat der Strafrechtsnormen [man beachte, dass Hoerster diesen Terminus gleichbedeutend mit dem der Strafgesetze verwendet] sei zwar auch das zuständige Verfolgungsorgan, in erster Linie jedoch der einzelne Staatsbürger, also jeder­ mann.“970 2. Die Lehre von der rechtlichen Verhaltensnorm als Fiktion Die (scheinbare) Stichhaltigkeit des um die zwei rechtlichen Adressaten kreisenden Gesamtsystems verführt die ganz herrschende Meinung nun dazu, ihre eigenen Prämissen zumeist unhinterfragt zu lassen. Wie bereits oben angedeutet, finden sich nur wenige Stellungnahmen, die nach einer (mehr oder weniger) expliziten Absicherung einer solchen Grundlegung Ausschau halten.

967  Siehe nur Freund, Strafrecht AT, § 5 Rn. 19 f., der den von ihm präferierten Terminus der Verhaltensnorm mit der Begrifflichkeit der Bestimmungsnorm identifiziert, in letztgenannten Begriff aber augenscheinlich auch Bewertungselemente hinein liest. – Vgl. dazu noch Ast, Normentheorie, S. 11. 968  Siehe zum „Logikargument“ nur nochmals Henkel, Rechtsphilosophie, S. 42. 969  Mikus, Verhaltensnorm des fahrlässigen Erfolgsdelikts, S. 21 (Hervorhebung von mir), wählt wohl deshalb die Formulierung, die Sanktionsnormen stellten „primär Anweisungen an den Rechtsanwender dar, Strafe zu verhängen, falls einer bestimmten Person die Verletzung einer Verhaltensnorm vorzuwerfen ist“. 970  Hoerster, JZ 1989, 10 (Hervorhebung im Original).



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a) Unhaltbarkeit des Logikarguments Die wiederholt aufzufindende (nicht selten auch lediglich zwischen den Zeilen herauslesbare) Argumentation, die Existenz einer rechtlichen Verhaltensnorm sei für die Erklärung der Deliktstatbestände logisch zwingend vorausgesetzt, könnte nur dann überzeugen, wenn keine andere Ausdeutung der Strafgesetze möglich erschiene. Dass eine andere Auffassung nicht aber lediglich denkmöglich ist971 (was für die Entkräftung des Logikarguments freilich schon ausreichte), sondern demgegenüber gar geboten ist, wird sogleich im Einzelnen aufzuzeigen sein.972 Allenfalls machbar erscheint es, die eigenen normentheoretischen Prämissen nicht als aus der Logik folgend auszuweisen, sondern selbige als bloß „gesetzt“ zu betrachten.973 Dies erkennt erfreulicherweise Gössel, wenn er in Bezug auf seine Systematik der fahrlässigen Straftat festhält, dass sie auf einer „nicht weiter begründbaren normentheoretischen Fundierung“ fuße; und unter Rekurs auf Ausführungen von Stegmüller974 weitergehend ausführt, dass die „axiomatische Verwendung des normentheoretischen Fundaments […] ein übliches und wissenschaftstheoretisches zulässiges Verfahren“ sei – über die Berechtigung der von ihm vorgeschlagenen Grundlegung gegenüber anderen könne „nur ein Leistungsvergleich der jeweils gestatteten ‚Erklärungen, Voraussagen und sonstigen Systematisierungen‘ entschei­ den.“975

971  Siehe zu einer monistischen Sanktionstheorie des Rechts (allerdings mit Unterschieden im Einzelnen) bereits an dieser Stelle: Alwart, Recht und Handlung, S.  146 ff.; Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 116 ff.; Maier, Objektivierung des Versuchsunrechts, S.  142 ff.; Max Ernst Mayer, Rechtsnormen und Kulturnormen, passim (zu diesem Kozept ausführlich oben S. 73 ff.); Röttger, Unrechtsbegründung, S. 236 ff.; Schmidhäuser, Von den zwei Rechtsordnungen, S. 10 ff.; Schmidhäuser, Form und Gehalt, S. 8, 32 f. Fn. 27, 36 ff.; vgl. außerdem noch Hoyer, Strafrechtsdogmatik, S.  42 ff. 972  Gegen das Logikargument argumentiert auch ausdrücklich Langer, Sonderstraftat, S. 61 Fn. 101: „Die Straftatbestände können ohne Verstoß gegen die Logik als unmittelbar auf fundierenden Unwertsachverhalten aufbauend begriffen werden, und strafrechtsdogmatisch können die Normen überhaupt nur dann relevant werden, wenn es sie überhaupt gibt.“ 973  Eine solche Setzung lässt demgegenüber Langer, Sonderstraftat, S. 60, nicht gelten: „Die primäre Aufgabe jeder Normentheorie besteht […] in dem Nachweis, daß es die als vorhanden behaupteten Normen wirklich gibt.“ 974  Vgl. Stegmüller, Hauptströmungen der Gegenwartsphilosophie, Band II, 1979, S. 482 ff., 528 (zitiert nach Maurach / Gössel, Strafrecht AT II, § 42 Rn. 9). 975  Siehe dazu Maurach / Gössel, Strafrecht AT II, § 42 Rn. 9.

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b) Unhaltbarkeit der These, es handle sich bei den vorausgesetzten Verhaltensnormen um selbständige Rechtspflichten Mit der von der herrschenden Meinung durchgeführten Umdeutung des ersten Teils der Strafgesetze in an den einzelnen Bürger adressierte Verhaltensnormen ist – wie bereits angedeutet – „notwendigerweise“ verbunden, dass die Normen die in ihnen beschriebenen Verhaltensweisen zur rechtlichen Pflicht erheben.976 Nur warum handelt es sich bei diesen denn nun um selbstständige Rechtspflichten des Bürgers? Armin Kaufmann hält insofern – ohne die ihn sonst auszeichnende ausführliche Diskussion – fest, dass die Existenz eben jener Rechtspflichten im Ergebnis „unbestritten“ sei und „eine allgemeine Auffassung“ wiedergebe.977 Dass eine solche „Beweisführung“ – bei auszumachenden Gegenstimmen – nicht genügend sein kann, darf hier wohl, ohne mit Widerspruch rechnen zu müssen, behauptet werden.978 Bereits Binder hatte vor über 100 Jahren deutlich gemacht, auf den Begriff der Rechtspflicht verzichten zu wollen:979 „Der von der communis opinio zum Ausgangspunkt beinahe aller Rechtsdogmatik gemachte Begriff der Rechtspflicht ist abzulehnen.“980 „Daß der Verbrecher das Gesetz übertritt, heißt an sich nichts anderes, als daß er die Handlung begeht, auf die das Gesetz die Strafe setzt, und der zureichende Grund für dieses Verfahren des Gesetzes ist nicht, daß der Verbrecher gegen irgendein anderwärts zu suchendes Gebot oder Verbot verstoßen hat, sondern daß er durch seine Handlungen die Existenzbedingungen der Rechtsgemeinschaft gefährdet hat.“981 Und weiter: „Wir sehen an unseren Gesetzen nur einen und nicht zwei Bestandteile; habe ich früher für das Strafrecht den Satz aufgestellt: Die Norm ist das Strafgesetz, so behaupte ich heute für das Zivilrecht: Die Norm ist der Rechtsschutzbefehl“.982 976  Dies exemplifiziert besonders schön Hoyer, Strafrechtsdogmatik, S. 15  ff., 21 ff., insb. 41 ff., in Auseinandersetzung mit der Konzeption Armin Kaufmanns. 977  Armin Kaufmann, Bindings Normentheorie, S. 47 f., vgl. aber auch S. 52 ff. 978  Erinnert sei in diesem Zusammenhang auch an einen Satz von Kern / Langer, Anleitung, S. 25: „Gründe lassen sich auch nicht ersetzen durch die Berufung auf angebliche Autoritäten oder sog. herrschende Meinungen.“ 979  Weitere vertiefende Literaturhinweise insbesondere aus dem angloamerikanischen und skandinavischen Rechtsraum liefert Hoyer, Strafrechtsdogmatik, S. 45 f. Fn.  11 ff. 980  Binder, Rechtsnorm und Rechtspflicht, S. 45. 981  Binder, Adressat der Rechtsnorm, S. 55. 982  Binder, Adressat der Rechtsnorm, S. 8. – Dort finden sich auch heute noch weit verbreite Denkmuster trefflich widerlegt; siehe zur Auffassung Thons, a. a. O., insbesondere S. 68; siehe ferner nur noch die gegen Goldschmidts Abgrenzung von Rechts- und Pflichtnorm vorgebrachte Argumentation, a. a. O., S. 73.



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Auch Kelsen hatte sich – ohne den Begriff der Rechtspflicht allerdings gänzlich zu verwerfen – deutlichst gegen das Bestehen einer von der Sanktion ablösbaren, also einer selbständig bestehenden Rechtspflicht gewehrt. „[Der Begriff der Rechtspflicht] steht in einem Wesenszusammenhang mit dem der Sanktion.“983 „[Es ist] unzutreffend, den Rechtssatz in die logische Form des Imperativs zu kleiden. Denn im Imperativ kommt gerade jene Relation zum Ausdrucke, die für das Recht bedeutungslos bleiben muß: die Über- und Unterordnung. „Tue dies“, „Unterlassene jenes“ spricht die Macht, die sich durchsetzt. Der Rechtssatz, der nur die Bedingungen festsetzt, an die sich ein Wille des Staates knüpft, erscheint als hypothetisches Urteil: „Wenn du dich so verhältst, will der Staat so handeln.“984 Kelsen sichert diesen Befund auch unter Berufung auf Kant985 ab: „Der Imperativ, der den Menschen das rechtmäßige Handeln anbefiehlt, kann nach der Terminologie Kants nur ein hypothetischer sein, da er als kategorischer nicht gedacht werden darf, als welcher nur das Sittengesetz zu gelten hat, das allein ‚den Begriff einer unbedingten und zwar objektiven und mithin allgemeingültigen Notwendigkeit‘ bei sich trägt.“986 Eine solche an der Ansehung der Gesetze orientierte Theorie vermeidet es, den der herrschenden Meinung eigenen, in seiner Notwendigkeit für den Aufweis des Rechtlichen bislang unbelegten, Wechsel von ontischen zu deontischen Modi zu vollziehen; d. h. es wird gerade nicht der Weg beschritten, aus der Struktur der im StGB und im Nebenstrafrecht auffindbaren Deliktstatbestände „Wer p tut, wird bestraft“ zu folgern: „Es ist rechtlich verboten, p zu tun“, also eine sprachlich selbständige und unbedingte Rechtspflicht im Sinne „Du sollst p nicht tun!“ zu statuieren.987 Man könnte nun aber anführen, dass dem Rechtsgüterschutzgedanken, der dem Strafrecht nach allgemeiner Meinung zugrunde liegt, nur durch die Zwischenschaltung einer an den einzelnen Bürger adressierten Rechtspflicht Genüge getan werde, bzw. dass die Verwirklichung dieses Gedankens auf einem solchen Wege zumindest besser gelinge als es durch das bloße Ab983  Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 121. – Siehe zu Kelsen ganz ausführliche Heidemann, Die Norm als Tatsache, S. 19 ff.; ferner noch Koriath, Zurechnung, S. 29 ff., 52 ff., 92 ff., 146 ff., 214 ff. (dort sei insbesondere auf den – ungeglückten – Versuch, Kelsens Zwangstheorie zu entkräften, hingewiesen (a. a. O., S. 219 ff.)). 984  Kelsen, Hauptprobleme, S. 228, siehe aber insbesondere schon S. 224 ff. 985  Siehe dazu Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 274 und passim. 986  Kelsen, Hauptprobleme, S. 229 f. 987  Vgl. dazu auch Maier, Objektivierung des Versuchsunrechts, S. 144 ff., insb. 151, 146, der sich aber gänzlich gegen die Verwendung eines Pflichtenbegriffs wehrt; auch die Festlegung auf einen bloßen Moralbegriff der Pflicht sei „bedenklich“: „Es gebührt demokratisch legitimierten Normen nicht, sie einem bestimmten Ethikkonzept unterzuordnen“.

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stellen auf das Strafgesetz erreichbar sei.988 So handle es sich eben nicht nur um moralische Pflichten, sondern gerade auch um – diese eben „verstärkt“ zum Ausdruck bringende – Rechtspflichten. Eine in diesem Sinne ausgestaltete Argumentation verkennt jedoch, dass für den Nachweis, dass die in der Norm zum Ausdruck gelangende Pflicht quasi doppelt stabilisiert werde – einmal durch die Moral, einmal durch das Recht –, nichts Substantielles aufgewiesen werden kann. Denn: Nimmt man der angeblich eigenständigen Rechtspflicht, nach neuerer Lesart also der Verhaltensnorm, die Sanktionsandrohung, ist sie von der bloßen Moralnorm nicht zu unter­ scheiden:989 Was bleibt, ist die schlichte Behauptung, das (hier exemplarisch angeführte) Verbot, nicht töten zu dürfen, sei ein dem Recht zugehöriges.990 Teilweise hat es jedoch den Anschein, als versuche man – ausdrücklich entgegen dem Bindingschen Ansatz991 – die Scheidung von rechtlichen Verhaltensnormen und moralischen bzw. naturrechtlichen Normen durch folgende (Hilfs-)Überlegung nachzuweisen: Die „primäre Verhaltensnorm [verbietet] nicht nur bestimmte Handlungen“, „sondern [droht] zugleich eine Strafe für Zuwiderhandlungen an“; dieser Standpunkt sei schon deshalb vorzugswürdig, „weil er die Wirkungsweise von Recht verdeutlicht.“992 Dabei – so die weitergehende Präzisierung von Renzikowski – soll die Sanktion jedoch mit dem Verhalten „nicht in der spezifischen Form der Verknüpfung von Tatbestand und Rechtsfolge“ stehen.993 Ihm scheint – ohne dies (soweit ersichtlich) jedoch jemals ausformuliert zu haben – eine im Bürgerlichen bzw. Öffentlichen Recht (wohl wiederum durch partielle Umdeutung994) auffindbare, nun aber mit Sanktionsandrohung versehene (pridazu auch Hoyer, Strafrechtsdogmatik, S. 70 ff. dazu ergänzend noch Langer, Sonderstraftat, S. 61, der jedenfalls herausarbeitet, dass Rechtsnormen immer „das Faktum einer Rechtsfolgenandrohung“ eigen sein müsse. 990  Vgl. insofern auch Schmid, Verhältnis, S. 62  f.; ferner nur die bereits früh geäußerte Kritik von v. Hippel, Deutsches Strafrecht I, S. 19 ff. 991  Siehe insofern nur nochmals Binding, Normen I, S. 38 ff, insb. S. 40 γ. 992  In diesem Sinne – im Anschluss an Bentham – argumentiert wohl Renzikowski, ARSP Beiheft 104 (2005), S. 119. Noch vorsichtiger dagegen Renzikowski, Gössel-FS, S. 9, (vgl. aber auch sogleich folgende Fn.): „Demgegenüber scheint Benthams Sicht die realistischere zu sein, indem sie die Wirkungsweise von Recht verdeutlicht.“ 993  Renzikowski, Gössel-FS, S. 12 f. 994  Zur Berechtigung eines solchen Umdeutungsverfahrens sei nur auf folgendes Bonmot von Hruschka, Strafrecht, S. XVI f., hingewiesen: „Das beginnt damit, daß wir das Gesetz beim Wort nehmen, wir lesen möglichst unvoreingenommen, was da im Gesetz steht und erlauben keine Verfälschungen und Verbiegungen. Der Gesetzgeber hat im Gesetz deutsch gesprochen, auch wir beherrschen die deutsche Sprache, also sehen wir erst einmal, was der Gesetzgeber, wer auch immer das sei, gesagt hat. Und dabei gehen wir davon aus, daß der Gesetzgeber auch gemeint hat, 988  Vgl. 989  Vgl.



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märe) Verhaltensnorm vorzuschweben – und wohl im Stile eines „Du darfst nicht töten, sonst legen wir dir (irgend)eine Sanktion auf!“995 Aber wie sollten eine rechtliche Sanktion und ein Verhalten sonst verknüpft sein als durch eine spezifische Wenn-dann-Beziehung? Dass das Recht Sanktionen vorsieht, ohne diese genauer zu beschreiben, dass es quasi unspezifisch droht, wäre zwingend positiv nachzuweisen – was aus hiesiger Sicht freilich ein unmögliches Unterfangen darstellte. Außerdem: Wenn doch eine Scheidung von Sanktion (oder pauschalierend gewendet: der „Rechtsfolge“) und verbietender Norm auf der Ebene der „Primärordnung“ – zum Beispiel im Rahmen des Bürgerlichen Rechts – der Sache nach unmöglich ist, man dort also gerade nicht die Verhaltensnorm von der „Sanktionsnorm“ sauber abschichten kann, warum sollte diese Trennung dann gerade in der Teilrechtsordnung des Strafrechts eine unwiderleglich notwendige sein? Neben der beachtlichen Gefahr von Begriffsverwirrungen und der stattfindenden Verkomplizierung erweist sich eine solche – nur im Bereich des angeblich „sekundären“996 Strafrechts mögliche – Differenzierung von verschiedenen Normentypen also entgegen ihrem eigenen Anspruch nicht als allgemeingültig durchführbare; man redet einer „Spezialnormentheorie“ das Wort. c) Unhaltbarkeit der These, es gebe zwei verschiedene Adressaten der Rechtsnormen Zurückzukommen ist nochmals auf die ganz herrschende sog. zweigliedrige Adressatentheorie, die sich von dem Gedanken getragen sieht, die Rechtsnormen richteten sich nicht nur an den Rechtsstab, sondern auch was er gesagt hat, und lassen uns nicht vorschnell auf die in vieler, vor allem auch in logischer Hinsicht merkwürdige These ein, daß der Gesetzgeber gesagt habe, was er – angeblich – ‚gemeint‘ hat. Wir legen also an das Gesetz einen Maßstab an, den wir an jeden Schulaufsatz anlegen würden. Wenn in einem Schulaufsatz steht „Die Blumen blühen!“, dann kommen wir normalerweise nicht auf die Idee, der Verfasser habe damit ‚eigentlich‘ gemeint, daß es schneit, – jedenfalls so lange nicht, als wir den Verfasser als einen kompetenten Sprecher der deutschen Sprache voraussetzen.“ 995  Auch Renzikowski, GA 2007, 561 ff., ist insofern nichts zu entnehmen. 996  Im Übrigen: Zunächst einmal wäre es zu begründen, warum denn das Strafgesetzbuch gegenüber dem Bürgerlichen Gesetzbuch einen „sekundären“ Charakter aufweisen soll. Beide sind ihrem Range nach Bundesgesetze. Der durchaus richtige Hinweis, dass keine Strafe verhängt werden darf, wenn ein Verhalten nach einer Teilrechtsordnung als erlaubt zu qualifizieren ist, reicht nicht, um einen originär „sekundären“ Charakter des Strafrechts zu begründen. Denn: Nach richtiger Auffassung stellt die Frage nach dem „Erlaubten“ erst eine Frage des strafrechtlichen Unrechtsausschlusses, nicht aber bereits der Unrechtsbegründung dar. Ausgangspunkt des Fragens hat immer der jeweils zugrundeliegende Gesetzestext zu sein; von zwei gleichrangigen Gesetzen ist keines von vornherein sekundär.

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(oder gar „in erster Linie“997) an den einzelnen Staatsbürger, also an jedermann – eben an sämtliche „Rechtsunterworfenen“.998 Man führe sich diesbezüglich ebenfalls in Erinnerung, dass die Imperativentheorie, die das Recht seiner Substanz nach aus Imperativen und nur aus Imperativen bestehend denkt, seit jeher – wenn sie denn von zweierlei Adressaten ausgeht999 – größte Schwierigkeiten hat, zu klären, ob denn nun ausschließlich der Zurechnungsfähige oder auch der Unzurechnungsfähige als Befehlsempfänger in Betracht zu kommen habe.1000 Adressiert man das Recht nur an den Verstehenden, den tauglichen Befehlsempfänger, sieht man sich unter anderem dem Problem gegenüber, die (außerhalb des Strafrechts sachlich nicht bestrittene) Existenz schuldlosen Unrechts zu begründen;1001 wird die Norm demgegenüber auch an den Untauglichen gerichtet, hat man sich die Frage zu stellen, warum der – hier als Person gedachte – Gesetzgeber so vorgehen sollte; wir müssten ihm bei voraussichtlicher Unerreichbarkeit seines Wollens mit Hold von Ferneck1002 wohl oder übel die Vernünftigkeit absprechen – ein allerdings kaum überzeugendes Ergebnis.1003 Aber auch die 997  Hoerster,

JZ 1989, 10. nur Engisch, Einführung, S. 21. 999  Das Vorhandensein zweier Adressaten wird innerhalb der Imperativentheorie allerdings kaum jemals in Abrede gestellt. – Als Vertreter einer Imperativentheorie in der Spielart, nur der Rechtsstab sei Adressat, kann man aber beispielsweise Max Ernst Mayer, Rechtsnormen und Kulturnormen, S. 31 ff., und Schmidhäuser, Von den zwei Rechtsordnungen, S. 10 ff., bezeichnen. – Dass es die Imperativentheorie in mehrerlei Spielarten (und nicht lediglich in der „zweigliedrigen“ Form) gibt, wird ausnahmsweise richtig erkannt von Goldschmidt, Prozess als Rechtslage, S. 227 ff., insb. 228. 1000  Darauf, dass die Diskussion um diese Streitfrage, ohne eine auch nur annähernde Einigkeit erzielt zu haben, historisch betracht schlicht ausgeklungen ist, hat bereits Armin Kaufmann, Bindings Normentheorie, S. 122, zu Recht hingewiesen. 1001  Richtigerweise hält Koriath, Zurechnung, S. 285, fest: „Wenn man die Imperativentheorie annimmt, dann kann man nur noch um den Preis des Selbstwiderspruchs behaupten, es gäbe schuldloses Unrecht.“ 1002  Siehe oben S. 81. 1003  Auch die von Armin Kaufmann, Bindings Normentheorie, S. 124  ff., 139, vorgeschlagene Lösung, zwischen der (abstrakten) Adressierung der Norm und der (individuellen und konkreten) Verpflichtung zu unterscheiden: „Die Norm konkretisiert sich nur auf den Handlungsfähigen“, ist keine. Ungelöst bleibt, warum denn der Gesetzgeber die Norm überhaupt an den Unzurechnungsfähigen adressieren sollte, wenn er ihn nicht auch hernach einmal verpflichten könnte und wollte. Armin Kaufmanns Fehler liegt in der unbewiesenen Behauptung begründet, es gebe an die Bürger adressierte Rechtspflichten. – Siehe zu dem Gesamtproblem auch die zahlreichen Nachweise in der rechtsgeschichtlichen Debatte bei Merkel, Binding, Thon, Hold v. Ferneck etc., oben S. 49 ff. – Nagler, Binding-FS, S. 336, hat den insbesondere innerhalb der Imperativentheorie auszumachenden Streit einmal so charakterisiert: Die „logischen Trümpfe in dem Duell v. Ferneck – Thon [liegen] bei dem 998  Siehe



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insbesondere von Larenz vertretene Theorie der „Geltungsanordnung“1004 – der meint, bei der Frage nach dem Normadressaten handle es sich um ein durch die Imperativentheorie verursachtes Scheinproblem, da sich die Geltungsanordnung an jeden richte, den sie angehe, der in seinen rechtlichen Verhältnissen davon berührt werde und in der Lage sei, sie zu verstehen – löst das bestehende Problem entgegen eigener Erwartungen nicht; dem insofern bereits von Schmidhäuser gegebenen Einwand ist nichts hinzuzufügen: „Sollte das nun aber etwa bedeuten, daß dann gewisse Rechtssätze – etwa die der ungerechtfertigten Bereicherung – nur für den Juristen gelten, der sie versteht, oder daß sie für jeden Rechtsunterworfenen gelten, der von der Anordnung betroffen wird, auch wenn er sie nicht versteht? Soweit es also um einen Begriff der Anordnung geht, führt diese Auffassung nicht über die Imperativentheorie hinaus.“1005 Fassen wir die Quintessenz der (beiden) Lehrmeinungen also zusammen, ergibt sich folgendes Bild:1006 Wird den Deliktstatbeständen des Strafrechts (sowohl des StGB, wie des Nebenstrafrechts) die Rolle von Bestimmungsbzw. Verhaltensnormen zugemessen, so impliziert das Denken in kategorischen Imperativen, dass sich der Gesetzgeber mit einem „Du sollst p tun!“ respektive „Du sollst q nicht tun!“ an den Bürger wendet und sich der Einzelne hernach diesen Bestimmungsnormen gemäß verhält. Ein solches Rechtsverständnis scheint auf den ersten Blick auch nicht per se uneinleuchtend. Man mag sogleich an die im Alten Testament zu findenden Zehn Gebote denken (Exodus 20, 2 ff., sowie Deuteronomium 5, 6 ff.) und sich vor Augen führen, dass schon diese – so die biblische Überlieferung – schriftlich niedergelegt wurden (Exodus 24, 12; 31, 18; 32, 15 ff.; sowie Deuteronomium 4, 13; 5, 22; 10, 4). Wenn aber bereits der Dekalog, so könnte man weiter anführen, unter Zuhilfenahme von Steintafeln an den Einzelnen adressiert wurde, stünde es doch um die moderne Gesellschaft schlecht, wenn wir unserer ausdifferenzierten Ordnung des Gemeinwesens mit seinem (geschriebenen) Recht nirgends solche Befehle entnehmen können sollten. Dies scheint auch Hoerster vorzuschweben, wenn er mit Inbrunst formuliert: „Es wäre offensichtlich absurd, zu behaupten, daß die von den Strafrechtsnormen genannten Handlungen des Bürgers überhaupt nicht rechtlich verboten sind.“1007 Über eine etwaige Gegenauffassung scheint der ersteren; die Wahrheit jedoch ist mit dem letzteren.“ Zum sog. Logikargument ist jedoch schon Stellung bezogen worden, oben S. 337. 1004  Siehe dazu nur Larenz / Canaris, Methodenlehre, S. 77, sowie bereits oben Fn. 8 (Kap. 3). 1005  Schmidhäuser, Von den zwei Rechtsordnungen, S. 8, sowie ergänzend noch f. 1006  Vgl. zum folgenden insbesondere auch Alwart, Recht und Handlung, S.  146 ff.; sowie Maier, Objektivierung des Versuchsunrechts, S. 148 ff. 1007  Hoerster, JZ 1989, 10.

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Stab gebrochen, ohne dass man sich mit einer solchen auseinandersetzen müsste. Gleichwohl soll hier der Versuch angetreten werden, eine solche fortzuentwickeln. 3. Die einseitige Adressierung der Rechtsnormen als Alternative Bereits Max Ernst Mayer hat mit seiner Trennung von Rechts- und Kulturnormen den richtigen Weg gewiesen1008 – mag auch seine These, dass die Strafgesetze den „Unterthanen“ des Staates vollständig unbekannt seien,1009 aufgrund der mit Absolutheitsanspruch auftretenden Formulierung (unnötigen) Widerspruch heraufbeschworen haben,1010 so sind doch zahlreiche der von ihm dort dargebrachten Argumente von bemerkenswerter Plausibilität: Der Bürger lese nun einmal nicht das (Reichs-)Gesetzblatt; was ihm aber auch nicht sinnvoll anempfohlen werden könne, weil – und hier ist Max Ernst Mayer vollumfänglich beizupflichten – nicht nur die umfangreichen Gesetzesmaterialien als solche, sondern auch die Sprache und Systematik des Gesetzes ein – wenn auch bloß oberflächliches – (Laien-)Verständnis praktisch verunmöglichen. Für den Einzelnen ist die spezifische Gesetzesfassung für die Bildung der (nach herrschender Diktion: rechtlichen) Verhaltensnorm bei richtiger Betrachtung (unmittelbar) egal. Auch auf die – selbst heute noch1011 – immer wieder zu hörende Entgegnung, dass die Gesetze aber immerhin für die Öffentlichkeit publiziert werden, hat er zu Recht eingewandt, dass man diese Art von Veröffentlichung kaum als publikumswirksame Verbreitung des Norminhalts deuten kann;1012 wollte der Gesetzgeber selbige dem Bürger tatsächlich kundtun, müsste er sich zwingend anderer Medien als des (Reichs-)Gesetzblattes bedienen. Dem stimmt man zwar neuerdings der Sache nach zu, räumt aber gleichwohl nicht die – damit der Erosion anheim gegebene – Grundprämisse; Röhl / Röhl halten ausdrücklich fest: „Der Bürger wird als Adressat von der Rechtspraxis nicht ernst genommen. Weder bemüht sich der Gesetzgeber, die Strafgesetze verständlich zu formulieren und sie dem Bürger in geeigneter Weise bekannt 1008  Dazu auch nochmals oben, S. 74  ff.; sowie Max Ernst Mayer, Rechtsnormen und Kulturnormen, S. 1 ff. 1009  Max Ernst Mayer, Rechtsnormen und Kulturnormen, S. 6 ff. 1010  Daneben ist unter anderem seine – zweifelsohne angreifbare – These (siehe insofern Max Ernst Mayer, Rechtsnormen und Kulturnormen, insb. S. 17), dass die Gesetze (bis auf die Polizeirechtsnormen, a. a. O., S. 28, 109 ff.) mit den Kulturnormen immer übereinstimmten, und der Jedermann letztere immer kennte, keine für das Gesamtkonzept zwingend vorausgesetzte. 1011  Vgl. dazu Bauer, in: Dreier, GG, Art. 87 Rn. 17; Maurer, in: BK-GG, 54. Lieferung, 1988, Art. 87 Rn. 86 ff.; sowie ferner BVerfGE 65, 283, 291. 1012  Max Ernst Mayer, Rechtsnormen und Kulturnormen, S. 11.



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zu machen, noch wird im Übertretungsfall die Bestrafung von der positiven Kenntnis des Strafgesetzes abhängig gemacht“.1013 Man scheint also zu fordern, dass man die gängigen Tatsachen der Theorie anzupassen hat. Nur: Wie sollten die Gesetze überhaupt aussehen, nähme die „Rechtspraxis“ den Bürger als Adressaten ernst? Müssten die Gesetze also so formuliert werden, dass der „Jedermann“ sie aus sich selbst heraus versteht? Dürfte es also beispielsweise keinen vor die Klammer gezogenen Allgemeinen Teil mehr geben, und sollten die gesetzlichen Bestimmungen womöglich den Zuschnitt eines Kurz- oder doch eher eines Großkommentars aufweisen (vielleicht gar ohne etwaige Fachtermini zu verwenden), und wie hätte man exemplarisch die neueste Rechtsprechung der Obergerichte zu implementieren? Solche, unproblematisch weiter ergänzbare, Fragen haben insbesondere auch Schmidhäuser – in Anknüpfung an Max Ernst Mayer – bewogen, die herrschende sog. zweigliedrige Adressatentheorie zu verwerfen. Schmidhäuser verwendet zwar nicht die Begrifflichkeiten der Rechts- und Kulturnormen, meint aber – sachlich größtenteils gleichlaufend –, zweierlei „Rechtsordnungen im staatlichen Gemeinwesen“ nachweisen zu können: Zum einen die „staatliche“, zum anderen die „gesellschaftliche Rechtsordnung“.1014 Letztere könne man qualifizieren „als die im Bewußtsein der Gesellschaft lebendige Grundordnung des Zusammenlebens“1015, sie sei geprägt von „der Sozialethik“1016; während die „staatliche“ „in erster Linie aus den vom Gesetzgeber erlassenen Gesetzen“ bestehe, welche man wiederum als „vor allem an die staat­ lichen Organe gerichteten Imperative“ zu verstehen habe.1017 Zunächst verdient es Zustimmung, dass Schmidhäuser versucht, eine andere Begrifflichkeit für das grundsätzlich richtig aufgewiesene Phänomen der „Kulturnormen“ zu finden, da ein solcher Terminus doch mitunter unpassend wirkt, so wenn man sagen müsste, „der Margarinefabrikant werde von der Kultur über seine Pflichten belehrt“.1018 Ungeachtet der Richtigkeit der Annahme, dass es schlichtweg illusorisch ist zu behaupten, in einem extrem ausdifferenzierten Gemeinwesen (wie dem unseren) werde der Einzelne von den Normen des Gesetzgebers direkt angesprochen,1019 können 1013  Röhl / Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 226, wobei der erste Satz gar im Fettdruck erscheint. 1014  Schmidhäuser, Von den zwei Rechtsordnungen, S. 12. 1015  Schmidhäuser, Von den zwei Rechtsordnungen, S. 12. 1016  Schmidhäuser, Form und Gehalt, S. 32 f. Fn. 27. 1017  Schmidhäuser, Von den zwei Rechtsordnungen, S. 13. 1018  Das Beispiel stammt von Max Ernst Mayer, Rechtsnormen und Kulturnormen, S. 22, selbst, der aber sogleich meint, dass auch innerhalb von besonderen Verkehrskreisen der Einzelne sehr wohl durch die Kultur angeleitet werde. 1019  Damit ist freilich nicht gesagt, dass die zweigliedrige Adressatentheorie immer unrichtig war bzw. sein muss. In anderen, weniger ausdifferenzierten, Gemein-

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aber auch seine Ausführungen nicht gänzlich überzeugen. Dies liegt vor allem daran, dass er ausdrücklich von zwei Rechtsordnungen innerhalb des Gemeinwesens spricht. Zwar hat Schmidhäuser – insbesondere unter Eindruck der von Hoerster geübten Kritik1020 – den inzwischen selbst als „terminologisch verfehlt“ gekennzeichneten Begriff der „gesellschaftlichen Rechtsordnung“ aufgegeben und ihn durch die Formulierung eines „im gesellschaftlichen Bewußtsein lebendigen Rechtsbegriffs“ ersetzt, nur hält er auch weiterhin an der Sprachregelung von der „staatlichen Rechtsordnung“ fest. Insofern mag man ihm vorhalten, er bringe damit noch immer zum Ausdruck, als gebe es neben dem staatlichen noch ein weiteres, andersartiges Recht. Man hat sich aber nachdrücklich von der Vorstellung zu lösen, dass das in der Gesellschaft aufzufindende Phänomen kein eigenständiges Recht ist – es handelt sich gerade um ein bloßes (unter Umständen verzerrtes) Abbild von Recht. (Mit der Erkenntnis, dass dieser gewisse Ausschnitt aus der Sozialmoral eben nicht dem Rechtsbegriff unterfällt, ist jedoch auch die ursprünglich an Binder geübte Kritik hinfällig:1021 Das Recht wird tatsächlich also „immer erst lebendig, wenn Streit entsteht.“1022) Gleichwohl ist die von Schmidhäuser verwendete Kennzeichnung des Phänomens äußerst treffend; man wird also daran festzuhalten haben, dass es – ähnlich der uns aus dem Schrifttum wohlbekannten Redeweise von der „Parallelwertung“ – um eine (durch die Sozialmoral geprägte) Rechtsvorstellung in der Laiensphäre geht.1023 Daneben setzt Schmidhäuser die eingliedrige Adressatentheorie des Rechts unnötigerweise weiterer Kritik aus, so er denn meint, nachweisen zu können, dass der Einzelne – wenn auch nur in einem engen Bereich – unmittelbarer Adressat der staatlichen Rechtssätze sei.1024 Aber auch für Vorschriften bei denen es der Mithilfe der Rechtsgenossen bedarf – Schmidhäuser bringt ein Beispiel aus dem Handelsgesetzbuch: Kaufleute haben ihre wesen mag der Einzelne tatsächlich Adressat der Rechtsnorm sein. Dies wird zu ihrem Überleben bis heute beigetragen haben. Gleichwohl: Zu einer entwickelten Gesellschaft passt sie nicht. Siehe auch Maier, Objektivierung des Versuchsunrechts, S.  149 f.; Röttger, Unrechtsbegründung, S. 239; Schmidhäuser, JZ 1989, 422. 1020  Siehe Hoerster, JZ 1989, 10 ff. 1021  Vgl. Schmidhäuser, Von den zwei Rechtsordnungen, S. 13, dort allerdings mit falscher Zitierung der Textstelle bei Binder (siehe zur Berichtigung die sogleich folgende Fn.). 1022  Binder, Adressat der Rechtsnorm, S. 11 f. 1023  Vgl. auch Schmidhäuser, JZ 1989, 424. – Dies erkennt zumindest in Grundzügen auch Hoerster, JZ 1989, 426, an, wenn er konzediert: „Neben dem ‚staatlichen Recht‘ gibt es so etwas wie die ‚in der Gesellschaft existente Vorstellung vom staatlichen Recht‘.“ 1024  Siehe dazu nochmals Schmidhäuser, Von den zwei Rechtsordnungen, S. 10 f., 16 f., 19; ihm folgend Röttger, Unrechtsbegründung, S. 238.



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Firma beim Handelsregister anzumelden – gilt nichts anderes als sonst; sie sind keineswegs unmittelbar an den Bürger adressiert, sondern auch bei diesen (wie auch insbesondere bei den Vorschriften des Straßenverkehrsrechts) kommt es einzig darauf an, was der Rechtsstab – bestehend aus den gesetzgebenden Körperschaften und Amtsträgern, den Richtern und Beamten sowie anderen gleichstehenden Personen1025 – mit ihnen und aus ihnen macht.1026 Haben wir also erkannt, dass die Rechtssätze nicht an den einzelnen Bürger adressiert sind, sollten wir auch meiden, von an den Jedermann gerichteten Rechtspflichten zu sprechen.1027 Damit ist jedoch nicht notwendig verbunden, den Begriff der Pflicht (bzw. des Pflichtempfindens) für das Recht für gänzlich irrelevant zu erklären.1028 Er hat zumindest dort seine Berechtigung, wo es um den strafrechtlichen Schuldbegriff geht.1029 Die gegenteilige Auffassung kommt bei umfassender Elimination der Idee der Pflicht dagegen dazu, das Gesetzesmerkmal der Schuld aus dem Straftatsystem hinaus zu komplimentieren:1030 Hoyer meint, dass die Berücksichtigung des Schuldprinzips den Erfordernissen eines durch Verhaltensbeeinflussung zu leistenden Rechtsgüterschutzes und damit den Grundaxiomen des Strafrechts widerspreche;1031 nur kommt auch er nicht an der Tatsache vorbei, dass das Strafrecht eben uneingeschränkt unter dem nullum crimen-Satz des 1025  Siehe dazu vor allem Alwart, Recht und Handlung, S. 79 Fn. 68; ferner Rehbinder, Rechtssoziologie, Rn. 3 und passim; vgl. auch Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 17, der von einem speziell auf Erzwingung eingestellten Stab von Menschen spricht, dazu ausführlich auch Raiser, Rechtssoziologie, S. 88 ff. 1026  Ganz in diesem Sinne argumentiert auch Alwart, Recht und Handlung, S.  151 f. 1027  Auch Schmidhäuser, JZ 1989, 424, bringt dies zumindest mittelbar zum Ausdruck, wenn er – bloß in Anführungszeichen – davon spricht, der Einzelne habe sich seiner „ ‚Rechts‘-Pflicht“ bewusst zu werden. 1028  Vgl. auch Schmid, Verhältnis, S.  69 ff. 1029  In diesem Sinne sind wohl auch die Ausführungen von Alwart, Recht und Handlung, S. 150, zu verstehen. – Der Schuldbegriff ist später im Einzelnen darzutun, siehe unten S. 425 ff. – Zur jedenfalls theoretisch bestehenden Möglichkeit auch im Rahmen des Unrechts von „Pflicht“verletzungen zu sprechen, siehe aber noch unten Fn. 7 (Kap. 4). 1030  Siehe nur Hoyer, Strafrechtsdogmatik, S. 88; zu dessen Konzept auch Neumann, GA 1999, 443 ff. – Auch Maier, Objektivierung des Versuchsunrechts, S. 151, wendet sich gänzlich gegen das Bestehen individueller Pflichten; vgl. auch oben Fn. 987 (Kap. 3): Richtig ist zwar, dass demokratisch legitimierten Normen kein bestimmtes „Ethikkonzept“ übergestülpt werden darf, allerdings ist damit nicht gesagt, dass sie keinesfalls mit einer (pflichtenzentrierten) Moralkonzeption in Verbindung gebracht werden dürften – gerade wenn das Gesetz augenscheinlich eine solche voraussetzt: man denke nur an die (Gesinnungs-)Mordmerkmale, siehe dazu auch unten S. 437. 1031  Hoyer, Strafrechtsdogmatik, S. 100.

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Art. 103 II GG steht – mag das Ergebnis „(vom Strafzweck her nicht angezeigter) Straflosigkeit“ im Einzelfall auch noch so ungewünscht erscheinen.1032 Einfach gewendet: Wenn – wie es aufgrund der zwingenden gesetzlichen Regelungen nicht angegriffen werden dürfte – sich das Strafrecht bei nicht vorhandener Schuld ausdrücklich der Rechtsfolge Strafe enthalten „will“, ist es zunächst einmal notwendig den Begriff der Schuld mit Leben zu füllen, anderenfalls machte das eigenständige Gesetzesmerkmal keinen Sinn, und sodann, bei Nichterweisbarkeit von Schuld, zwingend, die Rechtsfolge zu versagen – und zwar unabhängig davon, ob die Versagung nun vom Strafzweck her angezeigt ist oder eben nicht.1033 4. Zwischenfazit: Recht als Recht des Rechtsstabes; strafrechtliches Unrecht ohne Verletzung einer rechtlichen Verhaltensnorm, ohne Nachweis einer Bestimmungsnormwidrigkeit In den vorstehenden Abschnitten konnte gezeigt werden, dass die Annahme von an den einzelnen Bürger adressierten Rechtsnormen auf einer Fehlintuition beruht.1034 Ein solches Rechtsverständnis passt nicht zu einer ausdifferenzierten und entwickelten Gesellschaft.1035 Wir haben nicht nur 1032  Die Existenz solcher Fälle wäre allerdings nachzuweisen. – Andererseits ist Hoyer (ungeachtet seines geschlossenen wirkenden Systems) aber vor allem aufgerufen, darzutun, dass das hiesige, auf dem Schuldprinzip stehende Strafrechtskonzept tatsächlich als illegitim zu bezeichnende „Straffestsetzungen“ produziert. 1033  Etwas anderes könnte nur gelten, wenn man den Begriff der Schuld mit dem Strafzweck identifizierte, aber dann machte wiederum die Schuld als eigenständiger Begriff keinen Sinn. Wir sind also dazu aufgefordert, die Schuld mit (von Unrecht und Strafwürdigkeit abschichtbarem) Gehalt zu füllen. – Man beachte ferner: Hoyer, Strafrechtsdogmatik, passim, überbetont die Redeweise vom Un-Recht, als der die Sanktion insgesamt auslösenden „Verletzung“ von Recht, meint also – ungeachtet der rechtstheoretischen Richtigkeit –, das die Strafsanktion auslösende (Un-)Recht ausschließlich bei Vorliegen aller Voraussetzungen nachweisen zu können, verkennt dabei aber wohl, dass man auch einen lediglich auf einem Unwert fußenden, weniger weiten, vom Strafrecht ausdrücklich gesetzlich vorausgesetzten Unrechtsbegriff (wie übrigens auch einen Schuldbegriff) bilden kann. Auch erscheint das Gesetzesmerkmal des Unrechtsbewusstseins bei Hoyer, Strafrechtdogmatik, S. 263 f., 274, 325, 397, ohne irgendwie geartete dogmatische Anbindung, es mutet an, als schwebe es frei im Raum. Konkret gefragt: Auf welches materielle, strafgesetzlich vorausgesetzte Unrecht nimmt das Unrechtsbewusstsein – als Bewusstsein vom Unrecht – bei ihm Bezug? 1034  Das von Seher, Frisch-FS, S. 218 Fn. 50, ausgemachte Problem, „warum die Verhaltensnormen in fester legislativer Tradition nicht explizit mitformuliert werden, gehört zu den von der Normentheorie noch nicht gelüfteten Geheimnissen“, erweist sich damit als bloß scheinbares. 1035  Es mutet anachronistisch an, zu glauben, dass der Jedermann am hochkomplexen Teilsystem Recht unmittelbar teil hätte. – Luhmann, Recht der Gesellschaft,



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Recht und Moral zu trennen, sondern das Recht möglichst auch von der für das Naturrecht und der Moral typischen Universalität zu entlasten.1036 Das bringt uns dahin, „lediglich“ festhalten zu können, dass der Rechtsstab die für ihn geschaffenen Rechtsnormen anwenden soll.1037 Mit dieser monistischen Konzeption, der einseitigen Adressierung von Rechtsnormen, können wir außerdem mit einer wohl noch weithin verbreiteten Denkweise aufräumen. So ist insbesondere mit der – nahezu immer von zweierlei Adressaten ausgehenden – Imperativentheorie die Annahme verknüpft, dass man die Rechtsbeziehung zwischen Staat und Bürger als eine von befehlendem Souverän zu ausführendem Untertan zu deuten habe. Der Einzelne wird als schlichter Rechtsunterworfener, als Befehlsempfänger behandelt. Dass ein solches – vielleicht ehemals vor allem der deutschen Tradition entsprechendes – Staats- und Rechtsverständnis mit unserer heutigen Individualrechte des Einzelnen in den Vordergrund rückenden Verfassung kaum in Einklang zu bringen ist, hat bereits vor knapp 50 Jahren Schmidhäuser angedeutet.1038 Wir sollten die Beziehung also vielmehr auch von der anderen Seite her denken: Der Einzelne wird dort zum Souverän des Rechtsstabes, wo in eiS. 38 ff., zeigt die operative Geschlossenheit – nicht Abgeschlossenheit (a. a. O., S. 43 f.) – des Rechtssystems. 1036  Besonders schön formuliert das Grasnick, myops 4 / 2008, 16, in Auseinandersetzung mit dem laut BVerfG verfassungsrechtlich (bzw. vielleicht doch eher „verfassungsmoralisch“) legitimierten Verbot des Inzests zwischen Geschwistern: „Lassen wir der Moral ihr Recht. Im Recht hat sie nichts verloren.“ – Wie ungebrochen stark aber das Verlangen ist, Recht mit (moralischer) Gerechtigkeit zu identifizieren, zeigt exemplarisch die Kritik von Hall, Schwinge-FS, S. 230 (Hervorhebungen im Original), an der Auffassung von Goldschmidt, Prozess als Rechtslage: „Goldschmidt geht von der Lebenserfahrung aus, daß Recht haben und Recht kriegen zweierlei sind. Das ist mir zu modern, zu ‚soziologisch‘. […] Es fehlt der Lehre Goldschmidts das Ethos der Rechtsidee.“ 1037  So bereits ausdrücklich Alwart, Recht und Handlung, S. 147. – Ein anschauliches Beispiel für ein an den Rechtsstab gerichtetes Sollen liefert Schmidhäuser, Von den zwei Rechtsordnungen, S. 14 f.: An den Amtsrichter ergeht exemplarisch Folgendes: „Du sollst jetzt als der in diesem Rechtsstreit des Klägers gegen den Beklagten zuständige Richter (– welche Fülle von Regelungen alleine hierfür: von der Zuständigkeit des Amtsgerichts über die ordnungsgemäße Berufung zum Richter bis zur Geschäftsverteilung! –) in diesem durch ordnungsgemäß erhobene Klage eingeleiteten Verfahren usw. auf Grund der vom Kläger gestellten Anträge den Beklagten, der nach deiner in der Beweisaufnahme pflichtgemäß begründeten Überzeugung, durch den wirksam geschlossenen Vertrag vom Soundsovielten – geschlossen durch den Kraft Vollmacht bestellten Vertreter XYZ – den von ihm vom Kläger hernach gelieferten Photoapparat zum Preise von 900 DM gekauft hat, zur Zahlung von 900 DM verurteilen!“. – Merke: Recht tritt uns immer in Form von realen Handlungen des Rechtsstabes gegenüber, wird deshalb vom Vollkommenheitsdenken befreit und bleibt immer begründungsbedürftig; siehe dazu auch Alwart, Recht und Handlung, S.  163 f. 1038  Schmidhäuser, Von den zwei Rechtsordnungen, S. 21 f.

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ner demokratischen Rechtsordnung alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht, wo der Bürger wählt.1039 Erkennt man einzig den Rechtsstab als Adressaten der Rechtsnormen an,1040 ist damit aber keineswegs gesagt, dass der Einzelne dessen Handlungen nicht in seine Planungen einkalkulierte, mit ihnen rechnete, von ihnen angeleitet werde. Vielmehr bedenkt der Bürger – sowohl aufgrund eigener Rechtserfahrungen als auch aufgrund teilnehmenden Beobachtens des Rechtslebens1041 – sehr wohl etwaige Verhaltensweisen der Verwaltung oder Ordnungsbehörden, nur wird er deshalb nicht als Adressat der hypothetischen Imperative vorausgesetzt. Alwart formuliert das so: „Wie es für jemanden, der einen Ausflug machen will, unklug wäre, das Wetter nicht zu berücksichtigen, empfiehlt es sich generell, mögliche Reaktionen z. B. von Polizei und Justiz auf das eigene Handeln mitzubedenken.“1042 Mangels der Nachweisbarkeit von an den einzelnen Bürger adressierten Rechtspflichten, ist dem zur Bestimmung des strafrechtlichen Unrechtsbegriffs im Schrifttum allseits vertretenen Konzept von rechtlichen Verhaltensbzw. Bestimmungsnormen zwingend die Gefolgschaft zu verweigern. Scheidet die „Normwidrigkeit“ damit aber aus, den Gehalt des strafgesetzlich vorausgesetzten Unrechtsbegriffs zu bilden, können wir das Unrecht einzig auf ein materielles Unwertmoment gründen. Bevor dem im Einzelnen nachzugehen ist, haben wir uns nun aber noch einige der im Schrifttum – auf den soeben aufgewiesenen normentheoretischen Grundlagen fußenden – gerade bei den Fahrlässigkeitsdelikten auftretenden Fehler genauer zu beschauen.

Alwart, Recht und Handlung, S. 148; vgl. auch S. 153. ZIS 2011, 387, wirft einer solchen Konzeption vor, eine echte einseitige Adressierung der Strafgesetze an den Rechtsstab könne nicht gelingen, da „damit die Verletzung der Sozialmoral zur Voraussetzung der Bestrafung und damit auch der Verpflichtung des Rechtsstabs zur Herbeiführung einer Bestrafung gemacht wird – und gerade nicht die Verletzung einer Rechtspflicht, so dass auf diese Weise das erreicht wird, was die genannten Autoren [gemeint sind Alwart und Maier] doch gerade vermeiden wollen: die auf naturrechtliche Residuen gestützte Bestrafung.“ Insofern ist lediglich zu bemerken, dass nach hiesigem Verständnis gerade nicht die Sozialmoral als solche zur Voraussetzung der Bestrafung wird, sondern nur ein vom demokratisch legitimierten Gesetzgeber definierter Ausschnitt aus dieser, so dass der Vorwurf, man kehre zu einer naturrechtlichen Fundierung zurück, abwegig erscheint. Der Rechtsstab hat nur zu prüfen, ob der Einzelne diese von der Rechtsgemeinschaft vorgenommene Wertung in seiner Vorstellung bei Begehung der Tat nachvollzogen hat oder zumindest nachvollziehen konnte. 1041  Siehe dazu Alwart, Recht und Handlung, S. 161 f. 1042  Alwart, Recht und Handlung, S. 152. 1039  Ebenso

1040  Gössel,



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II. Wider die Normentheorie, das Bestimmtheitsdefizit, den Sorgfaltsbegriff und das Aliud-Theorem der „herrschenden Meinung“ 1. Allgemeines – Kausierungsverbote und gesetzliche Bestimmtheit Die sich durch Umdeutung der Strafgesetze in verhaltensanleitende Verbots- bzw. Gebotsnormen auszeichnende Normentheorie, das Postulat, die Fahrlässigkeit lasse sich einzig durch den Begriff der Sorgfalt sachangemessen beschreiben, und die Behauptung, Vorsatz- und Fahrlässigkeitsdelikt seien Alia, sind miteinander eng verwobene Themenkomplexe; sie können als Basisdogmen der herrschenden Meinung zur Erklärung des fahrlässigen Deliktes bezeichnet werden. Mag der im Schrifttum (ausdrücklich oder lediglich unausgesprochen) vorausgesetzte Umdeutungsakt – ungeachtet der oben aufgewiesen Friktionen – bei den Vorsatzdelikten noch einigermaßen gelingen, sieht sich ein solches Vorgehen im Rahmen der Diskussion um die Fahrlässigkeit sofort zentralen Problemen ausgesetzt.1043 Versucht man beispielsweise an die Bestimmungs- bzw. Verhaltensnorm des § 222 StGB zu gelangen, kommt man unter Zuhilfenahme des praktizierten Umdeutungsakts zu einem an den Einzelnen adressierten „Du sollst nicht den Tod eines anderen verursachen!“ oder einem „Du sollst nicht töten!“. Da es bei den Fahrlässigkeitsfällen nun regelmäßig so liegt, dass der spezifische Täter (in der Tatsituation) das beschriebene allgemeine Verbot aktuell gerade nicht sieht, und selbiges insofern bei ihm auch keine handlungsanleitende Funktion ausüben kann, meint man, das Verbot anders bilden zu müssen. Das – für sich genommen bereits unbegründbare – Umdeutungsverfahren wird seinerseits umgedeutet – oder eher: der Sache nach verworfen. Es bedarf eines zusätzlichen Aspektes, der das bloße, zu handlungsanleitenden Zwecken ungeeignete, Kausierungsverbot gewissermaßen befolgbar macht; denn: Einem „Du sollst nicht den Tod eines anderen verursachen!“ kann man – so die These – nur folgen, wenn man es (irgendwie) vor Augen hat.1044 Da das gesuchte, hinzutretende Etwas nun aber nicht durch unmittelbare Umdeutung der Strafgesetze zu gewinnen ist, meinen zahlreiche Autoren, die Fahrlässigkeitsdelikte trügen dem grundgesetzlichen Bestimmt1043  Man beachte nur: Die Tatsache, dass es unmöglich ist, die für die Vorsatztaten behauptete Warn- bzw. Appellfunktion des Tatbestandes bzw. des sog. Tatbestandsvorsatzes bei den Fahrlässigkeitsdelikten nachzuweisen, hat beispielsweise Arzt, ZStW 91 (1979), 857 ff., dahingehend bewogen, bei letztgenannten die Vorsatztheorie anzuwenden – die jedoch sonst von der herrschenden Meinung per se für unvertretbar gehalten wird (gegen diese Behauptung aber zurecht Langer, GA 1976, 193 ff.). 1044  Vgl. nur oben Fn. 46 (Kap. 3) und S. 214 f.

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heitsgrundsatz (Art. 103 II GG) nicht (genügend) Rechnung1045 – eine Behauptung, die freilich nur dann verfangen könnte, wenn man die hier ausführlich widerlegte Ummodelungsprämisse akzeptiert; fundiert man dagegen Vorsatz-, wie Fahrlässigkeitsdelikt übereinstimmend auf gleichlaufenden Unwertsachverhalten, sind – vereinfacht gesprochen – entweder beide Deliktstypen nicht genügend gesetzlich bestimmt (zu diesem Ergebnis kommt aber soweit ersichtlich niemand), oder es ist eben keiner der beiden als unterbestimmt zu bezeichnen.1046 2. Die angebliche Verhaltensnormkonturierung durch den Sorgfaltsbegriff Abstrahiert man aber einmal von dem angeblichen Fallstrick der Bestimmtheit, sieht sich das Problem um das Auffinden des zusätzlichen, spezifizierenden Normaspektes von der herrschenden Meinung bekanntermaßen mit schneller Hand gelöst. Man bedient sich des Sorgfaltsbegriffs, den man nicht zuletzt dem BGB, wenn nicht entnimmt, so doch entlehnt; man findet ihn bereits in der ursprünglichen – mit der heutigen übrigens wiederum identischen – Fassung des § 276 II BGB vom 18. August 1896 und sodann in der ab dem 1. Januar 1900 in Kraft getretenen Gesetzesfassung – dort aber im § 276 I 2 BGB niedergelegt.1047 Dass eine konsistente 1045  Vgl. dazu nochmals oben S. 153  f., 156. – Auch für die in historischer Sicht zunächst zumeist weniger normentheoretisch, sondern eher ontologisch argumentierenden Finalisten stellt(e) sich das gleiche Problem (vornehmlich diskutiert unter dem Stichwort „offene Tatbestände“), bei diesen nur noch dahingehend verschärft, ein finales Element ausfindig machen zu müssen. 1046  Damit ist jedoch nicht gesagt, es sei die Herausarbeitung des von Gesetzes wegen unerlaubten Verhaltens immer einfach. Es handelt sich hierbei vielmehr um das zentrale Problem der fahrlässigen Delikte, nur hat dies nichts mit fehlender gesetzlicher Bestimmtheit zu tun. Vgl. dazu insbesondere noch Herzberg, NStZ 2004, 593 ff. – Besonders nachdrücklich betont Schmitz, Samson-FS, S. 181 ff., dass die im heutigen StGB vertypten Fahrlässigkeitsstraftaten gegen Art. 103 II GG verstießen. Sein diesbezügliches Verdikt lautet also ohne Wenn und Aber: Verfassungswidrig! Seine Folgerung fußt ganz nachdrücklich auf der konsequenten Befolgung des falschen, aber herrschenden Umdeutungsverfahrens. Leider gibt uns Schmitz keinen Hinweis darauf, wie man denn die Fahrlässigkeitstatbestände formulieren müsste, wollte man „die Lenkungsfunktion des Strafgesetzes als auch den Bestimmtheitsgrundsatz ernst nehmen“ (a. a. O., S. 198). Warum er nicht einen gesetzgeberischen Vorschlag unterbreitet, bleibt zunächst unerfindlich; darf uns dann aber schlussendlich nicht weiter verwundern, denn: Es geht nicht genauer! Dies sollte uns auch aufgrund der Wanderung durch die Dogmengeschichte der Fahrlässigkeit bewusst geworden sein. Zu Recht kritisch zu Schmitz auch Herzberg, ZIS 2011, 444 ff., insb. 451. 1047  Welche Strahlkraft die im Bürgerlichen Recht zu findende Definition der Fahrlässigkeit unter Abstellen auf den Sorgfaltsgedanken auch auf das Strafrecht



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Bestimmung dieses – zum rettenden Anker erkorenen – Sorgfaltsbegriffs jedoch bisher nicht geleistet wurde, ist bereits oben bei bloßer Nachzeichnung der von der herrschenden Literatur angeführten, äußerst heterogenen Elemente deutlich geworden.1048 a) Sondernormen, Schutzzwecklehre und Sorgfaltsbegriff Hier ist nur nochmals ausdrücklich auf einen insbesondere normentheoretisch bedeutsamen Punkt genauer einzugehen: Stellt man, um ein allgemeines Verbot – im Stile „Verursache nicht den Tod eines anderen!“ – zu spezifizieren, auf sog. konkrete Sondernormen (wie die Vorschriften der StVO) ab, könnte man auf den ersten Blick meinen, man erhalte das Tötungsverbot konkretisierende Handlungsanweisungen: Beispielsweise scheint § 2 II StVO dem Einzelnen direkt zu gebieten, „möglichst weit rechts zu fahren“. Angenommen unser Täter tötet unbewusst einen anderen Menschen unter (jedoch insofern bewusster) Verletzung dieses Gebots, mutet es an, als sei die Zuwiderhandlung gegen die (durch Umdeutung erlangte) konkretere Verhaltensrichtlinie des § 2 II StVO, das „Du sollst rechts fahren!“1049, der eigentliche Grund – neben dem zweifelsohne notwendigen, aber nach allgemeiner Auffassung erst sekundären tatbestandlichen Erfolg – für die (hier einmal anzunehmende) Fahrlässigkeitsstrafbarkeit gemäß § 222 StGB. Dass entfaltet haben wird, mag man exemplarisch am Gesamtwerk Berners ersehen. Findet sich in seiner aus dem Jahre 1843 stammenden Schrift im Abschnitt über die culpa (Berner, Imputationslehre, S. 227 ff.) nur ganz am Rande der Hinweis auf den Sorgfaltsbegriff (und zwar im Rahmen der Beschäftigung mit der aus seiner Sicht für das Strafrecht unbrauchbaren zivilrechtlichen Herangehensweise (a.  a.  O., S. 238 f.)), und verteidigt er auch in einer späteren Schrift seine Position, die Culpa in Frevelhaftigkeit und Unbedachtsamkeit zu gliedern, ohne auf den Begriff der Sorgfalt zu rekurrieren (Berner, Theilnahme am Verbrechen, S. 153 ff.), so wird die „Kulpa (Fahrlässigkeit)“ in seinem Lehrbuch von 1898 unter sofortigem Hinweis auf den Sorgfaltsgedanken bestimmt, siehe Berner, Lehrbuch, S. 129 ff. 1048  Siehe oben S. 174 ff., zusammenfassend S. 211 ff. 1049  Aber auch insofern offenbaren sich zahlreiche Folgefragen. So verhält es sich gerade nicht immer so (zur Indizwirkung vgl. auch die sogleich folgende Fn.), dass es, um sorgfältig zu handeln, immer geboten wäre, möglichst weit rechts zu fahren. Die StVO selbst enthält „Ausnahmeregelungen“, siehe dazu nur § 7 I 1 und III 1 StVO. Lautet das an den einzelnen Bürger direkt adressierte Gebot also vielleicht vielmehr: „Du sollst möglichst weit rechts fahren (vgl. § 2 II StVO), außer du fährst dein Kraftfahrzeug auf Fahrbahnen mit mehreren Fahrstreifen für eine Richtung und die Verkehrsdichte rechtfertigt das (vgl. § 7 I 1 StVO), oder aber die Verkehrsdichte rechtfertigt das nicht, du fährst jedoch innerhalb geschlossener Ortschaften – ausgenommen auf Autobahnen – mit einem zulässigen Gesamtgewicht bis zu 3,5 t auf Fahrbahnen mit mehreren markierten Fahrstreifen für eine Richtung (vgl. § 7 III 1 StVO)“? Oder ist die nun konkretisiertere Verhaltensrichtlinie noch weiter zu konkretisieren? Das hiesige Beispiel wäre problemlos ergänzbar.

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das nicht sein kann, wird auch von der herrschenden Meinung erkannt – eine Hilfskonstruktion muss her, um die sonst in zahlreichen Fällen drohende Strafbarkeit einzuschränken. Man begrenzt dergestalt, dass der eingetretene Erfolg (unter anderem) vom „Schutzzweck der Norm“ umfasst sein müsse.1050 Dies geschieht nun aber nicht auf der eigentlich den Normverstoß kennzeichnenden Ebene des Handlungsunwertes, sondern im Rahmen der Prüfung, ob denn der Erfolg auf dem rechtlich missbilligten bzw. unerlaubten oder rechtlich relevanten etc. Verhalten beruht.1051 Mit anderen Worten: Es stört die herrschende Meinung offensichtlich nicht, den ihrer Auffassung nach durch den rechtlichen Verhaltensnormverstoß gekennzeichneten Handlungsunwert des fahrlässigen Deliktes durch im Einzelfall völlig unspezifische Sorgfaltspflichtverletzungen zu beschreiben,1052 da ja erst auf der Ebene des Erfolgsunwertes der Normzweck der Sorgfaltspflicht analysiert werden soll.1053 Auch damit ist erneut die Unrichtigkeit der Grundprämisse bewiesen: Wie sollte eine im Einzelfall unspezifische Sorgfaltspflicht überhaupt dazu dienen können, das angeblich an den Bürger adressierte Tötungsverbot zu spezifizieren, und insofern handlungsanleitende Kraft zu entfalten? 1050  Daneben schleift man die eigenen Prämissen freilich noch dahingehend, dass man den die Sorgfalt kennzeichnenden „Sondernormen“ nur eine „Indizfunktion“ zuerkennt. – Bereits dies allein sollte reichen, die „dogmatische“ Konstruktion in Gänze zu hinterfragen. 1051  Siehe dazu oben S. 195 ff. – Am Rande sei noch Folgendes bemerkt: Gegen diesen Einwand hat insbesondere Frisch – dazu oben S. 312 ff. – sein System immunisiert. So hat er erkannt, dass es sich bei dem in Rede stehenden Problem ausschließlich um eine Frage der Verhaltensnormkonturierung, nicht aber um eine der objektiven Erfolgszurechnung handeln kann. Gleichwohl ist Frisch unter anderem vorzuhalten, am unbegründbaren Umdeutungsverfahren der Strafgesetze festzuhalten. 1052  Vgl. dazu auch die berechtigte, ähnlich gelagerte Kritik am Vorgehen der herrschenden Meinung bei Kindhäuser, GA 1994, 204 ff. 1053  Ein Beispiel: Asylbewerber A geht einer Erwerbstätigkeit im Bauhandwerk entgegen der Bestimmung des § 61 I AsylVfG nach. Im Rahmen dieser Tätigkeit verursacht A durch die Verwendung einer Maschine – ohne dass er einen (weiteren) Sorgfaltsverstoß begeht – den Tod eines anderen Menschen, der sich – für A unerkannt – auf das Gelände geschlichen hatte. Konsequenterweise müsste die herrschende Meinung den Verstoß gegen das Verbot „Du darfst – wenn du als Ausländer verpflichtet bist, in einer Aufnahmeeinrichtung zu wohnen – keiner Erwerbstätigkeit nachgehen!“ als den Verhaltensnormverstoß der fahrlässigen Tötung ansehen. Erst auf der Ebene der Erfolgszurechnung würde man dazu kommen, dass der Schutzzweck der Norm, des Verbots von Asylbewerbererwerbstätigkeit, nicht den Sinn hat, mit der Errichtung von Bauwerken allgemein verbundene Erfolge zu verhindern. – Man beachte jedoch: Damit ist keineswegs Kritik daran geübt, dass der – untechnisch gesprochen – Strafbarkeitsausschluss prüfungstechnisch „zu spät“ kommt, sondern nur erneut aufgewiesen, dass es sich beim Verfahren der rechtlichen Verhaltensnormbildung um ein inkonsistentes handelt.



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Sodann tut sich für das Bestimmungsnormmodell ein generell bestehendes Folgeproblem auf. So müsste es eigentlich vorausgesetzt sein, dass der Täter die von ihm übertretene „Sondernorm“ im Handlungszeitpunkt sieht – er also beispielsweise um die Verletzung des Rechtsfahrgebotes weiß. Anderenfalls würde sich ja das oben angeführte Argument erübrigen, dass es einer Spezifizierung des Tötungsverbotes gerade aus dem Grunde bedarf, weil der Täter selbiges (aufgrund seiner Abstraktheit) zur Tatzeit nicht sieht, und es bei einem solchen Nichtsehen auch keine handlungsanleitende Kraft geben kann. Anders gewendet: Überträgt man den Gedankengang um die Verhaltensbestimmung auf das „spezifizierte“ Tötungsverbot „Fahre rechts!“, müsste man also konsequenterweise sagen, nur wenn der Täter im Handlungszeitpunkt aktuell um das Rechtsfahrgebot weiß, kann es eine ihn bestimmende Funktion ausüben; weiß er nicht darum, kann es von vornherein keine geben. Sieht der Täter das Verbot also nicht, müsste man, um den Nachweis der Verletzung führen zu können, das bereits konkretisierte(re) Verbot solange spezifizieren, bis der Täter es sieht (nicht: sehen kann), sonst erweist sich das Verdikt der Bestimmungsnormwidrigkeit als unmöglich.1054 Behauptet man also, die bloßen Kausierungsverbote müssten spezifiziert werden, um handlungsanleitende Kraft zu entfalten, müsste dies exemplarisch auch für die – nicht erkannte – Verletzung des Rechtsfahrgebotes gelten. Diesen Schluss zieht die herrschende Meinung jedoch bekanntlich nicht, sie lässt es – wider ihre Prämissen, aber wie hier zu betonen ist, im Ergebnis zu Recht – genügen, wenn der Täter „unbewusst fahrlässig handelt, [was nach ihrer Auffassung dann gegeben ist, wenn selbiger] bei einem bestimmten Tun oder Unterlassen die gebotene Sorgfalt außer Acht lässt und infolgedessen den gesetzlichen Tatbestand verwirklicht, ohne dies zu erkennen.“1055 Nochmals: Wenn es doch augenscheinlich für die Fahrlässigkeit nicht auf ein aktuelles Bewusstsein um das Verbot ankommt, warum sollte dann – einmal ungeachtet der oben aufgewiesenen sonstigen Schwierigkeiten – nicht die Erkennbarkeit vom bloßen „Du sollst nicht den Tod eines anderen verursachen!“ genügend sein?1056 1054  Diese Tatsache versuchen diejenigen Autoren zu berücksichtigen, die wie Struensee (siehe oben S. 298) auch im Rahmen des Fahrlässigkeitsdeliktes eine Kenntnis fordern. 1055  Siehe nur nochmals Wessels / Beulke / Satzger, Strafrecht AT, Rn. 661. 1056  Man wird dagegen womöglich (alltagspsychologisch fundiert) einwenden: Der Täter hätte zwar ohne weiteres erkennen können, dass er das Rechtsfahrgebot missachtet; aber dass er dadurch „direkt“ einen Menschen tötet, das hätte er schwerlich erkennen können. Aber genau letzteres wird dem Täter bei Erfolgseintritt nach dieser Lehre doch (bei Vorliegen der hier einmal anzunehmenden übrigen Voraussetzungen) zum Vorwurf gemacht. Dass man sich gegen eine solche Sichtweise sperrt, hängt wiederum damit zusammen, dass die herrschende Meinung die Rechtsnormen an den Einzelnen adressiert. Man versetzt sich in den Täter und denkt sich das

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Man hat sich überhaupt noch einmal klar zu machen,1057 dass es keine von Sondernormen abschließend „durchnormierten“ Bereiche gibt. Im Rahmen der strafrechtlichen Beurteilung kommt es – beispielhaft gewendet – nie auf eine abstrakt allgemeine Befolgung des Rechtsfahrgebotes an, sondern immer nur auf die konkrete Handlung in der sozialen Wirklichkeit: auf das Hier und Jetzt; die überwiegende Lehre erkennt das mittelbar selbst an, wenn sie den sog. Sondernormen (allenfalls) indizielle Funktion beimisst. Dass die herrschende Meinung dem Sorgfaltsgedanken und damit unter anderem den Sondernormen gleichwohl einen dogmatisch ganz entscheidenden Stellenwert einräumt, hängt wohl damit zusammen, dass man im Rahmen der Fahrlässigkeitsstraftat regelmäßig solche Fälle zum gedanklichen Ausgangspunkt erwählt, in denen der Täter ein bestimmtes Ziel anstrebt, dessen Erreichung von der Rechtsgemeinschaft abstrakt gesehen zumindest gebilligt wird, wobei nun aber in der konkreten Situation die Gefahr des Eintritts eines schädlichen Nebenerfolges heraufbeschworen wird (und sich verwirklicht). Man mag sogleich an das „an sich“ erlaubte Autofahren denken – „Autofahren ist doch nicht verboten!“ – und dementsprechend einzig die Frage für zulässig erachten, ob der durch den Täter herbeigeführte Unfall mit Todesfolgen durch Sorgfalt vermeidbar gewesen wäre. Eine Sorgfalts-, eine Vermeidepflichtverletzung scheint der Fahrlässigkeitsstraftat also ihr Gepräge zu verleihen. Nur wird bei einer solchen Sicht der Dinge eben verkannt, dass es ein abstrakt sorgfaltsgemäßes Autofahren nicht gibt; ein „an sich“ erlaubtes Tun oder Unterlassen ist für die strafrechtliche Beurteilung irrelevant. Eine Randbemerkung: Der Tatsache, dass es keine solchen allgemeinen Erlaubnisse (bzw. Ver- und Gebote) gibt, versuchen auch einige neuere verhaltensnormtheoretische Ansätze Rechnung zu tragen, indem sie – anders als hier – die (angeblich) an den Jedermann gerichteten Imperative auf die passende rechtliche Verbot so: „Da hättest du aber auf das Rechtsfahrgebot achten müssen!“ Dies erscheint einfacher als bei jedem der in der Praxis wohl recht häufig vorkommenden Verstöße im Sinne von § 2 II StVO zu sagen: „Da hättest du aber auf das Tötungsverbot achten müssen!“ (– obwohl es kaum bestritten werden würde, dass das Rechtsfahrgebot gerade dem Schutz der körperlichen Integrität und des Lebens dient). Der Jedermann sieht sich eben bei „bloßer“ Verletzung des Rechtsfahrgebotes ungern als unmittelbaren Adressaten des Tötungsverbotes: „Nur weil ich einmal zu weit links gefahren bin, habe ich doch nicht das Tötungsverbot verletzt!“. 1057  Siehe zum Folgenden schon Schmidhäuser, Schaffstein-FS, S. 134. – Im Übrigen ist noch darauf aufmerksam zu machen, dass sich das Abstellen auf den Sorgfaltsaspekt als Überdehnung eines (allenfalls) partiell richtigen Gedankens erweist – aus den stärker „durchnormierten“ Bereichen wird unberechtigterweise auf alle anderen Fahrlässigkeitsfälle zurückgeschlossen; dieser Aspekt ist später noch anhand eines Beispielsfalles innerhalb des Aufweises der Unrichtigkeit des damit verzahnten Aliud-Theorems zu erörtern. Siehe dazu unten S. 365 f.



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ganz spezifische Situation zuschneiden, und absolut individualisiert verbzw. gebieten wollen.1058 Die herrschende Meinung hat diesen Weg – ungeachtet der überhaupt gegebenen Unbegründbarkeit rechtlicher Verhaltensnormen – berechtigterweise wohl auch deshalb nicht eingeschlagen, da man bei einem solcherart stattfindenden Zuschnitt auf das Individuum nicht mehr dem Begriff der – alltagssprachlichen – Norm gerecht wird, da dieser als „Winkelmaß, Richtschnur, Regel“ doch gerade vom Einzelfall abstrahiert und der Sache nach auf den Durchschnitt bezogen ist.1059 Der Versuch der herrschenden Meinung, den Normbegriff auf diese Art zu retten, ist nachvollziehbar, nur ist ihm kein Erfolg beschieden – insofern liegen deren Kritiker richtig. b) „Sondernormfreie“ Regelungsbereiche und Sorgfaltsbegriff Ganz nachdrücklich versagt der Sorgfaltsbegriff zur Verhaltensnormkonturierung auch dort, wo es an „sog. Sondernormen“ von vornherein fehlt, wo wir also weder spezielle außerstrafrechtliche Rechtsvorschriften noch allgemeine Erfahrungssätze wie die Regeln der ärztlichen Kunst heranziehen können. Dazu ein Beispiel aus der jüngeren Rechtsprechung:1060 Eine Mutter hatte nach einem Zusammensein mit mehreren Gästen – bei dem „zahlreiche Zigaretten“ geraucht wurden – des Nachts ihre Wohnung verlassen, ohne „das Wohnzimmer auf feuergefährliche Gegenstände, insbesondere auf heruntergefallene brennende oder glimmende Zigarettenreste zu untersuchen.“ In ihrer mehrstündigen Abwesenheit entwickelte sich auf der Couch – auf der sie unter anderem auch ein Feuerzeug befand – ein Schwelbrand, an dessen Folgen die beiden in der Wohnung zurückgebliebenen Kinder verstarben. „Hinsichtlich der Entstehung des Schwelbrandes hat die Strafkammer zwei mögliche Ursachen erörtert: Zum einen – was das LG zugunsten der Angeklagten als fernliegend verwarf – sei die Möglichkeit in Duttge, Bestimmtheit, S. 459 ff.; ausführlich dazu oben S. 298 ff. im Duden, Fremdwörterbuch, S. 710, zu findenden Beispiele lassen sich als Pamphlet gegen die Individualisierung lesen: Die Norm als: „1. (meist Plural) allgemein anerkannte, als verbindlich geltende Regel für das Zusammenleben von Menschen. 2. eigentlich übliche, den Erwartungen entsprechende Beschaffenheit, Größe o. Ä.; Durchschnitt. 3. a) festgesetzte, vom Arbeitnehmer geforderte Arbeitsleistung; b) in der ehemaligen DDR als Richtwert geltendes Maß des für die Produktion von Gütern notwendigen Aufwands an Arbeit, Material u. Arbeitsmitteln. 4. (Sport) als Voraussetzung zur Teilnahme an einem Wettkampf [für einen Sportverband] vorgeschriebene Mindestleistung. 5. (in Wirtschaft, Industrie, Technik, Wissenschaft) Vorschrift, Regel, Richtlinien o. Ä. für die Herstellung von Produkten, die Durchführung von Verfahren, die Anwendung von Fachtermini o. Ä.“. 1060  BGH, JZ 2005, 685 f. mit Anm. Walther (a. a. O., 686 ff.); sowie Herzberg, NStZ 2005, 602 ff. 1058  Exemplarisch

1059  Die

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Betracht zu ziehen, daß der beinahe fünfjährige Sohn auf der Wohnzimmercouch mit einem Feuerzeug gezündelt habe; zum anderen – wovon die Kammer letztlich ausging – könne der Schwelbrand durch einen auf die Couch gefallenen glimmenden Zigarettenrest oder durch heruntergefallene Zigarettenglut entstanden sein.“ Das Landgericht hatte die Angeklagte vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung freigesprochen, da sie „weder aufgrund eigenen vorangegangenen Verhaltens noch aufgrund ihr bekannter Unachtsamkeiten Dritter mit restlicher Glut im Bereich der Couch“ habe rechnen müssen. Der Bundesgerichtshof kommt zum gegenteiligen Ergebnis; der erste Senat will eine Sorgfaltspflichtverletzung festgestellt wissen.1061 Aufgrund der expliziten Ermangelung von „Sondernormen“ tritt das Revisionsgericht dazu den Versuch an, den Begriff der Sorgfalt mit der regelmäßig gegebenen Definition – also unter Zuhilfenahme des „besonnenen und gewissenhaften Menschen in der konkreten Lage und sozialen Rolle des Handelnden“ – zu konturieren. Wie wenig aber mit einer solchen Formulierung gewonnen ist, zeigt sich schon darin, dass sich die „Feststellung“ der Sorgfaltspflichtverletzung der Sache nach in einer bloßen Nacherzählung des bereits vom Instanzgericht festgestellten Sachverhaltes erschöpft. Bezeichnenderweise scheint die Heranziehung des unspezifischen Terminus der Sorgfalt die Bejahung des Straftatbestandes der fahrlässigen Tötung deutlich zu vereinfachen, so der BGH für die Pflichtverletzung allem Anschein nach lediglich auf folgende Tatsachen abhebt: Starkes Rauchen mehrerer Personen; Nichtbeseitigung von „unordentlich auf der Couch befindlichen Zeitschriften, Papieren, und Kleidungsstücken“, sowie eines Feuerzeuges; Auffindbarkeit einer „Vielzahl von Zigarettenstummeln […] auf dem vor der Couch stehenden Glastisch in einem Aschenbecher und in einem Unterteller“; Vernachlässigung der beiden Kinder, „die noch sehr klein waren“, und zusätzlicher krankheitsbedingter Bettlägerigkeit des Sohnes „wegen der Windpocken“. Dem Urteil merkt man deutlich an, wie sehr dem ersten Senat das Agieren der Mutter und deren Lebenswandel missfiel – exemplarisch: der Bundesgerichthof betont in seinen knappen Ausführungen zweimal, dass Gegenstände auf der Couch unordentlich zurückgelassen wurden. Man mag das Verhalten der Mutter unter anderen Vorzeichen durchaus für anstößig erachten, nur kann diese Art der Missbilligung (jedenfalls unter Zugrundlegung der geschilderten Erwägungen) nicht hinreichen, das strafrechtliche Tötungsverbot (in diesem Falle) zu konturieren.1062 Dass der 1061  Man beachte ergänzend: Der BGH trennt im vorliegenden Urteil nicht explizit zwischen „objektiver“ und „subjektiver“ Sorgfaltswidrigkeit. 1062  Die Ausführungen des Bundesgerichtshofs werden ebenfalls vom sich mit diesem Fall inhaltlich auseinandersetzenden Schrifttum für nicht tragfähig (bzw. zumindest problematisch) erachtet, siehe Walther, JZ 2005, 687 f.; auch Herzberg, NStZ 2005, 607, sagt, „dass im konkreten Fall der BGH sehr strenge, vielleicht zu



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Senat gleichwohl meint, eine Sorgfaltsverletzung konzedieren zu können, sieht sich vor allem dadurch begünstigt, dass durch allseits gebräuchliche Formulierungen wie „besonnen“ oder „gewissenhaft“ auf – dem Begriffe nach – eher moralische Grundeinstellungen verwiesen wird. Die Verwendung des offenen, des rechtlich unspezifischen Sorgfaltsbegriffs verführt augenscheinlich dazu, sich der argumentativen Absicherung begründungsbedürftiger Sachverhalte zu entziehen. Ein weiteres Argument für das Scheitern des Versuchs, die Tauglichkeit des Sorgfaltsbegriffs aufzuweisen – d. h. dessen angebliche Eignung, eine ex ante bestehende rechtliche Verhaltensnorm genauer zu konturieren – wird aus deren eigenem Lager geliefert. Hingewiesen sei nochmals exemplarisch auf Jescheck / Weigend, die ausdrücklich festhalten, dass die Fahrlässigkeits­ tatbestände „durch zusätzliche richterliche Wertungen zu ergänzen“ seien, „da die Konkretisierung der sich ständig weiter entwickelnden Sorgfaltspflichten anders als im Wege der Gerichtspraxis nicht denkbar ist und der Bürger sich darüber durch eigene Anschauung vielfach auch leichter unterrichten kann als über den Inhalt von Gesetzen.“1063 Man kann es kaum treffender formulieren, dass es zu Recht erst durch Handlungen des Rechtsstabes – in diesem Falle „im Wege der Gerichtspraxis“ – kommen kann. Ex ante bestehende rechtliche Verhaltensnormen sind nicht existent. c) Das Problem der gedoppelten Sorgfaltsprüfung – Sonderwissen und -fähigkeiten als Knackpunkt Der Vorwurf, die herrschende Auffassung sei nicht in der Lage, der von ihr zur Bestimmung der objektiven Sorgfaltspflichtverletzung herangezogenen Maßstabsfigur auch nur annähernd feste Konturen zu verleihen,1064 ist wohl als der gegen sie mit dem größten Nachdruck vorgetragene zu bezeichnen. Insbesondere Stratenwerth hat sich befleißigt, dies aufzuweisen; sein Skifahrerfall1065 offenbart dann auch nachdrücklich die Schwächen der strenge Anforderungen stellt.“; die „Anmerkung“ von Vahle, Kriminalistik 2006, 268, beschränkt sich dagegen auf eine Sachverhaltsschilderung. 1063  Jescheck / Weigend, Strafrecht AT, S. 564. 1064  Welche Stilblüten die Bestimmung der Maßstabsfigur unter Berücksichtigung von Verkehrskreisen treibt, zeigt – zumindest mittelbar – die Entscheidung BGHSt 54, 243 ff., wo der Bundesgerichtshof herausstellt, dass man für die Ermittlung der Verkehrsanschauung auf einen „durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher“ abzustellen habe, im vorliegenden Falle explizit auf einen „am Gebrauch euphorisierend wirkender Mittel Interessierten“. Der verständige Drogenkonsument als Maßstabsfigur? Vgl. dazu auch die zu Recht kritischen Bemerkungen von MK-Freund, AMG § 2 Rn. 16 ff. 1065  Dazu oben S. 277.

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Mehrheitsmeinung: Zum einen versagt die Bildung der Maßstabsperson bei seltenen Begebenheiten und Ereignissen, und zum anderen erweist sich die Feststellung des erlaubten bzw. unerlaubten Risikos ohne (zumindest partielle) Ansehung des Individuums – genauer: des potentiellen Risikobewusstseins des individuellen Täters – als unmöglich. Dies räumt auch das überwiegende Schrifttum dann ein,1066 wenn es darum geht, Sonderwissen (bzw. -fähigkeiten) (zu Lasten des Täters) zu berücksichtigen; dieses wohl dem kaum unterdrückbaren Judiz geschuldete Ergebnis ist aber nur um den Preis des Bruchs der eigenen Systemvorgaben erzielbar. Denn wenn man die Sorgfaltspflichtverletzung „objektiv“, unter Zugrundlegung der Maßstabsperson zu bestimmen haben soll, ist es unerklärlich, warum plötzlich gewisse – sonst erst im Rahmen der Schuld zu berücksichtigende – individuelle Besonderheiten durchschlagende Relevanz entfalten sollten. Dass die herrschende Meinung ungeachtet dessen an der Prüfung des (grundsätzlich) „Objektiven“ festhält, liegt nun daran, dass man versucht, den „Bedürfnissen der Generalisierung, Standardisierung, Typisierung, Normbildung und Norm­ internalisierung“ Rechnung zu tragen.1067 Man möchte also einerseits den Normbegriff, verstanden als plakative Verhaltensrichtlinie, retten, andererseits aber den Bestimmungsnormgedanken als individuelle Verhaltensanleitung nicht vernachlässigen. Nur ist dieser Versuch, einen Mittelweg zu finden, schon deshalb zum Scheitern verurteilt, da es – wie es exemplarisch noch Samson aufgewiesen hat1068 – an einem tauglichen Maßstab mangelt. Die herrschende Meinung probiert sich an der Quadratur des Kreises. Daneben haben wir zu konstatieren, dass auch der Begriff der subjektiven Sorgfaltspflichtverletzung ohne eigenständigen Gehalt daherkommt.1069 Die herrschende Auffassung versucht ihn wohl lediglich deshalb hochzuhalten, um der potentiellen Tatumstandskenntnis des individuellen Täters im Rahmen des sog. unbewussten Fahrlässigkeitsdeliktes einen (sonst nicht mehr 1066  Siehe oben S. 184 ff. – Freund, Küper-FS, S. 73 (Hervorhebung im Original), hat zu Recht darauf aufmerksam gemacht, dass das gegen eine Individualisierung speziell bei Sonderbefähigten vorgebrachte Argument, man könne nicht andauernd und ausnahmslos Spitzenleistungen erwarten, schon deshalb nicht trägt, da „auch der Rennfahrer sein Auto im alltäglichen Straßenverkehr mit derselben Konzentration und Aufmerksamkeit führen [darf] wie jeder andere Kraftfahrer auch. Das in kritischen Verkehrssituationen im Rahmen des Zumutbaren abverlangte ‚Mehr‘ gegenüber dem normalen Kraftfahrer führt nicht zu einer ‚Mehrbelastung‘, sondern lediglich zu einer Gleichbelastung.“. 1067  So richtig betont von Burkhardt, in: Straftat, S. 107. 1068  Siehe oben S. 278 und folgende. – Vgl. auch Börgers, Gefahrurteil, S. 74 ff. 1069  Siehe zum Ganzen die obige ausführliche Darstellung, S. 254 ff. – Vgl. auch nochmals Burgstaller, Fahrlässigkeitsdelikt, S. 186: Habe man die Erkennbarkeit der objektiven Sorgfaltswidrigkeit des gesetzten Verhaltens durch den konkreten Täter bejaht, „steht die subjektive Sorgfaltswidrigkeit normalerweise fest.“



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auffindbaren) ansatzweise eigenständigen Prüfungspunkt zu bewahren – was aber schon deshalb nicht gelingt und auch nicht gelingen kann, da ein auf das unerlaubte, objektiv sorgfaltswidrige Verhalten bezogene potentielle Tatbewusstsein, nicht vom potentiellen Unrechtsbewusstsein geschieden werden kann.1070 Zwar ist der Versuch der herrschenden Meinung insofern als begrüßenswert zu bezeichnen, als sie versucht, die (Fahrlässigkeits-)Schuldprüfung mit eigenständig positivem Gehalt zu füllen (so soll sich die Schuld nicht im bloßen Fehlen von Schuldausschließungs- bzw. Entschuldigungsgründen erschöpfen), jedoch ist der Terminus – die leere Worthülse – der sog. subjektiven Sorgfaltswidrigkeit vollumfänglich ungeeignet, diesem berechtigten und auch notwendigen1071 Anliegen Gestalt zu verleihen. Dies sollte nicht zuletzt dadurch deutlich zu Tage treten, dass man das Liszt-BelingscheSystem mit seiner Scheidung von objektivem Unrecht und subjektiver Schuld im Bereich der Vorsatzdelikte schon seit geraumer Zeit aufgegeben hat. Wollte man diese für die vorsätzlichen Straftaten abzulehnende Differenzierung nun aber für die fahrlässigen Delikte aufrecht erhalten, stünde man unter ausführlichem Begründungszwang;1072 und hätte sich außerdem die (ungewünschte) Frage zu stellen, ob die allgemeinen Deliktsmerkmale (Unrecht und Schuld, sowie die Strafwürdigkeit) nicht hier wie dort unterschiedlich zu bestimmen wären – eine bejahendenfalls untragbare, und deshalb auch nicht gezogene Konsequenz. d) Die Sorgfalt und die Vorsatz-Fahrlässigkeitskombinationen bzw. die erfolgsqualifizierten Delikte, sowie die Tätigkeitsdelikte Dass die herrschende Meinung den Sorgfaltsbegriff weniger stringent vertritt, als sie zunächst vorgibt, konnte bereits oben angedeutet werden. Innerhalb der Tätigkeitsdelikte wird gerade kein (größeres) Bemühen darauf verwandt, die Sorgfaltpflichtverletzung (sowie den Schutzzweck der Norm etc.) mit eigenständigem Gehalt zu versehen; bei diesen Delikten soll gar 1070  Siehe

dazu zusammenfassend oben S. 265 f. Ohne einen positiven Begriff der Schuld zu haben, kann es auch keine (negativen) Schuldausschließungs- oder Entschuldigungsgründe geben. Letztere sind notwendig auf eine positive, eigenständige Bestimmung der Schuld bezogen. Schon deshalb liegen die reinen Normativisten falsch; vgl. auch Grasnick, Schuld, S.  68 f. 1072  So auch Renzikowski, Täterbegriff, S. 213. – Das partielle Festhalten an einem „objektiven Unrechtsbegriff“ mutet nachgerade anachronistisch an, wenn man für die Unrechtsbegründung im Rahmen der Vorsatz- und bewussten Fahrlässigkeitsdelikte das individuelle Tatbewusstsein doch für zentral erachtet, vgl. dazu auch Frister, JuS 2013, 1058. 1071  Merke:

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die „zu erörternde ‚Erfolgsproblematik‘ mitsamt ihren Besonderheiten“ entfallen; so sieht sich der Sorgfaltsbegriff dort auch der Sache nach – notgedrungen, aber im Ergebnis zu Recht – einzig durch die Erkennbarkeit der Tatbestandsverwirklichung gekennzeichnet.1073 Auch die Feststellung einer irgendwie eigenständigen Sorgfaltspflichtverletzung im Rahmen der sog. erfolgsqualifizierten Delikte gelingt nicht.1074 Entweder man sagt, dass eine vorsätzliche Straftat immer als sorgfaltswidrig zu kennzeichnen sei, so dass man beispielsweise bei der Prüfung des § 227 StGB bereits bei „Vorhersehbarkeit des schweren Erfolges“, also des Todes eines Menschen, zwingend eine Fahrlässigkeit zu konzedieren hätte;1075 oder man versucht die Sorgfaltspflichtverletzung auch hier mit von der Erkennbarkeit abschichtbarem „Inhalt“ zu füllen, so dass es dann aber zu der – gelinde gesagt – merkwürdigen Prüfung käme, die sorgfältige Verwirklichung des Grunddeliktes, also beispielhaft der Körperverletzung, zu ermitteln.1076 Bemerkenswert ist insofern noch Folgendes: Auch der Bundesgerichtshof hat einmal ausgeführt, dass bei einem Zusammentreffen von versuchtem Totschlag und schwerer Körperverletzung kein Konkurrieren beider Delikte möglich sei, da dies auf den (sinnlosen) Vorwurf hinausliefe, „der Täter habe es bei der von ihm beabsichtigen Tötung an der erforderlichen und zumutbaren Sorgfalt fehlen lassen.“1077 e) Der Sorgfaltsbegriff im Übrigen – ein auch in etymologischer Hinsicht schwarzes Loch Im Rahmen der Zusammenschau der Auffassung(en) der herrschenden Meinung hat sich nicht nur die Schwierigkeit offenbart, die nur im Bürgerlichen Recht zum Gesetzesbegriff avancierte Sorgfalt, die der Norm Konturen verleihen soll, positiv zu bestimmen, sondern ebenfalls eine eindeutige Tendenz dahingehend aufweisen lassen, dass die Verwendung des Terminus nochmals Wessels / Beulke / Satzger, Strafrecht AT, Rn. 665. dazu auch Schroeder, JZ 1989, 778. – Gleiches gilt für die sog. Abirrungsfälle: Hier gibt es keinen durch den „Verkehr“ bestimmten Maßstab des Körperverletzens, falschen Schwörens oder etwa Brandstiftens auf den sich die zugleich begangene Sorgfaltspflichtverletzung beziehen könnte, worauf bereits Langer, Sonderstraftat, S. 91, zu Recht explizit hinweist; vgl. aber oben Fn. 1064 (Kap. 3). 1075  In diesem Sinne argumentiert ausdrücklich BGHSt 24, 213 ff. 1076  Schmidhäuser, Schaffstein-FS, S. 135 Fn. 27, entnehme ich, dass diese ans Absurde grenzende Konsequenz nicht selten in Übungsarbeiten von Studierenden gezogen wird. Anscheinend werden die Begrifflichkeiten von diesen noch ernster genommen, als es im Schrifttum beabsichtigt wird. 1077  BGHSt 22, 249; siehe dazu auch die berechtigte Kritik bei Jakobs, NJW 1969, 437. 1073  Vgl.

1074  Siehe



C. Normentheoretische Fehlprämissen und deren Folgen363

augenscheinlich dazu verführt, sonst – d. h. insbesondere bei der Vorsatzstraftat – trennbare und auch getrennte Strukturen zu nivellieren;1078 dieser nur empirische Befund ist noch durch eine etymologische Begutachtung des in Rede stehenden Merkmals zu untermauern. Den Begriff der Sorgfalt definiert der Duden als „Genauigkeit, Gewissenhaftigkeit, große Behutsamkeit (beim Arbeiten, Hantieren)“; das – den Ursprung bildende – entsprechende Adjektiv „sorgfältig“ komme vom spätmittelhochdeutschen „sorcveltic“, was soviel bedeute wie sorgenvoll, bzw. „eigentlich wohl“ „mit Sorgenfalten auf der Stirn“.1079 In letztgenanntem Sinne wird der Begriff auch andernorts hergeleitet: So werde man dem Grundworte am ehesten gerecht, wenn man sage, „daß die Träger der Eigenschaft vor Sorge Falten auf der Stirn haben“; obwohl die Entstehung „noch nicht völlig geklärt“ sei, stehe es fest, dass eine solche, sowie die im 15. Jahrhundert verwendete Formulierung im Sinne von „Sorgen verursachend, gefährlich“, inzwischen überholt sei; heute gelte „nur noch die auf dem jüngeren Sinn von Sorge beruhende Bedeutung ‚achtsam, vorsichtig, fürsorglich, genau in der Arbeit‘.1080 Die soweit ersichtlich ausführlichste Herleitung findet sich dagegen im Grimmschen Wörterbuch – man beschaue sich alleine die zahlreichen unterschiedlichen Gehalte für das Wort „sorgfältig“ –; aus der dortigen Darstellung sei lediglich eine Auswahl der – kaum bestreitbar heterogenen – Ausdeutungen präsentiert: „angsthafft, bekümmert“; „besorgnis erregend oder geeignet, besorgnis zu erregen, ängstigend, bedrohlich, gefährlich“; aber auch „viel mühe habend, mit viel mühseliger arbeit sich plagend, geplagt“ oder „sich kümmernd um etwas, besonders: sich eifrig kümmernd, fürsorglich, eifrig bemüht“; oder das sich in „in neuerer sprache von personen“ entwickelnde „ ‚genau im besorgen, handeln‘ “, bzw. das sich auf „handlungen, arbeiten, leistungen“ beziehende „bis ins einzelne achtsam besorgt, ausgeführt, bedacht“.1081 Nimmt man lediglich diese letztgenannte, in jüngerer Zeit gebräuchliche Formulierung beim Wort, wird deutlich, dass auch die Redeweise von der Sorgfaltspflichtverletzung aus einem weiteren Grunde eine unrichtige ist. So müsste man im Sinne der herrschenden Meinung1082 nicht von einer Sorgfaltspflichtverletzung, sondern vielmehr von einer Sorgfaltspflichtenverlet1078  Siehe zu diesem sowohl die Unrechts- als auch die Schuldebene betreffenden Befund nur exemplarisch oben S. 269. 1079  Duden, Das Große Wörterbuch Bd. 8, S. 3610. 1080  Trübners Deutsches Wörterbuch Bd. 6, S. 414. 1081  Grimm / Grimm, Deutsches Wörterbuch Bd. 10,1, Spalten 1792 ff. 1082  An dieser Stelle lassen wir uns einmal auf die Sprachregelung der herrschenden Meinung ein, behalten aber im Hinterkopf, dass bereits die Rede von der Sorgfaltspflicht als solcher eine unrichtige ist, da es um mit Jakobs zu sprechen, eben – beispielhaft gewendet – keine Pflicht zu sorgfältigem Umgang mit Streichhölzern

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zung sprechen, da sich der Jedermann doch auf verschiedenste Arten „bis in einzelne achtsam besorgt“ verhalten kann. Schroeder hat dies anschaulich exemplifiziert und darauf aufmerksam gemacht, „daß ein derartiges Bündel alternativer Sorgfaltspflichten keinerlei präventive Wirkung entfalten kann“.1083 3. Das Aliud-Theorem Es ist bereits darauf hingewiesen worden, dass die Auffassung, Vorsatzund Fahrlässigkeitsdelikt ständen nicht im Verhältnis von Plus zu Minus, sondern seien vielmehr Alia, eng mit den normentheoretischen Prämissen der herrschenden Meinung verwoben ist. Dies lässt sich ohne größere gedankliche Anstrengung bereits an Folgendem ersehen. Kommt man auf Grundlage des Umdeutungsverfahrens zu der – für sich genommen nicht unrichtigen und insofern sogar plausiblen – Schlussfolgerung, dem Tatbestand eine Appellfunktion zuzubilligen,1084 bzw. spricht man von einer „Appellfunktion des Tatbestandsvorsatzes“,1085 kann der diesbezügliche Nachweis allenfalls bei den Vorsatzdelikten gelingen, da es zumindest bei den sog. unbewussten Fahrlässigkeitsdelikten an der Wahrnehmung eines „Appells“ beim Täter ausdrücklich mangelt.1086 Schon aus diesem Grunde scheinen Vorsatz- und Fahrlässigkeitsdelikt extrem zu differieren; damit einher geht die – bereits ausführlich aufgewiesene – offenkundig gänzlich unabhängige Normbildung beider: Hat man bei der Fahrlässigkeitstat einmal eine andere Norm, bzw. besser gesagt andere (Sorgfalts-)Normen, zum sonst geben kann, sondern allenfalls die Pflicht, unsorgfältiges Handeln zu lassen; „eine Pflicht zum Umgang besteht nicht“, siehe Jakobs, Strafrecht AT, 9 / 6. 1083  Schroeder, JZ 1989, 777: „Eine Mutter kocht Milch auf dem Küchenherd; ihr Kind ist gerade so groß, daß es den Topf mit kochender Milch vom Herd reißen und sich dabei verbrühen kann. Die Mutter kann nun diesen Erfolg nicht nur durch das Unterlassen des Milchkochens vermeiden, sondern auch dadurch, daß sie […] in der Küche bleibt und aufpaßt [oder] das Kind in ein Gatter sperrt [oder] den Herd durch eine Barriere absperrt [oder] das Kind mit sich aus der Küche nimmt [oder] das Kind von jemand anders beaufsichtigen läßt.“ 1084  Siehe nur Jescheck / Weigend, Strafrecht AT, § 31 I 2, 41 II 2 b Fn. 25, 41 IV 1 a. 1085  Diese Zuschreibung findet sich gar im Titel des Aufsatzes von Naka, JZ 1961, 210 f. 1086  Es sollte uns also nicht verwundern und beunruhigen, dass „praktische tätige Juristen“ „eher selten“ mit dem Gedanken der „Appellfunktion des Straftatbestandes“ argumentieren (in diesem Sinne aber Gaßner / Strömer, HRRS 2015, 122 ff., insb. 123). Die von den Autoren aufgezeigte Problematik der „unheimlichen Kriminalisierung“ ist in strafrechtsdogmatischer Hinsicht vielmehr eine des Unrechtsbewusstseins, an das insbesondere von der Rechtspraxis teilweise tatsächlich überspannte Anforderungen gestellt werden; im Übrigen eine der Gesetzgebungspraxis.



C. Normentheoretische Fehlprämissen und deren Folgen365

als ausreichend erachteten, hier aber angeblich unpräzisen Tötungsverbot ausfindig gemacht, versteht es sich quasi von selbst, Vorsatz- und Fahrlässigkeitsdelikt als Alia zu betrachten.1087 Die Sonderdogmatik ist zwangsläufige Folge der falschen Prämissen. Gleichwohl meint man, zur Untermauerung der These auf den geringeren Unrechts- und Schuldgehalt der unterschiedlichen „Deliktstypen“ hinweisen zu können;1088 aber auch das Verhältnis eines Diebstahls und eines Diebstahls mit Waffen ist sowohl durch ein Unrechts- als auch durch ein Schuldgefälle gekennzeichnet – nur käme bei diesen ebenfalls differierenden Tatbeständen niemand auf die Idee, sie als nicht im Stufenverhältnis stehend zu begreifen. Die Unrichtigkeit des Aliud-Theorems sei hier außerdem noch anhand eines – bereits von Nowakowski1089, Burgstaller1090 und Schmidhäuser1091 herangezogenen – Beispielsfalles aufgewiesen. Ein Student zieht seinem Kommilitonen, der gerade stehend einen Vortrag hält, heimlich den hinter diesem stehenden Stuhl weg; nach Beendigung seiner Ausführungen setzt sich der Redner ins Leere und verletzt sich. Angenommen, der Täter habe seinen Kollegen nur erschrecken wollen und sei davon ausgegangen, dass dieser nicht zu Schaden kommen werde, wäre nach allgemeiner Meinung der Tatbestand der fahrlässigen Körperverletzung gemäß § 229 StGB zu bejahen, denn der Täter habe – so würde die herrschende Auffassung argumentieren – sowohl objektiv als auch subjektiv eine Sorgfaltspflicht verletzt. Modifizieren wir diesen Fall nun in einem kleinen – eine rein psychische Begebenheit betreffenden – Punkte, wird die Irrelevanz des Sorgfaltsgedankens jedoch auch im Rahmen des Prüfungsaufbaus der herrschenden Meinung deutlich. So stelle man sich vor, dass der den Stuhl wegziehende Student seinen Kollegen zwar habe erschrecken wollen und auch gehofft habe, dass der Vortragende dies 1087  Siehe dazu nur die nachdrücklich gegen die „Konkordanzthese“ gerichteten Ausführungen von Schöne, Hilde Kaufmann-FS, S. 663, der damit auch unweigerlich zur irrigen Feststellung gelangt: „ ‚Das Unbehagen über die geringe Bestimmungswirkung der Fahrlässigkeitstatbestände‘ bleibt also weiterhin bestehen“ (a. a. O., S.  667). 1088  Jescheck / Weigend, Strafrecht AT, § 54 I 2. – Die ergänzend herangezogene Argumentation bei den Fahrlässigkeitsdelikten würde „dem Gebot der Rechtsordnung nicht bewußt“ entgegengehandelt werden, kann schon deshalb nicht tragen, da die herrschende Meinung eine ausdrücklich als „bewußte“ gekennzeichnete Fahrlässigkeit anerkennt, bei der der Schuldvorwurf darauf gestützt wird (a. a. O., § 54 I 4, 5), „daß der Täter sorgfaltswidrig gehandelt hat, obwohl er die Verwirklichung des Tatbestandes als mögliche Folge seines Tuns voraussah.“ – Auch der Rettungsversuch von MK-Duttge, § 15 Rn. 102, misslingt nachdrücklich; selbiger möchte das Verhältnis von Vorsatz zu Fahrlässigkeit mit der eines Fernsehgerätes zu einer Flasche Wein vergleichen; in der Sache richtig dagegen Herzberg, NStZ 2005, 596 f. 1089  Nowakowski, JZ 1958, 337. 1090  Burgstaller, Fahrlässigkeitsdelikt, S. 39. 1091  Schmidhäuser, Schaffstein-FS, S. 135 f.

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bemerken werde und sich noch rechtzeitig werde abfangen können, aber es gleichwohl für möglich erachtete, dass selbiger sich schmerzhaft auf den Boden setzen werde; und weiter sei anzunehmen, dass er – diese Gefahr in Kauf nehmend, um für allgemeines Gelächter in der trockenen Veranstaltung zu sorgen – sich nun nicht von seinem Tun habe abbringen lassen. Ungeachtet der massiven Streitigkeiten um den richtigen Vorsatzbegriff werden hier sämtliche Auffassungen zu der zutreffenden Feststellung gelangen, dass der den Stuhl Wegziehende vorsätzlich gehandelt hat (§ 223 StGB). Die herrschende Meinung fragt nun aber bei einem in Rede stehenden Vorsatzdelikt – richtigerweise – nicht nach der Verletzung einer vermeintlich gegebenen Sorgfaltspflicht. Warum aber ein solch kleiner – für die Feststellung des Tatund Unrechtsbewusstseins allerdings gewichtiger – psychischer Unterschied (formell1092) gänzlich unterschiedliche Aufbauschemata bedingen soll, bedarf – trotz der mit Händen zu greifenden Disparität – für die herrschende Meinung augenscheinlich keiner (ausführlichen) Diskussion. Notabene: Wenn es doch augenscheinlich so schwierig ist, vorsätzliches von fahrlässigem Verhalten im Einzelfall zu scheiden (man beschaue sich nur die halbe Bibliotheken füllende Literatur zum Problem der Abgrenzung des bedingten Vorsatzes von der bewussten Fahrlässigkeit1093), muss es doch zumindest merkwürdig anmuten, dass die Prüfung des einen Deliktes gänzlich ohne Ansehung des Sorgfaltsgedankens auskommt, letztgenannter aber beim Aufbau des anderen das zentrale Moment bilden soll.1094 Man hat sich außerdem noch einmal ganz grundsätzlich vor Augen zu führen,1095 über was die Feststellung der Sorgfaltspflichtverletzung hinausreichen sollte, als dass man in dem ersten der beiden Fallvarianten sagen könnte, so wie sich der Täter verhalten hat, durfte er sich nicht verhalten; 1092  Dass die durch die Verwendung des Sorgfaltsgedankens bedingte formelle Unterschiedlichkeit, die in materieller Hinsicht parallele Gestalt nicht vollumfänglich verdecken kann und deshalb schlussendlich weniger schwer wiegt als man zunächst meinen könnte, wurde bereits wiederholt gezeigt. Man denke nur an den Aufweis der gleichgearteten Struktur der objektiven Zurechnung bei Vorsatz- wie Fahrlässigkeitsdelikt. 1093  Einen guten Überblick liefert Hillenkamp, 32 Probleme Strafrecht AT, S. 1 ff. 1094  Hinzuweisen ist auch nochmals darauf, dass die Theorie vom Aliud-Charakter von Vorsatz- und Fahrlässigkeitsdelikt ganz entscheidend durch die – trotz vordergründiger Ablehnung noch immer nachwirkende – finale Handlungslehre forciert worden ist. So ist es eben zumindest bei den sog. unbewussten Fahrlässigkeitsdelikten unmöglich, ein auf den tatbestandlichen Erfolg bezogenes voluntatives Element nachzuweisen, was deren Unterschiedlichkeit zu zementieren scheint. Wer einen voluntativen Vorsatzbegriff im Unrecht vertritt, wird (zumeist) dem Aliud-Theorem anhängen. 1095  Siehe dazu auch bereits die unverändert gültige Aussage von Schmidhäuser, Schaffstein-FS, insb. S. 132 f., 135 f., 137 f.



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es wäre unsinnig zu sagen, er hätte sorgfältiger den Körper verletzen sollen; und mit der Feststellung, er hätte den Stuhl sorgfältiger wegziehen müssen, ist bestenfalls auch nicht mehr zum Ausdruck gebracht als durch obige Feststellung: „So durfte er nicht!“ Aber bereits die Unterstellung, als hätte es in dem Fall ein sorgfältiges Wegziehen gegeben, muss beachtliche Probleme bereiten. Richtigerweise hätte die Sorgfalt in diesem Falle doch ausschließlich „gebieten“ können, das Wegziehen überhaupt zu lassen.1096 Mit anderen Worten: Es gab im vorliegenden Falle keine Handlung, die durch den Sorgfaltsaspekt hätte genauer konturiert werden können. Der Terminus der Sorgfaltsbeachtung – oder in negativer Wendung der Sorgfalts(pflicht) verletzung – kann allenfalls dort etwas zur rechtlichen Beurteilung beitragen, wo ein Handeln in Rede steht, dass mit Beachtung der erforderlichen Sorgfalt – trotz der mit der Handlung weiterhin einhergehenden Risiken – vorgenommen werden darf, ohne Beachtung selbiger jedoch nicht, da es spätestens dann von der Rechtsgemeinschaft als nicht mehr sozial tolerabel erlebt wird. Warum aber kommt es dennoch zu diesen Beharrungstendenzen der herrschenden Meinung in Bezug auf die angeblich immer notwendige Prüfung des Sorgfaltsaspekts? Dies liegt – wie schon mehrfach betont – vor allem daran, dass man irrigerweise glaubt, selbiger sei geeignet die Verhaltens- bzw. Bestimmungsnorm zu konturieren, aber auch nicht zuletzt daran, dass man ihn in zahlreichen typischen Fahrlässigkeitskonstellationen als irgendwie „passend“ erlebt. Man überdehnt damit aber einen bloß partiell beachtlichen Gedanken. So mag die Sorgfaltsidee für das Autofahren – das uns regelmäßig als das erste Beispiel für die Veranschaulichung einer Fahrlässigkeitsstraftat präsentiert wird1097 – noch einigermaßen taugen („Sorgfältig darfst du fahren, unsorgfältig nicht!“) – keineswegs aber mehr in unserem „Stuhlfall“. Eine stimmige Dogmatik hat sich jedoch an einem Mehr als dem statistischen Regelfall auszurichten. Die herrschende Meinung nimmt das Aliud-Theorem jedoch glücklicherweise regelmäßig weniger ernst als sie uns zunächst glauben machen will. Dort wo es darauf ankommt, macht sie einen Rückzieher. Angesprochen sind die Fälle eines „non liquet“: „Bloßer Verdacht des Vorsatzes schließt […] trotz Exklusivität des Verhältnisses die Feststellung der Fahrlässigkeit nicht aus“.1098 Dazu will die Literatur zwar zumeist nicht – wie zunächst 1096  Worauf bereits Nowakowski, JZ 1958, 337, ganz explizit hingewiesen hat. – Ein letztlich gleichlaufendes Beispiel bildet Kindhäuser, Schünemann-FS, S. 148 f., der sodann richtig konzediert, dass man eine etwaig zu formulierende Sorgfaltsnorm nicht anders als „funktionslose Paraphrase“ bezeichnen könne. 1097  Siehe nur Wessels / Beulke / Satzger, Strafrecht AT, Rn. 655, wo sämtliche der dem Kapitel vorangestellten Fallvarianten auf das Autofahren bezogen sind. 1098  S / S-Sternberg-Lieben / Schuster, StGB, § 15 Rn. 4, mit zahlreichen weiterführenden Nachweisen.

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Kap. 3: Kritische Darstellung des aktuellen Sach- und Streitstandes

vom Bundesgerichtshof angedacht – das Institut der Wahlfeststellung be­ mühen,1099 bzw. die Fahrlässigkeitstatbestände als sog. Auffangtatbestände begreifen,1100 sondern zur „Annahme eines normativen Stufenverhältnisses“ gelangen.1101 Dem folgt nun auch der BGH, der das Verhältnis von Fahrlässigkeit und Vorsatz als das „des ‚Schwächeren zum Stärkeren‘ “ beschreibt.1102 Nirgends ist dort die Rede von Exklusivität oder deren angeblichem AliudCharakter. Ungeachtet der nicht ernsthaft zu bezweifelnden Richtigkeit dieses Ergebnisses müsste die herrschende Auffassung – wäre sie konsequent – Gegenläufiges vertreten; womit wir uns einem weiteren Grund gegenüber sehen, die Prämissen der Mehrheitsmeinung zu verwerfen.

III. Wider die verschiedenen Spielarten der sog. individualisierenden, Unrecht und Schuld angeblich trennen könnenden, Fahrlässigkeitslehren – Verhaltensnormtheoretisch vermittelnde Auffassungen Gegen die herrschende Meinung ist richtigerweise kritisch angemerkt worden, dass sie sich nicht in der Lage sieht, eine konsistente Bestimmung der objektiven Sorgfaltswidrigkeit zu liefern. Es mangelt eben – gerade im schwierigen Einzelfall – an einem tauglichen Maßstab.1103 Zahlreiche Autoren insbesondere des jüngeren und jüngsten Schrifttums meinen nun, dieses Problem dadurch lösen zu können, nicht mehr auf eine objektive, sondern ausschließlich auf eine subjektive Sorgfaltswidrigkeit (bzw. auf eine individuelle Erkennbarkeit des unerlaubten Risikos etc.) im Rahmen des Unrechts abzustellen. Damit entfiele das Problem der unbegründbar gedoppelten Prüfung, wie es nun ebenso möglich wäre, Sonderwissen und -fähigkeiten bruchlos in die eigene Systematik einzubauen. Außerdem scheint man dem Bestimmungscharakter der Norm „noch besser“ zu entsprechen.

1099  BGHSt

4, 340 ff. 17, 210 ff.: Der Bundesgerichtshof macht deutlich, dass ein Freispruch „auch dem Gerechtigkeitsgefühl gröblich widersprechen [würde]“ (a. a. O., 213). – Vgl. auch die Auswertung bei Herzberg, BGH-FG, S. 58 ff. 1101  Siehe exemplarisch nur Fischer, StGB, §  15 Rn. 19; Jescheck / Weigend, Strafrecht AT, § 54 I 2, § 16 II 2; S / S-Sternberg-Lieben / Schuster, StGB, § 15 Rn. 4. 1102  BGHSt 32, 57, unter ausdrücklicher Anerkennung sog. „normativ-ethischer Stufenverhältnisse“. 1103  Siehe nur oben S. 277 f. 1100  BGHSt



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1. Strafbarkeit nur der sog. bewussten Fahrlässigkeit – bei konsequenter Befolgung der Prämissen Beschäftigen wir uns – ob der zunächst scheinenden Richtigkeit der beiden erstgenannten Argumente – mit dem zuletzt Aufgewiesenen. Aus hiesiger Sicht wäre es bereits ausreichend, schlicht darauf zu verweisen, dass es keine an den einzelnen Bürger adressierten Rechtsnormen gibt.1104 Aber sehen wir davon einmal ab und lassen uns auf die – wie nochmals zu betonen ist: fälschliche – Prämisse ein. Durch die Ausrichtung der ver- bzw. gebietenden Verhaltensanweisung auf das konkrete Individuum hat es zunächst tatsächlich den Anschein, als könne dem sog. Bestimmungsnorm­ aspekt tatsächlich besser entsprochen werden; denn – so würde wohl geltend gemacht werden – nur wenn der individuelle Täter der Norm gemäß handeln kann, kann sie überhaupt eine ihn anleitende Funktion bekleiden. Aber auch hier gilt Folgendes:1105 Soll die Norm im speziellen Fall steuernd bzw. bestimmend wirken können, bedarf es nicht nur des (soweit ersichtlich allgemein für ausreichend erachteten) Wissen-Könnens, sondern vielmehr des aktuellen Wissens des Einzelnen um selbige. Denn wie sollte etwas zu einem bestimmten Verhalten motivieren können, ohne dass man den Motivationsgrund kennte? Ohne aktuelles Täterwissen um die Norm hat selbige von vornherein keine Möglichkeit, irgendwie zur Verhaltensanleitung in der spezifischen Situation beizutragen – gerade die Möglichkeit zum Bestimmen soll aber die zentrale Prämisse jener Lehrmeinung bilden.1106 Wollte man also konsequent bleiben, dürfte man – entgegen anderslautender Ergebnisse – ausschließlich zur Bestrafung von Fällen sog. bewusster Fahrlässigkeit gelangen.

1104  Siehe

ausführlich oben S. 333 ff. bereits oben S. 355 f. 1106  Es hilft gerade auch nicht weiter, wenn man wie – exemplarisch für viele – Castaldo, GA 1993, 496, argumentiert; (dieser rekurriert darauf, dass die Norm für den Rechtsadressaten nur dann den Charakter einer Verhaltensorientierung besitze, wenn sie für ihn inhaltlich einen Sinn habe; überschreite sie dagegen die Grenze des individuellen Könnens, d. h. die Motivationsmöglichkeit des Täters, so verliere sie unweigerlich ihre kriminalpolitische Funktion und verwandle sich in einen Befehl zu blindem Gehorsam (dazu bereits oben S. 276).) Eine (relativ) unvermittelte Möglichkeit zur Motivation ist doch allenfalls bei Kenntnis der Norm gegeben. Ließe man dennoch die Möglichkeit, sich der Norm bewusst zu werden, genügen, um sodann eine Motivationsmöglichkeit zu bejahen, wäre die Redeweise von einer Bestimmungsnormwidrigkeit allenfalls noch als blutleeres Postulat zu titulieren. Nebenbei: Auch erscheint die Redeweise des „Sinnhabens“ unpassend. Gerade der Vorsatztäter wird sich nicht selten sagen, dass die Verhaltensorientierung für ihn in der speziellen Situation inhaltlich keinen Sinn habe. 1105  Vgl.

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2. Unpassende Terminologie – Sorgfalts- und Vermeidepflichtverletzung Ferner ist den hier genauer zu beschauenden, sog. individualisierenden Fahrlässigkeitslehren ihre Terminologie vorzuhalten. Dies gilt insbesondere für diejenigen Autoren, die am Begriff der Sorgfaltswidrigkeit festhalten; so haben wir wiederholt sehen können, dass die – synonym verwendete – Sorgfaltspflichtverletzung dazu verführt, nach materiellen Gesichtspunkten abschichtbare Bereiche undifferenziert aufzusaugen, diese zu vereinnahmen. Aber auch die Autoren, die die Begrifflichkeit als untaugliche entlarvt haben, haben sich kritischen Einwürfen zu stellen. So ist zu konzedieren, dass sich mehr und mehr die Rede von einer sog. Vermeidepflichtverletzung durchsetzt. Ansätze dazu sind uns bereits vereinzelt bei der Begutachtung der herrschenden Meinung begegnet – exemplarisch seien hier SternbergLieben / Schuster genannt, die festhalten, dass die Bejahung der Außerachtlassung der Sorgfalt „zunächst [erfordert], dass die Verwirklichung eines Tatbestandes […] vermeidbar ist.“1107 Diese gerade beim Fahrlässigkeitsdelikt beliebte Rede – da man dort häufig das (isoliert gesehen) erlaubte andere Tun des Täters im Blick hat (zum Beispiel: „das“ Autofahren)1108 – wollen nun einige Autoren zum Anknüpfungspunkt der Lehre von der Straftat in Gänze erwählen. Besonders nachdrücklich verfolgen Duttge und Otto einen solchen Ansatz.1109 Man mag es – ungeachtet der Unrichtigkeit 1107  Sternberg-Lieben / Schuster, StGB, § 15 Rn. 123 f. (Hervorhebung im Original). – Am Rande: Zu was soll diese Kategorie bei einem in Rede stehenden aktiven Tun aber überhaupt nutze sein? Vermeidbar als solche ist die Handlung bereits immer durch bloßes Unterlassen selbiger. Wollte man dagegen zum Ausdruck bringen, dass ein „Vermeiden-müssen“ geprüft werden soll, ginge das jedoch keinesfalls „zunächst“, d. h. in einem ersten Schritt; dessen Feststellung könnte allenfalls den Schlusspunkt einer im Einzelfall überaus schwierigen Bewertung bilden. 1108  Siehe dazu bereits oben S. 356 f. – Im Übrigen wird das soeben geschilderte Vorgehen gerade bei den Fahrlässigkeitsdelikten deshalb von so durchschlagendem Erfolg sein, da man sich – anders als bei den Vorsatzstraftaten – sogleich fragt: „Wie hätte man das vermeiden können?“ Womöglich findet man sich gar selbst in dem geschilderten Geschehen wieder und erinnert sich an das eigene Alltagsleben – mit dem exemplarischen, nach Zerdeppern des Geschirrs zu hörenden, Selbstvorwurf „Wärst du doch vorsichtiger gewesen! Hättest du nur aufgepasst! Mit ein wenig mehr Vorsicht wäre der Scherbenhaufen zu vermeiden gewesen!“ Bei den Vorsatzdelikten meint man dagegen, ein „Vermeidenkönnen“ unproblematisch nachweisen zu können, da der Täter den schädlichen Erfolg ja (unabhängig von der zum Vorsatzbegriff vertretenen Theorie) zumindest aktuell vorausgesehen haben muss. Aber auch im Rahmen gewisser Vorsatzdelikte wäre es möglich, einen solchen Selbstvorwurf aufzuweisen. Man denke nur an den Dieb, der sich innerhalb seiner Bewährungszeit erneut erwischen lässt, er mag sich denken: „Hätte ich mich doch beherrscht und zusammengenommen!“ – Siehe zum Ganzen auch Schmidhäuser, Schaffstein-FS, S. 146 f. 1109  Siehe dazu oben bei Fn. 777 f. (Kap. 3).



C. Normentheoretische Fehlprämissen und deren Folgen371

der Umdeutungsprämisse – als noch passend bezeichnen das Verbot „Du sollst nicht töten!“ in ein „Du sollst den Tod eines Menschen vermeiden!“ zu ändern, so muss es doch aber im Einzelfall befremdlich anmuten, wenn man beispielsweise von einem Sexualstraftäter sagte, er habe den Tod seines Opfers „nicht vermieden“, obwohl er den Todeserfolg doch als Mittel seiner sexuellen Befriedigung gerade erstrebt hat.1110 Außerdem: Müsste die Redeweise von der Verhaltensnorm, der Vermeidepflicht nicht weiterhin bedingen, dass es dem sich mit Mordgedanken befassenden Mann rechtlichen geboten ist, mit einem Geistlichen bzw. Psychotherapeuten oder einem Polizisten offen zu sprechen, um auf diesem Weg von seinem Vorhaben abzukommen?1111 Ein aus hiesiger Sicht ungeeignetes Herangehen: Nicht das Nicht-vermeiden, nicht das Nicht-mit-dem-Pysiotherapeuten-sprechen kann richtiger Anknüpfungspunkt der rechtlichen Bewertung sein, sondern das (aktive) Töten – wenn es denn dazu kommt.1112 3. Probleme einen konsistenten Bezugspunkt des Individuellen (e. g. der sog. individuellen Sorgfaltswidrigkeit) aufzufinden Es konnte bereits im Rahmen der Zusammenschau der zum Aufbau des fahrlässigen Deliktes vertretenen Lehrmeinungen gezeigt werden, dass sich die verschiedenen Spielarten der sog. individualisierenden Auffassungen extrem schwer tun, einen allgemeinen Bezugspunkt des Individuellen der Sorgfaltswidrigkeit bzw. der Erkennbarkeit herauszuarbeiten.1113 Dieses Phänomen ist nun nochmals ausführlicher zu hinterleuchten. a) Die individuelle Sorgfaltswidrigkeit als untrennbare Einheit ohne echten Bezugspunkt Zwar hat unter anderem Stratenwerth behauptet, dass sein Ansatz definitiv nicht bedinge, den Täter nach seinem eigenen Maße zu messen, da sich die Bestimmung des von Rechts wegen tolerierten Verhaltens gerade nicht nur, aber (und das soll der entscheidende Gesichtspunkt sein) eben auch, im Blick auf allgemeine Normen vollziehe; sowie er weiter ausgeführt hat, dass insofern schon Schmidhäuser, Schaffstein-FS, S. 134. dazu auch Schmidhäuser, Schaffstein-FS, S. 155 f. 1112  Auch Zaczyk, GA 2014, 73 ff., insb. 87 f., plädiert für positive Begriffe; er stellt exemplarisch heraus, dass die Tötung mehr ist als das Unterlassen der NichtTötung, wobei er nachdrücklich die Notwendigkeit „eines inhaltsgebundenen, also materiellen“ Begriffs der Straftat betont und die gängigen Verhaltensnormkonzepte einer kritischen Beleuchtung unterzieht. 1113  Dies zeigt sich bereits in der Problematik, den Terminus der individuellen Sorgfaltswidrigkeit zu zerlegen. 1110  Siehe 1111  Vgl.

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Kap. 3: Kritische Darstellung des aktuellen Sach- und Streitstandes

die individualisierende Auffassung nie geleugnet habe, dass die individuellen Fähigkeiten auf objektive Anforderungen bezogen werden müssen;1114 nur hat er nirgends dargetan, wie man nun an diese ausdrücklich zum Bezugspunkt erklärten objektiven Anforderungen gelangen sollte und wie diese zu bestimmen wären. Dass es sich bei der These, es gäbe bei seiner Prüfung der Fahrlässigkeitsstraftat einen separierbaren Bezugsgegenstand, um eine bloße Behauptung, einen Wunsch handelt, wird nicht zuletzt bei Inaugenscheinnahme der Gliederung seines (inzwischen unter Mitwirkung von Kuhlen verfassten) Lehrbuches deutlich: Innerhalb der Behandlung des vorsätzlichen Handlungsdeliktes wird dem Leser eine Abgrenzung von objektivem und subjektivem Tatbestand präsentiert; der den subjektiven Tatbestand maßgeblich prägen sollende Vorsatz wird dabei auf den objektiven Tatbestand hin ausgerichtet – letztgenannter ist der abgeschichtete Bezugspunkt des Vorsatzes.1115 Eine solche – und sei es auch nur eine darstellungstechnische – Differenzierung fehlt im Rahmen der Behandlung des Fahrlässigkeitsdeliktes dagegen völlig.1116 Wie sollte sie auch vollzogen werden? Versuchte man einen objektiven Tatbestand „bloß“ an einem objektiven Gefahrbegriff auszurichten, geriete man mit der von jener Lehrmeinung für richtig erachten Konstruktion der im Tatbestand vertypten Verbots- bzw. Gebotsmaterie in Schwierigkeiten, da die schlichte Gefahrerhöhung bzw. Nichtverminderung der Gefahr per se ungeeignet erscheint, ein rechtliches Verbot bzw. Gebot zu konturieren. Man würde wohl sagen: Nur weil ein Verhalten gefährlich ist, ist es noch lange nicht verboten! Wollte man dagegen andererseits versuchen, den Bezugsgegenstand des Individuellen von vornherein einzugrenzen, um so zumindest ein ansatzweise konkretisiertes Verbot zum Ausgangspunkt zu machen, landete man unweigerlich bei den Versuchen der herrschenden Meinung mit ihrer differenzierten Maßstabsfigur. Nach dieser ist nicht jede Gefahr verboten, sondern nur eine solche, die die objektive Sorgfalt verletzt. Allerdings sieht sie sich nicht in der Lage, einen konsistenten Maßstab zu liefern. b) Die Ermittlung des Bezugsgegenstandes anhand eines objektiven, gefahrbezogenen Maßstabes trotz rein individuellem Fahrlässigkeitsbegriff? Dass das Problem um die Auffindbarkeit eines tauglichen Bezugspunktes auch nicht vor Vertretern eines – wenn man so will – objektiven Risikoansatzes halt macht, ist im Folgenden darzutun. Teilweise hat es gar den 1114  Siehe

dazu oben S. 279. Stratenwerth / Kuhlen, Strafrecht AT, § 8. 1116  Vgl. Stratenwerth / Kuhlen, Strafrecht AT, § 15, insb. Rn. 3. 1115  Siehe



C. Normentheoretische Fehlprämissen und deren Folgen373

Anschein als bliebe diese Schwierigkeit gänzlich unentdeckt. Man führe sich nur neuerlich die Auffassung Gropps vor Augen,1117 der – obwohl grundsätzlich den „Risikodogmatikern“ zuzuschlagen – nach eigener Auskunft „das Vorliegen fahrlässigen Handelns ausschließlich nach individuellen Kriterien […] beurteilen“ will.1118 Diese den subjektiven Tatbestand des Fahrlässigkeitsdeliktes1119 prägenden Momente – die individuelle Vorhersehbar- und Vermeidbarkeit – sollen laut Gropp auf das von ihm so bezeichnete Merkmal der „erhöhten Gefahrerschaffung“1120 bezogen sein.1121 Da er jedoch – ganz im Stile Roxins – sein gesellschaftsplanwidriges Risiko, eben die erhöhte Gefahr, ausschließlich anhand von Kriterien ermitteln will, die die ganz überwiegende Auffassung im Rahmen der sog. objektiven Sorgfaltspflichtverletzung bzw. der objektiven Zurechnung verortet, kommt er trotz ausdrücklicher Beteuerung nicht umhin, sich der Sache nach die objektive Maßstabsfigur der herrschenden Meinung zunutze zu machen. Denn wie sollte man ohne Ansehung des nachrangig zu prüfenden sog. subjektiven Tatbestandes ermitteln, ob sich „der Täter durch sein Verhalten […] innerhalb der Grenzen des erlaubten Risikos gehalten hat“, ohne auf eine an Standards orientierte Maßstabsfigur Bezug zu nehmen; oder feststellen, ob „der eingetretene Erfolg auch bei ‚normal-gefährlichem‘ Handeln nicht vermeidbar war“?1122 Die von Gropp gegen die herrschende Meinung vorgebrachte Kritik in Bezug auf deren „objektiven Maßstab“ trifft sein eigenes System mit gleicher Härte. Mehr Problembewusstsein zeigt dagegen Frisch;1123 er verliert die – grundsätzlich die „objektiven Risikodogmatiker“ auszeichnende – Suche nach einem gemeinsamen, festen Gegenstand von Vorsatz und Fahrlässigkeit nicht gänzlich aus den Augen. Gleichwohl sieht er sich insbesondere in späteren Schriften aufgrund von – wie bereits oben ausführlich gezeigt wer­ den konnte – fälschlichen normentheoretischen Prämissen genötigt (er folgt dem gängigen Modell rechtlicher Verhaltensnormen und strebt an, die „Konstruktion überstrenger Normen“ zu meiden), im Falle fehlender normativer Standards auf der Ebene des Unrechts auf die sog. individuelle Vermeidbarkeit abzustellen. Soll es sich dabei auch „lediglich“ um eine „teilweise Extension des [objektiven] Gefahrurteils“1124 handeln, ist doch damit 1117  Ausführlich

dazu oben S. 308 f. Strafrecht AT, § 12 Rn. 82. 1119  Gropp, Strafrecht AT, § 12 Rn. 93. 1120  Gropp, Strafrecht AT, § 12 Rn. 78 (Hervorhebung im Original). 1121  Siehe Gropp, Strafrecht AT, § 12 Rn. 92. 1122  Vgl. Gropp, Strafrecht AT, § 12 Rn. 73. 1123  Siehe dazu ausführlich oben S. 312 ff. 1124  Frisch, in: Straftat, S. 183 f. 1118  Gropp,

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die notwendig strikte Trennbarkeit von „Zurechnungsgegenstand“ und „Zurechnungsgrund“ der Sache nach aufgegeben. Auch hier zeigt sich wieder einmal, dass das grundlegende Problem ein normentheoretisches ist.1125 Frischs Fehler beruht – worauf hier nochmals hinzuweisen ist – insbesondere darauf, dass er (aus Gründen der Verhaltensanleitung, aus Bestimmungsnormgesichtspunkten) glaubt, den Gefahrbegriff nicht vom Merkmal des Unerlaubten scheiden zu dürfen – er geht davon aus, dass nur die Herbeiführung (bzw. Nichtverminderung) einer unerlaubten Gefahr verboten (bzw. geboten) werden kann. c) Fahrlässigkeit als individuelle Erkennbarkeit – nur von was? Wenn man die Fahrlässigkeit als „individuelle Erkennbarkeit“ definiert, wird der unbefangene Leser die Erwartung hegen, dass man ihm erkläre, worauf sich die Erkennbarkeit bezieht. Einfach gewendet: Die zentrale Frage wird immer lauten: Erkennbarkeit von was? Wie ist der Gegenstand, der Bezugspunkt der Fahrlässigkeit beschaffen? Auf den ersten Blick scheinen die – hier exemplarisch für andere stehenden – Ausführungen von Duttge darauf auch handfeste Antworten liefern zu können, wenn er unter anderem kundtut, dass die Fahrlässigkeit nicht „im ‚Überschreiten des erlaubten Risikos‘, sondern in seiner individuellen Erkennbarkeit [liegt].“1126 Es mutet an, als beziehe sich die Fahrlässigkeit auf eine vorrangig zu prüfende (Unrechts-)Tatbestandsverwirklichung, auf eine unrechte Tat.1127 Diese insofern mit der soeben referierten Position von Gropp (und Frisch) identisch scheinende Auffassung soll dann aber letztlich wohl doch nicht vollumfänglich die Meinung Duttges widerspiegeln. So meint er, dass man den „ ‚Risiko‘-Lehren“ zwar „erste […] Andeutungen“ zur „Kennzeichnung des fahrlässigkeitsspezifischen Handlungsunwertes“ entnehmen könne, dass sich aber seine Auffassung „noch deutlicher“ mit denjenigen Herangehensweisen treffe, die „von vornherein auf das Merkmal der ‚Erkennbarkeit‘ “ abstellen.1128 Nur: Wie wollte man von vornherein auf eine Erkennbarkeit rekurrieren, ohne dass man deren Bezugspunkt definierte?1129 Duttge vernebelt die Tatsache, dass er entweder – wie exemplarisch Gropp und 1125  Siehe

nur oben S. 318 ff., 351 f. § 15 Rn. 107. 1127  Siehe MK-Duttge, § 15 insb. Rn. 107. 1128  MK-Duttge, § 15 Rn. 112 f. 1129  Nebenbei: Der Hinweis von MK-Duttge, § 15 Rn. 108, auf die Auffassung Schmidhäusers (Schaffstein-FS, S. 129 ff.) ist in diesem Zusammenhang unpassend. Schmidhäuser stellt (a. a. O.) gerade nicht „von vornherein“ auf „die“ Erkennbarkeit ab, sondern verlangt – prüfungstechnisch vorausliegend – die Erfüllung tatbestandlichen Unrechts, für das kein Rechtfertigungsgrund eingreifen darf, um sodann – erst 1126  MK-Duttge,



C. Normentheoretische Fehlprämissen und deren Folgen375

Frisch – doch auf die Zugrundlegung einer Halt gebenden, objektiven Maßstabsfigur angewiesen ist, womit sich aber von ihm aufgewiesene zentrale Einwände erledigten,1130 oder er aber in Wirklichkeit gar keinen Bezugspunkt der Erkennbarkeit benennen kann, was noch schwerer wiegen würde. Eine solche – von Duttge im Endergebnis wohl befürwortete – im luftleeren Raum schwebende Erkennbarkeit würde tatsächlich den gegen die „Vorhersehbarkeitstheorien“ vorgebrachten Vorwurf, die „bloße Erkennbarkeit“ sei „ein zurechnungsirrelevantes Nullum“,1131 als nicht unberechtigt erscheinen lassen. Gehen wir einmal davon aus, Duttge würde sich zu Letztgeschildertem bekennen, dann stünde (wie auch immer das praktisch gelingen sollte) nur noch ein bezugsloses Vorhersehen-Können und -Müssen im Mittelpunkt der rechtlichen Begutachtung, nicht mehr das tatsächlich gefahrerhöhende Tun, das Verhalten. Anders gewendet: Er müsste – wenn er es denn ausdrücklich formulierte – dazu kommen, nicht mehr das wirklich bestehende Risiko als Bezugspunkt auszuweisen, sondern lediglich die individuelle Vorstellung von einer unerlaubten Gefahr genügen lassen. Rechtlich verboten – quasi als strafrechtsdogmatischer „Urtypus“ – wäre demnach bereits der fahrlässige untaugliche Versuch. Eine Straflosigkeit dessen könnte nur noch auf das Fehlen einer „passenden Sanktionsnorm“ gestützt werden: Verhaltensnorm und Strafgesetz wären völlig entkoppelt.1132 d) Die Auswechselung des Bezugsgegenstandes – die Obliegenheitsverletzung als Wesen des fahrlässigen Deliktes? Renzikowski versucht das Problem um den Gegenstand der Erkennbarkeit anders in den Griff zu bekommen.1133 Er vernebelt das Problem nicht im Stile Duttges; er tauscht – im Vergleich mit der Vorsatztat – vielmehr den Bezugspunkt der (potentiellen) Tatumstandskenntnis aus (was die AliudTheorie zu untermauern scheint) und negiert damit den gemeinsamen Grund für die Bestrafung. Letzte Feststellung wird Renzikowski zwar nachdrücklich bestreiten wollen; so er dann auch ausführt: „Strafgrund der Fahrlässigkeit ist nicht die Verletzung einer Erkenntnisobliegenheit, sondern – wie im Rahmen der Schuld – nach dem potentiellen Tat- und Unrechtsbewusstsein („der“ Erkennbarkeit) zu fragen. 1130  Siehe nur MK-Duttge, § 15 Rn. 95 ff., 114 ff. 1131  Siehe insofern Kindhäuser, GA 1994, 209 Fn. 43. 1132  Eine ähnliche Sicht der Dinge wird uns noch bei der kritischen Auseinandersetzung mit der Auffassung von vor allem Freund, dazu unten S. 380 ff., insb. S.  384 f., begegnen. 1133  Siehe zu dessen Konzept ausführlich oben, S. 289 ff.

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beim Vorsatztäter – die Verletzung einer Verhaltenspflicht zum Schutz von Rechtsgütern“,1134 nur ist seine Argumentation selbstwidersprüchlich. Zum Verhaltensnormverstoß kann er doch bei der Fahrlässigkeit (außerordentlicherweise!) nur kommen, wenn er vorab die Obliegenheitsverletzung nachgewiesen hat (– mögen beide Verstöße auch auf unterschiedlichen Stufen stehen). Für Renzikowski bildet eben – anders als beim Vorsatzdelikt – die Pflicht zur Erkenntnis / Aufmerksamkeit der zeitlich vorausliegenden Obliegenheit, ungeachtet eigener Beteuerungen, den eigenständigen Anknüpfungspunkt, und damit den eigentlichen Strafgrund. Man beachte auch die dies bestätigende, von ihm vorgeschlagene Prüfungsfolge beim Fahrlässigkeitsdelikt: „Die Verletzung einer Erkenntnisobliegenheit ist Voraussetzung der (außerordentlichen) Zurechnung, die ihrerseits Voraussetzung für die Bewertung des zugerechneten Verhaltens anhand der Verhaltensnormen ist“.1135 Renzikowski mag also zwar das für die verhaltensnormtheoretischen Ansätze bestehende Problem erkannt haben, lösen kann er es nicht. Durch die Auswechselung des Bezugspunktes (nicht die Verhaltensnorm, sondern die sog. Obliegenheit soll nunmehr den Gegenstand bilden) redet er der Sache nach den – wie gezeigt – abzulehnenden Aliud-Theorien das Wort. Die Fahrlässigkeit folgt jedoch gerade nicht außerordentlichen Regeln, sondern allgemeinen. 4. Unmöglichkeit, Unrecht und Schuld nach materiellen Kriterien abzugrenzen Nun haben wir uns mit einem weiteren ganz zentralen Einwand gegen die sog. individualisierenden Ansätze zu beschäftigen – nämlich der Unmöglichkeit, auf der Grundlage ihrer Verhaltensnormmodelle einen Schuldbegriff mit eigenem positiv sachlichen Gehalt zu bilden. Diese Kritik ist gewiss nicht neu. Bekanntlich hat insbesondere Stratenwerth versucht, ähnliche Beanstandungen zu entkräften.1136 Allerdings trifft 1134  Renzikowski,

Täterbegriff, S. 232. Täterbegriff, S. 231; sowie ganz deutlich auch S. 232 f. – Dass die sog. Obliegenheitsverletzung bei Renzikowski den eigentlichen Strafgrund bildet, kann man ergänzend auch an Folgendem ersehen: Wenn der Verhaltensnormverstoß bei Vorsatz- und Fahrlässigkeitsstraftat doch derselbe sein soll und man außerdem im Rahmen der Schuld keinen eigenständigen Unwert mehr nachweisen können soll, stellt sich die Frage, wie man denn überhaupt die extrem differierende Strafhöhe beider „Deliktstypen“ (vgl. §§ 212, 222 StGB) rechtfertigen sollte. Dies könnte doch allenfalls dann gelingen, wenn man auf die (außerordentliche, die das Merkmal des Täterwissens aufnehmende) Obliegenheitsverletzung verwiese, diese also zum zentralen Punkt erklärte. 1136  Siehe dazu oben S. 279 f. 1135  Renzikowski,



C. Normentheoretische Fehlprämissen und deren Folgen377

seine Argumentation nicht des Pudels Kern. Zwar ist er bemüht, die Trennung von Unrecht und Schuld nicht in Frage zu stellen – was unter Berücksichtigung der aktuellen Gesetzesfassung auch kaum anders möglich erscheint –, aber positiv begründen kann er sie nicht. Dies räumt er auch mittelbar ein, wenn er unter Rückgriff auf Jakobs bekundet, die auf der Ebene des Unrechts angesiedelte Verhaltensnorm sei gekennzeichnet durch die „hypothetische Macht eines Vermeidemotivs“.1137 Enthält aber bereits das Unrecht – wenn auch nur in hypothetischer Form – das Vermeidemotiv, kann die Schuld nichts Eigenständiges mehr „beisteuern“; sie kann allenfalls zum Ausschluss des Vermeiden-müssens im Einzelfall führen. Einen selbständig relevanten, also positiven Unwert liefert eine so verstandene Schuld nicht: Der volle, für die Straftat zu berücksichtigende Unwert wäre bereits durch die Verletzung der Verhaltensnorm umfänglich begründet.1138 Warum man dann aber am Begriff der Schuld überhaupt festhalten sollte, muss unklar bleiben – wäre sie doch bloß eine leere, von anderen Ausschlussgründen nicht wirklich zu trennende Worthülse. Dass es schlussendlich nicht gelingen wird, eine (vermeintliche) Straftatkategorie ohne Werturteil zu begründen, sollte uns aber bereits bei der Würdigung von Belings Gesamtwerk klar geworden sein.1139 Daneben führt eine konsequent verfahrende, zu Ende gedachte „individualisierende Fahrlässigkeitslehre“ tatsächlich zu der von zahlreichen Autoren bemängelten Ineinssetzung von Unrecht und Schuld – solange man auf der Ebene des Unrechts eine Verhaltensnormverletzung fordert. Insbesondere ist es unmöglich, (fahrlässiges) Unrecht und Schuld in „instrumentelles“ und „sittliches“ Können zu scheiden.1140 Stratenwerth behauptet zwar, man habe zwischen der Erkennbarkeit des Erfolges, die zur Verhaltensnorm gehöre, und der Sorgfaltskenntnis als solcher zu differenzieren, die das Verhältnis zum Recht betreffe.1141 Allerdings verletzt ein solches Vorgehen deren allgemeine Prämissen: Billigt man nämlich der auf der Unrechtsebene verorteten Verhaltensnorm eine Bewertungs- und Bestimmungsfunktion zu, ist es unerklärlich, wie man überhaupt ein normwidriges Verhalten bejahen können sollte, ohne (potentielle) Kenntnis des Täters von der Norm nachzuweisen. Denn: Der Versuch ein Individuum in einer spezifischen Situation zu einer angesonnenen, konkreten Handlung oder Unterlassung anzuhalten (Bestimmungsfunktion der Norm), setzt zumindest dessen ausreichende Stratenwerth, Jescheck-FS, S. 288. dazu bereits ausführlich oben S. 282 f. 1139  Siehe insofern nochmals S. 68 ff. 1140  In diesem Sinne agiert bekanntlich Stratenwerth, Jesckeck-FS, S. 287 f., siehe bereits oben S. 279. 1141  Stratenwerth, Jesckeck-FS, S. 287; ihm beipflichtend Struensee, Samson-FS, S. 215. 1137  Vgl.

1138  Siehe

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kognitive Fähigkeiten voraus, auch die Norm als Norm erkennen zu können – anderenfalls verlangte die Norm Unmögliches (Impossibilium nulla est obligatio!). Kenntnis oder Kennen-können des Imperativs bedeutet aber sodann auch (potentielles) Wissen um das Verboten- oder Gebotensein der eigenen Handlung, womit man das zentrale Schuldmerkmal, nämlich das Unrechtsbewusstsein (vgl. nur § 17 StGB), zum Bestandteil der Unrechtsbegründung gemacht hätte.1142 Diese bestehenden Probleme glauben nun augenscheinlich einige Autoren dadurch „lösen“ zu können, dass sie sich überhaupt einer expliziten Stellungnahme zum Fahrlässigkeits-Schuldbegriff enthalten. Ganz eindringlich belegt das Duttge, der im Rahmen der „Suche nach dem Schuldgehalt der Fahrlässigkeit“ zahlreiche, heterogene Schuldbegriffe präsentiert, ohne sich zu einem zu bekennen – vielmehr hat es den Anschein, als begreife er alle als irgendwie tauglich.1143 Im Rahmen der konkreten Fundierung wartet er sodann mit der Behauptung auf, dass sich „für die Schuldprüfung im Vergleich zum Vorsatzdelikt keinerlei strukturelle Divergenzen ergeben“, man habe auf die auch sonst heranzuziehenden §§ 17, 19, 20, 33 StGB abzustellen.1144 Selbst die Prüfung des Verbotsirrtums soll bei Zugrundelegung seiner Auffassung „keine besonderen Schwierigkeiten“ aufwerfen: „Denn wer ‚trotz trifftiger Veranlassung‘ fremde Rechtsgüter beeinträchtigt, der hätte regelmäßig auch die Rechtswidrigkeit seiner Tat erkennen können und müssen.“1145 Duttge erläutert jedoch nicht, was es mit einem solchen regelmäßigen Erkennen-können und -müssen auf sich haben sollte. Er weckt die falsche Hoffnung, dass dieses Merkmal in gewissen, außer der Regel stehenden Fällen eigenständige Relevanz entfalten könne. Allerdings umfasst die Begrifflichkeit der bereits auf der Unrechtsebene statuierten „fahrlässigkeitsspezifischen Vermeidepflicht“ bei stringenter Anwendung zwingend sämtliche Fallgestalten, die sonst (im Rahmen der Vorsatztat) den Kernbereich des Verbotsirrtums – nämlich das Unrechtsbewusstsein, das Erkennenkönnen der Rechtswidrigkeit – ausmachen. Nicht verwundern darf uns also, wenn Duttge schlussendlich keinen Sachverhalt eines selbständig relevanten 1142  Diesen Gesichtspunkt verkennt – bei sonst weiterführenden Gedanken im Übrigen – Struensee, Samson-FS, S. 215. – Vgl. auch Börgers, Gefahrurteil, S. 95 f. 1143  Vgl. nur MK-Duttge, § 15 Rn. 88. – Nicht von der Hand zu weisen ist es ferner, wenn Herzberg, NStZ 2004, 661, Duttge der Sache nach vorwirft, man könne sich bei dessen Konstruktion der Fahrlässigkeitsstraftat kaum jemals sicher sein, ob sich dieser mit den dargebrachten Zitatstellen nun umfassend identifiziert oder nicht. 1144  MK-Duttge, § 15 Rn. 203. – Ein solches Vorgehen ist nicht unüblich vgl. nur Gropp, Roxin-FS2, S. 792: Im Vergleich zum vorsätzlichen Erfolgsdelikt soll beim fahrlässigen „nichts Anderes“ gelten. 1145  MK-Duttge, § 15 Rn. 204. – Ähnlich Gaede, in: Matt / Renzikowski, StGB, § 15 Rn. 59, § 17 Rn. 3.



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Verbotsirrtums bei der Fahrlässigkeitstat präsentieren kann. Vermeidepflichtverletzung und (materielles) Unrechtsbewusstsein sind notwendig konfundiert.1146 Wie sollte man auch sagen können: „Täter, du hattest die triftige Veranlassung und damit die Pflicht, die konkrete Tat zu vermeiden!“, um dann aber sogleich kundzutun: „Du (konntest und) musstest die Pflicht aber gar nicht als Pflicht erkennen!“ Ein solches Vorgehen wäre selbstwidersprüchlich, jedenfalls verstieße es gegen den doch sonst allgemein für gültig gehaltenen Rechtsgrundsatz: Impossibilium nulla est obligatio!1147 An dieser Stelle positiv zu erwähnen sind die Denkanstöße von Schlehofer und Herzberg.1148 Beide versuchen, dem Unrechtsbewusstsein auch im Rahmen der Fahrlässigkeitsstrafbarkeit ein eigenständiges Gewicht zu verleihen. Sie behandeln es weder im Stile der „herrschenden Meinung“ der Sache nach versteckt im Rahmen der sog. „subjektiven Sorgfaltspflichtverletzung“ auf der Schuldebene1149 noch verlagern sie dieses Merkmal – wie soeben gezeigt – auf die Unrechtsebene, indem sie eine „Vermeidepflichtverletzung“ fordern. Allerdings gelangen beide zu der Überzeugung, es gebe beim Fahrlässigkeitsdelikt Fälle, in denen der Täter mit aktuellem, nicht lediglich potentiellem, Unrechtsbewusstsein handle.1150 Dieses Ergebnis beruht allerdings auf einer nicht überzeugenden Grundlegung, nämlich der Prämisse, dass die Verletzung von sog. „Sondernormen“ für die Begründung fahrlässigen Unrechts konstitutiv sei.1151 Nur wenn man sagt, bereits der (bloße) Verstoß gegen die Geschwindigkeitsvorschriften der StVO, gegen die Normen zur Unfallverhütung im Baugewerbe etc. begründeten Fahrlässigkeitsunrecht, ist es möglich, einen Fahrlässigkeitsfall mit Un1146  Zu einer theoretisch möglichen, aber im Ergebnis abzulehnenden Abschichtung von so genanntem materiellen und formellen Unrechtsbewusstsein vgl. die Ausführungen von Otto, Allgemeine Strafrechtslehre, § 7 Rn. 67 ff., § 13 Rn. 41; sowie die diesbezüglich kritischen Anmerkungen von Herzberg, Otto-FS, S. 271 ff. – Eine solche Differenzierung kann schon deshalb nicht überzeugen, da – machte man mit dem postulierten Erfordernis eines „Strafbarkeitswissens“ (formelles Unrechtsbewusstsein) Ernst – man regelmäßig allenfalls unter Zugrundelegung weitreichender und irrationaler Unterstellungen zur Bestrafung des Täters kommen könnte: Der normale Bürger wird in den seltensten Fällen kaum mehr als eine nur ganz rudimentäre Ahnung von der Struktur des Strafrechts, des StGBs oder nebenstrafrechtlicher Tatbestände haben. Auch an dieser Stelle ist nochmals explizit darauf hinzuweisen, dass die Strafgesetze gerade nicht an den einzelnen Bürger, sondern an die Rechtsanwender adressiert sind. 1147  In der Sache gleichlaufend argumentieren exemplarisch Otto, ZStW 87 (1975), 547 f., 571 f., und Schmidhäuser, Schaffstein-FS, S. 152 f. 1148  MK-Schlehofer, Vor §§  32 ff. Rn.  234 ff.; Herzberg, NStZ 2004, 663 ff. 1149  Siehe dazu ausführlich oben S. 259, 257 ff. 1150  So ganz explizit Herzberg, NStZ 2004, 665. 1151  Insofern ist die Kritik von MK-Duttge, § 15 Rn. 205, tatsächlich berechtigt.

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rechtsbewusstsein zu konstruieren – exemplarisch: Fährt ein Autofahrer innerorts in Kenntnis des Überschreitens der erlaubten Geschwindigkeit von 50 km / h und kommt es infolgedessen zu einem von ihm „nicht gewollten“ tödlichen Unfall, soll es sich um einen Fall bewusster Fahrlässigkeit handeln, da der Fahrer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt bewusst außer Acht gelassen habe. Es konnte aber gezeigt werden, dass etwaige „Sondernormverstöße“ entgegen landläufiger Meinung gerade keine (strafrechtlich relevante) unwertbegründende Funktion erfüllen können.1152 Muss der Versuch von Schlehofer und Herzberg schon aus diesem Grunde scheitern, weist ihr Ansatz, das (potentielle) Unrechtsbewusstsein mit eigenständiger Relevanz im Rahmen des Fahrlässigkeitsdeliktes auf der Schuldebene zu verankern, jedenfalls in die richtige Richtung.

IV. Wider die Verhaltensnorm als Unrecht und Schuld ­verschmelzende Kategorie Der Schwierigkeit, eine spezifische Fahrlässigkeitsschuld aufzuweisen, sowie die durch das Gesetz vorgegebene Verortung des Unrechtsbewusstseins auf der Schuldebene zu begründen, meinen allerdings Freund und Kremer-Bax dadurch entgehen zu können, dass sie die These verfechten, es gebe kein strafrechtliches Unrecht ohne Schuld.1153 Beide verfahren – so viel ist ihnen unweigerlich zuzugeben – konsequent. Bemerkenswert ist weiter, dass sich zahlreiche ihrer Einzelfolgerungen mit auch hier für richtig erachteten Ergebnissen decken. Insbesondere betonen sie, dass Vorsatz- und Fahrlässigkeitsdelikt gerade nicht als „Alia“ anzusehen sind, da beide „Deliktstypen“ identischen Kriterien folgen – geht es hier wie dort doch um eine umfassende Interessenabwägung, ohne dass man auf eine irgendwie geartete Maßstabsperson abstellen müsste. Gleichwohl kann ihre dogmatische Grundlegung nicht unwidersprochen bleiben. Dies gilt zunächst einmal für die „Superkategorie“ des Verhaltensnormverstoßes. Eine auf dieser umfassenden Begrifflichkeit aufbauende Straftatsystematik verlangt vom Rechtsanwender Beachtliches: Man sieht sich von vornherein in der Pflicht, einen zu beurteilenden Sachverhalt (nahezu1154) in Gänze, in seinen sämtlichen Facetten zu erfassen. Dass menschliches Denken aber kaum dergestalt vonstattengeht, entspricht nicht zuletzt der Alltagserfahrung: Gerade die Arbeit mit vielschichtigen Fallgestalten verlangt nach einem komplexitätsreduzierenden, schrittweisen Vorgehen. 1152  Siehe

nur oben S. 353 ff. dazu ausführlich oben S. 328 ff. 1154  „Nahezu“ deshalb, da daneben noch die „Sanktionsnorm“ Relevanz entfalten soll – siehe dazu sogleich im Fließtext. 1153  Siehe



C. Normentheoretische Fehlprämissen und deren Folgen381

Setzt man aber – wie es dem Vorschlag von Freund und Kremer-Bax entspricht – das Ergebnis der Prüfung quasi an den Ausgangspunkt der Dogmatik, verkehrt man die Strukturen. Die Tatsache, dass das Merkmal eines umfassenden Verhaltensnormverstoßes schwer handhabbar ist, wird dann auch wohl von den Autoren gesehen, so sie denn ihre Herangehensweise – ganz im Sinne des abschichtenden Denkens – zumindest sprachlich schleifen. Exemplarisch: Zu differenzieren habe man zwischen einem Verhalten, über das ein „grundsätzliches tatbestandliches Missbilligungsurteil“ gefällt werden könne, und einer etwaigen Rechtfertigung dieses Verhaltens.1155 In welchem genauen Verhältnis Grundsatz und Rechtfertigungsgründe stehen, erfährt man jedoch nicht.1156 Schwerer wiegen aber die Probleme, die sich aus den normentheoretischen Prämissen ergeben.1157 Führen wir uns noch einmal ins Gedächtnis, dass man die Verhaltensnorm aus „Tätersicht“ (ex ante-Perspektive eines potentiellen Verhaltensnormadressaten) zu bilden habe, und beschauen uns dazu folgenden Fall: A ist als Zeuge zu einer Gerichtsverhandlung geladen, in dessen Fortgang er seine Aussage („Das Auto war blau.“) beeidigen muss. Nehmen wir nun an, dass A zwar nicht bewusst falsch schwört, er aber – hätte er seine Erkenntniskräfte angestrengt – sich hätte sagen müssen: „Eine solche Aussage darf ich nicht beeidigen, da ich mir nicht sicher sein kann, dass das Auto blau war.“ Liegt er nun gleichwohl – aus seiner Sicht zufällig – richtig, müssen Freund und Kremer-Bax unweigerlich dazu kommen, einen (vollendeten) Verhaltensnormverstoß durch A zu bejahen, obwohl das Auto tatsächlich blau war. Einzig das Fehlen einer „passenden“ Sanktionsnorm könnte dazu führen, hier eine Strafbarkeit des A zu verneinen. Um nun nicht den der Sache nach gegebenen (bloßen) fahrlässigen untauglichen Versuch zu pönalisieren, den man womöglich als die Grundform eines Verhaltensnormverstoßes bezeichnen könnte, müssen die Autoren die §§ 161, 154 StGB wohl so deuten, dass mit dem Tatbestandsmerkmal „falsch“ auch verlangt ist, dass die beschworene Aussage nicht mit der Wirklichkeit übereinstimmt. Die angeblich den A anleiten sollende, rechtliche Verhaltensnorm wäre also sehr viel weiter als die (spätere) Sanktionsnur Freund, Strafrecht AT, § 3 Rn. 1 (Hervorhebung von mir). man über dieses Verhältnis nichts Genaueres erfährt, liegt in der Natur der Sache, soll doch der „eigentliche“ Verhaltensnormverstoß (unter anderem) erst bei Fehlen von Rechtfertigungsgründen anzunehmen sein. – Auch bei der Verwendung der Begrifflichkeit der Schuld – bei den Entschuldigungsgründen – ist ein ähnliches Vorgehen zu beobachten, siehe dazu Freund, Strafrecht AT, § 4. 1157  Nur am Rande sei erwähnt, dass es sich bei dem von Freund und KremerBax präferierten Verhaltensnormmodell um keine allgemein gültige Normentheorie handelt, nicht erklärt werden kann zum Beispiel der § 1004 BGB. Dies mag aus strafrechtlicher Sicht kein Mangel sein, gleichwohl ist die Berechtigung einer „Sondernormtheorie“ besonders kritisch zu hinterfragen. 1155  Siehe 1156  Dass

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Kap. 3: Kritische Darstellung des aktuellen Sach- und Streitstandes

norm der §§ 161, 154 StGB. Was aber macht die Autoren so sicher, dass es sich bei der gewonnenen Verhaltensnorm („So darfst du nicht schwören!“) tatsächlich um eine dem Recht zugehörige handelt, wenn doch das Recht – soweit ersichtlich – keine irgendwie geartete Rechtsfolge an ein solches Verhalten knüpft? Begründen könnte man dies unter Umständen mit einer Hilfsüberlegung – nämlich mit der Rechtsfigur eines gedachten, die Rechtsordnung personifizierenden Polizisten.1158 Dieser – so mag man anführen – könne zumindest warnen: „Auf der Grundlage deines Wissens darfst du nicht schwören!“ Bei einem solchen Verständnis erschöpft sich das Recht im Einzelfall also in einem bloßen undurchsetzbaren Postulat. Wo aber sollte dann die Grenze zu den Moralnormen verlaufen?1159 Dass es nicht gelingen wird, den Nachweis zu führen, dass die von Freund und Kremer-Bax in den Mittelpunkt ihrer Dogmatik gestellten Verhaltensnormen tatsächlich rechtliche sind, ist auch durch folgenden Fall belegbar: Angenommen der Autofahrer A geht fälschlich davon aus, dass man innerorts nicht schneller als 30 km / h fahren dürfe. Begeht er nun ­einen Verhaltensnormverstoß, wenn er diese Geschwindigkeit überschreitet? Nimmt man die insbesondere von Freund zur Verhaltensnormlegitimation entwickelten Kriterien ernst,1160 hat es den Anschein, dass man die Frage bejahen müsse. So wird man schwerlich argumentieren können, die Verhaltensnorm: „Fahre innerorts nicht schneller als 30 km / h!“ könne kein geeignetes, erforderliches und angemessenes Mittel zur Erreichung eines angestrebten Rechtsgüterschutzes sein.1161 Auch einen warnenden, die Rechtsordnung verkörpernden Polizisten wird man sich – zumindest theoretisch – denken können. Allerdings sieht man sich der Tatsache gegenüber, dass eine irgendwie geartete rechtliche Durchsetzbarkeit dieses vermeintlichen Imperativs nicht zu konstruieren ist. Man wird noch nicht einmal sagen können, dass es sich bei einer solchen Norm um ein rechtliches Postulat handelt – die Rechtsordnung hätte den A vielmehr sofort belehren müssen, 1158  Diese Überlegung entnehme ich Seminaren und Diskussionen mit Prof. Dr. Freund. – Diesen Gedanken ebenfalls aufgreifend Georgy, Verantwortlichkeit, S. 25 Fn. 31. 1159  Langer, Sonderstraftat, S. 61, hat dies bereits ganz nachdrücklich herausgearbeitet: Allenfalls wenn man „das Faktum einer Rechtsfolgenandrohung für den Fall der Zuwiderhandlung und damit die relative Durchsetzbarkeit des Normbefehls in den Begriff der Rechtsnorm einbezieht“, kann man die Existenz von Rechtsnormen nachweisen. Ein bloßes Warnen-können des Einzelnen kann insofern freilich nicht genügen. 1160  Siehe insofern nochmals Freund, Strafrecht AT, § 1 Rn. 12 ff. 1161  Das Vorliegen einer Verhaltensnorm wird man nicht bereits mit dem Gesichtspunkt verneinen können, dass die Rechtsordnung (als Ganze) eben nur ein schnelleres Fahren als 50 km / h verbiete: Abzustellen sei ja zu Bewertungszwecken auf die Perspektive des potentiellen Verhaltensnormadressaten.



C. Normentheoretische Fehlprämissen und deren Folgen383

dass er innerorts unter normalen Umständen mit einer Geschwindigkeit von bis zu 50 km / h fahren darf. Dass die Denkfigur eines warnenden Polizisten zum Nachweis eines vermeintlich rechtlichen Verhaltensnormverstoßes kaum taugt, ist abschließend an folgendem Fall zu exemplifizieren: Auf einem belebten Marktplatz befindet sich der einen Baseballschläger wild schwingende A. A geht es um reine Lustbefriedigung, die zahlreich um ihn herum stehenden Leute scheren ihn nicht; die Gefahr, andere zu schädigen, ist ihm nicht aktuell bewusst. Nunmehr stürmt – von A ungesehen – der Messerstecher B heran, der A nach dem Leben trachtet. Ungewollt streckt A den soeben zum tödlichen Stich ansetzenden B mit seinem Baseballschläger nieder. Der kurzzeitig bewusstlose B erleidet leichtere Blessuren. Nach dem Verhaltensnormkonzept von Freund und Kremer-Bax habe der gedachte, die Rechtordnung verkörpernde Polizist dem A auch hier – ungeachtet der objektiven Rechtfertigungslage – zu sagen: „So darfst du den Baseballschläger nicht schwingen!“, obwohl der A doch anerkanntermaßen von der Rechtsordnung (als Ganzer) mitnichten am Schlag in der konkreten Situation gehindert werden könnte.1162 Auch hier soll eine grundsätzlich in Betracht kommende Strafbarkeit nach § 229 StGB einzig am Fehlen einer passenden Sanktionsnorm scheitern, da der eingetretene Erfolg gerade nicht hätte vermieden werden sollen.1163 Nach alledem ist weiter darauf hinzuweisen, dass Freund und KremerBax augenscheinlich mit verschiedenen Verhaltensnormbegrifflichkeiten arbeiten, ohne dies explizit darzutun: Zunächst einmal sieht man sich der einfach anmutenden Feststellung gegenüber, dass es sich – exemplarisch – bei dem „Du sollst nicht töten!“ um eine Verhaltensnorm handle; dem Leser wird jedoch sogleich mitgeteilt, dass dieses Verbot ein „freilich konkretisierungsbedürftiges“ sei.1164 Unbestritten soll bleiben, dass das Verlangen nach einer solchen Konkretisierung, nach einem individuellen Zuschnitt des Befehls für die dogmatische Grundlegung der Autoren zwingend ist, anderenfalls ließe sich auch nicht begründen, wie das Verbot bzw. Gebot konkrete Handlungsanweisung im Einzelfall sein sollte. Formuliert man aber die „Norm“ „notgedrungen“ derart konkret-individuell, wird rechtstheoretisch (zumindest aber sprachlich) etwas anderes konstruiert als das abstrakt-gene1162  Warum man aber dem Polizisten als verkörperter Rechtsordnung ausschließlich bzw. maßgeblich das Wissen des Täters – des (potentiellen) Verhaltensnorm­ adressaten – beilegen sollte, bleibt unklar. 1163  Gleichwohl wäre es aus hiesiger Sicht aber ausdrücklich begründungsbedürftig, warum man hinsichtlich des Erfolgs nicht auch sagen können sollte, dass ein solcher (explizit auf einem Verhaltensnormverstoß fußender) Erfolg vermieden werden soll. 1164  Vgl. nur nochmals Freund, Strafrecht AT, § 1 Rn. 6.

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Kap. 3: Kritische Darstellung des aktuellen Sach- und Streitstandes

relle „Du sollst nicht töten!“1165 Diese unterschiedlichen Momente mit einem einheitlichen Terminus zu versehen, muss bestenfalls als gewichtige Nachlässigkeit bezeichnet werden. Dies gilt nachgerade, wenn man für die Verhaltensnorm doch verlangt, dass sie sich erst nach einer den Einzelfall berücksichtigenden Güter- und Interessenabwägung konstruieren lasse – dann aber kann ein allgemeines „Du sollst nicht töten!“ keine sein. Hat man sich diese Zusammenhänge klar gemacht, wird ebenfalls deutlich, dass der erhobene Vorwurf, eine auf diese Weise gebildete „Norm“ könne nicht als plakative Verhaltensrichtlinie dienen, durchaus berechtigt erscheint.1166 Zwar versucht insbesondere Freund aufzuweisen, dass die gewonnenen Verhaltensnormen „ganz allgemein für solche Personen in solchen Situationen“ gelten,1167 nur setzt er sich damit in Widerspruch zu seiner Grundlegung: Entweder die Verhaltensnorm befiehlt im Einzelfall konkret-individuell, dann aber kann man nicht von „allgemeinen“ Situationen und Personen sprechen, oder aber die Norm wird abstrakt-generell gebildet und fungiert damit als plakative Verhaltensrichtlinie, kann schlussendlich jedoch nicht mehr dazu dienen, dem Täter in der spezifischen Tatsituation eine konkrete Handlungsanweisung zu vermitteln.1168 Damit ist aufgewiesen, dass ein solches (angeblich rechtliches) Verhaltensnormmodell entgegen seinem Hauptanliegen keine verhaltensanleitende Funktion für zukünftige Fälle erfüllen kann. Schwer wiegt auch, dass Freund und Kremer-Bax genötigt sind, die für die Fahrlässigkeit vorausgesetzte individuelle Erkennbarkeit ohne echten Bezugspunkt zu bilden – dies scheint insgesamt Folge ihrer Lehre von der Straftat zu sein, der es mit der Zentrierung auf den umfassenden Verhaltensnormverstoß scheinbar gerade nicht um Zurechnung geht.1169 Bezieht man 1165  Diese Debatte ist uns aus dem Verwaltungsrecht bestens bekannt. Dort differenziert man zwischen materiellen Gesetzen und Verwaltungsakten. – Zugespitzt: Der von Freund und Kremer-Bax für den Einzelfall geltende „Verhaltensnormverstoß“ ist der Sache nach eher ein „Verhaltensaktverstoß“. 1166  Siehe zu diesem Einwand nur Schünemann, Schaffstein-FS, S. 165. 1167  Siehe dazu Freund, Küper-FS, S. 74. – Dagegen weist Vogel, Norm und Pflicht, S. 56, zu Recht auf, dass es „so viele Norminhalte wie Individuen“ gibt. 1168  Es hat den Anschein als gingen die Autoren einerseits von einer unmittelbar aus der Sanktionsnorm (z. B. dem §§ 212 StGB) abzuleitenden Verhaltensnorm aus, wahrscheinlich um eine zumindest vordergründige Anbindung an das Strafgesetz zu gewährleisten (siehe zu dem verfehlten Umdeutungsverfahren der herrschenden Meinung aber bereits ausführlich oben S. 333 ff.), andererseits konstruieren sie dann die „eigentliche“ Verhaltensnorm konkret-individuell, was jedoch einen unmöglichen Spagat darstellt. – Der Sache nach ist der „eigentliche“ Verhaltensnormverstoß völlig vom Strafgesetz abgelöst. 1169  Missverständlich sind dann aber die Ausführungen von Freund, Küper-FS, S. 73, wo dieser explizit einen „Gegenstand der Bewertung“ aufgewiesen wissen



C. Normentheoretische Fehlprämissen und deren Folgen385

aber die individuelle Erkennbarkeit nicht auf eine wirkliche (von der Sicht des potentiellen Verhaltensnormadressaten entkoppelte) Gefahr, gelangt man in einen infiniten Regress: Individuelle Erkennbarkeit einer aus Tätersicht zu bestimmenden (erkennbaren) Gefahr. Zurechnungsgegenstand und Erkennbarkeit verschmelzen, sind unauflösbar. Insbesondere dem Unrechtsbewusstsein fehlt der Bezugspunkt: Wie wollte man ein Bewusstsein des Unrechts, des Unerlaubten bilden? Diese Schwierigkeiten hat schon Engisch aufgezeigt; sie sind hier bereits oben umfassend gewürdigt worden.1170

V. Wider die Obliegenheitsverletzung aus ex post-Sicht Im Gegensatz zum Ansatz von Freund und Kremer-Bax erweist sich ein Verhaltensnormkonzept, das bei der Bestimmung der Normwidrigkeit eine ex post-Betrachtung anlegt,1171 als eine Lehre, die ein abschichtendes Vorgehen ermöglicht, da sich nicht alle Probleme unter dem umfassenden Begriff des Verhaltensnormverstoßes „zwangsvereinigt“ sehen. Freund wird dem aber entgegnen, dass ein solches Herangehen zu einer bloßen „Problemverschiebung“ führe, da man immer zu klären habe, „unter welchen Bedingungen genau im Verhaltenszeitpunkt aus der Perspektive des Betroffenen ein rechtlich zu beanstandendes Verhalten vorliegt und welches Verhalten trotz späterer Erfolgskausalität rechtlich unbeanstandet bleiben muss.“1172 Diese Feststellung mag man als richtig erachten – nur kann sie nicht den Ausgangspunkt des rechtlichen Fragens bilden, sie ist vielmehr das Ergebnis der strafrechtlichen Rechtsanwendung. Recht steht am Ende des Prozesses.1173 Gleichwohl trifft Freunds Kritik am Ansatzes der außerordentlichen Zurechnung in einem anderen Punkte zu, so er denn aufweist, dass bloße Verursachungsverbote – wie augenscheinlich von Kindhäuser befürwortet und trotz dessen Qualifizierung dieser als Verhaltensnormen – keine irgendwie geartete anleitende Funktion erfüllen können: Verbietet man die bloße Kausierung, ist dem Einzelnen in der konkreten Situation noch keineswegs eine Richtschnur für sein Handeln vorgegeben.1174 Dies wird will (Hervorhebung im Original). Vgl. auch Kremer-Bax, Verhaltensunrecht der Fahrlässigkeitstat, S.  55 ff. 1170  Siehe dazu oben bei S. 110 insb. bei Fn. 413 (Kap. 2) und S. 371 ff. – Vgl. ferner noch Schmoller, Frisch-FS, S. 254 f. Fn. 42. 1171  Siehe dazu insgesamt oben S. 287 f. 1172  Freund, Strafrecht AT, § 2 Rn. 29 f. 1173  Dass man das Recht als Recht des Rechtsstabs zu qualifizieren hat, konnte bereits oben gezeigt werden, vgl. S. 348 f. 1174  Siehe nur MK-Freund, Vor §§ 13 ff. Rn. 180. – Vgl. auch nochmals oben S.  289 f.

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Kap. 3: Kritische Darstellung des aktuellen Sach- und Streitstandes

ganz offensichtlich bei den Fällen der sog. unbewussten Fahrlässigkeit: Sieht der Täter nicht einmal, dass sein Handeln eine Gefahr für ein Rechtsgut schafft, wie sollte er sich dann von einem „Es ist verboten, einen anderen Menschen zu töten!“ zu richtigem Verhalten anleiten lassen.1175 Soll eine solche Norm dagegen nur unrichtiges Verhalten aufzeigen,1176 muss es als unerklärlich bezeichnet werden, warum es überhaupt einer Adressierung an den einzelnen Menschen bedürfen sollte und warum sie dann noch als Verhaltensnorm – so aber der durchgängige Terminus bei Kindhäuser1177 – zu qualifizieren wäre.1178 Daneben ist noch ausdrücklich darauf hinzuweisen,1179 dass gerade Kindhäuser gewichtige – weil dogmatisch tief schürfende – Grundlegungen unbelegt lässt. Dies gilt insbesondere für seine Feststellung, das erlaubte Risiko könne nicht als Rechtfertigungsgrund aufgefasst werden. Begründet wird diese schlichte Behauptung mit den Worten: „Aus dem Eingehen von Risiken – und mögen diese auch sozial akzeptiert sein – erwächst schlechterdings nicht die Befugnis zu töten.“1180 Dass das erlaubte Risiko gleichwohl auf der Ebene des Unrechtsausschlusses zu fundieren ist, wird im Rahmen des eigenen Ansatzes aufgezeigt werden können: Sämtliche Rechtfertigungsgründe sehen sich von dem allgemeinen Leitgedanken der „Wertabwägung“ getragen; das erlaubte Risiko ist jedenfalls kategorial nichts anderes 1175  Ähnlich argumentiert Dehne-Niemann, GA 2012, 96: „Wie aber bei einem Verzicht auf Verhaltensvorgaben und einer Beschränkung auf Verursachungsverbote die Verhaltensnormen ihre Bestimmungsfunktion erfüllen sollen, ist unerklärlich.“ 1176  In diese Richtung deuten die Ausführungen von Kindhäuser, GA 1994, 202 Fn. 23, wo er „prinzipiell“ die Verhaltens- mit der Bewertungsnorm identifiziert und die Pflicht / Verpflichtung mit der Bestimmungsnorm gleichsetzt. 1177  Siehe insofern nur die jüngere explizit normentheoretische Abhandlung von Kindhäuser, GA 2010, 493 ff. 1178  Gerade aus diesem Grunde hatte Mezger, siehe ausführlich oben S. 95 ff., seine Bewertungsnorm „adressenlos“ gebildet. 1179  Freilich sieht sich ein solches Konzept außerordentlicher Zurechnung noch weiterer Kritik ausgesetzt. Wo diese aber bereits allgemein formuliert wurde, bedarf es an dieser Stelle keiner ausführlichen Diskussion mehr. Dies gilt vor allem für die unbegründete Trennung von Verhaltens- und Sanktionsnormen, das verwendete Umdeutungsverfahren hinsichtlich der Strafgesetze und die Behauptung, die so ermittelten Verhaltensnormen seien rechtliche. Vgl. dazu umfassend oben S. 333 ff. – Auch der zivilrechtlich anmutende Begriff der „Fahrlässigkeitshaftung“ erscheint für das Strafrecht unpassend, ist aber wohl Folge des Konzepts der „außerordentlichen“ Zurechnung. 1180  Kindhäuser, GA 1994, 198; ähnlich auch Kindhäuser, Maiwald-FS2, S. 404, dort aber zumindest etwas vorsichtiger formulierend: „Es wäre schief, in der Schaffung eines erlaubten Risikos eine Erlaubnis zur Verursachung eines Erfolgs zu sehen.“ – Eine solche „Begründung“ ist aber nicht unüblich, siehe in diesem Sinne auch Dehne-Niemann, GA 2012, 90; Duttge, Maiwald-FS2, S. 144.



C. Normentheoretische Fehlprämissen und deren Folgen387

als der rechtfertigende Notstand gemäß § 34 StGB.1181 Wenn Kindhäuser meint, ein erlaubtes Risiko könne nie eine „Befugnis“ zu töten verleihen, ist dies wohl insbesondere dem unzutreffenden normentheoretischen Herangehen geschuldet: Das Verhältnis von Unrechtstatbestand zu Rechtfertigung wird als eines von Verbotsnorm zu (ausnahmsweise gegebenem) Erlaubnissatz gedeutet.1182 In diesem Zusammenhang wäre es allerdings interessant zu erfahren, wie sich die Abgrenzung beider genau begründen lassen soll;1183 nach hiesiger Einschätzung sollte es dem Rechtsanwender gerade darum gehen, unterscheidbare materielle Wertungen herauszuarbeiten.1184 Anderenfalls bedürfte es auch keiner eigenständigen Kategorienbildung.

VI. Fazit Das die ältere wie jüngere Literatur durchziehende Bestimmungs- bzw. Verhaltensnormmodell fußt ganz beträchtlich auf dem lateinischen Spruch „ultra posse nemo obligatur“; und inzwischen wird man oftmals gar von mehr als einem bloßen Beruhen, nämlich einer Verabsolutierung a priori, sprechen können.1185 Der (schlussendlich durchaus berechtigte) Satz – ein schlicht allgemeiner Wahlspruch – wird nicht mehr als das Ergebnis des Rechtsfindungsvorgangs gesehen, sondern nunmehr regelmäßig1186 als Auftakt, als Startpunkt der strafrechtsdogmatischen Diskussion begriffen. Glaubt man, dass das Recht schon vor Tatbegehung konkret auf den Einzelnen zugeschnitten ist (da es nur dann die ihm zugedachte individuelle Anleitung zu einem bestimmten Verhalten übernehmen kann), muss die das Recht in der spezifischen Tatsituation zum Ausdruck bringende Verhaltensnorm eine umfassende sein; die den gesetzlichen Merkmalen Unrecht und Schuld (und 1181  Siehe

dazu unten S. 391 f., 408 ff. nur Kindhäuser, Strafrecht AT, § 15 Rn. 1, sowie ergänzend oben S. 217 ff. – Es konnte aber gezeigt werden, dass bereits das hinter der „Verbotsermittlung“ stehende Umdeutungsverfahren explizit begründungsbedürftig wäre. 1183  Das Verhältnis von Tatbestandsmäßigkeit und Rechtswidrigkeit in dem Sinne zu deuten, dass letztere Kategorie zur Rechtfertigung eines „an und für sich“ verbotenen Verhaltens führe (so Kindhäuser, Maiwald-FS2, S. 405), kann allenfalls „an und für sich“ eine dogmatische Abschichtung beider ermöglichen. 1184  Siehe insofern bereits an dieser Stelle Schmidhäuser, Strafrecht AT-StB, 6 / 12, sowie Schmidhäuser, Schaffstein-FS, S. 139 f., Fn. 36. 1185  Vgl. auch Börgers, Gefahrurteil, insb. S. 94. 1186  Dies trifft nicht diejenigen Auffassungen, die die Rechtsnormen als bloße kategorische und abstrakte Verursachungsverbote verstehen, vgl. insofern zum Beispiel Kindhäuser, oben S. 287 f., 385 f., aber auch Langer, Sonderstraftat, S. 60 ff. Solche Autoren haben dann jedoch insbesondere zu klären, warum ihre angeblich an den einzelnen Rechtsunterworfenen gerichteten Normen überhaupt rechtliche Verhaltens- bzw. Bestimmungsnormen sein sollten. 1182  Vgl.

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Kap. 3: Kritische Darstellung des aktuellen Sach- und Streitstandes

Strafwürdigkeit) klassisch zugeordneten Inhalte sind damit untrennbar miteinander verwoben. Dass dieser Schlussfolgerung der Ineinssetzung bis heute regelmäßig nicht nachgegeben wird, ist ausdrücklich zu begrüßen. Sie wäre auch wider das Gesetz. Gleichwohl müsste diese Konsequenz nachdrücklich von den beim Fahrlässigkeitsdelikt so genannten individualisierenden Auffassungen gezogen werden.1187 Den sogleich auf das konkrete Individuum blickenden Ansätzen gebührt jedoch das Verdienst, aufgezeigt zu haben, dass es – jedenfalls im Strafrecht – kaum möglich erscheint, konsistente „objektive“ (bzw. genauer: generelle) Sorgfaltsmaßstäbe und Erwartungshaltungen seitens der Rechtsordnung – ohne Ansehung (insbesondere des potentiellen Tatumstandswissens) des Täters sowie der Tatsituation – zu konstruieren.1188 Allerdings geraten sie sodann hinsichtlich der Formulierung der Norm in beachtliche Schwierigkeiten. Zwar beteuert man, ihr Vorgehen lasse keineswegs den abstrakt-generellen Charakter der Norm außer Betracht, schlussendlich wird die Verhaltensnorm aber – getreu dem eigenen Ansatz – konkret-individuell formuliert. Damit ist jedoch zwingend verbunden, dass man das Abstrakt-generelle, man könnte sagen die „Idee“ der Norm, für die Strafrechtsdogmatik nivelliert, und hat sich sodann die Frage zu stellen, ob der Terminus „Norm“ überhaupt noch als passend erscheint. Ihrem Wortlaut nach beabsichtigt eine solche doch gerade, eine Mehrzahl von Fällen einheitlich zu regeln. Es hülfe auch nicht zu beteuern, die Norm gelte eben für alle gleichgelagerten Fälle: Ein gleichgelagerter Fall ist doch undenkbar, wenn das konkrete Individuum in einer konkreten, also einmaligen Tatsituation in den Blick genommen wird. Machte man nun generalisierende Abstriche, um einen „gleichgelagerten“ Fall zu konstruieren, landete man wiederum bei der herrschenden Meinung mit ihrem „Doppelmaßstab“.1189 Dass ein solcher aber sachlich undurchführbar ist, hat doch gerade ihre Kritik zeigen können. 1187  Siehe dazu oben S. 376 ff. – Dahingehend geradlinig agiert dann aber vor allem Freund, Strafrecht AT, § 5 Rn. 21 Fn. 31, der sich nach der Aufforderung von Schmidhäuser, Schaffstein-FS, S. 153 Fn. 70, ausdrücklich zur sog. Imperativentheorie bekennt, siehe insofern jedoch die obige Kritik, S. 380 ff. – Zu Freund sei an dieser Stelle nur noch so viel angemerkt: Wenn doch das Recht schon vor Tatbegehung ganz konkret „da“ sein soll, warum dann nur in Bezug auf den Verhalten steuernden, nicht aber den sanktionierenden, den Rechtsfolgen betreffenden Teil? 1188  Vgl. oben S. 353 ff. 1189  Damit ist den individualisierenden Auffassungen allerdings nicht vorgeworfen, sie könne per se keine „objektive“ Bewertung treffen, d. h. kein Urteil der Rechtsordnung fällen; ihr wird nur zum Vorwurf gemacht, dass der gelöste Einzelfall keine „generelle“ Wirkmächtigkeit entfalten kann, dies verkennt auch Struensee, Samson-FS, S. 202. Den durch den Rechtsstab bearbeiteten Fall in seiner einmaligen Erscheinungsform kann und wird es nie wieder geben; er könnte als plakative Verhaltsrichtlinie nur dienen, wenn man von spezifischen Einzelheiten abstrahierte,



C. Normentheoretische Fehlprämissen und deren Folgen389

Damit aufs Engste verbunden ist das Problem, dass sich die Autoren eines „einstufigen Fahrlässigkeitskonzepts“ in der Bredouille sehen, einen echten Bezugspunkt ihrer individuellen Sorgfaltswidrigkeit, Erkennbarkeit etc. ausfindig zu machen.1190 Auf was sollte man „das Individuelle“ auch beziehen, wenn man den – bereits durch individuelle Faktoren zu bestimmenden – Verhaltensnormverstoß als Prius der Strafrechtsdogmatik konzipiert? Unsere Aufgabe hat es nun abschließend zu sein, dem ursprünglichen Anliegen Gestalt zu verleihen, insbesondere die Gesetzesmerkmale Unrecht und Schuld auch für die Fahrlässigkeitstat genau zu konturieren – und dies ohne einen Rückgriff auf ein sonst nahezu allgemein für richtig erachtetes Verhaltensnormmodell. Insbesondere wird klarzulegen sein, wie sich ein „unerlaubtes Verhalten / Risiko“ beim fahrlässigen Delikt definieren lässt und insbesondere wo man ein solches strafrechtsdogmatisch zu verorten hat. Man rufe sich nur nochmals ins Gedächtnis, dass diesbezüglich verschiedenste Positionen verfochten werden: So soll es den Handlungsunwert kon­ turieren, die Pflichtwidrigkeit bestimmen, im Rahmen des Erfolgsunrechts zu berücksichtigen sein oder gar erst auf der Ebene der Rechtfertigungsgründe Bedeutung erlangen; weitgehend ungeklärt ist auch, ob eine solche missbilligte Gefahrschaffung „objektiv“ oder „subjektiv“ zu bestimmen ist.1191 Ferner wird „dem“ Erkennbarkeitskriterium, das nicht selten auf ein solches unerlaubtes Risiko bezogen wird, eine feste Position im Straftatsystem bzw. deren mehrere zu geben sein.

dann aber stellt die „Leitlinie“ keine (sonst dogmatisch zum Ausgangspunkt erkorene) konkret-indivduelle Verhaltensnorm mehr da. Die sonstigen terminologischen Klarstellungen durch Struensee, Samson-FS, S. 201 ff., sind dessen ungeachtet in der Sache berechtigt. 1190  Siehe oben S. 371 ff. 1191  Erinnert sei an dieser Stelle nur an die insbesondere von den Finalisten angegriffene Einordnung im Rahmen der sog. „objektiven Zurechnung“, siehe oben S.  209 ff.

Kapitel 4

Eigene Grundlegung Die folgende Darstellung des Aufbaus des fahrlässigen Deliktes fußt unmittelbar auf den in den vorherigen Kapiteln gewonnenen Sacheinsichten. Sie hat sich an der Lehre von der Straftat in Gänze zu orientierten. Unrecht und Schuld als unschwer erkennbare Gesetzesbegriffe mit dogmatischer Relevanz, sowie die Strafwürdigkeit als dritte Stufe des Verbrechens werden – ganz dem ursprünglichen Ansinnen gemäß – im Mittelpunkt der Betrachtung zu stehen haben; die besondere Bedeutung dieser drei Begrifflichkeiten ergibt sich aus dem positiven Recht. Man kann sie als gesetzliche Axiome bezeichnen.1 Die didaktische und praktische Systematik hat dieser Einsicht Folge zu leisten: Tatbestandsmäßiges Unrecht, tatbestandsmäßige Schuld und die tatbestandsmäßige Strafwürdigkeit sind als die drei Elemente der Straftat – auch in dieser Reihenfolge2 – einer Begriffsbestimmung zuzuführen.3 Ausgerichtet ist die Darstellung am gesetzlichen statistischen Regelfall: Spezifika gewisser Erscheinungsformkombinationen können nur am Rande berücksichtigt werden, zum Beispiel die Fragen nach der sog. fahrlässigen Mittäterschaft, dem sog. fahrlässigen Versuch oder dem fahrlässigen Unterausdrücklich bereits Langer, Sonderstraftat, S. 24. ist anzumerken, dass unter rein teleologischen Gesichtspunkten die Straftatlehre eine differierende Blickrichtung auf die Elemente des Delikts haben müsste, wie Langer, Sonderstraftat, S. 25, zu Recht ausdrücklich hervorhebt: „Von der Strafe her gefragt […] ist das ihr nächste Element der Straftat die Strafwürdigkeit, erst durch sie vermittelt stößt man auf die Schuld und durch diese ganz zuletzt – nochmals vermittelt – auf das Unrecht“, vgl. ferner a. a. O., S. 173. – Wahrscheinlich begünstigt eine nicht ausdrücklich stattfindende Reflexion dieser unterschiedlichen Blickwinkel die Annahme von ausschließlich „ratio“-orientierten dogmatischen Superkategorien wie derjenigen des „Verhaltensnormverstoßes“ bei Freund, siehe dazu bereits ausführlich oben S. 328 ff. 3  Bereits an dieser Stelle ist anzumerken, dass sich der hier für die Fahrlässigkeitsstraftat zu entwickelnde Aufbau in weiten Teilen mit der gesamtsystematisch begründeten Straftatlehre von insbesondere Langer (siehe insofern primär dessen Sonderstraftat, S. 21 ff.) und Schmidhäuser (siehe exemplarisch dessen Strafrecht AT-StB, 5 / 1 ff.) deckt. Freilich gilt dies nicht uneingeschränkt – insbesondere nicht für Langers normentheoretische Prämissen, sowie für die Annahme von Schmidhäuser, dass das „Tatbewusstsein“ erst auf der Schuldebene dogmatische Relevanz entwickle. 1  So

2  Gleichwohl



A. Das tatbestandsmäßige Unrecht391

lassungsdelikt.4 Besonders nachdrücklich wird demgegenüber zu diskutieren sein, ob, und wenn ja, wo die regelmäßig mit der Fahrlässigkeitsstrafbarkeit in Verbindung gebrachten Begrifflichkeiten der Sorgfaltspflicht­ verletzung(en) und „der“ Vorhersehbarkeit(en) zu verorten sind.

A. Das tatbestandsmäßige Unrecht Bei der Bejahung des Vorliegens von Unrecht fällt der Rechtsanwender das Urteil der Rechtswidrigkeit über ein bestimmtes Verhalten.5 Man hat insofern zwischen unrechtsbegründenden und unrechtsausschließenden Merkmalen zu differenzieren. Dies darf aber nicht zu der Fehleinschätzung führen, dass das Unrecht „zunächst“ immer begründet und gegebenenfalls „nachträglich“ ausgeschlossen werde. Liegen die Voraussetzungen eines anerkannten Rechtfertigungsgrundes (zum Beispiel diejenigen der Notwehr, § 32 StGB) vor, ist das in Rede stehende Verhalten von Beginn an als ebenso strafrechtlich unbeachtlich zu qualifizieren wie „bereits“ ein nicht unrechtstatbestands-, also rechtmäßiges Tun oder Unterlassen. Trotz des bloß einen zu fällenden Unwerturteils der Rechtswidrigkeit ist die Einteilung in begründende und ausschließende Merkmale zwingend geboten.6 Sie offenbart unmittelbar das gesetzgeberische Vorgehen. Der Strafgesetzgeber greift sich bei der Bildung von Unrechtstatbeständen – nicht zuletzt aus Zwecken der notwendigen anschaulichen Beschreibung – isoliert einzelne Rechtsgutsverletzungen heraus, im Rahmen des § 222 StGB beispielsweise den Angriff auf menschliches Leben. Ist eine solche Verfehlung gegeben, ist das notwendige aber nicht hinreichende Bedingung für das Vorliegen von Unrecht. Es bedarf vielmehr noch einer Wertung an der Rechtsordnung als Ganzer. Nur wenn sich durch das In-den-Blick-nehmen des Gesamtgeschehens kein Rechtfertigungsgrund finden lässt, ist das Urteil der Rechtswidrigkeit berechtigt. Man hat das Unrecht deshalb als doppelt gewerteten Sachverhalt zu begreifen: Im Rahmen der Unrechtsbegründung wird „lediglich“ ein Ausschnitt aus dem Wertzusammenhang – nämlich der isolierte Angriff – begutachtet, im Rahmen des Unrechtsausschlusses wird dagegen der Blick erweitert, sämtliche Forderungen des Rechts werden mittels einer umfassenden Güter- bzw. Interessenabwägung zur Rechtsgutsverletzung in Beziehung gesetzt. 4  Zum Begriff der Erscheinungsform siehe Langer, Sonderstraftat, S. 182 ff. – Exemplarisch: Beim fahrlässigen Unterlassungsdelikt wird beispielsweise die Auffassung vertreten, dass bereits aus der Garantenstellung die Pflicht zur sorgfaltsgemäßen Vornahme der erforderlichen Rettungshandlung folge, vgl. insofern die Nachweise bei S / S-Sternberg-Lieben / Schuster, § 15 Rn. 143. 5  Siehe zum Folgenden insbesondere auch Langer, Sonderstraftat, S. 31, 26. 6  Siehe dazu ebenfalls Langer, JR 1993, 2 ff.

392

Kap. 4: Eigene Grundlegung

I. Die gesetzliche Beschreibung des m ­ ateriellen Rechtsgutsangriffs – die Unrechtsbegründung Wie bereits angedeutet, besteht (auch) der gesetzliche Unrechtstatbestand des Fahrlässigkeitsdeliktes in einer individualisierenden Schilderung einer Rechtsgutsverletzung.7 Um diese hoch abstrakte Definition zu veranschaulichen, bedarf es einer Auflösung der Darstellung in ihre Einzelmerkmale. 1. Rechtsgut Ungeachtet der gerade in der aktuellen Diskussion vermehrt zu vernehmenden Stimmen, dass die Strafrechtsdogmatik eines Rechtsgutsbegriffs nicht wirklich bedürfe, ist an ihm festzuhalten.8 Notwendig ist er schon aufgrund seiner methodischen Qualität, das geltende Strafrecht zu systematisieren,9 sowie der Tatsache, dass er den Angelpunkt bzw. den „Gegenstand“ des Rechtsschutzes bildet. Aber er hat durchaus auch eine gewisse kritische Funktion: Die dem Gesetzgeber und schlussendlich auch dem Rechtsanwender gestellte Aufgabe, ein Rechtsgut ausfindig zu machen und ein solches argumentativ zu untermauern, führt uns nachdrücklich vor 7  Neben dem sogleich zu beschreibenden sachlichen Aspekt des Unrechts – der Rechtsgutsverletzung – mag man noch einen weiteren, nämlich explizit personalen Aspekt finden – die sog. Pflichtverletzung. Unterschieden sehen sich beide nur durch unterschiedliche Blickwinkel, sonst korrespondieren sie vollkommen; beide Aspekte sind streng parallel; sie stehen im starren Verhältnis wechselseitiger Abhängigkeit: Wird bei der Prüfung der Rechtsgutsverletzung primär auf die gesellschaftlichen Folgen (den Verletzten) geblickt, rückt bei der Betrachtung der Pflichtverletzung der Täter (der Verletzende) in den Mittelpunkt. Siehe zum Ganzen Langer, Sonderstraftat, S. 33 ff., 54 ff., insb. 57 ff. – Dass im Rahmen dieser Arbeit auf den Aspekt der Rechtsgutsverletzung abgestellt wird, liegt schlicht daran, dass man mit dem Begriff der „(Rechts-)Pflicht“ (auf der Unrechtsebene) verschiedenste kaum auflösbare Vorverständnisse weckt, die die Einsicht in die Gesamtstruktur aller Voraussicht nach eher erschweren als vereinfachen; siehe dazu ergänzend aber auch oben bei Fn. 1029 (Kap. 3). 8  Man beachte, dass das Bundesverfassungsgericht die Rechtsgutskonzeption als Maßstab zur Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit von Strafgesetzen abgelehnt hat, so jüngst im sog. Inzestbeschluss; dort äußert es im Mehrheitsvotum außerdem deutliche Zweifel dahingehend, ob „das Konzept des Rechtsgüterschutzes für die Rechtspolitik und für die Dogmatik des Strafrechts“ überhaupt einen Beitrag leisten könne, siehe BVerfGE 120, 241 f.; vgl. beispielhaft die ebenfalls kritischen Stimmen von Appel, KritV 1999, 285 ff.; Lagodny, Strafrecht, S. 143 ff.; sowie Müller-Dietz, Zipf-GS, 132 f. – Zusammenfassende Darstellungen zur (umstrittenen) Rechtsgutslehre aus jüngerer Zeit finden sich unter anderem bei Hefendehl, GA 2007, 1 ff.; und Swoboda, ZStW 122 (2010), 1 ff. 9  So auch Swoboda, ZStW 122 (2010), 32, die gar herausstreicht, dass der Rechtsgutsbegriff insofern „völlig unumstritten“ sei.



A. Das tatbestandsmäßige Unrecht393

Augen, dass nur „besonders wertvolle Zustände“10 strafrechtlichen Schutzes bedürfen. Da es aber letztlich dem an die Verfassung gebundenen einfachen Gesetzgeber obliegt, solche Zustände auszuwählen und zu umschreiben, darf diese Funktion sicherlich nicht überbewertet werden.11 Individualisiert sehen sich die Rechtsgüter selten unmittelbar; oft erfolgt aber eine gesetzliche Umschreibung über die die jeweilige Deliktsgruppe kennzeichnenden Abschnittsüberschriften. So benennt das StGB exemplarisch Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit oder die sexuelle Selbstbestimmung – im Einzelfall bedarf es jedoch zur Ermittlung des zugrunde liegenden Rechtsguts erheblichen Interpretationsaufwandes. Hinzuweisen ist noch darauf, dass das Gesetz nicht nur Individual-, sondern auch Gemeinschaftsgüter wie etwa die Funktionsfähigkeit der staatlichen Rechtspflege kennt, sowie auf die Tatsache, dass es sich bei dem als besonders wertvoll umschriebenen Zustand nicht um eine reale, sondern allein um eine ideelle Kategorie handeln kann – nur durch die Unterscheidung von Rechtsgütern und den in der Wirklichkeit als wertvoll erlebten realen Gegenständen, den Rechtsgutsobjekten,12 ist es möglich, den zurecht oft kritisierten Naturalismus in der Rechtsgutslehre zu überwinden.13 2. Verletzung Gegenstand der Verletzung ist das Rechtsgut, also der von der Gesellschaft als besonders wertvoll eingestufte ideelle Zustand. Ganz abstrakt lässt sie sich also als eine Zustandsveränderung beschreiben, die die dem Rechtsgut beigemessenen Attribute negiert.14 Begreift man die Verletzung als gesellschaftliche Wertverfehlung, wird auch deutlich, dass die Zustandsveränderung von einem Willensverhalten getragen sein muss. Nicht weniger Beachtung hat man dem Faktum zu schenken, dass die Rechtgüter dem Täter in der Wirklichkeit nur in Form von wertvoll erlebten Rechtsgutsobjekten gegenübertreten, eine konkrete Verletzung also nur vermittelt über dazu auch Langer, Sonderstraftat, S. 42 f. ist den Kritikern der Rechtsgutslehre unweigerlich zuzugestehen, siehe dazu noch Stuckenberg, GA 2011, 653 ff., insb. 659: „Die Definitionsmacht, welche Gemeinschaftsbelange auf welche Weise Strafschutz verdienen, liegt im demokratischen Verfassungsstaat institutionell beim Gesetzgeber“; Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 470, hält aber – insoweit einschränkend – fest, dass dies nicht so weit reichen kann, dass die Parlamentsmehrheit bloß unmoralisches, moralwidriges Verhalten pönalisiert. 12  Zur Differenzierung von Rechtsgut und Rechtsgutsobjekt siehe auch Schmidhäuser, Strafrecht AT-LB, 2 / 30 f., 6 / 6. 13  Siehe zum Ganzen noch Langer, Sonderstraftat, S. 40 ff., 71 ff. 14  Siehe auch zum Folgenden im Einzelnen Langer, Sonderstraftat, S. 45 f. 10  Vgl.

11  Dies

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Kap. 4: Eigene Grundlegung

diese möglich erscheint. Es bedarf also zwingend eines Angriffs auf ein solches Tat- bzw. Verletzungsobjekt.15 Im Einzelnen: Der Angriff ist zu definieren als ein schadensgeneigtes, d. h. das Rechtsgutsobjekt gefährdendes äußeres Verhalten, das einem Willen zuzurechnen ist.16 Im Rahmen des aktiven Tuns, des Begehungsdelikts erscheint dieses Willensverhalten als Handlungswille.17 Ein solcher ist freilich auch bei der Fahrlässigkeitstat nachzuweisen. Dass dieser auf den ersten Blick kaum bezweifelbare Befund hier besonderer Hervorhebung bedarf, fußt auf der Grundthese des Finalismus, dass man den Handlungswillen mit dem Vorsatz gleichzusetzen, zu identifizieren habe.18 Bei stringenter Befolgung der Prämissen müsste dies doch letztlich zu der – heute wohl von niemandem als gewünscht zu bezeichnenden19 – Feststellung führen, dass die Fahrlässigkeitstat einen solchen Willen gerade nicht aufwiese. Man sähe sich also der merkwürdigen Konsequenz gegenüber, dass exemplarisch das falsche Schwören beim Meineid im Sinne des § 154 StGB von einem Handlungswillen getragen würde, nicht aber das falsche Schwören aus Fahrlässigkeit gemäß §§ 161 I, 154 StGB. Um diesem Ergebnis zu 15  In der folgenden Abhandlung haben wir uns ausschließlich mit tatsächlichen Angriffen auseinander zu setzen, da bloß vermeintliche Tatobjektsangriffe – wie z. B. der in diebischer Absicht vorgenommene Griff in die leere Handtasche oder der mit Tötungsabsicht abgegebene Schuss auf eine Leiche – für die zur Zeit geltende gesetzliche Fahrlässigkeitsdogmatik unbeachtlich sind. Gleichwohl sei darauf hingewiesen, dass auch der untaugliche (also ungefährliche, siehe zur Gefahrendefinition sogleich unten, S. 395) Versuch heute strafbar ist, wenn der Täter mit dem Ziel handelt, das Rechtsgut in tatbestandsmäßiger Weise zu verletzen. Vgl. zu letzterem Aspekt Langer, Sonderstraftat, S. 431, sowie zum sog. vorgestellten Tatobjektsangriff, a. a. O., S. 48 f., 53 f. – Konstruktiv ausgeschlossen ist aber selbst der sog. fahrlässige (untaugliche) Versuch nicht per se, beachte dazu Freund, Strafrecht AT, § 8 Rn. 2 f. Der Autor denkt gar über einen Gesetzgebungsvorschlag (im Rahmen eines § 217 StGB n. F.) nach (um insbesondere ein vermeintlich mit dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten in Einklang stehendes Abschalten von lebenserhaltenden Gerätschaften sachangemessen bestrafen zu können; nach seinem Dafürhalten scheitert nämlich eine Bestrafung wegen Vollendungsdeliktes oft an der Nichterweislichkeit des Eintritts der spezifischen Fehlverhaltensfolge, vgl. dazu aber auch unten Fn. 335 (Kap. 4)). – Aus hiesiger Sicht hat der Gesetzgeber aber zu Recht von einer solch grundsätzlich bestehenden Möglichkeit keinen Gebrauch gemacht: Das in objektiver Hinsicht völlige Fehlen einer Gefahr lässt sich kaum durch ein bloß aus Tätersicht potentiell tatbewusstes Verhalten kompensieren, um sodann von hinreichendem materiellen Unrecht sprechen zu können. 16  Diese Definition entstammt Langer, Sonderstraftat, S. 46, 49. 17  Das Verhalten kann ebenso in einem Unterlassen bestehen, vgl. nur Schmidhäuser, Strafrecht AT-StB, 4 / 17. 18  Siehe dazu oben, insb. S. 115 f. 19  Vgl. diesbezüglich aber auch den in der rechtsgeschichtlichen Erörterung diskutierten Ansatz von Niese, siehe dazu S. 125 ff.



A. Das tatbestandsmäßige Unrecht395

entfliehen, versuchen sich einige Autoren an dem leicht als untauglich zu entlarvenden Rettungsversuch, dass es sich beim fahrlässigen Delikt um ein tatbestandlich nicht umschriebenes Vorsatzdelikt handle. Damit mag man zwar einerseits das richtige Ergebnis stützen, dass Vorsatz- und Fahrlässigkeitsdelikt weit weniger verschieden sind als gemeinhin angenommen, also die falsche Aliud-These entkräften,20 andererseits verzeichnet man dadurch unweigerlich die bestehenden Grundstrukturen: Handlungswille und Vorsatz sind eben disparate „Gegenstände“.21 Die in der Literatur oft beschworene „Jagd nach der Finalität / dem Vorsatz in der Fahrlässigkeit“22 entpuppt sich also ein bloßes Scheinproblem. Sie fußt auf der fehlenden Trennung beider Gesichtspunkte. a) Die „objektive“ Intensität des Tatobjektangriffs – der Gefahrbegriff und die objektive Zurechnung Die Schwere des Tatobjektsangriffs ist zunächst abhängig von einer außenweltlichen, d. h. nicht rein in der Psyche des Täters existenten Veränderung. Es bedarf insofern einer realen Gefahr für ein Rechtsgutsobjekt: Der zur Rechtsanwendung Berufene muss also hinsichtlich der konkreten Situation zu der Einschätzung gelangen, dass eine mit dem gesamten Erfahrungswissen seiner Zeit unter Kenntnis aller Handlungsumstände bei Begehung der Tat ausgestattete Person die Möglichkeit einer Tatobjektsschädigung für naheliegend erachtet hätte.23 Erst ein solch objektiv ausgestalteter Begriff des Risikos schafft uns einen festen Bezugspunkt für das noch später genauer zu beschreibende potentielle, d. h. erlangbare Tatbewusstsein. Fundiert man den Gefahrbegriff unabhängig vom individuellen Täterwissen, sieht man sich auch nicht in der Bredouille, den Täter vollumfänglich „nach eigenem Maß“ messen zu müssen.24 Festzuhalten ist also, dass hier – d. h. bei der Bestimmung der Gefahr – auch ein oftmals angeblich untrennbar mit 20  Siehe nur oben, S. 364  ff. – Am Rande sei darauf hingewiesen, dass auch Pérez-Barberá, GA 2013, 454 ff., insb. 467, vor dem Hintergrund eines vollständig objektivierten Vorsatzbegriffs zu der Einschätzung gelangt, Vorsatz und Fahrlässigkeit als in einem Plus-Minus-Verhältnis stehend zu denken. 21  Dieser Nachweis muss hier nicht mehr in aller Ausführlichkeit erbracht werden, siehe dazu im Einzelnen die dezidierte und bislang unwiderlegte Herleitung von Langer, GA 1990, 459 ff.; sowie dens., Sonderstraftat, S. 81 ff. (in beiden Abhandlungen auch zu abweichenden Auffassungen). – Erinnert sei in diesem Zusammenhang nochmals an die – vor allem durch die unsaubere Grundlegung bedingte – äußerst wechselvolle Geschichte des Finalismus, oben S. 121 ff. 22  Siehe nur oben S. 121. 23  Siehe zum Gefahrbegriff bereits oben S. 168 f. 24  Zum Problem „Zurechnungsgegenstand“ und „Zurechnungsgrund“ nicht tauglich voneinander abschichten zu können siehe nur oben, S. 371 ff.

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Kap. 4: Eigene Grundlegung

der Sorgfaltspflichtverletzung verbundener Begriff der Vorhersehbarkeit gewisse Relevanz entwickelt.25 Allerdings ist nachdrücklich zu betonen, dass diese („erste“) Erkennbarkeit gerade kein Spezifikum des fahrlässigen Delikts darstellt; auch im Rahmen der Vorsatzstraftat hat man auf erkennbare Gefahren zu rekurrieren – und zwar völlig unumstrittenerweise, ohne dass es eines Abstellens auf etwaige Sorgfaltspflichtverletzungen bedürfte. Ferner sollte deutlich geworden sein, dass man mit einer solchen Begriffsbestimmung auf den von der herrschenden Meinung präferierten Maßstab des einsichtigen und besonnenen Menschen in der konkreten Lage des Täters verzichtet. Die – auch im Rahmen der objektiven Vorhersehbarkeitsprüfung verwendete – sog. „differenzierte“ Maßfigur26 mit all ihren Konturierungsschwierigkeiten ist (insofern27) obsolet. Hier nur am Rande zu erwähnen sind die sog. scheinbaren Rechtsgutsverletzungen.28 Gemeint sind damit Fälle, die nur bei vordergründiger Betrachtung einen Angriff darstellen. Nicht zuletzt aufgrund seiner enormen Praxisrelevanz bedarf insofern jedoch das Rechtsinstitut der Einwilligung der Hervorhebung. Wird einem Dritten vom Verfügungsberechtigten das Recht eingeräumt, in dessen Hoheitsbereich tätig zu werden, begeht dieser keinen Angriff auf das in Bezug genommene Rechtsgutsobjekt, indem er zum Beispiel als starker Freund den schweren und unhandlichen Blumenkübel in einen Müllcontainer wirft. Formal-äußerlich mag der Blumenkübel im Sinne einer Sachbeschädigung durch das Wegwerfen zerstört worden sein, einen Angriff stellt dieses Verhalten gleichwohl nicht dar, da doch erst die Einwilligung dem „schwachen“ Rechtsgutsträger die volle Bandbreite der Nutzungsmöglichkeiten seiner disponiblen Rechtsgutsobjekte eröffnet.29 Neben dem Erfordernis eines Rechtsgutsangriffs als der zwingend notwendig nachzuweisenden Tatbestandshandlung ist in zahlreichen Fahrlässigkeitsdelikten noch eine weitere Voraussetzung realweltlicher Zustandsveränderung individualisiert, gemeint ist der tatbestandliche Erfolg als ein von der Körperbewegung gelöst denkbares schädigendes Ereignis. So verlangen exemplarisch die äußerst praxisrelevanten Straftaten der fahrlässigen Tötung und Körperverletzung den Eintritt des Todes eines Menschen bzw. die Be25  Siehe

oben S. 159 ff. für die überwiegende Literaturauffassung aber oben S. 174 ff. 27  Zur auch sonstigen Unbeachtlichkeit des „objektiven Dritten“ siehe unten bei S. 402. 28  Vgl. dazu auch Schmidhäuser, Strafrecht AT-StB, 5 / 95 ff. 29  Siehe dazu auch Langer, Sonderstraftat, S. 47 f. – Anders als bei den Rechtfertigungsgründen bedarf es hier ausdrücklich keiner umfassenden Güterabwägung; es kollidieren keine verschiedenartigen Interessen. 26  Vgl.



A. Das tatbestandsmäßige Unrecht397

einträchtigung dessen körperlicher Unversehrtheit. Dass nun die tatbestandliche Handlung und der im Strafgesetz vertypte Erfolg nicht rein beziehungslos nebeneinander stehen können, dürfte unmittelbar einsichtig sein und ist auch deshalb seit jeher unstreitig.30 Notwendig und hinreichend für den Nachweis des insofern geforderten Zusammenhangs beider ist die objektive Zurechenbarkeit, d. h. die Feststellung, dass sich im Erfolg genau die Gefahr realisiert, die der Täter mit seinem Handeln geschaffen hat.31 Eine Erfolgszurechnung hat deshalb exemplarisch auszubleiben,32 wenn ein sog. Gefahrenwechsel vorliegt: Das im Rahmen einer Wirtshausschlägerei von A tödlich verletzte, in eine Klinik eingelieferte Opfer stirbt dort noch vor seiner Behandlung an einer Rauchvergiftung aufgrund eines durch Kurzschluss verursachten Brandes. Im Beispiel mangelt es an der Realisierung der von A geschaffenen Todesgefahr;33 selbige ist im Hinblick auf den tatsächlich eingetretenen Tod von O – normativ gesehen – unspezifisch. Mag man auch den soeben beispielhaft aufgewiesenen Zuschreibungsprozess als wertenden betrachten, so wäre es ausdrücklich verfehlt, die objektive Zurechnungslehre noch einer weitergehenden Normativierung auszusetzen. Dass der Großteil des Schrifttums demgegenüber einen anderen Weg für richtig erachtet, konnte bereits ausführlich gezeigt werden:34 Dem Rechtsanwender werden im Rahmen der objektiven Zurechnung zahlreiche, völlig heterogene „Institute“ an die Hand gegeben, um die für zu weit erachtete Erfolgszurechnung einzuschränken. Problematisch hieran ist jedoch nicht nur, dass sich das Konglomerat in keiner Weise auf ein einheitliches Prinzip zurückführen lässt, sondern vor allem, dass man damit schlussendlich das Auffinden durchaus unterscheidbarer Strukturen verunmöglicht; die „herrschende Meinung“ vernebelt ihr ursprüngliches – im Ausgangspunkt durchaus berechtigtes – strafbarkeitsbegrenzendes Anliegen. Wenn von der Kritik nun insbesondere gerügt wird, die im Schrifttum postulierte Zurechnungslehre sei gar keine objektive, da sie notgedrungen von subjektiven 30  Gestritten wird nur über die Anforderungen, die an den Zusammenhang zu stellen sind. Zunächst versuchte man diese Beziehung ausschließlich durch verschiedenartige Kausalitätstheorien zu beschreiben, vgl. zu den vertretenen Konzeptionen nur Haas, Kausalität, S. 144 ff. 31  Siehe nur Schmidhäuser, Strafrecht AT-StB, 5 / 57. 32  Zu weiteren problematischen Fallgestalten der objektiven Zurechnungslehre vgl. Schmidhäuser, Strafrecht-StB, 5 / 65 ff. 33  Unglücklich wäre es, in einem solchen Fall von der Unterbrechung / dem Abbruch des Kausalverlaufs etc. zu sprechen – Kausalität liegt entweder vor oder eben nicht. Eine solche Redeweise ist dessen ungeachtet vor allem im zivilrechtlichen Schrifttum geläufig, vgl. nur Weber, Kausalitätsbeweis, S. 110, der aber a. a. O., insb. Fn. 221, sogleich deutlich macht, dass es sich dabei nur um eine normative Einschränkung, nicht dagegen um eine „reale“ Begrenzung der Kausalreihen handle. 34  Siehe nur oben S. 187 ff.

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Kap. 4: Eigene Grundlegung

Elementen durchsetzt sei,35 ist dies richtig, soweit der Zurechnungszusammenhang mit dem Merkmal des Unerlaubten verbunden wird: So ist die Frage nach der „rechtlichen Missbilligung“ eines Verhaltens tatsächlich (unter anderem) abhängig von etwaigem „Sonderwissen“ des Täters.36 Anders gewendet: Die von der herrschenden Meinung postulierte objektive Zurechnungslehre wird schon deshalb ihrem Namen nicht gerecht, da der Aufweis von unerlaubtem Verhalten nicht ohne die Berücksichtigung von Subjektivem – nämlich dem (potentiellen) Wissen des Täters um die Tatumstände – gelingt. Struensee37 veranschaulicht das an einer Abwandlung des bereits oben geschilderten sog. Radfahrerfalles:38 „Hätte er [der LKW-Fahrer] beispielsweise in dem Radfahrer den betrunkenen Thekennachbarn widererkannt, der eine Viertelstunde vor ihm das Lokal verlassen hatte, so wäre an der objektiven Zurechenbarkeit des Erfolges nicht zu zweifeln.“ Insgesamt hat man sich noch einmal klar zu machen, dass die objektive Zurechnungslehre (als die Kausalitätstheorien ergänzendes bzw. ersetzendes Institut) nicht der Platz für die von der herrschenden Meinung präferierte umfassende Güter- und Interessenabwägung ist;39 im Rahmen der Unrechtstatbestände beschreibt der Strafgesetzgeber einzelne Angriffe gegen Rechtsgüter. Ist die hier vertretene objektive Zurechnung also – insbesondere aufgrund der Nichtberücksichtigung des Merkmals der Unerlaubtheit – keine normativ aufgeladene,40 kann kein Zweifel bestehen, dass – exemplarisch – dem LKW-Fahrer der Erfolg im Radfahrerfall zuzurechnen ist:41 Im Todeseintritt hat sich genau die vom Täter geschaffene Gefahr des Überholens reali35  So lautet ein zentraler Einwand von Struensee, JZ 1987, 58 ff., 541 ff.; siehe ferner oben S. 209 f. 36  Siehe schon oben S. 359. 37  Struensee, GA 1987, 99. – Ähnlich auch Dehne-Niemann, GA 2012, 100, der insofern einen Vorsatzfall konstruiert: Hat der LKW-Fahrer „Kenntnis davon, dass er auch bei Einhaltung des gesetzlich vorgeschriebenen Seitenabstands den Radfahrer überrollen und töten wird, so würde er wegen einer Vorsatztat (§ 212 StGB) bestraft“. Richtigerweise hätte hier niemand Zweifel an der objektiven Zurechnung des Erfolges. Vgl. ferner noch Kindhäuser, GA 1994, 206. 38  Siehe oben bei Fn. 285 (Kap. 3). 39  Vgl. aber oben S. 211 ff., insb. 216 f. 40  Gegen den „derzeitigen Normativismus“ der objektiven Zurechnungslehre argumentiert auch Langer, Sonderstraftat, S. 77 Fn. 171. 41  Eine andere Frage ist freilich, ob sich der LKW-Fahrer auch schlussendlich strafbar gemacht hat, siehe dazu noch unten S. 462 ff. – Erinnert sei daran, dass Küper, Lackner-FS, S. 262, nach eingehender Analyse der angebotenen Lösungsversuche schon vor einiger Zeit die Frage aufgeworfen hat, „ob der sog. Pflichtwidrigkeitszusammenhang nicht doch nur ein Problem der (un)gerechten Bestrafung darstellt und damit eher in den Bereich der kriminalpolitischen Billigkeit oder Zweckmäßigkeit als in den dogmatischen Bereich der Unrechtsbegründung gehört“.



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siert.42 Keine Relevanz spielen an dieser Stelle demnach irgendwie geartete Überlegungen zum „Schutzzweck der Norm“ oder ein vermeintlich fehlender „Pflichtwidrigkeitszusammenhang“; dass auch sonstige um die „Reichweite des Tatbestandes“ kreisende Gedanken (jedenfalls hier) keine Berücksichtigung finden können, sollte keines ausdrücklichen Nachweises mehr bedürfen.43 b) Die „subjektive“ Intensität des Tatobjektsangriffs – die potentielle Tatumstandskenntnis als Mindestvoraussetzung Ungeachtet aller bislang geübten Kritik haben wir nicht zuletzt dem Finalismus die Erkenntnis zu verdanken, dass sich die Intensität des Tatobjektsangriffs nicht ausschließlich von objektiven, sondern sehr wohl auch von subjektiven Merkmalen bestimmt sieht.44 So wird man als Angegriffener (im Schweregrad abfallend) in erster Linie danach differenzieren, ob man sich als Ziel, nur als ein mögliches Objekt oder gar als bloßes Unachtsamkeitsopfer des Handlungswillens weiß; als Grundformen unterscheidbar sind also die beabsichtigte, die bewusste und die unbewusst-unbeabsichtigte Tatobjektsgefährdung.45 Ist man nun womöglich spontan versucht, einzig die letzte der drei beschriebenen Varianten – also den unbewusst-unbeabsichtigten Angriff – für die Fahrlässigkeitsstrafbarkeit als begrifflich passend zu empfinden, ist diesem Gefühl bereits an dieser Stelle zu begegnen. So ist man sich im jüngeren Schrifttum – die Rechtsprechung hat nie ernstliche Zweifel gehegt – inzwischen auch (weitestgehend) einig, dass es Fälle gibt, in denen der Täter beispielsweise mit Tötungsabsicht oder mit Wissen um die von ihm geschaffenen tödlichen Gefahren handelt, er aber (allenfalls) nach dem Strafmaß der fahrlässigen Tötung zu belangen ist.46 Nichtsdesto42  Am Rande sei bemerkt, dass dieses Ergebnis nicht auf der sog. Risikoerhöhungslehre, siehe dazu nur oben Fn. 291 f. (Kap. 3), beruht. Diese fragt bekanntlich im Rahmen der objektiven Zurechnung nach der Verwirklichung einer „rechtlich missbilligten“ (oder einer ähnlich umschriebenen) Gefahr. 43  Mit einer solch „entschlackten“ Zurechnungslehre entgeht man auch der beispielsweise von Maiwald, Miyazawa-FS, S. 481, aufgewiesenen Gefahr, „den Begriff der objektiven Zurechnung als amorphes Sammelbecken für ganz verschiedenartige Wertungsgesichtspunkte zu verwenden und so seinen Erkenntniswert preiszugeben.“ – Ein derartiges die Kausalität ersetzendes Institut könnte man auch kaum als bloßes „Relikt“ der klassischen Verbrechenslehre kennzeichnen (vgl. insofern noch Duttge, Maiwald-FS2, S. 151); es ist vielmehr zweckrational geboten. 44  Dass der Finalismus eine diesbezügliche Entwicklung wenn auch nicht in Gang gebracht, so doch zumindest gefördert hat, wurde nachdrücklich im rechtsgeschichtlichen Teil aufgewiesen, siehe nur oben S. 117 f. 45  Siehe dazu im einzelnen Langer, Sonderstraftat, S. 52 f. 46  Siehe dazu noch unten S. 442  ff. – Angesprochen ist damit die Fallgestalt des sog. Erlaubnistatbestandsirrtums, d. h. der Verkennung der tatsächlichen Voraus-

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Kap. 4: Eigene Grundlegung

trotz ist ein Empfinden, gerade den unbewusst-unbeabsichtigten Angriff mit dem Fahrlässigkeitsdelikt in unmittelbare Verbindung bringen zu wollen, nicht per se unrichtig. In den allermeisten Fällen der Fahrlässigkeitsstraftaten wird es dem Täter gerade an aktuellem Bewusstsein von Tatumständen mangeln – sie sind die statistische Regel. Der Unrechtstatbestand des fahrlässigen Deliktes verlangt als Mindestanforderung mit anderen Worten lediglich die Erlangbarkeit bzw. Potentialität der Tatumstandskenntnis;47 er ist aber – wie nochmals hervorzuheben ist – nicht zu verneinen, sollte der Täter mit aktuellem Bewusstsein der Tatbestandsverwirklichung handeln, da erlangtes Wissen die individuelle Möglichkeit, es zu erlangen, denknotwendig ein-, nicht aber ausschließt. Terminologisch klarzustellen ist nunmehr ausdrücklich der bereits mehrfach in der Arbeit angeklungene synonyme Gebrauch der Begrifflichkeiten des Tatbewusstseins, des Wissens der Tatbestandsverwirklichung, des Verletzungsbewusstseins und der Kenntnis der Tatumstände etc. Vor Augen führen sollte man sich allerdings, dass das Gesetz insofern den § 16 I S. 1 StGB zum Ausgangspunkt erwählt: „Wer bei Begehung der Tat einen Umstand nicht kennt, der zum gesetzlichen Tatbestand gehört, handelt nicht vorsätzlich.“ Ist also die (aktuelle) Tatumstandskenntnis von Gesetzes wegen Voraussetzung für die Vorsatzstrafe, ergibt sich daraus jedoch noch nicht unmittelbar, was für die Fahrlässigkeit zu verlangen ist. § 16 I S. 2 StGB sagt uns insofern nur, dass „die Strafbarkeit wegen fahrlässiger Begehung [unberührt] bleibt“; die genauen Anforderungen sind durch den Rechtsanwender herauszupräparieren, was hier – als (Mindest-)Voraussetzung auf der Unrechtstatbestandsebene – bereits durch die Bezeichnung als „Erlangbarkeit der Tatumstandskenntnis“ geschehen ist und später noch auszuführen sein wird. Zunächst haben wir jedoch festzuhalten, dass die sprachliche Fassung des Gesetzes in Bezug auf die sog. „Tatumstandskenntnis“ nicht durchweg überzeugen kann, so dass es zweckmäßig erscheint, obige Bezeichnungen synonym zu gebrauchen. Nach allgemeiner Meinung muss sich die „Kenntnis“ gerade nicht nur (wie der Begriff aber nahelegt) auf Tatsachen beziehen, sondern vielmehr sämtliche Momente der individualisierten Rechtsgutsverletzung umfassen: nämlich die tatbestandliche Situation sowie das eigene Führen des Angriffs mit den tatbestandlich genannten Mitteln, aber auch den weiteren Geschehensablauf einschließlich des künfsetzungen eines anerkannten Rechtfertigungsgrundes durch den Täter. Mit Ausnahme der kaum noch vertretenen sog. strengen Schuldtheorie (vgl. dazu die Literaturangaben bei Fischer, StGB, § 16 Rn. 22a; in der Sache ähnlich argumentieren im jüngeren Schrifttum aber Heuchemer, Erlaubnistatbestandsirrtum, insb. S. 201 ff., 292 ff., sowie Erb, Paeffgen-FS, S. 215 ff.) herrscht Einigkeit, dass diese Fälle nicht hinreichen, um eine Vorsatzstrafe legitimieren zu können. 47  So bereits Langer, Sonderverbrechen, S. 350 f.



A. Das tatbestandsmäßige Unrecht401

tigen Erfolges.48 Auch kann in Bezug auf die „Kenntnis“ gerade nicht verlangt sein, dass der Täter sie als sprachgedanklich erfasste hat; es ist – soweit ersichtlich nach allgemeiner Meinung – genügend, dass sie dem Täter als sachgedankliche vorliegt, d. h. die „Kenntnis“ kann gar bei blitzschnell vollzogenen, raschen Taten gegeben sein, sie kann hinsichtlich einzelner Tatumstände durchaus am Rande des Bewusstseins liegen, muss also nicht den Aufmerksamkeitsschwerpunkt bilden.49 Explizit sei nochmals darauf hingewiesen, dass die Tatumstandskenntnis kein Merkmal des Schuldtatbestandes darstellt. Dies sollte sich bereits zwar relativ unvermittelt aus der hiesigen Verortung im Rahmen des Unrechtstatbestandes ergeben und sich auch mit der ganz überwiegenden Literaturauffassung in Einklang sehen, bedarf aber doch der Absicherung, da sich diesbezüglich auch kritische literarische Stellungnahmen finden lassen.50 Die Tat­ umstandskenntnis muss alleine schon deshalb zum Unrecht gehören, da sie dem Rechtsgutsangriff sein spezifisches Gepräge verleiht. Die unterscheidbaren Bewusstseinsgrade typisieren das tatbestandsmäßige Verhalten, soweit sie nicht auf den Wert als Wert, sondern allein auf dessen Wirklichkeitssubstrat (das Rechtsgutsobjekt) bezogen sind.51 Darüber hinaus bedarf es eines Aufweises des Verletzungsbewusstseins im Unrechtstatbestand, da man sich anderenfalls im Einzelfall nicht in der Lage sähe, die Grenzen der Erlaubt- bzw. Unerlaubtheit des Verhaltens auf der (nachrangigen) Ebene des Unrechtsausschlusses zu bestimmen. Die dortige Frage nach der „rechtlichen Missbilligung“ eines Tun oder Unterlassens ist nicht gänzlich losgelöst vom Wissen des Täters um die Tatumstände zu beantworten. Dies sollte uns nicht zuletzt bei der Diskussion um das sog. Sonderwissen deutlich geworden sein.52 Nochmals exemplarisch:53 Weiß der LKW-Fahrer, dass es sich bei dem zu überholenden Fahrradfahrer um eine massivst alkoholisierte Person handelt, darf er diese nicht einmal mit dem „normalerweise gebotenen“ Seitenabstand von 1 bis 1,50 m passieren, sondern hat die Risiken zu minimieren; dies verlangt bereits § 1 II StVO: „Jeder Verkehrsteilnehmer hat sich so zu verhalten, daß kein Anderer geschädigt, gefährdet oder mehr, als nach den Umständen unvermeidbar, behindert oder belästigt wird.“ Nun bedarf es noch der Erläuterung, warum – jedenfalls regelmäßig – gerade die Erlangbarkeit der Tatumstandskenntnis den Unrechtstatbestand dazu auch Langer, Sonderstraftat, S. 87 f. dazu Schmidhäuser, Strafrecht AT-LB, 10 / 54. 50  Siehe insofern ausdrücklich Schmidhäuser, Schaffstein-FS, S. 154 Fn. 75. 51  Ferner dazu Langer, Sonderstraftat, S. 46 Fn. 40, S. 87, S. 92 Fn. 219. 52  Vgl. aber auch oben bei Fn. 36 (Kap. 4). 53  Wiederum sei eine Abwandlung des sog. Radfahrerfalles präsentiert, siehe zum Ausgangsfall oben Fn. 285 (Kap. 3). 48  Siehe

49  Ausführlicher

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Kap. 4: Eigene Grundlegung

des fahrlässigen Deliktes prägen soll. Geht man unbefangen an die Sache heran, darf aber wohl mit Fug und Recht behauptet werden, dass eine solche Sicht der Dinge als naheliegend zu bezeichnen ist: Verlangt der § 16 I StGB für eine vorsätzliche Bestrafung aktuelle Tatumstandskenntnis des Täters, und lässt die Vorschrift die Voraussetzungen der Fahrlässigkeit im weiteren ausdrücklich „unberührt“, erscheint es folgerichtig, die insofern zu ermittelnden Anforderungen in einem sachlich weniger fordernden Kenntnis- bzw. Bewusstseinsgrad ausfindig zu machen, was auch zwanglos durch die Potentialität des Tatbewusstsein gelingt. Dieses Vorgehen sieht sich auch grundsätzlich mit der „herrschenden Meinung“ auf einer Linie, da selbige im Rahmen der Tatbestandsmäßigkeit des fahrlässigen Deliktes doch auf „eine“ (wenn auch verschwommene, zumeist mit dem Begriff der Sorgfaltspflichtverletzung verzahnte) „Vorhersehbarkeit“ abstellen will. Allerdings bedarf es auch bei dieser – wenn man so sagen will – „zweiten“ Erkennbarkeit54 bzw. bei dieser potentiellen Kenntnis keiner irgendwie gearteten Maßstabsfigur. Vielmehr ist der spezifische Täter in den Blick zu nehmen, jedenfalls insofern liegen die sog. individualisierenden Auffassungen durchaus richtig. Die damit hergestellte Strukturgleichheit von Vorsatz- und Fahrlässigkeitsdelikt auf der Unrechtstatbestandsebene sieht sich auch mit sonstigen – von der herrschenden Meinung explizit unbestrittenen – Sacheinsichten in Einklang. Fundiert man vorsätzliches und fahrlässiges Delikt gleichartig, hat man wenig Schwierigkeiten zu verstehen, warum es in zahlreichen Fällen augenscheinlich so schwierig ist, Vorsatz und Fahrlässigkeit voneinander zu scheiden55 – wären beide gänzlich verschieden strukturiert, dürften doch kaum solche Abgrenzungsschwierigkeiten entstehen. Außerdem wird so letztlich verständlich, warum die Annahme von Fahrlässigkeit bei der Nichterweislichkeit von Vorsatz, bei einem non liquet (relativ) unproblematisch möglich ist; dazu bedarf es insbesondere keiner Konstruktion eines sog. „normativen Stufenverhältnisses“.56 Ist für den Unrechtstatbestand des Fahrlässigkeitsdeliktes also als Minimalvoraussetzung die potentielle Tatumstandskenntnis verlangt, bedarf es – anders als es Struensee für richtig erachtet – also ausdrücklich keines zwingenden Nachweises einer sog. „erforderlichen Minimalintention risikorelevanter Faktoren“.57 Dass noch immer an dieser vermeintlichen Bedin54  Zur

sog. „ersten“ Erkennbarkeit siehe oben S. 396. Strafrecht AT, § 7 Rn. 54, macht aber zu Recht deutlich, dass es „dabei [im Wesentlichen] um die angemessene Terminologie bei weitgehender Einigkeit in der Sache [geht].“ 56  Zu den von der herrschenden Meinung (schlussendlich berechtigterweise) nicht gezogenen Konsequenzen ihrer Aliud-Theorie siehe nochmals oben S. 364 ff., insb. S. 367. 57  Siehe aber nochmals oben Fn. 771 (Kap. 3). 55  Freund,



A. Das tatbestandsmäßige Unrecht403

gung festgehalten wird, ist nur rechtsgeschichtlich zu erklären: Meint man, dass das zentrale Moment jedweden Delikts der durch die Finalität bestimmte Akt- bzw. Handlungsunwert sei und identifiziert sodann – ohne dass man insofern eine Notwendigkeit aufgewiesen hätte – Finalität und Vorsatz, bedarf es auch beim Fahrlässigkeitsdelikt zwingend einer irgendwie gearteten „Minimalintention“, mit anderen Worten: eines Vorsatzes in der Fahrlässigkeit. Unterlässt man hingegen die verfehlte (nie begründete, weil nicht begründbare und – wie oben gezeigt – auch gar nicht widerspruchsfrei durchführbare) Identifizierung des Handlungswillens mit dem strafgesetzlichen Vorsatzmerkmal, dann entfällt diese Zwangsläufigkeit.58 Nur am Rande sei erwähnt, dass sich auch im strafrechtsdogmatischen Schrifttum augenscheinlich mehr und mehr die Überzeugung Bahn bricht, die Voraussetzungen der Vorsätzlichkeit gerade ohne eine voluntative Komponente zu definieren.59 Für den Unrechtstatbestand des fahrlässigen Deliktes jedenfalls reicht potentielles Tatbewusstsein. Eine „echte“ Begrenzung der Fahrlässigkeitsstrafbarkeit ist somit über einen – wenn man denn so sagen wollte – „subjektiven Tatbestand“ des fahrlässigen Delikts kaum erzielbar.60 Aller Regel nach wird auch der individuelle Täter die Möglichkeit haben, sein rechtsgutsgefährdendes Verhalten bei Begehung der Tat erkennen zu können. Die vom Rechtsanwender vorzunehmende Bewertung, wann der Täter fähig war, Tatbewusstsein zu erlangen, mag im Einzelfall schwierig sein, hat sich aber an folgenden – insbesondere von der Rechtsprechung aufgewiesenen – Topoi zu orientieren.61 In Rechnung zu stellen sind vor allem die aktuellen Wahrnehmungen des Täters in der Tatsituation; sein bereits vor der Tatsituation erworbenes Wissen, wie eine individuelle (Berufs-)Ausbildung, aber auch die allgemeine Lebenserfahrung; weiterhin sind die sog. Kenntnisverschaffungsmaßnahmen zu berücksichtigen, wie etwa rein intellektuelle Gedankentätigkeiten und der Einsatz von Sinnesorganen, wobei vor allem deren Verwendung nachdrücklich von der psychischen Verfassung des Täters und der zur Verfügung stehenden Zeit abhängig sein wird, insofern ist also auch die „Konzentra58  Man beachte: Der Wille als notwendiger Bestandteil der Tatbestandshandlung kann doch schon begrifflich nicht zugleich der hierauf bezogene Vorsatz sein, siehe dazu auch nochmals Langer, Sonderstraftat, S. 81. 59  Vgl. dazu nur die Zusammenstellung der verschiedenen Theorien bei Hillenkamp, 32 Probleme Strafrecht AT, S. 1 ff. 60  In diesem Sinne aber Struensee, JZ 1987, 53 ff. – Schon gegen eine Redeweise von objektivem und subjektivem Tatbestand bestehen aber zu Recht gewichtige Vorbehalte, siehe nur Langer, Sonderstraftat, S. 69 Fn. 151, S. 74 Fn. 161. 61  Eine detaillierte Auflistung liefert insofern Sauer, Fahrlässigkeitsdogmatik, insb. S. 437 ff., 451 ff., 487 ff.; vgl. aber auch LK11-Schroeder, § 16 Rn. 133 ff. und dessen „Faktoren der Erkennbarkeit“.

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Kap. 4: Eigene Grundlegung

tions- und Kombinationsfähigkeit“62 zu beachten. Insbesondere Duttge hat nun – ebenfalls nach umfassender Auswertung der insofern ergangenen Rechtsprechung63 – versucht, mit Hilfe der Kognitionspsychologie gewisse „Signalfaktoren“ ausfindig zu machen, anhand derer die Bestimmung der Erkennbarkeit eines Risikos möglich sein soll.64 Maßgeblich stellt er „für die Gefahrenkognition“ auf die Anschaulichkeit, Zugänglichkeit und Kodierung des Warnsignals ab, auf dessen (Un-)Regelmäßigkeit und Dauer und die damit verbundene Gefährdungswahrscheinlichkeit sowie die signalisierte Schadensfolge. Schließlich habe man die Abhängigkeit von Verhaltensweisen dritter Personen und die sog. „Vorwarnzeit“ zu berücksichtigen. Er gelangt damit zu folgender zusammenfassender Definition: „Die Erkennbarkeit einer Gefahr fällt umso leichter, je deutlicher sich das jeweilige Warnsignal der situativ gebundenen Person gezeigt hat, oder konkret: Je anschaulicher und zugänglicher das Gefahrensignal gewesen ist, umso unverschlüsselter und dauerhafter bzw. wegen seiner Regelhaftigkeit erwartbarer es sich ihr gezeigt hat, umso eindeutiger und unmissverständlicher es auf eine hohe Gefahr hingewiesen und dieser Person gleichwohl noch hinreichend Gelegenheit zum Ausweichen gegeben hat, desto leichter konnte sie das Gefährdungspotential erkennen und sein Freiwerden vermeiden.“65 Zur Veranschaulichung folgender Fall: Ein Wanderer löst unbeabsichtigt – über einen breiten, leicht ansteigenden Geröllweg im Bayerischen Wald schreitend – mit seinem Spazierstock eine im Kies steckende, gleichwohl zu einem Großteil sichtbare, von ihm aber unentdeckte, stark verrostete Handgranate aus dem 2. Weltkrieg aus, die seine mitwandernde Ehefrau tötet; der Täter konnte (und musste) in einem solchen Fall (mangels vorhandenem „Sonderwissen“) keine Tatumstandskenntnis erlangen. Anders wird dies sein, wenn der Ehemann zuvor in der Zeitung von verschiedenen Funden solcherart gerade in dieser Region gelesen hat, bereits mehrere merkwürdig anmutende Gegenstände auf der Wanderung hat sehen können, selbst als Soldat mit (rostigen) Granaten in Berührung gekommen ist und den Gegenstand mit seiner auffälligen Färbung in der Form eines technischen Gebildes wahrgenommen hat; sollte er auch noch an Warnschildern vorbei gekommen sein, dürften keinerlei Zweifel mehr bestehen, erlangbares Tatbewusstsein des Wanderers zu bejahen.66 62  So lauten die Schlagworte bei Schmidhäuser, Strafrecht AT-LB, 10 / 105. Dieser setzt, a. a. O., 10 / 98 ff., für die Feststellung der Erkennbarkeit voraus, dass der Täter mit hinreichendem „Assoziationsmaterial“ ausgestattet ist und ihm die „normale Funktionsfähigkeit seines seelischen Assoziations-‚Mechanismus‘ “ zur Verfügung steht. 63  Siehe dazu Duttge, Bestimmtheit, S. 271 ff. 64  Zusammenfassend dargestellt in MK-Duttge, § 15 Rn. 123 ff. 65  MK-Duttge, § 15 Rn. 126.



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Auch in den mitunter im Schrifttum diskutierten, „klassischen“ Fällen, in denen ein Autofahrer in einer engen Gasse an parkenden Pkw vorbeifährt und zwischen diesen plötzlich und für ihn unerwartet ein Kind herausspringt und daraufhin durch einen Zusammenstoß verstirbt, wird kaum einmal ­potentielles Tatbewusstsein zu verneinen sein.67 Hier stehen dem Täter zureichende Anhaltspunkte zur Verfügung, um auf die Lebensgefährlichkeit des Fahrens durch die Gasse (auch bei noch nicht aktuell wahrgenommenem Kind und ggf. sonstigen weiteren Gefahrindikatoren – wie einem rollenden Ball) schließen zu können.68 Dass dieses dem Fahrer erkennbare gefährliche 66

66  Ähnlich wäre auch folgender Fall zu bewerten: Trägt ein Kellner die vom Koch vergiftete Suppe aus und stirbt der Empfänger an dieser, wird es dem Kellner (vorbehaltlich konkreter Anhaltspunkte) an der vom § 222 StGB vorausgesetzten potentiellen Tatumstandskenntnis fehlen, vgl. dazu auch Duttge, Maiwald-FS2, S. 142. – Hiervon unabhängig ist die Rechtsfigur des sog. Vertrauensgrundsatzes, der auf der Ebene des Unrechtsausschlusses verortet ist und dort das erlaubte Risiko konturiert, siehe dazu noch unten, S. 424 f. Dieses (umfassend wertende) Institut kommt allenfalls dann zum Tragen, wenn man dem Kellner vorhalten kann, dass er die Gefahr aufgrund hinreichenden Assoziationsmaterials hätte erkennen können, z. B. aufgrund gewisser Äußerungen des Kochs, einer auf der Arbeitsplatte erblickten geöffneten Dose Rattengift etc. Gelangt man sodann zur individuellen Erkennbarkeit der Gefahr, ist damit aber noch nicht zwangsläufig die Unerlaubtheit des Auslieferns der Suppe zu bejahen; trotz potentieller Tatumstandskenntnis kann diese zu verneinen sein. Bereits hier ist festzuhalten: Es handelt sich sowohl bei der Feststellung der sog. Erkennbarkeit, wie auch bei der Prüfung der Unerlaubtheit um zwei voneinander scheidbare normative Fragen. Einfach gewendet könnte es in einem Strafprozess gegen den Kellner in der Urteilsbegründung folgendermaßen lauten: Sie hätten es zwar erkennen können, dass der Koch die Suppe vergiftet hatte, durften selbige aber unter den obwaltenden Umständen austragen, da sie auf die Rechtmäßigkeit seines Tuns (noch) vertrauen durften, da ihnen mitgeteilt worden war, er (der sonst äußerst verlässliche Koch) habe das Gift vor wenigen Augenblicken zur Rattenjagd vor der Küche benutzt, nur deshalb stehe es noch geöffnet auf der Arbeitsplatte. – Anders aber wohl Schmidhäuser, Strafrecht AT-LB, 10 / 102, nach hiesigem Dafürhalten wäre in dem von ihm a. a. O. gebildeten Fall tatsächlich der Vertrauensgrundsatz einschlägig. 67  Gleichwohl ist immer der konkrete Einzelfall in den Blick zu nehmen. – Zu den sog. „Spielstraßenfällen“ vgl. auch MK-Duttge, § 15 Rn. 129, der allerdings die Erkennbarkeit bzw. das von ihm herausgearbeitete „Veranlassungsmoment“ sehr viel restriktiver als hier bejahen möchte. Dies wohl vor allem deshalb, da Duttge nicht zwischen der Erkennbarkeit einer Gefahr und dem Merkmal der Unerlaubtheit differenziert, siehe dazu bereits oben S. 299 ff. und 374 f. 68  Man wird – vereinfachend – sagen können: Autofahren ist – wie jeder (abstrakt) weiß – lebensgefährlich! Man denke nur an die jährlich in den Medien ausführlich diskutierten Unfallstatistiken, die zahlreich aufgestellten Verkehrsschilder und die Notwendigkeit, einen Führerschein sowie eine Haftpflichtversicherung für das eigene Auto vorweisen zu können. Der Täter wird schon deshalb genügend „Assoziationsmaterial“ in der Tatsituation haben, um die Gefährlichkeit für Leib und Leben erkennen zu können. Spazierengehen mit Wanderstab im Mittelgebirge birgt dagegen grundsätzlich keine Lebensgefahren für Dritte. – Insofern mag man den

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Kap. 4: Eigene Grundlegung

Tun unter Umständen trotzdem von der Rechtsordnung gebilligt wird, ist eine sekundäre Frage – nämlich die nach dem Unrechtsausschluss. Nochmals sei festgehalten: Die sicherlich begrenzte Ausscheidungsfunktion des potentiellen Tatbewusstseins hängt mit seinem (weiten) Bezugspunkt zusammen: Angeknüpft wird an „bloße“ Rechtsgutsgefährdungen, und gerade nicht – wie es im Schrifttum insbesondere von den sog. individuellen Fahrlässigkeitslehren präferiert wird – an umfassend bewertete, unerlaubte Rechtsgutsgefährdungen.69 Man beachte: Erstreckte man – anders als es hier nachgewiesen wurde – das Tatbewusstsein auch auf das Merkmal der Unerlaubtheit, sähe man sich nicht in der Lage, dem anerkanntermaßen zentralen Schuldmerkmal, dem (potentiellen) Unrechtsbewusstsein, einen eigenständigen Anwendungsbereich zu bewahren.70 In dem gerade aufgewiesenen, durch objektive und subjektive Merkmale bestimmten materiellen Rechtsgutsangriff erschöpft sich das für die Unrechtsbegründung Notwendige. Eines Abstellens auf einen sog. Normverstoß bedarf es nicht.71 Zu welchen Fehlintuitionen eine „Normwidrigkeit“ gerade sog. „Sondernormen“ tatsächlich eine gewisse, äußerst mittelbare Indizfunktion zubilligen können: Dort wo ein Gefahrenbereich (wie der Straßenverkehr) streng „durchnormiert“ ist, wird der individuelle Täter zumeist erlangbare Tatumstandskenntnis aufweisen, d. h. die Möglichkeit haben, sich über das rechtsgutsverletzende seines Verhaltens bewusst zu werden. Unabhängig davon – was nicht oft genug betont werden kann – ist, ob dieser Rechtsgutsangriff auch – nunmehr die Gesamtzusammenhänge betrachtend – als unerlaubt zu bezeichnen ist. Letzteres ist eine Frage der Rechtfertigung. 69  Schon deshalb ist einerseits die Redeweise von der „Indizwirkung der Tatbestandsmäßigkeit“ für die Rechtswidrigkeit, vgl. insofern auch oben bei Fn. 375 (Kap. 3), andererseits aber auch die von den sog. offenen Tatbeständen abzulehnen. 70  Vgl. insofern oben S. 259 ff. sowie 376 ff. 71  Ausdrücklich anders aber Langer, Sonderstraftat, S. 59 ff., der neben dem materiellen Unrechtsmoment noch ein formelles, nämlich die Rechtsnormwidrigkeit, anerkannt wissen will. Dieser hält wohl nicht zuletzt an der formellen Normwidrigkeit deshalb fest, da er meint, dass man anderenfalls das Komplementärproblem der formellen Rechtfertigung nicht sachangemessen lösen könne, siehe insofern Langer, a. a. O., S. 96 Fn. 230, S. 98 ff. Dazu bleibt jedoch nur zu sagen, dass sämtliche Rechtfertigungsgründe auf ein einheitliches Verfahren, das Prinzip der materiellen Rechtsgüterabwägung zurückgeführt werden können, vgl. auch Schmidhäuser, Strafrecht AT-StB, 6 / 5. Sollte dies ausnahmsweise einmal nicht gelingen, wäre bereits die Zulässigkeit einer solchen formellen Rechtfertigung „von Verfassungs wegen“ wohl kaum begründbar. – Im Übrigen muss sich Langer fragen lassen, wie sich Tatbewusstsein, Normwidrigkeit und Unrechtsbewusstsein zueinander verhalten. Warum die Tatumstandskenntnis nur auf die „deliktsspezifische Rechtsgutsverletzung“ (a. a. O., S. 88) bezogen sein soll, wird nicht gänzlich klar, wenn doch nur materielles und formelles Unrecht zusammen das Sachelement des Verbrechens begründen können sollen (a. a. O., S. 59) und sich der gesetzliche Unrechtstatbestand insgesamt durch „die rechtsnormwidrige Gemeinschaftswertverletzung beschreiben“ lassen soll



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bei der Fahrlässigkeitsstraftat führt, konnte bereits oben ausführlich aufgewiesen werden.72 3. Thesenartige Zusammenfassung der bisher gefundenen Ergebnisse Rekapitulierend sei nochmals betont: Eine Existenz von an den einzelnen Bürger adressierten rechtlichen Verhaltens- bzw. Bestimmungsnormen ist nicht nachweisbar – insbesondere ist ein solches Erfordernis für die Begründung tatbestandlichen (Fahrlässigkeits-)Unrechts explizit verzichtbar. Darüber hinaus ist die allgemein übliche Rede von der sog. Sorgfaltspflichtverletzung für die Unrechtsbegründung der Fahrlässigkeitsstraftat gänzlich irrelevant. Einfach:73 Wenn etwa der Dachdecker die defekten Pfannen vom Dach wirft, kommt es für den Unrechtstatbestand nach §§ 222, 229 StGB nur darauf an, ob er einen Menschen gefährdet, nicht aber darauf, ob er sorgfältig oder unsorgfältig wirft. Bei eingetretener Verletzung ist der Unrechtstatbestand trotz höchster Sorgfalt erfüllt, ohne Gefährdung auch bei größter Schlamperei nicht. Hat man einmal insofern die Verzichtbarkeit der Sorgfaltswidrigkeit erkannt, dürfte es nicht mehr allzu schwer fallen, die in der Sache unbestrittene Strukturähnlichkeit – man denke nur an die Behandlung der „non liquet“-Fälle – von Vorsatz- und Fahrlässigkeitsdelikt anzuerkennen. Beide „Deliktstypen“ sind keine Alia. Ferner weist die fahrlässige Straftat ebensoviel bzw. sowenig Ähnlichkeit zu den Unterlassungsstraftaten auf wie die vorsätzliche – auch insofern hilft das Meiden des zur Unrechtsbegründung herangezogenen Terminus (der Außerachtlassung) der Sorgfalt. Fundiert man dagegen sowohl Vorsatz- als auch Fahrlässigkeitsstraftat auf gleichlaufenden Unwertsachverhalten, ist außerdem schnell erkennbar, dass sich der Streit um die angeblich fehlende gesetzliche Bestimmtheit der Fahrlässigkeit als bloßes Scheinproblem erweist: Entweder sind beide unterbestimmt oder keines. Da die erste Konsequenz ganz zu Recht nicht gezogen wird, bedarf es hinsichtlich einer etwaigen Verletzung des Art. 103 II GG keiner vertieften Auseinandersetzung. Größerer Begründungs- und Darstellungsaufwand ist allerdings dort vonnöten, wo es um die Klärung von Blickwinkeln und Maßstäben der im Unrechtstatbestand verwendeten (a. a. O., S. 67). Bezöge man die Tatumstandskenntnis dagegen auch auf das formelle Moment (die Rechtsnormwidrigkeit), dürfte dem Unrechtsbewusstsein (jedenfalls in positiver Hinsicht) nichts Eigenständiges mehr verbleiben, denn wenn der Täter um die Verletzung eines Verbots / Gebots weiß, wird er (positives) Unrechtsbewusstsein haben. 72  Siehe dazu S. 333 ff. 73  Dieses Beispiel verdanke ich Prof. Dr. Winrich Langer.

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Kap. 4: Eigene Grundlegung

Begrifflichkeiten geht.74 So verlangt der vom Rechtsstab zu leistende Aufweis einer Gefahr die Einnahme eines sog. nachträglichen ex ante-Standpunktes unter Zugrundelegung des Höchstwissens der Zeit. Dagegen hat im Rahmen der objektiven Zurechnung eine ex post-Betrachtung zu erfolgen. Nochmals ist deutlichst darauf hinzuweisen, dass dieser Zurechnungsschritt nicht den Nachweis verlangt, dass sich eine unerlaubte, rechtlich missbilligte oder ähnlich umschriebene Gefahr verwirklicht hat. Vertyptes Risiko und dessen etwaige Unerlaubtheit bedürfen einer getrennten Behandlung! Das den Unrechtstabestand ebenfalls prägende Merkmal des (erlangbaren) Tatbewusstseins hat sich dementsprechend nur auf die „nackte“ Gefahrschaffung und deren ggf. nachzuweisende Realisierung im Erfolg zu beziehen. Hinsichtlich des Tatbewusstseins ist auf den individuellen Täter zu blicken; ein Abstellen auf eine Maßstabsfigur hat insofern zu unterbleiben. Notwendig zu berücksichtigen ist damit dessen sog. Sonderwissen (und die über dieses vermittelten Sonderfähigkeiten). Dass sich die insofern gefundenen Ergebnisse zahlreicher Erkenntnisse bedienen, die auf eine lange Tradition zurückblicken, sollte keines expliziten Aufweises bedürfen. Gleichwohl seien exemplarisch die Autoren Radbruch, Beling und Max Ernst Mayer herausgegriffen. Gerade erstgenannter hat zeigen können, dass es auch im Rahmen der Fahrlässigkeitstat differenzierender, auf unterschiedlichen Systemstufen stehender Wertungsmomente bedarf.75 Beling kommt das Verdienst zu, den Tatbestand als die das strafbare Verhalten typisierende Form ausgemacht zu haben.76 Max Ernst Mayer dagegen hat uns nicht nur wichtige normentheoretische Zusammenhänge vor Augen geführt, sondern nachdrücklich die Wichtigkeit der Herausarbeitung von Wertstrukturen verdeutlicht.77

II. Der Unrechtsausschluss Zur Frage nach dem Unrechtsausschluss eines Verhaltens gelangt nur, wer zuvor das Vorliegen eines tatbestandlichen Rechtsgutsangriffs hat nachweisen können. Kommt auf der Ebene des Unrechtstatbestandes noch eine isolierende Betrachtung zum Tragen (in den Blick wird nur eine vom Gesetzgeber zum Ausgangspunkt erkorene, spezifische Verletzung genommen), ist im Rahmen der Rechtfertigungsgründe – so der übliche Terminus für den Unrechtsausschluss – der gesamte Wertzusammenhang zu berücksichtigen. 74  Vgl.

dazu bereits die frühen Hinweise bei Fn. 126 (Kap. 3). insofern nur S. 67. 76  Siehe insofern oben S. 69 ff. 77  Siehe oben S. 73 ff. 75  Siehe



A. Das tatbestandsmäßige Unrecht409

Es stellt sich dem Rechtsanwender also die Aufgabe, einen möglichen Ausschlussgrund des Rechtswidrigkeitsurteils ausfindig zu machen. Gelingt es, der Gesamtrechtsordnung eine Erlaubnis zu dem in Rede stehenden rechtsgutsgefährdenden Tun oder Unterlassen zu entnehmen, ist die „Einzelwertverletzung“ als gerechtfertigt zu bezeichnen. Dem Unrechtsausschluss kommt demnach eine negative Funktion zu. Dabei folgt die Aufhebung des Rechtswidrigkeitsurteils den gleichen Kriterien, die wir bereits im Rahmen der Unrechtsbegründung kennen gelernt haben – nur eben unter anderem Vorzeichen und die Gesamtzusammenhänge betrachtend: Ein rechtsgutsverletzendes Verhalten ist nur dann gerechtfertigt, wenn es in der spezifischen Tatsituation einem wertvolleren Gut dient. Bei einem derartigen Verständnis des Verhältnisses von Unrechtstatbestand und Unrechtsausschluss tun sich auch keinerlei Schwierigkeiten auf, beide voneinander zu scheiden. Zum einen geht der Blick vom kleineren zum größeren Geschehensausschnitt, zum anderen ist mit der Annahme der Rechtfertigung verbunden, dass das Wertvolle der Gutsbeachtung dem Wertwidrigen der Gutsverletzung vorgeht.78 Versuchte man dagegen – wie es heute durchaus üblich ist – bereits die Tatbestandsmäßigkeit als „subtile Interessenabwägung“ zu interpretieren, müsste man konsequenterweise dazu kommen, die Rechtfertigungsgründe – als Inbegriff der Regelung von Güterkollisionen – in die Verhaltensnorm zu integrieren.79 Dass jedoch ein Ansatz, der nur aus traditionellen und lerntheoretischen Gründen an der Abspaltung der Rechtfertigungslehre festhalten kann, dogmatisch wenig brauchbar ist, sollte keines besonderen Nachweises bedürfen.

dazu nur Schmidhäuser, Strafrecht AT-StB, 6 / 4 f. dazu exemplarisch oben bei Frisch, S. 316. – Die Schwierigkeiten dieser Lehrmeinung liegen – wie schon mehrfach ausgeführt – in deren normentheoretischen Prämissen begründet. Entweder die vorausgesetzte Verhaltensnorm regelt den spezifischen Einzelfall, dann muss die Norm auch etwaige Rechtfertigungsgründe in sich aufnehmen, damit sie eine konkret-individuelle Verhaltensanweisung (als echte, an den Einzelnen gerichtete Bestimmungsnorm) geben kann, damit vernichtet man jedoch eine eigenständige Bedeutung des (aber wohl intuitiv als richtig erkannten und vom Gesetzgeber vorausgesetzten) Unrechtsausschlusses, oder die Norm wirkt bloß plakativ, „an und für sich“, leitbildhaft: „Du darfst nicht töten!“, dann mag man ausnahmsweise geltende „Erlaubnissätze“ formulieren, hat aber sogleich mit der Schwierigkeit zu kämpfen, nicht den (angeblich so entscheidenden) Bestimmungscharakter der Norm zu unterminieren, da es dann doch durchaus heißt: „Im Falle der Notwehr darfst du töten!“. – Vgl. ferner noch Schmidhäuser, Strafrecht AT-StB, 6 / 12, sowie – zur herrschenden Auffassung hinsichtlich der „Rechtswidrigkeit“ – ausführlich oben S. 217 ff. 78  Siehe 79  Siehe

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Kap. 4: Eigene Grundlegung

1. Das Grundprinzip materieller Rechtfertigung Nunmehr ist das Prinzip des Unrechtsausschlusses – zumindest im Allgemeinen – noch zu spezifizieren.80 Angedeutet wurde bereits, dass es hier der Sache nach um eine sog. „Güterabwägung“81 geht: Das im Rahmen des Unrechtstatbestandes in allen positiven Voraussetzungen bereits begründete Rechtswidrigkeitsurteil muss aufgrund der Wahrung eines vorgehenden Interesses aufgehoben werden können.82 Für die Abwägung ist dabei aber nicht ausschließlich auf den Wertrang der Rechtsgüter (z. B. Leben vor Eigentum) zu blicken, sondern auch auf die sich dem Täter stellende konkrete Situation, so dass insbesondere der vom Täter erkannte oder zumindest erkennbare Gefahrenpegel für die sich gegenüberstehenden Rechtsgüter sowie die Rettungswahrscheinlichkeit entscheidend zu berücksichtigen sind. Auch ist die Verletzung des zurücktretenden Rechtsguts nur dann zu rechtfertigen, wenn sie das relativ mildeste Mittel zur Erhaltung des in dem spezifischen Fall vorrangigen ist. Das Prinzip der Güterabwägung ist sachlich nie ernsthaft bestritten worden. Beispielhaft: Vor der Einführung des § 34 StGB (Rechtfertigender Notstand) wurden die heute gesetzlich vertypten Fallgestalten unter dem Terminus des „übergesetzlichen Notstands“ diskutiert, ohne dass damit das zugrundeliegende Prinzip freilich einer abschließenden und umfassenden Regelung zugeführt worden wäre.83 2. Notwendigkeit subjektiver Rechtfertigungselemente auch beim fahrlässigen Delikt? Da der soeben erwähnte § 34 StGB wie auch der äußerst praxisrelevante Rechtfertigungsgrund der Notwehr, § 32 StGB, jedoch ausdrücklich ein sog. subjektives Rechtfertigungselement zu statuieren scheinen,84 kann es nicht sonderlich verwundern, dass sich diesbezüglich gerade bei den Fahrlässigkeitsdelikten Nachweisprobleme auftun: Handelt der Täter nämlich nicht einmal mit dem aktuellem Bewusstsein der Gefahrschaffung, muss es doch 80  Zur

Spezifizierung in einem besonderen Fall, siehe sogleich unten S. 411 ff. dazu außerdem noch Schmidhäuser, GA 1991, 98 f.; sowie ausführlich Schmidhäuser, Lackner-FS, S. 77 ff. 82  Vgl. dazu vor allem auch Langer, Sonderstraftat, S. 94 ff., insb. S. 96 f.; hingewiesen sei hier allerdings nochmals darauf, dass Langer neben der materiellen Rechtfertigung noch eine sog. formelle anerkannt wissen will, siehe zu diesem Vorschlag aber bereits oben Fn. 71 (Kap. 4). 83  Siehe auch hierzu Langer, Sonderstraftat, S. 97. 84  Dies folgert die (wohl) allgemeine Meinung aus der Gesetzesfassung „um […] abzuwenden“. 81  Siehe



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(regelmäßig) merkwürdig anmuten, zu sagen, er habe trotz Verkennen der in der Situation obwaltenden Umstände gleichwohl mit Rettungs- bzw. Verteidigungswillen gehandelt.85 Kann es also bei strenger Anwendung des Gesetzes (jedenfalls bei einem Großteil von Fällen) keine Rechtfertigung des fahrlässigen Delikts geben? Diese Schlussfolgerung müsste jedoch nur dann als zutreffend bezeichnet werden, wenn es lediglich „Erlaubnisse“ gäbe, die zwingend ein solches subjektives Element verlangten. Dass dem nicht so ist, kann aber zumindest in der Sache kaum bestritten werden – angesprochen ist damit die Rechtsfigur der Rechtfertigung aus sog. überindividueller Zweckhaftigkeit.86 3. Rechtfertigung aus überindividueller Zweckhaftigkeit – insbesondere: das erlaubte Risiko Im Rahmen dieser Rechtsfigur werden einzelne Handlungen dergestalt in den Blick genommen, ob sie sich in das tägliche Leben unserer Gesellschaft einfügen, ob sie unter Berücksichtigung von Kultur und Zivilisation als sozial tolerabel erscheinen, ohne dass es im Einzelnen darauf ankäme, dass speziellen Handlungszielen gedient werden müsste; lässt sich die überindividuelle Zweckhaftigkeit bejahen, ist das in Rede stehende Verhalten gerechtfertigt und damit straflos. Zu verdeutlichen ist hier aber sogleich Folgendes: Mit der Formulierung „überindividuell“ ist vor allem gemeint, dass der Täter keine spezifischen, positiv bestimmten Zwecke verfolgen muss, um in den „Genuss“ einer solchen Rechtfertigung zu gelangen, wie es zum Beispiel im Rahmen der §§ 32, 34 StGB (als Rechtfertigungsgründe aus individueller Zweckverfolgung) durch die gesetzliche Positivierung von Verteidigungs- und Rettungswillen verlangt ist. Ausgeschlossen ist damit aber nicht, solche besonderen Kenntnisse und Handlungsziele des Täters zu berücksichtigen, die die von der Rechtsordnung angesonnene Zweckhaftigkeit gerade konterkarieren würden. Man denke nur an die Fallgestalt des sog. äußerlich ver85  Siehe

zu den insofern vertretenen Lösungsansätzen bereits oben S. 230 ff. dieser Stelle soll einmal davon abgesehen werden, dass die herrschende Auffassung einen solchen, ihrer Meinung nach die Verbotsnorm gewissermaßen einschränkenden bzw. konkretisierenden „Erlaubnis“-Gesichtspunkt bereits (unsicher) auf Tatbestandsebene unter dem Aspekt der Sorgfalt thematisiert wissen will, vgl. dazu nur oben S. 214 ff.; Nowakowski, JBl 1972, 27, bezeichnet dieses Vorgehen als eine Herauslösung von Verhaltensweisen aus der „Verbotsmaterie“. – Die hier verwendete Terminologie stammt von Schmidhäuser, vgl. nur dessen Strafrecht ATLB, 9 / 16, 9 / 25 ff.; übernommen wird sie exemplarisch von Langer, Sonderstraftat, S. 102, und Röttger, Unrechtsbegründung, S. 281 ff.; vgl. auch Jakobs, Strafrecht AT, 11 / 18. 86  An

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kehrsgerechten Verhaltens. So lag dem Bundesgerichtshof folgender Fall zur Entscheidung vor:87 Der Angeklagte hatte mehrfach absichtlich Auffahrunfälle herbeigeführt, um Versicherungsleistungen der Unfallgegner zu erlangen. Dazu bremste er in der Mehrzahl von Fällen sein Fahrzeug bei der Annäherung an eine Kreuzung, nachdem er den linken Blinker gesetzt hatte, bereits an der Einfahrt zu einer vor der Kreuzung auf der linken Seite gelegenen Tankstelle ab. Die nachfolgenden Verkehrsteilnehmer fuhren, wie vom Angeklagten vorhergesehen und beabsichtigt, auf ihn auf, da sie davon ausgingen, er würde erst an der Kreuzung abbiegen. In einem derartigen Fall88 ist es für den Nachweis der Rechtfertigung einerseits zwar gerade nicht notwendig, dass der Täter ein besonderes billigenswertes Ziel verfolgt, zum Beispiel Auto fährt, um etwas sozial Nützliches zu tun,89 andererseits ist jedoch die Tatsache, dass er mit Verletzungsabsicht (und sog. Sonderwissen) handelt, ein Umstand, der nicht unberücksichtigt bleiben kann. Nutzt der Täter nur den äußeren Schein der von der Rechtsordnung grundsätzlich gebilligten Zwecke, um zu schädigen, ist eine Rechtfertigung zu verneinen. Den praktisch wichtigsten Anwendungsbereich der Rechtfertigung aus überindividueller Zweckhaftigkeit90 bildet – so auch grundsätzlich im obigen Fall der Teilnahme am Straßenverkehr – das erlaubte Risiko91. Jedenfalls 87  BGH

NJW 1999, 3132 f. erscheint es bereits äußerst fraglich, ob dem Täter überhaupt ein äußerlich verkehrsgerechtes Verhalten attestiert werden kann. So verlangt die StVO nach deren § 1 II nicht zuletzt die gegenseitige Rücksichtnahme. Der Täter hat jedoch in den konkreten Fällen gerade nicht mehr auf ein verkehrsgerechtes Verhalten der übrigen Verkehrsteilnehmer vertraut. – Gegen die von der herrschenden Meinung zur Bestimmung des Erlaubten vorgenommene Auftrennung in äußerliche und innere Umstände wendet sich zu Recht MK-Freund, Vor §§ 13 Rn. 188 ff., vgl. ferner Freund, JuS 2000, 754 ff.; Näheres sogleich im Fließtext. 89  Autofahren ist bei Beachtung der Verkehrsregeln unabhängig davon gestattet, ob es sich als bloßes innerstädtisches Herumfahren ohne weitere Zwecke, als pure „Luxushandlung“, oder als wichtige Transportfahrt von Arzneimitteln zur Verhinderung einer Epidemie, als „sozial-notwendige Handlung“, erweist, vgl. insofern aber auch Schünemann, JA 1975, 576, sowie oben S. 166 f. 90  Einen weiteren Fall solcher Rechtfertigung, ohne dass man also den Nachweis eines subjektiven Rechtfertigungselements zu erbringen hätte, stellt exemplarisch § 37 StGB dar; vgl. zum insofern gegebenen Streitstand nur MK-Joecks, § 37 Rn. 2, dort auch m. w. N. zur „Mindermeinung“, die einen sog. Strafausschließungsgrund annimmt. 91  Der Begriff der sozialen Adäquanz wird hier mit dem des erlaubten Risikos deckungsgleich verwandt. Die von Schmidhäuser, Strafrecht AT-StB, 6 / 105 ff., vorgeschlagene Differenzierung zwischen Fällen sozialer Adäquanz bei sicherer Objektsverletzung (z. B. beim Kampfsport) und Fällen sozialer Adäquanz bei bloß möglicher Objektsverletzung, dem erlaubten Risiko, erscheint nicht zielführend. Beide Kategorien folgen identischen Regeln. – Wenig passend erscheint die Bestim88  Allerdings



A. Das tatbestandsmäßige Unrecht413

vom „Phänotyp“ des erlaubten Risikos kann man dann sprechen, „wenn im Zusammenhang mit der technischen Bewältigung, der entdeckerischen Erweiterung und den zeitgemäßen Freuden des menschlichen Daseins Gefahren für Leib und Leben von Menschen und für den Bestand von Sachgütern eingegangen werden, die die Gesellschaft aufs Ganze gesehen um der Vorteile willen hinzunehmen bereit ist.“92 Es drängt sich nun die Frage auf, ob das erlaubte Risiko ein Spezifikum des fahrlässigen Delikts darstellt. Ausdrücklich bejahen würden dies bekanntlich unter anderem Kindhäuser und Duttge.93 Dem ist jedoch an dieser Stelle nochmals entschieden entgegen zu treten: Das erlaubte Risiko ist bei der Fahrlässigkeitstat lediglich sehr viel deutlicher fassbar als beim korrespondierenden Vorsatzdelikt, es stellt jedoch gerade keine exklusive Besonderheit der fahrlässigen Straftat dar. Dies sei an folgendem Fall veranschaulicht: Ein Wanderer (W) sitzt im Wald auf einer kippeligen und recht morschen Bank. Ein anderer Spaziergänger (S) kommt hinzu und lässt sich ebenfalls dort nieder. W erkennt nun, dass die destabilisierte Bank umfallen und sich der S eine leichte Prellung des Steißes zuziehen wird, wenn er sich entfernte. Daraufhin setzt W den S über seine Absicht aufzustehen und die damit verbundene Gefahr des Umstürzens in Kenntnis. S zeigt sich allerdings ungerührt und beharrt darauf sitzenzubleiben. Außerdem teilt er dem W mit, dieser möge Platz behalten, dann würde doch nichts passieren. Man könne ja in zehn Minuten zusammen losgehen. Im Übrigen wolle er von W nun nicht weiter belästigt werden; die Ruhe im Wald sei ihm heilig. Dies sei sein letztes Wort. Basta! Steht W – die Gefahren(folgen) erkennend und „billigend“94 – trotzdem auf und erleidet der S nun tatsächlich eine Prellung durch ein Zusammenbrechen der Bank, stellt sich die Frage nach der Verwirklichung einer vorsätzlichen Körperverletzung. In Bezug auf eine kausale körperliche Misshandlung und Gesundheitsschädigung durch W wird man kaum Zweifel mung der sozialen Adäquanz als „rechtlich irrelevante Gefahr für das geschützte Rechtsgut“ (siehe insofern aber Otto, Amelung-FS, S. 225 ff., 245). Rechtlich relevant ist die Gefahr schon deshalb, da der Unrechtstatbestand zu bejahen ist; nur stellt sie eben (nach umfassender Abwägung) keine unerlaubte dar. 92  Vgl. Schmidhäuser, Strafrecht AT-StB, 6 / 107. 93  Siehe dazu nur oben S. 386. 94  Durch die Verwendung des „Billigens“ im Rahmen der Sachverhaltsschilderung war nur zum Ausdruck zu bringen, dass selbst unter Zugrundelegung einer (vermeintlich) „engen“ Definition nicht an der Erfüllung des Vorsatzerfordernisses gezweifelt werden soll. Festzuhalten bleibt allerdings, dass es nach hiesigem Dafürhalten keines sog. voluntativen Elements zur Bejahung der Voraussetzungen der Vorsätzlichkeit bedarf.

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Kap. 4: Eigene Grundlegung

hegen können, da durch das Aufstehen als Handlung95 eine Bedingung geschaffen wurde, die nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele. Womöglich würden nun einige Autoren im Schrifttum jedoch dahin tendieren, eine Erfolgszurechnung deshalb auszuschließen, da sich der S eigenverantwortlich selbst- bzw. einverständlich fremdgefährdet habe.96 Einen (relativ) eigenständigen Prüfungspunkt mit materiellem Gehalt kann eine so bezeichnete Rechtsfigur, sollte sie denn überhaupt sachlich einschlägig sein, im Rahmen der die Kausalitätslehren einschränkenden objektiven Zurechnungslehre allerdings nicht bilden. Der Sache nach geht es hier um eine umfassende Interessenabwägung, worüber auch eine scheinbar griffige Erfassung des Problems unter dem mit Absolutheitsanspruch auftretenden Tops der Eigenverantwortlichkeit nicht hinwegtäuschen kann. Vielmehr hat der W eine Gefahr geschaffen, die sich im tatbestandsmäßigen Erfolg – einer Prellung des Steißes von S – realisiert hat. Auch das Vorliegen einer Einwilligung, die nach ständiger Rechtsprechung einen Rechtfertigungsgrund darstellt,97 wird man zu verneinen haben. So war S mit Ws Aufstehen und den damit verbundenen Konsequenzen gerade nicht einverstanden; das beabsichtigte Entfernen lief seinem Interesse, sitzend die Ruhe des Waldes zu genießen, vielmehr diametral entgegen.98 Demnach scheint hier wohl einzig eine Rechtfertigung nach § 34 StGB in Betracht zu kommen.99 Mag man insofern noch das Vorliegen einer gegenwärtigen Gefahr für ein notstandsfähiges Rechtsgut des W beja95  Abwegig erschiene es – ungeachtet der grundsätzlichen Fragwürdigkeit des Ansatzes (vgl. dazu nur Haas, Kausalität, S. 112 ff.) – das Aufstehen als „normatives Unterlassen“ zu kennzeichnen, um sodann in einem zweiten Schritt eine Garantenstellung des W zu verneinen. Ein derartiges Vorgehen könnte schon deshalb nicht überzeugen, da ein solcher – sachlich unbegründbarer – Umdeutungsprozess freilich nicht von der notwendigen Güterabwägung entbinden kann. 96  Zu den insofern bereits auf terminologischer Ebene auftauchenden Schwierigkeiten siehe schon ausführlich oben S. 203 ff. – Hinzuweisen ist jedoch noch darauf, dass nicht selten der Anschein erweckt wird, dass der Gesichtspunkt der „Eigenverantwortlichkeit“ ausschließlich bei den Fahrlässigkeitsdelikten (und dort auch nur im Rahmen der fahrlässigen Tötung) Relevanz entwickeln soll. 97  Siehe insofern nur BGHSt 16, 309 ff. – Hier wird die Einwilligung allerdings bereits als unrechtstatbestandsausschließend begriffen, siehe dazu oben bei Fn. 29 (Kap. 4). 98  Selbst wenn man die Rechtsfigur der sog. mutmaßlichen Einwilligung anerkennte, wäre diese nicht einschlägig: Weder handelt der W im materiellen Interesse des S noch fehlt es – unter Berücksichtigung der persönlichen Einstellung von S – an einem schutzwürdigen Erhaltungsinteresse. 99  Im Hinblick auf § 32 StGB fehlt es – mangels eines rechtswidrigen Angriffs durch S – bereits an der notwendigen Notwehrlage. Das nachdrückliche Beharren, nicht aufstehen zu wollen, ist ein erlaubtes.



A. Das tatbestandsmäßige Unrecht415

hen können, nämlich dessen Willensbetätigungsfreiheit als eingeschränkt betrachten, wird man sich jedenfalls nicht unbeachtlichen Schwierigkeiten ausgesetzt sehen, ein wesentlich überwiegendes Interesse auf Seiten des W zu konzedieren.100 Gleichwohl wird man kaum darüber streiten können, dass das Verhalten des W schlussendlich nicht hinreicht, um als unerlaubt, als rechtswidrig im Sinne des § 223 StGB tituliert zu werden. Um dieses Ergebnis dogmatisch sauber zu begründen, bedarf es nun eines Bemühens der Rechtsfigur des erlaubten Risikos – und zwar auf der Ebene des Unrechtsausschlusses. Nicht überzeugend wäre es, diesen Gesichtspunkt im Rahmen der objektiven Zurechnung zu thematisieren,101 wie es bereits oben hinsichtlich des Eigenverantwortlichkeitsaspekts angedeutet wurde. So müsste nachdrücklich begründet werden, warum sich dieser Topos ausschließlich bei den Erfolgsdelikten (nur hier wird ja die Lehre von der objektiven Zurechnung relevant) zeigen sollte. Eine solche Herleitung wird selbstredend nicht gelingen.102 Wollte man das erlaubte Risiko dagegen als „Tatbestandsausschluss“ begreifen, unterminierte man die im Gesetz angelegte und folgerichtig auch von der ganz herrschenden Auffassung präferierte Deutung des Unrechtsausschlusses als Prüfungspunkt mit eigener dogmatischer Relevanz. Anders gewendet: Wie sollte man die „klassischen“ Rechtfertigungsgründe vom erlaubten Risiko sauber scheiden können, wo doch beide einer im Einzelfall vorzunehmenden umfassenden Abwägung bedürfen? Entgegen landläufiger Meinung ist es eben unmöglich, ein „an sich“ erlaubtes Verhalten zu konturieren. Ein abstraktes Abwägen nach dem „typischen Sozialgewicht solcher Handlungen“103 kann nicht gelingen. Nur mit Blick auf den konkreten 100  Vgl. zu den verschiedenen Theorien zur Bestimmung der „Wesentlichkeit“ nur S / S-Perron, § 34 Rn. 45. 101  So aber exemplarisch auch Rönnau, JuS 2011, 312 f. 102  Erinnert sei auch daran, dass eine solche Auffassung mit der offensichtlich ihren Prämissen zuwiderlaufenden Berücksichtigung von sog. Sonderwissen im Rahmen der objektiven Zurechnungslehre zu kämpfen hat. Vgl. dazu nur Wessels / Beulke / Satzger, Strafrecht AT, Rn. 184: Überredet der Neffe seinen Erbonkel zu einer Flugreise und findet dieser – wie erhofft – durch einen Absturz der Maschine den Tod, soll die objektive Zurechnung aufgrund des Fehlens einer rechtlich missbilligten Gefahrschaffung (geringe Todeswahrscheinlichkeit, soziale Nützlichkeit des Flugverkehrs im Allgemeinen) zu verneinen sein. Anders verhielte es sich aber dann, wenn der Neffe Kenntnis vom Vorhandensein einer Bombe an Bord gehabt hätte und diese den Absturz herbeiführte, mangels erlaubten Risikos müsse in einem solchen Fall überlegenen Wissens objektiv zugerechnet werden – der im Ausgangsfall ebenfalls zum Zurechnungsausschluss führen sollende Aspekt der Freiverantwortlichkeit des Handelns des Onkels scheint insofern keine Rolle zu spielen. 103  So aber die Formulierung von Nowakowski, JBl 1972, 27. – Bemerkenswert ist allerdings, dass Nowakowski (a. a. O., Fn. 53) die Sozialadäquanz – ähnlich wie Welzel, siehe insofern oben S. 118 f. sowie 133 ff. – schwankend verortete. Auch

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Kap. 4: Eigene Grundlegung

Täter und die obwaltenden Umstände ist der Einzelfall zu beurteilen. Diese Erkenntnis sollten wir nicht zuletzt den sog. „individualisierenden Fahrlässigkeitslehren“ zu verdanken haben: Typizität als solche kann für die Bestimmung der sog. „Verbotsmaterie“ nicht hinreichen; es bedarf vielmehr einer umfassenden Bewertung der Umstände.104 Kommen wir zurück zu unserem Wanderbank-Sachverhalt: Auch bei diesem ist es durchaus möglich, den von der herrschenden Meinung sonst einzig im Rahmen der Fahrlässigkeitsstraftat verwendeten Terminus der Sorgfalt zur Falllösung zu bemühen. So wird auch von W als „Vorsatztäter“ die Beachtung der „im Verkehr erforderlichen Sorgfalt“ verlangt. Nur bei Wahrung des maßvollen Risikos kann sein Handeln als erlaubt bezeichnet werden. Er hat die sinnvollerweise gebotenen Sicherheitsvorkehrungen zu treffen, um einem Schadenseintritt möglichst wirksam zu begegnen. Da der W den S zwar über die Gefahren des Aufstehens in Kenntnis gesetzt hat, aber schlussendlich doch wusste, dass seine Handlung körperverletzend wirken wird, könnte man nun womöglich zu der Einschätzung gelangen, das Verlassen der Bank als unerlaubt zu bezeichnen.105 Allerdings ließe dies zentrale Gesichtspunkte des spezifischen Falles außer Betracht. So hat der W durch die ausgesprochene Warnung nachdrücklich versucht, die erkannte Gefahr zu bannen. Eine Möglichkeit, den Erfolgseintritt tatsächlich zu vermeiden, hätte für ihn einzig im Unterlassen der angesonnenen Handlung bestanden, da sich der S hinsichtlich eines seinerseits notwendigen Erhebens Jescheck hat seine diesbezügliche Auffassung (wohl aufgrund von verstärkt aufkommenden normentheoretischen Erwägungen) geändert, vgl. nunmehr Jescheck / Weigend, Strafrecht AT, § 36 I 1: „Das erlaubte Risiko ist kein selbständiger Rechtfertigungsgrund“. 104  Im sog. „Erbonkelfall“ (soeben Fn. 102) ist es gerade von entscheidendem Gewicht, was der Neffe weiß; das „gewohnte Lebensbild“ (so die Formulierung bei Nowakowski, JBl 1972, 27) müsste dagegen dazu führen, die „Verbotsmaterie“ aufgrund der Typizität von Flugreisen als nicht tangiert zu betrachten. 105  Ein solches Ergebnis könnten die Ausführungen von Schmidhäuser, Strafrecht AT-StB, 6 / 112, nahe legen, wenn dieser ausführt: „Die sinnvollerweise gebotenen Sicherheitsvorkehrungen müssen getroffen werden. Lassen sich solche Vorkehrungen nicht treffen oder werden sie nicht getroffen, so ist die fragliche Handlung unerlaubt.“ – Dazu nur soviel: Auch Schmidhäuser anerkennt Fälle, in denen ein Verhalten bei sicherer Objektsverletzung gerechtfertigt ist. Nur tituliert er diese Fälle „sicherer“ Verletzung nicht als erlaubtes Risiko, sondern beschreibt sie als weiteren Unterfall des übergeordneten Begriffs der Sozialadäquanz, vgl. auch oben Fn. 91 (Kap. 4). Schmidhäuser scheint bei seiner Erläuterung des erlaubten Risikos immer einen relativ klar umrissenen Phänotyp von Handlungsweisen (das Autofahren, den Betrieb gefährlicher Anlagen etc.) vor Augen zu haben. Nur können erlaubte Risiken auch (relativ) untypisch daherkommen. Schlussendlich ist, wie Schmidhäuser, a. a. O., 6 / 107, doch zu Recht betont, auf den Einzelfall zu blicken und das Geschehen in toto vom Rechtsstab (siehe zu diesem Begriff oben Fn. 1025 (Kap. 3) sowie S. 348 ff.) zu bewerten.



A. Das tatbestandsmäßige Unrecht417

– aller Voraussicht nach unumstößlich – uneinsichtig zeigte. Um das Aufstehen des W nun gleichwohl als „sorgfältig“, als erlaubtes Risiko bezeichnen zu können, ist es also nötig, die Handlungsfreiheit des W im konkreten Falle höher zu bewerten als das Interesse des S, sich keiner körperlichen Beeinträchtigung, also einer Steißprellung, ausgesetzt zu sehen. Dies mag man zunächst deshalb für problematisch erachten, da dem Rechtsgutsschutz von Leib und Leben eine vorrangige Stellung innerhalb unseres Wertesystems zukommt. Allerdings darf nicht außer Betracht bleiben, dass auch die allgemeine Handlungsfreiheit nach Art. 2 I GG verfassungsrechtlichen Schutz genießt. Darüber hinaus hat man in Rechnung zu stellen, dass der für die körperliche Unversehrtheit des S gefahrerhöhende Aspekt des Aufstehens durch W ein eher geringer ist. Die Bank war auch schon vor dessen Fortgehen morsch und kippelig; sie drohte bereits vorab umzustürzen, war also gefährlich für die körperliche Unversehrtheit des S. Das Verhalten des W war – so könnte man sagen – lediglich der letzte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Dieser Gesichtspunkt kann nun sicherlich nicht dafür ins Feld geführt werden, die objektive Zurechnung (als die Kausalität ersetzendes Institut) des Körperverletzungserfolgs in Abrede zu stellen, ist aber in die Gesamtinteressenabwägung unweigerlich einzustellen. Zu Lasten des W war hier aber – wie schon anfänglich betont wurde – insbesondere zu berücksichtigen, dass er um die von ihm geschaffenen Gefahrenfolgen wusste. So wurde bereits im Rahmen der Unrechtsbegründung festgestellt, dass ein Handlungsunwert bei aktueller Tatumstandskenntnis immer schwerer wiegt als dessen Pendant bei bloß potentiellem, also erlangbarem Verletzungsbewusstsein.106 Liegt aufgrund aktuellen Wissens des Täters um den Rechtsgutsangriff bereits ein verhältnismäßig erhöhter Handlungsunwert vor, ist es naturgemäß schwierig(er), dessen Verhalten zu rechtfertigen. Dies ist der einzige Grund, warum ein erlaubtes Risiko besonders leicht im Rahmen der Fahrlässigkeitsstraftaten in den Blick gerät, im Bereich der Vorsatzdelikte aber der Sache nach kaum eine Rolle spielt. Die relevanten Wertungsfragen folgen jedoch hier wie dort denselben Kriterien. Vorsatz- und Fahrlässigkeitsdelikt sind eben keine Alia.107 Gleichwohl ist die Frage nach der Tatumstandskenntnis für die umfassende rechtliche Bewertung eine höchst wichtige. Je leichter erlangbar, je sicherer das Wissen des Täters um das Rechtsgutsverletzende seines Verhaltens ist, desto schwerer erscheint es, seinen Angriff zu rechtfertigen.108 Nochmals sei daran erinnert, dass sich auch die sog. herrschende Meinung diesem Phänomen nicht verschließen kann, wenn sie etwaiges „Sonderwissen“ des Täters für die Bestimmung der 106  Vgl.

dazu oben S. 399 ff. dazu auch ausführlich oben S. 364 ff. 108  Man mag insofern von einer gleitenden Skala sprechen. 107  Siehe

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Kap. 4: Eigene Grundlegung

Sorgfaltspflichtverletzung berücksichtigt. Dass es sich dabei um ein nicht ernsthaft zu bestreitendes, in der Sache richtiges Vorgehen handelt, sollte bereits die Tatsache unterstreichen, dass die Mehrheitsmeinung hierzu gar mit ihren eigenen Prämissen bricht:109 Im Rahmen der sog. objektiven Sorgfaltspflichtverletzung sollen besondere subjektive Kenntnisse des Täters Wirkung entfalten können. Ist damit also festzuhalten, dass das Verletzungsbewusstsein einen zentralen Aspekt für die Bestimmung des „Erlaubtseins“ darstellt,110 ist damit jedoch gerade nicht gesagt, dass es den insofern einzig relevanten Gesichtspunkt bildet. Selbst bei aktuellem Tatbewusstsein des Täters (vereinfachend gesagt: in Vorsatzfällen) ist eine Rechtfertigung wegen erlaubten Risikos nicht per se ausgeschlossen. Es bedarf vielmehr eines Absteckens von Verantwortungsbereichen, was sich im Einzelfall durchaus als äußerst schwieriges Unterfangen darstellen kann. Insofern – aber bloß als ein Topos unter vielen – spielt auch das Opferverhalten, dessen eigenverantwortliches Handeln eine gewisse Rolle. Nur hat diese Berücksichtigung nichts mit einer – wie die überwiegende Auffassung meint – objektiven Erfolgszurechnung zu tun. Es geht vielmehr um die Frage, ob das gefährliche, den Erfolg bedingende Verhalten des Täters nach umfassender Bewertung der Umstände gerechtfertigt werden kann. Das schlichte Berufen auf ein vermeintlich allgemeingültiges Prinzip der „Eigenverantwortlichkeit“ kann nicht von der notwendigen Argumentation entbinden.111 Frisch hebt dazu in der Sache richtig hervor, dass es nur darum gehen kann, ob das begangene Risiko nach der Interessenlage der Beteiligten rechtlich zu missbilligen (also unerlaubt) ist.112 In dem uns vorliegenden Fall ist insofern von besonderem Gewicht, dass es dem S ein Leichtes gewesen wäre, sich selbst zu erheben, und damit den Erfolgseintritt durch eine unschwere Vorsichtsmaßnahme seinerseits zu verhindern. Ferner 109  Siehe

schon oben S. 184 ff. Erkenntnis ist auch für die Lösung der Probleme um die sog. „neutralen“ (Beihilfe-)Handlungen von beachtlichem Gewicht. Exemplarisch: Hat der Gemischtwarenhändler sicheres Wissen um den sofortigen Einsatz des an den Kunden verkauften und ausgehändigten Messers zu Tötungszwecken, ist die unter normalen Umständen zulässige Abgabe des gefährlichen Gegenstandes nicht mehr vom erlaubten Risiko gedeckt. Vgl. zu den sonstigen in der Literatur vertretenen Lösungsansätzen nur MK-Joecks, § 27 Rn. 45 ff. 111  Machte man mit der Umsetzung des Prinzips tatsächlich Ernst, wie es zahlreiche Literaturstimmen vermuten lassen, bedürfte es wohl auch einer gänzlichen Neuausrichtung der Teilnahmelehre: Ist jedermann nur für eigenes Verhalten verantwortlich, erscheint es wenig plausibel, ihn in „Haftung“ für fremdes Tun und Unterlassen zu nehmen. 112  Frisch, NStZ 1992, 6. – Dass Frisch meint, diesen Aspekt aufgrund normentheoretischer Prämissen im Rahmen der Tatbestandsmäßigkeit verorten zu müssen, kann hier dahinstehen, siehe dazu bereits oben S. 312 ff. 110  Diese



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hatte S zuvor – als zentral steuernde Person, nicht lediglich als Tatobjekt – in erheblicher Weise zur Entstehung der Gefahrenlage beigetragen; auch war ihm das letztendlich bestehende Risiko ebenso bewusst wie dem Schädiger W. Auf der anderen Seite – und dies ist der wohl entscheidende Aspekt – wären die für W folgenden Einschränkungen seiner Handlungsfreiheit äußerst beachtlich. Er wäre quasi an die Bank gefesselt, hätte sein eigenes Tun nahezu vollumfänglich an dem weiteren Verhalten des S auszurichten; nur wenn dieser aufstünde, könnte er seinen gefassten Entschluss, sich zu erheben, sowie etwaige weitere Handlungsziele in die Tat umsetzen. Käme man hingegen dazu, das Aufstehen von W nicht als erlaubtes Risiko zu bezeichnen, hat man sich vor Augen zu führen, dass der S bei Ws Versuch, fortzugehen, Notwehr üben dürfte. Ihm wäre es nicht versagt, den Wandersmann gewaltsam am Verlassen der Bank zu hindern. Dass der Aspekt der „Eigenverantwortlichkeit“ im Rahmen der Bestimmung des erlaubten Risikos Berücksichtigung findet, bedeutet jedoch nicht, dass damit eine Übernahme sämtlicher von der Rechtsprechung zu dieser Thematik erzielter Ergebnisse verbunden wäre. In zahlreichen Fällen wird auch die sog. „eigenverantwortliche Selbstgefährdung“ bzw. „einverständliche Fremdgefährdung“ nicht dazu führen können, sozialadäquates Handeln zu bejahen. Exemplarisch sei dies am Fall der Abgabe von Heroin und dem dadurch veranlassten Tod eines Rauschgiftkonsumenten veranschaulicht:113 Selbst wenn man mit dem Bundesgerichtshof unterstellt, dass der zu Tode gekommene Kunde „nicht etwa außer Stande war, die Risiken seines Tuns sachgerecht abzuwägen oder der Verlockung zum Drogenkonsum nennenswerten Widerstand entgegenzusetzen“, kann dies keineswegs heißen, den Verkauf des Heroins (zumindest unter Zugrundelegung des gültigen BtMG) als erlaubtes Tötungs-Risiko zu bezeichnen. Die allgemeine Handlungsfreiheit des Täters, sein Produkt zu veräußern, hat aufgrund der akuten Lebensgefährlichkeit seines Verhaltens zurückzustehen. Anders als im WanderbankSachverhalt stellt sich die dadurch bedingte Beschneidung seines Wirkungskreises nicht als so gewichtig dar, dass ein weiteres Tun des Täters nahezu vollumfänglich unmöglich würde. Kann das eigenverantwortliche Opferverhalten – die Selbstverabreichung der Droge – in einem solchen Fall auch nicht zum vollständigen Ausschluss des Unrechts des Täters führen, so sieht sich der in Rede stehende Unwert doch je nach den Umständen des Einzelfalles gemildert.114 Diesem Aspekt ist bei der (etwaigen) Strafzumessung besondere Beachtung zu schenken. Konnte gezeigt werden, dass das eigenverantwortliche Opferverhalten für den Aufweis des erlaubten Risikos – als ein Punkt neben anderen – nicht 113  BGH 114  Vgl.

NJW 2000, 2286 f. insofern auch Langer, Sonderstraftat, S. 175; ferner noch unten S. 456 ff.

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Kap. 4: Eigene Grundlegung

unberücksichtigt bleiben darf, ist noch ergänzend zu erwähnen, dass sich oben geäußerte Kritik115 nicht gegen das sog. Verantwortungsprinzip als solches richtete, sondern einzig gegen dessen unpräzise, in der Luft hängende straftatsystematische Verortung. Der von der herrschenden Auffassung aufgefundene Bewertungstopos ist in der Sache unbestreitbar; nur muss er an dogmatisch zutreffender Stelle Beachtung finden. Und da es diesbezüglich um Wertungen anhand der Rechtsordnung als Ganzer geht, kann einzig eine Thematisierung im Rahmen eines etwaigen Ausschlusses des Rechtswidrigkeitsurteils passend sein. Sachlich richtig ist es demgegenüber, wenn im Schrifttum mitunter betont wird, dass es bei der Konturierung des erlaubten Risikos um die Bestimmung dessen geht, was man in einer parlamentarischen Demokratie regelmäßig als die Ermittlung des normativen Konsens‘ bezeichnet.116 Die Aufgabe des Rechtsanwenders hat es zu sein, Verantwortungsbereiche im Einzelfall abzustecken. Es geht, wie schon mehrfach betont, um eine umfassende Güter- und Interessenabwägung. Mit einer solch explizit material ausgerichteten Deutung dürfte sich auch der Vorwurf erübrigen, dass es sich beim erlaubten Risiko um eine verzichtbare Begrifflichkeit, um einen bloßen „Formalbegriff“ ohne eigenständigen Anwendungsbereich handle.117 Die Rechtsfigur des erlaubten Risikos fungiert eben in gewichtigen Teilbereichen als Ausformung des gesetzlich nicht vollständig positiv entfalteten Prinzips der materiellen Rechtfertigung. Die Schwierigkeiten, es in allen Verästelungen vorab klarzulegen, können gegen den Abwägungsvorgang nicht ins Feld geführt werden; sie liegen vielmehr in der Natur der Sache. Insbesondere löst man das Problem um die behauptete „Unbestimmtheit“ des „schillernden Begriffs“ nicht, wenn man so tut, als hätten sich nur diejenigen mit schwierigen Grenzziehungen zu beschäftigen, die die Begriffe der Sozialadäquanz und des erlaubten Risikos außerhalb der objektiven Zurechnungslehre verwenden.118 Unverständlich erscheint der ebenfalls zu vernehmende Vorwurf, die Berücksichtigung eines eigenständigen Prinzips der Sozialadäquanz berge die Gefahr, „den kriminalpolitischen Spielraum der Legislative zu untergraben“.119 Die hier für richtig erachtete Abwägung 115  Siehe

nur S. 203 ff. dazu nur Duttge, Maiwald-FS2, S. 141. 117  Deutlich in diesem Sinne etwa Maiwald, Jescheck-FS, S. 405 ff., ihm folgend Duttge, Maiwald-FS2, S. 137; ähnlich kritisch etwa Otto, Allgemeine Strafrechtslehre, § 8 Rn. 160 f., und Rössner, Hirsch-FS, S. 315. 118  Einen solchen Eindruck vermittelt insbesondere Rönnau, JuS 2011, 312 f. – Entgegen der Annahme von Knauer, ZStW 126 (2014), insb. 844 und 865, war die Sozialadäquanz nie weg. Die Frage, „wie sozialadäquate und strafbare Handlungen zu unterscheiden sind, wird die Strafrechtswissenschaft“ nicht nur „vermutlich auch weiterhin beschäftigen“, sondern immer! 116  Siehe



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schwebt aber gerade nicht im luftleeren Raum, sondern rekurriert notwendigerweise auf gesetzgeberische Grundentscheidungen. So haben die Parlamente für zahlreiche Fälle (relativ) eindeutige und bindende Standards geschaffen, um typische Gefahrenkonstellationen aufzulösen. Man denke nur an die Geschwindigkeitsbegrenzungen im Straßenverkehr. Exemplarisch: Überschreitet der Autofahrer den ihm zugebilligten Temporahmen, bedarf es (im Regelfall) keiner schwierigen Abwägung, um die Grenzen des sozial Tolerablen aufzufinden. Beispielsweise ist gesetzgeberisch entschieden, dass innerorts grundsätzlich nicht schneller als 50 Stundenkilometer gefahren werden darf. Mit anderen Worten: Der Rechtsanwender ist auf die von der Legislative vorgenommenen generalisierenden Einschätzungen angewiesen, um die Bestimmung des erlaubten Risikos mit Leben füllen zu können. Erschwert sieht sich das Zusammenspiel aber insbesondere durch folgende Disparität: Von den Parlamenten ist verlangt, abstrahierend zu argumentieren. Ohne Ansehung des Einzelfalles sind verallgemeinerungsfähige Entscheidungen zu treffen. Demgegenüber ist die Judikative gerade zur Entscheidung eines singulären Sachverhaltes aufgerufen. Ihr obliegt das „Runterbrechen“ der getroffenen Grundannahmen auf einen konkret-individuellen Fall. Hat sich ein Autofahrer nun an sämtliche Verkehrsvorschriften gehalten, aber gleichwohl ein unvermittelt auf die Straße rennendes Kind durch einen Zusammenstoß getötet, mutet es für zahlreiche Autoren im Schrifttum nun offensichtlich merkwürdig an, konzedieren zu müssen, dass der Fahrer des Pkw erlaubt getötet hat.120 Genau eine solche Grundentscheidung hat der Gesetzgeber aber getroffen, indem er eine gewisse Anzahl von Verkehrstoten „billigend in Kauf“ nimmt. Nur das Anlegen der durch generalisierende Betrachtung ermittelten Bewertungsstandards ermöglicht es, die Tötung eines Menschen zu „bloßen“ Fortbewegungszwecken auch im Einzelfall für erlaubt zu erachten. Man mag eine solche Sicht der Dinge technokratisch nennen; jedoch zeigt sie, wie die gesellschaftlichen Abwägungsprozesse ablaufen. Lebensgefahren und Todesopfer werden von der Gemeinschaft um der Fortbewegungsfreiheit willen in engen Grenzen (bei überindividueller Betrachtung) hingenommen; schlussendlich tödlich wirkende Handlungen werden – nüchtern formuliert – schlicht deshalb akzeptiert, weil sie „in den größeren Zusammenhang des Lebens einer historisch gewachsenen Gesellschaft hineinpassen“.121 Behauptet man nun, der Pkw-Fahrer habe nicht die 119

aber ausdrücklich Rönnau, JuS 2011, 312. argumentiert Kindhäuser, Maiwald-FS2, S. 404: „Die Einhaltung einer zulässigen Höchstgeschwindigkeit gibt kein Recht, einen anderen Verkehrsteilnehmer zu töten, wie etwa die Notwehrbefugnis das Recht gibt, einen Angreifer zu verletzen.“ 121  So die Formulierung von Schmidhäuser, Strafrecht AT-StB, 6 / 19. – Vgl. ferner (a. a. O., 6 / 103): „Vorausgesetzt ist dabei die Abwägung von Wert und Unwert in der Relation auf eine Vielzahl entsprechender Handlungen.“ 119  So

120  So

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Kap. 4: Eigene Grundlegung

Erlaubnis gehabt zu töten, ist das ein Spiel mit Worten, gerade wenn gleichzeitig in Abrede gestellt wird, dass der Fahrer überhaupt eine „Pflicht“ verletzt habe.122 Jakobs hebt dagegen ganz richtig hervor, dass die Begründung des erlaubten Risikos mit der Interessenabwägung beim Notstand verwandt ist.123 Die Kriterien sind hier wie dort artgleich. Nachdrückliche Zustimmung verdient der genannte Autor auch dort, wo er ausdrücklich betont, dass das erlaubte Risiko unabhängig von der Differenzierung zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit besteht.124 Es ist strukturell in beiden „Deliktsgruppen“ nachweisbar.125 Dass zur Bestimmung des erlaubten Risikos – „trotz“ des Anlegens durch überindividuelle Betrachtung ermittelter genereller Standards – letztlich der Einzelfall, nicht aber eine irgendwie geartete feste „Typizität“ entscheidend sein kann, soll uns abschließend noch folgender Fall vor Augen führen: A verwendet seit Monaten im Straßenverkehr einen Pkw mit stark abgenutzten Reifen, die sämtlich nicht mehr die nach der StVZO vorgeschriebene Profiltiefe aufweisen. Am Tattag fährt er mit seinen „Quasi-Slicks“ bei schönem Wetter und trockener Straße durch eine geschlossene Ortschaft unter Einhaltung der vorgeschriebenen Höchstgeschwindigkeit von 50 km / h und auch sonst ordnungsgemäß, als für ihn völlig unerwartet ein Kind zwischen zwei parkenden Autos auf die Straße springt. Auch das von A reaktionsschnell eingeleitete Bremsmanöver kann einen tödlichen Zusammenstoß nicht verhindern. Das Kind verstirbt noch an der Unfallstelle. Stellte man nun zur Problemlösung einzig auf die Tatsache ab, dass A sorgfaltswidrig mit nicht der StVZO entsprechender Bereifung gefahren ist, würde man das tiefer liegende Sachproblem verkennen. Nach der hier vertretenen Auffassung ist das Verhalten des A zwar unrechtstatbestandsmäßig im Sinne des § 222 StGB, aber schlussendlich gerechtfertigt: A hat durch sein Autofahren für das Leben des Kindes eine Todesgefahr geschaffen, die sich hernach in dessen Ableben realisiert hat. A handelte darüber hinaus mit potentiellem Tatbewusstsein. So stand ihm genügend Assoziationsmaterial (insbesondere aufgrund seiner verkehrsspezifischen Vorbildung) zur Verfügung, um die Lebensgefährlichkeit des Autofahrens für andere Menschen – gerade bei zügiger Vorbeifahrt an parkenden Pkw – erkennen zu kön122  In diesem Sinne aber Kindhäuser, Maiwald-FS2, S. 404; vgl. auch Duttge, Maiwald-FS2, S. 139. 123  Jakobs, Strafrecht AT, 7 / 35. 124  Jakobs, Strafrecht AT, 7 / 40. 125  Entgegen Kindhäuser, Strafrecht AT, § 33 Rn. 26 ff., ist das Phänomen der sozialen Adäquanz kein Spezifikum des fahrlässigen Delikts. So können kleine Weihnachtsgeschenke an die Fahrer der kommunalen Müllabfuhr unter Umständen selbst „im Vorsatzfall“ noch sozial adäquat sein, wenn der Schenkende gar beabsichtigt, deren Dienstausübung zu seinen Gunsten zu beeinflussen.



A. Das tatbestandsmäßige Unrecht423

nen.126 Ungeachtet dessen ist sein Verhalten gerechtfertigt. Das von der Rechtsordnung erlaubte Risiko wurde jedenfalls im vorliegenden Fall in Bezug auf eine fahrlässige Tötung nicht überschritten. Zwar erfüllten die von A verwendeten Reifen gerade nicht mehr die Vorgaben der Straßenverkehrszulassungsordnung, waren hier aber wegen der vorliegenden Straßenverhältnisse sogar verhältnismäßig besser geeignet, die relevanten Gefahren zu minimieren. Bekanntlich ist die Bremswirkung von (nahezu) profillosen Reifen bei trockenen Bedingungen besser als diejenige von „normalen“.127 Festzuhalten bleibt damit, dass auch objektiv zurechenbare, – generell gesprochen – sorgfaltswidrige Handlungen im spezifischen Fall durchaus das erlaubte Risiko eines unrechtstatbestandsmäßigen Verhaltens wahren können.128 Wir haben weiterhin gesehen, dass es in jedem Falle einer Bewertung durch die Allgemeinheit im Einzelfall bedarf. Auch Täterkenntnisse und individuelle Gesichtspunkte haben, wie oben gezeigt, in diese Wertung einzugehen. Damit wird die Abwägung – wie im Schrifttum gelegentlich formuliert – jedoch zu keiner umfassend „subjektivierten“, sondern es bleibt eine objektive Bewertung des individuellen Täters in der spezifischen Situation durch den Rechtsstab.129 126  Siehe

dazu bereits oben Fn. 68 (Kap. 4). ist noch zu betonen, dass dieser Fall – trotz ersten Anscheins – nichts mit einem sog. rechtmäßigen Alternativverhalten zu tun hat. Bei dieser Rechtsfigur toleriert die Rechtsgemeinschaft das im konkreten Fall geschaffene Risiko gerade nicht, siehe dazu noch unten S. 462 ff. – Die überwiegende Auffassung würde den hiesigen Fall gleichwohl durch Verneinung des sog. Pflichtwidrigkeitszusammenhanges (siehe dazu oben, S. 200 ff.) im Rahmen der objektiven Zurechnung lösen. Nur zeigt sich dann wieder einmal wie unspezifisch die zuvor bejahte, für zentral gehaltene Sorgfaltspflichtverletzung letztlich ist. Sie kann gerade nicht die ihr eigentlich zugedachte Funktion erfüllen, die Verhaltensnorm – das allgemeine „Du sollst nicht töten!“ – im Einzelfall genauer zu beschreiben. Hier hätte doch – in Relation gesetzt – ein Fahren ganz ohne Profil der Norm am besten entsprochen. 128  Dass der Fahrer gleichwohl wegen des Verstoßes, mit abgenutzten Reifen gefahren zu sein, ordnungswidrigkeitenrechtlich belangt werden könnte, ist eine naturgemäß hiervon unabhängig zu beantwortende Frage. Im Hinblick auf die unrechtstatbestandsmäßige fahrlässige Tötung ist sein Tun allerdings erlaubt. Das erlaubte Risiko ist ein spezifisch zu bestimmendes. 129  Man hüte sich davor, der „Verwirrung zwischen dem Subjektiven und dem Objektiven“ zu erliegen, vgl. insofern nur nochmals Burkhardt, in: Straftat, S. 99 ff. – Die große Schwierigkeit der sauberen Einordnung des erlaubten Risikos liegt in der Tatsache begründet, dass der Begriff zunächst umfassend objektiv-generalisierend anmutet: „Für die Einräumung von Erlaubnissen kann nur dir Rechtsgemeinschaft als solche sorgen.“ Hernach zeigt sich aber, dass gerade die Gerichte zur Feststellung des Erlaubtseins gar nicht umhin kommen, die Wissensbasis, die Erkenntnisleistung des Einzelnen in Rechnung zu stellen. Die Gemeinschaft formuliert deshalb „vorab“ lediglich Werte, bzw. legt im Rahmen der Straftatbestände gewisse Unwerte fest, die sodann mit der Wissensbasis des Täters in Einklang gebracht wer127  Insofern

424

Kap. 4: Eigene Grundlegung

Konturiert wird das erlaubte Risiko weiterhin durch den sog. Vertrauensgrundsatz. Dieser führt, wie es richtigerweise im Schrifttum dargelegt wird, überall dort zu einer Begrenzung der Sorgfaltsanforderungen, wo gefahr­ trächtige Handlungen arbeitsteilig vorgenommen werden, und besagt ganz allgemein formuliert, dass jedermann bei der Gestaltung seines eigenen Verhaltens davon ausgehen darf, dass sich Andere rechtmäßig verhalten.130 Allerdings stellt der Grundsatz keine irgendwie geartete Konkretisierung eines normentheoretisch unbelegten allgemeinen Schädigungsverbotes dar,131 sondern ist „lediglich“ das Resultat der umfassenden Güter- und Interessenabwägung.132 Damit ist zugleich beantwortet, dass der Vertrauensgrundsatz dort seine Grenze findet, wo es vom Handelnden erkannt wird bzw. erkannt werden muss, dass die wechselwirkend agierende Person nicht den üblichen Verhaltensregeln folgen wird.133 Anders als Jakobs meint, lässt sich damit – trotz grundsätzlich notwendiger abschichtender Betrachtung und Arbeitsteilung – im bekannten Giftpilzfall134 nicht einsehen, warum es dem als Aushilfskellner beschäftigten Biologiestudenten freigestellt werden sollte, dem Gast einen exotischen Salat mit einer vergifteten Frucht vorzusetzen, obgleich ihm die tödliche Gefahr, an deren Verwirklichung er sich beteiligt, infolge seiner Spezialkenntnisse klar vor Augen steht.135 Mag das Verhalten des Obers auch grundsätzlich rollenkonform sein, darf er doch nicht blind auf dasjenige vertrauen, was ihm an Aufgaben zugewiesen wurde, wenn deutliche Anhaltspunkte für ein Fehlverhalten des Weisungsgebers bestehen. Auch in Fällen des gleichrangigen Miteinanders, der sog. horizontalen Arbeitsteilung, „reicht der mit einer klaren Festlegung von Zuständigkeiten, einer bewährten und aufeinander abgestimmten Organisation gesetzte Vertrauenstatbestand in das ordnungsgemäße Wirken der jeweils anderen und damit die erlaubte Selbstbeschränkung auf die eigene soziale Rolle stets nur so weit, wie sich nicht ernstliche Zweifel am reibungslosen und gefahrenfreien Zusammenwirken aufdrängen.“136 Vereinfachend gewendet: Es darf nur solange vertraut werden, wie nicht relevantes Sonderwissen vorhanden ist.

den. Rechtliche, für den Einzelfall geltende Verhaltens„normen“ bzw. -bewertungen können allenfalls im Prozess entstehen. 130  Siehe dazu schon oben S. 179 ff. 131  In diesem Sinne aber S / S-Sternberg-Lieben / Schuster, StGB, § 15 Rn. 144 ff. 132  So auch Krümpelmann, Lackner-FS, S. 298 f. 133  Vgl. insofern schon Schmidhäuser, Strafrecht AT-StB, 6 / 114 f. 134  Vgl. dazu Jakobs, Armin Kaufmann-GS, S. 273. 135  So ganz explizit auch Duttge, Maiwald-FS2, S. 144. 136  Duttge, Maiwald-FS2, S. 145. – Dort auch mit weiteren Nachweisen aus der (medizinrechtlichen) Rechtsprechung.



B. Die tatbestandsmäßige Schuld425

B. Die tatbestandsmäßige Schuld Allgemein anerkannt ist, dass der Schuldgrundsatz Verfassungsrang hat: Er ist das den Bereich staatlichen Strafens wesentlich bestimmende Prinzip.137 Nulla poena sine culpa!138 Auch im Strafgesetzbuch taucht er an verschiedensten Stellen auf – man denke nur an die §§ 17 S. 1, 20, 29, 46 I S. 1 StGB. Dass die „Schuld“ als Gesetzesmerkmal somit einer positiven Inhaltsbestimmung bedarf, sollte sich von selbst verstehen. Bevor ein solcher Versuch der Begriffskonkretisierung angetreten wird, ist allerdings nochmals zu betonen, dass strafrechtliche Schuld stets begangenes Unrecht voraussetzt.139 Das Vorliegen einer rechtswidrigen Tat ist von Gesetzes wegen notwendiges Erfordernis der Schuldbegründung. Außerdem – als zweite Voraussetzung der Schuld – ist es erforderlich, dass der Täter überhaupt an dem von ihm rechtswidrig verletzten Wert teilhat, was allerdings bei geistig reifen140 Angehörigen der jeweiligen Gesellschaft regelmäßig zu bejahen ist.141 Dieser insgesamt als Schuldfähigkeit zu beschreibende Komplexbegriff verlangt neben der Wertteilhabe aber auch weiterhin, dass der Täter die Fähigkeit aufweist, seinen Willen in der vom verletzten Wert geforderten Weise bilden zu können. Sind gewisse abnorme psychische Zustände gegeben, die die Fähigkeit, „das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln“, ausschließen (§ 20 StGB) oder zumindest erheblich vermindern (§ 21 StGB), fehlt es dementsprechend bereits an der für den Schuldnachweis vorausgesetzten geistigen Gesundheit. Man mag dann insofern formulieren, der Täter habe nicht anders handeln können.142 137  Siehe

nur BVerfGE 80, 244, 255. ausführlich Wolff, AöR 124 (1999), 55 ff., mit zahlreichen Verweisen auf die verfassungsrechtliche Rechtsprechung. 139  Zu den Voraussetzungen des Schuldvorwurfs siehe im Ganzen Langer, Sonderstraftat, S. 109. 140  Vgl. insofern auch die formal-allgemeine Grenze des § 19 StGB: „Schuldunfähig ist, wer bei Begehung der Tat noch nicht vierzehn Jahre alt ist.“ bzw. die auf die einzelne Tat bezogene Schuldfähigkeit des Jugendlichen nach § 3 JGG. 141  Dagegen will Schmidhäuser, Strafrecht AT-StB, 7 / 16, die Schuldfähigkeit als die Grundlage des schuldbegründenden Unwerturteils selbst ansehen; vgl. auch Jescheck / Weigend, Strafrecht AT, § 40 I 1 Fn. 2. – Sachlich richtig erscheint es demgegenüber, ganz explizit zwischen Schuldvoraussetzungen und Schuldelementen (als den Bestandteilen des Unwertsachverhaltes selbst) zu differenzieren. So wird exemplarisch erklärlich, dass die verminderte Zurechnungsfähigkeit nicht die Verwerflichkeit der Einzeltatgesinnung zu berühren braucht. Siehe dazu bereits Langer, Sonderstraftat, S. 109 Fn. 21. – Anzumerken bleibt, dass die Wertteilhabe, der Wertkontakt auch vor der Tatbegehung stattgefunden haben kann. 142  Ob mit einer solchen Negativfeststellung eines Nicht-anders-handeln-könnens auch die Frage um die „Willensfreiheit“ notwendigerweise im Sinne des Indetermi138  Dazu

426

Kap. 4: Eigene Grundlegung

Wird von den zur Rechtsanwendung Berufenen sodann die Schuld bejaht, bedeutet dies, dass der Delinquent den von ihm unerlaubt verletzten Wert (Unrecht) auch geistig missachtet hat. Die Rechtsordnung trifft das den Schuldvorwurf kennzeichnende Urteil der Vorwerfbarkeit, wenn der Täter als geistiges Wesen eine im konkreten Fall fehlerhafte Haltung zum verletzten Wert offenbart; seine Einstellung ist im Wege des „geistigen Ver­ stehens“143 erfahrbar.144 Mit einer solchen Bestimmung der Rechtsschuld ist auch Stellung im Streit um die Schuldlehre in Gänze bezogen. Gefolgt wird hier derjenigen Auffassung, die die Schuld als eigenständig wertwidrigen Sachverhalt, als unrechtliche Einzeltatgesinnung kennzeichnet.145 Aufgrund der immer wieder zu vernehmenden Kritik146 ist insofern aber sogleich Folgendes klarzustellen: Schuld offenbart sich in einem prononciert auf die Tat blickenden Strafrecht wie dem unsrigen nicht in einer irgendwie gearteten Dauergesinnung. Es ist per se unbeachtlich, welche beständige Gesinnung ein Mensch „hat“. Die Rechtsanwender haben lediglich danach zu fragen, „in“ welcher (Einzeltat-)Gesinnung der Täter gehandelt hat.147 Vom Unrecht sieht sich die Schuld also nach alledem dahingehend abgrenzbar, dass für die Begründung des Rechtswidrigkeitsurteils „lediglich“ die psychischen Beziehungen des Täters zum Rechtsgutsangriff in ihrer tatsächlichen Seite Berücksichtigung finden, während die Elemente geistiger, das heißt gegen den Wert als Wert gerichteter Verfehlung für die Begründung der Vorwerfbarkeit des Verhaltens Bedeutung erlangen.148 nismus zu beantworten ist, ist noch unten, S. 438 ff., einer kritischen Prüfung zu unterziehen. 143  Außer Betracht bleiben soll hier die teilweise geäußerte Kritik, ein sog. nachfühlendes Verstehen sei unmöglich (vgl. insofern Grasnick, Schuld, S. 121 ff.), da auch damit nicht in Abrede gestellt ist, dass es überhaupt eines materiellen Momentes zur Schuldfundierung – der Gesinnung – bedarf (vgl. nur Grasnick, a. a. O., S. 71 f., 234). Richtig ist sicherlich, dass sich die Feststellung von Schuld als schwierig erweist; sie ist auf den Prozess, auf einen „Schulddialog“ angewiesen (vgl. dazu lediglich Grasnick, a. a. O., S.  230). 144  Langer, Sonderstraftat, S. 106 f.; ausführlich zum Ganzen Schmidhäuser, Gesinnungsmerkmale, S.  77 f., 176 ff., 190 f. 145  Bekanntlich definiert die Schuld in diesem Sinne vor allem Schmidhäuser, Gesinnungsmerkmale, S.  168 ff.; ders., Strafrecht AT-LB, 10 / 1 ff.; ders., Strafrecht AT-StB, 7 / 1 ff.; ders., Jescheck-FS, S. 485 ff.; ihm folgt exemplarisch Langer, Sonderstraftat, S. 106  ff. – Siehe ergänzend noch oben S. 249  f.; auch Radbruch (Fn. 128 (Kap. 2)) hatte bereits 1904 die antisoziale Gesinnung mit dem Schuldbegriff in Verbindung gebracht. 146  Siehe neuerdings nur Timm, Gesinnung, S. 26  ff. insb. Fn. 46, 181 ff.; vgl. ferner noch Haas, Strafbegriff, S. 254. 147  Siehe dazu zuletzt Schmidhäuser, Jescheck-FS, S. 493. 148  In diesem Sinne argumentiert schon Langer, Sonderstraftat, S. 108. – Auch wenn zwei, jeweils in der Täterpsyche wurzelnde Beziehungen ausfindig gemacht



B. Die tatbestandsmäßige Schuld427

Gleichzeitig ist mit der Bestimmung des Schuldsachverhaltes als unrechtlicher Einzeltatgesinnung vor allem den Auffassungen eine deutliche Absage erteilt, die Aspekte der Prävention in den Schuldbegriff einbeziehen wollen. Insbesondere der Ansatz von Jakobs kann nicht überzeugen, reduziert er die Schuld doch – wie er sich selbst (ge)rühmt (hat) – auf ein rein generalpräventives Derivat.149 Man hat sich insofern zu fragen, wie ein solch augenscheinlich materiell entleerter Begriff überhaupt den ihm zugedachten Zweck der „Erhaltung allgemeinen Normvertrauens“, der „allgemeinen Einübung in Normanerkennung“ erfüllen können sollte,150 wenn er sich tatsächlich einer Bezugnahme auf ethische Kategorien komplett enthielte. Soll Rechtstreue der Bürger erzielt werden, bedarf es letztlich eines Offenlegens von Werten und Wertverletzungen, anderenfalls könnte das Strafverfahren keinen bestimmenden Einfluss auf die für notwendig erachtete „Normanerkennung“ ausüben. Ohne ethische Fundierung hinge das – für Jakobs als zentrales Moment herausgearbeitete – (gesellschaftliche) Rechtsbewusstsein beziehungslos in der Luft.151 Aber auch die Entindividualisierung der Schuld begegnet durchgreifenden Bedenken. Der Sache nach wird die strafbarkeitsbeschränkende Funktion des Schuldprinzips zugunsten der (positiven) Generalprävention geopfert, wenn alleine eine Person in ihrer Rolle, nicht aber das Individuum begutachtet wird. Solche Verfahren müssten sich schlussendlich eines normativen Urteils über Tat und Täter enthalten, womit sich die seit jeher von der Labeling-Approach-Theorie erhobene Kritik erfüllte, dass Verurteilungen auf bloßen – lediglich an Herrschaftskriterien orientierten – Zuschreibungsprozessen beruhten.152 Insgesamt bleibt festzuhalten, dass es einer Trennung von Schuld und Prävention bedarf, um nicht Gefahr zu laufen, den „in der Freiheitsidee verwurzelten Schuldbegriff, der im Verhältnis zu präventiver Zweckverfolgung auf einer anderen Ebene liegt, über seine immanenten Schranken hinaus durch utilitaristische Elemente“ zu verwässern.153

werden können, ist eine Trennung beider durchaus möglich. Sie lässt sich in der allgemein für notwendig erachteten Abschichtung von Tat- und Unrechtsbewusstsein finden, vgl. dazu bereits obige Ausführungen, S. 399 ff. 149  Siehe insofern nochmals oben S. 246 ff. 150  Vgl. dazu Jakobs, Strafrecht AT, 17 / 18. 151  Vgl. insofern auch Röttger, Unrechtsbegründung, S. 70 Fn. 190. 152  Siehe zu diesem Gedankengang bereits Rössner, Keller-GS, S. 221. 153  Lackner / Kühl, StGB, Vor § 13 Rn. 25. – Deshalb erledigt sich auch der Ansatz von Roxin (siehe dazu oben Fn. 814 (Kap. 3)), der meint, die Schuld zu einem bloßen Untermerkmal einer außergesetzlichen Kategorie der „Verantwortlichkeit“ herabstufen zu dürfen. Damit ist allerdings nicht gesagt, dass Präventionsaspekte keinen Platz im Straftatsystem haben könnten. Nur stehen sie nicht mit dem Schuldbegriff in unmittelbarer Verbindung; sie sehen sich vielmehr in der tatbestandsmäßi-

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Kap. 4: Eigene Grundlegung

Weiterhin ist den rein normativen, insbesondere durch den Finalismus beförderten Schuldbegriffen entgegen zu treten.154 Nicht ein schlicht behauptetes Dafürkönnen, eine leere Vorwerfbarkeit kann den richtigen Anknüpfungspunkt bilden, sondern nur der Aufweis eines eigenständigen Unwerts kommt als konkretisierender Gesichtspunkt in Betracht. Der Schuldbegriff bliebe gänzlich offen, wollte man ihn ausschließlich negativ ­(Bejahung der Schuld beim Nichtvorliegen von Schuldausschließungs- und Entschuldigungsgründen) bestimmen. Eine argumentative Begründung der Schuld muss misslingen, wenn sie ohne Substanz daherkommt, sich in einem Werturteil über solche Fakten erschöpft, die bereits im Hinblick auf das Unrecht bewertet wurden. Der Täter hat demgegenüber einen Anspruch darauf, zu erfahren, warum man ihm die rechtswidrige Tat zum Vorwurf macht. Einfach formuliert: Ihm steht die Angabe eines materiellen Grundes zu. Diesen kann die hier vertretene Position unschwer in der geistigen Wertverletzung, der unrechtlichen Einzeltatgesinnung des Täters finden. Demnach ist klar, dass es sich bei der Schuld um einen quantifizierbaren Begriff mit eigenständigem Inhalt handelt. Ebenso wie man den Gehalt des Unrechts nicht über die Rechtfertigungsgründe ermittelt, ist an die Substanz der Schuld nicht alleine über die Entschuldigungsgründe zu gelangen. Der Schuldausschluss wird erst verständlich, wenn der Schuldsachverhalt ermittelt ist. Auch im Rahmen der Schuld bedarf es also einer expliziten Differenzierung in begründende und ausschließende Merkmale.

I. Die gesetzliche Beschreibung der geistigen Wertverfehlung – die Schuldbegründung Ist einmal der eigenständige Gehalt der Schuld herausgearbeitet, nimmt es nicht wunder, dass es nicht nur einen Unrechts-, sondern ebenfalls einen Schuldtatbestand geben muss.155 Es wäre auch höchst erstaunlich, wenn sich das Schuldstrafrecht einer Typisierung des deliktischen Schuldgehaltes enthielte, wo doch das grundgesetzlich verankerte Prinzip gesetzlicher Bestimmtheit (Art. 103 II GG) gerade im Strafrecht besondere Beachtung verlangt. Der Schuldtatbestand umfasst nun all diejenigen Merkmale, die die deliktstypische geistige Wertverfehlung charakterisieren – nicht aber gen Strafwürdigkeit als dem dritten Element der Straftat verortet, siehe dazu an dieser Stelle nur Langer, Sonderstraftat, S. 107 f., 141 ff., sowie unten S. 451 ff. 154  Siehe dazu oben S. 251 ff., insb. Fn. 549 (Kap. 3). – Vgl. ferner Schmidhäuser, Jescheck-FS, S. 499 f. 155  Langer, Sonderstraftat, S. 113 Fn. 32: Die Begriffsbildung des Schuldtatbestandes „setzt eben die Erkenntnis von der Existenz […] eines selbständigen […] Schuldsachverhalts zwingend voraus.“



B. Die tatbestandsmäßige Schuld429

dessen Voraussetzungen (das Unrecht und die Schuldfähigkeit).156 Er typisiert ausschließlich die unrechtliche Einzeltatgesinnung. Die Schwierigkeit, dessen Merkmale im Gesetz eindeutig aufzufinden, liegt nun vor allem darin, dass die Schuld notwendig auf das Unrecht bezogen ist und sich diese Abhängigkeit zwangsläufig in der Tatbestandsstruktur niederschlägt. In diesem Sinne unmittelbar vom Unrecht abhängig ist – wie bereits der Name unweigerlich zum Ausdruck bringt – dann auch das Schuldmerkmal der sog. Unrechtseinsicht oder synonym des Unrechtsbewusstseins (vgl. §§ 17, 20 StGB). Man hat sich insofern vor Augen zu führen, dass sich der Schuldtatbestand allerdings nicht alleine in der gesetzlichen Vertypung des Erfordernisses (des potentiell oder auch aktuell) unrechtsbewussten Verhaltens erschöpfen kann, sondern dass es einer Verbindung mit den Merkmalen der gesetzlichen Unrechtscharakterisierung bedarf. Erst durch die Bezugnahme, also etwa auf eine fahrlässige Tötung (§ 222 StGB), wird deutlich, welchen Unrechts sich der Täter hätte bewusst werden können und müssen. Insofern dienen zwar die gleichen gesetzlichen Merkmale zur Charakterisierung der Verstehensgrundlage des abhängigen Schuldgehalts wie auch zu derjenigen des Unrechtsgehaltes einer Straftat, damit wird jedoch nicht der Unrechtstatbestand selbst zum Bestandteil des Schuldtatbestandes.157 Beide dogmatischen Begrifflichkeiten behalten ihre systematische Eigenbedeutung. Einfacher aufzufinden sind demgegenüber die selbständigen, die zum Unrecht nur in mittelbarer Beziehung stehenden Schuldelemente, die allerdings – wie einzuräumen ist – im Rahmen der Fahrlässigkeitsstraftaten keine echte Bedeutung erlangen. Gleichwohl sei beispielhaft die sog. Bereicherungsabsicht beim Betrug gemäß § 263 I StGB genannt. Dort ist der notwendige Verwerflichkeitsgrad unrechtlicher Gesinnung erst beim Nachweis der „Absicht, sich oder einem Dritten einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen,“ erreicht – bloßes (aktuelles) Unrechtsbewusstsein ist insofern nicht genügend. Auf die unabhängigen Schuldmerkmale ist noch exkursorisch zurückzukommen; nicht zuletzt ihre Existenz unterstreicht die Notwendigkeit, einen materiellen Schuldgehalt zu fundieren und einen Schuldtatbestand zu bilden. Nun haben wir uns jedoch zunächst mit dem für die Fahrlässigkeitsstraftat unmittelbar bedeutsamen, vom Unrecht abhängigen Schuldmerkmal – dem potentiellen Unrechtsbewusstsein, in Abgrenzung zum aktuellen – zu beschäftigen.

156  Siehe 157  Siehe

dazu, wie zum Ganzen, ausführlich Langer, Sonderstraftat, S. 113 ff. nur Langer, Sonderstraftat, S. 115.

430

Kap. 4: Eigene Grundlegung

1. Die Fahrlässigkeit als Schuldform, als potentielles ­Unrechtsbewusstsein Wie bereits mehrfach im Rahmen der Arbeit angedeutet, handelt es sich beim Unrechtsbewusstsein um das die wertwidrige Gesinnung des Täters zentral vertypende Merkmal. Es ist als erlangbares die Mindestbedingung jeglicher Rechtsschuld und stellt die Grundform geistiger Wertverfehlung dar.158 Als vom Unrecht abhängiges Merkmal ist es oben deshalb explizit bezeichnet worden, da das Gewicht der durch seinen Nachweis begründeten Schuld durch die Art des zugrundeliegenden Unrechts bestimmt wird. So wiegt die Schuld der unrechtsbewussten Tötung offensichtlich schwerer, als es bei der unrechtsbewussten körperlichen Misshandlung eines anderen Menschen der Fall ist. Ist damit dargetan, dass sich der Verwerflichkeitsgrad in unmittelbarer Relation zum Unrecht zeigt, ist nun nochmals ausdrücklich zu betonen, dass die Schuld als Straftatelement selbst in zwei verschiedenen Formen aufweisbar ist, die sich ebenfalls mit Gewichtsbezeichnungen im Sinne von schwer(er) und leicht(er) umschreiben lassen, nämlich einerseits als aktuelles und andererseits als potentielles, d. h. erlangbares Unrechtsbewusstsein. Potentialität meint insofern, dass der Täter die unerlaubte Rechtsgutsverletzung in der konkreten Situation mit seinen konkreten Fähigkeiten hätte erkennen können. Es handelt sich hier um die – wenn man so sagen will – „dritte“ Erkennbarkeit,159 die für das Fahrlässigkeitsdelikt relevant wird. Diese Erkennbarkeit ist die von den §§ 15 ff. StGB gesetzlich nicht näher definierte Fahrlässigkeit: Fahrlässig handelt (oder unterlässt), wer die Möglichkeit hat, das Unerlaubte seines unrechtstatbestandsmäßigen Verhaltens zu erkennen.160 Kurz: Fahrlässigkeit ist die Erlangbarkeit der Unrechtseinsicht. Aktuelles Unrechtsbewusstsein stellt dagegen die schwerere Schuldform – den Vorsatz – dar. So verhält sich vorsätzlich, wer die Möglichkeit der Unrechtseinsicht zum Unrechtsbewusstsein aktualisiert hat und sich auch dadurch nicht von seinem unrechtstatbestandsmäßigen Verhalten abhalten lässt.161 Ein solch vorhandenes aktuelles Wissen um das Unerlaubauch ausdrücklich Langer, Sonderstraftat, S. 111. zu den anderen Erkennbarkeiten nur oben, S. 396, 402. 160  Die Fahrlässigkeit als potentielles Unrechtsbewusstsein zu definieren, ist erstmalig von Langer, Sonderverbrechen, S. 356 f., in das strafrechtswissenschaftliche Gespräch eingeführt worden, siehe ferner nur Langer, Sonderstraftat, S. 116, 131 ff. 161  Die hier nicht weiter zu erläuternde Definition des Vorsatzes ist akribisch dargelegt und gegen andere Auffassungen abgesichert worden von Langer, Sonderstraftat, S. 116 ff.; dort auch zu der immer wieder zu vernehmenden, durch bloßes Repetieren nicht überzeugender werdenden Behauptung, der Gesetzgeber habe sich mit der Einführung des § 17 StGB für die sog. Schuldtheorie entschieden (so jüngst wieder einmal Bülte, NStZ 2013, 67). Auch Herzberg, Otto-FS, S. 265 ff., und ders., JuS 2008, 385 ff., sieht sich inzwischen ganz zu Recht nicht mehr gehindert, die 158  So

159  Siehe



B. Die tatbestandsmäßige Schuld431

te der Tat verlangt ein vorrangiges – auf der Unrechtsebene verankertes – aktuelles Tatbewusstsein: Ist die Voraussetzung der sog. „Tatumstandskenntnis“ nicht erfüllt, hat eine Bestrafung aus Vorsatzdelikt zu unterbleiben (vgl. § 16 I S. 1 StGB).162 Andererseits kommt für die Fahrlässigkeitsstraftat auch ein aktuell tatbewusstes Verhalten in Betracht. § 16 I S. 2 StGB bringt nur zum Ausdruck, dass die „Strafbarkeit wegen fahrlässiger Begehung“ bei fehlender Tatumstandskenntnis „unberührt [bleibt]“, womit die sog. Tatfahrlässigkeit angesprochen ist, äußert sich aber nicht, ob und inwieweit es noch andere Fahrlässigkeitsfälle gibt. Das potentielle Tatbewusstsein stellt also lediglich die Mindestvoraussetzung eines Fahrlässigkeitsdelikts auf der Unrechtsebene dar.163 Handelt der Täter mit aktuellem Tat- und potentiellem Unrechtsbewusstsein, spricht man von sog. Rechtsfahrlässigkeit.164 Demgegenüber kann es aktuelles Unrechtsbewusstsein beim Fahrlässigkeitsdelikt – per definitionem – nicht geben.165 Nachdem in Übereinstimmung mit der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung damit Vorsatz und Fahrlässigkeit als Schuldformen erkannt sind,166 gilt es nunmehr, die Einzelmomente des potentiellen Unrechtsbewusstseins, der Fahrlässigkeit genauer klarzulegen. Dabei ist der Zeitpunkt, wann das (potentielle) Unrechtsbewusstsein vorzuliegen hat, mit dem des Tatbewusstseins identisch: Das heißt es muss dem die Tat begründenden Vorsatzstrafe in der Sache nur noch bei aktuell unrechtsbewusstem Verhalten zu verhängen. Vgl. ferner Freund, Strafrecht AT, § 7 Rn. 89, der nachdrücklich herausstreicht, dass „das fehlende Unrechtsbewusstsein ein echtes Problem vorsätzlichen Handelns oder Unterlassens [betrifft]. Wer hier unter Hinweis auf die Regelung des § 17 kein Problem des Vorsatzes und der Vorsatzbestrafung, sondern nur ein solches der möglicherweise geminderten oder ausgeschlossenen Schuld sieht, greift zu kurz.“ Vgl. außerdem Fakhouri Gómez, GA 2010, 274, die zum Ergebnis gelangt, „dass auch die Kenntnis des Verbots notwendiges Element des Vorsatzes ist“ und dass eine solche Konzeption mit den §§ 16, 17 StGB in Einklang zu bringen ist. Zum „dolus malus“ siehe ferner noch Jakobs, Rudolphi-FS, S. 107 ff. 162  Aus der Negativfassung des § 16 I S. 1 StGB lässt sich demgegenüber nicht folgern, dass die Tatumstandskenntnis zwingender Bestandteil des Vorsatzbegriffs sein müsse, in diese Richtung argumentierend aber MK-Joecks, § 16 Rn. 1: „Offenbar ist das Wissen um Tatumstände ein konstitutives Element des Vorsatzes.“. 163  Vgl. insofern auch die Anmerkungen oben, S. 399 ff. 164  Siehe dazu bereits die obigen Ausführungen zu Engischs Herleitung, S. 102; außerdem noch unten, S. 442 ff. 165  Die von Schlehofer und Herzberg verfochtene Gegenauffassung, es gebe auch bei der Fahrlässigkeitstat Fallgestalten mit Unrechtsbewusstsein, fußt auf der im Rahmen dieser Arbeit ausführlich widerlegten Prämisse, die Verletzung sog. objektiver Sorgfaltspflichten begründe tatbestandliches Unrecht, siehe insofern nur oben S.  379 f. 166  Siehe nur jüngst BGH, NStZ-RR 2012, 369 f., sowie BGH, NStZ 2011, 338 f.; ferner exemplarisch BGHSt 36, 1, 10, sowie RGSt 64, 30, 31.

432

Kap. 4: Eigene Grundlegung

Handeln unmittelbar vorgängig sein („bei Begehung der Tat“); keinen inhaltlichen Unterschied wird es begründen, wenn mitunter gefordert wird, dass die Möglichkeit, zur Unrechtseinsicht zu gelangen, „im Zeitpunkt der Tat“167 gegeben sein müsse.168 Größere Schwierigkeiten bereitet dagegen der Aufweis von Gegenstand und Umfang des (potentiellen) Unrechtsbewusstseins, obwohl insofern in der Sache weit weniger Streit bestehen wird als es gemeinhin den Anschein hat. Einigkeit besteht zunächst darüber, dass ein (erlangbares) Wissen um die bloße Sittenwidrigkeit der Handlung nicht ausreichend sein kann.169 Nicht zu verlangen ist andererseits, dass der Täter die Strafbarkeit oder die das Verbot enthaltende gesetzliche Vorschrift erkennen können muss; so ist es unter Verwendung einer Formulierung des Bundesgerichtshofs genügend, „wenn der Täter die vom Straftatbestand umfaßte spezifische Rechtsgutverletzung als Unrecht“ erkennen kann.170 Dies deckt sich auch mit den Ergebnissen der herrschenden Literaturstimmen, die ebenfalls kein (potentielles) Wissen des Täters um die Strafbarkeit bzw. Sanktionierbarkeit seines Verhaltens verlangen, sondern eine (potentielle) Einsicht für hinreichend erachten, „dass die Tat Unrecht von der im Tatbestand beschriebenen Art ist“.171 Wenn demgegenüber im Schrifttum mitunter „ein Mehr“ an Wissen gefordert wird, zum Beispiel dass der Täter (potentielle) Kenntnis haben müsse, „dass seine Handlung gegen eine sanktionsbewährte Norm des positiven Rechts verstößt“,172 wenn also zumindest sprachlich ein „formeller“ Bezugspunkt in den Vordergrund rückt, fühlen sich die Autoren jedoch sogleich bemüßigt, kund zu tun, dass dies freilich nicht bedeute, dass der Täter „genaue Kenntnis des Gesetzesparagraphen“ besitzen müsse173. Regelmäßig wird dann – weiter abschwächend – gefol167  So

mir).

exemplarisch Rudolphi, Unrechtsbewusstsein, S. 217 (Hervorhebung von

168  Vgl. auch Schmidhäuser, Strafrecht AT-LB, 10 / 66. – Würde man dagegen echte Gleichzeitigkeit des Bewusstseins mit dem Handeln verlangen, könnte das Unrechtsbewusstsein nicht mehr als „Vermeidemotiv“ dienen können. 169  Siehe dazu nur MK-Joecks, § 17 Rn. 10; Roxin, Strafrecht AT I, § 21 Rn. 12. – Dies stellt auch Schmidhäuser, JZ 1989, 423 f., ausdrücklich heraus; bereits Schmidhäuser, Hellmuth Mayer-FS, S. 329, hatte deutlich gemacht, dass es eines Bewusstseins des Verstoßes gegen die „in der Gesellschaft lebendigen Bestandteile der Rechtsordnung“ bedarf. 170  BGHSt 15, 377, 382 f.; hinzuweisen ist allerdings darauf, dass der BGH die Definition dort im Hinblick auf das aktuelle Unrechtsbewusstsein entwickelte. 171  Siehe nur Lackner / Kühl, StGB, § 17 Rn. 2. – Vgl. ferner S / S-Sternberg-Lieben / Schuster, § 17 Rn. 5; Valerius, NStZ 2003, 342 f. 172  So ausdrücklich NK-Neumann, § 17 Rn. 21 ff.; ähnlich formuliert Neumann, BGH-FG IV, S. 97. – Siehe ferner Groteguth, Norm- und Verbots(un)kenntnis, S.  111 ff.; MK-Joecks, § 17 Rn. 13 ff.; Otto, Allgemeine Strafrechtslehre, § 13 Rn. 41; LK11-Schroeder, § 17 Rn. 7; diesen nahestehend Müssig, NStZ 2009, 425. 173  So exemplarisch Otto, Allgemeine Strafrechtslehre, § 13 Rn. 41.



B. Die tatbestandsmäßige Schuld433

gert: „Wer um das rechtliche Verbot qua Zivil- oder Verwaltungsrecht weiß, hat ebenso wie der, der um die Sozialschädlichkeit oder Sittenwidrigkeit seines Tuns weiß, allen Anlass, sich um das auch strafrechtliche Verbotensein seines Tuns zu kümmern.“174 Dass man auch mit der – bereits von Feuerbach aufgrund seiner Theorie des psychischen Zwangs erhobenen175 – Forderung nach einer „echten“ Strafbarkeitskenntnis kaum Ernst machen kann, zeigt sich schon in einfachen Alltagserfahrungen, insbesondere aber in der täglichen Arbeit der Strafgerichte. Dort wird es gerade nicht die Regel sein, dass der Täter über die Qualität des von ihm verwirklichten Unrechts „reflektiert“ hat, welche nachteilige Rechtsfolge176 sein Verhalten auslösen wird; er wird – wenn er nicht lediglich ein diffus schlechtes Gewissen gehabt hat (was für die Bejahung des Unrechtsbewusstsein nicht hinreichend wäre) – oftmals nur darum gewusst haben, dass sein Verhalten „juristisch nicht in Ordnung geht“.177 Was hinsichtlich einer postulierten aktuellen Strafbarkeitskenntnis als Ergebnis Geltung beansprucht, muss auch für eine potentielle Wirkung entfalten: Der Täter braucht also nicht erkennen zu können, dass seine Tat in einem positiven Gesetz oder gar einem Strafgesetz mit negativen Folgen versehen ist, sondern es genügt für das potentielle Unrechtsbewusstsein die erlangbare Vorstellung, dem Recht zuwider zu handeln, das heißt dass er sich in angemessenen Begriffen über den Verstoß gegen die rechtlichen Grundanforderungen bewusst werden kann. Es kommt also nur darauf an, ob der Täter die Möglichkeit hatte, das Unrecht in seiner Laiensphäre geistig nachzuvollziehen.178 Wollte man tatsächlich mehr verlangen, bedeutete dies – um zu einer Strafbarkeit zu gelangen – in nicht wenigen Fällen, mit bloßen Unterstellungen arbeiten zu müssen.179 Potentielles Unrechtsbewusstsein verlangt nicht, dass dem Täter bei der Begehung der Tat so viel Zeit zur Verfügung gestanden haben muss, um das Verbotene seines Tuns gedanklich reflektieren zu können.180 Auch bei sog. 174  In diesem Sinne explizit MK-Joecks, § 17 Rn. 16, mit dem abschließenden Hinweis, dass „die praktischen Konsequenzen einer solchen erhöhten Anforderung an das Unrechtsbewusstsein relativ gering“ sind. 175  Zu Feuerbachs Fundierung des Unrechtsbewusstseins siehe nur Rudolphi, Unrechtsbewusstsein, S.  48 ff. 176  Exemplarisch: Auch in den Medien misslingt regelmäßig die Unterscheidung von Ordnungswidrigkeiten und Straftaten; aber selbst die Abschichtung von Zivilund Strafverfahren scheint nicht zum Allgemeingut zu gehören. 177  In diesem Sinne auch Walter, Der Kern des Strafrechts, S. 303 f. 178  Siehe dazu schon oben den Fließtext bei Fn. 1023 (Kap. 3). 179  Vgl. dazu auch oben Fn. 1146 (Kap. 3). 180  Hans-Wilhelm Schünemann, NJW 1980, 738 insb. Fn. 48, meint jedoch, dass der Bundesgerichtshof der Auffassung nahe stehen könnte, dass es einer gedankli-

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Kap. 4: Eigene Grundlegung

raschen Taten liegt regelmäßig erlangbares Unrechtsbewusstsein vor. So bedarf es keines sprachgedanklichen Vollzugs, sondern es genügt, wenn der Täter die Möglichkeit hatte, das Unrechtsbewusstsein sachgedanklich „im Erleben von unwerthaften Bildern“ zu vollziehen.181 Dieses psychologische Phänomen ist es wohl auch, dass die Schwierigkeit untermauert, den Inhalt des Unrechtsbewusstseins auf einen Begriff zu bringen. Im Strafverfahren wird der Täter zwar vom Rechtsstab angehalten, über sein seelisches Erleben der Tat, seine Gedanken zu berichten, um dessen etwaiges Unwerterleben in der Tatsituation verstehen und bewerten – beurteilen – zu können; nur ist das Reden über Gedanken notwendigerweise über die Möglichkeiten der Sprache vermittelt und es kann sein, dass „wir dabei den Hergang des Denkens unumgänglich verfehlen. Denn wir denken nicht immer wie man spricht, sondern wir denken oft, wie man nur denken und nicht auch sprechen kann, nämlich direkt zu den Sachen, die wir zwar durch Sprache kennengelernt und für unser Denken verfügbar bekommen haben, nun aber auch ohne Sprache im Bewußtsein gegenwärtig haben können.“182 Dass man teilweise meint, dieses unter Umständen blitzschnelle Sachdenken müsse auch gesetzliche Differenzierungen – zum Beispiel die Abschichtung von Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht – erfassen, erscheint jedenfalls sachfremd. Es ist für das potentielle Unrechtsbewusstsein genügend, wenn der Täter sich sachgedanklich hätte sagen können: „Halt! Vielleicht darf ich nicht! Zunächst muss ich prüfen!“.183 Hätte der Täter also sog. „Unrechtszweifel“ erlangen können, ist das für die Fahrlässigkeit genügend.184 Mitunter wird dies als sog. Möglichkeitstheorie bezeichnet.185 chen Reflexion über das Verbotensein bedürfe. Er stützt sich dazu auf die Formulierung in BGHSt 2, 194, 201 f.: „…das nicht tut, was ihm als Unrecht klar vor Augen steht …“. 181  In diesem Sinne beispielsweise Schmidhäuser, NJW 1975, 1811. Ausführlich zur Unterscheidung von sog. Sprach- und Sachdenken, Schmidhäuser, Hellmuth Mayer-FS, S. 322 ff. – Krauß, in: Unrechtsbewusstsein, S. 39, zeichnet die von der herrschenden Strafrechtsdogmatik gemachte Differenzierung dahingehend nach, dass „einmal getroffene Wertentscheidungen, zumal solche von Wichtigkeit, gleichsam gespeichert und in einer späteren Entscheidungssituation in Sekundenbruchteilen abgerufen werden können“; dieser Abruf erfolgt „auf dem kurz-schlüssigen Wege des Sachdenkens“, so dass „zeitlich verzögerte Entscheidungen des Sprachdenkens“ nicht mehr erforderlich sind. – Vgl. ferner Roxin, Strafrecht AT, § 21 Rn. 27 f.; sowie Zabel, GA 2008, 46, der das „sachgedankliche Mittbewusstsein“ für die „Bestimmung der (Un-)Rechtseinsicht“ als ausreichend kennzeichnet. 182  Schmidhäuser, Hellmuth Mayer-FS, S. 324  f.; ähnlich Schmidhäuser, Strafrecht AT-LB, 10 / 74. 183  Grundlegend insofern Schmidhäuser, Hellmuth Mayer-FS, S. 338; siehe auch Schmidhäuser, Strafrecht AT-LB, 10 / 107. 184  Vgl. insofern auch S / S-Sternberg-Lieben / Schuster, § 17 Rn. 5 m. w. N., dort findet die Diskussion wie allgemein üblich allerdings im Hinblick auf das aktuelle



B. Die tatbestandsmäßige Schuld435

Abschließend ist noch kurz darauf hinzuweisen, dass es inzwischen berechtigterweise unumstritten sein dürfte, dass das (potentielle) Unrechtsbewusstsein tatbestandsbezogen ist: Sind mehrere Tatbestände verwirklicht, schließt das (potentielle) Bewusstsein, einen dieser Tatbestände zu verwirklichen, eine fehlende (potentielle) Einsicht hinsichtlich eines anderen nicht aus; Rechtsprechung und Literatur verwenden insofern regelmäßig den Begriff der „Teilbarkeit“ des Unrechtsbewusstseins.186 185

Für die vom Rechtsanwender vorzunehmende Bewertung, wann genau der Täter Unrechtsbewusstsein erlangen konnte, ist auf insbesondere von der Rechtsprechung herauspräparierte Topoi zurückzugreifen. Besonders hilfreich sind in diesem Zusammenhang wiederum die die ergangenen Urteile sichtenden und aufbereitenden Monographien von Duttge und Sauer.187 Zwar meint Duttge, dass die von ihm gewählte Kennzeichnung der Fahrlässigkeit – „Die Fahrlässigkeit liegt nicht im ‚Überschreiten des erlaubten Risikos‘, sondern in seiner individuellen Erkennbarkeit“188 – bereits das Unrechtsbewusstsein statt; ausführlich zum Ganzen außerdem Dimakis, Zweifel an der Rechtswidrigkeit, insb. S. 25 ff. 185  So zum Beispiel von Leite, GA 2012, 691, der einer solchen Fundierung (a. a. O., S. 691) vorhält, sie führe „zu einer faktischen Ausdehnung der Verbote: Denn vom Täter wird nicht nur die Unterlassung von Handlungen verlangt, die ex ante verboten sind, sondern auch von Handlungen, die aus seiner Sicht möglicherweise […] verboten sind, d. h. eventuell aber auch erlaubt sind.“ Und weiter: Man komme zu einer „merkwürdigen Normentheorie, der zufolge schon ungünstige Rechtsmeinungen und nicht erst das Gesetz den Handlungsspielraum der Bürger einzuschränken vermögen“ (a. a. O., S. 694 f.); der kluge Bürger, „der Strafe mit Sicherheit vermeiden will, muss also schon Handlungen unterlassen, die lediglich möglicherweise verboten sind.“ (a. a. O., S. 695). Dem ist einerseits zu widersprechen: Nicht eine dadurch bedingte „Normentheorie“ ist merkwürdig, sondern lediglich die Normentheorie, die Leite (und auch die herrschende Meinung) meint folgern zu müssen. So formuliert nicht das Gesetz an den einzelnen Bürger adressierte rechtliche Bestimmungsnormen, sondern der Bürger wird bestenfalls von seiner Vorstellung von Recht, von seinem Pflichtempfinden in seinem Tun und Unterlassen geleitet (siehe dazu ausführlich oben, S. 333 ff.). Deshalb ist andererseits der – Leite wohl unpassend erscheinenden – Feststellung zuzustimmen, dass der Kluge bzw. Vorsichtige tatsächlich einhalten wird (nicht: muss), möchte er Strafe vermeiden. Der Bürger ist in gewisser Hinsicht selbst zur „Normengebung“ aufgerufen. Damit werden diese eigenständig gebildeten „Normen“ aber keine rechtlichen. Selbige sind „nur“ notwendig, um zu gewährleisten, dass der Einzelne den Anforderungen des Rechts auch Folge leisten konnte, d. h. die Möglichkeit hatte, es hinreichend nachzuvollziehen. 186  Siehe dazu Neumann, BGH-FG IV, S. 97 ff.; dort auch mit weiteren Hinweisen zum Rechtsprechungswandel des BGH; ausführlich auch Rudolphi, Unrechtsbewusstsein, S. 77 ff.; ferner noch S / S-Sternberg-Lieben / Schuster, § 17 Rn. 8. 187  Zu Duttge und Sauer vgl. bereits oben, S. 403 f. 188  MK-Duttge, § 15 Rn. 107.

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Kap. 4: Eigene Grundlegung

Handlungsunrecht prägen soll, aber was sollte eine solche Erkennbarkeit anderes sein als das Schuldmerkmal des potentiellen Unrechtsbewusstseins, als die dem individuellen Täter gegebene Möglichkeit, das Unerlaubte seines Tuns einzusehen?189 Hier dagegen konnte gezeigt werden, dass – ganz im Sinne eines abschichtenden Vorgehens – im Rahmen des Unrechtstatbestandes der Prüfung eines fahrlässigen Deliktes nur nach der individuellen Erkennbarkeit des vertypten Rechtsgutsangriffs, dem potentiellen Tatbewusstsein als Mindestbedingung zu fragen ist und erst im Rahmen des Schuldtatbestandes eine umfassendere – auch das Werterleben des Täters einbeziehende – Prüfung zu erfolgen hat. Nochmals ist festzuhalten, dass potentielles Unrechtsbewusstsein auf der Schuldtatbestandsebene zwingend potentielles Tatbewusstsein auf der Unrechtstatbestandsebene voraussetzt: Konnte der Täter schon das tatbestandlich umschriebene gefährliche Verhalten nicht erkennen, ist auch das Unrechtsbewusstsein nicht erlangbar. Die bereits im Rahmen der „subjektiven Intensität des Tatobjektsangriffs“ benannten Bewertungsgesichtspunkte entfalten sodann auch hier Relevanz,190 allerdings unter Bezugnahme auf einen verbreiterten Gegenstand – nämlich die rechtswidrige Tat. Exemplarisch: Dem Täter muss es in der konkreten Tatsituation möglich gewesen sein, das Unerlaubte seines Verhaltens zu erkennen; er musste aufgrund seiner Lebenserfahrung auf unwertbehaftete Bilder von Verletzungen des in Rede stehenden Rechtsgutes zurückgreifen können.191 Diese hier als Bilder bezeichneten ähnlichen Tatsituationen können durch höchstpersönliche Erlebnisse und Fähigkeiten erlangt worden sein, etwa durch Studium und Beruf, aber auch durch einfache Alltagserfahrungen, wie das unvorsichtige Ablegen eines vermeintlich nicht mehr glimmenden Streichholzes auf die Tischdecke oder das Beiwohnen an einem vermeidbaren Verkehrsunfall. Die ferner von der Konzentrations- und Kombinationsfähigkeit192 sowie der dem Täter in der Tatsituation zur Verfügung stehenden Zeit abhängige Erlangbarkeit des Unrechtsbewusstseins ist ebenso wie das Tatbewusstsein ein graduierbarer und fließender Begriff. Er umfasst den Bereich zwischen aktuellem Unrechtsbewusstsein (Vorsatz) und unvermeidbar fehlendem Unrechtsbewusstsein (Straflosigkeit). Eine besonders schwer wiegende Form dieser potentiellen Unrechtseinsicht hat das Strafgesetzbuch an 189  Siehe

dazu bereits vor allem oben S. 376 ff.; ferner S. 374 f. dazu nur nochmals insb. S. 403 f. 191  Vgl. dazu auch Langer, Sonderstraftat, S. 111 f. 192  S / S-Sternberg-Lieben / Schuster, §  17 Rn. 16, sprechen diesbezüglich vom Einsatz aller „intellektuellen Erkenntnismittel“; Löw, Erkundigungspflicht, S. 282 f., verlangt insofern ein „Nachdenken“ des Täters. – Als sog. Erkenntnismittel kommt selbstverständlich auch die Einholung von Rechtsauskünften in Betracht, siehe dazu ferner die Ausführungen zur Rechtsfahrlässigkeit, insb. bei Fn. 241 (Kap. 4). 190  Siehe



B. Die tatbestandsmäßige Schuld437

über 20 Stellen ausdrücklich vertypt. Die Rede ist von der „Leichtfertigkeit“, man beschaue sich insofern nur die Brandstiftung mit Todesfolge, § 306c StGB. Die Abstufung hinsichtlich der soeben aufgewiesenen unterschiedlichen Bewusstseinsgrade lässt sich auch besonders schön im Rahmen des § 109g IV StGB nachvollziehen, dort differenziert das Gesetz folgendermaßen: „nicht wissentlich, aber vorsätzlich oder leichtfertig“. Die Schwere der Schuld, die Vorwerfbarkeit der Tat nimmt mit einem Weniger an Unrechtsbewusstsein ab. Verlangt die Wissentlichkeit als besondere Form des Vorsatzes sicheres aktuelles Unrechtsbewusstsein des Täters, erfordert „einfacher“ Vorsatz bloß aktuelles Unrechtsbewusstsein, wohingegen die Leichtfertigkeit als besondere Form der Fahrlässigkeit erst beim Nachweis besonders leicht erlangbaren Unrechtsbewusstseins bejaht werden kann;193 die schwächste Schuldform, die „einfache“ Fahrlässigkeit hat der Strafgesetzgeber an dieser Stelle augenscheinlich nicht für strafwürdig erachtet. Auch hier zeigt sich wieder, dass Vorsatz- und Fahrlässigkeitsdelikt gleichlaufend strukturiert sind, sie unterscheiden sich notwendig nur im Merkmal der „Einsicht, Unrecht zu tun“. 2. Besondere Schuldtatbestandsmerkmale Dass der Gesetzgeber – soweit ersichtlich – von einer Positivierung besonderer Schuldtatbestandsmerkmale194 im Rahmen der reinen Fahrlässigkeitsstraftaten keinen Gebrauch gemacht hat, ist bereits oben angedeutet worden.195 Ungeachtet dessen erscheint eine exkursorische Behandlung dieser angezeigt, da nicht zuletzt die Existenz von schuldsteigernden gesetzlichen Gesinnungsmerkmalen196 die Richtigkeit des hier zugrunde gelegten materiellen Schuldbegriffs aufweist, sich aber diesbezüglich insbesondere im jüngeren Schrifttum beachtlicher Widerspruch regt. Exemplarisch: Ein besonderes Schuldtatbestandsmerkmal, das den Verwerflichkeitsgrad über das durch die Unrechtseinsicht begründete Maß hinaus unabhängig erhöht, ist beim Mordmerkmal der „Habgier“ im Sinne des 193  Natürlich verlangt die im Rahmen des Schuldtatbestandes verortete „Leichtfertigkeit“ bereits auf der Unrechtstatbestandsebene besonders leicht erlangbares Tatbewusstsein. Auch der Bundesgerichtshof betont zu Recht, dass man den „Begriff der Leichtfertigkeit als vorsatznahe Schuldform“ zu interpretieren habe, siehe nur BGHSt 43, 158 ff. 194  Vgl. dazu auch die Ausführungen bei Langer, Sonderstraftat, S. 133 ff. 195  Ein solches Unterlassen steht im sachgebundenen Ermessen der Legislative. Durchaus vorstellbar wäre es aber etwa, wenn der Gesetzgeber leichtfertiges Handeln „aus Habgier“ oder „aus Gewinnsucht“ pönalisierte. 196  Zu diesen siehe ausführlich Schmidhäuser, Gesinnungsmerkmale, insb. S.  202 ff.

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Kap. 4: Eigene Grundlegung

§ 211 StGB gegeben. Ist ein solches vertyptes selbständiges Gesinnungsmerkmal erfüllt und damit ein hinzukommender Unwert geistiger Wertverfehlung gegeben, dann ist der deliktische Schuldgehalt der Tat gesteigert. Dass sich einige gesetzliche Merkmale kaum anders als im Sinne von Gesinnungsmerkmalen verstehen lassen, müssen auch die Gegner eines Schuld­ begriffs unrechtlicher Einzeltatgesinnung konzedieren.197 Man mag die Gesinnungsmordmerkmale mit guten Gründen für ungeeignet halten, gleichwohl sind sie Gesetz. Andere Versuche, einen eigenständigen Schuldsachverhalt herauszuarbeiten, wie die Schuld als ein „Defizit an kommunikativer Loyalität“198 bzw. schuldhaftes Handeln als „eine die gemeinschaftlich erarbeitete und individuell erlebte Freiheit verfehlende Weltinterpreta­ tion“199 beschreiben zu wollen, erscheinen in dieser Hinsicht wenig passend, obwohl den Ansätzen zugute zu halten ist, den Versuch angetreten zu haben, ein materielles Moment der Schuld zu fundieren. 3. Klarstellende Einzelfolgerungen a) Willensschuld und unbewusste Fahrlässigkeit – der Indeterminismus als notwendige Prämisse? Zurückzukommen ist an dieser Stelle noch auf den (Willens-)Schuldgehalt der unbewussten Fahrlässigkeit. Wir haben insbesondere im Rahmen der Erörterung der rechtsgeschichtlichen Entwicklung sehen können, dass gerade dessen Begründung größte Schwierigkeiten bereitete. Aber auch heute wird ausdrücklich ausgeführt, dass es vom Standpunkt eines auf Willensfreiheit gegründeten Schuldkonzepts nicht möglich sei, zu einer fundierten Schuldbegründung zu gelangen; vielmehr habe man sich einzugestehen, dass insofern nur wegen kriminalpolitischer Notwendigkeit gestraft werde,200 was aber letztlich zu einer der Schuldidee widersprechenden Generalisie197  So dann auch explizit Hörnle, JZ 1999, 1080 ff., 1089, die wohl einem reinen Zuschreibungsbegriff, einem materiell entleerten Begriff der Schuld das Wort redet. – Interessant zu erfahren wäre es im Übrigen, wie zum Beispiel eine Verortung der sog. Bereicherungsabsicht beim Betrug gemäß § 263 StGB im Rahmen des Unrechtstatbestandes überzeugend gelingen sollte, vgl. dazu nur Schmidhäuser, Strafrecht BT, 11 / 6, oder wie man eine angebliche Rechtsgutsrelevanz der „Aneignungsabsicht“ beim Diebstahl nach § 242 StGB und damit eine Verortung im Unrecht nachweisen sollte (ohne Begründung anders freilich LK-Vogel, § 242 Rn. 151); dagegen richtigerweise für Schuldbegründung Meister, Zueignungsabsicht, S. 271 ff., 218 ff. 198  Vgl. zu dem auf Kindhäuser, ZStW 107 (1995), 701 ff., zurückgehenden Ansatz bereits oben Fn. 684 (Kap. 3). 199  So Zabel, Schuldtypisierung, S. 402. – Kritisch insofern Jakobs, HRRS 2007, 232 ff., insb. 234. 200  Spilgies, ZIS 2010, 490 ff., 493.



B. Die tatbestandsmäßige Schuld439

rung des Tatschuldvorwurfs führe.201 Nun haben wir allerdings ausdrücklich zu hinterfragen, ob es tatsächlich eines solch klaren Bekenntnisses zur Prämisse philosophischer Willensfreiheit bedarf.202 Im Hinblick auf die vorangegangenen Erläuterungen sollte es jedoch nicht sonderlich verwundern, dass die Frage verneinend zu beantworten ist. Weder die Feststellung der Schuldfähigkeit noch die „subjektive Zurechnung“ verlangen eine Stellungnahme dahingehend, ob der Täter als der, der er ist, in seinem Wollen frei war. Notwendig – aber auch hinreichend – hat für die Rechtsgemeinschaft die Feststellung zu sein, dass der geistig gesunde Täter mit dem unerlaubt verletzten Wert generell vertraut war und in der spezifischen Tat­ situation jedenfalls genügend Assoziationsmaterial zur Verfügung hatte, um sich des Verfehlten seiner Verhaltensweise bewusst zu werden.203 Für den Schuldvorwurf ist damit also gerade nicht vorausgesetzt, dass dem Täter ein indeterministisches Andershandelnkönnen nachgewiesen werden kann. Dies wäre auch ein unmögliches Unterfangen: „Der Mensch müßte uns, und wir selbst müßten uns jeweils voll Objekt sein können, wenn wir die Freiheitsfrage wollten beantworten können.“204 Nicht nur aus diesem Grunde, sondern auch aufgrund ihres inneren Widerspruchs sind all diejenigen Theorien als prima facie unplausibel zu verwerfen, die an der Willensfreiheit als zwingender Voraussetzung strafrechtlicher Schuld festhalten, aber sogleich einräumen, dass es ein unmögliches Unterfangen darstelle, das Vorliegen dieser Freiheit im Strafprozess zu ermitteln; die im Schrifttum teilweise bemühte Krücke einer analogischen Schuldfeststellung205 kann an diesem Befund freilich nichts ändern.206 Der wohl ewig dauernde Streit zwischen Indeterminismus und Determinismus bedarf aber – jedenfalls für das Strafrecht – keiner Beantwortung:207 Es ist der Nachweis genügend, dass sich der Täter in der Tatsituation für das Unerlaubte entschieden hat, obwohl es ihm aus seiner Sicht möglich gewesen wäre, sich für das Recht und gegen das Unrecht zu entscheiden. Mitunter wird eine solche Auffassung als „Lehdazu auch Rudolphi, in: Unrechtsbewusstsein, S. 19. insofern Spielgies, ZIS 2007, 161: Es sei unabweisbar, dass eine indeterministisch verstandene Willensfreiheit im Sinne der „ganz h. M. im Strafrecht für den Schuldvorwurf vorausgesetzt werden muss.“ 203  Siehe dazu nur Schmidhäuser, Strafrecht AT-StB, 7 / 13. 204  Schmidhäuser, Jescheck-FS, S. 498. 205  Vgl. insofern nur oben 242  f., insb. Fn. 479 (Kap. 3). Mit einem solchen Vorwurf ist unweigerlich eine Entindividualisierung der Schuld verbunden. 206  So schon Burkhardt, Maiwald-FS, S. 81, dort auch m. w. N. (Fn. 5). 207  Nur im Ergebnis stimmt die teilweise stark verkürzende Ausarbeitung von Schiemann, ZIS 2012, 777, mit der hier vertretenen Position überein: „Die Frage, ob die Entscheidungen eines Menschen determiniert sind oder nicht, muss aus strafrechtlicher Sicht nicht geklärt werden.“ 201  Vgl. 202  Vgl.

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Kap. 4: Eigene Grundlegung

re von der Maßgeblichkeit subjektiver Freiheit“ bezeichnet.208 Begreift man also nicht eine metaphysisch verstandene Freiheit des Einzelnen als feste Setzung, sondern rekurriert auf die „Welt des Geistes“, lösen sich auch die angeblichen Schwierigkeiten um die Ermittlung des (Willens-)Schuldgehalts der sog. unbewussten Fahrlässigkeit in Luft auf: Es muss dem Täter gerade nicht der (tatsächlich unmögliche209) Nachweis erbracht werden, dass sich sein postuliert freier Wille auf den tatbestandlichen Erfolg bezogen habe. Für den Schuldspruch ist es vielmehr hinreichend, dass der Täter den zugrunde liegenden Wert geistig missachtet hat: Er hätte das Unrechtsbewusstsein erlangen können. Bestenfalls führt dies nach der Prozessbeendigung, dem Erzählen der Geschichte, dem Dialog über die Schuld dazu, dass der Täter vor seinem eigenen Gewissen sich sagt, so wie ich gehandelt habe, durfte ich nicht und ich hätte es erkennen können.210 Eines Nachweises von philosophischer Willensfreiheit bedarf es dazu nicht.211

208  Burkhardt, Maiwald-FS, S. 79 ff., insb. 83. – Vgl. weiterhin nur die Autoren Hirsch, ZIS 2010, 65 ff., und Lackner / Kühl, StGB, Vor § 13 Rn. 26. – Auch Haddenbrock, NStZ 1995, 581 (Hervorhebungen von mir), betont, dass „die ‚freie Willensbestimmung‘ oder ‚Steuerungsfähigkeit‘ i. S. von §§ 20, 21 StGB nichts zu tun hat mit menschlicher Willensfreiheit.“ Er stellt ferner klar: „In der nur Menschen zueigenen Selbst-, Lebens-, und Situationsbesinnung formt sich normalerweise eine bestimmte Werthaltung, die persönliche Gesinnung. Ihrgemäß handeln wir dann, präsentprospektiv im Freiheitsbewusstsein vor Alternativen uns entscheidend“. Um sodann mit der Feststellung zu schließen, dass es eines Paradigmenwechsels vom „Ideologicum Willensfreiheit zum Anthropologicum Geistesfreiheit“ bedarf. – Erinnert sei insofern auch an das Bonmot von Max Ernst Mayer (ausführlich zu diesem oben, S. 73 ff.), Die schuldhafte Handlung, S. 100: „Die Menschheit ist zum Indeterminismus determiniert.“ 209  Der clevere Täter wird beim Vorwurf sog. unbewusster Fahrlässigkeit einwenden: „Wie hätte ich denn anders handeln können? Ich hatte ja noch nicht einmal die Tatsituation richtig erfasst. Meinen Willen hätte ich doch nur anders bilden können, wenn ich ausreichendes Wissen gehabt hätte. Bereits dieses aber fehlte mir. Fehlerhaftes Wissen könnt ihr mir womöglich vorwerfen, fehlerhaften Willen aber nicht!“ Vgl. dazu auch Spilgies, ZIS 2010, 491. 210  Vgl. zum Anerkennen der eigenen Verfehlung, dem sog. „Selbstwiderspruch“ auch Köhler, Die bewußte Fahrlässigkeit, S. 133 ff., der jedoch von einer überempirisch fundierten Autonomie des Subjekts ausgeht (siehe bereits oben S. 32). Auch Kindhäuser, ZStW 107 (1995), 709 ff., betont den der Schuld zugrundeliegenden Selbstwiderspruch; er schlägt insofern eine Brücke zum „Kommunitarismus: Selbstwiderspruch des Täters als Staatsbürger“. 211  Gleichwohl wird man weiterhin von (inhaltlich modifizierter) Willensschuld sprechen können, ist doch im Recht die geistige Wertverletzung notwendigerweise auf das rechtsgutsverletzende Willensverhalten bezogen. Die als unrechtliche Einzeltatgesinnung definierte Schuld bedingt auch insofern eine realen Strafbedürfnissen entsprechende klarstellende Neuausrichtung. – Siehe dazu und zum Ganzen vor allem Schmidhäuser, Jescheck-FS, S. 485 ff., insb. 498 f.



B. Die tatbestandsmäßige Schuld441

b) Bewusste Fahrlässigkeit? Dass im Rahmen dieser Arbeit bisher darauf verzichtet wurde, explizit zwischen der sog. bewussten und unbewussten Fahrlässigkeit zu differenzieren, fußt schlicht darauf, dass diese freilich nicht unübliche Unterscheidung für sachwidrig erachtet wird.212 Sie ist teleologisch ohne Belang, was in der Sache auch im Schrifttum kaum bestritten werden dürfte – insbesondere wenn man betont, dass zwischen beiden gerade kein „Stufenverhältnis“ besteht.213 Einzig die Autoren, die – meist aufgrund rechtsphilosophischer Grundlegung – lediglich die bewusste für strafbar halten, werden dem nachdrücklich entgegen treten.214 Allerdings konnte hier gezeigt werden, dass es sehr wohl möglich ist, einen Schuldbegriff zu fundieren, der insbesondere praktischen Strafbedürfnissen gerecht wird.215 Im Übrigen ist Folgendes zu bedenken: Wenn weite Teile der Literatur diese Rechtsfigur aber offensichtlich deshalb für unverzichtbar erachten, um eine saubere Scheidung zum bedingten Vorsatz, dem dolus eventualis zu ermöglichen,216 fußt dies auf einem Missverstehen(-Wollen) der sog. Möglichkeitstheorie. Die insofern behaupteten Schwierigkeiten entfallen, wenn man erkennt, dass sich der Täter in Fällen der sog. bewussten Fahrlässigkeit „bei Begehung der Tat“ nicht (oder nicht mehr) der konkreten Möglichkeit des Gefahreintritts bewusst ist.217 Bei derartigen Sachverhalten schließt der Täter vielmehr dessen konkrete Möglichkeit aus.218 Was er ggf. zu einem früheren Zeitpunkt gedacht hat, hat unberücksichtigt zu bleiben; es kommt alleine auf das (potentielle) Sachdenken zum Zeitpunkt des Handlungsbeginns an, auf das „Endstadium“219 seiner Überlegungen.220 Richtig ist es, wenn im Falle des Autofahrers, der pünktlich zum Dienst erscheinen will und aus diesem Grunde seine Eile nicht zügelt, auf einer schmalen Landstraße während des 212  Treffend Jakobs, Kühl-FS, S. 289: „Bewusste Fahrlässigkeit ist – sit venia verbo – ein Unbegriff“. 213  Siehe insofern auch den Fließtext bei Fn. 605 (Kap. 3). 214  Vgl. insofern nur oben S. 32  ff. – Vgl. noch ergänzend Börchers, Schuldprinzip und Fahrlässigkeit, S. 152 ff., 196 ff. 215  Siehe dazu die soeben gemachten Ausführungen, S. 438 f. 216  Vgl. dazu nur Roxin, Strafrecht AT, § 12 Rn. 21  ff., der mit gutem Erfolg versucht, der ergangenen Literaturflut Herr zu werden. 217  Siehe insofern nur Schmidhäuser, Strafrecht AT-StB, 7 / 101. 218  Dies exemplifiziert auch Schmidhäuser, Oehler-FS, S. 153 Fn. 49. 219  So die Formulierung bei Schmidhäuser, Strafrecht AT-LB, 10 / 95. 220  Neben der Sache liegt es, wenn Herzberg, JuS 1987, 780, behauptet, man dürfe nicht „das Denkbare verleugnen“ und den Tätern „sozusagen verbieten, auch noch während ihres Handelns oder überhaupt erst dann das Risiko zu erkennen.“ Es kommt für das Vorliegen von Tat- und Unrechtsbewusstsein eben auf den Zeitpunkt an, der dem die Tat begründenden Handeln unmittelbar vorgängig ist.

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Kap. 4: Eigene Grundlegung

Berufsverkehrs im dichten Nebel einen Lastzug überholt und dabei einen entgegenkommenden Rad- oder Motorradfahrer tödlich verletzt, typischerweise keine vorsätzliche, sondern lediglich eine fahrlässige Tötung zu bejahen.221 Bei Einleitung des Überholmanövers wird sich der Autofahrer sagen: „Jetzt wird mir das Überholen ohne Kollision mit Gegenverkehr gelingen.“222 Der Täter wird ein konkretes Gefahrbewusstsein gerade nicht haben:223 „Käme er zu einer anderen Einschätzung der Situation, müsste es sich schon um einen Selbstmordkandidaten handeln oder um jemanden, der ‚Russisches Roulette‘ mit sich und anderen spielen möchte, wenn er trotz zutreffender Situationsanalyse dennoch überholt.“224 c) Die Rechtsfahrlässigkeit Besondere Beachtung ist nun nochmals dem Problemkomplex der sog. Rechtsfahrlässigkeit zu schenken, d. h. solchen Fällen, in denen der Täter mit aktuellem Tatbewusstsein, aber lediglich erlangbarer Unrechtseinsicht handelt. Ein wiederholtes Aufgreifen dieser Rechtsfigur ist gerade deshalb geboten, da die herrschende Auffassung zu anderen als hier für richtig erachteten Ergebnissen gelangt. Bekanntlich wollen sämtliche der sog. Schuldtheorien225 (grundsätzlich) auch dann wegen Vorsatz- und nicht wegen des ggf. korrespondierenden Fahrlässigkeitsdeliktes strafen, wenn der Täter zwar Kenntnis der (positiven) Tatumstände hat, aber vermeidbar ohne 221  Fall nach Wessels / Beulke / Satzger, Strafrecht AT, Rn. 217; ähnlich Schmidhäuser, JuS 1980, 244 f. 222  Siehe insofern Freund, Strafrecht AT, § 7 Rn. 60; vgl. ferner noch ausführlich Frisch, Vorsatz und Risiko, S. 215 ff., 327 ff. 223  Wessels / Beulke / Satzger, Strafrecht AT, Rn. 217, bezeichnen die Verdrängung des konkreten Gefahrbewusstseins allerdings als Fiktion. Gleichlaufend Küpper, ZStW 100 (1988), 761: Die Möglichkeitstheorie manipuliere die Wissensseite, „um sonst drohende Folgen auszuschließen.“ Ob hier nicht eher von der Gegenauffassung manipuliert wird, um die lieb gewonnene – aber in der Sache aufgegebene – Vorsatzdefinition als „Wissen und Wollen der Tatbestandsverwirklichung“ zu retten, mag hier dahinstehen. Nur am Rande: Wer wollte ernsthaft behaupten eine für ausreichend erachtete „Billigung im Rechtssinne“ (vgl. insofern nur BGHSt 7, 369) stelle ein echtes voluntatives Element dar? – Die Rechtsprechung scheint sich neuerdings zumindest im Nebenstrafrecht der Möglichkeitstheorie annähern zu wollen, siehe insofern BGH NStZ 2012, 161 Rn. 26 a. E. Duttge, HRRS 2012, 361, hält zu der Entscheidung berechtigterweise fest: „Das voluntative Element findet sich im Begründungszusammenhang geradezu ‚eleminiert‘ “. 224  Dies stellt Freund, Strafrecht AT, § 7 Rn. 60, richtigerweise heraus. 225  Diese Theorien sehen sich dadurch geeint, dass (Tatbestands-)Vorsatz und Unrechtseinsicht strikt voneinander geschieden werden. Das Unrechtsbewusstsein soll ein selbständiges Schuldmerkmal darstellen, vgl. für den ersten Überblick Lackner / Kühl, StGB. § 15 Rn. 34.



B. Die tatbestandsmäßige Schuld443

Unrechtsbewusstsein handelt. Dies soll allerdings nicht für diejenigen Fälle gelten in denen der Täter über die tatsächlichen Voraussetzungen eines anerkannten Rechtfertigungsgrundes irrt: Beim sog. Erlaubnistatbestandsirrtum komme allenfalls eine Strafe in Höhe des fahrlässigen Deliktes in Betracht,226 obwohl auch insofern nicht ernstlich daran gezweifelt werden kann, dass es sich in der Sache um einen Verbotsirrtum handelt.227 Aus hiesiger Sicht ist eine solche Abkehr von den Konsequenzen des eigenen schuldtheoretischen Ansatzes zwar nachdrücklich zu begrüßen, mutet aber deshalb besonders merkwürdig an, da es die in der Strafrechtspraxis nahezu allein relevante Fallgruppe fehlenden aktuellen Unrechtsbewusstseins darstellt.228 In den übrigen Fällen des vermeidbaren Verbotsirrtums, d. h. bei nur potentiell nachweisbarem Unrechtsbewusstsein soll dagegen aus Vorsatzdelikt zu strafen sein. Ein passendes Strafmaß könne insofern über die Anwendung des § 17 Satz 2 StGB erzielt werden. Zwar statuiert das Gesetz dort tatsächlich eine Milderungsmöglichkeit, allerdings handelt es sich bei dieser ausdrücklich um eine bloß fakultative. Dem § 17 Satz 2 StGB liegt offensichtlich der Gedanke zugrunde, dass es zumindest einige Fälle gibt, in denen trotz fehlender Unrechtseinsicht, dem Täter die Kann-Milderung gerade nicht zuteil zu werden hat. Wenn die Schuldtheorien nun jedoch behaupten, es handle sich beim Unrechtsbewusstsein um ein selbständiges Schuldmerkmal, gleichzeitig aber die Auffassung vertreten, die Vorsatzstrafe könne bereits bei bloß potentiellem Unrechtsbewusstsein verhängt werden, kann die Unrechtseinsicht entgegen ihrer Grundlegung kein Merkmal mit eigenständigem Gewicht sein, „weil die Schuld des im Verbotsirrtum handelnden Täters begriffsnotwendig um dieses angeblich ‚selbständige Schuldelement‘ geringer ist als dies eines unter im übrigen gleichen Voraussetzungen unrechtsbewußt handelnden.“229 Anders gewendet: Muss es aufgrund der eindeutigen Gesetzesfassung Fälle geben, in denen die Milderungsmöglichkeit nach § 17 Satz 2 StGB bei bloß erlangbarem Unrechtsbewusstsein zu versagen ist, kann das vermeintlich selbständige Schuldelement vorhandener Unrechtseinsicht keines darstellen, da die sich einzig im Merkmal der Aktualität bzw. Potentialität des Unrechtsbewusstseins unterscheidenden Fälle jeweils zu ungemilderter – „gleicher“ – Vorsatzstrafe führen sollen. Die „herrschende Meinung“ müsste sich also konsequenterweise 226  Vgl. diesbezüglich nur S / S-Sternberg-Lieben / Schuster, § 16 Rn. 16  ff., dort auch zu umfangreichen Literaturangaben und zu den verschiedenen, äußerst heterogenen Spielarten „der“ eingeschränkten Schuldtheorie; zur Vorsatzstrafe gelangt dagegen die sog. strenge Schuldtheorie, vgl. a. a. O., Rn. 15, siehe dazu auch bereits oben Fn. 46 (Kap. 4); vgl. ferner noch Langer, GA 1976, 209 f. 227  Vgl. insofern auch Wessels / Beulke / Satzger, Strafrecht AT, Rn. 469. 228  In diesem Sinne ausdrücklich Langer, Sonderstraftat, S. 121. 229  So Langer, Sonderstraftat, S. 123.

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Kap. 4: Eigene Grundlegung

dazu bekennen, dass die Unrechtseinsicht kein Merkmal der Vorsatzstrafe bilden kann – eine mit dem Schuldgrundsatz kaum zu vereinbarende und deshalb grundsätzlich nicht gezogene Konsequenz.230 Will man bei der Rechtsfahrlässigkeit, bei dem im vermeidbaren Verbotsirrtum Handelnden zur vollen Vorsatzstrafe kommen, negiert man letztlich die Bedeutung des Unrechtsbewusstseins für die Schuld. Festzuhalten bleibt damit, dass die Schuldtheorien an einer widersprüchlichen Deutung des § 17 Satz 2 StGB leiden.231 Keine größeren Schwierigkeiten tun sich demgegenüber auf, wenn man die dort benannte Vermeidbarkeit als Milderungsmöglichkeit in Fällen erlangbarer Unrechtseinsicht bei aktuellem Tatbewusstsein begreift.232 Somit besteht für die Rechtsfahrlässigkeit – als Unterfall der Fahrlässigkeit – demnach eine fakultative Strafbarkeitsmilderung. Diese im Gegensatz zum Normalfall der Tatfahrlässigkeit (d. h. in Fällen potentiellen Unrechtsbewusstseins bei erlangbarem Tatbewusstsein) eingeräumte Kann-Vorschrift erscheint auch nicht unsachgerecht. So sind durchaus Fallgestalten denkbar, in denen die geistige Wertverfehlung unter dem am Durchschnittsfall der Tatfahrlässigkeit ausgerichteten Strafrahmen liegt und insofern eine typisierte Schuldmilderung passend erscheint:233 Man denke etwa an den Irrtum des Täters bei objektiv strittigen Rechtsfragen oder an das in einen eingeholten Rechtsrat gesetzte Vertrauen, das sich aber aufgrund einer irreführenden Sachverhaltsschilderung als unrichtig erweist234, so dass es letztlich nicht als per se „unerfindlich“ bezeichnet werden kann, „warum die durch Verbotsirrtum verursachte Fahrlässigkeit gegenüber der Tatfahrlässigkeit durch § 17 S. 2 StGB noch weiter gemildert werden sollte.“235 Andererseits ist damit nicht gesagt, dass die Rechtsfahrlässigkeit immer oder auch nur 230  Vgl. dazu aber auch NK-Neumann, § 17 Rn. 53 f.; ferner schon Warda, ZStW 71 (1959), 254, 258, der auf dem Boden der Schuldtheorie stehend die Kann-Milderung beim vermeidbaren Verbotsirrtum gar für verfassungswidrig hält, a. a. O. zusammenfassend, 280. 231  Siehe zum Ganzen Langer, Sonderstraftat, S. 122 ff. – Keine Lösungsmöglichkeit bietet freilich die von Schmidhäuser, Oehler-FS, S. 159 Fn. 65, lediglich hilfsweise aufgezeigte Variante, dass man „§ 17 S. 2 für den Fall des vermeidbaren direkten Verbotsirrtums als (kritikwürdige) Vorsatzdefinition gelten lassen [muß]: die an sich nicht vorsätzliche wird doch als vorsätzliche bezeichnet und bestraft.“ 232  So explizit bereits Langer, GA 1976, 216 f., siehe dort auch zum Ganzen; vgl. ferner noch Schmidhäuser, JZ 1979, 369. 233  Siehe dazu schon Langer, GA 1976, 217. 234  Vgl. BGHSt 20, 372 ff. – Dass es über diesen politisch äußerst brisanten Fall hinaus wenig einschlägige Judikatur gibt, liegt in der Natur der Sache: Staatsanwaltschaften und Instanzgerichte werden diese Fälle äußerst geringer Rechtsschuld nicht selten durch praxisgerechte Anwendung der strafprozessualen Einstellungsmöglichkeiten (vgl. §§ 153 ff. StPO) erledigen, bzw. werden – ganz im Sinne der Vorsatztheorie – wegen fehlender Fahrlässigkeitstatbestände gar nicht auf die Idee kommen, ein Verfahren zu betreiben.



B. Die tatbestandsmäßige Schuld445

grundsätzlich weniger schwer wiegen würde als der im § 16 I Satz 2 StGB angesprochene Normalfall bereits fehlenden Tatbewusstseins. Auch insofern ermöglicht die fakultative Strafbarkeitsmilderung das Finden sachangemessener Ergebnisse. Festzuhalten bleibt: Das Gesetz meint mit dem Merkmal „fahrlässig“ also ausdrücklich nicht allein die Tatfahrlässigkeit, sondern ebenfalls die Rechtsfahrlässigkeit.236 235

Äußerst begrüßenswert ist demgegenüber die neuerdings verstärkt auszumachende Hinwendung, (wenigstens) den an Tat- und Rechtsfahrlässigkeit anzulegenden Maßstab – die „Vermeidbarkeit“237 – gleich zu behandeln.238 Allerdings verficht der Bundesgerichtshof seit einer frühen Entscheidung augenscheinlich eine differierende Position:239 So könnten die für die (Tat-) Fahrlässigkeit geltenden Grundsätze „nicht ohne weiteres für die Beantwortung der Frage verwendet werden, ob ein Verbotsirrtum verschuldet ist.“ Vielmehr habe „der Mensch bei allem, was er zu tun im Begriff steht, sich bewusst zu machen, ob es mit den Sätzen des rechtlichen Sollens im Einklang steht.“ In Bezug auf die „Erkenntnis der Rechtswidrigkeit“ habe man deshalb „höhere Anforderungen“ zu stellen „als hinsichtlich der Erkenntnis der Tatumstände selbst, weil mit der Tatbestandsmäßigkeit eines Verhaltens seine Rechtswidrigkeit in der Regel gegeben und dies allgemein bekannt ist.“240 Ob der Täter die Tatbestandsverwirklichung ausnahmsweise dennoch 235  So aber Roxin, Strafrecht AT, § 21 Rn. 11. – Der hiesigen Deutung kann man auch nicht mit Jakobs, Strafrecht AT, 19 / 15, entgegen halten, dass man die Fahrlässigkeit in jeder Form „bis zum Bagatellhaften“ minimalisieren könne; es geht einzig darum, ob die gesetzlich eingeräumte fakultative Strafrahmenherabsetzung begründbar erscheint. – Zaczyk, JuS 1990, 893, macht demgegenüber darauf aufmerksam, dass bei der Rechtsfahrlässigkeit „die zu überbrückende Distanz um mindestens einen gedanklichen Schritt größer […] als bei der Tatfahrlässigkeit [ist]“. 236  Ausdrücklich entgegengesetzt aber exemplarisch SK5-Samson, 12. Lieferung, Anh zu § 16 Rn. 1, mit der hinlänglich bekannten „Begründung“, das Gesetz habe sich mit § 17 StGB für die Schuldtheorie entschieden. 237  In der Sache ist Otto, Allgemeine Strafrechtslehre, § 13 Rn. 48, vollumfänglich beizupflichten: Die Vermeidbarkeitsprüfung beim Verbotsirrtum erweise sich „als klassischer Fall einer Fahrlässigkeitsprüfung.“ 238  Siehe dazu nur MK-Duttge, § 15 Rn. 27; NK-Neumann, § 17 Rn. 60; Jescheck / Weigend, Strafrecht AT, § 41 II 2 b; S / S-Sternberg-Lieben / Schuster, § 17 Rn.  14 f. 239  BGHSt 4, 242 f. – Vgl. ferner BGHSt 21, 20 f. Dass man erhöhte Vermeidbarkeitsanforderungen im Rahmen eines Verbotsirrtums zu stellen habe, wurde neuerlich im sog. „Mannesmann-Urteil“, BGH NJW 2006, 529, bestätigt. – Siehe zum Ganzen außerdem die Ausführungen von Roos, Vermeidbarkeit des Verbotsirrtums, S. 152 ff., der die BGH-Rechtsprechung nachzeichnet. 240  Allerdings wäre es äußerst interessant zu erfahren, wo der Bundesgerichtshof seine „Regel“ genau gefunden hat. Wenn sich unter Zugrundelegung der höchstrichterlichen Judikatur jeder klassische Friseur- oder Klinikbesuch als tatbestandliche Körperverletzung, jede Teilnahme am Autoverkehr als Nötigung und jede Gartenum-

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Kap. 4: Eigene Grundlegung

als erlaubt ansehen könne, habe er „deshalb besonders sorgfältig zu prüfen.“ Besieht man sich allerdings die sodann für die Prüfung verwendeten Kriterien, dass es nämlich darauf ankommen soll, ob der Betreffende nach seinen individuellen Fähigkeiten bei Einsatz aller seiner „Erkenntniskräfte“ und „sittlichen Wertvorstellungen“, unter Umständen auch durch „Erkundigung“,241 zur Unrechtseinsicht hätte kommen können,242 wird man begründete Zweifel hegen können, ob sich die gestrenge Handhabung der Rechtsfahrlässigkeit tatsächlich durch die eigene Definition veranlasst sieht.243 Die Formel von der sog. „Gewissensanspannung“244 ließe sich wohl auch im Sinne des Schrifttums deuten, das insofern verlangt, „dass der Täter Anlass hatte, die Rechtmäßigkeit seines Verhaltens zu prüfen, und es ihm möglich war, im Wege dieser Prüfung die Einsicht in die Rechtswidrigkeit seines Verhaltens zu gewinnen.“245 d) Der sog. Erlaubnistatbestandsirrtum bei den Fahrlässigkeitsdelikten Das vermeintlich „unentdeckte Problem“246 des Erlaubnistatbestandsirrtums bei der Fahrlässigkeitsstraftat ist keines – allenfalls ist es ein Scheinproblem.247 Gleichwohl widmet Börner dieser Rechtsfigur eine monographische Abhandlung und wählt unter anderem folgenden Fall zu deren Erläuterung:248 „Angenommen, der Täter wird tatsächlich angegriffen und gestaltung oder Bauhandwerkerreparatur als Sachbeschädigung erweisen soll, sich aber die Strafbarkeit letztlich immer aufgrund fehlender Rechtswidrigkeit ausschließen lassen soll, muss es doch mehr als nur fraglich erscheinen, der sog. Tatbestandsmäßigkeit einen besonderen Anlass zur Prüfung der Rechtswidrigkeit beizumessen. Vielmehr müsste für den BGH bei all diesen Sachverhalten gelten: Rechtfertigung als „Regelfall“. 241  Zur umfangreichen, keineswegs widerspruchsfreien Kasuistik hinsichtlich der Orientierung an Rechtsauskünften sowie Gerichtsentscheidungen siehe nur NKNeumann, § 17 Rn. 67 ff., sowie Löw, Erkundigungspflicht, S. 97 ff. 242  Siehe insofern lediglich BGHSt 4, 1 ff. 243  Berechtigterweise hält MK-Freund, Vor §§ 13 ff. Rn. 270 f., fest, dass die angebotenen Kriterien „für einen weiteren Anwendungsbereich offen sind“ und betont hinsichtlich der Kritik am BGH aus dem Schrifttum: „Wenn sich Unterschiede im Ergebnis zeigen, dürften diese weniger in den abstrakten Ausgangsformeln als vielmehr in deren praktischer Handhabung begründet sein.“ 244  Vgl. insofern bereits BGHSt 2, 194 ff. 245  So exemplarisch NK-Neumann, § 17 Rn. 62; vgl. auch Lackner / Kühl, StGB, § 17 Rn. 7. 246  So aber die ausdrückliche Kennzeichnung von Börner, GA 2002, 276. – Vgl. aber bereits oben nur Fn. 590 (Kap. 3). 247  Insoweit richtig auch Heuchemer, Erlaubnistatbestandsirrtum, S. 337 ff. 248  Daneben bespricht er diese Irrtumsproblematik an dem Fall der BGHSt 45, 378 ff., zugrunde lag; siehe dazu auch Mitsch, JuS 2000, insb. 849 ff.



B. Die tatbestandsmäßige Schuld447

gibt einen Warnschuss ab, der den Angreifer infolge Fahrlässigkeit tödlich verletzt. Wäre in diesem Fall auch ein vorsätzlicher Schuss geboten gewesen, ist § 222 StGB erst recht gerechtfertigt. Wird nun der diesem Fall zugrunde liegende Angriff aus der Realität in die Vorstellung des Täters verlegt, ergibt sich die Grundkonstellation der Putativnotwehr beim fahrlässigen Delikt.“249 Für die hier erarbeitete Straftatlehre ist die Falllösung im Hinblick auf die angesprochene fahrlässige Tötung denkbar einfach:250 Durch den abgegebenen Schuss hat der Täter eine Lebensgefahr für einen anderen Menschen geschaffen. Der eingetretene Tod ist dem Handelnden sodann auch objektiv zurechenbar: Es hat sich genau die von ihm geschaffene Gefahr im tatbestandlichen Erfolg realisiert. Weiter ist davon auszugehen, dass der individuelle Täter genügendes Assoziationsmaterial zur Verfügung gehabt hat, um den Eintritt seines lebensgefährlichen Verhaltens erkennen zu können;251 der Unrechtstatbestand ist demnach erfüllt. Mangels Vorliegens eines tatsächlichen Angriffs ist ferner eine Rechtfertigung nach § 32 StGB zu verneinen.252 Im Rahmen des Schuldtatbestandes stellt sich dann die Frage, ob der Schießende auch das Unrechtsbewusstsein erlangen konnte, d. h. ob er die Möglichkeit hatte, das Unerlaubte seines Tuns zu erkennen. Insofern wird es entscheidend darauf ankommen, ob dem Täter hinreichende Anhaltspunkte zur Verfügung standen, dass es sich insbesondere nicht um einen tatsächlichen Angriff handelte. Von einer diesbezüglichen Erlangbarkeit der Einsicht, Unrecht zu tun, wäre beispielsweise auszugehen, wenn der Täter sein in der Tatsituation nicht aktualisiertes Wissen abgerufen hätte, dass sich sein Kumpel Robert zu Zeiten des Karnevals immer als „Räuber“ verkleidet, um dann – wie jedes Jahr – einen „Überfall!“ mit einer leicht zu entlarvenden Wasserpistole mehr schlecht als recht darzubieten. Von fehlendem potentiellen Unrechtsbewusstsein des Täters wäre andererseits zu sprechen, wenn der perfekt verkleidete Robert einen täuschend echt 249  Börner,

GA 2002, 277. Jura 2013, 24 ff., scheinen die Möglichkeit einer Lösung der Fragestellung im Sinne der sog. (modifizierten) Vorsatztheorie dagegen nicht einmal ansatzweise für diskussionswürdig zu erachten. 251  Insofern bedürfte es allerdings weiterer Sachverhaltsangaben. Beispielsweise wäre zu hinterfragen, ob der Täter vor der Tatbegehung bereits Kenntnis vom Geladensein der Waffe erlangt hatte, dieses Wissen also beim Handlungsbeginn durch einfache Gedankentätigkeit hätte wieder aktualisieren können; ferner etwa, ob er als normal sozialisierter Bürger zu der Einschätzung gelangen konnte, dass ein schnelles Hochreißen der geladenen Waffe die Gefahr eines „Fehlgängers“ begründet etc. 252  Zu einem anderen Ergebnis kann nur gelangen, wer im Rahmen der Rechtfertigungsgründe auf die „Betroffenenperspektive“ abstellt, vgl. insofern Freund, Strafrecht AT, § 3 Rn. 9 ff.; sowie Freund / Telöken, ZJS 2012, 804 f.: entscheidend sei für die Ermittlung der „wirklichen(!) Notwehrlage“ die Sachlage, „die sich dem Betreffenden in der konkreten Situation darbietet“. 250  Ludes / Pannenborg,

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Kap. 4: Eigene Grundlegung

aussehenden (Spaß-)Überfall mit einer für einen Laien nicht identifizierbaren Scheinwaffe in einer Tankstelle außerhalb des „jecken Treibens“ inszenierte. In der ersten Variante hätte sich der Täter einer fahrlässigen Tötung nach § 222 StGB schuldig gemacht, die auch keiner fakultativen Milderung nach § 17 Satz 2 StGB zugänglich wäre, da dem Täter laut Sachverhaltsschilderung bereits aktuelles Tatbewusstsein fehlte – es handelte sich insofern um den Normalfall fahrlässigen Verhaltens (sog. Tatfahrlässigkeit, vgl. § 16 I Satz 2 StGB). In der zweiten Variante wäre dagegen die Schuld des Täters aufgrund fehlender Vermeidbarkeit des Verbotsirrtums nach § 17 Satz 1 StGB zu verneinen.253 e) Die gesetzliche Kombination von Schuldformen, insb. die sog. erfolgsqualifizierten Delikte, sowie die Leichtfertigkeit In verschiedenen Tatbeständen werden Vorsatz und Fahrlässigkeit ausdrücklich miteinander verbunden. Für die hier für richtig erachtete teleologische Straftatlehre tun sich insofern keinerlei Schwierigkeiten auf, da die beiden Schuldformen im Gegensatz zur herrschenden Meinung keinen differierenden Deliktsaufbau bedingen. Besonders praxisrelevant sind die Regelungen im Rahmen der Straßenverkehrsdelikte.254 Man beschaue sich insofern nur die §§ 315b IV, 315c III Nr. 1 StGB. Größere dogmatische Probleme bereiten aber seit jeher die Vorsatz und Fahrlässigkeit in besonderer Form verknüpfenden sog. erfolgsqualifizierten Delikte, deren Unrechts­ tatbestand den Tatbestand eines Grunddeliktes mit einem besonderen Erfolg verbindet. Der Gesetzgeber hat zunächst mit dem § 56 StGB a. F. und dem nur leicht veränderten heutigen § 18 StGB für derartige Taten nunmehr eine ausdrückliche Regelung geschaffen, dass die höhere Strafe nur den treffen soll, dem hinsichtlich der besonderen Folge „wenigstens Fahrlässigkeit zur Last fällt.“ Nicht wenige der erfolgsqualifizierten Delikte verlangen jedoch explizit mehr als diese einfache Fahrlässigkeit. So statuieren etwa die Vergewaltigung mit Todesfolge gemäß § 178 StGB oder der Raub mit Todes253  Börner, GA 2002, 276 ff., hat demgegenüber mit den von ihm ohne nähere Diskussion übernommenen Prämissen der sog. eingeschränkten Schuldtheorie zu kämpfen. Wenn er nach zähem Ringen abschließend (a. a. O., S. 286) zum Ergebnis gelangt, dass „§ 17 StGB aufgrund der Wertungen des bislang nur auf Vorsatzdelikte zugeschnittenen Erlaubnistatbestandsirrtums die für fahrlässige Taten anzuwendende Norm“ sei, mag das schlussendlich partiell zutreffend sein, nur ist bereits seine Grundlegung undurchführbar, siehe dazu nochmals oben, Fn. 590 (Kap. 3). 254  Am Rande sei bemerkt, dass Backmann, NZV 2013, 465 ff., wegen des „Zufallselements“ für den Bereich des Straßenverkehrs eine lediglich restriktive Fahrlässigkeitsbestrafung präferiert, wobei nicht klar wird, warum gerade (oder nur?) in diesem Bereich Einschränkungen geboten sein sollten.



B. Die tatbestandsmäßige Schuld449

folge nach § 251 StGB die „leichtfertige“255 Verursachung der genannten Folge. Nicht dagegen ist das Merkmal der Leichtfertigkeit im „Hauptbeispiel“ der erfolgsqualifizierten Delikte statuiert – der Körperverletzung mit Todesfolge gemäß § 227 StGB. Da dieser Tatbestand aufgrund seines deutlichen „Sanktionssprungs“ gegenüber einem Schuldspruch aus Körperverletzung in Tateinheit mit fahrlässiger Tötung (§§ 223, 222; 52 StGB) anerkanntermaßen besonders rechtfertigungsbedürftig erscheint,256 sind sodann zahlreiche Lösungsversuche präsentiert worden, um dem Gesamtproblem der massiv erhöhten Strafdrohungen durch (zumindest dem Gedanken nach) möglichst restriktive Handhabung zu begegnen. Dass jedoch der insofern angebotene „Unmittelbarkeitszusammenhang“257 kaum eine taugliche Lösung eröffnet, scheint auch mittlerweile die Rechtsprechung zu erkennen.258 Nicht zuletzt aufgrund der sonst auszumachenden erheblichen Schwierigkeiten, ein rein objektiv sachangemessen begrenzendes Institut zu benennen (sei es nun durch das Abstellen auf ein sog. Letalitäts-Kriterium oder durch den Nachweis eines spezifisch gesteigertes Gefahrenpotentials der Handlung),259 müssen vielmehr die Ansätze als naheliegend bezeichnet werden, die auch insofern eine gewisse Restriktion über das Merkmal der 255  Zu dieser „zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit“ stehenden Rechtsfigur siehe auch umfassend Birnbaum, Leichtfertigkeit, dort insb. S. 31 ff. zur geschichtlichen Entwicklung, sowie S. 85 ff. zu den bisherigen Erklärungsansätzen der Literatur. Kaum nachzuvollziehen ist es aber, wenn Birnbaum, a. a. O., S.  279 f., konzediert, dass man der Leichtfertigkeit, die richtigerweise „in materieller Hinsicht der Fahrlässigkeit“ zugordnet wird, „eine gewisse Nähe zum Vorsatz nicht absprechen“ kann, es aber – trotz dieser Nähe – augenscheinlich nicht einmal für erwägenswert hält, Vorsatz- und Fahrlässigkeitsstraftat gleichlaufend zu strukturieren, sondern „sich im Wesentlichen auf dem Boden der gängigen Strafrechtsdogmatik“ mit der ihr eigenen, auf der Aliud-These fußenden Fahrlässigkeitskonzeption (vgl. dazu umfassend oben S. 144 ff.) bewegen will, a. a. O., S. 144. 256  Lorenzen, Problematik der erfolgsqualifizierten Delikte, S. 156 f., meint gar, eine diesbezügliche Erklärung sei nicht zu leisten und gelangt zum Verdikt der Verfassungswidrigkeit. 257  So aber exemplarisch Wessels / Hettinger, Strafrecht BT / 1, Rn. 297 f. 258  Zumindest sind mehr als nur vorsichtige Distanzierungen vom Kriterium der Unmittelbarkeit auszumachen, vgl. nur BGH NStZ 2008, 278; vgl. ferner Engländer, GA 2008, 679 ff. 259  Vgl. dazu nur den kritischen Überblick über die vertretenen Positionen bei NK-Paeffgen, § 18 Rn. 22 ff. – Man beachte ferner Steinberg, NStZ 2010, 72 ff., 77, der nach Auswertung zahlreicher neuerer BGH-Entscheidungen zu der berechtigten Feststellung gelangt, dass der Gerichtshof nirgends deutlich macht, inwiefern die von ihm selbst verwendete Rechtsfigur des spezifischen Gefahrzusammenhangs „konkret über die Anforderungen an die objektive Zurechnung im Allgemeinen hinausgeht“. Nicht überzeugend ist allerdings die sodann, a. a. O., 77, folgende Einschätzung, die geringe Filterfunktion müsse insbesondere deshalb nicht sonderlich stören, da Einzelfallgerechtigkeit über die Anwendung von § 227 II StGB erzielt werden könne.

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Kap. 4: Eigene Grundlegung

Leichtfertigkeit zu erreichen versuchen.260 Der naheliegend scheinende Einwand, dem stehe der gesetzgeberische Wille mit seinem Verzicht auf das Leichtfertigkeitsmerkmal beim § 227 StGB entgegen, kann letztlich zu keinem anderen Ergebnis führen; vielmehr gebietet eine verfassungskonforme Auslegung die auch hier für richtig erachtete Interpretation. Dies gilt umso mehr, da sich das Leichtfertigkeitserfordernis als strafrahmensystematisch und dogmenhistorisch gestützt erweist.261 § 18 StGB verlangt dem Wortlaut nach „wenigstens“ Fahrlässigkeit, verwehrt aber nicht, ein restriktiveres Merkmal zugrunde zu legen. Dass die Leichtfertigkeit als „vorsatznahe“ Form der Fahrlässigkeit auf der Schuldtatbestandsebene als besonders leicht erlangbares Unrechtsbewusstsein zu definieren ist und damit im Rahmen des Unrechtstatbestandes bereits besonders leicht erlangbares Tatbewusstsein voraussetzt, konnte schon oben gezeigt werden.262

II. Der Schuldausschluss Ist auch der Schuldtatbestand mit all seinen Erfordernissen erfüllt, ist damit noch nicht gesagt, dass auch die Rechtsgemeinschaft die Tat zwingend als eine vorwerfbare qualifizieren muss. Ähnlich wie im Rahmen des Unrechtsausschlusses besteht nämlich die Möglichkeit, dass das Unwerturteil der Vorwerfbarkeit aufgrund der Berücksichtigung des gesamten Wertzusammenhangs entfällt.263 Lag der Betrachtung im Rahmen des Schuldtatbestandes noch eine isolierende Sicht – nämlich die nach der Verletzung des angegriffenen Rechtsgutes im geistigen Verhalten – zugrunde, setzt das Erheben des umfassenden Vorwurfs voraus, dass im Handlungsentschluss des Täters keine „im Ansatz sittlich zu bejahende Seite“ gefunden werden kann,264 wofür es einer Beurteilung sämtlicher Geschehensmomente bedarf. Lässt sich jedoch ein solcher Entschuldigungsgrund finden, entfällt die im Schuldtatbestand begründete Rechtsschuld. Als Beispiele sollen hier die 260  In diesem Sinne argumentieren nachdrücklich Freund, Frisch-FS, S. 685 ff.; NK-Paeffgen, § 18 Rn. 43 ff.; Paeffgen, JZ 1989, 223 ff.; Stuckenberg, Jakobs-FS, S. 703; siehe auch Wolter, GA 1984, 445, 448. 261  Dies arbeitet Stuckenberg, Jakobs-FS, S. 703, heraus. 262  Siehe nur oben S. 436  f. – Dass im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens zum Kreditwesengesetz (KWG) die Differenzierung zwischen Leichtfertigkeit und Fahrlässigkeit in diesem Teilbereich als „überholt“ bezeichnet wurde (BT-Drucksache 17 / 10974, S. 95 (Zu Nummer 93)), sollte ein Ausrutscher bleiben; vgl. dazu auch Wegner, HRRS 2012, 510 ff. 263  Siehe dazu und zum Folgenden nur Schmidhäuser, Strafrecht AT-StB, 8 / 1 ff.; sowie Langer, Sonderstraftat, S. 137 ff. 264  Vgl. dazu Schmidhäuser, Gesinnungsmerkmale, S. 200.



C. Die tatbestandsmäßige Strafwürdigkeit451

§§ 33, 35 StGB dienen; insofern tun sich aber keine rein fahrlässigkeitsspezifischen Probleme auf,265 womit eine vertieftere Auseinandersetzung an dieser Stelle verzichtbar erscheint. Demgegenüber bedarf noch die wohl herrschende Auffassung kritischer Würdigung, ob „anders als bei den Vorsatzdelikten“ die sog. „Zumutbarkeit normgemäßen Verhaltens“ tatsächlich „ein konstitutives Element der Fahrlässigkeitshaftung“ darstellt.266 Nach hiesigem Dafürhalten erscheint eine solche (Sonder-)Rechtsfigur allerdings verzichtbar. Insbesondere das die Notwendigkeit des Instituts angeblich begründende sog. Leinenfänger-Urteil267 würde heute – nicht zuletzt aufgrund moderner arbeitsrechtlicher Bestimmungen – wohl anders ausfallen.268 Die Verwerflichkeit des Tuns des Kutschers wäre – trotz der moralischen Interessenkollision – nicht so weit gemindert, dass die Rechtsgemeinschaft keinen Vorwurf gegenüber dem Täter erhöbe; die Verletzung fremder Interessen würde kaum als gänzlich verzeihlich bezeichnet werden – gleichwohl hätte man eine Schuldminderung zu konzedieren. Ungeachtet dieser immer wieder herangezogenen Einzelfallentscheidung muss es als wenig überzeugend bezeichnet werden, dass die „Zumutbarkeitsdoktrin“ nur im Rahmen der Fahrlässigkeitsstraftaten zu bemühen sein soll, da doch nicht nur bei diesem „Deliktstypus“ Fallgestalten denkbar sind, die an der Grenze zum § 35 StGB etc. liegen; überzeugender wäre es dann, einen allgemeine Geltung beanspruchenden übergesetzlichen Entschuldigungsgrund zu konzipieren.269 Eine Sonderdogmatik der „Unzumutbarkeit“ lediglich für die Fahrlässigkeits-, nicht aber für die Vorsatzdelikte zu proklamieren, ist jedenfalls abzulehnen.

C. Die tatbestandsmäßige Strafwürdigkeit Entgegen dem überwiegend durch die Literatur vermittelten ersten Anschein ist die Prüfung des fahrlässigen Deliktes mit der Bejahung von Unrechts- und Schuldtatbestand noch nicht zum Abschluss gebracht. Zwar besteht im Schrifttum in der Sache weitestgehend Einigkeit, dass es verschiedene Rechtsfiguren gibt, deren systematische Fundierung unabhängig von den gesetzlich benannten Systemstufen Unrecht und Schuld zu erfolgen hat, aber dies hat noch nicht zu der allgemeinen Erkenntnis geführt, dass es – nicht zuletzt aus praktischen Gründen – noch eines weiteren Elements des ist Roxin, Strafrecht AT, § 24 Rn. 109, beizupflichten. diesem Sinne argumentieren bekanntlich S / S-Sternberg-Lieben / Schuster, § 15 Rn. 204, siehe dazu ausführlich oben, S. 270 ff. 267  RGSt 30, 25 ff. 268  So auch MK-Duttge, § 15 Rn. 207, vgl. insofern schon oben Fn. 618 (Kap. 3). 269  In diesem Sinne Schmidhäuser, Strafrecht AT-StB, 8 / 38 ff. 265  Diesbezüglich 266  In

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Kap. 4: Eigene Grundlegung

allgemeinen Verbrechensbegriffs bedarf, um auch diese Phänomene sachlich angemessen erfassen und hernach beurteilen zu können. Der Aufweis dieser zunächst heterogen scheinenden Rechtsfiguren ist bislang vor allem im Hinblick auf die Vorsatzstraftaten geleistet worden. So haben nachdrücklich die sog. objektiven Bedingungen der Strafbarkeit die wissenschaftliche Diskussion befeuert, man denke etwa an den – freilich nicht unumstrittenen – Eintritt der schweren Folge im Rahmen der nach § 231 StGB strafbaren Beteiligung an einer Schlägerei, aber auch an die Rauschtat im Sinne des § 323a StGB.270 Ferner sind noch die Bagatellen bzw. Geringfügigkeitsfälle umfassender diskutiert worden,271 ohne dass es allerdings zu einer echten Klärung deren systematischer Verortung gekommen wäre. Daneben lässt die nicht zu leugnende Existenz gewisser „Ausschlussgründe“, die ersichtlich unabhängig von Unrecht und Schuld Bedeutung erlangen, die Notwendigkeit einer dogmatisch widerspruchsfreien Einordnung und Begründung deutlich zu Tage treten; insofern sei lediglich auf den Rücktritt vom Versuch gemäß § 24 StGB hingewiesen, der von der herrschenden Meinung als „persönlicher Strafaufhebungsgrund“272 gekennzeichnet wird und damit der Sache nach straftatsystematisch im luftleeren Raum schwebt. All diese – exemplarisch aufgewiesenen – rechtlichen Phänomene lassen sich gleichwohl einheitlich fassen, sie unterfallen dem dritten Straftatelement, der tatbestandsmäßigen Strafwürdigkeit. Diese neben tatbestandlichem Unrecht und tatbestandlicher Schuld bestehende weitere notwendig nachzuweisende Deliktsstufe ist erstmalig von Langer umfassend begründet,273 sowie gegen zwischenzeitlich vorgebrachte Einwände ausdrücklich abgesichert worden.274 Auf die insofern gemachten ausführlichen Darlegungen kann hier uneingeschränkt verwiesen werden, so dass an dieser Stelle eine umfassende Herleitung verzichtbar erscheint. Hier soll vielmehr geprüft werden, ob die bislang im hiesigen Straftatmodell (weitestgehend) noch „ohne Platz“ gebliebenen, im Rahmen der Fahrlässigkeitsdelikte aber stark diskutierten Rechtsfiguren der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung bzw. 270  Siehe für einem ersten Überblick über die insofern vertretenen Positionen nur Fischer, StGB, § 231 Rn. 5, sowie § 323a Rn. 17 ff. 271  Dies darf auch nicht verwundern, denn es sollte schlussendlich nicht ernstlich in Streit stehen, „dass der Einsatz des materiellen[!] Rechts nur dort am Platz ist, wo der Schutz der Rechtsgüter zwingend eine Bestrafung verlangt“, siehe insofern Diakonis, Geringfügigkeitsvorschriften, S. 13; vgl. ferner Kunz, Bagatellprinzip, S. 11. – Für weitere Literaturhinweise vgl. außerdem MK-Freund, Vor §§  13 ff. Rn.  207 ff. 272  Siehe nur Heger, in: Matt / Renzikowski, StGB, § 24 Rn. 3; Lackner / Kühl, StGB, § 24 Rn. 1. 273  Siehe dazu Langer, Sonderverbrechen, S. 274 ff., 327 ff., 360 ff. 274  Siehe nunmehr Langer, Sonderstraftat, S. 24 ff., 141 ff.; sowie ergänzend Langer, Otto-FS, S. 107 ff.



C. Die tatbestandsmäßige Strafwürdigkeit453

einverständlichen Fremdgefährdung sowie des sog. rechtmäßigen Alternativverhaltens insofern Berücksichtigung finden können. Die nun genauer zu kennzeichnende Strafwürdigkeit weist als Straftatelement notwendigerweise einen für das in Rede stehende Delikt spezifischen, vertatbestandlichten Unwertsachverhalt auf. Genau wie bei Unrecht und Schuld kann dieser nachzuweisende gesetzlich beschriebene, die jeweilige Straftat charakterisierende, selbständige Unwertgehalt in einem zweiten Wertungsschritt (durch das Messen an den Maßstäben der Strafrechtsordnung als Ganzer) entfallen. Die Strafwürdigkeit unterscheidet sich also in ihrer Struktur als doppelt gewerteter Sachverhalt, durch ihre Trennung in begründende und ausschließende Merkmale, nicht von den anderen beiden Elementen des Verbrechensbegriffs.275 Auch ist die Strafwürdigkeit trotz ihrer Eigenständigkeit von Schuld und Unrecht in gewissem Maße abhängig. So bestimmt sich das Gewicht der Strafwürdigkeit – als Relationsbegriff – zum einen durch das Gewicht der ihr zugrundeliegenden Schuld, sowie sich deren Gewicht wiederum durch das ihr zugrundliegende Unrecht (mit-)bestimmt sieht,276 zum anderen ist die Schwerebestimmung naturgemäß arteigen277 – sonst wäre die Strafwürdigkeit offensichtlich kein selbständiges Straftatelement. Einfach gewendet: Voraussetzung der tatbestandsmäßigen Strafwürdigkeit ist tatbestandsmäßige Schuld sowie tatbestandsmäßiges Unrecht.278 Der Klarlegung des im Gesetz positivierten Unwertgehalts der Strafwürdigkeit haben wir uns nun zuzuwenden.

I. Die gesetzliche Beschreibung des gemeinschaftszerstörenden Angriffs auf die Grundlagen des Zusammenlebens – die Strafwürdigkeitsbegründung 1. Allgemeines Wie bereits der Name des dritten Straftatelements deutlich zum Ausdruck bringt, kann sein Unwertgehalt nur vom Begriff der Strafe her verstanden werden.279 Im Schrifttum finden sich insofern allerdings nur wenige Versuche einer konkreten Bestimmung – wohl aufgrund „der vielschichtigen 275  Siehe

dazu nur Langer, Otto-FS, S. 109 f. zum abhängigen Strafwürdigkeitsgehalt Langer, Sonderstraftat,

276  Ausführlicher

S.  165 ff. 277  Siehe zu den selbständigen Strafwürdigkeitselementen umfassend Langer, Sonderstraftat, S.  168 ff. 278  Siehe zu den Strafwürdigkeitsvoraussetzungen noch Langer, Sonderstraftat, S. 157. 279  Ausführlich zum Folgenden Langer, Sonderstraftat, S. 158 ff., insb. 161 f.

454

Kap. 4: Eigene Grundlegung

Aufgabe des Strafrechts“.280 Eine hervorragende Ausnahme bildet jedoch Schmidhäuser: „Strafe intendiert als Vergeltung in malam partem die Auferlegung eines Übels in einem (im Erscheinungsbild gegebenen) Bedeutungszusammenhang, der begründet wird durch die mißbilligenswerte Tat, auf die sie reagiert, und durch die in Form und Inhalt zu verantwortende Art, in der sie reagiert.“281 Mit der Kennzeichnung der Strafe als vergeltender Übelszufügung ist nicht zwingend den sog. absoluten Straftheorien das Wort geredet; sittlich zu rechtfertigen ist die Strafe vielmehr einzig aus der Rechtfertigung des Staates selbst, „denn jedes staatliche Gemeinwesen ist in seiner Existenz darauf angewiesen, den widerstrebenden Willen einzelner notfalls mit Gewalt zurückzudrängen.“282 Damit ist allerdings verbunden, dass dem Bestraften um des friedlichen Zusammenlebens willen tatsächlich ein Opfer abverlangt wird und dass er insoweit als „Mittel zum Zweck“283 für andere benutzt wird; „gerechtfertigt kann dieses Strafen demnach nur sein, wenn das Opfer im Rahmen des generalpräventiv Unverzichtbaren liegt.“284 Wir haben uns dies – unter Meidung jedweder Idealisierung – ge­ rade deshalb deutlichst vor Augen zu führen, da humanes Strafen nach intensiver Begründung verlangt und als praktische Tätigkeit gerade nicht absolut ist. Mag nun die Bestimmung und Charakterisierung im Einzelfall auch schwierig sein, so ist dennoch Folgendes anerkannt: „Nur soweit Strafe als ultima ratio zur Sicherung des sozialen Miteinanders unerlässlich exemplarisch Lackner / Kühl, StGB, § 46 Rn. 1 ff. Strafrecht AT-LB, 2 / 7; ausführlich insofern Schmidhäuser, Vom Sinn der Strafe, S. 40 ff., insb. S. 44. – Vgl. ferner NK-Hassemer / Neumann, Vor § 1 Rn. 103, die allerdings nicht den Intentions-Aspekt, sondern nur die Idee der Strafe betonen, ohne dies ausdrücklich deutlich zu machen. 282  Schmidhäuser, Strafrecht AT-StB, 2 / 23. – Sachlich zustimmend beispielsweise Jescheck / Weigend, Strafrecht AT, § 8 I 2 a, die diesbezüglich von „staatspolitischer Rechtfertigung der Strafe“ sprechen. 283  Die insofern gegen die generalpräventiven Ansätze vorgetragene Kritik, der Einzelne sei Mittel zum Zweck (vgl. exemplarisch Timm, Gesinnung, S. 45 ff., insb. 63, die selbst einer absoluten Straftheorie das Wort redet), verfängt nicht, sondern stellt eine durchaus richtige Beschreibung derselben dar. 284  Siehe dazu nur Schmidhäuser, Strafrecht AT-StB, 2 / 23; ferner Schmidhäuser, Strafrecht AT-LB, 3 / 16, 19, 29: „Im übrigen wagt man – offenbar noch im Gefolge einer durch den deutschen Idealismus begründeten Prüderie – nicht auszusprechen, daß man den gefaßten Verbrecher in der Strafe als Mittel zum Zweck der Verbrechensbekämpfung benutzt“ (a. a. O., Fn. 12). – Etwas vorsichtiger formuliert Roxin, Strafrecht AT, § 3 Rn. 57: Im „Rahmen des ‚Verdienten‘ behandelt jede Strafe, da sie dem Täter gegen seinen Willen auferlegt wird, den Betroffenen als Mittel zu einem Zweck, der nicht primär der seine ist; ob dieser Zweck gesellschaftlich-präventiver oder ideeller Art (schuldausgleichende Vergeltung) ist, ändert nichts daran, dass der Verurteilte allemal das Objekt staatlicher Zwangsgewalt wird“. 280  Vgl.

281  Schmidhäuser,



C. Die tatbestandsmäßige Strafwürdigkeit455

erscheint, sind Strafrechtsnormen legitim.“285 Es muss letztlich darum gehen, den „Wert des gedeihlichen Gemeinschaftslebens“ zu erhalten.286 Durch das Strafen sollen „unerträgliche Störungen“ möglichst vermieden werden, „d. h. jedenfalls soll sich das durch die Strafdrohung als verbrecherisches Verhalten gekennzeichnete Tun nicht offen behaupten können.“287 Im Begriff der Strafe sehen sich also Wert- und Zweckmomente untrennbar verbunden und „je nachdem, welche von beiden gerade im Blickpunkt stehen, spricht man daher von ‚Strafwürdigkeit‘ oder von ‚Strafbedürftigkeit‘ des betreffenden Verhaltens“.288 Langer formuliert dann zusammenfassend wie folgt: Strafwürdig ist dasjenige Verhalten, das die Grund­lagen des Zusammenlebens in der Rechtsgemeinschaft angreift „und deshalb zurückgedrängt werden muß, und zwar in dem Maße, in dem es jene Grundlagen erschüttert und deshalb zu ihrer Restabilisierung der Zurückdrängung bedarf.“289 Der Strafwürdigkeitsgehalt lässt sich damit „als gemeinschaftszerstörender Angriff auf die Grundlagen des Zusammenlebens“ beschreiben.290 Auch der Gesetzgeber setzt bei der Bildung (und Entfernung) von Tatbeständen notwendigerweise beim Strafbegriff an; er typisiert nur das von ihm für strafwürdig erachtete Verhalten. Bei unbefangenem Herangehen wird man dies als unmittelbar einsichtig bezeichnen dürfen: Welchen Aspekt sollte er sonst zum gedanklichen Ausgangspunkt erwählen? Den von Unrecht und Schuld abhängigen Strafwürdigkeitsgehalt vertypt der Gesetzgeber bereits durch die von ihm für passend erachtete Rechtsfolgenandrohung: „wird … bestraft.“291 Vor allem in den Geringfügigkeitsfällen fehlt es an der verlangten tatbestandsmäßigen Strafwürdigkeit, weil sich die Grundlagen des Zusammenlebens nicht hinreichend stark erschüttert sehen, so dass es staatlicher Strafe bedürfte.292 Das sonst beachtliche dogmatische Schwierigkeiten bereitende Problem, dass „ganz geringfügige Rechtsgutsbeeinträchtigungen materiell schon den Tatbestand einer Strafnorm nicht erfüllen, 285  Otto, Delikte, § 1 Rn. 2, wobei hier allerdings anstelle des Terminus der „Strafrechtsnormen“ die Begrifflichkeit der „Straftatbestände“ präferiert würde. 286  Schmidhäuser, Vom Sinn der Strafe, S. 93. 287  Schmidhäuser, Vom Sinn der Strafe, S. 88 f. 288  Langer, Sonderstraftat, S. 162. – Auch MK-Freund, Vor §§ 13 ff. Rn. 39, betont, dass dem „Gedanken der gerechten Vergeltung“ strafrechtssystematisch ein „berechtigter Stellenwert“ zukommt und dieser „zweck- und wertrational“ zu fundieren ist; vgl. ferner noch Freund, GA 1995, 9 Fn. 19 (Hervorhebung im Original): „Die Legitimation der Rechtsfolge Strafe gelingt immer nur, wenn sie wert- und zweckrational begründet werden kann“. 289  Langer, Sonderstraftat, S. 162. 290  Siehe nur Langer, Sonderstraftat, S. 171. 291  Umfassend dazu Langer, Sonderstraftat, S. 172 ff. 292  Siehe dazu nur Langer, Sonderstraftat, S. 174.

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auch wenn sie von dessen Wortlaut formell mit umfaßt werden“,293 lässt sich insofern ohne weitere Mühen lösen; dem der Sache nach anerkannten Ergebnis ist mit dem dritten Straftatelement eine tragfähige Begründung ge­geben. Dass der Strafwürdigkeitstatbestand nicht nur die abhängigen Strafwürdigkeitsmerkmale vertypt, versteht sich von selbst. Auch die selbständigen Merkmale sind im Sinne von Art. 103 II GG gesetzlich bestimmt.294 Vor allem die Existenz der sog. objektiven Bedingungen der Strafbarkeit, wie etwa die bereits oben benannte „Rauschtat“ im Sinne des § 323a StGB, unterstreicht dies. Sind diese für das einzelne Delikt auch nicht begriffsnotwendig, steht dem Gesetzgeber hinsichtlich ihrer Vertypung doch ein sachgebundenes Ermessen zu. 2. Das sog. Eigenverantwortlichkeitsprinzip Es konnte bereits gezeigt werden, dass das buntscheckige Prinzip der Eigenverantwortlichkeit – neben der Möglichkeit in formal-äußerliche Verletzungen einzuwilligen295 – zumindest bei gewissen Sachverhalten im Rahmen des erlaubten Risikos auf der Ebene des Unrechtsausschlusses (und gerade nicht im Rahmen der objektiven Zurechnung) durchschlagende Relevanz entfalten kann.296 Allerdings wurde dort auch darauf hingewiesen, dass die klassischerweise als sog. eigenverantwortliche Selbstgefährdung bzw. einverständliche Fremdgefährdung diskutierten Fälle297 regelmäßig nicht zur Rechtfertigung des Täterverhaltens führen. Nochmals exemplarisch: Die heutige Rechtsordnung akzeptiert gerade nicht den Heroinverkauf als erlaubtes Tötungs-Risiko – ungeachtet einer etwaigen Zustimmung des das Betäubungsmittel nutzenden Käufers.298 Mit dieser Feststellung ist aber 293  Siehe

insofern ausdrücklich OLG Hamm, NJW 1980, 2537. auch insofern Langer, Sonderstraftat, S. 175 ff. 295  Vgl. dazu oben bei Fn. 29 (Kap. 4). – Es bedarf für eine wirksame Einwilligung jedoch naturgemäß der Disponibilität des in Rede stehenden Rechtsgutes. 296  Siehe dazu oben S. 418 f. 297  Siehe dazu bereits oben S. 204 ff. – Für eine erste Fallauswahl und Zusammenfassung der aktuell vertretenen Begründungsansätze siehe Lasson, ZJS 2009, 359 ff.; vgl. zu den in Rede stehenden Sachverhalten ferner noch Weber, BaumannFS, S.  43 f. 298  Anders aber Grünewald, GA 2012, 369 f., insb. Fn. 34, die meint, diese dem Betäubungsmittelrecht wohl unbestritten zugrundeliegende Wertung sei keine verallgemeinerungsfähige. Für die Auslegung eines rechtlich missbilligten Verhaltens im Rahmen der §§ 222, 229 StGB könne sie keine Relevanz entfalten. Nur bleibt sie eine Begründung ihrer Behauptung schuldig; sie verabsolutiert vielmehr ihre aufgrund eigener Wertungen für richtig gehaltene Prämisse: „Denn wenn (eigenverantwortliche) Selbstgefährdungen das Recht nichts angehen, muss das – will man diese 294  Siehe



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strafrechtsdogmatisch noch nicht das letzte Wort gesprochen. Die einschlägigen Sachverhalte sind auch im Hinblick auf das dritte – von der herrschenden Meinung noch weitestgehend unentdeckte – Straftatelement, nämlich der tatbestandsmäßigen Strafwürdigkeit, einer Bewertung zu unterziehen. Dass die Diskussion um die sachgerechte Lösung der in Rede stehenden Fälle seit der Behandlung des sog. „Memel-Falles“299 nie wirklich verebbt ist, sollte unterstreichen, dass bisher augenscheinlich noch kein angemessenes – insbesondere widerspruchsfreier Dogmatik genügendes – Ergebnis gefunden wurde. Zuletzt300 entzündete sich die Debatte erneut am sog. „Beschleunigungstest-Fall“301, der Ende 2008 zur Entscheidung beim BGH anstand:302 Vier Personen verabredeten sich zur Durchführung eines Autorennens auf einer vierspurig ausgebauten Bundesstraße. Beide der „hoch frisierten“ Pkw waren mit je zwei Personen besetzt. Dabei kam den Beifahrern die Aufgabe zu, das Startsignal zu geben und das gesamte Rennen zu filmen. Beide Fahrer überschritten bei der Beschleunigung die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 120 km / h. Als die nebeneinander befindlichen Autos bei einer Geschwindigkeit von über 200 km / h ein vorausfahrendes unbeteiligtes drittes Fahrzeug zu überholen suchten, geriet einer der Rennteilnehmer mit seinem Wagen auf den neben der Mittelleitplanke vorhandenen Grünstreifen und überschlug sich infolge einer zu starken Lenkbewegung. Die beiden nicht angeschnallten Insassen wurden aus dem Auto geschleudert. Der Beifahrer zog sich tödliche Verletzungen zu, der Fahrer wurde schwer verletzt, den übrigen Beteiligten passierte nichts. Der Bundesgerichtshof hat die beiden Fahrzeuglenker (unter anderem) einer fahrlässigen Tötung für schuldig befunden. Wertung nicht unterlaufen – jedenfalls für untergeordnete Beiträge Dritter gelten, die an einem solchen Geschehen mitwirken. Daher wäre es normativ inkonsistent, den Beitrag des Drogenlieferanten als unerlaubte Gefahrschaffung hinsichtlich des Lebens des Drogenkonsumenten und damit als Fremdgefährdung einzustufen.“ Dass dem Gesetzgeber aber offensichtlich ein (wenn auch angreifbares) andersartiges (Autonomie-)Konzept vorschwebt – man beschaue sich nur § 30 I Nr. 3 BtMG – (vgl. dazu auch Puppe, ZIS 2007, 252, sowie Weber, Spendel-FS, S. 378), kaschiert sie mit der Feststellung, ob „diese Regelung ihrerseits überzeugend zu fundieren, zumal mit dem Autonomieprinzip in Einklang zu bringen ist, ist indes mehr als fragwürdig“. Hinsichtlich der Notwendigkeit gleichlaufender Wertungen argumentiert dagegen wie hier exemplarisch Hardtung, NStZ 2001, 208; vgl. auch S / S-Stern­ berg-Lieben / Schuster, § 15 Rn. 165. 299  RGSt 57, 172 ff. 300  Vgl. aber auch jüngst den Extremberglauf-Fall bei Kuhli, HRRS 2008, 385 ff. 301  Die Benennung entnehme ich Roxin, GA 2012, 656, der auch mit umfangreichen weiterführenden Literaturangaben aufwartet. 302  BGHSt 53, 55 ff., hier vereinfacht wiedergegeben.

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Kap. 4: Eigene Grundlegung

Es ist richtig, dass im Hinblick auf die fahrlässigen Tötungen des Beifahrers keine „echte“, bereits den Unrechtstatbestand ausschließende Einwilligung in Betracht kommt. Die §§ 216, 228 StGB können schwerlich anders verstanden werden, als dass sie zunächst eine allgemeine Einwilligungssperre für die Einwirkung auf fremdes Leben statuieren.303 Die Schaffung einer Lebensgefahr für einen Anderen wird nicht alleine deshalb von der Rechtsordnung akzeptiert, weil der Betroffene sie konsentiert; es bedarf insofern eines Mehr. Anders als dies bei den volldisponiblen Rechtsgütern wie Eigentum oder Ehre der Fall ist, soll aufgrund der überragenden Werthöhe des Lebens nicht die einfache Zustimmung in tödliche Verrichtungen Dritter genügend sein.304 Allerdings bleibt zu prüfen, ob sich die im Tode des Beifahrers verwirklichende, objektiv zurechenbare Lebensgefahr durch den Rechtfertigungsgrund des erlaubten Risikos gedeckt sieht. Aber auch dies ist schlussendlich zu verneinen. Anders als es beispielsweise bei den ohne doppelten Boden agierenden Zirkus-Trapez-Artisten der Fall sein mag, fügt sich das Verhalten der hiesigen „Rennteilnehmer“ auch nicht in das sozial Tolerable ein; der benutzte öffentliche Verkehrsraum war gerade nicht Beschleunigungsfahrten mit solch riskanten Überholmanövern und derartigen Geschwindigkeiten gewidmet. Damit sind die Gerichte – wenn man so ­sagen will – tatsächlich genötigt, „vernünftige“ von „unvernünftigen“ und damit „sittenwidrigen“ zum Tode führenden Lebensgefährdungen zu scheiden;305 der insofern anzulegende Bewertungsmaßstab folgt dabei – wie gezeigt – dem der materiellen Rechtfertigung.306 Ist hier – mangels eines 303  Dies wird von einem beachtlichen Teil des aktuellen Schrifttum allerdings anders gesehen, siehe dazu nur S / S-Lenckner / Sternberg-Lieben, Vorbem §§  32 ff. Rn. 104, dort auch zu umfangreichen weiteren Nachweisen. – Siehe aber andererseits nur Jescheck / Weigend, Strafrecht AT, § 56 II 3; siehe außerdem Kühl, NJW 2009, 1158, der für die Rechtsprechung nachdrücklich festhält, dass sich diese im Beschleunigungstest-Fall „für eine Einwilligungssperre entschieden und diese mit den §§ 216, 228 StGB begründet [hat]“; vgl. ferner noch Roxin, Strafrecht AT, § 11 Rn.  121 a. E. 304  Dem Einzelnen bleibt es freilich unbenommen, sich – ohne die Beteiligung und Gefährdung Anderer – durch eigenes Verhalten in Lebensgefahren zu begeben oder zu töten; der nicht selten gerügte Paternalismus der §§ 216, 228 StGB ist kein absoluter. 305  Vgl. dazu insbesondere Renzikowski, HRRS 2009, 354. – Mit dem Merkmal der „Vernünftigkeit“ argumentiert der Sache nach auch BGHSt 49, 171: „Selbst bei schwerwiegenden Rechtsgutsangriffen ist danach der Bereich der freien Disposition des Rechtsgutsinhabers nicht überschritten, wenn ein positiv-kompensierender Zweck hinzukommt“; im Ergebnis ähnlich Dölling, GA 1984, 90 ff., der das Erfordernis einer „qualifizierten Einwilligung“ verlangt, aber sehr wohl festhält, dass Konstellationen wie die vorliegende ebenso „mit dem Rechtfertigungsgrund des erlaubten Risikos“ erfasst werden können. 306  Siehe dazu nur nochmals oben S. 410 ff.



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solchen Unrechtsausschlusses – weiter davon auszugehen, dass die Teilnehmer potentielles Unrechtsbewusstsein hatten, also das unerlaubte ihres Tuns auch erkennen konnten und demnach schuldhaft fahrlässig handelten, bedarf es schlussendlich noch der Überprüfung, ob auch die Strafwürdigkeit der fahrlässigen Tötung zu bejahen ist. Es stellt sich also die Frage, ob die Grundlagen des Zusammenlebens so stark erschüttert wurden, dass auf staatliche Strafe nicht verzichtet werden kann. Zumeist wird in Fällen sog. eigenverantwortlicher Selbstgefährdung – mit unterschiedlichster dogmatischer „Begründung“, aber (nahezu) ausschließlich unter Rückgriff auf den (Unrechts-)Tatbestand – eine Strafbarkeit verneint.307 Für die Fälle einverständlicher Fremdgefährdung ist eine etwaige Straflosigkeit demgegenüber äußerst umstritten.308 Der Bundesgerichtshof hält letztere für „grundsätzlich tatbestandsmäßig“; beide Institute habe man sodann nach Maßgabe der „Trennungslinie zwischen Täterschaft und Teilnahme“ zu scheiden.309 Diese Herleitung wird nicht nur auf den ersten Blick verwundern, da den Fahrlässigkeitsdelikten – zumindest bei fahrlässiger Körperverletzung und Tötung – nach weit überwiegender Meinung der Einheitstäterbegriff zugrunde liegt, verlangen die §§ 222, 229 StGB doch lediglich ein „Verursachen“ des tatbestandlich umschriebenen Erfolges.310 Der herrschenden Meinung wird man dementsprechend tatsächlich vorhalten müssen, „dass die Einbeziehung von Tatherrschaftserwägungen, so wie sie in diesen Fällen zumeist praktiziert wird, nicht überzeugt. Denn die Erwägungen werden unvermittelt eingeführt und mit den Tatbestandsmerkmalen des Fahrlässigkeitsdelikts, insbesondere der objektiven Zurechnung, nicht verbunden.“311 In diesem Zusammenhang weiterhin erstaunlich ist nun, dass die Grenze zwischen Strafbarkeit (zu dieser will der BGH bei einer – von ihm auch in diesem Fall bejahten – konkret lebensgefährlichen Fremdgefährdung kommen) und Straflosigkeit (bei Selbstgefährdung) äußerst strikt erscheint. Nochmals: Wenn doch der Einheitstäterbegriff bei der 307  Roxin, GA 2012, 664, hält hinsichtlich der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung fest, dass bei ihr „die Straflosigkeit einer Mitwirkung Außenstehender[!?] heute praktisch außer Streit steht.“ – Kaum ausreichend kann allerdings die schlichte Herleitung sein, „dass jeder grundsätzlich nur für sein eigenes Verhalten verantwortlich ist“ (vgl. schon oben Fn. 306 (Kap. 3), sowie Fn. 111 (Kap. 4)). Dann ließe sich mit einem Handstreich auch der gesamten Teilnahmelehre der Boden entziehen. 308  Siehe dazu nur Roxin, Strafrecht AT, § 11 Rn. 121 ff. 309  BGHSt 53, 60. – Große Teile des Schrifttums stimmen dem zu, siehe nur Fischer, StGB, Vor § 13 Rn. 37; Lackner / Kühl, StGB, Vor § 211 Rn. 12. 310  Vgl. dazu nur Puppe, GA 2009, 490 ff.; sowie Berster, ZIS 2012, 625. – Für einen restriktiven Täterbegriff auch im Rahmen des Fahrlässigkeitsdelikts plädiert allerdings Renzikowski, Täterbegriff, S.  154 ff. 311  Grünewald, GA 2012, 368.

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fahrlässigen Tötung gilt, warum sollten dann letztlich einzig Beteiligungsgesichtspunkte über die Strafbarkeit von zum Tode führenden Gefahrschaffungen entscheiden? Insofern nicht zu Unrecht wird im Schrifttum eingewandt, dass die einverständliche Fremdgefährdung einer Selbstgefährdung „unter allen relevanten Aspekten“ gleichstehen kann,312 oder gar noch weitergehend behauptet, dass die Differenzierung „unter dem Gesichtspunkt des Verantwortungsprinzips sinnlos“ sei.313 Nur ist mit dieser Erkenntnis (partieller) Gleichstellung gerade nicht die nahezu immer gezogene Schlussfolgerung der Straflosigkeit sämtlicher in Rede stehender Fälle verbunden. Richtig erscheint vielmehr Folgendes: Der Unrechtstatbestand der §§ 222, 229 StGB umfasst zunächst unterschiedslos sämtliche Beteiligungsformen (Täterschaft, Anstiftung, Beihilfe); die gesetzliche Formulierung des Verursachens führt insofern zur partiellen Anerkennung des sog. Einheitstäterbegriffs. Allerdings bleibt es sehr wohl möglich, die geleisteten Tatbeiträge nach ihrem Gewicht zu skalieren. So wiegt ein Rechtsgutsangriff in der Form „echten“ täterschaftlichen Handelns schwerer als der eines sonst als Beihilfe zu qualifizierenden Verhaltens. Diese das Gewicht des tatbestandlichen Unrechts (mit-)prägenden Momente sind – vermittelt über den Schuldtatbestand – letztlich auch für die tatbestandliche Strafwürdigkeit entscheidend, so dass – vereinfacht gesprochen – ein bloßes Hilfeleisten zur Selbstgefährdung tatsächlich (regelmäßig) weniger schwer wiegt als die täterschaftliche Fremdgefährdung. Allerdings sieht sich der abhängige Strafwürdigkeitsgehalt nicht ausschließlich von der Art der Beteiligung beeinflusst, sondern von zahlreichen weiteren Momenten, wie etwa dem verursachten Erfolg, der Deutlichkeit des Überschreitens des erlaubten Risikos und der Schwierigkeit, potentielles Unrechtsbewusstsein zu erlangen, so dass beide Fallgruppen im Einzelfall tatsächlich einmal einander „gleichstehen“ können; sie sind hinsichtlich der Rechtsfolge Strafe bzw. Straflosigkeit prinzipiell „offen“. Nochmals: Entscheidend ist einzig, ob das Verhalten so schwer wiegt, dass es der betreffenden Sanktion bedarf. Nunmehr exemplarisch: Nach hiesigem Dafürhalten ist die durch den BGH ausgesprochene Verurteilung der beiden Fahrer im Beschleunigungstest-Fall wegen fahrlässiger Tötung richtig.314 Das rechtswidrige und 312  In diesem Sinne argumentiert vor allem Roxin, siehe nur oben Fn.  320 (Kap. 3). 313  Siehe dazu Otto, Allgemeine Strafrechtslehre, § 6 Rn. 62; vgl. ferner Otto, Tröndle-FS, 171 f. 314  Zur Strafbarkeit wegen fahrlässiger Tötung gelangt auch Dölling, Geppert-FS, S. 60; anders aber Lasson, ZJS 2009, 367; sowie Timpe, ZJS 2009, 173 ff. – Deutlich schwieriger wäre die Entscheidung gewesen, hätten die Rennteilnehmer nicht den öffentlichen Verkehrsraum für ihr Verhalten genutzt; anders aber Walter, NStZ 2013, 678, der meint, dass das rechtliche Problem des Falls dasselbe bliebe „wenn die



C. Die tatbestandsmäßige Strafwürdigkeit461

schuldhafte Verhalten der Fahrzeuglenker war nicht so gering, dass auf Strafe zu verzichten war.315 Auch wird man zumindest das Ergebnis der Entscheidungen im „1. Heroinspritzenfall“316 sowie im „Memel-Fall“317 (jeweils Straflosigkeit) als durchaus vertretbar bezeichnen können. In beiden Fällen wurde das erlaubte Risiko zwar überschritten, allerdings äußerst „knapp“; dies gerade deshalb, da insbesondere im Fall der lebensgefährlichen Überfahrt das Tun auf dem ausdrücklichen Wunsch der Passagiere beruhte.318 In den Konstellationen (so mag man sagen) erreichte das Verhalten der Beteiligten – ungeachtet des grundsätzlich schwer wiegenden und naturgemäß irreparablen Todeserfolges – gleichlaufend zu den sonstigen Geringfügigkeitsfällen nicht die Schwelle tatbestandsmäßiger Strafwürdigkeit. Eindeutig richtig beurteilt hat der BGH weiterhin den Fall eines „freiwilligen“ Retters, der sich in ein brennendes Haus begeben hatte, um dort entweder Sachen vor dem Feuer in Sicherheit zu bringen oder andere Menschen zu bergen.319 Die Strafbarkeit des Brandstifters wegen fahrlässiger Tötung ist deshalb überzeugend, da die zum Tod führende rechtswidrige Gefahrschaffung für den Täter erkennbar war und sich sein Verhalten kaum anders als offensichtlich und erheblich unerlaubt bezeichnen lässt. Daran kann auch eine etwaige „Einwilligung“ in die Gefährdung des letztlich zu Tode gekommen Retters nichts ändern – selbst wenn dieser (anders als im vom BGH zu beurteilenden Fall) unalkoholisiert gewesen wäre und das bestehende Risiko (nur für Sachen) voll überblickt hätte320. Es zeigt sich also, dass sich mittels einer bloßen Einordnung in die Fallgruppen unter den Sammelbezeichnungen „eigenverantwortliche Selbstgefährdung“ bzw. „einFahrt auf einem ausgetrockneten Salzsee stattgefunden hätte ohne Fahrstreifen, ohne Verkehrsschilder und ohne StVO“. 315  So letztlich wohl auch Renzikowski, HRRS 2009, 355: „Mag man auch der Verurteilung von A und C [gemeint sind die beiden Fahrzeuglenker] im Ergebnis zustimmen, so wirft die Begründung doch mehr Fragen auf, als vom Gericht beantwortet werden.“ 316  Siehe dazu oben bei Fn. 308 (Kap. 3). 317  Vgl. bereits oben Fn. 317 (Kap. 3). 318  Ist dem Einzelnen auch keine volle Disposition über die Rechtsgüter Leib und Leben eingeräumt, so ist ein gefährliches Verhalten mit Einwilligung eher vom erlaubten Risiko gedeckt als ein nämliches ohne. Man denke insofern auch an die auf die Drehscheibe gespannte Assistentin des Messerwerfers im Zirkus. Hier kann das Werfen nur dann ein erlaubtes sein, wenn die Assistentin zugestimmt hat. – Im 1. Heroinspritzenfall ist die Bejahung der Einwilligungsvoraussetzungen aufgrund der Drogenabhängigkeit dagegen weniger augenfällig. Allerdings ist zu beachten: Die Abgabe von sterilen Einmalspritzen stellt jedenfalls seit dem Gesetz zur Änderung des Betäubungsmittelgesetzes vom 9. September 1992 kein Verschaffen einer Gelegenheit zum Verbrauch mehr dar (vgl. § 29 I Satz 2 BtMG). 319  Siehe dazu BGHSt 39, 322 ff. 320  Anders aber wohl Roxin, Strafrecht AT, § 11 Rn. 116 f.

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Kap. 4: Eigene Grundlegung

verständliche Fremdgefährdung“ kein eindeutiges Ergebnis (Straflosigkeit oder Strafbarkeit) schlussfolgern lässt; die Rechtsprechung verfährt „intuitiv“ (zumeist) korrekt,321 ohne allerdings die getroffenen Entscheidungen auf das maßgebliche Straftatelement, die tatbestandsmäßige Strafwürdigkeit, zu stützen. Die hier zugegebenermaßen nur an der Oberfläche kratzenden, exkursorischen Bemerkungen haben nunmehr mit der Feststellung zu schließen, dass für den abhängigen Strafwürdigkeitsgehalt sämtliche Unwert- und Wertmomente des rechtswidrigen und schuldhaften Verhaltens Berücksichtigung finden müssen. Eine schlichte Typisierung Selbst- bzw. Fremdgefährdung ist ersichtlich ungenügend, um die im Einzelfall äußerst diffizile Begründung der Rechtsfolge Strafe tragen zu können.322 3. Das sog. rechtmäßige Alternativverhalten Nunmehr soll noch der berühmte Radfahrer-Fall323 einer kürzeren Analyse unterzogen werden. Im Verlauf der Arbeit konnte bereits gezeigt werden, dass dessen Lösung nicht – wie von der herrschenden Meinung präferiert – alleine über das Institut der objektiven Zurechnung erfolgen kann,324 da die Wissensbasis des Täters (seine notwendig subjektive Tatumstandskenntnis) nicht unberücksichtigt bleiben kann, um das erlaubte Risiko im Einzelfall genauer zu konturieren. Darüber hinaus kann die objektive Zurechnung als die Kausalität ersetzendes Institut nicht der Ort für die (dann ex ante und ex post-Sicht zwingend mischende) umfassende Güter- und Interessenabwägung sein – anderenfalls sähe man sich auch konsequenterweise gezwungen, die gesetzlich separierten Rechtfertigungsgründe insgesamt als „Topos der Zurechnung“ zu begreifen.325 Erschöpft sich – wie dargestellt – die Prüfung der objektiven Zurechnung also darin, festzustellen, dass der überholende LKWFahrer eine Lebensgefahr für den Radler geschaffen hat, die sich in dessen Tod realisierte, steht es ferner unweigerlich fest, dass der eingeleitete tödliche Überholvorgang ein unerlaubter war: Der in jedem Fall zu wahrende 321  Richtigerweise hebt Arzt, JZ 2005, 103, hervor, dass die Gerichte offensichtlich bemüht sind, den seit BGHSt 32, 262 ff., herangezogenen Selbstgefährdungsgedanken „zu bändigen“ und das weit aufgestoßene Tor „bis auf einen kleinen Spalt“ wieder zu schließen. 322  Auch Alwart, NStZ 1994, 84, gibt zu verstehen, dass „jenes vermeintlich übergeordnete ‚Prinzip‘ “ der Selbstgefährdung nicht bereits aus sich heraus zwingende Ergebnisse produziert. 323  Siehe bereits oben bei Fn. 285 (Kap. 3). 324  Siehe oben bei Fn. 38, 53 (Kap. 4). 325  So aber tatsächlich jüngst Kretschmer, NStZ 2012, 177 ff., der mit schneller Hand das mühsam herausgearbeitete und im Gesetz statuierte Differenzierungskriterium des „Rechtswidrigkeitsausschlusses“ negieren möchte.



C. Die tatbestandsmäßige Strafwürdigkeit463

Mindestabstand von 1 bis 1,50 m wurde vom Fahrer gerade nicht eingehalten, so dass sein Verhalten auch nicht mit dem Rechtfertigungsgrund des erlaubten Risikos in Einklang zu bringen ist. Weiter kann davon ausgegangen werden, dass dem Täter auch das Unerlaubte seines Tuns erkennbar war, er handelte demnach schuldhaft fahrlässig. Ist die Tat damit als rechtswidrig und schuldhaft zu bewerten, bleibt gleichwohl noch zu prüfen, ob auch der Strafwürigkeitstatbestand erfüllt ist. Insofern haben wir uns die Frage zu stellen, ob das in Rede stehende Verhalten nicht den Geringfügigkeitsfällen gleichzustellen ist. Zunächst ist aber nochmals ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass eine Verneinung der (Unrechts-)Tatbestandsmäßigkeit verfehlt ist. Dies sollte sich bereits durch einen einfachen Vergleich zeigen lassen: Ist zumindest bei der Erfolgszurechnung des vorsätzlichen Tätigkeitsdelikts anerkanntermaßen nur auf das reale Täterverhalten zu blicken, sind also sog. Reserveursachen unbeachtlich,326 sollte es – zumindest bei unbefangener Betrachtung – bei dessen fahrlässigen Pendant doch nicht anders sein. Warum man im Rahmen des Unrechts plötzlich ein hypothetisches Verhalten zugrunde legen und hierauf gar den Zweifelssatz anwenden sollte, wäre zumindest begründungsbedürftig. Gleichwohl verfährt die Rechtsprechung bei den fahrlässigen Erfolgsdelikten – freilich ohne weitere Erläuterung – gänzlich anders, indem sie bei diesen allgemein den wertenden Nachweis fordert, dass „die Bedingung nach rechtlichen Bewertungsmaßstäben für den Erfolg bedeutsam war.“ Dafür sei entscheidend, „wie das Geschehen abgelaufen wäre, wenn der Täter sich rechtlich einwandfrei verhalten hätte.“327 Die wohl herrschende Meinung im Schrifttum stimmt diesem vom BGH gefundenen Ergebnis zu, dessen durchaus unterschiedliche dogmatische Fundierung gleichwohl regelmäßig einheitlich als sog. Vermeidbarkeitstheorie bezeichnet wird:328 Es bedürfe einer spezifischen Beziehung zwischen Pflichtwidrigkeit und Erfolg, eines mitunter als Rechtswidrigkeits-, aber auch als Pflichtwidrigkeitszusammenhang titulierten Bandes. 326  Vgl. dazu nur Wessels / Beulke / Satzger, Strafrecht AT, Rn. 161: „Hypothetische Reserveursachen bleiben außer Betracht. Maßgebend für die Beurteilung der Kausalität ist allein die ursächliche Verbindung zwischen dem wirklichen Geschehen und dem Erfolg in seiner konkreten Gestalt“; nahezu wortgleich S / S-Eisele, Vorbem §§ 13 ff. Rn. 80: „Abzustellen ist bei der Kausalitätsfrage stets darauf, ob zwischen dem konkreten Erfolg und dem wirklichen Geschehen eine ursächliche Verbindung besteht […]. Hypothetische Kausalverläufe haben hier außer Betracht zu bleiben“; alle mit weiterführenden Nachweisen aus der Rechtsprechung. 327  BGHSt 11, 7. 328  Siehe dazu zusammenfassend Hillenkamp, 32 Probleme Strafrecht AT, S. 231 ff. – Siehe ferner die umfassende (auch zivilrechtliche Gesichtspunkte einbeziehende) Darstellung bei Erb, Rechtmäßiges Alternativverhalten, insb. S. 72 ff.

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Kap. 4: Eigene Grundlegung

Bislang ist jedoch keine tragfähige Erklärung dieser angeblich notwendig nachzuweisenden „spezifischen Beziehung“ im Unrecht präsentiert worden.329 Allerdings lässt sich das durchaus vorhandene „Evidenzerlebnis“, dass man es als „ungerecht“330 empfindet, „wenn jemand wegen einer Sorgfaltswidrigkeit bestraft wird, obwohl der Erfolg auch bei sachgemäßem Verhalten eingetreten wäre“331 strafrechtsdogmatisch begründen. Insofern hilft uns die tatbestandsmäßige Strafwürdigkeit.332 So ist zwar das nicht den Mindestabstand wahrende Überholen in jedem Falle ein schuldhaft rechtswidriges, allerdings bleibt richtigerweise zu hinterfragen, ob dieser Erfolg auch bei Wahrung des erlaubten Risikos „sicher“ (mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit) ausgeblieben wäre. Ist ein solcher Nachweis zu führen, kann die Rechtsfolge Strafe kaum passend erscheinen: „Der Strafrichter würde auf Unverständnis beim Bürger stoßen, wenn er […] wegen fahrlässiger Tötung verurteilen würde, obwohl er gleichzeitig feststellen muß, daß der Unfall […] auch bei verkehrsgerechtem Verhalten des Angeklagten unvermeidbar gewesen wäre.“333 Allerdings kann dies nur bei zwingendem Nachweis richtig sein: Denn – hier mit den Worten von DehneNiemann zum Ausdruck gebracht – „die Nichtvergegenwärtigung des ord329  Die für das Unrecht bestehende „Begründungslücke“ hat Küper, Lackner-FS, S. 249 ff., mit seiner dezidierten Ausarbeitung deutlich aufgedeckt. Aber auch der von ihm aufgezeigte Lösungsansatz mit der „analytischen Trennung von ‚erlaubtem Risikoerfolg‘ und ‚erlaubt-riskantem Verhalten‘ “, der die Möglichkeit eröffne, „den sog. Pflichtwidrigkeitszusammenhang mit der Erwägung zu verneinen, daß auch dem sorgfaltswidrig handelnden Täter der im konkreten Fall eingetretene ‚tolerierte Risikoerfolg‘ – das erlaubte Risiko in diesem Sinn – zugutekommen müsse“ (a. a. O., S. 277), kann dieses Defizit letztlich nicht beseitigen. Die Rechtsordnung statuiert nämlich gerade nicht lediglich generalisierende Sorgfaltsanforderungen, die einen festen Rechtsraum umgrenzen, innerhalb dessen jedwede Gefährdung als Risikoerfolg erlaubt wäre, sondern es bedarf immer einer wertenden Begutachtung des Einzelfalles – generell gebilligte Erfolge gibt es nicht. – Einen Ausweg stellt es ebenfalls nicht dar, die Fahrlässigkeitsdelikte als Unterlassungsstraftaten zu qualifizieren und wie bei diesen lediglich nach dem Eintritt hypothetischer Kausalität zu fragen (so aber ausdrücklich Röhl, JA 1999, 900). Erinnert sei insofern nur an die treffende Feststellung von Jakobs, oben bei Fn. 37 (Kap. 3). – Wie Haas, GA 2015, 95 f. (Hervorhebung von mir), letztlich dazu kommt, den Pflichtwidrigkeitszusammenhang als Zurechnungsfrage im Rahmen des Unrechts zu verorten, wenn sich das „Erfordernis“ dieser Rechtsfigur doch „unmittelbar aus dem verfassungsrechtlichen, eine Zufallshaftung ausschließenden Schuldprinzip“ ableiten soll, bleibt im Dunkeln. 330  Magnus, JuS 2015, 406, bemüht den strafrechtsdogmatisch wenig brauchbaren Gedanken, dass der Pflichtwidrigkeitszusammenhang „seine Bedeutung aus Gründen der Fairness“ ziehe. 331  Vgl. dazu Roxin, ZStW 74 (1962), 422. 332  Eine solche Lösung deutet auch Küper, Lackner-FS, S. 262, an. 333  Niewenhuis, Gefahr und Gefahrverwirklichung, S. 11.



C. Die tatbestandsmäßige Strafwürdigkeit465

nungsgemäßen Seitenabstands [bleibt] sorgfaltswidrig und verliert als ‚genereller Standard‘ ihre Zwecktauglichkeit nicht schon durch ihre mögliche Nutzlosigkeit im Einzelfall. Restzweifel an der Dysfunktionalität der abgeleiteten Sorgfaltsregel gehen damit zu Lasten des sorgfaltswidrig Agierenden.“334 Einfach gewendet: Nur wenn sich ex post feststellen lässt, dass der Erfolg auch sicher bei Wahrung des erlaubten Risikos eingetreten wäre, ist der Strafwürdigkeitsausschluss zu bejahen.335 Eine solche Feststellung konnte im Radlerfall allerdings nicht erbracht werden. Das hier gefundene Ergebnis deckt sich mit denjenigen Autoren, die dem sog. Risikoerhöhungsansatz folgen. Allerdings vermeidet es deutlicher die gegen diesen vorgebrachten Einwände: Verortet man das Problem des sog. rechtmäßigen Alternativverhaltens nicht im Rahmen der Erfolgszurechnung, löst sich (auch systematisch sichtbar) der Vorwurf in Luft auf, man deute Verletzungs- in Gefährdungsdelikte um.336 Die ferner erhobene Kritik, es liege ein Verstoß gegen den Grundsatz von „in dubio pro reo“ vor, verfängt nicht: In Bezug auf das reale Täterverhalten (das verkehrsordnungswidrige Überholen) bestehen keinerlei Tatsachenzweifel. Im Übrigen ist es unmöglich, das unzweifelhaft geschaffene Risiko in einen erlaubten und einen unerlaubten Teil aufzuspalten und für jeden gesondert die Gefahrverwirklichung zu untersuchen.337 Auch diesbezüglich hilft die hier für richtig gehaltene Systematik mit ihrer klaren Problemtrennung: Die Frage nach der Erfolgszurechnung ist eine des Unrechtstatbestandes, die nach der (Un-)Erlaubtheit des Verhaltens eine des Unrechtsausschlusses. 334  Dehne-Niemann,

GA 2012, 106. Rande sei erwähnt, dass ein sog. rechtmäßiges Alternativverhalten auch beim vorsätzlichen Delikt nicht per se ausgeschlossen ist (anders aber beispielsweise Haas, GA 2015, 98 ff., dessen ablehnende Haltung letztlich auf der Übernahme der – hier entkräfteten, siehe dazu nur oben S. 283 ff., 385 ff., sowie ergänzend 375 f. – Fahrlässigkeitslehre von Kindhäuser fußt; so soll die Existenz des Pflichtwidrigkeitszusammenhangs an die Existenz des angeblich nur beim Vorsatzdelikt nachweisbaren erlaubten Risikos gekoppelt sein): Man denke etwa an das vom Arzt unberechtigt verweigerte Abschalten von lebenserhaltenden Gerätschaften im Krankenhaus; wenn der Angehörige – dem ihm bekannten Patientenwillen entsprechend – nun eigenmächtig agiert, ohne die nach BGB notwendige gerichtliche Zustimmung eingeholt zu haben, kann von einem rechtmäßigen Alternativverhalten gesprochen werden, wenn das Gericht dem Abschalten sicher zugestimmt hätte. Lässt sich dagegen nicht zweifelsfrei klären, dass dem Selbstbestimmungsrecht gemäß gehandelt wurde, ist der Abschaltende strafrechtlich zu belangen. Eines neu zu schaffenden Tatbestandes bedarf es ausdrücklich nicht (vgl. dazu aber oben Fn. 15 (Kap. 4)). – Es zeigt sich wieder einmal: Vorsätzliches und fahrlässiges Delikt sind strukturell nicht verschieden – selbst im Hinblick auf ein etwaiges rechtmäßiges Alternativverhalten. 336  Vgl. oben Fn. 295 (Kap. 3). 337  Siehe dazu nur Roxin, Strafrecht AT, § 11 Rn. 90; sowie oben Fn. 294 (Kap. 3). 335  Am

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Kap. 4: Eigene Grundlegung

II. Der Strafwürdigkeitsausschluss Auch wenn sämtliche (positiven) Voraussetzungen tatbestandlicher Strafwürdigkeit erfüllt sind, also ein Täterverhalten gegeben ist, das die Grundlagen des Zusammenlebens in gemeinschaftszerstörender Weise angreift, heißt dies noch nicht, das auch der Rechtsstab das Strafwürdigkeitsurteil zwingend zu fällen hat. Aus Gründen des gesamten Wertzusammenhangs kann das rechtliche Unwerturteil – grundsätzlich gleichlaufend zum Unrechts- wie auch Schuldausschluss – entfallen.338 Auch hier hat eine umfassende Analyse des jeweiligen Gesamtgeschehens zu erfolgen, allerdings unter Erweiterung des Tatbegriffs. So kann das Vorhandensein gewisser Wertmomente dazu führen, das Verhalten nicht als unerträgliche Erschütterung der Gemeinschaftsgrundlagen zu bewerten, indem beispielsweise der Täter trotz unrechts- und schuldtatbestandsmäßiger fahrlässiger Brandstiftung gemäß § 306d StGB tätige Reue im Sinne des § 306e II StGB übt, er also – einfach gesprochen – das unerkannt entzündete Feuer freiwillig löscht, bevor ein erheblicher Schaden entstanden ist. Das positiv zu bewertende Nachtatverhalten führt hier also dazu, das Strafwürdigkeitsurteil zu negieren; die Rechtsordnung gibt damit – ungeachtet der rechtswidrigen und schuldhaften Tat – zu verstehen, dass das Gesamtverhalten auch ohne Strafreaktion ertragbar erscheint.

338  Zum

Strafwürdigkeitsausschluss eingehend Langer, Sonderstraftat, S. 177 ff.

Fazit Die heute (noch) herrschende Lehre von der Straftat sieht in der Fahrlässigkeit einen Komplexbegriff, der Unrechts- und Schuldmomente in sich vereinigt. Eine knappe Definition dieses Straftatmerkmals ist ihr – anders als beim Vorsatz – nicht möglich. Ein Grund für das Fehlen einer handhabbaren Begriffsbestimmung ist die hier noch immer spürbare Fortwirkung der insbesondere von Welzel geprägten finalen Handlungslehre mit ihrer Gleichsetzung von Vorsatz und Finalität. Jedoch erscheint es bei unbefangener Betrachtung als äußerst zweifelhaft, dass bei der Fahrlässigkeitsstraftat in strikter Entgegensetzung zum Vorsatzdelikt ein finaler Verwirklichungswille des Täters gerade nicht vorliege. Da die Konsequenz, dem fahrlässigen Delikt einen Handlungsunwert abzusprechen, nun aber berechtigterweise auch von den Finalisten nicht gezogen wird, muss ein anderer Unwertsachverhalt die durch die vorgeblich mangelnde Finalität enstandene Lücke schließen. Gefunden wird dieser im Zivilrecht, und zwar in der vielschichtigen Umschreibung der „Außerachtlassung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt“ des § 276 II BGB. Man folgert hieraus, dass die objektive Sorgfaltspflichtverletzung den Handlungsunwert der Fahrlässigkeitsstraftat ausmache. Dann aber stehen Vorsatz- und Fahrlässigkeitsdelikt nicht mehr in einem Plus-Minus-Verhältnis, sondern sind qualitativ verschiedene Deliktstypen. So wäre etwa die Untersuchung der sog. Sorgfaltswidrigkeit im Rahmen der Prüfung eines vorsätzlichen tatbestandsmäßigen Verhaltens absurd: Es würde wohl niemand bei einem in die Tat umgesetzten, akribisch geplanten bewaffneten Raubüberfall die Verletzung von etwaig bestehenden Sorgfaltspflichten für Freiheit und Eigentum des Opfers thematisieren. Das Abstellen auf die Sorgfaltspflichtverletzung bei dem „Deliktstypus“ der Fahrlässigkeit sieht sich aber scheinbar ebenfalls durch normentheoretische Erwägungen abgesichert. Da einfache Verbote im Stile eines „Verursache nicht den Tod eines anderen!“ bzw. ein „Du sollst nicht töten!“, wie sie im Rahmen der Vorsatzdelikte noch auf das Täterverhalten bestimmend wirken könnten, im Fahrlässigkeitsbereich keine taugliche handlungsanleitende Kraft im Einzelfall entfalteten, bedürfe es – so jedenfalls behauptet die überwiegende Auffassung – spezifischer Normen: Dem Täter müsse durch spezielle Pflichtappelle – durch die Sorgfaltsnormen – klar vor Augen geführt werden, wie er sich in der konkreten Situation zu verhalten habe, exemplarisch: „Fahre innerorts nicht schneller als 50 km / h!“ Der Sorgfaltsaspekt soll also gerade dazu dienen, die für überragend wichtig erach-

468 Fazit

tete Bestimmungsnorm (oder nach neuerer Diktion: die Verhaltensnorm) genauer zu konturieren. Die Prämissen und die daraus gezogenen Folgerungen der herrschenden Meinung sind allerdings aus mehreren Gründen zurückzuweisen. Zunächst ist der zum Zentralbegriff der Fahrlässigkeitsstraftat auserkorene – nota bene: im StGB nicht zu findende – Terminus der Sorgfalt ein völlig unspezifischer. Gleichwohl wird auf ihm eine nicht stichhaltig begründbare Sonderdogmatik entwickelt. Der Sorgfaltsbegriff verführt aufgrund seiner begrifflichen Weite dazu, abschichtbare Gesichtspunkte der Straftatlehre zu nivellieren und aufzusaugen. Dies gilt nachdrücklich für den mehrschichtigen Aspekt der sog. Erkennbarkeit, Vorher- oder Voraussehbarkeit. Die überwiegend vertretene Auffassung klärt nicht die in Bezug auf ihren Gegenstand verschiedenen Arten von Erkennbarkeit. Eine saubere Trennung der insofern anzulegenden unterschiedlichen Maßstäbe misslingt ebenso, wie auch ein genauer Aufweis der verwendeten Blickrichtung (ob ex ante, ob ex post) zumeist im Dunkeln bleibt. Aber auch das Verhältnis von objektiver Sorgfaltspflichtverletzung – nicht selten definiert als Überschreitung des erlaubten Risikos – und der objektiven Zurechnung (die im Übrigen beide gar nicht rein objektiv bestimmt werden, da hier wie dort bereits subjektive Gesichtspunkte Berücksichtigung finden) muss als gänzlich ungeklärt bezeichnet werden. Wo die Feststellung der rechtlich relevanten bzw. missbilligten Gefahr genau Bedeutung erlangen soll, wird nicht aufgewiesen. Im Rahmen des Unrechts kann die herrschende Meinung ungeachtet aller formalen Beteuerungen letztlich nicht zwischen Handlungs- und Erfolgsunwert unterscheiden. Es hat teilweise gar den Anschein als wolle man die sog. Verhaltensnorm im Rahmen der Zurechnung, im Erfolgsunrecht fundieren. Noch schwieriger wird es für die Autoren aber dann, wenn der Versuch angetreten wird, zwischen (Unrechts-) Tatbestand und Rechtswidrigkeit zu unterscheiden. Die im Rahmen der vorsätzlichen Straftat unschwere Abschichtung muss bei einer Differenzierung zwischen einem „an sich“ sorgfaltswidrigen und einem „echten“ sorgfaltswidrigen Verhalten – also nach der Verneinung von Rechtfertigungsgründen – scheitern. Es mangelt an einem materiellen Differenzierungskriterium. In der Sache verschleift man Verbotsnorm und Erlaubnissatz. Bereits der (Unrechts-)Tatbestand mit seinem Merkmal der Sorgfaltspflichtverletzung wird damit zu einer Kategorie umfassender Interessenabwägung. Der als Konkretisierungsmaßstab der objektiven Sorgfaltsanforderungen zumeist herangezogene leitbildhafte Verkehrskreisteilnehmer ist ungeeignet, die äußerst heterogenen Topoi der Interessenabwägung (wozu auch das Prinzip der Eigenverantwortlichkeit gehören soll) zu spezifizieren und versagt vor allem in den Bereichen, in denen es an sog. Sondernormen mangelt.

Fazit469

Auch im Rahmen der Schuld zeigt sich die unberechtigt vereinnahmende Rolle des Sorgfaltsbegriffs. In Fällen sog. unbewusster Fahrlässigkeit macht das die Fahrlässigkeitsschuld angeblich prägende Merkmal der subjektiven Sorgfaltspflichtverletzung die Feststellung potentiellen Unrechtsbewusstseins obsolet. Darüber hinaus soll es einer eigenständigen Prüfung der Entschuldigungsgründe nicht mehr bedürfen; die Feststellung der Sorgfaltswidrigkeit verkommt vielmehr zu einer völlig offenen „Zumutbarkeitsschau“. Der Terminus der Sorgfaltspflichtverletzung amalgamiert (im Rahmen des Vorsatzdeliktes mühsam) als zu unterscheiden herausgearbeitete Wertungsmomente; bestenfalls wird damit gesetzgemäße Rechtsfindung lediglich erschwert. Im Übrigen darf hier nur nochmals nachdrücklich gefragt werden, wie sich nach der überwiegenden Auffassung überhaupt spezifische Fahrlässigkeitsschuld definieren lassen sollte: Worin liegt der Unterschied fahrlässiger Schuld zur Schuld einer im vermeidbaren Verbotsirrtum begangenen Tat? Aufgrund der mannigfaltigen Verwerfungen der tradierten Straftatlehre regt sich vor allem im jüngeren Schrifttum Widerspruch. Diesen Stellungnahmen aus der Literatur zum Aufbau des Fahrlässigkeitsdelikts ist zumeist gemein, Vorsatz und Fahrlässigkeit weit weniger voneinander zu separieren, als es die (noch) herrschende Lehre tut. Dieses Anliegen ist nachdrücklich zu begrüßen, ist ein Ausschlussverhältnis beider doch sachlich nicht begründbar. Dies zeigt sich nicht zuletzt bei der (in der Praxis) durchaus schwierigen Unterscheidung zwischen sog. dolus eventualis und bewusster Fahrlässigkeit (en passant: auch die überwiegende Meinung nimmt das von ihr nachdrücklich postulierte Aliud-Theorem schlussendlich selbst nicht ernst, da man ihrzufolge in Fällen eines non liquet – trotz Nichterweislichkeit des Vorsatzes – aus dem korrespondierenden Fahrlässigkeitstatbestand strafen können soll; es liege eben ein „normatives Stufenverhältnis“ vor). Einem Teil der neueren Lehren kommt weiterhin das Verdienst zu, aufgezeigt zu haben, dass die Bestimmung einer rein objektiven Sorgfaltswidrigkeit nicht gelingen kann. Die sodann oft gezogene Konsequenz, man habe bereits den (Unrechts-)Tatbestand komplett zu individualisieren (sei es durch das Abstellen auf eine individuelle Sorgfaltspflichtverletzung, sei es durch die Kennzeichnung der Fahrlässigkeit als individuelle Erkennbarkeit des Überschreitens des erlaubten Risikos oder dergleichen) geht jedoch fehl. Bei einer solchen Grundlegung gerät die gesetzlich vorgegebene Differenzierung von Unrecht und Schuld ins Wanken (worauf auch die im Ergebnis durchaus berechtigte Kritik der herrschenden Meinung hinweist). Grund für die zwar geleugnete, aber (scheinbar) sachlich unabwendbare Verschmelzung von Unrecht und Schuld sind unrichtige normentheoretische Prämissen. Man meint, es gebe von Rechts wegen konkret-individuelle Ver- und Gebote. Die Strafgesetze sind jedoch gerade nicht in der Weise zu denken

470 Fazit

oder umzudeuten, dass ihnen an den einzelnen Menschen adressierte rechtliche Verhaltensnormen vorgelagert sind. Eine solche Existenz ist unbelegt. Die (Straf-)Gesetze sind vielmehr ausschließlich an den Rechtsstab gerichtet. Vermittelt über dessen rechtliche Entscheidungen entfalten sie Wirkung für das konkrete Individuum; sie wirken mittelbar. Damit verlangt strafrechtliches Unrecht – nebenbei: ebenso wie zivilrechtliches – auch nicht das Vorliegen eines Bestimmungs- oder Verhaltensnormverstoßes. Das unmögliche Unterfangen, eine ex ante bestehende, konkret-individuelle, aber plakativ wirken sollende Verhaltensnorm für die Fahrlässigkeitsstraftat zu formulieren, stellt sich nicht. Auf der Grundlage dieser Erkenntnisse lässt sich ein für die Praxis leicht zu handhabendes Prüfungsschema für die Fahrlässigkeitsstraftat entwickeln. Problembereiche können nach klaren Wertungskriterien abgeschichtet werden; Vorsatz- und Fahrlässigkeitsstraftat werden gleichförmig strukturiert. Die Rechtsanwendung sieht sich damit im Hinblick auf die oft beklagte Überkomplexität der Straftatlehre entlastet. Durch den Aufweis gleichartiger Strukturen sollte es einfacher möglich sein, gefundene Ergebnisse rational zu begründen und überprüfbar zu machen. Die im StGB ausdrücklich vertypten Elemente Unrecht und Schuld sowie die Strafwürdigkeit geben uns insofern einen festen Rahmen vor. Diese gesetzlichen Axiome leiten unsere dogmatischen Bemühungen; ihre unmittelbaren Auswirkungen auf die Strafbarkeit des Einzelnen stellen sich wie folgt dar: Der Unrechtstatbestand des Fahrlässigkeitsdelikts ist geprägt durch einen Rechtsgutsangriff, der sich – abhängig von den spezifischen Strafvorschriften im Besonderen Teil des StGB – verschiedenartig individualisiert sieht. In jedem Falle bedarf es zu dessen Bejahung aber des Schaffens einer typisierten objektiven Gefahr für ein Rechtsgut; der Rechtsstab hat sich insofern eines nachträglichen ex ante-Standpunktes unter Zugrundelegung des Höchstwissens der Zeit zu bedienen. Verlangen die Strafvorschriften darüber hinaus noch den Eintritt eines Erfolges, wie etwa die besonders praxisrelevanten Tatbestände von fahrlässiger Tötung (§ 222 StGB) und fahrlässiger Körperverletzung (§ 229 StGB), ist weiter zu fragen, ob dem Täter der eingetretene Erfolg auch zugerechnet werden kann. Diese objektive Zurechnung hat auf Grundlage einer ex post-Betrachtung zu erfolgen. Individuelle Momente bleiben bei diesem Zurechnungsschritt außer Betracht. Es ist deutlichst darauf hinzuweisen, dass hier nicht die Feststellung verlangt wird, dass sich eine unerlaubte, rechtlich missbilligte oder ähnlich umschriebene Gefahr verwirklicht hat. Die Realisierung des vertypten (Erfolgs-)Risikos und die etwaige Unerlaubtheit der Tat sind explizit getrennt zu behandeln. Das den Unrechtstatbestand ebenfalls prägende Merkmal der (erlangbaren) Tatumstandskenntnis (vgl. § 16 I StGB) hat sich dementsprechend nur auf

Fazit471

die „nackte“ Gefahrschaffung und deren ggf. nachzuweisende Realisierung im Erfolg zu beziehen. Hinsichtlich des Tatbewusstseins ist auf das Individuum zu blicken – notwendig zu berücksichtigen ist damit dessen sog. Sonderwissen (und die über dieses vermittelten Sonderfähigkeiten). Ausdrücklich falsch wäre es dagegen, auf eine Maßstabsfigur rekurrieren zu wollen. Mindestvoraussetzung für die Bejahung des Unrechtstatbestandes einer fahrlässigen Straftat ist also, dass der individuelle Täter die im Tatbestand vertypte Gefahr für das Rechtsgut erkennen konnte, er also in potentieller Kenntnis der Tatumstände handelte. Bei der Untersuchung des Unrechtsausschlusses (der etwaigen Aufhebung des Rechtswidrigkeitsurteils) wird der Blick des Rechtsanwenders erweitert. Das Geschehen wird umfassend gewürdigt. Es ist zu prüfen, ob die festgestellte wertwidrige Gutsverletzung gerechtfertigt ist. Hier hat die dem § 34 StGB ähnliche Güter- und Interessenabwägung ihren Platz: Handelt der Täter im Bereich des erlaubten Risikos, ist sein Tun nicht rechtswidrig; es fehlt dann am strafrechtlichen Unrecht. Für die Ermittlung des Sozialadäquaten im konkreten Einzelfall ist die bereits auf der Ebene des Unrechtstatbestandes abgehandelte Vorfrage nach der Tatumstandskenntnis eine höchst wichtige: Je leichter erlangbar, je sicherer das Wissen des Täters um das Rechtsgutsverletzende seines Verhaltens ist, desto schwerer erscheint es, den vom Täter geführten Angriff zu rechtfertigen. Es gibt demnach entgegen der herrschenden Meinung keine rein objektiv ermittelbare Sorgfaltswidrigkeit; das individuelle (potentielle) Tatbewusstsein ist für die Bestimmung des erlaubten Risikos mitentscheidend (insofern liegen die Kritiker der überwiegenden Auffassung richtig). Vom Unrecht ist die Schuld dann dahingehend begrifflich klar abgrenzbar, als für die Begründung des Rechtswidrigkeitsurteils lediglich die psychischen Beziehungen des Täters zum Rechtsgutsangriff in seiner tatsächlichen Seite Berücksichtigung finden, während die Elemente geistiger, das heißt gegen den Wert als Wert gerichteter Verfehlung für die Begründung der Vorwerfbarkeit des Verhaltens Bedeutung erlangen. Der Schuldtatbestand vertypt also eine eigenständige Wertverletzung, dessen zentrales Moment das Unrechtsbewusstsein ist (vgl. § 17 StGB): Fahrlässigkeit – als Schuldform – verlangt, dass es dem Täter in der konkreten Tatsituation möglich war, das Unerlaubte seines Verhaltens zu erkennen. Eine solche Begriffsbestimmung fahrlässiger Schuld vermeidet die Schwächen anderer Grundlegungen: Weder ist ein Bekenntnis zu einem indeterministischen Willensschuldbegriff notwendig, noch ist eine Strafbarkeit nur in Fällen sog. bewusster Fahrlässigkeit möglich. Ebenfalls fügt sich das regelmäßig für schwer lösbar gehaltene Phänomen der „Rechtsfahrlässigkeit“ ebenso bruchlos in die Gesamtsystematik ein wie die Rechtsfigur der Leichtfertigkeit, die

472 Fazit

sich als besonders leicht erlangbares Unrechtsbewusstsein definieren lässt. Schließlich bleibt festzuhalten, dass der Schuldausschluss beim Fahrlässigkeitsdelikt keine dogmatischen Besonderheiten aufweist. Regelmäßig weniger thematisiert wird auch beim Fahrlässigkeitsdelikt das dritte Straftatelement – die tatbestandsmäßige Strafwürdigkeit. Sie ist bei einem Täterverhalten zu bejahen, das die Grundlagen des Zusammenlebens in gemeinschaftszerstörender Weise angreift. Diesen von Unrecht und Schuld abhängigen Strafwürdigkeitsgehalt vertypt der Gesetzgeber bereits durch die jeweilige Rechtsfolgenandrohung des Strafgesetzes: „wird … bestraft“. Vor allem in den Geringfügigkeitsfällen fehlt es – in der Sache unbestritten – an der verlangten tatbestandsmäßigen Strafwürdigkeit, weil hier die Mindestbedingungen des gedeihlichen Zusammenlebens gerade nicht so stark erschüttert sind, dass es staatlicher Strafe bedürfte. Erst durch den Aufweis dieses Deliktselements ist es möglich, zahlreiche dogmatische Ungereimtheiten der tradierten (Fahrlässigkeits-)Lehren zu beseitigen. Insbesondere die Probleme um die sog. „eigenverantwortliche Selbstgefährdung“ bzw. „einverständliche Fremdgefährdung“ können ebenso wie das sog. „rechtmäßige Alternativverhalten“ ohne begriffliche Verrenkungen praxisgerechten Lösungen zugeführt werden, da mit der Strafwürdigkeit nunmehr das entscheidende eigenständige materielle Wertungskriterium ermittelt ist. Ebenso wie Unrecht und Schuld in begründende und ausschließende Merkmale zu gliedern sind, erfolgt die Einteilung auch bei der Strafwürdigkeit: Löscht etwa der Täter den von ihm fahrlässig verursachten Brand bevor ein erheblicher Schaden entstanden ist, führt sein positiv zu bewertendes Nachtatverhalten dazu, das Strafwürdigkeitsurteil über die Gesamttat zu negieren (Strafwürdigkeitsausschluss gemäß § 306e II StGB). Aufgrund der aufgewiesenen Strukturen bleibt damit festzuhalten, dass das Fahrlässigkeitsdelikt kein Aliud zur Vorsatzstraftat ist. Beide stehen in einem Plus-Minus-Verhältnis und sind begrifflich durch unterschiedliche Anforderungen im Schuldtatbestand voneinander geschieden. An genügender gesetzlicher Bestimmtheit der Fahrlässigkeit ist nicht zu zweifeln: Fahrlässigkeit als Straftatmerkmal ist potentielles, d. h. erlangbares Unrechtsbewusstsein.

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Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch: Joecks, Wolfgang u. a. (Hrsg.),

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Band 4: §§ 185–262 StGB, 2. Auflage, München 2012 (zit.: MK-Bearbeiter)



Band 6: Nebenstrafrecht I, 2. Auflage, München 2013 (zit.: MK-Bearbeiter)

Münzberg, Wolfgang: Verhalten und Erfolg als Grundlagen der Rechtswidrigkeit und Haftung, Frankfurt am Main 1966 Müssig, Bernd: Rechts- und gesellschaftstheoretische Aspekte der objektiven Zurechnung im Strafrecht – Zu Ansätzen einer Systematisierung, in: Rogall, Klaus u. a. (Hrsg.), Festschrift für Hans-Joachim Rudolphi zum 70. Geburtstag, Neuwied 2004, S. 165 ff. – Zurechnungsformen als gesellschaftliche Praxis. Zu den normativen Grundlagen der objektiven Zurechnung im Strafrecht, in: Pawlik, Michael u. a. (Hrsg.), Festschrift für Günther Jakobs zum 70. Geburtstag am 26. Juli 2007, Köln 2007, S.  405 ff. – Tatbeteiligte und Verfahrensbeteiligte als ‚Partei‘ i. S. d. § 356 StGB? – (Neue?) strafrechtliche Grenzziehungen. Anmerkung zu BGH vom 25.6.2008 – 5 StR 109 / 07 (NStZ 2008, 627 ff.), NStZ 2009, 421 ff.

Literaturverzeichnis503 Murmann, Uwe: Zur Berücksichtigung besonderer Kenntnisse, Fähigkeiten und Absichten bei der Verhaltensnormkonturierung, in: Putzke, Holm u. a. (Hrsg.), Strafrecht zwischen System und Telos. Festschrift für Rolf Dietrich Herzberg zum siebzigsten Geburtstag am 14. Februar 2008, Tübingen 2008, S. 123 ff. – Grundkurs Strafrecht. Allgemeiner Teil, Tötungsdelikte, Körperverletzungsdelikte, 3. Auflage, München 2015 Mylonopoulos, Christos: Über das Verhältnis von Handlungs- und Erfolgsunwert im Strafrecht. Eine Studie zur Entwicklung der personalen Unrechtslehren, Köln 1981 – Das Verhältnis von Vorsatz und Fahrlässigkeit und der Grundsatz in dubio pro reo. Eine strafrechtlich-rechtstheoretische Untersuchung, ZStW 99 (1987), 685 ff. – Internationalisierung des Strafrechts und Strafrechtsdogmatik. Legitimationsdefizit und Anarchie als Hauptcharakteristika der Strafrechtsnormen mit internationalem Einschlag, ZStW 121 (2009), 68 ff. Nagler, Johannes: Der heutige Stand der Lehre von der Rechtswidrigkeit, in: Festschrift für Karl Binding zum 4. Juni 1911, Zweiter Band, Leipzig 1911, S. 273 ff. Naka, Yoshikatsu: Die Appellfunktion des Tatbestandsvorsatzes, JZ 1961, 210 f. Naucke, Wolfgang: Grundlinien einer rechtsstaatlich-praktischen allgemeinen Straftatlehre, Wiesbaden 1979 Neumann, Ulfried: Normtheorie und strafrechtliche Zurechnung, GA 1985, 389 ff. – Besprechung von Andreas Hoyer, Strafrechtsdogmatik nach Armin Kaufmann. Lebendiges und Totes in Armin Kaufmanns Normentheorie, GA 1999, 443 ff. – Die Schuldlehre des Bundesgerichtshofs – Grundlagen, Schuldfähigkeit, Verbotsirrtum, in: Canaris, Claus-Wilhelm u. a. (Hrsg.), 50 Jahre Bundesgerichtshof. Festgabe aus der Wissenschaft, Band IV. Strafrecht, Strafprozessrecht, München 2000, S.  83 ff. – Wissenschaftstheorie der Rechtswissenschaft, in: Kaufmann, Arthur u. a. (Hrsg.), Einführung in die Rechtsphilosophie und Rechtstheorie der Gegenwart, 7. Auflage, Heidelberg 2004, S. 385 ff. Niese, Werner: Finalität, Vorsatz und Fahrlässigkeit, Tübingen 1951 – Ein Beitrag zur Lehre vom ärztlichen Heileingriff, in: Bockelmann, Paul u. a. (Hrsg.), Festschrift für Eberhard Schmidt zum 70. Geburtstag, 2. Auflage, Göttingen 1971, S. 364 ff. Niewenhuis, Helmut: Gefahr und Gefahrverwirklichung im Verkehrsstrafrecht, Gelsenkirchen 1984 Nomos-Kommentar: Kindhäuser, Urs u. a. (Hrsg.), Strafgesetzbuch. Band 1: §§ 1–79b, 4. Auflage, Baden-Baden 2013 (zit.: NK-Bearbeiter) Nowakowski, Friedrich: Freiheit, Schuld, Vergeltung, in: Hohenleitner, Siegfried u. a. (Hrsg.), Festschrift für Theodor Rittler. Zu seinem achtzigsten Geburtstag, Aalen 1957, S.  55 ff.

504 Literaturverzeichnis – Zu Welzels Lehre von der Fahrlässigkeit – Eine Besprechungsabhandlung, JZ 1958, 335 ff., 388 ff. – Probleme der Strafrechtsdogmatik. Zugleich eine Besprechung von Jeschecks Lehrbuch des Strafrechts, JBl 1972, 19 ff. Oehler, Dietrich: Das objektive Zweckmoment in der rechtswidrigen Handlung, Berlin 1959 – Die erlaubte Gefahrsetzung und die Fahrlässigkeit, in: Bockelmann, Paul u. a. (Hrsg.), Festschrift für Eberhard Schmidt zum 70. Geburtstag, 2. Auflage, Göttingen 1971, S. 232 ff. Ollig, Hans-Ludwig: Einleitung, in: Ollig, Hans-Ludwig (Hrsg.), Neukantianismus. Texte der Marburger und der Südwestdeutschen Schule, ihrer Vorläufer und Kritiker, Stuttgart 1982, S. 5 ff. Otto, Harro: Methode und System in der Rechtswissenschaft, ARSP 55 (1969), 493 ff. – Kausaldiagnose und Erfolgszurechnung im Strafrecht, in: Schroeder, FriedrichChristian u. a. (Hrsg.), Festschrift für Reinhart Maurach zum 70. Geburtstag, Karlsruhe 1972, S. 91 ff. – Grenzen der Fahrlässigkeitshaftung im Strafrecht – OLG Hamm, NJW 1973, 1422, JuS 1974, 702 ff. – Personales Unrecht, Schuld und Strafe, ZStW 87 (1975), 539 ff. – Über den Zusammenhang von Schuld und menschlicher Würde, GA 1981, 481 ff. – Eigenverantwortliche Selbstschädigung und -gefährdung sowie einverständliche Fremdschädigung und -gefährdung, in: Jescheck, Hans-Heinrich u. a. (Hrsg.), Festschrift für Herbert Tröndle zum 70. Geburtstag am 24. August 1989, Berlin 1989, S.  157 ff. – Anmerkung zu BGH, Beschl. v. 21.3.2001 – 1 StR 48 / 01 (LG Ellwangen), NStZ 2001, 591 ff. – Grundlagen der strafrechtlichen Haftung für fahrlässiges Verhalten, in: Duttge, Gunnar u. a. (Hrsg.), Gedächtnisschrift für Ellen Schlüchter, Köln 2002, S. 77 ff. – Grundkurs Strafrecht. Allgemeine Strafrechtslehre, 7. Auflage, Berlin 2004 – Grundkurs Strafrecht. Die einzelnen Delikte, 7. Auflage, Berlin 2005 – Soziale Adäquanz als Auslegungsprinzip, in: Böse, Martin u. a. (Hrsg.), Grundlagen des Straf- und Strafverfahrensrechts. Festschrift für Knut Amelung zum 70. Geburtstag, Berlin 2009, S. 225 ff. Paeffgen, Hans-Ullrich: Die erfolgsqualifizierten Delikte – eine in die allgemeine Unrechtslehre integrierbare Deliktsgruppe?, JZ 1989, 220 ff. – Anmerkungen zum Erlaubnistatbestandsirrtum, in: Dornseifer, Gerhard u.  a. (Hrsg.), Gedächtnisschrift für Armin Kaufmann, Köln 1989, S. 399 ff. Palandt, Otto: Bürgerliches Gesetzbuch, 74. Auflage, München 2015 (zit.: PalandtBearbeiter)

Literaturverzeichnis505 Paulson, Stanley L.: Ein ewiger Mythos: Gustav Radbruch als Rechtspositivist – Teil I, JZ 2008, 105 ff. Pawlik, Michael: Person, Subjekt, Bürger. Zur Legitimation von Strafe, Berlin 2004 – „Der wichtigste dogmatische Fortschritt der letzten Menschenalter?“ – Anmerkungen zur Unterscheidung zwischen Unrecht und Schuld im Strafrecht, in: Dannecker, Gerhard u. a. (Hrsg.), Festschrift für Harro Otto zum 70. Geburtstag am 1. April 2007, Köln 2007, S. 133 ff. – Strafrechtswissenschaft, in: Pawlik, Michael u. a. (Hrsg.), Festschrift für Günther Jakobs zum 70. Geburtstag am 26. Juli 2007, Köln 2007, S. 469 ff. – Der Kampf ums Dasein. Innovationen in der Allgemeinen Verbrechenslehre, evolutionstheoretisch betrachtet, in: Stuckenberg, Carl-Friedrich u. a. (Hrsg.), Strafe und Prozess im freiheitlichen Rechtsstaat: Festschrift für Hans-Ullrich Paeffgen zum 70. Geburtstag am 2. Juli 2015, Berlin 2015, S. 13 ff. Pérez-Barberá, Gabriel: Vorsatz als Vorwurf. Zur Abkehr von der Idee des Vorsatzes als Geisteszustand, GA 2013, 454 ff. Perron, Walter: Rechtfertigung und Entschuldigung im deutschen und spanischen Recht. Ein Strukturvergleich strafrechtlicher Zurechnungssysteme, Baden-Baden 1988 – Sind die nationalen Grenzen des Strafrechts überwindbar?, ZStW 109 (1997), 282 ff. Pfefferkorn, Fabian: Grenzen strafbarer Fahrlässigkeit im französischen und deutschen Recht, Berlin 2006 Philipps, Lothar: Normentheorie, in: Kaufmann, Arthur u. a. (Hrsg.), Einführung in die Rechtsphilosophie und Rechtstheorie der Gegenwart, 7. Auflage, Heidelberg 2004, S.  320 ff. Plack, Arno: Plädoyer für die Abschaffung des Strafrechts, München 1974 Plate, Hartwig: Ernst Beling als Strafrechtsdogmatiker. Seine Lehren zur Begriffsund Systembildung, Berlin 1966 Platzgummer, Winfried: Die „Allgemeinen Bestimmungen“ des Strafgesetzbuches im Licht der neueren Strafrechtsdogmatik, JBl 1971, 236 ff. Popper, Karl R.: Logik der Forschung, 9. Auflage, Tübingen 1989 Preuß, Wilhelm: Untersuchungen zum erlaubten Risiko im Strafrecht, Berlin 1974 Prittwitz, Cornelius: Strafrecht und Risiko. Untersuchungen zur Krise von Strafrecht und Kriminalpolitik in der Risikogesellschaft, Frankurt am Main 1993 Prütting, Hanns / Wegen, Gerhard / Weinreich, Gerd: BGB. Kommentar, 9. Auflage, Köln 2014 (zit.: Bearbeiter, PWW-BGB) Puppe, Ingeborg: Die Norm des Vollrauschtatbestandes, GA 1974, 98 ff. – Die Beziehung zwischen Sorgfaltswidrigkeit und Erfolg bei den Fahrlässigkeitsdelikten, ZStW 99 (1987), 595 ff.

506 Literaturverzeichnis – Die strafrechtliche Verantwortlichkeit für Irrtümer bei der Ausübung der Notwehr und für deren Folgen. – Zugleich eine Besprechung des LG (Schwurgericht) München I vom 10.11.1987 – KS 121 Js 4866 / 86, JZ 1989, 728 ff. – Wilhelm Gallas als akademischer Lehrer, in: Küper, Wilfried (Hrsg.), In memoriam Wilhelm Gallas (1903–1989). Gedächtnisfeier am 2. November 1990, Heidelberg 1991, S. 29 ff. – Der Vorstellungsinhalt des dolus eventualis, ZStW 103 (1991), 1 ff. – Zur Struktur der Rechtfertigung, in: Küper, Wilfried u. a. (Hrsg.), Beiträge zur Rechtswissenschaft. Festschrift für Walter Stree und Johannes Wessels zum 70. Geburtstag, Heidelberg 1993, S. 183 ff. – Die Lehre von der objektiven Zurechnung dargestellt an Beispielsfällen aus der höchstrichterlichen Rechtsprechung. IV. Zurechnung bei mehreren Beteiligten, Jura 1998, 21 ff. – Die Erfolgszurechnung im Strafrecht. Dargestellt an Beispielsfällen aus der höchstrichterlichen Rechtsprechung, 1. Auflage, Baden-Baden 2000 – Strafrecht Allgemeiner Teil im Spiegel der Rechtsprechung. Band 1. Die Lehre von Tatbestandsmäßigkeit, Rechtswidrigkeit, Schuld, Baden-Baden 2002 – Begriffskonzeptionen des dolus eventualis, GA 2006, 65 ff. – Der Aufbau des Verbrechens, in: Dannecker, Gerhard u. a. (Hrsg.), Festschrift für Harro Otto zum 70. Geburtstag am 1. April 2007, Köln 2007, S. 389 ff. – Die Selbstgefährdung des Verletzten beim Fahrlässigkeitsdelikt. Das Auftauchen des Selbstgefährdungsgedankens in der deutschen Rechtsprechung, ZIS 2007, 247 ff. – Die Lehre von der objektiven Zurechnung und ihre Anwendung, ZJS 2008, 488 ff., 600 ff. – Jedem nach seiner Schuld. Die Akzessorietät und ihre Limitierung, ZStW 120 (2008), 504 ff. – Mitverantwortung des Fahrlässigkeitstäters bei Selbstgefährdung des Verletzten. Zugleich eine Besprechung von BGH, Urteil vom 20.11.2008, GA 2009, 486 ff. Radbruch, Gustav: Über den Schuldbegriff, ZStW 24 (1904), 333 ff. – Zur Systematik der Verbrechenslehre, in: Hegler, August (Hrsg.), Festgabe für Reinhard von Frank zum 70. Geburtstag, 16. August 1930, Band 1, Neudruck der Ausgabe Tübingen 1930, Aalen 1969, S. 158 ff. Radtke, Henning / Hoffmann, Maike: Die Verantwortungsbereiche von Schädiger und Geschädigtem bei sog. „Retterschäden“, GA 2007, 201 ff. Raiser, Thomas: Grundlagen der Rechtssoziologie, 5. Auflage, Tübingen 2009 Ranft, Ottfried: Berücksichtigung hypothetischer Bedingungen beim fahrlässigen Erfolgsdelikt, NJW 1984, 1425 ff. Regner, Reinhard G.: Fahrlässigkeit bei Konkursdelikten. Sorgfaltspflichten der handelsrechtlichen Buchführung und ihre Bedeutung im Konkursstrafrecht, Hamburg 1998

Literaturverzeichnis507 Rehbinder, Manfred: Rechtssoziologie, 8. Auflage, München 2014 Rehr-Zimmermann, Michael: Die Struktur des Unrechts in der Gegenwart der Strafrechtsdogmatik, Münster 1994 Rengier, Rudolf: Strafrecht Allgemeiner Teil, 7. Auflage, München 2015 Renzikowski, Joachim: Notstand und Notwehr, Berlin 1994 – Restriktiver Täterbegriff und fahrlässige Beteiligung, Tübingen 1997 – Normentheorie als Brücke zwischen Strafrechtsdogmatik und Allgemeiner Rechtslehre – zugleich eine Auseinandersetzung mit Andreas Hoyer: Strafrechtsdogmatik nach Armin Kaufmann, ARSP 87 (2001), 110 ff. – Anmerkung zu Urteil des BGH v. 11.4.2000 – 1 StR 638 / 99, JR 2001, 246 ff. – Die Unterscheidung von primären Verhaltens- und sekundären Sanktionsnormen in der analytischen Rechtstheorie, in: Dölling, Dieter u. a. (Hrsg.), Festschrift für Karl Heinz Gössel zum 70. Geburtstag: am 16. Oktober 2002, Heidelberg 2002, S.  3 ff. – Normentheorie und Strafrechtsdogmatik, in: Alexy, Robert (Hrsg.), Juristische Grundlagenforschung. Tagung der Deutschen Sektion der Internationalen Vereinigung für Rechts- und Sozialphilosophie (IVR) vom 23. bis 25. September 2004 in Kiel, ARSP Beiheft Nr. 104, Wiesbaden 2005, S. 115 ff. – Pflichten und Rechte – Rechtsverhältnis und Zurechnung, GA 2007, 561 ff. – Eigenverantwortliche Selbstgefährdung, einverständliche Fremdgefährdung und ihre Grenzen. Besprechung zu BGH v. 20.11.2008 – 4 StR 328 / 08 (BGH HRRS 2009 Nr. 93), HRRS 2009, 367 ff. Reyes, Yesid: Theoretische Grundlagen der objektiven Zurechnung, ZStW 105 (1993), 108 ff. Rinck, Klaus: Der zweistufige Deliktsaufbau, Berlin 2000 Roeder, Hermann: Die Einhaltung des sozialadäquaten Risikos und ihr systematischer Standort im Verbrechensaufbau, Berlin 1969 Rödig, Jürgen: Zur Problematik des Verbrechensaufbaus, in: Warda, Günter u. a. (Hrsg.), Festschrift für Richard Lange zum 70. Geburtstag, Berlin 1976, S. 39 ff. Röhl, Klaus / Röhl, Christian: Allgemeine Rechtslehre. Ein Lehrbuch, 3. Auflage, Köln 2008 Röhl, Klaus F.: Praktische Rechtstheorie: Die deontischen Modalitäten, JA 1999, 600 ff. – Praktische Rechtstheorie: Die Abgrenzung von Tun und Unterlassen und das fahrlässige Unterlassungsdelikt, JA 1999, 895 ff. Rönnau, Thomas: Grundwissen – Strafrecht: Subjektive Rechtfertigungselemente, JuS 2009, 594 ff. – Grundwissen – Strafrecht: Sozialadäquanz, JuS 2011, 311 ff. Rönnau, Thomas / Faust, Florian / Fehling, Michael: Durchblick: Kausalität und objektive Zurechnung, JuS 2004, 113 ff.

508 Literaturverzeichnis Rössner, Dieter: Fahrlässiges Verhalten im Sport als Prüfstein für die Fahrlässigkeitsdogmatik, in: Weigend, Thomas u. a. (Hrsg.), Festschrift für Hans Joachim Hirsch zum 70. Geburtstag am 11. April 1999, Berlin 1999, S. 313 ff. – Die unverzichtbaren Aufgaben des Strafrechts im System der Verhaltenskontrolle. Elemente einer interkulturellen Strafrechtstheorie, in: Gedächtnisschrift für Rolf Keller, hrsg. von den Strafrechtsprofessoren der Tübinger Juristenfakultät und vom Justizministerium Baden-Württemberg, Tübingen 2003, S. 213 ff. Röttger, Wolfgang: Unrechtsbegründung und Unrechtsausschluß nach den finalistischen Straftatlehren und nach einer materialen Konzeption, Berlin 1993 Roos, Christoph: Die Vermeidbarkeit des Verbotsirrtums nach § 17 StGB im Spiegel der BGH-Rechtsprechung. Zugleich ein Beitrag zur Analyse latenter richterlicher Wertungen in Entscheidungsgründen, Berlin 2000 Rosenfeld, Ernst Heinrich: Schuld und Vorsatz im v. Lisztschen Lehrbuch, ZStW 32 (1911), 466 ff. Rost, Wolfgang: Die Rechtfertigungsgründe bei Fahrlässigkeitsdelikten, Diss., München 1965 Roth, Gerhard: Willensfreiheit, Verantwortlichkeit und Verhaltensautonomie des Menschen aus der Sicht der Hirnforschung, in: Dölling, Dieter (Hrsg.), Jus humanum, Grundlagen des Rechts und Strafrecht, Festschrift für Ernst-Joachim Lampe zum 70. Geburtstag, Berlin 2003, S. 43 ff. Roxin, Claus: Pflichtwidrigkeit und Erfolg bei den fahrlässigen Delikten, ZStW 74 (1962), 411 ff. – Zur Kritik der finalen Handlungslehre, ZStW 74 (1962), 515 ff. – Literaturbericht, I. Ulsenheimer, Klaus: Das Verhältnis zwischen Pflichtwidrigkeit und Erfolg bei den Fahrlässigkeitsdelikten. Bonner Rechtswissenschaftliche Abhandlungen, Band 65. Ludwig Röhrscheid Verlag, Bonn. 1965. 158 Seiten, ZStW 78 (1966), 214 ff. – Offene Tatbestände und Rechtspflichtmerkmale, 2. Auflage, Berlin 1970 – Gedanken zur Problematik der Zurechnung im Strafrecht, in: Festschrift für Richard M. Honig. Zum 80 Geburtstag 3. Januar 1970. Dargebracht von Freunden und Kollegen, Göttingen 1970, S. 133 ff. – Zum Schutzzweck der Norm bei fahrlässigen Delikten, in: Lackner, Karl u. a. (Hrsg.), Festschrift für Wilhelm Gallas zum 70. Geburtstag am 22. Juli 1973, Berlin 1973, S. 241 ff. – Was bleibt von der Schuld im Strafrecht übrig?, SchwZStr 104 (1987), 356 ff. – Finalität und objektive Zurechnung, in: Dornseifer, Gerhard u. a. (Hrsg.), Gedächtnisschrift für Armin Kaufmann, Köln 1989, S. 237 ff. – Bemerkungen zum Regressverbot, in: Jescheck, Hans-Heinrich u. a. (Hrsg.), Festschrift für Herbert Tröndle zum 70. Geburtstag am 24. August 1989, Berlin 1989, S.  177 ff.

Literaturverzeichnis509 – Die Strafrechtswissenschaft vor den Aufgaben der Zukunft, in: Eser, Albin u. a. (Hrsg.), Die deutsche Strafrechtswissenschaft vor der Jahrtausendwende. Rückbesinnung und Ausblick, München 2000, S. 369 ff. – Strafrecht. Allgemeiner Teil, Band I, Grundlagen, Der Aufbau der Verbrechenslehre, 4. Auflage, München 2006 – Zur einverständlichen Fremdgefährdung. Zugleich Besprechung von BGH, Urteil v. 20.11.2008 – 4 StR 328 / 08, JZ 2009, 399 ff. – Der Streit um die einverständliche Fremdgefährdung, GA 2012, 655 ff. Rudolphi, Hans-Joachim: Unrechtsbewusstsein, Verbotsirrtum und Vermeidbarkeit des Verbotsirrtums, Göttingen 1969 – Vorhersehbarkeit und Schutzzweck der Norm in der strafrechtlichen Fahrlässigkeitslehre, JuS 1969, 549 ff. – Inhalt und Funktion des Handlungsunwertes im Rahmen der personalen Unrechtslehre, in: Schroeder, Friedrich-Christian u. a. (Hrsg.), Festschrift für Reinhart Maurach zum 70. Geburtstag, Karlsruhe 1972, S. 51 ff. – Das virtuelle Unrechtsbewußtsein als Strafbarkeitsvoraussetzung im Widerstreit zwischen Schuld und Prävention, in: Bönner, K. H. u. a. (Hrsg.), Unrechtsbewußtsein. Aus der Sicht des Täters. Aus der Sicht des Richters, Basel 1982, S.  1 ff. – Zweck staatlichen Strafrechts und Zurechnungsformen, in: Schünemann, Bernd (Hrsg.), Grundfragen des modernen Strafrechtssystems, Berlin 1984, S. 69 ff. – Rechtfertigungsgründe im Strafrecht. Ein Beitrag zur Funktion, Struktur und den Prinzipien der Rechtfertigung, in: Dornseifer, Gerhard u. a. (Hrsg.), Gedächtnisschrift für Armin Kaufmann, Köln 1989, S. 371 ff. Rüthers, Bernd / Fischer, Christian / Birk, Axel: Rechtstheorie mit Juristischer Methodenlehre, 6. Auflage, München 2011 Sacher, Mariana: Sonderwissen und Sonderfähigkeiten in der Lehre vom Straftatbestand, Berlin 2006 Safferling, Christoph J. M.: Vorsatz und Schuld. Subjektive Täterelemente im deutschen und englischen Strafrecht, Tübingen 2008 Salm, Karl: Das vollendete Verbrechen. Erster Teil: Über Fahrlässigkeit und Kausalität. Erster Halbband: Der Tatbestand des fahrlässigen Erfolgsdelikts, Berlin 1963 Samson, Erich: Strafrecht I. Wiederholungs- und Vertiefungskurs in den Kerngebieten des Rechts, 7. Auflage, Frankfurt am Main 1988 Sancinetti, Marcelo A.: Subjektive Unrechtsbegründung und Rücktritt vom Versuch. Zugleich eine Untersuchung der Unrechtslehre von Günther Jakobs, Köln 1995 Satzger, Helmut: Die Europäisierung des Strafrechts: eine Untersuchung zum Einfluß des Europäischen Gemeinschaftsrechts auf das deutsche Strafrecht, Köln 2001

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Mitzka, Walther (Hrsg.), Sechster Band: S, Berlin 1955

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Das deutsche Strafrecht. Eine systematische Darstellung, 2. Auflage, Berlin 1949 (zit.: Welzel, Strafrecht2) 3. Auflage, Berlin 1954 (zit.: Welzel, Strafrecht3) 4. Auflage, Berlin 1954 (zit.: Welzel, Strafrecht4) 5. Auflage, Berlin 1956 (zit.: Welzel, Strafrecht5) 6. Auflage, Berlin 1958 (zit.: Welzel, Strafrecht6) 7. Auflage, Berlin 1960 (zit.: Welzel, Strafrecht7) 8. Auflage, Berlin 1963 (zit.: Welzel, Strafrecht8) 9. Auflage, Berlin 1965 (zit.: Welzel, Strafrecht9) 11. Auflage, Berlin 1969 (zit.: Welzel, Strafrecht)

– Um die finale Handlungslehre. Eine Auseinandersetzung mit ihren Kritikern, Tübingen 1949 – Naturrecht und materiale Gerechtigkeit. Prolegomena zu einer Rechtsphilosophie, Göttingen 1951 – Fahrlässigkeit und Verkehrsdelikte. Zur Dogmatik der fahrlässigen Delikte, Vortrag gehalten vor der Juristischen Studiengesellschaft in Karlsruhe am 23. Juni 1960, Karlsruhe 1961 – Das neue Bild des Strafrechtssystems. Eine Einführung in die finale Handlungslehre, 4. Auflage, Göttingen 1961

520 Literaturverzeichnis – Zur Dogmatik im Strafrecht, in: Schroeder, Friedrich-Christian u. a. (Hrsg.), Festschrift für Reinhart Maurach zum 70. Geburtstag, Karlsruhe 1972, S. 3 ff. – Strafrecht und Philosophie (Erstveröffentlichung in: Kölner Universitäts-Zeitung, 12. Jg. 1930 Nr. 9. S. 5 ff.; sodann in: Welzel, Hans: Vom Bleibenden und Vergänglichen in der Strafrechtswissenschaft, Marburg 1964, S. 27 ff.), in: Welzel, Hans (Hrsg.), Abhandlungen zum Strafrecht und zur Rechtsphilosophie, Berlin 1975, S.  1 ff. – Über Wertungen im Strafrecht. Eine prinzipielle Bemerkung zur sog. emotionalnormativen Logik (ursprünglich in: GS 103 (1933), 340 ff.), in: Welzel, Hans (Hrsg.), Abhandlungen zum Strafrecht und zur Rechtsphilosophie, Berlin 1975, S.  23 ff. – Studien zum System des Strafrecht (ursprünglich in: ZStW 58 (1939), 491 ff.), in: Welzel, Hans (Hrsg.), Abhandlungen zum Strafrecht und zur Rechtsphilosophie, Berlin 1975, S. 120 ff. – Persönlichkeit und Schuld (ursprünglich: ZStW 60 (1941), 429 ff.), in: Welzel, Hans (Hrsg.), Abhandlungen zum Strafrecht und zur Rechtsphilosophie, Berlin 1975, S.  185 ff. Wessels, Johannes / Beulke, Werner / Satzger, Helmut: Strafrecht Allgemeiner Teil. Die Straftat und ihr Aufbau, 44. Auflage, Heidelberg 2014 Wessels, Johannes / Hettinger, Michael: Strafrecht Besonder Teil 1. Straftaten gegen Persönlichkeits- und Gemeinschaftswerte, 38. Auflage, Heidelberg 2014 Wieacker, Franz: Privatrechtsgeschichte der Neuzeit unter besonderer Berücksichtigung der deutschen Entwicklung, 2. Auflage, Göttingen 1967 Wieseler, Johannes: Der objektive und der individuelle Sorgfaltspflichtmaßstab beim Fahrlässigkeitsdelikt, Diss., Augsburg 1991 Wittgenstein, Ludwig: Philosophische Untersuchungen, mit einem Begriffregister von Wolfgang Breidert, 1. Auflage, Frankfurt am Main 1977 Wolff, Heinrich A.: Der Grundsatz „nulla poena sine culpa“ als Verfassungsrechtssatz, AöR 1999, 55 ff. Wolski, Sabine: Soziale Adäquanz, Diss., München 1990 Wolter, Jürgen: Adäquanz- und Relevanztheorie. Zugleich ein Beitrag zur objektiven Erkennbarkeit beim Fahrlässigkeitsdelikt, GA 1977, 257 ff. – Objektive und personale Zurechnung von Verhalten, Gefahr und Verletzung in einem funktionalen Straftatsystem, Berlin 1981 – Der „unmittelbare“ Zusammenhang zwischen Grunddelikt und schwerer Folge beim erfolgsqualifizierten Delikt, GA 1984, 443 ff. – Tatbestandsmäßiges Verhalten und Zurechnung des Erfolgs. Überlegungen zu der gleichnamigen Monographie von Wolfgang Frisch, GA 1991, 531 ff. – Verfassungsrecht im Strafprozeß- und Strafrechtssystem, NStZ 1993, 1 ff. – Strafwürdigkeit und Strafbedürftigkeit in einem neuen Strafrechtssystem. Zur Strukturgleichheit von Vorsatz und Fahrlässigkeitsdelikt, in: Wolter, Jürgen

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Sachregister Abirrungsfälle  362 Adäquanztheorie  111, 170, 197 Adressat der Rechtsnorm  57, 96, 146, 277, 280, 284, 287, 289, 301, 329, 336, 356 –– eingliedrige Theorie zum ~  344–350 –– zweigliedrige Theorie zum ~  341–344 Aliud-Theorie  151, 237, 273, 275, 293, 304, 305, 364–368, 375, 469, 472 Andershandelnkönnen –– Theorie vom ~  242–244, 250, 282, 439 Appellfunktion  218, 243, 263, 274, 329, 351, 364, 467 Äquivalenztheorie  162, 190 Arbeitsteilige Handlungen  180, 183, 424 Äußerlich verkehrsgerechtes Verhalten  412 Bagatellfälle  332, 452, 455, 472 Bedingungstheorie  104  siehe auch Äquivalenztheorie Begriffsjurisprudenz  42 Begriffsökonomie  194, 310 Bestimmtheitsgebot  31, 42, 153, 156, 215, 351–352, 407, 428 Bestimmungs- und Bewertungsnorm  58, 95–98, 141, 147, 149, 215, 227, 274, 278, 301, 313, 319, 328, 333, 335, 343, 350, 355, 360, 367, 369, 386, 387, 407, 409, 435, 468 Deduktive Methode  34, 60 Deliktsring  53, 329 Determinismus  siehe Willensfreiheit Disponibilität  205, 396, 456, 458, 461

Dolus eventualis  24, 72, 98, 267, 269, 295, 303, 366, 441, 469 Eigenverantwortliche Selbstgefährdung  203, 204–207, 419, 452, 456–462 Einheit der Rechtsordnung  27 Einheitstäterbegriff  459, 460 Einverständliche Fremdgefährdung  236  siehe auch Eigenverantwortliche Selbstgefährdung Einwilligung  206, 235, 396, 414, 456, 458, 461 Entschuldigungsgründe  79, 252, 269, 283, 332, 361, 428, 450, 469  siehe auch Schuld~ausschluss Erfolg –– Begriff des ~s  188, 396 Erfolgsqualifizierte Delikte  303, 448–450 Erkennbarkeit –– Bezugspunkt der ~  111, 160–164, 214, 258, 259, 318, 371–376, 384, 389, 395, 406 –– individuelle ~  298 –– Maßstab der objektiven ~  164–171, 172  siehe auch Verkehrskreis –– objektive ~  159–160 Erlaubnistatbestandsirrtum  221, 399, 443, 446 Erlaubtes Risiko –– ~ und straftatsystematische Verortung  225–230, 411–424 Erscheinungsform  47, 390 ex ante-Sicht  162, 165, 171, 172, 196, 214, 261, 288, 290, 294, 312–315, 318, 330, 333, 359, 381, 408, 435, 462, 468, 470

Sachregister523 ex post-Sicht  169, 171, 172, 196, 214, 288, 293, 308, 385–386, 408, 462, 465, 468, 470 Fahrlässigkeit –– ~ als individuelle Erkennbarkeit  298–305 –– ~ als individuelle Sorgfaltspflichtverletzung  276–283 –– ~ als Kenntnis des Risikosyndroms  296–298 –– ~ als Komplexbegriff  142, 467 –– ~ als nicht umschriebenes Vorsatzdelikt  152, 153, 294–298, 395, 403 –– ~ als Obliegenheitsverletzung im Sinne außerordentlicher Zurechnung  283–293 –– ~ als potentielle Finalität  122–128, 141 –– ~ als Teil der Risikodogmatik  306–317 –– bewusste ~  32–34, 72, 83, 111, 123, 173, 258–259, 265–269, 441–442 –– Definition der ~ (eigene Auffassung)  430, 472 –– Etymologie der ~  35–37 –– ~ im Zivilrecht  26–29 –– praktische Relevanz der ~  20–21 –– Rechts~  siehe dort –– Rechtsgeschichte der ~  37–40, 48–142 –– rechtsphilosophische Ansätze zur ~  32–35, 322, 441 –– Tat~  102, 431, 444, 445, 448 –– ~ unbewusste  327 –– unbewusste ~  32–34, 59, 63, 66, 72, 78, 81, 83, 85, 86, 98, 114, 123, 138, 173, 258–259, 261, 264, 265–269, 295, 308, 355, 386, 438–440 –– ~ und Unterlassungsdelikte  66, 121, 127, 135, 153, 154, 156, 158, 215, 277, 407, 464 Fall –– Apotheker~  201 –– Auffahrunfall~  412

–– Baseballschläger~  383 –– Beleuchtungs~  196 –– Beschleunigungstest~  457 –– Blaues-Auto~  381 –– Dreißig-Stundenkilometer~  382 –– Erbonkel~  228, 415, 416 –– Gewitter~  194 –– Giftpilz~  424 –– Handgranaten~  404 –– Heroinspritzen~  205, 461 –– HIV-~  206 –– Kohlenoxydgasvergiftungs~  109 –– Lastzug~  208 –– Leinenfänger~  271, 451 –– Logenschließer~  290 –– Memel~  207, 457, 461 –– Milchkoch~  364 –– Novokain~  200 –– Quasi-Slicks~  422 –– Radfahrer~  201, 202, 398, 401, 462 –– Schwelbrand~  357 –– Skifahrer~  277 –– Spielstraßen~  405 –– Stuhl~  365 –– Suppenkellner~  405 –– Wanderbank~  413 –– Warnschuss~  446 –– Ziegenhaare~  201 Freirechtslehre  42 Gefahrbegriff  168, 214, 308, 329, 374, 395 Gefahrenwechsel  397 Geltungsanordnung –– Theorie der ~  343 Gesetzliche Axiome  siehe System­ begriffe Gesetzlichkeitsprinzip  25, 41, 42 Güterabwägung  siehe Interessen­ abwägung Handlungslehren  157 Hirnforschung  244

524 Sachregister Imperativentheorie  56, 81, 96, 147, 279, 328, 333, 335, 342 Indeterminsmus  siehe Willensfreiheit Indizwirkung der Tatbestandsmäßigkeit  118, 129, 134, 217–220, 406 Induktive Methode  29, 41 Interessenabwägung –– Güter- und ~ als Unrechtsausschluss  410–411 –– Prinzip der ~  62, 166–168, 183, 184, 210, 216, 226, 311, 316, 331, 380, 391, 398, 409, 414, 420, 424, 468, 471 Inzestverbot  349, 392 Kausalität  61, 104, 132, 188, 190, 209, 230 Labeling-Approach-Theorie  427 Leichtfertigkeit  437, 448–450, 471 Maßregeln der Besserung und Sicherung  45, 281 Möglichkeitstheorie  441, 442 Moral(norm)  51, 79, 84, 186, 339, 346, 347, 349, 350, 382 Nachtatverhalten  466, 472 Negative Tatbestandsmerkmale  siehe Tatbestand Gesamtunrechts~ Neukantianismus  76, 115 Neutrale Handlungen  418 Norm –– ~ als Äquivokation  334 –– als Rechts- und Kultur~ nach Max Ernst Mayer  74–75, 79, 344 –– Bestimmungs- und Bewertungs~   siehe dort –– Moral(~)  siehe dort –– ~ nach Binding  52, 54 –– Sanktions~  siehe dort –– Sonder~en  siehe dort –– Verbreitung von ~inhalten  344, 350, 359 –– Verhaltens~  siehe dort

Normanerkennung  247, 248, 427 Normativer Konsens  420 Objektive Bedingungen der Strafbarkeit  452, 456 Objektive Zurechnung  187–211 –– ~ als die Kausalität ersetzendes Institut  398, 417, 462 –– Definition für die ~ (eigene Auf­ fassung)  397 –– übliche Grundformel für die ~  190 –– ~ und Finalismus  209–211 Offene Tatbestände  129, 154, 219, 227, 352, 406 Paternalismus  458 Pflichtwidrigkeitszusammenhang  192, 200–203, 210, 230, 399, 423, 462–465 Positivismus  33, 59–60, 76, 115 Prämientheorie  181, 184 Rasche Taten  401, 434 Recht –– ~ als Recht des Rechtsstabs  349 Rechtfertigung  siehe auch Rechtswidrigkeit –– materielle ~  62, 406, 410, 420, 458 Rechtmäßiges Alternativverhalten  462–465  siehe auch Pflichtwidrigkeits­zusammenhang Rechtsbeachtungspflicht  106–108 Rechtsfahrgebot  215, 353–359 Rechtsfahrlässigkeit  102, 150, 431, 442–444, 471 Rechtsgutsbegriff  62, 97, 100, 392–393 Rechtsprechungsanalyse  29–32 Rechtsstab  42, 336, 341, 347, 349, 359, 470 Rechtstreue  247, 284, 323, 326, 427 Rechtsvergleichung  22–25 Rechtswidrigkeit  siehe auch Unrecht:~sausschluss –– ~ beim Fahrlässigkeitsdelikt nach herrschender Meinung  217–237

Sachregister525 Reichweite des Tatbestandes  198–199, 203–209, 399 Reserveursachen  463 Risikoerhöhungstheorie  202, 203, 332, 399, 465 Risikoverringerung  193 Rollenerwartung  175, 249, 276, 314, 358, 424 Rücktritt  452 Sachgedankliches Bewusstsein  401, 434 Sachlogische Strukturen  115–117 Sanktionsnorm  287, 313, 331–332, 333–336, 341, 375, 380, 381, 383, 384, 386 Scheinbare Rechtsgutsverletzung  235, 396 Schuld –– ~ als Defizit an kommunikativer Loyalität  284, 438 –– ~ als unrechtliche Gesinnung  249–251 –– ~ausschluss  251–253, 283, 428, 450–451 –– Charakter~  124, 245, 246 –– Definition der ~ (eigene Auffassung)  426 –– funktionale ~  246–249 –– Gefühls~  89, 113 –– generalisierende ~  82, 94 –– normative ~  71, 72, 240, 271 –– psychologische ~  62, 63, 65, 67, 72, 83, 98 –– soziale ~  243 –– Willens~  siehe dort Schuldarten  52, 55, 62, 65, 67 –– ~dogma  71, 79 Schulddialog  426, 440 Schuldfähigkeit  29, 53, 130, 252, 255, 265, 325, 332, 425, 429, 439 Schuldprinzip  25, 45, 239, 246, 425, 427, 444 Schuldtheorie  119, 327, 400, 430, 442–444, 448

Schutzzwecklehre  177, 192, 193, 196–199, 202, 210, 332, 354, 399 Signalfaktoren der Erkennbarkeit  404, 436 Sondernormen  109, 158, 176–179, 353–359, 406 Sorgfalt –– äußere und innere ~ nach Engisch  103–104 –– Etymologie der ~  362–364 –– ~stypen nach Engisch  104–106 Sorgfaltspflichtverletzung –– objektive ~ als allgemeines Zurechnungserfordernis  274–276 –– objektive ~ nach herrschender Meinung  144–187 –– subjektive ~ nach herrschender Meinung  254–272 Sozialadäquanz  25, 118, 126, 132, 134, 135, 182, 195, 225, 228, 412, 415, 416, 419, 420, 471 Spiel- und Wettkampfregeln  177, 179 Strafrechtsdogmatik  17, 20, 21, 195, 226, 274 Straftatlehre –– finalistische ~  114–138 –– klassische ~  52–73 –– neoklassische ~  73–114 Strafwürdigkeit –– Definition der ~ (eigene Auffassung)  455 –– ~ausschluss  466 Stufenverhältnis  269, 275, 305, 365, 368, 402, 441, 469 Subjektive Rechtfertigungselemente  230–237, 410, 412 Subsidiaritätsgebot  27, 46 Substratadäquanz  194, 310 Systembegriffe  39, 40, 49, 390, 470 Tatbestand –– ~ als Leitbild  69, 118, 217–220, 317 –– Gesamtunrechts~  220 –– Schuld~  251, 425–438

526 Sachregister –– sog. offener ~  siehe Offene Tat­ bestände –– Strafwürdigkeits~  451–456 –– Unrechts~  391–408 Tatbewusstsein  siehe Tatumstandskenntnis Tatumstandskenntnis  259, 265–269, 285–286, 311, 360, 375, 408, 417, 418, 431, 437, 442–444, 448, 450, 462, 470 –– potentielle ~ als Mindestbedingung subjektiver Zurechnung  399–407, 431, 436 Technische Normen  179, 261 Teleologische Straftatsystematik  45, 62 Topik  30 Ultra posse nemo obligatur –– Grundsatz des ~  264, 288, 292, 329, 387 Unrecht –– Definition des ~s (eigene Auffassung)  391 –– materielles ~  20, 62, 97, 114, 350, 406 –– personales ~  114, 117, 146, 155, 236, 288, 290, 328, 333 –– sachliches ~  392 –– ~ausschluss  408–424 Unrechtsbewusstsein  137, 147, 252, 259–269, 283, 304, 311, 320, 327, 348, 361, 366, 378, 380, 385, 406, 428–437, 442–444, 450, 469, 471 –– potentielles ~ als Fahrlässigkeit  430, 472 Unrechtszweifel  434 Verantwortungsbereiche  184, 199, 204, 207, 208, 418, 420 Verbotsirrtum  127, 259–265, 272, 378–379, 442–446, 448, 469 Verhaltensaktverstoß  384 Verhaltensnorm  siehe auch Bestimmungs- und Bewertungsnorm –– ~ als bloße Setzung  337

–– ~ als Grund für individualisierte Sorgfaltspflichtverletzungslehre  276 –– ~ als kategorisch gebietende Norm  287, 290, 386 –– ~ als Umdeutungsprodukt  333–336 –– ~ als vom Strafgesetz entkoppeltes Gebilde  375, 384 –– ~ der personalen Unrechtslehre  146–148 –– rechtliche ~en als Fiktion  338–341, 381–383 –– ~ und Untrennbarkeitsthese  322, 328–333, 376–380 –– ~ und Veranlassungsmoment  300, 302 Verhaltenstypizität  176 Verkehrskreis  174–176, 359 Verletzungsbewusstsein  siehe Tat­ umstandskenntnis Vermeidbarkeitstheorie  202, 203, 463 Vermeidepflichtverletzung  286, 300, 356, 370–371, 379 Versuch –– untauglicher ~  165, 375, 381, 394 Verteidigungswille  230, 231, 234, 411 Vertrauensgrundsatz  134, 179–184, 195, 208, 213, 230, 405, 424 Verursachungsverbot  141, 155, 215, 290, 318, 328, 351, 355, 385, 387 Vorhersehbarkeit  siehe Erkennbarkeit Vorsatz –– bedingter ~  siehe Dolus eventualis –– Definition des ~es  430 Vorsatztheorie  221, 266, 327, 351, 444, 447 Willensfreiheit  112, 240–246, 248, 250, 251, 284, 438–440 Willensschuld  59, 64, 78, 81, 86, 87, 91, 101, 121, 238, 438–440, 471 Zehn Gebote  343 Zumutbarkeit  113, 130, 137, 252, 254, 269–272, 451, 469