Den Flug des Denkers hemme ferner keine Schranke: Schiller in Schweden zwischen Aufklärung und Romantik 1790-1809 9783737002233, 9783847102236, 9783847002239

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Den Flug des Denkers hemme ferner keine Schranke: Schiller in Schweden zwischen Aufklärung und Romantik 1790-1809
 9783737002233, 9783847102236, 9783847002239

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Palaestra Untersuchungen zur europäischen Literatur

Band 339

Begründet von Erich Schmidt und Alois Brandl Herausgegeben von Heinrich Detering, Dieter Lamping und Gerhard Lauer

Editorial Board: Irene Albers, Elisabeth Galvan, Julika Griem, Achim Hölter, Karin Hoff, Frank Kelleter, Katrin Kohl, Paul Michael Lützeler, Maria Moog-Grünewald, Per Øhrgaard

Harald Graf

Den Flug des Denkers hemme ferner keine Schranke Schiller in Schweden zwischen Aufklärung und Romantik 1790 – 1809

V& R unipress

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-8471-0223-6 ISBN 978-3-8470-0223-9 (E-Book) Ó 2014, V& R unipress in Göttingen / www.vr-unipress.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Printed in Germany. Titelbild: Ó bpk / Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin / Andres Kilger Druck und Bindung: g Hubert & Co, Göttingen Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.

Inhalt

Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Zu den Übersetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Zur Schreibweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Siglen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Kapitel I: Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Thematische Hinführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Schiller in der schwedischen Literaturwissenschaft . . . . 1. Schiller in der liberalen Literaturwissenschaft . . . . . 2. Schiller in der »triumphalen« Literaturwissenschaft . . 3. Schiller in der Literaturwissenschaft der Nachkriegszeit 3. Raum, Zeit und Material der Untersuchung . . . . . . . . 4. Methodische Prämissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Rezeptionsästhetik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Paratexte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Begriffsgeschichte und Diskursanalyse . . . . . . . . . 4. New Historicism . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Probleme der literaturgeschichtlichen Darstellung . . . 5. Zum Begriff der Aufklärung . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Zum Begriff der Romantik . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Schiller-Deutungen und Schiller-Literatur . . . . . . . . . 8. Referenzpunkte, Literatur, Quellen . . . . . . . . . . . . . 9. Vorgehensweise, Disposition, Thesen . . . . . . . . . . .

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21 21 24 25 27 29 31 34 35 39 43 46 49 52 57 62 65 69

Kapitel II: Absolutismus, Aufklärung und Bürgertum in Schweden . . . 1. Gustav III. und der Absolutismus (1772 – 1792) . . . . . . . . . . . . 2. G. A. Reuterholm und die Revolution (1792 – 1796) . . . . . . . . . .

73 78 85

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Inhalt

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88 91 95 100 106 109

Kapitel III: Deutsche Sprache und Kultur in Schweden . . . . . . . . . . 1. Die Frage nach der deutschen Literatur in der schwedischen Literaturgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Lektüregewohnheiten in Schweden im ausgehenden 18. Jahrhundert 1. Nachlassuntersuchungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Buchauktionskataloge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Leihbibliotheken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Literaturkritik im Übergang von der Freiheitszeit zur gustavianischen Zeit (1755 – 1780) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die deutsche Literatur im Spiegel zweier Artikel 1764 und 1774 . . . 1. Anmerkungen über die deutschsprachige Literatur (1764) . . . . 2. Brief, eine kurze Geschichte der deutschen Literatur enthaltend (1774) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Populäre Autoren um 1790 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Regionale Unterschiede und dänischer Kanal . . . . . . . . . . . . . 7. Deutsche Literatur und erste Schiller-Rezeption in den Leihbibliotheken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

113

3. Gustav IV. Adolf und die Reaktion (1796 – 1809) . 4. Die repräsentative Öffentlichkeit in Schweden . . . 5. Bürgerliche Öffentlichkeit und literarisches Leben 6. Die Aufklärung in Schweden . . . . . . . . . . . . 7. Religion und Säkularisierung . . . . . . . . . . . . 8. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Kapitel IV: Die Schiller-Rezeption der »Rabulisten« . . . . . 1. Neue Zeitschriften und jakobinischer Geist . . . . . . . 2. Pehr af Lunds Välsignade Tryckfriheten . . . . . . . . . 3. Johan Samuel Ekmanson (1760 – ?) . . . . . . . . . . . . 4. Der Werlds-borgaren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. »Den Flug des Denkers hemme ferner keine Schranke« . 6. Der Nutzen der Geschichte und große Männer . . . . . 7. Die »halbe« und die »ganze« Aufklärung . . . . . . . . 8. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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149 151 157 162 165 169 175 182 188

Kapitel V: Leopolds Schiller-Übersetzung in Extra-Posten 1. Leopold und Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Leopold als freier Schriftsteller . . . . . . . . . . . . . 3. Die Übersetzung von An die Freude (10. 05. 1793) . . .

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191 194 198 200

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7

Inhalt

4. »Allen Sündern soll vergeben, und die Hölle nicht mehr sein« 5. »Bettler werden Fürstenbrüder« . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Die Übersetzung von Resignation (21. 1. 1794) . . . . . . . . 7. »Die Weltgeschichte ist das Weltgericht« . . . . . . . . . . . . 8. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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206 209 214 220 226

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229 231 235 241 246 250 256 261 266

Kapitel VII: Schillers historische Schriften . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Aufklärungs-Historiographie in Schweden . . . . . . . . . . . 2. Höijer über den Abfall der Niederlande (Litteratur-tidning 1795) . 3. Höijer über die »pragmatische Geschichtsschreibung« (1797) . . . 4. Schillers Geschichte des Dreißigjährigen Kriegs . . . . . . . . . . . 5. Geijers Preisschrift über Sten Sture (1803) . . . . . . . . . . . . . . 6. Stil, Objektivität und Autonomie in Geijers De stilo apud romanos (1808) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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269 272 276 281 285 293

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301 305

Kapitel VIII: Räuber, Schwärmer, Geisterseher . . . . . . . . . . . 1. Der Durchbruch der Romanliteratur in Schweden . . . . . . . 2. Philosophierende Wanderer und einsame Herzen (1793 – 1800) 3. Der Geisterseher (1798) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Rinaldini und Konsorten (1801 – 1809) . . . . . . . . . . . . . . 5. A. J. Spaldencreutz und seine Schwärmerinnen (1800 – 1808) . 6. Linköpingsbladet und Das Spiel des Schicksals (1805) . . . . . . 7. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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307 309 313 318 325 330 335 339

Kapitel IX: Schillers dramatische Dichtung . . . . . . . . . . . 1. Das schwedische Theater unter Gustav III. . . . . . . . . . . 2. Der Einzug des deutschen Theaters in Schweden . . . . . . 3. Erste Übersetzung und Aufführungen von Schiller-Dramen 1. Die Räuber (1799) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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343 344 347 351 352

Kapitel VI: Die Junta und die »Bildung der Öffentlichkeit« 1. Die sogenannte Junta . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. »Witterhets Samfundet« und die deutsche Literatur . 3. Schiller in der Litteratur-tidning (1795 – 1797) . . . . 4. Die erste Schiller-Charakterisierung (1795) . . . . . . 5. Schiller in Journal för svensk litteratur (1797 – 1801) . 6. Der Begriff »Bildung« in den Zeitschriften der Junta . 7. Die Schiller-Rezeption in anderen Zeitschriften . . . . 8. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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8

Inhalt

2. Kabale und Liebe (1800) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Franz¦n über das »bürgerliche Trauerspiel« (15. 11. 1800) . . . . . 5. Franz¦ns Kritik der Kabale und Liebe (20. 12. 1800) . . . . . . . . . 6. Journal för svensk litteratur : Die Tragödie als Kunstwerk . . . . . . 7. Leopold und die Schwedische Akademie . . . . . . . . . . . . . . . 8. Die »Gerichtsbarkeit der Bühne« und der Niedergang des Theaters nach 1800 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kapitel X: Der Spätaufklärer Arved Beth¦n . . . . . . 1. Arved Beth¦n (1756 – 1826) . . . . . . . . . . . . . 2. Konturen einer mentalen Physiognomie . . . . . . 3. Beth¦n und die Popularphilosophie . . . . . . . . 4. Die »betrügerische« und die »bessere« Aufklärung 5. Schiller als Weltweiser und Mensch . . . . . . . . 6. Die Bestimmung des Menschen . . . . . . . . . . . 7. Bildung und Lebens-Art . . . . . . . . . . . . . . . 8. Misanthropie und Versöhnung . . . . . . . . . . . 9. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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354 356 359 364 370

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374 379

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383 385 388 393 396 403 406 409 413 417

Kapitel XI: Schiller im ästhetischen Diskurs . . . . . . . . 1. Die Autonomie der Kunst (1797) . . . . . . . . . . . . 2. Vom Geschmack zur Bildung (1800 – 1805) . . . . . . 3. Höijer über die Vorzüge der »neuen« Literatur (1796) 4. Lidbeck und die Ästhetik in Lund (1805 – 1812) . . . . 1. Lidbeck über Mitleid . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Tegn¦rs Ästhetik-Vorlesung . . . . . . . . . . . . . 5. Anmut und Würde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Geijer über Einbildungskraft (1810) . . . . . . . . . . 7. Schillers philosophischer Stil . . . . . . . . . . . . . . 8. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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421 424 429 436 442 443 445 448 453 459 464

Kapitel XII: Schiller und die schwedische Lyrik der Eisenjahre . . . . . 1. »Nur der Irrtum ist das Leben, und das Wissen ist der Tod« (1804) 2. Esaias Tegn¦rs Lehrgedicht Kulturen (1805) . . . . . . . . . . . . . 3. »Würde der Frauen« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. »Wir wollen sein ein einzig Volk von Brüdern« (Vers 1447) . . . . 5. »Drei Worte nenn ich euch« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Die »Welt des Gedichts« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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469 471 478 484 489 495 501 507

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9

Inhalt

Kapitel XIII: Schiller im Kontext der entstehenden Romantik . . . . 1. Die Dichtervereinigung »Vitterhetens Vänner« (1803 – 1805) . . . 2. Hammarskölds und Livijns Briefwechsel (1803 – 1804) . . . . . . 3. Die Dichtervereinigung »Aurora« (1807 – 1810) . . . . . . . . . . 4. Frühe romantische »Programmerklärungen« (1806/1808) . . . . 1. Kurzer Bericht über die vornehmsten deutschen Poeten (1806) 2. An Sofie (Till Sofi, 1808) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Die Querelle der Alten und der Neuen (1809 – 1820) . . . . . . . 6. Schiller in den romantischen Zeitschriften und Kalendern . . . . 7. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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511 514 519 523 528 529 531 533 539 543

Kapitel XIV: Schiller in der romantischen Kritik . . . . . 1. Hammarskölds Kritik über Schiller (1808) . . . . . . . 1. Einleitung und kritisch-ästhetische Positionierung . 2. Schiller als Dramatiker . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Schiller als Lyriker . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Schiller als Prosaschriftsteller . . . . . . . . . . . . 5. Abschließendes Urteil . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Reaktionen, Repliken und Antikritiken . . . . . . . . 3. Schiller in der Kritik der Swensk literatur-tidning . . . 4. Schiller oder Schelling? . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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547 549 549 553 557 559 561 563 568 574 579

Kapitel XV: Schlussbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

583

XVI: Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

597

XVII: Summary . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

619

XVIII: Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

649

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»In diesem Essay will ich die schwedische Romantik untersuchen, aber nicht als eine oder mehrere Schulen oder gar als eine »Epoche«, sondern als eine Familie von Texten. […] Dabei figurieren gewisse Autoren, die freilich auch in anderen Zusammenhängen auftauchen könnten, so wie alle schwedischen »Romantiker« auch nicht-romantische Texte geschrieben haben. Wer dies wünscht, kann auch eine ganz andere Geschichte dieser Zeit schreiben. Nähme man Franz¦n und schlösse Atterbom aus und konzentrierte sich auf andere Texte der Autoren, könnte man die Erzählung sehr wohl von Anna Maria Lenngrens literarischen Söhnen handeln lassen. Aber dann hätte es anders zu heißen als Romantik.« H. Engdahl, Den romantiska texten, 1986, S. 8. »Hier entwickelt sich eine historisch neue Formation, die das Leben junger Menschen reguliert und mit neuen Institutionen den Übergang von der Kindheit in das Erwachsenenleben neu gliedert. Neue Altersgruppierungen bilden sich; neue Diskurse und neue seelische Kontinente, Kindheit und Jugend. Neue Moden werden kreiert, von der Theatromanie bis zum Wertherfrack, neue Formen der Organisation gesellschaftlicher Macht werden eingeführt, vom literarischen Markt bis zum akademisch ausgebildeten Beamtenapparat, und es entsteht ein neuer sozialer Stand, das (deutsche) Bildungsbürgertum.« H. P. Herrmann, Qualen der Wahl, 2001, S. 94. »[…] die Triftigkeit unserer Erklärung nicht nach der Anzahl uninterpretierter Daten und radikal verdünnter Beschreibungen zu beurteilen, sondern danach, inwieweit ihre wissenschaftliche Imagination uns mit dem Leben von Fremden in Berührung zu bringen vermag. Es lohnt nicht, wie Thoreau sagt, um die ganze Welt zu reisen, bloß um die Katzen auf Sansibar zu zählen.« C. Geertz, Dichte Beschreibung, 1983, S. 30.

Danksagung

Die vorliegende Untersuchung über die Schiller-Rezeption in Schweden zwischen Aufklärung und Romantik stellt die überarbeitete und erweiterte Fassung meiner Dissertation dar, die im Sommersemester 2009 der Philosophischen Fakultät II der Albert Ludwig Universität in Freiburg i. Br. vorlag. Das Erstellen einer derartigen Arbeit erscheint dem Schreibenden häufig als »Schlacht«, die man »seinem guten Schwert allein / Vertrauend ohne Helfershelfer« schlägt, um bereits an dieser Stelle Schiller zu zitieren. Desto erfreulicher ist es, sich am Ende des Weges bewusst zu machen, in welchem Ausmaß man unterstützt, von wie vielen Menschen einem geholfen wurde. Mein Dank gilt zuallererst Prof. Dr. Hans-Peter Herrmann, welcher die methodische Ausrichtung der Arbeit beeinflusste und mir damit eine neue Zugangsweise zum literarisch-historischen Material ermöglichte. Er hat mich immer wieder ermuntert und mir dann mit Denkanstößen weitergeholfen, wenn das Projekt in Gefahr war, in eine Sackgasse zu geraten. Zu danken habe ich des weiteren Prof Dr. Per-Axel Wiktorsson, Prof. Dr. Joachim Grage, Dr. Birgitta Fryks¦n, Dr. Staffan Bengtsson, Dr. Andreas Lindner, Kalliopi Koukou und Jörg Ewald, welche auf vielfältige Weise zur Entstehung der vorliegenden Arbeit beigetragen haben. Zu tiefem Dank verpflichtet bin ich ferner Monika Bukulin und Helmut Schwenker, welche das Manuskript nicht nur korrigiert, sondern auch stilistische und die Darstellung betreffende Änderungen angeregt haben. Für die Unterstützung bei der Beschaffung des zum Teil schwer zugänglichen Quellenmaterials bin ich der Nationalbibliothek (Nationalbiblioteket) in Stockholm und der Uppsala Universitätsbibliothek zu Dank verpflichtet. Mein innigster Dank gilt meiner Mutter, Friedhilde Graf, und Clelia Antico, welche nicht nur mit Geduld und Liebe, sondern auch mit Tatkraft das Zustandekommen dieser Arbeit unterstützt haben. Einige der in Kapitel III, IV und V entwickelten Thesen wurden bereits 2011 in Samlaren (131, 2010) unter dem Titel Kung och bonde äro bröder publiziert. Der

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Danksagung

Redakteur Prof. Dr. Otto Fischer hat dankenswerter Weise nicht nur die Sprachfassung im Schwedischen, sondern auch das Reifen einiger Thesen begleitet.

Zu den Übersetzungen

Da sich die Arbeit nicht nur an Skandinavisten richtet, sondern an Literaturwissenschaftler, Komparatisten und andere Liebhaber der Literatur, welchen die schwedische Sprache nicht unbedingt geläufig ist, habe ich mich dafür entschieden, schwedische Zitate ins Deutsche zu übersetzen, und zwar, soweit nicht anders vermerkt, nach der Devise »So wörtlich wie möglich und so viel Abweichung wie nötig«. Diese deutschen Übersetzungen erscheinen jeweils im laufenden Text; das schwedische Original dagegen wurde, wenn es sich um schwer zugängliche Texte wie Handschriften, archivierte Schriften oder seltene Druckschriften handelt, in der Anmerkung abgedruckt. Von einigen Gedichten (z. B. Det Eviga und Skidbladner von Esaias Tegn¦r), Strophen und Versen wurde eine wörtliche Prosaübersetzung unter weitgehender Beibehaltung der Wortfolge angefertigt und dem schwedischen Original gegenübergestellt. Schwedische Titel wurden bei der ersten Erwähnung meistens ins Deutsche übersetzt, z. B. Den svenska litteraturen (dt. Die schwedische Literatur). An zwei Stellen wurden lateinische Zitate verwendet, welche ebenfalls ins Deutsche übersetzt wurden. Hierfür bedanke ich mich bei Dr. Mario Ziegler. Englische, französische und italienische Zitate (nur an einer Stelle) wurden dagegen nicht übertragen.

Zur Schreibweise

Altertümliche, heute als falsch angesehene, Schreibweisen in den schwedischen und deutschen Quellentexten wurden beibehalten. Dies gilt auch für Eigennamen, die in älteren Texten häufig anders geschrieben wurden, als in neueren, weshalb manche in zwei Schreibvarianten vorkommen können (z. B. Silfverstolpe, bzw. Silverstolpe; Upsala, bzw. Uppsala, oder auch Göthe, statt Goethe). Die in den verwendeten Texten durch Kursiv-, Versal-, Sperr- oder Fettdruck vorgenommenen Hervorhebungen werden einheitlich kursiv wiedergegeben. Die Schreibweise der unterschiedlichen Buch- und Zeitschriftentitel richtet sich nach der von der Kungliga Biblioteket im Onlinekatalog LIBRIS vorgeschlagenen Schreibweise.

Siglen

Folgende Werke werden mit Siglen zitiert und im laufenden Text, nicht in der Anmerkung, ausgewiesen, z. B. (NA, V, 34). StP ISLH

Stockholms Posten, siehe Literaturverzeichnis. Illustrerad Svensk Litteratur Historia (dt. Illustrierte schwedische Literaturgeschichte), siehe Literaturverzeichnis. NISLH Ny Illustrerad Svensk Litteratur Historia (dt. Neue Illustrierte Schwedische Literaturgeschichte), siehe Literaturverzeichnis. SVH Svenska Vitterhetens Häfder, siehe Literaturverzeichnis. NA Schillers Werke. Nationalausgabe, siehe Literaturverzeichnis. JdDSG Jahrbuch der deutschen Schillergesellschaft.

Kapitel I: Einleitung

1.

Thematische Hinführung

Von germanistischer Seite wurde immer wieder die Dringlichkeit einer genauen Erforschung der Wirkung Schillers im Ausland betont, so zuletzt von Michael Hofmann, der in seiner Schiller-Monographie (2003) die »genaue Rekonstruktion der Schiller-Rezeption im Ausland insgesamt« als Forschungsdesiderat bezeichnet, und die Hoffnung ausspricht, dass das Schillerjahr 2005 ein Anlass sein könnte, »auch im Ausland ein neues Schiller-Bild zu verbreiten, das von allen nationalen, moralisierenden und pathetischen Zügen gereinigt ist«.1 Ein solches moralisierendes und pathetisches Schiller-Bild, wie es sich in Deutschland im Laufe des 19. Jahrhunderts immer mehr abzuzeichnen begann,2 entwickelte sich auch in Schweden in der Nachfolge der Romantik und im Rahmen einer allgemein deutschfreundlichen Stimmung, so dass selbst Esaias Tegn¦r, ein Schiller-Verehrer der ersten Stunde, diese Deutschfreundlichkeit als »Tyskeri« (Deutschtümelei) bezeichnete. Bei besonderen Anlässen konnte sich eine solche Deutschtümelei bis weit ins 19. Jahrhundert manifestieren, so z. B. bei der Schiller-Säkularfeier, über welche am 10. November 1859 in der Stockholmer Zeitung Aftonbladet zu lesen war : Es würde zu weit führen, die Erweckung, die unsere poetische Literatur durch Schillers Werk in einer vergangenen Epoche erfahren hat, zu erklären; es genügt zu bemerken, dass es nicht ohne einen wesentlichen Einfluss auf das neue Leben war, das vor einem halben Jahrhundert in unserer Literatur geweckt wurde. Noch in dieser Stunde ist von Deutschlands vielen Dichtern keiner so populär wie Schiller. Seine Gedichte finden immer noch starken Anklang bei der bildungshungrigen schwedischen Jugend, und seine reine und edle poetische Individualität spricht jeden an, der offen ist für Poesie.3 1 M. Hofmann, Schiller. Epoche–Werke–Wirkung, 2003, S. 199. 2 Siehe z. B. U. Gerhardt, Schiller als Religion, 1994. 3 Aftonbladet, 10. 11. 1859: »Det skulle här bli alltför vidlyftigt att redogöra för den väckelse v”r p”etiska litteratur i en förg”ngen period erh”llit genom Schillers verk; det är nog att säga, att det icke varit utan ett väsentligt inflytande p” det nya lif, som för ett halft ”rhundrade sedan

22

Einleitung

Der Hinweis aus der Perspektive des Jahres 1859 auf die ein halbes Jahrhundert zurückliegende Erweckung der schwedischen Literatur ist durchaus wörtlich zu nehmen: Das Jahr 1809 ist einer der markantesten Einschnitte in der schwedischen Geschichte und wird insbesondere in der Literaturgeschichtsschreibung auch als solcher behandelt. Nachdem im Jahr 1809 der ungeliebte König Gustaf IV. Adolf abgesetzt worden war und mit ihm die Zensur aufgehoben wurde, etablierten sich die noch jungen und unbekannten schwedischen Romantiker in neuen literarischen Zeitschriften. Das Zitat ist ein früher Beleg für die Annahme, die von der nachfolgenden Literaturwissenschaft fast unisono geteilt wurde, dass Schiller in einem ganz besonderen Verhältnis zur schwedischen Romantik stand. Dies ist auch der Grund, warum die hier vorliegende Untersuchung der Schiller-Rezeption in Schweden zunächst unter dem Arbeitstitel »Schiller in der schwedischen Romantik« (1809 – 1859) aus der Taufe gehoben werden sollte. Die Schiller-Rezeption vor 1809 fand kaum Beachtung und wurde in der Literaturgeschichte als singuläres Ereignis ohne Wirkung angesehen, insbesondere was die Übersetzung zweier Gedichte Schillers 1793/94 durch Carl Gustaf av Leopold anbelangt. Nach systematischem Durchforsten vor allem von Zeitschriften der 1790er Jahre ist es mir gelungen, eine bisher gänzlich unbekannte und massive Schiller-Rezeption bereits vor 1793 zu bergen. Dies hat zu einer von literaturgeschichtlichen Lehrmeinungen abweichende Ausrichtung der vorliegenden Untersuchung der Schiller-Rezeption in Schweden sowohl hinsichtlich der Perspektive (Schiller in Schweden zwischen Aufklärung und Romantik) als auch der Zeitspanne (1790 – 1809) geführt. Einerseits wuchs nämlich die Bedeutung der frühen 1790er Jahre für die Schiller-Rezeption in Schweden mit jedem neuen und bisher unbekannten Rezeptionsfund, andererseits mehrten sich die Hinweise, dass ein großer, bisher unbekannter Teil der Schiller-Rezeption bereits unter nicht-romantischen Vorzeichen stattfand: denen der Aufklärung. Das bisherige Fehlen einer eingehenden Untersuchung der Schiller-Rezeption in Schweden darf keineswegs als Indiz dafür genommen werden, dass die Bedeutung dieser Rezeption, zumindest was die schwedische Romantik anbelangt, nicht erkannt worden wäre. Der schwedische Literaturwissenschaftler Kurt Aspelin unterstrich bereits 1955 in einem Aufsatz zum 150-Jahr-Gedächtnis Schillers dessen Bedeutung für die schwedische Literatur : Zu studieren, wie unterschiedliche Seiten des Schaffens eines ausländischen Autors in einer anderen Nationalliteratur realisiert werden, bis er verwandelt ist zu einer naturalisierten geistigen Macht, die die Lebenseinstellung in den unterschiedlichsten Beväcktes inom v”r vitterhet. Ännu i denna stund är ingen af Tysklands m”nga skalder s” populär i Sverige som Schiller. Hans dikter ansl” ännu alltid mäktigt den bildningssökande svenska ungdomen, och hans rena och ädla p”etiska individualitet tilltalar hvarje sinne, som är öppet för poesien.«

Thematische Hinführung

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reichen zu beeinflussen vermag, kann eine angelegene Aufgabe für die Forschung sein. Nur die größten Dichter haben dieses Vermögen zum Einfluss. Zu diesen gehört Schiller in Verbindung mit Schweden.4

Obgleich Aspelin, so wie übrigens die gesamte schwedische Literaturwissenschaft, darin Unrecht hatte, dass er die massive Präsenz Schillers in Schweden als Spezifikum der schwedischen Romantik ab 1809 ansah, liefert das Zitat entscheidende Stichworte für die methodische (siehe Unterkapitel I:4 zur Methode) und ideengeschichtliche (siehe Unterkapitel I:9 mit den Thesen der Arbeit) Ausrichtung meiner Untersuchung der schwedischen Schiller-Rezeption. Sein Wort von der »naturalisierten geistigen Macht«, welche die »Lebenseinstellung in den unterschiedlichsten Bereichen zu beeinflussen vermag«, weist nämlich nicht nur auf Schillers Breitenwirkung sondern auch auf seine Tiefenwirkung hin. Schiller hat in der ganzen Breite seines Schaffens als Historiker, Prosaschriftsteller, Philosoph, Zeitschriftenherausgeber, Dichter, Dramatiker, »Weltweiser« und kraft seiner damals so aufgefassten sittlichen Persönlichkeit gewirkt; er hat aber auch in die Tiefe hinein als Stichwortgeber einer sich im Umbruch befindenden Zeit Einfluss genommen. Die eigentliche Breiten- und Tiefenwirkung entfaltete sich jedoch eine Generation früher als von Aspelin angenommen, nämlich in der Spätaufklärung zwischen 1790 – 1809, wie in der Folge darzulegen ist, während seine Rezeption zum Zeitpunkt der Romantik schon eine verengte war. Schillers tiefe Verwurzelung im schwedischen Geistesleben, die Vorverlegung seiner Rezeption von der Romantik auf die Aufklärung sowie die Umwertung einer Reihe literaturgeschichtlicher Lehrmeinungen führt zu einem massiven Eingriff in die schwedische Literaturgeschichte. Hinzu kommt, dass die »Phase« von 1792 – 1809 in der schwedischen Literaturwissenschaft nicht existiert, was kurz an einem Beispiel illustriert werden kann: In Eug¦ne N. Tigerstedts Ny illustrerad svensk litteraturhistoria (dt. Neue illustrierte schwedische Literaturgeschichte, 1956) klafft zwischen dem Kapitel Gustavianska Tiden (dt. Die gustavianische Zeit, 1772 – 1792) im zweiten Band und dem Kapitel Romantiken (dt. Die Romantik, deren Beginn gewöhnlich 1809 angesetzt wird) im dritten Band eine ungeheure Lücke, was durch die stark personengebundene Konzeption dieser Literaturgeschichte noch unterstrichen wird. Bei der Lücke von 1792 – 1809 handelt es sich um einen Zeitraum, in dem zwar wenig Höhenkammliteratur entstand, der sich jedoch wie die Phase der gustavianischen Zeit und der Romantik über einen Zeitraum von ca. 20 Jahren erstreckt. Das genannte Beispiel ist keineswegs ein singulärer Fall einer spezifischen Literaturgeschichte, wie noch zu zeigen sein wird. 4 K. Aspelin, Schiller i Sverige, 1955.

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Einleitung

Die hier untersuchte Zeit ist mit anderen Worten literaturgeschichtlich wenig oder gar nicht konturiert. Dieser Sachverhalt und meine These, dass die SchillerRezeption tief in das gesellschaftliche und kulturelle Leben dieser Zeit hineinwirkt, machen es in meiner Arbeit nötig, den gesellschaftlichen und kulturellen Rahmenbedingungen besondere Beachtung zu schenken: dies geschieht in den Kapiteln II und III. Auf Vorgehensweise, Disposition und Thesen der vorliegenden Arbeit wird das Unterkapitel I:9 dieser Einleitung genauer eingehen.

2.

Schiller in der schwedischen Literaturwissenschaft

Friedrich Schiller war einer der wirkungsmächtigsten deutschen Autoren im Ausland; zahlreiche Untersuchungen belegen seine Sonderstellung als deutscher Autor im Rahmen anderer Sprach- und Kulturräume.5 Auch in der schwedischen Literaturwissenschaft ist er von Beginn an mit besonderer Aufmerksamkeit behandelt worden;6 gleichwohl liegt bisher keine Spezialuntersuchung zur Schiller-Rezeption in Schweden vor, und die vier auf Schwedisch sowie die drei auf Deutsch vorliegenden Aufsätze nehmen nicht Schiller als »naturalisierte geistige Macht« in den Blick, sondern zählen die bekannten Rezeptionsmomente auf (z. B. Albert Nilsson, Schillers inflytande pa TegnÀr och hans samtida) oder behandeln etwas ausführlicher ein Rezeptionssegment (z. B. Herbert Salu, Seid umschlungen, Millionen!). Insgesamt bieten die zum Thema der Schiller-Rezeption publizierten Aufsätze jedoch ein disparates Bild und verfestigen zudem die gängige Vorstellung des Schiller-Einflusses in Schweden als erst in der Romantik einsetzend. Schiller figuriert jedoch auch in den schwedischen Literaturgeschichten und spielt dort häufig exponiert eine »politische« oder »ideologische« Rolle, was für die vorliegende Untersuchung eine größere Bedeutung hatte als die oben ge5 P. Boerner, Schiller im Ausland, in: Schiller-Handbuch, 1998; M. Hofmann, Wirkungsgeschichte, in: Schiller. Handbuch, 2005. 6 Es lagen von schwedischer Seite vier Aufsätze vor: H. Borelius, Geijer och Schiller, 1905; K. Aspelin, Schiller i Sverige, 1955; E. Wrangel, Schiller och Sverige, 1905 sowie Albert Nilssons Schillers inflytande p” Tegn¦r och Tegn¦rs samtida (1905), dem viele Hinweise für eine systematische Behandlung der Schiller-Rezeption in Schweden entnommen werden konnten. Mein Aufsatz Kung och bonde äro bröder, in: Samlaren, 2011, ist inhaltlich in etwa identisch mit den Kapiteln IV und V der vorliegenden Dissertation. Auf Deutsch liegen außerdem noch drei Aufsätze vor: H. Salu, Seid umschlungen, Millionen!, 1968, S. 84 – 114; H. Moenkemeyer, Lorenzo Hammarskölds Schiller-Kritik, 1962; R. Koskimies, Schiller in Finnland, 1959. Wenig bekannt, sowohl auf schwedischer als auch auf deutscher Seite, scheint H. A. Müllers Die Hauptvertreter des deutschen Geisteslebens von der Mitte des 18. bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts im Spiegel der schwedischen Presse (1936) zu sein, in dem der Autor dem Einfluss deutscher Autoren zwischen Gottsched und Schlegel anhand der schwedischen Presse nachgeht.

Schiller in der schwedischen Literaturwissenschaft

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nannten Aufsätze zur Schiller-Rezeption. Gemessen an dieser Rolle kann die schwedische Literaturwissenschaft (vereinfacht) in vier Phasen eingeteilt werden: die romantische Phase, vor allem durch die Literaturwissenschaftler und Poeten Lorenzo Hammarsköld (1785 – 1827) und Per Daniel Amadeus Atterbom (1790 – 1855) präsentiert; die liberale Phase von Anders Fryxell (1795 – 1881) und Bernhard Elis Malmström (1816 – 1865); die »triumphale«7 Phase von Fredrik Böök, Albert Nilsson, Otto Sylwan, Algot Werin, Kurt Aspelin (ca. 1900 – 1950) und die poststrukturalistische Phase von Horace Engdahl, Roland Lysell u. a. (ab ca. 1985). Die erste Phase der schwedischen Literturwissenschaft, in welcher Schiller in Lorenzo Hammarskölds Kritik öfver Schiller (dt. Kritik über Schiller, 1808) das allererste Objekt überhaupt der in der Romantik im Entstehen begriffenen literaturwissenschaftlichen Disziplin ist, wird in Kapitel XIII und XIV untersucht.

1.

Schiller in der liberalen Literaturwissenschaft

In Anders Fryxells Bidrag till Sveriges litteratur-historia (dt. Beiträge zur schwedischen Literaturgeschichte, 1860) nimmt Schiller geradezu eine Schlüsselposition ein: er ist die Messlatte, an welcher die schwedische Romantik sich messen lassen muss.8 Fryxell wendet sich entschieden gegen die Übertreibungen der schwedischen Romantiker und deren aggressive und oft ungerechte Polemik gegen die sogenannte »Alte Schule«, die sie in Carl Gustav av Leopold (1756 – 1829) verkörpert sieht. Fryxell, der als Historiker der nach-romantischen Epoche in Literaturgeschichten häufig dem Liberalismus der 1840er und 1850er Jahre zugerechnet wird, verurteilt die Romantik jedoch nicht pauschal, sondern schlägt eine Differenzierung derselben vor, welche für die vorliegende Arbeit bedeutsam ist. Neben dem damals wie heute gebräuchlichen Begriff »Nyromantiker« (dt. Neuromantiker) schlägt er die Verwendung des Begriffs »Äktromantiker« (dt. Echtromantiker) vor, womit er diejenigen Autoren zu bezeichnen wünscht, die zuerst mit der französischen Literatur brachen: Der Bruch wurde von Lessing und Klopstock eingeleitet, jedoch erst durch die Schule in Weimar vollendet. Herder setzte die Volkspoesie in ihre Rechte, Goethe schrieb Werther und Götz und Wieland sattelte seinen Hippogryph zum Ritt in alte romantische 7 Den svenska litteraturen, II, 1987, S. 50. 8 Die Kritik der Romantik hatte zu diesem Zeitpunkt in Deutschland schon eine beträchtliche Tradition. Nach Heine und Hegel wurde die Romantik einerseits von den Junghegelianern, andererseits von der liberalen Literaturwissenschaft kritisiert. Fryxells Ausführungen ähneln z. B. denjenigen von G. G. Gervinus, Neuere Geschichte der poetischen National-Literatur der Deutschen, I, 1842, S. 368. Beide kritisieren die Romantik und messen sie an Schiller. Siehe dazu auch K. H. Bohrer, Die Kritik der Romantik, 1989, S. 222 ff.

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Einleitung

Land. Goethe neigte zur Antike, und der wilde Pegas, auf welchem Wieland dazumal neben dem Freidenker Shaftesbury galoppierte, schwenkte oft ein in das Gebiet des französischen Leichtsinns. Schiller war ohne Zweifel der reinste Ausdruck der Echtromantik dieser Zeit.9

Diese Echtromantik, welche Fryxell am reinsten von Schiller verkörpert sieht, zeichne sich vor allem dadurch aus, dass sie politische Reformen liebte: »Sie verehrte sowohl in der Politik als auch in der Religion und der Poesie die versöhnende, vermittelnde Ansicht, die wir politische Reformation nennen.« Dies sei nie einfacher und schöner ausgedrückt worden als in Schillers 1797 geschriebenem Gedicht Die Worte des Glaubens.10 Das Gedicht wende sich einerseits gegen jedwede autokratische Herrschaft und andererseits gegen die Raserei des Freiheitsstrebens; es wende sich aber auch gegen den Epikureismus und die niedrige, auf den Eigennutz bedachte Lebensweisheit der vorangegangenen Epoche und gegen die französische Freidenkerei und deren Atheismus. Die spätere Neuromantik, die von den Brüdern August Wilhelm und Friedrich Schlegel verkörpert werde, ist dagegen in der von Fryxell vorgeschlagenen Differenzierung Teil der politischen Reaktion.11 Die Echtromantik unterscheide sich sowohl in der Wahl ihrer Themen (es wird auf Oberon, Götz, Faust, Die Räuber, Die Jungfrau von Orleans hingewiesen) sowie in der Behandlung derselben von der französischen Literatur, ohne jedoch deren lobenswerte Eigenschaften, die Klarheit und die Anmut des Ausdrucks, zu verachten. Durch diese Schriftsteller (z. B. Wieland, Goethe und Schiller) sei die Echtromantik selbst klassisch geworden und habe sich in ganz Europa ausgebreitet. Fryxells Unterscheidung zwischen einer Echtromantik und einer Neuromantik entspringt offensichtlich einer polemischen Intention gegenüber der letzteren. In dieser Polemik kommt Schiller eine entscheidende Rolle zu: an ihm wird die Neuromantik gemessen und für zu leicht befunden. Schwedische Autoren werden in diesem Zusammenhang von Fryxell nicht wirklich ins Spiel gebracht, es wird lediglich darauf hingewiesen, dass Franz¦n (siehe Kapitel XII) und Tegn¦r (siehe Kapitel XI und XII) der europäischen Bewegung der Echtromantik zugehören.

9 A. Fryxell, Bidrag till Sveriges litteratur-historia, 1860, 1. Heft, S. 38 f: »Brytningen började genom Lessing och Klopstock, men fullbordades först genom skolan i Weimar. Herder upptog till ära folkpoesien, Goethe skref Werther och Götz, och Wieland sadlade sin Hyppogryph zum Ritt in alte romantische Land. Men Goethe lutade till antiken, och den ystra Pegas, p” hvilken Wieland fordom galopperat bredvid fritänkaren Shaftesbury, följde ofta in p” fransyska lättsinnets omr”de. Schiller var otvivelaktigt det renaste uttrycket af den tidens äktromantik.« 10 Ebd., S. 40: »De hyllade i politik likasom i religion och i poesie den försonande, medlande ”sigt, som vi kallat: politisk reformation. M”hända har denna aldrig blifvit enklare och skönare uttalad än i Schillers ”r 1797 skrifna Die Worte des Glaubens.« 11 Ebd., S. 38.

Schiller in der schwedischen Literaturwissenschaft

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Bernhard Elis Malmström knüpfte in Grunddragen af svenska vitterhetens historia (dt. Grundzüge einer Geschichte der schwedischen Literatur, 1868) explizit an Fryxells romantikkritischen Aussagen an, als er die schwedische Romantik als »unvollständiges Echo der deutschen« bezeichnete.12 Während die deutsche Romantik jahrzehntelang vorbereitet wurde und ihren Ausgangspunkt bei Goethe und Schiller nahm, klaffe in Schweden eine Lücke zwischen der französisch-klassischen Schule der gustavianischen Zeit und der romantischen. Die »Neue Schule« in Schweden hätte ihren Ausgang direkt bei den »falschen« und »einseitigen Konsequenzen« der deutschen Romantik genommen. »Es ist wohl wahr, dass sie [die Neue Schule der Romantiker in Schweden A.d.Ü.] oft ein Wort des Lobes für Goethe und Schiller fand, aber deren eigentlicher Wert scheint für die Schule darin bestanden zu haben, dass sie Vorläufer von Schlegel, Tieck und Novalis waren.«13 Auf die literaturwissenschaftlichen Arbeiten von Fryxell und Malmström bezog sich 1880 Börje Norling in Nya skolan: bedömd i litteraturhistorien (dt. Die Neue Schule: Beurteilt in der Literaturgeschichte), als er beklagte, dass der Stab über die Neue Schule gebrochen worden sei. Norling ging es um eine Rehabilitation der Neuen Schule, und Schiller ist ihm der Probierstein einer solchen Rehabilitation. Schiller sei nämlich keineswegs von der Neuen Schule missachtet worden, wie man (also Fryxell und Malmström) in der Literaturgeschichte behauptet habe. Die Vorstellung, Hammarsköld habe Schiller in seiner Kritik über Schiller kritisieren wollen, sei ein Missverständnis: dieser habe 1819 Schiller zu den Autoren gerechnet, die der neuen Schule ein Vorbild waren, und Atterbom habe nie einen Hehl aus seiner Wertschätzung für Schiller gemacht.14 Diese und andere Argumente werden im Folgenden (insbesondere in den Kapiteln XIII und XIV) noch eingehend diskutiert – im Augenblick gilt es einmal festzuhalten, dass sowohl die Kritiker als auch die Befürworter der schwedischen Romantik deren Beziehung zu Schiller als entscheidend für ihre Bewertung anzusehen scheinen.

2.

Schiller in der »triumphalen« Literaturwissenschaft

Die vielleicht produktivste Phase der schwedischen Literaturwissenschaft war die sogenannte »triumphale« in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, in welcher bedeutende Literaturwissenschaftler ihr Hauptaugenmerk auf die schwedische Romantik richteten. Hier wurde Fryxell wenig vorteilhaft gezeichnet. 12 B. E. Malmström, Samlade Skrifter, IV, 1868, S. 294. 13 Ebd., S. 300. 14 B. Norling, Nya nkolan bedömd i litteraturhistorien, 1880, S. 45 ff.

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Einleitung

Otto Sylwan bezeichnet ihn in der mit Fredrik Böök herausgegebenen Svenska litteraturens historia (dt. Die Geschichte der schwedischen Literatur) als einen »engstirnigen Utilisten und Moralisten«, der »gegen den romantischen Idealismus und Ästhetizismus seine nüchterne bürgerliche Moral« setzte und der zusehends der »trockenen rationalistischen Menschenauffassung des 18. Jahrhunderts« zusprach.15 Die Wortwahl Otto Sylwans lässt freilich aufhorchen: »engstirniger Utilist« und »bürgerliche Moral«, dies sind Bezeichnungen, die die Romantiker den Aufklärern zugedacht hatten.16 Auch wenn Fryxell zugestanden wird, »dass seine Reaktion gegen die Romantik in vielen Punkten berechtigt und wohltuend war«, ist das Urteil, zumindest was Fryxells Bidrag till Sveriges litteratur-historia anbelangt, wo bei aller Entschiedenheit durchaus differenziert geurteilt wird, ungerechtfertigt. Gleichzeitig sind in dieser produktiven und der schwedischen Romantik zugewandten Phase der schwedischen Literaturwissenschaft bis heute unersetzbare Arbeiten über Tegn¦r, Atterbom, Geijer, Stagnelius, Almqvist und Franz¦n entstanden. Durchweg macht sich in der Literaturwissenschaft dieser Zeit eine außerordentliche Neigung bemerkbar, bei den genannten schwedischen Autoren einen Einfluss Schillers festzustellen. Insbesondere Fredrik Böök zeigt sich in seinen großen Monographien über Tegn¦r und Stagnelius sowie seinem Beitrag Den romantiska tids”ldern in Svenska litteraturens historia II geneigt, seine Wertschätzung schwedischer Autoren wie Tegn¦r, Stagnelius und Geijer von der jeweiligen Abhängigkeit von Schiller abzuleiten. Dass es bei einer solchen positiven Voreingenommenheit auch zu Übertreibungen hat kommen müssen, ist wenig verwunderlich.17 Albert Nilsson hat in seinem Aufsatz über Schillers Einfluss auf »TegnÀr und dessen Zeitgenossen« sorgfältig die einzelnen Rezeptionsvorgänge aufgezählt und festgestellt, dass Schiller am Ende der 1790er Jahre der schwedischen und finnischen Leserschaft vertraut war. Gleichwohl resümiert er wie folgt: Mit dem Einzug der Romantik wurde das Verständnis Goethes und Schillers ein ganz anderes. Viele der freiesten Geister der alten Schule teilten den beiden Poeten zwar einen vorderen Platz zu, aber die Neuromantiker nahmen eine radikale Umbesetzung vor: Goethe und Schiller wurden zu Sternen der ersten Ordnung. Ihre Namen werden zur Autorität. Goethe und Schillers Dichtung ist ja auch eine der Hauptquellen, aus welcher die neue Bewegung ihren Ursprung ableitet.18 15 O. Sylwan, Liberalismens tids”lder, in: Svenska litteraturens historia, II, 1919, S. 383. 16 L. Pikulik, Romantik als Ungenügen an der Normalität, 1979, S. 143. 17 Ein besonders extremes Beispiel findet man in Sverker Eks Franz¦n-Monographie, in welcher er dem Gedicht Det Nya Eden (dt. Das neue Eden) von Franz¦n einen Einfluss von Schillers Das Ideal und das Leben zuschreibt. In der Tat sind die Ähnlichkeiten verblüffend, Franz¦ns Gedicht wurde jedoch einige Monate früher publiziert, weshalb ein Einfluss gänzlich ausgeschlossen ist. 18 A. Nilsson, Schillers inflytande p” Tegn¦r och hans samtida, 1905, S. 20.

Schiller in der schwedischen Literaturwissenschaft

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Nilsson folgt hier dem Wunschdenken der Neuen Schule (d. h. der Neuromantiker) um Atterbom, Hammarsköld und Palmblad, dass sich nämlich die »eigentliche« Schiller-Rezeption – wie die Rezeption deutscher Literatur überhaupt – erst mit dem Durchbruch der Romantik einstellt. Der von diesen gepflegte Mythos eines Urknalls der schwedischen Literatur im Jahre 1809, welcher mit der Geburtsstunde der eigenen Bewegung in Verbindung gebracht wurde, sowie die Behauptung, dass sie es war, welche die Wende vom französischen zum deutschen Literaturparadigma eingeleitet habe, wurde trotz der von Fryxell geäußerten Kritik in der triumphalen Phase der schwedischen Literaturgeschichtsschreibung (ca. 1900 – 1950) willig aufgegriffen und fortgeschrieben. In zahlreichen Literaturgeschichten und Spezialarbeiten zu Tegn¦r, Atterbom, Stagnelius und Almquist wurde der Einfluss Schillers in die Tiefe der Neuromantik hineingetragen, das Offenbare – dass Tegn¦r von Schiller beeinflusst wurde – mit dem Unwahrscheinlichen – dass Atterbom das Gleiche widerfahren sei – verbunden.

3.

Schiller in der Literaturwissenschaft der Nachkriegszeit

Nach 1945 stand die Romantik in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und vor allem im Zuge der 1960er Jahre nicht mehr auf der Tagesordnung, ein Sachverhalt, den Louise Vinge 1978 in ihrer Abhandlung Morgonrodnadens stridsmän (dt. Die Streiter der Morgenröte) folgendermaßen erklärt: Es scheint, als ob die gewaltige Romantikforschung von Albert Nilssons und Fredrik Bööks ersten großen Werken bis hin zu Frykenstedts in den 1950er Jahren auf ein paar Generationen von Literaturhistorikern so erdrückend wirkte, dass das Studium der schwedischen Romantik und insbesondere der Neuen Schule mehr oder weniger aufgehört hat in den 1960er und 1970er Jahren. Stagnelius und Almqvist haben hie und da noch ein Interesse entfacht, aber die große Debatte zwischen den Neuen und den Alten, die wichtigen Durchbruchsjahre sind in Vergessenheit geraten. Ein ausschlaggebender Grund dafür war natürlich, dass die reaktionären Gesellschaftsvorstellungen der Romantiker diese suspekt gemacht hat als Objekt für die Forschung – sie sind nicht in Mode. Angesichts der nun stattfindenden massiven Erforschung der englischen und kontinentalen Romantik – die deutsche nicht zuletzt stimuliert durch die imponierende kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe – und das wiedererwachte allgemeine Interesse für die romantische Literatur, welches sich insbesondere in Deutschland in populären Neuausgaben, in Theatervorstellungen und Ausstellungen manifestiert, kann man meinen, dass es auch hier wichtig ist, das Studium des romantischen Durchbruchs wieder aufzunehmen.19 19 L. Vinge, Morgonrodnadens stridsmän, 1978.

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Einleitung

Das Abkühlen des Interesses an der Romantik ging Hand in Hand mit einem offensichtlich verminderten Interesse an Schillers Bedeutung für die schwedische Literatur. Dabei hätte es durchaus dem waltenden Zeitgeist entsprechen können, wieder an dem Schiller-Bild Fryxells anzuknüpfen und das aufklärerische, von den Romantikern verpönte Potential Schillers hervorzukehren. Der Generation Fredrik Bööks (1883 – 1961), Albert Nilssons (1878 – 1936) und Algot Werins (1892 – 1975) war es jedoch nachhaltig gelungen, Schiller mit der schwedischen Romantik zu verbinden. Das Nachlassen des Interesses an Schiller zeigte sich aber nicht nur im Vergleich der älteren mit der jungen Generation von Literaturwissenschaftlern. Ein oberflächlicher Blick auf die Frequenz der Schiller-Nennungen im Personenregister der zu unterschiedlichen Zeitpunkten entstandenen Arbeiten ein und derselben Person legt Zeugnis ab vom gewandelten und sich wandelnden Zeitgeist. So finden sich in Algot Werins Tegn¦rBuch Fr”n det eviga till mjältsjukan (1937) nicht weniger als 87 Hinweise auf Schiller, in seinem zweibändigen Tegn¦r-Buch (1974) dagegen nur noch zwanzig. In Olle Holmbergs C. J. L. Almqvist (1922) finden sich 30 Hinweise, in Henry Olssons Carl Jonas Love Almqvist till 1836 (1937) zwölf Hinweise, und in Törnrosens diktare vom gleichen Autor (1966) nur noch vier Hinweise. Zwar ist seit den späten 1980er Jahren unter anderen methodischen und weltanschaulichen Vorzeichen wieder ein gewisses Interesse an der schwedischen Romantik entflammt.20 Im Hinblick auf die Schiller-Rezeption in Schweden lässt sich aber keineswegs unerwartet feststellen, dass die neuere Literaturwissenschaft, die sich mit der Romantik beschäftigt, wie z. B. Horace Engdahl in Den romantiska texten oder Roland Lysell in seiner Stagnelius-Monographie (Erik Johan Stagnelius, 1993), im Vergleich zur älteren Literaturwissenschaft nur ein geringes Interesse für Schillers Bedeutung und Einfluss hat. Es handelt sich hierbei sicherlich nicht nur um ein vom poststrukturalistischen und dekonstruktivistischen Zeitgeist diktiertes Desinteresse an Schiller, sondern auch um eine Reaktion gegen die Böök-Generation. Insbesondere zu Böök hat man ein zwiespältiges Verhältnis: Bööks Darstellungen gleichen immer mehr deutschen Entwicklungsromanen. Harmonie ist besser als Entzweiung. Klarheit, Einsicht und Reife (und insbesondere Genialität) scheinen prädestiniert gerade in diese einzumünden. Eine unheilige Allianz post mortem zwischen Hegel und Geijer scheint vorzuschweben.21

20 So wurde im einleitenden Beitrag der XVII. Studienkonferenz der International Association for Scandinavian Studies 1988, die der nordischen Romantik gewidmet war, von Mogens Brøndsted über Die Romantikforschung in Skandinavien verkündet, dass die RomantikRenaissance »heutigentags […] wieder einen ehrgeizigen Holismus gleich einer Aurora aus dem Meere emporsteigen« sieht. 21 R. Lysell, Erik Johan Stagnelius, 1993, S. 17 f.

Raum, Zeit und Material der Untersuchung

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Wenn also das Interesse an Schillers Bedeutung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts für den jeweiligen Autor generell abnimmt, dann wurde Schiller von der seit den 1980er Jahren entstandenen poststrukturalistisch beeinflussten Literaturwissenschaft zur persona non grata degradiert.22 So wird in Engdahls Den romantiska texten nur noch viermal Schiller genannt, und dabei bezeichnenderweise, um die Bedeutung Schillers für die schwedischen Autoren – in diesem Fall Tegn¦r – zurückzunehmen.23 Auch Lysell weist nur noch in Anmerkungen und in unausgesprochener Distanzierung von Bööks Meinung darauf hin, dass ein Einfluss Schillers vorliege. Betrachtet man den Wandel der schwedischen Wissenschaft hinsichtlich ihres Verhältnisses zu Schiller, so lassen sich auch die politisch und weltanschaulich bedingten Pendelausschläge dieser Wissenschaft nachvollziehen – ein Sachverhalt, der durchaus einmal der wissenschaftlichen Betrachtung wert wäre.

3.

Raum, Zeit und Material der Untersuchung

Der Titel Schiller in Schweden zwischen Aufklärung und Romantik, 1790 – 1809 verlangt eine erste Präzisierung und Abgrenzung hinsichtlich der Zeit, des Raums und des zu berücksichtigenden Materials.24 Die Schiller-Rezeption beginnt nicht 1793 – 1794 mit zwei Schiller-Übersetzungen, wie bisher angenommen, sondern bereits im Jahr 1790, wie Leihbibliothekskataloge zeigen, also in Form einer Leserrezeption, um dann 1792 in eine reproduktive Rezeption zu münden, in diesem Fall die Publikation einiger Schiller-Übersetzungen. Der Beginn der vorliegenden Untersuchung kann also genau auf das Jahr 1790 gelegt werden und fällt damit noch in die Regierungszeit von Gustav III., der 1792 ermordet wurde, wenngleich die schriftlich fixierte Rezeption erst und genau nach seinem Tod einsetzt. Dass der Beginn der Schiller-Rezeption in Schweden mit der Ermordung des Königs Gustav III. zusammenfällt, ist einerseits sicherlich kein Zufall, wenngleich nur indirekt mit diesem Ereignis verbunden, wie in der Folge zu zeigen sein wird. Während der Beginn der Schiller-Rezeption mit der Jahreszahl 1790 exakt definiert werden kann, ist die Begrenzung der Untersuchung nach vorne (1809) vage, obwohl sie den ausgetretenen Pfaden der Literaturgeschichtsschreibung folgt. Sie wird nämlich nicht strikt eingehalten 22 N. Oellers, Schiller. Elend der Geschichte, Glanz der Kunst, 2006, schreibt dazu: »Freilich haben neuere Literaturtheorien und Methoden, die unter Bezeichnungen wie Dekonstruktion, Diskursanalyse oder Systemtheorie den Umgang mit dem Kunstschönen dominierten, wenig dazu beigetragen, der Schiller-Forschung neue Impulse zu geben.« 23 H. Engdahl, Den romantiska texten, 1986, S. 263. Siehe auch Kapitel XII. 24 Die Epochenbegriffe »Aufklärung« und »Romantik« sowie das hier waltende Schiller-Bild werden in den folgenden Kapiteln diskutiert.

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Einleitung

und, wenn es notwendig erscheint, zur Vervollständigung des Bildes jeweils sporadisch und dann vor allem in den letzten beiden Kapiteln überschritten, um zu zeigen, dass Schiller bei den »Romantikern« eine geringere Bedeutung hatte als bei den »Aufklärern«. Insofern wird die hier behandelte Periode auch nicht als Raum »zwischen« Aufklärung und Romantik verstanden, vielmehr wird diese Zeit eher der Spätaufklärung zugeschlagen. Das »zwischen« bezieht sich auf den namenlosen Zwischenraum der traditionellen Litertaturgeschichtsschreibung, welche die Aufklärung 1792 enden und die Romantik 1809 beginnen lässt. Der Begriff »Schweden« ist in der behandelten Epoche hinsichtlich seiner räumlichen Ausstreckung vage, die Kenntnis der damaligen geographischen »Konturen« dieses »Landes« heute kaum vorauszusetzen. Neben dem schwedischen »Kernland«, d. h. dem heutigen Schweden, umfasste Schweden vor der Jahrhundertwende 1800 das heutige Finnland, Teile des heutigen MecklenburgVorpommerns und Teile Estlands. Schwedische Universitäten gab es in Uppsala und Lund, in æbo/Turku (Finnland), in Greifswald (Vorpommern) sowie in Dorpat (Estland). Prinzipiell wird hier der Vorgehensweise der unterschiedlichen schwedischen Literaturgeschichtsschreibungen Folge geleistet, nämlich dem gängigen Prinzip, dass schwedische Literatur da ist, wo Schwedisch gesprochen und geschrieben wird. In diesem Sinne kann in der vorliegenden Arbeit nur das schwedischsprachige »Finnland« mit seiner Universität æbo, das kulturell fest mit Schweden verwachsen war, in Betracht gezogen werden. Zu dieser Zeit boten nur die Hauptstadt Stockholm und die größten Provinzstädte die praktische Möglichkeit für die Entwicklung eines literarischen Systems. Solange die Religion eine dominierende Rolle spielte, waren die Bischofstädte von großer Bedeutung. In dem Maße jedoch, wie die religiöse Kulturdominanz schwand und die zentrale Verwaltung wuchs, entwickelte sich die Hauptstadt immer mehr zum kulturellen Zentrum, eine Tendenz, die sich vor allem unter Gustav III. (1772 – 1792) endgültig durchsetzte. Die wachsende städtische Bevölkerung und die Kulturdominanz des Hofes und des Staates trugen ebenfalls zur dominierenden Stellung der Hauptstadt bei. Stockholm wurde das Zentrum des literarischen Lebens und dominierte zusehends alle Bereiche des Buchhandels, ein Prozess, der 1792 abgeschlossen war. Als einziger Konkurrent konnte sich Uppsala nach 1792 und dann vor allem während der Blütezeit der Romantik entfalten. Selbständige kulturelle Kraftzentren – wenn auch stets in Abhängigkeit zu Stockholm und Uppsala – waren in intellektueller Hinsicht die Universitätsstädte Lund und æbo, während die Handelsstadt Göteborg eine eigene Theaterkultur entwickeln konnte.25 Das übrige Land befand sich an der Peripherie der Kulturmetropole und taucht zu dieser Zeit kaum je auf der 25 Siehe W. Berg, Anteckningar om Göteborgs äldre teatrar, 1896 – 1900.

Raum, Zeit und Material der Untersuchung

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Landkarte der Literaturgeschichte auf. Wenn also in der vorliegenden Arbeit von einer Rezeption in »Schweden« gesprochen wird, dann ist weitgehend von einer Rezeption in Stockholm und Uppsala die Rede, seltener von Lund und wenig von anderen geographischen Punkten auf der Landkarte Schwedens. Natürlich wird im Folgenden auch versucht, die quantitative Rezeption Schillers in Schweden zu erfassen, und hier ist selbstverständlich ganz Schweden in den Blick zu nehmen. Bei der qualitativen Erfassung der Rezeption, d. h. bei der Erfassung und Interpretation derjenigen Schiller-Rezeptionen, die auch von der traditionellen Literaturgeschichtsschreibung erfasst wurden, da es sich um »bedeutende«, die schwedische Literatur konstituierende Autoren handelt, ist jedoch Schweden fast immer mit Stockholm und Uppsala gleich zu setzen. Die räumliche Begrenzung überlappt sich mit der »materialen« Begrenzung, denn sie führt zu der Frage, in welchem Ausmaße in einer Arbeit wie der vorliegenden die Schiller-Rezeption in ihrer empirischen »Totalität« dargeboten werden müsste. Wie war es z. B. mit der Schiller-Rezeption in Provinzstädten wie Örebro, Väster”s, Linköping, u. a., die immerhin über Druckereien, Buchhandlungen, Bibliotheken, ein lesendes Publikum und eine bürgerliche Mittelschicht sowie Intellektuelle (d. h. Lehrer, Pfarrer, Beamte) verfügten, von denen der eine oder andere seine Leseerfahrungen in einem Tagebuch festgehalten, Gedichte Schillers in ein Poesie-Album geschrieben oder selbst Gedichte verfasst hat, die von Schillers Geist oder Buchstaben beseelt waren. æke æberg hat in seiner Arbeit Väster”s mellan Kellgren och Onkel Adam (dt. Väster”s zwischen Kellgren und Onkel Adam) eine »Punktstudie« hinsichtlich der Lektürebedingungen und -gewohnheiten um 1800 im provinziellen Väster”s vorgelegt und gezeigt, dass solche sich literatursoziologisch verstehenden Untersuchungen neue und interessante Einsichten zu Tage fördern können.26 In gleichem Maße jedoch, wie es vermutlich wenig förderlich wäre, sämtliche schwedischen Städte in gleicher Weise durchzugehen, ist es ebenso wenig förderlich, die SchillerRezeption in Schweden auf sämtliche Provinzstädte des Landes auszudehnen. Es würde einerseits nicht zum besseren Verständnis dieser Rezeption in Schweden beitragen, wäre andererseits auch nicht möglich. Deshalb habe ich hinsichtlich der Handschriften, der Memoiren, der Zeitungen und Zeitschriften großteils nur gezielte punktuelle Untersuchungen vorgenommen, und zwar im Maße ihrer Bedeutung für das schwedische Kulturleben. Das dabei verwendete und zum Teil bisher unbekannte Material, das teils Schiller-Konkretisationen enthält, teils zur Erstellung des jeweiligen Erfahrungshorizonts des Rezipienten herangezogen wird, lässt sich in folgende, nach der Häufigkeit (und zwar in abnehmender Ordnung) geordnete, Kategorien einteilen: 26 æ. æberg, Väster”s mellan Kellgren och Onkel Adam, 1987.

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Einleitung

– Kritiken und Rezensionen in Zeitungen und Zeitschriften – Verse und Sätze aus Schillers Werk, die als Motti und Zitate Verwendung fanden – Schiller-Übersetzungen in Zeitungen und Zeitschriften sowie freistehende Übersetzungen – Vorworte in freistehenden Schiller-Übersetzungen sowie Kommentare zu Übersetzungen in periodischen Druckschriften – Briefe und Protokolle von Dichter- bzw. Lesevereinigungen – Literarische Werke, die von Schiller und seinem Werk beeinflusst waren Die Tatsache, dass das zu untersuchende Material der Schiller-Rezeption in der Zeit zwischen 1790 – 1809 wenig Beispiele einer produktiven Rezeption (Einfluss auf literarische Werke) aufweist, hat die methodische Vorgehensweise der vorliegenden Arbeit entscheidend geprägt, wie die folgende Darstellung der methodischen Prämissen zeigt.

4.

Methodische Prämissen

Das gängige und festgeschriebene Bild der Schiller-Rezeption in Schweden wird in der vorliegenden Arbeit in vielerlei Hinsicht korrigiert und erweitert. Es wird hier nicht nur die These vertreten, dass die Schiller-Rezeption wesentlich früher, breiter und tiefer anzusetzen ist als bisher angenommen, sondern auch unter anderen als den romantischen Vorzeichen. Denn stets ist von einem der Romantik nahen Schiller-Bild ausgegangen worden verbunden mit einer Geneigtheit, Schillers Die Götter Griechenlands und Das Ideal und das Leben als besonders wirkungsmächtig anzusehen. Während die »moderne« Literaturwissenschaft dazu neigt, die Aufklärung zu romantisieren,27 um ihr überhaupt noch ein Interesse abgewinnen zu können, wird in der vorliegenden Arbeit umgekehrt die Aufklärung nach vorne hin verlängert. Hier war in der Tat Horace Engdahls Wort in Den romantiska texten (dt. Der romantische Text) Leitfaden; von seiner Textauswahl zwischen 1785 und 1830 handelnd, meinte er : 27 Dies ist gerade die Intention von Martin Lamm, Upplysningstidens romantik (dt. Die Romantik der Aufklärung, 1920), aber auch jeglicher »idealistisch-romantischen« Literaturwissenschaft (z. B. F. Böök), welche die Zeit, gewisse Personen oder Strömungen (z. B. die »Junta«, siehe Kapitel VI) zwischen 1792 – 1809 für die Romantik zu »retten« sucht. Diese Tendenz hat sich in der sich von der »traditionellen« Literaturwissenschaft rigoros abgrenzenden poststrukturalistischen Literaturwissenschaft noch verstärkt (siehe z. B. H. Engdahl, Den romantiska texten, 1986). K. Bak, Romantikens upplysningstid, in: Opplysning i Norden, 1998, S. 121, schlägt deshalb eine Romantikens upplysningstid vor, um dem gegenwärtig dominanten Romantik-Paradigma zu entrinnen.

Methodische Prämissen

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In diesem Essay will ich die schwedische Romantik untersuchen, aber nicht als eine oder mehrere Schulen oder gar als eine »Epoche«, sondern als eine Familie von Texten. […] Dabei figurieren gewisse Autoren, die freilich auch in anderen Zusammenhängen auftauchen könnten, so wie alle schwedischen »Romantiker« auch nicht-romantische Texte geschrieben haben. Wer dies wünscht, kann auch eine ganz andere Geschichte dieser Zeit schreiben. Nähme man Franz¦n und schlösse Atterbom aus und konzentrierte sich auf andere Texte der Autoren, könnte man die Erzählung sehr wohl von Anna Maria Lenngrens literarischen Söhnen handeln lassen. Aber dann hätte es anders zu heißen als Romantik.28

In der hier vorgeschlagenen »Erzählung« wird die Zeit zwischen 1790 – 1809 »entromantisiert«: dazu musste den Texten und den Autoren keine Gewalt angetan werden; es zeigte sich nämlich, dass die Protagonisten der Schiller-Rezeption, und zwar entgegen der Lehrmeinung der Literaturgeschichte, eher die Söhne Lenngrens als die Väter Atterboms waren. Diese Veränderung der Sichtweise geht einher mit einer veränderten literaturwissenschaftlichen Vorgehensweise, die am Schnittpunkt zwischen Rezeptionsgeschichte, Literatursoziologie, Ideengeschichte, Begriffsgeschichte und Intertextualitätsforschung anzusiedeln ist, und zwar gemäß dem Diktum Stephen Greenblatts: »There can be no single method, no overall picture, no exhaustive and definitive cultural poetics.«29

1.

Rezeptionsästhetik

Mit dem Terminus »Rezeption« im Titel »Die Schiller-Rezeption in Schweden« ist die methodische Abhängigkeit von der Rezeptionsästhetik angezeigt. Die unterschiedlichen Spielarten der Rezeptionsästhetik gehen davon aus, dass Rezipienten (Leser) beim Erzeugen des Textsinns eine aktive Rolle spielen; durch den Abschied vom empirischen Autor und das Herausstellen der Interpretationsbedürftigkeit von Texten rückt die Rezeptionsästhetik den lange Zeit vernachlässigten dritten Stand der Leser auf neue Weise in den Mittelpunkt. Gegenüber den Begriffen »Einfluss« und »Wirkung« bezeichnet »Rezeption« die Aktivität, die sich in der Auseinandersetzung mit Werken der Literatur entfaltet; und zwar in deutlicher Abgrenzung zu jener »Passivität, mit der man einen Einfluss erleidet oder einer Wirkung ausgesetzt ist«.30 Innerhalb der Rezepti28 H. Engdahl, Den romantiska texten, 1986, S. 8. 29 S. Greenblatt, Shakespearean Negotiations, 1988, S. 19. 30 R. Baasner, Methoden und Modelle der Literaturwissenschaft. Eine Einführung, 1996, S. 105. Im Folgenden wird aus dem gleichen Grund und obwohl diese Sichtweise auch kritisiert wurde (siehe z. B. W. Reese, Literarische Rezeption, 1980, S. 35) der Terminus Rezeption dem der Wirkung vorgezogen, da der letztere »den Anschein erweckt, die Wirkung eines

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Einleitung

onsästhetik sind allerdings unterschiedliche Modalitäten zu unterscheiden: die »passive« Rezeption der breiten Lesermasse; die »reproduzierende« Rezeption, d. h. die Auseinandersetzung mit einem Werk in Kritiken, Kommentaren, Briefen, Tagebuchaufzeichnungen; die »produktive Rezeption« durch Literaten und Dichter, d. h. der Einfluss.31 Für den Vorgang der Rezeption wird auch der Terminus der »Konkretisation« verwendet, der von Roman Ingarden in seinem Buch Vom Erkennen des literarischen Kunstwerks eingeführt wurde und dort eine der vielen möglichen Realisierungen eines literarischen Textes durch einen Leser oder Schauspieler bezeichnet. Die Variationsbreite unterschiedlicher Konkretisationen eines literarischen Kunstwerks wird von dem Auffüllen von »Unbestimmtheitsstellen« bedingt, durch welche die »mitschöpferische Tätigkeit des Lesers« zu Wort kommt.32 Während Ingarden die letztlich endliche Reihe möglicher Konkretisationen durch die Struktur des literarischen Kunstwerks und die darin befindlichen Unbestimmtheitsstellen bedingt sieht, weist Felix V. Vodicˇka auch auf die Bedeutung der Entwicklungsreihe der sich wandelnden literarischen Norm für die Variationsbreite möglicher Konkretisationen eines Kunstwerks hin. Dementsprechend definiert Vodicˇka den Begriff der Konkretisation im Vergleich zu Ingarden in abgewandelter Form: »Wir werden mit diesem Terminus allgemein die Widerspiegelung des Werks im Bewusstsein derjenigen bezeichnen, für die das Werk ein ästhetisches Objekt darstellt.«33 Das literarische Werk wird – so Vodicˇka – als ästhetisches Zeichen begriffen, das für eine Öffentlichkeit bestimmt ist: Wir müssen also ständig nicht nur seine Existenz im Auge behalten, sondern auch seine Rezeption; wir müssen berücksichtigen, daß es von der Lesergemeinde ästhetisch wahrgenommen, interpretiert und gewertet wird. Erst dadurch, daß ein Werk gelesen wird, kommt es zu seiner ästhetischen Realisierung, erst damit wird es im Bewußtsein der Leser zum ästhetischen Objekt. Mit der ästhetischen Wahrnehmung steht jedoch die Wertung in enger Verbindung. Wertung setzt Wertmaßstäbe voraus, die jedoch nicht stabil sind, so daß auch der Wert eines Werkes vom Standpunkt historischer Quellen aus keine feste und unveränderliche Größe ist. Gerade weil sich die Wertmaßstäbe und die literarischen Werte in der geschichtlichen Entwicklung ständig wandeln, ist es die natürliche Aufgabe einer historischen Wissenschaft, diese Veränderungen zu erfassen.34

31 32 33 34

Kunstwerks sei monologisch« (H. R. Jauß, Ästhetische Erfahrung und literarische Hermeneutik, 1991, S. 738), während der erstere einen Dialog in Betracht zieht. M. Moog-Grünewald, Einfluss- und Rezeptionsforschung, in: Vergleichende Literaturwissenschaft. Theorie und Praxis, 1981, S. 58. R. Ingarden, Vom Erkennen des literarischen Kunstwerks, in: Rezeptionsästhetik, 1975, S. 47. F. V. Vodicˇka, Konkretisationen des literarischen Werks, in: Rezeptionsästhetik, 1975, S. 91. Ebd., S. 71.

Methodische Prämissen

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Im Unterschied zu Ingarden, der die Rezeption als Verlängerung der im Werk bereits angelegten Deutungsmöglichkeiten ansieht, fasst Vodicˇka den Rezeptionsvorgang als Begegnung zweier unterschiedlicher Momente auf – dem Werk einerseits und der literarischen Norm der Zeit andererseits. Die Rezeption eines Kunstwerks kann als Wahrnehmung in jeweils neuen Zusammenhängen verstanden werden. Das Einschalten eines Werks in einen neuen Kontext bringt stets neue Bedeutungsschichten im Werk zum Vorschein, ein Vorgang, der im Falle eines Transfers des Werks in einen anderen Sprach- und Kulturraum, sei es im originalen oder im veränderten Sprachzustand, noch deutlicher wird. Die divergierende Sichtweise im Vorfeld der Rezeptionstheorie bei Vodicˇka und Ingarden setzt sich bei den Hauptprotagonisten der eigentlichen Rezeptionsästhetik der sogenannten Konstanzer Schule fort: während Wolfgang Iser seinen Schwerpunkt auf den Text und seine Wirkung legt, konzentriert sich Hans Robert Jauß stärker auf die historische Abfolge von Rezeptionen, d. h. auf die Rezeptionsgeschichte. In seiner Rede Literaturgeschichte als Provokation der Literaturwissenschaft entwirft er das Projekt einer Literaturwissenschaft, die den Sinn eines Werkes weder in der bloßen Widerspiegelung gesellschaftlicher Realität verortet noch allein aus den Textstrukturen ableiten will. Vielmehr wird das Werk, der »ästhetische Gehalt«, erst im Akt des Lesens, und zwar in einem dialogisch verstandenen Kommunikationsprozess zwischen Text und Leser, hervorgebracht. Mit dieser Loslösung der schriftlichen Artefakte von den Autoren werden die Texte frei, in verschiedenen Situationen neue Bedeutungen zu gewinnen, die nicht mehr auf die Verfasserintention zu reduzieren sind. Demzufolge gibt es kein richtiges oder falsches Verstehen, keinen objektiv-zeitlosen Sinn eines Werkes – das Kunstwerk ist als »offenes« aufzufassen, wie es von Umberto Eco in Das offene Kunstwerk (1977) genannt wurde. Eine solche Sichtweise mündet bei Jauß jedoch nicht in die Beliebigkeit jeglichen Interpretierens, vielmehr schlägt er die Rekonstruktion der historisch und sozial unterschiedlichen Voraussetzungen und Erfahrungen der Leser vor, um deren »Erwartungshorizont« zu definieren. Wirkliche Kunst und Literatur durchbreche den Erwartungshorizont, indem sie die ästhetischen Normen in Frage stelle und zur Überprüfung des jeweiligen Literatur- und Wirklichkeitsverständnisses einlade. Die Folge einer solchen Kollision kann auch die Revision des gültigen Normensystems sein – Jauß spricht in diesem Fall von einer »Horizontverschmelzung«. Methodisch schlägt er deshalb zunächst vor, den Erwartungshorizont zu rekonstruieren und die Literaturgeschichte nach folgenden Prinzipien neu zu schreiben: 1. Die Rekonstruktion der Erfahrungen des Lesers mit einem bestimmten Autor ; 2. Die Rekonstruktion der Erfahrungen des Lesers mit der literarischen Gattung sowie mit Literatur im Allgemeinen; 3. Die Rekonstruktion der nichtliterarischen, z. B. psychischen, sozialen und kulturellen

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Einleitung

Faktoren; 4. Die diachrone Betrachtung von sich ablösenden Erwartungshorizonten bzw. von Horizontverschmelzungen. Allenthalben lassen sich bei Jauß theoretische Aussagen finden, welche die außerliterarischen Faktoren des Rezeptionsvorgangs und der Konkretisation betonen; in seiner literaturgeschichtlichen Praxis – und dies betrifft sowohl seine frühen als auch seine späteren Studien – wird der Erwartungshorizont jedoch als literaturimmanent betrachtet und vor allem im Bereich der schriftstellerischen Produktion untersucht.35 So stellt sich ihm z. B. die Rezeption der Nouvelle H¦lose vor allem als die Lektüre Goethes dar und diejenige von Goethes Faust als die Lektüre von Paul Valery.36 Jauß fällt damit nicht nur hinter seine eigenen Ansprüche zurück, den Leser »als tätiges, obschon kollektives Subjekt« anzusehen, das »dem individuell produzierenden Autor gegenübersteht und als vermittelnde Instanz in der Geschichte der Literatur nicht mehr übersehen werden kann«,37 sondern auch hinter das ursprüngliche Vorhaben bei Mukarˇovsky´ und Vodicˇka,38 die »Konstitution ästhetischer Objekte im Kollektivbewußtsein von Literaturkritikern und anderen gesellschaftlichen Gruppen zu untersuchen«.39 Durch jede Verschiebung in der Zeit, im Raum und in der sozialen Umwelt verändert sich die aktuelle künstlerische Tradition, durch deren Prisma das Werk wahrgenommen wird, und unter dem Eindruck dieser Verschiebungen verändert sich auch das ästhetische Objekt, das im Bewusstsein der Mitglieder des jeweiligen Kollektivs dem materialen Artefakt, der Schöpfung des Künstlers entspricht. Ein bestimmtes Werk, mag es auch in zwei voneinander entfernten Perioden gleichermaßen positiv gewertet worden sein, ist dennoch jedes Mal ein anderes ästhetisches Objekt, also in bestimmtem Sinne ein anderes Werk. Es ist natürlich, dass sich bei diesen Verschiebungen des ästhetischen Objekts oftmals auch der ästhetische Wert verändert.40

Im Unterschied zu der in der Rezeptionsästhetik geltenden Dominanz des idealen (Iser) bzw. des produktiven Lesers (Jauß) fokussiert die empirische Rezeptionsforschung auf den realen Leser in einem kulturellen, sozialen und politischen Umfeld – dieser kann passiver, reproduktiver und produktiver Re35 Gesellschaft. Literatur. Lesen, 1975, S. 136. Siehe ebenfalls P. Zima, Komparatistik, 1992, S. 168 ff. 36 Siehe H. R. Jauß, Ästhetische Erfahrung und literarische Hermeneutik, 1982, S. 614 ff. 37 Zitiert nach P. Zima, Komparatistik, 1992, S. 175 f. 38 Ein weiterer Kritikpunkt betrifft die implizite Annahme der Homogenität eines quasi kollektiven Erwartungshorizonts. Joseph Jurt konnte in La Reception de la litterature par la critique journalistique, 1980, zeigen, dass die Berufsgruppe der Literaturkritiker in gewisser Hinsicht homogen ist, ideologisch jedoch heterogen, und zwar dergestalt, dass sie keine widerspruchfreie Konkretisation hervorbringen kann. 39 P. Zima, Komparatistik, 1992, S. 175 ff. 40 J. Mukarˇovsky´, Kapitel aus der Ästhetik, 1970, S. 74. Siehe auch H. R. Jauß, Literaturgeschichte als Provokation, 1974, S. 171.

Methodische Prämissen

39

zipient sein. Mit einer solchen methodischen Vorgehensweise gehen folgende Weichenstellungen einher, die ich hervorheben möchte, da sie für die vorliegende Arbeit von besonderer Bedeutung sind: – Das literaturwissenschaftliche Interesse am »realen« Leser wird nicht durch dessen Bedeutung im Rahmen der traditionellen Literaturgeschichte determiniert, sondern nur durch seine Bedeutung für die Schiller-Rezeption. Deshalb können sogenannte »minor authors«, welche bislang nicht dem Literaturkanon angehörten, die gleiche Aufmerksamkeit wie Autoren der Höhenkammliteratur erhalten. Es gilt nämlich, die Schriftsteller als »Produzenten im gesellschaftlichen Kontext zu begreifen und dabei die im historischen Sinne repräsentativen Züge seiner Persönlichkeit ins Gesamtbild der Epoche einzufügen«.41 – Zum paradigmatischen Leser (Rezipienten) avanciert der »Kritiker«, da ihm hinsichtlich der »Normierung« von Werken und Autoren eine besondere Rolle zukommt; fungiert dieser doch nicht nur als Verbindungsglied zwischen »Werk« und »Leser«, sondern auch als Repräsentant der »Norm« oder der Normen der Zeit, ist zumindest maßgeblich an der Geschmacksbildung seiner Zeit beteiligt.42 – Der Unterschied zwischen hoher und niedriger Literatur, zwischen Literatur und Nicht-Literatur, wird gänzlich nivelliert, d. h. »Werke« (vor allem Rezensionen), die bisher kaum oder gar nicht ins Blickfeld geraten sind, können plötzlich die gleiche Aufmerksamkeit beanspruchen wie Werke der Weltliteratur.43 2.

Paratexte

Die Schiller-Rezeption im frühen Zeitraum zwischen 1790 und 1809 konkretisiert sich häufig in Textformen wie Motti, Zitate, Vorworte und Kritiken. Im Zuge der Verlagerung des literaturwissenschaftlichen Interesses auf die leserorientierten Literaturtheorien ist das Gewicht solcher Elemente bei der Sinnkonstitution im Prozess der Lektüre ins Blickfeld gerückt,44 da diese das »Werk« 41 Geschichte der deutschen Literatur, I:1, 1996, Einleitung, S. XXV. 42 F. V. Vodicˇka, Die Rezeptionsgeschichte literarischer Werke, in: Rezeptionsästhetik, 1975, S. 75 ff. 43 Siehe z. B. C. Gallagher & S. Greenblatt, Practicing New Historicism, 1997, S. 11: »The risk, from a culturally conservative point of view is that we will lose sight of what is uniquely precious about high art: new historicism, in this account, fosters the weakening of the aesthetic object.« Diese Auffassung ist besonders eindringlich von Adorno gerügt worden, welcher der Literatursoziologie den Vorwurf gemacht hat, dass diese niemals das Eigentliche der Literatur erreiche, sondern Heteronomes an diese herantrüge. Siehe z. B. Th. W. Adorno, Rede über Lyrik und Gesellschaft, 1958. 44 A. Rothe, Der literarische Titel: Funktionen, Formen, Geschichte, 1986, S. 8.

40

Einleitung

umgebenden Bestandteile den für den Rezeptionsprozess wichtigen Erwartungshorizont der Leser fundamental determinieren. Hans Robert Jauß bedient sich zur »Rekonstruktion des Horizonts der Erwartungen, die ein Werk für seine ursprünglichen Adressaten« vorgezeichnet hat, methodisch des »Prinzip[s] einer selektiven Kontexterweiterung«, während er inhaltlich »Paratexte« wie Vorwort, Untertitel und Motto einer ersten textimmanenten Horizontanalyse unterzieht.45 Der Terminus »Paratext« rührt von G¦rard Genette her, der in Seuils (dt. Titel: Paratexte) all jene Phänomene katalogisierte, die ein »Werk« begleiten und sein Erscheinungsbild in hohem Maße prägen.46 Ein literarisches Werk besteht demnach aus dem eigentlichen Werk, zumeist ein längerer Text, sowie verbalen oder nicht-verbalen Ergänzungen, d. h. Paratexten, welche das Werk einrahmen. Diese meist kürzeren, den Text umgebenden und ihn ergänzenden Begleittexte, welche den Haupttext dem Leser präsentieren, lassen sich in zwei Gruppen einteilen: die sogenannten »Peritexte«, welche in das Werk eingehen, wie z. B. Autorenname, Titel, Motto, Vorwort, Zueignung, Anmerkungen, Kapitelüberschriften, etc. sowie die »Epitexte«, welche in dessen Umfeld entstehen, z. B. öffentliche oder private, vom Autor stammende oder legitimierte Äußerungen und Kommentare zum Text, wie Interviews, Tagebucheinträge, Briefwechsel über das Werk, etc., die somit zumindest ursprünglich außerhalb des Texts angesiedelt waren.47 45 H. R. Jauß, Ästhetische Erfahrung und literarische Hermeneutik, 1982, S. 589. 46 Der Begriff der »Intertextualität« ist in den letzten Jahrzehnten zu einem zentralen Konzept der Literaturwissenschaft avanciert. Dabei lassen sich zwei Ansätze unterscheiden: 1. Ein theoretisch orientiertes Konzept, das die Intertextualität sehr weit fasst, und (z. B. bei Julia Kristeva) die Offenheit und den prozessualen Charakter der Literatur im Allgemeinen in den Mittelpunkt stellt. 2. Einen eher auf die praktische Analysearbeit ausgerichteten Ansatz (z. B. G¦rard Genette), der Beziehungen zwischen konkreten Texten zu klären und zu systematisieren sucht. 47 In der vorliegenden Arbeit werde ich mich des Begriffs »Paratext« bedienen, und zwar für alle von Genette sogenannten »transtextuellen« Beziehungen. In Palimpseste, 1993, S. 10 ff, verwendet Genette den Überbegriff der »Transtextualität«, welcher fünf Formen textübergreifender Beziehungen enthält: Die erste ist die »Intertextualität« im engeren Sinne, das Zitat, das Plagiat und die Anspielung. Eine zweite Form textübergreifender Beziehungen ist die »Paratextualität«. Der Paratext bildet einen Kommentar zum eigentlichen Text, indem er ihm Informationen hinzufügt, welche die Lektüre steuern können. Hinsichtlich seiner räumlichen Nähe zum Buch gliedert sich der Paratext für Genette zum einen in den »Peritext«, der – wie Schutzumschlag, Titel, Gattungsangabe, Vor- und Nachwort oder auch verschiedene Motti – relativ fest mit dem Buch verbunden ist. Zum anderen gibt es den »Epitext«, der Mitteilungen über das Buch enthält, die in der Regel an einem anderen Ort platziert sind – wie Interviews, Briefwechsel oder Tagebücher. Die »Metatextualität« als dritte Art der transtextuellen Beziehungen meint den Kommentar eines Textes durch einen anderen, wie das beispielsweise in Form der Literaturkritik oder des wissenschaftlichen Schreibens über Literatur geschieht. Die vierte Erscheinungsform ist die »Hypertextualität, d. h. das Überlagern eines Textes durch einen anderen Text, z. B. der Ulysses durch die Odyssee, welche ihrem Wesen nach von der Nachahmung zu unterscheiden ist. Die fünfte

Methodische Prämissen

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Der französische Titel Seuils spielt auf den Sachverhalt an, dass die klassifizierten Texttypen nicht nur Parerga (Beiwerk) des Haupttextes darstellen, sondern Schwellen zu diesen. Paratexte stellen somit nicht nur Schwellen zwischen Text und Text dar (Intertextualität z. B. beim Motto) sondern verweisen auch auf konkrete lebensweltliche Situationen oder auf die Leserrealität in einem bestimmten soziohistorischen Kontext. Der Paratext schafft die Voraussetzungen für eine Textkonkretisation im Sinne der Autorintention und stellt den heteronomen Paratext in den Dienst einer besseren, weil nach seiner Sicht relevanteren Lektüre seines Texts. Diese Klarstellung der auktorial intendierten Rezeptionsperspektive stellt nach Genette das Hauptziel des Paratexts dar, die Analyse ihrer Mittel, Verfahren und Auswirkungen steht deswegen im Zentrum seines Interesses.48 Dabei kommt dem »Vorhaben des Autors und seinem ›Standpunkt‹ eine für die heutige Literaturwissenschaft« ungewöhnliche Relevanz zu: Sie ergibt sich im Grunde aus dem Objekt, dessen ganze Funktionsweise, selbst wenn es sich mitunter dagegen verwehrt, auf dem einfachen Postulat beruht, daß der Autor »besser weiß«, was von seinem Werk zu halten ist. Man kann im Paratext nicht herumstreifen, ohne auf diesen Glauben zu stoßen und ohne ihn gewissermaßen als eines der Elemente der Situation hinzunehmen, wie dies ein Ethnologe mit einer autochthonen Theorie tut: Die Richtigkeit des auktorialen Standpunktes […] ist das implizite Credo und die spontane Ideologie des Paratextes […] Der Standpunkt des Autors, ob er nun gültig ist oder nicht, ist Teil der paratextuellen Praxis, er beseelt sie, inspiriert und begründet sie.49

Genette drückt deshalb folgerichtig seine Irritation angesichts moderner Theorien aus, welche die jahrhundertelang vorbehaltlose Gültigkeit des auktorialen Standpunktes demontieren, einerseits durch einen gewissen »Formalismus« (»den wahren Sinn des Textes gibt es nicht«), andererseits durch eine gewisse »Psychoanalyse« (»Es gibt einen wahren Sinn, den der Autor nicht kennen kann«),50 also das, was unter dem Stichwort »Tod des Autors« im Kategorie ist die »Architextualität«, welche die »taxonomische Zugehörigkeit des Textes« meint, und zwar in Form von Gattungsbezeichnungen wie »Gedichte«, »Roman« etc. welche entscheidend den »Erwartungshorizont des Lesers und damit die Rezeption des Werkes« lenkt. 48 Hinsichtlich der Beschreibung des Status paratextueller Mitteilungen unterscheidet Genette fünf Kategorien: den räumlichen (wo im »Werk«?), zeitlichen (wann?) und stofflichen Status (handelt es sich um einen Text oder z. B. eine Illustration?), den pragmatischen Status (von wem? an wen?) und die Funktion (wozu?). Im Rahmen der vorliegenden Arbeit ist vor allem der pragmatische Status, die illokutorische Wirkung der Mitteilung, von Interesse. Eine einfache Information geben, eine bestimmte Absicht oder eine auktoriale Interpretation bekanntgeben, den Kontext verdeutlichen, Rezeptionsanweisungen geben. 49 G. Genette, Paratexte, 1989, S. 388 f. 50 Ebd.

42

Einleitung

Poststrukturalismus Karriere gemacht hat.51 Das genannte Konzept zieht die klassische Idee der völligen Kontrolle des Schriftstellers über seine eigene Schöpfung in Zweifel, was für die Textinterpretation zur Folge hat, dass die mutmaßliche Absicht des Autors unerheblich ist und Texte auch durchaus Bedeutungen entwickeln können, die der Absicht des Autors widersprechen. Trotz gewisser Zugeständnisse an Einsichten des New Historicism (siehe Unterkapitel I:4) und die dort vertretene Bankrotterklärung der tragenden Instanzen der traditionellen Literaturgeschichte: Autor, Werk, Geschichte, scheint mir Genettes Einwand richtig, was für die vorliegende Arbeit konsequenterweise zu Konzessionen wenn nicht an den positivistischen Biographismus vergangener Zeiten, so doch an die Rekonstruktion biographischer und damit vor allem gesellschaftlicher Elemente des Erwartungshorizonts führt. Genette selbst macht nicht bei der Anerkennung des Auktors halt, sondern nimmt auch so von ihm genannte »faktische Paratexte« (»je qualifie de factuel le paratexte«) in seinen Katalog mit auf, mit welchen er solche »Texte« bezeichnen möchte, die nicht aus einer ausdrücklichen (verbalen oder nichtverbalen) Mitteilung bestehen, »mais en un fait dont la seule existence, si elle est connue du public, apporte quelque commentaire au texte et pÀse sur sa rÀception.« Folglich müssen wir Informationen über »das Alter oder das Geschlecht des Autors« und vieles andere mehr ebenfalls als sprachliche Äußerung im mittelbaren Umfeld genuin literarischer Rede rezipieren, die etwa einen Roman, den wir als Buch in Händen halten, erst zum Roman machen. Für Genette »steht zumindest fest, dass das historische Bewußtsein der Epoche, in der ein Werk entstand, für dessen Lektüre selten ohne Belang ist.« Doch steht ebenso fest, dass der Literaturwissenschaftler, der ein Werk als ganzes interpretatorisch erfassen will, auf der Folie einer so pauschalen Konzeption einen fast unüberschaubaren, selten homogenen sozial- und kulturhistorischen Datensatz in seine Analyse zu integrieren hätte. Dieses »broadening of the field« ist die neohistorische Situation, von der in der Folge noch gehandelt wird. Die Aufmerksamkeit auf die historischen Bedingungen macht sich in der Paratext-Forschung jedoch noch auf eine andere Weise bemerkbar. Im 18. Jahrhundert ist die Verwendung des Paratextes als Interaktionsform zwi51 Roland Barthes gilt als Urheber des Schlagworts vom »Tod des Autors«, das er 1967 in dem Aufsatz La mort de l’auteur (Der Tod des Autors, in: Texte zur Theorie der Autorschaft, 2000, S. 181) geprägt und in S/Z über Honor¦ de Balzacs Sarrasine handelnd weiterentwickelte. An die Stelle der traditionellen Auffassung vom Autor-dieu als quasi göttlich-sinnstiftende Instanz tritt in diesen Schriften eine Autor-Funktion, welche erst in der Lektüre und damit im Text selbst zustande kommt. Dies allerdings nicht als extratextueller und somit eigentlich transzendenter Sinn-Garant, sondern als Verknüpfer von heterogenen Zitaten, Anspielungen und diskursiven kulturellen Praktiken, welcher daher einer klassischen Erzähler-Instanz nahekommt.

Methodische Prämissen

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schen Autor, Text und Leser generell besonders stark ausgeprägt. Paratextuelle Elemente finden sich in allen literarischen Gattungen, was sich in Schweden aber erst am Ende des 18. Jahrhunderts bemerkbar macht, wie in der Folge zu zeigen ist. Der Grund für die Inflation paratextueller Elemente ist vielfältiger Natur: 1. Das Buch wird im 18. Jahrhundert in einem rasant wachsenden Buchmarkt zur Ware, der Verleger und das Verlagswesen entsteht, der intensive Bezug der Autoren zum buchkaufenden Leser eines großen, Klassen übergreifenden Publikums wird plötzlich sehr wichtig, das Buch wird Diskursgegenstand einer breiten literarischen Öffentlichkeit, der Kritiker etabliert sich. 2. Die Erfindung der eigenständigen, individualisierten Autorinstanz selbst und ihre Funktionsbestimmung und Rechtfertigung spielt eine wichtige Rolle: der Berufsautor entsteht. 3. Die Gattung Roman, welche die stärkste Tendenz zum Paratext hat, entsteht erst im Verlauf dieses Jahrhunderts.

3.

Begriffsgeschichte und Diskursanalyse

Genettes vom Strukturalismus herkommende Literaturtheorie und Intertextualitätsforschung drängt also wie die Rezeptionsästhetik auf den gesellschaftlichen und kulturellen Kontext, und zwar in zweierlei Hinsicht: 1. Er rechnet auch nichttextuelle »faktische« Elemente zu den Paratexten: »aber wir müssen zumindest prinzipiell festhalten, dass jeder Kontext als Paratext wirkt.«52 2. Die Entwicklung paratextueller Elemente in der Erzählprosa insgesamt etwa im Zeitraum des Erscheinens von Henry Fieldings Tom Jones bis zu Laurence Sternes Tristan Shandy weist auf eine Umwälzung des literarischen Systems im allgemeinen und des Autor-Werk-Leser-Verhältnisses im Besonderen hin. Die Multi-Komplexität der Umwälzung im kulturellen und gesellschaftlichen Bereich, die sich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts und im Rahmen einer »Bildung der Öffentlichkeit« (Habermas) sowohl in Deutschland als auch (etwas später) in Schweden vollzog,53 wurde für die deutschen Verhältnisse wie folgt beschrieben: Hier entwickelt sich eine historisch neue Formation, die das Leben junger Menschen reguliert und mit neuen Institutionen den Übergang von der Kindheit in das Erwachsenenleben neu gliedert. Neue Altersgruppierungen bilden sich; neue Diskurse und neue seelische Kontinente, Kindheit und Jugend. Neue Moden werden kreiert, von der Theatromanie bis zum Wertherfrack, neue Formen der Organisation gesell52 G. Genette, Seuils, 1987, S. 12. 53 Untersuchungen wie z. B. M. Björkmans Läsarnas nöje und G. Sahlins Författarrollens förändring och det litterära systemet 1770 – 1795, 1989, erlauben die Schlussfolgerung, dass sich auch in Schweden der Erfahrungshorizont in diesem Zeitraum stark verändert, was durch die Veränderungen, die das gesamte literarische System betreffen, reflektiert wird.

44

Einleitung

schaftlicher Macht werden eingeführt, vom literarischen Markt bis zum akademisch ausgebildeten Beamtenapparat, und es entsteht ein neuer sozialer Stand, das (deutsche) Bildungsbürgertum.54

Es handelt sich dabei um »historische Formationen«, die man in Anlehnung an Foucaults Diskursanalyse als »Bildungsdispositiv« bezeichnen kann und die sich zwischen der »punktuellen Wort- und der umfassenden Sozialgeschichte« befinden.55 Eine genauere Untersuchung der frühen Schiller-Rezeption in Schweden, welche einerseits das Nebeneinander von unterschiedlichen Schiller-Bildern, andererseits die Verschiebung der konzeptuellen Wirklichkeit in und mit der Schiller-Rezeption zu Tage fördert, legt nahe, dass dort ein terminologischer Paradigmenwechsel zeitversetzt zu den deutschen Verhältnissen, nämlich etwa 1780 – 1810, stattfindet. Ein solcher Paradigmenwechsel könnte sowohl durch die Diskursanalyse (Foucault) als auch durch die Begriffsgeschichte (Koselleck) dargestellt werden. Im Unterschied zur Diskursanalyse Foucaults, die weit über den Bereich der Wortgeschichte hinausgreift, indem sie einerseits nichtsprachliche Zeichensysteme mit einbezieht, andererseits der Sprache auch Bilder, Praktiken und Gesten als gleichberechtigte Bestandteile der Diskurse beiseite stellt, stellen »Begriffe« in der mit dem Namen Reinhart Koselleck verbundenen Begriffsgeschichte das »Kondensat historischer Prozesse« dar.56 Die Begriffsgeschichte ist zwar »verankert in sozialen Veränderungen, deren Erfahrung sie in Sprache faßt und damit festschreibt«;57 diese Veränderungen im sozialen Bereich und die im terminologisch-diskursiven Bereich sind jedoch nicht völlig deckungsgleich.58 Vielmehr muss das aufeinander Bezogensein von Sozialgeschichte und Begriffsgeschichte als »Differenzbestimmung« gesehen werden, »die ihren jeweiligen Allgemeinheitsanspruch gegenseitig relativiert«. »Geschichte geht weder in der Weise ihres Begreifens auf, noch ist sie ohne diese denkbar. Ebenso wenig läßt sich ›Geschichte‹ auf nichts als ihre sozialen, d. h. nur auf zwischenmenschliche Beziehungen reduzieren.« Unabhängig davon, dass jegliche Geschichtsschreibung immer und vor allem mit Texten zu tun hat, liegen die Vorzüge einer solchen methodischen Weichenstellung zugunsten der Begriffsgeschichte im literaturwissenschaftlichen 54 H. P. Herrmann, Qualen der Wahl, 2001, S. 94. 55 Ebd., Die Ausführungen M. Foucaults über den Dispositiv-Begriff, auf welchen im Zitat hingewiesen wird, finden sich in Der Wille zum Wissen. Sexualität und Wahrheit, I, 1977, S. 128 ff. Mit dem Ausdruck »Dispositiv« weist Foucault auf den Umstand hin, dass Diskurse nicht auf die sprachliche Ebene beschränkt bleiben, sondern sich auch auf Bereiche menschlicher Aktivität und auf Dinge und Artefakte beziehen. 56 B. Kerchner & S. Schneider, Foucault: Diskursanalyse der Politik. Eine Einführung, 2006, S. 115; D. Busse, Begriffsgeschichte oder Diskursgeschichte?, in: Herausforderungen der Begriffsgeschichte, 2003. 57 H. P. Herrmann, Qualen der Wahl, 2001, S. 95. 58 R. Koselleck, Begriffsgeschichten, 2006, S. 14.

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Kontext auf der Hand. Einerseits ist dem Forscher seit den 1970er Jahren mit dem sukzessiven Erscheinen historischer Wörterbücher im Rahmen einer fächerübergreifenden Begriffsgeschichte, die Rede ist hier von Geschichtliche Grundbegriffe (1972 – 1997), Historisches Wörterbuch der Philosophie (1971 – 2005) und Ästhetische Grundbegriffe (2000 – 2005),59 ein gleichermaßen praktikables wie auch unabdingbares Werkzeug an die Hand gegeben. Die These Kosellecks, dass sich begriffsgeschichtlich eine Sattelzeit zwischen 1750 und 1770 ausmachen lasse, war ein weiterer wichtiger Grund, dieser methodischen Weichenstellung den Vorzug vor der Diskursanalyse zu geben.60 Auch hinsichtlich der ästhetischen Schlagwörter der Zeit wurde festgestellt, dass sie insbesondere im 18. Jahrhundert einem »grundlegenden Bedeutungs- und Funktionswandel« unterliegen.61 Für die schwedischen Verhältnisse der Zeit gibt es keine entsprechenden Lexika oder Untersuchungen zum konzeptuellen Wandel;62 es könnte sich aber durchaus die Vermutung erhärten, dass die Beschleunigung des Erfahrungswandels, die zu einer »Fülle neuer Worte und Wortbedeutungen« führte, in Schweden etwas später anzusetzen ist und sich im Takt mit der Schiller-Rezeption vollzog. Die selbstverständlichste Aufgabe der Begriffsgeschichte, die »Auflösung des Scheins von Begriffskonstanz«,63 ist Aufgabe jeder literaturwissenschaftlichen Arbeit, sie stellte sich aber hier in ungewohnter Dringlichkeit, da selten von Konkretisationen kompletter Werke die Rede ist, sondern vielmehr von der 59 Historisches Wörterbuch der Philosophie, 1971 – 2005; Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, 1972 – 1997; Ästhetische Grundbegriffe, 2000 – 2005. 60 R. Koselleck, Geschichtliche Grundbegriffe. Einleitung, 1972, S. XV. Kritisch wurde allerdings auch gegen die Begriffsgeschichte Koselleck’scher Provenienz eingewendet, dass die »präformulierte These« der Sattelzeit die Begriffsforschung beeinflusst habe. B. Kerchner & S. Schneider, Foucault: Diskursanalyse der Politik. Eine Einführung, 2006, S. 116. Die Vorstellung einer solchen Sattelzeit in der zweiten Hälfte der 18. Jahrhunderts wird z. B. untermauert durch U. Dierse, Wann und warum entstand die Begriffsgeschichte und was macht sie weiterhin nötig?, in: Literaturwissenschaft als Begriffsgeschichte, 2010. H.-U. Gumbrecht dagegen sieht in Dimensionen und Grenzen der Begriffsgeschichte, 2006, die begriffsgeschichtliche Bewegung bereits im Abebben. 61 Ästhetische Grundbegriffe, I, 2010, S. IX. 62 C. Brylla, Die schwedische Rezeption zentraler Begriffe der deutschen Frühromantik, 2003, setzt an einem Punkt an, wo der Wandel bereits abgeschlossen ist, nämlich 1810 bei den schwedischen Neuromantikern, und kann deshalb den konzeptuellen Erdrutsch nicht sichtbar machen. H. Östman, Gustavian non-academic criticism 1772 – 1809, 1999, behandelt einen Zeitraum von 30 Jahren als homogenes Kontinuum, ohne sukzessive semantische Veränderungen auch nur zu registrieren, geschweige denn auszuwerten. Eine Ausnahme ist Patrik Lundell in Pressen i provinsen, 2002, S. 13, welcher die Pressegeschichte in Ostgötaland zwischen 1750 – 1850 begriffshistorisch zu fassen sucht und gleichzeitig darauf hinweist, wie unbekannt diese Methode in Schweden ist. 63 Hier und im Folgenden C. Dutt, Begriffsgeschichte als Aufgabe der Literaturwissenschaft, in: Literaturwissenschaft als Begriffsgeschichte, 2010.

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Einleitung

Rezeption auch unscheinbarster Textfragmente (als Zitat, Motto, etc.) – weshalb auch den einzelnen Begriffen nachgegangen werden musste. Die am häufigsten vorkommende Konkretisation der Schiller-Rezeption dieser Zeit ist jedoch der Paratext »literarische Kritik«. Der Erfahrungshorizont und Erwartungshorizont des Kritikers ist nur über die von ihm verwendete Terminologie zu erfassen und zu beschreiben. Die Erfassung der Bedeutung der Schiller-Rezeption in dieser schwedischen »Sattelzeit« setzt deshalb auch die Erfassung der Bedeutungsveränderung derjenigen Terminologie voraus, die das Fundament des jeweiligen kritisch-ästhetischen Diskurses bildet; Beispiele hierfür sind »Bildung«, »Originalität«, und »Genie«. Dies führte immer wieder zur »Rekonstruktion literaturtheoretischer Begriffsnetze«, denn den »tiefgreifenden Bedeutungswandel klassischer topoi«64 hat man sich kaum als Verschiebung einzelner Begriffe vorzustellen, sondern eher als erdrutschartige, dem Dominoeffekt ähnelnde terminologische Verschiebungen, die ein ganzes Set miteinander verbundener Begriffe betreffen.65 Kein Wort steht jemals allein, da es immer ein Element im sozialen Prozess der Sprache ist, »and its uses depend on complex and (though variably) systematic properties of language itself. Yet it can still be useful to pick out certain words, of an especially problematical kind, and to consider, for the moment, their own internal developments and structures.«66

4.

New Historicism

Der New Historicism machte mit der in der Rezeptionsästhetik geforderten aber nur halbherzig betriebenen Auflösung des Werkbegriffs ernst und situierte das »Werk« im Kreuzpunkt unterschiedlicher sozialer und kultureller Diskurse und radikalisierte damit eine auch von Genette bereits angedeutete Tendenz zur Transtextualität, die auch »historische« Paratexte, d. h. den historischen Kontext, beinhaltet.67 64 65 66 67

R. Koselleck, Geschichtliche Grundbegriffe. Einleitung, 1972, S. XV. R. Williams, Keywords, 1983, S. 22. Ebd. M. Baßler, New Historicism. Literaturgeschichte als Poetik der Kultur, 2001, S. 22. Der New Historicism fungiert im Folgenden als Dachtheorie, welche die genannten Methoden versammelt, ein Sachverhalt, dem Steven Greenblatt Rechnung trägt, wenn er rückblickend die Entstehung des New Historicism wie folgt charakterisiert: »We eagerly read works of »theory« emanating principally from Paris, Konstanz, Berlin, Frankfurt, Budapest, Tartu, and Moscow […]« S. Greenblatt, Practicing New Historicism, 1997, S. 2. Jauß, der Doyen der Rezeptionsstheorie, hat im Nachwort zum Aufsatz über Racines und Goethes Iphigenie, 1973, auf die »Partialität der rezeptionsästhetischen Methode« hingewiesen: »Die Rezeptionsästhetik ist keine autonome, sich selbst für die Lösung ihrer Probleme genügende

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Vor allem in Deutschland, wo man die Historizität von Texten von jeher gesehen hat, wurde zunächst auf die »Unübertragbarkeit des New Historicism auf europäische Verhältnisse« hingewiesen.68 Andererseits wurde darauf aufmerksam gemacht, dass der »Bruch mit dem, was z. B. Sozialgeschichte, Rezeptionsgeschichte oder Konsensgeschichte in Deutschland umtreibt«, tiefer gehe, »als eine flüchtige Betrachtung des New Historicism zunächst vermuten ließe«.69 Der prinzipielle Unterschied zwischen der traditionell literatursoziologischen und rezeptionsästhetischen Literaturwissenschaft und dem New Historicism bestünde im zweiten Teil der doppelten Formel von Louis Montrose: »Die poststrukturalistische Ausrichtung auf Geschichte, die jetzt in der Literaturwissenschaft aufkommt, kann mit einem Chiasmus bezeichnet werden als ein reziprokes Interesse an der Geschichtlichkeit von Texten und der Textualität von Geschichte.«70 Die Textualität von Geschichte sei in Deutschland erst mit Verspätung erkannt worden und keineswegs identisch mit der Einsicht von Historikern wie Hayden White und Reinhart Koselleck, dass »Geschichtsschreibung sich narrativer bzw. rhetorischer Muster bedient«.71 Vielmehr handle es sich um eine postmoderne und poststrukturalistische »Skepsis gegenüber den Metaerzählungen«, gegenüber den Hypostasierungen von historischen Subjekten, die in Formulierungen zum Ausdruck kommen wie: »Das Bürgertum versuchte…..«, »Die Aufklärung wollte….« etc. Mit anderen Worten: Nicht nur die Hypostasierung des Autors als Auktor, auch der historische Hintergrund, die

68 69 70 71

axiomatische Disziplin, sondern eine partiale, ausbaufähige und auf Zusammenhang angewiesene methodische Reflexion.« (S. 31) Gemeinsam ist den vier methodischen Konzeptionen, der Rezeptionsästhetik, Genettes Forschung zu den Paratexten, der Begriffsgeschichte und dem New Historicism, dass sie zu einer gänzlichen Auflösung des Werkbegriffs führen, auch wenn die Rezeptionsästhetik bei Iser und Jauß den Werkbegriff wieder restituiert. Insbesondere der Rezeptionsästhetik und dem New Historicism eignen eine Reihe von Gemeinsamkeiten, so z. B. der radikale Gestus des Neuanfangs: Jauß spricht von einer »Provokation« der rezeptionsästhetischen Literaturgeschichte, Greenblatt von einer »counterhistory« (Gegengeschichte). Den beiden Methoden ist auch eine Metapher gemeinsam: Rezeption fasst Jauß als »geschichtsbildende Energie« (S. 127) auf, die vermittels »fortgesetzter Horizontstiftung und Horizontveränderung« (S. 131) über die ästhetische Erfahrung hinausreicht: »Die gesellschaftliche Funktion der Literatur wird erst dort in ihren Möglichkeiten manifest, wo die literarische Erfahrung des Lesers in den Erwartungshorizont seiner Lebenspraxis eintritt, sein Weltverständnis präformiert und damit auch auf sein gesellschaftliches Verhalten zurückwirkt.« (S. 148) Greenblatt schwebt die literaturwissenschaftliche Praxis vor, auch noch so kleinste Textsegmente mit »sozialer Energie« aufzuladen. Wie dem rezeptionsästhetischen Modell von Jauß geht es dem New Historicism darum, »von einem rekonstruierten historischen Horizont her Fragen zu stellen, auf die der Text eine Antwort gibt«. H. Schlaffer, Geschichte als Anekdote, in: Frankfurter Rundschau, 17./18. 11. 1992, S. 19. M. Baßler, New Historicism, 2001, S. 11. Ebd., S. 8. Ebd., S. 9 ff. Der New Historicism sieht die Anfänge seiner Methode bei Johann Gottfried Herder und dessen »brilliant vision of the mutual embeddedness of art and history«. Siehe C. Gallagher & S. Greenblatt, Practicing New Historicism, 1997, S. 7.

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Hypostasierung einer Gesellschaft, einer Epoche, etc. wird fragwürdig. Diese wird nämlich selbst zum »Interpretandum«. Die Skepsis gegenüber festen Entitäten (Autor, Text, Ursprung, Gesellschaft) zwingt die Literaturwissenschaft den Austausch (negotiations, exchange) und das Wechselspiel zwischen solchen (vermutlich nur noch theoretisch zu denkenden) Fixpunkten ins Auge zu fassen.72 Text und Texthintergrund sind eine untrennbar ineinander verwobene Textmasse, weshalb Greenblatt vorschlägt, die »kollektive Produktion«73 in den Mittelpunkt des literaturwissenschaftlichen Interesses zu stellen und nicht nur die individuelle (die nur in der Wechselwirkung existiert). Es handelt sich um nichts weniger als eine neue Wissenschaft: die Poetik der Kultur. Diese kann allerdings keine Kultur in ihrer Totalität darstellen, sondern nur noch Einzelverbindungen aufzeigen und »einzelne Diskursfäden in verschiedene Regionen des historisch-kulturellen Gewebes« verfolgen.74 Damit werden jedoch eine ganze Reihe von Fragen und Problemen aufgeworfen, welche wie folgt formuliert werden können:75 – Wenn jede Spur einer Kultur Teil eines gigantischen Textnetzwerkes ist, wie können einzelne Einheiten darin identifiziert, analysiert und voneinander abgegrenzt werden? Und damit verbunden: Wie und nach welchen Kriterien können diejenigen Einheiten identifiziert werden, welche die wichtigsten sind, sei es für uns oder für die Zeitgenossen? – Wenn die ganze Kultur als Text betrachtet wird, ist es außerordentlich schwer, klare und distinkte Grenzen zwischen dem Zeichen und dem Bezeichneten, der Darstellung (representation) und dem Ereignis (event) zu ziehen. – Die schwankende Beziehung zwischen der Nachahmung (imitation) und der Handlung (action), zwischen Hintergrund und Vordergrund, gibt Anlass zu einer interpretatorischen Unerschöpflichkeit. Es gibt immer noch eine Spur, die es wert wäre, verfolgt zu werden, immer ein kleiner, unbefriedigender Rest auch in der dichtesten und kohärentesten Argumentation und Interpretation. – Wenn die ganze Kultur als Text betrachtet wird, ist es nahezu unmöglich, die »Geschichte« als Schiedsrichter anzurufen. Das bedeutet, dass sie für Neohistoriker nicht die stabilisierende und beruhigende Funktion ausüben kann, die sie in Untersuchungen traditionellen Zuschnitts noch ausübte. Natürlich 72 S. Greenblatt, Shakespearean Negotiations, 1988, S. 2: »By a total artist I mean one who, through training, resourcefulness, and talent, is at the moment of creation complete unto himself; by totalizing society i mean one that posits an occult network linking all human, natural, and cosmic powers and that claims on behalf of its ruling elite a privileged place in this network.« 73 S. Greenblatt, Shakespearean Negotiations, 1988, S. 4. 74 M. Baßler, New Historicism, 2001, S. 19. 75 Im Folgenden eine stark veränderte, inhaltlich paraphrasierende, gekürzte und von mir ins Deutsche übertragene Wiedergabe der sechs Punkte von Stephen Greenblatt in Practicing New Historicism, 2000, S. 14 ff.

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sind gewisse Dinge leichter und mit größerer Gewissheit über eine »Epoche« (d. h. eine Zeit und einen Ort) auszusagen, als andere – gleichzeitig ist es wichtig, die Relativität von generellen Aussagen im Auge zu behalten. Wenngleich die Auswahl und Abgrenzung derjenigen Einheiten, die die SchillerRezeption betreffen, großteils einfacher war als von Greenblatt beschrieben – und zwar deswegen, weil die reproduzierenden Konkretisationen der SchillerRezeption meistens vorgegeben sind und nicht ausgewählt werden müssen – so war gerade ihre Kontextualisierung und die Identifizierung derjenigen Verzweigungen, die mit diesen »Einheiten« zusammenhingen, keineswegs jeweils klar und distinkt abzugrenzen. Vielmehr ist die dargebotene literaturgeschichtliche Betrachtung der hier in Frage kommenden Zeit in der Tat nur eine von mehreren Möglichkeiten. Auch das Problem des Hintergrundes stellte sich nicht in gleicher Dringlichkeit. Zwar wurden die ausgetretenen Pfade der schwedischen Literaturgeschichte verlassen und das Material nach neuen Gesichtspunkten geordnet, nämlich in dem Maße, wie der Textkorpus dies verlangte. Gleichzeitig boten jedoch Metaerzählungen wie Reinhart Kosellecks Kritik und Krise, Jürgen Habermas’ Strukturwandel der bürgerlichen Öffentlichkeit und Panajotis Kondylis’ Die Aufklärung im Rahmen des neuzeitlichen Rationalismus einige Fixpunkte, die dazu dienten, das Feld neu zu bestellen.

5.

Probleme der literaturgeschichtlichen Darstellung

Die Rezeptionsgeschichte eines Autors zu einer gegebenen Zeit an einem gegebenen Ort ist ein Sonderfall der Literaturgeschichte, die in irgendeiner Weise zeitlich zu disponieren und zu strukturieren ist. Für die gewichtigsten schwedischen Literaturgeschichten Illustrerad svensk litteraturhistoria, Ny illustrerad svensk litteraturhistoria sowie Svenska litteraturens historia können folgende Gliederungsmerkmale festgestellt werden: – Das Errichten von Porträtgalerien unilinear in der Reihenfolge Kellgren, Leopold, Tegn¦r, Geijer, Atterbom, Stagnelius etc. – Eine prinzipiell diachrone Darstellung mit synchronen Tendenzen um die Gravitationsfelder der oben genannten Autoren herum. – Eine weitgehende Vernachlässigung von Autoren und Tendenzen, die nicht dem Modell der Höhenkammliteratur einzugliedern sind. – Das gänzliche Ausklammern der hier behandelten Periode zwischen 1792 bis 1809, die je nach Phänomen der gustavianischen oder der romantischen Epoche zugeschlagen wird.

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Das traditionelle Strukturierungsprinzip nach Großautoren ist im vorliegenden Rahmen weder methodisch noch inhaltlich von Bedeutung und auch die Geschichte hat vom neohistorischen Standpunkt aus betrachtet ihre ordnende Kraft verloren, weshalb man sich als Forscher mit einer virtuell unendlichen Daten- und Faktenflut konfrontiert sieht, ohne über Ordnungsmuster zu verfügen. Dies ist die neohistorische Grundsituation. Wie sind die Fakten also zu einem legitimen Zusammenhang zu verknüpfen, der sie erst zu historischen Fakten macht? Da mit der vorliegenden Arbeit durchaus auch der positivistische Anspruch erhoben wird, die frühe Schiller-Rezeption in quellengeschichtlicher Vollständigkeit darzubieten, böte sich zunächst eine chronologische Disposition der einzelnen disparaten Konkretisationen an. Eine solche Arbeit nach dem Beispiel des Typs »Schiller in Russland«, »Schiller in Spanien« etc. mag durchaus ihre wissenschaftliche Berechtigung haben.76 Es kann jedoch nicht primär Aufgabe einer rezeptionsgeschichtlichen Untersuchung sein, ein lückenloses Aneinanderreihen einzelner individueller Eindrücke, Meinungen und Konkretisationen zu bewerkstelligen.77 Deshalb kann auch nicht bei der chronologischen und additiven Darbietung einzelner Rezeptionsmomente stehengeblieben werden. »Wir haben« – mit den Worten des Ethnologen Clifford Geertz, einer der Vorbilder des New Historicism – die Triftigkeit unserer Erklärung nicht nach der Anzahl uninterpretierter Daten und radikal verdünnter Beschreibungen zu beurteilen, sondern danach, inwieweit ihre wissenschaftliche Imagination uns mit dem Leben von Fremden in Berührung zu bringen vermag. Es lohnt nicht, wie Thoreau sagt, um die ganze Welt zu reisen, bloß um die Katzen auf Sansibar zu zählen.78

Greenblatt bezieht sich methodisch auf Clifford Geertz, der sich in Dichte Beschreibung zu einer »mikroskopischen« Beschreibung ethnographischer Phänomene bekennt.79 Der Ethnologe nähere sich umfassenden Interpretationen und abstrakteren Analysen von einer sehr intensiven Bekanntschaft mit äußerst kleinen Sachen. Er stehe den gleichen großen Realitäten gegenüber, mit denen es andere – Historiker, Ökonomen, Politikwissenschaftler, Soziologen – »in schicksalhafteren Konstellationen zu tun haben: Macht, Veränderung, Glaube, Unterdrückung, Arbeit, Leidenschaft, Autorität, Schönheit, Gewalt, Liebe, Prestige, aber er begegnet ihnen in reichlich obskuren Zusammenhängen«. Das Bekenntnis zu Miniaturen – »einer Mischung aus Anmerkung und Anekdoten« – 76 H.-B. Harder, Schiller in Russland, 1969; H. Koch, Schiller und Spanien, 1973. 77 H. R. Jauß weist jene Literaturgeschichtsschreibung als »Pseudogeschichte« zurück, die ›objektive‹ Daten des Literaturbetriebs positivistisch verkettet. Dagegen stellt Jauß die Erforschung von kritischen oder affirmativen Bezugnahmen, der Überlieferungsprozesse oder der Abläufe von Vergessen und Wiederentdecken eines Werkes in den Vordergrund. 78 C. Geertz, Dichte Beschreibung, 1983, S. 30. 79 Ebd., S. 30.

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ist jedoch keineswegs eine Absage an die »großangelegten ethnologischen Interpretationen ganzer Gesellschaften.« Rezeptionsästhetisch zielt das literaturwissenschaftliche Interesse auf die Freilegung der Mechanismen, die zu einer bestimmten überindividuellen, von der Gesellschaft legitimierten Konkretisation, also zu sogenannten »Fixierungen«,80 führen; und im Rahmen des New Historicism sind die Werke als Kreuzungspunkte unterschiedlicher Diskursfäden zu betrachten, von welchen einige zu isolieren und zu verfolgen sind. Ausgangspunkt solcher zu verfolgenden Diskursfäden sind zumeist Begriffe und Paratexte. Vorbild einer derartigen »counterhistory« ist z. B. Raymond Williams: The various streams of what we’ve been calling »counterhistory« met in his work: an attention to those forces resisting the processes of modernization; the exploration of the cul-de-sacs where unrealized possibilities were stranded; a determination to chart the dynamic interaction between history’s usual object of study – the myriad relations constituting »society« – and the »culture« normally assigned to anthropologists and literary critics; as well as an overriding interest in the making of such concepts as »society« and »culture«.81

Dem New Historicism eignet die spezifische Vorgehensweise, von der beiläufig einleitenden Anekdote, hier vor allem das Zitat oder das Motto, ins Zentrum des gesellschaftlichen Seins und zur ganzen Epoche vorzudringen. Das Typische im Kleinen aufzufinden, in wenigen, scheinbar zufällig ausgewählten Textzeilen und aufgefundenen Textfragmenten das historisch Charakteristische zeigen zu können, ist eine Schreibstrategie, welche Greenblatt vom Romanisten Erich Auerbach ableitet. In der vorliegenden Arbeit wird eine solche großangelegte Interpretation der schwedischen Literaturgeschichte mit dem Bekenntnis zur Miniatur kombiniert. Sieht man einmal vom zweiten Kapitel ab, das versucht, den kulturellen, gesellschaftlichen und politischen Horizont zu umreißen, entstanden zwölf quasi selbständige Kapitel-Miniaturen, die jeweils ein Motiv der Schiller-Rezeption durchleuchten. Während die Miniaturen in ihrem Binnenraum teils spatialen, netzartigen Strukturen folgen, teils aber auch temporal angeordnet sind, ist die Gesamtanlage der Arbeit chronologisch und versucht eine »großangelegte Interpretation« der Literatur in der behandelten Zeit: die Schiller-Rezeption von 1790 – 1809 als Rezeption der Spätaufklärung.

80 F. V. Vodicˇka, Konkretisationen des literarischen Werks, in: Rezeptionsästhetik, 1975, S. 93. 81 C. Gallagher & S. Greenblatt, Practicing New Historicism, 1997, S. 60.

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5.

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Zum Begriff der Aufklärung

Die Schiller-Rezeption in Schweden beginnt im Rahmen der schwedischen Aufklärung, so die in dieser Arbeit tragende These, die sich zunächst einmal an Tore Frängsmyrs stimulierender Behauptung, dass es keine Aufklärung in Schweden gegeben habe, zu bewähren hat. Frängsmyr konstatiert in Sökandet efter upplysningen (dt. Die Suche nach der Aufklärung), dass die schwedischen Literaturgeschichten lediglich aus Konvention und unter dem Einfluss der ausländischen Literaturwissenschaft den Begriff der Aufklärung für das 18. Jahrhundert verwendet hätten, was sich vor allem in den Titeln und Kapiteleinteilungen der betreffenden Literaturgeschichten bemerkbar mache.82 Frängsmyr weist auf den Widerspruch hin zwischen der impliziten Behauptung, dass es eine Aufklärung gegeben habe, und den expliziten Äußerungen in den einzelnen Literaturgeschichten, in welchen immer wieder geltend gemacht wird, dass sich die schwedische Aufklärung auf zwei Personen reduziere: Kellgren und Rosenstein. Frängsmyr möchte nun diesen inneren Widerspruch der schwedischen Literaturgeschichte beendet wissen. Mit Blick auf die jüngste Literaturgeschichte von Delblanc und Lönnroth meint er : Der Titel des Bandes, Upplysning och Romantik, widerspricht den Nuancierungen im Text, wenn er auf das bekannte ideengeschichtliche Gegensatzpaar anspielt. Dies zeigt nur, wie tief die Konventionen reichen; internationale Strömungen und Epochen werden automatisch auf schwedische Verhältnisse überführt. Gab es keine schwedische Aufklärung, von der die Rede Wert ist, sollte dieser Term auch nicht als Titel eines Buches verwendet werden.83

Frängsmyr scheint ein radikaler Bruch mit den vermeintlichen Widersprüchen und Halbheiten der traditionellen Literaturgeschichten vorzuschweben, während er in Wirklichkeit sämtliche von diesen geprägten Prämissen akzeptiert, nämlich eine Bindung des Aufklärungsbegriffs an die »Avantgarde« der Aufklärung nach dem Muster der französischen Verhältnisse. Tatsächlich ist es Frängsmyr selbst, der »internationale Strömungen« auf schwedische Verhältnisse überführt. Nina Witoszek hat dies in ihrem Aufsatz Fugitives from Utopia: The Scandinavian Enlightenment reconsidered, auf den später noch genauer einzugehen ist, ohne ausdrücklich auf Frängsmyr Bezug zu nehmen, sehr schön auf den Punkt gebracht: It is, of course the case that the reception of Enlightenment ideas varied from culture to culture and thus they cannot be homogenized into a simplistic French or German 82 T. Frängsmyr, Sökandet efter upplysningen: En essä om 1700-talets svenska kulturdebatt, [1993] 2006, S. 88 – 94. Das Buch wurde 2000 unter dem Titel A la recherche des LumiÀres: Une perspective suÀdoise, Presses universitaires de Bourdeaux, auf Französisch herausgegeben. 83 Ebd., S. 94.

Zum Begriff der Aufklärung

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model. The Scandinavian countries in particular, have been the site on an Enlightenment which never quite collapsed into its own opposite. The reason for this immunity remains something of a puzzle. Here, the sluggish, peaceful dismantling of absolutism which occurs in lieu of revolution, irritating as it may be to radical historians […]84

Frängsmyr unterscheidet drei mögliche Definitionen der Aufklärung: eine »philosophische«, die eine philosophische oder oppositionelle Haltung zur Gesellschaft oder zur Religion zu beschreiben sucht; eine »chronologische«, die die Aufklärung mit dem 18. Jahrhundert gleichsetzt (Beispiel hierfür ist ihm Ernst Cassirers Die Philosophie der Aufklärung); und schließlich eine »historische«, die die Aufklärung als geschichtlich exakt identifizierbares Phänomen zu fassen sucht. Frängsmyr schließt sich ausdrücklich der Sichtweise von Peter Gay an, wenn er der historischen Sichtweise den Vorzug gibt, nach welcher es sich bei der Aufklärung vor allem um ein französisches Phänomen handle.85 Die Aufklärer seien »men of letters«, »ein neuer Typ sozialer Individuen, die wir heute Intellektuelle nennen würden«. Diese »men of letters« waren Engagierte, die die Gesellschaft verändern wollten, sie waren nicht nur »Rationalisten oder Oppositionelle in einer allgemeinen Bedeutung«. Zwar habe es viele Vorgänger der Aufklärung gegeben, wie »Locke, Toland, Bayle u. a., aber erst mit ›les philosophes‹ hatte die Aufklärung ihren »Durchbruch als Bewegung, mit Anhängern und einem Programm«.86 Peter Gay kommt der Wirklichkeit am nächsten, wenn er die französische Aufklärung als zentral im Zusammenhang sieht, und wir haben gesehen, dass Robert Darnton ähnlich argumentiert. Das ist die Linie, der ich folgen will. In den französischen Philosophen findet Gay eine zusammengeschweißte Gruppe, was er »eine Familie« nennt, mit einer oppositionellen Gesellschaftssicht und einer gemeinsamen Lebenshaltung, die einem Programm glich. Die Enzyklopädie ist deren vornehmste Manifestation und trug dazu bei, dass die Umwelt die Gruppe als einheitlicher auffasste, als sie vielleicht war. Es handelte sich jedoch um die einzige Gruppe, die sich um die Ideen der Aufklärungsphilosophie versammelte und deren Botschaft der Allgemeinheit zuzuführen versuchte.87

Dieser Auffassung zufolge müssen wichtige Inspiratoren der Aufklärung wie Descartes, Newton, Bacon, Locke, Bayle und Fontanelle einer »Voraufklärung« zugerechnet werden, während Voltaire eine wichtige Verbindung zwischen Voraufklärung und Aufklärung darstellt. Im Rahmen dieser Sichtweise gab es 84 N. Witoszek, Fugitives from Utopia: The Scandinavian Enlightenment reconsidered, 1997, S. 73. 85 Frängsmyrs behauptet, dass er sich der »gewöhnlichsten Sichtweise der Ideenhistoriker« anschließe, berücksichtigt jedoch lediglich die englischsprachige Literatur. 86 T. Frängsmyr, Sökandet efter upplysningen, 2006, S. 44 f. 87 Ebd., S. 47 ff.

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weder in Deutschland noch in Schweden eine Aufklärung. Abschließend erklärt Frängsmyr : Nun meine ich natürlich nicht, dass wir überhaupt keine Aufklärungsideen in unserem Land hatten. Aber ich wende mich gegen die Versuche, die geringen schwedischen Ansätze als eine zusammenhängende und bewusste intellektuelle Kampfbewegung zu beschreiben und diese »die schwedische Aufklärung« zu nennen. Eine solche Bewegung existierte nicht in Schweden. Schon chronologisch ist der Abstand zu groß zwischen den kleinen Lichtpunkten. Wir hatten Forssk”l und Chydenius kurz vor und nach 1760, und wir hatten Kellgren, Rosenstein und Leopold dreißig Jahre später. Und wir hatten, nicht zu vergessen, drei Frauen in ungefähr gleichem zeitlichen Abstand, Lovisa Ulrika, Charlotta Taube und Anna Maria Lenngren. Dies gibt keine Kampfbewegung, nicht einmal eine Strömung.88

Frängsmyrs personenfixierte und simplizistische Identifizierung der Aufklärung mit den französischen Enzyklopädisten und Voltaire sowie die Definition der Aufklärung als »Kampfbewegung« mag nicht einleuchten: sie ist zu eng und zu weit gleichzeitig. Sie ist zu eng, weil die Begrenzung auf eine avantgardistische »Bewegung« bzw. auf einige »kleine Lichtpunkte« den kognitiven Gewinn der Aufklärungsforschung allzu sehr begrenzt und die eigentlich interessanten Fragen, z. B. wie denn die Aufklärung vonstatten ging, wie sie in die Köpfe der Leute kam und welche Kompromisse je nach Zeit und Ort eingegangen werden mussten auf dem Wege einer solchen Aufklärung, außen vor gelassen werden. Eine solche Identifizierung ist aber zugleich auch zu weit, weil sich leicht zeigen ließe, dass die philosophes in jedem für die Aufklärung relevanten Punkt – z. B. in ihrer Haltung zur Religion, zur Demokratie etc. – unterschiedliche bis konträre Auffassungen hatten. Philip Blom hat jüngst in Böse Philosophen noch einmal vor Augen geführt,89 wie klein die von Frängsmyr so genannte Kampfgruppe in Wirklichkeit war : der harte und zuverlässige Kern der Enzyklopädisten bestand aus drei Personen: Diderot, Holbach und Grimm. D’Alembert sprang ab, als es brenzlig wurde, Rousseau war gegen alle, Voltaire hauptsächlich für sich selbst, und Helvetius pflegte seinen eigenen kultivierten wenngleich radikalen EinMann-Betrieb. Frängsmyrs Konzentration auf eine hervorgehobene Kampftruppe ist auch deshalb inkonsistent, weil er sich explizit an Robert Darntons Sichtweise der Aufklärung anschließt, und dieser hatte dargelegt, dass nicht Voltaire, Diderot und Rousseau, sondern die libertäre und pornographische Libelles-Literatur ausschlaggebend für die Aufklärung war.90 Man sollte viel88 Ebd., S. 217 f. 89 P. Blom, Böse Philosophen, 2010. 90 In seinem Aufsatz The High Enlightenment and the Low-Life of Literature, in: The Literary Underground oft the Old Regime, 1982, hat Robert Darnton für die Zeit vor der Französischen Revolution dargelegt, dass die »philosophes« (z. B. Voltaire d’Alembert, Diderot) nicht im Widerspruch zu den Eliten (Adel und Klerus) des Ancien Regime standen. Die »philosophes«

Zum Begriff der Aufklärung

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mehr das Wagnis nicht scheuen, »die Multiperspektivität des Themas ernst zu nehmen und seine verschiedenen Ebenen mit verschiedenen Methoden anzugehen: Ihre Angemessenheit muss sich im Ertrag erweisen und nicht in dogmatischer Hypostasierung einer methodischen Richtung.«91 Eine Darstellung der Aufklärung und ihrer Wirkung in Schweden sollte deshalb meiner Meinung nach um folgende Dimensionen erweitert werden (siehe dazu nächstes Kapitel): eine soziologisch-ökonomische (Habermas), eine begriffsgeschichtliche (Koselleck) und eine ideengeschichtliche (Kondylis). Die Kritik, die Panajotis Kondylis in seinem epochalen Aufklärungsbuch gegen Peter Gay in Anschlag gebracht hat, verdient, mit Blick auf Frängsmyr, wiederholt zu werden: Paradoxerweise macht sich Gay die genannten Kritiken an Cassirer und Hazard zu eigen (Rise of Modern Paganism, 426, 428), um seinerseits die gleichen methodischen und inhaltlichen Fehler zu begehen. Denn er will »die« Aufklärung offenbar als Vorstufe der modernen Philosophie des »kritischen Rationalismus«, also aus der Sicht normativistischer Prämissen auffassen. Für ihn ist Aufklärung hauptsächlich kritisches Denken gegen die Irrationalität des Mythos und Autonomiebestreben gegen die christliche Autorität (464, 495 f.) Das ist eigentlich der Grund, warum er den skeptischnihilistischen Aspekt der Aufklärung kaum zur Kenntnis nehmen will […] und warum er auch in den Gegensätzen der Philosophes zueinander nur die »complexity of synthesis« zu entdecken vermag.92

Kondylis betont – und dies keineswegs im Widerspruch zu Cassirer, sondern vielmehr in Übereinstimmung mit diesem – den heterogenen Charakter der Aufklärung und verwehrt sich gegen jeglichen vereinheitlichenden Versuch, sie als Zeitalter des »Rationalismus« oder des »Optimismus« darzustellen.93 Das waren genau genommen Teil der aristokratischen Welt und bezogen staatliche Pensionen. Systemkritische Werke wie Rousseaus Contrat Social wurden, wenn überhaupt, nahezu ausschließlich vom Adel und Klerus gelesen, sodass solche Werken keinen revolutionären Einfluss auf das Bürgertum ausüben konnten. In der Folge versuchten immer mehr junge Literaten aus der Provinz in Paris Fuß zu fassen, ermutigt durch den ökonomischen Erfolg der »philosophes«. Staatliche Unterstützung erhielten jedoch nur einige wenige dieser zweiten Generation (Marmontel, Suard), weshalb die meisten in ärmlichen Verhältnissen lebten. Sie schrieben in Pamphleten (»libelles«) ihren ganzen Frust von der Seele und beschrieben das unsittliche Treiben der »monde« in einer deftigen und anschaulichen Sprache, weshalb sie auch von den unteren Schichten verstanden wurden. Darnton sieht das Ancien Regime durch den Verlust der moralischen Integrität als Folge der Zirkulation solcher Pamphlete weitaus stärker geschädigt als durch die staatstheoretischen Abhandlungen eines Montesquieu und Rousseau. Nach Ausbruch der französischen Revolution spielten diese Verfasser der »libelles« allerdings eine herausragende Rolle (z. B. Marat, Brissot). 91 H. Möller, Vernunft und Kritik, 1986, S. 7. 92 P. Kondylis, Die Aufklärung im Rahmen des neuzeitlichen Rationalismus, 2002, S. 21 f. 93 Ernst Cassirers Die Philosophie der Aufklärung, 2007 [1932], stellt natürlich nach wie vor, und dies muss gegen Frängsmyrs Kritik desselben betont werden, ein Grundlagenwerk der Aufklärungsforschung dar, und zwar im hier relevanten Zusammenhang umso mehr, als dass ihm gleichzeitig eine der tiefschürfendsten Interpretationen des Denkens des radikalen

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zusammenhaltende Moment der »Aufklärung« sieht er nicht in der Einheitlichkeit der »Philosophie« des Zeitalters, sondern in der gemeinsamen Problemstellung, nämlich der Spaltung des aufgeklärten Denkens in Geist und Sinnlichkeit, welche gegensätzliche Antworten und Stellungnahmen ermögliche.94 Frängsmyr inszeniert den Bruch mit der schwedischen Literaturwissenschaft, wandert jedoch auf den von dieser ausgetretenen Pfaden. Dies muss wohl auch im Zusammenhang damit gesehen werden, dass Frängsmyr, der nur englischsprachige Forschung berücksichtigt, grundlegende Forschungsbeiträge in Deutschland und Frankreich nicht einmal zur Kenntnis nimmt. Weder Roger Chartier und dessen Polemik mit Robert Darnton nimmt er wahr noch das Jahrhundertwerk Geschichtliche Grundbegriffe, weder Strukturwandel der Öffentlichkeit von Habermas und Kosellecks Kritik und Krise noch Kondylis’ Die Aufklärung im Rahmen des neuzeitlichen Rationalismus, welche die Komplexität der Aufklärung jenseits monokausaler Erklärungsmodelle zu begreifen suchten, finden Erwähnung in Frängsmyrs ansonsten recht ausführlichem Durchgang durch die (englischsprachige) Aufklärungsliteratur.95

schwedischen Aufklärers Thomas Thorild und seine Einordnung in das europäische Geistesleben zu verdanken ist. Die Bedeutung von Cassirer wurde noch von Michel Foucault hervorgekehrt: »[…] Cassirer a fait une oeuvre historique originale: il a convoqu¦ toutes les grandes formes de l’Aufklärung sans le limiter, comme il est de tradition aux domaines franÅaises et anglais […]« (Sur Ernst Cassirer. La Philosophie des LumiÀres, in: La Quinzaine litt¦raire, 8, 1966, S. 3 – 4) . 94 P. Kondylis, Die Aufklärung im Rahmen des neuzeitlichen Rationalismus, 2002, S. 20 f. 95 Das Fehlen jeglichen Hinweises auf Kritik und Krise fällt insbesondere in der seit den 1990er Jahren andauernden Diskussion über Sein und Nichtsein der schwedischen Aufklärung auf. Bereits in Frängsmyrs Sökandet efter upplysningen, der Stein des Anstoßes dieser Diskussion, ist die Unkenntnis oder bewusste Ausklammerung der Forschung Kosellecks als ein nicht unproblematischer Tatbestand zu konstatieren. Dies z. B., wenn Frängsmyr im Durchgang der sich ihm als relevant darstellenden Literatur zur Aufklärung – wo Koselleck nicht genannt wird – Margaret C. Jacobs The Radical Enlightenment: Pantheist, Fremasons and Republicans (1981) wie folgt beurteilt: »Ohne Zweifel hat Margaret Jacob eine wichtige Strömung im intellektuellen Leben des 18. Jahrhunderts beschrieben, auch wenn sie dazu tendiert, die Rolle der Freimaurer zu übertreiben. Vor allem zeigt sie, dass das 18. Jahrhundert nicht so einheitlich war, wie es manchmal beschrieben wird. Aber ihre Neudefinitionen erscheinen wenig relevant. Es scheint, als ob sie der Freimaurerbewegung einen höheren Status geben wollte, indem sie die Aufklärung nennt, aber das schafft nur Verwirrung.« (S. 22) Gerade aber Kosellecks Einschätzung der Bedeutung der Freimaurerei ist in der deutschen Literaturwissenschaft eine nicht mehr verhandelbare Prämisse jeglichen Aufklärungsverständnisses. So meint z. B. Christoph Siegrist (Geschichte der deutschen Literatur, I:1) hinsichtlich der Aufklärung in Wien: »Eine zentrale Rolle spielen schließlich die Freimaurerlogen, denen praktisch alle österreichischen Aufklärer angehörten« (S. 170) und H.-G. Winter hinsichtlich der deutschen Verhältnisse: »Bei der bürgerlichen Intelligenz, gerade auch bei den Schriftstellern, gewinnen die Freimaurerlogen einen starken Einfluss […]« (Ebd., S. 193).

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Zum Begriff der Romantik

Die bisherige literaturgeschichtliche Annahme, dass Schiller hauptsächlich in der schwedischen Romantik verstanden und rezipiert worden sei, stützt sich erstens auf ein verengtes Bild der Aufklärung (siehe vorhergehendes Unterkapitel), zweitens auf ein sehr weites Romantik-Bild, und drittens auf ein bestimmtes, nämlich der Romantik nahes, Schiller-Bild (siehe nächstes Unterkapitel). Es sind zwei Fragen, die eingangs hinsichtlich der Romantik zu bedenken sind: 1. Welcher Romantik-Begriff wird im Folgenden vorausgesetzt? 2. Inwiefern unterscheidet sich die Romantik von der Aufklärung? Generationen von Literaturwissenschaftlern haben sich an einer genaueren Wesensbestimmung oder Begriffsbestimmung der Romantik abgearbeitet. Von Beginn an war dabei eine Definition ex negativo vorherrschend: die Romantik als unüberbrückbarer und starrer Gegensatz zur Aufklärung. Heinrich Heine (Die romantische Schule, 1836) ist der bekannteste Vertreter einer kritischen Sichtweise auf die Romantik, die er im Gegensatz zur Aufklärung als politisch reaktionär und als biedermeierliche Anpassung an den Status quo verstand.96 In dieser Beurteilung trafen sich sowohl linke Hegelianer und Marxisten als auch fortschrittsgläubige Liberale, wie z. B. Anders Fryxell. Der folgenreichste Vertreter einer so gearteten Romantik-Kritik ist Georg Luc‚cs, der vermutlich die Sichtweise der nach dem 2. Weltkrieg arbeitenden Forschergeneration in Schweden stark beeinflusste und bewirkte, dass es bis in die 1980er Jahre kaum eine Romantik-Forschung gab. Der vermeintlichen Sicherheit der begrifflichen Bestimmung der Romantik aus ihrem Gegensatzverhältnis zur Aufklärung folgte im 20. Jahrhundert eine literaturwissenschaftliche Desorientierung, welche am deutlichsten von Arthur O. Lovejoy benannt wurde, der in seinem Aufsatz On the Discrimination of Romanticism (1924) dargelegt hat, dass der Begriff »Romantik« eine inkommensurable Vielfalt enthalte, die wenig Hoffnung auf eine Subsumierung unter einen Allgemeinbegriff gebe.97 Seitdem ist die Behauptung der Unmöglichkeit einer Romantikdefinition zur festen und gangbaren Münze geworden. Isaiah Berlin hat diese Vielfalt noch einmal eindrucksvoll zusammengefasst: Romantik ist das Primitive, das Unverbildete, sie ist Jugend, Vitalität, das übersprudelnde Lebensgefühl des natürlichen Menschen, doch ebenso ist sie Blässe, Fieber, Krankheit, Dekadenz, die maladie du siÀcle, La Belle Dame Sans Merci, der Totentanz, ja tatsächlich der Tod selbst. […] Sie ist Einheit und Vielfalt. Sie ist Detailtreue, wie etwa 96 H. Heine, Die romantische Schule, in: Sämtliche Schriften, 1981, V, 379 ff. 97 Lovejoy untersuchte exemplarisch zwei Stränge, die unleugbar zur Romantik gehören, den Primitivismus und die Exzentrik, d. h. den Dandyismus, und kam zum Schluss, dass diese unvereinbar seien.

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in Naturgemälden, und nicht minder eine so mysteriöse wie beunruhigende Verschwommenheit der Konturen. Sie ist das Schöne und das Hässliche. […] sie ist Stärke und Schwäche, Individualismus und Kollektivismus, Reinheit und Verdorbenheit, Revolution und Reaktion, Krieg und Friede, Lebenslust und Todessehnsucht.98

Die zunehmende Problematisierung von Epochenbegriffen im Allgemeinen und dem der Romantik im Besonderen führte in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu Tendenzen der Einebnung einer klaren Abgrenzung zwischen Aufklärung und Romantik. Claus Träger z. B. hat in Geschichte und Romantik (1984) die platte vulgärmarxistische Antinomie von Fortschritt und Reaktion, Liberalismus und Konservatismus zugunsten einer Dialektik dieser Gegensatzpaare innerhalb der Romantik selbst aufgegeben. Gleichzeitig ist in Arbeiten wie Romantik und Aufklärung (1966) von Helmut Schanze und Stadien der Aufklärung von Klaus Peter die Abhängigkeit der Romantik von der Aufklärung und die Kontinuität zwischen den beiden Epochen aufgezeigt worden. In der schwedischsprachigen Literaturwissenschaft lag bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit Martin Lamms Upplysningstidens romantik (dt. die Romantik der Aufklärungszeit) eine Arbeit vor, die diese Grenze nicht als relevant erachtete: sowohl Aufklärung als auch Romantik hätten als Grundvoraussetzung den Individualismus, der kennzeichnend sei für das 18. Jahrhundert.99 Viktor Svanberg hat 1980 in Romantikens samhälle (dt. Die Gesellschaft der Romantik) von einer soziologischen Perspektive aus die Romantik als Weiterführung der präromantischen Pastorale und der Rousseau-Schwärmerei gedeutet. Im Rahmen einer solchen Perspektive werden die Unterschiede zwischen »Aufklärungsautoren« wie Gustaf Fredrik Gyllenborg und »Romantikern« wie Erik Gustaf Geijer, deren gemeinsamer Nenner die romantische Wirklichkeitsflucht des Städters zum einfachen Landleben der Bauern sei, eingeebnet.100 In unterschiedlichen methodologischen Schulen in Schweden existiert also eine geringe Markierung der Unterschiede zwischen Aufklärung und Romantik. Dies kann anhand der jüngsten Literaturgeschichte Den svenska litteraturen noch einmal illustriert werden. Den Anfang der Entstehung der neuen Öffentlichkeit pflegen Literaturhistoriker »Aufklärungszeit« zu nennen, welche in dieser Sichtweise mit der Französischen Revolution 1789 kulminiert, während die darauffolgende [Öffentlichkeit, A.d.V.] – bis 98 I. Berlin, Die Wurzeln der Romantik, 2004, S. 48. In Skandinavien folgt z. B. Asbjörn Aarseth dem Befund Lovejoys, wenn er in Romantikken som konstruksjon (dt. Die Romantik als Konstruktion, 1985) die Romantik als begriffliche Konstruktion ansieht und lediglich eine Bündelung des Phänomens in sieben Unterkategorien für möglich hält: die Sentimentalromantik, die Vitalromantik, die Universalromantik, die Nationalromantik, die Liberalromantik, die Sozialromantik, sowie die Regionalromantik. 99 M. Lamm, Upplysningstidens romantik, I, 1963 [1918], S. 5. 100 V. Svanberg, Romantikens samhälle, 1980, S. 26.

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ca. 1830 – »Romantik« genannt wird. Die Namen bezeichnen zwei intellektuelle Strömungen, die tonangebend waren in ihren jeweiligen Perioden und gewöhnlich als diametral gegensätzlich betrachtet werden: die »Aufklärung« steht demensprechend für Vernunft, eine Moral des größtmöglichen Nutzens (nyttomoral) und den Kampf gegen Aberglauben, während die »Romantik« für Gefühle, Phantasie und Metaphysik steht. Aber die Grenze zwischen den beiden Perioden ist keineswegs so selbstverständlich wie die schlagwortmäßigen Bezeichnungen zu versprechen scheinen. Die rationalistische Aufklärungsbewegung war nämlich oft mit einem starken Individualismus, Empfindsamkeit und einem schwärmerischen Idealismus verbunden, was die Forscher veranlasst hat, von einer »Romantik der Aufklärungszeit« zu sprechen, die der eigentlichen Romantik vorangegangen sein soll und bereits zu Beginn des 18. Jahrhunderts existiert habe. Dem entsprechend könnte man auch von einer »Aufklärung der Romantik« sprechen, d. h. von rationalistischen und aufklärungsmäßigen Zügen, die sich bei romantischen Dichtern des frühen 19. Jahrhunderts finden, z. B. bei TegnÀr und Geijer. Im Prinzip könnte man den aufklärungsmäßigen Glauben an die Vernunft und die romantische Empfindsamkeit als unterschiedliche Aspekte des neuen Autorentypus der bürgerlichen Öffentlichkeit betrachten: den selbständigen Intellektuellen, frei von der Vormundschaft kirchlicher und königlicher Machthaber, darauf aus, sein Talent in Freiheit zu entfalten – und damit auch die lesende Öffentlichkeit von Vorurteilen zu befreien.101

Dem deutschen Leser solcher Passagen fällt natürlich die Ineinssetzung von Empfindsamkeit und Romantik auf, eine Sichtweise, die wohl von Martin Lamms Upplysningstidens Romantik vorgegeben wurde, der man jedoch vor dem Hintergrund deutschsprachiger literaturgeschichtlicher Darstellungen mit einer gewissen Skepsis begegnet.102 Wenngleich fließende Übergänge festzustellen sind,103 scheint mir eine Unterscheidung von Empfindsamkeit und Romantik angemessener, da sich zwischen beide Strömungen die zwei Mächte der Kant’schen Philosophie und der Französischen Revolution schieben, welche zu einer qualitativ neuen Selbstreflektiertheit und zu neuen Problemstellungen führen. 101 Den svenska litteraturen, II, 1988, S. 10. 102 Zur Empfindsamkeit siehe G. Kaiser, Aufklärung. Empfindsamkeit. Sturm und Drang, [1976] 2007; N. Wegmann, Diskurse der Empfindsamkeit, 1988; G. Sauder, Theorie der Empfindsamkeit und des Sturm und Drang, 2003. 103 Im Falle des William Lovell von Tieck wurde z. B. schon früh festgestellt, dass er sowohl empfindsame als auch romantische Züge trägt. In Tiecks Roman präsentiert sich die Empfindsamkeit allerdings nicht »nur als das, was sie von jeher ist, als bewußtes Gefühl, sondern auch als Bewußtheit dieser Bewußtheit, als Empfindsamkeit, die sich selbst in allen Belangen durchschaut und sich nichts mehr vormacht. In dieser Hinsicht ist der Roman Höhepunkt und Abschluß zugleich« (L. Pikulik, Romantik als Ungenügen an der Normalität, 1979, S. 115). Dem Roman eignet m.a.W. bereits die nach-Kant’sche Selbstreflexion und die romantische Ironie, welche das »Dasein in einer verwirrenden Vielfalt von Perspektiven« auslegt (E. Behler, Klassische Ironie, romantische Ironie, tragische Ironie, 1972, S. 94 f).

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Von Paul de Man ausgehend und ebenfalls traditionelle Epochengrenzen sprengend suchte Horace Engdahl 1986 in Den romantiska texten (dt. Der romantische Text) den Romantik-Begriff als Stilphänomen zu fassen, indem er in chronologischer Reihenfolge acht lyrische Texte zwischen 1785 und 1835 untersuchte. Begriffsbestimmungen der Romantik, die weltanschauliche oder poetologische Unterschiede bemühen, sieht Engdahl seit Lovejoys Variantenkatalog in On the Discrimination of Romanticism als anachronistisch an. Das Romantische wird nicht als »Schule« oder »Epoche«, sondern als »Familie von Texten« untersucht.104 Dabei hatte bereits Henry H. H. Remak durchaus überzeugend dargelegt, dass sich hinter Lovejoys Variantenkatalog ein gemeinsamer Strang mit verwandtschaftlichen Zügen identifizieren lässt: »der Durchbruch in primitivere, fundamentale, verdeckte Schichten des Selbst, in das individuell oder kollektiv Unbewusste, zu einem prä-rationalen oder irrationalen Stratum, dem Id.«105 Remak definiert deshalb Romantik wie folgt: Die Romantik ist der Versuch, den Bruch im Universum zu heilen, sie ist die schmerzliche Erkenntnis des Dualismus verbunden mit dem Drang nach Lösung in einem organischen Monismus, sie ist die Konfrontation des Chaos’ gefolgt von dem Willen, es in die kosmische Ordnung zu integrieren, sie ist das Verlangen nach Versöhnung von Gegensätzen, nach Synthese im Gefolge von Antithese.106

In dieser Tradition ist auch Frederick Beisers Romantik-Forschung zu sehen,107 der die Notwendigkeit hervorhebt, die Bedeutung der Philosophie für die Ro104 Mogens Brøndsted, Die Romantikforschung in Skandinavien, S. 5, sieht bei Engdahl freilich die »Textgeschichte in Ideengeschichte« einmünden, da sich hinter dem stilistischen Merkmalskatalog ein »philosophischer Monismus« verberge; außerdem deute Engdahl neben einer solchen geistesgeschichtlichen auch eine gesellschaftsgeschichtliche Perspektive an: die Entstehung des freien Autors. 105 Der Primitivismus enthalte das Interesse für nichtklassische, besonders nordische Mythologie, für Folklore, Mediävalismus, Naturversenkung, Exotik, Pflege des Historischen in verschiedenen Gattungen, Nationalismus, Kult der Kindheit, des Halb- und Unbewussten. Die Introversion dagegen stehe für die Einbildungskraft, die Leidenschaftlichkeit, Ruhelosigkeit, den Weltschmerz und die Vorliebe für das Lyrische (Henry H. H. Remak, Ein Schlüssel zur westeuropäischen Romantik? In: Begriffsbestimmung der Romantik, 1968, S. 435). 106 H. H. H. Remak, Ein Schlüssel zur westeuropäischen Romantik?, in: Begriffsbestimmung der Romantik, 1968, S. 439. Noch bündiger fasst Isaiah Berlin, Die Wurzeln der Romantik, 2004, S. 181 – 204, die Romantik als Nostalgie nach einem Anderen, verbunden mit einer Weigerung der Anpassung an Vorgegebenes. Solchermaßen gelingt es Berlin freilich auch, die Exzentrik und den Dandyismus in der Romantik zu verorten, was mit der von Remak vorgenommenen Definition noch nicht möglich war. Für Skandinavien nimmt Sören Holm in Romantiken eine ähnliche Definition vor, welche aus einer ideengeschichtlichen Perspektive das eigentliche Moment der Romantik in seiner Tendenz zur Transzendenz sieht, die sich wiederum in unterschiedlicher Weise entfalten könne: als kosmische, geschichtliche, geologische, geographische und psychische Transzendenz. 107 F. C. Beiser, The Romantic Imperative, 2003, Preface, S. IX

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mantik als entscheidend zu betrachten – eine Prämisse, die mir gerade auch hinsichtlich der schwedischen Romantik richtig zu sein scheint. In deutlicher Absetzung zu den üblichen Praktiken solch »postmoderner Gelehrter« wie Paul de Man oder Isaiah Berlin (und wohl auch Engdahl), »to make vast generalizations about Frühromantik, from features of its literary style«, knüpft Beiser explizit wieder an Rudolf Haym an, der vor einer »narrowness of the literary approach« warnte und die Bedeutung der Philosophie für die Entstehung der Frühromantik erkannte.108 My account of Frühromantik lays special stress on its holism, seeing this as its solution for the divisive wounds of modernity. Of course, there is nothing new in emphasizing the holistic dimension of romantic thought. A striving toward wholeness, a longing for completion, and the idea of organic totality have often been said to be characteristic of Romantik.109

Gleichzeitig betont Beiser allerdings auch den Primat von moralischen und politischen Werten der Frühromantik und deren Bedeutung für Ästhetik und Religion,110 was sie wiederum der Aufklärung annähert. Solche Einwände gegen eine allzu strikte Trennung der Frühromantik und der Aufklärung sind wichtig und richtig; hinsichtlich der schwedischen Romantik jedoch, deren Entstehung parallel zu derjenigen der späteren Romantik in Deutschland verläuft, scheinen mir die Verbindungen zur Aufklärung äußerst schwach. Die Problematik der von deutscher Seite als gescheitert angesehenen Revolution sowie der Versuch einer Überwindung ihres Scheiterns als auch die der romantischen Ironie der Frühromantik entspringende radikale Kritik ist der schwedischen Romantik weitgehend fremd. Vielmehr setzt diese bei der Philosophie Schellings und beim Katholizismus der späteren deutschen Romantik an. Ist doch das verbindende Element der drei wichtigsten Vertreter der sogenannten Neuromantiker – Hammarsköld, Atterbom und Palmström – Schellings »intellektuelle Anschauung«, sein »ästhetischer Pantheismus«, sein »Bewusstsein der Unendlichkeit und seine Ansicht, dass die schöne Kunst […] die höchste und vollkommenste Form seiner Offenbarung darstelle.« Sie schlossen sich in der sogenannten »Neue Schule« zusammen »und betrachteten sich als die poetisch-philosophischen Repräsentanten in Schweden.«111 Von diesen »zügellosen Romantikern« sind meines Erachtens die »gemäßigten Romantiker« Tegn¦r, Wallin, Franz¦n und Geijer abzugrenzen, wie in der Folge zu zeigen sein wird.112 108 109 110 111 112

Ebd., S. X. Ebd., S. 33. Ebd., S. 34. A. Nyblaeus, Den filosofiska forskningen i Sverige, II:1, 1881, S. 177. Zur Unterscheidung von »zügellose Romantiker« und »gemäßigte Romantiker« siehe I. Berlin, Die Wurzeln der Romantik, 2004.

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7.

Einleitung

Schiller-Deutungen und Schiller-Literatur

Über kaum einen deutschen Dichter ist so viel geschrieben worden wie über Schiller ; auf die Vielzahl der Schiller-Beiträge, die in der vorliegenden Arbeit zum Einsatz kamen, wird an Ort und Stelle hingewiesen. Im Folgenden sei lediglich diejenige Literatur hervorgehoben, welche von entscheidender Bedeutung für die Entstehung der Arbeit war, oder solche prominente SchillerDeutungen, von welchen ich mich abgrenze.113 Von jeher standen bei jeglicher Schiller-Interpretation Fragen der Epochen-Zuordnung im Vordergrund: Schiller als Stürmer und Dränger, Schiller als Klassiker, Schiller als Romantiker, Schiller als Aufklärer. In den englischsprachigen und französischsprachigen Ländern hat man sich nie so recht mit der Unterscheidung »Klassik« und »Romantik« anfreunden können; vielmehr wird Schiller dort bevorzugt als Romantiker gesehen.114 »Ein Vergleich des ›Romantikers‹ Shelley mit dem ›Klassiker‹ Schiller« lege die »Problematisierung solcher Kategorisierungen nahe«, meint z. B. Elmar Dod in seiner komparatistischen Studie Die Vernünftigkeit der Imagination. Schillers Klassizismus erweise sich nämlich »im Kontext ästhetischer Theorie als romantischer Klassizismus, insofern Begrenzung und antikische Durchformung des sentimentalischen Kunstgebildes Gegenstand unendlicher Suche im übergreifenden Zusammenhang der ›Kunst des Unendlichen‹« sei.115 In der vorliegenden Arbeit ist es mir vor allem um die Abgrenzung Schillers von gewissen Tendenzen der Romantik bei gleichzeitiger Annäherung an die Aufklärung sowie um das Verhältnis von Aufklärung und Romantik zu tun. Dod versteht die Entstehung des Imaginationsbegriffs aus der von Koselleck in Kritik und Krise beschriebenen historischen und geistigen Situation heraus: die Imaginationskonzeptionen seien die historische Antwort auf die Krise der Vernunft, und die Entstehung der imaginativen Aufklärung sei zusätzlich noch verstärkt durch den vom Absolutismus hervorgetriebenen Dualismus von Moral und Politik.116 Auch Frederick C. Beiser deutete die Romantik – wie oben gezeigt 113 Eine unschätzbare Hilfe zur ersten Orientierung in der unüberschaubaren Schiller-Literatur boten das Schiller-Handbuch, 1998, die Lebens- und Werkbiographie von Peter-Andr¦ Alt, Schiller I – II (2000) sowie Schiller-Handbuch, 2005. 114 Siehe P. Boerner, Die deutsche Klassik im Urteil des Auslands, in: Die Klassik-Legende, 1971. Boerner gibt hier eine Übersicht der englischen und französischen Nichtachtung des lediglich im deutschsprachigen Raum gepflegten Gegensatzpaares Klassik-Romantik. 115 E. Dod, Die Vernünftigkeit der Imagination, 1985, S. 444. Gleichzeitig hält Dod es für möglich zu zeigen, dass »Schillers Klassizismus dem unendlichen Progreß romantischer Poesie eine Begrenzung des Poetischen im Kunstgebilde entgegenzusetzen sucht, indem sich dieses an der Schönheit antiker Kunst orientiert und doch in deren Unwiederbringlichkeit ›entgrenzt‹ wird (S. 444). 116 Ebd., S. 142 f.

Schiller-Deutungen und Schiller-Literatur

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wurde – als Antwort auf die Krise der Aufklärung und der gescheiterten Revolution, durchaus in Analogie und in der Nachfolge Schillers, und argumentiert deshalb für einen weichen Übergang von Aufklärung zu Frühromantik. Es sei entscheidend, »that the romantics’ aestheticism must be understood in the light of their Platonism«.117 Eine Variante der »Romantisierung« Schillers ist deshalb die Rückführung seiner Weltanschauung oder Bausteine seiner Weltanschauung auf platonisches Gedankengut, am prominentesten durchgeführt von Arthur O. Lovejoy in The great chain of being. Dieser sieht in der jugendlichen Philosophie der Philosophischen Briefe »from Platonic and Leibnitian premises« eine »justificatian of the temper of the Sturm und Drang« aufsteigen. Die Strophe über den Weltenmeister in Das Ideal und das Leben stehe in direkter Verbindung zum Timaeus Platos, welchen sie kommentiere, auch wenn Schiller sich dessen nicht bewusst gewesen sein möge: For we here see the definite separation of those two conceptions of deity which had been joined together in hopeless discord throughout most of the history of Europeans religious thought. The Platonic demiurgos has been recognized to be inconsistent with the Platonic Absolute, the God identified with the idea of the Good as perfection or selfsufficiency ; and the latter has been sacrificed in order that the former may be retains. A God who creates a world of finite spirits must be a god who is not sufficient unto himself.118

Ähnlich wie Lovejoy versucht M. H. Abrams in Natural Supernaturalism eine »vision of the whole by way of the perspective afforded by an aspect of that whole«.119 Im Unterschied zu den gleichermaßen großen wie auch und notgedrungen mit grobem Instrumentarium arbeitenden Fresken von Lovejoy und Abrams fokussiert David Pugh in Dialectic of love. Platonism in Schiller’s aesthetics,120 indem er explizit auf Lovejoy und Abrams Bezug nimmt, auf Schiller, wenn er versucht, platonisches Gedankengut nicht nur in Die Götter Griechen117 F. C. Beiser, The Romantic Imperative, 2003, S. 61. 118 A. O. Lovejoy, The great chain of being, 1936, S. 301. 119 J. Hillis Miller ( Tradition and difference, in: J. Hillis Miller, Theory now and then, 1991, S. 79) hat auf die stupende Gelehrsamkeit solcher literaturgeschichtlichen Fresken ebenso hingewiesen wie auf das Problematische (S. 79 ff). Abrams geht vom platonischen Paradigma einer ursprünglichen Einheit aus, welche in der Folge geteilt wird, um schließlich wieder zu einer Einheit zu finden. Er verfolgt das Motiv dieses Kreislaufs von der Schöpfung über den Sündenfall zur endgültigen Apokalypse über ein Zeitkontinuum von 2500 Jahren hinweg mit Schwerpunkt auf der Romantik. Schiller wird dort an zentraler Stelle im Kapitel Circuitous Journey : Alienation, Reintegration im Abschnitt Schiller and Universal History behandelt: seine universalhistorischen Schriften übersetzten demgemäß die platonische Denkfigur in säkularisierte Konzepte der Individualpsychologie und der Menschheitsgeschichte. 120 A. O. Lovejoy, The great chain of being, 1936, S. 299 ff; D. Pugh, Dialectic of love, 1996.

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lands, Die Künstler, Das Ideal und das Leben und Theosophie des Julius in den Philosophischen Briefen nachzuweisen, sondern auch in den ästhetischen Hauptwerken Über Anmut und Würde, Über die ästhetische Erziehung des Menschen und Über naive und sentimentalische Dichtung. Obgleich er einräumt, dass es keinerlei Hinweise auf die Kenntnis Schillers der platonischen Schriften gibt, überzeugt er durch seine Kombination von Spekulation und analytischer Schärfe. I have dwelt more on the respects in which Schiller’s thought seems to emerge from past traditions than on those in which he looks forward, and I have done this in conscious contrast to those modern interpretations that seek to forge a connection between his thought and the cause of the progressive bourgeoisie. His aim to mediate between body and spirit has thus been linked here to the doctrine of Platonic love rather than to the sociopolitical circumstance of the 1790s, and the idiosyncratic dual aesthetic of the beautiful and the sublime has been interpreted by reference to the problems generated by Plato’s theory of Ideas rather than to any political ambivalence felt by Schiller himself. Instead of seeking ways in which his thought might be consistent with political action in the direction of modern liberalism, I have correspondingly stressed its aristocratic tone and its affinities to the tradition of the vita contemplativa.121

Pughs Insistieren auf die Präsenz Platons bei Schiller muss freilich der Betonung des aufklärerischen Moments bei Schiller nicht widersprechen,122 auch wenn Pugh das selbst so sieht. Immerhin räumt er ein: »I should for the sake of fairness make clear that, despite an attack on abstractness that sometimes reminds us of Edmund Burke, Schiller nowhere wastes a single word in defence of the status quo.«123 Ganz im Gegenteil werde der »Naturstaat« in den Ästhetischen Briefen als arbiträr angesehen, gestützt durch Vorurteile und dem Wunsch, der Anarchie zu entrinnen. Aber »he apparently feels bound by no such tie to the existing order. Schiller evaluates institutions on the basis of reason, not of piety, tradition, or deference, and there is no question but that this mentality is a product of the Enlightenment.« Pugh selbst grenzt sich trotz solcher Zugeständnisse von Interpretationen ab, die Schillers Verwurzelung in der Aufklärung hervorkehren. Hier hebt er ganz besonders Wolfgang Riedels Die Anthropologie des jungen Schiller (1985) hervor und dessen Interpretation der Philosophischen Briefe als Popularphilosophie der Aufklärung.124 So unterschiedlich jedoch die Gegenstände von Schillers nicht-poetischen Werken auch sein mögen, bei näherer Betrachtung bemerkt man bald, daß ein vergleichsweise 121 122 123 124

D. Pugh, Dialectic of Love, 1997, S. 409. Siehe z. B. F. C. Beiser, The Romantic Imperative, 2003, S. 59 ff. Siehe hier und im Folgenden D. Pugh, Dialectic of Love, 1997, S. 411. Ebd., S. 173 ff.

Referenzpunkte, Literatur, Quellen

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homogenes, wenn auch kontinuierlich fortentwickeltes Erkenntnisinteresse diese Schriften durchzieht: sie konvergieren […] in einem für ihren Autor wie für dessen Epoche charakteristischen Streben nach der Erforschung des Menschen, seiner Natur und seiner Möglichkeiten. »Study of Man« – unter diesem Aspekt rücken so grundverschiedene Disziplinen wie Medizin und Moralphilosophie, Geschichte und Ästhetik zusammen. Wir stoßen hier auf eine anthropologische Spur in Schillers Denken, die den Blick öffnen könnte für die Kontinuität seiner Theoriebildung […]125

In der Tat war Riedels Interpretation für die Schiller-Rezeption in Schweden eine fruchtbare Erweiterung des Schiller-Bildes und dem in der Aufklärung verwurzelten anthropologisch-medizinischen Ursprung Schillers, der von ihm eingehend untersucht und analysiert wurde.126 Da gerade die Philosophischen Briefe als einer der ersten Schiller-Texte in Schweden rezipiert wurde, war seine kultur- und literaturgeschichtliche Kontextualisierung durch Riedel für die vorliegende Arbeit von besonderer Bedeutung. Eine wichtige Erweiterung des Schiller-Bildes bei gleichzeitiger Verknüpfung mit der Aufklärung ist auch die Forschung, die seit zwei Jahrzehnten Schiller als Historiker gewidmet wird. Nachdem Schiller als Historiker lange vernachlässigt worden war, wurde ihm zu Beginn der 1990er Jahre ein Symposion gewidmet, auf welchem er in einem interdisziplinären Rahmen einer europäischen Aufklärungsbewegung zugeordnet wurde.127 Diese Rehabilitation Schillers als Historiker ist schließlich erst kürzlich in umfassenden Arbeiten von Daniel Fulda, Wissenschaft aus Kunst, 1996, und Thomas Prüfer, Die Bildung der Geschichte, 2002, bestätigt worden, und konnte auch ein neues Licht auf die Rezeption Schillers in Schweden werfen.

8.

Referenzpunkte, Literatur, Quellen

Das spezifische Problem einer Arbeit, die versucht, einen Zündfunken aus der Berührung zweier Literatursprachen und Kulturen zu schlagen, besteht in der schieren Unüberschaubarkeit der zu berücksichtigenden Literatur und Quellen. Im Fall Schwedens kommt für die Forschung erschwerend hinzu, dass viele Quellentexte nicht in neuen Editionen vorliegen oder überhaupt noch nicht publiziert wurden, weshalb Handschriften, aber auch viele Druckschriften nur 125 W. Riedel, Die Anthropologie des jungen Schiller, 1985, Vorwort, S. V. 126 Siehe außerdem Laura Anna Macor, Der morastige Zirkel der menschlichen Bestimmung, 2010, welche in der Einleitung den aktuellen Stand der Forschung zu Schiller und der Aufklärung zusammenfasst und sich neben Riedel vor allem auf die Forschung von Hans Jürgen Schings und Dieter Borchmeyer bezieht. 127 Schiller als Historiker, 1995.

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Einleitung

in Archiven eingesehen werden können.128 Aus der Vielzahl der Literatur, die in der vorliegenden Arbeit zum Tragen gekommen ist, auf die dann aber auch an Ort und Stelle hingewiesen wird, seien hier lediglich einige Arbeiten hervorgehoben, die von besonderer Bedeutung waren, sei es für den Gesamtrahmen oder für gewisse Einzelaspekte – nicht mehr eigens erwähnt wird dagegen die Literatur zu Schiller (siehe vorhergehendes Unterkapitel), die zahlreich verwendeten Lexika zur Begriffgeschichte (siehe Unterkapitel 3 zur Methode), die schwedischen Literaturgeschichten und Nachschlagewerke, die allesamt zum alltäglichen Werkzeug gehören. Der prinzipielle Deutungsrahmen dessen, was in der behandelten Zeit gesellschaftlich geschieht, wird für die vorliegende Arbeit von den bereits zu Klassikern avancierten Werken Kritik und Krise von Reinhart Koselleck sowie Strukturwandel der Öffentlichkeit von Jürgen Habermas vorgegeben. Während das Werk von Habermas fester Bestandteil und Ausgangspunkt jeglicher sich mit der Aufklärungszeit befassender Forschung in Schweden ist – vor allem in der Literatursoziologie, Ideengeschichte und der Presseforschung –, scheint Kritik und Krise und das der Begriffsgeschichte gewidmete Werk Kosellecks,129 Geschichtliche Grundbegriffe, nicht oder wenig bekannt zu sein. Die Kritik, der Roger Chartiers in Les origines culturelles de la R¦volution franÅaise (1990), der ausdrücklich auf die beiden Werke hingewiesen hat, ausgesetzt war, zeigt freilich, dass die beiden Werke nicht unisono Zustimmung erfahren.130 In seinem Postface zur Neuausgabe 2000, nimmt Chartier zu der Kritik Stellung und rechtfertigt seine Position und seine Insistenz hinsichtlich seiner Referenz an die Werke von Koselleck und Habermas, worauf hier ausdrücklich verwiesen sei.131

128 Die meisten Druck- und Handschriften sind in der Kungliga Biblioteket in Stockholm und der Uppsala Universitets Bibliotek zugänglich. 129 Siehe R. Koselleck, Begriffsgeschichten, 2006. 130 R. Darnton hatte den beiden Werken Mängel im Bereich der empirischen Grundlage attestiert und der Kategorie des »Bürgertums« im Zusammenhang mit der Aufklärung und der Französische Revolution keine heuristische Funktion mehr zuerkannt (R. Darnton, An Enlightened Revolution?, in: The New York Review of Books, October 24, 1991, S. 33 ff). 131 R. Chartier, Les origines culturelles de la R¦volution franÅaise, 1990 et f¦vrier 2000, pour la postface in¦dite et pour l’¦dition de poche en langue franÅaise, S. 294 ff. Zur Bedeutung von Strukturwandel der Öffentlichkeit führt er an : »Comme tente de le montrer mon livre, si cet ouvrage est devenu une R¦f¦rence omnipr¦sente, c’est sans doute parce qu’il offre un modÀle de compr¦hension alternatif — la »machine sociale« de Cochin, remise — la mode par Furet. Par-del— la lecture de Habermas, le retour au texte de Kant Was ist Aufklärung? (1784), qui lui sert de matrice, conduit — penser de mani¦re originale la distinction entre le priv¦ et le public, le lien n¦cessairement nou¦ entre la circulation de l’¦crit et l’exercice public de la raison par les personnes priv¦es, ou encore le fondement d’une tradition critique »considÀre la question du pr¦sent comme un ¦v¦nement philosophique auquel appartient le philosophe qui en parle«. D’autre part, le livre de Habermas a permis de donner un cadre conceptuel — toutes les ¦tudes inscrites dans la perspective d’une histoire

Referenzpunkte, Literatur, Quellen

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Zahlreiche und wesentliche Argumente wurden auch Panajotis Kondylis monumentalem ideengeschichtlichem Aufklärungsbuch Die Aufklärung im Rahmen des neuzeitlichen Rationalismus (1981) entnommen. Weitere, die Aufklärung betreffende Arbeiten, welche auf die eine oder andere Weise zum Tragen kommen, sind: Horst Möller, Vernunft und Kritik. Deutsche Aufklärung im 17. und 18. Jahrhundert, 1986; Peter Engelsing, Der Bürger als Leser, 1974; HansJürgen Schings, Melancholie und Aufklärung, 1977. Bis vor kurzem gab es in Schweden noch keine literatursoziologischen oder gesellschaftliche Veränderungen sensibel registrierenden Untersuchungen, welche die Autorenrolle in ihrer Entwicklung zum freien Schriftsteller, die entstehende und expandierende Leserschaft sowie neue Buchdistributionsformen empirisch untersucht und diese Beobachtungen in den Rahmen der Theorie einer entstehenden Öffentlichkeit und eines Bürgertums gestellt hätten. Dieser Mangel zeigt sich z. B. deutlich in Ankarcronas Bud p” böcker (1989), wo sich die Autorin zur Beschreibung solcher Phänomene häufig auf deutsche, französische und englische Literatur stützt, bei der Beschreibung der Entstehung eines bürgerlichen Lesepublikums z. B. gänzlich auf Engelsing,132 um die dortigen Befunde auf Schweden zu übertragen. Teils im Rahmen, teils unter dem Einfluss der Avdelningen för litteratursociologi vid litteraturhistoriska institutionen i Uppsala (dt. Abteilung für Literatursoziologie an der literaturhistorischen Institution in Uppsala), in den 1970-Jahren von Lars Furuland und Bo BennichBjörkman gegründet, wurde diesem Desiderat bislang nur teilweise Abhilfe geschaffen, was die Erstellung der vorliegenden Arbeit sehr erschwert hat. In mehrerlei Hinsicht impulsgebend für die vorliegende Arbeit war die Forschung Margareta Björkmans. Insbesondere ihre Abhandlung Läsarnas nöje: Kommersiella l”nbibliotek Stockholm 1783 – 1809 (dt. Das Vergnügen des Lesers: Kommerzielle Leihbibliotheken in Stockholm 1783 – 1809, 1992) über die Entstehung von Leihbibliotheken im gegebenen sozioökonomischen und kulturellen Kontext sowie deren Büchersortiment hat ein Moment derjenigen Umbruchphase der schwedischen Literatur beleuchtet, das in der vorliegenden Arbeit zum Tragen kommt.133 Die Aufklärung war in der schwedischen Forschung bis vor 20 Jahren eine noch kaum behandelte Epoche. Nachdem sich im 19. Jahrhundert die romantische Verwerfung der Aufklärung durchgesetzt hatte, scheint Martin Lamms kulturhistorische Studie Upplysningstidens romantik (1918 – 1920), in welcher pragmatique de l’opinion publique, telle que le mod¦le en a ¦t¦ donn¦ par le grand oevre de Franco Venturi […]« (Ebd., S. 296 ff). 132 A. Ankarcrona, Bud p” böcker, 1989, S. 62 ff. 133 In diesem Kontext ist wohl auch Gunnar Sahlins Abhandlung Författarrollens förändring och det litterära systemet 1770 – 1795 (1989) entstanden, der die Veränderung des »literarischen Systems« unter besonderer Berücksichtigung des Veränderungsprozesses, von dem die Autoren betroffen waren, einer Untersuchung unterzogen hat.

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Einleitung

Pietismus und Aufklärung in einen dialektischen Gegensatz gebracht wurden und die Aufklärung mit »romantischem Gedankengut, sentimentalen Unterströmungen, Freimaurerei und religiösem Sektierertum gefüllt worden ist«134, eine auf die Forschung eher paralysierende Wirkung gehabt zu haben. Erst Anfang der 1990er Jahre wurde im Rahmen der Ideengeschichte unter dem unmittelbaren Einfluss des schwedischen Ideenhistorikers Tore Frängsmyr und dessen Essay Sökandet efter upplysningen: En essä om 1700-talets svenska kulturdebatt (1993) eine noch nicht abgeschlossene Debatte über die schwedische Aufklärung ausgelöst135, die die vorliegende Arbeit in vielfältiger Form angeregt hat. Frängsmyrs Auffassung, dass es keine Aufklärung in Schweden gegeben habe, ist gerade deshalb stimulierend, weil ihr häufig widersprochen worden ist. Magnus Nyman hat in Upplysningens spegel (dt. Der Spiegel der Aufklärung, 1994) am Beispiel einer Göteborger Zeitung gezeigt, wie sehr die Presse der Zeit von aufklärerischem Gedankengut durchdrungen war. Arne Jarrick hat in seiner mentalitätsgeschichtlichen Studie Mot det moderna förnuftet (dt. Auf dem Weg zu einer modernen Vernunft, 1992) anhand von Johan Hjerpes Tagebüchern die Reflexe der Aufklärung im Weltbild eines Kleinbürgers im ausgehenden 18. Jahrhundert aufzuzeigen versucht. Jakob Christensson schließlich hat in Lyckoriket (1996) »sechs strategisch ausgewählte Fallstudien präsentiert«, welche zur Beschreibung der wichtigsten Linien der Aufklärung beitragen sollen.136 Diese Arbeiten zu Teilaspekten der schwedischen Aufklärung haben allesamt die Entstehung und Ausrichtung meiner Arbeit außerordentlich beeinflusst. Im Zuge eines die letzten zwei Jahrzehnte zunehmenden Interesses an der schwedischen Aufklärung entstanden einige Arbeiten im Schnittpunkt von literatursoziologischen und ideengeschichtlichen Ansätzen, die für Teilaspekte der vorliegenden Arbeit in begrenztem Umfang von Bedeutung waren. Hervorzuheben ist da Christina Svenssons Anders Lidbeck och 1700-talets estetik (1987), die einzige Arbeit über die schwedische Ästhetik der Zeit; Olof Hägerstrands »Juntan« som realitet och hörsägen: Makt och opinioner kring Uppsala universitet under 1790-talet (1995), die allererste Arbeit, die der »Junta« gewidmet wurde; sowie Hanna Östholm Litteraturens uppodling: Läsesällskap och litteraturkritik som politisk strategi vid sekelskiftet 1800 (2000), welche das »Bildungsbestreben« von Lesegesellschaften und Zeitschriften in Uppsala und æbo zum Gegenstand hat. Als grundlegend für jegliche Rezeptionsgeschichte deutscher Literatur in Schweden muss auf Hermann A. Müller : Die Hauptvertreter des deutschen 134 J. Christensson, Lyckoriket, 1996, S. 1. 135 T. Frängsmyr, Sökandet efter upplysningen, [1993] 2006. 136 Eine genauere deutschsprachige Darstellung der hier genannten Arbeiten findet sich in der Einleitung von Karin Hoff, Die Entdeckung der Zwischenräume, 2003. Siehe auch Kapitel X, in welchem näher auf J. Christenssons und A. Jarricks Arbeiten eingegangen wird.

Vorgehensweise, Disposition, Thesen

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Geisteslebens von Mitte des 18. Jahrhunderts bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts im Spiegel der schwedischen Presse (1936) hingewiesen werden, in dem der Autor den Versuch unternimmt, »dem Einfluss des deutschen Geisteslebens« anhand der meisten (aber eben nicht aller) Zeitungen und Zeitschriften im Zeitraum 1750 – 1810 nachzugehen. Hinsichtlich der schwedischen Literaturkritik (ein wenig bestelltes Feld) boten folgende Arbeiten einen wichtigen Einstieg und eine erste Orientierung: Gunhild Bergh, Litterär kritik i Sverige under 1600- och 1700talen (1916), Hans Östman, Gustavian non-academic criticism 1772 – 1809 (1999), Johan V. Johansson, Extra Posten 1792 – 1795 (1948) sowie Kerstin An¦r, Läsning i blandade ämnen (1948).

9.

Vorgehensweise, Disposition, Thesen

Die Frage nach der Bedeutung der jeweiligen Schiller-Rezeption und ihre Erklärung sowie die literaturwissenschaftliche Inexistenz der hier behandelten Phase zwischen 1790 – 1809 machen es in hohem Maße erforderlich, die einzelnen Konkretisationen in den politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Horizont hineinzustellen und zu verankern. Dies geschieht in den Kapiteln II – III. Die Kapitelanordnung IV bis XIV ist in gewisser Hinsicht chronologisch, wenngleich die Kapitel in ihrem Binnenraum jeweils weit über ihren zeitlichen Ort in der Kapitelabfolge hinausgreifen können. Ihren Platz in der Abfolge der »Erzählung« erhalten diese Kapitel durch den Beginn des jeweiligen Rezeptionsmotivs oder durch die wichtigste Konkretisation innerhalb derselben. Im Folgenden nenne ich die Abfolge der Kapitel mit jeweiligem Inhalt und schwerpunktmäßiger zeitlicher Situierung. – Kapitel II: Der politische, gesellschaftliche und kulturelle Hintergrund unter Anwendung der Epochenbezeichnungen »Absolutismus« und »Aufklärung«, welche eine geringe Verankerung in der schwedischen Literatur- und Geschichtsforschung haben. – Kapitel III: Die Frage des Einflusses und der Präsenz der deutschen Sprache und Kultur in Schweden, die meines Erachtens falsch bewertet worden ist. Das letzte Unterkapitel handelt von der frühesten und bisher unbekannten Schiller-Rezeption in Schweden in einer Leihbibliothek in Stockholm. – Kapitel IV: Die bisher ebenfalls unbekannte Schiller-Rezeption der »Rabulisten« im Spätherbst 1792 – eine bisher literaturgeschichtlich nicht identifizierte Gruppierung. – Kapitel V: Carl Gustav af Leopolds Übersetzungen der Gedichte An die Freude und Resignation 1793 bzw. 1794. – Kapitel VI: Die Bemühungen der sogenannten Junta für die Bildung und

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– – – –

Einleitung

Aufklärung der Öffentlichkeit und die Bedeutung der Schiller-Rezeption dabei vor allem in den Zeitschriften der Junta 1795 – 1800. Kapitel VII: Die Bedeutung Schillers als Historiker in Schweden von 1795, dem Erscheinungsjahr der ersten Rezension zu Schillers historischen Schriften, bis 1808, dem Erscheinungsjahr De stilo apud romanos, einer historischen Schrift Carl Gustaf av Geijers, die von Schiller beeinflusst wurde. Kapitel VIII: Die Rezeption der Erzählungen Schillers; der Schwerpunkt liegt auf dem populären Romanfragment Der Geisterseher, welcher ab 1798 sukzessive in schwedischer Übersetzung erschien. Kapitel IX: Die Rezeption der Dramen Schillers mit dem Schwerpunkt auf den Übersetzungen von Die Räuber (1799) und Kabale und Liebe (1800) sowie die Rezensionen, die dazu erschienen. Kapitel X: Die Verortung des literaturgeschichtlich gänzlich unbekannten Schiller-Übersetzers Arved Beth¦n im Kontext der Spätaufklärung von 1795 bis 1810. Kapitel XI: Schiller im Diskurs der sich in dieser Zeit etablierenden Ästhetik von 1795 bis 1810. Kapitel XII: Schillers Lyrik in Schweden bzw. Reflexe in Schillers Werk in der schwedischen Lyrik von 1792 bis 1810 mit Schwerpunkt nach 1800. Kapitel XIII: Die Entstehung der schwedischen Romantik ab ca. 1805 bis 1808 und die Bedeutung Schillers dabei. Kapitel XIV: Schiller in der romantischen Kritik 1806 bis 1816 mit Schwerpunkt 1808, dem Erscheinen von Lorenzo Hammarskölds Kritik öfver Schiller.

Die nicht auf den Punkt eines Kapitels zu bringenden Forschungsziele, welche die Erforschung und Darstellung der Schiller-Rezeption begleiten, können bündig in folgende Thesen gebracht werden: 1. Die Schiller-Rezeption in Schweden setzt mehrere Jahre früher ein als bisher angenommen, was eine Umwertung der Sichtweise auf dieselbe zur Folge hat. Die ersten zwei Jahrzehnte der Schiller-Rezeption, d. h. 1790 – 1809, finden nämlich im Zeichen einer schwedischen Aufklärung statt. Die sich an diese anschließende romantische Schiller-Rezeption ist dagegen – so meine These – von geringerer Bedeutung. Die perspektivische Verschiebung fördert eine weitaus breitere Schiller-Rezeption zutage, als die der späteren Romantiker, wo Schiller zwar häufig genannt, jedoch hauptsächlich seine idealistische Ästhetik aufgegriffen wird – »spiritualisiert und vermischt mit der nachSchiller’schen Romantik«.137 2. Die hier behandelte Zeit zwischen 1790 – 1809, und insbesondere die Reuterholm’sche 1792 – 1796, entspricht in vielerlei Hinsicht der von Koselleck so 137 K. Aspelin, Schiller i Sverige, 1955, S. 14.

Vorgehensweise, Disposition, Thesen

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benannten Phase des Manifestwerdens der Krise in seinem Buch Kritik und Krise. Die in der Literaturgeschichte so genannte gustavianischen Zeit und die Eisenjahre stellen sich als der Höhepunkt des schwedischen Absolutismus dar, zumindest als Höhepunkt absolutistischer Regierungspraktiken. Schiller scheint in dieser kritischen Phase in Schweden der Platz und die Bedeutung zuzukommen, die ihm von Koselleck in Kritik und Krise gegeben wird, nämlich an der Schwelle von der literarischen Kritik zur politischen Kritik. 3. Damit verbunden ist die These, dass der hier behandelte Zeitraum und die Schiller-Rezeption im Zeichen einer von Habermas so benannten »Genese der bürgerlichen Öffentlichkeit«138 stehen, von dieser verursacht, vielleicht auch eine solche beschleunigend. Bedenkt man die unerhörte Akzeleration politischer, sozialer und kultureller Veränderungen in dieser Umbruchphase der schwedischen Geschichte, so ist es vielleicht auch nicht übertrieben, in Anlehnung an Koselleck von einer »Sattelzeit« zu sprechen.139 In diesem Sinne wird Frängsmyrs These, dass es keine Aufklärung in Schweden gab, widersprochen.140 4. Eine gängige Meinung der schwedischen Literaturgeschichte besagt, dass die gustavianische Epoche gänzlich dem Vorbild der französischen Literatur verpflichtet war, dass die Rezeption deutscher Literatur sich erst gegen Ende der 1790er Jahre bemerkbar machte und die eigentliche Ablösung des französischen Paradigmas durch das deutsche Paradigma 1809 erfolgte, in deren Rahmen dann auch Schiller und Goethe zu Autoritäten der allerersten Ordnung aufstiegen. Es wird zu zeigen sein, dass diese Annahmen teils korrigiert, teils nuanciert werden müssen, da die deutsche Literatur und Sprache einerseits auch in der gustavianischen Epoche kein terra incognita darstellte, andererseits sich bereits zu Beginn der 1790er Jahre eine vermehrte Präsenz deutscher Literatur bemerkbar machte und Schiller früher und in weiterem Umfange rezipiert wurde als bisher angenommen. In diesem Zusammenhang wird auch die Jahreszahl 1809 nicht als Wendepunkt betrachtet.141 5. In den gängigen Literaturgeschichten figuriert die »Junta« als einzig literaturgeschichtlich relevanter Akteur in den Jahren 1795 – 1800, sowohl was den deutschen Kulturimport anbelangt als auch die kritische Opposition. 138 139 140 141

J. Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit, 1990, S. 69 ff. R. Koselleck, Geschichtliche Grundbegriffe, Einleitung, I, 1972, S. XV. T. Frängsmyr, Sökandet efter upplysningen, 2006. Hinsichtlich der Entwicklung der Zensurpolitik hat auch Martin Melkersson in Staten, ordningen och friheten (1997) deutlich gemacht, dass der eigentliche Paradigmenwechsel bereits in der »Freiheitszeit« stattfand, nicht erst 1809, wie immer wieder behauptet wird. Auch die gustavianischen Restriktionen, insbesondere die Zensurpolitik unter Gustav IV. Adolf, konnten letztendlich nicht mehr die Zensurpolitik der »Großmachtzeit« restituieren.

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Einleitung

Gleichzeitig wird die Junta häufig als Übergangsphänomen zwischen Aufklärung und Romantik gesehen, der lediglich eine die Romantik vorbereitende Funktion zukomme. Hier wird nun die These vertreten, dass der Junta zwar eine wichtige Rolle in der Vermittlung eines vertieften Schiller-Bildes zukommt, die Schiller-Rezeption jedoch auf viel breiteren Füßen steht. Hinsichtlich ihrer politischen und ästhetischen Anschauungen wiederum ist die Junta sowohl in ihrem Selbstverständnis als auch in ihrer Funktion als Ausläufer der Aufklärung, weniger als Vorläufer der Romantik zu betrachten.

Kapitel II: Absolutismus, Aufklärung und Bürgertum in Schweden

In diesem Kapitel soll vorab der gesellschaftlich-kulturelle Rahmen erstellt werden, in welchen die Schiller-Rezeption in Schweden eingebettet werden kann. Das Hauptaugenmerk liegt dabei auf den politischen Gegebenheiten unter den drei Regenten der Zeit zwischen 1790 – 1809 und der mit diesen verbundenen Zensur. Des weiteren werden sozioökonomische und kulturelle Entwicklungstendenzen im Übergang von einer repräsentativen zu einer bürgerlichen Öffentlichkeit, die Aufklärung in Schweden, sowie Religion und Säkularisierung aus dem komplexen Geschehen hervorgehoben und mit einigen Zahlen und Fakten illustriert. In Schweden haben sich in der Geschichtsschreibung und in der Literaturwissenschaft für das 18. Jahrhundert die Begriffe Frihetstid (dt. Freiheitszeit, 1733 – 1772) und Gustavianska Tiden (dt. Gustavianische Zeit, 1772 – 1792 bzw. 1809) durchgesetzt, im letzten Fall mit der Unklarheit verbunden, ob sie bis zum Tod Gustaf III. 1792 reicht oder bis 1809; für die Zeit von 1792 bis 1809 wird ergänzend häufig auch der Ausdruck Järntid (dt. Eisenzeit) verwendet, was die reaktionären Tendenzen, die auf diesen Jahren lasteten, bezeichnet. Diese im literaturwissenschaftlichen Kontext stiefmütterlich behandelte »Epoche« (1792 – 1809) figuriert im literaturgeschichtlichen und geschichtlichen Kontext als Appendix der gustavianischen Ära (1772 – 1792) oder als »Präludium« der Romantik. So betrachtet z. B. Sten Carlsson in Übereinstimmung mit vielen anderen Historikern die Zeit 1772 – 1809 als gustavianische Epoche, die er durch die Ermordung Gustav III. 1792 nicht beendet sieht. Der gesamte Zeitraum zeichne sich insbesondere durch seine politische, aber auch kulturelle Kontinuität aus.142 Wenn in politischer Hinsicht und in Fragen der Zensur deutlich eine Kontinuität zwischen den Regimen von Gustav III. und Gustav IV. Adolf auszumachen ist, so ist dagegen die von Sten Carlsson behauptete Kontinuität in literaturgeschichtlicher Hinsicht schwieriger festzustellen. Die Tatsache, dass sämtliche Autoren, die nach 1809 über Jahrzehnte 142 Den svenska historien, VII, 1968, S. 99.

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Absolutismus, Aufklärung und Bürgertum in Schweden

hinweg das literarische Leben bestimmen sollten, bereits vorher an die Öffentlichkeit traten, legt eher nahe, diese Zeit von 1790 bis 1809 in der vorliegenden Arbeit als eine in der Folge noch näher zu bezeichnende »Umbruchphase« zu sehen. Bedeutende Umschichtungen und Umformungen im Bereich des gesamten literarischen Systems sprechen dafür, diese Zeit als »Sattelzeit«143 im schwedischen Kulturleben zu betrachten. Louise Vinge behandelt im Teilband Upplysning och romantik (dt. Aufklärung und Romantik) der neuesten schwedischen Literaturgeschichte Den svenska litteraturen die Jahre 1792 – 1830 unter der Rubrik Fr”n järn”r till romantisk skördetid (dt. Von den Eisenjahren zur romantischen Blütezeit).144 Die Bezeichnung »Eisenjahre« für die hier in Frage kommende Zeit von 1792 – 1809 schuldet sich Lorenzo Hammarsköld, der in der Ankündigung seiner Zeitschrift Lyceum am 12. Dezember 1809 in StP schrieb: »Kaum hat die schwedische Literatur solche Eisenjahre, wie die seit Beginn des Jahrhunderts verflossenen, überlebt. Wie ein Mordengel bewachte die Zensur den Himmel des Wissens und bewirkte in der Öffentlichkeit eine Apathie gegenüber aller gründlichen Wissenschaft […].«145 Obwohl die Bezeichnung der vorangegangenen Epoche als »Eisenjahre« der neuromantischen Intention entsprang, den Durchbruch der eigenen Bewegung in umso morgenrötlicherem Lichte erscheinen zu lassen – sie nannte sich bezeichnenderweise »Aurora« –, wurde sie in der Literaturgeschichtsschreibung übernommen und bis heute verwendet. Gerade aber angesichts der romantischen Stilisierung des Jahres 1809 verkümmerten in der nachfolgenden Literaturwissenschaft die sogenannten »Eisenjahre« zu einer Vorbereitungsphase der romantischen Epoche. Einerseits starben die bedeutendsten Autoren des gustavianischen Parnasses (Kellgren, Bellman) zu Beginn dieser Zeit oder wurden des Landes verwiesen (Thorild), andererseits traten die bedeutendsten Literaten und Poeten der romantischen Phase erst gegen Ende der Eisenjahre ins Rampenlicht. Die Fokussierung der vorliegenden Arbeit auf die Eisenjahre ist jedoch mit der These verbunden, dass diese Phase in der schwedischen Literaturgeschichte von besonderem Interesse ist. Der historische Terminus »Absolutismus« wurde mit Bedacht gewählt und an erster Stelle im Titel genannt, obwohl er in den letzten zwei Jahrzehnten in Verruf geraten ist.146 Dies ist erklärungsbedürftig. Politische Entscheidungen – wie z. B. 143 R. Koselleck, Einleitung, in: Geschichtliche Grundbegriffe, 1972. 144 L. Vinge, in: Den svenska litteraturen, II, 1993, S. 187. 145 StP, 12. 12. 1809: »Knappt har svenska litteraturen n”gonsin överlevat s”dana järn”r, som de sedan detta sekels början förflutna. Lik en mordängel vakade trycktv”nget utanför kunskapernas himmel och beredde bland allmänheten en viss apati för all grundlig lärdom […].« 146 In der schwedischen Geschichtsschreibung macht sich eine weitgehende Abwesenheit des Absolutismus-Begriffs bemerkbar, welche sich letztendlich auch nicht vollends mit der

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die Zensur – hatten in Schweden eine größere Durchschlagkraft auf die Literatur als in Deutschland. Diese These ist keine Grundsatzentscheidung, die die Darstellung der Schiller-Rezeption beeinflusst, vielmehr handelt es sich um eine im Laufe der Arbeit mit diesem Material gewonnene Einsicht, die einige der Rezeptionsvorgänge erklärt. Die Behauptung, die im Laufe der Arbeit Sukkurs erfahren wird, lässt sich vorab leicht durch ein Gedankenspiel abstützen. Man stelle sich doch einmal vor, dass das Schwabenland, in welchem Schiller aufwuchs, umgeben sei von Ländern, in welchen eine andere Sprache als Deutsch gesprochen wird. Wie hätte man sich Schillers Laufbahn vorzustellen? Man ist wohl nicht zu spekulativ, wenn man antwortet: Im schlimmsten Falle wäre er gar kein Schriftsteller geworden oder er wäre wie Schubart in Festungshaft gesetzt worden, im besten Falle hätte er viele seiner Werke weder drucken noch aufführen können. Schwedische Autoren befanden sich in eben dieser Situation: einem Regenten und seinem Polizeiapparat ausgesetzt, ohne Exilmöglichkeiten in ein Land, in dem die eigene Sprache gesprochen wird. Soweit die schwedische Zunge klingt, ein Regent, ein Reich, ein System, nämlich ein »absolutistisches«. In voller Kenntnis der Erschütterungen des Absolutismus-Paradigmas wird hier der Begriff »Absolutismus« als Bezeichnung für das politische System im Schweden dieser Zeit verwendet. Der Absolutismus ist von Nicolas Henshall (1992) zum »Mythos« erklärt worden, da »political reality and propaganda«, d. h. Theorie des Absolutismus und Praxis des Absolutismus soweit auseinanderklaffen, dass sich die Theorie als irrelevant präsentiert.147 Die Diskussionen über derartige historische Großbegriffe ähneln einander verblüffend: nach reduktionistischen Thesen folgt eine differenzierende und relativierende Kritik, in deren Gefolge die heuristische Sinnhaftigkeit des Begriffs in Frage gestellt wird. Ernst Hinrichs hat in Fürsten und Mächte (2000) zwar ebenfalls die Grenzen des Absolutismus gerade für das Land geltend gemacht, das traditionell als Paradebeispiel eines absolutistischen Staates galt, nämlich Frankreich, er nimmt unterschiedlichen Terminologie erklären lässt, d. h. der Tatsache, dass in Schweden das Wort »Envälde« (dt. Eingewalt) anstelle des Terms »Absolutismus« benutzt wird. Von Sten Carlsson z. B. wird in Svensk historia (dt. Schwedische Geschichte) die Bezeichnung »Upplyst despotism« (dt. Aufgeklärter Despotismus) als Titel für die Darstellung der Jahre 1772 nach der »Regierungsreform« bis 1786 verwendet. Hier wird Gustav III. mit anderen »aufgeklärten Monarchen« verglichen und sein Wunsch, »alleine« zu regieren, hervorgehoben (S. Carlsson, Svensk historia, II, 1961, S. 207 – 216. Siehe auch Den svenska historien, VII, S. 36). Die Jahre von 1789 bis 1792 behandelt er unter anderem unter dem Titel Maktkoncentration och st”ndsutjäming (dt. Machtkonzentration und Ständeausgleich), da dieser Regierungsphase, so muss das wohl gedeutet werden, nicht mehr das Epitheton »aufgeklärt« eignet. Gleichwohl betont Carlsson, dass die Regierungsform nach der königlichen Machterweiterung nach 1789 keine »Diktatur« gewesen sei: »die gustavianische Eingewalt« (schw. det gustavianska enväldet) habe nie existiert (S. Carlsson, Svensk historia, II, 1961, S. 244). 147 N. Henshall, The Myth of Absolutism, 1992; zitiert nach N. Henshall, Early Modern Absolutism – Reality or Propaganda?, in: Absolutismus – ein Mythos?, 1996, S. 25.

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Absolutismus, Aufklärung und Bürgertum in Schweden

jedoch keinen vollständigen Abschied vom Absolutismusbegriff, denn es »kann kein Zweifel daran bestehen, dass es Absolutismus […] gegeben hat«.148 Dänemark ist ihm nach wie vor Beispiel eines absolutistischen Staates, in welchem theoretischer Anspruch der absolutistischen Theorie und politische Realität eine gewisse Identität aufweisen.149 Schweden sei für den Zeitraum 1680 – 1718 eine absolute Monarchie gewesen: »Mit der Freiheitszeit ab 1720 und der Aufwertung der Position des Reichstags traten in Schweden nahezu vor-parlamentarische Zustände ein, die aus der Epoche des Absolutismus, ja aus der Frühen Neuzeit herausführten.«150 Die Zeit danach und insbesondere unter Gustav III. findet jedoch keine Erwähnung in Hinrichs Darstellung des europäischen Absolutismus. Günter Barudio dagegen, welcher der internationalen Forschung ein bewusstes Abdrängen der skandinavischen Länder in Gesamtdarstellungen des Absolutismus attestiert,151 wählt Schweden als Paradebeispiel eines Absolutismus, der insbesondere unter Gustav III. mit großem Zielbewusstsein und in nie dagewesener Form die intermediären Gewalten im Staat zurückdrängte und stellenweise sogar ausschaltete.152 Barudios Argumentation scheint mir auch deshalb überzeugend, weil sie das eruptive und gegen das gustavianische Establishment hasserfüllte Hervorbrechen von

148 E. Hinrichs, Fürsten und Mächte, 2000, S. 234. 149 Diese These wurde schon Jahre vor der Krise des Absolutismus-Paradigmas im Sammelband Absolutismus, 1986, S. 11 f, vertreten, wo Hinrichs in der Einleitung schreibt: »Vor allem in den großen, bevölkerungsreichen Monarchien des Kontinents – in Spanien, Frankreich, Österreich, selbst noch in Preußen – erreichte der Absolutismus nicht annähernd jenes Maß an Rationalität der politischen Organisation, an Integration und Vereinheitlichung des Untertanenverbandes, das seiner Theorie tendenziell innewohnte. Wer die französischen Finanzierungs- und Bürokratisierungsprobleme von den mittleren Jahren Ludwigs XIV. bis ins späte 18. Jahrhundert analysiert, wer die Handhabung des Merkantilismus durch Friedrich II. von Preußen beobachtet, wer generell die Geschichte des Ämterhandels in den europäischen Monarchien verfolgt, muss erstaunt sein über das Maß an Versündigung gegen die eigene Theorie und die eigenen Prinzipien, wie sie in den politischen Testamenten der Fürsten und in den zahllosen Schriften der verzweifelt um Ordnung bemühten Minister beschrieben werden. Es erscheint bedeutsam, dass in dieser Hinsicht die kleinen Monarchien, die es mit kleinen Territorien und wenigen Menschen zu tun hatten, wesentlich erfolgreicher waren – falls sie die Klugheit besaßen, sich aus den mächtepolitischen Konflikten Europas einigermaßen herauszuhalten. Dänemark z. B., das erst relativ spät (1660/65) den Weg zum Absolutismus fand, hat ihn dann mit einiger Konsequenz beschritten […]«. Folgerichtig wird im gleichen Band ein Aufsatz zum dänischen Absolutismus als Modell für die Begriffsbildung abgedruckt: K. Krüger, Absolutismus in Dänemark – ein Modell für Begriffsbildung und Typologie, 1979, S. 65 – 96. 150 E. Hinrichs, Fürsten und Mächte, 2000, S. 89. 151 G. Barudio, Das Zeitalter des Absolutismus und der Aufklärung, 2003, S. 17; z. B. bei R. Mandrou, Staatsräson und Vernunft 1649 – 1775. S. Carlsson, Svensk historia, II, 1961, S. 207, benutzt den Begriff »Upplyst despoti«. 152 G. Barudio, Das Zeitalter des Absolutismus und der Aufklärung, 2003.

Absolutismus, Aufklärung und Bürgertum in Schweden

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Rabulisten-Zeitungen erklärt (siehe Kapitel IV) – zumal auch Hinrichs den Terminus keineswegs ad acta gelegt hat. Ein weiterer Punkt bedarf der Klärung: der Titel suggeriert wie selbstverständlich die Zusammengehörigkeit von Absolutismus, Aufklärung und Bürgertum und folgt damit natürlich einer traditionellen Auffassung.153 Einer gängigen geistesgeschichtlichen Denkfigur zufolge sind nämlich Absolutismus und Aufklärung auf vielfältige Weise miteinander verwoben. Reinhart Kosellecks bekannter Interpretation des Hobbes’schen Textes zufolge ist der Absolutismus die Geburtsstunde der Vernunft gegenüber dem Fanatismus der Glaubenskriege. Die noch situationsgebundene Gemeinsamkeit zwischen Absolutismus und rationalistischer Philosophie wird hier manifest. Die Vernunft, die sich aus den Wirren des religiösen Bürgerkrieges erhebt, verbleibt zunächst im Bann dieses Krieges und begründet den Staat. So ist es zu verstehen, dass Hobbes nicht gesehen hat, dass die Vernunft sich aufklärerisch emanzipieren kann. Hobbes weiß nicht um das Eigengefälle der Vernunft.154

Anders ausgedrückt: Der absolute Staat ist die Antwort auf die Religionskriege, die Aufklärung ist die Antwort auf den absoluten Staat. Kosellecks Verklammerung von Absolutismus und Aufklärung ist z. B. von Günter Barudio harsch kritisiert worden.155 Während Koselleck zufolge die Aufklärung wegen oder sogar dank des Absolutismus erfolgte, gab es nach Barudio eine Aufklärung trotz Absolutismus. Die Frage, ob Absolutismus und Aufklärung in einem ursächlichen Zusammenhang stehen, gleichgültig nebeneinander herlaufen oder sich sogar ausschließen, wie Barudio meint, verkompliziert sich noch, wenn die Habermas’sche Konzeption eines »Strukturwandels der Öffentlichkeit« mit in Betracht gezogen wird. Zwar lässt sich diese Konzeption mit derjenigen Kosellecks verbinden, welcher die »gesellschaftlichen Formationen« der R¦publique des Lettres und der Freimaurerlogen (also frühe Formen einer bürgerlichen Öf153 Siehe z. B. das Einleitungskapitel von R. Grimminger mit dem Titel Aufklärung, Absolutismus und bürgerliche Individuen. Über den notwendigen Zusammenhang von Literatur, Gesellschaft und Staat in der Geschichte des 18. Jahrhunderts, in: Hansers Sozialgeschichte der deutschen Literatur vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart, III, 1980. Die weitgehende Abwesenheit der Begriffe »Aufklärung« (siehe Kapitel I) und »Absolutismus« in den schwedischen Geschichtswissenschaften scheint die Zusammengehörigkeit der beiden Begriffe ex negativo zu bestätigen. 154 R. Koselleck, Kritik und Krise, 1973, S. 26. 155 G. Barudio, Das Zeitalter des Absolutismus und der Aufklärung, 2003, S. 13 ff. Barudio zufolge konvergieren das positivistische und das marxistische Erklärmodell in der Vorstellung einer »notwendigen« oder »gesetzmäßigen« Entwicklung über den Absolutismus zum modernen Staat, letztlich sei bei diesem wie bei jenem der Fetisch Fortschritt der Vater des Gedankens.

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Absolutismus, Aufklärung und Bürgertum in Schweden

fentlichkeit) aus dem Binnenraum religiöser Gewissensfreiheit hervorwachsen sieht.156 Tatsächlich stellt sich jedoch die Frage, ob sich das Erklärmodell der bürgerlichen Öffentlichkeit nicht weitgehend im Horizont ökonomischer und technischer Veränderungen bewegt, nämlich als Folge der »revolutionierenden Kraft« eines »frühkapitalistischen Verkehrszusammenhangs«,157 während das Modell von Kritik und Krise in einem Rahmen entökonomisierter politischer Logik anzusiedeln ist – zwei Erklärmodelle also, die durchaus miteinander in Konflikt geraten könnten. Es mag jedoch genügen festzuhalten, dass Absolutismus, Aufklärung und die Entstehung einer bürgerlichen Öffentlichkeit nebeneinander herlaufen und auch miteinander korrespondieren. Wichtiger als die geschichtsphilosophische Frage nach dem ursächlichen Zusammenhang von Absolutismus, Aufklärung und bürgerlicher Öffentlichkeit ist für die vorliegende Arbeit die Frage danach, wann sich die im Zusammenhang mit solchen ideen- und sozialgeschichtlichen Begriffen stehenden Phänomene akkumulieren, und zwar solcherart, dass in Kosellecks Sinne von einer »Sattelzeit«, gar von einer »Krise« gesprochen werden kann.

1.

Gustav III. und der Absolutismus (1772 – 1792)

Der Zusammenhang von Absolutismus und Aufklärung wird besonders deutlich in der Regierungszeit Gustav III. Dieser figuriert in der Geschichtsschreibung als aufgeklärter Monarch und Tyrann, als Kriegstreiber und Kulturmäzen, als Dilettant und begnadeter Schriftsteller. Koselleck attestierte der Epoche einen Zwang zur »dualistischen Aufspaltung«, der sich insbesondere an den »aufge156 Die Vereinbarkeit der beiden Modelle ist auch eine Prämisse in Roger Chartiers Les origines culturelles de la R¦volution francaise, 2000. 157 J. Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit, 1990, S. 73. Sowohl die Idee des Aufstiegs des Bürgertums als auch der Begriff des Bürgertums selbst ist seit den 1970er Jahren einer zunehmenden Kritik ausgesetzt. Hans-Ulrich Wehler z. B. bemängelt am »undifferenziert« gebrauchten Sammelbegriff, dass er »geradezu in die Irre« führe, »weil ›das‹ Bürgertum noch längst keine annähernd homogene Sozialformation darstellte« (H.-U. Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, II, 1987, S. 174). Als Ersatz für den als obsolet erscheinenden Begriff des sozialhistorisch fundierten »Bürgertums« diente seit den 1980er Jahren der Begriff der »bürgerlichen Kultur«, zumeist in der Nachfolge von Clifford Geertz, welcher die Kultur des Menschen als »in selbstgesponnene Bedeutungsgewebe verstrickt« sieht (Dichte Beschreibung, S. 9). In der vorliegenden Arbeit wird immer wieder der Begriff des »Bürgertums« verwendet, und zwar zumeist in der letzteren Form einer »bürgerlichen Kultur«, die auch andere soziale Sphären einschließen kann. Demgemäß werden den »Bürgern« gewisse »Normen, Einstellungen und Lebensweisen […], Deutungen und Definitionen des Lebens« als gemeinsam unterstellt (Siehe Günter Burkart, Niklas Luhmann: Ein Theoretiker der Kultur? In: Luhmann und die Kulturtheorie, 2004, S. 27; sowie Bürgerlichkeit im 18. Jahrhundert, 2006).

Gustav III. und der Absolutismus (1772 – 1792)

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klärten Monarchen« zeige.158 So schrieb Friedrich der Große in seiner Histoire de mon temps 1742: »Ich hoffe, daß die Nachwelt, für die ich schreibe, den Philosophen in mir vom Fürsten und den anständigen Menschen vom Politiker unterscheiden wird.«159 Die Uneinigkeit der schwedischen Historiographie hinsichtlich des Charakters, der Persönlichkeit und der Regierung Gustav III., die natürlich lediglich die Ambivalenz der Gefühle der Zeitgenossen widerspiegelt, wurde von Sten Carlsson wie folgt dargestellt und erklärt: Der Märtyrerglanz verbreitete einen versöhnlichen Schimmer über die letzten Tage Gustaf III. Aber die adligen Tagebuch- und Memoirenschreiben, die im Zeitalter der Introspektion zahlreicher waren als zuvor, schilderten den »Tjusarkonungen« [etwa: König, der verzückt A.d.Ü.] weiterhin als Personifikation der Verlogenheit und Gemeinheit. Dieses Gustav III.-Bild hat in der modernen Literatur erfolgreich konkurriert mit der Propagandaauffassung, die der König selbst geschaffen hat […] Handbücher vertreten jedoch normalerweise einen vermittelnden Standpunkt, worin die unbestreitbare Begabung und geistige Spannweite Gustav III. zu ihrem Recht kommt, ohne dass deswegen seine despotischen Züge verheimlicht werden.160

Eine ganze Reihe von Reformen in den ersten Jahren seiner Regierungszeit im Zeichen der Aufklärung scheinen zu bezeugen, dass Gustav III. seine Regierungsgeschäfte mit den Absichten und dem Ehrgeiz angetreten ist, das Ideal eines aufgeklärten Monarchen zu verwirklichen: das Verbot von Hausdurchsuchungen; die Humanisierung des Strafvollzugs; die äußerst restriktive Anwendung, wenn auch nicht die gänzliche Abschaffung der Todesstrafe; die Zerstörung sämtlicher Folterinstrumente im Land; die Liberalisierung des Handels.161 Die wichtigste Reform im Geiste der Toleranz der Aufklärung ist ohne Zweifel die Einführung der Religionsfreiheit qua Gesetz (1778), wenngleich die theologische Zensur nicht abgeschafft wurde und das Toleranzedikt nur Einwanderern Religionsfreiheit garantierte, also einer Minorität. Als Kronzeuge für die lauteren und aufklärungsfreundlichen Absichten des Königs dient häufig ein Brief des jungen schwedischen Kronprinzen an Jean-Francois Marmontel, der von den Theologen der Sorbonne wegen seines Romans B¦lisaire (1767), in welchem er von der religiösen Toleranz handelte, hart angegangen wurde. In diesem Brief sprach der künftige König Marmontel den Trost zu, dass die Zensur nur noch Erinnerung sei, wenn das Gute, das sein Roman enthalte, sich dereinst entfalten würde.162 Eine durchaus typische Darstellung der Regierungszeit 158 Einen ausführlichen Überblick über die Forschungslage gibt Sten Carlsson, Svensk historia, II, 1961, S. 252 ff. 159 R. Koselleck, Kritik und Krise, 1973, S. 98. 160 S. Carlsson, Svensk historia, II, 1961, S. 250. 161 Ebd., S. 207. 162 Gustave III par ses lettres, 1986, S. 67: »Apr¦s cela, le bien que produira votre ouvrage durera encore lorsque la censure eccl¦siastique sera oubli¦e […]«.

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Absolutismus, Aufklärung und Bürgertum in Schweden

Gustav III. ist die folgende dem Handbok i svensk kyrkohistoria entnommene: »Gustav III. ist von früher Kindheit an in französischer Kultur und in Voltaires Geist erzogen worden. Sein Besuch in Paris stärkte zusätzlich seine Sympathien für die französische Aufklärung, deren Gedanken er in seiner Regierungszeit verwirklichen wollte.«163 Die vermeintlich bekundete Sympathie für die Aufklärung in Wort und Tat zu Beginn seiner Regierungszeit hat in der schwedischen Geschichtsschreibung zur weit verbreiteten These geführt, die Regierungszeit Gustav III. sei in eine »glückliche« und eine »unglückliche« Phase zu teilen, mit 1783 als Wendepunkt.164 So teilte Gustav III. vor seinem zweiten Besuch in Paris 1784 Madame Boufflers mit, dass der dort vorherrschende philosophisch-demokratische Geist nur wenig mit seinen Prinzipien zusammenstimme.165 Gustav III. war festen Willens, bei diesem Parisbesuch jeglichem Kontakt mit den Philosophen aus dem Weg zu gehen, in deren Gesellschaft er stets riskiere, beschmutzt zu werden.166 Was hinter diesem plötzlichen Wandel und der Abwendung von »les philosophes« lag, »weiß man nicht«, so der schwedische Ideengeschichtler Tore Frängsmyr, »aber dass der König seine Einstellung in dieser und anderen Fragen geändert hat, ist wohl bekannt«.167 Dabei hat schon Sten Carlsson diese Zweiteilung der Regierungszeit, mit welcher vermeintlich widersprüchliche Handlungsweisen und Aussagen Gustav III. scheinbar in den Bereich des Erklärbaren gerückt werden, für »diskutabel« gehalten und es als »fruchtbarer« angesehen, an der »Kontinuität« seiner Regierungszeit festzuhalten.168 Zielbewusst, aber keineswegs aufklärungsfreundlich, hatte der Kronprinz in Paris 1771 die politische und intellektuelle Elite Frankreichs mit Erfolg auf seine Seite gebracht und den Staatsstreich ein Jahr später strategisch vorbereitet. Gleichzeitig berichtet der künftige König in einem Brief an seine Mutter vom Februar 1771 von seinen Begegnungen mit Marmontel, Grimm, Thomas, Morellet und Helvetius, in welchem er seine tiefe Abneigung gegenüber den politischen Ansichten und dem Selbstbewusstsein der Philosophen ausdrückt, eine Meinung, die öffentlich zu machen er sich hütete und verbat, denn die von »les philosophes« vertretenen Ideen waren die Modephilosophie der Zeit und genossen ein hohes Ansehen. Sollte seine wahre Meinung über diese je bekannt 163 Handbok i svensk kyrkohistoria, 1940, II, S. 211. 164 S. Carlsson, Svensk historia, II, 1961, S. 250. 165 Gustave III par ses lettres, 1986, S. 256: »L’esprit philosopho-democratique qui y regne, si peu compatible avec mes principes et avec mes int¦rets.« 166 Ebd., S. 257: »Pour Messiurs les philosophes, je vous avoue que si je peux m’en d¦pÞtrer, je le ferai de tout mon coeur. Je risquerais toujours d’Þtre ¦clabouss¦ dans leur compagnie […].« 167 T. Frängsmyr, Sökandet efter upplysningen, 2006, S. 161. 168 S. Carlsson, Svensk historia, II, 1961, S. 250. Auch der Literaturhistoriker S. Delblanc hat in Ära och minne, 1965, S. 144 ff, mit Hinweis auf den Briefwechsel Gustav III. klargestellt, dass ein solcher Bruch nie existiert hat.

Gustav III. und der Absolutismus (1772 – 1792)

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werden, »ce serait un blasph¦me affreux dont je ne pourrais me relever ici« – so der künftige König an seine Mutter.169 Der Bruch in der Regierungszeit Gustav III., von dem man nicht wisse, warum er vollzogen wurde, hat nie stattgefunden. Gustav III. war aufklärungsfreundlich, soweit es die Religionsfreiheit anbelangte, und soweit es nicht den Ausbau seiner Machtbefugnisse hinderte. Das Beispiel Dänemark zeigt zur Genüge, wie gut Religionstoleranz und uneingeschränkter Absolutismus nicht nur zusammenklingen, sondern sich sogar bedingen. Während Gustav III. in seiner ersten Regierungsphase noch auf die schwedischen Theologen Rücksicht nehmen musste, weshalb er die theologische Zensur nicht einschränkte, schaffte der dänische Monokrat dieselbe kurzerhand ab. Keineswegs aufklärungsfreundlich war der schwedische König dagegen, wenn es um seine Machtbefugnisse ging.170 Seit seinem ersten Zusammentreffen mit den französischen Philosophen im Jahre 1771 war ihm der philosophischdemokratische Geist der Aufklärung zuwider. Warum er trotzdem versuchte, sich gut mit ihnen zu stellen, ist leicht zu erraten: »Es sind jedoch gerade die Literaten« – äußert der König im oben zitierten Brief von 1784 – die den Ruhm an die Nachwelt weitergeben.171 Günter Barudio hat in Das Zeitalter des Absolutismus und der Aufklärung 1648 – 1779 aus einer ganz anderen Perspektive, einem verfassungsrechtlichen Standpunkt,172 aber mit umso größerem Nachdruck, den »Theaterkönig« kritisiert:

169 Gustave III par ses lettres, 1986, S. 257. Frängsmyrs Kommentar des Zitats hat man entgeistert zur Kenntnis zu nehmen: »In Aussagen wie diesen liegt mehr Aufklärungsphilosophie, als ein anderer Schwede zu dieser Zeit öffentlich ausdrücken würde« (T. Frängsmyr, Sökandet efter upplysningen, 2006, S. 160). 170 S. Carlsson sieht das Streben nach Machterweiterung geradezu als Kontinuitätsmerkmal der Regierungszeit Gustav III. Svensk historia, II, 1961, S. 250. 171 Gustave III par ses lettres, 1986, S. 257: »Cependant, ce sont leurs opinions qui d¦cident des r¦putations et qui les transmettent — la post¦rit¦.« 172 Günter Barudio ist ein »extremer Protagonist« eines »rechtsgeschichtlichen Forschungsansatzes«, welcher weniger die »allzu sehr auf die Macht des Herrschers und die Zentralisierung zielenden Thesenbildung« als die »Rechtsförmigkeit der alteuropäischen Staaten und Gesellschaften« und die »Kontinuität und Wirksamkeit rechtlicher Institutionen und Verfahren« herausstellt, die es den Untertanen »erlaubt hätten, sich gegen Eingriffe der absoluten Monarchen in ihre überkommenen Rechtsbestände zur Wehr zu setzen.« In einer solchen Perspektive ist nicht mehr der französische Absolutismus, sondern der schwedische unter Gustav III. die extremste Ausformung eines absolutistischen Systems. G. Barudio, so Ernst Hinrichs in Fürsten und Mächte, 2000, S. 31, überziehe jedoch seinen »im Prinzip gelungenen, anti-etatistischen Ansatz derart, dass Geschichte kaum mehr »Macht«, nur noch »Recht« und der tatsächliche Gang der Geschichte nur noch ein einziger Verlauf von Rechts- und Verfassungsakten zu sein scheint.« Für Barudios Darstellung spricht jedoch, dass nur sie das hasserfüllte und eruptive Hervorbrechen der Rabulisten-Zeitungen erklärt (siehe Kapitel IV).

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Absolutismus, Aufklärung und Bürgertum in Schweden

Es hat sich eingebürgert, Gustav III. neben seinem Onkel Friedrich II., Joseph II. und Katharina II. zu den Vertretern des »aufgeklärten Absolutismus« zu zählen. Aber gerade an seinem Fall erweist sich, wie zwiespältig und irreführend es ist, Aufklärung und Absolutismus in eine Formel zu zwingen. Gewiß, dieser Monokrat konnte sich »aufgeklärt« geben, um sein neues Machtsystem auch im Namen des »Fortschritts« zu legitimieren, in Wirklichkeit aber deckte er nur seinen Machiavellismus. Daß Diktatoren das Niederreißen von Rechts- und Besitzschranken als »soziale Siege« zur Sicherung der eigenen Macht feiern lassen, ist bekannt. Nicht viel anders verhielt sich Gustav III. beim Zerstören der libertären Verfassung Schwedens und beim Aufbau seiner Envälde.173

Gustav III. bemaß seine eigene Größe an Gustav II. Adolf, und sie wird sich an diesem bemessen lassen müssen. Das komplexe politische System, das in Schweden gerade unter Gustav II. Adolf und Axel Oxenstierna entstanden war, wurde von den Zeitgenossen durchaus als »Enr”dighet« empfunden, d. h. als Einherrschaft nach Gesetz – es handelte sich dagegen eben nicht um eine »Envälde«, eine Eingewalt174, wie sie von Gustav III. errichtet werden sollte. Die Schweden waren Gustav II. Adolf vielmehr »mit einem Enthusiasmus ergeben, der ihn die bereitwilligste Unterstützung von seinen Reichsständen hoffen ließ« (NA, XVIII, 137). Während sein königliches Vorbild also durchaus an der liberalen Tradition Schwedens festhielt, peitschte Gustav III. mit Hilfe von »Gesetzesbrüchen«, »Verhaftungen«, »Bestechungen«, »Wortverdrehungen«, »Drohungen aller Art«175 im April 1789 den Vereinigungs- und Sicherheitsakt durch, der ihn in einem Maße eine absolute Alleinherrschaft garantierte, über welche weder der Sonnenkönig noch Ludwig XVI., nicht zu sprechen von Gustav II. Adolf, je verfügt hatten. Er tat dies, wohlgemerkt, in einem historischen Augenblick, in welchem die französischen Stände sich anschickten, die Rechte einzufordern, welche die schwedischen Stände und das schwedische Volk von jeher hatten, mit Ausnahme der zwei Jahrzehnte unter Karl XI. und Karl XII. sowie – unter Gustav III.176 Trotz der von Gustav III. gern gespielten Rolle des idealen Aufklärungsmonarchen kann seine Regierungszeit als Höhepunkt des schwedischen Abso173 174 175 176

G. Barudio, Das Zeitalter des Absolutismus und der Aufklärung, 1648 – 1779, 2003, S. 78 f. Ebd., S. 28. Ebd., S. 83. S. Carlsson (Svensk historia, II, 1961, S. 242) stellt fest, dass der König mit dem »Vereinigungs- und Sicherheitsakt« seine Macht entscheidend erweitert hatte, und zwar dergestalt, dass er das Recht hatte, einen Krieg zu beginnen; außerdem wurde der »Rat« nach 500jährigem Bestehen abgeschafft. Trotzdem äußert Carlsson die Meinung, dass »die ›gustavianische Eingewalt‹« niemals existiert habe und die königliche Machterweiterung von 1789 keineswegs zu einer Diktatur führte: »Trots den kungliga maktutvidgningen medförde 1789 ”rs reformer ingen diktatur ; ›det gustavianska enväldet‹ har aldrig existerat. Ständerna behöll en del av sin lagstifningsmakt, och deras statsfinansiella befogenheter blev rent av utvidgade.« (Ebd., S. 244)

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lutismus bezeichnet werden.177 Dies lässt sich vor allem auch an der Druckfreiheitspolitik in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ablesen.178 Gerade an Gustav III., der als Anhänger der Druckfreiheit und der physiokratischen Lehre bekannt war und der sich 1772 durch einen Staatsstreich an die Macht geputscht hatte, knüpfte sich zunächst die Hoffnung einer Liberalisierung der Druckfreiheit. Tatsächlich war die Druckfreiheitsverordnung von 1774 jedoch ein Rückschritt hinter diejenige von 1766, die für ihre Zeit erstaunlich liberal war und auch im Ausland als Vorbild gepriesen wurde. Schweden hatte 1766 nämlich als erstes Land eine Druckfreiheitsverordnung erhalten, die den Status eines Grundgesetzes (fundamentallag) erhielt. Der König beschnitt diese 1774 in seiner Kronprinzenzeit entstandene Druckfreiheit dergestalt, dass aufklärerische Floskeln zwar noch von einer aufgeklärten Gesinnung kündeten, de jure war die Druckfreiheit jedoch gänzlich unter die Willkür des Königs gebracht, da diesem im Prinzip unbeschränkt Änderungen erlaubt waren, was er in der Folge schrittweise nutzte.179 Ein entscheidender Schritt zur gänzlichen Willkür in Fragen der Druckfreiheit war die Einführung des »Privilegienzwanges« (privilegietv”ng) 1785, womit die Veröffentlichung von Zeitungen und Zeitschriften an eine offizielle Prüfung und Genehmigung, den Erhalt eines Privilegiums gebunden war, wofür das Kanslikollegium (dt. Kanzleikollegium) verantwortlich war, in letzter Instanz jedoch der König. Im Juli 1785 trat das Kollegium zusammen, um über das Gesuch eines Zeitschriftenprivilegiums einiger Zeitungsherausgeber zu entscheiden. Das Gutachten, das dem König mitgeteilt wurde, sowie die Antwort des Königs dokumentieren, welche Bedeutung man der periodischen Literatur beimaß und wie wenig man bereit war, die Druckfreiheit zu liberalisieren. Das Kanslikollegium konstatierte, dass die zuneh177 G. Barudio, Das Zeitalter des Absolutismus und der Aufklärung, 1648 – 1779, 2003, S. 24. 178 In der älteren Forschung wurde noch die Meinung vertreten, dass Gustaf III aus »ideeller Überzeugung handelte, als er die Druckfreiheitsverordnung verabschiedete« (Siehe E. Nyman, Indragningsmakt och tryckfrihet 1785 – 1810, 1963, S. 30, Anmerkung 2). Aber auch in gegenwärtigen Monogaphien zur Presse- und Zensurgeschichte finden sich solche Ansichten, T. v. Vegesack z. B. in Smak för frihet (1995) meint, dass die reaktionäre Einstellung des Kollegiums dem König fremd gewesen sei und dass der König hinsichtlich der Meinungsfreiheit seiner Zeit voraus war. S. Boberg dagegen sieht in Gustav III och tryckfriheten 1774 – 1787 die »reaktionäre Denkweise« schon 1774 entwickelt, zu diesem Zeitpunkt aber noch von einer »aufklärerischen Phraseologie« kaschiert. Dieser Deutung, für welche auch E. Nyman Argumente liefert, schließe ich mich an. Die von E. Nyman angeführte Tabelle zu neuen Periodika im Zeitraum 1761 – 1790 sprechen eine deutliche Sprache: 1761 – 1765: 9; 1766 – 1779: 59; 1771 – 1775: 43; 1776 – 1780: 19 (ebd. S. 63). Nach der liberalen Druckfreiheitsverordnung von 1766 nehmen die Neuerscheinungen um ein Vielfaches zu; nach der Druckfreiheitsverordnung von 1774 nehmen die Neuerscheinungen dramatisch ab. 179 Siehe hier und im Folgenden E. Nyman, Indragningsmakt och tryckfrihet 1785 – 1810, 1963, S. 30 – 47.

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mende Anzahl Tages- und Wochenzeitungen das Land buchstäblich überschwemmt habe, was seinerseits eine schädliche Wirkung sowohl auf die Literatur als auch auf die Denkweise der Nation gehabt habe. Das Kollegium wünschte die Begrenzung dieser Zeitungen und die Definition dessen, worüber geschrieben werden durfte. Zweck und Natur einer Zeitung lege nahe, dass nur solche Nachrichten mitzuteilen seien, die verdienten, der Allgemeinheit zuzukommen, z. B. was sich im In- und Ausland zutrug, Bekanntmachungen von Stellengesuchen, Auktionen, Konkurse, Prozesse, Verkauf von Waren, Hochzeiten und Todesfälle. Von Mitteilungen über Staatsverfassungen, wissenschaftlichen Themen und Rezensionen von Büchern und Broschüren wurde abgeraten. Durch die Lektüre unvollständiger Nachrichten in einer Zeitung könne der Unkundige nichts anderes als eine »oberflächliche« und »schädliche« Kenntnis erhalten, die der Öffentlichkeit einen Widerwillen gegen gründliche Studien diktiere und sie an eine leichtsinnige Denkweise gewöhne. Der Gebildete ziehe es vor, sich in systematischer Ordnung und aus sicheren Quellen zu informieren. Das Kanslikollegium äußerte weiter die Auffassung, dass die »richtige Literatur« durch die Präsenz der Zeitungen ins Hintertreffen gerate und der Autor einer »wertvollen« Abhandlung riskiere, Leser zu verlieren. Mit vier Tageszeitungen (Stockholms Post-Tidningar, Inrikes tidningar, Dagligt allehanda sowie Stockholms Posten) sei der Bedarf der Hauptstadt bereits ausreichend, wenn nicht gar bis zum Überfluss gedeckt. Das Kollegium empfahl dem König, die Publikation politischer Reflexionen, gelehrter Abhandlungen, Rezensionen und alles, was gegen die guten Sitten verstoßen könnte, zu verbieten. Diese Sichtweise des Kollegiums hinsichtlich der Periodika sollte die folgenden zwei Jahrzehnte dominieren. In der Antwort vom 29. August 1785 teilte der König Aufklärungswillen signalisierend mit, dass er die Druckfreiheit immer in Übereinstimmung mit der gegenwärtigen Regierungsweise gesehen habe und er deshalb die vom Kollegium vorgeschlagenen Einschränkungen nicht akzeptieren könne. Die Druckfreiheit solle erhalten bleiben als Ausdruck des Respekts des Königs vor der Freiheit und seines Bestrebens den »getreuen Untertanen« die Möglichkeit zu geben, ihre Meinung vorzubringen. Trotz dieser Aufklärungsrhetorik, die eher für die Öffentlichkeit denn als Kritik des Kollegiums gedacht war, sanktionierte der König weitgehend die restriktiven Forderungen. Im Zusammenhang mit seinem geplanten Russlandfeldzug (1788 – 1789), der ihm durch die schwedische Konstitution untersagt war, und als Folge der Französischen Revolution wurde die solchermaßen bereits bestehende Zensur sukzessive verschärft, jegliche Kritik verboten und sofort geahndet.

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G. A. Reuterholm und die Revolution (1792 – 1796)

Am 16. März 1792 wurde Gustav III. bei einem Maskenball in der Oper, wohin er sich trotz einer erhaltenen Warnung begeben hatte, von einem tödlichen Schuss getroffen.180 Der Mörder Jacob Johan Ankarström, Adliger und ehemaliger Gardeoffizier, hatte sowohl persönliche als auch politische Gründe für seine Tat. Auf dem Reichstag 1789 hatte der König mit Hilfe der Nichtadligen einen Ständeausgleich auf Kosten des Adels durchgesetzt, wovon auch der konservative Adlige Ankarström betroffen war.181 Ein Jahr später wurde er wegen Majestätsbeleidigung angeklagt; der Prozess war 1792 abgeschlossen. Ankarström war jedoch lediglich die Marionette einer zwar heterogenen, aber eher fortschrittlich als konservativ gesinnten Verschwörung. Die Verschwörer, vor allem Offiziere unter der Führung von General Pechlin, hofften, dass auf den Königsmord ein Militärputsch folgt, welcher wiederum zu einer reformfreundlichen Vormundschaftsregierung führen würde. Nach dem Tod Gustav III. übernahm am 29. März 1792 sein Bruder Herzog Carl als Vormund des unmündigen Gustav Adolf die Regierungsverantwortung in einem Land, in welchem es gärte. Gerüchte verbreiteten sich, die von Verschwörungen und einer bevorstehenden Revolution wissen wollten; handschriftliche Agitationsschriften und verbotene französische Zeitungen, welche sich offen auf die Seite der »Tyrannenmörder« stellten, waren im Umlauf.182 Mit Furcht und Zittern sahen Teile der Bürgerschaft einer Jakobinerherrschaft entgegen und forderten eine klare Stellungnahme gegen das revolutionäre Frankreich. Die Opposition der gustavianischen Politik hoffte dagegen auf Herzog Carl, der sich zu Lebzeiten des Königs zu diesem und seinem engsten Kreis auf Distanz gehalten hatte. In den Tagen, Wochen und Monaten, in welchen vielen alles möglich schien, versuchte der Herzog zunächst die Parteien zu versöhnen. Um der drohenden jakobinischen Gefahr entgegenzuwirken, wurden sämtliche Schriften mit »moralischem und politischem« Inhalt einer offiziellen Zensur unterstellt. Dem Herzog, der für seinen Wankelmut und seine Unselbständigkeit bekannt war, gelang es nicht, die zunehmende Kluft zwischen dem gustavianischen Lager und der patriotischen Reformpartei, die nach Frankreich schielte und immer deutlicher ihre Unzufriedenheit mit der Vormundschaftsregierung ausdrückte, zu überbrücken. Ein tüchtiger Ratgeber für das Regierungsgeschäft war vonnöten, und die Wahl des Herzogs fiel auf Freiherr Gustav Adolf Reuterholm (1756 – 1813), der sich zum Zeitpunkt der Ermordung des Königs im freiwilligen Exil in Italien befand, und mit welchem der Reichsvormund (rik180 S. Carlsson, Svensk historia, II, 1961, S. 248 ff. 181 Ebd., S. 241 ff. 182 E. Nyman, Indragningsmakt och tryckfrihet, 1963, S. 71 ff.

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sförmyndaren) Herzog Carl eine Neigung zur Freimaurerei, zur schwärmerischen Freundschaft, zum Mystizismus und zur Geisterbeschwörung verband. Reuterholm kam am 3. Juli 1792 in Stockholm an und wurde noch am gleichen Tag formell zum Präsidenten der »Kammerrevision« ernannt; in dieser Position verblieb er, bis Gustav IV. Adolf 1796 den Thron bestieg, von dem er 1809 unfreiwillig wieder entfernt wurde. Wenn Reuterholms offizielles Amt eher unbedeutend war, so war er de facto bis zu seinem Abgang im November 1796 ein Mann mit einer halb diktatorischen Stellung.183 Die patriotische Reformpartei war außerordentlich zufrieden, dass ein Mann aus ihrer eigenen Mitte, der noch dazu öffentlich und zu Lebzeiten Gustav III. von diesem Abstand genommen hatte, die Regierungsgeschäfte übernehmen sollte, und setzte große Hoffnungen in ihn. Die Zeitgenossen konnten zu diesem Zeitpunkt noch nicht ahnen, was der Historiker rückblickend zu konstatieren hat: »Er war Despot und ein Freund der Freiheit, Aristokrat und Jakobiner, aufgeklärt und abergläubisch.« (SVH, II, 1877, S. 1) Als alter Gegner Gustav III. betrieb er die systematische Vertreibung der Anhänger des ermordeten Königs aus den führenden Ämtern, was der fortschrittliche politische Flügel ohne Zweifel erfreut zur Kenntnis genommen hat. Seine erste politische Maßnahme war die Verfügung einer neuen Druckfreiheitsverordnung am 11. Juli 1792 – d. h. auch die Aufhebung der Zensur, die zunächst von Herzog Carl nach der Ermordung des Königs eingeführt worden war –, welche eine uneingeschränkte Druckfreiheit vorsah und jegliche Zensur, mit Ausnahme der theologischen, aufhob. Die Druckfreiheitsverordnung, die in einer schwülstigen Rhetorik der »heiligen Menschenrechte« und des Gesellschaftsvertrags schwelgt, wurde von den schwedischen Forschern ganz unterschiedlich interpretiert und dargestellt.184 Alma Söderhjelm vermutet, dass die Verordnung ehrlich gemeint war, worauf nicht nur die Schlagworte der Aufklärung hinweisen, sondern auch der dort formulierte radikale Gedanke, dass sich die schwedische Regierung dadurch von den anderen europäischen Regierungen unterscheide, dass sie die Freiheit unterstütze.185 Manche Forscher haben die Druckfreiheitsverordnung 1792 auch als ein Ausdruck des Aufklärungsideals der Freimaurerloge gesehen. Andere wiederum sahen in den liberalen Tendenzen dieser Schrift nichts anderes als Äußerlichkeiten; im Substanziellen sei sie vage und unklar und enthalte mehr liberale Druckfreiheitsrhetorik als liberale Bestimmungen.186 183 O. Hägerstrand, »Juntan« som realitet och hörsägen, 1995, S. 16. 184 Zur Druckfreiheitsverordnung 1792 siehe S. Carlsson, Svensk historia, II, 1961; M. Nylund, G. A. Reuterholm under förmyndartiden, 1917; A. Söderhjelm, Sverige och den franska revolutionen, 1920 – 1924; O. Dixelius, Den unge Järta, 1953; E. Nyman, Indragningsmakt och tryckfrihet, 1963, S. 77 ff; H. Eek, Om tryckfriheten, 1992. 185 A. Söderhjelm, Sverige och den franska revolutionen, II, 1920 – 1924, S. 120. 186 T. v. Vegesack, Smak för frihet, 1995; E. Nyman, Indragningsmakt och tryckfrihet, 1963,

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Wie immer man die von Reuterholm geschaffene Druckfreiheitsverordnung deuten mag: Sein Erscheinen auf der politischen Bühne Schwedens und die Aufhebung der von Herzog Carl eingeführten Präventivzensur hatte auf die Oppositionellen, die in den letzten Jahren der Ära Gustav III. zum Schweigen gebracht worden waren, eine befreiende Wirkung gehabt. In Stockholm entstanden eine Reihe freimütiger Zeitschriften (siehe Kapitel IV), und im Oktober 1792 wurde Nordenskiölds Übersetzung von Paynes Rights of Man publiziert, die bis dahin verboten war. In Stockholm bildeten sich zumindest vier Jakobinerklubs, über welche auch ausländische Zeitungen berichteten. Im Altonaischen Mercurius war im November zu lesen, dass sich in Stockholm ein Konstitutionsklub gebildet hätte, der sich jedoch sicherheitshalber in kleinere Ausschüsse aufgeteilt hätte.187 Einige Tage vor Weihnachten 1792 publizierte Thomas Thorild seine Schrift Om det allmänna först”ndets frihet (dt. Über die Freiheit des allgemeinen Verstandes), in welcher er für die Priorität der Vernunft vor Herkunft und traditioneller Autorität argumentierte. In einer Dedikation wandte er sich direkt an Herzog Carl: »Gib uns also die Freiheit des Allgemeinen Verstandes, ehrlich und rein; bevor sie mit Blut und Gewalt genommen wird.« Thorild wurde noch am gleichen Tag verhaftet, was Demonstranten zu Protestbekundungen veranlasste.188 Die Behörden befürchteten, dass eine Konstellation entstehen könnte, die der entsprach, als es zur Stürmung der Bastille in Paris und zum Sturz des Königs kam.189 Reuterholm, der vermutlich eine solche Zuspitzung verhindert hätte, war vorübergehend wegen Krankheit unpässlich, weshalb Liljensparre, der Statthalter in Stockholm, seinen Einfluss auf den Großherzog Carl geltend machen konnte. Liljensparre behauptete, dass die Publikation von Thorilds Buch in Zusammenhang stand mit den politischen Klubs sowie den »Ansammlungen von Menschen niedriger Herkunft« und der drohenden Gefahr deshalb vorgebeugt werden müsse.190 Am Weihnachtstag sprach die Regierung eine »Verdeutlichung« der Druckfreiheitsverordnung aus, welche einer weitgehenden Aufhebung derselben gleichkam. Zwei Wochen später wurden nach einem Zusammenstoß zwischen einem Offizier und einigen Bürgern, welcher einen Menschenauflauf zur Folge hatte, politische Klubs sowie Versammlungen auf Marktplätzen und Straßen verboten. Truppen wurden um die Hauptstadt zusammengezogen, die praktisch belagert war und in deren Straßen Soldaten patrouillierten.

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S. 75 ff. Nyman bezeichnet sie als politisches Dokument, das die liberale Politik der gegenwärtigen Regierung in Abgrenzung zur autoritären der vorangegangenen zum Ausdruck bringen sollte. S. Arvidsson, Harmens diktare. Thorild, II, 1993, S. 606 f. A. Grape, Tidsrörelser inom studentvärlden i Uppsala 1792 – 93, 1923, S. 187. R. Ambjörnsson, Franska revolutionen i Uppsala, 1989, S. 11. Ebd.

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Absolutismus, Aufklärung und Bürgertum in Schweden

In Uppsala hatten die Studenten bei einer feierlichen Grablegung der Druckfreiheitsverordnung beschlossen, sich regelmäßig in einem so genannten »Konvent« zu treffen, wo Reden zu Ehren der Druckfreiheit gehalten und Proklamationen in jakobinischem Geiste verlesen wurden. Die Konvente bildeten nach dem französischen Vorbild ein Forum für kontinuierliche Diskussionen öffentlicher Belange: die Studentenschaft war zum ersten Mal in der schwedischen Geschichte politisiert. Unter den Studenten, die an diesen Konventen teilnahmen, befand sich mit Sicherheit Gustaf Abraham Silfverstolpe, wahrscheinlich auch Benjamin Höijer und manchmal auch der von Stockholm anreisende Hans Hierta.191 Es ist wahrscheinlich, dass die Bezeichnung »Konvent« (la Convent), welche der Schreckensherrschaft Robespierres in Frankreich 1792 – 1795 einen legalen Rahmen gab, weniger behagliche Assoziationen weckte,192 und dass die Meinungen, die bei diesen Konventen geäußert wurden, Reuterholm und Herzog Carl in Unruhe versetzten. Die Subskriptionsliste einer kleinen Schrift mit dem Titel Skrifter, uplästa i en samling af studerande vid Upsala academie (dt. Schriften, verlesen bei einer Versammlung Studierender der Universität Uppsala) enthält nach einer Quelle die Namen von stattlichen 200 Studenten und vier Professoren.193 Auf Befehl der Regierung wurden die Konvente jedoch aufgelöst und alle im Frühjahr 1793 gedruckten Reden beschlagnahmt.

3.

Gustav IV. Adolf und die Reaktion (1796 – 1809)

Im November 1796 wurde Gustav IV. Adolf mündig und übernahm die Regierungsmacht von seinem Onkel Herzog Carl.194 Der junge König war zunächst darum bemüht, die ungerechtesten Verordnungen des von ihm wenig geschätzten Reuterholm wieder rückgängig zu machen; eine seiner ersten Regierungshandlungen war z. B. die Restitution der Schwedischen Akademie. Einige Reformen weisen ihn wie seinen Vater als aufgeklärten Monarchen aus. Charakter und historische Situation ließen jedoch zusehends die despotischen Tendenzen des bigotten und kulturfeindlichen Königs hervortreten und diese wurden nicht mehr wie bei seinem Vater mit aufklärungsfreundlichen Phrasen verschleiert. Die Ermordung seines Vaters betrachtete er als Konsequenz des Sittenverfalls und der Gottlosigkeit der Aufklärung und der Französischen Re191 A. Grape, Tidsrörelser inom studentvärlden i Uppsala 1792 – 93, 1923, S. 202. 192 Ebd. 193 R. Ambjörnsson, Franska revolutionen i Uppsala, 1989, S. 23; E. Nyman, Indragningsmakt och tryckfrihet, 1963, S. 91 f. Andere Quellen behaupten, dass ein Großteil der 500 Uppsalienser Studenten die Subskriptionsliste unterschrieben haben. 194 S. Carlsson, Svensk historia, II, 1961, S. 263.

Gustav IV. Adolf und die Reaktion (1796 – 1809)

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volution, weshalb er sich wenig für die Gleichheitsideale der Zeit interessierte. Im Unterschied zu seinem Vater war er religiös; »seine Frömmigkeit war eine Mischung aus lutherscher Orthodoxie, pietistischer Philanthropie und Herrnhuter Empfindsamkeit.«195 Stark geprägt wurde er vermutlich von den religiösen Ideen Heinrich Jung-Stillings, mit dem er mehrere Jahre in Karlsruhe verkehrte, wo er 1801 eine badische Prinzessin heiratete und zweieinhalb Jahre weilte. »Äußerlich steif, zugeknöpft und ohne Charme war er im Innern sentimental und schwärmerisch«, ohne die ästhetischen und künstlerischen Interessen seines Vaters zu teilen.196 Zunächst jedoch glaubte man Anlass zu haben, auf eine liberalere Politik hoffen zu dürfen, eine Hoffnung, die sich unerschütterlich bei jedem Regierungswechsel von 1772 – 1809 einzustellen schien. Carl Gustav av Leopold (siehe Kapitel V) kehrte aus seinem freiwilligen Exil in Linköping nach Stockholm zurück und wies in einem Artikel auf die Mängel der bestehenden Druckfreiheitsgesetze hin, die durch deutlichere Richtlinien ersetzt werden sollten. Das geltende Gesetz, schreibt Leopold, zeichne sich durch Unklarheit aus und ermögliche Willkür gegenüber den Autoren.197 Leopold wurde in Silverstolpes neuem Presseorgan Journal för svensk litteratur (Nr. 1, 1797) und in Stockholms Posten (24. 3. 1797) zugestimmt. Mit einer Reihe neuer Zeitschriften – Läsning för landtmän, Läsning för menige man, Journal för allmänna uplysningen och sederne, Läsning i blandade ämnen, Journal för svensk litteratur, Läsning i ett och annat, Journal för prester – hatte die Kulturdebatte ein europäisches Niveau erreicht; die schwedische Aufklärung schien vor ihrem Durchbruch zu stehen. Aber während die Aufklärungsskribenten frohgemut eine neue Epoche herbeischrieben, bereitete Gustav IV. Adolf ein Überwachungssystem vor, dessen Oppression selbst das der Reuterholm’schen Regierung übertraf. Hinzu kam, dass der König im Unterschied zu Gustav III. nicht nur politische Ansichten der Zensur unterziehen wollte, sondern auch jeglicher literarischen und kulturellen Äußerung fremd gegenüber stand. Schritt für Schritt etablierte er eine repressive Zensur, im Unterschied zur präventiven seines Vaters. Zudem konnte die theologische Zensur, die unter seinem Vater leicht beschnitten worden war, unter ihm wieder Fuß fassen. Der schwedische König befand sich mit seinen Ansichten freilich in einem europäischen Umfeld, das als Reaktion auf die Französische Revolution wieder verschärft zur Zensur tendierte. Ohne Zweifel hatte er die Diskussion in Dänemark zwischen Anhängern einer Liberalisierung und einer Verschärfung der Zensur mit Interesse verfolgt. Dort hatte Schillers Mäzen 195 Ebd. 196 Ebd. 197 C. G. af Leopold, Om Svenska Tryckfriheten. Försök att bestämma dess nu varande lagliga gränsor, in: Läsning i blandade ämnen, 1. Heft, 1797.

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Absolutismus, Aufklärung und Bürgertum in Schweden

Herzog Friedrich Christian zu Augustenburg einen Vorschlag zur Druckfreiheit verfasst, welcher zu den liberalsten der Zeit gehört,198 und als solcher mit großer Wahrscheinlichkeit von Schiller inspiriert wurde, der mit dem Herzog zu Augustenburg in den 1790-Jahren in einem lebhaften Briefkontakt stand.199 Die reformfreundlichen aristokratischen Kreise um den dänischen Herzog sympathisierten vermutlich vor allem mit Schillers Skepsis gegenüber allzu schnellen Gesellschaftsveränderungen. Im 5. Brief seiner Briefe über die ästhetische Erziehung weist Schiller auf die Notwendigkeit einer uneingeschränkten Meinungsfreiheit hin, die es ermögliche, die Menschen erzieherisch auf eine neue politische Ordnung vorzubereiten. Ähnliche Argumente äußerte Axel Gabriel Silverstolpe in einem Artikel in Läsning i blandade ämnen (Nr. 9 – 10, 1798), in welchem er darauf hinwies, dass nie das Thema eines Artikels darüber zu entscheiden habe, ob dieser strafbar sei oder nicht, sondern die Behandlung eines Themas. Kurioserweise sollte Silverstolpe 10 Jahre später mit der Ausarbeitung einer liberaleren Druckfreiheitsverordnung befasst sein, während dem Herzog von Augustenburg der schwedische Thron angetragen wurde. In Schweden wie in Dänemark obsiegten jedoch die Gegner einer liberalen Druckfreiheitsverordnung: Die Druckfreiheit wurde erneut eingeschränkt, der Privilegienzwang wieder eingeführt und die Strafen auf Zensurverstöße verschärft. Auch das Theater, das unter Gustav III. eine Blütezeit erlebt hatte, unterlag nun einer Zensur. Die Reuterholm’sche Druckfreiheitsverordnung wurde unter Gustav IV. Adolf verschärft: Die Zensur betraf vor allem die rationale Bibelkritik und republikanisches Gedankengut. Neben den Einschränkungen, die bereits Reuterholm durchgesetzt hatte, wurde 1798 die Herausgabe periodisch erscheinender Zeitschriften untersagt. Die Einfuhr dänischer Bücher ohne besondere Erlaubnis wurde 1803 als Folge gewisser Aussagen einiger dänischer Autoren nicht mehr gestattet; der Import französischer Zeitungen und französischer Bücher verboten (1804) und die eingeführte ausländische Presse einer scharfen Zensur unterworfen (ab 1804). Im Jahr 1801 hatte der König die Zensurbefugnisse des Kanslikollegium, das bislang Druckfreiheitsfragen behandelt hatte, an den Hofkanzler Christoffer Bogislaus Zibet übertragen. Alle Buchdrucker und Zeitungsherausgeber, die etwas publiziert hatten, das dem König missfiel, sollten unter eine Präventivzensur gestellt werden. Mit dem Reichstag in Norrköping 1800 war der Gegensatz zwischen dem König und der Aufklärungsphalanx in einen offenen Streit übergegangen. Der König hatte begonnen, sein repressives System aufzubauen; sein Verbot, das Reichstags198 Denkschrift über Pressefreiheit, publiziert in: Briefwechsel des Herzogs Friedrich Christian zu Schleswig-Holstein-Sonderburg-Augustenburg mit König Friedrich VI. von Dänemark, 1908, S. 472 – 506. 199 Hier und im Folgenden siehe T. v. Vegesack, Smak för frihet, 1995.

Die repräsentative Öffentlichkeit in Schweden

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protokoll zu publizieren, war ein Verstoß gegen die Bestimmungen der Druckfreiheit. Die Folge all dieser reaktionären Verordnungen war ohne Zweifel eine zunehmende politische und kulturelle Isolation Schwedens und die Distanzierung und Abgrenzung von Frankreich,200 was wiederum die Annäherung an den deutschen Kulturraum begünstigte und vermutlich die Schiller-Rezeption förderte. Dies zeigt sich gerade auch an den Reisen des schwedischen Königs, der Ende August 1803 in Weimar weilte, wo er mit Schiller zusammentraf und einer Wallenstein-Aufführung beiwohnte, die ihm zu Ehren gegeben wurde.201 Gustav IV. Adolf und Schiller unterhielten sich einvernehmlich über Geschichte im allgemeinen und Maria Stuart im Besonderen, deren Schicksal den König ergriffen hatte, und Schillers Xenien, in welchen Schiller sich sowohl von der Entartung der Literatur als auch dem Glauben an die seligmachende Kraft der Wissenschaft distanzierte, was dem König durchaus gefallen haben mag. In der Tat war der König erfreut über Schillers Art zu argumentieren und über seinen »unverfälschten Geist«, auch wenn er »angesteckt war vom waltenden Zeitgeist«; Schiller seinerseits attestierte dem Besucher eine schnelle Auffassungsgabe. Zum Abschied schenkte der König Schiller eine Golddose und einen Juwelring – damit dürfte Schiller endgültig auch in Schweden den Ruf des rebellischen Stürmer-und-Drängers abgeschüttelt haben.

4.

Die repräsentative Öffentlichkeit in Schweden

Der Literaturwissenschaftler Lars Lönnroth teilte die Entwicklung der Öffentlichkeit in Schweden in vier Phasen ein, welche durch Veränderungen der Druckfreiheitsverordnung, der Presse und der staatlichen Kulturpolitik im Übergang von der Aufklärung zur Romantik bestimmt sind:202 In der ersten und längsten Phase 1720 – 1766, der sogenannten »Freiheitszeit« (Frihetstid), wurde in einigen Zeitschriften eine von staatlichen Behörden und kirchlicher Bevormundung relativ freie öffentliche Kulturdebatte geführt; die Liberalität dieser Epoche schuldet sich vermutlich hauptsächlich der schwachen Stellung des Königshauses. Die zweite Phase 1766 – 1792, die »gustavianische Zeit« (den Gustavianska tiden) genannt, wurde von der für ihre Zeit sehr liberalen 200 E. Nyman, Indragningsmakt och tryckfrihet 1785 – 1810, 1963, S. 126. Die Bezeichnung »Reaktion« ist im Kontext schwedischer Geschichtsschreibung kaum gebräuchlich. Dagegen hat z. B. E. Nyman in Indragningsmakt och tryckfrihet (1963) S. 86, von »reaktionären Maßnahmen« (reaktionära ”tgärder) gesprochen. 201 Das Zusammentreffen von Gustav IV. Adolf und Schiller wird geschildert in: M. Nordin & U. Nilsson, Gustav IV Adolf, 1778 – 1837, I, 2009, S. 236 ff. 202 L. Lönnroth, Fyra offentlighetsfaser, in: Den svenska litteraturen, II, 1988, S. 12 f.

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Druckfreiheitsverordnung 1766 eingeleitet, welche die freie Meinungsäußerung begünstigte, was sich in einer Reihe von Zeitschriften niederschlug, der Staatscoup 1772 habe das kulturelle Leben zunächst noch zusätzlich belebt. Die dritte Öffentlichkeitsphase, die »Eisenjahre« (Järn”r), erstreckte sich von 1792 – 1809 und war durch den Regress kultureller Aktivität gekennzeichnet. Der Beginn der vierten Phase wurde durch die 1809 einsetzende Publikationsflut eingeleitet, in welcher sich die Romantik ausdrückt, und die Universitätsstädte Uppsala und Lund zu den führenden kulturellen Zentren avancieren. Auch wenn gegen Lönnroths Einteilung mehrere Einwände zu erheben sind, kann der Sachverhalt, dass sich drei der vier von Lönnroth bezeichneten Phasen mit der hier in Betracht genommenen Periode von 1790 – 1810 berühren, durchaus noch einmal als Hinweis dafür gesehen werden, dass sich in diesem Zeitraum gesellschaftliche Veränderungen akkumulierten. Die von Lönnroth vorgeschlagene Periodisierung scheint mir erstens die Phase von 1772 – 1792 stark zu idealisieren, sofern die Stagnation des literarischen Systems in den Bereichen, die nicht in den repräsentativen Rahmen des Hofes passen, verschwiegen wird; völlig unbegreiflich ist der Beginn der gustavianischen Zeit 1766, während sich Gustav III. erst 1772 auf den Thron putscht. Die in ganz Europa bewunderte und beneidete Druckfreiheitsverordnung war ein Ausfluss der Liberalität der Freiheitszeit und kann Gustav III. nicht als Lorbeer aufgesetzt werden; ganz im Gegenteil, hatte er doch in seiner eigenen Druckfreiheitsverordnung 1772 die Zensur wieder deutlich angezogen. Zweitens wird die Phase von 1792 – 1800, in welcher das öffentliche Leben in Schweden geradezu eine Vitalisierungsinjektion und einen nie gesehenen Modernisierungsschub erhielt, völlig unterschätzt. Lönnroth betont die »Flut neuer Zeitschriften«, die zu Beginn der zweiten und der vierten Phase für eine Erneuerung des geistigen Lebens sorgte; er verschweigt, dass aber gerade der Beginn der dritten Phase durch zwei eruptive »Ströme« neuer Zeitschriften, die Rabulisten- und die Silverstolpe’schen Zeitschriften, einer kritischen und wissenschaftlichen Revolution gleichkam, die alles bisher Dagewesene in den Schatten stellte. Drittens muss mit Nachdruck auf den radikalen und schlagartigen Bruch hingewiesen werden, den das literarische Leben in Schweden mit dem Tod Gustav III. 1792 erfuhr. Die Tatsache, dass die Autoren quasi über Nacht von einem anachronistischen und kompakten Mäzenatensystem in zwar modernere, jedoch weniger sichere Einkommenssysteme abglitten (z. B. Leopold, siehe Kapitel V), legt, in Anlehnung an Strukturwandel der Öffentlichkeit, nahe, den Unterschied zwischen einer repräsentativen Öffentlichkeit und einer bürgerlichen Öffentlichkeit stärker zu betonen. Barudio hat von einem verfassungsrechtlichen Standpunkt aus auf die Einzigartigkeit des gustavianischen Absolutismus in puncto »Envälde« hingewiesen. Die Kehrseite des Absolutismus im literarischen Leben ist das Mäzena-

Die repräsentative Öffentlichkeit in Schweden

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tensystem, das sich unter Gustav III. durch eine bis dahin ungekannt lückenlose Kontrolle und Abhängigkeit vom Hof auszeichnete. Sämtliche kulturellen Äußerungen waren in der Ära Gustav III. an die Bedingungen der »repräsentativen Öffentlichkeit«203 gebunden, wie sie vor allem auch unter dem kulturell interessierten König entstanden war. Er war das »Zentrum nicht nur für politische Entscheidungen, sondern auch für die kulturellen: er diktierte die Mode sowohl in der Welt der Sitten als auch der Vernunft. Dies wurde entscheidend für die Ausformung des geistigen Lebens im ganzen Land.«204 Vorbildfunktion hatte im 18. Jahrhundert in Schweden wie im übrigen Europa der französische Hof, dem Schweden seit dem Dreißigjährigen Krieg durch einen ständigen Zufluss von Subsidien verbunden war. Gustav III. kulturelle Interessen waren dem französischen Vorbild gemäß zur Gänze von der Repräsentation der schönen Künste bestimmt, d. h. von kulturellen Äußerungen, die seiner Herrschaft einen äußerlichen Glanz verliehen, vor allem die Oper, das Theater, die Baukunst, und die Rhetorik bei unterschiedlichen Anlässen. Die nationalen Anstrengungen verschoben sich – verbunden mit einer außerordentlichen Belastung des Fiskus – von den Naturwissenschaften, in welchen Schweden in der Freiheitszeit auch im internationalen Vergleich geglänzt hatte, zu den Künsten und den schönen Wissenschaften. Autoren und Künstler wurden in ein beinahe nahtlos funktionierendes Mäzenatensystem eingefügt, das über drei Besoldungskanäle verfügte: die Schwedische Akademie, das Theater sowie Autorengehälter. Der Zusammenhang zwischen Aufklärung und Absolutismus zeigt sich einmal mehr in der vermehrten Gründung von Akademien im aufklärerischen Europa. Die Gründung der Schwedischen Akademie 1786 ist vielleicht die bedeutsamste und am weitesten reichende Leistung Gustav III. für Schweden.205 Wenn sich hier die Tendenz der Aufklärung und des Absolutismus zur Standardisierung der Sprache und des Geschmacks trafen, so muss die Gründung auch als Produkt der Neigung des Königs zum ästhetischen Effekt gesehen werden. Während seiner Besuche in Paris 1771 und 1784 hatte der König mehrmals die Gelegenheit gehabt, die Französische Akademie kennen zu lernen, wo er 1771 von d’Alembert mit einer feierlichen Rede begrüßt wurde. Es war vermutlich vor allem das Feierliche dieser akademischen Begegnungen, das es dem König angetan hatte und ihn zu der Gründung einer schwedischen Akademie bewegte. Die 1786 gegründete Institution wurde hauptsächlich mit zwei Aufgaben betraut: zum einen sollte sie in Anlehnung an die Academie FranÅaise an der Standardisierung der schwedischen Sprache arbeiten, die zu diesem 203 J. Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit, 1990, S. 61. 204 S. Arvidson, Thorild och den franska revolutionen, 1938, S. 38. 205 Zur Schwedischen Akademie siehe SVH, III, S. 19 – 128.

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Absolutismus, Aufklärung und Bürgertum in Schweden

Zeitpunkt noch ungezügelt ins Kraut schoss, d. h. es war Pflicht und Schuldigkeit der Akademie, eine Grammatik und ein Wörterbuch zu erstellen. Zum anderen sollten im Rahmen der Akademie Preisreden und Gedichte verfasst und belohnt werden, die der jungen Generation als Muster dienen könnten. Die Preisreden auf bedeutende schwedische Persönlichkeiten waren nicht Biographien im wissenschaftlichen Sinne, sondern Hymnen in Prosa, die eher die pathetischen Gefühle des Publikums als den Intellekt ansprachen. Sie hatten sich also am Modell der rhetorischen Tradition des movere und delectare, nicht des docere auszurichten. Jährlich fanden in deren Rahmen poetische und rhetorische Wettbewerbe statt, welche junge Schriftsteller durch die Vergabe von mit großem Prestige verbundenen Preisen zu Höchstleistungen im Sinne des Königs angespornt werden sollten. Die Schwedische Akademie war ein wichtiger Teil des gustavianischen Mäzenatensystems, da durch sie nicht nur die 18 Mitglieder in Lohn und Brot gebracht wurden, sondern außerdem Preise und Autorengehälter verteilt wurden.206 Die Heranbildung eines nationalen Theaters war eines der wichtigsten Anliegen des von der Nachwelt so genannten Theaterkönigs, was vor allem in der Spätphase seiner Regierungszeit zu einer nahezu totalen Kontrolle des Spielplanes führte. Gleichzeitig ist aber seine Bedeutung für das schwedische Theater, für dessen Aufbau er viel getan hat, unumstritten (siehe Kapitel IX). In der gustavianischen Zeit sind die Hofautoren häufiger als früher in irgendeiner Form an das Theater gebunden.207 Obwohl der König sich nicht nur als aufgeklärter Monarch sah oder gab, sondern auch Reformen im Geiste der Aufklärung herbeiführte, hatte der immer auf den ästhetischen Effekt bedachte schwedische Monarch eine Schwäche für die Hofetikette und den Adel – dies im Unterschied zu anderen aufgeklärten Monarchen wie Friedrich II., Josef II. und Katarina II. Es ist auch bezeichnend, dass Gustav III., bei aller vorgegebenen Wertschätzung der französischen Aufklärungs-Autoren, bei einem Besuch in Paris als Kronprinz ausgerechnet von Dormont de Belloy beeindruckt war, dessen Dramen Le siÀge de Calais sowie Gaston et Bayard sehr patriotisch sind und in einer bombastisch-romantischen Schwärmerei für das mittelalterliche Konzept des Königtums schwelgen. Neben den von der Schwedischen Akademie zur Verfügung gestellten Stellen und Gehältern wurden von Gustav III. in einem gänzlich neuen Umfang Autorengehälter bereitgestellt (ISLH, 1928, S. 83), die häufig wenig motiviert waren. So kamen eine ganze Reihe von Hofpoeten in den Genuss des Titels »kungliga sekreterare« (dt. Königlicher Sekretär), ein Amt, in dessen Obhut eigentlich die

206 G. Sahlin, Författarrollens förändring och det litterära systemet 1770 – 95, 1989, S. 74. 207 B. Bennich-Björkman, Författaren i ämbetet, 1970, S. 35.

Bürgerliche Öffentlichkeit und literarisches Leben

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königliche Handkasse gegeben war :208 neben den »offiziellen« Amtsinhabern Zibet und Adlerbeth wurde im Lauf der 1780er Jahre folgenden Personen der Titel verliehen: Kellgren 1786, Clewbert-Edelcrantz 1788, Leopold 1789. Am Ende der Regierungszeit Gustav III. gab es also fünf Personen, die den Titel eines Königlichen Sekretärs führten. Zwei von ihnen, Kellgren und Leopold, waren jedoch literarische Sekretäre, da sie, soweit bekannt ist,209 nicht mit der Verwaltung der Handkasse betraut wurden. Ein Teil der Ämter war also wenig motiviert, vage definiert und gänzlich von der Willkür Gustav III. abhängig. Bennich-Björkman hat zwar konzediert, dass sich das schwedische Mäzenatensystem in den 1780er Jahren auf dem Höhepunkt befand, gleichzeitig bemerkt er jedoch Symptome der Auflösung dieses Systems.210 Dies bestärkt die Vorstellung, dass es sich beim Übergang von der repräsentativen zur bürgerlichen Öffentlichkeit um einen langfristigen Prozess handelt. Dabei kann gerade am schwedischen Beispiel studiert werden, was geschieht, wenn ein komplexes und das gesamte Kulturleben umfassendes Mäzenatensystem quasi über Nacht verschwindet (siehe Kapitel V). Mittelfristig waren natürlich Teile dieses Systems, insbesondere die Schwedische Akademie, weiterhin von Bedeutung. Sieht man also von der Ausnahmeerscheinung Thomas Thorilds (1759 – 1808) ab, so waren sämtliche Autoren der Zeit in irgendeiner Form ökonomisch vom gustavianischen Mäzenatensystem abhängig. Gleichzeitig entwickelten sich die Bedingungen einer bürgerlichen Öffentlichkeit, die jedoch bis zum Tod Gustav III. an ihrer Entfaltung gehindert wurde.

5.

Bürgerliche Öffentlichkeit und literarisches Leben

Mit dem Tod Gustav III. war auch die kulturelle Subventionspolitik beendet, unter deren Schutz sich das Theater und die bedeutendsten Schriftsteller in wirtschaftlich gesicherten Verhältnissen dem literarischen Schaffen hatten widmen können. Schlagartig mussten Autoren, dies kann an Leopold studiert werden, ihre literarische Produktion, die sie jahrelang den Forderungen der repräsentativen Öffentlichkeit, d. h. dem Geschmack Gustav III. und seinem Hofstaat unterworfen hatten, den so andersartigen Marktgesetzen der »bürgerlichen Öffentlichkeit« anpassen. Während es die Künstler und Schriftsteller zuvor mit einer klar definierten und begrenzten Zielgruppe zu tun hatten, mussten sie nun ihre Produktion mit Blick auf eine heterogene und weitgehend anonyme Öffentlichkeit realisieren. Die Schriftsteller werden sich ohne Zweifel 208 Ebd., S. 362 – 380. 209 Ebd., S. 375. 210 Ebd., S. 35.

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Absolutismus, Aufklärung und Bürgertum in Schweden

eine Reihe nunmehr existenzieller Fragen gestellt haben: Wer ist diese Öffentlichkeit? Wie viele potenzielle Leser gibt es? Über welche Kanäle ist diese Öffentlichkeit zu erreichen? Welche Themen und Genres interessiert diese Öffentlichkeit? Schweden verzeichnete im Jahre 1760 eine Population von ca. 1 840 000 Bewohnern, die 40 Jahre später auf 2 347 000 angestiegen war. Zwischen 1775 und 1800 belief sich der jährliche Bevölkerungszuwachs auf 0,6 %. Die gesellschaftlich relevanten Gruppen einer »bürgerlichen Öffentlichkeit« waren einerseits »Standespersonen«, andererseits das immer relevanter werdende städtische Bürgertum in Industrie und Handel. Im Jahr 1760 wurden zu der ersten Personengruppe ungefähr 90 000, zu der zweiten 122 000 Personen gerechnet, insgesamt also über 200 000 potenzielle Leser, wobei bis zu den 1790er Jahren vor allem die Zahl der Menschen in den bürgerlichen Schichten angewachsen sein dürfte. Die Standespersonen lassen sich wiederum in folgende Gruppen einteilen: Ritterschaft und Adel 9000, Priesterschaft und Schule 15 000, »Ofrälse« (Nicht-Adlige) Standespersonen 66 000 (d. h. Großbürgertum 26 000 sowie Dienstpersonal des Standes 40 000).211 Stockholm war im Unterschied zur landesweiten Entwicklung im gleichen Zeitraum und bis in die ersten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts hinein eine unter dem Gesichtspunkt der Bevölkerungsentwicklung stagnierende Stadt. Die Sterblichkeit war die höchste in Europa und die Stadtbevölkerung konnte sich lediglich dank eines steten Zuflusses von außen bei 70 000 Einwohnern einpendeln.212 Ausländische Reisende bemerkten zwar die Schönheit der schwedischen Metropole, aber auch den Schmutz in den Straßen, die enge Bebauung sowie mangelnde sanitäre Einrichtungen und Hygiene, wodurch die Verbreitung von Krankheiten über Klassenschranken hinweg begünstigt wurde.213 Dazu kam eine äußerst schwache ökonomische Entwicklung, eine Abwicklung der Manufakturen und eine zunehmende Armut – 9000 ökonomisch Hilfsbedürftige –, was die Möglichkeit der Versorgung überstieg. Aufgrund der gesellschaftlichen Segregation zwischen den unterschiedlichen Gesellschaftsklassen konnten der Hof und die gehobene Gesellschaftsschicht den Schimmer von Gloria, der über der gustavianischen Epoche lag, durchaus widerspruchsfrei empfinden.214 Zwischen dieser wachsenden sozialen Misere und der Pracht der kulturellen Blütezeit des Hofes insbesondere unter Gustav III. entstand in Schweden eine Öffentlichkeit, die nicht mehr repräsentativen Zwecken diente – Theater gab es auch außerhalb des Hofkreises, Kaffeehäuser, Klubs, Lesegesellschaften und 211 E. F. Heckscher, Sveriges ekonomiska historia II:1, 1949; H. Lenhammar, Sveriges kyrkohistoria, 1956, S. 108. 212 E. F. Heckscher, Svenskt arbete och liv, 1985; J. Söderberg, Den stagnerande staden, 1985. 213 J. F. L. Hausmann, Reise durch Skandinavien in den Jahren 1806 – 1807, III, 1814. 214 M. Björkman, Läsarnas nöje, 1992.

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Leihbibliotheken etablierten sich zusehends. Trotz der Stagnation hinsichtlich der Bevölkerung und der Ökonomie war Stockholm also in kultureller Hinsicht von einer gewissen Dynamik und Expansion geprägt. Die Anwesenheit großer und reicher internationaler Handelshäuser bildete die Grundlage für einen im oberen Bevölkerungsdrittel anzusiedelnden kulturellen Konsum und einen gewissen Luxus. Man hat angenommen, dass ungefähr ein Drittel der städtischen Bevölkerung, d. h. 20 000 – 25 000 Personen, über einen Lebensstandard verfügte, der es ihnen ermöglichte, am öffentlichen Leben teilzunehmen.215 Die Alphabetisierung machte in der zweiten Jahrhunderthälfte einen gewaltigen Sprung nach vorne: Lag die Prozentzahl der Lesekundigen um 1750 noch bei 60 %, so war sie gegen Ende des Jahrhunderts auf 80 % angestiegen. Viele der »Lesekundigen« besaßen jedoch lediglich elementare Lesekenntnisse; der überwiegende Teil der Bevölkerung hatte seine Kenntnisse nicht in öffentlichen Schulen oder von Hauslehrern erworben und war lediglich in der Lage, eine begrenzte Anzahl religiöser Texte zu entziffern. Das Lesevermögen war also größtenteils an die Religion gebunden, wenngleich einige ihre Lesekenntnisse durch die regelmäßige Lektüre von Almanachen und kleineren Druckschriften verbessern konnten. Sprachkenntnisse begrenzten ebenfalls das Publikum literarischer Texte, da ein großer Teil der Literatur auf Latein oder einer der großen europäischen Kultursprachen verfasst war. Um ausländische Literatur zu lesen, waren eine gymnasiale und/oder eine universitäre Ausbildung vonnöten. Bedeutende Unterschiede hinsichtlich der Lesekenntnisse zwischen der Kulturmetropole und der Peripherie, wo die Schuldichte auch viel geringer war, dürfen angenommen werden. Mit dem Aufschwung regionaler Zeitungen gegen Ende des Jahrhunderts und ihrer Ausrichtung auf lokale Nachrichten und Mitteilungen haben sich jedoch die Lesekenntnisse der kulturellen Peripherie an das kulturelle Zentrum angeglichen, womit sich das potenzielle Publikum literarischer Texte vergrößerte.216 Die Zeitungslektüre war vermutlich sehr verbreitet; es wird sogar optimistisch davon ausgegangen, dass lokale Zeitungen, auch wenn sie für die meisten zu teuer gewesen sein mögen, durch kollektive Subskription, Einzelverkauf, Lesegesellschaften und Zirkulation für alle zugänglich waren.217 Viele Buch215 A. Ankarcrona, Bud p” böcker, 1989. 216 Zum Vergleich: In Deutschland soll die Zahl der Leser bis 1800 auf 25 % angewachsen sein, »unter denen sich offenbar viele hunderttausend Menschen mit fest habitualisierten Lesegewohnheiten befanden« (H.-U. Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte 1700 – 1815, 1987, S. 303). 217 B. Mral, När tidningen var till för läsarna, 1996, S. 204 – 215; A. Wiberg, Carl Ulric Broocman, 1950, S. 279. M. Nyman, Press mot friheten, 1988, S. 75, geht z. B. von 20 – 30 Lesern pro Zeitung aus; in der deutschen Literatur werden dagegen 10 Leser pro Zeitung angenommen (H.-U. Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte 1700 – 1815, 1987, S. 307).

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händler boten schwedische und ausländische (vor allem französische, aber auch deutsche und englische) Zeitungen und Zeitschriften an, die man gegen ein Entgelt an Ort und Stelle lesen oder ausleihen konnte. Das Zeitunglesen prägte in hohem Maße auch das Leben in den zahlreichen Kaffeehäusern der schwedischen Hauptstadt.218 Eine etablierte Tageszeitung wie Dagligt allehanda mit einem Absatz auch außerhalb seines Druckortes hatte eine Auflage von 2000 Exemplaren, Stockholms Posten wurde 1500-mal gedruckt und die größeren Zeitungen Göteborgs zu etwa 1000 Exemplaren. Die Zeitungen der kleineren Städte konnten ungefähr mit einer Auflage von 100 bis 200 Exemplaren rechnen, die literarischen und wissenschaftlichen Zeitschriften in Uppsala und æbo, Litteratur-tidning und Allmänna litteratur-tidning vermutlich mit einer Auflage von 150 bis 250 Exemplaren.219 Die Leihbibliothek von Swederus in Stockholm verzeichnete 130 Kunden für das Jahr 1785, die sich auf folgende gesellschaftliche und berufliche Gruppen verteilte: Hochadel 26, Priester und Lehrer 7, Akademiker 4, zivile Beamte 51, verbeamtetes Militär 21, Großhändler und Händler 11, Handwerker 2, unbekannte Zugehörigkeit 8.220 Die Zahlen weisen deutlich auf eine Dominanz des vom absolutistischen Verwaltungsapparat aufgebauten Beamtentums hin, mit einem nicht unbedeutenden Anteil von Kaufleuten und dem nach wie vor relevanten Anteil von Adligen und Offizieren. Die von Rolf Engelsing so benannte Verschiebung vom »intensiven« zum »extensiven« Lesen, ein langfristiger Veränderungsprozess, der das gesamte 18. Jahrhundert betrifft, scheint sich in den 1780er und dann insbesondere in den 1790er Jahren zu beschleunigen – nämlich durch das explosive Anwachsen der Romanlektüre, welche die bis dahin dominierende Zeitungslektüre ergänzte. Das zeigt sich einerseits an der Verdoppelung bis Verdreifachung der Publikation unterhaltender Romanliteratur in den 1790er Jahren (siehe Kapitel VIII), andererseits an dem plötzlich entstehenden Bedarf an Leihbibliotheken und Lesegesellschaften im gleichen Jahrzehnt. Dominierte zuvor gelehrte Literatur das literarische Leben, so macht sich zusehends eine Lesergruppe bemerkbar, die in einem breiteren Sinne als »bürgerlich« gelten kann, und der es eher nach schöner Literatur und Unterhaltung als nach akademischer Literatur verlangte.

218 M. Björkman, Läsarnas nöje, 1992, S. 80. 219 H. Östholm, Litteraturens uppodling, 2000, S. 96. Zum Vergleich: In Deutschland lag die Durchschnittsauflage bei 600 bis 700 Stücken; manche Zeitungen vertrieben aber schon gegen Ende des Jahrhunderts in weit höheren Dimensionen: der Hamburgische (Unpartheyische) Correspondent bereits in den 1780er Jahren zu 20 000 Stücken, die Neuwieder Zeitung im Jahr 1792 in der Auflage von 14 000. 220 Swederus 1785 (Kungliga Biblioteket, L”nebibliotek, Stockholm). Zitiert nach G. Sahlin, Författarrollens förändring, 1989, S. 42.

Bürgerliche Öffentlichkeit und literarisches Leben

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Der Zensur und der Druckfreiheitsverordnung zum Trotz verzeichnen Arne Jarricks Untersuchungen der Bücherpublikation pro Jahrzehnt also einen steten Aufwärtstrend, wenngleich für die Regierungszeit Gustav III. eine deutliche Stagnation festzustellen ist.221 Hinsichtlich der Auflagen fehlt es an gesicherten Angaben,222 in der Forschungsliteratur werden immer wieder 500 Exemplare als durchschnittliche Normalauflage für diese Zeit angenommen.223 Natürlich unterschieden sich die Auflagen gemäß der Absatzerwartung; Stapelware wie die Bibel oder das Psalmbuch wurden in der Mitte des 18. Jahrhundert zu 16 000 bzw. 6000 Exemplaren gedruckt und der Almanach wurde 1785 in einer Auflagenhöhe von 294 000 Exemplaren publiziert.224 Trotz zunehmender Diversifikation des Büchermarktes war die Druckkapazität begrenzt: zwischen 1780 und 1809 wurden 11 572 Titel gedruckt.225 Die Verteilung auf die drei Jahrzehnte weist auf eine langsame, aber stetig zunehmende Produktion hin: 3 161 in den 1780er Jahren, 3 786 in den 1790er Jahren und 4 625 in den Jahren von 1800 – 1809.226 Eine genauere Betrachtung der statistischen Auswertung zeigt jedoch, dass die Buchproduktion beträchtlichen Schwankungen unterlag, und zwar in deutlicher Abhängigkeit von den politischen Umständen. Obwohl der schwedische Büchermarkt in Expansion begriffen war und gegen Ende des 18. Jahrhundert die vormals kritisch betrachteten Schriftsteller-Honorare zusehends als normal empfunden wurden,227 hatte 221 Die totale Buchproduktion pro Jahrzehnt wird von Jarrick, Mot det moderna förnuftet, 1992, S. 95, wie folgt beziffert: 1730 – 1739: 1164; 1740 – 1749: 2132; 1750 – 1759: 2117; 1760 – 1769: 3890; 1770 – 1779: 4848; 1780 – 1789: 3229; 1790 – 1799: 3890; 1800 – 1809: 4848; 1810 – 1819: 7171; 1820 – 1829: 7306. Derselbe: Borgare, sm”folk och böcker i 1700talets Stockholm. Auch die Anzahl der Buchhandlungen in Stockholm bezeugen eine Stagnation in den 1780er Jahren: 1750: 10; 1770: 18; 1780: 19; 1790: 15; 1800: 21 (siehe G. Sahlin, Författarrollens förändring, 1989, S. 26). 222 H. Östholm, Litteraturens uppodling, 2000, S. 96. 223 M. Björkman, Läsarnas nöje, 1992, S. 18. 224 Dies sind auch für deutsche Verhältnisse hohe Auflagen, wo Kalender häufig 5000 bis 15000, in einem Jahr auch einmal 35 000 Bände absetzen konnten (H.-U. Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte 1700 – 1815, 1987, S. 305). 225 Zum Vergleich: In Deutschland wurden in den Jahren 1786 bis 1800 jährlich 4000 Titel gedruckt; zeitgenössische Sachverständige haben das tatsächliche Angebot wesentlich höher eingeschätzt. Besonders vielgelesene Bücher waren Schillers Wilhelm Tell, welcher in wenigen Wochen 7000, und bis zum Ende des ersten Verkaufsjahres 10 000 Käufer fand, der Wallenstein wurde innerhalb von zwei Monaten 3500 mal verkauft. »Beliebte Romane von Jean Paul erreichten eine Auflage von maximal 4000 Bänden.« Das populär-pädagogische Lesebuch Der Kinderfreund von Rochow brachte es dagegen zwischen 1776 – 1780 auf 200 Auflagen mit über 100 000 verkauften Exemplaren (H.-U. Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte 1700 – 1815, 1987, S. 304 f). 226 M. Björkman, Läsarnas nöje, 1992, S. 44 f. 227 H. Östholm, Litteraturens uppodling, 2000, S. 94, erklärt die zunehmende Akzeptanz von Schriftstellerhonoraren einerseits mit ihrer Rechtmäßigkeit, andererseits mit der Unabhängigkeit, welche man mit der Schriftstellerei zu verbinden begann.

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Absolutismus, Aufklärung und Bürgertum in Schweden

sich die prekäre ökonomische Situation der Autoren nicht wesentlich verbessert. Im Übergang von der Abhängigkeit des Schriftstellers von einem Mäzenen zum »freien Schriftsteller« blieb die Abhängigkeit der Autoren natürlich bestehen: der Autor war jetzt abhängig vom Markt und dessen Gesetzen. Es gab kaum einen deutschen Autor dieser Zeit, der die Tücken des freien Marktes und die Launen des Publikums so gut durchschaute und darunter zu leiden hatte wie Schiller. Am einträglichsten waren für Autoren das Theater und die Zeitungspresse (Kellgren, Lenngren). Von der Kategorie des »Berufsautors« war man jedoch noch weit entfernt; man musste sich zumeist neben seiner schriftstellerischen Arbeit mit einem staatlichen oder kirchlichen Amt versorgen, nach 1800 bot die akademische Laufbahn vielen Autoren die Möglichkeit, materiell Fuß zu fassen (Tegn¦r, Geijer, Atterbom).228

6.

Die Aufklärung in Schweden

Es wurde bereits im Einleitungskapitel dargelegt, dass die Einschränkung der Aufklärung auf eine »Kampfgruppe« nach dem Vorbild Frankreichs schon deshalb inkonsistent ist, weil es in Frankreich keine Kampfgruppe gab, zumindest nicht in einer die schwedischen Verhältnisse übersteigenden Dimension. Ganz im Gegenteil scheint mir der Kampfwille in Schweden größer gewesen zu sein als in Frankreich: eine naheliegende Schlussfolgerung angesichts der unmittelbaren Auswirkung der aufklärerischen Anstrengung einzelner Protagonisten. Thorild und Höijer gingen ins Exil, Nordenskiöld und Ekmanson verließen das Land, Silverstolpe musste die Hauptstadt verlassen; allesamt eine Existenz in finanziellen Nöten fristend. Vergleichen wir das mit Frankreich, das lediglich einen bequemen Gefängnisaufenthalt des jungen Voltaire aufzuweisen hat, während welchem der später in der Nähe Genfs als Millionär und DichterFürst Residierende sein erstes Hauptwerk schreiben konnte. Aber selbst wenn man Frängsmyrs Definition als Maßstab nimmt, kommt man mit Notwendigkeit zum Schluss, dass es insbesondere in den 1790er Jahren eine schwedische Aufklärung gegeben hat: und zwar in Form von zwei »Gruppierungen«, die 1792 (Rabulisten) und ab 1795 (Junta) in Form von Zeitschriften an die Öffentlichkeit traten (siehe Kapitel IV und VI). 228 Siehe H.-U. Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte 1700 – 1815, 1987, S. 316: »Vor 1810 glich der unbemittelte freie Schriftsteller im Grunde dem handelskapitalistischen Verlagsarbeiter in seinem ländlichen Gewerbe. Der Verleger, der sich seine Autoren, Übersetzer und Korrespondenten selber suchte, Veröffentlichungspläne selber entwarf und realisierte, schloß ihn an den literarischen Markt an. Den abhängigen Schriftsteller nannte daher Nicolai ganz unverblümt ein Werkzeug, das seine eigenen Ideen auszuführen habe.«

Die Aufklärung in Schweden

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Frängsmyr und die gesamte schwedische Literaturgeschichtsschreibung bis hin zu Den svenska litteraturen (1988) nennt lediglich zwei Aufklärer in Schweden: Kellgren und Rosenstein, und fügt mit leichtem Zögern einen dritten hinzu: Leopold. Dementsprechend figurieren in den literaturgeschichtlichen Darstellungen die 1780er Jahre als flacher Gipfelpunkt der schwedischen Aufklärung,229 wie folgende Darstellung von Herbert Salu zeigt: So wie der Stockholmer Hof in parfümierter Seide rauschte, wie im ganzen »frohen Schweden« gepuderte Perücken nach französischer Art wogten, so waren auch in der Literatur dieselbe Eleganz und derselbe Leichtsinn vorherrschend. Die Poesie war farbund konturlos, unpersönlich und arm an Problemen. Die Vorbilder der Dichtung waren einseitig und die Fenster für alle Einflüsse außer denen aus Frankreich geschlossen. Die Atmosphäre zwischen Seidentapeten und Vorhängen war dumpf. In dieser Welt der aristokratischen Literatur bewegten sich elegante, leichtsinnige Damen und galante, unbedeutende Kavaliere, die sich mit nichtigen Dingen beschäftigen, intrigierten und flirteten.230

Gepuderte Perücken, Seidentapeten, leichtsinnige Damen, unbedeutende Kavaliere – dies mag dahingestellt bleiben, aber »farb- und konturlose« Poesie, »arm an Problemen«, »unpersönlich« – das sind keine der Zeit angemessene Epitheta. Kaum eine Epoche der schwedischen Literaturgeschichte war so reich an originellen und selbständigen Literaten und Kritikern wie die gustavianische: Bellman, Thorild, Kellgren, Ehrensvärd, Oxenstierna, Lidner, Adlerbeth, Leopold, Rosenstein und Gustav III. selbst sind nur die markantesten Namen einer an Persönlichkeiten reichen Epoche. Gerade die 1780er Jahre erscheinen im Rückblick zusammen mit dem Beginn der 1790er Jahre als die vitalsten in Sachen Polemik, Streitlust und literarischer Kritik.231 Der Voltairestreit (1778 – 82),232 Pehr av Lunds politische Opposition in Dagbladet: Wälsignade TryckFriheten (dt. Tagblatt: Gesegnete Druckfreiheit, 1781 – 84),233 Thomas Thorilds radikale politische und ästhetische »Fronderie« (von Thorild selbst so genannt) in Den nye granskaren (1784),234 Leopolds Auseinandersetzung mit Regn¦r (1785 – 88)235 und der Streit Pro sensu communi (1787)236 bezeichnen lediglich 229 »De flesta som skrivit om svensk upplysning, men inte alla, brukar vara överens om en sak, nämligen att höjdpunkten n”ddes med Kellgren och Rosenstein« (T. Frängsmyr, Sökandet efter upplysning, 2006, S. 171). Siehe auch Den svenska litteraturen: Upplysning och romantik, II, S. 15 f, sowie ISLH, III, S. 74; ISLH, IV, Kyrkan och upplysningen. 230 H. Salu, Seid umschlungen Millionen!, 1968, S. 88 f. 231 Auch Malmström bezeichnet diese Epoche als besonders »lebendig« (Grunddragen af svenska vitterhetens historia, II, S. 204, 334 ff, in: Samlade Skrifter, 1866 – 1869). 232 S. Ek, Kellgren, I, 1965, S. 234 – 272. 233 M. Nyman, Press mot friheten, 1988, S. 66 ff. 234 S. Arvidson, Harmens diktare. Thorild, II, 1993, S. 90 – 155. 235 O. Holmberg, Leopold och Gustaf III, 1954, S. 243 – 248. 236 S. Ek, Kellgren, II, 1980, S. 137 – 213.

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die Höhepunkte einer unaufhörlichen Polemik und Kritik in ästhetischen und politischen Fragen, die alles andere als »nichtig« waren. Die einschlägigen Literaturgeschichten interessierten sich vor allem für die von Kellgren und Rosenstein geführte Kampagne Pro sensu communi (1787 – 1790) gegen unterschiedliche Formen des Okkultismus, der Ordensmystik und der Schwärmerei, zu welchen auch Thorild und seine »Sekte« gerechnet wurden. Der unmittelbare Anlass dieser Polemik war die Bildung einer Exegetischen und Philanthropischen Gesellschaft Ende 1786, die Kellgren als Zentrum des Aberglaubens der Zeit verstand. Hinter der Gesellschaft stand vor allem Carl Fredrik Nordenskiöld, und das Anliegen war die Verbreitung von Swedenborgs Schriften. Kellgren und Rosenstein erlebten diesen von höchster Stelle geduldeten und geförderten »Rückfall« in den Okkultismus als eine Gefahr und eine Bedrohung der Vernunft. In einer Satire im Geiste Voltaires, 1787 in StP (Nr. 1) publiziert, wurde die Gründung der Gesellschaft Pro sensu communi mitgeteilt, die es sich angelegen sein ließ, die Vernunft zu verteidigen. Die fiktive Gesellschaft hatte freilich nur zwei Mitglieder, nämlich Kellgren und Rosenstein, und diente lediglich als Ausgangspunkt weiterer satirischer Ausfälle. Die Kampagne kulminierte im Oktober desselben Jahres mit Kellgrens Gedicht Man äger ej snille för det man är galen (dt. Man ist nicht genial, nur weil man verrückt ist), in welchem er sogar einen Polizeieinsatz gegen die von ihm so benannte »Sekte« forderte. Was in den Literaturgeschichten dagegen häufig veschwiegen wird, ist, dass sich Nordenskiölds Aktivität keineswegs auf obskurantistische Umtriebe reduzieren lässt. In seiner Zeitung Medborgaren wies er auf den Widerspruch hin, dass der Aufklärer Kellgren gegen das Toleranzprinzip der Aufklärung verstoße. Nordenskiöld verstand sich selbst als radikaler Aufklärer und hatte am 23. Januar 1790 in Medborgaren einen Artikel über Menschenrechte publiziert, der großes Aufsehen erregte. Die Ausgabe, in welcher Nordenskiöld äußert, dass das Volk nicht die Pflicht hat, einem Fürsten zu gehorchen, der seine Macht missbraucht, wurde 1500 mal verkauft, eine Auflage, die an diejenige der größten Zeitungen Dagligt allehanda und StP heranreichte. Neben der Kampagne Pro sensu communi wird Kellgrens Aufklärungs-Gedicht Ljusets fiender (dt. Die Feinde des Lichts, 1792) und Rosensteins 1789 in der Wissenschaftsakademie gehaltene und 1793 gedruckte Rede über die Aufklärung, Försök til en afhandling om uplysningen (dt. Versuch einer Abhandlung über die Aufklärung), als weiterer Höhepunkt der schwedischen Aufklärung angesehen. Kellgrens Gedicht, das Aufklärungsideale verteidigt, das Streben nach einer Gesellschaft, in welcher Freiheit und Gleichheit walten – nicht jedoch die Grausamkeit der Revolution und des Terreurs – wurde als bedeutendstes Dokument der schwedischen Aufklärung bezeichnet. Martin Lamm z. B. spricht von Kellgrens »großem Aufklärungsgedicht«, für das es in keinem anderen Land ein Pendant gebe. Dieses Credo ist bezeichnend für eine Literaturwissenschaft,

Die Aufklärung in Schweden

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die sich ganz auf das politisch moderate Dichten und Denken der Parnassschriftsteller konzentriert hat.237 Ich möchte im Folgenden die Punkte benennen, die meines Erachtens in der Sichtweise der schwedischen Aufklärung einer Korrektur bedürften und die in meine Arbeit einfließen: – Die personenfixierte Darstellung der Aufklärung (siehe Frängsmyr : »Wir hatten Kellgren, Rosenstein […]«), welche sich bis zu Den svenska litteraturen (1988) hinstreckt, müsste zugunsten einer soziologischen, die gesellschaftlichen Prozesse berücksichtigenden Darstellung aufgegeben werden. Hier lässt sich nämlich die Entstehung einer bürgerlichen Öffentlichkeit beobachten (siehe oben) mit ihren Institutionen (Leihbibliotheken, Lesegesellschaften etc.), Zeitschriften, dem Phänomen des extensiven Lesens und dem den Marktgesetzen unterworfenen Schriftsteller.238 – Aus ideengeschichtlicher Perspektive wäre der Zusammenhang der Empfindsamkeit, des Freimaurertums und des Sturm und Drang mit der Aufklärung zu sehen.239 Dann würde nämlich z. B. auch Thorild, ohne Zweifel der radikalste Aufklärer in Schweden, ins Blickfeld rücken.240

237 Von manchen Forschern wird bezeichnenderweise insinuiert, dass die Verschärfung der Druckfreiheitsverordnung diesem Gedicht geschuldet sei. Dabei ist es offensichtlich, dass sie im Zusammenhang mit der radikalen Schrift Thorilds steht, die gleichzeitig herauskam, und gegen den dann auch ein Prozess in Gang gesetzt und der des Landes verwiesen wurde. Siehe O. Hägerstrand, »Juntan« som realitet och hörsägen, 1995, S. 18 f. Lediglich NISLH, II, S. 472, konstatiert, dass Kellgren Thorild und seine Anhänger als »neue Sekte« und als Aufklärungsgegner bezeichnete, während doch eigentlich Thorild und seine Anhänger als radikaler Flügel der Aufklärung zu betrachten sind. Diese Aussage der Literaturgeschichte steht allerdings im Widerspruch zu einer anderen (S. 357), wo Rosenstein und Kellgren als die einzigen Aufklärer Schwedens bezeichnet werden. 238 Magnus Nyman hat mit ausdrücklichem Hinweis auf die Aufklärungs-Debatte in Schweden aufklärerische Tendenzen in der Presse der Zeit untersucht; ohne an die AufklärungsDiskussion anzuknüpfen hat Margareta Björkman den Leihbibliotheken eine materialreiche Monographie in der empirisch-positivistischen Tradition gewidmet. Solche einzelne Momente eines Prozesses hervorzuheben, den man »Aufklärung« oder die »Entstehung einer bürgerlichen Öffentlichkeit« nennen mag, können freilich nicht eine bislang fehlende Gesamtschau ersetzen, welche sämtliche Elemente dieses »großartigen soziokulturellen Mobilisierungsprozesses« begreifen würde: das Vordringen öffentlicher Bildungsinstitutionen, die Vermehrung eines hierarchisch gestaffelten Lesepublikums, die intellektuell anspruchsvollen Debatten in den elitären Zirkeln, die Entfaltung einer kleinen, aber kritisch disputierenden Öffentlichkeit, die verbesserte Versorgung mit Information und Lektüre und vieles mehr«. Das gemeineuropäische Phänomen löste altüberkommene Vorstellungen und Verhaltensweisen auf und öffnete neue Horizonte des Denkens und sozialen Zusammenlebens«, wobei als durchlaufender Grundzug eine Verdichtung der Kommunikation zu erkennen ist. H.-U. Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte 1700 – 1815, 1987, S. 304 f. 239 Der Zusammenhang zwischen Empfindsamkeit und der Emanzipation des Bürgertums wird heute weitgehend unisono gesehen. Die Gegenthese von der antibürgerlichen Empfindsamkeit wurde vor allem in Arbeiten der Alewyn-Schule vertreten. Siehe G. Sauder, Empfindsamkeit, 1974, S. 13. Zur Kritik R. Alewyns an Sauders Empfindsamkeits-Thesen

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– Abschied zu nehmen wäre von einer Sichtweise, die den Streit Pro sensu communi als bedeutendste kulturelle Debatte im Geiste der Aufklärung und das Gedicht Ljusets fiender alleine deshalb als bedeutendste Aufklärungsschrift sieht, weil Kellgren einer der wenigen Produzenten von Höhenkammliteratur war. Stattdessen wäre die simple Einsicht zu erwägen, dass Aufklärung auch in mittelmäßigen Köpfen stattfinden kann. Wichtig ist jedoch auch festzuhalten, dass zu Beginn der 1780er Jahre in Zeitschriften von Cederhjelm, af Lund und Thorild der Obrigkeit mit einer Frechheit die Stirn geboten wurde, die viel mehr der Erwähnung und Würdigung verdiente, als die von relativ sicherer Position herab veranlassten Kulturdebatten. – Eine zeitliche Ausweitung der Aufklärung nach vorne wäre den schwedischen Verhältnissen eher angemessen. Die zeitliche Begrenzung auf das Jahr 1792, also ausgerechnet das Jahr, in dem Gustav III., der größte Verhinderer der Aufklärung, das Regierungszepter aus der Hand gab, ist gänzlich unmotiviert und geschieht offensichtlich lediglich aus Gründen der Tradition, welche ihn mit der Aufklärung verbunden hat. Dann kämen nämlich die Rabulisten und die Junta in den Blick, ohne Zweifel die aufklärerischsten Tendenzen in Schweden überhaupt. Vieles spricht tatsächlich dafür, die Jahre 1792 bis 1800 als den Höhepunkt der schwedischen Aufklärung zu betrachten, in welcher dieselbe ihren kritischen Zustand erreicht. Laut Koselleck treten die Literatur und die literarische Kritik über die ihnen zugedachten Ufer hinaus und richten ihr kritisches Potenzial auf die bestehenden politischen und sozialen Verhältnisse. Genau dieser Zustand ist im Spätherbst 1792 mit Reuterholms Übernahme der Regierungsgeschäfte und der Ausfertigung der neuen Druckfreiheitsverordnung erreicht, wie zuvor dargelegt worden ist. Aus unerfindlichen Gründen ist die unerhörte Konzentration republikanisch gesinnter Schriften im Jahr 1792 ein weitgehend unberücksichtigtes Phänomen in der schwedischen Forschung. Nicht nur die Offenheit und Frechheit, mit welcher politische Ansinnen zum Ausdruck gebracht wurden, auch die nie dagewesene und schiere Menge solcher Zeitschriften legen nahe, diesen Zeitpunkt als den der »Krise« (in Kosellecks Sinne), als Höhepunkt der schwedischen Aufklärung zu betrachten. Schiller wird, wie zu zeigen sein wird, genau in diesem Kontext massiv rezipiert. Im April 1792 – also noch vor der Ausfertigung der siehe G. Sauder, Die andere Empfindsamkeit, in: Das Projekt Empfindsamkeit und der Ursprung der Moderne, 2005, S. 103 – 112. 240 Über die Bedeutung der Freimaurer, welche den Mitgliedern einen »geheimen Innenraum« boten, für die Entstehung und Verbreitung aufklärerischen Gedankenguts kann heute kein Zweifel mehr bestehen. Siehe z. B. die Darstellung bei H.-U. Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte 1700 – 1815, 1987, S. 322 ff.

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neuen Druckfreiheitsverordnung – publizierte L. M. Philipson eine freche Broschüre mit dem Titel Bevis at det s” kallade bevis för ärftligt adelskap är intet bevis (dt. Beweis dafür, dass der sogenannte Beweis für einen erblichen Adel kein Beweis ist). Es handelte sich dabei um eine polemische Stellungnahme zu einem Artikel Kellgrens, der in einer Ausgabe der StP bereits 1791 Zibets Antrittsrede in der Schwedischen Akademie im Jahre 1790, in welcher dieser die Sonderrechte des Adels zu verteidigen wusste, gelobt hatte. Im Sommer und Herbst 1792 wurden eine Reihe von Zeitschriften herausgegeben (siehe Kapitel IV), die unaufhörlich die Grenzen der Liberalität erprobten. Hinzu kamen im Herbst 1792 die Übersetzung von Paynes Rights of Man, die bis dahin verboten war, die Publikation von Nils von Rosensteins Rede über die Aufklärung Försök till en avhandling om upplysningen, die Bildung von mehreren Jakobinerklubs, von denen auch ausländische Zeitungen berichteten, und schließlich Thorilds provokative Schrift Om det allmänna först”ndets frihet (dt. Über die Freiheit des allgemeinen Verstandes), wo für die Priorität der Vernunft vor aller durch Herkunft gegebener Autorität argumentiert wird. Nach der Verhaftung Thorilds und der öffentlichen Verwarnung wegen eventueller Verstöße gegen die Druckfreiheitsverordnung am 21. Dezember 1792 bildeten sich in Uppsala Konvente, in denen Studenten im Namen der Aufklärung, der Vernunft und der Freiheit Reden hielten. Einige Wochen später publizierte Axel Gabriel Silverstolpe einige Artikel in StP mit dem Titel Reflexioner om Frihet och Jämlikhet (dt. Reflexionen über Freiheit und Gleichheit), die so nachgefragt wurden, dass die Zeitung noch einmal gedruckt werden musste. Ab 1795 tritt die Junta mit Litteratur-tidning an die Öffentlichkeit ab 1797 gesellen sich wichtige aufklärerisch gesinnte Zeitschriften wie Adlersparres Läsning i blandade ämnen sowie das Journal för prester hinzu, allesamt bemüht, der von offizieller Seite angefeindeten und mit der verpönten Aufklärung und Revolution in Zusammenhang gebrachten Kant’schen Philosophie eine Bresche zu schlagen (siehe Kapitel VI). Die in Schweden häufig als »Kulturkampf« bezeichnete Auseinandersetzung Pro sensu communis wandte sich nicht gegen die Obrigkeit, sondern gegen schwärmerische Außenseiter. Sie hatte auch keine negativen Folgen für Kellgren. Die Rabulisten dagegen, die Junta, Thorild und andere opferten ihre Karriere und wurden aufgrund ihrer Forderung nach Freiheit und Gleichheit in die Landesflucht getrieben.

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7.

Absolutismus, Aufklärung und Bürgertum in Schweden

Religion und Säkularisierung

Religionsfreiheit ist laut Habermas »geschichtlich die erste Sphäre privater Autonomie« und steht damit am Anfang einer Ausdifferenzierung von privat und öffentlich.241 Ob das Zustandekommen des Toleranzedikts 1781 in Schweden hauptsächlich Gustav III. Verdienst war und ob es ohne das resolute und absolute Vorgehen des Königs an der Skepsis der Majorität der maßgeblichen Theologen gescheitert wäre, ist umstritten.242 Die Diskussion über die Toleranz hatte ihren Ursprung vor allem in Voltaires 1763 publiziertem Trait¦ sur la Tol¦rance und in Schweden bereits vor 1781 Teile der Priesterschaft erreicht, welche sich für eine erweiterte Religionsfreiheit aussprachen. Im Prinzip garantierte das Edikt im ganzen Reich völlige Religionsfreiheit, allerdings mit der wichtigen Einschränkung, dass die freizügige Verordnung nur für diejenigen Gültigkeit hatte, die eingewandert waren. Gustav III. bewies jedoch, dass er eine weitherzige Interpretation der Verordnung vorsah, als es zu einer Klage gegen pietistische und schwärmerische Bewegungen kam, indem er ein konsequentes gesetzliches Vorgehen gegen einzelne Gruppen verhinderte. Die Idee der Toleranz gegenüber andersgläubigen Gruppen war jedoch ohne Zweifel noch Sache einer aufgeklärten Minorität. Dies zeigt Arne Jarricks mentalitätsgeschichtliche Studie über Johannes Hjerpe, ein in vielerlei Hinsicht aufgeklärter – wenn auch und paradoxerweise in mancher Hinsicht aufklärungsfeindlicher (weil die Aufklärung mit Voltaire identifizierend) – Kleinbürger und Zeitgenosse Kellgrens und Gustav III. Jarrick kann in den Tagebüchern Hjerpes auf Reflexe der Toleranzdiskussion um 1780 hinweisen, muss jedoch gleichzeitig konstatieren, dass dieser, obwohl selbst einer verfolgten Bewegung angehörend, nicht besonders tolerant war. Als auffällig in diesem Zusammenhang ist die gänzliche Abwesenheit des durchaus modischen Schlagwortes »Toleranz« in Hjerpes Aufzeichnungen zu konstatieren.243 Eine um Schadensbegrenzung bemühte Religionskritik im Geiste Voltaires findet sich in Schweden lediglich bei Johan Henrik Kellgren – auch sein moderater Nachfolger in Sachen Aufklärung, Leopold, vertrat einen zwar aufklärerisch-deistischen, aber gleichwohl religionsfreundlichen Standpunkt (siehe Kapitel V). Weder die Junta, die Rabulisten, noch Thorild vertraten eine vom Materialismus herkommende religionskritische Meinung wie die Enzyklopädisten oder gar einen virulent religionskritischen Standpunkt wie Helv¦tius und La Mettrie.244 Im Fokus der Anstrengungen der genannten Personen stand 241 242 243 244

J. Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit, 1990, S. 67. Im Gegensatz dazu ISLH, S. 86. A. Jarrick, Mot det moderna förnuftet, 1992, S. 144 – 150. Siehe P. Kondylis, Die Aufklärung im Rahmen des neuzeitlichen Rationalismus, 2002, S. 518 – 536; P. Blom, Böse Philosophen, 2010.

Religion und Säkularisierung

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vielmehr die »Freiheit« und »Gleichheit« sowie die freie Meinungsäußerung. Viele der in dieser Arbeit behandelten und für die Schiller-Rezeption relevanten Autoren sind Geistliche (Franz¦n, Tegn¦r, Geijer, Wallin), Anhänger einer aufgeklärten Glaubensrichtung (Leopold, Beth¦n) oder eines »neu-platonischen« Christentums (Hammarsköld, Atterbom). Die aufklärerische Spitze der genannten Bewegungen und Personen (Rabulisten, Junta, Thorild) richtete sich hauptsächlich gegen die weltliche Obrigkeit im Namen der Freiheit und Gleichheit. In den skandinavischen Ländern ging die Aufklärung also eine Symbiose mit der Priesterschaft ein, die auf das den Menschen Praktische und Nützliche sann und die sich als Reformer, Amateurwissenschaftler und Agenten der Volksaufklärung betätigte. Laut Witoszek ist es gerade diese »modifying presence of Christianity«, dieses typisch nordische »pastoral Enlightenment«, das die Eigenart der skandinavischen Aufklärung ausmacht und das »Swedish disdain of the rebellion gesture« erkläre. In radikalem Kontrast zu Frängsmyr, der keine Aufklärung für Schweden gelten lassen will, erklärt Witoszek geradezu: »The Enlightenment remains what may be called the founding tradition of Scandinavian cultures […].«245 Die schwedischen Aufklärer waren also weder religionsfeindlich eingestellt noch befürworteten sie Materialismus oder gar Nihilismus, vielmehr hat Kondylis’ Darstellung der deutschen Verhältnisse auch für Schweden ihre Gültigkeit: Die lauwarme Rehabilitation der Sinnlichkeit durch die deutsche Popularphilosophie muß m.a.W. im Hinblick auf das geistige Gesamtspektrum anders eingestuft werden als ähnliche Erscheinungen in Frankreich, wo sich die Rehabilitation der Sinnlichkeit in manchen Fällen bis zum Materialismus oder gar zum Nihilismus steigert. Gerade das Fehlen solcher Ansätze fällt an den deutschen Aufklärern auf; einen Deutschen Toland, Mandeville oder auch nur Hume gibt es nicht, von einem Deutschen La Mettrie oder Holbach ganz zu schweigen, während gleichzeitig westliche ›Freidenkerei‹ auf mehr oder wenige Ablehnung stößt […] Als Kehrseite oder notwendiges Korrelat des Fehlens von Materialismus und Nihilismus in der deutschen Aufklärung darf man zweifelsohne

245 N. Witoszek, Fugitives from Utopia: The Scandinavian Enlightenment reconsidered, 1997, S. 73. Erneut machen sich hier Ähnlichkeiten zwischen Deutschland und Schweden bemerkbar, welches letzteres aber in theologischen Fragen schon immer von Deutschland abhing: »Überhaupt hat die Aufklärung in den deutschen Protestantismus mächtig hineingewirkt. Der einflußreiche theologische Rationalismus als eine der Erscheinungen des großen gemeineuropäischen Säkularisierungs- und Rationalisierungsprozesses beweist das vom späten 18. Jahrhundert bis hin zur systematischen Bultmannschen Bibelkritik der Gegenwart. Die staatsfreundliche Form der deutschen Aufklärung hat im Prinzip die Wichtigkeit der Religion als Stütze der Moral bereitwillig anerkannt, die Dogmen der etablierten Theologie aber völlig in Frage gestellt, im Ergebnis zumindest auch kräftig aufgelockert« (H.-U. Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte 1700 – 1815, 1987, S. 274 f). Siehe auch SVH, I, S. 29: »Religionsfientligheten höjde icke här sin röst, om än religiös likgiltighet icke var sällsynt.«

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Absolutismus, Aufklärung und Bürgertum in Schweden

ihr ›lebendigeres Verhältnis zur Religion‹ und letzteres sogar als ihr Spezifikum bezeichnen.246

Parallel zur sukzessiven Assimilation von aufklärerischem Gedankengut bei der Priesterschaft machten sich im Volk Säkularisierungstendenzen bemerkbar und man hatte von theologischer Seite die zunehmende religiöse Indifferenz und die Freidenkerei im Geiste Voltaires zu beklagen.247 Dass eine langsame, gewissermaßen evolutionäre Aufklärung, im Gegensatz zur revolutionären in Frankreich, stattgefunden hat und welch durchschlagende Wirkung sie gehabt hat, wird deutlich mit Blick auf die jungen Romantiker zu Beginn des neuen Jahrhunderts, die, allesamt unberührt von der gustavianischen Hof- und Hauptstadtkultur in einem ländlichen Milieu aufgewachsen, nach Uppsala und Stockholm kamen, und, von der aus ihrer Sichtweise verdorbenen, französisierten und mondänen Welt entsetzt, den Materialismus der Aufklärung kritisierten.248 Die Aufklärung hatte nach Meinung der Romantiker eine weitaus größere Ausbreitung als man später angenommen hat. Unisono beklagten die Romantiker (Hedborn, Atterbom, Hammarsköld) Atheismus und Materialismus, welche sich im Gefolge der Aufklärung ausgebreitet hätten: Das 18. Jahrhundert erklärte dies als sein Ziel, als seinen höchsten Grundsatz, und die Religion selbst, zu einer populären Glückseligkeitslehre verwandelt, wurde von ihren öffentlichen Verkündern so dargestellt, als ob sie einzig gebot Tugend und Sittlichkeit als Kapital zu betrachten, etwas, das man auslieh, um Wohlfahrt in diesem und Seligkeit im kommenden Leben zu gewinnen. Schließlich wurde auch dieser schwache Abglanz der Religion nicht nur für unnötig erklärt, als ein gewissermaßen schädlicher Aberglaube, seit Frankreichs Enzyklopädisten ihre sogenannte Aufklärung verkündet haben, gemäß welcher der Mensch als eine aus materiellen Teilen zufällig zusammengesetzte Maschine erklärt wurde, […] weshalb Selbstliebe als der einzige rechte Grund aufgestellt wurde für alle ihre Handlungen […]249

Diese von Frängsmyr in Bezug auf Jarricks Mentalitätsuntersuchung genannte »folkloristische« Sichtweise der Aufklärung ist keineswegs ein »entfliehendes Wesen«, dessen »Konturen man schwerlich sehen kann«,250 sondern hatte sehr konkrete Auswirkungen: zu Beginn des 18. Jahrhunderts fanden noch Hexenprozesse statt, am Ende des Jahrhunderts herrschte Religionsfreiheit. Obwohl auch gerade die Ära Gustav III. die Säkularisierung, die Freidenkerei und die neologische Theologie begünstigt hatte, boten die 1790er Jahre kein eindeutiges Bild. Nach wie vor machten sich Orthodoxe und vor allem aufgeP. Kondylis, Die Aufklärung im Rahmen des neuzeitlichen Rationalismus, 2002, S. 538. Handbok i svensk kyrkohistoria, II, 1940, S. 195. Svenska kyrkans historia, VII:2, Neologien, Romantiken, Uppvaknandet, 1809 – 1823, 1946. L. Hammarsköld, Teleologiska betragtelser öfver verlds-historien, S. 32. Zitiert nach A. Jarrick, Mot det moderna förnuftet, 1992, S. 141. 250 T. Frängsmyr, Sökandet efter upplysningen, 2006, S. 79.

246 247 248 249

Zusammenfassung

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klärte Orthodoxe geltend, wenngleich die Neologie und die religiös verinnerlichte pietistisch-herrenhuterische Orthodoxie gegen Ende des Jahrhunderts zusehends an Terrain gewannen.251 Die theologische Diskussion der Zeit begab sich von den geschlossenen Lehrsälen in alte und vor allem neu entstandene Presseorgane, wie StP und Extra Posten. Ab 1795 – 97 kamen die bedeutenden Zeitschriften Litteratur-tidning, Läsning i blandade ämnen sowie Journal för prester hinzu, in welchen Beiträge zu theologischen Themen und aktuellen religiösen Problemen öffentlich diskutiert wurden.

8.

Zusammenfassung

Die siebzehn Jahre von 1792 (Tod Gustav III.) bis 1809 (Absetzung Gustav IV. Adolf) figurieren in historischen und literaturgeschichtlichen Zusammenhängen als »Eisenjahre« und werden je nach zu betrachtendem Phänomen als Fortsetzung der »gustavianischen Zeit« oder als »Präludium der Romantik« gesehen. Besonders im literaturgeschichtlichen Kontext fällt die Behandlung dieser Zeit als entit¦ negligeable auf: Zwischen den zwei goldenen Epochen der schwedischen Literaturgeschichte, die gustavianische bis 1792 und die romantische ab 1809, klafft eine Lücke. Eine solche Darstellung hat natürlich aus traditioneller literaturwissenschaftlicher Sicht ihre Berechtigung: Die bedeutendsten Parnassisten sind tot (Gustav III., Kellgren, Bellman), und ihr gewichtigster Gegner Thorild wird 1792 des Landes verwiesen. Gleichwohl verdient diese Phase der schwedischen Kultur- und Sozialgeschichte nicht nur eine besondere, sondern eine privilegierte Aufmerksamkeit in politischer, kultureller und soziologischer Hinsicht. In politischer Hinsicht finden in dicht gedrängter Folge drei Regierungswechsel statt, zwei davon mit Gewalt. Der vagen Bezeichnung »gustavianische Zeit« wurde durch die dreiteilige Gliederung in »Absolutismus« (Gustav III.), »Revolution« (Reuterholm) und »Reaktion« (Gustav IV. Adolf) deutlichere Konturen verliehen, die etwas vom Geist der Zeit verraten mögen, wenngleich diesen Begriffen im Kontext der hier vorliegenden Arbeit keine heuristische Funktion zukommt. Die Dreiteilung dient lediglich der berechtigten Gliederung einer historischen Phase, die mehr Aufmerksamkeit verdient, als es mit der gleichmacherischen und personenbezogenen Bezeichnung »gustavianische Zeit« geschieht. Die Ära Gustav III. ist gekennzeichnet durch eine sukzessive Selbstermächtigung des schwedischen Königs bei gleichzeitig aufklärerischer Reformbereitschaft in den nicht das Machtzentrum tangierten Bereichen. Der Entreakt Reuterholms vollzieht sich unter Reformerwartungen, in manchen 251 Handbok i svensk kyrkohistoria, II, 1940, S. 218 ff.

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Absolutismus, Aufklärung und Bürgertum in Schweden

Fällen gar Revolutionserwartungen größerer Bevölkerungsteile. Unter Gustav IV. Adolf macht sich die Reaktion gegen die mit der französischen Revolution verbundenen liberalen Tendenzen bemerkbar. Die schwedische Entwicklung der Druckfreiheit, welche während der gesamten Regierungszeit Gustav III. sukzessive wieder eingeschränkt wurde, verläuft in umgekehrter Richtung zur Liberalisierung der Druckfreiheit in anderen europäischen Ländern. Lediglich sein Ehrgeiz, als Aufklärungsmonarch zu gelten, hinderte Gustav III. an der Einführung einer Totalzensur. In kultureller Hinsicht findet im besagten Zeitraum ein Umpolen der Ausrichtung vom Französischen auf das Deutsche statt – immerhin nach eineinhalb Jahrhunderten französischer Kulturdominanz (siehe Kapitel III). Ohne Zweifel ist die Behauptung Hammarskölds, dass es die Romantiker waren, die ein Umpolen des profranzösischen Kulturlebens auf ein prodeutsches bewirkt hätten, nicht nur deshalb falsch, weil dieser Wechsel sich bereits eine Generation früher, zu Beginn der 1790er Jahren, vollzog, sondern auch, weil das kulturelle Umpolen einer solchen Dimension kaum der Ausfluss des Wirkens einiger Personen sein kann, sondern vielmehr Folge von weiter zu fassenden kulturell, politisch und sozial bedingten Pendelausschlägen im geistigen Leben eines Landes. Zudem wurde nach 1789 Schwedens Verhältnis zu Frankreich schwierig, weshalb die Gemeinsamkeiten zwischen dem skandinavischen Land und Preußen/Deutschland, die immer bestanden hatten – z. B. in religiöser Hinsicht –, wieder in den Vordergrund treten konnten. In der Geschichtsschreibung, deren Seismographen nur bei schweren Geschützen auszuschlagen pflegen, wird die Umorientierung häufig später, ungefähr 1807 – 1809, angesetzt: die nationale Demütigung der beiden Länder durch Napoleons Sieg (1807) und Schwedens Verlust Finnlands an Russland (1809); die Entstehung eines Nationalgefühls sowie einer Nationalromantik; die Beschneidung der königlichen Gewalt durch konstitutionelle Reformen – in Preußen durch Freiherr von Stein 1807 – 1808 und in Schweden durch den Staatsputsch 1809. In den Geschichtsbüchern besteht also ebenso wie in den Literaturgeschichten die Tendenz, die Wende von einem französischen zu einem deutschen Kultureinfluss auf das Jahr 1809 zu legen, während die Umorientierung bereits zwei Jahrzehnte früher erfolgte. Nichts legt beredteres Zeugnis davon ab als die langen Aufenthalte Gustav IV. Adolf in Deutschland, während Gustav III. Deutschland lediglich als Transitstrecke gesehen hatte. In soziologischer Hinsicht sind diese Jahre durch eine beschleunigte Entwicklung hin zu einer bürgerlichen Öffentlichkeit gekennzeichnet, wenngleich Formen der repräsentativen Öffentlichkeit intakt bleiben. Gerade für den hier betrachteten Zeitraum wurde in der schwedischen Literaturwissenschaft die Abfolge von drei Phasen der Öffentlichkeit vorgeschlagen, ein wichtiger Hinweis auf die Beschleunigung gesellschaftlicher Veränderungen. In literatursoziolo-

Zusammenfassung

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gischer Hinsicht ist für diese Periode der Übergang vom intensiven zum extensiven Lesen sowie vom Hofpoeten zum freien Schriftsteller zu konstatieren, eine Entwicklung, die sich sowohl in der periodischen Presse als auch in der Buchpublikation vollzogen hat. Besonderes Gewicht wurde auf die These gelegt, dass es nicht nur (im Gegensatz zu Frängsmyrs Thesen) eine schwedische Aufklärung gegeben hat, sondern dass diese ihren Höhepunkt in den sogenannten Eisenjahren (ca. 1792 – 1809) erreichte. Diese These ist in der Folge von besonderer Bedeutung, da es ein Hauptanliegen dieser Untersuchung ist, zu zeigen, dass sich die Schiller-Rezeption nicht hauptsächlich in einem romantischen Kontext vollzog, sondern zuerst und vor allem im Rahmen der Aufklärung. Aus dieser Zeit stammen nicht nur die wichtigsten Dokumente der schwedischen Aufklärung; vielmehr scheint gerade in den Jahren nach 1792 die schwedische Aufklärung nach der hier vertretenen Auffassung in eine heiße Phase einzutreten, d. h. in die Phase der Kritik, wie sie von Koselleck in Kritik und Krise verstanden wird. Eine konkrete Wirkung der Aufklärung in Schweden ist das von Gustav III. veranlasste Toleranzedikt 1781. In der Theologie machten sich zusehends neologische Tendenzen bemerkbar, theologische Probleme wurden auf hohem Niveau in aufklärerischen Zeitschriften wie Litteratur-tidning, Läsning i blandade ämnen und Journal för prester diskutiert, in breiten und volksnäheren Kreisen machten sich Säkularisierungstendenzen bemerkbar. Gleichwohl ist zu unterstreichen, dass sich die Aufklärung in Schweden eben nicht im Gegensatz zur Religion positionierte – etwa im Kleide einer ätzenden Religionskritik — la Helv¦tius, wie Frängsmyr es sich anscheinend als für die Aufklärung unabdingbar vorstellt –, sondern Hand in Hand ging mit dieser, so dass die Aufklärung in Schweden als »pastorale« bezeichnet worden ist.

Kapitel III: Deutsche Sprache und Kultur in Schweden

Wahlverwandtschaft war die im Herbst 1997 im Deutschen Historischen Museum in Berlin eröffnete Ausstellung mit dem erklärenden Untertitel Skandinavien und Deutschland 1800 bis 1914 benannt.252 Der sinnreiche Titel der Ausstellung, welche die kulturellen und geistesgeschichtlichen Wechselwirkungen zwischen Skandinavien und Deutschland zum Thema hatte, ist selbst ein Produkt des Wechselspiels der beiden Kulturräume. Hatte doch 1775 der schwedische Chemiker Torbjörn Bergman eine Schrift mit dem Titel De attractionibus electivis vorgelegt, die auch die Aufmerksamkeit Goethes erregte, der das von ihm aus dem Lateinischen übersetzte Kunstwort »Wahlverwandtschaften« 1809 zum Titel eines Romans machte, welcher das von Bergman beobachtete Prinzip der Anziehung und Abstoßung gewisser chemischer Elemente in den Bereich sozialer Komplexe überführte. Solchermaßen entstammt das Wort »Wahlverwandtschaft« der Wechselwirkung des schwedischen und des deutschen Kulturraums. Wobei Geben und Nehmen unentwirrbar ineinander verschlungen sind, da das neu gebildete und in neuem Kontext eingesetzte Wort wieder in den Norden überführt und dort seinerseits produktiv werden konnte. Der intensive Austausch der skandinavischen und der deutschen Kultur und die enge Beziehung dieser Kulturen ist freilich älteren Datums und ging in unterschiedlichen Schüben und mit Unterbrechungen vonstatten. Bereits im ausgehenden Mittelalter waren der nordische und der deutsche Kulturraum vermittels der übernationalen Hanse-Organisation fest miteinander verwachsen.253 Schweden war – in dieser Zeit, aber auch lange danach – in technischer Hinsicht, im kaufmännischen Bereich und in Fragen der Verwaltung von der deutschen Kultur abhängig. Aber auch die schwedische Sprache wurde in dieser Zeit nicht zuletzt durch die außerordentliche Präsenz deutscher Kaufleute und 252 Siehe den Ausstellungskatalog Wahlverwandtschaft, Skandinavien und Deutschland 1800 bis 1904, 1997. 253 S. Lundkvist, Schweden und die Hanse. Handel und Macht im Ostseeraum, in: Schweden–Deutschland, 1999, S. 27 ff.

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Deutsche Sprache und Kultur in Schweden

Handwerker insbesondere in den größeren Städten stark vom Deutschen geprägt.254 Im 16. Jahrhundert stand der deutsche Einfluss auf die skandinavischen Länder im Zeichen des sich nach Norden ausbreitenden Protestantismus.255 Nach dem Dreißigjährigen Krieg waren Stralsund, Greifswald und andere Teile Mecklenburg-Vorpommerns mehrere Jahrhunderte lang ein Teil des schwedischen Königreichs, das bis 1720 eine europäische Großmacht war.256 Gleichzeitig schwand die kulturelle Vorherrschaft der Deutschen im Norden: »Während der Freiheitszeit [1724 – 1772 A.d.Ü.] wurde der vormals starke deutsche Einfluss auf das literarische Leben in Schweden von einem entsprechenden französischen Einfluss abgelöst.«257 Gegen Ende des Jahrhunderts hatte der französische Kultureinfluss einen zusätzlichen Schub unter der Ägide Gustav III. erhalten und Schweden geriet gänzlich in das Fahrwasser französischer Einflüsse,258 die bis zum Durchbruch der Romantik im Jahr 1809 in Schweden dominieren sollten. So will es zumindest das in unterschiedlichen Literaturgeschichten festgeschriebene Bild, das von der besagten Ausstellung durch die zeitliche Begrenzung der deutsch-skandinavischen Wahlverwandtschaft auf 1800 bis 1904 fortgeschrieben wird. Im kultur- und literaturgeschichtlichen Kontext insbesondere des 20. Jahrhunderts wurde behauptet, dass man im 18. Jahrhundert literarisch »die Welt durch eine französische Brille« sah259 – dies sah man in der älteren Literaturwissenschaft anders, wie im Folgenden dargelegt werden soll.

1.

Die Frage nach der deutschen Literatur in der schwedischen Literaturgeschichte

Die Beantwortung der Frage, wann und wie der Paradigmenwechsel von der französischen zur deutschen Literatur vonstatten ging, ist abhängig von der Zugehörigkeit zur jeweiligen literaturwissenschaftlichen »Schule« (siehe auch Kapitel I:2). Die romantischen Literaturwissenschaftler Atterbom und Hammarsköld wollten geltend machen, dass die Romantiker allein diesen Wechsel zustande gebracht hätten; die liberalen Literaturwissenschaftler Fryxell, Malmström und Ljunggren widersprachen dieser Behauptung; die »triumphale« Literaturwissenschaft knüpfte an die Behauptungen der Romantiker an. Fredrik 254 G. Korl¦n, »Schwedisch ist Plattdeutsch in zwölf Dialekten.« Über den deutschen Einfluss auf die schwedische Sprache, in: Schweden-Deutschland, 1999, S. 18 ff. 255 B. Stolt, »Gottes reines Wort«. Die Reformation in Schweden, in: Schweden–Deutschland, 1999, S. 19 ff. 256 S. Lundkvist, Als Schweden eine Großmacht war, in: Schweden–Deutschland, 1999, S. 49 ff. 257 Den svenska litteraturen, II, 1988, S. 14. Siehe auch NISLH, II, 1956, S. 305. 258 Siehe Influences: Relations culturelles entre la France et la SuÀde, 1988. 259 A. Blanck, Den nordiska renässansen i sjuttonhundratalets litteratur, 1941, S. 90 f.

Die Frage nach der deutschen Literatur

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Böök z. B. lässt keinen Zweifel daran, dass »das romantische Zeitalter unter einem genauso durchgehend deutschen Einfluss wie das gustavianische unter einem französischen« stehe260 – eine Behauptung, die sich offenbar von der Propaganda der schwedischen Romantiker herleitet.261 Lorenzo Hammarsköld z. B., der, um das eigene romantische Programm in Stellung zu bringen, am polemischsten gegen die Alte Schule der Gustavianer vorging, verlautete, dass Kellgren und Leopold sowie andere Autoren der Alten Schule Voltaire »schlechterdings zu einem Gott erkoren und zum ausschließlich höchsten Beispiel«.262 Erneut und folgerichtig war es der Historiker und Literaturwissenschaftler Anders Fryxell, der in seiner Literaturgeschichte Bidrag till Sveriges litteratur-historia (1860) in polemischer Absicht gegen die Romantik einige Aussagen der Gustavianer zusammentrug, um zu zeigen, wie ungerecht und falsch der Vorwurf einer unreflektierten Nachäfferei ist. Nils von Rosenstein, der erste Sekretär der Schwedischen Akademie, schrieb demnach 1787: als man anerkannte Meisterstücke als Richtschnur nahm, hat man den Fehler begangen, ausschließlich Gesetze und Regeln vorzuschreiben, welche viel mehr zwingen als erklären; man ist in die Ungerechtigkeit gefallen, alles zu verurteilen, was von diesen Regeln abweicht, das Urteil ist fehlgeleitet worden, die Flügel der Einbildung beschnitten und die Flamme des Genies gelöscht.263

Fryxell führt des weiteren Magnus Lehnberg an, der 1788 in seiner preisgekrönten Eloge über Gyllenhielm (Äreminne över Gyllenhielm) verlautete: »ich hasse – – die Huldigungen derer, die nirgends Talent und Genie heranwachsen sehen, als an den Ufern der Seine – – – es ist eine Mode, die extremsten Vorurteile zu haben. Der Kritische findet das Gute und das Schlechte, wählt und verwirft u.s.w.«264 Noch nicht einmal Carl Gustaf av Leopold, das liebste Feindbild der 260 F. Böök, Svenska litteraturens historia, II, Den romantiska tids”ldern, 1919, S. 5. 261 Die Wirkungsmächtigkeit dieser romantischen Propaganda zeigt sich z. B. darin, dass sich sogar B. E. Malmström, seines Zeichens harscher Kritiker der Romantischen Schule in Schweden, bei der Beurteilung Oxenstiernas und dessen vermeintlich »einseitiger französischer Bildung« in: Grunddragen af Svenska Vitterhetens Historia, in: Samlade Skrifter, II, 1867, S. 96 ff, gänzlich auf Atterboms Literaturgeschichte Siare och Skalder stützte. In Grunddragen af Svenska Vitterhetens Historia, IV, S. 154 schreibt er : »Es ist bekannt, dass das französische Geschmackssystem in Schweden allherrschend war seit Dalin […]«. 262 Swensk literatur-tidning, 1820, S. 118. Zitiert nach A. Fryxell, Bidrag till Sveriges litteraturhistoria, 1860, S. 88. Siehe auch B. E. Malmström, II, Grunddragen af Svenska Vitterhetens Historia, II, 1867, S. 206. 263 Zitiert nach A. Fryxell, Bidrag till Sveriges litteratur-historia, 1860, S. 89. »[…] d” man tagit erkända mäster-stycken till osvikliga rättesnören, har man beg”tt det misstag, att föreskrifva uteslutande lagar och reglor, hvilka mer tvinga än upplysa; fallit i den orättvisa, att fördöma allt, som afviker fr”n dessa reglor, missledt omdömet, stäckt vingarne p” inbillningen, qväft känslan och släckt snillets l”ga.« 264 Zitiert nach A. Fryxell, Bidrag till Sveriges litteratur-historia, 1860, S. 89. »[…] jag hatar – – deras slafviska loford, som icke finna n”got snille utan p” Seinens stränder ; – – – det har

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Deutsche Sprache und Kultur in Schweden

romantischen Generation, sei auf eine Imitation Voltaires aus gewesen, ganz im Gegenteil habe er diesem ein »gutes Herz« aberkannt und abwertend von »Voltaires tugendloser Pucelle« gesprochen.265 Über die Nachahmung äußerte er : Nichts ist gewöhnlicher, als dass Personen, mit den berühmten Schriften einer fremden Nation bekannt, bei den Autoren ihrer eigenen Sprache beinahe nichts als Rohheit, Ohnmacht und Unbehagen finden; und die Verdienste jeglichen einheimischen Versuchs nur nach diesen mehr oder weniger sichtbaren Nachahmungen dieser ausländischen Beispiele zu beurteilen. So hatte in Rom lange die griechische Sprache den Vortritt, bis man Homer und Demosthenes, wenn nicht von Virgil und Cicero übertroffen, so doch von diesen auf eigenen und neuen Wegen eingeholt sah. So ist es bei uns mit der französischen Sprache, welche man beinahe als Muttersprache der höheren Gesellschaft betrachten kann, und deren Verfasser dadurch auf den Rang eines offiziellen Beispiels für jegliche Art von Literatur erhoben wurden. – Aber gerade ein solches Vorurteil ist mächtig, die Entstehung jeglicher Literatur lange zu verhindern.266

Schließlich bringt Fryxell noch eine Bemerkung Johan Henric Kellgrens anlässlich des Beitritts von Celsius 1786 zur Schwedischen Akademie bei, nämlich »dass jedem Autor das Recht auf seinen Stil gelassen werden muss, wie auf sein Gesicht, das sich durch eigene Züge von anderen unterscheidet – er selbst zu sein und nicht ein anderer, mit einem Wort, Genie zu sein«.267 Aber nicht nur der Schwedischen Akademie, auch der bedeutendsten Tageszeitung dieser Zeit, Stockholms-Posten, wurde die unkritische Bewunderung der französischen Literatur und die Geringschätzung der deutschen Literatur vorgeworfen. »Neben der Abgötterei der französischen Literatur und Philosophie zeigt sich in den ersten Jahrgängen der Stockholms-Posten nichts, was so ins Auge fällt, wie eine genauso uneingeschränkte Verachtung der deutschen Literatur«, behauptete der Romantiker Atterbom. blifvit ett mod, att hafva ytterliga fördomar i allt. Den granskande finner det goda och det onda, väljer och förkastar o. s. v. » 265 S. Ek, Kellgren, I, 1965, S. 256 f. 266 Zitiert nach Fryxell, Bidrag till Sveriges litteratur-historia, 1860, S. 90. »Ingenting är allmännare, än att personer, bekanta med n”gon främmande nations berömda skrifter, finna hos sitt eget spr”ks författare nästan ingenting annat än r”het, vanmagt, obehag; och döma förtjensten af hvart inhemskt fösök endast efter dess mer eller mindre synbara härmning efter dessa utländska efterdömen. S”dant var länge i Rom der grekiska spr”kets företräde, intill dess man s”g Homerus och Demosthenes, om ej öfverträffas af Virgilius och Cicero, ”tminstone af dem p” egna och nya vägar upphinnas. S”dant är ännu hos oss det fransyska spr”ket, hvilket man kan anse nästan som moderspr”ket för den högre sällskapsverlden, och hvars författare derigenom blifvit upphöjda till rang af fastställda mönster för all slags vitterhet.« 267 Ebd., S. 89. »[…] att ”t hvar författare bör lemnas samma rätt i sin stil, som i sitt ansigte, att med egna drag skilja sig fr”n andra – att vara sig och ingen annan, med ett ord, att vara snille«.

Die Frage nach der deutschen Literatur

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Der Literaturwissenschaftler Gustaf Ljunggren, der in der Literaturgeschichte Svenska vitterhetens häfder (1877) den von Atterbom vorgebrachten Vorwurf ausführlich und kritisch diskutierte, machte geltend, dass die Ignoranz der deutschen Sprache und Literatur in StP nicht so groß gewesen sei, wie Atterbom glauben machen wollte (SVH, I, 136 ff). Lächerlich erscheine dessen Versuch, aufgrund einiger Druckfehler in StP bei der Wiedergabe der deutschen Sprache dieser die »völlige Unkenntnis« des Deutschen nachweisen zu wollen. Ljunggren führt mehrere Artikel über die deutsche Literatur aus den Jahren 1778 bis 1781 an, die einer solchen »Verachtung« des Deutschen widersprechen. In einem Artikel von 1779 lese man sogar : »Die Poesie wurde schließlich genötigt, ihre Heimat zu verlassen und wäre sicher verschwunden vor Hilflosigkeit, wenn nicht die Deutschen und Franzosen eine Neigung zu ihren noch vorhandenen Annehmlichkeiten gefasst hätten« (StP, 1779, Nr. 230). Die literaturgeschichtlichen Bedenken eines Fryxell und Ljunggren gegen die Behauptungen der Romantiker wurden jedoch von der Generation der triumphalen Literaturwissenschaft und in den von ihnen geprägten Literaturgeschichten verschwiegen. Im 20. Jahrhundert finden sich kritische Stimmen gegen das Zerrbild einer Verachtung der deutschen Sprache und Kultur bei den Gustavianern nur noch spärlich und dann nur in der Forschung zur Pressegeschichte und zur Literaturkritik – nicht in der Literaturgeschichte. So hat Gunhild Bergh 1916 in Litterär kritik i Sverige under 1600- och 1700-talen (dt. Literarische Kritik in Schweden im 17. und 18. Jahrhundert) geschrieben: Die Klage Hammarskölds und Atterboms über den alleine herrschenden Einfluss der französischen Literatur hat für die allgemeine Anschauung ein Bild des 18. Jahrhunderts geschaffen, das in gewisser Hinsicht falsch ist. Es sollte nämlich mit Fug und Recht behauptet werden können, und dies wurde in der letzten Zeit häufiger hervorgehoben, dass der Einfluss anderer Länder schon früh festgestellt werden konnte. Die französische Literatur ist keineswegs die einzige, die gelesen wurde, die einzige, die bewundert und nachgeahmt wurde. Auch die deutsche und die englische haben früher und weitaus stärker, als man immer zugeben wollte, die schwedische beeinflusst.268

Da die bedeutendsten schwedischen Literaturgeschichten ISLH und NISLH in der romantikaffinen Literaturwissenschaft entstanden, ist es wenig verwunderlich, dass auch Spezialuntersuchungen über diese Zeit das von den Romantikern geschaffene falsche Bild übernehmen. Die Lektüre der gängigen Literaturgeschichten erklärt aber noch nicht zur Gänze das folgende Bild, das offensichtlich zusätzlich mit Klischees über die Zeit angereichert wurde: 268 G. Bergh, Litterär kritik i Sverige under 1600- och 1700-talen, 1916, S. 107. Weitere Ausnahmen einer nuancierten Sichtweise bilden die Untersuchungen von Magnus Nyman, insbesondere Press mot friheten, und H. Östman, Gustavian non-academic criticism, 1999, S. 16.

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Deutsche Sprache und Kultur in Schweden

In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts stand Schweden in jeder Hinsicht unter dem Einfluss der französischen Kultur. Die gebildete Bevölkerungsschicht sprach französisch, die Schriftsteller hatten französische Bildung, die Dichter schrieben Alexandriner wie die Franzosen, man las die französische Literatur, die Theater führten französische Theaterstücke auf. Die Zentralgestalt und richtungweisende Persönlichkeit des literarischen Lebens war König Gustav III. (1746 – 1792) selbst, ein Monarch der Aufklärung, der eine französische Bildung besaß und sogar im alltäglichen Umgang nicht viel Schwedisch sprach. […] In dieser Lage hatte die moderne deutsche Dichtung, die auf dem europäischen Kontinent schon im Siegeszug begriffen war und sich daran machte, die französische Hegemonie in der Literatur zu überwinden, es nicht leicht in Schweden Fuß zu fassen. Die erste wirksame Vermittlung kam durch die jüngere Generation, die radikalen Schriftsteller der ›Neuen Schule‹ und die seit Anfang des Jahrhunderts insbesondere der Dichtung sich widmende Universitätsjugend.269

Das von Salu gezeichnete Bild einer Prädominanz der französischen Literatur wirft folgende Fragen auf: Wie war es unter diesen Bedingungen möglich, dass die einzige Leihbibliothek in Stockholm von 1790 bis 1793, welche am Anfang der Schiller-Rezeption steht (siehe hier III:6), eine von dem deutschen Einwanderer Friedrich August Cleve betriebene war mit einem überwiegend deutschsprachigen Sortiment? Wie war es möglich, dass sich im gleichen Zeitraum, nämlich von 1790 – 1795, der Durchbruch und die völlige Dominanz des deutschen Theaters (siehe Kapitel IX) und des deutschen Romans (siehe Kapitel VIII) vollzog? Die deutsche Dichtung und Literatur hatte es doch offensichtlich und im völligen Gegensatz zum von Salu gezeichneten Bild erstaunlich leicht, in Schweden Fuß zu fassen. Innerhalb weniger Jahre vollzog sich der Übergang vom französischen zum deutschen Literaturparadigma, und dies keineswegs 1809 mit der »Neuen Schule« oder der »Universitätsjugend« zu Beginn des neuen Jahrhunderts, wie Salu geltend macht, sondern 15 bis 20 Jahre früher, nämlich schon um 1792.270 Im Folgenden soll ausgehend von unterschiedlichen Ansatzpunkten – Büchernachlässen, Buchauktionskatalogen, Leihbibliothekslisten, der Literaturkritik der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts sowie der Berücksichtigung regionaler Unterschiede – dargelegt werden, inwiefern das in der Nachfolge der schwedischen Romantik geschaffene Bild der schwedischen Aufklärung als gänzlich dem französischen Paradigma unterworfen falsch ist.

269 H. Salu, Seid umschlungen Millionen!, 1968, S. 88 f. 270 M. Björkman, Läsarnas nöje, 1992.

Lektüregewohnheiten in Schweden im ausgehenden 18. Jahrhundert

2.

Lektüregewohnheiten in Schweden im ausgehenden 18. Jahrhundert

1.

Nachlassuntersuchungen

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Nachlassuntersuchungen sind eine nicht unumstrittene aber flächendeckende Methode, die Lektüregewohnheiten großer Bevölkerungsteile kennenzulernen.271 Gösta Lexts Untersuchung von Nachlässen im städtischen Milieu von Göteborg zeigt, dass Deutsch die häufigste Fremdsprache in den Büchersammlungen von Privatpersonen im ausgehenden 18. Jahrhundert war,272 weshalb er schlussfolgert, dass Deutsch die üblichste Fremdsprache in der schwedischen See- und Handelsstadt war. Arne Carlsson hat die Nachlassverzeichnisse der Bücher in Bohuslän im nicht-städtischen Milieu für den Zeitraum 1752 – 1808 untersucht, und stützte sich dabei auf 15 433 Nachlässe, von denen er 500 einer »Oberklasse« (Adel, Pfarrer, Offiziere, Unteroffiziere, aber auch Mittelstand) zuordnet, 11 638 einer »mittleren Klasse« (zu denen er auch die Bauern rechnet) und 3 295 der »Unterklasse«.273 Laut Carlsson verteilt sich der Bücherbesitz auf die drei Stände wie folgt: in der Oberklasse waren 77 % im Besitz von Büchern, in der mittleren Klasse 46 % und in der Unterklasse 30 %.274 Der Besitz vieler Bücher (über 50) sowie der Besitz nicht-schwedischer Bücher finden sich hauptsächlich in der Oberklasse und in geringerem Ausmaße in der mittleren Klasse.275 Die schwedischen Bücher dominieren, von den nichtschwedischen wiederum sind die deutschsprachigen noch vor den lateinischen die frequentesten. Jeder zweite Haushalt, in welchem nicht-schwedische Literatur gefunden wurde, besaß deutsche Bücher. Das Überwiegen deutscher Bücher in der Mittel- und Oberschicht hängt vermutlich auch mit der Dominanz religiöser Literatur in diesen Haushalten zusammen, die wiederum häufig deutschen Ursprungs, sei es in einer Übersetzung oder in der Originalsprache, ist.276 Nicht-religiöse Literatur und schöne Literatur, welche letztere Kategorie

271 Hinsichtlich der prozentualen Verteilung fremdsprachiger Bücher siehe G. Lext, Bok och samhälle i Göteborg 1720 – 1809, 1950; A. Carlsson, Böcker i bohuslänska bouppteckningar 1752 – 1808, 1972. 272 G. Lext, Bok och samhälle i Göteborg 1752 – 1809, 1950, S. 220. 273 A. Carlsson, Böcker i bohuslänska bouppteckningar 1752 – 1808, 1972. 274 Ebd., S. 16. 275 Ebd., S. 21 ff. 276 ISLH, III, S. 192, S. 312. »I huvudsak gör sig därför det tyska inflytandet gällande inom den religiösa litteraturen. Fr”n Tyskland hade vi f”tt b”de pietism och herrnhutism, och de nyss omtalade frikyrkliga psalmerna äro till en stor del översättningar fr”n tyskan, fr”n Freylinghausen, Tersteegen m.fl.«

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Deutsche Sprache und Kultur in Schweden

nur einen Bruchteil der ersteren Kategorie ausmacht, findet sich vor allem in den höheren Gesellschaftsschichten.277 Die Schlussfolgerungen, die aus solchen Untersuchungen gezogen werden können, scheinen eindeutig und weisen im Gegensatz zu den Common-senseMeinungen der Literaturgeschichte auf eine auch in die gustavianische Zeit hineinragende unterschwellige Dominanz der deutschen Kultur hin. Nun wurde die Nachlassforschung jedoch von Beginn an von kritischen Stimmen begleitet. Schon Lext hat darauf aufmerksam gemacht, dass die Nachlässe entgegen der gesetzlichen Dreimonatsfrist häufig erst nach einem Jahr aufgezeichnet wurden.278 Das ist ein Sachverhalt, der die Repräsentativität der Nachlässe verdunktelt, da nach einem solchen Zeitraum nicht mehr unbedingt mit der Vollständigkeit derselben zu rechnen ist. æke æberg betont zusätzlich die Gefahr der Verzerrung des Bildes dadurch, dass der Besitz gewisser Bücher ein Statussymbol war und deshalb nicht unbedingt das wirkliche Interesse des Besitzers widerspiegelt.279 Gunnar Qvist, der vor allem Arne Carlssons Untersuchung einer harschen Kritik unterzogen hat, weist, neben einer Vielzahl von Bedenken, auf mehrere Typen einer doppelten Berücksichtigung von Nachlässen hin: z. B. erst nach dem Tod des Ehemannes, und dann, nachdem der Nachlass an die Ehefrau gegangen war, nach ihrem Tod.280 Auch Magnus Nyman sieht sich in Upplysningens spegel (dt. Der Spiegel der Aufklärung) veranlasst, einen kritischen Seitenblick auf die Resultate der Nachlassuntersuchungen zu werfen, die ihrer Natur nach eher den Geschmack der vorhergehenden Generation verrieten, als den aktuellen: durch Erbschaft bleiben die Bücher in der Familie.281 Es handelt sich hierbei vermutlich um die schwerwiegendste Kritik der statistischen Repräsentativität von Nachlässen.

2.

Buchauktionskataloge

Die Untersuchung von Buchauktionskatalogen, wie sie von Anita Ankarcrona in Bud p” böcker vorgelegt wurde, ist eine weitere Möglichkeit, Lesegewohnheiten der Öffentlichkeit statistisch zu erfassen.282 Ankarcrona stellt für den Zeitraum 277 A. Carlsson, Böcker i bohuslänska bouppteckningar 1752 – 1808, 1972, S. 71. 278 G. Qvist, Om bouppteckningar och deras bokbest”ndsuppgifter som historiskt källmaterial, 1973, S. 130. 279 æ. æberg, Väster”s mellan Kellgren och Onkel Adam, 1987, S. 92. 280 G. Qvist, Om bouppteckningar och deras bokbest”ndsuppgifter som historiskt källmaterial, 1973, S. 130. Auch bei A. Jarrick, Mot det moderna förnuftet, 1992, S. 96 ff., finden sich hierzu Überlegungen. 281 M. Nyman, Upplysningens spegel, 1994, S. 99. 282 A. Ankarcrona, Bud p” böcker, 1989.

Lektüregewohnheiten in Schweden im ausgehenden 18. Jahrhundert

121

1782 – 1801 in Stockholm folgende prozentuale Verteilung der Sprachen der versteigerten Bücher fest: Französisch 21 %, Latein 15 %, Deutsch 15 %, Schwedisch 44 %.283 Während Deutsch in dieser Verteilung mit Latein einen zweiten Platz hinter Französisch hält, ist bei der ins Schwedische übersetzten Literatur, welche ein Viertel der Buchpublikationen in Schweden ausmacht, das Deutsche mit 34 % die wichtigste Ursprungssprache, sogar noch vor dem Französischen mit 33 %. Französische Bücher dominieren im Bereich der schönen Literatur, nicht-schwedische Bibeln und Schriften zur Theologie sind meistens auf Deutsch; englische Bücher hatten in Göteborg eine beachtliche Stellung, was die Sonderrolle dieser England zugewandten See- und Handelsstadt hervorkehrt. Auch die Repräsentativität von Buchauktionskatalogen wurde kritisiert. So weise z. B. die beachtliche Stellung der lateinischen Sprache auf die wenig repräsentative Klientel der Buchauktionen hin. Es habe sich vermutlich um eine akademische und gelehrte Kundschaft gehandelt, bei welcher Deutsch nie vom Französischen verdrängt worden war.284 æberg weist auf die Exklusivität von Büchersammlungen hin, die auf Buchauktionen angeboten wurden. Sie seien oft im Laufe von Generationen »gewachsen« und ermöglichten solchermaßen keinen Einblick in aktuelle belletristische Vorlieben,285 sondern eher in die Lesebiographie des Besitzers, die sich über 40 oder mehr Jahre erstreckte. Da den Katalogen nicht entnommen werden kann, wann die Bücher gekauft oder gar gelesen wurden, lässt sich der aktuelle Stand der Lektürevorlieben nicht rekonstruieren. Einige Bücher können auch einer anderen Person des Haushalts gehört haben, manche mögen geerbt worden sein. Gerade die schöne Literatur, sei sie gehobener oder populärer Art, wurde der Öffentlichkeit (den öffentlichen Auktionen) aus Gründen der Pietät – sei es aus Rücksicht auf die Verstorbenen oder auf die Verbliebenen – vorenthalten.286 Die Einschätzung der Verbreitung der Literatur wird auch dadurch erschwert, dass es üblich war, die schöne Literatur eher auszuleihen als zu kaufen.287 Trotz dieser Kritik scheint mir der Blick in Buchauktionskataloge hinsichtlich einer Einschätzung der ungefähren prozentualen Sprachverteilung der Lektüre durchaus aussagekräftig, wenn auch nicht in der gewünschten Exaktheit. Vielmehr zeigt sich, mit den Worten von Ankarcrona, die »Stimmung«, der »Geist« der Persönlichkeit, die Bildung und

283 Ebd., S. 119. 284 M. Björkman, Läsarnas nöje, 1992, S. 211; siehe auch ISLH, III, S. 192, S. 312. »Visserligen uppeh”lla de svenska universiteten ännu förbindelsen med de tyska, likas” den lärda litteraturen, den klassiska filofogien, ty inom naturvetenskapen hade svenskarna föga att lära av tyskarna.« 285 æ. æberg, Väster”s mellan Kellgren och Onkel Adam, 1987, S. 93 f. 286 Ebd., S. 94. 287 A. Lysander, C. J. L. Almquist, 1878.

122

Deutsche Sprache und Kultur in Schweden

der Geschmack des Besitzers.288 Zumindest lassen sich Vermutungen über die Wertschätzung, die eine Sprache, eine Kultur, ein Autor oder ein Buch in der Gesellschaft genießt, ableiten.

3.

Leihbibliotheken

Eine dritte Möglichkeit, die Sprachkenntnisse und Lektüreneigungen einer breiteren Öffentlichkeit zu rekonstruieren, sind die Leihbibliothekslisten der Zeit.289 Swederus’ Sortiment in den Jahren 1784 – 85 weist folgende prozentuale Verteilung hinsichtlich der Sprachen auf: Französisch 41 %, Deutsch 29 %, Schwedisch 12 %.290 Der hohe Prozentsatz der deutschen Literatur speiste sich bei Swederus hauptsächlich aus Fachliteratur. Dass die deutsche Sprache bei den Akademikern und Gelehrten nie vom Französischen verdrängt worden war, ist ein Befund, den bereits die Untersuchungen bezüglich der Buchauktionskataloge gezeigt haben. Merkwürdigerweise wurde die einzige Leihbibliothek Stockholms in den Jahren 1790 – 1793 von Friedrich August Cleve, einem eingewanderten Deutschen, betrieben, der hauptsächlich deutsche Bücher im Sortiment führte. Die Leihbibliothek war offensichtlich ein gewinnträchtiges Unternehmen, denn 1793 wurde von Carl Conrad Behn, ebenfalls eingewanderter Deutscher, eine zweite Leihbibliothek eröffnet. Von 1790 – 1793 betrieb also Cleve die einzige Leihbibliothek in Stockholm; 1793 etablierte sich zusätzlich Behn als Bibliothekar ; von 1793 bis 1797 wurden die beiden einzigen Leihbibliotheken, die in Stockholm betrieben wurden, von zwei deutschen Einwanderern geführt. Dies erklärt auch – meint Björkman – wie es möglich war, dass die deutsche Romanliteratur 1797 ihren definitiven Durchbruch erlebte. Das Publikum wurde durch Leihbibliotheken »an die Lektüre deutscher Literatur gewöhnt« und die Deutschkenntnisse wurden vertieft. Die Tatsache, dass sich 1790 von einem Tag auf den anderen eine Leihbibliothek mit dominierend deutschem Sortiment etablieren konnte, lässt jedoch ohne Zweifel weitergehende Schlussfolgerungen zu. Die Deutschkenntnisse müssen zum Zeitpunkt der Inbetriebnahme der Leihbibliotheken bereits verbreitet gewesen sein. Auch die Tatsache, dass es von 1790 – 1797 nur deutsche Leihbibliotheken gab mit einem (insbesondere bei Cleve) dominierend deutschsprachigen Sortiment, die zudem ökonomisch überleben konnten, weist darauf hin, dass es eine ausreichend große Leserschaft gab, denn 1790 war die 288 A. Ankarcrona, Bud p” böcker, 1989, S. 77. 289 Erst 1992 wurde die Entstehung der Leihbibliotheken durch M. Björkman, Läsarnas nöje, Gegenstand einer eingehenden Untersuchung. Über die Anzahl der Ausleihvorgänge ist jedoch nichts zu erfahren. 290 M. Björkman, Läsarnas nöje, 1992, S. 207.

Lektüregewohnheiten in Schweden im ausgehenden 18. Jahrhundert

123

Popularität der deutschen Literatur noch gering, weshalb sich die Klientel aus der Leserschaft rekrutieren musste, die es schon immer gegeben haben muss.291 Da Cleves und Behns Leihbibliotheken von deutschen Büchern dominiert wurden, muss mit Notwendigkeit davon ausgegangen werden, dass der »Normalleser« in Stockholm zumindest über Lesekenntnisse dieser Sprache verfügte.292 Ein Vergleich der Sprachverteilung des Bücherbestandes der drei Bibliotheken von Swederus 1784 – 1785 (Deutsch 29 %, Französisch 41 %, Schwedisch 12 %), Cleve 1790 – 1792 (Deutsch 57 %, Französisch 33 %, Schwedisch 3 %, Englisch 6 %) und Behn 1801 – 1802 (Deutsch 40 %, Französisch 23 %, Schwedisch 32 %, Englisch 4 %) beleuchtet aus dem gleichen Grund auf das Genaueste und vermutlich wesentlich zuverlässiger als dies Untersuchungen der Hinterlassenschaften von Buchbeständen und Buchauktionskataloge leisten können die Veränderungen im Lektüreverhalten und im literarischen Leben. Diesem Vergleich lässt sich einerseits entnehmen, dass deutsche Bücher trotz französischer Dominanz immer gelesen wurden, andererseits, dass die deutsche Literatur in den 1790er Jahren einen Aufschwung erlebte und binnen weniger Jahre den Markt dominierte.

291 Die ökonomische Tragfähigkeit einer Leihbibliothek resultiert freilich nicht nur aus einem großen Kundenkreis, sondern ist auch von den Anschaffungskosten der Bücher abhängig. Falls Cleve gute Verbindungen zum deutschen Buchhandel unterhielt – was aufgrund seiner Position an der Tyska skolan (dt. Deutsche Schule) offenbar der Fall war – und sich dies in niedrigen Buchpreisen ausdrückte, würde sein Sortiment den Publikumsgeschmack nur unzureichend ausdrücken, wenngleich die dadurch zustande kommende statistische Verschiebung nur einige Prozentpunkte ausmachen dürfte. Gegen die hier vorgebrachte These, dass Deutschkenntnisse stets schon vorhanden waren, könnte auch eingewendet werden, dass passive Lesekenntnisse des Deutschen für einen Schweden sehr schnell zu erwerben waren, zumal zum damaligen Zeitpunkt die schwedische Syntax der deutschen näher stand als heute. Insgesamt scheinen mir jedoch solche möglichen Einwände zu schwach angesichts der Tatsache, dass Bibliotheken kommerzielle Institutionen sind und von Personen betrieben wurden, die gezwungen waren, den maximal möglichen Gewinn zu erwirtschaften (man denke nur an die chronischen Geldsorgen Cleves). Dass Cleve eine Bibliothek in der Hoffnung eröffnete, dass das städtische Publikum, um in den Genuss seines Sortiments zu kommen, bereit ist, Deutsch zu lernen, ist sehr unwahrscheinlich. Vielmehr ist er ohne Zweifel davon ausgegangen, dass bereits eine ausreichend große Klientel vorhanden ist, die in der Lage ist, Deutsch zu lesen. 292 M. Björkman, Läsarnas nöje, 1992, S. 334, stellt dies für das Jahr 1800 fest.

124

3.

Deutsche Sprache und Kultur in Schweden

Die Literaturkritik im Übergang von der Freiheitszeit zur gustavianischen Zeit (1755 – 1780)

»Man erinnere sich auch daran, dass wir vor noch nicht so langer Zeit mit Gelächter und Herablassung über die deutsche Literatur zu sprechen wagten.«293 Der in den Literaturgeschichten häufig zitierte Satz, im Juli 1791 von Kellgren in StP geäußert, scheint das Bild einer völligen Prädominanz der französischen Literatur und Kultur zu bestätigen. Ein genaueres Studium der verschiedenen Periodika der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zeigt dagegen, dass die einseitige Fokussierung auf Gustav III. Parnass und dessen vermeintliche Abhängigkeit vom französischen in der Literaturgeschichte zu korrigieren ist.294 Gunnar Bergh, dem es in Litterär kritik i Sverige under 1600- och 1700-talen (1916) ebenfalls darum zu tun war, dem Mythos von der französischen Kulturhoheit in Schweden entgegenzuwirken, resümierte die vorgustavianische Literaturkritik wie folgt: Dalin ist, wie Lamm gezeigt hat, in gleichem Maße vom französischen Formkult wie von englischen Ideen beeinflusst. Frau Nordenflycht ist in ihrer Dichtung nicht nur von Frankreich beeinflusst worden, sie steht in vielleicht noch größerer Schuld zum deutschen Pietismus. Als Sahlstedt die Ansicht abwies, dass der Antike der Vortritt gebührt, stellte er Milton an die Seite Voltaires als Beispiel für die Größe der modernen Poesie. Die Bewunderung für die französische Poesie ist alles andere als eindeutig. Schönberg, der darauf hinwies (1759), dass ein »verschrobener Geschmack« lange die deutsche Literatur gehemmt habe, zollt derselben aber im gleichen Atemzug seinen Respekt angesichts ihrer ungeheuren Entwicklung und erklärt sich außerstande zu entscheiden, ob Frankreich oder England mehr zur »Verteidigung der jüngeren Literatur« beigetragen habe. […] In seiner Antrittsrede in der Vitterhetsakademie (1773) erklärt er, dass die »tiefsinnige Gründlichkeit englischer Skribenten« am besten »zusammenstimme mit dem Charakter des götischen Volkes«. Einige Jahre später (1777) widersetzt sich Liljestrale der Behauptung, dass die »Französische Literatur« als Modell für die schwedische gelten könne, und erklärt diese aufgrund ihrer verderblichen »mollesse« als weit unter der antiken stehend.295 293 StP, 1791, S. 151: »Man p”minner sig äfven, att vi ännu ej längesedan v”gade tala med löje och förakt om sjelfva Tyska Litteraturen.« Abgedruckt z. B. in: K. An¦r, Läsning i blandade ämnen, 1948, S. 243. 294 Die vier einzigen Hinweise darauf, dass der deutsche Kultureinfluss in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts nicht unterschätzt werden sollte, fand ich dementsprechend und nur in G. Berghs, Litterär kritik i Sverige under 1600- och 1700-talen (1916), in H. Östmans Studien über die Literaturkritik dieser Zeit, in M. Nymans Arbeit Press mot friheten, 1988, die von der Entstehung einer oppositionellen Meinungsbildung in den Zeitungen 1772 – 1786 handelt sowie in H. A. Müller, Die Hauptvertreter des deutschen Geisteslebens von der Mitte des 18. Jahrhunderts bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts im Spiegel der schwedischen Presse, 1936. 295 G. Bergh, Litterär kritik i Sverige under 1600- och 1700-talen, 1916, S. 107 f.

Die Literaturkritik im Übergang

125

Eine Schlüsselrolle sowohl hinsichtlich der Literaturkritik als auch hinsichtlich des deutschen Kulturimports kommt in den Jahrzehnten von 1750 bis 1780 Carl Christoffer Gjörwell (1731 – 1811) zu, der, »wenn nicht der Vater des schwedischen Zeitungswesens, so doch einer dessen bedeutendsten Gestalten überhaupt« war.296 Gjörwell kann aufgrund der schieren Quantität über einen kürzeren und längeren Zeitraum von ihm herausgegebener und redigierter Zeitschriften, aber auch aufgrund der Bedeutung derselben, als der maßgebliche Zeitschriftenherausgeber und Literaturkritiker Schwedens dieser Zeit gelten.297 Von den ca. 40 Zeitschriften und Zeitungen im Zeitraum 1760 bis 1810, die H. A. Müller in Die Hauptvertreter des deutschen Geisteslebens von der Mitte des 18. Jahrhunderts bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts im Spiegel der schwedischen Presse (1936) untersucht hat, sind die meisten in Gjörwells Regie entstanden. Die 1750er Jahre markieren einen Bruch in der schwedischen Pressegeschichte: die Zeit der moralischen Wochenschriften war vorüber, die politische Journalistik entstand gerade, während die naturwissenschaftliche und ökonomische Berichterstattung den Höhepunkt ihrer Popularität erklimmt hatte. In diesem Rahmen hatten Gjörwells Zeitschriften und hier insbesondere Den swänska Mercurius (dt. Der schwedische Mercurius, 1755 – 1762) einen das Zeitalter prägenden Platz: Den swänska Mercurius enthielt hauptsächlich Berichte über die neueste wissenschaftliche Literatur im Ausland, Kurzbiographien bedeutender Wissenschaftler, politische Neuigkeiten sowie die Kritik schwedischer Literatur. Novum war die von ihm angeregte Literaturdebatte, welche für ihre Zeit ungewöhnlich polemisch war ; Rezensionen pflegten nämlich den Inhalt des zu besprechenden Textes zu referieren, wirkliche Kritik wurde als persönlicher Angriff aufgefasst. Die Auflage seiner erfolgreichen Zeitschrift Den swänska Mercurius erreichte bald die für damalige Verhältnisse astronomische Zahl von 600 Exemplaren. Obwohl eher gelehrter Sammler und »Annalist«, wie er sich selbst bezeichnete, und keineswegs ein auf Neuerung abzielender Charakter, sollte der polyhistorische Publizist eine bedeutsame Rolle für die Vermittlung der deutschen

296 M. Nyman, Press mot friheten, 1988, S. 53. 297 Trotz der offensichtlichen Bedeutung C. C. Gjörwells für die Geschichte des Zeitungswesens in Schweden ist bislang das Fehlen einer umfassenden Biographie über ihn zu konstatieren. Die umfassendste Gesamtdarstellung findet sich in Svenskt biografiskt lexikon von Lars Lindholm, Gjörwell, Carl Christoffer, S. 144 – 156, wo sich auch eine umfassende Bibliographie findet. Außerdem: G. Bergh, Litterär kritik i Sverige under 1600- och 1700-talen, 1916; J. Christensson, En upplysningstida encyklopedists uppg”ng och fall, in: Lychnos 1993; ders. Lyckoriket. Studier i svensk upplysning, 1996; H. A. Müller, Die Hauptvertreter des deutschen Geisteslebens von der Mitte des 18. Jahrhunderts bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts im Spiegel der schwedischen Presse, 1936; S. Lindroth, Lärdomshistoria, III, 1981, S. 83 – 90; M. Nyman, Press mot friheten, 1988; ISLH, III, 1927, S. 91 – 98.

126

Deutsche Sprache und Kultur in Schweden

und englischen Literatur spielen.298 Seine Bedeutung wird nicht durch die Tatsache geschmälert, dass die in seinen Journalen abgedruckten Artikel – übrigens nach dem Usus der Zeit in Schweden – zu einem Großteil übersetzt worden waren, und zwar vor allem aus dem Deutschen und Französischen. Gjörwell hatte drei Jahre in Greifswald studiert und beherrschte dementsprechend sehr gut Deutsch. Einem Verzeichnis aller im Druck erschienenen Arbeiten lässt sich entnehmen, dass Gjörwell 43 Bücher aus dem Deutschen übersetzt hat, aber nur neun aus dem Französischen.299 Er war ein Bewunderer der Göttinger Universität, die in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts viele schwedische Studenten angezogen hatte, und entnahm einen großen Teil der von ihm publizierten Artikel den Göttingische Anzeigen. Überzeugter Anhänger der deutschen Literatur wurde der pietistische Gjörwell vermutlich, nachdem er Salomon Gessners Idyllen kennengelernt hatte, die bezeichnenderweise zunächst in einer französischen Übersetzung nach Schweden kamen.300 Gjörwell neigte als Herrnhuter der empfindsamen Richtung in der Literatur zu und seine Zeitschriften stehen in hohem Maße für die von Martin Lamm so genannte »Romantik der Aufklärung«: er veröffentlichte als erster Artikel über Young (1755), Shakespeare (1765), Winckelmann (1765) und Goethe (1775). Auch in Fragen der Ästhetik waren seine Zeitschriften auf der Höhe der Zeit: In Den swänska Mercurius wurde im März 1765 darauf hingewiesen, dass Sulzer »Regeln gegeben habe, die schöne Natur zu kennen, und die glücklichen Gefühle zu beschreiben«; in Swenska Magasinet wurde im Februar 1766 ein Stück aus Kants Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen abgedruckt. Gjörwell publizierte auch eine Vielzahl poetischer Übersetzungen, wie z. B. Gedichte von Gessner, Gellert, Gleim, Kleist, Uz, Lichtwer, Karsch, Hagedorn, v. Cronegk, Thomson und Young, kurz: die Gegenwelt zum französischen Klassizismus. Gjörwells enzyklopädische Zeitungen und Zeitschriften waren ein Forum deutscher Wissenschaft und Kultur. Beim Durchblättern seiner Journale passiert die gesamte deutsche Gelehrsamkeit Revue: Johann Beckmann, Johan Jakob Bodmer, Johann Jakob Breitinger, Christian Fürchtegott Gellert, Salomon Gessner, Johan Wilhelm Ludwig Gleim, Johann Christoph Gottsched, Friedrich 298 H. A. Müller, Die Hauptvertreter des deutschen Geisteslebens von der Mitte des 18. Jahrhunderts bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts im Spiegel der schwedischen Presse, 1936, S. 11 f. 299 Ebd., S. 12. 300 Zur Rezeption Gessners in Schweden siehe H. Borelius, Gessners inflytande p” svenska litteraturen, Samlaren 1901, S. 78; M. Lamm, Upplysningstidens romantik, 1918/1920, S. 322; H. A. Müller, Die Hauptvertreter des deutschen Geisteslebens von der Mitte des 18. Jahrhunderts bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts im Spiegel der schwedischen Presse, 1936, S. 37 f.

Die Literaturkritik im Übergang

127

von Hagedorn, Albrecht von Haller, Johann Gottfried von Herder, Friedrich Heinrich Jacobi, Abraham Gotthelf Kaestner, Friedrich Gottlieb Klopstock, Johann Kaspar Lavater, Gotthold Ephraim Lessing, Johann David Michaelis, Georg Christoph Lichtenberg, Moses Mendelssohn, Johann von Mosheim, Gottlieb Jakob Planck, August Ludwig Schlözer, Johann Georg Sulzer, Christian Felix Weiße und Johann Joachim Winckelmann.301 Der Leser Gjörwells hat den Eindruck, dass Schweden eine »norddeutsche Provinz« war, da der »deutsche Kultureinfluss schwer über der Epoche« lag.302 Es ist also zu einem nicht geringen Teil wenn auch nicht ausschließlich Gjörwell geschuldet, wenn die gelehrte schwedische Welt stark vom deutschen Kulturleben durchdrungen war.303 Seine Zeitschriftenaktivität ragte noch weit in die gustavianische Epoche hinein, gleichzeitig wurde seit Beginn der 1770er Jahre in Städten wie Göteborg, Uppsala und æbo vor allem für die englische Literatur geworben, was über kurz oder lang dem noch radikaleren deutschen Literaturparadigma zum Durchbruch verhelfen sollte. Bergh hat dargelegt, dass in Göteborger Journalen (z. B. Götheborgska Magasinet) das Interesse für englische vorromantische Literatur überwog; in Tidningar utgifne af ett Sällskap i æbo, die mit Gjörwell in Verbindung stand, wurde ein Teil der deutschen Poeten, denen Gjörwell huldigte, bei gleichzeitigem Interesse für die englische Literatur, berücksichtigt. Die deutlichsten Sympathien für die englische Kultur hegte die von Neikter, Fant und Boethius redigierte Upsala Tidningar (1773 – 1779). In den 1780er Jahren betrat etwa zeitgleich mit Kellgren, Leopold und Thorild der heute kaum noch bekannte Gustaf Regn¦r (1748 – 1819) die literarische Szene.304 In seiner Zeitschrift Svenska parnassen (dt. Der schwedische Parnass, 1784 – 1786) zeigte sich der Freund und zeitweise Mitarbeiter des immer noch umtriebigen Gjörwells stark von der deutschen Ästhetik – insbesondere von Johann Georg Sulzer und Johann Joachim Winckelmann – beeinflusst. In der 301 H. A. Müller, Die Hauptvertreter des deutschen Geisteslebens von der Mitte des 18. bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts im Spiegel der schwedischen Presse, 1936. 302 Ebd., S. 12 f. B. E. Malmström, Samlade Skrifter, II, 1867, S. 333 – 343, vermittelt ein anderes Bild, dem gemäß erst ab ca. 1785 zusehends studiert wurde, dokumentiert vor allem durch die Lavater-Polemik. 303 Gleichwohl ist eine Aussage wie die folgende aus einer gängigen Literaturgeschichte (ISLH, III, 1927, S. 313) irreführend: »Eigentlich war es bloß Gjörwell, der als Herold der deutschen Literatur auftrat, da ein Hauptteil der publizierten Journale unter seiner Regie entstanden.« Denn einerseits gründet sich sein Erfolg als Zeitschriftenherausgeber auf die Anzahl der Abonnenten, die offensichtlich seinen Geschmack goutierten; andererseits erscheinen spätestens seit den 1780er Jahren Zeitschriften in der Regie anderer Herausgeber, die sich ebenfalls dem französischen Geschmack verweigern. 304 Zu Gustaf Regn¦r siehe den Artikel von T. St”lmarck, Regn¦r, Gustaf, in: Svenskt biografiskt lexicon, S. 732 ff; G. Bergh, Litterär kritik i Sverige under 1600- och 1700-talen, 1916; M. v. Platen, Diktare och domare, 1986; O. Sylwan, Bidrag till kännedom om de under Gustav III herskande estetiska ”sikter, 1900, S. 72 ff.

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Deutsche Sprache und Kultur in Schweden

Zeitschrift Större sammandrag af alla wetenskaper (dt. Größerer Abriss aller Wissenschaften, 1779), die er zusammen mit Gjörwell herausgab, mit dem er viele Jahre zusammen arbeitete und die Leidenschaft für Gessner teilte, erklärt er in direktem Anschluss an Baumgarten, die Aufgabe der Kunst sei es »durch das sinnlich Schöne und Vollkommene zu rühren und zu vergnügen«. Bereits 1780 hatte er in seinen Tankar om svenska theatern, och förslag til dess uphjelpande (dt. Gedanken über das schwedische Theater und Vorschläge zu dessen Heranbildung) gegen den Reimzwang argumentiert und für einen ungereimten jambischen Vers auf der Theaterbühne propagiert. Der Artikel über Ästhetik, den er für Gjörwells Svensk encyclopedie (1785) geschrieben hat, ist im Grunde eine Übersetzung aus der Allgemeinen Theorie Sulzers, für den er in einer Anmerkung seine Bewunderung ausspricht. In seinem Försök til metriske öfversättningar (dt. Versuch metrischer Übersetzungen) gibt er im Anschluss an die Homer-Übersetzung von Johann Heinrich Voß die Regeln für einen schwedischen Hexameter an. In Om svenska vitterhetens framtida utsigt (dt. Über die Zukunft der schwedischen Literatur, 1786) schließlich fordert er die Abkehr der äußerlichen Imitation ausländischer – sprich französischer – Dichtung. Generell war seine Bewunderung des Deutschen zumeist mit dem deutlichen Ausdruck seiner Abneigung gegenüber Frankreich und einem patriotischen Gefühl für die schwedische Sprache verbunden. In Svenska parnassen hat Regn¦r auch mehrere Übersetzungen aus dem Deutschen eingerückt wie z. B. von Salomon Gessner und Ewald von Kleist. Er war wie Gjörwell Anhänger der empfindsamen Literatur. Das Gewalttätige, wie es sich z. B. bei dem Sturm und Drang verwandten Dichter Bengt Lidner findet, verabscheute er jedoch. Aus dem gleichen Grund wird er vermutlich erst Anfang bis Mitte der 1790er Jahre bereit gewesen sein, sich mit Schiller überhaupt auseinanderzusetzen. In seinem bereits in den 1770er Jahren konzipierten Versepos Slaget vid Lützen (dt. Die Schlacht bei Lützen), das erst später vollendet und 1814 in Vitterhetens Nöjen veröffentlicht wurde, weist er darauf hin, dass ihm insbesondere Schillers Dreißigjähriger Krieg zu einer erhabeneren Sichtweise verholfen und damit zur Möglichkeit der Vollendung des Poems beigetragen habe.

4.

Die deutsche Literatur im Spiegel zweier Artikel 1764 und 1774

Es erschienen also eine Vielzahl von Artikeln über deutschsprachige Autoren, welche sich in Müllers Untersuchung über die Reflexe der deutschen Literatur in schwedischen Zeitungen und Zeitschriften aufgelistet finden. Ein Artikel ist dabei besonders hervorzuheben: der 1774 publizierte »Brief« über die deutsche

Die deutsche Literatur im Spiegel zweier Artikel 1764 und 1774

129

Literatur, welcher auf zwölf eng bedruckten Seiten ein vollständiges Tableau der deutschen Literatur vom Mittelalter bis zu den 1770er Jahren liefert. Ein weiterer Artikel, welcher 1764 in Den swänska Mercurius unter der Rubrik Korta lärda nyheter (dt. Kurze gelehrte Nachrichten) erschien, ist vermutlich der erste schwedischsprachige Artikel über die deutsche Literatur überhaupt.305 Wie wurde die deutsche Literatur in ihrer Gesamtheit 1764 bzw. 1774 gesehen, und wie hat sich die Sicht auf dieselbe im Zeitraum dieser zehn Jahren verändert?

1.

Anmerkungen über die deutschsprachige Literatur (1764)

Der im August 1764 in Den swänska Mercurius unter der Rubrik Korta lärda nyheter eingeführte zweiseitige Aufriss der deutschsprachigen Literatur erschien mit der Begründung, dass einige Anmerkungen zur deutschen Literatur »einen Platz in dieser Zeitschrift verdienen.« In der folgenden Darstellung der deutschen Literatur tritt dem Leser ein zerstückeltes Deutschland entgegen, dem es zwar nicht an bedeutenden Autoren mangle, aber an Verhältnissen, die der Literatur und vor allem dem Theater förderlich wären. Deutschland, das sei Wien, wo der kaiserliche Hof zwar einen ausgezeichneten Geschmack habe, nämlich einen italienischen, die Bürgerschaft sich jedoch noch mit Hans Wurst begnüge; das sei Dresden, wo der Hof nichts für seine Literatur tue, die nur von den »Untertanen, welche von der ganzen deutschen Nation den gebildetsten Teil ausmacht, gepflegt wird«; das seien Berlin und Mannheim, zwei Städte, die gänzlich von der französischen Literatur dominiert würden. Hinsichtlich des Theaters wäre viel von Berlin zu erwarten, wenn der König ein Theater förderte. Hamburg sei die einzige Stadt, die ein »ordentliches« Theater unterhalte,306 denn das in Wien genüge weder den guten Sitten noch dem Geschmack. 305 Diese Schlussfolgerung liegt nahe, da weder Müller noch Bergh diesen Artikel erwähnen, und dass in der bisherigen Forschung mehr als ein Artikel übersehen wurde, scheint mir eher unwahrscheinlich. Eine weitere Schlussfolgerung sei erlaubt: Da Bergh den Artikel über die deutsche Literatur von 1774 erwähnt, jedoch keinen vergleichbaren Artikel über die französische Literatur, und da meine eigenen Nachforschungen lediglich einen weiteren und bisher unbekannten Artikel über die deutsche Literatur ans Tageslicht geschafft haben, nämlich den von 1764, aber keinen über die französische Literatur, ist es mehr als wahrscheinlich, dass keine derartigen Artikel über sie publiziert wurden. Dies kann wiederum zweierlei bedeuten: Die französische Literatur wurde als bekannt vorausgesetzt, weshalb derartige Überblickartikel als nicht notwendig erachtet wurden, oder das Interesse an der deutschen Literatur war in den besagten Zeitschriften besonders groß, was angesichts der Neigungen des Herausgebers als gesichert gelten kann. 306 In Hamburg hatte sich nach unruhigen Wanderjahren Conrad Ekhof, der bedeutendste deutschsprachige Charakterdarsteller seiner Zeit, Konrad Ackermann angeschlossen. Ekhof hatte bereits 1753 in Schwerin eine Schauspielerakademie gegründet, welche »Fragen der Stückauswahl und Regie, Probleme der Deklamationstechnik und des Bühnenbildes«

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Deutsche Sprache und Kultur in Schweden

Dagegen gibt es zwei andere Länder, zu beider Seiten des Deutschen Reiches, wo man das deutsche Genie kennt und schützt. Die Schweiz und Dänemark. Kein Wunder, dass das erstere Land, das freie, das denkende, die deutsche Schweiz, ihre Muttersprache bildet, ihre Denkweise erhebt, ihre Freiheit preist, und ihre Mitbürger ehrt, denn Adel oder Tugend in der Seele zeichnet die protestantischen Kantone vor ganz Europa aus. Daher kommt es auch, dass die Schweiz uns die vortrefflichsten Geniewerke schenkt. In Dänemark ist es dagegen der königliche Hof, der die deutsche Literatur hegt […] ein Klopstock, ein Cramer, ein Schlegel sind erhabene Namen auf dem deutschen Parnass in diesem nordischen Reich.307

Das Lob Dänemarks und der Schweiz hat man durchaus als programmatisch aufzufassen: Der Hauptstoß auf die Gottsched’sche Regelpoetik war durch die Schweizer Theoretiker einer neuen Ästhetik und Poetik, Johann Jakob Bodmer und Johann Jakob Breitinger, erfolgt.308 Diese hatten unter dem Einfluss von Jean Baptist Du Bos (1677 – 1742) einer sensualistischen Wirkungsästhetik das Wort gesprochen: nicht die Natur solle nachgeahmt werden, sondern die Naturwirkung auf das Gemüt. Der Betrug der Sinne war nun das Ziel der Dichtung, weshalb auch das »Wunderbare« – und damit auch Shakespeare und Milton – einen notwendigen Platz in der Dichtung erhielten. Es sind jedoch nicht diese beiden Theoretiker, sondern Albrecht von Haller und der »unvergleichliche« Salomon Gessner und seine Idyllen, denen die Bewunderung des Artikels gilt. Dass ein Schweizer Neubegründer der Idylle wurde, hing vermutlich auch mit der im Europa der Aufklärung vorherrschenden Staatswirtschaftslehre des Physiokratismus zusammen, demgemäß die Landwirtschaft der eigentlich produktive Wirtschaftszweig im Staat ist. Das Bauerntum war in der Schweiz ein selbstbewusster und freier Stand, was gegen die absolutistischen Zustände im übrigen Europa ausgespielt werden konnte. Die Schweiz ist durch Klopstock, der sich in der Literaturfehde zwischen den Schweizern und Gottsched auf die Seite der ersteren schlug, mit Dänemark verbunden. Dort weilten neben Klopstock auch Johann Elias Schlegel und Heinrich Wilhelm von Gerstenberg, drei Dichter, die für die Vorbereitung des Sturm-und-Drang-Dramas eine bedeutende Rolle und Aspekte der Theatergeschichte diskutierte – eine Initiative, mit welcher Ekhof die Akteure zu einer stärker intellektuell begründeten Auseinandersetzung mit Rollen und Repertoire führen« wollte (siehe P.-A. Alt, Schiller, I, S. 270). 307 Den swänska Mercurius, August 1764, S. 645 ff: »Deremot äro tvänne andra länder, p” ömse sidor om Tyska Riket, hvarest man känner och skyddar Tyska Snillet. Sweits och Danmark. Ej under, at det förra landet, det fria, det tänkande, det Tyska Sweits upodlar sit modersm”l, uphöjer sit tänkesätt, prisar sin frihet, och ärar sina medborgare, ty adel eller dygd i själen utmärker nu de Protestantiska Cantonerne i hela Europa. Härutaf kommer det ock, at Sweits lämnar oss de förtreffeligaste Snilleverk. I Danmark ”ter är det Kongl. Hofvet, som skyddar Tyska Vitterheten, […] en Klopstock, en Cramer, en Schlegel äro lysande Namn p” Tyska Parnassen i detta Nordiska Rike.« 308 G. Kaiser, Aufklärung, Empfindsamkeit, Sturm und Drang, 2007, S. 69 f.

Die deutsche Literatur im Spiegel zweier Artikel 1764 und 1774

131

spielten.309 Der Überblick über die deutsche Literatur wird mit einem Katalog der bedeutendsten Autoren der deutschen Länder beschlossen: Sulzer, Ramler, Lessing, Gleim, Nicolai und Frau Karschin in Berlin; Gottsched und Gellert in Leipzig; Rabener in Dresden, nicht zu vergessen seien außerdem Uz, Lichtwehr, Wieland, Zachariä; zu beklagen sei der Verlust eines Schlegel, von Cronegk und von Kleist. Soweit also das Bild der deutschen Literatur im Schweden dieser Zeit, das, was die Namen anbelangt, in etwa identisch mit dem Bild heutiger Literaturgeschichten ist.

2.

Brief, eine kurze Geschichte der deutschen Literatur enthaltend (1774)

Ein gewandeltes Bild der deutschen Literatur indiziert der im Sommer 1774 publizierte Bref, Inneh”llande en kort Historia om Tyska Witterheten, til Kgl. Bibliothecarien C. C. Görwell; dat. Frankfurt den 12 Mart. 1774 (dt. Brief, Eine kurze Geschichte der deutschen Literatur enthalten, an den Königlichen Bibliothekar C. C. Gjörwell; Frankfurt den 12. März 1774) – unter welchem Titel der anonyme Autor nichts weniger als die erste annähernd vollständige Darstellung der deutschen Literatur ankündigte.310 Der in drei Abteilungen erscheinende und sich über zwölf Seiten erstreckende »Brief« setzt im deutschen Mittelalter an und charakterisiert die bedeutendsten Autoren bis Wieland. Der Hauptteil der Schilderung gilt jedoch der Zeit nach Gottsched, dessen »poetische Werkstatt« herablassend gewürdigt wird. Mit Albert von Haller »begann die glückliche Periode« der deutschen Poesie; besonders ausführlich wird Gellerts Charakter, seine Verehrung der Religion und seine Nächstenliebe gewürdigt. Es folgen Hagedorn, Bodmer, Cramer, Lange, Gellert, Gleim, Kleist, Uz, Willanov, Cronegk, Lavater, Gessner, Gerstenberg, Lichtwehr, Schlegel, Weisse, Kaestner, Karschin, Ramler, Lessing, Jacobi, Klopstock, Rabener, Hermes, von Thümmel, Wieland, Lessing und Klopstock. Lessing wird als der »beste Dramatiker Deutschlands« angesehen, Klopstock als eines der »größten Genies« Deutschlands, dessen Messias »unsterblich« sei, »wie die Iliade und die Aeneis«. Gessner und Wieland hält der Autor in Schweden für so bekannt, dass sie kaum einer Erwähnung bedürfen. Wenngleich eine derartige Aufzählung noch weit von einer Literaturkritik 309 Ebd., S. 220 f. 310 Gjörwell weist in einer Anmerkung auf die Anonymität des Absenders hin, lediglich der Ort des Absenders, Frankfurt, sei bekannt, wobei unklar sei, welches Frankfurt. G. Bergh ist davon ausgegangen, dass der Autor Humble heiße, vermutlich C. D. Humbla, der auch die Prosaübersetzung von Klopstocks Messias 1789 verantwortete. Unklar ist, ob es sich bei diesem »Brief aus Frankfurt« um eine Fiktion handelt, oder ob der schwedische Verfasser zu diesem Zeitpunkt wirklich in Deutschland weilte.

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Deutsche Sprache und Kultur in Schweden

entfernt ist und sich nicht von klischeehaften Zuschreibungen abhebt, signalisiert der Artikel zum ersten Mal im 18. Jahrhundert mehr als eine vage Wertschätzung der deutschen Literatur. Im Unterschied zum zehn Jahre älteren Artikel, in welchem vor allem noch die Zerrissenheit der Literaturlandschaft und die darnieder liegende Theaterlandschaft mit Ausnahme der peripheren Vorund Außenposten Schweiz und Dänemark beklagt wurde, figurieren die deutschen Lande jetzt als potente Literaturmacht, welche eine neue Epoche einleite.311 Die beiden Artikel unterscheiden sich auch darin, dass der Bruch in der deutschen Literaturgeschichte, d. h. der Sturm der deutschen Literatur gegen den Gottsched’schen Regelzwang im jüngeren Artikel explizit benannt wurde, wenngleich die bekannte Etikettierung »Sturm und Drang« noch nicht geläufig war und auch die Bewegung an sich noch nicht wahrgenommen werden konnte: das Drama von Friedrich Maximilian Klinger, das der Bewegung den Namen gab, sollte erst zwei Jahre später erscheinen.312 Der Vergleich der beiden im Abstand von einem Jahrzehnt, 1764 und 1774, erschienen Artikel dokumentiert also eine zunehmende »Popularität« der deutschen Literatur, aber auch ein Verständnis dafür, dass die Bedeutung der

311 Folgender Ausschnitt aus einem Artikel über Gottsched in Den swänska Mercurius (1760) zeigt allerdings, dass man sich bereits zu Beginn der 1760er Jahre im Klaren darüber war, dass die deutschsprachige Literatur einen Paradigmenwechsel einleitet. »Ein Haller, ein Hagedorn, ein Gellert, ein Gessner und andere sind teils tot, teils schreiben sie nicht mehr. Professor Gottsched in Leipzig, der ein Diktator der deutschen Sprache und Literatur sein soll, wird jetzt von allen deutschen Genies verfolgt und bemitleidet, während hingegen ein Klopstock, ein Cramer, ein Lessing, ein Lichtwer, ein Uz, ein Kleist und andere jetzt am Parnass leuchten und eine neue Epoche in der Literatur einleiten.« Zitiert nach H. A. Müller, Die Hauptvertreter des deutschen Geisteslebens von der Mitte des 18. bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts im Spiegel der schwedischen Presse, 1936, S. 14. Auf Schwedisch siehe ISLH, III, 1927, S. 313. 312 H. A. Müller stellt in seiner Übersicht ebenfalls fest, dass die drei Stürmer und Dränger Schubart, Lenz und Klinger auffallend spärlich rezensiert wurden. Umso bemerkenswerter ist dagegen, dass der Verfasser die Tragödie Ugolino (1768) von Heinrich Wilhelm von Gerstenberg nicht nur kennt, sondern auch schätzt, wie folgende Charakterisierung zeigt: »Man erkennt die Anmut und die Naivität, die dem Autor eignet. Den Plan hat er Dante Alighieris Gedicht über die Hölle entnommen; er hat die Erzählung des Grafen Ugolini und den Hungertod seiner Kinder meisterhaft in Aktion gesetzt; es ist eine schreckliche Tragödie.« Die Verwendung von Substantiven wie »Naivität« und »Anmut« für ein Drama, in welchem ein »langsames, krasses Sterben, das die Personen über alle Grenzen empirischer Charaktere hinaustreibt in wilde Leidenschaftsausbrüche, dumpfe Verzweiflung, heroische Ergebung« (G. Kaiser, Aufklärung, Empfindsamkeit, Sturm und Drang, 2007, S. 221) dargestellt wird, mutet umso merkwürdiger an, als dass Schillers Trauerspiele Die Räuber und Kabale und Liebe auch bei den Neuem gegenüber aufgeschlossenen Zeitgenossen auf Unverständnis stießen (siehe Kapitel IX).

Populäre Autoren um 1790

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deutschen Literatur gewachsen war und die Einsicht, dass sich in den 1760 Jahren eine epochale Wende in der deutschen Literatur anbahnte.313

5.

Populäre Autoren um 1790

Welche Autoren und Bücher las die breitere Öffentlichkeit um 1790, also noch vor dem Durchbruch des deutschen Romans zwischen 1793 – 1797 (siehe Kapitel VIII)? Margareta Björkman hat diese Frage teilweise beantwortet – im Rahmen ihrer Untersuchung der Leihbibliotheken lässt sich das Interesse des Publikums an bestimmten Autoren natürlich nur indirekt feststellen: Die Menge der vorhandenen Werke eines Autors sowie die Menge der Ausgaben eines Werks erlaubt Rückschlüsse auf die Popularität des Autors. Auf diese Weise lässt sich vermuten, dass Nicolas-Edme Restif de la Bretonne (1734 – 1806) und Mme Riccoboni (1713 – 1792) die beliebtesten französischen Autoren waren. Eine gewisse Neugierde Voltaires gegenüber vermutet Björkman, da La vie de Voltaire par M‹‹‹ (1787) zweimal vorhanden war ; Rousseau führte Cleve bereits in mehreren Ausgaben von 1787 an. Während die deutsche Literatur bei Swederus Mitte der 1780er Jahre noch einen schlechten Stand hatte, konnte sie bei Cleve bereits um 1790 mit der französischen Literatur gleichziehen, um nur wenige Jahre danach zu dominieren. Björkman hat mit Blick auf den deutschen Bücherbestand von Cleves Bibliothek 1790 – 1792 keineswegs überraschend – weil für den deutschsprachigen Sprachraum schon seit langem bekannt – darauf hingewiesen, dass die Bezeichnung »Goethezeit« für diese Jahre wenig über das Lektüreverhalten der Öffentlichkeit aussagt.314 Von Goethe fänden sich da lediglich der Werther (auf Deutsch, Schwedisch und Französisch), eine Gesamtausgabe in acht Bänden (1787 – 1788), die Iphigenie sowie der Götz von Berlichingen jeweils in Einzelausgaben. Für den schwedischen Büchermarkt gelte somit, was Haase über die norddeutschen Leihbibliotheken der gleichen Periode konstatierte: »Quantitativ fällt dagegen Goethe weit zurück […] insgesamt kann sich Goethe an Leserbeliebtheit mit Wieland und manchen anderen offensichtlich nicht messen.«315 Auch für die schwedischen Verhältnisse konstatiert Björkman, dass Wieland der populärste Autor der deutschen Klassik sei, was sich z. B. darin zeige, dass neben dem deutschen Original auch französische Übersetzungen vorhanden gewesen

313 H. A. Müller sieht einen ab 1750 zusehends sich verstärkenden »Unterstrom von neuem einen Weg an die Oberfläche sich bahnen«. 314 M. Björkman, Läsarnas nöje, 1992, S. 264. 315 C. Haase, Leihbücherei und Lesegesellschaften, Stader Jahrbuch 1977, S. 20.

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Deutsche Sprache und Kultur in Schweden

seien.316 Ein früher und großer Erfolg war auch Christian Fürchtegott Gellerts Roman Leben der schwedischen Gräfin von G. beschieden, der sich bereits in der Leihbibliothek von Swederus 1784 fand. Der vielleicht populärste Autor zu diesem Zeitpunkt war jedoch kein Roman-Autor, sondern der Dramatiker und Historiker Schiller, dessen populärer Geisterseher erst ab 1798 ins Schwedische übersetzt wurde. Björkman hat sich auf die Untersuchung des Bestands der Romanliteratur bei Cleve konzentriert, weshalb ihr entgangen ist, dass der deutsche Klassiker Schiller dem Klassiker Wieland ab 1790 sukzessive den Rang ablief (siehe hier letztes Unterkapitel). Letztendlich lässt sich aber anhand solcher Untersuchungen nicht wirklich feststellen, ob Bretonne 1790 mehr gelesen wurde als Wieland oder umgekehrt. Einen gewichtigen Hinweis auf die Lesevorlieben der Öffentlichkeit scheint mir auch der vermutlich populäre poetische Kalender Sommar-promenaden zu geben, welcher 1792 – 1801 von Johan Fredrik Edman herausgegeben wurde.317 Im ersten Heft des Jahres 1792, also das Jahr, in welchem nach der gängigen Literaturgeschichtsschreibung die Dominanz der französischen Literatur auf ihrem Höhepunkt war, figurieren u. a. folgende Namen und Titel: Prosaisk Hymne, af Wieland (dt. Prosaische Hymne, von Wieland); Idyller af Salomon Gessner (dt. Idyllen von Salomon Gessner); Inkle och Yarico af C. F. Gellert (Inkle und Yarico von C. F. Gellert); und im Jahr 1793 folgt: Öfversättning ur Klopstock; (dt. Übersetzung aus Klopstock) etc. – französische Namen finden sich nicht im Register. Die schwedische Leserschaft, die sich anhand des poetischen Kalenders konturieren lässt, las also keineswegs Voltaire oder Pope, sondern Gessner, Gellert, Klopstock und Wieland. Die vier genannten deutschen Autoren waren zu diesem Zeitpunkt schon 20 Jahre in Schweden bekannt. Bereits in den 1760er Jahren veröffentlichte Gjörwell in seiner Zeitschrift Den swänska Mercurius die ersten Texte Gessners und noch in den 1790er Jahren finden sich Spuren eines regelrechten GessnerKults in Schweden, für dessen Verbreitung Gjörwell eine wichtige Rolle spielte. 316 Laut Björkman (S. 264 – 265) finden sich von Wieland: Der deutsche Merkur, Geschichte des Agathon (und zwar einmal auf Deutsch und zweimal auf Französisch), Die Abenteuer des Don Sylvio (auf Deutsch, und auf Französisch), Geschichte der Abderiten (auf deutsch). 317 Für die Popularität dieses Anthologie-Kalenders, auf den in den Literaturgeschichten nie hingewiesen wurde, spricht einerseits, dass der Gustavianer Leopold dort mehrere seiner nach 1792 entstandenen Gedichte veröffentlichte, andererseits, dass er mehrmals genauso ausführlich wie kritisch in Journal för svensk litteratur »gewürdigt« wurde. Dass das Journal der Anthologie »Mittelmaß«, Mangel an »Originalität« und »Sentimentalität« vorwarf, heute würde man vermutlich Kitsch sagen, sowie die Tatsache, dass das Journal sich genötigt sah, den Kalender zweimal zu rezensieren, scheint mir die Schlussfolgerung nahezulegen, dass er sich einer außerordentlichen Beliebtheit erfreute. Warum sollte sich ein qualitativ hochstehendes kritisches Organ wie Journal för svensk litteratur die Mühe machen, ein minderwertiges Machwerk mehrmals zu rezensieren, wenn nicht deswegen, weil es sich einer gewissen Beliebtheit erfreut.

Populäre Autoren um 1790

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Welche Durchschlagskraft die Idyllen Gessners hatten, lässt sich ermessen, wenn bedacht wird, dass sogar Thorild und Lidner, die mit Pathos dem Original-Genie und der Kraft huldigten, Gessner schätzten.318 Ein weiteres Indiz für die Popularität der deutschen Autoren bereits Jahre vor dem literaturgeschichtlich lokalisierten »Durchbruch des deutschen Romans« in Schweden findet sich in StP, zu dieser Zeit die wichtigste Zeitung Schwedens. Nachdem Kellgren 1788 die Verantwortung für StP übernommen hatte, wandte sich die Zeitung, die er in ein literaturkritisches Organ verwandelt hatte, zusehends der deutschen und dänischen Literatur zu. Im Zeitraum 1790 – 1791 häufte sich dann in der Tat die Aufmerksamkeit, welche die französischorientierte StP der deutschen Literatur angedeihen ließ, wobei gleichzeitig eine auffällige Vernachlässigung der französischen Literatur festzustellen ist, der im genannten Zeitraum keine Rezension gewidmet wurde319 – vermutlich als Folge der Französischen Revolution. In einem Artikel über die Übersetzung von Gessners Abels Tod (StP, 5. 2. 1790) äußerte Kellgren:320 Gessner ist als der vorzüglichste unter den Dichtern der Idylle bekannt. Das Vorurteil, das man im Allgemeinen gegen diese Dichtungsart hegt, verzeihlich für jedweden einzelnen Geschmack, und notwendig in einer Zeit, da Sitte und Gefühl (sei es durch Veredelung) sich so weit von der Einfalt der Natur entfernt hat: dieses Vorurteil, welches insbesondere am Hof und in den Städten […] verbreitet ist, bei Vornehmen und Philosophen, dürfte auch in unserem Land mehr Kraft erhalten haben durch unser allgemeines Vorurteil gegen den so genannten deutschen Geschmack, unsere eingeschränkte Neigung zum gereimten Gedicht, und die weniger gut ausgewählten und übersetzten Stücke von Gessner, die wir hier und da finden.321

Klopstock war vermutlich einer der am häufigsten rezensierten und erwähnten Dichter in StP während Kellgrens Redakteurphase. Bereits 1789 hatte Kellgren 318 So schreibt Thorild in seinen Passionerna, nachdem er den großen Dichtern Ossian, Shakespeare und Klopstock gehuldigt hat: »Edens Skald, du Gessner, dina himmelska s”nger / Andas oskuld och Gud« (Du Dichter Edens, du Gessner, deine himmlischen Gesänge / Atmen Unschuld und Gott). 319 S. Ek, Kellgren, II, 1980, 406 f. 320 Der Artikel über Gessner ist einer von dreien, der die Aufmerksamkeit der Literaturwissenschaft auf sich gezogen hat. Die beiden anderen sind über Klopstocks Messias (StP, 18. 6. 1790) und Stridsbergs Lärobok för begynnare i tyska spr”ket (StP, 1. 10. 1790), einem Lehrbuch der deutschen Sprache für Anfänger. G. Bergh hatte den Artikel noch G. Regn¦r zugeschrieben, S. Ek dagegen Kellgren (S. Ek, Kellgren, II, 1980, S. 401 ff). 321 StP, 5. 2. 1790: »Gessner är känd, som den yppersta bland alla Författare af Idyllen. Den fördom man i allmänhet äger mot detta Skaldeslag, förl”tlig för hvar och ens enskilda smak, och nödvändig i en tid, d” seder och känslor (l”t vara genom förädling) skilt sig s” l”ngt fr”n naturens enfald: denna fördom, som i synnerhet fins […] i Hof och Städer, hos Förnäma och Philosopher, torde äfven i v”rt land vunnit mera styrka af v”r allmänna fördom mot den s” kallade Tyska Smaken, v”rt inskränkta tycke för rimade Poemer, och de mindre väl valda eller öfversatta stycken vi här och der finna, af Gessners Qväden […].«

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Deutsche Sprache und Kultur in Schweden

eine eingesandte Rezension zu C. D. Humblas Prosaübersetzung des Messias in StP eingerückt, in welcher der anonyme Autor seine Wertschätzung der deutschen Sprache ausgedrückt hat. Das offensichtliche Interesse an Klopstock in StP, dem Zentralorgan der aufklärerischen Vernunft in Schweden, weist auf die Vereinbarkeit von Aufklärung und Klassizismus einerseits und Romantik andererseits hin. In einer Rezension von Klopstocks Messias am 18. 6. 1790 in StP erklärt Kellgren, dass derjenige, welcher sich von antiken Autoritäten führen lässt, nur »in Maßen von gewissen Schönheiten in Klopstocks Messias gerührt würde«.322 Einige Monate später erschien in StP S”nger i Himmelen, ur Klopstocks Messias, eine Übersetzung in Hexametern. In einer Rezension über Carl Stridsbergs Lärobok för Begynnare i Tyska spr”ket (dt. Lehrbuch für Anfänger in der deutschen Sprache, 1790) zitiert der Rezensent die Überzeugung des Verfassers, dass »Klopstocks Messias und seine Oden nicht in einer anderen lebenden Sprache hätten geschrieben werden können. Es ist eitel, sie zu übersetzen, ohne ihnen ganz beträchtlich Schaden zuzufügen. Ihre hauptsächliche Schönheit liegt oft in der Sprache selbst, davon untrennbar.«323

6.

Regionale Unterschiede und dänischer Kanal

Das gängige Bild einer vom Französischen beeinflussten Stockholmer Sozietät modifiziert sich noch einmal beträchtlich, zieht man die regionale Diversifikation, die in den schwedischen Landen vorherrschte, in Betracht. Ein Hinweis einer (Haupt)Stadt-Land-Variation hinsichtlich der fremdsprachlichen Prägung gibt folgender Brief Amalia von Helvigs, die 1804 nach Stockholm kam: Schon längere Zeit bin ich in Stockholm und wurde bereits in mehreren Hofkreisen präsentirt, ohne mir ein klares Bild der Gesellschaft machen zu können, denn nirgends vielleicht wie hier stimmt der Großstädter so wenig überein mit dem Typus des Landbewohners. Noch fühle ich mich eher im Faubourg St. Germain von Paris als im Mittelpunkt der Schwedischen Aristokratie, und fast entschwindet mir der Eindruck, den ich durch die nordische Landbevölkerung erhielt, wo tiefgewurzelte, mit unbewusster Treue festgehaltene Vätersitte wie ein Segen in der Familie waltet. In Stockholm suche ich vergebens nach charakteristischen Schwedischen Sitten und Personen, nur noch wenige althergebrachte Schwedische Hofcostüme fand ich, aber deren Träger mit 322 StP, 18. 6. 1790. Dass Kellgren und nicht Regn¦r der Verfasser war, wird durch die Tatsache belegt, dass der erstere Teile der Rezension in seine Samlade Skrifter unter dem Titel Om Andelige Poemer, och huru de böra dömmas aufgenommen hat. 323 StP, 1. 10. 1790: »Jag är fast öfvertygad, at Klopstocks Messias och dess Oden ej kunnat skrifvas p” n”got annat lefvande Spr”k. Det är f”fängt att öfversätta dem, utan att ganska mycket skada dem. Deras förnämsta skönheter ligga ofta i sjelfva Spr”ket, derifr”n oskiljaktiga.«

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der Sucht sich französischer Sitte anzupassen, ohne die Leichtigkeit in Form und Ausdruck zu besitzen.324

Dieses von Amalia von Helvig skizzierte Bild wird durch Zeugnisse des Landadels bestätigt. Knut Liljebjörn berichtet in seinen Memoiren H”gkomster (dt. Erinnerungen) über die Kenntnisse von Fremdsprachen in Värmland. Personen der älteren Generation, er selbst war 1765 geboren und hatte Französisch gelernt, besaßen lediglich Kenntnisse der deutschen und der lateinischen Sprache, während der kulturelle Zwang zum Französischen sich in der värmländischen Provinz erst in den 1780er Jahren bemerkbar machte. Liljebjörn berichtet über seine Jugend: Einige wenige Männer verstanden Deutsch, fast niemand Französisch, aber alle Latein. […] Die Kenntnis einer anderen Sprache als die Muttersprache kam für die Frauenzimmer in dieser Zeit nicht in Frage. Unter den Reicheren des Adels begann man nun Französisch zu lernen und zu lehren, und nur einige Jahre später während der Regierungszeit von Gustav gab dessen Vorliebe für diese Sprache den Ausschlag für das allgemeine Lernen des Französischen.325

Wir sehen das Bild in diesem Zeugnis insofern modifiziert, als dass die Kenntnis des Französischen eine späte Erscheinung war und sich vor allem durch den Einfluss von Gustav III. durchsetzen konnte. Soweit überhaupt Kenntnisse von Fremdsprachen vorhanden waren, zog man die deutsche Sprache der französischen bis in die 1770 Jahre vor. Neben Stockholm konnte sich mit 12 000 Einwohnern als zweitgrößte schwedische Stadt dieser Zeit vor allem Göteborg kulturell behaupten, was sich z. B. in einer eigenen Theaterkultur äußerte (siehe Kapitel IX), aber auch in der Menge der Zeitungen und Zeitschriften und der sprachlich-kulturellen Orientierung nach England. Die frühe Kenntnisnahme der englischen Literatur und der Vorromantik eines Edward Young in Göteborg verdankte sich der Weltoffenheit dieser den Britischen Inseln zugewandten Hafenstadt, die 400 km beschwerlicher Landweg von Stockholm trennte, von London dagegen nur einige Stunden zur See. æbo, die einzige Universitätsstadt des bis 1809 zu Schweden gehörenden Finnland, wurde mehrere Jahrzehnte von Henrik Gabriel Porthan (1739 – 1804) geprägt, der das akademische Interesse auf Ossian und die finnische Volksdichtung lenkte und nach einer Deutschlandreise 1779 auf den Göttinger Neuhumanismus. Lund wiederum, damals die zweitwichtigste Universi324 H. v. Bissing, Amalia von Helvig, 1889, S. 213 f. 325 K. Liljebjörn, H”gkomster, 1911, S. 35: »Af främmande spr”k förstodo n”gra f” karlar tyska, nästan ingen franska, men alla latin. […] Fruntimrens kännedom om andra spr”k än deras modersm”l kom den tiden aldrig i fr”ga. Bland de rikare af frälsest”ndet började nu likväl franskan att läras och läsas, och blott n”gra f” ”r längre fram i Gustafs regeringstid gaf hans förkärlek för detta spr”k en hastig fart ”t dess allmänneliga lärande.«

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Deutsche Sprache und Kultur in Schweden

tätsstadt Schwedens, war durch seine Nähe zum gegenüberliegenden Kopenhagen bei gleichzeitiger Entfernung von Stockholm (500 km) stark zum dänischen und deutschen Geistesleben hin orientiert. Eine bedeutende Rolle für die Vermittlung deutscher Literatur in Schweden spielte Dänemark, wo im Unterschied zu Schweden die deutsche Kultur auch im 18. Jahrhundert am Hof und in aristokratischen Kreisen präsent war, wie der von Gjörwell 1764 gedruckte Artikel über die deutsche Literatur zeigt. Dies mag seine Gründe in der geographischen Nähe zu Deutschland haben, in der Zweisprachigkeit der nordischen Monarchie, aber auch in der Tatsache, dass das Königshaus in Dänemark seit dem 17. Jahrhundert unter der Führung des Oldenburger Fürstenhauses war. Der dänische Autokrat hatte den Neu-Adel gefördert, der häufig aus Deutschen bestand. Klopstock hatte viele Jahre in Kopenhagen von der Pension des dänischen Königs Friedrich V. gelebt und Schiller sollte 1791 ein dreijähriges Stipendium erhalten. Die dänischen Leihbibliotheken wurden vom deutschen Literaturimport dominiert: Der deutsche Einschlag in den Bibliotheken überflügelte den dänischen und machte zwischen einem Drittel und der Hälfte des Bücherbestandes der Bibliotheken aus.326 Die Schiller-Rezeption in Dänemark begann bereits 1782, als die Schriftstellerin Friederike Münte (nachmalige Brun), die Schiller 1795 einen Besuch abstatten sollte und in seiner Zeitschrift Die Horen publizierte, in einem Brief am 5. Dezember die Räuber erwähnte. Im gleichen Jahr hatte auch der Privatsekretär des reformfreundlichen Grafen Schimmelmann, P. F. Kirstein, das provokative Stück in die aristokratischen Kreise getragen, die Schiller später ein Stipendium bezahlen sollten. Der Dichter Jens Baggesen, der Schiller 1790 einen Besuch abstattete, war ebenfalls aus dem Umfeld des Schimmelmann-Kreises, in welchem er die Werbetrommel für »den Messias der Dichtung« rührte. Als sich nach Schillers schwerem Anfall im Mai 1791 das Gerücht verbreitete, er sei gestorben, wurde die Feier zu Ehren Schillers, die von den Schiller-Verehrern Baggesen und dem dänischen Minister Graf Ernst von Schimmelmann gerade veranstaltet werden sollte, in ein Totenfest verwandelt. Man rezitiert die Ode An die Freude, der Baggesen eine Abschiedsstrophe hinzugefügt hat: »Unser toter Freund soll leben! / Alle Freunde stimmet ein! / Und sein Geist soll uns umschweben / Hier in Hellas Himmelhain.« Am 13. Dezember desselben Jahres unterbreiten der Minister Schimmelmann und der Herzog von Augustenburg Schiller das Angebot eines dreijährigen Stipendiums von 1000 Talern jährlich. Hinter Ernst Schimmelmanns Mäzenatentum stand seine Frau Charlotte Schimmelmann, deren Salon der glanzvollste Ausdruck des aristokratischen Humanismus in Dänemark war, von welchem die bedeutendsten Familien geprägt waren: die Bernstorffs, die Brüder Reventlow, die Schimmelmanns, die 326 Siehe H. Nielsen, Folkbibliotekernes forgængere, 1960.

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Stolbergs, aber auch der Herzog von Augustenburg. In den Salons von Charlotte Schimmelmann, von Louise Stolberg und Julie Reventlow begegneten sich ein aufklärerischer Geist, liberales Denken und politische Reformbestrebungen (Bauernreformen 1788, Verbot des Sklavenhandels 1792), der Freundschaftskult und das Schwärmertum Rousseaus sowie der englischen und deutschen Vorromantik. Charlotte Schimmelmann unterhielt viele Jahre einen Briefwechsel mit Charlotte Schiller.327 Knud Lyne Rahbek, der Anfang Juli 1784 als Vertreter des Hamburger Bühnenchefs süddeutsche Theaterstädte bereiste, war Schiller in Mannheim begegnet, wo die beiden im »Liebesbündnis schöner Seelen« einige Abende im Pfälzerhof beim Wein verbrachten.328 Rahbeck sollte sich in seiner Funktion als Professor der Ästhetik in Kopenhagen, als Vizedirektor der dänischen Bühne, als Herausgeber der Zeitschriften Minerva und Ny Minerva sowie als Übersetzer mehrerer Dramen Schillers für die kulturelle Einbürgerung Schillers in Dänemark einsetzen. In der dänisch-schwedischen Zeitschrift Nordia publizierte Rahbek 1795 den ersten Abriss über die deutsche Literatur, in welchem Schiller eine bedeutende schriftstellerische Rolle beigemessen wurde (siehe Kapitel VI). Gleichzeitig entstanden auch Verbindungen und Freundschaften zwischen Lund und Kopenhagen, namentlich zwischen Christian Henrik Pram und Anders Lidbeck. Rahbeks Ästhetik-Vorlesungen in Kopenhagen erlangten einen gewissen Ruhm und schufen in der »Nachbarstadt« Lund den Wunsch, ebenfalls einen Lehrstuhl für Ästhetik zu schaffen, dessen erster Lehrstuhl-Inhaber, Anders Lidbeck, sich ab 1796 in einer lebenslangen Auseinandersetzung mit der Schiller’schen Ästhetik für dieselbe in Vorlesungen und Schriften einsetzte. Der dänische Kanal machte sich über die Verbindungen zwischen Kopenhagen und Lund geltend, die von jeher stark waren; über Schweden, die in Kopenhagen weilten (Ehrenheim, siehe Kapitel V); über schwedische Besucher in Kopenhagen (Leopold, Franz¦n); und über Dänen, die nach Schweden kamen. Mit den politisch-kulturellen Kreisen Kopenhagens war Leopold einerseits durch seine dänische Frau bekannt, andererseits durch seine Freundschaft mit Fredrik Wilhelm von Ehrenheim, der als schwedischer Diplomat (charg¦ d’affaires) in Kopenhagen lebte. Spätestens 1791, als Leopold selbst in Dänemark weilte, wo er Knud Lyne Rahbek, Christian Henrik Pram und Jens Baggesen kennenlernte, von welchem letzteren er 1795 ein Gedicht übersetzte,329 muss Leopold also vom Ruhm des deutschen Dichters Friedrich Schiller gehört haben. 327 Publiziert in L. Urlich, Charlotte von Schiller und ihre Freunde, 1860 – 1865, 1875. 328 K. L. Rahbek, Erindringar af mit liv, Kopenhagen, 1829, II, S. 277 – 295; P.-A. Alt, Schiller, I, 2000, S. 327; Schiller-Handbuch, 1998, S. 802. 329 Vermutlich das in Extra Posten 1795 Nr. 195 erschienene Gedicht Fr”n Danskan, d. h. Baggesens De Skionnes Skaal. Siehe J. V. Johansson, Extra Posten, II, 1936, S. 91; H. Salu, Seid umschlungen Millionen!, 1968, S. 93.

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7.

Deutsche Sprache und Kultur in Schweden

Deutsche Literatur und erste Schiller-Rezeption in den Leihbibliotheken

Die erste nachweisbare Schiller-Rezeption in Schweden fand im Rahmen von Leihbibliotheken statt, die im Laufe der 1780er Jahren als Folge von sozioökonomischen Veränderungen entstanden.330 Die literarisch interessierte Öffentlichkeit wuchs und der Bedarf an Büchern stieg dank des sich intensivierenden Lesehungers gewisser Lesergruppen an. Da jedoch der Erwerb von Büchern aufgrund hoher Buchpreise nicht uneingeschränkt möglich war und die vorhandenen Bibliotheken (Klosterbibliotheken, Bibliotheken der Gymnasien und wissenschaftliche Bibliotheken) Bücher nur in Lesesälen mit eingeschränkten Öffnungszeiten zugänglich machten, konnte das neu entstandene Vergnügen am Lesen im Rahmen des traditionellen literarischen Systems kaum gestillt werden. In die entstehende sozioökonomische Bresche sprangen kommerzielle Leihbibliotheken, die in den 1780er und dann insbesondere in den 1790er Jahren dem Publikum zunehmend zugänglich wurden. Die Leihbibliotheken waren eine dem Hofkanzler verhasste, weil nicht einfach zu kontrollierende Institution; im Zuge der Entwicklung der bürgerlichen Öffentlichkeit und aus Gründen der Nachfrage waren diese Bibliotheken jedoch unumgänglich. Die erste eingetragene kommerzielle Bibliothek wurde 1784 von Swederus eröffnet und in Dagligt allehanda folgendermaßen angekündigt: »Unter so vielen guten Einrichtungen, die in Stockholm dargeboten wurden, fehlt doch noch eine, die in einer Hauptstadt unverzichtbar scheint, nämlich eine Leihbibliothek, wo jedweder gegen Pfand und eine akzeptable Bezahlung gute Bücher leihen kann.«331 Friedrich August Cleve, deutscher Einwanderer und Lehrer an der Deutschen Schule (schw. Tyska skolan) in Stockholm, reklamierte jedoch die »Erfindung« der Leihbibliothek für sich, da er bereits seit 1783 eine Leihbibliothek betrieb, die allerdings nicht registriert war.332 In seinem Privilegiengesuch von 1787 schrieb er : »1783 wurde von mir eine deutsche Leihbibliothek eingerichtet, ich 330 Eine ganze Reihe literaturwissenschaftlicher und ideengeschichtlicher Untersuchungen, die jeweils Teilbereiche dieses umfassenden Wandels im Sozialen, Ökonomischen und Kulturellen behandeln, scheinen die Annahme zu bestätigen, dass die 1780 – 1790er Jahre in Schweden von besonderer Bedeutung sind: M. Björkman, Läsarnas nöje, 1992; G. Sahlin, Författarrollens förändring och det litterära systemet 1770 – 1795, 1989; M. Nyman, Press mot friheten, 1988; H. Östholm, Litteraturens uppodling, 2000. 331 Dagligt allehanda, 5. 10. 1784: »Bland s” m”nga goda inrättningar, som i Stockholm blifwit widtagne, saknas dock en, som i en Hufwudstad synes wara oumbärlig, nemligen et Publiqum L”n-Bibliothekque där hwar och en hade tilg”ng at emot pant och drägelig betalning f” l”na goda Böcker.« 332 Zuvor gab es allerdings eine Reihe von Buchhändlern, die gleichzeitig eine Leihbibliothek betrieben. Die früheste unabhängige Leihbibliothek wurde von Lars Salvius bereits 1757 betrieben.

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war also der erste und Swederus bediente sich meiner Erfindung ein Jahr danach, näml. 1784«.333 Cleve war 1743 in Westerhusen-Magdeburg geboren worden und hat 1765 die Schwedin Cecilia Dahlin geheiratet. Zu diesem Zeitpunkt war er Rittmeister bei der Leibgarde des Kronprinzen und (vermutlich) schon 1763 nach Malmö verlegt worden. 1766 wurde er von der deutschen Gemeinde in Malmö mit einer Schulmeisterstelle betraut, zog jedoch spätestens 1773 nach Stockholm, wo er als Lehrer der Tyska skolan wirkte, als welcher er auch Verbindungen zum deutschen Buchhandel unterhielt und auf diesem Wege deutsche Bücher importierte, die er in seiner Leihbibliothek anbot. Zwischen 1790 und 1793 besaß Cleve die einzige Leihbibliothek in Stockholm, bei seinem Tod 1796 hatte seine Bibliothek ein Sortiment von 8 788 Büchern. Eine stattliche Bibliothek – wer waren die Benutzer? Margareta Björkman hat für die Jahre 1785 – 1787 die Anzahl und Herkunft der Bibliotheksbesucher untersucht und stellt fest, dass es sich dabei hauptsächlich um Beamte, Offiziere, Hofleute, Gelehrte und Kaufleute handelte.334 Eine Common-sense-Meinung der Literaturgeschichte ist die Annahme, dass die Leserin in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts eine immer wichtigere Rolle spielte, aber in Swederus Kundenlisten hat Björkman nur 33 Frauen bei insgesamt 286 Kunden festgestellt.335 Sie schlussfolgert deshalb, dass Frauen in dieser ersten Phase der Leihbibliotheken keine relevante oder gar dominierende Gruppe darstellten.336 Leider konnte Björkman aufgrund der unzureichenden Quellenlage die Klientel von Cleves Bibliothek nicht untersuchen.337 Gleichwohl ist es sehr wahrscheinlich, dass es eine größere Anzahl »versteckter« Leserinnen gab. Aufgrund stark differierender Buchbestände – bei Swederus dominierten die gelehrte Literatur und französische Bücher, bei Cleve dagegen die Romanliteratur und deutsche Titel – muss von einer sehr unterschiedlichen Klientel ausgegangen werden. Es ist wahrscheinlich, dass Leserinnen bei Cleve eine wichtigere Rolle spielten als bei Swederus. Ein Vergleich des Buchbestands der beiden Bibliotheken erlaubt den Schluss, dass Cleves Auswahl bereits eine neue Epoche präsentiert: die bürgerliche und sentimentale und damit eher den Nerv der Zeit traf, weshalb er bereits 1787 mehr Kunden hatte als Swederus. Dass dies aber nur der geringeren Leihgebühren bei Cleve geschuldet sei, wie Björkman annimmt, ist wenig wahrscheinlich.338 Wahrscheinlicher ist es, dass der Leser 333 »1783 inrättades af mig et tyskt L”nBibliotheque, jag var alts” den förste och Swederus betjänte sig af min upfinning et ”r därefter, nämlig. 1784.« Zitiert nach M. Björkman, Läsarnas nöje, 1992, S. 94. 334 M. Björkman, Läsarnas nöje, 1992, S. 426. 335 Ebd., S. 420. 336 Ebd., S. 424. 337 Ebd., S. 406, S. 424. 338 Ebd., S. 409.

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und die Leserin durchaus geneigt war mehr zu bezahlen für die Literatur, die gerade angesagt war. In den 1790er Jahren dominierte die deutsche Literatur und das deutsche Theater innerhalb nur weniger Jahre das literarische System, was sich unter anderem auch an Cleves Leihbibliothek zeigt. Obwohl es Cleves erklärter Wunsch war, der deutschen Sprache und Literatur eine Lanze zu brechen, darf dem sich stets in finanziellen Nöten befindenden Cleve nicht so viel Idealismus zugesprochen werden, seinen Bücherbestand gegen den Kundengeschmack anzulegen. Gerade der ökonomische Aspekt der Leihbibliotheken gewährt in weitaus höherem Maße als die Untersuchung von Buchnachlässen einen authentischen Einblick in das Lektüreverhalten der Öffentlichkeit. Wenn jedoch die Bücherbestandslisten der Leihbibliotheken einen sehr guten Überblick über die Lektüre der Zeit geben und zeigen, welche Bücher dem Publikum zugänglich waren, so darf im Umkehrschluss nicht davon ausgegangen werden, dass es nur diese Bücher gewesen seien. Dies dokumentiert ein Artikel in Ekmansons Zeitschrift Werlds-borgaren, in dem einige Verse aus dem Torquato Tasso zitiert wurden, und dies im Jahr 1792, zu einem Zeitpunkt, als Cleve diesen Titel nicht führte. Entsprechend den Marktgesetzen des Angebots und der Nachfrage weitete Cleve, der in seinem ersten Katalog von 1784 nur deutsche Bücher verzeichnete, im darauf folgenden Jahr sein Sortiment auf französische Bücher aus, wenngleich das deutsche Sortiment dominierend blieb.339 Die deutschen und französischen Bücher standen zwischen 1790 – 1792 für 90 % des Bücherbestandes der Bibliotheken. Innerhalb der Belletristik war das Deutsche noch in der Entwicklung begriffen, machte aber bei Cleve bereits 51 % aus.340 Französisch und Deutsch waren bereits etablierte Romansprachen, was durch die Leihbibliotheken widergespiegelt wurde. Die französische Romanliteratur hatte zwar eine starke Stellung, sie war jedoch auch älter als die Romanliteratur anderer Sprachen. In der Periode von 1793 – 1809 annoncierte Behn 14-mal und forderte die Rückgabe ausgeliehener Bücher, wobei 33 Werke genannt wurden. Von diesen 33 Werken waren 18 Deutsch, acht Französisch und sieben Schwedisch; es handelte sich weitgehend um Romane. Diese Verteilung entspricht der Gewichtung in den Katalogen, bezeugt aber auch die Dominanz der deutschen Literatur, insbesondere der deutschen Belletristik.341

339 F. A. Cleves l”nebibliotekskataloger sind in der Kungliga Biblioteket in Stockholm unter der Bezeichnung: »Okat., Biblografi, L”nebibliotek, Stockholm, Cleve« zugänglich. Der Titel der Leihbibliothekskataloge variiert – 1784 bot Cleve nur deutsche Bücher an; deshalb lautete der Titel: Verzeichnis Deutscher Lesebücher, welche von Unterschriebenen, für eine geringe Abgabe ausgeliehen werden. 340 M. Björkman, Läsarnas nöje, 1992, S. 256. 341 Ebd., S. 320.

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Der früheste Titel Schillers findet sich bereits in einer Bücherliste von 1790: Don Carlos (Katalog Nr. 12, Titelnr. 3200) mit der Angabe des Druckortes »Carlsruhe 1788«. Der Titel wurde ohne Angaben zum Autor geführt, was vielleicht auch damit zusammenhängt, dass in dieser frühen Phase der SchillerRezeption dieser namentlich noch nicht bekannt war, also noch nicht als Markenbezeichnung fungieren konnte. Don Carlos war zu diesem Zeitpunkt Schillers letztes Werk: es war am 29. August 1787 von Friedrich Ludwig Schröder in Hamburg mit großem Erfolg uraufgeführt worden. Vermutlich erreichte die Nachricht über den Erfolg dieses Stücks Stockholm über deutschsprachige Zeitungen, die ja in ganz Schweden zugänglich waren. Die erste Buchausgabe wurde in Leipzig bei Georg Joachim Göschen herausgegeben; die Ausgabe, die in Cleves Leihbibliothek zugänglich war, scheint jedoch eine Piratenauflage vom damals schlecht beleumundeten Christian Gottlieb Schmieder gewesen zu sein. Der Titel war offensichtlich auch in Stockholm ein Erfolg, denn bereits ein Jahr später (1791) wartet Cleves Leihbibliothek mit mehreren neuen Titeln von Schiller auf, jetzt mit Autorenkennzeichnung: Geschichte des Abfalls der vereinigten Niederlande von der spanischen Regierung (Katalog Nr. 16, Titelnr. 4381) mit dem Zusatz: »herausgegeben von Friedrich Schiller, gr. 8:0, I:ster Band, Leipzig 1788«. Der erste Teil von Schillers historischem Werk wurde Anfang 1788 in Wielands Teutscher Merkur abgedruckt, eine Zeitschrift, die ebenfalls bei Cleve zugänglich war. Die Buchausgabe erschien im Oktober 1788, zu Beginn des Jahres 1789 erschienen die ersten Rezensionen in den führenden Zeitschriften und spätestens 1791 war das historiographische Werk bei Cleve auszuleihen. Noch im gleichen Jahr schaffte Cleve weitere Dramen Schillers an: Kabale und Liebe, ein bürgerliches Trauerspiel in 5 Aufzügen von Friedrich Schiller, neue Original-Auflage, Mannheim 1786 (Katalog 18, Titelnr. 4823) sowie Die Räuber, ein Trauerspiel von Friedrich Schiller, neue für die Mannheimer Bühne verbesserte Originalausgabe (Titelnr. 4824). Der Bücherbestand der Behn’schen Leihbibliothek ab 1793 unterschied sich stark von dem der Cleve’schen und führte Schiller erst ab 1797. Der Anteil der Periodika war bei Cleve außerordentlich groß: von zwanzig zugänglichen Zeitschriften waren 15 deutschsprachig (lediglich eine schwedisch, eine französisch und drei englisch), darunter Wielands Der neue deutsche Merkur, Nicolais Allgemeine deutsche Bibliothek – und, ab 1793 Thalia, hrsg. von Schiller 1 – 12:s Heft, gr. 8:0 Leipzig 1791 (Katalog Nr. 1, Titelnr. 55 – 66). Der Bestand der Thalia, bzw. Neuen Thalia wurde in den kommenden Jahren ständig erweitert, was keineswegs unerwartet auf eine gewisse Beliebtheit dieser Zeitschrift, mit welcher der finanziell stets bedrängte Schiller einen »ungenierten Mut zur Popularität« bewiesen hat,342 hinweist. In seinem Vorwort zur Thalia 342 M. Hofmann, Schiller als Herausgeber von Zeitschriften, in: Schiller-Handbuch, 2005.

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hatte er sich an ein »Publikum« gewandt, das ihm jetzt »alles« sei, und dessen Gerichtsbarkeit er sich nunmehr restlos zu unterwerfen wünsche. Eine Zeitschrift wie die Thalia, meinte er am 12. Juni 1788 an Körner, könne ohne »das Bizarre und Fremde«, »piquante Erzählungen«, Kriminalgeschichten, Satiren, »allenfalls populäre und dabey gefällige Ausführungen philosophischer, vorzüglich moralischer Materien« gar nicht existieren (NA, XXV, 70). In der Thalia (bzw. Neue Thalia) war es auch, wo er ab 1786 seinen »populärsten« Text veröffentlichte, den Geisterseher – ein Erfolg, der sich, ausgehend von Cleves Leihbibliothek, in Schweden, wo der Roman ab 1798 sukzessive übersetzt wurde, fortpflanzte. Aus Cleves Anschaffungspolitik lässt sich leicht ablesen, dass Schiller ein populärer Autor war : in nur wenigen Jahren baute Cleve seine Sammlung des Schiller’schen Werks auf und war mit der kompletten Anschaffung der Thalia mehr oder weniger vollständig verfügbar. Schiller hatte selbst in den Jahren 1785 – 1795 seine Zeitschriften unter den Namen Rheinische Thalia, Thalia und Neue Thalia zu einem Forum seiner eigenen Publikationen gemacht und dort fast alles, was er in dieser Zeit geschrieben hat, publiziert.

8.

Zusammenfassung

Einem verbreiteten und sich hartnäckig haltenden Klischee zufolge war die schwedische Gesellschaft spätestens seit der Regentschaft Gustav III. gänzlich in das Fahrwasser der französischen Kultur und Sprache geraten. Erst die Romantiker hätten den Schweden wieder die Augen für die deutsche Sprache und Literatur geöffnet. Im Gegensatz zu dieser Common-sense-Meinung der Literaturgeschichten des 20. Jahrhunderts – im 19. Jahrhundert, wurde in dieser Frage wesentlich nuancierter geurteilt, namentlich von Anders Fryxell und Gustaf Ljunggren – wurde eingangs die Behauptung aufgestellt, dass es die deutsche Dichtung und Literatur offensichtlich leicht hatte, in Schweden Fuß zu fassen. Innerhalb nur weniger Jahre vollzog sich der Übergang vom französischen zum deutschen Literaturparadigma, und dies keineswegs erst 1809 mit der »Neuen Schule« oder der »Universitätsjugend« zu Beginn des neuen Jahrhunderts, sondern 15 bis 20 Jahre früher, nämlich schon um 1790.343 Im gleichen Zeitraum, nämlich von 1790 – 1795, vollzog sich der Durchbruch und die völlige Dominanz des deutschen Theaters – namentlich Kotzebues (siehe Kapitel IX) – und des deutschen Romans (siehe Kapitel VIII). Quantitative Untersuchungen wie die von Büchernachlässen, Buchauktionen und Leihbibliothekslisten zeigen deutlich, dass Deutsch selbst in der gustavia343 M. Björkman, Läsarnas nöje, 1992.

Zusammenfassung

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nischen Zeit, dem Höhepunkt der französischen Kulturdominanz, eine Sprache war, die eine gewisse Verbreitung hatte und zumindest einen guten zweiten Platz hinter dem Französischen hielt. Die genannten empirischen Untersuchungen ergeben, dass das faktische Vorhandensein deutscher Bücher in den Haushalten das von französischen Büchern überwiegt: gleichwohl ist die scheinbar nahe liegende Schlussfolgerung, dass Deutsch, auf die gesamte schwedische Bevölkerung berechnet, und nicht nur auf das der Kulturelite, ein breiteres Fundament gehabt hat als Französisch, nicht erlaubt, da die Repräsentativität der Nachlässe und Buchauktionen in Schweden wiederholt wissenschaftlich angezweifelt wurde.344 Auch die Tatsache, dass von 1790 bis 1793 die einzige Leihbibliothek der Hauptstadt von dem deutschen Einwanderer Friedrich August Cleve betrieben wurde, in dessen Bibliothek das deutschsprachige Sortiment überwog, weist eindeutig auf eine größere Verbreitung der deutschen Sprache als bisher angenommen hin. Aber nicht nur hinsichtlich der breiten Öffentlichkeit, sondern auch hinsichtlich der namhaftesten Literaturkritiker, die seit den 1750er Jahren eine gewisse Meinungsdominanz ausübten, konnte konstatiert werden, dass man der deutschen, und übrigens auch englischen Literatur gegenüber durchaus aufgeschlossen war. Im Falle Gjörwells und Regn¦rs war sogar eine Bevorzugung der deutschen vor der französischen Literatur festzustellen. Es ist sehr wahrscheinlich, dass die den sentimentalen Gessner-Kult und Pietismus vertretenden Gjörwell und Regn¦r ein breiteres Fundament in der Bevölkerung hatten als die deistisch-materialistische Aufklärungselite eines Kellgren, Rosenstein oder Leopold.345 Einen gewichtigen Hinweis auf die Lesevorlieben der Öffentlichkeit gibt der poetische Kalender Sommar-promenaden (1792 – 1801).346 Mehrere Gründe sprechen für die Beliebtheit und Repräsentativität dieses Anthologie-Kalenders: 1. Der Gustavianer Leopold veröffentlichte dort mehrere seiner nach 1792 ent344 G. Qvist hinsichtlich der Buchnachlässe, und M. Björkman hinsichtlich der Buchauktionen in Stockholm, die von A. Ankarcrona untersucht wurden. Magnus Nyman hat die Buchanzeigen von 1776 – 1781 in Göteborgs Dagligt allehanda untersucht und konstatiert, dass ein hoher Prozentsatz der angebotenen Bücher französischsprachig war, ein kleinerer Anteil deutschsprachig und ein noch geringerer englischsprachig – zudem wurde nichtfranzösische Literatur häufig in französischen Übersetzungen angeboten. 345 Dass die polemisch-materialistische Aufklärung in der Nachfolge Voltaires und der französischen Enzyklopädisten einen schlechten Stand in Schweden hatte, zeigt der sogenannte Voltaire-Streit in den 1780er Jahren, in welchem Kellgren quasi im Alleingang den geistigen Nachlass Voltaires in Schweden vor den zahlreichen Kritikern zu verteidigen hatte. Auch die Tagebuchaufzeichnungen des »aufgeklärten« Kleinbürgers Johannes Hjerpe zeigen, dass die Aufklärung in Schweden in seiner radikalisierten materialistischen Variante weniger im Stande war Fuß zu fassen. 346 In der Literaturgeschichte fehlt jeglicher Hinweis auf diesen Kalender, dabei scheint er mir wichtige Hinweise auf die Popularität der deutschen Literatur zu geben.

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standenen Gedichte; 2. Der Kalender wurde mehrmals genauso ausführlich wie kritisch in Journal för svensk litteratur »gewürdigt«, wobei das Journal der Anthologie »Mittelmaß«, Mangel an »Originalität« und »Sentimentalität« vorwarf, heute würde man vermutlich Kitsch sagen; 3. Der Kalender wurde zehn Jahre lang herausgegeben.347 Im ersten Heft des Jahres 1792, also das Jahr, in welchem nach der gängigen Literaturgeschichtsschreibung die Dominanz der französischen Literatur auf ihrem Höhepunkt war, wurden ins Schwedische übersetzte Texte von Wieland, Salomon Gessner, C. F. Gellert, 1793 auch Klopstock abgedruckt – französische Namen finden sich nicht im Register. Die schwedische Leserschaft, die sich anhand des poetischen Kalenders konturieren lässt, las also keineswegs Voltaire oder Pope, sondern Gessner, Gellert, Klopstock und Wieland. In mehrerlei Hinsicht wurde der »Druck« der deutschen Literatur auf Akzeptanz im Übergang von den 1780er zu den 1790er Jahren immer stärker. Einerseits waren die Lektüremöglichkeiten in der Hauptstadt stark von Cleves Leihbibliotheken mit einem dominierenden deutschsprachigen Sortiment geprägt, andererseits machte sich die deutsche Literatur und hier insbesondere die Bewunderung Schillers im Nachbarland Dänemark immer stärker auch in Schweden bemerkbar. Die sukzessive Akzeptanz der deutschen Literatur ging in Schweden Hand in Hand mit der Akzeptanz der dänischen Literatur. Insbesondere das Dänemark nahe gelegene Lund, wo der spätere Ästhetik-Professor Lidbeck ab 1791 Kontakte mit dänischen Kulturpersönlichkeiten aufbaute (siehe Kapitel XI über die Ästhetik), wurde stark vom dänischen Kultureinfluss geprägt. In den Jahren 1790 bis 1792 hat sich die Kenntnis Schillers in Schweden vermutlich zusehends verbreitet. Das Bild einer in Alexandrinern schwelgenden Rokoko-Gesellschaft, dies kann die einzig zulässige Schlussfolgerung sein, stellt lediglich einen begrenzten Ausschnitt der höheren Sozietät Stockholms dar, der nicht der Komplexität dieser Zeit, ihrer kulturellen Diversifikation und sozialen Stratifikation entspricht. Es hat sich in der Literaturgeschichtsschreibung herauskristallisiert und aufgrund der Dominanz von Zeugnissen des Hofadels und der Stockholmer Sozietät verfestigt, die sich aus der einfachen Tatsache erklärt, dass der »gemeine Mann« in aller Regel keine Memoiren und damit keine Zeugnisse seiner sprachlichen und literarischen Vorlieben hinterlassen hat. Es handelt sich bei diesem Bild aber auch um die Fortschreibung der neuromantischen Propaganda, die nach 1809 einsetzte und die gustavianische Epoche systematisch und wohl auch auf ihren eigenen Nachruhm bedacht denunzierte. Die Stellung des 347 Warum sollte ein qualitativ hochstehendes kritisches Organ wie Journal för svensk litteratur sich die Mühe machen, mehrmals ein offensichtlich minderwertiges Machwerk zu rezensieren, wenn nicht deswegen, weil es sich trotzdem einer gewissen Beliebtheit erfreut.

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Deutschen in Schweden war jahrhundertelang stark gewesen, und der französische »Kulturfirniss«, der auf dieses Fundament gelegt wurde, konnte im Grunde die feste Verankerung der deutschen Sprache und Kultur in Schweden nicht lösen.348 Dies erklärt dann auch, wie es möglich war, dass Cleve eine zunächst rein deutschsprachige Leihbibliothek in Stockholm betreiben konnte: der »Normalleser« war in der Lage, Deutsch zu lesen. Aus Cleves Anschaffungspolitik lässt sich leicht ablesen, dass Schiller »umgehend« ein populärer Autor war : in nur wenigen Jahren baute er seine Sammlung des Schiller’schen Werks auf und mit der kompletten Anschaffung der Thalia war es mehr oder weniger vollständig verfügbar. Schiller selbst hatte in den Jahren 1785 – 1795 seine Zeitschriften unter den Namen Rheinische Thalia, Thalia und Neue Thalia zu einem Forum seiner eigenen Publikationen gemacht und dort fast alles, was er in dieser Zeit geschrieben hat, publiziert. Dass Cleves Bibliothek gut besucht war, zeigt die nachfolgende Schiller-Rezeption der Rabulisten.

348 M. Björkman, Läsarnas Nöje, 1992. »Die ständige Berührung mit Schwedens deutschen Provinzen, die Tatsache, dass viele Schweden ihre akademischen Examen in Greifswald ablegten, bewirkten, dass die Bekanntschaft mit der deutschen Sprache unmöglich so selten gewesen sein kann« (SVH, I, S. 137 ff).

Kapitel IV: Die Schiller-Rezeption der »Rabulisten«

»Merkwürdigerweise kann Leopold, der Königliche Sekretär des gustavianischen Klassizismus, Anspruch darauf erheben, zuerst genannt zu werden«, meinte Kurt Aspelin hinsichtlich des vermeintlichen Anfangs der Schiller-Rezeption in Schweden. Viel merkwürdiger jedoch ist, dass dies Pehr af Lund, vormaliger Major und Deserteur, für sich beanspruchen kann, sowie Johan Samuel Ekmanson, von dem wir nicht einmal wissen, wann er gestorben ist, dessen Todesart jedoch durch eine Aufschrift auf seinem Dossier im Ericsbergsarchiv festgehalten wurde: »Buchdrucker, Ombudsmann der BuchdruckerSozietät, Bürovorsteher Johan Samuel Ekmanson. (dt. Verließ das Reich wegen Schelmenstücke – † in Hamburg, laut Berichten: gehängt.)«349 Am 6. September 1792 hat Pehr af Lund eine Übersetzung des Abschnittes über das Inquisitionsgericht aus dem Abfall der Niederlande in seine Zeitschrift Välsignade tryckfriheten och Tryckfriheten den välsignade unter dem Titel M”lning p” spanska inquisitionen eingerückt und mit der Anmerkung versehen: »Von Schiller, ein berühmter Autor, der jetzt den 30jährigen Krieg schreibt.« Im gleichen Monat, am 29. September 1792, konnte die Leserschaft der Zeitschrift Werlds-borgaren einige Verse Schillers in Form eines Mottos lesen: »Den Flug / des Denkers hemme ferner keine Schranke, / Als die Bedingung endlicher Naturen!« In den wenigen aber turbulenten Monaten ihres Erscheinens vom 18. August bis 22. Dezember 1792 hat der Herausgeber Ekmanson außerdem noch die Darstellung Wilhelm von Oraniens aus dem Abfall der Niederlande sowie Auszüge aus den Philosophischen Briefen in seine Zeitschrift eingerückt, allerdings ohne Angaben zum Autor.350 Es handelt sich bei den genannten Publikationen allem Dafürhalten nach um die erste schriftlich fixierte Schiller-Rezeption in Schweden. Die vorsichtige Formulierung dieser Behauptung ist angesichts des Umstands geboten, dass die schwedische Literaturwissenschaft stets davon ausgegangen ist, dass Leopold 349 Zitiert nach M. Björkman, Original och översättning, 1996, S. 34. 350 Das ist wohl auch der Grund, weshalb die Publikationen bisher nicht entdeckt worden sind.

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Die Schiller-Rezeption der »Rabulisten«

der erste Schiller-Rezipient war – ein weiterer Irrtum wäre möglich, neue Funde sind stets denkbar. Andererseits ist es unwahrscheinlich, dass Schiller in einer Lokalzeitung noch früher rezipiert wurde, StP und Dagligt allehanda dagegen wurden in der Forschung häufig untersucht und eine frühere Schiller-Rezeption in diesen Zeitungen wäre bereits bekannt. Eine mögliche Plattform für eine Schiller-Rezeption boten dagegen die sich zwischen politischer Kritik und literarischem Anspruch bewegenden Rabulisten-Zeitschriften, die bisher kaum untersucht wurden. Wenngleich in dieser Frage also keine absolute Sicherheit zu erlangen ist, so spricht doch eine ganze Reihe von Indizien für die Richtigkeit der Behauptung. Zunächst einmal kann konstatiert werden, dass sich das bisherige Bild des Beginns der Schiller-Rezeption in zeitlicher Hinsicht durch den Fund bei Ekmanson nur sehr geringfügig verändert hat – nämlich um sechs Monate. Das Unerwartete des Fundes ist denn auch weniger darin zu sehen, dass der Anfang der Schiller-Rezeption wesentlich vorverlegt werden könnte, sondern eher in dem jakobinischen Kontext dieser Rezeption und deren Verlauf von unten nach oben: von den populären Leihbibliotheken über die Rabulisten zu den Parnassisten. Die bisherige (falsche) Annahme, dass die Schiller-Rezeption im Mai 1793 mit Leopolds Übersetzung von An die Freude anfängt, stützt letztendlich meine These, dass dieselbe im Laufe der Jahre 1791 – 1792 begann, gemäß des Prinzip, dass, was so lange als richtig galt, so falsch nicht sein kann. Ein weiteres wichtiges Indiz für diese zeitliche Eingrenzung ist Cleves Anschaffungspolitik der Bücher. Im Jahr 1790 bietet er dem Stockholmer Publikum den Don Carlos an. Es ist dies durchaus als Versuchsballon seitens Cleves aufzufassen, den in Deutschland berühmten, in Schweden aber noch unbekannten Autor am schwedischen Publikum zu testen. Für diese Annahme spricht einerseits die Tatsache, dass Cleve das Buch ohne Angaben zum Autor in seine Bücherliste aufnimmt, andererseits, dass Cleve bereits im darauffolgenden Jahr, 1791, sein Schiller-Sortiment um drei weitere Schiller-Titel aufstockt. Diese Anschaffungspolitik Cleves deutet also auf die Jahre 1791 – 1792 als Inkubationszeit der Schiller-Rezeption in Schweden. Andere Indizien, wie der so bedeutende »dänische Kanal« zur deutschen Literatur und Kultur, der für Leopold und Lidbeck so wichtig war, sowie die Schiller-Rezeption der sogenannten »Junta« weisen, wie in der Folge noch dargelegt wird, ebenfalls auf diese Jahre hin. Überraschend ist dieser Fund also nicht in erster Linie deshalb, weil der Beginn der Schiller-Rezeption damit etwas früher anzusetzen ist als bisher angenommen, sondern weil er Schiller in einen Kontext rückt, der durchaus angetan sein könnte, ein neues »Schiller-Bild zu verbreiten, das von allen nationalen, moralisierenden und pathetischen Zügen gereinigt ist und das Schiller,

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den als Zeitgenossen aller Epochen Apostrophierten, auch im internationalen Rahmen als Zeitgenossen unserer postmodernen Moderne ausweist«.351 Die Textauszüge Schillers wurden kommentarlos, in zwei von drei Fällen sogar ohne Hinweis zum Autor, abgedruckt. Was hat diese Zeitschriftenherausgeber dazu bewogen, so plötzlich und so massiv Schiller zu rezipieren, zu übersetzen und in ihre Zeitschriften einzurücken? Es gilt, Lunds und Ekmansons Schiller-Rezeption in den politisch-gesellschaftlichen Horizont, wie er in den vorigen Kapiteln skizziert worden ist, einzubetten, um sie lesbar zu machen.

1.

Neue Zeitschriften und jakobinischer Geist

Die Möglichkeit und der direkte Anlass der Publikation des Werlds-borgaren und des Välsignade tryckfriheten och Tryckfriheten den välsignade und damit auch der Übersetzung und Publizierung der Textauszüge Schillers ist zunächst einmal politischer Natur : die Ermordung Gustav III., die Einsetzung des alten »Feindes« des Königs, Gustaf Adolf Reuterholm, sowie die neue Druckfreiheitsverordnung, die berechtigten Anlass gab zu optimistischen Annahmen hinsichtlich der Liberalität in Wort und Schrift. In den kaum fünf Monaten uneingeschränkter Gültigkeit der Verordnung entstand als direkte Folge dieser Liberalisierung nicht nur eine reiche Flora neuer Zeitungen, sondern auch eine bis dato in Schweden unbekannte Freimütigkeit der Presse. Während es sich bei Pehr af Lunds Välsignade tryckfriheten och Tryckfriheten den välsignade (23. 7. 1792 – 21. 2. 1793) und Carl Fredrik Nordenskiölds Medborgaren (dt. Der Mitbürger, 6. 10. 1792 – 3.4.1793) um die Neuherausgabe von bereits einige Jahre zuvor existierenden Zeitungen handelte, die jedoch unter der sich Ende der 1780er Jahre verschärfenden Zensurbedingungen Gustav III. eingestellt werden mussten, waren Patrioten (17. 8. 1792 – 1794) von Lorentz Münther Philipson, Johan Samuel Ekmansons Werlds-borgaren (dt. Welt-Bürger, 18. 8. 1792 – 22. 12. 1792), Carl Johan Dahleskölds Människjo-Wännen (dt. Der Menschenfreund, 30. 11. 1792 – 6.5.1793) und Carl Deleens Democritus (1. 2. 1793 – 19. 7. 1793) gänzlich neue Zeitungen. Ekmanson verlautete in seiner ersten Ausgabe: Seit Seine Königliche Hoheit, der Regent, aus ungezwungener Achtung für die heiligen Rechte des schwedischen Volkes und der Menschheit, die Druckfreiheit zurückgab, um dadurch der Zukunft ein lichteres Zeitalter zu bescheren; ist es Sache jegliches redlichen Schweden, dem Wunsch des Regenten zu begegnen und nach seinen Kräften zur allgemeinen Aufklärung, welche der erste und wichtigste Schritt ist zur allgemeinen Wohlfahrt, beizutragen.352 351 M. Hofmann, Wirkungsgeschichte, in: Schiller–Handbuch, 2005, S. 573. 352 Werlds-borgaren, 18. 8. 1792: »Sedan Hans Kongl. Höghet regenten, af otvungen aktning för

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Die Schiller-Rezeption der »Rabulisten«

Das hehre Anliegen, ein »lichteres Zeitalter« herbeizuführen und zur »allgemeinen Aufklärung« beizutragen, war freilich nicht nur erklärtes Fernziel dieser »radikalen« Jakobiner, sondern auch das der Parnassisten, wie es sich in der ebenfalls neuen Zeitung Extra Posten und der etablierten Stockholms Posten ausdrückte. Während sich jedoch in StP und Extra Posten die alten Gustavianer, die literaturgeschichtlich sogenannten »Parnassisten« zu Wort meldeten, kamen in den anderen neuen Zeitschriften weitgehend Unbekannte zu Wort, deren Missvergnügen an der herrschenden Ordnung und dem eigenen Schicksal sich hier schlagartig entlud, nachdem die neue Druckfreiheitsverordnung dazu die Möglichkeit gegeben hatte. In den Monaten nach Reuterholms Übernahme der Vormundschaftsregierung sowie der Erstellung einer neuen Druckfreiheitsverordnung wurden in den genannten Zeitschriften eine Vielzahl polemischer Debatten geführt, in welchen nicht nur die herrschende Ordnung, sondern vor allem auch das literarische Establishment, die Parnassisten, und die gemäßigte Aufklärung eines Kellgren und Leopold an den Pranger gestellt wurde. Insbesondere der revolutionsfreundliche Kellgren, der als »alter Mann« bezeichnet wurde, muss seine Verortung im aufklärungsfeindlichen Lager als ungerecht empfunden und mit Bitterkeit erfüllt haben. Immerhin hatte sich StP, das einzige Publikationsorgan, das seit Jahren alle Widrigkeiten der Zensur überstanden hatte, unter seiner und Carl Peter Lenngrens Leitung zu einem entschiedenen Sprachrohr für Aufklärungsideen entwickelt. Wer waren diese radikalen Bürger, Mitbürger und Weltbürger, die am Anfang der schwedischen Schiller-Rezeption stehen, und die mit Nachdruck in die schwedische Literaturgeschichte einzuführen sind? Vergeblich bemüht man die Standardwerke der Literaturgeschichte, in welchen der eine oder andere Name dieser journalistischen Quertreiber auftauchen mag, die dem Gesamtphänomen insgesamt aber keine Beachtung schenkte.353 Erst Jakob Christensson hat 1996 svenska Folkets och Mänsklighetens helgade rättigheter, ”tergifvit tryckfriheten, att därigenom för framtiden öpna ett ljusare tidhvarf; s” ”ligger det hvarje redlig Svensk, att g” Regentens önskan till mötes, och efter sina krafter bidraga till Allmän Uplysning, som är första och vissaste steget till Allmänt Väl.« 353 Dies gilt auch für die beiden älteren Literaturgeschichten Grunddragen af svenska vitterhetens historia (1867) von Bernhard E. Malmström, sowie SVH, welche die 1790er Jahre am gründlichsten behandelt haben und zwischen den Parnassisten und den Phosphoristen auch den kleineren Autoren viel Platz einräumten. In ISLH und NISLH wird diese Phase der schwedischen Literaturgeschichte nicht behandelt, die hervortretenden Personen kaum erwähnt. Symptomatisch ist die Behandlung dieser Weltbürger in NISLH, II, S. 566, wo ihnen unter dem Titel Pressen under förmyndarstyrelsen och under Gustav IV Adolf eine halbe Seite gewidmet wird. Am ausgeprägtesten ist der Fokus auf die Gustavianer im sich bei allem methodischen Pluralismus auch literatursoziologisch verstehenden Den svenska litteraturen, wo die Presseradikalen noch nicht einmal erwähnt werden. Im Kapitel Känslans och tankens revoltörer (dt. Revolteure des Gefühls und der Gedanken) werden lediglich

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im Rahmen seiner ideengeschichtlichen »Studien hinsichtlich der schwedischen Aufklärung« unter dem Titel Lyckoriket (dt. Reich des Glücks) den von ihm so benannten »Revolutions-Rabulisten« ein gewisses Interesse angedeihen lassen, allerdings ebenfalls mit Fokus auf Nordenskiöld.354 Man mag deshalb ChrisThorild, Lidner und Höijer berücksichtigt, während die journalistische Tätigkeit der Parnassisten, Kellgrens in StP und Leopolds in Extra Posten, ausführlich beschrieben wird. Lediglich zwei literaturwissenschaftliche Arbeiten haben einen oder mehrere der Presseradikalen untersucht: Per-Adolf Lange (Tidningen Patrioten 1792, 1944) widmete der Zeitschrift Patrioten einen Aufsatz, dessen Herausgeber durch seine Nähe zu Thorild und seiner Polemik nebst Nordenskiöld als der interessanteste Vertreter dieser Schar junger zorniger Männer eingestuft wird. Aus einem ganz anderen, einem literatursoziologischen Blickwinkel hat Margareta Björkman in Original och översättning, ebenfalls 1996, Ekmansons Übersetzung zweier Romane Restif de la Bretonnes untersucht und dabei auch einiges über sein Leben zu Tage fördern können. Dagegen hat G. Sahlin in der einzigen schwedischen Arbeit über die Veränderung der Autorenrolle 1770 – 1795 unter der Rubrik Litteraten – die schwedischen »Grub-street-Autoren« die hier behandelten Rabulisten noch nicht einmal erwähnt. Mehr Beachtung geschenkt wurde der Journaille in der Forschung zur Presse und der Pressezensur ; aber auch dort konzentrierte sich das Interesse hauptsächlich auf Nordenskiöld, der sich von den genannten Schriftstellern am auffälligsten verhielt, insbesondere aufgrund der Polemik, die zwischen ihm und Kellgren entstand. Siehe E. Nyman, Indragningsmakt och tryckfrihet, 1963; T. v. Vegesack, Smak för frihet, 1995; B. æhl¦n, Ord mot ordningen, 1986; H. Eek, Om tryckfriheten, 1992; M. Nyman, Press mot friheten, 1988. Die Historikerin Alma Söderhjelm hat in Sverige och den franska revolutionen die Beziehung Schwedens zur Französischen Revolution im Rahmen der schwedischen Presse untersucht, wobei sie den Rabulisten notwendigerweise eine besondere Beachtung geschenkt hat. Als Gruppe wurde sie allerdings erst von Jakob Christensson wahrgenommen und identifiziert, und in seiner Nachfolge und mit ausdrücklichem Hinweis auf ihn von Mikael Alm in Kungsord i elfte timmen, 2002. 354 Die Bezeichnung »Rabulist« taucht in den Literaturgeschichten sporadisch und unsystematisch auf, so z. B. in NISLH, II, S. 562, zur Bezeichnung von Pehr af Lunds Zeitschrift Wälsignade Tryckfriheten eller Tryck Friheten den Wälsignade (1781 – 1784). Systematisch und zur Identifizierung der oben geschilderten Gruppe von »Rinnsteinskribenten« (Jakob Christensson, Lyckoriket, 1996, S. 117 f, in Anlehnung an Robert Darntons Untersuchungen der vorrevolutionären Asphaltliteratur in Frankreich) wurde der Ausdruck zum ersten Mal von Christensson verwendet. Der Begriff »Rabulist« scheint laut SAOB in der betreffenden Zeit kaum in Schweden verwendet worden zu sein, in Deutschland dagegen findet sich der Begriff just für die hier angesprochene neue soziale Kategorie »armer Skribent«. Dies zeigt z. B. folgendes Zitat von Johann Georg Heinzmann, Appell an meine Nation. Über die Pest der deutschen Literatur, 1795. »Nichts ist so vielseitig, nichts so doppelzüngig, so schlau, so Chamäleonsartig, als die Rabulisten unter den Schriftstellern; die Büchermacher um’s Geld. […] Menschen dieser Art kennen keine Grundsätze, also ist es schwer ihre Handlungsweise zu bestimmen; bloß das kann man als ihr unterscheidendes Kennzeichen angeben: Sie arbeiten jedem um’s Geld (S. 148 ff). Letztendlich solle nur der schreiben, der dies nicht aus finanziellen Gründen tun müsse, d. h. Schriftsteller, die aus der Oberschicht stammen, denn von denjenigen »die nicht aus einer wohlhabenden Familie hervorgehen, zieht das Publikum nur literarische Mißgeburten. Werke und Schriften ohne Neuheit, ohne Freimüthigkeit, und wenn auch das möglich wäre, so können sie doch nur solche Werke zum Druck befördern, die am besten bezahlt werden, die Nachtlampe riecht man aber sobald man ein solches Buch öffnet (S. 155). »Wahre Geldautoren tragen ihre Verächt-

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Die Schiller-Rezeption der »Rabulisten«

tensson im Großen und Ganzen zustimmen, wenn dieser Desinteresse und Unkenntnis der Literaturwissenschaftler, Historiker und Staatswissenschaftler hinsichtlich dieser merkwürdigen und in gewisser Hinsicht sicher auch inkommensurablen Gruppe von Aufklärungsradikalen polemisch beklagt. Es folgt ein kurzer Rekonstruktionsversuch der Gruppierung, so wie sie sich anhand disparater Forschungsliteratur und den Journalen der Rabulisten darbietet. Das journalistische Jakobinertum manifestierte sich bereits im April 1792 – also noch vor der Ausfertigung der neuen Druckfreiheitsverordnung – in einer frechen Broschüre mit dem Titel Bevis at det s” kallade bevis för ärftligt adelskap är intet bevis (dt. Beweis dafür, dass der sogenannte Beweis für einen erblichen Adel kein Beweis ist). Es handelte sich dabei um eine polemische Stellungnahme zu einem Artikel Kellgrens, der in einer Nummer der StP bereits 1791 Zibets Antrittsrede in der Schwedischen Akademie im Jahre 1790, in welcher dieser die Sonderrechte des Adels zu verteidigen wusste, gelobt hatte. Der Verfasser der kleinen Schrift, der unter dem Pseudonym »Criticus« publizierte, kritisierte, dass Kellgren Zibets Rede gedruckt hatte und diese als »männlich, wahr, edel an Gedanken und Reflexionen, die zur allgemeinen Aufklärung gehören« (manligt, sant, ädel af tankar och reflexioner, som höra till den Almänna Uplysningen) bezeichnet hatte, nahm jedoch diese Kritik als Ausgangspunkt für eigene gewagte Gedanken und Äußerungen zum Thema. Die Schrift wartete mit einer ganzen Reihe von Argumenten auf, die eine deutliche Verwandtschaft mit ähnlichen Broschüren im revolutionären Frankreich der Jahre 1789 – 1790 aufwies.355 In Rousseau’scher Tonart wird da z. B. verlautbart, dass »der Gesetzesgeber, der Natur gemäß, die Nation oder deren Ombudsman sei, und dass alle stets so gleich und so berechtigt zur Glückseligkeit betrachtet werden müssen wie sie es von NATUR aus sind«.356 Der Skribent lässt keinen Zweifel daran aufkommen, dass der Verdienst (förtjenst) der Geburt (börd) stets vorzuziehen sei. »Gibt es keine Kenntnisse, keinen hohen Verstand, keinen Heldenmut, nichts Edles, nichts Großes beim Bürger? […] Erbärmliche Blindheit! Und eine große und edle Tat sei weniger edel und groß, weil sie nicht von einem Adligen ausgeführt würde?«357 Die radikale Broschüre, in welcher Gedanken geäußert werden, die »keiner in Schweden zuvor auch nur geträumt hat«358, erweckte umso größeres Aufsehen, als der Publizist sich nicht zu erkennen gab und der Verdacht auf Thorild gelenkt wurde, der schon in den 1780er Jahren mit ähnlich

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lichkeit in sich selbst, und ihre Schande fließt in alle ihre Schriften mit ein. Wer Schriftstellerey zu seinem Beruf und Amt macht, und auf keine andre Art in der bürgerlichen Gesellschaft angestellt ist, kann erwarten, daß man ihn Hungers sterben lasse« (S. 160). A. Söderhjelm, Sverige och den franska revolutionen, II, 1920 – 1924, S. 112. Ebd., S. 110. Ebd., S. 110. Jakob Hökerstedt, 1792. Zitiert nach A. Söderhjelm, Sverige och den franska revolutionen, II, 1920 – 1924, S. 116 f.

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radikalen Gedanken aufgefallen war. In Wirklichkeit handelte es sich vermutlich um den 27 Jahre alten Dozenten der Medizin, Lorentz Münter Philipson, der durch Bekanntschaft und Umgang mit Thorild von dessen Radikalismus angesteckt und nicht nur inhaltlich, sondern auch stilistisch von diesem beeinflusst worden war. Unmittelbare Konsequenz war die Verschärfung der Zensur im Frühjahr 1792 unter Gustav III. Nordenskiöld, der bereits in den Jahren nach 1787 in einer polemischen Debatte mit der Kellgren’schen Aufklärungs-Phalanx in Erscheinung getreten war,359 publizierte 1792 eine Übersetzung des 1791 – 1792 in zwei Bänden erschienenen Werks Rights of Man von Thomas Paine, eine bis dato verbotene Schrift über die Menschenrechte, was zur Folge hatte, dass die alte Auseinandersetzung zwischen Kellgren und Nordenskiöld wieder entfacht wurde. Kellgren äußerte sich in seiner Rezension in StP sehr kritisch zur Übersetzung von Paines Schrift und den Kommentaren, die Nordenskiöld beigefügt hatte. Im nun folgenden Disput erhielt Nordenskiöld Sukkurs von Philipson und seiner Zeitschrift Patrioten. In einer Artikelreihe verfocht Kellgren die Meinung der Konservativen in Frankreich hinsichtlich der bürgerlichen Rechte: Menschenrechte setzen Pflichten voraus. Philipson bezeichnete Kellgren und die Schwedische Akademie als korrumpiert; deren Meinung würde von deren Bedürfnis diktiert, sich das Lebebrot erschmeicheln zu müssen. In der wissenschaftlichen Literatur wurde der Streit zwischen Kellgren und Rosenstein einerseits und den Swedenborgianern andererseits als heroischer Kampf der Aufklärung gegen den dräuenden Aberglauben und Mystizismus gesehen, weshalb er unter der Bezeichnung Pro sensu communi (1787) in die Literaturgeschichte einging.360 Diese Darstellung ist ähnlich verzerrt wie Frängsmyrs Meinung, die einzigen Aufklärer in Schweden seien Kellgren und Rosenstein gewesen. Es ist denn auch bezeichnend, dass auf die Fortsetzung der Polemik im Herbst des Jahres 1792 im literaturgeschichtlichen Zusammenhang gar nicht mehr eingegangen wird, obwohl diese Fortsetzung deutlich zeigt, wie wenig die Polemik sich auf eine weltanschauliche oder religiöse Grundsatzdiskussion reduzieren lässt. Vielmehr spiegelt die Polemik zwischen Kellgren und Rosenstein auf der einen und Nordenskiöld und Philipson auf der anderen Seite den Bruch im revolutionären Frankreich zwischen Girondisten und Jakobinern wider.361 359 Siehe M. Lamm, Upplysningstidens romantik, II, 1918, S. 105 – 117. 360 S. Ek hat in Kellgren, II, 1980, S. 146 ff, ausführlich von dem Streit Pro sensu communi gehandelt. 361 Meines Wissens hat nur S. Ek, NISLH, II, 1956, S. 472, auf die gemeinsame Verwurzelung Kellgrens und Thorilds in der Aufklärung hingewiesen und gleichzeitig Kellgren mit den Girondisten und Thorild mit dem revolutionären Flügel verglichen. Hinzuzufügen ist dem lediglich, dass Thorild, der stets als Ausnahmeerscheinung der schwedischen Literatur-

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Die Schiller-Rezeption der »Rabulisten«

Die Differenz zwischen den Parnassisten und den Rabulisten scheint derjenigen in Frankreich zu ähneln, wo Voltaire die neue Zunft der Skribenten als »malheureuse espÀce qui ¦crit pour vivre«, als »canaille de la litt¦rature« abqualifiziert,362 und Louis-S¦bastien Mercier zwischen Skribenten, »dignes de ce nom«, und »des compilateurs, des journalistes, des traducteurs — tant la feuille« unterscheidet.363 Roger Chartier sieht in dieser Teilung des literarischen Feldes im vorrevolutionären Frankreich jedoch keine »radikale Zäsur« zwischen der literarisch-journalistischen Produktion der alten und der neuen Aufklärungszunft.364 Vielmehr handle es sich um die literarische Rivalität zwischen einer etablierten und wohlbestallten Schriftstellergilde auf der einen und einer wesentlich größeren Gruppe frustrierter und entfremdeter Intellektueller auf der anderen Seite, die ihren Platz in der Gesellschaft noch nicht gefunden hätten.365 Inwieweit diese soziologische Erklärung der Rivalität jedoch auch auf die schwedischen Verhältnisse und den Konflikt zwischen den Parnassisten und den Rabulisten anwendbar ist, wird noch zu diskutieren sein. Der Blick nach Frankreich ist im Hinblick auf ein besseres Verständnis der schwedischen Verhältnisse der Zeit und der Radikalisierung in den 1780er und 1790er Jahren durchaus aufschlussreich.366 Söderhjelm, welche die wichtigsten von den Rabulisten angestrengten Themen herauszukristallisieren suchte, konstatierte die inhaltliche, argumentative und terminologische Abhängigkeit der schwedischen Periodika von den französischen Zeitungen der Zeit.367 Überhaupt wurden radikale Ansichten fast ausschließlich mit Blick auf Frankreich geäußert: Einzelne Kapitel des Contrat social wurden kommentiert und für Schweden neue Begriffe wie »Allgemeinwille« und »Volkswille« aufgegriffen. Themen wie die Druckfreiheit, die weltbürgerlichen Rechte, die Tyrannenherrschaft, d. h. deren Kon-

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geschichte angesehen wurde, in Wirklichkeit nur als der markantaste Vertreter einer neuen bürgerlichen Literatur anzusehen ist, die den allgemeinen Literaturgeschmack bereits besser präsentierte, als dies Kellgren und (bei allen Unterschieden) Leopold taten. R. Chartier, Les origines culturelles de la R¦volution franÅaise, 2000, S. 88. Ebd., S. 117. Ebd. Ebd., S. 118, bzw. S. 266 ff. Auch ein Vergleich mit den deutschen Verhältnissen wäre ergiebig, wo die Revolutionsjahre ab 1792 stimulierende Effekte auf die Gründung von Zeitschriften ausübte, welche jedoch wie in Schweden zumeist einen »ephemeren Charakter« hatten. Dutzende von »Zeitschriften entstanden und vergingen wieder nach den ersten Stücken. Das war nicht selten eine Folge der schlagartig verschärften Zensur. Dennoch fand jeder aufgeweckte Zeitgenosse die politischen Denkströmungen einer frankophilen Richtung, einer konservativen bis reaktionären Revolutionsgegnerschaft und einer abwägenden Kritik in älteren und immer neu hinzukommenden Zeitschriften vielseitig ausgedrückt« (H.-U. Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte 1700 – 1815, 1987, S. 312 f). Siehe hier und im Folgenden A. Söderhjelm, Sverige och den franska revolutionen, II, 1920 – 1924, S. 128 – 133.

Pehr af Lunds Välsignade Tryckfriheten

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sequenzen und das Recht des Volkes auf Widerstand wurden ununterbrochen diskutiert. Die staatliche Freizügigkeit gegenüber der Presse währte jedoch nur fünf Monate. Am 21. Dezember publizierte Thorild seine bereits 1786 entstandene Schrift Om det allmänna först”ndets frihet (dt. Über die allgemeine Freiheit des Verstandes), noch am gleichen Abend wurden die noch nicht verkauften Exemplare beschlagnahmt.368 Vier Tage nach dieser Publikation wurde von der Regierung eine Warnung ausgegeben, die de facto die Druckfreiheit einschränkte; die Verwarnung datierte auf den 21. Dezember. Die Regierung hätte leider feststellen müssen – hieß es in der Verlautbarung –, »dass mehrere entweder verständnislose oder freche Verfasser eine Meinung vertreten und verteidigt haben, die auf nichts weniger abzielt als die Aufhebung der Regierungsform«. Eine sichtbare Veränderung hinsichtlich der Berichterstattung kann jedoch direkt im Anschluss an den 25. Dezember nicht festgestellt werden. Einige Wochen nach der prophylaktischen Verwarnung eventueller Verstöße gegen die Druckfreiheitsverordnung vom Juli publizierte der eher der moderaten Aufklärung zugehörige Axel Gabriel Silverstolpe einige Artikel in StP mit dem Titel Reflexioner om frihet och jämlikhet (dt. Reflexionen über die Freiheit und Gleichheit), die so nachgefragt wurden, dass die Zeitung noch einmal gedruckt werden musste. In der Folge wurden auch die Zeitungen von Nordenskiöld und Philipson eingezogen, welche daraufhin die Hauptstadt verlassen mussten. Thorild war in Untersuchungshaft; das Urteil lautete vier Jahre Landesverweis; er sollte im Exil sterben, so wie Nordenskiöld und vermutlich auch Ekmanson.

2.

Pehr af Lunds Välsignade Tryckfriheten

Die erste publizierte Schiller-Übersetzung in Schweden findet sich in einer Zeitschrift von Pehr af Lund (1736 – 1806), der eigentliche Veteran unter den Rabulisten. Nach einer durchaus respektablen militärischen Karriere, in welcher er es bis zum Major brachte, obstruierte er 1778 gegen seinen Vorgesetzten Oberst Jacob Gerner, verweigerte den Befehl und entzog sich vier Monate der gerichtlichen Sanktion, indem er auf russisches Territorium flüchtete.369 Lund war lediglich einer, wenn auch der provokativste, von mehreren radikalen Offizieren, die sich in den 1770er und 1780er Jahren in unterschiedlichen Publi368 S. Arvidson, Harmens diktare. Thorild, II, 1993, S. 610. 369 Zu Pehr af Lund siehe M. v. Platen, Af Lund, Pehr, in: Svenskt biografisk lexikon, XXIV, 1982 – 1984, S. 175; M. Nyman, Press mot frihet, 1988, S. 55 ff, S. 66 ff.

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Die Schiller-Rezeption der »Rabulisten«

kationen kritisch zu Wort meldeten.370 In den 1790er Jahren sollte sich noch der hochrangige Offizier – und spätere Haupträdelsführer beim Staatsputsch 1809 gegen Gustav IV. Adolf – Johan Georg Adlersparre mit seiner in Sachen Aufklärung meinungsführenden Zeitschrift Läsning i blandade ämnen dem Aufklärerungslager hinzugesellen. Die Bedeutung des zumeist adligen und deshalb gut ausgebildeten Offizierskorps für das schwedische Geistesleben dieser Zeit ist also außerordentlich.371 Es kündigt sich hier ohne Zweifel bereits etwas von der Unzufriedenheit der Offiziere an, die 1792 zur Ermordung des Königs führte, eine Unzufriedenheit, die sich einerseits aus dem von Gustav III. verfolgten Ständeausgleich speiste, der gegen die Adligen gerichtet war, andererseits jedoch auch aus den von Gustav III. gegen Russland sinnlos angezettelten und schlecht geführten Kriegen. Der hohe Prozentsatz des Offizierskorps am schriftstellerischen Leben ist jedoch auch ein Ausfluss des hohen Anteils dieser sozialen Gruppe am literarischen System.372 Die in den 1780er und 1790er Jahren entstehenden Lesegesellschaften rekrutierten ihre Mitglieder hauptsächlich aus dem Beamtentum, dem Offizierskorps, dem merkantilen Bürgertum, der Priesterschaft und den Akademikern.373 Als Folge eines Aufsehen erregenden Prozesses, in welchen sogar Gustav III. zu Ungunsten Lunds eingegriffen zu haben scheint, um einem Günstling dessen Dienst zuzuschanzen, wurde Lund seines Postens enthoben. Lund etablierte sich 1781 als Herausgeber einer Zeitschrift mit dem provokativen Namen Dagbladet: Wälsignade Tryck-Friheten (dt. Tagblatt: Gesegnete Druckfreiheit), in welcher er unter anderem poetische Übersetzungen publizierte, die der literarisch Interessierte bereits in seiner Zeit als Offizier angefertigt hatte. Im Übrigen widmete er sich mit seiner viel gelesenen Zeitschrift vor allem der Kritik der Politik und Person des ihm verhassten Königs. Lund erwies sich als ein geschickter Satiriker, der sich mit viel Fingerspitzengefühl durch die Klippen der Zensur hindurchmanövrierte, und der Zensurbehörde wenig angreifbare Oberfläche bot. Er arbeitete mit ironischen Anspielungen, Zitaten und geheuchelten Lobreden auf 370 M. Nyman, Press mot frihet, 1988, S. 55, nennt außerdem Simon Stadenberg, Johan Niclas Zetherström, Johan Georg Ehrenmalm, Arvid Adrian Stiernecrantz. Auch bei der Ermordung Gustav III. waren mehrere Offiziere beteiligt, die später schriftstellernden Aktivitäten nachgingen. 371 A. F. Skjöldebrand, ebenfalls Offizier, scheint in seiner Tragödie Hermann von Unna von Schillers Don Carlos beeinflusst zu sein und war (siehe Kapitel IX) ein Bewunderer Schillers. Noch zwei Jahrzehnte später sollten im Rahmen der Romantik zwei Offiziere und SchillerBewunderer – C. Livijn und J. A. Hazelius – schriftstellerisch tätig sein (siehe Kapitel XII und XIII). 372 Der hohe Anteil der Offiziere am literarischen System erklärt sich wiederum dadurch, dass die meisten Offiziere Adlige waren, welche aufgrund einer sprachlichen Ausbildung die besten Voraussetzungen zum Schriftstellerischen mitbrachten. 373 G. Sahlin, Författarrollens förändring och det litterära systemet 1770 – 1795, 1989, S. 53.

Pehr af Lunds Välsignade Tryckfriheten

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den König. Charakterdarstellungen antiker Tyrannen, Hinweise auf die Pflichten eines Regenten und Ratschläge für Thronfolger, der klassischen Literatur und vermeintlich östlicher Weisheit entnommen, waren kaum missverständlich. Das übertriebene Theaterinteresse des Königs, seine teuren Auslandsreisen, die Branntweinabgaben sowie das Günstlingssystem wurden mehr oder weniger kaschiert und kritisch thematisiert. Lund schrieb die meisten Beiträge selbst, aber auch Lidner und Thorild – einmal sogar Kellgren – lieferten Beiträge. Thorild betrachtete die Publikation, die »von der wagemutigsten und geistreichsten Boshaftigkeit« und von »einer starken und treffenden Wahrhaftigkeit« sei, als Vorbild für seine eigene Zeitschrift und Bengt Lidner publizierte dort einige Gedichte. Lunds Zeitschrift war jedoch eine kritische Stimme unter mehreren, die sich zu Beginn der 1780er Jahre bemerkbar machten. Josias Cederhielms Sanning och nöje war ihr 1780 vorangegangen, und Thorilds Den nya granskaren sollte sie 1784 ablösen. Eine radikalisierte jakobinische Tendenz scheint sich also zeitgleich mit einer gewissen Radikalisierung in Frankreich in den 1780er Jahren anzukündigen, wurde jedoch vom schwedischen König wirkungsvoll unterdrückt. Die von des Königs Seite unternommenen Anstrengungen, Lunds Feder zum Schweigen zu bringen, erreichten 1784 ihr Ziel. Für eine gewisse Geldsumme scheint Lund einige Jahre seine kritische Publizistik aufgegeben zu haben. Als er jedoch 1790 vor dem finanziellen Ruin stand, warf er sich 1792 bis 1801 erneut auf eine Reihe kurzlebiger und relativ harmloser Zeitschriftenprojekte – darunter Välsignade tryckfriheten och Tyckfriheten den välsignade (23. 7. 1792 – 21. 2. 1793), in welcher der besagte Schiller-Text publiziert wurde –, welche jedoch nicht mehr den vormaligen Biss hatten. Nicht nur, weil er Geld vom König erhalten hatte, sondern auch, weil er wie viele andere von der Schreckensherrschaft in Frankreich entsetzt war, hatte er seinen vormaligen Radikalismus aufgegeben. Die Zeitgenossen empfanden seine Schreibweise und seinen Stil als »verworren« und sogar F. A. Fersen, der Lunds Abneigung gegenüber dem König teilte, meinte, dass Lund zwar »Verstand und Genie« hatte, jedoch »unruhig und überspannt« war.374 Die von seinem Freund C. A. Ehrensvärd angefertigten Zeichnungen wurden als eine »schwärmerische Apotheose über ein junges Genie« angesehen.375 Seine 1801 publizierten Skrifter för allmänna lefvernet sind ein »vorromantisches Dokument in Lidners sentimentalem Geist«.376 Der gemeinsame Nenner der Rabulisten scheint generell eine Bruderschaft im Geiste der Vorromantik gewesen zu sein: das gegen die Aufklärer Kellgren und Ro374 M. v. Platen, Af Lund, Pehr, in: Svenskt biografisk lexikon, S. 175. 375 R. Josephson, Carl August Ehrensvärd, 1963. 376 M. v. Platen, Af Lund, Pehr, in: Svenskt biografisk lexikon, S. 175.

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senstein gerichtete Schwärmertum, die geistigen Affinitäten und Beziehungen zu Thorild, der nicht nur Philipson stark beeinflusste und zu Lunds Zeitschrift beitrug, sondern auch Ekmansons Übersetzungen vor der Kritik Kellgrens verteidigte. Im Vergleich zu Dagbladet: Wälsignade Tryck-Friheten (1781 – 1784) war Välsignade tryckfriheten och Tryckfriheten den välsignade (23. 7. 1792 – 21. 2. 1793) also ein gezähmtes und den Regierenden wenig gefährliches Organ, wenngleich es – vermutlich von seiner vormaligen Reputation zehrend – nach Angaben von Christensson die damals enorme Auflage von 1000 Exemplaren erreichte.377 Wenn die Angaben korrekt sind, so hätten im September 1792 gemäß der gängigen Annahme, dass jede Zeitung und Zeitschrift mehrere Leser erreichte, mehrere Tausend schwedische Leser ein Kapitel aus dem Abfall der Niederlande gelesen und in einer Anmerkung den Hinweis erhalten, dass »Schiller ein berühmter Autor« ist und »jetzt den Dreißigjährigen Krieg schreibt«. Die Anmerkung ist in mehrerer Hinsicht interessant. Zum einen lässt die Betonung, dass Schiller ein berühmter Autor ist, vermuten, dass Lund bei seinen Lesern nicht mit einer Kenntnis des deutschen Autors rechnete. Zum anderen weist die Tatsache, dass die Leihbibliothekslisten Cleves der Jahre 1790 – 1792 den Historischer Calender für Damen für das Jahr 1791 von Friedrich Schiller, wo die ersten zwei Bücher des Dreißigjährigen Krieges publiziert wurden, nicht enthalten, darauf hin, dass noch andere Kanäle existierten. Überraschend ist auch, wie schnell die schwedische Rezeption hier der literarischen Produktion Schillers folgt. Schiller ist – und das unterscheidet ihn von allen anderen in Schweden bekannten deutschen Autoren dieser Zeit – Zeitgenosse, ein Sachverhalt, der auch für die folgende Rezeptionsgeschichte gilt. Pehr af Lund hat diesem Text ein Motto vorangestellt: es handelt sich dabei um Strophe 19 von Leopolds Gedicht Ett tillkommande, eine Schilderung der Hölle, wo alle weilen, die das »Recht der Tugend« (Dygdens rätt, Strophe 11)

377 Ich stütze mich hier auf J. Christensson Angaben, Lyckoriket, 1996, S. 119, dass Lunds Välsignade tryckfriheten och Tryckfriheten den välsignade in bis zu Tausend Exemplaren distribuiert wurde, kombiniert mit der allgemein akzeptierten Annahme in der Presseforschung, dass jede Zeitschrift mehrere Leser hatte. Für deutsche Verhältnisse und hinsichtlich der Buchzirkulation galt sogar die Faustregel, dass »jedes Buch gewöhnlich zwanzig Leser« fand (siehe H.-U. Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte 1799 – 1815, 1987, S. 304). Die Zahl von Christennson scheint mir jedoch sehr hoch gegriffen (zumal er die Quelle nicht angibt) und eher unwahrscheinlich. Bei der Herausgabe der ersten Version dieser Zeitschrift in den 1780er Jahren wäre diese hohe Auflagenzahl möglich gewesen, da er zu diesem Zeitpunkt ohne Konkurrenz und seine Zeitschrift außerordentlich provokativ war. 1792 dagegen hatte Lunds Zeitschrift nicht mehr den ursprünglichen Biss und außerdem mehrere Konkurrenten. Auch Alma Söderhjelm hat in Sverige och den franska revolutionen, II, 1920 – 1924, S. 127, darauf hingewiesen, dass Lunds Zeitung bereits im Oktober eine »dürftige Existenz fristete«.

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gekränkt haben.378 Dieses Zitat ist merkwürdig, da es nicht ganz der Vorstellung eines erbitterten Streits zwischen dem Lager um Kellgren und Leopold einerseits und dem Lager um Thorild und den Rabulisten entspricht. Vor allem Christensson deutet den Konflikt als Polemik der Rabulisten gegen die Parnassisten: […] als die 1790er Jahre anbrachen, konnten alle sehen, wie sie [z.B. Kellgren, Leopold] reüssiert waren. Sie waren etabliert, und ihr Juste Milieu herrschte allenthalben, als ein dramatischer Umschwung eintrat. Wie durch einen Zauberschlag mussten diese literarischen Fixsterne 1792 erleben, wie sie von alles andere als sie grenzenlos bewundernden Kollegen infrage gestellt wurden. Ihre poetischen Pirouetten wurden bösartig parodiert und ihre eben noch gefeierten Namen wurden in den Schmutz gezogen. Warum? Vielleicht, weil es ihnen nur zu gut gelungen war, als sie schonungslos auf Reimschmiede und Brotskribenten eingeschlagen hatten. Mit ihren Federn hatten sie die Karriere gleichaltriger Konkurrenten beendet und die Karriere jüngerer Talente war in den Kinderschuhen stecken geblieben. Darum gehörten sie zum Etablissement und wurden direkt mit Gustav III. immer autoritärer auftretenden Regierung in Verbindung gebracht. War nicht die Schwedische Akademie ein gehorsames Amt, und war es nicht ihr Auftrag, eine Despotie zu vergolden? Dies waren zumindest Ansichten, welche von den literarischen Gegnern immer verbitterter angeführt wurden. Die Repräsentanten des Lagers der Akademie wurden in den Zeitungen als Schmeichler und Lakaien bezeichnet.379

Ist die Grenze zwischen den Rabulisten und den Gustavianern vielleicht doch nicht so eindeutig, wie Christensson geltend machen will? Auf diese Frage soll in Kürze zurückgekommen werden. Bei dem in Lunds Zeitschrift abgedruckten Text unter dem schwedischen Titel M”lning p” den spanska Inquisitionen (dt. Gemälde der spanischen Inquisition) handelt es sich um das Kapitel Das Inquisitionsgericht im ersten Buch, unter Auslassung des ersten Abschnittes und unter Beifügung des ersten Satzes des nächsten Kapitels in veränderter und erweiterter Form. Die außerordentlich eindringliche Beschreibung der Funktionsweise eines totalitären Regimes, die auf der Zerschlagung des »sittlichen Charakters« des Einzelnen beruht, eines der Glanzstücke in Schillers erstem historischem Werk,380 wurde von Lund freilich 378 Die Strophe lautet: »Se där en afgrund; full af l”gor, / Bebodd af pl”go-andars här, / Och kringhvälfd af den flodens v”gor, / Hvars ”terfart förnekad är. / Där ryta, kring de heta Stränder, / De vilddjur, utan undanflykt, / Som genomblodat Jordens Länder, / Och de som kyst de bödlars händer, / Som Mensklighetens rätt förtryckt.« C. G. af Leopold, Samlade skrifter av Carl Gustaf af Leopold (Svenska Författare utgivna av Svenska Vitterhetssamfundet 2), I:2, Dikter 1785 – 1829 utgivna av Torkel St”lmarck, 1. Text, 2002, S. 60. 379 J. Christensson, Lyckoriket, 1996, S. 109. 380 So konstatierte Norbert Oellers in Schiller : Elend der Geschichte, Glanz der Kunst, 2006, S. 417: »Bei der Beschreibung der Inquisition ist Schiller (wie im Don Karlos) ganz in seinem Element: er brandmarkt sie als menschenverachtende Institution und zeichnet mit erkennbarer Lust am Zeichnen das Grauen der Urteilsvollstreckung und die grässlichen Ereignisse, die vorangehen.«

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Die Schiller-Rezeption der »Rabulisten«

mit Bedacht und mit Blick auf die Verhältnisse in Schweden gewählt, wie in der Folge auch die Schiller-Rezeption Ekmansons zeigen wird. Natürlich kann man sich auch eine selbstzufriedene Genugtuung beim protestantischen Leser angesichts der Beschreibung des dämonisch Bösen der katholischen Kirche denken. Aber die Inquisition war für Schiller nicht ein einzelnes interessantes historisches Ereignis, sondern das genaue Gegenteil der Aufklärung, welche sie außer Kraft setzt; es handelt sich um die Funktionsweise eines totalitären Staates. Als Beschreibung einer solchen Funktionsweise ist dieses Buch nicht nur ein historiographisches Werk, sondern ein Beitrag zur Aufklärung über solche Verhältnisse. Dass af Lund gerade Leopolds HöllenBeschreibung in Ett tillkommande als Motto wählte, stützt die Annahme, dass er die Inquisition genau wie Schiller in ihrem kontradiktorischem Verhältnis zur Aufklärung als exemplarisch ansah: die Aufklärung steht für das Licht und die Hölle für die Dunkelheit. Offenbar wurde der Text also bewusst gewählt, um gewisse totalitäre Züge im Gustavianischen Regime widerspiegeln zu können – und dass das auch die Intention war, ist wahrscheinlich, insbesondere angesichts der Biographie von af Lund. In der Schiller-Rezeption Ekmansons zeigt sich, dass die Rabulisten das Gustavianische System als Inquisitionssystem erlebten.

3.

Johan Samuel Ekmanson (1760 – ?)

Mehr noch als Pehr af Lund kann Johan Samuel Ekmanson beanspruchen, im Rahmen einer Geschichte der Schiller-Rezeption zuerst genannt zu werden. Ekmanson war als siebzehnjähriger Pastorensohn nach Uppsala gekommen und erhielt 1780 eine feste Anstellung als Kanzlist in der Kammerrevision, wo er zunächst unentgeltlich arbeitete, was ihn zu anderweitigen Einkommensmöglichkeiten zwang. Offensichtlich bereits in jungen Jahren über gute Sprachkenntnisse verfügend, warf er sich auf die Übersetzertätigkeit. La Famille vertueuse von Restif de la Bretonne, ein Buch, das aufgrund seines Titels auch den Kritikern des neuartigen Romangenres zusagen musste, war ohne Zweifel eine gute Wahl für den noch unbekannten Übersetzer. Dies ist keineswegs unerheblich zu bemerken, denn neben der ökonomischen Seite dieser Einkommensquelle war die Übersetzungstätigkeit, die im Urteil der Zeit der Schriftstellerei gleichrangig war, auch eine Form der zusätzlichen Meritierung für eine Beamtenlaufbahn, die Ekmanson sich anschickte zu betreten.381 Dass diese Seite der Übersetzungstätigkeit keineswegs irrelevant war, bezeugt die Dedikation, die an Wilhelm von Düben gerichtet war, dem Präsidenten der Kammerrevision, also oberster Chef derjenigen Behörde, bei der Ekmanson eine Beförderung 381 Siehe B. Bennich-Björkman, Författaren i ämbetet, 1970, S. 25.

Johan Samuel Ekmanson (1760 – ?)

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anstrebte. Die feste Anstellung ließ nicht auf sich warten. Ekmanson widmete sich weiteren Übersetzungen, die er anderen im Rahmen von Karrierekategorien durchaus als nützlich zu bezeichnenden Personen widmete, und konnte bis 1786 seinen Karrierekurs beibehalten.382 Ekmanson hat sich in diesen Jahren – ich mache mir hier Margaretha Björkmans Meinung zu eigen – auf der Schwelle zwischen Beamtenschriftstellerei und freier Schriftstellerei positioniert. Ein Jahr nach einer erneuten Beförderung 1786 wurde er jedoch – vermutlich im Zusammenhang mit einer Umorganisation der Kammerrevision – entlassen. Damit wurde Ekmanson wider Willen ganz aufs Feld der freien Schriftstellerei geworfen und entfachte eine vielfältige Aktivität als Übersetzer, Buchhändler, Buchdrucker und Zeitschriftenherausgeber. Die Suche nach neuen Einkommensquellen, um die wachsende Familie zu versorgen, scheint ihn – wie den Buchhändler Cleve – zur rastlosen Tätigkeit gezwungen zu haben, bis er 1801, nachdem er Konkurs gemacht hatte, als Ombudsmann des Buchhandels und der Buchdruckerei angestellt wurde. Als solcher hatte er Befugnisse als Zensor und scheint diese ausgiebig gegen seine vormaligen Kollegen genutzt zu haben, sei es, weil er an den von ihm verhängten Bußgeldern prozentual beteiligt war, sei es, weil er den ehemaligen Kollegen sein ökonomisches Faillite nachtrug.383 Im Jahre 1805 wurde er seines Postens enthoben und um 1809 scheint er Schweden, Frau und Kinder verlassen und sich außer Landes begeben zu haben. Im Unterschied zu den anderen Rabulisten – mit Ausnahme von Pehr af Lund – ist Ekmansons Wirksamkeit als Publizist deutlich von seinem Interesse für die Literatur geprägt. Er übersetzte von Restif de la Bretonne La Famille vertueuse (1780, Den dygdiga släkten) sowie Lucile, ou Les progrÀs de la vertu (1785, Lucile, eller Dygdens framsteg), ebenfalls aus dem Französischen war seine zweite Übersetzung Faders-hjärtat, eller Det igenfunna barnet (1781, Das Vaterherz, oder Das wiedergefundene Kind), aus dem Englischen Laurence Sternes Yoricks Reise (1791) und aus dem Deutschen Christian F. Weißes Barn-Wännen (1797), Johann G. Müllers Emmerich (1798), und Agathodämon (1806) von Christoph Martin Wieland.384 Björkman hat dargelegt, dass sich Ekmanson mit seiner ersten Übersetzung 1779 auf ein jungfräuliches Feld wagte. Eine schwedische Romantradition gab es noch nicht und auch Romanübersetzungen lagen kaum vor. Ekmanson war also gezwungen, der schwedischen Sprache gänzlich neue Ausdrucksformen abzuringen. Anhand der chronologischen Abfolge von Ekmansons Übersetzungen lässt sich übrigens deutlich der Übergang von der

382 Eine genauere Darstellung dieser Vorgänge findet sich in M. Björkman, Original och översättning, 1996, S. 29 ff. 383 B. æhl¦n, Ord mot ordningen, 1986, S. 170 ff. 384 Siehe F. Böök, Romanens och prosaberättelsens historia i Sverige intill 1809, 1902, S. 429 f.

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Die Schiller-Rezeption der »Rabulisten«

Dominanz der französischen Romanliteratur in den 1780er Jahren zur deutschen Literatur in den 1790er Jahren ablesen.385 Neben dem Werlds-borgaren gab Ekmanson zwei weitere Zeitschriften heraus: den Colporteuren sowie Magazin för literaturen, historien och statskunskapen. Das erste Heft dieser Zeitschrift wird in Journal för svensk litteratur erwähnt und für gut befunden, mit dem Vorbehalt, dass der »Plan im Dunkeln« bleibe, weshalb das Magazin auf wenig Subskribenten hoffen dürfe. Im Rahmen seiner Zeitschriften, insbesondere dem Werlds-borgaren, verfasste Ekmanson eigene Artikel oder er rückte Übersetzungen vor allem aus dem Deutschen ein. Während sich seine Romanübersetzungen durchaus an den Publikumsgeschmack gehalten haben, so scheint er im Rahmen des Werlds-borgaren einem fortgeschritteneren Geschmack gefolgt zu sein. Als durchaus gewöhnungsbedürftig mussten zumindest die Auszüge aus den Philosophischen Briefen Schillers empfunden werden, die Ekmanson einrückte. Noch deutlicher tritt Ekmansons seiner Zeit vorauseilender literarischer Geschmack in den Motti zu Tage, die er den meisten Artikeln vorangestellt hat. Hier finden sich Thorild, Shakespeare, Montaigne, Wieland, Klopstock, Goethe und Schiller – also Autoren, die laut Literaturgeschichte kaum den offiziellen Publikumsgeschmack präsentierten. Besonders der Schweizer Pietist und Physiognomiker Johann Kaspar Lavater, von dem er in jeder zweiten Ausgabe mehrere Aphorismen oder Textausschnitte abdruckte, scheint es dem schwedischen Publizisten angetan zu haben, ganz im Sinne Thorilds, der in seinem bekannten Gedicht Passionerna Klopstock, Gessner, Goethe und Lavater pries – womit er sich konträr zum Aufklärungsgeschmack Leopolds positionierte. Ohne Zweifel war Ekmanson die schwedische Lavater-Polemik des Jahres 1785 bekannt, in welcher Leopold, der während seines Deutschlandaufenthalts mit dem Schweizer Pietisten korrespondiert und anscheinend einen bleibend schlechten Eindruck erhalten hatte, seiner Abneigung gegen den »kleinen Autor, der die Apostelerzählungen in deutsche Reime setzte«, den »Capellan in Zürich, im eingebildeten Mittelpunkt seines schriftstellerischen Planetensystems«, in einem Artikel Luft machte, woraus sich eine kleine Polemik entspann.386 Es war die erste Kraftprobe Leopolds im ironisch-aufklärerischen Genre eines Voltaire, das er fürderhin so gekonnt beherrschen sollte.387

385 In den 1780er Jahren drückt sich der Anteil der Sprachen, aus welchen Belletristik übersetzt wurde in Zahlen sowie prozentual wie folgt aus: Französisch 123 (69 %), Deutsch 32 (18 %) und Englisch 24 (13 %); in den 1790er Jahren war der Anteil der französischen Titel bereits auf 42 % gesunken; die Verschiebung fand zugunsten der deutschen Literatur statt. Siehe M. Björkman, Original och översättning, 1996, S. 7. 386 Zitiert nach O. Holmberg, Den unge Leopold, 1953, S. 251 ff. 387 Nicht bekannt war ihm dagegen Schillers Lavater-Kritik in der Dissertation Ueber den

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Ekmansons Umgang mit der Literatur war offensichtlich nicht nur eine Frage der Profession, vielmehr sind die Motti ein für schwedische Verhältnisse früher Ausdruck einer Vielleserei, wie sie sonst erst mit der Romantik sichtbar wurde. Er hatte – dies belegen die Schiller-Auszüge und Zitate in Werlds-borgaren eindeutig – Schillers Don Carlos, Der Abfall der Niederlande sowie die Thalia gekannt und gelesen. Die Thalia war laut Bücherliste erst seit 1793 bei Cleve zugänglich, es ist aber sehr wahrscheinlich, dass die Zeitschrift schon Ende 1792 im Angebot war, jedoch erst Anfang 1793 in die Bücherliste mit aufgenommen werden konnte. Ekmanson war also zu diesem Zeitpunkt bereits ein guter Kenner von Schillers Werk, das weitgehend in der Thalia publiziert worden war. Neben den ihm literatursoziologisch vorgerechneten ökonomischen Zwängen und Bedingtheiten388 mögen den talentierten, aus drei Sprachen übersetzenden Ekmanson auch durchaus ernsthafte Schriftstellerambitionen und ein gewisser aufklärerischer Idealismus umgetrieben haben.

4.

Der Werlds-borgaren

Der Werlds-borgaren erschien vom 18. August 1792 bis zum 22. Dezember des gleichen Jahres mit dem in der ersten Ausgabe erklärten Ziel, der »öffentlichen Aufklärung« zu dienen, um dadurch das öffentliche Wohl zu fördern. Der Herausgeber rechnete zu Beginn mit 50 Subskribenten und kündigte das zweimal wöchentliche Erscheinen der Zeitschrift an, eine Ankündigung, die von der Hoffnung begleitet wurde, in naher Zukunft »öfters aufwarten« zu können, sofern man den Beifall und die Unterstützung der Öffentlichkeit erhalte, sprich sofern die Zeitschrift mehr Käufer fände (Werlds-borgaren, 18. 8. 1792, S. 1 – 2). Im Unterschied zu Patrioten, Medborgaren und Dagbladet: Wälsignade TryckFriheten, die zu tausend und mehr Exemplaren verkauft wurden,389 fristete der Werlds-borgaren also ein ökonomisch eher ungesichertes Dasein, wenngleich man von einer deutlich höheren Auflage als die in der Ankündigung genannten 50 Subskribenten ausgehen muss.390 Söderhjelm bezeichnet Werlds-borgaren jedoch trotz seiner im Vergleich zu den oben genannten Zeitschriften ohne Zweifel geringeren Durchschlagskraft als interessanten Spiegel der Ideale und der Forderungen der Zeit.391

388 389 390 391

Zusammenhang der thierischen Natur des Menschen mit seiner geistigen sowie im Gedicht Grabschrift eines gewissen – Physiognomen (NA, XX, 1, S. 37 ff). Siehe M. Björkman, Original och översättning, 1996; J. Christensson, Lyckoriket, 1996. Patrioten hatte Auflagen bis zu 3000 Exemplaren. Siehe J. Christensson, Lyckoriket, 1996. Den Svenska Lycurgus hatte z. B. nur 60 – 70 Subskribenten, die gedruckte Auflage dagegen lag bei ungefähr 500 Exemplaren. Siehe M. Nyman, Press mot friheten, 1988, S. 75. A. Söderhjelm, Sverige och den franska revolutionen, II, 1920 – 1924, S. 127.

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Die Schiller-Rezeption der »Rabulisten«

»Weltbürger«, »Kosmopolit«, »Menschenfreund« – dies waren Bezeichnungen, die nicht nur Ekmanson, sondern auch die anderen Rabulisten für sich geltend machten. Medborgaren, d. h. Nordenskiöld, erklärte in der Vorankündigung seinen Willen, keinem Stand, keiner Partei und keiner Sekte anzugehören, sondern der ganzen Welt, die sein Vaterland sei.392 Warum konnten sich diese radikalen Skribenten nicht mit der schlichteren Bezeichnung »Bürger«, begnügen? Die Entstehung und Entwicklung des schwedischen Begriffs »borgare« bzw. »borgerlig« vollzog sich sowohl in formaler als auch in semantischer Hinsicht in Anlehnung an die deutschen Vorbilder »Bürger« bzw. »bürgerlich.393 Da sich auf deutschem Boden kein eigentliches Bürgerbewusstsein ausbilden konnte, welches den Einzelnen in eine konkrete Relation zum Staat setzte, wurde »der spätantike Begriff des »Weltbürgers« zum Mode- und Schlagwort der Aufklärung«.394 In der Ankündigung der Rheinischen Thalia, die Ekmanson gekannt haben könnte, wenngleich das hier nicht supponiert werden soll, schrieb Schiller : »Ich schreibe als Weltbürger, der keinem Fürsten dient. Frühe verlor ich mein Vaterland, um es gegen die große Welt einzutauschen.«395 Neben der alltäglichen Bedeutung wurden die Begriffe »Kosmopolit« und »Weltbürger«, wie das Beispiel Schillers zeigt, in polemischer Absicht verwendet. Ein weiterer Grund für die frequente Verwendung des Weltbürger-Begriffs in Deutschland war, dass hier der Begriff des »Bürgerlichen« durch den Gegensatz zum »Adligen« bestimmt wurde. Noch während der Französischen Revolution gab Schiller in einer Anmerkung zu der »einsichtsvollen Vergleichung Bürgerlicher und Adelicher Sitten« bei Christian Garve der These seine Zustimmung, dass zu den »Prärogativen des adelichen Jünglings auch die frühzeitige Kompetenz desselben zu dem Umgange mit der großen Welt« gehöre, von welchem der »Bürgerliche schon durch seine Geburt ausgeschlossen« sei.396 Die allgemeine und populäre »Weltbürgerei« (Wieland) wurde jedoch auch negativ bewertet: »Nach Wieland war sie nicht nur eine Flucht vor der Wirklichkeit des deutschen Staatslebens, sondern das Produkt des absolutistischen

392 Ebd., S. 132. 393 SAOB, B 3952, Borgerlig, § 4. Die Formen »borglig« und »borgelig« wurden in Journal för svensk litteratur (1799, S. 553) kritisiert zugunsten der deutschen Bildung »borgerlig«. P. Lundell, Pressen i provinsen, 2002, S. 52 f. 394 Geschichtliche Grundbegriffe, »Bürger«, S. 686. Siehe außerdem U. Wertheim, Über den Begriff des »Weltbürgers« und die Vorstellung vom »Weltbürgertum« bei Schiller, in: Studien zur deutschen Klassik, 1960. 395 NA, XXII, S. 94. Schiller hatte die vierseitige Ankündigung im November 1784 an zahlreiche Freunde, Schriftsteller und literarisch Interessierte versandt. Außerdem wurde sie in Heinrich Christian Boies Teutsches Museum eingerückt. 396 F. Schiller, Über die notwendigen Grenzen beim Gebrauch schöner Formen, 1793, NA, XXI, S. 19, Anmerkung.

Der Werlds-borgaren

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Regierungssystems, das Bürgertugenden überflüssig machte.«397 Dieser Kritik trägt Ekmanson in polemischer Absicht Rechnung, wenn er in der zweiten Ausgabe vom 22. August 1792 in einem Artikel vom Cosmopolitismus handelnd »zwei Zeichnungen zweier sinnreicher Autoren für und wider diesen nebeneinander« stellt.« Das erste Gemälde ist einem Text Wielands entnommen, in welchem der »Lucianus Deutschlands«, hier tatsächlich als Verteidiger des Weltbürgertums auftretend, von einem Orden der Weltbürger ohne Ordenszeichen und Zusammenkünften spricht, der noch enger miteinander verbunden sei als die Jesuiten und Freimaurer, und sich auf das notwendigste Naturgesetz gründe, uns selbst in denjenigen zu lieben, die uns am nächsten sind. Die Bezeichnung Wielands als »Lucianus Deutschlands« (der Name »Lucianus« bezeichnete die Gegnerschaft zum Schwärmertum) spielt wohl auf dessen berühmte Schwärmerfrage aus dem Jahr 1776 im Teutschen Merkur an: »Wird durch die Bemühungen kaltblütiger Philosophen und Lucianischer Geister gegen das, was sie Enthusiasmus und Schwärmerey nennen, mehr Böses als gutes gestiftet? Und in welchen Schranken müßten sich die Antiplatoniker und Luciane halten, um nützlich zu seyn?« Dies war der Anstoß des sogenannten Schwärmerstreits in den 1780er Jahren in Deutschland, in welchem LavaterAnhänger als Verteidiger des Enthusiasmus auftraten, um im Namen der Begeisterung, der Religion, des Gefühls und des Feuers des Genies gegen den Lucianischen Zeitgeist zu rebellieren.398 Und eine solche Rebellion scheint auch Ekmanson vorzuschweben, wenn er sich offensichtlich als Lavater-Anhänger zu erkennen gibt. Der Spötter wider die Weltbürgerei, vermutlich ein schwedischer Autor aus der Reihe der Parnassisten, verkündet im zweiten »Gemälde« ironisch: O! Du Jahrhundert für Universal-Mediciner, Universal-Monarchien, Cosmopoliten und alle Art Schwärmer! Ich sehe im Geiste die allgemeine Aufklärung sich über alle Stände ausbreiten – alle Alter, und die Goldene Zeit nähert sich, wo wir alle eine Familie sein werden; wo wir, mit brüderlichen und zärtlichen Gefühlen den edlen und lie397 Zitiert nach Manfred Rieder, Bürger, Staatsbürger, Bürgertum, in: Geschichtliche Grundbegriffe, I, 1972, S. 686. Rieder nimmt hier z. B. Bezug auf Christoph Martin Wieland, AA 1. Abt., VII, 1911, S. 455, 445. »Weil wir ohne Nerven sind, und in dem Staate, worin wir zu leben die Ehre haben, auch keine nötig haben, sondern Drahtpuppen, nervis alienis mobilia ligna sind, schwingen wir uns über die […] Bürgertugenden hinweg und schwatzen von allgemeiner Weltbürgerschaft.« Siehe hierzu auch H. J. Schings, Melancholie und Aufklärung, 1977, S. 270, sowie insbesondere U. Wertheim, Über den Begriff des »Weltbürgers« und die Vorstellung vom »Weltbürgertum« bei Schiller, in: Studien zur Deutschen Klassik, 1960. Den Enthusiasmus für das Weltbürgertum teilte Ekmanson mit Schiller. U. Wertheim, S. 115, zitiert folgende Aussage Schillers (Brief an Körner 13. 10. 1789): »Es ist ein armseliges kleinliches Ideal, für eine Nation zu schreiben; einem philosophischem Geiste ist diese Grenze durchaus unerträglich.« 398 Siehe H. J. Schings, Melancholie und Aufklärung, 1977, S. 270 f.

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Die Schiller-Rezeption der »Rabulisten«

benswerten Menschenfresser an unsere Brust drücken, und schließlich, wenn dieses Wohlwollen sich noch mehr ausbreitet, Hand in Hand durch das Leben wandern mit dem geistreichen Orang-Utang. Dann werden alle Vorurteile verschwinden! Dann werden wir nicht länger von drückenden Ketten gefesselt.399

Der Liste des Spötters mit den »Universal-Medicinern«, »Universal-Monarchien« und »Cosmopoliten« wäre der »Universalhistoriker« hinzuzufügen. Das in der ersten Ausgabe formulierte Programm Werlds-borgaren weist nämlich deutliche Analogien zu Schillers Antrittsrede auf. Diese wurde 1789 in Wielands Teutscher Merkur veröffentlicht, der ebenfalls in Cleves Leihbibliothek geführt wurde – eine Kenntnis derselben bei Ekmanson ist deshalb zwar nicht vorauszusetzen, aber sehr wahrscheinlich, bedenkt man Ekmansons Interesse für Wieland. So erklärte er in seiner ersten Ausgabe vom 18. August 1792: Wenn man zur allgemeinen Aufklärung beitragen will, ist es notwendig, seine Themen nicht einem eingeengten Gesichtskreis zu entnehmen; denn selbst verirrt, wird man leicht andere irreleiten. Die Natur, einseitig betrachtet, von Afrikas und Arabiens Wüsten, aus dem Schlunde des Ätnas, und von den Fjällen [Bergen] Norwegens – so wild und schauerlich – ist doch ein Ganzes, wo der Betrachter, der sich über die beschränkte Aussicht erheben kann, bei jedem höheren Blick Schönheit und Ordnung sieht. […] Es ist der Charakter des Weltbürgers, sich entweder nicht um die Nachrichten des Tages zu kümmern, oder auch diese von einem höheren Standpunkt aus zu betrachten, und diese auf eine andere Weise zu erzählen als gewöhnliche Zeitungen und Zeitschriften. Hinsichtlich der gegenwärtigen Ereignisse und Entdeckungen sollte man jedoch nicht vergessen, dass diese von einer weniger ephemeren Beschaffenheit sind, ohne diese jedoch zu seiner Hauptbeschäftigung zu machen.400

In seiner Antrittsrede hatte Schiller dargelegt, dass das »nützliche« der Weltgeschichte darin bestehe, von der »gemeinen und kleinlichen Ansicht moralischer 399 Werlds-borgaren, 22. 8. 1792, S. 11: »O! Du ærhundrade för Universal-mediciner, Universalmonarchier, Cosmopoliter och alla slags Svärmare! Jag ser in andanom allmän Uplysning utbreda sig öfver alla st”nd – alla ”ldrar, och den Gyllene Tiden nalkas, d” vi alla utgöra en Famille; d” vi, med broderliga och öma känslor, trycke den ädle älskansvärde Människofrätaren till v”rt bröst, och sluteligen, när denna välvilja blir ännu mera utvidgad, vandre hand i hand genom lifvet med den snillrike Ourang-outang. D” försvinna alla fördomar! Da fängslas vi ej längre af n”gra tryckande bojor m.m.« 400 Werlds-borgaren, 18. 10. 1792, S. 3: »D” man vill bidraga till Allmän Uplysning, är det nödvändigt att ej välja sina ämnen utur en inskränkt synkrets; ty själv förvillad, skall man d” lätteligen förvilla andra. Naturen, ensidigt betraktad, fr”n Africas och Arabiens öknar, ur Ernas gap, och ifr”n Norriges fjällar – s” vild och ryslig – gör d”ck ett helt, där ”sk”daren, som kan höja sig öfver inskränktare utsigter, vid hvarje högre blick för skönhet och ordning. […] Det är Werldborgarens karakter, att antingen icke bry sig om dagens Nyheter, eller ock att se dem fr”n en högre synpunkt, och berätta dem p” annat sätt än vanlige Avisor och Dagblad. Ibland samtida händelser och uptäkter skall man dock icke glömma att anmärka det, som kan vara af en mindre ephemere beskaffenhet, men utan att göra det till sitt hufvudyrke.«

»Den Flug des Denkers hemme ferner keine Schranke«

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Dinge« zu entwöhnen und die »beschränkten Urteile der Selbstsucht verbessern«: »so verbirgt sie die Grenzen von Geburt und Tod, die das Leben des Menschen so eng und so drückend umschließen, so breitet sie optisch täuschend sein kurzes Dasein in einen unendlichen Raum aus, und führt das Individuum unvermerkt in die Gattung hinüber«, d. h. zu seiner Bestimmung als Weltbürger. Die Universalgeschichte – so Schiller – sieht mit »heitern Blick« wie der homerische Zeus auf den Gang der Dinge im Guten wie im Bösen herab (NA, XVII, 359 – 376) – bei Ekmanson ist es der »höhere Blick«, der »höhere Standpunkt«, der Ordnung und Schönheit vermittelt. Ekmanson mag hier schon avant la lettre einige Motive der klassischen Dramen-Ästhetik Weimars vorgefühlt haben, die da in der klassischen Formulierung des Wallenstein-Prologs lautet: Die neue Ära, die der Kunst Thaliens / Auf dieser Bühne heut beginnt, macht auch / Den Dichter kühn, die alte Bahn verlassend, / Euch aus des Bürgerlebens engem Kreis / Auf einen höhern Schauplatz zu versetzen, / Nicht unwert des erhabenen Moments / Der Zeit, in dem wir strebend uns bewegen. / Denn nur der Große Gegenstand vermag / Den tiefen Grund der Menschheit aufzuregen, / Im engen Kreis verengert sich der Sinn, / Es wächst der Mensch mit seinen größern Zwecken.

Die Gemeinsamkeit ist offensichtlich und weist vielleicht auch darauf hin, wie sehr der klassische Schiller Standpunkte vertrat, die er schon vorher, z. B. in der Antrittsrede gedacht und formuliert hatte. Auch bei der Lektüre des Torquato Tassos mag Ekmanson bereits die Weimarer Ästhetik vernommen haben, als er drei Verse ausgewählt und dem Artikel Cosmopolitismus als Motto voranstellte: »Ein edler Mensch kann einem engen Kreise / Nicht seine Bildung danken; – Vaterland / und Welt muss auf ihn wirken« – Es handelt sich hierbei um die im ersten Aufzug, 2. Auftritt, vom Fürsten Alfons gesprochenen auf Torquato Tasso gemünzten Worte.401

5.

»Den Flug des Denkers hemme ferner keine Schranke«

In der Doppel-Ausgabe Nr. 15, 16 (29. 9. 1792) des Werlds-borgaren publizierte Ekmanson einen seiner umfangreichsten Artikel mit dem Titel Om Samhällets Fördärf; och om Uplysningen, första medlet till deras räddning (Über das Verderben der Gesellschaft; und über die Aufklärung, das erste Mittel zu deren Rettung), dem als Motto folgende Verse Schillers vorangestellt sind: 401 Das Zitat ist auch deshalb von besonderem Interesse, weil es zeigt, dass deutsche Bücher auch dann zugänglich sein konnten, wenn die aktuellen Leihbibliotheken, in diesem Fall Cleves, diese nicht führten. Torquato Tasso war erst 1790 in Deutschland erschienen und scheint seinen Weg nach Schweden über Kanäle gefunden zu haben, die der Historiker nicht mehr rekonstruieren kann.

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Die Schiller-Rezeption der »Rabulisten«

»[…] Den Flug des Denkers hemme ferner keine Schranke, Als die Bedingung endlicher Naturen!«

Es handelt sich bei diesem Zitat um die vom Weltbürger402 Marquis Posa dem König gegenüber geäußerten Worte im 10. Auftritt des 3. Aktes Verse 3896 – 3898 in der Erstausgabe von 1787 mit dem Titel Dom Karlos (NA, VI, 193), einer als unspielbar weil mit 6282 Versen zu lang angesehenen Konzeption. Bei der zum Zwecke einer Theateraufführung stark gekürzten Ausgabe hat Schiller die von Ekmanson zitierten Verse gestrichen.403 Das Zitat als Motto trat in Frankreich zum ersten Mal in den CaractÀres (1688) von La Rouchefoucauld auf und hat sich erst im Laufe des 18. Jahrhundert verbreitet.404 Die Geschichte des Mottos in Schweden ist noch nicht untersucht worden, eine systematische und frequente Verwendung scheint jedoch erst Ende der 1780er und dann vor allem in den 1790er Jahren aufgetreten zu sein, und zwar in der Folge von Gedichten, die bei der Schwedischen Akademie ab 1786 zum Wettbewerb eingereicht wurden. Die Verwendungsweise des Mottos bei Ekmanson, der jede Ausgabe mit einem Motto einleitete, war ohne Zweifel für Schweden ungewöhnlich und neu. Es handelt sich hierbei auch um ein seit dem The Spectator im England der 1730er Jahre gängiges Kennzeichen der moralischen Wochenschriften.405 Neben Ekmanson ist aus dem Kreis der Rabulisten lediglich Nordenskiöld zu nennen, der sich in der ersten Phase seines Medborgaren (1787 – 1789) ähnlich exzessiv dieses Paratextes bedient hat. Im Falle der den Wettbewerbs-Gedichten beigefügten Motti im Rahmen der Schwedischen Akademie (es handelt sich übrigens hauptsächlich um lateinische sowie einige französische Zitate) ist die Intention in den meisten Fällen eindeutig. Es handelt sich um Gedichte, die von den Herren der Akademie, welche die lateinische und klassische französische Literatur als paradigmatisch ansahen, bewertet werden sollten.406 Holmberg hat die Wettbewerbstexte von 1792 bis 1800 durchgesehen und konstatierte, dass vor allem lateinische Motti gewählt wurden: Cicero, Horaz, Virgil, Ovid, Sallust, Tacitus, Juvenal, Livius u. a.; eine zweite Gruppe bilden Aufklärungsautoren wie Pope, welcher viermal zitiert wurde, Voltaire dreimal, Boileau zweimal und Rousseau einmal; auch schwedische Autoren wurden häufig zitiert: Leopold siebenmal, Gyllenborg, Kellgren

402 403 404 405

Schiller-Handbuch, 2005, S. 107 f. Die Verse finden sich auch nicht in den Thalia-Fragmenten des Don Carlos. G. Genette, Seuils, 1987, S. 135. Siehe W. Martens, Die Botschaft der Tugend: Die Aufklärung im Spiegel der deutschen Moralischen Wochenschriften, 1968. – Das Phänomen der moralischen Wochenschriften in Schweden ist ein wissenschaftlich wenig berührtes Feld. 406 O. Holmberg, Leopold och den reuterholmska tiden, 1957, S. 223 f.

»Den Flug des Denkers hemme ferner keine Schranke«

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und Silverstolpe jeweils viermal, Lidner und Adlerbeth jeweils zweimal sowie Oxenstierna, Sjöberg und Blom jeweils einmal.407 Das Motto diente in diesem Kontext ohne Zweifel als Signalement einer Gruppenzugehörigkeit.408 In diesem Sinne kann die Menge der Motti einer polemischen Zeitschrift durchaus zunächst als Bekenntnis, Positionierung und Abgrenzung verstanden werden. Dies zeigt sich schon an den Motti Nordenskiölds, der eine deutliche Absetzung vom gustavianischen Geschmack signalisierte,409 indem er eher einen englischen und vorromantischen Geschmack indizierte. Eine andere Signatur hinterlassen wiederum die von Ekmanson verwendeten Motti: Thorild, Leopold, Herzog Carl, dreimal Pope, Shakespeare, Gibbon, Montaigne, Condorcet, Gresset, Brissot, Chavron, Virgil, Ovid, Wieland, Klopstock, Lavater, Eckhartshausen, Blumauer, zweimal Goethe und Schiller. Ekmansons Literaturgeschmack ist eher durch eine Hinwendung zur deutschen Literatur bestimmt und erscheint als der modernste, sowohl im Vergleich mit den Akademisten als auch mit Nordenskiöld. Ekmanson zitierte Werke, insbesondere Goethe und Schiller, die erst wenige Jahre zuvor publiziert worden waren und mit denen ein gänzlich neues Kapitel in der Literaturgeschichte aufgeschlagen wurde. Grosso modo kann jedoch wie im Falle Nordenskiölds von einer Abgrenzung gegenüber dem Geschmack der Akademisten gesprochen werden. Im Falle Ekmanson ist die Zielgruppe, nämlich die Öffentlichkeit, gewiss weniger homogen als im Falle der Wettbewerbs-Gedichte, die sich an eine klar definierte Gruppe von Männern wandten. Ebenso vielschichtig wie die Zielgruppe, jedoch keineswegs ursächlich mit deren Heterogenität verbunden, ist die Intention der von Ekmanson verwendeten Motti. Neben der dominierenden Zitaten-Gruppe aus dem Bereich der deutschen Literatur figurieren französischsprachige Autoren, die keineswegs dem anerkannten Kanon angehörten. Jeweils für sich merkwürdig sind die Zitate von Herzog Carl und Leopold, welches letztere wohl ironisch aufgefasst werden muss. In der Mehrzahl handelt es sich bei den Motti um »Kommentare« des jeweiligen Textes,410 weniger wahrscheinlich ist, dass Ekmanson es auf die Nennung von Autorennamen angelegt hatte, da den meisten von ihm Zitierten keine autoritative Bedeutung zukam. Im Artikel Om samhällets fördärf, welcher vom besagten Motto eingeleitet wird, skizziert Ekmanson zunächst die Auswirkung und Funktionsweise einer 407 O. Holmberg, Leopold och Gustaf III, 1792 – 1796, 1954, S. 224. 408 Diese mögliche Verwendungsweise findet sich nicht bei Genette, der seine Untersuchung auf den literarischen Text und insbesondere den Roman beschränkt. 409 Bei Nordenskiöld finden sich Motti von Lord Bacon, Pope, Locke, Racine, Horaz, Tacitus, Montesquieu, Rousseau, Ovid, Ossian, The Spectator, The Seasons, Young, Gyllenborg, Wieland, Shakespeare, Sterne, d’Alembert, de la Harpe. 410 Siehe G. Genette, Seuils, 1987, S. 146.

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Die Schiller-Rezeption der »Rabulisten«

Tyrannei, die dem Einzelnen falsche Wahrheiten hinsichtlich seiner Natur, seiner Rechte, seiner Schuldigkeit und infolgedessen auch seines Glücks vorgaukelt. Wer in eine solche Gesellschaft hineingeboren wird, der wird von dem »Gift der Unordnung« kontaminiert, Torheiten und Vorurteile werden ihm »eingepflanzt« und die »Religions-Lehrer« verbieten ihm den freien Gebrauch seiner Gedanken. Die Beschreibung trägt bis in die Wortwahl hinein deutliche Züge der sehr modern anmutenden Darstellung des Systems Philipp des Zweiten im Abfall der Niederlande: […] Die verschlagene Politik der Krone hatte neue Güter der Einbildung erschaffen, von denen sie allein die Vertheilerin war. Neue Leidenschaften und neue Meinungen von Glück verdrängten endliche die rohe Einfalt republikanischer Tugend. Stolz wich der Eitelkeit, Freiheit der Ehre, dürftige Unabhängigkeit einer wollüstigen lachenden Sklaverei. (NA, XVII, 51)

In diesem Szenario, führt Schiller weiter aus, hat »die Geistlichkeit als Stütze der königlichen Macht« ihre »goldne Zeit«, die »immer in die Gefangenschaft des menschlichen Geistes« fiel (NA, XVII, 52 – 53). Das Ziel der Kirche ist die Zerschlagung der »ganzen Form des sittlichen Charakters«, in der Folge »vergiftet« ein »ansteckendes Misstrauen« das »gesellige Leben«.411 Diese Analyse muss den Rabulisten ganz besonders zugesagt haben412 – das Gustavianische System war der erklärte Feind der Rabulisten, und die Triebfeder hinter dem System war die »Ehre« und die »Ehrsucht«, was sowohl von Schiller im Abfall der Niederlande als auch von Ekmanson im Artikel Om samhällets fördärf betont wird.413 411 NA, XVII, S. 58, S. 62. Von der Funktionsweise der Monarchie bzw. der Despotie hatte freilich schon Montesquieu in De l’esprit des lois, der Bibel der Aufklärung, die Ekmanson mit Sicherheit genau so gekannt hat wie Schiller, gehandelt. Hier findet sich z. B. die Triebfeder der Ehre als fundamental für das Funktionieren der Monarchie dargestellt (3. Buch, 6. Kapitel), gleichzeitig wird auf die Zerstörung der Tugend in der Monarchie und insbesondere der Despotie hingewiesen. Dabei werden von M. Metaphern wie das der »Maschine« (3. Buch, 5. Kapitel) und des »Giftes« (3. Buch, 7. Kapitel) verwendet, die auch Schiller benutzt. Während jedoch M. ausdrücklich zwischen der Funktionsweise der Monarchie (Ehre) und der der Despotie (Terror) unterscheidet, vermischt Schiller diese bei der Beschreibung des Systems Philipps sowohl im Abfall der Niederlande als auch im Don Carlos. Auch Ekmanson hält sich nicht an diese Unterscheidung in seiner Darstellung der Tyrannei. Siehe auch P.-A. Alt, Schiller, I, S. 446. 412 Auch Pehr af Lund hatte ja genau diese Textstelle übersetzt. 413 In der schwedischen Literaturwissenschaft hat S. Delblanc »die literarischen Reflexe der Diskussion des 17. Jahrhunderts über die Bedeutung der Ehre und der Ehrsucht für das Individuum und die Gesellschaft« untersucht (S. Delblanc, Ära och Minne, 1963, S. 7). Delblanc identifiziert den Stoizismus und den Epikureismus als Widersacher der »großen Ehrbegierde«, aber »in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhundert treten neue bedeutende Momente in der Diskussion um die Ehre auf. Die moralischen und intellektuellen Einwände treten immer mehr in den Hintergrund.« (Ebd. S. 60): das Zeitalter Gustav III. bricht an. Siehe J. Christensson, Lyckoriket, S. 129 ff.

»Den Flug des Denkers hemme ferner keine Schranke«

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Eine solche Gewaltherrschaft, so Ekmanson, die sich auf Lüge und Betrug stützt, kann nur durch die »Aufklärung gestürzt« werden.414 »Unkenntnis und Wahn« seien die »allgemeinen Quellen des Unglücks in der Welt. Die Menschen sind böswillig und lasterhaft insofern sie falsche Begriffe ihrer Glückseligkeit haben, und ihre Verbesserung kann nur durch einen mutigen und großherzigen Streit gegen die Lüge zustande kommen.« Zwar gebe es keine neuen Wahrheiten; hinsichtlich ihrer »Anwendung« seien die »ewigen Wahrheiten«, die die Anhänger der Tyrannei als »platonisch«, »metaphysisch« und »schwärmerisch« bezeichnen, allerdings eine erstaunliche Neuheit auf Erden. Nur »reine«, »aufrichtige«, »ehrenhafte« und »liebevolle Herzen« und »Seelen« seien im Stande, sich über den tief »verwurzelten Betrug«, das »Laster« und die »Schwäche« hinwegzusetzen und die Wahrheit zu verkünden. Aber gerade diese, die »edelmütigsten Verteidiger der Menschheit«, die »freien Seelen«, werden von Tyrannen und Sklaven immer beschuldigt, »unruhige Naturen« und »Verächter jeglicher Regierungsform« zu sein. Die Vernunft habe bisher deshalb so wenige Fortschritte gemacht, weil die Gelehrten und Geistreichen selbst Tyrannen und Sklaven waren und die »Ketten der Menschen« »poliert« und »vergoldet« haben. Die Betonung des »reinen Herzens« und dessen Gegensatzverhältnis zur Betrügerei und Tyrannei markiert in diesem Kontext einen wichtigen Punkt in der Aufklärung: »Der Aufbruch der bürgerlichen Intelligenz erfolgt aus dem privaten Innenraum, auf den der Staat seine Untertanen beschränkt hatte. Jeder Schritt nach außen ist ein Schritt ans Licht, ein Akt der Aufklärung.«415 Mit anderen Worten: Die bürgerliche Empfindsamkeit, die an die bürgerliche Moral gebunden ist, überschreitet die Schwelle vom Privaten zur Öffentlichkeit, wo sie politische Forderungen stellt. Ähnlich drückt sich Mikael Alm im Zusammenhang mit seinen Untersuchungen zur Entwicklung des Freiheitsbegriffs in Schweden gegen Ende des 18. Jahrhunderts aus: Neue Vorstellungen wurden mit der Freiheit verbunden, und neue Definitionen dessen, worin Freiheit bestand wurden formuliert. Ihre Verwandlung war intim verbunden mit dem Bürgerbegriff und dem Einmarsch des »neuen« Bürgers in die Öffentlichkeit. Wie bereits erwähnt, war das neue bürgerliche Ideal eines der Freiheit und Gleichheit. Der selbständige und verantwortliche Bürger forderte Platz – er forderte Freiheit.416

Schillers Popularität im Schweden dieser Zeit findet ihre Erklärung vermutlich darin, dass er in höchstem Grade Dichter des Herzens ist und den Forderungen

414 Siehe hier und in der Folge Om samhällets fördärf, in: Werlds-borgaren, 29. 09. 1792, S. 123 f. 415 R. Koselleck, Kritik und Krise, 1973. Zur Bedeutung der Herz-Metapher bei Schiller siehe K. Lohmann, Die Bedeutungssphäre des Wortes »Herz« im dramatischen und philosophischen Werk Friedrich Schillers, 1959. 416 M. Alm, Kungsord i elfte timmen, 2002, S. 132.

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und Empfindungen des Herzens Raum gibt.417 Das Herz, ein »Schlüsselwort« in Kabale und Liebe, steht »für das Humane schlechthin, für die Unmittelbarkeit des Menschenrechts. Der Gegenbegriff ist der des Kopfes; der Kopf symbolisiert den kalten, nüchternen Verstand, der die Kabalen erfindet, die dann als teuflische Schlinge Luise und Ferdinand einfangen.«418 Schiller nimmt damit und mit Kosellecks Worten einen entscheidenden Punkt in der Entwicklung der Aufklärung ein: »die Krise wird manifest.« »Mit diesen lasterhaften, diesen Toren müssen wir leben«, ruft Schiller aus. Aber mit ihrer Entlarvung allein sei es nicht getan. Die kritischen Urteile fordern vielmehr zur Aktion heraus: »Wir müssen ihnen ausweichen oder begegnen, wir müssen sie untergraben oder ihnen unterliegen. Herrscht weiterhin der absolutistische Staat? Oder siegt die neue Gesellschaft? Diese Frage wird hier beschworen. Das indirekte Verhalten allein reicht nicht mehr hin. Der kritische Prozess steht vor seinem Ende, eine Entscheidung ist unentrinnbar, aber noch nicht gefallen.419

Don Carlos, die Hauptfigur des gleichnamigen Dramas, welchem Ekmanson sein Motto entnahm, legt ein solches von Koselleck so bezeichnetes »indirekte[s] Verhalten« an den Tag. Don Carlos spricht von Freiheit, aber tut nichts oder besser gesagt: er verliebt sich. Er braucht einen Mentor der Aufklärung, den Marquis Posa, welcher ihn daran erinnern muss, dass diese Freiheit auch verwirklicht werden muss. »Die flandrischen Provinzen sollen demonstrieren, dass es sich hier nicht nur um einen spirituellen Aufklärungsprozess handelt. Eine Aufklärung ohne die Tat wäre geradezu ein Widerspruch in sich«, meint Koopmann abschließend zu Schillers Stück.420 Die Schwärmerei geht hier ganz offensichtlich einen Pakt mit dem politisch verstandenen Widerstand ein und richtet sich auch gegen das kulturelle gustavianische Establishment. Während der »Aufklärer« Leopold in den 1780er Jahren eine Polemik gegen Lavater vom Zaun brach, druckt Ekmanson in nahezu jeder Ausgabe seines Weltbürgers einige Aphorismen des »Weltweisen« ab. Von Schiller scheinen dagegen beide Aufklärungsfraktionen Gebrauch machen zu können, wie noch zu zeigen ist. Schiller problematisiert jedoch auch die Kehrseite einer solchen Innerlichkeit: seine Figuren, insbesondere in den frühen 417 Die Bedeutungssphäre des Herzens ist übrigens keineswegs nur den frühen, noch in der Aufklärung und im Sturm und Drang fußenden, Dramen vorbehalten, sondern durchzieht das gesamte dramatische Schaffen Schillers, wie K. Lohmann (in: Die Bedeutungssphäre des Wortes »Herz« im dramatischen und philosophischen Werk Friedrich Schillers, 1959) dargelegt hat. Im Folgenden die Herz-Nennungs-Frequenz ohne Komposita und ähnliche Begriffe nach Lohmann: Die Räuber: 45, Die Verschwörung des Fiesco zu Genua: 60, Kabale und Liebe: 83, Don Carlos: 91, Wallenstein-Trilogie: 124, Maria Stuart: 82, Die Jungfrau von Orleans: 99, Die Braut von Messina: 80, Wilhelm Tell: 65. 418 H. Koopmann, Drama der Aufklärung, 1979, S. 149. 419 R. Koselleck, Kritik und Krise, 1973, S. 86. 420 H. Koopmann, Don Carlos, in: Interpretationen. Schillers Dramen, 1992, S. 197.

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Dramen Kabale und Liebe, Don Carlos und Wallenstein, pendeln zwischen Herz und Vernunft, zwischen Innerlichkeit und Öffentlichkeit, zwischen Vita activa und Vita passiva (oder sie repräsentieren die eine oder andere Seite).421

6.

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Am 17. Oktober 1792 publiziert Ekmanson in Werlds-borgaren die Darstellung Vilhelm af Oranien, Nederländernas Befriare, eine Übersetzung derselben Darstellung in Schillers Abfall der Niederlande. Im Register der nachträglich gebundenen Ausgabe findet sich unter der Rubrik Karackterer Kejser Juliani, Aristides, Fridrik II., Alcibiades, Leopold II., Con fou-the, Hindrik IV. och Sully, Vilhelm af Oranien.422 Abgesehen von den Aphorismen Lavaters, die in fast jeder zweiten Ausgabe zu finden sind, ist das literarisch-historische Genre der Charakterdarstellung das frequenteste. Die Debatte über das wahre Wesen der »Mitbürgerlichkeit« und der Aufklärung, welche die Presse nach der Ermordung des Königs dominierte, vollzog sich häufig in bewährter und von Pehr af Lund bereits in den Jahren 1781 – 1784 erprobter »kodierter« Form.423 Die »verschleierte Schreibweise« war keineswegs ein Novum, vielmehr hatte man das ganze 18. Jahrhundert unter dem Deckmantel der Fabel, der Mythologie und der Geschichte Gedanken geäußert, die ansonsten kaum die Zensur passiert hätten. Bei den Rabulisten lässt sich z. B. eine Vorliebe für Amerika und Franklin feststellen, auf welche insbesondere deswegen hingewiesen wurde, um die Gleichheitsbestrebungen in Schweden zu 421 K. S. Guthke, Kabale und Liebe. Tragödie der Säkularisation, in: Interpretationen. Schillers Dramen, 1992, S. 129, betont gerade dies, wenn er schreibt: »Mein Ideal von Glück zieht sich genügsamer in mich selbst zurück. In meinem Herzen liegen alle meine Wünsche begraben« [Guthke zitiert hier eingangs Ferdinand in Kabale und Liebe, I:7, und kommentiert wie folgt] Gewiss wird damit die elegante Verderbtheit der Hofwelt in Unrecht gesetzt, die mit ihrem Verkuppelungsmanöver unter die moralische Norm des »Menschen« gesunken ist. Zugleich aber gelingt es Schiller auch wieder, die tiefe Fragwürdigkeit des unbedingten Idealisten durchscheinen zu lassen: wer seine Autonomie (die des Herzens, der Liebe) derart rigoros nicht nur, wie vorher, gegen Gott, sondern auch gegen die Wirklichkeit seiner Lebenswelt behauptet, ist tatsächlich nicht »genügsam«, sondern vermessen in der arroganten Illusion seiner Unerreichbarkeit und Unverständlichkeit und daher ironischerweise überaus anfällig für die Anschläge dieser Wirklichkeit, die sich nicht einfach die Tür weisen lässt.« Ekmanson identifiziert sich offenbar mit solchen idealistischen Schiller-Figuren, welche nur auf die »Sprache des Herzens« hören, allerdings ohne zu verstehen, dass Schiller auch diese Idealisten kritisiert, gleichzeitig wie sie seine Sympathie haben. 422 In der Darstellung großer Charaktere gab es kaum einen Unterschied zur arrivierten Aufklärungsgarde. Kellgren z. B. nennt in seiner Ode öfver Afvunden drei große Helden und drei Philosophen: Themistokles, Julianus, Friedrich II., Sokrates, Voltaire, Rousseau. S. Ek, Kellgren, I, 1965, S. 265. 423 Siehe J. Christensson, Lyckoriket, 1996, S. 139 ff.

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legitimieren.424 Die wichtigste Codesprache, in welcher man unbequeme Ansichten zum Ausdruck bringen konnte, wurde jedoch keineswegs überraschend der antiken Kultur und vor allem dem Lateinischen entnommen. Latein war Jahrhunderte lang die Schriftsprache der Gelehrten gewesen und die Schulen Europas und Schwedens hatten Generationen mit der lateinischen Sprache und Kultur vertraut gemacht. Man kannte seinen Horaz, seinen Cicero und seinen Plutarch und die Kardinaltugenden der römischen Stoa – Weisheit, Mut, Gerechtigkeit und Selbstdisziplin – waren der offiziell gültige Tugendkatalog. Die subversive Anwendung der Antike, wie sie im Rahmen der von den Rabulisten entfachten publizistischen Aktivität angestrengt wurde, hatte ohne Zweifel auch ausländische Vorbilder. Die französischen Revolutionäre machten keinen Hehl daraus, dass sie sich als Cato und Brutus betrachteten, was vom Revolutionsmaler Jacques-Louis David in zahlreichen Bildern festgehalten wurde. Carl Fredrik Ehrensvärd, an der Ermordung Gustaf III. beteiligt, sah sich selbst als edler Brutus; in seiner Autobiographie berichtet er, dass er sich vor der Tat damit aufbaute, aus Voltaires Mort de C¦sar zu rezitieren. Die Vorliebe für das Antike speiste sich jedoch keineswegs nur aus ausländischen Quellen und war mitnichten alleiniger Besitz der politischen Opposition des Absolutismus. Ganz im Gegenteil war es vor allem Gustav III. selbst gewesen, der seine Regierungszeit unter römischen Vorzeichen verstanden haben wissen wollte, und seinem Anspruch und Selbstverständnis als schwedischer Augustus in der neoklassizistischen Architektur ein Denkmal zu setzen suchte.425 Als Mäzen der Literatur stiftete er die Schwedische Akademie, in deren Rahmen die römischen Klassiker ins Schwedische übersetzt wurden. Auch der römische Landhaus-Eskapismus in der Nachfolge von Vergils Georgica und Ciceros Tusculum waren Vorbilder derjenigen Aristokraten, die aufgrund ihres Alters (Höpken) oder aufgrund einer allgemeinen Unzufriedenheit mit dem Hofleben und der politischen Welt (Oxenstierna) zum Ländlichen hinschielten. So wie Chartier für das vorrevolutionäre Frankreich eine plebejische und eine aristokratische Rousseau-Lektüre konstatiert,426 so beriefen sich im gustavianischen Schweden sowohl die Anhänger Gustav III. als auch seine Gegner auf die Tugenden eines Tacitus. Im Begriffs- und Definitionskrieg, der nach Christenssons Darlegung zwischen den Rabulisten und der alten arrivierten Garde der Parnassisten, die in StP und Extra Posten publizierten, vor sich ging, waren unter anderem von beiden Seiten verwendete Begriffe wie »Mitbürger«, »Freiheit«, »Gleichheit« und »Philosophie« Stellungen, die es zu halten, zu erobern oder zu vernichten galt.427 424 Werlds-borgaren, 1. 9. 1792, S. 34. Siehe H. Elovson, Amerika i svensk litteratur 1750 – 1820, 1930. 425 Siehe S. Delblanc, Ära och minne, 1965, S. 89 ff. 426 R. Chartier, Les origines culturelles de la r¦volution franÅaise, 2000, S. 122. 427 Siehe hier und im Folgenden J. Christensson, Lyckoriket, 1996, S. 142 ff.

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Die Rabulisten waren angetreten, das pervertierte »Mitbürgerideal« der gustavianischen Ära, wo der freie und selbstständige Bürger unter Vorspiegelung einer ruhm- und ehrenvollen augustinischen Epoche zum Untertanen degradiert worden war, zu entlarven und das rechte republikanische Tugendideal eines Tacitus und Aristides (Werlds-borgaren, 25. 8. 1792) wiederzubeleben. Im Gegensatz zum Ehrbegriff der gustavianischen Epoche, mit welchem der Egoismus und die Gier nach Ehre der Zeitgenossen angeheizt und diese gleichzeitig zu ungefährlichen Untertanen degradiert wurden, wiesen die Rabulisten auf die Bedeutung des Herzens hin und hoben die Tugenden Menschenliebe, Mitleid und Menschlichkeit hervor : »Der neue, freie und gleiche Bürger hörte in seinem Handeln auf sein Herz.«428 Christensson zieht die ideologische Trennlinie zwischen Rabulisten und Parnassisten haarscharf: Die Rabulisten hätten demgemäß die Antike durch Hinweise auf Lykurgos und Solons Griechenland sowie Numas und Catos Rom ideologisch aufgeladen und zur Kampfzone erklärt,429 während die Parnassisten nachrüsteten und der Antike den Krieg erklärten. So ließ Kellgren z. B. in StP verlautbaren: »Lest die Römische Geschichte und ihr werdet die ungerechtesten Kriege, die schmählichsten Bündnisse, die listigsten Verschwörungen und die verderblichsten Auseinandersetzungen zwischen Patriziern und Plebejern finden.« Und Leopold erklärte am 5. Oktober 1792 zum Thema Romerska minnesmärken (dt. Römische Denkmäler), die römische Geschichte sei voll von »Gewalt«, »Grausamkeit« und »Despotie«. Gleichwohl und gerade im Rahmen der in dieser Diskussion auf beiden Seiten stattfindenden Schiller-Rezeption kann der Eindruck entstehen, dass die von Christensson gezeichnete Frontlinie in der Sache weniger schroff und eindeutig verläuft als dargestellt. In Werlds-borgaren erschien ab dem 22. September 1792 unter dem Titel Werlds-borgarens Betraktelser vid Palmyras Ruiner (dt. Betrachtungen eines Weltbürgers bei Palmyras Ruinen) Auszüge aus Les Ruines, ou Meditation sur les Revolutions des Empires von Constantin FranÅois Volney (1757 – 1820). Angesichts der Ruinen von Palmyra beschwört der geschichtsphilosophische Essay visionär die künftige Vereinigung aller Religionen in der Erkenntnis einer diesen gemeinsamen Wahrheit. Bereits im einleitenden Anruf der Ruinen macht sich eher eine ambivalente Sichtweise der Antike bemerkbar : Ja, während der große Haufen mit geheimem Schrecken vor eurem Anblick zurückbebt, weckt ihr meinem Herzen tausend anziehende Empfindungen und Gedanken. Wie viele nützliche Lehren, rührende oder erschütternde Betrachtungen bietet ihr dem Geiste 428 J. Christensson, Lyckoriket, 1996, S. 144, glaubt vernachlässigen zu können, dass auch die Parnassisten die Schlagworte »Menschenliebe«, »Mitleid« und »Mitmenschlichkeit« verwendeten, da dies auch die Rabulisten taten. 429 Die Schiller’sche Schrift Die Gesetzgebung des Lykurgus und Solon erschien 1790 im Erstdruck in der Thalia, 11. Heft, das nachweislich bereits 1792 bei Cleve zugänglich war.

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dar, der in euch zu lesen weiß. Als die ganze unterjochte Erde vor den Tyrannen schwieg, riefet ihr schon die Wahrheiten aus, die sie verabscheuen, und legtet, indem ihr Fürstenstaub mit Sklavenstaub vermengtet, Zeugnis ab für den heiligen Lehrsatz der Gleichheit. In eurem Schatten sah ich, ein einsamer Verehrer der Freiheit, ihren Genius mir erscheinen, nicht wie ihn der unsinnige Pöbel sich vorstellt mit Brandfackel und Dolch, sondern in der erhabenen Gestalt der Gerechtigkeit mit der heiligen Waage in den Händen, auf der die Taten der Sterblichen an den Pforten der Ewigkeit gewogen werden.430

Auf der Seite der Parnassisten publizierte Leopold in Extra Posten am 3. Juni 1792 den Aufsatz Öfwer den moderna Storheten, eine Übersetzung des Aufsatzes von Ludwig Ferdinand Huber Über moderne Größe, der im 2. Thalia-Heft von 1786 abgedruckt war, das Leopold von Ehrenheim erhalten hatte (siehe folgendes Kapitel).431 Christensson ist gerade dieser Aufsatz eines der wichtigsten Beispiele für die Absicht der Parnassisten, die Antike unschädlich zu machen. Dort finden sich nämlich eingangs folgende Sätze: Aber man läuft Gefahr die Geduld zu verlieren, wenn man Jünglinge hört, kaum der Schule entsprungen, Glückssucher, die sich mit der sklavischen Verächtlichkeit und auf niedrigstem Wege zu einer kleinen Beförderung hindurchwinden; Sibariten, witzelnd unter der Schwere einer Sardanapalischen Wohllust, und abgehalfterte Halb-Greise, bei welchen alles, selbst die Erinnerung ihres schmachvollen Lebensweges erloschen ist; wenn man diese bitterlich klagen hört, sage ich, dass alle Größe und Stärke, alle Tugend und aller hohe Sinn unter den Menschen verloren ist. Eine gewiss phantastische Vorzeit wird uns von unseren Kindheitsjahren an bis zum Ekel eingetrichtert. Menschen mit schwärmerischen Köpfen und eisigen Herzen; kalte Mitbürger, aber heftige Deklamatoren prahlen mit der Vergangenheit, mit Jahrhunderten, die nicht wiederkommen.432 430 Mit dem Anruf der Ruinen wurde am 22. 9. 1792 die Artikelreihe in Werld-borgaren eröffnet. 431 Thalia, 1.Heft, 1786. Thalia wurde unregelmäßig publiziert, weshalb kein exaktes Datum angegeben werden kann. Ludwig Ferdinand Huber (siehe P.-A. Alt, Schiller, 2000, I, S. 396 – 402, S. 498) war in den 1780er Jahren mehrere Jahre Schillers Freund und sein aktivster Mitarbeiter bei der Thalia. Er war Übersetzer, aber in der Thalia publizierte er auch eigene Werke: zwei Stücke, Essays (unter anderem eben Über moderne Größe), Satiren, Komödien und dramatisierte Kolportageliteratur. Huber spiegelt den »zeitgenössischen Geschmack« wider, den Schiller nicht ohne Sarkasmus in einem Brief an Körner im Juni 1786 beschrieben hatte (P.-A. Alt, Schiller, 2000, I, S. 498). Alt schreibt weiter über Hubers Beiträge in der Thalia: »Der moderate Kurs, den das Journal mit solchen Texten steuert, bildet jedoch nicht nur die Folge der Anpassung an verbreitete Unterhaltungsbedürfnisse, sondern dürfte auch der in Leipzig höchst unduldsamen Zensur geschuldet sein«. Sämtliche Thalia-Hefte (ab 1786) finden sich auch im Internet auf einer Seite der Universität Bielefeld zugängig: http://www.ub.uni-bielefeld.de/dig-lib/aufkl/thalia/thalia.htm. 432 Extra Posten, 3. 6. 1793: »Men man löper fara at förlora t”lamodet när man hör Ynglingar, nyss undankomne Schole-ferlan, lycksökare, som slingrat sig med en slafwisk föraktelighet, de nedrigaste wägar til en liten befordran; sibariter, skämtande under tyngden af en Sardanapalisk wällefnad, ock aftacklade half-Gubbar, hos hwilka alt, intil minnet af en skamlig lefnad ändteligen utslocknat; när man hör, säger jag, dessa och dylika, bitterligen klaga, at

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Leopold, dessen Publikation des Huber’schen Textes Christensson als »bewundernswerte Frechheit« bezeichnete,433 mag die zitierte Passage in dem Aufsatz in der Tat goutiert haben. Huber gibt jedoch in seinem Aufsatz keineswegs Ausdruck einer pauschalen Abwertung der Antike. Ganz im Gegenteil kann die »wirklich erhabene Seele«, der »männliche und reife Denker«, nicht »ohne einen heimlichen Seufzer auf die glänzende Epoche der bürgerlichen Größe Griechenlands und Roms blicken«.434 Huber ist es lediglich um die Korrektur einer Betrachtungsweise zu tun, welche die Vergangenheit der Gegenwart ungesund vorzieht. Keine »Zeichnung der großen Tugenden des Altertums«, die nicht ihr Gegenstück in der neueren Geschichte hätte, so Huber, der sich keineswegs polemisch, sondern die Extreme ausgleichend und das Problem analysierend äußert. Er macht den Hauptunterschied zwischen den Neuen und den Alten nicht im Menschen an sich aus, sondern vielmehr an den äußeren Zeitumständen fest, die kolossale Größe verhindern oder begünstigen. In der Fortsetzung entwickelt der Autor jedoch Gedanken über die Gegenwart, die keineswegs schmeichelhaft sind und die durchaus mit der Gegenwartskritik Schillers in Die Götter Griechenlands oder in der Ästhetische Erziehung zu vergleichen sind. Man kann davon ausgehen, dass Schiller den Beitrag wohl auch abgelehnt hätte, wenn er zu sehr von seiner eigenen Sichtweise abgewichen wäre, selbst wenn er all storhet och styrka, all dygd och sinneshögd, äro bland menniskor förlorade. Et wisst fantastiskt Fordom, som war fr”n urminnes tid en ibland Poeternas floskler, blir oss fr”n barna”ren intil afsmak uprepadt. Menniskor med swärmande hufwuden och isiga hjertan; kalla medborgare, men hetsiga declamatorer, pr”la med förflutna tider, med ”rhundraden, som ej skola ”terkomma.« 433 J. Christensson, Lyckoriket, 1996, S. 145. 434 Ebd. macht Christensson geltend, dass dieser Text »alles lose Gerede in den Zeitungen« (d. h. die Rabulisten-Zeitungen) verurteilte, aber weder das deutsche Original noch die Übersetzung bezieht sich auf Zeitschriften; vielmehr handelt es sich um einen frei stehenden Essay. Weiter ist das, was in diesem Essay geäußert wird, keineswegs eine »Frechheit«; es handelt sich eher um literarische Schablonen, die die Zeitgenossen gewohnt waren zu hören. Huber war ein Bewunderer Schillers, deshalb ist zu vermuten, dass er Karl Moors Monolog in Die Räuber (1. Akt/1. Szene) paraphrasierte: »Karl Moor stellt sich dem Leser und Publikum mit der Polemik gegen sein »Tintenklecksendes Sekulum« schwungvoll vor. Schwungvoll und unüberlegt, ist er doch selbst Angehöriger und Nutznießer dieses Säkulums und bei seinen Gelehrten in die Schule gegangen, wie seine zündende Rhetorik verrät, die dem Redestil des Bruders ähnelt. Wie der Student Moor die Antithetik zwischen antiken Helden und modernen Bücherwürmern, zwischen heroischer Vorzeit und bürgerlicher Gelehrsamkeit durchspielt, verrät rhetorische Schulung und wenig Originalität« (G. Sautermeister, Die Räuber. Ein Schauspiel (1781) in: Schiller-Handbuch, 2005, S. 30). Das, was Sautermeister über Karl sagt, gilt auch für Hubers Darstellung gewisser Tendenzen in der Antikenrezeption seiner Zeitgenossen, auch wenn sein Text nicht genau die gleiche Bedeutung hat. Da es Hubers Schrift an jeglicher Originalität gebricht (worauf auch Alt hinweist, siehe das Zitat oben), kann er auch nicht als Frechheit bezeichnet werden. Und schließlich drückt der Text in toto weder im Original noch in der Übersetzung das aus, was Christensson demonstrieren wollte, nämlich dass die Parnassisten die »Antike töten« wollten.

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in Not gewesen wäre, die Zeitschriftennummer zu füllen.435 »Kalte, ermüdende Untersuchungen« über diejenigen Charaktereigenschaften, die einst zu edlen Taten anspornten, so Huber, haben dieselben durch »Analyse« und »Spitzfindigkeiten« derart zersetzt, dass sich niemand mehr zu dem vormaligen »Enthusiasmus« aufschwingen kann. »Alles ist Wissenschaft geworden« und das »Herz ist entmutigt«.436 Unerwartet nimmt Hubers Text hier also eine Wendung, die ihn den Rabulisten durchaus genehm machen könnte – dies gilt zumindest für die Betonung des Herzens, welches in der Nachfolge des Sturm und Drang und der Empfindsamkeit zum Schlagwort der Rabulisten avanciert war.437 Aber auch Ekmansons Schiller-Rezeption in der Übersetzung der Darstellung von Wilhelm von Oranien im Abfall der Niederlande und der dieser vorangehenden Reflexion über Historiens Nytta (dt. Der Nutzen der Geschichte) zeigt deutlich, dass die Fronten zwischen den Parteien nicht so eindeutig verlaufen, der Konflikt diesbezüglich nicht frei von Inszenierungen ist, die dann freilich von Christensson unterstrichen wurden. Der Text Historiens nytta findet sich am 10. Oktober 1792, d. h. eine Woche vor Vilhelm af Oranien, Nederländernas Befriare (17. 10. 1792), und es ist sehr wahrscheinlich, dass er als eine Art Vorbereitung für diesen Textauszug gedacht war, wenn er wie folgt endigt:

435 Schillers Sicht der Antike war ambivalent, d. h. es finden sich bei ihm bewundernde Aussagen über die Antike, und zwar zu Ungunsten der Gegenwart, und umgekehrt. Seine bekannteste kritische Äußerung über die Gegenwart findet sich im Gedicht Die Götter Griechenlands sowie im fünften Brief in Über die ästhetische Erziehung des Menschen in einer Reihe von Briefen. Gleichzeitig betrachtet Schiller sich selbst als sentimentaler Dichtertyp (siehe Über naive und sentimentale Dichtung), d. h. er sieht sich selbst explizit als Dichter der Moderne, so wie er auch theoretisch den zeitgenössischen Dichtern empfahl, moderne Gedichte zu schreiben (siehe Über Bürgers Gedichte). In Was heißt und zu welchem Ende studiert man Universalgeschichte? Eine akademische Antrittsrede warnt er schlechterdings vor einer übertriebenen Bewunderung der Antike: »Sie [die Universalgeschichte] heilt uns von der übertriebenen Bewunderung des Altertums und von der kindischen Sehnsucht nach vergangenen Zeiten; und indem sie uns auf unsre eigenen Besitzungen aufmerksam macht, lässt sie uns die gepriesenen goldnen Zeiten Alexanders und Augusts nicht zurück wünschen« (NA, XVII, S. 375). Die gleiche Ambivalenz waltet in Schillers Sicht auf »große Männer«. Siehe W. Müller-Seidel, Friedrich Schiller und die Politik, »Nicht das Große, nur das Menschliche geschehe«, 2009, S. 301 – 325. 436 Leopold übersetzt hier wortgetreu: »Spetsfundigheten har gjort hjertat urmodigt« (ExtraPosten, 3. 06. 1793). 437 Leopold ist also weder gegen noch für die Antike, sondern nimmt sich die Freiheit, sowohl diese als auch die Gegenwart teils zu bewundern, teils zu kritisieren, so wie Huber und – Schiller. Dies ist übrigens eine Position, die schon von Trajano Boccalini in seinen Ragguagli (1617) vertreten worden ist, in welchen er die Antike – trotz Wertschätzung von Tacitus und Seneca – auch als Zeitalter figuriert, das Sokrates zum Tode verurteilte; mit Ironie demontiert er die »Milde« des ersten römischen Imperators und entlarvt seine Grausamkeit und seinen Despotismus (siehe M. Fumaroli, La Querelle des Anciens et des Modernes, 2001, S. 35 – 46).

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Die Historiographie, die die Geschichte der neueren Zeit untersucht, bereichert auch ihre Leser nicht selten mit einer Erfahrung, welche, bei einem Volksschlag und einem Jahrhundert auftritt, die uns näher sind und noch mehr zum Ansporn dienen können, deren Fehltritte zu vermeiden und deren Tugend, wo nicht zu übertreffen, so zu erreichen.438

Zwar macht Ekmanson keinen Hehl daraus, dass die älteren Zeiten mehr Nationen und Helden hervorgebracht haben, die einem schwächeren Zeitalter als Vorbild dienen müssten, grundsätzlich sei jedoch auch der Nutzen der neueren Geschichte beträchtlich hinsichtlich der »historischen Ereignisse« und der »gezeichneten Charaktere«. Was nun die Charakterdarstellungen anbelangt, die Ekmanson in seiner Zeitschrift publiziert, so zeigt sich an diesen noch deutlicher, dass das Interesse keineswegs einseitig den Alten gilt. Werden da doch neben mehr oder weniger »antiken« Charakterbildern des Aristides, Alcibiades und Kaiser Julian das der neueren von Friedrich II., Leopold II., Heinrich IV. und Sully sowie Wilhelm von Oranien gestellt. Das Interesse Schillers am Abfall der Niederlande rührte nun eben nicht vom »Außerordentlichen« und »Heroischen« dieser Begebenheit her, wie dem Leser in der Einleitung versichert wird. Diesbezüglich böten die Annalen der Weltgeschichte weitaus großartigere Unternehmungen: Auch erwarte man hier keine hervorragende, kolossalische Menschen, keine der erstaunenswürdigen Thaten die uns die Geschichte vergangener Zeiten in so reichlicher Fülle darbietet. Jene Zeiten sind vorbey, jene Menschen sind nicht mehr. Im weichlichen Schoos der Verfeinerung haben wir die Kräfte erschlaffen lassen, die jene Zeitalter übten und nothwendig machten. […] Das Volk, welches wir hier auftreten sehen, war das friedfertigste dieses Weltteils und weniger als alle seine Nachbarn jenes Heldengeistes fähig […] Der Drang der Umstände überraschte es mit seiner eigenen Kraft, und nöthigte ihm eine vorübergehende Größe auf, die es nie haben sollte, und vielleicht nie wieder haben wird. Es ist also gerade der Mangel an heroischer Größe, was diese Begebenheit eigenthümlich und unterrichtend macht […] (NA, XVII, 10 – 11).

Schillers Aussagen in diesem Zitat hinsichtlich der vergangenen heroischen Zeiten entsprechen der von Huber in Über moderne Größe gegebenen Analyse der Gegenwart, wodurch es zu einer Parallelität der Schiller-Rezeption Ekmansons und derjenigen von Leopold – über Huber – kommt. Die ungewollte Annäherung der beiden Positionen entspricht der Zwiespältigkeit Schillers in der Darstellung seiner Haupfiguren in seinen historischen Texten, die erklärtermaßen nicht mehr dem antik-heroischen Konzept eines Seneca oder Plutarch 438 Werlds-borgaren, 10. 10. 1792, S. 158: »Historien, som genomletar nyare tiders häfder, riktar äfven sina läsare icke sällan med en ärfarenhet, hvilken samlad hos folkslag och i Sekler med oss närmare förenade, bör väcka en ännu större omtanka att undvika deras felsteg, och att hinna, om icke öfverträffa, deras dygder.«

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Die Schiller-Rezeption der »Rabulisten«

entsprechen können und sollen, anderseits jedoch in Nebensätzen mit dieser Konzeption verbunden werden, wie folgendes Beispiel zeigt: »Wilhelm von Oranien gehörte zu den hagern und blassen Menschen, wie Cäsar sie nennt, die des Nachts nicht schlafen und zu viel denken, vor denen das furchtloseste aller Gemüter gewankt hat.« (NA, XVII, 68) Es ist dies das durch Shakespeares Julius Cäsar bekannt gewordene Wort der Titelfigur über den Tyrannenmörder Catilina, ohne Zweifel einer der Lieblingsheroen der Rabulisten. Die Nähe beider Positionen zueinander hinsichtlich der Frage nach dem Antiken und dem Modernen könnte leicht zur Schlussfolgerung verleiten, dass es keine substantiellen Unterschiede zwischen den Parnassisten und den Rabulisten gibt.439 Eine solche Sichtweise, welche zumindest im Vergleich von Thorild und Kellgren vertreten wurde, die den Konflikt zwischen den beiden Gruppierungen lediglich als einen solchen zwischen einer arrivierten Schriftstellergilde und einer sie beneidenden Gruppierung von Grub-Street-Autoren sieht, scheint mir jedoch zu kurz gegriffen, wie in der Folge zu zeigen sein wird.

7.

Die »halbe« und die »ganze« Aufklärung

Die überraschendste Schiller-Übersetzung und -Publikation der Rabulisten sind Auszüge aus Schillers Briefroman Philosophische Briefe, der in Auszügen in Ekmansons Werld-borgaren ohne Referenz an Schiller abgedruckt wurde. Dieser außerhalb der Schiller-Forschung relativ unbekannte Text, der als der dezidierteste Aufklärungstext Schillers bezeichnet wird,440 wurde 1786 in Fragmenten in Thalia publiziert.441 Während die rabulistische Schiller-Rezeption, die bisher behandelt wurde, Teil eines politisch-oppositionellen Kontextes ist, muss Ekmansons Übersetzung und Publizierung der Philosophischen Briefe im Rahmen einer breiteren und eher sozio-kulturellen Umwälzung gesehen werden, die diesen »empfindsamen Roman« und seine Rezeption in Schweden erst einmal 439 Christensson vertritt ein soziologisch-psychologisches Erklärmodell, das den Konflikt zwischen den Parnassisten und den Rabulisten als Ausfluss der Tatsache betrachtet, dass die ersten etabliert waren, die zweiten sich etablieren wollten. Im gleichen Geist aber mit größerem Methodenbewusstsein und systematischer beschreibt Dag Hedman den Kampf auf dem literarischen Feld in Kampen p” det gustavianska litterära fältet. Om Kellgrens problematiska förh”llande till Bellman och Thorild (Samlaren 1997, S. 14), wo Bourdieus Theorien den Leitfaden dafür abgeben, was auf dem Feld geschieht. Im Gegensatz zu derartigen Darstellungen, die zu zeigen suchen, dass kein »ästhetisch-theoretisches Glasperlenspiel« die Ursache der Polemik war, sondern etwas »entscheidend Wichtigeres: der Kampf um eine Position im gustavianischen Mittelfeld«, bin ich der Meinung, dass die Polemik einen entscheidenden kulturhistorischen Bruch zwischen Kellgren/Leopold und Thorild/Rabulisten dokumentiert. 440 Siehe H. Koopmann, Don Carlos, in: Interpretationen. Schillers Dramen, 1992, S. 197. 441 Thalia, 3. Heft, 1786.

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möglich machte. Es handelt sich um eine Rezeption im Kontext einer Empfindsamkeit, die sich parallel zu Kellgrens und Leopolds Voltaire-inspiriertem Aufklärungsdiskurs etablierte.442 Der Roman A Sentimental Journey through Italy and France 1768 von Laurence Sterne wird als Durchbruch der Empfindsamkeit als Mode angesehen – und der Übersetzer war just Johan S. Ekmanson. Der »Bestseller-Erfolg« dieses englischen Romans ist als »Missverständnis« angesehen worden: Die bei Sterne zwischen raison und sentiment, head und heart, Witz und Empfindsamkeit schwankende und zur relativierenden Toleranz neigende epische Figurenkonstellation wurde in Deutschland von den Verfechtern einer modischen Gefühlswillkür vereinnahmt, die dem frühaufklärerischen moraldidaktischen Zweckdenken ablehnend gegenüberstanden. Damit kritisierten die Angehörigen der zweiten Generation des Jahrhunderts, vornehmlich die Stürmer und Dränger […], aber auch – wenngleich in anderer Weise – die Spätaufklärer […].443

Auch für Schweden hat Martin Lamm konstatiert: »Hier wie im Ausland war es hauptsächlich die Sterne’sche Sentimentalität, die man im 18. Jahrhundert bewunderte.«444 Von Sternes Humor merkt man dagegen – fügt Lamm hinzu – bei den Sterne-Imitatoren wenig.445 Erst 1791 wurde Sternes Roman unter dem Titel Yoricks känslosamma resa igenom Frankrike och Italien ins Schwedische übersetzt: Ekmanson schuf das Wort »känslosam« (dt. gefühlvoll) anstelle des importierten »sentimental«. Dass dieser Roman, der in ganz Europa ein großer Erfolg gewesen war, erst zu diesem Zeitpunkt ins Schwedische übersetzt wurde, zeigt deutlich, dass die Empfindsamkeit (ebenso wie andere tiefgehende Veränderungen des literarischen Lebens, wie Leihbibliotheken, kritische Journale und das freie Schriftstellertum) sich in Schweden später etablierte als in anderen europäischen Ländern, und zwar vor allem in den Jahren 1780 – 1800.

442 Dass es immer eine starke Unterströmung eines eher gefühlsbetonten Diskurses parallel zum offiziellen Aufklärungsdiskurs gegeben hat, weiß bereits Martin Lamm in seiner Upplysningstidens romantik, I, 1963 [1918], I, S. 3. Aber trotzdem wurde dieses »schematische Bild« einer »einseitigen Verstandeskultur«, gegen welche Lamm sich wendet, weitergeschrieben: während Lamm darauf hinweist, dass die Aufklärung und die mystischen Sekten in einem »intimen Zusammenhang standen mit dem in der Gesellschaft nach oben drängenden Bürgertum«, schrieb z. B. Tore Frängsmyr genau diese Linie fort, die Lamm hinter sich gelassen zu haben wünschte. Frängsmyr definierte nämlich den Aufklärungsbegriff dergestalt, dass nur noch Kellgren, Rosenstein und bedingt Leopold als Aufklärer gelten könne. Während es nicht zuletzt in der deutschen Literaturgeschichte ein Allgemeinplatz ist, Aufklärung. Empfindsamkeit. Sturm und Drang (Gerhard Kaiser) als Teile einer »relative[n] Einheit der Epoche« (S. 13) zu sehen. 443 Geschichte der deutschen Literatur. Vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart, I:1, 1996. 444 M. Lamm, Upplysningstidens romantik, 1963, S. 587. 445 Ebd. Zu den Sterne-Imitatoren siehe hier Kapitel VIII.

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Kellgren rezensierte Ekmansons Übersetzung des Yoricks kritisch in StP,446 eine Kritik, der Ekmanson selbst in seiner Vorrede zur Übersetzung vorgegriffen hatte: »Aber – das sei ohne Anstößigkeit gesagt – einseitig amputierte Rezensionen, gebieterisch unbescheidene Urteile, verdienen wohl keine andere Antwort als eine stumme Verachtung.« Wenn ein solch »bitterfeines geschmeidiges Rezensenten-Wesen« seinen Machtanspruch verkündet: »das taugt nicht – das ist dumm«, und das gerade dort, wo eine »empfindsame, zärtliche und gute Seele Schönheit, Zufriedenheit und Vergnügen findet«, so hätte es besser geschwiegen.447 Thorild ergriff in seiner En critik öfver critiker (dt. Kritik über Kritiker) Partei für Ekmanson und Sterne: Ein anderer literarischer Mitbürger gab uns ein Werk des Genies STERNE, welchen die Engländer the Inimitable nennen, und von welchem ich eine Übersetzung der Sentimental Journey als ein schönes Kunststück ansehe. Sie fegten schnell einen Abfallhaufen von Fehlern zusammen; und sagten nichts über all das Schöne und Wunderbare, das um Sie herum blinkte, als Sie fegten! Niedrige Kleinlichkeit im Sinn und in der Seele! Ist nicht jegliche gute Absicht, ist nicht jeglicher Verdienst, heilig, und teuer für uns alle? Wie soll das, was gut ist, das, was edel ist in der Nation, jemals emporsteigen, wenn wir uns ewig täuschen lassen von den von jeglicher göttlichen Gerechtigkeit verstoßenen Kleingeistern, die einen Fleck in der Sonne sehen können, aber nie die Sonne.448

Dieser kleine Disput am Rande dokumentiert, wie sehr die Rabulisten und Thorild nicht nur in ihrer Forderung nach Freiheit und Gleichheit, sondern auch in Geschmacksfragen am gleichen Strang zogen und auf den unterschiedlichsten Ebenen Position gegen den etablierten vernunftbetonten Aufklärungsdiskurs bezogen, der durch einen erweiterten, das Gefühl mit umfassenden Diskurs ersetzt werden sollte. Es handelt sich dabei um ein neues kulturelles Paradigma, das die Politik, die Religion, die Ethik und die Ästhetik berührt und das in den schwedischen Literaturgeschichten oft von Thorild und Lidner allein vertreten wird. Es wurde zwar (polemisch) von einer »Thorild’schen Sekte« gesprochen, die Frage (sachlich) gestellt, ob es eine »Thorild’sche« Schule gegeben hat und auch die Bezeichnung »Thorildianer« verwendet. Stellan Arvidson, der diese Frage am ausführlichsten untersucht hat, ist der Meinung, dass es eine solche Schule gab, wenn man sie als »Richtung« oder »Strömung« definiert.449 Waren 446 StP, 26. 6. 1791, 28. 6. 1791; siehe S. Ek, Kellgren, II, 1980, S. 406; F. Böök, Romanens och prosaberättelsens historia i Sverige intill 1809, Stockholm 1907, S. 432 f. 447 Zitiert nach F. Böök, Romanens och prosaberättelsens historia i Sverige intill 1809, 1907, S. 439. Ekmansons Entgegnung erschien in Dagligt allehanda, 1791, Nr. 178. 448 Th. Thorilds Samlade Skrifter, III, 1824. Kellgren scheint von Thorilds Stellungnahme offensichtlich nicht gänzlich unberührt geblieben zu sein, denn in der Rezension zum 2. Teil der Übersetzung (1792, S. 108, S. 112) wurde die Übersetzung wohlwollender behandelt, ihr sogar eine gewisse »kvickhet« zugestanden. 449 S. Arvidson, Harmens diktare. Thorild, II, Stockholm 1993, S. 315.

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die Rabulisten »Thorildianer«? Es ist bekannt, dass Philipson stark von Thorild beeinflusst war ; oben wurde darauf hingewiesen, dass Thorild Pehr af Lunds Zeitschrift schätzte, dort sogar publizierte; und dass Thorild Kellgren wegen dessen Kritik an Ekmanson kritisierte. Es handelt sich ohne Zweifel um eine »Strömung«, an der sowohl Thorild als auch die Rabulisten Teil haben – es wäre aber vermutlich irreführend, die Richtung auf den Namen Thorilds zu taufen, nur weil er einziger Vertreter der Höhenkammliteratur war. Diese Strömung hätte es auch ohne Thorilds Mitwirken gegeben, und als ihr die Liberalisierung der Druckfreiheit nicht mehr den Weg versperrte, war sie plötzlich in der Öffentlichkeit angekommen. Die Rabulisten und Thorild nahmen in den unterschiedlichsten Bereichen Stellung gegen den etablierten vernunftbetonten Aufklärungsdiskurs, welcher durch einen anderen Diskurs ersetzt werden sollte, der ergänzt wurde durch die Empfindung: die Sprache des Herzens.450 Diese Empfindsamkeit und Innerlichkeit hat eine dreifache Bedeutung und Funktion: zum Ersten dient diese Selbststilisierung als »gute Seele« und »reines Herz« einer polemischen Abgrenzung vom gustavianischen Diskurs; zum Zweiten definiert diese Betonung der Innerlichkeit einen markanten Punkt innerhalb des Vormarsches der Aufklärung; und zum Dritten schließlich handelt es sich um einen anthropologischen Landgewinn, d. h. der Mensch wird nicht mehr nur als vernünftiges, sondern auch als empfindendes Wesen wahrgenommen.451 Gegen Ende des Jahres 1792 publizierte Ekmanson also einige Auszüge aus Schillers Philosophischen Briefen, – es handelt sich um die Vorerinnerung (1. 12. 1792, S. 299 – 304) sowie die ersten beiden Briefe von Julius an Raphael (8. 12. 1792, S. 337 – 345), die immerhin zwei Doppelausgaben des Werlds-borgaren füllen.452 Schiller hatte die Philosophischen Briefe 1786 in der Thalia (3. Heft) veröffentlicht, welche allerdings erst 1793 in der Leihbibliothek Cleves geführt 450 Wie oben (siehe das Unterkapitel »Den Flug des Denkers hemme ferner keine Schranke«) betont wurde, stilisierte sich Ekmanson als eines dieser reinen, liebevollen Herzen, welche nur einzig in der Lage seien, sich über die Vorspiegelungen und Betrügereien des Despotismus hinwegzusetzen. Auch im Vorwort zu Yoricks känslosamma resa präsentiert sich Ekmanson in direkter Abgrenzung zur gustavianischen Nomenklatura als empfindsame und gute Seele (siehe Zitat oben). Hinzuweisen ist auch auf das Wort »heilig«, das Thorild in En critik öfver critiker (siehe Zitat oben) verwendet. Auch dies ein Signalwort der Empfindsamkeit. »Zum Beispiel breitet sich das Wort ›heilig‹, früher auf religiöse Gegenstände beschränkt, über das ganze Feld des Profanen aus und verfällt einer wahren Inflation […] Kein Wunder deshalb, dass schon den kritischen Zeitgenossen der Zusammenhang zwischen Pietismus und Empfindsamkeit klar geworden ist« (G. Kaiser, Aufklärung, Sturm und Drang, Empfindsamkeit, 2007, S. 37). 451 Siehe P. Kondylis, Die Aufklärung im Rahmen des neuzeitlichen Rationalismus, 2002. 452 Die Vorerinnerung wurde in der Doppelnummer 39 – 40 (1. Dezember 1792, S. 299 – 304) abgedruckt, und die beiden ersten Briefe in der Doppelnummer 43 – 44 (8. Dezember 1792, S. 337 – 345).

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wurden. Dem lange unterschätzten Werk, das erst 1985 von Wolfgang Riedel in Die Anthropologie des jungen Schiller in seinen ideengeschichtlichen Zusammenhang gestellt wurde, wird heute eine »integrative Funktion« in Schillers frühem Werk zugeschrieben.453 Das Frühwerk vereine nämlich weltanschauliche Fragmente seiner Jugend, als er immer noch Christ war, bis zur Publikation 1786, also nachdem er die Räuber und Kabale und Liebe publiziert hatte. Diese integrative Funktion unterschiedlicher Weltanschauungen, die Schiller in diesen Jahren durchlief, wird von den beiden Figuren der Briefe widergespiegelt, welche für unterschiedliche Entwicklungsstadien stehen, sowohl kulturhistorisch als auch biographisch. Genau darauf spielen Schiller und mit ihm Ekmanson in seiner Übersetzung im Vorwort an: Die Vernunft hat ihre Epochen, ihre Schicksale wie das Herz, aber ihre Geschichte wird weit seltner behandelt. […] die allgemeine Wurzel der moralischen Verschlimmerung ist eine einseitige und schwankende Philosophie, um so gefährlicher, weil sie die umnebelte Vernunft durch einen Schein von Rechtmäßgkeit, Wahrheit und Überzeugung blendet und eben deswegen von dem eingebornen sittlichen Gefühle weniger in Schranken gehalten wird. Ein erleuchteter Verstand hingegen veredelt auch die Gesinnungen – der Kopf muß das Herz bilden. In einer Epoche, wie die jetzige, wo Erleichterung und Ausbreitung der Lektüre den denkenden Teil des Publikums so erstaunlich vergrößert, wo die glückliche Resignation der Unwissenheit einer halben Aufklärung Platz zu machen anfängt und nur wenige mehr da stehenbleiben wollen, wo der Zufall der Geburt sie hingeworfen, scheint es nicht so ganz unwichtig zu sein, auf gewisse Perioden der erwachenden und fortschreitenden Vernunft aufmerksam zu machen […].454

Schiller hat bereits in diesem frühen Text, der also von Ekmanson übersetzt wurde, der Dialektik vorgegriffen, die er später prägen sollte: Am Anfang war der Mensch unwissend aber glücklich, danach wurde der Kopf durch die Aufklärung gebildet; aber dies war nur eine »halbe Aufklärung«, da die Vernunft ihr angeborenes moralisches Gefühl verloren hat, was die Vernunft nicht ersetzen kann. Vertreter einer solchen halben Aufklärung sind für Ekmanson und die Rabulisten offenbar Kellgren und Leopold. Die Aufklärung wird in dem Augenblick vollendet, wenn der Verstand das Herz bildet – wenn sich also Verstand und Herz einander nähern. Diese Dialektik wird im Briefroman vom Protagonisten Julius personifiziert, welcher offensichtlich Christ war, und Raphael, ein Kritiker der naiven Frömmigkeit. Julius’ Entwicklung wird von Raphael geleitet – dies erfährt der Leser im Rückblick aus einem resümierenden Brief von Julius an Raphael –, bis er ein 453 W. Riedel, Die Anthropologie des jungen Schiller, 1985; siehe auch A. Kosenina, Philosophische Briefe (1786), in: Schiller-Handbuch, 2005, S. 359. 454 NA, XX, S. 107. Die Übersetzung ins Schwedische findet sich in Werlds-borgaren, 1. 12. 1792.

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mündiger, aufgeklärter Freidenker wird. Julius, der seinen naiven Gottesglauben verloren hat, wurde von Raphael verlassen und trauert nun in seiner Einsamkeit um das verlorene Glück, d. h. das verlorene Paradies des naiven Glaubens, im ersten Brief an Raphael: Ich empfand und war glücklich. Raphael hat mich denken gelehrt, und ich bin auf dem Wege, meine Erschaffung zu beweinen. […] Ersetzt mir Deine Weisheit, was sie mir genommen hat? Wenn du keinen Schlüssel zum Himmel hattest, warum mußtest Du mich der Erde entführen? Wenn Du voraus wußtest, daß der Weg zu der Weisheit durch den schrecklichen Abgrund der Zweifel führt, warum wagtest Du die ruhige Unschuld Deines Julius auf diesen bedenklichen Wurf ? […] du hast eine Hütte niedergerissen, die bewohnt war, und einen prächtigen toten Palast auf die Stelle gegründet (NA, XX, 112 ff).

Der Brief beschreibt, wie die Reflexion zu »Skeptizismus« (NA, XX, 108), »Freidenkerei« und »Resignation« (NA, XX, 107) führt, um schließlich in »Krankheit« (NA, XX, 108) und »Krise« (NA, XX, 113) zu gipfeln. Diese hat zunächst nichts mit Kosellecks politischer Krise zu tun: Es handelt sich hier vielmehr um eine existenzielle Krise aufgrund einer Weltanschauung, die nicht zufriedenstellend ist, nämlich dem »Materialismus« (NA, XX, 115), welcher dem Protagonisten seinen »Glauben« gestohlen hat, ohne ihm »Frieden« (NA, XX, 110) zu geben. Dies ist Ausdruck einer tiefen Krise als Resultat einer »halben Aufklärung« (NA, XX, 107), das Dokument einer missglückten Aufklärung, in deren Fahrwasser die Forderung nach einer richtigen Aufklärung laut wurde. Schillers Philosophische Briefe sind natürlich in einem ganz anderen Ton geschrieben als Sternes Reiseroman Sentimental Journey : Während Julius sich in teils idealistischen um nicht zu sagen schwärmerisch-überspannten Worten ausspricht, teils einer tiefen Niedergeschlagenheit, um nicht zu sagen einer Depression Ausdruck verleiht, scheint Yorick, wie empfindsam er auch sein mag, im Grunde ein unberührter Plauderer zu sein, den nichts und niemand aus der Ruhe bringen kann. Während Yorick in der äußeren Welt reist, reist Julius in der inneren Welt und sucht nach einer »entflohenen Seligkeit« (NA, XX, 109) und einer »seligen paradiesischen Zeit« (NA, XX, 109). Aber für Yorick ist die Reise nicht das Ziel, sondern das Mittel: »die Reise als der Weg, der über die Verfremdung und Enttäuschung an der Welt zur Aufgeklärtheit des Ich-Selbst hinführt.«455 Schillers im Vorwort der Philosophischen Briefe (siehe oben) erklärtes Ziel war, Herz und Verstand wieder zu vereinen, und dies war auch Sternes Intention: »Yoricks wichtigstes Erkenntnisinstrument ist die Sensibilität, das ›große Sensorium der Welt‹, jene komplexe Mischung aus Emotion und Vernunft, die das Zeitalter der Empfindsamkeit prägte«.456 Und, last but not least, 455 Geschichte der deutschen Literatur, I:1, S. 162. 456 R. Freiburg, Laurence Sterne, Yoricks empfindsame Reise, Nachwort, 2008, S. 380.

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Sternes Text kann ebenso wie Schillers Text als ein Beitrag und eine Stellungnahme zur anthropologischen Debatte um die »Bestimmung des Menschen« betrachtet werden: Als anglikanischer Geistlicher und als Sympathisant der Ideen des Earl of Shaftesbury ist es ihm wichtig, die in seiner Sichtweise verheerend materialistische Philosophie La Mettries, Denis Diderots oder des Baron d’Holbachs sowie ihre Vorstellung vom Menschen als ›Maschine‹ durch die Betonung von Philanthropie und Sentimentalität entschieden zurückzuweisen.457

Noch deutlicher als Sterne nimmt Schiller – und mit ihm auch Ekmanson als Übersetzer des Begriffs »halbe Aufklärung« – hier eine Position innerhalb der Aufklärung ein, wo diese sich teilt in eine wahre und eine falsche Aufklärung.458 Die falsche Aufklärung entspricht in dieser Lesart der französisch-materialistischen, der kritisch-rationalen, während die richtige Aufklärung die ist, welche vom Herzen ausgeht und sich an den ganzen Menschen wendet – was der deutschen Aufklärung entsprach, wie die Rabulisten und, wie in Kürze zu zeigen ist, die Mitglieder der Junta, offenbar annahmen.

8.

Zusammenfassung

Die schriftlich fixierte Schiller-Rezeption beginnt in Schweden am 6. September 1792 mit Pehr af Lunds Einrückung einer Übersetzung des Abschnittes über das Inquisitionsgericht aus dem Abfall der Niederlande in seine Zeitschriftt Välsignade tryckfriheten och Tryckfriheten den välsignade. Im gleichen Monat, am 29. September 1792, verwendete Johan Samuel Ekmanson einige Verse aus Schillers Don Carlos als Motto eines längeren Artikels in Werlds-borgaren. In den folgenden drei Monaten rückt Ekmanson außerdem noch die Darstellung Wilhelm von Oraniens aus dem Abfall der Niederlande sowie Auszüge aus den Philosophischen Briefen in seine Zeitschrift ein. Es handelt sich mit Ausnahme der Philosophischen Briefe um Texte Schillers, die in Cleves Leihbibliothek zugänglich waren, was deutlich zeigt, dass Cleves Bibliothek dazu beigetragen hat, die Schiller-Rezeption in Schweden in einem relativ frühen und bisher nicht 457 Ebd., S. 381. 458 Zur »Polarisierung und Politisierung des Sprachgebrauchs« und zur »Differenzierung zwischen wahrer und falscher Aufklärung« siehe Geschichtliche Grundbegriffe, I, 2004, S. 278 – 286. In Deutschland mehren sich nach 1795, also etwa zeitgleich mit Schweden, die Stimmen derer, »die verlangen, daß die durch Aufklärung vermittelten Kenntnisse nicht bloß theoretisch den Verstand aufhellen, sondern auch praktisch auf das Herz und aus dem Herzen wirken müssen, wenn sie den Namen wahrer Aufklärung verdienen sollen, oder für welche wahre Aufklärung allein diejenige Aufklärung ist, welche das Herz veredelt und die Menschenliebe befördert« (Geschichtliche Grundbegriffe, I, 2004, S. 286).

Zusammenfassung

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beachteten Ausmaße zu entfachen. Besonders Lunds Zeitschrift scheint viele Leser gehabt zu haben, weshalb man davon ausgehen kann, dass Ende 1792 mindestens Tausend, eventuell jedoch mehrere Tausend Leser Schillers Autorschaft zur Kenntnis genommen haben. Bei den Zeitschriften handelt es sich um zwei von insgesamt sechs Zeitschriften, die im Sommer bzw. Herbst 1792 als Folge der neuen von Reuterholm verantworteten liberalen Druckfreiheitsverordnung entstanden. Von den anderen Zeitschriften sind insbesondere Extra Posten von Bedeutung, die literarische Plattform Leopolds bis 1795, Carl Fredrik Nordenskiölds Medborgaren und Lorentz Münther Philippsons Patrioten. Während die beiden zuletzt genannten Zeitschriften rein polemisch-politischer Natur waren, findet sich in Lunds und Ekmansons Journalen auch eine Neigung zur Publikation literarischer Texte. Insbesondere Ekmanson, der, vermutlich in der Nachfolge von moralischen Wochenschriften wie The Spectator, jede Ausgabe von Werldsborgaren mit einem Motto versah, lässt sich ein gänzlich neuer Literaturkanon ablesen und eine Ausrichtung auf die deutsche Literatur. Lunds Anmerkung, dass der Text von Schiller sei, »ein berühmter Autor, der jetzt den 30jährigen Krieg schreibt« verbunden mit der Tatsache, dass Cleve den Kalender, in welchem Schillers Dreißigjähriger Krieg sukzessive publiziert wurde, nicht führte, erlaubt die Schlussfolgerung, dass neben der Leihbibliothek Cleves noch andere Kanäle existierten. Ekmanson hatte die Zeitschrift also über andere Kanäle erhalten, auch dies einmal mehr ein Hinweis darauf, dass die deutsche Literatur weitaus präsenter war, als es im Nachhinein zu rekonstruieren ist, aber auch, dass Schiller in dieser frühen Phase seiner Rezeption über verschiedene Kanäle zu erhalten war. Außerdem macht der Hinweis deutlich, in welchem Ausmaß Schiller als Zeitgenosse empfunden, und dass er vor allem auch als Historiker wahrgenommen wurde. Sowohl Ekmanson als auch Lund rückten einen Ausschnitt aus dem Abfall der Niederlanden in ihre Zeitschriften ein. Im Falle der Darstellung von Wilhelm von Oranien handelt es sich um eine von mehreren in Werlds-borgaren publizierten historischen Charakterdarstellungen, die in kodierter Form falsche Politik ex negativo über die Beschreibung einer verantwortungsvollen Politik kritisierten. Lund dagegen wählte die eindrucksvolle Passage über die Inquisition, in welcher die perfide Funktionsweise eines repressiven Systems dargestellt wird. Auch Ekmanson hat diese Passage vermutlich beeindruckt, glaubt man doch Spuren davon im Artikel Om samhällets fördärf, der mit einem Motto aus Schillers Dom Carlos eingeleitet wurde, wahrzunehmen. In den schwedischen Literaturgeschichten wird an manchen Stellen vage von Thorild und seinen »Anhängern« (NISLH, II, 472), von »Thorildianern« gesprochen, ohne je Namen zu nennen. Mehrere der Rabulisten unterhielten auf unterschiedlichste Weise Verbindungen mit Thorild (und Lidner). Thorild be-

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trachtete Lunds Zeitschrift Välsignade tryckfriheten och Tryckfriheten den välsignade als vorbildlich, Lidner publizierte Gedichte darin; Thorild verteidigte Ekmansons Sterne-Übersetzung gegen die Polemik Kellgrens; Philippson war gewissermaßen Thorilds »Schüler«. Die Rabulisten und Thorild zogen sowohl in politischer wie auch in ästhetischer Hinsicht an einem Strang. In vielerlei Hinsicht sind sie dem radikalen Aufklärungsflügel, dem Sturm und Drang, zuzuordnen. Atterbom, der in Svenska Siare och Skalder Thorild als Vorromantiker einstuft, eine Lesart, die Thorild fürderhin anhängen sollte, sah dessen Verwurzelung in der Aufklärung nicht. Die Verbindung zu Thorild wird besonders deutlich in Ekmansons Übersetzung einiger Ausschnitte aus Schillers Philosophischen Briefen gegen Ende des Jahres 1792 – es handelt sich um die Vorerinnerung sowie die ersten beiden Briefe von Julius an Raphael. Die Übersetzung ist einerseits im Rahmen einer vermutlich um 1790 aufbrechenden Kluft zwischen einer »wahren« und einer »falschen Aufklärung« zu betrachten, andererseits im Kontext von Ekmansons Übersetzung von Sternes Roman Yorricks sentimental Journey unter dem Titel Yoricks känslosamma resa igenom Frankrike och Italien: Ekmanson schuf das Wort »känslosam« anstelle des importierten »sentimental«, womit der Startschuss gegeben wurde für die über Schweden hereinbrechende und aus dem Deutschen importierte Flut sentimentaler Romane. Gleichzeitig ist der Fragment gebliebene Briefroman und seine noch fragmentarischere Übersetzung Fanal des Missbehagens einer einseitigen, weil rationalistischen und materialistischen Aufklärung, die zu Melancholie und Krankheit führt. Diese halbe oder »falsche Aufklärung« galt es nun zu überwinden im Namen einer »richtige Aufklärung«, die auch das Herz anspricht und damit den ganzen Menschen.

Kapitel V: Leopolds Schiller-Übersetzung in Extra-Posten

Am 10. Mai 1793 erschien in Extra Posten die Übersetzung von An die Freude und am 21. Januar 1794 diejenige von Resignation. Die Publikation dieser bekannten in Schillers Thalia erschienen Gedichte galt bislang als Auftakt der Schiller-Rezeption in Schweden. Es ist in der schwedischen Literaturgeschichte als »merkwürdig« (Kurt Aspelin), gar »paradox« (Herbert Salu) angesehen worden, dass Carl Gustav af Leopold (1756 – 1829) Anspruch darauf erheben kann, im Rahmen einer Rezeptionsgeschichte Schillers in Schweden zuerst genannt zu werden.459 Wenn in den vorangegangenen Kapiteln gezeigt worden ist, dass unterschiedliche Werke Schillers seit 1790 in Cleves Leihbibliothek zugänglich waren, was sich bereits 1792 rezeptiv in Ekmansons Werlds-borgaren und Lunds Välsignade tryckfriheten och Tryckfriheten den välsignade niederschlug, Leopold somit keineswegs die »Ehre« gebührt, Schiller dem schwedischen Geistesleben zugeführt zu haben, so ist der »Merkwürdigkeit« damit keineswegs ihr Stachel genommen. Leopold verbleibt derjenige, der Schiller in Schweden insbesondere mit der Übersetzung von An die Freude am 10. Mai 1793 zu einer gewissen Berühmtheit, wenn nicht gar Popularität verholfen hat. Die »Merkwürdigkeit« bleibt bestehen, da diese sich vor allem aus dem Kontrast zwischen Leopold, dem »Klassizisten«, und Schiller, dem vermeintlichen Bannerführer der Romantik, speist. Bereits die Selbstmythologisierung der Romantiker nach 1809 zehrte von dem unversöhnlichen Gegensatz ihrer selbst zum gustavianischen Klassizismus und vor allem zu Leopold. Einmal von den ersten schwedischen Literaturhistorikern Lorenzo Hammarsköld und Per Daniel Amadeus Atterbom in Anschlag und ins Spiel gebracht, konnte die auf sich ausschließende Gegensätze aufbauende Konstruktion der schwedischen Literaturgeschichte – einerseits Aufklärung, Klassizismus, französischer Einfluss, andererseits Romantik, Idealismus, Gefühl, deutscher Einfluss –, von der nachfolgenden Literaturgeschichtsschreibung nicht mehr recht überwunden 459 Am umfassendsten wurde die Übersetzung Leopolds von Herbert Salu, Seid umschlungen, Millionen!, 1968, behandelt.

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Leopolds Schiller-Übersetzung in Extra-Posten

werden. Eine Literaturgeschichte, die sich in diesen Rastern bewegt, ist freilich gezwungen, Leopold der ersten und Schiller der zweiten Gruppe zuzuordnen. Die Rigidität und Zwanghaftigkeit eines solchen Zuordnungsautomatismus ist umso merkwürdiger, als dass die Romantik selbst Schiller keineswegs unproblematisch gegenüberstand, und eine gewisse Gemeinsamkeit Leopolds und Schillers bereits von Atterbom zu konstatieren war : Schiller kann nicht gänzlich davon freigesprochen werden, seine Muse oft von einer Opferpriesterin in eine Gouvernante verwandelt zu haben; Leopold ist selten etwas anderes als das. Aber dann: Von welcher Art sind nicht die Schiller’schen Ansichten, Sätze, Theoreme! Wie wahrhaft wahr, wie groß, wie fruchtbringend! Wir vernehmen in diesen das Gegenteil der kleinen empirischen Abstraktionen, die, um unsere Aufmerksamkeit zu wecken, mit einer hübschen Reimerei ausstaffiert wurden. Wenn es Schillers Ideengedicht fast immer gelingt, durch die Einbildungskraft den Verstand zu überreden; wenn die Sprache, die er benutzt, fast immer unwiderstehlichen Lichtpfeilen gleicht, mit welchen ein göttlicher Bogen sein Ziel trifft: so ist das die Ursache, dass er, wenn auch weniger lyrisch als didaktisch, das Recht auf die Sprache der Poesie hat. Der Verstand, von dem er ausgegangen ist, ist so hoch, so reich, so tief, dass jede Handlung von deren Wirksamkeit zur gleichen Zeit ein Gedanke des Herzens und ein Gefühl des Kopfes bedeutet. Die Stimme, die in ihm spricht, gehört weder einem hypochondrischen Kammergelehrten, noch einem lebensmüden Hofmann: sie gehört einem wirklichen Weisen, der die Welt überblickt von einem der menschlichen Gipfel. Daher rührt die angeborene Majestät und der Ton, welcher Schillers Lyrik kennzeichnet und sich in seinem dramatischen Werk noch bewundernswerter äußert, während die Neigung zur Katechese, die ihn in seinen kleineren lyrischen Produkten nicht selten überwältigt, entweder von der Art des Themas verdrängt wird oder im großen Stil des Schicksals spricht.460

Leopold ist in der von den Romantikern geschaffenen literaturgeschichtlichen Disziplin nicht gut weggekommen: Opportunist, Höfling, Karrierist und wehleidiger Hypochonder sind Zuschreibungen, die sich automatisch an seinen Namen heften. Den Eindruck, welchen Leopold hinterlassen hat, in gewissen Fällen auch die Rolle Leopolds im schwedischen Geistesleben, kann in mancherlei Hinsicht mit demjenigen Johan Christoph Gottscheds in Deutschland verglichen werden. Wie dieser mag er mit seiner von vielen als unfruchtbar angesehenen französisch-klassizistischen Literaturdoktrin nach dem Empfinden vieler Zeitgenossen mehreren Generationen den Weg verrammelt haben. Das Bild Leopolds wurde wie das Gottscheds durch seine Gegner »polemisch so verzerrt, dass eine gerechte Beurteilung seiner Leistung schwerfällt«.461 Wie so oft scheinen auch in diesem Fall die Romantiker mit ihrem Urteil die Nachwelt nachdrücklich geprägt zu haben. Das von der Neuromantik geschaffene Bild 460 P. D. A. Atterbom, Leopolds samlade skrifter, in: Svenska litteraturföreningens tidning, 1833. 461 Geschichte der deutschen Literatur, I:1, 1979, S. 71.

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wurde vor allem in der Phase der schwedischen Literaturwissenschaft fortgeschrieben, die ein positives Romantik- und Schiller-Bild hatte und beide miteinander zu verbinden suchte. Albert Nilsson konnte in diesem Sinne schreiben: Leopold erhebt sich nirgendwo über den französischen Geschmack, sondern ist bei uns dessen vollendeter Repräsentant. Er begriff nie, dass Schiller und vor allem Goethe eine Entwicklung über den französisch-klassizistischen Geschmack bedeuteten. Keineswegs waren diese für ihn so autoritative Personen wie Pope und Voltaire. Sein Urteil über Shakespeare, welches nur Voltaire nachgesagt wurde, bezeugt seine enge Kunstauffassung. Und wenn er in seinen ästhetischen Arbeiten Goethe und Schiller nennt, so geschieht dies fast immer um Beispiele für Geschmacksverirrungen anzuführen, vor welchen er warnen will.462

Das Missverständnis, das sich bei der Beurteilung Leopolds einerseits, bei seiner Schiller-Rezeption andererseits einstellt, rührt, scheint mir, von einer Literaturwissenschaft her, die stark von einem bestimmten Romantikverständnis geprägt war, das ihr dann auch noch als generelles Literaturmodell diente, an welchem sich Leopold allerdings nicht messen lässt. Das vermeintlich positive Schiller-Bild der Romantik ist, wie in der Folge noch zu zeigen sein wird, eine Konstruktion der Literaturwissenschaft in ihrer romantikfreundlichen Phase, insbesondere bei Fredrik Böök, Algot Werin und Albert Nilsson. Dies zeigt ein Vergleich der oben angeführten Zitate von Atterbom und Nilsson. Es konnte folgerichtig nicht ausbleiben, dass die Kritik, die Leopold als Person und Dichtertyp traf, auch an die Übersetzung der beiden Gedichte herangetragen wurde. Bereits Lorenzo Hammarsköld bemängelte deren Qualität und warf Leopold eine Fehlübersetzung vor;463 Nilsson meinte, Leopold habe das Gedicht Resignation missverstanden und eine moralische Tendenz hineingelesen;464 Olle Holmberg sah hinsichtlich der Unsterblichkeitsfrage im Vergleich einiger Artikel Leopolds mit dem Gedicht Försakelse und Ett tillkommande eine gedankliche Inkonsistenz am Werke;465 Herbert Salu meinte, das Gedicht An die Freude sei in der Übersetzung durch die Auslassung einer Strophe entstellt.466

462 463 464 465 466

A. Nilsson, Schillers inflytande p” Tegn¦r och hans samtida, 1905, S. 18. L. Hammarsköld, Kritiska Bref, 1810, S. 11, S. 148. A. Nilsson, Schillers inflytande p” Tegn¦r och hans samtida, 1905, S. 13. O. Holmberg, Leopold och Gustaf III, 1954, S. 257. H. Salu, Seid umschlungen, Millionen!, 1968, S. 98.

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1.

Leopolds Schiller-Übersetzung in Extra-Posten

Leopold und Deutschland

Carl Gustaf af Leopold, obwohl durch Neigung und Wahlverwandtschaft sein Leben lang der französisch-klassizistischen Literatur verbunden, kann aufgrund eher zufälliger Lebensumstände als einer der wenigen schwedischen Dichter seiner Generation gelten, welche die Möglichkeit hatten, die neu im Entstehen begriffene deutsche Literatur vor Ort kennen zu lernen, die aber auch über das sprachliche Rüstzeug verfügten, um eine Übersetzung poetischer Texte aus dem Deutschen ins Schwedische zu bewerkstelligen.467 Leopold hatte kaum ein Jahr in Uppsala studiert, als ihn das gleiche Schicksal wie andere akademisch-literarische Zeitgenossen (z. B. Kellgren, Thorild) ereilte, und er gezwungen war, seine Studien abzubrechen und 1774 eine Hauslehrerstelle anzunehmen. Nach dem plötzlichen Tod seines Vaters mit den finanziellen Mitteln versehen, seine Studien abzuschließen, zog er 1781 nach Greifswald, damals schwedische Provinz, wo er rasch seine Studien beendete und bereits 1782 eine Dozentenstelle bekleidete.468 Nachdem er als Bibliothekar in Stralsund gearbeitet hatte, kehrte er 1784 nach Uppsala zurück, wo er zum Lid¦nsischen Bibliothekar ernannt wurde. In Schweden galt es im dort entstandenen Konflikt zwischen dem Hofpoeten Kellgren und dem jüngeren Thorild Partei zu ergreifen. Der stets vorsichtige und auf Karriere bedachte Leopold wählte nach kurzem Briefwechsel mit Thorild, dem er sich aufgrund seiner alten Feindschaft mit Kellgren verbunden fühlte, doch die Seite Kellgrens. Der seinerseits nicht nachtragende Kellgren sah wohl die Möglichkeit gekommen, seine ungeliebten Pflichten als Hofpoet an einen anderen abgeben zu können und empfahl deshalb Leopold dem König solchermaßen, dass Leopold binnen Kurzem (1786) die offizielle Anstellung als Hofpoet innehatte. Die Frage, wie intensiv sich Leopold in den fast vier Jahren der Greifswalder und Stralsunder Zeit mit der deutschen Literatur beschäftigt hat, war Gegenstand von literaturwissenschaftlichen Spekulationen. Einerseits wurde die Meinung vertreten, dass sich Leopold in dieser Zeit vor allem für die Geschichte der Wissenschaften interessiert habe, von der deutschen Literatur dagegen gänzlich unberührt geblieben sei. »Sein literarischer Geschmack war und verblieb französisch, auch wenn er die deutsche Literatur respektabel genug befand« (ISLH, IV, S. 527). Holmberg dagegen urteilt hinsichtlich Leopolds Verhältnis zur deutschen Literatur : er gehörte in der »Mitte der 1780-Jahre zu den wenigen in Schweden, die über deutsche Literatur sprachen: er lobt Lessings Literaturbriefe, er bewundert Klopstock, er verteidigt Goethe«. In seiner 467 O. Holmberg, Den unge Leopold, 1756 – 1785, 1953, S. 204. 468 Die deutsch-schwedische Universität in Greifswald stand damals im Rufe, bei der Abwicklung eines schnellen Studiums mehr als behilflich zu sein. Siehe ISLH, IV, 1929, S. 527.

Leopold und Deutschland

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Greifswalder und Stralsunder Zeit habe Leopold vermutlich Möllers Neueste Critische Nachrichten gelesen, in welchen ausführlich über Lessings Nathan der Weise, Herders Vom Geist der Ebräischen Poesie, Klopstocks Messias, Lavaters Schriften sowie Kants Grundlegung der Metaphysik der Sitten und Prologomena zu einer jeden künftigen Metaphysik, die deutsche Ossian-Übersetzung und die Shakespeare-Übersetzung berichtet wurde. Dass Leopold in den Jahren von 1781 – 1784, in welchen er in Deutschland weilte und in studentischen Kreisen verkehrte, nichts vom Autor der Räuber, das gerade in dieser Zeit zum Kultbuch der jungen Generation avancierte, gehört haben sollte, ist kaum vorstellbar. Das Sturm-und-Drang-Drama dürfte dem am klassischen Geschmack geschulten jungen Mann jedoch wenig gefallen haben und das Identifikationsmuster, das Schiller aufgrund des Stücks künftig anhing, dürfte kaum zu einer intensiveren Beschäftigung eingeladen und Leopold vielleicht schlechterdings auf Jahre hinaus abgeschreckt haben. Jenseits aller Spekulation bezeugt der Briefwechsel dieser Zeit jedoch in der Tat sein Interesse, die deutsche Dichtung kennen zu lernen: »Diesen Winter habe ich vor, mich vor allem der deutschen Literatur zu widmen, die mir respektabel genug erscheint«469, teilt er Lindblom am 2. November 1783 in einem Brief mit. Am 4. März 1784, kurz vor seiner Rückkehr nach Schweden, schreibt er : Wäre mein Vaterland so beschaffen, dass man als Skribent etwas verdienen könnte, so würde ich hoffen, dass ich zumindest ein Einkommen hätte. Nach meiner Heimkehr will ich versuchen, eine Art Grundriss der Wissenschaftsgeschichte und eine Abhandlung über die deutsche Literatur herauszugeben. Ich denke außerdem an einige Übersetzungen, die der Mühe lohnen würden. Die deutsche Gelehrsamkeit ist im Allgemeinen viel zu wenig bekannt bei uns.470

Es ist wahrscheinlich, dass Leopold nach seiner Heimkunft mit dem dringlicheren Problem befasst war, ein leidliches Auskommen zu finden. Da Schweden jedoch nicht so beschaffen war, »dass man als Skribent etwas verdienen könnte« – Leopold spricht hier das Problem des freien Schriftstellers an – musste er das im oben zitierten Brief vom 4. März 1784 anvisierte Ziel, der deutschen Literatur und Wissenschaft eine Lanze zu brechen, hintanstellen. Die Tätigkeit als Hofdichter von 1786 – 1792 hat ihn dann vermutlich zu sehr beschäftigt, um an eine Ausführung dieses Projekts zu denken. Diese Möglichkeit, die dann aber auch 469 Samlade skrifter af C. Gustaf af Leopold utgifna af Knut Fredlund, II:1, Bref (1774 – 1789), 1913 – 1915, S. 169. »Denna vintern ämnar jag mästadels använda upp” tyska litteraturen som synes mig respectable nog.« 470 Ebd., S. 180. »Vore mitt kära Fädernesland s” beskaffadt at man s”som Scribent kunde förtjena n”got, s” tordes jag hoppas at jag ”tminstone icke skulle sakna min utkomst. Jag vill försöka vid min hemkomst med at utgifva ett slags Utkast till Lärdomshistorien, och en afhandling om Tyska litteraturen. Jag har utom dess n”gra öfversättningar i förslag som torde löna mödan. Tyska lärdomen är i allmennhet alt för litet bekant hos oss.«

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Leopolds Schiller-Übersetzung in Extra-Posten

eine finanzielle Notwendigkeit war, bot sich erst wieder ab Mitte 1792, nach Gustav III. Tod. Dass die direkte »Anregung« zu einer Übersetzung einiger Schiller-Gedichte aus Dänemark hat kommen müssen,471 wo der deutsche Autor in diesen Jahren besonders populär war, ist wenig wahrscheinlich. In einem Brief an Leopold, datiert vom 9. Juni 1792, also ein Jahr nach den Festivitäten zu Ehren Schillers in Kopenhagen, äußert Fredrik von Ehrenheim, schwedischer Charg¦ d’affaire in Kopenhagen, im Hinblick auf die Ermordung des Königs und die darauf folgenden politischen Veränderungen in Schweden: Ich habe mehrere mündliche und schriftliche Nacherzählungen des schrecklichen Umsturzes Zuhause erhalten; aber keine so ausführliche Erzählung wie diejenige, die H.K.S. mir gegeben hat. Dies zeigt, dass H.K.S. Schiller aufmerksam gelesen hat, denn ich meine hie und da seine Manier darin zu erkennen, wie H.K.S. den Zusammenhang dargestellt hat. Ich schicke außerdem seinen ersten Teil über die Sammangaddningar. Das ist das einzige, was publiziert wurde.472

Ehrenheim scheint in seinem Brief – der in der Forschung unberücksichtigt geblieben ist – davon auszugehen, dass Leopold Schiller gelesen und diese Lektüre sogar Leopolds Stil in der Beschreibung der politischen Ereignisse in Stockholm beeinflusst hat. Herbert Salu ist meines Wissens der einzige, der überhaupt auf diesen Brief hingewiesen hat, dabei jedoch nicht den interessanten Passus Ehrenheims ausgewertet hat, der ja gerade den Schluss erlaubt, dass Leopold zu diesem Zeitpunkt bereits mit Schiller vertraut war und seine Übersetzung der Schiller-Gedichte nicht wie ein Meteor vom Himmel fiel. Zu diesem Zeitpunkt lagen noch keine schwedischen Übersetzungen vor, weshalb Leopold einen Text von Schiller – und in diesem Kontext kann es sich nur um einen historischen Text handeln – im Original gelesen haben muss. Wie gezeigt wurde, war in Cleves Leihbibliothek seit 1791 Schillers Abfall der Niederlande verfügbar. Sollte Leopold also zu diesem Zeitpunkt bereits einen historischen Text gelesen haben, und Ehrenheims Brief scheint darauf hinzuweisen, handelt es sich mit großer Wahrscheinlichkeit um diesen. Eventuell hatte sogar Ehrenheim selbst den Abfall der Niederlande Leopold zugesandt. In diesem Brief teilt Ehrenheim mit, dass er einige »Deutsche Stücke« (schw. Tyska piecer) vom 471 H. Salu, Seid umschlungen, Millionen!, 1968, S. 93. 472 »Jag har f”tt en stor hop munteliga och skrifteliga efterrättelser om v”r skräckliga hvälfning hemma; men ingen s” utvecklad berättelse som den H. K. S. mig gifvit. Den visar att H. K. S. läst Schiller med upmärksamhet och bifall, ty jag känner igen här och där hans man¦r i det sätt hvarp” H. K. S. utredt sammanhanget. Jag skickar härjämte hans första del om Sammangaddningar. Det är det enda som utkommit.« Der Brief wurde in Handlingar ur von Brinkmanska archivet p” Trolle-Ljungby, II, S. 387 f. publiziert. Dagegen findet sich der Brief nicht in den Samlade skrifter af C. Gustav af Leopold utgifna af Knut Fredlund och Olle Holmberg, II:2, Bref (1790 – 1796), 1915. Mit der Bezeichnung »H.K.S.«, d. h. Herr kungliga sekreterare (der Herr königliche Sekretär), war Leopold gemeint.

Leopold und Deutschland

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letzten Leipziger Markt senden wolle. Gleichzeitig legt Ehrenheim ein Buch Schillers bei mit dem dänischen Titel Sammangaddningar. Es handelt sich bei dieser ersten Schiller-Übersetzung ins Dänische offenbar um Schillers Schrift Geschichte der merkwürdigsten Rebellionen und Verschwörungen aus den mittlern und neuern Zeiten (erst 1808 ins Schwedische übersetzt unter dem Titel Historiska underrättelser av de märkvärdigaste Revolutioner och Sammansvärjningar), die in den politischen Kontext passt und deren Lektüre Ehrenheim als Einübung zur Verfertigung eines historischen Berichts der Ereignisse betrachtet, dessen Verfassen er Leopold anträgt. Dieser solle sich nämlich die Protokolle des Königsmordes vornehmen, schreibt Ehrenheim weiter in seinem Brief, solle glaubwürdige mündliche Berichte sammeln und eine Geschichte »dieser Verschwörung [sammangaddning] schreiben […] Ein solch zeitgenössisches Stück, ich will es nicht verbergen, wird alle anderen literarischen Werke überleben und gelesen werden, solange schwedische Geschichte gelesen wird.« Leider sind die Briefe von Leopold an Ehrenheim nicht erhalten, weshalb eine erschöpfende Bewertung dieser Aussagen nicht möglich ist. Im oben bereits zitierten Brief an Leopold verspricht Ehrenheim das Zusenden eines Thalia-Heft, falls er es besorgen könne, und spricht schon im Voraus die Bitte aus, dass Leopold ihm seine Meinung zum Gedicht Die Resignation mitteile. Das Thalia-Heft, das am 23. 06. 1792 abgesandt wurde,473 enthielt die Gedichte Resignation, An die Freude, Freigeisterei der Leidenschaft und den Essay Über moderne Größe (siehe Kapitel IV).474 Ehrenheim, der anscheinend Gefallen an dem Gedicht Resignation gefunden hatte, drängte Leopold wenig später auch, das Gedicht ins Schwedische zu übersetzen, was dann aber immerhin noch ein Jahr gedauert hat. Es ist wahrscheinlich, dass der vormalige Hofpoet mit dringenderen Problemen befasst war, so z. B. der Suche nach einem Broterwerb. Am 15. 10. 1792 beginnt er seine Tätigkeit als freier Mitarbeiter der neuen Zeitung Extra Posten mit dem ersten einer ganzen Reihe von Gedichten, die er in dieser Zeitung publizieren wird. Ein halbes Jahr später, am 10. Mai 1793, erschien in Extra Posten anonym die Übersetzung von An die Freude unter dem Titel S”ng, til Glädjen.475

473 Siehe H. Salu, Seid umschlungen, Millionen!, 1968, S. 94. 474 Siehe O. Holmberg, Leopold och reuterholmska tiden, 1792 – 1796, 1957, S. 310. 475 S”ng, till Glädjen wurde außerdem noch 1797 in Sommar-promenaden, ebenfalls anonym, publiziert, sowie in Samlade skrifter 1800 – 1802 und Samlade Skrifter 1814 – 1833.

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2.

Leopolds Schiller-Übersetzung in Extra-Posten

Leopold als freier Schriftsteller

Als Leopold am 10. Mai 1793 in Extra Posten dem Publikum seine Übersetzung von An die Freude vorlegte, hatte er allem Dafürhalten nach wenig Anlass zur Freude. Die Rabulisten mögen den verhassten Höfling und vermeintlich arrivierten Parnassisten seine Position missgönnt und ihn beneidet haben, tatsächlich war Leopold jedoch nach der Ermordung des von ihm stets verehrten Königs vor den Trümmerhaufen des zuvor Erreichten gestellt, die ökonomische Basis war ihm unter den Füßen weggezogen (SVH, II, S. 278 – 279). Leopolds Schiller-Übersetzungen fallen also in eine Zeit, in welcher er gezwungen war, sich als Schriftsteller gesellschaftlich und ideologisch neu zu positionieren. Man vergegenwärtige sich: die Französische Revolution hatte 1789 stattgefunden; 1792 war der schwedische König ermordet worden; Leopold hatte damit seinen Arbeitgeber und Mäzen verloren und musste sich als freier Schriftsteller etablieren. Er hatte sich entschlossen, die schwedische Hauptstadt zu verlassen und zog am 20. September 1793 nach Linköping um. Die Briefe dieser Zeit sprechen vor allem über die ökonomischen Vorteile einer solchen Veränderung.476 Es ist jedoch sehr wahrscheinlich, dass auch die politische Situation in Stockholm nach der Ermordung des Königs und die damit zusammenhängende Benachteiligung ehemaliger Günstlinge des Königs ihn vorsichtshalber ins »Exil« trieben.477 Die offizielle Version seines Rückzugs verlautbart er in einem Brief an Reuterholm, der das Land bis zur Volljährigkeit des Kronprinzen regierte: »Meine Absicht ist nämlich: all meine übrigen Bemühungen auf die Übersetzung der alten Autoren zu verwenden, von denen wir noch keinen einzigen auf Schwedisch besitzen.«478 In der Tat enthält das Verzeichnis der 41 Bücher, die er aus der Königlichen Bibliothek in Stockholm mit nach Linköping nahm, neben Rousseau, Montesquieu und Voltaire vor allem lateinische und griechische Klassiker – darunter Platon, Homer, Horaz, Cicero, Ovid, Vergil sowie Lukan – aber auch historische und philosophische Schriften, insbesondere über die Antike.479 Von einem »Commissionair« in Kopenhagen wollte er sich außerdem Bücher – die Rede ist von Vergil, Quintilian, Horaz und Manilius – aus Deutschland kommen lassen.480 Statt der von ihm angestrebten Ruhe, die er wohl mit der Übersetzungstä476 Samlade skrifter af C. Gustav af Leopold utgifna af Knut Fredlund och Olle Holmberg, II:2, 1915 – 1958, Brief 73, Till J. Nordwall. 477 Eine Anspielung auf das Politische findet sich im Brief 62, Till J. A. Lindblom, 22. Maj 1793, in: Samlade skrifter af C. Gustav af Leopold utgifna af Knut Fredlund och Olle Holmberg, II:2, S. 131. 478 Ebd., S. 139. 479 Ebd., S. 157. 480 Ebd., S. 155.

Leopold als freier Schriftsteller

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tigkeit verband, hatte er sich dem Tagesgeschäft einer Zeitung verpflichtet. Extra Posten war die einzige der neu erschienenen Zeitungen aus den wilden Tagen der Rabulisten, die die verschärften Zensurbedingungen überstanden hatte. Der wichtigste Mitarbeiter dieser Publikation war Leopold, dessen Programmerklärung in der ersten Ausgabe der Zeitung abgedruckt wurde.481 Wie der poetische Kalender Sommar-promenaden (1792 – 1801), in welchem Leopold in den 1790er Jahren zahlreiche Gedichte publizierte, signalisierte Extra Posten eine deutliche Annäherung an die deutsche Literatur. In den kaum drei Jahren ihres Erscheinens wurden nicht weniger als zehn zeitgenössische deutsche Autoren (Herder, Pfeffel, E. von Kleist, Blumauer, Gleim und Salis) in einer schwedischen Übersetzung publiziert.482 Die Beiträge Leopolds unterschieden sich gänzlich von seiner bisherigen schriftstellerischen Produktion. Als Hofpoet hatte er hauptsächlich Repertoiregedichte mit konkreten Adressaten – dem König, hohen Standespersonen im Umkreis des Hofes, der Schwedische Akademie – verfasst, was er selbst häufig beklagte. Als Mitarbeiter von Extra Posten war Leopold vor allem dem Wohlwollen der Öffentlichkeit, d. h. einem anonymen bürgerlichen Publikum, verpflichtet. Der freie Markt und nicht die Gunst des Hofes entschied nun über die Popularität eines Autors. Seine Publikation hatte sich diesen zumindest für ihn neuen Produktionsbedingungen anzupassen. Dies geschah einerseits durch eine Ausdifferenzierung der Produktpalette – das Angebot wurde erweitert, um die Nachfrage anzuheizen –, andererseits durch die Anpassung an den Publikumsgeschmack. Dieser wurde nun teils durch aristokratische Kreise, teils durch bürgerliche Schichten bestimmt. Da die aristokratischen Kreise jedoch nicht mehr an das personell eng abgesteckte, ritualisierte literarische Leben des gustavianischen Hofes gebunden waren, ist es wahrscheinlich, dass sie sich zusehends dem bürgerlichen Majoritätsgeschmack angepasst haben. Die Versnovelle Den vackra Bedjerskan (dt. Die schöne Beterin) ist z. B. der Unterhaltung zuzurechnen, das Gedicht Hjeltedigt (dt. Heldengedicht), Anfang 1794 publiziert, ist dagegen eine Adelssatire, in welcher der gesellschaftlich unnütze Lebenslauf eines Adligen karikiert wird, weist also deutlich eine bürgerliche Position auf. Die beißende Satire und Kritik entsprach wenig dem ansonsten maßvollen Charakter Leopolds und in der von ihm selbst besorgten Werkausgabe von 1800 – 1802 bat Leopold in einer langen Anmerkung darum, das Gedicht nicht mit »Symptomen politischer Schwärmerei zu verwechseln«, die in Europa im Schwange waren. Das ihm ureigene lyrische Genre ist jedoch das der 481 Über Leopolds Mitarbeit bei Extra Posten siehe SVH, II, 279 – 334. 482 J. V. Johansson, Extra Posten, 1792 – 1795. Studier i 1790-talets svenska press- och litteraturhistoria, 1936, S. 166; O. Holmberg, Leopold och Gustaf III, 1954, S. 221; SVH, II, S. 279 – 334.

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Leopolds Schiller-Übersetzung in Extra-Posten

Gedankenlyrik, wie sie in Försynen (dt. Die Vorsehung), ærets flykt (dt. Die Flucht der Jahre) Prädikaren (dt. Der Prediger) sowie den Schiller- und PopeÜbersetzungen der 1790er Jahre zum Ausdruck kommen. Schließlich kultivierte Leopold in Extra Posten auch noch das für ihn neue Genre der kurzen Reflexionsprosa und Essayistik, die er den unterschiedlichsten Themen widmete: der Traurigkeit, dem Selbstmord, der Ehre, der Jagd, um nur einige zu nennen. Mit einem Wort: Seine schriftstellerische Produktion wurde vielfältiger und demokratischer.483 In dieser Zeit schuf Leopold sein literarisches Hauptwerk in Gedichten, Essays und ästhetischen Schriften. Die Übersetzung der Gedichte Schillers leiten diesen Höhepunkt von Leopolds literarischem Schaffen ein und kennzeichnen den Beginn von Leopolds Phase als freier Schriftsteller.484 Zu konstatieren ist, dass die Verbürgerlichung des Geschmacks in Schweden eng mit einer Hinwendung zur deutschen Literatur verbunden ist.

3.

Die Übersetzung von An die Freude (10. 05. 1793)

Von den beiden gegensätzliche und komplementäre – hie Enthusiasmus, da Melancholie –Gefühlslagen ausdrückenden Gedichten Resignation und An die Freude weist das zweite bei oberflächlicher Betrachtung einen unproblematischeren Inhalt auf.485 Bei genauerem Hinsehen erweisen sich jedoch die beiden Gedichte auch hinsichtlich ihres kritischen Potentials als komplementär. Zunächst einmal handelt das zweite Gedicht entsprechend seinem Titel von der Freude, einem Motiv der ersten Stunde der Aufklärung.486 Nachdem der englische Philosoph Shaftesbury in seinem Letter Concerning Enthusiasm (1708) das Freude-Motiv inauguriert hatte, wurde es von Friedrich Hagedorn 1744 mit dem gleichnamigen Gedicht An die Freude in die deutsche Kulturerde verpflanzt. Ihm folgten Johan Peter Uz 1768 mit einem Gedicht gleichen Titels und natürlich Friedrich Klopstock, der den Freudentaumel in neue Formen zu gießen vermochte. Sowohl Hagedorn als auch Uz benutzten dabei den vierhebigen Trochäus, worin Schiller ihnen folgte. Die Freude wird in dieser Shaftesbury’schen Tradition bis hin zu Schiller als kosmisches Ereignis, als ein die Grenzen des 483 T. St”lmarck, Medelm”ttan, 2005, S. 123. 484 O. Holmberg, Leopold och Gustaf III, 1954, S. 300. 485 Zu An die Freude siehe Schiller-Handbuch, 1998; P.-A. Alt, Schiller, I, 2000, S. 252 – 255; C. Bruckmann, »Freude! Sangen wir in Thränen, / Freude! In dem tiefsten Leid«, 1991; W. Muschg, Schillers Lied an die Freude, 1968, S. 29; G. Storz, Der Dichter Friedrich Schiller, 1959, S. 115 f; B. v. Wiese, Friedrich Schiller, 1959, S. 239; H. Viehoff, Schiller’s Gedichte, 1872; H. H. Schulte, Werke der Begeisterung. Friedrich Schiller, 1980, S. 126. 486 Siehe der motivgeschichtliche Abriss von F. Schultz, Die Göttin Freude, 1926, S. 3 – 38, sowie der begriffsgeschichtliche Abriss von G.-M. Schulz, Furcht, Freude, Enthusiasmus, 1957, I, S. 103 – 141.

Die Übersetzung von An die Freude (10. 05. 1793)

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Individuums sprengender Vorgang verstanden. Lieder der Freude zu Ehren finden sich jedoch auch in den Liederbüchern der Freimaurer dieser Zeit, so z. B. in Lieder, zu singen für die Freimäurerlogen (1782). Aus Schillers nächstem Umkreis gehörte Körner den Freimaurern an, durch welchen er die sogenannten Tafellogenlieder hätte kennenlernen können. Sowohl inhaltlich als auch formal konnte Schiller also im Unterschied zu Leopold an eine Tradition anknüpfen. Schiller überbietet freilich seine Vorgänger im ekstatisch-entgrenzenden Gestus, der in der ersten Strophe durch die Wörter Götterfunken, Elysium, feuertrunken, Himmlische und Heiligtum angeschlagen wird. Betrachten wir Leopolds Übersetzung des Gedichts näher.487 1 Sällhets-skapande förm”ga! Alla Wäsens Harmoni! Glädje! Druckne af din l”ga, Kring ditt Altar samloms wi. All den skillnad Flärden föder, Göms för dig i stoft och skam; Kung och Bonde äro bröder, Hwar din hwinge fläcktar fram!

1. Freude, schöner Götterfunken, Tochter aus Elisium, Wir betreten feuertrunken Himmlische, dein Heiligthum. Deine Zauber binden wieder, was der Mode Schwerd getheilt; Bettler werden Fürstenbrüder, wo dein sanfter Flügel weilt.

Chor. Er, w”rt famntag, Myriader! Dig, w”r kyss, du werldars Här! Bröder, – öfwer Stjernor, der, Var förwist en mildrik Fader!

Chor Seid umschlungen, Millionen! Diesen Kuß der ganzen Welt! Brüder – überm Sternenzelt Muß ein lieber Vater wohnen.

2. Hwem som til sitt hjertas lycka, För en wän det öpna f”r, Och en Makas dertil trycka, Blande han sin s”ng med w”r! Men den af ett enda hjerta, Ej f”r tröst p” jordens rund, Slite sig, med vaknad smärta, Gr”tande ur w”rt förbund!

2. Wem der große Wurf gelungen, eines Freundes Freund zu seyn; wer ein holdes Weib errungen, mische seinen Jubel ein! Ja – wer auch nur eine Seele sein nennt auf dem Erdenrund! Und wer’s nie gekonnt, der stehle weinend sich aus diesem Bund!

Chor. Alt hwad kring naturen hwimlar, Hylle Sympatiens bud! Up til Stjernorna, – til Gud, För hon, genom rymd och Himlar.

Chor Was den großen Ring bewohnet, huldige der Simpathie! Zu den Sternen leitet sie, Wo der Unbekannte tronet. 3. Freude trinken alle Wesen an den Brüsten der Natur, Alle Guten, alle Bösen

487 Der hier abgedruckte Text folgt der Ausgabe Samlade skrifter av Carl Gustaf af Leopold, I:2, Dikter 1785 – 1829, Utgivna av Torkel St”lmarck, 1. Text, 2002, S. 219. Leopold hat seine Übersetzung selbst publiziert in Carl Gustaf Leopolds Samlade skrifter 1814 – 1833, II, 1815, S. 86 f. Der deutsche Text folgt NA, I, 1992, S. 169 ff (1. Fassung Thalia).

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Leopolds Schiller-Übersetzung in Extra-Posten

folgen ihrer Rosenspur. Küße gab sie uns und Reben, einen Freund, geprüft im Tod. Wollust ward dem Wurm gegeben, und der Cherub steht vor Gott. Chor Ihr stürzt nieder, Millionen? Ahndest du den Schöpfer, Welt? Such’ ihn überm Sternenzelt, über Sternen muß er wohnen. 3. Glädjen – kraft och ungdom gifwer, æt den alstrande Natur; Glädjen, glädjen hjulen drifwer I det stora werldens ur. Blomman hon ur br”dden skjuter, Fästet hon med stjernor s”r, Hwälfwer Spherer, Solar gjuter, Fler, än sk”darns fjerr-glas n”r.

4. Freude heißt die starke Feder in der ewigen Natur. Freude, Freude treibt die Räder in der großen Weltenuhr. Blumen lockt sie aus den Keimen, Sonnen aus dem Firmament, Sphären rollt sie in den Räumen, die des Sehers Rohr nicht kennt!

Chor. Oförskräckt som Seger-Hjelten, Fyllen, Bröder, edert lopp! Gladt, – som Ljusets gyllne kropp Genomstörtar Himla-Fälten.

Chor Froh, wie seine Sonnen fliegen, durch des Himmels prächtgen Plan, Laufet Brüder eure Bahn, freudig wie ein Held zum siegen.

4. Med den kunskap forskarn winner Glädjens ljus hans öga rör ; Mensko-wännen henne finner Hos den lycklige han gör ; Hjälten, som för äran strider, Möter hon med Ryktets röst; Men den dygdige som lider, Äger henne, i sitt bröst.

5. Aus der Wahrheit Feuerspiegel lächelt sie den Forscher an. Zu der Tugend steilem Hügel leitet sie des Dulders Bahn. Auf des Glaubens Sonnenberge sieht man ihre Fahnen wehn, Durch den Riß gesprengter Särge sie im Chor der Engel stehn.

Chor. För det Sanna, för det Sköna, W”gen, liden, Dödlige! Uppe, der, bland Himlarne, Sitter HAN, som skall belöna!

Chor Duldet mutig, Millionen! Duldet für die beßre Welt! Droben überm Sternenzelt wird ein großer Gott belohnen.

5. Gudars n”d kan ej betalas, Likna dem är Dygdens höjd. M”, den usle, d” hugswalas! M” den Sorgsne känna fröjd! Flyg, din Ovän att förl”ta, Dränk hans fel i Glömskans haf: Ingen blodst”r m” han gr”ta, Ingen ”nger frätas af!

6. Göttern kann man nicht vergelten, schön ists ihnen gleich zu seyn. Gram und Armut soll sich melden mit den Frohen sich erfreun. Groll und Rache sei vergessen, unserm Todfeind sei verziehn Keine Thräne soll ihn pressen, keine Reue nage ihn.

Die Übersetzung von An die Freude (10. 05. 1793)

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Chor. L”t oss Likars swaghet glömma! Lefwe de, med oss tilfreds! Bröder, – öfwer Stjernors krets; Dömmer Gud oss, som wi dömma!

Chor Unser Schuldbuch sei vernichtet! ausgesöhnt die ganze Welt! Brüder – überm Sternenzelt richtet Gott wie wir gerichtet.

6. Fröjd i hjertan och Pocaler! Nu, – i gyllne drufwors blod, Dricken mildhet, Kannibaler! Och du, Swaghet! Hjeltemod. – Tron ej Himlens ära kränkas Af ett offer fr”n er b”l; M” til skyn des safter skänkas; Gode Ande! – Dig, w”r Sk”l!

7. Freude sprudelt in Pokalen, in der Traube goldnem Blut trinken Sanftmut Kannibalen, Die Verzweiflung Heldenmut – – Brüder, fliegt von euren Sitzen, wenn der volle Römer kraißt, Laßt den Schaum zum Himmel sprützen: Dieses Glas dem guten Geist.

Chor. Honom, som med Himla-banden, Sammanh”ller werldars Här. – Bröder, – öfwer Stjernor, der, Detta glas, den gode Anden!

Chor Den der Sterne Wirbel loben, den des Seraphs Hymne preist, Dieses Glas dem guten Geist, überm Sternenzelt dort oben!

7. Kraft i motg”ng; helgd af Seder ; Dygdens, Sanningens förswar ; Flärdens afsky, hjertats heder ; Slut p” werldens barndoms dar ; Manlig Stolthet, inför Kungar ; æt Förtjensten, Lagrens lott; Ingen Gud, som blixten slungar ; Ingen träldom, – ordning blott!!!

Festen Mut in schwerem Leiden, Hülfe, wo die Unschuld weint, Ewigkeit geschwornen Eiden, Wahrheit gegen Freund und Feind, Männerstolz vor Königstronen – Brüder, gält’ es Gut und Blut – Dem Verdienste seine Kronen, Untergang der Lügenbrut!

Chor. Slutom Cirkeln, Skalder, sjungen Ljusets seger, jordens ro! Swärjom mänskligheten tro, Swärjom den, – wid Stjerne-Kungen!

Chor Schließt den heilgen Zirkel dichter, schwört bei diesem goldnen Wein: Dem Gelübde treu zu sein, schwört es bei dem Sternenrichter!

8. W”ldets kedja rättwist bruten; Sanning, trygg bland dödlige; Ostördt lugn i döds-minuten; N”d, hos werldens Dommare! N”d, – jemväl för de fördömda, Om hans högsta godhet will! Alla synder ware glömda, Och en ewig hämnd, – ej til!!!

9. Rettung von Tirannenketten, Großmut auch dem Bösewicht, Hoffnung auf den Sterbebetten, Gnade auf dem Hochgericht! Auch die Toden sollen leben! Brüder trinkt und stimmet ein, Allen Sündern soll vergeben, und die Hölle nicht mehr seyn.

Chor. Wandrarns staf en g”ng skall fällas! Bröder, – fridsam afskeds-stund! Och et mildt ord, fr”n HANS mund, För hwars dom de döda ställas!

Chor Eine heitre Abschiedsstunde! süßen Schlaf im Leichentuch! Brüder – einen sanften Spruch aus des Totenrichters Munde!

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Leopolds Schiller-Übersetzung in Extra-Posten

Das Original wird, wie Henning Falkenstein hervorgehoben hat, von kurzen, knappen Sätzen geprägt, »die immer wieder von Ausrufen oder Anrufen unterbrochen werden oder gar nur aus mitreißenden Aufforderungen bestehen.« Dies lasse sich bis in die Zeichensetzung hinein verfolgen, durch zahlreiche Ausrufezeichen oder Gedankenstriche. »Deutlicher wird dieses Merkmal jedoch an den blockartig nebeneinander stehenden Worten oder Satzteilen, an dem Fehlen von glatten syntaktischen Bindungen.«488 Bemisst man das Gelingen einer Übersetzung von An die Freude an der Feststellung Falkensteins, der Kern des Gedichts sei weniger im philosophischen Gehalt, als in der rhetorischen Suggestion zu suchen, so scheint Leopold diesen Kern des Gedichts eben so verstanden und eine gelungene Übersetzung vorgelegt zu haben. Leopold hat die Verwendung von Gedankenstrichen und Ausrufezeichen vermehrt und das Blockartige und Exklamatorische des Gedichts dadurch noch gesteigert. Überhaupt hat sich Leopold eng an die formalen Gegebenheiten des Originals gehalten, was sich insbesondere am Reimschema und Versmaß sehr deutlich zeigt (Reimschema der Strophen: ababcdcd, der Chöre: effe; Versmaß: vierhebige Trochäen). Ragnar Oldberg hat in seiner Arbeit über den schwedischen Reim En bok om rim (dt. Ein Buch über Reim) dargelegt, dass im 18. Jahrhundert der Sinn für die Klangwirkung der Sprache zurückgedrängt worden sei. »Die Modelle für die Verse, wie auch die Regeln für den rechten Gebrauch des Reims« seien aus Frankreich gekommen und die Poeten seien »Sklaven tyrannischer Regeln« gewesen. Dieser »Regelzwang hatte zur Folge, dass der schwedische Klassizismus einen Rückschritt hinsichtlich des Reimes bedeutete. Der Reim wurde sicherlich ein wohlerzogenes Kind, aber ohne Charakter, ohne Temperament und Leben.«489 Wenn der Reim des 18. Jahrhunderts solchermaßen »eine bleiche und dürre Parenthese zwischen den kühnen Reimen des 17. Jahrhunderts und der formvollendeten Romantik« darstellte, so herrschte der Alexandriner hinsichtlich des Versmaßes, »unter dessen Monotonie« die Verse schwer wurden. Dieses Urteil macht Oldberg sowohl für die Generation der Dalin, Creutz und Gyllenborg als auch für die eigentlichen Gustavianer Kellgren und Leopold geltend. Ein Blick auf die Reime bestätigt Oldbergs Meinung, dass der Reim der Zeit wenig phantasievoll ist. Dies zeigt sich umso mehr im Vergleich mit Schillers zumeist originellen und gänzlich neuen Reimen. Ein gutes Beispiel hierfür ist die zweite Strophe, in welcher Leopold das Original »Seele«/»stehle« mit »hjerta«/ »smärta« übersetzt. Während Schiller zwei Wörter unterschiedlicher Wort488 H. Falkenstein, Das Problem der Gedankenlyrik und Schillers lyrische Dichtung, 1963, S. 39 ff. 489 R. Oldberg, En bok om rim, 1945, S. 126 ff.

Die Übersetzung von An die Freude (10. 05. 1793)

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gruppen reimt – z. B. Substantiv und Verb – benutzt Leopold meistens zwei Verben, manchmal zwei Nomen, sehr selten Wörter unterschiedlicher Wortarten. Gegen Ende des Jahrhunderts mit dem Vormarsch der Romantik und dem Rückzug des französisch beeinflussten Geschmacks macht sich eine Verminderung der Verben im Endreim, die am wenigsten originelle Reimform,490 zugunsten anderer Wortarten, insbesondere der Substantive, geltend. Oldberg hat auch das völlige Fehlen von starken Assonanzen, Alliterationen und Binnenreimen in der Literatur des 18. Jahrhunderts vermerkt. Tatsächlich lassen sich bei Schiller mehrere kern- und kraftvolle Beispiele finden (»Freund und Feind«, Strophe 8 / »Gut und Blut«, Strophe 8), bei Leopold dagegen keines. Die rhetorische Stilfigur Anapher verwendet Leopold dagegen entsprechend seinem klassizistischen Rhetorikideal in der Übersetzung auch dort, wo sie im deutschen Original nicht verwendet wurde.491 Ein Vergleich des stilistischen Niveaus des deutschen und des schwedischen Textes erlaubt Rückschlüsse auf die sprachlichen und kulturellen Rahmenbedingungen und Unterschiede. Besonders naturalistische oder makabre Ausdrücke hat Leopold ganz ausgelassen oder entschärft.492 Dies ist einerseits der Kollision eines französisch-klassizistischen Kulturmilieus mit der provokativen Sturm-und-Drang-Diktion Schiller’scher Provenienz, andererseits dem Altersunterschied des zum Zeitpunkt der Übersetzung (1793) 47 Jahre alten Leopold und des beim Verfassen des Gedichts (1784) 25 Jahre alten Schiller geschuldet. Es ist sehr wahrscheinlich, dass auch der Schiller von 1793 eine gemäßigtere und weniger extreme Bildsprache verwendet hätte. Andere Ausdrücke, die Leopold nicht entsprechend übersetzt hat, sind Komposita wie »Sternenzelt« (Strophe 1, 3, 5, 6, 7); »Erdenrund« (Strophe 2); »Rosenspur« (Strophe 3); »Weltenuhr« (Strophe 4), »Feuerspiegel« (Strophe 5), und »Sonnenberge« (Strophe 5). Ohne Zweifel tragen solche Komposita zur »Originalität« der Schiller’schen Lyrik bei, da jedoch die Möglichkeit des Schwedischen hinsichtlich der Bildung von Komposita begrenzter ist als die des Deutschen, kann die Eliminierung derselben in der Übersetzung Leopold kaum vorgeworfen werden.493 Eine weitere 490 Ebd. 491 Beispiele hierfür finden sich in meinem Aufsatz »Kung och Bonde äro Bröder«, Samlaren 131, 2010, S. 165, Anmerkung 124. 492 Ebd., S. 165, Anmerkung 125. 493 H. Salu, Seid umschlungen, Millionen!, 1968, S. 98. Salu moniert die Tatsache, dass Leopold »Sternenzelt« durch ein »einfaches Substantiv mit Füllwort« wiedergibt (öfwer Stjernor, der, […]). Dabei wurde diese Periphrase zum ersten Mal erst dreißig Jahre später im Schwedischen verwendet, und zwar von Tegn¦r 1821 (siehe SAOB, »stjernetält«). Wenn Salu weiter schreibt: »Die Periphrase ›der große Ring‹ ersetzt er wieder entsprechend dem rationalistischen Stil durch das alltägliche Substantiv ›Naturen‹,« so wird einerseits impliziert, dass im »rationalistischen Stil« keine Periphrasen verwendet werden, andererseits, dass Leopold keine Periphrasen mit dem Element »Ring« gebildet hat. Beides ist jedoch

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Leopolds Schiller-Übersetzung in Extra-Posten

Tendenz schließlich ist die Verwendung von für den Pseudoklassizismus üblichen zu Formeln erstarrten Genitiv-Periphrasen wie »Glömskans haf« (dt. Meer des Vergessens) in Strophe 5 sowie »Wandrarns staf« (dt. Stock des Wanderers) im Chor der Strophe 8.

4.

»Allen Sündern soll vergeben, und die Hölle nicht mehr sein«

Im Zusammenhang mit der Auslassung der dritten Strophe nebst Chor wurde von einer »radikalen Änderung« gesprochen: Leopold habe »die Ganzheit des Gedichtes dadurch zerstört, dass er die Verse 27 – 38 ausließ«.494 Die Veränderung ist jedoch weder radikal noch zerstört sie die Ganzheit des Gedichtes, da das Gedicht nicht inhaltlich oder argumentativ strukturiert ist, sondern im Hinblick auf eine maximale Suggestionskraft. Der Inhalt wird durch Motive konstituiert, die das gesamte Gedicht durchziehen, weshalb das Weglassen einer Strophe eigentlich kaum auffällt. Man hat denn auch die Gedankenfolge getadelt, den »Fortschritt der Ideen für unmotiviert und rein zufällig«, und sogar »Strophe 2 bis 5 für überflüssig erklärt«.495 Wenngleich dieser Standpunkt übertrieben sein mag, so zeigt er doch, wie wenig das Gedicht inhaltlich von einzelnen Strophen abhängt. Die Frage, inwiefern mehr oder weniger große Veränderungen vorgenommen wurden, lässt sich also nicht durch Hinweis auf das Fehlen einer Strophe beantworten, sondern nur durch einen Vergleich des Motivgeflechts. Schillers Gedicht kommt zunächst im Kleide eines Trinklieds daher : Das Motiv des Trinkens wird in Strophen 3, 7 und 9 sowie im Chor der 8. Strophe angesprochen. Leopold hat diese Bedeutungsschicht beibehalten, es war ihm falsch, zumindest falls Salu mit »rationalistischem Stil« den gustavianischen Stil meint, was seinem Text entnommen werden muss. Der sogenannte gustavianische Stil zeichnet sich jedoch gerade durch eine ausgesprochene Periphrasenfreude aus, allerdings eine häufig zu Stereotypen erstarrte, wie auch Salu richtig anmerkt, was ja die Umständlichkeit und stellenweise Ungenießbarkeit dieser Texte zur Folge hat. Leopold hat jedoch im zeitlichen Umfeld der Übersetzung das Wort »Ring« in zwei Gedichten in unterschiedlichen Ausdrücken verwendet: im Gedicht Bonden och Hofmannen, das am 25. Oktober 1792 in Extra Posten publiziert wurde: »Lyckans ring« (dt. der Ring des Glücks) und in der Rim-Saga (dt. Reim-Sage) Den wackra Bedjerskan, die am 22 März 1793 in Extra Posten publiziert wurde: »jordens ring« (dt. der Ring der Erde, Erdenrund). Es ist durchaus möglich, dass Leopold durch Schiller zur Verwendung dieser Periphrase angeregt wurde, dafür spricht einerseits die gehäufte Verwendung, nachdem er Schillers Gedicht kennen gelernt hat, andererseits die Abwesenheit des Ausdrucks davor. 494 H. Salu, Seid umschlungen, Millionen!, 1968, S. 98. Die an dieser Stelle sehr freie Übersetzung macht es zwar schwer, die fehlenden Verse zu identifizieren – gleichwohl kann kein Zweifel daran bestehen, dass Leopold nicht die Verse 27 – 38 ausgelassen hat, sondern Strophe drei und den dazugehörigen Chor, d. h. die Verse 25 – 36. 495 H. Viehoff, Schiller’s Gedichte, I, 1872, S. 183.

»Allen Sündern soll vergeben, und die Hölle nicht mehr sein«

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jedoch nicht darum zu tun, das Motiv des Trinkens zu betonen: von den vier Stellen in Schillers Gedicht, die auf den fröhlichen Kontext verweisen, übersetzt Leopold lediglich eine (Strophe 7, bei Leopold Strophe 6); die am deutlichsten das Trinkmotiv konnotierenden Verse hat er zudem ausgelassen. Diese Feststellung ist keineswegs unerheblich, da die Hervorhebung des Trinkmotives eine Strategie gewesen wäre, über den politisch und religiös provokativen Inhalt hinwegzutäuschen. Letztlich ist schon das deutsche Original An die Freude ein »Grenzfall der Trinklieddichtung«,496 und das »Weinthema nur noch eine Umschreibung für das Thema Freude«.497 Das Thema Freude hat in Schillers Version eine sowohl politische als auch religiöse Dimension, die Leopold in den zwei letzten Strophen des Gedichts unabhängig von der deutschen Vorlage durch formale Markierungen auf zwei inhaltliche Höhepunkte zugerüstet hat. So beendet er die 7. Strophe mit dem Vers »Ingen träldom – ordning blott!!!« (dt. Keine Sklaverei – Ordnung nur!!!) und die letzte Strophe »Och en ewig hämnd, – ej til!!!« (dt. Und eine ewige Rache, – gibt es nicht!!!). Diese auf eine letztendlich doppelte Befreiung von gesellschaftlichen und religiösen Zwängen hinzielende dreifach imperativische Aufforderung gibt dem Leopold’schen Gedicht eine semantische Deutlichkeit, die Schillers Gedicht nicht besaß. Gleichzeitig wird der dem Schiller’schen Text bereits innewohnende, allerdings im Vagen bleibende Wunsch, dass so sei, was gefühlt und gedacht, als über das Gedicht hinausschießende Handlungsanweisung markiert. Ein Charakteristikum der Ode Schillers sei die »schwankende Perspektive«, aus der das Leitmotiv der Freude beschrieben wird, ein Sachverhalt, der von Jean Paul ausdrücklich als Mangel kritisiert wurde.498 Genau dieses »heftige Changieren der Vergleiche« – die Freude als Götterfunken, Elysiumstochter, Rosenspur, Feuerspiegel etc. – scheint Leopold ebenfalls gestört zu haben – zumindest hat er die Vergleiche radikal ausgemerzt.499 Ein Changieren der Sinnbezüge zwischen den christlichen Konnotationen einerseits (z. B. »Droben überm Sternenzelt / Wird ein großer Gott belohnen«, Strophe 5, Chor) und den mythologischen Konnotationen griechischer Provenienz andererseits (»Tochter aus Elysium«, Strophe 1) hat Schiller wohl auch angestrebt. Diesen »Wider496 497 498 499

H. Ritte, Das Trinklied in Deutschland und Schweden, 1973, S. 80. H. Linnerz, Das Trinklied in der deutschen Dichtung, 1952, S. 99. Siehe hier und im Folgenden P.-A. Alt, Schiller, I, 2000, S. 253. Von den Vergleichen, die Alt (ebd.) anführt, wurden folgende ausgemerzt: »Götterfunken« (V. 1), »Tochter aus Elysium« (V. 2), »Freude trinken alle Wesen« (V. 25), »Rosenspur« (V. 28), »Freude heißt die starke Feder« (V. 37), »Feuerspiegel« (V. 49). Einzig der Vergleich »Freude sprudelt in Pokalen / In der Traube goldnem Blut« bleibt in der Leopold’schen Fassung erhalten, jedoch in abgeschwächter Form durch den Einschub des Wortes »Herzen«: »Fröjd i hjertan och Pocaler!« (Freude im Herzen und Pokalen!)

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Leopolds Schiller-Übersetzung in Extra-Posten

spruch«500 hat Leopold ebenfalls beseitigt, einerseits durch die Auslassung des Wortes »Elysium« und andererseits durch die Verstärkung der christlichen Konnotation, indem er »Himmlische, dein Heiligtum« (Strophe 1) übersetzt hat: »Kring ditt Altar samloms wi« (V. 4). Nicht nur das Substantiv »Altar«, auch die veraltete, auf Bibelübersetzungen verweisende Beugungsform des Verbes »samloms« (dt. sammeln wir uns) verstärkt das christliche auf Kosten des paganen Motivgeflechts. Mit Versen wie »Allen Sündern soll vergeben, / Und die Hölle nicht mehr sein« (Strophe 9); »Großmut auch dem Bösewicht« (Strophe 9); »Groll und Rache sei vergessen« (Strophe 6) wird das in der Aufklärung viel diskutierte Problem der Apokatastasis ausgesprochen, d. h. der Lehre von der Vergebung aller Sünden und der Leugnung der ewigen Höllenstrafen, eine Lehre, die im orthodoxen Christentum als gefährlich eingestuft wurde.501 Solche Verse stehen aber bei Schiller im Widerspruch zu dem Vers »Untergang der Lügenbrut« (Strophe 8), welchen Leopold ausmerzte, wodurch er den Widerspruch beseitigt und seine Befürwortung der Apokatastasis unterstreicht. Gleichzeitig betont er noch einmal die Gnade: »Kein Gott, der Blitze schleudert« (»Ingen Gud, som blixten slungar«). Wenn Schiller zu Recht vorgeworfen wurde, dass der Gedankengang in An die Freude nicht widerspruchsfrei ist – und auch Schiller hat das Gedicht später als »durchaus fehlerhaft« bezeichnet (NA XXX, 206, An Körner, 21. 10. 1800) – so hat Leopold in der Übersetzung versucht, die gröbsten Widersprüche und semantischen Variationen zu entfernen. Dies zeigt übrigens nicht nur, wie genau er den Text in seinem gedanklichen Gehalt erfasst hat, sondern auch, dass er vor der Formulierung provokativer Äußerungen wie im Fall seiner Zuspitzung des Apokatastasis-Problems nicht zurückschreckte. Ein weiteres explosives theologisches Problem hat Schiller in der siebten Strophe angeschnitten, wo es heißt: »Freude sprudelt in Pokalen, / In der Traube goldnem Blut / Trinken Sanftmut Kannibalen, / Die Verzweiflung Heldenmut – –«. Eine Strophe, die lediglich die Lustigkeit und Geselligkeit des gemeinsamen Trinkens anzusprechen scheint, in Wirklichkeit jedoch – formal übrigens als einziger Vers mit zwei Gedankenstrichen endend – den Streit um die Seligkeit der Heiden anspricht.502 Leopold übersetzt nicht nur, sondern verdeutlicht die Verbindung zum Religiösen im zweiten Teil der Strophe, wenn er schreibt: »Tron 500 G.-M. Schulz, in: Schiller-Handbuch, 2005, S. 260. 501 Siehe K. Aner, Die Theologie der Lessingzeit, 1964, S. 276. Die Vorstellung einer Allversöhnung ist von den schwäbischen Theologen und Philosophen Chr. F. Oetinger und J. A. Bengel von einer mystisch-theosophischen Bewegung herkommend vertreten worden. In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts verbreitete sich die Apokatastasis auch unter den rationalistischen Theologen auf der Basis einer naturalistisch eingestellten Ethik und Humanität. Siehe auch den Artikel Apokatastasis in: Lexikon für Theologie und Kirche, I, 1993. 502 K. Aner, Theologie der Lessingzeit, 1929, S. 270 ff.

»Bettler werden Fürstenbrüder«

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ej Himlens ära kränkas / Af ett offer fran er bal« etc (dt. Die Ehre des Glaubens, nicht des Himmels, wird gekränkt, durch eure Feueropfer). Der Streit war 1767 durch Marmontels Belisaire losgetreten worden, ein Buch, das in Schweden wohlbekannt war und (siehe Kapitel II) auch von Gustav III. geschätzt und verteidigt wurde.

5.

»Bettler werden Fürstenbrüder«

Hinsichtlich der Frage, inwiefern Schillers Gedicht einen gesellschaftsverändernden Impetus aufweist, wurde sehr unterschiedlich geurteilt. Gert Ueding sah z. B. im überschwänglichen »Sich-Einbilden, Sich-Einreihen in eine brüderliche Menschheit« keine Flucht und bloße Selbstberauschung, sondern die Antizipation jenes »herrliche(n) Sonnenaufgang, den selbst der sonst so nüchterne Hegel, auf 1789 rückblickend, pries.«503 Christoph Bruckmann dagegen hält die Interpretation des Textes als quasirevolutionär nur dann für möglich, wenn »einzelne Verszeilen isoliert« und für die »Bedeutung des Textes« ausgegeben werden. Nicht die Beseitigung gesellschaftlich festgeschriebener Ungleichheit soll einen nichtentfremdeten, brüderlichen Umgang zwischen den Menschen möglich machen, sondern die Freude als eine kosmologische Kraft, die allem Lebendigen innewohnt und alles Lebendige miteinander verbindet.

Demgemäß sei in der Freundschaft, in der Liebe, bei der Suche nach Wahrheit, im Glauben, oder beim geselligen Zusammensein das eingelöst, was gesellschaftlich noch nicht verwirklicht ist: die herrschaftsfreie, brüderliche Gemeinschaft von Gleichberechtigten.504 Dass dem Gedicht, das drei Jahre vor der Französischen Revolution entstand, wo die »fraternit¦« »zum verbalen Symbol revolutionärer Grenzüberschreitung wurde«,505 und vier Jahre nach seiner Flucht aus dem Württembergischen, wo ein Dichter wie Schubart sich zehn Jahre in Festungshaft befand, keine die kleinstaatlich-despotische Ordnung und Standesgrenzen sprengende Intention eignet, ist zweifelhaft. Wie hat aber Leopold das Schiller’sche Gedicht verstanden? Leopold hat die achtmalige Anrufung »Brüder« sechsmal übersetzt, was auf die Wichtigkeit dieser Bedeutungsschicht hinweist.506 In seinen eigenen Ge503 G. Ueding, Friedrich Schiller, 1990, S. 70. 504 C. Bruckmann, »Freude! Sangen wir in Thräne, / Freude! In dem tiefsten Leid!« Zur Interpretation und Rezeption des Gedichts »An die Freude« von Friedrich Schiller, 1991, in: JdDSG, 35, 1991, S. 97. 505 W. Schiede, Brüderlichkeit, in: Geschichtliche Grundbegriffe, 1972, S. 552 ff. 506 Leopold hat auch das mit dem Verbrüderungsgedanken korrespondierende »Bund« in

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Leopolds Schiller-Übersetzung in Extra-Posten

dichten hat er dagegen das Wort »Bruder« nicht verwendet, so wie insgesamt die im Schiller’schen Gedicht ausgedrückte Verbrüderungsstimmung nicht dem Wesen des stets auf Ausgleich bedachten schwedischen Dichters entsprach. Die Bezeichnung dürfte freilich kaum als problematisch aufgefasst worden sein, zumal Reuterholm und der Großherzog selbst Freimaurer waren. Als provokativ dagegen dürfte der Vers »Bettler werden Fürstenbrüder« angesehen worden sein, was sich darin zeigt, dass auch Schillers wenige Veränderungen in der Ausgabe seiner Gedichte. Zweiter Teil. 1805 unter anderem gerade diesen Satz betreffen (Alle Menschen werden Brüder). Auch Leopold nimmt eine Veränderung vor, indem er »Kung och Bonde äro bröder« (dt. König und Bauer sind Brüder) übersetzt. Wäre es denkbar, so wie es Salu hinsichtlich Leopold, dem ehemaligen Günstling des Hofes, vermutet, dass den beiden Dichtern der Kontrast »Bettler« und »Fürsten« zu stark gewesen ist?507 Zumindest hinsichtlich der Schiller’schen Änderung wurde dies erwogen: Diese Veränderung hat zwei Seiten. Die erste Fassung ist eine krasse Gegenüberstellung, sie scheint polemischer, ist aber zugleich unrealistischer. Denn Bettler werden nicht Brüder der Fürsten, Fürsten nicht Brüder der Bettler. Die zweite Fassung ist objektiviert und verallgemeinert. Sie hat eine direkte Beziehung zum Menschenrecht der »Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit«, und sie bezieht unausgesprochen auch Fürsten in das Heiligtum der Freude ein, insofern sie nicht Fürsten, sondern Menschen sein wollen.508

Dies war vermutlich auch ein Änderungsgrund für Leopold, neben dem Sachverhalt, dass »kung och tiggare« aufgrund der unterschiedlichen Silbenanzahl der beiden Wörter eine rhythmische Unmöglichkeit darstellte. Dass Leopold die kontrastreiche und polemische Gegenüberstellung nicht scheute, zeigt er mit der Verwendung des Ausdrucks »Drott och Slaf« (dt. Herrscher und Sklave) im Gedicht Lyckan.509 Während die Begriffe »Freiheit« und »Gleichheit« als gefährlich eingestuft wurden, ist das Schlagwort »Brüderlichkeit« auch in konservativen Kreisen nicht als problematisch aufgefasst worden.510 Hinsichtlich dieses Schlagwortes

507 508 509 510

Strophe 2 übersetzt und mit dem »Herzen« verbunden. Das ursprünglich an eine religöse Heilserwartung gebundene Schlagwort wurde zusehends mit politischen Stimmungsgehalten angefüllt. Im Zeitalter der Aufklärung und der Empfindsamkeit »mehren sich die Freundschaftsbünde, in denen nicht zuletzt jene Sprache gefunden wurde, die dann das geistige Klima der sich herausbildenden bürgerlichen Nation geschaffen hat, die sich vorerst weltbürgerlich eingebunden wusste.« Geschichtliche Grundbegriffe, I, 2004, S. 640 f. H. Salu, Seid umschlungen, Millionen!, 1968, S. 99. U. Wertheim, Über den Begriff des »Weltbürgers« und die Vorstellung vom Weltbürgertum , in: Studien zur deutschen Klassik ,1960, S. 133 f. Samlade skrifter af C. Gustaf af Leopold, 2002, S. 188. Laut M. Alm, Kungsord i elfte timmen, 2002, S. 132, war der Freiheitsbegriff nicht nur im späten 17. Jahrhundert verbreitet, sondern schon während der Freiheitszeit ein politisches Schlagwort, und die »starke Stellung des Begriffs dauerte während der gustavianischen

»Bettler werden Fürstenbrüder«

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scheinen die Meinungen der Parnassisten und der Rabulisten nicht divergiert zu haben. Die Rabulisten-Zeitung Medborgaren verlautete im Artikel Människosläktets broderskap: Die Brüderschaft des Menschengeschlechts besteht nicht darin, die Grenzen zwischen Regierenden und Regierten zu zerstören […], sondern sie besteht in einem gleichen Schutz unter den Gesetzen, in der gleichen Hoffnung, durch Redlichkeit und Arbeit, Schicklichkeit und Tugend sich verbessern zu können, die Liebe und Achtung der Öffentlichkeit gewinnen zu können; ja sie besteht in der Überzeugung, dass man in einer Gesellschaft lebt, in welcher das allgemeine Wohl mit dem Wohl der Bürger vereint ist, alle auf die Glückseligkeit aller abzielen, und den Tod des gemeinsamen Feindes (Medborgaren, 15. 12. 1792).

In Extra Posten, wo häufig auf die negativen Seiten der Gleichheits- und Freiheitsraserei aufmerksam gemacht wurde, äußerste man dagegen zur »Brüderlichkeit«: »Die Gleichheit, die man dich annehmen lassen will, ist eine Tochter des Hasses und des Neides, immer mit Dolchen bewaffnet. Die richtige Gleichheit ist ein Kind der Natur, die anstatt den Menschen zu trennen, sie vereint durch das Band einer allgemeinen Bruderschaft« (Extra Posten, 9. 4. 1793). Ausnahmsweise konnte die Gefahr einer Brüderlichkeit des »Pöbels auf der ganzen Welt« freilich auch kritisiert werden (StP, 8. 7. 1793). Eine weitere Änderung, die von beiden Dichtern vorgenommen wurde, betrifft die 9. Strophe im Originaltext (Leopolds 8. Strophe). Während Schiller die Strophe in der zweiten Ausgabe ganz weglässt, das Gedicht also wie Leopold auf acht Strophen kürzt, ersetzt Leopold den 2. Vers »Rettung von Tyrannenketten« durch »W”ldets kedja rättwist bruten« (dt. Die Kette der Gewalt gerecht gebrochen). Das Wort »Tyrann« war an und für sich nicht provokativ, ganz im Zeit« an, auch wenn er sich veränderte. Gustav III., der gerne als Freund der Aufklärung gelten wollte, wurde nach seinem Staatsstreich vor ein Dilemma gestellt: der Reichstag war während der Freiheitszeit ein Garant für die Freiheit der Bürger gewesen. Als Gustav III. die Königsmacht stärkte und gleichzeitig die Befugnisse des Reichstages einschränkte, begrenzte er de facto auch die Freiheit. Um die Freiheit für sein Regierungssystem zu retten, war er gezwungen, die »Verbindung zwischen dem Reichstag und der Freiheit zu brechen«, und die Menschen davon zu überzeugen, dass die Freiheit unter dem König herrschte« (M. Alm, Kungsord i elfte timmen 2002, S. 133 f). Aber nicht zuletzt die Rabulisten hatten das Spiel durchschaut und nannten die gustavianische Rhetorik beim rechten Namen: »Vorspiegelungen« und »Betrügereien« (siehe das Rabulisten-Kapitel oben). Über die Verwendung dieser Begriffe bei den Rabulisten schreibt Alm: »Der Medborgarbegriff hatte eine herausragende Stellung in der Rhetorik der Rabulisten, wo er als Bürger der Gleichheit und Freiheit definiert wurde. Diese drei bedeutungsschwangeren Begriffe wurden also zu einer revolutionären Einheit verwoben. Der Mitbürger war frei, gleich und ein politisch bewusstes Individuum. Darin lag auch eine scharfe Spitze gegen den Mitbürgerbegriff Gustav III.« So beschuldigte z. B. die deutsche Zeitschrift Politisches Journal, 1793, S. 785, die gegen die Schlagworte Freiheit und Gleichheit polemisierte, die Revolutionäre, mit ihrer »Freiheitsraserei« die Menschen in wilde Tiere zu verwandeln statt sie wie »Brüder« zusammen leben zu lassen.

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Leopolds Schiller-Übersetzung in Extra-Posten

Gegenteil ist es zusammen mit dem Wort »Dygd« (Tugend) und »Sällhet« (Freude) eines der meistverwendeten Begriffe in der Dichtung des von Voltaire und Pope beeinflussten Leopold. Auch König Gustaf III. hat sich als aufgeklärter Monarch verstanden und an der häufigen Verwendung des Wortes »Tyrann« in der Dichtung Leopolds sicher keinen Anstoß genommen, da er wahrscheinlich nicht auf die Idee kam, dass er gemeint sein könnte. Direkt nach der Ermordung des Königs hätte jedoch die Verwendung des Verses »Rettung vor Tyrannenketten« wie eine nachträgliche Legitimitation des Mordes empfunden werden können. Wie ist nun jedoch Leopolds Zuspitzung des politischen Gehalts auf die Formel »Ingen träldom, – ordning blott!!!« (dt. Keine Sklaverei – Ordnung nur!!!) zu verstehen? Eine Frage, die ihrerseits von der Deutung des Begriffs »Ordnung« abhängt. Kellgren hatte in dem bereits oben (Kapitel IV) erwähnten Artikel über den Nutzen eines erblichen Adels gehandelt, und führte aus: »Ein Gesetzesgeber weiß, dass eine vollkommene Gleichheit ein Gedankenspiel ist; dass der Bestand der Staaten auf Ordnung ruht; die Ordnung auf Gehorsam; dass der Gehorsam unwillig geleistet wird, wo alle befehlen wollen;«511 Die wenigen Sätze – die dann auch Anlass für eine Polemik seitens der Rabulisten war – weisen Kellgren, und damit auch Leopold, eher als Vertreter des Status quo, denn als Befürworter schneller Veränderungen aus. Man liest aus der Betonung der Ordnung die Furcht vor den Folgen einer Revolution heraus und die Befürwortung einer stabilen aufgeklärten Monarchie und Ständegesellschaft, in der die Bürger zwar nicht das Sagen haben, jedoch vor staatlichen Übergriffen geschützt sind. Leopold hat in mehreren 1792 – 1793 entstandenen Gedichten die in An die Freude verwendeten Motive (Bruder, Freude, König/Bettler) aufgenommen und variiert. In Ode til Sällheten (dt. Ode an die Glückseligkeit)512, das einzige Gedicht Leopolds, von dem man mit Sicherheit annehmen kann, dass es von An die Freude angeregt wurde,513 machen sich jedoch nach einem schwungvollen, dem An die Freude-Ton angepassten Duktus skeptische und resignative Zweifel bemerkbar. So ist die Glückseligkeit als das Ziel aller dargestellt (M”l för allt, vad 511 StP, 29. 8. 1791: »En lagstiftare vet, at en fullkomlig jämlikhet är et tankefoster ; at Staters best”nd hvilar p” ordning; ordningen p” lydnad; at lydnaden blir motvillig der alla sträfva til befälet, […]«. 512 Extra Posten, 19. 12. 1792. Die anonym veröffentlichte Ode tauchte später wieder in Leopolds zu Lebzeiten erschienen Samlade skrifter auf. 513 Leopold verwendet in der kleinen Ode vierhebige Trochäen, ein von ihm sonst eher selten benutztes Versmaß. Der Strophenbau ist ebenfalls der gleiche wie im Schiller’schen Gedicht. Besonders in der ersten Strophe folgt Leopold auch Schillers rhetorischem Muster der Anrufung der Glückseligkeit und des exklamatorischen Gestus, markiert durch die Häufung von Ausrufezeichen. In diesem Gedicht nimmt Leopold den Begriff »helgedom« (Heiligtum) auf, den er in der Übersetzung von An die Freude ausgelassen hatte.

»Bettler werden Fürstenbrüder«

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känsla har) und als Hoffnung, die ewig brennt, uns jedoch gleichzeitig ewig betrügt. Und wenn Leopold die Ode mit den Versen »Hundra folk, af skilda namn, / Alla sträcka dig sin famn, / Alla sträcka den förgäfves« (dt. Hundert Völker, verschiedener Namen, / alle strecken sich dir entgegen, / Alle strecken sich vergeblich) beendet, so ist die Absage an die Schiller’sche Freude- und Verbrüderungsextase deutlich ausgesprochen und die Trennlinie zwischen dem stets skeptisch-vorsichtigen Leopold und dem idealistisch-fordernden Schiller benannt. Im Gedicht Leopolds, in welchem die Dominanz von Fragezeichen im Hauptkorpus des Gedichts Leopolds eigene Vorsichtigkeit unterstreicht, ist die Glückseligkeit der ewige Stachel, der sich aufdrängt und in Erinnerung ruft, der sich jedoch nie erfüllt. Das Gedicht Lyckan. Moralisk S”ng (dt. Glück. Moralischer Gesang) vom 21. November 1792 unterscheidet sich zwar formal von An die Freude, weist jedoch neben dem Hauptthema mehrere Motive von An die Freude auf.514 Das Schiller’sche Alle-Menschen-werden-Brüder-Pathos und die damit konnotierte Gleichheit kehren hier in einer resignativeren Form wieder, nämlich in der Vorstellung von der Gleichheit im Leid und vor dem Tod. In einem der bekanntesten Gedichte Leopolds, Försynen. Moralisk S”ng (25. 6. 1793),515 scheint Leopold in Strophe vier auf An die Freude anzuspielen: Den tiger-blida Lyckan leker Med dem hon snärjt i sina sp”r. Hon ler, hon höjer dem, hon smeker, Och dricker blod ur deras s”r! G”, vis din Vän hur djupt du blöder : Hvad har han sett? Et sk”despel, Som vämjelse och glömska föder. I Nöjet äro alla bröder, I Pl”gans arf tar ingen del.

Das tiger-milde Glück spielt Mit denen, die es in seinen Spuren fing, Es lächelt, es hebt sie, es streichelt, Und trinkt aus ihren Wunden Blut! Geh’, zeige deinem Freund wie sehr du blutest: Was hat er gesehen? Ein Schauspiel, Das Abscheu und Vergessen zeugt. In der Freude sind wir alle Brüder, An der Plage Erbteil nimmt keiner teil.

Wenn das gesamte Gedicht dem Leben skeptisch gegenübersteht, so scheint diese Strophe geradezu eine Parodie von An die Freude zu sein. »Och dricker blod« (dt. und trinke Blut) könnte auf die Verse »Nu, i gyllne drufvors blod, Dricken mildhet Kannibaler« (S”ng till Glädjen, Strophe 6) hinweisen. Die Verse »I Nöjet äro alla bröder« (dt. Im Vergnügen sind alle Brüder) kann als Umkehrung von Schillers Alle-Menschen-werden-Brüder-Pathos angesehen werden.516

514 Samlade skrifter af C. Gustaf af Leopold, 2002, S. 188. 515 Samlade skrifter af C. Gustaf af Leopold, 2002, S. 226. 516 Weitere Worte und Ausdrücke, die auf einen Zusammenhang mit Schiller hinweisen, sind: »Den mask med känsla du föraktar« (Strophe 17), »Hvad kraft det första hjulet drifver« (Strophe 18; S”ng till glädjen: »Glädjen, glädjen hjulen drifver«, Stophe 3).

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6.

Leopolds Schiller-Übersetzung in Extra-Posten

Die Übersetzung von Resignation (21. 1. 1794)

Die von Ehrenheim gewünschte Übersetzung des Gedichts Resignation ließ dagegen noch auf sich warten. Stattdessen findet sich am 3. Juni der Aufsatz Öfwer den moderna Storheten, eine Übersetzung des im selben Thalia-Heft abgedruckten Aufsatzes Über moderne Größe von Ludwig Ferdinand Huber (siehe Kapitel IV). Am 21. 1. 1794 erschien schließlich in Extra Posten die Übersetzung von Schillers Resignation nach der ersten Publikation in Thalia 1786 unter dem Titel Försakelsen. Melankolisk Phantasie. Öfversättning. Es fehlen wie üblich Angaben zum Autor und zum Übersetzer.517 Försakelsen. Melankolisk Phantasie

Resignation. Eine Phantasie

1. Jag, – äfwen jag – war i Arkadien född. Mig ocks” svor den leende Naturen, En lefnadsväg med rosor strödd. Jag, äfwen jag, war i Arkadien buren, Som flämtar här wid denna krycka stödd.

1. Auch ich war in Arkadien geboren, auch mir hat die Natur an meiner Wiege Freude zugeschworen, auch ich war in Arkadien geboren, doch Tränen gab der kurze Lenz mir nur.

2. Du blomstrar, Ungdom! en g”ng och ej mer. Ren mina knän p” trötta senor vackla. Den Stilla Guden, Bröder, doppar ner I nattens flod min bleka lefnads-fackla. Naturens syn mitt öga öfverger.

2. Des Lebens Mai blüht einmal und nicht wieder, Mir hat er abgeblüht. Der stille Gott – o weinet, meine Brüder – der stille Gott taucht meine Fakel nieder, und die Erscheinung flieht.

3. Ren, Andars moder, djupa Ewighet! – Din bonings förl”t rysligt sakta rämnar. Mitt Löftesbref upp” Lycksalighet Jag, ouppbrutit, nu dig öfwerlemnar; Mitt hjerta än af ingen glädje wet.

3. Da steh ich schon auf deiner Schauerbrüke, Ehrwürdige Geistermutter – Ewigkeit. Empfange meinen Vollmachtbrief zum Glüke, ich bring ihn unerbrochen dir zurücke, mein Lauf ist aus. Ich weiß von keiner Seligkeit.

4. Upp till din Thron lyfts min försagda blick, För werlden gömda, sista Domarinna! P” min Planet den glada sagan gick, Man med din vigtsk”l här dig skulle finna, Och att, af dig, sin rätta lön man fick.

4. Vor deinem Tron erheb’ ich meine Klage,

5. Här, – här p” Lasten Straffet väntade: Här skulle Dygden en g”ng lycklig vara. Djupt skulle du i hjertats vinklar se,

verhüllte Richterin. Auf jenem Stern gieng eine frohe Sage, Du tronest hier mit des Gerichtes Waage und nennest dich Vergelterin. 5. Hier – spricht man – warten Schreken auf den Bösen, und Freuden auf den Redlichen. Des Herzens Krümmen werdest du entblößen,

517 Der hier abgedruckte Text folgt Samlade skrifter af Carl Gustaf af Leopold, 2002, I:2, Dikter 1785 – 1829, 1. Text, S. 244. Leopold hat die Übersetzung publiziert in Samlade skrifter, II, 1801 – 1802, S. 208, sowie Samlade Skrifter, 1814 – 1833, II, 1815, S. 164. Der deutsche Text folgt NA, I, 1992, S. 166 ff (1. Fassung Thalia).

Die Übersetzung von Resignation (21. 1. 1794)

215

Försynens vägar skulle du förklara, Och h”lla räkning med den Lidande.

Der Vorsicht Räzel werdest du mir lösen, und Rechnung halten mit dem Leidenden.

6. Den flygtige fann här sitt hem igen, Här tog Bekymrets törneban sin ände. Et Gudabarn, som hette Sanningen, Som mängden skydde, minsta delen kände, Min lefnads tyglar grep, och styrde den.

6. Hier öfne sich die Heimat dem Verbannten, hier endige des Dulders Dornenbahn. Ein Götterkind, das sie mir Wahrheit nannten Die meisten flohen, wenige nur kannten hielt meines Lebens raschen Zügel an.

7. Skänk mig din Ungdom, Lyckans frögd och pragt, I andra Lifvet skall jag g”fvan gälda. Här, äger jag blott löften i min magt. Jag tog dem an, p” andra Lifvet stälda, Och gaf min Ungdom, Lyckans frögd och pragt.

7. »Ich zahle dir in einem andern Leben, gib deine Jugend mir, Nichts kann ich dir als diese Weisung geben.« Ich nahm die Weisung auf das andre Leben, und meiner Jugend Freuden gab ich ihr.

8. Skänk mig din Laura, som du älska s”, Där bortom grafven gäldar jag din smärta, Där skall ditt qval p” högsta ränta st”.

8. »Gib mir das Weib, so theuer deinem Herzen, gib deine Laura mir. Jenseits der Gräber wuchern deine Schmerzen.« – Jag slet min Laura dödsblek fr”n mitt hjärta; Ich riß sie blutend aus dem wunden Herzen Gret högt, sönk ner af sorg, – men gaf änd”. und weinte laut und gab sie ihr. 9. Se tiden fly med aldrig hämmadt lopp, Naturen strecks der, – skördad af des Glafven, – För Härjarns fjät, en liflös, vissnad kropp. När alt förvandlats, Jorden, Himlen, Hafven,

9. »Du siehst die Zeit nach jenen Ufern fliegen, die blühende Natur

D” skall min ed bli uppfyld, och ditt hopp.

bleibt hinter ihr – ein welker Leichnam – liegen. Wenn Erd und Himmel trümmernd aus einander fliegen, daran erkenne den erfüllten Schwur.«

10. P” grafven ställdt, du hennes skuldbref tar? Bedragerskan, besoldad med Despoter, (S” med ett h”nskratt Verldens utrop var:) Ger, för ditt guld, en tom förskrifning ”ter. Du är ej til, när den förfallit har.

10. »Die Schuldverschreibung lautet an die Todten,« hohnlächelte die Welt, »Die Lügnerin, gedungen von Despoten, hat für die Wahrheit Schatten dir geboten, du bist nicht mehr, wenn dieser Schein verfällt.«

11. Hvad är en Sällhet i de dödas land? En skugg-dikt, speld p” grafvens andra sida, Hvars bilder, förda af Bedragarns hand, Dig vinka tröst, och bjuda dig at lida Med t”lamod, förtryck och nöd och band!

11. Frech wizelte das Schlangenheer der Spötter: »Vor einem Wahn, den nur Verjährung weiht, erzitterst du? Was sollen deine Götter, des kranken Weltplans schlau erdachte Retter, Die Menschenwiz des Menschen Nothdurft leiht?«

12. Och denna blick, med ständig bäfvan, dröjd I svarta djup, der pl”goandar rasa, Hvad den? En skräckeld, tänd p” tornens höjd

12. »Ein Gaukelspiel, ohnmächtigen Gewürmen vom mächtigen gegönnt Schrekfeuer angestekt auf hohen Thürmen,

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Leopolds Schiller-Übersetzung in Extra-Posten

At fylla Svärmarns phantasie med fasa, När Lagens facklas duglöshet är röjd.

Die Phantasie des Träumers zu bestürmen, wo des Gesezes Fakel dunkel brennt.«

13. En Himmel, börjad med förrutnelse,

13. »Was heißt die Zukunft, die uns Gräber deken? Odödlighet, som vinnes genom döden, Die Ewigkeit, mit der du eitel prangst? Och desse Gudar, Dygdens hämnare, Ehrwürdig nur, weil schlaue Hüllen sie versteken, Som mänsko-klokhet l”nar mänsko-nöden, der Riesenschatten unsrer eignen Schreken Besinna dig, och säg, hvad äro de? im hohlen Spiegel der Gewissensangst;» 14. Emot en Lön, som tros; – ej pröfvas vill, Du byter nöjen budne dig at smaka! Sextusen ”r har Döden legat still: Kom n”gon än ur Grafvens mull tillbaka, Som sade dig at n”gon lön var til?

14. »Ein Lügenbild lebendiger Gestalten, die Mumie der Zeit vom Balsamgeist der Hofnung in den kalten Behausungen des Grabes hingehalten, das nennt dein Fieberwahn – Unsterblichkeit?«

15. S” talte hon: – Med avsky och förakt

15. »Für Hoffnungen – Verwesung straft sie Lügen – Jag flög at mig fr”n dess förföring rycka. Gabst du gewiße Güter hin? Men alltid s”g jag, hvart ut jag gaf akt, Sechstausend Jahre hat der Tod geschwiegen, Den fräcka Lasten, skimrande i lycka, Kam je ein Leichnam aus der Gruft gestiegen, Och dygdens gr”t, förtrampad af dess magt. der Meldung that von der Vergelterin?«

16. Jag Tiden s”g försvinna i sitt lopp. Naturen l”g der, – skördad af dess glafven. För härjarns fjät, en liflös, visnad kropp; Men ingen död kom stigandes ur grafven, Och lika fast, förblef likväl mitt hopp.

16. Ich sah die Zeit nach deinen Ufern fliegen, Die blühende Natur blieb hinter ihr, ein welker Leichnam, liegen, Kein Todter kam aus seiner Gruft gestiegen, und fest vertraut’ ich auf den Götterschwur.

17. Inför din Thron jag frambär nu min bön. All lifvets glädje jag ”t dig har slaktat. Min tro p” dig, har vägrat inga rön, Mit nit för dig, har mängden spott föraktat. Belönerska! Nu fordrar jag min lön.

17. All meine Freuden hab ich dir geschlachtet, jetzt werf ich mich vor deinen Richtertron. Der Menge Spott hab ich beherzt verachtet, nur deine Güte hab ich groß geachtet, Vergelterin, ich fodre meinen Lohn.

18. »En lika v”rdnad mina foster f”, (S” var den röst, som sig fr”n thronen sträkte) »Tv” Blommor, – menskor akten derupp”! »Tv” Blommor blomstra för Ert slägte, »Och Hopp och Njutning heta dessa tv”.

18. »Mit gleicher Liebe lieb ich meine Kinder,« rief unsichtbar ein Genius.

19. »Af dessa blommor, ho den ena fann, »M” Systern ej upp” sin lott begära. »Den njuta m”, som intet hoppas kan! Den som kan tro han sakne! – Denna lära Gör allas öden lika med hvaran.

Zwei Blumen, rief er – hört es Menschenkinder – Zwei Blumen blühen für den weisen Finder, sie heißen Hoffnung und Genuß. 19. »Wer diese Blumen Eine brach, begehre die andre Schwester nicht. Genieße wer nicht glauben kann. Die Lehre ist ewig wie die Welt. Wer glauben kann, entbehre. Die Weltgeschichte ist das Weltgericht.

20. »Du hoppades. Det var din lön, min vän, 20. »Du hast gehoft, dein Lohn ist abgetragen, »Du är betald, och räkningen är sluten – Dein Glaube war dein zugewognes Glük.

Die Übersetzung von Resignation (21. 1. 1794)

Förtviflad skrek jag: gif mig d” igen Min blinda tro, til yttersta minuten….. Du var d” (svartes) lycklig genom den?

217

Du konntest deine Weisen fragen, was man von der Minute ausgeschlagen gibt keine Ewigkeit zurük.«

Leopold nahm bei der Übersetzung dieses Gedichts wesentlich gravierendere Veränderungen vor als in der vorangegangenen Übersetzung von An die Freude. Zwar besteht die Übersetzung wie das deutsche Original aus zwanzig fünfzeiligen, jambischen Reimstrophen; verändert wurde jedoch das Reimschema (Original abaab mit weiblichem Versausgang in den a-Reimen / Übersetzung ababa, wechselnd zwischen männlichem und weiblichem Ausgang in den aReimen); der Wechsel des Originals zwischen 5- und 3-hebigen Versen mit flexibler Rhythmik wurde in ein gleichmäßiges 5-hebiges Versmaß gesetzt; die Silbenzahl wurde verändert (Original: 11 Silben im 1., 3. und 4. Vers; 6 – 12 Silben im 2. und 5. Vers / Übersetzung: 11 – 12 Silben). Oft wird bei Schiller im 2. Vers, der kürzer ist als der 1. und der 3. und damit für die Heraushebung einer Aussage besonders geeignet ist, ein bedeutungsschwangerer Inhalt konzentriert ausgesagt. Diese Konzentration geht in Leopolds Gedicht verloren, dessen Verse gleich lang sind, was zur Folge hat, dass das Gedicht in der schwedischen Übertragung einen regelmäßigeren und monotoneren Eindruck macht. Wolfgang Riedel wies in seiner Interpretation Abschied von der Ewigkeit mit Blick auf das Historische Wörterbuch der Philosophie auf die doppelte Bedeutung des Begriffs Resignation zu Schillers Zeit hin, dem zum einen eine juristische (kirchenrechtliche) Bedeutung zukomme, zum anderen eine theologische. »Im juristischen Sinn meinte er die Aufgabe eines Amtes (Pfarrei) oder einer Pfründe, im theologischen die Übergabe an Gott, die gänzliche Aufgabe des Selbst.«518 Die schwedische Übersetzung des Begriffs, »Försakelse« (dt. Verzicht), besitzt nicht den gleichen Anspielungsreichtum, drückt aber deutlicher die Radikalität der Entsagung jeglichen irdischen Glücks aus. Andererseits hat Leopold mit dem veränderten Untertitel Melankolisk Phantasie (dt. Melancholische Phantasie) die im Original waltende Zweideutigkeit restituiert: objektiver Verzicht oder subjektive melancholische Phantasie. Leopold gliederte das Gedicht durch Striche deutlich in vier Abschnitte und hat damit den Rollencharakter des Originals unterstrichen. In den Strophen 1 bis 9 wendet sich das lyrische Ich an die Ewigkeit, teils seinen Lohn fordernd, teils die Hoffnungen beschreibend, die das Ich im irdischen Leben auf das Jenseits projizierte. Die Strophen 10 bis 14 (im Original 10 – 15) enthalten die spöttischen Reden der Welt. Die veränderte Perspektive wird von Leopold im 3. Vers der 10. Strophe markiert, indem der Hinweis, dass die Welt spricht, in Parenthesen gesetzt ist: »(S” med et h”nskratt Verldens utrop var)« (dt. So war 518 W. Riedel, Abschied von der Ewigkeit, 1996, S. 58.

218

Leopolds Schiller-Übersetzung in Extra-Posten

mit einem Hohnlachen der Ausruf der Welt). In diesem Sinnabschnitt wurden starke, aber keineswegs sinnentstellende Veränderungen vorgenommen. Außerdem wurden die sechs Originalstrophen auf fünf zusammengeschmolzen, wodurch der zweite Sinnabschnitt bei Leopold nach der 14. Strophe und bei Schiller nach der 15. Strophe endet. Mit einer gänzlich neuen Strophe leitete Leopold dagegen den dritten Sinnabschnitt (15 – 17. Strophe) ein. Zunächst wird der Perspektivenwechsel von der Rede der Welt zum Ich, der bereits durch einen Strich markiert ist, mit einem eingefügten »S” talte hon« (So sprach sie) unterstrichen. Für die 15. Strophe gibt es keine Entsprechung bei Schiller. Das lyrische Ich nämlich, dessen Reaktion auf die Rede der Welt (bei Schiller auch die Spötter) der dritte Abschnitt gewidmet ist, reagiert »med avsky och förakt« (dt. mit Abscheu und Verachtung) auf den Verführungsversuch der Welt, die man sich hier wohl in barocker Tradition als »Hure Welt« vorstellen darf. Mit dieser Veränderung unterstreicht Leopold ganz anders als Schiller, dass die Welt skeptisch ist, nicht das lyrische Ich, welches sich empört über der Welt Laster. Der Beginn der Rede des »unsichtbaren Genius« im vierten Teil (Strophe 18 – 20) wird wiederum durch einen Strich und die in Parenthese gesetzte Information (S” var den röst, som sig fr”n thronen sträkte) deutlich markiert. Vor allem die letzte Strophe weicht signifikant vom Original ab, indem das Ich in einem verzweifelten Aufschrei in Strophe 20 den blinden Glauben zurückverlangt, und zwar »bis zur letzten Minute…« (till yttersta minuten…). Die von Leopold an dieser Stelle gesetzten Punkte markieren die Offenheit, das Nichtwissen dessen, was danach kommt. Damit wird aber auch die Möglichkeit, dass der Glaube sich erfüllen mag, offen gehalten. Auf diesen Aufschrei des lyrischen Ich antwortet die Stimme: »Du var d” (svartes) lycklig genom den?« (dt. »Dann warst du (antwortete sie) glücklich durch diesen«, d. h. durch den Glauben). Damit wird eine bereits bei Schiller angelegte Tendenz, das von Wolfgang Riedel so benannte »Salomonische«, »Irenische«, an Lessings Ringparabel Anklingende von Leopold verstärkt.519 Andererseits beendet Schiller die zweitletzte 519 Ebd., S. 54. Riedel führt weiter aus: »Ihr Ton ist irenisch, die Assoziationsmöglichkeit der Lessingschen Ringparabel wohl einkalkuliert: ›Mit gleicher Liebe lieb ich meine Kinder‹ – nämlich die beiden Weltanschauungen, zwischen die das Ich sich gestellt sah. Freilich, nicht mehr, wie noch bei Lessing, um eine Gleichberechtigung der konkurrierenden historischen Theismen im Namen einer vernünftig-toleranten, deistischen Religiosität geht es in diesem Gedicht, sondern – und darin bestand sein Skandal – um die Gleichberechtigung von Religion und Nicht-Religion, von Theismus und Atheismus.« Das Salomonische ist in Leopolds Übersetzung freilich viel deutlicher als im Originaltext, da es im letzteren offensichtlich ist, dass es nichts gibt jenseits der Hoffnung. Eine Tendenz dagegen, die sich bei Schiller weniger deutlich findet, ist die Betonung der Notwendigkeit einer Illusion. Leopold folgt hier einer schwedischen Tradition, die bereits bei Creutz und Gyllenborg anklingt, und dann bei Kellgren. Siehe M. Lamm, Upplysningstidens Romantik, II, S. 180 ff.

Die Übersetzung von Resignation (21. 1. 1794)

219

Strophe mit dem berühmten Vers »Die Weltgeschichte ist das Weltgericht« (V. 95), mit welchem der Genius dem Menschen jegliche Aussicht auf einen jenseitigen Lohn nimmt. Der Vers ist die bündige Formulierung eines radikalen Immanenz-Gedankens, die die salomonisch zu verstehende Rede wieder an die aufklärerische Rede der »Welt« anschließt. Leopold übersetzt: »Denna lära gör allas öden lika med hvarann« (dt. Diese Lehre macht das Schicksal aller gleich miteinander), womit wieder der Apokatastasis-Gedanke ausgesprochen scheint. Hinsichtlich des allgemeinen Stilniveaus lässt sich erneut die Vermeidung von besonders extremen oder expressiven Ausdrücken beobachten.520 Wichtiger ist jedoch die Tatsache, dass die in Schillers Text vorkommende ökonomische Metaphorik von Leopold in der Übersetzung nicht nur berücksichtigt, sondern noch verstärkt worden ist.521 So übersetzt Leopold wörtlich: »Rechnung halten« (Strophe 5) mit »h”lla räkning«, »bezahlen« mit »gälda« (Strophe 7), »Schuldbrief« der »verfällt« mit »skuldbrev« und »förfallit« (Strophe 10), sowie »Lohn« mit »lön« (Strophe 17). Ohne jegliche Entsprechung im deutschen Original verwendet Leopold außerdem den Ausdruck »den rätta lön« (der rechte Lohn, Strophe 4), »gälda« (bezahlen) und »högsta ränta« (höchsten Zinsen, Strophe 8), zweimal »lön« (Strophe 14, die Strophe 15 bei Schiller entspricht) und schließlich in der letzten Strophe: »Det var den lön, min vän, du är betald, och räkningen är sluten« (»Das war dein Lohn, mein Freund, du bist bezahlt, die Rechnung ist geschlossen.«). Die von Schiller beabsichtigte metaphorische Entblößung des Glaubens oder des falsch verstandenen Glaubens als egoistischer Tauschakt ist von Leopold also aufgenommen und erweitert worden.522 Das Wort »Tugend« (dygd) wurde mehrmals in die Übersetzung eingefügt. Beispiele hierfür sind: Strophe 5 Verse 1 und 2, wo Schillers Vers lautet: »Hier – spricht man – warten Schrecken auf den Bösen / Und Freuden auf den Redlichen«, während Leopold übersetzt: »Här, – här p” Lasten Straffet wäntade; / Här skulle Dygden en g”ng lycklig wara« (Hier, – hier wartete die Strafe auf die Laster ; / Hier sollte die Tugend einmal glücklich sein). Im Kontext dieser Be520 Das Wort »Leichnam« unterdrückt Leopold dreimal (im Unterschied zu Tegn¦r in Religionen 1801): in Strophe 9 wird »Ein welker Leichnam« mit »en liflös, wissnad kropp« (ein lebloser, verwelkter Körper) übersetzt; im 4. Vers der Strophe 14, wo Leopold das Wort »Leichnam« mit »n”gon« (jemand) übersetzt; und in Strophe 16, wo erneut der Ausdruck »wissnad kropp« verwendet wurde. Weitere Ausdrücke und Komposita, die Leopold vermeidet oder nicht übersetzen kann, sind: »des Menschen Notdurft« (Strophe 11); »Gaukelspiel« (Strophe 12); »Gewürm« (Strophe 12); »Lügenbild« (Strophe 14); »Mumie der Zeit« (Strophe 14); »Balsamgeist« (Strophe 14); »Behausungen des Grabes« (Strophe 14); »Fieberwahn« (Strophe 14). 521 Zur Metaphorik der Ökonomie und zur »Metaphorik des Warenverkehrs und Tausches« siehe P.-A. Alt, Schiller, I, 2000, S. 247 ff; W. Riedel, Abschied von der Ewigkeit, 1996, S. 59. 522 Siehe Kellgrens Gedichte Mina Löjen und V”ra villor, in: Den svenska litteraturen, 1988, S. 120.

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Leopolds Schiller-Übersetzung in Extra-Posten

tonung der Tugend muss auch die Übersetzung des Originalverses »Schrecken auf den Bösen« mit »die Strafe auf die Laster« verstanden werden. Denn wo Tugend in beinahe allegorisierter Form (die Großschreibung von gewissen Wörtern in der gustavianischen Lyrik weist meistens auf eine Personifizierung oder Allegorisierung hin) emphatisch betont wird, ist der Auftritt einer schönen jungen Dame namens Laster zu erwarten. Das Bild vervollständigt sich durch die Verwendung des Wortes »Strafe« in der Übersetzung, womit auf eine Instanz hingewiesen wird, deren Autorität zu desavouieren dem Schiller’schen Gedicht aufgetragen war. In diesen Zusammenhang gehört auch Leopolds Auslassung von Schillers Einschub: »spricht man«, womit dieser die ganze Vorstellungswelt von Hölle und Strafe als bloßes Gerede abtut, während Leopold diese Vorstellungswelt bestätigt. Leopold hat das Wort »Tugend« (dygd) außerdem in Strophe 13 und 15 ohne jegliche Entsprechung im deutschen Original verwendet.

7.

»Die Weltgeschichte ist das Weltgericht«

Die Gleichung »Die Weltgeschichte ist das Weltgericht« ist bekanntlich die Quintessenz des Gedichts Resignation, unmissverständlicher Ausdruck einer radikalen Weltimmanenz, weltanschauliches Begleitphänomen und Folge der Aufklärung und deren Rehabilitation der Sinnlichkeit und der Natur.523 Leopold übersetzte den Vers »Die Weltgeschichte ist das Weltgericht« mit »Denna lära gör allas öden lika med hvarann« (dt. Diese Lehre macht das Schicksal aller gleich miteinander):524 er spricht also den radikalen Immanenzgedanken nicht explizit aus und mildert damit den provokativen Inhalt. Es gibt einen zweiten Vers, der den Veränderungswillen in derselben Richtung deutlich illustriert: »ein Lügenbild lebendiger Gestalten« (Strophe 14) übersetzt er : »Emot en Lön, som tros – ej pröfvas vill« (dt. Gegen einen Lohn, der geglaubt – nicht bewiesen werden will). Dies weist einmal mehr auf Leopolds Absicht hin, das »Salomonische«, Verrätselte des Gedichts zu verstärken: Der Agnosis wird Ausdruck verliehen, der Unwissenheit angesichts dessen, was nach dem Tod geschieht, und gleichzeitig wird die geschäftsmäßige Haltung gegenüber der Religion, nach welcher der Glaube automatisch mit einem ewigen Leben belohnt wird, abgewiesen. Dass Leopold nicht bereit war, so weit zu gehen wie Schiller, bezeugt auch die Tatsache, dass er das dritte Gedicht der Thalia-Ausgabe nicht übersetzt, »Die 523 P. Kondylis, Die Aufklärung im Rahmen des neuzeitlichen Rationalismus, 2002, S. 490. R. Koselleck, Begriffsgeschichten, 2006, S. 208, bezeichnet den Vers als »Motto für die Neuzeit«. 524 Dass jedermanns Schicksal einander gleich ist, war ein relativ gewöhnlicher Gedanke, den Leopold z. B. bereits in Ett tillkommande formuliert hatte: »Förtryckaren, Slafven, Medborgsmannen, / Den gode Fursten och Tyrannen, / Där straffas, där belönas de« (Samlade skrifter af C. Gustaf af Leopold, 2002, S. 64).

»Die Weltgeschichte ist das Weltgericht«

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Freigeisterei der Leidenschaft«, in welchem Schiller einen der Grundpfeiler christlicher Moral angreift: »Du sollt nicht deines nächsten Frau begehren.« Dem Briefwechsel mit Göschen kann entnommen werden, dass er auf eventuelle Probleme seitens der Zensur, aber auch des Publikums gefasst war (NA XXIV, 31 ff). Schillers Befürchtungen erwiesen sich als durchaus berechtigt, wie die Reaktion des Leipziger Zensors Friedrich August Wilhelm Wenck zeigt, der die Veröffentlichung der beiden Gedichte Freigeisterei der Leidenschaft und Resignation zwar genehmigte, den Verfasser jedoch gleichzeitig aufforderte, den Gedichten einen kurzen Text beizufügen, der deutlich mache, dass es sich nicht um religionskritische Beiträge handle. Schiller kam diesem Ersuchen nach und formulierte folgende Zeilen, die der Publikation in der Thalia, 2. Heft, 1786, beigefügt waren: Ich habe um so weniger Anstand genommen, die zwei folgenden Gedichte hier aufzunehmen, da ich von jedem Leser erwarten kann, er werde so billig sein, eine Aufwallung der Leidenschaft nicht ein philosophisches System und die Verzweiflung eines erdichteten Liebhabers nicht für das Glaubensbekenntnis eines Dichters anzusehen. Widrigenfalls möchte es übel um den dramatischen Dichter aussehen, dessen Intrige selten ohne einen Bösewicht fortgeführt werden kann: und Milton und Klopstock müßten um so schlechtere Menschen sein, je besser ihnen ihre Teufel glückten.

Schillers Entlastungsstrategie ist denkbar einfach: Er kappt das Band zwischen Autor und Erzähler, zwischen Aufwallung einer erdichteten Leidenschaft und philosophischem System. Auch Leopold hatte mit dem Untertitel »Melankolisk Phantasie« den Grund zur gleichen »Strategie« gelegt, in seinem eigenen Kommentar zum Gedicht argumentierte er bei der ersten Publikation in Extra Posten 1794 jedoch folgendermaßen: Man nimmt beinahe im ganzen Gedicht die Hoffnung eines empfindsamen und tugendhaften Menschen auf die Vorsehung ohne Rücksicht auf Schmerzen und den Verzicht aller Vorteile des Lebens wahr. Die letzten Strophen können nur bei der hastigsten Lektüre und bei weniger nachdenklichen Lesern Zweifel an dieser Denkweise des Autors aufkommen lassen. Hätte der Übersetzer, welcher ein guter und rechtgläubiger Christ ist, auch nur den geringsten Grund zu einem solchen Zweifel gefunden, er hätte gewiss weder Arbeit noch Mühe darauf verwendet. Er ist überzeugt, dass der Autor durch diese Strophen nur zeigen wollte, wie diese tröstende Hoffnung, auch ohne darauffolgende Verwirklichung, gleichwohl eine so große und ausreichende Wohltat der Natur wäre, dass man sagen könnte, dass sie schon in diesem Leben die beklagenswerten Ungleichheiten der menschlichen Schicksale ausgleicht und damit rächt – in dieser Hinsicht, die Gerechtigkeit der Vorsehung. Was der Autor bestreitet (falls dieses Wort im Zusammenhang mit einem poetischen Gedicht benutzt werden kann), ist somit weder die Möglichkeit einer späteren Glückseligkeit, noch der bekannte Vorsatz der Vorsehung, mit dieser nur den Rechtgläubigen zu beschenken, sondern nur die Gewohnheit gewisser Moralisten, die Unsterblichkeit gewissermaßen als Forderung auf mangelnde Wohltaten im Leben gründend anzusehen. Ein Gedanke,

222

Leopolds Schiller-Übersetzung in Extra-Posten

der nicht nur dem notwendig anzunehmenden Satz widerstreitet, dass die Tugend sich selbst belohnt, sondern auch und was noch wichtiger ist, dem Luther’schen Bekenntnis, dass keine menschliche Tat die ewige Glückseligkeit notwendigerweise mit sich führe. Es ist nicht die Frage des Gedichts, ob die Tugend ewig glücklich sei. Diese Frage braucht die Poesie nicht zu beantworten; sie ist durch ein höheres Licht jenseits allen Disputes. Die Frage ist vielmehr : muss die Tugend unfehlbar werden, und zwar durch das Verdienst, das Glück in diesem Leben zu opfern. Und hierauf antwortet der Dichter mit größtem Recht, nein. Sollte dieses Gedicht solchermaßen in theologischer Hinsicht in Betracht gezogen werden, könnte es aus diesem Grunde als gutes Luther’sches Gedicht angesehen werden, welches den Papisten obstreitet. Der Übersetzer wagt nicht zu behaupten, dass die Absicht des Autors mit seiner Arbeit diese gewesen sei: er begnügt sich damit, auf die Übereinstimmung desselben mit unseren notwendigen Grundsätzen in Moral und Religion hinzuweisen. Die Strophen, die das Gedicht beenden, besagen solchermaßen nur: dass, da der Unglückliche, gleichwohl durch den Trost der Hoffnung, eine andere und gleich große Glückseligkeit genossen, wie der besser gestellte, so ist die Rechnung der Natur mit ihm für dieses Leben abgeschlossen, dass er solchermaßen nicht etwa das Verzichtete als eine ewige Freude rechtlich einfordern könne. Dass der Autor danach nicht die Hoffnung darauf hinzufügte, die gleichwohl mit absoluter Gewissheit auf die bloße Güte der Vorsehung gebaut werden kann, hat seinen Grund vermutlich in der bekannten Regel, dass ein Gedicht keine Abhandlung sein soll und deswegen nicht alles erörtern kann, nicht jeden Einwand ängstlich aufnehmen kann, und indem er diesen erwidert, die Idee, welche den Poeten begeistert, aufopfert, sondern dem verständigen Leser ein Nachdenken darüber überlässt, was dazu, als Erklärung, hinzugefügt werden könnte.525

Leopold führte in seinem Kommentar zwei Argumente an: Als erstes betonte er, dass die Hoffnung alleine schon seligmachend sei, auch wenn sie sich nicht verwirkliche; und zum anderen wies er darauf hin, dass die Hoffnung auf eine Belohnung nach dem Tod eigentlich unchristlich ist. Ehrenheim äußerte sich erstaunt über die entschuldigende Anmerkung und erkundigte sich in einem Brief an Leopold, ob eine solche in Schweden wirklich notwendig gewesen sei.526 Ohne Zweifel wusste Leopold jedoch, was er tat, und die Tatsache, dass die Zeitung Extra Posten zwei Jahre später aufgrund eines anonym erschienenen Artikels, der von Leopolds Hand stammte, zum Einstellen gezwungen wurde, weist auf die prekäre – weil seit dem Tauwetter im Herbst 1792 verschärfte – Lage in Sachen Pressefreiheit hin. Bei dem Artikel mit dem Titel »Merkwürdige Stelle bei dem Gottesmann Martin Luther, gelesen in dessen Arbeit, gedruckt in Wittenberg« handelte es sich jedoch kurioserweise weitgehend um die Übersetzung eines Luthertextes. Die Zensur musste »offenbare Schmähungen gegen 525 Extra Posten, 21. 1. 1794. Aufgrund seiner Länge verzichte ich auf die Wiedergabe des schwedischen Originals, zumal der Text in einem kürzlich erschienenen Band von Leopolds lyrischem Werk in den meisten Bibliotheken Schwedens verfügbar ist. 526 Siehe O. Holmberg, Leopold och reuterholmska tiden, 1957, S. 310.

»Die Weltgeschichte ist das Weltgericht«

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die Glaubenssätze unserer wahren und heiligen Lehre« feststellen, welche der evangelischen Luther’schen Kirche zuwiderliefen (SVH, II, 310). Als er 1802 seine Samlade skrifter publizierte, in welche er die Übersetzung von Resignation aufnahm, schrieb er folgenden Kommentar : Der Untertitel Melancholische Phantasie, der diesem Stück gegeben wurde, weist deutlich auf das richtige Verständnis desselben hin. Weit davon entfernt erklärt werden zu müssen, wie eine wirkliche Meinung, ein Satz, eine Überzeugung, enthält dieser, wie jeder leicht erkennen kann, nichts anderes als die Vorstellung einer melancholischen Einbildung, immer bereit sich dem Traurigsten hinzugeben. Es gebricht dem Ganzen übrigens nicht eine philosophische Seite. Nichts ist gewöhnlicher, als die Klage über das Los der Glückseligkeit zu hören, das die Menschen hier im Leben trifft, ohne Rücksicht auf ihren moralischen Verdienst. Durch den bedenkenswerten Vergleich der Wonnen der Hoffnung und der des Genusses wird vielleicht der Einwand gegen die Gerechtigkeit des Schicksals beantwortet.527

Die Bezugnahme auf Schillers Kommentar ist offensichtlich, aber Leopold konnte im Unterschied zu Schiller auch auf die »philosophische« Seite des Gedichts hinweisen, da in seiner Interpretation des Gedichts »Hoppets sällhet« (dt. Das Glück der Hoffnung) schwerer wog als »njutningens sällhet« (dt. das Glück des Genusses). Gerade in solchen Details – d. h. in der Korrelation zwischen der Veränderung des Gedichts und der Veränderung im beigefügten Kommentar – zeigt sich deutlich, wie bewusst Leopold den Text verändert hat. Er hat das Gedicht nicht missverstanden, wie Albert Nilsson geltend machen wollte, als er dem Gedicht den Untertitel »Melankolisk Phantasie« gab528 – genau dies dokumentiert sein Kommentar. Im genauen Gegensatz zu dem, was sowohl Schiller als auch Leopold schreiben, betont Nilsson, dass das deutsche Original kein Phantasieprodukt sei, wie Leopold sich eingebildet habe, sondern Schillers wirkliche Meinung und Überzeugung, da das Gedicht die Stimmungen aus Schillers Zeit in Mannheim widerspiegle, als er für die junge und spirituelle Frau Kalb schwärmte.529 Die Forschung ist heute unisono der Meinung, dass das lyrische Ich in Resignation keineswegs mit dem Autor zu verwechseln sei und es sich nicht um die Verarbeitung von autobiographischen Stimmungen handle. Vielmehr wird auf den »Rollenspielcharakter jenseits von autobiographischen Bezügen« hingewiesen, der für alle drei in der 2. Thalia-Ausgabe veröffentlichten Gedichte geltend gemacht wird.530 In der Tat wäre die Gleichzeitigkeit zweier Gedichte wie An die Freude, in dem die Gnade Gottes besungen wird, und Resignation, in 527 528 529 530

Carl Gustaf af Leopolds Samlade skrifter, 1801, S. 164. A. Nilsson, Schillers inflytande p” Tegn¦r och Tegn¦rs samtida, 1905, S. 13. Ebd., S. 13. P.-A. Alt, Schiller, I, 2000, S. 259.

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Leopolds Schiller-Übersetzung in Extra-Posten

welcher die Hoffnung auf dieselbe denunziert wird, gar nicht denkbar, wenn nicht als Denkmodell, als »intellektuelle Experimente« im »Grenzbereich zwischen Spekulation und Beweisanspruch«.531 Auf diesen Rollencharakter wird in Schillers Kommentar hingewiesen und dieser Rollencharakter wird auch durch Leopolds »Rubrik« Melancholische Phantasie indiziert. Wenn Schiller 1794 in einem unveröffentlichten Brief im Anschluss an die Kant’sche Pflichtethik das Gedicht wie folgt kommentiert: »Unsere moralischen Pflichten binden uns nicht kontraktmäßig, sondern unbedingt. Tugenden, die bloß gegen Assignation an künftige Güter ausgeübt werden, taugen nichts« (NA XXII, 178) – so handelt es sich in Schillers Fall wie bei Leopold um eine nachträgliche Umdeutung eines Inhalts, dessen Brisanz kaum übersehen werden kann, und die zu entschärfen sich Leopold in der ersten Publikation in Extra Posten 1793 alle Mühe gab, wie der hier in seiner ganzen Länge zitierte Kommentar zeigt. Kurt Aspelin war der Meinung, dass dieser Kommentar, mit dem Leopold den Protest des Gedichts in eine »banale Predigt der Ergebung in sein Schicksal« verwandelt habe, eher als ein taktisches, nicht ohne Ironie durchgeführtes Manöver gegenüber der Reuterholm’schen Zensur zu betrachten sei.532 Und in der Tat kann man sich den Hinweis darauf, dass das Gedicht ein Luther’sches Glaubensfundament habe, kaum ohne das Augenzwinkern des Autors vorstellen. Der beigefügte Kommentar kann jedoch nicht nur wie bei Schiller als Strategie betrachtet werden, die Zensur hinter das Licht zu führen. Leopold hatte einige Jahre zuvor am 13. April und 5. Juni 1787 zwei Artikel in StP publiziert, die von der Existenz Gottes handeln.533 In Fragen der Religion, meint der Autor im ersten Artikel, gehe es nicht um Wahrheit, sondern um Wahrscheinlichkeit: Es sei aber wahrscheinlich, dass Gott existiere. Die Bedeutung des Glaubens diene in erster Linie der Glückseligkeit und der Festigung der Tugend. Diese haarscharf am Atheismus vorbeiführende Argumentation wurde in einem anonym erschienenen Artikel am 8. Mai 1787 als so »gefährlich« bezeichnet, »dass, wenn sie angenommen würde, alle Wahrheit aus der Welt verschwinden würde […]«.534 Ohne sich um solche Bedenken zu kümmern, hat Leopold im nächsten Artikel den Faden seiner Argumentation mit Ausgangspunkt in der Theodi531 Ebd. 532 K. Aspelin, Schiller i Sverige, 1955, S. 12. 533 StP, 13. 4. 1787, 5. 6. 1787. Der Urheber dieser Artikel lässt sich nicht mit absoluter Sicherheit identifizieren. Lamm und Sjöding befinden jedoch die Wahrscheinlichkeit, dass Leopold der Autor dieser Artikel ist, für sehr groß. Siehe O. Holmberg, Leopold och Gustaf III, 1954, S. 257; NISLH, II, S. 446. 534 StP, 8. 5. 1787: »Jag wil d” säga er, at de flästa af edra yttrade meningar äro idel wilfarelser, och s” farliga, at om de antoges skulle all sanning föswinna ur werlden, och den s”ledes som snarast underg” sin förstöring.«

»Die Weltgeschichte ist das Weltgericht«

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zeefrage weitergesponnen. Der Übersetzung des Schiller-Gedichts vorgreifend, weist er auf die Glückseligkeit hin, die der Tugend innewohnt, die »sich selbst belohnt«: Einige haben geschrieben, und unter diesen auch der beredte Rousseau, dass alles Elend des Lebens sich ausreichend im Leben selbst bezahlt, durch das bloße Gefühl des Geschöpfes […] lasst uns philosophisch fragen, warum er noch das Leben liebt, oder es zumindest erträgt? Er wird antworten, wenn er genügend Verstand hat, um seine eigenen Begriffe zu entwickeln […]: deswegen, weil ich noch auf eine bessere Zukunft hoffe: deswegen, weil Veränderungen eintreffen können, die meinen Zustand verbessern. Ohne diese Hoffnung, ohne diese Unwissenheit des Künftigen, wer würde das Leben ertragen? Ich berufe mich in diesem Fall auf Pope selbst, den ich, nach den Gesetzen des notwendig Bösen, folgendermaßen übersetze: Du Blindheit vor dem Künftigen / Von einem barmherzigen Himmel gegeben! / Ohne dich, wer hätte erreicht / die Grenze, die jeder Sterbliche bekam / Von eines Schöpfers Hand bestimmt? […] Was ich daraus schließe ist leicht und natürlich: was wäre das Leben für eine schnöde Gabe eines allmächtigen Schöpfers, wenn es für immer in der Dunkelheit des Grabes endete?535

Der Glaube an das Leben nach dem Tod sei keine historische Wahrheit, müsse jedoch aus moralischen Gründen gefordert werden, um die Tugend – ein von Leopold mehrmals in die Übersetzung eingefügtes Wort – nach dem Tod zu belohnen. Auch das Gedicht handelt in der abgeschwächten Leopold’schen Variante nicht mehr wie das Original von der Dummheit, mit einer Belohnung oder Strafe nach dem Tod zu rechnen. Vielmehr wird in den stark veränderten Schlussversen die Wichtigkeit der Hoffnung als Existenzbedingung betont und damit auch dem Gottesglauben wieder ein Existenzrecht zugesprochen. Holmbergs Behauptung, Leopold habe manchmal wie Schiller den Gedanken einer Unsterblichkeit verworfen, manchmal wie Voltaire eine deistische Linie verfolgt (in den beiden Artikeln, aber auch im Gedicht Ett tillkommande aus den 1780er 535 StP, 5. 6. 1787: »ætskillige hafwa skrifwit, och ibland dem äfwen den wältalige Rousseau, at alla lifwets eländen tilräckeligen betala sig igenom sjelfwa lifwet, igenom blotta känslan af wanelsen, s” wida erfarenheten tyckes bewisa at äfwen den olyckligaste icke afhänger sig den, utan i yrslan af passionernas raseri. L”tom oss här ”sidosätta de skäl af Religion, fördom eller physisk ömt”lighet, som kunna afh”lla en olycklig ifr”n det förtwiflade beslutet at med egen hand sluta sina dagar : l”tom oss blott philosophiskt fr”ga honom hwarföre han ännu älskar lifwet, eller ”tminstone fördrager det? Han skal swara, om han äger nog först”nd at utwickla sina egna begrepp, sina himliga sinnesrörelser, han skal d” swara, säger jag: derföre at jag ännu hoppas p” en blidare framtid: derföre at förändringar kunna inträffa, som torde förbättra mitt tilst”nd. Utom detta hopp, utom denna owetenhet af en framtids skickelse, hvem skulle uthärda lifvet? Jag ”beropar mig i detta fall Pope sjelf, som jag, efter lagarne af det nödwändiga onda, slätt öfwersätter : Du blindhet för en frmtids lott, / Af en barmhertig Himmel gifwen! / Förutan dig, hwem hat n”tt / Den gräns, som hwarje dödlig f”tt / Af skaparns hand sig föreskrifwen? […] Den slutsats jag drager härav är lätt och naturlig: hwad wore Lifwet d” för en usel g”fwa af en alsmägtig Skapare, i fall det för ewigt slutade sig i grafwens mörker?«

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Leopolds Schiller-Übersetzung in Extra-Posten

Jahren), dann aber auch beinahe christliche Gedanken geäußert, mag deshalb nicht recht einleuchten. Vielmehr liegen alle drei von Holmberg zitierten Beispiele, die Veränderungen, die Leopold in der Übersetzung vorgenommen hat, die beiden Aufsätze sowie das Gedicht Ett tillkommande durchaus in der gleichen Argumentationsflucht eines aufgeklärten Deismus. Die Linie, der Leopold folgt, ist offenbar diejenige, der auch Voltaire in seinem Gedicht Epitre — l’auteur du livre des trois imposteurs gefolgt ist, aus welchem er einige Verse als Motto für Ett tillkommande zitiert: »Ce SystÀme Sublime — l’homme est n¦cessaire. / C’est le Sacr¦ lien de la Societ¦, / Le premier fondement de la Sainte Equit¦, / Le frein du Scelerat, l’Esperance du juste.«536 Ein gewisser Unterschied zwischen den genannten Texten lässt sich lediglich im Wagemut der beiden Aufsätze und in der Vorsichtigkeit des Kommentars zum Gedicht bemerken. Dieser Unterschied, der übrigens kein substanzieller ist, lässt sich durch die Veränderung der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen erklären: Während sich Gustav III. in Religionsfragen liberal und aufgeklärt gab, neigte Reuterholm zur religiösen Schwärmerei. Albert Nilsson meinte, dass Leopolds Eifer, in das Gedicht eine Moral hineinzulesen, ihn beim Verständnis des Gedichts irregeführt habe. Dass Leopold das Gedicht keineswegs missverstanden hat, zeigt jedoch seine Veränderung des Verses »Die Weltgeschichte ist das Weltgericht«. In Schillers letzter Strophe spricht sich eindeutig der Gedanke des verpassten Lebens aus: wer auf das Leben jenseits des Lebens hofft, bekommt das hiesige nicht zurück, das Leben ist verpasst. Leopold dagegen betont in seiner Übersetzung die glückseligmachende Funktion der Religion und die darin verankerte Hoffnung. Diese Veränderung passt genau in den oben bereits skizzierten Deismus Leopolds und zeigt, dass er Schiller nicht missverstanden, sondern in seinem weltanschaulichen Sinne verändert hat. Es ist letztendlich ja auch unwahrscheinlich, dass ein Dichter von Leopolds Format den Inhalt eines Gedichts derart missverstehen könnte.

8.

Zusammenfassung

Carl Gustaf af Leopold, der gewandt französisch parlierende Höfling, der sich vermeintlich nie »über den französischen Geschmack« erhebende, war – nach einem mehrjährigen Aufenthalt in Deutschland – einer der besten Kenner der deutschen Sprache, Literatur und Gelehrsamkeit in Schweden. Nachdem er im Laufe der 1780er Jahre zum ersten Hofskalden avanciert war, sah Leopold sich nach dem Tod Gustav III. gezwungen, seinen Lebensunterhalt als freier bür536 Samlade skrifter af C. Gustaf af Leopold, 2002, S. 60.

Zusammenfassung

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gerlicher Schriftsteller zu verdienen. Sein Haupttätigkeitsfeld in den Jahren 1792 – 1795 war die von J. C. Holmberg herausgegebene Extra Posten, eine der dank Reuterholms Druckfreiheitsverordnung entstandenen Zeitungen und Zeitschriften im Herbst 1792. In diesem Zeitraum und in dieser Zeitung publizierte Leopold seine bedeutendsten Gedichte, aber auch eine Reihe von Übersetzungen, darunter Schillers An die Freude und Resignation. Zwar wird ihm die Thalia mit den beiden Gedichten Schillers am 23. 6. 1792 von Fredrik von Ehrenheim, schwedischer Diplomat in Kopenhagen, zugesandt und die Übersetzung angetragen – gleichzeitig wird jedoch im unvollständig erhaltenen Briefwechsel deutlich, und dies ist von der Forschung unbemerkt geblieben, dass Leopold schon mit den historischen Schriften Schillers vertraut war. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass Leopold der Vermittlung eines Ehrenheims bedurfte, um die Bekanntschaft Schillers zu machen, zumal zu diesem Zeitpunkt die Leihbibliothek Cleves die Thalia bereits führte und Lund und Ekmansson schon Texte von Schiller veröffentlicht hatten. Erst ein Jahr später, am 10. 5. 1793, erschien das Gedicht An die Freude in schwedischer Übersetzung in Extra Posten. Die Übersetzung von Resignation ließ noch einmal acht Monate auf sich warten, bis sie am 21. 1. 1794 in Extra Posten erschien. Beiden Übersetzungen ist die Rücknahme besonders extremer oder naturalistischer Ausdrücke sowie eine damit einhergehende Anpassung an das gustavianische Vokabular gemeinsam. Die Unterschiede zum Original schulden sich teilweise dem Altersunterschied des dichtenden und des übersetzenden Dichters und dem verschiedenartigen kulturellen Milieu, aber auch dem Umstand, dass es sich hierbei um von Schiller gebildete nicht lexikalisierte Komposita handelt. Die schwedische Sprache kennt zwar viele Komposita und erlaubt grundsätzlich die Neubildung von Zusammensetzungen, ist jedoch diesbezüglich restriktiver als die deutsche Grammatik. Beide Übersetzungen betrifft auch die über die Originalgedichte hinausgehende häufige Verwendung der Worte »Tugend« und »Gott«, was ebenfalls zur Neutralisierung der Sturm-undDrang-Diktion und der aufklärerischen Provokation, vor allem in Resignation, beiträgt. In inhaltlicher Hinsicht wurden in beiden Übersetzungen Veränderungen vorgenommen. Die Übersetzung von An die Freude wird formal und weltanschaulich auf zwei Höhepunkte zugespitzt: »Ingen träldom – ordning blott!!!« (dt. Keine Sklaverei – nur Ordnung!!!) und »Och en ewig hämnd, – ej till!!!« (dt. Und eine ewige Rache, – ist nicht!!!) Diese inhaltliche Zuspitzung gibt dem etwas im Vagen verbleibenden Schiller’schen Gedicht in der Übersetzung eine deutlichere Struktur, die der »Klassizist« vermisst haben mag. Leopolds Verdeutlichung auf religiöser Ebene gilt der Bejahung des Apokatastasis-Gedankens, der Vergebung aller Sünden und der Leugnung der ewigen Höllenstrafen, ein durchaus brisantes theologisches Bekenntnis. Weniger gewagt ist Leopolds inhaltliche Verdeutli-

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Leopolds Schiller-Übersetzung in Extra-Posten

chung dagegen auf politischer Ebene, wo die Betonung der »Ordnung« als Bekenntnis zum aufgeklärten Absolutismus aufgefasst werden kann. Bei der Übersetzung von Resignation hat Leopold gravierende und einschneidende Veränderungen vorgenommen. Den im Schiller’schen Vers »Die Weltgeschichte ist das Weltgericht« ausgesprochenen Gedanken einer radikalen Weltimmanenz hat Leopold entschärft. Leopold betont dagegen das salomonische Nichtwissen dessen, was nach dem Tod kommt und unterstreicht die Bedeutung des Glaubens als glückseligmachendes Moment im Leben. Unbegründet ist die z. B. von Albert Nilsson geäußerte Annahme, dass Leopold das Gedicht missverstanden habe. Gerade die Tatsache, dass Leopold das Gedicht sowohl in der Makro- als auch in der Mikrostruktur so systematisch und mit einer chirurgischen Genauigkeit veränderte, beweist, dass er das Gedicht sehr wohl verstanden hat. Mit diesen Veränderungen hat sich Leopold jedoch ganz im Rahmen der auch andernorts von ihm geäußerten Meinungen bewegt, die einem aufgeklärten, allem Dogmatismus abholden Weltbild entsprechen. Er hat also keineswegs unterschiedliche Standpunkte eingenommen, wie Holmberg meint. Man hat einerseits die Meinung geäußert, es sei paradox (Salu), dass Leopold die Ehre zukomme, Schiller in Schweden eingeführt zu haben, andererseits hat man darauf hingewiesen (ISLH, II, 378), dass Leopold von Schiller beeinflusst worden sei. Weder das eine noch das andere ist richtig. Es gilt hier einmal von »Weimar«, der »Klassik« und unserem Wissen um die Singularität Schillers abzusehen und sich klar zu machen, wie sehr Schiller in seinen Anfängen in der Aufklärung fußt, und wie nahe die Fragestellungen, mit denen er sich in diesen Gedichten befasst hat, Leopold waren. Leopold hat ohne Zweifel gesehen, dass hier ein originärer Künstler am Werke ist, sich davon jedoch nicht einschüchtern lassen. Seine Übersetzung bezeugt seine Selbstständigkeit – er hat die Gedichte Schillers letztendlich nur als Material benutzt und in seinem Sinne adaptiert. Das Schwärmerisch-Ekstatische von An die Freude war ihm letztendlich nicht recht geheuer, dies zeigen seine eigenen Gedichte, die das gleiche Thema behandeln, den Bruder-Pathos jedoch abschwächen, gar ironisieren. Für Leopold war Schiller ein wichtiger und interessanter Autor, jedoch nur einer von vielen. Die zwanghafte Vorstellung, dass Leopold von Schiller einen Einfluss erfahren hat, entstand in einer Literaturwissenschaft, die ihren eigenen Respekt vor Schiller auf andere übertragen hat.

Kapitel VI: Die Junta und die »Bildung der Öffentlichkeit«

Die sogenannte »Junta« ist ein unumstritten bedeutsamer und gleichwohl im literaturgeschichtlichen Kontext gänzlich marginalisierter »Kreis radikaler Intellektueller«537 im Ausgang des 18. Jahrhunderts. Eine gewisse Ratlosigkeit der schwedischen Literaturwissenschaft angesichts einer weder der »gustavianischen Aufklärung« noch der Romantik gänzlich zuzuordnenden Gruppierung drückt sich in einer bis heute fortdauernden Unsicherheit bezüglich der Verortung im literaturgeschichtlichen Kontext aus: In ISLH (1912) wurde die Junta im Teilband Frihetstiden och gustavianska tidehvarfvet (dt. Freiheitszeit und Zeit des Gustavianismus) unter der Rubrik Nya strömningar (dt. Neue Strömungen) untergebracht; in der stark überarbeiteten 3. Auflage (1928) im Teilband Gustavianska tiden (IV) unter der Rubrik Den eftergustavianska tiden (dt. Die nachgustavianische Zeit); in NISLH (1956) teils im zweiten Band Gustavianska tiden (II) unter der Rubrik Tidningar och tidskrifter (dt. Zeitungen und Zeitschriften) und teils im Teilband Romantiken (III) unter dem Titel Den svenska nyromantikens preludier (dt. Präludien der schwedischen Romantik); in der neuesten Literaturgeschichte Den svenska litteraturen (1988) wird unter dem Titel Känslans och tankens revoltörer (dt. Revolteure des Gefühls und des Gedankens) neben Thorild und Lidner nur Höijer berücksichtigt, das einzige der Juntamitglieder, welches für die Romantik »gerettet« werden kann. Zwischen dem Gustavianismus und der Romantik ist im strikt dichotom arbeitenden Getriebe der schwedischen Literaturgeschichtsschreibung wenig Platz. Erst 1995 wurde die Junta mit Olof Hägerstrands »Juntan« som realität och hörsägen (dt. Die »Junta« als Realität und Hörensagen) Gegenstand einer Untersuchung.538 Der Titel weist auf Hägerstrands These hin, dass das Nachleben 537 H. Engdahl, Höijer och juntan, in: Den svenska litteraturen, II, 1988, S. 174. 538 O. Hägerstrand, »Juntan« som realitet och hörsägen, 1995, S. 43 – 58. Die umfassendste Darstellung der Junta vor Hägerstrands Arbeit enthielt B. Liljekrantz’ Monographie zu Benjamin Höijers Leben und Werk, Benjamin Höijer, 1912. S. Ek hat z. B. in NISLH, 1967, im Abschnitt Gustaviansk litteratur die Junta nicht einmal erwähnt, lediglich Silverstolpe und Höijer werden im Zusamenhang mit ihren zwei Zeitschriften genannt.

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Die Junta und die »Bildung der Öffentlichkeit«

der Junta von einer dieser missgünstigen Mythenbildung verzerrt worden sei, zu welcher nicht zuletzt auch die Romantiker beigetragen hätten. Als besonders krass gilt ihm der Artikel des Romantikers V. F. Palmblads in Biographiskt lexicon öfver namnkunnige svenske män (dt. Biographisches Lexikon über bekannte schwedische Personen, 1847) über Silfverstolpe, Gustav Abraham. Dort weiß Palmblad nämlich zu berichten, dass Benjamin Höijer in Silverstolpes Wohnung lebte und, »in vielerlei Hinsicht sinnlich«, am lecker gedeckten Tisch »präsidierte«. Diese von Palmblad als furiose Tisch- und Zechgesellschaft beschriebene Table ronde habe Freiheitslieder bei »dampfenden Bowles« gesungen und unsittliche und umstürzlerische Reden gehalten. Bei den täglichen Symposien habe man sich auch eine Schar wohlhabender Jünglinge gehalten, welche bereit waren, die Zeche zu bezahlen.539 Palmblads Zeichnung der Junta bezeugt erneut, wie der Wunsch der Romantiker, den literarischen Paradigmenwechsel in Schweden auf ihr eigenes Konto zu verbuchen, auch zu bewussten literaturgeschichtlichen Verzerrungen führte. Hägerstrand dagegen ist es darum zu tun zu zeigen, wie sehr jegliches Bild der Junta als »radikale«, »jakobinische«, »zusammengeschweißte«, den Umsturz planende »Clique« (schw. kotteri)540 dem Bereich der Gerüchte und Mythen entspringt.541 Schiller hat nun im Rahmen des Aufklärungsprojektes der Junta und im Rahmen ihrer Zeitschriftenprojekte eine herausragende Rolle gespielt. Mit einer Vielzahl von Artikeln über Schiller, die in den Jahren 1795 – 1800 in den beiden Zeitschriften Litteratur-tidning (dt. Literatur-Zeitung) und Journal för svensk litteratur (dt. Journal für schwedische Literatur) publiziert wurden, setzte die Junta, so die gängige Meinung, systematisch und quasi im Alleingang eine Schiller-Rezeption in Gang. Es war vor allem Gustaf Abraham Silverstolpe – so Wrangel – »welcher in seinem Journal die Öffentlichkeit au courant hielt mit Schillers Produktion, wie mit anderer besserer deutscher Literatur.«542 Die Vernachlässigung der Junta und die Verzerrung ihres Bildes vor und in der

539 V. F. Palmblad, Silfverstolpe, Gustav Abraham, in: Biographiskt lexicon öfver namnkunnige svenska män, XIII, 1847. 540 S. Carlsson, Svensk historia, II, 1961, S. 269. 541 Hägerstrands Bewertung der Darstellung der Junta in der Geschichtsschreibung ist allerdings nicht frei von Übertreibungen. So ist in ISLH, II, S. 261, z. B. zu lesen: »Wenn Palmblad in seiner Schilderung der Junta mit deutlichem Neid die wirklichen oder vermeintlichen Exzesse des Kreises betont hat, sollte nicht vergessen werden, dass die Jünglinge, welche da schwärmten, ihre Freiheitssympathien lange genug behielten, um sie in Taten umzusetzen.« Das Problem scheint mir übrigens auch nicht nur das der Verzerrung der Sichtweise auf die Junta unter dem Einfluss der Romantik zu sein, sondern eines der unzureichenden literaturwissenschafltichen Terminologie hinsichtlich der in Frage kommenden Epochen, die ein adäquates begriffliches Erfassen der »Junta« als Modernisierungsbewegung im Rahmen der Aufklärung nicht erlaubt. 542 E. Wrangel, Schiller och Sverige, 1905, S. 3.

Die sogenannte Junta

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Nachwelt werden also paradoxerweise von ihrer Überschätzung als vermeintlich einziger Schiller-Rezipient begleitet, wie im Folgenden zu zeigen ist.

1.

Die sogenannte Junta

Jenseits von Mythos und »Hörensagen« ist der Name »Junta« eine literaturgeschichtlich tradierte aber nichts desto trotz vage und amöbenhafte Bezeichnung für unterschiedliche Personen und Zeitschriften mit dem personell festen Kern Benjamin Höijers, Gustaf Abraham Silverstolpes und Hans Hjärtas.543 Die Junta, das sind demgemäß nicht nur die Jünglinge, welche um Silverstolpes Tisch versammelt alkoholischen Getränken zugesprochen haben, das sind auch die Mitglieder des Witterhets Samfundet (siehe nächstes Unterkapitel) und all diejenigen, welche zu den vom umtriebigen Silverstolpe herausgegebenen Zeitschriften Litteratur-tidning und Journal för svensk litteratur beigetragen haben, das sind, kurz und gut, alle, die mit den besagten Personen in Berührung kamen: Juntamitgliedschaft via Kontamination.544 Kolportagehaft pflegt man die »spannenden« Momente, welche aus einer vermutlich ungewollten Konfrontation des harten Juntakerns mit der absolutistischen Obrigkeit entstanden, in die literaturgeschichtlichen Narrationen einzutragen. Das radikalste Junta-Mitglied und das einzige, welches es auf eine bewusste Provokation und Konfrontation mit der Obrigkeit anlegte, war Hans Hjärta (1774 – 1841). Dieser war bereits 1792 als Verfasser frecher und kritischer Gedichte und Lieder aufgefallen und wurde 1799 mit der Satire N”gra tankar om sättet att upprätta och befästa den urgamla franska monarkien (dt. Einige Ge543 Die Bezeichnung ist mit großer Wahrscheinlichkeit in Anlehnung an Benjamin Franklins Diskussionsklub »The Junto« (a club for mutual improvement, 1727 in Philadelphia gegründet) entstanden. Dafür spricht, dass Kellgren in StP über den Franklin’schen Diskussionsklub berichtet hatte (A. Wiberg, Uppsala Läsesällskap under dess första utvecklingsskede, 1958, S. 23). O. Hägerstrand (»Juntan« som realitet och hörsägen, 1995, S. 44 f) vertrat die Meinung, dass der Name von außerhalb der Gruppe kam, und in einem gesellschaftlichen und politischen Umfeld, das die informellen Treffen der Gruppe mit Misstrauen beobachtete, zur Bezeichnung geführt haben mag, die vermutlich schon in den 1790er Jahren in Umlauf war. Der Ausdruck scheint auch von den Mitgliedern selbst verwendet worden zu sein, und zwar spätestens 1800 von Höijer in einem Brief an Frau Rosenstein, der sich in Crusenstolpes Karakteristiker abgedruckt findet. Einmal in die Welt gesetzt, wurde die Bezeichnung zum Schibboleth für all diejenigen, die im Kreis um Silverstolpe und Höijer einen Vorposten des Jakobinerklubs in Paris sehen wollten. Der fremd und exotische klingende Begriff selbst trug ohne Zweifel zu einer gewissen Mythenbildung bei. 544 Dies zeigt sich z. B. in der Behandlung G. Ros¦ns und G. Spaldencreutz, denen eine »Nähe« zur Junta zugeschrieben wurde. Siehe z. B. die Artikel über Ros¦n und Spaldencreutz in: Svenskt biografiskt lexikon, Ny Följd, IX, Stockholm 1883.

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Die Junta und die »Bildung der Öffentlichkeit«

danken über die Vorgehensweise, die alte französische Monarchie aufrecht zu erhalten und zu festigen) seinem Ruf gerecht, in welcher dem Herrscher ironisch einige wirkungsvolle Maßnahmen anempfohlen wurden, die einer eventuellen Ausbreitung jakobinischer Gedanken und Umtriebe Einhalt gebieten sollten. Es konnten lediglich 1000 Exemplare distribuiert werden, bevor die Broschüre von den Behörden konfisziert wurde. In einem Aufsehen erregenden Akt schworen Hjärta, welcher sich hinfort Järta nannte, und vier weitere Adlige auf dem Reichstag in Norrköping 1800 ihren Adelstiteln ab. Im gleichen Jahr hatte sich, ebenfalls spektakulär, der sogenannte Musikprozess zugetragen, welcher Gustaf Abraham Silverstolpe (1772 – 1824) betraf.545 Im Rahmen der Vorbereitung der Krönungsfeier Gustav IV. Adolf in der Universität wurde der Dozent und Musikkenner Silverstolpe hinsichtlich des musikalischen Teils der Festivität um Rat gefragt. Als dieser die Bataille de Fleurus vorschlug, ahnten die Arrangeure nicht, dass dieses Stück ein Teil der Marseillaise war. Wohl als direkte Folge dieser Ereignisse wurde Silverstolpe am 1. November 1800 ein Druck- und Schreibverbot auferlegt, das seine Zeitschrift Journal för svensk litteratur betraf, jeglicher Verkauf von Büchern untersagt, und schließlich wurde Silverstolpe seiner Dozentur enthoben. Weniger spannend aber gleichwohl zentral im Ideenleben der Junta ist die Vita Benjamin Höijers (1767 – 1812),546 dessen entschiedene Befürwortung der Kant’schen und später idealistischen Philosophie ihn im bigotten, kultur- und intelligenzfeindlichen, überall jakobinische Umtriebe vermutenden Milieu des jungen Königs akademisch unmöglich machte.547 Obwohl selbst von Gegnern als der »tüchtigste« Philosoph seiner Generation angesehen und als geeignetster Kandidat bei fälligen Lehrstuhlbesetzungen eingestuft, blieb er von jeglicher Beförderung ausgeschlossen. Höijer, der bis 545 Zu Silverstolpe existiert noch keine Monographie. Neben dem tendenziellen Artikel von V. F. Palmblad, Silfverstolpe, Gustav Abraham, in: Biographiskt lexicon öfver namnkunnige Svenske Män, 1847, liegen vor: H. Hofbergs Artikel in Svenskt biografiskt handlexikon, 1906, N. Goboms Artikel in: Personhistorisk tidskrift, 1915, Svenskt biografiskt lexikon, XXXII, 2003 – 2006, S. 218 sowie O. Hägerstrand, »Juntan« som realität och hörsägen, 1995, S. 104 – 136. 546 Zu Höijers Leben siehe B. Liljekrantz, Benjamin Höijer, 1912; K. R. Gierow, Benjamin Höijer, 1971; zu seiner Philosophie siehe A. Nyblaeus, Den filosofiska forskningen i Sverige I – III, 1879. 547 Kants Philosophie wurde als sich im Streit mit der Kirche befindend angesehen und das Bekenntnis zum deutschen Philosophen konnte als Bekenntnis zur französischen Revolution aufgefasst werden. Kant hatte nie verhehlt, dass er die Ereignisse von 1789 in Frankreich begrüßte, und Schiller wurde von der französischen Nationalversammlung zum Ehrenbürger gewählt. Es ist deshalb kein Zufall, dass die wichtigsten Mitglieder der Junta zu den treuesten Anhängern Boethius’ gehörten, welcher einer der ersten war, die Kant in Schweden bekannt gemacht haben. Höijer vermerkt in einem Reisetagebuch von 1798 nicht ohne Genugtuung, dass Kant in Schweden sechs Jahre früher als in Dänemark, d. h. 1788 eingeführt wurde (B. Liljekrantz, Benjamin Höjer, 1912, S. 54). Nach Boethius war Höijer der eifrigste und ernsthafteste Vorkämpfer für die Anerkennung Kants in Schweden.

Die sogenannte Junta

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1809 sein Dasein mit Übersetzungen und dem Verfassen von Artikeln fristete, gelang es trotz aller Widerstände als Privatdozent die kommende Generation der Romantiker entscheidend zu prägen – was allerdings nicht verhinderte, dass er auch deren Anfeindungen ausgesetzt war. So wird die Vita der Protagonisten der Junta, welche beharrlich im Dienste der Aufklärung standen, auf schlaglichtartig und grell beleuchtete Augenblicke reduziert, obwohl sie im Falle Höijers und Silverstolpes eher ungewollt die Aufmerksamkeit der absolutistischen Obrigkeit erregten. Dies zumindest scheint mir von Olof Hägerstrands »Juntan« som realität och hörsägen glaubhaft dargelegt, und hierin berührt er sich mit Hanna Östholms in Litteraturens uppodling (dt. Die Bildung der Literatur) vertretener These, der Junta sei es in ihren Zeitschriften um die »Bildung der Öffentlichkeit«, mithin um eine Reform, nicht um eine Revolution gegangen.548 Der Literaturwissenschaftler Kurt Aspelin äußerte in Schiller i Sverige, die Junta habe Litteratur-tidning und Journal för svensk litteratur zur Verbreitung ihrer »Propaganda« und als »ideologische Vorbereitung für eine bürgerlich demokratische Revolution« herausgegeben.549 Der dem negativen Konnotationsspektrum entnommene Term »Propaganda«, welcher offensichtlich an der oben bereits erwähnten, der Junta nicht wohlgesonnenen, Mythenbildung partizipiert, indiziert ins Sachliche gewendet den Wunsch der Junta nach einer »Bildung der Öffentlichkeit«. Im Januar 1800 bezog sich Bischof Wallquist in einem Brief auf die sogenannte »Junta als die Liga, die zuerst die Literatur regieren will und dann das Land«,550 eine Aussage, die auf die beiden von Silverstolpe herausgegebenen Zeitschriften Litteratur-tidning (1795 – 1797) und Journal för svensk litteratur (1797 – 1801) gemünzt war,551 und welche die Theorie Kosellecks zu antizipieren scheint, der den Augenblick der Krise dort sieht, wo die Literaturkritik, welche dem kritischen Bewusstsein den Boden bereitet hat, von einem Stadium der Latenz in politische Kritik umschlägt. Dies war in Schweden in den Rabulisten-Zeitschriften geschehen und hatte sich mit dem schnellen Eingehen dieser Journale wieder ins Stadium der Latenz begeben. Die Grenze zwischen Literaturkritik und Gesellschaftskritik war allerdings weiterhin schmal, insbesondere, wenn es sich um politische oder historische 548 H. Östholm, Litteraturens uppodling, 2000. 549 K. Aspelin, Schiller i Sverige, 1955, S. 13. 550 Olof Wallquist an Knös den 10. Januar 1800. Zitiert nach B. Rehnberg, Prästest”ndet och religionsdebatten 1786 – 1800, 1966, S. 464. 551 In Silverstolpes Litteratur-tidning wurde der Term »Litteratur« zum ersten Mal im Titel einer Zeitschrift benutzt (siehe B. Bennich-Björkman, Termen litteratur i svenskan 1750 – 1850, 1970); vermutlich in Anlehnung an deutsche Zeitschriften (siehe H. Östholm, Litteraturens uppodling, 2000, S. 99, S. 134). Als Zeitungsrubrik hatte die Bezeichnung seit den 1770er Jahren existiert. Der Term »Litteratur« bezeichnete nicht die »schöne Literatur« im engen Sinne, sondern umfasste auch wissenschafliche Schriften.

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Die Junta und die »Bildung der Öffentlichkeit«

Literatur handelte.552 Es ist aber auch wenig wahrscheinlich, dass Höijer, der sich meistens für Artikel im philosophischen, historiographischen und politischen Bereich verantwortlich zeichnete, an einer direkten Herausforderung der staatlichen Macht interessiert war. Explizit grenzt er sich in einer ausführlichen Rezension Karl Heinrich Heydenreichs Versuch über die Heiligkeit des Staats und die Moralität der Revolutionen von denjenigen ab, die sich »edel, aber blind« vom Enthusiasmus für die Vollkommenheit der Menschheit verführen lassen, sich vom Staat loszusagen und gegen diesen zu agieren. Bei der Frage nach der Moralität der Revolution ist die Schlussfolgerung des Verfassers die, dass sie immer unrecht ist und deswegen mit Gewalt beantwortet werden kann. Wir sind ebenfalls der Meinung, dass, solange einige oder bloß ein einziges Mitglied des Staates sich weigert, einer Veränderung des Staates zuzustimmen, jegliche Veränderung eine unrechtmäßige Gewaltanwendung ist; was notwendig aus der Natur der Übereinkunft folgt. Aber sobald alle in eine Veränderung einstimmen, besitzen sie ein unbezweifelbares Recht, dieselbe vorzunehmen. Da der Verfasser diesen mit jenem Fall verwechselt, wo nur die meisten eine Änderung vornehmen, scheint daraus zu folgen, dass er nicht den Unterschied zwischen Revolution und Reform wahrnimmt. Die erste ist immer Gewalt; die zweite muss so vorgenommen werden, dass sie nicht gegen bereits gestiftete Gesetze verstößt, oder unter der Zustimmung der Allgemeinheit.553

Versucht man das in unterschiedlichen Artikeln der Silverstolpe’schen Zeitschriften angedeutete Gesellschaftsprogramm herauszufiltern, so finden sich eine Reihe von Punkten, welche traditionell mit der Aufklärung verbunden werden: unterschiedliche Freiheiten, wie die Handelsfreiheit, die Druckfreiheit und die Redefreiheit werden angestrebt, die Mitbürgerlichkeit werde als Tugend angesehen, Vernunft und Nutzen sollten die Leitsterne der Politik sein. Die politischen Systeme in Dänemark und Großbritannien werden als vorbildlich angesehen, auch die Grundsätze der Französischen Revolution, bevor sie entartete – die Zeitschriften propagierten jedoch keineswegs für die Revolution. Reformen, eine vernünftige Entwicklung sowie die Bildung (uppodling) der Gesellschaft zum Besseren nach bestimmten philosophischen Prinzipien sind das Programm, welches man den Rezensionen entnehmen kann.554 Es ging der 552 H. Östholm, Litteraturens uppodling, 2000, S. 171. 553 Litteratur-tidning, 1796, 1. Heft, S. 16: »Vid fr”gan om revolutioners moralitet blifver Förf. slutsats den, at de alltid äro orättmätiga och s”ledes med v”ld kunna förekommas. Vi äro äfven af den tanka, at s” länge n”gra eller blott en enda medlem i Staten vägrar at ing” i en ändring af dess författning, är all ändring et orättmätigt v”ld; hvilket nödvändigt följer af öfverenskommelsers natur. Men s” snart alle öfverensstämma i en ändring, äga de en otvifvelaktig rättighet, at företaga den. D” Förf. förblandar detta fall med det, d” blott de fleste företaga en ändring, tyckes det följa derav, at han ej iakttaget skillnaden emellan Revolution och Reform. Den förra innebär alltid v”ld; den senare m”ste antingen företagas p” et sätt som ej strider emot redan stiftade lagar, eller med allmänt bifall.« 554 H. Östholm, Litteraturens uppodling, 2000, S. 216.

»Witterhets Samfundet« und die deutsche Literatur

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Junta also weniger um eine direkte Einflussnahme – und schon gar nicht um »Propaganda«, wie Kurt Aspelin meint, dem widerspricht schon das intellektuell-akademische Profil einer Zeitschrift, die ihre Leser chronisch überforderte – als um die Bildung eines kritischen intellektuellen Bewusstseins der Öffentlichkeit. Die Junta war jedoch nicht nur und (vor allem) in der Gestalt Höijers Stichwortgeber der Bildung und Emanzipation des Bürgertums, sondern auch selbst praktischer Teil und Transmissionsriemen einer Modernisierung der Gesellschaft, welche sich offenbar in den 1790er Jahren beschleunigte. Vor allem Silverstolpe war die treibende Kraft bei der Gründung der literarischen Vereinigung Witterhets Samfundet, diverser Zeitschriften, eines Buchhandels, und schließlich, Novum in Schweden, einer Lesegesellschaft.

2.

»Witterhets Samfundet« und die deutsche Literatur

Die Mitglieder der Junta »lasen und diskutierten Goethe, Schiller und Wieland lange bevor diese die gebildete schwedische Öffentlichkeit erreicht hatten«, wurde in einer der rezentesten Geschichtswerke behauptet.555 Die bislang bekannte Schiller-Rezeption der Junta findet ab 1795 in Form von Rezensionen in der Litteratur-tidning statt, nach der tradierten Vorstellung des Ablaufs der Schiller-Rezeption also Jahre vor derjenigen einer breiteren Öffentlichkeit kurz vor und um 1800. Was lasen die späteren Junta-Mitglieder und ihr studentisches Umfeld jedoch in den frühen 1790er Jahren, d. h. also zu der Zeit, als die Rabulisten und Leopold Schiller rezipierten und auch die lesende Öffentlichkeit in den Leihbibliotheken Zugang zu Schillers Publikationen hatte? Einen Hinweis könnte folgender Brief geben, welchen Hans Hjärta am 22. Januar 1834 an Brinkman schrieb: Die deutsche Literatur war gleichwohl bekannt in Schweden – vielleicht breiteren Kreisen als heute – in und nach den 1790er Jahren, bis der Krieg jegliche Kommunikation unterbrach, so dass der Hamburger Correspondent eine Seltenheit war. Ich, während dieser Zeit ein Jüngling ohne literarische Bestimmung, hatte gelesen und besaß Meisterwerke von Wieland, Goethe und Schiller, etc., bevor Atterbom und seinesgleichen mehr als Schwedisch buchstabieren konnten. Silverstolpe und nach ihm Wiborg bezogen, ohne einzelne Requisitionen, deutsche Bücher, die man jetzt nur selten in den Buchläden findet. So besitze ich aus dieser Zeit z. B. Wielands Sämtl. Werke in 32 Bänden, gedruckt 1799, mit dem Namen Hans Hjerta versehen, der 1800 starb. Die meisten jungen Mädchen unter meinen Bekannten lasen Deutsch. Meine erste Frau konnte Schillers Tragödien fast auswendig […] Als ich, dann schon Proto555 Den svenska historien, VII, 1968.

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Die Junta und die »Bildung der Öffentlichkeit«

kollsekretär, während des Herbstsemesters 1797 in Upsala weilte, fand ich hier eine Lesegesellschaft vor,556 die die besten deutschen Zeitschriften bezog, die Jenaische Allgemeine Litt. Zeitung konnte man in mehreren Provinzstädten finden. Der beste Beweis dafür übrigens, dass Deutschlands schöne Literatur vor 1810 bekannt war in Schweden ist der Erfolg des kurz danach von Bruzelius und Leffler herausgegebenen Nachdruckes der deutschen Klassiker. Die wären sicher nicht herausgegeben worden, wenn lediglich ein paar Ostgötastudenten als Abnehmer in Frage gekommen wären.557

Der Brief, welcher Ausdruck der Irritation Hans Hjärtas darüber ist, dass die schwedischen Nyromantiker die »Entdeckung« der deutschen Literatur für sich beanspruchten, gibt nicht wirklich Aufschluss darüber, von welchen Jahren im Jahrzehnt zwischen 1791 – 1800 die Rede ist. Aufschluss darüber könnten die handgeschriebenen Sitzungsprotokolle der literarischen Gesellschaft Witterhets Samfundet geben, welche Silverstolpe am 23. Februar 1791 gründete.558 Unter den zwölf Gründungsmitgliedern befanden sich neben den Brüdern Silverstolpe auch Gustaf Ros¦n, der im Witterhets Samfundet durch eine Vielzahl von Reden, zum Teil politisch provokativer Natur, auffiel, und später in eigener Regie eine Zeitschrift herausgab, in welcher er auch Übersetzungen Schiller’scher Schriften abdruckte. Den Protokollen der Vereinigung lässt sich entnehmen, dass die Mitglieder, zu denen ab 1792 auch Benjamin Höijer gehörte, neben der Literatur auch provokative politische Themen diskutierten.559 556 Es handelt sich bei dieser Gesellschaft nicht um Witterhets Samfundet, welche vermutlich 1793 aufgelöst wurde, sondern um die 1797 entstandene Upsala Läsesällskap, ein gemeinsames Projekt des Kreises um Silverstolpe und Pehr Afzelius. 557 Zitiert nach SVH, IV, S. 26: »Den tyska literaturen var likväl känd i Sverige – m” hända mera allmänt, än nu – p” 1790-talet och framgent, intill dess kriget s” afbröt alla kommunikationer, att Hamburger Correspondent blef en sällsamhet. Jag, den tiden en yngling utan literär bestämmelse, hade läst och egde mästerverken af Wieland, Goethe och Schiller etc., innan Atterbom och hans samtida ännu kunde mera än stafva svenska. Silfverstolpe och efter honom Wiborg införskrefvo, utan särskilda reqvisitioner, tyska böcker, dem man nu sällan finner i n”gon bokl”da. S” eger jag fr”n den tiden t.ex. Wielands Sämtl. Werke uti 32:dra bandet hvaraf, tryckt 1799, finnes tecknadt namnet Hans Hjerta, hvilket dog i juni 1800. De flesta unga flickor ibland mina bekanta i Stockholm läste p” 1790-talet tyska. Min första hustru däribland kunde nästan utantill Schillers tragedier […] När jag, redan protokollssekrererare, under hela höstterminen 1797 vistades här i Upsala, fann jag här inrättadt ett läsesällskap som höll de bästa tyska tidskrifter, Jenaische Allgemeine Litt. Zeitung träffades vid samma tid i flera landsorter. Det bästa beviset i öfrigt, att Tysklands sköna literatur var känd i Sverige före 1810 är framg”ngen af det kort derefter började företaget af Bruzelius och Leffler att utgifva ett eftertryck af de tyska klassikerna till svenska allmänhetens tjenst. Det hade säkerligen icke riktat dem, om de till afnämare endast haft att p”räkna n”gra Östgötha studenter.« 558 Die handgeschriebenen Sitzungsprotokolle des Witterhets Samfundet der Jahre 1791 – 1792 finden sich in der Uppsala Universitets Bibliotek in der Handschriftensammlung unter der Bezeichnung U 155 sowie U 156. Zu Witterhets Samfundet siehe A. Wiberg, Uppsala Läsesällskap, 1958; H. Östholm, Litteraturens uppodling, 2000, S. 67 ff, S. 248. 559 G. Ros¦n hatte z. B. den politisch-historischen Aufsatz Konungaväldet (dt. Königsherr-

»Witterhets Samfundet« und die deutsche Literatur

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Albert Wiberg hat vermutet, dass die Vereinigung, welche anscheinend schon Anfang 1791 Zugang zu mehreren Zeitschriften hatte, eine Lesegesellschaft war.560 Der Begriff »Lesegesellschaft« ist auf jeglichen organisierten Zusammenschluss von Lesern gemünzt, welcher als Mitgliedsgesellschaft organisiert ist und in deren Rahmen Lektüre zur Verfügung gestellt wird. Die Entstehung der Lesegesellschaften in Europa ab Mitte des 18. Jahrhunderts ist wie diejenige der Leihbibliotheken nicht nur Ausdruck eines sprunghaft ansteigenden Lesebedürfnisses sondern auch der Emanzipationsbestrebungen des Bürgertums verbunden mit einem Bildungswunsch der entstehenden Mittelklasse und somit integrales Moment der Entstehung der bürgerlichen Kultur und der Aufklärung.561 Sollte Witterhetens Samfundet bereits eine Lesegesellschaft gewesen sein, dann vermutlich eine in ihrer frühesten Erscheinungsform als Lesezirkel oder als Umlaufgesellschaft, d. h. im Unterschied zum Lesekabinett ohne lokalen Versammlungsplatz.562 Es wäre dann die erste Lesegesellschaft in Schweden überhaupt, ein Sachverhalt, der noch nicht Gegenstand einer eingehenden Untersuchung war.563 Am 27. November 1791 hielt Eric Christian Adelsköld im Witterhets Samfundet eine Antrittsrede mit dem Titel Folklynnets inflytande p” vitterheten (dt. Der Einfluss des Volkscharakters auf die Literatur), in welcher die alten und neuen Nationalliteraturen einer Betrachtung unterzogen werden und die deutsche folgendermaßen charakterisiert wird: Aber vor Deutschlands Dichtern muss ich euch die Skalden Helvetiens nennen, die im glücklichsten Land leben, dessen Natur selbst ihre Freiheit verteidigt […] Wenn wir uns das Vergnügen bereiten, uns die ehrenvollen Namen von Marathon, Thermopylae und Salamina zuzurufen, ist es dann nicht eine Freude unter uns ein Volk zu finden, das uns an diese alten Tugenden erinnert, sollten wir nicht in einer lieben Erinnerung die Namen von Morgarten und Sempach nennen? Diese Tugenden, diese Mitbürger gaben Gessner die heiligen, die göttlichen Gesänge, wo er wirklich glaubte, die Goldene Zeit wiederzufinden, dieser des Menschen erster glückseliger Zustand, mit seiner naiven

560 561 562 563

schaft) verfasst, in welchem er neben traditionellen Fragen wie der, dass der Verdienst der einzige Grund sei für Ehre und Macht, sich auch tagespolitisch brennenden Fragen widmete. »[…] der gute König soll das Leben seiner Untertanen [nie] den Gefahren eines schändlichen Krieges aussetzen«, heißt es da, mit deutlicher Adresse an die Kriegstreiberei Gustav III. 1790 – 1791, ein hochbrisantes und zensuriertes Thema. A. Wiberg, Uppsala Läsesällskap, 1958. A. Wiberg ging davon aus, dass Witterhets Samfundet von Anfang an Zeitschriften abonniert hatte und dass dies das Primärziel war. O. Dann, Die deutsche Aufklärungsgesellschaft und ihre Lektüre, 1979; M. Stützel-Prüsener, Die deutschen Lesegesellschaften im Zeitalter der Aufklärung, 1981; H. Östholm, Litteraturens uppodling, 2000, S. 29. M. Stützel-Prüsener, Die deutschen Lesegesellschaften im Zeitalter der Aufklärung, in: Lesegesellschaften und bürgerliche Emanzipation, 1981, S. 73. Das Hauptaugenmerk der Untersuchungen von A. Wiberg und H. Östholm über die Uppsala Läsesällskap lag auf der Zeit nach 1797. Die Frühphase zu Beginn der 1790er Jahre wurde von Östholm gar nicht, von Wiberg nur im Vorübergehen berücksichtigt.

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Die Junta und die »Bildung der Öffentlichkeit«

Einfalt, seiner einnehmenden Anmut und Natürlichkeit. So gab die Ansicht der Alpen von Haller die Eingebung zum Gedicht über dieselben […] Die Deutschen zeichnen sich nicht durch einen spezifischen Charakter aus; wie einige andere nordische Völker teilen sie allzu viel mit anderen Völkern, um etwas sicher Gesetztes in ihrer Gesinnung zu haben. Außerdem sind sie zu sehr mit anderen Völkern vermischt und sind durch die Unterschiede in Religion, Sitten und Regierungsweise unter sich zu verschieden, so dass man kaum den Einfluss einer bestimmten Gesinnung auf die deutsche Literatur hervorheben kann, trotz Gellert, der in Sachsen geboren wurde, wo der französische Esprit herrscht […] Aber wie kann man sagen, dass Wieland, Göthe und Lessing ihre größeren oder kleineren Verdienste einer gewissen Gesinnung zu verdanken haben. Klopstock in einem Gegenstand, der weniger ein einzelnes Volk angeht als eine ganze Welt, kann nicht von einem Volkscharakter beeinflusst sein.564

Auf den ersten Blick scheint sich das Bild der deutschen Literatur seit der Darstellung in Gjörwells Zeitschrift Nya lärda tidningar im Jahr 1774 kaum gewandelt zu haben, sieht man einmal von Goethe ab, dessen Die Leiden des jungen Werther erst ein Jahr später in derselben Zeitschrift (1775, Nr. 16) vorgestellt wurde. Die panegyrische Darstellung Salomon Gessners und der Schweiz steht immer noch im Vordergrund; auch die anderen hier im Auszug figurierenden Autorennamen – Albrecht von Haller (1708 – 1777), Christian Fürchtegott Gellert (1715 – 1769), Gotthold Ephraim Lessing (1729 – 1781), Friedrich Gottlieb Klopstock (1724 – 1803), Christoph Martin Wieland (1733 – 1813) – stehen für einen Literaturgeschmack, welcher in Deutschland 20 Jahre zurücklag, aber durchaus die allgemeine Vorstellung in Schweden über die deutsche Literatur repräsentierte (siehe Kapitel III); festzuhalten bleibt, dass Schiller hier, im Jahr 1791, noch nicht bekannt ist, zumindest noch nicht als wichtig genug erachtet wird, um aufgeführt zu werden. 564 Eric Christian Adelsköld, Folklynnets inflytande p” vitterheten, Witterhets Samfundet (U 155, U 156): »Men förrän jag nämner om Tysklands vittra författare, m”ste jag först nämna eder, i Helvetiens skalder […] D” vi göra oss s” mycket nöje, att äfven för oss sjelfva upprepa de ärofulla namnen af Marathon, Thermopyle och Salamina, är det icke en glädje, att ibland oss finna ett folk, som p”minner oss om dessa gamla dygder, böra vi äfven icke i ett kärt minne upprepa namnen af Morgarten och Sempach? Dessa dygder, dessa medborgare ing”vo Gessner de heliga, de guddomeliga s”nger, hvaruti han verkeligen tyckte sig ”terse den Gyllene tiden, detta människors första lycksaliga tillst”nd, med dess menlösa enfald, dels intagande behag och naturlighet. S” ingaf äfven ”synen af Alperna von Haller det skaldestycke han derom författat […] Tyskarne utmärka sig icke genom n”got särdeles lynne; liksom n”gra andra Nordiska folkslag deltaga de alltför mycket af andra folk, att hafva n”got visst stadgadt i sitt sinnelag. De äro utomdess altför blandade med andra folkslag, och äga för mycket stor skilnad sinsemellan, genom Gudalärans, seders och regeringssättets olikhet, s” att man icke kan utmärka n”got visst lynnes inflytande p” Tyska vitterheten, fastän Gellert, som var född i Sachsen, der den Fransyska qvickheten mäst härskar […] Men huru kan man säga, att Wieland, Göthe och Lessing hafva att tillräkna n”got visst lynne sina större eller mindre förtjenster. Klopstock i ett ämne, som mindre ang”r ett enskilt folk än en hel verld, kan icke hafva haft n”gon inflytelse af folkkynnet.«

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Obwohl kein neuer Autor hinzugekommen ist, wirkt Adelskölds Darstellung der deutschen Literatur »moderner« als die des Artikel-Verfassers von 1774, da er es vermochte, die heute noch als bedeutend erachteten Autoren von denjenigen zu unterscheiden, welche in Vergessenheit geraten sind: Die Kanonisierung der deutschen Literatur ist vorangeschritten. Gleichzeitig formiert sich im literaturkritischen Tableau Adelskölds die deutsche Literatur zu einer geistigen Macht, nämlich zum Gegenprogramm des Gustavianismus. Das Verweilen bei Gessner und das Hervorheben gerade seines »Programms« eines »Bürgerlichen Arkadien« durch die Betonung einer »goldenen Zeit«, eines »ersten glückseligen Zustands«, einer »naiven Einfalt« und der »Anmut und Natürlichkeit« ist erneut Ausdruck einer bürgerlichen Kultur und eines bürgerlichen Sentiments parallel zur Hofkultur der gustavianischen Zeit, wie sie unter Gustav III. bis 1792 floriert hatte. Bemerkenswert ist der Sachverhalt, dass Adelsköld die deutsche Literatur nicht als Ausläufer eines national vorherrschenden Charakters ansah, sondern als universell gültig und verstehbar. Die genannten deutschsprachigen Autoren sind also mit der Aufklärung an sich identifiziert worden. Dies beleuchtet auch ein Vortrag zum Thema Uplysningens nuwarande tillst”nd i de flästa delar af Europa (dt. Der jetzige Stand der Aufklärung in den meisten Teilen Europas), gehalten von Gustaf Ros¦n am 7. Dezember 1791. Deutschland besitzt gegenwärtig einen zuvor nicht gekannten Grad der Aufklärung. Seine besten Autoren haben ihre Aufmerksamkeit auf Themen gelenkt, die dem ganzen Menschengeschlecht dienlich sind. Statt kleinkarierter Folianten-Schreiber sehen wir die Zerstörer der Systeme wagemutig der Erforschung der abstraktesten Gebiete neue Wege öffnen. Meisner, Salzman, Campe, die Gesetzesgeber der Erziehung werden dadurch die Wohltäter der Menschen. Sie geben Gründe zu den ersten und schwersten Schritten in der Aufklärung, sie gewöhnen die jungen Genies diese zu lieben, diese als ihr höchstes Gut anzusehen. Und durch die anmutigste Schreibart werden die strengsten Tugendlehren leicht für den weichen Verstand und entzückend für die heiße Einbildung. Selbst die Religion zeigt sich dort im frohesten Gewande. Dessen liebliche Befehle bekommen durch die Behandlungsweise eine doppelte Kraft. Die göttlichen Wahrheiten unterstützt von einer wirklichen Aufklärung gewinnen beständig neue Siege über Mesmers und Cagliostros Verführungen. Herder und Lessing, diese weitreichende Autorenschule, geben den heiligen Kenntnissen der Menschen ein Licht, das diese ebenso anmutig für das Genie, wie weich und rührend für das Herz macht.565 565 Tal wid Directeurs Embetes nedläggande den 7 Dec. 1791 af Gustaf Ros¦n, U 156, Handlingar hörande till Witterhets Samfundets Protocoller ”r 1791: »Tyskland äger för det närvarande en grad af uplysning, som det förut aldrig funnit. Dess ypperste författare hafva vänt sin upmärksamhet p” ämnen som gagna hela mensko-slägtet. I stället för desse sm”klyftige foliant-skrifvare se wi Systemernes förkrossare w”gsamt öpna en ny väg för forskningen av de abstracteste ämnen. Meisner, Salzman, Campe, Upfostringens Lagstiftare blifva därigenom alla menniskors wälgörare. De gifva anledningar till de första och sv”raste stegen i

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Die Junta und die »Bildung der Öffentlichkeit«

Ernst Cassirer hatte das Spezifische der Aufklärung darin gesehen, »die bisherige Form der philosophischen Erkenntnis, die Form der metaphysischen Systeme zu zerbrechen.« Die Vordenker der Aufklärung in England und Frankreich glauben nicht mehr »an das Recht und an die Fruchtbarkeit des ›Systemgeistes‹«, an den »esprit de systÀme«; vielmehr sehen sie in ihm »eine Schranke und Hemmung der philosophischen Vernunft«.566 Ros¦n sieht nun die Fackel der Aufklärung an deutsche Philosophen und Schriftsteller weitergegeben, wo die »Zerstörer der Systeme« neue Wege öffnen. Die Verbindung deutscher Autoren mit der Aufklärung war allerdings, und zwar konträr zur gängigen Meinung der Literaturwissenschaft, schon den Gustavianern nicht fremd; so hatte Kellgren bereits im Aufklärungs-Streit Pro sensu communi (1788) von »Deutschlands vorzüglichsten Dichtern und Philosophen: ein Klopstock, ein Wieland, ein Nicolai« als Mitstreiter gegen das Schwärmertum des Mesmerismus und des Swedenborgianismus gesprochen.567 Bei Ros¦n figuriert die populäre und praktisch-nützliche Aufklärung der Philantropen Christian Gotthilf Salzman (1744 – 1811), Johann Heinrich Campe (1746 – 1818) und Johann Gottlieb Meissner (1759 – 1806). Zum ersten Mal und noch vor den Rabulisten wird in Schweden der Ausdruck einer »wirklichen Aufklärung«, verbunden mit der Betonung des »Herzens« verwendet, womit offensichtlich wie bei Ekmanson ein Jahr später (siehe Kapitel IV) eine Herabsetzung der vorangegangenen französischen Aufklärung als materialistische intendiert ist. Die »wirkliche« Aufklärung imprägniert in der Vorstellung Ros¦ns gegen die Verführungen eines Mesmers und Cagliostros, was von Arved Beth¦n (siehe Kapitel X) noch Jahre später betont wird. An dieser Stelle hat die Erwähnung des ansonsten kaum rezipierten Herders seinen natürlichen Platz: Er inaugurierte eine Alternative zum Programm der »reinen Vernunft«.568 Uplysningen, de vänja det unga snillet at älska den, at anse den som sit högsta goda. Och genom den behagligaste skrifvart blifwa de sträfvaste Dygde-läror lätta för det weka först”ndet, och förtjusande för den heta Inbilningen. Sjelfva Guda-läran wisar sig där i det gladaste skick. Dess ljufva befallningar f” genom afhandlings-sättet, en dubbel kraft. De gudomliga Sanningarne understödda af en wärklig uplysning, winna beständigt nya segrar öfver Mesmers och Cagliostros willodikter. Herder och Lessing, denne widtfamnande författareskola gifwa menniskornes heligaste Kunskaper et ljus som skall göra dem lika behagliga för Snillet, som öma och rörande för hjärtat.« 566 E. Cassirer, Die Philosophie der Aufklärung, [1932] 2007, S. XI. 567 Zitiert nach S. Ek, Kellgren, II, 1980, S. 401. 568 Dies ist in der Tat eines der wenigen Dokumente, die darauf hinweisen, dass Herder in Schweden auch nur bekannt war. H. A. Müller kommentiert: »Der Freund und Waffenbruder des alternden Thorild nimmt in der Geistesgeschichte Schwedens einen weit kleineren Raum ein, als man erwarten könnte.« (Die Hauptvertreter des deutschen Geisteslebens von der Mitte des 18. zum Beginn des 19. Jahrhunderts im Spiegel der schwedischen Presse, 1936, S. 70 ff) Die Absenz Herders in Schweden hängt ohne Zweifel mit der Dominanz Kants im Umkreis der Junta und in Schweden im Laufe der 1790er Jahre zusammen. Aber auch die schwedischen Romantiker scheinen völlig unberührt zu sein von Herder, was seine Miss-

Schiller in der Litteratur-tidning (1795 – 1797)

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Wenn also die Junta und Höijer in ihren Zeitschriften einem aufklärerischen Impetus folgten, so distanzierten sie sich gleichzeitig von einer nur die Vernunft betonenden Aufklärung. Höijer gesteht Kellgren in seinem Aufsatz Hvad är Sensus Communis? zwar die Berechtigung seiner Polemik gegen den Swedenborgianismus und den Mystizismus zu, macht jedoch gleichzeitig auf die Begrenzung einer rein vernunftgemäßen Weltanschauung aufmerksam: »Moral und Religion sind gleichgesetzt worden mit Aberglaube und Schwärmerei« (NISLH, II, 569).

3.

Schiller in der Litteratur-tidning (1795 – 1797)

Die Litteratur-tidning (1795 – 1797, dt. Literaturzeitung), mit welcher in den Annalen der schwedischen Literaturkritik ein neues Kapitel aufgeschlagen wird, gilt als eine der bedeutendsten Zeitschriften der schwedischen Literaturgeschichte. Die Zeitschrift präsentiere am »vollgültigsten das Ideenleben der Junta«569 und vertrete das gleiche »neuhumanistische Bildungsideal« (ISLH, II, 1911, 567) wie Schillers Horen, ein Hinweis, dem im Folgenden nachgegangen werden soll. Der Herausgeber Silverstolpe und sein wichtigster Mitarbeiter Höijer hatten ohne Zweifel aufklärerische Ambitionen, gleichzeitig waren die Zeitschriften aber auch ein ökonomisches Unternehmen Silverstolpes, an das er seine materielle Existenz geknüpft hatte. Silverstolpe erwarb 1794 den Magistergrad und eröffnete im gleichen Jahr eine Buchhandlung und eine Leihbibliothek. Sein eigentlicher Plan scheint von Anfang an die Gründung einer literarischen Zeitschrift gewesen zu sein, ein Unterfangen, das nur bei gleichzeitigem Zugang zu der neuesten Literatur sowie den wichtigsten politischen und literarischen Zeitschriften des In- und Auslands möglich war. Die Pläne einer eigenen Zeitschrift, Buchhandlung, Leihbibliothek und Lesegesellschaft gingen also ökonomisch und praktisch Hand in Hand und spekulierten auf Synergieeffekte. Im Jahr 1795 eröffnete Silverstolpe eine Filiale seiner Buchhandlung in Uppsala und begann die Herausgabe der Litteratur-tidning, das ehrgeizigste der unterschiedlichen Zeitschriften-Projekte Silverstolpes. Es zeigt achtung durch Schelling widerspiegelt, welcher den stärksten Einfluss auf diese ausübte (siehe J. Schmidt, Naturphilosophie: Schelling and Herder?, in: Herausforderung Herder). Letztlich mag seine Nichtbeachtung auch mit der immensen Herausforderung einer angemessenen Lektüre eines Werks zusammenhängen, dessen Autor eine »Unfähigkeit zum Werk« attestiert wurde. Erst kürzlich wurde von Staffan Bengtsson (Challenging Linearity, in: Herausforderung Herder, 2010) damit begonnen, die Leseanweisungen Herders zu decodieren, »die den Text zur Partitur machen für Lektüre als präsentativen Nachvollzug von Gedanken, die sich nicht auf Linearität reduzieren lassen« (Herausforderung Herder, 2010, S. 20). 569 B. Liljekrantz, Benjamin Höijer, 1912, S. 135 – 145.

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Die Junta und die »Bildung der Öffentlichkeit«

sich hier aber auch wieder das Problematische der Bezeichnung »Junta«, da die zu den unterschiedlichsten wissenschaftlichen Sparten gehörenden Beiträge von einer ganzen Reihe von Persönlichkeiten verfasst wurden, welche nicht zum engeren »Kreis« Silverstolpes gehörten. Litteratur-tidning wurde von 1795 bis 1797 viermal jährlich mit dem erklärten Ziel herausgegeben, ein periodisches Forum für die ausländische Wissenschaft und Literatur zu schaffen: Werke aus den Bereichen Philosophie, Theologie, Schulwesen, Handel, Ökonomie und Geschichtsschreibung wurden eingehend rezensiert; kürzere Artikel finden sich über Themen wie Medizin, Pharmakologie, Chemie, Astronomie und Geographie; daneben werden auch Biographien und Memoiren bevorzugt behandelt. Einen breiten Raum nimmt die Geschichtswissenschaft ein: u. a. wird eine besonders lange und enthusiastische Rezension mehreren historischen Schriften Schillers gewidmet, darunter schwerpunktmäßig der Abfall der Niederlande; des Weiteren führt Höijer einen Originalbeitrag zur Theorie der Geschichtsschreibung ein, dessen Idealisierung der philosophischen Geschichtsschreibung Schiller als Vorbild erahnen lässt.570 Die Artikel signalisieren schon thematisch ein akademisches Niveau und wurden im Gegensatz zum damals Üblichen nicht anonym eingerückt, sondern mit einer Signatur versehen. Während die Horen also vor allem deutsche literarische Originalbeiträge abdruckten, spezialisierte sich Litteratur-tidning auf Rezensionen ausländischer Werke, neben deutschen auch französische und englische. Der Wunsch, eine solche Zeitung zu gründen, hing nicht zuletzt auch mit dem »wirklichen Mangel« einer derartigen Zeitschrift in Schweden zusammen: »Die schwedische Nation dürfte die einzige sein, welche keine Zeitung für ausländische Gelehrsamkeit besitzt« (Prospectus, Litteratur-tidning, 1. Heft, 1795). Ein allzu großer Einfluss seitens der Horen auf die Konzeption der Litteratur-tidning muss auch deshalb ausgeschlossen werden, weil beide Zeitungen fast gleichzeitig herausgegeben wurden und Silverstolpe sich mit dem Zeitschriftenprojekt spätestens seit 1794 getragen hatte. So erschien das erste Exemplar der schwedischen Zeitung am 31. 3. 1795 und die erste Auslieferung der deutschen Zeitung geschah in Tübingen am 15. 1. 1795. Die Zeit reichte freilich 570 O. Hägerstrand, »Juntan« som realitet och hörsägen, 1995, S. 137, berücksichtigt bei seiner Nennung der in Litteratur-tidning behandelten Wissenschaften die Geschichtsschreibung nicht, obgleich sie dort einen wichtigen Platz einnimmt. Diese Auslassung spiegelt die Tatsache wider, dass die Historiographie dieser Zeit und die Bemühungen Höijers, die Geschichtswissenschaft auf das theoretisch-philosophische Niveau Deutschlands und andernorts zu bringen, ein gänzlich vernachlässigtes Feld in der schwedischen Forschung ist. Es gibt meines Wissens überhaupt nur einen Artikel zu Höijers Geschichtskonzeption, Om Benjamin Höijers Historie-Uppfattning, von B. Liljekrantz, der jedoch nicht die Verbindungen zur deutschen Aufklärungshistoriographie aufzeigt. L. Stavenow, Den moderna vetenskapens genombrott i svensk historieskrivning, 1913, hat als einziger dieser kleinen Schrift ihren bedeutenden Platz in der schwedischen Historiographie zuerkannt.

Schiller in der Litteratur-tidning (1795 – 1797)

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aus, um noch mehrere Exemplare der Horen kennenzulernen, die vermutlich im Rahmen der Lesegesellschaft Silverstolpes oder seiner Leihbibliothek zur Verfügung gestellt und in der ersten Ausgabe von Litteratur-tidning wie folgt rezensiert wurde: Gegenwärtig gibt es wohl keine Nation, die so umfangreiche literarische Unternehmungen aufzuweisen hat, wie die deutsche. Keine hat so viele bedeutende Verfasser auf allen Gebieten. Bei keiner findet sich in der schönen Literatur, um nur auf einige der größten Dichter hinzuweisen, ein so klassischer Ton und Natürlichkeit mit soviel Stärke vereint. Keine Nation hat größere Entdeckungen auf wissenschaftlichem Gebiete gemacht. Bei keiner Nation ist die allgemeine Aufmerksamkeit so sehr auf die Arbeiten der Gelehrten gerichtet. Bei keiner Nation kann deshalb ein solches Unternehmen wie ›Die Horen‹ in Angriff genommen werden, da dies notwendigerweise eine große Anzahl von solchen Mitarbeitern voraussetzt, die allzeit einen Platz unter den ersten Verfassern verdienen. Niemand könnte mit größerem Vertrauen auf die Allgemeinheit wagen, sich an die Spitze eines solchen Unternehmens zu setzen als Herr Schiller, ein Mann, dessen große, so selten in einer Person vereinigten poetischen, historischen und philosophischen Talente es gestatten, auf die Unterstützung der besten lebenden Verfasser zu rechnen. Unter diesen, deren Zahl nicht gering ist, befinden sich bereits die Veteranen der deutschen Literatur, ein GÖTHE, HERDER, GARVE, ENGEL, JACOBI u. a.571

Das »Vertrauen auf die Öffentlichkeit«, der man dieses »beste der bisher bekannten Real-Journale« zutrauen dürfe, ist auf den »Grad der Aufklärung in Deutschland« gemünzt, auf welchen Ros¦n in der oben zitierten Textstelle mit Bewunderung hingewiesen hatte.572 Der Plan der Horen – fasst der Rezensent zusammen, Schillers Vorwort paraphrasierend – sei es, einerseits »der schönen und belebten Welt als Unterricht und zur Bildung zu dienen«, andererseits »den Gelehrten zu einer freien Erforschung der Wahrheit«, während all das ausgeschlossen wurde, »was den gelehrten Leser bloß interessieren kann oder den 571 Litteratur-tidning, 1. Heft, 1795: »För det närvarande gifves väl ingen nation, som är mägtig af s” stora vidsträckta litterära företag, som den Tyska; ingen äger den mängd af stora författare i alla ämnen; hos ingen finnes i vitterheten, at blott hafva afseende p” deras förnämsta Scribenter, den classiska tonen och enfald förenad med styrka til en högre grad; ingen har i v”r tid gjort större upptäckter i vetenskaperna; i ingen fästes allmänhetens upmärksamhet s” mycket p” de lärdas arbeten; hos ingen annan kan s”ledes et s” stort företag som detta utföras, s” vida det nödvändigt förutsätter et stort antal af s”dana medarbetare, som i alla tider förtjena rum ibland författare af förrsta rangen. Ingen kunde med större förtroende af allmänheten v”ga, at sätta sig i spetsen för et s”dant företag, än Hr. Schiller ; en man, hvilken hans stora och s” sällan hos en person förenade, poÚtiska, historiska och philosophiska talanger berättiga, at räkna p” understöd af flera de bästa samtida författare. Ibland deras antal, som ej är inskränkt räknas redan den Tyska litteraturens veteraner, en GÖTHE, HERDER, GARVE, ENGEL, JACOBI m.fl.« 572 Mehrere Schriften, die in der Schiller’schen Zeitschrift rezensiert wurden, sind auch in Silverstolpes Zeitung mit einer Rezension gewürdigt worden. So z. B. F. A. Wolfs Prologomena ad Homerum, 1795, in: Litteratur-tidning, 1796, 2. Heft.

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nicht Gelehrten bloß zufriedenstellen, sowie das, was mit den Revolutionen unserer Zeit zu tun hat und der politischen Verfassung« (Litteratur-tidning, 1. Heft, 1795). Der von Silverstolpe verfasste Prospectus der Litteratur-tidning ist, wie folgender Ausschnitt zeigt, vielleicht nicht gänzlich unbeeinflusst geblieben: In dieser Hinsicht sollte kaum eine interessantere Epoche angegeben werden können als die gegenwärtige. Nicht nur die unausweichlichen Änderungen in gewissen Staatsverfassungen und im Volksrecht machen das letzte Jahrzehnt zu einer der außergewöhnlichsten Epochen für das Interesse der Menschheit, für dessen Wohl, oder für die Vermehrung deren Unglücks. – Diese Begebenheiten sind ihrerseits selbst zu einem großen Teil vorbereitet von der Wirksamkeit und Richtung der allgemeinen Gedankenkraft. Aber diese Kraft wurde zuallererst von den Repräsentanten des menschlichen Verstandes geführt, von den Entdeckern in den Wissenschaften. Vor kurzem hat endlich, durch die Bemühungen eines Genies, die lang vermutete oder zumindest erhoffte Revolution in den philosophischen Wissenschaften begonnen, welche durch ihren Endzweck die wichtigste von allen ist […].573

Die umfassenden und bedeutenden Veränderungen im politischen Bereich sieht Silverstolpe durch die geistigen Umwälzungen in der Philosophie verursacht, aber auch in den Naturwissenschaften, der Theologie und der Theorie der schönen Künste. Die Abstinenz von politischen Themen ist zwar nicht wie im Schiller’schen Vorwort zu den Horen explizit ausgesagt, gleichwohl werden die nicht-politischen Präferenzen des Zeitschriftenprojektes deutlich. Silverstolpe wendet sich mit der Zeitschrift, wie er mehrmals versichert, an eine Öffentlichkeit (schw. allmänhet), um zu deren Aufklärung beizutragen. Sowohl seine breite sprachliche Orientierung als auch seine streng akademische Wissenschaftlichkeit unterscheidet Litteratur-tidning vom gustavianischen Geschmack, der einen eleganten und leichten Stil der tiefsinnigen akademischen Grübelei vorgezogen hatte. Vergleichsmöglichkeiten bietet deshalb bei aller Unterschiedlichkeit eine Zeitschrift aus der vorgustavianischen Zeit, nämlich Gjörwells Den Swenska Mercurius (1755 – 1761/1763 – 1765, siehe Kapitel III). Auch diese hatte sich an einem breiteren europäischen Rahmen orientiert und berücksichtigte vor allem die drei großen Kultursprachen Deutsch, 573 Litteratur-tidning, 1. Heft, 1795, Prospectus: »I detta afseende torde ock knapt interessantare period kunna upvisas än den närvarande. Det är icke endast den oundvikeliga ändringen i vissa Statsförfattningar och folkslagens inbördes förh”llanden, beredd af nyligen förflutna märkvärdiga händelser, som gör de sista tiotalen af innevarande ”rhundrade til en den märkvärdigaste epok för mensklighetens interessen, för dess väl, eller förökandet af dess olyckor ; – desse händelser sjelfve äro til en stor del beredde af almänna tankekraftens verksamhet och riktning. Men denna kraft ledes ytterst af mänskliga först”ndets Representanter, af uptäckare i vetenskaperna. För korrt tid sedan har ändteligen, genom et mägtigt Snillets bemödande, början til en l”nge förmodad eller dock önskad Revolution inträffat i de Philosophiska Vetenskaperna, hvilka til sit ändam”l äro de vigtigaste af alla […].«

Schiller in der Litteratur-tidning (1795 – 1797)

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Französisch und Englisch mit einer deutlichen Dominanz des Deutschen. Beiden Zeitschriften gemeinsam ist auch der Fokus auf die wissenschaftliche Literatur, während Gjörwell in seine Zeitschrift jedoch hauptsächlich Beiträge ausländischer Zeitungen einrückte, wurden für Litteratur-tidning vor allem schwedische Originalbeiträge verfasst, allerdings mit einem deutlichen Interesse an der deutschen Philosophie, Wissenschaft und Literatur. Sollte das Wort Aspelins, die Junta habe ihre Zeitschrift in propagandistischer Absicht herausgegeben, seine Gültigkeit haben, so am ehesten hinsichtlich der Philosophie Kants. In der Tat war die Zeitschrift, wie die Rede von der Revolution, »die in den philosophischen Wissenschaften stattgefunden hat«, erwarten ließ, ein Sprachrohr der Kant’schen Philosophie. Im enzyklopädischen Blickfeld der Zeitschrift standen aber auch sämtliche andere Wissenschaften, mit Ausnahme der schwedischen Literatur. In einer Rezension in StP (Anfang 1797) wurde zu Recht bemerkt, dass die Litteratur-tidning es sich zur Aufgabe gemacht hat, das Interesse für die neue Literatur zu wecken, insbesondere der englischen, deutschen und dänischen. Das Journal erfüllte damit eine einzigartige Aufgabe in diesen Jahren, da es, nachdem Extra Posten 1795 eingestellt worden war, zunächst abgesehen von StP keine periodische Plattform mehr für literarische Rezensionen gab, in welchen die deutsche Literatur und Philosophie hätte rezipiert werden können. In die entstandene Bresche sprang zunächst Litteratur-tidning (März 1795–April 1797), deren für schwedische Verhältnisse ungewöhnliche und neue Maßstäbe setzende Wissenschaftlichkeit von den Zeitgenossen durchaus bemerkt wurde. StP rezensierte und referierte jede Ausgabe der Litteratur-tidning drei- bis vierseitig, was den Resonanzboden der ohne Zweifel nur einer akademischen Bildungselite zugänglichen Zeitschrift vervielfachte.574 Neben dem offenbaren Interesse an Kant ist die Präsenz Schillers in der Litteratur-tidning am auffälligsten. In folgenden Artikeln wurde Schiller rezensiert oder genannt: – 1795, Bd. I, 1. Heft: Eine kurze Rezension der Horen. – 1795, Bd. I, 1. Heft: Schillers Name figurierte in einem Artikel über Julius August Remers Darstellung der Gestalt der Historischen Welt in jedem Zeitraum, in welchem Schiller neben Hume, Robertson und Gibbon genannt wird. – 1795, Bd. I, 3. Heft: Ein Originalbeitrag Höijers über die Vorzüge der Literatur der Modernen gegenüber den Alten (Om de Gamlas och de Nyares Vitterhet och Vältalighet i jämförelse med hvarandra), in welchem nicht nur Schiller ausdrücklich genannt und ein Gedicht aus der Thalia als Beispiel zitiert

574 StP rezensierte Litteratur-tidning am 11.11.; 17.11.; 18.11. 1795; 5.8.; 9.8. 1796; 9.8.; 11.8. 1798.

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Die Junta und die »Bildung der Öffentlichkeit«

wurde, sondern Schiller’sche Argumente und Ansichten zur Ästhetik Eingang fanden (siehe Kapitel XI). – 1795, Bd. I, 4. Heft: Eine umfassende Rezension der historischen Schriften Schillers (siehe Kapitel VII). – 1796, Bd. II, 4. Heft: Ein Originalbeitrag Höijers über die pragmatische Geschichtsschreibung (Om et pragmatiskt Afhandlingssätt i Historien), offensichtlich mit Seitenblick auf Schiller verfasst, wenn dieser auch nicht explizit genannt wird (siehe Kapitel VII).

4.

Die erste Schiller-Charakterisierung (1795)

Schiller spielte jedoch nicht nur in quantitativer, sondern auch in qualitativer Hinsicht, d. h. wie er behandelt wurde, eine Sonderrolle in den Zeitschriften der Junta. In der oben genannten im 4. Heft der Litteratur-tidning 1795 publizierten ausführlichen Rezension mehrerer historischen Schriften Schillers (die eigentliche Rezension wird im Kapitel VII behandelt) findet sich eingangs eine umfassende Charakterisierung Schillers, die erste in einer schwedischen Zeitschrift, weshalb sie hier in ihrer ganzen Länge zitiert werden soll: Herr S., Hist. Prof. und Hofr. in Jena, ist nicht nur Historiker ; er ist ebenso sehr Dichter und Philosoph, und seine Verdienste nur in einer diesen Eigenschaften wären mehr als ausreichend für die Unsterblichkeit des Genies [snille]. Sowohl als Dichter als auch als Historiker scheint er nicht bloß die Höhe seiner Vorgänger und Zeitgenossen erklommen zu haben, sondern auch Beispiele einer Vollkommenheit gegeben zu haben, die man vielleicht nicht berechtigt war früher zu erwarten als in späteren Zeiten. Insbesondere die Göttin der tragischen Künste kann sich freuen über ihren Liebling. Welche bewundernswerten Meisterstücke! Welche tiefen Kenntnisse des menschlichen Herzens! Der Leser und der Zuschauer, hingerissen von seiner wunderbar schaffenden Einbildungskraft, müssen den Tiefsinn und die wahre Kraft bewundern, die lediglich die Frucht seiner großen philosophischen und insbesondere psychologischen Einsicht ist. Man fühlt, dass die lebhafteste und mächtigste Einbildungskraft nicht ausreicht, die hohen Ideen, die seine Arbeiten enthalten, zu verstehen und darzustellen; dazu erfordert es die Zusammenstimmung mit noch anderen Vermögen, in aller Stärke von der Natur gegeben und ebenso aufgezogen [upodlade] und ausgebildet [utbildade] durch sorgfältigen Unterricht und unermüdlichen Fleiß. Seine historischen Schriften tragen überall den Stempel der höchsten Vollkommenheit. Nicht nur die Vortrefflichkeit des Stils und der Darstellung zeichnet sie aus, nicht nur die historische Kunst unter einen Gesichtspunkt zusammenzufassen, was auf den ersten Blick wie die unterschiedlichsten Ereignisse und deren Ursachen erscheint; wir müssen ihm auch die historische Richtigkeit und Genauigkeit zuerkennen, die Untersuchungen voraussetzen, denen sich aber solche Genies wie Hr. S. selten unterwerfen.575 575 Litteratur-tidning, 1795, 4. Heft, S. 424: »Hr. S., som är Hist. Prof. och Hofr. i Jena, är ej blott Häfdatecknare; han är tillika Skald och Philosoph, och hans förtjenster blott i en af dessa

Die erste Schiller-Charakterisierung (1795)

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Benjamin Höijer, welcher aller Wahrscheinlichkeit nach der Verfasser war, hat in der vorliegenden Passage ein dichtes Netz ästhetischer Terminologie ausgebreitet, die an den damals aktuellen Diskussionsstand hinsichtlich des Genies anknüpfte. Der altnordische Begriff »snille« wurde noch in den 1790er Jahren dem schon seit den 1780er Jahren von Thorild verwendeten »Genie« vorgezogen.576 Ein Unterschied in der Bedeutung scheint jedoch nicht vorgelegen zu haben, Thorild und Leopold zumindest verwendeten beide Begriffe abwechselnd und ohne einen Unterschied zu markieren.577 Es wäre aber durchaus möglich, dass die Weigerung des allem Modernen und Gegenwärtigen in der deutschen und englischen Literatur stets Aufgeschlossenen, dem Begriff »Genie« einen Weg zu bahnen, mit Höijers Abneigung gegen das Geniegebaren der Stürmer und Dränger zusammenhängt,578 welche in Schweden in gewisser Hinsicht von Thorild vertreten wurden.579 Auch wenn er sich nicht zu dieser

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egenskaper, vore mer än tillräckliga för ett snilles odödlighet. B”de s”som Skald och Häfdatecknare tyckes han ej blott hafva upn”tt sina föreg”ngares och samtidas höjd, utan äfven gifvit prof af en fullkomlighet, den man kanske ej varit berättigad at vänta, förr än i et senare tidehvarf. Den tragiska S”nggudinnan kan i synnerhet högmodas öfver denna sin älskling. Hvilka undransvärda mästerstycken! Hvilken djup bekantskap med menniskohjertat! Läsaren och ”sk”daren, hänförda af hans underbart skapande inbildningskraft, m”ste ännu beundra den djupsinnighet och den sanna kraft, som endast är en frukt af hans stora philosophiska och i synnerhet psychologiska insigter. Man känner, at den lifligaste och mägtiska inbildningskraft ej varit tilräcklig, at fatta och framställa de höga ideer hans arbeten inneh”lla; dertil fordrades ännu en sammanstämning af andra förmögenheter, gifna i all sin styrka af naturen och tillika upodlade och utbildade genom en sorgfällig undervisning och en otröttad flit. Hans historiska skrifter bära öfver allt en stämpel af den högsta fullkomlighet. Ej blott stilens och föreställningssättets förträfflighet utmärka dem, ej blott den historiska konsten, at sammanfatta i en synpunkt de vid första p”seendet mäst skillda händelser och deras orsaker ; vi m”ste äfven tilerkänna honom den historiska riktigheten och noggrannheten, som förutsätta undersökningar, dem s”dana snillen som Hr. S. sällan underkasta sig.« Es liegt keine einschlägige Monographie über die Entwicklung des Genie-Gedankens in Schweden vor. Der schwedische Begriff »Snille« wurde von O. Sylwan in Edda 1937, behandelt; außerdem von M. Lamm, Upplysningstidens romantik, II, 1920, S. 324; A. Nilsson, Thomas Thorild, 1915, S. 87; S. Arvidson, Thorild, 1931, S. 308; J. Mjöberg, N”gra kärnord i Tegn¦rs spr”k, in: ders. Verskonst och ordkonst; neuerdings auch K. Nordström, Genius, Masculinity and Intersectionality, 2011, S. 355 – 362. Anders Lidbeck hat den schwedischen Begriff Snille explizit dem Fremdwort Genie vorgezogen. Siehe auch C. Brylla, Die schwedische Rezeption zentraler Begriffe der deutschen Frühromantik, 2003, S. 185, mit Hinweis auf das SAOB-Archiv. C. Brylla, Die schwedische Rezeption zentraler Begriffe der deutschen Frühromantik, 2003, S. 186, welche die Rezeption des deutschen Genie-Begriffs in der schwedischen Romantik untersucht hat und den Kenntnisstand der Ästhetischen Grundbegriffe mit dem der SAOB gut miteinander zu verbinden wusste, findet Höijers Zurückhaltung hinsichtlich des GenieBegriffs »erstaunlich«, enthält sich jedoch eines Erklärungsversuchs. In Journal för svensk litteratur, II, 8. Heft, S. 473, findet sich der Hinweis, dass das Schwedische einmal der »Gefahr des Thorildschen Vandalismus ausgesetzt war«. ISLH, S. 560, weist darauf hin, dass Höijer Thorild vermutlich nicht besonders geschätzt hat, was

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Die Junta und die »Bildung der Öffentlichkeit«

Geniebewegung geäußert hat, ist die implizite Ästhetik des oben zitierten Textes doch Ausdruck eines Versuchs, dem irrationalen Moment im Schaffensprozess eines Kunstwerks eine diesen disziplinierende Fakultät gegenüberzustellen. Die gesamteuropäische Diskussion hinsichtlich des Geniebegriffs, welche ihren Ursprung im England zu Beginn des 18. Jahrhunderts hatte und ab Mitte des 18. Jahrhunderts in Deutschland sukzessive in die Genieperiode des Sturm und Drang mündete, war in Schweden erst in den 1780er Jahren geführt worden. Dabei waren Thorild und Lidner laut schwedischer Literaturgeschichte die einzigen, welche dem Genieverständnis Herders, Goethes und des Sturm und Drang folgten. Der Streit, welcher sich diesbezüglich zwischen Kellgren und Thorild entspann, ist vermutlich die wichtigste Diskussion in Sachen Literatur und Ästhetik in den 1780er Jahren. Höijer hat ausschließlich den Begriff »snille«, niemals den Begriff »Genie« verwendet, und auch jenen eher selten, und dann nicht so ausdrücklich und eingehend wie im vorliegenden Fall. Voltaire z. B., dessen Roman L’ Ing¦nu einige Jahre später in Journal för svensk litteratur (1798, 8. Heft, S. 467) besprochen wurde, sei, so der Rezensent, seinerzeit noch als Genie (snille) angesehen worden, könne jedoch »heute« nicht mehr zu den »ersten« Dichtern gerechnet werden, wenngleich einige seiner historischen Arbeiten sowie einige Erzählungen, welche in Deutschland kritisiert wurden, vor dem Vergessen gefeit seien.580 Wenn die Degradierung des literarischen Abgottes der vorhergehenden Generation die Darstellung Schillers umso gewichtiger erscheinen lässt, dann signalisiert der Rezensent mit seiner Wertschätzung der Erzählungen Voltaires und seine Abgrenzung von dessen Kritikern in Deutschland gleichzeitig eine Stellungnahme zu den positiven Werten der Aufklärung, die gerade in der Gestalt Voltaires in der deutschen Aufklärungskritik häufig karikiert worden sind. Schiller wird Genie nicht nur als Historiker, sondern auch als Dichter und Philosoph zugeschrieben. Dabei hatte schon Jean-Baptiste Du Bos, ein in Schweden geschätzter Autor, in deutlicher Abkehr vom Renaissanceideal des uomo universale die Notwendigkeit der Spezialisierung des Genies, welches ihm zufolge auf spezifische Fähigkeiten hin angelegt war, für unausweichlich gehalten.581 Ihm ist die Meisterschaft im Unterschied zum späteren Genie-Gebaren er auf eine Prägung durch Neikter zurückführt. Wahrscheinlicher scheint mir zu sein, dass Höijer als Kant-Anhänger Thorild genauso wenig schätzen konnte, wie Herder. 580 Die Bewertung Voltaires in der schwedischen Literaturzeitung folgt derjenigen Schillers in Über naive und sentimentalische Dichtung, welcher ebenfalls L’ Ing¦nu als gelungenstes Werk ansah, gleichzeitig wie er Voltaire wirkliches Genie, und zwar aus Mangel an Herz und Ernsthaftigkeit, absprach. 581 J.-B. Du Bos, R¦flexions critiques sur la poÚsie et sur la peinture, 1967, S. 157. »Les hommes qui sont n¦s avec un g¦nie d¦termin¦ pour un certain art, ou pour une certaine profession, sont les seuls qui puissent y r¦ussir ¦minemment; mais aussi ces professions et ces arts sont

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des Sturm und Drang nur durch die Ausbildung aller Möglichkeiten des Metiers zu erlangen. Mit wissenschaftlicher Nüchternheit definiert er das Genie als »arrangement heureux des organes du cerveau, dans la bonne conformation de chacun de ces organes, comme dans la qualit¦ de sang […]«582 Noch deutlicher als Du Bos wandte sich Charles Batteux von der bereits Mitte des 18. Jahrhunderts erscheinenden Geniebegeisterung ab: Le G¦nie n’est pas, comme on le croit commun¦ment, […] un feu violent qui emporte l’–me, et la mÀne au hasard. Ce n’est point une force aveugle qui opÀre machinalement, une source qui jette ses flots et qui les abandonne. C’est une raison active qui s’exerce avec art sur un objet, qui en recherche industrieusement toutes les faces r¦elles, […].583

Höijer folgt jedoch nicht dem Erklärungs- und Disziplinierungsversuch des Geniebegriffes bei Du Bos oder Batteux, sondern einer zeitgenössischen Variante, das irrationale Moment des Schöpferischen in seine Schranken zu weisen. Es handelt sich nämlich in der vorliegenden Textpassage um die erste schriftlich fixierte Applikation der ästhetischen Terminologie Kants in Schweden auf einen konkreten Einzelfall. Höijer betont die notwendige »Zusammenstimmung« des von der Natur gegebenen Talents mit dem durch Unterricht und Fleiß Erlernten. Die Verwendung des Wortes »sammanstämning« (Zusammenstimmung) in seiner typisch Kant’schen Bedeutung ist neu in Schweden und wurde der Kritik der Urteilskraft im § 9 zur Bezeichnung des »freien Spiels« der Vermögen Einbildungskraft und Verstand verwendet.584 Der schwedische Philosoph folgt in seiner deutlichen Abgrenzung von der Sturm-und-Drang-Ästhetik Kant, wenn dieser in der Kritik der Urteilskraft in § 47 die Bedeutung des »Fleißes«, der »Erlernung«, und des »Schulgerechten« als »wesentliche Bedingung der Kunst« ausmacht. In seinem Gyllenborg-Aufsatz schreibt Höijer : »Das Genie [snille] kann deshalb durch das Studium zur Wirksamkeit erweckt werden, oder eine mit Reflexion verbundene Anschauung von schönen Mustern […]«585 Dies deckt sich mit Kants Vorstellung der

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les seuls o¾ ils puissent r¦ussir. Ils deviennent des hommes au-dessous du m¦diocre, aussitút qu’ils sortent de leur sphÀre.« Zitiert nach W. Tatarkiewicz, History of Aesthetics, III, 2005, S. 440. C. Batteux, Cours de belles-lettres, zitiert nach J.-P. Perchellet, L’h¦ritage classique. la trag¦die entre 1680 et 1814, 2004, S. 31. I. Kant, Kritik der Urteilskraft, 1974, S. 56. SAOB notiert als erstes Beispiel eine Schrift von Boethius von 1797. Auch das Schlagwort »Einbildungskraft«, welches im Laufe des 18. Jahrhunderts in Schweden geläufig wurde, nimmt in Höijers Schiller-Rezension zum ersten Mal die Kant’sche Gestalt an. SAOB (S. 1292) nennt Tegn¦rs philosophische Schriften (ab ungefähr 1806) als ersten Erscheinungsort der Kant’schen Verwendungsform der Einbildungskraft. G. Ljunggren (SVH) wies diesbezüglich auf Höijers im gleichen Jahr verfassten Aufsatz Om de Gamlas och Nyares Vitterhet och Vältalighet i jämförelse med hvarandra hin. Siehe auch C. Brylla, Die schwedische Rezeption zentraler Begriffe der deutschen Frühromantik, 2003, S. 184 ff. B. Höijer, Samlade skrifter, 1827, S. 477.

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»musterhaften Produkte« und Schillers Auffassung, dass Kunst exemplarisch sein müsse. Die jeweilige Position wird mit deutlicher Spitze gegen die Stürmer und Dränger vorgetragen, z. B. wenn Kant schreibt: Da nun die Originalität des Talents ein (aber nicht das einzige) wesentliches Stück vom Charakter des Genies ausmacht, so glauben seichte Köpfe, daß sie nicht besser zeigen könnten, sie wären aufblühende Genies, als wenn sie sich vom Schulzwange aller Regeln lossagen und glauben, man paradiere besser auf einem kollerichten Pferde als auf einem Schulpferde.586

Der Aufklärer Kant war darum bemüht, die irrationalistischen Gefahren, die er im Genie-Begriff entdeckt, zu bannen.587 Einerseits, indem er das Genie an die Regeln verwies, andererseits, indem er die Unterscheidung von Kunst und Handwerk einebnete. Der Kunst wohnt, wie dem Handwerk, etwas Mechanisches inne, »welches nach Regeln gefaßt und befolgt werden kann.«588 Letztendlich steht der Genie-Begriff jedoch in der Ästhetik Kants genauso wenig im Zentrum, wie in der Ästhetik Schillers, und diese Marginalisierung des Genies eignet auch der Ästhetik Höijers, soweit sie verschriftlicht wurde. Umso auffälliger ist die Insistenz auf den Geniebegriff gerade bei Schiller in den Zeitschriften der Junta und den Rezensionen und Aufsätzen Höijers.

5.

Schiller in Journal för svensk litteratur (1797 – 1801)

Gustav Abraham Silverstolpe, welcher die Litteratur-tidning 1797 vermutlich aus Mangel an öffentlichem Interesse, d. h. aus ökonomischen Gründen, einstellen musste, gab noch im gleichen Jahr ein neues Rezensionsorgan heraus. Die von 1797 bis 1801 monatlich mit ca. 64 Seiten, danach unregelmäßig bis 1812 erscheinende Zeitung Journal för svensk litteratur widmete sich im Unterschied zu Litteratur-tidning in größerem Maße der schönen Literatur, und zwar der schwedischen und der in schwedischer Übersetzung vorliegenden, und war einem breiteren gebildeten Publikum zugänglich als Litteratur-tidning. Als kritisches Journal wollte Journal för svensk litteratur vor allem eine Alternative zu StP bieten, die seit Kellgrens Tod 1795 einen deutlichen Niveauverlust erlitten hatte, worauf von Silverstolpe ausdrücklich hingewiesen wurde.589 Es ist dies der Beginn der reaktionären Politik Gustaf IV. Adolf und der von Hammarsköld rückblickend so genannten »Eisenjahre«, ein Sachverhalt, der vom Rezensenten von Julius August Remers Den historiska verldens tilst”nd i dess särskilda ti586 587 588 589

I. Kant, Kritik der Urteilskraft, 1974, § 47, S. 164. P. Bürger, Zur Kritik der idealistischen Ästhetik, 1983, S. 104 ff. I. Kant, Kritik der Urteilskraft, 1974, § 47, S. 163. B. Liljekrantz, Benjamin Höijer, 1912, S. 138.

Schiller in Journal för svensk litteratur (1797 – 1801)

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dehvarf (dt. Der Zustand der historischen Welt in seiner jeweiligen Zeit), es handelt sich vermutlich um Höijer oder Silverstolpe selbst, sorgfältig registriert wurde: In einer Zeit, in welcher unsere Druckereien fast nichts hervorbringen als Übersetzungen, und in welcher, aus Mangel an literarischer Aufmunterung von unserer dieser beinahe ganz abgewandten Öffentlichkeit, unsere Originalautoren entweder ihre Federn niedergelegt haben, oder sich mit dem Zusammensetzen von Kleinstschriften für den Tag begnügen, ist es ein wirkliches Verdienst des Verlegers, der Öffentlichkeit ein solches Buch vorzulegen. Wenn dasselbe nicht abgesetzt wird, so ist dies nur ein weiterer Beweis für die Leichtsinnigkeit unseres Publikums, das beim bloßen Gedanken an andere Zwecke der Lektüre, als das Vergnügen der Stunde, abgeschreckt wird. Aber sollte der Gewinn einer Arbeit wie dieser ganz gering sein, sollte man doch vom Übersetzer und vom Verleger den Patriotismus fordern, nicht zu resignieren: jedes neue Buch von Wert soll dem Begriff und dem Geschmack der Öffentlichkeit aufhelfen, und wenn diese einmal gebildet (odlad) sein wird, kann sie sicher mit einer Belohnung ihrer Geduld rechnen.590

Zur Charakterisierung des »Geistes« des Journal för svensk litteratur wird in den Literaturgeschichten stets auf Höijers Gyllenborg-Rezension hingewiesen, eine der umfassendsten Kritiken dieser Zeitschrift, in welcher der Rezensent vom Standpunkt einer »Idealästhetik« Kant’scher und Schiller’scher Provenienz das vom schwedischen Dichter vertretene »Imitationsprinzip« kritisierte.591 Diese Rezension ist jedoch eine Ausnahme in der Zeitschrift, in welcher, trotz einer immer wieder durchscheinenden Skepsis gegenüber der Inflation der Romanliteratur und deren Lektüre, derselben eine große Anzahl von Rezensionen gewidmet wurde. Dies zeigt sich schon im ersten Heft, in welchem zwei heute gänzlich unbekannte deutsche Romane von Johann G. Müller und Friedrich Schulz rezensiert werden. Hanna Östholm machte auf den vermeintlichen »Widerspruch« aufmerksam, dass einerseits immer wieder kritische Töne gegen die Kommerzialisierung des Lesens durch den Roman verlautet (Journal för svensk litteratur, 1797, Bd. I, 1. Heft, S. 7), andererseits eine große Anzahl von Romanen rezensiert wurde. Sie schlussfolgert, dass Silverstolpe einen ökono590 Journal för svensk litteratur, 8. Heft, S. 477: »I en tid d” v”ra prässar nästan icke frambringa annat än öfversättningar, och d”, under brist p” en litterär upmuntran af v”r derifr”n nästan alldeles afvända allmänhet, v”re originalförfattare antingen nedlaggt sina pennor, eller inskränka sig inom sammansättningen af sm”skrifter för dagen, är det en verkelig förtjenst hos förläggaren at skaffa allmänheten en s”dan bok som denna. Om den ej vinner afsättning, är det et nytt prof p” lättsinnigheten hos v”r publik, som afskäckes vid blotta ”tankan af et annat ändam”l för läsning, än ögonblickets nöje. Men skulle än vinsten p” et arbete som detta vara ganska ringa, bör man dock fordra af öfversättarens och utgifvarens patriotism, at de ej tröttna. Hvarje ny bok af värde skall uphjelpa allmänhetens begrep och smak, och när dessa hunnit odlas, kunna de med visshet räkna p” belöningen för sin ihärdighet.« 591 NISLH, II, 1956, S. 570. Die Rezension wurde in B. Höijer, Samlade skrifter, IV, 1827, S. 466 – 490, abgedruckt.

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mischen Kompromiss eingegangen sei: Die Romane, für welche er mit Rezensionen warb, konnte er in seiner Buchhandlung verkaufen. Dieser Verdacht scheint mir angesichts der Tatsache unbegründet, dass Journal för svensk litteratur von den Zeitgenossen als außerordentlich kritisch angesehen wurde (NISLH, II, 570), und sich diese Kritik auch gegen einzelne Romane wandte. Im Vergleich zu Höijers Gyllenborg-Rezension verbleiben die Romankritiken zwar in einer abstrakten und vagen Begrifflichkeit;592 bei genauerer Betrachtung zeigt sich aber doch ein durchgehender Bewertungsmaßstab für die Romanliteratur : den des Realismus. Mit deutlich positiver Konnotation wird in diesen Rezensionen registriert, ob die Handlung eine »alltägliche« und die Charaktere »der wirklichen Welt« entnommen seien, »treu« nach der Wirklichkeit »gemalt«, und der Autor eine »tiefe Kenntnis der Menschen« habe. Kritisiert werden dagegen, wie im Falle Kotzebues, »Unglaubwürdigkeiten«, ein Mangel an Menschenkenntnis und eine unzureichende motivische Verknüpfung der Handlung.593 Keine Beurteilungskategorie war eine wie auch immer zu verstehende »moralische Bewertung«,594 die sich weder in der Beurteilung der Romanliteratur noch der Werke Schillers bemerkbar macht. »Realismus«, führt Ian Watt aus, ist »the defining characteristic which differentiates the work of the early eighteenth-century novelists from previous fiction«.595 Previous literary forms had reflected the general tendency of their cultures to make conformity to traditional practice the major test of truth […] The novel is thus the logical literary vehicle of a culture which, in the last few centuries, has set an unprecedented value on originality, on the novel […] It is significant that the trend in favor of originality found its first powerful expression in England, and in the eighteenth century ; the very word ›original‹ took on its modern meaning at this time, by a semantic reversal which is a parallel to the change in the meaning of ›realism‹.[…] This

592 Auch in NISLH, II, 1956, S. 569 – 570, wurde darauf hingewiesen, dass Journal för svensk litteratur nicht im gleichen Maße wie Litteratur-tidning einen »ideenmäßigen Charakter« hätte, weil Höijer nicht mehr für die Hauptmasse der Kritiken stand. 593 Journal för svensk litteratur, 1798, S. 101. 594 B. Liljekrantz, Benjamin Höijer, 1912, S. 170, sieht das Journal in engen moralischen Beurteilungsmaßstäben der Aufklärungskritik gefangen. Diese Auffassung scheint mir in zweierlei Hinsicht falsch: einerseits ist die Kritik des Journals selten moralisch, hat in der Beurteilung der Räuber sogar einen dezidiert nicht-moralischen Standpunkt, andererseits ist die Aufklärungskritik zu eng gefasst, wenn diese mit einer moralisierenden Kritik gleichgesetzt wird. Auch M. Björkman weist in Läsarnas Nöje (S. 365) auf eine Rezension in Journal för svensk litteratur (1801) über die erste schwedische Übersetzung eines RadcliffeRomans hin, in welchem kein »moralisch-didaktisches Maß« mehr an den Roman angelegt wird. Ob die Silverstolpe’sche Redaktion jedoch generell die Lektüre als reinen Zeitvertreib gutgeheißen hat, wie Björkman schlussfolgert, halte ich für fragwürdig. Warum wurden dann so viele Romanautoren,wie z. B. August Lafontaine, kritisiert? 595 I. Watt, The rise of the novel, 1987, S. 10.

Schiller in Journal för svensk litteratur (1797 – 1801)

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literary change was analogous to the rejection of universals and the emphasis on particulars which characterizes philosophic realism.«596

Der Roman als realistischer verbindet sich also mit einem Interesse am Partikularen, d. h. dem Charakteristischen und Individuellen, und paradoxerweise auch mit der Betonung der Originalität. Genau an dieser Stelle der Entwicklung der ästhetischen Theorie befindet sich die Zeitschrift Silverstolpes, wie folgendes Textbeispiel aus der Rezension von J. G. Müllers Die Herren von Waldheim zeigt: Es ist nicht der Reichtum der Phantasie oder das Wilde, nicht das Ungewöhnliche der Charakteren, nicht die unerwarteten und erstaunenswerten Handlungen, wodurch dieser Autor es versteht, die Aufmerksamkeit des Lesers zu gewinnen und zu unterhalten. Die Charaktere sind alle der wirklichen Welt entliehen, die Ereignisse dergestalt, wie sie täglich geschehen, aber mit der Hand eines Meisters gezeichnet, der die gewiss nicht leichte Kunst versteht, auch dem Gewöhnlichsten Leben, Interesse und Originalität zu geben.597

Die Ablehnung der »Phantasie«, des »Wilden« und »Ungewöhnlichen« weist zwar auf eine Distanzierung von extremen Formen des Sturm und Drang hin; gleichzeitig ist jedoch das Bekenntnis zum »Leben«, des »Interesses« und der »Originalität« ein Bekenntnis zu gemäßigteren Formen des Sturm und Drang, während der Hinweis auf die »wirkliche« Welt die Verwurzelung im Klassizismus dokumentiert. Dies grenzt solche Rezensionen auch von der nachfolgenden Romantik ab, welche mit Friedrich Schlegels Über das Studium der griechischen Poesie als Vorbild das Verdikt gegenüber dem »Interessanten« und »Originellen« aussprach (siehe Kapitel XIII) und der »Phantasie« eine exponierte Stellung in der ästhetischen Konzeption zusprach. Wichtige Schiller-Übersetzungen wurden sowohl in StP als auch in Journal för svensk litteratur rezensiert. In der Regel druckte StP jedoch lediglich Auszüge aus den übersetzten Texten, was zum damaligen Zeitpunkt durchaus noch üblich war, und führte den Leser mit einigen einleitenden Zeilen an den Dichter heran. Das Journal för svensk litteratur setzte dagegen die Kenntnis von Schiller, seinem Werk und dessen Bedeutung beim Publikum voraus. Ein weiterer bedeutsamer Unterschied in der Rezensionsweise der beiden Periodika liegt darin, dass StP von der Übersetzung ausging, während Journal för svensk litteratur die Über596 Ebd. S. 13 ff. 597 Journal för svensk litteratur, 1797, I, 1. Heft, S. 7: »Det är icke Phantasiens rikedom eller vildhet, ej det ovanliga i Caracterer, icke det oväntade och förv”nande i händelser, hvarigenom denne Författare vet at vinna och fästa sina Läsares upmärksamhet. Caracterne äro alle l”nte ur den verkliga verlden, händelserna s”dana, som dagligen förefalla, men teknade med en Mästares hand, som först”tt den visst icke lätta konsten, at äfven ”t det mäst vanliga gifva lif, interesse och originalitet.«

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setzung stets mit dem Original verglich. In Silverstolpes Journal wurde auf Inhaltsangaben und Textausschnitte verzichtet und die kritische Reflexion des rezensierten Textes in den Mittelpunkt gestellt, in Schillers Fall dem Problem der Übersetzung: Kaum ein Übersetzer mit einem gesicherten Geschmack, mit einem gereiften Verständnis und sicheren Kenntnissen in beiden Sprachen würde sich ohne Angst, das Original zu entstellen, an die Übersetzung von eines von SCHILLERS vornehmsten Arbeiten wagen. Je mehr Originalität im Genie eines großen Autors, je größer seine Macht ist über seine eigene Sprache, gleichsam über die Denkweise seiner aufmerksamen Leser ; desto mehr muss er sogar bei einer guten Übersetzung verlieren. Die Einbildungskraft des Übersetzers darf nicht weit hinter der des Verfassers zurückbleiben und mit dieser analog sein, und seine Stärke in seiner eigenen Sprache muss beinahe größer sein, insofern er ein geringerer Meister über den Gedanken ist, welchen er treu ausdrücken muss ohne diesen nach Gutdünken sprachlich zu modifizieren. Kaum hätte SCHILLER selbst die gleichen Gedanken gehabt oder wäre auf die gleichen Details verfallen, wenn er Schwedisch geschrieben hätte.598

Eine noch radikalere Haltung hinsichtlich der Unübersetzbarkeit Schiller’scher Texte nimmt der Rezensent der schwedischen Übersetzungen von Die Räuber (Röfvarbandet) und Kabale und Liebe (Cabale och Kärlek) ein, wenn er meint, dass wer sich an die Übersetzung so »origineller Werke« wie die Schiller’schen Trauerspiele wage, seine Mühe lieber gleich auf das Verfassen von Originalwerken verwenden sollte. Die Skepsis hinsichtlich der Übersetzbarkeit von Schillers Texten wird in den Zeitschriften der Junta keineswegs pauschal an literarische Texte herangetragen. Übersetzungen werden zwar häufig gerügt, nie jedoch wird die Unübersetzbarkeit eines Textes postuliert: Diesbezüglich genießt Schiller eine Sonderstellung in der Kritik der Junta. Schillers Unübersetzbarkeit rühre von seiner »Originalität« her, ein Begriff, welcher zwar in den Silverstolpe’schen Zeitschriften häufig verwendet wurde, nie jedoch mit dem gleichen Nachdruck wie im Kontext Schillers. Bis zu diesem Zeitpunkt wurden in Schweden kaum Unterschiede zwischen Original und Imitation gemacht – »between ›originals‹, ›imitations‹, ›free translations‹,

598 Journal för svensk litteratur, 1797, I, 2. Heft, S. 72: »Knapt skulle en öfversättere af den mest stadgade smak, af de mest mognade insigter och den säkraste kännedom af bägge spr”ken, utan fruktan at vanställa sitt original, kunna företaga öfversättningen af et af SCHILLERS förnämsta arbeten. Ju mer originalitet i en stor författares snille, ju större hans magt är öfver sit eget spr”k, liksom öfver sina upmärksamma läsares tänkesätt; ju mera m”ste han förlora til och med vid en god öfversättning. Öfversättarens inbildningskraft m”ste ej mycket eftergifva Författarens egen och vara dermed analog, och hans styrka i sit eget spr”k vara nästan större, s” vida han är mindre mästare öfver sjelfva tankan, hvilken han m”ste troget uttrycka utan at efter behag s” modifiera den efter spr”ket. Knapt torde SCHILLER sjelf ägt alldeles samma tankar eller fallit p” samma detaljer, om han skrifvit p” svenska.«

Schiller in Journal för svensk litteratur (1797 – 1801)

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›translations‹, the limits are floating«599. Übersetzungen hatten fast den gleichen »Status« wie »Originalwerke« und Übersetzer verwendeten wenig Mühe darauf, den »Originaltext« zu bewahren. Der übersetzte Roman konnte sich deshalb zu dieser Zeit beträchtlich von seinem Original unterscheiden. U. C. Widström z. B. fügte der Übersetzung des Räuberromans Victor eller Skogsbarnet eigene Gedichte bei, was nach allgemeiner Ansicht den Wert des Buches erhöhte.600 Die Verwendung des Originalitätsbegriffs in dieser Zeitschrift setzt also einen neuen Standard in der literarischen Kritik Schwedens, wo der Begriff eine späte und auch dann noch geringe Verbreitung fand. Erst mit Sulzers 1771 – 1774 erschienenem Werk Allgemeine Theorie der schönen Künste und dem dort publizierten Originalwerk-Artikel dürfte das Schlagwort Eingang in die schwedische Diskussion gefunden haben. Dies bestätigt noch einmal die andernorts getätigte Feststellung, dass der Originalitätsbegriff »wie kaum ein anderer dazu geeignet [ist], geschichtliche Markierungen, Epochengrenzen in einer Makroperiodisierung der neueren Kultur- und Literaturgeschichte sichtbar zu machen«.601 Eine solche Epochengrenze stellen die 1780er und 1790er Jahre in Schweden dar, in welchen sich die konzeptuelle Realität als Folge von Veränderungen der sozialen und kulturellen Wirklichkeit in Bewegung setzte – und die Insistenz auf diese ästhetische Kategorie weist gerade im Zusammenhang mit Schiller auf seine Vorbildfunktion bei der Ablösung vom gustavianisch-klassizistischen Geschmack hin.602 Die Sonderstellung des deutschen Klassikers in Schweden wird aber nicht nur durch Schillers Tiefenwirkung auf das literarische Leben in Schweden über die Verschiebung der konzeptuellen Verfasstheit ästhetischer Fragestellungen dokumentiert, sondern auch durch die schiere Quantität der Schiller-Rezensionen. Wenn man bedenkt, dass über Goethe und Lessing jeweils nur eine Rezension erscheint, und dass ansonsten Besprechungen August Lafontaines, Johann G. Müllers und August von Kotzebues Bücher deutlich dominieren, dann ist die Durchschlagkraft Schillers umso auffallender. Folgende Rezensionen über und Übersetzungen von Schillers Werk sind erschienenen: – Rezension: Bd. I, 2. Heft, Historia om Trettio-æriga Kriget (dt. Der Dreißigjährige Krieg), Teil 1 – 3; – Rezension: Bd. II, 1. Heft Teil 4; Bd. II, 8. Heft Lefvernesbeskrifninger (dt. Lebensbeschreibungen); – Rezension: Bd. III, 2. Heft Ande-sk”daren (dt. Der Geisterseher), Erster Teil; – Rezension: Bd. IV, 8. Heft Ande-sk”daren, Zweiter Teil; 599 600 601 602

M.-C. Skuncke, Sweden and European Drama, 1981, S. 20. E. Tykesson, Rövarromenen och dess hjälte, 1942, S. 161. Geschichte der deutschen Literatur, 1996, Einleitung, S. XXII. Siehe H. Östman, Gustavian non-academic criticism 1772 – 1809, 2000, S. 47.

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Die Junta und die »Bildung der Öffentlichkeit«

– Rezension: Bd. IV, 9. Heft Rövarebandet (Die Räuber) und Cabale och Kärlek (Kabale und Liebe). – Übersetzung: Bd. I, 2. Heft (S. 116 – 117) Jordens delning (dt. Die Theilung der Erde); – Übersetzung: Bd. II, 6. Heft (S. 375 – 376) Trons ord (dt. Die Worte des Glaubens). Die Bedeutung Schillers im Kreis der Junta wird auch dadurch unterstrichen, dass in Journal för Svensk litteratur, das normalerweise keine Gedichte abdruckte – es finden sich insgesamt nur fünf Gedichte in dem Journal – auch zwei Gedichte Schillers in schwedischer Übersetzung zu finden sind.

6.

Der Begriff »Bildung« in den Zeitschriften der Junta

Neben den Begriffen »Originalität« und »Individualität«, die hauptsächlich im Zusammenhang mit Schiller und der Kritik von Romanen figurieren, ist das Wort »Bildung«, welches bekanntlich eine »spezifisch deutsche Wortprägung [ist], die es außerordentlich erschwert, Äquivalente in anderen Sprachen zu finden«,603 der auffälligste Terminus, welcher insbesondere in den Rezensionen und Aufsätzen Höijers zu finden ist. Eine eingehende Untersuchung der Rezeption des Bildungs-Begriffs in Schweden aus dem Deutschen und die wechselseitige Färbung dieses Begriffs mit dem schwedischen Begriff der »odling« bzw. der »uppodling« ist bislang Forschungsdesiderat, ein Mangel, welcher durch vorliegende Beobachtungen und Überlegungen keineswegs ersetzt werden kann. Das Verb »odla« entspricht in seiner ursprünglichen Bedeutung dem lateinischen Verb »cultivare« (dt. hegen, bebauen, pflegen) und hat seinen natürlichen Ort im landwirtschaftlichen Milieu, so wie das Substantiv »odlare« (dt. Bauer, Landwirt, Züchter) und uppodling (dt. Urbarmachung, Neubruch).604 Hanna Östholm weist in Übereinstimmung mit SAOB auf Benjamin Höijers 603 R. Koselleck, Begriffsgeschichten, 2006, S. 109. Stets wird auf das Fehlen eines dem deutschen Bildungsbegriff adäquaten Begriffs in anderen Sprachen hingewiesen, wobei offensichtlich an die großen Kultursprachen, das Englische und die romanischen Sprachen, gedacht wird. Anders verhält es sich im Schwedischen: Dort findet der schwedische Begriff »odling«, welcher durchaus ein ähnliches Konnotationsfeld aufweist wie der deutsche Begriff der »Bildung«, Verwendung. Gustaf av Leopold verwendete in seiner GeschmacksSchrift außerdem den Begriff »daning«, welcher sich jedoch nicht durchgesetzt hat. Zusätzlich dazu wurde aber auch noch der Begriff »bildning« aus dem Deutschen importiert, womit das gleiche semantische Spektrum abgedeckt wird, wie mit seinem deutschen Pendant. 604 Siehe The Cultural Construction of Norden, 1997. Hier wird die bedeutsame Rolle des Ackerbaus und der Bauern für die Aufklärung in Skandinavien betont.

Der Begriff »Bildung« in den Zeitschriften der Junta

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Verwendung der Begriffe »odling«, »odlad« und »uppodling« in der neuartigen Bedeutung von »Bildung« und »Kultur« hin, womit er quasi im Alleingang diesen Begriffen den Weg in die schwedische Sprache bahnte.605 Im Folgenden drei frühe Beispiele: – Om et Pragmatiskt Afhandlingssätt i Historien (dt. Über eine pragmatische Geschichtsschreibung, in: Litteratur-tidning, 1795, S. 484), ein Originaltext Höijers, der vermutlich von Schiller beeinflusst wurde, spricht er von einer »odlade allmänheten« (dt. gebildeten Öffentlichkeit). – Om de Gamlas och de Nyares Vitterhet och Vältalighet i jämförelse med hvarandra (dt. Über die Literatur der Alten und Neuen im Vergleich zueinander, 1796), ein Text, in welchem Schiller zitiert wird und der deutlich Einflüsse von diesem aufweist. »Utan säkerhet för sina rättigheter kan människan ej vinna en högre odling.« (dt. Ohne Sicherheit für seine Rechte kann der Mensch keine höhere Bildung erlangen)606 – In Försök at förklara uphofvet til skön konst och dess första arter (dt. Versuch, die Entstehung der schönen Kunst und deren erste Arten zu erklären) führt Höijer aus,607 dass die Menschheit sich von anderen Lebewesen unterscheide kraft ihrer »odling« oder zumindest dank »der Möglichkeit, die sie in ihrer Natur trägt nicht nur zu empfangen, sondern diese sich selbst zu geben.« Die genannten drei Beispiele bezeichnen eine sukzessive Bedeutungsveränderung des odling-Begriffs in Anlehnung an die Entwicklung des deutschen Bildungsbegriffs: von der allgemeinen Bildung, über die »höhere Bildung« zur Selbst-Bildung. Erst das dritte und späteste Beispiel entspricht dem voll entwickelten deutschen Bildungsbegriff, der dadurch gekennzeichnet ist, »daß er den Sinn einer von außen angetragenen Erziehung, der dem Begriff im 18. Jahrhundert noch innewohnt, in den Autonomieanspruch umgießt, die Welt sich selbst einzuverwandeln. Insofern unterscheidet sich Bildung grundsätzlich vom englischen ›education‹.«608 Hanna Östholm, die sich in ihrer Arbeit Litteraturens uppodling explizit dem gemeinsamen Projekt der »Bildung« oder »Heranbildung« (odling, uppodling) der Öffentlichkeit in Journalen wie Litteratur-tidning und Journal för svensk litteratur widmet, hat den außerordentlich interessanten Tatbestand nicht in Betracht gezogen, dass Höijer zusehends dem schwedischen Begriff »odling« 605 H. Östholm, Litteraturens uppodling, 2000, S. 25. 606 B. Höijer, Samlade Skrifter, 1825 – 1827, I, S. 227, S. 235. Am frühesten wäre den Angaben der SAOB (S. 215) zufolge das Wort »odling« in seiner Bedeutungsschicht Bildung 1796 bei Höijer anzutreffen (B. Höijer, IV, 1796, S. 164). 607 Ebd. S. 243 – 305. Es handelt sich hierbei um einen nie vollendeten Aufsatz- oder Vorlesungstext, dessen Entstehung von Liljekrantz auf vor 1804 gelegt wurde. 608 R. Koselleck, Begriffsgeschichten, 2006, S. 110.

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Die Junta und die »Bildung der Öffentlichkeit«

den Begriff »bildning« (Bildung) zur Seite stellt, diesen »größten Gedanken des 18. Jahrhunderts«.609 SAOB gibt für das früheste Beispiel der konkreten Bedeutung einer vielseitigen Bildung der für das Leben wichtigen Kenntnisse verbunden mit Seelenadel und verfeinerten Sitten Litteratur-tidning 1796 (S. 136) mit dem Beispiel an: »Väljer jag […] et St”nd, s” inskränker jag mig til en ensidig bildning.« (dt. Wähle ich […] einen Stand, so schränke ich mich auf eine einseitige Bildung ein).610 Es handelt sich hierbei um die Rezension von Fichtes Einige Vorlesungen über die Bestimmung des Gelehrten (1793). In diesen Vorlesungen sucht der deutsche Philosoph den höchsten Trieb des Menschen nach Identität mit sich und der Umwelt, aus welchem das Gesetz emaniert: »bilde alle deine Anlagen vollständig und gleichförmig aus« und: »unterwirf die Natur deinen Zwecken«, mit der gesellschaftlichen Notwendigkeit zu vereinen, einen Stand zu wählen und damit eine einseitige Bildung.611 Die Belegstellen erlauben keine Differenzierung bezüglich der Semantik der beiden Begriffe »odling« und »bildning«. Textstellen, in welchen beide Begriffe verwendet werden, könnten allerdings einen Anhaltspunkt für eine gewisse semantische Nuancierung geben, so z. B. die Rezension zu Versuch über die Heiligkeit des Staats und die Moralität der Revolutionen von H. K. Heydenreich: Ohne Sicherheit für seine Rechte kann der Mensch keine höhere Bildung [odling] erlangen. Moralische Bildung [bildning] und Entwicklung aller höheren Anlagen der Menschheit ist das Ziel, hinsichtlich dessen der Staat für jedermann heilig sein sollte. Der Mensch ist verpflichtet, den unaufhörlichen Fortschritt der Menschheit zu einer wahren Veredlung […] und diese zu einem Punkt zu führen, wo kein Band einer Staatsverfassung nötig ist.

Der Ausdruck »moralische Bildung« (bildning) könnte darauf hinweisen, dass der Bildungsbegriff sich anschickte, für eine harmonische Bildung des »ganzen Menschen« jenseits von einer funktionalistischen Auffassung der Bildung ver609 H.-G. Gadamer, Wahrheit und Methode, 1990, S. 15. H. Östholm, Litteraturens uppodling, formuliert paradox: »Odling, odlad och uppodling har använts i betydelsen av bildning och kultur sedan 1790-talet och tycks dessutom i viss utsträckning ha funnit sin väg in i svenska spr”ket genom Benjamin Höijer och Journal för svensk litteratur.« (S. 25) Sie benutzt die Begriffe »Bildung« und »Kultur« zur Erklärung von »odling«, als ob die ersteren bereits dagewesen seien, als der letztere im Schwedischen gebräuchlich wurde. Dabei sind alle drei Begriffe gleichzeitig im Schwedischen »aufgetaucht« – dieser Befund von SAOB wird durch meine Untersuchung bestätigt. Das Herausgreifen eines dieser drei Begriffe, nämlich »odling«, ohne gleichzeitige Behandlung der beiden Parallelbegriffe scheint mir eine irreführende Vorgehensweise. Ein Hinweis auf die Novität des Begriffs »odling« in der Bedeutung von »Bildung« ist auch die oben zitierte Rede Ros¦ns (siehe das Unterkapitel »Witterhets Samfundet« und die deutsche Literatur), wo dieser Meisner, Salzman und Campe als Gesetzesgeber der »Erziehung« bezeichnet. 610 SAOB, S. 2565 ff. 611 Fichtes Werke, VI, 1971, S. 318.

Der Begriff »Bildung« in den Zeitschriften der Junta

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wendet zu werden. Auch im obigen Zitat der Schiller-Charakterisierung (siehe Kapitel VI:4) wurden beide Begriff verwendet: »[…] dazu erfordert es die Zusammen-stimmung mit noch anderen Vermögen, in aller Stärke von der Natur gegeben und ebenso aufgezogen [upodlade] und ausgebildet [utbildade] durch sorgfältigen Unterricht und unermüdlichen Fleiß.« Dieses Beispiel scheint darauf hinweisen, dass »uppodlad« die Bedeutung der von außen kommenden Erziehung zukam, und »utbildad« die Bedeutung der von innen kommenden Bildung, die Selbst-Bildung, erhielt.612 Neben der semantischen Distinktion zwischen »odling« und »bildning« muss aber auch ein gleichsam banalerer Grund für die Verwendung des bildning-Begriffs parallel zum odling-Begriff angenommen werden: Die früheste Verwendung des bildning-Begriffs begrenzt sich auf Rezensionen deutscher Autoren wie Fichte, Schiller und Heydenreich. Dies erlaubt die Schlussfolgerung, dass der Begriff anfänglich lediglich die Übersetzung eines Schlagworts aus dem terminologischen Fundus der rezensierten deutschen Autoren darstellt. In einer Anmerkung weist SAOB auf die früheste deutsche Verwendung hin, die sich bei Herder in Ueber die neuere Deutsche Litteratur (1768) findet und führt über die hier anvisierte Bedeutungsschicht (Entwicklung aller seiner geistigen Kräfte und die Veredelung und Verfeinerung seiner Sitten) aus: Sie scheint, wie die entsprechende Bedeutung von gebildet (siehe bildad) und bilden (siehe bilda), zunächst oft von den Neuhumanisten, besonders Herder und Goethe, verwendet worden zu sein. Diese wollten mit Bildung eine reichere, tiefere, vielseitigere, organischere und harmonischere Ausbildung (vorzugsweise nach klassischem, insbesondere hellenischem Muster) der menschlichen Vermögen, der ganzen Persönlichkeit bezeichnen, als diejenige, die vormals erzielt wurde durch eine äußerlichere, dressurartigere Erziehung […] In Schweden ist die vorliegende Verwendungsweise von bildning (bildad, bilda) frühestens Mitte der 1790er Jahre anzutreffen. Ungefähr eineinhalb Jahrzehnte später scheint sie allgemein gebräuchlich gewesen zu sein, zumindest in gewissen Kreisen (SAOB, S. 2569).

Gleichzeitig wie die Begriffe Bildung und »odling« (odlad, odla) kam gegen Ende des 18. Jahrhunderts zusehends der synonym zu verstehende Begiff »kultur« (kultiverad, kultivera) vor (siehe Kapitel XII). SAOB notiert zwar den deutlich zunehmenden Gebrauch der Begriffe »odling« und »Bildung« im Umkreis Höijers und Silverstolpes, es wird jedoch wenig über die Herkunft dieser doch 612 Schließlich findet sich bei Höijer (Samlade Skrifter, 1825 – 1827, II, S. 99, 1799) noch eine weitere Verwendungsweise, welche das Hauptgewicht auf das Äußere legt, in der interessanten Feststellung: »All bildning är ej odling; den kan äfven med den högsta förfining vara en blott missbildning, och förenas med den lättsinnighet, som sjelf är sit största straff.« (dt. Alle Bildung ist nicht odling; diese kann auch bei der höchsten Verfeinerung eine bloße Missbildung sein, und mit einer Leichtsinnigkeit verbunden sein, die selbst ihre größte Strafe ist). Siehe auch A. Lidbeck, Allmänna æsthetiska anmärkningar, 1795, S. 16.

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Die Junta und die »Bildung der Öffentlichkeit«

epochal neuen Terminologie reflektiert, sieht man einmal von dem Hinweis auf Herder und Goethe ab, bei welchem allerdings nicht deutlich wird, ob ein ursächlicher Zusammenhang anvisiert ist. Wenn hier die These vertreten wird, dass die nach 1795 rasch und explosionsartig einsetzende Verwendung der Wörter »odling« und »bildning« in einem – nicht dem einzigen, aber einem wichtigen – ursächlichen Zusammenhang mit Schiller steht, wird dabei keineswegs übersehen, dass die Rezeption und Ausbreitung von Begriffen in einem gegebenen Sprachraum über viele Kanäle gleichzeitig verläuft und nicht monokausal zu erklären ist. Da sich jedoch die Verwendung in Schweden hauptsächlich in der Litteratur-tidning und dem Journal för svensk litteratur etabliert und dort wiederum vor allem in Artikeln von Höijer, so scheint der Versuch, die Herkunft dieser Begriffe näher zu bestimmen, nicht nur möglich, sondern auch naheliegend. Im Umkreis der Junta bestand ein Interesse für pädagogische Literatur aus Deutschland, dies zeigen frühe Zeugnisse des Witterhets Samfundet, sowie Rezensionen in Litteraturtidning und Journal för svensk litteratur. In der pädagogischen Literatur in Deutschland herrschte jedoch »bis in die beiden letzten Jahrzehnte des 18. Jahrhunderts der Begriff ›Erziehung‹ vor.« Außerdem war damit »weithin dieselbe Sache gemeint, nämlich Erziehung und Ausbildung vor allem der Verstandeskräfte«.613 Eine das Aufklärungsdenken überschießende Bedeutung erhielt der Bildungsbegriff erst bei Herder und Goethe, wie SAOB richtig hervorgehoben hat. Dies gilt für die Geistesgeschichte in Deutschland, für Schweden kann dagegen konstatiert werden, dass das Interesse für Herder sehr begrenzt war, und die Kenntnis der Schriften Goethes sich auf einige Sturm und DrangWerke beschränkte. Weder Journal för svensk litteratur noch Litteratur-tidning legen ein Zeugnis dafür ab, dass Herder und Goethe eine besondere Bedeutung gehabt hätten. In den besagten Zeitschriften der Junta wird keines der Werke der beiden Autoren rezensiert oder behandelt. Auch die Listen der Leihbibliotheken bezeugen kein übermäßiges Interesse an Goethe und Herder. Höijers intensive Auseinandersetzung mit Kant dürfte außerdem den Zugang zu Herder erschwert haben, da Kants Kritik Herders ohne Zweifel bekannt war. Dagegen war Schiller sowohl in Litteratur-tidning als auch Journal för svensk litteratur der deutsche Autor, welcher am meisten rezensiert wurde. Zusätzlich muss die Präsenz Schillers, der im Unterschied zu Herder und Goethe dabei war, unter dem Einfluss und dem Eindruck der französischen Revolution historische, philosophisch-ästhetische und poetische Werke zu schaffen, ihn der Junta in ganz anderer Weise empfohlen haben, als Herder und Goethe, deren Ruhm immerhin von den 1770er Jahren herrührte. Schiller war Zeitgenosse in einem ganz eminenten Sinne und im Unterschied zu den genannten deutschen Autoren. Die 613 Geschichtliche Grundbegriffe, I, 1972, S. 512.

Die Schiller-Rezeption in anderen Zeitschriften

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erste Ausgabe der Horen, welche dem Kreis um Silverstolpe und Höijer gut zwei Wochen vor der ersten Ausgabe der Litteratur-tidning vorgelegen haben mag, enthielt bereits die ersten neun Briefe der Ästhetischen Erziehung Schillers. Dort findet sich z. B. im 4. Brief schon die wichtige Unterscheidung zwischen dem »Wilden«, dem »Barbaren« und dem »gebildeten Menschen« (NA, XX, 315 ff), welche die Einführung eines die frühe Aufklärungspädagogik übersteigenden Begriffs notwendig machte: Der Bildungsbegriff signalisiert das Ungenügen der Spätaufklärung an der Dominanz der bloßen Verstandesbegriffe – dieses Ungenügen wurde am eindrucksvollsten von Schiller artikuliert.614

7.

Die Schiller-Rezeption in anderen Zeitschriften

Die Zeitschriften der Junta waren nur zwei einer ganzen Reihe von Zeitschriften und Journalen, welche in der zweiten Hälfte der 1790er Jahre an der »Bildung der Öffentlichkeit« arbeiteten. Als deren bedeutendste sind Georg Adlersparres Läsning i blandade ämnen (dt. Lektüre in unterschiedlichen Bereichen) und Jakob Axelsson Lindbloms Journal för prester (dt. Journal für Priester) zu nennen. Georg Adlersparre, einer der Haupträdelsführer bei der Absetzung des Königs 1809, war nach einer Offizierskarriere 1794 demissioniert und hatte sich aufs Journalistische geworfen.615 Im Unterschied zu den Zeitschriften der Junta, welche eine eher akademisch gebildete Zielgruppe ansprachen, war Läsning i blandade ämnen der Ausdruck einer bürgerlichen Weltanschauung, die nicht aufs Ideelle und Prinzipielle sondern aufs Praktische und Utilistische sann. Leopold war der wichtigste und bedeutendste Mitarbeiter dieses Journals, das von der Zensur mit Misstrauen beobachtet wurde. Obwohl Adlersparres Journal Kant gegenüber aufgeschlossen war, konnte Leopold einen kritischen Artikel über Kant publizieren – ein deutliches Indiz für die Toleranz dieser Zeitung. Ein ausgesprochenes Aufklärungsorgan war auch Journal för prester, in welchem der Bischof Lindblom und seine Mitarbeiter einen nichtkonfessionellen Ton anschlugen und im Sinne Kants für eine Weiterführung der Reformation sowie für die Vereinbarkeit der offenbarten und der natürlichen Religion warben.616 614 Ein weiteres Argument spricht für die Bedeutung Schillers bei der Einführung des Bildungsbegriffs in Schweden. SAOB weist auf die außerordentliche Frequenz des Terms in Geijers Antwort auf die Preisfrage der Schwedischen Akademie über die Einbildungskraft (1810) hin sowie auf Tegn¦rs Vorlesung über die Ilias von Homer (1812). Es handelt sich hierbei um zwei Autoren, die vielleicht den umfassendsten Einfluss von Schiller erfahren haben, wie in der Folge darzulegen ist. 615 Zu G. Adlersparre und Läsning i blandade ämnen siehe K. An¦r, Läsning i blandade ämnen, 1948; NISLH, II, S. 566 – 571; SVH, III, S. 129 – 168. 616 H. Lenhammar, Sveriges kyrkohistoria, 1956, S. 178.

262

Die Junta und die »Bildung der Öffentlichkeit«

Für die Schiller-Rezeption in Schweden stellt das Jahr 1795 wie das Jahr 1792 eine markante Station dar. Neben der Litteratur-tidning, die mit zwei Artikeln über Schiller aufwartet, finden sich Übersetzungen, Artikel und Hinweise auf Schiller in Gustav Ros¦ns kurzlebiger Zeitschrift Fragmenter av utländsk litteratur i vitterheten och de sköna konsterne (dt. Fragmente ausländischer Literatur in der schönen Literatur und den schönen Künsten, 1795), und in der dänischschwedischen Zeitschrift Nordia (April, 1795), in welcher der Däne Knud Lyne Rahbek in schwedischer Übersetzung einen Abriss über die dänische Literatur im Vergleich zur deutschen publizierte. (SVH, II, 552 ff) Welchen Stellenwert die deutsche Literatur hatte, zeige sich daran, dass die dänischen Autoren mit deutschen verglichen wurden – nicht etwa mit französischen. In diesem Vergleich tragen meistens die Deutschen den »Sieg davon«: Klopstock habe im Genre des Heldengedichts keinen Konkurrenten; einen Gessner besitze man ebenfalls nicht; im Bereich der Prosaerzählung gäbe es im Dänischen keinen, der den Vergleich mit den »romantischen« Arbeiten eines Müller, Jünger, Wezel, Wächter oder Schiller aushalte. Dies ist die erste Erwähnung der Erzählungen Schillers überhaupt (siehe Kapitel VIII). Im Trauerspiel ist Lessing das Zünglein an der Waage zum Vorteil seiner Landsleute; denn was setzen wir gegen seine Emilia Galotti? Und wenn man uns darüber hinaus Götz von Berlichingen oder Fiesko gibt für Rolf, was haben wir dann in dieser Art gegen Göthe, Schiller und Leisevitzes tragische Arbeiten zu setzen? Im poetischen Trauerspiel sind wir, zumindest wenn wir Balder zu Hilfe nehmen, diesen mehr gewachsen; denn mit Schlegel, Weisse und Kronegk können die Dichter von Einer und Frode sich messen. Aber auch hier machen uns der Nathan und Don Carlos den Sieg mehr als streitig.617

Welche Bedeutung man dem »gesamtnordischen« Projekt beimaß, wird schon daraus ersichtlich, dass Nordia, wie Litteratur-tidning und Läsning i blandade ämnen, ausführlich in StP rezensiert wurde. Die Ausgabe vom 20. Oktober 1795 war ganz der Nordia gewidmet, wobei größere Ausschnitte des Artikels von Rahbek zitiert und mehrmals Schiller und der Don Carlos genannt wurden. Dass sich die Rezeption Schillers in Uppsala nicht nur in der sogenannten Junta vollzog, sondern um 1795 vermutlich weitere Kreise im studentischen und akademischen Milieu erfasst hatte, wird angesichts Gustaf Ros¦ns kurzlebiger Zeitschrift Fragmenter av utländsk litteratur i vitterheten och de sköna konsterne 617 Nordia, April, 1795, S. 226: »I sorgespelet gör Lessing utslaget til sine Landmäns fördel; ty hvad sätte vi emot hans Emilia Galotti? Och när man öfver alt gifver oss Götz von Berlichingen eller Fiesko för Rolf, hvad hafve vi d” i denne art at sätta emot Göthen, Schiller och Leisevitzes tragiske arbeten? I det poetiska sorgespel äro vi, i det minsta d” vi taga Balder till hielp, dem väl mera vuxne; ty med Schlegel, Weisse och Kronegk kunna dock Einers och Frodes dicktare mäta sig. Men ”ter här göra doch Nathan och Don Carlos oss segern mer än stridig.«

Die Schiller-Rezeption in anderen Zeitschriften

263

(künftig: Fragmenter) deutlich. Während Silverstolpes Litteratur-tidning sich der ausländischen wissenschaftlichen und philosophischen Literatur widmete, wandte Gustaf Ros¦n (1772 – 1835) sich der ausländischen Literatur und Ästhetik zu.618 Die Zeitschrift Fragmenter scheint viermal publiziert worden zu sein619 und hat weitaus mehr Ähnlichkeit mit den Horen und einem darin vertretenen »Neuhumanismus«, von welchem Aspelin im Zusammenhang mit Litteratur-tidning gesprochen hat, da nur literarische und literatur- und kunstkritische Texte darin publiziert wurden.620 Das erste Heft brachte zwei Texte Schillers, den ersten Teil von Hvad kan en god Theater egentligen värka (dt. Original: Was kann eine gute stehende Schaubühne eigentlich bewirken) sowie Bref, ang”ende Antik-Cabinettet i Mannheim (dt. Original: Brief eines reisenden Dänen). Außerdem wurde ein Text Leopold von Stolbergs abgedruckt – der Anfang von Der Missbrauch der Dichtkunst –, wo dieser Schillers Gedicht Die Götter Griechenlands kritisiert, da es das Christentum angreife. Schillers Gedicht war im März 1788 in Wielands Zeitschrift Der Teutsche Merkur erschienen, eine Zeitschrift, die dem schwedischen Leser zumindest in Cleves Leihbibliothek zugänglich war. Es gibt allerdings keine schriftlichen Hinweise darauf, dass Schillers programmatisches Gedicht überhaupt zur Kenntnis genommen wurde; die Veröffentlichung dieser Kritik Stolbergs ist der einzige und früheste Beleg dafür, dass der schwedischen Öffentlichkeit Schillers Gedicht nicht unbekannt sein konnte. Mit der Übersetzung und Einführung des Artikels wurden auch zum ersten Mal Verse und Strophen aus Schillers Die Götter Griechenlands ins Schwedische übertragen. Die Ausgabe der Zeitschrift wurde von Upsala tidning (28. 11. 1795) rezensiert und wie folgt kommentiert: Schillers Abhandlung verteidigt das Theater, gesehen von der rechten und schönen Seite. Von einem so großen dramatischen Verfasser kann man nichts anderes erwarten 618 Über G. Ros¦n siehe den Artikel in: Svenskt biografiskt lexikon, Ny Följd, IX, 1883. Ros¦n war 1789 als Student nach Uppsala gekommen, wo er sich den klassischen Studien widmete, die er 1794 mit der Magister-Abhandlung Comparatio Homeri et Ossiani, einer vergleichenden Studie zu Homer und Ossian, beendete, und wo er von 1796 bis 1799 Dozent war. Ros¦n, der 1791 eines der Gründungsmitglieder des Witterhets Samfundet war, scheint auch eines der aktivsten Mitglieder der Gesellschaft gewesen zu sein. Diesen Schluss lässt zumindest die große Anzahl von Aufsätzen aus seiner Feder zu. Ros¦n scheint außerdem zu Silverstolpes Zeitschriften mit Übersetzungen vor allem deutscher Literatur beigetragen zu haben. 619 Laut handschriftlichem Eintrag in der Ausgabe der Kungliga Biblioteket. 620 Silverstolpe hat 12 Jahre später – von 1808 bis 1809 – eine ähnliche Zeitschrift gegründet, Strödda afhandlingar i ämnen rörande de fria konsterna (dt. Verstreute Abhandlungen die freien Künste betreffend), wo im ersten Heft Skadeplatsen betraktad s”som en moralisk anstalt und im zweiten Heft Om Matthissons Skaldestycken: En recension af F. Schiller veröffentlicht wurde. In einer Anmerkung lässt Silverstolpe wissen, dass er gewisse Argumente der Matthisson-Kritik auch in seiner Kritik der jährlich stattfindenden KunstAusstellung der Maler-Akademie verwendet hat.

264

Die Junta und die »Bildung der Öffentlichkeit«

als richtige und wahre Anmerkungen auf diesem Gebiete. – Der Brief über den Tempel der Kunst in Mannheim ist mit einem warmen Gefühl geschrieben, welches, da es von einem gesunden Geschmack bestimmt wird, sich auch ein Urteil über Meisterwerke des Altertums erlauben kann.621

Die Besprechung von Ros¦ns Zeitschrift in Upsala tidning ist, wie Rezensionen von Zeitschriften dies zu sein pflegten, lediglich ein Inhaltsverzeichnis der eingeführten Artikel. Umso auffallender ist deshalb die kurze Kommentierung zweier Texte Schillers, welche solchermaßen als die bedeutendsten Beiträge der Zeitschrift hervorgehoben werden. Bei dem Schaubühnen-Aufsatz handelt es sich um eine Rede Schillers, welche bei der kurfürstlichen Gesellschaft am 26. Juni 1784 gehalten und im ersten Heft der Rheinischen Thalia 1785 veröffentlicht wurde.622 Ros¦n fügt in einer Anmerkung folgende Erklärung bei: Man erkennt leicht, dass der Verfasser sich als Ideal ein vollkommen gutes Theater vorstellt; dass es ein solches noch nicht gibt, ist eine bedauerliche Wahrheit, dass es ein solches irgendwann geben wird, ist eine sehr ungewisse Hoffnung. Es kann allerdings, in seiner besten Form dargestellt, Grund zu nützlichen und erhellenden Betrachtungen sein; und wenn die Forderungen, welche Herr Schiller stellt, nur in einigen Fällen erfüllt werden sollten, so müssten diese Forderungen einen ganz anderen Begriff von der Dramatik geben, als man gewohnt ist, da sie diese aus dem richtigen Blickwinkel zeigen.623

Der richtige aber ungewohnte Blickwinkel, aus welchem Schiller das Theater zeigt, ist eben derjenige als eminent moralische Anstalt, in welcher Funktion es ebenbürtig neben die Religion tritt, welche beide die »Unzulänglichkeit« der ausschließlich politischen Gesetze ausgleichen. In dem folgenden Satz, welcher von Ros¦n auch übersetzt wurde, ist die Bedeutung des Theaters prägnant ausgesagt: »Die Gerichtsbarkeit der Bühne fängt an, wo das Gebiet der weltlichen Gesetze endigt.« Die in diesem Postulat gipfelnde Rede ist Koselleck Do621 Upsala tidning, 28. 11. 1795: »Schillers afhandling förswarar Theatern, sedd fr”n dess rätta och wackra sida; af en s” stor Dramatisk författare kan man ej wänta andra än riktiga och sanna anmärkningar i detta ämne. – Brefwet öfwer konsternes Tempel i Mannheim är skrifwit med den warma känsla, som, d” den styres af en sund smak, billigt blandar sig i omdömet öfwer forntidens mästerstycken.« 622 Bei der Veröffentlichung in Kleinere prosaische Schriften, IV, 1802, änderte Schiller den Titel in Die Schaubühne als moralische Anstalt betrachtet, wobei auch die ursprüngliche Einleitung gestrichen wurde. 623 Fragmenter, 1795: »Man finner lätt, att Författaren som Ideal föreställt sig en fullkomligt got Theater ; att en s”dan ej ännu gifvits, är en beklaglig sanning; att den n”gon tid skall blifva, är ett ganska ovisst hopp. Imedlertid kan den, förestäld under sin bästa form, gifva anlidning till nyttiga och uplysande betraktelser ; och om de fordringar, som Herr Schiller bestämmer, endast i n”gra särskilta fall kunna upfyllas, s” böra dock sjelfve desse fordringar gifva ett helt annat begrepp, än man vanligen plär fatta, om Dramatiken, d” de visa henne ur dess riktiga synpunkt.«

Die Schiller-Rezeption in anderen Zeitschriften

265

kument des Ausdrucks der Aufklärung, bevor sie in unmissverständliche Kritik des absolutistischen Systems umschlägt (siehe Kapitel IX). Die Fiktion eines reisenden Dänen wurde von G. Ros¦n nicht nur für bare Münze genommen, was ihn veranlasste, dem schwedischen Leser den Hinweis zu geben, dass der Text ursprünglich dänisch sei – sie mag auch ein gewichtiger Grund gewesen sein, sie dem schwedischen Publikum im skandinavischen Nachbarland mitzuteilen. Der Rezensent hat dem Besucher des Antikensaals zu Mannheim einen »gesunden Geschmack« und ein »warmes Gefühl« attestiert, obwohl Schiller diesen Geschmack kräftig gegen die Laufrichtung des Klassizismus gebürstet hatte. Entgegen der üblichen Bewegungsrichtung der Grand tour reist der fiktive Däne nicht von Norden nach Süden zur authentischen Stätte der Monumente, sondern von Süden nach Norden, um auf dem Heimweg von Italien im Mannheimer Antikensaal die »Abgüsse« von griechischen und römischen Skulpturen, meistens als Torso, in der »uneingeschränktesten Freiheit« zu genießen. Der reisende Däne kann sich bei dieser mehrfachen Uneigentlichkeit des Kunstgenusses auf keinen geringeren als Lessing stützen, der bereits die Vorteile des Antikensaals im Vergleich zur Wallfahrt zu den »Originalien« nach Rom hervorgehoben hatte. Der Besucher »ahndet« die Griechen (nicht die Römer) in den in Rom aufgefundenen Fragmenten (Torso), welche in Form von Abgüssen nach Mannheim gelangten. Es handelt sich hierbei offensichtlich im höchsten Maße um eine Operation der Einbildungskraft, welche vom fiktiven Briefschreiber bereits zu Beginn angerufen wird. Der sentimentale, d. h. moderne Künstler ist nur noch indirekt über die Einbildungskraft in Begeisterung zu versetzen, nicht wie der naive in seiner vornehmsten Verkörperung Goethe, auf direktem Wege über die sinnliche Wahrnehmung. Ros¦n können die vielfältigen Spitzen gegen den Klassizismus nicht entgangen sein, zumal Schiller noch deutlicher wird: »Ich weiß keine beißendere Satire auf unser Zeitalter. Voltaire – ich glaube, daß man das jetzt in Deutschland laut sagen darf – Voltaire war ein wahrhaftig großer Geist, aber warum war mir sein Kopf in dieser Gesellschaft so lächerlich?« Beide Texte fußen in der Aufklärung, gleichzeitig eignet ihnen eine Spitze gegen die üblichen Praktiken und Meinungen in der klassizistischen Kunst- und Theaterbetrachtung. Schiller wurde also 1795 nicht nur in Litteratur-tidning, sondern auch in Nordia und Fragmenter besprochen und übersetzt publiziert. Diese Zeitschriften wurden wiederum jeweils in Stockholms-Posten und in Upsala tidning rezensiert, wobei wiederum bevorzugt der Name Schillers genannt wurde. Im Jahre 1795 dürfte Schiller der gesamten lesenden Öffentlichkeit in Schweden bekannt gewesen sein.

266

8.

Die Junta und die »Bildung der Öffentlichkeit«

Zusammenfassung

Unumstritten ist die bedeutende Rolle der sogenannten Junta in den Jahren 1795 – 1800 insbesondere durch die Herausgabe der Litteratur-tidning (1795 – 1797) und des Journal för svensk litteratur (1797 – 1801) im kulturellen Leben in Schweden und für die Vermittlung deutscher Literatur, Philosophie und Gelehrsamkeit im Übergang von der Aufklärung zur Romantik. Gleichwohl ist das traditionelle Bild, das besagt, dass zwischen 1795 – 1800 lediglich die Junta als einzig ernstzunehmender literarischer Akteur (gemäßigt) oppositionell agierte, zu korrigieren. Die Junta fußt selbst in einer breiten oppositionellen Studentenbewegung, welche sich 1791 bis 1792 formierte und in sogenannten Konventen Ausdruck verlieh. In politischer Hinsicht waren die Rabulisten-Zeitschriften im Jahr 1792 wesentlich radikaler als die von Silverstolpe herausgegebenen Litteratur-tidning und Journal för svensk litteratur, aus denen ein Wille zur Gesellschaftsreform spricht, nicht zur Revolution, wie häufig behauptet wurde. Die Junta war nur ein Teil, wenn auch der bedeutendste und fortschrittlichste, einer Bildung der Öffentlichkeit, deren Entwicklung sich in den 1790er Jahren beschleunigte, und sich in einer neuen modernen Kritik, aber auch einer Vielzahl von Projekten Silverstolpes wie Lesegesellschaften, Zeitschriften und Buchhandlungen ausdrückte. Die handschriftlichen Protokolle der Vereinigung Witterhets Samfundet aus dem Jahr 1791 dokumentieren, dass die deutsche Literatur zumindest für einige der Jünglinge eine größere Bedeutung als die französische hatte. Ein protokollierter Vortrag von Gustav Ros¦ns über den Stand der Aufklärung in Europa nennt einerseits die Philantropen Campe und Salzman, andererseits Lessing und Herder: Diesen Autoren wird das Vermögen zugesprochen, Verstand und Herz gleichermaßen anzusprechen, und gleichzeitig durch eine »wirkliche Aufklärung« den Verführungen eines Mesmers und Cagliostros vorzubeugen. In den frühesten handschriftlichen Zeugnissen dieser Gruppierung zeigt sich also bereits ein Jahr vor den Rabulisten, dass das französische Paradigma durch das deutsche abgelöst worden war, und zwar im Namen der Aufklärung, nicht im Namen der Romantik. Der Name Schiller wird in den Protokollen der Vereinigung allerdings nicht genannt; es gilt deshalb festzuhalten: Schiller, der 1782 mit Die Räuber debütiert hatte, und dessen Werke seit 1790 in Cleves Leihbibliothek zugänglich gemacht wurden, war diesen Jünglingen 1791 noch nicht bekannt. Die Rede Adelskölds ist also ein weiterer Hinweis darauf, dass Schiller erst um 1791 – 1792 in das Bewusstsein der lesenden und literaturbeflissenen Öffentlichkeit trat. Da die Kenntnis Schillers 1795 mit Erscheinen der Litteratur-tidning offensichtlich umfassend vorhanden ist, müssen die Mitglieder der Junta den deutschen Dichter zwischen 1791 und 1795 kennengelernt haben. Am wahrscheinlichsten

Zusammenfassung

267

ist jedoch eine Kenntnisnahme Schillers spätestens 1793 mit und nach den Rabulisten. Wenngleich die Mitglieder der Junta nicht die frühesten Schiller-Rezipienten waren, trugen sie ganz entscheidend zur Vertiefung des Verständnisses eines Autors bei, der zwar bereits bekannt, dessen Bedeutung und Besonderheit bis dahin jedoch noch kaum erfasst war. Die Persönlichkeit und das »Genie« Schillers wird in Litteratur-tidning paradigmatisch und in einer gänzlich neuen und philosophisch fundierten Terminologie ausgelotet, nämlich in Anlehnung an Kants zwischen Geschmack und individueller Einbildungskraft vermittelnder Ästhetik. Journal för Svensk litteratur wurde meines Erachtens in der Literaturgeschichte als zu sehr von Höijers idealistischer Ästhetik beeinflusst gesehen, während sich dieses Forum einer kritischen Aufklärung vielmehr an den Kategorien des klassizistischen Realismus, der Wirklichkeit und der Wahrheit, orientiert, sowie an damit einhergehenden Kategorien »Originalität« und der »Individualität«, mithin an Kategorien, welche im Rahmen des zunächst in England entstandenen »realistischen« Romans geschaffen werden mussten. Diese Terminologie wurde auf die häufig rezensierte Romankunst angewandt, nirgends jedoch so deutlich wie bei Schiller. Das Interesse an Schiller ist im Rahmen der Litteratur-tidning und Journal för svensk litteratur auch quantitativ sehr groß: Keinem anderen Autor wird eine derartige Aufmerksamkeit zuteil. Weder die klassischen Autoren Goethe oder Lessing noch populäre Autoren wie Lafontaine oder Kotzebue werden so häufig rezensiert wie Schiller. Schiller ist der Gegenwartsautor schlechthin, derjenige und der einzige, welcher in dem von Adlersköld 1791 in Witterhets Samfundet gezeichneten Literaturtableau, das sich seit Humbles literaturgeschichtlichem Abriss 1774 kaum verändert hat, neu einzutragen war. Es sind jedoch nicht in erster Linie und nur »Schillers civistische Freiheitsfanfaren«, die im »explosiven Ideenmilieu der Junta« eine starke Wirkung hervorriefen. Das Ziel der Litteratur-tidning und des Journal för svensk litteratur war das der Aufklärung und Bildung der Öffentlichkeit, nicht der Handreichung einer revolutionären Avantgarde, ganz im Sinne der Weimarer Ästhetik, wie sie in den Horen und den Briefen über die ästhetische Erziehung programmatisch formuliert worden ist. Neben dem im Zusammenhang mit Schiller häufig verwendeten Begriff der »Originalität« ist die Frequenz von Höijers Verwendung der Begriffe »odla« und »bilda« bemerkenswert, welche zeitgleich mit der Schiller-Rezeption und in einem Schiller nahen Kontext zu verzeichnen ist. Dabei entwickelten sich die Begriffe »odling« und »bildning« semantisch parallel zum deutschen Bildungsbegriff mit der starken Betonung der Selbst-Bildung. Weder Goethe noch Herder, die gemeinhin mit der Entstehung des Bildungs-Begriffs in Verbindung gebracht werden, sind in den Zeitschriften Journal för svensk litteratur und Litteratur-tidning rezensiert worden. Dies legt die Schlussfolgerung nahe, dass

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Die Junta und die »Bildung der Öffentlichkeit«

sich Höijers Verwendung des Begriffs weitgehend am Schiller’schen Vorbild orientierte, welcher am prägnantesten das Ungenügen der Spätaufklärung an der Dominanz der bloßen Verstandesbegriffe formuliert hatte und in einer Bildung des »ganzen Menschen« die Möglichkeit sah, die Wunden der Zeit zu heilen. Die aufklärerische Bildung der Öffentlichkeit wurde aber keineswegs nur durch die Zeitschriften der Junta betrieben. Georg Adlersparres und Jakob Axelsson Lindbloms Periodika wurden genauso oder noch kritischer beobachtet als die Zeitschriften der Junta, was sich ab 1798 durch zunehmend verschärfte Zensurbestimmungen ausdrückte, die ab 1799 vor allem auch Publikationen betraf, welche Theologisches zum Inhalt hatten. Letztlich war Adlersparres Läsning i blandade ämnen noch dezidierter als die Zeitschriften der Junta an eine aufklärungshungrige Mittelklasse adressiert, den gesellschaftlichen Pfeiler einer »bürgerlichen Kultur«. Als im Jahr 1795 Litteratur-tidning erscheint, ist das bis dahin publizierte Werk Schillers mehr oder weniger bekannt. Gleichzeitig mit Silverstolpes Litteratur-tidning erschien Gustav Ros¦ns Fragmenter för utländsk litteratur, in welcher Zeitschrift zwei Texte Schillers, Die Schaubühne als moralische Anstalt betrachtet und Brief eines reisenden Dänen, eingeführt wurden. Auch in Knud Lyne Rahbeks Artikel über die dänische Literatur im Vergleich zur deutschen in der Zeitschrift Nordia wird Schiller erwähnt. Das Erscheinen dieser beiden Journale wurde wiederum von etablierten Blättern wie StP und Upsala tidning beobachtet und rezensiert: in beiden Fällen wird vom Rezensenten sorgfältig registriert, dass Schiller Eingang ins schwedische Kulturleben findet.

Kapitel VII: Schillers historische Schriften

Die vorhergehenden Kapitel haben gezeigt, dass Schiller zu Beginn seiner Rezeption in Schweden vor allem als Historiker wahrgenommen wurde: die erste Publikation eines Schiller-Textes war die Darstellung der Inquisition im Abfall der Niederlande (Välsignade tryckfriheten och Tryckfriheten den välsignade, 6. 9. 1792); wenige Wochen später folgte die Charakterdarstellung Wilhelm von Oraniens aus dem gleichen Buch (Werlds-borgaren, 17. 10.1792); die erste Rezension über Schiller handelte von dessen historischen Schriften (Litteraturtidning, 1795); die erste vollständige Übersetzung war die des Dreißigjährigen Krieges (1797 – 98). In einer Rezension von Julius August Remers Darstellung der Gestalt der Historischen Welt in jedem Zeitraume in Litteratur-tidning finden wir gleich zu Beginn folgenden unerwarteten Hinweis auf Schiller : Nach der geringen Anzahl guter Geschichtsschreiber auch in den Ländern zu urteilen, wo ansonsten die Wissenschaften und Künste im Allgemeinen eine ansehnliche Höhe erklommen haben, scheint es schwieriger zu sein, die Vollkommenheit in der Geschichtsschreibung zu erlangen, als in irgend einem anderen Wissenschaftszweig. Wenn man Hume, Robertson, Gibbon und Schiller nennt, hat man beinahe alle aufgezählt, die die Höhe erklommen haben, von wo aus ein Autor mit Sicherheit für seine Unsterblichkeit die abgelegensten künftigen Jahrhunderte überblicken kann.624

Die Einschätzung Schillers auf schwedischer Seite ist keineswegs ein Kuriosum: Der dänische Schiller-Verehrer Jens Baggesen beklagte 1791 bei der hastig anberaumten Trauerfeier für den vermeintlich verstorbenen Dichter den Verlust von Deutschlands erstem »und vielleicht aller künftigen erster Geschichts-

624 Litteratur-tidning, I, 1795, S. 57 f: »Att döma efter goda Häfdatecknares ringa antal i alla länder, der eljest vetenskaper och konster i allmänhet hunnit til en ansenlig höjd, borde det anses för sv”rare att uppn” fullkomligheten i Historien, än i n”gon annan kunskapsgren. D” man nämnt Hume, Robertson, Gibbon och Schiller, har man nästan uppräknat alla som upstigit til den höjd, hvarifr”n Författare med trygghet för sin odödlighet kunna se öfver de mäst aflägsna tilkommande Sekler.«

270

Schillers historische Schriften

schreiber«.625 Es gilt zunächst einmal diese skandinavischen Momentaufnahmen mit dem zeitgenössischen Schiller-Bild in Deutschland zu vergleichen, aber auch Schillers tatsächliche Bedeutung für die Geschichtsschreibung zu umreißen, um solche im Superlativ daherkommenden Urteile über Schiller als Historiker adäquat würdigen zu können. In der Tat galt Schiller auch vielen deutschen Zeitgenossen um 1790 als bedeutender, vielleicht sogar der bedeutendste deutsche Geschichtsschreiber. Die Auflage seiner historischen Schriften übertraf bei weitem diejenige seiner literarischen Veröffentlichungen. Bedeutende Rezensenten würdigten die beiden großen historischen Arbeiten Schillers, die Geschichte des Abfalls der vereinigten Niederlande von der Spanischen Regierung sowie die Geschichte des Dreyßigjährigen Kriegs. Christoph Martin Wieland gar sah in seinem Vorwort zu Schillers Abfall der Niederlande in der Geschichtsschreibung den »innern Beruf« Schillers.626 Und der Jenaer Historiker Karl Ludwig von Woltmann urteilte: Von wahrhaftiger Darstellung, von wahrhaftiger Kunst der Composition in der Geschichtschreibung hatten die Deutschen kein Beispiel vor Schillers Geschichte des Abfalls der Niederlande, welcher die Fertigkeit und das Bedürfnis zu beiden von der dramatischen Dichtkunst auf die Historie übertrug.627

Wir sind es nicht gewohnt Schiller auch als Historiker zu betrachten – zumindest wähnen wir ihn nicht auf der Höhe von David Hume, William Robertson und Edward Gibbon. Dieser Umstand ist nicht zuletzt auch dem Historismus geschuldet, der die deutsche Geschichtswissenschaft über 100 Jahre dominierte und in dessen Namen Schillers historische Bemühungen allzu oft müde belächelt wurden.628 So konstatiert Jürgen Eder noch 1998 das Fehlen von Schillers Namen in der »gegenwärtigen, aktuellen Selbstverständigung und theoretischen Autopsie der Geschichtswissenschaft«, wo, etwa bei Hayden White und Jörn Rüsen, zwar auf »Voltaire, Kant, Herder und Novalis zurückgegriffen wird, Friedrich Schiller dagegen noch nicht einmal in den entsprechenden Registern oder Fußnoten« erscheine.629 Eder gibt zu bedenken, dass es »interessante Bezüge zu entdecken« gäbe »zwischen den Typen des historischen Erzählens bzw. der Li625 Zitiert nach H. Hettner, Geschichte der deutschen Literatur im Achtzehnten Jahrhundert, IV, 1929, S. 88. 626 C. M. Wieland, Der Abfall der vereinigten Niederlande von der spanischen Regierung. Einleitung, erschienen Anfang 1788 im »Teutschen Merkur«. In: Wielands gesammelte Schriften. 1. Abtlg./XXII, 1969. 627 Zitiert nach D. Fulda, Wissenschaft aus Kunst, 1996, S. 51. 628 Eine Ausnahme war hier neben Wilhelm von Humboldt, einer der Vorläufer des Historismus, Johan Gustav Droysen, der 1857 in einer Vorlesung spekulierte, »ob nicht Schiller unser größter Historiker geworden wäre, wenn er nicht vorgezogen hätte […] unser größter Dichter zu sein.« Zitiert nach: T. Prüfer, Die Bildung der Geschichte, 2002, S. 3. 629 Hier und im Folgenden J. Eder, Schiller als Historiker, in: Schiller-Handbuch, 1998, S. 655.

Schillers historische Schriften

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terarizität von Geschichte und ihrer Darstellung, wie sie durch White in die Diskussion eingeführt wurden«, und prognostiziert eine »Renaissance des ›historischen Erzählens‹«, »zu deren spät entdeckten Gewinnern vielleicht bald der Geschichtsschreiber Friedrich Schiller zählen könnte«. In der Tat wurde seitdem mit der Verniedlichung Schillers als Historiker sowohl in der fachspezifischen Schiller-Forschung als auch in der Geschichtswissenschaft selbst gebrochen.630 Die Neubewertung Schillers vollzieht sich im Rahmen einer Neubewertung der Aufklärungshistorie, die darauf abzielt, »das bis dahin unangefochtene Monopol des Historismus auf die Begründung der modernen Geschichtswissenschaft zu brechen«.631 Der Begriff »Aufklärungshistorie« bezeichnet im Folgenden in Anlehnung an Fuldas Definition jegliche geschichtswissenschaftliche Tätigkeit, die seit etwas 1760 die überkommene polyhistorische, reichsgeschichtliche oder galante Historie zu reformieren unternahm, und zwar nach Prinzipien, die sich als aufklärerisch bezeichnen lassen: Vernunfturteil, Begründungspflicht, Systematisierung des Wissens, Professionalisierung, didaktische Wirkung, bürgerliche Emanzipation.632

Fulda verortet die deutschsprachige Aufklärungs-Historiographie zwischen den beiden Zeitmarken 1760 und 1785, welche im Zusammenhang mit der Tätigkeit der bedeutendsten Programmatiker einer Aufklärungs-Historiographie, Gatterer und Schlözer, stehen. Er sieht um das Jahr 1785 erste Tendenzen eines Überschreitens des Aufklärungshorizonts. Kant formulierte den für den Pragmatismus konstitutiven Begriff des »Systems« (1784), während Johannes von Müllers Geschichten schweizerischer Eidgenossenschaften (1786) und Schillers Abfall der vereinigten Niederlande von der Spanischen Regierung (1788) die erste literarische Geschichtsschreibung im Deutschland der Aufklärung darstelle. Gleichzeitig komme es zu »Überlappungen geistesgeschichtlicher Epochen«, da nicht alle Historiker im besagten Zeitraum den aufklärerischen Leitbegriffen folgten: Herder – der Urvater des Historismus – folgt den Leitbegriffen »Individualität«, »Ästhetik« und »Verstehen«. Mittlerweile hat die Diskussion über Schillers Rolle und Ort im Rahmen der Entwicklung einer modernen Geschichtsschreibung eine erfreuliche Intensität und Komplexität angenommen, auf die hier nur hingewiesen werden kann. Trotz der Rehabilitierung Schillers als Historiker – durch Jörn Rüsen, Daniel Fulda, Ulrich Muhlack u. a. – sei nach wie vor die Depotenzierung Schillers als »Vorspiel« des Historismus, mithin das Festhalten an Rankes narrativer Geschichtsschreibung zu konstatieren, so Thomas Prüfer in Die Bildung der Ge630 Siehe Schiller als Historiker, 1995; D. Fulda, Wissenschaft aus Kunst, 1996; T. Prüfer, Die Bildung der Geschichte, 2002. 631 U. Muhlack, Schillers Konzept der Universalgeschichte, in: Schiller als Historiker, 1995, S. 6. 632 Hier und im Folgenden D. Fulda, Wissenschaft aus Kunst, 1996, S. 53 ff.

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Schillers historische Schriften

schichte (2002).633 Fulda habe zwar Schiller eine gewichtige Position in seiner Darstellung der Entstehung der modernen deutschen Geschichtsschreibung eingeräumt. Letztendlich reproduziere er jedoch die »Historismus-Deutung Meineckes mit linguistischen Mitteln«. Die Anfänge des modernen Historismus würden nach wie vor bei Herder gesucht und gefunden, wobei die AufklärungsHistoriographie als vormodern ausgegrenzt würde. Auch Jörn Rüsen lese die Schiller’sche Historiographie lediglich als weiterführende Variante der Aufklärungshistorie, die er allerdings als Vorspiel in die Nähe des Historismus rücke, während Ulrich Muhlack Schillers Konzept der Universalgeschichte zwischen Aufklärungshistorie und Historismus einordnet. All diesen Deutungen gemeinsam sei die Darstellung Schillers als »empirischer Fall eines theoretischen Konzepts«, wobei der »Eigensinn des Phänomens übersehen würde«. Festzuhalten sei gegenüber solchen (missglückten) Versuchen der Einordnung Schillers als Historiker, dass dieser »einzigartig« und damit »historisch ortlos« sei. Im Gegensatz zu Prüfers Darstellung wird es im Folgenden darum gehen, die Schiller’sche Historiographie einem spezifischen historischen Ort zuzuordnen: dem der Spätaufklärung. Für eine solche Verortung spricht nicht nur das Werk Schillers selbst, sondern auch die Rezeption und Bewertung seines Werks in Schweden. Neuerdings wurde Schillers historisches Werk zwischen Aufklärung und Romantik angesiedelt, weil er sich bereits um eine literarisch-evokative Geschichtsdarstellung bemühte. Die Forderung nach einer Geschichtsdarstellung, welche besonderen Wert auf die »Verfabelung« legte, wurde jedoch bereits in der Spätaufklärung »immer vernehmlicher, immer drängender«,634 und Schiller war keineswegs der einzige, welcher solche Forderungen erfüllte.

1.

Die Aufklärungs-Historiographie in Schweden

Im Unterschied zur Forschungslage im deutschsprachigen Raum ist die schwedische Geschichtsschreibung im Übergang von der Aufklärungs-Historiographie zum romantischen Historismus kaum Gegenstand einer wissenschaftlichen Untersuchung gewesen.635 Wie in Frankreich, England und 633 Siehe T. Prüfer, Die Bildung der Geschichte, 2002, S. 15 f. 634 Siehe J. Süssmann, Denken in Darstellungen – Schiller und die Geschichte, in: Schiller und die Geschichte, 2006, S. 51. 635 Die wenigen Untersuchungen, die das Werden der modernen schwedischen Geschichtswissenschaft im Auge haben, sind zudem älteren Datums. Die jüngste Darstellung ist die von Sten Lindroth, Svensk lärdomshistoria. Frihetstiden, 1981, S. 611 – 689, sowie Gustavianska tiden, 1981, S. 261 – 319. Die einzige Gesamtschau dessen, was im Übergang von der Aufklärungs-Historiographie über Höijer zu Geijer geschieht, bietet L. Stavenow in seinem Aufsatz Den moderna vetenskapens genombrott i svensk historieskrivning, 1913. Übergreifender Natur ist auch N. Eriksson, Dalin–Botin–Lagerbring, 1976.

Die Aufklärungs-Historiographie in Schweden

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Deutschland erfuhr die schwedische Geschichtswissenschaft des 18. Jahrhunderts insgesamt eine Veränderung hinsichtlich des zunehmenden Methodenbewusstseins. Die ältere Darstellungsweise in der Geschichtswissenschaft, die sich auf Zitate und einen chronologischen Rahmen stützte, wurde zusehends überwunden und machte ästhetischen, d. h. literarischen Gesichtspunkten Platz. Dies gleichzeitig und im Zusammenhang mit einem Wechsel vom Lateinischen zum Schwedischen und im Hinblick auf eine breitere gebildete Leserschaft, die sich neben den alten aristokratischen und akademischen Kreisen auf neue bürgerlich zu nennende Kreise stützte. Wenngleich die Modernisierung der Geschichtswissenschaft ein allgemeiner Zug der Zeit ist, dem sich niemand entziehen konnte, so hat sich eingebürgert, besonders markante Veränderungen mit den Namen Olof Dalin und Sven Lagerbring zu verbinden.636 Mit Olof Dalin und seiner ab 1747 erscheinenden Svea rikes historia (dt. Die Geschichte des schwedischen Reichs) verbunden sind die von der französischen Historiographie und insbesondere von Voltaire gepflegte sprachliche und darstellerische Eleganz sowie eine im gleichen Geist gepflegte kritische Haltung gegenüber Religion und Tradition.637 Gilt Dalin als Neuerer in sprachlicher und darstellerischer Hinsicht sowie in seiner allgemein kritischen Haltung, so verbindet man mit Sven Lagerbring (1707 – 1787) ein »modernes« Wissenschaftsund Methodenbewusstsein. Er formulierte zum ersten Mal in Schweden axiomatisch methodische Grundsätze, die er teils in seinen Svea rikes historia (1769) verwirklichen konnte, teils freilich einer kommenden Generation zur Verwirklichung überlassen musste. Aus heutiger Sicht selbstverständliche Grundsätze wie die Unterscheidung der Quellen in primäre und sekundäre, die Forderungen der Überprüfung des Ursprungs historischer »Fakten«, der Vollständigkeit der bewahrten Quellen und des Erbringens von Beweisen wurden von ihm formuliert, begründet und reflektiert. Schließlich hat Lagerbring auch wiederholt darauf hingewiesen, dass die Wahrheit das einzige Ziel des Historikers ist. Schon die Formulierung eines solchen Grundsatzes war ein außerordentlicher Fortschritt in einer Zeit, in welcher die Geschichtsschreibung meistens politischen Zielen unterworfen war. Angesichts dieser durchaus beachtlichen Entwicklung im historischen Fach ist die gänzliche Abwesenheit bedeutender Historiker und bedeutender historischer Werke in den letzten drei Jahrzehnten des Jahrhunderts, also in der gustavianischen Epoche, umso auffallender. Lindroth äußerte die These, dass die von offizieller Seite gewünschte und genährte Elogen-Rhetorik und Geschichts636 T. Frängsmyr, Sökandet efter upplysningen, 2006, S. 94; L. Stavenow, Den moderna vetenskapens genombrott, 1913, S. 5. 637 Siehe hier und im Folgenden neben den oben bereits genannten übergreifenden Darstellungen: M. Lamm, Olof Dalin. 1908; B. Hildebrand, Bidrag till Sven Lagerbrings biografi och karakteristik, in: Lychnos, 1963/64.

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Propaganda der eigentlich wissenschaftlichen Betrachtung der Geschichte nicht förderlich war. Die von der Schwedischen Akademie geforderten und belohnten Elogen waren mit ihrem Appell an patriotische Gefühle der »reinste Ausdruck des gustavianischen historischen Bewusstseins«,638 der somit im Widerspruch stand zu der von Lagerbring formulierten Forderung einer untendenziellen Wahrheitssuche. Tore Frängsmyr heftet der Geschichtsschreibung der Zeit aufs Revers, dass der Einfluss der Aufklärungsphilosophen sehr allgemeiner Natur sei. Dalin sei zwar ein Neuerer bezüglich seiner kritischen Sondierung des Materials, ansonsten jedoch eher »Hofmann als kämpfender Aufklärer« gewesen; Lagerbrings aufklärerische Tendenz erschöpfe sich in seinem Hass auf die katholische Kirche, als Royalist und in anderer Hinsicht stand er jedoch für allgemein akzeptierte Anschauungen, weshalb man nicht behaupten könne, »dass Lagerbring, trotz alles Neuen, das er ins Feld führte, ein Aufklärer war.«639 Eine ganz andere Auffassung hat Stavenow, wenn er hinsichtlich der Geschichtsschreibung der Aufklärungszeit schreibt: Überall geschieht ein Sprung von den Chroniken des 17. Jahrhunderts zu den literarischen und räsonierenden Erzählungen oder kritischen Forschungsprodukten des rationalistischen Zeitalters – vielleicht überhaupt der auffallendste Bruch in der Geschichtsschreibung seit ihrem Bestehen. Nicht zuletzt in Schweden ist dieser Bruch plötzlich und erstaunlich.640

Den von ihm sogenannten Bruch macht Stavenow just an den Namen Dalin und Lagerbring fest, mit welchen die »moderne schwedische Geschichtsschreibung« beginnt. Stavenow steht ganz im Einklang mit gänzlich neuen Forschungsergebnissen in der deutschsprachigen Geschichtswissenschaft, die auf eine Aufwertung der Aufklärungs-Historiographie drängen, wenn er meint, dass der große Bruch, der die moderne Geschichtsschreibung von derjenigen älterer Zeit unterscheidet, nicht zwischen der Aufklärung und der Romantik verläuft, sondern zwischen Aufklärung und der ihr vorhergehenden Epoche.641 Stavenow unterläuft jedoch diese gegenwärtig anmutende These, wenn er später schreibt: Geijer auf der einen Seite und sein Vorgänger im Professorenamt Fant auf der anderen Seite sind ausgesprochene Frontfiguren für ihre jeweiligen Epochen in der schwedischen Geschichtswissenschaft. Der Bruch zwischen diesen Epochen kommt plötzlich und unvermittelt, wenn wir nur die wissenschaftlichen Werke berücksichtigen. Die Geijer’sche Geschichtsschreibung kommt wie eine Offenbarung und ohne Vorausset-

638 639 640 641

S. Lindroth, Svensk lärdomshistoria. Gustavianska tiden, 1981, S. 267. T. Frängsmyr, Sökandet efter upplysningen, 2006, S. 96. L. Stavenow, Den moderna vetenskapens genombrott, 1913, S. 5. Ebd., S. 8.

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zung. Und sie kommt relativ spät, eigentlich erst mit Svea rikes hävder und Svenska folkets historia, also in der Mitte der 1820er Jahre und in den folgenden Jahrzehnten.642

Als bedeutender Vorläufer Geijers figuriert ihm freilich Höijer, dem eine wichtige Funktion für die Vermittlung einer romantischen Geschichtsbetrachtung zukomme, die sich in der organischen Auffassung von Staat und Nation, der Wertschätzung für das Einzigartige des Nationalen und im Zweckgerichteten (ändam”lsbegreppet) der historischen Wissenschaften ausdrücke.643 Auch Sten Lindroth folgt dieser Unterscheidung einer rationalistischen und einer romantischen Geschichtswissenschaft, wenn er schreibt: Schlözer und Rühs, aus natürlichen Gründen fleißig in Schweden gelesen, waren Rationalisten ohne Gefühl für die Eigenart früherer Zeiten. Eine durchgreifende Umgestaltung der Geschichtsbetrachtung sollte jedoch in anderen Kreisen geschehen. Die Franzosen hatten das ihre dazu getan, vor allem Montesquieu und Rousseau, die das Recht des Volkes und die Herrschaft des Gefühls predigten. Ein glänzender Historiker war in seinen besten Augenblicken Friedrich von Schiller […], der in seinem historischen Werk mit glühendem Pathos die Bedingungen der Freiheit besang und große Persönlichkeiten in ihrem Kampf mit dem Schicksal zeichnete. Volk und Nationalcharakter, vergangene Kulturen, Mythen und Religionen in ihrem eigenen Recht begann man aufzufassen als der eigentliche Gegenstand der historischen Betrachtung. Keiner bedeutete hier mehr als Herder, der Entdecker der »Volksseele«. Die Vernunft besaß kein Schiedsrecht über die Geschichte, jede Epoche sollte nach ihren eigenen Voraussetzungen beurteilt werden. […] Mit Herder wurde die romantische Geschichtsphilosophie inauguriert, in der Verlängerung ahnt man schon Hegel. Die Historiker der gustavianischen Zeit waren nicht reif für solch umwälzende Gedanken; der einzige, der von diesen Eindrücke empfing, war der Philosoph Benjamin Höijer. Die Fachhistoriker wurden im besten Fall immer kritischer, hielten sich jedoch ansonsten an das Alte und Bewährte, begraben unter Quellentexten. Die Weltgeschichte und die große Perspektive lockten abgesehen von einigen Ausnahmen genau so wenig wie zuvor, die schwedische Geschichtsschreibung behielt ihre nationalistische Prägung […]644

Lindroth scheint dieses Panorama mit Seitenblick auf die Verhältnisse im deutschsprachigen Raum entworfen zu haben, wo Herder eine zentrale Bedeutung bei der Entstehung der modernen Geschichtswissenschaften zukam, zumal aus dem Rückblick des Historismus, während Schiller, zumindest gemäß älterer Darstellungen, ein zwar populärer Historiker, jedoch ohne besonderen fachlichen Einfluss war. Genau diese Rollenverteilung scheint mir in Schweden, wo Herder in dieser Zeit vemutlich keinen relevanten Einfluss ausübte, nicht gegeben. 642 Ebd., S. 32. 643 Ebd., S. 18 ff. 644 S. Lindroth, Svensk lärdomshistoria. Gustavianska tiden, 1981, S. 262.

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2.

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Höijer über den Abfall der Niederlande (Litteratur-tidning 1795)

Die erste Rezension eines Schiller’schen Werkes überhaupt findet sich 1795 im vierten Heft der Litteratur-tidning. Die in der Rezension besprochenen Werke Schillers: Was heißt und zu welchem Ende studiert man Universalgeschichte?, Geschichte des Abfalls der vereinigten Niederlande von der Spanischen Regierung, Geschichte der merkwürdigsten Rebellionen und Geschichte des dreißigjährigen Krieges lagen zu diesem Zeitpunkt noch nicht in schwedischer Übersetzung vor. Die Zeitschrift zeichnet sich insgesamt durch ein Interesse für historische und politische Texte aus. So wurde im gleichen Heft Karl Heinrich Heydenreichs Versuch über die Heiligkeit des Staats und die Moralität der Revolutionen sowie Condorcets Esquisse d’un tableau historique des progres de l’esprit humain rezensiert. Die Rezension von Schillers Texten umfasst nicht weniger als 22 eng bedruckte Seiten, von denen der Hauptteil (18 Seiten) der Geschichte des Abfalls der vereinigten Niederlande von der Spanischen Regierung (im Folgenden verkürzt: Abfall der Niederlande) gewidmet ist. Die Urheber der Rezensionen wurden nicht namentlich bezeichnet, mit großer Wahrscheinlichkeit sind jedoch diejenigen über Schiller, Heydenreich und Condorcet auf Höijer zurückzuführen, dessen Interesse an der Theorie der Geschichte wenig später im Aufsatz Om ett pragmatiskt avhandlingssätt i historien (dt. Über eine pragmatische Behandlungsweise der Geschichte) zur Geltung kommt. Der Rezensent hatte offenbar an dem frühbürgerlichen Revolutions- und Befreiungskrieg Gefallen gefunden, den er aufs Genaueste nacherzählt,645 vermutlich auch, weil er wenig bekannt war, im Unterschied zur Geschichte des Dreißigjährigen Krieg, zu dem er lediglich zwei Seiten verfasste, weil es überflüssig wäre, »hier die vornehmsten Ereignisse zu wiederholen, welche ohnehin bekannt sind« (Litteratur-tidning, 1795, S. 446). Es gilt aber zunächst einmal den Sachverhalt zu notieren, dass hier überhaupt Schillers erstes historisches Werk so bevorzugt behandelt wurde, während Schillers zweites großes Werk, der Dreißigjährige Krieg, mit nur wenigen – wenngleich ihre Wertschätzung deutlich ausdrückenden – Worten abgetan wurde. Höijers deutliche Bevorzugung des Abfalls der Niederlande hat zunächst einmal inhaltliche Gründe. Folgende Passage lässt keine Zweifel an den Sympathien des Rezensenten aufkommen: Das erste Buch ist eine Einleitung zu der eigentlichen Geschichte. Mit einer Wärme und einer Lebendigkeit, als wäre er selbst bei der Revolution, die er beschreibt, dabei gewesen, malt er die Epoche. Eingenommen von dem majestätischen Anblick des Volkes, das die ausländischen Ketten zerschmettert, die die Raubgier und der Aberglaube geschmiedet haben, […] Während dieser Umwälzungen hatte diese Nation, 645 Dem Rezensenten lag die erste Ausgabe von 1788 mit seiner Einteilung in drei Bücher vor.

Höijer über den Abfall der Niederlande (Litteratur-tidning 1795)

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früher als andere, die von Regierungen unterdrückt wurden, es geschafft, sich zu erheben. Die Städte hatten Privilegien gekauft, die in dem Maße vermehrt wurden, wie die höheren Vasallen Geld brauchten: und schon im elften und zwölften Jahrhundert wurde eine gemischte Regimentsverfassung eingeführt, wo die Macht durch drei Stände sehr eingeschränkt ist: der Adel, die Priesterschaft und die Städte. Die Lage des Landes und diese frühe Freiheit setzten das niederländische Volk bald in den Besitz des Handels in ganz Europa. Der Charakter des Volkes wurde dementsprechend geformt und in all seinen Gesetzen und Verfassungen wurde darauf Rücksicht genommen. Der Handel fordert Freiheit und Sicherheit; Fleiß und ein dadurch erworbener Reichtum gibt einer Nation das Bewußtsein von der Kraft, die sie besitzt, wodurch die Begierde nach Selbständigkeit nach und nach entsteht.646

In dieser Passage zeigt sich deutlich, wie sehr den Begriffen der »Nation« und des »Volkes« zunächst aufklärerische Impulse eigneten, indem sie mit der Entwicklung von Handel, Freiheit, Sicherheit, Reichtum und Selbständigkeit verbunden wurden – bei Höijer übrigens wie bei Schiller.647 Es ist ohne Zweifel diese Verbindung der Freiheit, des Handels – Höijer war außerordentlich an Adam Smiths ökonomischen Theorien interessiert – und des Volkes, jenseits eines bloß patriotischen Gefühls, die Höijer ansprach. Der Dreißigjährige Krieg dagegen appellierte zwar an die patriotischen Gefühle der Schweden, letztendlich handelte es sich aber dort um einen Religionskrieg und einen Eroberungskrieg des schwedischen Königs, der sich einer auch mit Hilfe von französischen Subsidienzahlungen unterhaltenen schwedischen Armee bediente. Während es sich im Falle der Niederländer um den Abfall eines Volkes handelte, das sich legitimerweise von den Fesseln eines als Tyrann verstandenen Königs befreien wollte. Insbesondere die Tatsache, dass die Niederländer als Volk auftraten und in ihrem 646 Litteratur-tidning, 1795, S. 426 f. »Första boken är en inledning til sjelfva historien. Med en värma och en liflighet, likasom vore han sjelf medverkande i den revolution han beskrifver, gifver Förf. en m”lning af tidehvarfvet, d” den bereddes. Intagen af den majestätiska synen af et folk, som sönderkrossar de utländska fjättrar, dem rofgirigheten och öfvertron smidt, […] Under dessa välvningar hade denna Nation, tidigare än andra, som trycktes af Länsregeringar, hunnit upresa sit hufvud. Städerne hade köpt privilegier, hvilka beständigt ökades i samma m”n, som de högre Vasallerne behöfde penningar: och redan i det Elfte och Tolfte ”rhundradet finner man en blandad regementsförfattning införd, der regentens magt är mycket inskränkt af trenne st”nd: Adeln, Presterskapet och Städerna. Landets belägenhet och denna tidiga frihet, satte Nederländska folket snart i besittning af hela Europas handel. Folkets carakter danades derefter och vid alla dess lagar och författningar hades derp” anseende. Handeln fordrar frihet och säkerhet; flit och en derigenom förvärfvad rikedom gifva en Nation medvetande af de krafter den äger, hvarav begäret til sjelfständighet sm”ningom upkommer.« 647 Die Entwicklung des Nationalbegriffes ist also keineswegs einseitig der Romantik und dem Historismus zuzuschreiben, wie Stavenow meint (Den moderna vetenskapens genombrott, 1913, S. 21), sondern hat seine Wurzeln bereits in der Aufklärung. – Wie ja auch der Physiokratismus ein Kind der Aufklärung ist und gleichzeitig dem Nationalismus Vorschub leistete (NISLH, III, S. 175).

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Abfall lediglich auf die Restitution ihrer bürgerlichen Rechte pochten, scheint es dem Rezensenten angetan zu haben. Schillers ausführliche Darstellung des Bildersturmes, die von seiner deutlichen Skepsis gegenüber spontanen Volksbewegungen zeugt, hat er folgerichtig nicht wiedergegeben. Höijers Wertschätzung des Abfalls der Niederlande war jedoch nicht nur dem frühbürgerlichen Inhalt geschuldet, sondern vor allem den wissenschaftlichen Qualitäten des Werkes. So war er sehr darauf bedacht, die Richtigkeit der historischen Darstellung Schillers zu betonen und wies gleich eingangs darauf hin, dass der Autor alle Quellen ausgewiesen hat und dass er sich nur solcher Quellen bedient habe, die die Ereignisse aus erster Hand darstellen, oder solcher historischen Werke, deren Verfasser ein gutes Ansehen haben (Litteratur-tidning, 1795, S. 425). Die Bemerkung des Rezensenten lässt durchscheinen, dass die Offenlegung der benutzten Quellen noch nicht zum selbstverständlichen Kriterium einer wissenschaftlichen Geschichtsschreibung gehörte – obwohl das Methodenbewusstsein im 18. Jahrhundert zunahm und mit Lagerbring in den 1760 – 70er Jahren einen Höhepunkt erlangt hatte. In Deutschland war der Quellennachweis erst seit Mitte des 18. Jahrhunderts von den Göttinger Historikern durchgesetzt worden,648 und Schiller, der schon auf der Hohen Karlsschule mit der kritisch-pragmatischen Geschichtsschreibung in Berührung gekommen war,649 war der Quellennachweis sehr wichtig. Insbesondere in der Was heisst und zu welchem Ende studiert man Universalgeschichte? Eine akademische Antrittsvorlesung (im Folgenden verkürzt: Antrittsvorlesung) – die dem Rezensenten ebenfalls bekannt war – hat Schiller ausführlich von der Notwendigkeit und den Grenzen einer gründlichen Indienstnahme der Quellen Rechenschaft gegeben. Sogar in der Vorrede seines Die Verschwörung des Fiesko zu Genua werden die Schriften genannt, welche er für die inhaltliche Konzeption des Geschichtsdramas benutzt hatte. Je später je mehr hat Schiller jedoch den Anspruch auf eine quellenkritische Wissenschaftlichkeit zugunsten einer gefälligen Darstellung für den Gebildeten jenseits fachlicher Kompetenz aufgegeben. Auch dies mag ein Grund sein, warum Höijer sich mehr für den Abfall der Niederlande als für den Dreißigjährigen Krieg zu interessieren scheint, wo Schiller z. B. auf Anmerkungen verzichtet hat. Der Rezensent wirft am Ende die Frage auf, was denn seine Wertschätzung des Autors rechtfertige. Seine Begründung, die an dieser Stelle, aber auch hie und da in die Nacherzählung eingestreut, erfolgt, kann folgendermaßen summiert werden: 1. Das erste Buch, in welchem der Autor die Geschichte des nieder648 Siehe O. Dann, Schiller, der Historiker und die Quellen, in: Schiller als Historiker, 1995. 649 Schiller hatte bereits in seiner medizinischen Dissertation Ueber den Zusammenhang der tierischen Natur den Historiker A. W. Schlözer zitiert. Siehe NA, XX, 1, S. 53 ff, im § 11 Aus der Geschichte des Menschengeschlechts, wo er noch einen gewagten »Blick über die Universalgeschichte des ganzen menschlichen Geschlechts« tun will.

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ländischen Volkes skizziert, wird vom Rezensenten als mustergültig für derartige Arbeiten bezeichnet (Litteratur-tidning, 1795, 4. Heft, S. 426). 2. Der Plan des Werkes sei von bewundernswerter Klugheit, kein unbedeutendes Ereignis sei erwähnt, kein bedeutendes Ereignis ausgelassen (Litteratur-tidning, 1795, 4. Heft, S. 438 – 439). 3. Anstatt der in älteren historischen Schriften verwendeten Reden habe Schiller Reflexionen eingefügt, die sehr zum Verständnis beitrügen (Litteratur-tidning, 1795, 4. Heft, S. 439). 4. Schillers Erzählkunst beruhe nicht nur im »Gebrauch wohllautender Worte«, sondern könne »generell als Muster dienen« (Litteratur-tidning, 1795, 4. Heft, S. 439). 5. Schillers Anmerkungen seien ein Beweis seiner »richtigen politischen und tiefen psychologischen Einsichten« (Litteratur-tidning, 1795, 4. Heft, S. 439). Lassen wir uns von der geringen Prononciertheit der Kritik nicht täuschen: Die vagen Hinweise auf die »Erzählkunst« und die »Darstellungskunst« geben einen Wink hinsichtlich der spezifischen Literarizität der Schiller’schen Historiographie, welche weit über die üblich gelobhudelte Schönheit seines Stils hinausgeht, gewissermaßen als Kompensation für die verpassten höheren Weihen des Fachs. Und dass ausgerechnet der Philosoph Höijer die Darstellung dezidierter goutiert als die Geschichtsphilosophie, die zu entdecken ihm von Berufs wegen hätte leichter fallen müssen, ist ein weiterer Hinweis auf die Eigenart dieses historischen Werks. Hier ist offensichtlich von einer Kunst der Darstellung die Rede, an welche die wissenschaftliche Analyse erst seit kurzem vollends heranreicht. Denn nachdem in den oben bereits genannten Forschungsbeiträgen zum Thema »Schiller als Historiker« vor allem Schillers Geschichtsdenken fokusiert und der Historiker Schiller von der neueren Forschung »überwiegend als Geschichtsphilosoph und Geschichtstheoretiker wahrgenommen« wurde, wird in den rezentesten Forschungsbeiträgen wieder Schillers Kunst der Darstellung in den Mittelpunkt gerückt.650 Viel bedeutsamer als Schillers Geschichtsphilosophie, weil seine größte Leistung als Geschichtsschreiber, sei »seine künstlerische Darstellung und Ausdruckskraft, getragen von einer einprägsamen Sinndeutung.« Schillers Darstellungskraft umfasse nicht nur das äußere Geschehen, »sondern auch die weiterführende historische Sinnbildung, d. h. die Zusammenfügung der Fäden des Stoffes zu einer inneren Einheit der Geschehnisse und die gelungene Fortführung des Themas in einer spannenden Fabel.«651 Johannes Süssmann, welcher Schillers historiographische Darstellung als Revolution bezeichnete, hat den Abfall der Niederlande einer genauen Erzählanalyse unterworfen und kann als Resultat die These aufstellen, 650 Siehe J. Süssmann, Denken in Darstellungen – Schiller und die Geschichte, in: Schiller und die Geschichte, 2006, S. 44 – 67. 651 H. Schleier, Die Stellung Schillers in der europäischen Geschichtswissenschaft, in: Schiller und die Geschichte, 2006, S. 131.

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dass Schillers Abfall der Niederlande nur äußerlich unvollendet scheint. »Innerlich, in der Organisation der Erzählung«, sei »dagegen sehr wohl eine geschlossene Einheit zu erkennen«. In der Parabel vom Entstehen und Scheitern der Geusenverschwörung zeigt sich ein viel spezifischerer Gegenstand, als der Stoff des niederländischen Unabhängigkeitskampfes […] Durch ihre Parabelform erscheint die Geschichte des Abfalls der Niederlande als Beispielerzählung. Nicht von etwas Einmaligem handelt sie, sondern von einer allgemeinen überzeitlichen Struktur. Die historische Individualität, das Besondere der Epoche oder das spezifisch Niederländische, gewinnt für die Geschichte nicht einmal als Lokalkolorit Bedeutung. Sie selbst gibt sich als Illustration einer abstrakt formulierbaren Moral.652

Der Freiheitskampf der Niederländer wird parabolisch zum bürgerlichen Freiheitskampf der Menschheit gegen die Fürstentyrannei stilisiert und die Berechtigung von revolutionären Volksbewegungen für nationale Unabhängigkeit, Religionsfreiheit und eine verbürgerlichte Gesellschaftsform narrativ legitimiert. Die Kunst der Charakterschilderung hat es dem Rezensenten anscheinend besonders angetan, denn zum Abschluss und als »Beleg« für die Darstellungskunst des Autors zitiert Höijer zwei längere Passagen über Wilhelm von Oranien und Egmont, vermutlich eigens angefertigte Übersetzungen, die lakonisch eingeführt werden, »um den Leser mit den Hauptpersonen in der Geschichte bekannt zu machen« (Litteratur-tidning, 1795, S. 440). Auch der kurze Abschnitt über den Dreißigjährigen Krieg führt Schillers Charakterschilderung Gustaf Adolphs mit der Bemerkung ein: »Eine Übersetzung von Gustaf Adolphs Charakter sollte dem schwedischen Leser willkommen sein.« Höijer resümiert: »Mit dieser edlen Einfalt und mit dieser Stärke sind alle Charaktere in diesem Buch gezeichnet« (Litteratur-tidning, 1795, S. 446). Sieht man einmal davon ab, dass es dem Rezensenten vermutlich ähnlich wie Ekmanson um die Schilderung vollkommener Herrscherfiguren angesichts der als Unterdrückung empfundenen Politik in Schweden unter Gustav III. und Reuterholm ging, so trifft sein Interesse und seine Wertschätzung der Schiller’schen Kunst der Charakterdarstellung ins Zentrum der Schiller’schen Historiographie.653 Zwar hatte schon Johann Christoph Gatterer 1767 in Vom Historischen Plan, und die darauf sich gründende Zusammenfügung der Erzählung darauf postuliert, dass Charaktere in der Geschichte sein sollen, »was Definitionen in Wissenschaften sind«, schwerlich wird sich jedoch in der deutschen Geschichtsschreibung bis Schiller ein Werk finden lassen, in dem die Charakterdarstellung mit gleicher Kunst652 Siehe J. Süssmann, Denken in Darstellungen – Schiller und die Geschichte, in: Schiller und die Geschichte, 2006, S. 61 f. 653 Siehe E. Osterkamp, Die Seele des historischen Subjekts, in: Schiller als Historiker, 1995.

Höijer über die »pragmatische Geschichtsschreibung« (1797)

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fertigkeit ausgeführt wurde. Diese dient nämlich bei Schiller zunächst dazu, die jeweils »widerspruchsvollen Charakterzüge der Personen bzw. die widerstreitenden Bedingungen und Handlungen hervorzuheben«, um »den Leser an den Stoff und den Fortgang der Fabel« zu fesseln.654 Schiller ging es allerdings nicht nur um die Kunstfertigkeit seiner Portraits, sondern um ihre Funktion im Rahmen eines als Handlungsablauf verstandenen Geschichtsverlaufs, welcher es keineswegs an einer theoretischen Konzeption mangelte. So äußerte er bereits in der Einleitung seiner Erzählung Der Verbrecher aus Infamie: »[…] wir müssen mit ihm bekannt werden, eh’ er handelt; wir müssen ihn seine Handlung nicht bloß vollbringen, sondern auch wollen sehen. An seinen Gedanken liegt uns unendlich mehr als an seinen Taten, und noch weit mehr an den Quellen seiner Gedanken als an den Folgen jener Taten.«655 Das Charakterportrait Philipps II. leitet Schiller wie folgt ein: »Ehe wir ihn handeln sehen, müssen wir einen flüchtigen Blick in seine Seele thun, und hier einen Schlüssel zu seinem politischen Leben aufsuchen« (NA, XVII, 54). Schiller glaubt an die universelle Gesetzmäßigkeit und Erklärbarkeit auch im Historischen sprich im Psychologischen: »Die Geschichte der Welt ist sich selbst gleich wie die Gesetze der Natur und einfach wie die Seele des Menschen. Dieselben Bedingungen bringen dieselben Erscheinungen zurück.« (NA, XVII, 21) Dieser Glaube an die universelle Gesetzmäßigkeit menschlicher Handlung ist ein Derivat der Aufklärung und schließt die von Herder über die Romantik und Hegel in den Historismus mündende Vorstellung der Einzigartigkeit jedweder Kultur aus.656

3.

Höijer über die »pragmatische Geschichtsschreibung« (1797)

Höijers Originalbeitrag Om ett pragmatiskt afhandlingssätt i historien (dt. Über eine pragmatische Darstellungsweise der Geschichte), 1797 in Litteratur-tidning mit der Ankündigung einer Fortsetzung – die nie erschien – publiziert,657 ist der erste Versuch überhaupt die in Deutschland vor allem von den Göttinger His654 H. Schleier, Die Stellung Schillers in der europäischen Geschichtswissenschaft, in: Schiller und die Geschichte, 2006, S. 131. 655 F. Schiller, Der Verbrecher aus Infamie (1786), seit 1792 unter dem Titel Der Verbrecher aus verlorener Ehre, NA, XVI, 1954, S. 8 f. 656 Dass diese charakterologische Introspektion in das »menschliche Herz« nicht gerade als wissenschaftlich anzusehen ist, hat bereits Droysen vermerkt, der eine solche Vorgehensweise als Dichtung von einer ernstzunehmenden Historiographie abgegrenzt hat (D. Fulda, Wissenschaft als Kunst, 1996, S. 81). 657 Der Artikel erschien 1803 auch auf Deutsch in K. L. Woltmanns Zeitschrift für Geschichte und Politik.

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torikern Gatterer und Schlözer geführte Diskussion über eine Verwissenschaftlichung der Geschichtsschreibung in die schwedische Erde zu verpflanzen. Es ist deshalb zwar nicht falsch, jedoch irreführend, wenn Birger Liljekrantz ausführt, dass Höijer das »Kant’sche Prinzip grundlegender Bewusstseinsformen auch für die Bildung eines historischen Weltbildes« fruchtbar zu machen suche. Höijer gehe vom Charakter der Geschichte als Erzählung von Ereignissen aus und finde in der Form der Erzählung gewisse Forderungen, die schon Aristoteles für die Dichtkunst aufgestellt habe: »Einheit im Objekt, das ein Totalereignis voraussetzt mit einer Anzahl von Epochen zwischen Anfang und Ende.«658 Kants Schriften und seine Geschichtskonzeption haben zwar ohne Zweifel diejenige Höijers maßgeblich beeinflusst; gleichzeitig ist jedoch weder die Kant’sche noch die Höijer’sche Geschichtskonzeption ohne den breiteren Entstehungskontext und die vorangegangene Reflexion der Aufklärungshistoriographie in England, Frankreich und Deutschland denkbar. Die wissenschaftliche und methodische Strenge, welche Höijer vorschwebt, wird durch das Adjektiv »pragmatisch« im Titel angezeigt. Gleichzeitig nimmt Höijer durch die Verwendung des Begriffs deutlich Bezug auf die deutschen Historiker Johan Christoph Gatterer und August Ludwig Schlözer, die in Schweden bekannt waren.659 Schließlich hat weder Kant, der von einer Geschichte in weltbürgerlicher Absicht sprach, noch Schiller, der den Begriff »Universalgeschichte« bevorzugte, den Begriff »pragmatisch« verwendet. In Schweden war der Begriff zwar schon 1731 in Jacob Wildes auf Latein erschienener Sueciae historia pragmatica sowie 1769 von Johan Harman Eberhardt in seinem Försök til en pragmatisk Historia om Frälse-St”ndet i Sverige fr”n de äldsta till w”ra tider verwendet worden, eine theoretische Auseinandersetzung gab es aber bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht.660 Die pragmatische Geschichtsschreibung wurde in der deutschsprachigen Geschichtswissenschaft wie folgt erklärt:

658 B. Liljekrantz, Om Benjamin Höijers Historie-Uppfattning, 1927, S. 179. 659 Die Namen figurieren z. B. in den Leihbibliothekslisten der Zeit. 660 In der spärlich vorhandenen schwedischen Forschung geht man denn auch, soweit man den Begriff überhaupt reflektiert, davon aus, dass »pragmatisch« ein Synonym für »nützlich« sei. P. Hallberg (Den förlorade friheten, in: Riksdag, kaffehus och prediktstol, 2003) z.B gibt an, dass das Wort »pragmatisch« im Werk von Eberhardt in der Bedeutung von »nützlich« verwendet worden ist. S. Lindroth z. B. schreibt: »Die Geschichte sollte nützlich sein, pragmatisch, indem sie heroische Gestalten als Muster und ›Exempel‹ darstellt […]« (Svensk lärdomshistoria. Gustavianska tiden, 1981, S. 263). B. Liljekrantz (Om Benjamin Höijers Historie-Uppfattning) beachtet den Terminus technicus in seinem Aufsatz über Höijers Artikel überhaupt nicht. Lediglich L. Stavenow Den moderna vetenskapens genombrott i svensk historieskrivning, 1913) definiert: »Die pragmatische Geschichte muss vor allem zusammenhängend sein«, d. h. dem Ursache-Wirkung-Prinzip unterliegen.

Höijer über die »pragmatische Geschichtsschreibung« (1797)

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Die pragmatische Geschichtsschreibung, die sich von einer rein chronologischen und referierenden unterscheidet, verfolgt das Interesse, Historisches als Erwirktes auf seine Ursachen zurückzubeziehen und so das historische Neben- und Nacheinander durchschaubar zu machen, in Zusammenhänge zu bringen und zu strukturieren. Weil Geschichte häufig als Mit- und Gegeneinander der Taten großer Männer verstanden ist, besteht die pragmatische Geschichtsschreibung vornehmlich darin, historische Ergebnisse durch psychologische Erforschung der Motive, Absichten und Ziele der geschichtlich wirksam handelnden Menschen aufzuklären und sie dann in geordneter und verknüpfter Weise so darzustellen, daß sie dem Leser lehrreich und für sein eigenes Handeln nutzbringend sind.661

Die Kunst des pragmatischen Historikers ist es, so Höijer, wirklichen Ereignissen einen Zusammenhang zu geben. Diese Kunst wiederum fordert eine Methode, die man nur einer wirklichen Philosophie entnehmen könne. Aber auch dann ist es für einen Historiker schwierig, in seiner Arbeit Vollkommenes zu leisten. Einerseits benötige er einen »so großen Vorrat an Material«, dass sein Leben nicht ausreichen würde, dasselbe zu sammeln und zu sichten, andererseits wären so viele und bei »einem einzigen Menschen selten anzutreffende Eigenschaften« erforderlich, die teils seine »natürliche Veranlagung betreffen«, teils die »vollkommene Bildung« derselben. Oft, führt Höijer aus, behindern sich die unterschiedlichen Veranlagungen: die »Beobachtungsgabe« und die »Offenheit für Eindrücke«, die »Kraft des Gedankens«, Einheit und Zusammenhang zu stiften, die »seltene Gabe«, bestimmte Regeln auf einen einzelnen Fall anzuwenden, eine »lebhafte Einbildungskraft«, um durch einige wenige Züge ein Gemälde auszuführen, eine »sympathisierende Einbildungskraft«, um »in den Charakter anderer einzudringen und die tiefsten Geheimnisse des menschlichen Herzens zu entschleiern«, den »Wagemut und die idealisierende Kraft des Genies«, das neue und große Aussichten schafft, um der rohen Stoffmasse Leben einzuhauchen, das Gedächtnis, das die unendliche Menge an Ereignissen, Ideen und Urteile bewahrt, »Fleiß, auch das Unwichtige zu sammeln«, das »schärfste Urteilsvermögen«, das auch nicht von »schmeichelnden Hypothesen, einer glänzenden Idee oder einem schönen Bild verleitet wird«, ein edler Charakter, der mit Eifer für das Interesse der Menschlichkeit und Verachtung des Eigennutzes und der Ehrgeiz, Unparteilichkeit und die Liebe der Wahrheit um ihrer selbst willen. In dieser idealisierten Darstellung des Historikers erahnen wir einerseits Schiller, wie er in Höijers Kritik der historischen Schriften Schillers 1795 gezeichnet worden ist, aber auch den »philosophischen Kopf« der Antrittsvorlesung. 661 D. Fulda, Wissenschaft aus Kunst, 1996, S. 60. Auf Schwedisch siehe L. Stavenow, Den moderna vetenskapens genombrott i svensk historieskrivning, 1913 sowie H. Östholm, Litteraturens uppodling, 2000, S. 210 ff.

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Höijer hatte sich in seiner Rezension nicht über die Theorie der Geschichtsschreibung, wie sie in der Antrittsvorlesung und im Vorwort des Abfalls der Niederlande formuliert wurde, geäußert. Bezüglich der Antrittsvorlesung bemerkte er lediglich, dass der Zweck dieser Rede nicht so sehr der Plan eines Studiums der Universalgeschichte an der Universität gewesen sei, vielmehr sei es Schiller darum zu tun gewesen, »seinen Zuhörern das Gefühl zu vermitteln, von dem er beim Studium dieses Fachs selbst betroffen war, und man fühlt in dieser Hinsicht Hr. S:s Überlegenheit.« Es ist dieses wirkungsästhetische Moment der Geschichtsschreibung, das Höijer auch in seinem zwei Jahre später verfassten Aufsatz über die pragmatische Historiographie einbringt. Hinsichtlich dieses unmittelbaren Interesses hat die Geschichtsschreibung den gleichen Nutzen, wie die schönen Künste. Durch den uneigennützigen Beifall, den sie uns gleichsam abzwingt, erhebt sie uns über den groben sinnlichen Genuss, und lehrt uns einen Wert, der sich nicht auf Vorteile gründet; welches der erste Schritt zur Veredlung ist. Da sie über die Triebfedern der Handlungen unterrichtet, übt sie das moralische Gefühl, welches sie noch mehr belebt durch die Vorstellung des Erhabenen im Kampf der menschlichen Kräfte mit der blinden Naturnotwendigkeit für frei gewählte Zwecke, und in der Harmonie des Ganges der wilden Leidenschaften des ganzen Geschlechts mit der Bestimmung des Menschen. Oft muss man nur seine Kräfte kennenlernen, um besser zu werden; man kann keiner Befriedigung nachstreben, die man nie erfahren hat. – Sobald eine Nation einen gewissen Grad an Üppigkeit und Verfeinerung erlangt hat, ist sie in Gefahr, ihre älteren Tugenden zu verlieren, nur um neue Laster an deren Stelle zu setzen. Aber dieses Unglück ist nicht notwendig. Eine bequeme und üppige Lebensweise schließt durch ihre Natur nicht die Möglichkeit großer Aufopferungen aus. Es ist nicht die Menge der Genüsse, die uns daran hindert, die Stärke der Römer und Spartaner zu zeigen, wenn die Schuld in der Schlaffheit und Müdigkeit des Charakters liegt, der alle Mühe scheut außer der Berechnung des Gewinnes. Solange eine Nation ihre Energie beibehalten und sich ohne Schwärmerei zur höheren idealischen Welt erheben kann, läuft sie keine Gefahr beim Fortschritt der Künste und des Luxus. Aber die Erhebung, die auf einer wirklichen Aufklärung beruhen sollte und einem von günstigen Umständen geweckten moralischen Interesse, wird von nichts kräftiger unterstützt, als den schönen Künsten und der Historiographie, wenn die erstere von einem wahren Geschmack und die letztere von der Philosophie geleitet wird.662 662 Litteratur-tidning, 1797, S. 485 f. Auch publiziert in: B. Höijer, Samlade skrifter, 1827. »I afseende p” detta omedelbara interesse medför Historien samma nytta, som de vackra konsterna. Genom det oegennyttiga bifall hon liksom aftvingar oss, uphöjer hon oss öfver den grofva sinnliga njutningen, och lär oss känna et värde, som ej grundar sig p” fördelar; hvillket är det första steget till förädling. D” hon undervisar om gerningars driffjädrar, öfvar hon den moraliska känslan, hvilken hon ännu mera upplifvar genom föreställningenaf det sublima i menskliga krafternas kämpande med en blind naturnödvändighet för fritt valda ändam”l, och i harmonien af de vilda passionernas g”ng hos hela slägtet med menniskans bestämmelse. Man behöfver ofta blott lära känna sina krafter, för at blifva bättre; man kan ej eftersträfva en tillfredsställelse, som man aldrig erfarit. – S” snart en nation börjar uphinna en viss grad yppighet och förfining, är den tillika i fara at förlora sina äldre dygder, utan at

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Es handelt sich bei diesem Textauszug offensichtlich bis in die Wortwahl hinein um eine Wirkungsästhetik in der Nachfolge von Kant und Schiller. Zwar hat Schiller keine explizite Wirkungsästhetik der Historiographie entworfen, gewisse Bemerkungen in seiner Antrittsvorlesung und dem Vorwort seines Abfalls der Niederlande lassen jedoch die Schlussfolgerung zu, dass er der Geschichtsschreibung eine bildende Wirkung zudachte, wie er sie in den Briefen über die ästhetische Erziehung des Menschen entworfen hatte. Die dort beschriebene duale sich ergänzende Ästhetik des Schönen und Erhabenen entspricht den Extremen der Gegenwart, der Erschlaffung und der Verwilderung, welche durch den dosierten Einsatz einer erhabenen bzw. einer schönen Kunstwirkung therapiert werden können. Eine Ästhetik der Geschichtsschreibung scheint allerdings eher eine des Erhabenen zu sein – Schiller zumindest spricht in seinem Vorwort von der »Begeisterung«, in die er bei der Lektüre von Staatsaktionen versetzt war, und von der »Erhebung«. Eine solche Ästhetik des Erhabenen scheint auch Höijer vorzuschweben, wenn er vor allem auf die Gefahr eines Mangels an Energie hinweist, die Erschlaffung, die durch die Erhebung zu einer höheren idealischen Welt qua schöne Künste und Historiographie behoben werden könne, und wenn er einer solchen Wirkung auch eine moralische Veredlung zuschreibt. Eine moralische Besserung des Menschen vollziehe sich allerdings nicht über den direkten Weg des historischen Exemplums, sondern über den indirekten der Wirkungsästhetik – auch dies ganz im Sinne der Schiller’schen Ästhetik.

4.

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Als Gustaf III. 1783 dem Reichshistoriographen Jonas Hallenberg den Auftrag gab, Olof von Dalins großes historiographisches Werk, das in der Darstellung der schwedischen Geschichte bis 1611 reichte, fortzusetzen, um dem schwedischen König Gustaf II. Adolf ein Denkmal zu setzen, gab es mit Ausnahme der auf Latein verfassten Reichsgeschichte von Johannes Loccenius, deren letzte Ausgabe auf 1676 zurückging, kein schwedisches Geschichtswerk, das den Nakunna sätta nya lagar i deras ställe. Men denna olycka är ej nödvändig. Et beqvämt och yppigt lefnadssätt utesluter ej genom sin natur möjligheten af stora upoffringar. Det är ej mängden af njutningar, som hindrar oss at visa Romares och Spartaners styrka, d” skulden ligger i carakterens slapphet och tröghet, som skyr all möda utan uträkning p” vinst. S” länge en nation kan bibeh”lla sin energie och utan svärmeri uplyfta sig til den högre idealiska verlden, löper hon ingen fara under konsternas och luxens framsteg. Men denna uplysning och et af gynnande omständigheter väckt moraliskt interesse, understödes af intet kraftigare, än de vackra konsterna och Historien, d” de förra ledas af en sann smak och den sednare af Philosophien.«

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tionalhelden in den Mittelpunkt stellte.663 Dieser Mangel wurde umso schmerzlicher empfunden, als gerade in den vorangegangenen Jahrzehnten im Ausland bedeutende Biographien über den schwedischen König publiziert worden waren. So hatte Walter Haste 1759 das zweibändige Werk The History of the Life of Gustavus Adolphus, King of Sweden, Sirnamed the Great verfasst, die umgehend ins Deutsche übersetzt worden war. Einige Jahre später, 1764, hatte Elizaire Mauvillon in vier Teilen Histoire de Gustave Adolphe roi de SuÀde verfasst. Als Forscher weniger selbständig als Haste, empfahl sich der Historiker vor allem aufgrund der neuen Quellen, die er dank der Quellensammlung des landesflüchtigen Johan Archenholtz, der in Kassel als Hofbibliothekar und Schriftensammler weilte, benutzt hatte. Der begeisterte Gjörwell machte sich unverzüglich an eine Übersetzung, die er bereits im gleichen Jahr publizieren konnte. Der gründlich arbeitende Hallenberg publizierte 1790 die ersten beiden Bände seines Svea rikes historia under konung Gustaf Adolf den stores regering (dt. Die Geschichte des schwedischen Reichs unter der Regierung des Königs Gustaf Adolf des Großen) im Herbst 1792, also nach dem Tod Gustaf III., folgte der dritte Band, 1794 der vierte, und 1796 der fünfte. Mit den fünf Bänden wurden nur die ersten 15 Jahre der Regierungszeit des schwedischen Königs abgedeckt, d. h. der aus patriotischer Perspektive interessanteste Teil, der heldenhafte Krieg in Deutschland, stand noch aus. Obwohl von der Vormundschaftsregierung gebeten und gedrängt, das Werk fortzusetzen, brach Hallenberg, vermutlich unzufrieden mit der Entlohnung, die Arbeit ab. Die Übersetzung und Publikation von Schillers Die Geschichte des Dreißigjährigen Kriegs 1796 (Band I, II) und 1797 (Band III, IV)664 unter dem Titel Historia om Trettio”riga kriget kam deswegen nicht nur im rechten Augenblick, sie behandelte auch genau den Teil der Biographie Gustaf II. Adolphs, der von Hallenberg nicht mehr abgedeckt wurde. Wie sehr insbesondere der junge schwedische König das historische Werk goutiert hat bezeugt sein Wille, bei der Durchreise in Weimar am 31. August 1803 Schiller zu treffen, dem er, als Dank für die wohlwollende Darstellung Gustav Adolfs im Dreißigjährigen Krieg, einen »brillantnen« Ring überreichte.665 Bis zum Zeitpunkt dieser Publikation waren zwar die meisten Werke Schillers in der Originalsprache in einer der Leihbibliotheken Stockholms zugänglich gewesen. Übersetzungen lagen jedoch noch nicht vor, sieht man einmal von den 663 Siehe hier und im Folgenden N. Ahnlund, Minne av Jonas Hallenberg, 1957. 664 Eine Übersetzung des Werkes ins Holländische wurde 1790 angekündigt, 1794 erschien eine in französischer Sprache, und 1799 wurde es als erste von Schillers Schriften ins Englische übersetzt. Siehe H. Reinitzhuber, Schillers »Geschichte des Dreißigjährigen Kriegs«, 1970, S. 4. 665 Siehe F. Schillers Brief vom 4. September 1803 an Wilhelm von Wolzogen, NA, XXXII, S. 65.

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Textauszügen in den Rabulisten-Zeitschriften und den zwei von Gustaf Ros¦n (1795) übersetzten und in seiner Zeitschrift Fragmenter af utländsk litteratur och de sköna konsterna publizierten Texten ab. Der Übersetzer, ein in literaturgeschichtlichen Zusammenhängen unbekannter Johan Adolf Hertzman (1765 – 1830), Herausgeber der Handelstidning (1800 – 1822), sowie des Journal för handel, slöjd och konst (1823 – 1834) in Göteborg und Verfasser mehrerer historischer Arbeiten, darunter eine über die Kreuzzüge, die von der Schwedischen Akademie preisgekrönt wurde, äußert in seinem Vorwort: Wenige historische Arbeiten besitzen den Wert und wecken das Interesse beim Leser, ebenso sehr durch die Behandlungsweise und die Verdienste der Erzählweise, wie durch das Gewicht und die Berühmtheit der Ereignisse, welche beschrieben werden, wie dieses Werk. Man hofft, dass vor allem die schwedische Allgemeinheit sich dafür interessieren wird, teils deswegen, weil es eine der strahlendsten und ehrenvollsten Epochen unserer Geschichte vorstellt, teils, weil es unserem Nationalgefühl schmeichelt, zu sehen, dass die Ehre unserer Nation von einem ausländischen Verfasser würdig gezeichnet wird.666

Der Dreißigjährige Krieg – meint der Übersetzer weiter – gehöre zu den Epochen, die auch einer späteren Nachwelt stets lehrreich und unterrichtend seien. Die gelehrte Welt sei Schiller deshalb sehr verbunden. Auf den Einwand, dass es schon viele historische Arbeiten über den Dreißigjährigen Krieg gäbe, entgegnet er : Es gibt eine Art der Geschichtsschreibung, durch welche die bekanntesten Ereignisse ein neues Aussehen bekommen, ein neues Interesse, ein neues Vergnügen. Das ist ein Feld für einen philosophischen Geschichtsschreiber. Man findet bei ihm nicht das trockene Aufzählen von Fakten und Jahreszahlen; er scheint zeitweise sowohl Genealogie wie auch Chronologie zu vergessen oder diese als unwichtig zu betrachten; aber man sieht ihn bei jedem wichtigen Ereignis das kritische Auge auf die Ursachen richten, die es geschaffen habe.667

666 Historia om Trettio-”riga kriget: »F” Historiska Arbeten äga det värde och väcka det interesse hos Läsaren, lika mycket genom afhandlings-sättets och berättelsernes förtjenster, som genom sjelfva de händelsernes vigt och rygtbarhet, hvilka det beskrifver, som detta Verk. Man hoppas at det i synnerhet skall interessera Svenska Allmänheten, dels derföre at det framställer en den mäst lysande och ärefulla epoque uti v”r Historia, dels emedan det m”ste smickra v”r nationella stolthet, at se v”r nations ära f” värdigt teknad af en Utlänsk Författare.« 667 Historia om Trettio-”riga kriget: »Det gefves et sätt att skriva Historien, hvarigenom de mäst kända händelser vinna et nytt utseende, et nytt interesse, et nytt behag. Detta är et fält för en Philosophisk Historie-Skrifvare. Man finner ej hos honom det torra blotta räknandet af facta och ”rtal; han synes stundom glömma b”de Genealogien och Chronologien, eller anse dem för blott bisaker ; men man ser honom vid hvar vigtig händelse fästa et granskande öga p” de orsaker, som beredt den.«

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Die in der Antrittsrede getroffene Unterscheidung Schillers zwischen dem »Brodgelehrten« und dem »philosophischen Historiker« hatte bereits Höijers Geschichtskonzeption geprägt und die Bezeichnung des philosophischen Historikers scheint sich wie ein Etikett an Schillers Name geheftet zu haben. Dabei wurde immer wieder bezweifelt, ob Schiller überhaupt so etwas wie eine Geschichtsphilosophie inauguriert habe, was am ehesten noch seinen kleinen universalhistorischen Schriften zugestanden wurde.668 Für die großen Schriften dagegen, und dies gilt vor allem für den Dreißigjährigen Krieg, könne eine solche Geschichtsphilosophie kaum geltend gemacht werden. Hertzman hat die Bezeichnung wohl auch kaum in diesem modernen Sinne verstanden, sondern lediglich die Unterscheidung zwischen einem kompilierenden Dahererzählen und einer kritisch-analysierenden Ursachenforschung betont. Schiller – so Hertzman – unterscheide sich von solchen Historikern, die lediglich Folianten füllten aber keine Gedanken äußerten, dadurch, dass er alle Ereignisse, die er berühre, dergestalt verwandle, dass sie dem Denker Anlass zu neuen Untersuchungen gäben. Die Sichtweise der Zeitgenossen auf Schiller als Geschichtsphilosoph korrespondierte völlig mit dessen Selbstauffassung: Schiller verstand sich als Geschichtsphilosoph wie kein deutscher Historiker vor ihm.669 Die Betonung, dass Schiller immer wieder »Genealogie und Chronologie« vergesse, weist auf die antiquierte Situation der schwedischen Historiographie hin, wo man hauptsächlich, so Höijer, mit dem »zusammenstellen neuer Bibliotheken« beschäftigt war, mit »diplomatischen Akten«, »Anekdoten«, »unsicheren Reisebeschreibungen«, »chronologischen, geographischen und genealogischen Untersuchungen« (Litteratur-tidning, 1797, S. 484). Noch dem bekannteste Historiker der Zeit, Eric MichaÚl Fant, wurde einige Jahre später in Journal för svensk litteratur (Bd. V, 9. Heft, S. 515) vorgeworfen, dass »die chronologische Ordnung scheinbar die einzige Regel sei, welcher der Verfasser folge«.670 In diesem Kontext musste die Schiller’sche Historiographie freilich als völliges Novum erscheinen, wenn sie »über das Faktensammeln hinaus die sinndeutende Erzählung, die psychologische Personencharakteristik und internationale Einordnung der Geschehnisse« im Geiste der »fortgeschrittenen Bestrebungen der Göttinger Historiker« in den Mittelpunkt stellte.671 668 B. von Wiese, Friedrich von Schiller, 1959, S. 330. 669 N. Oellers, Schiller, 2006, S. 421. 670 Dass die Chronologie die dominierende Darstellungsweise war, zeigt sich z. B. auch in einer Rede von Daniel Erik Holmquist in Historiska Sällskapet Upsala, wo er am 24. Mai 1786 die Bedeutung der Chronologie unterstrichen hat. (Siehe Handschriften in Universitets Bibliotek Upsala: Hist. Sällskapet Upsala, 1786 – 1799, U 164) 671 H. Schleier, Die Stellung Schillers in der europäischen Geschichtswissenschaft, in: Schiller und die Geschichte, 2006, S. 130. In der Tat konstatiert auch D. Fulda, Wissenschaft aus Kunst, 1996, S. 261, dass Schiller die Chronologie weit hinter sich gelassen hat.

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Ein weiteres Verdienst Schillers – so Hertzman im Vorwort seiner Übersetzung – sei seine Unparteilichkeit, die allenthalben walte: »Der Autor hat nirgends vergessen, dass er für eine unparteiische Nachwelt schreibt, und dass die Wahrheit seine erste Pflicht ist.« Schillers Neutralität gegenüber dem historischen Konflikt zwischen Protestantismus und Katholizismus sei umso rühmenswerter, wenn man bedenke, dass er selbst in einem protestantischen Land aufgewachsen sei.672 Die Betonung der Unparteilichkeit betrifft hier einerseits die politische, andererseits die konfessionelle Unabhängigkeit des Historikers, die im Zuge der Aufklärung in England, Frankreich und Deutschland zusehends eine unhintergehbare Bedingung der Geschichtsschreibung wurde, in Schweden jedoch noch kaum realisiert war. Während Gustav III. in Fragen der Religion Toleranz walten ließ, wurde unter seinem Sohn die theologische Zensur wieder angezogen.673 Gegenüber den Tugenden der Schiller’schen Geschichtsschreibung seien die Mängel leicht zu verschmerzen: Aber bei all seinen Verdiensten scheint diese Arbeit von Herrn Schiller, was den Stil angeht, nicht freigesprochen werden zu können von dem wohl gewöhnlichen Fehler deutscher Autoren, den Leser mit einer Menge von Wörtern und schönen Ausdrücken zu überhäufen, welche zeitweise die Aussage des Autors verdunkeln. […] Dieser Fehler sind jedoch wenige, und werden leicht von den Verdiensten der Arbeit verdeckt.674

StP widmet der Übersetzung eine zwei komplette Ausgaben ‚ vier Seiten umfassende Rezension (19. bzw. 20. 5. 1797), welche wie stets in dieser Zeitung weniger aus Analyse und Kritik, als aus Textausschnitten der Übersetzung besteht. Der Rezensent erhebt sich nicht über die bloße Behauptung, dass dieses Werk und insbesondere der dritte Teil von besonderem Interesse für die 672 Tatsächlich hat sich Schiller »von der immer noch sehr verbreiteten theologischen Betrachtung bzw. Begründung der Geschichte« gelöst: Indirekt in seiner Schrift über die Anfänge der Menschheit, indem er keine religiöse Lehrmeinungen gelten lassen wollte, direkt, indem er immer wieder auf die Schattenseiten der Kirchengeschichte, z. B. die Kreuzzüge oder die Inquisition, hinwies. H. Schleier, Die Stellung Schillers in der europäischen Geschichtswissenschaft, in: Schiller und die Geschichte, 2006, S. 130 f. 673 Lediglich der Schiller-Kritiker Hammarsköld äußerte die Meinung: »Wir finden Schiller auch hier nicht ausreichend unparteiisch, sobald es darum geht, Schweden, Franzosen und Deutsche miteinander zu vergleichen. Immer macht er die vorigen etwas kleiner und die letzteren etwas größer als es recht ist.« Zitiert nach G. Hjelm-Mylczin, Gud n”de alla fattiga översättare, S. 132. Man wird Hammarskölds Äußerung jedoch nicht zuviel Gewicht beimessen, kennt man seine polemische Einstellung zu Schiller (siehe Kapitel XIV). Dies im Unterschied zu G. Hjelm-Milcyin (S. 132), die der Aussage Hammarskjölds eine allgemeinere Bedeutung beimisst 674 Historia om Trettio-”riga kriget: »Men med all sin förtjenst synes detta Herr Schillers Arbete, hvad stilen ang”r, icke kunna frikallas fr”n det hos Tyske Författare nog vanliga felet, at öfverhopa Läsaren med en mängd ord och granna termer, hvilka stundom göra Auctorens mening n”got mörk. […] Dessa fel äro dock icke m”nga, och öfverskylas lätteligen af Arbetets förtjenster.«

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schwedische Öffentlichkeit sei, da es sich hierbei um eine der hervorragendsten Epochen der schwedischen Geschichte handle. Hinsichtlich der Übersetzung meint der Rezensent, auf die oben zitierte Einleitung des Übersetzers anspielend: Es kommt ganz auf die Güte der Übersetzung an, woran kaum erinnert werden muss. Denn was die Umstände angeht, dass der Übersetzer den Stil von Hr. Schiller zu reformieren wagte, der poetisch sein soll und durch einen Überfluss an Worten und Gepränge etwas dunkel; kann man in Ermangelung der Möglichkeit, die Übersetzung mit dem Original zu vergleichen nicht einsehen, welchen Dienst oder Undienst er damit dem schwedischen Leser getan hat. Herr Schiller ist auch bekannt als einer von Deutschlands bedeutendsten Skribenten, ein gleich großer Poet wie Historiker : hätte er nicht gewusst diese Talente zu nutzen, und falls daran zu zweifeln wäre, warum dem Publikum die Möglichkeit nehmen, dies zu beurteilen?675

Im Unterschied zum Rezensenten der StP, welcher sich über den Mangel an Möglichkeiten beklagt, die Übersetzung mit dem Original zu vergleichen, da jenes nicht zugänglich sei (obwohl dieses zumindest bei Cleve in Stockholm verfügbar war), hat der Rezensent des Journal för svensk litteratur, das zwei Rezensionen bringt, Zugang zu einer deutschen Ausgabe gehabt. Die erste, in Bd. I, 2. Heft, 1797, handelt vom ersten Teil der Übersetzung Historia om Trettioæriga kriget; af Fredric Schiller, Hof-R”d och Hist. Prof. i Jena. Öfversättning. Första Delen 1796. 150 Sidd. Andra Delen 1797. 174 Sidd. Tredje Delen 1797. 181 Sidd. Diese die Übersetzungen der ersten drei von 1796 – 1797 veröffentlichten Teile des Dreißigjährigen Krieges summierende Rezension – das Journal för svensk litteratur war erst ab 1797 erschienen – widmete sich vor allem den Schwierigkeiten und Problemen des Übersetzens im Allgemeinen und der Schwierigkeit des Übersetzens eines bedeutenden Autors wie Schiller im Besonderen. Der Rezensent weist diesbezüglich auf die vom Übersetzer im Vorwort geäußerte Bescheidenheit hin, die auch den strengsten Rezensenten entwaffne. In dieser Übersetzung ist ohne Zweifel das meiste des schönen Stils verloren gegangen, und damit auch viel von der Stärke der Gedanken und der Lebhaftigkeit der Erzählung; dessen ungeachtet wagt der Rezensent die Übersetzung gut zu nennen, nicht nur, weil sie nicht untreu und schlampig ist, sondern auch im Vergleich mit den Übersetzungen, 675 StP, 1797, S. 113: »Det kommer nu endast an upp” Öfversättningens godhet, hvarvid ingen ting hufvudsakligt synes vara at p”minna. Ty hvad den omständigheten ang”r, at Öfversättaren v”gat reformera Hr. Schillers styl, som skal vara nog poetisk och genom öfverflöd af ord och prydnader stundom n”got mörk; kan man i brist af tilfälle at jämföra Öfversättningen med Originalet ej inse hvad tjenst eller otjenst han dermedelst gjort Svenska Läsare. Herr Schiller är ock känd för en af Tysklands ypperste Scribenter, lika stor Skald som Häfdatecknare: skulle han ej med nog urskilning vetat använda dessa talanger, och i fall derom vore n”gon tviflan, hvarföre betaga Almänheten at derom döma?«

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die unser Blut täglich in Wallung versetzen. Für diejenigen, welche den Wert des Originals zwar kennen, aber nicht deutsch können, muss sie ebenfalls willkommen sein. Das natürliche Interesse, welches das Buch für die Schweden besitzt, forderte ebenfalls eine Übersetzung.676

Von den zwei Übersetzungsbeispielen, welche angeführt werden, um die Schwierigkeit des Übersetzens zu illustrieren, lautet das eine: Välgärning nog för Folken, at Fursternas fördel denna g”ngen öfverensstämde med deras (dt. Welche Wohltat für das Volk, dass der Vorteil der Fürsten dieses Mal mit dem ihren zusammenfiel, S. 5). Es liegt nahe, dass dieser in Zeiten der Zensur bedeutungsschwere Satz eher unter dem Vorwand eines Übersetzungsproblems zitiert wurde, als dass es ein solches wirklich illustriert. Die zweite Rezension 1798 in Bd. II, 1. Heft (Seite 8 – 10), behandelt die Übersetzung Historia om Trettio”riga Kriget; af Fredrik Schiller, Hof-R”d och Hist. Prof. i Jena, öfversättning. Fjerde Delen. 1792. 219 sidd. Der Rezensent zeigt sich erfreut, mitteilen zu dürfen, dass es dem Übersetzer in der Übertragung dieses vierten Teils weitaus besser gelungen ist, »Schillers Manier nachzuahmen«, als in den vorhergehenden Teilen: Der Rezensent wiederholt seine Anmerkung, dass, alldieweil dieses Werk im Hinblick auf den behandelten Inhalt wichtig und unterhaltend für jeden Schweden ist, der das Schicksal des Vaterlandes während dieser im Verhältnis zu anderen Mächten herausragendsten Epoche zu kennen wünscht, diese Übersetzung umso mehr Käufer finden sollte, als dass diese genau ist, und ungeachtet seines geringen Wertes im Vergleich zum Original, doch viel vom Reiz der Darstellung des Originals behalten hat; oder leben wir in einer Zeit, wo Bücher von wirklichem Wert von den Bücherläden verwiesen werden um schlechten Romanen und Broschüren für den Tag Platz zu machen? So lange diese Klage mit Recht erhoben werden kann, solange Handwerksübersetzungen ermuntert werden, solange mag man sich nicht wundern, dass unsere Verlage wenig fruchtbar sind für die Literatur und eine wahre Aufklärung.

Der Wunsch des Übersetzers und der Rezensenten in Journal för svensk litteratur und StP, das historische Werk möge eine große Leserschaft finden, ging über die Maßen in Erfüllung. Es scheint einerseits ein breites Publikum angezogen zu haben, andererseits aber auch die literarische und akademische Elite. Der Dreißigjährige Krieg hielt sich nicht nur viele Jahre in den populären Leihbibliotheken, es war noch in den 1820er Jahren eines der am häufigsten 676 Journal för svensk litteratur : »I denna öfversättning har utan tvifvel det mesta af stilens skönheter g”tt förloradt, och med detsamma äfven mycket af sjelfva tankarnas styrka och berättelsens lif; och det oaktadt v”gar Rec. kalla öfversättningen god, ej allenast s”som i allmänhet icke uppenbart otrogen eller v”rdslös, utan ock i jämnförelse med dem som dagligen sätta v”ra pressar i rörelse. För dem som veta af originalets värde utan att känna tyska spr”ket, m”ste den äfven vara ganska vällkommen. Det naturliga interesse boken äger för Svenskar tycktes även fordra en öfversättning.«

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ausgeliehenen Werke der Geschichtsstudierenden in Uppsala.677 Gustaf Regn¦r, der bereits in den 1770er Jahren einen Versepos in Alexandrinern über die Schlacht bei Lützen begonnen hatte, das zu vollenden ihm nach eigener Aussage »Zeit und Vermögen« fehlte, nahm die Arbeit an diesem Projekt erst viele Jahre später wieder auf, als ihm in den Sinn kam, den Epos in eine schwedische Metrik zu setzen: »Dieser neue Ausweg eine langjährige Schuld zu bezahlen erfreute mein Gewissen genau so sehr wie es meine Lust zur Arbeit anstachelte; wozu Schillers gerade herausgekommene Historia om Tyska Tretti”rs Kriget ganz außerordentlich beitrug.«678 Regn¦r hat das entstandene Epos durchgängig mit auf Schiller verweisende Anmerkungen versehen. Bei dem im Vers verwendeten Wort »ringa« (der Geringe) merkt er an: »Einer von Schillers Ausdrücken, der, um verwendet werden zu können, lediglich in den Hexameter gesetzt werden muss. Seine ganze Historia ist von Interesse für eine Epopoe über den Dreißigjährigen Krieg.«679 Außer Regn¦rs 1814 publiziertem Slaget vid Lützen scheint auch Franz¦ns Epos Gustaf Adolph i Tyskland (1817) von Schiller inspiriert worden zu sein. Noch fast 20 Jahre nach der Publikation des Schiller’schen Geschichtswerkes, als Erik Gustav Geijer im Rahmen seiner Vorlesungen (1815 – 1819) über die schwedische Geschichte bis 1772 zu Gustaf Adolf kam, verbreitete sich das Gerücht, dass Geijer in gänzlicher Abhängigkeit von Schiller vortrage. Am 5. November 1816 druckt Gustaf D’Albedyhll in einem Brief an Lorenzo Hammarsköld die Hoffnung aus, dass Geijer bald den Dreißigjährigen Krieg verlassen würde, da er hier schlechterdings »Schiller verbatim vorlese«.680 Eine gleichlautende Bemerkung versandte D’Albedyhll auch an Jacob Adlerbeth, der, besorgt um Geijers Ruf, diesen warnte.681 Dieser bezeichnet am 19. November 1816 das Gerücht um seine Vorlesungen als »kurios«: »Natürlich bin ich in der Geschichte des Dreißigjährigen Krieges oft Schiller gefolgt. Aber dass meine ganze Geschichte über Gustaf Adolf nur eine Übersetzung von Schiller gewesen sein soll, ist etwas, das sich durch seine Unmöglichkeit selbst widerlegt.«682 Schon ein paar Wochen zuvor hatte Geijer es bei der Gelegenheit der Schilderung von Wallensteins Fall selbst für nötig erachtet, seine Zuhörer, bei denen er eine gute Kenntnis des Schiller’schen Werkes voraussetzen durfte, auf die Unmöglichkeit hinzuweisen, die Geschichte besser zu erzählen als Schiller, so »dass wir uns überhaupt kein schlechtes Gewissen machen, wenn wir ihn hier und anderenorts 677 678 679 680

B. Henningsson, Geijer som historiker, 1961, S. 62. G. Regn¦r, Vitterhets-Nöjen, 1814, S. 28. Ebd., S. 46. Zitiert nach B. Henningsson, Geijer som historiker, 1961, S. 164. Ep. H 2:V, Kungliga Biblioteket, Stockholm. 681 Ebd., S. 164. J. Adlerbeths dagbok 7.11. 1816, F 850 a. 682 Ebd., S. 164. Brief an J. Adlerbeth, Vitt. Ak. Arkiv.

Geijers Preisschrift über Sten Sture (1803)

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bloß übersetzen. – Denn in der Darstellung aller Ereignisse, die ein Interesse für Herz und Einbildungskraft haben, ist dieser Autor unübertrefflich.«683

5.

Geijers Preisschrift über Sten Sture (1803)

Erik Gustav Geijer, der bedeutendste schwedische Historiker der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, ist – so die allgemeine in gängigen Literaturgeschichten formulierte Auffassung – der romantischen Geschichtsauffassung zuzuordnen, und zwar als Antipode der »rationalen« und »gefühllosen« Aufklärungs-Historiographie.684 Zwar lässt sich an Geijers Entwicklung in der Tat die Verschiebung von einer aufklärerisch-teleologischen zu einer romantisch-organischen Historiographie im Zusammenspiel mit seiner Schiller-Rezeption verfolgen, gleichzeitig stellt sich jedoch die Frage, welcher im Folgenden nachgegangen werden soll, ob bei Geijer die Konstruktion eines radikalen Gegensatzes zwischen Aufklärung und Romantik in der Geschichtsschreibung sinnvoll ist. Geijers erste Kraftprobe im Historischen fand im Rahmen eines Elogen-Wettbewerbs statt, in welchem der junge Student Ende 1803 für seine Preisschrift über Sten Sture der Große Preis (Stora Priset) der Schwedischen Akademie zugesprochen wurde, mit welchem er schlagartig ans Licht der Öffentlichkeit trat. Hinter den verschlossenen Türen der Akademie war die Diskussion bezüglich der Preisverleihung keineswegs einhellig verlaufen. Den Ausschlag gaben die Befürwortung Rosensteins, Adlerbeths und Leopolds, welcher letztere es als die Aufgabe der Akademie ansah, offensichtliches Talent, auch bei ebenso offensichtlichen Mängeln, zu fördern.685 Leopold, der sich hier einmal mehr nicht als der später so angesehene Klotz erwies, welcher der neuen Generation im Wege lag, hatte sich anscheinend nicht an den offensichtlichen Schillerismen gestört, die dem Text eignen, und auch nicht an der deutlichen Verschiebung des rhetorisch-pathetischen Genres zum Universalhistorischen hin. Auf die Bedeutung Schillers für den jungen Geijer ist schon häufig hingewiesen worden, wobei man sich auf schriftliche Aussagen des jungen Geijer stützen konnte.686 A. Blanck hat dargelegt, dass der junge Geijer die Fakten der 683 Ebd., S. 164. 684 L. Stavenow, Den moderna vetenskapens genombrott, 1913, S. 16 ff; J. Landquist, Erik Gustav Geijer, 1924, S. 302 ff. 685 Siehe J. Landquist, Erik Gustav Geijer, 1924, S. 31 ff. 686 In einem Brief vom 26. Februar 1804 – also nach der Preisverleihung – an die Eltern berichtet der junge Geijer von einem Gespräch mit dem Akademiemitglied Lehnberg, der sich kritisch zum Genre Äreminne (Eloge) äußerte, worauf Geijer zustimmte und meinte, er lese lieber eine Biographie von der Hand eines Schillers als eine Gedächtnisrede (E. G. Geijer, Brev, 26. 2. 1804). Geijer hat sich jedoch im folgenden Jahr, 1805, erneut in einer Schrift über Axel Oxenstierna in diesem Genre versucht, die zwar gelobt wurde, jedoch

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historischen Darstellung von Olof Dalin entnommen hat, die Form von Magnus Lehnberg, und den ideellen Rahmen, welcher die Fakten zusammenhalten, unterschiedlichen Autoren wie Rousseau, Ferguson, Robertson, Voltaire und vor allem Schiller.687 Im Folgenden soll der erste Text Geijers einer genauen Lektüre unterzogen werden, um das Tiefenrelief der Schiller’schen Einflüsse freizulegen: Es gibt einen wichtigen Zeitpunkt im Fortgang der Kultur eines Volksschlages, das ist der, wo das Menschengeschlecht von seiner Wiege, umgeben von feindlichen Kräften, sich seinen Bestand erkämpft hat, um in geregelter und freier Wirksamkeit an seiner Veredelung arbeiten zu dürfen. Der gebeugte Sohn der Mühe, der aus einer umständlichen Natur seine notwendigsten Bedürfnisse, der seine geringe Ernte mit seinem Schweiß und seinen Tränen befeuchtet und diese vielleicht vor der Raubgier eines Tyrannen oder dem Angriff eines Feindes verbirgt, er ist nicht offen für die ruhigen Übungen der Vernunft, die frohen Beschäftigungen des Genies und die edleren Gefühle des Herzens. Mächtig spricht aus ihm die Stimme der Bedürfnisse, und unter deren herrischem Geiste verkümmert die höhere Anlage des Menschen. Erst dann erlangt ein Land allgemeinen Wohlstand: wenn allgemeine Geschäftigkeit der Bürger diesen Wohlstand nährt, den diese geschaffen hat: wenn eine lichte und gerechte Regierung diesen schützt: wenn die innere Stärke äußere Sicherheit gegeben hat: wenn der Sturm der rohen Leidenschaften im Laufe der Zeit sich beruhigte: wenn der Staat die Bürger achtet, während der Bürger beginnt achtenswert zu werden: wenn die wilde Zügellosigkeit der Natur gebrochen wurde und diese von der Menschen Hand eine frohere Form angenommen hat: erst in einem solchen Land soll die stille Flamme der Menschlichkeit, wie das himmlische Feuer, welches das vollendete Standbild des Prometheus belebte, das Herz der Menschen entflammen, in diesen genährt werden, diese erwärmen, und in diesen einen vollen und reichen Charakter ausbilden.688 nicht den Preis der Akademie erhielt. Tegn¦r, der die Schrift las, schrieb in einem Brief am 14. November 1805: »Schillers großer Geist schwebt über dem ganzen Stück, wie vormals der Adler Roms über dem Siegerfeld. (»Schillers stora anda svävar över hela stycket, som fordom Roms örn över ett segerfält.«) Siehe A. Blanck, Erik Gustaf Geijer, 1947; B. Henningsson, Geijer som historiker, 1961; H. Borelius, Erik Gustaf Geijer. æren före »avfallet«, 1909; H. Borelius, Geijer och Schiller, 1905. Gleichwohl sind die expliziten Ausagen Geijers in jungen Jahren sehr spärlich: In seinen Minnen (Erinnerungen) bezeichnete er Schiller, neben Goethe und Rousseau, als den Lehrmeister seiner Jugend, und in einem Brief an seinen Onkel Rappolt aus dem Jahre 1804. 687 Siehe ISLH, V, S. 430. 688 G. Geijer, Samlade Skrifter, I, 1923, S. 1. »Det gives en viktig tidpunkt i fortg”ngen av folkslagens odling, det är den, d” människosläktet fr”n sin vagga, omvärvt av fientliga krafter, hunnit tillkämpa sig sitt best”nd, för att i en fri och jämn verksamhet f” arbeta p” sin förädling. Mödans böjde son, som av en ogen natur utpressar sina nödvändigaste behov, som fuktar sin knappa skörd med sitt svett och sina t”rar, och kanske bärgar den undan tyrannens rovgirighet eller en fiendes anfall, han är ej öppen för vettets lugna övningar, snillets glada yrken och hjärtats ädlare känslor. Mäktigt talar hos honom behovets röst, och under dess härjande anda förvissna människans högre anlag. Det är först d” ett land kommtit till allmänt välst”nd: d” allmän idoghet bland medborgarne underh”ller detta välst”nd, som den berett: d” en inre styrka givit yttre säkerhet: d” de r”a passionernas storm under tidevarven lugnat: d” staten aktar medborgaren, emedan medborgaren begynner att bli aktningsvärd: d” naturens vilda självsv”ld blifvit brutit och den av män-

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Der prachtvolle große Perspektiven umreißende Auftakt und quasi universalhistorische Enthusiasmus dieser Passage sowie kulturanthropologische Bausteine einer Schiller’schen Provenienz unterscheiden Geijers Text von herkömmlichen Beispielen dieses Genres, für welche Magnus Lehnbergs Äreminne über Birger Jarl (1788) vorbildhaft gewesen sein mag.689 Die Wort- bzw. Begriffsanalyse weist den Text als Schnittpunkt spätaufklärerischer Glaubenssätze und Diskurse aus: die Bedeutung der »Geschäftigkeit des Bürgers«, die erstrebte »höhere Anlage des Menschen« (Bestimmung des Menschen), die Angst des Aufklärers vor der wilden Zügellosigkeit der Natur im Menschen – an dieser Stelle gleitet Geijer in den von Schiller initiierten Diskurs des Gegensatzes von Herz und Vernunft, wobei er vor allem dem Herzen die Aufgabe zuschreibt, »einen vollen und reichen Charakter« auszubilden. Sowohl Geijer als auch Schiller kontrastieren das Bild eines hellen »Zeitpunktes« mit einem dunkleren Gemälde: »Dies war nicht immer so. Ich überblicke die Geschichte und bleibe bei einer Zeit stehen, die vier Jahrhunderte vor der unsrigen liegt. Was sehe ich?«690 Geijer sieht den Kampf zwischen Herrschern und Vasallen, eine »abscheuliche Staatskunst«, eine »blutdürstige Religion«, eine »rohe Denkweise, wilde Sitten«. Es handelt sich bei dieser kontrastierenden Gegenüberstellung eines hellen und eines dunklen Bildes nicht nur um die von Schiller so gerne verwendete rhetorisch-dramatische Figur der Antithese. Es handelt sich vielmehr auch um die Etablierung des Universalhistorikers zu Beginn des Textes, der – so Schiller – »von der neuesten Weltlage aufwärts dem Ursprung der Dinge entgegen rückt.«691 Das aufklärerisch-idealistische Pathos bei der Rede von einem »Zeitpunkt«, für welchen die »rohen Volksstämme« »aufgespart«692 wurden, um sich in der Betrachtung dieses Anfangs zu spiegeln, eignet dem Geijer’schen Text sowie Schillers Antrittsvorlesung. Schiller spricht vom »Zeitpunkt« im Konjunktiv, wenngleich deutlicher die Jetztzeit anvisierend als Geijer ; Geijers Vorstellung eines Zeitpunktes, an welchem das Menschengeschlecht an seiner Veredlung arbeiten muss, entspricht dem von Schiller im 3. Brief der Ästhetischen Erziehung (NA, XX, 313 ff) beschriebenen Augenblick des Aufwachens des Menschen

689 690 691 692

niskohand erh”llit en gladare skepnad: det är först i ett s”dant land, som mänsklighetens stille l”ga, lik den himmelska eld, som livade Promethei fulländade stod, skall tända människomängdens hjärtan, näras i dem, uppvärma dem, och i dem utbilda en full och rik karaktär«. M. Lehnberg, Äreminnen och inträdes-tal, h”llna i svenska akademien, af Magnus Lehnberg, 1829. G. Geijer, Samlade Skrifter, I, 1923, S. 2. Im Folgenden werden die Seitenzahlen im laufenden Text angegeben. F. Schiller, Was heißt und zu welchem Ende studiert man Universalgeschichte?, NA, XVII, S. 372. Ebd., NA, XVII, S. 364.

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aus seinem sinnlichen Schlummer. Der dort beschriebene Dualismus zwischen »freier Wirksamkeit und notwendiger Bedürfnisse« ist typisch für Kant und die nach-Kant’sche Philosophie. Das gleiche gilt für den Gegensatz »Zügellosigkeit der Natur und frohe Form« (Ästhetische Erziehung, 4. Brief, NA, XX, 315 ff): »Wenn die Natur in dem moralischen Bau der Gesellschaft ihre Mannigfaltigkeit zu behaupten strebt, so darf der moralischen Einheit dadurch keinen Abbruch geschehen; gleich weit von Einförmigkeit und Verwirrung ruht die siegende Form« (NA, XX, 318). Die Vorstellung einer »höheren Anlage« des Menschen findet sich wörtlich bei Schiller, der daraus konsequenterweise resultierende Wunsch einer »Veredlung« des Menschen ist ein Grundanliegen der Schiller’schen Ästhetik und Anthropologie. Es handelt sich in diesem Teil der oben zitierten Passage vermutlich um eine Paraphrase folgender Textstelle im Brief 4: Jeder individuelle Mensch, kann man sagen, trägt der Anlage und Bestimmung nach, einen reinen idealischen Menschen in sich, mit dessen unveränderlicher Einheit in allen seinen Abwechselungen übereinzustimmen die große Aufgabe seines Daseins ist. […] dass der Mensch in der Zeit zum Menschen in der Idee sich veredelt. (NA, XX, 316)

Schließlich kann auch Geijers Vorstellung der Ausbildung eines »vollen und reichen Charakters« auf Schillers Ideal der »Totalität des Charakters« in der Ästhetischen Erziehung (NA, XX, 318) zurückgeführt werden. Diese Textstelle weist deutlich Ähnlichkeiten mit dem von Höijer sechs Jahre zuvor entworfenen Kulturentwicklungsschema im Kontext der Wirkungsästhetik der Historiographie in seinem Essay über die pragmatische Geschichtsschreibung auf (siehe VII:5). Die Ähnlichkeit rührt einerseits von einer Abhängigkeit von der Schiller’schen Ästhetik und Anthropologie her, von einem offensichtlichen Glauben an die wohltuende Wirkung von Aufklärung und Kultur, verbunden mit einer Geringachtung der Natur andererseits. Sowohl Höijer als auch Geijer halten im Unterschied zu Rousseau an der Aufklärung fest, an einer Bestimmung des Menschen und einer in der Universalgeschichte notwendig zu applizierenden Teleologie – wie Kant und Schiller. John Landquist, der viel getan hat, um den Einfluss Schillers auf Geijer herunterzuspielen, um diesen dem Historismus zuordnen zu können, gesteht dies unfreiwillig zu, wenn er schreibt: »Dieser Gedanke, dass die innere Stärke des Staats auf ›allgemeiner bürgerlicher Freiheit beruhe und dem durch diesen geweckten bürgerlichen Geist‹, ist der Kerngedanke Geijers, der sein Werk und seine Persönlichkeit kennzeichnet«,693 und zwar durchaus schon in jungen Jahren (also nicht erst nach dem sogenannten »Abfall« in den 1840er Jahren), in welchen er von Höijer nur mit Bewunderung und Respekt sprach und als Student in Uppsala mit G. A. Silverstolpe sympathisierte, der wegen oppositionellen Denkens von der Uni693 J. Landquist, Erik Gustaf Geijer, 1924, S. 35.

Geijers Preisschrift über Sten Sture (1803)

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versität verwiesen wurde, was Geijer ein Jahr später deutlich zu spüren bekam, als er sich um eine Anstellung als Hauslehrer bewarb. Diese republikanische Gesinnung kommt auch in seiner Preisschrift über Sten Sture d. Ä. zum Ausdruck, wo Geijer die vormalige Bedeutung des Bauernstandes betonte und die Aristokratie kritisierte (ISLH, III, 90). Eine Vertiefung erfährt das Kulturentwicklungsschema in der folgenden Passage: Das war eine Zeit, als Schweden in seinen Wäldern und Felsen ein freies und großmütiges Geschlecht einschloss, die wilden kräftigen Söhne der Natur. Sie wurden von Königen in Erbfolge regiert. Feldzüge waren ihr Vergnügen, das Schwert ihr Eigentum, und Oden ihr Gott. Der Wilde, das Kind der Natur, trägt oft in seinem Charakter diesen Ausdruck einfacher Größe; aber der erste Funke der Kultur entzündete bei ihm einen Brand sich widerstreitender Kräfte. Er reißt sich los von der huldvollen Hand, von welcher er geleitet wurde, besitzt jedoch nicht genügend Stärke sich an der neuen Stütze zu halten, die ihm durch das neue Licht gezeigt wird, und fällt in die Tiefe. Die Barbarei ist die erste Stufe der Menschheit.694

Hier folgt Geijer zwar prinzipiell der Rousseau’schen Depravationstheorie, jedoch in einer Schiller’schen Version, die den Verfall als notwendige Stufe in den Rahmen der spezifisch Schiller’schen Psychologie einbettet und einen Aufstieg zu einem höheren Niveau vorsieht als das ursprünglich gegebene.695 Dementsprechend macht sich auch Schillers Unterscheidung des Wilden, der dadurch gekennzeichnet ist, dass die Gefühle über die Grundsätze herrschen, und dem Barbaren, dessen Grundsätze die Gefühle zerstören, geltend (Ästhetische Erziehung, Brief 4, NA, XX, 318). An der betreffenden Stelle im 4. Brief ist diese Unterscheidung freilich nicht in chronologischer Absicht angeführt, sondern in analytisch-anthropologischer. Die Einfügung dieses prinzipiellen Befundes der 694 G. Geijer, Samlade skrifter, I, 1923, S. 9 f: »Det var en tid, d” Sverige inneslöt inom sina skogar och klippor ett fritt och storsint släkte, naturens vilda, kraftfulla söner. De regerades av ärftliga konungar. Härnader voro deras nöjen, svärdet deras egendom, och Oden deras gud. Vilden, naturens fosterbarn, bär ofta i sin karaktär detta uttryck av enkel storhet; men odlingens första gnista tänder hos honom en brand av stridande krafter. Han river sig lös ifr”n den hulda hand, av vilken han leddes, äger ej styrka nog att fästa sig vid det stöd, som av det nya ljuset honom visas, och faller i djupet. Barbariet är mänsklighetens första steg.« 695 N. Erdmann, Erik Gustaf Geijer, 1897, hatte den Einfluss J. J. Rousseaus auf diese erste Schrift Geijers geltend gemacht. Gegen Rousseau als wichtigem Souffleur für diese Schrift spricht jedoch die mit dem aufklärerischen Kulturschema zusammenhängende Negativbewertung der Natur, bei Schiller das Stadium des Wilden, bei Geijer der »Sohn der Mühe«. Für Rousseau und gegen platte Aufklärungsvorstellungen könnte freilich die Bedeutung und mehrmalige Nennung des »Herzens« in dieser kurzen Passage sprechen. Da jedoch in Schillers Schriften (Ästhetische Erziehung) sowohl die Rousseau’sche Betonung des Herzens als auch die Vorstellung einer Fortentwicklung der Kultur aufgehoben sind, mithin die Nähe der in dieser Passage entwickelten Gedanken zu Schiller gegeben ist, spricht mehr für den Einfluss Schillers. Geijers Betonung des Herzens ist übrigens der entscheidende Unterschied zu Höijer, der als Philosoph eher erkenntnisfördernde Kompetenzen – den Intellekt – in den Mittelpunkt seines Aufklärungsmodells stellt.

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menschlichen Natur in ihren zwei Verfehlungsformen in ein temporäres Kulturentwicklungsschema, wie es Geijer in der oben zitierten Textpassage vornimmt, wird jedoch vom Schiller’schen Text durchaus nahegelegt. Handelt es sich doch offenbar in der Intention Schillers beim »Barbaren« um den nur vernünftigen Menschen der Aufklärung, der notwendigerweise später existiert als der nur trieb- und gefühlsgesteuerte Mensch, der »Wilde«. Wie auch bei seiner Unterscheidung des Naiven und Sentimentalen war es Schiller zwar darum zu tun, die gleichzeitige Existenz dieser beiden Typen in der gegenwärtigen Epoche ontogenetisch festzustellen; phylogenetisch, d. h. als Tendenz einer Epoche, ist jedoch die von Geijer vorgenommene Chronologie durchaus im Schiller’schen Text angelegt. Völlig und bis in die Wortwahl an Schiller angelehnt ist die Vorstellung des sich Lösens von dem leitenden Band der Natur, ohne bereits über eine neue »Stütze« (Ebd., Brief 3, NA, XX, 314 f) zu verfügen, was die Störung der ursprünglichen Harmonie zur Folge hat und sich in »widerstreitenden Kräften« äußert. In der folgenden Passage, die wiederum reich an Schiller-Anspielungen ist, beschreibt Geijer die Staatskunst Sten Stures im Konflikt mit dem dänischen König Christian, um dann auf den Charakter Sten Stures zu sprechen zu kommen. Kristian eilt selbst herbei. Es fehlt nicht an großen Versprechen, nicht an schönen Reden, an keiner der Künste der Staatsklugheit. Man gibt nach, man zögert. Die Dänen verlieren nicht die Hoffnung; aber sind nach Jahren dem Ziel nicht näher. Sten Sture, nicht immer sichtbar, aber immer wirksam, ist derjenige, der hinter diesem Kunstwerk steht, und den verwunderungswürdigen Effekt hervorbringt. Den tausend Federn, von tausend einzelnen Leidenschaften bewegt, die hier gegeneinander arbeiten, folgt sein scharfes Auge, löst sie aus ihrem Zusammenhang, berechnet ihren Gang, ihre Kraft, und sieht deren Wirkung voraus. Jetzt soll sie offenbar hervorbrechen: – eine hastige, kaum bemerkbare Wendung – und der Plan ist zerbrochen, und der Gang des Spieles ist verändert.696

Ernst Osterkamp hat dargelegt, dass die Historiographie der Aufklärung im Zuge des Wegfalls theologischer Erklärmodelle der Geschichte diese durch eine neue Teleologie geordnet hat.697 Die Aufgabe der Kontingenzbeseitigung wird 696 G. Geijer, Samlade skrifter, I, 1923, S. 9: »Kristian kommer själv tillstädes. Stora löften fattas icke, ej heller vältalighet, ej heller n”gon av statsklokhetens konster. Man efterger, man tycks tveka. De danske förlora icke hoppet; men st” efter m”nga ”rs försök ej närmare m”let. Sten Sture ej alltid sedd, men alltid verksam, är den som st”r bakom detta konstverk, och frambringar den förundransvärda effekten. De tusende fjädrat, av tusende särskilda passioner rörda, som arbeta här om varannan, följer hans skarpa öga, avskiljer dem i deras sammanhang, beräknar deras g”ng, deras kraft, och förutser den ”syftade verkan. Nu skall hon uppenbart frambryta: – en hastig, omärklig vändning – och planen är bruten, och spelets g”ng är förändrad.« Siehe D. Fulda, Wissenschaft aus Kunst, 1996, S. 237. 697 E. Osterkamp, Historische Portraitkunst, in: Schiller als Historiker, 1995, S. 172.

Geijers Preisschrift über Sten Sture (1803)

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von historischen Subjekten vorgenommen, denen eine providentielle Kompetenz eignet. Schiller hat diese Fähigkeit bei den wichtigen Akteuren des Abfalls der Niederlande hervorgehoben: Wilhelm von Oraniens »durchdringender fester Blick in die vergangene Zeit, die Gegenwart und die Zukunft« erlaubte ihm »kühne Berechnungen, die an der langen Kette der Zukunft hinunter spinnen«; Granvella »erkannte oft in der Miene schon die ganze Gedankenreihe, wie in dem vorangeschickten Schatten die nahende Gestalt«; und, hinsichtlich Philipp II., den »größten Kenner der Gemüther«, der »schnell und tief in einen Karakter schaut«, äußert er : »Der König kannte seine Menschen«. Es zeigt sich an dieser Beschreibung Sten Stures übrigens auch eine gewisse Nähe zum Schiller’schen Wallenstein. Gerade die paradoxe Mischung des Zögerlichen und des ewig Wirksamen ist in nuce der Zwiespalt, in welchem Wallenstein sich bewegt. Geijers Betonung des »scharfen Auges« und Sten Stures Vermögen, den Gang der Dinge zu berechnen und vorauszusehen ist ein wichtiges Motiv im Wallenstein (»Die sieht das Aug nur, das entsiegelte«, Die Piccolomini, Vers 984, NA, VIII, 99). Und das ist ein Staatsmann den ich zeichne? – Staatsklugheit! – ein Fluch klebt an diesem Namen, Anklagen, erhoben von Millionen von Opfern. Eine verhasste Kunst, betrieben im Elend der Menschen, auf Menschenverachtung sich gründend, und alleine frech genug, sich frei von allen menschlichen Verbindungen zu wähnen. Und trotzdem stehe ich auf und segne sie bei dem großen Regenten, wie die milde Beschützerin der Menschheit bis zum Tage ihrer Mündigkeit, verehre sie bei dem edlen Manne, als höchste Freiheit und Fülle eines menschlichen Charakters: – ein Charakter, der mit entzückender Leichtigkeit sich in den schwierigsten Lagen findet, sicher an Abgründen wandert, in welchen andere umkommen, der nie seine Fassung verliert und seine schöne Harmonie, zeigt dem hingerissenen Zuschauer das höchste Schauspiel: das ernste Rätsel des Lebens in einem erhabenen Spiel aufgelöst. Gerecht erinnert uns Sten Sture an dieses Ideal. Die feste Redlichkeit im Herzen vereint mit diesem vielseitigen Genie und diesen reichen Gaben des Umganges (Geselligkeit) mit Menschen, diese Tiefe, diese Offenheit des Charakters macht Sten Sture nicht nur zu dem, was er ist, die Ehre schwedischer Männer, sondern zu einem interessanten und lieblichen (anmutigen) Anblick für Menschen aller Nationen und Zeiten, zu einem Beispiel schönerer Menschlichkeit in einem Zeitalter, wo die Redlichkeit verbunden war mit der Rohheit, das Genie sich durch Kraft auszeichnete, aber auch durch Härte, und die Staatsklugheit die Kunst Ludvig XI:s war.698 698 E. G. Geijer, Samlade skrifter, I, 1923, S. 13 f: »Och det är en statsman jag m”lar? – Statsklokhet! – förbannelser häfta vid detta namn, anklagelser, höjda av miljoner offer. En förhatlig konst, alstrad under människornas eländen, grundad p” människoförakt, och som ensam har fräckhet nog, att erkänna sig fri fr”n alla mänskliga förbindelser. Och dock st”r jag opp och välsignar den hos den stora regenten, som mänsklighetens milda skyddarinna till dess myndighetsdagar, vördar den hos den ädla mannen, som högsta frihet och fullhet av en mänsklig karaktär : – en karakter, som med förtjusande lätthet finner sig i de sv”raste belägenheter, vandrar trygg vid avgrunder, i hvilka andra stupa; som, aldrig fallen ur sin fattning och sin sköna harmoni, visar för den hänryckta ”sk”daren det högsta sk”despel:

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Eingangs stimmt Geijer die Schelte der Staatsklugheit an, wie sie in der Tradition einer jahrhundertealten Machiavellikritik beinahe zum Klischee erstarrt war, aber auch in Schillers Wallenstein durch die Figur des Max präsent ist (Die Piccolomini, Vers 2631 ff, NA, VIII, 171). Wie der Schiller’sche Wallenstein ringt Sten Sture, der sich ins realpolitische Feld der Staatsklugheit geworfen hat, dem »Zuschauer des historischen Schauspieles« – eine Bezeichnung die von Geijer und Schiller oft verwendet werden – die Bewunderung ab. Es wurde oben bereits darauf hingewiesen, dass Geijer sich weit von den empfohlenen Vorbildern der Elogen-Gattung entfernt hatte. Dem französischen Vorbild gemäß, von Thomas geschaffen und unter Gustaf III. in den 1780er Jahren nach Schweden importiert, wurde die exemplarisch-heroische Herausstellung einer Figur zur moralischen Belehrung im Dienste der Nation bezweckt. In Geijers Eloge ist jedoch oft unklar, wer der eigentliche Held ist, das schwedische Volk oder Sten Sture. So z. B. wenn Geijer bei dem Bilde verweilt, wo Sten Sture von den Ständen das absolute Vertrauen ausgesprochen wird, und hinsichtlich der »Klasse des Volkes«, die fast überall unterdrückt ist, in Schweden jedoch ebenbürtig neben den anderen Ständen sich behauptet, ausführt: Das ist der freie gemeine Mann Schwedens, der unter den Nationen der schwedischen den Namen einer aufgeklärten Gesellschaftsordnung gegeben hat. Kaum ist in Europa ein Staat heftigeren Umbrüchen ausgesetzt: Feinde haben ihn von allen Seiten bedrängt, Stürme haben seinen Regimentbau erschüttert, und doch hat er, wie einer seiner größten Könige gesagt hat, in seiner Not immer Hilfe bei Gott und sich selbst gefunden, selbst seine Wunden geheilt, und von der Tiefe des Verfalls schnell wieder auferstanden zu Ehre und Wohlstand. – Was ist die Ursache? – Ich wage es zu sagen. Es gibt keinen schwedischen Mann, der Sklave ist. In der allgemeinen mitbürgerlichen Freiheit und dem daraus entstandenen mitbürgerlichen Geist liegt es: im inneren heiligen Leben dieses Staates, dem kein Unglück schaden konnte.699

livets allvarliga g”ta upplöst i en sublim lek. Rättvist p”minner oss Sten Sture om detta ideal. Den fasta redligheten i hjärtat förenad med detta böjliga snille och denna rika umgängesg”va med människor, detta djup, denna öppenhet i karaktären gör ej blott Sten Sture till vad han är, svenske mäns ära, utan till en intressant« och ljuv syn för människor av alla nationer och tider, till ett exempel av skönare mänsklighet i ett tidevarv, d” redligheten var blandad med r”het, snillet utmärkt av kraft, men av h”rdhet, och statsklokheten Ludvig XI:s konst.« 699 E. G. Geijer, Äreminne, in: Samlade skrifter, I, 1923, S. 24. »[…] det är Sveriges fria menighet, som gifvit bland nationerna den svenska ett namn för att äga en upplyst samhällsordning. Knappt har i Europa n”gon stat varit utsatt för häftigare brytningar: fiender hava trängt det p” alla sidor, stormar hava skakat dess regementsbyggnad, och dock har det, som en av dess största konungar sagt, under sin nöd alltid funnit sin hjälp hos Gud och sig själv, själv botat sina sm” s”r, och fr”n djupet av förfall hastigt stigit opp till ära och välst”nd. – Vad är orsaken? – Jag v”gar säga den. Det finns ingen svensk man, som är slav. I allmän medborgerlig frihet och därav väckt medborgerlig anda ligger den: i detta statens inre heliga liv.«

Stil, Objektivität und Autonomie in Geijers De stilo apud romanos (1808)

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Es ist genau dieses Schwanken zwischen den Entitäten »Volk« und »Held«, das Ernst Osterkamp im Abfall der Niederlande bemerkt.700 Schiller, führt Osterkamp diesbezüglich aus, sah sich aus darstellerischen Gründen genötigt, das kollektive historische Subjekt durch den Repräsentanten Wilhelm von Oranien darzustellen. Geijer näherte sich der Schiller’schen Historiographie auf dem umgekehrten Wege. Es war ihm aufgegeben, eine Eloge über ein singuläres historisches Subjekt zu verfassen, was er jedoch in universalhistorischer Perspektive ausweitete.

6.

Stil, Objektivität und Autonomie in Geijers De stilo apud romanos (1808)

Geijer umkreiste, bevor er 1812 – 1816 sein Amt als Historiker antrat und ab den 1820er Jahren sukzessive seine eigentlich historischen Werke veröffentlichte, immer wieder in kleineren Aufsätzen historiographische Probleme. In einer Vielzahl im Zeitraum von 1805 bis 1820 verfassten akademischen Abhandlungen, Wettbewerbstexten für die Akademie und Aufsätzen befasste sich Geijer unter anderem mit Problemen der Geschichtsschreibung, so in Om den historiska stilen hos romarna, 1808 (dt. Über den historischen Stil bei den Römern), Om historien och dess förh”llande till religion, 1811 (dt. Über die Geschichte und ihr Verhältnis zur Religion) und Om historiens nytta, 1819 (dt. Über den Nutzen der Geschichte) dem Problem der geistigen Standortbestimmung, wie z. B. Om falsk och sann upplysning med avseende p” religionen, 1811 (dt. Über falsche und wahre Aufklärung unter Berücksichtigung der Religion) wenn er mit dem Materialismus und dem Nützlichkeitsdenken der »falschen Aufklärung« abrechnet, und mit Problemen der Ästhetik, z. B. in der Preisschrift über die Einbildungskraft (siehe Kapitel XI). Geijers Texte zeichnen sich durch eine dichte und komplexe Textur aus, die unterschiedlichste Phänomene miteinander zu verbinden sucht: Ästhetisches, Historisches, Moralisches, Politisches, Pädagogisches, Psychologisches und Soziologisches – diese sämtliche Fachgrenzen sprengende Komplexität entspricht der Schillers in seinen ästhetischen Schriften. Das ist auch der Grund, warum die auf Einflüsse und Gemeinsamkeiten schielenden Literaturwissenschaftler mit ganz unterschiedlichen Resultaten aufwarten können. Für sämtliche genannten Texte ließe sich der Nachweis führen, dass Schiller in der einen oder anderen Weise rezipiert worden ist. Im Folgenden sei jedoch ein Text zur näheren Betrachtung herangezogen, der in der Literaturwissenschaft wenig Beachtung gefunden hat und der Landquist ver700 E. Osterkamp, Historische Portraitkunst, in: Schiller als Historiker, 1995, S. 163.

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anlasst zu schreiben: »Schiller ist für Geijer als Philosoph und Ästhetiker etwas Vergangenes.«701 Die Kernthese der Schrift De stilo apud romanos besagt, dass die griechischen Geschichtsschreiber, allen voran Herodot, der diesbezüglich Homer gleiche, aber auch Thukydides und Xenofon eine naive, d. h. auch objektive Geschichtsschreibung pflegten, während die Römer Cäsar, Livius und Tacitus im Zeichen einer späten Kultur eine Geschichtsschreibung in einem sentimentalen, d. h. reflexiven Geist realisierten. Geijer fügt mit dieser von ihm verwendeten Terminologie des »Naiven« und »Sentimentalen« und mit den dazugehörigen Definitionen seine Abhandlung in das von Schiller geschaffene Deutungsmuster kultureller und literarischer Phänomene ein. Es ist deshalb keineswegs verwunderlich, dass Geijer in einer Anmerkung einerseits den Ursprung seiner Terminologie nennt, andererseits auf eine gewisse Abweichung seiner Anwendung derselben von Schiller betont: Die Historiker der Römer sind sentimental, um den Terminus technicus zu verwenden, dessen Bedeutung schon Schiller in Über naive und sentimentalische Dichtung benannt hat, und verraten einen elegischen oder satirischen Geist, mit Ausnahme von Cäsar, von welchem später die Rede sein soll. Schiller hat angedeutet, dass diese Seelengestimmtheit schließlich vorherrschend bei den Alten war und dies nicht nur in der Poesie sondern auch in der Geschichtsschreibung. Eine Idylle der Art, die sich damit begnügt, den vollkommenen Zustand der Menschheit auszumalen, ist zu weit entfernt von der Wahrheit, um einen Platz in der Geschichte zu erhalten. Einige Spuren davon finden sich bei Livius. Wenn es etwas gibt, was der ausgezeichnete Verfasser der zitierten Arbeit weniger richtig ausgeführt hat, so ist es dies, dass er diese Sinnesart als in sich notwendig vorstellt, da sie nur in einem Zeitalter Kraft entfalten kann, wo die objektive Kraft der Idee vergangen ist, da der Mensch nicht mehr innerlich überzeugt ist, dass alles von einer höchsten Notwendigkeit geleitet wird und die menschlichen Dinge und ihre Zwecke dem Gutdünken des einzelnen anheim gegeben sind.702

Die von Geijer so benannte Unrichtigkeit in Schillers Anwendung der Terminologie, d. h. als prinzipiell mögliche – in sich notwendige – psychologische Typen, im Gegensatz zu Geijer, der den zeitlich-geschichtlichen Kontext dieser Typen hervorheben will, wurde insbesondere von Landquist bemerkt und dazu benutzt, auf eine weltanschauliche Distanz zwischen Schiller und Geijer hinzuweisen. Landquists Indiz für eine solche Distanz ist jedoch ein Detail und 701 J. Landquist, Erik Gustaf Geijer, 1924, S. 46. 702 E. G. Geijer, Om den historiska stilen hos romarna, 1808: »Om det är n”got som den utmärkte författaren i det citerade arbetet (Über naive und sentimentalische Dichtung) kan synas ha utfört mindre riktigt, s” är det detta att han fastställer hela denna sinnesart (den sentimentala) s”som i sig nödvändig, d” den likväl endast kan vinna kraft i en tids”lder, där id¦ns s” att säga objektiva kraft g”tt bort, d” människorna icke längre äro innerligt övertygade, att allt styres av en högsta nödvändighet och de mänskliga tingen och deras ändam”l lagts i det enskilda godtyckets hand.«

Stil, Objektivität und Autonomie in Geijers De stilo apud romanos (1808)

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keineswegs so relevant, wie es scheinen will. Das empirische Material, das Schiller zur Verfügung steht und dem er Beispiele entnimmt und Schlussfolgerungen ableitet, legt es nahe, die »Alten« als tendenziell naiv, die »Neuen« als tendenziell sentimental aufzufassen. Es lassen sich zahlreiche Textstellen in Über naive und sentimentalische Dichtung finden, die Schillers Bewusstsein der historischen Verankerung der psychologischen Typen des Naiven und Sentimentalen hinreichend belegen.703 Als einziger Naiver figuriert ihm in der Gegenwart noch Goethe.704 Wichtiger als dieser Nebenschauplatz des Naiven und Sentimentalischen sind jedoch einige historiographische Grundsätze, die er einleitend deduziert. Er stellt fest, dass die Geschichtsschreibung auf Wahrheit ziele und auf Objektivität beruhe. Diese wiederum sei abhängig davon, dass der Historiker das Ziel kennt, auf welches sich die menschliche Gesellschaft hinbewegt. Dieses Ziel – es handelt sich um den vollkommenen und universellen Staat, in welchem die Freiheit verwirklicht ist – sei der »feste Stern«, um welchen der Historiker kreist. Die Betrachtung der Idee des vollkommenen und universellen Staates offenbart die verborgene Notwendigkeit und den Plan im scheinbar undurchschaubaren Verlauf der Geschichte. Landquist sieht sämtliche hier genannten Punkte im Zusammenhang mit Schellings Schrift System des transzendentalen Idealismus. Ein näherliegender Vergleich ist jedoch bis in die Verwendung rhetorischer Figuren der mit Schillers Antrittsrede und Kants Geschichte in weltbürgerlicher Absicht. Niemand anderer als Kant hatte in der kleinen besagten Schrift über den »verborgenen Plan« der Natur gesprochen, einen »Chiliasmus«, der auf eine vollkommene Staatsverfassung hinlaufe, zu deren Herbeiführung die Einsicht in die »Idee« ein Weniges tun könne, und die Möglichkeit einer solchen Einsicht in 703 F. Schiller, Über naive und sentimentalische Dichtung, NA, XX, 430 f: »Sehr viel anders war es mit den alten Griechen. Bei diesen artete die Kultur nicht so weit aus, dass die Natur darüber verlassen wurde. […] da also der Grieche die Natur in der Menschheit nicht verloren hatte, so konnte er außerhalb dieser auch nicht von ihr überrascht werden und kein so dringendes Bedürfnis nach Gegenständen haben, in denen er sie wiederfand.« Und ebd., S. 435: »Dichter von dieser naiven Gattung sind in einem künstlichen Weltalter nicht so recht mehr an ihrer Stelle.« 704 J. Landquist Erik Gustaf Geijer, 1924, S. 43 ff, wies auf einen anderen wichtigen Unterschied hin: Er sah in Geijers Verwendung der Schiller’schen Terminologie eine Umkehrung des ursprünglichen bei Schiller zu findenden Bedeutungsgehaltes. Während Schiller als »naiv« bezeichne, was sich auf das konkrete Einzelne richte, und »sentimental«, was sich auf eine Idee beziehe, nenne Geijer die griechischen Geschichtsschreiber »naiv«, welche sich eben nicht auf ein Einzelnes richten sondern auf eine Idee, und die römischen Geschichtsschreiber als »sentimental«, welche sich hauptsächlich auf das Konkrete des römischen Staates richten, worin sich die Idee verwirklichen soll. Bei genauerem Hinsehen erweist sich jedoch der von Landquist behauptete Gegensatz als wenig relevant, soweit es der Behauptung nicht schlechterdings an Textgrundlage gebricht.

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Schillers historische Schriften

den historischen Verlauf mit der Schwierigkeit verglichen, die die Deutung des Fixsternsystems bereitet. Schiller hatte in der Antrittsvorlesung die Geschichte mit dem »homerischen Zeus« verglichen, der mit stets »gleich heiterm Blick« auf die »blutigen Arbeiten des Kriegs« blickt, darauf, »wie regellos auch die Freiheit des Menschen mit dem Weltlauf zu schalten scheine, ruhig sieht sie dem verworrenen Spiele zu«.705 Auch Geijer sieht die Historiographie als Kind Homers und beschwört eloquent die jupiterhafte Unparteilichkeit des Historikers, der nicht hassen und nicht einmal über den Fall Roms klagen dürfe, sondern sich unter der Majestät der Notwendigkeit zu beugen habe, als ruhiger Interpret des Schicksals, unvermischt mit menschlichen Belangen auf freiem Boden stehend. Genau an dieser Stelle macht Geijer den Unterschied zwischen den griechischen und römischen Historikern fest: Wenn man sich von den Griechen den Römern zuwendet, so bedarf es keiner besonderen Feinfühligkeit, um die Unterschiede zu bemerken. Diese Freiheit in der Seele des Redners, die Herodot, Thukydides, Xenofon nicht nur zulassen, sondern ermuntern und unterhalten, scheint den römischen Historiker, den Besiegern der Welt zugehörend, nicht gänzlich unberührt zu lassen, und Mitten in all der Kraft, der Ernsthaftigkeit, der Erhabenheit, die seine Stoffwahl und seine Darstellung auszeichnet, scheint es gleichwohl etwas zu geben, das die klare und reine Ruhe der Geschichte verwirrt.706

Der römische Historiker sei seinem Stoff gegenüber – dem römischen Imperium und seinen Feinden – nicht frei, sondern stets befangen, sei es, dass er tadelt, bewundert oder hasst: der römische Historiker habe ein Interesse, er sei stets Staatsmann. Die Abwertung der römischen Vorbilder kann durchaus auch als kritische Stellungnahme zur gustavianischen Elogen-Kultur, die in einer bestimmten Auffassung eines Tacitus, Livius und Plutarch schwelgte, aufgefasst werden. Gleichzeitig handelt es sich um einen deutlichen Ausschlag der Verschiebung des lateinischen Kulturparadigmas zum griechischen, wie es in der Nachfolge von Winckelmann und Schiller propagiert wurde. Über die Wirkungsästhetik des Spiels hinaus, wie sie von Schiller entworfen wurde, eignet der Konzeption Geijers freilich eine interessante Pointe. Ganz im Sinne der Aufklärung fordert er die Freiheit des Historikers von persönlichen und politischen Interessen: die interesselose Darstellung der Geschichte ist nur 705 Es war übrigens gerade die Passage in der Schrift über Sten Sture, in welcher Geijer davon handelte, dass sich das ernsthafteste Rätsel des Lebens in einem erhabenen Spiel auflöse, die J. Landquist (Erik Gustaf Geijer, 1924, S. 36) veranlasste zu schreiben: »Schillers Einfluss hat allerdings den Reflexionen Geijers einen unhistorischen und angestrengten Zug gegeben.« Von solchen Spekulationen – so Landquist weiter – hätte Geijer sich später ferngehalten. Dabei scheint die Idee des Spiels ein Gedanke gewesen zu sein, den Geijer fünf Jahre später noch für die Geschichtsschreibung als relevant erachtet hat. 706 E. G. Geijer, Samlade skrifter, I, 1923, S. 63 f.

Zusammenfassung

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noch der Wahrheit verpflichtet. In diesem Sinne verbindet Geijer das Projekt der Aufklärung einer objektiven, nur der Wahrheit verpflichteten Historiographie, mit Kants ästhetischen Prämissen der Interesselosigkeit und der Schiller’schen Spielkonzeption.

7.

Zusammenfassung

In den nur spärlich vorhandenen Darstellungen zur Entwicklung der schwedischen Geschichtsschreibung werden Höijer und Geijer der romantischen Historiographie und dem Historismus zugeordnet – dies freilich stets in deutlicher Abgrenzung zur Aufklärungs-Historiographie, denen Epitheton wie »rational«, »utilistisch« und »gefühllos« eignen. Schiller, der populärste Historiker der Epoche in Schweden, wird im Zusammenhang mit Höijers Geschichtskonzeption mit keinem Wort erwähnt, und im Zusammenhang mit Geijer wird seine Bedeutung heruntergespielt. Dabei scheint Schiller mit seiner Darstellung des Dreißiggjährigen Kriegs, die sogar den eisernen König Gustav IV. Adolf veranlasste, Schiller 1803 einen Ring zu überreichen, nicht nur populär gewesen zu sein, sondern auch allererste Autorität und Vorbild für eine »moderne« schwedische Geschichtsschreibung. Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass Höijer bei der Beschreibung des idealen Historikers in der Besprechung des Abfalls der Niederlande Schiller im Blick gehabt hat. Schiller verkörperte ihm in idealer Weise die Verbindung der Forderungen der strengen Wissenschaftlichkeit, des philosophischen Überblicks, des psychologischen Tiefsinns und der stilistischen und darstellerischen Begabung. Schiller wird mit Hume, Robertson und Gibbon in eine Reihe gestellt, welche letzteren jedoch der Vergangenheit angehörten – Schiller dagegen war der Historiker der Gegenwart. In seiner Schrift über den Begriff des »Pragmatischen« signalisiert Höijer, dass ihm an einer Weiterführung und Radikalisierung des Aufklärungsprojektes einer Verwissenschaftlichung der Historiographie gelegen war. Seine Diskussion der pragmatischen Geschichtsschreibung als eine zusammenhängende Erzählung, die in ihrer Ursache-Wirkung-Verkettung auf ein Telos zulaufe, greift offensichtlich die von Schlözer und Gatterer auf hohem Niveau inaugurierte und von Kant und Schiller weitergeführte Diskussion auf. Die Betonung des »Nationalen« und des »Zielgerichteten« der historischen Entwicklung bei Schiller und Höijer ist nicht, wie in der Forschung geltend gemacht worden ist, auf einen Einfluss des romantischen Weltbildes zurückzuführen, sondern ureigenstes Gedankengut der Aufklärung. Die ungeheure Popularität der Schiller’schen Historiographie bei gleichzeitiger Anerkennung und Bewunderung derselben auch in der professionellen schwedischen Kritik ist vor allem der literarischen Darstellung und der philo-

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Schillers historische Schriften

sophischen Behandlungsweise geschuldet. Schillers geringe Rücksicht auf eine chronologische Ordnung zugunsten eines höheren Organisationsprinzips wurde Respekt gezollt. Geringschätzig dagegen wies der Rezensent (Höijer) eines historischen Werks von Eric MichaÚl Fant, einem bekannten Historiker der Zeit, darauf hin, dass die einzige Ordnung die chronologische zu sein scheine. Insbesondere die Schiller’sche Kunst der innerlichen Organisation der Erzählung jenseits einer bloß chronologischen Kompilation, ihre Verdichtung und »Verfabelung« bis hin zur allgemeingültigen Parabel, war ohnegleichen in Schweden. Schiller füllte eine Lücke: es gab keine nennenswerte schwedische Geschichtsschreibung in dieser Zeit, ein Sachverhalt, der von Höijer vermerkt wurde. Die Geijer’sche Historiographie wurde in der Sekundärliteratur als »eine Offenbarung« bezeichnet, die »relativ spät« und voraussetzungslos ab den 1820er Jahren erschienen sei, und dem Historismus zugeordnet wurde. Es konnte gezeigt werden, dass die frühe Preisschrift über Sten Sture (1803) ins Universalgeschichtliche hinüberspielt, und wie sehr dieser frühe Text Geijers von der Terminologie und dem Geiste der Aufklärung und Schillers durchdrungen ist. Aber auch einem späteren Text von 1808 über den Stil der römischen Historiker, dem in der Forschung ein Einfluss Schillers abgesprochen wurde, konnte die Nähe zu Kant, Schiller und Höijer nachgewiesen werden: indem Geijer die von der Aufklärung geforderte Freiheit des Historikers mit den ästhetischen Prämissen der Interesselosigkeit bei Kant und der Schiller’schen Spielkonzeption zu verbinden wusste.

Kapitel VIII: Räuber, Schwärmer, Geisterseher

Schiller war im Jahr 1795 ein der schwedischen Leserschaft bekannter Autor, allerdings als Historiker, Dramatiker und Lyriker, d. h. als Produzent »seriöser« Literatur. Erst 1798, also zehn Jahre später als in Deutschland, erlangte Schiller mit der sukzessiven Übersetzung des Geistersehers auch als Erzähler eine Berühmtheit, welche der des Historikers und Dramatikers nicht nachsteht. Die erste Erwähnung Schillers in Schweden als Erzähler findet sich in der dänischschwedischen Zeitschrift Nordia im Jahr 1795 (siehe Kapitel VI), in welcher es in einem Artikel, der die dänische mit der deutschen Literatur vergleicht, heißt, dass es im Bereich der Prosaerzählung im Dänischen keinen gäbe, der den Vergleich mit den »romantischen Arbeiten« eines Müller, Jünger, Wezel, Wächter oder Schiller aushalte. Der Autor war freilich Däne und die dänische Schiller-Rezeption der schwedischen um ein Jahrzehnt voraus. Schiller als Erzähler figuriert in Schweden jedoch nicht nur als Autor des Geistersehers, sondern in unterschiedlichen Bereichen der Genreliteratur, wie im Folgenden gezeigt werden soll. In den schwedischen Literaturgeschichten wurde sowohl der schwedische Originalroman als auch die massenhafte Lektüre von Übersetzungen, welche in den 1790er Jahren einsetzt, weitgehend außer Acht gelassen.707 Im Kapitel Den gustavianska romanen (dt. Der gustavianische Roman) in ISLH heißt es z. B.: Die Freiheitszeit [1720 – 1772 A.d.Ü.] hat zwar nicht viel zustandegebracht, aber sie hatte zumindest einen schwedischen Originalroman geschaffen. Die gustavianische Zeit dagegen hat nicht einen einzigen Roman aufzuweisen, der in seiner Bedeutung für die Zeitgenossen Adalrik und Giöthilda an die Seite gestellt werden kann. In gewisser Hinsicht mag das mit der unterschiedlichen Schaffenslust der beiden Zeitalter zusammenhängen. Der Roman ist vor allem eine Dichtform der Bürgerlichkeit, und die Freiheitszeit war ihrem Charakter nach vor allem bürgerlich; Gustav III. Zeit war die 707 Bis zu M. Björkmans Arbeiten Läsarnas nöje (1992) und Original och översättning (1996), welche die übersetzte Romanliteratur eingehend untersucht hat, gab es nur die Arbeit von F. Böök, Romanens och prosaberättelsens historia i Sverige intill 1809, 1907.

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Räuber, Schwärmer, Geisterseher

des Hofs und der Aristokratie, und der Roman trat deshalb in der Hintergrund. Keiner der großen Autoren schrieb einen Roman, und der einzige, der sich als Prosaerzähler versuchte, war Leopold.708

Dass bei einer solchermaßen bekundeten Geringschätzung des Romans dieser Zeit auch die Popularität Schillers in Schweden als Prosaschriftsteller noch nicht wahrgenommen wurde, ist wenig verwunderlich, zumal der Erzähler Schiller lange Zeit auch ein Stiefkind der deutschen Literaturwissenschaft war. Während man die letzten zwei Jahrzehnte dem Historiker und dem Anthropologen Schiller Symposien, Sammelbände und Monographien widmete, ist der Romancier und Erzähler Schiller weiterhin zu entdecken.709 Tatsächlich konnte man sich bei der Geringschätzung der Prosa Schillers auf keinen geringeren als Schiller selbst stützen, der seine prosaischen Machwerke erklärtermaßen aus finanzieller Not, nicht zu Kunstzwecken fabrizierte, und den »Romanschreiber« nur als »Halbbruder« des Dichters ansah. Sieht man einmal von den Philosophischen Briefen ab, die man traditionell dem philosophischen, nicht dem narrativen Genre zurechnet, so hat Schiller vier als Erzählungen zu bezeichnende Texte publiziert: Der Geisterseher (1787 – 1789), Eine großmütige Handlung (1782), Verbrecher aus Infamie (1786) und Spiel des Schicksals (1788). Die Unterschätzung Schillers als Erzähler in der deutschen Literaturwissenschaft führte folgerichtig zu einem Desinteresse an Schillers Wirkung als Erzähler in Schweden. Von schwedischer Seite hatte man außerdem Schiller für die Romantik vereinnahmt und interessierte sich wenig für seine aufklärerische Seite und die »demokratische Kunstform des dritten Standes, des Bürgertums«,710 den Roman, ein Genre, das sich in Schweden zudem weitgehend aus Übersetzungen speiste, während die heimischen Quellen nur wenig Wasser spendeten. Dass jedoch dem einen oder anderen Zeitgenossen der künstlerische Unterschied zwischen den Schiller’schen Erzählungen und seinen Nachahmern (siehe hier 708 ISLH, III, S. 580. Ähnlich verlautet NISLH (II, S. 157) in einem sehr kurzen Kapitel zur Romankunst der sogenannten Freiheitszeit (1720 – 1772): »Die Freiheitszeit hat keine Romankunst hervorgebracht, die einen Platz in der bleibenden schwedischen Literatur fordern könnte. Ein hochklassiger Roman entsteht in Schweden erst im 19. Jahrhundert, was eine soziologisch orientierte Forschung im Zusammenhang mit den Verhältnissen sehen will, dass bei uns die führende Kulturschicht im 18. Jahrhundert klerikal-aristokratisch verblieb; bevor die gebildete, nicht-klerikale Mittelklasse sich im ausreichenden Maße ausgebildet hatte, sollte nach dieser Betrachtungsweise dem bürgerlichen realistischen Roman die notwendigen Lebensbedingungen fehlen.« In Den svenska litteraturen (II, S. 251 – 260) dagegen findet sich zum Roman lediglich das Kapitel Salongernas prosa (dt. Die Prosa der Salons), in welchem die nach 1810 einsetzende Erzählliteratur der Romantik behandelt wird. 709 G. von Wilpert z. B. bezeichnet in seiner rezenten Geschichte der Gespenstergeschichte, 1994, S. 151 – 152, den Geisterseher als das »am meisten vernachlässigte Werk der deutschen Klassik«. 710 F. Böök, Romanens och prosaberättelsens historia i Sverige intill 1809, 1907, S. 424.

Der Durchbruch der Romanliteratur in Schweden

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VIII:3) durchaus auffiel, wird anhand der Rezeptionsgeschichte Schillers in Schweden deutlich.

1.

Der Durchbruch der Romanliteratur in Schweden

Die Entstehung der von Jürgen Habermas so genannten bürgerlichen Öffentlichkeit vollzog sich im 18. Jahrhundert im Zusammenhang mit einem »tiefgreifenden Wandel des Lesestils«, für welchen Rolf Engelsing die Bezeichnung des Übergangs von der intensiven zur extensiven Lektüre geprägt hat.711 Die extensive Lektüre wurde bereits im ausgehenden 17. Jahrhundert in Deutschland durch die von großen Bevölkerungsteilen getragene Zeitungslektüre vorbereitet, um nach 1750 zusehends in eine vermutlich noch umfassendere Romanlektüre einzumünden.712 Nur zwei Jahre nach der Publikation von Pamela entstand in England die erste öffentliche Bücherei: »Buchclubs, Lesezirkel, Subskriptionsbüchereien schießen aus dem Boden und lassen […] die Romanlektüre in den bürgerlichen Schichten zur Gewohnheit werden.«713 Für die schwedischen Verhältnisse darf angenommen werden, dass sich wichtige den Buchmarkt und das gesamte literarische System betreffende Veränderungen in den 1780er und 1790er Jahren vollzogen:714 Die erste Leihbibliothek wurde in den 1780er Jahren eröffnet; der erste Lesezirkel in den 1790er Jahren; die Romanlektüre, welche die Lektüre von Reisebeschreibungen abzulösen begann, machte sich im Laufe der 1790er Jahre als massenhaftes Phänomen bemerkbar. Der Aufstieg des vormals verpönten Romans zur ersten Gattung ging Hand in Hand mit seiner Veränderung: Der Roman wird »empfindsam«, d. h. die Handlung wird von außen nach innen, vom öffentlichen Leben in den Innenraum des Bürgertums, verlegt, erzählt wird »die subjektive Empfindung der Figuren, die Privatgeschichte, aus der Innerlichkeit des Charakters, seines Herzens und seiner Reflexion«.715 Es ist dies die Folge einer seit Koselleck häufig 711 R. Engelsing, Der Bürger als Leser, 1974, S. 183. Zur Erklärung der Begriffe siehe Kapitel II. 712 Auf die Gefahren einer derartigen »formelhaften Verkürzung« ist verschiedentlich hingewiesen worden, insbesondere im Zusammenhang mit der These, »die sprunghafte Zunahme des lesenden Publikums in den letzten Dezennien des 18. Jahrhunderts sei von einer tiefgreifenden Veränderung des Rezeptionsverhaltens begleitet worden«, welche Engelsing weitaus differenzierter entwickelt habe (M. Welke, Gemeinsame Lektüre und frühe Formen von Gruppenbildungen im 17. und 18. Jahrhundert: Zeitungslesen in Deutschland, in: Lesegesellschaften, 1981, S. 29). 713 J. Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit, 1990, S. 115 f. 714 Es gibt diesbezüglich zwar keine Forschungsbeiträge, auf M. Björkmans Untersuchung über die Leihbibliotheken in Stockholm aufbauend lässt sich jedoch schlussfolgern, dass diese Übergangsphase in den 1780er und 1790er Jahren anzusiedeln ist. 715 Hansers Sozialgeschichte der deutschen Literatur, III, 1980, S. 678.

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Räuber, Schwärmer, Geisterseher

beschriebenen Aufspaltung in privat und öffentlich, innen und außen, Herz und Vernunft, bürgerlich und aristokratisch, ein Dualismus, welcher fortan den Bodensatz bürgerlicher Ideologie und Nährboden für äußere und innere Konflikte bilden sollte. Ein bedeutendes Motiv solcher Romane und auch Dramen in der Nachfolge Pamelas bis hin zu Schillers Kabale und Liebe ist die Darstellung der bürgerlichen Unschuld, welche sich mit der Lüsternheit höfischer Männer oder deren Schergen konfrontiert sieht. Diese Aufspaltung mündet ihrerseits in eine Liberalisierung einerseits und eine Einzwängung andererseits: auf der einen Seite die freie Gattenwahl der Frauen mit dem Kult der Liebe und der Liebesheirat, auf der anderen Seite das enge Korsett der familiären Restriktionen und der bürgerlichen Sexualmoral. Zunächst aber ist die befreiende Wirkung festzuhalten, welche darin resultiert, dass die Standesschranken nihiliert und die Ständepoetik zerstört wird. Pamela ist »nur« ein Dienstmädchen, ihr Seelenleben und ihre Tugend entsprechen jedoch einer Würde und Erhabenheit, welche traditionell nur Adligen zugeschrieben wurden: der »Adel der Seele setzt sich über alle sozialen Rangunterschiede hinweg«.716 Der Roman war sowohl hinsichtlich seiner Leser als auch der Autoren »bürgerlich«, und zwar insofern er die Priorität des Adels der Seele vor jeglichem Adel des Standes reflektiert. Die ersten Anzeichen eines empfindsamen Diskurses in der in Schweden zugänglichen Romanliteratur, welche die Gestimmtheit einer »bürgerlichen Kultur« widerspiegelte, waren die dort in den 1770er und 1780er Jahren besonders populären französischen Autoren Baculard d’Arnaud und Restif de la Br¦tonne. Den Pionieren der Schiller-Rezeption, Pehr af Lund und besonders Ekmanson (siehe Kapitel IV), kommt auch hier noch einmal eine Vorreiterrolle zu. In Lunds Dagbladet: Wälsignade tryck-friheten erschien 1781 (Nr. 95 – 98) eine »englische« Geschichte, Oskulden (dt. Die Unschuld), vermutlich ein schwedisches Original, das den Stil d’Arnauds imitierte. Von besonderer Bedeutung für das sentimentale und schwärmerische Genre war Ekmanson durch die Übersetzung der Romane von Restif de la Bretonne La Famille vertueuse (1780, schw. Titel: Den dygdiga släkten) sowie Lucile, ou Les progrÀs de la vertu (1785, schw. Titel: Lucile, eller Dygdens framsteg).717 Andere bedeutende Romane der bürgerlichen Empfindsamkeit übersetzte Erik Wilhelm Weste (1753 – 1839) mit Oliver Goldsmiths Vicar of Wakefield (in Journal för svensk litteratur, 1797, S. 342, kritisch rezensiert), ein Roman, den Herder den Stürmer und Drängern empfohlen hatte.

716 Ebd., S. 681. 717 Den dygdiga slägten, in drei Teilen 1780 – 1783 publiziert, laut F. Böök, 1907, in Dagligt allehanda (1780, Nr. 38) und in StP (1780, Nr. 149) wohlwollend rezensiert, die Artikel sind jedoch nicht unter diesen Angaben zu finden.

Der Durchbruch der Romanliteratur in Schweden

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Die Initialzündung für das massenhafte Romanlesen in Schweden und der Erfolg deutscher Romane war Kotzebues bekannter Roman Die Leiden der Ortenbergischen Familie (1787 – 88), der auf Veranlassung des Mystikers Freiherr Lilfverhjelm von Gabriel Eur¦n, welcher auch bei der Übersetzung der Fortsetzungsromane des Geistersehers mitwirken sollte, 1793 übersetzt wurde (SVH, II, 515). Die Übersetzung deutscher Romane nahm in den folgenden Jahren stets zu und während der fünf Jahre, in welchen Journal för svensk litteratur herausgegeben wurde (1797 – 1801), rezensierte die Zeitschrift nicht weniger als 70 Romane aus dem Deutschen, während die rezensierten Romane aus dem Französischen sich auf zwanzig und die aus dem Englischen auf ungefähr sechs belaufen. Außerordentlicher Beliebtheit erfreute sich z. B. Johann G. Müller, von dem Siegfried von Lindenberg, Die Herren von Waldheim und Emmerich ins Schwedische übertragen wurden; die Ritter-, Räuber- und Geisterromane von Christian H. Spieß, sowie Johann Friedrich Jünger, von dem Die gute Ehe: Ein Ehestandsgemälde, Fritz, Wilhelmina u. a. erschienen. Des weiteren wurden August Gottlieb Meißner, Friedrich M. Klinger, Christian G. Salzmann, Christoph M. Wieland, Karl Gottlieb Cramer, Franz von Kleist, Friedrich Nicolai, Johann Karl August Musäus und eine Reihe weniger bekannter oder anonymer Autoren übersetzt. Im Jahr 1796 wurde die erste schwedische Übersetzung von Lafontaine publiziert; es handelte sich um eine Erzählung aus der Sammlung Die Gewalt der Liebe (1794). Bis 1829 erschienen 71 Werke Lafontaines, von dem jedes dritte aus dem Deutschen übersetzte Buch stammt, der somit der meistgelesene deutschsprachige Autor war.718 Der Geschmack am Roman, den das größer, d. h. bürgerlicher gewordene Publikum gefunden hatte, die Popularität also des Romans in seinen unterschiedlich Spielarten, partizipierte an einer Wende zur Empfindsamkeit, aber auch zum Interessanten, d. h. Spannenden und Abseitigen. Originating as one of the novel’s major forms in the late eighteenth century and marking out much of popular fiction’s imaginative territory, the gothic is the genre against which critics attempted to separate serious fiction from such popular entertainment and escapism. Gothicism may be viewed (without much exaggeration) as one pole of the fictional imagination the other of which (seen as its opposite, but actually on a continuum of effects) is the domestic or comtemporary fiction of (often middle-class) sensibility. The continuum that links the gothic to the ›domestic novel‹ is marked by the fact that however arcane or historic the gothic setting is always linked to the desire of contemporary readers. At once escapist and conformist, the gothic speaks to the dark

718 Die junge Romantikergeneration wuchs mit Lafontaine auf; man »lafontainisierte« als Schriftsteller, wie C. J. L. Almqvist bekannte.

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Räuber, Schwärmer, Geisterseher

side of domestic fiction: erotic, violent, perverse, bizarre and obsessionally connected with contemporary fears.719

Die Flut der Übersetzungsliteratur erforderte industrielle Produktionsbedingungen, welche von Friedrich Nicolai in Sebaldus Notanker als »Übersetzungsmanufakturen« beschrieben720 und hinsichtlich der Buchdruckerfamilie Lindh in Lindhs litterära industri (dt. Lindhs literarische Industrie) für die schwedischen Verhältnisse exemplarisch untersucht wurde.721 Der Buchdrucker Nils Magnus Lindh in Örebro verfügte wie sein Bruder Johan Pehr Lindh in Stockholm über einen besoldeten Stab von Übersetzern, welche entweder Aufträge von den Verlegern annahmen, oder diesen selbst Bücher vorschlugen. Die Übersetzung der anschwellenden Romanliteratur wurde zu einem umkämpften Markt, weshalb sich die Übersetzer die meistens aus Deutschland kommende Romanliteratur buchstäblich aus den Händen rissen: »Bevor die Romane ankommen, sind sie schon übersetzt«, klagte ein Übersetzer (SVH, III, 386). Es galt, die besten Romane auszuwählen, d. h. diejenigen, welche beim schwedischen Publikum anschlugen. Die Konkurrenz auf dem umkämpften Markt wurde zusätzlich dadurch verschärft, dass das Übersetzen um 1800 eine Zuflucht für viele Intellektuelle geworden war, die keine Anstellung im Staatsdienst gefunden hatten oder nicht finden wollten. Die Studentenzahlen in Uppsala und Lund wuchsen und die humanistisch Ausgebildeten zogen in der Regel die Stadt dem Land vor. Gleichzeitig wollten sich zusehends auch Frauen im Übersetzen betätigen, wodurch der Arbeitsmarkt zusätzlich belastet wurde. Trotz der zunehmenden Zensur unter Gustav III. und den Eisenjahren konnte sich also die Romanlektüre in den 1780er und 1790er Jahren weiter ausbreiten und erreichte mit 22 übersetzten Romanen im Jahr 1797 ihren ersten Höhepunkt, das als Jahr des Durchbruchs der Romanliteratur bezeichnet worden ist.722 Bis 1802 stieg die Zahl an Romanübersetzungen auf ca. 50 an, danach ging die Zahl der übersetzten Romane pro Jahr jedoch wieder zurück: 1804 und 1805 waren es nur noch zwischen 20 und 30, 1806:20, 1807:17 und 1808:10 (SVH, III, 440). Solche Zahlen legen die Annahme nahe, dass der Rückgang mit der in dieser Periode zunehmenden Zensur zusammenhängt. So entfernte der Übersetzer Herman A. Kullberg einige »problematische« Stellen – offensichtlich zu anstößige Stelle über die Jesuiten (SVH, III, 441) – aus Det hemlige Domsförbundet (1802), obwohl er diese Stellen bereits einem Priester vorgelesen hatte, der sie als unproblematisch ansah. Diese vorlaufende und verinnerlichte Obö719 C. Bloom, Gothic Horror, 2007, S. 2. Siehe auch M. Hurst, Im Spannungsfeld der Aufklärung, 2001, S. 210. 720 H. Kiesel, Gesellschaft und Literatur im 18. Jahrhundert, 1977, S. 39. 721 Lindhs litterära industri. Ett tryckeri och förlag i Örebro, 1990. 722 Hier und im Folgenden: M. Björkman, Läsarnas nöje, 1992, S. 17.

Philosophierende Wanderer und einsame Herzen (1793 – 1800)

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dienz muss als Indiz dafür gewertet werden, dass die Restriktionen der Zensur ihre Wirkung nicht verfehlten. Ein weiterer Hinweis auf die Auswirkung der Zensur gerade auch auf den Roman findet sich in einer Anmerkung von Hammarsköld im ersten Lyceum-Heft, in welchem er schreibt, dass der Roman die problematischste Gattung für eine politische und theologische Zensur sei (Lyceum, I, S. 9). Gleichwohl wird es neuerdings wieder als strittig angesehen, inwieweit die Zensur der Eisenjahre die Publikationsvielfalt wirklich behindert hat. In der neueren Forschung werden nämlich nicht mehr die Gesetzestexte der Zensurbehörde und ihre Propagandatexte als Maß für eine Beurteilung genommen, sondern die tatsächlichen Auswirkungen derselben.723 Dabei zeigt es sich, dass zwischen den Zensurbestimmungen und den Zensurpraktiken ein Unterschied bestand, nämlich solcherart, dass viel publiziert wurde, was laut Bestimmungen verboten war.

2.

Philosophierende Wanderer und einsame Herzen (1793 – 1800)

Dem empfindsamen und lesenden Bürger wurde es jedoch bald wieder zu eng in den bürgerlichen Räumlichkeiten einer Pamela – es zieht ihn hinaus in die freie und weite Natur: »Auch um mich, der endlich entflohn des Zimmers Gefängnis / Und dem engen Gespräch freudig sich rettet zu dir«, nämlich der Sonne, dichtet Schiller im Auftakt seiner philosophischen Elegie Der Spaziergang, welche sowohl in biographischer als auch in weltanschaulicher Hinsicht eine Beziehung unterhält zu Sophie Mereaus Gedicht Schwarzburg, welchem wiederum Pehr Wahlström (1776 – 1854) einige Verse entnahm und als Motto eines Kapitels seines Reiseromans in Briefen Bref till en vän under en Resa i Landsorterne (1800, dt. Brief an einen Freund von einer Reise in der Provinz)724 verwendete. In Deutschland entstanden seit den 1770er Jahren in der Nachfolge von Sterne eine Vielzahl von Reiseromanen, und selbst Schweden, dem es an einer Romantradition gebrach,725 durfte in der zweiten Hälfte der 1790er Jahre eine hauseigene Flora sentimentaler Romane einsamer Herzen und philosophischer Schwärmer erleben. Diese stehen vielleicht in noch größerer Schuld zu Rousseaus La Nouvelle H¦loise und Goethes Die Leiden des jungen Werther, welcher 723 Siehe M. Melkersson, Staten, ordningen och friheten, 1997; H. Östholm, Litteraturens uppodling, 2000, S. 95. 724 P. Wahlström, Bref till en vän under en resa i landsorterna, Stockholm 1800. 725 Siehe M. Björkman, Läsarnas nöje, 1992, S. 372, die den 1801 erschienenen schwedischen Originalroman Wilhelm als Unikum im Rahmen der mächtigen sich aus Übersetzungen speisenden Romanflut bezeichnet.

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Räuber, Schwärmer, Geisterseher

von Erik Wilhelm Weste unter dem Titel Werthers Lidande übersetzt und 1783 enthusiastisch, vermutlich von Thorild, in StP (1783, Nr. 278) rezensiert wurde. Der nämliche Übersetzer gab 1799 den dem Werther gleichgesinnten Waldbruder von Lenz unter dem schwedischen Titel Eremiten heraus, welcher nach dem Tod des Verfassers von Goethe in Schillers Horen publiziert worden war, eine Zeitschrift, welche von Beginn an (ab 1795) in Schweden gelesen wurde (siehe Kapitel VI). Diese jungen Männer, welche ihre vier Wände verlassen, um in die Welt und die Natur zu gehen, sind extreme Vertreter der Empfindsamkeit, die sich nun in gänzlicher Einsamkeit häufig in und angesichts der Natur ergießen. Erneut begegnet uns bei der Etablierung dieses radikalisierten Subgenres der empfindsamen Literatur der Name Ekmanson, in dessen und Carl Lindegrens Zeitschrift Colportören 1798 zwei Fragmente einer Reisebeschreibung (schw. Titel: Fragment af en resebeskrifning) abgedruckt wurden. Innerhalb weniger Jahre werden mehrere Reiseromane publiziert: 1795 der bereits 1793 von Carl Gustaf av Bjerk¦n (1767 – 1804) verfasste Roman Den ensamme eller hjertats philosophie (dt. Der Einsame oder die Philosophie des Herzens), 1796 Den känslofulles lidelser (dt. Die Leiden eines Gefühlvollen) von Carl Bleckert Lybecker (1768 – 1796), 1798 Den känslofulla vandringen (dt. Die gefühlvolle Wanderung) von Per Adolf Granberg (1770 – 1841), und 1800 schließlich der bereits eingangs erwähnte Bref till en vän under en resa i landsorterne (dt. Brief an einen Freund von einer Reise in der Provinz) von Pehr Wahlström (1776 – 1854).726 Böök wies hinsichtlich dieser Reiseromane auf Einflüsse von Jean J. Rousseaus H¦lose, Laurence Sternes Yorricks Reise und Goethes Werther hin: die Romane seien in »Sternes Manier« geschrieben.727 Außerdem hat er die Möglichkeit erwogen, dass Granberg, der Schillers Die Kindesmörderin übersetzt und publiziert und auch eigene Gedichte häufig Schiller nachgebildet habe,728 bei der Konzeption der Frauenfigur seines Romans, Lovisa, an die Kindsmörderin Louise in Schillers Gedicht dachte.729 726 Die meisten der genannten Romane finden sich nur in der Kungliga Biblioteket als Mikrofilm, in wenigen Fällen auch als Buch im Originaldruck einsehbar. C. G. av Bjerk¦n, Den ensamme eller hjertats philosophie, 1795, Mikrofilm, Kungliga Biblioteket, wurde in StP (1796, Nr. 12) wohlwollend beurteilt; C. B. Lybecker, Den känslofulles lidelser, 1796, Mikrofilm, Kungliga Biblioteket, ebenfalls wohlwollend, wenn auch etwas reservierter, in StP (1796, Nr. 132) rezensiert. 727 Bis heute existiert nur F. Bööks ein Jahrhundert schwedische Romankunst überspannende Arbeit Romanens och prosaberättelsens historia i Sverige intill 1809 (1907) zum Thema. Siehe auch: SVH, II, S. 505 ff. 728 Böök gibt an, dass Granberg das übersetzte Gedicht in seiner Zeitschrift Läsning för fruntimmer publiziert habe. Es muss sich dabei um dasselbe Gedicht handeln wie das in Wallmarks Zeitschrift Journal för litteratur och theatern veröffentlichte. 729 Zu P. A. Granberg siehe: Svenskt biografiskt lexikon, XVII, 1967 – 69, S. 217 ff. Granberg publizierte zwei Jahre später einen weiteren Briefroman: Enslighetsälskaren eller Bref fr”n en ung man p” Landet till dess vän i Staden (dt. Der Liebhaber der Einsamkeit oder Brief

Philosophierende Wanderer und einsame Herzen (1793 – 1800)

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Wie bereits dargelegt wurde (siehe Kapitel IV), besteht ein Zusammenhang des Reiseroman-Genres zu den spaziergängerhaften Grübeleien der Philosophischen Briefe des jungen Schillers, welche seit den Tagen der Rabulisten als in Schriftsteller-Kreisen bekannt vorausgesetzt werden dürfen. Es handelt sich um Wanderungen zurück zum »Ursprung«, zur Natur und zur Erinnerung an die bessere Zeit der Kindheit. Das am häufigsten apostrophierte Sinnesorgan dieser empfindsamen Wanderer ist das »Herz«, was ihre weltanschauliche Nähe zu den Rabulisten und Schiller dokumentiert. Eine weitgehende Identität der Motive verbindet diese schwedischen Originalromane aber auch mit einem anonym in Schillers Neue Thalia (III, 1793) eingerückten Text: Schwärmereyen und ernsthafte Launen aus dem Tagebuch eines einsamen Wanderers (im Folgenden: Schwärmereyen). Die bisher untersuchte Rezeptionsgeschichte hat gezeigt, dass die Thalia in allen Versionen häufig gelesen wurde; die Annahme scheint deshalb nicht gänzlich unbegründet, dass auch dieser Text zumindest eine gewisse Leserschaft gefunden hatte.730 Den Schwärmereyen, wie übrigens auch den Gedichten Schwarzburg und Der Spaziergang, eignet ein Motiv, das Schiller mit den genannten schwedischen Original-Romanen verbindet – und zwar weitaus mehr, als mit den von der Forschung genannten Texten von Sterne, Rousseau und Goethe: dem des Aufbruchs in der Nacht oder der Dämmerung und das darauf folgende ekstatische Erlebnis des Sonnenaufgangs in freier Natur. Im Thalia-Text bricht der einsame Wandersmann um Mitternacht bei Mondschein auf, verlässt Jena, und gewahrt aus der »blauen Ferne« die »romantische[n] Ruinen von Kuniz« und den »ehrwürdigen Jenzig«. Die im anonym publizierten Text genannte Örtlichkeit lässt deshalb aufhorchen, weil Schiller selbst von seinem Jenaer Arbeitszimmer in der Schlossgasse den Jenzig-Berg sehen konnte. Dieses biographische Detail war Anlass zur Vermutung, dass Schiller bei der dichterischen Gestaltung der Exposition seiner Elegie Der Spaziergang genau diesen Berg vor Augen gehabt habe.731 Aber nicht nur das Motiv des Aufbruchs, auch das des unablässigen Wanderns, der Gegenüberstellung von Stadt/Land, die Betonung der Einsamkeit, sowie die zur Ekstase neigende Naturempfindung lässt als mögliches Vorbild eher an die in Schillers Neue Thalia abgedruckten Schwärmereyen denken, als an die Romane von Sterne, Rousseau und Werther, mit welchen lediglich einzelne der genannten Motive übereinstimmen.

von einem jungen Mann auf dem Land an einen Freund in der Stadt), 1800, Mikrofilm, Kungliga Biblioteket. 730 Der Prosatext Schwärmereyen findet übrigens keine Erwähnung in P. Michelsens Aufstellung der deutschsprachigen Nachfolger Yorricks in Laurence Sterne und der deutsche Roman des achtzehnten Jahrhunderts, 1964, S. 74 ff. 731 P.-A. Alt, Schiller, II, 2000, S. 287.

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Von den genannten Romanen weist Pehr Wahlströms (1776 – 1854) Reiseschilderung Bref till en vän under en Resa i Landsorterne (1800)732 in Form von zwei Schiller-Motti die offensichtlichste Schiller-Rezeption auf. Die Hauptfigur, ein junger Mann, schildert seine Reise in Form von Briefen an einen Freund, in welchen er für die Freiheit, Rousseau und Napoleon schwärmt sowie eine konstitutionelle Regierungsform befürwortet. Zwei deutsche Autoren scheinen eine ebenso große Bedeutung für Wahlström zu haben wie Rouseau: Auf Wieland wird stets im Zusammenhang mit Naturbeschreibungen hingewiesen; Schiller dagegen wird zweimal in Form eines Mottos genannt.733 Die siebzehn Briefe werden jeweils von einem Motto eingeleitet, in welchen einerseits gustavianische Lieblingsautoren wie Thomas, Vergil, Cicero, De Lille, St. Lambert und Boileau, andererseits jedoch auf einen neuen Geschmack hinweisende Autoren wie Schiller, Rousseau, Shakespeare und Franz¦n Revue passieren. Genette beschreibt die Verbreitung des Roman-Mottos im 18. Jahrhundert als zögerlich: nur wenige bedeutende Werke des 18. Jahrhunderts hätten ein Motto, z. B. La Nouvelle Heloise, Tom Jones und Tristram Shandy. Eine systematische und exzessive, weil jedes Kapitel einleitende, Verwendung im Roman findet sich erst im Gothic novel ab den 1790er Jahren in England: in Mysteries of Udolpho (1794) und The Monk (1795), zwei Romane, die nachweislich von Schillers Der Geisterseher beeinflusst wurden, und verbreitet sich von da aus zu Beginn des 19. Jahrhunderts nach Frankreich.734 Zeitgleich findet sich in Schweden in Den ensamme eller hjertats philosophie von Carl Gustaf af Bjerk¦n (1795) eine systematische, d. h. jedem Kapitel vorangestellte, Verwendung von Motti – und dann bei Pehr Wahlström (1800). Den zwölften Brief, in welchem Betrachtungen über das rechte Wesen und das Ideal einer Frau angestellt werden, leiten Verse aus Schillers damals populärer Würde der Frauen ein: »Ehret die Frauen! Sie flechten und weben / Himmlische Rosen ins irdische Leben.«735 (Dazu siehe Kapitel XII) Dem siebten und längsten Brief, welcher ein ekstatisches Naturerlebnis zum Inhalt hat, sind folgende Verse vorangestellt:

732 P. Wahlström, Bref till en vän under en Resa i Landsorterna, Stockholm 1800. Über den Briefroman siehe: G. Ljunggren, SVH, III, 1881, S. 334; F. Böök, Romanens och prosaberättelsens historia i Sverige intill 1809, 1907, S. 461; zu P. Wahlström siehe: Svenska män och kvinnor, VIII, 1955. 733 Es ist freilich symptomatisch, dass Böök den starken Einfluss der deutschen Literatur auf den schwedischen Roman nicht wahrhaben will, da er ein Hauptvertreter derer ist, welche die deutsche Literatur erst mit der Romantik in Schweden Fuß fassen sieht. 734 G. Genette, Seuils,1987, S. 136. 735 P. Wahlström, Bref till en vän under en resa i landsorterna, 1800, S. 113. In der Folge im laufenden Text mit Seitenangabe.

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»O du Natur! Wie strebt in deinem Reiche Voll ew’ger Harmonie der Grashalm und die Eiche, In ihrer Kraft mit gleichem Recht empor! Und alles lebt und wirkt mit fröhlichem Beginnen, Und aus der Freiheit Götterschale rinnen Glückseligkeit und Ruhe uns hervor!«

Wie immer, wenn den Schiller’schen Zeitschriften Texte entnommen wurden, gibt auch Wahlström Schiller als Urheber dieser Verse an. Es handelt sich um Sophie Mereaus (1770 – 1806) anspruchsvolles und auch von Schiller sehr geschätztes Gedicht Schwarzburg, das 1795 in Schillers Die Horen (1795, 9. Stück) publiziert wurde und umgehend eine gewisse Berühmtheit erlangte. Schiller hatte die Dichterin bereits 1791 kennengelernt und als Autorin für sein ThaliaProjekt gewonnen, in welcher sie mit einem lyrischen Lobgesang auf die Französische Revolution debütierte.736 Im Unterschied zu vielen anderen BeitragsLieferanten seiner Zeitschriften scheint Schiller ihre Dichtung und Prosa nicht nur aus Ermangelung besserer Beiträge eingeführt zu haben.737 Am 18. Juni 1795 schreibt er der 25-jährigen, deren erste Gedichtveröffentlichung inzwischen vier Jahre zurückliegt: »Mit vielem Vergnügen las ich Ihre Gedichte. Ich entdeckte darin denselben Geist der Kontemplation, der allem aufgedrückt ist, was Sie dichten. Ihre Phantasie liebt zu symbolisieren und alles, was sich darstellt, als einen Ausdruck von Ideen zu behandeln.« Insbesondere das Gedicht Schwarzburg findet seinen Beifall, es ist ihm lediglich mit vierundzwanzig sechszeiligen Strophen, in fünfhebigen Jamben zu lang, was Sophie Mereau jedoch nicht abschreckt, ihm das Gedicht »in seiner ganzen Länge« zurückzusenden (NA, XXXV, 242). Das Gedicht spiegelt den Inhalt des Roman-Briefes wider, in welchem der Wanderer angesichts einer paradiesisch erscheinenden Naturlandschaft innehält (ebd. S. 42 ff), die nur das »Genie eines Wielands« malen könne (ebd. S. 44). In Betrachtung des Einbruchs der Nacht sieht und erkennt der Ich-Erzähler »in allem die weise Ökonomie des großen Schöpfers; und meine Seele bemühte sich unter einer heiligen Bewunderung die Glieder zu entdecken, welche die große Kette der Ordnung zusammenhält«.738 Gleichzeitig ruft die hereinbrechende Nacht die Erinnerung an die Unschuld und die Sorglosigkeit seiner Kindheit hervor (ebd. S. 46 – 47), so wie in Mereaus Gedicht: Schwarzburg

736 Das Gedicht Bey Frankreichs Feier erschien 1791 in Rheinische Thalia. 737 Siehe P.-A. Alt, Schiller, II, 2004, S 192. 738 P. Wahlström, Bref till en vän under en Resa i Landsorterna, Stockholm 1800, S. 43 f: »Jag s”g och erkände i allt dess store Upphofsmans visa ekonomi; och min själ bemödade sig under helig beundran att upptäcka fogningarna af de länkar, som sammanh”lla ordningens stora kedja.«

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Räuber, Schwärmer, Geisterseher

evokes the trope of loss and redemption: the former harmonious existence of human life, harmony lost, and finally harmony regained. During the first phase, humans existed in complete harmony with nature. In the name of civilization and advancement, however, man chose to extrange himself from nature and now lives an alienated existence. Only by returning to nature is man able to enter into the third phase, overcome his fragmented existence, and reestablish harmony.739

In Mereaus Gedicht wie in Wahlströms Roman tritt dem Wanderer in der Natur das Bild einer besseren Welt entgegen, das man sich als Modell einer Gesellschaft vorzustellen hat, in welcher ewige Harmonie, Glück, Freiheit und Gleichheit verwirklicht werden.740 In Schwarzburg wird diese Gegenüberstellung in das von Platon und dann vor allem von Schiller her bekannte dreischrittige Geschichtsverständnis eingebettet, nach welchem die ursprüngliche Harmonie nach einer Phase der Disharmonie wieder in eine höher gelegene Harmonie mündet: eine unvollkommene Gegenwart wird dem Glauben an eine bessere Zukunft gegenüber gestellt.

3.

Der Geisterseher (1798)

Mit der Publikation des Romanfragments Der Geisterseher, welches von 1786 bis 1789 in der Thalia erschien und 1789 als Buch, verbindet sich Schillers größter literarischer Erfolg. Schillers Haltung zu seinem beliebtesten Werk, das ihm »mehr Leser gebracht als alle« seine »übrigen Werke zusammengenommen«741, war jedoch ausgesprochen ambivalent: als »Schmiererei« bezeichnet er gelegentlich sein umfangreichstes Erzählwerk,742 das in Form einer dramaturgisch geschickt dargebotenen Fortsetzungsgeschichte in der Thalia erschien.743 Sein Interesse an der Entstehung und Fortsetzung des Romans war rein pekuniärer Natur : »[…] ich arbeite ihn ins Weite, und unter 30 Bogen kommt er nicht weg. Ich wäre ein Narr, wenn ich das Lob der Toren und Weisen so in den Wind schlüge« (NA, XVI, 416). Das erste Buch des Geistersehers wurde 1798 unter dem schwedischen Titel Ande-sk”daren. Berättelse af Grefven O. Utgifven af Friedr. Schiller übersetzt.744 Weder der Übersetzung noch den Rezensionen lässt sich 739 740 741 742 743

J. B. Holmgren, The Women Writers in Schiller’s Horen, 2007, S. 38. Ebd., S. 37 f. F. Burschell, Friedrich Schiller, 1987, S. 85. NA, XVI, S. 415. Schiller an Körner, am 17. 3. 1788. F. Kittler, Die Laterna magica der Literatur : Schillers und Hoffmanns Medienstrategien. In: Athenäum. Jahrbuch für Romantik 4, 1994, S. 219 – 237. 744 Karl Goedeke verzeichnete (Grundriß zur Geschichte der deutschen Dichtung aus den Quellen, 1893, V, S. 178 f.) bereits für das Jahr 1788 (Stockholm) eine Übersetzung ins Schwedische. Dies wird jedoch von der einschlägigen schwedischen Literatur nicht bestätigt; auch Kungliga Biblioteket verzeichnet keine derart frühe Übersetzung. Ich vermute,

Der Geisterseher (1798)

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entnehmen, welche der zahlreichen Ausgaben des Geistersehers der Übersetzung zugrunde gelegt wurde. Schiller hat den ersten Teil des ersten Buches seines einzigen Romans ab Januar 1787 (4. Thalia-Heft) publiziert; erst im Frühjahr 1788 erschien der zweite Teil des ersten Buches – zu einer Fortsetzung des erfolgreichen Romans ließ sich Schiller trotz des Drängens der Öffentlichkeit nicht mehr bewegen. Im November 1789 veröffentlichte er die erste Buchausgabe, 1792 die zweite und Ende 1797 die dritte mit einem gekürzten philosophischen Gespräch. Eine Fortsetzung wurde 1796 nicht von Schiller, sondern von Emanuel F. W. E. Follenius (1773 – 1809) in vier weiteren Büchern publiziert. Die komplizierte und lange Entstehungsgeschichte dieses trotz allem nur Fragment gebliebenen Romans findet ihr Pendant in einer fast ebenso abwechslungsreichen Übersetzungsgeschichte. Der erste Band wurde 1798 von einem Notar namens Thure Winberg übersetzt, der im literaturgeschichtlichen Kontext ansonsten unbekannt ist. In einem Vorwort (Til Läsaren) der Übersetzung des zweiten Bandes ein Jahr später (1799) wird dem Leser mitgeteilt, dass Winberg, der die letzten Jahre mehrere anonym erschienene Übersetzungen, »ausgezeichnet durch die leichte und reine Schreibart«, herausgegeben habe, verstorben sei. Der Verstorbene habe ihn, den wiederum anonym bleibenden Übersetzer, gebeten und gedrängt, die Übersetzung fortzusetzen. Einer kritischen Betrachtung seiner Übersetzung zuvorkommend erbittet er das »milde« und »angemessene« Urteil der Öffentlichkeit: »Möge die Schönheit und der Wert des Originals nicht allzusehr vermisst werden! Die meisterliche Feder eines Schillers ist unmöglich zu erreichen.«745 Der Übersetzer gab 1800 den dritten Band und 1801 den vierten und fünften Band heraus. Der sechste und letzte Band wurde 1802 von Gabriel Eur¦n, der zuvor schon durch die Übersetzung von Kotzebues Die Leiden der Ortenbergischen Familie hervorgetreten war, übersetzt. Albert Nilsson erklärte die der deutschen Publikation rasch nachfolgende Übersetzung des Geistersehers im Jahre 1798 mit der »für die Zeit« sensationellen Thematik.746 Dabei ist der Roman weder besonders schnell übersetzt worden, noch bedurfte es ausschließlich des Sensationellen, um einen Text Schillers ins Schwedische zu übertragen. Vielmehr ist die Publikation natürliche Folge der Popularität des dass eine Verwechslung zwischen 1798 und 1788 vorliegt oder ein Schreibfehler, zumal es sich hierbei nur um eine Teilübersetzung hätte handeln können und damit nicht um eine Buchpublikation, sondern um eine Zeitschriften-Publikation. 745 Ande-sk”daren. Berättelse af Grefven O. Utgifven af Friedr. Schiller, übersetzt von Th. Winberg, Til Läsaren: »M”tte Originalets skönhet och värde ej alt för mycket saknas! En Schillers mästerliga penna är omöjlig at uphinna. Man är glad om man ej aldeles misshagar, och Allmänhetens milda och billiga dom m”ste nu mer än n”gonsin utbedjas af Öfversättaren.« 746 A. Nilsson, Schillers inflytande p” Tegn¦r och hans samtida, 1905, S. 15.

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Räuber, Schwärmer, Geisterseher

deutschen Romans einerseits und der Popularität Schillers und des Geistersehers andererseits, welcher eine zentrale Stellung in der populärer werdenden Romangattung einnimmt, da er am Schnittpunkt mehrerer Genres angesiedelt ist: dem Geisterseher-Genre, dem Schauer-Genre, dem Krimi- und Detektiv-Genre und dem Schwärmer-Diskurs im Roman. Zum Zeitpunkt seiner Übersetzung ins Schwedische war das GeisterromanGenre keineswegs unumstritten. August Wilhelm Schlegel monierte 1797 in der Jenaischen Literaturzeitung: »Vor den Fehmgerichten, den geheimen Bündnissen und den Geistern ist vollends gar keine Rettung mehr.«747 Allgemein wurden die Geisterromane als anti-aufklärerisch verdammt und ihre abstumpfende und jegliche normale Empfindung unterdrückende Wirkung hervorgehoben.748 Noch Goethe wünschte 1817 den Bewohnern der Neuen Welt in den Zahmen Xenien: »Und wenn nun eure Kinder dichten, / Bewahre sie ein gut Geschick / Vor Ritter-, Räuber- und Gespenstergeschichten.« Dabei zielte die Intention des deutschen Geisterromans in der Spätaufklärung keineswegs und im Gegensatz zu seinem englischer Cousin, dem Gothic Novel, nur auf Schauereffekte ab. Der Geisterapparat diente vielmehr der »moralischen Erziehung des Helden und seinem Erlösungsbedürfnis aus einer ihm selbst nicht mehr erfaßbaren Welt«. Daß die seine Vernunft umnebelnden betrügerischen Machenschaften und Taschenspielertricks teils nicht erst nachträglich entlarvt werden, sondern dem Leser teils schon vorher einsichtig sind oder an seine kombinatorische Phantasie appellieren, also dem intellektuellen Vergnügen und der detektivischen Spannung des Lesers gelten, unterscheidet den aufklärerischen Geisterroman von der Verrätselung der Welt in der Romantik, die nur einzelne Motive aus ihm entlehnt.749

Letztendlich belegt die Vielzahl solcher Verurteilungen nur die enorme Verbreitung und Beliebtheit dieser Romane,750 welche sich auch in der Resonanz der sich über fünf Jahre hinstreckenden Übersetzung widerspiegelt. Nur so erklärt sich zumindest die Anzahl der in den beiden Zeitungen erschienenen Rezensionen: zwei in Journal för svensk litteratur und drei in StP. Journal för svensk litteratur rezensiert 1799 die Übersetzung des ersten Teils Ande-sk”daren. Berättelse af Grefve v. O. Utgifven af Friedr. Schiller. Öfversättning. Första 747 A. W. Schlegel, Kritische Schriften, I, 1828, Berlin, S. 277. 748 Siehe z. B. Johann Gottfried Hoche, Vertraute Briefe, 1794, S. 27; Johann Adam Bergk, Die Kunst, Bücher zu lesen, 1799, S. 251. 749 G. von Wilpert, Deutsche Gespenstergeschichte, 1994, S. 124 f. 750 Ebd., S. 123. Gleichzeitig erklärte eine solche einhellige Ablehnung vonseiten der geschmacksbestimmenden Öffentlichkeit, warum »der Geisterroman des 18. Jahrhunderts weder in Darstellungen der Aufklärungsliteratur noch in den Geschichten des deutschen Romans Beachtung gefunden hat und daß er trotz der neueren Bemühungen um die Unterhaltungs- und Trivialliteratur weder voll erfaßt noch – mit wenigen Ausnahmen – eingehender erforscht worden ist.«

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Delen. 1798. 152. sidd. Der Rezensent des Journals hielt es nicht für nötig, ein Werk, das so bekannt ist wie Der Geisterseher, inhaltlich zu referieren. Um die Bedeutung des Werkes zu unterstreichen, reiche es durchaus, den Verfasser zu nennen, ein Mann, der in mehreren Bereichen der Literatur für die Unsterblichkeit seines Namens gearbeitet hat, und bei welchem schwierig zu entscheiden ist, was mehr zu bewundern ist, der durchdringende Blick des Menschenkenners, die Scharfsinnigkeit und Gedankentiefe des Philosophen, oder die reiche, schaffende Einbildungskraft des Poeten. Der Geisterseher […] besitzt in hohem Maße diese Eigenschaften, und in der Lebhaftigkeit und Kraft der Darstellungsweise, in der edlen und prunklosen, aber männlichen Anmut des Stils, sollten wenige Sprachen etwas Vortrefflicheres aufweisen können. Aber es ist insbesondere in der bis zur höchsten Illusion detaillierten Individualität und Wahrheit der Situationen, wo die Vortrefflichkeit dieses Gedichts gesucht werden muss.751

Die Bedeutung der sehr abstrakt gehaltenen Rezension und ihr Bemühen, eine angemessene Sprache für die noch neue Gattung des Romans zu finden, erschließt sich nur im Vergleich mit anderen Rezensionen der gleichen Zeitung und im Vergleich mit dem Konkurrenten StP, in welcher nach wie vor lange Textausschnitte den Charakter der Rezensionen prägten. Im Falle des Geistersehers erfahren wir z. B. in den »Rezensionen« der StP lediglich, dass die »interessante Erzählung von Hr. S. nicht vollendet worden scheint« (StP 24. 11. 1798 / 3. 2. 1803). Die im obigen Zitat verwendeten Kriterien der »Menschenkenntnis« und der »Einbildungskraft« sind für sich genommen noch keineswegs außergewöhnlich bei der Beurteilung von Romanen (siehe Kapitel VI:5). Keinem Romanautor wurden jedoch diese Eigenschaften gemeinsam mit der »Gedankentiefe des Philosophen« zugeschrieben. In der Tat geht es im Roman nur vordergründig darum, einen charakterlich wenig gefestigten protestantischen Prinzen mit den Mitteln der Intrige, des Schwindels, des Aberglaubens und des Spuks zur Konversion zum Katholizismus zu bewegen und ihm nach gelungener Umprogrammierung durch den Mord des legitimen Thronerben zum Thron zu verhelfen und damit das Land dem katholischen Einfluss zu öffnen – um ein Lehrstück skrupelloser Machtpolitik also, welche auf Machtübernahme ohne politische Legitimation abzielt. 751 Journal för svensk litteratur, 1799, 3. Heft, Seite 78 ff: »[…] en man, som i flera skilda Litteraturens delar arbetat för sit namns odödlighet, och hos hvilken det är ovisst hvad man mest bör beundra, menniskokännarens genomträngande blick, Philosophens skarpsinnighet och tankestyrka, eller Skaldens rika, skapande inbildningskraft. Der Geisterseher […] röjer i en hög grad dessa egenskaper, och i föreställningssättets liflighet och kraft, i stilens ädla och prunklösa, men manliga behag, torde f” spr”k kunna upvisa n”got förtäffligare. Men det är i synnerhet i de ända til högsta illusion detaljerade situationernas individualitet och sanning, som denna dikts förträfflighet bör sökas.«

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Räuber, Schwärmer, Geisterseher

Die philosophische Dimension des Romans, auf welche der Rezensent anspielt, ist auf zweierlei Art lesbar. Einerseits lässt sich das Romanfragment als anthropologische Parabel von der Vernichtung eines Menschen, der Pervertierung und Demontage eines Charakters vom sozial verantwortlichen Glied der Gesellschaft zum unverantwortlichen Usurpator lesen. Diese Lesart betrachtet den Prinzen als durchschnittlichen, aufgeklärten Aristokraten, welcher als Folge seiner Aufgeklärtheit jeglichem weltanschaulichen Fundament beraubt ist und damit umso leichter der ideologischen Programmierung anheim fallen kann. So betrachtet ein Anti-Bildungsroman also von der äußersten Verführbarkeit und der gänzlichen Manipulierbarkeit des Menschen, und zwar ausgerechnet in Zeiten der Aufklärung, der zwischen Wielands Agathon und Goethes Wilhelm Meister eine interessante Ausnahme darstellt. Die scharfsinnige gedankliche und philosophische Durchdringung der weltanschaulichen Krise der Spätaufklärung könnte jedoch auch als Fortsetzung der Philosophischen Briefe (siehe Kapitel IV:7) gelesen werden: Der Prinz »übernimmt gleichsam stellvertretend den Part des auf seinem Bildungsweg weiter fortgeschrittenen Julius, der die Theosophie vollständig zurückgenommen und seine Illusionen über die metaphysische ›Bestimmung des Menschen‹ endgültig verabschiedet hat.«752 Mit anderen Worten: »where Julius was a reluctant skeptic, the prince is a resolute free-thinker«. Eine solche Abwendung vom aufklärerischen Optimismus mag sicher auch biographische Gründe haben: »In the 1780s Schiller began to realize that Dr Pangloss’s philosophy is really only what Voltaire said it was: a beautiful fantasy. […] the rosy optimism of Leibnizian-Wolffian rationalism could not withstand the experience of life […].«753 Der Roman ist damit einer weltanschaulichen Konstellation der Spätaufklärung zuzuordnen, in welcher der vormalige Optimismus in eine Gefühlslage des Unbehagens umkippt. Aber nicht nur die philosophische und psychologische Durchdringung seiner Gegenwart, auch der nüchtern-luzide Erzählstil und die Kunst der Darstellung wird gerühmt und mit einem neuartig anmutenden Vokabular zu fassen gesucht: das Mobilisieren einer illusionistischen Wirkung des Geistersehers sowie die »Individualität und Wahrheit der Situationen« wird hervorgekehrt, was zunächst auf den oben (siehe Kapitel VI:5) genannten Realismus, die Authentizität, die psychologische Glaubwürdigkeit der Charakteren und die Alltäglichkeit der Handlung gemünzt scheint,754 wobei die Ausdrucksweise auch hier wieder deutlich von der Bewertung anderer Romane absticht. Gleichzeitig be752 W. Riedel, Die Anthropologie des jungen Schiller, 1985, S. 247. 753 F. Beiser, Schiller as Philosopher, 2005, S. 22. 754 Siehe z. B. die Rezension zu J. G. Müller, Herrarne p” Waldheim, Journal för svensk litteratur, I, 1. Heft, 1797.

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zeichnet die Wortwahl eine »Wende zum Subjekt«, die sich in der »Hochaufklärung« vollzieht.755 Auf die von Schiller weit getriebene »Authentizitätsfiktion« im Geisterseher, die »das narratologische Fundament des Romans« ausmacht, wurde in der Forschung hingewiesen:756 Der Text wird als authentische Erinnerung des Grafen O’’ ausgegeben, wobei die Namen durch Initialen abgekürzt werden, um die vermeintlich lebenden Personen zu schützen; der Erzähler weist sich zu Beginn der Erzählung als verlässlicher Zeuge des Berichts aus. Die von den Zeitgenossen empfundene Authentizität des Romans mochte aber auch mit dem gut getroffenen venezianischen Milieu und seiner geheimnisvollen karnevalistischen Stimmung zusammenhängen,757 sowie mit dem realistischen »zeitgeschichtlichen Kolorit« des Roman-Fragments, das von der »ausgehenden Aufklärung« bestimmt wird. »Denn Aufklärung, das bedeutet nicht nur Glauben an die Vernunft, die im Dunkel des Nichtwissens niemals aufhören wird nach der Wahrheit zu suchen, es bedeutet auch das Zeitalter der geheimen Gesellschaften: der Rosenkreutzer, der Illuminaten und Freimaurer.«758 Schiller hat das zeitgenössische Interesse an der Geisterseherei, für die der in den 1780er Jahren berüchtigte Cagliostro stand, über welchen er bereits einige Jahre zuvor im Wirtembergischen Repetetorium eine Notiz publiziert hatte und der im Geisterseher in der Gestalt des Armeniers auftaucht, sensibel registriert. Neben den Gründen, die den unerhörten Erfolg dieses Zeitromans in 755 Hansers Sozialgeschichte der deutschen Literatur, III, 1980, S. 52. Dem Begriff des »Individuellen« eignet hier ohne Zweifel eine ähnliche Konnotation wie dem Begriff des »Charakteristischen«, der zwischen 1780 und 1820 eine neue Qualität erhielt. Er ist »angesiedelt im Konfliktfeld zwischen dem (klassizistischen) Idealschönen und damit in historischer Perspektive unter anderem der Antikenrezeption im Sinne Johann Joachim Winckelmanns einerseits sowie frühen Formen einer ›Ästhetik des Hässlichen‹ und der ›nicht mehr schönen Künste‹ andererseits, übernimmt zeitweilig die Funktion einer Nebenbegrifflichkeit zum Erhabenen und leitet in der Folge über zu den Begriffsfeldern der romantischen Ästhetik« (Ästhetische Grundbegriffe, I, S. 772, Charakter). Auch der Begriff der »Illusion« zielt auf eine von Du Bos herkommende und von Bodmer und Breitinger gegen Gottsched stark gemachte Absetzungsbewegung vom französisch inspirierten Klassizismus ab. »Der Betrug der Sinne ist das Ziel der Dichtung. Diese Illusionstheorie führt dazu, dass Bodmer und Breitinger viel mehr als Gottsched auf Anschaulichkeit und intensive Deutlichkeit und Darstellung drängen. Dichten ist ein Bilden, eine Malerei mit Worten. Für Gottsched ist die Dichtung sinnreich, für die Schweizer sinnenhaft« (G. Kaiser, Aufklärung, Empfindsamkeit, Sturm und Drang, 2007, S. 70). 756 Siehe M. Hurst, Im Spannungsfeld der Aufklärung, 2001, S. 145, S. 155. 757 Es ist deshalb bezeichnend, dass ein Auszug aus dem Geisterseher-Roman 1798 auch im Toilette-Lecture för fruntimmer och herrar abgedruckt wurde unter dem Titel Drag af Rättvisans stränghet uti för detta Republiken Venedig (dt. Züge einer strengen Gerechtigkeit in der Republik Venedig), das von Journal för svensk litteratur wie folgt besprochen wurde: »Wer an der venezianischen Gerechtigkeit zweifelte, wird schwerlich durch dieses Beispiel bekehrt werden, dessen Authentizität man nicht bestätigen kann. Es ist Schillers Geisterseher entnommen.« 758 B. von Wiese, Schiller, 1959, S. 315.

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Deutschland begünstigten, nämlich die Verarbeitung von Themen, die »die Epoche am Vorabend der Französischen Revolution in Atem hielten«,759 kam in Schweden noch das natürliche Interesse, das man dem Landsmann Immanuel Swedenborg entgegenbrachte, hinzu. Kellgren war in StP Ende der 1780er Jahren mit einer ganzen Reihe von Artikeln gegen den Swedenborgianismus, den Mystizismus und das um sich greifende Freimaurerwesen zu Felde gezogen, was vermutlich noch zusätzlich das Interesse auf diesen Text lenkte. Aber auch die sogenannte Halsbandaffäre, in deren Mittelpunkt der Kardinal Rohan, Cagliostro und Marie Antoinette standen, wurde in Schweden mit Interesse verfolgt. Eine Provinzzeitung wie Götheborgs allehanda hat in den Jahren 1785 – 1788 mindestens einmal wöchentlich über die Machenschaften berichtet, die im Zusammenhang mit der Halsbandaffäre standen, wobei Cagliostro immer deutlicher als die Spinne im Netz vorgeführt wurde.760 Der Rezensent bedauerte, dass der Geisterseher lediglich als Fragment vorliegt, wie auch andere Werke Schillers, die aber nichts desto trotz von hohem Rang seien. Es erweist sich zumindest beim Rezensenten des Journal för svensk litteratur (1798, Bd. III, 2. Heft), dass Albert Nilssons Auffassung, beim Roman habe das sensationelle Thema zur Rezeption gereizt, nicht in allen Fällen zutreffend ist, wenn dieser hinsichtlich der Fortsetzung von Follenius und dessen Absicht, die Ungeduld des Publikums zufrieden zu stellen, äußert: Es kann sein, dass er seine Absicht hätte erfüllen können, wenn das Interesse, das Schillers Geisterseher weckte, wie die Menge seiner zahlreichen Nachahmer, bloß auf der Kunst beruhte, die Neugierde des Lesers zu reizen und zu unterhalten. Indes, welche Verdienste der Autor auch haben mag, so war die Vorgabe nach Schiller zu arbeiten zu weit über seinem Vermögen, als dass er bei einem Vergleich nicht ganz viel verlieren würde.

Ein Jahr später wird im 8. Heft, (Seite 510 – 512) Teil zwei Ande-sk”daren. Berättelse af Grefve v. O. utgifven af Friedr. Schiller. Öfversättning. Andra delen. 1799. ut. tit. Och företal m. m. 192. sidd sowie Teil drei Ande-sk”daren. Berättelse af Grefve v. O. utgifven af XYZ. Öfversättning. Tredje delen. ut. tit. Och tryckfels förteckning, 164 sidd rezensiert. Der Rezensent teilt vor allem Umstände der Urheberschaft und Übersetzung mit. Gewisse Übersetzungsschwierigkeiten, die einem vor allem im zweiten Teil begegneten, habe er geschickt gemeistert. Die oben zitierte und vermutlich von Silverstolpe selbst verfasste Rezension in Journal för svensk litteratur, in welcher der Rezensent von der »Menge seiner zahlreichen Nachahmer« spricht, zeigt, dass die Zeitgenossen den Geisterseher

759 P.-A. Alt, Schiller, I, 2000, S. 479. 760 M. Nyman, Upplysningens spegel, 1994, S. 77 ff.

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als Initialzündung für das Geisterseher-Genre angesehen haben.761 In der Tat zeitigte kein anderer deutscher Roman so viele Nachahmungen und Fortsetzungsversuche, was sich auch in der schwedischen Übersetzungsgeschichte widerspiegelt. Neben den Fortsetzungsromanen von Follenius wurden in der Folge Enthüllte Geistergeschichten zur Belehrung und Unterhaltung für jedermann. Ein Pendant zu Schillers ›Geisterseher‹ (anonym, 1797) unter dem veränderten schwedischen Titel Spökstriden. En pendent til Schillers Andesk”dare (dt. Gespensterstreit. Ein Pendant zu Schillers Geisterseher, Stockholm 1801) sowie Samuel Christoph Wageners Die Gespenster. Kurze Erzählungen aus dem Reiche der Wahrheit (1797 – 1800) unter dem Titel Spökelsehistorier ur sanningens rike (dt. Gespenstergeschichten aus dem Reich der Wahrheit, Linköping 1799) übersetzt. Besondere Berühmtheit genoss Christian Heinrich Spieß, dessen Das Petermännchen. Geistergeschichte aus dem 13. Jahrhundert (1791) unter dem schwedischen Titel Lilla Peter (dt. Kleiner Peter) veröffentlicht und in StP (7. 2. 1799) wohlwollend rezensiert wurde. Einigen schwedischen Zeitgenossen – dies ist der Bemerkung über die »zahlreichen Nachahmer« des Geistersehers zu entnehmen – ist offensichtlich klar gewesen, dass Schillers Roman auch den in Schweden beliebtesten englischen Autoren Pate stand: Ann Radcliffe, die in ihrem 1794 erschienenen Roman The Mysteries of Udolpho einzelne Szenen nach dem Vorbild von Schillers Geisterseher gestaltet hatte,762 und deren Abhängigkeit von Schillers Geisterseher sich noch deutlicher in ihrem zweitem Roman The Italian zeigt.763 Ein anderer englischer Vertreter des Gothic novel war der populäre Bestseller The Monk von Matthew Gregory Lewis (1796), welcher ebenfalls Anklänge an Schillers Roman aufweist.764

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Von den unterschiedlichen Romangenres, die im Laufe der 1790er Jahre in Schweden populär wurden, hat der Räuberroman mit Rinaldo Rinaldini (1798) als erster übersetzter Roman des Genres (1801 von Herman A. Kullberg über761 W. Bußmann, Schillers »Geisterseher« und seine Fortsetzer. Ein Beitrag zur Struktur des Geheimbundromans, 1960. 762 Dieser wurde zwar erst 1795 ins Englische übersetzt, die Autorin hat den deutschen Roman jedoch vermutlich im Original gelesen. 763 A. Radcliffs erster Roman, A romance of the forest, wurde 1800 ins Schwedische übersetzt, The Italian 1803 und The Mysteries of Udolpho 1805; siehe M. Björkman, Läsarnas nöje, 1992, S. 363. Journal för svensk litteratur setzte sich in einer Radcliff-Rezension von der moralisch-didaktischen Bewertung ab und ließ »Zeitvertreib« als legitimen Lesegrund gelten, was neu war in der Kritik. 764 Siehe F. Ewen, The Prestige of Schiller in England, 1788 – 1859, 1932; K. Wais, Schillers Wirkungsgeschichte im Ausland, 1955.

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setzt) am spätesten die literarische Bühne betreten.765 Der Erfolg, welcher diesem Genre beschieden war, sollte jedoch umso nachhaltiger sein. Der Schriftsteller August Blanche (1811 – 1868) äußerte in den 1840er Jahren im Rückblick auf seine Jugendjahre kritisch: Man sollte jedoch nicht den Räuberroman empfehlen, der in meiner und der Gleichaltrigen Kindheit gierig von Jung und Alt verschlungen wurde. Hätte Schiller ahnen können, dass seine »Die Räuber«, die uns so oft von der Bühne herunter entzückt haben, der ganzen Räuber-Literatur das Leben einhauchen würde, die zu Beginn des Jahrhunderts Deutschland überschwemmte und sich dann über die ganze Welt ausbreitete, hätte er sie vermutlich nie herausgegeben.766

Auch von wissenschaftlicher Seite wurde schon früh die Meinung verlautet, dass Schillers Die Räuber der Urtext der Räuberliteratur sei. Wolfgang Menzel z. B. hatte 1828 in Die deutsche Literatur dem Mythos des Urschöpfertums der Dioskuren das Wort geredet, wenn er schreibt: »Bald sind es Ritter, die sich wie Götz an den Fürsten oder Pfaffen, bald sind es Räuber, die sich an den Monopolen, an schlechter Justiz etc. rächen« (S. 106). Gleichzeitig findet sich bei Menzel bereits die Grenzziehung zwischen Vorbild und Nachbild: »In der That verhält sich Schiller zu dem Pöbel der Ritter-, Räuber- und Gespensterromanfabrikanten wie Karl Moor zu seinen Gesellen, eine Zeitlang ihres Gleichen und doch weit über sie erhaben.« Diese frühe literaturwissenschaftliche These wurde im 19. Jahrhundert zur herrschenden Lehrmeinung: »Schuf Goethe für das vorige Jahrhundert das Ritterideal, so verdankt die Räuberromantik Schiller ihre Anregung; die Ausbildung und Verschmelzung des Ritter- und Räuberideals aber seinen Zeitgenossen Spieß und Cramer.« Die Helden, die die beiden letztgenannten schufen, »strahlten im Schimmer auch der Größe eines Räubers Moor ; man maß alle Gestalten an ihm, man konnte sich bald keinen Spitzbuben mehr denken als mit den Zügen Karl Moors.«767 Holger Dainat hat jüngst gegen diese Vorstellung, dass das Klassiker-Paar am Anfang des neuen Genres stand, argumentiert. Einer gängigen Vorstellung gemäß hätten die Dioskuren die Originale geschaffen, nach deren Vorbild die Flut der Räuber- und Ritterromane kopiert worden seien. Dem widerspreche jedoch, dass als Maßstab und Prototyp

765 Zum Räuberroman in Schweden siehe Y. Hirn, Goda vildar och ädla rövare, 1941, und vor allem E. Tykesson, Rövarromanen och dess hjälte, 1942. 766 August Blanche, Berättelser efter klockaren i Danderyd, in: Samlade Arbeten af August Blanche. Berättelser II. Tavlor och berättelser. I, 1878. S. 19 – 21. Zitiert nach E. Tykessen, Rövarromanen och dess hjälte i 1800-talets svenska folkläsning, S. 211. Der persönliche Rückblick betrifft zwar die 1820er Jahre, die Feststellung Blanches hat jedoch mit großer Wahrscheinlichkeit auch für die Jahrhundertwende eine gewisse Relevanz, wo der Mythos von der Urheberschaft Schillers für das Räuber-Genre entstanden sein muss. 767 C. Müller-Fraureuth, Die Ritter- und Räuberromane, [1894] 1965, S. 38.

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des Genres gewöhnlich der Rinaldo Rinaldini diene, Hinweise auf Schiller und seine Räuber fänden sich dagegen in den Rezensionen nur selten.768 Kein neues Argument freilich, denn schon 1942 hat die schwedische Literaturwissenschaftlerin Elisabeth Tykesson die Meinung vertreten, dass Schillers Drama nicht unmittelbare Ursache des Räuberromans sein könne.769 In diesem Falle müssten nämlich die ältesten Romane die deutlichsten Spuren eines Einflusses von Seiten Schillers aufweisen, während die jüngeren selbständiger wären. Es verhalte sich jedoch genau umgekehrt: Die vor 1802 publizierten, Abellino, Rinaldo Rinaldino, Marillo, Carolo Carolini, Glorioso, Dolko, Coronato und Natalis weisen keine Verwandtschaft mit Die Räuber auf; während jüngere Romane diese recht ungeniert imitierten – so die bereits von Tykesson vertretene Meinung. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit interessiert jedoch weniger das faktische Verhältnis von Schillers Die Räuber zu den (zeitlich, aber nicht unbedingt kausal) nachfolgenden Räuber-Romanen, sondern eher, ob die Leser dachten, dass ein solches Verhältnis vorliegen könnte. Ein Blick nach Frankreich mag auch ein Licht auf den schwedischen Kontext werfen. Dort hatte H. J. F. Lamarteli¦re Schillers Räuber unter dem Titel Robert, chef de brigands übersetzt und publiziert, schrieb weiter Le Tribunal redoutable, ou la suite de Robert, chef de brigands und gab 1799 Th¦–tre de Schiller heraus, zu welcher er eine Übersetzung von Zschokkes Abällino fügte. Bereits vor 1802 wurde also die Verbindung zwischen den Räubern und den nachfolgenden Räuber-Romanen als natürlich angesehen. Ein weiterer sehr früher französischer Beleg ist der einzige ins Schwedische übersetzte französische Räuber-Roman im bezeichneten Zeitraum, Victor ou l’Enfant de la fúret von Fr. Guill. Ducray-Duminil (Victor eller SkogsBarnet; af Ducray-Duminil. Fri öfversättning af Ulrica Carolina Widström, 1803), wo der französische Autor in der Einleitung zum dritten Teil Schiller apostrophiert: Oh ihr berühmten Schriftsteller, Germaniens und Europas Ehre! Du Werthers gefühlvoller Sänger, Göthe, und du, Zeichner des menschlichen Herzens, Schiller ; leiht mir euren Geist, eure Leier und euren Pinsel, um das Schicksal meines Helden zu vollenden […] Ihr besaßet die Freiheit den Reichtum eures Genies zu verwenden; um die unterschiedlichsten Ereignisse zusammenfließen zu lassen, die stärksten Brüche geben euren Bildern Leben und Farbe.770

In Frankreich scheint offensichtlich wie in Deutschland sehr früh die Vorstellung geherrscht zu haben, dass die kurz vor der Jahrhundertwende einsetzende literarische »Räuberei« in engem Zusammenhang mit Schiller und Goethe stand. 768 H. Dainat, Abaelino, Rinaldini und Konsorten, 1996, S. 15, S. 4 f. 769 Hier und im Folgenden E. Tykesson, Rövarromanen och dess hjälte, 1942, S. 88. 770 Ebd., S. 47, S. 64.

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Wenn wir den Blick nach Schweden wenden, so fällt zunächst einmal auf, wie umfassend das Genre von deutschen Exporten gespeist wurde:771 von den 18 Räuber-Romanen, die zwischen 1802 und 1812 verlegt wurden, waren 16 Übersetzungen aus dem Deutschen.772 Neben dem oben bereits genannten Roman von Ducray-Duminil, der eingangs dem unerreichbaren Vorbild Schiller huldigt, bezeichnet auch Johann Jakob Brückner seinen Roman Angelika. Die Tochter des Grossen Banditen Odoardo; Prinsen aus dem Hause Zanetti als »Seitenstück zu Schillers Geisterseher« (1801), ein Hinweis, welcher in der schwedischen Übersetzung ebenfalls figurierte. In exponierten Paratexten ausgestreute Bekenntnisse zu Schiller als Vorbild können dem schwedischen Leser kaum entgangen sein und bezeugen das eingestandene Abhängigkeitsverhältnis einiger Autoren zu Schiller. Aber auch Schillers Werk gab der lesenden Öffentlichkeit Anlass, ihn als Protagonisten bei der Entstehung des neuen Genres anzusehen. – Schiller war in den Augen der Öffentlichkeit zuallererst der Autor von Die Räuber, mit welchen er ein Identifikationsmuster schuf, an dem ihn die Kritik künftig zu messen pflegte.773 Die Figur des Karl Moor war offensichtlich dem Vorbild des edelmütigen Räubers Roque Guinart aus Cervantes’ Don Quixote (1605/15) nachgebildet. Auch Anregungen durch die Figur des Robin Hood sind nicht auszuschließen, dessen soziale Utopien vorgreifende Praxis der Umverteilung der Güter er nachzueifern scheint. Karl Moor hat m.a.W. das Zeug zu einem »romantischen Helden«, und zwar ins Heroische vergrößert,774 und bot damit neben dem Werther eines der wirkungsmächtigsten Rollenbilder des 18. Jahrhunderts. – Schillers Name figurierte in einer Sammlung Merkwürdige Rechtsfälle als ein Beitrag zur Geschichte der Menschheit, herausgegeben von Francois Gayot de Pitaval (1673 – 1743), die in einer Auswahl 1792 – 1795 ins Deutsche übersetzt wurden – mit einem Vorwort von Schiller versehen. Pivals Causes c¦lÀbres waren ein Meilenstein in der Entstehung des Kriminalromans: ausgehend von Gerichtsprotokollen und aus eigener Anschauung als Advokat reproduzierte er große Kriminalfälle, wobei er sich keineswegs mit dem Kopieren von

771 Ebd., S. 14. Erst 1813 scheint der erste original-schwedische Räuberroman publiziert worden zu sein: Röfwar-Anföraren Gonzalow. Händelse fr”n 4:de eller 5:te Arhundradet. Sk”debanan är wid Sibiriens gränsor. Fri Öfwersättning, af P. F. Linköping. Groth och Petre. 1813. Hinter den Initialien P. F., die sich 1814 für eine weitere Übersetzung verantwortlich zeichnete (Berg-Gubben, eller Flagelli Pieronzettos Besynnerliga Öden. Pendent till Röfware-Anföraren Gonzalow), verbarg sich vermutlich der Pastoradjunkt Per Niclas Flam¦n. 772 Ebd., S. 9 ff. 773 P.-A. Alt, Schiller, I, 2004, S. 276. 774 I. Berlin, Die Wurzeln der Romantik, 2004, S. 151.

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Protokollen begnügte, sondern den Stoff im Interesse des Lesers inhaltlich und formal transformierte.775 – In der 1792 verfassten Vorrede zur dritten Neuauflage der Skizzen, vielgelesene Erzählungen im späteren 18. Jahrhunderts, würdigt August Gottlieb Meißner Schiller als jungen Prosaautor, »der durch Originalität seiner Erfindungen und souveräne Anordnung der von ihm gewählten Stoffe herausrage.«776 Meißner stützte sich bei seinen Kriminalerzählungen, welche 1791 ins Schwedische übersetzt und in Journal för svensk litteratur rezensiert wurden, auf eigene Recherchen und verstärkte die schon bei Pitaval erkennbare Tendenz, den Rechtsbrecher zu verstehen und zu entschuldigen. »Er ist gefesselt von der paradoxen Erscheinung des edelmütigen oder doch jedenfalls nicht böswilligen Verbrechers und beabsichtigt, allzu vorschnelle und pharisäerhafte Urteile und Vorurteile zu verhindern und einem humanen Verständnis auch für den Rechtsbrecher Bahn zu schaffen.«777 – Schiller psychologisierende Verbrechervita Verbrecher aus Infamie, eine wahre Geschichte, 1786 im zweiten Thalia-Heft veröffentlicht, und 1792 unter dem heute bekannteren Titel Der Verbrecher aus verlorener Ehre in Kleinere prosaische Schriften aufgenommen, ist eine Kriminalerzählung in der von Meißner begründeten Art, welche von der ursprünglichen moralischen Integrität des Verbrechers ausgeht – ganz im Sinne der Aufklärungsphilosophen Montesquieu und Rousseau, die das römische Recht kritisierten und die Vorstellung der ursprünglichen Inkorrumpibilität des Menschen vertraten. Arvid Johan Spaldencreutz übersetzte und publizierte 1806 die Erzählung unter dem späteren Titel Den genom Ärans förlust Brottslige. Sann Historia af Schiller. Öfversättning. Gusum 1806, was jedoch vermutlich keine besondere Beachtung in der Öffentlichkeit fand.778 Dies hat ohne Zweifel auch damit zu tun, dass es zu diesem Zeitpunkt außer StP keine Zeitschriften mehr gab, welche die Erzählung hätten rezensieren können. Es gibt also eine Reihe von Gründen, die zweifelsohne bewirkt haben, dass der schwedische Leser die Räuberliteratur mit Schillers Namen und seinem Werk verbunden hat, so wie es das Zitat von Blanche nahe legt – zumal er (laut Journal för svensk litteratur, 1798) schon im nahe verwandten Geisterseher-Genre als Urheber galt.

775 776 777 778

E. Marsch, Die Kriminalerzählung, 1972, S. 120. P.-A. Alt, Schiller, I, 2004, S. 475. J. Jacobs, Die deutsche Erzählung im Zeitalter der Aufklärung, 1981, S. 61. E. Tykesson, Rövarromanen och dess hjälte, 1942, S. 79. Die Novelle wurde jedoch sowohl 1818 als auch 1822 noch einmal übersetzt.

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Räuber, Schwärmer, Geisterseher

A. J. Spaldencreutz und seine Schwärmerinnen (1800 – 1808)

Arvid Johan Spaldencreutz (1782 – 1828), dank einer Erbschaft finanziell unabhängig, hatte Zeit und Muße, sich dem Schriftstellerischen zu widmen, und übersetzte zwei Bücher ins Schwedische, die auf dem Titelblatt den Autorennamen »Friedrich Schiller« angeben und einen weiteren Roman, dem ein Satz Schillers als Motto vorangestellt ist.779 Spaldencreutz, der neben seiner eher bescheidenen Übersetzungstätigkeit auch einige »Zeitschriften« und einen »Originalroman« verfasst hat, wird in den gängigen Literaturgeschichten noch nicht einmal erwähnt, verdient jedoch in einer Geschichte der Schiller-Rezeption mehr als nur eine pflichtschuldige Erwähnung. Das Svenskt biografiskt handlexikon vermerkt über den schriftstellerisch Dilettierenden das Kuriosum, dass er in Gusum in Östergötland, wo seine Vorfahren eine damals bekannte Eisenhütte betrieben hatten, die jedoch zu Spaldencreutz’ Zeiten stillgelegt war, eine kleine Handdruckerei betrieb, mit welcher er seine diversen Publikationen in Kleinstauflage selbst druckte:780 Svärmerinnan (dt. Die Schwärmerin) Originalroman 1800, Tidskrift för minna vänner (dt. Zeitschrift für meine Freunde 1805 – 1806), Gusums bladet (dt. Gusums Blatt) sowie einige Übersetzungen: Die Liebeskönigin, in Schillers Thalia abgedruckt; der Lotteriegewinn von Starke; Verbrechen aus verlorener Ehre von Schiller und der mit einem Motto von Schiller versehene Roman Das Ideal (1804) von Karl Anton von Gruber.781 Früh hatte er einen Ruf als radikaler Jakobiner, den er sich wohl als Student in Uppsala im »Kreis der Junta« erworben hat, weshalb ihn die Eltern ins provinzielle Lund geschickt haben, von wo er sich beklagte, dass es dort »keinen Freiheitsenthusiasten, keinen Bonvivant« gebe.782 Nach einiger Zeit in der Stadt konstatierte er : »Besteht hauptsächlich aus Buben – ohne Esprit und Energie. – Hier werden bestimmt nie Jakobiner geformt.«783 Er nahm später als Mitglied des Ritterhauses an unterschiedlichen Reichstagen teil, wurde zur »jungen Opposition«

779 Dem Briefwechsel A. J. Spaldencreutz und G. A. Silfverstolpe (Kungliga Biblioteket) lässt sich entnehmen, dass er Silverstolpe finanziell unterstützte. SVH vermerkt außerdem, dass er auch L. Hammarsköld finanzielle Hilfe hat angedeihen lassen. 780 Svenskt biografiskt handlexikon, II, 1906, S. 487. Spaldencreutz gab, für den Freundeskreis, wie es im Vorwort heißt, die literarische Zeitschrift Gusums bladet (8 Ausgaben), erste Ausgabe 17. Juli 1799, Kleinstformat mit Gedichten und Kurzprosa, heraus, sowie eine weitere Zeitschrift För mina vänner (dt. Für meine Freunde), welche in drei Teilen von 1805 – 1806 erschien. 781 A. Werin, Esaias Tegn¦r, 1934, gibt außerdem an, dass Spaldencreutz Fichtes Bestimmung des Menschen übersetzt habe. 782 Zu A. J. Spaldencreutz siehe Svenskt biografiskt handlexikon, II:487; A. Werin, Esaias Tegn¦r, 1934, S. 24; SVH, IV, 1890, S. 128 f. 783 Zitiert nach A. Werin, Esaias Tegn¦r, 1934, S. 24: »Best”r mest av pojkar – utan esprit och energi. – Här danas visst aldrig n”gon jakobin.«

A. J. Spaldencreutz und seine Schwärmerinnen (1800 – 1808)

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gezählt, und war beim Reichstag 1812 einer der wenigen, die sich entschieden gegen die Zensur einsetzten. Im Jahr 1800 druckte Spaldencreutz die als Schiller-Übersetzung angegebene Kärleks-Drottningen och de svarta Systrarna. Fragment af en besynnerlig Historia af Friedr. Schiller. Öfversättning. Gusum Spaldencreutz 1800 (dt. Die Liebeskönigin und die schwarzen Schwestern, Fragment einer sonderbaren Geschichte von Friedr. Schiller. Übersetzung. Gusum Spaldencreutz 1800).784 Es handelt sich hierbei um Die Minnekönigin und die Schwarzen Schwestern. Bruchstücke aus einer abenteuerlichen Geschichte, ohne Angabe des Autorennamens in Schillers Neue Thalia 1792 (II) eingeführt. Erneut lässt sich feststellen, dass Texte, welche anonym in Schillers Zeitschriften erschienen, diesem zugeschrieben wurden. Die Fragment gebliebene Erzählung – der Zusammenhang des Titels mit der Erzählung erschließt sich übrigens nicht – entwickelt vor dem Hintergrund einer »angenehmen« sizilianischen Mondnacht eine zwischen Schwärmerei, Melancholie und »dunklen Ahndungen« (Neue Thalia 1792, II, S. 393) changierende Geschichte. Die Quasiromantik des Auftakts sollte wohl die Unwahrscheinlichkeit und Dürftigkeit der folgenden Handlung legitimieren: »Sizilien ist ein wunderbares Land, es war von den ältesten Zeiten her der Sammelplatz seltsamer Dichterschwärmereien. Überall sieht man die Spuren aus jenen romantischen Tagen, in welche die Phantasie sich so gerne verliert«. Graf Campobello wartet mit seiner schönen Tochter, die Schwärmerin der Geschichte, auf die Rückkunft seines Sohnes, der sich auf Mitternacht hin angekündigt hat. Ein unbekannter Wanderer, dem ob seiner schönen Harfenmusik Eintritt bewilligt wurde, singt zum Spiel seiner Harfe von einem Mädchen, das in der Blüte seiner Jahre aus den Armen des Vaters und des Geliebten gerissen wurde. Von der Harfenmusik mächtig angerührt, gesteht die Tochter ihrem Vater, dass sie liebt. Die schöne Bianca schließt sich der von Glück und Tränen gerührten Gesellschaft an, und im Gespräch drängt eine Schwärmerei »die andere, und die romantische Bianca kam vom Schönen über das Erhabene zum Schauerlichen.« (ebd., S. 392) Biancas Lebensgeschichte, in welcher bekannt wird, dass sie einen Bruder hatte, kündigt Unheilvolles an. Um Mitternacht, also zur vom Sohn angekündigten Stunde, sind wie von Geisterhand die Salutschüsse der Kanonen zu hören – hier endet die Erzählung. Lorenzo Hammarsköld hat noch acht Jahre später in seinem Versuch über Schiller (1808, siehe Kapitel XIII) ein Romanfragment mit dem Titel Die Schwarze Königin, und es kann sich nur um diesen Text handeln, Schiller zugeschrieben: das nur wenige Bogen umfassende Romanfragment sei »das Kind 784 In der siebten Nummer seines Gusums bladet kündigte Spaldencreutz die Publikation der Liebeskönigin an: »P” en Öfversättning af Schillers Kärleks-Drottning och de Svarta systrarna hwilken är redan under tryckning emotta prenumeration.«

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der reichsten Phantasie; aber wir können darüber nicht mehr sagen, als dass der Stil Schiller würdig ist, warm und lebendig. Denn von diesem Anfang können wir weder den Plan noch den Charakter erahnen.«785 Dass der Schiller gegenüber so kritische Hammarsköld ausgerechnet dieser gänzlich diffusen Erzählung etwas abgewinnen konnte, sie gar als Produkt einer »reichen Phantasie«, den Stil als »warm« und »lebendig« und eines Schiller würdig ansehen konnte, überrascht; sein Wohlgefallen mag sich dem vage Romantischen schulden, welches der Geschichte eignet. Warum aber hat Spaldencreutz diese Erzählung übersetzt, was hat er darin gesehen? Aufschluss geben die anderen Übersetzungen, insbesondere Das Ideal und sein Originalroman Die Schwärmerin. Im Roman Idealet (dt. Das Ideal), eine Übersetzung des Briefromans von Karl Anton von Gruber aus dem Jahr 1808, wird ein schwärmerisches Fräulein durch die Anstrengung einiger Freunde von falsch verstandenen Idealen der Realität zugeführt, eine Handlung, welche von einem Motto, der Vorerinnerung von Schillers Philosophischen Briefen entnommen, auf den Punkt gebracht wird: Die allgemeine Wurzel der moralischen Verschlimmerung ist eine einseitige und schwankende Philosophie, um so gefährlicher, weil sie die umnebelte Vernunft durch einen Schein von Rechtmässigkeit, Wahrheit und Ueberzeugung blendet, und eben deswegen von dem eingebohrnen sittlichen Gefühle weniger in Schranken gehalten wird.786

Der Verfasser signalisiert mit diesem Motto und seiner Vorrede, in welcher er diejenigen warnt, welche nur Nahrung für ihre Einbildungskraft und Leidenschaften suchen, eine aufklärerische Intention. Der Roman sei nur für diejenigen, welche dessen Tendenz verstehen und schätzen und welche die als Motto gewählten Worte Schillers recht zu bedenken wissen. Handelt es sich für Spaldencreutz um eine fabula docet? Auf die Frage soll in Kürze zurückgekommen werden. Vorab das zeitgenössische Urteil der Jenaer Allgemeine Zeitung, welche den Roman wenig gnädig bespricht: Demungeachtet fehlt aber immer noch viel, ehe es sich des Charakters der Mittelmäßigkeit entledigt; und so deutlich sich auch an mehreren Stellen der gute Kopf aussprechen mag, so zeigt sich doch nirgends das poetische Genie. Das Ganze ist zu wenig ideal, ein paar Gedanken und Floskeln machen es nicht. Was uns zu denken gegeben wird, ist mitunter schon etwas oft gedacht, und nicht minder oft gesagt worden.787

785 L. Hammarsköld, Försök av en kritik öfver Friedrich Schiller, 1808, S. 66: »Det sistnämnda arbetet, af hvilket vi blott ega n”gra ark, är ett foster af den rikaste fantasi; men vi kunna för öfrigt om den ej säga mera än att stylen är Schiller värdig, varm och liflig. Ty af denna blotta början, kunna vi ens icke ana hvarken plan eller karakterer.« 786 C. A. Gruber, Idealet. Öfversatt af A. J. Spaldencreutz, 1808, S. 3. 787 Jenaer Allgemeine Literatur-Zeitung, 5. Jahrgang, II, 22. 4. 1808.

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Das Thema der schwärmerischen Idealistin verbindet Grubers Roman mit der von Spaldencreutz selbst angefertigten Novelle Svärmerinnan (dt. Die Schwärmerin). Im Vorwort an die Freunde bezeichnet er die kurze Novelle als Produkt einer »augenblicklichen Phantasie, und nach der Nachricht, dass dies sich neulich in Spanien zugetragen hat«. Die Novelle wird durch eine romantischschaurige Landschaftsszenerie eröffnet: In Spanien liegt ein altes, verfallenes Moorenschloss auf der höchsten Spitze eines steilen Berges, an dessen Fuß der Ebro sich gewaltig über schaurige Felsen stürzt. Die furchtbarste Aussicht zeigt sich von dieser Stelle: eine schwindelnde Tiefe, der reißende Fluss, die kahlen, steilen Felsen – all das ist für den Beobachter ein grauenhafter Anblick, und versetzt ihn in das größte Erstaunen.788

Bereits in diesem vorromantischen Auftakt, dem dann noch das Motiv des Spuks hinzugefügt wird, zeigt sich das Klischeehafte des dürren Vortrags, der Mangel an künstlerischem Aufwand und die undifferenzierte Figurenzeichnung. In der Novelle figuriert die Hauptfigur Loretta, die Tocher des Grafen Frandello; sie »war 16 Jahre, als sie eine Neigung zur Schwärmerei entwickelte«: Eine fleißige Lektüre von schwärmerischen Romanen hatte ihr Herz mit romantischen Ideen erfüllt, und führte sie allmählich zur Schwärmerei. Dies ist so gewöhnlich bei dem spanischen und italienischen Volksschlag, deren Einbildungskraft so lebhaft und schön ist: deren Gefühle so lieblich und heftig. […] Lange hatte Loretta in ihrer Einbildung sich ein Ideal der größten Glückseligkeit geschaffen. Sie war im Alter der Liebe, und stellte sich schon vor, wie schön und gefühlvoll ihr Liebhaber sein sollte.«

Von Schwärmerei, Einbildung und Phantasie zur Melancholie – sie verliebt sich wenig standesgemäß in einen Bauernsohn, da »vernünftige Bücher ihr beigebracht hatten, wie töricht die Ungleichheit der Stände ist.« Vernünftige und unvernünftige Bücher vermehren solchermaßen in unheilvoller Kombination ihre »Liebesschwärmerei« und treiben sie zusammen, gesellschaftliche Sanktionen antizipierend, in den Freitod. Wir haben es hier weniger mit ausgearbeiteten literarischem Texte zu tun, als mit Entwürfen, die entlang einer florierenden Terminologie aufgereiht sind, welche literaturgeschichtlich unter den Begriff einer »Melancholie der Aufklärung« gefasst wurde. Im Zuge der laut Foucault im 18. Jahrhundert sich ereignenden Überlagerung des Familiendispositivs durch das Sexualitätsdispositiv treten eine Reihe »neuer Figuren« auf den Plan: »die nervöse Frau, die frigide Gattin […] die hysterische oder neurasthenische Tochter […]«, kurz: die Schwärmerin.789 Erscheinungen, die mit der Ablösung vom Spürbaren und einer zunehmenden »Sensibilität« verbunden seien, »die nicht mehr durch die Be788 Hier und im Folgenden wird das in der Thalia abgedruckte Original zitiert. 789 M. Foucault, Der Wille zum Wissen, 1977, S. 133.

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wegung der Natur bestimm wird«.790 In dieser Entwicklung spielt der Roman eine entscheidende Rolle: Ein noch künstlicheres und für eine regellose Sensibilität noch schädlicheres Milieu bilden die Romane. Sogar die Wahrscheinlichkeit, die die modernen Schriftsteller darin erscheinen zu lassen sich bemühen, und die ganze Kunst, die sie zur Imitation der Wahrheit aufwenden, gibt den heftigen und gefährlichen Gefühlen, die sie bei ihren Leserinnen erregen wollen, nur um so mehr Prestige.[…] Der Roman bildet par excellence das Milieu der Perversion der ganzen Sensibilität. Er löst die Seele von allem, was es an Unmittelbarem und Natürlichem im Sensiblen gibt, um sie in eine imaginäre Welt der Gefühle zu ziehen, die um so heftiger sind, als sie irreal und weniger durch die zarten Naturgesetze geregelt sind […].791

Die ganz »neue Ordnung von Begriffen«,792 welche Foucault im Zusammenhang mit einer Identifizierung und Ausgrenzung des Wahnsinns und seiner Begleitfiguren hervortreten sieht, werden von Spaldencreutz in der Schwärmerin wenn nicht künstlerisch, dann doch terminologisch durchexerziert: Schwärmerei, Phantasie, Einbildungskraft, Melancholie, Selbstmord – ein solches Wortmaterial signalisiert den Einbruch des Irrationalen in die geordnete Welt der Aufklärung. Im Unterschied jedoch zum »spanischen und italienischen Volksschlag«, teilt uns der Erzähler mit, ist eine derartige Schwärmerei »in unserem kalten Klima dagegen ganz ohne Beispiel, und man kann sich kaum vorstellen, was Schwärmerei eigentlich ist.« Die Novelle Svärmerinnan dient mit anderen Worten nicht der Aufklärung, sondern der Ergötzung an exotischen Gefühlszuständen, welche im Schweden dieser Zeit noch nicht üblich zu sein scheinen. Bei Spaldencreutz’ Übersetzungen und dem Originalroman Swärmerinnan handelt es sich also, sieht man einmal von Verbrecher aus Infamie ab, nicht um »sonderbare« Geschichten aus den »Annalen« der menschlichen »Verirrungen«, dargestellt mit dem aufklärerischen Anspruch eines »Menschenforschers«, um die innere »Mechanik« der »Leidenschaften« und der »Willensfreiheit«, einer »Leichenöffnung« gleich, freizulegen (NA, XVI, 7 ff). Obwohl das dominierende Thema der fehlgeleiteten weiblichen Schwärmerei durch falsche Lektüre – ein Thema der Aufklärung der ersten Stunde, das Spaldencreutz anscheinend besonders angezogen hat –, sowie das Motiv der Liebesbeziehung über Standesgrenzen hinweg durchaus in diese Richtung weisen könnte.793 Vielmehr partizipieren diese Texte an einem exotisch-schwärmerischen Sujet, die Schwärmerei, das auszustaffieren die Texte sich nicht scheuen, obwohl die Geschichten gleichzeitig in aufklärerischem Sinne als fabula docet ausgegeben werden. 790 791 792 793

M. Foucault, Wahnsinn und Gesellschaft, 1969, S. 378. Ebd., S. 378 f. Ebd., S. 379. Siehe Hansers Sozialgeschichte der deutschen Literatur, III, 1980, S. 97 f.

Linköpingsbladet und Das Spiel des Schicksals (1805)

6.

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Linköpingsbladet und Das Spiel des Schicksals (1805)

Die Annalen der schwedischen Schiller-Rezeption haben neben der Rezeption der Rabulisten und derjenigen Spaldencreutz’ noch einen weiteren merkwürdigen Fall zu verzeichnen: den der Provinzzeitung Linköpingsbladet, die 1805 nicht nur mehrere Gedichte Schillers einrückte, sondern auch die Erzählung Das Spiel des Schicksals, welche in fünf Ausgaben in Folge vollständig publiziert wurde. Nach 1800, also den Jahren, die Hammarsköld als Eisenjahre bezeichnete, machte sich die Zensur deutlich bemerkbar : Die Romanveröffentlichungen gingen drastisch zurück, literarische Zeitschriften wurden eingestellt, außer StP gab es nur noch Provinzzeitungen, die allerdings einer strengen Kontrolle unterlagen, wie der Fall Linköpingsbladet zeigt. Alle Buchdrucker und Zeitungsherausgeber, die etwas publiziert hatten, das dem König missfiel, sollten unter eine Präventivzensur gestellt werden und der Import ausländischer Zeitungen wurde genau überwacht. Dass sich in diesen Jahren (1801 – 1805) keine Texte Schillers in den Zeitungen und Zeitschriften finden, hängt also nicht mit einem etwaigen Popularitätseinbruch zusammen, vielmehr damit, dass schlicht und einfach keine für Schiller-Veröffentlichungen geeigneten Journale existierten. Eine sonderbare Aktivität in Sachen Schiller, die jedoch zunächst nichts mit seinem Tod zu tun hatte, entfaltete Linköpingsbladet im gleichen Jahr. Am 20. Februar 1805 hatte der Redakteur des Linköpingsbladet auf den ersten zwei Seiten der Ausgabe eine burlesk-ironische Elegi af Linköpings Bladet abgedruckt. Die ersten zwei Verszeilen »Äfwen jag har blomstrat: men hur korrt / War min blomstertid! […]« (dt. Auch ich habe geblüht: aber wie kurz / War meine Blütezeit!) spielen deutlich auf die erste und fünfte Verszeile der schwedischen Übersetzung von Schillers Resignation an: »Jag, – äfwen jag – war i Arkadien född. / […] / Du blomstrar, Ungdom! en g”ng och ej mer.« Die Elegie erhebt in der Folge die Klage, dass künftig keine polititischen Nachrichten verlautbart werden dürfen. Dagegen könne der Autor seinen Lesern versichern, sie künftig mit der »herrlichen Ernte vom Parnass zu beglücken« – »Auf dem Schutt unserer Politik / Wird mit Pomp eine Versfabrik errichtet«, teilt der Verfasser fröhlich mit und endet mit der Bitte und der Versicherung: »Lies mich trotzdem! Ich verspreche dir, manchmal, zum Hausgebrauch, auch etwas Politik zum Kosten zu geben.« Der Leser der Verse hat die anspielungsreiche Elegie vermutlich auch ohne die folgende Anmerkung verstanden: Bei einer vor einiger Zeit befürchteten Reform, von einer politischen eine literarische Zeitung zu werden. Der Redakteur hat jedoch, vermutlich bewegt von dieser Jeremiade und von dem Behuf der politischen Kunden bis auf weiteres diese Metamorphose eingestellt, zumindest zu einem gewissen Teil.794 794 Linköpingsbladet, 20. 2. 1805: »Wid en för n”gon tid befarad reform, att fr”n Politisk bli

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Am 6. April wurde ein Gedicht veröffentlicht Aus Anlass von S—s Tod mit dem Schiller-Vers »—O wer weiß / was in der zeiten Hintergrunde schlummert?« Es handelt sich um die Verse I, 1, V. 23 – 24 im Don Carlos (Letzte Ausgabe 1805, NA, VII:1, 10), wo dieser zu Beginn des Dramas im Gespräch mit Domingo versucht, diesen hinters Licht zu führen. Eine Woche später, am 13. April, wurde eine Übersetzung der Ballade Ritter Toggenburg (Riddar Toggenborg. Ballad. Fr”n Schiller) eingeführt. Das im Juli des Balladenjahres 1797 beendete Gedicht erschien erstmals noch im gleichen Jahr im Musen-Almanach für das Jahr 1798 und wurde auch in die Gedichtausgaben von 1800 und 1804 aufgenommen. Das im 18. Jahrhundert außerordentlich populäre Gedicht erzählt die unerfüllbare Liebe des Ritters Toggenburg, welcher sich einem Kreuzzug anschließt und bei seiner Rückkehr erfährt, dass seine Angebetete in ein Kloster eingetreten ist. Er lässt sich in Sichtweite ihrer Zelle als Einsiedler nieder, sich mit ihrem Bild aus der Ferne begnügend – die Ballade endet mit seinem Tod. Die Apparatur der quasi-romantischen Motivik – Mittelalter, Kreuzzug, unerfüllte Liebe, Kloster, Entsagung, Liebestod – kündet bereits vom neuen Zeitalter der Romantik, deren noch junge Vertreter nur einige Monate später in der nämlichen Zeitung ihre ersten Gedichte veröffentlichen sollten.795 Drei Wochen später erfuhr die europäische Öffentlichkeit vom plötzlichen Tod des deutschen Dichters am 9. 5. 1805. Der zu diesem Zeitpunkt der Eisenjahre bescheidenen Situation der Presse in Schweden schuldet es sich wohl, dass das Ableben des populären Dichters erst zwei Wochen nach seinem Tod in der Stockholmer Zeitung Dagligt allehanda am 25. 5. 1805 mitgeteilt wurde: »Leipzig, d. 11. Mai: Aus Weimar ist die betrübliche Kunde eingetroffen, dass Deutschlands beliebtester Dichter, der vortreffliche Schiller, am 9. Mai an einem heftigen Nervenfieber verschieden ist. Für unsere Literatur ist dies ein großer blott Litterärt. Redaktören har dock sedermera, förmodligen bewekt af denna sitt […] barns Jeremiad och af de Politiska kundernas behof, tills widare inställt denna Metamorfos, ”tminstone till n”gon del.« 795 Die Publikation der romantischen Ballade Ritter Toggenburg in Linköpingsbladet lässt auch deshalb aufhorchen, weil die vorromantische Dichtervereinigung Vitterhetens Vänner in Linköping im Herbst 1803 einen Balladenwettbewerb unter ihren Mitglieder veranstaltete und im Briefwechsel zwischen Clas Livijn und Lorenzo Hammarsköld am 2. 4. 1804 dieser Gottfried August Bürger vor seinen Kritikern (vermutlich vor allem Schiller) mit folgenden Argumenten in Schutz nimmt: »Ich betrachte ihn als Deutschlands besten Balladendichter und gehe so weit, dass ich es wage zu sagen, dass jede seiner Balladen gleich gut ist wie Schillers Ritter Toggenburg, Taucher, Ring des Polykrates usw« (R. Hjärne, Dagen före drabbningen, 1882, S. 84). Die Aufzählung lässt immerhin durchscheinen, dass Ritter Toggenburg als eine der bedeutendsten Balladen Schillers angesehen wurde. Könnte es sich bei der Einführung der Ballade in Linköpingsbladet um eine der Übersetzungen handeln, welche die vorromantischen Jünglinge ohne Zweifel angefertigt haben? Spätere Briefe belegen zumindest, dass Livijn und Hammarsköld, welche nach Publikationsorganen Ausschau hielten, die als Forum kleinerer Publikationen dienen könnten, den Blick auch auf die Lokalzeitung richteten.

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Verlust!«796 Vier Tage später, am 29. 5. 1805, vermeldet der Korrespondent in Berlin, datiert auf den 18. Mai, dass der verstorbene Schiller in Württemberg geboren war und »übte in seinen Jugendjahren die ärztliche Kunst aus. 1802 wurde er vom Kaiser geadelt. Er starb als sächsisch-weimarischer Hofrat und Professor in Jena. Er besaß 4 Kinder, die ebenso wie die Mutter noch am Leben sind.« Der Tod des deutschen Dichters war StP einige Tage später (3. 6. 1805) noch eine Notiz wert: Weimar, d. 15. Mai: Das hiesige Schauspielhaus war mit Rücksicht auf Schillers Tod am 11. Mai geschlossen. In der Nacht auf den 12. wurde der Verstorbene begraben, nachdem man ihn zuerst seziert hatte, um die Todesursache festzustellen. Er wurde von 16 jungen Schriftstellern und Schauspielern zu Grabe getragen. Am Tage darauf wurden in der Kirche die berühmtesten Sätze und Chöre aus Mozarts ›Requiem‹ gespielt, worauf der Superintendent eine Rede hielt.

Linköpingsbladet hat dagegen Schillers Tod der Öffentlichkeit in der Provinz Västgötaland nicht mitgeteilt. Vielmehr wurde einen Monat später die Novelle Das Spiel des Schicksals eingerückt, deren protokollarisch-nüchterner Erzählstil sich so merkwürdig von der üppig-romantischen Szenerie abhebt, welche mit Ritter Toggenburg angeschlagen wurde. Die Ausgaben vom 15. Juni, 19. Juni, 26. Juni, 29. Juni, 3. Juli und 6. Juli wurden durch die Einrückung der Schiller’schen Novelle gänzlich bestritten (Ödets Lek. Werklig händelse. Berättad af Schiller. / Das Spiel des Schicksals. Wirkliche Geschichte. Erzählt von Schiller). Die Erzählung war zum ersten Mal 1789 in Wielands Teutschem Merkur ohne Nennung des Verfassers erschienen und wurde von Schiller später in Kleinere prosaische Schriften (1792) aufgenommen (NA, XVI, 412). Das Abdrucken von Erzählungen in Folge gehörte noch keineswegs zu den Gepflogenheiten der Kulturseiten einer schwedischen Zeitung, geschweige denn einer Provinzzeitung. Das Ungewöhnliche des Vorgangs wird freilich noch durch die Umstände unterstrichen, unter welchen die »wirkliche Geschichte« in die Zeitung und an die Öffentlichkeit geriet: als Folge einer rigoroser werdenden Zensur, welche die Publikation jeglicher Auslandsnachrichten untersagte. Die Wahl der Erzählung und des Autors muss ohne Zweifel mit Bedacht erfolgt sein, und man ist vermutlich kaum über Gebühr spekulativ, wenn der eigentliche Grund in der Absolutismuskritik der Erzählung gesucht wird. Die für Schillers Ezählungen übliche psychologische Analyse wird hier besonders deutlich mit einer Analyse der Mechanismen eines feudal-absolutistischen Herrschaftssystems verbunden. Spiel des Schicksals verdeutlicht dabei die »Perversität dieses politischen Sys796 Dagligt allehanda, 25. 5. 1805: »Leipzig den 10:te maj. I dag erhöll man ifr”n Weimar den bedröfliga underrättelsen, att Tysklands förträfflige och allmänt älskade Skald Schiller aflidit den 9:de i denna m”nad uti en häftig Nervfeber. För v”r Vitterhet är detta dödsfall en ganska stor förlust.«

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tems«, verweist jedoch auch darauf, »dass die Personen, die sich in dem System bewegen, von dieser Perversität gewissermaßen angesteckt und so zu Kollaborateuren, ja Tätern werden«.797 Am 31. Juli 1805 verlautbart Linköpingsbladet auf die Anfrage von Abonnenten hinsichtlich der Veränderung der Zeitung und insbesondere des Ausschlusses von Auslandsnachrichten einen Auszug aus einem offenen Brief des Königs an die Buchdrucker Per Groth und Axel Petre, in welchem denselben das Privilegium zur Herausgabe einer Zeitung unter Ausschluss der Auslandsnachrichten erteilt wird.798 Die Elegie vom 20. Februar und die Erklärung vom 31. Juli mögen die Abonnenten, die ein Nachrichtenmagazin gekauft und ein literarisches Magazin erhalten hatten, wenig beruhigt haben. Nach einer mehrmonatigen Phase der Umorientierung brachte die Zeitung am 26. Juni zum letzen Mal die Rubrik Utrikes tidningar (Auslandsnachrichten). In der Übergangsphase wurde die Lokalzeitung systematisch mit Texten Schillers gefüllt, weshalb eine Vielzahl von Gedichten sowie ein Prosatext Schillers auf den Frühstückstisch der Abonnenten des Blattes gerieten. Nach der Bekanntgabe am 31. Juli wurde nur noch ein Gedicht von Schiller veröffentlicht, am 21. Dezember Lyckan och Wisheten. Efter Schiller (Das Glück und die Weisheit. Nach Schiller). Von einem Gedicht nach Baggesen und einem nach Voltaire abgesehen, war Schiller der einzige Autor von europäischem Rang, der in dieser Zeit eingerückt wurde. Unter dem Druck der Zensur hatte sich Linköpingsbladet von einem gewöhnlichen Nachrichtenblatt zu einer Literaturzeitung gewandelt. Wie spärlich die Publikationsmöglichkeiten im Schweden der Eisenjahre waren, belegt der Briefwechsel zwischen Hammarsköld und Livijn, die das Erscheinen der neuen Literaturzeitung in Linköping sofort registrierten und erste Publikationen einrücken lassen wollten (siehe Kapitel XIII), ebenso wie auch Atterbom und Wallin. Dass die verantwortlichen Redakteure ihre Zeitung in dieser Übergangsphase mit Schiller-Texten gefüllt haben, lässt sich nur mit dessen Popularität erklären. Schiller war aber zu dieser Zeit vermutlich kein politisch ver797 M. Hofmann, in: Schiller-Handbuch, 2005, S. 316. 798 Linköpingsbladet, 31. Juli 1805, Nr. 61: »Till swar ” de flere förfr”gningar som fr”n Resp. Prenumeranterne p” denna Tidning till Utgifwarne deraf inkommit i afseende p” den förändring Tidningen underg”tt, genom uteslutande af alla utländska nyheter ; f” de äran endast meddela följande utdrag, af det nya dem af Kongl. Maj:st n”digast der” förundte Privilegium: Wi GUSTAF ADOLPH med Guds n”de, Sweriges, Göthes och Wendes Konung, Arfwinge till Dannemark och Norrige, Hertig till Schleswig Hollstein göre wetterligt: […] Allts” wele wi härmed, och i kraft af detta W”rt öppna bref, n”deligen hafwa förundt Boktryckarne Per Groth och Axel Petre n”digt Privilegium till utgifwande af Linköpings Bladet, uti hwilken Tidning, som icke f”r inneh”lla n”got som hittils, under namn af Utländska nyheter, waret begripit […].«

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fänglicher Autor mehr, da Gustav IV. Adolph selbst, als er 1803 in Weimar weilte, dem von ihm geschätzten Autor des Dreißigjährigen Kriegs als Zeichen seiner Wertschätzung einen kostbaren Ring geschenkt hatte.

7.

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Als die in Schweden in den 1790er Jahren sich entwickelnde Romanlektüre 1797 mit über 22 Publikationen einen ersten und noch nie dagewesenen Höhepunkt erklomm, sich die ersten Leihbibliotheken etablierten und Buchhandlungen eine Roman-Übersetzungsindustrie ins Werk setzten, war Schiller vom ersten Augenblick an dabei: Der Geisterseher wurde ab 1798 ins Schwedische übersetzt und sukzessive publiziert. Die zusehends um sich greifende Lektüre »schlechter« Romane als Massenphänomen sowie der Übergang vom intensiven zum extensiven Lesen waren freilich ihrerseits Momente von Veränderungsprozessen im gesellschaftlichen, politischen und kulturellen Bereich hervorgerufen, Veränderungen also in einem größeren Umfang, die es nahe legen, hier von einem Paradigmenwechsel zu sprechen. In den 1790er Jahren entstand eine Flora schwärmerischer Briefromane von Reisenden, welche über das dort verwendete Schlüsselwort »Herz« eine weltanschauliche Nähe zu den Rabulisten und Schiller aufweisen. Deutliche motivische Ähnlichkeiten bestehen jedoch auch zu dem anonym in Thalia publizierten Schwärmereyen und ernsthafte Launen aus dem Tagebuch eines einsamen Wanderers. Pehr Wahlströms Bref till en vän underen resa i landsorterne weist eine offensichtliche Schiller-Rezeption in Form von zwei Motti auf. Als zentral und leitmotivisch für diese Art von Literatur ist dort das Motto des 7. Briefs, einige Verse aus Sophie Mereaus Schwarzburg, zu verstehen, in welchem der Wanderer, in einem Moment des Innehaltens angesichts einer paradiesisch erscheinenden Naturlandschaft, in philosophisch komplexer Form den Gegensatz einer unvollkommenen Gegenwart und den Glauben an eine bessere Zukunft gegeneinander stellt. Nicht ohne das Bild einer besseren Welt zu evozieren, das man sich auch als Modell einer Gesellschaft vorzustellen hat, in welcher ewige Harmonie, Glück, Freiheit und Gleichheit verwirklicht werden. Schillers Der Geisterseher wurde ab 1798 sukzessive und mit den Fortsetzungsromanen von Emanuel F. W. E. Follenius ins Schwedische übersetzt und sowohl von StP als auch Journal för svensk litteratur (insgesamt fünfmal) rezensiert. Schiller wird in Journal för svensk litteratur als Urheber des spannenden Verschwörungs- und Illuminaten-Genres identifiziert. Der Rezensent des Journal för svensk litteratur verwendet im Zusammenhang mit dem RomanFragment eine Terminologie, die sehr ungewöhnlich war und die darauf hinweist, wie sehr man geneigt war, Schillers Prosa einen besonderen Status zu-

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Räuber, Schwärmer, Geisterseher

zugestehen. Der außergewöhnliche Erfolg des Geistersehers hing aber vermutlich auch damit zusammen, dass er sich am Kreuzpunkt dreier Genres befand: dem Geisterseher-Genre, dem Räuber-Genre, und dem Schwärmer-Diskurs im Roman. Zahlreiche Romane aus dem Deutschen und Englischen, die sich zur Geisterseher-Nachfolge und zu Schillers Vorbild bekennen oder eine solche im Text kenntlich machen, überfluteten den Markt. Auch das verwandte Räuber-Genre wird von Zeitgenossen offensichtlich auf Schiller, insbesondere auf Die Räuber, aber auch Die Geisterseher zurückgeführt. Es gibt eine Reihe von Gründen, die bewirkt haben könnten, dass der schwedische Leser die Räuberliteratur mit Schillers Namen und seinem Werk verbunden hat: Schillers Die Räuber hat diesem Genre den Namen gegeben; früh hat er in einem parallelen Genre, der psychologischen Verbrechervita, einen wichtigen Beitrag geleistet; im nahe verwandten Geisterseher-Genre galt er als Urheber (laut Journal för svensk litteratur, 1798); in exponierten Paratexten ausgestreute Bekenntnisse zu Schiller als Vorbild sowohl in deutschen als auch in französischen Romanen können dem schwedischen Leser kaum entgangen sein und bezeugen das eingestandene Abhängigkeitsverhältnis einiger Autoren zu Schiller. Arvid Johan Spaldencreutz, welcher laut Titelblatt zwei Texte Schillers veröffentlichte, den Verbrecher aus verlorener Ehre (1808) und Die Minnekönigin, ein anonym in Neue Thalia (1792) veröffentlichter Text, widmete sich in seinen diversen Publikationen und Übersetzungen einer eher genüsslichen als ernstgemeinten Schwärmerkritik – und auch diese findet Nahrung bei Schiller. So z. B. im Motto der Übersetzung des Romans Idealet von Karl Anton von Gruber (1808), das die »moralische Verschlimmerung« – in diesem Fall ein schwärmerisches Fräulein – auf eine »einseitige und schwankende Philosophie« zurückführt. Die eigentlichen Motive des müßiggängerischen Belletristen, der finanziell gut abgefedert war, bleiben im Dunkeln, seine finanzielle Unterstützung Silverstolpes und später Hammarskjölds lassen aber eine uneigennützige Liebe zur Literatur vermuten. Zentral in Spaldencreutz’ Übersetzungen und seinem Originalroman, die Berührungspunkte mit Schiller aufweisen, sind die Schwärmereien junger Frauen im heiratsfähigen Alter. Ein für den deutschen Kulturraum vielfach untersuchtes, in Schweden jedoch, sei es aufgrund des Mangels an Originalwerken, sei es aufgrund des Nichtvorhandenseins des Phänomens überhaupt, ein gänzlich unerschlossenes Thema. Die Texte Spaldencreutz’ dienen jedoch keineswegs der Aufklärung, wie man zunächst aufgrund der jeweils angeschlagenen Thematik glauben sollte. Vielmehr partizipieren diese Texte an einem exotisch-schwärmerischen Sujet, der Schwärmerei, das auszustaffieren die Texte sich nicht scheuen, obwohl die Geschichten gleichzeitig in aufklärerischem Sinne als fabula docet ausgegeben werden.

Zusammenfassung

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Der vielleicht sonderbarste und bisher völlig unbekannte Fall der schwedischen Schiller-Rezeption ist der in Linköpingsbladet, das 1805 aufgrund einer von der Zensur erzwungenen Umorientierung zum apolitischen literarischen Programm verstärkt Literatur publizierte. Innerhalb zweier Monate wurden dort mehrere Gedichte Schillers publiziert und, Novum für eine Lokalzeitung, die Novelle Spiel des Schicksals. Warum die Zeitung in dieser Übergangsphase, in welcher die Spalten gefüllt werden mussten, ausgerechnet Schillers Texte dazu verwendet hat, lässt sich nicht eindeutig rekonstruieren. Einerseits weist die Wahl sicher auf die ungeheure Popularität Schillers hin, gleichzeitig aber auch darauf, dass Schiller nicht mehr als politisch problematisch eingestuft wurde. Gleichzeitig mag aber die Novelle ein verstecktes Mittel gewesen sein, die repressiven und als willkürlich empfundenen Zensurbedingungen anzuprangern.

Kapitel IX: Schillers dramatische Dichtung

Für Schillers Wirkungsgeschichte im Ausland wurde ein »Triumphzug des schillerschen Dramas« geltend gemacht:799 In Frankreich wurden Die Räuber bereits 1785 unter dem Titel Robert, chef de Brigands übersetzt und 1792 unter dem Motto »In Tirannos« aufgeführt; in Italien wurde das Stück ab 1784 gegeben und in Russland ab 1787; in England machte Henry Mackenzie 1788 vor der Royal Society of Edinburgh auf den Dichter der Räuber aufmerksam, welche kurze Zeit später übersetzt wurden. Hinsichtlich der Theater-Rezeption in Schweden hat die einschlägige Literatur dagegen wenig zu vermerken, lediglich Ernst Wrangel konstatiert lakonisch: »Schillers Dramen, die zu übersetzen bereits in den 1790er Jahren begonnen wurden, sind dagegen recht spät bei uns aufgeführt worden. Man begann – chronologisch – mit der Räuberbande, aber das Stück wurde erst 1814 gegeben«.800 In der Tat nahm die eigentliche Bühne Schwedens, Kungliga Dramaten (dt. Königliches Schauspielhaus) in Stockholm, noch lange eine zögerliche Haltung gegenüber dem deutschen Klassiker ein: das erste Schiller-Drama am Dramaten war die 1821 erfolgreich inszenierte Maria Stuart. Das Schiller-Jahrzehnt auf der schwedischen Bühne waren jedoch die 1830er Jahre mit den Aufführungen von Wallensteins Tod, Kabale und Liebe, Die Räuber, Die Verschwörung des Fiesco zu Genua, Die Jungfrau zu Orleans und Don Carlos. Davor wurden entstellt und erfolglos im März 1814 Die Räuber im Nya Komiska Teatern in Stockholm aufgeführt, sowie Kabale und Liebe 1802 in Göteborg.801 799 K. Wais, Schillers Wirkungsgeschichte im Ausland, 1955, S. 485. 800 E. Wrangel, Schiller och Sverige, 1905. S. 3. 801 Eine systematische Aufzeichnung des Stockholmer Repertoires liegt seit 1866 vor mit Fredrik August Dahlgrens Förteckning öfver svenska sk”despel uppförda p” Stockholms theatrar 1737 – 1863 (1866). Die neueste und vollständigste Zusammenstellung der Aufführungen deutscher Schauspiele in Schweden findet sich in Axel Fritz, Die deutsche Muse und der schwedische Genius (1989), die sich die Darstellung der Rezeption als Bühnen- oder Aufführungsgeschichte deutschsprachiger Dramen (neben Hör-und Fernsehspielen) zum Ziel setzt und diesem Anspruch insbesondere hinsichtlich einer weitgehenden Vollständigkeit und leichten Zugänglichkeit des deutschen Repertoires auf der schwedischen Bühne

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Schillers dramatische Dichtung

Obwohl Schiller seit 1792 einem wachsenden Lesepublikum als Dramatiker bekannt war – dies bezeugen die Leihbibliothekslisten, Ekmansons Werldsborgaren sowie Rezensionen in Journal för svensk litteratur und StP – findet die erste gewichtige und schriftlich fixierte Auseinandersetzung mit dem Schiller’schen Drama erst 1799/1800 mit den Übersetzungen von Die Räuber (1799) und Kabale und Liebe (1800) statt. Nachdem Schiller 1792 als Historiker bekannt wurde, 1793 als Lyriker und spätestens 1797 als Romancier, wurde er am Ende des Jahrzehntes schließlich auch als Dramatiker gewürdigt. Nach diesem ersten Anlauf einer Rezeption der Schiller’schen Dramen in Schweden sollten fast eineinhalb Jahrzehnte vergehen, bis Schillers klassisches Dramenwerk in schnellem Takt übersetzt wurde: 1813 Die Jungfrau zu Orleans und Don Carlos, 1814 Wallenstein, 1821 Maria Stuart und Die Verschwörung des Fiesco zu Genua, 1823 Wilhelm Tell. Wie ist dieses im Vergleich zu anderen Ländern so andersartige Rezeptionsverhalten in Schweden zu erklären?

1.

Das schwedische Theater unter Gustav III.

Als Die Räuber am 13. Januar 1782 in Mannheim erstmals aufgeführt wurden und ihren europäischen Siegeszug antraten und wenig später die Kabale und Liebe nach der Uraufführung in Frankfurt a. M. am 13. April 1784 erneut die Gemüter erhitzte, wurden in Schweden von der französischen Theatertruppe, die 1781 unter der Leitung des zu seiner Zeit bekannten Schauspielers Jacques Marie Monvel angestellt wurde, unter anfänglich großem Publikumszulauf die bekanntesten französischen Stücke der hohen Tragödie aufgeführt: Corneille, Racine und Voltaire.802 Das schwedische Theater war nach einem in den 1770er Jahren durchaus noch gemischten Theaterrepertoire durch die Theaterförderung des schwedischen Königs Gustav III., dessen Bildung und Geschmack, wie die seines Onkels Friedrich der Große, dem Französischen zugewandt war, in den 1780er Jahren gänzlich unter den Einfluss des französischen Theaters geraten. Insofern weist die gustavianische Epoche eine gewisse Ähnlichkeit mit der nach Autoren geordnet nachkommt. Als ausgesprochen hilfreich haben sich Svenska teatern I – VIII (1913 – 1927) von Nils Personne sowie Svensk teater och svenska sk”despelare I – II (1917/1918) von Georg Nordensvan erwiesen. In diesen großangelegten Darstellungen der schwedischen Theatergeschichte finden sich nämlich einerseits eine Vielzahl von Informationen zu einzelnen Aufführungen wie Schauspieler, Kostüme, Theaterdekoration sowie die Reaktion des Publikums und der Kritik, andererseits aber auch übergreifende Information zur Entwicklung des Theaters. Eine genauere Zusammenschau der Quellen und der Sekundärliteratur zum Theater der hier in Frage kommenden Zeit findet sich in M.C. Skuncke, Sweden and European Drama, 1981. 802 Hier und im Folgenden, soweit nicht anders angegeben: G. Nordensvan, Svensk teater och svenska sk”despelare, I – II, 1917 – 1918; N. Personne, Svenska teatern, I – VIII, 1913 – 1927.

Das schwedische Theater unter Gustav III.

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deutschen auf, bevor Lessing, Herder, Klopstock und die Autoren des Sturm und Drang mit dem französischen Paradigma gebrochen haben. Zu einem solchen dramatischen Bruch mit dem französischen Einfluss ist es jedoch in Schweden nicht gekommen und musste es vielleicht auch gar nicht kommen. Im Unterschied zu seinem preußischen Verwandten waren die Bemühungen Gustav III. nämlich darauf gerichtet, die schwedische Literatur und das schwedische Theater zu fördern. So wie Gottsched, aber auch Lessing in Deutschland, ging es ihm in Schweden um die Schaffung eines Nationaltheaters, welches den Vergleich mit den großen europäischen Theatern nicht zu scheuen bräuchte. Dass es ihm in diesem Zusammenhang auch um die Bildung einer schwedischen Literatursprache ging, zeigt seine Gründung der Schwedischen Akademie, deren Hauptaufgabe die Verbesserung der schwedischen Sprache und das Ausrichten literarischer und rhetorischer Wettbewerbe war. Neben dem unabhängigen Stenborg-Theater hatte das Stockholmer Publikum zu Beginn der 1780er Jahre Zugang zu drei vom König protegierten und finanzierten Schauspielhäusern: einer Oper, einer Operette und einem französischen Theater, das 1782 eingerichtet worden war.803 Gustav III. war der Meinung, dass eine Opernkultur der schwieriger zu etablierenden Theaterkultur vorangehen müsse, weshalb große Anstrengungen unternommen wurden, eine solche zu fördern. Auch das Engagement der französischen Theatertruppe, die dem einen oder anderen Zeitgenossen ein Dorn im Auge war, da sie der Versicherung des Königs, eine schwedische Schaubühne schaffen zu wollen, scheinbar widersprach, war ein wichtiges Moment seiner Gesamtstrategie zur Schaffung eines Nationaltheaters. Wie die ausländischen Maler, Architekten, Bildhauer und Kunsthandwerker sollte die szenische Kultur der Franzosen jungen schwedischen Schauspielern als Vorbild dienen. Der König drängte darauf, schwedische Stücke auf die Bühne zu bringen und war sehr darum bemüht, für die Oper und das Theater geeignete Autoren zu finden. Zur Förderung des schwedischen Theaters wurde eine Förbättringssällskapet för svenska spr”ket (dt. Verbesserungsgesellschaft der schwedischen Sprache) mit der Aufgabe betraut, dramatische Arbeiten zu lesen und zu bewerten. Die poetische Entourage des Königs wurde erfolglos von diesem bedrängt, Theaterstücke zu verfassen: Gustav Philip Creutz (1731 – 1785) verweigerte sich, Gustaf Fredrik Gyllenborg (1731 – 1808), Johan Gabriel Oxenstierna (1750 – 1818) und Gudmund Jöran Adlerbeth (1751 – 1818) taten ihr Bestes, waren jedoch vom Naturell her keine Dramatiker, Bengt Lidner (1757 – 803 Das Stenborgs Teater, auch Nya svenska teatern und nach 1788 Svenska Komiska Teatern oder Komiska Teatern genannt, war in den Jahren 1784 – 1799 in Gamla Stan in Stockholm wirksam und bis zur Gründung des Kungliga Dramaten das einzige Theater in schwedischer Sprache und neben dem Dramaten das bedeutendste Theater dieser Zeit in Schweden.

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Schillers dramatische Dichtung

1793) enttäuschte. Schließlich schrieb der König die Texte selbst und ließ sie von Kellgren, der als Hofdichter gezwungen war, den Wünschen des Königs zu entsprechen, in Verse setzen. Auf diese Weise entstanden in den Jahren von 1783 bis 1785 nicht weniger als sechs Dramen, von denen Gustaf Vasa (1786), nach dem Entwurf von Gustav III.,804 versifiziert von Kellgren und vertont von Naumann, ein ungewöhnlich großer Erfolg wurde. Als sich jedoch die Gelegenheit bot, entledigte Kellgren sich dieses ungeliebten Amtes und gab seine Verpflichtungen an Leopold ab, welcher die Tragödie Oden, eller Asarnas Utvandring verfasste, die trotz des nordischen Personals ganz nach den französischen Vorbildern geschaffen war.805 Die Tragödie durfte zwar als deutliches Indiz für die Fortschritte genommen werden, die man vor allem im Sprachlichen gemacht hatte; gleichzeitig konnte nicht verborgen bleiben, dass die Sprache, jenseits einer gewissen Fertigkeit, leer und pompös war und keinerlei Verankerung in der sozialen Wirklichkeit Schwedens hatte. Die zunehmende Dominanz des französischen Theaters im Laufe der 1780er Jahre sowohl im Kungliga Dramaten als auch im Stenborgschen Theater drückt sich wie folgt in Prozenten aus:806 Stenborg: 1775 / 38,7 % – 1785 / 85,4 % – 1790 / 81,1 % –1794 / 77,6 % – 1795 / 74,5 % – 1796 / 46,6 %. Dramaten: 1790 / 63,6 % – 1796 / 64,1 %.

Hinsichtlich der Aufführung von Theaterstücken deutscher Provenienz lassen sich folgende Ziffern angeben: Stenborg: 1775 / 1,1 % – 1785 / 6,4 % – 1790 / 11,9 % – 1794 / 22,4 % – 1795 / 20,4 % – 1796 / 51,1 %. Dramaten: 1790 / 5 % – 1791 / 11,4 % – 1793 / 17,6 % – 1794 / 33,6 % – 1795 / 19,4 % – 1796 / 18,2 %.

Marie-Christine Skuncke hat anhand dieser Zahlen dargelegt, dass das Königliche Schauspielhaus keineswegs mehr französische Stücke spielte als das »unabhängige« Stenborgsche Theater – dies gilt jedoch nur für die 1780er Jahre. Zu Beginn der 1790er Jahre dagegen ist die Dominanz des französischen Theaters bei Stenborg umfassender als im Kungliga Dramaten, wo das deutsche und insbesondere das englische Theater auch auf dem Höhepunkt des französischen Kultureinflusses unter Gustav III. seinen Platz hatte. Unter Gustav III. hat jedoch nicht nur das klassizistisch-heroische Drama floriert: Eine erste Hinwendung zum nicht-klassizistischen Drama mit (im weiten Sinne) »bürgerlichen« Tendenzen machte sich bereits in den 1770er und 804 Gustav III:s skrifter, I, 1, S. 1 – 49, 1857. 805 G. Leopold, Samlade Skrifter, I, 1814, S. 1 – 120. Übersetzung ins Deutsche: Oden oder die Auswanderung der Asen, Leipzig 1804. 806 Nach Angaben von M.-C. Skuncke, Sweden and European Drama 1772 – 1796, 1981, S. 32.

Der Einzug des deutschen Theaters in Schweden

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vor allem in den 1780er Jahren bemerkbar. Große Publikumserfolge waren englische Kriminaltragödien wie George Lillos The London Merchant und Edward Moores The Gamester (unter dem Titel Beverlei eller v”gspels skadeliga p”följder), die gemeinhin als die Vorläufer des Bürgerlichen Trauerspiels angesehen werden.807 Das französische Familien-Drama, z. B. von Denis Diderot, wurde seit den 1780er Jahren hie und da aufgeführt, zumal Monvel selbst ein in Frankreich bedeutender Theaterverfasser im neuen Genre war. Gustav III., der Theaterkönig, wurde als der eigentliche Schöpfer des »schwedischen historischen Schauspiels im bürgerlichen Geiste gesehen«.808 Gleichzeitig huldigten in den 1780er Jahren Thorild und Lidner in Theorie und Praxis dem Genie-Paradigma der englischen Vorromantik und des deutschen Sturm und Drang, und Pehr af Lunds Dagbladet: Wälsignade Tryck-Friheten (24. 11. 1783) der kreativen Natur-Kraft eines Shakespeare, die er kritisch gegen die französische Nachahmungsästhetik ausspielte. Dass es im Kreis um Thorild und Lidner nicht zu einer nachweisbaren früheren Rezeption Schillers, insbesondere der Räuber, gekommen ist, gehört zu den Merkwürdigkeiten der schwedischen Rezeptionsgeschichte.

2.

Der Einzug des deutschen Theaters in Schweden

Ein Paradigmenwechsel als langsamer aber steter Aufwärtstrend der Aufführungsfrequenz deutscher Theaterstücke zeichnete sich bereits Anfang der 1780er Jahre ab und führte um 1790 zu dem spektakulären Auftritt und Siegeszug August von Kotzebues (1769 – 1819) auf der schwedischen Bühne. Konträr zur früheren Annahme, dass die gegenläufige Entwicklung der Aufführungsfrequenz französischer und deutscher Theaterstücke mit dem Tod Gustav III. zusammenhängt, liefert die oben angeführte Statistik überzeugende Argumente für eine teilweise Entkopplung der Veränderung des Theaterrepertoires von der Jahreszahl 1792. Einerseits erweist sich das Repertoire des Kungliga Dramaten über den Tod des Königs hinaus als stabil, andererseits verzeichnet das unabhängige Stenborgsche Theater seine größte Expansion von Theaterstücken deutscher Provenienz erst 1796. Skuncke ist meiner Ansicht nach jedoch ebenfalls dem Fehler der Hypostasierung einer Jahreszahl verfallen und hat sich zu sehr von der Verdopplung der Aufführung deutscher Stücke von 1795 auf 1796 am Stenborgschen Theater beeindrucken lassen, dabei die langfristige 807 F. Westin, Carl Lindegren, 1940, S. 15; P. Szondi, Die Theorie des bürgerlichen Trauerspiels im 18. Jahrhundert, 1973. 808 F. Westin, Carl Lindegren, 1940, S. 33; O. Levertin, Gustaf III som dramatisk författare, 1889: ders., Teater och drama under Gustaf III., 1894.

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Schillers dramatische Dichtung

Entwicklung außer Acht gelassen und Fragen in den Mittelpunkt gestellt, die mir nur vordergründig interessant scheinen: »Why should 1796 be a turning-point, and why only for Stenborg? It is hard to tell.« Skuncke führt den Beginn der Tätigkeit des Übersetzers Marten Alt¦n als wichtigste Erklärung für einen derart umfassenden Paradigmenwechsel ins Feld, welcher die Veränderung des Geschmacks und letztendlich die Transformation der Gesellschaft betrifft. But there are probably other reasons as well. It seems that Stenborg’s audience was losing its taste for French drama. […] What was the reason for this evolution? It cannot only have been the increased craving for tears and pathos, for these superaboundend in French dramas as well as in German Schauspiele and Familiengemälde. […] More research would be needed here.809

In der Tat forderte das Publikum gerade das, was Skuncke etwas abschätzig als »Tränen und Pathos« abtut – und die deutschen Schauspiele und Familiengemälde bedienten den entstandenen sentimentalen Geschmack offenbar besser als die französischen. Das rührselige Sentiment war freilich keineswegs ein Novum auf der schwedischen Bühne, kann doch die Aufführung von Kotzebues Menschenhass und Reue (1789) am Kungliga Dramaten 1791 – in einer Adaptation von D. G. Björn unter dem Titel De Okända (dt. Die Unbekannten) – als Initialzündung für dieses das sentimentale Zeitalter prägende Verhalten angesehen werden und gleichzeitig als der Durchbruch des deutschen Theaters. Folgende Passage aus den Memoiren des Adligen A. F. Skjöldebrand beleuchtet die ungeheure Wirkung des Kotzebue’schen Dramas: Am Ende des Dramas war eine unwiderstehlich rührende Szene, als die Kinder herangeführt werden, den beleidigten Mann zu bewegen. Fräulein Rudensköld brach in Tränen aus, und ich konnte die Tränen nicht zurückhalten; sie wandte sich um, sah es und drückte meine Hand mit einem tiefen Seufzer, der eine Art Verzweiflung enthielt. Ich folgte ihr zum Wagen und war tief gerührt. Am darauffolgenden Tag traf ich sie bei einer Cour bei der Königin; sie hatte sich bemüht, ihre Betrübtheit nicht zu zeigen und sagte zu mir : »Danke für gestern und danke für die Tränen.«810

Der merkwürdig sentimentale, weil literarische Szenen abbildende,811 Vorgang dokumentiert, wie sehr das »Bürgerliche Drama« nicht nur »Bürger«, sondern 809 M.-C. Skuncke, Sweden and European Drama 1772 – 1796, 1981. 810 A. F. Skjöldebrand, Memoarer, II, 1904, S. 19: »Vid slutet af dramen förekom en oemotst”ndligt rörande scen, d” barnen framföras att beveka den förolämpade mannen. Fröken Rudensköld föll i gr”t, och jag kunde ej afh”lla mig fr”n t”rar ; hon vände sig s”g det och klämde min hand med en djup suck, som röjde ett slags förtviflan. Jag följde henne till vagnen och var djupt rörd. Följande dagen r”kade jag henne p” en cour hos enkedrottningen; hon hade bemödat sig att dölja sin bedröfvelse och sade till mig: ›Tack för i g”r och tack för t”rarna.‹« 811 In solchen Szenen bestätigt sich die These F. A. Kittlers, Erziehung ist Offenbarung, 1977, S. 111, dass das Bürgerliche Trauerspiel nicht etwa das bürgerliche Leben abbilde, sondern

Der Einzug des deutschen Theaters in Schweden

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auch die obere Aristokratie berührte und das gesamte Publikum zu einer »Bruderkette« durch die heilige Gemeinschaft der Tränen vereinte. Wichtiges Zeichen der Zugehörigkeit zur »bürgerlichen« Wertewelt war die Fähigkeit zum Weinen, weshalb Martin Lamm die Szene als endgültigen Sieg des Sentimentalen über den aristokratischen Geschmack des Klassizismus deutet.812 Der Paradigmenwechsel vom Französischen zum Deutschen auf der schwedischen Bühne nach 1790 verdankte sich freilich nicht nur Kotzebue813 – andere deutsche Autoren, wie Möller, Schröder, Jünger, Spiess u. a. wurden ebenfalls, wenn auch in geringerem Umfang, aufgeführt –, vielmehr handelt es sich um ein Moment des Transformationsprozesses der schwedischen Gesellschaft von einer repräsentativen zu einer bürgerlichen Öffentlichkeit, welcher die Rezeption der deutschen Literatur begünstigte. Ein Prozess also, an welchem Gustav III. selbst beteiligt war, dem jedoch aufgrund einer sich in seiner Regierungszeit verschärfenden Zensur und der königlichen Geschmacks-Okkupation des Theaters nicht das nötige Forum eingeräumt worden war. Insofern mag es vielleicht auch nicht nur ein Zufall sein, dass der sprunghafte Anstieg deutscher Rührstücke mit dem Tod Gustav III. zusammenfiel. Dieser hätte sich dieser Entwicklung zwar nicht entgegenstämmen können, ob er sie jedoch in diesem Ausmaße gutgeheißen hätte, ist die Frage. Mit seinem Tod war die kulturelle Dominanz des Hofes und der aristokratischen Gustavianer gebrochen. Da der Theaterkönig und die Hofkultur der Gustavianer nicht mehr den Geschmack bestimmten, tat die Öffentlichkeit das selbst. Ihren frühesten und entschiedensten Befürworter erhielt die neue Dramenform in Kellgren, der von 1790 – 1791 in StP unter der Rubrik Spectaklerne regelmäßig Theater-Rezensionen verfasste und um Verständnis für das »bürgerliche Trauerspiel« warb, für welches sich der Ausdruck »Drama« durchsetzte.814 In einer Rezension von Menschenhass und Reue in StP (1791, Nr. 166) schrieb Kellgren: »Unstrittig ist, dass es wenige Dramen gibt, die ein größeres Verdienst bezüglich des theatralischen Effekts haben; dass die Charaktere gut gezeichnet und unterhaltend sind; dass einige Szenen Meisterstücke des erhabenen Gefühls sind […]«.815 Wünschenswert sei es freilich gewesen, dass nicht

812 813

814 815

qua so bezeichneter »Semiotechnik« ein solches erst einmal bilde, indem sie »eine epochale Lebensform einzurichten mitwirkt«. M. Lamm, Upplysningstidens romantik, II, 1920, S. 551. Kotzebue war bis weit ins 19. Jahrhundert hinein der am häufigsten gespielte Autor in Schweden: Von dem All-Time-Bestseller-Autor wurden Korsfararne von 1804 – 1845 141 mal auf den Königlichen Bühnen gespielt; Johann av Montfaucon 97 mal bis 1842; Världsförakt och ”nger 110 mal bis 1836; Den okände sonen 68 mal bis 1837; Brodertvisten 85 mal bis 1844; Konstmakaren 74 mal bis 1836 etc. (G. Nordensvan, Svensk teater och svenska sk”despelare, I, 1917 – 1918, S. 97). Siehe hier und im Folgenden S. Ek, Kellgren, II, 1980, S. 439 ff. StP, 1791, Nr. 166: »Ostridigt är, at f” Dramer äro skrifna, som haft större förtjenst af theatralisk effect; at Caracterer äro väl gifna och underh”llna; at n”gra Scener äro mäs-

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Schillers dramatische Dichtung

nur die zwei Einheiten der Zeit und des Raums, sondern auch die Einheit der Handlung, oder »richtiger gesagt« des Gefühls eingehalten worden wäre, womit er offenbar eine unzureichende psychologische Motivierung bemängelte und die damit zusammenhängende Unglaubwürdigkeit des Handlungsverlaufs. Kellgrens außerordentlich differenzierte Theaterbetrachtung, die das Neue und Gelungene in Kotzebues Dramen schätzen konnte, war jedoch ihrer Zeit weit voraus, in der man sich dem neuen Genre entweder kritiklos hingab, oder es mit Bausch und Bogen verwarf.816 Die in Schweden boomende Kotzebue’sche Dramatik und seine schwedischen Nachahmer wurden jedoch zusehends auch von erhobenen Zeigefingern begleitet.817 In einem Leserbrief in StP 1795 (Nr. 9) wird erklärt, dass es Kotzebues Stücken trotz ihrer großen Beliebtheit, welche aus einer gewissen thematischen Neuheit und unerwarteten Auftritten resultiere, an Moral fehle, welcher der Autor gerne bereit sei, dem Kitzel des Neuen zu opfern. Ein anderer Leser bedauerte 1797 (StP Nr. 169), dass der Geschmack der Zeit sich an Kotzebue und seine Nachahmer halte. Viele Zeitgenossen – meint der Einsender – versuchen ihn zu imitieren, was sehr einfach sei, wenn man sich nicht um »Wahrscheinlichkeit« und »Moral« der Handlung kümmere, das »Absonderlichste« auswähle, dieses mit zärtlichen und herzrührenden Ausdrücken sowie heftigen Auftritten und auf die Spitze getriebenen Leidenschaften versehe. Journal för svensk litteratur (1798, II, S. 100 ff) bezog in einer ausführlichen Kritik Stellung zwischen denjenigen, welche die Werke des Autors für Meisterwerke ansahen, und denjenigen, die ihm jegliches Talent absprachen. Wenn es Kotzebue auch an Geschmack, scharfer Urteilskraft und Menschenkenntnis mangele, die Charakteren selten wahr erschienen und die Handlung wenig motiviert, so eigne seinen Stücken doch auch viel Geglücktes, wie die Sprache des Herzens und komische Szenen.

terstycken af känslans sublima; och at de tvänne unit¦er af Tid och Rum äro väl iakttagne; önskeligt at det händt lika s” med den tredje: vi mena Actionens eller, rättare sagdt, känslans: men härom framdeles.« 816 So äußerte sich z. B. F. Westin, Carl Lindegren (1940), erstaunt, dass Kellgren dem Drama Kotzebues soviel abgewinnen konnte. Jörg F. Meyer hat kürzlich in Verehrt. Verdammt. Vergessen (2005) den populärsten deutschen Dichter des Zeitalters intellektuell und ästhetisch rehabilitiert. 817 Insbesondere der Autor Carl Lindegren, von dem im Jahre 1800 drei Dramen – General Eldhjälm, Kärlek och hemsjuka, Lycksökaren (dt. General Feuerhelm, Liebe und Heimweh, Der Glücksritter) – gespielt wurden, (zu Carl Lindegren siehe: F. Westin, Carl Lindegren, 1940) war außerordentlich erfolgreich. Er erhielt, wie Franz¦n im August 1800 an Rutström schreibt, »ziemlichen Beifall, insbesondere das letzte und schlechteste, Lyckosökaren«.(G. Nordensvan, Svensk teater och svenska sk”despelare, I, 1917 – 1918, S. 92), dessen Handlung und Personal gewisse Ähnlichkeiten mit Die Räuber aufweisen, die, 1799 übersetzt und publiziert, dem Autor ohne Zweifel bekannt waren.

Erste Übersetzung und Aufführungen von Schiller-Dramen

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In der Monatszeitschrift Carolina, die 1798 im hauptstadtfernen Lund von L. P. W”hlin, der ein Jahr zuvor Schiller in Weimar aufgesucht hatte, herausgegeben wurde, heißt es: »Weder Emilia Galotti noch Miss Sara Sampson oder Clavigo, Stella oder Dyveke bekommt man in unseren Theatern zu sehen. Herr von Kotzebue […] das ist unser Leitstern in der Welt des Geschmacks.«818 Das schwedische Theater hatte sich innerhalb kurzer Zeit von einem von Gustav III. vorgeschriebenen aristokratisch-französischen Geschmack dem »bürgerlichen Trauerspiel« — la Kotzebue, – das allerdings schon die Verfall- und Schwundstufe dieses Genres darstellte – also dem Diktat des breiteren Publikumsgeschmacks, zugewandt. In der Tat wurden weder Lessing, noch Schiller oder Goethe aufgeführt; auch Shakespeare, dessen Rezeption in Deutschland die Entstehung und Legitimierung eines neuen Theaters so entscheidend geprägt hatte, wurde nicht vor den 1820er Jahren auf die Bühne gebracht.

3.

Erste Übersetzung und Aufführungen von Schiller-Dramen

Angesichts dieser dem gehobenen Bildungsgeschmack wenig zuträglichen Aufführungsbedingungen – einerseits der das kulturelle Establishment noch viele Jahre dominierende gustavianische Geschmack, andererseits ein auf das Sensationelle und die »Ausleerung des Tränensacks« abzielender breiter Publikumsgeschmack – ist es nicht verwunderlich, dass von den drei bedeutendsten deutschen Theaterautoren des 18. Jahrhunderts, Lessing, Goethe und Schiller, auch wenig übersetzt wurde. Von Lessing wurde 1793 Minna von Barnhelm, eller Soldatlyckan (dt. Minna von Barnhelm, oder das Soldatenglück) von D. G. Björn ins Schwedische übertragen und zum ersten Mal am 26. Februar 1793 im Svenska Komiska Teatern aufgeführt. Gustav Ros¦n hatte in seinen Fragmenter af utländsk litteratur 1795 (siehe Kapitel VI) einige Szenen aus Lessings Tragödie Miss Sara Sampson eingeführt. Von Goethe war auf lange Zeit hin Stella. För Känslofulla. Af Autorn til Werthers lidande (dt. Stella. Für Gefühlvolle. Vom Autor der Leiden Werthers), von L. P. Bagge 1794 übersetzt, jedoch nicht aufgeführt, das einzige auf Schwedisch zugängliche Drama. In diesem Kontext ist die komplette Übersetzung von Die Räuber und Kabale und Liebe in dichter zeitlicher Folge 1799/1800 nur durch die außerordentliche Po818 Carolina, 1798, S. 68 f: »Hvarken Emilia Galotti eller Miss Sara Sampson eller Clavigo, Stella eller Dyveke f”r man se p” v”r smakfulla sk”deplats. Herr v. Kotzebue, den ömme, den starke, den menniskokännande Herr v. Kotzebue, se det är v”r Ledstjerna i smakens verld. Fritt m” afunden kalla hans flesta pjeser för skenfagra foster af yrslan, hvilka äro utan sannolikhet i händelserna, utan menniskokännedom i karaktererna, af ett tomt, ett tröttsamt ordsvall och skakande hjertat med n”gra vilda drag. Vi skola veta att värdera detta, tyvärr, annorstädes s” obilligt bedömda snille.«

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Schillers dramatische Dichtung

pularität Schillers zu erklären. Die beiden Übersetzungen wurden auch mit zwei gewichtigen Rezensionen bedacht: eine in Journal för svensk litteratur, welche beide Übersetzungen rezensierte (siehe hier Unterkapitel 6); und eine in æbo tidning von Frans Michael Franz¦n (siehe hier Unterkapitel 4 – 5).

1.

Die Räuber (1799)

Carl Birger Rutströms Biographie gibt wenig Anhaltspunkte über die Beweggründe seiner Übersetzung von Schillers Schauspiel: Er hatte sowohl Sprachen als auch Naturwissenschaften studiert und war 1793 in Holland zum Doktor der Medizin promoviert; später begab er sich auch aufs Feld der klassischen und orientalischen Archäologie, der Ägyptologie und Runologie, sowie der Numismatik.819 Rutström hatte jedoch auch literarische Interessen und gehörte als Mitarbeiter der StP zum Kreis um Anna Maria und Carl Peter Lenngren. Er war seinerzeit als Übersetzer von Ovid hervorgetreten und von der Schwedischen Akademie gewürdigt worden,820 in welche er 1812 gewählt wurde und wo er durch seine hochgestimmte und umständliche Rhetorik den Zeitgenossen als altmodisch auffiel. Angesichts seiner dürftigen wissenschaftlichen und literarischen Produktion erscheint seine Mitgliedschaft in der Schwedischen Akademie rätselhaft. Vermutlich hat ihm das Gerücht, umfassend gebildet zu sein, seine Freundschaft mit Kulturpersönlichkeiten wie Leopold und Franz¦n sowie sein persönlicher Charme, den er im gesellschaftlichen Leben entfalten konnte, zu dieser Position verholfen. Er bezeichnete sich selbst als »Thorildian«,821 d. h. Thorild-Schüler oder Thorild-Anhänger (siehe Kapitel IV), was zwar seine Räuber-Rezeption erklären würde, aber letztendlich nur schwer mit seiner Biographie zu vereinen ist. Rutström hat in seiner Übersetzung gravierende Änderungen vorgenommen, die weder Frans Michael Franz¦n in æbo tidning noch Journal för svensk litteratur auch nur erwähnten, wenngleich die Übersetzung als weniger gelungen angesehen wurde.822 Neben der Gattungsbezeichnung, »sorgespel« (dt. Trauerspiel) statt des deutschen »Schauspiel« machen sich folgende Änderungstypen bemerkbar : 819 In einem Brief vom 5. Juni 1826 an F. M. Franz¦n schrieb Tegn¦r über Rutström: »Sein einziger Fehler war zu viel zu wissen und in zu viele Richtungen zu wirken.« 820 Svenskt biografiskt lexikon, XXX, 1998 – 2000, S. 777. Siehe auch SVH, III, S. 473. 821 Siehe S. Arvidsson, Harmens diktare. Thorild, 1993, 637 ff. Was damit gemeint sein könnte, ist unklar, immerhin wird eine Verbindung der frühen Sturm-und-Drang-Phase Schillers zu Thorild hergestellt, die man ansonsten vermisst. 822 Röfvar(e)bandet. Sorgespel i fem Akter af Friedrich Schiller. Öfversättning. 1799. ut. Tit. 141. sidd. 8.

Erste Übersetzung und Aufführungen von Schiller-Dramen

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– Umstellung von Szenen: Eine Vielzahl von Szenen wurden umgestellt bzw. in einem anderen Akt untergebracht. Beispiele hierfür sind der Dialog zwischen Amalia und Franz, im Original I/3, in der Übersetzung I/2; gravierender noch z. B. die Verschiebung der Kosinsky-Szene vom 4. in den 3. Akt. – Verteilung auf mehr Szenen als ursprünglich: So weist z. B. der 2. Akt im Original drei Szenen auf, in der Übersetzung sechszehn Szenen, der 4. Akt im Original fünf Szenen, in der schwedischen Übersetzung achtzehn. – Inhaltliche Änderungen: Am Ende des Originals will Karl Moor sich einem »armen Schelm« übergeben, damit dieser das Lösegeld kassieren kann, in Rutströms Übersetzung ist es dagegen ein »armer Offizier«. Herman wird im Original als »Bastard« bezeichnet, in der Übersetzung ausdrücklich als »naturlig son« (dt. natürlicher Sohn). – Ergänzungen: In der Übersetzung sagt Moor zu Spiegelberg: »Kalla det svaghet, at jag vördar min far! Det är en mensklig svaghet, och den som är utan den, maste antingen vara en gut eller et djur. Lät mig altid vara midt emellan! (dt. Nenne das Schwäche, dass ich meinen Vater verehre! Es ist eine menschliche Schwäche, und wer ohne sie ist, muss entweder ein Gott oder ein Tier sein. Lass mich immer dazwischen sein!) Es handelt sich hierbei um eine Aussage, die sich nicht im Original findet. – Reduktion oder Änderung der dramatis personae: Der Pastor wird durch einen Comissarie ersetzt; schwerer wiegt die Reduktion der Rolle Spiegelbergs, welcher dadurch an Bedeutung verliert. Ein schwerwiegender Eingriff, immerhin spricht Schillers Einleitung von drei »ausserordentliche[n] Menschen« (NA, III, 5), womit offensichtlich Spiegelberg als dritte Hauptfigur ausgezeichnet wird.823 – Weglassungen unterschiedlicher Art und Textlänge: Kann Inhalte betreffen, die wohl als anstößig empfunden wurden, z. B. die Aussage, dass Nonnen vergewaltigt wurden; Lieder wurden ganz weggelassen; mit den Liedern wurden auch eine Vielzahl von intra- und intertextuellen Referenzen eliminiert: Im Cäsar-Brutus-Lied z. B. heißt es: »Geh du linkswärts, laß mich rechtswärts gehen« (IV,5), und in V,2 sagt Karl Moor zur Bande: »gehet hin zur Rechten und Linken.« Im Original findet in I,1 und I,2 ein indirekter Dialog zwischen Karl Moor und Franz Moor statt: »Ist das Liebe gegen Liebe«, sagt Franz, und Karl parallel in der nächsten Szene: »Ist das Liebe für Liebe?« Von starken Kürzungen sind auch Monologe betroffen. Insgesamt macht sich in der Übersetzung also eine Verarmung der ursprünglichen Vielschichtigkeit und Multiperspektivität bemerkbar (z. B. Streichung der Lieder). Schiller hat in seiner Selbstkritik die verschiedenen »Sprach- und 823 Zu Spiegelberg und seiner Bedeutung siehe P.-A. Alt, Schiller, I, 2000, S. 288 f.

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Schillers dramatische Dichtung

Ausdrucksebenen, die lyrischen, epischen, metaphysischen, biblischen und selbst platten Elemente, als Mängel deklariert. In Wirklichkeit konstituiert die Vielseitigkeit der Darstellungsmethoden aber eine Differenzierung der Perspektiven.«824 Ein besonders starker Eingriff in den Text sind die Kürzungen der Monologe von Franz und Karl Moor, in welchen weltanschauliche Konflikte der Aufklärung zum Ausdruck kommen. Damit wird das Schauspiel auf die Eindimensionalität der Handlung reduziert und verliert seinen weltanschaulichen und die Aufklärung problematisierenden Charakter.

2.

Kabale und Liebe (1800)

Auch die Beweggründe des literaturgeschichtlich unbekannten Friedrich Anton Meyer Levin (1771 – 1831), vermutlich ein in Finnland eingewanderter Ausländer, das Bürgerliche Trauerspiel Kabale und Liebe zu übersetzen, bleiben im Dunkeln, zumal über ihn kaum etwas bekannt ist. Meyer Levin hat im gleichen Jahr von Kotzebue Elakt lynne, Komödie in vier Akten, übersetzt und in æbo bei J. C. Frenckell publiziert, der ein Strafgeld bezahlen musste, weil der Druck nicht angemeldet war.825 Unter seinem Namen erschien außerdem ein Fachbuch zur Meteorologie, das er zusammen mit Jean Senebier verfasst hat und das von Olof Linderholm übersetzt wurde.826 Meyer Levin scheint sich also kurzfristig aufs Feld der literarischen Übersetzung geworfen zu haben, sein Name taucht zumindest danach nicht mehr auf. Ob er mit seiner Übersetzungstätigkeit einen finanziellen Engpass überwinden wollte, oder ob ihm ein Theater die Übersetzung von Kabale und Liebe angetragen hatte, lässt sich nicht feststellen. Die im Eigenverlag gedruckte Übersetzung ist mit einem zweiseitigen Nachwort versehen, in welcher er sich zu erkennen gibt als »ein ganz und gar unbekannter Übersetzer! Ein Ausländer! Und dann auch noch vom Geschlechte Israels!«827 In einer Anmerkung erklärt er denjenigen, die die Übersetzung mit dem Original zu vergleichen belieben: 824 W. Hinderer, Die Räuber, in: Interpretationen. Schillers Dramen, 1992, S. 52 f. 825 Svenskt anonym- och pseudonymlexikon, I, 1898 – 1915, 377 f. 826 Elakt lynne. Comedie i fyra akter. Af August von Kotzebue. Fr”n tyskan. æbo, 1800. Tryckt hos Johan C. Frenckell. Meyer Levin, Friedrich Anton, æbo, 1800. – Säkra och almänna grundsatser, at föresp” och bestämma wäderlekens förh”llande. Af herrar Sennebier, Meijer, Toaldo, v. G. d’Isjonval och Berlin. Stockholm, tryckt hos Anders Jac. Nordström, 1800. Senebier, Jean, 1742 – 1809, Meyer Levin, Friedrich Anton, 1771 – 1831, Linderholm, Olof, 1762 – 1834. Stockholm, 1800. 827 F. A. Meyer Levin, Cabale och kärlek. Borgerligt sorgespel i fem akter, af F. Schiller. Öfversättning af Meyer Levin. æbo, tryckt hos Joh. C. Frenckell, 1800. P” Öfversättarens förlag: »En alldeles okänd Öfversättare! En Utlänning! Och p” köpet af Israels Slägte!«

Erste Übersetzung und Aufführungen von Schiller-Dramen

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Mehrere Stellen habe ich ausgelassen, noch mehr habe ich verändert; weit entfernt von der Launenhaftigkeit, einen Schiller zu korrigieren – weit entfernt von dem Gedanken, das irgendwann zu können, bitte ich nur, sich daran zu erinnern, was man in Deutschland in einem Theaterstück sagen darf, und was in Schweden. – Wenn man vergleicht, wird man leicht die Ursache für die kleinen Veränderungen, die ich vorgenommen habe, finden – der Leser, glaube ich, wird nichts vermissen.828

Die Behauptung Meyer Levins, er habe einige Stellen ausgelassen, andere verändert, erweist sich als Übertreibung: Der schwedische Text hält sich zumeist wortwörtlich ans Original. Auch der Rezensent des Journal för svensk litteratur sieht die Übersetzung von Kabale und Liebe für gelungen an: sie sei derjenigen von Die Räuber vorzuziehen, insbesondere, wenn man bedenke, dass der Übersetzer ein Ausländer sei. (IV, 9. Heft, S. 525, 1800): In beiden, insbesondere in der ersten [Die Räuber, A.d.Ü.], findet man oft nur große Worte an den Stellen, wo das Original den Ausdruck der stärksten Wirkung besitzt; und während der Verfasser es immer verstanden hat, den Ton den Personen anzupassen, ist der Übersetzer durch eine kindische Treue in eine Sprechweise verfallen, die in unserer Sprache weniger passend ist, als in der des Originals. Mit einem Wort: man wird hier die gleichen Worte und Gedanken antreffen, wie in den Originalen, aber es ist nichts anderes als der Buchstabe, der tötet, und man vermisst den Geist, der Leben spendet.

Die Aufführung der Lewenhagen-æbergssonska Theatergesellschaft in Göteborg war jedoch erfolglos und wurde sofort wieder abgesetzt.829 Das Stück ist aber offensichtlich zu Beginn des Jahrhunderts in mehreren Provinzorten wie Norrköping und Linköping (1805) gespielt worden, wobei weder rekonstruiert werden kann, ob es sich jeweils um die gleiche oder um unterschiedliche Theatergesellschaften handelte,830 noch ob den gespielten Stücken die Über828 Ebd. »Flera ställen har jag utelemnat, ännu flere har jag ändrat; l”ngt ifr”n den kitsligheten at corrigera en Schiller – vida skilld fr”n den tankan, at n”gonsin kunna det, ber jag blott, at man kommer ihag hvad som i Tyskland l”ter säga sig i en Theater-piece, och hvad som i Sverge f” sägas. – D” man jämnförer, lär man lätt finna orsaken til de sm” förändringar jag v”gat göra – den blotta Läsaren tror jag ej skall sakna n”got.« 829 Die Göteborger Theatergeschichte wurde für den Zeitraum von 1690 bis 1830 von Wilhelm Berg in Anteckningar om Göteborgs äldre teatrar 1896 – 1900 aufgezeichnet. Zu Göteborgs Theater im Unterschied zu Stockholm siehe M.-C. Skuncke, Sweden and European Drama 1772 – 1796, 1981, S. 146 f. 830 A. Fritz, Die deutsche Muse und der schwedische Genius, 1989, S. 18, ist zu Recht der Meinung, dass eine vollständige Erfassung des Provinztheaters einerseits unmöglich ist, da »diese ihre Produktionen nicht so nachhaltig zu dokumentieren brauchten« und andererseits mit einem enormen Aufwand verbunden ist, da »man an allen Orten, wo Theater gespielt worden ist, in örtlichen Archiven und anhand der Ortspresse« nachforschen müsste. In der Tat konnte ich durch systematisches Suchen in der Provinzzeitung Linköpingsbladet eine Theaterankündigung für Kabale und Liebe auf der Bühne von Linköping finden – von G. Nordensvan war lediglich Norrköping angegeben worden. Das systemati-

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setzung von Meyer Levin zugrunde lag. Provinzzeitungen wie Linköpingsbladet enthielten zwar Mitteilungen über Zeit und Ort von Theateraufführungen, aber keine Theaterrezensionen, die Auskunft geben könnten, welche Qualität und welchen Erfolg die Aufführungen hatten. Sehr schwierig und eigentlich fast unmöglich ist die Erfassung der Wanderbühnen, die insbesondere das Theaterleben in der Provinz bestimmten. Da es im Folgenden aber auch nicht in erster Linie um eine quantitative Erfassung der Rezeption Schillers, sondern um eine qualitative Bewertung seiner Wirkung geht, werden im Folgenden nur die Stockholmer und Göteborger Bühnen berücksichtigt. Im behandelten Zeitraum waren fast sämtliche Schriftsteller und die wichtigsten Zeitungen im Raum Stockholm/Uppsala angesiedelt, weshalb die Stockholmer Bühne der Resonanzraum war, durch den auch das schwedische Publikum und vor allem die literarisch interessierte Welt das Theater Schillers wahrgenommen hat. Lediglich in Göteborg konnte sich eine Theaterkultur entwickeln, die sich bald annähernd mit der in Stockholm messen konnte.

4.

Franzén über das »bürgerliche Trauerspiel« (15. 11. 1800)

Frans Michael Franz¦n publizierte am 15. 11. 1800 und 20. 12. 1800 in æbo tidning Nr. 49 sowie Nr. 53 zwei Artikel in Fortsetzung über Kabale und Liebe. Franz¦n war 1795 mit einigen einen neuen vorromantischen Stil prägenden Gedichten, welche auch die Schwedische Akademie beeindruckten, an die Öffentlichkeit getreten, hatte in æbo tidning mehrere Gedichte Schillers in eigener Übersetzung publiziert und war zum Zeitpunkt der Kabale-Rezension Professor der Philosophie in æbo / Finnland (siehe Kapitel XII).831 Im ersten Artikel vom 15. 11. 1800 sieht er sich zunächst veranlasst, als »Einleitung oder Digression« den Begriff des »Bürgerlichen Trauerspiels« zu erläutern und zu rechtfertigen, um im Fortsetzungsartikel dann zu seinem eigentlichen Gegenstand, der Kabale und Liebe, zurückzukehren.832 Hatte Franz¦n sche »Blättern« in Lokalzeitungen könnte also vielleicht noch einige Aufführungen zutage fördern, was aber das Bild der Schiller-Rezeption kaum beeinflussen dürfte. 831 S. Ek, Kellgren, II, 1980, S. 459. Sverker Ek hat darauf hingewiesen, dass Franz¦n in seinem Reisetagebuch 1795 – 96 in seiner Beurteilung ausländischer Theaterstücke Kellgrens Grenzziehung zwischen dem »Drama« und der »klassischen Tragödie« folgte. Weder in seinem Einfühlungsvermögen noch in seiner Empfänglichkeit für die Leistungen der Schauspieler stehe er seinem Kritiker-Vorbild nach. Franz¦n hat jedoch kaum Theaterrezensionen verfasst, und die zwei Ausgaben der æbo-Zeitung füllende Doppel-Rezension ist sowohl im Werk Franz¦ns als auch im Schweden der Zeit, wo nach Kellgrens Tod kaum mehr Theater-Rezensionen verfasst wurden, ein ungewöhnliches Dokument. 832 Zum Begriff des »Bürgerlichen Trauerspiels« in Schweden gibt es kaum Literatur. Zu nennen ist hier lediglich F. Westin, Carl Lindegren, 1940, sowie M.-C. Skuncke, Sweden and European Drama 1772 – 1796, 1981, S. 149 ff.

Franzén über das »bürgerliche Trauerspiel« (15. 11. 1800)

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Anlass zu glauben, der Begriff des »Bürgerlichen Trauerspiels« sei in Schweden noch unbekannt? Von den 27 deutschen Dramen, welche zwischen Lessings Miss Sara Sampson und Schillers Kabale und Liebe die Bezeichnung »Bürgerliches Trauerspiel« auf dem Titelblatt trugen, war das letztere das erste, welches ins Schwedische übersetzt wurde.833 August von Kotzebues Menschenhass und Reue und Gotthold Ephraim Lessings Minna von Barnhelm waren auf dem Titelblatt als »Dramen« gekennzeichnet, George Lillos The London Merchant wurde als »Tragödie« klassifiziert, und Edward Moores Beverlei wurde sowohl als »Sorgespel« (dt. Trauerspiel) als auch als »Borgerligt Sorge-spel« bezeichnet. Kellgren hatte sich zwar von 1790 – 1791 in einer Reihe von Rezensionen in der Kolumne Spectaklerne (StP) für das neue Genre stark gemacht, dabei jedoch die Bezeichnung »Drama« zur Abgrenzung von der Tragödie vorgezogen. Angesichts der geringen Verwendungsfrequenz der Bezeichnung »Bürgerliches Trauerspiel« verbunden mit einer gewissen Vagheit und Willkürlichkeit in der Verwendung der Terminologie bis hin zur Publikation von Kabale und Liebe ist es nicht verwunderlich, dass noch im Jahr 1800 sowohl der Begriff als auch das Genre in Schweden erklärungs- und rechtfertigungsbedürftig war. Franz¦n führt deshalb aus: Die bürgerliche Tragödie hat sich in Deutschland eingebürgert, in Sonderheit durch Lessings klassische Beispiele; und sollte in allen Ländern ihr Glück machen, insofern wir meistens am Schicksal der Personen teilnehmen, denen wir uns am nahesten und am ähnlichsten fühlen. Auch hat sie in Frankreich, wo der Geschmack durch die vortreffliche Darstellung höherer Szenen umgewendet wurde, schließlich über das Vorurteil gesiegt. Der Pariser findet es nunmehr nicht mehr unanständig, bei dem Unglück, das das bürgerliche Volk trifft, zu weinen; er sieht auf dem Theater z. B. die Familie Calas mit der gleichen teilnehmenden Empfindsamkeit wie Agamemnons königliches Geschlecht.834

Die Grundsätzlichkeit in der Darlegung scheint ein Hinweis darauf zu sein, dass bis dato keine theoretische Reflexion über das bürgerliche Trauerspiel stattgefunden hatte, welches folglich selbst dem gebildeten Publikum wenig vertraut 833 Dies ergibt zumindest ein Vergleich der bei K. S. Guthke, Das deutsche bürgerliche Trauerspiel, 1980, S. 67 f) aufgeführten Trauerspiele mit G. E. Klemming, Sveriges dramatiska litteratur och med 1875. Bibliografi, 1863 – 1879. SAOB (B3953) gibt dagegen außerdem an: Borgerligt lustspel. Bankerotten. Et borgerligt Sorgespel. Kronstrand (Dansk), 1763. 834 æbo tidning, 15. 11. 1800: »Den borgerliga Tragedien wann burskap i Tyskland, i synnerhet genom Lessings classiska exempel; och borde i alla länder göra lycka, s” wida wi mest deltage i de personers öden, hwilka wi finne oss närmast och jämnlikast. Ocks” har hon i sjelfwa Frankrike, der Smaken blifwit förwand genom den förträffliga föreställningen af högre scener, slutligen segrat öfwer fördomen. Parisaren finner nu mera det icke oanständigt, at gr”ta wid de olyckor, som drabba borgerligt folk; han ser p” theatern t.ex. familien Calas med samma deltagande ömhet, som Agamemnons kongliga slägt.«

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war.835 Zwar gewann die neue Dramenform eine zunehmende Anhängerschaft, viele derjenigen jedoch, welche am öffentlichen Leben teilnehmen konnten, z. B. durch das Verfassen von Artikeln, scheinen ihre Prägung in einer Zeit erfahren zu haben, als die Gattungen (Tragödie, Komödie) und die Tonlagen (hoch, niedrig) noch deutlich geschieden waren. Kellgrens eloquente und erstaunlich verständnisvolle Befürwortung der neuen gemischten Dramenform zu Beginn der 1790er Jahre ist deshalb eine Ausnahme. Zuvor hatte keine nennenswerte öffentliche Auseinandersetzung mit der neuen Dramenform stattgefunden, sieht man einmal von Jacob Fredrik Neikter (1744 – 1803) in seiner Abhandlung De PoÚsi tragica (1774) ab, deren Resultate in mehreren Artikeln in Tidningar utgifne i Upsala abgedruckt wurden. Man hat geglaubt, dass die Tragödie nicht behagen könnte, ohne dass sie das Unglück von Königen oder Helden male, dass sie ansonsten alle Kraft zu rühren verlieren würde: dass unser Mitgefühl nur dann ausreichend geweckt würde von deren höherem und schwereren Fall. Man hat jedoch Anlass, dies für falsch zu halten. Wir spiegeln uns besser in diesen, denn wir erkennen uns selbst in ihren Fehlern. Wir finden, dass der Abstand zwischen uns und dem Thron so groß ist, dass der Blitz, der das hohe Schloss getroffen hat, kaum bis in unsere Hütten dringt. Man hat auch gesehen dass einige sogenannte Tragedies Bourgeoises vortrefflich waren, wie Diderots PÀre de famille und Sedaines Le Philosophe sans le savoir.836

Es zeigt sich im Vergleich Neikters mit Franz¦n, dass sich dem Älteren das bürgerliche Trauerspiel noch als französisches Genre darstellt (Tragedies Bourgeoises), während der Jüngere dasselbe als deutsches zu betrachten scheint (borgerliga Tragedien), dem die französische Tradition eher widerstreitet. Franz¦n weist auf die Unrichtigkeit der Unterscheidung einer »heroischen« von einer »bürgerlichen« Tragödie hin: Ein Bürger könne genauso heldenhaft handeln wie ein Prinz, und auch die bürgerliche Tragödie sei insofern heroisch zu nennen, als dass in jeglicher Tragödie ein gewisses Maß an »Heldentum« und 835 Die Bezeichnung »Bürgerliches Trauerspiel« findet sich in Deutschland zum ersten Mal 1750 im zweiten Heft der von G. E. Lessing herausgegebenen Zeitschrift Beyträge zur Historie und Aufnahme des Theaters. Das erste Originaldrama, das von Lessing selbst als »Bürgerliches Trauerspiel« bezeichnet wurde, ist Miss Sara Sampson (1751). Die erste Schrift über die Theorie der neuen Gattung ist der Aufsatz Vom bürgerlichen Trauerspiel (1755) von J. G. B. Pfeil. 836 Tidningar utgifne i Upsala, 27. 5. 1775: »Man har trodt at Tragedien omöjeligen kunde behaga, utan d” hon m”lar Konungars eller hjeltars olyckor, at den eljest skulle förlora all styrka at röra: at war medömkan blifwer endast tilräckeligen wäkt af deras fall s”som högre och sw”rare. Man torde dock äga skäl at h”lla detta för falskt. Det är ostridigt, at w”ra likars olyckor g” oss närmare än de högas. Wi spegla oss bättre i dem, ty wi igenkänna oss sjelfwa i deras fel. Wi tycka at swalget emellan oss och thronen är s” stort, at de ”skelag som träffat de höga Slotten, näppeligen hinna til w”ra l”ga koijor. Man har ock sett at n”gra s” kallade Tragedies Bourgeoises, förträffeligen lyckats, s”som en Diderots PÀre de famille och Sedaines le Philosophe sans le savoir.«

Franzéns Kritik der Kabale und Liebe (20. 12. 1800)

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eine gewisse »Stärke der Seele« walten solle. Nicht der Stand der Personen, sondern die »Beschaffenheit der Handlung« sei das entscheidende Kriterium der Art des Trauerspiels, bei welchen zwischen dem »Einzelnen« (enskilda) und dem »Allgemeinen« (allmänna) zu unterscheiden sei, d. h. zwischen privat und öffentlich. Denn Könige können in ihrem Haus als »einzelne«, d. h. Privatpersonen agieren, während Bürgerliche oft wichtige öffentliche »Staatsrollen« spielten. Dementsprechend gehörten Zaire (Voltaire) und Sara Sampson (Lessing) zu einer Klasse und Cinna (Corneille) und Wilhelm Tell zu einer anderen. Auch der »tragische Stil« sei nicht abhängig vom Stand der jeweiligen dramatis personae. Berühre die Handlung eines Dramas den ganzen Staat, seine Freiheit, die Gesetze und dessen Wohlergehen, so solle ein »hoher Stil« vorherrschen, wie es in Cinna, Catilina (Cr¦billon) und Oden (Leopold) hervorragend exemplifiziert werde. Rollenfiguren dagegen wie die eines Vaters, eines Sohnes, einer Ehefrau, oder eines Liebhabers, seien diese Fürsten oder niedriger Herkunft, äußerten ihre Gefühle in einer anderen, dem Alltag angemessenen, wenngleich »veredelten« Sprache. Corneille und Racine, obgleich durch das Genie eines gleichsam »natürlichen Instinkts« die Distinktion oft beachtend, hätten eine vielleicht noch größere Vollkommenheit erlangt, wenn sie ein deutliches Bewusstsein und eine Theorie bezüglich der Grenzen zwischen den beiden Dramengattungen entwickelt hätten. Franz¦n vertritt hier offensichtlich eine Sichtweise, welche sich nicht von der Schwedischen Akademie unterscheidet und welche auch die Presse der Zeit widerspiegelt. So meinte ein Einsender in Dagligt allehanda (1787): »Ist dies eine Tragödie? – aber ich weine nicht. Eine Comödie? – aber ich gähne ja. – dann ist es ein Drama« (Dagligt allehanda, 29. 3. 1787) während ein anderer literarisch interessierter Zeitgenosse das »Drama« als »hermaphroditische, amphibische Fehlgeburt« verunglimpft. Franz¦n weist auf den möglichen Einwand hin, dass die »Szenen und die Charaktere des allgemeinen und des einzelnen Lebens« oft untrennbar miteinander verbunden sind und die meisten Beispiele eher eine Natürlichkeit dieser Mischung bestätigen. Welcher Art eine Tragödie zuzurechnen ist, sei jedoch nicht aufgrund der einen oder anderen Szene oder Person zu entscheiden. Vielmehr sei hier der »Ton und die Richtung des Ganzen« ausschlaggebend, da meist ein einzelner oder ein allgemeiner Charakter vorherrschend sei.

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Franzéns Kritik der Kabale und Liebe (20. 12. 1800)

Franz¦n hat also die Standesgrenzen aufgegeben, die Markierung des Unterschieds zwischen dem »Einzelnen« und dem »Allgemeinen«, verbunden mit der jeweiligen Stillage (hoher Stil, niedriger Stil) orientiert sich jedoch letztlich immer noch an der Unterscheidung der Gattungen in der Gottschedzeit, welche

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Schillers dramatische Dichtung

an einer normativen Trennung von Staats- und Privatbereich, von Politik und Moral festhält: Die Komödien sind im Raum des Privaten angesiedelt und die Handlungen der Tragödien entwickeln sich im Bereich des öffentlich-staatlichen Lebens. Der Gattungsunterschied seinerseits wird wiederum durch einen Normenunterschied konstituiert: Die Tragödien reflektieren eine Staatsethik, die Komödien eine Privatethik, und zwar jeweils ständeübergreifend.837 Wenn wir jetzt einen Blick auf den Fortsetzungsartikel vom 20. Dezember 1800 werfen, so wenden wir uns gleichzeitig der Frage zu, wie sich das Frühwerk Schillers auf dem Fundament solcher theoretischer Grundsatzentscheidungen angemessen beurteilen lässt: Schiller ist, wie man weiß, einer der bekanntesten Namen der neueren deutschen Literatur. Beinahe das gleiche Aufsehen, wie Goethe in den 1770er Jahren mit seinem Götz von Berlichingen, erregte Schiller in den 1780er Jahren mit seinem Trauerspiel Die Räuber. Lessing hat Shakespeare studiert, wie man nur die Natur studiert: von deren unendlichen Reichtum entdeckte er in den wunderbaren Arbeiten des Genies eine ebenso lebhafte wie gedrängte Vorstellung, wie in einer Camera obscura. Goethe und Schiller schienen, zumindest in ihren ersten Dramen, Shakespeare zu folgen, wie einem Muster in der Kunst. Sie folgten ihm nicht nur in der freien und expressiven Zeichnung der menschlichen Charaktere und Leidenschaften, sondern auch in der unregelmäßigen Zusammensetzung des Ganzen, in der launenhaften Veränderung von Raum, Zeit und Personen, im hastigen Wechsel von tragischen und komischen Szenen, in der Hebung und der Senkung des Stils von der höchsten Poesie zur niedrigsten Pöbelpoesie, mit einem Wort das, was Kellgren bei Shakespeare Schwindelgefühle nennt: (mit welchem Wort, nebenbei gesagt, weder er noch viele andere, die Shakespeare nach Voltaires falschen Vorstellungen oder nach den Vorurteilen eines französischen Dramaturgen beurteilen, einen richtigen oder auch nur deutlichen Begriff gebildet haben; denn trotz der Flucht, die seine Einbildung gegen die äußeren Regeln der Kunst einschlägt, ist wohl keiner mehr Herr über seinen Stoff und seine Schöpfung, als Shakespeare; und es ist meistens nicht er selbst, sondern seine Personen, die vom Schwindel ergriffen werden und das immer aufgrund einer natürlichen Ursache).838

837 Hansers Sozialgeschichte der deutschen Literatur. Deutsche Aufklärung, 1980, S. 429. 838 æbo tidning, 20. 12. 1800: »Schiller är som man wet, et af de ryktbaraste namnen i den nyare Tyska Witterheten. Nästan samma upseende, som Göthe p” det 70 talet af detta ”rhundrade wann med sin Götz von Berlichingen, wäckte äfwen Schiller p” det 80 med sit första sorgespel Die Räuber. Leßing hade studerat Shakespear, endast som man studerar naturen: af hwars oändliga rikedom han i det underbara snillets arbeten uptäckte en äfwen s” liflig, som sammanträngd föreställning, lik den i en Camera Obscura. Göthe och Schiller der mot tycktes, ”tminstone i sina första dramer, följa Shakespear, som et mönster i konsten tillika. De efterliknade honom icke blott i den fria och expreßiva tekningen af menskliga caracterer och paßioner, utan ock i den oregelbundna sammansättningen af det hela, i den nyckfulla omkastningen af rum, tid och personer, i den hastiga wäxlingen af tragiska och comiska scener, i stilens höjning ock sänkning mellan den högsta poesi och det lägsta pöbelspr”k, med et ord i det Kellgren kallar yrslan hos Shakespear : (wid hwilket ord likwäl, i förbigvende sagt, hwarken han eller m”ngen annan, som dömt om Shakespear blott efter Voltaires

Franzéns Kritik der Kabale und Liebe (20. 12. 1800)

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In den ersten Dramen Schillers, d. h. den Räubern, dem Fiesco und der Kabale und Liebe, vereine sich häufig ein Nacheifern der »Ausschreitungen« Shakespeares mit einer »Rohheit und einem Gräuel der Bilder und des Ausdrucks«, welche teils der »niedrigsten Natur« entstammen, teils von der »überspanntesten Einbildung« geschaffen wurden. Zwar bezeugten auch die frühen Dramen »dramatisches Genie«, und sollten insgesamt eine starke Wirkung auf jedermanns Einbildung und Gefühl tun, aber auch »die eifrigsten Bewunderer Schillers, solche sollte es auch bei uns schon geben«, könnten kaum bestreiten, dass sowohl Die Räuber als auch Kabale und Liebe durch eine »Überspanntheit entstellt sind, die das so genannte Kraftgenie kennzeichnet«. Von den »letzten Arbeiten hat der Rezensent nicht mehr gelesen als Don Carlos«, ein Stück, das ihm sowohl im Stil als auch in der Zusammensetzung gänzlich verschieden von den älteren zu sein scheint. Der Don Carlos gilt als erstes klassisches Drama des deutschen Dichters,839 ist versifiziert, hält sich weitgehend an die Einheiten des klassischen Dramas und pflegt einen »hohen Stil«. Eigenschaften, die das Drama, dessen juveniler Idealismus es freilich noch als Werk des jungen Schillers kennzeichnet, dem schwedischen Publikum empfohlen haben mögen.840 Bereits Kabale und Liebe kündet hinsichtlich seiner relativ geschlossenen Einheit eine Rückkehr zur klassischen Gestaltung an und ist insofern auch gänzlich von den Räubern verschieden – ein Sachverhalt, welchem Franz¦n Rechnung trägt, wenn er mit Wohlwollen den »einfachen« und »regelmäßigen« falska föreställningar och med alla en Fransk Dramaturgs fördomar, torde förenat et nog riktigt eller ”tminstone bestämdt begrepp; ty under all den flygt, som hans inbildning tar i trots af alle den yttre konstens reglor, är wäl ingen mer Herre öfwer sit ämne och sin egen skapelse, än Shakespear ; och det är merendels icke han sjelf, utan hans personer, som yra, och det alltid af en naturlig orsak). 839 H. Koopmann, Don Carlos, in: Interpretationen. Schillers Dramen, 1992. 840 Franz¦ns Wertschätzung des Don Carlos rührte aber ohne Zweifel auch davon her, dass er – vermutlich als einer der ersten Schweden überhaupt – einer Aufführung des Schauspiels in Deutschland beigewohnt hatte. In Hamburg, der ersten Station einer Auslandsreise, die ihn in den Jahren 1795 – 1796 nach Deutschland, Paris und London führte, wurde bei Franz¦ns Ankunft an den Hamburger Theatern Don Carlos, Hamlet und Emilia Galotti aufgeführt. Insbesondere Schröders Darstellung in Hamlet und Don Carlos fieberte er erwartungsvoll entgegen. Trotz Shakespeare-Begeisterung zeigt sich Franz¦n in einem Brief an Porthan mit der Hamlet-Aufführung wenig zufrieden: »Schade! Dass er bereits zu alt war um Hamlet zu spielen. Ich sah, wie diese wichtige Rolle misshandelt wurde von einem aus seiner Truppe.« Und im Reisetagebuch (Resedagbok 1795 – 1796, 1977) vermerkt er : »Hamlet von Schröder verändert ist vielleicht nicht immer so glücklich.« Zur Aufführung des Don Carlos notierte Franz¦n: »Ich hatte das Meisterstück zuvor gelesen, um es besser zu verstehen. Viele spielten ihre Rollen schlecht: aber Hertzfeld als Don Carlos war sehr geglückt, obwohl er noch nicht die wahre Natur hat, oder besser gesagt Kunst hat wie Schröder. Sobald dieser hereinkam sah ich nicht mehr Schröder sondern Philip: der grausame und misstrauische Philip […] Schröder ist bewundernswert in seiner stillen Aktion. Sein Schweigen sagt oft mehr als die heftigsten Affekte und Deklamationen der anderen. Sein Blick war solcherart, wie ich mir vorstelle, dass derjenige Philips sein würde: hart und misstrauisch […].«

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Schillers dramatische Dichtung

»Gang der Handlung« registriert. Allerdings sei die »Katastrophe« doch eher »grässlich« (gräslig) als »rührend« zu nennen und lasse einen Zuschauer zurück, der eher »Abscheu« als »Vergnügen« empfinde.841 Grässlich stellt sich der Schluss der Kabale und Liebe natürlich im Vergleich mit Schlüssen wie in Sara Sampson dar, welcher gerade kennzeichnend für das Gros des bürgerlichen Dramas war, zumindest so lange, als seine Autoren an die Erfolgsmöglichkeit aufklärerischer Moralisierungsbemühungen glaubten. Gerade der hochgespannte utopische Anspruch der empfindsamen Moral führt zum optimistischen Ende so vieler bürgerlicher Dramen dieses Jahrhunderts. Die Tragik des Schlusses wird immer wieder durch die Ankündigung eines Neuaufbaus empfindsam-familialer Geselligkeit transzendiert. Entscheidend ist dabei, dass sich dramatische Handlung und ästhetische Wirkung miteinander korrelieren: die dargestellte Rührung der dramatischen Figuren soll das Publikum zu sentimentaler Resonanz stimulieren. Franz¦ns Beobachtung, dass das Stück nicht »rühre«, sondern verstöre, entspricht der Schiller’schen Intention: »Die bürgerlichen Tugenden des empfindsamen Vaters, wie ihn Lessings Sir Williams Sampson mustergültig verkörperte, sind Schiller zweifelhaft geworden, weil sie den Verzicht auf konsequentes Handeln einschließen.« Der alte Moor beglaubigt die Kritik der Genieperiode am »aufklärerischen Kult einer Rührseligkeit, die jederzeit in moralische Indifferenz umschlagen kann.«842 Neben dem grässlichen Ende störte sich der Rezensent an »Fehlern in Schillers Stil«, was er mit drei Beispielen illustriert. Die vom Musikus Miller an seine Frau gerichteten Worte – »Orchester! – Ja, wo du Kupplerin den Diskant wirst heulen und mein blauer Hinterer den Konterbaß vorstellen (II,4, NA, V, 38)843 – seien zwar »natürlich« im Munde eines groben und erhitzten deutschen Musikus, »aber nicht alles Schmutzige, das der Natur einfällt, duldet es, von der Kunst imitiert zu werden. Wohl kann das Schreckliche, ja das Furchtbare in 841 Franz¦ns Beobachtung wird von keinem geringeren Zeitgenossen als Goethe bestätigt, der Schiller im Gespräch mit Eckermann einen »gewissen Sinn für das Grausame« attestierte. Immer wieder sieht Schiller sich als Theoretiker zum Grausamen hingezogen und damit letztlich zu einer alternativen Tragödien-Auffassung: »unkonventionell, ja: unaristotelisch und sogar unSchillerisch.« K. S. Guthke, »Hier wendet sich der Mensch mit Grausen.«, 2006, S. 209. 842 Siehe P.-A. Alt, Schiller, I, 2004, S. 289. Andere Interpreten sehen in Kabale und Liebe gleichwohl den politischen Optimismus der Aufklärung walten, welcher Schillers Tragödienkonzept der frühen Periode zugrunde liegt und letztlich in seiner Wirkungsästhetik deutlich wird. Denn durch tragische Wirkung will Schiller den Zuschauer nicht nur rühren, sondern wie Lessing »durch Rührung präzis jene Prinzipien des sozialen Miteinanders gesellschaftlich stabilisieren, die im Verlauf des tragischen Geschehens als sozial verbindlich scheitern.« Hansers Sozialgeschichte der deutschen Literatur. Deutsche Aufklärung, 1980, S. 493. 843 æbo tidning, 20. 12. 1800, dort zitiert aus Cabale och kärlek, 1800: »Orchester! Ja där du din satans kopplerska tjuter discanten och min bl” akter h”ller contrabassen«.

Franzéns Kritik der Kabale und Liebe (20. 12. 1800)

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einem Gemälde gefallen; aber nie das Ekelhafte oder das Unanständige«. Das nächste Beispiel illustriere, wie einfach sich das »Niedrige« und der »Schwulst« verbinden können. Aber soll mir der Tintenkleckser einmal in den Schuß laufen! – Soll er mir laufen! – Es sei in dieser oder in jener Welt – Wenn ich ihm nicht Leib und Seele breiweich zusammen dresche, alle zehen Gebote und alle sieben Bitten im Vaterunser, und alle Bücher Mosis und der Propheten aufs Leder schreibe, daß man die blaue Flecken bei der Auferstehung der Toten noch sehen soll –»844 (II,4, NA, V, 38).

Im Gegensatz zu Lessing scheinen die kleinbürgerlichen Züge der Figuren freilich ausgeprägter ; das gilt für die Familie Miller, die einem ökonomisch schwächeren Milieu zugeordnet ist als das Haus Galotti, aber auch für Wurm, der die abgefeimte Glätte des amoralischen Höflings Marinelli auf einem biederen Niveau widerspiegelt.845 Das folgende Beispiel (I,3, NA, V, 12) illustriert Franz¦ns Unzufriedenheit mit Schillers Auffassung von weiblichen Rollenbildern: Dies Bißchen Leben – dürft ich es hinhauchen in ein leises schmeichelndes Lüftchen, sein Gesicht abzukühlen! – Dies Blümchen Jugend – wär es ein Veilchen, und er träte drauf, und es dürfte bescheiden unter ihm sterben! – Damit genügte mir, Vater. Wenn die Mücke in ihren Strahlen sich sonnt – kann sie das strafen, die stolze majestätische Sonne?846

Die Textstelle kommentiert Franz¦n folgendermaßen: »Würde nicht eine einfachere Ausdrucksweise die Modestie erzeugen, welche der Verfasser Luise zugedacht hat, um den Zuschauer für die unschuldige Luise einzunehmen?« Franz¦n spricht hier geschlechtlichen Rollenbildern das Wort (siehe Kapitel XII), die im bürgerlichen Zeitalter entstanden und sowohl im sentimentalen Roman als auch im bürgerlichen Trauerspiel durchexerziert worden waren. In solchen und anderen Werken galt die Unschuld als wichtigste weibliche Tugend, verbunden mit Einfachheit und Natürlichkeit – während die Luise Millerin Bücher las und in als unnatürlich empfundenen Sätzen wie den oben formulierten das Gelesene anspielungsreich (das Veilchen z. B. spielt auf ein Gedicht Goethes an) reformulierte und reflektierte. Schiller sprach er die Intention zu, eine unschuldige Luise geschaffen haben zu wollen, und hat anscheinend nicht gesehen, wie sehr auch sie verstrickt ist im »satanisch feinen Gewebe« der Macht 844 Ebd. »Men f”r jag bara i den förbannade Penryttaren en g”ng, det m” wara i detta eller det tillkommande lifwet – Om jag icke innerligen skall mörbulta hans kropp och själ: i hans skin skall jag inskrifwa alla tio buden, alla sju bönerna i Fader w”r, och alla Mosis och Propheternas böcker, s” at blodfläcker skola synas derefter p” Domedagen –.« 845 P.-A. Alt, Schiller, I, 2004, S. 354. 846 Ebd. »Om jag fick utpusta min sista andedrägt i en swalkande slägt öfwer hans ansigte, eller om mit lif wore en osynlig blomma, som trampad af hans fot, fick d” derunder – O min Far! D” skulle jag wara nöjd – Om den lilla osynliga myggan leker i str”larne, kan wäl den majestätiska solen wredgas deröfwer?«

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Schillers dramatische Dichtung

und der Diskurse. Die »unschuldige Luise« (Franz¦n) verkörperte zwar auch »bürgerliche Familientugenden: Vaterbindung, Liebesfähigkeit, sexuelle Reinheit und bürgerliches Selbstbewusstsein. Aber die inneren Widersprüche der kleinfamilialen Tochterrolle sind bei Schiller viel schärfer als bei Lessing herausgearbeitet […]« Während sich nämlich »bei Lessing noch eine in sich einheitliche, bürgerliche Moralvorstellung« präsentiert, »so werden bei Schiller die inneren und äußeren Widersprüche dieser Moralvorstellungen aufgezeigt und der Kritik preisgegeben.«847 Dies erklärt auch, warum Franz¦n, welcher Emilia Galotti auf seiner Auslandsreise 1795 in Hamburg auf der Bühne sah, Lessings Trauerspiel als »Meisterwerk der deutschen Bühne« bezeichnen konnte. Gemäß der »Umstrukturierung des tragischen Normengefüges« im bürgerlichen Trauerspiel wäre die Überlegenheit der Moral über die Politik anschaulich zu machen.848 Eine solche Überlegenheit wird durch den Freitod von Emilia Galotti in gewisser Weise noch bestätigt; in Kabale und Liebe jedoch wird die Liebe von der höfischen Kabale, das Gefühl von der politischen Intrige, das Private vom Öffentlichen überwältigt.

6.

Journal för svensk litteratur: Die Tragödie als Kunstwerk

Der Rezensent der beiden Trauerspiele in Silverstolpes Journal för svensk litteratur (1800, IV, 9. Heft, S. 525) grenzt sich gleich eingangs von solchen Kritikern ab, »welche, ganz eingenommen von ihren Gewohnheiten und einem lange gepflegten einseitigen Geschmack auch nach der Lektüre des Originals diesen ihre Verdienste abgesprochen haben und ihnen Fehler zugesprochen haben […]«: nämlich Schwulst und Übertreibungen.849 Die verwendete Terminologie lässt 847 H. P. Herrmann & M. Herrmann, Friedrich Schiller. Kabale und Liebe, 1985, S. 63. Franz¦n hat offensichtlich nicht wahrgenommen, wie anspielungsreich die zitierte Passage ist. Wenn Luise in der Tiermetaphorik der Mücke schwelgt, welche sich sonnt, so steht diese Aussage konträr zum Egomanen Ferdinand, die von den »Insektenseelen« handelt, welche »am Riesenwerk meiner Liebe hinaufschwindeln« (NA, V, 40), eine Aussage, die sich wiederum an ein von J. F. Abel benutztes Bild anlehnt: »Das Genie voll Gefühl seiner Kraft voll edlen Stolzes, wirft die entehrenden Fesseln weg […] und fliegt gleich dem königlichen Adler weit über die kleine niedre Erde hinweg, und wandelt in der Sonne. Ihr schimpft, daß er nicht im Gleise bleibt, daß er aus den Schranken der Weißheit und Tugend getretten, Insekten, erflog zur Sonne« (P.-A. Alt, Schiller, I, 2004, S. 357). 848 Hansers Sozialgeschichte der deutschen Literatur. Deutsche Aufklärung, 1980, S. 458. 849 Journal för svensk litteratur, 1800, IV, 9. Heft, S. 525: »Rec. har nog ofta hört granskare, hvilke, intagne af sina vanor och en länge sammandragen ensidig smak, äfven efter originalernas läsning, fr”ndömt dem sin förtjenst, och tillagt dem fel, best”ende i svulstighet, känslans öfverdrift och yrsla.« Hans Östman, Gustavian non-academic criticism, 1999, S. 115 f, kommentiert diese Aussage wie folgt: »In the same year, Journal för svensk litte-

Journal för svensk litteratur: Die Tragödie als Kunstwerk

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durchscheinen, dass sich die Abgrenzung auch gegen Franz¦ns kritische Einschätzung der frühen Dramen Schillers, Die Räuber und Kabale und Liebe, richtet. Er wendet sich deshalb gegen den Vorwurf, die Charaktere, welche Schiller zeichne, seien »wild« und sein Ton, welcher den Leidenschaften zum Ausdruck verhelfen sollen, »affektiert« und »übertrieben«. Die »Idealisierung« der Figuren sei jedoch kein Fehler: man suche schließlich nicht den Alltagsmenschen auf der Bühne; außerdem sei es der wahre Charakter der Leidenschaften, zum Idealen zu streben. Deren Sprache sollte auch lebhaft und reich an Bildern sein, ein Grund, warum – gemäß Schillers eigener Aussage – im Trauerspiel der gebundene vor dem freien Stil den Vorrang habe. Eine beträchtliche Unklarheit bezüglich des Begriffs »Idealisieren« zeigt sich, wenn Franz¦n einen Mangel an Idealisierung im Stück kritisiert, Journal för svensk litteratur dagegen die dort übermäßig vorhandene Idealisierung gutheißt. Franz¦n folgt in seinem Verständnis der Operation der Idealisierung offensichtlich der von der Schwedischen Akademie und Leopold herausgegebenen Maxime, dass Theaterstücke »erheben« sollen. Das ist gemäß dieser Auffassung nur dann möglich, wenn raue und vulgäre Stellen beseitigt werden und das Kunstwerk von einem Goldrand umgeben ist. Silverstolpe scheint dagegen mit dem Begriff eher die Operation des Stilisierens einer Person, d. h. des Herausarbeitens einer charakterlichen Eigenart, zu verstehen, was auch zu gewissen Übertreibungen führen kann, welche aber als beabsichtigt anzusehen sind. Besondere Aufmerksamkeit widmet er dem Vorwurf, dass der Autor Themen gewählt habe, welche wie in den Räubern die Aufmerksamkeit gänzlich auf einen Verbrecher richten, der sich über alle Gesellschaftsbande erhoben hat, und, wie in Kabale und Liebe, in welcher die tugendhaftesten Menschen den durchtriebensten Betrügern zum Opfer fallen: Aber im Falle der letzteren ist es nicht der Fehler des Autors, dass er die Welt gezeichnet hat, in der er lebt, und in der vorigen sollte er nicht angeklagt werden, wenn nicht alle sich zu dem Ideal zu erheben vermögen, das dem Autor vorschwebte. In dem Gemälde ratur (p. 526) criticizes Schiller for not rewarding virtue and punishing villainy […].« Östman unterstellt dem Rezensenten des Journals Meinungen, welche dieser kursorisch nennt (allerdings nicht teilt), um sie in der Folge zu widerlegen. H. Östman scheint hier zur Wahrung seiner immanenten These einer Einheitlichkeit des Geschmacks im Zeitraum 1772 – 1809 auch zur Begradigung von Dokumenten zu greifen, und legt gleichzeitig dar, wie unfruchtbar eine solche Vorgehensweise ist, die von der methodischen Annahme einer Homogenität des Geschmacks im Zeitraum von 40 Jahren ausgeht, und dies in einer Transformationsphase der schwedischen Gesellschaft. Dabei hatte schon B. E. Malmström in Grunddragen af svenska vitterhetens historia, IV, 1868 völlig zu Recht notiert: »In zwei Rezensionen drückt das Journal Ansichten über die Tragödie aus, die der Öffentlichkeit ziemlich neu und dreist erscheinen mussten in dieser Zeit, da die Unausweichlichkeit der drei Einheiten in Frage gestellt wurde und die Schiller’sche Jugendtragödie Fürsprache findet« (S. 169). Die Rede ist hier von den beiden in der Folge behandelten Artikeln über Schillers Räuber und Adlerbeths Ingiald Illr”da.

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Karl Moors hat S. keinen Zug eingefügt, der gegen eine wahre Moral verstößt, sondern umgekehrt diese erst in ihren Rang erhoben, indem dieser sich in Gewissensqualen verzehrt, sich ständig opfert im Bewusstsein seiner eigenen Unwürdigkeit, und zuletzt seine Größe in seinem interesselosem Dasein gründet, aus dem heraus er, den keine irdische Macht scheint begrenzen zu können, sich aus freiem Willen den Gesetzen unterwirft, obwohl er ungestraft hätte leben können.850

Die jeweilige Rechtfertigung der beiden Trauerspiele folgt m.a.W. konträren Argumentationslinien: während für Die Räuber eine Idealisierung des Protagonisten geltend gemacht wird, wird für Kabale und Liebe der Realismus hervorgehoben. Nimmt man nun noch die aufgeschlossene Haltung gegenüber Unterhaltungsliteratur hinzu, wie sie an anderen Stellen von Silverstolpes Journal durchscheint, dann wird deutlich, dass sich hier eine Ästhetik durchzusetzen beginnt, welche nicht Regelerwartungen an Kunstwerke heranträgt, sondern ihre Beurteilungsmaßstäbe den jeweiligen Werken entnimmt. Wir haben es hier also keineswegs nur mit »A slightly more liberal attitude to what was generally referred to as the fixed rules […]« zu tun, wie es Östman für das Journal geltend machen möchte, sondern mit der liberalsten, dabei aber keineswegs beliebigen, Haltung in ästhetischen Fragen, welche sich in Schweden dieser Zeit und weit darüber hinaus finden lässt.851 Eine Rezension von G. J. Adlerbeths klassizistischer Tragödie Ingiald Illr”da in der gleichen Zeitschrift (1800, IV, 7. Heft, Seiten 423 – 430) dokumentiert, wie sehr das Schiller’sche Drama bereits Vorbild und Maßstab geworden war.852 Die Tragödie handelt von dem Reichsgründer und Gesetzesstifter Ingiald Illr”da, der der Sage entsprechend die aufrührerischen Feudalherren im 7. Jahrhundert gewaltsam und blutig unter seiner Krone zu vereinen suchte und selbst daran zugrunde ging. Die schwedischen Historiker Jacob Wilde (1679 – 1755) und Sven Lagerbring (1707 – 1787) sahen in der Mordbrennerei des machtlüsternen Königs eine Art göttlich waltende Gerechtigkeit, welche die verbrecherischen Feudalherren ihrer gerechten Strafe zuführte. Eine Deutung, die sich im langen 850 Ebd., IV, 9. Heft, S. 526 f: »Skulle icke m”lningen af Carl Moor, fr”gar man, kunna reta en yngling af stora egenskaper at g” i hans fotsp”r? Skulle icke dygdens missöden i Cabal och Kärlek kunna afskräcka den svaga ifr”n hennes dyrkan? – Men det sednare fallet är det ej Förf. fel, at han m”lat den verld, hvari han lifver, och i det förra bör icke han anklagas, om icke alle förm” at höja sig til det ideal han sjelf haft närvarande för sin föreställning. I hela taflan af Carl Moor har S. dessutom icke infört n”got enda drag, som stöter en sann moralitet, utan tvärtom til moralitetens styrka l”tit honom ständigt täras af samvetets förebr”elser, ständigt göra upoffringar i förja af sit medvetande af sin egen ovärdighet, och slutligen grundat hela hans jättlika storhet i den interesselöshet, hvarmed han, som synes af ingen jordisk magt kunna kufvas, sjelf af fri villja, sedan han kunde lefva ostraffad, underkastar sig lagarna.« 851 H. Östman, Gustavian non-academic criticism, 1999, S. 115 f. 852 G. J. Adlerbeth, Ingiald Illr”da, 1799. Siehe SVH, III, S. 239.

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Monolog im 5. Akt widerspiegelt, in dem der Tyrann zwischen Gewissensqualen und Mordlust schwankt. In der Rezension – vermutlich von G. A. Silverstolpe verfasst – dient Schillers Dramatik als Muster für die Beurteilung des schwedischen Schauspiels. So lange unsere Allgemeinheit von einer Tragödie nicht mehr fordert, als was die Verfasser französischer Meisterstücke bereits geliefert haben, muss Ingiald Illr”da deren Beifall finden. Sie zeichnet sich durch einen regelmäßigen Plan aus, Einfachheit und Natur im Gang der Ereignisse, deutlich umrissene Charaktere, und mehrere Szenen, die ein für das Auge anmutiges Schauspiel liefern. Sollte diese dagegen gemäß eines Ideals gemustert werden, das die Tragödie als Kunstwerk betrachtet, welches Schiller in seinem Don Karlos und seinem Wallenstein so weitgehend realisiert hat, dann entspricht sie weniger den Erwartungen des Kritikers. Er hätte dann nämlich fordern können, dass die Hauptperson Ingiald nicht so sehr, wie es geschehen ist, bloß als treuloser Tyrann die Aufmerksamkeit des Zuschauers auf sich zöge, sondern dass der gute Gesichtspunkt, unter welchem er hätte dargestellt werden können, nämlich als Gesetzesgeber, von seinem Plan besessen, dem Staat durch Einheit mehr Stärke zu geben, deutlicher gemacht worden wäre. Es hätte dann auch in der Macht des Dichters gestanden, seine Treulosigkeit im Vergleich mit der rohen Denkweise der Zeit weniger anstößig zu machen, eine Gerechtigkeit, die Ingialds Gedächtnis vielleicht verdient hätte, aber welche, wenn auch gegen die historische Wahrheit streitend, sehr dazu beigetragen hätte, das Interesse für seine Person in der Tragödie zu steigern. Dass man bei Hilma und Ifvar Lebendigkeit, und bei der ersteren insbesondere die schwärmerische Phantasie vermisst, welche der Grund ihrer Handlungen sein sollte, liegt in der Ausführung und nicht im Plan. Mit größerem Erfolg wäre das Interesse des Zuschauers zwischen Ifvar und Granmar geteilt worden, wenn deren Sprache ihrer Heldenrolle gemäß stolzer gewesen wäre, und mehr der Heldenmut ihrem Kampf zugrunde gelegt worden wäre, als die Begierde, die Belohnung des Sieges zu gewinnen.853

853 Journal för svensk litteratur, 1800, IV, 7. Heft, Seiten 423 – 430: »S” länge v”r Allmänhet af en Tragedi icke fordrar mera, än hvad de Franska Författarenas mästerstycken redan lemnat, m”ste äfven Ingiald Illr”da i m”nga afseenden vinna dess bifall. Den är utmärkt af en regelbunden plan, mycken enkelhet och natur i händelsernas g”ng, väl bestämda carakterer, och flera scener, som erbjuda et för ögat behagligt sk”despel. Skulle den ”ter granskas efter det ideal man bört göra sig af en Tragedi s”som Konststycke, hvilket Schiller i sin Don Karlos och sin Wallenstein s” nära realiserat, svarar den mindre emot granskarens önskan. Han hade d” til en början kunnat fordra, at hufvudpersonen Ingiald icke s” mycket, som har skett, blott s”som en trolös tyrann ”droge sig ”sk”darens upmärksamhet, utan at den goda synpunkt, under hvilken han kunnat föreställas, nämligen s”som lagstiftare, intagen af sin plan, at genom enhet gifva Staten mera styrka, tydligare blifvit upgifven. Det hade äfven st”tt i Skaldens magt, at under skydd af tidens r”a tänkesätt göra hans trolöshet mindre stötande, en rättvisa, som kanske Ingialds minne förtjent; men hvilken, om ocks” stridande mot den historiska sanningen, mycket hade bidraget at öka interesset för hans person i Tragedien. At man hos Hilma och Ifvar saknar liflighet, och hos den förra i synnerhet den svärmande fantasi i hennes uttryck, hvilken borde vara grunden för hennes handlingar, ligger i utförandet och ej i planen. Med mera framg”ng hade ”sk”darens interesse blifvit deladt emellan Ifvar och Granmar, om deras spr”k s”som hjeltar varit mera stolt, och

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Es wird auf Don Carlos und – zum ersten Mal in Schweden – auf den Wallenstein hingewiesen. Der Vergleich mit dem letzteren liegt in der Tat nahe, sowohl hinsichtlich des Protagonisten als auch hinsichtlich der gesamten FigurenKonstellation. Wallenstein hätte ebenfalls, besehen bei hellerem Licht, als skrupelloser Verbrecher erscheinen können; Schiller hat ihn jedoch zu einem zögerlichen, skrupulösen und stets reflektierenden »Realisten« (siehe Ästhetische Erziehung) gemacht, der weder der guten noch der bösen Seite mit einiger Sicherheit zuzuordnen ist. Vom historischen Wallenstein unterscheidet der poetische sich durch den »Ideenschwung«, den Schiller ihm nach eigener Aussage gegeben hat, und welcher ihn Max annähert.854 So wie Wallensteins Tochter unerlaubterweise zu ihrem Geliebten hält, so will sich die Tochter Ingialds nicht für dessen Heiratspläne einspannen lassen und ihrem Geliebten entsagen. Der Rezensent bemerkt diese Gemeinsamkeit und notiert die Abwesenheit des idealistischen und schwärmerischen Höhenflugs bei Hilma und Ifvar (vermutlich) im Vergleich zu Max und Thekla. Die Terminologie lässt jedoch durchscheinen, dass Schillers ästhetische Schriften der frühen 1790er Jahre, Über den Grund des Vergnügens an tragischen Gegenständen und Über die tragische Kunst, der Beurteilung Pate standen. In der zitierten Passage zeigt sich die gleiche Absetzungsbewegung zur französischen Tragödie wie in Schillers Vergnügen an tragischen Gegenständen, wo der deutsche Dichter zwischen einer Befriedigung des Herzens und einer des Verstandes unterscheidet. (NA, XX, 147) Die Extreme verwirklichen sich, so Schiller, einerseits in den ein Zerstreuung suchendes Publikum ansprechenden Rührstücken, in Kenner und Vertreter der feinsten Kultur des Geschmacks ansprechenden Stücken andererseits, in welchen die Zweckmäßigkeit der angewandten Mittel zur Perfektion geführt wird. Im letzteren Fall – Schiller nennt hier ausdrücklich die Franzosen – würde nur der Kopf angesprochen, im ersteren nur das Herz. Beiden Darstellungen – die Schillers und die des Journal för svensk litteratur (vermutlich Silverstolpe) – eignet eine die französische Tragödie nicht in Bausch und Bogen verwerfende Bewertung, sondern eine deren Stärken respektierende Abgrenzung. Dem Rezensenten ist es darum zu tun, die Tragödie, jenseits technischer Perfektion, als »Kunstwerk« zu betrachten, und führt damit eine neue Kategorie in die schwedische Literaturbetrachtung ein. Der Begriff impliziert offensichtlich, das Werk nicht nach vorgefertigten Regeln zu beurteilen, sondern nach der Stimmung, die hervorzurufen es in der Lage ist. Auch Schiller hatte sich nach anfänglichen Versuchen in den Kallias-Briefen, das Schöne objektiv zu bestimmen, in der Ästhetischen Erziehung einer Wirkungsästhetik zugewandt. Das hjeltemodet mera blifvit lagdt til grund för deras strid, än begäret at vinna segerns belöning.« 854 W. Hinderer, Wallenstein, in: Interpretationen. Schillers Dramen, 1992, S. 209.

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Gefühl, welches die »tragische Kunst im allgemeinsten Verstande« hervorzurufen im Stande ist, ist das »Vergnügen des Mitleids«, definierte Schiller in Über die tragische Kunst (NA, XX, 153). Unser Mitleid wird nicht weniger geschwächt, wenn der Urheber eines Unglücks, dessen schuldlose Opfer wir bemitleiden sollen, unsre Seele mit Abscheu füllt. Es wird jederzeit der höchsten Vollkommenheit seines Werkes Abbruch tun, wenn der tragische Dichter nicht ohne einen Bösewicht auskommen kann, und wenn er gezwungen ist, die Größe des Leidens von der Größe der Bosheit herzuleiten (NA, XX, 155).

Schiller selbst hat sich verschiedentlich die Mühe gemacht, die Attraktion und die Problematik des »Bösewichts« auf der Bühne zu diskutieren, und diesbezüglich divergierende Ansichten geäußert. Während er wie im obigen Zitat aus Über den Grund des Vergnügens an tragischen Gegenständen das Zentrum der tragischen Kunst, die tragische Wirkung des Mitleids, durch den Bösewicht in Mitleidenschaft gezogen sieht, kann er sich auch über dessen »höchste Konsequenz« ergötzen (Über die tragische Kunst, NA, XX, 145). Aber erst 1793 in Über das Pathetische und 1802 in Gedanken über den Gebrauch des Gemeinen und Niedrigen in der Kunst bekennt er sich rückhaltlos zu dem alternativen tragödientheoretischen Dogma, dass ein Gegenstand ästhetisch um so attraktiver sei, desto mehr er das moralische Empfinden abstoße. Damit gab er der ästhetischen Theorie eine ganz neue Richtung, nämlich Theater der Grausamkeit als Gegenentwurf zu Schillers üblicher tragischer Sicht, die ja das Erhabene vorzieht als geistig-moralische Erhebung über das eigene physische und seelische Leiden, aber nicht als den voyeurhaften Genuss des Leidens anderer. Was Schiller an dem Gegenentwurf reizt, ist die Ausübung von »Willenskraft« und »Freiheit« – ohne Rücksicht auf deren moralische Bewertung. Daraus »ergibt sich denn, daß die moralische und die ästhetische Beurtheilung, weit entfernt einander zu unterstützen, einander vielmehr im Wege stehen«. Es »kann uns eine teufelische That, sobald sie nur Kraft verräth, ästhetisch gefallen« (NA, XX, 245). Während es Schiller jedoch bei der Verwendung des Kunstbegriffs um die Autonomie derselben und um ihre Abgrenzung von jeglicher Moralität ging, nimmt der Rezensent eine Schiller übrigens nicht fremde Remoralisierung der Kunstsphäre vor. Gegen die Wahrheit der Geschichtsschreibung schwebt dem Rezensenten mit Blick auf Wallenstein ein idealisierendes Zurechtrücken der Hauptfigur vor, um sie dem Zuschauer näher zu bringen.

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7.

Schillers dramatische Dichtung

Leopold und die Schwedische Akademie

Das gustavianische Kulturestablishment, allen voran Kellgren, aber auch Adlerbeth, Rosenstein, Neikter, und letztendlich auch Leopold, war der neuen Mischform des Dramas gegenüber keineswegs feindlich eingestellt, wenngleich die Präferenzen nach wie vor auch nach der Jahrhundertwende bei der klassischen Tragödie lagen,855 und man an das Theater konservativere Anschauungen herantrug, als an andere literarische Gattungen. Am 19. 2. 1808 verlautbarte die Schwedische Akademie in Inrikes tidningar anlässlich des jährlichen Wettbewerbs: Die Akademie erinnert schließlich die Wettbewerber daran, in ihren Versuchen, nach Möglichkeit die Gesetze dieser Dichtkunst zu befolgen, die von zwei der berühmtesten Völker der Welt, den Griechen und den Franzosen, befolgt wurden und, durch den Vorzug dieser Nationen in dieser Kunst, genügend gefestigt sind. […] Die Akademie, ohne ein endgültiges Urteil fällen zu wollen über die eigene Weise das Dramatische zu behandeln wie es von den Engländern und Deutschen angenommen worden scheint, glaubt es gleichwohl nicht erlaubt, in ihrem Urteil über solche Arbeiten von den seit langem und allgemein anerkannten Vorschriften abweichen zu können. Was die Versart betrifft, hält die Akademie den gewöhnlichen Alexandriner sowohl am passendsten als auch am schönsten. […] Die in gewissen anderen Sprachen versuchte Vermischung der Versarten scheint ihr, hinsichtlich der Tragischen Szene, eine Neuheit, die, obwohl nicht ganz und gar ohne Vorteile, gleichwohl zu sehr an das Unregelmäßige grenzt, als dass die Akademie sich erlauben könnte, durch ihren Beifall dazu zu ermuntern.856

Die offizielle Haltung der Schwedischen Akademie zum Drama war also nicht prinzipiell ablehnend, eher verhalten skeptisch. G. J. Adlerbeth etwa nahm eine sehr wohlwollende Haltung gegenüber den neuen Tendenzen ein: in den um 1804 verfassten N”gra Anmärkningar om Reglor för Teaterstycken (dt. Einige Anmerkungen über Regeln für Theaterstücke) hat er seine Gedanken zum Theater formuliert und sich dabei vor allem an deutsche Beispiele gehalten, 855 Siehe F. Westin, Carl Lindegren, 1940, S. 47. 856 Inrikes tidningar, 19. 2. 1808: »Academien p”minner sluteligen de täflande, att i sina försök, efter möjligheten, iakttaga de lagar för detta Skaldeslag, som af werldens twenne deri ryktbaraste Folkslag, Greker och Fransoser, blifwit följda och, genom sjelfwa dessa Nationers företräde i denna konst, tillräckligt fastställda. […] Academien, utan att fälla n”got afgörande omdöme öfwer det egna sätt att behandla Dramatiska ämnen, som af Engelsmän och Tyskar synes wara antaget, tror sig likwäl ej till”tit, att i sin dom öfwer arbeten af detta slag afwika fr”n de längst och mest erkända föreskrifter. Hwad versarten beträffar, anser wäl Academien för sin del den wanliga Alexandrinska s”som b”de den lämpeligaste och prydligaste. […] Den i wissa andra Spr”k försökte blandningen af flera versarter synes Henne, d” fr”gan är om den Tragiska Scenen, en nyhet, som fast ej helt och h”llit utan fördelar, likwäl mera gränser intill det oregelbundna, än att Academien skulle tro sig böra genom sitt bifall uppmuntra den.«

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insbesondere Goethe und Schiller.857 Der Aufsatz handelt von der »Revolution« auf der europäischen Bühne, welche sich vor allem »Männern großen Genies in Deutschland« schuldet, die sich allerdings auf griechische Autoren stützen, »unstrittig Geschmacksmuster für die Neuen«. Viele der Theaterregeln seien lediglich Konvention und von geringer Bedeutung. Wichtiger als die Anzahl der Akte sei z. B. die Länge des Stückes und das Vermögen des Dichters, die Aufmerksamkeit des Publikums zu fangen. Prinzipiell hält er jedoch an den drei Einheiten fest: sein Ideal ist Racine, Voltaire habe bereits an der Einheit der Tragödie gezerrt und sei weniger vollkommen, wenngleich er gute Resultate erzielt habe. Gleichzeitig zollt er aber auch dem Theater Shakespeares und dem deutschen Theater von Schiller und Goethe seinen Respekt. Leopold hat seine Position Schiller gegenüber in einem Brief vom 24. Juli 1820 verdeutlicht, dem ein Kommentar zu A. F. Skjöldebrands Antrittsrede in der Schwedischen Akademie beigefügt war, in welcher dieser Schiller immer wieder seine Bewunderung zollte.858 Leopolds Schrift wurde zwar erst 1819 geschrieben, gibt jedoch mit großer Wahrscheinlichkeit auch Leopolds Standpunkt um 1800 wieder, der sich nicht verändert zu haben scheint, lediglich modifiziert. Es handelt sich um die umfassendste Stellungnahme eines Gustavianers zum in den 1790er Jahren über Schweden hereinbrechenden deutschen Theater, und, soweit bekannt, um die eingehendste schriftliche Auseinandersetzung eines Gustavianers mit der dramatischen Dichtung Schillers. Zentral in diesen Reflexioner om Vitterheten (dt. Reflexionen über die Literatur) ist der Vergleich der französischen mit der englischen und deutschen Tragödie. Die erstere – notiert Leopold – sei nicht wie die zweite ein »dialogisiertes Abenteuer«, eine treue Kopie der Geschehnisse der Welt mit all ihren »hohen und niedrigen Auftritten« verbunden mit den buntesten Sitten und Sprachtönen. Die echte französische Tragödie zeichne sich durch die Konzentration auf eine Haupthandlung ohne Unterbrechung aus. Die Natur der Tragödie sei die »Erhebung der Seele« durch die Darstellung des Edlen und Großen in der menschlichen Natur, vor allem sichtbar im Unglück, sowie die rührende Erhebung der Sinne, die sich daraus beim Zuschauer einstelle.

857 Siehe L. Land¦n, Gudmund Jöran Adlerbeth, 2000, S. 164 f. 858 Siehe hier und im Folgenden: Samlade skrifter av Carl Gustaf af Leopold, II:6, Bref 1819 – 1829, 1980, S. 43 – 95. A. F. Skjöldebrands hatte 1795 mit Herman von Unna das bedeutendste Drama der Zeit geschrieben, das dem historisierenden Rittergenre und Melodram zugerechnet werden muss. N. Gobom hat in seinem Aufsatz Till Gustaf Abraham Silverstolpes biografi (1915) dargelegt, dass die Handlung nach dem Muster von Schillers Don Carlos gestaltet wurde und der Titelheld eine Marquis-Posa-Figur ist. Es wurde 20 Jahre in Deutschland gespielt, bevor es auf die schwedische Bühne kam, klagt die Literatur-Zeitschrift Heimdall 1829.

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Schillers dramatische Dichtung

Für das englische und deutsche Trauerspiel spreche der »große Haufen«, der »Mob« einerseits, »neue gepriesene Theorien« und die »deutsche Spekulation« andererseits. Frage man die Öffentlichkeit, so begehre sie in Wahrheit nichts Besseres unter dem Namen einer Tragödie zu finden, als ein »buntes Abenteuer, das in seinen weitläufigen Geschehnissen die Chronik eines halben Mannesalters zusammenfasst«. Der allgemeine Geschmack fordere ein buntes Gemisch, »Abwechslung in Sprache und Sitten«, »Großes und Kleines«, »Ängste und Lustigkeiten«. Einzig die »Neugierde«, die das Gedankenleben des großen Haufens charakterisiere, gelte es zufriedenzustellen. Kurz, man führe das »Alltagsleben« in der Tragödie ein, deren Bestimmung es jedoch keineswegs sei, das gewöhnliche Leben der Menschen in seiner bunten Variationsbreite abzubilden. Es gebe nämlich eine »doppelte Natur«, eine »wirkliche um uns und eine ideale zu der wir uns erheben sollen durch unsere Vorstellung«. Die Tragödie sei idealisch, insofern sie auswählt und das Ausgewählte zu einem höheren und rührenden Gemälde verbindet, d. h. »aus der rohen, gemischten Ereignismasse die höheren Naturstoffe heraus schmelzt und daraus eine edlere und schönere Schöpfung als die wirkliche bildet«. Der Tragödie sei es aufgegeben, eine hohe idealische Sinnesstimmung zu erzeugen, demgemäß hat sie »wahrscheinlich«, »ernsthaft« und »erhebend« zu sein. Dies gelinge ihr nicht dadurch, dass ein halbes Menschenalter in einen Theaterrahmen gepresst werde oder durch häufigen Szenenwechsel von London nach Rom oder Venedig. Der Sinn der Tragödie sei auch nicht automatisch gegeben, wenn die Handlung traurig sei oder die meisten Figuren am Ende sterben. Leopolds Hauptkritikpunkt an der neuen Tragödie ist also nicht das Nicht-Einhalten der aristotelischen Tragödienregeln, vielmehr ist es ihm um das Tragische als solches zu tun, das allerdings durch die Verletzung der Regeln der Einheit häufig in Mitleidenschaft gezogen werde. Im Theater sei man mehr als in anderen literarischen Gattungen vom Wohlbefinden, Geschmack und dem Bildungsgrad des Publikums abhängig. Deshalb sei es dem tragischen Künstler erst möglich, in der »Veredlung der Kunst zu wachsen, wenn das Publikum mit seinen Forderungen wächst. Unterdessen tut man sein Bestes in dem Maße, wie man die Sinne anspricht. Einige der Schiller’schen Tragödien sind bedeutende Versuche dieser Natur.« Skjöldebrands Behauptung, dass Schiller mit »Anmut und Stärke des Stils sowie der Kenntnis der Forderungen des Theaters die schwierigsten Themen auf bewundernswerte Weise bewältigt und meistens dessen Regeln beachtet habe«, führt Leopold zu einer konkreteren Reflexion über Schiller. Schillers Malweise und Farben liebe und bewundere ich genauso wie den Schriftsteller. Er versuchte unter schöneren Formen Shakespeare zu gleichen und hat dessen gröbere Fehler vermieden. Hinsichtlich seiner Kenntnis oder richtiger gesagt seiner Anerkennung der Forderungen des Theaters habe ich keinen Grund zu gleich hohen Begriffen. Es gibt eine große und wichtige Forderung, die er vortrefflich erfüllt: die mit

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Genie zu schreiben. Was das übrige oder die so genannten Regeln anbelangt, meine ich bei meiner umfassenden Lektüre bemerkt zu haben, welche er nicht beachtet; nicht jedoch, welchen er eigentlich folgt.

Leopold legt dar, dass sogar die Minimalanforderung an ein Theaterstück, welche Skjöldebrand selbst in seinem Vortrag gestellt hatte, nämlich die Szenen zu verbinden, von Schiller nicht befolgt werde. Mit Hinweis auf Skjöldebrands Anmerkung bezüglich einiger erotischer Szenen in Emilia Galotti führt Leopold ein »ähnliches Rendezvous« im Fiesco an, wo »die Schöne mit glühenden Wangen auf das bereitgestellte Sofa sinkt«, ohne dass es der Autor zum Äußersten kommen lässt, wie Leopold hinzufügt. Eine weitere für die Bühne unpassende Szene finde sich in Maria Stuart, in welcher der junge Mortimer die Hauptperson schamlos bedränge. Schließlich wird auf die Angemessenheit des Stils hingewiesen, die Schiller z. B. im Fiesco missachte, wo Leonore ausbricht: »Weinen sollten diese Steine […]«. Lasst uns zugeben, dass die ganze deutsche Theorie im Grunde nichts anderes ist als ein ausstudierter Gegensatz zur französischen; eine Berechnung auf die gröbere Volksnatur, wie die Franzosen auf die höhere und edlere. Aus Bitterkeit gegen die Franzosen haben die deutschen Schriftsteller sich verleiten lassen zu einem ebenso kompromisslosen Hass gegen deren gesamte Geschmackslehre in der Literatur. Seit Lessings Zeit hat man daran gearbeitet, die Regellosigkeit und die Ausschweifung in ein gründliches System zu setzen. Und was beim Beispiel Shakespeare noch die Folge der Unkenntnis des Poeten war oder die Rohheit der Zeit, wurde bei den gelehrten Deutschen die Frucht eines tieferen Nachdenkens. Ich spreche immer nur von der bloßen Theorie. Für das Genie in der Ausführung bei einem Lessing, einem Schiller, einem Göthe falle ich auf die Knie vor Bewunderung.

Ausgerechnet Maria Stuart, Schillers einheitlichste und klassischste Tragödie, ist ihm Beispiel für Regelverstöße, die am Tragischen zehren. In seiner überarbeiteten und erweiterten Version der Abhandlung Om smaken och dess allmänna lagar von (dt. Über den Geschmack und seine allgemeinen Gesetze, 1833)859 diskutiert er die bekannte Abendmahlszene in Maria Stuart, die die Religion »profaniere« und damit gegen die »Vernunft-Bildung« verstoße. Insgesamt steht Leopolds Meinung, dergemäß das Schiller’sche Theater wie das Shakespeare’sche konträr zum klassisch-französischen verortet wird, im Gegensatz zur Wirkungsgeschichte Schillers im übrigen Ausland, wo der Erfolg des deutschen Dichters darauf beruhte und darin gesehen wurde, die realistischen Momente Shakespeares und die formal-strengen Racines miteinander verbunden zu haben zu einer »pathetischen Allüre des großen Heroentums, in der

859 Siehe im Folgenden C. G. Leopold, Samlade Skrifter, V, 1833, S. 55.

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Schillers dramatische Dichtung

Glorie der vergötterten Renaissancetugenden magnamitas, virtus, clementia, generositas.«860

8.

Die »Gerichtsbarkeit der Bühne« und der Niedergang des Theaters nach 1800

Eingezwängt zwischen dem decorum der französisch-klassizistischen Tragödie und der hausväterlichen Behäbigkeit von Rührstücken — la Kotzebue mag der burschikose Musikus Miller (Kabale und Liebe) sich nicht recht am Platz gefühlt haben. Gleichwohl gab es Tendenzen in Schweden, die Schaubühne in den Rang einer »moralischen Anstalt« zu heben und das anspruchsvolle Schiller’sche Theater in Schweden heimisch zu machen. Die am häufigsten übersetzte Schrift Schillers ist denn auch die Die Schaubühne als moralische Anstalt betrachtet, welche bis 1818 viermal übersetzt und publiziert wurde.861 Das Interesse gerade an dieser Schrift schuldet sich zunächst dem gänzlichen Mangel einer schwedischen Originalschrift, welche eine »übergreifende Vision der Ästhetik und Theorie des Theaters und dessen Funktion in der Moderne« geben könnte.862 Gleichzeitig belegt die Übersetzungsfrequenz einer Schrift, welche laut Koselleck einen Höhepunkt der Aufklärungsbestrebungen darstellt, dass Schiller hauptsächlich als Aufklärungsautor wahrgenommen wurde. Auf die Schrift wurde auch in der ersten Ausgabe der kurzlebigen Theaterzeitschrift Götheborgs theater (Nr. 1, 1800) hingewiesen, die ihre erste Ausgabe mit folgender Bemerkung einleitete: 860 K. Wais, Schillers Wirkungsgeschichte im Ausland, 1955, S. 485. Tatsächlich eignet den Schiller’schen Dramen etwas Pompöses und Opernhaftes, wie N. Oellers (Schiller, 2005) anmerkte, eine Eigenschaft, die seine Dramen unter Gustav III. durchaus zu einer früheren Popularität hätte verhelfen können, wie dies nach dessen raschem Ableben der Fall war. 861 1. In G. Ros¦ns Literaturzeitschrift Fragmenter av utländsk litteratur i vitterheten och de sköna konsterne (dt. Fragmente ausländischer Literatur in der schönen Literatur und den schönen Künsten, 1795) unter dem Titel Hvad kan en god Theater egentligen värka (dt. Was kann eine gute stehende Schaubühne eigentlich bewirken). Siehe hier Kapitel VI. 2. Von A. Beth¦n 1803, als Teil einer Sammlung von Prosaschriften Schillers, die unter dem Titel Översättningar utur Hof-R”det Fr. von Schillers Smärre Prosaiska Skrifter (dt. Übersetzungen aus des Hofrates Fr. von Schillers kleinere prosaische Schriften) herausgegeben wurden. Der Band enthält die Schrift unter dem Titel Tal om teatern (dt. Rede über das Theater, Seite 2 – 28). Siehe Kapitel X. 3. Von G. A. Silverstolpe 1808 in Strödda Afhandlingar i Ämnen rärande de fria Konsterna, utgifne af G. A. Silverstolpe, Första Häftet, 1808, unter dem Titel Sk”deplatsen betraktad s”som en moraliskt anstalt af Fr. Schiller. S. 71 – 92 (dt. Die Schaubühne als moralische Anstalt betrachtet). 4. Anonym als Einzelschrift 1818 unter dem Titel Sk”deplatsen, betraktad s”som en moralisk inrättning. Af Fr. von Schiller. Öfversättning. Stockholm, tryckt hos Carl Deleen, 1818 (dt. Die Schaubühne, als moralische Einrichtung betrachtet). 862 K. G. Holmström, Kungliga teatern kring 1830, in: Den svenska nationalscenen, S.73.

Die »Gerichtsbarkeit der Bühne« und der Niedergang des Theaters nach 1800

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Europas größte Genies haben uns schon lange davon überzeugt, dass die Bestimmung des Theaters hoch ist, und nicht nur die, zu vergnügen. Schiller, selbst ein ebenso glücklicher Schauspielverfasser, wie großer Geschichts-Schreiber und Dichter, sagt irgendwo, dass die Gerichtsbarkeit der Bühne anfängt, wo das Gebiet der weltlichen Gesetze endigt. Diese Wahrheit wird von keinem aufgeklärten und denkenden Mann mehr in Frage gestellt, der nicht von Vorurteilen irregeführt wird, nicht von dem leeren Geschrei der Scheinheiligkeit, und nicht abgeschreckt wird durch den Missbrauch, den er verübt sieht. Diese Wahrheit ist so wahr, wie sie tröstend ist für jeden guten Schauspieler, wie es für ihn eine große Spannung ist, sich dem Ziel des Theaters zu nähern, und wird ein Mitwirken des Gewinns, den die Menschheit von einem guten Theater gewinnen sollte. Erinnern wir uns an Voltaires Worte: C’est au th¦–tre seul que la nation se rassemble, c’est l‚ que l’esprit et le go˜t de la jeunesse se forment: nulle mauvaise maxime n’y est tol¦r¦e, et nul sentiment estimable n’y est d¦bir¦ sans Þtre applaudi; c’est une ¦cole toujours subsistante de poÚsie et de vertu. – Und wenn wir bei einem Blick auf das Göteborger Theater nicht zufrieden sind, wenn wir dieses noch weit von dem Ziel entfernt sehen, vortrefflich und seiner Bestimmung würdig zu sein, – was noch kein Theater in Schweden ist –; so sollte es auch unser Vorsatz werden, in jeder Weise zur Verbesserung des Göteborger Theaters beizutragen.863

Wenngleich solch kritische Töne auch in der Hauptstadt zu hören waren, so ist es kein Zufall, dass ein hauptstadtfernes Theaterjournal auf die »aufklärerische Bedeutung« der Bühne hinweist und auf die noch unerfüllte Bestimmung des Theaters. Es ist deshalb wenig verwunderlich, dass Schiller in Göteborg zuerst aufgeführt worden ist, nämlich 1802 Kabale und Liebe,864 also zwei Jahre nach der Übersetzung. Vor dem Hintergrund eines wachsenden Interesses am Schiller’schen Drama im Umkreis der nachwachsenden romantischen Generation ab 1803 zeichnete sich zu Beginn des neuen Jahrhunderts eine Niedergangsphase des Theaters ab. Es ist die Zeit der Eisenjahre, in der intellektuelle und künstlerische Wirksamkeit Verdächtigungen ausgesetzt ist. Der neue König teilte weder die Leidenschaft 863 Götheborgs theater, 1. Heft, Februar 1800: »Europas störste Snillen hafwa l”ngesedan öfwertygat oss, at Theaterns bestämning är hög, och ej blott den att roa. Schiller, sjelf en lika s” lycklig Sk”despels-författare, som stor Historie-Scribent och Skald, säger n”gonstädes at där Lagarnes Domsaga slutar sig, där börjar Theaterns. Denna sanning sattes ej mera i fr”ga af hwarje uplyst och tänkande man, som ej förwillas af fördomar, ej öfwertygas af Skenhelighetens ömma skri och ej afskräckes genom de missbruk han ser öfwade. Denna Sanning är s” afgjord, som den är tröstande för hwarje god Sk”despelare, som den är för honom en stor spänning at närma sig til Theaterns m”l, och bli en medwerkan till den winst mänskligheten bör finna af en god Theater. P”minnom oss hwad Voltaire sagt: [Französisches Zitat: siehe oben] Och om wi wid en blick p” Götheborgs Theater ej finna oss tillfridstälde, om wi ännu se den ware l”ngt ifr”n hwad den borde wara som förträflig och sin bestämning wärdig, – hwilket likwäl ingen Theater i Swerige ännu är –; s” bör det äfwen bli w”r föresats, att p” alt sätt bidraga til Götheborgska Theaterns förhöjning.« 864 Zu Göteborgs Theater im Unterschied zu Stockholm siehe: M.-C. Skuncke, Sweden and European Drama 1772 – 1796, 1981, S. 146 f.

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seines Vaters für das Theater noch die für die schönen Künste. Seit Kellgrens Tod 1795 wurden in StP keine Theaterrezensionen mehr publiziert, so dass das theaterinteressierte Publikum auch noch den Mangel einer kompetenten Theaterkritik zu beklagen hatte. Silverstolpes Journal för svensk litteratur (1797 – 1801) war das erste Presseorgan, das sich wieder engagiert dem Theater widmete. Allgemein wurde der Verfall des Schauspiels und der schlechte Geschmack beklagt, der sich im Theaterrepertoire widerspiegelte. Es wird nicht versäumt, auf den Niedergang des Theaters in Frankreich, Deutschland und England hinzuweisen, indem ausländische Theaterkritiken abgedruckt werden. Um 1800 konnte man in den Zeitungen Notizen zum Theater in Paris, Italien und Russland finden, während lediglich kurze Theaterankündigungen daran erinnerten, dass auch Stockholm und Schweden eine stehende Schaubühne besaß. Dem Publikum wird ein schlechter Geschmack vorgeworfen. Die Schauspiele – schreibt Läsning i ett och annat 1801 gehören zu den unschuldigeren Vergnügungen in Stockholm. Dort wird das eine oder andere Mal eine gute Tragödie oder eine wahre Komödie gespielt, aber meistens werde ich gezwungen zu gähnen und mir ekelt vor der Farce. Ein Publikum, dessen Geschmack ihr derart erhöht, gleicht darin George Dandin: il l’a voulu. Sieh dieses Publikum die Hände klatschen angesichts der wahnsinnigen Zuckungen einer Schauspielerin, […] über alle Plumpheiten lachen, in Sonderheit Flüche, auf der Bühne, und fordert nicht vom Schauspieler das zu spielen, was zur Rolle gehört, wenn er nur an sich selbst lustig ist, sieh die Bemühungen des Schauspielers jegliche Rolle zu karikieren, und seid ihr meiner Meinung, so müsst ihr zugeben, dass diese Vergnügungen mit Galle vermischt sind.865

Erst nach 1809 mit der Aufhebung der Druckfreiheitsverordnung entstand wieder eine vitale und engagierte Theaterkritik, zunächst in Journal för litteratur och theatern und in Askelöfs Polyfem. Während sich jedoch im Politischen und in der Literatur eine Revolution anbahnte, blieb das Bühnenrepertoire unverändert. In Polyfem stand Anfang 1811 zu lesen: »Man ist es ja gewöhnt zu sehen, wie jedes neue Stück, das auf dieser Bühne gegeben wird, einer Steigerung der Geschmacklosigkeit gleichkommt.«866 Der Rezensent beklagt, dass die Bühnen

865 Läsning i ett och annat, 1801, zitiert nach G. Nordensvan, Svensk teater och svenska sk”despelare, I, 1917 – 1918, S. 129: »[…] äro bland de oskyldigare nöjen i Stockholm. Där spelas n”gon g”ng en god tragedi och en sann komedi, men oftast tvingas jag att gäspa ”t dramen och vämjas vid farsen. En allmänhet, vars smak ni s” upphöjer, liknar däri George Dandin: il l’a voulu. Se denna allmänhet klappa händerna ”t en aktris’ vansinniga ryckningar […] skratta ”t alla plumpheter, isynnerhet svordomar, p” teatern, och ej fordra av aktören att spela det, som hörer till rollen, blott han är i och för sig själv löjlig, se tillika aktören bemöda sig att i vad genre som helst vara karikatyr, och häller ni med mig i allt detta, s” lärer ni medge, att detta nöje även är blandat med sin galla.« 866 Polyfem, 1801: »Man är nu van därvid att se, hur varje ny pjäs, som p” denna sk”deplats

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der Hauptstadt noch keinen Schiller, Goethe oder Shakespeare inszeniert hätten, und das Publikum keinen Sinn für das Tragische habe. »Liebe Leute, wenn nur einmal ein wirkliches Meisterwerk gespielt würde, eines, das den Namen Tragödie verdient, ein Hamlet, Macbeth, Wallenstein oder Torquato Tasso, und ich verbürge mich dafür, dass man davon berührt würde.«867 Der hier angeschlagene Ton ist über viele Jahre hinweg der allgemeine Tenor, und im Jahr 1818 kommentierte der anonyme Übersetzer von Das Schauspiel als moralische Anstalt (1818), angeregt durch die Lektüre von Schillers Schrift, die Situation wie folgt: Das Thema lenkte meinen Blick auf das Theater unseres Landes. Erinnerungen stellten sich ein von Zeiten, da einheimische Dichter darin wetteiferten, mit eigenen Werken der neugeschaffenen Szene Leben einzuhauchen, angefeuert durch die hohen Vorbilder, die zu Gebote standen. Vielen von denen, die aufgrund ihres Genies und der vaterländischen Stoffe unvergesslich sind, waren seit langem verdrängt von fremden Gewächsen, aufgepfropft auf den mit Sorgfalt gepflegten jungen Stamm. Gewächse, nicht von einem Volk empfangen mit einer ursprünglich gleichen Sprache, Ansicht und Neigung; sondern von einem anderen Volksstamm, mit anderen Sitten und Gebräuchen. Nicht Schillers, Göthes und Lessings klassische Arbeiten sind auf der schwedischen Bühne gehuldigt worden. Das französische Drama hat dort fast ausnahmslos Gefolgschaft gewonnen, obwohl dessen Pathos nicht zu unserer romantischen Dichtung passt […]868

Während von Kotzebue in den ersten drei Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts 30 Theaterstücke übersetzt und unzählige aufgeführt wurden, sind von Shakespeare 1819 Hamlet, 1827 Othello, 1837 Macbeth und Goethe zum ersten mal 1847 gespielt worden. Solche Zahlen machen die Aussage in ISLH, dass das Drama in dieser Zeit einen geringen Stellenwert hatte, verständlich: »Sieht man einmal von der Schiller-Präsentation ab und den noch schwächeren Eindrücken der modernen französischen Dramatik, so war das Theater während dieser Zeit gives, är ett jämnt stigande i osmaklig d”lighet.« siehe auch G. Nordensvan, Svensk teater och svenska sk”despelare, I, S. 131. 867 Ebd.: »Gode herrar, visen den blott en g”ng n”got verkligt mästerverk, n”gonting, som förtjänar kallas tragedi, en Hamlet, Macbeth, Wallenstein eller Torquato Tasso, och jag ansvarar er för, att den därav skall röras.« Zitiert nach Nordensvan, Svensk teater och svenska sk”despelare, I, 1917 – 1918, S. 13. 868 Sk”deplatsen, betraktad s”som en moralisk inrättning. Af Fr. von Schiller. Öfversättning. Stockholm, tryckt hos Carl Deleen, 1818 (ein Übersetzer ist nicht angegeben): »Minnen af tider framställde sig, d” inhemske skalder täflade at med egna alster gifva lif ”t den nydanade scenen, eldade af det höga efterdöme de mottogo. M”nge af dessa, som genom snillets kraft och det fosterlänska af deras ämnen äro oförgätliga, hafva dock sedan länge varit bortskymde af främmande växter, inympade p” den med omsorg updragna unga stammen. Växter, icke hämtade fr”n et folk med ursprungligt lika tungom”l, ”sigter och böjelser ; men komne fr”n en annan folkstam, med andra seder och bruk. Icke Schillers, Göthes och Lessings klassiska arbeten, hafva p” Svenska Scenen blifvit hyllade. Den Franska Dramatiken har der vunnit nästan uteslutande burskap, ehuru dess pathos icke sammansmälter med v”r Romantiska Dikt, […].«

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bis 1842 ziemlich zurückgeblieben.« (ISLH, VI, 95 – 96) Gleichzeitig jedoch macht ein solcher Vergleich umso deutlicher, welchen Stellenwert Schiller hatte, der von den bedeutenden Autoren der Epoche der populärste gewesen zu sein scheint. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch, dass die erste Übersetzung eines Shakespeare-Dramas, der Macbeth, 1813 von Geijer in Anlehnung an Schillers Übertragung und Bearbeitung angefertigt wurde. Die erste Aufführung eines Schiller Dramas am Kungliga Dramaten war die 1821 erfolgreich inszenierte Maria Stuart. Das eigentliche Schiller-Jahrzehnt auf der schwedischen Bühne waren jedoch die 1830er Jahre mit den Aufführungen: 1831 Wallensteins Tod, 1833 Kabale und Liebe, 1834 Die Räuber, 1835 Die Verschwörung des Fiesco zu Genua, 1836 Die Jungfrau zu Orleans, 1838 Don Carlos, während der Wilhelm Tell erst 1848 aufgeführt wurde. Entstellt und erfolglos wurden im März 1814 Die Räuber im Nya Komiska Teatern aufgeführt; 1802 wurde Kabale und Liebe erfolglos in Göteborg aufgeführt und schnell wieder abgesetzt. Von 1798 bis 1842 herrschte in Stockholm das unter Gustaf IV. Adolf eingeführte Theatermonopol, d. h. dass innerhalb der Grenzen der Stadt nur die königlichen Theater aufführen durften. Einzig das Djurg”rdsteater erhielt das königliche Privileg, während des Sommers Schauspiele aufzuführen, was zur Folge hatte, dass die älteren und führenden Gesellschaftsschichten das offizielle Theaterleben dominierten und die Bühnen den jungen radikalen Autoren verschlossen blieben. Die Jahre nach der Revolution 1809 waren zusätzlich von ökonomischen, organisatorischen und künstlerischen Problemen sowie einer mangelnden Unterstützung schwedischer Dramatiker geprägt.869 Die Theaterdirektoren waren mit der Aufgabe betraut worden, die Theater in die ökonomische Unabhängigkeit zu führen. Dies führte unter anderem dazu, dass dem Publikumsgeschmack der breiten Schichten entsprochen werden musste. Viele der Direktoren wiesen durchaus Ansätze eines Veränderungswillens auf, solche Versuche standen jedoch im Gegensatz zu den ökonomischen Zwängen. Die Probleme des Königlichen Theaters zwischen 1800 bis 1830 rührten von der unklaren gesellschaftlichen Funktion desselben her. In der entstehenden bürgerlichen Gesellschaft hatte das Theater einerseits seine Rolle als machtlegitimierende Institution verloren, hatte aber andererseits seine neue Rolle als Sprachrohr des Volkes und des Bürgertums noch nicht gefunden. Sowohl die konservativen als auch die progressiven Direktoren wurden von dieser Situation beeinflusst. Erst in den 1840er Jahren beginnt die schwedische Bühne auf breiter Front bürgerliche Dramen aufzuführen und wird ein Forum für das wachsende bürgerliche Selbstverständnis. Bis in die 1830er Jahre dagegen wies das Kungliga teatern gegensätzliche Tendenzen auf: teils wurde mit bedeutenden Auffüh869 K. G. Holmström, Kungliga teatern kring 1830, in: Den svenska nationalscenen, 1988, S. 70 – 92.

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rungen wie Die Zauberflöte (1812), Hamlet (1819), Maria Stuart (1821) sowie Der Freischütz (1823) dem romantischen Geschmack entsprochen, teils wurde mit pompösen Opern der Gustavianischen Ära der traditionelle Geschmack zufriedengestellt, und teils wurde mit Schauspielen ‚ la Kotzebue die aufkommende Vorliebe für das Sentimentale und Triviale bedient. Neben der unklaren gesellschaftlichen Situation des Theaters und der Abhängigkeit von unterschiedlichen Gesellschaftsschichten, die von jeweils unterschiedlichen Geschmäckern dominiert wurden, musste ohne Zweifel der ständige Wechsel der Direktoren dazu beitragen, dass kein Geschmack und keine Kontinuität entstehen konnte.

9.

Zusammenfassung

Schillers dramatische Dichtung ist in Schweden später als in anderen Ländern wahrgenommen und noch später aufgeführt worden. Gleichwohl ist die Entwicklung in Fragen des Theater-Geschmacks in den 1790er Jahren umwälzend und rasch. Noch zu Beginn der 1780er Jahre musste die Existenz eines Theaters überhaupt gerechtfertigt werden, im Laufe des gleichen Jahrzehnts wurde die Stockholmer Öffentlichkeit an die klassische französische Tragödie herangeführt, vom auch in Frankreich bekannten Monvel-Ensemble ohne Zweifel auf hohem Niveau dargestellt. War das Theater in den 1780er Jahren noch allgemein Anfeindungen ausgesetzt, so musste das Publikum Ende der 1780er, Anfang der 1790er erneut eine szenische Revolution hinnehmen: die des bürgerlichen Trauerspiels. Zwar waren schon in den 1770er und 1780er Jahren Aufführungen englischer, französischer und einiger deutscher Familien-Dramen und bürgerliche Trauerspiele teilweise mit großem Publikumserfolg gespielt worden, der eigentliche Durchbruch des bürgerlichen Trauerspiels und des deutschen Dramas ereignete sich jedoch zu Beginn der 1790er Jahre mit der Aufführung von Kotzebues Menschenhass und Reue im Jahre 1791. Die Neuerung fand offene Türen beim Publikum, aber bei den Rezensenten und bei der Schwedischen Akademie, mit Ausnahme von Kellgren, wurde das »gemischte«, das »niedrige« Drama, so die gängigen Epitheta, weniger gnädig aufgenommen. Die rasche Folge der beiden Übersetzungen von Die Räuber und Kabale und Liebe in den Jahren 1799 und 1800 muss vermutlich als natürliche Reaktion der Popularität Schillers und der Popularität des bürgerlichen Trauerspiels gesehen werden. Trotz Schillers großer Popularität konnte sein Drama von dieser Entwicklung nicht profitieren und es sollte noch Jahrzehnte dauern, bis Schiller auf die Bühne des Kungliga Dramaten kam. Frans Michael Franz¦ns Kabale-und-Liebe-Rezension (1800) zeigt einerseits, dass der Begriff und die Gattung des bürgerlichen Trauerspiels noch nicht All-

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gemeingut des schwedischen Publikums war – nur diese Annahme erklärt seine Ausführlichkeit bei der Behandlung des Begriffs, der wahrscheinlich dem finnisch-schwedischen Publikum noch weniger bekannt war als dem Stockholmer. Andererseits beleuchten Franz¦ns Einwände, welche gewisse stilistische Eigenheiten, aber vor allem auch die moralische Undeutlichkeit der »unschuldigen« Luise betreffen, die Rezeptionsprobleme des Stückes gerade im Vergleich mit den vermeintlich eindeutigen schwarz-weiß gezeichneten Charakteren bei Kotzebue, welche die Rezeption begünstigten. Dem immer mehr dem sicheren Status quo zuneigenden Dichter, der die Würde der Frauen übersetzt und in eigenen Gedichten imitiert hat, schwebte vermutlich zusehends und eher das in diesem Gedicht ausgedrückte stabile und harmonische Familien-, Gesellschaftsund Rollenkonzept vor, als die in Kabale und Liebe ausgedrückte kompromisslosen gesellschaftlichen Brüche, welche bis in den Kern der Familie reichen. Franz¦n war bereit, gewissen Tendenzen des »modernen« Dramas zu folgen, so war er z. B. nicht prinzipiell gegen die Mischung des Hohen und Niedrigen. Gleichwohl scheint die Toleranz für das niedrige Genre noch relativ begrenzt: »Niedriges«, d. h. Bürgerliches, wird noch dicht beim Vulgären verortet. Die »Grässlichkeit«, welche bei Kabale und Liebe von Franz¦n und vielen Zeitgenossen empfunden wurde, entsprang gerade dem ungeheuren bürgerlichen Realismus, im Unterschied z. B. zu den stets rührselig als Versöhnung dargestellten Finale des Kotzebue’schen Theaters. Es ist offensichtlich, dass Franz¦n Kriterien an Kabale und Liebe heranträgt, die diesem nicht entnommen waren und einem Geschmack entsprachen, dem die Provokationen des Sturm und Drang nicht geläufig waren, oder der diese nie toleriert hatte. Ob man das Grässliche goutieren kann oder nicht, ist keineswegs nur eine Frage des subjektiven Geschmacks, sondern auch und vor allem eine Frage des Erwartungshorizonts, und damit auch eine Frage der Zeit und des Orts. Franz¦n aber gehörte offensichtlich einer Generation an, die das Grässliche nicht goutieren konnte; in Kapitel XIII wird sich zeigen, dass die jungen Romantiker mit der Kategorie des »Grässlichen« und »Grausamen« mehr anzufangen wusste. Den progressivsten Geschmack der Zeit vertritt ohne Zweifel Journal för svensk litteratur, das den beiden Übersetzungen ebenfalls eine ausführliche Rezension widmet. Die jeweilige Rechtfertigung der beiden Trauerspiele folgt unterschiedlichen, ja konträren Argumentationslinien: für Die Räuber wird eine Idealisierung des Protagonisten geltend gemacht, für Kabale und Liebe der Realismus hervorgehoben. Hier beginnt sich eine Ästhetik durchzusetzen, welche nicht Regelerwartungen an Kunstwerke heranträgt, sondern ihre Beurteilungsmaßstäbe den jeweiligen Werken entnimmt Das Journal hat sich aber auch ganz frei gemacht von inhaltlichen und moralisierenden Argumenten, die häufig gegen die Räuber und Kabale und Liebe ins Feld geführt werden, lässt aber auch nicht den Vorwurf gelten, der Sprachduktus der dramatis personae in

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diesen Trauerspielen sei »übertrieben« oder »affektiert«. Gleichzeitig, wie man die frühen Stücke Schillers gelten lässt, weist das Journal in einem anderen Artikel anlässlich einer schwedischen Original-Tragödie, Ingiald Illr”da, auf die Mustergültigkeit der Schiller’schen Tragödie, des Don Carlos und des Wallenstein, hin. Die Mustergültigkeit ist dem Rezensenten keine Frage der technischen Perfektion, vielmehr ist das Werk als »Kunstwerk« zu betrachten, womit er eine neue Kategorie in die schwedische Literaturbetrachtung einführt. Der Begriff impliziert offensichtlich, das Werk nicht nach vorgefertigten Regeln zu beurteilen, sondern nach der Stimmung, die hervorzurufen es in der Lage ist. Die Schwedische Akademie, bei aller Offenheit gegenüber dem als neu empfundenen englischen und deutschen Theater, insbesondere bei G. J. Adlerbeth, signalisierte nach wie vor eine Bevorzugung des klassischen französischen Theaters. Carl Gustav af Leopold formulierte in einem Brief an Skjöldebrand eine Tragödienauffassung, die durchaus derjenigen des klassischen Schillers ähnelt: Die Aufgabe der Tragödie sei zu idealisieren, zu erheben, den Menschen gerade vom Alltagsleben abzuziehen, nicht ihn in dieses hinein zu versetzen, wie das Drama (bürgerliches Trauerspiel) es tat. Aus dieser Position konnte Leopold freilich Schillers frühe Dramen wenig schätzen. Aber auch Maria Stuart diente ihm immer wieder als Beispielsammlung für unpassende oder unanständige Szenen – obwohl Leopold den klassischen Tragödien Schillers zugesteht, die primäre Aufgabe der Tragödie, das Publikum vom Sinnlichen abzuziehen, zu erfüllen. Die Tatsache, dass Schillers aufklärerischste Schrift zum Theater, Die Schaubühne als moralische Anstalt betrachtet, zwischen 1795 und 1818 viermal übersetzt wurde, dokumentiert noch einmal das eminente Interesse, das man Schiller als Aufklärer zollte. Auch im neuen Jahrhundert beklagten die wenigen Zeitungen und Zeitschriften, welche die Zensur duldete, den Niedergang des Theaters und des Geschmacks. Als Gründe für die desolate Theatersituation in Schweden wurden vor allem die ökonomische Misere, die nach dem Tod Gustav III. die Welt des Theaters getroffen hatte, aber auch der schlechte Geschmack der Öffentlichkeit und das Unvermögen der Schauspieler in der hohen Tragödie angegeben.

Kapitel X: Der Spätaufklärer Arved Bethén

Der Schiller-Rezeption Arved Beth¦ns kommt im Rahmen der vorliegenden Arbeit eine Schlüsselposition zu, da sie die Nagelprobe auf zwei die Arbeit wie ein roter Faden durchziehende grundlegende Thesen ist. Einerseits, dass die Aufklärung in Schweden nicht 1792 ihr Ende findet, andererseits, dass Schiller in der Aufklärung nicht nur intensiver, sondern auch mit mehr Verständnis rezipiert worden ist als in der Romantik. In der Person Beth¦ns bündeln sich die Möglichkeiten einer Verifizierung dieser Thesen, da er 1808 als Reaktion auf die von Lorenzo Hammarsköld publizierte Kritik über Schiller mit einem für Schiller Partei ergreifenden Artikel an die Öffentlichkeit trat, der seinerseits eine Reaktion des Romantikers hervorrief (siehe Kapitel XIV). Die hier beabsichtigte Konstellation ist offensichtlich und braucht kaum erklärt zu werden: Beth¦n, der Aufklärer und Übersetzer mehrerer Schiller-Texte, tritt als Verteidiger des deutschen Dichters gegen seinen Kritiker, den Romantiker Hammarsköld, auf. In der Folge wird es also um zwei Fragen gehen: inwiefern kann Beth¦n der Aufklärung zugerechnet werden, und wie ist seine Schiller-Rezeption in diesen Rahmen einzubetten? Im Kontext der schwedischen Ideengeschichte wurden zwei Möglichkeiten erprobt, über die »Zugehörigkeit« einer Person zur Aufklärung zu befinden. Arne Jarrick hat im Rahmen einer Befürwortung der Mentalitätsgeschichte die Tagebücher und Aufzeichnungen eines vermutlich eigenbrötlerischen und belesenen Handwerkers namens Johannes Hjerpe einer eingehenden Untersuchung unterzogen. Ausgehend von der These, dass die Aufklärung bei aller Heterogenität von einer Reihe von Motivkreisen zusammengehalten wurde, untersuchte er Hjerpes »Weltanschauung« im Kontext dreier Aufklärungsmotive: die Ausformung des religiösen Lebens, d. h. die zunehmende Säkularisierung, das Verhältnis zur »Umwelt«, d. h. zu anderen Kulturen und Andersdenkenden, verbunden mit dem Stichwort Toleranz, und schließlich der Fortschrittsglaube.870 Jakob Christensson untersuchte in Lyckoriket anhand von drei 870 A. Jarrick, Mot der moderna förnuftet, 1992, S. 139 – 176.

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Der Spätaufklärer Arved Bethén

über ein Jahrhundert verstreuten Fallbeispielen, namentlich Carl Christoffer Gjörwell (siehe Kapitel III), Fredrik Nordenskiöld (siehe Kapitel IV) und dem Schriftsteller, Bischof und letzten Gustavianer Anders Carlsson af Kullberg die Heterogenität und gleichzeitige Zählebigkeit der Aufklärung, die seinen Ausführungen zufolge bis weit ins 19. Jahrhundert hineinragte. Als methodische Richtlinie zur »Annäherung an den Horizont der Aufklärung« nennt Christensson drei Möglichkeiten: die begriffgeschichtliche, die soziale und geographische, und die biographische.871 Die begriffsgeschichtliche Annäherungsweise sei dadurch legitimiert, dass die Aufklärung »als eine lose zusammengehaltene Symbolwelt mit einer relativ stabilen Anzahl positiv konnotierter Begriffe betrachtet« wird. Christensson nennt z. B. Vernunft, Tugend, Fleiß, Nutzen, Philosophie, Glück – Begriffe also, welche zumindest seit der Aufklärung zum Gemeingut abendländischen Selbstverständnisses aufgestiegen sind, insofern kaum zur Abgrenzung der Aufklärung nach vorne hin taugen. Eine begriffsgeschichtliche Annäherung scheint mir auf wesentlich spezifischere »Schlagwörter« und Problemstellungen der Epoche verwiesen, um sinnvoll eine Epochenabgrenzung vornehmen zu können.872 Während die Materiallage im Falle Beth¦ns wenig Hoffnung auf eine adäquate und gewinnbringende Berücksichtigung biographischer Daten zur Evaluation eventueller aufklärerischer Tendenzen macht, so bietet sich – wie in der gesamten Arbeit – vor allem eine begriffsgeschichtliche Annäherung an. Eine Variante der Vorgehensweise Jarricks und Christenssons ist bei Beth¦n naheliegend, der weder Tagebücher noch sonstige Aufzeichnungen hinterlassen hat. Beth¦n hat dagegen im Rahmen seiner Übersetzertätigkeit im Unterschied zur gängigen Praxis der Zeit seinen Übersetzungen eine ausführliche Einleitung vorangehen lassen, anhand welcher sich jeweils nachvollziehen lässt, was ihn bewogen hat, die Texte zu übersetzen, aber auch, wie er sie assimilierte. Im Übrigen lässt natürlich auch schon die Auswahl der von ihm übersetzten Bücher Rückschlüsse auf seinen geistigen Horizont zu. Dies umso mehr, als er seine Übersetzungen offensichtlich nicht mit dem Ziel eines größtmöglichen ökonomischen Gewinns vornahm. Das 871 Siehe hier und im Folgenden J. Christensson, Lyckoriket, 1996, S. 9 f. 872 Eine Möglichkeit bietet P. Kondylis, der die Aufklärung insgesamt durch ein Problem definiert sieht: das Heraufkommen und die Aufwertung der Sinnlichkeit und die sich daran anschließenden weltanschaulichen Optionen, z. B. der materialistische Monismus mit den Folgeproblemen des Determinismus, des Relativismus und des Nihilismus; weitere Möglichkeiten sind der Dualismus, aber auch die vehemente Ablehnung der Sinnlichkeit und des Materialismus, durch eine Revaluierung der Vernunft (Kant) etc. Der Kernpunkt Kondylis ist, dass das Zentrum der Aufklärung nicht durch einen oder mehrere Glaubenssätze zusammengehalten wird, sondern durch eine Fragestellung, nämlich die nach der Bedeutung der Sinnlichkeit, welche unterschiedliche Stellungnahmen erlaubt, die ihrerseits zu Kontroversen und schließlich zum Zerfall der Aufklärung in verschiedene »Glaubensfraktionen« führt.

Arved Bethén (1756 – 1826)

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mühsame Verfassen von Vorworten hat dem Übersetzer zumindest kaum eine Gewinnmaximierung eingebracht, weshalb der einzige Grund für diese Mühe also ein aufklärerisch-pädagogischer Impetus gewesen sein kann. Welche Bedeutung Schiller für Beth¦n hatte, lässt sich äußerlich bereits daran ermessen, dass zwei der sieben von Beth¦n übersetzten und herausgegebenen Bücher Schiller zuzuschreiben sind. Auch ein Vergleich der zusammengelegten Seitenanzahl der Vorworte, die im Falle der beiden Schiller-Bände 40 Seiten ausmacht, bei den fünf anderen Büchern dagegen nur 25 Seiten, weist auf die Bedeutung Schillers hin. Beth¦n hat in diesen als Vorworte kaschierten Schriften mit erstaunlicher Insistenz einige Aufklärungs-Motive variiert, die im Folgenden näher zu identifizieren sind.873

1.

Arved Bethén (1756 – 1826)

Über Beth¦ns Leben ist so gut wie nichts bekannt, zu wenig zumindest, um darauf aufbauend Schlussfolgerungen bezüglich seines mentalen Profils und einer eventuellen Einordnung in den Kontext der Aufklärung ableiten zu können. Gleichwohl erlauben zunächst die Eckdaten seines Lebens, nämlich Geburt und Tod, im Vergleich zu anderen Aufklärungs-Profilen gewisse Schlussfolgerungen. Es zeigt sich dann nämlich, dass J. H. Kellgren (1751 – 1795) und N. von Rosenstein (1752 – 1824), das Urgestein der schwedischen Aufklärung, lediglich fünf Jahre älter sind, während die Eckdaten C. G. af Leopolds (1756 – 1829), des dritten literaturgeschichtlich tolerierten Aufklärers in Schweden, fast identisch sind mit denen Beth¦ns. J. Christensson hat in Lyckoriket den Rabulisten und Swedenborgianer C. F. Nordenskiöld (1756 – 1828) als Aufklärer rehabilitiert, in Kapitel IV wurde zusätzlich auf J. S. Ekmanson (1760–?) hingewiesen. Bereits etwas jünger als Beth¦n ist der Kleinbürger und Handwerker Johannes Hjerpe (1765 – 1825), nicht zu sprechen von A. C. af Kullberg (1771 – 1851), der von Christensson beleuchtete letzte Gustavianer.874 Ohne in unseriöse Zahlenmystik verfallen zu wollen, können die Lebensdaten Beth¦ns als ideal für ein schwedisches Aufklärungsprofil angesehen werden, sie können vermutlich sogar zur 873 Es ist wahrscheinlich, dass Beth¦n im Laufe seiner Übersetzungstätigkeit die Vorworte als Möglichkeit einer Publikation eigener Texte gesehen hat. Dass er sich aber besonders von Schiller hat inspirieren lassen, zeigen folgende Zahlen: 1798/2 (Seiten Vorwort), 1799/8, 1800/2, 1803/10 (Schiller), 1805/30 (Schiller), 1814/7, 1822/2. 874 Mit einer solchen weit ins 19. Jahrhundert hineingetriebenen Epochenbezeichnung der Aufklärung, wie es Christensson bei Kullberg vornimmt, wird dieselbe in der Tat beliebig, hört zumindest auf, als Epochenbezeichnung dienlich zu sein. Diesbezüglich wäre die Kritik Frängsmyrs, der insbesondere das Ausfransen der Epochenbezeichnung nach hinten hin als zu vage empfindet, durchaus einleuchtend: Ein Aufklärer macht noch keine Aufklärung.

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Der Spätaufklärer Arved Bethén

Klärung des deutlich von Beth¦n differierenden Aufklärungsprofils Ekmansons dienen. Arved Beth¦n wäre heute vermutlich genau so vergessen wie Hjerpe, hätte er nicht zwei Sammelbände mit kürzeren Prosatexten Schillers übersetzt und wäre er – der Bewunderer Schillers, des von ihm so bezeichneten »Weltweisen« – nicht der Kritik über Schiller des Romantikers Lorenzo Hammarsköld mit einer Antikritik entgegengetreten.875 Aber auch als Übersetzer und Verteidiger Schillers fristet Beth¦n ein sehr bescheidenes literaturgeschichtliches Dasein, und dies zu Recht, denn als Autor hat Beth¦n zu wenig publiziert, und das Wenige ist unselbständig, eklektisch, recht eigentlich auch vage. Beth¦ns Leben, soweit es rekonstruiert werden kann, und soweit das Rekonstruierte glaubhaft ist, gibt zu denken. Nach einem Studium in Lund, wo er 1775 über das Thema De harmonia utriusque luminis in caussa infelicitatis creaturarum a creatore removenda disputierte876 – ein Beitrag zum Theodizee-Problem, der durchaus leitmotivischen Charakter in Beth¦ns Leben und »Werk« hat – trat er 1778 seine Beamtenlaufbahn im königlichen Dienst in Stockholm an. Er scheint im Jahre 1787 selbst die Kündigung seiner Anstellung als Notar beim Hofkonsistorium begehrt zu haben. Der Grund für diese ohne Zweifel ungewöhnliche Handlung war, wie berichtet wird, dass er unglücklich in die Königin verliebt gewesen sei, der er sogar Liebesbriefe sandte. Er wurde als wahnsinnig angesehen, scheint jedoch von der Königin mit einer Rente versehen worden zu sein, die allerdings nicht verhindern konnte, dass er sich spätestens in den 1820er Jahren in einer zusehends bedrückenden ökonomischen Situation befand. In Briefen an den König bat er um finanzielle Hilfe, sei es durch einen Staatsdienst, durch eine Rente oder durch die Herausgabe seiner Schriften. Peter Wieselgren, der persönlich mit ihm bekannt war, zeichnete ein in seiner Lakonik erschütternd-tragisches Bild von Arved Beth¦n: Er »lebte, seit er seine Hofkonsistorialstelle aufgegeben hatte, vierzig Jahre einsam in Stockholm: ein stiller, harmloser Mann. Es ehrt König Gustav, dass dem Mann der Unterhalt nicht gänzlich entzogen wurde, obwohl sein Auge geblendet wurde vom Glanz der Königin.« Was über Hjerpe gesagt wurde, gilt in noch höherem Maße für Beth¦n:

875 So findet A. Beth¦n denn auch nur im literaturgeschichtlichen Rahmen der Schiller-Rezeption und in der Auseinandersetzung mit L. Hammarsköld Beachtung, nicht im Rahmen der gängigen Literaturgeschichten. Siehe T. Ljunggren, Lorenzo Hammarsköld som kritiker, 1952; E. Wrangel, Schiller och Sverige, 1905, S. 1; Zu Beth¦ns Lebensdaten siehe: A. Nilsson, Beth¦n, Arved, in: Svenskt biografiskt lexikon, IV, 1924, S. 93 ff; Lorenzo Hammarsköld, Hist. Anteckningar rör. Fortg”ngen och utvecklingen af det philos. Studium i Sverige (1821), S. 421 ff. 876 »Über die Übereinstimmung der beiden Lichter [d.h. Offenbarung und menschliche Vernunft] hinsichtlich der Entfernung [d.h. Widerlegung] der Ursache [d.h. Schuld] des Schöpfers am Unglück der Geschöpfe.«

Arved Bethén (1756 – 1826)

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eine Biographie über Johan Hjerpe wäre eine alltägliche und uninteressante Geschichte, ein ziemlich konturloses Portrait. Sein ruhiges Leben war nämlich, wie es scheint, ohne dramatische Höhepunkte. Es gibt deshalb keinen besonderen Grund sich bei den äußeren Umständen aufzuhalten […] Interessanter ist seine intellektuelle Arbeit, die ihn in seiner einsamen Kammer beschäftigte: sein lebenslanger Umgang mit Büchern und Zeitschriften wie sein unermüdlicher Fleiß im Schreiben.877

Beth¦ns wichtigster literarischer Einsatz war der als Übersetzer moralphilosophischer Schriften, insbesondere aus dem Deutschen: Moses Mendelssohn, Wilhelm Abraham Teller, Friedrich Schiller. Aus eigener Feder stammt die gedruckte Arbeit Om menniskans bestämmelse (dt. Über die Bestimmung des Menschen), 1823, während eine lange geplante Arbeit über »Volksmoral« nie fertiggestellt wurde.878 Merkwürdig ist, dass Beth¦n, der offensichtlich sein Leben lang arbeitslos war, keine einträglicheren Übersetzungen in Angriff nahm. Die von ihm übersetzten Titel bezeugen eine ernsthafte moralische und pädagogische, kurz aufklärerische Absicht und waren vermutlich kaum Anwärter auf einen der vorderen Plätze einer etwaigen Bestseller-Liste.879 In Sachen Schiller trat Beth¦n am 11. Oktober 1808 mit einem dreiseitigen Artikel in StP an die Öffentlichkeit, in welchem er Hammarskölds Schrift Kritik über Schiller einer harschen, wenn auch nicht die Contenance überschreitenden Kritik unterzog, die Hammarsköld selbst ernst genug nahm, um ihm in ebenfalls umfangreichen Artikeln, drei an der Zahl, entgegenzutreten (siehe Kapitel XIV). Hammarsköld sollte sich 1814 in einer Rezension von Beth¦ns Übersetzung von Tellers Die Religion der Vollkommenen revanchieren (Swensk literatur-tidning, 1814, Nr. 33, 34). Zwei Übersetzungen Beth¦ns waren Gegenstand einer wohlwollenden Kritik in Journal för svensk litteratur, das dem Übersetzer ein gutes Zeugnis als Übersetzer ausstellte.880 Die Ausführlichkeit, insbesondere die der Rezension über Smiths Abhandlung über die Pflichten des Menschen gegen die Tiere, weist trotz prinzipiell kritischer Haltung des Rezensenten (eventuell Höijer) darauf hin, dass Beth¦n als Literat und Aufklärer auch auf diesem Niveau ernst genommen wurde. So konnte der Rezensent dem Verfasser zugestehen, dass Beth¦ns in der Einleitung gegebener »Begriff über die Tiere und ihre Vermögen richtiger und entschiedener sind, als man es hätte erwarten können von 877 A. Jarrick, Mot det moderna förnuftet, 1992, S. 131 f. 878 A. Nilsson, Beth¦n, Arved, in: Svenskt biografiskt lexikon, IV, 1924, S. 93 ff. 879 Robert Darntons Forschung zur Aufklärungs-Lektüre im vorrevolutionären Frankreich zeigte, dass keineswegs »seriöse« Literatur gelesen wurde, sondern vielmehr effekthaschende Schundliteratur und pornographische Literatur, die allerdings eine im weiten Sinne aufklärerische Wirkung hatte. 880 Journal för svensk litteratur, 1798, S. 496 ff, M. Mendelssons korrta afhandling om själens odödlighet; Journal för svensk litteratur, 1799, S. 658, Försök till en Systematisk Afhandling om Menniskans Pligter emot Djuren, af Lauritz Smith.

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Der Spätaufklärer Arved Bethén

einem Mann, der einen so großen Wert darauf legte, eine solche Arbeit zu übersetzen.«881

2.

Konturen einer mentalen Physiognomie

Beth¦ns eigentliches Leben scheint sich also in seiner Kammer am Schreibtisch abgespielt zu haben, wenngleich die Menge der von ihm übersetzten Bücher – soweit sie bekannt sind – sowie sein polemischer Einwurf gegen Hammarsköld nicht gerade von einer großen Produktivität künden. Konturen seiner »Weltanschauung«, seiner intellektuellen Welt, die gleichzeitig Berührungspunkte mit Schiller aufweist, vermitteln nur die wenigen Übersetzungen, die dazu jeweils verfassten Vorworte, Einleitungen und Kommentare sowie seine kurze Schrift Om människans bestämmelse (dt. Über die Bestimmung des Menschen) Im Folgenden sollen deshalb als einzig hier dienliches Fundament die von ihm verantworteten Übersetzungen kurz vorgestellt werden, insbesondere soweit sie selbst dem Spezialisten kaum bekannt sind. Bei Moses Mendelssohns (1729 – 1786) »Abhandlung über die Unsterblichkeit der Seele«882 handelt es sich um einen von diesem selbst verfassten und nachgelassenen Auszug aus dem Phaidon, von dem Beth¦n sich einen leichteren Zugang zu den im philosophischen Hauptwerk »weitläufigen Gesprächen« verspricht. Der dänische Philosoph und evangelische Pfarrer Lauritz Smith (1754 – 1794) publizierte 1793 seinen Versuch eines vollständigen Lehrgebäudes der Natur und Bestimmung der Thiere und der Pflichten des Menschen gegen die Thiere, von dem Beth¦n den praktischen Teil unter Auslassung des theoretischen Teils übersetzte.883 Lauritz Smith, auf den neuerdings wieder als Vater des Gedankens einer »Würde der Kreatur« hingewiesen wird; stand sowohl der »lutherischreformatorischen Tradition als auch dem Gedankengut der Aufklärung nahe«. Smith gehe daher als Aufklärungstheologe »nicht von der biblisch-christlichen Offenbarungsreligion aus, sondern von dem damals geschätzten vernunftreligiösen und glücksmetaphysischem Ansatz des Physikotheologen und heimlichen Deisten, Hermann Samuel Reimarus […]«884 Er unterschied eine relative Würde der Tiere als Glied im göttlichen Haushalt der Natur von einer absoluten Würde der Tiere, die darin bestehe, dass der liebende Schöpfergott das Glück aller seiner empfindungsfähigen Geschöpfe will. Tiere sollen demnach glücklich sein, weil der Schöpfer dies aus Liebe und Mitgefühl so wünscht – ein Thema, das 881 Journal för svensk litteratur, 1799, S. 670. 882 M. Mendelssons korrta avhandling om själens odödlighet, übersetzt von A. Beth¦n, 1798. 883 L. Smith, Försök till en systematisk avhandling om menskjans pligter emot djuren, 1799, übersetzt von A. Beth¦n. 884 Siehe H. Baranzke, Die Würde der Kreatur, 2002, S. 244.

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Beth¦n schon in seiner Disputation 1775 beschäftigt hatte. Sein Vorwort lässt erkennen, dass es Beth¦n vor allem um den Nachweis ging, dass das Tier keine »gefühllose Maschine« sei, so wie es von Descartes und seinen materialistischen Nachfolgern vertreten wurde. Wilhelm Abraham Teller (1734 – 1804) war ein rationalistischer evangelischer Aufklärungstheologe.885 Er hing dem Glauben an ein geschichtslos wahres, im Kern auf das Moralische reduzierbare Christentum an und reformierte als Mitglied der obersten preußischen Kirchenbehörde den Religionsunterricht, den Gottesdienst und das Gesangbuch. Teller verfasste ein Lehrbuch des christlichen Glaubens (1764), ein Wörterbuch des Neuen Testaments zur Erklärung christlicher Lehre (1772), gegen das sich ausdrücklich Oetingers Biblisches und emblematisches Wörterbuch, dem Tellerischen und Anderer falscher Schrifterklärungen entgegen gesetzt (1776) wandte, und das von Beth¦n übersetzte Die Religion der Vollkommenen (1792).886 Er war ein Hauptvertreter der aufgeklärten Theologie, welche die Weiterbildung des Christentums zur allgemeinen Menschheitsreligion anstrebte, häufig im Anschluss an Kants Ethik. Eine sonderbare »Figur des Übergangs«887 zwischen Aufklärung und Romantik war der Historiker und Schriftsteller Delisle de Sales (1743 – 1816), von dem Beth¦n eine Komödie übersetzte. Berühmt wurde der französische Autor 1776 mit La philosophie de la Nature, die als unmoralisch und atheistisch eingestuft wurde, weshalb er unter Robespierre verfolgt und eingesperrt wurde. Der schlechte Ruf, welcher seinem Namen vorauseilte, kontrastiert mit einem rigorosen Moralismus, der ihn Beth¦n empfohlen haben mag. Er nutzte jede Gelegenheit, Krieg und politische Verbrechen – vor allem als Folge der Französischen Revolution, die er durch ein neues Gleichgewichtssystem der Staaten rückgängig gemacht haben wollte (De la paix de l’europe et de ses bases, 1800)888 – zu brandmarken.889 Unter dem fiktiven Namen eines gefundenen Manuskripts publizierte Delisle de Sales, der zu den produktivsten Autoren der Epoche zu zählen ist, Th¦—tre d’un poete du Sybaris.890 Eines der in diesem Kontext veröffentlichten Dramen übersetzte Beth¦n unter dem Titel Alexander och Apelles (1800). Vermutlich auf den Ruf des Verfassers anspielend, überlässt er die Komödie der aufgeklärten Öffentlichkeit zur Überprüfung, inwiefern »Einfalt, Aufrichtigkeit, Freundschaft, Edelmut und Religion« lächerlich gemacht werden

885 Hier und im Folgenden K. Aner, Die Theologie der Lessingzeit, 1929; M. Schmidt, Aufklärung II: Theologisch, in: Theologische Realenzyklopädie, 1997, IV, S. 594 – 608. 886 W. A. Teller, De fullkomligares religion, 1814, übersetzt von A. Beth¦n. 887 P. Vidal-Naquet, Atlantis. Geschichte eines Traums, 2006, S. 99. 888 W. D. Gruner, Europäischer Völkerbund und ewiger Friede, 2000, S. 23. 889 M. S. Staum, Minerva’s Message. Stabilizing the French Revolution, 1996, S. 138. 890 Recueil de Pr¦faces de romans du XVIIe siÀcle, II, 1751 – 1800, 2003, S. 337.

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oder ob sie in ihren schönsten Farben gezeigt werden.891 Den jungen Damen Schwedens empfiehlt er noch die besondere Wertschätzung der weiblichen Hauptfigur des Stücks, Campask, deren »edler Stolz« ihnen gefallen möge. In der Arbeit Ueber und gegen den Thierischen Magnetismus und die jetzt vorherrschende Tendenz auf dem Gebiete desselben (1822) geht es Christian Heinrich Pfaff (1773 – 1852) darum, seine »Zweifel mitzuteilen« an dem »magnetischen Unwesen« in seiner jetzigen Ausformung, das durch seinen Inhalt dazu geeignet ist, ein »großes Aufsehen zu erregen und eine bedenkliche Tendenz zum Mystischen und Übernatürlichen befördert«.892 »Großes Aufsehen« erregte in der Tat Franz Anton Mesmer (1734 – 1815), der Erfinder des animalischen Magnetismus, dessen Auftreten im Paris der 1780er Jahren Massenhysterien auslöste.893 Auch Schiller sah sich gegen Ende der 1780er Jahre »immer wieder in Diskussionen über Magie, Mesmerismus und elektromagnetische Therapieversuche verwickelt, bei denen er konsequent den Part des Skeptikers übernimmt.«894 Ein Ausfluss dieses in der Spätaufklärung um sich greifenden Glaubens an Wunderheiler, Alchemisten, Geisterbeschwörer und Scharlatane war Schillers Geisterseher. Schiller entlarvt in seinem Romanfragment die Funktionsweisen solchen Aberglaubens, der im weltanschaulichen Vakuum des »aufgeklärten« Menschen entstehen kann. Dies verbindet ihn wiederum mit Beth¦n, dem es ebenfalls, wie er es im Vorwort seiner Übersetzung ausdrückt, darum geht, mit der Fackel echter Wissenschaftlichkeit eine Öffentlichkeit aufzuklären, welche mehrjährig mit Schriften des animalischen Magnetismus traktiert worden sei. Von Schiller publizierte Beth¦n im Jahre 1803 zwei Texte unter dem Titel F. Schillers Afhandlingar om universal-historiens studium och ändam”l, och 891 Delisle de Sales, Alexander och Apelles, 1800, übersetzt von A. Beth¦n. 892 A. Beth¦n, Företal, XI, in: C. H. Pfaff, Den Animala Magnetismen inför den sunda profningens domstol, übersetzt von A. Beth¦n, 1822. 893 Mesmers obskures, für den Aufklärer anstößiges System, das er 1727 in 27 Punkten veröffentlichte, lässt sich wie folgt zusammenfassen. Das Universum ist von einem subtilen, physikalischen Fluidum erfüllt, das sowohl eine Verbindung zwischen einzelnen Menschen als auch zwischen dem Menschen, der Erde und den Himmelskörpern herstellt. Durch die ungleiche Verteilung des Fluidums im menschlichen Körper entstehen Krankheiten, die durch die Wiedererlangung des Gleichgewichts geheilt werden können. Es existieren bestimmte Techniken, mit dessen Hilfe dieses Fluidum kanalisiert, aufbewahrt und an andere Personen weitergegeben werden kann. Dadurch können bei Patienten Krisen herbeigeführt und schließlich Krankheiten geheilt werden. Mesmers Praxis, seinen Patienten während der Behandlung gegenüber zu sitzen, während sich beider Knie berührten, er die Daumen seiner Patienten fest in seinen Händen hielt und ihnen in die Augen starrte, um schließlich das Hypochondrium des Patienten zu berühren und ihm über die Glieder zu streichen, konnte einen überzeugten Aufklärer wie Schiller und Beth¦n kaum eingenommen haben. Oftmals hatten die Patienten dabei eigenartige Empfindungen oder fielen in eine Krise, die die Heilung bedingen sollte. 894 P.-A. Alt, Schiller, I, 2000, S. 574.

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känslan af det höga. Beim ersten Text handelt es sich um Schillers AntrittsVorlesung Was heißt und zu welchem Ende studiert man Universalgeschichte?, zunächst 1789 in Der Teutsche Merkur und 1792 in Kleinere prosaische Schriften von Schiller. Erster Teil, veröffentlicht. Der Originaltext war in beiden Versionen in Schweden zugänglich, Beth¦n bediente sich bei der Übersetzung mit großer Wahrscheinlichkeit der letzteren Textausgabe. In Über das Studium der Universalgeschichte – so Beth¦n – habe Schiller nicht nur den Zustand unseres vormaligen Geschlechts sowie die Verbesserungen, welche durch die Kultur nach und nach eingetreten sind, abgebildet; »er hat auch versucht, jedweden von der Notwendigkeit zu überzeugen, sich auf das Vollkommenste zu bilden für die Lebensweise, die man gewählt hat, und in jungen Herzen einen edlen Enthusiasmus zu entfachen für das Wahre, Große und Wichtige in der Welt«, eine Formulierung, auf die noch zurückzukommen ist. Beim zweiten Text handelt es sich um Über das Erhabene, dessen Entstehungszeit noch strittig ist, wenngleich Inhalt und Sprache darauf hinweisen, dass es sich um einen Text handelt, der im Umkreis der Ästhetische Erziehung entstanden ist, wesentlich später jedoch noch einmal überarbeitet wurde.895 Die Schrift wurde zum ersten Mal 1801 in Kleinere prosaische Schriften. Dritter Teil, veröffentlicht. Beth¦n erkennt in dem Text die ernsthafte Neigung des Autors, »durch die Verbreitung wichtiger Wahrheiten den äußeren Wohlstand und die innere Vollkommenheit zu fördern«, und meint, dass Schiller sich sehr verdient gemacht habe durch die tiefsinnige Untersuchung der »menschlichen Natur«. Beth¦n firmiert drei Jahre später (1806) erneut als Übersetzer einer Sammlung von Prosaschriften Schillers, die unter dem Titel Översättningar utur hofr”det Fr. von Schillers smärre prosaiska skrifter (dt. Übersetzungen aus des Hofrates Fr. Schillers kleinere prosaische Schriften) herausgegeben wurden. Der Band enthält Tal om teatern (Seite 2 – 28), Tankar öfver bruket af det ädla och det höga i konsten (Seite 28 – 46) sowie Misantropen. Ett fragment (Seite 46 – 111). Das 25-seitige Vorwort gliedert sich in drei thematische Blöcke, deren erster als der umfangreichste in kulturtheoretischer und -historischer Absicht (20 Seiten) an das Vorwort von 1803 anknüpft. Im zweiten Teil (2 Seiten) skizziert Beth¦n die drei übersetzten Schriften Schillers und im dritten zeichnet er ein Porträt Schillers und gedenkt seines Todes. Beim ersten Text, Tal om Teatern, handelt es sich um einen Auszug aus Was kann eine gute stehende Schaubühne eigentlich wirken?, 1785 in der Thalia publiziert und zuvor schon von Gustaf Ros¦n 1795 im Rahmen seiner Fragmente herausgegeben (siehe Kapitel VI). In dem Text gebe Schiller

895 Zur Datierungsfrage von Über das Erhabene siehe Schiller-Handbuch, 2005, S. 479 f.

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uns nicht nur Anlass nachzuempfinden, inwieweit die Arbeit, zu welcher wir den größten Teil unserer Seelenkraft verwenden, übereinstimmt mit dem Wert unserer vernünftigen Natur, und ob unsere Einrichtungen im allgemeinen, die unter großem Kostenaufwand unterhalten werden, den rechtmäßigen Anspruch des Ganzen auf einen damit korrespondierenden Nutzen haben; – Er zeigt auch, welch edles Vergnügen ein gut eingerichtetes Theater geben kann – und die großen Vorteile, die zivilisierte Nationen vom Theater beziehen können, wenn beachtliche Genies für dasselbe arbeiten.896

Der zweite Text, Tankarne öfver bruket af det Oädla och L”ga i Konsten (dt. Gedanken über den Gebrauch des Gemeinen und Niedrigen in der Kunst) wurde von Schiller im 4. Teil der Kleineren prosaischen Schriften, 1802, publiziert, ist jedoch vermutlich wesentlich früher, etwa 1793 im zeitlichen Umfeld des Aufsatzes Vom Erhabenen entstanden. Schiller warne hier junge Genies, denen die noch nötigen Kenntnisse und veredelten Gefühle fehlen, vor den Abwegen, auf welche sie so leicht verleitet werden können durch eine spielende und üppige Einbildungskraft; aber er muntert sie gleichwohl auf, durch eine höhere Bildung das Vortreffliche zu lernen und vertraut zu werden mit der Schönheit, die sie durch die Kunst darstellen wollen.897

Bei dem einzigen von Beth¦n selbst verfassten Text Om menniskans bestämmelse (1823, dt. Die Bestimmung des Menschen) handelt es sich um den Beginn einer von ihm geplanten unentgeltlichen Vorlesung über die Bestimmung des Menschen, welcher einen Beitrag leisten soll, die Jugend an eine »ruhigere Denkweise« zu gewöhnen und dem »missgeleiteten Enthusiasmus eine unschädliche Richtung zu geben«.

896 A. Beth¦n, Företal, S. XXII, in: Översättningar utur Hof-R”det Schillers smärre prosaiska skrifter, übersetzt von A. Beth¦n, 1806,: »[… ] oss icke blott anledning att eftersinna, huruvida de görom”l, hvarp” vi använda största delen af v”r Själs krafter, öfverensstämma med v”r förnuftiga naturs värde, och om v”ra Inrättningar i allmänhet, som med s” stor kostnad underh”llas, upfylla det Helas rättmätiga anspr”k p” en deremot svarande nytta; – Han visar äfven huru ädelt nöje en väl inrättad Teater kan gifva – och de stora fördelar Civiliserade Nationer hemta af Teatern, när Aktningsvärda Snillen arbeta för densamma«. 897 A. Beth¦n, Företal, S. XXIIf, in: Översättningar utur Hof-R”det Schillers smärre prosaiska skrifter, übersetzt von A. Beth¦n, 1806. Über den dritten Text, Der Menschenfeind, wird ausführlich im letzten Unterkapitel gehandelt. »[… ] unga Snillen, som ännu sakna nödiga kunskaper och förädlade känslor, för de afvägar, hvarp” de s” lätt kunna förledas af en lekande och yppig inbillningskraft; men han upmuntrar dem tillika, att genom en högre odling lära sig inse det förträffliga och blifva förtroliga med den skönhet, som de genom konsten villja framställa«.

Bethén und die Popularphilosophie

3.

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Bethén und die Popularphilosophie

Wenn mit den solchermaßen kurz dargestellten »Schriften« Beth¦ns die verfügbaren Koordinaten eingetragen wurden, so stellt sich freilich immer noch die Frage nach einem gemeinsamen Nenner solch zerstreut wirkender Punkte auf einer noch zu erstellenden mentalen Karte. Albert Nilsson zufolge schloss sich Beth¦n »weitgehend Kants Philosophie an und wandte sich gegen den Materialismus und Sensualismus der Aufklärung«.898 Vor jeglichem etwaigen KantEinfluss hat man jedoch zunächst auf Beth¦ns Verankerung in der vorkritischen Weltanschauung aufmerksam zu machen – in Analogie zu Schiller. Einen ersten Wink hinsichtlich der weltanschaulichen Identität Beth¦ns gibt sein Hinweis in der Schrift Über die Bestimmung des Menschen (1823), dass in Deutschland mehrere Gelehrte an die Verdienste Gellerts als »Lehrer der Jugend« erinnern und »Moralische Vorlesungen nach dessen Methode« vorgeschlagen haben als »dienlich auch in unserer Zeit«.899 Christian Fürchtegott Gellert hat seine Bestrebungen als Volkserzieher wie folgt zusammengefasst: Mein größter Ehrgeiz besteht darin, dass ich den Vernünftigen dienen und gefallen will und nicht den Gelehrten im engen Verstande. Ein kluges Frauenzimmer gilt mir mehr als eine gelehrte Zeitung, und der niedrigste Mann von gesundem Verstande ist mir würdig genug, seine Aufmerksamkeit zu suchen, sein Vergnügen zu befördern und ihm in einem leicht zu behaltenden Ausdruck Wahrheiten zu sagen und edle Empfindungen in seiner Seele rege zu machen.900

Ein solches Anliegen mündet bei Gellert zunächst in die Forderung nach einer schönen, »natürlichen Schreibart«: in seiner »Praktischen Abhandlung von dem guten Geschmacke in Briefen« (1751) versucht er gegen den »Cantzleystyl« einen breiteren, also bürgerliche Schichten ansprechenden populären Stil durchzusetzen.901 Mit diesem Anliegen einer Popularisierung der Philosophie befand sich Gellert auf einem Hauptpfad des aufklärerischen 18. Jahrhunderts, man denke nur an Shaftesbury, Voltaire und Diderot, die allesamt nicht Fachphilosophen, sondern Philosophen der Welt sein wollten.902 In Deutschland entspann 898 A. Nilsson, Beth¦n, Arved, in: Svenskt biografiskt lexikon, IV, 1924, S. 93 ff. Dass er ausgerechnet von Mendelssohn, dem Kant in der zweiten Auflage der Kritik der reinen Vernunft eigens eine Widerlegung des Unsterblichkeitsgedankens widmete, Einblicke in die »richtigen Begriffe« der menschlichen Natur und deren »hohe Bestimmung« erhoffte, kann freilich kaum als Indiz dafür gewertet werden, dass er sich »der Philosophie Kants anschloss«, wie Albert Nilsson meinte. 899 A. Beth¦n, Om menniskans bestämmelse, 1823, S. 7. 900 Zitiert nach L. Balet & E. Gerhard, Die Verbürgerlichung der deutschen Kunst, Literatur und Musik, 1979, S. 249. 901 W. Amann, Die stille Arbeit des Geschmacks, 1999, S. 36 f. 902 Siehe hier und im Folgenden D. Till, Kommunikation der Aufklärung, in: Die Sachen der Aufklärung: Beiträge zur DGEJ-Jahrestagung 2010 in Halle, 2010, S. 97 – 111. W. Riedel, Die

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Der Spätaufklärer Arved Bethén

sich eine Diskussion um einen allgemeinverständlichen philosophischen Stil und um die gesellschaftliche Wirksamkeit der Philosophie. In zwei Schriften von Johann August Ernesti (1707 – 1781), De philosophia populari (1754) und De philosophia vitae (1767), wird die Popularisierung der Philosophie zum Programm. Der Titel Philosophia populari steht für eine öffentlichkeitsbezogene, d. h. für eine auf die gesellschaftliche und politische Praxis gerichtete Philosophie. Seine Vorbilder findet Ernesti in der Antike, bei Sokrates und vor allem bei Cicero, durch welchen er sein Ideal der Philosophie als praktische Philosophie und des Philosophen als öffentliche Person verwirklicht sieht. Eine neue Dringlichkeit entfaltet der Anspruch auf Popularität mit dem Erscheinen der Kant’schen Philosophie. Christian Garve richtet sich in seinem Aufsatz Von der Popularität des Vortrages (1793) gegen die Diskreditierung der Popularphilosophie im Umfeld Kants. Man habe jedoch einen falschen Begriff vom Anspruch der »Populär-Philosophen«: »Humes Beyspiel« zeige, dass es möglich sei, »über die ersten Elemente unserer Erkenntniß, auf eine faßliche und selbst auf eine anmuthige Art, zu schreiben.«903 Popularität ist für Garve also ein philosophisches Ideal, welches die Kommunikation als unverzichtbar für die Ausbreitung von Erkenntnis und für das Projekt einer Aufklärung der Öffentlichkeit in den Mittelpunkt stellt. Schiller hat im Kontext und in Abgrenzung zu der durch Kants Kritiken ausgelösten idealistischen Esoterik, die Beth¦n insbesondere in ihrer Schelling’schen Variante bekämpfte, in dem kurzen Traktat Über die notwendigen Grenzen beim Gebrauch schöner Formen (1795) an solche Gedankengänge angeknüpft. Letztendlich weist Schiller mit diesem Text nicht nur die nachkritische Philosophie und die Romantik, sondern auch sein eigenes Absolutsetzen der ästhetischen Erziehung in die Schranken der Vernunft. In der Schrift versucht Schiller die getroffene Einteilung der Schreibweisen in eine wissenschaftliche, populäre und schöne durch eine ihm eigene dialektische Bewegung die Gegensätze zumindest theoretisch aufzuheben. Beth¦n ging es explizit um die Popularisierung der Philosophie, darum, ihre Zugänglichkeit zu erleichtern: Bewusst macht er in Om menniskans bestämmelse seine vermittelnde Absicht kenntlich, wenn er seinen projektierten Vorlesungen in Pragmatischer Anthropologie und Sittenlehre das Attribut »populär« beifügt und sie mit Hinweis auf den Erfolg der von Gellert seit 1758 gehaltenen Moralischen Vorlesungen legitimiert.904 Auch der junge Schiller äußerte in der Rede Anthropologie des jungen Schiller; siehe auch ders. Schiller und die popularphilosophische Tradition, in: Schiller-Handbuch, 1998, S. 155 – 165. 903 C. Garve, Von der Popularitiät des Vortrags, 1793, in: Ders. Popularphilosophische Schriften über literarische, ästhetische und gesellschaftliche Gegenstände, II, S. 353. 904 In diesem Sinne übersetzte er nicht Moses Mendelssohns Phädon oder über die Unsterblichkeit der Seele, sondern die »kleine Abhandlung über die Unsterblichkeit der Seele«, die sich in Mendelssohns Nachlass befand und die den Zugang zur Hauptschrift, dem Phädon, »erleichtern« soll.

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Die Tugend in ihren Folgen betrachtet: »denn vielleicht führt Gellerts Moral und Addisons Beispiel noch in künftigen Jahrhunderten irrige Seelen zur Wahrheit zurück« (NA, XX, 33). Wolfgang Riedel hat die drei vorkritischen Dekaden von 1750 – 1780 als terra incognita der Forschung bezeichnet und gleichzeitig und wiederholt auf die Prägung Schillers durch die Geistesströmungen dieser Zeit hingewiesen.905 Dabei wurden von Riedel vier Hauptaspekte philosophischer Spätaufklärung herausgestellt, die das geistige Klima der Zeit charakterisieren: die Exoterik oder die Wendung gegen die Philosophie als Fachphilosophie, was sich in dem Ausdruck des »Weltweisen« niederschlägt; die Eklektik oder die Wendung gegen die Autorität der Schulen mit der Devise des »Selbstdenkens«; der Empirismus oder die Wendung gegen die Metaphysik als philosophische Fundamentalwissenschaft mit Schlagwörtern wie »Erfahrung« und »Beobachtung«, d. h. die Betonung der Subjektivität und der Psychologie und schließlich der Aufstieg der Anthropologie, der Menschenlehre, zur Leitwissenschaft der Spätaufklärung. Riedel hat dargelegt, dass man Schiller mit diesen vier Begriffen »philosophisch recht nahe« kommt – mit diesen Begriffen kommt man aber auch Beth¦n recht nahe, welcher aufgrund der Wahl der Texte, die er übersetzt hat, durch seine Sichtweise derselben, aber auch aufgrund seines Selbstverständnisses der Popularphilosophie zuzurechnen ist. Beth¦n hat mehrmals und insbesondere in den Vorreden zu seinen SchillerÜbersetzungen hervorgehoben, wie sehr das Zeitalter von einer vormals unbekannten »Selbständigkeit« gekennzeichnet ist.906 Im Zusammenhang mit seiner Selbstauffassung als »Selbstdenker« ist Beth¦ns offensichtlicher Eklektizismus zu sehen, der jedoch hier in seiner positiven Bedeutung einer philosophia eclectica als aufklärerisches Prinzip verstanden werden muss: »Denn wahre Aufklärung ist eklektisch. Sie prüft alles und das Gute behält sie.«907 Der Eklektizismus seiner Vorgehensweise und seines Weltbildes zeigt sich in der Auswahl seiner Übersetzung und in seinem Integrationsvermögen solch unterschiedlicher populärphilosophischer Texte. Wobei sich freilich bei seiner Schiller-Rezeption analog zu Schiller ein Schwanken zwischen der Betonung des Vernunftbegriffes und den sporadisch und nur im Zusammenhang mit Schiller auftauchenden Hinweisen auf die Kalokagathie bemerkbar macht. Beth¦n hat dagegen kein positives Verhältnis zum Empirismus, der sich für ihn auf einen zu bekämpfenden Materialismus und Sensualismus reduziert, welche er wiederum von La Mettrie und Helvetius verkörpert sieht. Inwiefern 905 W. Riedel, Die Anthropologie des jungen Schiller, 1985; Ders. Schiller und die popularphilosophische Tradition, in: Schiller-Handbuch, 1998, S. 155 – 165. Siehe auch Hansers Sozialgeschichte der deutschen Literatur, III, 1980, S. 605 ff. 906 Siehe Företal, 1803 (Vorrede, nicht paginiert, letzte Seite) sowie Företal, 1806, S. XII. 907 J. W. Reche, Vermischte Papiere, 1780.

396

Der Spätaufklärer Arved Bethén

Beth¦ns Weltbild anthropologisch ausgerichtet ist, wird in der Folge zu zeigen sein.

4.

Die »betrügerische« und die »bessere« Aufklärung

Ganz im Sinne des selbstbewussten Aufklärungsstandpunktes Schillers in der Antrittsrede und im Gegensatz zu einer von Rousseau initiierten Aufwertung des Naturzustandes weist Beth¦n im Företal (1806) auf den »Vollkommenheitsgrad« hin, den die »Gesellschaftsordnung jetzt« erreicht habe.908 Verdruss empfindet er angesichts derjenigen, die da behaupten, dass »alles sich stets verschlechtert«, dass »die Aufklärung mehr geschadet als geholfen habe« und dass »unsere Vorfahren zwar weniger aufgeklärt, aber umso glücklicher waren«. Dass die Kultur notwendig für den Menschen ist, dass seine Kräfte und Vermögen entwickelt, geübt und geschickt gemacht werden müssen zu jeder Unternehmung, das versteht jeder, der begreift, dass der Mensch durch Freiheit und Vernunft seine Handlungen selbst determinieren muss, und nicht wie das Tier vom Instinkt oder einem angeborenen Trieb zu seiner Bestimmung geführt wird. Durch die Kultur ist es demgemäß nicht immer schlimmer geworden mit unserem Menschengeschlecht. Im Gegenteil bezeugt die Geschichte, dass unsere Bürgerliche Gesellschaft hinsichtlich der Veredlung und Vervollkommnung der menschlichen Glückseligkeit bisher immer in Zunahme begriffen war, und dass diese Glückseligkeit, die sich von der Aufklärung und der Kultur ableitet, sich mit deren Vervollkommnung vermehrt hat.909

Hinsichtlich der politischen Zustände ist er wie Friedrich Nicolai bereit, seinen Glauben an die Aufklärung mit den spätabsolutistischen und reaktionären politischen Zuständen in Schweden zu vereinen:910 Er lobt die Regierenden, das Beamtentum und die gut funktionierende Administration, das Pflichtbewusstsein und die Treue der Frauen.911 Lediglich die Jugend bereitet ihm Sorgen und ist ihm Anlass zu pädagogischen Ratschlägen und Warnungen. Es zeigen sich in 908 Siehe hier und im Folgenden A. Beth¦n, Företal, S. VI, in: Översättningar utur Hof-R”det Fr. von Schillers Smärre Prosaiska Skrifter, 1806. 909 A. Beth¦n, Översättningar utur Hof-R”det Schillers Smärre prosaiska skrifter. Företal, 1806, S. VI: »Att Kulturen är nödvändig för menniskan, att hennes krafter och förmögenheter böra utvecklas, öfvas och göras skicklige till hvarjehanda företag, det finner enhvar, som begriper att menniskan skall genom frihet och förnuft sjelf determinera sina handlingar, och ledes icke, s”som djuren, af instinkt eller en medfödd drift till sin varelses ändam”l. Genom Kulturen har det s”ledes ej blifvit ju längre ju värre med v”rt Slägte. Tvertom intygar Historien, att v”ra Borgerliga Samhällen allthittils varit i beständigt tilltagande, uti allt som kunnat förädla och fullkomna menskliga Sällheten, och att denna Sällhet, som uprunnit fr”n Uplysningen och Kulturen, har förökat sig med dessas fullkomnande.« 910 Siehe S. Habersaat, Verteidigung der Aufklärung, I, 2001, S. 20. 911 A. Beth¦n, Översättningar utur Hof-R”det Fr. von Schillers Smärre Prosaiska Skrifter. Företal, 1806, S. VIII.

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dieser behäbigen Zufriedenheit mit dem Erreichten und den rechthaberischen Verwarnungen der Jugend ohne Zweifel gewisse autoritäre Züge der Aufklärung. BethÀn versteht sein aufklärerisches Geschäft eher in weltanschaulicher Hinsicht als in politischer : Der aufklärerische Prozess ist ihm nicht einer der politischen Veränderung, sondern der moralischen Vervollkommnung der Menschen. Nicht »Freiheit« und »Gleichheit« sind seine bevorzugten Schlagworte, sondern »Glückseligkeit« und die »Bestimmung« des Menschen. An keiner Stelle seiner überschaubaren literarischen Produktion lässt Beth¦n etwa durchscheinen, dass er die Diskrepanz zwischen dem Fortschritt der intellektuellen und literarischen Entwicklung und dem stagnierenden gesellschaftlich-politischen Leben empfindet. Das deutliche Empfinden dieser Diskrepanz kann in eine Enttäuschung und in politischen Radikalismus umschlagen, wie es bei Ekmanson der Fall war. Der nur vier Jahre ältere Beth¦n muss dagegen als außerordentlich gemäßigter und kompromissbereiter Aufklärer bezeichnet werden, nicht nur zeitgleich mit Friedrich Nicolai, dem Haupt der protestantischen Aufklärung in Berlin, welcher aus seiner Abneigung gegen den österreichisch-süddeutschen Katholizismus keinen Hehl machte, sondern mit diesem eine ganze Reihe von Grundsätzen teilend.912 Eine gemeinsame Grundlage seiner Kompromissbereitschaft mit den politisch-gesellschaftlichen Zuständen war vermutlich wie bei vielen deutschen Intellektuellen die Überzeugung, dass sich die geforderten Freiheitsrechte und die angemeldeten Partizipationswünsche im »System des deutschen Reformabsolutismus auf friedlichem Wege, langsam zwar, doch in beharrlicher evolutionärer Umgestaltung erreichen ließen.«913 Bei allen Unterschieden vereint Beth¦n und Ekmanson aber ihre offensichtliche Nähe zum politischen Spätpietismus, welcher »die säkularisierte bürgerliche Utopie, die Menschen könnten sich in der Totalität der Geschichte autonom verwirklichen«, mit der Vorstellung konfrontierte, dass »im Erdulden und innerlichen Bejahen von Befehlsordnungen und unterschiedlichen Erwerbschancen eine Bewährungsprobe des Christen zu sehen ist«, woraus die Forderung erwuchs, dass jedermann mit seiner Einordnung in das gesellschaftliche »oben« und »unten« zufrieden sei.914 Die Zufriedenheit mit dem Erreichten kann jedoch schnell in eine Klage über den herrschenden Zeitgeist umschlagen: Man sollte meinen, dass diese Abhandlung in einer zu unbequemen Zeit herausgekommen ist, um die Aufmerksamkeit auf die Tiere zu lenken, da es seit so vielen Jahren zur Gewohnheit wurde, die barbarische Verheerung unserer eigenen Art zu sehen und 912 Siehe Geschichte der deutschen Literatur, I/1, S. 352 ff. 913 H.-U. Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte 1700 – 1815, 1987, S. 329. 914 Geschichte der deutschen Literatur, I/1, S. 424. Ekmansons Affinität zu Lavater wurde bereits oben (Kapitel IV) erwähnt, aber auch Beth¦n ist in spätpietistischer Manier auf Innerlichkeit fixiert.

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hören, jedermann gefühllos gegenüber dem Leid der Mitmenschen; aber da ich überzeugt bin, dass alle guten und verständigen Mitbürger einen Vorteil aus der Nachricht über die unglückliche Lage anderer ziehen, dass sie nicht nur gelernt haben vor jeder Art Ungerechtigkeit zu erschrecken, wodurch die Menschen ihre eigenen Mörder geworden sind und die Erde ein Räubernest; sondern auch Überzeugung gefestigt, dass persönliche und bürgerliche Sicherheit nie bei einem Volk beibehalten werden kann, wo der größte Teil keine Kenntnisse hat und gleichgültig ist hinsichtlich seiner Bestimmung als Mensch, und seine Pflichten als Staatsbürger weder kennen noch berücksichtigen will; – wo die Religion, durch die Versäumnisse und den Eigennutz des Lehrstandes vom Atheismus jeder Art von Aberglaube verdrängt wird; – wo die Schriftsteller sich in jeder Hinsicht bemühen, die Gründe für jegliche Wahrheit, Tugend und Religion zu untergraben. – wo die Beamten des Staates das allgemeine Vertrauen, das in sie gesetzt wurde, zum eigenen Vorteil nutzen; – wo die Frauen nicht mehr als tugendhafte Mütter, Ehefrauen und Freunde, ihre beträchtliche Macht nutzen, die Sitten zu mildern und die Sorgen und Beschwerden des Alltags zu versüßen; – wo endlich die Jugend nicht, durch richtige Begriffe und den Wert der Dinge, die die Glückseligkeit des Lebens ausmachen, ihr Vaterland zu lieben gelehrt wird, Selbstdenker zu werden und nach wertvollen Grundsätzen zu handeln […].915

In diesem kurzen Abschnitt aus dem frühesten von Beth¦n publizierten Text werden bereits alle Themen angeschnitten, die künftig leitmotivisch wiederkehren werden. Die Klage über eine fehlgegangene Aufklärung, die in Barbarei und Gefühllosigkeit mündet, der Mangel an rechter Bildung und rechten Begriffen, das durch die Formel »Bestimmung des Menschen« angeschlagene anthropologische Weltbild sowie die Notwendigkeit des Selber-Denkens. Das »Pendeln zwischen Optimismus und Pessimismus«, die Zufriedenheit darüber, wie weit der Fortschritt und die Aufklärung gediehen und die Klage, dass es 915 A. Beth¦n, Företal, XI ff, in: Lauritz Smith, Mennsikans Pligter Emot Djuren, 1793, übersetzt von A. Beth¦n: »Det skulle tyckas som denna Afhandling utkommit i en ganska obeqväm tid, för att väcka uppmärksamhet p” Djuren, sedan vanan at, i s” m”nga ”r, se och höra v”rt eget slägtes Barbariska förödande, kunnat göra n”got hvar känslolös vid Medmenniskors lidande; men d” jag är öfvertygad, at alla gode och först”ndige Medborgare dragit den fördel af underrättelsen om andras olyckeliga belägenhet, at de icke allenast lärt förskräckas för allt slaga oförrättande, hvarigenom Menniskor blifva hvarandras mördare och jorden et röfvare-näste; utan ock hos sig stadgat den öfvertygelsen, at Personlig och Medborgerlig säkerhet alldrig kan bibeh”llas hos et folk, der största delen är okunnig och obekymrad om sitt ändam”l s”som Menniskor, och hvarken vill känna eller iagttaga sina pligter s”som Stats-borgare; – der Religionen, genom Läro-st”ndets försummelse oskickelighet och egennytta, uttränges af Atheism och hvarjehanda vidskeppelser ; – Der legde Författare bemöda sig at p” hvarjehanda sätt undergräfva grunderna för all slags Sanning, Dygd och Religion; – Der Statens Embetsmän, hvar i sin väg använda till egen fördel det Allmenna Förtroende dem blifvit updragit; – Der Qvinnorna ej mer s”som Dygdige Mödrar, Makar och Vänner, nyttja sitt betydeliga välde, at mildra sederna och förljufva hvardags-lifvets omsorger och besvär ; – Der ändteligen ungdomen ej, genom rigtiga begrepp om de ungas värde, som utgöra lifvets sällhet, läres at älska sitt Fädernesland, blifva Sjelftänkare och handla efter värdiga grundsatser […]«

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allerorten an Aufklärung gebreche, entsteht, so Kondylis, der den Mechanismus dieses psychologischen Vorgangs erläutert, wenn die »Vertretung des Vernunftprinzips in ein Spannungsverhältnis zu den Mächten der Finsternis gerät«. Überzeugend legt Kondylis den paradoxen Sachverhalt dar, dass der popularisierende Aufklärer nur die Kehrseite eines elitären Bewusstseins sei.916 Beide Momente sind beim »militanten Aufklärer« untrennbar miteinander verbunden. Im Anblick der unaufgeklärten Massen muss der als Solitär still durch die schmutzigen Straßen Stockholms Wandernde seinen Pessimismus angesichts der Unaufklärbarkeit seines Zeitalters mit dem Bewusstsein seiner Zugehörigkeit zu einer eingeweihten Minorität kompensieren. Beth¦n, an dem dieses Pendeln beobachtet werden kann, ist ein solch »militanter« Aufklärer, der jedoch nicht nur im Konflikt mit der unaufgeklärten Masse, sondern auch mit denjenigen, die einen andersartigen Aufklärungsanspruch vertreten, steht. Beth¦n war nicht der erste in Schweden, der die Unterscheidung zwischen einer falschen und richtigen Aufklärung vornahm, vielmehr wurde diese Unterscheidung schon von den Rabulisten und im Umkreis der Junta vorgenommen, wie oben gezeigt. Bekannt geworden ist die Unterscheidung in Schweden jedoch vor allem durch Geijers Schrift Über falsche und richtige Aufklärung (1811).917 Die Schrift Geijers wurde in der Literaturgeschichte stets als Indiz seiner Zugehörigkeit zur Romantik betrachtet, da man sich anscheinend eine Kritik des platt rationalen Standpunktes nur von einem romantischen Fundament aus vorstellen mochte.918 Tatsächlich ist die Unterscheidung einer richtigen 916 P. Kondylis, Die Aufklärung im Rahmen des neuzeitlichen Rationalismus, 2002, S. 484 f.; G. Böhme, Das andere der Vernunft, 1998, S. 116, S. 136, S. 245. 917 Höijer ist vermutlich der einzige, der diese Unterscheidung vor Beth¦n in seinem ebenfalls von Schiller beeinflussten Aufsatz Über eine pragmatische Darstellungsweisen der Geschichte (1795) vorgenommen hat. – Siehe auch Geschichte der deutschen Literatur, I/1, S. 424. 918 Siehe z. B. ISLH, V, 1926 – 1932, S. 451. Eine genaue Analyse von Geijers Text würde zeigen, dass er sich geradezu von der Romantik distanzierte und in der Schuld von Schiller steht, wenn er die einseitige Verstandeskultur der Aufklärung als falsch ansieht, nach einer Ergänzung durch Gefühl und Einbildungskraft verlangt und wenn er das Resultat einer solch falschen Aufklärung in moralischen Erkrankungen sowie Schwärmerei und Fanatismus sieht (G. E. Geijer, Samalde skrifter, 1928 – 30, I, S. 212). Es ist übrigens genau die Gegenwartsanalyse der Ästhetischen Erziehung, welche auch Beth¦n aufgenommen und variiert hat. Ein Versuch, Geijer aus der literaturgeschichtlichen Verklammerung mit der Romantik zu lösen, wurde von A. Lundahl (Erik Gustav Geijer, 1999 S. 302) unternommen, allerdings hauptsächlich für die späteren Schriften. Wohin eine gänzliche »Romantisierung« Geijers führt, zeigt Lars Lönnroths Darstellung desselben in Den svenska litteraturen, II, wo der Philosoph und Historiker unter dem Titel Brages harpa als Teil einer götizistischen Renaissance betrachtet wird, zu welcher er gelegentlich mit einigen Gedichten beigetragen hat. Das Aufarbeiten von Geijers »philosophischen« Schriften im weitesten Sinne und deren Kontextualisierung mit dem deutschen Idealismus würde ein weitaus originelleres und dem deutschen Idealismus kongeniales Geijer-Bild zutage fördern.

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von einer falschen Aufklärung integraler Bestandteil der Aufklärung selbst, die den Spaltpilz von Anfang an in sich trug.919 Die zahlreichen Definitionsversuche der Aufklärung in den 1790er Jahren dokumentieren, dass die Epoche in ihrer Spätphase keinen Konsens mehr erzielen konnte. Aufklärung wird ihrer Tradition zufolge einerseits als Verbreitung des reinen Erkenntnisvermögens der Vernunft zum ›richtigen‹ oder ›hellen‹ Denken, zum anderen als Beförderung des kritischen ›Selbstdenkens‹, zum dritten als Aufklärung des ›Herzens‹ definiert und in ihrem Endzweck, der Glückseligkeit, auf die gesamte historische Realität entsprechend unterschiedlich bezogen. Weiter unterscheidet man zwischen unbegrenzter Aufklärung für den ›Menschen‹ im allgemeinen und begrenzter Aufklärung für den Staats-Bürger im Besonderen. Diese zeichnet sich dadurch aus, dass sie sich mehr oder minder utilitaristisch auf den nachweisbaren Nutzen, das moralisch brauchbare und berufsnotwendige Wissen beschränkt.920

Im Zuge einer solchen Dispersion der Meinungen ist die Aufklärung nicht mehr im Sinne Frängsmyrs als homogener Block einer sich gegen religiöse Intoleranz und absolutistische Unterdrückung erhebenden Avantgarde zu definieren. Die Aufklärung ist gewissermaßen da, alle sind in einem vagen Sinne aufgeklärt, das Problem, das sich nunmehr stellt ist vielmehr, inwiefern man richtig oder falsch aufgeklärt ist. Im Zuge einer solchen inneren Spaltung der Aufklärung entsteht parallel auch die Teilung in eine ›wahre‹ und ›falsche‹ Empfindsamkeit, »deren wesentliches Thema die Kritik an der ›empfindelnden‹, zur Schwärmerei aufreizenden Massenlektüre« ist.921 Insbesondere der auf die Innerlichkeit drängende Pietismus versucht die politisch säkularen Forderungen der Aufklärung dadurch zu neutralisieren, dass er zwischen einer »wahren« (bewahrenden) und einer »falschen« (umstürzlerischen) Aufklärung unterscheidet.922 Es wird zu zeigen sein, dass Beth¦n selbst zwischen solchen Aufklärungs-Optionen pendelt. Die Unterscheidung zwischen einer »betrügerischen Aufklärung« (bedragliga uplysning) und einer »besseren Aufklärung« (bettre uplysning) verwendet Beth¦n zum ersten Mal 1806 im Företal seiner Schiller-Übersetzungen Smärre 919 Dies ist eine der grundlegenden Thesen von P. Kondylis (Die Aufklärung im Rahmen des neuzeitlichen Rationalismus) hinsichtlich der Aufklärung. 920 Hansers Sozialgeschichte der Deutschen Literatur, III, 1980, S. 62. 921 Ebd., S. 63. Siehe auch ebd. II, S. 25, wo eine rationalistische von einer sensualistischen Periode der Aufklärung unterschieden wird. BethÀn ist teils der ersten, teils der zweiten zuzuordnen. 922 Siehe Geschichte der deutschen Literatur, I/1, S. 424. Eine Beschreibung der unterschiedlichen Aufklärungskonzepte findet sich z. B. bei Friedrich Karl von Moser (1723 – 1798): »Das Geschäft von jener [der wahren Aufklärung] ist Licht, Wahrheit, Wachstum und Ausbreitung von beiden, Harmonie, Ordnung, Ruhe und Friede in und über das ganze Menschengeschlecht. Das Geschäft von dieser [der falschen Aufklärung] ist Verblendung statt Erleuchtung, Betörung statt Belehrung, Zerstörung und Zwitracht statt Eintracht, Frechheit statt Freiheit, schadenfrohe Verwirrung der Köpfe und Verführung der menschlichen Herzen« (Neues Patriotisches Archiv für Deutschland, I, 1792).

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prosaiska skrifter (S. 12 – 14).923 Beth¦n hebt erneut warnend den Zeigefinger vor einer falschen Mystik (oäkta Mystik), die zwar als Aufklärung auftrete, die er jedoch keineswegs unter den Begriff der Kultur und Aufklärung fassen möchte: Aber wenn man mit Aufklärung auch solche Religionslehren meint, die die Verbesserung des Herzens und die Vervollkommnung der menschlichen Moral entbehrlich machen; – oder die unechte Mystik, die die Träume der Phantasie als wirkliche Erscheinungen ausgibt, – für Eingebungen höherer Wesen; wodurch manch geistreicher Mann in einen Tollhäusler verwandelt wurde: – oder die Philosophie, die uns einerseits lehrt an allen Wahrheiten zu zweifeln, die der menschliche Verstand nicht begreifen kann, andererseits schlechterdings behauptet, dass die Welt ohne moralischen Schöpfer sei, die Schöpfung ohne Plan, der Mensch ohne Freiheit, ihr Leben ohne Pflichten und sein Dasein ohne Zweck; u.s.w. dann kann niemand bestreiten, dass diese Aufklärung unserer Gesellschaft unendlich geschadet habe […]924

Das Zitat spielt auf den oben beschriebenen Pluralismus der Aufklärungen an, wobei Beth¦ns Aufklärungs-Position die des »Herzens« ist bei gleichzeitiger Kritik des Schwärmertums.925 Diesen falschen Lehren hätten sich zahlreiche große Männer und Gelehrte entgegengestellt, die nicht zuließen, dass sich Atheismus und »Superstition«926 oder entsprechende Erscheinungen ausbreiteten. Dieselben hätten auch erkannt, dass sich alles Gute, das in der Welt geschehe, von der Erziehung herleite. Beth¦n sieht die Aufklärung in Analogie zu Schiller in zweierlei Hinsicht bedroht: vom Materialismus einerseits und vom Schwärmertum andererseits. In Om menniskans bestämmelse werden moralischer Indifferentismus, Frivolität, menschenfeindlicher Eigennutz und die Genüsse der Zeit gegeißelt. Gewisse philosophische Systeme – Helvetius und Holbach werden genannt – hätten durch eine »falsche Aufklärung« der Menschheit großen Schaden zugefügt. Solche atheistischen »Epicur¦er« 923 A. Beth¦n, Företal, S. XII ff, in: Översättningar utur Hof-R”det Schillers Smärre prosaiska skrifter, 1806. 924 Ebd., S. XI: »Men om med uplysning äfven menas s”dana Religions-läror, som göra hjertats förbettring och menniskans moraliska fullkomnande umbärliga; – eller den Oäkta Mystiken, som utgifver fantasiens drömar för verkeliga syner, – för ingifvelser af Högre Väsenden; hvarigenom m”ngen snillerik man, blifvit förvandlad till d”rhusjon: – eller den Filosofi, som dels lärer oss tvifla om alla de sanningar, som det inskränkta menniskoförst”ndet ej kan begripa, dels rent af p”st”r, att verlden är utan Moralisk Uphofsman, Skapelsen utan plan, menniskan utan frihet, hennes lefnad utan pligter och hennes varelse utan ändam”l; m. m. Det kan ingen neka, att denna Upplysning oändeligen skadat v”ra Samhällen […].« 925 Die Gleichzeitigkeit ist zu betonen, denn sie zeigt, wie dünn die Trennwände zwischen den unterschiedlichen und eigentlich schon konträren Diskursen bei Beth¦n sind, der sich als Schlachtfeld divergierender Aufklärungsdiskurse erweist. 926 Ein in Schweden ungewöhnliches, mit großer Wahrscheinlichkeit direkt von Schiller (Ästhetische Erziehung, 5. Brief) übernommenes Wort. Beth¦n scheint generell den fünften Brief der Ästhetische Erziehung und die Zeitdiagnose Schillers genau gelesen zu haben.

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schmeichelten den menschlichen Leidenschaften und hätten deshalb zahlreiche Anhänger gefunden. Mit dem Verlust des Glaubens und der Sittlichkeit – schreibt Beth¦n in De fullkomligares religion – beruhe alles auf Willkür und Glück, alles sei »in Unordnung und in Dunkelheit, alles treibe das Verderben des Einzelnen und die Auflösung der Gesellschaftsordnung voran«.927 Beth¦n treibt die Angst vor dem Nihilismus um, der sich mit der Aufwertung der Sinnlichkeit, des Körpers und des Materiellen im Laufe der Aufklärung unweigerlich einstellte.928 Es ist Ausdruck einer »bürgerlichen Sorge«, die schon Voltaire und Diderot dazu bewogen, Materialisten wie La Mettrie und Helv¦tius aufs Schärfste zu kritisieren.929 Der Nihilismus droht jedoch nicht nur von Seiten des Materialismus, sondern auch von dem diesem scheinbar diametral entgegengesetzten Irrationalismus. Ohne Zweifel hat Beth¦n in seinem fanatischen Hass gegen Materialismus einerseits und Irrationalismus andererseits bei Kant Nahrung gefunden. Für die gesamte Konstruktion einer richtigen und falschen Aufklärung sowie einer Bedrohung der richtigen Aufklärung von zwei sich scheinbar ausschließenden Weltanschauungen steht Schiller Pate, ebenso wie für die gesamte Zeitdiagnose und die Angst vor der »Auflösung der Gesellschaftsordnung«, die sich wortwörtlich im 5. Brief von Schillers Ästhetische Erziehung findet, in welchem Schiller ebenfalls von einem aufgelösten »Band der bürgerlichen Ordnung« handelt, das sich als Folge der »Verwilderung« einerseits, der »Erschlaffung« andererseits im »jetzigen Zeitalter« zu einem »Drama« vereine (NA, XX, 319). Angesichts der dort dargelegten Zeitdiagnose nimmt Schiller den Faden der zahlreichen Aufklärungs-Schriften, insbesondere Kant, im 8. Brief auf (NA, XX, 330): Soll sich also die Philosophie, mutlos und ohne Hoffnung, aus diesem Gebiete zurückziehen? […] Die Vernunft hat geleistet, was sie leisten kann, wenn sie das Gesetz findet und aufstellt; vollstrecken muss es der mutige Wille und das lebendige Gefühl. […] Hat sie bis jetzt ihre siegende Kraft noch so wenig bewiesen, so liegt dies nicht an dem Verstande, der sich nicht zu entschleiern wusste, sondern an dem Herzen, das sich ihr verschloss, und an dem Triebe, der nicht für sie handelte. Denn woher diese noch so allgemeine Herrschaft der Vorurteile und diese Verfinsterung der Köpfe bei allem Licht, das Philosophie und Erfahrung aufsteckten? Das Zeitalter ist aufgeklärt, das heisst die Kenntnisse sind gefunden und öffentlich preisgegeben, […] Es muss also, weil es nicht in den Dingen liegt, in den Gemütern der Menschen etwas vorhanden sein, was der Aufnahme der Wahrheit, auch wenn sie noch so hell leuchtete, […] im Wege

927 W. A. Teller, De fullkomligares religion, übersetzt von A. Beth¦n, 1814. 928 Siehe P. Kondylis, Die Aufklärung im Rahmen des neuzeitlichen Rationalismus, 2002, S. 42 ff, S. 490 ff. Zu Nicolai und zum Schwärmerstreit siehe auch H. J. Schings, Melancholie und Aufklärung, 1977, S. 144, S. 27. 929 P. Kondylis, Aufklärung im Rahmen des neuzeitlichen Rationalismus, 2002, S. 28.

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steht. Ein alter Weiser hat es empfunden, und es liegt in dem vielbedeutenden Ausdrucke versteckt: sapere aude.

In seiner Auffassung der Aufklärung insgesamt scheint Beth¦n derjenigen Schillers näher zu stehen als derjenigen Kants, welcher letzterer es als Problem betrachtete, das Zeitalter aufzuklären, während Schiller umgekehrt das Zeitalter bereits als aufgeklärt betrachtete und die Schwierigkeit darin sah, dieselbe auf die richtige Weise in die Köpfe zu bekommen. Wenn also die Konzeption einer zweifachen »Entartung« der Aufklärung der Schiller’schen Zeitdiagnose entnommen ist, so muss gleichzeitig konstatiert werden, dass Beth¦n ein Moment der Schiller’schen Konzeption, nämlich die immanente Kritik der Pflichtethik Kants und deren Überbietung durch eine Konzeption der »Anmut«, der »schönen Seele« vermutlich nicht wirklich verstanden hat oder verstehen wollte, auch wenn er diese Begriffe verwendet hat. Sein Schwanken zwischen einer Kant’schen und einer Schiller’schen Position zeigt sich auch in der Betonung der Notwendigkeit einer »Verbesserung des Herzens«, ohne Zweifel ein Einfluss seiner Schiller-Lektüre, die im Gegensatz zu einer Kant’schen Position steht.

5.

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Insbesondere in Kleinere prosaische Schriften (1806) verweilt Beth¦n nachdrücklich bei der Person und dem Charakter des deutschen Dichters; es handelt sich um die erste Darstellung Schillers seit der von Höijer in Litteratur-tidning 1795. Möglicherweise hat Beth¦n die Schrift, deren Vorwort am 12. Februar 1806 beendet wurde, also ein halbes Jahr nach Schillers Tod, als pro memoria an das »große Genie«, das bereits »erloschen« ist, verstanden. Die beiden ersten Verse aus Schillers Votivtafel Die Verschiedne Bestimmung dienten als Motto: »Millionen beschäftigen sich, dass die Gattung bestehe; / Aber durch wenige nur pflanzet die Menschheit sich fort.« Schiller habe sich in seiner kurzen Lebenszeit einen »unumstrittenen Platz im Tempel der Ehre« erworben und sein Werk würde als »Testament an die Menschheit von Generation zu Generation« weitergereicht werden.930 Er sei trotz Wieland, Klopstock, Voss und Goethe von vielen als »Deutschlands erster Dichter« angesehen worden, aber darüber hinaus sei er auch eines der »schönsten Genies« der Welt. Jedoch nur seine Zeitgenossen könnten wissen, dass er auch ein »liebenswerter Mensch« war, dessen Wesen von einer »edlen Einfalt« (ädelt enfald) war : »Dass bei ihm Neigung und Pflicht, Kopf und Herz in 930 Siehe hier und im Folgenden A. Beth¦n, Företal, S. XXIV ff; in: Översättningar utur HofR”det Schillers smärre prosaiska skrifter, 1806.

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Harmonie war, welche jedwedem schönen Charakter ansteht und die Krone auf eines gelehrten Mannes Kopf setzt.«931 Beth¦n nimmt hier offensichtlich das von Schiller propagierte Ideal der Anmut, d. h. die Harmonie von Sinnlichkeit und Vernunft, für den realen Schiller. Offensichtlich war Beth¦n Über naive und sentimentalische Dichtung nicht bekannt, wo Schiller unmissverständlich darlegt, dass er selbst dem sentimentalischen Dichtertypus angehört, während der einzig moderne naive Dichtertypus, dem dann auch das von Beth¦n gewählte Epitheton »edle Einfalt« entsprechen würde, Goethe ist. Beth¦ns Schiller-Bild unterscheidet sich beträchtlich von dem von Höijer elf Jahre zuvor in Litteratur-tidning gezeichneten. Es ist ihm insgesamt weniger darum zu tun, Schillers Genialität als Dichter oder als Wissenschaftler hervorzuheben als seine Eigenschaften als Mensch. Der folgende negative Eigenschaftskatalog, den Beth¦n im Kontrast zu Schiller aufstellt, zeigt deutlich, dass nicht kraftgeniales Übermenschentum, sondern das Humane und Soziale im Blickpunkt seiner Bewunderung für den deutschen Dichter stehen. Schiller habe nie Genie und Einsicht zum Schaden anderer verwendet; er begnügte sich nicht damit, zu »schreiben«, wo er zum Wohle anderer »bewerkstelligen« konnte; er verwarf die Maximen derer, die »die Mühe der Ehe flohen, jedoch die Vergnügungen derselben mit anderen teilen«, und missbilligte, eine falsche Meinung durch sein eigenes Beispiel zu unterstützen, um der Schwäche der Zeitgenossen zu schmeicheln, anstatt sie zu berichtigen; er verabscheute schließlich die leichtsinnigen Genies, die, um den Beifall der Toren und die Bewunderung des Haufens zu gewinnen, die Religion, die guten Sitten und die gesetzliche Regierung lächerlich machten. Schiller sei Vorbild nicht nur als »Genie und Gelehrter, sondern ebenso sehr als Ehemann, Vater, Staatsbürger und insbesondere, als Mensch«. Es ist dies eine die Person Schillers idealisierende Sichtweise, welche im 19. Jahrhundert dominieren sollte und nur wenige Jahre später durch das berühmte Buch De l’Allemagne von Madame de StaÚl, welche in Schiller die lebendige Verkörperung einer Einheit von Kunst und Moral, von Genie und Gewissen sah, am prominentesten dargestellt wurde: Nie hatte er mit schlechten Gefühlen irgendetwas gemein. Er lebte, sprach und handelte, als ob es keine bösen Menschen gäbe […] Schiller war der beste Freund, Vater und Gatte; keine liebenswürdige Eigenschaft mangelte diesem sanften, ruhigen Charakter, den nur das Talent entflammte. Liebe zur Freiheit, Ehrfurcht vor den Frauen, Enthusiasmus für die schönen Künste und Anbetung der Gottheit belebten sein Genie.«932

931 Ebd., S. XX Vf: »Att hos Honom böjelse och pligt, hufvud och hjerta, voro bragta till den Harmoni, som tillhör hvarje Skön Karakter och sätter kronan p” en Lärd Mans förtjenster.« 932 G. de StaÚl-Holstein, Über Deutschland, 1985, S. 169.

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In beiden Vorreden Beth¦ns zeichnet sich jedoch noch ein anderes Bild Schillers ab, das ein interessantes Licht auf seine Schiller-Rezeption wirft, wenn er als »Weiser« bezeichnet wird. Die zunächst von Christian Wolff propagierte Bezeichnung des »Weltweisen« erwächst aus dessen Einsicht, dass politisch-gesellschaftliches Handeln einer Verankerung in einem umfassenden Denken bedarf: der Regent soll zugleich ein Weltweiser sein, da die moralische Einsicht in »gut« und »schlecht« in der grundlegenderen Unterscheidung von »wahr« und »falsch« zu verankern ist.933 Die Bezeichnung »Weltweiser« impliziert also in dieser frühen Erscheinungsform bereits eine pragmatische Wende, wenngleich die Theorie als primär noch der Praxis als sekundär gegenübergestellt wird. Eine endgültige Abkehr vom philosophischen Elfenbeinturm vollzieht sich in der Folge durch die Verklammerung von Weltweisheit und Anthropologie, was z. B. in Titeln wie Anthropologie für Ärzte und Weltweise (1772) von Ernst Platner (1744 – 1818) anklingt. Platner propagierte emphatisch für den ganzen Menschen in seiner leib-seelischen Einheit, womit er insbesondere Schiller das entscheidende Stichwort gegeben hat. In diesem Sinne sei es die Aufgabe des Weisen, so Beth¦n, die anderen aufzuklären, um sie »zufrieden zu machen mit ihrem Zustand und deren Mut zu stärken, die Bürde des Lebens zu tragen«: Und in dieser Hinsicht hat Schiller sich meiner Ansicht nach sehr verdient gemacht durch diese philosophische Abhandlung, die so tiefsinnige Untersuchungen enthält über die Menschennatur, so wichtige Entdeckungen hinsichtlich des Despotismus der Naturkräfte und der Anarchie der moralischen Welt – diese uns in Verlegenheit versetzende und die menschliche Erklärungskunst weit übersteigenden Rätsel – die so weise Ratschläge gibt, um unseren Zustand zu verbessern, und eine starke Ermunterung, diesen zu folgen.934

Beth¦ns Verwendung der Bezeichnung »Weiser« muss also im Rahmen der anthropologischen Tradition der Aufklärung in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts verstanden werden: Der Weise verhilft den anderen dazu, die »Mittel« zu finden, die »teils in unsere eigene Natur« gelegt sind, »teils von einer uns umgebenden Natur« dargeboten werden. Er klärt die anderen über die »Menschen-Natur« auf, um diese durch die gewonnene Einsicht in ihre eigene Natur zufrieden zu machen und mit ihrem Zustand zu versöhnen: Der Weise ist zunächst »Anthropologe«. 933 Siehe J. Bronisch, Der Mäzen der Aufklärung, 2010. 934 A. Beth¦n, Företal, in: F. Schiller, Afhandlingar om Universal-Historian, Studium och Ändam”l och Känslan af det Höga, 1803: »Och i detta afseende har Schiller, efter min tanke, gjort sig mycket förtjent genom denna Philisophiska Afhandling, som inneh”ller s” djupsinnig undersökning om mennisko-naturen, s” vigtiga upptäckter, i anledning af Naturkrafternas Despotism och den Moraliska Verldens Anarki, – dessa s” brydsama och menniskans förklarings-konst vida öfverstigande g”tor – som uppger s” visa r”d, att förbättra v”rt tillst”nd, och den kraftigaste upmuntran att följa dem«.

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6.

Der Spätaufklärer Arved Bethén

Die Bestimmung des Menschen

Arved Beth¦ns Hauptinteresse galt der Anthropologie oder, wie er es bereits in seinem ersten Vorwort 1797 zu Mendelssohns Abhandlung über die Unsterblichkeit der Seele nannte, der Untersuchung der »Menschen-Natur«. Von einer solchen erwartete er die Einsicht in die »richtigen Begriffe« der menschlichen »Würde« und seiner »hohen Bestimmung«, welche er vor allem der Jugend seines Vaterlandes angelegen lassen sein wollte, da sie dieser Leichtsinn und Eitelkeit erspare, welche zu Handlungen verleiten, die den Gedanken an Gott und einer frohen Unsterblichkeit auslöschen.935 Die durchgängige Präsenz und Dominanz des hier angedeuteten anthropologischen Motivgeflechts in Beth¦ns Schriften lässt sich leicht anhand Om menniskans bestämmelse (1823) illustrieren. Die 16-seitige Schrift war als eine Einleitung in von ihm geplante Vorlesungen über eine Pragmatische Anthropologie und Sittenlehre gedacht, die durch die Mitteilung von »Begriffen über die höchsten Angelegenheiten des Lebens« der Beförderung der »Menschenkenntnis« und »Lebensweisheit« insbesondere bei »wohlgearteten« Jünglingen dienen sollte. Mit dem Titel Om menniskans bestämmelse greift Beth¦n eine Formel auf, die ideengeschichtlich ihren Ursprung in der Aufklärung hatte – sie wurde bereits 1748 von Johann J. Spalding (1714 – 1804) als Werktitel benutzt – und durch J. G. Fichtes Die Bestimmung des Menschen (1800) noch einmal idealistisch aufbereitet auch der nach-Kant’schen Generation zum geläufigen Begriff wurde.936 Beth¦n, der die Formel der »höheren Bestimmung« des Menschen jedoch schon 1799 in seiner Einleitung zu Menniskans pligter emot djuren verwendet hatte und der den nachkritischen Idealismus namentlich eines Schellings verabscheute, wurde nachhaltig von einer Weltanschauung geprägt, wie sie in Deutschland in den 1770er Jahren in unterschiedlichen Facetten zum Ausdruck kam. Es darf hier mit ziemlicher Sicherheit angenommen werden, dass Beth¦n Spaldings Bestseller der Aufklärungstheologie Betrachtung über die Bestimmung des Menschen (1748), der 1794 in der 13. Auflage erschien, gekannt hat. Auch Schiller hatte ja den ersten Paragraphen des ersten Kapitels seiner Dissertation Philosophie der Physiologie (1779), die Beth¦n freilich nicht bekannt sein konnte und die auch nicht vollständig erhalten ist, mit dem Titel Bestimmung des Menschen versehen; wohl vertraut war Beth¦n dagegen mit Schillers Antrittsrede, wo ebenfalls von der Bestimmung des Menschen gehandelt wurde. 935 M. Mendelssons korrta afhandling om själens odödlighet, Företal, 1798, übersetzt von Beth¦n. Auch Schiller betonte die Wichtigkeit »richtigerer Begriffe« in Wie kann eine gut stehende Schaubühne eigentlich wirken? (1785). 936 Zur Geschichte dieser Formel siehe C. Grawe, Bestimmung des Menschen, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, I, 1971 – 2005, Spalten 856 – 859; P. Pütz, Deutsche Aufklärung, 1977, S. 28; sowie H. J. Schings, Melancholie und Aufklärung, 1977, S. 147.

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Im Namen einer vernünftigen Religion erhob Spalding Einspruch gegen die Reduktion des Menschen auf physiologische Prozesse nach Art des L’homme machine und verteidigte die übersinnlich-geistige Natur des Menschen als dessen Bestimmung bei gleichzeitiger Abgrenzung von der Bibel-Apologetik und der pietistischen Mystik eines Oetinger. Spalding war ein Wortführer der Neologie, einer der Aufklärung zugewandten Gruppe protestantischer Theologen, zu denen auch Wilhelm Abraham Teller (1734 – 1804) zu rechnen ist, von dem Beth¦n Die Religion der Vollkommenen (De fullkomligares religion) übersetzt hatte. Der im popularphilosophischen Stil gehaltene Essay Spaldings war dank seines metaphysischen, von Leibniz herkommenden philosophischen Fundaments auch der säkularisierten Fraktion der Aufklärung zugänglich und konnte so zum Bestseller avancieren, ein Status, den zu halten ihm über ein halbes Jahrhundert gelang. Zur Publizität von Spaldings Essay trug ohne Zweifel auch Moses Mendelssohns Phaedon oder über die Unsterblichkeit der Seele (1767) bei, seinerseits ein Bestseller der Popularphilosophie, der explizit Bezug auf Die Bestimmung des Menschen nahm. Beth¦n hatte 1797 einen »Auszug des Phaidon« übersetzt, der sich unter Mendelssohns nachgelassenen Handschriften fand. Im Företal schreibt er : »Glücklich derjenige, der frühzeitig richtige Begriffe erhält über die Würde und die hohe Bestimmung seiner Natur […].«937 Es ist dies mit großer Wahrscheinlichkeit ein weiterer Kanal, der Beth¦n mit Schiller verbindet. Wolfgang Riedel hat die Frage nach dem Ursprung der Perfektibilitäts-Vorstellung der Theosophie des Julius gestellt und neben Jacob F. Abels Philosophische Sätze über das höchste Gut eben auf Mendelssohns Phaedon hingewiesen.938 Es handelt sich hierbei um den für Beth¦n prägenden weltanschaulichen Gedanken, unter dem er anscheinend Schiller rezipiert. In seinem Vorwort von 1803 verwendet er nicht weniger als fünfmal den Begriff »vollkommen«: es sei notwendig, sich auf das vollkommenste zu bilden (Han har äfven sökt att öfvertyga enhvar om nödvändigheten, att p” det fullkomligaste bilda sig […]); Verachtung verdiene derjenige, der es versäume, sich diese vollkommene Bildung zu geben (desto rättmätigare förakt förtjenar den, som likväl försummar att gifva sig denna fullkomligare bildning […]) etc. Auch die Veröffentlichung der zweiten Übersetzung 1799, Menniskans pligter, fügt sich nahtlos in das von Beth¦n anvisierte anthropologisch-moralische Aufklärungsprojekt ein. Dort war es Beth¦n bei aller Verehrung des »schönen Schauplatzes« Natur nicht in erster Linie darum zu tun, in ästhetische Kontemplation zu fallen, als um die Erforschung der »inneren Natur, der Lebens937 M. Mendelssons korrta afhandling om själens odödlighet, Företal, 1798, übersetzt von A. Beth¦n. 938 W. Riedel, Die Anthropologie des jungen Schiller, 1985, S. 158 – 161.

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weise« der Tiere und ihr Verhältnis zueinander, zum Menschen, zur Welt und zum Schöpfer, um »dadurch unsere Selbstkenntnis zu erweitern und unsere vernünftige Natur zu veredeln und zu befriedigen«. Beth¦n verfällt hier also, bei aller Anerkennung der »Vollkommenheit« der Tiere in ihrer Art und nach ihrer Bestimmung, keineswegs in eine Gleichmacherei von Tier und Mensch, die Johan Peter Süßmilch (1707 – 1767) als »Mode« und »Demüthigung« empfand.939 Vielmehr hält er an der auch und gerade durch die Kant’sche Vernunftkritik restituierten Exklusivität der menschlichen Vernunft fest. Dies ist vermutlich auch die Schneise, die ihm den Zugang zu Schiller erlaubt und sukzessive auch die Assimilation anderer Bausteine der Schiller’schen Anthropologie ermöglicht. Schiller habe – so Beth¦n 1803 hinsichtlich von Über das Erhabene – Licht in das Dunkel eines Organs geworfen, nämlich die Vernunft, welches der Mensch für die nicht-sinnliche Seite der Welt besäße. Der schädliche Gebrauch, den die unechte Mystik im Verlauf von Jahrhunderten von diesem Organ gemacht hat, hat einige neuere Philosophen, für welche nichts Gewissheit besitzt, das nicht errechnet und demonstriert werden kann, veranlasst, die Existenz und die Glaubwürdigkeit dieses Organs zu bezweifeln; aber da dieses sich so deutlich zu erkennen gibt im Enthusiasmus des Genies, im Urteil des Gewissens und in unserem reinen Wohlgefallen angesichts des Schönen und Hohen, so konnte diese Meinung nicht lange gelten. Es war Sache der Selbständigkeit unserer Zeit zu denken und zu urteilen, diesem Organ wieder seine ihm abgesprochene Dignität zu verleihen, als eine Quelle der Überzeugung, und dessen rechten Gebrauch zu bestimmen, das ist die Sinne und den Verstand zu ersetzen bei der Kenntnis der Wahrheit, aber nicht deren Platz zu vertreten oder einzunehmen.940

Es ist ganz offensichtlich, dass Beth¦n zwischen der in der Aufklärung sich vollziehenden Aufwertung des Sinnlichen, in deren Gefolge auch die »Grenzen zwischen Mensch und Tier fließend werden oder gar verwischten«,941 und einer Kant’schen Position, in welcher der Mensch qua Vernunft aus der Schöpfung herausgehoben wird, schwankt. Während Schillers Ästhetische Erziehung gerade die »Kluft« zwischen dem Sinnlichen und der Vernunft überbrücken sollte, um 939 Siehe H. W. Ingensiep, Der Mensch im Spiegel der Tier- und Pflanzenseele, in: Der ganze Mensch: Anthropologie und Literatur im 18. Jahrhundert, 1992, S. 65. 940 A. Beth¦n, Företal, in: F. Schiller, Afhandlingar om Universal-Historian, Studium och Ändam”l och Känslan af det Höga, 1803: »Det skadliga bruk den oäkta Mystiken, i flera Sekler, gjort af denna Organ, hade föranl”tit n”gra nyare Philosopher, för hvilka intet ägde visshet, som ej kunde uträknas och demonstreras, att förneka denna organ b”de trovärdighet och existans; men d” den s” tydligen ger sin verksamhet tillkänna i snillets enthusiasm, i samvetets omdöme och i v”rt rena välbehag för sköna och höga förem”l, s” kunde detta domslut ej länge gälla. Det tillhörde v”rt Tidehvarfs Sjelfständighet att tänka och döma, att ”terge denna organ dess förnekade värde, s”som en källa till öfvertygelse, och bestämma dess rätta bruk, som är att ersätta sinnenas och först”ndets verk vid sanningens kännedom, men icke att företräda eller intaga deras ställe.« 941 P. Kondylis, Die Aufklärung im Rahmen des neuzeitlichen Rationalismus, 2002, S. 477.

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sie durch eine auf den ganzen Menschen zielende Bildung wieder zu schließen, widerrief er in Über das Erhabene seine »idealistischen Aspirationen« und kehrte zu Kant zurück.942 Dass Beth¦n gerade diesen Text übersetzt hat, in welchem Schiller seine Vernunft-Position wieder aufnimmt, zeigt, dass sein Lob des »schönen Charakters« und der »harmonischen Bildung« lediglich Lippenbekenntnisse zu Schiller waren, aber keine feste Verankerung in seinem mentalen Horizont hatten.

7.

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Mit der Bestimmung des Menschen ist also die Insistenz auf den und die Bedeutung des Bildungsgedankens verbunden, der beim Eklektiker Beth¦n nicht kommensurable Züge aufweist. Kein Zeitalter – so Beth¦n in der Vorrede von 1803 – habe jemals über ein derartiges Wissen verfügt, sei es im Physischen, Politischen oder Moralischen. Die Gunst, über dieses nie zuvor gekannte Wissen zu verfügen, setze jedoch insbesondere die Jugend in die Pflicht, ihr Leben nicht in »Leichtsinn« und »sinnlicher Wollust« zu vertun, sondern sich ernsthaft zu einem »schönen Charakter« heranzubilden. Mit Bedauern bemerkt der Autor, dass Unkenntnis, Charakterlosigkeit und barbarische Verachtung all dessen, was nicht handgreiflich lukrativ sei und sinnlich gefalle, eine noch weit verbreitete Haltung sei. Dies gälte es zu bekämpfen, wozu er mit der Übersetzung dieser Schrift beitragen wolle: Es ist deshalb eine Forderung dieser Zeit, dieses Böse zu vermindern; auch war die vornehmste Absicht mit dieser Übersetzung, dem heranwachsenden Geschlecht ein kräftiges Gegenmittel zu verabreichen. Wenn diese Absicht nicht gänzlich verfehlt würde, wenn die Jugend des Vaterlandes, durch den weisen Rat eines Schillers, noch stärker ermuntert würde, sich eine noch vollständigere Bildung als Mensch zu geben, um die Anzahl der männlichen, edlen und schönen Charaktere zu mehren, welche sich nicht begnügen mit einer sinnlichen Zufriedenheit mit den Studien und der gewonnenen Schicklichkeit, oder sich dadurch lediglich schöne Tage bereiten; sondern auch danach sehnen zur Freude der Nachwelt beizutragen, und durch eine tugendhafte Tätigkeit zusehends eine Generation vorbereiten, die in physischer, moralischer und ästhetischer Bildung eine Vollkommenheit erlangt hat, dass dieselbe die Menschheit darstellen kann, wie sie im Zeitalter der Vernunft sein sollte, und wie sie die Natur deutlich anstrebt. Wenn dieses Ziel wohl verwirklicht würde, könnte der Übersetzer, ohne jegliche Unschlüssigkeit, diese unbedeutende Gabe dem Altare des Vaterlandes weihen.943 942 M. Frank, Schillers Ästhetik zwischen Kant und Schelling, 2007, S. 217. 943 F. Schillers Afhandlingar om universal-historiens studium och ändam”l, och känslan af det höga, Företal, 1803: »Det är s”ledes ett Tidens behof, att förminska detta onda; ocks” har

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Die offensichtlich an Schiller angelehnte Konzeption einer »vollständigen Bildung« im Företal von 1803 erfährt im Företal von 1806 eine Erweiterung durch die Bedeutung der Glückseligkeit, die durch den häufigen Gebrauch der Worte »sällhet« (dt. Seligkeit, Wonne) und »lycksalighet« (dt. Seligkeit, Wonne, Glückseligkeit) angezeigt ist. Diese sei der Zweck des menschlichen Lebens und auf diese müsse also die Erziehung abzielen. Unter den Gelehrten, welche die Bedeutung der Erziehung so verstanden hätten, nehme Schiller einen besonderen Platz ein. Seine vortrefflichen Arbeiten bezeugen auch wie ernsthaft er sich bemüht hat zu zeigen, worin der Wert des Menschen besteht. – Wie Glückseligkeit ihm zugedacht ist und wie er in den Genuss derselben kommen kann. Wie verbrecherisch der handle, der seinen Menschenwert wegwirft; wie verächtlich und schlecht der Mensch wird, wenn er nicht die Glückseligkeit erstrebt, die ihm die Natur gestattet; wenn er, wegen tierischer Vergnügungen und Interessen, auf edlere Genüsse verzichtet, die einhergehen mit einer höheren Vollkommenheit und diese belohnen; […] Die harmonische Bildung des Menschen und seine Glückseligkeit, wie er durch die erste erst würdig werden kann und wie er in den Genuss der zweiten kommen kann; – das war der Inhalt der Weisheitslehre, war der wichtige Zweck, welchem v. Schiller seine Zeit und seine Kräfte widmete.944

Der Begriff einer vollkommenen und harmonischen Bildung taucht allerdings nur in den Vorreden zu Schiller auf, ansonsten scheint Beth¦n ganz im Sinne der Aufklärung und Schillers Über das Erhabene die Vernunft zu betonen. Der Begriff der Bildung hat bei Beth¦n jedoch auch eine ungleich praktischere Beförnämsta afsigten med denna öfversättning varit, att gifva det upväxande slägtet ett kraftigt förvarings-medel deremot. Om denna afsigt ej alldeles förfelades, om Fädernedlandets ungdom, genom en Schillers visa r”d, ännu kraftigare upmuntrades, att gifva sig en fullständigare bildning s”som människor, för att öka antalet af dessa Manliga, Ädla och Sköna Karakterer, hvilka icke nöja sig med en sinnlig tillfredställelse af deras studier och vundna skicklighet, eller att blott derigenom bereda sig sjelfva glada dagar ; utan äfven längta att bidraga till efterverldens sällhet, och genom en dygdig verksamhet sm”ningom förbereda en generation, som i Physisk, Moralisk och Esthetisk bildning uppn”tt den fullkomlighetsgrad, att den kan föreställa menskligheten s”dan som den, i Förnuftets Tidehvarf, bör vara, och v”r Naturs inrättning tydlingen ”syftar. Om detta syftem”l s” väl lyckades, kunde Öfversättaren, utan all slags villr”dighet, frambära denna obetydliga g”fva p” Fäderneslandets Altare.« 944 Ebd. »Hans förträffeliga Arbeten vittna äfven huru allvarligen han bemödat sig att visa, hvari menniskans värde best”r, – hurudan lycksalighet henne är ämnad och huru hon skall komma till ”tnjutande deraf. Huru brottsligt den handlar, som bortkastar sitt menniskovärde; huru föraktlig och usel menniskan blir, d” hon icke eftersträfvar den lycksalighet, som hennes naturs inrättning förunnar, d” hon, för djuriska nöjen och intressen, försakar de ädlare njutningar, som ”tföllja och belöna en högre fullkomlighet; […] Menniskans Harmoniska bildning och Lycksalighet, huru hon genom den förra endast blir värdig och kan erh”lla den sednare; – var inneh”llet af den Vishetslära, var det vigtiga Syftem”l, ”t hvilket v. Schiller helgade sin tid och sina krafter.«

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deutung, wenn er in folgender Passage hinsichtlich Schillers Antrittsvorlesung im Vorwort von 1803 schreibt: Dieser weithin berühmte Autor hat, in der ersten dieser Abhandlungen, Über das Studium der Universalgeschichte, nicht nur den Zustand unseres vormaligen Geschlechts sowie die Verbesserungen, die durch die Kultur nach und nach eingetreten sind, abgebildet; er hat auch versucht, jedweden von der Notwendigkeit zu überzeugen, sich auf das Vollkommenste zu bilden für die Lebensart, die man gewählt hat, und in jungen Herzen einen edlen Enthusiasmus zu entfachen für das Wahre, Große und Wichtige in der Welt.945

SAOB notiert die erste Verwendung von »levnadssätt« (Lebensart, Lebensweise) in der Bedeutung von »Beruf« für J. G. Hallman 1735 und für den Ausdruck »Val […] af lefnadssätt« (Wahl einer Lebensart) für Rosenstein 1809, also sechs Jahre nach der Verwendung von Beth¦n. (SAOB, 613) Beth¦ns Verwendung dieses Ausdrucks ist also eine der ersten in Schweden überhaupt, und zwar im Rahmen einer Übersetzung und eines Vorworts von und zu Schillers Antrittsvorlesung.946 Hans-Peter Herrmann hat in Qualen der Wahl das begriffsgeschichtlich und sozialgeschichtlich nicht unbedeutende Detail der »Wahl der Lebens-Art« hervorgehoben und in Beziehung gebracht zur gleichzeitig entstandenen freien Gattenwahl der Frau.947 Er konnte dabei auf die literarische Verarbeitung des Themas im Anton Reiser einerseits und auf die wesentlich frühere Reflexion solcher als neu und wichtig empfundener Wahlmöglichkeiten in Moralischen Wochenschriften der 1720er Jahre hinweisen. Der Begriff »Lebens-Art«, wie er in den genannten Texten Verwendung findet, ist semantisch breiter angelegt als der Begriff »Beruf«, da er noch nicht »die Spezialisierung in sich trägt, mit der später die Sphäre der Berufsarbeit von andern gesellschaftlichen Sphären wie Familie, Religion und Geselligkeit getrennt wurden.« Vielmehr scheint er noch dem umfassenden Charakter zünftischen Daseins zu entsprechen: »mit dem Beruf wählt der junge Mensch den Ort und den Stil seines gesamten Lebens.«948 Während der deutsche wie der schwedische Begriff (levnadssätt) also noch auf traditionelle Berufs- und Gesellschaftsstrukturen verweisen, ist die plötzlich wahrgenommene Bedeutung der Wahlmöglichkeit einerseits und ihre Verbin945 Ebd. »Denna vidtberömda Författare, har, i den förra af dessa Afhandlingar, Om UniversalHistoriens Studium och Ändam”l, icke blott gifvit en teckning af v”rt Slägtes fordna tillst”nd och af de förbättringar det sm”ningom vunnit genom Kulturen; Han har äfven sökt att öfvertyga enhvar om nödvändigheten, att p” det fullkomligaste bilda sig för det lefnadssätt man valt, och i unga hjertan tända en ädel Enthusiasm för det sanna, stora och vigtiga i verlden.« 946 Die früheste Verwendungsweise, welche ich gefunden habe, stammt von 1792 im Rahmen der Konvent-Reden der protestierenden Studenten. Auch diese Verwendung wurde nicht von SAOB registriert. 947 Siehe hier und im Folgenden H. P. Herrmann, Qualen der Wahl, 2001. 948 Ebd., S. 93.

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dung mit der Glückseligkeit des jeweiligen erneut ein Hinweis auf meine These, dass die 1780er und 1790er Jahre in Schweden als Sattelzeit aufzufassen sind. Die »Wortgeschichte hat teil an den allgemeinen Entwicklungen der Säkularisation, der Individualisierung und der Ausdifferenzierung gesellschaftlicher Teilbereiche.«949 Während die Bedeutung des Glaubens für die Glückseligkeit im 18. Jahrhundert in den Hintergrund gedrängt wurde, trat die freie Selbstbestimmung in der Gattenwahl der Töchter und der Berufswahl der Söhne in den Vordergrund als entscheidend für die Gestaltung und die Glückseligkeit seiner Zukunft. Ohne in unnötiges Psychologisieren verfallen zu wollen, kann vorausgesetzt werden, dass Beth¦n, der seine Anstellung als Notar anscheinend selbst aufgegeben hat, was ohne Zweifel ungewöhnlich war, der Problematik der Berufswahl gegenüber eine gewisse Sensibilität aufgebracht hat. Man hat deshalb aufzuhorchen, wenn er den Ausdruck »Geschäfte des Berufs« in Was kann eine gute stehende Schaubühne eigentlich wirken »mit »ofta tryckande Embets-bördor« (oft drückende Beamten-Bürde) übersetzt,950 und dies ohne Zwang, wie die Übersetzung Ros¦ns, »en sysslas enformiga, ofta tryckande mödor« (einer Beschäftigung einförmige, oft drückende Mühe) zeigt. Die keineswegs naheliegende Übersetzung Beth¦ns, welche durch eine Engführung des semantischen Gehalts die ursprüngliche Bedeutung verfälscht, mag seine Wurzeln in Beth¦ns eigener Erfahrung als Beamter haben, der ja seine Stellung unter nicht ganz eindeutigen Umständen quittierte. Wie Schiller und später Hegel und Hölderlin sah Beth¦n das Grundübel der neuen Zeit offensichtlich in der Reduzierung des Menschen auf eine bestimmte Tätigkeit, einen nützlichen Zweck, ein Funktionsteil im seelenlosen Räderwerk der Staatsmaschinerie. Die Arbeitsteilung ist effizient, ihre Seelenlosigkeit kann aber auch tiefes Leid bewirken, welches von besonders empfindsamen Gemütern verspürt wird. Beth¦ns Klagen über die Zeit ähneln denen im zweitletzten Brief Hyperions an Bellarmin, in welchem dieser sich über die Deutschen beklagt: […] ich kann kein Volk mir denken, das zerißner wäre wie die Deutschen. Handwerker siehst du, aber keine Menschen, Denker, aber keine Menschen, Priester, aber keine Menschen, Herrn und Knechte, Jungen und gesetzte Leute, aber keine Menschen – ist das nicht wie ein Schlachtfeld, wo Hände und Arme und Glieder zerstückelt untereinander liegen […]? Ein jeder treibt das Seine, wirst du sagen, und ich sage es auch. Nur muß er es mit ganzer Seele treiben, muß nicht jede Kraft in sich ersticken, wenn sie

949 Ebd., S. 89. 950 Es handelt sich hierbei um den Satz: »Erschöpft von den höhern Anstrengungen des Geistes, ermattet von den einförmigen, oft niederdrückenden Geschäften des Berufs, und von Sinnlichkeit gesättigt, musste der Mensch eine Leerheit in seinem Wesen fühlen, die dem ewigen Trieb nach Tätigkeit zuwider war.«

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nicht gerade zu seinem Titel paßt […] und ist er in ein Fach gedrückt, wo gar der Geist nicht leben darf, so stoß er’s mit Verachtung weg und lerne pflügen!

Wir wissen nicht, ob Beth¦n an seiner Anstellung als Beamter so gelitten hat, wie z. B. Hölderlin an seiner Hofmeisterstelle, wir wissen auch nicht, ob er sich seines Leidens im gleichen Maße bewusst war, wie es von Hyperion ausgedrückt wurde, und wir wissen schließlich nicht, ob er gekündigt hat, um zu »pflügen«. Mit Hyperion teilt er zwar den Drang zur Volkserziehung, der er sich ganz offensichtlich in seiner zweiten Lebenshälfte ausschließlich gewidmet hat, vieles spricht aber dafür, dass sein Wille zur Aufklärung auch kompensatorische Züge trug, wie folgender Abschnitt zeigen soll.

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Jenseits von Beth¦ns aufklärerischem Optimismus, seiner Zufriedenheit darüber, wie weit man’s doch gebracht, jenseits auch von dem bewussten Ungenügen am Zeitgeist, der noch nicht zur Gänze aufgeklärt ist, verbirgt sich ein Subtext, der die Kehrseite der Aufklärung oder der unvollkommenen Aufklärung hervorkehrt. Beth¦ns beinahe fanatisch-repetitiver Eifer im Kampfe gegen Schwärmertum, Mystizismus und die falsche Aufklärung sowie seine Ermahnung der Jugendlichen zur Ruhe – eine Hauptsorge ist ihm die Unruhe der Jugend –, geäußert von einem Mann der »vierzig Jahre einsam und ruhig in Stockholm lebte«, weisen auf ein Ungenügen hin, das nicht zu seinem Bewusstsein gekommen ist – zumal Beth¦n ein rigoroser Verfechter von staatlicher und häuslicher Ordnung war, eines unveränderlichen Rollenbildes der Geschlechter und einem politisch-hierarchischen Status quo. Eine Analyse der Übertragung eines unbewussten politischen Ungenügens auf ein bewusstes psychisches Ungenügen gab Karl Philipp Moritz in seiner Autobiographie Anton Reiser, indem er die objektiven Ursachen eines Scheiterns der inneren Glückseligkeit des Herzens auf die autoritären Verhältnisse des 18. Jahrhunderts zurückführt, »die jedes nicht herrschaftsfähige Individuum unterjochen, und den Leistungs-, Arbeits- und Anerkennungszwang, dem er, der Aufsteiger, ausgesetzt ist«. Die gleichen Herrschaftsverhältnisse, die zur politischen Kritik der Spätaufklärung herausfordern, ermöglichen bei Moritz eine psychologische: Sie zerstören die mögliche Glückseligkeit auch noch im Herzen der Individuen selbst. Trotzdem leitet solch eine Einsicht die Spätaufklärung nur ausnahmsweise; die Stürmer und Dränger zwar verfügen über sie, die Kritiker der Empfindelei aber meist nicht. Sie geben zum einen

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den Romanen selbst Schuld, die zur Schwärmerei und Leiden verführen sollen, zum anderen den Individuen, die sich da hineintreiben lassen.951

Beth¦n hat »das sprachlich und philosophisch hochbedeutsame Prosa-Dramenfragment« Der versöhnte Menschenfeind unter dem Titel Misantropen übersetzt, das Schiller 1786 zum ersten Mal in einem Brief an Körner erwähnte (12. 10. 1786), und 1790 in der Thalia (11. Heft) publizierte.952 Beth¦n könnte auch der Zweitdruck in Kleine prosaische Schriften von Schiller aus mehreren Zeitschriften vom Verfasser selbst gesammelt und verbessert. Vierter Teil; Leipzig 1802 bey Siegfried Lebrecht Crusius vorgelegen haben. Die Übersetzung dieses Dramenfragments ist deshalb eigenwillig und überraschend, weil es bei seinem Erscheinen in der Thalia nur auf geringe Resonanz gestoßen ist. So urteilte Göttingische Anzeigen von gelehrten Sachen (30. 4. 1790): »Sie enthalten einige gute Gedanken, in einer glänzenden Sprache gesagt, aber die Behandlung ist undramatisch.« Etwas freundlicher verlautet die Allgemeine Literatur-Zeitung (16. 7. 1791): Der Leser wird die von dem V. gemachte Hoffnung gewiß erfüllt zu sehen wünschen, die Geschichte dieses Menschenfeindes und dies ganze Charakterleben einmal in einer andern Form zu erhalten, welche diesem Gegenstande günstiger ist als die dramatische, obgleich der V. diese letztere gewiß sehr in seiner Gewalt hat.

Im Unterschied zu den anderen Dramen seiner Jugendzeit ist der »eigentümliche Klang und Schwung der Sprache in den Dramen vor dem ›Don Carlos‹« im Menschenfeind nicht mehr zu vernehmen. »Stil und Verlauf der Gespräche« sind »der Konversation einer bestimmten Gesellschaftsschicht – des gebildeten Landadels« angepasst.953 Die Zeichnung der Personen schließlich – »der Liebenden, des biedermännischen Gärtners, des pflichtgetreuen Verwalters, der ländlichen Festgäste – entspricht eher dem Gesellschaftsstück«, etwa Menschenhass und Reue, als Schillers bürgerlichem Trauerspiel. Es ist sehr wahrscheinlich, dass Beth¦n die anderen Jugenddramen Schillers bis hin zu Don Carlos als zu »unruhig«, zu »schwärmerisch« empfunden und wenig goutiert hat. Der Menschenfeind dagegen zeichnet sich gerade durch seine biedermeierliche Ruhe und abgezirkelte Ordnung aus, ein kleines »Paradies« auf Erden, in welchem jedoch auf beunruhigende Weise ein Ungenügen schwelt. Im Unterschied zu Kabale und Liebe oder den Philosophischen Briefen ist dieses Unbehagen 951 Hansers Sozialgeschichte der deutschen Literatur, III, 1980, S. 63 f. 952 Geschichte der deutschen Literatur, I,1, S. 316. Eine Aufwertung des Fragments wurde vorgenommen in: K. Hamburger, Schillers Fragment Der Menschenfeind und die Idee der Kalokogathie, 1956; H. H. Marks, Der Menschenfeind, 1979; D. Schilling, Das Ideal und seine Bedingungen. Schillers Dramenfragment Der versöhnte Menschenfeind, 1995; H. Meise, Der versöhnte Menschenfeind, in: Schiller-Handbuch, 2005, S. 109 ff. 953 Siehe hier und im Folgenden G. Storz, Der Dichter Friedrich Schiller, 1959, S. 164.

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jedoch nicht deutlich dargestellt oder gar artikuliert, sondern wird ganz im Gegenteil noch »kaschiert«.954 Es ist eben, wie oben dargestellt, Ausdruck eines Ungenügens an gesellschaftlichen Verhältnissen, das nicht zu seinem Bewusstsein gekommen ist. Weil nämlich Hutten das »Ideal vom Menschen denkt ohne die Realität, muss die Verwirklichung seines Entwurfs notwendig scheitern.« Schiller hat die Idylle des reformabsolutistischen Bewusstseins dargestellt, in welchem »die ›dankbaren Untertanen‹ im Übergang des 18. zum 19. Jahrhunderts die geknechteten abgelöst haben.«955 Der Menschenfeind illustriert Abhängigkeitsverhältnisse, die nicht mehr mit den Konfliktschemata des bürgerlichen Trauerspiels eingefangen werden können. Die Abhängigen sind keine Leibeigenen mehr, sie sind finanziell abhängig im Rahmen neuer dem Bürgertum durchaus immanenter Besitzverhältnisse. Hutten nun, dessen Stimmung und langer Monolog scheinbar an die großen idealischen Figuren Schillers anknüpft, könnte bei oberflächlicher Betrachtung als ein Menschenfeind aus idealen Gründen erscheinen. Die Misanthropie Huttens, seine »Gemüthskrankheit«, ist jedoch nicht Ausfluss des Ungenügens an der unvollkommenen Menschheit, sondern Stimmung des unbewussten Ungenügens an der Unvollkommenheit der Gesellschaftsordnung und einer Weltanschauung, die von ihm nicht nur affirmiert sondern auch mit verantwortet wird. Wie hat nun Beth¦n das Dramenfragment gelesen? Hier wird ein Mann dargestellt, der, durch eine lange und traurige Erfahrung der menschlichen Falschheit, Unrecht und Undankbarkeit nicht nur der Meinung ist, dass es ein kleines Opfer ist, sich deren Umgang zu entziehen, sondern auch, sie nicht zu hassen; seit er gesehen hat wie sie, oft nur für den geringfügigsten Vorteil, sich alles Erdenkbare zufügen können, und findet deren Grundsätze so ganz und gar entgegengesetzt seinem Wunsch, sie besser und glücklicher zu sehen. Tief scheint auch diese Erfahrung eines Schillers an der Einfalt und Schönheit der Natur hängenden Seele geschmerzt haben, bevor die erniedrigenden Reflexionen sich eingestellt haben, die sich in der siebten Szene finden. – »Alles ist vollkommen in dem tadellosen Plan, nur der Mensch, obwohl der schönste Gedanke des Menschen, steht da entstellt und erreicht nicht sein Ziel. Das Pflanzenreich, in seiner unverdienten Vortrefflichkeit, führt den Gedanken zur ewigen Schönheit. – Wo der Mensch wandelt – verschwindet mir der Schöpfer.956

Beth¦n ist offensichtlich der idealisierenden Kraft des Protagonisten erlegen und hat nicht das Doppelbödige des Textes und Huttens Misanthropie gesehen. Er identifiziert sich mit Hutten, der sich lieber an der »ruhigen Pflanzenwelt« (NA, 954 Siehe hier und im Folgenden D. Schilling, Das Ideal und seine Bedingungen, in: JdDSG, 1995, S. 165. 955 Ebd., S. 163. 956 A. Beth¦n, Företal, S. XXII ff, Översättningar utur Hof-R”det Schillers smärre prosaiska skrifter, 1806.

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5N, 268) ergötzt als an den Menschen. Das Pflanzenreich, als Abbild der Vortrefflichkeit, führt den Gedanken zum Schöpfer : zu Hutten selbst. Das Pflanzenreich ist ein Schrebergarten, der Gärtner von ihm bezahlt. Die Tochter hat es begriffen: Die sie umgebende Natur ist eine »tote Bildsäule«, ihr Vater hat »alle Erscheinungen um mich her bestochen. Die aufsteigende Sonne ist mir jetzt nur ein Stundenweiser seiner Ankunft, die fallende Fontäne murmelt mir seinen Namen […]« (NA, 5N, 254) Der Schöpfer dieser neuen, gut organisierten aber sterilen Ordnung hat Forderungen an seine Tochter : geschlechtliche Entsagung und Nachfolge, »Sey ein höheres Wesen unter diesem gesunknen Geschlechte!« (NA, 5N, 277) Es ist ein elitäres Bewusstsein, das sich hier ausdrückt, und das auch dem »militanten Aufklärer« eignet, der, zwischen optimistischem Hochgefühl und pessimistischer Misanthropie hin und her pendelnd, Kompensation im Genuss seiner eigenen »Aufgeklärtheit« empfindet. Elementarer Bestandteil dieses Komplexes ist die Affektverdrängung und Selbstkontrolle, die im Zuge des sich in der Aufklärung beschleunigenden Zivilisationsprozesses von den Bürgern einer ökonomisch geordneten Gesellschaft abverlangt werden. Die domestizierte Natur im Park ist Abbild einer domestizierten Triebnatur, ist Ausdruck des Kampfes gegen die Anarchie der lebendigen Gefühlswelt. Die Literatur der Aufklärung lässt keinen Zweifel darüber, dass die Fähigkeit zu planvollem Handeln nach ökonomischen Zwecken ebenso wie die Befriedigung der Gesellschaft durch moralische Gesetze notwendig auf die Unterdrückung oder mindestens Domestizierung der menschlichen Triebnatur angewiesen sind […] Wo also die Vernunft spricht, haben die ›Leidenschaften‹ zu schweigen; wo die Tugend herrscht, werden ›Gelassenheit‹ und ›Beständigkeit‹ zur Verhaltensregel, die alle ›Begierden‹ ausschließt.«957

Beth¦n konnte sich offenbar mit Hutten identifizieren, hat das, was an mehreren Stellen offen ausgesprochen ist, im Text nicht bemerkt – leidet er an den gleichen Symptomen der Verdrängung wie Hutten? Beth¦n hat der Jugend im ereifernden Tone und repetitiver Insistenz mehr Ruhe und Gelassenheit anempfohlen, hat die Beständigkeit der Gesellschaft und deren geschlechtliche und hierarchische Rollenspiele beschworen, ist vierzig Jahre einsam und alleine durch die Straßen Stockholms gewandert und hat die unnahbare Königin geliebt. Die Wahl gerade dieses Textes ist Ausdruck eines unbewussten Ungenügens an der Aufklärung, während Ekmansons Wahl der Philosophischen Briefe der Ausdruck eines bewussten Ungenügens ist – Beth¦n, der 5 Jahre ältere, bekämpft das Schwärmerische und den Protest, der darin verborgen ist, Ekmanson dagegen protestiert im Namen seines Schwärmertums. 957 Hansers Sozialgeschichte der deutschen Literatur, III, 1980, S. 22.

Zusammenfassung

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Arved Beth¦ns bemerkenswertester literaturgeschichtlicher Einsatz war seine polemische und vehement für Schiller Partei ergreifende Rezension der Kritik über Schiller von Lorenzo Hammarsköld, mit welcher er sich 1808 immerhin in StP Gehör verschaffte. Als Übersetzer widmete er sich einer Reihe popularphilosophischer Schriften und einigen Texten Schillers, von dem er mehrere in zwei Bänden 1803 und 1806 publizierte. Beth¦n hat immer wieder die Bedeutung von Aufklärung und Kultur betont und sich selbst als Aufklärer betrachtet. Sämtliche von ihm übersetzten Texte sind in irgendeiner Form der Aufklärung und der Popularphilosophie zuzurechnen und auch die von ihm explizit im Geiste Gellerts geplanten Moralischen Vorlesungen (1823) weisen ihn als Aufklärer aus. Dabei verkörpert Beth¦n ohne Zweifel das Gegenteil von Frängsmyrs Definition der Aufklärung als einer politischen Kampfgruppe: Beth¦n scheint weitgehend apolitisch gewesen zu sein, verurteilte die französische Revolution als das Resultat eines falsch verstandenen Schwärmertums, und war in seiner Gegenwartskritik – soweit vorhanden – in vielerlei Hinsicht rückwärts gerichtet, zumindest an einem Status quo festhaltend. Ein Vergleich mit Ekmanson, dem fast Gleichaltrigen, drängt sich zunächst auf. Mit diesem teilt Beth¦n nicht nur die Generationszugehörigkeit und das Interesse an Schiller, sondern auch die missglückte Beamtenkarriere, eine schriftstellernde Existenz am Rande des Unbedeutenden, das moralisch-pädagogische Sendungsbewusstsein, gepaart mit einem ausgeprägten Verbesserungswillen (bei Ekmanson Veränderungswille) der Gesellschaft und einer gewissen Misanthropie. Gemeinsam sind den beiden auch gewisse Affinitäten zum Spätpietismus, bei Ekmanson verbürgt durch seine Wertschätzung Lavaters, bei Beth¦n durch sein Bejahen der politischen und ständischen Ordnung und seine Verteufelung jeglicher Revolutiontendenz. Die Zeit- und Generationsgenossen lebten und wirkten jedoch auch in merkwürdig verschobenen Parallelwelten: Ekmanson unter dem Stern der Revolution und eines von Lavatar inspirierten Schwärmertums, Beth¦n in der moralischen Vorstellungswelt eines Gellert, die aufklärungsfreundliche Religiosität der Neologie und gewisse spätaufklärerische Tendenzen des Berolinismus miteinander verbindend. Ähnlich wie Friedrich Nicolai gelang es ihm, seinen Glauben an die Aufklärung mit den spätabsolutistischen und reaktionären politischen Zuständen in Schweden zu vereinen. Er lobt die Regierenden, das Beamtentum und die gut funktionierende Administration, die pflichtbewussten Frauen. In seinem Lob der Gegenwart zeigt sich eine gewisse gemütliche Zufriedenheit darüber, wie weit man es gebracht hat. Gleichzeitig scheinen in diesem behäbigen Lob der Gegenwart auch gewisse autoritäre Züge durch. Insbesondere die Jugend bereitet ihm Sorgen und ist ihm Anlass zu pädagogischen Ratschlägen. Beth¦n hält

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Der Spätaufklärer Arved Bethén

das »Zeitalter« zwar für aufgeklärt – ähnlich Schiller ist es ihm jedoch darum zu tun, die Aufklärung auf die richtige Weise in die Köpfe zu bekommen. Aufklärung ist ihm also nicht ein Prozess der äußeren Veränderungen – insbesondere politischer Strukturen – sondern ein Prozess der moralischen Vervollkommnung des Menschen. Schiller hat er dementsprechend im Rahmen der aufklärerischen »Popularphilosophie« rezipiert, der es einerseits um die Bestimmung und die Vervollkommnung des Menschen ging, andererseits um eine populärere, d. h. nicht-akademische, Darstellung der Philosophie. Die Unterscheidung in eine wahre und eine falsche Aufklärung ist in der Spätaufklärung ein Faktum und wurde insbesondere durch den Spätpietismus vorangetrieben. Sowohl Schiller als auch Beth¦n wurden von solchen Entwicklungen beeinflusst, Beth¦n mag aber zusätzlich noch durch seine intensive Beschäftigung mit Schiller zu einer solchen Distinktion und Abgrenzung gedrängt worden sein. Das Zeitalter ist ihm also nicht das Problem, sondern manche Menschen, und hier insbesondere die Jugend, die sich von aufklärerisch daherkommenden Scharlatanen zu allerlei Verirrungen verleiten lasse. Auf seiner kritischen Agenda stehen deshalb weltanschauliche Bewegungen wie die orthodoxe Theologie, das Schwärmertum jeglicher Provenienz, vor allem die Schelling’sche Philosophie, und der Materialismus. Schillers Gegenwartsanalyse im 5. Brief der Ästhetische Erziehung hat Beth¦n genau gelesen und die dort von Schiller gezogene doppelte Frontlinie gegen Verwilderung hie und Erschlaffung da war ihm ein besonderes Anliegen. Einerseits habe man es nämlich mit der Auflösung der bürgerlichen Ordnung zu tun, in deren Folge die niederen Klassen sich der tierischen Befriedigung überlassen, andererseits mit einer bloßen Verstandesaufklärung der verfeinerten Stände, in deren Folge sich eine materialistische Sittenlehre ausbreite und der damit zusammenhängende Egoismus. Sein Hauptinteresse galt dabei der »Menschen-Kunde«, der Bestimmung des Menschen, der richtigen und falschen Aufklärung, der Selbsterkenntnis, der Tugend und Sitte, der Bildung und Erziehung. Es handelt sich um ein Motivgeflecht mit deutlichen Anklängen an Schiller, allerdings unter weitgehender Aussparung der Rolle der Ästhetik, des Schönen, des Spiels, des schönen Scheins und der Kunst insgesamt. Insofern unterscheidet Beth¦n auch nicht zwischen den literarischen Texten Schillers, die ihm nur Aussage sind, und seinen theoretischen Texten. Schiller ist ihm nicht in erster Linie Dichter, sondern Weltweiser und Selbstdenker, der der Jugend durch Vorbild und Lehre, durch Menschenkenntnis und Lebensweisheit die richtigen Begriffe vom Wert und der Würde des Lebens vermittelt. Schillers Texten eignet ein therapeutischer, beruhigender, von allem Schwärmertum abziehender Effekt. Beth¦ns Wertschätzung des versöhnten Menschenfeinds charakterisiert diesen wie die Wertschätzung der Philosophischen Briefe Ekmanson charakterisieren. Die Wahl des ersteren ist Ausdruck eines unbewussten Ungenügens an

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der Aufklärung, während Ekmansons Wahl Ausdruck eines bewussten Ungenügens ist – Beth¦n, der fünf Jahre ältere, protestiert gegen das Schwärmerische, Ekmanson dagegen protestiert im Namen seines Schwärmertums. Die Pointe meiner Interpretation ist, dass Beth¦n sich offenbar mit Hutten identifizieren konnte, der seinerseits die Personifikation eines verdrängten Ungenügens am Prozess der Aufklärung ist. Beth¦n hat der Jugend in ereiferndem Ton und repetitiver Insistenz mehr Ruhe und Gelassenheit anempfohlen, hat die Beständigkeit der Gesellschaft und deren geschlechtliche und hierarchische Rollenspiele beschworen, und ist vierzig Jahre einsam und alleine durch die Straßen Stockholms gewandert. Die »Bewusstlosigkeit« Beth¦ns zeigt sich jedoch nicht nur in seiner kritiklosen Identifikation mit Hutten, sondern auch in seiner Verwendung aufklärerischer Schlagwörter, die divergierenden Diskursen angehören. Beth¦n selbst ist ein Schlachtfeld der divergierenden Aufklärungsdiskurse.

Kapitel XI: Schiller im ästhetischen Diskurs

Die Etablierung des neuen Modefachs »Ästhetik«, das an die Stelle des alten Rhetorikunterrichts in Europa trat, vollzog sich in den letzten Regierungsjahren Gustav III. und dann vor allem in der Zeit der Eisenjahre unter Reuterholm und Gustav IV. Adolf. Es war eine Zeit, in der die akademische Freiheit außerordentlich eingeschränkt und die Zensur zusehends verschärft wurde, was sinkende Studentenzahlen zur Folge hatte und auch eine wissenschaftliche Niedergangsperiode der Universität einleitete, vor allem im Vergleich mit der wissenschaftlichen Blüte der Freiheitszeit (1718 – 1772). Gleichwohl zeichnete sich in den Eisenjahren eine Verschiebung des kulturellen Schwerpunktes von der Hauptstadt, die aufgrund des politisch und kulturell rigiden Regimes an Bedeutung verlor, in Richtung der Universitätsstädte, insbesondere Uppsala, ab. Lehrstühle für »Ästhetik« wurden in den 1770er- und 1780er-Jahren in Wien, Prag und Edinburgh errichtet. Der Lehrstuhl für Ästhetik, der unter dem Einfluss dieser Entwicklung 1785 in Uppsala geschaffen wurde, war der erste Ästhetiklehrstuhl in Skandinavien; Kopenhagen folgte 1790, Greifswald (Thomas Thorild) und Lund (Anders Lidbeck) 1795 und æbo (Frans Michael Franz¦n) 1798. Jakob Fredrik Neikter, der 1783 in London weilte und dort Hugh Blairs Lectures on Rhetoric and Belles Lettres kennenlernte, schlug dem Universitätskanzler einen neuen Lehrstuhl vor, der nicht nur die Theorie der schönen Künste zum Inhalt haben sollte, sondern vor allem auch moderne Literatur und Kulturgeschichte: Die Dominanz des Wolffianismus sollte gebrochen und durch Aufklärungs- und common-sense-Philosophen wie Montesquieu und Locke ersetzt werden.958 Außerdem sollte die Jugend durch Beispiele, und nicht durch Regeln, an solche Werke herangeführt werden, welche als Muster dienen könnten.959 Dies kam den Wünschen von Gustav III. entgegen, der eine Modernisierung der Universität anstrebte und dieser neben der Schwedischen 958 C. Svensson, Anders Lidbeck och 17-talets estetik, 1987, S. 45. 959 A. Lidbeck am 12. 11. 1795 an den Universitätskanzler, zitiert nach C. Svensson, Anders Lidbeck och 17-talets estetik, 1987, S. 45.

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Schiller im ästhetischen Diskurs

Akademie und dem stehenden Theater eine wichtige Rolle zur Schaffung einer Nationalliteratur einräumte. Anders Lidbeck bewegt sich also durchaus innerhalb solcher königlichen Intentionen, wenn er ganz im Geist der Aufklärung die ersten schwedischsprachigen Abhandlungen über ästhetische Fragen verfasste, ein Sachverhalt, auf den sich Lidbeck selbst in seiner kurzen Danksagung an den Universitätskanzler die Mühe macht hinzuweisen: »ohne die Gnade Eurer Exzellenz […] hätte die Vitterhet nicht gewagt, sich öffentlich in einem schwedischen Kleid zu zeigen, und wäre, gefangen in einer toten Sprache, ohne Wert für die Allgemeinheit.«960 Mit der Gründung der Ästhetik als autonome Disziplin fügte sich jedoch nicht einfach eine akademische Disziplin den bereits existierenden hinzu.961 Vielmehr handelt es sich bei der Entstehung der Wissenschaft vom Schönen um einen in der Renaissance einsetzenden Prozess, von welchem das gesamte abendländische Wissenssystem betroffen war, und welcher in Wechselwirkung mit gesellschaftlichen Umschichtungen und Transformationen stand.962 In der letzten Phase dieser Entwicklung spielte die Philosophie Kants eine entscheidende, wenngleich paradoxale Rolle: »Eine Geschichte des künstlerischen Autonomiebegriffs vor Kant kann es nicht geben, obwohl gerade die Ausdifferenzierung des Teilsystems Kunst und die Einführung des Ästhetikbegriffs im 18. Jh. die Voraussetzungen für die Autonomievorstellung schafft.«963 Der Kantianismus

960 A. Lidbeck, Almänna æsthetiska anmärkningar, Titelblatt, 1796 – 1797: »[…] utan Eder Excellences n”d skulle en ”ldrig fördom ännu ägt best”nd vid detta lärosäte, skulle vitterheten icke v”gat offentligen visa sig i svensk drägt, och fängslad inom döda spr”k varit utan värde för almänheten.« Sogar Höijer hatte seine akademischen Abhandlungen im Ästhetischen bis mindestens 1810 weitgehend auf Latein verfasst. 961 Siehe M. Frank, Einführung in die frühromantische Ästhetik, 1989, S. 29: »Das Aufblühen und die Entfaltung einer philosophischen Theorie des Schönen im 18. Jahrhundert ist kein Ereignis wie viele andere. Einmal geboren, verlangt die Ästhetik eine gewisse Befreiung aus der Vormundschaft des Begrifflichen […] In der Ästhetik mahnt sich zuerst im Gesamt der philosophischen Wissenschaften jene neue Konzeption von Wahrheit an, in welchem eine vorgängige Tätigkeit sich ins Werk setzt […].« 962 Siehe z. B. M. Jiminez, Qu’est-ce que l’esth¦tique?, 1997, S. 33: »Elle [die Autonomie der Ästhetik, A.d.Ü.] n’intervient qu’au terme d’une lente ¦volution intellectuelle et mat¦rielle de la soci¦t¦ occidentale qui vise — ¦manciper l’homme — l’¦gard des tutelles anciennes, th¦ologique, m¦taphysique, morale, mais aussi sociale et politique.« 963 Ästhetische Grundbegriffe, I, Autonomie, S. 432. Die Verortung Kants im Zentrum der entstehenden Ästhetik ist Usus, so schreibt z. B. Rüdiger Bubner: »Of course, beauty, its production and its understanding, had always stimulated philosophical thought. In the first place, there was the classical theory of art and its revival in the Renaissance. During the following centuries, France had developed a tradition of combining artistic creation with reflection upon it. The English brought the analysis of artistic appreciation into the foreground. […] However, it was not until Kant that the problem of art was considered a philosophical problem of the first order. It is no exaggeration, I think, to say that the intellectual movement originated by Kant’s transcendental philosophy was the first one to

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trat in Schweden in den 1790-Jahren seinen Siegeszug unter vielen Anfeindungen an. Die gesamte Regierungszeit Gustav IV. Adolf bezeichnet den Übergang von Lockes common-sense-Philosophie und der schottischen moral-sense-Philosophie zur kritischen Philosophie, die sowohl von führenden gustavianischen Aufklärern Carl Gustaf af Leopold und Nils von Rosenstein als auch von Vertretern der philosophischen Disziplin wie Pehr Niclas Christiernin bekämpft wurde.964 Erneut machen sich regionale Unterschiede in der Art und Weise der Aufnahme neuer Ideen bemerkbar. Im hauptstadtnahen Uppsala vollzog sich die Auseinandersetzung mit Kant unter politischen Vorzeichen. Daniel Boethius (1751 – 1810) – obwohl einen dezidierten Empirismus vertretend – nannte Kant in seinen Vorlesungen der 1790er Jahre mit Respekt und publizierte 1794 das erste Buch auf Schwedisch, das sich für Kants Philosophie einsetzte.965 Pehr Niclas Christiernin (1725 – 1799) dagegen, ein maßgeblicher Vertreter des Empirismus in Schweden, wurde zu einem erbitterten Gegner der kritischen Philosophie, die mit der Französischen Revolution in Verbindung gebracht wurde. Die kritische Haltung des Königs gegen Kant nahm Ausmaße an, die sogar Leopold, ansonsten selbst ein Kritiker Kants, veranlassten, diesen im Namen der Gedankenfreiheit zu verteidigen. Für die jungen Kantianer in Uppsala, insbesondere die Junta-Mitglieder, war eine Anstellung bzw. Beförderung häufig ausgeschlossen. Weniger Aufsehen als in Uppsala erregte der Einzug Kants an der weit von der Politik der Hauptstadt entfernt gelegenen Universität Lund, wo die beiden Universitätsprofessoren Lars Peter Munthe (1752 – 1807) und Mattaeus Fremling (1744 – 1820) sowie der Universitätsbibliothekar und Ästhetikprofessor Anders Lidbeck (1772 – 1828) ebenfalls die moral-sense-Philosophie heimisch gemacht hatten. Die erste Erwähnung Kants Kritik der reinen Vernunft findet sich dort seitens Fremlings am 21. Dezember 1789. In æbo, der Universität im bis 1809 zu Schweden gehörenden Finnland, wurde Kant erst 1798 in die philosophische Debatte eingeführt. Im Anschluss an die Polemik zwischen Boethius und Leopold trat Franz¦n offen für Boethius ein und behauptete die absolute Gültigkeit und Souveränität des Moralgebotes vor den äußerlichen Folgen der Handlungen. Franz¦n, der schon 1790 – 1791 in Uppsala durch Höijer die neue Philosophie kennen lernte, bekannte sich erst jetzt deutlich zu Kants Philosophie, was vermutlich auf seiner engen Beziehung zur überragenden Kulturpersönlichkeit Porthan beruhte, der eine äußerst kritische Haltung gegen realize the importance of aesthetics for philosophical thinking« (R. Bubner, Hegel’s aesthetics: Yesterday and today, in: Art and Logic in Hegel’s Philosophy, 1980, S. 15). 964 S. Nordin, Romantikens filosofie, 1987, S. 40 ff. 965 Stycken, til befrämjande af rätta begrep om philosophien, dess ändam”l och närvarande tilst”nd, utgifne af Daniel BoÚthius. Upsala 1794. Es handelte sich hierbei weitgehend um die Übersetzung eines Textes des deutschen Kantianers G. G. Fülleborn. P. N. Christiernin unterwarf die Schrift umgehend einem kritischen Durchgang.

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Schiller im ästhetischen Diskurs

Kant einnahm. Die Philosophie, und so auch die Ästhetik, befand sich in den 1790er Jahren im Übergang vom Empirismus zum Kritizismus und Idealismus. Dass auch die Ästhetik Schillers nicht unbedingt unproblematisch erschien, zeigen einige Aussagen Christoffer B. Zibets, ab 1801 Hauptverantwortlicher für die Zensur in Schweden, der vor allem gegen die herrschende Modephilosophie vorgehen wollte, die keinen guten Einfluss habe auf die Literatur : Um sich davon zu überzeugen, brauche man nur die philosophischen Schriften des »ansonsten so genialen Schiller zu lesen«.966

1.

Die Autonomie der Kunst (1797)

Der erste Ästhetik-Dozent in Lund war Anders Lidbeck (1772 – 1829), welcher 1796 seine ersten Ästhetik-Vorlesungen hielt und bereits 1797 mit der akademischen Abhandlung Almänna æsthetiska anmärkningar (dt. Allgemeine ästhetische Anmerkungen) hervortrat. Zwei programmatisch zu verstehende Motti sind dieser Arbeit vorangestellt, mit welchen sich Lidbeck als Aufklärer zu erkennen gibt. Das erste wurde Nils von Rosensteins Rede Anmärkningar om vitterhet och smak (dt. Anmerkungen über Literatur und Geschmack) entnommen, welche von demselben 1787 in der Schwedischen Akademie verlesen wurde. Das Motto ist auch eines der wenigen Beispiele, das zeigt, dass Lidbeck durchaus eine »politische« Meinung hatte, die im Gegensatz zu der der Regierenden stand: Rosenstein war als alter Gustavianer und überzeugter Aufklärer dem regierenden Reuterholm ein Dorn im Auge.967 Das zweite Motto ist Jean-Baptist Du Bos’ R¦flexions critiques sur la po¦sie et la peinture (1719) entnommen, einem grundlegenden Text der vorkritischen Ästhetik, in welchem Du Bos vom Vergnügen oder Gefallen als Kern der ästhetischen Erfahrung handelt: »L’ouvrage plait-il, ou ne plait-il pas? L’ouvrage est-il bon ou mauvais en general? C’est la mÞme chose.« Du Bos folgend definiert Lidbeck gleich zu Beginn des zweiten Kapitels: »Att förnöja, är de sköna konsternas hufvudafsikt, at förbättra v”r moralitet, är en biafsikt af största värde […]« (dt. Zu gefallen ist die Hauptabsicht der schönen Künste, unsere Moral zu verbessern ist eine Nebenabsicht von größtem Wert […]).968 Vom Empirismus 966 C. B. Zibet, Hovkanslersämbetets skrivelser fr”n ”r 1805, Riksarkivet, zitiert nach T. v. Vegesack, Smak för frihet, 1995. 967 C. Svensson, Anders Lidbeck och 17-talets estetik, 1987, S. 50, nennt als weiteres Indiz für Lidbecks intellektuelle Insubordination die Nennung der Marseillaise in einer privaten Vorlesung 1800, also zum Höhepunkt der Hexenjagd auf die Junta, in deren Rahmen die Marseillaise als Stein des Anstoßes ebenfalls eine Rolle spielte. 968 Im deutschen Sprachgebiet wurde Du Bos vor allem durch besagte Schrift bekannt, worin er sich gegen eine streng regelgeleitete Kunstproduktion wandte, wie sie bis ins 18. Jahr-

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herkommend, der die schwedische Philosophie seit ungefähr zwei Jahrzehnten dominierte, war die Rückführung der ästhetischen Erfahrung auf ein Gefühl naheliegend, ja zwingend. Gleichwohl vertritt Lidbeck den Gedanken der Autonomie der Kunst mit Insistenz – er ist vermutlich der erste in Schweden, der diesen entschieden ausspricht und einfordert. Sowohl Jakob Fredrik Neikter in Uppsala als auch Henrik Gabriel Porthan in æbo hingen noch der Vorstellung einer moralischen Aufgabe der Poesie an.969 So erklärte Neikter, die Poesie sei »eine Kunst, die durch die Erregung nützlicher und tugendhafter Leidenschaften und Sinnesregungen die Einbildung rührt. Der Zweck ist die Tugend und schöne Dinge angenehmer für uns zu machen.«970 Lidbeck grenzt den Bereich des Ästhetischen jedoch nicht nur vom Moralischen, sondern auch vom Angenehmen als bloß Sinnlichem ab – dies trotz einer gewissen Distanz zu Kant, dessen haarscharfe Distinktionen auch den Empiristen überzeugt haben mögen. Das Fach »Ästhetik« wurde in Schweden zu diesem Zeitpunkt noch »Vitterhet« genannt, eine altnordische Bezeichnung, welche wie die Kollationen »belles lettres« (in Frankreich) und »schöne Wissenschaft« (in Deutschland) nicht nur die schöne Literatur, sondern auch die wissenschaftlich-humanistische Literatur beinhaltete.971 Lidbeck schloss sich der gesamteuropäischen Tendenz einer Abkopplung des ästhetischen Bereichs an und definierte kategorisch: »Wenn von der Poesie oder von der Rhetorik die Rede ist, dann nennen wir sie ›Vitterhet‹.« Die in Schweden (wie in Frankreich) übliche Praxis, zur Vitterhet in einer weiteren Bedeutung auch die Wissenschaften zu rechnen, die dem Dichter und Redner als »Vorbereitung und Grund« dienen, wie die Sprachlehre, die Geschichte, die Philosophie etc., lehnt er ab.972 Wenn Lidbeck in seiner ersten Schrift Almänna æstetiska anmärkningar dem Begriff »Ästhetik« den Vorzug

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hundert vorherrschte. Aufgabe der Dichtkunst und Malerei sei es, »de toucher et de plaire«, er postulierte m.a.W. die Vorrangigkeit der Wirkung des Kunstwerks und des Geschmacks des Publikums. Kunst dürfe nicht nur schön sein, sondern müsse die Herzen bewegen: Damit markiert Du Bos den Übergang vom Rationalismus zur Empfindsamkeit. Auch in Schweden wurde die erste Kritik der Regelästhetik, J. F. Neikter in seiner Abhandlung über die tragische Poesie, im Namen Du Bos vorgebracht. Siehe M. Lamm, Upplysningtidens Romantik, II, 1963, S. 268 – 269. Siehe A. Nilsson, Jakob Fredrik Neikter, in: Samlaren, 1913, S. 232. Zitiert nach M. Lamm, Upplysningtidens romantik, II, 1963, S. 269. Zur Bedeutung und zum Bedeutungswandel des Begriffs »Vitterhet« (etwa: Schöne Wissenschaft) siehe B. Bennich-Björkman, Termen litteratur i svenskan 1750 – 1850, 1970. Zu den Lehrstuhlbezeichnungen im Schweden dieser Zeit siehe L. Gustafsson, Estetik i förvandling, 1986. In Lund wurde der Lehrstuhl schon ab 1801 dem Fach »Ästhetik« zugeschrieben, während in Uppsala und æbo noch lange der Begriff »Vitterhet« vorherrschte; generell war die Dozentur in Ästhetik bzw. Vitterhet bis 1828 an den Bibliotheksdienst gebunden, Lidbeck gelang es jedoch 1801 in Lund, die Ästhetik von demselben abzukoppeln. 1828 schlug Atterbom in Uppsala die Schaffung eines Lehrstuhls »Ästhetik« vor, welcher nicht an den Bibliotheksdienst gebunden war. A. Lidbeck, Almänna æsthetiska anmärkningar, 1796 – 1797, S. 7.

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Schiller im ästhetischen Diskurs

vor dem Begriff Vitterhet gab, so ist auch dies ein Hinweis auf eine Hinwendung zum deutschen und eine Abwendung vom französischen Sprachgebrauch, wo noch lange der Terminus »belles lettres« verwendet wurde.973 Folgerichtig wurde in Lund durch Lidbecks Bemühungen das Fach bereits 1801 von seiner Anbindung an den Bibliotheksdienst abgekoppelt und »Ästhetik« genannt. Die Ausdifferenzierung der Ästhetik sowie die Entstehung der Autonomie des Künstlers und des Kunstwerks ist als ein in der Renaissance ansetzender Prozess anzusehen, der, durch den Absolutismus abgebremst und zurückgeworfen, in der Aufklärung erneut und theoretisch vertieft einsetzt und über mehrere Stufen und unterschiedliche Traditionslinien zwischen Baumgarten und Kant in die Autonomieästhetik mündet.974 Vor allem das politische und ökonomische Erstarken des Bürgertums hat diese Entwicklung entscheidend mitgeprägt.975 Gerade in der Schaffung der philosophischen Ästhetik wird der Jahrhunderte dauernde Prozess der Autonomisierung der Kunstsphäre auf den »Begriff gebracht«, führt Bürger aus. Mit dem »modernen, erst Ende des 18. Jahrhunderts geläufig gewordenen Begriff der Kunst als einer umfassenden Bezeichnung für Dichtung, Musik, Bühnenkunst, Bildkunst, Baukunst« wird die künstlerische Tätigkeit als eine von allen andern Tätigkeiten verschiedene gefasst. »Die verschiedenen Künste wurden aus ihren Lebensbezügen herausgelöst, als ein verfügbares Ganzes zusammengedacht […]; und dieses Ganze wurde als Reich zweckfreien Schaffens und interesselosen Wohlgefallens gegenübergestellt dem Leben der Gesellschaft, die rational, in strenger Ausrichtung auf definierbare Zwecke zu ordnen Aufgabe der Zukunft zu sein schien.« Erst mit der Konstituierung der Ästhetik als eines selbständigen Bereichs philosophischer Erkenntnis entsteht jener Begriff von Kunst, der zur Folge hat, dass das künstlerische Schaffen aus der Lebenstotalität gesellschaftlicher Aktivitäten herausfällt und ihr abstrakt gegenübertritt.976

In der Tat distanziert sich Lidbeck namentlich von Sulzer, dem es »kaum hätte entgehen können«, dass das Wesen der schönen Künste in deren Kraft liege zu vergnügen.977 Sulzer sei jedoch durch seinen Wunsch, eine »politische Sprache« zu sprechen, um den »führenden Staatsmännern« den Wert der schönen Künste 973 Ästhetische Grundbegriffe, I, Ästhetik, S. 327 f. 974 Siehe z. B. M. Jiminez, Qu’est-ce que l’esth¦tique?, 1997, S. 33; P. Burke, Die Renaissance in Italien, 1988. 975 P. Bürger, Theorie der Avantgarde, 1974, S. 53, warnt jedoch vor monokausalen Erklärungsversuchen: »Der über Jahrhunderte sich hinziehende widerspruchsvolle (von Gegenbewegungen immer wieder gehemmte) Prozess der Herausbildung des gesellschaftlichen Bereichs, den wir als Kunst bezeichnen, lässt sich kaum aus einer einzelnen »Ursache« herleiten, sei diese auch von so zentraler gesamtgesellschaftlicher Bedeutung wie der Marktmechanismus.« 976 P. Bürger, Theorie der Avantgarde, 1974, S. 57. 977 Hier und im Folgenden A. Lidbeck, Almänna æsthetiska anmärkningar, 1796 – 1797, S. 13 f.

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nahezulegen, dazu verleitet worden, auf den Nutzen derselben hinzuweisen und ihr Vermögen, das »Menschen-Herz« zu bilden. »Den schönen Künsten einen moralischen Zweck zu geben ist wohlmeinend und man glaubte damit deren Rang zu erhöhen, einen Weg zur Gunst des Staates zu bahnen und auch zur Hochachtung ihrer Feinde.« Lidbeck folgt hier bis in die Wortwahl hinein Schiller, welcher ebenfalls die »wohlgemeinte Absicht, das Moralische überall als höchsten Zweck zu verfolgen« als Ursache so »manches Mittelmäßige« in der Kunst sieht: »Um den Künsten einen recht hohen Rang anzuweisen, um ihnen die Gunst des Staats, die Ehrfurcht aller Menschen zu erwerben, vertreibt man sie aus ihrem eigentümlichen Gebiet, um ihnen einen Beruf aufzudringen, der ihnen fremd und ganz unnatürlich ist.«978 Es handelt sich aber auch um eine Abgrenzung von einer Tendenz des Klassizismus, Kunst nur als »eine verstandesmäßige Darlegung moralischer Vorschriften« aufzufassen und die Literatur als »einen Teil der Politik im weitesten Sinne des Wortes« zu betrachten.979 Die Entkopplung der Ästhetik gerade vom Politischen, der Autonomieanspruch derselben, richtet sich aber paradoxerweise polemisch gegen die feudale, klerikale und gustavianische, d. h. politische Indienstnahme der Kunst.980 Die Forderung der Autonomie der Ästhetik impliziert m.a.W. die Forderung nach einer Einschränkung der staatlichen Macht. Von den Kunstwerken redend, stellt er fest: Dies ungeachtet, steht es immer ebenso fest, dass das Vergnügen ihr wesentlichstes Ziel ist, wie dass das Begehren danach ihr Ursprung gewesen ist. Ihr erstes unverändertes Ziel ist zu vergnügen, aber daneben versuchen sie aus zweierlei Gründen, das moralische Gefühl zu stärken und zu vervollkommnen, und alle tugendhaften Neigungen lebendig und stark zu machen, teils, weil dies eine ihrer edelsten, obgleich abgelegenen Pflichten ist, teils, da sie hierdurch am glücklichsten und sichersten ihr erstes Ziel erreichen. […] Wenn man dagegen das moralisch Gute zu ihrem Grund- und Hauptzweck machte, würde man ihre Natur verändern, ihnen ihre Freiheit wegnehmen, die ihnen so viel Stärke gibt, ihnen die Verlockung des Vergnügens berauben, von dessen Kraft sie eine so allgemeine Wirkung haben, und ihr Spiel in eine ernste Arbeit verwandeln.981 978 F. Schiller, Über den Grund des Vergnügens an tragischen Gegenständen, in: NA, XX, 148 – 170. Schillers Abgrenzung betrifft neben Sulzer, Diderot, Moritz u. a. auch seine eigene frühere Anschauung, z. B. in Was kann eine gute stehende Schaubühne eigentlich wirken? 979 R. Wellek, Geschichte der Literaturkritik 1750 – 1950, I, 1978, S. 37. 980 Siehe Ästhetische Grundbegriffe, II, Geschmack, S. 792: »Der zentrale Emanzipationsgedanke ist die im 18. Jahrhundert (etwa bei Kant) entwickelte Vorstellung einer ästhetischen Autonomie. In diesem Gedanken ist nämlich die durchaus revolutionäre Behauptung enthalten, Kunstgegenstände seien nicht hauptsächlich unter religiösen, moralischen oder politischen, sondern letztlich allein unter ästhetischen Gesichtspunkten angemessen zu beurteilen.« 981 A. Lidbeck, Almänna æsthetiska anmärkningar, II, 1796 – 1797, S. 15: »Detta oaktadt, st”r det alltid lika s” fast, at nöjet är deras väsendtligaste afsigt, som at begäret därefter varit

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Schiller im ästhetischen Diskurs

Lidbeck betont im Anschluss an Kant und Schiller, dass eine ausschließlich auf das Nützliche und Pädagogische in der Kunst abzielende Sichtweise sich nicht philosophisch begründen lasse, sondern nur politisch. Gleichwohl solle Kunst »spielend den Verstand erhellen« (schw. under lek upplysa först”ndet), erklärt Lidbeck unter Verwendung von Schiller’schen Formulierungen und unter Hinweis auf den deutschen Dichter und seine Zeitschrift Die Horen, in welcher 1795 die Ästhetische Erziehung erschienen waren, die Lidbeck hier nur wenige Monate später zitiert und rezipiert. Lidbeck ist der Auffassung, dass die Ästhetik für die Erziehung und Bildung des Individuums von besonderer Bedeutung ist. Der Moralist muss sich an die schönen Künste wenden, um denjenigen, der seine trockenen und strengen Maximen flieht, zurückzurufen […] Und wenn es uns gelingt, die Leichtsinnigkeit und das Rohe aus den Vergnügungen der Mitmenschen zu verjagen, so seid froh, denn freiwillig und unbemerkt sollen sie danach aus ihren Taten verschwinden und allmählich aus ihrer Denkweise.982

Das Schiller’sche Schwanken zwischen der Abgrenzung der autonomen Kunstsphäre von jeglicher Moral, um sie zur Hintertür wieder hereinzulassen, macht sich auch bei Lidbeck bemerkbar. Lidbeck definierte das Ästhetische also in deutlicher Unterscheidung zum gängigen Begriff der »Vitterhet«, grenzte es aber auch vom Politischen, Moralischen und bloß Angenehm-Sinnlichen ab – vielmehr hat er das junge Fach, das sowohl in Uppsala, als auch in æbo und Lund an den Bibliotheksdienst gebunden war, als erster in Schweden 1801 von dieser Abhängigkeit befreit und als wirklich autonomes Fach etabliert, und dies offensichtlich in Anlehnung an Kant und Schiller.

deras ursprung. Deras första oföränderliga syftem”l är at förnöja, men därjämte söka de af tvefaldig orsak, at upelda och fullkomna den moraliska känslan, och at lifva och stärka alla dygdiga böjelser, dels emedan detta är en deras ädla, fast aflägsnare plikt, dels emedan de härigenom lyckligast och säkrast vinna deras första syftem”l. […] Om man tvärtom gjorde befordrandet af det moraliskt goda till deras grund och hufvud-ändam”l, omväxlade man deras natur, betog dem deras frihet, som skänker dem s” mycken styrka, beröfvade dem nöjets retelse, i kraft hvaraf de äga en s” almän verkan, och förvandlade deras lek i en alfvarsam sysla.« 982 Ebd., S. 16: »Moralisten m”ste anlita de sköna konsterna, för at vinka tilbaka flyktingen för hans torra och stränga maximer. […] Och lyckas det oss, at förjaga lättsinnighet och r”het ur medmenniskors nöjen, s” glädjoms; ty sjelfmant och oförmärkt skola de därefter försvinna ur deras gärningar, och omsider ur deras tänkesätt.«

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Die Autonomie des Ästhetischen und damit die Ästhetik als Wissenschaftsdisziplin konnte sich erst entwickeln, als der Begriff des »Geschmacks« gefunden war.983 Der Aufstieg der Geschmacks-Ästhetik im 18. Jahrhundert ist wiederum eng verbunden mit der Aufklärung, die »Loslösung der Kunstsphäre von der Hegemonie kunstfremder Institutionen wie Religion und Politik, Kirche und Staat«.984 Das Konzept einer Geschmacks-Ästhetik war polemisch und programmatisch gegen den Rationalismus der aristotelisch-dogmatischen Regelpoetik gerichtet und somit Teil der sukzessiven Ermächtigung der Sinnlichkeit und des Individuums in der Spätaufklärung.985 Die Subjektivität des Ästhetischen wird zusätzlich unterstrichen, wenn dem Genie eine besondere Rolle im Entstehungs- und Beurteilungsprozess der Kunst zugeschrieben wird. Dementsprechend scheint die im Motto der Schwedischen Akademie angelegte Doppelspitze, »Snille och smak« (dt. Genie und Geschmack), vereint gegen eine Regelpoetik gerichtet zu sein. Dem Gustavianer Leopold stellten sich in seinem Essay Om Smaken och dess allmänna lagar (dt. Über den Geschmack und seine allgemeinen Gesetze, 1800 – 1802) ästhetische Fragestellungen zwar hauptsächlich als Geschmacksfragen,986 gleichwohl trägt er dem Motto Rechnung, wenn er schreibt, dass der Geschmack »die Regel des Genies« sei, »nicht das Genie selbst. Jede Regel setzt Stoff voraus, worauf sie angewandt wird. Der Geschmack, um kein leerer Begriff zu sein, setzt das Genie voraus, das heißt den Reichtum an lebhaft wirkenden Vorstellungen« (274). Das Zitat dokumentiert noch einmal, was kulturgeschichtlich bekannt ist: Der Geschmack tendiert zur Regel, ja ihm kommt die Aufgabe zu, das Genie mit den Regeln zu versöhnen. Gleichwohl liegt der Ursprung jeglicher Kunst im Genie, denn der Geschmack ist angewiesen auf die Vorstellungen, welche dieses hervorbringt. Trotz dieser primären Stellung 983 L. Ferry, Homo Aestheticus, 1990, S. 22: »La naissance de l’esth¦tique comme discipline philosophique est indissolublement li¦e — la mutation radicale qui intervient dans la repr¦sentation du beau lorsque ce dernier est pens¦ en termes du gout, donc, — partir de ce qui en l’homme va apparatitre bientot comme l’essence meme de la subjectivit¦, comme le plus subjectif du sujet. Avec le concept de gout, en effet, le beau est rapport¦ si intimement — la subjectivit¦ humaine qu’— la limite il se d¦finit par le plaisir qu’il procure, par les sensations ou les sentimints qu’il suscite en nous.« Siehe auch A. Baeumler, Das Irrationalitätsproblem in der Ästhetik und Logik des 18. Jahrhunderts bis zur Kritik der Urteilskraft, 1923. 984 Ästhetische Grundbegriffe, II, Geschmack, 2001, S. 792. 985 Die gegen die Regel-Ästhetik gerichtete polemische Spitze der Geschmacks-Ästhetik wurde von J. B. Du Bos in Reflexions critiques prägnant benannt: »On goute le ragout, & meme sans savoir ces regles, on connoit s’il est bon.« 986 C. G. af Leopold, Om smaken och dess allmänna lagar, in: Samlade Skrifter, II, 1800 – 1802, in überarbeiteter und stark erweiterter Form 1814 – 1833 in Samlade Skrifter erneut abgedruckt. Zitate und Hinweise auf diesen Text werden im Folgenden lediglich durch Angabe der Seitenzahl im laufenden Text ausgewiesen, z. B. »(274)«

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des Genies im Verhältnis zum Geschmack handelt Leopold ausschließlich vom Geschmack. Die Aussparung des Genies hängt jedoch offensichtlich damit zusammen, dass der Geschmack »gebildet« werden kann, im Unterschied zum Genie.987 Leopolds intensive Auseinandersetzung mit Fragen der Ästhetik war vermutlich eine Spätfolge der Auseinandersetzung mit Thorild zu Beginn der 1790er Jahre, der im Oktober 1792 mit der Schrift Om efterhärmning (dt. Über Nachahmung), in welcher er die Nachahmung kritisierte, die klassizistische Partei herausgefordert hatte.988 Leopold rezensierte Thorilds Aufsatz am 18. und 19. Oktober in Extra Posten kritisch und handelte im November in einem Aufsatz ausführlich von der Imitation, wobei er den jungen Autoren, wenn nicht das Nachbilden, so doch das Nacheifern von erlauchten Vorbildern empfahl. Die Nachwehen dieses Konflikts spürt man noch deutlich im Auftakt der Geschmacks-Schrift, in welcher Leopold von zwei prinzipiell möglichen Geschmackskulturen, deren eine Voltaires und Racines »edlen und harmonischen Stil«, deren andere das »Unregelmäßige und Wilde« Shakespeares höher schätzt (242).989 Ausgangspunkt der Leopold’schen Fragestellung ist also die Empörung über die Verschiedenheit des Geschmacks, wie sie sich in der Konfrontation mit Thorild darstellte, und wie sie auch in Deutschland und andernorts einige Jahrzehnte früher diskutiert wurde.990 Der Auftakt der Fragestellung wurde aber auch von Humes Of the Standard of Taste (1757) vorgegeben, welcher »the great variety of taste« beklagt und die Überwindung der Subjektivität des Geschmackurteils anstrebt. Ein Kardinalpunkt Leopolds, der ihn ebenfalls mit Humes Ästhetik verbindet, ist die Annahme von zwar empirischen, jedoch gleichwohl verallgemeinerbaren Urteilen den Geschmack und die Moral betreffend. Es gäbe eine gewisse gleichartige »känslodaning« (dt. Gefühlsbildung) beim Menschen,991 welche bewirke, dass auf einfache Empfindungen beruhende 987 Eine solche Aussparung verbindet Leopold mit Schiller, welcher sogar »im schärfstem Gegensatz zu aller auf dem Geniegedanken begründeten Poetik seiner Zeit« stand. Siehe B. v. Wiese, Friedrich Schiller, 1963, S. 433. 988 Siehe S. Arvidson, Harmens diktare. Thorild, II, 1993, S. 575 ff. 989 C. G. af Leopold, Om smaken och dess allmänna lagar, in: Samlade Skrifter, II, 1800 – 1802, S. 242. Eine Reaktion auf die Auseinandersetzung mit Thorild ist auch darin zu bemerken, dass Leopold im Vergleich zu früheren Äußerungen den Gültigkeitsbereich des Geschmacks ausweitet und seine Relativität einschränkt. Thorild hatte das Recht des Genies gegen den Geschmack behauptet, weshalb Leopold den Urteilsspruch des Geschmacks vom nur Angenehmen auf große Geniewerke ausweitete. Siehe A. E. Sjöding, Leopold den gustavianske smakdomaren, 1931, S. 490. 990 W. Amann, »Die stille Arbeit des Geschmacks«, 1999, S. 32, weist hin auf Marcus Herz, Versuch über den Geschmack und die Ursachen seiner Verschiedenheit, 1776. 991 Ein schwer zu übersetzendes Wort; A. E. Sjöding, Leopold den gustavianske smakdomaren, 193, S. 514, schlägt zur Erklärung das schwedische »sinnesbeskaffenhet« vor, also in etwa »Sinnesbeschaffenheit«.

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Wahrnehmungen spezifische Gefühle hervorrufen, z. B. Ekel oder Lust, und zwar allgemein, d. h. bei allen Menschen (239 f). Sowohl Hume als auch Leopold setzen also einen auf die physiologische Konstruktion des Menschen beruhenden Normalzustand voraus, der das Fundament für einen allgemeinen Geschmack bildet.992 Leopold definiert der gängigen Formel des 18. Jahrhunderts folgend das Ziel der Kunst als das »größte Vergnügen« (»största nöjet«, 274), deren Intensität sich jedoch je nach »Bildungsgrad« (»Odlings-graderna«, 272) unterscheide.993 Die eingangs von Leopold skandalisierte Ungleichheit des Geschmacks resultiert also aus dem Unterschied der jeweiligen Bildung (odling) und betrifft sowohl Individuen als auch Kulturen. Das höchste Gesetz des Geschmacks sei es, zu gefallen, aber nicht Barbaren oder Halbgebildeten, sondern Personen mit einer »vollkommenen Bildung« (odling). Bei diesen gebe es zwei prinzipielle Gründe des Wohlgefallens bei der »Betrachtung« von Kunstobjekten: 1. Ein Wohlgefallen an edleren und würdigeren Vorstellungen (»bifallet till sig sjelf«, 272), sowie das Angenehme eines geglückten Kunsteffekts (»bifallet till den bättre utförda saken«, 273). Der gute Geschmack und die Bildung resultiere aus der Veredlung und Vereinigung der beiden Momente Verstand und Gefühl. Sjöding deutet deshalb Leopolds Ästhetik als Versuch, Neues und Altes, Romantik und Klassik, Subjekt und Objekt, Kunstproduktion und Kunstgenuss miteinander zu versöhnen.994 Den absoluten Vereinigungspunkt (»föreningspunkt«, 275) müsse man sich als »Ideal« (276), als Approximationspunkt, vorstellen, der vermutlich nie zur Gänze erreicht werde (275).995 Das als Fernziel propagierte Perfektibilitäts-Ideal ist eine zentrale Denkfigur der Anthropologie in der deutschen Spätaufklärung,996 bei Leopold deutet sich aber offensichtlich zusätzlich noch 992 Ebd., S. 510. Hume bezeichnet dies auch als »the original structure of the internal fabric«. 993 O. Holmberg, Leopold under Gustaf IVAdolf 1796 – 1809, 1962, S. 190, meinte, dass Leopold das Wort »odling« in seiner spezifischen bildungs-humanistischen Bedeutung in Schweden eingeführt habe. Wie jedoch schon früher dargelegt, ist der Begriff von der bisherigen Forschung unbeachtet zum ersten Mal von Höijer in Schiller-nahem Kontext verwendet worden (siehe VI:6). Aber auch Lidbeck hat den Begriff »bilden« – ebenfalls bisher unbeachtet – als Verb in der Bedeutung Schillers bereits 1795 in Almänna æstetiska anmärkningar, 1796 – 1797, S. 17, verwendet. Ein Einfluss von Schiller auf direktem Wege und/ oder auch vermittelt über Höijer bzw. Lidbeck – Schriften sowohl des einen als auch des anderen müssen Leopold bekannt gewesen sein – ist hier kaum auszuschließen. Leopold hat den Begriff »odling« von »daning« abgesetzt: die letztere bezeichnete ihm eine von Natur gegebene, die erstere eine angeeignete Bildung (S. 266). 994 Siehe A. E. Sjöding, Leopold den gustavianske smakdomaren, 1931, S. 549. 995 Hierin unterscheidet sich Leopold z. B. von Hume, welcher die Eigenschaften des idealen Kunstkritikers zwar nur in wenigen Menschen versammelt sieht, aber gleichwohl von der kulturgeschichtlichen Realität des vorbildlichen Kritikers ausgeht. 996 Die Annahme einer unendlichen Vervollkommnungsfähigkeit des Menschen sowie ihre metaphysischen Implikationen (z. B. Unsterblichkeit) stehen im Anschluss an J. J. Spaldings Schrift Betrachtung über die Bestimmung des Menschen im Mittelpunkt der Debatte zwi-

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ein über These, Antithese und Synthese verlaufendes Fortschreiten an, welches allen bedeutenden Werken Schillers eignet und schließlich zu einem Grundmotiv der Romantik und des deutschen Idealismus avancieren sollte.997 Wenn also die Unterschiede des Geschmacks nicht gänzlich zu beseitigen seien, so könnten sie doch vermindert werden. Leopold glaubte nämlich an die Kommunizierbarkeit von Geschmacksurteilen und bestritt deshalb die Maxime, dass man über Geschmack nicht streiten könne. Unterschiede des Geschmacks beruhen nämlich nicht auf einem Unterschied im jeweiligen Gefühlshaushalt, sondern auf unterschiedlichen Begriffen und Vorstellungen (249, 269 – 270), und diese sind, so muss Leopold wohl verstanden werden, im Unterschied zu den auf einfache Empfindungen reagierenden Gefühlen, angelernt. Das wirkliche Mittel einer möglichen »Vereinigung« unterschiedlicher Meinungen sieht er in der Einsicht, dass alle Streitfälle (insbesondere was den Geschmack angeht) zwei Seiten haben, aus welchen sich unterschiedliche Vorstellungen ableiten können: Man müsse immer damit rechnen, dass man ein Objekt nicht vollkommen gesehen oder eine Seite übersehen habe und dass der andere die Sache besser und vollständiger sieht.998 Dieser Glaube an die prinzipielle Kommunizierbarkeit teilt Leopold mit Kant, welcher in § 39 und 40 seiner Kritik der Urteilskraft von der Mitteilbarkeit der Empfindungen und vom sensus communis handelt. Kant widerspricht der Vorstellung, dass unterschiedliche Geschmacksurteile unvereinbar seien, indem er schen Thomas Abbt und Moses Mendelssohn, welche 1764 in der Zeitschrift Briefe, die neueste Litteratur betreffend ausgetragen wird. Bei Schiller macht sich der Einfluss dieser Autoren geltend, wenn er in Über naive und sentimentalische Dichtung (NA, XX, 489) definiert: »Der Idee nach geht nämlich die Veredlung immer ins Unendliche«. Mehrere Artikel und Aufsätze der 1790er Jahre dokumentieren, dass Leopold in etwa unter dem gleichen Einfluss stand, wie Schiller : vor allem englische Philosophen machen sich geltend sowie Sulzer. 997 Siehe F. Beiser, Schiller as Philosopher, 2005, S. 101 – 110. Hinsichtlich des Ursprungs »dialektischer« Denkansätze ist man sich offensichtlich noch nicht einig: Wellek z. B. sieht die »nächste Parallele« zu Coleridges angestrebter Versöhnung von entgegengesetzten oder sich widersprechenden Eigenschaften bei Schelling (R. Wellek, Geschichte der Literaturkritik, I, S. 17). Die antithetische Vorgehensweise war freilich schon von Kant kultiviert worden, der diesen Zusammenhang allerdings als statisch sieht, während Schiller ihn als dynamisch und dialektisch auffasst. Die Phasen dieser Dialektik bestehen aus einer These (Anmut), einer Antithese (Würde) und einer Synthese (Anmut höheren Grades). Diese Dialektik wiederholt sich bis Natur und Vernunft im »Ideal der menschlichen Schönheit« eins werden und demzufolge auch kein Unterschied mehr besteht zwischen Anmut und Würde. Siehe K. P. Wilcox, Anmut und Würde. Die Dialektik der menschlichen Vollendung bei Schiller, 1981. Die Aufhebung der Antithese in einem höheren Vereinigungspunkt ist demgemäß ein Schritt, den Schiller über Kant hinausgegangen ist. Am deutlichsten in Über die Ästhetische Erziehung mit den Begriffen »Stofftrieb«, »Formtrieb« und »Spieltrieb«, aber auch schon in Anmut und Würde, wie sich ja das gesamte Schiller’sche Denken in Dichotomien vollzieht und stets auf einen Vereinigungspunkt drängt. 998 C. G. af Leopold, Om smaken och dess allmänna lagar, in: Samlade Skrifter, 1800 – 1802, S. 269 f.

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das Geschmacksvermögen in die Nähe des sensus communis rückt. Deswegen seien auch die folgenden Maximen des gemeinen Menschenverstands in Geschmacksfragen dienlich: Selbstdenken, an der Stelle jedes anderen denken und jederzeit mit sich selbst einstimmig denken, d. h. er fordert die vorurteilsfreie, erweiterte und konsequente Denkungsart. Selbstdenken sei die Maxime einer niemals passiven Vernunft, welche letztere zu Vorurteilen oder gar Aberglaube führe. »Befreiung vom Aberglauben heißt Aufklärung« und sei in Thesi leicht, »in Hypothesi aber eine schwere und langsam auszuführende Sache«.999 Leopold argumentiert in drei Punkten analog zu Kant: die Kommunikation und Übereinstimmung von Geschmacksurteilen ist möglich; die Urteilsfindung ist eine theoretisch einfache Sache, im praktischen Vollzug wird sie jedoch häufig von der Passivität vereitelt; die Überwindung dieser Passivität durch Selbstdenken ist der Beginn der Aufklärung.1000 Die Rede von der »Mitteilbarkeit« sowie der Bezug auf den sensus communis enthält natürlich eine Spitze gegen das Geniegebaren gewisser Zeitgenossen. Auch Schillers Ästhetik, so wie sie in Über die Ästhetische Erziehung entworfen wurde, ist eine implizite Geschmacks-Ästhetik, ein Sachverhalt, dem Schiller in seiner Ästhetik-Vorlesung (1792 – 1993) Rechnung trug, als er dem Geschmack eine besondere Aufmerksamkeit zuteil werden ließ.1001 Die Aufgabe der Ästhetik sei es, so Schiller, »die Gränzen des Geschmacks genau und richtig zu zeichnen«, wobei der »Geschmackslehre« auch die Funktion zukommt, »den Künstler vor Verirrung seines Genies zurückzuhalten«, indem er auf die »allgemeine Mittheilbarkeit« achtet.1002 Dem Geschmack eignet solchermaßen eine »sozialisierende Funktion«,1003 indem er nicht nur auf »unsre Glückseligkeit«

999 I. Kant, Kritik der Urteilskraft, 1974, S. 145. 1000 Dies ist die einzige Stelle in der Kritik der Urteilskraft, welche sich explizit auf die Aufklärung bezieht. Leopold, der sein Leben lang den deutschen Idealismus und die Romantik verachtet hat, hätte also durchaus bei Kant anknüpfen können, um die »Schwärmereien« der reinen Einbildungskraft wieder in ihre Schranken zu weisen. Als Aufklärer der ersten Stunde ein Mann des gesunden Menschenverstands und erkenntnistheoretischer Empirist stand er jedoch dem Kritizismus skeptisch gegenüber, außerdem war ihm die Kant’sche Ethik in ihrer Rigorosität zu unrealistisch. Er publizierte 1797 in der Zeitschrift Läsning i blandade ämnen eine fast hundertseitige Kritik von Kants Grundlegung der Metaphysik der Sitten, in welcher er sich von seiner empiristischen Warte aus vor allem von dem »Abstrakten«, »Unrealistischen« und »Wirklichkeitsfremden« im Pflichtbegriff, so wie er seiner Meinung nach von Kant formuliert wurde, distanzierte, was ihn durchaus in die Nähe von Schillers ästhetischen Schriften hätte bringen können. Siehe A. Nyblaeus, Den filosofiska forskningen i Sverige, I:2, 1875, S. 128; A. E. Sjöding, Leopold den gustavianske smakdomaren, 1931, S. 459 1001 Fragmente aus Schillers Aesthetischen Vorlesungen, in: NA, XXI, 66 – 88. 1002 Ebd. NA, XXI, 66 f. 1003 W. Amann, »Die stille Arbeit des Geschmacks«, 1999, S. 30.

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zielt, sondern auch »civilisiert und kultiviert« und zu einer »Verfeinerung der Lebensart« führt. Ein Vergleich mit Lidbecks nur zwei Jahre später publizierter Abhandlung Anmärkningar hörande till läran om smaken och det sköna (dt. Anmerkungen über die Lehre des Geschmacks und des Schönen, 1805)1004 zeigt, wie nahe die Geschmacks-Ästhetik dem humanistischen Credo einer allseitigen Bildung ist. Ausgehend von der englischen moral-sense-Philosophie und insbesondere von Henry Homes Elements of Criticism (1762), bei welchem der Geschmack eine fundamentale Rolle spielte, versuchte Lidbeck dessen Position mit derjenigen von Kant und Schiller zu verbinden. Wenn sich der Geschmack auf das »einfache Schöne« beschränkte und nur über die »Anmut der Formen« urteilte, hätte man Grund, eine größere Übereinstimmung in den Urteilen der Menschen zu erwarten, aber da das Schöne in einer »Mannigfaltigkeit« und in »unzählbaren Zusammensetzungen« auftritt, sei eine Übereinstimmung der Geschmacksurteile kaum vorzustellen (20): Ist also kein Geschmack denkbar, der »warm für Schönheiten jeder Art ist, aber auch weiß, jeder ihren gebührenden Rang und Wert zu geben […]?« Und ein solcher Geschmack, wo sollte man ihn suchen? Wie sollte der Sterbliche sein, bei welchem man sich die Hoffnung machen könnte dieses Ideal zu finden? Dies kann es nicht geben bei jemand anderem als einem im hohem Grade vollkommenen Menschen; und wäre kein spezifisches Vermögen, sondern eine Vereinigung aller Eigenschaften der Seele, des Gefühls, der Einbildung, des Herzens und des Verstands in all ihrer Vortrefflichkeit, und in einer Eintracht und einem Gleichgewicht, dass der eine nicht den anderen unterdrückte oder überwöge. Aber die glücklichste natürliche Anlage würde nicht ausreichen, wenn nicht die beste Erziehung und Übung und die günstigsten äußeren Umstände hinzukämen.1005

Genau wie bei Schiller, welcher in den Kallias-Briefen noch nach objektivierbaren Kriterien des Schönen suchte, schlägt an diesem Punkt die Kunstästhetik in eine Wirkungsästhetik um: Während in der ersten die Beurteilung des Kunstobjektes als dringlichste Aufgabe angesehen wurde, fokussiert die zweite die Wirkung des Kunstobjekts auf den »Betrachter«. Geschmacksfragen sind also Bildungsfragen, denn die Frage nach dem rechten Geschmack drängt auf die 1004 A. Lidbeck, Anmärkningar hörande till läran om smaken och det sköna, 1805. Zitate werden in der Folge im laufenden Text lediglich mit Seitenangabe ausgewiesen. 1005 Ebd., S. 22 f: »Och en s”dan smak hvar skulle man söka den? Hurudan skulle den dödlige vara, hos hvilken man kunde hafva n”got hopp att finna detta ideal? Det kunde icke finnas hos n”gon annan än en i hög grad fullkomlig menniska; och vore icke en särskild förmögenhet, utan skulle förutsätta en förening af själens egenskaper, af känsla, inbillning, hjerta, och först”nd i all deras förträfflighet, och i den endrägt jemvigt, att den ena icke förtryckte eller öfvervägde den andra. Men de lyckligaste naturliga anlag skulle här icke vara tillräckliga, om icke den bästa uppfostran och öfning, och de mest gynnande yttre omständigheter tillkommo«.

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Frage nach der rechten Bildung hin, welche jetzt als höchstes Ziel angesehen wird: Ein so hohes Ziel sollte besonders denen stets leuchten, deren Berufung es ist, andere zu lehren und zu führen; und möge es nie vergessen werden, dass es nicht die vornehmste Aufgabe der Erziehung ist, dem Menschen nur gewisse Kenntnisse und Fertigkeiten beizubringen, die diesen nur brauchbar machen in gewissen Verhältnissen und Lagen, sondern dessen erste und heiligste Pflicht, den Menschen vollkommen zu machen, als Menschen und nicht nur als Mitglied einer gewissen Zunft, ihm eine Neigung einzugeben für das Wahre, Schöne und Rechte, den Verstand, den Geschmack und den Willen in Eintracht zu erheben, und ihn zu einem klugen, anmutigen, und vor allem guten und gerechten Wesen zu bilden.1006

Lidbeck unterstrich trotz postulierter Autonomie des Schönen deren Bedeutung für die Veredlung des Menschen (17): Das Schöne ist ihm nämlich wie Kant und Schiller ein »Symbol« (18) und ein »Analogon« (19) der »Sittlichkeit«.1007 Deshalb kann Tegn¦r in direktem Anschluss an seinen Lehrer Lidbeck und an Schiller postulieren, dass ästhetische Bildung [odling] am sichersten und leichtesten zur moralischen und intellektuellen führt. Denn das Schöne ist nicht weniger verwandt mit unserer sinnlichen als mit unserer unsinnlichen Natur, weshalb auch aller Ausgang aus der Barbarei die ästhetische Bildung [odling] zum Ursprung hatte.1008

Eine solche Bildung hat jedoch nichts mehr mit der z. B. von Home dem Geschmack zugeschriebenen Vermögen zu tun, den Menschen zu einem guten Gesellschaftswesen zu formen. »Die Sozietät kann« nämlich, so Geijer in seiner Einbildungsschrift, »eine Gewandtheit im Umgang geben, sie vervollkommnet die Fertigkeit, alle Regeln der Artigkeit ungezwungen auszuüben: sie kann feine Sitten geben, wenn man so will. Aber schöne Sitten kommen aus der Seele.« Der Ausdruck einer »schönen Sittlichkeit« knüpft natürlich an die klassisch-griechische Vorstellung einer Kalokagathie an und verbindet sich mit dem neuhu1006 Ebd., S. 30: »Ett s”dant högt ändam”l bör i synnerhet ständigt lysa för dem, hvilkas kall det blifvit, att lära och leda andra; och m”tte desse aldrig förgäta, att uppfostrans förnämsta afsigt icke kan vara, att blott bibringa menniskor vissa kunskaper och färdigheter, som kunna göra dem brukbara i vissa förh”llanden och lägen; utan att dess första och heligaste pligt är att fullkomna menniskan, som menniska, och icke som ledamot af ett visst skr”, att ingifva hos henne för det sanna, sköna, och rätta segrande böjelser, att i endrägt uppdraga först”ndet, smaken, och viljan, och bilda henne till en klok, behaglig, och framför allt god och rättvis varelse.« 1007 I. Kant, Kritik der Urteilskraft, 1974, S. 211. 1008 E. Tegn¦r, Filosofiska och estetiska skrifter, 1913, S. 227 f: »Emedlertid är det onektligt, att esthetiskt odling säkrast och lättast förer till moralisk och intellectuell. Ty det sköna är icke mindre beslägtadt med v”r sinliga än v”r osinliga natur, derför har ocks” all utg”ng ur barbariet varit till estetisk odling. […] Och äfven i vettenskaperna skulle den estetiska ansigten af sakerna öppna nya vuer och kanske p” en senare väg leda till sanning.«

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manistischen Glauben an die Bildbarkeit und die Humanisierbarkeit des Menschen auf ästhetischem Wege, welcher im Zuge der Schiller-Rezeption um 1805 offensichtlich den Status eines akademischen Dogmas erlangte, wie der in æbo verfasste akademische Aufsatz von Henrik Snellman, De sensu juventutis aesthetico in legendis auctoribus classicis formando (1806), belegt.1009

3.

Höijer über die Vorzüge der »neuen« Literatur (1796)

Nach einer zweijährigen Auslandsreise vor allem in Deutschland, wo er mit Schelling, Hegel und Schleiermacher Umgang hatte, gab Benjamin Höijer ab 1802 private Vorlesungen über Ästhetik, mit welchen er ein Jahrzehnt die kommende Generation prägte. Zu seiner Hörerschaft zählten im Laufe des folgenden Jahrzehnts die Neuromantiker Hammarsköld, Livijn, Atterbom, Palmblad, aber auch Geijer. Stets wurde er deshalb als Vorläufer und Wegbereiter der romantischen Ästhetik angesehen, so z. B. wenn er in NISLH (III, 63) einleitend unter der Rubrik Den svenska nyromantikens preludier (dt. Die Präludien der schwedischen Neuromantik) gehandelt wird. Dass auch der Transzendentalphilosoph Höijer in vielerlei Hinsicht in der Aufklärung verwurzelt war,1010 soll im Folgenden anhand seines Aufsatzes Om de gamlas och nyares vitterhet och vältalighet i jämförelse med varandra (dt. Über die Literatur und die Rhetorik der Alten und Neuen im Vergleich zueinander), 1795 in Litteratur-tidning 1009 Der Aufsatz steht explizit in der Schuld Schillers, welcher häufig genannt und zitiert wird, und dokumentiert die Präsenz des humanistischen Bildungsgedankens nicht nur im Zentrum der philosophischen und intellektuellen Debatte sondern auch im traditionellen akademischen Betrieb. Von den ästhetischen Fähigkeiten handelnd, schreibt Snellman: »[…] verum etiam perplurimas, quas vel meris abstrusis cogitationibus intentus Philosophus, vel rudis & mere sensualis homo ignorat, suppeditare virtutum politiorum occasiones, fontes nobilissimarum voluptatum aperire uberrimos, mentem in genere ad suscipiendas scientias quascunque veram naturque nostra dignam, pertingere ac perduci posse perfectionem.« Die Übersetzung lautet: »allerdings auch, [dass die ästhetischen Fähigkeiten] die allermeisten Gelegenheiten zu feinen [gebildeten] Tugenden liefern, sowohl dem Philosophen, der eifrig bemüht ist um reine, verborgene Überlegungen, als auch dem ungebildeten und rein sinnlichen Menschen, welcher nicht mit ihnen vertraut ist, und dass sie die reichsten Quellen zu den vornehmsten Freuden eröffnen, den Geist zur Aufnahme jeder schönen und ausgezeichneten Kenntnis vorbereiten.« 1010 Bereits Höijers erste Dissertation De gustu in artibus elegantioribus (1786), in welcher er von den Grundbedingungen des künstlerischen Schaffens handelte, kündet von seinem Interesse für den Geschmack. Da ihm lange eine Professur versagt blieb, konnte er seine Texte nicht im akademischen Rahmen publizieren, sondern nur in Zeitschriften. Zu Lebzeiten erschien deshalb nur Om de gammlas och nyares vitterhet och vältalighet i jämförelse med varandra (Litteratur-tidning, 1795), während der ebenfalls die »neue Kunst« thematisch umkreisende Aufsatz Om skön konst hos de nyare erst posthum veröffentlicht wurde.

Höijer über die Vorzüge der »neuen« Literatur (1796)

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(I:3, 365 – 366) erschienen, dargelegt werden. Bereits im Titel knüpft Höijer natürlich an die Querelle des anciens et des modernes an, allerdings in der Form, wie sie in Deutschland in der Nachfolge Winckelmanns durch Schiller, Herder und Schlegel auf ein neues Reflexionsniveau geführt wurden. Die Querelle des anciens et des modernes, welche das Frankreich des 18. Jahrhunderts geprägt hatte und in Deutschland insbesondere seit den 1770er Jahren intensiv debattiert wurde, hatte mit Schillers und Schlegels Beiträgen zum Thema eine neue Aktualität erhalten, nun jedoch vor dem Hintergrund der Kant’schen Philosophie und der Französischen Revolution.1011 Unter dem Stichwort der »Imitation« bzw. »Nachahmung« war es bereits drei Jahre zuvor zwischen den zwei wortmächtigsten Antipoden Schwedens – Leopold und Thorild – parallel zur Auseinandersetzung der Rabulisten und der Gustavianer zu einem polemischen Waffengang gekommen (XI:2). Höijer widmet sich in seiner Schrift gleichzeitig wie Schiller in den Horen der alten Streitfrage, ob die alten oder neuen Schriftsteller vorzuziehen seien. Von Christian Garve, auf dessen Verschiedenheiten in den Werken der ältesten und neuen Schriftsteller er eingangs ausdrücklich hinweist,1012 unterscheidet er sich, wenn er viel dezidierter als dieser in Schillers Manier enthusiastisch die Vorzüge der neuen Dichtkunst charakterisiert: Die neuen und erweiterten Begriffe, welche die Philosophie uns reicht, geben Anlass zu einer Menge von Idealen der Einbildungskraft; es ist an unseren Dichtern und Künstlern durch diese Attribute entsprechende Vorstellungen in uns zu wecken. Die Anmerkungen, die Lehrsätze, die die Poeten gleichsam wie ein Vehikel für ihre Vorstellungen verwenden, müssen stark und wahr sein, oder erhaben, aber philosophisch. Für die kühnsten Gemälde der Einbildungskraft, für deren dreisteste Ausflüge, muss immer eine psychologische oder metaphysische Richtigkeit zugrunde liegen. Welche neuen unbekannten Möglichkeiten würden sich nicht für den Dichter durch die Philosophie öffnen! Und würden gewisse Vorurteile, immer bereit, die Verteidiger neuer Wahrheiten zumindest der Vermessenheit anzuklagen, uns davon abhalten, die billige Vermutung zu äußern, dass die abstrakte kritische Philosophie selbst einmal unsere Literatur veredeln und deren Art verändern muss?1013 1011 Zur klassischen Geschichte der europäischen Querelle siehe M. Fumaroli, La Querelle des Anciens et des Modernes, 2001; zur Fortsetzung der Querelle im deutschen Sprachraum siehe H. R. Jauß, Schlegels und Schillers Replik auf die »Querelle des Anciens et des Modernes«, in: Literaturgeschichte als Provokation, 1970; P. Szondi, Antike und Moderne in der Ästhetik der Goethezeit, in: Poetik und Geschichtsphilosophie I:2, 1974. 1012 Die Ausgabe der Horen mit dem ersten Teil der Über naive und sentimentalische Dichtung (1795, 11. Stück) erschien erst Mitte November 1795. Höijers Originalbeitrag wurde im dritten Heft der Litteratur-tidning publiziert, bei vier Heften im Jahr. 1013 Litteratur-tidning, 1795, S. 364, später auch in Samlade Skrifter, 1825 – 1827, S. 211, publiziert: »De nya och utvidgade begreppen, dem Philosophien bjuder oss, gifva anledning til en mängd idealer för inbildningskraften; det tilhör v”ra skalder och Artister at genom deras attributer väcka motsvarande föreställningar hos oss. De anmärkningar, de läro-

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Höijer habe in seinem Aufsatz selbständig und unabhängig Gedanken antizipiert, die in Deutschland erst als Folge von Über naive und sentimentalische Dichtung in Schlegels Athenäum 1798 formuliert wurden, so Greta Hedin,1014 nämlich die Betonung der Möglichkeiten, welche die Kant’sche Philosophie dem modernen Gedicht eröffnen könnte. Dabei hatte Schiller diesen Gedanken schon Jahre zuvor in Über Bürgers Gedichte geäußert. Dort hatte er nämlich, nachdem er mit resignativem Gestus konstatiert hatte, dass »unsere Welt […] die homerische nicht mehr […]« (NA, XXII, 247) sei, und die »Gleichgültigkeit« beklagt hatte, »mit der unser philosophierendes Zeitalter auf die Spiele der Musen herabzusehen anfängt«, was »keine Gattung der Poesie empfindlicher« treffe, als die lyrische (NA, XXII, 245), diese vermeintliche Unvereinbarkeit eines philosophisch-reflektierenden Zeitalters und einer sinnlich-anschaulichen Kunstform, die scheinbar automatisch zur Antiquiertheit der letzteren führt, in einer ebenso überraschenden wie eindringlichen Volte zu deren Vorteil gewendet: Bei der Vereinzelung und getrennten Wirksamkeit unsrer Geisteskräfte, die der erweiterte Kreis des Wissens und die Absonderung der Berufsgeschäfte notwendig macht, ist die Dichtkunst beinahe allein, welche die getrennten Kräfte der Seele wieder in Vereinigung bringt, welche Kopf und Herz, Scharfsinn und Witz, Vernunft und Einbildungskraft im harmonischen Bunde beschäftigt, welche gleichsam den ganzen Menschen in uns wieder herstellt (NA, XXII, 245).

Dazu sei es jedoch erforderlich, dass die Dichtkunst selbst »mit dem Zeitalter fortschritte, dem sie diesen wichtigen Dienst leisten soll« (NA, XXII, 246). In dieser Rezension der Gedichte Bürgers hat Schiller nicht nur den Gedanken ausgedrückt, welchen Höijer laut Hedin als erster formuliert hat, sondern in nuce auch die wichtigsten Gedanken seiner großen ästhetischen Schriften, die Unterscheidung zwischen der naiven und der sentimentalen Dichtung und die Wirkungsästhetik in Über Ästhetische Erziehung.1015 Eine direkte Folge der Idee eines Fortschritts ist natürlich die in Über naive und sentimentalische Dichtung formulierte Erkenntnis, dass »die Gattungen nicht zeitloser Natur sind, sondern sich selber entwickeln«. Schiller »leitet damit die Historisierung der Poetik ein, satser, som Poeterne m”ste s”som et vehikel för dessa föreställningar använda, böra vara starka och sanna, eller höga, men philosophiska. För de djerfvaste inbildningens m”lningar, för dess dristigaste utflygter, m”ste alltid en psychologisk eller metaphysisk riktighet ligga til grund. Hvad nya okända tilg”nger skola ej öpnas för Skalden af en tilväxande Philosophi! Och skulle vissa fördomar, alltid fördige at ”tminstone för förmätenhet anklaga nya sanningars försvarare, afh”lla oss at yttra den billiga förmodan, at sjelfva den abstracta Critiska Philsophien en g”ng m”ste förädla v”r vitterhet och ändra dess art?« 1014 G. Hedin, Tegn¦rs uppfattning av klassiskt och romantiskt, 1936. 1015 Die Bürger-Rezension wurde in Allgmeine Literatur-Zeitung Nr. 13/14 vom 15. und 17. Januar 1791 publiziert. Die seinerzeit berühmte Literatur-Zeitung war in Schweden zugänglich, Artikel wurden ihr entnommen und in schwedischen Zeitungen übersetzt publiziert.

Höijer über die Vorzüge der »neuen« Literatur (1796)

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wie sie später bei Hegel und bei den ihm verpflichteten Ästhetikern des 20. Jahrhunderts bestimmend sein wird.«1016 Auch Höijer weist die Idee, dass der »gute Geschmack zu allen Zeiten der gleiche ist« zurück: Neue Zeiten mit neuem Licht und Denkweisen öffnen neue Räume für das Genie: Wir müssen nicht immer klagen über den Vortritt vergangener Zeiten; […]. Wenn das Altertum seinen Demosthenes besitzt, so werden kommende Zeiten nicht vergessen, dass Rousseau unserer Zeit angehörte.

Höijer begrenzt sich in seiner Argumentation und mit seinen Beispielen gänzlich auf die Lyrik, was ebenfalls auf einen Einfluss von Schillers Bürger-Rezension deutet. Die Richtigkeit seiner Annahme, dass die neue Philosophie befruchtend auf die Anschauungsweise der Dichter wirke, belegt er in einer Anmerkung einerseits mit Hinweis auf Horaz (Ode 13) und Sappho, andererseits auf Kellgrens Inbildningens verld eller Nya Skapelsen und Der Leukadische Fels (Akt 1, Szene 2).1017 Die Beispiele werden von Höijer wie folgt kommentiert: Das Thema ist in allen drei Gedichten zumindest homogen, und die vornehmste Ungleichheit liegt in der Behandlungsweise. Wie unendlich hoch steht nicht der schwedische Dichter über dem griechischen und dem römischen! Welche Hoheit in den idealischen Vorstellungen, welche psychologische Wahrheit im ständig steigenden Enthusiasmus! Das letzte der zitierten Stücke enthält bereits Spuren einer neuen Philosophie, von welcher das Genie des Verfassers lange genährt worden scheint.1018

Kellgren hatte 1792 mit Inbildningens verld (dt. Die Welt der Einbildung), das »erste aller Gedichte« (Höijer), ein »vorromantisches« Gedicht vorgelegt, das die »erweiterten Begriffe«, die »Ideale« und die »Einbildungskraft«, welche die Neuen auszeichne, am deutlichsten zu illustrieren vermöge. Höijer scheint Der Leukadische Fels, von Caroline von Wolzogen verfasst und 1792 – 1793 in Neue Thalia anonym abgedruckt,1019 Schiller zugeschrieben zu haben, dessen Namen er angibt, und auf den sich die Rede vom »Genie des Verfassers« bezieht, der lange von einer »neuen Philosophie« genährt worden sei – gemeint ist freilich die kritische Kants, deren bedeutendster Befürworter Höijer sich um diese Zeit anschickte zu werden. Kellgren also, der schwedische Aufklärer par excellence, und Schiller, stehen Höijer paradigmatisch für eine »neue« Poesie. Die Bei1016 P. Szondi, Poetik und Geschichtsphilosophie I:2, 1974, S. 162 f. 1017 Litteratur-tidning, 1795, S. 365 f, Der Leukadische Fels war 1792 in der Thalia, S. 241 – 266, 275 – 297, publiziert worden. 1018 Ebd., »Ämnet är i alla tre poemerna ”tminstone homogent, och den förnämsta olikheten ligger i afhandlingssättet. Huru oändeligen mycket är ej den Svenske Skalden öfver b”de den Grekiska och den Romerska! Hvilken höghet i de idealiska föreställningarna, hvilken psyckologisk sanning i den beständigt stigande enthousiasmen! Det sista af de citerade styckena röjer redan sp”r af en nyare philosophi, hvaraf hörfattarens snille tyckes länge blifvit närdt.« 1019 Neue Thalia, 1792, II, S. 241 – 266, 275 – 297.

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Schiller im ästhetischen Diskurs

spielsammlung weist auf dreierlei hin, sie ordnet Schiller in Höijers Augen der Aufklärung zu, sie muss als Höijers Bekenntnis zur Aufklärung aufgefasst werden, und sie identifiziert schließlich die »neue« Poesie als Derivat der Aufklärung. Es wurde bereits in Kapitel VI dafür argumentiert, dass Schiller aus Höijers Sicht der Aufklärung zuzurechnen ist, aber auch, dass Höijer selbst sich zur Aufklärung bekennt. Ein gänzlich neues und zunächst paradox anmutendes Argument ist jedoch die Definition der neuen Poesie als aufklärerische. Einerseits nämlich weist sich Höijer deutlich als antiklassizistischer Theoretiker aus, wenn er der Imitation der Alten und der Befolgung von Regeln eine deutliche Absage erteilt. Einer gängigen Vorstellung zufolge ist die Regelpoetik an die klassizistische Aufklärung gebunden. Andererseits aber ist Höijer, dem es im Aufsatz vor allem um die Veredlung des Geschmacks geht, der Aufklärung zuzuordnen, folgt man der gängigen Einteilung, aber auch seiner eigenen Definition. Im Gegensatz zur Genie-Ästhetik des Sturm und Drang und der Romantik ist der Geschmack von der Konvention abhängig und somit eine soziale Konstruktion.1020 Auch Schiller war in der Nachfolge Kants und nachdem er seine Sturm-und-Drang-Phase überwunden hatte eher ein Vertreter der Geschmacksals der Genie-Ästhetik und stand damit der Aufklärung auch poetologisch näher als der Romantik.1021 Höijers Unterscheidung der »Alten« und »Neuen«, des »Naiven« und »Sentimentalischen«, ist auch eine strikt zeitliche Unterscheidung: »Im ganzen Altertum gibt es nicht einen einzigen sentimentalen Charakter«.1022 Demgemäß sind ihm Homer, Sappho und Horaz ohne Unterschied alte, folglich naive Dichter, während für Schiller Horaz der Dichter eines »kultivierten und verdorbenen Weltalters« und der »Stifter der sentimentalen Dichtungsart« ist. Bei Schiller finden sich Argumente für eine Entkopplung der Unterscheidung der Alten und Neuen von der Chronologie.1023 Deshalb kann Höijer auch den maßgeblichen Unterschied zwischen den Alten und den Neuen just im Mangel an Aufklärung bei den Alten sehen: »Deren Kenntnisse waren nicht zugänglich 1020 P. Szondi, Poetik und Geschichtsphilosophie I:2, 1974, S. 66, z. B. verbindet das Vorherrschen einer Geschmacks-Ästhetik, d. h. eines guten Geschmacks als oberstes Gesetz, welchen man sich wohl in Form einer Regelästhetik vorzustellen hat – der Ausdruck »klassizistisch-normativem Geist« legt dies nahe – mit der Aufklärung. 1021 Siehe W. Amann, »Die stille Arbeit des Geschmacks«, 1999. 1022 Litteratur-tidning, 1795, S. 364, später auch in Samlade Skrifter, 1825 – 1827, S. 211. 1023 In dieser Frage herrschte in der Schiller-Forschung keineswegs Einhelligkeit. Insbesondere Szondi, Poetik und Geschichtsphilosophie I:2, 1974, S. 150 ff hat mit Insistenz dafür argumentiert, dass Schiller keine historische Abfolge von kulturellen Paradigmen vorgeschwebt habe, sondern eine unhistorische und zeitlose psychologisierende Dichtertypologie. Dies sei jedoch häufig nicht verstanden worden, konstatiert Szondi (ebd.) mit Seitenblick auf Welleck.

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für alle Stände: außer bei den eigentlich Gelehrten gab es diese nur bei den Staatsmännern und Generälen […].« Höijer führt aus: Sie schrieben nie für die Aufklärung der Öffentlichkeit – eine solche gab es nicht –; und in den Schriften, die dazu dienen könnten, scheinen sie oft in einen oratorischen Ton zu verfallen. Man hat so oft versichert, dass der gute Geschmack in allen Epochen der gleiche ist; aber dies gilt nicht ohne Einschränkung. Soweit die Vermögen, worauf der Geschmack ruht, etwas Unveränderliches besitzen, kann er nicht verändert werden ohne ihn zu verfälschen; aber soweit diese Vermögen kultiviert und veredelt werden können, muss sich auch der gute Geschmack und dessen Objekt verändern. Neue Zeitalter mit neuem Licht und Denken öffnen neue Räume für das Genie. Wir brauchen uns nicht immer zu beklagen über den Vorzug der Alten; unsere aufgeklärteren Nachkommen werden uns Gerechtigkeit verschaffen. Wenn die Alten ihren Demosthenes der Bewunderung aller Jahrhunderte vorzeigen, so wird dagegen kein Zeitalter vergessen, dass Rousseau unserem gehörte (Litteratur-tidning, 1795, 365 – 366).

In gänzlicher Umkehrung also der Querelle zwischen den Alten und Neuen, die gewöhnlich als Streit der Regel-Poetik gegen die Genie-Ästhetik, und damit als Streit der Aufklärung gegen den Sturm und Drang und die Romantik gesehen wird, notiert Höijer den Mangel der Alten an Aufklärung. Moderne Poesie, die durch den »Begriff«, den spekulativen Gehalt, in Schillers Terminologie in Über naive und sentimentalische Dichtung die »Unendlichkeit« geprägt ist, steht nicht im Gegensatz zur Aufklärung, sondern ist – so muss Höijer verstanden werden – durch die Aufklärung geprägt. Im gleichen Sinne äußerte sich Höijer auch in Om skön konst hos de nyare (dt. Über schöne Kunst bei den Neueren), wo er das Fehlen sogar eines Begriffs für den Unterschied von Genie und Geschmack als konstitutiv für die Alten sah, wobei er die Bedeutung des Geschmacks betonte: »denn ohne diesen gibt es kein Meisterwerk, bloß das seltsame, grausame und barbarische, dagegen muss man zugeben, dass Meisterwerke manchmal auch nur mit Geschmack zustande kommen können.«1024 Im Gegensatz zur gängigen Sichtweise der Literaturgeschichte, welche Höijer als Vorläufer der Romantik ansieht, betonte er also die Bedeutung des Geschmacks im Verhältnis zum Genie als grundlegend, während Leopold keinen Zweifel an der Vorrangigkeit des Genies ließ: »Der Geschmack ist die Vollkommenheit des Genies, aber er ist nicht das Genie selbst. Man kann beinahe vortrefflich schreiben, ohne ihn zu besitzen; man kann alle Regeln beachten, und doch nur Elendiges zustande bringen. […]« Nur in der Vereinigung mit dem Genie könne der Geschmack nützlich für den Verfasser werden.1025 1024 B. Höijer, Om skön konst hos de nyare, in: Samlade Skrifter, 1825 – 1827, S. 343. 1025 C. G. av Leopold, Om smaken och dess allmänna lagar, in: Samlade Skrifter, 1800 – 1802, S. 5: »Smaken är Geniets fulkomlighet, men den är ej geniet sjelf. Man kan skrifva, nästan förträffligt, utan att äga den; man kan iakttaga alla dess regler, och göra en uselhet. […] Det är blott i förening med Snillet, som den blir nyttig för författare.«

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4.

Schiller im ästhetischen Diskurs

Lidbeck und die Ästhetik in Lund (1805 – 1812)

Der Romantiker Lorenzo Hammarsköld, mit welchem Lidbeck später aneinandergeriet (siehe Kapitel XIV), hat böswillig behauptet, Lidbeck habe Schiller in seinen Schriften lediglich übersetzt, ein Vorwurf, gegen welchen Lidbeck sich freilich aufs Schärfste verwehrt hat und dem im Folgenden nachgegangen werden soll. Nach der Publikation seiner Almänna æsthetiska anmärkningar (1795 – 1796), welche als Lidbecks Programmschrift anzusehen sind, widmete er sich bis 1804 ausschließlich seinem Hauptgeschäft, den Vorlesungen. Den Auftakt seiner produktivsten Publikationsphase zwischen 1804 bis 1812 bilden zwei Schriften, welche den beiden wichtigsten Begriffen der Aufklärungsästhetik, dem »Mitleid« und dem »Geschmack«, gewidmet sind. Danach wandte er sich den Kant’schen und vor allem Schiller’schen Begriffen des »Erhabenen«, des »Tragischen«, der »Anmut« und der »Würde« zu, während er sich erst einige Jahre später (1810 – 1811) den zentralen Begriffen der Romantik, dem »Genie« und der »Einbildungskraft« widmete.1026 Sein ausgesprochen sachlich-wissenschaftlicher Ton bei der Behandlung dieser Begriffe kann vermutlich als Abgrenzung zum oftmals als delirierend aufgefassten Gebrauch in der schwedischen Romantik gedeutet werden, welche er, wie später zu zeigen ist, skeptisch zur Kenntnis nahm. Auf den ersten Blick erscheint die Präsenz Schillers in Lidbecks Werk in der Tat außerordentlich: Schiller wird in fast sämtlichen Werken zitiert, seine literarischen Werke dienen als Exempel, sein theoretisches Werk als Referenzrahmen; Argumente werden Schillers Texten entnommen.1027 Es ist deshalb auch 1026 A. Lidbecks Abhandlungen wurden nicht neu aufgelegt und sind nur in Archiven zugänglich. Es handelt sich bei diesen 20 – 40 seitigen Essays um folgende Schriften: A. Lidbeck, Hvad är orsaken till det nöje, som ”tföljer medlidandet? (1804), Anmärkningar hörande till läran om smaken och det sköna (1805), Anmärkningar hörande till läran om det sublima (1805), Anmärkningar hörande till läran om det i moraliskt afseende sublima (1806), Anmärkningar hörande till läran om moraliska känslor (1807), Om medlidande (1807), Anmärkningar hörande till läran om behag (1808), Anmärkningar hörande till läran om värdighet (1808), Anmärkningar hörande till läran om det löjlige (1808), Anmärkningar hörande till läran om snille (1809), Anmärkningar hörande till läran om inbillningsg”fvan (1811). 1027 Zumal Christina Svensson in ihrer Arbeit Anders Lidbeck och 1700-talets estetik (1987) den Anspruch hatte, Lidbecks Ästhetik in den Kontext der Zeit zu stellen, und zahlreiche »Intertexte« benannt hat. Die Aussagekraft ihrer Arbeit für die schwedischen Verhältnisse ist allerdings sehr gering, weil sämtliche Intertexte und literaturwissenschaftlichen Texte, auf welche sie sich stützt, einem anderen Sprachraum entnommen sind. Völlig unklar bleibt deshalb, was der aktuelle Stand der Ästhetik in Schweden zu dieser Zeit war und wie sich Lidbecks Ästhetik zu anderen zeitgenössischen Philosophen in Schweden verhielt. War Lidbecks Ästhetik im Verhältnis zu Philosophen wie Neikter, Porthan, Höijer und Franz¦n innovativ oder eher rückständig. Die Allgemeinheit der Befunde Svenssons entspricht derjenigen eines Lexikons, ist solchen meistens entnommen.

Lidbeck und die Ästhetik in Lund (1805 – 1812)

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gänzlich unmöglich, aber auch wenig sinnvoll, die Schriften Lidbecks in ihrer Ganzheit nach Schiller-Einflüssen durchzugehen, einerseits weil diese zu zahlreich sind, andererseits aber auch, weil eine Zusammenschau dieser Einflüsse wissenschaftlich wenig ergiebig wäre. Stattdessen schlage ich folgende Betrachtungsweise der Lidbeck’schen Ästhetik vor: 1. Die Betrachtung von zwei dem »Mitleid« gewidmeten Texten soll eine generelle Verortung Lidbecks im triangulären Kraftfeld Aufklärung-Kant-Schiller erlauben; 2. Die ÄsthetikVorlesung Tegn¦rs gibt einen Eindruck davon, welchen Stellenwert Kant und Schiller innerhalb eines Ästhetik-Gesamtentwurfs einnahmen und wie sich ein solcher von der Romantik unterscheidet.1028

1.

Lidbeck über Mitleid

Lidbeck widmet dem »Mitleid« als ästhetisch-ethische Kategorie zwei Schriften und unterstreicht damit die Bedeutung, welche dieses Schlagwort der Aufklärung für ihn genießt. Bereits der schwedische Titel Hvad är orsaken till det nöje, som ”tföljer medlidandet? (dt. Was ist der Grund des Vergnügens, welches dem Mitleid folgt?) scheint Schillers Schrift Über den Grund des Vergnügens an tragischen Gegenständen, auf welchen in einer Anmerkung hingewiesen wird, in den Mitleids-Diskurs umzupflanzen. Neben diesem Text Schillers wurde in der Forschung Über die tragische Kunst als wichtigster Intertext angesehen,1029 ein Hinweis, dem im Folgenden nachgegangen werden soll. Lidbeck begibt sich weder in die von Lessing ausführlich geführte Analyse der rechten Übersetzung und Bedeutung von ¦leos, phûbos und k‚tharsis,1030 noch bedient er sich des durch Schiller von Kant übernommenen Terminus der »Zweckmäßigkeit«, welcher in Schillers Tragödientheorie so bedeutend war. Mitleid ist für ihn unser moralisches Gefühl, unser Gefühl für das Rechte, welches fordert, dass jedermanns Schicksal sich nach dem Verdienst richtet, und dass niemand über Gebühr geplagt wird, erwacht in all seiner Stärke; und sobald dies eintrifft, fühlt sich die Seele erhoben und entzückt und genießt in dieser Sinnesstimmung den ewigen Lohn, welcher der Tugend beschert wurde und der einzige, welcher ihr weder Menschen noch sonst jemand wegnehmen können. Es sind also die edelsten Eigenschaften unserer Seele, unser Wohlwollen für unseresgleichen [v”ra likar] und das moralische Gefühl, 1028 E. Tegn¦r ist ja nicht nur von Böök, Werin und Nilsson, sondern auch in sämtlichen Literaturgeschichten und in den gegenwärtigen Spielarten der Literaturwissenschaft, z. B. bei H. Engdahl in Den romantiska texten, immer wieder in den romantischen Kontext gerückt worden. 1029 C. Svensson, Anders Lidbeck och 1700-talets estetik, 1987. 1030 Siehe G. E. Lessing, Hamburgische Dramaturgie, Stück 74 – 80, in: G. E. Lessing, Werke, IV, 1973, S. 574 – 605.

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Schiller im ästhetischen Diskurs

welche sich entwickeln und in Wirksamkeit gesetzt werden, wenn wir vom Leiden anderer gerührt werden.1031

Mitleid ist m.a.W. empfindsame Anteilnahme am traurigen Schicksal anderer Menschen. Aufgrund der Priorität der moralischen Gefühle vor allen anderen Empfindungen sei die Untersuchung des Mitleids in der ästhetischen Theorie besonders bedeutsam.1032 »Von allen Empfindungen besitzt diese deshalb den höchsten Wert.«1033 Mitleid sei das Kennzeichen eines »guten Herzens«, versichert Lidbeck mit auffallender Frequenz, was seine Verankerung in der Spätaufklärung und der Empfindsamkeit dokumentiert.1034 Insgesamt scheinen die beiden Schriften Lidbecks eher von Lessings Geist beseelt, als von Schillers, was besonders in der Behandlung des »Bösewichts« zur Geltung kommt. Der gleiche glückliche Schuft, den wir heute verabscheuen, dem wir alle Tugenden absprechen und dem wir die Rache des Himmels wünschen, werden wir morgen mit niedergeschlagenen Augen ansehen, wenn das Schwert der Strafe über ihm schwebt. Wenn wir ihn niedergeschlagen, verwirrt und mit dem schweren Gefühl seines Leidens sehen, würden wir umgehend mit ihm versöhnt sein und gute Eigenschaften finden, wo wir zuvor nur böse fanden. So schwach, oder sagen wir lieber so gut ist das Menschenherz.1035

Lidbeck folgt in der Einschätzung unserer Gefühle angesichts des leidenden »Bösewichts« Lessings philanthropischer Anschauung, dass auch der Bösewicht noch ein Mensch sei, ein Wesen also, das bei allen »moralischen Unvollkommenheiten […] Vollkommenheiten genug behält«, um bei Betrachtung seiner »Zernichtung« mitleidähnliche Gefühle zu empfinden.1036 Er lehnt dagegen Schillers weitaus modernere und radikalere Ansicht ab, die allerdings nur im terminologischen Rahmen Kants möglich ist, nach welcher das »ungewöhnliche Raffinement des großen Bösewichtes, seine Kunst der Intrige, die zwar in der Anordnung ihrer ›Maschinen‹ bloße ›Naturzweckmäßigkeit‹ ist, aber dennoch in ihrer Konsequenz uns ›ergötzen‹ kann.«1037 Während Lidbeck trotz programmatisch verkündetem Autonomieanspruch der Kunst und der Ästhetik dem Anspruch der Kunst als moralisch-pädagogische Anstalt verbunden bleibt, konnte Schiller bei aller Doppeldeutigkeit über die vom Stofflichen absehende Idee der »Zweckmäßigkeit« auch die »zweckmäßige Bosheit« schätzen, zumal A. Lidbeck, Hvad är orsaken till det nöje, som ”tföljer medlidandet?, 1804, S. 12. A. Lidbeck, Om medlidande, 1807, S. 4. A. Lidbeck, Hvad är orsaken till det nöje, som ”tföljer medlidandet?, 1804, S. 12. Vor allem in Om medlidande (1806) ist das »Herz« das frequenteste Schlagwort, das den Generationsunterschied zu Tegn¦r und Geijer markiert, welche das Schlüsselwort der Empfindsamkeit und der Spätaufklärung kaum frequentieren. 1035 A. Lidbeck, Hvad är orsaken till det nöje, som ”tföljer medlidandet?, 1804, S. 16. 1036 G. E. Lessing, Werke, IV, 1973, S. 585. 1037 B. v. Wiese, Friedrich Schiller, 1978, S. 441.

1031 1032 1033 1034

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ihm das Drama zum »Spielfeld für menschliche Freiheit überhaupt, gleichgültig, ob sie sich auf das Gute oder auf das Böse richtet«, wird.1038 Lidbecks Einschätzung des Mitleids durchlief jedoch zwischen der ersten (1804) und der zweiten Schrift (1807) eine Veränderung, die auf einen zunehmenden Einfluss Kants und/oder Schillers zurückgeführt werden muss. Während er 1804 die Lektüre von empfindsamen Schriften zur Entwicklung des Mitleids auch vor angenommenen negativen Auswirkungen derselben, namentlich Schwärmerei und Verweichlichung, in Schutz nahm: »Aber was kann nicht missbraucht werden und dadurch Schaden herbeiführen« – lässt er 1807 das Mitleid als reinen Affekt nicht einmal mehr als Tugend gelten: »wenn es sich einzig von glücklich angeborenen Neigungen herleitet, aber nicht von durch Überlegung und Nachdenken gebildeten Grundsätzen, nicht den Namen Tugend verdient, und eher die Natur als den Besitzer ehrt.«1039 Ein mitleidiger Mensch sei deshalb zwar immer liebenswert, »aber achtenswert wird er nur in dem Maße, wie seine Gefühle Wirkungen seiner Denkungsart sind und mit dieser übereinstimmen.« Die Ambivalenz gegenüber dem Mitleid speist sich nicht von seiner empirischen Grundposition her, sondern von einem zunehmenden Einfluss seitens Kants und Schillers.1040

2.

Tegnérs Ästhetik-Vorlesung

Der universitäre Alltag in Schweden im Fach Ästhetik gestaltete sich um die Jahrhundertwende vermutlich vor allem auf der Grundlage von Johann Joachim Eschenburgs Handbuch Entwurf einer Theorie und Literatur der schönen Wissenschaften (1789),1041 ein Ästhetik-Lehrbuch, das den Unterricht in Lund und in Uppsala geprägt hat. Lidbeck las jedoch auch zweimal (1807 und 1810) über 1038 Ebd. S. 445. Wie wenig Lidbeck die Kategorie der Zweckmäßigkeit als sinnvoll erachtete, zeigt z. B. die Aussage in der Fußnote in Almänna æsthetiska anmärkningar, S. 19, dass der von Wolff herkommende Begriff der »Volkommenheit« und der Begriff der »Zweckmäßigkeit« nur hinsichtlich ihrer Benennung unterschiedlich seien. 1039 Dieses und das folgende Zitat siehe A. Lidbeck, Om medlidande, 1807, S. 9 f. 1040 Lidbeck hat im Jahr 1805 nicht nur nachweislich Kant studiert, sondern auch eine Vorlesung über ihn gehalten, was offenbar zu einer Abrüstung des Mitleid-Begriffs führte. I. Kant schrieb z. B. über das Mitleid: »Eine gewisse Weichmütigkeit, die leichtlich in ein warmes Gefühl des Mitleidens gesetzt wird, ist schön und liebenswürdig; denn es zeigt eine gütige Teilnehmung an dem Schicksale anderer Menschen an, worauf Grundsätze der Tugend gleichfalls hinausführen. Allein diese gutartige Leidenschaft ist gleichwohl schwach und jederzeit blind.« Siehe I. Kant, Über das Gefühl des Schönen und Erhabenen, in: Werke, I, 1977, [A 20] S. 835. 1041 C. Svensson, Anders Lidbeck och 1700-talets estetik, S. 70, gibt an, dass Lidbeck in den Jahren 1800 – 1806 mehrmals Ästhetik auf der Grundlage von Johann J. Eschenburg gelesen habe.

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Schiller im ästhetischen Diskurs

Henry Homes Elements of criticism (1762) und ein Jahr (1805) über Kants Kritik der Urteilskraft.1042 Eschenburgs Lehrbuch, das Lidbeck zumindest schon zu Beginn seiner Lehrtätigkeit 1797 als im Vergleich zu Kant und Schiller stellenweise veraltet vorkommen musste, wurde vermutlich vor allem als Grundlage und Beispielsammlung benutzt.1043 Von Lidbeck sind außer einigen Aufzeichnungen von Studenten keine Vorlesungen überliefert, weshalb im Folgenden ein Blick auf Tegn¦rs Vorlesung geworfen werden soll, welche er 1808 an Lidbecks Stelle zu halten hatte.1044 Die Ästhetik habe – so Tegn¦r – folgende Probleme zu behandeln und zu untersuchen: 1. Die Natur unseres Vergnügens am Schönen und den Unterschied derselben von anders gearteten Vergnügen; 2. Die Vermögen (själskrafter), welche beschäftigt sind bei diesem Vergnügen; 3. Die psychologischempirischen Regeln, nach welchen der Geschmack bei seinen Urteilen verfährt, und zwar nicht um das Schöne zu beweisen, sondern um den Geschmack auszubilden; 4. Das Wesen der Kunst im Allgemeinen und jeder einzelnen Kunst im Besonderen. 5. Die Natur des Genies; 6. Die Natur des Geschmacks. Von diesen sechs Problemfeldern wurden von Tegn¦r lediglich die beiden ersten Punkte in sechs Kapitel mit insgesamt 36 Paragraphen behandelt, welche im Folgenden kurz skizziert werden sollen: – Einführung (§ 1 – 2): Tegn¦r grenzt das Schöne vom Wahren und Guten ab und skizziert die Grundzüge der ästhetischen Anschauung bei Baumgarten, Platon und Kant – ich werde in Kürze darauf zurückkommen. – Om det sköna i allmänhet (dt. Über das Schöne im Allgemeinen, § 3 – 8): Das Schöne wird näher bestimmt, indem es von unterschiedlichen Begriffen wie das »Angenehme«, das »Gute«, das »Nützliche« und das »Interessante« abgegrenzt oder zu Begriffen wie die »Zweckmäßigkeit« (ohne Zweck) und das »Wohlgefallen« in Bezug gebracht wird. – Om blandade skönheter (dt. Über gemischte Schönheiten, § 9 – 15): Die Begriffe »freie« und »anhängende« Schönheit (§ 10), »regelmäßige« und »unregelmäßige« Schönheit (§ 11), der Begriff der »Anmut« (§ 14) und der Begriff des »Ideals der Schönheit« (§ 15) werden in weitgehender Abhängigkeit zu Kant und Schiller diskutiert. – Om det sublima (dt. Über das Erhabene, § 16 – 28): Mit Hinweis auf Longinus, 1042 M. Weibull, Lunds Universitets Historia 1668 – 1868, I – II, 1868, S. 320. 1043 A. Lidbecks eigene Vorlesungsaufzeichnungen sind nicht überliefert, sondern lediglich sieben Mitschriften von Studenten. C. Svensson, Anders Lidbeck och 1700-talets estetik, S. 86 ff, gibt genauestens darüber Auskunft. 1044 Die Vorlesungsmanuskripte Tegn¦rs sind im Unterschied zu denen Lidbecks überliefert und wurden von A. Nilsson herausgegeben: Esaias Tegn¦r. Filosofiska och estetiska skrifter, 1913. Zitate und Hinweise auf diesen Text werden im Folgenden lediglich durch Angabe der Seitenzahl im laufenden Text ausgewiesen, z. B. »(250)«.

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Burke, Mendelssohn, Kant und Bouterwek werden die Begriffe des »mathematisch« (§ 17) und »dynamisch Erhabenen« (§ 18), das »Furchtbare« (§ 20), das »Geheimnisvolle« (§ 21), das »Wunderbare« (§ 22), das »Feierliche« (§ 23), das »Edle« (§ 24), das »Prächtige« (§ 25), der »Schwulst«(§ 27) und das »Niedrige« (§ 28) dargestellt. Zur Illustration der Terminologie wird beim »Furchtbaren« auf Schillers Räuber und Die Jungfrau von Orleans, beim »Edlen« auf Posa, beim »Niedrigen« auf Karl Moor hingewiesen. – Om det rörande (dt. Über das Rührende, § 29 – 35): Das Kapitel handelt von »schmelzenden« und »auflösenden Affekten«, vom »Pathetischen«, »Rührenden«, »Frostigen« und insbesondere in Anlehnung an Schiller von der »Würde« (§ 35). – Om det comiska (dt. Über das Komische, § 36): Der Abschnitt beinhaltet Bemerkungen zum »Komischen« und zum »Lächerlichen«. Obwohl Tegn¦r Kants schematisch-kategorialer Einteilung nicht gefolgt ist und die Darstellung (wie bei Burke) einen aufzählenden Charakter hat, weist Tegn¦rs Ausführung zur Ästhetik ein Tiefenrelief auf, das deutlich Kants Handschrift trägt. Die entscheidenden Definitionen und eine Vielzahl von Begriffen sind dessen Philosophie entnommen: Das Schöne gefalle nicht als Folge eines Begriffs und drücke nicht das Verhältnis des Gegenstands zum Erkenntnisvermögen aus, sondern nur das Verhältnis des Gegenstands zum Gefühl; es gefalle nicht durch seine Materie sondern durch seine Form, insofern es eine ästhetische Einheit in einer ästhetischen Mannigfaltigkeit aufweist; es sei nicht unvermittelt mit Interesse verbunden, d. h. mit dem Wunsch, der Gegenstand möge existieren; es zeichne sich durch eine Zweckmäßigkeit aus, welche ohne Zweck sei; und schließlich sei es als Gegenstand für das allgemeine und notwendige Wohlgefallen zu denken (250 f). Innerhalb dieser bis in die Terminologie von Kant abhängigen prinzipiellen Struktur nimmt Schillers Ästhetik einen wichtigen Raum ein. Besonders ausführlich ist Tegn¦r nämlich in seiner Darstellung der ästhetischen Kategorien »Anmut« und »Würde«. Im Unterschied zu Lidbeck, welcher von seinem empirischen Standpunkt aus die Gegensätzlichkeit der Sinnlichkeit und der Vernunft zu nivellieren sucht und Schiller »in die empirische Erde verpflanzt«, belässt ihn Tegn¦r auf seinem Kant’schen Fundament und betont den Konflikt zwischen den beiden Naturanlagen des Menschen. Die wichtigste Frage der menschlichen Natur sei die Übereinstimmung seiner sinnlichen und intellektuellen Natur (307): »Aber dieses Problem kann nie gelöst werden, es ist nur eine Idee, zu welcher wir streben sollten, welche wir jedoch nie erreichen können« (307). Solchermaßen ist auch seine Ausführlichkeit bei der Behandlung des Würde-Begriffs zu verstehen, ganz im Gegensatz zu Lidbeck, welcher dem Begriff der Anmut mehr Aufmerksamkeit schenkte. Dass Tegn¦r den Konflikt

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Schiller im ästhetischen Diskurs

zwischen Trieb- und Vernunftnatur genauso wenig wie Schiller zu umgehen suchte, grenzt seine Ästhetik auch von der Identitätsphilosophie der Neuromantik ab. Diese Abgrenzung von neuromantischen Positionen zeigt sich auch indirekt in der Einleitung, wenn er sich in einem Exkurs von der platonischen Philosophie distanziert – auch dies nach der hier vertretenen Ansicht eine Schiller-nahe und grundlegende ästhetische und philosophische Weichenstellung. Das Hauptprinzip der platonischen Philosophie – nämlich dass die Vernunft das Fundament allen objektiven Wissens ist – sei unbewiesen, weshalb auch Platons Idee des Schönen »falle«. Der Begriff des Schönen sei seiner Natur nach nämlich empirisch, eine »Identität« der drei »Ideen« unmöglich, da sie unterschiedlichen Ursprungs seien (228 – 233). Tegn¦r ist also nicht der platonischen Strömung zuzuordnen, die Albert Nilsson in Svensk romantik für die schwedische Romantik geltend gemacht hat und welcher er auch Tegn¦r zugeordnet hat.1045 Die Skepsis einer Kant-Schiller’schen Provenienz gegenüber jeglicher Identitätsphilosophie immunisierte ihn in der Folge vor den Spielarten des deutschen Idealismus und der deutschen Romantik.

5.

Anmut und Würde

Schillers Über Anmut und Würde, 1793 im zweiten Teil der Neuen Thalia zum ersten Mal gedruckt, war nicht der Erfolg der beiden anderen großen ästhetischen Schriften vergönnt. Während die Ästhetischen Briefe direkt nach ihrem Erscheinen als Meisterwerk gepriesen wurden, ist Anmut und Würde ignoriert worden: »So, if not exactly stillborn, the treatise became an orphan. It remained so for more than half a century.«1046 Eine solch laue Rezeption, welche der Abhandlung auch im anglophonen Raum beschieden war, erfuhr sie nicht in Schweden, wo man sich der Schrift unmittelbar nach ihrem Erscheinen mit großem Interesse zuwandte. Lidbeck widmete der Anmut und der Würde jeweils eine Abhandlung, in Tegn¦rs Vorlesungsaufzeichnungen zur Ästhetik nehmen die beiden Kategorien den größten Raum ein und in Geijers Schriften, z. B. der über die Einbildungskraft (siehe das folgende Unterkapitel), war sie prägend. In Anmärkningar hörande till läran om behag (dt. Anmerkungen hinsichtlich der Lehre über die Anmut, 1808) verlautete Lidbeck: »Bevor Schiller seine berühmte 1045 Dies gesteht A. Nilsson, dem es in Svensk romantik (S. 407) um den Nachweis einer platonischen Strömung in der schwedischen Romantik ging, wobei ein Kapitel Tegn¦r gewidmet wurde, eingangs auch zu. Tegn¦r sei eine zu kritisch veranlagte Natur gewesen, und das Studium Kants habe ihn zu sehr geprägt, als dass er sich Spekulationen rein »metaphysischer« Natur erlaubt hätte. 1046 F. Beiser, Schiller as philosopher, 2005, S. 77.

Anmut und Würde

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Schrift über Anmut und Würde herausgegeben hat, besaß man keine zufriedenstellende Kenntnis hinsichtlich dieser Begriffe. Man benutzte wohl diese wie auch andere Worte meistens richtig«, aber man gebe »sich keine Mühe diese zu erklären […]«1047 In der Tat hatte sich Schiller bei der »Anmut« selbstbewusst einem Begriff zugewandt, welcher bei den Theoretikern der Zeit als »exquisiter Sonderfall des Schönen« galt, da er sich »jeder Zumutung begrifflicher Fixierung noch erfolgreich verweigern konnte«.1048 Wenn Lidbeck eingestandenermaßen »lediglich diese Schrift im Auge« gehabt habe »bei der Bewerkstelligung vorliegender Abhandlung«, so hat er doch dies zu bemängeln, dass »Schiller seine Lehre auf dem Fundament der Kant’schen Philosophie erbaut hat«. Lidbeck habe sich jedoch von »der Richtigkeit der Sätze, auf welchen sie ruht«, nicht überzeugen können, weshalb er sich in vielerlei Hinsicht veranlasst gesehen habe, »von ihm abzuweichen und seine Lehre sozusagen in eine empirische Erde umzupflanzen.« Auch hinsichtlich mehrerer anderer Punkte habe er es gewagt, »diesem unsterblichen Manne zu widersprechen; desgleichen haben wir auch unsere eigenen Gedanken angefügt, wenn uns diese richtig erschienen und wenn sie im nahen Zusammenhange mit dem Thema stehen.«1049 Im Folgenden zwei der Punkte, welche Schiller widersprechen: In der Anmerkung K (12 – 13) kritisiert Lidbeck Schillers eingeschränkte Definition von Anmut als Eigenschaft von nicht abgezweckten, d. h. freien aber gleichwohl willkürlichen, d. h. dem Willen unterworfenen, Bewegungen.1050 Lidbeck möchte 1047 A. Lidbeck, Anmärkningar hörande till läran om värdighet, 1808: »Innan Schiller utgifvit sin berömda Skrift om Behag och Värdighet ägde man icke n”gon tillfredställande kunskap i detta ämne. Man nyttjade väl dessa äfvensom andra ord merendels riktigt; men antingen gaf man sig ingen möda att förklara dem, eller ock saknade man nog philosophisk skarpsinnighet och insigt, för att gifva ”t dem en bestämd menig.« 1048 H. R. Brittnacher, Über Anmut und Würde, in: Schiller-Handbuch,1998, S. 589. Der »splendeur toute divine«, welcher der »gr–ce« als »mouvement de l’–me« anhaftet, wurde bereits von Andr¦ F¦libien in seinen Entretiens sur les vies et les œuvres des plus excellents peintres anciens et modernes (1659 – 1685) als unausdrückbares Surplus, als »Je ne sais quoi« analysiert. Siehe M. Jiminez, Qu’est-ce que l’esthetique?, 1997, S. 66. 1049 A. Lidbeck, Anmärkningar hörande till läran om värdighet, 1808: »Det är endast denna skrift, som vi under författandet av närvarande afhandling haft för ögonen; men d” Schiller byggt sin lära p” Kantiska Philosophiens grunder, och d” vi väl beundra denna philosophie som menskliga djupsinnighetens ära och tro, att den har upptändt ett ljus, hvilket skall utbreda sig öfver alle blifvande philosophiska lärobyggnader, men vi det oaktadt icke kunnat öfvertyga oss om riktigheten af de satser, hvarpa den ytterst hvilar, s” hafva vi varit föranl”tne, att i m”nga hänseenden afvika fran Honom, och budit till, att, om vi s” f” säga, omplantera Hans lära pa empirisk botten, I flera andra punkter hafva vi likaledes v”gat motsäga denne odödlige Man; äfvensom vi varit m”ne att tillägga de egna tankar, som synts oss sanna, och hafva nära sammanhang med detta ämne.« 1050 F. Schiller, Anmut und Würde, S. 92: Schiller unterscheidet hier zwischen Bewegungen, welche der Natur und solche, welche der Person angehören. Bewegungen, welche der

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Schiller im ästhetischen Diskurs

stattdessen jeder Bewegung die Möglichkeit schön zu sein zugestehen, und zwar unabhängig von ihrem Ursprung. Des Weiteren nimmt Lidbeck in Anmerkung L (21 – 23) Abstand von Schillers strenger Unterscheidung einer »moralischen Ursache« von einer »sinnlichen Ursache« (NA, XX, 277), welche ihre Wurzeln in einem anthropologischen Dualismus und der Kant’schen Distinktion des Phänomenon und Noumenon hat. Die Sphärentrennung des Sinnlichen von der Vernunft leuchtet dem Empiristen nicht ein: »Es ist genauso unbegreiflich, dass man mit einem Gedanken Teile des Körpers in Bewegung versetzen kann, wie dass Harmonie, Leichtigkeit u. a. im Denken und Fühlen äußere Eigenschaften beeinflussen könne« (24). Schiller ist ihm aufgrund dessen Affinitäten zum Empirismus zwar näher gewesen als Kant, gleichwohl musste ihm die dualistische Ästhetik und Anthropologie Schillers suspekt erscheinen, weshalb er die Bedeutung der auf Ausgleich mit der Sinnlichkeit bedachten Mittelbegriffe Geschmack, Bildung, Spiel, Anmut betonte, während er die starke Privilegierung der Vernunft in der »Würde« zu dämpfen suchte.1051 Was hat Lidbeck, Tegn¦r, Geijer (siehe folgendes Unterkapitel) und andere Zeitgenossen an dieser Schrift fasziniert? – Die Anmut als sinnlich erfahrbarer Abdruck der schönen Seele ist Ausdruck der Übereinstimmung der sinnlichen und intellektuellen Natur, und löst damit die wichtigste Frage der menschlichen Natur.1052 Letztlich handelt es sich um eine der Spätaufklärung verpflichtete Problemstellung der Anthropologie, welche Schiller mit den Mitteln der Ästhetik zu lösen versucht hat. – Schillers Abhandlung kann durch stärker gewichtete Lektüre des ersten Teils über die Anmut als ein ernstzunehmender Versuch angesehen werden, den moralischen Rigorismus Kants in den Grenzen der reinen Vernunft und ohne sie auf eine Identitätsphilosophie hin zu überschreiten, abzumildern – so hat Lidbeck Schiller gelesen.1053 »Naturtrieb oder ein herrgewordener Affekt auf seine eigene Hand ausführet und die also auch ihrem Ursprung nach sinnlich sind, verlangen wir etwas ganz anders als Anmut.« 1051 Siehe Anmärkningar hörande till läran om behag (dt. Anmerkungen hinsichtlich der Lehre über die Anmut, 1808) sowie Anmärkningar hörande till läran om värdighet (dt. Anmerkungen hinsichtlich der Lehre über die Würde, 1808). 1052 Siehe E. Tegn¦r, Filosofiska och estetiska skrifter, 1913, S. 307. 1053 Eine solche Lektüre lässt sich durchaus auch durch Aussagen Schillers legitimieren: »In der Kantischen Moralphilosophie ist die Idee der Pflicht mit einer Härte vorgetragen, die alle Grazien davon zurückschreckt und einen schwachen Verstand leicht versuchen könnte, auf dem Wege einer finstern und mönchischen Asketik die moralische Vollkommenheit zu suchen.« Siehe Über Anmut und Würde, NA, XX, 283. Es ging ihm offensichtlich um eine Popularisierung der Kant’schen Philosophie, wie er in einem Brief an denselben versichert (NA, XXVII, 13). Eine konträre Lesart schlägt F. Beiser vor, welcher in der Vorstellung, dass Schiller den Kant’schen Rigorismus habe abmildern wollen, einen der hartnäckigsten Mythen sieht, welche Schillers philosophisch-ästhetische Intentionen umranken. »This claim is false if it means that Schiller wanted to replace reason with

Anmut und Würde

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– Die Vorstellung einer Bildbarkeit der Anmut jenseits der Pedanterie von Verstand und Vernunft, aber auch jenseits der Triebhaftigkeit der Sinnlichkeit. Bei Lidbeck ist die Anmut abhängig von einem »gebildeten Geschmack« (31), ohne welchen eine »äußere Schönheit« nie zustande kommen kann (35). – Hinter der individuellen Harmonie der schönen Seele zeichnet sich die Vorstellung einer »liberalen Regierung« ab, welche zwischen dem absoluten Staat (Herrschaft des Geistes) und der Anarchie des »Pöbels« (Herrschaft der Sinne) steht (Anmut und Würde, NA, XX, 278 f).1054 – Schillers Ästhetik in Anmut und Würde ist eine unter Aussparung des Künstlers, und so verwundert es nicht, wenn er lediglich in einer Anmerkung und erklärtermaßen »beiläufig« auf das Genie zu sprechen kommt (NA, XX, 275 f). Dieses sei zunächst ein »bloßes Naturerzeugnis«, ein »Günstling der Natur«, und als solcher nicht mehr zu schätzen als ein Geburtsadel. Eine solche Relativierung des Genies musste all denen zuarbeiten, welche die Gefahr eines mystifizierenden und esoterischen Genie-Begriffs (insbesondere bei Schelling) erkannten und die Neuromantiker mit Missbilligung zur Kenntnis nahmen. Dies ist ohne Zweifel bei Lidbeck, Höijer, Tegn¦r und Geijer der Fall.1055 – Die Konzeption der Anmut entspricht dem neuen bürgerlichen Ideal der Frau, wie sich an Lidbecks wesentlich umfassenderen Ausführungen dazu in seiner Schrift über die Anmut ablesen lässt (37 – 49). Die bürgerliche Frau sollte ihre Anmut weder auf ihre »Architektur« (Natur), ihre »Toilette« (Geburt, gesellschaftlicher Rang) noch auf eine »Tanzmeistergrazie« (Lüge) stützen, sondern auf eine »schöne Empfindsamkeit«. Anmut und Würde stehen für Schiller in einem dilemmatorischen Verhältnis zueinander, genau wie das Schöne und das Erhabene: Die Spannung von »Entzweiung und Versöhnung steuert die aporetische Argumentation, mit der Schiller einerseits Schönheit und Erhabenheit trennt«, zugleich jedoch beide feeling as a justification of moral principles, or if it means that he did not want duty to be the sole motive for moral action« (F. Beiser, Schiller as philosopher, 2005, S. 83). 1054 F. C. Beiser, The Romantic Imperative, 2003, 97: »Schiller, Novalis, and Schleiermacher all assume that the perfect society or state is like a work of art because there is an organic unity between the individual and the social whole, which is governed neither by physical nor moral constraints but only free interaction.« 1055 Lidbeck grenzt sich insbesondere von der Konzeption Schellings ab, wenn er sich in seiner Abhandlung über das Genie (Snille, § 3) gegen die von Kant stammende und durch Schelling radikalisierte Idee wandte, dass das Genie im eigentlichen Sinne nur dem Künstler eigne und dass ein Wesensunterschied zwischen dem intuitiven Schaffen des Künstlers und dem diskursiven Denken des Wissenschaftlers herrsche. Lidbeck versuchte beide Phänomene mit Hilfe der englischen Assoziations-Psychologie auf den gleichen Ursprung zurückzuführen und baute einer Überbewertung des Genies vor, indem er das schöpferische Ingenium demokratisierte.

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Kategorien im Idealschönen wieder vereint wissen will, obgleich gänzlich unklar ist, wie diese einander angenähert werden könnten.1056 Ernst Cassirer hat in Eidos und Eidolon die neologistischen Begriffe methexis und chorismos verwendet, um auf die Trennung und Verknüpfung von Idee und Erscheinung bei Platon aufmerksam zu machen.1057 Methektisch sind all jene Begriffe, welche auf Synthese, Vermittlung oder Versöhnung, also eine Utopie abzielen, wie das Schöne und die Anmut. Choristisch all diejenigen, welche einen Gegensatz betonen und damit ein tragisches Menschenbild und einen negativen Geschichtsverlauf voraussetzen, z. B. das Erhabene und die Würde. Das Dilemma wurde durchaus auch von den schwedischen Autoren wahrgenommen, eine Abschwächung der unlösbaren Spannung wurde jedoch erzielt, indem einer Seite der Vorzug gegeben wurde. Das Vorherrschen von choristischen bzw. methektischen Tendenzen charakterisiert die beiden bedeutendsten Dichter und Denker der Zeit in Schweden, Erik Gustaf Geiger und Esaias Tegn¦r. Während Geijer die Versöhnung, die Aufhebung der Gegensätze in der Anmut (»lebenden Gestalt«, siehe XI:6) anstrebt, betont Tegn¦r den unvermeidbaren Konflikt zwischen den beiden Naturanlagen des Menschen, die Sinnlichkeit und die Vernunft, weshalb der Begriff des Erhabenen und der Würde bei ihm im Zentrum stehen. Letztlich lässt sich an dieser jeweiligen Präferenz für die Würde bzw. die Anmut der beiden Dichterphilosophen der künftige intellektuelle Werdegang ablesen. Tegn¦r erhofft weder eine gesellschaftliche noch eine individuelle Erlösung von den Disharmonien des Daseins und weiß diesen nur eine erhabene Würde entgegenzusetzen. Folgerichtig entwickelt er sich unter dem Einfluss Schillers zum Dichter lyrischer Kunstwerke, die eine erhabene Kunstwelt evozieren: der Gegensatz der sinnlich erfahrbaren und einer von dieser abgegrenzten autonomen Kunstwelt wird in diesen immer wieder thematisiert. Geijer dagegen, der bereits in der Einbildungs-Schrift das harmonische Zusammenspiel des Sinnlichen und des Intellektuellen im Individuellen und der Individuen im Gesellschaftlichen anvisiert, entwickelt sich in der Folge unter dem Einfluss Schillers zum Denker und Historiker, welcher als solcher die Möglichkeiten einer Harmonie umkreist und sich immer mehr der Realität annähert. Beide Begriffe stellen einen Endpunkt der spätaufklärerischen Tendenz dar, die Anthropologie zur Leitwissenschaft zu erheben und alle anderen Wissenschaften von dieser abzuleiten. Schiller führt die Ästhetik auf anthropologische Grundgegebenheiten zurück und verbindet sie wieder mit einer moralischen Intention, einerseits die Bildung zur Aufhebung der Zerrissenheit 1056 Siehe Schiller-Handbuch, 2005, S 485. 1057 E. Cassirer, Eidos und Eidolon, 2003, S. 20; David Pugh, Dialectic of Love, 1996, S. 112 f, hat seinerseits auf die Neologismen zurückgegriffen, um auf das platonische Erbe Schillers aufmerksam zu machen.

Geijer über Einbildungskraft (1810)

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des Menschen in der Gesellschaft, andererseits die Erziehung zum Aushalten des konfliktuösen Zustands menschlichen Daseins.

6.

Geijer über Einbildungskraft (1810)

Erik Gustaf Geijers Preisschrift über die Einbildungskraft1058 (1810) wird in der schwedischen Literaturgeschichtsschreibung als erste ästhetische Programmschrift der schwedischen Romantik angesehen.1059 Häufig wurde die »Merkwürdigkeit« hervorgekehrt, dass diese Schrift von der Schwedischen Akademie – der Bastion der Alten Schule – mit einem Preis ausgezeichnet wurde, aber auch, dass die Romantiker sich darin wiedererkennen konnten. Spekuliert wurde, ob Geijer geschickt Elemente des neuen Zeitgeistes mit solchen zu verbinden wusste, die der Alten Schule genehm waren. Geijer schreibe in der Tradition der Aufklärung, vermittle aber »auch einige durchaus romantische Ideen«, insbesondere wenn er behauptet, dass die »Einbildungskraft nicht gelernt werden kann«, womit er auch mit der klassischen Doktrin der Erlernbarkeit poetischer Fähigkeit breche.1060 Mir geht es im Folgenden dagegen darum zu zeigen, dass Geijer weder der traditionellen noch der romantischen, sondern einer dritten von Schiller initiierten Position zuzuordnen ist.1061 1058 E. G. Geijer, Svar p” svenska akademiens prisfr”ga ”r 1810, in: Samlade Skrifter, 1928 – 1930, II, S. 72 ff: »Vilka fördelar kunna vid människors moraliska uppfostran dragas av deras inbillningsg”va och betraktandet av v”ra tiders samhällslevnad synes det böra göra denna sinnesg”va mera mot- eller medverkande de moraliska förnuftsbuden?« Zitate und Hinweise auf diesen Text werden im Folgenden lediglich durch Angabe der Seitenzahl im laufenden Text ausgewiesen, z. B. »(129)«. 1059 Siehe z. B. K. Warburg, ISLH, 1929, der die Schrift als »den egentliga första romantiska programskriften i Sverige« bezeichnet (S. 453) und NISLH, Romantiken Liberalismen, S. 204: »Med rätta har ocks” inför eftervärlden avhandlingen om inbillningsg”van kommit att framst” som den svenska romantikens viktigaste estetiska programskrift.« 1060 C. Brylla, Die schwedische Rezeption zentraler Begriffe der deutschen Frühromantik, 2003, S. 96. Brylla geht hier allerdings von einem außerordentlich vereinfachten Verständnis des Klassizismus aus, welcher nicht einmal in der Person Leopolds die Erlernbarkeit poetischer Fähigkeiten behauptet hatte. 1061 Hinsichtlich der Frage nach dem Einfluss von Schiller auf Geijer besteht keine Einhelligkeit in der Forschung. John Landquist (Erik Gustaf Geijer, 1924, S. 96 – 102) z. B. hat behauptet, dass Schiller, der auf den jugendlichen Geijer einen maßgeblichen Einfluss ausgeübt habe, keine Bedeutung mehr für den Geijer der Einbildungsschrift und danach gehabt habe. Bemerkenswert seien eher die Differenzen zwischen Schiller und Geijer, das nicht Vorhandensein eines Einflusses seitens Schillers, da es sich in der Einbildungsschrift von Geijer geradezu um ein Schiller-Thema handle. Als wichtigen Unterschied nennt Landquist z. B. die Tatsache, dass Geijer nicht die gängigen Schiller’schen Begriffe wie Formtrieb, Sachtrieb und Spieltrieb verwendet habe. Dies ist eine Sichtweise literarischer Rezeption, die zu sehr an der Oberfläche bleibt und in der Auswahl der Metaphorik, welche einen Einfluss seitens Schillers verbürgen solle, willkürlich verfährt. Stattdessen gilt es

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Die Preisfrage der Schwedischen Akademie lautete: »Welche Vorteile können bei der moralischen Erziehung des Menschen aus deren Einbildungskraft gezogen werden und ist bei Betrachtung der heutigen Gesellschaft diese Gabe den moralischen Vernunftgeboten eher hinderlich oder förderlich?« Sie hatte in etwa das gleiche Thema im Blickfeld, wie die Preisfrage der Akademie in Dijon 1750 mit dem Wortlaut: »Si le r¦tablissement des Sciences & des Arts contribu¦ — ¦purer les mœurs.«1062 Geijer stritt in seiner Schrift im Gegensatz zu Rousseau pathetisch für die außerordentliche Bedeutung der Wissenschaften und Künste hinsichtlich der Stärkung und der Läuterung des moralischen Charakters. Wie Rousseau wird er jedoch die Akademisten mit seiner Stellungnahme überrascht haben: Bei einer 60 Seiten starken Schrift lässt Geijer erst auf der letzten Seite durchscheinen, dass die akademischen Adressaten vermutlich mit einer deutlichen Distanzierung von den negativen Wirkungen der Einbildungskraft, d. h. Schwärmerei, Aberglaube und Fanatismus, rechneten. Das Problem der Zeit sei jedoch nicht ein Zuviel an Einbildungskraft, sondern ein Zuwenig derselben (129) – so das Fazit seiner Schrift. Ausgangspunkt Geijers ist die von Rousseau und Schiller bekannte historisch und kulturell bedingte Fragmentierung des Menschen:1063 »Der Mensch entspringt der Natur als ganzes; erst die Kunst zerstückelt ihn, lehrt ihn in sich selbst Grenzen zu errichten, seine Vermögen zu teilen, diese im Hinblick auf einzelne Phänomene zu üben, oder oft eines zum Nachteil der übrigen zu üben« (75). Die Einbildungskraft sei bei den historisch sukzessive sich auseinanderfaltenden und verzweigenden Vermögen (Verstand, Urteilskraft, Vernunft) am stiefmütterlichsten davongekommen, so dass nicht einmal mehr klar sei, welche darauf aufmerksam zu machen, dass die Metaphern, welche von Schiller herrühren, sich um den Begriff des »Übergangs« und der »Anmut« zentrieren. Deutlicher als Landquist hat dagegen A. Blanck, Geijers Götiska diktning, 1918, den Einfluss Schillers auf die Einbildungs-Schrift gesehen. Auch Anders Lundahl hat in Erik Gustaf Geijer. Filosofen, 1999, versucht darzulegen, dass Geijer als Philosoph vor allem von Schiller beeinflusst war. Seine Darstellung der philosophischen Schriften Geijers lässt er mit der EinbildungsSchrift beginnen, die von »offenbaren Schillerismen« geprägt sei: beide bezögen sich auf den reinen Vernunftbegriff der Schönheit als eine »lebende Gestalt« (ebd. S. 66). Lundahl hat mit dem zitierten Ausdruck den vermutlich wichtigsten Begriff der Schrift genannt, der gleichzeitig die Verbindung zu Schiller herstellt. Lundahl selbst stützt sich in seiner Argumentation für einen stärkeren Einfluss Schillers auf Geijer insbesondere als Philosoph auf spätere Schriften, während seine Darstellung des Schiller’schen Einflusses auf die Einbildungsschrift (S. 58 – 74) nicht recht überzeugt, da sie zu wenig Anhaltspunkte und keine Textstellen beibringt. 1062 J. J. Rousseau, Schriften zur Kulturkritik, 1983, S. 1. 1063 Rousseau spricht von einer Depravation: »[…] et nos –mes se sont corrompues — mesures que nos sciences et nos arts se sont avanc¦s — la perfection. » (J. J. Rousseau, Schriften zur Kulturkritik, 1983, S. 14), Schiller von einer »Trennung in dem inneren Menschen«: die Ausbildung der einzelnen Kräfte habe das Opfer ihrer Totalität notwendig gemacht. Siehe F. Schiller, Über die ästhetische Erziehung des Menschen, Brief 6 – 7.

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Aufgabe und welcher Ort ihr zukomme. Eine historische Untersuchung sei am zweckdienlichsten, die unterschiedlichen Realisationsmöglichkeiten der Einbildungskraft einzukreisen. Die drei Perioden werden im Folgenden kurz skizziert, da diese Periodisierung auch deutlich macht, wie gering der Einfluss Schellings ist, welcher im System des transzendentalen Idealismus nicht nur eine gänzlich andere Einteilung vorgenommen, sondern die jeweiligen Perioden auch völlig anders bewertet hat.1064 Sieht man aber einmal von der mittleren Periode ab, so entspricht Geijers Einteilung und Bewertung in etwa derjenigen von Schiller vielerorts vorgenommenen. – Griechentum (76 – 79): Die griechische Epoche, in welcher Wissenschaft, Kunst, Mythologie und Natur in der Poesie vereint waren, wird in deutlicher Anlehnung an Schiller beschrieben: »Sogar in die Wohnungen des Todes und der Schatten sandte die schaffende Bildungsgabe Leben und Gestalt« (77), ein Bild, in welchem das Griechenland-Szenario des Gedichts Die Götter Griechenlands und die Metapher der »lebenden Gestalt« (NA, XX, 355) aus dem 15. Brief der Ästhetische Erziehung zusammenfließen. Die griechische Bildung war der »höchste Punkt« in der natürlichen Bildung, in welcher die Freiheit nur als Natur wirkte, und alle Vermögen sich als Ganzheit äußerten (79). – Mittelalter (79 – 83): Die größten, aber auch die einzigen Unterschiede zwischen Geijer und Schiller zeigen sich in Geijers Beschreibung des zweiten Zeitalters, welches er das »romantische« nennt. Aus der Konkursmasse der sündig gewordenen Welt Roms stieg der »reine, unendliche Geist« (80) – in die nunmehr als tot aufgefasste Natur brach das Wunderbare ein, und zwar in der sinnlich erfahrbaren Gestalt des Ungeheuren. In der neuen Mythologie verschmolzen Enthusiasmus und Vernunft, das Tragische und das Komische, Religion und Liebe, phantastische Größe und lebhafte Ironie zu einem »entzückend grotesken Bild«. Die Kreuzzüge, deren Fanatismus Schiller verabscheute, sind ihm Beispiel eines »Enthusiasmus« und einer »Liebe«, die sich positiv vom darauf folgenden Zeitalter abhebe. – Aufgeklärte Neuzeit (83 – 91): Diese habe allerdings den Vorzug eines erwachenden Freiheitsbewusstseins: »Es gibt in der Weltgeschichte kaum ein froheres, belebenderes Schauspiel, als der Anblick der erwachenden Freiheit in ihrer ganzen Jugendstärke.« (85) – heißt es da wieder ganz im Geiste Schillers. Das Zeitalter sei gekennzeichnet durch die Expansion des Raums, des Wissens und des Individuums: die »Herrschaft des Begriffs«, welche sich in der Poesie und im Geschmack als Regel äußere (85), wodurch alle Kunst zu einer »mechanischen Fertigkeit« (94) degradiert wurde. Das Idol des aufge-

1064 F. W. J. Schelling, Ausgewählte Schriften, I, 1794 – 1800, S. 671.

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Schiller im ästhetischen Diskurs

klärten Zeitalters, das sich arrogant über die anderen erhebe, sei der Nutzen und die Praxis. Theorie und Wissenschaft sollen im »gegenwärtigen Zeitalter« zur Anwendung kommen – Geijer spricht hier die Entstehung der modernen Naturwissenschaften an, welche Hand in Hand mit einem veränderten Menschen- und Praxisverständnis geht. Theorie heißt nun nicht mehr nur kontemplative Erfassung ewiger Wahrheiten, sondern wird ganz dem Aspekt ihrer Nützlichkeit für die menschliche Praxis untergeordnet. Wie aber ist der »Übergang« von der Theorie zur Praxis möglich?1065 (108) Schließlich ist zwischen »Theorie und Praxis, zwischen Regel und Anwendung, Gedanke und Ausführung« eine zu große »Kluft«, welche weder durch Zwischenglieder noch durch »vergröberte Theorien« überbrückt werden könnte.1066 (109) Da der »Übergang« (överg”ng) von Theorie zu Praxis nur mithilfe allgemeiner Regeln vonstattengehen könne, kulminiere die Problematik in der Frage nach dem Übergang vom Allgemeinen zum Einzelnen. Geijer sieht in der Einbildungskraft das Vermögen, das zwischen diesen beiden Polen vermittelt: sie »versinnlicht die Regel« (92). Sowohl der Begriff des »Übergangs« als auch der dramatischere Begriff der »Kluft« (svalg) ist den Schriften Kants bzw. Schillers entnommen,1067 und bezeichnet dort vor allem die Differenz zwischen Sinnlichkeit und Vernunft.1068 1065 Doch auch für Kant wird »zwischen der Theorie und Praxis noch ein Mittelglied der Verknüpfung und des Überganges von der einen zur anderen erfordert, […] die Theorie mag auch so vollständig sein wie sie wolle«, eine unmittelbare Anwendung der Theorie sei nicht möglich. Dieses Mittelglied nennt Kant den »Actus der Urteilskraft«, der dem Praktiker die Anwendbarkeit der Theorie zu entscheiden erlaube. Für diese Urteilskraft könnten aber nicht wiederum Regeln gegeben werden, weil dies »ins Unendliche gehen würde«. Die Entscheidungsfähigkeit, ob im konkreten Fall eine Theorie zur Anwendung kommen kann, bleibt für Kant eine »Naturgabe«. Siehe I. Kant, Über den Gemeinspruch: Das mag in der Theorie richtig sein, taugt aber nicht für die Praxis, in: Werke, 1964, S. 127. 1066 In der Nachfolge Rousseaus bevorzugte Geijer eine rein praktische Erziehung des Kindes und eine theoretisch-wissenschaftliche der Jugend (S. 104), allerdings müsse der Übergang von der praktischen zur theoretischen Erziehung bewerkstelligt werden (S. 127), was wiederum von der Einbildungskraft zu gewährleisten sei. 1067 I. Kant, Kritik der Urteilskraft, § 59, S. 211 ff, 1974: »Der Geschmack macht gleichsam den Übergang vom Sinnenreiz zum habituellen moralischen Interesse, ohne einen zu gewaltsamen Sprung, möglich, indem er die Einbildungskraft auch in ihrer Freiheit als zweckmässig für den Verstand vorstellt, und an Gegenständen der Sinne auch ohne Sinnenreiz ein freies Wohlgefallen finden lehrt.« Kant spricht in der Kritik der Urteilskraft auch von den »gefährlichen Stellen«, wo die »unübersehbare Kluft zwischen dem Gebiete des Naturbegriffs, als dem Sinnlichen, und dem Gebiete des Freiheitsbegriffs, als dem Übersinnlichen, verläuft. Siehe Kritik der Urteilskraft, Einleitung, S. 11/A XIX. In dem Epigramm Schön und erhaben handelt Schiller in parabolischer Form von den zwei Genien des Schönen und des Erhabenen. Das Schöne geleitet einen mit erheiterndem Spiel bis an die »Kluft«, wo das Erhabene einen empfängt und über die Tiefe hinträgt. 1068 Landquist macht geltend, dass Geijer die sowohl historisch als auch psychologisch

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Im historischen Durchgang haben sich für Geijer drei Epochen der Menschheitsgeschichte herauskristallisiert, in welchen die Einbildungskraft ihre jeweils spezifische Ausformung erhielt: in Griechenland die schöne Kunst, im Mittelalter die Religion und in der Neuzeit die Wissenschaft. (97) Im nun folgenden Hauptteil widmet sich Geijer der Frage nach der Erziehung im Allgemeinen und dem wohltuenden pädagogischen Einfluss der Einbildungskraft auf die Wissenschaft, die Religion und die Kunst im Besonderen (99 – 120). Die eigentliche Heimstatt der Einbildungskraft sei die Welt des Schönen, hier entfaltet Geijer eine dichte, metaphern- und anspielungsreiche Sprache, welche diese Passage am Ende der Schrift als deren eigentliches Zentrum ausweist – gleichzeitig korrespondiert sie in vielerlei Hinsicht mit Schiller, wie folgende Textstelle dokumentiert: Die Sozietät kann eine Gewandtheit im Umgang geben, sie vervollkommnet die Fertigkeit alle Regeln der Artigkeit ungezwungen auszuüben: sie kann feine Sitten geben, wenn man so will. Aber schöne Sitten kommen aus der Seele. Auch in der Gestalt drückt sich diese ja aus? Wer will nicht die von Natur königliche Seele in der Majestät der Bewegung und Haltung erkennen? Wer glaubt nicht den Blick des edlen Stolzes, oder die Sicherheit des festen Charakters im Antlitz und der Haltung, oder den entzückenden Charakter der Anmut zu kennen? Dass diese Kennzeichen, von der Gestalt genommen, so oft betrügen, beweist nicht viel gegen mich; denn ich habe nicht gewollt, dass das Angeführte viel beweist in meinem Sinne. Aber dass die Verbindung zwischen dem Äußeren und dem Inneren natürlich ist, lässt sich daraus ersehen, dass der Maler und der Bildhauer die Schönheit ihrer Kunst dadurch gewinnen, dass es ihnen gelingt, in der Gestalt selbst eine Seele sprechen zu lassen. […] Denn man stellt sich das Schöne als Bild vor, als sinnlich. Aber diese Sinnlichkeit ist ja nichts anderes als der gleichsam durchsichtige Schleier des Geistes? Aus diesem Bild spricht ja eine Seele? Hier ist der Streit zwischen allen Forderungen und allen Ausführungen völlig beigelegt: Das Höchste offenbart sich wirklich für die Sinne (122 ff).

In immer neuen Formulierungen beschwört Geijer die Utopie einer völligen Versöhnung: das Sinnliche und das Idealische (122), das Idealische und das Wirkliche (122), Freiheit und Notwendigkeit (121), Anmut und Würde (121), das Schöne und die Sittlichkeit (122), das Innere und das Äußere (122), das zweifelhafte Konstruktion Schillers, nämlich der ästhetische Zustand als Verbindung und Übergang vom Naturzustand zum moralischen Zustand, nicht in seine Konstruktion aufnehme. In Wirklichkeit hat Geijer die Schiller’sche Denkfigur des »Übergangs« mehrmals verwendet, wenn auch in anderen Zusammenhängen, was Landquist zwar einräumt: es lasse sich in Geijers Schrift eine Entsprechung zu Schillers Positionierung des ästhetischen Zustandes als historisches Zwischenglied aufweisen. Diese Nähe zu Schiller sei jedoch trügerisch, da es sich bei näherer Betrachtung erweise, dass Geijer sich in seiner Konstruktion in zwei wesentlichen Punkten von Schiller unterscheide: einerseits darin, dass die ästhetische Betrachtung uninteressiert sei, andererseits darin, dass der ästhetische Zustand der einzig mögliche sei, in dem der Mensch sich von den Fesseln der Natur befreie.

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Irdische und das Himmlische (122). Die Beilegung jeglichen Streits aller Forderungen offenbare sich für die Sinne im »Bild« oder im »Gedicht«, selten in der Natur. »Deshalb wird man von der ungewöhnlichen Schönheit in der Gestalt oder dem Blick einer Person überrascht. Deshalb erscheint Telemachs Ausruf, beim ersten Anblick der Calypso, so natürlich: ›bist du eine Sterbliche oder eine Gottheit?« (123) Die Szene, welche nicht der griechischen Mythologie entnommen wurde, sondern FranÅois de Salignac de La Mothe-F¦nelons (1651 – 1715) Abenteuer des Telemachs (1699),1069 veranschaulicht nicht wirklich das, was zu veranschaulichen ihr aufgegeben wurde. Die Unterscheidung zwischen dem reinen Naturschönen, der schönen Seele und dem Kunstschönen wird von Geijer beiläufig und erstaunlich unpräzise eingeführt. Calypso kann als Person nicht zur Illustration eines Naturschönen dienen, es sei denn, die Schiller’sche Unterscheidung der »architektonischen Schönheit« (Natur) und der »beweglichen Schönheit« (Freiheit) wäre mitgedacht. Eine bloß architektonische Schönheit wiederum würde den hier angedachten Betrachter jedoch kaum in Verwunderung versetzen. Die kurze Passage ist widersprüchlich, die mythologische Szene unmotiviert, die Intention Geijers unklar. Sie erklärt sich letztlich nur durch die Annahme einer bewussten Bezugnahme Geijers auf Schiller, welcher in Über das Erhabene die gleiche Parabel anführt: Die Schönheit unter der Gestalt der Göttin Kalypso hat den tapfern Sohn des Ulysses bezaubert, und durch die Macht ihrer Reizungen hält sie ihn lange Zeit auf ihrer Insel gefangen. Lange glaubt er einer unsterblichen Gottheit zu huldigen, da er doch nur in den Armen der Wollust liegt – aber ein erhabener Eindruck ergreift ihn plötzlich unter Mentors Gestalt: er erinnert sich seiner bessern Bestimmung, wirft sich in die Wellen und ist frei.

Schiller dient die Parabel der Verbildlichung einer existentiellen Situation, in welcher der Held sich von der sinnlichen Welt, an welche er durch die Schönheit gekettet ist, losreißt. Die Entscheidung wird als »plötzliche« bezeichnet, die Plötzlichkeit ist ein Signum des Erhabenen.1070 Gleichzeitig wird das Schöne in der Figur der Calypso als Wollust entlarvt – vermutlich trägt Schiller in seiner Ausdeutung der Bedeutung des griechischen Verbes »kalypto« (dt. verhüllen) Rechnung. Die mythologische Parabel legitimiert solchermaßen die Priorisierung des Erhabenen vor dem Schönen – und genau auf diese Wertung Schillers scheint mir Geijer Bezug zu nehmen. Seine Verwendung der Szene soll das utopische Potenzial des Schönen, die Versöhnung aller Gegensätze, unterstreichen und damit die Dignität des Schönen vor dem Erhabenen hervorheben. 1069 FranÅois de Salignac de La Mothe-F¦nelons, Les Aventures de T¦l¦maque, fils d’Ulysse, 1733 in Deutsch erschienen als Die seltsamen Begebenheiten des Telemach. 1070 Siehe K. H. Bohrer, Plötzlichkeit, 1981.

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Letztlich versucht Geijer die von Schiller in den Ästhetischen Briefen entwickelte Konzeption des schönen Scheins zu restituieren und vor seiner Devalvierung in Über das Erhabene zu retten. Vieles spricht dafür, die Schrift nicht als Programmschrift der Romantik, sondern als Geijers Formulierung eines ästhetischen Programms zu sehen, das demjenigen Schillers in Über Ästhetische Erziehung sehr nahe kommt. Dies würde übrigens auch erklären, warum sowohl die Schwedische Akademie als auch die Romantiker daran Gefallen finden konnten. Geijers Text ist das faszinierende Dokument einer originellen Synthese von Elementen des deutschen Idealismus – vor allem Schiller – und eigenen Gedanken, die seine Eigenständigkeit und Sonderstellung im schwedischen Kulturleben bezeugen.

7.

Schillers philosophischer Stil

Schiller ist von seinen Zeitgenossen, sowohl von philosophischen Fachkollegen, als auch vom gebildeten Publikum, an das er sich in erster Linie gewandt hatte, als Philosoph häufig kritisiert und belächelt worden. So schrieb der Fachphilosoph und Kollege Fichte am 27. 6. 1795 an Schiller : »Ich muß alles von Ihnen erst übersetzen, ehe ich es verstehe und so geht es anderen auch« (NA, XXXV, 232). Auf die Notwendigkeit einer Übersetzung der schönen Prosa Schillers wurde auch von seinem dänischen Gönner und Mäzen hingewiesen: »Der gute Schiller ist doch eigentlich nicht zum Philosophen geschaffen. Er bedarf einen Uebersetzer, der das poetisch schön gesagte mit philosophischer Prezision entwickelt, der ihn aus der poetischen in die philosophische Sprache übersetzt« (NA, XXVII, 237). Schillers philosophische Prosa, die sich zwischen Poesie und Philosophie, Argument und Metapher hin und her »windet«, – in »einer freien Wellenbewegung«, in »jedem Punkt unmerklich seine Richtung«1071 ändernd – und sich an »Kenner« und Hofmänner gewandt hat, hätte freilich bei seinem Mäzen und Gönner von Augustenburg auf mehr Verständnis stoßen können, zumal er ihm einige Leseanweisungen gleich mitgeliefert hat. Der schwedische Romantiker Lorenzo Hammarsköld, von Schiller als Kant’schem Idealist handelnd, konstatierte in seiner Kritik über Schiller : Man sollte auch nennen, dass Schillers Verdienste hierin nicht darin bestanden, dass er die Ideen seines Meisters weiterentwickelte, oder im Reich der Gedanken neue Aussichten öffnete, sondern dass er bloß ein Beispiel dafür gegeben hat, wie philosophische Wahrheiten popularisiert werden sollten und auf Kenntnisse angewandt werden sollten, die für jedermann zugänglicher sind.1072 1071 F. Schiller, An Friedrich Christian v. Augustenburg, 21. 11. 1793, in: NA, XXVI, 321. 1072 L. Hammarsköld, Försök till en kritik öfver Friedrich Schiller, 1808, S. 77: »Det bör ocks”

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Hammarsköld versteigt sich in Behauptungen wie die, dass Schiller nie die philosophische Bahn hätte betreten sollen, auf welcher er einen Vergleich mit einem Fichte und einem Schelling nicht ertragen könne, da »seine Philosophie genau so wenig entwickelt« sei »wie seine Poesie. Und wie diese von Philosophemen überflutet, ist seine Philosophie ausgezeichnet durch Poetismen, wenn ich so sagen darf und brilliert öfter mit philosophischer Schlagfertigkeit als mit Scharfsinn.«1073 Dabei hätte es Hammarsköld besser wissen können und sollen: Schiller selbst sah sich in der Auseinandersetzung mit Fichte, aber vermutlich auch, um weiteren Vorwürfen vorzubeugen, gezwungen, seinen philosophischen Stil zu erläutern und abzugrenzen. In Über die notwendigen Grenzen beim Gebrauch schöner Formen warnt er vor dem »Mißbrauch des Schönen und die Anmaßung der Einbildungskraft« (NA, XXI, 3) sowie vor belletristischer »Willkürlichkeit im Denken« (NA, XXI, 21). Hier distanziert sich Schiller auch deutlich vom »populären Schriftsteller« der zwar den »Glauben erweckt, dass es sich wirklich so verhalte, aber weiter bringt er es auch nicht; denn er macht uns die Wahrheit jenes Satzes zwar fühlbar, aber nicht absolut gewiß« (NA, XXI, 5, 10).1074 Bemerkungen von Zeitgenossen wie die der oben zitierten könnten den Eindruck erwecken, dass Schiller trotz seines philosophischen Stils rezipiert wurde. Im Folgenden möchte ich dagegen zeigen, dass er auch wegen seines schönen Stils rezipiert wurde. Albert Nilsson hat geltend gemacht, dass Schiller das »Muster für die Prosa« Lidbecks gewesen sei,1075 und Christina Svenssons führt diesen Gedanken weiter, wenn sie behauptet, Lidbeck selbst habe philosophische Abhandlungen zur schönen Literatur gezählt, welche nicht geschrieben seien, um zu belehren, nämnas att Schillers förtjenster i denna del alldeles icke bestodo deri att han vidare fullföljt sin Mästares ideer, eller i tankens riken öppnat n”gra nya utsigter, utan att han blott lemnat mönster, för huru filosofiska sanningar böra populariseras och användas p” kunskaper, som för hvar man äro mera tillgängeliga.« 1073 Ebd., S. 81 f: »Ty för det närvarande är hans filosofi lika s” litet sant utvecklad som hans poesi: Och s”som denne öfverflödar af filosofemer, är hans filosofi utmärkt af Poetismer, om jag f” m” säga och lyser oftare af filosofisk qvickhet än skarpsinnighet.« 1074 Heute ist Schillers Bedeutung für die Geschichte der Ästhetik und Ethik unumstritten und bedarf kaum mehr einer Begründung. Die Wertschätzung Schillers als philosophischer Autor hatte stets auch etwas mit seiner »schönen Schreibart« zu tun, aber vor allem auch mit seiner dichten und vielschichtigen Sprache, die auch noch heute Begeisterung hervorzurufen vermag, wie folgendes Zitat von Monroe C. Beardsley zeigt: »In this work – so rich in idea despite its brevity, and so full of the humane spirit, the concern for man and for men, that breathes through all of his works – Schiller asked a question that no one had put so profoundly since Plato: what is the ultimate role of art in human life and culture? […] Schiller’s thought is so compact and suggestive that any summary must do him a considerable injustice […]« (M. C. Beardsley, Aesthetics from classical Greece to the present, 1982, S. 225 f). 1075 A. Nilsson, Esaias Tegn¦r. Filosofiska och estetiska skrifter, 1913, S. 64.

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sondern um zu vergnügen. In diesem Zusammenhang weist sie auch auf die Tradition der Popularphilosophie hin, und in der Tat war Lidbecks Umgang mit der philosophisch-ästhetischen Literatur im höchsten Maße eklektisch: Schon in seiner ersten und umfassendsten Schrift Almänna æsthetiska anmärkningar zitiert oder nennt er nicht weniger als 25 unterschiedliche Autoren.1076 Als Vertreter des Empirismus waren ihm im ästhetischen Fach vor allem Home und Blair Autoritäten1077 – gleichwohl stammen die meisten Zitate von Schiller und Kant, zu welchem letzteren er freilich häufig im Widerspruch stand. Lidbecks Wertschätzung der Ästhetik Schillers ist offenbar, gleichwohl bewahrte er sich eine gewisse Autonomie gegenüber dem von ihm geschätzten Dichter und Philosophen, wie sein Umgang zur zitierten Literatur generell von einer außerordentlichen Selbständigkeit geprägt war. Hammarskölds Vorwurf, Lidbeck habe in seinen Schriften lediglich Schiller übertragen, könnte, wenn überhaupt, nur für seine Schrift über die Anmut gelten. Lidbeck, führt Svensson aus, habe gewisse »schöne« Abhandlungen in Abgrenzung zu traditionell akademischen als »dogmatische Abhandlung« bezeichnet.1078 Sollte dies stimmen, so handelt es sich hierbei freilich um eine sehr merkwürdige Wortwahl von Seiten Lidbecks, bezeichnete doch gerade Schiller in einem Brief an Augustenburg die traditionelle akademische Schreibweise als die »dogmatische«. »Der dogmatische Lehrer […] zwingt uns seine Begriffe auf, der sokratische lockt sie aus uns heraus, der Redner und Dichter gibt uns Gelegenheit, sie mit scheinbarer Freiheit aus uns selbst zu erzeugen« (NA, XXVI, 321). Lidbeck selbst schrieb in Almänna æsthetiska anmärkningar, »Eine Wissenschaft, welche als solche schön sein soll, ist eine Unmöglichkeit; denn wenn 1076 C. Svensson, Anders Lidbeck och 1700-talets estetik, 1987, S. 76. 1077 M. Weibull rechnete Anders Lidbeck zur alten Schule, C. Svensson sieht ihn anscheinend als Übergangsphänomen. Siehe M. Weibull, Lunds Universitets Historia 1668 – 1868, I, 1868, S. 330. 1078 C. Svensson, Anders Lidbeck och 1700-talets estetik, 1987, S. 75, kann folgende Textstelle Lidbecks (Rhetoriken utgifen af Anders Lidbeck) beibringen: »De som äro skrifna för att undervisa höra ej hit – utan blott de som äro skrifna att förnöja. […] Dogmatiska afhandlingar om de skola behage böra vara skrifna med liflighet – Man bör äfven bruka exempel, dels för att upplysa saken, dels för att göra en behaglig omväxling däruti. – Anföra Exempel är att lämpa allmänna satser till enskilda satser – Dogmatiska afhandlingar utesluter ej det figurliga; men dess Figurer böra ej vittna om häftiga och uprörda känslor, utan om en stilla Sinnesrörelse.« (dt. Diejenigen, welche geschrieben wurden, um zu unterrichten, gehören nicht hierher – sondern nur die, welche geschrieben wurden, zu vergnügen. […] Dogmatische Abhandlungen, wenn sie dem Leser gefallen sollen, sollten lebendig geschrieben werden – Man soll sich auch des Beispiels bedienen, teils um das Thema verständlicher zu machen, teils um eine angenehme Abwechslung darin zu haben. – Beispiele heranzuziehen bedeutet allgemeine Sätze auf einzelne Sätze anzuwenden. Dogmatische Abhandlungen schließen das Bildliche nicht aus, aber ihre Figuren sollen heftige und aufgeregte Gefühle nicht zeigen, sondern eine stille Rührung der Sinne aufweisen.)

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man in derselben, als Wissenschaft, nach den Gründen und Beweisen fragte, wird man mit geschmackvollen Ausdrücken (bons mots) abgefertigt.«1079 Svensson führt weiter aus, dass Lidbeck wie Schiller anschaulich zu schreiben versuche; gleichzeitig vermeide er, um dem Leser lustvoll Kenntnisse zu vermitteln, abstrakte Begriffe und ersetzte diese durch Metaphern. Sowohl Schiller als auch Lidbeck verwendeten häufig Metaphern, Beispiele, rhetorische Fragen und Antithesen in ihren Texten. Weder Schillers noch Lidbecks Abhandlungen seien wissenschaftlich im eigentlichen Sinne, sondern eher essayistisch zu nennen. Ich kann all das in Lidbecks Prosa nicht finden und halte den Vergleich der Prosa Lidbecks mit der Schillers generell nicht für besonders naheliegend. Im Folgenden möchte ich einige Eigenschaften des philosophischen Stils Schillers benennen und gleichzeitig auf einige Gemeinsamkeiten mit der philosophischen Prosa Geijers hinweisen: – Schiller denkt darstellend, besonders großartig im Auftakt seiner Abhandlung zu Anmut und Würde, wo er aus einer anschaulichen und scheinbar unspektakulären Szene der griechischen Mythologie, der gemäß Juno von Venus den Gürtel des Reizes entlehnte, die grundlegenden Distinktionen betreffend die Schönheit und Anmut entwickelte. Entsprechende Allegorien finden sich kaum bei Lidbeck, aber bei Geijer, welcher z. B. schreibt: »Die klassische Vorzeit bildete seine Gottheiten nackt. Die Wahrheit ist meine Gottheit; und wenn sie mir, der unwürdigste ihrer Verehrer, einen Blick ihres reinen Wesens gegönnt hat, so wage ich sie nicht mit Geschmeide zu belasten, das sie nicht braucht« (73). – Schiller denkt in großen Zusammenhängen, erläutert z. B. das Zusammenspiel der individuellen Vermögen mithilfe eines Bildes aus dem Bereich der Politik, gleichsam nebenbei ein politisches Credo formulierend, denkt in Kategorien der Ästhetik und Moral, der Kunst und der Politik, changiert zwischen den unterschiedlichsten Diskursen, hat in seinen Schriften stets das Gesamt des menschlichen Lebens im Auge. Dies führt zu einer Komplexität des Stils und Inhalts bei Schiller, die in Schweden nur von Geijer erreicht worden ist – Lidbecks Prosa ist von einer grundsätzlich anderen Art: Sein Vorgehen ist begriffsanalytisch und empirisch, seine Aufsätze sind wissenschaftliche Artikel, die Lexikoneinträgen zu bestimmten philosophischen Konzepten ähneln. – Schiller gelingt es immer wieder, Einsichten zu formulieren, die unmittelbar einleuchten, obgleich sie nicht deduziert wurden. »Schönheit also ist nichts 1079 A. Lidbeck, Almänna æsthetiska anmärkningar, 1796, Anmerkung S. 6. »En vetenskap, hvilken som s”dan, skal vara skön, är en orimlighet; ty om man i densamma, s”som vetenskap fr”gade efter grunder och bevis, blef man affärdad med smakfulla uttryck (bons mots).«

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anders als Freiheit in der Erscheinung« (NA, XXVI, 183), postuliert Schiller in den Kallias-Briefen. Es handelt sich hierbei um die rhetorische Figur des Enthymem, jene emphatisch verkürzte Beweisführung, deren sich der Redner bedient, um Schlüsse in Gefühle aufzulösen.1080 Ähnlich vermag Geijer immer wieder und ohne jegliche Beweisführung zu überzeugen: »Friheten bildar sig blott vid Frihet.« (dt. Freiheit entsteht nur in der Freiheit), äußert er paradox. Bei Geijer jedoch häufen sich derartig in sich ruhende Aussagen und tendieren zum Dogmatischen: »Ty i seder ligger begreppet om frihet« (dt. Denn in der Sittlichkeit liegt der Begriff der Freiheit, 120), und gleich darauf: »I begreppet om seder sammansmälta id¦erna om frihet och nödvändighet.« (dt. Im Begriff der Sittlichkeit verschmilzt die Idee der Freiheit mit der der Notwendigkeit, 121) – Das Paradox und der Chiasmus sind weitere rhetorische Stilmittel, derer sich Schiller und Geijer bedienen (siehe hier Kapitel XII): »Die Schönheit gibt nicht Tugend; aber die Tugend gibt Schönheit«, meint Schiller. Und Geijer postuliert analog: »Alle Anmut ist schön, aber nicht alle Schönheit ist anmutig.« oder : »Verstand ohne Einbildungskraft ist Plattheit, Einbildungskraft ohne Verstand ist Schwärmerei« (96). Der einzige schwedische Autor dieser Zeit, der einen Schiller vergleichbar komplexen Schreib- und Darstellungsstil pflegte, war Geijer. Es überrascht deshalb keineswegs, dass Hammarsköld gegen ihn die gleiche Kritik äußert wie gegen Schiller : Das Vermögen einer klaren, zusammenhängenden und konsequenten Deduktion ist das, was man in dieser Schrift [Thorild] eigentlich vermisst. Denn Herr Geijer hat, im Unterschied zu Thorild, eine Individualität, in welcher das bildende, poetische Element deutlich überwiegt […] vor dem untersuchenden, philosophischen. Man findet hier einen Reichtum glänzender Ideen, welche oft hervortreten in einer poetisch konzentrierten Form, ohne dass sie sich begrifflich oder logisch rekonstruieren ließen.1081

Unbeachtet blieb bisher Geijers ausführliche Darlegung seiner eigenen Darstellungsweise: er schreibe keine Abhandlung für Gelehrte, sondern für eine gebildete Öffentlichkeit: Es ist eine alte Klage, dass die Philosophie, wie die Wissenschaft, nicht populär sein kann, […] Aber ist eine populäre Behandlung von philosophischen Fragen unmöglich? […] Mein Ziel ist es nicht nur zu unterrichten, sondern zu überreden, nicht nur zu lehren, sondern zu behagen.«1082 1080 Siehe Reallexikon der Literatur, I, Argumentatio, 2007, S. 128; K. L. Berghahn, Schillers philosophischer Stil, in: Schiller-Handbuch, 1998, S. 295. 1081 Zitiert nach T. Ljunggren, Lorenzo Hammarsköld som kritiker, 1952, S. 352 f. 1082 E. G. Geijer, Samlade Skrifter, Svar p” Sv. Akademiens prisfr”ga ang”ende inbillningsg”-

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Geijers philosophischer Stil ist jedoch genau so wenig »populär« im damals gängigen Sinne der Popularphilosophie zu nennen wie der Schillers, vielmehr scheint ihm in Anlehnung an Schiller eine Schreibweise vorzuschweben, die ein »Mittelding« zwischen Philosophie und Poesie ist, »philosophischpoetische Visionen« mit den Worten Schillers an Augustenburg.1083

8.

Zusammenfassung

Die Entstehung der Ästhetik als autonome wissenschaftliche Disziplin in Schweden ist ein weiterer Hinweis auf die Bedeutung der 1790er Jahre in Schweden. Erst in den 1780er Jahren hatte sich noch unter Gustav III. der erste Lehrstuhl in Uppsala etabliert. Der zweite schwedische Lehrstuhl im Fach Ästhetik wurde in Lund auf Betreiben von Anders Lidbeck errichtet, seinerseits Einflüssen von Dänemark ausgesetzt, wo seit einigen Jahren der Schiller-Bewunderer Rahbeck populäre Ästhetikvorlesungen hielt. Die Jahre 1795 – 1796 sind Schlüsseljahre der schwedischen Ästhetik und gleichzeitig der Literaturkritik (siehe Kapitel VI). Anders Lidbeck veröffentlichte seine ersten »Dissertationen« im ästhetischen Fach und insistierte in Anlehnung an eine Kant’sche und Schiller’sche Terminologie auf die Autonomie der Ästhetik, und zwar in Abgrenzung von Politik und Moral. Ungefähr zur gleichen Zeit begann Leopold mit der Arbeit an seiner umfassendsten ästhetischen Schrift, die allerdings erst 1800 – 1802 publiziert wurde. Keineswegs unerwartet widmet sich Leopold darin vor allem dem »Geschmack«, der wichtigsten ästhetischen Kategorie der Aufklärung. Die Schrift manifestiert seinen Glauben an die »Bildbarkeit« des Geschmacks, und damit des Menschen sowie die Vorstellung einer Vereinigung unterschiedlicher Fakultäten zur Vervollkommnung seiner Bildung in einem höchsten Punkt, eine Denkfigur der Anthropologie der Spätaufklärung und in der Folge ein Hauptmotiv in Schillers Weltanschauung. Anders Lidbeck nahm in einem nur zwei Jahre später publizierten Aufsatz über das Schöne und den Geschmack die gleiche Fragestellung als Ausgangspunkt und kam zum gleichen Resultat, allerdings in einer jetzt van, 1928 – 1930, S. 74. Bei Geijers Wortwahl, »behaga«, ist zu beachten, dass das Nomen »behag« für das deutsche »Anmut« verwendet wird, d. h. ein Stil, der »behagt«, ist anmutig. 1083 NA, XXVI, 187, 9. 2. 1793. Dies ist bei Geijer nicht nur als Lippenbekenntnis zu verstehen – Geijers »Darstellungsweise« ähnelt derjenigen Schillers in Über die Ästhetische Erziehung und Über naive und sentimentalische Dichtung in der Tat in ihrer Komplexität und in ihrem schillernden Reichtum an fächerübergreifender Relevanz. So changiert Geijer wie Schiller zwischen unterschiedlichen diskursiven Ebenen wie Ästhetik, (Kultur)Geschichte, Sprachgeschichte, Begriffsgeschichte, Literaturgeschichte, Philosophie, Soziologie, Psychologie und Pädagogik.

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offensichtlichen Schiller’schen Terminologie. Stärker betont er die Bildbarkeit des Menschen, und zwar »als Mensch«, in einer für die Weimarer Klassik typischen Formulierung. Aber nicht nur Lidbeck, auch Tegn¦r behauptet in Anlehnung an Schiller die Autonomie des Schönen gegenüber dem Guten, gleichzeitig wie das erste jedoch als Symbol bzw. Analogon des zweiten angesehen wird und damit eine Bildung zweiten Grades ermöglicht, welche den Menschen über die Mobilisierung ästhetischer Vermögen nicht nur zu einem in sich harmonischen sondern auch zu einem gesellschaftsverträglichen Wesen formt. Benjamin Höijer, dessen Philosophie stets als Auftakt der Romantik angesehen wurde, publizierte einen Aufsatz über die alte und neue Literatur, in welchem er neuartige Gedanken über die Möglichkeiten der »modernen« Poesie äußerte, und zwar offensichtlich in Anlehnung an Schillers Bürger-Rezension. Eine interessante Pointe seines Aufsatzes ist, dass er die Reflexionslastigkeit der Modernen als Möglichkeit für eine neue Lyrik sah, die er dann aber der Aufklärung, und nicht etwa der Romantik zurechnete. Die Vorzüge der »modernen Dichtung« sieht Höijer gerade in ihrem aufklärerischen Charakter, worin sie sich von der »alten« Dichtung unterscheide, der es eben an Aufklärung gemangelt habe. Überraschend wiederum ist, dass Höijer in einem erst posthum veröffentlichten Aufsatz den Geschmack als ungleich wichtiger erachtet als das Genie, während Leopold den Geschmack in gänzlicher Abhängigkeit vom Genie sieht. In diesem Punkt also eine Umkehrung des literaturwissenschaftlichen Commonsense-Bildes, demgemäß Höijer als Vorläufer der Romantik angesehen werden muss: Höijer ist der Aufklärung näher als Leopold. In Lund wurde die Ästhetik hauptsächlich von Anders Lidbeck dominiert, um 1808 außerdem von Esaias Tegn¦r. Lidbecks Gesamtwerk dokumentiert, dass Schiller in vielerlei Hinsicht als Transmissionsriemen einer neuen Ästhetik fungiert. Lidbeck gehörte noch einer Generation an, die vor allem vom englischen Empirismus ausgeht, weshalb es ihm häufig leichter fällt, an Schiller anzuknüpfen als an Kant, den er trotz einer gewissen Distanz häufig zitiert. Sowohl Lidbecks Insistieren auf den Mitleid-Begriff als auch die Bewertung desselben dokumentieren seine Verankerung in der Weltanschauung der Aufklärung. Trotz deklarierter Autonomie der Ästhetik ist ihm die Kunst durch das Mitleid moralisch-pädagogische Anstalt. Sein Bewertungsmaßstab unterlag allerdings einem Wandel, vermutlich unter dem Einfluss der bestechenden Stringenz der Kant’schen Begriffsbildung und Schillers konsequenter Fortführung derselben. Bei Esaias Tegn¦r dagegen, nur einige Jahre jünger als Lidbeck, ist die Kant’sche Ästhetik natürlicher Ausgangspunkt und Prokrustesbett seiner Ästhetikvorlesungen, flankiert in vielen Punkten von Schillers Terminologie, besonders auffällig in der Behandlung der Anmut und Würde, wo er Lidbecks Versuchen, den Konflikt zwischen der Sinnlichkeit und der Vernunft zu nivellieren, widerspricht. Im Unterschied und in Abgrenzung zu Lidbeck, aber auch der kom-

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menden Romantik, betont er den Dualismus und den daraus resultierenden Konflikt, der nur mit »Würde« zu ertragen ist. Tegn¦r steht erkenntniskritisch auf festem Kant’schen Fundament und distanziert sich von platonischen Tendenzen, die sich bereits bei den Nyromantikern ankündigen mochten. Eine außerordentliche Wirkungsmächtigkeit entfalteten die von Schiller besetzten Begriffe der »Anmut« und »Würde«. Die Gründe für das Interesse an diesen Begriffen, insbesondere bei Lidbeck, Tegn¦r und Geijer, sind vielfältiger Natur. Zunächst einmal ist die Anmut als sinnlich erfahrbarer Abdruck der schönen Seele als Ausdruck der Übereinstimmung der sinnlichen und intellektuellen Natur anzusehen und löst damit die wichtigste Frage der menschlichen Natur. Es handelt sich um eine der Spätaufklärung verpflichtete Problemstellung der philosophischen Anthropologie, welche Schiller mit den Mitteln der Ästhetik zu lösen versuchte, die er auf ihre anthropologischen Grundgegebenheiten zurückführte und mit einer moralischen Intention verband. Des Weiteren kann durch eine stärker gewichtete Lektüre des ersten Teils über die Anmut Schillers Abhandlung als ernstzunehmender Versuch angesehen werden, den moralischen Rigorismus Kants in den Grenzen der reinen Vernunft und ohne sie auf eine Identitätsphilosophie hin zu überschreiten, abzumildern. Außerdem ist Schillers Ästhetik in Anmut und Würde eine unter Aussparung des Künstlers, eine solche Relativierung des Genies musste all denen zuarbeiten, welche die Gefahr eines mystifizierenden und esoterischen Genie-Begriffs (insbesondere bei Schelling) erkannten und die Neuromantiker mit Missbilligung zur Kenntnis nahmen. Schließlich entspricht die Konzeption der Anmut dem neuen bürgerlichen Ideal der Frau als Verkörperung einer »schöne[…] Empfindsamkeit«, wie sich an Lidbecks wesentlich umfassenderen Ausführungen dazu in seiner Schrift über die Anmut ablesen lässt (37 – 49). Geijers Schrift über die Einbildungskraft, mit welcher er 1810 den Preis der Schwedischen Akademie gewonnen hat, wurde in Literaturgeschichten stets als wichtigste Programmschrift der Romantik angesehen. Tatsächlich gibt es kaum einen schwedischen Text, der bei aller Originalität so deutlich in Schillers Fußspuren tritt wie dieser. Ausgangspunkt der Schrift ist, wie in Über Ästhetische Erziehung, die Fragmentierung des modernen Menschen und die Herrschaft des Begriffs in der Gegenwart. Das erstrebte Ideal wird mit der Schiller’schen Metapher »lebende Gestalt« bezeichnet, ein Übergang (Mittelding) gesucht, um vom Allgemeinen zum Individuellen zu gelangen: die Einbildungskraft. Solchermaßen sind Inhalt, Denkfiguren und Metaphern des Geijer’schen Textes von Schillers ästhetischen Schriften imprägniert. Schiller ist von seinen Zeitgenossen, sowohl von philosophischen Fachkollegen, als auch vom gebildeten Publikum, an das er sich in erster Linie gewandt hatte, als Philosoph häufig kritisiert und belächelt worden. Es spricht für die Offenheit Lidbecks, dass er sich als Fachphilosoph nicht in den Chor derjenigen

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einreihte, die Schillers Ästhetik ob seiner »schönen Schreibart« verniedlichte. Der in der Fachliteratur geäußerten Ansicht, Lidbeck gehöre als Eklektiker der Popularphilosophie an und habe in Anlehnung zu Schiller »schön« geschrieben, kann nicht zugestimmt werden. Die alle Fachgrenzen sprengende Schreibart Schillers, zwischen Begriff und Bild changierend, die ihn Fachphilosophen und auch dem größeren Publikum unmöglich machte, fand in Lidbeck zwar einen Bewunderer, aber erst in Geijer einen kongenialen Schüler. Geijer folgt Schiller, welcher darstellend und bildhaft argumentiert, auch Kleines in große Zusammenhängen bringt, Einsichten formuliert, die unmittelbar einleuchten, obgleich sie nicht deduziert wurden, Paradox und Chiasmus als auffällige rhetorische Stilmittel benutzt. Schiller hat nicht nur trotz, sondern gerade auch wegen seiner »schönen Schreibart« in der schwedischen Ästhetik zwischen Aufklärung und Romantik einen immensen Einfluss ausgeübt, und fungierte als entscheidender Stichwortgeber neuer ästhetischer Diskurse.

Kapitel XII: Schiller und die schwedische Lyrik der Eisenjahre

Die Zeit von 1792 – 1809 war nach Maßstäben der traditionellen Literaturgeschichte keine Glanzperiode der schwedischen Literatur, und auch die Lyrik bietet wenig Gipfelpunkte. In den Jahren direkt nach Gustav III. Tod entstanden die bedeutendsten lyrischen Werke Leopolds (siehe Kapitel V), die einer bürgerlichen Öffentlichkeit zugedacht waren. Frans Michael Franz¦n publizierte 1793 – 1798 einige Gedichte, die der schwedischen Lyrik eine gänzlich neue Bildsprache eröffneten und die später der Romantik als Vorbild dienten (siehe hier XII:1). Der ab 1792 erscheinende Lyrik-Kalender Sommar-promenaden mit einer deutlichen Dominanz deutscher Lyrik und Prosaskizzen präsentierte vermutlich den sentimentalen bürgerlichen Geschmack der Zeit, die Belanglosigkeit des Kalenders wurde denn auch in Journal för svensk literatur kritisch vermerkt. Gleichwohl kündigte sich Neues am Horizont an, wenngleich dieses Neue in den frühen Gedichten von Esaias Tegn¦r und Johan Olof Wallin ab ungefähr 1805 noch stark an die Bildsprache der vorangegangenen Epoche gebunden war. Im Schnittpunkt der Relevanz für die Schiller-Rezeption und gewisser gesellschaftlich-kultureller Diskurse ist aus der Fülle der Lyrik das Material herauszugreifen, welches am aussagekräftigsten scheint. Das Herausfiltern von geeignetem Anschauungsmaterial geschieht nach drei Prinzipien: – Zunächst ist auf die Häufigkeit der Übersetzungen und Adaptionen der Schiller-Gedichte zu achten. Gedichte Schillers sind – nach der frühen Veröffentlichung in Extra Posten von An die Freude und Resignation (1793 – 1794) – erst wieder 1797 in Journal för svensk litteratur publiziert worden, wo die Übersetzungen von Die Theilung der Erde (1797) und Die Worte des Glaubens (1798) eingerückt wurden; in Sommar-promenaden, einem Kalender mit gemischtem poetischen Inhalt, wurde erneut Leopolds Übersetzung von An die Freude (1797), aber auch Jordens delning (1798, dt. Die Teilung der Erde) mit dem Versmaß des Originals und Kvinnans värde (1800, dt. Die Würde der Frauen) abgedruckt. Carl Granberg übersetzte für seine Zeitschrift Läsning för fruntimmer Die Kindesmörderin. In æbo tidning wurde am 21. 12.

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1805 Franz¦ns Übersetzung von Die Worte des Glaubens eingeführt (Trons ord. Efter Schiller), jedoch mit einer beigefügten Strophe über die Unsterblichkeit der Seele, Den stora filosofiska fr”gan (Öfversättning fr”n Schiller, 15. 3. 1800, æbo tidning, es handelt sich um das Gedicht Die Philosophen) unter Auslassung der letzten vier Distichenpaare, mit Reimvers übersetzt er das gegen Nicolai gerichtete Schiller’sche Epigramm unter dem Titel Räfven och storken. Upsala tidning druckte 1803 (Nr. 3) Der spielende Knabe. Hier zeigte es sich, dass Würde der Frauen und Worte des Glaubens die populärsten Gedichte waren. – Gedichte, die mit Preisen der Schwedischen Akademie ausgezeichnet wurden, sind besonders relevant, da sie dem etablierten Geschmack wenn nicht entsprachen, dann zumindest nicht verletzten.1084 Die Akademie neigte natürlich schon aufgrund des Alters der Mitglieder dem französisch-klassizistischen Geschmack zu, während die Form auflösenden Tendenzen der deutschen Literatur eher misstrauisch zur Kenntnis genommen wurden.1085 Die alljährlich stattfindenden Preisverleihungen der Akademie bei Lyrik- und RhetorikWettbewerben waren für die nachwachsende Generation von Bedeutung, da sie nicht nur literarische Weihen versprachen, sondern vor allem auch soziales Prestige und Zugang zu höheren Ämtern. Der Briefwechsel z. B. von Tegn¦r und Choraei dokumentiert, mit welch lebhaftem Interesse die jungen Dichter den Ausgang solcher akademischer Wettbewerbe verfolgten (SVH, III, 91). – Schließlich müssen Gedichte in Betracht gezogen werden, die neue Tendenzen in sich trugen: zu diesen gehören z. B. einige Gedichte Franz¦ns, aber in gewisser Hinsicht auch Tegn¦rs Kulturen. Die Schnittmenge der drei Kriterien deckt sich weitgehend mit den Namen, welche in dieser Zeit einerseits für die Erneuerung der schwedischen Lyrik stehen, andererseits aber auch an Wettbewerben der Akademie teilnahmen: Frans Michael Franz¦n (1772 – 1847) gewann 1797 mit S”ngen för Creutz den Preis der Akademie, Johan Olof Wallin (1779 – 1839) 1805 mit Uppfostraren, Esaias Tegn¦r (1782 – 1846) nahm mehrmals am Wettbewerb teil, ein Preis blieb ihm zwar versagt, aber mit Krigss”ng för Lantvärnet erlangte er eine gewisse Berühmtheit. Die schwedische Literaturgeschichtsschreibung hat sich schwer getan, Franz¦n, Wallin, Tegn¦r und Geijer zu klassifizieren, welcher letzterer 1803 den Preis für seine Eloge auf Sten Sture und 1810 mit seiner Schrift über die 1084 Zur Schwedischen Akademie siehe SVH, III, S. 19 – 128; G. Ljungren, Svenska akademiens historia 1786 – 1886, 1886. 1085 Die Akademie wurde immer noch von den Gustavianern D. G. J. Adlerbeth, C. G. af Leopold, N. von Rosenstein, J. G. Oxenstierna, G. F. Gyllenborg dominiert.

»Nur der Irrtum ist das Leben, und das Wissen ist der Tod« (1804)

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Einbildungskraft gewann (siehe Kapitel XI). Anders Fryxell hat im Rahmen der oben schon genannten Unterscheidung einer »Neuromantik« und einer »Echtromantik« neben Schiller als der reinste Ausdruck des Echtromantischen vor allem Franz¦n und Tegn¦r, aber auch Wallin und Geijer als schwedische Repräsentanten der Echtromantik gelten lassen.1086 Zwar hat sich die Bezeichnung »Nyromantik« für die Polyfemisten um Hammarsköld und die Phosphoristen um Atterbom durchgesetzt, die Bezeichnung »Äktromantik« dagegen fand mit ihrer polemischen Konnotation wenig Anklang. Schück hat für die vier Dichter die Bezeichnung »Nyhumanister« vorgeschlagen, was auf das offenbare Band der Dichter zu Schiller aufmerksam macht.1087 Die Erneuerung der Lyrik im neuen Jahrhundert schuldete sich nicht den Neuromantikern, die kaum Bleibendes geschaffen haben, sondern den vier Dichtern, die jenen wenig freundlich gesinnt waren. Im Folgenden wird keineswegs der Versuch unternommen, die Ganzheit des Werks der besprochenen Dichter Tegn¦r, Wallin und Franz¦n zu erfassen und in dieser Ganzheit in Relation zu Schiller setzen.1088 Dies ist Aufgabe von Monographien, die sich dem jeweiligen Autor widmen. Es werden vielmehr einzelne Gedichte hervorgehoben, die besonders signifikant für die gesellschaftliche und kulturelle Transformation der schwedischen Gesellschaft in dieser Zeit scheinen, die diskursive Schnittpunkte darstellen, und gleichzeitig mit Schillers Dichtwerk in Verbindung stehen.

1.

»Nur der Irrtum ist das Leben, und das Wissen ist der Tod« (1804)

Der früheste jenseits jeglicher Spekulation und sich konkret manifestierende Hinweis auf eine Schiller-Rezeption seitens Esaias Tegn¦rs (siehe auch Kapitel XI) findet sich in der Ode Förvillelsen (dt. Irrtümer, 1804), welche mit zwei Versen aus Schillers Kassandra als einleitendes Motto versehen war : »Nur der Irrthum ist das Leben / Und das Wissen ist der Tod« (NA, II,1, 256), zwei zentrale Verse in Schillers Ballade Kassandra, die im Taschenbuch für Damen auf das Jahr 1803 zum ersten Mal erschienen war und erneut abgedruckt wurde in Gedichte von Friedrich Schiller. Zweyter Theil. Leipzig bey Siegfried Lebrecht Crusius 1086 A. Fryxell, Bidrag till Sveriges litteratur-historia, 1860, 1. Heft, S. 36 ff. In Svenska litteraturens historia, werden die betreffenden Autoren auch »Neutrer« genannt. 1087 ISLH, III, S. 58. In den Literaturgeschichten NISLH sowie Den svenska litteraturen, II, 1988, hat man sich dagegen nicht mehr um eine epochenbegriffliche Erfassung der genannten Autoren bemüht und sie einzeln aufgeführt, allerdings im Band »Romantik«.. 1088 Geijers lyrisches Schaffen wird im Folgenden nicht berücksichtigt, da es nicht mehr im zeitlichen Rahmen der Arbeit liegt und der Einfluss Schillers weniger deutlich ist.

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1803.1089 Olle Holmberg hat die bei der Schwedischen Akademie eingereichten Wettbewerbstexte zwischen 1792 – 1800 durchgesehen und keineswegs überraschend festgestellt, dass vor allem lateinische Motti gewählt wurden, daneben figurieren Pope und Voltaire sowie die schwedischen Autoren Leopold, Gyllenborg, Kellgren, A. G. Silfverstolpe, Lidner, Adlerbeth, Oxenstierna, Sjöberg und Blom.1090 Auch Tegn¦r hatte in seinen der Akademie zugedachten Gedichten Voltaire zitiert, während das Gedicht Förvillelsen in StP veröffentlicht werden sollte, die vermutlich hauptsächlich von gebildeten Bürgern bzw. Vertretern einer bürgerlichen Kultur gelesen wurde: das Motto ist also für diese Klientel bestimmt. Die Schiller-Verse für sich genommen (und ohne hier eingangs ihren Kontext in der Ballade Kassandra zu berücksichtigen) bezeichnen ein weltanschauliches Dilemma der Aufklärung, wie es in der schwedischen Lyrik bereits eine beträchtliche Tradition hatte. Förvillelser wird deshalb im Kontext des philosophischen Odenstils gesehen, der schon von Gyllenborg in Menniskans elände (dt. Das Elend der Menschen, 1762), Oxenstierna in Ode till Hoppet (dt. Ode an die Hoffnung), Kellgren in V”ra villor (dt. Unsere Illusionen) und Leopold in Det onda (dt. Das Böse) sowie Försynen (dt. Die Fügung) kultiviert worden war. Diese Gedichte sind Ausdruck einer Skepsis als »impliziter Aspekt aller Denkrichtungen der Aufklärung«, welche sich notwendigerweise mit der Rehabilitation der sinnlichen Welt und der damit zusammenhängenden »Abhängigkeit des Geistes«, d. h. seiner Relativität in Fragen der Erkenntnis und der Moral entwickeln musste.1091 Die Skepsis, d. h. der Pessimismus, war jedoch nur die eine Seite der janusköpfigen Aufklärung, welche zwischen Optimismus und Pessimismus pendelte. Wenn sich nämlich einerseits die moralische Skepsis aufgrund des Aufstiegs der Sinnlichkeit ergab, so wurde andererseits die emanzipatorische Seite der antiasketischen Moral bzw. der Zusammenarbeit von Leib und Seele hervorgehoben. Wenn die Vielfalt der Kulturen die Macht der Einen Vernunft ins Zwielicht geraten ließ, so wurde andererseits die Fähigkeit des Menschen geltend gemacht, seine Geschichte ohne Einmischung göttlicher Willkür zu gestalten. Wenn das Individuum inmitten der unabweisbaren Naturgesetzmäßigkeit klein und schwach erschien, so wurde andererseits die Zuversicht in die Möglichkeit laut, die Naturgesetze zu erkennen und sie in den Dienst des Menschen zu stellen, ohne das Unrealisierbare, nämlich ihre Verletzung durch Beten und Wunder, zu wünschen und anzustreben. 1089 Zu Kassandra siehe T. Epple, Der Aufstieg der Untergangsseherin Kassandra, 1993; P.-A. Alt, Schiller, II, 2000, S. 346, S. 349; Schiller-Handbuch, 2005, S. 294 – 295; H.-G. Werner, Mythos und Gegenwartserfahrung, in: Interpretationen. Gedichte von Friedrich Schiller, 1996, S. 302 – 311. 1090 O. Holmberg, Leopold och Gustaf III, 1954, II, S. 224. Siehe die genauere Aufstellung hier Kapitel IV. 1091 P. Kondylis, Die Aufklärung im Rahmen des neuzeitlichen Rationalismus, 2002, S. 469 f.

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Selbst die erkenntnistheoretische Skepsis – die sich aus der Herabsetzung des Intellekts und aus der offensichtlichen Unfähigkeit der Erfahrung bzw. der Induktion ergeben mußte, in absehbarer Zeit durch Sammlung und Auswertung aller Tatsachen zu letzten Wahrheiten zu gelangen – wurde nach Kräften durch die Überlegung wettgemacht, man wisse zumindest etwas Sicheres, man laufe nicht mehr Gespenstern nach.1092

Popes Optimismus in Essay on man und Voltaires Pessimismus in D¦sastre de Lisbonne sind die beiden Pole, zwischen welchen sich der aufklärerische Geist bewegen konnte. Dass dies durchaus systemimmanente Möglichkeiten der Aufklärung waren und keineswegs eine Frage der jeweiligen Gestimmtheit, zeigen die beiden Gedichte Resignation und An die Freude von Schiller (siehe Kapitel V). Der gemeinsame Nenner der oben genannten Gedichte von Gyllenborg bis Tegn¦r ist die Lehre von der Notwendigkeit der Illusionen für ein glückliches Leben, die Nutzlosigkeit philosophischer Grübeleien, die Unerkennbarkeit der Wahrheit, das Theodizeeproblem und die Ungewissheit hinsichtlich des Lebens nach dem Tod.1093 Die Thematik wird von Tegn¦r in drei frühen an die Schwedische Akademie gesandten Gedichte aufgegriffen: Religionen. Öfver lifvets pl”gor och tröst (dt. Die Religion. Über die Plagen und den Trost des Lebens, 1801) mit einigen Versen aus Voltaires PoÀme sur le d¦sastre de Lisbonne (1756) als Motto, Den Vise (dt. Der Weise, 1803), dem ein Vers von Vergil als Motto vorangestellt ist, und Ynglingens sotsäng eller Lifvet och Döden (dt. Der Tod des Jünglings oder Leben und Tod, 1803) ebenfalls mit einem Vers von Voltaire als Motto versehen.1094 Santesson wies auf die Gemeinsamkeit der auf den ersten Blick so unterschiedlich wirkenden Gedichte hin, welche jedoch allesamt eine Reaktion auf das »Problem der Welterklärung« darstellen, das in der Aufklärung virulent wurde, da sich zusehends mehrere Möglichkeiten eröffneten: In Religionen ist es die Unterwerfung unter den Glauben, in Den vise eine Verschmelzung stoischer und Kant’scher Elemente zu einer Tugendlehre und in Förvillelsen die glücksbringende Illusion, welche den Konflikt löst.1095 Der aufklärerische Diskurs, welcher von Leopold bis in die 1790er Jahre und von Tegn¦r bis in die Zeit nach 1800 hineingetragen wurde, ist auf vielfältige Weise mit Schiller verbunden. Bereits in den frühesten Gedichten Schillers vernimmt man 1092 Ebd., S. 470. Die Skepsis ist also keineswegs als der »Anfang der Selbstverneinung der Aufklärungsphilosophie in ihrem Auflösungsprozess« anzusehen, wie M. Lamm, Upplysningstidens romantik, II, 1963, S. 181, noch annehmen konnte, sondern der Aufklärung systemimmanent eingeschrieben. 1093 C. Santesson hat in Tegn¦rs reflexionsdiktning (1913) die vielfältigen direkten und indirekten Einflüsse auf die frühe Gedankenlyrik Tegn¦rs untersucht. Auch das spätere Gedicht Polarresan formuliert die Tegn¦r eigene Skepsis. Bei Schiller findet sich die Problematik insbesondere in Das verschleierte Bild zu Sais vorgeprägt. 1094 C. Santesson, Tegn¦rs reflexionsdiktning, 1913, S. 2. 1095 Ebd., S. 41. Siehe auch Tegn¦rs filosofiska och estetiska skrifter, 1913, S. 35 – 51.

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ein barockes Memento mori, z. B. in Elegie auf den Tod eines Jünglings; in den Philosophischen Briefen vernehmen wir die Klage des Julius, dass die Vernunft und die Suche nach Wahrheit den Glauben gestohlen hat, welcher Frieden, d. h. Glückseligkeit gab; in Resignation werden Glückseligkeit und Wahrheit in ein sich ausschließendes Gegensatzverhältnis gebracht, nicht nur in Kassandra, auch in Das verschleierte Bild zu Sais wird das Glück, nicht zu wissen, beschworen. Religionen, das erste der oben genannten Weltanschauungsgedichte, ist auch das erste, welches offensichtlich einen Einfluss von Schiller aufweist. Die Verse Voltaires aus dem PoÀme sur le d¦sastre de Lisbonne, welche dem Gedicht als Motto vorangestellt sind, sprechen von dem Bedürfnis nach einem Gott, der wenn nicht erklärt, dann zumindest tröstet, womit das Thema des Gedichts in nuce angeschlagen ist. Das Bedürfnis nach Wahrheit, nach einer Erklärung der Natur, insbesondere angesichts des Todes, kontrastiert mit der definitiven Einsicht der Unmöglichkeit jeglichen Wissens. Das Motiv verbindet Tegn¦rs Gedicht mit Schillers Resignation, dessen Übersetzung von Leopold (Försakelsen) Tegn¦r auch einige Bilder entnommen hat, wie Santesson gezeigt hat. So z. B. die rhetorische Frage, ob denn jemals jemand aus den Tiefen des Todes emporgekommen sei, um zu sagen, was der »Vorhang« verbirgt.1096 Im Unterschied freilich zu Resignation, das die Wahl zwischen Wahrheit und seligmachendem Glauben in der Schwebe hält, mündet Religionen in einen auch die Illusionen überwindenden Glauben.1097 Es gilt hier jedoch auf eine Metapher aufmerksam zu machen, die in der Tegn¦r-Forschung bislang nicht beachtet wurde: die des Schleiers. Der »Schleier« ist eine zentrale Metapher bei Schiller, und dies nicht nur in Gedichten wie Kassandra und Das verschleierte Bild zu Sais,1098 in welchen das 1096 Siehe dazu C. Santesson, Tegn¦rs reflexionsdiktning, 1913, S. 12. 1097 Das Gedicht wurde von Lenngren, dem Redakteur von StP, abgelehnt, da er sich an ein paar Strophen über den »Irrwahn« der Religion stieß. Vermutlich störte er sich an der Relativierung religiöser Überzeugungen in Strophe 8, in welcher unterschiedlichen heidnischen Völkern ein Unsterblichkeitsglaube zugeschrieben wurde. Dies nimmt zumindest Tegn¦r ironisch in einem Brief an Kullberg an (7. 2. 1805): »Es ist auch möglich, dass die besagten Strophen etwas Gottloses und Unanständiges enthielten. Denn dass alles, was man über heidnische Religionsbegriffe sagt, gemäß der Lenngren’schen Theologie und Logik notwendigerweise auch über unsere wahre Luther’sche Lehre gesagt werden könnte, kommt mir keineswegs merkwürdig vor.« Trotz der offenbaren Abhängigkeit des Gedichts von Leopolds Odenstil wurde es im Protokoll der Akademie als »oredig« (dt. ungeordnet) und »matt« (dt. kraftlos) bezeichnet – ein Preis ward ihm nicht zuteil. Es kann dies wieder einmal mehr als Integrität der Schwedischen Akademie gewertet werden, wenn gleichzeitig daran erinnert wird, dass Franz¦n, der so gänzlich neuartige und wenig akademiekonforme Töne anschlug, zweimal einen Preis erhielt. 1098 Forschungen zum Schleier-Motiv haben gegenwärtig Hochkonjunktur und auch schon in der Schiller-Forschung erste Früchte getragen: J. Assmann, Das verschleierte Bild zu Sais,

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Nichtwissen gerühmt wird, sondern z. B. auch in Resignation, Die Künstler und Das Reich der Schatten. Die plötzliche Häufung der Metapher im Zusammenhang mit den Illusionen auch bei Tegn¦r lässt vermuten, dass er sie bei Schiller gefunden hat, zumal er auch noch zwei Verse aus der Strophe als Motto wählte, in welcher das Schleier-Motiv genannt wird. Gustaf Fredrik Gyllenborg (1731 – 1808) hatte in Menniskans elände (dt. Das Elend des Menschen) noch geschrieben: »Du folgst der Zeiten Strom, doch siehst nicht, wohin er treibt / Du weißt nicht, was du bist, noch weniger, was du wirst: / Eine schwarze und dunkle Wolke, dein Schicksal hat versteckt.«1099 Auch für Leopold gehörte die SchleierMetapher seiner Übersetzung des Gedichts Resignation im Jahre 1794 noch nicht zum selbstverständlichen Figurenrepertoire. In Schillers Gedicht heißt es: »Was heißt die Zukunft, die uns Gräber deken! / die Ewigkeit, mit der du eitel prangst? / Ehrwürdig nur, weil schlaue Hüllen sie versteken, […]« (NA, I, 167). Leopold hat die Metapher »schlaue Hüllen« nicht übersetzt, diese Strophe überhaupt stark verändert. Tegn¦r dagegen verwendet die Metapher des Schleiers in Religionen genau in diesem Zusammenhang: »till grafvens evigt slutna slöja« (dt. zum ewig geschlossenen Schleier des Grabes), was darauf hinweist, dass Tegn¦r nicht nur Leopolds Übersetzung, sondern auch das deutsche Original kannte. Das Schleier-Motiv wird jedoch im gleichen Gedicht Tegn¦rs noch ein zweites Mal verwendet: »Vom Heiligtum der Natur / Reiß den Schleier weg, Forschen war ihr Gebot / War Wirkungskraft für die Kreatur« (»Fr”n helgedomen af naturen / Ryck slöjan bort, forsk hvar dess bud, / Hvar verknings-lag för kreaturen […]«. Hier geht es offensichtlich nicht nur um die Frage danach, was nach dem Tod geschieht, sondern umfassender darum, was die Welt in ihrem Innersten zusammenhält. Die Aufforderung, den Schleier wegzureißen, wird wortwörtlich in Ynglingens Sotsäng eller Lifvet och döden wiederholt (Vers 160). Ein Durchbrechen des »Schleiers« erhofft er sich auch in dem ungefähr zur gleichen Zeit geschriebenen Gedicht Apostroph till Kant, einer sehr freien Übersetzung des vierten Gesangs von Voltaires Discours sur l’homme, wo er den »großen« Philosophen mit Fragen der Wahrheit und Erkenntnis bedrängt: »Dein Blick, hat man mir gesagt, die Natur durchdringt, / Wohl – heb den Schleier, der vor meinem Auge hängt.«1100 1999; E. H. Gombrich, Das Symbol des Schleiers, 1992. Die äußerst vielschichtige und ambivalente Metapher kann in diesem Kontext nicht in all ihren Facetten diskutiert werden. 1099 G. F. Gyllenborg, Menniskans elände, 1762, Vers 253 ff, in: Witterhetens arbeten, I – II, 1990 – 1992: »Du följer tidens ström, men ser ej hvart han drifver, / Du vet ej hvad du är, än mindre hvad du blifver : / En svart och töcknog sky, dit öde bortgjömt har.« 1100 E. Tegn¦r, Apostroph till Kant: »Din blick, har man mig sagt, Naturen genomtränger / Väl – lyft den slöja upp som för mitt öga hänger.«

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Die Schleier-Metaphorik, welche Tegn¦r und Schiller gemeinsam ist, verbindet also offensichtlich das sich im Zuge der Rehabilitierung des Sinnlichen und der Säkularisierung einstellende existenzielle Erkenntnisproblem mit Tegn¦rs intensiven Kant-Studien. In seiner Magister-Abhandlung im Dezember 1802 hatte er im Anschluss an Fichte versucht, die Kant’sche Annahme eines Ding an sich als unabhängig von unserem Bewusstsein zu widerlegen. Am Ende der Abhandlung äußert er Skepsis gegenüber jeglicher philosophischer Spekulation. Man solle stattdessen die Weisheit und Güte der Natur bewundern, die all das, was wir notwendigerweise wissen müssen, nicht in Abhängigkeit philosophischer Theorien, sondern von der gesunden Vernunft, getan hat.1101 Aufschlussreich ist Tegn¦rs Antwort auf eine Frage zu Kant bei der Magister-Promotion 1802, wo er vier Momente innerhalb der kritischen Philosophie als bedeutsam benennt: Die rigorose Kant’sche Grenzziehung zwischen dem, was man wissen kann und dem, was nicht menschlich wissbar ist; den Sinnen wird die Bedeutung nicht gänzlich abgesprochen; es wird ein Fundament gelegt für den Glauben an einen Gott; die menschliche Tugend erscheint in einer gänzlich neuen Würde und Majestät.1102 Das erste Moment wurde für Tegn¦r in seiner lebenslangen kritischen Haltung zur spekulativen Romantik, wie sie im von Schelling inspirierten Phosphoroskreis um den Dichter Atterbom entstand, bedeutsam. Entscheidend ist die Aufwertung des Menschen, dem Kant eine ganz neue Dignität, aber auch Verantwortung zusprach. Hatte die »vorkritische Philosophie« den Menschen als ein von der Umwelt abhängiges und passives Geschöpf beschrieben, so betonte Kant die Freiheit, den freien Willen, die Dominanz der Vernunft, kurz die Würde und Autonomie des Menschen. Das letzte Moment steht im Zentrum des zweiten hier zu nennenden Gedichts, Den Vise (dt. Der Weise), in welchem die Größe des Menschen und das »hohe Gefühl« der »Würde des Menschen« apostrophiert wird: »Allt är rof utaf förgängligheten, / Tomt star rummet der Naturen var. / Menskan blott är än densamma qvar, / Hennes tanke fyller Evigheten.« (dt. Alles ist eine Beute der Vergänglichkeit, / Leer steht der Raum, wo die Natur war. / Nur der Mensch ist noch derselbe da, / Seine Gedanken füllen die Ewigkeit.) Eine Kombination der Erkenntnistheorie Kants, der gemäß die Natur letzlich eine vom Menschen hervorgebrachte Projektion ist, und der Ethik Kants, welche die Würde des Menschen ins Zentrum rückt. Betrachten wir nun Förvillelsen vor diesem Hintergrund, so ist festzustellen, dass sich die Tonlage des Gedichts abhebt von derjenigen der oben genannten 1101 A. Werin, Tegn¦r 1782 – 1825, 1974, S. 15. 1102 Ebd., S. 40: »Han har dragit de rätta gränserna för det mänskliga förnuftet, icke fr”nkänt sinnena deras betydelse, utan endast deras förm”ga att döma om allt, lagt säkrare grundvalar för v”r tro p” Gud och p” själens odödlighet, slutligen framställt dygden i en för människorna ny gestalt, full av majestät och värdighet.«

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Gedichte der Aufklärungszeit: weder gibt es sich dem melancholischen und resignativen Skeptizismus hin, noch weicht es in eine epikureische oder stoische Weisheit aus. Die Tonlage ist auch nicht die der Verzweiflung, wie in Kassandra, welche über ein seherisches Wissen der Zukunft auf Kosten des Glücks der Gegenwart verfügt. Die »Tragödie« Kassandras ist der Einbruch einer totalitär gewordenen Immanenz im Sinne der Schiller’schen Sentenz: »Die Weltgeschichte ist das Weltgericht.« Für Kassandra ist das Unglück nicht mehr der Zweifel am ewigen Leben – ein solches ist schon als inexistent angenommen. Vielmehr ist das Unglück Teil des Lebens, welches als die Individuen mit sich wegreißende historische Macht verstanden wird. Die Schiller’sche Ballade Kassandra ist also nicht Ausdruck eines theologisch-weltanschaulichen Nichtwissens dessen, was nach dem Tod ist,1103 vielmehr ist Kassandra die »Statthalterin des aufgeklärten Menschen«, nachdem sich die »Propheten der Wahrheit« um 1800 an der als missglückt erfahrenen Französischen Revolution resigniert zurückgezogen haben. »Der Freiheitsgedanke ist nach der Enttäuschung über den Verlauf der Französischen Revolution wieder zu einem abstrakten Begriff geworden. […] Das aufgeklärte Bewusstsein wird als Last erfahren – in einer Gesellschaft der ›Bewusstlosen‹.1104 In Förvillelser macht sich ebenfalls die Kant-Erfahrung bemerkbar, wenn die Eitelkeit des menschlichen Erkenntnisstrebens wie folgt beschrieben wird: »Da er die Luft gewogen, gemessen die Erde, / die Körnchen gezählt, die Kometen zurechtgerückt, / der Engel gedacht […] wendet er sich selbst zu / und fragt: träumt ich die Natur?«1105 Die Befürchtung, dass alles nur geträumt sein könnte, ist zwar mögliche Schlussfolgerung auch wesentlich älterer Philosophien als diejenige Kants, in Förvillelsen schwingt jedoch eine gewisse Sympathie mit dem Bestreben der Religionen und Gedankensystemen mit, das Unergründliche und Unbekannte zu formen und abzubilden, wodurch das aktive und schöpferische Moment des Menschen in einer Weise betont wird, wie es mit und durch Kant möglich geworden ist. Es ist deshalb nur folgerichtig, wenn Tegn¦r in diesem Gedicht zum ersten Mal die Spiegel-Metapher verwendet, welche bei ihm als Ausdruck des schöpferischen und lichteren Moments im Menschen die Metapher der Schleier abzulösen beginnt.1106 1103 Eine solch existenziell zu nennende Interpretation vertritt z. B. B. von Wiese, Friedrich Schiller, 1959, S. 606, wenn er den besagten Vers »buchstäblich verstanden« wissen will: »Wissen, d. h. Wahrheit, ist Tod. Entschleierung meint nicht nur Entzauberung, Dasein ohne ›Schein‹, sie bedeutet darüber hinaus die Identität von Wahrheit und Tod, die nur für die Gottheit, aber nicht für den Menschen ertragbar ist.« 1104 D. Schilling, Kassandra (1803), in: Schiller-Handbuch, 2005, S. 294. 1105 Sen han vägt luften, jorden mätt, / täljt grandet, ställt kometen rätt, / tänkt änglarna och kuvat djuren, / väckt jordens ”skor, himlens lett, / han vänder mot sig själv sitt vett / och fr”gar: »drömde jag Naturen? 1106 Dazu siehe hier Unterkapitel 6.

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2.

Schiller und die schwedische Lyrik der Eisenjahre

Esaias Tegnérs Lehrgedicht Kulturen (1805)

Das Gedicht Kulturen (dt. Die Kultur) ist Böök in seinem Tegn¦r-Buch (1917) im Kapitel Det romantiska genombrottet (dt. Der romantische Durchbruch) Zeugnis einer Neuorientierung Tegn¦rs, und zwar offensichtlich in eine romantische Richtung.1107 Gleichzeitig wurde Kulturen stets als das erste Gedicht Tegn¦rs angesehen, in welchem ein deutlicher Einfluss seitens Schillers spürbar ist.1108 Während Böök die vermeintliche Wende zur Romantik bei Tegn¦r und den Einfluss Schillers als quasi identische Phänomene ansah, geht es im Folgenden eher darum, sowohl Schiller als auch Tegn¦r von der Romantik abzugrenzen und die neuen gemeinsamen Tendenzen als Ausfluss aufklärerischer Intentionen zu deuten.1109 Richtig scheint mir allerdings Bööks Auffassung zu sein, dass Kulturen etwas Neues in Tegn¦rs lyrischem Schaffen darstellt, nämlich das des universalhistorischen Lehrgedichts in der Nachfolge von Die Künstler. Im Unterschied zu den zwischen stoischer Resignation, Kant’schem Pflichtbewusstsein und metaphysischer Skepsis sich lehrhaft ausbreitenden und der Schwedischen Akademie zugedachten Lehrgedichten atmet das Gedicht Kulturen als geschichtsphilosophischer Abriss der abendländischen Kulturgeschichte schon etwas von Schillers Weltbürgeroptimismus und der Erhabenheit des universalhistorischen Standpunktes;1110 hierin ähnelt das Gedicht der von Geijer 1803 an die Schwedische Akademie eingereichten Eloge auf Sten Sture (siehe Kapitel VII). Kulturen, welches in Versmaß und Stropheneinteilung Die Götter Griechenlands entspricht (32 Strophen mit jeweils acht trochäischen Versen, Reimschema ababcdcd), wurde am 8. Oktober 1805 zusammen mit Ynglingens sotsäng eller Lifvet och Döden an die Schwedische Akademie gesandt. Während jedoch Ynglingens sotsäng, das vor Kulturen entstanden war, noch von einer »Melancholie der Aufklärung« geprägt ist und in Todesahnungen schwelgt, schlägt Kulturen eine optimistische Tonart an, in welcher der Entwicklungsgang der Kultur eine positive Zurüstung erfährt.1111 Das Lehrgedicht ist eine 1107 F. Böök, Esaias Tegn¦r, I, 1917, S. 40. Die Gedichte Tegn¦rs werden nach der Ausgabe Samlade Skrifter, 1923 – 1925 zitiert. 1108 Siehe z. B. B. Risberg, En tillfällighetsdikt af Tegn¦r fran Schiller, 1905, welcher eine ganze Reihe von konkreten Einflüssen Schillers in Form von Versmaß, Bildern, Themen, Motiven etc. auflistet. 1109 Dass Tegn¦r sich nicht gänzlich von der Aufklärung entfernt hat, konstatiert freilich auch Böök, wenn er das Gedicht als »Hymne an die Aufklärung« liest (F. Böök, Esaias Tegn¦r, I, 1917, S. 209, bzw., S. 41); gleichwohl macht sich bei Böök die Neigung bemerkbar, Tegn¦rs Wende zu Schiller mit einem Durchbruch der Romantik gleichzusetzen. 1110 Ebd., S. 40 ff. 1111 Auch in den gleichzeitig entstandenen Gedichten Lifvet, Fridsröster und Försonligheten zeigt sich eine weltanschauliche Wende nach den düster-skeptischen Lehrgedichten in Leopolds Nachfolge.

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6000 Jahre durchwandernde Kulturgeschichte, in welchem einzelne Stationen – Orient, Griechenland, Rom, Völkerwanderung, Mittelalter und Kreuzzüge, Reformation und Renaissance sowie Aufklärung – freskenhaft konturiert werden. Die quasi universalhistorische Perspektive verdankt Tegn¦r ohne Zweifel Schillers Gedicht Die Künstler und dessen universalhistorischen Schriften, von dem er nachweislich am 13. Februar 1805 Kleinere prosaische Schriften, I, ausgeliehen hatte, also im zeitlichen Umkreis der Entstehung des Gedichts.1112 Im Auftakt wird, ganz in Analogie zu Schillers Die Künstler, zunächst der Mensch in seiner majestätischen Großartigkeit apostrophiert: Die Bezeichnung des Menschen als »König« (Strophe 1),1113 sowie »königlich« (Verse 14 – 16) korrespondierten mit seinem Gedicht Den vise, aber vor allem mit Schillers Versen in Die Künstler »Jetzt fiel der Tierheit dumpfe Schranke, […] / Jetzt stand der Mensch und wies den Sternen / Das königliche Angesicht.« (Vers 183 ff.) Sowohl das Schiller’sche als auch das Tegn¦r’sche Gedicht versuchen die sukzessive »Menschwerdung« im kulturellen Sinne einer ethischen und ästhetischen Humanisierung in poetische Worte zu fassen. Tegn¦r hat in seinem Gedicht Kulturen die Genese der Kultur, wie sie in Schillers Die Künstler dargestellt ist,1114 mit der antithetischen Konstruktion von Die Götter Griechenlands verbunden. Am eindringlichsten und am umfangreichsten gestaltete Tegn¦r den Beginn und den Schluss, Antike und Gegenwart, dazwischen werden in Katalogform die unterschiedlichen aufeinanderfolgenden Epochen abgehakt, ungleich konkreter als in Schillers Die Künstler. Gerade das Griechenlandbild in Kulturen ist im Hinblick auf die Natur, den Menschen und das Schöne bzw. die Kunst von Schillers Griechenlandbild in Die Götter Griechenland geprägt: – Die schöne Gestalt des Menschen zeugte von einer Harmonie der Bildung: »Edlere Gestalten, höhere Wesen / kündigte ein besseres menschliches Geschlecht« (»Ädlare gestalter, högre själar / Märkte ut en bättre mänskoätt«) korrespondiert offensichtlich mit Schillers: »Bessre Wesen, edlere Gestalten / Kündigten die hohe Abkunft an« in Die Götter Griechenlands (Strophe 7). Es handelt sich hierbei um ein Motiv der klassizistischen Kunstdoktrin, welches Schillers epigonale Abhängigkeit, insbesondere von Winkelmanns Skulpturenbeschreibung, dokumentiert, wenngleich er der Idee einer »schönen Ge1112 A. Silow, Tegn¦rs bokl”n, 1913. In diesem Band findet sich die Antrittsrede Was heißt und zu welchem Ende studiert man Universalgeschichte?, Etwas über die erste Menschengesellschaft nach dem Leitfaden der mosaischen Urkunde sowie Über Völkerwanderung, Kreuzzüge und Mittelalter. 1113 Siehe G. F. Gyllenborgs Gedicht Menniskans Elände, und den Vers: »Du Kung för Kreaturen«. 1114 E. Tegn¦r hat auch ein Gedichtfragment mit dem Titel Konstnär (dt. Künstler) hinterlassen.

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Schiller und die schwedische Lyrik der Eisenjahre

stalt« in seinen ästhetischen Analysen der »Anmut« eine umfassendere und tiefere Bedeutung zu geben vermochte. – Die griechische Natur wird als Ausdruck der »ästhetisch-sinnfälligen Weltimmanenz eines mythisch-vielgestaltigen Göttlichen« beschworen:1115 »Skön var da naturen, lifvad vorden / Af en Guddom i hvar flod, hvar skog« (dt. Schön war da die Natur, belebt von einer / Gottheit in jedem Fluss, in jedem Wald.) – Die Dichtung war mit der Wahrheit verbunden: »Da der Dichtkunst malerische Hülle / Sich noch lieblich um die Wahrheit wand, / Durch die Schöpfung floss da Lebensfülle.« (Die Götter Griechenlands) – und in der 8. Strophe von Kulturen: »Wahrheit, der Hermes des Himmels auf der Erde, / Liebenswert aus dem Gewebe der Dichtung schaute.« (Sanning, himlens Hermes upp” jorden, / Älskansvärd ur Diktens gaser log.) Die außerordentliche Wirkungsmächtigkeit des Schiller’schen Griechenlandbildes zeigte sich in der schwedischen Lyrik zum ersten Mal in Franz¦ns S”ng öfver grefve Gustaf Philip Creutz (1797, dt. Lied über Graf Gustaf Philip Creutz), deren Betrachtung ich hier kurz einschieben will, um das von Schiller abgeleitete Neue für die schwedische Lyrik in Tegn¦rs Gedicht besser herausstellen zu können. Franz¦n hat den schwedischen Dichter und Diplomaten Gustaf Philip Creutz, den zu lobpreisen die gestellte Aufgabe der Schwedischen Akademie war, in den größeren kulturhistorischen Rahmen einer Aufwertung der nordischen Natur und Kultur gegenüber der klassisch-mediterranen gestellt.1116 Das Gedicht wurde 1797 bei der Schwedischen Akademie eingereicht, unter deren Anleitung er allerdings einschneidende Änderungen vornehmen musste, so dass das 17strophige Gedicht um elf Strophen erweitert wurde. In der Forschung wurde auf das Vorbild von Thomas Grays The progress of Poesy (1754) hingewiesen, von welchem z. B. die Darstellung des wild singenden, barbarischen Barden inspiriert worden sein könnte, aber auch der thematisierte Gegensatz zwischen dem Klassischen und dem Romantischen (das Wort wird zweimal verwendet), der das Gedicht strukturiert: Das Christentum gab der romantischen Poesie des Nordens den Todesstoß; die Grazien, welche aus Hellas geflohen waren, konnten so keine Heimstatt im Norden finden; alle Versuche, eine neue Dichtung zu 1115 W. Frick, Schiller und die Antike, in: Schiller-Handbuch, 1998, S. 98. 1116 Über den Zusammenhang dieses Gedichts mit seiner akademischen Arbeit Historiola orationis humanae hat A. Blanck in Den nordiska renässancen i sjuttonhundratalets litteratur, 1911, S. 281 ff, gehandelt. Nachdem einleitend der Fortschritt der Menschheit von der Barbarei bis zur Gegenwart besungen und die Zukunftsaussichten beschworen worden waren, entwickelt Franz¦n, sich auf Herder und Monboddo stützend, deren Divergenzen er zu vermitteln sucht, eine menschliche Sprachentwicklung in vier Phasen. Siehe auch SVH, III, S. 81 f.

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schaffen, missglückten; erst Creutz gelang es, die Wildheit des Nordens mit der harmonischen Schönheit zu verbinden. Dem Gedicht eignet jedoch ein Motiv, das es von Grays Lob des Fortschritts der Poesie unterscheidet, und das in dieser Radikalität zum ersten Mal in Schillers Die Götter Griechenlands auftaucht. In der fünften Strophe heißt es, nachdem den »Göten« die Möglichkeit des Schönen abgesprochen wurde: Nej, bland cypriska Favoner, / Följd af Gratier och Kupidoner, / Der naturen sorglös ler, / Föddes Skönheten – och föds ej mer.

Nein, unter zyprischen Favonen, Gefolgt von Grazien und Cupidos, wo die Natur sorglos lächelt, wurde die Schönheit geboren – und ist nicht mehr.

Die binäre Codierung solcher Texte – Heidentum/Christentum, Norden/Süden, Griechentum/Moderne, Natur/Kultur, Schönheit/Hässlichkeit, Ganzheit/Fragment – speist sich natürlich nur teilweise aus dem Schiller’schen Repertoire. Insbesondere das thematische Koordinatensystem der Aufwertung des Nordens als eigenständige Kultur, wie es von Montesquieu und Rousseau beeinflusst z. B. von Neikter in Uppsala und von Porthan in æbo vertreten wurde, war zu diesem Zeitpunkt bereits europäisches Allgemeingut.1117 Neu dagegen ist die schroffe antithetische Gegenüberstellung, bei Schiller wie bei Franz¦n durch einen Bindestrich deutlich markiert, die elegische Wehmut, die das Gedicht prägt angesichts des unwiederbringlichen Unterganges der Schönheit, die Behauptung, dass das Schöne tot sei – diese Motive können letztlich nur dem Einfluss der Götter Griechenlands zugeschrieben werden. Franz¦n verbleibt jedoch in der antithetischen Struktur von Die Götter Griechenlands, und ist der klassizistischen Vorstellung verhaftet, welche eine Restituierung des Schönen nach dem Vorbild der Alten vorsieht, wenn er in der Gegenwart eines Dichters wie Creutz den Zusammenfall von Pflicht und Neigung ausmacht. Der Satz »För Arkadiens sköna drömverld buren, / Du i pligtens hem dig skapte den« (dt. Für Arkadiens schöne Traumwelt geboren, / du schufest diese im Reich der Pflichten) weist auf die Aufhebung der Pflicht im Wollen hin, die Vereinigung von Pflicht und dem schönen Arkadien. Eine solche einfach behauptete Harmonie in der Gegenwart hätte Schiller nicht gelten lassen, und es ist jetzt zu zeigen, dass auch Tegn¦r die binäre Konzeption in eine triadische Struktur einmünden lässt. Die Gegenwart der Aufklärung wird nämlich in Kulturen ganz im Sinne Schillers wie folgt apostrophiert: »Tidehvarf, som skröt af ljusets välde, / Fridspredikare med vapengny! / Öfver stoften du i Panteon ställde / O hur blodig sjönk din aftonsky« (Vers 169 – 173, dt. Zeitalter, eitel sich der Macht des Lichtes 1117 A. Blanck hat in Den nordiska renässansen i sjuttonhundratalets litteratur (1911) den Vorgang der Aufwertung des Nordens als Folge von Montesquieus Klimatenlehre, Rousseaus Primitivismus, der englischen Vorromantik und Herders Vorstellung, dass jede Nation ihren Wert und ihre Glückseligkeit in sich selbst trägt, beschrieben.

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Schiller und die schwedische Lyrik der Eisenjahre

wähnte / Friedensprediger mit Waffengerassel / Oh wie blutig sank deine Abendwolke). Um die aufklärerischen Ziele Freiheit und Tugend zu erlangen, brachen die Menschen den Frieden, einem »Fremdling« folgend – eine Anspielung auf Napoleon wie in mehreren von Tegn¦rs Gedichten (Strophe 22 – 24). Trotzdem fällt die schroffe Gegenüberstellung von schöner Antike und Gegenwart nicht wie in Die Götter Griechenlands zu Ungunsten der letzteren aus, sondern wie in Die Künstler zugunsten der Gegenwart, »das menschliche Jahrhundert«, das »herbey zu führen haben sich – ohne es zu wissen oder zu erzielen – alle vorhergehenden Zeitalter angestrengt« (NA, XVII, 375 f).1118 Dabei weist die antithetische Gegenüberstellung und Beschreibung der Antike und der Gegenwart genau diesen Gegensatz auf: der Antike eignet das Schöne (die Kultur war schön wie eine Vestalin; die Natur war schön etc.), der Gegenwart das Erhabene, nämlich das Bewusstsein der »Unendlichkeit« (»oändlighet«, Vers 211). Diese binäre Konzeption entspricht derjenigen in Die Götter Griechenlands, aber auch in Über naive und sentimentalische Dichtung; und genau wie in dieser Schiller’schen Schrift wird ein Übergang von der binären zur triadischen Struktur angedeutet, indem die Notwendigkeit einer ewigen Vervollkommnung (p” fullkomlighetens stege, Vers 191) des Menschen und der Kultur ausgesprochen wird. Die im Gedicht vorwaltende Geschichtsphilosophie der unendlichen Progressivität wird in den Versen 241 – 244 formuliert: Lärd af sekler skall en dag kulturen /

Der Jahrhunderte Weisheit soll einmal die Kultur sekler tala vishet i sin flygt / Jahrhunderte bringen Weisheit in ihre Flucht föra menskan ”ter till naturen, / den Menschen zurück zu der Natur bringen, fr”n hvars sköt den henne fordom ryckt. Aus deren Schoß sie ihn vor langem riss.

Der Geist der Aufklärung wird in diesem Gedicht also nicht verneint, lediglich »tiefer gefasst«, was auf den Schiller’schen Bildungsgedanken, von dem Kulturen geprägt ist, hinweist.1119 Dies ist wohl auch der Grund, warum Tegn¦r im Gedicht die Kultur, und nicht die Aufklärung, poetisch beschworen hat. Der Begriff der »Kultur«, von Tegn¦r auch metaphorisch mit »schöne Vestalin« umschrieben, was wiederum auf den von Schiller und Tegn¦r benutzten Ausdruck »schöne Gestalt« deutet, korrespondiert bei Tegn¦r offensichtlich mit dem Begriff »Bildung« und ist ganzheitlicher definiert, als der Begriff der Aufklärung, welcher

1118 C. Santesson hat in Tegn¦rs reflexionsdiktning, 1913, eine Vielzahl der unterschiedlichen Einflüsse herausgearbeitet. 1119 F. Böök, Esaias Tegn¦r, I, 1946, S. 115. Greta Hedin hat deshalb zu Recht bemerkt, dass der Entwicklungsoptimismus des deutschen Idealismus im Gedicht gegen den Kulturpessimismus Rousseaus stark gemacht wird.

Esaias Tegnérs Lehrgedicht Kulturen (1805)

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von der bloßen Verstandeskultur geprägt wird.1120 Die in den oben zitierten Versen ausgedrückte Vorstellung einer möglichen Restitution der Natur über die Kultur, findet sich nur bei Schiller. Rousseau formulierte die Problemstellung der verlorenen Natur und Kant die Vorstellung eines weltbürgerlichen Fortschritts, aber nur bei Schiller verbinden sich beide Momente. Die »Aufgabe der Kultur« ist es laut Schiller (Über Ästhetische Erziehung, Brief 13) die beiden Triebe (Formtrieb und sinnlicher Trieb) in ihre jeweiligen Schranken zu verweisen bzw. miteinander zu versöhnen: Ihr Geschäft ist also doppelt: erstlich: die Sinnlichkeit gegen die Eingriffe der Freiheit zu verwahren; zweitens: die Persönlichkeit gegen die Macht der Empfindungen sicher zu stellen: Jenes erreicht sie durch Ausbildung des Gefühlvermögens, dieses durch Ausbildung des Vernunftvermögens« (NA, XX, 348).

Die Vereinigung vollzieht sich jedoch nicht durch ein »Zurück zur Natur«, sondern über die unendliche Gedankenwelt, sprich Reflexion, die nie zur Ruhe kommt.1121 Damit ist nicht nur eine Wertschätzung, ja Notwendigkeit einer modernen Dichtung ausgesprochen, die sich im Schiller’schen Sinne (BürgerRezension) der Gegenwart stellt (siehe XI:3),1122 sondern auch die Bedeutung des Ästhetischen benannt, welches bereits die Strophe 19 in Die Götter Griechenlands aussprach: »Schöne Welt, wo bist du? – Kehre wieder, / holdes Blüthenalter der Natur! / Ach, nur in dem Feenland der Lieder / lebt noch deine goldne Spur« (NA, I, 194). Ähnlich dichtet Tegn¦r in Kulturen: »Snillets jubelfest, naturens v”r! / Blott i skaldens dröm, i diktens länder / Lefva ännu edra gyllne sp”r.« (dt. Jubelfest der Weisheit, Frühling der Natur! / Bloß im Traum des Dichters, im Land der Dichtung / Leben noch eure goldene Spur.)

1120 In dieser Verwendungsweise gibt SAOB kein früheres Zeugnis an; Tegn¦rs Verwendung des Begriffs Kultur könnte also die früheste in Schweden überhaupt sein. 1121 So interpretiere ich die Verse »Evigt lefver du i Menskligheten, / Höga kraft, till var förädling skänkt, / Som lyft tanken mot oändligheten, / Och vart stamträd uti himlen hängt. / Mellan brott och dygder, frid och faror, / Aldrig hvilande, fast ofta skymd, / (Verse 209 – 213). 1122 Dies im Unterschied zu G. Hedin, T¦gners uppfattning av klassiskt och romantiskt, 1936, S. 16, welche meint, dass sich daraus für Tegn¦r nicht der sich anschließende Gedanke einer Wertschätzung der modernen Lyrik ergeben habe, ein Gedanke, der in Kulturen ebenso wenig auftauche wie der Gegensatz zwischen Antike und Moderne. Siehe auch H. Engdahl, Den romantiska texten, 1986, S. 109.

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3.

Schiller und die schwedische Lyrik der Eisenjahre

»Würde der Frauen«

Den Preis der Schwedischen Akademie 1805 gewann jedoch nicht Tegn¦rs Kulturen, sondern das Gedicht Uppfostraren (dt. Die Erzieherin),1123 von Olof Wallin, der in jungen Jahren ein begeisterter Schiller-Leser war, wie ein Brief (30. 7. 1800) aus Stadra bezeugt.1124 Wallins Gedicht, in welchem Aufgabe und Natur der Frau lehrhaft beschworen wird, ist auf lange Strecken im Geiste von Schillers Gedicht Würde der Frauen verfasst, das Wallin auch unter dem Titel Sk”l för könet (dt. Ein Prosit auf das Geschlecht) übersetzt hat.1125 Misst man die Popularität eines Gedichts an der Menge der Übersetzungen und Adaptationen, dann war Würde der Frauen das beliebteste Gedicht Schillers im Schweden dieser Zeit.1126 Die erste Übersetzung erschien 1800 in Sommar-promenaden; einige Jahre später wurde das Gedicht von Franz¦n, Wallin und Kullberg ins Schwedische übertragen.1127 Tegn¦rs Till Fruntimmerna (dt. An die Frauen) von 1808 ist dagegen eher eine thematische Adaptation als eine Übersetzung oder Nachdichtung von Die Würde der Frauen, obwohl Tegn¦r Schillers Gedicht weitgehend folgt – die Ähnlichkeit ist nicht nur inhaltlicher Natur, sondern reicht bis in die Ausdrücke und Vergleiche und in die antithetische Strukur hinein –, gleichzeitig scheinen einige Verse des Gedichts auch von Der Antritt des neuen Jahrhunderts sowie Die Macht des Gesangs beeinflusst zu sein. Der bei Schiller realisierte Dualismus zwischen Mann und Frau spiegelt sich bei Tegn¦r im Dualismus von Krieg und Frieden. Im 18. Jahrhundert erreichte der »emanzipatorische Vorgang der allgemeinen, folglich auch der weiblichen Gleichheit, seinen Höhepunkt«1128 – und mit Schiller und Kant seinen Zenit: »Der Weg von Schiller zu Hebbel, von Kant zu Schopenhauer, vom Erfolg der Germaine du Stael zum Mißerfolg der George 1123 Neben den üblichen Literaturgeschichten siehe H. Möller, Den wallinska dikten, 2000, S. 46 – 54; E. Liedgren, Johan Olof Wallin i yngre ”r (1779 – 1810), 1929; J. O. Wallin, Dikter, Kommentar, 1955 – 1967. 1124 »D” jag sitter i min grotta, som jag gjort i en hög kulle, hvarifr”n man har den härligaste utsigt öfver ”krar, ängar, löfskogar, dälder, Herrg”rden och stora 2-milasjön – s” saknar jag endast Hölty och – Dig. Här tillbringar jag mina aftonstunder i sällskap med Schiller el. Eschenburg el. Horatius; här, vid gränsen af de högre Regioner, är jag hvarje afton vittne till den nedg”ende Solens majestät – men hvar är en Vän, ”t hvilken jag f”r meddela min förtjusning? – O jag saknar ej Hölty – jag saknar blott Dig –.« Zitiert nach E. Liedgren, Johan Olof Wallin i yngre ”r, 1929, S. 79. 1125 E. Liedgren, Johan Olof Wallin i yngre ”r, 1929, S. 196. Eine Gemeinsamkeit der beiden Gedichte zeigt sich denn auch darin, dass Schillers Gedicht von Friedrich Schlegel und Wallins Gedicht von Hammarsköld rezensiert wurde – beide Rezensionen fielen außerordentlich polemisch aus. Siehe L. Hammarsköld, Polyfem, 1810, Nr. 46 – 49. 1126 Zu Würde der Frauen siehe P.-A. Alt, Schiller, II, 2000, S. 294. 1127 Zu Kullbergs Übersetzung siehe SVH, III, S. 304. 1128 H. Mayer, Außenseiter, 1975, S. 40.

»Würde der Frauen«

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Eliot und George Sand ist ein Prozeß der bürgerlichen Gegenaufklärung.«1129 Wie Silvia Bovenschen deutlich gemacht hat, handelt es sich allerding lediglich um eine »bildungsgeschichtliche Interimsperiode«, in welcher durch die »Etablierung bürgerlicher Literaturinstitutionen« und die »Herausbildung eines eigenständigen poetologischen und ästhetischen Diskurses […] für eine Weile die Spielräume sowohl für die weibliche Kreativität als auch für die Imagination des Weiblichen« erweitert wurden.1130 Für Hans Mayer sind Kant und Schiller Kronzeugen einer geschlechtsegalitären Tendenz der Zeit, wobei er im Falle Schillers die Frauengestalten der Dramen heranzieht, nicht etwa den Entwurf häuslichen Frauenglücks, der »drinnen Waltenden«, wie sie im Lied von der Glocke beschworen wird, die er als philiströse Entgleisung ansieht. Auch in Würde der Frauen scheint Schiller das im Rahmen der Reduzierung der Familie zur Kernfamilie sich ausbildende neue Rollenverständnis in suggestive, sowohl in Rythmus und Bildsprache die antithetische Rollenverteilung ausdrückende Verse festgeschrieben zu haben,1131 die sozialgeschichtlich eingeschränkte Stellung der damaligen Frau wird poetisch ins Typologische gehoben und zur Bewahrerin der natürlichen Menschheit stilisiert. Wenn Schiller also die Fixierung und Polarisierung der Rollenverteilung fortschreibt, so schließt er sich gleichwohl den Bestrebungen des Zeitalters an, der Frau im emanzipatorischen Prozeß eine neue Stellung zu geben […] Schiller beläßt die Frau im häuslich-familiären Raum, ja er entwickelt ihre Würde gerade in der strengen Beschränkung auf diesen, wobei die Frau kraft der Steigerung ihrer häuslichen Tätigkeit ins Allgemeinmenschliche die durch den Mann entfremdete Menschheit wieder zu Natur und Liebe zurückführt.1132

Engelsing hat dargelegt, dass, durch die sich im Zuge der Aufklärung etablierende Geschlechterrollenverteilung, die literarische Bildung der Frau zur Basis ihrer sozialen Stellung wurde, um den Mann durch die gemeinsame Lektüre oder das gebildete Gespräch gemeinsam gelesener Bücher ans Haus zu fesseln.1133 Es handelte sich hier also keinesfalls um eine ganzheitliche Bildung im Sinne der Ästhetischen Erziehung, sondern um eine den »innerfamiliären Zwecken« ge1129 Ebd. 1130 S. Bovenschen, Die imaginierte Weiblichkeit, 2003, S. 99 / S. 77. 1131 Hansers Sozialgeschichte der Deutschen Literatur, III, 1980, S. 92 ff. H. Brandt, Schlegels Kritik an Würde der Frauen, in: Aurora, 1993, S. 112, schreibt sogar : »Schillers Dichtung an ihrem schwächsten Punkt: Würde der Frauen ist wie kein anderes der größeren Gedichte aus dem Jahre 1795 nicht nur formal mißlungen, sondern auch seiner Idee nach unannehmbar. Die typologische Entgegensetzung von Mann und Frau ist kein Sujet, das sich zu einer individuell gearteten lyrischen Aufnahme besonders eignete.« 1132 H. Brandt, Schlegels Kritik an Würde der Frauen, in: Aurora, 1993, S. 118. 1133 R. Engelsing, Der Bürger als Leser, 1974, S. 307. Siehe auch Hansers Sozialgeschichte der deutschen Literatur, III, 1980, S. 87 ff.

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Schiller und die schwedische Lyrik der Eisenjahre

nügende, den wachsenden gesellschaftlichen Widerspruch mindernde. Neben ihrer häuslichen Arbeit ist es der Frau bestimmt, den Mann kulturell zu bereichern, »und sei es auch nur durch die Lektüre von moralischen Wochenschriften, Romanen und Lyrik. Die gelehrte Dame ist nach der Interimsperiode und ihrer Befürwortung durch die Gottsched’sche rationalistische Ästhetik bald wieder »verpönt«,1134 auch wenn die »gebildete« Frau das soziale Ansehen der Familie vermehrt. Es fragt sich, ob Schiller in den folgenden Versen nicht eine weniger zweckgerichtete Rollenverteilung im Sinn hat, wenn er schreibt: »Reicher als er in des Wissens Bezirken / Und in der Dichtung unendlichem Kreis« (NA, II, 1, 206, In der ersten Ausgabe »Reicher als er in des Denkens Bezirken«). Es mag dahingestellt bleiben, ob Schillers Höherbewertung des weiblichen Dichtens und Denkens (oder Wissens) als Lippenbekenntnis gegenüber der vermutlich zahlreicheren weiblichen Leserschaft zu verstehen, oder ernst gemeint ist. Zu konstatieren ist, dass gerade diese Verse von zwei bedeutenden schwedischen Dichtern anders übersetzt bzw. adaptiert wurden. In der Übersetzung in Sommar-promenaden (1800) wurden diese Verse noch wortgetreu wiedergegeben, während Franz¦n und Wallin wenige Jahre später eine gravierende Änderung vorgenommen haben. Franz¦n hat das Gedicht zunächst übersetzt – es wurde 1809 in æbo tidning publiziert – und später im Gedicht Lärkparet (dt. Das Lärchenpaar) adaptiert, in welchem der männliche und der weibliche Charakter als Gegensatz zwischen der Sehnsucht nach der Welt und der Liebe in der heimischen Idylle dargestellt wird. »Unschuld ist die erste Zierde der Frau«, äußerte noch Jahrzehnte später der Dichter.1135 Die oben zitierten Schiller’schen Verse übersetzte er wie folgt: »Vis, mer än han i sin lärda förvirring, / Rik, mer än han i sin diktade verld.« (dt. Weise, mehr als er in seiner gelehrten Verwirrung, / Reich, mehr als er in seiner erdichteten Welt). Dies ist das genaue Gegenteil der Schiller’schen Verse. Auch in Wallins Erzieherin liest die Frau keine Bücher, hat sich jedoch vor »romantischen Träumen« (Vers 56) zu hüten. Es wäre durchaus möglich, dass die ursprüngliche Begeisterung der Aufklärung für die Volksbildung durch Zeitschriften und Bücher in diesen Jahren von der Unterhaltungslektüre abgeschreckt in ihr Gegenteil umschlug. Wallin beschwört im Gedicht »Die Erzieherin« in selbstzufriedenem Aufklärungsduktus zunächst den Fortschritt der Geschlechterrollen: die Frau war nicht mehr »versklavt« (»slafvande«), der Mann nicht mehr Barbar. Das Wesen der Frau wird hervorgehoben, indem sie mit unerwünschten Eigenschaften

1134 Hansers Sozialgeschichte der deutschen Literatur, III, 1980, S. 92 ff. 1135 F. M. Franz¦n, Eva och Maria: En dubbel spegel för qwinnan, 1837, zitiert nach K. Westman Berg, Studier i C. J. L. Almqvists kvinnouppfattning, 1962. S. 31. Es kann deshalb auch nicht verwundern, dass Franz¦n angesichts der empfindsam lesenden Luise in Kabale und Liebe die Hände über dem Kopf zusammenschlug (siehe Kapitel IX).

»Würde der Frauen«

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kontrastiert wird, eine antithetische Technik des Klassizismus, aber auch Schillers. Ich suche sie nicht unter verbissenen Amazonen […] Eher verehrungswürdig als groß, eher lieblich als erinnerungswürdig […] Ich suche sie nicht unter den Problemen der Denker, / In der Tiefe der Forschung, umgeben von Systemen: / Die Anmut, die Einfalt, ist ihr stilles Los […] Ich fand dich unbemerkt im Kreis der Häuslichkeit, […] In anspruchlosen Tätigkeiten deine kleine Welt ordnen / In der Unschuld der Seele weise, und fühlend und zärtlich / In praktischer Wirksamkeit, nicht im romantischen Traum, / Mit der Kraft des Herzens zu entzücken und dem Beispiel der Tugenden / Du möchtest aus deinem Haus einen Tempel der Glückseligkeit – / du warst die Priesterin dort. Vertraulichkeit und Frieden / Und Ordnung und Anmut gingen, in verderblicher Zeit, […]1136

Der Frau werden Attribute zugeschrieben wie die »Anmut«, die »Einfalt«, die »Natur«, das »Herz«, die »Tugend«, die »Ordnung«, die kleine häusliche Welt – kurz und gut, der im Bürgertum entstandene und auf die Bedürfnisse der Männer zugerichtete geschlechtsspezifische Eigenschaftskatalog und Tugendkanon, welcher auch in Schillers Würde der Frauen fortgeschrieben wurde.1137 Gleichzeitig eignet dem Weiblichen eine integrative, die ursprüngliche aber verlorengegangene Einheit restituierende Funktion in Entsprechung zu Schillers »Anmut«, welche Wallin ebenfalls mit dem Weiblichen identifiziert. Dies drückt sich in offensichtlich Schiller-nahen Antithesen aus, welche die Form eines Chiasmus annehmen können: »Det goda sasom skönt, det sköna sasom godt.« (Vers 400, dt. Das Gute als Schönes, das Schöne als Gutes), »Behagens sedlighet och dygdernas behag« (Vers 104, Die Sittlichkeit der Anmut und die Anmut der Tugenden), »Det ädla ett behof, det nyttiga en vana« (Vers 482, Das Edle eine Notwendigkeit, das Nützliche eine Gewohnheit), »Behagens Urani, och Dygdens Aphrodit!« (Vers 667, dt. Die Anmut des Uranos, die Tugend der Aphrodite). Der Chiasmus als Stilfigur der wechselseitigen Verschränkung soll die Antithese aufweichen und bildet formal Schillers Konzept ab, Pflicht und Neigung, Herz und Verstand in Deckung zu bringen, »in ein harmonisches Band der Sinne und der Vernunft« (Verse 392 – 393).1138 1136 J. O. Wallin, Uppfostraren, Vers 41 – 60: »Jag söker henne ej bland bland bistra Amazoner […] Mer vördnadsvärd än stor, mer kär än minnesvärd, […] Jag söker henne ej bland tänkares problemer, / I forskningernas djup, omtöcknad af systemer : / Behaget, enfalden, blef hennes sälla lott […] Jag fann dig obemärkt i huslighetens krets, […] I anspraksfria värf din lilla verld bestyra. / I själens oskuld vis, och kännande och öm / I redbar verksamhet, ej i romantisk dröm, / Med hjertats tjusningskraft och dygdernas exempel / Du gjorde af ditt hus Lychsalighetens tempel – / Du var Prestinnan der. Förtrolighet och frid / Och ordning och behag gick, i förderfvets tid, […].« 1137 C. Honegger, Die Ordnung der Geschlechter, 1991, S. 16, S. 24. 1138 Zum Chiasmus bei Schiller siehe K. L. Berghahn, Schillers philosophischer Stil, in: SchillerHandbuch, 1998, S. 299.

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Schiller und die schwedische Lyrik der Eisenjahre

Die Mutter als Erzieherin ist eine »Erfindung von 1800« in der zweiten Phase der Entstehung der Kernfamilie im Europa der Goethezeit; die erste Phase im Deutschland der Lessingzeit zentrierte sich um den Patriarchen. »Um 1800 tritt mit einemmal eine Büchersorte auf, die den Müttern zunächst die physische und psychische Erziehung der Kinder und alsbald auch deren Alphabetisierung anvertraut.«1139 Die Mutter ist die erste Erzieherin, sie erzieht »spielerisch« und »mild«, von Seele zu Seele, von Herz zu Herz. Die Mutter ist jedoch eine Erzieherin, und dies im Gegensatz zu Schillers Würde der Frauen, die selbst keinen Zugang zur Bildung hat. Sie ist nicht erkenntnissuchend, sie hat von Natur aus eine Neigung zur Erzieherrolle, sie ist das inkarnierte ABC-Buch. Friedrich Kittler hat in seiner diskursanalythischen Arbeit Aufschreibesysteme auf die Bedeutung der Mutterinstanz bei der Etablierung des klassisch-romantischen Diskurses hingewiesen.1140 Die angeborenen Gaben der Frau machen sämtliche Bücher überflüssig, meint Kittler mit Hinweis auf den Pädagogen Pestalozzi: »[…] das Buch ist noch nicht da, und ich sehe schon sein Wiedererscheinen durch seine Wirkung!!«1141 Auch bei Wallin sind kulturell geschaffene Kommunikationsformen, für welche die Schrift nur das Paradigma darstellt, zweitrangig: »Hör mich! … nein, vergiss meinen Gesang, und hör die Stimme der Natur!«1142 Das kulturelle Konstrukt »Gesang« wird der »Stimme der Natur« gegenübergestellt: »Die Mutter oder Quelle von Diskursen ist also zugleich der Abgrund, wo Geschriebenes untergeht, um reiner Geist und reine Stimme zu werden.«1143 Wenn also einerseits das Spontane und Spielerische ausschlaggebend zu sein scheint, so macht sich an anderen Stellen im Gedicht auch ein strengeres Bild der Erziehung bemerkbar, dort nämlich, wo die Erziehung in einen nationalen Rahmen gestellt wird, wodurch eine Spannung zwischen Spontaneität und Zwang entsteht. Das Heim mit der Mutter als zentraler Handlungsinstanz generiert in Übereinstimmung mit der Natur perfekte Gesellschaftswesen, welche die Stabilität und den Fortbestand der Nation garantieren. Spontaneität ist der 1139 F. A. Kittler, Aufschreibesysteme 1800/1900, 1985, S. 36 f. 1140 Der Romantiker Hammarsköld hat in einer Rezension in Polyfem 1809 kritisch darauf hingewiesen, dass sich in dem Gedicht des »Akademisten« Wallin die Normen der Schwedischen Akademie ausdrückten: vor allem das Frauenbild weckte die kritische Aufmerksamkeit des Rezensenten. 1141 F. A. Kittler, Aufschreibesysteme 1800/1900, 1985, S. 68. 1142 J. O. Wallin, Uppfostraren, Vers 131: »Hör mig! … nej, glömm min s”ng, och hör naturens röst!« Auch A. Lidbeck, Anmärkningar hörande till läran om behag, 1808, S. 14, stellt bezeichnenderweise in seiner Abhandlung über die Anmut die »natürliche Sprache« der Seele, welche sich über den Körper Ausdruck verleiht und welche für alle Menschen in allen Ländern zu allen Zeiten gemeinsam sei, der phonetischen Sprache gegenüber, welche willkürlich, angelernt und einem steten Wechsel unterworfen sei. 1143 F. A. Kittler, Aufschreibesysteme 1800/1900, 1985, S. 69.

»Wir wollen sein ein einzig Volk von Brüdern« (Vers 1447)

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notwendige Zwang, der »ehrenhafte Bürger« und »Engel der Häuslichkeit« schafft. Die Mutter steht in einer staatstragenden Komplementarität zum staatstragenden Beamten.1144 Die Kehrseite des sich um 1800 etablierenden Geschlechterdiskurses ist der Nationaldiskurs mit seinen Adepten »Männlichkeit«, »Patriotismus« und »Führertum«.

4.

»Wir wollen sein ein einzig Volk von Brüdern« (Vers 1447)

Henrik Schück hielt es für ausgemacht, dass der definitive Durchbruch der Romantik beinahe aufs Jahr genau bestimmt werden könne: »1808 wurde Wallins Dithyrambe geschrieben, im gleichen Jahr dichtete Tegn¦r seinen Krigss”ng för sk”nska lantvärnet (dt. Kriegsgesang für die schonische Landwehr) der im nächsten Jahr gedruckt wurde […]« (ISLH, V, 22). Dass der Patriotismus und die Verehrung von »kriegerischen Eigenschaften« der Romantik zuzurechnen sind, wurde als selbstverständlich angenommen.1145 Neuere Forschungen haben jedoch für den Fall Deutschlands gezeigt, dass der Patriotismus nicht erst als Folge der Französischen Revolution entstand, sondern integraler Bestandteil der Aufklärung war.1146 Im Fall Schwedens kann die patriotische Traditionslinie im Kleide des »Götizismus« bis in die 1620er Jahre zurückverfolgt werden, als Schweden sich anschickte, eine europäische Großmachtrolle einzunehmen und der Patriotismus als Mittel der politischen Indoktrinierung immer aggressivere Formen annahm.1147 Seinen Höhepunkt erlangte der Götizismus mit Olof Rudbecks (1630 – 1702) Atlantica, einer Identitätskonstruktion, welche nicht nur die politische sondern auch die kulturelle Überlegenheit eines Reiches, eines Staates und einer Nation wissenschaftlich auf der postulierten Grundlage tradierten Wissens (der Geschichte, der Bibel usw.) beweist. In der eigentlichen Aufklärung kam die Aufwertung des Nordens als Kulturlandschaft hinzu, welche sich von Montesquieus Ideen zur klimatischen und geographi1144 Ebd., S. 74: »An der Mutter hat der Staat sein Anderes, ohne das er nicht wäre.« 1145 Siehe F. Böök, Esaias Tegn¦r, I, 1917, S. 86: »Will man eine klare Vorstellung bekommen davon, wie sich die patriotische Romantik mit seiner Verehrung von kriegerischen Eigenschaften bei Tegn¦r entwickelte, muss man verfolgen, wie sich der Begriff Ehre in seiner Dichtung entwickelte.« In Schweden hat vor allem F. Böök die »Kriegspoesie und patriotische Dichtung« (ebd.) Tegn¦rs eingehend untersucht. 1146 Siehe Machtphantasie Deutschland, 1996. Vom älteren Reichspatriotismus unterschied sich der neue Nationalismus laut H.-U. Wehler, Deutsche Gesellschafts-Geschichte 1700 – 1815, 2008, S. 514, allerdings dadurch, »daß er an die Stelle des 1806 zerfallenen archaischen Konglomerats locker zusammengehaltener Herrschaftseinheiten die staatliche Einheit der deutschen Nation nach dem Vorbild des französischen Zentralismus oder des amerikanischen Föderalismus setzen wollte«. 1147 S. Lindroth, Svensk lärdomshistoria. Stormaktstiden, 1981, S. 252.

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Schiller und die schwedische Lyrik der Eisenjahre

schen Bedingtheit der Nationalcharaktere und der Eigenständigkeit jeglicher Kultur sowie Rousseaus Umwertung des Naturmenschen speiste.1148 In der Spätphase der Aufklärung in Schweden war es Gustav III. erklärtes Ziel, durch die Schwedische Akademie den nationalen Diskurs anzuheizen, und während seines Russlandfeldzugs 1790 forderte er lyrische Kriegspropaganda.1149 Dass der poetische Patriotismus mit gewissen Idealen der Aufklärung zusammenhing, zeigt sich auch daran, dass Tegn¦r später den großen Preis der Akademie für sein patriotisches Gedicht Svea erhielt. Am 13. November 1808 fand sich Tegn¦r beim Aristokraten De la Gardie ein,1150 um ihm die Handschrift des Gedichts zu überreichen, das in der schwedischen Literaturgeschichte als der Beginn der Romantik angesehen worden ist: den Krigss”ng för sk”nska lantvärnet (ISLH, 3. Auflage, V, 22). De la Gardie war ein enger Vertrauter des Königs, welchem daran gelegen war, das Volk auch mit Poesie auf den Krieg vorzubereiten, und in StP waren die jungen Dichter des Landes sogar ermahnt worden, Kriegsgesänge zu dichten. Das Gedicht entstand im Kontext des verlorenen Krieges gegen Russland und dem Verlust von Sveaborg im Herbst 1808.1151 Die schwedische Kriegsmacht konnte gegen die ungefähr 80 000 Mann der russischen Armee ungefähr 66 000 Mann aufbringen und sah sich zudem von einem Zweifrontenkrieg gegen Russland im Osten und Frankreich/Dänemark im Süden bedroht. Um die Wehrkraft des Landes zu erhöhen, wurde eine Landwehr eingeführt, die zunächst alle unverheirateten Männer zwischen 18 – 25 betreffen sollte, dann jedoch auf 30 000 Mann begrenzt wurde. Das ursprüngliche Muster einer allgemeinen Bewaffnung der Bürger stammte von den Konskriptionen der Französischen Revolution. Tegn¦r selbst hat in einem Brief am 25. Mai 1809 geschrieben, er könne sich als einzige Möglichkeit einer effektiven Kriegsführung denken, dass durch eine sehr »freie Regierungsweise alle Kräfte der Nation gespannt würden und jeder Bürger hier wie in Norwegen Soldat würde. Aber mit einer weitreichenden Königsmacht 1148 Siehe dazu A. Blanck, Den nordiska renässansen i sjuttonhundratalets litteratur, 1911; NISLH, III, S. 177; S. Lindroth, Svensk lärdomshistoria. Stormaktstiden, 1981, S. 284. Der Götizismus verschwand jedoch mit der schwedischen Großmachtpolitik im 18. Jahrhundert nicht aus dem Ideenhaushalt der Nation, sondern wurde umso lebendiger, desto unbedeutender Schwedens Rolle im Spiel der europäischen Großmächte wurde. Das 19. Jahrhundert erfindet allerdings einen Skandinavismus, welcher den gesamten Norden miteinbezog. Die Nordische Mythologie, die Grundtvig 1808, erst recht die Fassung, die er 1832 vorlegte, postuliert etwa einen gemeinsamen kulturellen Norden, an den vor dem 19. Jahrhundert gar nicht zu denken war. Es handelt sich dabei jedoch um ideologische Ingredienzien des Götizismus, welche die politischen Krisen des 18. Jahrhunderts überlebten und auch während der Aufklärung eine Heimstatt hatten. Siehe z. B. das Gedicht Vinter-quäde von Gyllenborg. 1149 Siehe M. Alm, Kungsord i elfte timmen, 2002. 1150 Ein Nachfahre desjenigen De la Gardie, der im 17. Jahrhundert Olof Rudbeck protegierte. 1151 Hier und im Folgenden S. Carlsson, Svensk historia, II, 1961, S. 281 – 288.

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und stehenden Armeen verlahmt alle Energie, und Sklaverei und Abhängigkeit muss das Los schließlich werden«.1152 Krigss”ng för sk”nska lantvärnet weist vor allem in seiner ursprünglichen Fassung offensichtliche hypertextuelle Überlagerungen durch Schillers Wilhelm Tell auf: Das Gedicht handelt von einem Hirtenvolk in einer pittoresken von Bergen umgebenen Landschaft, offenbar der Schweiz, zumal Tegn¦r auf dem Titelblatt der Handschrift angegeben hat, dass das Gedicht von einem W. Tellus, der lateinischen Form von Wilhelm Tell, verfasst sei. Die gesamte landschaftliche und soziale Szenerie des Krigss”ng för sk”nska lantvärnet ist eine Übertragung des Bildes der Schweiz im Wilhelm Tell auf Schweden. Es wird ja hie wie dort ein »schwaches Volk der Hirten« im Kampf mit dem »Herrn der Welt« in den Mittelpunkt gestellt.1153 In dem Schweizer Volksaufstand gegen den ausländischen Eroberer hatte Tegn¦r das Ideal einer nationalen freiheitlichen Erhebung gegen den Feind gesehen.1154 Diese Anspielung auf den helvetischen Freiheitskampf birgt volksdemokratische Züge, die das Gedicht der Zensur eigentlich hätte suspekt machen müssen. Auf eine solche volksdemokratische Intention des Kriegslieds weist auch die Beobachtung Bööks hin, dass sich weder im Titel der Handschrift Krigss”ng för lantvärnet noch im Gedicht selbst ein Hinweis auf den König Gustav IV. Adolf findet, wie man es von einem Kriegsgedicht erwarten würde, und auch kein Hinweis darauf, dass das Land, von dem darin die Rede ist, eine Monarchie ist. Erst in der Veröffentlichung unter dem Titel Krigss”ng för Kongl Sk”nska Landtvärnet (dt. Kriegslied für die königliche schonische Landwehr) findet sich 1152 Brief an Myhrman, 25. 5. 1809: »[… ] genom ett mycket fritt regeringssätt alla Nationens ”terst”ende krafter spändes och hvar medborgare här som i Norge vore soldat. Men med en vitsträckt Kungamakt och st”ende Armeer förlamas all energie, och slafveri och beroende m”ste bli v”r slutliga lott.« 1153 Als Tegn¦r das Gedicht 1828 für einen Neudruck im Gedichtband Smärre samlade dikter (dt. Kleinere gesammelte Gedichte) umarbeitete, beseitigte er die ohnehin unglaubwürdige Schweizer Szenerie Schiller’scher Provenienz eines ursprünglich-unschuldigen Hirtenvolkes zugunsten einer realistischeren Darstellung des Volkes. 1154 Das hypertextuell sich überlagernde Set von Texten wurde von F. Böök, Esaias Tegn¦r, 1917, S. 100 – 125, S. 205 – 217, herausgearbeitet. Neben Schillers Wilhelm Tell wurde Johannes von Müllers Geschichte der Schweizerischen Eidgenossenschaft von Tegn¦r und Geijer gelesen und verarbeitet. Der letztere zitiert das historische Werk ausgiebig in seiner Magisterarbeit De ingenio politico medii aevi (1806). Geijers götische Gedichte Odalbonden und Manhem wurden ebenso davon beeinflusst wie Tegn¦rs Svea, und die Gedichte Geijers und Tegn¦rs korrespondieren ihrerseits in unterschiedlicher Hinsicht miteinander. Die von Tegn¦r in Krigss”ng för sk”nska lantvärnet poetisch erfasste Kontamination der Schweizer und schwedischen Verhältnisse wurde von Geijer unter anderem in einer Vorlesung Den ny europeiska odlingens hufvudskiften (1845) zur historischen Hypothese ausgearbeitet: vor dem Horizont einer europaweiten Deliberalisierung der Bauern im Ausgang des Mittelalters bildeten Schweden und die Schweiz die Ausnahme, wo die Bauern ihren ursprünglich freien Status bewahren konnten.

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die Nennung »königlich«, eine Veränderung, welche vermutlich vom patriotischen De la Gardie bewirkt wurde.1155 Böök wollte deshalb geltend machen, dass das Gedicht vor allem der Ausdruck einer anti-royalistischen und anti-monarchistischen Haltung gewesen sei,1156 wofür die Tatsache sprechen könnte, dass er bei der Neuherausgabe seiner Gedichte (1828) das Wort »König« einfügte (»och skönt är att strida för land och för kung«) und das Gedicht religiös zurüstete.1157 An Tegn¦rs patriotisch-militärischer Schiller-Applikation konnten wenige Jahre später die beiden Offiziere Johan August Hazelius (1797 – 1871) und Otto Natt och Dag (1794 – 1865) anknüpfen.1158 Wie so viele seiner Zeitgenossen verband Hazelius die militärische Karriere mit ernst gemeinten literarischen Interessen. Er hatte wohl einige Jahre als dilettierender Schriftsteller den Neuromantikern nachgeeifert, dann aber in der götischen Strömung der Zeit – die häufig der Romantik zugerechnet wird, jedoch ihre Wurzeln in der Aufklärung hat – seine eigentliche Heimstatt gefunden. Ein Wendepunkt in seiner Entwicklung war die Begegnung mit dem Werk Schillers, der bereits als Kadett sein Lieblingsautor gewesen war.1159 Manuskripten von Hazelius lässt sich entnehmen, dass seine Bekanntschaft mit Schiller – abgesehen vom Dreißigjährigen Krieg, den er bereits 1809 gelesen hatte – vor allem auf das Jahr 1813 fällt. In diesem Jahr las er Die Jungfrau von Orleans, Don Carlos und Fiesco, im folgenden Jahr Die Räuber und Kabale und Liebe, und 1815 Wallenstein, Maria Stuart, Wilhelm Tell sowie Der Abfall der Niederlande. Besonders Schillers Fiesco hatte es ihm angetan – das Fiesco-Manuskript seiner schwedischen Übersetzung ist nach dem Titelblatt mit einer Dedikation folgenden Wortlauts versehen: Min Stor-Sinnige Vän Otto Natt och Dag af warmaste hjerta tillegnadt. Joh. Aug. Hazelius (dt. Meinem großgesinnten Freund Otto Natt och Dag von ganzem Herzen zugeeignet. Joh. Aug. Hazelius). Auf einer Abschrift von Tegn¦rs Kriegsgedicht Svea findet sich ebenfalls der Hinweis: De känslor Svea wäckt hos mig helgas ”t Wänskapen för Natt och Dag (dt. Die Gefühle, die durch Svea geweckt wurden, werden der Freundschaft mit Natt och Dag geheiligt). In den Vorstellungen des jungen Hazelius verschmolz offensichtlich die Freundschaft zu Natt och Dag mit dem Pathos und Idealismus Schillers und dem Patriotismus Tegn¦rs. Hazelius charakterisierte dies so: Natt och Dag besaß all diese Freiheitsgefühle, die mein Glück als Schwede ausmachen, in einem höheren und schönerem Maße! Er war so historisch gestimmt. Funken für F. Böök, Esaias Tegn¦r, I, 1946, S. 135. Ebd., S. 136. G. Frunck, Bidrag till Nya skolans förberedelser, 1889. Zu J. A. Hazelius siehe G. Heckscher, J. A. Hazelius, 1936; Svenskt biografiskt lexikon, XVIII 1969 – 1971, S. 356. Zu Otto Natt och Dag siehe Svenskt biografiskt lexikon, XXVI 1987 – 1989, S 448. 1159 Svenskt biografiskt lexikon, XVIII 1969 – 1971, S. 356. 1155 1156 1157 1158

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große Tragödien lagen in seinem Gemüte. Er besaß keinen Sinn für eine andere Poesie als die heroische. Ich besaß Gefühle für mehr Dinge als er : folglich war ich schwächer. Unsere Vorstellungen als Staatsbürger wallten so herrlich zusammen. Die Formen des Fetischismus beunruhigten uns nie. Der Geist, der Wille, der gewaltige Gegenstand in allem interessierte uns.1160

Im Zusammenhang mit seiner Fiesco-Übersetzung exzipierte er aus einem historischen Werk über Fiesco, und seine Sympathien galten dessen Usurpation der Macht in Genua.1161 Er schreibt: Es ist eine unerschütterliche Wahrheit, dass die Volksmasse von einem Mann geführt werden muss, der, auf einen erhabenen Platz gestellt, alleine die Macht besitzt, jeglichen einzelnen Willen zu brechen; der mit einem erweiterten Wirkungsvermögen die Taten strafen kann, die auf eine Störung der Ruhe zielen, dagegen Landwirtschaft, wirtschaftlichen Fleiß und Handel fördert; und welcher genügend physische Kraft besitzt um jegliche Zusammensetzung aufrührerischer und böse gesinnter Untertanen entgegenzuwirken; auch wenn dieser Mann nur dem Glück oder der Geburt für seinen Rang zu danken hat […] Nur auf diese Weise kann die Fackel der Zwietracht gelöscht werden und das Irrlicht des Eigennutzes gestürzt werden: So dachte Fiesco!1162

Hazelius liest das im Untertitel als »republikanisches Trauerspiel« bezeichnete Stück offensichtlich als politisches und nicht, nach einer neuerdings wieder bevorzugten Lesart, als Antithese vom »großen« Kerl auf der einen Seite und von Moral und Tugend auf der anderen.1163 Das Interesse von Hazelius richtete sich aber nicht auf eine eventuell antityrannische Tendenz des Stücks, »die das 1160 Zitiert nach G. Heckscher, J. A. Hazelius, 1936, S. 74: »Natt och Dag ägde alla dessa Frihetskänslor, som gör min sällhet som svensk, i en högre och skönare grad! Han var s” historiskt stämd. Gnistor till stora Tragedier l”g i hans sinne. Han ägde ej sinne för annan Poesie än den heroiska. Jag omfattade känslor för flera saker än han: följakteligen var jag svagare. V”ra tänkesätt som medborgare svallade s” herrligt tillsammans. Fetischismens former oroade oss aldrig. Andan, Willjan, det väldiga Ämnet i allt intresserade oss.« 1161 Es ist deshalb wahrscheinlich, dass Hazelius auch an eine Publikation gedacht hat. Heute befindet sich die Übertragung, die nie publiziert wurde, in einem Familienarchiv und ist mit dem Datum Karlberg 1813 versehen. 1162 Zitiert nach G. Heckscher, J. A. Hazelius, 1936, S. 72: »Det är en orubblig Sanning att Folkmassan m”ste styras af En Man, som ställd p” en upphöjd plats ensam äger magt att kufwa all enskildt willja; som med en utwidgad werkningsförm”ga kan straffa de gerningar som syfta till Lugnets störande, men deremot uppmuntra ækerbruket, Näringsfliten och Handeln; och som äger nog Fysisk styrka för att motwäga all sammansättning af upproriska och illasinnade Unders”tare; äfwen om denne Man endast har att tacka Lyckan eller Börden för sin rang … Endast p” detta sätt kan Twedrägtens fackla släckas och Egennyttans irrbloss störtas: S” tänkte Fiesko!« 1163 H. Koopmann, Die Verschwörung des Fiesko zu Genua, in: Schiller-Handbuch, 1998, S. 357. Eine solche Lesart kann sich freilich auf Schiller selbst stützen, welcher in seiner Erinnerung an das Publikum (Siehe NA, XXII, 89) eindeutig sagte, dass das Drama nicht so sehr von der Verschwörung als vielmehr von Fiesko handeln solle. Der Fiesko wurde m.a.W. als Charakterstudie eines großen Mannes angelegt, nicht als historisches Gemälde.

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Drama zu einem Dokument einer fortschrittlichen Aufklärungstradition mache, so wie andererseits das Drama gegen jeglichen Cäsarismus gerichtet sei, wie er in der Kunst und Philosophie dieser Zeit als Folge der politischen Veränderungen auftauche.«1164 Vielmehr goutiert er in Fiesko ganz offensichtlich die Verwirklichung genau dieses Cäsarismus, dessen Ideologie sich im Zuge des alle Gebiete umfassenden Rationalisierungs- und Säkularisierungsprozesses einstellt als Ablösung »der Erbmonarchie und damit jeglicher Form von politischer Herrschaft, die durch Religion (von Gottesgnaden) und Tradition (durch Abstammung), durch Formen der Herrschaft, die geschichtsphilosophisch oder sozialeudämonistisch […] legitimiert wurden.«1165 Die Legitimität eines neuen Cäsars liegt für Hazelius, genau wie in der anfänglich allgemeineuropäischen Begrüßung Napoleons, in dessen Rolle als »Beschleuniger oder Aufhalter der Revolution«.1166 In seinem patriotischen Eifer plante Natt och Dag eine Reform der schwedischen Armee, und das Resultat seiner Pläne lag im Frühjahr 1815 in Form einer Schrift mit dem Titel Project till en ny organsisation af svenska arm¦en af N*** vor. Der junge Fähnrich hatte sich jedoch zu viel Kritik erlaubt; er sollte das Regiment wechseln und erhielt eine Auslandspermission, worauf er 1815 nach Deutschland reiste. Natt och Dags Reformvorhaben war dem schwedischen Volk zugeeignet und wurde mit dem Motto eingeleitet: »Tidens ovanlighet p”kallar n”got nytt, der för”ldrade m”ste försvinna« (dt. Das Ungewöhnliche der Zeit fordert etwas Neues, wo Veraltetes verschwinden muss). Der Kern der Reform war die allgemeine Wehrpflicht, welche vor allem historisch legitimiert wurde: »Hvarje fri svensk man var i forntiden Soldat« (dt. Jeder freie Schwede war vordem Soldat).1167 Es handelt sich um eine Reihe von Argumenten und Ideen, die aus dem Arsenal des Götizismus stammen, angereichert mit Elementen des modernen nachrevolutionären Nationalismus, wenn Natt och Dag schreibt: Sieh die kraftvolle große Natur, die uns umgibt: wir sollten ihr gleichen. Die verweichlichten Sitten des Südens sind nicht für das Volk des Nordens, um Männer und Helden, unser eigener Schutz und Schild. Sieh da unsere Bestimmung. Es ist nicht die Anzahl eines Volkes, nicht dessen Reichtümer oder Macht, die es groß machen, sondern es ist dessen Tugend, dessen Freiheitsgefühl und Manneskraft.1168 1164 1165 1166 1167

Ebd., S. 356. Geschichtliche Grundbegriffe, I, 2004, S. 726. Ebd., S. 735. »Die allgemeine Erfahrung mit dem neuen Nationalismus« trifft daher auch auf die schwedischen Verhältnisse zu, »daß nämlich eine breitenwirksame Identifikation mit der Nation nur durch den Rückgriff auf die tatsächlich oder angeblich gemeinsam durchlebte Geschichte erreichbar zu sein scheint. Nicht zuletzt die Historiker des postrevolutionären Zeitalters haben dann auf diese Weise zur nationalen Identitätsbildung beigetragen« (H.U. Wehler, Deutsche Gesellschafts-Geschichte 1700 – 1815, 2008, S. 510). 1168 Zitiert nach G. Heckscher, J. A. Hazelius, 1936, S. 77: »Se den kraftfulla stora natur som

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Genau wie im nachrevolutionären Frankreich, in Deutschland und anderenorts vermischen sich in solchen Bekenntnissen die für den Beginn des modernen Nationalismus typische »nationalstaatliche Verengung und kosmopolitische Menschheitsmission«.1169 In Schillers Wilhelm Tell genauso wie in Tegn¦rs Gedichten (Krigss”ng för sk”nska lantvärnet und Svea) und in Natt och Dags Weltanschauung dient die Natur als Legitimationsbasis für die neuen Menschenrechtsvorstellungen. Die naturrechtliche Argumentationsweise des Dramas »steht im allgemeineren Kontext des Säkularisierungsprozesses«.1170 Auch Natt och Dag dient die »kraftvolle große Natur« als Legitimation eines Freiheitsgefühls, welches offensichtlich durch die Lektüre der Schiller’schen Dramen potenziert wird. Neben der Natur wird die Nation »anstelle der Kirche zur verbindlichen Sinngebungs- und Rechtfertigungsinstanz des nachrevolutionären Menschen erhoben«.1171

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Das vielleicht populärste Gedicht Schillers ist von Beginn an Die Worte des Glaubens, bzw. seine Antithese Die Worte des Wahns, welche vom Idealismus der Postulate der praktischen Vernunft Kants zeugen. Noch für Anders Fryxell war das Gedicht 1860 paradigmatischer Ausdruck einer von ihm so benannten Echtromantik, welche »sowohl in der Politik als auch in der Religion und der Poesie die versöhnende, vermittelnde Ansicht, die wir politische Reformation nennen« verehre. »Vielleicht ist diese nie einfacher und schöner ausgedrückt worden als in Schillers 1797 geschriebene Die Worte des Glaubens.«1172 Das Gedicht wende sich einerseits gegen eine autokratische Herrschaft und die Ra-

1169 1170 1171 1172

omgifver oss: vi böra likna den. Söderns vekliga seder är ej för Nordens folk, att blifva Män och Hjeltar, v”rt eget värn och andras beskydd. Se der v”r bestämmelse. Det är ej ett folks talrikhet, ej dess rikedomar eller makt, som gör det stort, utan det är dess dygd, dess frihets-känsla och manna-kraft.« H.-U. Wehler, Deutsche Gesellschafts-Geschichte 1700 – 1815, 2008, S. 516 f. H. A. Kaufmann, Nation und Nationalismus in Schillers Entwurf Deutsche Größe und im Schauspiel Wilhelm Tell. Zu ihrer kulturpolitischen Funktionalisierung im frühen 19. Jahrhundert, 1993, S. 125. H.-U. Wehler, Deutsche Gesellschafts-Geschichte 1700 – 1815, 2008, S. 508. A. Fryxell, Bidrag till Sveriges litteratur-historia, 1860, 1. Heft, S. 40: »De hyllade i politik likasom i religion och i poesie den försonande, medlande ”sigt, som vi kallat: politisk reformation.« Die Popularität dieser Gedichte in Schweden schuldet sich aber nicht nur ihrer gemäßigten politischen Ideologie, sondern auch der Möglichkeit zur »pragmatischen Applikation« (U. Gerhard, Schiller und seine Wirkung, in: Schiller-Handbuch, 1998, S. 759.) Die beiden Gedichte sind durch die Konzentration auf »goldene Worte« besonders geeignet für das Herausbrechen von »geflügelten Worten« und für eine »isolierten Deklamation« von Sentenzen und Denksprüchen zu erbaulichen Zwecken, wie es im 19. Jahrhundert üblich wurde.

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serei des Freiheitsstrebens andererseits; wende sich aber auch gegen den Epikureismus und die niedrige, auf den Eigennutz bedachte Lebensweisheit der vorangegangenen Epoche und gegen die französische Freidenkerei und deren Atheismus. Es ist dies der Ausdruck einer gemäßigten Fortschrittlichkeit unter Vermeidung jeglicher revolutionärer Tendenzen. Auch der gemäßigte Aufklärer Leopold hatte dieser Haltung in seiner Übersetzung von An die Freude Ausdruck verliehen, als er den Vers »Ingen träldom, – ordning blott!!!« (Keine Sklaverei – Ordnung nur!!!) schuf. Das Gedicht Schillers ist aber auch Ausdruck eines Arrangements mit einer gesellschaftlichen Realität, in welcher der Bürger zwar nicht an politischen Entscheidungsprozessen beteiligt ist, jedoch an seine eigene moralische Superiorität glaubt.1173 Die Worte des Glaubens wurden zunächst 1798 in Silverstolpes Journal för svensk litteratur in schwedischer Übersetzung abgedruckt; einige Jahre später, am 21. 12. 1805, wurde eine Übersetzung von Franz¦n in der æbo tidning unter dem Titel Trons ord eingeführt. In seinen Skaldestycken af Frans M. Franz¦n, I, æbo 1810, publizierte Franz¦n das Gedicht noch einmal neben dem Gedicht Den inre föreningen (dt. Die innere Vereinigung), welches die Spannung zwischen Ideal und Leben ausdrückt. Esaias Tegn¦r, der Die Worte des Wahns übersetzte, adaptierte und variierte das Thema der »ewigen Worte« in Det Eviga (dt. Das Ewige), das meiner Meinung nach den Übergang von Tegn¦rs frühem Schaffen zu seinem eigenen, wenn auch weltanschaulich stark von Schiller beeinflussten Stil markiert.1174 Die endgültige Form hat das Gedicht erst im Jahre 1828 nach einer Überarbeitung im Band Smärre samlade dikter erhalten. Det Eviga

Das Ewige

Väl formar den starke med svärdet sin värld, väl flyga som örnar hans rykten; men n”gon g”ng brytes det vandrande svärd och örnarne fälles i flygten.

Wohl formt der Starke mit dem Schwert seine Welt, wohl fliegt wie der Adler sein Ruhm; doch einmal wird das wandernde Schwert zerschellt und der Adler wird im Fluge geschossen.

1173 Die Worte des Glaubens wurden zum ersten Mal im Musenalmanach für das Jahr 1798, S. 267 – 277 publiziert und mit wenigen Änderungen in den Ersten Teil der Gedichte (I/2, S. 28 ff) aufgenommen. Die Worte des Wahns erschienen in Gedichte (I/1, S. 298 f). Vermutlich 1799 geschrieben, nach Abschluss des Musenalmanachs; erschien auch in Cottas Taschenbuch für Damen auf das Jahr 1801. 1174 Zu Det Eviga siehe F. Böök, Esaias Tegn¦r, 1917, S. 125 – 137; H. Engdahl, Den romantiska texten, 1986, S. 263. Det Eviga wurde am 20. 2. 1810 in Journal för litteraturen och theatern publiziert, vermutlich aber schon im nicht genauer bestimmbaren Zeitraum zwischen 1806 – 1808 geschrieben (siehe Bööks Kommentar in: Esaias Tegn¦rs samlade dikter, I, 1798 – 1808, 1964, S. 332 f). Ich grenze mich in meiner Interpretation sowohl von Böök ab, der das Gedicht in den Kontext der Kriegslyrik rückt, als auch von Engdahl, der es in den Kontext der Romantik stellt.

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Hvad v”ldet m” skapa är vanskligt och Was die Gewalt erschafft, ist heikel und kurz, kort, det dör som en stormvind i öcknen bort. es stirbt wie ein Sturm in der Wüste dahin. Men sanningen lefver. Bland bilor och svärd lugn st”r hon med str”lande pannan. Hon leder igenom den nattliga verld, och pekar alltjemt till en annan. Det sanna är evigt: kring himmel och jord genljuda fr”n slägte till slägt dess ord.

Doch die Wahrheit lebt. In Flammen und Schwert ruhig steht sie mit strahlender Stirn. Sie führt durch die nächtliche Welt, und weist stets auf eine andere [Welt] hin. Die Wahrheit ist ewig: im Himmel und auf der Erde pflanzt ihr Wort von Geschlecht zu Geschlecht sich fort.

Det rätta är evigt: ej rotas der ut fr”n jorden dess trampade lilja. Eröfrar det onda all verlden till slut s” kan du det rätta dock vilja. Förföljs det utom dig med list och v”ld, sin fristad det har i ditt bröst fördold.

Das Rechte ist ewig: nie wird dort vertilgt von der Erde seine getretene Lilie. Erobert das Böse die Welt zuletzt, so kannst du das Rechte doch wollen. Wird es verfolgt von List und Gewalt, Freistatt hat sie in deinem Busen verborgen.

Och viljan som stängde i l”gande bröst tar mandom lik Gud, och blir handling. Det rätta f”r armar, det sanna f”r röst, och folken st” upp till förvandling. De offer du bragte, de faror du lopp, de stiga som stjernor ur Lethe opp.

Und der Wille in glühender Brust verschlossen, wird Mensch wie Gott, und wird Handlung. Das Recht bekommt Arme, die Wahrheit Stimme, und die Völker stehn auf zur Verwandlung. Die gebrachten Opfer, die riskierten Gefahren, sie steigen wie Sterne aus Lethe auf.

Och dikten är icke som blommornas doft, som färgade b”gen i skyar. Det sköna du bildar är mera än stoft och ”ldren dess anlet förnyar. Det sköna är evigt: med fiken h”g vi fiska dess gullsand ur tidens v”g.

Und die Dichtung ist nicht wie der Blumen Duft, welche die Bogen im Himmel färbte. Das Schöne du bildest ist mehr als der Staub, und das Alter sein Antlitz verjüngt. Das Schöne ist ewig: mit gierigem Gemüt wir fischen ihr Gold aus der Welle der Zeit.

S” fatta all sanning, s” v”ga all rätt, och bilda det sköna med glädje. De tre dö ej ut bland menskors ätt, och till dem fr”n tiden vi vädje. Hvad tiden dig gaf m” du ge igen, blott det eviga bor i ditt hjerta än.

So fasse die Wahrheit, so wage das Recht, und bilde mit Freude das Schöne. Nie sterben die drei dem Menschengeschlecht, und zu ihnen beizeiten wir flehen. Was die Zeit dir gab, du gibst es zurück, nur das Ewige wohnt noch in deinem Herzen.

Das sechsstrophige Gedicht ist dem rhythmischen Schema Schiller’scher Gedichte wie Die Worte des Glaubens, Die Worte des Wahns und Hoffnung nachgebildet, also Gedichten, in welchen die Spannung zwischen Idee und Wirklichkeit tragendes Strukturelement ist. Auch das Gedicht Det Eviga wird von der Spannung zwischen dem Vergänglichen einerseits und dem Ewigen andererseits strukturiert: »Die Tiefenstruktur des Textes ist ein doppeltes und konfliktgeladenes Assoziationsfeld: Beständigkeit, Wachstum, Wärme, Verwandlung steht

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gegen Zerfall, Vergessen, Ruin. Also Leben gegen Tod.«1175 Lediglich das Schöne besäße eine Immunität dem Tod gegenüber, führt Horace Engdahl weiter aus, und in der Tat weist ja schon die angedeutete Hierarchie der drei Glaubensworte zum Schönen hin auf dessen Spitzenstellung in der Triade. Der radikale Dualismus, der typisch ist für Schiller und gerade auch in Die Worte des Wahns thematisiert wird, fasst Tegn¦r metaphorisch zusammen in den Versen »Hon leder igenom den nattliga verld, / och pekar alltjemt till en annan.« (dt. Sie führt durch die nächtliche Welt, / und weist stets auf ein anderes). Die offensichtlichen Gemeinsamkeiten von Det Eviga und Schillers Gedichten sind stets hervorgehoben worden, insbesondere von Böök, der jedoch Det Eviga in einem entscheidenden Punkt von Schillers Standpunkt abweichen sieht: Schiller sei im Grunde stets Quietist geblieben und habe kein Verständnis für die Politik und nationale Bestrebungen gehabt. Det Eviga sei dagegen ein politisches Gedicht, was Böök vor allem am Reim »handling / förvandling« (Handlung / Verwandlung) festmacht.1176 Horace Engdahl, welcher eine von Böök gänzlich abweichende Interpretation vorschlägt, kann diese ebenfalls an diesem scheinbar überdeterminierten Vers festmachen. Der Reim wäre in der Tat bemerkenswert, wenn er von Tegn¦r das erste Mal verwendet worden wäre. Der Reim findet sich jedoch auch in Wallins Uppfostraren, und zwar in einem gänzlich unkriegerischen, um nicht zu sagen harmlosen Zusammenhang. Es ist sicher, dass Tegn¦r dieses Gedicht gekannt hat und aus diesem Grund genau so sicher, dass er diesen Reim übernommen hat, weshalb es problematisch erscheint, gerade diesem Reim eine tragende Rolle bei der Interpretation des Gedichts zu geben.1177 Tegn¦r beschwört in Det Eviga weder die paulinische Triade »Glaube, Liebe, Hoffnung«, wie man es vom späteren Bischof hätte erwarten können, noch die platonische »das Gute, das Wahre, das Schöne«, aber auch nicht die drei Worte des Glaubens Schillers im gleichnamigen Gedicht, »Freiheit«, »Tugend«, »Gott«, sondern die drei Worte aus Schillers Worte des Wahns, das »Rechte«, das »Schöne«, das »Wahre«. Im Unterschied zu seinen Ästhetik-Vorlesungen behält Tegn¦r hier noch die für die platonische Tradition wie auch für die Aufklärung 1175 H. Engdahl, Den romantiska texten, 1986, S. 262. 1176 F. Böök, Esaias Tegn¦r, I, Till 1814, 1917, S. 129 f. 1177 Im Unterschied zu Schiller weist Tegn¦r deutlicher auf politische Ereignisse und Verhältnisse hin und erlaubt diesen in einem ganz anderen Ausmaße in seine poetische Welt einzudringen, wenn er in seinem Gedicht das wirkliche Leben als von der Politik und Napoleon dominiert ansieht. Tegn¦r hat in der zweiten Fassung die Metapher Napoleons Welt (2. Strophe / Zeile 3) gestrichen und zunächst »die Welt des Wahns« eingesetzt; in einer dritten Fassung die Metapher »nächtliche Welt« (den nattliga världen) eingefügt. Dies ist ein deutlicher Hinweis darauf, dass Tegn¦r sich zusehends von direkten politischen Stellungnahmen in der Poesie distanzierte und sich um den Ausdruck allgemeinmenschlicher Belange im Sinne des klassischen Weimars bemühte.

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gleichermaßen gültige hierarchische Ordnung der Wahrheit, des Rechten und des Schönen bei. Die Wahl dieser Glaubensworte grenzt Tegn¦rs Intention von den Neuromantikern ab: Atterbom apostrophierte in seinem programmatischen Gedicht Prolog »das Große, Wahre, Schöne«. Der Bereich des »Guten« insbesondere in seiner säkularisierten Form des »Rechten« ist den Romantikern der Poesie heterogen und symptomatisch für die verpönte Aufklärung. Es handelt sich, mit anderen Worten, um radikal säkularisierte Glaubensworte, welche nicht mehr auf ein Jenseits anthropologischer Bedingtheiten schielen, sondern die Triade im Menschen verankert: »Es ist nicht draußen, da sucht es der Tor, / Es ist in dir, du bringst es ewig hervor.« Eine Kernaussage sowohl in Worte des Wahns als auch in Worte des Glaubens ist die, dass die Glaubensworte nicht in der realen Außenwelt zu finden und endgültig zu verwirklichen sind, sondern »in dir« sind – bei Tegn¦r wohnt das Ewige in der »Brust« oder dem »Herzen«. Das Gedicht Schillers ist vor allem eine Absage an romantische Träume einer goldenen Zeit, in welcher ein Idealzustand als Status quo erreicht würde. Das Rechte führt vielmehr »ewig Streit, / Nie wird der Feind ihm erliegen / Und erstickst du ihn nicht in den Lüften frei, / Stets wächst ihm die Kraft auf der Erde neu.« In der Übersetzung von Die Worte des Wahns, ohne Zweifel eine Art Vorstudie zu Det Eviga,1178 übersetzt Tegn¦r : »Det rätta, det goda är fött till strid« (dt. Das Rechte, das Gute ist zum Streit geboren). In Das Ewige variiert Tegn¦r diese Idee in der vierten Strophe: »Det rätta f”r armar, det sanna f”r röst« (dt. Das Recht bekommt Arme, die Wahrheit eine Stimme). Durch die Wiederholung der ersten Strophe in variierter Form in der fünften ist Tegn¦rs Gedicht noch emphatischer auf eine Botschaft hin strukturiert als Schillers: Strophe 1 Drei Worte nenn ich euch, inhaltsschwer, Sie gehen von Munde zu Munde, Doch stammen sie nicht von außen her, Das Herz nur gibt davon Kunde. Dem Menschen ist aller Wert geraubt, Wenn er nicht mehr an die drei Worte glaubt.

Strophe 5 Die drei Worte bewahret euch, inhaltsschwer, Sie pflanzet von Munde zu Munde, Und stammen sie gleich nicht von außen her, Euer Innres gibt davon Kunde, Dem Menschen ist nimmer sein Wert geraubt, Solang er noch an die drei Worte glaubt.

Letztlich geht es bei dieser variierten »Wiederholung« aber nicht mehr um eine Botschaft, sondern um eine Entwicklung von der bloßen »Nennung« der Glaubensworte zur »Bewahrung« und »Fortpflanzung«, d. h. eine »Verwandlung« im und durch das Gedicht. Tatsächlich scheint Tegn¦r nicht in dem von der Weimarer Ästhetik gezogenen Kreis der schönen Geselligkeit stehen bleiben zu wollen, vielmehr deutet sich in Versen wie »Och viljan, som stängdes i l”gande bröst, / tar mandom, lik Gud, och blir handling« (dt. Und der Wille, in glühender 1178 E. Tegn¦r, Samlade Skrifter, II, S. 479: »Om […] denna öfversättning af Schillers Die Worte des Wahns, hvilken torde vara att anse som en förstudie till Det Eviga«.

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Schiller und die schwedische Lyrik der Eisenjahre

Brust verschlossen, / wird Mensch wie Gott, und wird Handlung) eine die poetische Innerlichkeit übersteigende Handlung an, ein Aufruf zur Tat. Horace Engdahl interpretiert deshalb wie folgt: Aber das Unvergängliche in der Gefängniswelt existiert natürlich nicht individuell. Sein Element ist die »Menschlichkeit«, verstanden als eine Gemeinschaft von Ideenträgern, von welchen viele noch nicht geboren sind. Jedes Einzelne wird vermodern. Wirklich am Leben sein bedeutet aus dieser Perspektive, dem Wahren, Rechten und Schönen eine »Wohnung« zu geben. »Das Ewige« handelt von dem, was die Anrede des Textes möglich macht, seine spezielle Absender-Empfänger-Konstellation, seine mitbürgerliche Stimme. Diese Selbstreferenz ist entscheidend für den Aufbau des Gedichts. Sie ist als Lösewort ausgeformt für eine menschliche Bruderschaft, die stets am Verschwinden ist. […] Das Gedicht ist eine Aktion, die dazu beiträgt, sein eigenes Fundament zu schaffen. Das Mimetische ist weg, der Gegensatz Welt-Text lässt sich nicht aufrechterhalten.1179

Engdahl ist diese Argumentation Grundlage für die Feststellung, dass das Ewige weder in Tegn¦rs Autorschaft noch bei Schiller oder der Romantik seinesgleichen hat.1180 Es mag sein, dass das Gedicht, trotz seines radikalen Dualismus, nicht mit den darauffolgenden Gedichten Tegn¦rs wie z. B. Skidbladner (siehe nächstes Unterkapitel) verglichen werden kann, welchen eine andere Art von Dualismus (oben/unten) eignet, und demgemäß eine Sonderstellung einnimmt in Tegn¦rs Schaffen. Letztlich ist aber Engdahls prinzipielle Abgrenzung Tegn¦rs von Schiller nicht einleuchtend, und die oben zitierte Ausführung könnte Satz für Satz auch über Schillers Die Worte des Wahns stehen. Das Ewige leitet im Gegensatz zu Horace Engdahls Auffassung die »klassische« Phase des Lyrikschaffens Tegn¦rs ein, welche wie bei Schiller eine vertikale Ausrichtung hat: das Ästhetische ist vom Leben abgesondert.

1179 H. Engdahl, Den romantiska texten, 1986, S. 262 f. 1180 Ebd., S. 263. Horace Engdahl, welcher das Gedicht überzeugend aus der Böök’schen Verklammerung mit der »Kriegspoesie und Patriotischen Dichtung« heraushebt, sucht jedoch gleichzeitig, die in der traditionellen Literaturwissenschaft fixierte Annahme einer Abhängigkeit Tegn¦rs von Schiller zu unterlaufen.

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Die »Welt des Gedichts«

6.

Die »Welt des Gedichts«

Zentrale Motive der bedeutendsten Programmgedichte Schillers, Die Götter Griechenlands, Die Künstler sowie Das Ideal und das Leben sind in eine binäre Struktur eingebettet: Ideenwelt und Sinnenwelt, die Welt des Gedichts und die des Lebens, Griechenland und Gegenwart; eine vertikale Ausrichtung, d. h. ein Appell an die Erhebung vom Irdischen; ein autoreflexives bzw. autopoetisches Moment der Gedichte. In der schwedischen Literaturwissenschaft wurden einige Gedichte von Frans Michael Franz¦n (1772 – 1847) und ein Vielzahl von Gedichten Esaias Tegn¦rs als stark beeinflusst von dieser Struktur gesehen. Dabei wurde jedoch das wichtigste Motiv in zentralen Gedichten Franz¦ns, die Spiegelmetaphorik, welche übrigens auch in der Schiller-Forschung überraschend unbeachtet ist, außer Acht gelassen. Zwar hat Horace Engdahl auf die Bedeutung der Spiegelmetapher in Tegn¦rs Skildbladner hingewiesen, diese jedoch von Creutz und Oxenstierna abgeleitet, nicht von Schiller und Franz¦n, die diese Metaphorik exzessiv verwendet haben.1181 Skidbladner

Skidbladner

Det är s” kraftigt, men s” kallt i Norden! Längre ner till den bebodda jorden längtar du till snö och is, dit der drufvan och orangen blommar, dit der grönklädd Maj och mognad sommar hvila öfver paradis.

Kräftig ists, doch kalt im Norden! Weiter unten bei der bewohnten Erde sehnst du dich nach Schnee und Eis, dort, wo Reben und Orangen blühen, dort, wo der grüne Mai und der reife Sommer

O! hur skönt förflyga lifvets stunder, suckar du, ibland dess lunder, vid dess näktergalars s”ng! Drucke jag utaf dess silfverströmmar! blefve min inbillnings drömmar verkliga änd” en g”ng!

O! wie schön verfliegen die Stunden des Lebens, seufzt du, in diesen Hainen, bei dem Gesang der Nachtigallen! Könnt’ ich trinken aus den Silberwellen, könnten die Träume meiner Einbildung, sich verwirklichen einmal?«

Hvarför icke? Hvad är verkligheten? Hvad I kännen, hvad I veten, det är verkeligt, det lefven I. L”t blott konsten lyfta Er ur gruset! Vidsträckt är hon, s”som himlaljuset, och som hafvets v”g s” fri.

Warum nicht? Was ist die Wirklichkeit? Was ihr kennt, was ihr wisst Das ist wirklich, das ist [ist was] ihr lebt. Lasst die Kunst euch aus dem Staube heben! Sie ist herrlich wie das Sonnenlicht, und wie die Woge des Meeres so frei.

Se, Skidbladner vinkar dig vid stranden. Öfver hafen, öfver landen diktens gyllne skepp g”r fram. Evig medvind i dess segel susar.

Sieh, Skidbladner winkt dir am Strande. Über Meeren, über Landen fliegt der Dichtung goldnes Schiff dahin. Mitwind schwellt in seinen Segeln.

1181 Ebd., S. 245 ff.

Weilen über dem Paradies.

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Schiller und die schwedische Lyrik der Eisenjahre

Skönare dig jorden tjusar, högre himlen, fr”n dess stamm.

Schöner dich die Erde entzückt, höher der Himmel, von seinem Mast.

Oden timrade det sjelf med verlden. Egennyttan, avunden och flärden tas ej mot inom dess rena bord. Skalden med den gyllne lyran st”r vid styret. Gudayran jagar köl’n kring haf och jord.

Oden baute es selbst mit der Welt. Eigennutz, Neid und Luxus Wird nicht empfangen an seinem reinen Deck. Der Dichter mit der goldenen Leier steht am Steuer. Göttliche Begeisterung jagt den Kiel durch Meer und Erde.

Väl, s” stig med lust p” spegeldäcket! Som en morgondimma faller täcket ifr”n andeverlden; hon är din. Huru vänligt skog och klippa nickar! Huru vidt du fr”n din mastkorg blickar i de bl”a landen in!

Wohl, drum mit Lust hinauf zu seinem Spiegeldeck! Wie ein Morgennebel fällt die Decke von der Geisterwelt; sie ist dein. Wie freundlich Wald und Klippe nicken! Wie weit du von deinem Ausguck blickst in das blaue Land hinein!

Segla oförskräckt. Se, djupt i vester st”r bland gyllne moln en stad. Hvad fester firas der, hvad s”ng, hvad dans! Huru tornen bada sina tinnar i purpurglans!

Segle mutig. Sieh, tief im Westen steht in goldenen Wolken eine Stadt. Welche Feste

Lustigt är der som p” Idavallen. Der är ännu icke Balder fallen, Brages harpa klingar der ännu. Forntids minnen, framtids öden,

werden dort gefeiert, welcher Gesang, welcher Tanz! Wie die Türme ihre Zinnen baden in Purpurglanz!

lifvets g”ta, g”tan utaf döden, allt förklaradt sk”dar du.

Heiter ist es dort wie in Frejas Hallen, dort ist Balder noch nicht gefallen, Brages Harfe klingt dort noch. Erinnerungen der Vergangenheit, Schicksale der Zukunft, Rätsel des Lebens, Rätsel durch den Tod, alles siehest du erklärt.

Derför lengta icke mer fr”n Norden. Skönheten är vansklig upp” jorden, endast dikten hör hon evigt till. Hvar som heldst du m” af ödet ställas, finns Hesperien, finns Hellas för din syn, s” snart du vill.

Drum sehne dich nicht mehr weg vom Norden. Die Schönheit ist schwierig auf Erden, nur dem Gedicht gehört sie ewig an. Wohin dich auch das Schicksal stelle, es gibt Hesperien, es gibt Hellas für deinen Blick, so bald du willst.

Wie Oehlenschläger im Gedicht Digterskib (dt. Dichterschiff) identifiziert Tegn¦r den Dichter mit einem Schiff und verknüpft dieses Bild mit Skidbladner, ein in der nordischen Mythologie eher peripher behandeltes Element. Traditionell wurde Skidbladner als eine Realisierung der Schiller’schen Kunstanschauung angesehen, wie sie z. B. in Das Ideal und das Leben zum Ausdruck kommt. In beiden Gedichten spielt die Kunst die gleiche befreiende und versöhnende Rolle, in Tegn¦rs Gedicht durch die Sentenz »endast dikten hör hon evigt till« (dt. Nur dem Gedicht gehört sie ewig an) ausgesagt. In Skidbladner ist das metaphorische Feld »spegeldäck« (Spiegeldeck), »andeverlden« (Geisterwelt), »högre himlen« (höherer Himmel), »silfverströmmar«

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(Silberströme), »purpurglans« (Purpurglanz), »lyfta« (erheben), »himlaljuset« (Himmelslicht) als zentral für das Verständnis des Gedichts und seine Nähe zu Schillers ästhetischer Anschauung anzusehen. Horace Engdahl, welcher bei gleichzeitiger Abgrenzung von Schiller Tegn¦r der Romantik zuordnen möchte, schreibt: »Mit dem Lichterhabenen (ljussublima) führt Tegn¦r der Romantik etwas Einzigartiges zu.« Dabei ist gerade das »Lichterhabene« ein Spezifikum der Schiller’schen Lyrik, neben zwei anderen Metaphern- bzw. Motivfeldern, welche den beiden Dichtern gemeinsam sind und die ich im Folgenden hervorheben möchte. – Das Wortfeld um die Begriffe »Klarheit« und »Licht«: In der letzten Strophe von Die Künstler wird der Leser aufgefordert sich zu erheben, im »Spiegel« dämmert das kommende Jahrhundert herauf, »Strahlen«, »weißer Schimmer«, »Licht«, »Klarheit«. »Klarheit« reimt sich auf »Wahrheit« und »Licht« bedeutet »Aufklärung«, aber auch das Reine und Immaterielle, frei von irdischer Schwere, also das »Reich der Schatten«, der Ideale, der Dichtung. – Ein Wortfeld, das die Vertikalität, den Drang nach oben betont: Erhebung, Himmel, Geisterwelt. Die »Höhentiefenbilddynamik« bei Schiller ist auch charakteristisch bei Tegn¦r und zeugt in seiner Auszeichnung der Höhe vor der Tiefe, des Himmels vor dem Irdischen eben von einem grundsätzlichen Unterschied zur Romantik, welche in einer »Umwertung der Höhentiefenordnung« eine »positive Wendung zur Tiefe« einleitete.1182 – Außerordentlich facettenreich ist die Metapher des Spiegels, die im Platonismus ihren Ursprung hat und in der christlichen Tradition mit Bezug auf seine abbildende und reflektierende Funktion ein Symbol der Erkenntnis und der Schöpfung ist, insofern sie die göttliche Intelligenz widerspiegelt.1183 In der frühen Aufklärung ist die Metapher von Leibniz in die Philosophie aufgenommen worden, wo sie unter anderem auch für die Sprache, welche ein Spiegel des menschlichen Geistes ist, verwendet wurde.1184 In den Ästhetischen-Vorlesungen bezeichnet Tegn¦r das Schöne ausdrücklich als Spiegel für alle menschliche Vortrefflichkeit.1185 Horace Engdahl sieht einige Gedichte Tegn¦rs der 1810er Jahre, Konstnärn, Skidbladner, Skaldens Morgonpsalm, Prestvigningen, Sangen sowie Epilogen gleichermaßen als zentral und verblüffend homogen hinsichtlich der Gestaltung einer »Welt des Gedichts«, welche Anklänge an den Topos des locus amoenus aufweise. Bei Tegn¦r hätte sich jedoch dieser Topos eines »angenehmen Platzes« 1182 1183 1184 1185

M. Dyck, Die Gedichte Schillers, 1967, S. 9 f. V. Abus, Weltbild und Metapher, 2001, S. 160. Ebd., S. 161. Esaias Tegn¦rs Föreläsningar och estetiska skrifter, 1913, S. 228.

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zu einer »immateriellen« Landschaft entfaltet. »Die Welt des Gedichts ist klare Luft, Durchsichtigkeit, Silber, Sonnenuntergangswolken oder Morgengrauenfarben, Glanzeffekte, Harfenklänge, hervorbrechendes Licht, die Zeit, welche stehenbleibt.«1186 Die fehlende Verbindung zwischen dem traditionellen locus amoenus und der abstrakter gehaltenen Gestaltung der Welt des Gedichts bei Tegn¦r findet sich meiner Meinung nach in Frans Michael Franz¦ns (1772 – 1847) Gedichten Menniskans anlete (dt. Das menschliche Antlitz, 1793) und Det nya Eden (dt. Das neue Eden, 1795), welche Engdahl aus seiner Untersuchung ausgeklammert hat.1187 Die beiden von den späteren Romantikern bewunderten Gedichte brachen endgültig mit dem »Naturnachahmungsprinzip«,1188 obwohl zumindest Menniskans anlete die konkrete Beschreibung eines Platzes eignet, welcher jedoch durch die collagenhafte Benennung von Dingsymbolen eine quasi traumhaft-surreale Wirklichkeit erzeugt: »Zedernwald«, »Schwan«, »Traube«, »Schnee« u. a. sind die Elemente dieser magisch-surrealen Landschaft.1189 Die Frage nach dem Schiller-Einfluss auf diese frühen Franz¦n-Gedichte kann sich letztlich nur auf die Analyse der Gedichte selbst stützen: Versmaß, Strophenbau, Wortwahl, Motive und Thema sind mögliche Indikatoren der Einflussforschung.1190 Ich möchte stattdessen im Folgenden auf das 1186 H. Engdahl, Den romantiska texten, 1995, S. 244. 1187 Zu F. M. Franz¦ns Leben und Werk siehe G. Castr¦n, Frans Michael Franz¦n i Finland, 1902; S. Ek, Franz¦ns æbodiktning, 1916. 1188 M. Lamm, Upplysningstidens romantik, II, 1920, S. 364. 1189 Siehe hier und im Folgenden: Frans Michael Franz¦ns Samlade Skrifter, 1867. 1190 S. Ek, Franz¦ns æbodiktning, 1916, S. 103 ff. Biographische Hinweise darauf, dass er beim Verfassen der Gedichte Menniskans anlete und Det nya Eden, die vor Franz¦ns Deutschland-Aufenthalt entstanden, Schiller schon gekannt hat, gibt es nicht. Die Kenntnis von Schillers Gedichten muss aber letztlich vorausgesetzt werden, bedenkt man, dass sich Franz¦n als junger Student 1792 in Stockholm im Umkreis Höijers aufgehalten hatte, zu einem Zeitpunkt also, als die Rabulisten Schiller rezipierten. Neben den unter dem Einfluss der Zeit entstandenen klassizistischen Gedichten im alexandrinischen Versmaß schuf Franz¦n also einige innovative, mit großer Sprachkraft gestaltete und von den jungen Romantikern bewunderte »vorromantische« Gedichte, in denen sich der junge Dichter einer neuen Bildsprache und für Schweden neuer Versmaße wie des Trochäus bediente. Insbesondere im Deutschen war der Trochäus zu dieser Zeit außerordentlich populär, und auch Schiller hat von Beginn an häufig das trochäische Versmaß verwendet, dabei in so bedeutenden und einflussreichen Gedichten wie An die Freude (vierfüßig), Die Götter Griechenlands und Das Ideal und das Leben (beide fünffüßig). Von den Autoren, die über Franz¦n geschrieben haben, hat vor allem Sverker Ek den Versuch unternommen, eventuellen Schiller-Einflüssen nachzugehen. So hat er darauf hingewiesen, dass die sechszeilige Strophe in Menniskans anlete von Schillers in der Anthologie 1782 veröffentlichtem dithyrambischem Jugendgedicht Der Triumpf der Liebe beeinflusst worden sein könnte. Für den Einfluss des Gedichts sprechen außerdem das Versmaß sowie das gemeinsame Thema der Schöpfung. Franz¦ns Gedicht, das die Natur im Augenblick ihres Austritts aus dem Chaos schildert, den siebten Tag der biblischen Schöpfung, trägt deutlich christlichere Züge als Schillers Gedicht, das mehr zur griechischen Mythologie

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vielleicht wichtigste und symptomatischste Franz¦n-Wort hinweisen: »Spiegel« (spegel) wird zweimal in Menniskans anlete verwendet, einmal in Det nya Eden und zweimal in S”ng öfver grefve Gustaf Philip Creutz, also in Gedichten, denen ein Einflus Schillers zugeschrieben wurde.1191 Der Zusammenhang gewisser Motive Schiller’scher Provenienz und der Spiegelmetapher zeigt sich insbesondere in Det nya Eden, ein achtstrophiges Gedicht mit jeweils acht vierfüßigen Trochäen, eine inspirierte Schilderung der Flucht der Seele zu höheren und reineren Regionen, »jenseits der Grenzen der Natur« (bort om gränsen af naturen), zum »wahren Leben« (sanna livet), zur »Klarheit« (klarhet) und zur »höchsten Freude des Geistes« (högsta andefröjd).1192 Obwohl das Gedicht nach Franz¦ns eigenen Angaben von Matthissons »unvergleichlichem Meisterwerk Elysium« inspiriert wurde, ein von Schiller sehr geschätztes Gedicht (in welchem allerdings die Spiegelmetapher nicht vorkommt), das ebenfalls das Motiv des Aufschwungs darstellt,1193 ist der Einfluss Schillers von mehreren Literaturwissenschaftlern behauptet worden. Dies schuldet sich ohne Zweifel der idealistisch-vertikalen Ausrichtung des Gedichts, eine inhaltliche Struktur, welche durch die fünfmal wiederholte grammatische »wenn-dann«-Fügung unterstrichen wird, die einen typisch Schiller’schen Dualismus auszudrücken scheint. Wie vorsichtig man jedoch bei der Zuweisung von Einflüssen sein muss, zeigt Eks anscheinend nahe liegender Hinweis, dass Det nya Eden wichtige Impulse von Schillers Komposition in Das Ideal und das Leben erhalten habe. Ek weist vor allem auf strukturelle Gemeinsamkeiten hin, womit er vermutlich die wenn-dann-Fügung meint. Das am 9. 1. 1795 in StP publizierte Gedicht kann jedoch nicht von Schillers Ideal und Leben beeinflusst sein, da dieses später – im September 1795 in den Horen, zunächst unter dem Titel Das Reich der Schatten – publiziert wurde (NA, II, 2, A, 238). Was den Interpreten an Das Ideal und Leben denken lässt, ist nicht der literarisch verwendete Konditionalsatz, den Franz¦n vermutlich viel früher im Werk Klopstocks, den er bewunderte, und in Die Leiden des jungen Werthers kennengelernt hat, sondern die Gegenüberstellung von Ideal und Leben, die Motive des Aufschwungs, das Streben nach Klarheit und dem wahren Leben. Motive, die freilich tendiert. Das Thema des menschlichen Antlitzes lässt freilich Einflüsse von Herder und Swedenborg vermuten. Siehe auch M. Lamm, Upplysningstidens romantik, I, 1963, S. 135. 1191 R. Koskimies hat zwar in Schiller in Finnland (S. 201) auf die Wörter »Rose« (rosenhäcken) und »Silber« in ihren jeweiligen Komposita sowie die Metapher »goldner Flügel« (guldbevingad) hingewiesen, Wörter, die die rezeptive Abhängigkeit Franz¦ns gegenüber Schiller aufweisen sollen, obwohl sie lyrisches Allgemeingut der Zeit waren (Matthisson). 1192 StP 29. 04. 1795. Siehe Frans Michael Franz¦ns æbodiktning 1969. Zum Gedicht siehe S. Ek, Franz¦ns æbodiktning, 1916; H. Engdahl, Den romantiska texten, 1986, S. 145 f. 1193 R. Koskimies hält es für »offensichtlich«, dass Schiller »einen Anteil an der Entstehung von Franz¦ns Gedicht hat« (S. 200). Franz¦n folge in Rhythmus und Versmaß nicht nur Matthisson, sondern auch Schiller in An die Freude. Siehe M. Lamm, Upplysningstidens romantik, II, S. 373.

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Schiller und die schwedische Lyrik der Eisenjahre

auch in anderen Gedichten Schillers vorherrschen, so z. B. in der letzten Strophe von Die Künstler sowie in An die Freude. Das hieros-gamos-Motiv, welches in der Metapher der Verschmelzung von Himmel und Erde angesprochen ist, wurde vom jungen Schiller in kosmologischer Hinsicht erwogen, während der reife Schiller nur noch in anthropologischen Kategorien dachte: die Verschmelzung bzw. Harmonisierung der Sinnlichkeit und der Vernunft. Im Gedicht ist in der Tat zweimal von »Tugend«, zweimal von »Pflicht« und einmal von »Wille« die Rede. Während die »Tugend« als gängiges Schlagwort des aufklärerischen Diskurses figuriert,1194 ist die Rede von der »Pflicht« und dem »Willen« kaum ohne eine Einwirkung von Kant zu erklären. Und genau dieser Kant’schen Pflicht wird die Schönheit der morgendlichen Natur und die Harmonie der Sphärenmusik beigesellt, getreu der Schiller’schen Maxime, dass das »Ich muss« und das »Ich will« zu vereinen sind.1195 Die Metapher des »Spiegels«, so wie sie sich in der Lyrik Tegn¦rs darbietet, ist meiner Meinung nach sowohl metapherngeschichtlich als auch kulturgeschichtlich eng verbunden mit der des »Schleiers«.1196 Der Schleier drückt die Absenz absoluten Wissens im Zuge der Aufklärung und der Säkularisation aus. Der Spiegel dagegen steht als Medium der Mimesis für den schönen Schein, die Kunst, welche bei Schiller dem theologischen Wissen den Rang abläuft. Die benannte kulturgeschichtliche Entwicklung wird durch die Tatsache reflektiert, dass sich bei Tegn¦r die Schleiermetapher nur in den frühen Gedichten und die Spiegelmetapher in den mittleren und späten finden. Der Schleier als Textur, d. h. Text, ist jedoch auch als Dichtung aufzufassen: 1194 J. Mjöberg, Verskunst och ordkunst: litterära studier, 1961, S. 14. 1195 Der Gegensatz zwischen Politik und dem Reich des Schönen sowie der Pflicht und der »Traumwelt Arkadiens« wird im Gedicht von Creutz personifiziert, der schwedischer Botschafter in Paris war, und erscheint hier als die Vereinigung von Staatsmann und Menschenfreund und in Strophe 19 als Vereinigung der Politik mit den Grazien: »Politikens mörka min ej skrämde Gratierna fran sin älsklings sp”r« (dt. Die dunkle Miene der Politik vertrieb die Grazien nicht von seiner Fährte). Schiller konnte zwar von einer »Staatskunst« und einem »politischen Künstler« in Anlehnung an den »schönen Künstler« sprechen, letztlich war ihm jedoch die politische Welt das ewige Reich blind waltender Kräfte. (Ästhetische Briefe, Brief 4, Brief 8) Während jedoch in der Ästhetischen Erziehung die Grazien noch »Werkzeug« waren, über die »Veredlung des Charakters« eine »Verbesserung im Politischen« herbeizuführen, (Brief 9) muss in Schillers Dramen das Schöne angesichts der politischen Welt zugrundegehen: »Das ist das Los des Schönen auf der Erde!« (II, 520), sagt Thekla im Wallenstein. Schillers Wallenstein ist gleichzeitig zu Franz¦ns Gedicht entstanden und kann dieses nicht beeinflusst haben. Es sei an dieser Stelle nur stellvertretend für eine Gesamttendenz in Schillers Dramenwerk und Dichtung zitiert, welche Franz¦n zumindest teilweise gekannt haben muss. 1196 So wird das auch von G. Wolf, Schleier und Spiegel, 2002, aufgefasst, der die ikonographische Bedeutung der beiden »Leitmetaphern des europäischen Bilddiskurses« (S. X) untersucht.

Zusammenfassung

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Wie eng und verderbt ist nicht das Herz, das im Guten nichts anderes sieht als der bloß sklavische Gehorsam gegen den kategorischen Imperativ, in der Wahrheit die bloße Übereinstimmung zwischen Begriff und Gegenstand, die geometrische Richtigkeit. So nackt und entblößt mag der höchste Gegenstand nicht für unsere Würde sichtbar sein. Im Mantel des Schönen wollen wir es kleiden. Denn so werden wir es mehr lieben und umso eifriger nach dessen Höhen streben.1197

Der Schleier verweist auf den Spiegel, welcher seinerseits keineswegs nur auf die Kunst, sondern auch auf die Vernunft, die Aufklärung und die Wahrheit verweist. Die wechselseitige Verwobenheit der beiden Metaphern miteinander wird durch die gleichzeitige Verwendung in Tegn¦rs Gedicht Förvillelser wie auch in Schillers Resignation reflektiert.

7.

Zusammenfassung

Der Einfluss und die Rezeption der Schiller’schen Lyrik insbesondere auf die drei Dichter Frans Michael Franz¦n, Johan Olof Wallin und Esaias Tegn¦r ist tiefgreifend und würde jeweils eine gesonderte Untersuchung erfordern. In Dutzenden von Gedichten Franz¦ns und Wallins, im Gesamtwerk Tegn¦rs könnten unzählbare rezeptive Elemente festgestellt und aufgelistet werden. Eine solche quantitative Vollständigkeit wurde jedoch nicht angestrebt – vielmehr die Identifizierung der den drei Dichtern gemeinsamen Themen im Grenzverkehr von sozialen, gesellschaftlichen und kulturellen Veränderungen in Schweden. Themenkomplexe sollten, soweit sie mit der Schiller-Rezeption zusammenhängen, herausgefiltert werden und in den größeren Rahmen soziokultureller Veränderungen und Wechselwirkungen der Zeit gestellt werden. Die drei Dichter haben bei aller Verschiedenheit mehrere Gemeinsamkeiten: sie sind älter als die Neuromantiker, welche 1809 ans Licht der Öffentlichkeit traten; sie wurden in einer frühen Schaffensphase von Leopold und dem französischen Klassizismus beeinflusst; sie bemühten sich mehrmals und mit Erfolg um die Anerkennung der Schwedischen Akademie; sie wurden alle hauptsächlich von der deutschen Dichtung, insbesondere Schiller geprägt; ihre Lyrik ist eher exoterisch zu nennen, im Unterschied zur Esoterik der Romantiker. Alle drei Dichter haben Übersetzungen und Nachdichtungen Schiller’scher Gedichte angefertigt; ein offensichtlicher Einfluss Schillers macht sich bei allen drei bemerkbar. 1197 A. Nilsson, Esaias Tegn¦r. Filosofiska och estetiska skrifter, 1913, S. 227 f: » Huru tr”ngt och förderfvadt det hjerta, som i det goda ej ser annat än blott den slafviska lydnaden för ett catergoriskt imperatif, i det sanna blott öfverensstämmelsen mellan ett begrepp och ett förem”l, den geometriska riktigheiten. S” nakna och blottade m” icke de högsta förem”len för v”r vördnad synas. I det skönas mantel vilja vi kläda dem. Ty s” skola vi älska dem mera och med varmare ifver sträfva till deras höjder.«

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Schiller und die schwedische Lyrik der Eisenjahre

Esaias Tegn¦r setzt in seiner frühen Lyrik bei Leopolds Gedankenlyrik an, wobei sich auch Einflüsse Kellgrens und Schillers bemerkbar machen. In mehreren Wettbewerbsgedichten 1801 – 1805 variiert Tegn¦r das Nichtwissen angesichts des Todes und dessen, was danach kommt. In diesen Gedichten figuriert ein vielfach beschworener Weiser, Kant, den Tegn¦r in dieser Zeit gründlich studiert hat, der den Suchenden und Zweifelnden jedoch nicht von der Skepsis befreien, den »Schleier« – eine zentrale, häufig benutzte und vermutlich von Schiller übernommene Metapher –, der über die letzten Wahrheiten ruht, nicht zu heben vermag. Der Agnostizismus kulminiert in Förvillelser (dt. Illusionen), dem auch wegen seiner die Religionen relativierenden Aussagen die Publikation in StP verweigert wurde. Das dem Gedicht vorangestellte Motto, »Nur der Irrtum ist das Leben, und das Wissen ist der Tod«, Schillers Kassandra entnommen, kann auch als Motto über die in diesen Jahren verfassten rhetorischen Lehrgedichte TegnÀrs stehen. Der in den frühen Gedichten ausgedrückte Agnostizismus scheint jedoch unter dem idealistischen Einfluss Schillers und dessen triadischem Geschichtsmodell in Die Künstler überwunden, was sich in dem universalhistorischen Lehrgedicht Kulturen zeigt, in welchem sich der aufklärerische Optimismus eines Schiller’schen Universalhistorikers ausdrückt. Dies zeigt vor allem der Vergleich von Franz¦ns Gedicht S”ngen över Creutz (1798), welches die Welt der Griechen und der Gegenwart als Gegensatz beschreibt und den »Tod des Schönen« elegisch im Geiste der Götter Griechenlands betrauert mit Tegn¦rs Kulturen (1805). In diesem macht sich dagegen ein Fortschrittsoptimismus und ein typisch Schiller’scher Würde-des-Menschen-Pathos von Die Künstler bemerkbar, wobei die rückwärtsgewandte elegische Grundstimmung zugunsten einer triadischen Struktur aufgegeben wird, in welcher die Zukunft eine Erneuerung der verlorengegangenen Harmonie auf höherem Niveau verspricht. Kulturen ist das erste schwedische Gedicht, welches die Geschichte selbst zum Thema hat und eines der frühesten Zeugnisse in Schweden, das die Bezeichnung »Kultur« für eine spezifische über die Aufklärung hinausgehende Bezeichnung parallel zur »Bildung« verwendet. Wallins Uppfostraren gewann im Unterschied zu Tegn¦rs Kulturen den Preis der Akademie. Langatmig variiert Wallin Motive eines Frauenbildes, in welchem wie in Würde der Frauen, ein Gedicht, das von Wallin, Franz¦n und Tegn¦r übersetzt und in eigener Lyrik adaptiert wurde, eine deutliche und kontrastive Geschlechterrollenverteilung gezeichnet wird. Aber weder Franz¦n noch Wallin übersetzen bzw. adaptieren Schillers Verse in Würde der Frauen, welche die überlegene literarische Bildung der Frau ausdrücken. Dies lässt das häufig verpönte Gedicht Schillers in einem anderen Licht erscheinen: Schiller hat offensichtlich Dinge ausgesagt, die den Zeitgenossen in Schweden schon zu weit gingen. Die Interimsphase, in welcher auch die »gelehrte Frau« zumindest im

Zusammenfassung

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Deutschland der Gottsched-Zeit möglich war, scheint in Schweden zu diesem Zeitpunkt bereits zu Ende, falls sie jemals existiert hat. Vielmehr erscheint die natürliche Erzieherin als ungebildete Bildnerin, ganz in Analogie zu dem in der Pädagogik von Pestalozzi durchschlagenden Rousseauismus. Eine patriotisch-militärische Schiller-Applikation zeigt sich früh in Tegn¦rs Krigss”ng för lantvärnet, in welchem auf Wilhelm Tell angespielt wird. Es ist dies ein Strang in Tegn¦rs Schaffen, in welchem sich der Patriotismus mit einer Bewunderung von Größe und einem Freundschaftskult verbindet. Tegn¦rs Krigss”ng zehrt wie sein Langgedicht Svea von Schillers Gegenüberstellung von Idylle und Krieg, besonders ausgeprägt im Wilhelm Tell dargestellt, womit auch der Tyrannenmord legitimiert wird. Einige Jahre später wird, wiederum verbunden mit einer identifizierenden Lektüre des Wilhelm Tell und des Fiesco, von den zwei Offizieren Hazelius und Natt och Dag die Reorganisation der schwedischen Armee im Sinne einer die ganze Nation umspannenden Landwehr angestrebt. Hazelius Identifikation mit der erhabenen Natur Schwedens verbindet sich mit seinem Freiheitsenthusiasmus und seinen Verbrüderungsphantasien mit Natt och Dag. Dieser Vorgang wird durch die Lektüre von Schillers Wilhelm Tell potenziert, in welchem die Natur als Legitimationsbasis für die neuen naturrechtlichen Menschenrechtsvorstellungen dient, die im allgemeineren Kontext des Säkularisierungsprozesses stehen. Das vielleicht populärste Gedicht Schillers, Die Worte des Glaubens, wird vielfach übersetzt und produktiv rezipiert. In ihm und in Die Worte des Wahns drückt sich vor dem Horizont auch politischer und gesellschaftlicher Misstände der radikal-säkularisierte aber gleichwohl idealistische Glaube aus, dass es das Gute, das Schöne und das Wahre nur im Menschen gibt. Das Gedicht wurde von der Junta, von Franz¦n und Tegn¦r übersetzt und vom letzteren in Det Eviga adaptiert. Meine Analyse von Det Eviga grenzt sich sowohl von Fredrik Bööks Sichtweise, welcher das Gedicht in den Kontext der Kriegspoesie rückt, als auch von Horace Engdahls Sichtweise, der das Gedicht als unbeeinflusst von Schiller liest, ab. Zwar scheint mir die von Engdahl reklamierte Einzigartigkeit des Gedichts im Werk Tegn¦rs gegeben, gleichzeitig sind die zentralen Aussagen des Gedichts mit Schillers Worte des Wahns identisch. Horace Engdahl hat in seiner Tegn¦r-Interpretation auf die Spiegelmetapher z. B. in Skidbladner aufmerksam gemacht, und diese von einer Verwendung bei Oxenstierna und Creutz abgeleitet. Erneut lässt sich feststellen, dass Engdahl die Möglichkeit außer Acht lässt, dass sich hier Schillers Einfluss geltend macht. In Schillers bedeutendsten programmatischen Gedichten ist nämlich die durchgängige Verwendung der Spiegelmetapher zu beobachten. Der »Spiegel« als Metapher bildet bei Schiller ein Metaphernfeld zusammen mit den Begriffen »Klarheit«, »Licht«, »Glanz« etc. was auf die Reinheit des anderen wahren Lebens hinweist. Unbeachtet lässt Engdahl auch die frequente Verwendung der Spie-

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Schiller und die schwedische Lyrik der Eisenjahre

gelmetapher bei Franz¦n. Es wird weder auf die offensichtliche Bedeutung dieser Metapher für Franz¦n hingewiesen, noch auf diejenige für Schiller. Die Metapher des »Spiegels« ist sowohl metapherngeschichtlich als auch kulturgeschichtlich eng verbunden mit der des »Schleiers«. Während der Schleier die Absenz von absolutem Wissen im Zuge der Aufklärung und der Säkularisation ausdrückt, steht der Spiegel als Medium der Mimesis für den schönen Schein, die Kunst, welche bei Schiller dem theologischen Wissen den Rang abläuft. Eine derartige Interpretation wird durch den Sachverhalt gestützt, dass sich bei Tegn¦r die Schleiermetapher vor allem in den frühen Gedichten und die Spiegelmetapher in den mittleren und späten findet, was die benannte kulturgeschichtliche Entwicklung metapherngeschichtlich abbildet. Der Schleier als Textur, d. h. Dichtung, trägt jedoch den Keim und den Verweis auf den Spiegel bereits in sich, und tatsächlich finden sich in Tegn¦rs Gedicht Förvillelser, wie auch in Schillers Resignation, beide Metaphern; und auch der Spiegel verweist keineswegs nur auf die Kunst, sondern auch auf die Vernunft, die Aufklärung und die Wahrheit. Die beiden Metaphern verhalten sich also zueinander wie zwei Seiten einer Medaille.

Kapitel XIII: Schiller im Kontext der entstehenden Romantik

Eine Eigenartigkeit der schwedischen Romantik ist die Plötzlichkeit und Heftigkeit, mit welcher sie 1809 – 1810 in Form unterschiedlicher Zeitschriften und Programmerklärungen wie mit einem Paukenschlag ans Licht der Öffentlichkeit trat. Dieser Eindruck einer romantischen Bewegung, welche wie ein Meteor vom Himmel fiel, schuldet sich jedoch hauptsächlich den gelockerten Zensurbedingungen, ihrerseits eine Folge der Absetzung des Königs 1809. Zwar hatte Lorenzo Hammarsköld bereits im Vorfeld einige Artikel und eine umfassende Kritik über Schiller (1808) verfasst (siehe Kapitel XIV) und damit einen gewissen Ruf erlangt, aber dass sich da eine neue Generation anschickte zu formieren, war der Öffentlichkeit vermutlich kaum bewusst. Paul van Tieghem hat in Le Romantisme dans la LittÀrature EuropÀenne (1948), eine der umfassendsten komparatistischen Studien der europäischen Romantik, auf die Bedeutung der Gruppenbildung als gemeinsamen Zug der europäischen Romantik-Bewegung hingewiesen. A I¦na, Berlin ou Heidelberg, — Milan, — Barcelone, — Paris, — Wilna, — Upsal, — Copenhague et — Sorö autour de l’Acad¦mie danoise de cette ville, — Stuttgart, — Madrid, des ¦crivains, jeunes pour la plupart, se r¦unissent […] A aucune ¦poque, mÞme parmi les plus r¦centes, les groupes litt¦raires n’ont ¦t¦ plus nombreux, n’ont montr¦ autant de coh¦sion et d’activit¦, n’ont exerc¦ autant d’influence.1198

Es ist dies allerdings ein Kennzeichen der Romantik, das in Schweden und Deutschland in noch stärkerem Maße als in anderen Ländern seine Gültigkeit hat, weshalb sich diese zwei romantischen Schulen markant von der englischen Romantik unterscheiden. Tieghem stellt deshalb fest: »Point d’¦coles non plus; point de groupes qui se forment pour lutter au coude — coude, comme en Allemagne, en SuÀde et en France […]«1199 Und Georges Gusdorf fügt hinzu: »Il y a eu des poÀtes romantiques en Angleterre, mais l’¦cole anglaise a ¦t¦ invent¦e par 1198 P. v. Tieghem, Le Romantisme dans la Litt¦rature Europ¦enne, 1948, S. 127. 1199 Ebd., S. 135.

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Schiller im Kontext der entstehenden Romantik

des critiques post¦rieurs.«1200 In Deutschland und in Schweden kam es dagegen zu einer regelrechten Schulbildung, weshalb man in der schwedischen Literaturwissenschaft auch von einer Neuen Schule (Nya Skola) spricht. Ein weiteres Merkmal, das Tieghem als für die Romantik spezifisch hervorhebt, ist die als »Streit« zwischen den Alten und Neuen in die Literaturgeschichte eingegangene Auseinandersetzung zwischen den Akademisten und den jungen Romantikern. Dies gilt freilich nicht mehr für alle Nationen: »Leur lutte est particuli¦rement vive en France, en Italie, en Su¦de: c’est dans ces pays qu’on trouve deux »partis« aussi nettement distincts et mÞme oppos¦s que des partis politiques.«1201 Während es also in Deutschland und England, den beiden Ursprungsländern der Romantik, zu keiner Gruppenbildung in Opposition zur Romantik kam, brach im dritten germanischsprachigen Land mit einer größeren romantischen Bewegung ein fulminanter Streit aus, der früher begann als in den romanischen Ländern und auch am längsten dauerte, nämlich von 1810 bis 1820. Die Heftigkeit des Streits in Schweden wurde von Bernhard Elis Malmström mit der Lücke zwischen der französisch-klassizistischen und der romantischen Schule erklärt, welche in Deutschland durch Goethe und Schiller überbrückt wurde.1202 In Deutschland sei der Übergang durch die Weimarer Ästhetik, die letztendlich der Romantik den Weg ebnete, erleichtert worden. In Schweden dagegen ist der Bruch mit dem französischen Klassizismus schlagartig und ohne Gewöhnung des Publikums erfolgt, wodurch er als drastischer empfunden wurde, zumal es auch keine dem Sturm und Drang entsprechende Bewegung gab. Ein zweiter Grund für die Heftigkeit des Streits mag die einflussreiche Stellung der Schwedischen Akademie gewesen sein. Diese hatte zwar keineswegs die rigide-konservative Einstellung, welche ihr literaturgeschichtlich nachgesagt wird, vielmehr war sie der Vorromantik und neuen Tendenzen gegenüber durchaus aufgeschlossen, den exzessiveren Formen der Romantik stand sie jedoch fremd gegenüber. Ein dritter Grund schließlich könnte paradoxerweise gerade die Nähe der schwedischen Romantik zur deutschen Frühromantik sein und eine Dominanz der Philosophie Schellings und Schlegels, deren Spekula1200 G. Gusdorf, Le romantisme, I, 2011, S. 10. »Le romantisme en Angleterre se d¦veloppait en vase clos; chacun des ¦crivains poursuivait — peu prÀs isol¦ment son aventure propre.« (ebd. S. 112) Die schwedische Romantik ist in ihrem Umfang und in ihrer transzendentalen Ausrichtung nur mit der deutschen Frühromantik zu vergleichen und unterscheidet sich insofern von den anderen europäischen Romantiken, welche eine ungeniertere Haltung zum Realismus einnahmen. Ein umfassender Vergleich der deutschen und schwedischen Romantik fehlt bislang und auch in einer neueren Gesamtschau der europäischen Romantik von Gerhart Hoffmeister, Deutsche und europäische Romantik, 1990, wurde die schwedische Romantik nicht berücksichtigt. 1201 P. v. Tieghem, Le Romantisme dans la Litt¦rature Europ¦enne, 1948, S. 126. 1202 B. E. Malmström, Samlade skrifter, IV, 1868, S. 300.

Schiller im Kontext der entstehenden Romantik

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tionen im kulturellen Umfeld Schwedens nur schwer nachvollzogen werden konnten. Mit dem Ausdruck Nyromantiker (dt. Neuromantiker) oder Nya Skola werden in der schwedischen Literaturgeschichte die Kreise um Per Daniel Atterbom und Lorenzo Hammarsköld bezeichnet, welche sich ab 1809 in unterschiedlichen Zeitschriften herauskristallisierten: Atterbom und die sogenannten Phosphoristen in Phosphoros 1810 – 1813, Poetisk kalender 1812 – 1822, Kalender för damer (1818 – 1822) und Swensk literatur-tidning 1813 – 1825; Lorenzo Hammarsköld und die sogenannten Polyfemisten in Polyfem 1809 – 1812 und in Lyceum 1810 – 1811. Weder Geijer und Tegn¦r, die ab 1811 Gedichte in Iduna, der Zeitschrift des Götiska förbundet, veröffentlichten, noch Wallin sind den Neuromantikern zuzurechnen, wenngleich ihre Werke romantische Züge tragen, weshalb sie literaturgeschichtlich der Romantik zugeschrieben wurden. Wie in den vorhergehenden Kapiteln gezeigt wurde, fußten Tegn¦r und Geijer, wie Wallin und Franz¦n, die von der Akademie preisbelohnten Autoren, durchaus noch in der gustavianischen Epoche und der Aufklärung. Das ist auch der Grund, warum sie ein im Unterschied zu den Neuromantikern gänzlich ungebrochenes Verhältnis zu Schiller hatten, wie im Verlauf der Arbeit gezeigt werden konnte. In diesem und im folgenden Kapitel soll das Verhältnis der Neuromantiker zu Schiller in fünf Phasen bzw. Kontexten untersucht werden: – Zunächst in ihrer frühesten Phase der sich als literarische Gruppen formierenden und mit den Namen Vitterhetens Vänner und Aurora identifizierenden jungen Romantiker unter Berücksichtigung von bisher nicht publizierten und in der Sekundärliteratur nicht beachteten Manuskripten (siehe hier XIII:1 – 3). – In ihrer zweiten Phase verorten sich Hammarsköld und Atterbom in publizierten und als erste Programmschriften aufzufassenden Texten 1806 bzw. 1808 vor dem öffentlichen Erscheinen der Romantik 1809 (siehe hier XIII:4). – In ihrer dritten Phase, dem Streit zwischen der sogenannten Alten und der Neuen Schule, kommt es zu polemischen Positionierungen der jeweiligen Gruppierungen (siehe hier XIII:5). – In der vierten Phase konsolidierte sich die Neuromantik durch Publikationen und Übersetzungen in Zeitschriften und poetischen Kalendern (siehe hier XIII:6). – Das nächste Kapitel (XIV) schließlich widmet sich der romantischen Kritik und wie in dieser Kritik Schillers Werk behandelt wird, d. h. vor allem Lorenzo Hammarskölds früher Kritik über Schiller (1808) sowie in den Rezensionen in Swensk literatur-tidning zu den Übersetzungen von Schillers klassischen Tragödien in den 1810er Jahren.

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1.

Schiller im Kontext der entstehenden Romantik

Die Dichtervereinigung »Vitterhetens Vänner« (1803 – 1805)

Die Formierung der Generation, welche 1809 als Neue Schule hervortreten sollte, kann bis ins Jahr 1803 zurückverfolgt werden, in welchem die erste romantische Dichtervereinigung Vitterhetens Vänner (dt. Freunde der Literatur) mit Lorenzo Hammarsköld und Clas Livijn als Mittelpunkt gegründet wurde. Wenngleich diese vorbereitende Phase der Entstehung der Romantik von 1803 bis 1809 zu den relativ gut erforschten Epochen der schwedischen Literaturgeschichte gehört, galt das Hauptaugenmerk stets der romantischen Vereinigung Aurora, 1806 von Atterbom gegründet. Man hat deshalb kaum auf den Sachverhalt aufmerksam gemacht, dass die handgeschriebenen Protokolle und die Briefe der Vitterhetens Vänner und diejenigen des Aurora-Verbundes, obwohl nur zwei bis drei Jahre zwischen ihnen liegen, einen unterschiedlichen literarischen Geschmack widerspiegeln,1203 wie im Folgenden gezeigt werden soll, und diese Unterscheidung auch hinsichtlich der jeweiligen Schiller-Rezeption relevant ist. Als der frischgebackene Student Lorenzo Hammarsköld 1803 die Bekanntschaft von Clas Livijn machte und sie zusammen mit Leonhard Rääf und Wilhelm Gabriel Lagus die literarische Vereinigung Vitterhetens Vänner gründeten, deren erstes Treffen laut Protokoll am 9. Oktober 1803 stattgefunden hat, war Schiller noch Zeitgenosse. Die zweite Phase von Schillers Schaffen, die klassische, die mit dem Wallenstein anzusetzen ist, begann sich dem Nachbarland erst nach 1800 sukzessive mitzuteilen. Diese frühe Phase der schwedischen Romantik lässt sich vor allem anhand des teilweise publizierten Briefwechsels von Hammarsköld und Livijn, der Uppsala noch im Herbst 1803 verlassen musste, sowie anhand der nicht publizierten handgeschriebenen Protokolle der Vereinigung rekonstruieren.1204 Es ist die erste schwedische Generation, der man bei ihrer literarischen Geschmacksbildung zuschauen kann; ihr Briefwechsel handelt fast ausschließlich von der Literatur, über welche die Sozialisation der jungen Männer verläuft: man identifiziert sich mit ihren Figuren und betreibt die Lektüre als Rollenspiel. Der Unterschied zwischen den drei »Singulären« Esaias Tegn¦r (geb. 1783), Erik Gustav Geijer (geb. 1783) und Olof Wallin (geb. 1779) und den Vitterhetens Vänner Lorenzo Hammarsköld (geb. 1785), 1203 Siehe z. B. G. Frunck, Bidrag till kännedom om Nya skolans förberedelser och första utveckling, 1889, S. 48 ff, der zwar darauf hinweist, dass sich der Geschmack der »neuen Schule« nicht nur an der deutschen romantischen Literatur ausrichtete, sondern auch die Sturm-und-Drang-Literatur goutierte, beide Gruppierungen jedoch unterschiedslos behandelt. 1204 Die handgeschriebenen Protokolle finden sich in der Kungliga Biblioteket unter dem Titel Handlingar rörande Sällskapet »Witterhetens Vänner« (Signum V.o. 45). Die Briefe wurden teilweise von G. Frunck, Bidrag till kännedom om Nya skolans förberedelser och första utveckling, 1889, herausgegeben.

Die Dichtervereinigung »Vitterhetens Vänner« (1803 – 1805)

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Leonhard Rääf (geb. 1786) und Clas Livijn (geb. 1781) manifestiert sich im Briefwechsel derselben. Während im Briefwechsel der letzteren das Gespräch über die Literatur, die Identifikation mit derselben und insbesondere das Bekenntnis zu extremen Gefühlslagen und Empfindsamkeiten dominiert, ist die Weltanschauung der drei ersteren deutlich praktischer orientiert, in der Lebenswelt verankert, das Gespräch über die Literatur ungleich distanzierter und weniger gefühlslastig. Die Unterschiede scheinen auf einen »Generationswechsel« hinzuweisen, wenngleich nur zwei bis drei Jahre zwischen den beiden »Gruppierungen« liegen.1205 Auch dies ein Hinweis auf die ungeheure Beschleunigung der Entwicklung in dieser schwedischen »Sattelzeit«. Im Falle Tegn¦rs, Geijers und Wallins mag jedoch auch die Sozialisation im ländlichen Milieu und in einem wohlbestallten Elternhaus eine Rolle gespielt haben. Der aus weniger gesicherten und ärmlichen Verhältnissen stammende Hammarsköld vermerkt in seinen Jugendbriefen nicht ohne Bitterkeit die ökonomische Benachteiligung; und Livijn, von der wohlhabenden Mutter kurz und abhängig gehalten, wurde der Bürgerfeind der Romantiker, stets gegen soziale Ungerechtigkeit rasend. Die Satire und Karikatur des bürgerlichen Nutzendenkens und des Zynismus der Reichen ist ein Grundmotiv seiner Romane und Romanfragmente. Von den später rekatholisierten Aurora-Brüdern unterschied sich Livijn hinsichtlich seiner Haltung zur Religion, die er eine »osammanhängande sladdersaga« (dt. unzusammenhängende Klatschgeschichte) nannte, worin ihm Hammarsköld zu diesem Zeitpunkt noch zustimmte.1206 Vitterhetens Vänner scheint sich auf den ersten Blick nicht allzusehr von den elf Jahren zuvor gegründeten Vitterhets samfund der werdenden Junta (siehe VI) zu unterscheiden. Erneut wurde die Gründung der poetischen Gesellschaft misstrauisch beobachtet: man befürchtete revolutionäre Umtriebe.1207 Der literarische Geschmack hat sich freilich etwas weiter entwickelt, jedoch wenig über den der Junta des Jahres 1795 hinaus. Leonard Rääf spricht in seiner Antrittsrede begeistert von Werther und von La nouvelle Heloise, Kristian Stenhammar nennt am 20. März 1804 in einem Brief an einen Freund Ewald von Kleist, Uddo Wid¦n berührt in seiner Antrittsrede, die allerdings nicht mehr erhalten ist, Schiller, der als Kronzeuge der Natur und des Gefühls angerufen wird,1208 und Per Luth übersetzte Die Götter Griechenlands (Greklands Gudar. Efter Schiller) ins 1205 C. Livijn ist eigentlich aus diesem Vergleich herauszunehmen: Obwohl deutlich älter als die anderen Mitglieder der Vitterheten Vänner, ist er offensichtlich weniger belesen als Hammarsköld, der ja seine Zeit ganz auf die Lektüre verwenden konnte, während Livijn einem literaturfremden Gewerbe nachging: er war Soldat. 1206 Brief an Hammarsköld, 22. 11. 1804; zitiert nach SVH, III, 1881, S. 435. 1207 Hier und im Folgenden J. Mortensen, Clas Livijn. Ett nyromantiskt diktarefragment, 1913, S. 69 ff. 1208 R. Hjärne, Dagen före drabbningen, 1882, S. 45.

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Schiller im Kontext der entstehenden Romantik

Schwedische.1209 Man schätzt die englische Literatur, verehrt Rousseau und ist der französischen Literatur gegenüber nicht prinzipiell kritisch eingestellt, mit der Ausnahme Hammarskölds, dessen dezidiert antifranzösische Haltung jedoch bei den Mitgliedern der Vereinigung auf Kritik stieß. (ISLH, V, 32) Deutsche Autoren der Romantik sind noch nicht in das Blickfeld gerückt; das Bewusstsein des Beginns einer neuen literarischen Epoche ist nicht vorhanden; die Vereinigung hat weder ein gemeinsames Programm noch versteht sie sich zu diesem Zeitpunkt als eigentlich romantisch. Selbst die den kleinsten gemeinsamen Nenner suchende Romantik-Definition von Henry H. Remak, der das »self-consciousness as a movement or group« als entscheidendes Merkmal für die Romantik herausstellte, greift hier nicht.1210 Es findet sich bei den Vitterhetens Vänner weder eine Abgrenzung zur Schwedischen Akademie noch eine zu Leopold. Hammarsköld, der spätere Schiller-Kritiker, teilt Livijn am 6. 12. 1803 mit, er habe auch Schillers Lied An die Freude gelesen, »und ich begreife nicht, wie man sagen kann, dass Leopolds Übersetzung so sehr unter dem Original sich liegt. Wenn er bloß auch die zwei Verse (Strophen) übersetzt hätte, die in der schwedischen Version fehlen, so wäre es gänzlich gelungen.«1211 Die Wettbewerbstexte der Vitterhetens Vänner sind ein Reflex der herrschenden literarischen Ideale: es finden sich Gedichte im Stil von Franz¦n, Lidner und Kellgren u. a. Die meisten Mitglieder der Vitterhetens Vänner hatten weder in literarischer, politischer noch religiöser Hinsicht revolutionäre Anschauungen – diese Meinung überwiegt in den literaturwissenschaftlichen Werken. In den noch nicht gänzlich aufgearbeiteten Handschriften dieser »Avantgarde« der schwedischen Romantik äußern sich jedoch neuartige Tonlagen, was sich insbesondere in der Antrittsvorlesung von Wilhelm Gabriel Lagus bemerkbar macht, in welcher er sich der Frage widmet: »Wer ist der Dichter, in dessen Schriften sich die meisten und erstaunlichsten Zeichen eines Genies, einer flammenden Einbildungskraft, eines lebhaften Gefühls für alles Wahre und Edle findet?«1212 1209 Siehe hier und im Folgenden die Handschriften und Protokolle Handlingar rörande Sällskapet »Witterhetens Vänner« (Signum V.o. 45). 1210 Zitiert nach Louise Vinge, Morgonrodnadens stridsmän. Epokbildningen som motiv i svensk romantik 1807 – 1821. Vinge hat deshalb folgerichtig ihre Arbeit über die Selbstwahrnehmung der schwedischen Romantik als Beginn einer neuen literarischen Epoche im Untertitel 1807, das Gründungsjahr von Aurora, und nicht 1803, das Gründungsjahr von Vitterhetens Vänner, als Anfangsmarke gewählt. 1211 Zitiert nach R. Hjärne, Dagen före drabbningen, 1882, S. 55. 1212 Handlingar rörande Sällskapet »Witterhetens Vänner« (Signum V.o. 45): »Schiller är den man som helt och h”llet tilvunnit sig min beundran. Hos honom har jag träffat de starkasta drag af snille och sanning och ädelhet. Tankar af manlig höghet i expression af lycklig m”lning af naturen, i synnerhet af den stora, enkla, högtidliga naturen. Det var hans Sorgesjal: Die Räuber som redan i mina barndoms dagar bortjagade s” m”nga melan-

Die Dichtervereinigung »Vitterhetens Vänner« (1803 – 1805)

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Schiller ist der Mann, den ich ganz und gar bewundere. Bei ihm habe ich die stärksten Züge eines Genies gefunden, von Wahrheit und Adel des Gedankens, von männlicher Erhabenheit im Ausdruck, einer glücklichen Zeichnung der Natur, insbesondere der großen, einfachen, erhabenen Natur. Das war sein Trauerspiel: Die Räuber, welche schon in meinen Kindertagen so viele melancholische Gedanken verjagt haben; das war dieses Meisterstück, das meine Phantasie entflammen ließ, und mich dazu brachte, die materielle Welt zu vergessen und die Ideale zu träumen. […] Nach und nach gab Schiller auch die Tragödien Kabale und Liebe und Fiesko heraus, in welchen er Shakespeare imitiert und übertrifft. Die gleiche expressive Zeichnung menschlicher Charakteren und Leidenschaften, die gleiche Umkehrung von Zeit, Raum und Personen, die gleiche Rohheit und das gleiche Gräuel von Bildern und Ausdrücken, die gleiche überspannte Einbildung und das gleiche Gefühl, die gleiche treffende Zeichnung der düsteren, melancholischen, wilden und grausigen Szenen der Natur, wie Nacht, Asche und Blitz, Sturm und Berg, herrscht in Schillers wie in des englischen Dichters Arbeiten; Eigenschaften, welche ohne Zweifel von Bewunderern der kalten, regelgebundenen und gesättigten Tragödien verworfen werden, aber welche sicher jeden Leser, der Gefühl und Einbildungskraft besitzt, begeistert.

Schillers Dramen, er nennt Dom Carlos, Maria Stuart, Wallenstein und Die Jungfrau von Orleans seien allesamt nach einem »vortrefflichen und großen Plan«, »genau nach den Regeln der Kunst« und der »Kraft des Genies« gearbeitet, aber reichen »gleichwohl im Gefühl nicht an die älteren Stücke« heran. Bewunderung und Hochachtung verdiene Schiller freilich auch als Mensch, seine »Verachtung des Sinnlichen und Niedrigen, sein männlicher Stolz, sein flammender Enthusiasmus für die Tugend, – alles beweist, dass er in seinem Leben die hohen und originellen Ideale zu realisieren versucht, die in seinen Schriften vorkommen.« Drei Jahre nach der dem dramatischen Frühwerk gegenüber Bedenken tragenden Rezension Franz¦ns (siehe IX:4 – 5) hier zum ersten Mal der uneingeschränkte Ausdruck der Bewunderung für die frühen Dramen Schillers. Die koliska tankar ; det var detta mästarstycke, som uppeldade min fantasi, och bragte mig, at, glömmande Stoftverlden, drömma mig Idealen utav menniskor ; det var detta stycke, hvars minne skall folja mig i grafven. Schiller var en fattig perukmakare gosse, d” en välgörande fru, som märkte det snille, som l”gade hos Honom, upptog honom som sin fosterson, och lät honom studera. Snart fann hon, at Hennes godhet ej var slösad p” en ovärdig. Ännu som Student författade han sitt nedan nämnda sorgespel: Röfvarena. S”som bevis p” den rysliga skönhet, som finnes i denna tragedi, f”r jag nämna, at en hop ynglingar, efter representation af detta sk”despel, rymt ifr”n Akademien, och blifvit röfvare. Efter hand utgaf Schiller Tragedierna Cabale und Liebe och Fiesko, i hvilka Han imiterar och öfverträffar Shakespeare. Samma fria och expressiva tekning af menskliga karaktärer och lidelser, samma hastiga omkastning af tid, rum och personer, samma r”het och fasa i bilder och uttryck, samma öfverspända inbildning och känsla, samma träffande m”lning af Naturens dystra, melankoliska, vilda och rysliga Scener, s”som natt, ”ska och blixt, storm och berg, r”der i Schillers som i den Engelska författarens arbeten; egenskaper hvilka utan tvifvel af beundraren af Fransosernas kalla, regelbundna, och mätta Tragedier förkastas, men hvilka säkert hänrycka hvarje läsare som har känsla och inbildning.«

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Schiller im Kontext der entstehenden Romantik

verwendete Terminologie – »Genie«, »männliche Erhabenheit«, »große, einfache, erhabene Natur«, »expressive Zeichnung menschlicher Charakteren und Leidenschaften«, »melancholische, wilde und grausige Szenen«, die »Umkehrung von Zeit, Raum und Personen«, »Roheit und Gräuel der Bilder und Ausdrücke« –, in welcher eine Gebärde des Gewaltsamen zum Ausdruck kommt, weist die Jünglinge allerdings eher als Stürmer und Dränger oder Vorromantiker denn als Romantiker aus.1213 Während Franz¦n in seiner Rezension von Schillers Kabale und Liebe (1800) noch das »Grässliche« tadelt, wird nun das »Gräuel von Bildern« und die »grausigen Szenen der Natur« als Auszeichnung verstanden. Die »Prädominanz des Grausigen« in den jugendlichen Bekenntnissen kulminiert in einer »Verselbständigung des Grausigen«, sozusagen einer le cruel pour le cruel, welche auf eine »Inszenierung des Desorganisierten in der Welt« abzielt.1214 Das Wortmaterial der Textpassage weist Affinitäten zu einer vorromantischen graveyard poetry und dem gothic auf, wie sie auch von G. A. Bürger (1747 – 1794) in seinen Schauerballaden in Szene gesetzt wurde, wobei dort zusätzlich der »Tumult zum sprachlichen Anordnungsprinzip« avanciert, demgemäß der Stoff durch einen »hektisch-übersteigerten, grausig-deformierenden Bewegungsverlauf« dramatisiert wird. Der Hinweis auf Bürger ist hier keineswegs beliebig: Der Briefwechsel zwischen Hammarsköld und Livijn erlaubt Einblicke in den Balladenwettbewerb der Vitterhetens Vänner zu Beginn des Jahres 1804 und dokumentiert die Wertschätzung, welche dem deutschen Balladendichter entgegengebracht wird. In einem Brief von Livijn an Hammarsköld vom 2. 4. 1804 nimmt dieser Bürger vor seinen Kritikern (vermutlich vor allem Schiller) in Schutz: »Ich betrachte ihn als Deutschlands besten Balladendichter und gehe so weit, dass ich es wage zu sagen, dass jede seiner Balladen gleich gut ist wie Schillers Ritter Toggenburg, Taucher, Ring des Polykrates usw.«1215 Das Bekenntnis zu Bürger ist ein Bekenntnis zum Effekt der »dramatischen Bewegtheit«: ein »kühner Sprung«, »Aufrührendes für Kopf und Herz«, ein Appell an »primitiv ungebrochene Urkräfte« im »Mut zum Grausigen, Schaudererregenden«.1216 Dies sind die Ingredienzien der von Bürger als volkstümlich ausgegebenen Abknospung des Sturm und Drang, deren Tendenzen zum Trivialen von Schiller in seiner Bürger-Kritik früh erkannt und 1213 Bei der zitierten Textpassage fällt erneut die Unentschiedenheit hinsichtlich der Verwendung der Begriffe »Phantasie« und »Einbildungskraft« auf, welche beide gleichberechtigt nebeneinander stehen, was ebenfalls darauf hinweist, dass noch keine genuin romantische Position eingenommen wurde. Diese Schlussfolgerung ziehe ich anhand C. Bryllas Ausführungen in Die schwedische Rezeption zentraler Begriffe der deutschen Frühromantik, 2003, S. 94 – 127. 1214 Hier und im Folgenden S. A. Jørgensen, Aufklärung, Sturm und Drang, frühe Klassik: 1740 – 1789, 1990, S. 418. 1215 R. Hjärne, Dagen före drabbningen, 1882, S. 84. 1216 B. Markwardt, Aufklärung, Rokoko, Sturm und Drang, 1970, S. 433.

Hammarskölds und Livijns Briefwechsel (1803 – 1804)

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schonungslos aufgedeckt wurden. Aus solchen Analysen des Wortmaterials folgt mit Notwendigkeit, dass es sich hier noch nicht im eigentlichen Sinne um eine romantische Bewegung handelt. Dies, in Verbindung damit, dass diese Gruppierung keine bleibenden Kunstwerke hinterlassen hat, ist vermutlich auch der Grund, warum Darstellungen der schwedischen Romantik sich auf Aurora und die Phosphoristen konzentrieren. Die literarische Bedeutungslosigkeit sollte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die verwendete Terminologie in den Protokollen auf eine erdrutschartige Verschiebung auf der Landkarte literarischer Emotionen hinweist: Es handelt sich um den Übergang von einer Ästhetik des Schönen zu einer Ästhetik des Erhabenen, ja Hässlichen.

2.

Hammarskölds und Livijns Briefwechsel (1803 – 1804)

Tiefere Einblicke in die literarischen Vorlieben der Jünglinge als die VereinsProtokolle erlaubt der Briefwechsel zwischen Hammarsköld und Livijn, die sich in der Manier empfindsamer Jünglinge nach dem Sturm-und-Drang-Roman Frantz von Hill Osirski und Hill nannten.1217 Bereits in einem Brief datiert vom 29. 11. 1803 kommt der spätere Schiller-Kritiker Hammarsköld auf seine Schiller-Lektüre zu sprechen: »Die meisten von Schillers Theaterstücken, außer Wallenstein, Fiesko und Turandot, habe ich seit deiner Abreise gelesen. Sie sind sehr schön.«1218 Livijn vermeldet in einem nicht datierten Brief, dass er die Räuber, Fiesko und Macbeth gelesen habe: »Der letzte von diesen gefällt mir besonders. Macbeth war ein großer Mensch […].«1219 Am 6. 12. 1803 antwortet Hammarsköld: So, dir gefällt Macbeth so sehr. Darin sind wir unterschiedlicher Meinung. Ich verstehe nicht, wo du das Große in Macbeths Seele findest. Er war und wird nichts anderes als ein feiger Mörder, gleich untauglich lasterhaft wie tugendhaft zu sein. Nein, da gefällt mir seine Frau besser. Sie war zumindest standhaft in ihrem Verbrechen. Die meiner Meinung nach schönste von Schillers Tragödien ist Maria Stuart. Marias Charakter ist meisterlich gezeichnet. Dagegen kann ich nicht Gefallen finden an dem so berühmten 1217 Nach Aussagen der beiden Romantiker handelt es sich um Frantz v. Hill eller Det himliga förbundet. Roman och ingen Roman (1798), als Autor wird F. M. Klinger angegeben, eine Rezension der Übersetzung findet sich in Journal för svensk litteratur, 1799, S. 152. In der Sekundärliteratur wird dagegen auf J. H. Zschokkes Roman Die Männer der Finsterniss. Roman und kein Roman. Ein modernes Clair obscüre für Seher und Zeichendeuter, 1795, hingewiesen (siehe J. Mortensen, Clas Livijn, 1913, S. 69), welcher sich gegen das reaktionäre Wöllnersche Religionsedikt (1788) gewandt hatte. 1218 R. Hjärne, Dagen före drabbningen, 1882, S. 46. 1219 Ebd., S. 47. Dass der Macbeth in der Schiller’schen Übersetzung gelesen wird und auch als Schillers Werk angesehen wird, gehört zu den Merkwürdigkeiten der schwedischen Schiller-Rezeption.

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Schiller im Kontext der entstehenden Romantik

Wallenstein. Friedlands eigene Person interessiert nicht im Geringsten. Er kommt mir vor wie ein verrückter Narr, der nicht weiß, was er will. Die interessantesten Personen in dieser Dichtung sind die Herzogin, Max Piccolomini, Thekla und der schwedische Kapitän. Die anderen sind gleichsam wie die Bilder, die von einer laterna magica geschaffen werden; sie schimmern einen Augenblick, aber hinterlassen keinen Eindruck.1220

Die zweimalige Verwendung des Adjektivs »interessant« – ein Schlüsselbegriff der Ästhetik des Sturm und Drang und vermutlich nicht im alltäglichen Sinne gebraucht – hat Signalwirkung. So schrieb Jakob Michael Reinhold Lenz in Ueber die Veränderung des Theaters im Shakespear : »Das Interesse ist der große Hauptzweck des Dichters, dem alle übrigen untergeordnet sein müssen«, zu welchem Zwecke gewisse Charakteren »ausgemalt« werden müssten, da diese eine Notwendigkeit der Erhaltung des Interesses seien. Der große Wert einer dramatischen Ausarbeitung bestehe in der Erregung des Interesses, der »Ausmalung großer und wahrer Charaktere und Leidenschaften und Anlegung solcher Situationen, die bei aller ihrer Neuheit nie unwahrscheinlich noch gezwungen ausfallen.«1221 Bei und durch Kant erhielt der Begriff in den Verbindungen »sinnliches Interesse« und »interesseloses Wohlgefallen« einen eher negativen Beigeschmack,1222 und ganz in diesem Kant’schen Sinne äußerte Schiller während der Arbeit am Wallenstein: »das Sujet interessiert mich gar nicht, und ich habe nie eine solche Kälte für meinen Gegenstand mit einer solchen Wärme für die Arbeit in mir vereinigt.«1223 Schiller, der in Anlehnung an Kant abschätzig auch von »stoffartigem Interesse« sprach, hat jedoch eine ambivalente Haltung zum Begriff des »Interessanten«. Denn gleichzeitig, wie er Goethe sein Desinteresse am Sujet mitteilt, bekennt er im selben Brief, dass er sich – während er den Wallenstein und die anderen Figuren »mit der reinen Liebe des Künstlers« traktiere – für den jungen Piccolomini »durch meine eigene Zuneigung interessiert«.1224 Schiller äußerte also durchaus die gleichen Gefühle wie der junge Hammarsköld, war sich jedoch – im Unterschied zum schwedischen Romantiker – seines Abfalls von der rein künstlerischen Beurteilung bewusst:

1220 1221 1222 1223

Ebd., S. 54. J. M. R. Lenz, Gesammelte Schriften, IV, 1910, S. 255. I. Kant, Kritik der Urteilskraft, 1974, S. 40 ff. NA, XXIX, 15, Schiller an Goethe, 28. 11. 1796. Und Körner gegenüber äußert er : »Der Stoff und Gegenstand ist so sehr außer mir, daß ich ihm kaum eine Neigung abgewinnen kann; er läßt mich beynahe kalt und gleichgültig« (NA, XXIX, 1977, 18, Schiller an Körner, 28. 11. 1796). 1224 Ebd., Schiller an Goethe, 28. 11. 1796. Siehe auch NA, XX, 241, wo er, vom »Gebrauch des Gemeinen« handelnd, einen Portraitmaler groß malen sieht, wenn er das »Interessanteste« herauszufinden weiß.

Hammarskölds und Livijns Briefwechsel (1803 – 1804)

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[…] uns allen ist es schwer unsre Neigung und Abneigung bei Beurtheilung eines Kunstwerks aus dem Spiel zu laßen. Daß wir es aber sollten und daß es zum Vortheil der Kunst gereichen würde, wenn wir unser Subject mehr verläugnen könnten, wirst Du mir eingestehn. Da ich übrigens selbst, von alten Zeiten her, an solchen Stoffen hänge, die das Herz interessieren, so werde ich wenigstens suchen, das eine nicht ohne das andere zu leisten, obgleich es der wahren Tragödie vielleicht gemäßer wäre, wenn man die Gelegenheit vermiede, eine Stoffartige Wirkung zu thun.1225

Es ist die Leistung des »klassischen« Schillers, so hat er es selbst gesehen, sich vom stoffartigen Interesse des Gefühls seiner Jugend gelöst zu haben. Geholfen hat ihm dabei vermutlich die Erfahrung mit einem Publikum, das sich nicht darein finden konnte, »an einer reinen Handlung, ohne Interesse für einen Helden, ein freies Gefallen zu finden.« Genau dadurch werde der dramatische Schriftsteller in »der Wahl der Stoffe so sehr beengt; denn die reinsten Stoffe in Absicht auf die Kunst werden dadurch ausgeschlossen, und sehr selten läßt sich eine reine und schöne Form mit dem affectionirten Interesse des Stoffs vereinigen.«1226 Eine quasi programmatische Rücknahme der Sturm-und-DrangÄsthetik findet sich bei Friedrich Schlegel, dem die Kritik des Interessanten Kernbestandteil einer Kritik der Moderne ist, welcher er »das totale Uebergewicht des Charakteristischen, Individuellen und Interessanten« attestiert.1227 Eine Grundtendenz der Zeit ist demnach eine Gesetzlosigkeit und Anarchie, eine permanente Reizüberbietung, »ein Bestreben, mit immer neuen Stoffen und Formen Interesse zu wecken, bereits vorliegende Werke durch einen jeweils höheren Prozeß der Besonderheit zu übertreffen, – ein scheinbar unabschließbarer Prozeß einander jagender Neuerungen.«1228 Hammarskölds Betonung des Interesses bestätigt also noch einmal, wie sehr die ästhetischen Vorstellungen der jungen Männer noch Sturm-und-DrangPositionen verhaftet waren und wie weit Hammarsköld noch von seiner künftigen von Schlegel und Schelling herkommenden romantischen Position entfernt war. Auch Livijn bekundet ein eher stoffliches Interesse am Sujet, das ihn das »Thema« seiner geplanten Tragödie Torkel Knutsons wählen lässt, wie er in einem Brief vom 12. 10. 1804 mitteilt: Ich denke an ein Opus, welches, wenn ich es ausführe, mich sicher in die Nähe von Schiller oder noch sicherer zu Bager bringt. Es handelt sich um nichts Geringeres als eine schwedische Tragödie mit jambischem Versmaß. Du hast wohl in Geschichte 1225 Ebd., 172 f, Schiller an Körner, 13. 7. 1800. 1226 Ebd., 61, Schiller an Körner, 5. 10. 1801. 1227 F. Schlegel, Über das Studium der griechischen Poesie, in: Kritische Friedrich-SchlegelAusgabe, I, S. 241. »Nichts kann die Künstlichkeit der modernen ästhetischen Bildung besser erläutern und bestätigen, als das große Übergewicht des Individuellen, Charakteristischen und Philosophischen in der ganzen Masse der modernen Poesie.« 1228 E. Huge, Poesie und Reflexion in der Ästhetik des frühen Friedrich Schlegel, 1971, S. 15.

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Schiller im Kontext der entstehenden Romantik

Torkel Knutsons Leben studiert. Sein Tod würde ein im hohen Maße schönes tragisches Thema abgeben. Ich habe etwas am dritten Akt geschrieben oder das Gespräch seiner Tochter mit einer Äbtissin und einem Kardinal, nachdem sie vom Herzog Karl geschieden wurde. Ich bin jedoch nicht sicher und mache nichts Bestimmtes, bis ich nach Stockholm komme, da ich keinen Historiker bei mir habe und ich mich ganz auf mein Gedächtnis verlassen muss. Ich befinde mich in einem richtigen Dilemma, ob ich meinen Helden auf dem Theater sterben lassen oder die Szene beenden soll, wenn er, um hingerichtet zu werden, aus dem Gefängnis geführt werden soll. Er wurde enthauptet und es ist schwierig, das zu zeigen. Bevor ich weiter gehe, werde ich Goethes Egmont lesen, der fast das gleiche Schicksal hatte. Wie heißt der deutsche Verfasser, der über Schillers Wallenstein schrieb und welchen Lagus hatte?1229

Hammarsköld antwortet am 21. 10. 1804 und rät mit Hinweis auf Schillers Maria Stuart von einer Enthauptung auf der Bühne, coram publico, abzusehen. »Dass er [Torkel Knutson, A. d. Ü.] gut wird, dessen bin ich sicher, aber soweit ich diesen Mann kenne, verstehe ich nicht, wie sein Tod Anlass zu einer Tragödie in fünf Akten geben kann. Was nun wiederum Egmont angeht, verstehe ich nicht, wie er dir dienen kann.« Der deutsche Verfasser, welchen Lagus gelesen hatte, war Johann Wilhelm Süvern (1776 – 1829), dessen Untersuchung Über Schillers Wallenstein in Hinsicht auf griechische Tragödie (1800) bereits vier Jahre nach seiner Veröffentlichung in Deutschland in den Händen der jungen Schweden lag. Süvern war ein vorzüglicher Kenner der antiken Literatur und sein Vergleich des Wallenstein mit derselben fällt meistens zum Nachteil des letzteren aus. Während nämlich die griechische Tragödie »durch Mitleid und Furcht nur hindurchgeht« und den Menschen »mit heiliger Wehmuth über das Loos der Sterblichkeit« füllt, weckt sie doch gleichzeitig die Kraft auf, zu widerstehn und »versetzt ihn in die Stimmung, welche ein gedeihliches fröhliches Menschleben macht«. Der Wallenstein dagegen schlägt durch seinen Fall »nieder und verwundet tief; so wie er erliegt verschwinden diese Gefühle, in Kleinmuth mögen sie sich verwandeln, wenn von jener Niederlage nichts übrig bleibt, das sie höher stimmt« und der Zuschauer bleibt zurückgelassen beim Anblick einer allgemeinen Verwüstung« und dem Gefühl der »Erbitterung oder Ängstlichkeit«.1230 Es ist sehr wahrscheinlich, dass Hammarskölds später so kritische Haltung gegenüber Schiller bei der Lektüre dieses Buches mitgeprägt wurde. Ob Livijn das Buch erhalten oder gelesen hat, wissen wir nicht, immerhin sieht er sich, wie er in einem Brief an Hammarsköld, datiert vom 17. 7. 1805, schreibt, »gezwungen«, einen Teil seines »Lobes über Wallenstein zurückzunehmen, trotz meiner Vorliebe für Max, um es Posa zu schenken. Welcher vortreffliche Charakter! Des

1229 Zitiert nach R. Hjärne, Dagen före drabbningen, 1882, S. 134 f. 1230 J. W. Süvern, Über Schillers Wallenstein in Hinsicht auf griechische Tragödie, 1800, S. 157, S. 161.

Die Dichtervereinigung »Aurora« (1807 – 1810)

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Weisen milde Ernsthaftigkeit in Verbindung mit dem Feuer der Jugend. Aber er ist über mein Lob erhaben.«1231 Die keck-jugendliche Selbstverständlichkeit, mit welcher man sich hier über Schiller und Shakespeare als Muster der Tragödie austauscht, findet nicht ihr Echo in der konkreten Gestaltung des Torkel Knutson, Livijns einziger vollendeter Tragödie, welche allerdings nie publiziert wurde und auch nicht zur Aufführung kam.1232 Trotz seines im Företal geäußerten Bekenntnisses zu Schiller und Addisons Cato ist zunächst die Eigentümlichkeit zu notieren, dass Livijn offensichtlich nicht einmal versucht hat, ein Drama im Stil Shakespeares und Schillers zu schaffen.1233 Torkel Knutson wurde vielmehr dem Cato Addisons nachgebildet und ist ein typischer (abstrakter und auch unmenschlicher) Repräsentant der Tugendhelden des 18. Jahrhunderts, welcher sich eher vom römischen Stoizismus als von »lebendigen Menschendarstellung der Griechischen Tragödie« herleitet.1234 Die Haltung zur Schwedischen Akademie war von einer für die Zeit typischen Ambivalenz geprägt: einerseits gefiel man sich in einer vagen Opposition, andererseits wollte man mit akademischen Ehren gekrönt werden. Wenig Akademie-konform ist dagegen der Hass auf die Priesterschaft, welcher sich in dem historischen Drama ausdrückt – ganz im Geiste gewisser Tendenzen der Aufklärung und im Gegensatz zur künftigen Neuromantik.

3.

Die Dichtervereinigung »Aurora« (1807 – 1810)

Von den zwei romantischen Dichtervereinigungen Vitterhetens Vänner und Aurora wird die letztere in Darstellungen der Literaturgeschichte als die ungleich gewichtigere betrachtet, was einerseits damit zusammenhängt, dass die AuroraBrüder die inhaltlich wertvolleren, allerdings auch gezielt der Nachwelt zugedachten Sitzungsprotokolle hinterlassen haben, andererseits damit, dass sie das eigentliche Pendant zur deutschen Frühromantik darstellten, im Unterschied zu den Vitterhetens Vänner, welche, wie eine Analyse des Wortmaterials gezeigt hat, noch im Sturm und Drang fußten. Die beiden Vereinigungen trennten lediglich drei Jahre, der Unterschied in weltanschaulicher Hinsicht ist jedoch beträchtlich, und gerade im Rahmen der Schiller-Rezeption können die Vitterhetens Vänner als Zwischenglied des Sturm und Drang und der Romantik gelten. Der weltanschauliche Unterschied wird auch vom Durchschnittsalter der bedeutendsten Persönlichkeiten der jeweiligen Vereinsmitglieder widergespie1231 1232 1233 1234

Ebd., S. 163. J. M. Mortenson, Clas Livijns dramatiska författarskap, 1911, S. 96 ff. Ebd., S. 98. Ebd., S. 100.

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Schiller im Kontext der entstehenden Romantik

gelt: Hammarsköld geb. 1785, Livijn geb. 1781, Rääf geb. 1786 – die maßgeblichen Persönlichkeiten in Aurora Atterbom (geb. 1790) und Palmblad (geb. 1788) sind einige Jahre jünger. Hinsichtlich der Schiller-Rezeption trennt die beiden Vereinigungen außerdem der Tod Schillers. Im Herbst 1807 gründete Per Daniel Atterbom u. a. mit Samuel Hedborn (1783 – 1844) und Georg Ingelgren (1782 – 1813) die poetische Gesellschaft Musis Amicis, eine Latinisierung von Vitterhetens Vänner, welche 1805 aufgelöst wurde. Von den fünf Gründungsmitgliedern haben immerhin zwei einige Verse Schillers als Motto gewählt. Jacob Axel Stenhammar die Verse aus dem Gedicht Sehnsucht: »Dort erblick ich schöne Hügel, / Ewig jung und ewig grün! / Hätt’ ich Schwingen, hätt’ ich Flügel, / Nach den Hügeln zög ich hin.«1235 Und Gustaf Acharius die nicht ganz wörtlich zitierten Verse aus dem Gedicht Die Glocke: »Es soll ein ewiges zartes Band / Die Frauen, die Sänger umflechten. / sie wirken und weben, Hand in Hand, / Den Gürtel der Schönen und Rechten.«1236 Die Zielsetzung der Vereinigung ähnelte derjenigen der Vitterhetens Vänner und war zunächst anspruchslos: Nach dem Vorbild der Schwedischen Akademie organisierte man Zusammenkünfte, wobei man Antrittsvorlesungen hielt und in der Dichtkunst wetteiferte. Als Poet schlug lediglich Atterbom neuartige »romantische« Töne an; die Freunde Hedborn und Ingelgren teilten zwar seine romantische Weltanschauung, aber ihr dichterisches Schaffen blieb der gustavianischen Tradition verhaftet (SVH, IV, 32). Dass Schiller im Rahmen dieses vielfältigen Literaturangebots zwar noch eine bedeutende Rolle zukam, er letztendlich aber nur einer von vielen bewunderten Autoren war, dokumentiert Jacob Axel Stenhammars Antrittsvorlesung (Inträdestal, 21. 10. 1807) über die deutsche und schwedische Poesie (En flyktig öfversikt av Tyska och Svenska Poesin, dt. Eine flüchtige Übersicht über die deutsche und schwedische Poesie): Man hat bisher mit Bewunderung und Enthusiasmus einen Boileau, einen Racine, einen Corneille, einen Montesquieu u. a. gelesen, man hat nicht geglaubt, dass Deutschland Männer besitzen würde, die mit dem Gefühl Kunst, Geschmack und Genie vereinen, da man nicht im Stande war, das Licht, das der wärmende Sonnenstrahl verbreitet, zu ertragen, nur der Halbschimmer, den der matte Mond abwirft. Aber die Erfahrung hat gezeigt, dass es nicht der unsittliche Franzose ist, der den Lorbeer verdient […] M[eine] H[erren] verzeihen sie die Empfindlichkeit, wenn ich beim Gedanken an Frankreich schaudere; […] da wird das sterbende Kind von der trauernden Mutter gerissen, da wird die Tugend vergewaltigt […]. Wir haben zwei Genies hervorbrechen sehen mit dem Siege in ihrem Gefolge, welche 1235 NA, II, 1, 197. Schiller schreibt am 17. 3. 1802 an Körner über das Gedicht, es sei nicht viel dran an diesen »Kleinigkeiten«. Siehe den Kommentar in NA, II, 2 B, 145. 1236 Ebd., S. 227 – 239. Es handelt sich hierbei um die ersten vier Verse der letzten Strophe von Die vier Weltalter.

Die Dichtervereinigung »Aurora« (1807 – 1810)

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gesiegt haben mit dem Gefühl der Erhebung der Seele in eine höhere Welt, welche ins Herzen eingedrungen ist mit dieser unbegreiflichen Stärke, welche sich erhoben hat über das Allgemeine zum Durchdringenden, Gefühlvollen, Originellen, Göttlichen. – Das sind Schiller und Göthe. Der vorige war groß durch Stärke, die sich in seiner Poesie äußert, und durch die Kunst das Zärtlichste im Menschen zu berühren. Aber er ist von uns geflohen, gefolgt von dem weinenden Gesang der Verehrer, er ist geflohen, aber siegend. Ja, er ist tot, aber er lebt noch: in unserem Gefühl und sein fliehender Geist ruft »Folgt mir!« Aber es gibt einen Kosegarten, einen Schlegel, einen Tieck u. a. welche, wenn auch nicht vollständig ersetzen, so doch den Verlust mildern, den man bei Schillers Grab empfunden hat, und den man bald bei Göthe empfinden wird. Noch bleibt einer, der unsere Aufmerksamkeit und Bewunderung verdient; das ist Klopstock. Wer hat so sicher die Verbindung der Poesie mit der Religion aufgezeigt, wie er? –1237

Schiller, der bereits tot war, ist den jungen schwedischen Romantikern Vergangenheit – dies trennt die Aurora-Mitglieder von den etwas älteren Mitgliedern der Vitterhetens Vänner. Die der Weimarer Klassik so fremd anmutende Verbindung von Poesie und Religion, wie sie bei Stenhammar bereits anklingt, ist das Thema in der Rede Atterboms Religionens oskiljaktiga samband med Poesien (dt. Der untrennbare Zusammenhang der Religion mit der Poesie); später, in der gänzlich überarbeiteten Form im Archiv unter dem Titel N”gra fragmentariska betraktelser öfver religionen s”som den högsta poesi (dt. Einige fragmentarische Betrachtungen über die Religion als höchste Poesie), von Atterbom noch einmal in Schönschrift der Nachwelt überliefert. 1237 Handschriftliche Protokolle der Aurora-Vereinigung: »Man har ända hittils med beundran och entusiasm läsd en Boileau, en Racine, en Corneille, en Montesquieu, m. fl., man har inte en g”ng trott, Tyskland […] i sitt sköte män, som med känsla förenat konst, smak och snille, d” man ej varit i st”nd, att fördraga det ljus, som den värmande solstr”len utbreder, blott det halfskimmer, som den matta m”nan kastar ifr”n sig. Men erfarenheten har visat, att det ej är den sedekränkande fransosen, som röfvar lika lagrar i vitterheten, som p” […] M. H. förl”ter min känslighet, om jag vid tanken p” Frankrike ryser ; jag föredrar bedrifter och jag se deras grymheter. Der rycks det döende barnet fr”n den sörjande moderen, der v”ldföres dygden […]. Vi hafva sett tvenne snillen frambryta med segern i sina sp”r, hvilka hafva segrat med känslan med denna själens lyftning till högre, högre verld, hvilka hafva inträngt i hjertat med denna obegripliga styrka, hvilka höjt sig öfver det allmänna till det genomträngande, känslofulla, originela, Gudalika. – Det är Schiller och Göthe. Den förre var stor genom den styrka, som yttrar sig i hans poesi, och genom den konsten att vidröra det mest öma af menniskan. Men han har flytt ifr”n oss, ”tföljd af de gr”tande s”ngens tillbedjare, han har flytt, men segrade. Ja, han är död, men han lefver ännu: i v”r känsla och hans flyende ande ropar »följ mig!« Men det finns en Kosegarten, en Schlegel, en Tieck m.fl. hvilka, om ej fullkomligt ersätta, ”tminstone mildra förlusten, som man känt vid Schillers graf, och som man snart med smärta väntas känna vid Göthe. Ännu ”terst”r en, som fordrar v”r uppmärksamhet och beundran; det är Klopstock. Hvem har s” säkert visat poesiens samband med Religionen, om ej han? –»

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Schiller im Kontext der entstehenden Romantik

Aber der Weg zu diesem holden Gefilde, geht er durch die sandige Wüste, der man in jüngster Zeit den Namen Aufklärung gegeben hat? Nein! Für den faden Vernunftsprediger wächst dort keine Blume; er hat sich frei gemacht von dem was er Vorurteile nennt, – d. h.: er hat das Band zerrissen, das den edleren Teil seines Wesens unsichtbar an die heiligen Hieroglyphen der Natur befestigte […] die Plattheit der Zeit hat verunreinigt, hat seine Einbildungskraft untergraben […] Sie phantasieren im kalten Fieber der Gallomanie, um ihrem Reim eine moralische, eine bürgerliche Richtung zu geben: ohne auch nur einen Hauch von der Majestät des Ewigen zu sehen, welcher der Ursprung der Poesie ist. Das ist die dunkle, sublime Macht.1238

Dies ist einer der ersten Texte in Schweden, in welchem die Aufklärung mit Bausch und Bogen verworfen wurde. Mit der Verklammerung von »Bürgertum« und »Aufklärung«, welche avant la lettre auf soziologische Erklärmodelle hinweist, scheint der Romantiker darauf aufmerksam zu machen, dass die Aufklärung in einem kausalen Verhältnis zum entstehenden Bürgertum stand. Dies wäre jedoch ein Trugschluss, schließlich war das neue Bürgertum auch der Träger der romantischen Bewegung, sowohl in Deutschland als auch in Schweden.1239 Das Adjektiv »bürgerlich« differenziert hier also keineswegs soziale Phänomene, sondern muss vielmehr als Ausdruck einer Kultur gelten, welche mit einer bestimmten Moral verbunden war, die ihren deutlichsten Niederschlag in den bürgerlichen Trauerspielen oder den empfindsamen Romanen fand. Die semantische Verschiebung im Umkreis der Wortfamilie »bürgerlich« seit den Tagen der Rabulisten und Schillers ist außerordentlich: wurde dort (1792) der Begriff des »Bürgertums« mit einem Bekenntnis zur Rebellion ‚ la Marquis Posa, Karl Moor und Ferdinand verbunden, konnotiert er jetzt (1807) angewidert die Plattheit der Zeit. Gleichzeitig wird die Aufklärung gänzlich mit Frankreich verbunden und das literaturwissenschaftliche Prokrustesbett geschaffen, welches sich in seiner simplizistisch-dichotomen Funktionsweise als überraschend zäh erwiesen hat. Die Romantiker haben Deutschland mit der Romantik verknüpft, ganz im Unterschied z. B. zur Junta und zu Gustav Ros¦n, die Deutschland als Land der »richtigen« Aufklärung sahen. Die Textstelle weist auch auf den unüberbrückbaren Gegensatz zu Schiller hin: Aufgabe des Poeten sei es, die schwächeren

1238 Handschriftliches Protokoll der Aurora-Vereinigung: »Men vägen till denna hulda nejd, g”r den igenom den sandiga öknen, som man i senare tider gifvit namn af Upplysning? Nej! För den fadda Förnuftspredikanten växer der ingen blomma; han har gjort sig fri fr”n hvad han kallar fördomar, – det vill säga: han har sönder slitit de band, som dunkelt fästade den ädlare delen af hans varelse, vid naturens heliga hieroglyfer […] tidens platthet har orenat, har gräft hans Inbillningskraft […] De yra i Gallomanien kalla feber, för att gifva sina rim en moralisk, en borgerlig riktning: utan att sk”da en str”k af den Evigas majestät, som är den rena poesiens ursprung. Det är denna dunkla, sublima makt.« 1239 C. Schmitt, Romantik, in: Begriffsbestimmung der Romantik, 1968, S. 84.

Die Dichtervereinigung »Aurora« (1807 – 1810)

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Seelen »einzuweihen« in die »Mysterien der höheren Menschlichkeit«1240 – der Poet ist ein Prophet. Die Geschichte Jesu sei »höchste Poesie« und die Jungfrau Maria das Symbol der Poesie, die »Wiedervereinigung von Himmel und Erde«, eine Verschmelzungsphantasie, welche vom reifen Schiller vermutlich mit Abneigung zur Kenntnis genommen worden wäre. Ein typisch romantischer Ausdruck ist die Bezeichnung der »Hieroglyphe der Natur«: »Geheimnis ist für die Romantik der Zustand der Welt und alle äußere Erscheinung nur die Hieroglyphe eines verborgenen Sinns.«1241 Das programmatisch formulierte Ideal im »Dunkelschönen« ist nicht nur das Gegenteil von Schillers Streben nach dem »Spiegelklaren«, wie es z. B. in Das Ideal und das Leben und Die Künstler zum Ausdruck gebracht wurde, sondern auch das Gegenteil des Festhaltens der Aufklärung an der Nüchternheit und Klarheit des Kopfes, welches sogar Herder auszeichnet.1242 Die Beschwörung des Dunkeln als »sublime Macht« speist sich ebenfalls von der deutschen Romantik, wie folgende Sätze A. W. Schlegels von 1802 zeigen: Eben auf dem Dunkel, worein sich die Wurzel unsers Daseins verliert, auf dem unauflöslichen Geheimnis beruht der Zauber des Lebens, dies ist die Seele aller Poesie. Die Aufklärung nun, welche gar keine Ehrerbietung vor dem Dunkel hat, ist folglich die entschiedenste Gegnerin jener und tut ihr allen möglichen Abbruch.1243

Erst durch den Beitritt von Per Elgström (1781 – 1810) und von Wilhelm Fredrik Palmblad (1788 – 1856) erhielt Atterbom die notwendige Unterstützung für sein »echt-romantisches« Programm. Bereits im Mai 1808 wurde eine neue Stiftungsurkunde mit romantischen Statuten aufgesetzt, in welchem die »Griechen und Deutschen« als Vorbilder beschworen wurden, um »den verdorbenen Geschmack zu bekämpfen und zuletzt, zumindest mit einem Lichtstreifen am Himmel der schwedischen Literatur, die Bahn der Heraufkunft der Sonne zu verzeichnen.«1244 Mit dieser Programmerklärung setzte sich Aurora vom Zeitgeschmack ab, nicht, weil sie sich der deutschen Literatur zuwandte, sondern weil sie sich ausschließlich derselben zuwandte und die deutsche Literatur in den Stand einer erlösenden Kraft erhob. Gleichzeitig wurde die Vereinigung auf den Namen Aurora-förbund umgetauft, der wohl besser zu den hehren Idealen Wahrheit, Schönheit und ewige Verbrüderung passte, die sich die Jünglinge aufs Banner geschrieben hatten. Auch an dieser Stelle ist die offensichtliche AbC. W. Böttiger, Aurora–förbundet i Uppsala, 1874, S. 54; SVH, IV, 40 ff. R. Alewyn, Probleme und Gestalten, Anmerkung 4, S. 355. Siehe auch P. Bürger, Zur Kritik der idealistischen Ästhetik, 1990, S. 184. A. W. Schlegel, Allgemeine Übersicht des gegenwärtigen Zustandes der deutschen Literatur, 1974, S. 65. 1244 G. Frunck, Bidrag till kännedomen om Nya skolans förberedelser och första utveckling, 1899, S. 32. 1240 1241 1242 1243

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Schiller im Kontext der entstehenden Romantik

grenzung von der Aufklärung, aber auch von Schiller und Tegn¦r zu bemerken, wenn statt »Tugend« oder »das Gute« die »ewige Verbrüderung« als drittes Glied der Triade genannt wird. Tieck hatte die Schriften Böhmes wiederentdeckt, weshalb Novalis ihn im Gedicht An Tieck als »Verkünder der Morgenröte« bezeichnete. Das Symbol der Aurora war in gewisser Hinsicht eine Herausforderung der Autorität der Aufklärung, eine Relativierung ihrer Errungenschaften. Es war der größte Stolz der Aufklärung, durch das Licht der Vernunft die Dunkelheit menschlichen Vorurteils zurückgedrängt zu haben und auf diese Weise eine Art Morgenröte herbeizuführen. Die Romantik verhieß aber eine Aufhellung dieser angeblichen Aufhellung, d. h. eine »Aufklärung der Aufklärung, eine echte Aurora, in der neben der rein rationellen Vernunft auch das Unterbewusste, die Fantasie, generell die von Wackenroder geschätzten »dunklen Gefühle« zur Geltung gebracht werden sollten.«1245

4.

Frühe romantische »Programmerklärungen« (1806/1808)

Bereits vor dem öffentlichen Auftreten der Neuromantiker 1809 positionierten sich diese in zwei außerordentlich aufschlussreichen Texten: Bei Hammarskölds am 15. 2. 1806 in Linköpingsbladet publiziertem Artikel mit dem Titel Korta underrättelser om de förnämste tyska poeter (dt. Kurzer Bericht über die vornehmsten deutschen Poeten) handelt es sich aller Wahrscheinlichkeit nach um die erste Darstellung der deutschen Literatur in einer schwedischen Zeitschrift seit der Übersicht in Gjörwells Zeitschrift Nya lärda tidningar 1775. Atterboms Gedicht Till Sofi wurde 1808 verfasst und ist eines seiner frühesten Gedichte, welches gleichzeitig inhaltlichen Aufschluss über die Gewichtung des Einflusses deutscher Dichter gibt. Die Bedeutung des Gedichts lässt sich auch daran ermessen, dass es im Laufe zweier Jahrzehnte mehrmals bearbeitet und in unterschiedlichen Versionen publiziert wurde.1246

1245 R. Littlejohns, Aurora. Überlegungen zu einem Topos der literarischen und malerischen Romantik in Deutschland, 2006, S. 388. 1246 Es gibt vier Versionen des Gedichts: 1. Die 1808 an Hedborn gesandte mit dem Titel Elegi till Sofi; die Handschrift befindet sich in Uppsala Universitets Bibliotek, Auroraförbundets Arkiv U 158, abgedruckt in: C. W. Böttiger, Aurora-Förbundet, 1874, S. 165 ff. 2. Die ein Jahr später (1809) überarbeitete und handschriftlich ins Archiv eingetragene Till Sofi L— n. 3. Die 1810 in Phosphoros unter dem Titel Till Sofi erschienene (S. 98). 4. Die in die Zeitschrift Svea unter dem Titel Till en ung skaldinna (1832) eingeführte.

Frühe romantische »Programmerklärungen« (1806/1808)

1.

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Kurzer Bericht über die vornehmsten deutschen Poeten (1806)

In Über die vornehmsten deutschen Poeten werden Lessing, Wieland, Goethe, Schiller und Tieck in dieser Reihenfolge behandelt. Sowohl die Zusammenstellung der behandelten Autoren (Tieck), als auch der Schwerpunkt (Goethe) kündigen eine – seit den Tagen der Litteratur-tidning und Journal för svensk litteratur – Verschiebung des ästhetischen und literarischen Geschmacks an. Lessing sei »eher Kritiker und Philosoph als Poet. Nie verfasste er ein literarisches Werk um des Schönen willen, sondern immer gemäß einer ganz und gar heterogenen Idee. Die meisten, ja, man kann sagen alle seine poetischen Werke sind Kinder der kalten Vernunft.« Lessing trifft hier also das gleiche romantische Anathema wie später Schiller : er beurteile und schaffe Kunst nicht nach den Kriterien des Schönen, sondern nach einer »heterogenen Idee«, d. h. nach Kriterien des Guten, mithin der Aufklärung. Analog zu August Wilhelm Schlegel, der Lessing als »kalten Kritiker« bezeichnete, »dem es an Sinn und und Empfänglichkeit für die Poesie fehle und der alles mit seinem scharfen Verstande ausmachen wolle, wird ihm hier von Hammarsköld die »kalte Vernunft« vorgeworfen.1247 Auch bei Wieland suche man vergeblich das wahrhaft Schöne, aber sein Stil sei leicht und anmutig und besitze mehrere Verdienste, die zu vergessen stets ungerecht sei. Am meisten schätzte Hammarsköld Goethe, der nicht nur in Deutschland, sondern überhaupt seinesgleichen suche. Ihm eigne »artistisches Genie« wie keinem anderen deutschen Dichter : seine Poesie sei von Kunstsinn, Ordnung und Natur gekennzeichnet. Nie sei es das »Thema«, sondern die »Kunst« des Autors, die gefalle, obgleich seine Arbeiten stets unvollendet seien. Seine zunehmende Kenntnis und die Reife der Kunst hätten Goethe jedoch das »weniger Richtige« der vorherigen »Manier«, d. h. des Sturm und Drang, erkennen lassen. Die Betonung der »Kunst« vor dem »Inhalt« und die Abwertung der »Manier« zeugt von Hammarskölds Schlegel-Rezeption und dessen Kritik der Moderne und des mit dieser einhergehenden »Interessanten«, welches er im Briefwechsel mit Livijn noch goutiert hatte. Er hebt Goethes Kunst hervor, Leidenschaften darzustellen (Werther, Stella, Torquato Tasso) sowie die Charakter-Darstellungen, insbesondere von Frauen. Die bedeutendsten daraus resultierenden Werke seien Herman und Dorothea, Wilhelm Meister und die Römischen Elegien. Über Schiller dagegen schreibt er :

1247 U. Schenk-Lenzen, Das ungleiche Verhältnis von Kunst und Kritik, 1991, S. 23, Anmerkung 37, sieht Schlegels häufige Kritik an Lessing im Zusammenhang mit dem negativen Bild, das er von der Aufklärung entwirft.

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Schiller im Kontext der entstehenden Romantik

Keiner von Deutschlands Poeten ist bei uns so bekannt wie Schiller, jedoch eher als Historiker denn als Poet. Sein unauslöschlicher Hass machte Schiller, nach dem Urteil eines großen Kritikers, zum Tragiker. Aber das machte ihn auch zu etwas ganz anderem als zu einem wahrhaften Poeten. Ein dunkler und düsterer Charakter ist nicht die rechte Stimmung für einen Liebling der Chariten. Und diese poetische Melancholie, dieser philosophische Menschenhass, der sich in allen Arbeiten Schillers findet und insbesondere in seinen ›Gedichten‹ (welche meiner Meinung nach das Beste in seinem poetischen Werk ist) kann nie zusammengehen mit dem wahrhaft Schönen. Seine Poeme verdienen deshalb eher den Namen versifizierter Philosophismen und seine prosaischen Abhandlungen sind bei weitem besser als seine poetischen Werke. Der tiefe philosophische Blick, mit welchem Schiller alle Gebiete durchschaut, macht seine ›Kleine prosaische Schriften‹ besonders wichtig für diejenigen, welche gründlich die Theorien der schönen Künste studieren wollen.1248

Der genannte Kritiker war Friedrich Schlegel, welcher in Schillers Gedichten Die Götter Griechenlands und Die Künstler eine gewisse Annäherung zum Chor der Antike ausmachte, obgleich der Dichter »sonst durch seinen ursprünglichen Haß aller Schranken vom classischen Alterthum am weitesten entfernt zu seyn scheint.«1249 Im Unterschied zu Hammarsköld ließ es Schlegel aber nicht bei dieser kritischen Aussage bewenden: Ihm gab die Natur die Stärke der Empfindung, die Hoheit der Gesinnung, die Pracht der Phantasie, die Würde der Sprache, die Gewalt des Rhythmus, – die Brust und Stimme, welche der Dichter haben soll, der eine sittliche Masse in sein Gemüth fassen, den Zustand eines Volks darstellen und die Menschheit aussprechen will.1250

Der vierte der »vornehmen« Poeten ist Tieck, welchem er einen hohen Stellenwert innerhalb der deutschen Literatur einräumt: er vereine eine »schwärmerische Einbildungskraft, beißende Sarkasmen, leckere Gemälde und eine frappante Originalität«. Wer jedoch mit der griechischen Dichtung vertraut sei, wende sich bald von Tieck ab und einem nüchterneren, ordentlicheren Dichter zu – Hammarsköld denkt hier ohne Zweifel an Goethe. Das von Hammarsköld erstellte Literaturtableau weist Schiller nicht mehr die Hauptrolle zu, welche er in den 1790er Jahren noch besessen hat: Schiller war einer von mehreren bedeutenden deutschen Autoren, die Hauptrolle hatte jetzt ein anderer inne.1251 1248 Korta underrättelser om de förnämsta tyska poeter, in: Linköpingsbladet, 15. 2. 1806. 1249 F. Schlegel, Über das Studium der griechischen Poesie, in: Sämtliche Werke, V, 1823, S. 217. 1250 Siehe F. Schlegel, Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe, I, 1979, S. 217 – 368: »[…] Schiller, eines Künstlers, der durch seinen ursprünglichen Haß aller Schranken vom klassischen Altertum am weitesten entfernt zu sein scheint« (S. 366). Die Annahme einer Abhängigkeit Atterboms von Schlegel in seinem Schiller-Bild sieht Santesson durch Atterboms AstRezension in Phosphoros 1810 bestätigt, in welcher Schiller mit Pindar verglichen wird. 1251 Die Marginalisierung Schillers vollzog sich auch durch die Vielleserei, welche sich im Briefwechsel der Aurora-Brüder abzuzeichnen begann, und welche seinen Status relativierte. Ein Signum der Vielleserei ist das Nebeneinander von Unterhaltungsliteratur und

Frühe romantische »Programmerklärungen« (1806/1808)

2.

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An Sofie (Till Sofi, 1808)

Das Gedicht Till Sofi wurde aus zwei Gründen als für die Neuromantik programmatisch angesehen: einerseits aufgrund der Symbolik der Morgenröte, andererseits aufgrund des »individualistischen Ideals der Frauenbildung«.1252 Konkreter Anlass des Gedichts war die vierzehnjährige Sofi Levin, von welcher Hedborn in einem Brief berichtete und die er für Aurora zu gewinnen hoffte. Die in romantischer Manier dann stark Idealisierte, welche als Mädchen, Dichterin, Muse und Göttin figuriert, ist letztendlich eine Imagination. Betrachten wir folgende Strophe: Neues Jerusalem, sieh! öffnet sein sterniges Tor. / Trink aus dem Mutterkelch der Natur eine berauschte Wohllust, / Schaue im Docht der Lilie den Stern des Kreuzes, welches jetzt, / Getränkt von Schlegel und Tieck, im purpurnen Osten aufgeht, / Und mit Novalis verstehe das sublima Symbol des Grabes! / Dann verkünde auch du die Ankunft des ewigen Morgens: / Reise zu unserem Tempel, Sofi, auch deine Marmorkolonne!1253

In diesen Versen finden sich bereits »drei der wichtigsten Symbole der künftigen Dichtung Atterboms: die Natur als die Mutter der Kunst, das wahrzunehmende Morgenrot der Poesie und der neue Tempel der Kunst, den die Jünglinge mit vereinten Kräften errichten wollen […]« (NISLH, III, 66). An die Welt der »Religion« knüpft sich die Vorstellung einer von der Werner’schen Mystik inspirierten Morgenroterwartung (Aurora), welche in dem esoterischen Gedicht mit der Poesie in eins gesetzt wird. Dies ist der neuralgische Punkt, an dem sich im Übergang vom 18. zum 19. Jahrhundert zwei Tendenzen manifestieren: Il y a ceux, philosophes (Schelling) ou poÀtes (Hölderlin), qui lui assignent une vocation m¦taphysique ou th¦ologique: l’art donne accÀs — l’Absolu, — la V¦rit¦, — L’§tre, — Dieu. On peut parler d’un sacralisation de l’art. Mais il y a ceux, aussi, qui lui attribuent des t–ches temporelles, p¦dagogiques, sociales ou politiques. Il s’agit, en ce cas, d’une s¦cularisation de l’art.1254 ernsthafter Literatur, der Durchschnittsleser, so Engelsing, konnte sich »für die eine wie für die andere begeistern« (R. Engelsing, Der Bürger als Leser, 1974, S. 249). Der Übergang vom intensiven zum extensiven Lesen (von Belletristik) ist mit dieser Generation endgültig vollzogen. 1252 C. Santesson, Atterboms ungdomsdiktining, 1920, S. 43. 1253 Zitiert nach C. W. Böttiger, Aurora-Förbundet, 1874, S. 167. »Nya Jerusalem, se! öppnar sin stjerniga port. / Drick ur naturens moderpokal berusande vällust, / Sk”da i liljans kalk korsets stjerna, som nu, / B”dad af Schlegel och Tieck, uppgar ur den puprade östern, / Och med Novalis första grafvens sublima symbol! / Sedan förkunna ock du den eviga morgonens ant”g: / Res till v”rt tempel, Sofi, äfven din marmorkolonn!« 1254 M. Jiminez, Qu’est-ce que l’esth¦tique?, 1997, S. 167. Jiminez verbindet allerdings die «Säkularisierung» mit der Autonomie des Kunstwerks und die «Sakralisierung» mit der Heteronomie des Kunstwerks. Im Zuge der Säkularisation habe sich die Kunst losgelöst von der Gängelung durch Metaphysik, Theologie, Religion und Moral. Schiller, welcher das Schöne in Analogie zum Guten begreift, verortet er deshalb im Grenzbereich zwischen

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Schiller im Kontext der entstehenden Romantik

Die Tendenz zur Sakralisierung der Kunst kündigte sich in Schweden bereits in den frühen Protokollen der Aurora-Vereinigung um 1806 an, die Säkularisierung der Kunst entspricht der von den Romantikern verpönten Aufklärung. Größer könnte die weltanschauliche Trennlinie nicht sein, und sie spiegelt sich in den Infektiven, mit welchen die jungen Romantiker die Repräsentanten der Aufklärung bedachten: »fett wie Rosenstein, oder mager wie Sjöberg«, heißt es da wenig poetisch über die schwedischen Aufklärer und Akademisten. Neben der weltanschaulichen Dissonanz handelt es sich aber auch um die von der deutschen Romantik her wohlbekannte Verunglimpfung des Philisters, welchem Umschreibungen eignen wie »der gemeine Mensch«, »der platte Mensch« sowie »der bürgerliche Mensch«, allesamt Vertreter der verpönten Normalität und des Alltagslebens.1255 Diesen werden die Repräsentanten der Romantik, Schlegel, Tieck, Novalis, Werner und Jean Paul gegenübergestellt, und Goethe, dem eine ganze Strophe gewidmet ist, wird als der »Herrliche« apostrophiert, welcher »antik und naiv im Olymp des Gesangs thront. / Missverstanden war er wohl immer (Schicksal der Propheten!) / Lass die Blinden nicht deinen leuchtenden Blick sehen! / Goethe hat die Gestalt der Poesie gesehen: auf den Lippen des Gealterten / Drückt sie noch oft froh ihren Ambrosiakuss.«1256 Es überrascht keineswegs, in dem gänzlich un-Schiller’schen Kontext den Namen Schillers nicht zu finden, der wenig zum Programm gepasst hätte. Gleichwohl kommentiert NISLH, III, 66 f wie folgt: Schon jetzt zählt in der Aurora-Vereinigung Atterbom Goethe und Schiller zur neuen Romantik; im Gedicht werden nicht nur die genannten deutschen Romantiker sondern auch »der herrliche Goethe« genannt, während Schiller in anderen Zusammenhängen angerufen wird. Mehrere wichtige Schiller’sche Gedankengänge trifft man auch in den Rezensionen der Jungen.

Hier wie andernorts macht sich die Wirkung einer »mythischen Konvergenz Goethe-Schiller« bemerkbar, wie der literaturgeschichtliche Mechanismus genannt wurde.1257 Die Dioskuren Goethe und Schiller sind stets nur im Paarlauf denkbar, die Präsenz des einen zieht die Präsenz des anderen nach sich. In Wirklichkeit dokumentiert das für die Neuromantik programmatische Gedicht Till Sofi durch die Aussparung Schillers ja gerade die Entfremdung, welche sich Säkularisation und Sakralisation. Dieser Sichtweise folge ich nicht, da mir die Dissoziation von Heteronomie der Kunst und Aufklärung bzw. Säkularisation nicht einleuchtet. 1255 L. Pikulik, Romantik als Ungenügen an der Normalität, 1979, S. 140 f. 1256 Siehe C. Santesson, Atterboms ungdomsdiktning, 1920, S. 53. »Fördomsfri, beundra med mig den härliga Goethe, / Som antik och naiv tronar i s”ngens olymp! / Missförst”dd väl alltid han var (profeternas öde!) / L”t de blinda dock ej skymma din ljusande blick! / Goethe har sett poesiens gestalt: p” den ”ldrades läppar / Trycker hon ofta ännu gladt sin ambrosiakyss.« 1257 J. Link, Die mythische Konvergenz Goethe-Schiller als diskurskonstitutives Prinzip deutscher Literaturgeschichtsschreibung im 19. Jahrhundert, 1983.

Die Querelle der Alten und der Neuen (1809 – 1820)

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zwischen Schiller und den schwedischen Neuromantikern eingestellt hatte – während fünf deutsche Romantiker genannt und Goethe mehrere Verse gewidmet wurden. Die Aussparung Schillers in der handschriftlichen Version des Gedichts von 1808 wird noch einmal dadurch unterstrichen, dass Atterbom in der Druckversion von 1810 eine Strophe einfügt, welche Schiller als Klassizisten porträtiert: »Weihe in deinem Schoß dem vergötterten Schiller einen Opferaltar; / Ach! Mit Idalias [ein Name der Aphrodite] Gewand bekleidete er ewig Pallas, / Und seine redliche Stimme beantwortet als Orakel noch / Die Zweifel des Wanderers, und klar leuchtet uns sein Genius.«1258 Das Einfügen Schillers ist vermutlich nicht nur als pflichtschuldige Geste gegenüber einem der bedeutendsten Dichter der deutschen Sprache zu verstehen. Das Gedicht war in der überarbeiteten Version weltanschaulich nicht mehr von dem mystisch-religiösen Ton geprägt, sondern von der Forderung nach ethischer und subjektiver Selbstbestimmung.1259 Atterbom schwebt offenbar einerseits die Synthese von Goethe und Fichte vor, welche Friedrich Schlegel in Athenäum gefordert hatte, d. h. die Vereinigung eines ausgeprägten Idealismus und Subjektivismus mit einer Verehrung der Schönheit und der Harmonie, andererseits die dialektische Entfaltung dichterischer Typen in der Reihe: Schiller als Klassizist, Tieck als Romantiker, Goethe als Synthese. Schließlich scheint sich Atterboms Haltung Schiller gegenüber aber auch verändert zu haben: in der auf Wallmarks Journal gemünzten Satire Rimmarbandet (dt. Reimbande) tritt die Göttin der Poesie auf, deren Gewand von »Homeros, Dante, Comoens, Shakespeare und Schiller« getragen wird.

5.

Die Querelle der Alten und der Neuen (1809 – 1820)

Die Jahre 1810 – 1820 sind als Streit der alten mit der neuen Schule in die schwedische Literaturgeschichte eingegangen. Sollte Schiller wirklich die Bedeutung für die Nyromantiker haben, wie oft geltend gemacht wurde, so müsste sich dies gerade in der Positionierung der jungen Generation gegenüber der bereits etablierten zeigen. Bevor sich die Lager in unterschiedlichen Zeitschriften bilden und profilieren konnten, publizierten sowohl die späteren Mitglieder der Neuen als auch diejenigen der Alten Schule ihre Gedichte in der Lokalzeitung Linköpingsbladet,1260 in welche Esaias Tegn¦r, Olof Wallin, Lorenzo 1258 »Vig i den barm ett offeraltar ”t förgudade Schiller ; / Ack! Med Idalias skrud evigt han Pallas beklädt, / Och hans redliga röst ännu, som orakel, besvarar / Vandrarns tvifvel, och klar lyser hans Genius oss« (Verse 125 – 128). Zitiert nach C. Santesson, Atterboms ungdomsdiktning, 1920, S. 103. 1259 Phosphoros, 1810, S. 93 – 99. 1260 Siehe hier und im Folgenden SVH, IV, 1881; C. W. Böttiger, Aurora-förbundet i Uppsala,

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Schiller im Kontext der entstehenden Romantik

Hammarsköld und Per Daniel Atterbom im Jahr 1806 ihre ersten Gedichte und Texte einführten.1261 Als am 17. Juli 1809 die erste Ausgabe der Zeitschrift Journal för literaturen och theatern erschien, die bis 1813 von Per Adam Wallmark (1777 – 1858) in Stockholm herausgegeben wurde, war es der Zeitschrift keineswegs von vorneherein zugedacht, gegen die Neue Schule, welche sich noch gar nicht bemerkbar gemacht hatte, zu polemisieren. Wallmark war außerdem zu diesem Zeitpunkt noch mit Hammarsköld befreundet und hatte diesem sowie Höijer angetragen, mit Artikeln zu der neuen Zeitschrift beizutragen (SVH, IV, 59). Hammarsköld, welcher insbesondere für die Rubrik »Theater« verantwortlich gemacht werden sollte, hat diese Anfrage um seine Mitarbeit nicht ausgeschlagen, ein Konflikt zwischen Alter und Neuer Schule war m.a.W. noch nicht vorprogrammiert und das Journal för literaturen och theatern nicht polemisch ausgerichtet. Allerdings kam es schon nach dem ersten Artikel Hammarskölds zum Bruch mit Wallmark, dem die Theaterrezension zu kritisch war. Dem Journal för literaturen och theatern war in etwa das gleiche Profil zugedacht wie StP: es sollte Rezensionen zu Literatur und Theater, Gedichte, Anekdoten, Neuigkeiten aus der gelehrten Welt und anderes mehr enthalten. Misstrauisch wurde die Gründung dieser Zeitschrift von der gerade im Entstehen begriffenen Uppsala-Romantik um Atterbom beobachtet, welche bereits das Selbstbewusstsein des Neuen in sich trug und auf Distinktion drang. Wallmark war, so sah es zumindest die Neue Schule, mit der Alten Schule, vor allem mit Leopold, aber auch mit Oxenstierna, Rosenstein, Adlerbeth u. a. liiert und selbst als Dichter des gustavianischen Geschmacks aufgetreten. Im Kreis und Umfeld Wallmarks figurieren mehrere Personen, welche entscheidend zur Schiller-Rezeption in Schweden beigetragen haben: Granberg, der Die Kindesmörderin übersetzt hatte; Wallin (siehe Kapitel XII), der mit einigen Gedichten zur Zeitschrift beitrug und den Streit zwischen der Alten und der Neuen Schule durch eine Satire auf Hammarskölds Prospekt zur Zeitschrift Lyceum verantwortete, 1874; G. Frunck, Bidrag till kännedomen om Nya skolans förberedelser och första utveckling, 1889; R. Hjärne, Dagen före drabbningen eller Nya skolan och dess män i sin uppkomst och sina förberedelser 1802 – 1810, 1882. 1261 Über den merkwürdigen Fall Linköpingsbladet im Jahr 1805 wurde in Kapitel VIII:6 gehandelt. Bereits im Herbst 1805 wurde Hammarsköld auf Linköpingsbladet aufmerksam, das sich, aufgrund eines Verbots politischer Nachrichten Literaturpublikationen öffnete. Am 16. 2. 1806 teilte Hammarsköld Livijn mit, dass er »vor einiger Zeit« ein paar »Stücke« an die Zeitung geschickt habe. Bereits einen Tag zuvor, am 15. 2. 1806 war der mit »o. d.« signierte Artikel mit dem Titel Korta underrättelser om de förnämste tyska poeter (dt. Kurzer Bericht über die vornehmsten deutschen Poeten) eingerückt worden, und am 19.3. N”got om Skaldekonstens ändam”l och wärde (dt. Etwas über Ziel und Wert der Dichtkunst), vermutlich ebenfalls von Hammarsköld. Auch Atterbom debütierte in Linköpingsbladet mit einer Anzahl von Gedichten, das erste wurde am 12. 3. 1806 publiziert. Am 20. 12. 1806 veröffentlichte Tegn¦r sein Gedicht Nelson och Pitt in Linköpingsbladet und auch von Wallin wurden Beiträge eingesandt.

Die Querelle der Alten und der Neuen (1809 – 1820)

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sowie C. B. Rutström, ein Freund Leopolds, späteres Mitglied der Schwedischen Akademie und – Übersetzer von Schillers Die Räuber.1262 Nachdem die Zeitschrift Polyfem von Hammarsköld gegründet worden war, ging nach anfänglichem Geplänkel und satirisch-polemischen Scharmützeln Wallmarks Journal för literaturen och theatern am 19. 2. 1810 zum Angriff über, indem man Fichtes Reden an die deutsche Nation und die jungen Schweden, welche sich durch gewisse Genielehren zu einer solchen Selbstbewunderung erhoben hätten, dass sie sich über Voltaire und Pope nur noch mit Verachtung äußern könnten, parodierte. In der Antwort am 24. Februar erklärte Polyfem ironisch, es sei jetzt ausgemachte Sache, »dass alle deutsche Poesie und Philosophie das Schlechteste sei, was geschaffen werden könne«. Es ist der Beginn dessen, was man in der schwedischen Literaturgeschichte den Streit um die deutsche Literatur genannt hat.1263 Eine raffinierte Polemik des Journals gegen die Polyfemisten findet sich am 1. und am 2. März 1810 im Artikel Tysklands nyare Litteratur, bedömd av Tyskar (dt. Deutschlands neuere Literatur, von Deutschen beurteilt). Das größte Unglück, das der deutschen Literatur in unserem Land geschehen konnte, ist sicher das Lob, das ihr zuteil wurde in einem Blatt, das Wieland geschmäht hat, und die Mühe, die man darauf verwendet hat, der Öffentlichkeit vorzugaukeln, dass der niedrige und grobe Angriff großer Autoren anderer Länder, ein Pope, Racine, Voltaire, Rousseau, u. a. ein echter Zug der deutschen Literatur sei. Ein ehrenwerter Mann würde, auch mit dem größten und ungerechtesten Vorurteil gegen diese Literatur, sich verleitet fühlen, als deren Verteidiger aufzutreten: und um so mehr derjenige, der von seinen frühesten Jahren an dieselbe geliebt hat […] aber auch, aus dem gleichen Grund, nicht blind ist für ihre Mängel, nicht mitansehen kann, dass, was die aufgeklärteren Deutschen selber verwerfen, uns als deren non plus ultra an Genie und Scharfsinnigkeit aufgezwungen wird. Nein, ein Land, das Gutenberg und Luther hervorgebracht hat, Keppler und Kopernikus, Leibnitz und Kant, Lambert und Euler, Stahl und Scheele, Boerhaave und Haller, Herschel und Guericke, Herder und Johan Müller, Klopstock und Wieland, Göthe und Schiller, ein solches Land, so verdient um die Bildung Europas, so gerecht und unparteiisch gegen alle anderen Nationen, braucht keine parteiischen Lobhudler. Seine Literatur hat zu viel echten Wert um nicht aufrichtig seine Mängel zugeben zu können. Es begehrt keine Verteidigung seiner Mängel, da es diese selbst zugibt. Es hat deshalb, wie Kant an einer Stelle sagt, mehr von seinen so genannten Freunden zu fürchten als von seinen Feinden […] Es muss jeden verdienten deutschen Literaten verdrießen, ebenso wie jeden aufgeklärten Freund von Deutschlands Bildung, dass jeder kleine Skribent in einem anderem Land seine schlechte Sache zu derjenigen der ganzen deutschen Literatur macht, dass man dort nicht das Exzentrische in der deutschen Philosophie lächerlich machen kann, ohne dass diese 1262 O. Holmberg, Leopold och det nya riket, 1965, S. 87. 1263 Siehe A. Fryxell, Bidrag till Sveriges litteratur-historia, 1860; G. Frunck, Bidrag till kännedomen om Nya skolans förberedelser och första utveckling, 1889, S. 8 ff.

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Schiller im Kontext der entstehenden Romantik

Herren Philosophen, die ansonsten die Scharfsinnigkeit zu besitzen glauben, auch das Unbegreifliche zu begreifen, durch die Verneinung aller gesunden Logik, […] sofort rufen: Angriff auf die deutsche Literatur! Weiter, dass man nicht deren platte Hexameter lächerlich machen kann, ohne dass der gleiche Chorus zu hören ist, als ob Klopstocks, Goethes, Schillers und Voss’ göttlicher Blankvers etwas mit diesen gemein hätte als deren Unreim! Aber sie haben ihre Gründe für diese Handlungsweise. Sie sehen in aller Heimlichkeit durchaus ein, dass ihre eigene Literatur selbst allzu unbedeutend ist und suchen diese deshalb zu einem Repräsentanten für eine andere zu machen […].1264

Es folgen Zitate aus unterschiedlichen deutschen Zeitschriften wie Jenaer Allgemeine Literatur-Zeitung (1809), Göttingische gelehrte Anzeigen (1805), Zeitung für die elegante Welt (1810) sowie Europa (1803), die belegen, dass man auch in Deutschland kritisch gegenüber gewissen Tendenzen in der romantischen Literatur und Philosophie war. Der intelligente Beitrag, der Verfasser ist Wallmark oder sogar Leopold, legt eine Distinktion zwischen dieser und jener deutschen Literatur nahe und verwahrt sich elegant gegen den Vorwurf der Polyfemisten, man habe zum Angriff auf die deutsche Literatur geblasen. Polyfem bedauerte am 14. und 17. März, dass sich im Journal för literaturen och theatern ein Schiller und ein Goethe in der Gesellschaft eines Nicolai findet.1265 Journal för literaturen och theatern antwortete seinerseits in der Nr. 61 mit einem Auszug aus Göttingische Gelehrte Anzeigen (1810) über A. W. Schlegels Vorlesung Über Dramatische Kunst und Litteratur und in der Nr. 66 mit einem Auszug aus der Jenaer Allgemeine Literatur-Zeitung (1809), welche Polyfem am 31. März beantwortet. Journal för literaturen och theatern publiziert in Nr. 115 – 117 drei Briefe aus der Zeitung für die elegante Welt – Utdrag af en Lärd resandes Bref rörande Franska och Tyska Litteraturen (dt. Auszug aus den Briefen eines gelehrten Reisenden hinsichtlich der französischen und deutschen Literatur) – in welchen die Verdienste und Schwächen der jeweiligen Nationalliteratur hervorgehoben werden. In Nr. 126, 128 und 130 findet sich die Übersetzung Om den Tyska och Franska tragiska Scenen, af en Franzos; med Anmärkningar af en berömd Tysk Författare (dt. Über die deutsche und französische tragische Szene, von einem Franzosen; mit Anmerkungen von einem berühmten deutschen Verfasser). Es handelte sich bei dem französischen Autor um Benjamin Constant, der den Wallenstein ins Französische übersetzt und die Ausgabe mit einem einleitenden Aufsatz versehen hatte (Reflexions sur le Th¦atre Allemand), wel1264 Laut SVH, IV, 1890, S. 95 von Wallmark verfasst. 1265 Nr. 20 (14.3.) enthält Sändebref till Författaren af en skrift, införd i Journ. F. L. och Th. n:r 50, under Titel: Tyska Litteraturen, bedömd af Tyskar. – Nr. 21 (17.3.) enthält Nytt prof p” litterärt kätteri af en tyskt, A. W. Schlegels Vergleich zwischen Racines Ph¦dre und Euripides Hippolytus, sowie als Beilage Strödda underrättelser om de vittra striderna p” Tyska Parnassen.

Die Querelle der Alten und der Neuen (1809 – 1820)

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cher auf diese Weise mitgeteilt wurde. Im deutschen Kommentar wird mit Hinweis auf Constants Einleitung bemerkt, dass sich die Franzosen zusehends von ihren Vorurteilen gegenüber der deutschen Literatur befreien. Der Streit der Alten und der Neuen dokumentiert also eher die Aufgeschlossenheit der Alten Schule gegenüber der deutschen Literatur, als dass sich eine Distanz zu derselben ausdrückt. Welche Rolle spielte nun Schiller in den jeweiligen Gruppierungen? – Am 24. 4. 1810 erscheint in Journal för literaturen och theatern eine Übersetzung von Schillers Gedicht Breite und Tiefe mit einem gegen die Phosphoristen gerichteten polemischen Zusatz: »Aber, wie Phosphor, leuchten sie schnell / mit einem Schein, der verspricht und lügt. / Derjenige, der gelobt werden will für das, was er getan hat, / macht gerne etwas, das taugt.«1266 – Am 2. 5. 1810 publiziert die Zeitschrift eine Übertragung von Schillers Die Kindesmörderin. Das Gedicht wurde mit einem Kommentar versehen, in welchem man sich bei der Leserschaft entschuldigt, dass man das Gedicht überhaupt publiziert und erklärt, Schiller habe mit dem Gedicht eine moralische Absicht gehabt.1267 – Im Jahr 1813 werden in den Ausgaben Nr. 91 und 99 zwei Epigramme Schillers in schwedischer Übersetzung eingeführt: Proselytmakaren (dt. Original: Ein Wort an die Proselytenmacher) sowie Till mystikerna (dt. Original: An die Mystiker). – In der Ausgabe Nr. 146 wurde dem Publikum die Übersetzung des Gedichtes Hoffnung mitgeteilt.1268

1266 »Men, like Fosforn, de lysa fort / med sken, som lofvar och ljuger. / Den, som vill hedras för hvad han gjort, / gör gerna n”got som duger.« Es handelt sich bei dem Gedicht um eine der von Schiller so genannten »Kleinigkeiten«, welche am 27. 4. 1797 an Spener geschickt und im Musenalmanach für das Jahr 1798 und in Gedichte 1803 veröffentlicht wurde (NA, II, 2, A, 620). Das Gedicht spricht den Gedanken der Ästhetischen Erziehung aus, dass unsere Kraft, wenn wir die ganze Energie unseres Geistes in einen Brennpunkt versammeln, gleichsam Flügel wachsen (NA, XX, 327), und hat sein Gegenstück im Spruch des Konfucius, welches dagegen die Breite empfiehlt. 1267 Journal för litteratur och theatern, 2. 5. 1810: »M”ngen torde anse detta styckes meddelande ”t Allmänheten fordra en undskyllan. Länge fann sig ock öfversättaren, han bekänner det, ”terh”llen derifr”n af flera betänkligheter, än den, att öfwersättningen möiligtwis icke funnes swara mot originalet i styrka och renhet. Hwad som ändteligen, jemte andras tillstyrkan, förm”tt honom att lägga alla betänkligheter i denna del ”sido, har warit mindre det skäl, att det berömda originalstycket warit ofta omtryckt i Författarens land, än den moraliska nytta, som han sjelf twifwelsutan dermed ”syftat, och för hwars skuld han säkert hoppats, att den fina smaken wille ett ögonblick tillsluta de alltför ömtaliga, den af en barbariskt lagstiftnings möiliga förbättring, genom ett mera förnunftigt, han will icke säga menskligt, afpassande af bestaffningar mot brott.« 1268 NA, II, 2, A, 641. Dieses Gegenstück zu Die Ideale, ebenfalls eine der an Spener gesandten »Kleinigkeiten«, wurde in Horen, 1797, 10. Stück, und in Gedichte 1, 1800, publiziert.

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Schiller im Kontext der entstehenden Romantik

– Nya Posten, zu diesem Zeitpunkt ebenfalls im Scharmützel gegen die Romantiker verwickelt, veröffentlichte am 24. 5. 1810 Hero och Leander. Ballad. (Efter Schiller) und am 28. 5. 1810 Lyckan och Wisheten. (Efter Schiller)1269 Aber auch die Gegenseite, welche sich um das literaturpolitische Wochenjournal Polyfem (Dezember 1809 – 1812) mit Johan Christian Askelöf als Redakteur und Lorenzo Hammarsköld als wichtigstem Mitarbeiter gruppierte, konnte sich von den 900 Xenien, welche Goethe und Schiller in scheinbar ununterscheidbarer Autorschaft verfasst hatten, inspirieren lassen.1270 Dies ist keineswegs verwunderlich – handelt es sich doch dabei um einen Textkorpus, dessen kritische Schläge in sehr verschiedene Richtungen gehen. Einerseits gegen die »bürgerlich-philiströse Mittelmäßigkeit oder gar Banalität, die sich im Gefolge der Ausbreitung von Lesebedürfnissen und literarische Bildung seit der Jahrhundertmitte entwickelt hatte«,1271 andererseits gegen die »eklektischen Strömungen der Spätaufklärung«, z. B. Friedrich Nicolai, Johann Joachim Eschenburg etc.1272 Von diesen beiden Distichenblöcken konnten sich die schwedischen Neuromantiker inspirieren lassen. Gleichzeitig richteten sich jedoch die Xenien auch gegen »die empfindsame Schwärmerei und ihr verwandte Formen religiös gefärbter Borniertheit«, z. B. Stolberg oder Lavater, nicht zuletzt aber auch gegen die ungebrochene Antikenbegeisterung, wie sie die Gräkomanie von Friedrich Schlegels Studium-Aufsatz kennzeichnete. Von diesen Distichenblöcken konnten sich dagegen die Wallmarkisten inspirieren lassen. Gleichwohl ist der Eindruck vorherrschend, dass das vorhandene Material eine größere Nähe der Alten Schule zu Schiller als der Neuen Schule zum deutschen Dichter dokumentiert. Während sich die Alte Schule offensichtlich in Gedichten Schillers spiegeln konnte, übernahm die Neue Schule lediglich das polemische Konzept der Xenien, indem sie die schwedische Version der literarischen Fehde inszenierte.1273 Das direkt von Schiller übernommene Xenien-Material ist begrenzt 1269 G. Frunck, Bidrag till kännedomen om Nya skolans förberedelser och första utveckling, 1889, S. 10, S. 92. 1270 Nr. 22 (1810): vier Xenien von Hammarsköld, von welchen die letzte mit dem Titel Erfarenhetssats (dt. Erfahrungssatz) eine Übersetzung von Schillers Wissenschaft war, mit dem Unterschied, dass die Übersetzung auf die Kunst abzielte. – Nr. 24: 33 Xenien von Atterbom, davon fünf Übersetzungen. – Nr. 40: Schillers Epigramm Jeremiad (dt. Original: Jeremiade) auf die schwedischen Verhältnissen passend umgedichtet. – Nr. 10 (4. Sammlung): zehn schwedische Original-Xenien unter der Rubrik Offermjöl. – Nr. 36 (5. Sammlung): vier Distichen nach Schiller mit den Titeln Kant och hans utläggare (dt. Original: Kant und seine Ausleger), Konstgrepp (dt. Original: Kunstgriff) Filosofiska systemer (dt. Philosophische Systeme) sowie Korrekthet (dt. Original: Korrektheit). – Nr. 38 (5. Sammlung): sieben Distichen. 1271 Schiller-Handbuch, 1998, S. 37. 1272 Hier und im Folgenden P.-A. Alt, Schiller, II, 2004, S. 329 – 344. 1273 Livijn hatte 1804 bereits 37 Xenien nach dem Vorbild Schillers und Goethes über die

Schiller in den romantischen Zeitschriften und Kalendern

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und wurde meist auf die schwedischen Verhältnisse übertragen, weshalb die Mehrheit der schwedischen Xenien Originaldichtungen, keine Übersetzungen sind. In Wallmarks Journal för literaturen och theatern dagegen erscheinen ungleich mehr Gedichte und Epigramme Schillers, im Falle von Breite und Tiefe sogar eingebunden in die Polemik. Der Alten Schule scheint viel daran gelegen zu haben, Schiller im eigenen Lager zu positionieren.

6.

Schiller in den romantischen Zeitschriften und Kalendern

Die heiße Phase der Querelle und insbesondere die hier interessierende Frage nach der deutschen Literatur und Schiller wurde weitgehend zwischen den Polyfemisten (Hammarsköld) und den Wallmarkisten (Journal för literaturen och theatern) geführt. Unterdessen gründeten die nach ihrer Zeitschrift Phosphoros so genannten Phosphoristen um Atterbom und Palmblad eine Reihe eigener Zeitschriften, welche nicht polemisch, sondern programmatisch orientiert waren. Im Juli 1810 erschien, nachdem Überlegungen einen eventuellen Zusammenschluss mit Hammarsköld betreffend verworfen worden waren, die erste Ausgabe der Zeitschrift Phosphoros (1810 – 1814).1274 Das direkte Vorbild für die schwedische Zeitschrift muss wohl im gewichtigsten deutschsprachigen Zeitschriften-Projekt der Romantik gesehen werden, dem Athenäum. In Phosphoros wurden die Ideen der Neuen Schule in Form von Poesie, Fragmenten und Aphorismen, aber auch in Abhandlungen und Rezensionen programmatisch lanciert; es figurierten Übersetzungen u. a. von Aischylos, Pindar, Plotin, Petrarka, Tasso und Goethe; Originalbeiträge von Per Elgström (1781 – 1810), Samuel Hedborn (1783 – 1849) und Per Adolf Sond¦n (1792 – 1837) wurden eingeführt. Die meisten und gewichtigsten Beiträge stammen jedoch aus Atterboms Feder, so z. B. der lyrische Prologen der Zeitschrift, der als Programmschrift der Bewegung betrachtet werden kann. Hier publizierte Atterbom auch bedeutende Gedichte wie Erotikon (1810) und Minnesrunor (1812); insgesamt veröffentlichte er 33 Gedichte samt einer Vielzahl von Aufsätzen in der Zeitschrift. Carl Santesson sah in Atterboms programmatischen Gedichten Prologen und Epilogen »unterschiedliche Seiten der Gedankenwelt Schellings« zugrundeliegen,

Mitglieder der Vereinigung Vitterhetens Vänner verfasst. Zum Xenienstreit in Schweden siehe B. E. Malmström, Samlade Skrifter. Grunddragen af Svenska Vitterhetens Historia, IV, 1868, S. 340 ff. 1274 Phosphoros erschien von 1810 bis 1814 in Uppsala, 1810 wurden sechs Hefte herausgegeben, 1811 sechs Doppelhefte, 1812 zwei große Hefte und 1813 ein großes Heft, das jedoch erst im August 1814 erschien.

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Schiller im Kontext der entstehenden Romantik

verbunden mit »Eindrücken von Schiller, welche sich organisch mit dem vereinen, was von Schelling stammt«: Die Konstellation Schiller-Schelling ist ja in einem Zusammenhang wie dem oben genannten eine nicht verwunderliche oder singuläre Tatsache; sie ist gewöhnlich in der ganzen zeitgenössischen Literatur, welche in starker Abhängigkeit steht zu der Kunstlehre des deutschen Idealismus, sie macht sich in Tegn¦rs Skidbladner ebenso wie in Geijers Essay über die Einbildungskraft bemerkbar.1275

Die »Konstellation Schiller-Schelling« ist in Wirklichkeit eine Kontraposition, analog zum konträren Verhältnis der Aufklärung und der Romantik in Schweden. Tatsächlich kann der Konflikt zwischen Alter und Neuer Schule nämlich auf die Frage: Schiller oder Schelling? zugespitzt werden, wie im letzten Kapitel zu zeigen ist. Wie gering die Bedeutung Schillers für Atterbom nämlich war, darüber gibt eine Untersuchung der Gedichte Atterboms Auskunft, die Nachbildungen aus dem Deutschen sind.1276 Es zeigt sich dann nämlich überraschend, dass Atterbom Eklektiker war, und dass die mindestens fünfzig Nachbildungen oder freien Übersetzungen deutscher Gedichte zu einem Großteil eher unbedeutenderen deutschen Autoren geschuldet werden.1277 In der frühen besonders beeinflussbaren Phase sind es vor allem Salis, Matthisson, Bürger, Hölty, Goethe, Kosegarten und A. W. Schlegel, die Atterbom laut Risberg in dieser Weise rezipiert hat, dann vor allem Matthisson, Goethe, Tieck sowie Des Knaben Wunderhorn, welche die größte Wirkung hatten. Dagegen hat Risberg kein Gedicht von Schiller aufgeführt. In Phosphoros publizierte der romantische Kreis um Atterbom seine bedeutendsten und schwierigsten Werke, während die gefälligere Dichtung in Eleganttidning (dt. Elegant-Zeitung) oder in Poetisk kalender (dt. Poetischer Kalender) veröffentlicht wurden. Aus strategischen Gründen beschlossen die Romantiker, eine Art Musenalmanach oder Taschenbuch herauszugeben: »man kann unmöglich ein klassisches Ansehen gewinnen, bevor die eigenen Arbeiten in den Händen der Damen ruhen« (SVH, IV, 329). Nach längerem Überlegen entschied man sich für den Namen Poetisk kalender : Dieser, schrieb Atterbom wenig demütig, »wird ein vortreffliches Buch, das hinsichtlich seines Wertes einen Band von Schillers Musenalmanach aufwiegen soll«. Nachdem die Zeitschrift Phosphoros 1814 eingestellt worden war, avancierte Poetisk kalender zum wichtigsten Publikationsorgan der schwedischen Romantik. Publiziert wurde 1275 C. Santesson, Atterboms ungdomsdiktning, 1920, S. 145. 1276 B. Risberg in: Tyska förebilder till dikter af Atterbom, 1892. 1277 B. Risberg, Tyska förebilder till dikter af Atterbom, 1892, S. 75. Risberg schreibt merkwürdig: »Lessing-Herder-Goethe(-Schiller)« und setzt Schiller in die Klammer, obwohl er im Aufsatz kein Beispiel einer Schiller-Rezeption aufführt.

Schiller in den romantischen Zeitschriften und Kalendern

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neben schwedischen Gedichten eine große Anzahl von Übersetzungen deutscher Dichter, zumeist von Goethe, aber auch einige wenige von Schiller, nämlich: 1814: 1814: 1817: 1819: 1820:

Dithyrambe von N***M (Per Olof Nyström) Flickans klagan von E (unbekannt, dt. Die Klage des Mädchens) Riddar Toggenborg von Atterbom Thecla von GFM (Grafström) S”ngens makt von August (Nicander, dt. Die Macht des Gesangs)

Schiller ist also nicht in der bedeutendsten Programm-Zeitschrift der Romantik, Phosphoros, rezipiert worden, sondern lediglich in der Damen-Zeitschrift, und auch dort wurden der Öffentlichkeit eher weniger gewichtige und leicht bekömmliche Gedichte Schillers mitgeteilt. Es ist dies ein deutlicher Hinweis darauf, dass Schiller für die Neuromantiker keine programmatisch-ideologische Funktion zukam. Ein weiterer Kalender för damer wurde von Bruzelius, dann von Erik Sjöberg und Karl August Nicander (1818 – 1822) herausgegebenen. Auch hier erschienen einige Schiller-Gedichte: 1818: Soldatvisa. Efter F. v. Schiller (von -ST- = Borgström, S. 9, dt. Soldatenlied) 1819: S”ng om klockan. Efter F. v. Schiller (von -ST-, S. 129, dt. Das Lied von der Glocke) 1819: Den beslöjade bilden i Sais. Efter Schiller (von -S-, S. 49, dt. Das verschleierte Bild zu Sais) 1820: Greklands gudar. Efter Schiller (von Nicander, S. 104, dt. Die Götter Griechenlands) 1820: Amalia. Efter Schiller (S. 123) 1822: Idealen. Efter Schiller (von -S*, S. 149, dt. Das Ideal)

Wir sehen hier zum ersten Mal seit Leopolds Übersetzung von An die Freude und Resignation (1793/1794) einige der bedeutendsten Gedichte Schillers übersetzt, bezeichnenderweise von spätromantischen Autoren, die außerhalb des Phosphoroskreises standen und sich nicht in den Streit der Alten und der Neuen eingemischt hatten. Sjöberg (Künstlername Vitalis) und Nicander verfügten über ein beträchtliches wenn auch epigonales poetisches Talent und wurden von Geijer bzw. von Tegn¦r gefördert.1278 1278 Siehe Svenska litteraturens historia, II, 1919, S. 206 – 234. Dort war Henrik Gabriel Porthan (1739 – 1804) mehrere Dezennien die zentrale Gestalt des schwedisch-finnischen Kulturlebens gewesen. Er hatte das Interesse der Universitätsjugend auf die finnische Volkspoesie gelenkt und verwendete einen Hauptteil seiner Anstrengungen auf die Erforschung des Mittelalters. In Finnland über Jahrzehnte hinweg eine Konstellation, die eine Kantund Schiller-Rezeption eher verhinderte. Ab 1796 verfolgte Frans Michael Franz¦n, einer der Protagonisten der Schiller-Rezeption, in æbo eine akademische Karriere und wurde 1801 Professor für Praktische Philosophie. In æbo tidning wurden seine Schiller-Übersetzungen (siehe Kapitel XI) sowie seine Rezension der Kabale und Liebe (siehe Kapitel IX)

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Schiller im Kontext der entstehenden Romantik

Ein kurzer Blick aufs finnisch-schwedische æbo mag das Bild einer romantischen Schiller-Rezeption vervollständigen, die das eher schöngeistige als polemisch-aufklärerische Profil des deutschen Dichters hervorkehrte.1279 Dort hat sich eine als Romantik zu bezeichnende Strömung auf der finnischen Seite des Meerbusens erst zehn Jahre nach dem Erscheinen der um das kulturelle Zentrum Stockholm/Uppsala zentrierten schwedischen Romantik bemerkbar gemacht, und zwar im literarischen Kalender Aura, welcher in zwei Heften 1817 – 1818 herausgegeben und in welchen Beiträge von Adolf Iwar Arwidsson, Axel Gabriel Sjöström und Johan Jakob Tengström eingeführt wurden. Aura war das Organ der sogenannten æboromantik, eine literarische Richtung, welche mit den schwedischen Phosphoristen in Verbindung stand. Der Kalender zeigt eine breite europäische Orientierung; aus dem Deutschen wurden Kosegarten, Goethe, Schlegel, Körner und Schiller übersetzt. Eine privilegierte Aufmerksamkeit ließ man Schiller allerdings nicht zukommen: Die Ausgabe von 1817 enthielt zwei Schiller-Übersetzungen Franz¦ns: Kvinnans värde (dt. Die Würde der Frau) und Trons ord (dt. Worte des Glaubens), im zweiten Heft findet sich Kolumbus. Efter Schiller (dt. Kolumbus. Nach Schiller). Nachdem Aura eingestellt worden war, initiierte Johan Gabriel Lins¦n zusammen mit Fredrik Bergbom die literarische Zeitschrift Mnemosyne, die von 1819 bis 1821 zweimal wöchentlich erschien, danach einmal pro Monat. Im Vorwort (Förtal) der ersten Ausgabe bekennt sich das literarische Journal zur deutschen Philosophie und Literatur: Man grenzt sich von der vergangenen Epoche der Aufklärung ab, in welcher die menschliche Erkenntnis als »Aggregat von psychologischen Beobachtungen und konventionellen Erfahrungs-vorstellungen« angesehen wurde, welche genauso »zufällig und sich selbst widersprechend« war, wie das Fundament, auf welchem sie ruhte, so dass »eine allgemeine Skepsis und ein Indifferentismus die Folge war«.1280 Barnmörderskan. Efter Schiller (dt. Die Kindsmörderin. Nach Schiller) Till Minna. Efter Schiller (dt. An Minna. Nach Schiller) De tu äro ett (dt. Die zwei sind eins) Dansen. Efter Schiller (dt. Der Tanz) Till en ung vän d” han egnade sig ”t filosofi, af Schiller (dt. An einen jungen Freund, als er sich der Philosophie widmete, von Schiller) 11. 08. 1819: Förtjusningen. Till Laura. Efter Schiller (dt. Entzückung. An Laura. Nach Schiller)

30. 01. 1819: 27. 03. 1819: 10. 07. 1819: 04. 08. 1819: 07. 08. 1819:

veröffentlicht. Der akademische Aufsatz von Henrik Snellman, De sensu juventutis ästhetico in legendis auctoribus classicis formando von 1806 dokumentiert, dass Schiller auch in æbo im ästhetisch-philosophischen Diskurs angekommen war. 1279 Hier und im Folgenden siehe Finlands svenska litteratur-historia, I, 1999, S. 108 ff, S. 154 ff. 1280 Mnemosyne, Förtal, zitiert nach Finlands svenska litteratur-historia, I, 1999, S. 212.

Zusammenfassung

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14. 08. 1819: Fantasi. Till Laura. Efter Schiller (dt. Phantasie. An Laura. Nach Schiller) 27. 11. 1819: Hectors avsked. Efter Schiller (dt. Hektors Abschied. Nach Schiller)

Die meisten Schiller-Übersetzungen fallen also auf das Jahr 1819, erst 1823 findet sich wieder ein Text Schillers, die Ballade Riddar Toggenburg. Efter Schiller. Insänd (dt. Ritter Toggenburg. Nach Schiller. Eingesandt). Nach 1819 wurden dagegen häufig Übersetzungen von Goethe, Hölty, Schlegel, Novalis und Fouque publiziert – der Lieblingsautor der Zeit war jedoch J. P. F. Richter : »Tankar af Jean Paul« (dt. Gedanken von J. P. F. Richter) wurden regelmäßig eingeführt.

7.

Zusammenfassung

Stets wurde in der Literaturwissenschaft der Bruch mit der klassizistischen Tradition und der damit zusammenhängenden Ausrichtung aufs Französischklassizistische mit der Jahreszahl 1809 verknüpft. Dabei ist auch stets darauf hingewiesen worden, dass die Romantiker ein tieferes Verständnis Goethes und Schillers hatten, als die vorausgegangene Generation. Dieser Eindruck mag jedoch einerseits entstanden sein, weil die Romantiker nach der Lockerung der Pressezensur 1809 mehr Zeitschriften publizieren konnten als die vorangegangene Generation; andererseits jedoch auch durch die fleißig betriebene Propaganda der Neuromantiker in eigener Sache. Schon die literarisch-philosophischen Zeitschriften von Silverstolpe und Höijer ab 1795 waren von einer Hinwendung zum Deutschen gekennzeichnet – Schiller war dort in mehrerer Hinsicht unumschränkte Autorität. Zwar rückt bei den Neuromantikern die deutsche Klassik und Romantik ins Zentrum einer beinahe religiösen Anbetung – gerade diese Haltung konnte aber einem Autor wie Schiller nicht zuträglich sein und ist letztlich nur der Goethe-Rezeption zugute gekommen, nicht der SchillerRezeption. Von den zwei romantischen Dichtervereinigungen Vitterhetens Vänner und Aurora wird die letztere in Darstellungen der Literaturgeschichte als die ungleich gewichtigere betrachtet, was einerseits damit zusammenhängt, dass die AuroraBrüder die inhaltlich wertvolleren, allerdings auch gezielt der Nachwelt zugedachten Sitzungsprotokolle hinterlassen haben, andererseits damit, dass sie das eigentliche Pendant zur deutschen Frühromantik darstellten, im Unterschied zu den Vitterhetens Vänner, die noch im Sturm und Drang fußten, wie auch meine Untersuchung der verwendeten ästhetischen Terminologie zeigt. Literaturgeschichtlich wurden die Vitterhetens Vänner deshalb als sekundär angesehen: sie figurierten als noch nicht vollends aufgeblühte Vorhut der Romantik. In den Ausagen der Gruppierung ist eine Ästhetik des »Interessanten« explizit vor-

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Schiller im Kontext der entstehenden Romantik

herrschend und findet implizit ihren Ausdruck im Bekenntnis zu »melancholischen, wilden und grausigen Szenen«, in einer »Umkehrung von Zeit, Raum und Personen«, in »Roheit und Gräuel der Bilder und Ausdrücke«. Aus den jugendlichen Bekenntnissen ist eine »Prädominanz des Grausigen« herauszulesen, welche auf eine »Inszenierung des Desorganisierten in der Welt« abzielt, wie es von G. A. Bürger in seinen von den Vitterhetens Vänner bewunderten Schauerballaden gestaltet worden ist. Über Bürgers auf Effekthascherei abzielende Volkstümlichkeit wurde zwar literaturgeschichtlich die Lanze gebrochen, und zwar nicht zuletzt von Schiller, gleichwohl zeugen solche nur handschriftlich existierenden Bekenntnisse von einer erdrutschartigen Verschiebung der konzeptuellen Verfasstheit der ästhetischen Wahrnehmung in Schweden. Es handelt sich um den Übergang von einer Ästhetik des Schönen zu einer Ästhetik des Erhabenen, ja Hässlichen. Obwohl die beiden Vereinigungen lediglich drei Jahre trennen, ist der Unterschied in weltanschaulicher Hinsicht beträchtlich, und gerade im Rahmen der Schiller-Rezeption können die Vitterhetens Vänner als Zwischenglied des Sturm und Drang und der Romantik gelten. Der Unterschied wird auch vom Durchschnittsalter der führenden Persönlichkeiten der jeweiligen Vereinigungen widergespiegelt: Hammarsköld geb. 1785, Livijn geb. 1781, Rääf geb. 1786 – die maßgeblichen Persönlichkeiten in Aurora, Atterbom (geb. 1790) und Palmblad (geb. 1788), sind einige Jahre jünger. Ein Vergleich mit den singulären »Neutren« Tegn¦r (geb. 1783), Geijer (geb. 1783) und Wallin (geb. 1779) zeigt, dass auch diese nur einige Jahre älter sind. Der Unterschied der beiden Vereinigungen hinsichtlich der Geisteshaltung zeigt sich sehr deutlich in der Schiller-Rezeption, die bei den Vitterhetens Vänner wesentlich ausgeprägter ist, während die Aurora-Brüder Schiller nur noch ein Lippenbekenntnis zollten – für die Vitterhetens Vänner ist Schiller noch Zeitgenosse, für die Aurora-Brüder Vergangenheit. Mit Aurora tritt zum ersten Mal in Schweden eine Bewegung in den Vordergrund, welche sich selbst nicht nur als romantisch ansah, sondern auch entschieden von der als platt angesehenen Aufklärung abgrenzt. Das Adjektiv »bürgerlich« wird in diesem Kreis auf die Aufklärung gemünzt und ist damit Ausdruck der höchsten Geringschätzung. Die semantische Verschiebung im Umkreis der Wortfamilie »bürgerlich« zwischen 1790 und 1807 ist außerordentlich: wurde bei den Rabulisten (1792) der Begriff des Bürgertums mit einem Bekenntnis zur Rebellion ‚ la Marquis Posa, Karl Moor und Ferdinand verbunden, konnotiert er jetzt (1807) angewidert die Plattheit der Zeit. Gleichzeitig wird die Aufklärung gänzlich mit Frankreich verbunden und das literaturwissenschaftliche Prokrustesbett geschaffen, welches sich in seiner simplizistischdichotomen Funktionsweise als überraschend zäh erwiesen hat. Die Romantiker haben Deutschland mit der Romantik verknüpft, ganz im Unterschied z. B. zur Junta und zu Gustav Ros¦n, die Deutschland als Land der »richtigen« Aufklärung

Zusammenfassung

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sahen. Frühe Protokollmitschriften weisen bereits auf einen unüberbrückbaren Gegensatz zu Schiller hin, wenn es als Aufgabe des Poeten angesehen wird, die schwächeren Seelen in die »Mysterien der höheren Menschlichkeit« einzuweihen: der Poet ist ein Prophet. Das programmatisch formulierte Ideal im »Dunkelschönen« ist das Gegenteil von Schillers Streben nach dem »Spiegelklaren« z. B. in Das Ideal und das Leben. In den frühesten programmatisch zu verstehenden Äußerungen der Neuromantiker, Hammarskölds 1806 verfassten Artikel über die deutsche Literatur in Linköpingsbladet und Atterboms Gedicht Till Sofi (1808), wird Schiller ein Platz am Rande des poetischen Weltbildes der Romantik zugewiesen, in welchem Goethe und Tieck eine zentrale Position einnehmen. Bei Hammarsköld figuriert Schiller bereits als Verfasser versifizierter Philosophismen, die Gabe zur »wahren Poesie« wird ihm aufgrund seines »philosophischen Menschenhasses« und seiner »poetischen Melancholie« abgesprochen. In Atterboms Gedicht Till Sofi (1808), werden Goethe, Tieck und Werner als geistige Väter apostrophiert, Schiller wird noch nicht einmal pflichtschuldig erwähnt. Erst in einer späteren Fassung hat er Schiller eingefügt, jedoch auch da deutlich im Schatten Goethes, der das eigentliche Vorbild dieser Gruppierung wurde. Die Marginalisierung Schillers im Aurora-Kreis geschieht aber nicht nur über ästhetische und weltanschauliche Differenzen, sondern auch durch die Vielleserei, welche in der hier behandelten Zeit ihren Höhepunkt erreicht: Schiller ist nur noch einer von vielen Autoren, die verschlungen werden. In der sogenannten Querelle zwischen den »Alten« um Wallmark und seiner Zeitschrift Journal för literaturen och theatern und den »Neuen« um Hammarsköld und seiner Zeitschrift Polyfem wäre eine deutliche Positionierung der jeweiligen Parteien in ihrem Verhältnis zu Schiller und der deutschen Literatur zu erwarten, und in der Tat ist ein polemischer Waffengang als sogenannter »Streit um die deutsche Literatur« in die Geschichte eingegangen. Dabei zeigt sich überraschend, dass die Akademie-affine Gruppierung um Wallmark die deutsche Literatur überzeugend für sich beansprucht, wobei auch Schiller eine Rolle zuwächst. Während in Wallmarks Journal eine ganze Reihe von Gedichten Schillers eingeführt werden, deren polemische Spitze auch in der schwedischen Querelle ihren natürlichen Platz finden, können die Neuromantiker lediglich einige wenige Distichen Schillers übernehmen, und dann in veränderter Form: Schillers Polemik entsprach nicht der ihren – Schiller war m.a.W. nicht ihr natürlicher Waffenbruder. Signifikant ist, dass Schiller keinen Eingang in die wichtigste neuromantische Zeitschrift Phosphoros findet, während von Goethe mehrmals Übersetzungen eingeführt werden. Dagegen werden Gedichte Schillers in den für Damen bestimmten Zeitschriften der Romantiker, Poetisk kalender und Kalender för damer, eingerückt. Schiller kommt offensichtlich keine programmatische Rolle

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Schiller im Kontext der entstehenden Romantik

zu, fungiert zumindest nicht mehr als Bannerführer, unter welchem neue weltanschauliche und künstlerische Positionen lanciert werden. Symptomatisch ist aber auch das Vorherrschen von unbedeutenderen Gedichten Schillers im Poetisk kalender des Phosphoroskreises, während in Kalender för damer einige der bedeutendsten längeren Gedichte Schiller eingeführt werden, und zwar unter der Regie von Karl August Nicander und Vitalis, zwei spätromantische Poeten, welche Distanz zum Phosphoroskreis hielten und die Nähe von Tegn¦r und Geijer suchten. Dies bestätigt im Umkehrschluss meine These, dass sich die Phosporisten Schiller gegenüber mit Bedenken trugen.

Kapitel XIV: Schiller in der romantischen Kritik

Die deutsche Frühromantik, insbesondere die Brüder Schlegel, hat bekanntlich »den Standpunkt der Kritik auf eine bis dahin unerreichte Höhe gehoben«.1281 Besser jedoch als auf die Verhältnisse im deutschen Sprachraum, wo ein Lessing, Herder, Hamann, Kant und Schiller, um einige bedeutende Protagonisten zu nennen, die literarische Kritik bereits lange vor der Romantik auf ein kaum überbietbares Reflexionsniveau gehoben hatten, beschreibt eine solche Aussage die Verhältnisse in Schweden. Dort war nämlich nach fulminanten Anfängen der literarischen Kritik in den Zeitschriften der Junta, wie wir oben gesehen haben, die Geburtsstunde der genuin romantischen Kritik im Sommer 1808 mit Hammarskölds 80-seitigem Essay Försök till en kritik öfver Friedrich Schiller, betraktad som poet, häfdatecknare och filosof (dt. Versuch einer Kritik Friedrich Schillers, betrachtet als Poet, Historiograph und Philosoph) spektakulär in Szene gesetzt worden. Es handelte sich hierbei um den umfassendsten KritikerBeitrag der Epoche über Schiller und weit über diese hinaus, und vermutlich um den Urtext der schwedischen Literaturwissenschaft. Im Folgenden steht deshalb vor allem Lorenzo Hammarsköld im Mittelpunkt, der umtriebigste und produktivste Kritiker und Publizist der Epoche. Bahnbrechend war er als Darsteller der Literatur- und Geistesgeschichte Schwedens; unermüdlich stritt er gegen den französisch-klassizistischen Geschmack der Schwedischen Akademie; er machte Plotin in Schweden bekannt und setzte sich für Schelling ein; als Dichter führte er die romantische Ballade in Schweden ein; als Polemiker pflegte er die Literatursatire und die streitbare Xenien-Dichtung Schillers und Goethes; als Übersetzer widmete er sich antiken und modernen Dichtern, so z. B. Petrarca, Goethe und Tieck.1282 Die wichtigste Rolle spielte er im schwedischen Geistesleben jedoch als Kritiker und Programmatiker einer romantischen Ästhetik. Die 1281 Ästhetische Grundbegriffe, III, 2010, S. 469. 1282 Eine umfassende und einschlägige Arbeit über Hammarsköld als Kritiker liegt vor in: T. Ljunggren, Lorenzo Hammarsköld som Kritiker, 1952; Siehe außerdem A. Fryxell, Bidrag till Sveriges litteratur-historia, 1860; B. E. Malmström, Samlade Skrifter, 1867 – 1868, III, IV; SVH, 1890, III, IV; F. Böök, Den romantiska tids”ldern, 1918.

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Schiller in der romantischen Kritik

erste Kritik und Programmschrift, mit der Hammarsköld und die schwedische Romantik an die Öffentlichkeit trat, war der am 15. 2. 1806 in Linköpingsbladet veröffentlichte Artikel über die vornehmsten deutschen Poeten, wo Lessing, Wieland, Goethe, Schiller und Tieck »kritisch« behandelt wurden (siehe Kapitel XIII). Mit merkwürdiger Insistenz hat Hammarsköld in der Folge seiner SchillerKritik die Polemik auf Personen ausgeweitet, die im Zusammenhang mit der Schiller-Rezeption in Schweden standen: Leopold, Beth¦n und Lidbeck. Seine harsche Kritik an Schiller, der »kein Dichter war«, hat bereits bei den Zeitgenossen, dann aber auch in der Literaturwissenschaft, Unverständnis hervorgerufen. Tegn¦r ironisiert im häufig zitierten Gedicht Lorenzo Hammarspik (dt. Lorenzo Hammernagel) Hammarsköld, in Strophe fünf mit deutlicher Anspielung auf den Schiller-Essay : »Mot Vitterheten i v”r Stat / du blef allt mera bister, / Philosopiae Candidat, / men Critices Magister. / Mot Schiller stred du oförskräckt / ty han var död alltsedan. / Han var den första som du knäckt, / de andra följde sedan«1283 (dt. Gegen die Literatur im Staat / bist geworden immer böser, / Philosophiae Candidat, / aber Critices Magister. / Gegen Schiller strittest unverzagt / denn er war da schon tot. / Er war der erste, den du brachst, / die anderen folgten nach). Das Gedicht Tegn¦rs wurde häufig zitiert, um nachzuweisen, dass Hammarsköld letztlich alleine stand mit seiner Schiller-Kritik und dass die Romantik insgesamt ein positives Verhältnis zu diesem hatte. Die doppelte Gefahr, der sich die Literaturwissenschaft bei der Beurteilung des »Falles« Hammarsköld ausgesetzt sieht, ist einerseits die Darstellung dieser Kritik als »Unfall«, d. h. Einzelfall, andererseits die Übertreibung des »kritischen« Moments in Hammarskölds Schiller-Essay. Es ist hier aufs Genaueste zu differenzieren zwischen Hammarskölds Intention und dem, was in der darauffolgenden Polemik daraus geworden ist. Zu unterscheiden ist der »kritische« Kern seiner Beurteilung Schillers von Aussagen, mit welchen er über das vermutlich anvisierte Ziel hinausgeschossen ist oder er sich unter dem Druck persönlicher Angriffe zu immer extremeren Äußerungen hat hinreißen lassen. Diesen kritischen Kern gilt es mit der romantischen Kritik Schillers, wie sie dann vor allem in Swensk literatur-tidning 1813 einsetzte, zu vergleichen. An den vermutlich vor allem von Palmblad, dem zweiten bedeutenden Kritiker der Romantiker, verfassten Rezensionen, müsste sich ablesen lassen, inwiefern Hammarskölds Sichtweise auf Schiller von den anderen Romantikern geteilt wurde.

1283 E. Tegn¦r, Samlade Skrifter, 1923, II, S. 176.

Hammarskölds Kritik über Schiller (1808)

1.

Hammarskölds Kritik über Schiller (1808)

1.

Einleitung und kritisch-ästhetische Positionierung

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Lorenzo Hammarskölds Essay Försök till en kritik öfver Friedrich Schiller (in der Folge verkürzt: Kritik über Schiller)1284 von 1808 ist nicht nur die umfangreichste Arbeit über Schiller im Schweden dieser Zeit und weit darüber hinaus, sondern weist auch im übrigen Europa und selbst in Deutschland nichts Vergleichbares auf.1285 Vor dem kritischen Urteil ist der »Gesichtspunkt« anzudeuten, von welchem man urteilt, eine Maxime Friedrich Schlegels,1286 dessen Werk der folgende Satz entnommen wurde, welcher dem Essay als Motto dient: Die Kunst bildet, aber sie wird auch gebildet; nicht nur das Gebildete, sondern der Bildende selbst ist ein organisches Ganzes, so gewiß er nur ein Künstler ist, und jeder Künstler hat seine Geschichte, welche zu begreifen, zu erklären und darzulegen das vorzügliche Geschäft der Wissenschaft ist, die unter dem Namen der Kritik bis jetzt mehr gesucht wurde, als schon vorhanden war.1287

Die Schlegel’sche Vorstellung des »Gebildeten« bzw. des »Bildenden« als »organisches Ganzes« hat seinen Ursprung in Goethes morphologischen Betrachtungen von Pflanzen.1288 Das von Goethe geschaffene »[…] concept was developed in greatest detail and rigor by Schelling, first in his 1798 Von der Weltseele and then in his 1799 Entwurf eines Systems der Naturphilosophie. But the same idea also appears in the notebooks of Friedrich Schlegel, Novalis, and Hölderlin.«1289 Schon Goethe hatte die Übertragbarkeit der Idee der Organizität von Naturphänomenen auf Kunstphänomene vertreten, aber durch Schelling und seine Adepten wurde das Erklärmodell universell anwendbar.1290 Wenn nun 1284 Zu Hammarskölds Kritik über Schiller siehe T. Ljunggren, Lorenzo Hammarsköld som kritiker, 1953, S. 112 – 123; H. Moenkemeyer, Lorenzo Hammarskölds Schiller-Kritik, 1962. 1285 Vergleichbare Arbeiten, die das Phänomen Schiller insgesamt erfassen wollten – die Rede ist hier also nicht von Teilaspekte des Schiller’schen Werkes hervorhebenden Arbeiten wie die von Johann Wilhelm Süvern, Über Schillers Wallenstein in Hinsicht auf griechische Tragödie (1800) – sind z. B. der Abschnitt über Schiller in G. de Stael-Holsteins De l’Allemagne (1810), Thomas Carlyles The Life of Friedrich Schiller (1825) und Wilhelm von Humboldts Essay Über Schiller und den Gang seiner Geistesentwicklung (1830). 1286 An den Herausgeber Deutschlands, Schillers Musenalmanach betreffend, in: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe, II, S. 3. 1287 Das Motto ist Friedrich Schlegels Text Nachricht von den Poetischen Werken des Johannes Boccaccio entnommen. Siehe Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe, II, S. 373. 1288 Siehe G. Gusdorf, Le romantisme, II, dort das Kapitel: Goethe, Herder et la naturphilosophie, 1984, S. 415 – 458; G. Gusdorf, Le romantisme, I, dort das Kapitel: Organisme, 1982, S. 418 – 438; R. Wellek Geschichte der Literaturkritik 1750 – 1830, 1959, S. 206 – 230. 1289 F. Beiser, The Romantic Imperative, 2003, S. 137 f. 1290 Siehe hierzu auch G. Gusdorf, Le romantisme, I, 1982, S. 421: »L’organisme d¦finit un modÀle ¦pist¦mologique applicable — tous les domaines de la connaissance; il autorise la

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Schiller in der romantischen Kritik

Friedrich Schlegel von der »Geschichte« des Künstlers und Hammarsköld vom »Charakter« desselben spricht, so ist damit nicht Biographisches im Sinne äußerer Ereignisse gemeint, von welchen ganz im Gegenteil abgesehen werden soll: »Allein die Zufälligkeiten, welche die Entstehung eines Kunstwerkes umgaben, dürfen nicht in Anschlag gebracht werden, wenn von einer Beurtheilung nach Kunstgesetzen die Rede ist.«1291 In völliger Übereinstimmung mit solchen Prämissen der Schlegel’schen Literaturkritik erklärt Hammarsköld einleitend: […] seine Schriften mögen für uns alleine Schiller sein. Lasst ihn uns betrachten als Dichter, Historiker und Philosoph; dann werden wir ihn auch als Weltbürger kennenlernen. Was er dagegen als Mitglied eines Staates war, als Weimarer oder preußischer Untertan, das kann uns, die wir nicht seine Landsleute sind, gleichgültig sein. Wir sollten uns zuerst bekannt machen mit seinem Charakter als Poet, das, womit er seine Kunst gemacht hat, das mit dem er sich verdient gemacht hat, ein Künstler zu heißen. Poesie, oder schöne Kunst im Allgemeinen, ist das, was die Phantasie in eine vollkommen freie Wirksamkeit versetzt, und durch diese freie Wirksamkeit gefällt. Wissenschaft, dessen Ziel es ist, die Wahrheit zu suchen, lässt meine Seele nicht in der Freiheit, sondern schreibt mir den Weg vor, den ich gehen muss, um mein Ziel zu erreichen; sie bringt bei mir eine Zufriedenheit hervor über meine geglückten Anstrengungen, jedoch nie das wirklich uninteressierte Vergnügen, das ich bei der Lektüre der Ilias, oder Sophokles Filoktes, oder einem anderen wirklichen Kunstwerk erfahre.1292

Der »Charakter« eines Autors entspricht also dessen spezifischer Seins- und Dichtungsweise, welche am Ursprung des Gesamtwerks steht. Obwohl diese ästhetische Position, welche in ihrer extremsten Ausformung, bei Adam Müller, in ihrem das Leben mit dem Schönen identifizierenden Ästhetizismus und Vitalismus der Schiller’schen Position diametral entgegengesetzt ist, nimmt

possibilit¦ de variations en nombre ind¦fini sur le thÀme g¦n¦ral, comme autant de m¦tamorphoses conservant l’analogie fondamentale du prototype commun.« 1291 A. W. Schlegel, Über Bürgers Werke, in: Charakteristiken und Kritiken, 1801, II, S. 8. 1292 L. Hammarsköld, Försök till en kritik öfver Friedrich Schiller, betraktad som poet, häfdatecknare och filosof, 1808, S. 6 f: »[…] hans skrifter m” för oss allena vara Schiller. L”tom oss d” betrakta honom som Skald, Häfdatecknare och Filosof; vi skola d” tvifvelsutan äfven tydligast lära känna honom som verldsborgare. Hvad ”ter han var som medlem af en stat, som Wejmarisk eller Preusisk unders”te, det kan för oss, som icke äro hans landsmän, vara af föga betydenhet. Vi skola d” försöka att först göra oss bekant med hans karakter som Poet, med det som han gjort för sin konst, med det hvarigenom han förtjent att heta Artist. Poesi, eller skön konst i allmänhet är det som sätter fantasien i en fullkomligt fri verksamhet, och genom denna fria verksamhet, utan allt interesse, behagar. Vetenskapen, hvars ändam”l är att söka sanning, lemnar icke min själ i frihet, den föreskrifver mig oemotsägligt den väg jag bör g” för att hinna mitt m”l; den alstrar ocks” hos mig endast tillfredställelse öfver mitt lyckade bemödande, aldrig det verkeliga ointeresserade nöje som jag erfar under läsningen af Iliaden, eller Sofokles Filoktetes, eller n”got annat verkeligt konststycke.«

Hammarskölds Kritik über Schiller (1808)

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Friedrich Schlegel eine Position ein, die durchaus auch in der Tradition der Schiller’schen Bürger-Kritik steht,1293 wenn er Kritik mit Analyse identifiziert: Wenn manche mystische Kunstliebhaber, welche jede Kritik für Zergliederung, und jede Zergliederung für Zerstörung des Genusses halten, konsequent dächten: so wäre Potz tausend das beste Kunsturteil über das würdigste Werk. Auch gibts Kritiken, die nicht mehr sagen, nur viel weitläufiger.1294

Friedrich Schlegel schwebte also ein Verständnis der Ganzheit, d. h. der Idee des Kunstwerks vor, das eine kritische Analyse und Vivisektion im Schiller’schen Sinne nicht ausschließt, sondern umfasst. Kritik konnte sich ihm auf den Gipfelpunkten derselben durchaus als Charakteristik eines »Autors« realisieren: »Die Charakteristik ist eine eigne specifisch verschiedne Gattung, deren Ganzheit nicht historisch sondern Kritisch ist. – Ein kritisches Kunstwerk.«1295 Beispiele dafür waren von Friedrich Schlegel Georg Forster (1797), Lessings Gedanken und Meinungen (1804), Über Goethes Meister (1798), und von August Wilhelm Schlegel Hermann und Dorothea, von Goethe (1798), die Hammarsköld ohne Zweifel bekannt waren, und in welchen die Ganzheit des Werks und die Kontinuität von der Idee des poetischen Charakters, wie Hammarsköld schreibt, abgezogen wurde. Hammarsköld definiert gemäß der nach-Kant’schen Ästhetik Kunst als eine die Phantasie in eine vollkommen freie Wirksamkeit Setzende und durch dieses uninteressierte Wohlgefallen Behagende, dies im Unterschied zur Wissenschaft, die niemals frei sein könne. Diese Freiheit entstehe nicht durch die Nachahmung der Natur, sondern durch »ideale Vorstellungen«, verlautet der Autor mit deutlicher Adresse an die bei den Romantikern verpönte Mimesis-Ästhetik. Reine Poesie ist nur wie bei den Alten als »göttliches Spiel, welches die Seele aus ihrer gewohnten Lage rückt« (8),1296 möglich. Ein solch »still anhaltendes und uninteressiertes Vergnügen« (»stilla varagtiga och ointresserade förnöjelse«) wie die »objektive« Kunst kann die moderne Poesie nicht hervorbringen. Hammarsköld folgt hier den Ausführungen in seinem Studium-Aufsatz (1795) über die griechische Poesie als das Ideal der Dichtung, welche »objektiv« sei, ohne alles Interesse, »vollkommen in der Form, unpersönlich, rein in ihren Gattungen und frei von bloß didaktischen und moralischen Erwägungen ist.«1297 Weder Hammarskölds noch Schlegels Ausführungen über die griechische We1293 Hansers Sozialgeschichte der deutschen Literatur, IV, 1987, S. 805. 1294 F. Schlegel, Kritische Fragmente. Lyceum Fragmente, 1797, Nr. 57. Zitiert nach Hansers Sozialgeschichte der deutschen Literatur, IV, 1987, S. 805. 1295 F. Schlegel, Fragmente zur Poesie und Literatur, in: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe, XVI, 1981, S. 138. 1296 Hinweise auf Hammarskölds Kritik über Schiller werden im Folgenden lediglich durch Angabe der Seitenzahl im laufenden Text ausgewiesen, z. B. »(8)«. 1297 R. Wellek, Geschichte der Literaturkritik 1750 – 1950, 1959, S. 271.

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Schiller in der romantischen Kritik

sensart unterscheiden sich wesentlich von der Bedeutung, welche Schiller in der Nachfolge Winckelmanns dem Term »naiv« gibt. Dagegen setzt sich Schlegel deutlich von der Bewertung, wenn auch nicht von der Bestimmung, des Terms »sentimental« ab, wie er von Schiller in die Diskussion eingeführt wurde. So folgt aus seiner durchaus Schiller ähnelnden Bestimmung der Moderne über die Begriffe das »Interessante«, das »Manierierte« und das »Individuelle« eine Abwertung derselben. Auch nach Hammarsköld gefällt die moderne Kunst aufgrund des lebhaften Effekts, der überraschenden Wahrheit und einer aus dem Alltag herausnehmenden Passion (9, 31). Zentral für Hammarskölds ästhetische Ableitungen ist also die Distinktion zwischen »antiker« (also klassischer) und »moderner« (also romantischer) Poesie, welche bei Hammarsköld weitgehend von Friedrich Schlegels Distinktion geprägt worden ist. Folgende Textstelle charakterisiert die unterschiedlichen Formen des Kunstgenusses der beiden Dichtungsarten: Alle modernen Poeme von einigem Werte zerreißen uns entweder mit den stürmischsten und strittigsten Gefühlen, oder heben uns von der Erde, nicht mehr mit den Flügeln der Imagination, sondern mit dem starken und das Gedicht einzig schmückenden Arm der Wahrheit. Und gleichwohl gefallen diese Poeme? Ja, sie gefallen durch das Vergnügen an dem lebhaften Effekt, oder durch die mir unerwarteterweise beigebrachte Wahrheit, oder dass ich, in eine Passion versetzt, nicht mehr dem Alltag angehöre – und mich aus diesem herauszureißen ist das Ziel der Kunst – aber ich bin nicht mehr in der gleich genießenden Sinnesstimmung, welche, um einen akademischen Ausdruck zu verwenden, durch ein objektives Kunstwerk hervorgerufen wird, und ich erlebe auch nicht das gleiche still anhaltende und uninteressierte Vergnügen.1298

Bereits die Einteilung, Reihenfolge und Gewichtung des Essays gibt einen ersten Wink hinsichtlich des romantischen Schiller-Bildes. Der Hauptteil der Kritik über Schiller gliedert sich in drei Teile, in welchen Schiller jeweils als Dichter, als Historiker und als Philosoph behandelt wird. Von diesen ist der erste Teil wiederum in drei Teile gegliedert, von denen der erste Schillers Dramen, der zweite die Lyrik und der dritte die Prosa behandelt. Der Umfang des Teils über Schiller 1298 L. Hammarsköld, Försök till en kritik öfver Friedrich Schiller, betraktad som poet, häfdatecknare och filosof, 1808, S. 9: »Alla moderna poemer, af n”got värde, sönderslita oss antingen med de mäst stormande, de mäst stridande känslor, eller lyfta oss fr”n jorden, icke mera p” imaginations luftiga vinge, utan p” sanningens starka och af digten endast smyckande arm. Och likväl behaga dessa poemer? Ja de behaga genom förnöjelsen öfver den lifliga effekten, eller genom den mig s” oförtänkt bibragta sanningen, eller derföre att jag försatt i passion icke mera är i min hvardagsbelägenhet – och att rycka mig ur den, är konstens ändam”l – men jag är ej i samma l”nga, njutande sinnesförfattning som, för att nyttja en Skol-term, frambringas af ett objektift konststycke, och jag erfar ej heller samma stilla varagtiga och ointresserade förnöjelse.«

Hammarskölds Kritik über Schiller (1808)

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als Dramatiker, welcher den Hauptteil des Textes ausmacht, zeigt, dass Schiller zu diesem Zeitpunkt hauptsächlich als Dramatiker gesehen wurde.

2.

Schiller als Dramatiker

Hammarsköld definiert das Epische als Darstellung eines ideellen Geschehens (Händelser), das Dramatische als Darstellung ideeller Handlungen (Handlingar) und das Lyrische durch seinen ideellen Ausdruck (Uttryck, siehe 9 – 10). In Analogie zur Distinktion antiker und moderner Dichtung unterscheidet Hammarsköld zwischen »Intrigentragödien« und modernen »Charaktertragödien«. Die Intrigentragödie ist definiert als »Darstellung einer ideellen Handlung«, was dem Wesen des Dramatischen insgesamt entspreche und somit die Präferenzen Hammarskölds benennt. Auch die Bezeichnung »Charaktertragödie« ergreift im Rahmen der Schlegel’schen Schelte über die Moderne als Ausdruck des Interessanten, Charakteristischen und Individuellen deutlich Partei für das Intrigendrama, welche bei den Alten vorherrschend war. Aus den frühen Dramen Schillers greift Hammarsköld Die Räuber heraus, um an diesem Trauerspiel den Geist der Jugenddramen exemplarisch darzulegen. Die Räuber seien das Kind eines 22-jährigen Jünglings mit einer wilden und dunklen Phantasie, der noch nicht viel über seine Kunst nachgedacht hat und alles für gut ansah, das kräftig schien. Keiner, der dieses grausige Trauerspiel gelesen hat, kann verneinen, dass es mit vielen, ziemlich vielen nicht imitierbaren Schönheiten geschmückt ist, aber gleichwohl wird keiner das Ganze loben können oder es für mehr ansehen als eines künftigen Dichters erstes Studium.1299

Die Absicht des Dichters sei wie immer bei Schiller eine philosophische, nämlich die Darstellung eines idealen tugendhaften Charakters, der durch die Umstände zu einem Verbrechen getrieben wird. Der Stil trage die Spuren des Anfängers: wenngleich hie und da »schön« und »richtig«, häufig auch »falsch«, »schwülstig« und »übertrieben«, statt »erhaben« nur »bombastisch« (17). Fiesco und Kabale und Liebe seien von der gleichen »Manier« (auch dies ein Schlegel’sches Anathema der Moderne gegenüber), allerdings hätten diese einen Veredlungsprozess durchlaufen und wiesen deshalb weniger Mängel auf. Die Jugenddramen

1299 Ebd., S. 13: »[…] ett foster av en 22 ”rs yngling med en vild och mörk fantasi, som ännu ej mycket tänkt över sin konst, som ans”g allt gott, som kraftigt verkade. Ingen, som läst detta rysliga sorgespel, skall neka, att det är prydt med m”nga, ganska m”nga inimitabla skönheter, men ingen skall likväl kunna berömma det hela eller anse det för annat än en blivande konstnärs första studium.«

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seien durchweg Intrigendramen, zumindest sofern sie genau so viel Gewicht auf die Handlung wie auf den Charakter legen. Mit dem Don Carlos sei Schiller in eine neue Phase seines dramatischen Schaffens eingetreten: Es gehe nicht mehr um eine Intrige, vielmehr stehe nun die Darstellung eines sublimen Charakters im Mittelpunkt.1300 Eine derartige Charakterdarstellung sei ihm besonders geglückt beim »großen«, »kraftvollen« und »kühnen« Wallenstein. In den beiden Hauptteilen, Die Piccolomini und Wallensteins Tod, habe Schiller nicht nur den Hauptcharakter, sondern auch alle anderen Charaktere glaubhaft und tief gezeichnet: »jeder soll in höchstem Maße ratlos sein, wen er mehr bewundern soll, den großen, im Verbrechen selbst verehrenswerten Wallenstein oder den schlauen, seinem Hof eifrig dienenden Octavio Piccolomini oder den gefühlvollen, ehrlich schwärmendem Maximilian.«1301 Um die Charakteren vollständig darzustellen, habe er diese aus unterschiedlichen Perspektiven betrachtet, wozu Wallensteins Frau, Schwägerin und Tochter beitrügen, die bewirkten, dass Wallenstein nicht nur als Soldat, sondern auch als Vater und Gatte handle. Doch so glücklich Schillers Hand in der Charakterisierung Wallensteins im Besonderen und starker männlicher Charakteren im Allgemeinen sei, so weit stehe er »unter seinem großen Meister Goethe bei der Darstellung von Personen des anderen Geschlechtes.«1302 Ein gängiges Vorurteil gegenüber Schiller, dem vor allem die deutschen Romantiker Nahrung gegeben haben und das bis heute nichts von seiner Wirkungskraft verloren hat, obwohl eine differenziertere Betrachtung der Wahrheit näher kommen würde.1303 Am wenigsten kann Hammarsköld die Dreiteilung der Tragödie goutieren: Wallensteins Lager sei völlig überflüssig, und die verbleibende Zweiteilung des Dramas bewirke, dass die Piccolomini kein Ende und Wallensteins Tod keinen Anfang hätten. Hammarsköld moniert am Wallenstein m.a.W. eine mangelnde organische Einheit. Der erste Teil oder Wallensteins Lager, obwohl mehrere schöne Stellen enthaltend, ist gleichwohl eines der missglücktesten Produkte Schillers. Es ist wie mit diesen Menschen, über welche man nichts anderes sagen kann, als dass sie da sind, um einen Platz auszufüllen. Natürlich gibt es den Anschein eines Zusammenhanges mit dem Ganzen, aber das ist bloßer Schein; dessen Zweck sein soll, die Gedanken der Armee im Hin1300 Ebd., S. 19. 1301 Ebd., S. 23: »Hvar och en skall vara i högsta grad villr”dig, hvilken han mäst bör beundra, antingen den store, i själva brottet ännu vördnadsvärde Wallenstein eller den sluge, sitt hov ivrigt tillgifne Octavio Piccolomini eller den känsligt, ärligt svärmande Maximilian.« 1302 Ebd., S. 24: »[…] s” l”ngt st”r han under sin store mästare Goethe, d” han skall framställa personer af andra könet.« 1303 Siehe z. B. H. Fuhrmann, Zur poetischen und philosophischen Anthropologie Schillers: vier Versuche, 2001.

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blick auf die Pläne des Generals zu zeigen; und das sollte nicht besser im Stück selbst passen? Und dies erfordert so viele Geschichten? Aus diesem Grund muss ein Bauer stehlen, zwei Jäger um ein Marketendermädchen fechten, und ein Kapuzinermönch eine burleske Predigt halten? Man versuche außerdem, Wallensteins Lager ganz auszulassen, und man wird ohne Zweifel das Ganze genau so gut begreifen, das Gedicht in gleichem Maße genießen, als ob der erste Teil da wäre. Das einzige, was man dabei verliert, ist der schöne Soldatenchor, der diesen Teil beendet und der uns äußerst geschickt verkündet, dass wir in einem Lager sind. Dies merkte Schiller und deshalb verfasste er diesen Quasiprolog, für welchen ein oberflächlicher Leser ihm dankt. Bloß der Kritiker, bloß derjenige, welcher eher ein zusammenhängendes vollendetes Kunstwerk schätzt, als einige schöne Stellen und effektreiche Chöre, schüttelt dabei den Kopf. Aber wer wird wohl diese Grübler um Rat fragen, was man beklatschen soll und was nicht?1304

Die von den schwedischen Romantikern am meisten geschätzte Tragödie, Die Jungfrau von Orleans, nimmt Hammarsköld zum Anlass, über den Unterschied und die Entstehung klassischer und romantischer Dichtung zu reflektieren. Das Ziel der antiken Kunst sei die Schönheit gewesen, deren Wirkung Ruhe und ihr Paradigma die Plastik – das Ziel der romantischen Poesie sei das Sentimentale und Erhabene (sublimit¦), die Wirkung eine »wohllüstige Aufgeregtheit« und ihr Paradigma die Musik. Das romantische Gedicht, welches im 11. Jahrhundert entstand und durch Dante und Petrarca ihre paradigmatische Form erhielt, sei nicht objektiv wie das klassische, welches auf den Gipfeln ihrer Möglichkeiten z. B. bei Homer, ein »göttliches Spiel« gewesen sei, vielmehr subjektiv, sentimental, musikalisch und zeige Momente des Wunderbaren. Kennzeichen der romantischen Poesie sind der »subjektive Sentimentalismus«, der »musikalische Ton«, eine »mittelalterliche Mischung von Ständen, Geschlechtern und Altern«, der »enzyklopädische Geist«, die »ständige Erinnerung an die höchsten 1304 L. Hammarsköld, Försök till en kritik öfver Friedrich Schiller, betraktad som poet, häfdatecknare och filosof, 1808, S. 21 f: »Första delen, eller Wallensteins Lager, ehuru uppfylld med flera vackra ställen, är likväl en af Schillers mäst misslyckade produkter. Den är lik vissa menniskor om vilka man ej kan säga annat än att de äro till för att fylla en plats. Visserligen har den ett sken af sammanhang med det hela, men det är blott ett sken; dess ändam”l skulle vara att visa Arm¦ens tänkesätt i anseende till Generalens företag; och detta skulle ej skickligare kunna ske inuti sjelfva pjesen? Och dertill fordras s” m”nga tillställningar? För den orsaken m”ste en Bonde stjäla, tv” Jägare fäckta om en Marketentareflicka, och en Kapucinermunk h”lla en burlesk predikan? Dessutom försökte man att alldeles utelemna Wallensteins Lager, och man skall otvifelaktigt f” lika mycket begrepp om det hela, njuta lika mycket af poemet, som om den första delen vore der. Det enda man dervid förlorar, är den sköna Soldat-chören som slutar denna del och som är ogement skicklig att förkunna oss det vi äro i ett läger. Detta kände Schiller, och derföre författade han denna quasiprolog, för hvilken en flyktig läsare tackar honom. Det är blott granskaren, blott den som mera värderar ett sammanstämmande, fullbordadt konststycke, än n”gra vackra ställen och effektrika chörer, som dervid runkar p” hufvudet. Men hvem vill väl r”dfr”ga desse knarrige grubblare om hvad man skall klappa händerna ”t?«

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Schiller in der romantischen Kritik

menschlichen Forderungen: Religion und Liebe« (33). Eine derart positive Voreingenommenheit für das Romantische und damit das Moderne weist auf eine gewisse Inkonsequenz oder auch Gleichzeitigkeit zweier sich widersprechender ästhetischer Paradigmen in der Anschauung Hammarskölds, welche in seiner Kritik häufig begegnet. Einerseits privilegiert er die Alten, welche er in Goethe noch einmal verkörpert sieht, andererseits goutiert er das Romantische als Ausdruck einer enzyklopädischen Unendlichkeit und einer Unruhe. Es handelt sich hierbei um zwei ästhetische Paradigmen, welche bei Schlegel zeitlich auseinanderlagen: die erste Phase drückte sich in Über das Studium der griechischen Poesie aus, die zweite unter anderem im Fragment 116 im Athenäum, in welchem über die reflexive Universalpoesie gehandelt wird. Ein romantisches, weil modernes Moment finde sich zwar in allen Dichtungen Schillers, aber in keiner so ausgeprägt wie in der Jungfrau von Orleans. Die anderen dramatischen Stücke seien eher das Werk des Philosophen als das des Dichters: »der tiefe, durchdringende Blick des Verfassers und seine umfassende Menschenkenntnis herrschen in einem solchen Poem weit mehr als seine Phantasie; aber die Phantasie ist die Schöpferin der Dichtkunst.«1305 In der Jungfrau von Orleans sei dagegen der religiöse Enthusiasmus die Triebfeder der gleichermaßen übernatürlichen als auch natürlichen Handlung, »worin eine innerliche, brennende Religion und eine weibliche Keuschheit auf das schönste verherrlicht werden« (37). Die Jungfrau von Orleans sei als Geschöpf der Phantasie vollkommen: »Es ist auch ganz und gar, für was es sich ausgibt: ein romantisches Gedicht, das in den stärksten Tönen zum Herzen spricht. Mit einem Wort: es ist die Krone von Schillers Dichtkunst.«1306 Es wird von einer »absoluten Einheit« geprägt, die nichts gemein habe mit einer nur »formalen Einheit« des Inhalts mit seinem Ausdruck, sondern die Notwendigkeit jedes einzelnen Teils zum Ganzen (34). Die Dramen Don Carlos, Wallenstein sowie Maria Stuart seien als Charakterdramen im Grunde eher vom Philosophen als vom Poeten geschaffen und deshalb zu wenig objektiv (41). Der Wilhelm Tell sei ein romantisches Intrigenstück wie die Jungfrau von Orleans, aber von geringerem Rang; und Die Braut von Messina mit dem Doppelchor bezeuge lediglich Schillers gänzlich falsche Auffassung der antiken Poesie (46). Trotz der prinzipiellen Unterschiede der Dramen Schillers, welche teils als Intrigenstück, teils als Charaktertragödie, teils als philosophisch, teils als romantisch charakterisiert werden, kann Ham1305 Ebd., S. 34: »Författarens djupa, genomträngande blick och hans vidsträckta menniskokännedom herskar i ett s”dant poem vida mera än hans fantasi; men fantasien är doch Skaldekonstens skaparinna.« 1306 Ebd., S. 40: »Det är ocks” helt och h”llet, hvad det ger sig ut för att vara: ett Romantiskt poem, som med de starkaste toner talar till hjertat. Med ett ord: det är kronan av Schillers skaldekonst.«

Hammarskölds Kritik über Schiller (1808)

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marsköld resümierend folgende generelle Gemeinsamkeiten der Schiller’schen Tragödien benennen: Stets läge etwas Großes in den Themen, die Schiller bearbeite; im Zusammenhang damit könne man einen Dualismus ausmachen, der seinen Grund im Kant’schen Moralsystem habe; Schiller habe nie etwas mit sparsamen Mitteln ausgeführt – seine Tragödien wimmelten von Akteuren; die Reden und die Taten der Akteure seien stets Ausdruck einer modernen Philosophie.

3.

Schiller als Lyriker

Schon die quantitative Gewichtung der behandelten dichterischen Gattungen und wissenschaftlichen Fächer, in welchen Schiller wirksam war, zeugen von einem im Vergleich zur vorhergehenden Generation gänzlich gewandelten und vor allem auch verengten Schiller-Bild. Den größten Raum in der Kritik über Schiller hat Hammarsköld den dramatischen Schriften eingeräumt, während die Lyrik einen kleinen und die ästhetischen, historischen und novellistischen Schriften einen noch kleineren Raum einnimmt. Die lyrische Poesie entstehe, definiert Hammarsköld, durch den ideellen Ausdruck des Gemüts (sinnesrörelse), welches sich entweder in einem Zustand des Wohlbehagens oder des Missbehagens befinde. Auf diese natürlichen Gefühlszustände aufbauend teile sich die Lyrik in zwei prinzipielle Gattungen: die sinnlich-lyrische Poesie (Anakreon, Goethe) und die philosophisch-lyrische Poesie (Horaz, Klopstock, Schiller). Erneut macht sich hier die Distinktion zwischen »antiker« (also klassischer) und »moderner« (also romantischer) Poesie geltend. Die erste entspreche dem, was Schiller als naive Poesie, die letztere dem, was er als sentimentale Poesie bezeichne. Wie Schiller meint Hammarsköld, dass die sinnliche Lyrik charakteristisch für die antike Dichtung und die philosophische für die moderne sei. Ebenfalls wie Schiller ist er jedoch der Meinung, dass diese Einteilung nicht nur chronologisch zu verstehen sei, sondern auch den spezifisch poetischen Charakter eines Dichters benenne, d. h. es gibt auch in der Moderne naive Dichtung und umgekehrt. Hammarsköld sieht ganz im Geiste der deutschen Romantik, aber auch in Übereinstimmung mit Schiller selbst, die sinnlich-lyrische Poesie als die vollkommenere an. Schiller sei als Lyriker zu philosophisch und zu didaktisch, den Gedichten liege stets ein »rationaler Satz« zugrunde (60). Dies gelte auch für die Balladen (Hammarsköld nennt Der Taucher, Die Bürgschaft, Der Gang nach dem Eisenhammer, Ritter Toggenburg, Der Kampf mit dem Drachen, Die Kraniche des Ibykus), die zum Rhetorischen neigen. Immerhin unterscheide sich seine philosophische Dichtung von den gereimten Gemeinplätzen durch eine wahre Begeisterung für Ideen. Trotzdem seien die zahlreichen Bewunderer der Schil-

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ler’schen Lyrik zu tadeln, die ihn über den unsterblichen Goethe und die antiken Dichter stellen, da es ihm letztendlich am Sinn für reine Dichtung als freies Spiel der Phantasie gebreche. Dagegen verteidigt er Die Götter Griechenlands vor der Kritik Stolbergs: das Gedicht sei nicht metaphysisch oder gar moralisch aufzufassen, sondern als reine Poesie. Vermutlich als Folge von Schlegels StudiumAufsatz macht sich bei Hammarsköld ein erstaunlich rigides Festhalten an Gattungskriterien bemerkbar. Was er Schiller vorwirft, dass dessen Gedichten stets ein rationaler Satz zugrunde läge, fällt somit auf ihn selbst zurück. August Wilhelm Schlegel hatte im jungen Schiller noch nicht den kalten Denker und abstrakten Analytiker gesehen, vielmehr den empfindsamen und begeisterungsfähigen Dichter. Er gestand Schiller in seiner Rezension über Die Künstler zu, dass es diesem gelinge, im Medium des lehrenden Gedichts, die starre Abstraktheit der philosophischen Wahrheit zu poetisieren, sie mehrdeutiger und zugleich konkreter zu machen, weil sie nur im Symbol und in der Metapher, in der Vielzahl der gewählten und verstandenen Bildlichkeit zu schillernder Lebendigkeit ersteht.1307

Schlegel war also in seiner Auseinandersetzung mit Schiller bereit, an präfabrizierten und bewertungsbesetzten Gattungskategorien zu rütteln. Genau diese Bereitschaft ist Hammarsköld nicht anzumerken, obwohl er der Maxime zu folgen vorgibt: »Seine eigenen Grundsätze sollen mich leiten. Nur Schiller ist würdig, über Schiller zu richten, und es geziemt mir nur, die von ihm aufgestellten Regeln auf seine Arbeiten anzuwenden […]«.1308 Auch die Auswahl der hier genannten Gedichte ist wenig überzeugend: bedeutende Gedichte wie Die Künstler, Das Ideal und das Leben sowie Der Spaziergang werden nicht in Betracht gezogen.1309 Gerade in der Beurteilung der Lyrik Schillers zeigt sich

1307 U. Schenk-Lenzen, Das ungleiche Verhältnis von Kunst und Kritik, 1991, S. 85. 1308 L. Hammarsköld, Försök till en kritik öfver Friedrich Schiller, 1808, S. 10: »Hans egna grundsatser skola allt fort leda mig. Endast Schiller är värdig att dömma öfver Schiller, och det tillhör mig endast att använda p” hans arbeten de reglor han föreskrifver, och samla resultaterna af hans egna pröfning.« 1309 H. Moenkemeyer kritisiert in seinem Aufsatz Hammarskölds »ungleichmäßige« und »lückenhafte« Behandlung von Schillers Dramen: »Daß er das Demetrius-Fragment noch nicht gelesen hat (S. 4), sowie Fiesco und Kabale und Liebe nur beiläufig nennt, verwundert uns nicht zu sehr. Höchstes Befremden erregt aber die überaus flüchtige Erwähnung von Maria Stuart (S. 26). Auch auf Don Carlos und Wilhelm Tell geht er nicht näher ein« (S. 191). Hammarskölds Vorgehensweise, das Herausgreifen eines Beispiels zur Charakterisierung einer Gruppe von Dramen, ist jedoch durchaus angemessen, insbesondere wenn im Schlegel’schen Sinne auf den »Charakter« des Dichters abgezielt wird, nicht auf das Erstellen einer kompletten Werkbiographie. Problematisch ist dagegen sein Vorgehen im Bereich der Lyrik, in welchem die bedeutendsten Gedichte noch nicht einmal genannt werden, geschweige denn einer Kritik unterzogen worden wären.

Hammarskölds Kritik über Schiller (1808)

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Hammarskölds Begrenzung als Kritiker, insbesondere im Vergleich mit den Gebrüdern Schlegel, seinen erklärten Vorbildern.

4.

Schiller als Prosaschriftsteller

Hammarsköld schätzte die Romankunst, die den »Neueren behagt« und die Europa wie aus »Fabriken überschwemmt und alle andere Literatur erstickt«, wenig (65). Trotzdem kann er an den fragmentarischen Erzählungen Der Geisterseher und Die Schwarze Königin gefallen finden: das letztgenannte sei von der reichsten Phantasie (66), Das Spiel des Schicksals und Verbrechen aus verlorener Ehre seien in einem »leichten Ton« verfasst und »recht unterhaltend zu lesen« (66). Die wesentliche Eigenschaft, welche die Prosa von der Poesie unterscheidet, ist die, dass die letztere eine Mutter des Vergnügens, die erstere dagegen ein Kind des Bedürfnisses ist. Während es der Zweck der Poesie ist zu gefallen, die Einbildungskraft zu rühren, ist es der Zweck der Prosa zu unterrichten, den Verstand aufzuhellen und das Denken zu üben. Dieser Zweck schreibt auch alle Regeln für den prosaischen Stil vor: und Reinheit, Deutlichkeit, Simplizität und Eleganz sind die vornehmsten Eigenschaften, welche wir in den ungebundenen Schreibarten schätzen.1310

Noch mehr als die Kritik der Schiller’schen Lyrik offenbart seine Kritik der Prosa Schillers eine ästhetische Vorstellung der Kunst des Romans, die sich noch nicht einmal auf dem Reflexionsniveau der Aufklärung befindet, geschweige denn seinen erlauchten Vorbildern den Gebrüdern Schlegel oder Novalis genüge tun würde. Von diesen wurde der Roman geradezu als die Kunstform überhaupt angesehen, ein Sachverhalt, der durch den etymologischen Zusammenhang von »Roman« und »Romantik« abgebildet wird. Schlegel äußert in seinem Athenäums-Fragment 78: Mancher der vortrefflichsten Romane ist ein Kompendium, eine Enzyclopädie des ganzen geistigen Lebens eines genialischen Individuums; Werke, die das sind, selbst in ganz andrer Form, wie Nathan, bekommen dadurch einen Anstrich vom Roman. Auch enthält jeder Mensch, der gebildet ist, und sich bildet, in seinem Innern einen Roman. Daß er ihn aber äußre und schreibe, ist nicht nötig. 1310 L. Hammarsköld, Försök till en kritik öfver Friedrich Schiller, 1808, S. 67: »Den väsenteliga egenskap som skiljer prosa fr”n poesi är den att d” den sednare är en moder till nöjet, och till det renaste, ädlaste nöje, är den förra ”ter barn af behofvet. D” poesiens ändam”l är att behaga, att röra inbildningen, är prosans ”ter att undervisa, att upplysa först”ndet och öfva tankekraften. Detta dess ändam”l föreskrifver ocks” all reglorna för den prosaiska stylen: och renhet, tydlighet, simplicitet och elegans, äro de förnämsta egenskaper som vi i den obundna skrifarten värdera.«

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Schiller in der romantischen Kritik

Das Projekt einer »progressiven Universalpoesie« bei Schlegel wie auch das Projekt des »Romantisierens der Welt« bei Novalis ist eng verbunden mit dem Gedanken einer Enzyklopädie, welche nach den Vorstellungen der deutschen Frühromantik nur im Roman verwirklicht werden kann. Trotz aller Gemeinsamkeiten zwischen der schwedischen und der deutschen Romantik lässt sich bei Hammarsköld bereits ablesen, dass man im Norden trotz der behaupteten Bewunderung für Goethes Wilhelm Meister der Romanliteratur eher skeptisch gegenüber stand – diesbezüglich war man der gleichen Meinung wie Schiller. Atterbom hatte mit dem alle Gattungen überschreitenden Lycksalighetens Ö (dt. Die Insel der Glückseligkeit), am ehesten noch mit dem Faust II zu vergleichen, das romantischste Buch der schwedischen Romantik geschaffen; und selbst Almquist, der einzige Prosaschriftsteller von Rang in der schwedischen Romantik, schuf mit seinem ersten bedeutenden literarischen Werk Amorina einen zwischen Drama und Roman changierenden Text. Lediglich Carl Livijn, ein Außenseiter der romantischen Schule, verfasste schon in einem frühen Stadium der schwedischen Romantik Erzählungen und Romane, welche letzteren jedoch Fragmente blieben. Den Begriff der »Enzyklopädie« hat Hammarsköld zwar im Zusammenhang mit der Jungfrau von Orleans verwendet, letztlich hielt er jedoch am griechisch, d. h. auch organisch, geprägten Kunstbegriff im StudiumAufsatz fest, weshalb er auch im Zusammenhang mit Schillers romantischer Tragödie die Einheit derselben betonte. Zwar habe sich Schiller in der Prosa verdient gemacht, aber mit einem Georg Forster, Gibbon oder Fichte und noch weniger mit Platon oder Livius könne er sich nicht messen. Im Unterschied zum Abfall der Niederlande sei der Dreißigjährige Krieg weniger gleichmäßig verfasst, die »tollkühnsten Tropen« fänden sich da neben den »magersten Tautologien«, eine Folge des Schwankens zwischen der Oration an die Damen Deutschlands und einer erweiterten historiographischen Form. Außerdem sei Schiller nicht ausreichend unparteiisch, sobald es darum gehe, Schweden, Franzosen und Deutsche zu vergleichen. Immer mache er die beiden vorigen etwas kleiner und lasse den letzteren etwas mehr »Gerechtigkeit« zukommen. »Es scheint, als ob der Nationalismus, der ein starker Zug in Schillers Charakter war – wie bei allen Colericomelancholici – sich nicht von der Weltbürgerlichkeit, nach welcher er strebte, innerhalb der gebührenden Schranken hat halten lassen.«1311

1311 Ebd., S. 75: »Vi finna Schiller äfven här icke nog opartisk, s” snart det är fr”ga om jemförelse mellan Svenskar, Fransoser och Tyskar. Alltid gör han de b”da förra n”got mindre och de sednare n”got mer än rättvisal. Det tyckes som om nationalismen, hvilken utgjorde ett starkt drag i Schillers karakter – liksom hos alla colericomelancholici – här icke kunnat, af den verldsborgerlighet till hvilken han sträfvade, h”llas inom sina behöriga skrankor.«

Hammarskölds Kritik über Schiller (1808)

5.

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Abschließendes Urteil

Seiner anfänglichen Zielsetzung gemäß führt die Analyse des Werks zur Ganzheit seines poetischen Charakters, über welchen Hammarskölds abschließendes Urteil lautet: Wir haben bemerkt, dass Schiller eher ein Mann mit tiefer und düsterer, als reicher, spielender und leichter Einbildungskraft ist, eher nach dem Erhabenen und Erstaunlichen strebend als zu dem Schönen und Einnehmenden, eher durchdrungen vom Wahren und Guten als vom rein Schönen, mit einem Wort: wie vortrefflich seine Stücke auch sind, so empfangen sie doch immer ihr frappantestes Wohlgefallen von einem ganz anderen als dem poetischen Interesse, und deshalb verdienen sie nie den Namen wahrer Poesie. Und dieses Resultat ist von größerem Gewicht als es zunächst erscheinen mag, da wir uns daran erinnern sollten, dass in der heutigen Zeit der Sinn für reine Kunst so außerordentlich selten ist. Der beginnende Künstler sollte deshalb nicht in die Irre geführt werden von dem außerordentlichen Beifall, den das kunstliebende Publikum jetzt und in Zukunft Schiller als Poet vor Goethe spendet, und konsequenterweise auch vor den größten Meistern Griechenlands. Von dem wenig Richtigen in diesem Urteile denen von meinen Landsleuten einen Wink zu geben, die ein Talent in sich spüren für die erste, die edelste aller Künste, ist meine Absicht gewesen mit dieser Arbeit.1312

Hammarsköld beschwört in dieser Passage das »rein Schöne«, die »wahre Poesie«, die »reine Kunst«, welche ein rein »poetisches Interesse« affiziert, und unterscheidet diesen autonomen Kunstbereich von Schillers Kunstproduktion, welche vom Wahrem und Guten durchdrungen sei. Schiller wird m.a.W. der Vorwurf gemacht, das Ästhetische mit dem Moralischen zu vermengen, weshalb er eher zum Erhabenen strebe, als zum Schönen: das Erhabene ist ja schon mit dem Moralischen kontaminiert. Hammarsköld folgt in seiner ästhetischen Anschauung in mehrerer Hinsicht Friedrich Schlegels Studium-Aufsatz und Schellings Anschauungen in System des transzendentalen Idealismus:

1312 Ebd., S. 80 f: »Vi hafva märkt att Schiller var en man mera af djup och dyster, än af rik, lekande och lätt inbillningskraft, mera sträfvande till det sublima och förv”nande än till det sköna och intagande, mera genomträngd af det sanna och goda än af det rent sköna, med ett ord att ehuru förträffeliga hans Skaldestycken äro, l”na de dock alltid sitt mäst frappanta behag, fr”n ett helt annat än ett poetiskt intresse, och derföre aldrig förtjena namn af sanna poesier. Och detta resultat torde vara av mera vigt än det i början synes, d” vi draga oss till minnes att i v”r tid sinne för ren konst, är s” obeskrifligen sällsynt. Den börjande Artisten bör derföre icke vilseföras af det ogemena bifall som det konstälskande Publicum, nu och länge härefter gifver och lärer gifva Schiller som Poet framför Goethe, och i följd deraf, s” snart de vilja tala uppriktigt och konsequent, äfven framför Greklands störste Mästare. Att om det mindre rigtiga i detta omdöme, gifva dem af mine landsmän, en vink, vad som inom sig känna talent för den första, den ädlaste af alla konster, har varit min afsigt med detta arbete.«

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Schiller in der romantischen Kritik

1. Die »ästhetische Hervorbringung« wird von Schelling als eine »absolut freie« bezeichnet: »Aus jener Unabhängigkeit von äußern Zwecken entspringt jene Heiligkeit und Reinheit der Kunst, welche so weit geht«, dass sie nicht nur »die Verwandtschaft mit allem, was bloß Sinnesvergnügen« oder nützlich ist, ausschlägt, sondern auch mit dem, was zur Moralität gehört oder zur Wissenschaft, d. h. dem uneigennützigen Wahrheitsstreben.1313 Im Unterschied also zu Kant, Schiller, Lidbeck, Tegn¦r und Geijer wird das Schöne nicht mehr als Symbol des Guten gesehen, das Band zwischen dem Schönen und dem Guten endgültig gekappt. 2. Hammarsköld benennt explizit den defizitären Charakter des Erhabenen, was einer nicht explizit formulierten Höherbewertung des Schönen vor dem Erhabenen bei Schelling entspricht: »Der Grundcharakter jedes Kunstwerks […] ist also die Schönheit, und ohne Schönheit ist kein Kunstwerk.«1314 3. Bei Schelling (und bei Hammarsköld) hat das Schöne vor dem Guten und Wahren höchste Priorität, da die Philosophie zwar das Höchste erreiche, »aber sie bringt bis zu diesem Punkt nur gleichsam ein Bruchstück des Menschen. Die Kunst bringt den ganzen Menschen, wie er ist, dahin, nämlich zur Erkenntnis des Höchsten, und darauf beruht der ewige Unterschied und das Wunder der Kunst.«1315 4. Aus dem Gesagten geht hervor, dass für Schelling das Kunstwerk nicht nur bedeutungsvoller ist als sein Rezipient, sondern auch bedeutungsvoller als sein Urheber. Seine Ästhetik ist eine energische Besinnung auf das Kunstwerk selbst, zu seinem Erkenntnispotential, zur Werkästhetik, im Unterschied zu Schiller, dessen Kunstbetrachtung eine Rezeptionsästhetik darstellt. Indem Schelling »die Kunst zu dem Ort macht, an dem das Absolute, d. h. Wahrheit im emphatischen Sinne sich offenbart«,1316 sieht er die Kunst und die Philosophie das gleiche Ziel anstreben: die Erkenntnis des Absoluten. Gleichwohl wird Schiller, der in beiden Bereichen in einem eminenten Sinne Zuhause war, nicht mehr als paradigmatischer Dichter angesehen. Hammarsköld ist etwas inkonsequent, wenn er Schiller einerseits zugesteht, dass ihn seine philosophische Tendenz zu einem kongenialen Mitstreiter Fichtes und Schellings hätte machen können, die poetische Bahn ihm dagegen nicht vorbestimmt gewesen sei, und wenn er andererseits seine Philosophie als zu poetisch und seine Poesie als zu philosophisch tadelt. Umso mehr überrascht es nach der fast durchgängig kritischen Beurteilung des Schiller’schen Werks, wenn er Schiller 1313 F. W. J. Schelling, System des transzendentalen Idealismus, in: ders. Ausgewählte Schriften, I, 1794 – 1800, 1985, S. 690. 1314 Ebd., S. 688. 1315 Ebd., S. 698. 1316 P. Bürger, Zur Kritik der idealistischen Ästhetik, 1983, S. 23.

Reaktionen, Repliken und Antikritiken

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in einem Atemzug mit Goethe und Tieck nennt: die drei Dichter hätten die deutsche Poesie beinahe auf den Gipfelpunkt der Vollkommenheit geführt. Eine solche Bewertung erklärt sich letztlich aber aus der spezifischen Tendenz der Schelling’schen Ästhetik, absolute Kunstwerke als einmalig anzusehen, weshalb selbst sehr bedeutende Kunstwerke Mängel aufweisen.1317 Von Goethe trenne ihn allerdings die moderne Düsterheit, welche ihn kennzeichne, und von Tieck, auf dessen Feld er sich mit der Jungfrau begeben habe, trenne ihn letztendlich die romantische Sentimentalität, welche ihm fehle.

2.

Reaktionen, Repliken und Antikritiken

In einem Brief vom 3. 8. 1808 an Carl Christoffer Gjörwell kommentierte Hammarsköld bereits drei Vorwürfe, welche an seine kurz zuvor erschienene Kritik über Schiller herangetragen worden waren. Er sieht im Vorwurf, dass er es gewagt habe, Schiller zu tadeln, vor allem ein Missverständnis bezüglich des Begriffs »Kritik«, der keineswegs dasselbe bedeute wie »Tadel«, sondern seinen etymologischen Ursprung vom griechischen Verb »krino« (dt. scheiden, auswählen, entscheiden, urteilen) herleite. Der Begriff »Kritik« war entgegen der naheliegenden Vermutung, ein »Schlagwort des achtzehnten Jahrhunderts« gewesen zu sein, recht eigentlich erst von Kant benutzt worden, der 1781 in der Kritik der reinen Vernunft verlautbarte: »Unser Zeitalter ist das eigentliche Zeitalter der Kritik«.1318 Kant hat dem Begriff der Kritik im Gegensatz zu einem bloßen Bekritteln die Würde eines absoluten Richterstuhls gegeben, der zwar unerbittlich, aber aufgrund seiner objektiven Unparteilichkeit gleichwohl gerecht war. Der hohe Anspruch, der durch Kant mit dem Begriff der Kritik verbunden war, wurde von dem emphatischen Kritik-Begriff der Schlegels noch einmal verstärkt. Sie verwarfen die Kritik des 18. Jahrhunderts als »atomistisch«, weil zu sehr um die Korrektheit der einzelnen Teile des Kunstwerkes bemüht. Ein unnötiges und sinnloses Unterfangen, da doch jedes Kunstwerk, das den Namen verdient, »organischer Natur ist, worin das Einzelne nur vermittelst des Ganzen existirt«.1319 »Wahre Kritik« im Sinne der Schlegels solle »keine Notiz nehmen von Werken, die nichts beitragen zur Entwicklung der Kunst und der Wissen1317 Aufgrund einer stets vorhandenen Präsenz Platons in Schellings Werk, besonders deutlich in Bruno, entspricht die Realisierung eines Kunstwerkes einem Abstieg von den Ideen, den ewigen Urbildern der Dinge, von den Gedanken in Gottes Verstand, um sich mit der Materie und der Zeit zu vereinen, wodurch es von seiner Herrlichkeit und Absolutheit verliert. 1318 I. Kant, Kritik der reinen Vernunft, 1956, S. 9. 1319 A. W. Schlegel, Vorlesungen über schöne Literatur und Kunst (1801 – 1804), I, 1884, S. 25.

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Schiller in der romantischen Kritik

schaft«.1320 Hammarsköld hat seine Kritik offensichtlich im Sinne der Schlegels verstanden, und das bedeutet gleichzeitig, dass er Schiller als einen außerordentlich bedeutenden Dichter ansah, da er einer »Kritik« würdig war. Hammarsköld wird allerdings kaum seinen eigenen hohen Ansprüchen gerecht: Einerseits begibt er sich auf das atomistische Terrain der traditionellen Kritik, andererseits fällt er immer wieder in die Tonlage des Bekrittelns. Ein weiteres abwertendes Urteil laute, er habe Schlegels Kritik Schillers Wort für Wort übersetzt. Hammarsköld macht geltend, dass es in Friedrich Schlegels Werk keine Kritik über Schiller gebe, mit Ausnahme von zwanzig Zeilen in der Zeitschrift Europa. In Wirklichkeit hat Friedrich Schlegel 1796 in Johann Friedrich Reichardts Zeitschrift Deutschland eine Rezension über Schillers Musenalmanach auf das Jahr 1796 publiziert, in welcher er sich über Die Würde der Frauen lustig gemacht hatte und Die Ideale als »Krampf der Verzweiflung« bezeichnete, und 1797 kam es nach einer weiteren Kritik von Schillers Zeitschrift Die Horen endgültig zum Bruch zwischen Schiller und Schlegel. Um Goethe nicht vor den Kopf zu stoßen, verfolgten die Brüder Schlegel eine »Politik des öffentlichen Schweigens« gegenüber Schiller, während sich in Privatbriefen kritische Äußerungen finden, die durchaus denen Hammarskölds ähneln: Schiller sei ein rhetorischer Sentimentalist, ein poetischer Philosoph, keineswegs jedoch ein philosophischer Dichter. Ob Hammarsköld die in Deutschland abgedruckten Rezensionen bekannt waren oder nicht, ist eine Frage, der meines Erachtens zuviel Wert beigemessen wurde; letztlich genügt die Kenntnis von Schillers Über naive und sentimentalische Dichtung und Schlegels StudiumAufsatz, sowie die kritischen Zeilen in Europa, um Schlegels Invektiven bezüglich der Moderne auf Schiller zu übertragen, der sich ja selbst als sentimentaler Dichter zu erkennen gegeben hatte. Manche hätten sich in ihrem Eifer darin verstiegen, einem so unbedeutenden Wesen wie ihm überhaupt das Recht abzusprechen, einen bedeutenden Dichter wie Schiller zu beurteilen. Aber er wisse nicht, »wann die literarische Republik in eine Aristokratie verwandelt worden ist, wo nur die Besten die Erlaubnis bekommen sich zu äußern. Soweit ich die Geschichte der Gelehrten kenne, hat jedes Mitglied im Reich des Wissens das Recht gehabt, sich frei zu äußern.«1321 Dabei hatte Friedrich Schlegel, Hammarskölds erklärtes Vorbild, die Kritik als Charakteristik zur Kunstform erhoben – »Poesie kann nur durch Poesie kritisiert werden. Ein Kunsturteil, welches nicht selbst ein Kunstwerk ist […] hat gar

1320 F. Schlegel, Abschluss des Lessing-Aufsatzes, 1801, in: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe, XVI, S. 392. 1321 R. Hjärne, Dagen före drabbningen eller Nya skolan och dess män i sin uppkomst och sina förberedelser 1802 – 1810, 1882, S. 278.

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ein Bürgerrecht im Reiche der Kunst.«1322 – und damit die Republik in der Tat in eine Aristokratie verwandelt. Am 11. Oktober 1808 publizierte der Schiller-Bewunderer und -Übersetzer Arved Beth¦n (siehe Kapitel X) eine Rezension über Hammarskölds Essay, in welcher er einen polemisch-ironischen Ton anschlug, wie bereits der einleitende Satz unverkennbar signalisiert: Wenn nicht gediegene Kenntnisse, Scharfsinn und geübte Urteilungskraft gefordert wären, um die großen Schriftsteller, welche unser Zeitalter aufgeklärt haben, auf eine richtige Weise beurteilen zu können, sondern bloß Mut genug dazu, die Mängel frei auszusprechen, die man in ihren Werken wahrgenommen hat, dann könnte jeder sich in den Stuhl des Orakels setzen, und, seiner eigenen Selbstständigkeit zum Sehen vertrauend, die größten Geister Europas zu sich berufen, sie wegen Verstößen gegen die ästhetischen Gesetze bestrafen und, mit der Unerbittlichkeit eines Rhadamantys, sie mit dem furchtbaren Urteil fällen, dass sie in der Welt der Genies ihre Bestimmung verfehlt haben. Diejenigen, welche den Geist der Zeit kennen […] wissen auch, dass wir diesen freimütigen aber deshalb keineswegs unfehlbaren Geschmacksrichtern für einige erstaunliche Entdeckungen zu danken haben, wie z. B. dass Goethe sich selbst überlebt habe und nur noch Erbärmlichkeiten für das Theater produziere (Kotzebue). Dass der berühmte Wieland ein Radoteur sei, dessen Bestrebungen ohne Wert seien (Fr. Schlegel). […] Dass Schiller besser daran getan hätte, sich nie als Dichter zu betätigen, usw.1323

Beth¦n gesteht Hammarsköld ironisch zu, nicht zu solchen Kritikern wie den oben genannten zu gehören, nicht zuletzt auch deshalb, weil er mehrmals seine eigene Unzulänglichkeit eingestehe, insbesondere mit der Maxime, dass nur Schiller würdig sei, über Schiller zu richten – allerdings halte er sich nicht immer an diese Maxime. Wenn er befunden hätte, dass Schiller wohl die antike Tragödie zum Vorbild für die seinigen genommen hätte, aber nicht wie servum imitatorum pecus, sondern wie es sich für ein Genie geziemt, das die veränderten Gebräuche der Zeit erleuchtete, dann hätte er sich völlig anders über seine Tragödien geäußert, vielleicht eine schöne or1322 Kritische Fragmente. Lyceums-Fragmente, Nr. 117, 1797. 1323 A. Beth¦n, StP, 11. 10. 1808: »Om det ej fordrades grundeliga kunskaper, skarpsinnighet och öfwad omdömeskraft för att riktigt bedömma de store Författare, som hafwa upplyst w”rt Tidehwarf, utan endast nog mod att fritt utsäga de brister, som man blifwit warse i deras Arbeten; s” kunde hwilken som helst sätta sig p” Orakel-stolen och, i förlitande p” sin sjelfständighet att se, kalla för sig Europas största Snillen, bestraffa dem för brott emot de ästhetiska Lagarna och, med en Rhadamantys obeweklighet, fälla öfwer dem den förfärliga domen att de i Snillets Werld hafwa förfelat deras bestämmelse. De som känna tidens ande […] veta äfwen att wi hafwe dessa frimodiga, men derföre ej ofelbara domare att tacka för ”tskilliga förw”nande upptäckter s”som, att Göthe öfwerleft sig sjelf och producerar uselheter för Theatern (Kotzebue). Att den widtberömde Wieland är en radoteur, hwars sträfwande är utan wärde (Fr. Schlegel). […] Att Fr. Schiller kanske gjort bättre för sitt rykte om han alldrig befattat sig med Skaldekonsten, m. m.«

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Schiller in der romantischen Kritik

ganische Ganzheit entdeckt, wo er nun unnötige Stockungen oder Episoden getadelt hat und hinsichtlich der Schauspieler nichts Wichtigeres zu kritisieren gefunden hat, als das, was Schiller selbst in seinem Vorwort zu Die Braut von Messina bemerkt hat (das aus mehreren Gründen sich lohnt, näher zu studieren). Er hätte dann leichter eingesehen, wie zielbewusst Schiller jedes Thema in seinen Tragödien behandelt hat, ob er die Übermacht des Menschen über die Notwendigkeit der Natur durch seine moralische Kraft habe darstellen wollen, oder die stolze Sicherheit warnen – die Übermut unterdrücken – die irdischen Hohheiten an ihre Grenzen erinnern – oder zeigen, wie die moralische Ordnung der Welt auch durch die Erinnyen wieder hergestellt werden soll, deren Bestrafung der Verbrecher sich nie entziehen kann.1324

Beth¦n lässt einige Kritikpunkte Revue passieren und sucht sie mehr oder weniger überzeugend zu entkräften: Ins Zentrum der unterschiedlichen Kunstbetrachtungen begibt er sich mit folgender Passage: Schiller, der selbst den tragischen Pathos in seinen späteren Tragödien übergab, und welcher sich unsterbliche Verdienste in der Ästhetik erworben hat, wusste sehr wohl, dass formale Schönheit das höchste Ziel der Poesie ist, und dass sie aus diesem Grund ein göttliches Spiel genannt werden kann, aber er wusste auch, dass wenn dieses Spiel uns ein Bewusstsein der reinen Menschlichkeit gibt oder uns den höchsten Genuss schenkt, […] so wird sie zu einem frivolen Zeitvertreib erniedrigt oder ein kindisches Gelalle; wozu die so genannten ästhetischen Materialisten diese schöne Kunst so gerne anwenden wollen. – Darum forderte Schiller bei jedem echten Künstler, dass die Humanität in seiner Denkungsart der »Kultur« seiner genialischen Kraft entsprechen solle, damit er, durch die Harmonie und Totalität dieser Kräfte, diese umso sicherer zur reinsten Menschlichkeit erheben könne, welche nur die Schönheit seiner genialen Werke genieße. Es ist solchermaßen nicht verwunderlich, wenn der Kunstrichter, welcher diese reinen und höchsten Begriffe des poetischen Spiels, der Vervollkommnung und der formalen Schönheit vermisst, weniger zufrieden ist mit Schillers poetischer Manier.1325 1324 Ebd., »[…] om han hade befinnat att Schiller wäl tog den Antika Tragedien till mönster för sina, men icke s”som servum imitatorum pecus, utan s”som det anstod ett stort Snille som tände tidens förändrade skick; s” skulle han helt annorlunda yttrat sig om dess Tragedier, kanske upptäckt ett skönt Organiskt helt der han nu tadlar onödiga stockningar eller episoder och icke funnit wid Aktörernas bruk n”got wigtigare att anmärka, än det Schiller sjelf anfört uti företalet till die Braut von Messina (hwilket ur flera skäl förtjenar att studeras). Han skulle d” lättare hafwa insett huru afsigtsmätigt Schiller, uti sina Tragedier behandlat hwarje Thema, antingen han welat framställa Menniskans öfwermagt öfwer naturnödwändigheten genom sin moraliska kraft, eller warna den stolta säkerheten – qwäfwa öfwermodet – erinra den jordiska högheten om sina gränser – eller wisa huru den moraliska Werdsordningen äfwen ”terställes genom Erinnyerna, hwilkas bestraffning den fräcke lagbrytaren alldrig kan undwika.« 1325 Ebd., »Schiller, som sjelf öfwergaf det Tragiska pathos uti sina sednare tragedier, och som har odödliga förtjenster om Ästhetiken, wisste ganska wäl att formal skönhet är Poesiens högsta m”l, och att den af detta skäl, kan kallas en gudomlig lek, men han wisste äfwen, att om denna lek ger oss medwetande af ren mensklighet eller skänker oss den högsta njutning, […] s” förnedras den till ett frivolt tidsfördrif eller ett barnsligt joller ; hwartill de s”

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Mit dem Ausdruck »kindisches Gelalle« bezeichnet Beth¦n eine von jeglicher Semantik befreite Kunst, welche den reinen Formalismus lediglich aus »frivolem Zeitvertreib« betreibt, womit die später so benannte l’art pour l’art als regressiver Rückzug benannt ist.1326 Die Abschottung des Kunstwerks als göttliches Spiel der Form von jeglichem Bezug zur Realität wurde bereits von Hegel gegen Schelling polemisch geltend gemacht. Während es Schelling darum ging, den ursprünglichen Konflikt der beiden Reihen des Objektiven und Subjektiven, des Realen und Idealen, der Natur und des Geistes, d. h. der Notwendigkeit und der Freiheit, im Kunstwerk verschwinden zu lassen, da er die Entzweiung (als Stadium der Reflexion) als eine »Geisteskrankheit des Menschen« ansah, wollte Hegel an den Errungenschaften der Aufklärung festhalten: »Entzweiung ist Quell des Bedürfnisses nach Philosophie und als Bildung des Zeitalters die unfreie gegebene Seite der Gestalt«1327 (10). Beth¦n fordert vom Künstler nicht nur »formale Schönheit«, sondern auch eine »Humanität der Denkungsart«, d. h. inhaltliche Stellungnahmen und Positionierungen – und dies findet er bei Schiller. So vermisst er in der SchillerKritik vor allem die Berücksichtigung der wichtigsten philosophischen Frage und wie Schiller sich zu dieser verhielt, nämlich »Was ist meine höchste Bestimmung als sinnlich-vernünftiges Wesen?« Beth¦n weist also erneut auf die von Kondylis herausgearbeitete zentrale Problemstellung der Aufklärung hin, die Vermittlung und Gewichtung des Sinnlichen und des Vernünftigen, welche Beth¦n aufs engste mit Schiller verknüpft sieht (siehe Kapitel X). Hammarsköld fühlte sich durch diese Antikritik von Arved Beth¦n zu einer öffentlichen Stellungnahme herausgefordert und antwortete einen Monat später im November in derselben Zeitung mit drei umfangreichen Beiträgen. Im Folgenden ein kurzer Abschnitt, welcher Stellung nimmt zu zwei Vorwürfen: Aber für die Meinung, dass Die Braut von Messina ein Versuch war, die Manier der Griechen zu imitieren, hatte ich umso mehr Gründe, als dass Schiller selbst wie auch alle seine Rezensenten dieser Meinung waren. Und wie wenig Schiller selbst in diesem Fall sein Ziel erreicht hat, dürfte am vollständigsten von demjenigen befunden werden, der sich die Mühe machen wollte, dieses Schauspiel mit einem der Dramen von kallade Ästhetiska Materialisterna s” gerna wilja anwända denna sköna konst. – Derföre fordrade Schiller hos hwarje äkta Konstnär att humaniteten i hans tankesätt skulle swara emot odlingen af dess genialiska kraft, p” det han, genom dessa krafters harmoni och totalitet, desto säkrare skulle kunna upplyfta dem till den renaste mensklighet, som endast njuta skönheten af dess Snillewerk. Det är s”ledes ej underligt om Konstdomare, som sakna dessa rena och höga begrepp om poetisk lek, Konstnärens fullkomnande och förmal Skönhet, skulle finna sig mindre nöjda med Schillers poetiska man¦r.« 1326 Konträr steht der Ausdruck »ästhetische Materialisten« den anderen Wertungen gegenüber, da ja sonst die Kritik des Formalismus zentral ist. Außerdem beklagten die Romantiker selbst den Materialismus der Zeit, welchem sie eine neue Form von Ganzheitlichkeit entgegensetzen wollten. 1327 G. W. F. Hegel, Werke, III, S. 21.

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Schiller in der romantischen Kritik

Sofokles, Äschylos oder Euripides zu vergleichen, falls meine Anmerkungen und herangezogenen Beispiele (S. 44, 45, 46) zu diesem Zweck nicht genügend überzeugend gefunden werden sollten. – Ich habe zwar nie verneint, dass ein Drama von Schiller ein Ganzes sei, denn wie hätte es ein Kunststück sein sollen, wenn es das nicht wäre? Aber dessen ungeachtet kann ich, und ich getraue mich zu glauben, dass mehrere mit mir nicht entdeckt haben, auf welche Weise Wallensteins Lager und Theklas Verschwinden im 5. Akt Wallensteins Charakter deutlicher entwickelt, was die Tendenz des Schriftstellers mit diesem Drama gewesen ist, und bisher habe ich es nur für ein organisches Ganzes gehalten, in dem alle Teile zu einem einzigen gemeinsamen Endziel führen – oder auf welche Weise Die Piccolomini ein befriedigendes Ende hat, oder Wallensteins Tod einen ausreichenden Anfang.1328

Hammarsköld ist sichtlich bemüht, seine Schiller-Kritik keineswegs als polemische Streitschrift aussehen zu lassen, sondern als eine Werkcharakterisierung im Geiste der Schlegels – und als solche hat er sie wohl auch aufgefasst.

3.

Schiller in der Kritik der Swensk literatur-tidning

Die in StP, der meistgelesenen Zeitung der Zeit mit literaturkritischem Profil, publizierte Polemik zwischen den beiden Kontrahenten Hammarksköld und Beth¦n wurde auch von den Neuromantikern mit Interesse verfolgt, wie folgender Brief Palmblads an Atterbom bezeugt: Was hältst du von der Debatte zwischen Hammarsköld und seinem Rezensenten? Der Vorwurf der Widersprüchlichkeit, der ihm von letzterem gemacht wird, scheint mir angemessen. Hammarsköld schlussfolgert, dass Schiller nie den Namen eines wirklichen Poeten verdient, und am Anfang sagt er, dass es illiberal sei, einen Dichter nach anderen Grundsätzen zu beurteilen, als denjenigen, welchen dieser selbst folgt (er hätte hinzulegen müssen: ohne zuvor zu entscheiden, ob diese falsch sind). Aber Schiller behauptet niemals, dass die antike Poesie die einzige sei. Er wollte ein moderner Dichter sein – ohne den Preis des naiven Dichtertypen anzustreben. Weiter sagt 1328 L. Hammarsköld, StP 5. 11. 1808: »Men att jag ansett Die Braut von Messina för ett försök att imitera Grekernas maner, har jag haft s” mycket mera skäl till, som s” wäl Schiller sjelf som alla hans Recensenter gjort detsamma. Och huru litet Schiller i detta fall uppn”tt sitt syftem”l, torde fullständigast befinnas utaf den som wille göra sig den mödan att jemföra detta Sorgespel med n”gon af Sofokles, Äschyls eller Euripides piecer, i fall mina anmärkningar och anförde exempel (sid. 44, 45, 46,) för detta ändam”l, skulle pröfwas icke tillräckligt öfwertygande. – Jag har äfwen wisserligen alldrig nekat att n”got Schillerskt Drama war n”got helt, ty huru kunde den wara ett konststycke om den det icke war? Men det oaktadt kan jag, och jag w”gar tro flere med mig, icke upptäcke p” hwad sätt Wallensteins lager och Theklas förswinnande i 5 Acten, tydligare utwecklar Wallensteins carakter, hwilket war författarens tendence med detta Drama – och hittills har jag endast ansett det för ett Organiskt helt, i hwilket alla delar abutera till ett enda gemensamt ändam”l – eller p” hwad sätt Die Piccolomini har n”got tillfredställande slut, eller Wallensteins Tod n”gon tillräcklig början.«

Schiller in der Kritik der Swensk literatur-tidning

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Hammarsköld, dass er Schillers ästhetische Vorschriften weiterentwickelt und diese auf diesen selbst angewandt hat, denn Schiller nur Schiller wäre würdig, über Schiller zu richten. Aber so weit ich das begreifen konnte, sind seine Argumente der Friedrich Schlegel’schen Kunsttheorie entnommen?? Im Übrigen scheint mir seine Arbeit einen großen Wert zu haben unter den Produkten unseres Vaterlandes und sollte gewissen Leuten empfohlen werden.1329

Diese Briefstelle könnte den Eindruck erwecken, und so wurde das in der Literaturwissenschaft auch aufgefasst, dass Hammarsköld mit seiner Schiller-Kritik ein singuläres Phänomen in der Romantik war, ein Eindruck, welcher durch entsprechende Hinweise auf Esaias Tegn¦rs abschätzige Äußerungen zu Hammarsköld verstärkt wird.1330 Dass dies nicht so ist, zeigen die Kritiken, welche in Swensk literatur-tidning publiziert wurden, und die in der Substanz, wenn auch nicht im Ton, vom gleichen Geist sind. Swensk literatur-tidning, 1813 – 1825 von Palmblad und Hammarsköld wöchentlich herausgegeben, war das wichtigste kritische Organ der Neuromantik in der genannten Zeit, in welcher vor allem Rezensionen literarischer und wissenschaftlicher Bücher, aber auch literarische Beiträge erschienen. Entstammten anfänglich die meisten Beiträge der Feder Atterboms, Sond¦ns und Ödmanns, so zeichneten sich je später je mehr Palmblad und Hammarsköld verantwortlich. Schillers Dramen Don Carlos, Wallenstein und die Jungfrau von Orleans wurden im Zeitraum von 1813 – 1817

1329 G. Frunck, Bidrag till kännedom om Nya skolans förberedelser och första utveckling, 1899, S. 37 – 38: »Hvad tycker du om skriftväxlingen mellan Hammarsköld och hans recensent? Mera billig, än dem denne senare gör honom, tycken mig den förebr”elsen ang”ende en viss själfstridighet. Hammarsköld drager till slut det resultatet, att Schiller aldrig förtjenar namn af verkeligen poet, och i början säger han, att det är illiberalt att bedöma en författare efter andra grundsatser, än dem han själf följt (han hade bort tillägga: utan att förut afgöra, om dessa äro falska). Men Schiller erkände aldrig sjelf den antika poesin att vara den enda: han ville vara en modern skald – utan att eftersträfat priset af det naiva skaldeslaget. Vidare säger Hammarsköld, att han utvecklat Schillers ästetiska föreskrifter och använder dem p” honom sjelf, ty Schiller vore endast värdig att döma öfver Schiller. Men s” vida jag kunnat fatta det, äro hans raisonnementer hemtade ur den Fredrik Schlegelska konstteorin?? För öfrigt tyckes mig hans arbete af mycket värde bland v”rt fäderneslands produkter och borde isynnerhet rekommenderas visst folk.« 1330 E. Tegn¦r, Samlade Skrifter, II, 1923, S. 380: »Af medarbetarne känner jag alldeles icke Hammarsköld, om icke genom hans skrifter som i sanning icke ge n”got högt begrepp om honom; (hans skrift öfver Schiller är väl det sämsta och omyndigaste aperi af den nyaste Ästhetiken, som jag kan p”minna mig ha läst).« Dass Hammarsköld außerhalb des neuromantischen Kreises auf noch weniger Verständnis stieß, bezeugt ein Brief, den Tegn¦r am 8. Februar 1810 an Wallmark schrieb: »Von den Mitarbeitern kenne ich Hammarsköld gar nicht, wenn nicht durch seine Schriften, die ehrlich gesagt nicht zu seinem Lobe angeführt werden können, (seine Schrift über Schiller ist wohl die schlimmste und unmündigste Nachäfferei der neuesten Ästhetik, die ich jemals gelesen habe) […].« Siehe auch Journal för literatur och theatern, 4. 11. 1810, sowie Hammarskölds Replik in Polyfem 1810, Nr. 46.

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rezensiert, da sie in diesen Jahren von Bengt Johan Törneblad (1782 – 1820) übersetzt wurden.1331 Eine erste Erwähnung Schillers findet sich allerdings schon in der im Juli 1813 in Swensk literatur-tidning (Nr. 26/29) eingeführten Rezension des Macbeth, in welcher der Rezensent (Hammarsköld) Sophokles, Schiller und Shakespeare vergleicht,1332 die alle drei übersetzt worden waren: Was den ersten angeht, wird er wohl nie, als von einer ganz anderen Zeit stammend, ja! beinahe von einer vergangenen Welt, recht populär werden, nie ins allgemeine Leben eingreifen, sondern wird lediglich eine Rarität für den Sachkundigen sein. Von allgemeinerem Interesse sind zwar die Dramen Schillers, aber diese sind Werke eines nicht rein vollendeten, von einem noch nicht mit sich selbst einigen Künstler, und vermissen daher, mit all ihren unstrittigen Verdiensten, doch die kanonische Bestimmtheit, die Freiheit von Manier, die berechtigt, ein Kunstwerk als vollkommenes Muster anzusehen.1333

Am wichtigsten sei deshalb die Übersetzung Shakespeares, namentlich des Macbeths von Erik G. Geijer, der im Vorwort notiert, dass er in den wenigen Veränderungen, die er sich erlaubt habe, großteils Schillers Umarbeitung des Schauspiels gefolgt sei. In der ansonsten recht ausführlichen Rezension wird dieser Hinweis Geijers, dass er eher die Schiller’sche Shakespeare-Übersetzung übersetzt habe als das Original, nicht einmal erwähnt, geschweige denn diskutiert.1334 Indirekt nimmt er jedoch zur Abhängigkeit Geijers von Schiller Stel1331 Siehe B. E. Malmström, Grunddragen af svenska vitterhetens historia, V, 1868, S. 128. T. Lunggren schreibt die Rezensionen von Macbeth und Don Carlos Hammarsköld zu, weniger gesichert sei die Zuschreibung der Wallenstein-Rezension. Zu den Rezensionen der Jungfrau von Orleans und Maria Stuart äußert er sich nicht, sie sind also von einem anderen Rezensenten, vermutlich Palmblad. Der von mir angestrebte Vergleich zwischen Hammarskölds Kritik über Schiller sowie Swensk literatur-tidning wird meines Erachtens in keinster Weise durch die Tatsache beeinträchtigt, dass zwei oder drei der fünf Rezensionen von Hammarsköld sind oder sein könnten. Die Redaktion der neuromantischen Literaturzeitung hätte Artikel, die nicht in ihrem Sinne sind, abgewiesen. In zumindest einem Fall ist dies offensichtlich auch geschehen, als ein Artikel Hammarksölds über Schiller, welcher offensichtlich zu polemisch war, nicht eingeführt wurde. 1332 Zur Rezension siehe T. Ljunggren, Lorenzo Hammarsköld, 1952, S. 255 f. Teile der Rezension stützen sich auf das Shakespeare-Kapitel in A. W. Schlegels Schrift über die Dramatische Kunst. 1333 Swensk literatur-tidning, 3. 7. 1813: »Hvad den första ang”r, torde han dock aldrig, s”som fr”n en hel annan tid, ja! nästan fr”n en annan förg”ngen werld, kunna bli rätt populär, aldrig ingripa i det allmänna lifwet, utan blir han endast att anse som en dyrbarhet för den sakkunnige. Af mera allmänt intresse äro wisserligen Schillers dramer, men de äro alster af en icke rent fulländad, af en ännu med sig sjelf icke enig konstnär, och sakna derföre, med alla deras onekliga förtjenster, dock den canoniska bestämdhet, den frihet fr”n man¦r, som berättigar ett konstverk att uppställas som ett fullkomligt mönster«. 1334 Wenn auch Geijer in seinem Vorwort nahelegt, dass er der Schiller’schen Vorlage und nicht dem Original gefolgt sei, und auch prinzipielle Eingriffe und Veränderungen gegenüber dem Original dies bezeugen, so war die Forschung sich hier nicht einig. H. Borelius (Geijer

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lung, wenn er ganz im Sinne A. W. Schlegels den Ausschluss einiger Szenen in der Nachfolge Schillers tadelt, womit die furchtbare Tragödie domestiziert und humanisiert wird, und zwar im Sinne des Neuklassizismus. Der tieferen Betrachtung der Shakespeare’schen Dramatik offenbart sich nämlich die (klassizistische) Einheit jenseits der Regelhaftigkeit des Klassizismus gerade auch im scheinbar Überflüssigen und Disharmonischen. Hatte man bis dahin die Macbeth-Übersetzung als originäres Werk Schillers betrachtet (siehe Kapitel XII), so tritt nun Shakespeares Original auch dann in den Vordergrund, wenn wie hier der Fall Schillers Übersetzung ins Schwedische übersetzt wurde. Der Don Carlos, 1813 – 1814 in zwei Abteilungen übersetzt und entsprechend zweimal rezensiert wird vom Rezensenten nicht mehr in die »erste Ordnung der unsterblichen Dramen Schillers aufgenommen« – dies also ganz im Geiste Hammarskölds und im Gegensatz zur Generation der Rabulisten (siehe Kapitel IV). Zwar liege dem Drama eine edle Idee, ein großer Plan zugrunde, gleichwohl sei der Don Carlos dasjenige von Schillers versifizierten Dramen, welches »am wenigsten theatralisch« und am »fehlerhaftesten im Plan« sei, da der Autor zu lange daran gearbeitet habe. Der Marquis Posa sei ein »inkonsequenter Charakter«, welcher Schillers »Jugendphantasie« und »weltbürgerlichem Enthusiasmus« entsprungen sei. Spricht der Rezensent in kritischer Absicht von weltbürgerlichen Idealen, so ist die Verwurzelung derselben in der Aufklärung mitgedacht. Mit Hinweis auf Schillers Briefe über Don Karlos befindet der Rezensent das Drama als eher »politisch« denn als »poetisch« angelegt, womit es jeglichem »Anspruch auf das Theater entsage«.1335 Die pejorative Verwendung des Begriffs »politisch« speist sich an dieser Stelle jedoch nicht von der aufklärerischen und noch bei Fichte gängigen Kritik der »Sphäre der Politik, verstanden als ein System der Immoralität«, welche somit »dem Zeitalter der absoluten Fürstenherrschaft, des Despotismus, zugeordnet« wurde.1336 Vielmehr och Schiller, in: Schiller och Sverige, Lund 1905) war der Meinung, dass Geijer dem Original treuer gefolgt ist als Schiller. So habe er z. B. die Rolle der Hexen, die Schiller in seiner Übersetzung beseitigt hatte, nicht verändert. Aber vor allem im Sprachlichen lässt sich zeigen: wo Schiller gewisse Bilder und Gleichnisse ausgelassen hat, folgt Geijer dem Original. Ein Beispiel hierfür findet sich z. B. im 1. Akt / 1. Szene, wo Banquo zu den Hexen sagt: »You should be women / And yet your beards forbid me to interpret / That you are so.« Während Schiller das übertriebene »beards« mit »männisch Ansehn« wiedergibt, übersetzt Geijer das Bild wörtlich: »I borden vara kvinnor, edra skägg / Motsäga detta.« Im 1. Akt / 5. Szene, dessen Auftakt Schiller im Unterschied zum Original (und zu Geijer) in Verse gesetzt hat, sagt Lady Macbeth über ihren Mann: »Yet do I fear thy nature; / It is too full o’ the milk of human kindness, / To catch the nearest way. Während Schiller »milk of human kindness« mit »weibliches Gemüth – Du bist zu sanft geartet« wiedergibt, übersetzt Geijer wörtlich »Dock fruktar jag ditt sinne / Är allt för fullt af mänskokärleks mjölk / Att g” den raka väg.« 1335 Zur Negativverwendung des Begriffs »politisch« siehe Geschichtliche Grundbegriffe, IV, S. 827 ff, 842 ff, 851 f. 1336 Geschichtliche Grundbegriffe, IV, 2004, S. 843.

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bezieht sie ihre polemische Spitze aus dem Gegensatz zwischen einem höchsten Begriff der Poesie als absolute, von jeglichen Bedingtheiten völlig losgelöste Sphäre, und der sich durch empirische Verstrickungen auszeichnenden politischen Welt, je von Nutzen- und Ursache-Wirkung-Relationen bedingt. Besonders ausführlich ist die Wallenstein-Rezension (1817, Nr. 16/17),1337 in welcher der Rezensent zwischen vier dramatischen Schulen des ernsten Theaters unterscheidet: das antike, das spanische, das Shakespeare’sche und dasjenige, welches von Schiller geschaffen worden war. Schon diese Auffächerung und Akzeptanz eines ästhetischen Pluralismus dokumentiert die Entfernung vom ästhetischen Standpunkt Hammarskölds in seiner Schiller-Kritik, welcher noch Schlegels Studien-Autsatz zum Ausgangspunkt nahm und deshalb nur das antike Drama vollends akzeptierte. Deshalb hatte Hammarsköld Schillers Tragödie mit kritischem Unterton als Charakterstück bezeichnet; der Rezensent von Swensk literatur-tidning dagegen, welcher die ästhetische Daseinsberechtigung einer Tragödie, die von einem Charakter dominiert wird, nicht in Frage stellt, kritisiert, dass es in Schillers Dramen im Gegensatz zu Shakespeare und Goethe keine Charakterentwicklung gäbe. Außerdem bringe Schiller immer die gleichen Charakteren auf die Bühne: »Posa ist ein veredelter Carl Moor ; Wallenstein ein gefallener Posa und Max Piccolomini so nahe einem Don Carlos, wie ein in einem Lager aufgewachsener Sohn eines Generals einem Thronfolger sein kann.«1338 Der Vorwurf der mangelnden Charakterentwicklung und der Stereotypie des Personals ist neu und geht über Hammarskölds Kritik über Schiller hinaus. Eine Folge der mangelnden Charakterentwicklung und die Prägung seiner Tragödien durch einen vorgefassten Begriff sei der Mangel an Handlung und das »ständige Räsonieren«, ein Vorwurf, welcher zunächst im Widerspruch zu stehen scheint zur Behauptung, die Schiller’schen Dramen seien eher »rhetorisch-logisch« als »philosophisch-poetisch«. Die Distinktion, welche in Anlehnung an Georg Anton Friedrich Ast (1778 – 1841) eingeführt wird,1339 impliziert offensichtlich die Unterscheidung zwischen einem verstandesgemäßen Vernünfteln, welches den Romantikern als aufklärungsspezifisch verpönt war, und einer sich vor allem von Fichte und Schelling ableitenden reinen meta1337 Swensk literatur-tidning, 1817, S. 242. 1338 Swensk literatur-tidning, 1817, S. 243. 1339 G. A. F. Ast vertrat im Gegensatz zur Aufklärung und in Anlehnung an Schelling eine organische Auffassung der Geschichte. Insbesondere Asts System der Kunstlehre (1805), deren Schlusspartie Hammarsköld unter dem Titel Öfversifgt af Poesiens Historia übersetzte und publizierte, hat die gesamte Neuromantik geprägt. Siehe T. Ljunggren, Lorenzo Hammarsköld, 1952, S. 190 f. Die daraus resultierende Schiller-Kritik fand durchaus auch im 20. Jahrhundert Fürsprecher, so z. B. in Benedetto Croce (Poesia e non Poesia, 1923, S. 20), welcher in Schiller einen zweitrangigen, rhetorischen Dichter sah. »Lo Schiller, nei suoi drammi ammirati, nel Wallenstein, nella Stuarda, nel Teli, non À altro che un Alfieri raffreddato, composto, temperato, colto, riflessivo, non pi¾ poeta […]«.

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physischen Spekulation.1340 Auch in dieser Beziehung macht sich die Distanz zu Hammarskölds Kritik über Schiller bemerkbar, welcher die Lyrik, wohl mit Blick auf Goethe und vor dem Hintergrund von Schlegels früher Ästhetik, in eine »sinnlich-lyrische« und »philosophisch-lyrische« eingeteilt hat. Die distanzierte Haltung zu Schiller scheint also eine conditio sine qua non der Neuromantiker zu sein: sowohl die Akzeptanz als auch die Ablehnung der Prädominanz eines Charakters in einer Tragödie führt zur Kritik Schillers. Bereits Hammarsköld hatte Die Jungfrau von Orleans als das bedeutendste Drama Schillers angesehen und der Rezensent der Swensk literatur-tidning, folgt in seiner Rezension fünf Jahre später (20. 11. 1813) dieser Bewertung, wenn er prägnant erklärt: »In dem orleanschen Mädchen, das allgemein als die Krone des Schiller’schen Schaffens angesehen wird, sind alle Elemente des Trauerspiels vereinigt: Religion, Liebe, Heroismus, Vaterlands-Enthusiasmus.« Die im Untertitel so bezeichnete »Romantische Tragödie« versammelt die diskursiven Großthemen Geschlecht/Gender, Religion und Nation, die gegen 1800 ins Zentrum rücken,1341 und wendet sich gegen den Weltbürgerenthusiasmus eines Don Carlos und der Aufklärung. Die Einhelligkeit der schwedischen Romantik hinsichtlich der Jungfrau von Orleans als Schillers gelungenstes Drama spiegelt zwar den Erfolg der Tragödie in Deutschland wider, keineswegs jedoch die Meinung der deutschen Romantiker, bei welchen das Stück durchaus auch auf spöttischen Widerspruch stieß. Ein Sachverhalt übrigens, der, ins Positive gewendet für die Eigenständigkeit der schwedischen Romantiker sprechen könnte, vermutlich aber eher auf deren gänzlichen Mangel an Ironie (sieht man einmal von Carl Livijn und später Carl Jonas Love Almquist ab) zurückzuführen ist. Die Popularität des Stücks mag unter anderem auf seine melodramatischen Theatereffekte und die von Hammarsköld reflektierten opernhaften Züge zurück1340 Letztlich handelt es sich um die Unterscheidung von Verstand und Vernunft, welche ihre Wurzeln in der deutschen Frühromantik hat: »Sometime in 1793 August Wilhelm had been reading Jacobi, whose critique of the Aufklärung especially impressed him. But Friedrich did not approve, scolding his brother for a Vernunfthaß. Friedrich thinks that Jacobi is indeed guilty of irrationalism because he has a much too limited concept of reason. He has failed to distinguish between reason (Vernunft) and understanding (Verstand), which consists in the power of conceiving, judging, and inferring. Reason is not simply a passive faculty for receiving facts, as Jacobi implied, but it is active and spontaneous. It is indeed not only one power in man but his fundamental power: the striving for eternity. Relying on the Platonic concept of eros, Friedrich then explains that there is really no distinction between reason and the heart, because reason is at bottom love. Reason and love both consist in the striving for wholeness, the drive toward universality« (F. C. Beiser, The Romantic Imperative, 2003, S. 69). 1341 S. Wangler, Zum Paradigmenwechsel religiös-hagiologisch codierter Weiblichkeitsimaginationen in der Literatur um 1800 am Beispiel der Genoveva-Adaptationen von Friedrich Maler Müller und Ludwig Tieck, 2004, S. 130. Siehe auch Lyzeum 1810, Fr. Horns Geschichte und Kritik der deutschen Poesie.

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zuführen sein1342 – folgerichtig erhielt Schiller bereits 1802 ein Angebot hinsichtlich der Tonsetzung des Stücks.

4.

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Die Polemik zwischen Hammarsköld und Beth¦n sollte Jahre später ein Nachspiel haben, in welchem deutlich wird, wo die weltanschauliche Trennlinie zwischen den beiden verläuft. Der Ausgangspunkt der neuentfachten Polemik ist Beth¦ns Vorwort seiner Übersetzung von Wilhelm A. Tellers De fullkomligares religion (dt. Die Religion der Vollkommenen, siehe Kapitel X), in welchem er seine Zeitgenossen an die Tugenden des Protestantismus erinnern will: Forscherdrang, reine und gründliche Kenntnisse, würdige Freiheit, Freimütigkeit, Frömmigkeit und eine tolerante Denkweise. Diese sieht er nämlich bedroht […] seit alter mystischer Aberglaube sich in einem modernen Kleide zeigt; dessen verführte Anhänger […] die Vernunft verachten, deren Gebrauch in Religionssachen verneinen, und sich einer übervernünftigen Aufklärung rühmen, eines inneren von der Vernunft unabhängigen Lichtes, welches ohne Prüfung angenommen […] werden soll; durch die sogenannte intellektuelle Anschauung, welche allen Einwänden und Schlussfolgerungen der Vernunft Widerstand leistet, wird solchermaßen auch dem wahnsinnigsten Fanatismus und jeglicher erdenkbaren Volksbetrügerei Einlass gewährt.1343

Der Idealismus Schellings, welcher nicht mit dem Kants zu vergleichen sei, behage und betöre unter dem Banner einer »intellektuellen Anschauung«, welche als »Blendwerk der Phantasie«, »ephemeres Gaukelspiel«, durch »lächerliche Luftsprünge ohne Methode« und einer »beweislosen Leere« die Eitelkeit und die Selbstliebe der Unerfahrenen reize. Aufgrund einer merkwürdigen Versponnenheit gefalle diese Philosophie sowohl Atheisten als auch Abergläubischen, sowohl »Materialisten« als auch »Schwärmer« fänden Nahrung. Hammarsköld rezensierte die Übersetzung in Swensk literatur-tidning (Nr. 33, 34), was ihm noch einmal die Gelegenheit gab, gegen seinen alten Widersacher ins Feld zu ziehen. In dieser, wie auch in seiner Rezension von Heinrich Carl Alexander Hänleins Inledning till Nya Testamentets Heliga Skrifter 1342 L. Hammarsköld, Försök till en kritik öfver Friedrich Schiller, 1808, S. 38. 1343 A. Beth¦n, Företal, in: W. A. Teller, De fullkomligares religion, 1814. »[…] sedan gamla Mystiska villfarelser, under en modern drägt börjat visa sig; hvilkas förförda anhängare, som bekannt är, förakta förnuftet, förneka dess bruk i Religionssaker, och beröma sig af en öfverförnuftig uplysning, ett inre af förnuftet oberoende ljus, som utan pröfning skall antagas och följas; genom denna s” kallade intellectuella ”skadning, som trotsar alla förnuftets invändningar och slutsatser, lemnas s”ledes fritt tillträde äfven för den vansinnigaste Fanatism och alla upptänkliga Folkbedrägerier.«

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(1814, Nr. 40, 42, 47, dt. Einleitung zu den Heiligen Schriften des Neuen Testaments), manifestiert sich seine von Schelling und vom Neuplatonismus beeinflusste Christentumauffassung, der gemäß die Logos-Lehre des JohannesEvangeliums als zentral für die christliche Lehre angesehen wird. In seiner Kritik Tellers ist es ihm vor allem um eine Verteidigung Schellings zu tun gegen eine sich auf Kant berufende neologische Theologie, wie sie auch von Beth¦n vertreten wurde.1344 In der Folge von Lidbecks 1817 erschienener Framställning av Wolfs och Baumgartens, Mendelsohns och Sulzers, Kants, Schillers och Schellings Läror om det Sköna (dt. Darstellung von Wolfs und Baumgartens, Mendelsohns und Sulzers, Kants, Schillers und Schellings Lehren vom Schönen; in der Folge verkürzt: Framställning) entstand eine weitere Polemik um den Philosophen Schelling. In der Darstellung der im Titel genannten Philosophen schenkte Lidbeck den beiden letzten, Schiller und Schelling, schon aufgrund der ihnen gewidmeten Seitenzahl eine besondere Aufmerksamkeit, aber auch, indem er sie in ein Gegensatzverhältnis bringt.1345 Schiller erhält im Konflikt zwischen Aufklärung und der vor allem von Hammarsköld und Atterbom inaugurierten Neuromantik erneut eine Schlüsselposition. »Von allen, die sich zu Kants System bekannt haben, hat keiner als ästhetischer Philosoph soviel Aufsehen erregt wie Schiller. […] Dieser zielte nicht darauf ab, Kants Theorie zu zerstören, ganz im Gegenteil wollte Schiller sie stehen lassen, aber höher bauen« (23). Schiller erscheint an zweitletzter Stelle und als Kulminationspunkt der Ästhetik: 1. Als Stärke der Schiller’schen Ästhetik notiert Lidbeck ihre Integrationsfähigkeit und Kompatibilität anderen ästhetischen Anschauungen gegenüber (32): Sie lasse sich mit Burke und der Sensual-Philosophie, aber auch mit Wolff und der dogmatischen Philosophie und mit Kant verbinden. Der Konflikt der beiden Schulen, welcher sich für Lidbeck auf die Frage reduziert, ob das Schöne aufgrund seiner Form oder seiner materiellen Beschaffenheit gefalle, stellt sich als Scheinkonflikt heraus: denn »der schönste Palast ist ohne jegliche Anmut, wenn er in einen Steinhaufen verwandelt wird«, d. h. »nichts ist gewisser, als dass das Schöne aufgrund seiner Form« behage. Entscheidend hierbei ist, dass die Form sich den Sinnen oder der Einbildungskraft darstelle, weshalb weder Sulzer noch Mendelssohn oder Schiller behaupten, dass das Schöne durch die Form, sondern durch eine Form gefalle, womit sich auch der Empirist mit der Prädominanz der Form anfreunden kann (33).

1344 Seine Kritik der Neologie wird noch deutlicher in seiner Hänlein-Kritik. Siehe T. Ljunggren, Lorenzo Hammarskjöld, 1952, S. 218. 1345 Seine Darstellung Schillers bezieht sich ausschließlich auf Über Ästhetische Erziehung, deren zentrale Begriffe er deskriptiv deduziert; die Darstellung Schellings stützt sich weitgehend auf Das System des transzendentalen Idealismus.

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Hammarsköld monierte im Gegenzug Lidbecks begrenzte Auswahl ästhetischer Theorien, namentlich das Fehlen der Ästhetik Platons und Plotinos. Schiller, meinte er, ließe sich nicht mit früheren Auffassungen (also z. B. die von Platon) vereinen, während der Schelling’sche Standpunkt alle älteren in sich vereine. Schiller sei einer tieferen Anschauung nicht fähig gewesen und habe das Ästhetische von einem niedrigeren Reflexionsniveau aus betrachtet.1346 2. Ein Verdienst der Schiller’schen Ästhetik sei es, dass sie wie Kant und Mendelssohn deutlich zwischen dem »Angenehmen«, dem »Schönen« und dem »Vollkommenen« unterschieden habe. Diese Schelling ausschließende Bemerkung weist natürlich indirekt auf dessen Identitätsphilosophie und den Zusammenfall aller Unterschiede und Gegensätze in einem höchsten zu deklarierenden Absoluten hin: Mit Gott, mit dem Absoluten, dem Einen, Unteilbaren, ewigen Wesen versteht er die höchste Einheit, das Wesen, in welchem alle möglichen Gegensätze aufgehoben sind, alle Zweifaltigkeit aufhört, in welchem Subjektivität und Objektivität, das Ideelle und Reelle, Begriff und Anschauung, Seele und Körper, Vernunft und Natur, Freiheit und Notwendigkeit usw. nicht nur vereint sind, sondern ganz und gar ein und das gleiche sind, absolut identisch. Dieses Wesen ist somit weder Subjekt oder Objekt, weder Seele oder Körper, weder das eine noch das andere von allen Gegensätzen, aber es ist etwas mehr, es ist deren unveränderliche Identität.1347

3. Schellings Auffassung des Schönen als Offenbarung des Absoluten findet sein Gegenstück in einer bestimmten Auffassung des Genies (Snille), welches sich ansatzweise bei Kant vorgeprägt findet. Dieser habe nämlich bereits dargelegt, inwiefern der Künstler im Schaffensprozess sowohl absichtlich als auch unabsichtlich, sowohl bewusst als auch unbewusst schaffe (37 – 38). Während Schelling jedoch aus dieser durchaus richtigen Einsicht einen Grundpfeiler seiner Metaphysik machte, hielt Kant an seinem kritizistischen Grundsatz fest, dass, »wo das Absolute beginnt, beginnt auch die unüberschreitbare Grenze für jegliches Wissen« (38). 4. Schiller erkläre die Schönheit als »Sinnbild der erfüllten Bestimmung des Menschen« (52). Diese Definition folgt aus der Beobachtung, dass das Schöne sowohl unsere sinnliche als auch unsere intellektuelle Natur zufriedenstelle, sowohl das Tierische als auch das Göttliche in uns werden im Kunstgenuss 1346 Siehe T. Ljunggren, Lorenzo Hammarskjöld, 1952, S. 226 ff. 1347 A. Lidbeck, Framställning, 1817, S. 34: »Med Gud, med det absoluta, det ena, odelbara, eviga väsendet först”r han den högsta enhet, det väsende, i hvilket alla möjliga motsatser äro uphäfna, all tv”faldighet upphör, i hvilket subjektivitet och objektivitet, det ideella och reella, begrepp och ”sk”dnin, själ och kropp, förnuft och natur, frihet och nödvändigkhet o.s.v. icke blott äro förenade, utan äro alldeles ett och detsamma, äro alldeles identiska. Detta väsende är s”ledes hvarken subjekt eller objekt, hvarken själ eller kropp, hvarken det ena eller andra af alla motstser, men det är n”got mer, det är deras oföränderliga identitet.«

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vereinigt, weshalb es auch als Symbol der Harmonie der Seele erscheine. Bei Schelling dagegen gäbe es keinen Gegenstand der Natur, welcher eigentlich als schön bezeichnet werden kann. Deutlicher als Schelling drückten dies aber seine Anhänger aus. Nur die Kunst könne das eigentlich Schöne darstellen, sage Ast, und Bachmann präzisiere: Nicht einmal der Mensch ist im eigentlichen Sinne schön (46). Schelling dagegen erklärte sie als Offenbarung des Absoluten, von Gott selbst (34). Während also laut Lidbeck bei Schiller sowohl inhaltlich als auch konzeptuell (Bestimmung des Menschen) die Intentionen der Aufklärung noch wirksam sind, übersteigt Schelling mit seiner Schönheitskonzeption den Rahmen der Erfahrung und der Immanenz auf ein Transzendentes hin. 5. Ein weiterer Unterschied der beiden ästhetischen Theorien, welcher ebenfalls für Schiller spricht, betrifft die Glaubwürdigkeit und die Beweisführung. Schiller könne nicht nur mit »reichen, kühnen« Gedanken aufwarten, sondern auch mit »gleichwohl miteinander verbundenen« Gedanken. Im Gegensatz dazu wären die »Beweise, welche Schelling für seine Philosophie anführt, wenig überzeugend« und es sei »wenig wahrscheinlich, dass diese Beweise viele überzeugen« könnten, da die meisten »mehr ihrer Erfahrung« vertrauen, »als den ephemeren Lehren der Philosophen« (47). Es kann nicht bestritten werden, dass die meisten Anhänger dieses Systems alles auf die merkwürdigste Weise sagen und sich bemühen, daraus Schlussfolgerungen abzuleiten, welche dem gesunden Menschenverstand lächerlich erscheinen würden. Sie kümmern sich nicht darum; […] sie beklagen, dass er [der Verstand] mit seiner bleiernen Schwere stehenbleibt auf dem Feld der Reflexion, während sie selbst sich mit ätherischen Flügeln in die höheren Regionen der Reflexion erhoben haben. […] Die Schelling’sche Philosophie glaubt sich nicht bloß (so wie die meisten philosophischen Systeme geglaubt haben) einen Weg bahnen zu können über eine Kette von Vernunftschlüssen zu einer Kenntnis des Absoluten; sie glaubt sich weitaus vertraulicher mit derselben, glaubt sich diese unmittelbar anzuschauen und kennt sie deshalb in allen Teilen. Man kann in dieser Hinsicht sagen, dass diese Philosophie mehr und mit weniger Scheu schwärmt, als andere Systeme (46 – 48).

Es ist genau dieses Ausspielen Schillers gegen Schelling, das uns auch bei Manfred Frank in Schillers Ästhetik zwischen Kant und Schelling begegnet, dem gemäß Schillers Ästhetik zwar auf die idealistische Ästhetik der Identitätsphilosophie Schellings vorausweist, ohne dabei jedoch die von Kant kritisch abgesteckte Grenzlinie zu überschreiten.1348 Friedrich Karl Forberg zitierend, ein Studienfreund von Novalis, der angesichts der Fichte’schen Überbietungsversuche des Kant’schen Kritizismus spöttisch meinte, »er wolle lieber mit Kant scheitern als mit Fichte siegen«,1349 urteilt Frank: 1348 M. Frank, Schillers Ästhetik zwischen Kant und Schelling, 2007, S. 194 ff. 1349 Ebd., S. 215.

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Uns steht er [Schiller] darum näher als der Schelling der identitätsphilosophischen Phase, den freilich immer wieder selbstkritisch-frühromantische Grillen umtrieben, bis sie ihn zur Aufgabe des absoluten Idealismus trieben. Vor allem ist uns Schillers Ästhetik näher als Hegel, der das ästhetische Gebilde nicht mehr als Ausdruck der »wahrhaften Interessen« der Menschheit anerkennen wollte; die Reflexion – das absolute Begreifen – habe die schönen Künste überflügelt (Hegel 1955, 56 f). Wir glauben heute aber nicht mehr an die Ableitbarkeit unseres Wissens aus einer absoluten Identität oder einem absoluten Ich. Die Kunst hingegen betrachten wir keineswegs als Zeugnis der Vorzeit, sondern als eine der zeitlos gültigen Weisen menschlicher Selbstverständigung. Schiller ist auf diese Weise unser Zeitgenosse geblieben.1350

Wie sehr Hammarsköld sich mittlerweile in seine Abneigung Schillers verbissen hatte, welchen er mit seinen Kontrahenten verband, zeigt vor allem seine Polemik gegen Lidbeck, den er in Svenska Vitterheten (dt. Die schwedische Literatur), der ersten schwedischen Literaturgeschichte, zusammen mit Höijer und Silverstolpe, auch diese abschätzig behandelt, weil offensichtlich dem gleichen Lager der Aufklärung zugerechnet, in einem kurzen Abschnitt beurteilt. Dort heißt es: Dagegen hatten während dieser Zeit zwar drei Schriftsteller sich bemüht, festere und sicherere Gründe für die Begriffe der Kunst und der schönen Literatur zu verbreiten und aufzustellen. Der eine, And. Lidbeck, geb. 1772, seit 1801 Professor der Ästhetik und Universitätsbibliothekar in Lund, der auch mit einigen gereimten Fest-Reden sein Recht darauf befestigt hatte, zu den unglücklichsten schwedischen Dichtern gezählt zu werden, hat seit seiner Lehrstuhlübernahme in einer langen Reihe von Disputationen versucht, Sulzers und Schillers ästhethische Ideen zu deduzieren und zu verbreiten.1351

1350 Ebd., S. 217. 1351 L. Hammarsköld, Svenska Vitterheten: Historiskt-Kritiska Anteckningar, 1819, S. 241: »Deremot hade visserligen, under denna tid, trenne Litteratörer bemödat sig om, att utbreda och uppställa fastare och säkrare grunder för begreppen om Konst och Vitterhet. Den ena, And. Lidbeck, född 1772, och, sedan 1801, aesthetices Professor och UniversitetsBibliothekarie i Lund, hvilken äfven med ett par rimade Högtidlighets-Tal, documenterat sin rätt att räknas bland Sveriges olyckligaste Poeter, har, fr”n sitt första tillträde af sin Lärostol, i en l”ng svit af Disputationer, sökt deducera och allmännare utsprida Sulzers och Schillers aesthetiska ”sigter.« –Lidbeck antwortete auf die polemische Darstellung in Svenska Vitterheten und publizierte Utdrag af ett Bref dat. Lund d. 28 oct. 1819 in Wallmarks Zeitung Allmänna journalen Er fand in den neun Zeilen, die Hammarsköld über ihn verfasst hatte, nicht weniger als fünf Fehler : der Name Lidbeck sei falsch geschrieben, Lidbeck wurde 1799 Bibliothekar, er habe keine gereimten Reden verfasst, er habe nicht in einer Reihe von Abhandlungen versucht Sulzers und Schillers ästhetische Ansichten zu verbreiten, und er habe 1796 angefangen Abhandlungen zu schreiben, nicht 1801. Seine abschließenden Worte brachen die öffentliche Diskussion ab, bevor sie begonnen hatte: »Sollten sie [die Zeilen] zu einer Gegenrede in Herrn Hammarskölds gewöhnlicher Manier führen, darf er gerne den Triumph haben, das letzte Wort zu haben. Ich begnüge mich damit, Recht zu haben.«»Tit. tänckes l”ta i Allmänna Journalen införa dessa rader, dem jag är skyldig mig själf och sanningen. Skulle de leda till en replik i Herr Hammarskölds

Zusammenfassung

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Das literaturgeschichtlich wenig beachtete Scharmützel der oben genannten Kontrahenten muss vor dem Hintergrund einer Auseinandersetzung im Bereich der Höhenkammliteratur gesehen werden: Die Querelle zwischen dem Transzendentalphilosophen Benjamin Höijer und dem Schelling-Anhänger Samuel Grubbe (1786 – 1853), welcher später auch vom Höijer-Anhänger Geijer angegriffen wurde, während Atterbom und Palmblad die Partei Grubbes ergriffen (NISLH, III, S. 63 f). Dies entspricht erneut der Konstellation, welche in dieser Arbeit aufgezeigt werden soll: Höijer, Geijer und Tegn¦r sind aus der Verklammerung mit der Romantik herauszulösen, und in ihrer Ablehnung der Neuromantik ziehen sie an einem Strang mit Leopold und Lidbeck.

5.

Zusammenfassung

Der Textkorpus der direkten Stellungnahme der romantischen Kritik zu Schiller in Schweden besteht hauptsächlich aus den Kritiken Hammarskölds und einigen Kritiken zu Schillers Dramen in Swensk literatur-tidning. Gerade im Vergleich der ersteren mit den letzteren müsste sich zeigen, so die eingangs formulierte These, inwieweit die manchmal in maßloser und übertriebener Form daher kommende Schiller-Kritik Hammarskölds ein Unfall und Sonderfall der Romantik ist, oder ob diese, befreit man sie vom Ornament jugendlicher Übertreibung und gereizter Polemik, als Folge von an seine Person herangetretener Kritik, nicht vielmehr mit der Sichtweise der Neuromantik übereinstimmt. Hammarsköld folgt in seiner Kritik Schillers einem in der Nachfolge von Schellings Naturphilosophie entstandenem organizistischen Literaturmodell. Er beschwört die Heiligkeit und Reinheit der »wahren Poesie«, welche ein rein »poetisches Interesse« hervorruft, das nicht nur vom Angenehmen und Nützlichen, sondern auch vom Moralischen gänzlich befreit. Damit geht eine Priorisierung des Schönen vor dem Erhabenen, welches stets schon mit dem Moralischem kontaminiert ist, einher, sowie die Spitzenstellung des Schönen in der Triade des Schönen, Wahren und Guten. Nimmt man dieses als Maß der Literatur bei gleichzeitiger Verurteilung der Moderne nach der Maßgabe Schlegels, dann erscheint Schillers Charakter als Autor eher unfertig. Als Poet zu reflektiert, als Philosoph zu poetisch, hätte es in seinem Charakter gelegen, ein Kollege Fichtes und Schellings zu werden, aber nicht Poet – lautet das drastische Urteil. Vergleicht man das Schiller-Bild Hammarskölds mit dem der vorhergehenden Generation, so wie es sich z. B. in der Litteratur-tidning ausdrückt, ist eine deutlich verengte Sichtweise des Schiller’schen Schaffens zu konstatieren: vanliga man¦r, f”r han gerna beh”lla den triumfen att säga sista ordet. Jag är nöjd med den att hafwa rätt.«

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Schiller in der romantischen Kritik

Schiller wird vor allem als Dramatiker betrachtet. Aber auch als solcher vermag Schiller nicht mehr vollends den neuromantischen Geschmack zufriedenzustellen: Die frühen Stücke wurden von Hammarsköld als unvollkommene »Intrigenstücke« (Die Räuber, Fiesco, Kabale und Liebe) abgetan und die späteren als »Charakterstücke« (Don Carlos, Wallenstein, Maria Stuart), welche als solche per se abzulehnen sind, da sie eher vom Philosophen als vom Poeten geschaffen und deshalb zu wenig objektiv seien; der Wilhelm Tell sei ein romantisches Intrigenstück wie die Jungfrau von Orleans, aber von geringerem Rang; und Die Braut von Messina mit dem Doppelchor bezeuge lediglich Schillers gänzlich falsche Auffassung der antiken Poesie. Lediglich die Jungfrau von Orleans wird kritiklos bewundert, da sie dank der Nektion diskursiver Großthemen wie der Geschlechterproblematik, der religiösen Inbrunst und dem nationalem Pathos auch den Schlüssel zum verbissenen Antikenverehrer Hammarsköld finden konnte. Generelle Gemeinsamkeiten der Schiller’schen Tragödien seien das Große in den Themen, die Schiller bearbeite; ein gewisser Dualismus, der seinen Grund im Kant’schen Moralsystem habe; der Aufwand seiner Mittel, welcher sich z. B. in der Anzahl der Akteure widerspiegelt; die Reden und die Taten der Akteure seien stets Ausdruck einer modernen Philosophie. Eine gewisse Begrenzung seiner Kenntnisse der Schiller’schen Lyrik und Prosa macht sich teils in der Auswahl der Texte, teils in der Neigung zu klischeebehafteten Urteilen, teils aber auch im Festhalten an traditionellen Gattungsformen bemerkbar. Hammarskölds Kritik über Schiller löste offensichtlich ein gewisses Echo aus, dies legt zumindest sein Brief an Gjörwell nahe, in welchem er das Unverständnis beklagt, welches ihm zuteil wurde. Er habe die »Kritik« nicht im Sinne des Tadelns verstanden, sondern im Sinne seiner ursprünglichen Bedeutung des Analysierens und Beurteilens, welche von Kant erneuert worden war. Hammarsköld fühlt sich missverstanden und ist vermutlich aufgrund dieser frühen Missachtung seiner Leistung verbittert, worauf die bis an sein Lebensende andauernde Polemik mit Beth¦n und Lidbeck hinweist, aber auch seine veränderte Sichtweise auf Leopolds Übersetzung der beiden Gedichte An die Freude und Resignation. Am 11. Oktober 1808 publizierte der Schiller-Bewunderer und -Übersetzer Arved Beth¦n eine Rezension über Hammarskölds Schiller-Essay, in welchem er systematisch die Kritikpunkte Hammarskölds aufgreift und häufig überzeugend zerpflücken kann. Ins Zentrum der unterschiedlichen Kunstbetrachtung begibt er sich mit einigen luziden Distinktionen, welche Hammarskölds Proklamation der Kunst als reine Form betreffen. Schiller habe nicht nur das Pathos zugunsten der Form und des Spiels aufgegeben – er habe gleichzeitig auch die Gefahren einer solchen Kunstbetrachtung erkannt, welche in extremis ein »kindisches Gelalle« darstelle. Damit ist die Gefahr einer von aller Semantik befreiten Kunst benannt, welche den reinen Formalismus nunmehr aus »frivolem Zeitvertreib«

Zusammenfassung

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betreibe, womit die später so benannte l’art pour l’art als regressiver Rückzug benannt ist. Beth¦n fordert vom Künstler aber nicht nur »formale Schönheit«, sondern auch eine »Humanität der Denkungsart«, d. h. inhaltliche Stellungnahmen und Positionierungen – und diese findet er bei Schiller. Deshalb vermisst er auch in der Schiller-Kritik vor allem die Berücksichtigung der wichtigsten philosophischen Frage nach der höchsten Bestimmung des Menschen als sinnlich-vernünftigem Wesen – also die von Kondylis herausgearbeitete zentrale Problemstellung der Aufklärung, d. h. die Vermittlung und Gewichtung des Sinnlichen und des Vernünftigen, welche Beth¦n aufs engste mit Schiller verknüpft sieht. Ein Brief Palmblads an Atterbom sowie auch eine Reihe von Bemerkungen Tegn¦rs scheinen nahezulegen, dass auch die Neue Schule Hammarskölds Kritik kritisch gegenüberstand. Die hier behandelten Rezensionen in Swensk literaturtidning nehmen jedoch mehr oder weniger die gleichen Kritikpunkte auf wie Hammarsköld, fügen gar neue hinzu. Goethe mag den Romantikern ein Stern allererster Ordnung gewesen sein, jedoch nicht Schiller. Schillers Stücke folgten einem vorgefassten abstrakten Plan; die Charaktere entwickelten sich nicht; er sei ein schlechter Versifikateur. Don Carlos, dessen Idealismus die vorhergehende Generation entzückt hatte, wird mit den Attributen »politisch« – in Abgrenzung zu »poetisch« – und »weltbürgerlicher Entusiasmus« abgetan – Worte, die aus dem Munde der vorherigen Generation ein Lob gewesen wären. Palmblad munitionierte sich in Swensk literatur-tidning zusätzlich mit Meinungen G. A. F. Asts, dem er hinsichtlich der Schiller’schen Muse den Term »rhetorisch-logisch« entnahm. In der schwedischen Literaturwissenschaft wurde häufig eine vor allem in der Romantik waltende »Konstellation Schiller-Schelling« (siehe Kapitel XII:6) angenommen; insbesondere für Atterboms Programmgedichte wie Prologen und Epilogen wurde dies geltend gemacht. Eine solche Fusion und Konfusion gänzlich unvereinbarer Anschauungen lässt sich aber nur für Atterboms frühe Gedichte feststellen, welche sich durch eine diffuse Weltanschauung auszeichnen. In Wirklichkeit verläuft die Grenzlinie zwischen der Schiller-Rezeption der schwedischen Spätaufklärung und der eher bescheidenen Wertschätzung Schillers in der Neuromantik zwischen Schiller und Schelling. In einer in den 1810er Jahren neu einsetzenden Polemik zwischen Beth¦n und Hammarsköld sowie Lidbeck und Hammarsköld wird der Kernpunkt der Kontroverse deutlich. Als Anhänger der Schelling’schen Identitätsphilosophie war es Hammarsköld nicht möglich, Schiller zu schätzen, und der Neologe Beth¦n und der Empirist Lidbeck konnten sich zwar mit Schiller anfreunden, ein Zugang zu Schelling war ihnen jedoch verwehrt. Ein Gleiches gilt für Tegn¦r, Geijer und Höijer, welche ebenfalls von der Identitätsphilosophie Abstand nahmen, was sich in dem später aufbrechenden Konflikt zwischen Höijer und Grubbe zeigt.

Kapitel XV: Schlussbetrachtung

Die Schiller-Rezeption in Schweden wurde stets mit der schwedischen Romantik ab 1809 in Verbindung gebracht, die frühe Rezeption Schillers durch Gustaf af Leopolds Übersetzungen der Gedichte An die Freude und Resignation in den Jahren 1793 bzw. 1794 dagegen eher als zufällige Gelegenheitsarbeit angesehen, die deshalb ohne Wirkung und Folgen blieb. Diese Auffassung herrschte nicht nur bei der romantikaffinen Literaturwissenschaft der Böök-Generation vor, sondern auch in der spärlich vorhandenen Literatur zur Schiller-Rezeption in Schweden, z. B. im umfangreichsten Aufsatz zum Thema, Schillers inflytande p” Tegn¦r och hans samtida, dessen Titel bereits die Verschränkung Schillers mit der schwedischen Romantik nahelegt. Die Befunde meiner Arbeit widersprechen dieser Überzeugung der schwedischen Literaturwissenschaft: Die Schiller-Rezeption in Schweden ist früher anzusetzen als bisher angenommen; sie nahm keineswegs im Bereich der Höhenkammliteratur ihren Anfang (Leopold), sondern verbreitete sich von unten nach oben, d. h. von den Leihbibliotheken Stockholms über die Rabulisten zum literarischen Establishment; sie vollzog sich zumindest zu Beginn im von Reinhart Koselleck identifizierten Augenblick des Manifestwerdens der Krise der Aufklärung; gleichzeitig ist sie nur im Kontext einer von Jürgen Habermas so benannten »Genese der bürgerlichen Öffentlichkeit« zu verstehen (Leihbibliotheken, Romane); schließlich war sie aber auch Teil einer sukzessiven Ermächtigung der sinnlichen Seite der Natur und des Menschen auf Kosten des Rationalismus, wie sie von Panajotis Kondylis in Die Aufklärung im Rahmen des neuzeitlichen Rationalismus beschrieben wurde; die im Kontext der SchillerRezeption 1792 – 1809 behandelten Autoren, Philosophen und Intellektuellen sind der Aufklärung zuzurechnen, oder stehen dieser nahe; in deren Sichtweise war Schiller ein Aufklärer und der deutsche Gegenwartsautor schlechthin; von den schwedischen Protagonisten der Aufklärung wurde er als Historiker, Weltweiser, Zeitschriftenherausgeber, Lyriker, Erzähler, Dramatiker und Philosoph rezipiert; die Sichtweise der Neuromantiker auf Schiller war dagegen eine ver-

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Schlussbetrachtung

engte: er war in ihren Augen hauptsächlich Dramatiker, und auch als solcher nicht ohne Mängel. Schiller kommt im Prozess der Genese einer pluralen bürgerlichen Öffentlichkeit, in welcher sich das Selbstverständnis des Bürgertums in einer Transformation befindet, eine besondere Rolle zu. Er ist in diesem Rahmen nicht als ein deutscher Dichter unter anderen, und schon gar nicht als ein den Alltag durch autonome Kunstwerke verschönernder Dichter zu betrachten. Vielmehr ist Aspelins Wort hinsichtlich der Bedeutung Schillers in Schweden als »geistige Macht« in seiner ganzen Bedeutung zu erfassen: Schiller war Stichwortgeber einer sich unter Legitimationsdruck befindenden Generation, die sich gegen den herrschenden Zeitgeist durchzusetzen wünschte. Soweit die wichtigsten Thesen und Resultate der vorliegenden Arbeit, die in den einzelnen Kapiteln dargelegt und in den jeweiligen Zusammenfassungen resümiert wurden. Die bislang in der schwedischen Literaturwissenschaft privilegierte aber meines Erachtens konstruierte Verbindung Schillers mit der schwedischen Romantik schuldet sich keineswegs in erster Linie der Tatsache, dass die früheste Schiller-Rezeption in den Leihbibliotheken und bei den Rabulisten bisher nicht bekannt war. Vielmehr scheint sie mir automatisches Derivat zumindest dreier literaturwissenschaftlicher Diskurse zu sein: 1. In Abhängigkeit vom romantischen Ursprung der Literaturwissenschaft entstand die Doktrin von einer kulturgeschichtlichen Zeitenwende 1809: jenseits der Zeitmarke Aufklärung und Klassizismus der gustavianischen Ära, französische und lateinische Vorbilder, Nutzendenken und bürgerlicher Moralismus; diesseits die Romantik, Phantasie, schwärmerischer Schönheitssinn, deutsche und griechische Vorbilder. Die Hypostasierung der Jahreszahl 1809 führte zur daraus resultierenden Zweiteilung des literarischen Feldes sowie zur sich daran anschließenden Verniedlichung und Verunglimpfung der Aufklärung. Vor die Wahl gestellt, ob ein Schiller der Epoche der Plattheit oder der Epoche des Tiefsinns zuzuordnen ist, konnte man sich demgemäß häufig nur für die letztere entscheiden. 2. Die Annahme einer Unzertrennlichkeit der zwei deutschen Klassiker wurde als »mythische Konvergenz Goethe-Schiller« bezeichnet, ein stets wirksamer literaturgeschichtlicher Mechanismus, welcher sich auch in schwedischen Literaturgeschichten häufig findet. Mit dem Beginn der Romantik – schreibt z. B. Albert Nilsson – wurde das Verständnis für Goethe und Schiller ein anderes. Viele der fortschrittlichsten Geister der alten Schule hatten den beiden Dichtern zwar einen vorgeschobenen Platz eingeräumt, aber die Neuromantiker nahmen eine radikale Ummöblierung vor : Goethe und Schiller wurden Sterne der allerersten Ordnung. Deren Name bekam autori-

Schlussbetrachtung

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tatives Ansehen. Goethes und Schillers Dichtung ist ja auch eine der Hauptquellen, von welcher die neue Strömung ihren Ursprung herleitet.1352

Das Gegenteil ist der Fall, wovon die Rezensionen der jeweiligen Gruppierungen ein beredtes Zeugnis ablegen: Schiller war in den Augen der Junta ein Stern der »allerersten Ordnung«, in den Augen der Romantiker war seine Bedeutung geschrumpft. 3. Die vermeintliche Nähe Schillers zur Neuromantik speist sich häufig aus der vermeintlichen Nähe Schillers zum Platonismus bzw. Neuplatonismus, eine Annahme, welche, wie in der Einleitung gezeigt wurde, noch heute vor allem im angelsächsischen Raum Befürworter findet. In Schweden hat Albert Nilsson mit seinem grundlegenden Werk Svensk romantik (1916), das dem Platonismus in der schwedischen Romantik nachgeht und in diesem Kontext auch immer wieder Schiller mit diesem ideengeschichtlichen Motiv zu verbinden weiß, einer solchen Sichtweise Raum geboten. Von hier aus ist der Weg zu den einzelnen Literaturgeschichten kurz, wie das folgende Beispiel aus Fredrik Bööks Den romantiska tids”ldern illustriert: Der einzige der zeitgenössischen Dichter, der sich kritisch zu dem ausgeprägten platonischen Idealismus stellt, der einzige, der sich in eine empirische und realistische Richtung entwickelt, ist Geijer ; er ist auch der einzige, der in einem tieferen Verhältnis zu Goethe steht, während ansonsten nur der Einfluss des streng idealistischen Schiller eine so große Rolle spielt.1353

Nur im Kontext solcher literaturgeschichtlicher Diskurse lässt sich die zählebige Stereotypie von Meinungen und Aussagen wie die von Kurt Aspelin erklären, der in seinen Aufsatz Schiller i Sverige (1955) die Merkwürdigkeit hervorhebt, dass Leopold, »dieser ›Königliche Sekretär‹ des französischen Klassizismus«, den Anspruch erheben kann, in einer Darstellung der Schiller-Rezeption in Schweden zuerst genannt zu werden. Die Schiller-Rezeption Leopolds kann nur bei einer Fortschreibung des neuromantischen Standpunktes »merkwürdig«, weil unmotiviert und plötzlich wie ein Meteor vom Himmel herabgefallen, erscheinen. Was könnte dieser trockene Aufklärungsskribent und Abklatsch eines Voltaire – »Medelm”ttan« (das Mittelmaß), wie er sich sympathischer Weise selbst bezeichnete – mit dem Originalgenie und Neuplatoniker Schiller anfangen? So ungefähr stellt sich die Frage in der schwedischen Literaturgeschichte zwischen 1900 und 1950 explizit formuliert oder ungesagt impliziert dar. Im Rahmen dieser dominierenden Beurteilung der Bedeutung der Jahreszahl 1809 für die schwedische Literatur und der damit verbundenen Ansicht hinsichtlich des deutschen Kulturimportes und der Schiller-Rezeption muss dann freilich 1352 A. Nilsson, Schillers inflytande p” Tegn¦r och Tegn¦rs samtida, 1905, S. 20. 1353 Svensk litteratur historia, II, 1919, S. 11.

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Schlussbetrachtung

auch die Kritik des Romantikers Lorenzo Hammarsköld an Schiller »merkwürdig« erscheinen,1354 da er sich doch unproblematisch ins von der Literaturwissenschaft geschaffene Bild einfügen müsste. Aber auch diese Merkwürdigkeit wird beseitigt, indem Hammarskölds Kritik Schillers in der schwedischen Romantik als singulärer Unfall hingestellt wird. Die Selbstinszenierung der Romantiker, ihre Verunglimpfung der Aufklärung verbunden mit den oben genannten literaturwissenschaftlichen Grundannahmen und Diskursen haben meines Erachtens ein Prokrustesbett geschaffen, dem die schwedische Literaturwissenschaft noch nicht entronnen ist. Das Phänomen ist bereits von Martin Lamm erkannt und am prägnantesten formuliert worden, als er das »stark schematisierte Bild« der Aufklärung als »Erbe der Neuromantik« bezeichnete, welche die von ihr als am unsympathischsten empfundenen Züge als Physiognomie des Zeitalters hervorhob.1355 Die gängigen Konturen der Aufklärung sind letztlich eine von den Romantikern geschaffene Karikatur. Mit dem originellen Titel Upplysningstidens romantik, »Romantik der Aufklärung«, bewegt Lamm sich jedoch in gewisser Hinsicht weiterhin im »schematisierten« Bild zweier unvereinbarer Strömungen. Die Folgen einer Darstellung, in welcher sich der Romantik-Diskurs auf Kosten der Aufklärung ausbreitet, offenbart sich unbeabsichtigt und indirekt in der Argumentation Frängsmyrs’:1356 Wo zu viel Romantik ist, kann es keine Aufklärung geben. *

Die Befunde der vorliegenden Arbeit gehen also weit über die Darlegung einer Schiller-Rezeption hinaus und greifen in die schwedische Literaturgeschichte ein, was noch einmal anhand einer Textstelle aus einer gängigen Literaturgeschichte illustriert werden soll: Es war eigentlich in Deutschland, wo Rousseaus Ideen auf fruchtbaren Boden fielen. Die Aufklärung hatte sich dort nie richtig durchsetzen können […]. Wieland dagegen war bekannter, aber eine größere Bedeutung hatte er nicht in der gustavianischen Zeit, wohl hauptsächlich deshalb, weil die schwedischen Aufklärungsautoren ihre Eindrücke vorzugsweise von Frankreich empfingen. Erst die Anhänger der Gegenbewegung, die die deutsche Literatur schätzten – und da natürlich nicht die deutsche Aufklärung, sondern dessen Gegner – und der Streit zwischen den beiden Richtungen wurde in gewisser Hinsicht ein Streit zwischen der französischen und der deutschen Kultur (ISLH, IV, 191).

1354 A. Nilsson, Schillers inflytande p” Tegn¦r och hans samtida, 1905, S. 20. 1355 Siehe hier und im Folgenden M. Lamm, Upplysningstidens romantik, I, 1963, S. 3 ff. 1356 T. Frängsmyr, Sökandet efter upplysningen, 2006.

Schlussbetrachtung

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Es ist nachdrücklich zu betonen, dass dieses hier skizzierte Bild keineswegs singulär ist, sondern paradigmatisch für eine Literaturwissenschaft, in welcher in Monographien bis heute die gängigen Literaturgeschichten (z. B. die oben zitierte) zu Rate gezogen werden, um eingangs den Rahmen abzustecken, in welchem die vorgenommene Untersuchung verankert werden soll. Es wurde in der vorliegenden Untersuchung immer wieder und an verschiedenen Stellen versucht, das oben zitierte Bild der Literaturgeschichte im Übergang von der Aufklärung zur Romantik zurechtzurücken. Die solchermaßen verstreuten Argumente seien an dieser Stelle noch einmal konzentriert und in Abgrenzung zum obigen Zitat dargestellt. Mit Hinweis auf Habermas, Koselleck und Kondylis wurde für eine breitere und nicht nur auf die Höhenkammliteratur schielende Sichtweise der Aufklärung argumentiert. Dass es solchermaßen sowohl in Deutschland als auch in Schweden eine Aufklärung gab, steht außer Frage; und Wieland war offensichtlich (entgegen der Behauptung in der zitierten Textpassage) einer der beliebtesten Autoren der Zeit in Schweden, spielt zumindest in den Leihbibliotheken, den Literaturkalendern, den Gjörwell’schen Zeitschriften und den handschriftlichen Protokollen von Dichter-Vereinigungen eine bedeutende Rolle – bis Schiller ihm nach 1792 zusehends den ersten Rang auf der Beliebtheitsskala streitig machte. Die schwedischen Aufklärer – und hier ist eben nicht nur von Kellgren, Rosenstein und Leopold die Rede – haben sich nicht »vorzugsweise« mit der französischen, sondern mit der deutschen Aufklärung identifiziert. Es war mitnichten erst die Gegenbewegung, d. h. die sogenannte »Neuromantik«, die sich für die deutsche Literatur interessierte. Das Interesse der »bürgerlichen Öffentlichkeit« galt vielmehr stets eher der deutschen als der französischen Aufklärung. An dieser Stelle sind jedoch begriffliche Differenzierungen einzubringen, an welcher die schwedische Literaturwissenschaft bislang kein Interesse hatte. Die ersten Bekenntnisse zur deutschen Aufklärung finden sich im Kontext der Rede und dem Propagieren einer »wirklichen Aufklärung« (1791). Auch der Beginn der Schiller-Rezeption ist von der Unterscheidung einer richtigen von einer falschen Aufklärung geprägt: Ekmansons Publikation der Philosophischen Briefe Schillers im Jahr 1792, in welchen diese Unterscheidung vorgenommen wird, weist auf eine Aufspaltung der Aufklärung auch in Schweden hin. Die Aufspaltung der Aufklärung in eine »falsche« und »richtige« als immanente Dialektik der Aufklärung ist in der schwedischen Literaturwissenschaft nicht erwogen worden, vielmehr hat man jegliche Kritik der Aufklärung sowie die Unterscheidung einer richtigen von einer falschen Aufklärung der Romantik zugeschlagen. In einer Literaturwissenschaft, welche die Aufklärung mit den Begriffen »Utilitarismus« und »Common-sense« identifiziert, ist die Kritik derselben nur vom Standpunkt der Romantik aus denkbar – auch dies ein

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Schlussbetrachtung

Denkzwang, welchen sich die schwedische Literaturwissenschaft auferlegt hat. Die Rede von der richtigen und falschen Aufklärung ist ein aufklärungsinterner Diskurs, wie in der deutschen Literaturwissenschaft zu konstatieren war, und wie in der hier vorliegenden Untersuchung auch für Schweden festzustellen ist. Die »besonderen Aspekte der deutschen Aufklärung« haben auch für die schwedische ihre Gültigkeit, welche ihrem Charakter nach nicht im Gegensatz zum Christentum stand, sondern sogar als eine Voraussetzung der Verbreitung des Protestantismus gelten muss.1357 Die schwedischen Aufklärer – und zu diesen sind sämtliche in dieser Arbeit behandelten Schriftsteller zu rechnen – waren nicht religionsfeindlich eingestellt und bekämpften Materialismus und Nihilismus. Diese Feststellung ist wichtig und entscheidend um zu verstehen, wie Schiller die Bedeutung in der schwedischen Aufklärung haben konnte, die er tatsächlich hatte, denn auch diese lässt sich nur vor dem Hintergrund der prinzipiellen Andersartigkeit der schwedischen und der französischen Aufklärung einerseits, und der Gleichartigkeit der ersteren und der deutschen andererseits, verstehen. Das erklärt, warum in sämtlichen hier angeführten Belegen Deutschland als Land der Aufklärung figuriert und warum deutsche Autoren, die eher dem im Bürgertum aufkommenden Sentiment entgegenkamen, Gefühl und Herz ein Refugium boten und sich von dem französischen Materialismus abschotteten, beliebter waren als französische Aufklärungsautoren. Dies erklärt aber auch, warum Schiller in der schwedischen Spätaufklärung, in welcher sich die »richtige« Aufklärung von der »falschen« abzuspalten begann, so bedeutend werden konnte. Schiller war der Gegenwartsautor, der die Krise der Aufklärung am prägnantesten auf den Punkt brachte und der richtigen Aufklärung Auswege bot, ohne ins Nebulöse abzugleiten. Die Tatsache, dass sich die schwedische Aufklärung durch ihre Gleichartigkeit mit der deutschen auszeichnete und dass die Aufspaltung der Aufklärung in eine richtige und eine falsche der deutschen Diskussion folgte, sollte Konsequenzen für die schwedische Aufklärungs-Forschung haben. Für diese nämlich wäre die Schlussfolgerung naheliegend, dass der Vergleich mit den deutschen Verhältnissen wesentlich erhellender ist, als der Vergleich mit den französischen. Damit ist auch gesagt, dass die deutsche Aufklärungs-Forschung in Schweden eine größere Aufmerksamkeit verdiente, als dies aktuell der Fall ist. Im Zusammenhang damit scheint mir auch eine größere Aufmerksamkeit auf die Idee einer »Sattelzeit«,1358 die in Schweden vermutlich in die 1780er und 1790er Jahre fällt, vonnöten. Sattelzeiten, d. h. Zeiten, in welcher sich die »konzeptuelle Realität« verschiebt, sind vermutlich nicht unbedingt Erntezeiten – dies würde

1357 J. Christensson, Lyckoriket, 1996, S. 12. 1358 R. Koselleck, Geschichtliche Grundbegriffe. Einleitung, I, 1972, S. XV.

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Schlussbetrachtung

dann auch erklären, warum die 1790er Jahre nicht von literarischen Gipfelpunkten gesegnet waren. *

Die schwedische Schiller-Rezeption der 1790er Jahre ging mit dem Erscheinen einiger zentraler kulturgeschichtlicher Schlagwörter einher. Insbesondere die Begriffe »Herz«, »Bildung« und »Originalität« – um nur die wichtigsten zu nennen – weisen auf den anthropologischen und spätaufklärerischen Horizont hin, vor welchem sich die Schiller-Rezeption vollzog. In der frühen Rezeptionsphase der Rabulisten wird Schiller in Schweden im Namen des »Herzens« rezipiert, ein Schlagwort der Empfindsamkeit, welches im Werk Schillers eine zentrale Rolle einnimmt.1359 Das »Herz« ist in dieser Verwendungsweise zunächst als Chiffre zu verstehen, welche für die Welt des Gefühls steht, sich teils als antithetisch, teils als komplementär zur Welt des Verstandes verhaltend. Von der Position des Herzens werden die Aufklärung und deren schlechte weil einseitig auf Vernunft und Verstand fokussierte Anthropologie kritisiert. Diese Aufklärungs-Kritik findet sich in Schweden zum ersten Mal in Ekmansons SchillerRezeption, und zwar in dessen Übersetzung einiger Ausschnitte aus Schillers Philosophischen Briefen gegen Ende des Jahres 1792. Der Fragment gebliebene Briefroman und seine noch fragmentarischere Übersetzung ist Fanal des Missbehagens einer einseitigen, weil rationalistischen und materialistischen Aufklärung, die zu Melancholie und Krankheit führt. Diese halbe oder »falsche Aufklärung« galt es im Namen einer »richtigen Aufklärung« zu überwinden, die auch das Herz anspricht und damit den ganzen Menschen. Beim Rabulisten Ekmanson genau wie bei Schiller wird das »reine Herz« aber auch in ein Gegensatzverhältnis zur Betrügerei und Tyrannei gebracht, wie in Kabale und Liebe und Don Carlos, und erfüllt damit eine moralische Funktion: Vom moralisch besseren Standpunkt der Aufklärung aus wird der moralisch inferiore Standpunkt des Absolutismus verurteilt. Eine solche rebellische Phalanx des Herzens hat jedoch bislang genauso wenig ihren Platz in den schwedischen Literaturgeschichten gefunden wie die Empfindsamkeit in ihren flacheren sentimentalen und rührseligen Erscheinungsformen als Ausdruck einer bürgerlichen Kultur. Vielmehr wird nach der gängigen Meinung der französisch inspirierte Klassizismus des gustavianischen Parnass direkt von der Neuromantik abgelöst, eine diese beiden Gegensätze vermittelnde Strömung wie in Deutschland der Sturm und Drang und die Empfindsamkeit sind keine literaturgeschichtlich identifizierten Strömungen. 1359 E. Blochmann, Schiller und die Empfindsamkeit, 1950.

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Schlussbetrachtung

Die Rolle der »Gegenaufklärung« oder vielmehr der das Gefühl mit einbeziehenden erweiterten Spätaufklärung wird Thomas Thorild zugewiesen, ein breiteres Fundament im Bürgertum scheint damit ausgeschlossen. Zwar wird in manchen schwedischen Literaturgeschichten vage von Thorild und seinen »Anhängern« (NISLH, II, 472) oder von »Thorildianern« gesprochen, jedoch ohne der möglichen Existenz einer solchen Gruppierung je nachzugehen. Eine derartige Sichtweise der Randständigkeit Thorilds im kulturellen Leben Schwedens muss meines Erachtens aufgegeben werden: Dieser war lediglich der radikalste Vertreter einer Empfindsamkeit, welche im kulturellen Leben Schwedens ein breiteres Fundament hatte als die rationalistisch-materialistische Aufklärung eines Kellgren und eines Leopold. Die Rabulisten z. B. unterhielten auf unterschiedlichste Weise eine Verbindung zu Thorild und teilten sowohl seine Absolutismus-Kritik als auch seine die rationalistische Aufklärung übersteigende und das Herz mitumfassende Anthropologie. Die Nichtbeachtung dieses Phänomens in der schwedischen Literaturwissenschaft hängt vermutlich mit deren Fokus auf die Höhenkammliteratur zusammen. Das Modewort des »Herzens« hat für Höijer, Lidbeck, Tegn¦r und Geijer nicht die gleiche Bedeutung wie für die Rabulisten und den jungen Schiller, welcher später ebenfalls über die Empfindsamkeit hinausgegangen ist; denn man darf Schiller nicht mit seinen dramatis personae verwechseln, welche das Wort noch lange im Munde führten, als Verführte einer fehlgeleiteten und realitätsabgewandten Innerlichkeit, die das Paradies auf Erden will. Die genannten schwedischen Autoren waren allesamt wie Schiller durch die an Kant geschulte Kritik gegangen und reflektierten die Zerrissenheit des Menschen nun im Schema der Kant’schen Kategorien durch, weshalb die anthropologische Bestimmung des ganzen Menschen einen moralischen Akzent erhielt. Nun galt es nicht mehr die paradiesische Glückseligkeit des Herzens zu erlangen, sondern das Bedürfnis um die sittliche Idee der Menschheit zu verwirklichen. Diese Neuakzentuierung im Namen Kants begegnet bei Schiller unter dem Motto »Freiheit in der Notwendigkeit« zum ersten Mal in der in Schweden populären Schrift Anmut und Würde, welche den Begriff des Herzens auffallend wenig frequentiert. Auch in den Deduktionen der Ästhetischen Erziehung spielt das Herz eher eine untergeordnete Rolle: gilt es doch das widerstrebende Herz, das stets nur Glückseligkeit will, durch Spiel und Bildung des Geschmacks vernunftgemäßer zu machen, wenngleich es auf einer anderen Ebene erneut um den »ganzen Menschen« geht.1360 Bei den oben genannten schwedischen Autoren begegnet deshalb die Intention der »Bildung« – Höijer und Lidbeck sind die ersten Schweden in der Mitte 1360 Siehe hier und im Folgenden K. Lohmann, Die Bedeutungssphäre des Wortes »Herz« im dramatischen und philosophischen Werk Friedrich Schillers, 1959, S. 4 ff.

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Schlussbetrachtung

der 1790er Jahre, welche den Begriff verwenden, und zwar im Kontext der Schiller-Rezeption. Damit ist nicht ausgesagt, dass die Neuprägung des schwedischen Begriffs »odling« sowie die Übernahme des Begriffs »bildning« nicht auch durch andere Einflüsse zustande kam. Als auffallend ist jedoch die im Umfeld der Schiller-Rezeption und am Schiller’schen Vorbild orientierte Verwendung des Neologismus zu vermerken, während z. B. Herder und Goethe bei den genannten Autoren keine Rolle gespielt zu haben scheinen. Schiller hat am prägnantesten das Ungenügen der Spätaufklärung an der Dominanz der bloßen Verstandesbegriffe formuliert und in einer Bildung des »ganzen Menschen« die Möglichkeit gesehen, die Wunden der Zeit zu heilen. *

Der Konflikt, welcher zwischen den Parteigängern des Herzens und dem gustavianischen Establishment zutage tritt, ist auch immanenter Antriebsmotor der Schiller’schen Theorie- und Begriffsbildung und das Fundament für Schillers antithetisches Denken, das im Zuge seiner philosophischen Studien (zwanghaft) zu einer Verlängerung der binären Reihen führt: Kopf-Herz, Denken-Empfinden, Vernunft-Gefühl, Erkennen-Glauben, Vernunft-Sinnlichkeit, SittengesetzNaturtrieb, Pflicht-Neigung, Freiheit-Notwendigkeit, Anmut-Würde. Schiller sieht es als seine dringlichste Sorge an, die anthropologische Zerrissenheit zu versöhnen und gleichzeitig der sittlichen Idee der Menschheit genüge zu tun. Eine solche Versöhnung der Gegensätze scheint zunächst die Konzeption der Anmut zu ermöglichen – einer der Gründe, über welche ausführlich gehandelt wurde, warum Schillers Schrift Über Anmut und Würde in Schweden besondere Aufmerksamkeit und Wertschätzung erfuhr. Die beiden Begriffe »Anmut« und »Würde« stellen einen Endpunkt der spätaufklärerischen Tendenz dar, die Anthropologie zur Leitwissenschaft zu erheben und alle anderen Wissenschaften von dieser abzuleiten. Schiller führt die Ästhetik auf anthropologische Grundgegebenheiten zurück und verbindet sie wieder mit einer moralischen Intention, einerseits die Bildung zur Aufhebung der Zerrissenheit des Menschen in der Gesellschaft, andererseits die Erziehung zum Aushalten des konfliktuösen Zustands menschlichen Daseins. Letztlich handelt es sich bei der Dichotomie um zwei ganz prinzipielle Prädispositionen der Welt gegenüber, Entzweiung und Versöhnung, zwischen welchen Schiller »wackelt«, wie Lidbeck richtig erkennt. Während Schiller also die prekäre dilemmatorische Spannung beibehielt, findet sich gerade bei den zwei bedeutendsten und Schiller-nahesten Autoren Schwedens dieser Zeit eine leichte Priorisierung jeweils einer Seite der Dichotomie: Tegn¦r tendiert zur Würde, Geijer zur Anmut.

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Schlussbetrachtung

In gewisser Weise und indirekt bestätigt Böök diese meine Sichtweise, wenn er zwei Zweige vom romantischen Stamm abgehen sieht, einen schwerpunktmäßig von Fichte und einen schwerpunktmäßig von Schelling beeinflussten. Tegn¦r sei vom ersteren geprägt und werde deshalb vom Ethischen (Würde) beherrscht, der letztere stehe näher bei Schelling, weshalb er eher das ästhetische Leben als zentral ansehe (Anmut).1361 Auch in Svenska litteraturens historia, unterscheidet Böök zwischen Tegn¦r und Schiller auf der einen und Atterbom auf der anderen Seite, wenn er die poetische Inspiration der ersteren als intellektuellen Rausch, ausgezeichnet von der »höchsten Klarheit, Beweglichkeit und Glück ohne Begehren«, ansieht, die des letzteren und seiner Dichterbrüder als sinnlich bezeichnet: »die ästhetische Stimmung wird von Genusssucht und erotischer Sehnsucht getrübt.«1362 Dies entspricht dem Gegensatz, der sich im deutschen Geistesleben um 1800 auftut, auf der einen Seite der Standpunkt des Geistes, auf der anderen Seite der Wunsch nach Einheit von Natur und Geist: »dort Kant und Fichte, hier Herder und Goethe, aber auch Schelling.« Die unbedingten Vertreter des Geistes wenden sich gegen jeden Versuch, im Geist Naturhaftes, in der Natur Geistiges feststellen zu wollen. Sie werden dadurch zu Gegnern der gesamten Organismuslehre. Indem die Romantik fast durchaus mit dem Begriff des Organismus arbeitet, tritt sie in Gegensatz zu Kant und zu Fichte. Sie ist naturnäher als die beiden […] Sie kehrt sich von Schiller ab, weil er ihr den Kant und Fichte von diese Seite zu nahe zu stehen scheint.1363

Die weltanschauliche Scheidelinie, die Schiller von Schelling trennt, ist dreifacher Natur : sie verläuft zwischen Dualismus und Monismus, Organismus und Mechanik sowie Naturphilosophie und einer anthropozentrischen Weltanschauung. Die Rezeption Schillers und Schellings schließt sich m.a.W. eher aus, als dass sie sich ergänzt, eine Schlussfolgerung, welche sich hier bestätigt findet. Parallel zu dieser Trennlinie manifestieren sich in der Entwicklung der Ästhetik im Übergang vom 18. zum 19. Jahrhundert zwei Tendenzen: die romantische Re-Sakralisierung der Kunst (Romantik) und die zunehmende Säkularisierung der Kunst verbunden mit der aufklärerischen und pädagogischen Indienstnahme derselben. Die säkulare Tendenz drückt sich in den ästhetischen Leitbegriffen der »Anmut« und der »Würde« aus: Das Schöne ist nicht mehr Ausdruck eines wie auch immer zu verstehenden Transzendenten, sondern einer immanenten anthropologischen Gegebenheit.1364 Der Schritt zur radikalen Immanenz wird von 1361 F. Böök, Esaias Tegn¦r, 1917, S. 241. 1362 Svenska litteraturens historia, 1919, II, S. 118. 1363 O. Walzel, Wesensfragen deutscher Romantik, in: Begriffsbestimmung der Romantik, 1968, S. 189. 1364 W. Düsing, Ästhetische Form als Darstellung der Subjektivität, 1984, S. 189.

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Schlussbetrachtung

Tegn¦r auch im Gedicht Det Eviga vollzogen, wenn er das Rechte, das Wahre und das Gute als nur im Menschen existierend apostrophiert. Nur von dort aus können sich diese Ideale durch »Handlung« in der Welt manifestieren: der Ausdruck einer Weltimmanenz im Geiste von Schillers »Die Weltgeschichte ist das Weltgericht«. Die Tendenz zur Säkularisation wird aber auch durch den Aufstieg des Bildungs-Begriffs dokumentiert: Ziel aller Bemühungen ist jetzt die »Bildung« des Menschen in seiner Ganzheit unter Berücksichtigung seiner sittlichen Idee. Ein solches Bildungsbestreben, welches vom Versöhnungsparadigma Schellings abzugrenzen ist, rührt von der Entzweiung her, »die mit dem in der Aufklärungsphilosophie sich zeigenden Verfall der traditionalen Gesellschaft verbunden ist.«1365 Die Tendenz zur Sakralisierung dagegen kündigt sich in Schweden zum ersten Mal in der Aurora-Vereinigung an und wird von den Phosphoristen und Hammarsköld fortgeführt. Dort findet sich in der Nachfolge Schellings eine metaphysische oder theologische, d. h. transzendente Auffassung des Schönen. Aus dieser Perspektive konnte die anthropomorphe und radikal immanente Ästhetik Schillers keinen Anklang finden. *

Im Übergang von der Aufklärung zur Romantik (1792 – 1809) wird das literarische Feld außerordentlich unübersichtlich: eine bis dato nicht gekannte Anzahl von Gruppierungen tritt in einen weltanschaulichen Verdrängungswettbewerb. Einerseits übt die Alte Schule mit der Schwedischen Akademie als Plattform weiterhin ihre Richterfunktion aus, andererseits formiert sich um Wallmark und seiner Zeitschrift eine modernisierte Version der Alten Schule. Gleichzeitig wurde der Kreis um Silverstolpe, welcher zu diesem Zeitpunkt schon 15 Jahre alt war, von den Neuromantikern als andersartig und mit den eigenen Intentionen wenig kompatibel eingestuft. Der Neuromantiker Palmblad äußerte hinsichtlich einer eventuellen Zusammenarbeit mit Silverstolpe: Sich ganz und gar mit ihm zu vereinen, sehe ich als bedenklich an. Ich glaube der Mann ist zu verständig, um vernünftig zu sein. Seine Ansichten mögen wohl unsere in gewissen Punkten berühren, aber stimmen nicht mit dem Ganzen überein. Kennst du nicht auch die verzeihliche Eitelkeit, Anführer einer eigenen Truppe zu sein, stattdessen, wenn wir uns unter Silverstolpes Fahne vereinen, werden wir als seine ArriÀregarde betrachtet?

Die Bemerkung könnte Anlass zur Annahme sein, dass die weltanschaulichen Unterschiede zwischen den Neuromantikern und dem Silverstolpe-Kreis gering 1365 P. Bürger, Zur Kritik der idealistischen Ästhetik, 1990, S. 24.

594

Schlussbetrachtung

waren und lediglich die Eitelkeit, eine eigene Truppe zu befehligen, eine Kooperation verhindert habe. Einem neueren Interpretationsansatz zufolge werden weltanschauliche Unterschiede ganz aufgegeben zugunsten einer von Bourdieus Theorieansatz herkommenden Rückführung der Propagierung unterschiedlicher Anschauungen auf soziologische Motive.1366 Die Unterscheidung zwischen »verständig« und »vernünftig« erschließt sich dem heutigen Leser nicht mehr auf Anhieb und muss aus der nach-Kant’schen und frühromantischen Unterscheidung zwischen Verstand und Vernunft gesehen werden.1367 Der »Verstand« steht in diesem Kontext für den gesunden und alltäglichen Menschenverstand (common-sense), die »Vernunft« dagegen für die Spekulation, die Metaphysik, die »Ontologie«, diejenige Wissenschaft, die das »Ganze« in den Blick nimmt. Während der Verstand das Organ der Aufklärungskultur ist, handelt es sich bei der Vernunft um das Organ einer romantisch-spekulativen Kultur, die in der Schelling-Nachfolge auf die Totalität des Seins ging, eben auf das »Ganze«, wie es im Zitat auch heißt. Als solche wurde sie der als platt aufgefassten Verstandeskultur der Aufklärung gegenüber als überlegen angesehen, und Silverstolpe galt den Neuromantikern dementsprechend offensichtlich als Aufklärer. Die Feststellung Palmblads lässt solchermaßen keinen Zweifel daran, dass die Unterschiede auf der weltanschaulichen Ebene zwischen den beiden Gruppierungen immens waren. Aber auch auf Seiten der Romantik bilden sich zumindest zwei Fraktionen um die Pole Atterbom und Hammarsköld, welche sich noch abwartend belauerten. Diese »tumultuarische Buntheit« der spätaufklärerischen und romantischen Szenerie entspringt der »individualistisch aufgelösten Gesellschaft« einer zusehends »bürgerlichen Welt, die das Individuum im Geistigen isoliert«.1368 Begriffsgeschichtlich wird der Individualisierungsschub durch die Heraufkunft des Originalitätsbegriffs ergänzt, welcher sich gerade im Umfeld der Schiller-Rezeption herausbildet. Schiller wurde eine besondere Originalität zugesprochen, die größte Wertschätzung wurde ihm aber auch von den originärsten Persönlichkeiten der Zeit zuteil: Höijer, Tegn¦r, Geijer und Wallin. Die Partikularität dieser bedeutendsten schwedischen Autoren im Übergang von der Aufklärung zur Romantik wurde in der älteren Literaturwissenschaft noch gesehen. Je später je entschiedener wurden diese Autoren jedoch der Romantik zugeordnet, obwohl vieles dafür spricht, dass sie in Theorie und dichterischer Praxis Schiller nahe Positionen einnahmen. Im Unterschied zu den Neuromantikern hielten sie am dilemmatorischen Zustand des Kunstwerks fest, au1366 Siehe dazu D. Hedman, Kampen pa det gustavianska litterära fältet, 1997. In meinem Aufsatz Kung och bonde äro bröder, 2011 (S. 162) nehme ich Stellung zu solchen Interpretationen. 1367 F. C. Beiser, The Romantic Imperative, 2003, S. 69. 1368 C. Schmitt, Romantik, in: Begriffsbestimmung der Romantik, 1968, S. 92.

Schlussbetrachtung

595

tonom und gleichwohl Analogon des Guten zu sein. Alle drei – aber auch Anders Lidbeck, Gustaf af Leopold und Arved Beth¦n – haben sich von dem Platonismus der Neuromantiker und insbesondere deren Schelling-Rezeption abgegrenzt. Sie waren letztendlich nicht bereit, die von Kant kritisch abgesteckte Grenzlinie zur Identitätsphilosophie Schellings und dessen Theorem einer intellektuellen Anschauung zu überschreiten. Schelling und die schwedische Neuromantik hatten in ihren Augen die skeptische Vernunft durch die Spekulation ersetzt: Das Festhalten an der skeptischen Vernunft bei Kant und Schiller dagegen ist auch ein Festhalten an der Aufklärung.

XVI: Literaturverzeichnis

A.

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Primärliteratur

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XVII: Summary

1.

Introduction

This dissertation »Den Flug des Dichters hemme ferner keine Schranke«. Schiller in Schweden zwischen Aufklärung und Romantik (1790 – 1809) (The Flight of the Poet shouldn’t be disturbed by any barrier furthermore. Schiller in Sweden between Enlightenment and Romanticism (1790 – 1809) is the very first work to extensively examine Schiller’s reception and impact in Sweden. The Schiller reception has always been associated with the Swedish Romanticism from 1809 onwards, whereas Leopold’s translations of the poems An die Freude (Ode to Joy) and Resignation in 1793/1794 were rather considered as early isolated, incidental works, as reception before its time and hence without impact and followers. This opinion is not only represented by literary studies of the Böök-generation (1900 – 1950), inspired by and treating the Romanticism, but also in the sparsely existing references to the Swedish Schiller reception, e. g. in the most extensive essay on this topic, Schillers inflytande p” Tegn¦r och hans samtida (Schiller’s Impact on Tegn¦r and his Contemporaries) whose title already hinted at Schiller’s connection with the Swedish Romanticism. The reason for restricting myself to the period 1790 to 1809 is that I have made wholly new discoveries in the early Schiller reception which required an accurate interpretation of this material and its interplay with the social context; it is also because of the methodical position in the spirit of New Historicism that interprets the text as an incorporated part of culture and society in which different streams of the discourse interpenetrate.

2.

The political, social and cultural context

The seventeen years from 1792 (the assassination of Gustav III) to 1809 (the dethronement of Gustav IVAdolf) are called »the Iron Years« in literary history and are considered to be a continuation of the »Gustavian Era« or »pre-Romanticism«. Particularly in literary contexts the approach of this period as an

620

Summary

entit¦ negligeable is striking: between the two golden epochs of Swedish history, the Gustavian one until 1792 and the Romantic one from 1809, there is a gap. Such a portrayal is quite naturally justified from a traditional literary aspect: the most influential members of the Swedish Parnassus had already passed away (Gustav III, Kellgren, Bellman) and their most significant opponent Thorild was banished in 1792. Nevertheless, this period of Swedish cultural and social history deserves not only a special but a very privileged attention to political, cultural and sociological aspects. Politically, three government changes took place over a short period of time, two of them violently. Gustav III’s era (1772 – 1792) is characterized by the gradual self-authorization of the Swedish king with simultaneous enlightened willingness to reform as long as it did not affect the king’s own power. Reuterholm’s entr’acte (1792 – 1796) was implemented while reforms were expected, in many cases even the prospects of a revolution, among considerable parts of the population. During the reign of Gustav IVAdolf (1796 – 1809) reactions against the liberal tendencies connected with the French Revolution could be observed. The Swedish development of the free press after having been the most liberal in Europe before 1772 was gradually restricted again during the reign of Gustav III, which was directly opposite to the development towards greater liberty for the free press in other European countries. Culturally, during this period a switch from French to German culture takes place – which is remarkable after a century and a half of French cultural dominance. Hammarsköld’s statement that the Romanticists were the reason for this change cannot be true because such a cultural switch cannot depend on some individuals, but is rather the result of a comprehensive cultural, political and social change in the spiritual life of a country. After the French Revolution in 1789, the relationship between Sweden and France had declined, but the connections between Sweden and Prussia/Germany that had always existed – e. g. concerning the religion – were strengthened again. This is certainly one reason for the switch to the German culture, but there are others, too, as I demonstrate in my thesis. Sociologically, these years represent an accelerated development towards a bourgeois society, even though the forms of representation did not change. Particularly for this period the Swedish literary scholars suggest a sequence of three different phases of the general public, an important hint about the fast changes in society. From a socio-literary point of view there is a transition from intensive to extensive reading and also from the laureate poet to the freelance writer in the press as well as in books. At the same time there is the breakthrough of novels and the bourgeois tragic drama in literature which means not only new groups of readers but also a new self-confidence and new patterns of identification of the rising of a bourgeois culture.

The German literature and culture in Sweden

621

Especially noticeable is my thesis that there has not only been a Swedish Enlightenment, contrary to Thore Frängsmyr’s view in Sökandet efter upplysningen (1993), but also that its peak took place during the so called Iron Years (ca. 1792 – 1809). The reason for my point of view is that the Schiller reception of the time was not as much carried out during the Romantic era, but first of all during the cultural context of Enlightenment. The most important documents of the Swedish Enlightenment not only date back to that time; in fact there seems to be a very active period for the Swedish Enlightenment during the years after 1792, that is the phase of critique, as Koselleck has interpreted it in his Kritik und Krise (Critique and Crisis). It is, however, to be noticed, that the Swedish Enlightenment did not take a stand against religion – e. g. like Helvetius’s sharp position against religion, which Frängsmyr considers mandatory for the Enlightenment – but went hand in hand with the religion, so that the Swedish Enlightenment is denoted »pastoral«.

3.

The German literature and culture in Sweden

According to a very widespread and persistent view Swedish society was entirely under the influence of French culture and language during the reign of Gustav III, until the Romantics started to pay attention to German literature and culture again. This view, too, has to be changed. The very first reception of Schiller takes place from 1790 to 1793 in Stockholm in the only commercial circulating library run by the German immigrant Friedrich August Cleve whose library mainly consisted of German books – which shows a greater distribution of the German language than has been assumed. A quantitative analysis of estates and auctions of books as well as lists of the commercial circulating libraries provide explicit evidence of the fact that the German language was widely spread – even in the Gustavian era, that is, during the peak of French influence – and was at least the second foreign language after French. This explains the relatively quick change from French to German, a fact that has been little noticed in literary history. It is by no means true that this change did not occur until 1809 with the »New School« and the students at the universities in the beginning of the new century. On the contrary it happened 15 to 20 years earlier, in particular around 1790. During this period, namely 1790 – 1795, there was a breakthrough and total dominance of the German theatre, especially Kotzebue, and of the German novel. An important hint is given by the poetic calendar Sommar-promenaden (The Summer-Walk; 1792 – 1801) which has hitherto not been paid attention to with regard to the reading habits and customs of the public. In the first issue in 1792, i. e. the very year when French literature was dominating according to the current literary studies, the calendar published texts by Wieland, Gessner, Gellert,

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Summary

and in 1793 Klopstock, translated into Swedish – French names are not even found in the index. Swedish readers, according to this poetic calendar, did anything but read Voltaire or Pope. On the contrary they read Gessner, Gellert, Klopstock and Wieland. Indeed, not only the general public but also the most notable literary critics who from the 1750s dominated the literary scene (Gjörwell, after 1790 Kellgren), apparently seemed open minded and appreciated German literature as much as this was possible at the time. The pressure to accept German literature was getting even stronger during the transition from the 1780s to the 1790s. The reading opportunities in Stockholm were marked strongly by Cleve’s lending library with a predominantly German assortment. From Denmark there were influences of a sustained admiration of German literature and of Schiller through the university town of Lund where the later professor of aesthetics, Anders Lidbeck, had close connections with Danish cultural authorities and brought these new ideas to Sweden. New categories of readers had new literary demands which obviously were satisfied by German better than by French literature. Particularly after the Revolution French literature had a questionable reputation of favouring materialism and atheism. The only reasonable conclusion is that the common picture of a Swedish Rococo society at this time indulging in alexandrines only shows a very limited part of high society in Stockholm, and not the full complexity of the period or its cultural or social diversity. In the literary studies such an impression has been created and confirmed due to the dominance of evidence from the nobility and high society. This can be explained by the simple fact that »the common man« usually did not write any memoirs, hence left no testimonies of his literary preferences. However, this is also the extrapolation of the new Romantic propaganda which started after 1809 and which, much concerned about its own posthumous reputation, systematically denounced the Gustavian era. The German influence had been very strong during several centuries and French culture could not replace the German culture and language which were deeply embedded in Sweden. This also explains why Cleve’s library from the very first beginning could consist mainly of German literature. Within only a few years Cleve built his collection of Schiller’s works and due to the complete acquisition of the Thalia, which included at this time nearly all his writings, his work was available more or less in its entirety. Hence it is easy to conclude that Schiller very quickly was a popular writer.

The Rabulists: grub street writers and first Schiller recipients (1792)

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The Rabulists: grub street writers and first Schiller recipients (1792)

The written Schiller reception in Sweden did not start in 1793/1794 with Leopold’s translation and publication of the poems An die Freude (Ode to Joy) and Resignation (Resignation), but on 6 September 1792 with Pehr af Lund’s translation of a passage about the court of the inquisition from the Abfall der Niederlande (The Revolt of the Netherlands) and its publication in his journal Välsignade tryckfriheten och Tryckfriheten den välsignade. In the same month, on 29 September 1792, Johan Samuel Ekmanson used some verses from Schiller’s Don Carlos (»Den Flug des Denkers hemme ferner keine Schranke«) as a motto for a longer article in the Werlds-borgaren. In the following three months Ekmanson also publishes the description of Wilhelm von Oranien from the Abfall der Niederlande as well as passages from the Philosophische Briefe (Philosophical Letters) in his journal. Particularly af Lund’s journal seems to have had many subscribers why one can assume that by the end of 1792 at least one thousand, perhaps even many thousands of readers had been acquainted with Schiller’s works. Schiller’s texts are mainly – with the exception of the Philosophische Briefe – available in Cleve’s commercial circulating library which shows very clearly that this particular library has contributed to a relatively early start for the Swedish Schiller reception to a hitherto neglected extent. But the reception of Ekmanson and af Lund also shows that besides Cleve’s commercial circulating library there existed other ways of spreading literature. This is another proof that German literature was much more widely spread than it has been assumed in retrospect and that Schiller’s works were accessible in different ways in this early phase of his reception. These two journals (af Lund’s Välsignade tryckfriheten och Tryckfriheten den välsignade and Ekmanson’s Werlds-borgaren) of altogether six were published in the summer and autumn of 1792 as a result of Reuterholm’s new liberal policy for the press. Of the other journals the Extra Posten (where Leopold published until 1795), Carl Fredrik Nordenskiöld’s Medborgaren and Lorentz Münther Philippson’s Patrioten were of some importance. While the latter two were more polemical and political, Lund’s and Ekmanson’s journals tended to publish literary texts. Especially Ekmanson, inspired by such journals as The Spectator and German journals that followed in its wake (Moralische Wochenschriften), used a motto for each publication of the Werlds-borgaren which showed a totally new literary canon and a predilection of German literature. The Romanticist Atterbom classified Thorild as an early representative of the Romantic movement in his work Siare och Skalder, a classification that would last long in the literary history of Sweden. His strategy was simple: he did not

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want to lose such an important writer and philosopher to the other side, the Enlightenment. Some literary studies mention vaguely Thorild and his followers, the »Thorildians« but without identifying any members of this group or even mentioning any names. Several of these Rabulists, as I have chosen to call these grub street authors, had some connection with Thorild, with whom they had their aesthetic and political values in common. In many respects they belonged to the more radical part of the Enlightenment and the Sturm und Drang. Ekmanson as well as af Lund published an extract from the Abfall der Niederlande in their journals. The description of Wilhelm von Oranien in the Werlds-borgaren is one of several published historical depictions of characters who indirectly criticized current politics for not being more responsible in the way they governed. Lund on the other hand chose an impressive passage about the Inquisition where Schiller describes the perfidious functionality of a repressive system. Even Ekmanson has apparently been impressed by this passage, since there are traces of it in his article Om samhällets fördärv (On the corruption of society) with a motto from Schiller’s Don Carlos published in Thalia: »Den Flug des Denkers hemme ferner keine Schranke«. The selection of these passages shows on one hand that Schiller was initially thought of as a historian, on the other hand that his early reception falls within the scope of the critique of absolutism. Worth mentioning is that Ekmanson translated some passages from Schiller’s Philosophische Briefe towards the end of 1792: Vorerinnerung (Prefatory Remarks) and the first two letters by Julius to Raphael. This translation is associated with the context of Ekmanson’s translation of Sterne’s (under the pseudonym Yorick) novel A Sentimental Journey Through France and Italy in Swedish called Yoricks känslosamma resa igenom Frankrike och Italien. Ekmanson created the word »känslosam« instead of using the loan word »sentimental«. In Sweden this was the starting point for a growing sentimentalism and for the release of a great number of sentimental novels imported from Germany. Schiller’s fragment of an epistolary novel and its even more fragmentary translation is an expression of discontent with a crisis caused by the narrowminded rationalistic and materialistic Enlightenment leading to melancholy and illness. This »half« Enlightenment had to be overcome by a »complete« Enlightenment that also speaks directly to the heart and hence to the whole person.

Leopold’s translation of An die Freude and Resignation (1793/1794)

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Leopold’s translation of An die Freude and Resignation (1793/1794)

It has generally been considered a paradox that Carl Gustaf af Leopold, the eloquent French-speaking courtier who always seemed to praise the French taste, alone should have introduced Schiller in Sweden. He was, however, in reality one of the greatest connoisseurs of the German language, literature and learning after having spent several years in Germany. After advancing to the position of Poet Laureate during the 1780’s, Leopold had to earn his living as a free bourgeois writer after the death of Gustav III. His main activity 1792 – 1795 was writing for the journal Extra-Posten edited by J. C. Holmberg, one of the journals that emerged thanks to Reuterholm’s new liberal policy for the press. During that period and in this very same journal Leopold published his own most important poems and a number of translations, among them Schiller’s An die Freude and Resignation. It has always been taken for granted in literary studies that Leopold needed Fredrik von Ehrenheims mediation to become acquainted with Schiller. It is true that the Swedish diplomat in Copenhagen sent Schiller’s Thalia with the above mentioned poems to Leopold together with a request for their translation. But the incompletely preserved correspondence makes it clear that Leopold was already familiar with Schiller’s historical works – a fact that has so far remained unnoticed in literary scholarship. Once again this proves the thesis that a previous knowledge of Schiller and the German literature is to be expected. Cleve in his commercial circulating library had already provided the Thalia and af Lund and Ekmanson had already published texts by Schiller, and there are other channels of communication as well, channels we are not yet capable to detect. Leopold’s translations of Schiller’s poems – on 10 May 1793, the poem An die Freude was published in the Extra Posten, and Resignation eight months later on 21 January 1794 – were regarded as poor. On one hand it was considered that he did not understand the poems, and on the other hand it was pointed out that he was influenced by Schiller’s poems. A close comparison between the German and the Swedish poems show that neither of these statements is correct. His translations into Swedish prove that he was in control of the material and the ideas, and make plain his independence – he has only used Schiller’s poems as material and has adapted them according to his own ideas. The political and theological ideas found in Schiller’s original were elucidated by Leopold, even if the historical materialism – the so called Weltimmanenz (immanence of the world), which is predicated in the verse »Die Weltgeschichte ist das Weltgericht« (The history of the world is the judgment of the world) – and the theological radicalism in general was moderated by Leopold. The view expressed in the

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literary-historical context that Leopold was inconsistent theologically should be rejected. His changes of the German poems in translating them were in complete agreement with his views expressed elsewhere, e. g. in articles, and are consistent with a deism advocated by the later Voltaire, when he had distanced himself from the encyclopaedists. We have to forget our idea of Schiller’s outstanding genius to understand how much Schiller in the beginning had his roots in the Enlightenment and how similar the questions in his poems were to Leopold’s own, especially the theological ones. Leopold was beyond doubt aware of the genuine artist in Schiller, but has not been intimidated by him. To Leopold Schiller was an important and interesting author, but only one of many. The rigid belief that Leopold is strongly influenced by Schiller has been cherished by traditional literary historians who have transferred their own admiration of Schiller to others.

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The Junta

Unquestioned is the important role of the so called »Junta«, a circle of young academics and intellectuals, during the years 1795 – 1800. This is especially due to the appearance of the Litteratur-tidning (1795 – 1797) and the Journal för svensk litteratur (1797 – 1801) on the cultural scene in Sweden and to the insemination of German literature, philosophy and learning in the transition from Enlightenment to Romanticism. Nevertheless, the reputation of the Junta was distorted as a consequence of myths created partly by the Neoromantic propaganda concerning their atheism and sans-culottism – certainly one reason why they have never achieved a definite position between Gustavianism and Romanticism in dichotomous literary histories. Although misunderstood and underestimated the Junta was seen paradoxically as the only opposition to the political and cultural establishment and literary actors in the years 1795 – 1800. This view of the »Junta« has to be corrected. The group has its roots in a broad student movement that from 1791 till the end of 1792 spread in so-called convents. It was only a part, though the most important and progressive one, of the bourgeois society whose development accelerated in the 1790s. On one hand this development resulted in a new modern criticism, on the other hand in a variety of Silverstolpe’s projects, such as reading societies, journals and bookshops – institutions which became common during the Enlightenment. Politically, the »Rabulist journals« treated above were in 1792 much more radical than the Litteratur-tidning and the Journal för svensk litteratur published by Silverstolpe, both of which fought for reforms in society, but not for a revolution, as often has been believed. In the years between 1795 and 1800 there were also other journals which were closely observed and controlled by the government.

Schiller as historiographer and Swedish historiography

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The handwritten protocols from the society Witterhets Samfundet (1791) are the earliest documents of the later Junta. These manuscripts prove that German literature was of more importance (at least for some of the members) than French. German writers such as Campe, Salzman, Lessing and (seldom) Herder were admired for their capacity to address heart and reason equally and for their ability to avoid the temptations by Mesmer and Cagliostros by way of the »real« Enlightenment. In the earliest handwritten manuscripts of this group it is stated at least one year before the Rabulists did so that the French paradigm was exchanged for the German one. This happened during the Enlightenment to which we have to count the Junta, not the Romanticism. However, Schiller’s name is not mentioned in these protocols of the society. It is therefore necessary to determine that Schiller, whose literary debut was in 1782 with Die Räuber (The Robbers) and whose works were present in Cleve’s commercial circulating library since 1790, was unknown to the young members of the above mentioned society – another proof of the fact that Schiller’s works were not noticed by the reading public and those who were interested in literature until 1791 – 1792. As the knowledge of Schiller is very wide-spread in 1795 with the publishing of the Litteratur-tidning the members of the »Junta« must have learnt about Schiller between 1791 and 1795. It is most likely that this took place at the very latest in the year of 1792/1793, hand in hand with the publications of the Rabulists. The interest in Schiller in the literary criticism of the Junta after 1795 is very extensive, in a qualitative as well as a quantitative respect. Schiller’s personality and genius is discussed paradigmatically as well as in a new philosophical terminology, referring to Kant’s aesthetics between taste and individual imagination. In the criticism which concerns Schiller a conceptual change takes place: Schiller’s works and his poetic capacity are linked to concepts like »originality« and »individuality«, both new to Sweden, and the concepts of Bildung and Kultur appear in the context of the Schiller reception. Neither of the classical authors like Goethe and Lessing nor such popular writers as Lafontaine or Kotzebue are so much reviewed in depth as Schiller, who is the contemporary writer per se.

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Schiller as historiographer and Swedish historiography

In the very few existing descriptions of the development of Swedish annalwriting Schiller, the most popular historian of this period in Sweden, is not mentioned at all, and Benjamin Höijer and Erik Gustav af Geijer are associated with the Romantic historiography and Historicism – this always in clear distinction to the historiography of the Enlightenment that is given epithets such as »rational«, »utilitarian« and »insensitive«. Such neglect of the role and sig-

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nificance of Schiller in the historical field and in the development of a historiography was for a long time based on a corresponding neglect of Schiller in German literary studies and in the discipline of history. As recently as the last two decades the importance of Schiller was emphasized in extensive works, symposia and essay collections and freed from the prejudices of historicism. This change of perspective on Schiller and his significance as a historian also makes one aware of his impact in Sweden and the esteem which he experienced not only by the public, especially for his depiction of the Dreißigjähriger Krieg (Thirty Years’ War), but also by Höijer and Geijer. Höijer saw in Schiller the ideal fusion of demands of strict scientific research and philosophical depth, as well as stylistic and pictorial talents. Schiller is placed on a level with Hume, Robertson and Gibbon who all belong to the past – in contrast Schiller was a historian of the present age. In his work on the »pragmatic« writing of history Höijer prefers the continuation and radicalization of the Enlightenment to be accepted as a historical science. The term »pragmatisch« (pragmatic) seems not to be known in literary scholarship in Sweden where it is used only in its common meaning. Höijer’s discussion of the »pragmatic« writing of history as a coherent and structured depiction, where every action and reaction is traced back to its first cause is apparently based on the discussion inaugurated by Schlözer and Gatterer and continued by Kant and Schiller who wanted to overcome the sheer accidental chronological order. Because history is commonly understood as the cooperation and confrontation of the deeds of great men, the pragmatic historiography consists principally of illuminating historical results by the psychological research of the motifs, intentions and goals of the historically effective actors and then presenting it in a neat and coherent manner. Therefore Schiller was highly estimated for his psychological characterizations of great men. The telos of the historical development in Schiller’s and Höijer’s writing is not – as it has been claimed by scholars – a first glimpse of the Romantic view of life, but instead the innermost ideas of the Enlightenment: it corresponds with the idea of a »pragmatic« order, of the structure, clarity and transparency of human action, which the history scholar has to confer on the material. Schiller’s enormous popularity as a writer of historical works as well as the appreciation and admiration by his contemporary Swedish critics is founded in his literary and philosophic way of representation. That Schiller took less notice of a chronological order than a stricter philosophical one was much admired. Thereby he filled a gap in Sweden: there was no real Swedish history writing at that time, apart from a mere chronological enumeration of facts, a deficiency that already Höijer critically observed. Geijer’s historiography was in the secondary literature described as a »revelation« appearing relatively late and presuppositionlessly and was considered to be the Swedish complement of His-

Schiller as narrator in Sweden

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toricism (Historismus). My interpretation, especially of his early work on Sten Sture (1803) has made it obvious how much this text belongs to the framework of Universalgeschichte and Enlightenment and how much of Schiller’s terminology and spirit it contains. But also a somewhat later text about the Roman historiography (1807), which was regarded as totally free from any influence by Schiller, can be read as an attempt to join the freedom of the historian, demanded by the Enlightenment, with the aesthetic premises of indifference of Kant and of Schiller’s play conception.

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Schiller as narrator in Sweden

When the widespread reading of novels in Sweden during the 1790s reached a peak never seen before with more than 22 publications in 1797, the first commercial circulating libraries were established and the bookshops started an »industry« of translating novels. Schiller’s works were present from the very beginning. The translation into Swedish of Der Geisterseher (The Ghost-Seer) was begun in 1798 and published gradually. The rapid spreading of extensive reading of »bad« literature as a mass phenomenon as well as the transition from intensive to extensive reading were themselves caused by processes of change in the social, political and cultural spheres. This also means widespread changes and thus it is possible to speak of a paradigmatic change in the cultural life of Sweden in this Sattelzeit (Koselleck). During the 1790s a wave of a new genre, hitherto not noticed in literary studies, of sentimental epistolary novels by travellers that have the keyword »heart« in common thereby is displaying an ideological proximity to the Rabulists and Schiller. Obvious similarities in the motifs of original Swedish novels are also found in the text Schwärmereyen und ernsthafte Launen aus dem Tagebuch eines einsamen Wanderers (Enthusiasms und serious moods from a diary of a lonesome wayfarer) anonymously published in the Thalia. Pehr Wahlström’s Bref till en vän under en resa (Letters to a friend from a journey) shows a clear Schiller reception by the use of two mottoes. As central and with the function of a leitmotif for this type of literature is the motto of the seventh letter, some verses by Sophie Mereau from the poem Schwarzburg published in the Horen. Here the wayfarer is contemplating a paradisiacal virgin landscape while resting for a moment and is comparing in a sophisticated philosophical manner the imperfect present opposed to a belief in a better future which could be used as a model of a society where harmony, happiness, freedom and equality are achieved. Schiller’s Der Geisterseher (The Ghost-Seer) and Emanuel F. W. E. Fohlenius’s serial novels were successively translated into Swedish and reviewed several

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times in the Stockholms Posten as well as in the Journal för svensk litteratur. In the latter Schiller is called the initiator of the exciting literature of the conspiracy as well as of the so called Illuminati-genres. The reviewer in the Journal för svensk litteratur utilizes in the context of this fragmentary novel a terminology which shows how much Schiller’s prose was considered to have a special status. The exceptional success of the Geisterseher was most likely linked to the fact that the novel was located at the intersection of three different genres and discourses: the Geisterseher genre, the robber genre and the Schwärmer-discourse in the novel. Many German and English novels belonging to the imitators of the Geisterseher and which are along the lines of Schiller’s model flooded the market. Even the broadly similar robber genre was credited to Schiller by his contemporaries, particularly to Die Räuber but also to Der Geisterseher. Schiller’s popularity as a narrator is expressed through two extraordinary cases. The first case concerns Arvid Johan Spaldencreutz who published two translations of Schiller’s texts, the Verbrecher aus verlorener Ehre (Dishonoured Irreclaimably) and Die Minnekönigin (The Queen of Love), the latter anonymously published in Neue Thalia (1792). In the translation of the novel Das Ideal (The Ideal), an epistolary novel by Karl Anton von Gruber, a schwärmerisch young lady gets healed of her ideals and returns to reality. The motto of this novel, taken from the prefatory remarks of Schiller’s Philosophical Letters, denominates as »moral degeneracy« a »one-sided and wavering philosophy,« which »blinds the beclouded intellect with an appearance of correctness, truth, and conviction«. This could also stand as a motto for the different publications and translations, in which he gave his attention to the Schwärmerei of young ladies reading too many books and getting hysterical. On the surface he seems to display a critique of this new human type, (»new figures« as Foucault calls them: the nervous woman, the frigid wife, the hysterical daughter etc.) which is linked to a new order of concepts that Spaldencreutz uses in his short novella Svärmerinnan (The sentimental Lady): infatuation, phantasy, imagination, melancholy, suicide. Such keywords are signaling the infiltration of the irrational into the ordered world of Enlightenment. He offers the reading public not only an exotic and Mediterranean scenery, where the action is embedded, but also a new series of emotions mentioned above. At the same time, the presentation of these extreme emotional states of the irrational, which are in the text denoted as uncommon in Sweden, is an expression of the unfulfilled desires in the backyard of the Enlightenment, i. e. an innermost moment of the Enlightenment. Perhaps the strangest case and so far totally unknown in the Schiller reception in Sweden is encountered in the Linköpingsbladet, which was forced by the censor in 1805 to change to a new apolitical program and therefore publishing only literature. Within two months several of Schiller’s poems were published and as a novelty for this local journal his novelette Spiel des Schicksals (The

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Vicissitudes of Fate). The psychological analysis common to Schiller’s stories is clearly connected with an analysis of the mechanisms of a feudal-absolutistic system of government. Spiel des Schicksals threw light on the perversity of this political system, but also referred to the people that move in the system and are in a sense infected by its perversity, thus becoming collaborators.

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Schiller and the theatre in Sweden

Schiller’s dramatic works were noticed later in Sweden than in other countries and were put on stage even later. Nevertheless, the development of the theatre in the 1790s is revolutionary and fast. Still in the beginning of the 1780s the existence of a theatre had to be justified, and in the same decade classic French tragedies were played in Stockholm by the Monvel Ensemble, well known in France and without doubt to a high standard. In the 1790s, however, the classical French tragedy had to make way for the bourgeois tragedies. This novelty was well received by the reviewers and the Swedish Academy, although the »mixed«, »lower«, drama still met with some criticism. The translations of Die Räuber (The Robbers, 1799) and Kabale und Liebe (Intrigue and Love, 1800) must probably be regarded as a natural result of Schiller’s popularity and the success of the bourgeois tragedy. Unfortunately, Schiller’s drama could not profit from this development and it would take decades until Schiller was staged at the Kungliga Dramaten in Stockholm – a fate that he shared with Goethe, Lessing and Shakespeare. But in contrast to these three authors, who also were translated much later, there are two reviews of Schiller that give the most extensive evidence of an appreciation of Schiller in Sweden. Frans Michael Franz¦n’s review of Kabale und Liebe (Intrigue and Love) in the æbo tidning (1800) shows that the conception and the genre of the »bourgeois tragedy« was not part of the general knowledge of the Swedish public so far. Only this assumption explains the extensive discussion of the concept probably even less known to the Finnish-Swedish audience than to that in Stockholm. On the other hand Franz¦n’s objections to the style and the moral ambiguity of the putatively »innocent« Luise show the problems of the reception of the drama, especially compared to Koetzebue’s black and white characters that awakened sentimental feelings. The »atrocity« found in Kabale und Liebe by Franz¦n and his contemporaries is a radicalisation not only in comparison to the sentimental reconciliation in the finale of Kotzebue’s plays, but also to Lessing’s dramatical works. The most progressive taste of that time (and not just »a slightly more liberal attitude« as it is asserted in literary research) was doubtless found in the Journal för svensk litteratur which published a detailed review of the translations. The

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Journal by no means, as it is claimed, »criticize[d] Schiller for not rewarding virtue and punishing villainy«. On the contrary, it did not contain any of the moral arguments that were often invoked against Die Räuber and Kabale und Liebe, and did not criticize the diction of the dramatis personae for being »exaggerated« or »affected«. The appreciation of the two dramas is based upon totally different, even contrary arguments and aesthetic conceptions: for Die Räuber an idealization of the protagonist is alleged, for Kabale und Liebe the realism is emphasized. Here an aesthetic is coming to the fore that does not bring expectations of rules to bear on a work of art, but extracts its standards of judgment from the respective works. At the same time, when Schiller’s early plays are accepted, the Journal för svensk litteratur when reviewing the Swedish tragedy Ingiald Illr”da points out the exemplarity of Schiller’s tragedies, namely Don Carlos and Wallenstein. This model-validity is not a question of technical perfection in the eyes of the reviewer, but the work is rather considered as a »work of art«, whereby he introduces a new category in the Swedish literary analysis. This term obviously implies that the work should not be judged by ready-made rules, but according to the mood that it is able to evoke. The fact that Schiller’s most enlightened work about the theatre, Die Schaubühne als moralische Anstalt betrachtet (The Theatre Considered as a Moral Institution), was translated no less than four times between 1795 and 1818, shows the eminent interest in Schiller as a representative of the Enlightenment. Schiller’s high demands for a national theatre as a moral institution stands out in severe contrast to the real decline of the Swedish theatre and taste, something that was deeply deplored by the few journals and papers that were allowed by the censorship in the new century. The reason behind this desolate situation for the theatre was above all the financial misery that had befallen the theatre after the death of Gustav III, but also the audience’s bad taste and the actors’ inability to perform in classical tragedies. This also explains the late reception of Schiller in the Royal Theatre in Sweden in the 1820s, but at the same time it underlines once again the privileged way of the Schiller reception in comparison to that of Goethe and Lessing and even Shakespeare who found their way even later to the Swedish scene.

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Arved Bethén and Schiller

The most engaged Schiller recipient is Arved Beth¦n, whose literary contribution is his polemic and vehement pro-Schiller review of the text Kritik öfver Schiller (Critique over Schiller) by the Neoromanticist Lorenzo Hammarsköld, an article which, by having been published in Stockholms Posten 1808, automatically gave him many readers. He translated several popular philosophical

Arved Bethén and Schiller

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texts as well as some texts by Schiller and published some shorter ones in two volumes in 1803 and 1806. Beth¦n has repeatedly emphasised the relevance of the Enlightenment and its culture and he envisioned himself as a man of the Enlightenment. All of his translated texts belong in some way to the Enlightenment or to Popularphilosophie and even his planned Moralische Vorlesungen (Moral Lectures, 1823), in the spirit of Gellert, designate him as part of Enlightenment. But Beth¦n doubtlessly represents the opposite of Frängsmyr’s definition of the Enlightenment as a politically fighting group: he seems to have been to a large extent apolitical. He condemned the French Revolution as a result of false sentimentalism and was in his vague contemporary critique in many respects backward-looking or at least supported the maintenance of a status quo. An interesting point of view is a comparison with Ekmanson who was about the same age as Beth¦n. They both not only belonged to the same generation and shared the interest in Schiller, but also had unsuccessful careers as civil servants. Neither was particularly successful as writers, but they had a moral and pedagogic sense of mission with a strong wish for improvements (Ekmanson a wish for changes) of the society and a certain misanthropy. Nevertheless, the two contemporaries lived and worked in extraordinarily parallel worlds. Ekmanson was influenced by the Revolution and adhered to a visionary sentimentalism inspired by Lavater. Beth¦n on the other hand was influenced by Gellert’s moral fantasies that combined the enlightened religion of neology and some tendencies of the late Enlightenment in Berlin, e. g. Friedrich Nicolai. Very similar to the pietists, Beth¦n succeeded in combining his belief in the Enlightenment with the late absolutistic and reactionary political conditions in Sweden. He praised the politicians, the well-functioning administration and the women. In his praise of the present day there is a certain satisfaction of the state of affairs in the country and its development. At the same time there are some authoritarian features recognisable in this stolid praise. Especially the young generation bothers him and is also the motivation for some pedagogic advice. Like Schiller Beth¦n considers his »age« already enlightened. The problem is rather to get this already existing culture of Enlightenment into the heads of the people. According to him the Enlightenment is not a process of exterior alterations of political structures, but rather a process of moral improvement of the humankind. Thus Beth¦n has interpreted Schiller in the context of Popularphilosophie: on one hand the definition and perfection of humankind, on the other hand a popular i. e. non-academic treatment of philosophy. However, contemporary times were not Beth¦n’s problem, but those people – particularly young people – who are easily fooled into making errors by charlatans who preached a »false« Enlightenment. On his critical agenda there are thus ideological movements such as the orthodox theology, all sorts of sentimentalism, mainly Schelling’s philosophy, and materialism. Beth¦n has very

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meticulously studied Schiller’s analysis of his contemporary period in his 5th letter in the Ästhetische Erziehung (Aesthetic Education) and been particularly impressed by Schiller’s double attack on the barbarization and weakening in the society. On one hand, there was the decline and fall of the bourgeois order and as a result of this the lower classes had engaged themselves in behaving like animals. On the other hand, certain parts of the population embraced a purely rational Enlightenment followed by a materialistic moral doctrine and the egotism connected with it. In this context Beth¦n agreed with and was convinced of Schiller’s differentiation of the »true« and the »false« Enlightenment. Beth¦n’s main interests were to explore the human being, its destiny, the »true« and the »false« Enlightenment, self-determination, virtue and vice, education and edification. This is a mixture of motifs with very clear allusions to Schiller, albeit with an extensive omission of the role of the aesthetics, the beauty, the play, the veneer and the art as a whole. Thus Beth¦n does not distinguish between the literary and theoretical texts by Schiller. To Beth¦n Schiller is not first and foremost a poet, but an independent-minded philosopher and Weltweiser who is the role model for the youth through his worldly wisdom and knowledge of human nature and for being able to impart the right ideas for the value and dignity of life. Schiller’s texts are suitable for a therapeutic, soothing effect free from false visions. Beth¦n’s appreciation of the dramatic fragment Der versöhnte Menschenfeind (The Misanthrope Reconciled) is characteristic of him like the appreciation of the Philosophische Briefe (Philosophical Letters) characterizes Ekmanson. The choice of the first text shows an unconscious inadequacy of the Enlightenment, while Ekmanson’s choice expresses a conscious inadequacy. Beth¦n, who is five years older than Ekmanson, protests against the sentimentalism, by contrast Ekmanson protests in the name of his sentimentalism. Beth¦n could apparently identify himself with Ulrich von Hutten, the Menschenfeind, who shows a hidden dissatisfaction with the process of the Enlightenment. Beth¦n recommended the youth more peace and serenity with insisting eagerness, praised the continuity of society and its sexual und hierarchical roleplaying. Beth¦n’s unawareness is revealed by his uncritical identification with Hutten, but also in his unreflected use of the Enlightenment discourses. He himself is a victim and battlefield of these different discourses.

Schiller’s aesthetics in Sweden

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Schiller’s aesthetics in Sweden

The emergence of aesthetics both in literary criticism and as a discipline at universities in Sweden is another proof of the significance of the 1790s. Anders Lidbeck published 1795 – 1796 his first »dissertation« in aesthetics. He insisted on the autonomy of aesthetics, following Kant’s and Schiller’s terminology, in order to distinguish it from moral and political issues. About the same time Leopold started with his most comprehensive aesthetic work, not published, however, before 1800 – 1802, where he not unexpectedly turned his attention to »taste«, the most important aesthetic category of the Enlightenment. But when he stressed his belief in the possibility of the »education« of taste, which should be reached by a unification of different capacities for the completion of the education to the highest degree, he was using a theoretical figure of the anthropology of the late Enlightenment and subsequently a prime motive in Schiller’s world view. Anders Lidbeck took the same position in an essay published only two years later and came to the same conclusion, but now in a terminology apparently inspired by Schiller, stressing the education of man in a phrasing characteristic of Weimar Classicism, for example, by using the recently introduced Swedish verb »bilda« as an equivalent for the German verb »bilden«. Benjamin Höijer published in Litteratur-tidning (1795) an essay on the old and the new literature, where he presented new thoughts about the possibilities of modern »poetry« apparently referring to Schiller’s Bürger-review. One interesting point in his essay is that he saw the tendency to reflection in modernism as a possibility for a new kind of poetry which he then attributed to the Enlightenment and not to the Romanticism. Höijer sees the advantages of the »modern poetry« in its enlightened character, which clearly makes it differ from the »old« poetry. Surprisingly enough, Höijer considered taste more important than genius in an essay posthumously published, while Leopold looked upon taste as totally dependent on genius. Anders Lidbeck’s oeuvre reveals that Schiller in many ways has functioned as a mediator of the new aesthetics – even though he is critical of the dualism in Kant’s and Schiller’s philosophy. Lidbeck’s use of the term »pity« shows how deeply rooted he was in the world view of the Enlightenment. Despite the declared autonomy of the aesthetic, art constitutes to him a moral-educational institution through pity. However, his values were subject to change, probably under the influence of the captivating stringency of Kant’s concept formation and Schiller’s consistency. To Esaias Tegn¦r, a student of Lidbeck’s and only a few years younger, Kant’s aesthetics, however, is already a natural starting-point and a Procrustean bed for his lectures flanked by Schiller’s terminology. This is especially obvious in his approach to grace (Anmut) and dignity (Würde) where he opposes Lidbeck’s attempts to level the conflicts between sensuousness and

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Summary

ratio. Epistemologically, Tegn¦r follows Kant and distances himself from Platonic tendencies later seen in the Neoromanticism. In dissociating himself from Lidbeck as well as from the coming Romanticism he stresses the dualism and the resulting conflict to be borne by »dignity«. Schiller’s concepts of grace (Anmut) and dignity (Würde) had an extraordinary impact. The reasons for the interest in these terms, especially by Lidbeck, Tegn¦r and Geijer, are diverse. Grace, perceptible by the senses as an impression of the beautiful soul, is to be regarded as an expression of the consensus of sensual and intellectual nature and thus solves the most important question of human nature. Ultimately, it is one of the obligatory problems of anthropology of the late Enlightenment, which Schiller has tried to solve by means of aesthetics. Thus Schiller’s essay can be read, with increased emphasis of the first part about Grace, as a serious attempt to attenuate the moral rigour of Kant within the limits of pure reason, all this without approaching the philosophy of identity (Identitätsphilosophie). Furthermore, Schiller’s aesthetics when it concerns grace and dignity is one devoid of the artist. Such a relativization of genius had attracted all those who realized the risk of the mystifying and esoteric conception of genius (particularly in Schelling) and who observed the Neoromantics with disapproval. Finally, the concept of grace corresponds to the new bourgeois ideal of woman as it can be seen in Lidbeck’s much broader explanations in his work on grace. Geijer’s essay on imagination which in 1810 won the prize of the Swedish Academy is in literary history considered to be the most important manifesto of Romanticism in Sweden. In fact there is no other Swedish text which despite its originality so obviously follows in the footsteps of Schiller. Geijer’s point of origin is the fragmentation of modern man. Like Schiller in his Ästhetische Erziehung (Aesthetic Education), the worthwhile ideal is named with the metaphor »lebende Gestalt« and the domination of the cultural life by Reason is criticized. There is always a search for a transition from the common to the individual, from theory to practice (together with a search for reconciliation), from the sensual to the ideal, from freedom to necessity, from grace to dignity etc., and this transition is found in the imagination, comparable to Schiller’s idea of transition and reconciliation in the concepts of play, beauty, and grace etc. Thus, context, figures of thought and metaphors in Geijer’s text all have their model in Schiller’s Ästhetische Erziehung. Schiller had frequently been criticized and derided by his contemporaries, by philosophical colleagues as well as by the educated public whom he had approached primarily as a philosopher. It speaks well of Lidbeck’s openness of mind that he, as a professional philosopher, did not join the chorus of those who trivialized Schiller’s aesthetics because of his »beautiful style of writing«. The view expressed in the literature that Lidbeck as an eclectic belongs to the popular

Schillers poetry in Sweden

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philosophy (Popularphilosophie) and that he in accordance with Schiller has just written something »beautiful« cannot be accepted. Schiller’s style of writing, which cut across all disciplinary boundaries, alternating between concept and image (metaphor), made him impossible to professional philosophers and also to the wider public. He found in Lidbeck, however, an admirer, but only in Geijer a kindred spirit. Geijer follows Schiller, who argues in an illustrative and metaphorical way, who also puts the little things in larger contexts, who phrases insights that make sense immediately, although they have not been deduced, and uses paradox and chiasmus as conspicuous rhetorical devices. Schiller has exerted an immense influence not only despite but also because of his »beautiful style of writing« in Swedish aesthetics between the Enlightenment and Romanticism and served as a key stooge in the new aesthetic discourses.

12.

Schillers poetry in Sweden

The impact and reception of Schiller’s poetry, particularly on the poets Frans Michael Franz¦n, Johan Olof Wallin and Esaias Tegn¦r, is profound and each of them would need a special study. Innumerable elements from Schiller can be found in dozens of Franz¦n’s and Wallin’s poems as well as in Tegn¦r’s whole opus. Such a quantitative completeness was never the aim of this dissertation – more so to identify the themes the three poets had in common as well as their connection with the social, societal and cultural changes in Sweden. In spite of all the differences, these three poets have several things in common. They are older than the Neoromantics, who became known to the general public in 1809; they were all influenced by Leopold and the French Classicism in the early period of their work; they tried repeatedly and with success to be acknowledged by the Swedish Academy ; they were all mainly influenced by German literature, particularly Schiller ; their poetry could be called exoteric in contrast to the esotericism of the Romanticists. All three poets have made translations and adaptions of Schiller’s poems – an obvious impact by Schiller is found in all three of them. In several of his poems for competition 1801 – 1805 Tegn¦r varies the nescience in the face of death and what comes afterwards. In these poems a wise man, Kant, is often invoked. Tegn¦r had studied his works very thoroughly during this period, but this wise figure still leaves the seeker and the doubter in scepticism and can’t remove the »veil« – a central metaphor often used and probably borrowed from Schiller – which disguises the final truths. The agnosticism culminates in Förvillelser (Illusions) whose publication was refused in the Stockholms Posten, also because it relativized religion. The motto of the poem »Nur der Irrtum ist das Leben, und das Wissen ist der Tod« (Only fallacy is

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Summary

life and knowledge is death) taken from Schiller’s Kassandra can be a motto for Tegn¦r’s own rhetorical didactic poems of this time as well. The agnosticism in Tegn¦r’s early poems seems to be a thing of the past due to Schiller’s idealistic influence and his triadic history model in Die Künstler (The Artists). This is obvious in Tegn¦r’s universal historical didactic poem Kulturen (The Culture) where an enlightened optimism is formulated by a Schiller-influenced universal historian. While Franz¦n in his poem S”ngen över Creutz (Song about Creutz) from 1798 points out the world of ancient Greece and his own era as binary opposites and bemoans elegiacally the »death of beauty« in the spirit of the Die Götter Griechenlands (The Gods of Greece), Tegn¦r’s Kulturen from 1805 in contrast expresses an optimism about progress and a typical Schiller pathos about human dignity. This is due to the influence of Die Künstler in which Schiller exchanges the backward-looking elegiac sentiment for the triadic structure promising the lost harmony to be restored on a higher level in the future. Kulturen is the very first Swedish poem with history as a subject and one of the first texts in Sweden to use the word »culture« in a specific and wider manner than it was typically used in the Enlightenment parallel to »education/ literacy«. In his verbose poem Uppfostraren (The Educator) that won the prize of the Swedish Academy in 1805 Johan Olof Wallin varies different motifs of the perception of women where he, like Schiller did in Würde der Frauen (Honour to Women) – a poem translated by Wallin, Franz¦n and Tegn¦r and adapted into their own lyrics – expresses a clear and contrastive diversification of the gender role. However, neither Franz¦n nor Wallin translate respectively adapt Schiller’s verses in Würde der Frauen which describes the woman’s superior literary education. This puts a different complexion on Schiller’s often condemned poem: Schiller has apparently applied qualities to women which were too emancipated for his contemporaries in Sweden. The interim phase in which the »educated woman« at least in Gottsched’s Germany was a possibility seems already to have come to an end in Sweden – if it ever existed. Moreover the artless educator is described as uneducated in total conformity with Pestalozzi’s pedagogy influenced by Rousseau. Schiller’s perhaps most popular poem, Die Worte des Glaubens (The Words of Belief), was repeatedly translated and its reception proved to be productive. In this poem as well as in Die Worte des Wahns (The Words of Error) he put into words, against a background of political and social injustices, an idealistic belief that the good, the beauty and the truth are eternally existing entities. However, they are not found in a Platonic sky, in some kind of transcendental region, but in man. Tegn¦r’s poem Det Eviga (The Eternal), which is highly influenced by Schiller’s poem, has in literary research on one hand been placed in the context of war poetry, and on the other hand it has been read as a Romantic text. My

Schiller in the context of the arising Romanticism

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interpretation differs from both of these. The idealistic tone should not belie the radical secularized world view, which is similar to the one in Schiller’s poem Resignation: »Die Weltgeschichte ist das Weltgericht« (The history of the world is the judgment of the world). This verse could also stand as a motto to Tegn¦r’s poem. My analysis of the poem Det Eviga (The Eternal) shows that it is an enlightened expression of a radical immanence and denial of any transcendence: there is hope, but only human beings can fulfil this hope, not God. Tegn¦r’s lyrical development towards an autonomous work of art, directly following Schiller, is to be noticed for the first time in the poem Skidbladner. Pivotal for the appreciation of the poem is the metaphor of the mirror, which is without doubt derived from Schiller’s frequent use of it in his most outstanding programmatic poems, and by Franz¦n who also takes this metaphor from Schiller. The mirror as a metaphor establishes a group of metaphors together with the concepts of »clarity«, »light«, »brightness« (Glanz) etc. that refers to the purity of the other true life. The metaphor of the »mirror« is in my opinion closely related to that of the »veil«. The veil expresses the absence of absolute knowledge during the Enlightenment and secularization. On the other hand, the mirror as a medium of mimesis expresses the veneer, the art, which according to Schiller outstrips theological knowledge. This is the reason why Tegn¦r only uses the metaphor of the veil in his early poems and the metaphor of the mirror in his middle and late poems, thus showing the development of cultural history. The veil as texture encompasses the essence as well as the allusion to the mirror, and in fact both metaphors are found in Tegn¦r’s poem Förvillelser (Errors) as well as in Schiller’s Resignation. The mirror does not only refer to art, but also to ratio, the Enlightenment and the truth, as two sides of the same coin.

13.

Schiller in the context of the arising Romanticism

The Swedish literary history has always linked the year 1809 with the break with the classical tradition and the associated orientation towards French-Classicism. It has often been pointed out that the Romanticists showed a totally new understanding of Goethe and Schiller compared with the preceding generation. This may on one hand be due to the fact that the Romanticists could publish more journals due to the liberation of the press in 1809. On the other hand the reason could be the propaganda by the Romanticists on their own account. The literary-philosophical journals by Silverstolpe and Höijer already marked a clear turn to German culture, particularly to German philosophy, history, writing and theology as well as to the German novel – Schiller was there an absolute authority in many respects. However, the Swedish Neoromantics admired German Classicism and Romanticism with an almost religious adoration. This approach was

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Summary

not at all conducive for a writer like Schiller and in the end benefited the Goethe reception rather than the Schiller reception. Of the two Romantic poetry societies Vitterhetens Vänner and Aurora, the latter is considered to be the more important one in the Swedish literary history. On one hand, this is connected with the fact that the Aurora-brothers left more substantial protocols of their meetings, on the other hand they represented the real equivalent to the German early Romanticism, in opposition to Vitterhetens Vänner which was considered as a vanguard of the Romantic movement though not yet in full flower and therefore they were thought of as secondary in literary history. In the statements of this group an aesthetic of the curious (Interessanten) is explicitly predominant and finds implicitly its expression in the affirmation of »melancholic, savage and grisly scenes«, in a »reversion of time, space and people«, in »crudeness and horrors of images and expressions«. In these juvenile avowals a predominance of horrors is discernable, which aims at an enactment of the disorganized in the world, for example as it has been designed in G. A. Bürger’s Gothic ballads admired by Vitterhetens Vänner. Such only handwritten confessions of Vitterhetens vänner that exist show a radical shift in the conceptual constitution of the aesthetic perception in Sweden. It is the transition from an aesthetic of beauty to an aesthetic of the sublime, even the ugly. Only three years separate the two societies, but concerning their world views there is an enormous difference and especially concerning the Schiller reception Vitterhetens Vänner could serve as a link between the »Sturm und Drang« and the Romanticism. With regard to the Schiller reception the two societies are also separated by Schiller’s death. To Vitterhetens Vänner Schiller is a contemporary, but the Aurora-brothers consider him as belonging to the past. The difference between the two groups when it comes to their attitudes of mind is illustrated in the way they received Schiller. He made a much deeper impression in Vitterhetens Vänner, while the Aurora-brothers only paid lip service to him. With Aurora Sweden has for the first time a literary movement which looked upon itself as Romantic and which distanced itself from the Enlightenment. The early protocols of this Romantic society show the irreconcilable differences to Schiller when the function of the poet is to initiate the weaker souls into the »mysteries of the higher level of humanity«: the poet is a prophet. The programmatically claimed ideal in the »Dunkelschönen« (the beauty of the obscure) is the opposite of Schiller’s strive for »clear as a mirror« e. g. in Das Ideal and das Leben (The Ideal and the Actual Life). Schiller’s marginalisation by the Aurora society is not just due to aesthetic and social differences, but also due to the extensive reading which reached its peak during this time. In Atterbom’s programmatic poem Till Sophie (To Sophie) in 1808, which he frequently revised in the course of years, he gives Goethe, Tieck and Werner as spiritual fathers.

Schiller in the Romantic criticism

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Schiller, however, is not even mentioned. Among the Neoromantics the adjective »bourgeois« (borgerligt) is linked to the Enlightenment and is thus an expression of the highest contempt. This presents an extraordinary semantic shift from the days of the Rabulists (1792), who had connected the concept of the bourgeoisie with a commitment to rebellion — la Marquis Posa, Karl Moor and Ferdinand. Now in 1807, however, the triteness of the times is noted disgustedly, while the Enlightenment is connected entirely with France. Thus the literary Procrustean bed is created which in his simplistic dichotomous-functionality has proved to be surprisingly tenacious. The Romantics have linked Germany with the Romantic, as distinct from the junta and Gustav Ros¦n for example, who saw Germany as the country of the true Enlightenment. In the so-called »Querelle« from 1809 onwards between the old generation around Wallmark and his Journal för literaturen och theatern and the Polyfemists around Hammarsköld the better understanding of Schiller by the Neoromantics became appreciable as literary studies have always maintained. In reality, however, this comparison shows that the old circle around Wallmark claims for itself German literature and publishes texts by Schiller more often than the Romanticists. Symptomatically, Schiller is not published in the programmatic journal Phosphoros, while translations of Goethe’s works are frequently found. On the other hand Schiller’s poems were inserted as entertainment for the ladies in the romantic journals Poetisk kalender and Kalender för damer.

14.

Schiller in the Romantic criticism

The texts in Sweden with direct Romantic criticism of Schiller are mainly Hammarsköld’s critiques and some critical views of Schiller’s dramatic plays in Swensk literatur-tidning. Especially when comparing these two it should become apparent to what extent Hammarsköld’s critique – sometimes extremely exaggerated – is an accident and an exception in Romanticism, or to what extent it complies with the perspective of the Neoromantics, if the critique is freed from juvenile exaggerations and annoyed polemic caused by critique of himself. Hammarsköld has mainly followed an organic concept of literature in his Försök till en kritik öfver Friedrich Schiller, betraktad som poet, häfdatecknare och filosof (Attempt of a critique of Friedrich Schiller considered as a poet, a historiographer and a philosopher) as it had been proposed by Friedrich Schlegel among others in his Studiumaufsatz. He invokes the holiness and purity of the »true poetry«, which unleashes a pure »poetic interest«, which is not only freed from the pleasant and the useful, but also entirely from the moral. This involves a prioritization of beauty before the sublime, which is always already con-

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Summary

taminated with the moral, as well as the leading position of the beautiful in the triad of beauty, truth and goodness. Considering this model of literature, and condemning coincidentally the modern era as an era of the Interessanten and the Sublime according to Schlegel, Schiller’s character appears to be premature as an author : as a poet too reflecting, as a philosopher too poetic, it would have been in his character to become a colleague of Fichte and Schelling, not a poet – is Hammarsköld’s drastic judgment. If his perception of Schiller is compared to that of the older generation, as it is formulated in e. g. the Litteratur-tidning, a stricter view of Schiller’s opus is clearly noticeable: Schiller is above all reviewed as a dramatic playwright and as such critically. Only Die Jungfrau von Orleans (The Maid of Orleans) is unconditionally admired, apparently because of its combination of gender problems, religious devotedness and national pathos. A certain limitation of his knowledge of Schiller’s poetry and prose is noticeable partly in the selection of texts, partly in the tendency to make stereotyped judgments, but partly also in adherence to traditional genre forms. His Kritik öfver Schiller was followed by a lot of anti-critiques and replies, above all a polemic skirmish with Arved Beth¦n, who criticized in Hammarksöld’s aesthetic the tendency to pure formalism, to the isolation of the artistry as a divine play of free form liberated from any relation to reality, where he sees the danger of »frivolous pastime«. Beth¦n demands not only »formal beauty«, but rather, in the sense of the Enlightenment, »humanity in the way of thinking«, i. e. statements of content and the positioning of the artist – and this he finds in Schiller. He misses in the Schiller critique especially the consideration of the most important philosophical question, namely »What is my highest vocation as a sensuous rational nature?« Again Beth¦n points to the main problem of the Enlightenment worked out by Kondylis, the mediation and weighting of the sensuous and the rational, which Beth¦n sees closely linked to Schiller. If Hammarsköld’s Kritik öfver Schiller was considered to be an accident and an exception in the Romanticism, the reviews in the Swensk literatur-tidning tell another story. They discuss more or less the same critiques as Hammarsköld did in his essay and add even new ones. The Romanticists consider Goethe as the highest »star«, not Schiller, whose texts were composed according to a contrived abstract plan: his characters were not developed, and his muse was of a rhetorical-logical nature, not of a philosophic-poetical one. He was just a »versifier« comparable to Leopold. Don Carlos whose idealism had fascinated the preceding generation, is called »political« – as a contrast to poetical – and characterised by »cosmopolitan enthusiasm«, words that had been a praise by the preceding generation of the Rabulists and the Junta. Said by a Romantic, however, it is a massive criticism of the tragedy which was considered to belong to the Enlightenment. In Swedish literary studies a »constellation Schiller-Schelling« was often as-

Conclusions

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sociated particularly with the Romantics, and it was especially claimed for Atterbom’s lyrical manifestos Prologen and Epilogen. Such a fusion and confusion of entirely irreconcilable concepts can be found only in Atterbom’s early poems, which are characterized by a diffuse ideology. In reality, the boundary line between the Schiller reception of the Swedish late Enlightenment and the rather low opinion of Schiller held by the Neoromantics runs between Schiller and Schelling. In a new polemic debate in the 1810s between Lidbeck and Hammarsköld, between Beth¦n and Hammarsköld, the essence of the controversy is obvious. As a follower of Schelling’s Identitätsphilosophie (Philosophy of Identity) Hammarsköld was not able to appreciate Schiller, while on the other hand the Neologian Beth¦n, the empiricist Lidbeck, and as well Geijer, Tegn¦r and Höijer held Schiller in high esteem, but not Schelling.

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Conclusions

Swedish literary historians, especially those dealing with Romanticism, have constructed a connection between Schiller and the Swedish Romanticism. However, this construction is not aware of the earlier reception through the lending libraries and the Rabulists, which my investigation has disclosed. Instead, this construction is a derivative of at least four different discourses. Firstly, it is a result of the Romantic origin of the writing of literary history, i. e. the division of literature around the year 1809 and the accompanying characterization of these epochs: on one side the Enlightenment, Classicism, French and Latin models, utilitarianism and bourgeois morality, on the other side Romanticism, fantasy, German and Greek models, sense of beauty. This has, in my opinion, created a Procrustean bed that is still predominant in Swedish literary studies of Neoromanticism: a denigration of the Enlightenment. In consequence, Schiller is mostly regarded as a forerunner of Romanticism, not as an enlightener. Secondly, the assumption of a »mythical convergence Goethe-Schiller« is another always effective literary-historical mechanism, which is often found in Swedish literary history as well. Therefore, the undeniable appreciation of Goethe by the Romantics led to the assumption that Schiller was similarly appreciated. Thirdly, the widespread assumption of Schiller’s proximity to Platonism or Neo-Platonism especially in Anglo-Saxon studies has also found proponents in Sweden, whereby Schiller is automatically placed in the Romantic context. Fourthly, the popular misconception has to be mentioned that a critique of the Enlightenment is conceivable only from an external position, and this position is necessarily occupied by the Romantics (see further). The findings of the present study go far beyond the elucidation of a Schiller

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Summary

reception, and intervene in Swedish literary history. With reference to Habermas, Koselleck and Kondylis I want to argue in favour of a broader perception of the Enlightenment that is not only focused on the high literature. It cannot be questioned that an Enlightenment was to be found both in Germany and in Sweden, or that German enlighteners, e. g. Wieland, Klopstock, Gessner, Schiller et al. played a decisive role in Sweden. The Swedish enlighteners – and here we have not just Kellgren, Rosenstein and Leopold – have not identified themselves »foremost« with the French, but with the German Enlightenment. It was not only the counter movement, the Neoromantics, which was interested in German literature. The interest of the Bürgertum (bourgeoisie) was always rather more in the German than the French Enlightenment. My thesis provides strong evidence for these results. At this point conceptual differentiations are to be introduced, in which Swedish literary studies have so far not shown any interest. The very first acknowledgement of an interest in the German Enlightenment, important for this dissertation, was Gustaf Ros¦n’s handwritten hint in 1791 about the »true Enlightenment«. But also the very first Schiller reception in Sweden, Ekmanson’s publication of Philosophische Briefe (The Philosophical Letters) in 1792, is characterized by the distinction between a true and a false Enlightenment. That year is the dividing line of the Swedish Enlightenment based on the critique and displeasure due to a very narrow-minded view of the Enlightenment. Extraordinarily enough, these terms of true/false have not been much discussed, and, if this has been the case, only in context with Geijer’s essay Om falsk och sann upplysning (About the false and the true Enlightenment) where he reflects on that subject. However, the critique of the false and the discrimination of the true and false Enlightenment has been attributed to Romanticism – in the same way that Geijer’s works in many ways have a beacon of Romanticism. In literary studies which identify the Enlightenment with the spirit of »utilitarianism« and »common sense« the criticism of it is only possible from a Romantic point of view which is another logical enforcement from the Swedish literary studies. The knowledge that even in Sweden there was a discourse of the true or false Enlightenment leads in the first instance to its specific »characteristics«. The Swedish Enlightenment was in its character not contrary to Christianity, but was rather a requirement of the propagation of the Protestantism. The Swedish representatives of the Enlightenment – and all the writers mentioned in this dissertation as Schiller recipients – were not antireligious and fought against materialism and nihilism. This fact is important and crucial to understand Schiller’s impact on the Swedish Enlightenment. However, this influence can on one hand be understood from the fundamental differences between the Swedish and French Enlightenments, on the other hand from the similarity between the Swedish and German ones. The rehabilitation of sensuality in the culture of the

Conclusions

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Enlightenment had in Germany never reached the level of sheer materialism or even nihilism since the enlighteners there preserved a vital relation to religion; the same is true for the Swedish circumstances. This also explains why Germany was considered to be the country of the Enlightenment throughout the evidence mentioned and why German writers who were close to the bourgeois Empfindsamkeit (sensibility), wrote about the feelings and the heart, thereby isolating them from the French materialism. All this made the German writers more popular than the French authors of the Enlightenment. It explains as well why Schiller is of significance for the Swedish late Enlightenment where the division into »true« and »false« started to be noticed. Schiller was the contemporary writer who put the crisis of the Enlightenment in a nutshell and who offered the right Enlightenment alternatives without lapsing into the nebulous. The fact that the Swedish Enlightenment is characterized by its similarities to the German Enlightenment and the division of the Enlightenment into a false and a true Enlightenment should have great consequences for Swedish research of that period. The conclusion would be that a comparison of the Swedish with the German Enlightenment is much more rewarding than to compare it with the French. With this it is also important to point out that the German research of the Enlightenment – Koselleck, Habermas, Kondylis, to mention only the most outstanding scholars, deserve much more attention than is the case at the present time. In this context the concept of a so called Sattelzeit combined with a certain attention to keywords, in Sweden most likely in the 1780s and 1790s, deserves much more consideration in my opinion. The Swedish Schiller reception of the 1790s was accompanied by the appearance of a few central culture-historical keywords. In particular, the terms »heart«, Bildung (in Swedish »bildning« or »odling«) and »originality« – to name only the most important ones – refer to the anthropological and late Enlightenment environment in which the Schiller reception took place. The early phase of the Schiller reception by the Rabulists in Sweden is on behalf of the »heart«, a keyword in the era of Empfindsamkeit which also plays a decisive role in Schiller’s work. The »heart« used like this is initially to understand as a cipher, which represents the world of feeling, acting partly as antithetical, partly as complementary to the world of the mind. From the position of the heart the Enlightenment and its bad anthropology is criticized, because of its unilateral focus on reason and understanding. The »pure heart« is also placed in a position contrary to trickery and tyranny, as in Kabale und Liebe (Intrigue and Love) and Don Carlos, and thus fulfills a moral function: from the morally better position of the Enlightenment the morally inferior position of absolutism is convicted. Both manners of use are found in Schiller and Ekmanson. So far such a rebellious position of the heart, however, has found its place in the Swedish literary histories just as little as the Empfindsamkeit in its shallower

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Summary

sentimental and mawkish manifestations as an expression of a bürgerliche Kultur. Following the conventional wisdom, the French-inspired classicism of the Gustavian Parnassus is rather replaced directly by the Neoromantic one; a movement mediating between these two opposites as in Germany the Sturm und Drang and the Empfindsamkeit cannot be identified in literary history. The role of the »counter-Enlightenment« or an Enlightenment which includes feeling is assigned to Thomas Thorild, but a broader fundament in the Bürgertum seems excluded. In Swedish literary history there is an isolated and very timid speculation of the possibility of followers or a circle around Thorild, but without referring to the Rabulists. The failure to observe this phenomenon in the Swedish literary studies is probably linked to their focus on the high literature. However, the buzzword of »the heart« does not have the same importance for Höijer, Lidbeck, Tegn¦r and Geijer as for Ekmanson and the younger Schiller, who is later also beyond the scope of sentimentalism. The Swedish authors, as well as Schiller, were all trained in Kant’s criticism, reflecting the disunity of the people now in the scheme of Kantian categories, wherefore the anthropological definition of the »whole person« (ganzer Mensch) received a moral accent. Now it was no longer to attain the paradisiac bliss of the heart, but the requirement to achieve the moral conception of humankind. This new Kantian bias is encountered in Schiller for the first time in Über Anmut und Würde (On Grace and Dignity) – a text very popular in Sweden – under the motto »freedom in necessity« (Freiheit in der Notwendigkeit). In this text, however, the concept of the heart plays a remarkably small part. Also in the deductions of Über Ästhetische Erziehung, which had very far-reaching consequences in the Swedish debate, the heart plays a subordinate role. It is necessary to make the reluctant heart, which always only wants bliss, more appropriate through play and education of taste, although on another level it has to do with the »whole person« again. Therefore the Swedish authors mentioned above consider the Bildung of the whole man – Höijer and Lidbeck are the first in Sweden in the mid-1790s to use that term, namely in the context of the Schiller reception. Schiller has most succinctly verbalized the inadequacy of late Enlightenment to the dominance of mere conceptions of the understanding, and has seen in a formation of the »whole person« the opportunity to heal the contemporary wounds. The conflict, which comes to light between the factionists of the heart and the Gustavian establishment, is also the immanent driving force of Schiller’s theoryand concept-formation and the fundament for Schiller’s antithetical thinking, which in the course of his philosophical studies leads to an extension of the binary series: head – heart, reason – emotion, reason – sensuality, duty – bias, freedom – necessity, grace – dignity. Schiller accounts it as his most urgent concern to reconcile the anthropological strife and at the same time to satisfy the moral idea of human kind. Such a reconciliation of oppositions seems at first to

Conclusions

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enable the conception of Anmut (Grace) which is why the writing Über Anmut und Würde has an extraordinary impact in Sweden. Moreover, these two terms represent an endpoint of the late Enlightenment tendency to raise anthropology to be the leading science from which all other sciences are derived. Ultimately, the dichotomy is a matter of two very basic predispositions. While Schiller, however, endured the precarious dilemmatic tension between division (Entzweiung) and reconciliation (Versöhnung) and wiggled between these positions, as Lidbeck astutely noted, in order to draw attention to the difference to Schelling, the two most important authors in Sweden at that time, and the two closest to Schiller, prioritize different sides of the dichotomy : Tegn¦r tends to dignity, Geijer to grace. However, both authors avoid the totalizing position of Schelling’s philosophy of identity that unifies everything with everything, from which they explicitly dissociate themselves, like Höijer, Lidbeck, Beth¦n and Leopold. Curiously enough Swedish literary studies have always concerned themselves with a »constellation Schiller – Schelling«. In reality, at that time the entire Schiller reception runs almost contrary to Schelling’s philosophy. The ideological dividing line that separates Schiller from Schelling is threefold: it runs between dualism and monism, organism and mechanism, as well as between natural philosophy and an anthropocentric world view. Parallel to this dividing line in the development of aesthetics, in the transition from the 18th to the 19th century, two tendencies become apparent: the romantic re-sacralization of art and the increasing secularization of art, connected with the Enlightenment and educational enslavement of the same. The secular trend is expressed in the aesthetic key concepts of Anmut and Würde. The beauty is no longer the expression of a somehow transcendental, but an immanent anthropological incident: »Die Weltgeschichte ist das Weltgericht« (The history of the world is the judgment of the world). But the secularization tendency is also documented by the rise of the Bildungs-concept: the goal of all efforts is now the Bildung of man as a »whole person«, and this also puts in consideration a moral idea. Such a Bildungsstreben, which is to be distinguished from Schelling’s reconciliation paradigm, is caused by the differentiation (Entzweiung) that is connected with the decline of traditional society as it is manifested in Enlightenment philosophy. On the other hand the tendency to sacralization announces itself for the first time in Sweden in the Aurora society and is continued by the Phosphorists and Hammarsköld. Following Schelling there is to be found a metaphysical or theological, i. e. transcendental conception of the beautiful. From this perspective, the anthropomorphic and radically immanent aesthetics of Schiller could not find an echo. Tegn¦r, Geijer and Höijer insist, in contrast to the Neoromantics, on a dilemmatic state of the art work, to be autonomous and nevertheless an Analogon

648

Summary

of the good. All three – but also Anders Lidbeck, Gustaf af Leopold and Arved Beth¦n – have distanced themselves from the Platonism of the Neoromantics and in particular from their reception of Schelling. They were ultimately unwilling to overstep Kant’s critical marked-out boundary line to Schelling’s identity philosophy and his theorem of an intellektuelle Anschauung. Schelling and the Swedish Neoromantics had substituted speculation for skeptical reason: the adherence to skeptical reason in Kant and Schiller, however, is also an adherence to the Enlightenment.

XVIII: Personenregister

Abrams, Meyer Howard 63 Adlerbeth, Gudmund Jöran 95, 101, 171, 292 f., 345, 365 f., 370 f., 381, 470, 472, 534 Adlersparre, Johan Georg 105, 158, 261, 268 Alt, Peter-Andr¦ 25, 29, 42, 62, 115, 130, 139, 167, 172, 178 f., 181, 200 f., 207, 219, 223, 245, 257, 275, 302 f., 315, 317, 324, 326, 328 f., 333, 340, 348, 353, 362 – 364, 390, 431, 436, 440 f., 453, 472, 481, 484, 497, 512 f., 533 f., 537 – 541, 545, 551, 553, 556, 593 Ankarström, Jacob Johan 85 Arvidson, Stellan 93, 101, 157, 184, 247, 430 Askelöf, Johan Christian 376, 538 Aspelin, Kurt 22 – 25, 70, 149, 191, 224, 233, 235, 245, 263, 584 f. Assmann, Jan 474 Ast, Georg Anton Friedrich 530, 572, 577, 581 Atterbom, Per Daniel Amadeus 11, 25, 27 – 29, 35, 49, 61, 100, 107 f., 114 – 117, 190 – 193, 235 f., 338, 425, 436, 471, 476, 499, 513 f., 524 f., 527 f., 530 – 534, 538 – 541, 544 f., 560, 568 f., 575, 579, 581, 592, 594, 623, 640, 643 Augustenburg, Friedrich Christian zu 90, 138 f., 459, 461, 464

Batteux, Charles 249 Behler, Ernst 59 Behn, Carl Conrad 122 f., 142 f. Beiser, Frederick 60 – 64, 322, 432, 448, 450 f., 549, 573, 594 Bergh, Gunhild 69, 117, 124 f., 127, 129, 131, 135 Berlin, Isaiah 46, 57 f., 60 f., 113, 129, 131, 320, 328, 337, 354, 397, 511, 633 Beth¦n, Arved 70, 107, 240, 374, 383 – 419, 548, 565 – 568, 574 f., 580 f., 595, 632 – 634, 642 f., 647 f. Bjerk¦n, Carl Gustaf af 314, 316 Blanche, August 326, 329 Blanck, Anton 114, 293 f., 454, 480 f., 490 BoÚthius, Daniel 423 Böök, Fredrik 25, 28 – 31, 34, 115, 163, 184, 193, 307 f., 310, 314, 316, 443, 478, 482, 489, 491 f., 496, 498, 500, 509, 547, 583, 585, 592, 619 Böttiger, Carl Wilhelm 527 f., 531, 533 Bovenschen, Silvia 485 Bretonne, Restif de la 133 f., 153, 162 f., 310 Bürger, Peter 67, 78, 87, 151 f., 154, 166 f., 173, 177, 180, 211 f., 250, 294 f., 309, 313, 336, 348, 358, 400, 416, 426, 438 f., 465, 472, 483, 485, 489 f., 496, 518, 527, 531, 540, 544, 550 f., 562, 593, 635, 640 Burke, Edmund 64, 426, 447, 575

Baggesen, Jens 138 f., 269, 338 Barudio, Günter 76 f., 81 – 83, 92

Cassirer, Ernst 53, 55 f., 240, 452 Chartier, Roger 56, 66, 78, 156, 176

650 Christensson, Jakob 68, 125, 152 – 154, 160 f., 165, 172, 175 – 180, 182, 383 – 385, 588 Christiernin, Pehr Niclas 423 Cleve, Friedrich August 118, 122 f., 133 f., 140 – 147, 150, 160, 163, 165, 168 f., 177, 185, 188 f., 191, 196, 227, 263, 266, 290, 621 – 623, 625, 627 Creutz, Gustav Philip 204, 218, 345, 470, 480 f., 501, 505 f., 508 f., 638 Croce, Benedetto 572 Dalin, Olof 115, 124, 204, 272 – 274, 285, 294 Darnton, Robert 53 – 56, 66, 153, 387 Delblanc, Sven 52, 80, 172, 176 Delisle de Sales, Jean-Baptiste-Claude 389 f. Du Bos, Jean-Baptiste 130, 248 f., 323, 424 f., 429 Ek, Sverker 28, 101, 116, 135, 155, 175, 184, 229, 240, 349, 356, 504 f. Ekmanson, Johan Samuel 100, 142, 149 – 151, 153, 157, 160, 162 – 175, 180 – 186, 188 – 191, 240, 280, 310, 314, 344, 385 f., 397, 416 – 419, 587, 589, 623 – 625, 633 f., 644 – 646 Engdahl, Horace 11, 25, 30 f., 34 f., 60 f., 229, 443, 483, 496, 498, 500 f., 503 – 505, 509 Engelsing, Peter 67, 98, 309, 485, 531 Fant, Eric MichaÚl 127, 274, 288, 306 Ferry, Luc 429 Fichte, Johann Gottlieb 258 f., 330, 406, 459 f., 476, 533, 535, 560, 562, 571 f., 577, 579, 592, 642 Foucault, Michel 44 f., 56, 333 f., 630 Frängsmyr, Tore 52 – 56, 68, 71, 80 f., 100 f., 103, 107 f., 111, 155, 183, 273 f., 385, 400, 417, 586, 621, 633 Frank, Manfred 409, 422, 577 Franz¦n, Frans Mikael 11, 26, 28, 35, 61, 107, 139, 292, 316, 350, 352, 356 – 359, 361 – 365, 379 f., 421, 423, 442, 469 – 471,

Personenregister

474, 480 f., 484, 486, 496, 501, 504 – 510, 513, 516 – 518, 541 f., 631, 637 – 639 Friedrich der Große 79, 344 Fryxell, Anders 25 – 30, 57, 114 – 117, 144, 471, 495, 535, 547 Gadamer, Hans-Georg 258 Garve, Christian 166, 394, 437 Gatterer, Johann Christoph 271, 280, 282, 305, 628 Geertz, Clifford 11, 50, 78 Geijer, Erik Gustaf 24, 28, 30, 49, 58 f., 61, 70, 100, 107, 261, 272, 274 f., 292 – 306, 378, 399, 435 f., 444, 448, 450 – 459, 462 – 464, 466 f., 470 f., 478, 491, 513 – 515, 540 f., 544, 546, 562, 570 f., 579, 581, 585, 590 f., 594, 627 f., 636 f., 643 f., 646 f. Gellert, Christan Fürchtegott 126, 131 f., 134, 146, 238, 393 – 395, 417, 621 f., 633 Genette, G¦rard 40 – 43, 46 f., 170 f., 316 Gervinus, Georg Gottfried 25 Gessner, Salomon 126, 128, 130 – 132, 134 f., 145 f., 164, 237 – 239, 262, 621 f., 644 Gjörwell, Carl Christoffer 125 – 128, 131, 134, 138, 145, 238, 244 f., 286, 384, 528, 563, 580, 587, 622 Goethe, Johann Wolfgang von 17, 25 – 28, 38, 46, 71, 113, 126, 133, 164, 171, 193 f., 235 f., 238, 248, 255, 259 f., 265, 267, 294, 303, 313 – 315, 320, 322, 326 f., 351, 360, 362 f., 371, 377, 403 f., 512, 520, 522, 529 f., 532 f., 536, 538 – 543, 545, 547 – 549, 551, 554, 556 – 558, 560 f., 563 – 565, 572 f., 581, 584 f., 591 f., 627, 631 f., 639 – 643 Gombrich, Ernst H. 475 Gottsched, Johann Christoph 24, 126, 130 – 132, 192, 323, 345, 486, 509, 638 Granberg, Per Adolf 314, 469, 534 Greenblatt, Stephen 35, 39, 46 – 51 Grubbe, Samuel 579, 581 Gruber, Karl Anton von 330, 332 f., 340, 630 Gusdorf, George 511 f., 549

Personenregister

Gustav III. 31 f., 73, 75 f., 78 – 83, 85 – 87, 89 f., 92 – 96, 99, 101, 104, 106, 108 – 111, 114, 118, 124, 137, 144, 151, 155, 158, 161, 172, 176, 196, 209, 211, 226, 237, 239, 280, 289, 307, 312, 344 – 347, 349, 351, 374, 381, 421, 464, 469, 490, 625 Gustav IV. Adolf 71, 73, 86, 88 – 91, 109 f., 158, 232, 305, 421, 423, 491 Guthke, Karl S. 175, 357, 362 Gyllenborg, Gustaf Fredrik 58, 170 f., 204, 218, 249, 251 f., 345, 470, 472 f., 475, 479, 490 Habermas, Jürgen 43, 49, 55 f., 66, 71, 77 f., 93, 106, 309, 583, 587, 644 f. Hallenberg, Jonas 285 f. Haller, Albrecht von 127, 130 – 132, 238, 535 Hamburger, Käte 139, 235 f., 361, 414 Hammarsköld, Lorenzo 24 f., 27, 29, 61, 70, 74, 107 f., 110, 114 f., 117, 191, 193, 250, 289, 292, 313, 330 – 332, 335 f., 338, 383, 386 – 388, 417, 436, 442, 459 – 461, 463, 471, 484, 488, 511, 513 – 516, 518 – 522, 524, 528 – 530, 534 f., 538 f., 544 f., 547 – 565, 567 – 576, 578 – 581, 586, 593 f., 620, 632, 641 – 643, 647 Hausmann, Johan Friedrich Ludwig 96 Hazelius, Johan August 158, 492 – 494, 509 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 25, 30, 209, 275, 281, 412, 423, 436, 439, 567, 578 Heine, Heinrich 25, 57 Heinzmann, Georg 153 Helvig, Amalia von 136 f. Henshall, Nicholas 75 Herz, Marcus 430 Heydenreich, Karl Heinrich 234, 258 f., 276 Hjärta, Hans 231 f., 235 f. Höijer, Benjamin 88, 100, 153, 229 – 236, 241 f., 245 – 252, 256 – 261, 267 f., 272, 275 – 285, 288, 296 f., 305 f., 387, 399, 403 f., 422 f., 431, 436 – 442, 451, 465,

651 504, 534, 543, 578 f., 581, 590, 594, 627 f., 635, 639, 643, 646 f. Holmberg, Olle 30, 101, 164, 170 f., 193 f., 196 – 200, 222, 224 – 228, 431, 472, 535, 625 Home, Henry 116, 128, 198, 261, 263, 302, 434 f., 440, 446, 461, 555 Huber, Ludwig Ferdinand 178 – 181, 214 Hume, David 107, 245, 269 f., 305, 394, 430 f., 628 Jarrick, Arne 68, 99, 106, 108, 120, 383 f., 387 Jaub, Hans Robert 36 – 38, 40,46 f., 50, 437 Kaiser, Gerhard 59, 130, 132, 181, 183, 185, 323, 337 Kant, Immanuel 59, 66, 105, 126, 195, 224, 232, 240, 245, 248 – 251, 260 f., 267, 270 f., 282, 285, 296, 303, 305 f., 384, 389, 393 f., 402 f., 406, 408 f., 422 – 428, 432 – 435, 437 – 440, 442 – 451, 456, 459, 461, 464 – 466, 473, 475 – 478, 483 – 485, 495, 506, 508, 520, 535, 538, 541, 547, 551, 557, 562 f., 574 – 577, 580, 590, 592, 594 f., 627 – 629, 635 – 637, 646, 648 Kellgren, Johan Henric 33, 49, 52, 54, 74, 95, 100 – 106, 109, 115 f., 120 f., 124, 127, 135 f., 145, 152 – 156, 159 – 161, 170, 175, 177, 182 – 186, 190, 194, 204, 212, 218 f., 231, 240 f., 248, 250, 324, 346, 349 f., 356 – 358, 360, 370, 376, 379, 385, 439, 472, 508, 516, 587, 590, 620, 622, 644 Kittler, Friedrich A. 318, 348, 488 Klopstock, Friedrich Gottlieb 25 f., 127, 130 – 132, 134 – 136, 138, 146, 164, 171, 194 f., 200, 221, 238, 240, 262, 345, 403, 505, 525, 535 f., 557, 622, 644 Kondylis, Panajotis 49, 55 f., 67, 106 – 108, 185, 220, 384, 399 f., 402, 408, 472, 567, 581, 583, 587, 642, 644 f. Koopmann, Helmut 174, 182, 361, 493 Koselleck, Reinhart 44 – 47, 49, 55 f., 62, 66, 70 f., 74, 77 – 79, 104, 111, 173 f., 187,

652 220, 233, 256 f., 264, 309, 374, 583, 587 f., 621, 629, 644 f. Kotzebue, August von 144, 252, 255, 267, 311, 319, 347 – 351, 354, 357, 374, 377, 379 f., 565, 621, 627, 631 Lagerbring, Sven 272 – 274, 278, 366 Lamm, Martin 34, 58 f., 67, 102, 124, 126, 155, 183, 218, 224, 247, 273, 349, 425, 473, 504 f., 586 Lavater, Johann Kaspar 127, 131, 164, 167, 171, 174 f., 195, 397, 417, 538, 633 Lehnberg, Magnus 115, 293 – 295 Lenz, Jakob Michael Reinhold 132, 214, 314, 520, 529, 558 Leopold, Carl Gustaf af 22, 25, 49, 54, 69, 89, 92, 95, 101, 106 f., 115, 127, 134, 139, 145, 149 f., 152 f., 156, 160 – 162, 164, 170 f., 174 f., 177 – 183, 186, 189, 191 – 201, 204 – 214, 217 – 228, 235, 247, 256, 261, 293, 308, 346, 352, 359, 365, 370 – 373, 381, 385, 423, 429 – 433, 437, 441, 453, 464 f., 469 f., 472 – 475, 478, 496, 507 f., 516, 534 – 536, 541, 548, 579 f., 583, 585, 587, 590, 595, 619, 623, 625 f., 635, 637, 642, 644, 647 f. Lessing, Gotthold Ephraim 25 f., 127, 131 f., 194 f., 218, 238 – 240, 255, 262, 265 – 267, 345, 351, 357 – 360, 362 – 364, 373, 377, 443 f., 529, 540, 547 f., 551, 564, 627, 631 f. Levertin, Oscar 347 Lidbeck, Anders 68, 139, 146, 150, 247, 259, 421 – 428, 431, 434 f., 442 – 451, 460 – 462, 464 – 467, 488, 548, 562, 575 – 581, 590 f., 595, 622, 635 – 637, 643, 646 – 648 Lidner, Bengt 101, 128, 135, 153, 159, 171, 184, 189 f., 229, 248, 345, 347, 472, 516 Liljebjörn, Knut 137 Lindegren, Carl 314, 347, 350, 356, 370 Livijn, Clas 158, 336, 338, 436, 514 – 516, 518 f., 521 – 524, 529, 534, 538, 544, 560, 573 Ljunggren, Gustaf 114, 117, 144, 249, 316, 386, 463, 547, 549, 570, 572, 575 f.

Personenregister

Lovejoy, Arthur Ducken 57 f., 60, 63 Lund, Per af 32 f., 92, 101, 104, 137, 139, 146, 149, 151, 153, 157 – 163, 172, 175, 185, 188 – 191, 227, 310, 312, 330, 347, 351, 386, 421, 423 – 426, 428, 442, 445 f., 461, 464 f., 571, 578, 622 – 625 Lybecker, Carl. B. 314 Lysell, Roland 25, 30 f. Malmström, Bernard Elis 25, 27, 101, 114 f., 127, 152, 365, 512, 539, 547, 570 Marmontel, Jean-Francois 55, 79 f., 209 Meißner, August Gottlieb 311, 329 Mendelssohn, Moses 127, 387 f., 393 f., 406 f., 432, 447, 575 f. Mereau, Sophie 313, 317 f., 339, 629 Meyer Levin, Friedrich Anton 354 – 356 Möller, Horst 55, 67, 195, 349, 484 Mortensen, Johan 515, 519 Müller, Johannes G. 24, 68, 124 – 129, 132 f., 163, 180, 240, 251, 253, 255, 262, 271, 307, 311, 322, 326, 491, 535, 550, 573 Neikter, Jacob Fredrik 127, 248, 358, 370, 421, 425, 442, 481 Nicolai, Friedrich 100, 131, 143, 240, 311 f., 396 f., 402, 417, 470, 536, 538, 633 Nordenskiöld, Carl Fredrik 87, 100, 102, 151, 153, 155, 157, 166, 170 f., 189, 384 f., 623 Norling, Börje 27 Nyblaeus, Axel 61, 232, 433 Nyman, Magnus 68, 83, 85 – 88, 91, 97, 101, 103, 117, 120, 124 f., 140, 145, 153, 157 f., 165, 324 Oellers, Norbert 31, 161, 288, 374 Oxenstierna, Johan Gabriel 82, 101, 115, 171, 176, 293, 345, 470, 472, 501, 509, 534 Paine, Thomas 155 Palmblad, Wilhelm Fredrik 29, 230, 232, 436, 524, 527, 539, 544, 548, 568 – 570, 579, 581, 593 f.

Personenregister

Pfaff, Christian Heinrich 326, 390 Pfeil, Johann Gottlob Benjamin 268, 358 Philipson, Lorentz Münther 105, 151, 155, 157, 160, 185 Platner, Ernst 405 Pope, Alexander 134, 146, 170 f., 193, 200, 212, 225, 472 f., 535, 622 Porthan, Henrik Gabriel 137, 361, 423, 425, 442, 481, 541 Pugh, David 63 f., 452 Radcliffe, Ann 252, 325 Rahbek, Knut Lyne 139, 262, 268 Reche, Johann Wilhelm 395 Regn¦r, Gustaf 101, 127 f., 135 f., 145, 292 Reuterholm, Gustav Adolf 70, 85 – 90, 104, 109, 151 f., 189, 198, 210, 224, 226 f., 280, 421, 424, 620, 623, 625 Riedel, Wolfgang 64 f., 186, 217 – 219, 322, 393, 395, 407 Ros¦n, Gustav 231, 236, 239 f., 243, 258, 262 – 266, 268, 287, 351, 374, 391, 412, 526, 544, 641, 644 Rosenstein, Nils von 52, 54, 101 – 103, 105, 115, 145, 155, 160, 183, 231, 293, 370, 385, 411, 423 f., 470, 532, 534, 587, 644 Rousseau, Jean-Jacques 54 f., 58, 133, 139, 154, 170 f., 175 f., 198, 225, 275, 294, 296 f., 313 – 316, 329, 396, 439, 441, 454, 456, 481 – 483, 490, 516, 535, 586, 638 Rutström, Carl Birger 350, 352 f., 535 Salu, Herbert 24, 101, 118, 139, 191, 193, 196 f., 205 f., 210, 228 Santesson, Carl Gustaf 473 f., 482, 530 – 533, 539 f. Sauder, Gerhard 59, 103 f. Schelling, Friedrich W. J. 61, 241, 303, 394, 406, 409, 418, 432, 436, 451, 455, 460, 466, 476, 512, 521, 531, 539 f., 547, 549, 561 – 563, 567, 572, 574 – 579, 581, 592 – 595, 633, 636, 642 f., 647 f. Schings, Hans Jürgen 65, 67, 167, 402, 406 Schlegel, August Wilhelm 24, 320, 438,

653 525, 527, 529, 531 f., 536, 540, 547, 549 – 551, 558 f, 563 f, 568, 570 f., 573 Schlegel, Friedrich 24, 26 f., 29, 253, 437 f., 484 f., 512, 521, 525, 529 – 533, 538, 540, 542 f., 547, 549 – 553, 556, 558 – 561, 563 – 565, 568 f., 572 f., 579, 641 f. Schlegel, Johann Elias 130 f., 262 Schlözer, August Ludwig 127, 271, 275, 278, 282, 305, 628 Schmidt, Jochen 241, 389 Shakespeare, William 126, 130, 135, 164, 171, 182, 193, 195, 316, 347, 351, 360 f., 371 – 373, 377 f., 430, 517, 523, 533, 570 – 572, 631 f. Silverstolpe, Axel Gabriel 90, 105, 157, 472 Silverstolpe, Gustaf Abraham 17, 88 – 90, 92, 100, 171, 229 – 236, 241 – 244, 250 – 254, 259, 261, 263, 266, 268, 296, 324, 330, 340, 364 – 368, 371, 374, 376, 496, 543, 578, 593 f., 626, 639 Skjöldebrand, Anders Fredrick 158, 348, 371 – 373, 381 Smith, Lauritz 277, 387 f., 398 Snellman, Henrik 436, 542 Spaldencreutz, Arvid Johan 231, 329 – 335, 340, 630 Spalding, Johann J. 406 f., 431 StaÚl-Holstein, Germaine de 404 Sterne, Laurence 28, 43, 163, 171, 183 f., 187 f., 190, 201 – 203, 313 – 315, 479, 497, 584, 624 Stolberg, Leopold von 139, 263, 538, 558 Sulzer, Johann Georg 126 – 128, 131, 255, 426 f., 432, 575, 578 Süvern, Johann Wilhelm 522, 549 Swederus, Magnus 98, 122 f., 133 f., 140 f. Sylwan, Otto 25, 28, 127, 247 Szondi, Peter 347, 437, 439 f. Tegn¦r, Esaias 15, 21, 24, 26, 28 – 31, 49, 61, 100, 107, 193, 205, 219, 223, 247, 249, 261, 294, 319, 330, 352, 435, 438, 443 – 448, 450 – 452, 460, 465 f., 469 – 484, 489 – 492, 495 f., 498 – 504, 506 – 510,

654

Personenregister

513 – 515, 528, 533 f., 540 f., 544, 546, 548, 562, 569, 579, 581, 583, 585 f., 590 – 594, 619, 635 – 639, 643, 646 f. Teller, Wilhelm Abraham 387, 389, 402, 407, 574 f. Thorild, Thomas 56, 74, 87, 93, 95, 100 – 107, 109, 127, 135, 153 – 155, 157, 159 – 161, 164, 171, 182, 184 f., 189 f., 194, 229, 240, 247 f., 314, 347, 352, 421, 430, 437, 463, 590, 620, 623 f., 646 Vinge, Louise 29, 74, 516 Voltaire 53 f., 80, 100, 102, 106, 108, 115 f., 124, 133 f., 145 f., 156, 164, 170, 175 f., 183, 193, 198, 212, 225 f., 248, 265, 270, 273, 294, 322, 338, 344, 359 f., 371, 375, 393, 402, 430, 472 – 475, 535, 585, 622, 626 Wahlström, Pehr 629

313 f., 316 – 318, 339,

Wallin, Johan Olof 61, 107, 338, 469 – 471, 484, 486 – 489, 498, 507 f., 513 – 515, 533 f., 544, 594, 637 f. Watt, Ian 252 Wehler, Hans-Ulrich 78, 97, 99 f., 103 f., 107, 156, 160, 397, 489, 494 f. Wellek, Ren¦ 427, 432, 549, 551 Werin, Algot 25, 30, 193, 330, 443, 476 Wieland, Christoph Martin 25 f., 131, 133 f., 143, 146, 163 f., 166 – 168, 171, 235 f., 238, 240, 263, 270, 311, 316 f., 322, 337, 403, 529, 535, 548, 565, 586 f., 621 f., 644 Wiese, Benno von 200, 288, 323, 430, 444, 477 Williams, Raymond 46, 51, 362 Zibet, Christoffer Borislaus 154, 424

90, 95, 105,