Demokratische Legitimation automatisiert erlassener Verwaltungsakte [1 ed.] 9783428559190, 9783428159192

Wie können Verwaltungsakte, auch unter der Berücksichtigung von Technologien wie maschinellem Lernen, automatisiert erla

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Demokratische Legitimation automatisiert erlassener Verwaltungsakte [1 ed.]
 9783428559190, 9783428159192

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Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1423

Demokratische Legitimation automatisiert erlassener Verwaltungsakte

Von

Viktoria Herold

Duncker & Humblot · Berlin

VIKTORIA HEROLD

Demokratische Legitimation automatisiert erlassener Verwaltungsakte

Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1423

Demokratische Legitimation automatisiert erlassener Verwaltungsakte

Von Viktoria Herold

Duncker & Humblot · Berlin

Die Juristische Fakultät der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg hat diese Arbeit im Jahr 2019 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2020 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Satz: Textforma(r)t Daniela Weiland, Göttingen Druck: CPI buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 978-3-428-15919-2 (Print) ISBN 978-3-428-55919-0 (E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Meinem Großvater Siegfried Schulz gewidmet

Vorwort Diese Dissertation entstand im Wesentlichen in den Jahren 2018 und 2019 während meiner Mitgliedschaft im Promotionskolleg „Digitales Recht“ der Juristischen Fakultät der Ruprecht-​Karls-​Universität Heidelberg. Ich blicke zurück auf eine bereichernde, schöne und spannende Forschungszeit, die ich nicht missen möchte. Mein erster und oberster Dank gilt meinem Doktorvater Herrn Professor Kube. Sein in mich gesetztes Vertrauen hat mir Mut gegeben, sein Interesse an meinem Thema hat mich motiviert und seine eigene Fachkenntnis mich immer wieder aufs Neue inspiriert. Fachgespräche haben mir manches Mal aus der Krise geholfen. Dass er keinen Zeitaufwand und keine Mühen scheute, um mein Promotionsvorhaben zu unterstützen, ehrt mich. Eine bessere Betreuung hätte ich mir nicht wünschen können. Herrn Professor Axer danke ich für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Der Landesgraduiertenförderung danke ich für die großzügige Gewährung eines Promotionsstipendiums. Den Professoren und Kollegiaten des Promotionskollegs „Digitales Recht“, insbesondere den Herren Professoren Schuhr und Reimer sowie Matthias Hohmann danke ich für gewinnbringende Diskussionen und ihr Engagement, was die Unterstützung meiner Promotion angeht. Weiterhin danke ich Herrn Professor Ashley, Doktor Bernhard Waltl und Doktor Matthias Grabmair für ihre Hilfe beim Erschließen der technischen Grundlagen. Ihr Wissen hat mir das Eintauchen in ein völlig neues, spannendes Themengebiet ermöglicht. Frau Professorin Zweig danke ich für ihr Vertrauen in meine Forschung und die Einbindung in den wissenschaftlichen Diskurs. Auch meinen Freunden und meiner Familie habe ich für ihre Unterstützung zu danken. Ohne ihren Rückhalt wäre diese Arbeit nicht zustande gekommen. Ihnen gilt mein besonderer Dank. Frankfurt am Main, 24.10.2019

Viktoria Herold

Inhaltsübersicht § 1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 § 2 Technische Möglichkeiten und Grenzen einer Automatisierung des Rechts . . . . . . . . 31 § 3 Demokratische Legitimation von Verwaltungsakten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 § 4 Legitimationsanforderungen an automatisiert erlassene Verwaltungsakte . . . . . . . . . . 180 § 5 Bewertung der Automatisierungsstrategie des StModG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 § 6 Zusammenfassung in Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311

Inhaltsverzeichnis § 1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 A. Ziel der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 I.

Forschungsfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25

II. Relevanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 III. Thematische Abgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 B. Methodik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 I.

Rechtsinformatischer Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28

II. Methodenimmanente Grenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 C. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 § 2 Technische Möglichkeiten und Grenzen einer Automatisierung des Rechts . . . 31 A. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 I.

Voll-​oder Teilautomatisierung möglich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31

II. Beschränkung auf Normanwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 III. Automatisierung: Formalisierung und Algorithmisierung . . . . . . . . . . . . . . 32 IV. Rahmenbedingungen automatisierten Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 1. Verwebung technischer und rechtlicher Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 2. Methodengerechtigkeit des Systems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 3. Rechtstheoretisches Konzept der Rechtsanwendung . . . . . . . . . . . . . . . . 36 4. Rechtswissenschaftliches Umfeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 a) Gesetzesrecht: Ausgangspunkt der regelbasierten Rechtsanwendung 37 b) Fallrecht: Orientierung an Präzedenzfällen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 aa) Anwendbarkeit für Rechtsbegriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 bb) Praktische Relevanz durch fallbasierte Unterstützungssysteme . 38 c) Kompromiss: Hybride Systeme der Rechtsanwendung? . . . . . . . . . . 39 5. Zusammenfassendes Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 B. Algorithmisierung von natürlichsprachlicher Syntax und Arithmetik . . . . . . . . . 39 I.

Syntax in Rechtsnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 1. Begriffsbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 2. Formalisierbarkeit der Syntax von Rechtsnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40

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Inhaltsverzeichnis 3. Algorithmisierung der Syntax von Rechtsnormen meist regelbasiert . . . 41 II. Arithmetik in Rechtsnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 III. Möglichkeiten der Programmierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 IV. Probleme der Formalisierung von Syntax und Arithmetik . . . . . . . . . . . . . 42 1. Syntaktische Mehrdeutigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 2. Arithmetik und Bezugsgrößen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 3. Erfordernis einer idealen Entscheidungsnorm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 V. Zusammenfassendes Fazit und Einordnung der aktuellen Entwicklungen . . 44 1. Rechtsgebiete mit hohem Automatisierungspotenzial . . . . . . . . . . . . . . . 44 2. Automatisierungsstrategien auf Basis von Syntax und Arithmetik mit Wahrheitswertzuordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 a) Händische Wahrheitswertzuordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 b) Wahrheitswertzuordnung durch Formular . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 c) Wahrheitswertzuordnung durch Datenbankzugriff . . . . . . . . . . . . . . 47 3. Stand der Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 C. Algorithmisierung auslegungsbedürftiger Rechtsbegriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 I.

Einführung und Begrifflichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 1. 80er und 90er Jahre: Expertensysteme und Wissen . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 2. Aktuell: Legal Tech und Machine Learning . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 3. Daten, Information und Wissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51

II. Regelbasierte Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 1. Ausgangspunkt regelbasierter Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 2. Algorithmisierbarkeit des Justizsyllogismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 a) Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 b) Inkonsistenzen und Grenzen des algorithmisierten Justizsyllogismus 53 3. Repräsentation von Rechtsbegriffen in Ontologien . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 a) Grundprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 b) Aufbau einer Ontologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 c) Anwendung der Ontologie zur Fallbearbeitung . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 d) Grenzen der ontologischen Abbildbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 e) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 4. Rechtslogische Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 5. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 III. Fallbasierte Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 1. Potenzial durch Verknüpfung mit maschinellem Lernen . . . . . . . . . . . . . 61 2. Vorteile gegenüber regelbasierten Systemen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 3. Eignung überwachten Lernens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63

Inhaltsverzeichnis

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a) Grundprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 b) Auswahl und Aufbereitung der Datengrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . 64 c) Klassifizierungsmethoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 d) Evaluierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 4. Herausforderungen des Einsatzes fallvergleichender maschineller Lernverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 a) Technische Herausforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 b) Rechtliche Herausforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 5. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 IV. Hybride Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 1. Grundprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 2. AGATHA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 3. VJAP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 4. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 V. Zusammenfassendes Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 D. Kritik an einer Automatisierung des Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 I.

Verlust von Einzelfallgerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 1. Einzelfallgerechtigkeit nicht alleiniges Leitprinzip der Rechtsanwendung 76 2. Einzelfallgerechtigkeit „by design“ möglich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76

II. Begrenztheit formaler Sprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 1. Verbindung von Sprache und Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 2. Relevanz von Diskurs versus Stabilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 3. Sprachliche Offenheit „by design“ möglich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 III. „Menschlicher Faktor“ und Gesetzespositivismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 IV. Zusammenfassendes Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 E. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 § 3 Demokratische Legitimation von Verwaltungsakten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 A. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 I.

Demokratie und demokratische Legitimation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83

II. Repräsentationsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 III. Normativität oder Effektivität? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 IV. Einheit und Pluralität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 V. Legitimation und Legitimität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 1. Fokus auf Herleitung von Legitimität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 2. Fundierung und Ausprägung des Verfahrensbezugs . . . . . . . . . . . . . . . . 87

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Inhaltsverzeichnis B. Legitimationssubjekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 I.

Volkssouveränität und Menschenwürde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87

II. Volk als Summe deutscher Staatsangehöriger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 III. Anerkennung von Teilvölkern? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 IV. Zusammenfassendes Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 C. Legitimationsobjekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 I.

Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90

II. Legitimationsobjekt Amt? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 1. „Ausüben von Staatsgewalt“ mit „Kompetenz“ synonym? . . . . . . . . . . . 91 2. Reduktion auf organisatorisch-​personelle Legitimation . . . . . . . . . . . . . 91 3. „Staatsgewalt“ Kurzform für Entscheidung, nicht Kompetenz . . . . . . . . 92 III. Legitimationsobjekt Verwaltungsentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 1. „Staat“ i. S. d. Art. 20 Abs. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 2. „Gewalt“ i. S. d. Art. 20 Abs. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 3. Entscheidungscharakter? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 a) Legitimationsbedürftigkeit der „Entscheidung“ i. S. v. Dezision . . . . 95 aa) Subsumtionsautomaten nicht legitimationsbedürftig? . . . . . . . . . 95 bb) Folge für Automatisierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 b) Legitimationsbedürftigkeit der Maßnahme mit „Entscheidungscharakter“ 97 aa) Ossenbühl und Böckenförde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 bb) Bundesverfassungsgericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 cc) Folge: Willensakt als Auslöser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 c) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 4. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 IV. Umfang des Begriffs der „Entscheidung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 1. Abgrenzungskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 2. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 V. Bagatellvorbehalt und politische Tragweite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 1. Ansätze in der Rechtsprechung des BVerfG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 2. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 VI. Zusammenfassendes Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 D. Legitimationsmodi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 I.

Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106

II. Funktionelle und institutionelle Legitimation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 1. Gehalt der funktionellen und institutionellen Legitimation . . . . . . . . . . 107 2. Bedeutung für das Legitimationskonzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108

Inhaltsverzeichnis

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3. Bedeutung für die Legitimation der Verwaltungsentscheidung . . . . . . . . 108 a) Legitimation funktionengegliederter Aufgabenwahrnehmung . . . . . . 108 b) Legitimationswirkungen in Bezug auf die Verwaltungsentscheidung? 109 4. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 III. Legitimation nach dem Kettenmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 1. Hierarchischer Stufenbau vom Volk zum Amtswalter . . . . . . . . . . . . . . . 110 2. Verbindung des Hierarchiekonzepts mit dem Legitimationskonzept . . . 110 3. Legitimationsstränge im Ministerialmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 a) Legitimation durch Einsetzung in Zuständigkeitsbereich . . . . . . . . . 111 b) Legitimation durch Steuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 c) Verhältnis der Legitimationsstränge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 4. Grenzen des Modells . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 5. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 IV. Sachlich-​inhaltliche Legitimation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 1. Grundlage: Gesetzesbindung der Verwaltung, Art. 20 Abs. 3 GG . . . . . . 115 2. Stellung der Legalität im Legitimationskonzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 a) Legalität und Legitimation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 b) Demokratische Dimension des Parlamentsgesetzes . . . . . . . . . . . . . . 116 c) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 3. Ausprägungen sachlich-​inhaltlicher Legitimation . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 a) Bindung der Exekutive an Recht und Gesetz, Art. 20 Abs. 3 GG . . . . 117 aa) Steuerungsrecht und Kernbereich der Exekutive . . . . . . . . . . . . . 118 bb) Steuerungspflicht bezüglich des „Ob“: Vorbehalt des Gesetzes und Wesentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 cc) Steuerungspflicht bezüglich des „Wie“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 dd) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 b) Exekutive Steuerung im Rahmen der Gesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 aa) Grundprinzip der Steuerungsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 bb) Rechtsverordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 cc) Verwaltungsvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 (1) Verhältnis von Verwaltungsvorschrift und Parlamentsgesetz 123 (2) Arten von Verwaltungsvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 dd) Weisungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 ee) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 c) Legislative und exekutive Kontrollinstrumente . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 aa) Kontrollmittel des Parlaments gegenüber der Regierung . . . . . . 126 bb) Kontrollmittel der Regierung gegenüber der Verwaltung . . . . . . 127 (1) Rechtsaufsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127

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Inhaltsverzeichnis (2) Fachaufsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 cc) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 d) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 4. Kritik am sachlich-​inhaltlichen Legitimationsmodus . . . . . . . . . . . . . . . 129 a) Mangelnde Steuerungswirkung des Parlamentsgesetzes . . . . . . . . . . 129 b) Unwirksamkeit exekutiver Steuerungsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 c) Unwirksamkeit parlamentarischer Kontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 d) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 5. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 V. Organisatorisch-​personelle Legitimation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 1. Legitimation mehr als Legalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 2. Stellung des Amtes im Legitimationskonzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 3. Entscheidungsträgerschaft eines Amtswalters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 a) Gremienentscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 aa) Abstrakte Legitimation der Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 bb) Konkrete Legitimation der Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 cc) Konkrete Legitimation der Entscheidung und Vetorecht . . . . . . . 141 dd) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 b) Mitwirkung im Vorfeld oder Nachgang der Entscheidung . . . . . . . . . 142 aa) Abgrenzung zu Gremienentscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 bb) Entscheidungsbefugnis und „Letztentscheidungsrecht“ . . . . . . . 143 cc) Relevanz faktischer Entscheidungsverlagerung . . . . . . . . . . . . . 144 dd) Beachtlichkeit eines Mitwirkungszwecks . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 c) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 4. Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 a) Fiktion des Volkswillens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 b) Amt und Ernennung auf Lebenszeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 c) Abnahme der Legitimation mit Länge der Kette . . . . . . . . . . . . . . . . 149 d) Dogmatisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 5. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 VI. Weitere Legitimationsmodi und Bereichsausnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 1. Zusammenhang von Verwaltungsorganisation und Legitimationsmodell 151 2. Bereichsausnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 a) Verfassungsmäßige Ausnahmen vom Regelfall der Ministerialver­ waltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 b) Einfachgesetzliche Ausnahmen vom Regelfall der Ministerialverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 aa) Verzichtsthese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153

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bb) Kontrollwahrungsthese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 cc) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 3. Weitere Legitimationsmodi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 a) Autonome Legitimation der Selbstverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 aa) Lösung über offenen Volksbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 bb) Lösung über Offenheit des Demokratieprinzips . . . . . . . . . . . . . 158 cc) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 b) Effizienz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 aa) Begriffsbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 bb) Stellung der Effizienz im Legitimationskonzept . . . . . . . . . . . . . 161 (1) Stärkung der sachlich-​inhaltlichen Legitimation . . . . . . . . . 161 (2) Substitut personeller Legitimation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 (3) Konkurrierender Verfassungsrechtssatz . . . . . . . . . . . . . . . . 163 cc) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 c) Partizipation außerhalb der Selbstverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 d) Output-​Legitimation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 aa) Entscheidungsqualität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 bb) Akzeptanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 cc) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 4. Ergebnis zu weiteren Legitimationsmodi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 VII. Zusammenfassendes Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 E. Legitimationsniveau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 I.

Substitutionsmöglichkeit der Stränge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 1. Möglichkeit der Totalsubstitution . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 2. Keine Totalsubstitution . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 3. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170

II. Bestimmung des Legitimationsniveaus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 1. Keine Abstufung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 2. Abstufung nach Verwaltungsträgern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 3. Abstufung nach der Art der wahrgenommenen Aufgabe . . . . . . . . . . . . 174 4. Abstufung der demokratischen Stringenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 5. Abstufung nach Grundrechtsberührung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 6. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 III. Zusammenfassendes Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 F. Gesamtergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 G. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178

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§ 4 Legitimationsanforderungen an automatisiert erlassene Verwaltungsakte . . . . 180 A. Automatisiert erlassene Verwaltungsakte – Staatsgewalt i. S. v. Art. 20 Abs. 2 GG? 180 I.

Zurechnung zur Verwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 1. Kriterium: Willenszusammenhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 2. Regelbasierte Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 a) Zeidlers These vom Verwaltungsfabrikat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 b) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 c) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 aa) Rechenfehler kein Zurechnungshindernis . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 bb) Willenszusammenhänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 3. Fallbasierte Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 a) Programmierungshandlung unbeachtlich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 b) Willenszusammenhänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 c) Sonderfall lernende Systeme? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 4. Hybride Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 5. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186

II. Umfang des Legitimationserfordernisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 1. Kriterium: Steuerungswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 2. Ausscheiden von hilfsweise automatisierenden Systemen? . . . . . . . . . . 188 a) Elektronischer vs. automatisierter hilfsweiser Technikeinsatz . . . . . . 189 aa) Elektronische, kommunikative Hilfsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 bb) Automatisierende Hilfsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 b) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 3. Steuerungswirkung von Syntax-​und Arithmetikprogrammierung . . . . . 190 a) Automatisierung auf Steuerung angelegt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 b) Programm und Legislativvorgabe nicht deckungsgleich . . . . . . . . . . 191 c) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 4. Steuerungswirkung bei automatisierter Merkmalserschließung . . . . . . . 191 5. Steuerungswirkung bei automatisierter Bearbeitung nach menschlicher Freischaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 6. Keine Steuerungswirkung von Entscheidungsunterstützungssystemen . 193 7. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 III. Zusammenfassendes Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 B. Sachlich-​inhaltliche Legitimation automatisierter Verwaltungsakte . . . . . . . . . . . 195 I.

Reichweite der Legitimation durch parlamentsgesetzliche Zulassung . . . . . 195 1. Parlamentsvorbehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 a) Automatisierte Bearbeitung nicht grundsätzlich wesentlich . . . . . . . 196

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b) Anknüpfungspunkte einer Wesentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 c) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 2. Stellung von Zulassungsvorschriften im Legitimationsgefüge . . . . . . . . 199 a) Verzichtstheorie: Kontrolle entbehrlich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 b) Zulassungsvorschriften als Erhöhung sachlich-​inhaltlicher Legitimation 200 3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 II. Anforderungen sachlich-​inhaltlicher Legitimation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 1. Maßstab für staatliche Machtausübung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 2. Konditional-​und Finalprogramme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 a) Definitionsansätze in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 b) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 c) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 3. Steuerung und Kontrolle regelbasierter Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 a) Abbildung legislativer und exekutiver Steuerungsmittel in Programmcode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 aa) Syntax und Arithmetik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 (1) Arithmetik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 (2) Syntax . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 bb) Wahrheitsfähige Begriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 cc) Auslegungsbedürftige Begriffe auf Tatbestandsseite ohne Beurteilungsspielraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 (1) Bedeutungsverschiebung bei Komplexität . . . . . . . . . . . . . . 211 (2) Fixierung auf klar definierte Begriffsgrenzen . . . . . . . . . . . . 213 (3) Erleichterung durch automatisierbare Verwaltungsvorschriften 213 (4) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 dd) Ermessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 (1) Automatisierung als ermessenslenkende Verwaltungsvorschrift? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 (2) Ermessensautomatisierung bei Selbstbindung der Verwaltung 216 (3) Zulässigkeit antizipierter Ermessensausübung . . . . . . . . . . . 217 (a) Kompetenzverlagerung auf Verwaltungsebene . . . . . . . 217 (b) Individuelle Rechtskonkretisierungspflicht . . . . . . . . . . 218 (c) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 (4) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 ee) Auslegungsbedürftige Begriffe auf Tatbestandsseite mit Beurteilungsspielraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 ff) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 b) Kontrollmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 aa) Leitlinien für legislative Kontrolle: Informationsrechte . . . . . . . 224

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Inhaltsverzeichnis (1) Möglichkeit öffentlicher Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 (2) Privatisierung ändert nichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 (3) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 bb) Leitlinien für exekutive Kontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 (1) Abänderbarkeit von Programmcode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 (2) Trennung von legislativer und exekutiver Programmebene . 226 (3) Transparenz und Zugriffsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . 227 (4) Rechtliche Erklärbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 (a) Notwendigkeit von Kontrollstandards . . . . . . . . . . . . . . 227 (b) Interdisziplinäre Rechtsaufsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 (5) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 c) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 4. Steuerung und Kontrolle fallbasierter Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 a) Abbildung legislativer und exekutiver Steuerungsmittel in Statistik? 231 aa) Verschiebung des Problemschwerpunkts auf die Kontrollebene . 231 bb) Gesetzeskonformität fallbasierter Systeme auf Steuerungsebene

232

(1) Abbildung von Ermächtigungsnorm schwierig . . . . . . . . . . 232 (2) Fallvergleich zur Ausdeutung von Rechtsbegriffen möglich 233 (a) Anwendungsfelder: Messbar typisierte Begriffe . . . . . . 233 (b) Grenzen: auslegungsbedürftige, wertungsabhängige und unbestimmte Begriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 cc) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 b) Kontrollmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 aa) Reduziertes rechtliches Kontrollerfordernis bei messbaren Be­ griffen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 bb) Notwendigkeit von Kontrollstandards . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 cc) Leitlinien der Kontrolle am Gesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 (1) Kontrollebenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 (2) Kontrollziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 (a) Überprüfung der Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 (b) Überprüfung der Eignung für Rechtskontrolle . . . . . . . . 238 (c) Überprüfung an materiellen Rechtsnormen . . . . . . . . . . 239 (3) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 dd) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 c) Sonderfall lernende Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 d) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 5. Steuerung und Kontrolle hybrider Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 III. Zusammenfassendes Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244

Inhaltsverzeichnis

21

C. Organisatorisch-​personelle Legitimation automatisierter Verwaltungsakte . . . . . 245 I.

Entscheidungsträgerschaft eines legitimierten Amtswalters . . . . . . . . . . . . . 245 1. Kriterium bei Gremien: doppelte Mehrheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 2. Kriterien bei vor-​und nachgelagerter Mitentscheidung: Verbindlichkeit und Letztentscheidungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 3. Regelfall: Übernahme von Programmen durch die Verwaltung . . . . . . . 246

II. Entscheidungsträgerschaft bei Unterstützungssystemen . . . . . . . . . . . . . . . 247 1. Unterstützung ist unverbindliche Mitwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 2. „Knopfdruck“ durch Amtswalter im Einzelfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 III. Entscheidungsträgerschaft bei Syntax-​und Arithmetikprogrammierung . . . 248 1. Behördliche Wahrheitswertzuordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 a) Entscheidungsträgerschaft ist geteilt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 aa) Entscheidungsträgerschaft des Programmierers . . . . . . . . . . . . . 249 bb) Entscheidungsträgerschaft der Behörde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 b) Erforderlichkeit (auch) antizipierter Legitimation . . . . . . . . . . . . . . . 250 aa) Unproblematisch: Programmierer ist Amtswalter . . . . . . . . . . . . 250 bb) Programmierer meist Privatperson oder Unternehmen . . . . . . . . 250 (1) Zulässigkeitsgrenze: Letztentscheidungsrecht . . . . . . . . . . . 251 (2) Gefahr der nur formalen Letztentscheidung . . . . . . . . . . . . . 251 c) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 2. Wahrheitswertzuordnung durch Bürger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 a) Abstrakter Entscheidungsanteil unverändert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 b) Konkreter Entscheidungsanteil auf Bürger verlagert . . . . . . . . . . . . . 253 c) Grenze: Letztentscheidungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 d) Relativierung durch verlagerte Entscheidungsteile und Legitimationsniveau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 IV. Entscheidungsträgerschaft bei automatisierter Merkmalserschließung . . . . 256 1. Regelbasierte Systeme: Verlagerung auf Designebene . . . . . . . . . . . . . . 256 2. Fallbasierte Systeme: Verlagerung auf Datensammlung, -aufbereitung, -klassifizierung und -evaluierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 3. Hybride Systeme: Verlagerung auf Datengrundlage und Design . . . . . . 258 V. Entscheidungsträgerschaft bei automatisierter Bearbeitung nach mensch­ licher Freischaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 VI. Entscheidungsträgerschaft bei lernenden Systemen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 VII. Zusammenfassendes Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 D. Gesamtergebnis und Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260

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Inhaltsverzeichnis

§ 5 Bewertung der Automatisierungsstrategie des StModG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 A. Die wichtigsten Neuregelungen des StModG im Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 I.

Regelungen im VwVfG und SGB X . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263

II. Regelungen in der AO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 B. Einführung in die Automatisierungsstrategie nach dem StModG . . . . . . . . . . . . 266 I.

„Vollautomatisierung“ im Sinne des StModG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 1. „mit Hilfe automatischer Einrichtungen“ – Entscheidungsunterstützung oder Teilautomatisierung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 2. „vollständig durch automatische Einrichtungen“  – Teilautomatisierung oder Vollautomatisierung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 a) Bisherige Praxis der Vollautomatisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 b) Technikoffenheit des Begriffs der „Vollautomatisierung“ . . . . . . . . . 270 3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270

II. Einführung von Risikomanagementsystemen im Steuerverfahren . . . . . . . . 271 III. Zusammenfassendes Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 C. Würdigung der Neuregelungen im Hinblick auf die demokratische Legitimation des Verwaltungshandelns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 I.

Einfachgesetzliche Entschärfung der Zurechnungsfrage durch das StModG 273

II. Parlamentsgesetzliche Zulassung der „Vollautomatisierung“ . . . . . . . . . . . . 274 1. Anforderungen der Wesentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 2. Auswirkungen auf das Kontrollbedürfnis? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 3. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 III. Grenze der zulässigen Automatisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 1. Grenze in § 35a VwVfG: Ermessens-​und Beurteilungsspielräume . . . . 276 2. Grenze in den §§ 31a SGB X und 155 Abs. 4 AO: Anlass, durch Amts­ träger zu bearbeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 a) „Anlass“ im Sinne des § 155 Abs. 4 AO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 b) „Anlass“ im Sinne des § 31 a SGB X . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 IV. Untersuchungsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 1. Inhalt der Neuregelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 2. Verbindung von anlassbezogener Untersuchung und RMS . . . . . . . . . . . 280 3. Sachlich-​inhaltliche Legitimation beinhaltet nun Effizienz . . . . . . . . . . 281 4. Tatsachen von Regel zu trennen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 5. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 V. Parlamentarische und exekutive Kontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283

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1. Intransparente RMS und Kontrolle durch das Parlament . . . . . . . . . . . . 284 2. Rechtmäßigkeitskontrolle von RMS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 3. Entscheidung über den Einsatz von RMS ist legitimationsbedürftig . . . 285 4. Kontrolle von Automationssystemen und § 87c AO . . . . . . . . . . . . . . . . 287 5. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 D. Gesamtergebnis und Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 § 6 Zusammenfassung in Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 A. Technische Möglichkeiten und Grenzen einer Automatisierung des Rechts: Thesen 290 B. Demokratische Legitimation von Verwaltungsakten: Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . 291 C. Legitimationsanforderungen an automatisiert erlassene Verwaltungsakte: Thesen 292 D. Bewertung der Automatisierungsstrategie des StModG: Thesen . . . . . . . . . . . . . 295 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311

§ 1 Einführung Der rechtswissenschaftliche Diskurs, der seit den späten 1950er Jahren über die zunehmende „Technisierung“1, „Automation“2 und „Automatisierung“3 der Verwaltung geführt wurde,4 wird heute unter Verwendung neuer Begrifflichkeiten wie der „Digitalisierung“5 und „Algorithmisierung“6 der Verwaltung weitergeführt. Die totgesagte Rechtsinformatik7 erlangt durch neue Technologien wie die künstliche Intelligenz neue Relevanz.8 Gleichzeitig sind viele Rechtsfragen – auch solche von grundsätzlichem Interesse, wie verfassungsrechtliche Fragen – bislang im Hinblick auf neue, teilweise aber auch vergangene Entwicklungen der Informatik ungeklärt.

A. Ziel der Untersuchung I. Forschungsfragen Diese Untersuchung zielt darauf ab, die schon früh gestellte9, aber bislang nicht umfassend beantwortete Frage nach den Anforderungen demokratischer Legitimation an automatisiert erlassene Verwaltungsakte zu beantworten. Dazu gilt es zunächst, die Begrifflichkeit des „automatisiert erlassenen Verwaltungsakts“ zu klären. Auch der verfassungsrechtliche Maßstab der demokratischen Legitimation aus Art. 20 Abs. 2 GG bedarf der Rekonstruktion im Hinblick auf den Unter 1

Zeidler, Technisierung der Verwaltung, 1959; Bull, Verwaltung durch Maschinen: Rechtsprobleme der Technisierung der Verwaltung, 2. Auflage 1964. 2 Luhmann, Recht und Automation in der öffentlichen Verwaltung, 1966. 3 Degrandi, Die automatisierte Verwaltungsverfügung, 1977; Polomski, Der automatisierte Verwaltungsakt, 1993. 4 Gräwe, Die Entstehung der Rechtsinformatik, 2011, S. 45. 5 Besonders hervorzuheben Martini, DÖV 2017, 443; G. Kirchhof, in: FS BFH, 2018, Band I, 361; Maier, JZ 2017, 614. 6 In der Rechtsinformatik wurde der Begriff schon früher verwendet, z. B.  Reisinger, Rechtsinformatik, 1977, S. 208 ff.; neuer Kotsoglou, JZ 2014, 451 und 1100; Engel, JZ 2014, 1096; Herold, in: Rechtsfragen digitaler Transformationen, 2018, 453. 7 Hoeren, in: Rechtswissenschaft in der Berliner Republik, 2018, 212 (224, 226); Peters, CR 2017, 480; differenzierend: Gräwe, Die Entstehung der Rechtsinformatik, 2011, S. 230 f. 8 Vgl. Kilian, CR 2017, 202 (212); ders., CR 2001; allgemeiner Döpke / ​Jülicher, InTeR 2019, 16 (19). 9 Bull, Verwaltung durch Maschinen, 2. Auflage 1964, S. 61 ff.; Goebel / ​Schmalz, CR 1986, 510 (515); Polomski, Der automatisierte Verwaltungsakt, 1993, S. 150; implizit Degrandi, Die automatisierte Verwaltungsverfügung, 1977, S. 150 ff.

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§ 1 Einführung

suchungsgegenstand des Verwaltungsakts. Die jeweils gewonnenen Erkenntnisse werden sodann mit dem Ziel der Konkretisierung der verfassungsrechtlichen Zulässigkeitsanforderungen aus Art. 20 Abs. 2 GG an automatisiert erlassene Verwaltungsakte unterschiedlicher technischer Gestaltung verknüpft.

II. Relevanz Der automatisiert erlassene Verwaltungsakt ist seit Beginn des EDV-Einsatzes in der Verwaltung kontinuierlich Gegenstand rechtswissenschaftlicher Untersuchung.10 Durch die zunehmende Entwicklung neuer Softwarelösungen auf der Grundlage datenintensiver Technologien wie maschinellem Lernen, deren Einsatz auch im Bereich staatlicher Machtausübung diskutiert wird,11 stellen sich Fragen der technischen Möglichkeit einer Automatisierung des Rechts heute anders und mit besonderem Nachdruck. Diesen Befund bestärkt das im Jahr 2016 veröffentlichte Gesetz zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens12, das freilich nur einen Teilausschnitt der fortschreitenden Verwaltungsmodernisierung in Richtung des e-​Government13 darstellt. Während vormals aufgrund des Stands der Technik nur der teilweise automatisierte Erlass von Verwaltungsakten „mit Hilfe automatischer Einrichtungen“ in Betracht kam, ist mit der Verwaltungsmodernisierung eingeführtes Leitbild der Besteuerung das vollständig automationsgestützte Besteuerungsverfahren, § 155 Abs. 4 AO.14 Auch der Ermittlungsbedarf der Behörden wird von nun an von automatisiert tätig werdenden Risikomanagementsystemen bestimmt, § 88 Abs. 5 AO. In den §§ 31 a SGB X und 35 a VwVfG wurde die Möglichkeit des vollständig automationsgestützten Verwaltungsakterlasses ebenfalls normiert. Der Gesetzgeber sieht damit ein Potential vollständig automationsgestützter Verwaltungsverfahren, das weit über die Steuerverwaltung, und weit über zahlenbasierte Sozialverwaltungsverfahren hinausgeht. Mögliche Effizienzgewinne der Verwaltung durch die Einsparung personeller Ressourcen15 liegen auf der Hand – von einem 10

Monographisch Gruber, Verwaltungsentscheidungen vom Computer, 1971, insb. S. 98 ff.; Degrandi, Die automatisierte Verwaltungsverfügung, 1977; Polomski, Der automatisierte Verwaltungsakt, 1993. 11 So werden in der Steuerverwaltung zunehmend Risikomanagementsysteme auf der Basis künstlicher neuronaler Netze getestet und eingesetzt – LTDrucks. 15/1047, S. 19; hierzu krit. Maier, JZ 2017, 614 (615 f.). 12 BGBl. I 2016, S. 1679. 13 E-Government bezeichnet nach der Speyerer Definition die „Abwicklung geschäftlicher Prozesse im Zusammenhang mit Regieren und Verwalten (Government) mit Hilfe von Informations-​und Kommunikationstechniken über elektronische Medien“, Reinermann / ​von Lucke, in: Electronic Government in Deutschland, 2002, 1 (1). Der automatisierte Verwaltungsakt ist ihrer Definition nach gleichzeitig der e-​Governance zuzuordnen, vgl. ebenda, 1 (9 ff.). 14 BTDrucks. 18/8434, S. 96. 15 Plenarprotokoll 18/170, S. 16777 f. (A).

A. Ziel der Untersuchung

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durch Automatisierung erwirkten Bürokratieabbau verspricht sich der Gesetzgeber jedoch auch erhebliche Vorteile für den Bürger.16 Neben der Frage, wie rechtsstaatliche Anforderungen auch im Falle des behördlichen Automationssystemeinsatzes gewahrt werden können,17 wird neuerdings immer konkreter die Frage nach den Anforderungen demokratischer Legitimation gestellt.18 Durch den Einsatz von Algorithmen drohe eine Unterbrechung des Legitimationszusammenhangs zwischen Volk und staatlicher Entscheidung.19 Diese Problematik stellt sich im Bereich der öffentlichen Verwaltung in zweifacher Ausprägung: Einerseits ist fraglich, ob und inwieweit sich das Gesetz als vom Volk vermittelter und damit demokratische Dimension aufweisender Rechtmäßigkeitsmaßstab in Code übersetzen lässt, oder ob der zunehmende Einsatz von Computerprogrammen nicht vielmehr faktisch dazu führen könnte, dass vom demokratisch legitimierten Gesetzgeber vorgegebene Entscheidungen von „quasi-​gesetzliche Normativität“20 entfaltenden algorithmischen Entscheidungsregeln überlagert werden.21 Andererseits führt insbesondere die neuerdings verfolgte Strategie der Vollautomatisierung dazu, dass der Verwaltungsakt im Einzelfall nicht mehr von einem Amtswalter erlassen wird. An den persönlich berufenen Amtswalter knüpft jedoch das tradierte Legitimationsmodell den Legitimationsmodus der organisatorisch-​personellen Legitimation22 sowie möglicherweise die Zurechnung eines Verwaltungsakts zur Verwaltung. Gerade die aktuell verfolgte Automatisierungsstrategie im Bereich der öffentlichen Verwaltung, die zunehmend auf vollständig automationsgestützte Verwaltungsverfahren setzt, daneben jedoch auch der technische Fortschritt, erfordern eine Konkretisierung der Anforderungen demokratischer Legitimation im Hinblick auf automatisiert erlassene Verwaltungsakte.

III. Thematische Abgrenzung Die Untersuchung beschränkt sich auf die Gewinnung verfassungsrechtlicher Anforderungen der demokratischen Legitimation aus Art. 20 Abs. 2 GG. Fragen der Rechtmäßigkeit automatisierter Herrschaftsausübung im materiellen Sinne, 16

Plenarprotokoll 18/170, S. 16774 (B). Polomski, Der automatisierte Verwaltungsakt, 1993, S. 92 ff.; Tönsmeyer-​Uzuner, Expertensysteme in der öffentlichen Verwaltung, 2000, S. 111 ff.; Degrandi, Die automatisierte Verwaltungsverfügung, 1977, S. 89 ff.; im Hinblick auf die aktuelle Rechtsentwicklung z. B. Beirat VwVfR, NVwZ 2015, 1114; Schmitz / ​Prell, NVwZ 2016, 1273. 18 Stelkens, in: Stelkens / ​Bonk / ​Sachs, 9. Auflage 2018, § 35 a Rn. 29; Martini / ​Nink, DVBl. 2018, 1128 (1134); Wischmeyer, AöR Bd. 143 (2018), 1 (19). 19 Martini / ​Nink, DVBl. 2018, 1128 (1134). 20 Begriff von Kube, VVDStRL Bd. 78 (2019), 289 (308). 21 P. Kirchhof, DStR 2018, 497 (498 f.). 22 Berger, DVBl. 2017, 804 (806) bezeichnet das Amt insoweit als „Schnittstelle zum Menschen“. 17

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§ 1 Einführung

einfachgesetzliche Anforderungen, Fragen der rechtstheoretischen Zulässigkeit sowie der Verfassungsmäßigkeit des Automationssystemeinsatzes im Übrigen bleiben ebenso ausgeklammert wie Fragen der demokratischen Willensbildung und der demokratischen Legitimation auf EU-Ebene. Die vom Gesetzgeber aktuell verfolgte Automatisierungsstrategie des vollautomatisierten Besteuerungsverfahrens ist als konkrete Form des Technikeinsatzes in der Verwaltung in die Untersuchung miteinbezogen, bleibt jedoch nur ein Anwendungsbeispiel der hier gelieferten umfassenden Untersuchung der technischen Möglichkeiten zum automatisierten Erlass von Verwaltungsakten.

B. Methodik I. Rechtsinformatischer Ausgangspunkt Die Untersuchung betrachtet den automatisiert erlassenen Verwaltungsakt aus rechtsinformatischer Perspektive23 – Ausgangspunkt ist die Untersuchung der technischen Möglichkeiten einer Automatisierung des Rechts und damit der Automatisierbarkeit von Verwaltungsakten. Die Schnittmengen von Rechtsinformatik und Rechtstheorie sowie Informationstechnik24 sollen sich dabei in der Erörterung des Untersuchungsgegenstands niederschlagen. Ohne Komplexitätsreduktion kommt eine Aufarbeitung des Stands der Technik in einer rechtswissenschaftlichen Untersuchung freilich nicht aus – insoweit wird sich die Darstellung auf die grundlegenden Funktionsweisen der unterschiedlichen technischen Gestaltungsmöglichkeiten zur Automatisierung des Rechts beschränken. „Die Kenntnis der technischen Grundlagen vermittelt noch nicht, was zu tun ist. Sie sensibilisiert jedoch für normative Problemlagen und eröffnet Perspektiven darauf, wie rechtliche Maßstäbe umgesetzt werden können.“25 In diesem Sinne soll die Aufarbeitung der technischen Grundlagen das Fundament für eine hierauf aufbauende verfassungsrechtliche Untersuchung der Zulässigkeit eines Einsatzes von Automationssystemen unterschiedlicher technischer Gestaltung liefern. Der Bereich der Rechtsinformatik wird folglich verlassen, um hierauf aufbauend die gewonnenen technischen Grundlagen verfassungsrechtlich zu bewerten.

23 Zum hier zugrunde gelegten Verständnis von Rechtsinformatik: Steinmüller, JA-Sonderheft 6, 1976, S. 4; Kilian, CR 2001, 132 (133, 134); Fiedler, JuS 1970, 432 (433). Die jeweils unterschiedlichen Schwerpunkte in den Konzeptionen Steinmüllers und Fiedlers herausarbeitend: Gräwe, Die Entstehung der Rechtsinformatik, 2011, S. 70 ff. 24 Kilian, CR 2017, 202 (212); s. auch Gräwe, Entstehung der Rechtsinformatik, 2011, S. 76 ff. 25 Wischmeyer, AöR Bd. 143 (2018), 1 (18).

C. Gang der Untersuchung

29

II. Methodenimmanente Grenzen Die aus dem rechtsinformatischen Blickwinkel resultierende Reduktion des Verfahrens des Erlasses von Verwaltungsakten auf die technische Dimension der Automatisierung von materiellen Rechtsnormen bestimmt die Grenzen der Untersuchung aus Gründen der angewendeten Methodik. Allein die Entscheidungsstufe der Norm-​und Programmanwendung wird betrachtet – Organisations-​und Verfahrensfragen sowie entscheidungsrelevante Faktoren außerhalb der Regelanwendung werden ausgeblendet. Die Rechtsanwendung zum Erlass eines Verwaltungsakts wird damit konzeptionell auf den Aspekt der Programmanwendung beschränkt.26

C. Gang der Untersuchung Um den Untersuchungsgegenstand zu konturieren, werden in § 2 die technischen Möglichkeiten und Grenzen einer Automatisierung des Rechts untersucht. Es wird analysiert, wie ein Verwaltungsakt teilweise oder vollständig durch Automationssysteme zustande kommen kann, welche technischen Möglichkeiten sich hierfür auch unter Berücksichtigung neuer Technologien anbieten und wo die technischen Grenzen des automatisierten Verwaltungsakterlasses je nach Systemgestaltung liegen. Freilich muss hier bereits teilweise auf Aspekte des Rechts, insbesondere die rechtsmethodische Tragfähigkeit der technischen Realisierungsoptionen sowie Einwände der Rechtstheorie gegen eine Automatisierung des Rechts, eingegangen werden. Sodann erfolgt in § 3 eine Konkretisierung des Maßstabs anhand der klassischen und zunehmend im Lichte pluraler Verwaltungsorganisationen ausdifferenzierten Legitimationsdogmatik. Hier wird der rechtliche Bewertungsmaßstab der demokratischen Legitimation festgelegt, dem der automatisiert erlassene Verwaltungsakt genügen muss. Die Untersuchung erfolgt für den Regelfall der Ministerialverwaltung, wobei die Aussagekraft des klassischen Legitimationsmodells für die unmittelbare Staatsverwaltung unter Berücksichtigung der Kritik und der aktuellen Rechtsprechung begründet wird. § 4 liefert schließlich eine Beantwortung der Forschungsfrage in Referenz der beantworteten Teilfragen. Die Elemente, die das hoheitliche Verwaltungshandeln in Form des Verwaltungsakts legitimieren, werden auf den automatisiert erlassenen Verwaltungsakt übertragen. Das technische Potenzial der unterschiedenen Gestaltungsoptionen zum automatisierten Erlass von Verwaltungsakten wird somit im Hinblick auf die verfassungsrechtlichen Anforderungen, welchen sie genügen müssen, einer kritischen Würdigung unterzogen. Neben der Konkretisierung verfassungsrechtlicher Anforderungen an technische 26 S. hierzu Schuppert, in: Reform des allgemeinen Verwaltungsrechts, 1993, 65 (83); Hoffmann-​Riem, in: GVwR I (2. Auflage 2012), § 10 Rn. 29. Eine derartige Beschränkung des Blickwinkels wird in der Rechtsinformatik häufig gewählt, vgl. Steinmüller, JA-Sonderheft 6, 1976, S. 1 und 42; Haft, Elektronische Datenverarbeitung im Recht, 1970, S. 38 f.; Reisinger, Automatisierte Normanalyse und Normanwendung, 1972, S. 1.

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§ 1 Einführung

Entwicklungen wird so auch eine Bewertung des Stands der Technik an einem verfassungsrechtlichen Maßstab ermöglicht. In § 5 werden die gewonnenen abstrakten Untersuchungsergebnisse exemplarisch auf die derzeit verfolgte Automatisierungsstrategie zum vollautomatisierten Erlass von Verwaltungsakten übertragen. Die aktuelle Rechtslage nach der Modernisierung insbesondere des Besteuerungsverfahrens, die als einfachgesetzliche Rahmung technischer Konzepte des automatisierten Verwaltungsakterlasses zu werten ist, wird auf ihre Vereinbarkeit mit den verfassungsrechtlichen Anforderungen demokratischer Legitimation untersucht.

§ 2 Technische Möglichkeiten und Grenzen einer Automatisierung des Rechts Untersuchungsgegenstand ist der automatisiert erlassene Verwaltungsakt. Soll ein Verwaltungsakt automatisiert erlassen werden, stellt sich die Frage nach der Möglichkeit der Automatisierung des Rechts sowie Grenzen der Automatisierung.

A. Grundlagen Der Begriff der Automatisierung bezeichnet die Ersetzung menschlicher durch algorithmengestützte Arbeit einer Datenverarbeitungsanlage.1 Der automatisiert erlassene Verwaltungsakt wird also nicht von einem Menschen, sondern von einer Datenverarbeitungsanlage oder einem Automationssystem hergestellt.2

I. Voll-​oder Teilautomatisierung möglich Verschiedene Grade der Automatisierung können unterschieden werden.3 Vollautomatisierung liegt überwiegender Ansicht nach vor, wenn ein Verwaltungsakt ohne menschlichen Knopfdruck im Einzelfall zustande kommt.4 Mit dem Begriff 1 Automation als Vorstufe der Automatisierung auffassend Degrandi, die automatisierte Verwaltungsverfügung, 1977, S. 17 f.; synonymisierend Steinmüller, JA-Sonderheft 6, 1976, S. 42, der unter die Begriffe der Automation und Automatisierung sowohl technische als auch gesellschaftliche Implikationen fasst; ähnlich Reisinger, Rechtsinformatik, 1977, S. 210; beides (nur) technisch verstehend Jandach, Juristische Expertensysteme, 1993, S. 47; beides (nur) als gesellschaftlichen Prozess verstehend Klaus / ​Liebscher, Wörterbuch der Kybernetik, 4. Auflage 1976, S. 82. Hier wird lediglich die technische Seite der Automation und Automatisierung untersucht; So auch die Definition in DIN-19233, nach der Automatisierung „das Ausrüsten einer Einrichtung, so dass sie ganz oder teilweise ohne Mitwirkung des Menschen bestimmungsgemäß arbeitet“ bezeichnet. 2 Die Begriffe Datenverarbeitungsanlage und Automationssystem werden synonym verwendet. In neuerer Literatur wird zunehmend der Begriff „algorithmic decision-​making system (ADM-system) verwendet. Der Begriff wird jedoch schwerpunktmäßig mit fallbasierten und lernenden Systemen verbunden. Weil in dieser Untersuchung auch rein regelbasierte Systeme untersucht werden, werden beides umfassende Bezeichnungen gewählt. 3 So auch Jandach, Juristische Expertensysteme, 1993, S. 47. 4 Schmitz / ​Prell, NVwZ 2016, 1273 (1275); Ramsauer, in: Kopp / ​Ramsauer, VwVfG, 19. Auflage 2018, § 35a Rn. 2; Braun Binder, DStZ 2016, 526 (527); Siegel, VerwArch Bd. 105 (2014), 241, Erläuterung auf (242) und (255), spricht vom „virtuellen Verwaltungsakt“; zur aktuellen Strategie der Vollautomatisierung § 5 B. I.

32

§ 2 Technische Möglichkeiten und Grenzen 

„Vollautomatisierung“ ist aber regelmäßig nicht die Automatisierung des Rechts im Gesamten gemeint. Eine Automatisierung von Teilen des Rechts kann vielmehr bereits die Vollautomatisierung bestimmter Verwaltungsverfahren, beispielsweise den Erlass eines Verwaltungsakts, ermöglichen. Eine Teilautomatisierung liegt demgegenüber bei all jenen Datenverarbeitungsvorgängen vor, die nicht vollständig autonom, sondern unter Mitwirkung von Willensbetätigungen natürlicher Personen zustande kommen. Eine allgemeingültige inhaltliche Abgrenzung von Teil-​und Vollautomatisierung ist schwer zu liefern.5 Im Folgenden soll es auf die Technik hinter den Automatisierungsstrategien ankommen, ungeachtet der Frage, ob im Einzelnen eine Teil-​oder Vollautomatisierung des Erlasses eines Verwaltungsakts vorgenommen wird.

II. Beschränkung auf Normanwendung Ein Verwaltungsakt wird von einer Behörde erlassen, um einen generellen oder individuellen Einzelfall öffentlich-​rechtlich und mit Außenwirkung zu regeln, vgl. § 35 VwVfG. Es bedarf hierfür eines Verfahrens zur Erfassung der Wirklichkeit, der Bildung des rechtlichen Sachverhalts, der Unterordnung des Sachverhalts unter Rechtsnormen und schließlich der Anordnung der Rechtsfolge.6 In dieser Unter­ suchung werden schwerpunktmäßig die letzten beiden Stufen des Verwaltungsverfahrens aus einem theoretischen, abstrakten Blickwinkel betrachtet.7 Die übrigen für das Verwaltungsverfahren ebenso relevanten Gesichtspunkte werden nur knapp in Bezug genommen. Damit konzentriert sich die Darstellung auf die Möglichkeiten und Grenzen einer Automatisierung der Anwendung materieller Rechtsnormen.

III. Automatisierung: Formalisierung und Algorithmisierung Die Rechtsanwendung kann teilweise oder vollständig automatisiert werden, indem Algorithmen zur Bearbeitung von Rechtsmaterien eingesetzt werden.8 5

So auch Schmitz / ​Prell, NVwZ 2016, 1273 (1273); gegen die Unterscheidung daher Laza­ ratos, Rechtliche Auswirkungen der Verwaltungsautomation, 1990, S. 33. Rechtlich gilt es, die automatisierenden Systeme von den Unterstützungssystemen zu unterscheiden, s. § 4 A. II. 6. Technisch ergeben sich keine Unterschiede, sodass die nachfolgenden Ausführungen in derselben Weise für technische Unterstützungssysteme gelten. 6 Vgl. § 9 VwVfG; S. auch Jandach, Juristische Expertensysteme, 1993, S. 135 ff. 7 Die Automatisierung gerade dieses Teils der Rechtsanwendung im engeren Sinne liegt auch dem StModG zugrunde, s. BTDrucks. 18/8434, S. 122 (zu § 35 a VwVfG, „nach Subsumtion des jeweiligen Sachverhalts“). Ähnlicher Betrachtungswinkel schon bei Gruber, Verwaltungsentscheidungen vom Computer, 1971, S. 11. 8 Historische Einführung in den sich schrittweise intensivierenden Technikeinsatz in der öffentlichen Verwaltung bei Polomski, Der automatisierte Verwaltungsakt, 1993, S. 24; Gruber, Verwaltungsentscheidungen vom Computer, 1971, S. 6; aktuell z. B. Bull, DVBl. 2017, 409 (409); Ahrendt, NJW 2017, 537 (537); Martini / ​Nink, DVBl. 2018, 1128 (1128).

A. Grundlagen

33

Der Begriff des Algorithmus ist schwerpunktmäßig der Informatik zuzuordnen.9 Er wird je nach Perspektive der Betrachtung leicht unterschiedlich definiert.10 Dem Grundkonsens nach bezeichnet der Begriff ein Verfahren zur Pro­blemlösung, welches aus einem bestimmten Input einen bestimmten Output folgert. Er wird konkreter verstanden als schematischer, endlicher Prozess, der aus auszuführenden genau definierten Arbeitsschritten besteht und in einer festgelegten Sprache verfasst ist.11 Insoweit kann die Metapher des Algorithmus als Kochrezept angeführt werden:12 Es ist unerheblich, in welcher Sprache das Rezept abgefasst ist, solange die Sprache einheitlich und exakt ist und die auszuführenden Arbeitsschritte vollständig wiedergibt.13 Algorithmen der Informatik werden durch formale Programmiersprachen ausgedrückt, sodass die Erstellung eines Algorithmus zur Lösung einer Aufgabe mit einer Übersetzung der Aufgabe in eine formale Sprache der Informatik beginnt. Formale Sprachen sind objektiv, abstrakt und eindeutig formuliert und unterscheiden sich damit in wesentlichen Eigenschaften von natürlicher Sprache.14 Der verobjektivierende Vorgang der Übersetzung der Ausgangssprache in eine formale Sprache kann als Formalisierung bezeichnet werden,15 wobei über die Terminologie keine vollständige Einigkeit besteht.16 Im zweiten Schritt werden die Arbeitsschritte definiert, die von der Datenverarbeitungsanlage auszuführen sind. Dieses Verfahren ergibt den Problemlösungsalgorithmus, und kann damit als Algorithmisierung im engeren Sinne verstanden werden. Formalisierung und Algorithmisierung bezeichnen damit voneinander zu trennende Vorgänge.17 Die Begriffe Programm und Algorithmus werden hier synonym verwendet, die Formalisierung bezeichnet hingegen eine Vorstufe der Algorithmisierung oder Programmierung. Der Begriff der Automation wird synonym zu den Begriffen der Automatisierung und Algorithmisierung verwendet. 9

Einführend Russell / ​Norvig, Künstliche Intelligenz, 3. Auflage 2012, S. 30. S. die Definitionen bei Hummler, Automatisierte Rechtsanwendung und Rechtsdokumentation, 1982, S. 29; Klaus, Wörterbuch der Kybernetik, 4. Auflage 1976, S. 25; Reisinger, Rechtsinformatik, 1977, S. 210; Gesellschaft für Informatik, Technische und rechtliche Betrachtungen algorithmischer Entscheidungsverfahren, 2018, S. 17; krit. Wischmeyer, AöR Bd. 143 (2018), 1 (4). 11 Bund, Einführung in die Rechtsinformatik, 1991, S. 21, 25, 31; Reisinger, Rechtsinformatik, 1977, S. 210. 12 Gegen die Verwendung des Begriffs „Algorithmus“ im juristischen Diskurs deshalb Wischmeyer, AöR Bd. 143 (2018), 1 (4). 13 Bund, Einführung in die Rechtsinformatik, 1991, S. 22. 14 Umfassend Klaus, Semiotik und Erkenntnistheorie, 1973, S. 27 ff., 40 f. 15 Jandach, Juristische Expertensysteme, 1993, S. 46 f.; Fiedler / ​Barthel / ​Voogd, Untersuchungen zur Formalisierung im Recht, 1984, S. 4 ff; Reisinger, Rechtsinformatik, 1977, S. 208. 16 Reisinger, Rechtsinformatik, 1977, S. 208. 17 Reisinger, Rechtsinformatik, 1977, S. 210; Jandach, Juristische Expertensysteme, 1993, S. 47. 10

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§ 2 Technische Möglichkeiten und Grenzen 

IV. Rahmenbedingungen automatisierten Rechts Einige Aspekte müssen beim Aufbau eines rechtlichen Automationssystems berücksichtigt werden, noch bevor es auf die Zulässigkeit im Einzelnen anhand konkreter Maßstäbe des geschriebenen Rechts, beispielsweise die Vereinbarkeit mit Verfassungsrecht oder einfachem Recht, ankommt. 1. Verwebung technischer und rechtlicher Aspekte Rechtsnormen werden mithilfe juristischer Methoden angewendet.18 Aus diesem Grund ist die Automatisierung der Anwendung von Rechtsnormen unmittelbar mit im Grundsatz rechtlichen Aspekten verknüpft. Das erschwert eine getrennte Beurteilung der Automatisierung des Rechts und der rechtlichen Zulässigkeit einer Automatisierung des Rechts: Ob der Einsatz eines Programms zur automatisierten Rechtsanwendung in Betracht kommt, ergibt sich erst aus einer rechtsmethodischen und rechtstheoretischen Beurteilung des Problemlösungskonzepts. Diese Beurteilung wird erschwert, weil nicht eine Methode der Rechtsanwendung Alleinstand beanspruchen kann.19 Vielmehr werden unterschiedliche Modelle der Rechts­ anwendung vorgeschlagen. Folglich sind auch die Meinungsbilder hinsichtlich der Möglichkeit und Reichweite einer Automatisierbarkeit des Rechts uneinheitlich. 2. Methodengerechtigkeit des Systems Garant intersubjektiver Überprüfbarkeit rechtlicher Entscheidungen ist deren methodengerechte Darstellung.20 Auch Automationssysteme müssen deshalb Ergebnisse liefern, die rechtsmethodischen Standards genügen. Grundsätzlich befasst sich die juristische Methodenlehre mit der Begründung der Anwendung einer Rechtsnorm.21 Es ist folglich nicht Anliegen der Methodenlehre als Wissenschaft, den kognitiven Rechtsanwendungsprozess einer menschlichen Person abzubilden.22 Dieser ist auch nicht Überprüfungsgegenstand in Gerichtsverfahren. Vielmehr geht es um die Rechtfertigung eines bereits erfolgten Rechtsanwendungsprozes-

18

Zur Relevanz der Methodenlehre für Algorithmisierung Kilian, Juristische Entscheidung und EDV, 1974, S. 2 f. 19 Alexy / ​Dreier, in: Interpreting Statutes, 1. Auflage 1991, 73 (77). 20 Kraft, Grundformen der wissenschaftlichen Methoden, 2. Auflage 1973, S. 11 ff., 15; im Anschluss Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Auflage 1991, S. 243 ff. 21 Kraft, Grundformen der wissenschaftlichen Methoden, 2. Auflage 1973, S. 11 „[die wissenschaftlichen Methoden] dienen nicht zur Entdeckung, sondern zur Begründung als Erkenntnis“; im Anschluss Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Auflage 1991, S. 243; deutlich auch bei Seiler, Auslegung als Normkonkretisierung, 2000, S. 8. 22 Allgemein Kraft, Grundformen der wissenschaftlichen Methoden, 2. Auflage 1973, S. 11.

A. Grundlagen

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ses in rechtlichen Kategorien, also die Begründung für ein bereits gefundenes Normanwendungsergebnis.23 Für eine rechtlich brauchbare Automatisierung der Rechtsanwendung bedeutet das, dass Ansatzpunkt einer Automatisierung nicht die Simulation dessen sein muss, was ein menschlicher Rechtsanwender bei der Würdigung der Realität im Hinblick auf rechtliche Normen tatsächlich tut.24 Es geht vielmehr schwerpunktmäßig um die maschinelle Generierung eines Ergebnisses, das rechtsmethodisch begründbar ist.25 Deshalb muss eine methodengerechte Automatisierungsstrategie nicht den kognitiven Rechtsanwendungsprozess eines Menschen erklären oder imitieren. Sie muss aber Ergebnisse hervorbringen, die einer juristischen Überprüfung standhalten, sowie eine rechtlich vertretbare Erklärung für gefundene Ergebnisse liefern.26 Eine Automatisierung der Rechtsfindung wäre folglich einerseits möglich, wenn der kognitive Prozess eines menschlichen Rechtsfinders maschinell abgebildet würde.27 Diesem Vorgehen wäre zuzugeben, dass es die Fragen der rechtlichen Zulässigkeit einer Automatisierung von solchen der technischen Möglichkeit schärfer zu trennen vermag als der Ansatz, der an die nach rechtsmethodischen Standards relevanten Rechtsfindungsschritte anknüpft. Die Methodengerechtigkeit würde erst auf der Kontrollebene des Systems erzielt.28 Dieser Ausgangspunkt wurde jedenfalls im deutschsprachigen Raum selten gewählt,29 was unter anderem darauf zurückgeführt werden könnte, dass eine Strategie der vollständigen Abbildung des menschlichen Kognitionsprozesses mit Methoden der künstlichen Intelligenz aktuell nicht vorliegt.30 Andererseits kann von vornherein an die methodisch relevanten Problemlösungs­ schritte des Rechtsanwenders angeknüpft werden. Methodengerechtigkeit wird dann bereits auf Ebene des Programmdesigns erzielt. Dieses Vorgehen führt dazu, dass ein System grundsätzlich nur methodengerechte Ergebnisse erzielen kann, was erforderlich ist, wenn beispielsweise nicht jede Einzelentscheidung des Systems erneut an Rechtsnormen überprüft oder das System vor seinem Einsatz um 23

Kilian, Juristische Entscheidung und EDV, 1974, S. 7 f.; s. dazu auch Engisch, Einführung in das juristische Denken, 12. Auflage 2018, S. 77 ff. 24 S. aber Hähnchen / ​Bommel, JZ 2018, 334 (335). 25 Selber Ausgangspunkt bei Kilian, Juristische Entscheidung und EDV, 1974, S. 6 f. 26 Prägnant hierzu Wischmeyer, AöR Bd. 143 (2018), 1 (8); ähnlich Jandach, Juristische Expertensysteme, 1993, S. 101. 27 Zu dieser Idee Jandach, Juristische Expertensysteme, 1993, S. 34: „der menschliche Geist als symbolverarbeitende Maschine“. 28 Jandach, Juristische Expertensysteme, 1993, S. 101; s. auch Hoffmann-​Riem, in: GVwR I, 2. Auflage 2012, § 10 Rn. 30 a. E. 29 Gräwe, Die Entstehung der Rechtsinformatik, 2011, S. 116. 30 Jandach, Juristische Expertensysteme, 1993, S. 34; zur Wechselwirkung von Kognitionswissenschaft und KI-Modellierung Russell / ​Norvig, Künstliche Intelligenz, 3. Auflage 2012, S. 24.

36

§ 2 Technische Möglichkeiten und Grenzen 

fassend überarbeitet werden soll. „Die Notwendigkeit einer Darstellung lege artis beeinflusst regelmäßig auch das Herstellungsverhalten“31 – das zeigt der letztere Ansatz mit besonderer Deutlichkeit. 3. Rechtstheoretisches Konzept der Rechtsanwendung Zwei rechtstheoretische Prämissen sind voneinander zu trennen. Welcher man folgt, ist entscheidend für die Frage nach der grundsätzlichen Möglichkeit einer Algorithmisierung der Rechtsanwendung.32 Rechtsanwendung wird von einigen verstanden im Sinne einer Auslegung bestehender Information, von anderen im Sinne einer Konkretisierung unter Hinzufügen weiterer, nicht dem auszulegenden Recht bereits immanenter Information.33 Welcher Auffassung man wie weit folgt, bestimmt implizit darüber mit, wie rechtsinformatische Untersuchungen bewertet werden.34 Die nachfolgende Darstellung der Algorithmisierungsstrategien ist im Kontext ihrer Prämisse, dass die Falllösung abstrakten Vorgaben des Rechts, gegebenenfalls unter Beifügung weiteren, ebenfalls rechtlichen Wissens, entnommen werden kann, zu verstehen. Eine Berücksichtigung der Kritik erfolgt später35. 4. Rechtswissenschaftliches Umfeld Wie die Rechtsanwendung methodisch ablaufen soll und damit ein Automationssystem der Rechtsanwendung modelliert wird, hängt auch davon ab, ob ein regelbasiertes, fallbasiertes oder hybrides Modell der Rechtsanwendung angenommen wird. Das Konzept der Modelle spiegelt das rechtswissenschaftliche Umfeld, dem sie entstammen. Die unterschiedlichen Rechtsanwendungsmodelle sind bereits konzeptionell, aber auch zunehmend durch technische Innovationen, Verwebungen ausgesetzt.

31

Hoffmann-​Riem, in: GVwR I, 2. Auflage 2012, § 10 Rn. 33. Reisinger, Rechtsinformatik, 1977, S. 50; Ring, Computergestützte Rechtsfindungssysteme, 1994, S. 7. 33 Historischer Überblick bei Seiler, Auslegung als Normkonkretisierung, 2000, S. 10 ff. 34 Reisinger, Rechtsinformatik, 1977, S. 50; Herberger, NJW 2018, 2825 (2828) spricht davon, dass das „Gehäuse der reinen, nur hermeneutisch orientierten Textwissenschaft verlassen“ werden müsse, um das Recht zu formalisieren, es also den Logiksprachen zugänglich zu machen. 35 S. § 2 D. 32

A. Grundlagen

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a) Gesetzesrecht: Ausgangspunkt der regelbasierten Rechtsanwendung Als regelbasierte Ansätze werden solche verstanden, deren Problemlösungs­ konzept deduktiv erstellt wird.36 Gibt ein Programmierer durch eigene kognitive Abstraktion einen Algorithmus in jedem Arbeitsschritt selbst vor, programmiert also händisch den Code, ist das Verfahren regelbasiert. Regelbasierte Systeme bieten sich in Jurisdiktionen des Gesetzesrechts an, weil sie die schrittweise Übersetzung des Normtexts in Code ermöglichen. Geht man nun davon aus, dass der Normtext den Norminhalt enthält,37 enthält der formalisierte Normtext den formalisierten und damit automatisierbaren Norminhalt. Die Darstellung regelbasierter Ansätze erfolgt an den Beispielen der Algorithmisierung von Normsyntax und Berechnungen sowie des Justizsyllogismus, an Modellen der Wissensrepräsentation über Ontologien sowie anhand der Über­legungen zur Formalisierung einer „Juristischen Logik“38. Dabei wird deren Konzept nur insoweit entfaltet, als es für Algorithmisierungsversuche notwendig ist. b) Fallrecht: Orientierung an Präzedenzfällen Demgegenüber gibt es auch Konzepte, in welchen nicht ein Programmierer den Algorithmus in jedem Arbeitsschritt selbst entwickelt, sondern dieser von einer Maschine eigenständig erstellt wird, beispielsweise durch die statistische Auswertung von Fallmaterial und Orientierung des Systems an Fällen, die dem zu lösenden Fall ähnlich sind. Als fallbasiert werden deshalb Ansätze verstanden, die den Problemlösungsalgorithmus aus Fallmaterial, also nicht aus abstrakten Regeln, sondern induktiv erschließen.39 Damit bilden auch fallbasierte Programmiermethoden eine abstrakte Regel aus. Diese ergibt sich jedoch aus maschineller Abstraktion von Fallmaterial. Letztlich handelt es sich damit bei regel-​und fallbasierten Ansätzen beiderseits um im Ergebnis regelgeleitete Verfahren. Die Ausgangsbasis ist jedoch bei regelbasierten Ansätzen bereits die abstrakte Regel selbst, bei fallbasierten Ansätzen ist es das Fallmaterial, das noch zu abstrahieren ist. Die Verbindung von fallbasierten Systemen zu Jurisdiktionen des Fallrechts ist offenkundig, sodass sich die Frage stellt, ob sie in Jurisdiktionen des Gesetzesrechts verwendet werden können.40 36

Ebenso Jandach, Juristische Expertensysteme, 1993, S. 7. So die positivistische Auffassung von Recht, dazu Seiler, Auslegung als Normkonkre­ tisierung, 2000, S. 13 ff., 15; zur Kritik s. § 2 D. 38 Der Begriff bezeichnet hier nicht die deontische Logik, sondern eine Übersetzung der „Logik des Juristen“ abseits der Justizsyllogistik in Logiksprachen insgesamt (nicht ausschließlich mithilfe deontischer Logiken). 39 Ebenso Jandach, Juristische Expertensysteme, 1993, S. 7; Grupp, in: Legal Tech, 2018, 259 (261), teilt in statistische (induktive) und deduktive Ansätze auf. 40 Zu diesem Problem auch Gesellschaft für Informatik, Technische und rechtliche Betrachtungen algorithmischer Entscheidungsverfahren, 2018, S. 20. 37

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§ 2 Technische Möglichkeiten und Grenzen 

aa) Anwendbarkeit für Rechtsbegriffe Werden fallbasierte Systeme eingesetzt, um eine Rechtsnorm vollständig durch Auswertung von Fallmaterial herauszubilden, kann ein Widerspruch zum gesetzlichen Wortlaut entstehen. Weil diese nicht am Normtext anknüpfen, sind sie dem Rechtsanwendungskonzept von Jurisdiktionen des Gesetzesrechts im Grundsatz fremd. Bei der Auslegung einzelner Merkmale innerhalb einer Norm stellt sich dieses Problem der Kollision mit dem Gesetzeswortlaut nicht in derselben Schärfe, sodass hier fallbasierte Methoden jedenfalls in Betracht kommen.41 Auch in Jurisdiktionen des Gesetzesrechts wurde vertreten, dass es bei der Anwendung von Rechtsbegriffen ähnlich dem Fallrecht maßgeblich auf die Unterordnung unter einen bestimmten Vergleichsfall, Falltyp oder Idealfall, den die Norm regelt, ankommt.42 bb) Praktische Relevanz durch fallbasierte Unterstützungssysteme Auch bei der Begründung des Auslegungsergebnisses eines Rechtsbegriffs ist eine Berufung auf Ausdeutungen des Begriffs durch höchste Gerichte üblich. Die Relevanz von Vergleichsfällen43 und die fallbasierte Argumentation44 in Juris­ diktionen des Gesetzesrechts nimmt mit dem Einsatz von Systemen wie JURIS jedenfalls in der Praxis weiter zu.45 Dementsprechend wurden auch im kontinentaleuropäischen Raum Systeme auf Basis eines Fallvergleichs entwickelt.46 Gleichwohl müssen Systeme aus dem anglo-​amerikanischen Raum auf Unterschiede in der Entscheidungsmethodik hin überprüft werden und dürfen nicht unbesehen übernommen werden.47 Jedenfalls können fallbasierte Methoden aufgrund der faktischen Verflechtung dieser Auslegungsmethode mit regelbasierten Methoden der Rechtsanwendung in die Untersuchung miteinbezogen werden.

41

So auch Ashley, Artificial Intelligence and Legal Analytics, 2017, S. 73. Engisch, Einführung in das Juristische Denken, 12. Auflage 2018, S. 87 m. w. N.; Haft, JA 1970, letzte Seiten 32 ff. 43 Dazu Alexy / ​Dreier, in: Interpreting Statutes, 1. Auflage 1991, 73 (90). 44 Dazu Handstanger, in: Komplexitätsgrenzen der Rechtsinformatik, 2008, 439 (499). 45 Eingehend Strauch, Methodenlehre des gerichtlichen Erkenntnisverfahrens, 2017, S. 603 ff. 46 Z. B. SEDOC von Haft, in ders., JA 1970, letzte Seiten 32 ff.; Philipps, JurPC 1990, 820 (821 ff.) (ML mit neuronalem Netz zwischen Tatbestand und Rechtsfolge). 47 Studie zur Entscheidungsmethodik in Gesetzesrecht und Fallrecht mit Aufschlüsselung der Gemeinsamkeiten und Unterschiede bei Summers / ​Taruffo, in: Interpreting Statutes, 1. Auflage 1991, 461 (461 ff.); Erörterung im Hinblick auf Automationssysteme bei Ashley, Case-​Based Models of Legal Reasoning in a Civil Law Context, 2003, S. 2, 5 ff; Simitis, Informationskrise des Rechts und Datenverarbeitung, 1970, S. 62. 42

B. Algorithmisierung von natürlichsprachlicher Syntax und Arithmetik 

39

c) Kompromiss: Hybride Systeme der Rechtsanwendung? Hybride Systeme verbinden Fallvergleichssysteme mit weiterem Wissen in Regelform oder verknüpfen eine Regelbasis mit fallvergleichender Teilbearbeitung.48 Welches Wissen hinzugefügt wird, unterscheidet sich je nach dem betrachteten Modell. Sie können als eine Art Kompromiss regelbasierter und fallbasierter Rechtsanwendung angesehen werden, der sich in der Praxis zu bewähren scheint.49 Ein auf andere Weise, aber ebenfalls hybrides – menschliches und unterstützend automatisiertes  – Rechtsanwendungs​verhalten dürfte sich auch im Bereich des Gesetzesrechts durch die bessere Verfügbarkeit von Fallmaterial durch beispielsweise digitale Dokumentationssysteme verfestigen. 5. Zusammenfassendes Fazit Eine Algorithmisierung des Rechts erfordert konzeptionelle Vorarbeit, was den theoretischen Ausgangspunkt und die Modellierung im Einzelnen angeht. Hier wird ein Schwerpunkt auf die im Gesetzesrecht übliche Übersetzung der Norm in ein regelbasiertes System gelegt. Fallbasierte und hybride Systeme werden neben den regelbasierten Systemen vor allem innerhalb der automatisierten Auslegung von Rechtsbegriffen betrachtet, da ihnen hier besondere Relevanz zukommt.

B. Algorithmisierung von natürlichsprachlicher Syntax und Arithmetik I. Syntax in Rechtsnormen 1. Begriffsbestimmung Syntax regelt die Beziehung zwischen Zeichen.50 Sie beschreibt den operativen Sinn51 des Normprogramms, regelt also beispielsweise die Beziehung tatbestandlicher Merkmale zueinander und deren Verhältnis zur Rechtsfolge. Das Vorliegen der Merkmale selbst kann über Syntax nicht ermittelt werden, sie sagt nur etwas über das Verhältnis der Merkmale zueinander oder die Struktur der Bestandteile eines Merkmals aus. Im Folgenden wird deshalb unterstellt, dass den Merkmalen eines Normsatzes ein eindeutiger binärer Wahrheitswert zugeordnet werden kann. 48

Jandach, Juristische Expertensysteme, 1993, S. 18. Jandach, Juristische Expertensysteme, 1993, S. 18 begriff die hybriden Systeme im Aufschwung; nach von Bünau, in: Rechtshandbuch Legal Tech, 2018, 47 (48) ist aktuell der Hauptteil der eingesetzten Systeme hybrid. 50 Reisinger, Rechtsinformatik, 1977, S. 86. 51 Zur Begrifflichkeit Reisinger, Rechtsinformatik, 1977, S. 211. 49

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§ 2 Technische Möglichkeiten und Grenzen 

Es ist also jeweils bekannt, ob ein Merkmal gegeben ist oder nicht.52 Dann lassen sich mithilfe der Syntax logisch korrekte Ausdrücke bilden. In der Folge können auch logische Schlussfolgerungen gezogen werden. 2. Formalisierbarkeit der Syntax von Rechtsnormen Um die Syntax einer Rechtsnorm zu formalisieren, muss die Norm in eine standardisierte „Wenn“-„Dann“-Form gebracht werden. Auf der „Wenn“-Seite sind alle Merkmale zusammenzutragen, die zur Erfüllung des Tatbestands der Norm erforderlich sind, auf der „Dann“-Seite die Rechtsfolge.53 Innerhalb der Merkmale befindet sich die Syntax, die etwa angibt, ob Merkmale positiv, negativ, alternativ oder kumulativ erforderlich sind, um die Rechtsfolge auszulösen. Die Rechtsnorm entspricht nun einem Satz der Aussagenlogik.54 Die Syntax des Normprogramms wird formalisiert, indem die natürlichsprachliche Syntax durch logische Operatoren ersetzt wird.55 Aus den untereinander in verschiedener Weise verknüpften Merkmalen lässt sich nun ein eindeutiges Ergebnis berechnen.56 Freilich ist nicht jedes Normprogramm in einem derartigen Konditionalprogramm abbildbar.57

52

Die eindeutige binäre Wahrheitswertzuordnung im Sinne der klassischen Aussagen­logik vermeidet insbesondere das Problem, dass nicht spezifiziert wahre oder nicht bekannte Aussagen im juristischen Sinn nicht notwendigerweise falsch sind. S. dazu Ashley, Artificial Intelligence and Legal Analytics, 2017, S. 50. 53 Beispiel bei Ashley, Artificial Intelligence and Legal Analytics, 2017, S. 42; ähnlich Haft, Elektronische Datenverarbeitung im Recht, 1970, S. 39. 54 Auf eine Darstellung der Problematik um die Anwendbarkeit der Aussagenlogik im Recht wird hier verzichtet; vgl. § 2 C. II. 4. sowie Gräwe, Die Entstehung der Rechtsinformatik, 2011, S. 118 f. Den Logikkalkül der Booleschen Algebra wenden Ashley, Artificial Intelligence and Legal Analytics, 2017, S. 40 ff. und Haft, Elektronische Datenverarbeitung im Recht, 1970, S. 39 auf Rechtsnormen an. 55 S. das Beispiel bei Haft, Elektronische Datenverarbeitung im Recht, 1970, S. 30 sowie Ashley, Artificial Intelligence and Legal Analytics, 2017, S. 42 f. mit Verweis auf Allen / ​Engholm, Journal of Legal Education 1978, 380 (385 ff.). 56 Ashley, Artificial Intelligence and Legal Analytics, 2017, S. 44. 57 Die Unterscheidung von Konditionalprogrammen (gebundene Entscheidungen) und Finalprogrammen (nur zweckdefinierende Entscheidungen wie Planungsentscheidungen, Ermessen) war in frühen rechtsinformatischen Untersuchungen üblich, z. B. Steinmüller, JA-Sonderheft 6, 1976, S. 68. Unter Berücksichtigung der Ähnlichkeit von Rechtsfolgenspielräumen wie Ermessen und Tatbestandsspielräumen wie unbestimmten Rechtsbegriffen ist die Unterscheidung eher aus darstellerischen Zwecken sinnvoll, im Einzelnen sind die Unterschiede gradueller Natur, so auch Degrandi, Die automatisierte Verwaltungsverfügung, 1977, S. 40; Schmidt, AöR Bd. 96 (1971), 321 (332 f.). Eine Unterscheidung der Programmtypen führt hinsichtlich der Algorithmisierungsstrategien jedenfalls nicht weiter, sodass hier auf sie verzichtet wird und stattdessen nach der Formalisierbarkeit der einzelnen Elemente gefragt wird, die sowohl in Konditional-​als auch in Finalprogrammen auftreten können. In § 4 wird auf die Frage eingegangen, ob eine Qualifizierung als Konditional-​oder Finalprogramm mit einer unterschiedlichen legislativen Steuerungsintensität einhergeht, s. § 4 B. II. 2.

B. Algorithmisierung von natürlichsprachlicher Syntax und Arithmetik 

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Die Formalisierung der Syntax von Rechtsnormen ist technisch vergleichsweise unproblematisch, weil natürlichsprachliche Syntax häufig ein vergleichbares Korrelat hat, das computertechnisch abgebildet werden kann. Verlangt eine Ermächtigungsnorm beispielsweise kumulativ zwei Merkmale, wird dies in der Rechtsnorm üblicherweise58 ausgedrückt mit dem Wort „und“. Dieses „und“ sowie weitere logische Operatoren sind ohne Weiteres in Programmiersprachen abbildbar und können folglich in Code übersetzt werden,59 womit freilich über die Zulässigkeit dieser Abbildung noch nichts ausgesagt ist.60 3. Algorithmisierung der Syntax von Rechtsnormen meist regelbasiert Der Modus, nach dem die Berechnung anhand logischer Operatoren abläuft, kann grundsätzlich regelbasiert oder fallbasiert festgelegt werden. Wird er regelbasiert, also in händischer Abstraktion und üblicherweise in schrittweiser Übersetzung des Normtexts erstellt, muss die Syntax händisch in einer Programmiersprache festgelegt werden.61 Ist diese Formalisierung der Verknüpfungen erfolgt, kann das Programm als Algorithmus abgespielt werden.62 Andererseits kann die Syntax fallbasiert maschinell generiert werden, indem Textdokumente ausgewertet werden. Das wird sich technisch nur anbieten, wenn die regelbasierte Syntaxprogrammierung zu aufwändig ist und ausreichend gleichförmiges Datenmaterial zur Auswertung zur Verfügung steht. Sobald es um die Abbildung geschriebener Rechtsnormen geht, wird üblicherweise die regelbasierte Programmierung gewählt.63 Enthält ein Normtext explizit technisch leicht abbildbare syntaktische Zeichen, besteht zumeist kein Bedürfnis, diese implizit maschinell zu generieren.

II. Arithmetik in Rechtsnormen Daneben kann eine Rechtsnorm inhaltlich bloße Rechenaufgaben voraussetzen, also beispielsweise die Berechnung der Höhe der Steuerschuld. Hier geht es nicht um syntaktisch verknüpfte nicht zahlenmäßig bestimmte Einheiten, deren Vorliegen oder Nichtvorliegen bekannt ist, sondern um arithmetische Operationen mit Zahlen, die vollständig in Computerprogrammen abgebildet werden können. 58

S. sogl. § 2 B. IV. 1. Ashley, Artificial Intelligence and Legal Analytics, 2017, S. 43; Haft, Elektronische Datenverarbeitung im Recht, 1970, S. 39. 60 S. § 4 B. II. 3. und 4. 61 Haft, Elektronische Datenverarbeitung im Recht, 1970, S. 39. 62 Reisinger, Automatisierte Normanalyse und Normanwendung, 1972, S. 98 f. 63 S. Ashley, Artificial Intelligence and Legal Analytics, 2017, S. 38 ff. 59

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§ 2 Technische Möglichkeiten und Grenzen 

Weiterhin können Zahlen im Normprogramm verwendet werden, ohne dass eine Rechnung mit diesen Zahlen bereits unmittelbar die Rechtsfolge ergibt, zum Beispiel in Fällen, in welchen ein Element des Tatbestandes in der Wahrung einer Frist besteht. Dann muss dem Merkmal wiederum ein Wahrheitswert zugeschrieben werden, der aber zumeist durch Hinzuziehung von Zeitdaten berechnet werden kann. Um Berechnungen zu formalisieren, bedarf es einer Abbildung der arithmetischen Operationen in einer Programmiersprache. Alle Programmiersprachen sind fähig, Zahlenwerte maschinell zu verarbeiten, indem sie arithmetische Berechnungen durchführen.

III. Möglichkeiten der Programmierung Unterschiedliche Programmierparadigma bedienen sich unterschiedlicher Programmiersprachen, um unterschiedliche Probleme zu lösen. Beispielsweise können die logischen Operatoren imperativ in den Programmiersprachen Java oder Pascal programmiert werden. Imperative Programmierung bedeutet, dass ein Computerprogramm befehlsorientiert explizit erstellt wird. Demgegenüber können die Operatoren auch deklarativ programmiert werden, beispielsweise in Logiksprachen wie Prolog.64 Für die Entwicklung juristischer Automationssysteme werden unterschiedliche Programmierparadigma und -sprachen verwendet.65 Je nach Programmiersprache können Operationen niederer oder höherer Komplexität ausgedrückt werden.

IV. Probleme der Formalisierung von Syntax und Arithmetik Obgleich die maschinelle Verarbeitung syntaktischer Elemente sowie die Durchführung von Berechnungen programmiertechnisch gesehen keine größeren Probleme aufwirft, können Probleme bei der Formalisierung von Rechtsnormen, die syntaktische Elemente und Berechnungen in ihrem Wortlaut enthalten, entstehen.66 1. Syntaktische Mehrdeutigkeit Syntaktische Zeichen der natürlichen Sprache bedeuten üblicherweise, aber nicht notwendigerweise das, was sie in einer Programmiersprache bedeuten: Ein natürlichsprachliches „und“ kann entweder den Operator „und“ oder den Operator

64

Ashley, Artificial Intelligence and Legal Analytics, 2017, S. 43 f. Im Überblick die verwendeten Programmierparadigma von juristischen Expertensystemen Jandach, Juristische Expertensysteme, 1993, S. 22. 66 Vgl. Ashley, Artificial Intelligence and Legal Analytics, 2017, S. 40 ff. 65

B. Algorithmisierung von natürlichsprachlicher Syntax und Arithmetik 

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„oder“ bezeichnen.67 Deshalb kann streitig sein, ob eine Rechtsnorm ein kumula­ tives oder scheidendes „und“ setzt, oder auf welches Subjekt sich ein „oder“ in komplizierten Regelungsgefügen bezieht.68 Syntaktische Elemente natürlicher Sprache haben weiter nicht nur einen syntaktischen, sondern gleichzeitig einen semantischen Sinn, sodass eine Reduktion auf ihren operativen Gehalt die Kontextabhängigkeit natürlicher Sprache nicht hinreichend berücksichtigen könnte.69 Soweit es um syntaktische Verknüpfungen geht, ist eine Mehrdeutigkeit meist ungewollt.70 Sie resultiert nicht aus dem Bedürfnis, die Norm für vielgestaltige Fälle offen zu halten, sondern zumeist aus Ungenauigkeiten bei der Formulierung einer Norm. Der Gesetzgeber sollte nicht zuletzt im Bewusstsein der Formalisierbarkeit die Syntax gesetzlicher Formulierungen möglichst exakt wählen, soweit dies sachgerecht ist. In diesem Zusammenhang steht die Diskussion um automationsfreundliche Gesetzgebung.71 2. Arithmetik und Bezugsgrößen Berechnungen sind grundsätzlich in Code darstellbar, hängen aber zumeist von ihren Bezugsgrößen ab („14 Tage“, „0,3 % des Basiszinssatzes“), sodass weiteres Wissen erforderlich ist, um die Berechnung durchführen zu können. Beispielsweise müssen für die Berechnung eines erforderlichen Seitenabstands die für die Berechnung notwendigen Längen und Kanten erst gemessen werden können. Die Wahrung einer Frist kann nur ermittelt werden, wenn Anfangs-​und Endzeitpunkt erfasst werden können. Dabei handelt es sich bei dem hinzuzuziehenden Wissen zumeist um Wissen, das keine rechtliche Wertung erfordert, sondern den Zahlenwert berechenbar ausdefiniert oder einen Bezug zur Realität herstellt.

67

Mit Beispiel Ashley, Artificial Intelligence and Legal Analytics, 2017, S. 41. Allen / ​Engholm, Journal of Legal Education 1978, 380 (380 ff.); Ashley, Artificial Intelligence and Legal Analytics, 2017, S. 41; tiefer dazu Klug, Juristische Logik, 4. Auflage 1982, S. 41 ff. 69 Reisinger, Rechtsinformatik, 1977, S. 214; Kotsoglou, JZ 2014, 451 (453). 70 Ashley, Artificial Intelligence and Legal Analytics, 2017, S. 41. 71 Aktuell z. B. Kube, VVDStRL Bd. 78 (2019), 289 (309); G. Kirchhof, in: FS BFH, 2018, Band I, 361 (364); Ashley, Artificial Intelligence and Legal Analytics, 2017, S. 46; Peters, CR 2017, 480 (488); von Oertzen, DVBl. 1969, 61 (61 ff.); Raisch, JZ 1970, 434 (440); Haft, Einführung in die Rechtsinformatik, 1977, S. 100; die Forderung dürfte insbesondere im Bereich der Steuerverwaltung relevant werden, in der Vollzugsdefizite die teilweise Rechtsanwendung durch Automationssysteme geradezu einfordern, wie die Einführung von RMS in § 88 Abs. 5 AO zeigt; dazu Seer, StuW 2015, 315 (318). 68

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§ 2 Technische Möglichkeiten und Grenzen 

3. Erfordernis einer idealen Entscheidungsnorm Die für die Rechtsanwendung relevanten Gesichtspunkte ergeben sich häufig erst aus einer Gesamtschau mehrerer Rechtsnormen, sodass sich die zu übersetzenden Operationen nicht unmittelbar aus dem Lesen einer einzigen Rechtsnorm, sondern erst unter Hinzuziehung von Expertenwissen ergeben.72 Bei der Formalisierung wird also von einer idealisierten „Wenn“-„Dann“-Formulierung einer Norm ausgegangen, die in einem Satz alle die Rechtsfolge bedingenden Merkmale zusammenfasst.73 In der Rechtswirklichkeit dürften aber die Fälle überwiegen, in welchen die Tatbestandsmerkmale, also die Bedingungen des Bedingungsnormsatzes, über mehrere Paragrafen oder Gesetze verstreut sind. Auch kompetenzübergreifende Verweise sind nicht selten. So wird aus dem abstrakt strukturiert und einfach wirkenden Rechtsanwendungsprozess in der Realität ein hochkomplexes System an Verweisen und Verkettungen.74 Viele Rechtsnormen verweisen explizit oder implizit auf andere Rechtssätze oder Institute, sodass wiederum deren Formalisierbarkeit maßgeblich ist. Die Entscheidungsnorm, die zum Rechtsanwendungsergebnis führt, ist damit mit der Ermächtigungsnorm nicht gleichzusetzen. Nur in seltenen, wenig komplexen Fällen lässt sich ein Rechtssatz vollständig und abschließend algorithmisieren.

V. Zusammenfassendes Fazit und Einordnung der aktuellen Entwicklungen Syntaktische Elemente in Rechtsnormen sowie Berechnungen lassen sich in formalen Programmiersprachen ausdrücken. Dies begünstigt die Algorithmisierung von Rechtsnormen, die sich teilweise oder zu großen Teilen durch diese Elemente ausdrücken lassen. 1. Rechtsgebiete mit hohem Automatisierungspotenzial Gute Bedingungen für eine automatisierte Rechtsanwendung, beispielsweise mit dem Ziel des automatisierten Erlasses von Verwaltungsakten, bieten demnach abgegrenzte, relativ eigenständige Regelwerke wie das Steuerrecht. Dabei bieten

72

Raabe et al., Recht ex machina, 2012, S. 58 f.; so auch Haft, Elektronische Daten­ verarbeitung im Recht, 1970, S. 39. 73 Reisinger, Automatisierte Normanalyse und Normanwendung, 1972, S. 5; Haft, Elektronische Datenverarbeitung im Recht, 1970, S. 39. 74 Zum Normkettenwissen Raabe et al., Recht ex machina, 2012, S. 59; Puppe, Kleine Schule des juristischen Denkens, 3. Auflage 2014, S. 94; zu praktischen Hindernissen bei zunehmender Komplexitätsstufe Degrandi, die automatisierte Verwaltungsverfügung, 1977, S. 53 ff.

B. Algorithmisierung von natürlichsprachlicher Syntax und Arithmetik 

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solche Verfahren das höchste Potenzial, die die Prüfung weniger, mit eindeutiger Syntax verbundener Merkmale erfordern.75 Gebundene Entscheidungen sind grundsätzlich aufgrund der besseren Definierbarkeit der Rechtsfolge automatisierungsaffiner als Ermessensentscheidungen, wobei die einzelnen Tatbestandsmerkmale und ihre Komplexität sowie die Komplexität des Modells im Gesamten ebenso ausschlaggebend sind. Eine erhöhte Komplexität bei der Prüfung von Tatbestandsmerkmalen tritt bei Routine-​und Massenverfahren seltener auf, sodass sich hier eine Automatisierung anbietet,76 allerdings nicht aufgrund des Charakters eines Verfahrens als Massenverfahren, sondern aufgrund der gesetzgeberischen Ausgestaltung des Normtexts oder einer Verengung von Ermessens-​und Beurteilungsspielräumen durch Verwaltungsvorschriften, die eine schematisierte Abwicklung zumindest technisch ermöglichen.77 So läuft beispielsweise die Regelung des Verkehrsflusses über Lichtzeichenanlagen schon viele Jahrzehnte automationsgestützt ab.78 Weiterhin sind solche Regelwerke besonders für eine Automatisierung geeignet, die eine hohe Zahlendichte aufweisen, weil sich hier aufgrund der expliziten Nennung quantitativer Faktoren im Normtext die Übersetzung in Arithmetik besonders anbietet. Wiederum ist das Steuerrecht als Anwendungsfall zu nennen,79 allerdings bieten sich auch im Sozialrecht einige Verwaltungsverfahren für eine Automatisierung an.80 Jedenfalls für einfache, gebundene Verfahren ist schon heute die automationsgestützte Rechtsfindung möglich und wird seit Jahren praktiziert.81 Teilweise Automatisierungen dürften in nahezu allen Verfahrensordnungen anzutreffen sein, insbesondere in formulargestützten Verfahren. Bezieht man auch den Zeitraum im unmittelbaren Vorfeld des Erlasses einer Verwaltungsentscheidung mit ein, ist als neueres Anwendungsgebiet das Polizeirecht, in welchem mit Methoden des „Predictive Policing“ zunehmend auf automatisierte Prognoseentscheidungen

75

S. auch praxisnah mit selbem Ergebnis Burr, BB 2018, 476 (478). So auch Schmitz / ​Prell, DVBl. 2017, 24 (26); G. Kirchhof, in: FS BFH, 2018, Band I, 361 (361); Burr, BB 2018, 476 (480). 77 In diese Richtung BTDrucks. 18/8434, S. 122; Braun Binder, NVwZ 2016, 960 (962 f.); Martini, DÖV 2017, 443 (452). Ob die technische Algorithmisierbarkeit auch zulässig ist, wird in § 4 untersucht; insb. § 4 B. II. 3. und 4. 78 Zum damaligen Diskurs Bull, Verwaltung durch Maschinen, 2. Auflage 1964, S. 93 ff.; neuer z. B. Stegmüller, NVwZ 2018, 353 (356). 79 So bereits Haft, Elektronische Datenverarbeitung im Recht, 1970, S. 38; die Rechtsentwicklung veranschaulicht dies. 80 Der Gesetzgeber selbst schlägt in BTDrucks. 18/8434, S. 121 die maschinelle Anpassung laufender Sozialleistungen vor; Martini / ​Nink, NVwZ-Extra 10/2017, 1 (3) sehen grundsätzlich die Gewährung und Verlängerung von Sozialleistungen als Anwendungsgebiet. 81 Ramsauer, in: Kopp / ​Ramsauer, VwVfG, 19. Auflage 2018, § 35a Rn. 1 f.; Schmitz / ​Prell, NVwZ 2016, 1273 (1273). 76

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§ 2 Technische Möglichkeiten und Grenzen 

gesetzt wird, hinzugetreten.82 Vollständig automationsgestützte verbindliche Anordnungen finden sich im Bereich des Straßenverkehrsrechts. Vollständig automatisierte Verwaltungsakte sind auch im Steuerrecht nachweisbar gängige Praxis.83 Hier ist auch das Ermittlungsverfahren durch Risikomanagementsysteme teilweise automatisiert.84 2. Automatisierungsstrategien auf Basis von Syntax und Arithmetik mit Wahrheitswertzuordnung Wird Syntax oder Arithmetik programmiert, bedarf es noch der Merkmale, die mithilfe der Syntax verarbeitet werden sollen. Im Falle der Algorithmisierung einer Rechtsnorm geht es hier also um die tatbestandlichen Merkmale, die durch syntaktische Verknüpfung die Rechtsfolge ergeben. Bei arithmetischen Berechnungen bedarf es noch der Feststellung von Zahlenwerten, mit welchen die Berechnung durchgeführt wird. Wahrheitswerte können automatisiert und nicht automatisiert zugeschrieben werden. a) Händische Wahrheitswertzuordnung Die einfachste Möglichkeit der Merkmalserschließung stellt die händische Wahrheitswertzuordnung85 über eine Dialog-​oder Eingabekomponente im Automationssystem dar.86 Ein Merkmal wird hier innerhalb der Datenverarbeitung von einem Menschen binär klassifiziert; entweder, es ist erfüllt (Wahrheitswert wahr, Binärzahl 1) oder nicht (Wahrheitswert falsch, Binärzahl 0), sodass aussagenlogische Sätze mit den Werten und der Syntax gebildet werden können. Die individuelle Eingabe der Wahrheitswerte determiniert das Endergebnis der Datenverarbeitung. Wahrheitswerte können auch teilweise oder vollständig maschinell zugeordnet werden. In der Folge kann die Rechtsanwendung teilweise oder vollständig automationsgestützt ablaufen, obgleich das automatisierte Verfahren gegenüber der händischen Wahrheitswertzuordnung keine höhere Komplexität aufweist.

82

Hierzu Singelnstein, NStZ 2018, 1 (1 ff.). Die Deutsche Steuer- ​Gewerkschaft, Öffentliche Anhörung zu BT-Drucks. 18/7457, S. 1, nennt Einkommenssteuerfälle im Arbeitnehmerbereich, die etwa 5 bis 7 % der Steuerfälle ausmachten. 84 Ausführlich hierzu § 5, insb. die Punkte B. II. und C. IV. und V. 85 S. hierzu Reisinger, Rechtsinformatik, 1977, S. 218. 86 So bereits Haft, Elektronische Datenverarbeitung im Recht, 1970, S. 38. 83

B. Algorithmisierung von natürlichsprachlicher Syntax und Arithmetik 

47

b) Wahrheitswertzuordnung durch Formular Ein Automationssystem kann Daten über das Vorliegen bestimmter Merkmale aus Formularen entnehmen, die elektronisch übermittelt werden.87 Enthält ein Formular Wahrheitswertzuordnungen, beispielsweise, indem jeweils gegebene Instanzen im Formular angekreuzt werden, erhält das Automationssystem die erforderlichen Wahrheitswerte, indem der Sachbearbeiter oder das System selbst das Formular auslesen, die Wahrheitswerte dem Programm zuordnen und auf dieser Basis syntaktische oder arithmetische Operationen durchgeführt werden. In diesem Fall erfolgt zwar eine Abfrage der Merkmale bei einer Person, allerdings nicht bei der zuständigen Behörde, sondern beim Nutzer des Systems, der das Formular ausfüllt.88 c) Wahrheitswertzuordnung durch Datenbankzugriff Weiterhin ist der automationsgestützte Erlass eines Verwaltungsaktes mithilfe einer eigenständigen Wahrheitswertzuordnung des Systems denkbar: In diesem Fall werden die erforderlichen Daten nicht durch Auslesen beispielsweise eines Antragsformulars gewonnen. Stattdessen werden die Daten mithilfe einer Datenbank dem Automationssystem automatisiert zugänglich gemacht, das auf dieser Grundlage den Verwaltungsakt automationsgestützt erlässt.89 Die Formalisierung der tatsächlichen Gegebenheiten in datenverarbeitbarer Form erfolgt hier nicht für den Einzelfall wie im Falle von Formularen, sondern über den Zugriff auf auf einem Datenträger abgespeicherte Daten, die mehrmals verarbeitet werden können.90 3. Stand der Entwicklung Über eine Erstellung von Verwaltungsakten mithilfe von Formularen oder einer irgendwie gearteten Vorformalisierung im Sinne einer Wahrheitswertzuordnung durch den Benutzer des Systems gehen die heute eingesetzten Automationssysteme in der Regel nicht hinaus.91 Das lässt sich implizit auch den Programmablauf­plänen des Bundesfinanzministeriums entnehmen, die in der Regel binäre Verzweigungen darstellen und weitere Aussagen im Sinne eines Programmablaufplans zur

87

So auch Braun Binder, NVwZ 2016, 960 (960). Vgl. BTDrucks. 18/7457 S 48; anschaulich Bull, DVBl. 2017, 409 (411). 89 So auch Braun Binder, NVwZ 2016, 960 (960). 90 S. dazu Luthe, SGb 2017, 250 (252). 91 So auch BTDrucks. 18/8434, S. 122; Braun Binder, NVwZ 2016, 960 (961); ähnlich Britz, in: GVwR II, 2. Auflage 2012, § 26 Rn. 59. 88

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§ 2 Technische Möglichkeiten und Grenzen 

Wahrheitswertzuschreibung nicht treffen.92 Eine Einschränkung kann für Zahlenangaben gemacht werden, die einer Behörde bereits vorliegen und für mehrere Verfahren relevant sind oder nach festgelegten arithmetischen Verfahren verändert werden. Diese können gespeichert und bei Bedarf abgerufen werden und damit Eingang in den Verarbeitungsvorgang finden. Im Steuerrecht ist der vollständig händische Erlass von Steuerbescheiden daher seit geraumer Zeit die Ausnahme.93 Ebenso möglich ist in einigen Fällen die Speisung einer Verarbeitungsanlage mit Daten, die aus einer Wahrnehmung der Umwelt gewonnen werden. Ein Beispiel sind elektronische Lichtzeichenanlagen, die bereits seit den 1980er Jahren Verwaltungsakte vollständig automationsgestützt erlassen, indem über Induktionsschleifen oder Bewegungsmelder der Verkehrsfluss ermittelt wird und auf dieser Grundlage unmittelbar Verkehrsregelungen getroffen werden.94 Einige Lichtzeichenanlagen messen inzwischen auch mithilfe von Kameras den Verkehrsfluss und treffen nach maschineller Deutung dieser Messungen Verkehrsregelungen. Ebenso könnte eine Kamera beispielsweise den Seitenabstand zweier Gebäude, die über Methoden der Bilderkennung identifiziert werden, theoretisch selbst ausmessen, sodass eine händische Einspeisung der Daten nicht erforderlich wäre. Bild­erkennungssoftware arbeitet mit einer Trainingsbasis, die sorgfältig ausgewählt werden muss; Fehler können nicht ausgeschlossen werden. Bilderkennung kann weiterhin nur eingesetzt werden, soweit es um die Ermittlung von Merkmalen geht, deren Vorliegen sich unmittelbar aus der Betrachtung der Umwelt ergibt. Sobald eine rechtliche Wertung hinzugefügt werden muss, um einen Wahrheitswert zu ermitteln, ergibt sich das Merkmal nicht aufgrund sensorisch messbarer Umstände in der Realität, sodass eine Deutungsebene in der Maschine eingefügt werden müsste. Über die Möglichkeit und Reichweite eines solchen maschinellen Einschubs zwischen Realität und rechtlicher Würdigung entscheiden das rechtstheoretische Vorverständnis sowie der Stand der Technik.95

92

S. z. B. den Programmablaufplan vom 23.11.2017 zur Berechnung der Lohnsteuer, des Solidaritätszuschlags und der Maßstabsteuer für die Kirchenlohnsteuer für 2018, https://​ www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Downloads/Steuern/Steuerarten/Lohn​steuer/ Programmablaufplan/2017-11-23-PAP-2018-anlage-​1-geaendert.pdf?__blob=​publi​cation​ File&v=1 (Abrufdatum 7. Juni 2019), ab S. 14. 93 Baldauf, DStR 2016, 833 (833); Maier, JZ 2017, 614 (615); schon Degrandi, Die automatisierte Verwaltungsverfügung, 1977, S. 51. 94 Stegmüller, NVwZ 2018, 353 (356); zur damaligen Diskussion um die Zulässigkeit dieser Automatisierung z. B. Bull, Verwaltung durch Maschinen, 2. Auflage 1964, S. 93 ff. 95 S. oben § 2 A. IV. 3.; aktuell dagegen z. B. Wiegerling, in: Rechtshandbuch Legal Tech, 2018, 20 (24); dafür z. B. Raabe et al., Recht ex machina, 2012, S. 95.

C. Algorithmisierung auslegungsbedürftiger Rechtsbegriffe

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C. Algorithmisierung auslegungsbedürftiger Rechtsbegriffe Vorstehend ging es um den automationsgestützten Erlass von Verwaltungsakten über programmierte Syntax, Arithmetik und die Einspeisung oder maschinelle Generierung von Wahrheits-​und Zahlenwerten. Am Ende wurde auf die Möglichkeit der automationsgestützten Feststellung von Merkmalen hingewiesen, die unmittelbar, also ohne Hinzufügen juristischen Wissens in der Realität festgestellt werden. All diesen Systemen ist gemein, dass sie keine maschinelle Rechtsanwendung im Sinne einer anspruchsvolleren Auslegung rechtlicher Tatbestandsmerkmale vornehmen. Eine Prüfung der Merkmale erfolgt vielmehr implizit durch den Benutzer des Systems, der einen Wahrheitswert als Ergebnis der menschlich vorgenommenen Auslegung von tatbestandlichen Merkmalen einspeist.96 Denkbar ist jedoch auch die maschinelle Rechtsanwendung auslegungsbedürftiger Rechtsbegriffe auf Tatbestands-​oder Rechtsfolgenseite. Soweit auf auslegungsbedürftige Begriffe Bezug genommen wird, sind unterschiedliche Dimensionen auslegungsbedürftiger Begriffe wie Ermessens-​und Beurteilungsspielräume und auslegungsbedürftige Rechtsbegriffe ungeachtet ihres Abstraktionsgrades gemeint.97

I. Einführung und Begrifflichkeiten Um die Verortung im rechtswissenschaftlichen Diskurs zu erleichtern und Neuerungen zu verdeutlichen, wird eine knappe historische Einführung der Systeme vorangestellt. Danach werden die Begriffe Daten, Information und Wissen erläutert. 1. 80er und 90er Jahre: Expertensysteme und Wissen Eine Algorithmisierung des Rechts im Sinne einer maschinellen (im deutschsprachigen Raum meist regelbasierten) Auslegung von Rechtsbegriffen und der Generierung von zumeist stark domainspezifischem Wissen zur Entscheidungshilfe im Einzelfall war maßgebliches Ziel der sogenannten Juristischen Expertensysteme.98 Die Entwicklung wurde aufgenommen, nachdem die grundsätzliche Geeignetheit der Aussagenlogik für die Abbildung bestimmter Teile des Rechts feststand. Ein bekanntes frühes Beispiel ist das seit 1972 entwickelte System

96

Ähnlich bereits Haft, Elektronische Datenverarbeitung im Recht, 1970, S. 38. Zur Vergleichbarkeit hinsichtlich des Algorithmisierungspotenzials Degrandi, die automatisierte Verwaltungsverfügung, 1977, S. 42 f. 98 Fiedler, in: Entmythologisierung von Expertensystemen, 1990, S. 3 ff; einführend auch Ashley, Artificial Intelligence and Legal Analytics, 2017, S. 8; Jandach, Juristische Expertensysteme, 1993, S. 6 f; Rechtliche Beurteilung von Tönsmeyer-​Uzuner, Expertensysteme in der öffentlichen Verwaltung, 2000, S. 69 ff., zum regelbasierten Expertensystem HERBASYS ab S. 42. 97

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§ 2 Technische Möglichkeiten und Grenzen 

„Taxman“.99 Die Entwicklung von Expertensystemen erreichte in den späten 80er und frühen 90er Jahren ihren Höhepunkt.100 Die Vision der Expertensystemtechnologie war unter anderem die teilweise Substitution des menschlichen Experten durch einen maschinellen Experten.101 Expertensysteme wurden hauptsächlich im universitären Bereich entwickelt.102 Die in der Gesamtschau angesichts des Stands der Technik überhöhten Erwartungen konnten von der Expertensystemtechnologie nicht erfüllt werden, sodass die Begrifflichkeit im deutschsprachigen Raum heute gemieden wird. Die Technologie wird allerdings auch in neueren Projekten verwendet.103 2. Aktuell: Legal Tech und Machine Learning Mit der Legal Technology-​Bewegung (Legal Tech) wird derzeit eine der Diskussion um Expertensysteme ähnelnde Vision geschaffen.104 Der Begriff Legal Tech ist weiter zu verstehen105 als der des Expertensystems und umfasst neben Systemen zur Entscheidungsunterstützung oder Entscheidungsfindung unter anderem die Algorithmisierung des Zugangs zum Recht,106 die Bereitstellung von Tools zur Verwaltungsoptimierung in Unternehmen,107 Methoden der Textanalyse und des Information Retrieval, der quantitativen Analyse von Rechtstexten108 oder die verständliche Aufbereitung von Rechtstexten. Damit meint Legal Tech all jene Verfahren, die rechtliche Materien oder Dienstleistungen mit neuen Technologien zusammenbringen.109 Der Fokus liegt nicht auf einer algorithmisierten Rechtsanwendung, sondern erfasst alle Einsatzgebiete, in welchen neue Technologien im Recht erfolgversprechend sind. Insbesondere ist eine Verschiebung des Entwicklungsbereichs vom universitären und forschenden in den privaten und kommerziellen Sektor zu verzeichnen. Mit „Legal Tech“ ist zumeist auch nicht der Technologieeinsatz in der öffentlichen Verwaltung, sondern in der Anwaltschaft gemeint,110 dieser wirkt aber durch Erzeugen eines Anpassungsdrucks auf den öf 99

McCarty, Harvard Law Review 1977, 837 (837 ff.). Auflistung bei Jandach, Juristische Expertensysteme, 1993, S. 249 ff. (deutschsprachige Systeme). 101 Fiedler, in: Entmythologisierung von Expertensystemen, 1990, S. 8. 102 Jandach, Juristische Expertensysteme, 1993, S. 20 und 23. 103 Mit Beispielen Ashley, Artificial Intelligence and Legal Analytics, 2017, S. 10 f. 104 Von Bünau, in: Rechtshandbuch Legal Tech, 2018, 47 (47); Definition von „Stufen“ des Legal Tech von Goodenough, https://www.huffingtonpost.com/oliver-​r-​goodenough/legal-​ technology-​30_b_6603658.html (Abrufdatum 7. Juni 2019); dazu Hähnchen / ​Bommel, JZ 2018, 334 (335). 105 S. die Definition bei Hartung, in: Legal Tech, 2018, 5 (7); s. auch Hähnchen / ​Bommel, JZ 2018, 334 (335). 106 Tobschall / ​Kempe, in: Rechtshandbuch Legal Tech, 2018, 25 (25 ff.). 107 Tobschall / ​Kempe, in: Rechtshandbuch Legal Tech, 2018, 25 (29 f.). 108 Dazu Coupette / ​Fleckner, JZ 2018, 379 (379 ff.). 109 Hartung, in: Legal Tech, 2018, 5 (7). 110 So z. B. Breidenbach / ​Glatz, Rechtshandbuch Legal Tech, 2018, S. V (Vorwort). 100

C. Algorithmisierung auslegungsbedürftiger Rechtsbegriffe

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fentlichen Sektor zurück. Anwendungen aus dem Bereich der Legal Tech können auch für den Bereich der öffentlichen Verwaltung interessant sein,111 soweit die gesetzlichen Verpflichtungen des Staates eingehalten werden können. Auffällig ist der zunehmende Einsatz von Methoden der künstlichen Intelligenz, die häufig ein Konzept auf Fallbasis verfolgen.112 Der Einsatz von Methoden der künstlichen Intelligenz wird folglich auch für den Bereich der staatlichen Verwaltung teilweise befürwortet.113 In die folgende Untersuchung werden sowohl Erkenntnisse der Expertensystemtechnologie als auch neuer Technologien, die aktuell noch schwerpunktmäßig im Bereich der Legal Tech eingesetzt werden, insbesondere die Machine-​Learning-​ Technologie,114 einbezogen. Dabei werden diejenigen Technologien untersucht, die für das Ziel des vollständig automationsgestützten Erlasses von Verwaltungsakten fruchtbar gemacht werden könnten. Dabei soll es auf die Idee hinter den unterschiedlichen Arten von Automationssystemen, deren grundlegende Funktionsweise sowie deren strukturelle Schwächen und Probleme bei der Realisierung ankommen. 3. Daten, Information und Wissen Maßgeblich für die Scheidung der Systemtechnologien untereinander sowie für die Beurteilung ihres Potenzials ist ein jedenfalls einheitliches Verständnis der Begriffe der Daten, der Information, und des Wissens. Daten werden verstanden als „geordnete Signalfolgen“115, als eine „semantikfreie Gegebenheit“116. Die Bedeutung von Daten wird erst durch menschliche Interpretation geschaffen, die das Datum zur Nachricht oder, bei pragmatischer Relevanz, zur Information transformiert.117 Wissen bezeichnet die dritte Stufe, die durch eine Strukturierung von Information entsteht.118

111

Z. B. der Einsatz von Machine Learning im staatlichen Risikomanagement, LTDrucks. Baden-​Württemberg 15/1047, S. 19. 112 Gesellschaft für Informatik, Technische und rechtliche Betrachtungen algorithmischer Entscheidungsverfahren, 2018, S. 6. 113 Z. B. Martini / ​Nink, NVwZ Extra 10/2017, 1 (1). 114 So von Bünau, in: Rechtshandbuch Legal Tech, 2018, 47 (51). 115 Reisinger, Rechtsinformatik, 1977, S. 76; Ernst, in: Auf dem Weg zum Digitalen Staat, 33 (39) m. w. N. 116 Wiegerling, in: Rechtshandbuch Legal Tech, 2018, 20 (20); so auch Schweighofer, Rechtsinformatik und Wissensrepräsentation, 1999, S. 24. 117 Herrschendes Verständnis, schon Reisinger, Rechtsinformatik, 1977, S. 76; Ernst, in: Auf dem Weg zum Digitalen Staat, 2015, 33 (39); aktuell Wiegerling, in: Rechtshandbuch Legal Tech, 2018, 20 (20 f.). 118 Wiegerling, Rechtshandbuch Legal Tech, 2018, 20 (20); Schweighofer, Rechtsinformatik und Wissensrepräsentation, 1999, S. 26.

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§ 2 Technische Möglichkeiten und Grenzen 

II. Regelbasierte Systeme Im deutschsprachigen Raum dominierten mit Expertensystemen zur Entscheidungshilfe die regelbasierten Systeme.119 Hier wird der Ansatz der händischen Syntaxprogrammierung weitergeführt. Das gesamte System wird zumeist händisch aufgebaut. 1. Ausgangspunkt regelbasierter Systeme Das Recht wird bei regelbasierter Modellierung als Gebiet verstanden, das mit Begriffen, Konzepten, logischen Relationen und durch Wissen abgebildet werden kann. Ausgangspunkt der Modelle sind damit nicht Worte, sondern abstrakte Konzepte, die durch den gesetzlichen Wortlaut repräsentiert werden. Ein unbestimmter Rechtsbegriff wird in der Weise automatisch auf einen Fall hin ausgelegt, dass das Begriffskonzept offengelegt wird und auf dieser Abstraktionsebene eine Lösung für den Einzelfall gesucht wird. Auslegungsbedürftige Rechtsbegriffe werden abgebildet, indem die abstrakten Vorgaben und Zusammenhänge expliziert werden, die in die Auslegung einzubeziehen sind. Damit sind die regelbasierten Systeme als Systeme zur Wissensrepräsentation und unter der Voraussetzung der Möglichkeit vollständiger Wissensexplikation zu verstehen. Im Einzelnen ist die Funktionsweise regelbasierter Systeme uneinheitlich, sodass im Folgenden spezifischer auf ausgewählte Typen regelbasierter Systeme einzugehen ist. 2. Algorithmisierbarkeit des Justizsyllogismus Als Ausgangspunkt für die Algorithmisierung der Rechtsanwendung wird häufig das klassische Subsumtionsmodell des Justizsyllogismus angeführt.120 Für die öffentliche Verwaltung wird eine formal gleiche Entscheidungsstruktur angenommen.121

119

Auflistung und eingehende Auswertung bei Jandach, Juristische Expertensysteme, 1993, S. 22 ff. 120 Z. B. Ring, Computergestützte Rechtsfindungssysteme, 1994, S. 10 ff.; Raabe et al., Recht ex machina, 2012, S. 8; Gantner, Theorie der juristischen Formulare (2010), S. 10 ff. 121 Steinmüller, DVR 1974, S. 60.

C. Algorithmisierung auslegungsbedürftiger Rechtsbegriffe

53

a) Grundlagen Der Justizsyllogismus beschreibt eine Modifikation der aristotelischen Syllogistik: ristotelische Syllogistik: A Alle M sind P Alle S sind M

Alle S sind P

„Justizsyllogistik“ Alle M sind P Ein S ist M S ist P

In der „Justizsyllogistik“ wird der Mittelsatz der aristotelischen Syllogistik verändert, indem die allgemeine Aussage durch eine singuläre Aussage ersetzt wird.122 Der Obersatz ist als Äquivalent zur Rechtsnorm aufzufassen, der Untersatz als Äquivalent zum Sachverhalt. Mit dieser „logischen Figur“123 kann die Rechtsfolge aus der Einordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnorm gewonnen werden. Um den Sachverhalt der Norm unterordnen zu können, wird jedes Tatbestandsmerkmal in kleinere Einheiten aufgegliedert. So soll über einen logischen Schluss ermittelt werden können, ob ein Tatbestandsmerkmal vorliegt, namentlich indem Schritt für Schritt abgeprüft wird, ob alle dafür erforderlichen Merkmale vorliegen.124 Letztlich geht es damit im Rahmen der Tatbestandsmerkmale um eine Zergliederung derselben in ihre kleinstmöglichen Grundbegriffe.125 Können abstrakter und konkreter Begriff durch dieselben Grundbegriffe beschrieben werden, ist der konkrete Begriff ein Unterfall des abstrakten Begriffs.126 b) Inkonsistenzen und Grenzen des algorithmisierten Justizsyllogismus Das Modell juristischen Schließens im Sinne der „Justizsyllogistik“ formallogisch zu repräsentieren war Anliegen verschiedener Formalisierungsversuche.127 Dem wird jedoch entgegengehalten, dass eine formallogische Unterordnung von Begriffen unter Begriffe, wie beispielsweise Larenz sie vertritt,128 nicht möglich ist.129 122

Vgl. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Auflage 1991, S. 271; Jandach, Juristische Expertensysteme, 1993, S. 104. 123 Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Auflage 1991, S. 272. 124 Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Auflage 1991, S. 273. 125 Ring, Computergestützte Rechtsfindungssysteme, 1994, S. 18. Ein ähnliches Vorgehen liegt der Übersetzung des British Nationality Act in die Logiksprache PROLOG durch Sergot et al., Communications of the ACM 1986, 370 (371) zugrunde. 126 Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Auflage 1991, S. 273; Ring, Computergestützte Rechtsfindungssysteme, 1994, S. 19. 127 Z. B. Ring, Computergestützte Rechtsfindungssysteme, 1994, S. 26 ff.; Raabe et al., Recht ex machina, 2012, S. 61 ff. 128 Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Auflage 1991, S. 274. 129 Jandach, Juristische Expertensysteme, 1993, S. 107; Schweighofer, Rechtsinformatik und Wissensrepräsentation, 1999, S. 98; Reisinger, Rechtsinformatik, 1977, S. 252 ff; Joerden, Logik im Recht, 3. Auflage 2018, S. 296.

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§ 2 Technische Möglichkeiten und Grenzen 

Die formale Logik könne nicht eingesetzt werden, um eine Begriffspyramide zu entfalten.130 Praktische Realisierungsversuche bestätigen, dass üblicherweise nicht alle Grundbegriffe unmittelbar aufgefunden oder eindeutig spezifiziert werden können.131 Eine Anwendung der formalen Logik auf den Justizsyllogismus kann zu inakzeptablen Ergebnissen führen, weil Schlussfolgerungen in formallogisch richtiger Weise gezogen werden können, die nach juristischem Verständnis falsch sind.132 Es bedürfe vielmehr einer Wissensrepräsentationsstruktur, auf deren Fakten wiederum Logik angewendet werden könne, die sich aber selbst nicht aus formaler Logik ergäbe, sondern lediglich eine subjektive Sichtweise abbilde.133 Letztlich ist das Modell des Justizsyllogismus nicht in jeder Hinsicht gleichbedeutend durch formale Logiken abbildbar. Das ist vermutlich auch nicht der Anspruch dieses Modells.134 Ein weiteres Problem stellt die Tatsache dar, dass die Justizsyllogistik selbst nicht angibt, wie die Prämissen, also Ober-​und Untersatz, konkret gebildet werden. Dadurch wird ein großer Teil der Rechtsanwendung vom Syllogismus nicht erfasst.135 Damit ist zwar ein Teil der Rechtsanwendung durch formale Logik abbildbar. Sie reicht aber nicht aus, um die Rechtsanwendung vollumfänglich zu erklären.136 3. Repräsentation von Rechtsbegriffen in Ontologien Der methodische Ausgangspunkt des Justizsyllogismus lässt sich mithilfe gewisser Modifikationen für eine Algorithmisierung fruchtbar machen.137 Eine denkbare Modifikation ist der Aufbau einer rechtlichen Ontologie. a) Grundprinzip Maßgebliches Charakteristikum einer Ontologie sind Wissensbasen. Eine Ontologie verfügt also über gespeichertes Hintergrundwissen, das beispielsweise eine maschinelle Auslegung ermöglichen soll.138 So kann rechtsdogmatisches Wissen, 130

Ausführlich Jandach, Juristische Expertensysteme, 1993, S. 108. S. hierzu Ashley, Artificial Intelligence and Legal Analytics, 2017, S. 49 f. zu Sergot et al., Communications of the ACM 1986, 370 (372 f., 374). 132 Kotsoglou, JZ 2014, 451 (452); Jandach, Juristische Expertensysteme, 1993, S. 73; Beispiel und Auflösung bei Joerden, Logik im Recht, 3. Auflage 2018, S. 307. 133 Jandach, Juristische Expertensysteme, 1993, S. 108. 134 So auch Kotsoglou, JZ 2014, 451 (452); vgl. Kilian, Juristische Entscheidung und EDV, 1974, S. 39. 135 Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Auflage 1991, S. 273; Kriele, Theorie der Rechtsgewinnung, 2. Auflage 1976, S. 50. 136 Jandach, Juristische Expertensysteme, 1993, S. 121; Reisinger, Rechtsinformatik, 1977, S. 258. 137 Jandach, Juristische Expertensysteme, 1993, S. 147 ff. 138 Eingehend Jandach, Juristische Expertensysteme, 1993, S. 148; s. auch zur Notwendigkeit des Hinzufügens weiteren Wissens Joerden, Logik im Recht, 3. Auflage 2018, S. 296; zur 131

C. Algorithmisierung auslegungsbedürftiger Rechtsbegriffe

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Gesetzeswissen, Auslegungswissen, Fallwissen, aber auch Sprachwissen formalisiert werden, um eine Rechtsanwendung zu modellieren.139 Ontologien sind damit formale Wissensmodelle, die die Bedeutung von Informationen explizieren und kontextualisiert abbilden.140 Sie sind explizite formale Spezifikationen einer Konzeptualisierung.141 Ihr konzeptualisierender Charakter bedeutet eine Komplexitätsreduktion, eine Abstraktion desjenigen Phänomens, das sie beschreiben.142 Sie stellen keine Begriffspyramide dar, sondern ein Netzwerk von Wissenskonzepten und ihren Relationen.143 Im Rechtsbereich könnten Ontologien eine automatisierte Rechtsfolgenermittlung ermöglichen,144 sodass im Rechtsbereich zahlreiche Ontologien entwickelt wurden.145 Eine bekannte Ontologie im Rechtsbereich ist die Frame Based Ontology von van Kralingen und Visser.146 Sie repräsentierten in ihrer Ontologie Normen, Akte und Begriffe, für die jeweils Frames mit Attributen definiert sind.147 Aus dem deutschsprachigen Raum ist insbesondere das teilautomatisierende Rechtsanwendungsprogramm „Recht ex machina“ hervorzuheben, das ebenfalls mit Ontologien arbeitet und seine Methodik auf das Subsumtionsmodell nach Larenz stützt.148 b) Aufbau einer Ontologie Damit das Wissen in einer Ontologie über syntaktische Daten hinausgeht, muss die Semantik eines Begriffs, also seine sprachliche Bedeutung, abgebildet werden. Die Explikation semantischen Strukturwissens und Begriffsdenkens149 könnte dann Aufschluss über den Inhalt eines Rechtsbegriffs geben. Die Ontologie wäre „formales Äquivalent“ der juristischen Begriffsbildung150, eine „Kopie der Wirklichkeit“151. Dabei können verschiedene Typen von Ontologien gebildet werden, beispielsweise Ontologien zur Abbildung von Domainwissen oder Metawissen, methodenorientierte Ontologien, Ontologien zur Abbildung von Allgemeinwissen Eignung von Ontologien Ashley, Artificial Intelligence and Legal Analytics, 2017, S. 171 und Liebwald, in: Wort – Bild – Zeichen, 2012, 203 (203). 139 Jandach, Juristische Expertensysteme, 1993, S. 148. 140 Liebwald, in: Wort – Bild – Zeichen, 2012, 203 (203 f.). 141 Gruber, in: Knowledge Acquisition, 1993, 199 (199); s. auch Ashley, Artificial Intelligence and Legal Analytics, 2017, S. 172. 142 Gruber, in: Knowledge Acquisition, 1993, 199 (199). 143 Jandach, Juristische Expertensysteme, 1993, S. 106. 144 Raabe et al., Recht ex machina, 2012, S. 126 f. 145 Überblick bei Liebwald, in: Wort – Bild – Zeichen, 2012, 203 (214 f.). 146 Kurzdarstellung bei van Kralingen, A Conceptual Frame-​based Ontology for the Law, 1997, sowie Ashley, Artificial Intelligence and Legal Analytics, 2017, S. 176 ff. 147 Eingehend Schweighofer, Rechtsinformatik und Wissensrepräsentation, 1999, S. 95; neuer zu Framesemantiken Busse, in: Zugänge zur Rechtssemantik, 2015, 41 (46). 148 Raabe et al., Recht ex machina, 2012, S. 53 ff. 149 Liebwald, in: Wort – Bild – Zeichen, 2012, 203 (205). 150 Raabe et al., Recht ex machina, 2012, S. 126. 151 Burr, BB 2018, 476 (477).

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§ 2 Technische Möglichkeiten und Grenzen 

usw.152 Sie können manuell aufgebaut werden, was aufwändig, aber am ertragreichsten ist, automatisch mithilfe von Statistik generiert werden, was zu Ungenauig­ keiten führen kann, sowie linguistisch erstellt werden, sodass Veränderungen von Wortformen durch beispielsweise Deklinationen sich weniger stark auswirken.153 Die Vorstellung einer vollumfänglich abbildbaren Wissensbasis über Ontologien floss maßgeblich in die Vorstellung „intelligenter Expertensysteme“ ein.154 c) Anwendung der Ontologie zur Fallbearbeitung Eine Ontologie kann nur dann zur Bearbeitung von Einzelfällen eingesetzt werden, wenn es gelingt, ihr eine Aussage über den Einzelfall zu entnehmen. Soll beispielsweise ein Textdokument mithilfe der Ontologie erklärt werden, muss der Text mit der Ontologie verbunden werden, üblicherweise, indem das in der Ontologie gespeicherte Wissen mit dem Text gematcht wird, der beispielsweise mit Methoden des Text Mining ausgewertet wird.155 Aufgrund der Kontextvarianz natürlicher Sprache kann das im Einzelfall schwierig sein. Die Gestalt des Falls im Text ist üblicherweise nicht identisch mit der Gestalt des Falls in der abstrakten Ontologie. Das schafft einerseits das Problem, dass ähnliche Fälle aufgrund abweichender Formulierungen nicht erkannt werden, und andererseits die Gefahr des Missbrauchs, weil Texte von Personen, die um den Einsatz der Ontologie wissen, abweichend formuliert werden können, gerade mit dem Ziel, dass eine Ontologie die Texte sodann nicht adäquat verarbeiten kann. d) Grenzen der ontologischen Abbildbarkeit Probleme bei der ontologischen Verarbeitung juristischer Texte ergeben sich sowohl auf der konzeptionellen Ebene als auch auf der Anwendungsebene. Zunächst ist erforderlich, dass die Verwender der Ontologie sich auf eine standardisierte Terminologie und ein einheitliches Verständnis aller Objekte und Beziehungen in der Ontologie einigen.156 Gerade dieses Erfordernis eines allgemeinen Konsenses über die Bedeutung eines Begriffs ist im Rechtsbereich problematisch,157 nicht zuletzt aus Gründen der methodischen Vielfalt, des ungeklärten Verhältnisses der

152

Liebwald, in: Wort – Bild – Zeichen, 2012, 203 (211). Liebwald, in: Wort – Bild – Zeichen, 2012, 203 (213). 154 Fiedler, in: Entmythologisierung von Expertensystemen, 1990, S. 7. 155 Liebwald, in: Wort – Bild – Zeichen, 2012, 203 (217). In „Recht ex machina“ ist gerade dies der teilautomatisierte Schritt, zu den Gründen Raabe et al., Recht ex machina, 2012, S. 165. 156 Gruber, in: Knowledge Acquisition, 1993, 199 (199). 157 Liebwald, in: Wort – Bild – Zeichen, 2012, 203 (212). 153

C. Algorithmisierung auslegungsbedürftiger Rechtsbegriffe

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Auslegungsmethoden zueinander sowie der Gewaltenteilung.158 Ob also die Methodengerechtigkeit beim Einsatz einer Ontologie in jeder Hinsicht sichergestellt werden kann, ist ungeachtet der grundsätzlichen Möglichkeit ihrer an den juristischen Methoden orientierten Gestaltung fraglich. Weiter erfordern Ontologien eine Explikation jedes in die Bedeutung eines Begriffs einfließenden Wissens, insbesondere auch impliziten Wissens.159 Implizites Wissen wie Lebenserfahrung, rechtliche Erfahrung oder andere subjektive Elemente, die in die Deutung eines Begriffs miteinfließen, müssen deshalb explizit gemacht werden, soweit es sich bei dem impliziten Wissen um in rechtlicher Hinsicht gebotene Einflussfaktoren handelt. Eine Abbildung juristischen Wissens in einer Ontologie, die auch Weltwissen und Erfahrung inkorporieren soll, über welche keine letztgültige Einigkeit erzielt werden kann, müsste die gesamte Realität aller Akteure und alle erfahrbaren Phänomene vollständig und eindeutig abbilden. Ein derartiger Formalisierungsgrad ist nach derzeitigem Stand der Forschung und Technik nicht realisierbar.160 Jedenfalls eignen sich Ontologien damit eher für kleine Domains, in welchen das einfließende Wissen klar benenn-​und abgrenzbar und nicht wertungsabhängig ist. Wird Wissen nur teilweise in die Ontologie eingespeist, ist sie unvollständig und notwendigerweise subjektiv.161 Weiterhin besteht meist nur eine begrenzte Möglichkeit, mit Unsicherheiten umzugehen, beispielsweise wenn Wissen fehlt oder nicht verlässlich ist.162 Der Aufbau einer brauchbaren Ontologie erfordert eine Zusammenarbeit der jeweils zuständigen Experten des Rechts-​und Technikbereichs, deren Verständigung und intensive Zusammenarbeit.163 Aufbau und Wartung einer Ontologie sind damit üblicherweise hochkomplex sowie zeit-​und kostenintensiv.164 In Verbindung mit Gesetzesänderungen, die eine Anpassung der Ontologie erfordern, verschärft sich das Problem weiter.

158 Vgl. Raabe et al., Recht ex machina, S. 155 zur „Deutungshoheit des Gesetzgebers“ über die Bedeutung eines Begriffs; ebenso Adrian, Rechtstheorie 2017, 77 (85). 159 Liebwald, in: Wort – Bild – Zeichen, 2012, 203 (212); Tönsmeyer-​Uzuner, Expertensysteme in der öffentlichen Verwaltung, 2000, S. 61. 160 S. dazu auch Burr, BB 2018, 476 (477). 161 Liebwald, Wort – Bild – Zeichen, 2012, 203 (206); Jandach, Juristische Expertensysteme, 1993, S. 108; ebenso ist jedoch das Verständnis des einzelnen Rechtsanwenders von einem Rechtsbegriff zwingend subjektiv, sodass die Einigung auf eine verbindliche Subjektivität der Rechtssicherheit zuträglich wäre, siehe Adrian, Rechtstheorie 2017, 77 (90); dagegen unten § 2 D. 162 Ashley, Artificial Intelligence and Legal Analytics, 2017, S. 11. 163 Sog. „Knowledge Acquisition Bottleneck“, dazu z. B. Susskind, Modern Law Review 1986, 168 (184 ff.); im Anschluss Tönsmeyer-U ​ zuner, Expertensysteme in der öffentlichen Verwaltung, 2000, S. 60; Liebwald, Wort – Bild – Zeichen, 2012, 203 (213); s. auch Gesellschaft für Informatik, Technische und rechtliche Betrachtungen algorithmischer Entscheidungsverfahren, 2018, S. 18. 164 Ashley, Artificial Intelligence and Legal Analytics, 2017, S. 11.

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§ 2 Technische Möglichkeiten und Grenzen 

Auch die Anwendung einer Ontologie zur Lösung von Rechtsfällen ist nicht unproblematisch, weil die Ontologie Semantik nur abbildet, nicht jedoch versteht. Sie wertet Daten aus, nicht Informationen, sodass ein großer Teil juristischer Arbeit nicht abgebildet werden kann.165 Daten bilden den semantisch-​pragmatischen Bedeutungsgehalt eines Begriffs nicht ab.166 Text Mining-​Verfahren können nur Daten aus dem Textkorpus generieren, nicht den Sinn des Textes verstehen. Das wirkt sich auf die Art der Systembildung und ihre Qualität aus.167 Dasselbe bezeichnende Worte sind weiterhin für maschinelle Auswertungsverfahren nur dann auch derselbe Begriff, wenn dies vorher in das System programmiert wurde. Eine Textanalyse nimmt ihren Ausgangspunkt beim Wort, nicht beim Begriff. Eine Assoziation der ausgewerteten Textdaten mit der Ontologie gestaltet sich deshalb als technisch schwer realisierbar.168 Allerdings ist das menschliche Assoziationsverhalten ebenso ungeklärt.169 Über eine Ontologie ist weiterhin nicht abbildbar, wie die Bedeutung eines Begriffs mit der Rezeption und Transkription des Wortes, das ihn umschreibt, zusammenhängt.170 e) Fazit Ontologien eignen sich zur Darstellung einer Abstraktion eines rechtlichen Begriffs aus Sicht des jeweiligen Systemarchitekten. Damit handelt es sich bei Ontologien grundsätzlich um eine ihrem Umfang nach eng umgrenzte und subjektive Wissensrepräsentation. Komplexe Wissensstrukturen sind der Abbildung grundsätzlich zugänglich. Damit geht die Wissensrepräsentation mithilfe von Ontologien über die Darstellung syntaktischer Daten und Berechnungen in ihrer Komplexität hinaus. Aufbau, Wartung und Veränderung einer Ontologie sind jedoch ressourcenintensiv. Diese mangelnde Flexibilität führt dazu, dass sich Ontologien für eine algorithmisierte Rechtsfindung in wandlungsunterworfenen, komplexen Rechtsbereichen schlecht eignen. Das Problem der Wissensakquisition und Wissensrepräsentation stellt sich bei Ontologien in besonderem Maße.171 Daneben bestehen strukturelle Defizite ontologischer Modelle, etwa was die Verarbeitung natürlicher Sprache angeht. Geht es um die Anwendung von Rechtsbegriffen hoher Komplexität, die unbestimmt sind und Wertungsentscheidungen erfordern, bietet eine Ontologie keine höhere Objektivität in ihrer rechtlichen Einordnung und ist zudem in hohem Maße fehleranfällig. Implizites Wissen ist nicht verarbeitbar. 165

Umfassend Schweighofer, Rechtsinformatik und Wissensrepräsentation, 1999, S. 22 ff.; Burr, BB 2018, 476 (478). 166 Schweighofer, Rechtsinformatik und Wissensrepräsentation, 1999, S. 24. 167 Schweighofer, Rechtsinformatik und Wissensrepräsentation, 1999, S. 90. 168 Eingehende Erläuterung bei Liebwald, Wort – Bild – Zeichen, 2012, 203 (218); so auch Busse, in: Zugänge zur Rechtssemantik, 2015, 41 (60). 169 Adrian, Rechtstheorie 2017, 77 (85). 170 Dazu unten D. II. 171 Ashley, Artificial Intelligence and Legal Analytics, 2017, S. 178 und S. 185.

C. Algorithmisierung auslegungsbedürftiger Rechtsbegriffe

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Ontologien bieten jedoch das Potenzial der Explizierung impliziten Wissens in der Rechtsanwendung, soweit dieses Wissen erworben werden kann, sowie Zugewinne in der Rechtsanwendungsgleichheit und -vorhersehbarkeit, weil sich auf eine standardisierte Terminologie und ein Begriffskonzept geeinigt wird. Sie eignen sich deshalb für kleine, abgrenzbare, wertungsunabhängige und wenig komplexe Bereiche der Rechtsanwendung. Für einen flächendeckenden Einsatz sind sie nach dem Stand der Technik schlechter geeignet. Eine vollständige Abbildung des Rechts in einer umfassenden Ontologie ist derzeit ausgeschlossen. 4. Rechtslogische Ansätze Die grundsätzliche Anwendbarkeit von Logiken auf die Materie des Rechts zu erkunden ist Gegenstand der Rechtslogik oder Juristischen Logik,172 die einen sowohl von der klassischen Methodenlehre als auch von der Rechtsinformatik173 abgespaltenen Diskurs bezeichnet. Ihm geht es schwerpunktmäßig nicht um eine computertechnische Lösung von Rechtsproblemen, sondern um die Reichweite der Geltung von Logiken im Recht, wobei sich beides teilweise überschneiden kann. Juristische Expertensysteme wurden beispielsweise in der Logiksprache Prolog, die sich der Prädikatenlogik 1. Stufe bedient, entwickelt.174 Darüber hinaus wird seit Beginn rechtsinformatischer Untersuchungen die Fuzzy-​Logik für den Rechtsbereich fruchtbar gemacht, um unscharfes Wissen, also Wissen jenseits einer binären Wahrheitswertverteilung, verarbeiten zu können.175 Mit der deontischen Logik wurde eine Logik entwickelt, die die Wahrheitswerte des Aussagenkalküls für den Rechtsbereich umdefiniert.176 Das Problem der Wissensakquisition stellt sich in logikbasierten Modellen in besonderem Maße, weil eindeutiges, vollständiges Rechtswissen als Basis vorliegen muss.177 Letztlich können unterschiedliche Logiken im Rechtsbereich angewendet werden, je nachdem, welche Aufgabe mit der Logik gelöst werden soll. Die Aussagen-​und Prädikatenlogik reicht allerdings für die technische Realisierung vieler Projekte aus.178 Weitere Überlegungen haben zumeist nicht das Ziel der Auto 172

Weinberger, Rechtslogik, 2. Auflage 1989, S. 1 ff; Klug, Juristische Logik, 4. Auflage 1982, S. 3 ff. 173 So auch Gräwe, Die Entstehung der Rechtsinformatik, 2011, S. 176. 174 Jandach, Juristische Expertensysteme, 1993, S. 75. 175 Philipps, FS Kaufmann, 1993, 265 (265 ff.); aktuell im Hinblick auf maschinelle Entscheidungsfindung durch Fuzzy-​Logiken Krimphove / ​Niehaus, in: Rechtshandbuch Legal Tech, 2018, 249 (249 ff.); theoretisch aufbereitet bei Joerden, Logik im Recht, 3. Auflage 2018, S. 325 ff. 176 Jandach, Juristische Expertensysteme, 1993, S. 78, 80 ff; zum Diskurs um die Erforderlichkeit einer deontischen Logik knapp Gräwe, Die Entstehung der Rechtsinformatik, 2011, S. 118 f. 177 Schweighofer, Rechtsinformatik und Wissensrepräsentation, 1999, S. 102. 178 Jandach, Juristische Expertensysteme, 1993, S. 100.

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§ 2 Technische Möglichkeiten und Grenzen 

matisierung der Rechtsanwendung vor Augen, sondern sind hauptsächlich von theoretischem Interesse. Die Rechtslogik bietet damit nicht notwendigerweise spezifische Automatisierungsstrategien für eine automatisierte Ausdeutung auslegungsbedürftiger Rechtsbegriffe, die über die Leistungsfähigkeit beispielsweise von Ontologien hinausgehen. Insbesondere hilft die Rechtslogik allein bei der Auslegung eines Rechtsbegriffs kaum weiter, es bedarf vielmehr ebenfalls einer Wissensrepräsentation. 5. Ergebnis Über regelbasierte Ansätze sind Teile der Rechtanwendung algorithmisch darstellbar. Aussagenlogische Verknüpfungen mit logischen Operatoren können ebenso computertechnisch abgebildet werden wie arithmetische Operationen. Das ermöglicht die Verarbeitung vorformalisierten Datenmaterials, beispielsweise in Formularform. Darüber hinaus können auch Daten verarbeitet werden, die ausschließlich elektronisch vorliegen. Das impliziert jedoch, dass die enthaltenen Informationen als Daten abbildbar sind.179 Eine Ausdeutung von Rechtsbegriffen über Systeme mit strukturierten Wissensbasen wie Ontologien ist aufgrund mangelnder Flexibilität und struktureller Defizite für eine umfassende Automatisierung der Rechtsfindung als schwer bis nicht realisierbar einzuordnen. In Teilen ist eine solche jedoch möglich und birgt Vor-​und Nachteile, sodass es maßgeblich darauf ankommt, sinnvolle Einsatzgebiete zu definieren. Automationssysteme mit regelbasierter Programmierung sind damit einerseits in Bereichen einsetzbar, in welchen Menschen Wahrheitswerte händisch zuordnen oder in irgendeiner Weise vorformalisiertes Datenmaterial verwendet wird, um Rechtsfolgen zu berechnen. Eine automationsgestützte, vollumfängliche Abbildung des Rechtsanwendungsprozesses insgesamt oder in Bezug auf auslegungsbedürftige Merkmale eines gesetzlichen Ermächtigungstatbestandes durch regelbasierte Automationssysteme ist nach heutigem Stand nur mit Einschränkungen, insbesondere nur in abgegrenzten, wenig komplexen und explizierbaren Bereichen, möglich. Hier ist die automationsgestützte Rechtsanwendung jedoch auch über die Algorithmisierung von Syntax und Artihmetik hinaus denkbar.

III. Fallbasierte Systeme Die im anglo-​amerikanischen Raum vorherrschenden Modelle zur Algorithmisierung der Rechtsanwendung basieren auf einem automatisierten Fallvergleich. Aufgrund der Bindung an Präzedenzfälle liegt ein solches Schlussverfahren nahe.

179

Dazu Kotsoglou, JZ 2014, 451 (454).

C. Algorithmisierung auslegungsbedürftiger Rechtsbegriffe

61

Ausgangspunkt dieser Modelle ist folglich der Fall, nicht die Regel, was in der Problemlösungsstruktur der Automationssysteme reflektiert wird. 1. Potenzial durch Verknüpfung mit maschinellem Lernen Rechtsfälle können maschinell ausgewertet werden, indem ein Computerprogramm den Text des zu entscheidenden Falls mit Vorgängerfällen vergleicht, beispielsweise die nächsten Nachbarn180 ermittelt und sich an deren Ergebnis orientiert. Das System liefert darauf basierend eine Einschätzung, mit welcher Wahrscheinlichkeit der Fall in die eine oder in die andere Richtung zu entscheiden ist.181 Die Systeme können mit Methoden des maschinellen Lernens verbunden werden. Maschinelles Lernen oder Machine Learning (ML) ist ein Teilgebiet der künstlichen Intelligenz. Es bezeichnet die Verhaltensverbesserung aufgrund der Beobachtung des eigenen Verhaltens einer Maschine.182 Ein Fallvergleich mithilfe maschineller Lernverfahren erfolgt im Unterschied zu abstrakter Regelprogrammierung anhand eines Datensatzes, anhand dessen eine Regel maschinell erstellt wird. Die Auswertung des Datensatzes ergibt den Algorithmus, mit dem zukünftige Fälle bearbeitet werden können. Es handelt sich damit um eine induktive Methode des Lernens.183 Sie beruht im Grunde auf angewandter Statistik.184 Das bedeutet, dass der Algorithmus nicht händisch programmiert wird, sondern die Programmierung des Algorithmus anhand einer Datenauswertung maschinell unterstützt oder vollständig maschinell vorgenommen wird. Ein Bedürfnis für den Einsatz von Methoden des maschinellen Lernens besteht in Fällen, in welchen nicht alle Outputs antizipiert werden können oder sich der Output mit der Zeit verändern soll.185 Der Unterschied zu händischer Regelprogrammierung liegt neben dem unterschiedlichen Ausgangspunkt vor allem in der Menge des verarbeitbaren Datenmaterials, in der Komplexität des Algorithmus186 sowie in den Anforderungen an das verwendete Datenmaterial.

180

Repräsentativ Mackaay / ​Robillard, DVR 1974, 302 (302 ff.), veranschaulichende Grafiken auf (315) und (317); so auch Bund, Einführung in die Rechtsinformatik, 1991, S. 307. 181 Ashley, Artificial Intelligence and Legal Analytics, 2017, S. 109. 182 Russell / ​Norvig, Künstliche Intelligenz, 3. Auflage 2012, S. 809. 183 Zu induktivem Lernen auch im kontinentaleuropäischen Raum Adrian, Rechtstheorie 2017, 77 (88). Maschinelles Lernen kann auch auf Regeln angewendet werden. Weil das Lernen aber große Datenmengen erfordert, bietet es sich dort an, wo ohnehin bereits große Datenmengen statistisch ausgewertet werden; das ist eher in fallvergleichenden Systemen der Fall. 184 Ashley, Artificial Intelligence and Legal Analytics, 2017, S. 109. 185 Russell / ​Norvig, Künstliche Intelligenz, 3. Auflage 2012, S. 809. 186 So auch Neumann, Einsatz von RMS im Vollzug des Steuerrechts, 2016, S. 5.

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§ 2 Technische Möglichkeiten und Grenzen 

2. Vorteile gegenüber regelbasierten Systemen Fallvergleichssysteme mit ML gehen im Ausgangspunkt textanalytisch vor. Rechtsfälle werden in ihrer textlichen Gestalt verglichen, ihr rechtlicher Gehalt nicht vorher abstrahiert und im zweiten Schritt angewendet.187 Probleme der Assoziation eines abstrakten Begriffs mit natürlicher Sprache, wie sie bei Ontologien auftreten,188 werden dadurch abgeschwächt. Hintergrund ist die Annahme, dass die Verwendung gleicher Worte in einem Dokument auf die gleiche Bedeutung eines Texts hinweist.189 Ein weiterer Vorteil von fallbasierten Methoden mit ML gegenüber regelbasierten Methoden liegt darin, dass die Leistungsfähigkeit der Systeme mit steigender Rechenkapazität zunimmt.190 Je mehr Daten vorhanden und verarbeitbar sind, desto detailliertere Systemgestaltungen sind möglich. Dies stellt einen Vorteil gegenüber der händischen Formalisierung dar, denn händische Regelprogrammierung wird durch die Leistungsfähigkeit menschlicher Arbeitskraft begrenzt.191 Damit sind statistikbasierte Systeme grundsätzlich weniger arbeitsintensiv als Ontologien, in welchen Wissen händisch eingespeist werden muss.192 Gegenüber händischer Programmierung können aus Fallmaterial gewonnene Algorithmen ein höheres Maß an Komplexität bewältigen und damit besser auf individuelle Fallmerkmale eingehen.193 Maschinelles Lernen bietet sich insbesondere an, wenn große, unstrukturierte Datenmengen (Big Data) vorliegen, die von regelbasierten Programmen schlechter verarbeitet werden können. Maschinelles Lernen kann auch verwendet werden, um Regeln veränderten Umständen anzupassen. Entgegen der schwer veränderlichen Gestaltung einer Ontologie können daher Veränderungen beispielsweise im Rahmen der Rechtsprechung automatisch berücksichtigt werden. Der Lernprozess kann also nicht nur verwendet werden, um ein Problemlösungskonzept zu erstellen, das unverändert angewendet wird. Vielmehr kann der Lernprozess selbst auch während der Anwendung des Systems beibehalten werden.194 Es handelt sich hierbei um eine spezielle Art der fallbasierten Systeme – (selbst)lernende Systeme. Die Funktionsweise des Lernens ist dieselbe, ungeachtet dessen, ob man den Lernprozess vor Einsatz des Systems abbricht oder nicht. Rechtlich können sich unterschiedliche Problemlagen ergeben.195 187

Ashley, Artificial Intelligence and Legal Analytics, 2017, S. 4 f. s. § 2 C. II. 3. c). 189 Turney / ​Pantel, JAIR 2010, 141 (146). 190 So auch Stiemerling, CR 2015, 762 (764). 191 S. dazu auch Demaj, Informatik Spektrum 2018 123 (134); Wischmeyer, AöR Bd. 143 (2018), 1 (15); von Graevenitz, ZRP 2018, 238 (240). 192 Turney / ​Pantel, JAIR 2010, 141 (142). 193 So auch Wischmeyer, AöR Bd. 143 (2018), 1 (18); Neumann, Einsatz von RMS im Vollzug des Steuerrechts, 2016, S. 5. 194 So auch Hartmann / ​Prinz, in: Rechtsfragen digitaler Transformationen, 2018, 769 (772). 195 In § 4 werden die „einfach“ fallbasierten von den lernenden Systemen unterschieden. 188

C. Algorithmisierung auslegungsbedürftiger Rechtsbegriffe

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3. Eignung überwachten Lernens Verschiedene Funktionsweisen des ML sind zu unterscheiden. Beim unüberwachten Lernen werden unstrukturierte Daten auf Muster untersucht, die nicht im Hinblick auf ein konkretes Ziel vorliegen.196 Der Algorithmus wird also nicht im Hinblick auf ein Optimierungsziel trainiert. Beim überwachten Lernen wird demgegenüber der Lernprozess auf bestimmte Zielvariablen hin ausgerichtet.197 Für die Bearbeitung von Rechtsfällen bietet sich das überwachte Lernen an,198 weil ein Algorithmus beispielsweise im Hinblick auf das Ziel der richtigen Vorhersage des Vorliegens oder Nichtvorliegens eines Tatbestandsmerkmals oder auch einer Rechtsfolge trainiert werden kann. Im Folgenden wird deshalb nur auf die Funktionsweise des überwachten Lernens eingegangen. a) Grundprinzip Zunächst wird der verfügbare Textkorpus in einen Trainings-​und einen Testdatensatz unterteilt. Im Trainingsdatensatz werden Input, Einflussfaktoren und Output vorgegeben.199 Während des Trainings werden also sowohl das Problem als auch die richtige Lösung des Problems vorgegeben.200 Das System findet nun selbstständig eine oder mehrere generalisierende Funktionen (Hypothesen), die unter Berücksichtigung der Einflussfaktoren aus dem Input den Output folgern.201 Die Qualität dieser Hypothesen kann am Testset überprüft und das Entscheidungsverhalten optimiert werden.202 Auf Rechtsfälle übertragen bedeutet das, dass der Algorithmus anhand von Fällen, deren tatsächliche Ausgangslage, Rechtsfolge und Merkmale er kennt, eine Regel maschinell erstellen kann, die alle bisherigen Fälle erklärt. Damit bildet der Algorithmus ein abstraktes Problemlösungskonzept ab, das für das zugrundeliegende Datenmaterial richtige Lösungen generiert. Dieser Problemlösungsalgorithmus kann auf neue Fälle angewendet werden, deren Lösung unbekannt ist, und so eine Rechtsanwendung maschinell vornehmen. 196 Bishop, Pattern Recognition and Machine Learning, 2006, S. 3; Russell / ​Norvig, Künstliche Intelligenz, 3. Auflage 2012, S. 811. 197 Bishop, Pattern Recognition and Machine Learning, 2006, S. 3; Russell / ​Norvig, Künstliche Intelligenz, 3. Auflage 2012, S. 811 f.; Gesellschaft für Informatik, Technische und rechtliche Betrachtungen algorithmischer Entscheidungsverfahren, 2018, S. 30; Ashley, Artificial Intelligence and Legal Analytics, 2017, S. 109. 198 Ashley, Artificial Intelligence and Legal Analytics, 2017, S. 109. 199 Ashley, Artificial Intelligence and Legal Analytics, 2017, S. 109. 200 Gesellschaft für Informatik, Technische und rechtliche Betrachtungen algorithmischer Entscheidungsverfahren, 2018, S. 30. 201 Ashley, Artificial Intelligence and Legal Analytics, 2017, S. 109; Russell / ​Norvig, Künstliche Intelligenz, 3. Auflage 2012, S. 812. 202 S. sogl. Punkt d) in diesem Unterabschnitt.

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§ 2 Technische Möglichkeiten und Grenzen 

b) Auswahl und Aufbereitung der Datengrundlage Um maschinelle Lernverfahren auf einen Textkorpus anwenden zu können, muss zunächst das auszuwertende Textmaterial ausgewählt werden. Für die Vorhersage einer Rechtsanwendung im Einzelfall eignen sich Gerichtsurteile, die aufgrund der zu betrachtenden Norm erlassen wurden. Soll beispielsweise eine Ermessensentscheidung vorhergesagt werden, könnte auch Begründungsmaterial vorheriger Entscheidungen, die auf Grundlage der Ermessensnorm ergingen, herangezogen werden. Die Sammlung aus Textdokumenten ist die Datengrundlage. Diese muss so transformiert werden, dass maschinelle Lernverfahren auf sie angewendet werden können.203 Dafür können die Textdokumente in einem Vektorraum repräsentiert werden.204 Dabei kann ein Vektor einem Textdokument zugeordnet sein.205 Um die Gerichtetheit des Vektors zu bestimmen, müssen die enthaltenen Textdaten, also Worte, Sätze etc. im Vektorraum angeordnet werden. Dies wird erreicht, indem der Textkorpus tokenisiert, normalisiert und annotiert wird.206 Tokenisierung meint die Separation von Worten, also vor allem das Erkennen von Leerzeichen; gleichzeitig muss mit Punktuation, Eigennamen aus mehreren Elementen usw. umgegangen werden.207 Worte, die sehr häufig vorkommen, aber gleichzeitig nur geringen Informationsgehalt aufweisen (beispielsweise Pronomen), werden üb­ licherweise als „stop words“ aussortiert.208 Im Rahmen der Tokenisierung können auch ganze Ausdrücke zu einem n-​gramm zusammengefasst werden, sodass sie als ein Token repräsentiert werden.209 Im Normalisierungsprozess werden die verbliebenen Worte in ihrem Informationsgehalt weiter reduziert, indem Wortformen desselben Wortes in ihre Grundform überführt werden,210 sodass Konjugationen und Deklinationen verloren gehen. Schließlich werden gleichlautende Worte nach ihrem Sinngehalt oder ihrer Satzstellung händisch annotiert.211 Die Annotation bezeichnet damit das der Normalisierung entgegengesetzte Verfahren;212 semantische Information wird nicht reduziert, sondern hinzugefügt. Grundsätzlich kann über die Annotation einem Wort eine Vielzahl von Zusatzdaten beigefügt werden, die für seine maschinelle Abbildung relevant sind. Jedes Dokument besteht nun aus einer individuellen Ansammlung von Merkmalen. Im Vektorraum, der die Gesamtheit der im Korpus enthaltenen Worte repräsentiert, kann jedes Dokument als Vektor dargestellt werden. Ein Merkmal des 203

Ashley, Artificial Intelligence and Legal Analytics, 2017, S. 236. Turney / ​Pantel, JAIR 2010, 141 (142); Ashley, Artificial Intelligence and Legal Analytics, 2017, S. 236. 205 Übersicht zu denkbaren Repräsentationen bei Turney / ​Pantel, JAIR 2010, 141 (150 f.). 206 Ashley, Artificial Intelligence and Legal Analytics, 2017, S. 236. 207 Turney / ​Pantel, JAIR 2010, 141 (154). 208 Turney / ​Pantel, JAIR 2010, 141 (154). 209 Ashley, Artificial Intelligence and Legal Analytics, 2017, S. 237. 210 Turney / ​Pantel, JAIR 2010, 141 (154). 211 Ashley, Artificial Intelligence and Legal Analytics, 2017, S. 237. 212 Turney / ​Pantel, JAIR 2010, 141 (155). 204

C. Algorithmisierung auslegungsbedürftiger Rechtsbegriffe

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Vektors ist sein Ergebnis.213 Um ein neues Dokument in den Vektorraum einzuordnen und damit zum wahrscheinlichsten Ergebnis zu gelangen, können maschinelle Lernverfahren eingesetzt werden.214 c) Klassifizierungsmethoden Maschinelle Lernverfahren repräsentieren Muster eines Datenkorpus in einem Modell und wenden dieses Muster auf neue Daten an, um Vorhersagen zu treffen.215 Es gibt verschiedene Möglichkeiten, neue Dokumente im Verhältnis zum Datenkorpus zu klassifizieren216. Beispielsweise können Entscheidungsbäume aus dem Fallmaterial generiert werden.217 Der Algorithmus ähnelt in seiner Gestalt einem händisch programmierten Entscheidungsbaum, kann aber ein höheres Maß an Komplexität bewältigen und legt selbst fest, an welcher Stelle eine Aufspaltung erforderlich ist. Es muss also nicht händisch jeder Knotenpunkt und seine Lage im Entscheidungsbaum festgelegt werden, das System ermittelt die Baumstruktur anhand der eingegebenen Trainingsdaten selbst.218 Anstatt eines einzigen Entscheidungsbaumes können auch randomisierte „Entscheidungswälder“ generiert werden, um eine höhere Vielfalt an Möglichkeiten einer korrekten Vorhersage abzubilden.219 Eine andere Klassifizierungsmethode ist die Suche nach einer linearen Funktion, die das Verhältnis von Input zu Output erklärt, sowie die Generierung künstlicher neuronaler Netze.220 Daneben besteht eine Vielzahl weiterer Klassifizierungsmethoden, die jeweils durch eine vorher genau festgelegte Methode ein auf das Datenmaterial zugeschnittenes Problemlösungskonzept erstellen.

213

Ashley, Artificial Intelligence and Legal Analytics, 2017, S. 238. Ashley, Artificial Intelligence and Legal Analytics, 2017, S. 238. 215 Ashley, Artificial Intelligence and Legal Analytics, 2017, S. 234. 216 Der Begriff der Klassifizierung wird untechnisch verwendet und erfasst die Regression als Unterbegriff, obgleich die Klassifikation im Gegensatz zur Regression nach informatischem Verständnis eine binäre Einteilung liefert – s. Gesellschaft für Informatik, Technische und rechtliche Betrachtungen algorithmischer Entscheidungsverfahren, 2018, S. 30. 217 Ashley, Artificial Intelligence and Legal Analytics, 2017, S. 110 f; Waltl / ​Vogl, DuD 2018, 613 (614). 218 Russell / ​Norvig, Künstliche Intelligenz, 3. Auflage 2012, S. 816 ff. 219 Ashley, Artificial Intelligence and Legal Analytics, 2017, S. 113. 220 Russell / ​Norvig, Künstliche Intelligenz, 3. Auflage 2012, S. 807, 814 ff; Zu neuronalen Netzen Schweighofer, Rechtsinformatik und Wissensrepräsentation, 1999, S. 122; Einführend Hartmann / ​Prinz, in: Rechtsfragen digitaler Transformationen, 2018, 769 (771). 214

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§ 2 Technische Möglichkeiten und Grenzen 

d) Evaluierung Schließlich muss das Problemlösungskonzept evaluiert werden, um festzustellen, wie gut die Prognosen insgesamt sind oder wie gut sie im Hinblick auf besonders zu berücksichtigende Gesichtspunkte – beispielsweise ausgewählte Aspekte ihrer Rechtmäßigkeit – sind. Um die insgesamte Prognosequalität eines Automationssystems zu messen, können unterschiedliche Maßstäbe gewählt werden.221 Im Grundsatz wird untersucht, wie viele richtig positive und richtig negative Prognosen (true bzw. false positives) getroffen wurden, und wie viele falsch positive und falsch negative Einteilungen (true bzw. false negatives) gemacht wurden.222 Allerdings gibt es im Einzelnen verschiedene Maßstäbe zur Messung der Qualität eines Automationssystems (Qualitätsmaße), die die jeweiligen Werte zueinander unterschiedlich gewichten.223 Insbesondere bei unausgeglichenen Datensätzen kann es vorkommen, dass ein Automationssystem Teilgruppen jeweils unterschiedlich behandelt, also beispielsweise Frauen öfter fälschlich negativ oder positiv klassifiziert werden als Männer.224 Um derartige Diskriminierungen quantitativ zu erfassen, können wiederum verschiedene Maßstäbe (Fairnessmaße)  angewendet werden. Problematisch ist, dass diese nicht miteinander kompatibel sind.225 Es muss also sachbereichsspezifisch entschieden werden, welches Fairnessmaß mit dem Begriff der Diskriminierung im jeweiligen Sachbereich korreliert. Weiterhin kann sich die Außerachtlassung diskriminierender Faktoren negativ auf die Prognosequalität auswirken.226

221 Zweig / ​Krafft, in: (Un)berechenbar? Algorithmen und Automatisierung in Staat und Gesellschaft, 2018, 204 (206). 222 Einführend Zweig / ​Krafft, in: (Un)berechenbar? Algorithmen und Automatisierung in Staat und Gesellschaft, 2018, 204 (212); Ashley, Artificial Intelligence and Legal Analytics, 2017, S. 114. 223 Übliche Maßstäbe sind beispielsweise precision, accuracy, recall oder F1 score. Jedes dieser Maße stellt eine Formel zur Gewichtung der true positives, true negatives, false positives und false negatives oder einer Auswahl dar. Die precision wird beispielsweise mithilfe der Formel TP/(TP+FP) gemessen, es wird also betrachtet, wie präzise die richtigerweise positiven Prognosen waren, wofür es auf das Verhältnis der richtig positiven zu den insgesamt positiven Prognosen ankommt. S. Ashley, Artificial Intelligence and Legal Analytics, 2017, S. 114. 224 Gesellschaft für Informatik, Technische und rechtliche Betrachtungen algorithmischer Entscheidungsverfahren, 2018, S. 34 f. 225 Kleinberg / ​Mullainathan / ​Raghavan, Inherent Trade-​Offs in the Fair Determination of Risk Scores, 2016, S.1; Zweig / ​Krafft, in: (Un)berechenbar? Algorithmen und Automatisierung in Staat und Gesellschaft, 2018, 204 (215). 226 Gesellschaft für Informatik, Technische und rechtliche Betrachtungen algorithmischer Entscheidungsverfahren, 2018, S. 37.

C. Algorithmisierung auslegungsbedürftiger Rechtsbegriffe

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4. Herausforderungen des Einsatzes fallvergleichender maschineller Lernverfahren Bei dem Einsatz maschineller Lernverfahren zur Bearbeitung von Rechtsfällen können einerseits Probleme entstehen, die die technische Funktionsweise der Systeme bestimmen und die deshalb im Implementationsprozess berücksichtigt werden müssen. Andererseits bestehen von rechtlicher Seite aus methodische Anforderungen, denen die Systeme genügen müssen. a) Technische Herausforderungen Datenverarbeitungsanlagen werten nicht Texte an sich, sondern die Daten eines Texts aus, sodass sich verschiedene Formate eines Texts unterschiedlich gut für die maschinelle Bearbeitung eignen. Ausgedruckte und danach eingescannte Texte eignen sich für die maschinelle Bearbeitung beispielsweise im Regelfall schlechter als unmittelbar elektronisch generierte und medienbruchfrei kommunizierte Texte. Viele ältere Dokumente sind elektronisch jedoch schwer und teilweise nur lückenhaft verfügbar.227 Ist ein maschineller Fallvergleich textbasiert, können Schwierigkeiten auf Ebene der Textverarbeitung auftreten. So können sich Tippfehler auf Berechnungen auswirken oder Ergebnisse verfälscht werden, weil Worte im Rahmen der Tokenisierung nicht richtig erkannt werden. Auch die Annotation ist grundsätzlich fehleranfällig, weil Menschen bestimmten Worten Attribute zuschreiben, die potenziell ihre subjektive Sichtweise darstellen. Wird falsch annotiert, verfälscht das auch das Ergebnis. Deshalb werden Textdokumente regelmäßig nicht einmal, sondern mehrmals von unterschiedlichen Personen annotiert. Das schafft Vergleichbarkeit und kann Subjektivität aufdecken, ist aber ressourcenintensiv und schafft gleichwohl nur eine erhöhte Wahrscheinlichkeit, dass eine Annotation richtig ist. Probleme der Verarbeitung natürlicher Sprache, die bei regelbasierter Betrachtungsweise erst im Rahmen der Sachverhaltserfassung auftreten, treten im Rahmen des textbasierten Fallvergleichs schon auf Ebene der Regel selbst auf, weil Sachverhalt und Regel auf einer Stufe verarbeitet werden. Hier werden insbesondere unterschiedliche Formulierungen und alle übrigen mit der Semantik des Textes zusammenhängenden Faktoren relevant.228 Ein Begriff kann in unterschiedlichen Worten umschrieben werden, was ein Textvergleich, der sich an Worten orientiert, nicht ausreichend erfasst. Weiterhin ist die Masse des im Rahmen eines Fallvergleichs erforderlichen und zu bewältigenden Datenmaterials ungleich höher als bei regelbasierter Program 227 228

Coupette / ​Fleckner, JZ 2018, 379 (382). Umfassend Jandach, Juristische Expertensysteme, 1993, S. 35 ff.

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§ 2 Technische Möglichkeiten und Grenzen 

mierung. Maschinelles Lernen ist deshalb grundsätzlich ungeeignet für Bereiche, in denen keine hohe Anzahl ähnlicher, der Generalisierung zugänglicher Text­ dokumente herangezogen werden kann. Damit hängt das Problem der Überanpassung zusammen, das das Phänomen beschreibt, dass sich ein Algorithmus so exakt und spezifisch dem Trainingsmaterial anpasst, dass er mangels ausreichender Generalisierung für die Vorhersage neuer Fälle ungeeignet ist.229 Ein praktisches Problem des Einsatzes maschineller Lernverfahren stellt die Trainings-​und Testphase dar, die je nach Einsatzbereich sehr zeit-​, ressourcen-​und entscheidungsintensiv sein kann. Die Systeme benötigen daher vor ihrem endgültigen Einsatz eine gewisse Vorlaufzeit. b) Rechtliche Herausforderungen Neben den Annotatoren müssen die Trainingsbasis und die Evaluierungsmaßstäbe maschineller Lernverfahren sorgfältig ausgewählt werden. Beides ist grundsätzlich anfällig für Subjektivierung. Die Systeme können nicht selbst gewichten, welche Vorgängerentscheidung richtungsweisend oder vom Bedeutungsgehalt relevanter für die vorauszusagende Entscheidung ist. Zwar können Trainingsmengen nach ihrer Relevanz gewichtet werden;230 die Gewichtung muss aber manuell festgelegt werden, sodass das Verständnis des Programmierers in die Anpassung des Algorithmus miteinfließt. Weiter können Systeme nicht ohne entsprechende Programmierung erkennen, ob es sich um eine neue oder alte, möglicherweise überkommene Ansicht zu einem Problem handelt.231 Eine Beurteilung erweist sich selbst für Experten aufgrund der zunehmenden Materialflut als schwierig.232 Auch bei maschinellen Lernverfahren ist deshalb die Zusammenarbeit von Experten der Rechtswissenschaft und der Informatik unverzichtbar,233 gestaltet sich jedoch ab einem bestimmten Komplexitätsgrad als schwierig. Es können Kompetenzkonflikte entstehen. Werden für rechtliche Annotationen juristische Laien eingesetzt, verschärft sich das Risiko für die Fehleranfälligkeit des Systems. Auch hier können in rechtlicher Hinsicht Kompetenzkonflikte entstehen, wenn beispielsweise die Behörde zur Erforschung des Sachverhalts berufen ist, diese Pflicht aber auslagert oder nicht umfassend wahrnimmt. Ein strukturelles Problem könnte es darstellen, dass die Algorithmen rückblickend konzipiert sind, also einen Fall immer anhand von Kriterien beurteilen, die 229

Ashley, Artificial Intelligence and Legal Analytics, 2017, S. 113; Russell / ​Norvig, Künstliche Intelligenz, 3. Auflage 2012, S. 821 f. 230 Russell / ​Norvig, Künstliche Intelligenz, 3. Auflage 2012, S. 869. 231 So auch Ernst, JZ 2017, 1026 (1028). 232 Dazu schon Simitis, Informationskrise des Rechts und Datenverarbeitung, 1970, S. 41 ff. 233 So auch Wischmeyer, AöR Bd. 143 (2018), 1 (14); Gesellschaft für Informatik, Technische und rechtliche Betrachtungen algorithmischer Entscheidungsverfahren, 2018, S. 17 f.; Analog für wissensbasierte Expertensysteme Tönsmeyer-​Uzuner, Expertensysteme in der öffentlichen Verwaltung, 2000, S. 60 f.

C. Algorithmisierung auslegungsbedürftiger Rechtsbegriffe

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bisher signifikant waren, ohne beurteilen zu können, ob im neu zu entscheidenden Fall ein weiteres signifikantes Kriterium dazugetreten ist.234 Kam das Kriterium in der Trainingsbasis nicht vor, wird es auch nicht berücksichtigt. ML-Systeme generieren deshalb zu ihrem Datensatz kohärente Entscheidungsvorschläge, sagen aber tendenziell wenig darüber aus, ob der Vorschlag im neuen Fall richtig ist. Die Systeme bleiben auf ihre jeweilige Datenbasis begrenzt, obgleich sich diese freilich durch die Lernverfahren stetig aktualisieren kann. Letztlich spielt auch die Erklärbarkeit der Verfahren maschinellen Lernens im Rechtsbereich eine nicht zu unterschätzende Rolle.235 Es handelt sich bei diesen Systemen zwar nicht kategorisch um „Black Boxes“ in dem Sinne, dass die Algorithmen nicht unter gewissen Umständen detailliert erklärt werden könnten.236 Eine Aufschlüsselung würde jedoch aufgrund der hochkomplexen Strukturen der Systeme üblicherweise viel Zeit und Fachwissen in Anspruch nehmen.237 Nicht in allen Fällen wären die Komplexität und Art der Erklärung für ein menschliches Gehirn fassbar und einer rechtlichen Wertung zugänglich. Insbesondere stellt sich dieses Problem bei den hochkomplexen neuronalen Netzen, die selbst für Experten als nicht (vollständig) erklärbar gelten.238 Maschinelle Lernverfahren ermitteln Kriterien, die für die Lösung der Testfälle signifikant sind.239 Sie können dabei nicht zwischen rechtlicher, rein faktischer oder sogar rechtlich unzulässiger Signifikanz unterscheiden.240 Das führt selbst im Falle der Erklärbarkeit des Algorithmus in rechtlicher Hinsicht zu einem Begründungsdefizit.241 Eine rechtliche Entscheidung, insbesondere die Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe sowie die Abwägung im Rahmen einer Ermessensentscheidung, müssen in rechtsmethodisch vertretbarer Weise begründet werden. Kann allerdings nicht herausgefiltert werden, welche signifikanten Faktoren rechtlich erheblich sind, kann die Entscheidung auch nicht im Hinblick auf diese Faktoren begründet werden. Letztlich treten die Probleme der Erklärbarkeit und rechtlichen Begründbarkeit damit parallel auf. In methodischer Hinsicht müssen 234

So auch Ernst, JZ 2017, 1026 (1028). Ashley, Artificial Intelligence and Legal Analytics, 2017, S. 111. 236 S. dazu Gesellschaft für Informatik, Technische und rechtliche Betrachtungen algorithmischer Entscheidungsverfahren, 2018, S. 30. 237 Deutlich Wischmeyer, AöR Bd. 143 (2018), 1 (47). 238 Waltl / ​Vogl, DuD 2018, 613 (614); Von Bünau, in: Rechtshandbuch Legal Tech, 2018, 47 (53); Jandach, Juristische Expertensysteme, 1993, S. 61 f.; Stiemerling, CR 2015, 762 (764). 239 Ähnlich von Bünau, in: Rechtshandbuch Legal Tech, 2018, 47 (53), der in prädikative Korrelationen und Kausalität scheidet; Genauso Wischmeyer, AöR Bd. 143 (2018), 1 (13) und Martini, JZ 2017, 1017 (1019). 240 Waltl / ​Vogl, DuD 2018, 613 (614); Martini / ​Nink, NVwZ Extra 10/2017, 1 (5); Wischmeyer, AöR 2018, 1 (27 ff.); Tönsmeyer-​Uzuner, Expertensysteme in der öffentlichen Verwaltung, 2000, S. 52; umfassende Studie zu dieser Problematik: Gesellschaft für Informatik, Technische und rechtliche Betrachtungen algorithmischer Entscheidungsverfahren, 2018, S. 34 ff., s. auch oben zum Diskriminierungsproblem § 2 C. III. 3. d). 241 Ähnlich Wischmeyer, AöR Bd. 143 (2018), 1 (8); Herberger, NJW 2018, 2825 (2828). 235

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die Systeme als unzureichend gelten, wenn ihre Ergebnisse nicht nach den wissenschaftlichen Standards des Einsatzbereichs begründbar sind.242 Ein weiteres Problem kann es darstellen, dass die Algorithmen faktenbasiert entscheiden, obwohl methodisch eine abstrakte Entscheidung erforderlich sein kann. Dieses Problem stellt sich in besonderem Maße in Jurisdiktionen, die nicht auf Fallrecht, sondern auf Gesetzesrecht aufbauen, in welchen die methodische Relevanz von Präzedenzfällen als ungeklärt gelten muss.243 Ein maschineller Textvergleich gliedert seine Problemlösung grundsätzlich nicht normbezogen auf, sodass das Entscheidungsergebnis nicht notwendigerweise durch die Lösung von Teilschritten gefunden wird, die ein menschlicher Bearbeiter bei der Einordnung im Hinblick auf eine Rechtsnorm durchläuft. Schließlich bedarf es einer großen Menge an Daten, um ein Fallvergleichsmodell aussagekräftig zu trainieren. Big Data hat die Einsatzmöglichkeiten der Systeme deshalb maßgeblich gefördert.244 Im Rechtsbereich bestehen allerdings aus datenschutzrechtlichen Gründen häufig Hindernisse, Big Data zu generieren oder auszuwerten. 5. Ergebnis Fallvergleichsmodelle, die über Strategien des überwachten Lernens Entscheidungsalgorithmen generieren, können teilweise bessere Ergebnisse erzielen als bei isolierter Bearbeitung des abstrakten Rechtsproblems über Ontologien.245 Das Problem der Explikation von Wissen in Ontologien ist ein maßgebliches Hindernis bei der Entwicklung juristischer Expertensysteme. Fallbasierte Methoden mit ML wollen das Problem der Wissensakquisition beheben, indem das Wissen implizit durch eine Maschine generiert und unmittelbar angewendet wird. Derartige Automationssysteme erfordern große Datenmengen, können dann allerdings hohe Komplexitätsgrade verarbeiten und damit grundsätzlich einzelfallspezifische Lösungen für Probleme finden. Gleichwohl kann die mangelnde Unterscheidbarkeit von faktisch und rechtlich signifikanten Faktoren der Problemlösung zu einer mangelnden Erklär-​und Begründbarkeit der Prognose führen. Weil die rechtliche Begründung in komplexen Rechtsfällen die maßgeblichen Überprüfungskriterien liefern muss,246 sind diese Automationssysteme jedenfalls für die Auslegung von Begriffen defizitär, die rechtlich begründet werden müssen.

242

S. dazu Kraft, Grundformen der wissenschaftlichen Methoden, 2. Auflage 1973, S. 11. Dazu Schuhr, in: Zugänge zur Rechtssemantik, 2015, 93 (93 ff.); Simitis, Informationskrise des Rechts und Datenverarbeitung, 1970, 1 (21, 62); Alexy / ​Dreier, in: Interpreting Statutes, 1. Auflage 1991, 73 (77). 244 Dazu Wischmeyer, AöR Bd. 143 (2018), 1 (11). 245 Liebwald, in: Wort – Bild – Zeichen, 2012, 203 (218). 246 Zum Problemkomplex auch Wischmeyer, AöR Bd. 143 (2018), 1 (55). 243

C. Algorithmisierung auslegungsbedürftiger Rechtsbegriffe

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IV. Hybride Systeme Regel-​und fallbasierte Problemlösungskonzepte können in einem Gesamt­system verbunden werden, sodass insgesamt eine hybride Problemlösung vorliegt. 1. Grundprinzip Während Ontologien klar zwischen der abstrakten Konzeptebene und dem Einzelfall unterscheiden und deshalb Assoziationsprobleme der beiden Ebenen auftreten, erfolgt im Rahmen maschineller Lernverfahren die Bearbeitung beider Ebenen auf einer Stufe, sodass sie untrennbar verschmelzen, was wiederum eigene Probleme aufwirft. Letztlich wurde mit der Diskussion um Expertensysteme erkannt, dass abstraktes Wissen allein nicht ausreicht. Gleichsam genügt keine rein faktenbasierte Auswertung durch „einfaches“ maschinelles Lernen, weil damit die abstrakte und normative Ebene ausgeblendet wird. Für die Rechtsanwendung sind sowohl die abstrakte Rechtsebene als auch die Tatsachenebene relevant. Beide Ebenen müssen zwar voneinander unterschieden, nicht jedoch isoliert betrachtet werden.247 Dieses Ziel verfolgen hybride Modelle der Rechtsanwendung. Sie verbinden statistische Aussagen mit regelbasierten Methoden, um rechtsmethodisch vertretbare Ergebnisse zu produzieren und gleichzeitig den konkreten Anwendungsfall zu betrachten. Letztlich handelt es sich damit um eine Form der Verknüpfung impliziter, automatischer Fallwissensanwendung durch Maschinen mit vorformuliertem Expertenwissen.248 Die Funktionsweise hybrider Systeme ist uneinheitlich. Systeme aus dem anglo-​ amerikanischen Raum arbeiten häufig mit Vorhersagen auf Grundlage einer Evaluierung und Bewertung von Argumenten.249 Die besondere Rolle des Arguments im anglo-​amerikanischen Raum beruht auf dem Fokus auf Präzedenzfällen. Anhand rechtlicher Argumente in Präzedenzfällen wird erörtert, ob die Lösung im Präzedenzfall auch für den neuen Fall gilt. Das argumentbasierte IBP (Issue-​based Prediction)-Programm erzielte dabei durch die Verknüpfung fallbasierter Methoden mit Regeln bessere Ergebnisse als rein fallbasierte Methoden, die ML einsetzten.250 Das untermauert die These, dass fallbezogene und regelbasierte Rechtsanwendung jeweils allein möglicherweise unzureichend sind und in einem Modell verbunden werden müssen. Im Folgenden wird zur Verdeutlichung der Problemlösungsmethodik genauer auf zwei hybride Systeme eingegangen. 247

So auch Handstanger, in: Komplexitätsgrenzen der Rechtsinformatik, 2008, S. 497; ähnlich bereits Kilian, Juristische Entscheidung und EDV, 1974, S. 7. 248 Von Bünau, in: Rechtshandbuch Legal Tech, 2018, 47 (50). 249 Z. B. die Systeme CATO und HYPO, s. Ashley, Artificial Intelligence and Legal Analytics, 2017, S. 115 ff. 250 Ashley / ​Brüninghaus, Jurimetrics 2005–2006, 309 (333 ff.).

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§ 2 Technische Möglichkeiten und Grenzen 

2. AGATHA Das System AGATHA (ArGument Agent for THeory Automation) wurde von Chorley und Bench-​Capon ab 2004 entwickelt und basiert auf dem Prinzip der Theoriebildung.251 Fälle werden anhand von Theorien entschieden, die aus den Vorgängerfällen entwickelt werden, wobei die Fakten der Vorgängerfälle mit rechtlichen Faktoren und Wertepositionen unterlegt werden.252 Die Werteposition, die durch Fakten repräsentiert wird, wird als Grund angesehen, weshalb ein Ergebnis stärker favorisiert wird als das andere.253 AGATHA modelliert einen Diskurs mit den Argumenten für und gegen ein Ergebnis und erstellt daraus eine Theorie, die die meisten Vorgängerfälle sowie den vorliegenden Fall am besten erklärt.254 Die Theorie, die AGATHA aus Fakten und dahinterstehenden Wertpositionen generiert, orientiert sich nicht an einschlägigen Gesetzen, sodass die Theorie für eine rechtliche Erläuterung der Ergebnisse des Modells nicht herangezogen werden kann.255 Letztlich kann nicht geklärt werden, ob das System so mit Werten umgeht, wie es ein Rechtsanwender tun würde.256 Die Problemlösung durch AGATHA ist damit komplexer als die von rein fallvergleichenden Systemen, kann aber gleichwohl keine rechtliche Begründung für gefundene Ergebnisse liefern. Während ein menschlicher Rechtsanwender die Faktoren identifizieren kann, die für eine rechtliche Entscheidung relevant werden, kann das System nur mit Faktoren arbeiten, diese aber nicht in rechtlich erklärbarer Weise explizit machen.257 3. VJAP Das System VJAP (Value Judgement Argumentative Prediction Program) von Grabmair aus dem Jahr 2016 bedient sich des vorher entwickelten Value Judgement Formalism (VJF)258 und implementiert ihn in ein Modell zur Ermittlung von Argumenten und einer Endentscheidung.259 Es repräsentiert Rechtspositionen und diese beeinflussende Fakten und wägt die Auswirkungen einer Entscheidung anhand einer Beurteilung der Betroffenheit der dem Fall unterliegenden Rechtspositionen ab.260 Das Modell beurteilt je nach faktischem Kontext, welche Entscheidung zu 251

Chorley  / ​Bench-​Capon, in: Legal Knowledge and Information Systems, 2004, S. 89 (Vorstellung); Chorley  / ​Bench- ​Capon, Artificial Intelligence and Law 2005 (mit Evaluation). 252 Chorley  / ​Bench- ​Capon, Artificial Intelligence and Law 2005, 9 (11). 253 Chorley  / ​Bench- ​Capon, Artificial Intelligence and Law 2005, 9 (11). 254 Chorley  / ​Bench- ​Capon, Artificial Intelligence and Law 2005, 9 (9 f.). 255 Ashley, Artificial Intelligence and Legal Analytics, 2017, S. 123. 256 Ashley, Artificial Intelligence and Legal Analytics, 2017, S. 123. 257 Ashley, Artificial Intelligence and Legal Analytics, 2017, S. 125. 258 Grabmair / ​Ashley, ICAIL 2011, 161 (161 ff.). 259 Grabmair, Modeling Purposive Legal Argumentation, 2016, S. 2. 260 Grabmair, Modeling Purposive Legal Argumentation, 2016, S. 2; Ashley, Artificial Intelligence and Legal Analytics, 2017, S. 149.

C. Algorithmisierung auslegungsbedürftiger Rechtsbegriffe

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favorisieren ist.261 Es lernt den Einfluss bestimmter Fakten auf Rechtspositionen durch maschinelles Lernen an Vorgängerfällen.262 Weiterhin generiert das VJAP Programm Argumente in textlicher Form, um seine Entscheidung rechtlich zu begründen.263 Es wird keine Wertehierarchie zugrundegelegt, sondern entsprechend dem Fallkontext anhand unterschiedlich betroffener Rechtspositionen abgewogen.264 In Anlehnung an die Gewichtsformel Alexys werden veränderliche Wertverhältnisse in den Algorithmus implementiert, die sich je nach ihrer individuellen Betroffenheit auf die Entscheidung des Einzelfalls auswirken.265 Der Entscheidungsalgorithmus wird in rechtlich relevanter Weise aufbereitet, indem die Verfeinerung des Algorithmus im Hinblick auf betroffene Rechtspositionen erfolgt. Dass das Programm rechtliche Argumente findet, die Juristen unmittelbar einleuchten, ist eine Neuerung.266 Kontextabhängige Abwägungsentscheidungen werden auf Verwaltungsebene beispielsweise im Rahmen der Ermessensausübung getroffen. Auch unbestimmte Rechtsbegriffe werden teilweise im Hinblick auf eine kontextabhängige Betroffenheit von Rechtsgütern ausgelegt. Das VJAP-Programm simuliert einen ähnlichen Abwägungsvorgang. Allerdings ist die Bindung an Vorgängerfälle, an welchen der VJF trainiert wird, nicht unmittelbar in Jurisdiktionen des Gesetzesrechts ohne Präzedenzfallbindung übertragbar.267 4. Ergebnis Ein System, das rechtlich relevante Faktoren eigenständig identifizieren und mit ihnen arbeiten kann, wurde noch nicht entwickelt.268 Das könnte unter anderem daran liegen, dass Einigkeit darüber, ob und wie ein rechtlich relevantes Merkmal durch eine allgemeine Theorie im Fall aufzufinden ist269 und welche Faktoren theoretisch relevant werden können270, nicht besteht. Es ist jedoch möglich, Programme mit Werten arbeiten zu lassen, die vorher von Menschenhand identifiziert wurden. Damit können hybride Modelle Entscheidungsprozesse in einer Komplexität abbilden, die derjenigen von Ontologien gleichkommt, ihre rechtliche Verwertbarkeit 261

Ashley, Artificial Intelligence and Legal Analytics, 2017, S. 149. Grabmair, Modeling Purposive Legal Argumentation, 2016, S. 2. 263 Grabmair, Modeling Purposive Legal Argumentation, 2016, S. 2. 264 Ashley, Artificial Intelligence and Legal Analytics, 2017, S. 149. 265 Grabmair, Modeling Purposive Legal Argumentation, 2016, S. 9 f. 266 Ashley, Artificial Intelligence and Legal Analytics, 2017, S. 160; Grabmair, Modeling Purposive Legal Argumentation, 2016, S. 108. 267 So auch Grabmair, Modeling Purposive Legal Argumentation, 2016, S. 7; Schuhr, in: Zugänge zur Rechtssemantik, 2015, 93 (119). 268 Ashley, Artificial Intelligence and Legal Analytics, 2017, S. 125. 269 Steinmüller, DVR 1974, 57 (58) verzeichnet darüber hinaus „bei der Wahl der juristischen Auslegungsmethoden schöpferische Freiheit“. 270 Gruber, BayVBl. 1972, 434 (437): „Berücksichtigung aller Umstände (…) Kreis der Tatsachen, die hier rechtlich relevant werden können, unbestimmt (…) Theoretisch ist er un­endlich.“ 262

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§ 2 Technische Möglichkeiten und Grenzen 

aber übertrifft. Zusätzlich können hybride Modelle eine bessere Verbindung zur sprachlich-​tatsächlichen Ebene der Fallbearbeitung herstellen als Ontologien. Im Vergleich zu rein fallbasierten Automationssystemen erscheint die Generierung einer rechtlichen Begründung, die wissenschaftlichen Standards genügt, bei diesen Systemen realisierbar. Problematisch ist jedoch, dass keine einzelfallspezifische Begründung gegeben werden kann, was dem Zweck der Begründung als Garant intersubjektiver Überprüfbarkeit des Einzelergebnisses zuwiderlaufen kann. Eine Annotation rechtlicher Daten kann ebenso wie im Falle von Ontologien zu einer Subjektivierung und Fehleranfälligkeit führen. Problematisch ist daneben die Bindung an Präzedenzfälle, die den meisten Systemen zugrunde liegt, weil sie in Jurisdiktionen entwickelt wurden, in welchen von Rechts wegen eine Bindung an Präzedenzfälle besteht.

V. Zusammenfassendes Fazit Auslegungsbedürftige Rechtsbegriffe können über regelbasierte, fallbasierte oder hybride Systeme abgebildet werden. Je nach Komplexität der Gestaltung bieten sich Möglichkeiten, auch Teile der rechtlichen Würdigung auslegungsbedürftiger Begriffe mit Automationssystemen abzubilden. Dem grundsätzlichen Potenzial der Systeme, die Rechtsanwendung zu automatisieren, können Bedenken gegenübergestellt werden, deren Gewicht maßgeblich vom methodischen Vorverständnis des Betrachters abhängt, beispielsweise davon, ob fallvergleichende Systeme im Grundsatz auf Jurisdiktionen des Gesetzesrechts übertragbar sind oder nicht. Auch ansonsten ist die Methodengerechtigkeit der Systeme teilweise problematisch, kann aber insbesondere durch die Entwicklung hybrider Systeme verbessert werden. Weil Automationssysteme dabei aber immer bestimmte methodische Vorentscheidungen in ihrer Problemlösung widerspiegeln, kann die Anwendbarkeit der Systeme nicht nur mit Argumenten gegen das gefundene Ergebnis, sondern auch mit Argumenten gegen die verwendete Entscheidungsmethodik oder -begründung abgelehnt werden. Auf Letzteres soll im Folgenden eingegangen werden.

D. Kritik an einer Automatisierung des Rechts Gegen die Automatisierung des Rechts werden seit Beginn rechtsinformatischer Untersuchungen Bedenken angeführt. Sie können auch als Bedenken der Wertungs-​gegenüber der Begriffsjurisprudenz angesehen werden.271 Aus forma­ 271

Überblick bei Seiler, Auslegung als Normkonkretisierung, 2000, S. 13 ff; knapp auch bei Hopt, JZ 1977, 65 (65), der i. E. eine Teilautomatisierungs-​oder Entscheidungs​unterstützungslösung vertritt; aus rechtshistorischer Perspektive lesenswert Günzl, JZ 2019, 180 ff.

D. Kritik an einer Automatisierung des Rechts

75

lisiertem und algorithmisiertem Recht könnten keine neuen Erkenntnisse gewonnen werden, sondern nur tautologische Aussagen.272 Formalisiertes Gesetzesrecht und Fallwissen über Vergangenes könnten deshalb nicht ausreichend für die Rechtsanwendung sein, da teilweise eine „auch schöpferische“273, „eigenverantwortlich ergänzende Interpretation“ des Rechtsanwenders erforderlich sei.274 Die Kritik soll im Folgenden im Hinblick auf die Rechtsanwendung der öffentlichen Verwaltung einer Prüfung unterzogen werden. Dabei wird der Fokus auf die Frage gelegt, ob ein Erfordernis auch eigener Konkretisierungsleistung bei der Rechtsanwendung dem automatisierten Erlass von Verwaltungsakten strukturell entgegensteht, also die Ebene der technischen Möglichkeit einer Automatisierung des Rechts betrifft.275

I. Verlust von Einzelfallgerechtigkeit Gegen den Einsatz von Automationssystemen kann angeführt werden, dass diese stets „rückwärtsblickend“ programmiert sind und deshalb neue Fälle nicht nach individuellen, nicht in der Programmierung vorkommenden Gesichtspunkten entscheiden können.276 Ontologien bilden ein vom Fall abstrahiertes Bild eines rechtlichen Konzepts ab, sie betrachten also nur Faktoren, die vorher programmiert wurden und grundsätzlich für eine Vielzahl von Fällen gelten. Auch fallbasierte Systeme mit ML entscheiden den vorliegenden Fall anhand statistischer Aussagen auf Basis des verwendeten Datenmaterials, können also grundsätzlich nicht auf Merkmale eingehen, die in der Datenbasis nicht bereits vorkamen und so Teil des Problemlösungskonzepts wurden. Über den Einzelfall sagen statistische Aussagen aber gerade nichts aus.277

272

Hierzu krit. Reisinger, Rechtsinformatik, 1977, S. 210 ff. Seiler, Auslegung als Normkonkretisierung, 2000, S. 39. 274 Seiler, Auslegung als Normkonkretisierung, 2000, S. 13 ff; Hopt, JZ 1972, 65 (68). 275 So Kotsoglou, JZ 2014, 451 (456): „Es ist nicht bloß technisch anspruchsvoll oder aufwendig, Computer zu bauen, die denken oder Rechtsfolgen ermitteln, es ist vielmehr begrifflich unmöglich. (…) Inkonsistenzen nicht überwindbar und zufällig, sondern notwendig und struktureller Natur“. 276 Goebel / ​Schmalz, CR 1986, 510 (513); Gruber, BayVBl. 1972, 434 (437); Morlok, in: Zugänge zur Rechtssemantik, 2015, 69 (82); s. auch G. Kirchhof, in: FS BFH, 2018, Band I, 361 (363). 277 Kotsoglou, JZ 2014, 1100 (1103). 273

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§ 2 Technische Möglichkeiten und Grenzen 

1. Einzelfallgerechtigkeit nicht alleiniges Leitprinzip der Rechtsanwendung Das Recht muss offen für individuelle Fallgestaltungen sein, wenn es ein rechtliches Prinzip gibt, das diese Offenheit gebietet. Letztlich kann sich diese aus den Grundrechten, auf welche sich der Einzelne in individueller Betroffenheit berufen kann, sowie allgemeiner aus dem Rechtsstaatsprinzip ergeben. Folgert man aus den Grundrechten oder dem Rechtsstaatsprinzip das Erfordernis der Berücksichtigungsmöglichkeit individueller Fallgestaltungen, muss dieses Erfordernis mit dem Prinzip der Rechtssicherheit abgewogen werden, weil ein Fall aufgrund der Geltung des Art. 3 GG nicht wesentlich anders entschieden werden darf als ein in wesentlichen Punkten vergleichbarer Fall. Es handelt sich deshalb je nach Blickwinkel entweder um einen Grundrechtskonflikt oder um ein rechtsstaatsprinzipielles Problem. Jedenfalls ist Einzelfallgerechtigkeit nicht der einzige Faktor, der bei der Falllösung zu berücksichtigen ist.278 Auch die Berechenbarkeit und Stabilität der Rechtsordnung spielen bei der Rechtsanwendung eine Rolle. Einzelfallgerechtigkeit dürfte darüber hinaus in der dritten Gewalt eine größere Rolle spielen als in der Verwaltung.279 2. Einzelfallgerechtigkeit „by design“ möglich Es bedarf der angemessenen Grenzziehung zwischen Einzelfallgerechtigkeit und Rechtssicherheit. Die Forderung nach Einzelfallgerechtigkeit steht damit einer Automatisierung von Teilen der Rechtsanwendung jedenfalls nicht strukturell entgegen.280 Aufgrund angeführter technischer Mängel der Systemgestaltungen besteht jedoch dann ein Problem, wenn Systeme vollständig automationsgestützt Recht in Bereichen anwenden, in welchen das Bedürfnis nach Einzelfallgerechtigkeit das nach Rechtssicherheit überwiegt. Bezüglich welcher Elemente einer Rechtsnorm das gefordert werden kann, ist jedoch keine Frage der Algorithmi­sierbarkeit, sondern eine Frage der Formulierung des gesetzlichen Wortlauts durch die Legislative. Diese bedingt die vollständig, teilweise oder nur unterstützend automatisierbaren Teile des Rechts und den Bedarf nach menschlicher Entscheidungsleistung. Es stellt sich somit die Frage, hinsichtlich welcher Teile einer Ermächtigungsnorm zum Erlass eines Verwaltungsaktes individuelle Fallkonstellationen nicht berücksichtigt werden sollen, sodass Automationssysteme trotz des strukturellen Problems mangelnder Offenheit für diese Teile eingesetzt werden können. Die 278

Vgl. dazu Schuhr, in: Zugänge zur Rechtssemantik, 2015, 93 (113). Steinmüller, DVR 1974, 57 (60); in diese Richtung auch Morlok, in: Zugänge zur Rechtssemantik, 2015, 69 (82); ähnlich Schuhr, in: Zugänge zur Rechtssemantik, 2015, 93 (113); den Zusammenhang von algorithmischer Rechtsanwendungsstabilität und den Grundsätzen des Verwaltungshandelns sehen auch Bieker / ​Bremert / ​Hansen, DuD 2018, 608 (608). 280 So auch Engel, JZ 2014, 1096 (1098); Eberle, Die Verwaltung 1987, 459 (463). 279

D. Kritik an einer Automatisierung des Rechts

77

Forderung nach Einzelfallgerechtigkeit ist damit nicht grundsätzlich unvereinbar mit dem Einsatz von Automationssystemen. Insbesondere betrifft das Argument hauptsächlich die Frage der Zulässigkeit eines Einsatzes von Automationssystemen, nicht deren Einsetzbarkeit.281

II. Begrenztheit formaler Sprache Verbunden mit dem Problem der mangelnden Offenheit von Algorithmen für individuelle Fallgestaltungen ist das Problem der „offenen Semantik“282. Weil Programme die Semantik eines Textes nicht verstehen, könnten sie auch nicht semantisch argumentieren oder die Bedeutung eines Begriffs in der Weise verstehen wie ein menschlicher Rechtsanwender. Weil die natürliche Sprache als Ganzes wegen Kontextvarianz und Produktivität nicht vollständig formalisiert werden kann, könne auch ein Automationssystem lediglich ein defizitäres Abbild des Rechts sein.283 1. Verbindung von Sprache und Recht Mit diesem Argument wird vorausgesetzt, dass es eine rechtlich gebotene Verbindung zwischen Recht und Sprache gibt und dass Semantik eine Eigenschaft ist, die strukturell allen Worten in Rechtsnormen zukommen muss, wenn sie ausgelegt werden. Sind der Bedeutungsgehalt von Begriffen und seine Veränderung durch Sprache keine rechtliche Notwendigkeit, steht nichtautomatisierbare Semantik der automatisierten Bearbeitung von Rechtsfällen nicht entgegen. Dass Sprache mit dem Recht verbunden ist, ist eine erkenntnistheoretische Prämisse, die voraussetzt, dass das Recht nicht existiert, sondern erfahren werden muss, und deshalb erst durch Transkription284 Bedeutung erlangt.285 Letztlich ist Semantik individuelles Konstrukt des jeweiligen Rechtsanwenders,286 sodass auch zu erörtern wäre, ob diese Subjektivität im Recht überhaupt rechtliches Postulat oder schlicht Nebenwirkung der Sprachlichkeit ist.287 Eine Einigung auf einen eindeutigen Zuweisungsgehalt von Worten ist nicht grundsätzlich ein rechtlich zu 281

A. A. Kotsoglou, JZ 2014, 451 (456). Kotsoglou, JZ 2014, 451 (453). 283 Ähnlich Kotsoglou, JZ 2014, 1100 (1101); Simitis, DVR 1974, 1 (39); offener hinsichtlich computerlinguistischer Algorithmisierungsstrategien Vogel, in: Zugänge zur Rechtssemantik, 2015, 3 (10). 284 Der Begriff bezeichnet die selbst-​und fremdreferenzielle Fortschreibung eines Begriffs, Jäger, in: Zugänge zur Rechtssemantik, 2015, 18 (23 f.) (30). 285 Dazu Vogel, in: Zugänge zur Rechtssemantik, 2015, 3 (7 ff.). 286 Adrian, Rechtstheorie 2017, 77 (84). 287 In diese Richtung Seiler, Auslegung als Normkonkretisierung, 2000, S. 26, der beim Rechtsanwender ein Bewusstsein über die Subjektivität der Sprache als Abbild menschlichen Denkens voraussetzt, um Entscheidungsrationalität gewährleisten zu können. 282

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§ 2 Technische Möglichkeiten und Grenzen 

missbilligendes Ziel, obgleich ein eindeutiger Zuweisungsgehalt aktuell aufgrund der Sprachlichkeit des Rechts nicht gegeben ist.288 Weiterhin kann Semantik, auch wenn nur Syntax verarbeitet wird, grundsätzlich nach der Datenverarbeitung wieder hinzugefügt werden. Es stellt sich allein die Frage, ob die beigefügte Semantik sinnvoll ist.289 2. Relevanz von Diskurs versus Stabilität Die bedeutungsmäßige Veränderlichkeit von Worten durch Sprachspiele ist ein wichtiges Element der Offenheit der Rechtspraxis;290 gleichwohl gibt es Worte, deren Verwendung über längere Zeit relativ stabil bleibt, beispielsweise natürlichsprachliche Syntax.291 Das Argument offener Semantik würde auch eine Algorithmisierung syntaktischer Elemente oder Zahlenangaben einer Norm verbieten, weil sich ihre Bedeutung grundsätzlich aufgrund der Sprachlichkeit ändern kann beziehungsweise über sie gestritten werden soll, um ihren Bedeutungsgehalt zu klären. Nur in seltenen Fällen wird das dem Willen des Gesetzgebers entsprechen. Das Argument bezieht sich zumeist implizit auf auslegungsbedürftige Begriffe,292 die vom Gesetzgeber gewählt werden, um unterschiedliche Fallkonstellationen zu erfassen, und richtet sich damit von vornherein nicht gegen die teilweise Automatisierung des Rechts. Von Rechts wegen ist vielmehr auch die Stabilität der Bedeutung bestimmter Worte wichtig, weil sie der Rechtssicherheit dient. Diskurs schafft Instabilität, was die wissenschaftliche Auseinandersetzung und Vielfalt der Betrachtungswinkel fördert und damit eine Rechtsentwicklung erst ermöglicht.293 Instabilität schafft aber auch Rechtsunsicherheit, weil der Diskursverlauf nicht prognostiziert werden kann. Ein Ausgleich diskursbedingt instabiler Elemente der Rechtsanwendung mit stabilisierenden Elementen der Rechtsanwendung ist notwendig, um das Verhältnis von Rechtssicherheit und Einzelfallgerechtigkeit auszubalancieren. 3. Sprachliche Offenheit „by design“ möglich Der These folgend, dass natürlichsprachliche Bedeutungsverschiebungen durch Transkription294 möglicherweise nicht für alle Teile der Rechtsanwendung rechtlich erforderlich oder gar wünschenswert sind, wird auch hier die Erforderlichkeit 288

Dazu Jäger, in: Zugänge zur Rechtssemantik, 2015, 18 (26). Klaus, Semiotik und Erkenntnistheorie, 4. Auflage 1973, S. 95; im Anschluss Reisinger, Rechtsinformatik, 1977, S. 211 f. 290 Simitis, DVR 1974, 1 (37 f.). 291 I. E. auch Engel, JZ 2014, 1096 (1097). 292 Deutlich bei Hoffmann-​Riem, in: GVwR I, 2. Auflage 2012, § 10 Rn. 63. 293 So auch Simitis, DVR 1974, 1 (38). 294 Jäger, in: Zugänge zur Rechtssemantik, 2015, 18 (31). 289

D. Kritik an einer Automatisierung des Rechts

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einer rechtlichen Grenzziehung, nicht ein vollständiger Ausschluss des Einsatzes von Automationssystemen zur Abbildung des Gesetzeswortlauts angenommen. Zwar stellt die Fassung des Rechts in Rechtssprache einen zu berücksichtigenden Faktor dar, dieser muss jedoch in seiner Relevanz für Funktionen des Rechts differenziert beurteilt werden. Dafür ist eine Klärung dahingehend erforderlich, hinsichtlich welcher natürlichsprachlicher Elemente eines Gesetzeswortlauts sich Veränderungen des Bedeutungsgehalts sowie eine Fortschreibung von Begriffen in Teilnahme am rechtswissenschaftlichen Diskurs ergeben können und insbesondere, hinsichtlich welcher Teile des Gesetzeswortlauts eine sprachliche Offenheit rechtlich geboten ist. In diesen Bereichen ist eine Formalisierung problematisch, weil sie die bisherige Auslegungspraxis und die rechtswissenschaftliche Diskussion verändert oder beendet, was letztlich das Recht als System in seinem Bestand verändert. Das Wirken des Rechts über Sprache steht damit einer Algorithmisierung nicht strukturell entgegen, sondern lediglich der Algorithmisierung bestimmter Merkmale des Normtexts. Auch das Argument der Sprachlichkeit des Rechts betrifft maßgeblich die Zulässigkeitsebene.

III. „Menschlicher Faktor“ und Gesetzespositivismus Der zunehmende Einsatz von Automationssystemen im Recht wird teilweise als den Gesetzespositivismus verstärkend angesehen („digitaler Neo-​Positivismus“295).296 Automation wird als eine Methode angesehen, die den „menschlichen Anteil“297 an einer Entscheidung verringert und zu einer Starrheit der Gesetzesanwendung führt.298 Dies verstoße gegen Art. 20 Abs. 3 a. E. GG. Das Erfordernis eines „menschlichen Faktors“ bei der Entscheidungsfindung könne im Hinblick auf die Verwaltung auch auf eine dem Art. 33 GG zu entnehmende „übergeordnete Klugheitsregel“ der menschlichen Entscheidung gestützt werden.299 Im Rahmen einer Ontologie müsste ein „menschlicher Faktor“ expliziert werden, was aufgrund der Vagheit und schweren Fassbarkeit unmöglich scheint. Ebensowenig ergibt sich ein „menschlicher Faktor“ notwendigerweise aus rechtlichen Dokumenten, die die rechtliche Begründung widerspiegeln und damit nur das Ergebnis einer Rechtsanwendung mit „Fingerspitzengefühl“300 angeben. 295

Hoffmann-​Riem, AöR Bd. 142 (2017), 1 (17). Die Historie dieses Arguments aufarbeitend: Gräwe, Die Entstehung der Rechtsinformatik, 2011, S. 183 ff. 297 Dazu Morlok, in: Zugänge zur Rechtssemantik, 2015, 69 (88); ähnlich P. Kirchhof, DStR 2018, 497 (497). 298 Dazu auch Hill, in: Auf dem Weg zum Digitalen Staat, 2015, 267 (274); Breidenbach, in: Rechtshandbuch Legal Tech, 2018, 34 (35); differenzierend P. Kirchhof, DStR 2018, 497 (498). 299 So Berger, DVBl. 2017, 804 (806). 300 Umschreibung von Tönsmeyer-​Uzuner für den menschlichen Faktor, Expertensysteme in der öffentlichen Verwaltung, 2000, S. 68; bei Hähnchen / ​Bommel, JZ 2018, 334 (337) ähnlich: „juristische Intuition“. 296

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Im Grundgesetz werden „vorausliegende Rechtsgedanken“ in Bezug genommen, Art. 79 Abs. 3 GG und Art. 20 Abs. 3 HS. 2 a. E. GG, sodass ein formallogisch verstandener Rechtspositivismus in der Verfassung keine Stütze findet.301 Allerdings kann Menschlichkeit nicht das einzige Kriterium sein, das bei der Rechtsanwendung zu berücksichtigen ist, weil ansonsten die Geltung und Reichweite von Rechtsnormen infrage gestellt würde.302 Eine Abbildung des juristischen Problemlösungsverhaltens durch logische Modelle bedeutet noch keine Reduzierung desselben auf den logisch darstellbaren Teil des Rechts. Vielmehr kann auch durch die Systemgestaltung, beispielsweise Aussteuerungen an natürliche Personen, der „menschliche Faktor“ in der Entscheidungsfindung beibehalten werden.303 Hier wird eine Grenzziehung als notwendig angesehen und eine Algorithmisierung der Rechtsanwendung nicht grundsätzlich negativ bewertet. Stattdessen muss entscheidungsbezogen offengelegt werden, in welche Teile der Rechtsanwendung der „menschliche Faktor“ einfließen soll und in welchen Bereichen er nicht relevant wird.304 Damit wird auch die „Menschlichkeit“ des Rechts zum Problem der Grenzziehung. Eine vollständige Algorithmisierung des Rechts, der aus heutiger Sicht unüberwindbare technische und strukturelle Hürden entgegenstehen, wird mutmaßlich überdies unzulässig sein. Einer teilweisen Algorithmisierung, die bereits die vollständige Automatisierung von bestimmten Verfahren ermöglicht, steht der „menschliche Faktor“ aber nicht grundsätzlich entgegen. Jedenfalls betrifft auch dieses Argument die Ebene der Zulässigkeit des Automationssystemeinsatzes, nicht dessen technische Möglichkeit.

IV. Zusammenfassendes Fazit Kritiker sehen algorithmisiertes Recht als strukturell und in tatsächlicher Hinsicht unzureichend an. Es sei nur ein defizitäres Abbild des Rechts.305 Bereits die Möglichkeit einer Automatisierung des Rechts wird verneint, weil eine Automatisierung des Rechts dieses notwendigerweise auf seine formallogisch abbildbaren Teile reduziere. Die Argumente können die Geeignetheit des Einsatzes von Automationssystemen im Recht gleichwohl nicht grundsätzlich entkräften. Sowohl die semantische als auch die pragmatische Grenze der Formalisierung306 existieren, sie 301

Seiler, Auslegung als Normkonkretisierung, 2000, S. 21. Die Grenze des Willkürverbots betont Degrandi, Die automatisierte Verwaltungsverfügung, 1977, S. 38; Seiler, Auslegung als Normkonkretisierung, 2000, S. 19 charakterisiert die Wertungsjurisprudenz folglich als „nicht mehr rein formal-​logisch, sondern auch historisch, philosophisch und empirisch-​soziologisch“, Hervorh. i. O. 303 So auch Polomski, der automatisierte Verwaltungsakt, 1993; S. 100; Bull, DVBl. 2017, 409 (416 f.). 304 So auch P. Kirchhof, DStR 2018, 497 (498). 305 Umfassend aus dieser Perspektive Kotsoglou, JZ 2014, 451 (456); in diese Richtung auch Hoffmann-​Riem, AöR Bd. 142 (2017), 1 (17). 306 Bezeichnung von Reisinger, Rechtsinformatik, 1977, S. 218. 302

E. Zusammenfassung 

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werden jedoch beide nicht notwendigerweise von einer Automatisierung erreicht. Ob die jeweilige Grenze erreicht ist, ist auch nicht notwendigerweise eine rechtsinformatische oder rechtsmethodische, sondern vor allem eine rechtstheoretische Frage.307 Letztlich muss die Realisierbarkeit einer Algorithmisierung der Rechtsanwendung in weiten Teilen anerkannt werden, womit noch nicht geklärt ist, ob und inwieweit Systeme, die den Erlass eines Verwaltungsakts teilweise oder vollständig automatisieren, auch zulässig sind.

E. Zusammenfassung Um einen Verwaltungsakt automatisiert zu erlassen, muss die Entscheidungsnorm in einen Algorithmus übersetzt werden. Ein Algorithmus besteht aus einzelnen Arbeitsschritten, die in formalen Sprachen abgebildet werden müssen. Deshalb muss für die Algorithmisierung einer Rechtsnorm diese formalisiert werden. Zahlenangaben, Berechnungen und natürlichsprachliche Syntax können in Programmcode übersetzt werden. Dabei stellen ungewollte syntaktische Mehrdeutigkeit, die Formalisierung der Bezugsgrößen von Zahlen sowie die Erforderlichkeit einer idealen Entscheidungsnorm Herausforderungen dar. Werden syntaktische Mehrdeutigkeiten eliminiert, kann ein Computerprogramm über Formulare, Datenbankzugriff oder händische Einspeisung selbst Rechtsfolgen ermitteln. Derartige Automationssysteme werden in der öffentlichen Verwaltung an vielen Stellen bereits eingesetzt, vor allem in Bereichen, die viele Zahlen und Berechnungen enthalten und deren Syntax eindeutig ist, wie dem Steuerrecht oder dem Straßenverkehrsrecht. Diese Systeme basieren maßgeblich auf dem Prinzip der händischen Vorformalisierung im Sinne einer binären Wahrheitswertzuordnung. Darüber hinaus können auch Rechtsbegriffe automatisiert angewendet werden. Die ersten großflächigen Versuche einer Formalisierung auslegungsbedürftiger Rechtsbegriffe erfolgten in den 90er Jahren im Rahmen der Diskussion um Expertensysteme. Durch die Legal-​Tech-​Welle ist die Diskussion von erneuter Relevanz. Es wird zwischen regelbasierten, fallbasierten und hybriden Systemen unterschieden. Die regelbasierten Systeme arbeiten nach dem Prinzip händischer Übersetzung von Normprogramm in Code. Versuche, den Justizsyllogismus zu formalisieren, sind zu diesen Ansätzen zu zählen. Allerdings gibt die Aussagenlogik keine Methode an die Hand, um die Bedeutung von Begriffen zu explizieren; andere Logikkalküle sind nicht gleichwertig mit juristischer Begriffsbildung. Eine Formalisierung des Justizsyllogismus ist damit problembehaftet, soweit es um auslegungsbedürftige Begriffe geht. Über Ontologien können Wissensbasen erstellt werden, welche auch die Ausdeutung von auslegungsbedürftigen Begriffen ermög 307

Reisinger, Rechtsinformatik, 1977, S. 50 ff., 52.

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lichen können, indem deren abstraktes Konzept expliziert wird. Problematisch am Konzept der wissensbasierten Ontologie sind mangelnder Konsens über die Bedeutung rechtlicher Begriffe, der Wissenserwerb und die Wissensrepräsentation sowie der hohe Wartungsaufwand. Sie sind jedenfalls nicht zur rechtlichen Einordnung eines natürlichsprachlich abgefassten, komplexen Sachverhalts geeignet, für kleinere Rechtsanwendungsoperationen aber einsetzbar. Rechtslogische Modelle erforschen die logische Abbildbarkeit und Überprüfung der Rechtsanwendung. Sie sind zu den regelbasierten Modellen zu zählen, sind aber nicht grundsätzlich für die Überführung in ein Automationssystem konzipiert. Fallbasierte Modelle werten Fallmaterial im Hinblick auf das rechtliche Ergebnis computerbasiert aus und können mit Methoden des maschinellen Lernens verknüpft werden. Sie versprechen verwertbare Ergebnisse durch geringere Abstraktion und erhöhte Rechenkapazität. Die Technologie sieht sich in praktischer Hinsicht Herausforderungen der Datensammlung und -auswertbarkeit gegenüber. Rechtlich sind vor allem die Subjektivität der Wissensbasis, die Erklär-​und Begründbarkeit des maschinellen Ergebnisses sowie die mangelnde rechtliche Abstraktionsfähigkeit von Bedeutung. Hybride Modelle verbinden einen Fallvergleich mit abstrakter Regelprogrammierung. Ihre Übertragung in Jurisdiktionen des Gesetzesrechts ist näherliegend als die Übertragung reiner Fallvergleichsmodelle. Diese Systeme bieten das Potenzial, Entscheidungen auch in rechtlicher Hinsicht aufzuschlüsseln, müssen aber jeweils spezifisch in ihrer Funktionsweise überprüft werden, bevor sie übernommen werden, und sehen sich zumeist praktischen Problemen der Datensammlung und -aufbereitung ausgesetzt. Die genannten Systeme werden im Hinblick auf ihre Prämisse, den Rechtsanwendungsprozess zu modellieren, kritisch beurteilt. Dass der Rechtsanwendung Eigenanteile beizufügen sind, steht aber einer Teilautomatisierung des Rechts, die zu einer vollständigen Automatisierbarkeit des Erlasses von Verwaltungsakten führen kann, nicht entgegen. Welche konkreten Systemgestaltungen eines automatisierten Verwaltungsakterlasses zulässig sind, soll am Maßstab demokratischer Legitimation aus Art. 20 Abs. 2 GG untersucht werden.

§ 3 Demokratische Legitimation von Verwaltungsakten A. Grundlagen I. Demokratie und demokratische Legitimation Das Verfassungsprinzip der Demokratie ist in Art. 20 Abs. 1 GG verankert und Teil der gemäß Art. 79 Abs. 3 GG unverfügbaren Staatsstrukturprinzipien, was den ordnenden Charakter des Prinzips, die Einwirkung auf die übrigen Verfassungsnormen sowie seinen Rang verdeutlicht.1 Auch das begrenzende Moment im Verhältnis zu den weiteren Staatsstrukturprinzipien ist damit bereits angesprochen.2 In Art. 20 Abs. 2 GG bindet sich die Demokratie an den Gedanken der Volkssouveränität,3 ohne dass dies zwingend wäre.4 Durch zahlreiche weitere Bestimmungen der Verfassung erhält das Demokratieprinzip seine konkretisierte Gestalt.5 Zu nennen sind insbesondere Art. 116 und Art. 38 Abs. 1 GG sowie die Organisationsvorschriften des Grundgesetzes.6 „Demokratische Legitimation“ ist eine Standardformel7, die Aspekte einer Auslegung des Art. 20 Abs. 2 GG bereits auf den Punkt bringt.8 Ausgangspunkt ist der Wortlaut des Art. 20 Abs. 2 GG: „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.“ Die Auslegung wird üblicherweise unter besonderer Berücksichtigung der Struktur der Norm und des Verfassungsumfelds vorgenommen und von systematischen und teleologischen Erwägungen dominiert.9 Die Begrifflichkeit der „demokratischen Legitimation“ ist Ausprägung der Strukturorientierung. 1

Unger, Das Verfassungsprinzip der Demokratie, 2008, S. 193 ff. Dazu Böckenförde, in: HStR II, 3. Auflage 2004, § 24 Rn. 1. 3 Unger, das Verfassungsprinzip der Demokratie, 2008, S. 224; Böckenförde, in: HStR II, 3. Auflage 2004, § 24 Rn. 1. 4 Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 161. 5 Stern, Staatsrecht I, 2. Auflage 1984, S. 589; Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 145, 149. 6 Umfassend Kriele, Das demokratische Prinzip im Grundgesetz, 1971, S. 46 ff. 7 Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 26. 8 Ob Art. 20 Abs. 2 GG eine Verfassungsregel oder ein Verfassungsprinzip darstellt, wird hier nicht weiter thematisiert. Zur Begründung Grzeszick, GS Brugger, 2013, 601 (613); Köller, Funktionale Selbstverwaltung und ihre demokratische Legitimation, 2009, S. 68 ff., 71 ff. 9 Historische Auslegung und gleichsam Begründung für die Dominanz systematischer und teleologischer Erwägungen bei Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 152. 2

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§ 3 Demokratische Legitimation von Verwaltungsakten

II. Repräsentationsgrundsatz Die Legitimationsbedürftigkeit staatlicher Machtausübung ergibt sich aus dem Befund, dass nach Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG allein das Volk Träger der Staatsgewalt ist, diese jedoch nicht nur durch das Volk selbst, sondern auch durch besondere Organe der drei Gewalten ausgeübt wird, Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG. Die Demokratie des Grundgesetzes ist eine repräsentative Demokratie. Träger und Ausübender von Staatsgewalt fallen teilweise auseinander, sodass sich die Ausübung durch besondere Organe auf das Volk rückbeziehen muss, das alleiniger Träger der Staats­ gewalt ist.10 Diesen Rückbezug rechtsdogmatisch zu konzeptualisieren ist Aufgabe der Legitimationskonzepte. Der Legitimationszusammenhang soll einen effektiven Einfluss des Volkes auf die Ausübung von Staatsgewalt sicherstellen.11

III. Normativität oder Effektivität? Einerseits soll es sich bei der demokratischen Legitimation staatlicher Machtausübung um ein normatives Konzept handeln, andererseits soll sie „konkret erfahrbar und praktisch wirksam“12 sein. Ersteres war Ausgangspunkt des „klassischen“ Legitimationskettenmodells13, Letzteres verweist auf seine Bewährungsproben. „Dass sich die Demokratie in einer disruptiv veränderten, hyperkomplexen Welt grundlegenden Herausforderungen ausgesetzt sieht, darf niemanden überraschen.“14 Mit zunehmender Sensibilität für die Komplexität und Pluralität der Gesellschaft auf der einen, der Verwaltungsorganisation auf der anderen Seite sowie den in ihnen wirksam werdenden Kräften stehen zunehmend auch die tradierten Vorstellungen von Legitimation und Demokratie auf dem Prüfstand.15 Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu den Film-​und Weinabgaben16 sowie zur Pflichtmitgliedschaft in der IHK17 stehen exemplarisch für diese Entwicklung. Der Rechtfertigungsdruck des klassischen Legitimationskonzepts ist nicht neu,18 10

Böckenförde, in: HStR II, 3. Auflage 2004, § 24 Rn. 3; Grzeszick, GS Brugger, 2013, 601 (603). 11 BVerfGE 83, 60 (71); 93, 37 (66); 107, 59 (87) sowie Böckenförde, in: HStR II, 3. Auflage 2004, § 24 Rn. 11. 12 BVerfGE 107, 59 (91). 13 V.a. Böckenförde, Verfassungsfragen der Richterwahl, 1974, S. 71 ff.; ders., in: HStR II, 3. Auflage 2004, § 24. 14 Willke, Der Staat 2017, 357 (377); dazu auch Westermann, Legitimation im europäischen Regulierungsverbund, 2017, S. 149. 15 Dazu Trute, in: GVwR I, 2. Auflage 2012, § 6 Rn. 2; Schliesky, in: Herausforderung e-​Government, 2009, 11 (11 ff.). 16 BVerfGE 135, 155 und BVerfGE 136, 194. 17 BVerfGE 146, 164. 18 Zusammenfassend Trute, in: GVwR I, 2. Auflage 2012, § 6 Rn. 15; Modifikationen und Alternativmodelle in monographischer Aufbereitung z. B. für die Judikative Tschentscher, Demokratische Legitimation der dritten Gewalt, 2006, und Minkner, Gerichtsverwaltung, 2015;

A. Grundlagen

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stellt sich jedoch mit Blick auf die aktuelle Rechtsprechung mit besonderem Nachdruck.

IV. Einheit und Pluralität Ob die Ansicht, dass das Ministerialmodell und die an ihm entwickelten Legitimationsstrukturen als Regelfall und Grundkonzept der Verwaltungsorganisation in weiten Bereichen nunmehr pluralistischer Vielfalt unterschiedlicher Organisationskonzepte ausgedient haben,19 auf normativer Ebene eine Entsprechung findet, bleibt zu prüfen. Modifikationen der klassischen Legitimationsdogmatik sind zum Großteil erst aus ihrem Antwortcharakter heraus zu erklären. Insoweit bildet das traditionelle „monistische“20 Legitimationskonzept den Ausgangspunkt der Untersuchung, von welchem aus auch „pluralistische“21 Legitimationskonzepte in ihrer Leistungsfähigkeit für die legitimatorische Einhegung der Herrschaftsausübung in der öffentlichen Verwaltung im Hinblick auf den Untersuchungsgegenstand des automatisiert erlassenen Verwaltungsakts gewürdigt werden.22

im Bereich der funktionalen Selbstverwaltung Emde, Demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991; Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997; im Bereich des europäischen Mehrebenensystems Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, 2004; Classen, Demokratische Legitimation im offenen Rechtsstaat, 2009; neuer Lee, Demokratische Legitimation, 2017, S. 55 ff.; Westermann, Legitimation im europäischen Regulierungsverbund, 2017; Bienert, Europäische Regulierungsagenturen, 2018, S. 127 ff. 19 Hoffmann-​Riem, in: GVwR I, 2. Auflage 2012, § 10 Rn. 16 ff. 20 Hier verstanden als Konzept, das einerseits den Volksbegriff auf Bundesebene als durch die Staatsbürgerschaft verknüpfte Einheit auffasst, andererseits im Grundsatz (nur) drei Legitimationsmodi (funktionell und institutionell, sachlich-​inhaltlich, organisatorisch-​personell) unterscheidet; z. B. Böckenförde, in: HStR II, 3. Auflage 2004, § 24 Rn. 10 ff.; im Grundsatz mit Abweichung für die funktionale Selbstverwaltung Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991; Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993; neuer Köller, Funktionale Selbstverwaltung und ihre demokratische Legitimation, 2009; Grzeszick, GS Brugger, 2013, 601 ff.; Tischer, Bürgerbeteiligung und demokra­ tische Legitimation, 2017, S. 241 f. 21 Hier verstanden als Konzepte, die eine Offenheit des Volksbegriffs vertreten (s. u. § 3 D. VI. 3. a) aa)) und / ​oder im Grundsatz weitere Legitimationsmodi für zulässig erachten; das Meinungsspektrum ist im Einzelnen so heterogen, dass die jeweiligen Vertreter dort referenziert werden, wo sie Modifikationen jeweils für zulässig erachten. 22 Freilich legt eine derart „strikt normative Erwartungshaltung“, s. Unger, Das Verfassungsprinzip der Demokratie, 2008, S. 73, bereits die Prämisse der Darstellung offen, dass es im Besonderen auf die Normativität, nicht auf die Offenheit des Demokratieprinzips ankommt; dazu krit. exemplarisch Bryde, StWStP 1994, 305 (306 ff.).

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§ 3 Demokratische Legitimation von Verwaltungsakten

V. Legitimation und Legitimität Zur Verdeutlichung des rechtswissenschaftlichen Ausgangspunkts der Legitimationskonzeption sei eine begriffliche Abgrenzung vorangestellt,23 die freilich im Zuge der Pluralisierung von Gesellschafts-​und Verwaltungsstrukturen zunehmend in Frage gestellt wird. 1. Fokus auf Herleitung von Legitimität Legitimität im normativen Sinn24 wird üblicherweise als Endpunkt eines zu betrachtenden Vorganges angesehen, der synonym mit „gerechtfertigt sein“ ist.25 Legitimation bezeichnet demgegenüber einen Prozess, ein Verfahren, eine Her­ leitung26 nach bestimmten Vorgaben zur Gewinnung des Endpunkts Legitimität. Im Vergleich zur Legitimität ist die Legitimation, nicht im Luhmann’schen Sinne27, verfahrensbezogen oder organisationsbezogen, die Legitimität zustandsbezogen.28 Die Legitimation ist der Prozess, aus dem Legitimität folgt. Es geht im Bereich der rechtlichen Legitimitätskonzeptionen im Gegensatz zu den Theorien der Sozial-​und Politikwissenschaft vorrangig um Legitimation, also das Verfahren zur Legitimitätsgewinnung, nicht um Legitimität als empirisch messbaren Endpunkt eines nicht zu betrachtenden Prozesses.29 Zweitens geht es vorrangig um die Gewinnung rechtlicher Faktoren zur Bestimmung des Verfahrens, das Legitimität vermitteln soll. Dabei ist der Begriff der Legalität, also die Gesetzeskonformität, nicht grundsätzlich als Gegenentwurf zur Legitimität anzusehen. Legalität wird vielmehr in die traditionellen Konzepte von Legitimität miteinbezogen.30 23 Weitergehende Abgrenzungsmöglichkeiten bei Lee, Demokratische Legitimation, 2017, S. 29; Emde, Demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 26 ff. 24 Dazu Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 30. 25 Umfassend Kriele, Einführung in die Staatslehre, 1975, S. 19 ff.; Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 27; Lee, Demokratische Legitimation, 2017, S. 29; Westermann, Legitimation im europäischen Regulierungsverbund, 2017, S. 148 m. w. N. 26 Böckenförde, HStR II, 3. Auflage 2004, § 24 Rn. 3. 27 Zum Verfahrensbegriff Luhmanns, der weder das Verfahrensrecht noch die Organisationsvorschriften des Grundgesetztes meint ders., Legitimation durch Verfahren, 1983, S. 36; zu ihm auch Westermann, Legitimation im europäischen Regulierungsverbund (2017), S. 155 ff.; knapp zum Verhältnis der Legitimation nach Luhmann zur Legitimationskettendoktrin Wittreck, in: Herstellung und Darstellung von Entscheidungen, 2010, 65 (67 ff., 82 f.). 28 Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 28; Lee, Demokratische Legitimation, 2017, S. 29 f. 29 Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 173; diese Theorien in das Legitimationskonzept einbeziehend Westermann, Legitimation im europäischen Regulierungsverbund, 2017, S. 150 ff. 30 Im Einzelnen § 3 D. IV. 2.; s. dazu auch Dederer, Korporative Staatsgewalt, 2004, S. 143 ff.

B. Legitimationssubjekt

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2. Fundierung und Ausprägung des Verfahrensbezugs Einender Ausgangspunkt der meisten Konzeptionen zur Rückkopplung von Staatsgewalt an das Volk im Sinne des Art. 20 Abs. 2 GG ist der Verfahrensbezug der Legitimation (sog. Input-​Legitimation). Modelle, die auch das Ergebnis eines Legitimationsprozesses miteinbeziehen, sind als zumeist sozial-​und politikwissenschaftlich fundierte Ausnahmen in der rechtswissenschaftlichen Legitimationskonzeption anzusehen.31 Grundlage dieses Konsenses könnte unter anderem die weitgehende Einigung über den Gehalt des Wortlauts des Art. 20 Abs. 2 GG sein, der mit den Verben „ausgehen“ und „ausüben“ aktionsbezogen, nicht zustandsbezogen ausgestaltet ist. Weiterhin ist die Legitimation als Maßstab der Legitimität ihre Prämisse und damit von besonderer Bedeutung.32 Grundsätzlich lassen sich den Legitimationsmodellen zur Auslegung des Art. 20 Abs. 2 GG vier Komponenten entnehmen: Legitimationssubjekt (Volk), Legitimationsobjekt (Ausübung von Staatsgewalt) sowie demokratische Legitimation im engeren Sinne (Legitimationsmodi) des Legitimationsobjekts durch einen effektiven Einfluss (Legitimationsniveau) des Legitimationssubjekts.

B. Legitimationssubjekt Legitimationssubjekt, also Träger der Staatsgewalt, ist das Volk. Die Lesart des Art. 20 Abs. 2 GG, nach dem „alle Staatsgewalt (…) vom Volke“ ausgeht und diese auch „vom Volk“ ausgeübt wird, ist alternativlos. Wie der Begriff „Volk“ aus­zulegen ist, ist umstritten.

I. Volkssouveränität und Menschenwürde Letztlich fußt die Idee eines Volkes als Träger der Staatsgewalt auf dem Gedanken der Humanität33 und Menschenwürde.34 Nur wenn das Volk trotz tatsächlich bestehender Unterschiede zwischen einzelnen Individuen durch ein einendes Merkmal gezeichnet ist, kann es als Einheit im Sinne eines Volkes bezeichnet 31

So z. B. Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000; ders., in: Heraus­ forderung e-​Government, 2009, 213 (214 ff.); da das Neue Steuerungsmodell sich in der Praxis nicht umfassend bewährt hat, wird hier eine Input-​zentrierte Steuerungslösung erarbeitet, die zunächst wertungsfrei mit Scherzberg / ​Meyer als „neo-​weberianisch“ bezeichnet werden könnte, s. Scherzberg / ​Meyer, in: Herausforderung e-​Government, 2009, 252 (260); zum Verständnis Webers von Verwaltung und Richter ders., Parlament und Regierung im neuge­ ordneten Deutschland, 1918, S. 16 ff., 18. 32 Lee, Demokratische Legitimation, 2017, S. 30. 33 Ausführlich Herzog, Allgemeine Staatslehre, 1971, S. 201 ff. 34 BVerfGE 144, 20 (208); Robbers, in: Kahl / ​Waldhoff / ​Walter, GG, 197. Aktualisierung 2019, Art. 20 Abs. 1, Rn. 410 f.

88

§ 3 Demokratische Legitimation von Verwaltungsakten

werden.35 Volksherrschaft ist Herrschaft aller Mitglieder des Volkes in gleicher Weise.36 Der Volksbegriff und auch die Demokratie gründen damit auf dem Gedanken der natürlichen Freiheit und Gleichheit aller Menschen, die wiederum auf ihrer Menschenwürde basiert.37 Die Gleichheit hat sich im Staatssystem auszudrücken durch die Gewährleistung der Teilhabe an der politischen Willensbildung38 und Machtgewinnung.39 Sie ist in der Verfassung unmittelbar durch das Wahlrecht gemäß Art. 38 Abs. 1 GG gewährleistet.40 Aus ihr folgt weiter das Mehrheitsprinzip als zwingende Konsequenz demokratischer Gleichheit.41 Ausdruck des Gedankens demokratischer Gleichheit ist weiterhin die Gleichheit der Parteien gemäß Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 21 Abs. 1 GG, sowie der gleiche Zugang zu öffentlichen Ämtern gemäß Art. 33 Abs. 2 GG. Demokratische Freiheit wird insbesondere durch die demokratischen Freiheitsrechte der Art. 5 Abs. 1, Art. 8 Abs. 1, 9 GG gewährt.

II. Volk als Summe deutscher Staatsangehöriger In der Formulierung des Art. 20 Abs. 2 GG wird das Volk als verfasste Einheit Träger der Staatsgewalt.42 Über die Zurechnung eines Individuums zum Volk ist damit noch nichts gesagt. Der Wortlaut des Art. 20 Abs. 2 GG verknüpft das „Volk“ mit der „Staatsgewalt“ und legt damit bereits nach seinem Zweck, das Legitimationssubjekt des Verbandes „Staat“ festzusetzen, eine Gleichsetzung von „Volk“ und „Staatsvolk“ nahe.43 Dass mit „Volk“ das deutsche Staatsvolk gemeint war, steht nach historischer Betrachtung außer Frage.44 Vorrangige Stellschraube für eine Modifikation des Begriffs des Staatsvolkes ist damit einer Ansicht nach das Staatsangehörigkeitsrecht, das die formale Zuordnung zum Staat konkretisiert. Hier habe eine Neujustierung an-

35

Herzog, Allgemeine Staatslehre, 1971, S. 201 f. Böckenförde, in: HStR II, 3. Auflage 2004, § 24 Rn. 41. 37 Herzog, Allgemeine Staatslehre, 1971, S. 202 f. 38 Böckenförde, in: HStR II, 3. Auflage 2004, § 24 Rn. 41; BVerfGE 129, 124 (169); 144, 20 (208); Kube, GS Brugger, 2013, 571 (582, 595). 39 Schmitt, Legalität und Legitimität, 2. Auflage 1968, S. 32. 40 Zum demokratischen Gehalt insbesondere BVerfGE 89, 155 (171 f.); Böckenförde, in: HStR II, 3. Auflage 2004, § 24 Rn. 41; schon im Grundsatz BVerfGE 1, 14 (33); dazu Kube, GS Brugger, 2013, 571 (574). 41 Schmitt, Legalität und Legitimität, 2. Auflage 1968, S. 31; Böckenförde, in: HStR II, 3. Auflage 2004, § 24 Rn. 52 ff. 42 Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 205. 43 So auch Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 207. 44 Z. B. Schmitt, Legalität und Legitimität, 2. Auflage 1968, S. 31; Köller, Funktionale Selbstverwaltung und ihre demokratische Legitimation, 2009, S. 60 m. w. N.; Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 208 m. w. N.; ähnlich Herzog, Allgemeine Staatslehre, 1971, S. 220 f.; Lee, Demokratische Legitimation, 2017, S. 39. 36

B. Legitimationssubjekt

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zuknüpfen, die die unterschiedlichen Gruppen der Herrschaftsbetroffenen einerseits und der wahlberechtigten Staatsbürger andererseits zu harmonisieren suche.45

III. Anerkennung von Teilvölkern? Die Frage, ob nur ein einziges, das aus allen Staatsbürgern bestehende, „Volk“ die Ausübung von Staatsgewalt legitimieren kann, oder ob daneben auch kleinere Einheiten wie „Teilvölker“ als legitimationsstiftende Einheiten anzusehen sind, ist insbesondere für die Legitimation von Trägern funktionaler Selbstverwaltung durch Betroffenenpartizipation von Bedeutung.46 Hier scheidet sich das „monistische“ Demokratieverständnis, das das Volk als Einheit aller Staatsbürger versteht, vom „pluralistischen“ Demokratieverständnis, das ein Anknüpfen an kleinere Einheiten anerkennt. Die Betonung der Menschenwürdedimension geht häufig, aber nicht notwendigerweise mit einem pluralistischen Legitimationskonzept Hand in Hand. Weil in Art. 28 GG ausdrücklich auch Landes-​, Kreis-​und Gemeindevölker anerkannt sind, könnte der Volksbegriff nicht als Einheit zu verstehen sein, sondern unterschiedliche Legitimationssubjekte lediglich begrifflich zusammenfassen. Andererseits steht das Landes-​, Kreis-​und Gemeindevolk nicht als eigenständige Größe neben dem Gesamtvolk, sondern bezeichne einen räumlich abgegrenzten, aber in das Gesamtvolk eingegliederten „Volksteil“.47 Damit setze Art. 28 GG das „Volk“ in gebietsabgegrenzter Weise um, sei aber in seinem Gehalt qualitativ (nicht quantitativ) gleich.48 Gleichwohl könnte unter Rückgriff auf die Idee der Selbstbestimmung der Begriff „Volk“ für die Summe der herrschaftsbetroffenen Individuen stehen, sodass nicht das gesamte Staatsvolk die Ausübung von Staatsgewalt legitimieren müsste, sondern auch beispielsweise die von Herrschaftsgewalt besonders Betroffenen eine gleichwertige Legitimation durch Wahl vermitteln könnten. Weitere Ausführungen zu Partizipationsmöglichkeiten von Teilvölkern unterbleiben an dieser Stelle.49

IV. Zusammenfassendes Fazit Der Volksbegriff des Grundgesetzes basiert auf dem Gedanken der natürlichen Freiheit und Gleichheit der das Volk ausmachenden Individuen, die in gleicher Weise durch spezifische grundgesetzliche Ausgestaltungen an der politischen Willensbildung teilhaben. Art. 20 Abs. 2 GG verfasst das Volk als gedankliche Einheit. 45

Böckenförde, in: HStR II, 3. Auflage 2004, § 24 Rn. 28. Ausführlich Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 316 ff; Böckenförde, in: HStR II, 3. Auflage 2004, § 24 Rn. 27. 47 Ausführlich Köller, Funktionale Selbstverwaltung und ihre demokratische Legitimation, 2009, S. 99 m. w. N.; Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 211 ff. 48 Vgl. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 213. 49 S. § 3 D. VI. 3. a). 46

90

§ 3 Demokratische Legitimation von Verwaltungsakten

Ob diese Einheit durch die Staatsbürgerschaft definiert ist, oder sich auch andere Anknüpfungspunkte ergeben können, bleibt an dieser Stelle offen.

C. Legitimationsobjekt Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG legt fest, dass die Staatsgewalt vom Volke ausgeht. Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG greift die Staatsgewalt durch das Pronomen „Sie“ wieder auf und legt fest, dass die Staatsgewalt gewaltengegliedert ausgeübt wird. Demnach ist das Objekt demokratischer Legitimation die Ausübung von Staatsgewalt.50 Das Ausüben von Staatsgewalt durch einen anderen als das Volk, namentlich durch die „besonderen Organe“ i. S. d. Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG, bedarf folglich der Legitimation.

I. Ausgangslage Der Begriff der „Staatsgewalt“ wird vom Grundgesetz nicht definiert, sodass seine Bedeutung mithilfe der Auslegungsmethoden ermittelt werden muss. Die Wortstruktur gibt mit den aufeinander bezogenen Begriffen „Staat“ und „Gewalt“ bereits Anhaltspunkte, sodass an die Semantik der Wortbestandteile angeknüpft werden kann und ihr Verhältnis zueinander ein Grundverständnis vom Begriff „Staatsgewalt“ formt.51 Der Begriff wird innerhalb der Wortlautauslegung meist teleologisch erschlossen,52 wobei auch systematische Erwägungen fruchtbar gemacht werden,53 um den Zweck des Begriffs aus dem Verfassungsumfeld zu erklären. In besonderem Maße relevant für die weitere Erörterung ist die Frage, ob legitimationsbedürftiges Moment (nur) ein ausübendes Organ in abstraktem Sinne und dessen Kompetenz zur Ausübung von Staatsgewalt oder die Ausübung von Staatsgewalt in ihrer konkreten Erscheinungsform als „Entscheidung“ ist. Wird ein von der Ministerialverwaltung abweichender Verwaltungsträger abstrakt betrachtet, erlangt dessen Legitimation als Funktionsträger herausgehobene Bedeutung, und das Moment der Staatsgewalt wird nur abstrakt entfaltet. Das hiernach gewonnene Begriffsverständnis wird zuerst erläutert und hinterfragt, bevor das für diese Untersuchung relevante konkrete Verständnis von Staatsgewalt herausgestellt wird. 50 Böckenförde, in: HStR II, 3. Auflage 2004, § 24 Rn. 12; Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 225 ff.; Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 208; undeutlich Lee, Demokratische Legitimation, 2017, S. 41. 51 Aufteilung in „Staat“ und „Gewalt“ z. B. bei Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 235; Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 208 ff. 52 So z. B. bei Böckenförde, in: HStR II, 3. Auflage 2004, § 24 Rn. 1; Schmidt-​Aßmann, AöR Bd. 116 (1991), 329 (338). 53 Schmidt-​Aßmann, AöR Bd. 116 (1991), 329 (338); Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 234.

C. Legitimationsobjekt

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II. Legitimationsobjekt Amt? Der Begriff der Staatsgewalt wird meist als Folge des Betrachtungswinkels auf den Träger von Staatsgewalt bezogen; es geht also maßgeblich darum, ob ein bestimmter Träger insgesamt Staatsgewalt ausübt, nicht um die Frage, ob eine bestimmte Handlung des Trägers die Ausübung von Staatsgewalt darstellt.54 1. „Ausüben von Staatsgewalt“ mit „Kompetenz“ synonym? Implizit wird bei diesem Begriffsverständnis die Ausübung von Staatsgewalt mit der Kompetenz zur Ausübung von Staatsgewalt synonymisiert. Das Legitimationsobjekt wird so ausgetauscht.55 An die Stelle der Legitimation der Ausübung von Staatsgewalt in Gestalt einer konkreten Maßnahme tritt die Legitimation des Amtes, das entscheidungsbefugt ist.56 2. Reduktion auf organisatorisch-​personelle Legitimation Wenn nur die Entscheidungskompetenz legitimiert werden muss, kommt es notwendigerweise nur darauf an, ob ein Funktionsträger insgesamt, also unabhängig von seinen Handlungen, demokratisch legitimiert ist. Das ist insbesondere dann relevant, wenn ein Funktionsträger betrachtet wird, der nicht in die Ministerialverwaltung eingegliedert ist und die einzelnen Formen der Herrschaftsausübung durch den Funktionsträger nicht betrachtet werden. Der Fokus auf einen Verwaltungsträger zwingt zu einer Erörterung nicht der Frage, ob eine konkrete Maßnahme demokratisch legitimiert ist, sondern ob die Entscheidungsgehalte wahrnehmende Institution in abstrakter Weise legitimiert ist. Diese Verengung des legitimationsbedürftigen Teils einer rechtserheblichen Handlung auf das die Handlung verursachende Funktionsorgan führt notwendigerweise zu einer Fokussierung auf den organisatorisch-​personellen Legitimationsstrang, weil es hier gerade um die Befugnis zur Entscheidung geht.57 Letztlich wird schwerpunktmäßig nicht danach gefragt, ob die „Staatsgewalt“, also ein Objekt, legitimiert ist, sondern ob derjenige, der die Staatsgewalt durch Wahrnehmung von Entscheidungsbefugnissen ausübt, 54 Weit überwiegend, nicht nur von Vertretern der Kettentheorie eingenommener Betrachtungswinkel, z. B. Böckenförde, Verfassungsfragen der Richterwahl, 1974, S. 68 ff.; Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993; Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991; Brosius- ​Gersdorf, Deutsche Bundesbank und Demokratieprinzip, 1997; Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000; Köller, Funktionale Selbstverwaltung und ihre demokratische Legitimation, 2009; Dederer, Korporative Staatsgewalt, 2004; weiter Tschentscher, Demokratische Legitimation der dritten Gewalt, 2006; Bryde, FS Thieme, 1993, 9 ff.; Lee, Demokratische Legitimation, 2017, S. 25. 55 Genau so Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, 2004, S. 257. 56 Genau so Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, 2004, S. 257. 57 Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, 2004, S. 257.

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§ 3 Demokratische Legitimation von Verwaltungsakten

legitimiert ist.58 Damit wird der inhaltliche Teil einer Maßnahme legitimatorisch vernachlässigt, obgleich der Aktionsbezug als konstitutiv für das Vorliegen von Staatsgewalt angesehen wird.59 Letztlich würde die Möglichkeit der Ausübung von Staatsgewalt mit ihrer Ausübung gleichgesetzt.60 3. „Staatsgewalt“ Kurzform für Entscheidung, nicht Kompetenz Wird insoweit von der demokratischen Legitimation eines Funktionsträgers gesprochen, handelt es sich um eine vom Wortlaut der Verfassung abstrahierende Darstellung,61 die nicht verbergen darf, dass maßgeblicher Anknüpfungspunkt ein konkretes rechtserhebliches Tätigwerden darstellt, das sich als Ausübung gerade staatlicher Befugnisse darstellen muss.62 Es geht jedoch nicht allein um die staatliche Befugnis im Sinne der abstrakten Entscheidungskompetenz, sondern um die „Entscheidung“ in ihrer konkreten Gestalt,63 um die Wirkung von Staatsgewalt durch „Ausübung“. Damit ist nicht allein die Entscheidungskompetenz zu legitimieren, sondern die Ausübung von Staatsgewalt in Gestalt einer konkreten Handlung oder Maß­ nahme,64 häufig abgekürzt mit dem Begriff „Entscheidung“. „Primärer Orientierungspunkt ist […] die Ausübung organisierter hoheitlicher Entscheidungsmacht durch die staatlichen Organe; diese bedarf der demokratischen Legitimation. Um dies zu erreichen, bedarf es – neben anderem – einer demokratisch legitimierten Bestellung der die Entscheidungsbefugnisse wahrnehmenden Amtswalter; sie dient als Mittel zur Herstellung der demokratischen Legitimation der Entscheidung selbst, nicht umgekehrt.“65 Bei der verkürzenden Gleichstellung der Ausübung von Staatsgewalt in Form einer konkreten Entscheidung mit der Kompetenz zur Wahrnehmung von Staatsaufgaben handelt es sich folglich streng genommen um einen „Austausch des Legitimationsobjekts“.66 Nicht allein das Amt, sondern auch die 58 Deutlich Köller, Funktionale Selbstverwaltung und ihre demokratische Legitimation, 2009, S. 21, 37. 59 So bei Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 211; Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 256. 60 So auch Köller, Funktionale Selbstverwaltung und ihre demokratische Legitimation, 2009, S. 37. 61 Eingehend dazu Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 258 ff. 62 Deutlich bei Böckenförde, Verfassungsfragen der Richterwahl, 1974, S. 68; ders., in: HStR II, 3. Auflage 2004, § 24 Rn. 11 ff.; Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 261; so auch Köller, Funktionale Selbstverwaltung und ihre demokratische Legitimation, 2009, S. 39; Schmidt-​Aßmann, AöR Bd. 116 (1991), 329 (339). 63 Mehde, in: Herausforderung e-​Government, 2009, 213 (214); So auch Lederer, Open Data, 2015, S. 328; Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 46. 64 So auch Lederer, Open Data, 2015, S. 328. 65 Böckenförde, Verfassungsfragen der Richterwahl, 1974, S. 75. 66 Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, 2004, S. 257.

C. Legitimationsobjekt

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konkrete Erscheinungsform von Staatsgewalt in einer hoheitlichen Handlung ist Anknüpfungspunkt des Legitimations​erfordernisses.67

III. Legitimationsobjekt Verwaltungsentscheidung Drei Elemente sind für das Vorliegen einer „Ausübung von Staatsgewalt“ relevant: Erstens das „staatliche“ Moment, das sich maßgeblich als Zurechnungsfrage darstellt; zweitens das „Gewalt“-Moment, das zumeist als Rechtserheblichkeitsschwelle definiert wird; und drittens das Element des „Entscheidungscharakters“, dessen Erforderlichkeit kritisch hinterfragt werden muss, da es nicht ausdrücklich aus Art. 20 Abs. 2 GG folgt. 1. „Staat“ i. S. d. Art. 20 Abs. 2 GG Art. 20 Abs. 2 GG bestimmt, dass legitimationsbedürftige Tätigkeiten solche des Staates sind. Über die Erforderlichkeit der Zurechenbarkeit einer Tätigkeit zum Staat als Mindestvoraussetzung besteht Einigkeit.68 Die Zurechnungsfrage wird teilweise als einzig maßgebliches Prüfkriterium,69 teilweise als eines unter mehreren erforderlichen Elementen angesehen.70 Das Kriterium ist unabhängig von einer Organisationsstruktur immer dann erfüllt, wenn die Zurechnung einer Handlung zum Staat gelingt, sodass es unerheblich ist, ob sich der Staat privatrechtsförmiger Organisationsformen oder sonstiger nicht hoheitlicher Rechtsformen bedient.71 Freilich liegt im Falle der materiellen Privatisierung kein Verwaltungshandeln mehr vor,72 sodass auch das Legitimationserfordernis nicht greift. 67 So auch Böckenförde, Verfassungsfragen der Richterwahl, 1974, S. 75; ders., in: HStR II, 3. Auflage 2004, § 24 Rn. 12; Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 261; Herzog, Allgemeine Staatslehre, 1971, S. 155; Dreier, in: Grundgesetz Kommentar, 3. Auflage 2015, Art. 20 (Demokratie), Rn. 87 f.; Schmidt-​Aßmann, AöR Bd. 116 (1991), 329 (339); Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 215; Köller, Funktionale Selbstverwaltung und ihre demokratische Legitimation, 2009, S. 39; ­L ederer, Open Data, 2015, S. 328; Robbers, in: Kahl / ​Waldhoff / ​Walter, GG, 197. Aktualisierung 2019, Art. 20 Abs. 2, Rn. 3024; Lee, Demokratische Legitimation, 2017, S. 41 f. z. B. BVerfGE 83, 60 (72); 93, 37 (66). 68 Z. B. Böckenförde, in: HStR II, 3. Auflage 2004, § 24 Rn. 13; Jestaedt, Demokratie­prinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 225; Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 208; Dederer, Korporative Staatsgewalt, 2004, S. 12. 69 Dederer, Korporative Staatsgewalt, 2004, S. 12. 70 So z. B. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 225; unklar Böckenförde, in: HStR II, 3. Auflage 2004, § 24 Rn. 13; ders., Verfassungsfragen der Richterwahl, 1974, S. 76. 71 Böckenförde, in: HStR II, 3. Auflage 2004, § 24 Rn. 13; Groß, Das Kollegialprinzip in der Verwaltungsorganisation, 1999, S. 34; Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominial­ verwaltung, 1993, S. 263 f. 72 Hoffmann-​Riem, in: GVwR I, 2. Auflage 2012, § 10 Rn. 19.

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§ 3 Demokratische Legitimation von Verwaltungsakten

2. „Gewalt“ i. S. d. Art. 20 Abs. 2 GG Mit dem „Gewalt“moment wird der Begriff der Staatsgewalt aktionsbezogen73: Es geht um die „Wahrnehmung einer Aufgabe“74, eine „Handlung“75, „Aktivität“76 oder einen „Akt“77, wobei die Worte zur Verdeutlichung eines punktuellen Wirkens synonym verwendet werden. Hintergrund dürfte die Verbindung der „Staatsgewalt“ aus Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG mit ihrem „Ausgehen“ in S. 1 und ihrer „Ausübung“ in S. 2 sein. Die „Gewalt“ ist im Rahmen des Art. 20 Abs. 2 GG nicht ein Zustand, sondern verknüpft mit einer Aktion. Durch die Verbindung der „Gewalt“ mit der Verstärkung „alle“ in Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG sowie der hier angelegten Verknüpfung mit der Volkssouveränität78 ist der Gedanke einer Herrschaft des Volkes insgesamt niedergelegt, sodass „Gewalt“ nicht im Sinne von vis, sondern im Sinne von potestas verstanden wird.79 Über die Anwendung physischen Zwangs weist der Begriff der Staatsgewalt damit hinaus.80 In der verfassungsrechtlichen Demokratie soll jede Äußerung von Souveränität sich nicht von einem Herrscher, von Gott oder einer sonstigen höheren Macht ableiten, sondern vom Volk.81 Jede Machtausübung eines Anderen als des Volkes bedarf damit grundsätzlich eines Geltungsgrundes gegenüber dem Volk.82 Jedenfalls umfasst ist damit die Wahrnehmung von Staatsaufgaben, also der Erlass von Verwaltungsakten;83 im modernen Leistungsstaat bedürfen jedoch auch alle übrigen Äußerungen des Staates der Legitimation. Ob als Unterschwelle ein rechtserhebliches Handeln erforderlich ist, wird unterschiedlich beurteilt.84 In Anbetracht der Formulierung „alle Staatsgewalt“ in Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG sind neben schlicht-​hoheitlichem und privatwirtschaftlichem auch alle anderen Formen des

73

S. auch Oebbecke, VerwArch Bd. 81 (1990), 340 (355). Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 255; Böckenförde, in: HStR II, 3. Auflage 2004, § 24 Rn. 11. 75 Böckenförde, in: HStR II, 3. Auflage 2004, § 24 Rn. 11. 76 Emde, die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 212. 77 Schmidt-​Aßmann, AöR Bd. 116 (1991), 329 (339). 78 Böckenförde, in: HStR II, 3. Auflage 2004, § 24 Rn. 2. 79 Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 234; Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit, 1983, S. 24; ähnlich Dreier, in: Dreier, GG, 3. Auflage 2015, Art. 20 (Demokratie), Rn. 86. 80 Ausführlich Herzog, Allgemeine Staatslehre, 1971, S. 154 ff., 159. 81 Böckenförde, in: HStR II, 3. Auflage 2004, § 24 Rn. 10; Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 159; Herzog, Allgemeine Staatslehre, 1971, S. 199 ff. 82 Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 159. 83 Böckenförde, in: HStR II, 3. Auflage 2004, § 24 Rn. 13; Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 255; Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 211 ff.; Schmidt-​Aßmann, AöR Bd. 116 (1991), 329, 338. 84 Dafür Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 256; dagegen Dederer, Korporative Staatsgewalt, 2004, S. 21. 74

C. Legitimationsobjekt

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Verwaltungshandelns umfasst.85 Weil der Erlass eines Verwaltungsaktes als außenwirksame, verbindliche Maßnahme ohne Weiteres das „Gewalt“-Moment erfüllt,86 wird auf eine weitere Aufschlüsselung verzichtet. 3. Entscheidungscharakter? Problembehaftet ist die Frage, ob es für die Ausübung von Staatsgewalt zusätzlich eines „Entscheidungscharakters“ bedarf. Nicht zuletzt das Bundesverfassungsgericht operiert mit den Begriffen „Entscheidung“87, „Entscheidungscharakter“88 und „Entscheidungsgehalt“89. Damit rückt ein bisher unberücksichtigtes Element der Ausübung von Staatsgewalt in den Blickpunkt: Die Qualifizierung eines Tätigwerdens als „Entscheidung“. Das konkrete Begriffsverständnis wird nicht immer erläutert. Der Begriff der „Entscheidung“ wird nicht durchgängig, aber regelmäßig90 mit einem Willensakt in Verbindung gebracht. a) Legitimationsbedürftigkeit der „Entscheidung“ i. S. v. Dezision Möglicherweise liegt also eine Ausübung von Staatsgewalt nur vor, wenn neben der Zurechnung einer Handlung zum Staat diese auch ein entscheidendes Element aufweist. aa) Subsumtionsautomaten nicht legitimationsbedürftig? Teilweise wird der Begriff der „Entscheidung“ mit dem Vorgang des freien oder methodisch gebundenen Wählens aus mehreren Möglichkeiten verbunden.91 Der Begriff bezeichne damit einen Willensakt.92 Unterwirft man nur das willentliche Auswählen aus mehreren Möglichkeiten dem Legitimationserfordernis, würde dies zu einem Ausscheiden vollständig vorstrukturierter Vorgänge, und damit einem Ausscheiden von maschinellen Tätigkeiten insgesamt, aus dem Legitimations­ 85 Zustimmend Böckenförde, in: HStR II, 3. Auflage 2004, § 24 Rn. 13; Dederer, Korporative Staatsgewalt, 2004, S. 21; Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, 2004, S. 255; differenzierend Schmidt-​Aßmann, AöR Bd. 116 (1991), 329 (339). 86 Z. B. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 257; Böckenförde, in: HStR II, 3. Auflage 2004, § 24 Rn. 12; Herzog, Allgemeine Staatslehre, 1971, S. 161; Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 211. 87 BVerfGE 83, 60 (73); 93, 37 (68). 88 BVerfGE 83, 60 (73); 93, 37 (37). 89 BVerfGE 83, 60 (74). 90 Z. B. Schmidt-​Aßmann, AöR Bd. 116 (1991), 329 (339); Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 258. 91 Bull, Verwaltung durch Maschinen, 2. Auflage 1964, S. 68. 92 Bull, Verwaltung durch Maschinen, 2. Auflage 1964, S. 68.

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§ 3 Demokratische Legitimation von Verwaltungsakten

erfordernis führen. Automaten fehle die Willensfähigkeit93. In diese Richtung gehen Ausführungen von Jestaedt, der die Tätigkeit von „Subsumtionsautomaten“ aus dem Legitimationserfordernis ausscheidet.94 Lediglich der Programmierungsakt, beispielsweise das steuernde Parlamentsgesetz, sei legitimationsbedürftig.95 Andererseits wird ein Entscheidungscharakter der Maßnahme insgesamt bereits angenommen, wenn ein Willensakt notwendiger Bestandteil einer Endentscheidung ist, sodass insoweit die Rückführbarkeit auf einen Willensakt auch die vollständig vorstrukturierte Maßnahme dem Legitimationserfordernis unterwürfe.96 bb) Folge für Automatisierungen Synonymisiert man implizit die „Entscheidung“ mit der „Ausübung von Staatsgewalt“, verschwimmt die Frage, ob eine zurechenbare Handlung zu legitimieren ist, oder der Willensakt, der zur Vornahme der Handlung führt, also das Entscheidungselement beisteuert. Wird dann der Willensakt implizit mit der Rechtserheblichkeit gleichgesetzt und anerkannt, dass es auch im Bereich der gebundenen Verwaltung in rechtsmethodischer Hinsicht stets ein Willensakt vorliege,97 entsteht ein Problem gerade im Hinblick auf den Einsatz von Automationssystemen: Setzt die Verwaltung Datenverarbeitungsanlagen in denjenigen Bereichen ein, in welchen bei hergebrachter, händischer Bearbeitung ein entscheidendes Element 93

Allgemein Bull, DVBl. 2017, 409 (410); Schmitz / ​Prell, NVwZ 2016, 1273 (1275); Stegmüller, NVwZ 2018, 353 (354); für lernende Systeme Herberger, NJW 2018, 2825 (2827). Die Diskussion um die Willensfähigkeit von Automationssystemen wird vor allem als allgemeines Zurechnungsproblem diskutiert. An dieser Stelle geht es zunächst um die Frage, ob das Legitimationserfordernis bezüglich eines Willensaktes besteht, oder bezüglich einer zurechen­baren Handlung. Erst danach geht es im Rahmen der Einordnung von Automationssystemen um die Zurechnung ihrer Tätigkeit, in diesem Rahmen wird die Diskussion um das Zeidler’sche „Verwaltungsfabrikat“ relevant, s. § 4 A. I. 2. 94 Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 258 f. Es wurde teilweise angenommen, dass ministerialfreie Stellen insgesamt als solche „Subsumtionsautomaten“ anzusehen seien, das wurde jedoch bald aufgegeben, dazu bereits Waechter, Geminderte demokratische Legitimation, 1994, S. 24; Für „echte“ Subsumtionsautomaten wurde das Problem ersichtlich nur von Bull, Verwaltung durch Maschinen, 2. Auflage 1964, S. 64 ff. gesehen und wie hier im Legitimationserfordernis allein auf die Zurechnung abgestellt; allerdings konnte eine genauere Analyse an der Legitimationsdogmatik sowie eine Differenzierung hinsichtlich Systemen des maschinellen Lernens nicht geliefert werden, weil sich die Legitimationsdogmatik noch nicht herausgebildet hatte sowie rechtsinformatische Grundlagenforschung zu maschinellen Lernsystemen fehlten. 95 Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 259. 96 Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 258 f. 97 Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, setzt auf S. 258 den „Entscheidungs“-begriff mit einem Willensakt gleich und synonymisiert den „Entscheidungs“-​ begriff mit seinem Verständnis von „formeller Staatsgewalt“, die vorher als bloße Rechtserheblichkeit konkretisiert wird; Auf S. 259 wird darauf hingewiesen, dass die Verwendung des Willensbegriffs im Grunde obsolet ist, weil Fälle ohne Willensbildung „praktisch sehr selten“ sind.

C. Legitimationsobjekt

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angenommen wird, liegt bei einer Ersetzung der menschlichen Entscheidungstätigkeit durch Automatentätigkeit mangels Willensfähigkeit keine „Entscheidung“ mehr vor. Die maschinelle Verarbeitung wäre nicht legitimationsbedürftig, weil sie keinen entscheidenden Charakter aufweist. Es kann insoweit auch nicht grundsätzlich auf den Willensursprung abgestellt werden: Anknüpfungsbedürftiges Moment könnte jedenfalls bei fallbasierten und lernenden Systemen lediglich der Wille der Behörde sein, das Programm einzusetzen. Dieser Wille ist aber antizipiert und abstrakt, im Falle der maschinellen Ausdeutung auslegungsbedürftiger Rechtsbegriffe erfasst er das Rechtsanwendungsergebnis notwendigerweise nicht. Im Falle selbstlernender Systeme erfasst er auch maßgebliche Entscheidungsparameter nicht. Legitimationsbedürftig wäre nach obigem Begriffsverständnis bei einer automatisierten Tätigkeit nur die „Entscheidung über die Rechtsanwendung“ einer Behörde in abstrakter Hinsicht, nicht die „Entscheidung“ im Sinne einer konkreten Maßnahme mit einem konkreten Inhalt. Das legitimationsbedürftige Moment würde von der Maßnahme mit konkretem Entscheidungsinhalt zum abstrakten Entscheidungsursprung verschoben. Das würde dazu führen, dass die konkretisierte Gestalt des Rechts in einer hoheitlichen Maßnahme bei automatisierter Bearbeitung nicht zu legitimieren ist, bei menschlicher Bearbeitung hingegen schon. Nicht jede automatisierte Bearbeitung geht aber in ihren Einzelheiten auf eine menschliche Antizipation zurück. Letztlich würde eine Legitimationslücke für maschinelle Tätigkeiten entstehen, jedenfalls ein reduzierter Legitimationsumfang je nachdem, ob die menschliche oder maschinelle Bearbeitung gewählt wird. b) Legitimationsbedürftigkeit der Maßnahme mit „Entscheidungscharakter“ Überwiegend wird entgegen obigem Verständnis das Legitimationserfordernis an das Vorliegen einer Handlung oder Maßnahme, nicht eines Willensakts geknüpft. aa) Ossenbühl und Böckenförde Von Ossenbühl werden Ausführungen zu exekutiven Willensakten nur in Verbindung mit der Ablehnung eines parlamentarischen Totalvorbehalts gemacht.98 Er sieht die Verwaltung neben der Legislative als nachrangiges, aber gleichwohl mit eigenen Kompetenzen zur Willensbildung ausgestattetes Funktionsorgan.99 Daraus kann aber nicht im Gegenzug geschlossen werden, dass er einen Willensakt für zwingend erforderlich hält, um das Vorliegen einer hoheitlichen Tätigkeit 98 99

Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften und Grundgesetz, 1968, S. 214. Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften und Grundgesetz, 1968, S. 214.

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§ 3 Demokratische Legitimation von Verwaltungsakten

anzunehmen. In dieselbe Richtung gehen die Ausführungen Böckenfördes, der einen „Willensakt“ soweit ersichtlich an keiner Stelle erwähnt, sondern das legitimationsbedürftige Moment durchweg als „Wahrnehmung von Staatsaufgaben“ beschreibt und auf ein konkretes „Handeln“ abstellt, nicht auf einen Willen.100 Sein Verständnis des legitimationsbedürftigen Moments ergibt sich unter Hinzuziehung vorheriger Aussagen zur Funktionengliederung.101 Maßgeblich ist die Ausübung einer hoheitlichen Funktion. Sein Verständnis deckt sich ersichtlich mit der Ansicht von Ossenbühl. Beiden geht es vorrangig um eine Zurechnung einer Handlung zu einem bestimmten staatlichen Funktionsorgan.102 bb) Bundesverfassungsgericht Das Bundesverfassungsgericht unterwirft „jedenfalls alles amtliche Handeln mit Entscheidungscharakter“103 dem Legitimationserfordernis. Der Entscheidungscharakter ist damit hinreichendes, aber nicht notwendiges Kriterium für das Vorliegen einer Ausübung von Staatsgewalt. Der Begriff der „Entscheidung“ wird weiterhin synonym zum Begriff des „amtlichen Handelns“ verwendet.104 Das Merkmal des „Entscheidungscharakters“ wiederum liegt nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts dann vor, wenn der Exekutive ein Gestaltungsspielraum gewährt wird.105 Ein Gestaltungsspielraum liegt jedoch nicht nur in Ermessensentscheidungen und anderen nicht legislativ vorstrukturierten Bereichen vor, sondern nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts bereits dann, wenn sich die Rechtsanwendung auf die „messbar richtige“106 Gesetzesdurchführung beschränkt. Das Bundesverfassungsgericht nimmt also ähnlich wie Jestaedt an, dass jeder Vollzug eines Gesetzes einen Entscheidungscharakter aufweist, auch wenn nicht zwischen mehreren Vollzugsmöglichkeiten ausgewählt wird. Weiter ist nicht der Entscheidungscharakter das konstitutive Merkmal für das Legitimationserfordernis, sondern die amtliche Handlung. Demnach liegt nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts immer dann eine legitimationsbedürftige „Entscheidung“ vor, wenn eine Stelle von einer hoheitlichen Kompetenz Gebrauch macht.107 Darauf, dass eine „echte Wahlentscheidung“ vorliegt, kommt es nicht an. 100

Böckenförde, in: HStR II, 3. Auflage 2004, § 24 Rn. 12. Böckenförde, Verfassungsfragen der Richterwahl, 1974, S. 64, 68; Grawert / ​Böckenförde, AöR Bd. 95 (1970), 1 (25 f.). 102 Deutlich Böckenförde, in: HStR II, 3. Auflage 2004, § 24 Rn. 13. 103 BVerfGE 83, 60 (73); 93, 37 (37); 107, 59 (87); 136, 194, 261 m. w. N. 104 Vgl. BVerfGE 93, 37 (68): „Alles amtliche Handeln mit Entscheidungscharakter (…). Auch solche Entscheidungen (…)“. 105 BVerfGE 83, 60 (74). 106 BVerfGE 83, 60 (74). 107 BVerfGE 47, 253 (273). 101

C. Legitimationsobjekt

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cc) Folge: Willensakt als Auslöser Letztlich wird nicht der Willensakt in seinem Umfang dem Legitimationserfordernis unterworfen. Es geht um eine dem Staat zurechenbare Wahrnehmung von Kompetenzen, die eine Willensbetätigung irgendeines Staatsorgans an irgendeiner Stelle voraussetzen, nur um eine Zurechnung eines Handelns zum Staat überhaupt konstruieren zu können. Art. 20 Abs. 2 GG konstituiere also lediglich das Erfordernis eines Willenszusammenhangs108 aus Zurechnungsgründen,109 legitimationsbedürftig bliebe aber die konkrete, von einem Willensakt unabhängige Handlung. Das ist auch die Konsequenz der Ansicht von Jestaedt, der im Ergebnis allein unterscheidet, ob eine Wirkungsweise der Legislative oder der Exekutive zugerechnet wird, in der Legitimationsbedürftigkeit aber keinen Unterschied macht.110 c) Stellungnahme Ausgangspunkt und Endpunkt einer Maßstabskonkretisierung muss der Wortlaut der Verfassung bleiben, der die „Ausübung von Staatsgewalt durch besondere Organe“ an das Volk rückkoppelt. Der Begriff der „Entscheidung“ dient lediglich einer Präzisierung der Formulierung der „Ausübung von Staatsgewalt“, darf aber nicht ohne Weiteres dahingehend ausgelegt werden, dass eine Automatentätigkeit mangels Willensfähigkeit keinem Legitimationserfordernis unterliege. Die „Ausübung von Staatsgewalt“ ist dem Wortlaut entsprechend als hoheitliches Handeln zu verstehen. Teilweise wird geltend gemacht, dass „alle“ Staatsgewalt dem Legitimationserfordernis unterliege und der Begriff der Staatsgewalt daher möglichst weit auszulegen sei.111 Das Argument könnte auch hier angeführt werden. Die Anführung eines Verständnisses vom Wortlaut des Gesetzes zur Widerlegung einer widerstreitenden Auffassung über den Wortlaut des Gesetzes ist jedoch ein Zirkelschluss. Ist der Begriff „Staatsgewalt“ gleichbedeutend mit „Willensakt“, hilft auch der Zusatz „alle“ in Art. 20 Abs. 2 GG nicht darüber hinweg. Für eine derartige Auslegung findet sich in der Verfassung und in der Literatur allerdings keine Stütze. Im Ergebnis wird mit unterschiedlicher Begründung nur auf Zurechnungsgesichtspunkte abgestellt, um den Begriff der „Staatsgewalt“ zu konturieren. Um eine Zurechnung zu einem bestimmten Funktionsorgan des Staates zu bewirken, muss ein Willenszusammenhang zum jeweiligen Funktionsorgan des Staates bestehen. Dieser dient jedoch nur dem Ausscheiden von Zufällen.112 108

Schmidt-​Aßmann, AöR Bd. 116 (1991), 329 (339). ähnlich Stegmüller, NVwZ 2018, 353 (355); Bull, Verwaltung durch Maschinen, 2. Auflage 1964, S. 62; Kube, VVDStRL Bd. 78 (2019), 289 (303). 110 Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 259. 111 Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, 2004, S. 255. 112 So auch Bull, Verwaltung durch Maschinen, 2. Auflage 1964, S. 62. 109

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§ 3 Demokratische Legitimation von Verwaltungsakten

Es ist also nicht erforderlich, dass der Wille eines Funktionsorgans final auf ein bestimmtes Ergebnis gerichtet ist. Sobald ein gewillkürtes, also nicht rein zufälliges Moment vorliegt, das einem Funktionsorgan des Staates zuzuordnen ist, bedürfen alle kausalen Folgen dieses Moments der Legitimation nach Maßgabe der für dieses Funktionsorgan geltenden Anforderungen. Das Kriterium des „Willensaktes“ gibt deshalb gegenüber dem Erfordernis eines rechtserheblichen Handelns eines bestimmten Funktionsorgans nichts her, soweit es um Verwaltungsakte geht. Jeder Verwaltungsakt als das Gesetz umsetzender Akt der Exekutive lässt sich notwendigerweise auf irgendeinen Willensakt rückbeziehen,113 weil es zur Transformation eines Gesetzes in einen konkret-​individuellen Befehl jedenfalls der Entscheidung über die Transformation bedarf.114 Damit besteht ein Willenszusammenhang zur Verwaltung, sobald die Verwaltung ein Gesetz vollzieht. Das Gesetz selbst wiederum geht auf einen Willensakt des Parlaments zurück und unterliegt damit ebenfalls dem Legitimationserfordernis, wenn auch nach den funktionsspezifischen Anforderungen für Akte der Legislative. Letztlich gibt der Rückbezug zu einem Willensakt damit nur innerhalb des bereits bestehenden Legitimationserfordernisses Aufschluss darüber, welcher Gewalt des Staates ein Akt zuzuordnen ist. Dem Legitimationserfordernis unterliegen jedoch alle Akte hoheitlicher Gewalt, ungeachtet dessen, ob sie ein eigenes Entscheidungs-​oder Willenselement aufweisen.115 4. Ergebnis Im Hinblick darauf, dass aus der bloßen Möglichkeit hoheitlichen Tätigwerdens nicht darauf geschlossen werden kann, ob auch tatsächlich eine Ausübung von Staatsgewalt vorliegt, muss auf die Wirkung von Staatsgewalt in ihrer konkreten Form als Handlung oder Maßnahme abgestellt werden. Insoweit ist nicht nur das Organ, das Staatsgewalt ausübt, oder sein gegebenenfalls vom Einzelfall abstrahierter Willensakt zu legitimieren, sondern die Ausübung von Staatsgewalt in der Form, in der sie als staatliche Machtausübung Geltung gegenüber dem Volk beansprucht, also im Bereich der Verwaltung beispielsweise in Form eines Verwaltungsaktes, aber auch in Form unbeabsichtigter Nebenfolgen einer Verwaltungstätigkeit. Willensakt und konkrete Maßnahme sind jedenfalls dann, wenn Automationssysteme als Vollzugswerkzeug eingesetzt werden, nicht notwendigerweise deckungsgleich. Insoweit verschleiert der Begriff der „Entscheidung“ als „Willensakt“ das tatsächlich zu legitimierende Moment, namentlich die Ausübung von Staatsgewalt nach dem Funktionsbereich, also im Bereich der Verwaltung als Handlung, Akt oder Maßnahme in ihrer konkreten Form. 113

Ähnlich Bull, DVBl. 2017, 409 (410). In diese Richtung auch Grzeszick, GS Brugger, 2013, 601 (609). 115 So auch Kube, VVDStRL Bd. 78 (2019), 289 (303). 114

C. Legitimationsobjekt

101

Der Begriff der „Entscheidung“ steht damit im Bereich der Verwaltung nicht nur für den Willensakt einer Behörde. Gleichwohl ist für die Zurechnung einer Maßnahme als Verwaltungsakt die Zurechnung der Maßnahme zur Verwaltung erforderlich. Gelingt dies nicht, entfällt gleichwohl nicht die Legitimationsbedürftigkeit des staatlichen Handelns, sondern die Legitimationsbedürftigkeit als Verwaltungsakt, weil die Zurechnung als Verwaltungsakt nicht gelingt. Letztlich kommt es also für die Frage, ob eine legitimationsbedürftige Ausübung von Staatsgewalt im Sinne des Art. 20 Abs. 2 GG vorliegt, auf die Möglichkeit der Zurechnung einer Handlung zu (irgend)einem Funktionsorgan des Staates an. Innerhalb dessen kommt es auf die Zurechnung zu einem bestimmten Funktionsorgan des Staates an, sodass gerade dessen Anforderungen an die Legitimation gelten. Diese Zurechnung innerhalb des bestehenden Legitimationserfordernisses lässt sich über das Kriterium des Willenszusammenhangs vornehmen.

IV. Umfang des Begriffs der „Entscheidung“ Auch die Vorbereitung und Unterstützung der Ausübung von Staatsgewalt könnten dem Legitimationserfordernis unterliegen. Es stellt sich also die Frage, was zur jeweilig legitimationsbedürftigen Handlung oder Maßnahme zu zählen ist und ob auch eventuelle Hilfstätigkeiten, Beratungen und andere Vorbereitungs-​ und Unterstützungshandlungen in das Legitimationserfordernis der jeweiligen Handlung miteinbezogen werden. Einigkeit herrscht dahingehend, dass nicht jede faktische Wirkungsweise116, die mit der Ausübung von Staatsgewalt zusammenhängt, zu legitimieren ist. Die Verwendung technischer Hilfsmittel sowie im Vorfeld einer hoheitlichen Handlung angesiedelte Konsultationen von Beiräten und andere Hilfsfunktionen werden vielmehr aus dem Legitimationserfordernis ausgeschieden.117 Die Problematik deckt sich teilweise mit der Frage nach dem „Entscheidungscharakter“ einer Maßnahme, bezieht sich aber nicht auf die Frage, ob eine maschinelle Tätigkeit überhaupt legitimationsbedürftig sein kann, sondern auf die Frage, welches Kriterium begründet, dass eine Wirkungsweise als Teil gerade der Maßnahme und damit nach den für die Maßnahme geltenden Anforderungen legitimationsbedürftig ist.

116

Vgl. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 256. BVerfGE 83, 60 (74); Böckenförde, in: HStR II, 3. Auflage 2004, § 24 Rn. 13; Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 261; Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 215.

117

102

§ 3 Demokratische Legitimation von Verwaltungsakten

1. Abgrenzungskriterien Konsequent wird erneut der Begriff der „Entscheidung“ zur Abgrenzung herangezogen: Stelle sich eine Vorbereitungs-​oder Unterstützungshandlung nicht als Mit-​„Entscheidung“ dar, so unterfalle sie selbst nicht dem Legitimationserfordernis.118 Sei die Unterstützungshandlung als Mit-​„Entscheidung“ zu qualifizieren, löse sie ein eigenständiges Legitimationsbedürfnis aus.119 Die „Entscheidung“ wird als Äußerung eines Staatswillensaktes definiert.120 Andere stellen auf das Kriterium der Rechtserheblichkeit ab, sodass Tätigkeiten, die keine Teilhabe an der Endentscheidung in ihrer konkreten Gestalt haben, nicht zu legitimieren seien.121 Es käme vorrangig darauf an, ob die Unterstützungshandlung „den Bereich des rein Tatsächlichen verlässt und im Rahmen der staatlichen Normenordnung rechtliche Wirkungen zeitigt“122. Ein anderer Begriff für die Rechtserheblichkeit im Rahmen eines hoheitlichen Handelns ist der Begriff der rechtlichen Steuerung123: Wirke eine Unterstützungshandlung regelnd auf das Handeln eines Hoheitsträgers bei der Entscheidungsfindung ein, steuere sie die staatliche Herrschaft124 und bedürfte folglich der Legitimation als Ausübung von Staatsgewalt. Steuerung kann dabei als zielgerichtete Verhaltensbeeinflussung verstanden werden,125 eine Qualität, die zwar klassisch Rechtsnormen, aber auch diese im Einzelfall operabel machenden verwaltungsinternen Instrumenten zukommt.126 Soweit also eine unterstützende Tätigkeit die Ausübung von Staatsgewalt rechtserheblich lenke, liege eine legitimationsbedürftige „Mitentscheidung“ über die Gestalt der Maßnahme vor, sodass es für die Legitimation der Maßnahme insgesamt auch auf die Legitimation der sie steuernden Unterstützungshandlung ankomme.

118

Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 256 f; Classen, Demokratische Legitimation im offenen Rechtsstaat, 2009, S. 53; s. auch Böckenförde, in: HStR II, 3. Auflage 2004, § 24 Rn. 20. 119 Weiterführend Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 260 ff. 120 Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 257. 121 Böckenförde, in: HStR II, 3. Auflage 2004, § 24 Rn. 13; Dederer, Korporative Staatsgewalt, 2004, S. 15. 122 Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 215. 123 Dederer, Korporative Staatsgewalt, 2004, S. 22; umfassend zum Begriff Schuppert, in: Reform des allgemeinen Verwaltungsrechts I, 1993, 65 (67 ff.). 124 Vgl. BVerfGE 83, 60, 73. 125 Groß, Das Kollegialprinzip in der Verwaltungsorganisation, 1999, S. 19. Das entspricht einem engen Steuerungsbegriff, der indirekte Steuerungsmechanismen mangels rechtlicher Regelungswirkung unberücksichtigt lässt. 126 Freilich wirkt noch eine Vielzahl anderer Steuerungsressourcen. Hier sei sich dem Untersuchungsgegenstand entsprechend auf die Regelsteuerung fokussiert, vgl. zum Begriff Schuppert, in: Reform des allgemeinen Verwaltungsrechts I, 1993, 63 (76 f.).

C. Legitimationsobjekt

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2. Stellungnahme Zur Vermeidung von Unklarheiten bietet sich der Begriff der Steuerung staatlicher Herrschaft zur Abgrenzung besonders an: Entfaltet eine Mitwirkungs-​und Unterstützungshandlung Steuerungswirkung für die staatliche Machtausübung, muss sie legitimiert werden, weil sie die Hoheitsmacht mitprägt und damit an ihr Teil hat. Sie erhebt damit als Teil der hoheitlichen Handlung Geltungsanspruch gegenüber dem Volk. Liegt in der Unterstützungshandlung überdies eine weitere „Entscheidung“ im Sinne einer neuen, eine echte „Wahlentscheidung“ darstellenden Maßnahme, ist sie aufgrund eines neuen Willenszusammenhangs selbst legitimationsbedürftig. Das Kriterium des „Entscheidungscharakters“ genügt also wiederum nicht, weil das Legitimationserfordernis sich nicht nur auf Willensakte bezieht, sondern darüber hinausgeht. Geht es um Unterstützungs-​und Vorbereitungshandlungen staatlicher Machtausübung, die die Entscheidung in ihrer konkreten Gestalt nicht rechtserheblich steuern, genügt die Legitimation der übrigen, die Herrschaftsausübung steuernden Teile. Wird die Schwelle zur inhaltlichen Beeinflussung überschritten, indem die staatliche Machtausübung „inhaltlich präjudiziert“127 wird, handelt es sich um eine Steuerung der staatlichen Machtausübung, die der Legitimation bedarf – ohne dass es sich um einen Willensakt handeln muss. Technische Hilfsmittel und Unterstützungshandlungen sind deshalb aus dem Legitimationserfordernis für Verwaltungsakte auszuscheiden, solange sie die staatliche Machtausübung nicht steuern. Sie erheben dann nicht als Teil der Maßnahme Geltungsanspruch gegenüber dem Volk. Das ist beispielsweise beim Einsatz technischer Hilfsmittel wie Schreibmaschinen, Drucker oder Faxgeräte der Fall, die lediglich eine bereits getroffene Entscheidung ohne die Möglichkeit inhaltlicher Steuerung nachvollziehen. Legitimationsbedürftig bleibt die Maßnahme mit ihrer spezifischen Regelungswirkung. Wird also die Maßnahme durch den Technikeinsatz gesteuert, bedarf auch der Technikeinsatz der Legitimation.

V. Bagatellvorbehalt und politische Tragweite Eine weitere Einschränkung des Legitimationserfordernisses wurde unter den Schlagworten des „Bagatellvorbehalts“ und des „Vorbehalts politischer Tragweite“ diskutiert. Dabei handelt es sich um eine mit der Erforderlichkeit eines gerade rechtserheblichen Handelns teilweise parallele Diskussion, weil gefragt wird, ob die Wahrnehmung von Aufgaben so unwichtig oder von so geringer politischer Tragweite sein kann, dass sie letztlich nicht erheblich im Sinne einer Legitimations 127

Dederer, Korporative Staatsgewalt, 2004, S. 23.

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§ 3 Demokratische Legitimation von Verwaltungsakten

bedürftigkeit ist. Ein „Bagatellvorbehalt“ oder „Vorbehalt politischer Tragweite“ ginge jedoch teilweise weiter als das Erfordernis einer rechtserheblichen Handlung, indem er rechtlich erhebliche Tätigkeiten gleichwohl aus Wertungsgründen aus dem Legitimationserfordernis ausschiede. 1. Ansätze in der Rechtsprechung des BVerfG Der Vorbehalt politischer Tragweite könnte sich mittelbar aus einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts im Jahr 1959 ergeben, in dem das Gericht feststellte, dass in diesem Fall keine Regierungsaufgabe vorliege, die mangels politischer Tragweite der Regierungsverantwortung entzogen sei.128 Im Gegenzug hieße das, dass es derartige Aufgaben, die mangels „politischer Tragweite“ nicht zur Ausübung von Staatsgewalt zählen, geben könnte. Ähnlich stellte das Bundesverfassungsgericht in einem Urteil aus dem Jahr 1978 fest, dass die wahrgenommenen Aufgaben einer Bezirksvertretung im vorliegenden Fall nicht so unwichtig seien, dass sie aus dem Legitimationserfordernis herausfielen, weil sie keine „Ausübung von Staatsgewalt“ darstellten.129 Dies lässt den Schluss zu, dass es derartige „unwichtige“, dem Legitimationserfordernis nicht unterfallende Aufgaben geben könnte. Das Gericht selbst spezifiziert solche nicht. 2. Stellungnahme Nach dem Wortlaut des Art. 20 Abs. 2 GG, der eindeutig „alle“ Staatsgewalt dem Legitimationserfordernis unterwirft, kann nur in der Weise ein Bagatellvorbehalt vertreten werden, dass bestimmten hoheitlichen Handlungen die Qualität als „Ausübung von Staatsgewalt“ abgesprochen wird; eine gewissermaßen „nachträgliche“ Herausnahme aus dem Legitimationserfordernis aus Wertungsgründen ist mit dem Wortlaut des Art. 20 Abs. 2 GG jedenfalls unvereinbar.130 Insoweit kommt es darauf an, ob die genannten zusätzlichen Erfordernisse der „Wichtigkeit einer Aufgabe“ oder ihrer „politischen Tragweite“ etwas zur Abgrenzung von hoheitlichen Handlungen beitragen können. Letztlich werden mit den Kriterien der „Wichtigkeit“ oder „Bagatellgrenze“ nur vage Kriterien beigesteuert,131 deren Handhabung im Einzelnen schwierig sein dürfte, da keine Kriterien für die wertungsmäßige Bestimmung der „Wichtigkeit“ oder „politischen Tragweite“ geliefert werden. Es wird weiter nicht deutlich, ob sich die Kriterien möglicherweise inhaltlich mit dem der 128 BVerfGE 9, 268 (281, 282); weiterführend Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 228 ff. 129 BVerfGE 47, 253 (274). 130 So auch Köller, Funktionale Selbstverwaltung und ihre demokratische Legitimation, 2009, S. 41. 131 So auch Dreier, in: Dreier, GG, 3. Auflage 2015, Art. 20 (Demokratie), S. 88.

C. Legitimationsobjekt

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Rechtserheblichkeit decken könnten. Auch könnten mit „unwichtigen“ Aufgaben Hilfstätigkeiten ungeachtet ihrer Rechtserheblichkeit gemeint sein. Die Wesentlichkeitstheorie des Bundesverfassungsgerichts kann schon deshalb nicht gemeint sein, weil sie nur die Verortung des Legitimationsbedürfnisses bei der Legislative anstatt der Exekutive verortet, damit aber eine nachgelagerte Frage der Legitimationsanforderungen betrifft.132 Schließlich ist aus diesen Gründen sowie im Hinblick auf die Möglichkeit einer Flexibilisierung der Legitimationsanforderungen durch ein entscheidungsspezifisches Legitimationsniveau ein „Bagatellvorbehalt“ sowie ein „Vorbehalt politischer Tragweite“ abzulehnen.133 So stellte auch das Bundesverfassungsgericht in späteren Entscheidungen fest, dass Aufgaben mit „besonders geringem Entscheidungsgehalt“134 zu geringeren Legitimationsanforderungen führen können, ihr Legi­ timationserfordernis als solches aber außer Frage stehe.135 Neuere Entscheidungen lassen Abweichungen von der „Regelanforderung uneingeschränkter personeller Legitimation“136 zwar zu, jedoch nur unter der Voraussetzung einer ausreichenden sachlich-​inhaltlichen Legitimation,137 und sind insoweit als Spezifizierungen des erforderlichen Legitimationsniveaus der unterschiedlichen Formen der Verwaltungsorganisation, nicht jedoch als Rückkehr zu einem Bagatellvorbehalt zu werten.138

VI. Zusammenfassendes Fazit Legitimationsbedürftig ist nach Art. 20 Abs. 2 GG die „Ausübung von Staatsgewalt“, die als eine Wahrnehmung hoheitlicher Kompetenzen oder eine dem Staat zurechenbare Handlung charakterisiert werden kann. Für das Legitimationserfordernis selbst ist die Funktionengliederung oder Wichtigkeit der wahrgenommenen Aufgabe sowie ihre Grundrechtsrelevanz noch nicht von Bedeutung, jedes hoheit 132

So auch Köller, Funktionale Selbstverwaltung und ihre demokratische Legitimation, 2009, S. 41; Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, 2004, S. 306 f. 133 So auch Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 228 ff.; Köller, Funktionale Selbstverwaltung und ihre demokratische Legitimation, 2009, S. 41; Dreier, in: Dreier, GG, 3. Auflage 2015, Art. 20 (Demokratie), Rn. 88; wohl auch Böckenförde, Verfassungsfragen der Richterwahl, 1974, S. 71; Böckenförde, in: HStR II, 3. Auflage 2004, § 24 Rn. 12; Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, 2004, S. 265. 134 BVerfGE 83, 60 (74). 135 Dies untermauert die These, dass ein „Entscheidungscharakter“ i. S. e. Willensaktes nicht für das Legitimationserfordernis als solches relevant ist, sondern erst die nachgelagerte Frage der Legitimationsanforderungen betrifft; vgl. soeben § 3 C. III. 3. 136 BVerfGE 135, 155 (223) unter Bezugnahme von BVerfGE 130, 76 (119 ff., 123 ff.).; BVerfGE 136, 194 (263). 137 BVerfGE 135, 155 (223); BVerfGE 136, 194 (263). 138 A. A. Köller, Funktionale Selbstverwaltung und ihre demokratische Legitimation, 2009, S. 254.

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§ 3 Demokratische Legitimation von Verwaltungsakten

liche Tätigwerden unterliegt dem Gebot demokratischer Legitimation. Das Legitimationserfordernis knüpft nicht abstrakt an das ausübende Organ an, sondern an die punktuelle Wirkung von Staatsgewalt durch Ausübung, sodass einerseits die Legitimation desjenigen erforderlich ist, der die rechtserhebliche Wirkung ver­ ursacht, andererseits die Legitimation der Handlung oder Maßnahme in der Form, in der sie Regelungswirkung entfaltet. Erforderlich ist ein Willenszusammenhang zu einem Funktionsorgan des Staates aus innerhalb des Legitimationsbedürfnisses bestehenden Zurechnungsgründen, legitimationsbedürftig bleibt die konkrete Gestalt einer Maßnahme. Ob auch Hilfstätigkeiten und Unterstützungshandlungen zu legitimieren sind, richtet sich danach, ob diese die staatliche Maßnahme in ihrer Regelungswirkung inhaltlich mitgestalten, also die konkrete Gestalt der Maßnahme steuern. Zusätzliche Vorbehalte, die den Umfang der legitimationsbedürftigen Handlungen aus Wertungsgründen zu reduzieren suchen, sind abzulehnen.

D. Legitimationsmodi Die Legitimationsmodi haben die effektive Rückkopplung der Ausübung von Staatsgewalt an das Volk zum Ziel.

I. Ausgangspunkt Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG legt fest, dass die Staatsgewalt vom Volk „in Wahlen und Abstimmungen“ ausgeübt wird, wobei die durch Abstimmungen auszuübenden Befugnisse in den Art. 29, 118 und 118a GG abschließend aufgezählt sind.139 Aufgabe der Legitimationsmodi als Ausprägung der Volkssouveränität ist es, die Rückkopplung der übrigen Ausübung von Staatsgewalt im Sinne eines effektiven Einflusses des Volkes auf diese zu gewährleisten.140 Die Historie des Art. 20 Abs. 2 GG liefert keine konkreten Anknüpfungspunkte für den einen oder anderen Legitimationsmodus. Vielmehr werden die Legitimationsmodi aus der im Wortlaut des Art. 20 Abs. 2 GG niedergelegten Unterscheidung eines sachlichen („Abstimmungen“) und organisatorischen Volkseinflusses („Wahlen“) gewonnen. Drei nach ihrer Zielrichtung unterschiedliche Legitimationsmodi können nach dem klassischen Legitimationsverständnis unterschieden werden: Die funktionelle 139

Köller, Funktionale Selbstverwaltung und ihre demokratische Legitimation, 2009, S. 141. Böckenförde, Verfassungsfragen der Richterwahl, 1974, S. 73; ders., in: HStR II, 3. Auflage 2004, § 24 Rn. 11; BVerfGE 83, 60 (71 f.); 93, 37 (66); 137, 185 (232); 144, 20 (209); 146, 164 (209). 140

D. Legitimationsmodi

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und institutionelle Legitimation, die sachlich-​inhaltliche Legitimation sowie die organisatorisch-​personelle Legitimation.141

II. Funktionelle und institutionelle Legitimation Die funktionelle und institutionelle Legitimation ist erste vorstrukturierende Prämisse der folgenden Überlegungen zur organisatorisch-​personellen und sachlich-​inhaltlichen Legitimation142 und ergibt sich aus der in Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG angeordneten funktionengegliederten Ausübung von Staatsgewalt. Der Legitimationsmodus nimmt in der Formulierung „… durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung“ in Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG seinen Ausgangspunkt. 1. Gehalt der funktionellen und institutionellen Legitimation Die institutionelle Legitimation bezeichnet die Legitimation der Gewalten „als solche“, also die Einrichtung der drei Gewalten als Institutionen des Staates. Die funktionelle Legitimation bezeichnet die Legitimation einer bestimmten zugewiesenen Funktion eines Staatsorgans.143 Zusammengenommen ergeben diese Aspekte die normative Aussage, dass die in gesetzgebende, vollziehende und rechtsprechende Funktionen gegliederte Ausübung von Staatsgewalt im Grundsatz dem Legitimationserfordernis nicht widerspricht, weil sie in Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG selbst vorgesehen ist. Insoweit lässt sich die funktionelle und institutionelle Legitimation maßgeblich als Legitimation der gewaltenteiligen Ausübung von Staatsgewalt verstehen. Auch die Verwaltung als eigene Staatsfunktion nimmt damit einen Kernbestand an Aufgaben wahr, welchen die Legislative nicht uneingeschränkt übernehmen darf.144 Einem umfassenden Parlamentsvorbehalt wird folglich eine Absage erteilt.145

141 Böckenförde, in: HStR II, 3. Auflage 2004, § 24 Rn. 14; BVerfGE 49, 89 (125); 83, 60 (72); 93, 37 (66 f.); 107, 59 (87). 142 In diesem Sinne auch Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 280. 143 Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften und Grundgesetz, 1968, S. 199; Böckenförde, in: HStR II, 3. Auflage 2004, § 24 Rn. 15. 144 Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften und Grundgesetz, 1968, S. 200. 145 Grawert / ​Böckenförde, AöR Bd. 95 (1970), 1 (25); Böckenförde, in: HStR II, 3. Auflage 2004, § 24 Rn. 15; Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften und Grundgesetz, 1968, S. 199; s. auch Robbers, in: Kahl / ​Waldhoff / ​Walter, GG, 197. Aktualisierung 2019, Art. 20 Abs. 2, Rn. 3204.

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§ 3 Demokratische Legitimation von Verwaltungsakten

2. Bedeutung für das Legitimationskonzept Die funktionelle und institutionelle Legitimation liefert eine Einbettung der Legitimationsanforderungen in das Verfassungsumfeld, insbesondere die Gewal­ tenteilung als Funktionengliederung. Sie liefert die Begründung dafür, dass die Funktionsorgane verschränkt, aber im Grundsatz in eigenständiger Autorisation zur Ausübung von Staatsgewalt berufen sind146 und demensprechend auch an die Rechtfertigung ihrer Akte unterschiedliche Anforderungen zu stellen sein können.147 3. Bedeutung für die Legitimation der Verwaltungsentscheidung Teilweise wird der funktionellen und institutionellen Legitimation eine Legitimationswirkung abgesprochen148, einen Platz im Legitimationskonzept hat sie jedenfalls.149 Insoweit muss zwischen der abstrakten Legitimationsbedürftigkeit der staatlichen Funktionswahrnehmung und der konkreten Legitimation einer Maßnahme unterschieden werden. a) Legitimation funktionengegliederter Aufgabenwahrnehmung Die funktionelle und institutionelle Legitimation bezieht sich auf die grundsätzliche Legitimation funktionengegliederter Ausübung von Staatsgewalt.150 Die Legitimationswirkung ist jedoch im Kreationsakt erschöpft, nicht zuletzt, weil die Konstitution der funktionengegliederten Staatsgewalt auf das verfassunggebende, nicht das verfasste Volk zurückgeht.151 Sie kann also lediglich begründen, dass die Verwaltung einen zugewiesenen Funktionsbereich haben muss,152 legitimiert aber nicht die Wahrnehmung einer Funktion in ihrer konkreten Form. Weil aber Art. 20 Abs. 2 GG die Ausübung von Staatsgewalt gerade in ihrer konkreten Form dem Legitimationserfordernis unterwirft, kommt es zunächst eingrenzend darauf an, durch welches Funktionsorgan die Staatsgewalt ausgeübt wird, um daraus Legitimationsanforderungen nach dem jeweiligen Funktionsbereich zu folgern; an diesen 146

Böckenförde, in: HStR II, 3. Auflage 2004, § 24 Rn. 15. Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 357. 148 Köller, Funktionale Selbstverwaltung und ihre demokratische Legitimation, 2009, S. 126. 149 Prägnant Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 280; Kahl, AöR Bd. 130 (2005), 225 (237). 150 Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften und Grundgesetz, 1968, S. 197. 151 Böckenförde, in: HStR II, 3. Auflage 2004, § 24 Rn. 15; Köller, Funktionale Selbstverwaltung und ihre demokratische Legitimation, 2009, S. 126; Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 277; unklar Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften und Grundgesetz, 1968, S. 199. 152 Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften und Grundgesetz, 1968, S. 199. 147

D. Legitimationsmodi

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Maßstäben ist dann die konkrete Ausübung von Staatsgewalt zu messen. Das eine ist damit die vorverfassungsrechtliche Legitimation der Funktionentrennung trotz einheitlicher Verortung der Staatsgewalt beim Volk, das andere die verfassungsrechtliche demokratische Legitimation staatlicher Machtausübung.153 Verbunden ist die funktionengegliederte Ausübung von Staatsgewalt, also ein gewaltenteiliges Anliegen, mit der demokratischen Legitimation insoweit, als die Funktionengliederung gerade auf der Grundlage des demokratischen Prinzips gilt.154 b) Legitimationswirkungen in Bezug auf die Verwaltungsentscheidung? Durch die Zurechnung einer Handlung zum Staat ist die funktionelle und institutionelle Legitimation ohnehin gewahrt, weil sich jede hoheitliche Handlung durch Zurechnung in einen Funktionsbereich einordnet. Das lässt noch keine Rückschlüsse auf die demokratische Legitimation der Maßnahme in ihrer jeweiligen Gestalt zu.155 Die Zuweisung gibt aber Aufschluss darüber, welche Art der Funktionenwahrnehmung zu legitimieren ist,156 also ob es um eine Handlung der Rechtsprechung, vollziehenden Gewalt oder Gesetzgebung geht, die jeweils unterschiedlichen Bindungen und damit unterschiedlich gearteten Legitimationsanforderungen unterliegen können. Die funktionelle und institutionelle Legitimation kann damit als notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung für die Legitimation einer staatlichen Maßnahme angesehen werden.157 4. Ergebnis Die funktionelle und institutionelle Legitimation bezieht sich auf die Legitimation funktionengegliederter Herrschaftsausübung als solche. Sie stellt sich der Annahme eines umfassenden Parlamentsvorbehalts entgegen. Sie ist Ausgangspunkt der Gewinnung der Legitimationsanforderungen für den jeweiligen Funktionsbereich, entfaltet aber keine legitimierende Kraft für das staatliche Handeln im Einzelfall. Weil das Vorliegen eines „Verwaltungsakts“ impliziert, dass die Maßnahme dem Funktionsbereich der Verwaltung zuzuordnen ist, wird auf die funktionelle und institutionelle Legitimation in der weiteren Untersuchung nicht mehr eingegangen.

153

S. dazu auch Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 278. Böckenförde, Verfassungsfragen der Richterwahl, 1974, S. 67. 155 So auch Böckenförde, in: HStR II, 3. Auflage 2004, § 24 Rn. 15; Trute, in: GVwR I, 2. Auflage 2012, § 6 Rn. 8; Lee, Demokratische Legitimation, 2017, S. 44. 156 Siehe dazu Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000, S. 180. 157 I. E. auch Böckenförde, in: HStR II, 3. Auflage 2004, § 24 Rn. 15. 154

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§ 3 Demokratische Legitimation von Verwaltungsakten

III. Legitimation nach dem Kettenmodell Nach dem Legitimationskettenmodell werden die effektive Rückbindung an das Volk und die Verantwortung der Ausübung von Staatsgewalt gegenüber dem Volk im Wege eines Zurechnungszusammenhangs verwirklicht, der als Kette dargestellt werden kann. Die Legitimationskette verläuft innerhalb der Ministerialverwaltung an der stufigen Behördenorganisation entlang. 1. Hierarchischer Stufenbau vom Volk zum Amtswalter Das Volk bildet den Ausgangspunkt des Hierarchiekonzepts. Es wählt in regelmäßigen Abständen das Parlament, Art. 38 GG. Dieses wählt wiederum den Bundeskanzler, Art. 63 GG, der seinerseits die Minister vorschlägt, Art. 64 Abs. 1 GG. Nach deren Ernennung bildet der Bundeskanzler mit den Ministern die Regierung, Art. 62 GG. Die Minister leiten ihren jeweiligen Geschäftsbereich innerhalb der Richtlinien des Bundeskanzlers eigenständig, Art. 65 GG, und stehen damit an der Spitze der Verwaltungsorganisation. Die Behördenorganisation der unmittelbaren Staatsverwaltung ist hierarchisch aufgebaut. Sie besteht im Grundsatz aus drei Stufen.158 2. Verbindung des Hierarchiekonzepts mit dem Legitimationskonzept Das Legitimationskettenkonzept verbindet den hierarchischen Verwaltungsaufbau mit dem Erfordernis demokratischer Legitimation, indem es den Rückkopplungszusammenhang vom Wahlakt des Volkes aus über das Parlament und den Bundeskanzler zu den Ministern und schließlich den ihm unterstellten Verwaltungsbeamten konstruiert. Eine Handlung ist nach diesem Konzept demokratisch legitimiert, wenn eine ununterbrochene Legitimationskette vom Volk über die Staatsorgane zu den Amtswaltern konstruiert werden kann.159 3. Legitimationsstränge im Ministerialmodell Die Legitimationskette im Ministerialmodell weist dabei unterschiedliche Komponenten auf: „[Der] Zurechnungszusammenhang wird vor allem durch die Wahl des Parlaments, durch die von ihm beschlossenen Gesetze als Maßstab der vollziehenden Gewalt, durch den parlamentarischen Einfluss auf die Politik der Regierung sowie durch die grundsätzliche Weisungsgebundenheit der Verwaltung 158 159

Burgi, in: Allgemeines Verwaltungsrecht, 15. Auflage 2015, § 9 Rn. 14 ff. BVerfGE 47, 253 (275); 83, 60 (73); 107, 59 (87) m. w. N.

D. Legitimationsmodi

111

gegenüber der Regierung hergestellt.“160 „In personeller Hinsicht ist eine hoheitliche Entscheidung legitimiert, wenn sich die Bestellung desjenigen, der sie trifft, durch eine ununterbrochene Legitimationskette auf das Staatsvolk zurückführen lässt.“161 So unterscheidet das Legitimationskettenmodell zwei Komponenten der demokratischen Legitimation staatlichen Handelns: die sachlich-​inhaltliche und die organisatorisch-​personelle Legitimation.162 Beide Modi sind im Grundsatz eigenständige Legitimationsformen und erfassen unterschiedliche Aspekte des Verwaltungshandelns.163 Beide Legitimationsarten laufen jedoch zumindest teilweise am Bild der Legitimationskette entlang, um den effektiven Einfluss des Volkes auf die Ausübung von Staatsgewalt zu gewährleisten. a) Legitimation durch Einsetzung in Zuständigkeitsbereich Die organisatorisch-​personelle Legitimation bezieht ihre Wirkung aus den Einsetzungsakten jedes ins hierarchische System eingegliederten Amtswalters. Sie führt die Befugnis einer bestimmten handelnden Person, die Staatsgewalt ausübt, auf einen Auftrag des Volkes zurück.164 Die Legitimation der einzelnen Amtswalter bewirkt die Legitimation des Organs, in welchem und für welches gehandelt wird.165 Durch individuelle Berufungsakte wird sichergestellt, dass das berufende Organ „die die Individualität ausmachenden Merkmale des Amtswalters hinreichend prüfen und bei seiner Berufungsentscheidung berücksichtigen kann“166. Das Parlament bezieht seine personelle, also auf jede einzelne Person bezogene und individuelle Legitimation unmittelbar aus dem Wahlakt des Volkes. So wird das Parlament zum Legitimationsvermittler für die verwaltend handelnden Amtswalter und ist notwendiges Glied und Mittelpunkt jeder Legitimationskette.167 Das Parlament unterliegt inhaltlich keiner Zuständigkeitsbeschränkung. In der Verwaltung sind die Zuständigkeiten nach Organisationseinheiten aufgeteilt. In der Verwaltung wirkt die personelle Legitimation demnach vermittelt fort als organisatorisch-​personelle Legitimation,168 also eine mittelbar auf das Volk zurückführende 160

BVerfGE 83, 60 (72); fast wortgleich BVerfGE 93, 37 (66); s. auch BVerfGE 130, 76 (123). BVerfGE 130, 76 (124); ähnlich BVerfGE 135, 155 (222); 136, 194 (262). 162 Böckenförde, Verfassungsfragen der Richterwahl, 1974, S. 73 ff.; ders., in: HStR II, 3. Auflage 2004, § 24 Rn. 15; BVerfGE 146, 164 (210). 163 Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 273. 164 Herzog, Allgemeine Staatslehre, 1971, S. 209; Böckenförde, Verfassungsfragen der Richterwahl, 1974, S. 73; Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften und Grundgesetz, 1968, S. 198 ff.; ihnen folgend Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 267; Schmidt-​Aßmann, AöR Bd. 116 (1991), 329 (360). 165 Böckenförde, in: HStR II, 3. Auflage 2004, § 24 Rn. 16. 166 Schmidt-​Aßmann, AöR Bd. 116 (1991), 329 (361). 167 Böckenförde, Verfassungsfragen der Richterwahl, 1974, S. 74; ders., in: HStR II, 3. Auflage 2004, § 24 Rn. 16; ähnlich schon Herzog, Allgemeine Staatslehre, 1971, S. 210. 168 Erläuternd und mit a. A. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 269 und 266; Böckenförde, in: HStR II, 3. Auflage 2004, § 24 Rn. 16 f. 161

112

§ 3 Demokratische Legitimation von Verwaltungsakten

Legitimation der handelnden Person für einen organisatorisch abgegrenzten Tätigkeitsbereich.169 Der abgegrenzte Tätigkeitsbereich im Verhältnis zum Parlament ergibt sich aus dem hierarchischen Verwaltungsaufbau, der die Sachbereiche der Verwaltungstätigkeit unter den Ministern aufteilt, Art. 65 S. 2 GG. Folglich können nur solche Akte organisatorisch legitimiert werden, die sich innerhalb des übertragenen Amtsauftrags bewegen.170 Letztlich legitimiert der organisatorisch-​personelle Legitimationsmodus die Person im Amt für den abgegrenzten Bereich des Amtes, jedoch nicht das Amt in abstrakter Weise, sondern mit individueller Personenbesetzung.171 Im hierarchischen Verwaltungsaufbau ergeben die Einsetzungsakte der Amtswalter eine Kette vom im Einzelfall handelnden Amtswalter zum Volk. b) Legitimation durch Steuerung Der sachlich-​inhaltlichen Legitimation geht es um die inhaltliche Herleitung der Ausübung von Staatsgewalt durch das Volk.172 Abstimmungen im Sinne des Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG sind in ihren inhaltlichen Sachvorgaben unmittelbar demokratisch legitimiert, weil sie unmittelbar vom Volk herrühren. Im Übrigen erfolgt die sachlich-​inhaltliche Legitimation im parlamentarischen Regierungssystem des Grundgesetzes immer vermittelt über eine gewählte Zwischeninstanz, das Parlament.173 Dieses erschafft im Gesetzgebungsprozess sachliche Vorgaben. Diese sachlichen Vorgaben sind mittelbar auf das Volk rückführbar, da das Volk diejenigen Personen, die die sachlichen Vorgaben im parlamentarischen Willensbildungsprozess gewonnen haben, persönlich ausgewählt und damit in ihrer Entscheidungsbefugnis legitimiert hat.174 Aus den sachlichen Vorgaben des persönlich legitimierten Gesetzgebungsorgans kann folglich eine inhaltliche Legitimationswirkung gewonnen werden: Bewegt sich die ausgeübte Staatsgewalt im Rahmen der sachlichen Vorgaben des Parlaments, lässt sich der Inhalt der Ausübung von Staatsgewalt mittelbar auf das Volk zurückführen. Der sachlich-​inhaltlichen Legitimation geht es damit

169

BVerfGE 93, 37 (68); im Anschluss Köller, Funktionale Selbstverwaltung und ihre demokratische Legitimation, 2009, S. 129. 170 BVerfGE 93, 37 (68); im Anschluss Köller, Funktionale Selbstverwaltung und ihre demokratische Legitimation, 2009, S. 129; erläuternd Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 269. 171 Herzog, Allgemeine Staatslehre, 1971, S. 213 f.; im Anschluss Böckenförde, Verfassungsfragen der Richterwahl, 1974, S. 74; ders., in: HStR II, 3. Auflage 2004, § 24 Rn. 16. 172 Böckenförde, in: HStR II, 3. Auflage 2004, § 24 Rn. 21; Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 270. 173 Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 271; genauer unter D. IV. 174 Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 271; zum parlamentarischen Willensbildungsprozess Kriele, Das demokratische Prinzip, 1971, S. 56 f.

D. Legitimationsmodi

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um die inhaltliche Steuerung des Verwaltungshandelns.175 Im hierarchischen Verwaltungsaufbau verläuft die sachlich-​inhaltliche Legitimation vom Parlament über die Regierung zum handelnden Amtswalter in gradueller Steuerungsintensivierung und kann folglich ebenfalls am Kettenbild erläutert werden. c) Verhältnis der Legitimationsstränge Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG schreibt nicht einen bestimmten Legitimationsmodus vor, sondern lediglich die effektive Rückführbarkeit der Ausübung von Staatsgewalt auf das Volk. Nach dem Konzept der Legitimationskette haben die Legitimationsstränge deshalb nicht für sich allein Bedeutung. Maßgeblich ist vielmehr das durch sie vermittelte Legitimationsniveau, das im Einzelfall unterschiedlich ausfällt.176 Erforderlich die Erreichung eines Legitimationsgrades, der für die insgesamt ausreichende Rückführbarkeit des hoheitlichen Handelns zum Volk genügt. 4. Grenzen des Modells Ministerialfreie Räume sind nach diesem Konzept kritisch zu beurteilen,177 weil die genannten Legitimationsmodi in nicht dem Minister hierarchisch unterstehenden Verwaltungsorganisationen nicht am Kettenbild verdeutlicht werden können. Entweder bestehen die für das Kettenprinzip relevanten Vermittlungspunkte der Einsetzungsakte nicht oder Steuerungsmittel sind nicht effektiv und hierarchisch durchsetzbar, sodass Bereiche des Verwaltungshandelns entstehen, die das Kettenmodell nicht erfasst. Dann kann keine Legitimation nach dem Kettenmodell kons­ truiert werden und das Handeln ist mangels Legitimationsmöglichkeit als nicht ausreichend legitimiert anzusehen. Ministerialfreie Räume des Verwaltungshandelns passen damit nicht in das Konzept einer Legitimation am Kettenmodell. Eine nach dem Legitimationskettenmodell zu verzeichnende Verantwortungsarmut durch eine nichthierarchische Verwaltungsorganisation könnte lediglich durch alternative Legitimationsarten oder alternative Legitimationsmodelle aufgefangen werden. Insoweit ist aufgrund der pluralen Verwaltungsstrukturen der Gegenwart178 auf mögliche Limitationen des Kettenmodells in seinen konkreten Ausprägungen hin 175

Steuerung wird als zielgerichtete Verhaltensbeeinflussung verstanden, s. o. § 3 C. IV. 1. und Groß, Das Kollegialprinzip in der Verwaltungsorganisation, 1999, S. 19; Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000, S. 184. 176 BVerfGE 83, 60 (72); 93, 37 (67); 107, 59 (87); 130, 76 (124); 136, 194 (261); 137, 185 (232); 146, 164 (210); Böckenförde, in: HStR II, 3. Auflage 2004, § 24 Rn. 23 ff. 177 Böckenförde, in: HStR II, 3. Auflage 2004, § 24 Rn. 22; Dreier, Hierarchische Verwaltung im demokratischen Staat, 1991, S. 135 m. w. N. 178 Groß, Jura 2016, 1026 (1027 ff.) unterscheidet Hierarchie, Selbstverwaltung und Management; dazu schon ders., Das Kollegialprinzip in der Verwaltungsorganisation, 1999, z. B. S. 130 ff.

114

§ 3 Demokratische Legitimation von Verwaltungsakten

zuweisen:179 Für die funktionale Selbstverwaltung wurden diese früh erörtert und abweichende Legitimationsmöglichkeiten erwogen.180 Das Bundesverfassungsgericht hat sich nunmehr eindeutig für die alternative Legitimationsmöglichkeit außerhalb der unmittelbaren Staatsverwaltung ausgesprochen.181 Auf alternative Legitimationsmodi wird nach Schilderung der sachlich-​inhaltlichen und organisatorisch-​personellen Legitimation eingegangen. 5. Fazit Die Legitimationskettentheorie macht die Kompetenzordnung der hierarchisch gegliederten unmittelbaren Staatsverwaltung für ihr Legitimationskonzept fruchtbar. An der Sachverantwortungs-​und Einberufungshierarchie läuft die demokratische Legitimation an zwei Strängen, dem sachlich-​inhaltlichen und organisatorisch-​personellen Legitimationsmodus, entlang. Beide Legitimationsstränge wirken zur Legitimation des Verwaltungshandelns in variablem Verhältnis zusammen. Jedenfalls für die unmittelbare Staatsverwaltung sind diese Legitimationsmodi als Komponenten demokratischer Legitimation von zentraler Bedeutung.

IV. Sachlich-​inhaltliche Legitimation Der sachlich-​inhaltliche182, auch als materielle demokratische Legitimation183 bezeichnete Legitimationsmodus bezweckt die inhaltliche Rückkopplung des Verwaltungshandelns an das Volk.184 Mit der Ermöglichung einer Ausübung von Staatsgewalt durch „Abstimmungen“ in Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG wird die grundsätzliche Möglichkeit der Entscheidung von Sachfragen durch das Volk konstituiert.185 Die unmittelbare Entscheidung von Sachfragen durch das Volk durch Abstimmungen ist aber nur in den Art. 29, 118 und 118a GG vorgesehen. Regelfall ist die mittelbare Sachentscheidung über die Wahl des Parlaments, das als Repräsentativorgan Sachentscheidungen trifft.186 179

Im Überblick auch bei Westermann, Legitimation im europäischen Regulierungsverbund, 2017, S. 224 f. 180 Grundlegend Emde, Funktionale Selbstverwaltung und ihre demokratische Legitimation, 1991. 181 Uneinheitlich beurteilt noch BVerfGE 107, 59; bestätigend und teilweise weiter BVerfGE 135, 155 (223); 136, 194 (262); 146, 164 (210). 182 So Böckenförde, in: HStR II, 3. Auflage 2004, § 24 Rn. 21. 183 Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 270. 184 Böckenförde, in: HStR II, 3. Auflage 2004, § 24 Rn. 21. 185 So Köller, Funktionale Selbstverwaltung und ihre demokratische Legitimation, 2009, S. 124; Robbers, in: Kahl / ​Waldhoff / ​Walter, GG, 197. Aktualisierung 2019, Art. 20 Abs. 2, Rn. 3074. 186 Robbers, in: Kahl / ​Waldhoff / ​Walter, GG, 197. Aktualisierung 2019, Art. 20 Abs. 2, Rn. 3050.

D. Legitimationsmodi

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1. Grundlage: Gesetzesbindung der Verwaltung, Art. 20 Abs. 3 GG Soll eine hoheitliche Maßnahme inhaltlich legitimiert werden, kann an Normen angeknüpft werden, die vom unmittelbar demokratisch legitimierten Parlament erlassen wurden. So folgt beispielsweise die Rechtsanwendung zum Erlass eines Verwaltungsakts dem Wortlaut der Ermächtigungsnorm und den dort entspringenden Normverkettungen, an die die Verwaltung gemäß Art. 20 Abs. 3 GG gebunden ist. Die Rechtsanwendung der Verwaltung wird durch Sachentscheidungen in Gesetzesform, also materielle Kriterien der Rechtmäßigkeit „vorgesteuert“.187 Insoweit kann die sachlich-​inhaltliche Legitimation als Rahmen bezeichnet werden,188 den die Entscheidung schon aus Gründen ihrer Rechtmäßigkeit nicht überschreiten darf. Freilich wirkt sich hier die Zuordnung einer Handlung zu einem Funktionsbereich bereits aus: Die Gesetzgebung unterliegt gemäß Art. 20 Abs. 3 GG einer geringeren Bindung an das Gesetz als die Verwaltung, sodass dies auf die hierdurch vermittelte Legitimation Auswirkungen hat.189 Im Kern ist mit dem Konzept der sachlich-​inhaltlichen Legitimation das Verhältnis von Legalität und Legitimität angesprochen. Grundsätzlich wird mit dem Begriff der Legalität eher der Rechtsstaat verbunden, mit dem der Legitimität und Legitimation eher die Demokratie.190 2. Stellung der Legalität im Legitimationskonzept Weil Rechtsstaatsprinzip und Demokratieprinzip im Grundsatz zu scheiden sind, stellt sich zunächst die Frage, welche Rolle ein rechtsstaatliches Element, also Legalität, im Legitimationskonzept spielen kann. a) Legalität und Legitimation Grundsätzlich kann das Rechtsstaatsprinzip als ein materiales, das Demokratieprinzip als ein organisatorisch-​formales Konstrukt verstanden werden.191 Das Demokratieprinzip fragt also maßgeblich nach dem Träger der Staatsgewalt, das Rechtsstaatsprinzip nach seinem Inhalt.192 Das erklärt den Fokus der Literatur auf 187

Zur Terminologie Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000, S. 184. Vgl. Köller, Funktionale Selbstverwaltung und ihre demokratische Legitimation, 2009, S. 124. 189 Dazu auch Köller, Funktionale Selbstverwaltung und ihre demokratische Legitimation, 2009, S. 140. 190 S. dazu Schmidt-​Aßmann, AöR Bd. 116 (1991), 329 (332). 191 Böckenförde, in: HStR II, 3. Auflage 2004, § 24 Rn. 83. 192 Böckenförde, in: HStR II, 3. Auflage 2004, § 24 Rn. 83. 188

116

§ 3 Demokratische Legitimation von Verwaltungsakten

handelnde Personen. Die in ihrer Existenz unbestrittene sachlich-​inhaltliche Legitimation, die sich aus der Steuerungswirkung des Gesetzes ergibt, dürfte nach diesem Verständnis allerdings streng genommen nicht als Legitimationsmodus anerkannt werden, weil sie nach der inhaltlichen Rückkopplung von Herrschaft an das Volk fragt, nicht nach ihrem Träger. Dass die Ausübung von Staatsgewalt aber auch nach ihrem Inhalt zu legitimieren ist, wurde herausgestellt.193 b) Demokratische Dimension des Parlamentsgesetzes Prämisse des Einbezugs der Legalität in das Legitimationskonzept ist das Verständnis des Parlamentsgesetzes als materiales Rechtmäßigkeitskriterium, gleichzeitig jedoch legitimierter, weil vom Volk vermittelter, Maßstab der Herrschaftsausübung. Letztlich kann die Legitimationswirkung nicht aus dem Gesetz als solchem abgeleitet werden, sondern vielmehr aus der demokratischen Dimension des Parlamentsgesetzes als vom Volk ausgehender Rechtmäßigkeitsmaßstab. Das Volk legitimiert die bestimmte Behandlung eines Sachverhalts, indem es sie abstrakt über seine gewählten Vertreter in Form eines Parlamentsgesetzes festschreibt.194 Durch die Wahl des Volkes wird also das von den gewählten Personen erlassene Parlamentsgesetz zum Legitimationsvermittler.195 Nur dem formellen Gesetz wohnt damit unmittelbar legitimierende Kraft inne. Das Rechtsstaatsprinzip wird in dieser Ausprägung Teil der dogmatischen Basis des Legitimationskonzepts.196 Was inhaltlich im Einzelfall aus dem Parlamentsgesetz und übrigen konkretisierenden Gesetzen folgt, ist keine Frage der Legitimation, sondern des materialen Teils des Rechtsstaatsprinzips.197 Der gewissermaßen organisatorisch-​ formale Teil des Rechtsstaatsprinzips, das Bestehen der Gesetzesbindung als solche im Sinne der Bindung der vollziehenden Gewalt an die Gesetze als Ergebnis eines bereits entschiedenen Diskurses ist jedoch Teil der demokratischen Legitimation.198

193

S. o. § 3 C. III. 4., so auch Böckenförde, in: HStR II, 3. Auflage 2004, § 24 Rn. 21. S. dazu Kriele, Das demokratische Prinzip, 1971, S. 52 ff. 195 Kriele, Das demokratische Prinzip, 1971, S. 64. 196 Vgl. Schmidt-​Aßmann, AöR Bd. 116 (1991), 329 (332). 197 Ähnlich Schmidt-​Aßmann, AöR Bd. 116 (1991), 329 (335). 198 Ausdrücklich Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000, S. 184 f.; Schmidt-​Aßmann, AöR Bd. 116 (1991), 327 (357); implizit Böckenförde, in: HStR II, 3. Auflage 2004, § 24 Rn. 21; Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 270 ff; BVerfGE 83, 60 (72); 93, 37 (66); 130, 76 (123); 135, 155 (222); 146, 164 (209). 194

D. Legitimationsmodi

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c) Fazit Die Gesetzesbindung wirkt als vom Volk ausgehender Modus der Steuerung der Herrschaftsausübung legitimationsstiftend. Die Bindung der vollziehenden Gewalt an die Gesetze gemäß Art. 20 Abs. 3 GG hat damit eine demokratische Dimension, weil das parlamentarische Gesetz aufgrund des Wahlakts des Volkes gleichsam Ausdruck des Volkswillens ist. Damit trifft das Parlamentsgesetz eine bindende Vorentscheidung für das Verwaltungshandeln. Legalität wird so zum Bestandteil von Legitimation. Die formale Gesetzmäßigkeit einer Handlung verwirklicht gleichzeitig die Entscheidung des Volkes, die im Gesetz seinen Ausdruck gefunden hat. 3. Ausprägungen sachlich-​inhaltlicher Legitimation Grundsätzlich lassen sich zwei Aspekte parlamentsgesetzlicher Steuerung199 trennen: Einmal die Bindung an das Parlamentsgesetz als solche als demokra­ tischer Rückkopplungsmodus, andererseits die Sicherstellung der demokratischen Verantwortlichkeit durch Kontrollmechanismen, die die Effektivität der Steuerung sicherstellen sollen und damit der Wirksamkeit der Gesetzesbindung dienen.200 a) Bindung der Exekutive an Recht und Gesetz, Art. 20 Abs. 3 GG Die Gesetzesbindung aus Art. 20 Abs. 3 GG ermöglicht die legislative Steuerung des Verwaltungshandelns und vermittelt damit materiell-​inhaltliche Legitimationskraft für die nach den Vorgaben des Parlamentsgesetzes ausgeübte Herrschaftsausübung im Einzelfall. Grundsätzlich hat das Parlament als oberster Volksvertreter das Recht, die übrigen Gewalten durch seine Gesetze zu steuern, ohne selbst einer vergleichbaren inhaltlichen Steuerung zu unterliegen, vgl. Art. 20 Abs. 3 GG.201 Letztlich liegt in der Steuerung des Gesetzes gleichsam eine Kompetenzzuweisung: Diejenigen Entscheidungen, die das Parlament trifft, sind als solche des Parlaments zu legitimieren. Sie entspringen der personellen Legitimation des Parlaments. Für die Verwaltung wirkt diese fort als sachlich-​inhaltliche Legitimation

199

Zum Begriff oben § 3 C. IV. 1. sowie Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip (2000), S. 184; Schmidt-​Aßmann, AöR Bd. 116 (1991), 329 (357). 200 Böckenförde, in: HStR II, 3. Auflage 2004, § 24 Rn. 21; BVerfGE 93, 37 (67 f.); 107, 59 (88); 130, 76 (123 f.); 146,1 (40); Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 272 f.; Dreier, Hierarchische Verwaltung im demokratischen Staat, 1991, S. 131; Köller, Funktionale Selbstverwaltung und ihre demokratische Legitimation, 2009, S. 140; Grzeszick, GS Brugger, 2013, 601 (603). 201 S. auch Köller, Funktionale Selbstverwaltung und ihre demokratische Legitimation, 2009, S. 143.

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§ 3 Demokratische Legitimation von Verwaltungsakten

entfaltende inhaltliche Bindung.202 Der Umfang parlamentarischer Steuerung gibt deshalb Aufschluss über die das Verwaltungshandeln sachlich-​inhaltlich legitimierenden Gegenstände und gleichzeitig über den Bedarf an personeller Legitimation der Verwaltung.203 aa) Steuerungsrecht und Kernbereich der Exekutive Das Recht der Legislative, das Handeln der Exekutive zu steuern, macht den komplementären Charakter der Verwaltung als Vollzugsorgan deutlich.204 Die Bindung der Verwaltung an Recht und Gesetz stellt sich so gerade aus demokratischem Blickwinkel als notwendige Konsequenz der Verortung des Gesetzgebungsrechts beim Parlament und seiner Funktion in der Gewaltengliederung dar. Die Steuerung durch das Parlamentsgesetz ist gedanklicher Fixpunkt einer Verwaltung nach dem historisch gewachsenen und im Wiedererstarken begriffenen205 „Maschinenmodell“206 im Sinne Max Webers207. Eine grundsätzlich relevante Steuerungswirkung entfaltet dabei das Haushaltsgesetz.208 Ansonsten kommt es auf die inhaltliche Steuerungswirkung des Gesetzes für eine Verwaltungsmaterie im Einzelfall an.209 Jedenfalls gehört „die Vorstellung von einer „gesetzesfreien“ Verwaltung (…) in die verwaltungsrechtliche Märchenwelt“210. Dass Spielräume innerhalb der Gesetzesbindung gleichwohl niemals so 202 Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 275 spricht bildlich von der materiellen Legitimation als „verdinglichte“ personelle Legitimation des Parlaments; s. auch Oebbecke, Weisungs-​und unterrichtungsfreie Räume, 1986, S. 84; Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 367; krit. Köller, Funktionale Selbstverwaltung und ihre demokratische Legitimation, 2009, S. 168. 203 S. dazu Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 283; ähnlich Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000, S. 342; Schmidt-​Aßmann, AöR Bd. 116 (1991), 329 (357). 204 Dreier, Hierarchische Verwaltung im demokratischen Staat, 1991, spricht auf S. 115 vom „Werkzeugcharakter“. 205 Dazu Scherzberg / ​Meyer, in: Herausforderung e-​Government, 2009, 253 (260); ähnlich Reinermann / ​von Lucke, in: Electronic Government in Deutschland, 2002, 1 (23). 206 Ausführlich Dreier, Hierarchische Verwaltung im demokratischen Staat, 1991, S. 99 ff., 119; Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000, S. 457. 207 Weber, Parlament und Regierung im neugeordneten Deutschland, 1918, S. 15 ff., insb. S. 16 f.: sowohl Verwaltung als auch Richter werden als „Paragraphen-​Automat“ (S. 18) ange­ sehen, deren Verhalten „im großen und ganzen kalkulierbar ist“; die Relevanz des Maschinenmodells für das heutige Verständnis der Verwaltung wird z. B. bei Demaj, Informatik Spektrum 2018, 123 (134) deutlich. 208 Dazu ausführlich Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000, S. 433; Köller, Funktionale Selbstverwaltung und ihre demokratische Legitimation, 2009, S. 146; Schmidt-​Aßmann, AöR Bd. 116 (1991), 329 (358). 209 S. dazu Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000, S. 432 sowie später zum Legitimationsniveau. 210 Schmidt-​Aßmann, in: HStR II, 3. Auflage 2004, § 26 Rn. 61.

D. Legitimationsmodi

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weit eliminiert werden können, dass die Verwaltung beim Erlass eines Verwaltungsaktes tatsächlich als reine „Vollzugsmaschine“ fungiert, ist ebenso richtig und erklärt die sachlich-​inhaltliche Legitimation als Teil der demokratischen Legitimation. Dass die Rechtskonkretisierung zum Vollzug der Gesetze eine über das Gesetz hinausweisende Qualität hat, ist in der Funktionengliederung mithin als eher begründet denn abgelehnt anzusehen211, und steht einer Gesetzesdirektion auch nicht entgegen. Wenn der Verwaltung ein funktioneller Kernbereich an Aufgaben verbleiben muss, was einem Totalvorbehalt entgegensteht,212 bedeutet das gleichermaßen, dass die Verwaltung auch in ihrer Rolle als Vollzugsorgan eine eigene Funktion erfüllt, die nicht in der Steuerung des Gesetzes aufgehen darf. Sie kann deshalb auch nicht über die Steuerungswirkung des Gesetzes legitimiert werden. bb) Steuerungspflicht bezüglich des „Ob“: Vorbehalt des Gesetzes und Wesentlichkeit Eine Direktive hinsichtlich der erforderlichen Steuerung des Verwaltungshandelns durch Parlamentsgesetz ist in Vorgaben zu erblicken, die einen Regelungsbedarf des Parlaments statuieren. Dies sind maßgeblich die Lehren vom Vorbehalt des Gesetzes und der Wesentlichkeit213.214 Nach dem Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes müssen belastende Hoheitsakte aufgrund einer gesetzlichen Ermächtigung ergehen. Die Wesentlichkeitslehre ordnet wesentliche Entscheidungen215 dem Parlament zu.216 Belastende und, was für den Verwaltungsakt besonders relevant ist, grundrechtswesentliche Maßnahmen der Verwaltung bedürfen damit der Ermächtigung durch Parlamentsgesetz. Jedenfalls die Ermächtigung zum Tätigwerden, also das „Ob“ des Verwaltungshandelns, muss durch Parlamentsgesetz vorgesehen sein. Im Übrigen besteht weiterhin das Recht des Parlaments, auch inhaltlich einschränkende Aussagen über das behördliche Tätigwerden zu treffen. 211

Jestaedt, in: Allgemeines Verwaltungsrecht, 15. Auflage 2015, § 11 Rn. 7; Groß, Das Kollegialprinzip in der Verwaltungsorganisation, 1999), S. 191; deutlich Fadavian, in: (Un) berechenbar? Algorithmen und Automatisierung in Staat und Gesellschaft, 2018, 294 (309): „Gäbe es (…) die eine – und nur die eine – richtige Entscheidung (…) Wozu bräuchte es dann eine sich gegenseitig kontrollierende Teilung der Gewalten? Es gäbe ja schlechthin nichts zu kontrollieren, da ja alles stimmte“; dagegen Demaj, Informatik Spektrum 2018, 123 (134 f.) 212 Dazu schon oben sowie Grawert / ​Böckenförde, AöR Bd. 95 (1970), 1 (25 f.); Böckenförde, Verfassungsfragen der Richterwahl, 1974, S. 63; Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften und Grundgesetz, 1968, S. 200; BVerfGE 49, 89 (125); 67, 101 (139); 68, 1, (87); 146, 1 (42). 213 BVerfGE 47, 46, 78 f. 214 Zu ihrem Verhältnis Schmidt-​Aßmann, in: HStR II, 3. Auflage 2004, § 26 Rn. 63  ff; zur Auswirkung auf die Verwaltungslegitimation Grzeszick, GS Brugger, 2013, 601 (608); ­Robbers, in: Kahl / ​Waldhoff / ​Walter, GG, 197. Aktualisierung 2019, Art. 20 Abs. 1, Rn. 702 ff.; Lee, Demokratische Legitimation, 2017, S. 48. 215 BVerfGE 34, 165, 192; 40, 237, 248 f.; 41, 251, 260; 47, 46, 79. 216 Grzeszick, GS Brugger, 2013, 601 (608).

120

§ 3 Demokratische Legitimation von Verwaltungsakten

cc) Steuerungspflicht bezüglich des „Wie“ Nach der Wesentlichkeitslehre besteht neben einem Recht legislativer Steuerung in gewissen Fällen eine Pflicht des Gesetzgebers, den Handlungsrahmen der Verwaltung durch inhaltlich lenkende Vorgaben anzugeben.217 Sie darf die Steuerung dann nicht der Verwaltung zur Rechtskonkretisierung überlassen.218 Auch das „Wie“ des Handelns der Verwaltung muss dann vom Parlament durch Angabe bestimmter Handlungsrahmen219 gesteuert werden. In wesentlichen, insbesondere grundrechtswesentlichen Bereichen muss deshalb abhängig von der Intensität der Grundrechtsbetroffenheit die sachlich-​inhaltliche Regelungsdichte durch Parlamentsgesetz ansteigen, was sachlich-​inhaltliche Legitimation vermittelt und der Verwaltung gleichzeitig einen Handlungsrahmen angibt, von dem sie nicht abweichen darf. Letztlich ist das Parlament folglich dazu aufgerufen, grundrechtswesentliche Bereiche durch inhaltliche Steuerung des Verwaltungshandelns zu regeln und damit in diesen Bereichen sachlich-​inhaltliche Legitimationskraft für das Verwaltungshandeln zu erzeugen. Es kann auch erforderlich sein, dass der Gesetzgeber bei geänderten tatsächlichen Umständen seine inhaltliche Steuerung überdenkt und anpasst.220 dd) Fazit Die Bindung der Exekutive an Recht und Gesetz aus Art. 20 Abs. 3 GG unterwirft diese der Steuerung des Parlaments unter Wahrung eines funktionseigenen Kernbereichs. Nach dem Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes und der Wesentlichkeitslehre bedarf es einer Entscheidung des Parlaments über das „Ob“ des Tätigwerdens der Verwaltung jedenfalls für belastende Verwaltungsakte, sodass sich hier das Recht zur Steuerung zu einer Pflicht verdichtet. Weiter kann das Parlament auch zur inhaltlichen Steuerung verpflichtet sein, sodass die Ermächtigung zum Erlass eines Verwaltungsaktes nicht ausreicht, sondern inhaltliche Aussagen über die rechtlichen Voraussetzungen eines Erlasses über die allgemeine Gesetzes­ bindung hinaus angezeigt sind.

217

BVerfGE 34, 165 (192); 49, 89 (126 ff.); 57, 295 (327); 83, 130 (142); 101, 1 (34); 123, 39 (78); Robbers, in: Kahl / ​Waldhoff / ​Walter, GG, 197. Aktualisierung 2019, Art. 20 Abs. 1, Rn. 706. 218 BVerfGE 34, 165 (192); 49, 89, Rn. 78. 219 BVerfGE 34, 165 (192 f.); 49, 89 (127). 220 BVerfGE 49, 89 (130).

D. Legitimationsmodi

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b) Exekutive Steuerung im Rahmen der Gesetze Die parlamentsgesetzliche Steuerungsintensität bestimmt das Maß der eigenen Verantwortlichkeit der Verwaltung für ihr Handeln.221 Die eigene Verantwortlichkeit der Exekutive ist umso höher, je geringer die Steuerungsintensität des gesetzgeberischen Normprogramms ist,222 die ihrerseits wieder auf Steuerungsrechten und -pflichten des Parlaments beruht. Das Parlament kann nur insoweit eine sachlich-​inhaltliche Legitimation des Verwaltungshandelns bewirken, als es die Entscheidung im parlamentarischen Willensbildungsprozess vorweggenommen und damit zur sachlichen Rechtmäßigkeitsvorgabe „verdinglicht“223 hat. Im Übrigen trifft es keine Aussage darüber, wie die Verwaltung einen Sachverhalt behandeln soll. Der Gesetzgeber entscheidet abstrakt, die Verwaltung setzt diese Entscheidung konkretisiert um. Ihre Rechtsanwendung gleicht jedoch nicht derjenigen eines „Vollzugsautomats“ im formallogischen Sinn.224 aa) Grundprinzip der Steuerungsmittel Weil im hierarchischen Verwaltungsmodell letztlich die Exekutivspitze für das Handeln der ihr unterstellten Verwaltungsbehörden verantwortlich ist, muss sie Einfluss auf die Aufgabenerfüllung durch diese haben.225 Dies wird durch verschiedene Steuerungsmittel erreicht, die die Sicherstellung der Sachverantwortung der Regierung gegenüber dem Parlament bezwecken. Exekutive Mittel der Regelsteuerung226 im Ministerialmodell sind vor allem Rechtsverordnungen, Verwaltungsvorschriften und Weisungen. Dabei sind Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften im Grundsatz abstrahierende Handlungsanweisungen und damit dem Parlamentsgesetz funktionell ähnlich227; für die Weisung gilt das nicht notwendigerweise.228 Die Steuerungsmittel lassen je nach Abstrahierungsgrad ihrer-

221

Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 283; Böckenförde, in: HStR II, 3. Auflage 2004, § 24 Rn. 22; Bieback, Die Mitwirkung der Beschäftigten in der öffentlichen Verwaltung, 1983, S. 44; s. auch Lee, Demokratische Legitimation, 2017, S. 50. 222 Böckenförde, in: HStR II, 3. Auflage 2004, § 24 Rn. 22. 223 Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 275. 224 Vgl. dazu die Erwägungen zur Automatisierbarkeit des Subsumtionsmodells nach Larenz mit dem Ergebnis, dass (subjektive) Wissensbasen hinzugefügt werden müssen, um den Großteil des Rechts auslegen zu können: § 2 C. II. 2. b). 225 Dreier, Hierarchische Verwaltung im demokratischen Staat, 1991, S. 134; Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000, S. 187. 226 Zum Begriff Schuppert, in: Reform des allgemeinen Verwaltungsrechts I, 1993, 63 (76). 227 Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 340. 228 Dementsprechend aufteilend Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 79 ff., Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 340 und im Anschluss Köller, Funktionale Selbstverwaltung und ihre demokratische Legitimation, 2009, S. 150.

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§ 3 Demokratische Legitimation von Verwaltungsakten

seits Raum für weitere Rechtskonkretisierungen.229 Freilich wirkt im Realbereich des Verwaltungshandelns eine Vielzahl von steuerungsrelevanten Faktoren, deren Aufzählung hier nicht erfolgt.230 Der Fokus auf die Ebene der Programmanwendung soll nicht verdunkeln, dass diese ebenso relevant für die Rechtsanwendung im Gesamten sind, hier aber außer Betracht bleiben. bb) Rechtsverordnungen Gemäß Art. 80 Abs. 1 GG können die Regierung oder ein Minister ermächtigt werden, nach Inhalt, Zweck und Ausmaß bestimmte sachliche Handlungsanweisungen in Form der Rechtsverordnung zu konkretisieren. Es handelt sich damit um eine abgeleitete Rechtsetzungsbefugnis der Verwaltung231 im Rahmen der Parlamentsgesetze. Durch Parlamentsgesetz wird damit die sachliche Steuerung auf die Regierung ausgelagert, lediglich das „Ob“ der Konkretisierung sowie grobe Richtungsanweisungen bestimmt das Parlamentsgesetz selbst.232 Diese Auslagerung impliziert die gegenüber dem Parlamentsgesetz geringere sachlich-​inhaltliche Legitimation der inhaltlichen Anordnungen in einer Rechtsverordnung. Gleich­ zeitig verdeutlicht die Ermächtigung gerade durch das unmittelbar legitimierte Parlament, dass auch der Rechtsverordnung als vom Parlamentsgesetz unterschiedliche Rechtsquelle (wenn auch geringere) legitimierende Kraft zukommt.233 Die Rechtsverordnung hat Vorrang vor den übrigen Exekutivakten und entfaltet damit Steuerungswirkung für Exekutivakte niederen Ranges.234 cc) Verwaltungsvorschriften Verwaltungsvorschriften sind abstrakt-​generelle interne Handlungsanweisungen der Verwaltung.235 Sie sind wesensmäßig von den Rechtsverordnungen zu trennen: Einerseits ist die Verwaltungsvorschrift im Grundsatz ein verwaltungs 229

Hoffmann-​Riem, in: GVwR I, 2. Auflage 2012, § 10 Rn. 23; in diese Richtung auch Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000, S. 190. 230 S. Hoffmann-​Riem, in: GVwR I, 2. Auflage 2012, § 10 Rn. 29 ff.; Schuppert, in: Reform des allgemeinen Verwaltungsrechts I, 1993, 63 (75). 231 Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 341; im Anschluss Köller, Funktionale Selbstverwaltung und ihre demokratische Legitimation, 2009, S. 150; s. auch Hill / ​Martini, GVwR II, 2. Auflage 2012, § 34 Rn. 18 und 19. 232 S. dazu Ruffert, in: GVwR I, 2. Auflage 2012, § 17 Rn. 62; dazu auch Dreier, Hierarchische Verwaltung im demokratischen Staat, 1991, S. 179. 233 Reimer, in: GVwR I, 2. Auflage 2012, § 9 Rn. 10. 234 Köller, Funktionale Selbstverwaltung und ihre demokratische Legitimation, 2009, S. 150. 235 Maurer / ​Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, 19. Auflage 2018, § 24 Rn. 1; Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000, S. 190; Hill / ​Martini, GVwR II, 2. Auflage 2012, § 34 Rn. 37 ff.; Detterbeck, Allgemeines Verwaltungsrecht, 17. Auflage 2019, § 14 Rn. 852.

D. Legitimationsmodi

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internes Steuerungsinstrument,236 das seine Außenwirksamkeit erst über Art. 3 GG erlangt. Andererseits bewegt sich die Verwaltungsvorschrift üblicherweise innerhalb einer konkreten sachlichen Steuerung durch Parlamentsgesetz, beispielsweise als norminterpretierende, normkonkretisierende oder ermessenlenkende Verwaltungsvorschrift. (1) Verhältnis von Verwaltungsvorschrift und Parlamentsgesetz Eine Verwaltungsvorschrift steuert verwaltungsintern dort, wo das Parlamentsgesetz eine geringe Steuerungsintensität aufweist. Verwendet der Gesetzgeber auslegungsbedürftige Begriffe, die bestimmt oder bestimmbar sind, ist eine von dieser Deutung abweichende Verwaltungsvorschrift wegen der Bindung der Verwaltung an das Parlamentsgesetz unwirksam. Die Zulässigkeit einer Verwaltungsvorschrift hängt damit zunächst von der Steuerungsintensität der Parlamentsgesetze ab, sodass die Befugnis zum Erlass einer Verwaltungsvorschrift mittelbar vom Parlament abhängt.237 Weil aber der Funktionsbereich des Parlaments vor allem die abstrakt-​generelle Steuerung umfasst, muss die Verwaltung zur Wahrung ihres Funktionsbereichs befugt sein, die Rechtskonkretisierung im Rahmen der Gesetze eigenständigen Regeln zu unterwerfen.238 In diesen Grenzen muss eine Normsetzungskompetenz der Exekutive nach den Vorgaben des Parlamentsgesetzes als von diesem gerade ermöglicht anerkannt werden.239 Das trifft den Kern der Diskussion um einen exekutiven Totalvorbehalt.240 Die Befugnis zum Erlass rechtskonkretisierender Verwaltungsvorschriften lässt sich aus der verfassungsrechtlichen Vollzugsbefugnis der Exekutive folgern.241 Sie entspringt dem Parlamentsgesetz nicht unmittelbar in Form einer Ermächtigung, wie es Art. 80 Abs. 1 GG für Rechtsverordnungen vorsieht.242 Die Vollzugsbefugnis bezieht sich gleichwohl auf das Parlamentsgesetz, nach dessen Vorgaben die Verwaltung handeln muss. Im Rahmen der Gesetze kann demnach auch bedeuten, dass im Einzelfall die Rechtskonkretisierung durch Verwaltungsvorschrift nicht möglich ist, weil das Parlamentsgesetz eine derartige Rechtskonkretisierung verbietet. Die Befugnis zur Rechtskonkretisierung über andere Wege muss als funktioneller Kernbereich der Verwaltung freilich bestehen bleiben. 236

Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000, S. 190; Detterbeck, Allgemeines Verwaltungsrecht, 17. Auflage 2019, § 14 Rn. 853; zum Übergriff in den rechtsnormgleichen Bereich Dreier, Hierarchische Verwaltung im demokratischen Staat, 1991, S. 193. 237 Reimer, in: GVwR I, 2. Auflage 2012, § 9 Rn. 10 m. w. N.; Möstl, in: Allgemeines Verwaltungsrecht, 15. Auflage 2015, § 19 Rn. 26. 238 Maurer / ​Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, 19. Auflage 2018, § 24 Rn. 50. 239 Ruffert, in: GVwR I, 2. Auflage 2012, § 17 Rn. 69. 240 S. dazu Grawert / ​Böckenförde, AöR Bd. 95 (1970), 1 (26 ff.); Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften und Grundgesetz, 1968, S. 200 ff. 241 Maurer / ​Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, 19. Auflage 2018, § 24 Rn. 50; Möstl, in: Allgemeines Verwaltungsrecht, 15. Auflage 2015, § 19 Rn. 8. 242 Möstl, in: Allgemeines Verwaltungsrecht, 15. Auflage 2015, § 19 Rn. 8.

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§ 3 Demokratische Legitimation von Verwaltungsakten

Der Code eines Automationssystems der Verwaltung wird üblicherweise unter den Begriff der Verwaltungsvorschrift subsumiert.243 Den Zusammenhängen wird hier nicht weiter nachgegangen; auf die Relevanz der Verwaltungsvorschriften als Steuerungsmittel sei im Hinblick auf den Betrachtungsgegenstand bereits an dieser Stelle verwiesen. (2) Arten von Verwaltungsvorschriften Norminterpretierende oder gesetzesauslegende Verwaltungsvorschriften sind Klarstellungen, die eine einheitliche Anwendung der Gesetze durch die Verwaltung sicherstellen sollen.244 Sie interpretieren Begriffe, hinsichtlich welcher der Verwaltung kein Beurteilungsspielraum zukommt.245 Normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften betreffen die abstrakte Ausdeutung eines Begriffs mit Beurteilungsspielraum.246 Beispiele normkonkretisierender Verwaltungsvorschriften sind die TA Luft und TA Lärm.247 Ermessenslenkende Verwaltungsvorschriften sind mit den normkonkretisierenden Verwaltungsvorschriften vergleichbar. Der Gesetzgeber ermächtigt durch Ermessenseinräumung die Verwaltung, einen rechtsfolgenseitigen Spielraum selbständig zu konkretisieren, wobei der Gesetzgeber Konkretisierungsziele angeben kann, die die Verwaltung aufgrund ihrer Gesetzesbindung berücksichtigen muss. Voraussetzung für eine antizipierte Ermessenslenkung ist die Typisierbarkeit, deren Möglichkeit sich aus den legislativen Vorgaben ergibt.248 Aus Art. 3 GG folgt dann die Pflicht der Verwaltung, gleichgelagerte Fälle im Ermessen gleich zu behandeln, aber auch, unterschiedliche Fälle im Ermessen ungleich zu behandeln.249 Die vorgesetzte Behörde kann in diesem Rahmen durch ermessenslenkende Verwaltungsvorschriften die Ermessensausübung der nachgeordneten Behörde antizipiert steuern.250 243

Z. B. Hoffmann-​Riem, in: GVwR I, 2. Auflage 2012, § 10 Rn. 60; Polomski, Der automatisierte Verwaltungsakt, 1993, S. 219 m. w. N.; für Expertensysteme ablehnend Tönsmeyer-​ Uzuner, Expertensysteme in der öffentlichen Verwaltung, 2000, S. 82 f., S. 73 Fn. 201 m. w. N. zur damals herrschenden Qualifizierung als Verwaltungsvorschrift; die genaue Einordnung ist nach Hill / ​Martini, in: GVwR II, 2. Auflage 2012, § 34 Rn. 4 unbeachtlich, solange die Steuerungsfunktion feststeht. 244 Detterbeck, Allgemeines Verwaltungsrecht, 17. Auflage 2019, § 14 Rn. 857; Köller, Funktionale Selbstverwaltung und ihre demokratische Legitimation, 2009, S. 151. 245 S. Maurer / ​Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, 19. Auflage 2018, § 24 Rn. 44; Detterbeck, Allgemeines Verwaltungsrecht, 17. Auflage 2019, § 14 Rn. 857. 246 BVerwGE 107, 338 (341); Detterbeck, Allgemeines Verwaltungsrecht, 17. Auflage 2019, § 14 Rn. 858. 247 Ehlers, in: Allgemeines Verwaltungsrecht, 15. Auflage 2015, § 2 Rn. 71; implizit BVerwGE 107, 338 (341). 248 Jestaedt, in: Allgemeines Verwaltungsrecht, 15. Auflage 2015, § 11 Rn. 59. 249 Jestaedt, in: Allgemeines Verwaltungsrecht, 15. Auflage 2015, § 11 Rn. 59. 250 Jestaedt, in: Allgemeines Verwaltungsrecht, 15. Auflage 2015, § 11 Rn. 59.

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dd) Weisungen Die Weisung ist ein konkretes Steuerungsmittel, das die Entscheidung der Verwaltungsspitze über die Behandlung eines Einzelfalls gegenüber hierarchisch untergeordneten Verwaltungsträgern durchsetzt.251 Sie kann als „durchgriffsintensivste Möglichkeit der Einzelfallsteuerung“252 angesehen werden. Weil der weite Verantwortungsbereich des Ministers auf Delegation und Subdelegation angewiesen ist,253 stellt die Weisung nicht den Regelfall der exekutiven Handlungssteuerung dar. Gleichzeitig ist die Weisungsbefugnis charakteristisches Leitinstrument der Ministerialverwaltung, weil sie dem Minister die Möglichkeit des Rechtsanwendungsdurchgriffs garantiert und ihm gleichzeitig die arbeitsteilige Organisation ermöglicht.254 Über die so vermittelte einzelfallspezifische Dirigierbarkeit255 untergeordneten Verwaltungshandelns wird der Verantwortungszusammenhang effektiviert und aufrechterhalten. Die Weisungsgebundenheit exekutiven Handelns weise damit besondere Relevanz für ihre demokratische Legitimation auf.256 Neben der Weisung bestehen weitere konkrete Steuerungsmöglichkeiten wie Selbsteintritts-​ und Letztentscheidungsrechte, die in ihrer Wirkung der Weisung nachstehen.257 ee) Ergebnis Die exekutiven Steuerungsmittel der Rechtsverordnung, Verwaltungsvorschrift und Weisung ermöglichen die gestufte Steuerung der Verwaltung durch abstrakte Verengung von Entscheidungsspielräumen oder Ersetzung der Rechtsanwendung durch Einzelweisung. Die sachlich-​inhaltliche Steuerung verläuft damit konzeptionell in einem sich immer weiter verengenden Rahmen.258 Erster Rahmen ist das Parlamentsgesetz, innerhalb dieses Rahmens ist die zweite Verengungsstufe die exekutive Steuerung, die unterschiedliche Intensität und Zwischenstufen annehmen kann. Die dritte und letzte Stufe der Normverengung ist die Rechtsanwendung im Einzelfall, die den konkret-​individuellen Verwaltungsakt in seiner Gestalt hervorbringt.

251

Köller, Funktionale Selbstverwaltung und ihre demokratische Legitimation, 2009, S. 152. Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000, S. 189. 253 Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 323. 254 Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 323. 255 Genau so Dreier, Hierarchische Verwaltung im demokratischen Staat, 1991, S. 135. 256 BVerfGE 93, 37 (67); 83; 60 (72). 257 Im Überblick Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 343 f; Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000, S. 194 ff. 258 Ähnlich Jestaedt, in: Allgemeines Verwaltungsrecht, 15. Auflage 2015, § 11 Rn. 8. 252

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§ 3 Demokratische Legitimation von Verwaltungsakten

c) Legislative und exekutive Kontrollinstrumente Die Kontrolle der Gesetzesbindung dient der Sicherstellung ihrer Effektivität und ist damit ebenso relevant für eine effektive Rückbindung staatlichen Handelns an das Volk wie die Gesetzesbindung selbst. Einerseits kontrolliert das Parlament die Aufgabenerfüllung durch die Verwaltung über die Regierungsspitze, wodurch die demokratische Verantwortlichkeit der Exekutive gegenüber dem Parlament und so gegenüber dem Volk sichergestellt wird.259 Parlamentarische Kontrollrechte reichen allerdings nicht in den Bereich der Verwaltung hinein, sondern bestehen lediglich gegenüber der Regierung.260 Deshalb erlangen im Bereich der Funktionswahrnehmung durch der Regierung hierarchisch untergeordnete Amtswalter die Rechts-​und Fachaufsicht als exekutive Kontrollmittel besondere Bedeutung. Dem Parlament und der Regierung stehen jeweils unterschiedliche Kontrollmittel zur Verfügung. aa) Kontrollmittel des Parlaments gegenüber der Regierung Die Regierung unterliegt umfassender parlamentarischer Kontrolle.261 Das Parlament entscheidet zunächst über die Bildung der Regierung, Art. 63 Abs. 1 GG. Durch die Möglichkeit eines konstruktiven Misstrauensvotums entscheidet es gleichsam über die Abberufung der Regierung, Art. 67 Abs. 1 GG. Mittelbar erfolgt eine Kontrolle auch darüber, dass in jeder neuen Legislaturperiode das Volk erneut ein Parlament wählt, das wiederum eine neue Regierung bildet, Art. 69 Abs. 2 GG. Auch innerhalb der jeweiligen Legislaturperiode kann das Parlament auf das Handeln der Regierung Einfluss nehmen, indem es Auskunfts-​und Informationsrechte geltend macht.262 Zu nennen sind insbesondere das Zitierrecht gemäß Art. 43 Abs. 1 GG, die Möglichkeit der Einberufung eines Untersuchungsausschusses gemäß Art. 44 GG sowie die kleine und große Anfrage nach den §§ 104 und 100 GOBT. Weil die Exekutive gemäß Art. 20 Abs. 3 GG an das Gesetz gebunden ist und insbesondere Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes zu wahren hat, ist die Regierung auch hinsichtlich der Durchsetzung ihrer politischen Ent­ scheidungen abhängig vom Parlament.263

259 Auf die Kontrollbefugnisse wurde oben bereits hingewiesen; s. BVerfGE 146, 1 (39); BVerfGE 147, 50 (127). 260 Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000, S. 188. 261 S. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 313. 262 BVerfGE 147, 50 (50 ff.); dazu Hamdorf / ​Moradi Karkaj, DVBl 2018, 823 ff. sowie Katz, NVwZ 2018, 1091 (1091 ff.). 263 Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 313.

D. Legitimationsmodi

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bb) Kontrollmittel der Regierung gegenüber der Verwaltung Die Rechts-​und Fachaufsicht bilden die maßgeblichen Kontrollinstrumente der Regierung gegenüber der ihr unterstehenden Verwaltung. Auch das Weisungsrecht kann eine Kontrollkomponente aufweisen, die hier nicht gesondert herausgestellt wird.264 (1) Rechtsaufsicht Die Rechtsaufsicht erfüllt eine Doppelfunktion, indem sie einerseits der effektiven Bindung an das Parlamentsgesetz als Steuerungsmittel, andererseits der Bindung an und Durchsetzung von exekutiven Steuerungsvorgaben dient.265 Ihre Effektivität als Kontrollmittel hängt maßgeblich von der legislativen und exeku­ tiven Steuerungsdichte ab.266 Jedenfalls geht die exekutive Kontrolle durch Rechtsaufsicht weiter als die bloße Kontrolle der Bindung an das Parlamentsgesetz.267 Die Rechtsaufsicht stellt Kontrollmittel unterschiedlicher Intensität zur Ver­ fügung. Niedrige Kontrollintensität entfalten Informationspflichten untergeordneter Behörden, weil aus der Information noch keine zwingende Willenskongruenz folgt. Genehmigungspflichten gehen als Veto der übergeordneten Stelle in ihrer Wirkung als „Verhinderungskompetenz“268 weiter. Beanstandungs-​, Anordnungs-​ und Aufhebungspflichten, die über das Mittel der Ersatzvornahme durchsetzbar sind, sind in ihrer Kontrollintensität vergleichbar mit der Weisung.269 Sie setzen eine Willensübereinstimmung der untergeordneten mit der übergeordneten Stelle durch. Die Weisung ist jedoch insoweit in ihrer Wirkung intensiver, als sie auch Vorgaben der Zweckmäßigkeit beinhalten kann und gegen sie ein Rechtsweg vergleichbar dem gegen Maßnahmen der Rechtsaufsicht üblicherweise nicht besteht.270 Weiter setzt eine Weisung kein vorheriges Zuwiderhandeln der untergeordneten Stelle voraus, eine Maßnahme der Rechtsaufsicht hingegen schon.271 Das Widerspruchsverfahren als punktuelle, nicht vom Willen der Verwaltungsspitze abhängige Überprüfungsmöglichkeit untergeordneter Entscheidungen ist zwar eine Form der Rechtmäßigkeitskontrolle und insoweit vergleichbar mit sonstigen Mitteln der Rechtsaufsicht. Weil die Widerspruchsbehörde das Verfahren 264

Zu Abgrenzungsproblemen Köller, Funktionale Selbstverwaltung und ihre demokratische Legitimation, 2009, S. 149. 265 So auch Schmidt-​Aßmann, AöR Bd. 116 (1991), 329 (358). 266 Köller, Funktionale Selbstverwaltung und ihre demokratische Legitimation, 2009, S. 155. 267 Dazu Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000, S. 191. 268 Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000, S. 192. 269 Köller, Funktionale Selbstverwaltung und ihre demokratische Legitimation, 2009, S. 157. 270 Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000, S. 193; im Anschluss Köller, Funktionale Selbstverwaltung und ihre demokratische Legitimation, 2009, S. 157. 271 Köller, Funktionale Selbstverwaltung und ihre demokratische Legitimation, 2009, S. 157.

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§ 3 Demokratische Legitimation von Verwaltungsakten

gleichwohl nicht selbst einleiten kann, entfaltet das Widerspruchsverfahren keine der Rechtsaufsicht in ihrer Intensität vergleichbare Kontrollwirkung.272 (2) Fachaufsicht Die Fachaufsicht als Zweckmäßigkeitskontrolle ist maßgebliches Korrelat der Verantwortung der Exekutivspitze. Sie geht über eine Kontrolle der Rechtmäßigkeit hinaus und dient der Einhaltung von Zweckmäßigkeitsvorgaben der Verwaltung.273 Maßgebliches Mittel der Fachaufsicht ist die Weisung,274 was den Charakter der Weisung als Steuerungs-​und auch Kontrollinstrument verdeutlicht. cc) Fazit Kontrollmittel bezwecken ungeachtet ihrer Wirkungsform die Sicherstellung der Gesetzesbindung der Verwaltung sowie die Gewährleistung zweckmäßigen Verwaltungshandelns. Sie zeitigen Legitimationswirkung insoweit, als sie der Effektivierung der Gesetzesbindung sowie der Verantwortung der Regierung für untergeordnetes Verwaltungshandeln dienen. Je effektiver Steuerungsinstrumente und diesbezügliche Kontrollinstrumente im Einzelfall ausgestaltet sind, desto effektiver wird die Gesetzesbindung durch die Verwaltung und ihre Verantwortlichkeit gegenüber dem Volk durchgesetzt. Kontrollmittel tragen damit mittelbar zur sachlich-​inhaltlichen Legitimation des Verwaltungshandelns durch Effektivierung der Gesetzesbindung bei. d) Zusammenfassung Der sachlich-​inhaltliche Legitimationsmodus speist sich aus legislativen und exekutiven Steuerungs-​und Kontrollelementen. Oberster Steuerungsmechanismus ist das Parlamentsgesetz, das als Akt der Legislative unmittelbar durch den Wahlakt des Volkes legitimiert ist. Sekundäre Steuerungsmittel stellen insbesondere Rechtsverordnungen, Verwaltungsvorschriften und Weisungen dar, die innerhalb des parlamentsgesetzlichen Rahmens gelten. Die Gesetzesbindung wird durch Kontrollinstrumente des Parlaments und der Regierung effektiviert: Einerseits muss sich die Regierung gegenüber dem Parlament verantworten, soweit dieses von seinen Kontrollkompetenzen Gebrauch 272 So auch Köller, Funktionale Selbstverwaltung und ihre demokratische Legitimation, 2009, S. 161. 273 Köller, Funktionale Selbstverwaltung und ihre demokratische Legitimation, 2009, S. 158; Hoffmann-​Riem, in: GVwR I, 2. Auflage 2012, § 10 Rn. 13. 274 Köller, Funktionale Selbstverwaltung und ihre demokratische Legitimation, 2009, S. 158.

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macht; andererseits unterliegen dem Minister unterstellte Amtswalter einer umfassenden Rechts-​und Fachaufsicht. 4. Kritik am sachlich-​inhaltlichen Legitimationsmodus Die Kritik an der sachlich-​inhaltlichen Legitimationskomponente betrifft weniger die Legitimationswirkung der Bindung des Verwaltungshandelns an die Parlamentsgesetze. Die demokratische Komponente des Parlamentsgesetzes als solche steht außer Frage.275 Die Kritik betrifft vielmehr die tatsächliche Leistungsfähigkeit der Steuerung des Verwaltungshandelns durch Parlamentsgesetze, exekutive Steuerungsmittel wie der Weisung sowie parlamentarische Kontrollmöglichkeiten. a) Mangelnde Steuerungswirkung des Parlamentsgesetzes In der Verwaltungsrechtswissenschaft gilt die im Rahmen der Steuerungs­ diskussion gewonnene Erkenntnis, dass das Parlamentsgesetz als Steuerungsressource der Verwaltung jedenfalls defizitär ist, bereits als Allgemeinwissen.276 Das Parlament sei immer weniger in der Lage, die Verwaltung inhaltlich anzuleiten, weil die zu bewältigenden Aufgabenstellungen komplexer werden und sich antizipierter Regelung entziehen.277 Entweder reguliere der Gesetzgeber in diesen Fällen nicht spezifisch genug278 und lege durch weite Verordnungsermächtigungen die inhaltliche Ausgestaltung oder gar Überarbeitung vieler bereits parlamentarisch geregelter Bereiche in die alleinige Verfügungsgewalt der Exekutive279 oder es komme durch Überregelung zu einer unübersichtlichen und teils widersprüch­lichen Normenflut,280 welcher sich die Verwaltung durch „selektiven Gesetzesgehorsam“281 entziehe. Ein weiteres Problem in diesem Zusammenhang stellen Vollzugsdefizite durch die Verwaltung dar,282 die einerseits durch Normenflut, aber auch durch unterbesetzte Verwaltungsstellen entstehen können. Unabhängig von einem im Einzelfall bestehenden Regelungsdefizit bestehe jedenfalls ein Steuerungs­ defizit, das die Verwaltung durch Selbststeuerung auffange. Schließlich erfassten

275

So auch Trute, in: GVwR I, 2. Auflage 2012, § 6 Rn. 11. Z. B. Dreier, Hierarchische Verwaltung im demokratischen Staat, 1991, S. 148 ff. 277 Dreier, Hierarchische Verwaltung im demokratischen Staat, 1991, S. 156. 278 Bieback, Die Mitwirkung der Beschäftigten in der öffentlichen Verwaltung, 1983, S. 35; Unger, Das Verfassungsprinzip der Demokratie, 2008, S. 42; Groß, Das Kollegialprinzip in der Verwaltungsorganisation, 1999, S. 180. 279 Kube, NVwZ 2003, 57 (57 f.). 280 Dederer, Korporative Staatsgewalt, 2004, S. 219. 281 Dreier, Hierarchische Verwaltung im demokratischen Staat, 1991, S. 173. 282 Dazu Bieback, Die Mitwirkung der Beschäftigten in der öffentlichen Verwaltung, 1983, S. 34 ff.; in Bezug auf die Steuerverwaltung Seer, StuW 2015, 315 (317 ff.). 276

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§ 3 Demokratische Legitimation von Verwaltungsakten

das Parlamentsgesetz und die klassischen Methoden juristischer Auslegung weite Teile der für die reale Problemlösung relevanten Faktoren von vornherein nicht.283 Weil jedoch das Parlamentsgesetz sachlich-​inhaltliche Legitimation vermittle, sinke mit der Steuerungswirkung des Parlamentsgesetzes gleichzeitig die sachlich-​ inhaltliche Legitimation des Verwaltungshandelns.284 Mangelnde Programmierbarkeit der Verwaltung führe zu einer organisatorischen Umstrukturierung der Verwaltung, die letztlich auch das Hierarchieprinzip infrage stelle.285 Die Verantwortungszusammenhänge werden in der Folge ebenfalls verändert, worauf ein an die hierarchische Kompetenzaufteilung anknüpfendes Legitimationsmodell keine Antwort geben kann und damit die Verwaltungswirklichkeit nur in Teilen erfasst.286 Die Ministerialverwaltung sei nicht der Regelfall der Verwaltungsorganisation, sondern die Ausnahme.287 Die Vorstellung von der Verwaltung als „Vollzugsmaschine“ des Gesetzgebers sei seit langem überholt.288 Akzeptiere man hingegen eine flexible legislative Steuerungsintensität je nach Regelungsgegenstand, stelle sich das Problem, dass variable Steuerungsintensitäten durch das Parlaments­gesetz, die durch andere Legitimationsmodi aufgewogen werden könnten, nicht allgemein, sondern nur einzelfallspezifisch identifiziert werden können.289 Schließlich resultiere ein Steuerungsverlust des Gesetzes auch im Allgemeinen aus einer erhöhten Komplexität der Lebensverhältnisse durch technische, gesellschaftliche und ökonomische Entwicklungen.290 Dem wird entgegengehalten, dass der sachlich-​inhaltliche Legitimationsmodus nicht die einzige relevante Art der Rückkopplung sei, sodass das Legitimationskonzept gar kein „Maschinenbild“ verfolge.291 Durch exekutive Steuerungsmöglichkeiten im Rahmen der Gesetze und den organisatorisch-​personellen Legitimationsstrang könne dem Steuerungsbedürfnis der Verwaltung ausreichend Rechnung getragen werden.292 Eine faktisch geringe Steuerungsintensität ändere schon denklogisch nichts an der rechtlich aus Art. 20 Abs. 3 GG folgenden Gesetzesbindung der Verwaltung.293

283

Hoffmann-​Riem, in: GVwR I, 2. Auflage 2012, § 10 Rn. 14 ff. Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, 2004, S. 296; Mehde, in: Herausforderung e-​Government, 2009, 213 (240). 285 Dreier, Hierarchische Verwaltung im demokratischen Staat, 1991, S. 156 f. 286 Schmidt-​Aßmann, in: Verwaltungsorganisationsrecht als Steuerungsressource, 1997, 1 (56). 287 Classen, Demokratische Legitimation im offenen Rechtsstaat, 2009, S. 15. 288 Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, 2004, S. 296; Classen, Demokratische Legitimation im offenen Rechtsstaat, 2009, S. 7 und 10. 289 Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000, S 478 f. 290 Dederer, Korporative Staatsgewalt, 2004, S. 220. 291 Köller, Funktionale Selbstverwaltung und ihre demokratische Legitimation, 2009, S. 162 f. 292 Bieback, Die Mitwirkung der Beschäftigten in der öffentlichen Verwaltung, 1983, S. 33; Köller, Funktionale Selbstverwaltung und ihre demokratische Legitimation, 2009, S. 163; abwägend Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, 2004, S. 297. 293 Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000, S. 471. 284

D. Legitimationsmodi

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Faktische Steuerungsdefizite vermögen ein normatives Legitimationskonzept dem Grunde nach nicht zu entkräften. Dass ein Konzept, das bestimmte normative Forderungen aufstellt, nicht deckungsgleich mit der Realität ist, deshalb in der Regel auf Probleme bei der praktischen Umsetzung stoßen wird und nicht alle tatsächlich vorhandenen Strukturen in seinem Modell abbildet, liegt in seiner Normativität begründet. Wann das Modell seine Aussagekraft insgesamt einbüßt,294 weil es keine realitätsnahen Antworten auf neue Fragen geben kann, ist eine Wertungsfrage. Die Scheidung rechtlicher und praxisorientierter Erwägungen betreffend die Steuerungsfähigkeit des Gesetzes erscheint nicht zuletzt mit Blick auf Art. 20 Abs. 3 GG zwingend, der eine strikte Bindung der Verwaltung an die Gesetze auch in Zeiten des Informationsdefizits und der Normenflut vorschreibt. Ausgangspunkt der Bewertung der faktischen Situation ist damit der Sollzustand des Art. 20 Abs. 3 GG. Erforderlich ist in diesem Sinne der Versuch einer Stärkung der Steuerungswirkung des Parlamentsgesetzes durch sowohl parlamentarische Wahrnehmung der Regelungsverantwortung als auch Umsetzungs-​und Konkretisierungsverantwortung durch die Exekutive,295 nicht die Suche nach Rechtfertigungsansätzen für eine mangelnde Steuerungswirkung auf einer der beiden Ebenen. Insoweit begründet die faktisch abnehmende Steuerungswirkung des Gesetzes nicht schon das Erfordernis eines neuen Legitimationskonzepts. Durch die weitgehende Freiheit des Gesetzgebers bei der Steuerung des Verwaltungshandelns, die im Vorbehalt des Gesetzes und der Wesentlichkeitslehre ihre Grenzen findet, steht es dem Gesetzgeber vielerorts frei, der Verwaltung die Selbstregulierung durch abstrakte und konkrete Rechtsanwendung und -konkretisierung zu ermöglichen. Damit bleibt der Verwaltung Raum, innerhalb der vom Gesetzgeber gezogenen Grenzen Erwägungen der Zweckmäßigkeit in die Rechtsfindung einfließen zu lassen. Auch darüber hinaus hat die Anwendung des Rechts im Einzelfall gegenüber dem Gesetz eine eigenständige Qualität.296 Ein beim Worte genommenes „Maschinenbild“ erweist sich nicht als treffende Beschreibung der Verwaltung gleichermaßen der Vergangenheit und Gegenwart,297 was letztlich bereits der nur schrittweise 294 S. dazu Unger, Das Verfassungsprinzip der Demokratie, 2008, S. 48 ff. und Westermann, Legitimation im europäischen Regulierungsverbund, 2017, S. 149. 295 In diesem Sinne auch Kube, ZRP 2004, 52 (53). 296 S. schon § 2 B. IV. zu Interpretationsschwierigkeiten selbst bei Syntax, zum Erfordernis einer idealen, in der Realität selten vorhandenen Entscheidungsnorm, sowie § 2 B. II. 3. d) zur Subjektivität der Auslegung, die letztlich in Algorithmisierungsstrategien sichtbar werden. Diese Probleme beruhen maßgeblich auf den von natürlicher Sprache abweichenden Eigenschaften formaler Sprachen. Inwieweit diese jedenfalls aktuell zu verzeichnende Eigenständigkeit des Vollzugs auch rechtlich gewollt ist, ist eine andere Frage; deshalb aber insgesamt gegen die Wirksamkeit des Konzepts der Legitimationskettentheorie Classen, Demokratische Legitimation im offenen Rechtsstaat, 2009, S. 10. 297 So auch Groß, Das Kollegialprinzip in der Verwaltungsorganisation, 1999, S. 181; interessant insoweit auch das Ergebnis von Günzl, JZ 2019, 180 (180 ff.), dass die Bezeichnung als

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§ 3 Demokratische Legitimation von Verwaltungsakten

Einsatz von Technik auch in der Ministerialverwaltung verdeutlicht. Gleichwohl steht das einer nach Art. 20 Abs. 3 GG in der Verfassung angelegten Steuerung der Verwaltung in bestimmten Bereichen nicht entgegen.298 Letztlich trifft die Kritik am „Maschinenmodell“ nicht das Legitimationskettenmodell, weil es auf dieser Vorstellung gar nicht aufbaut, sondern legislative Steuerung nur als Teil eines flexiblen Konzepts ansieht. Deshalb kann aus dem Befund, Legalität reiche für Legitimation nicht aus, nicht bereits auf das Erfordernis neuer Legitimationsmodi geschlossen werden.299 Auch Kontrollbefugnisse können im Einzelfall unterschiedlich ausgestaltet sein und sich damit den Entwicklungen anpassen.300 Dass die im Einzelfall realisierte Steuerung maßgeblich von einem teils unüberblickbaren Normgeflecht abhängt, ist ein Argument der mangelnden tatsächlichen Handhabbarkeit der Lehre vom Legitimationsniveau, steht aber der sachlich-​inhaltlichen Legitimation als Weg der Legitimationsvermittlung zunächst nicht entgegen. Das Argument einer mangelnden faktischen Steuerungswirkung des Parlamentsgesetzes ist damit nicht geeignet, die normative Tragfähigkeit des sachlich-​inhaltlichen Legitimationsmodus zu widerlegen. b) Unwirksamkeit exekutiver Steuerungsmittel Ein weiterer maßgeblicher Kritikpunkt am sachlich-​inhaltlichen Legitimationsmodus nach dem Kettenmodell stellt die besondere Betonung des Weisungsrechts dar, das in der Realität nicht die Durchschlagskraft besitze, die das traditionelle Legitimationskonzept ihm beimesse.301 Einerseits impliziere ein Weisungsrecht, dass die übergeordnete Stelle umfassend über untergeordnetes Verwaltungshandeln informiert sei. In der Realität bestünden Informationsdefizite.302 Die Weisung wirke im Grundsatz nur punktuell.303 Aus der bloßen Möglichkeit der Weisung folge damit keine tatsächliche Willensübereinstimmung im Einzelfall. Die Möglichkeit der Weisungserteilung dürfe für „Subsumtionsmaschine“ im Regelfall zur Negativabgrenzung verwendet wird und wurde, eine der Bezeichnung entsprechende Rechtsanwendung aber nach rechtshistorischer Betrachtung nie vorgelegen haben dürfte, was nach den in dieser Untersuchung gewonnenen Erkenntnissen (auch) damit begründet werden kann, dass sich bislang immer der natürlichen Sprache zur Rechtsanwendung bedient wurde, was notwendigerweise zu Varianzen führt. 298 Krit. Classen, Demokratische Legitimation im offenen Rechtsstaat, 2009, S. 10, s. auch § 4 B. II. 3. und 4. 299 So aber Hoffmann-​Riem, in: GVwR I, 2. Auflage 2012, § 10 Rn. 13. 300 So auch Grzeszick, GS Brugger, 2013, 601 (609 f.). 301 Bieback, Die Mitwirkung der Beschäftigten in der öffentlichen Verwaltung, 1983, S. 52. 302 Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000, S. 511; Bieback, Die Mitwirkung der Beschäftigten in der öffentlichen Verwaltung, 1983, S. 38. 303 Classen, Demokratische Legitimation im offenen Rechtsstaat, 2009, S. 10.

D. Legitimationsmodi

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die Annahme einer Legitimationswirkung allerdings nicht genügen.304 Letztlich wird damit auch dem Weisungsrecht seine faktische Wirksamkeit und damit Relevanz im Legitimationskonzept abgesprochen. Der Grund der Betonung des Weisungsrechts im Rahmen der sachlich-​inhalt­ lichen Legitimation ist nicht die Gewinnung einer allgemeinen Aussage über die demokratische Legitimität einer Verwaltungsentscheidung. Auf das Vorliegen einer Weisung im Einzelfall komme es vielmehr gar nicht an.305 Es gehe vielmehr um die Konstruktion einer Verantwortungsrückkopplung gegenüber der Regierungsspitze. Das Weisungsrecht bezwecke nicht die flächendeckende Eliminierung von Entscheidungsspielräumen,306 sondern die Möglichkeit des Durchgriffs auf untere Verwaltungsebenen zur Erzielung einer Willensübereinstimmung im Einzelfall. Derselbe Durchgriff sei auch bei Selbsteintritts-​und Selbstentscheidungsrechten möglich, sodass die die Weisung miteinbeziehende Legitimationskettentheorie hinreichend flexibel sei.307 Das Weisungsrecht als Ausprägung der Ministerverantwortlichkeit dient der sachlich-​inhaltlichen Legitimation im Einzelfall nur insoweit, als es die Verantwortlichkeit der Regierungsspitze für untergeordnetes Verwaltungshandeln nach bestimmten sachlichen Vorgaben konstruiert, und deshalb ein Steuerungsrecht beim jeweils übergeordneten Amtswalter für ebensolche Vorgaben verortet.308 Auf anderem Wege als in einem hierarchischen Modell ließe sich eine Sachverantwortlichkeit für untergeordnetes Handeln schwerlich vermitteln.309 Das Weisungsrecht ist gleichwohl ein310 der demokratischen Verantwortlichkeit dienendes Steuerungsinstrument, das geeignet ist, die Sachverantwortung der parlamentsverantwortlichen Regierung für untergeordnetes Verwaltungshandeln zu konstruieren und damit den Legitimationszusammenhang zum vom Volk gewählten Parlament herzustellen. Es kann im Einzelfall unproblematisch sein, wenn eine Einzelweisung fehlt, weil beispielsweise der untergeordnete Amtswalter selbst organisatorisch-​personell legitimiert ist und effektive Kontrollmöglichkeiten bestehen. Wenn allerdings die Möglichkeit, Weisungen zu erteilen, insgesamt fehlt, können auch keine einzelfallbezogenen Vorgaben gemacht werden, was letztlich die Verantwortung im Einzelfall immer beim untergeordneten Amtswalter verortet, sodass die Regierungs-​und Parlamentsverantwortung grundsätzlich nur noch über Kontrollbefug 304

Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000, S. 512. So auch Köller, Funktionale Selbstverwaltung und ihre demokratische Legitimation, 2009, S. 164. 306 Genau so Köller, Funktionale Selbstverwaltung und ihre demokratische Legitimation, 2009, S. 164. 307 Grzeszick, GS Brugger, 2013, 601 (610). 308 Dazu Dreier, Hierarchische Verwaltung im demokratischen Staat, 1991, S. 137. 309 Dreier, Hierarchische Verwaltung im demokratischen Staat, 1991, S. 134, 142 ff.; Krit. Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, 2004, S. 295. 310 S. hierzu Böckenförde, Verfassungsfragen der Richterwahl, 1974, S. 72 f. 305

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§ 3 Demokratische Legitimation von Verwaltungsakten

nisse aufrechterhalten werden kann. Dann besteht ein geringerer Legitimationszusammenhang – mittelbar, weil die Weisungsbefugnis fehlt, im Grunde aber weil die Möglichkeiten zur Einflussnahme auf untergeordnetes Verwaltungshandeln schwächer ausgeprägt sind, was mit einer geringeren Verantwortung der Regierung einhergeht. Letztlich könnte aber durch effektive Selbsteintrittsrechte oder vergleichbare Kontrollbefugnisse wieder derselbe Verantwortungszusammenhang erreicht werden. Das Problem beispielsweise in der Selbstverwaltung besteht jedoch darin, dass aufgrund des Charakters als Selbstverwaltungsträger vergleichbare Befugnisse insgesamt fehlen. Die Kritik am Weisungsrecht als legitimatorisch relevantem Faktor geht folglich von einem zu engen Verständnis des Kettenmodells aus, das dieses selbst nicht zwingend gebietet. c) Unwirksamkeit parlamentarischer Kontrolle Schließlich wird auch das dem Parlament nähere Scharnier der sachlich-​inhalt­ lichen Legitimationskette kritisiert: Die Verantwortlichkeit der Regierung für untergeordnetes Verwaltungshandeln gegenüber dem Parlament. Schließlich sieht Art. 67 Abs. 1 GG zwar die Möglichkeit eines konstruktiven Misstrauensvotums vor, lässt aber nur die Abberufung von Bundeskanzler und Ministern, Art. 69 Abs. 2 GG, nicht jedoch die Abberufung eines einzelnen Ministers zu. Die Kontrollbefugnisse des Parlaments seien damit faktisch begrenzt.311 Zudem bestünden auch hier Informationsdefizite.312 Darüber hinaus kontrolliere insbesondere die Zweckmäßigkeit des Verwaltungshandelns ein anderes Organ als das, welches die Gesetze erlassen hat, so dass eine Willensübereinstimmung des Verwaltungshandelns mit dem Parlament als Repräsentant des Volkes nicht vorliege.313 Schon aus der Gewaltentrennung folgt, dass es eine lückenlose Abhängigkeit der Verwaltung vom Parlament nicht geben kann. Insoweit müssen die parlamentarischen Kontroll-​und Sanktionsmöglichkeiten auch aus der Perspektive der verfassungsrechtlichen Funktionengliederung gesehen werden.314 Weiterhin ist in einigen Bundesländern die Abberufung eines einzelnen Ministers möglich, und auch die Entlassung durch den Bundeskanzler ist gem. Art. 64 Abs. 1 GG grundsätzlich denkbar.315 Selbst wenn die Sanktionsmöglichkeiten gegenüber dem Binnenbereich der Verwaltung geringere Intensität aufweisen, findet die Zusammensetzung der Regierung in jeder Legislaturperiode und damit das jeweils letztverantwortliche 311 Bieback, Die Mitwirkung der Beschäftigten in der öffentlichen Verwaltung, 1983, S. 37; Groß, Das Kollegialprinzip in der Verwaltungsorganisation, 1999, S. 188. 312 Bieback, Die Mitwirkung der Beschäftigten in der öffentlichen Verwaltung, 1983, S. 37; Groß, Das Kollegialprinzip in der Verwaltungsorganisation, 1999, S. 188. 313 Classen, Demokratische Legitimation im offenen Rechtsstaat, 2009, S. 15. 314 S. dazu BVerfGE 146, 1 (41 f.); BVerfGE 147, 50 (140). 315 Köller, Funktionale Selbstverwaltung und ihre demokratische Legitimation, 2009, S. 166.

D. Legitimationsmodi

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Organ der Verwaltung ihren Ursprung unmittelbar im vom Volk gewählten Parlament und erzeugt damit einen Legitimationszusammenhang. Dass die Zweckmäßigkeit des Verwaltungshandelns vom Parlament nicht kontrolliert wird, liegt in der Reichweite des vom Parlament erlassenen Gesetzes begründet, das gerade diejenigen Vorgaben liefert, die auch parlamentarisch kontrolliert werden. Bezweckt das Parlament eine Willensübereinstimmung, kann es die Regelungsgegenstände gesetzlich normieren, um die Willensübereinstimmung zu ermöglichen und zu kontrollieren. Dass das Parlament im Kontrollzeitpunkt eine andere personelle Zusammensetzung hat als im Zeitpunkt der Gesetzgebung, ist jedenfalls unbeachtlich, weil nicht auf das Parlament in seiner personellen Besetzung abgestellt wird, sondern auf das Parlament als Repräsentationsorgan des Volkes. Insoweit kommt es auf den abstrakten Zusammenhang zwischen dem Parlament und dem Wahlakt des Volkes an.

d) Fazit Den Einwänden der mangelnden Steuerungswirkung des Gesetzes in der modernen Verwaltungsorganisation sowie praktischer Hindernisse einer Effektivität des Weisungsrechts und der parlamentarischen Kontrolle ist zuzugeben, dass sie reale Schwierigkeiten bei der Bewährung des traditionellen Legitimationskonzepts aufzeigen. Sie verweisen, auch unter Beibehaltung der Konzeption des Kettenmodells in seinen Grundaussagen, auf die Erforderlichkeit jeweils organisationsadäquater Steuerungs-​und Kontrollinstrumente. Darüber hinaus sind auch bei der Anwendung des traditionellen Legitimationskonzepts die Problemfelder der Praxis zu berücksichtigen, damit die Legitimation der Herrschaftsausübung keine rein formale, sondern eine effektive ist. Gegen die Anwendung des Legitimationskonzepts nach dem Kettenmodell in seiner Ursprungskonzeption insbesondere im Bereich der hierarchisch gegliederten unmittelbaren Staatsverwaltung sprechen die Argumente gleichwohl nicht. Hier stützt sich das Legitimationskonzept auf vorhandene effektive Steuerungs-​und Rückkopplungselemente, deren praktische Umsetzungsschwierigkeiten nichts an ihrer rechtlichen Wirksamkeit zur Verantwortungsrückbindung ändern. Vielmehr müssen die nach dem Legitimationskonzept identifizierten Steuerungs-​und Kontrollelemente im Hinblick auf ihre praktische Wirksamkeit gestärkt werden.

5. Ergebnis Der sachlich-​inhaltliche Legitimationsmodus bezeichnet die vorsteuernde Eingrenzung hoheitlichen Handelns durch parlamentarische Gesetze. Obgleich im Rechtsstaatsprinzip zu verorten, hat die Legalität des Verwaltungshandelns auch eine demokratische Komponente, weil das Parlamentsgesetz selbst Ausdruck des

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§ 3 Demokratische Legitimation von Verwaltungsakten

Volkswillens ist, der vor allem im Wahlakt seinen Niederschlag findet. Die Legitimation einer Verwaltungsentscheidung, beispielsweise in Form eines Verwaltungsaktes, wird folglich teilweise durch sachlich-​inhaltliche Steuerungsmechanismen erzielt. Dabei kommt dem Parlament ein Steuerungsrecht unter Wahrung des funktionseigenen Kernbereichs der Verwaltung zu. Nach den Grundsätzen des Vorbehalts des Gesetzes und der Wesentlichkeitslehre kann eine in ihrer Intensität variierende Pflicht legislativer Steuerung bestehen. Innerhalb dieses Rahmens ist die Verwaltung zur Rechtskonkretisierung berufen. Sie kann zur Selbststeuerung abstrakte Steuerungsinstrumente wie Verwaltungsvorschriften oder aber konkrete Steuerungsmittel wie Weisungen einsetzen, um eine Sachverantwortung der Regierung für untergeordnetes Verwaltungshandeln zu gewährleisten. Diese Steuerungsmittel sind in ihrer Legitimationswirkung mittelbar, weil sie nicht von einem unmittelbar personell demokratisch legitimierten Organ eingesetzt werden. Insoweit ist die exekutive Steuerung ein sachlich-​inhaltlich nachrangiger, weil durch das Parlamentsgesetz bedingter, aber nach der Gewaltengliederung notwendiger Modus sachlich-​inhaltlicher Legitimation, der durch andere Formen der Legitimation verstärkt werden muss. Kontrollkompetenzen des Parlaments und der Verwaltung dienen der Effektivierung der Gesetzesbindung und der Sicherstellung der Verantwortung für hoheitliche Einzelentscheidungen gegenüber dem Volk. Ohne effektive Kontrollmechanismen erwiese sich die Gesetzesbindung als bloß formale Vorgabe ohne Konsequenzen für das Verwaltungshandeln in der Praxis. Insoweit kommt der parlamentarischen und exekutiven Kontrolle maßgebliche Relevanz für die sachlich-​inhaltliche Legitimation des Verwaltungshandelns zu. Der sachlich-​inhaltliche Legitimationsmodus liefert klare, aber auch flexible Leitlinien für eine Bestimmung der Legitimation einer Verwaltungsentscheidung. Folglich wird der sachlich-​inhaltliche Legitimationsmodus den weiteren Ausführungen als Maßstab zur Einordnung des Einsatzes von Automationssystemen zugrunde gelegt.

V. Organisatorisch-​personelle Legitimation Sachlich-​inhaltliche Legitimation bewirkt nach obigen Ausführungen unmittel­ bar nur das Parlamentsgesetz, das dem Parlament als durch Wahl unmittelbar in seinem Personenbestand legitimiertem Organ entspringt. Die Sachlegitimation ist Derivat der Legitimation von Personen, die eine Entscheidung für das Volk getroffen haben und damit ihre Legitimation als Person in die Legitimation der von ihnen getroffenen Sachentscheidung transformiert haben.316 Die Sachlegitimation ergibt sich also erst aus einer Legitimation der Person oder Personengruppe, die

316

Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 275.

D. Legitimationsmodi

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als zuständiges Organ die Entscheidung über Umfang und Inhalt der sachlichen Bindung getroffen hat. 1. Legitimation mehr als Legalität Die demokratische Legitimation der Herrschaftsausübung geht im Bereich der vollziehenden Verwaltung über Rechtmäßigkeitsfragen hinaus, weil das Gesetz lediglich abstrakte Entscheidungen festschreibt, jedoch im Bereich der vollziehenden Gewalt die konkrete Entscheidung als Ausübung von Staatsgewalt zu legitimieren ist, sodass der transformierende Anteil von der Gesetzesbindung nicht erfasst wird.317 Die Legitimation über Legalität allein genügt deshalb trotz Bindung der Verwaltung an das Gesetz im Regelfall nicht, weil innerhalb des Legalitätsrahmens Spielräume verbleiben.318 Wenn aber die Ausübung von Staatsgewalt in ihrer Gesamtheit an das Volk rückbezogen werden muss, verbleibt neben der Gesetzesbindung der ebenfalls legitimationsbedürftige Teil der Gesetzesanwendung durch einen Amtswalter.319 Die sachlich-​inhaltliche Legitimation ist damit eine von jedenfalls zwei Säulen der demokratischen Legitimation des Verwaltungshandelns. Die Entscheidung als Ganzes ist neben ihrer sachlich-​inhaltlichen Legitimation durch Gesetzesbindung des Verwaltungshandelns erst dann legitimiert, wenn das die Entscheidung konkret treffende Organ auch befugt war, diese Entscheidung zu treffen.320 Die organisatorisch-​personelle Legitimation dient damit der lückenlosen Gewährleistung der Legitimation der Entscheidung im Sinne der punktuellen Ausübung von Staatsgewalt durch Verwaltungshandeln.321 Sie ist als Ableitung der personellen Legitimation des Parlaments in die nach dem Kettenmodell im Grundsatz hierarchische Kompetenzordnung der Verwaltung zu verstehen. Die Amtswalter erlangen aus ihrer abgeleiteten organisatorisch-​personellen Legitimation die abgegrenzte Befugnis, ihrerseits Sachlegitimation zu erzeugen, indem sie Recht anwenden und konkretisieren – abstrakt beispielsweise in Form von Verwaltungsvorschriften, konkret beispielsweise in Form des Verwaltungsakts.

317

Siehe dazu auch Dreier, Hierarchische Verwaltung im demokratischen Staat, 1991, S. 128 f. Hoffmann-​Riem, in: GVwR I, 2. Auflage 2012, § 10 Rn. 13. 319 Groß, Das Kollegialprinzip in der Verwaltungsorganisation, 1999, S. 193. 320 S. Köller, Funktionale Selbstverwaltung und ihre demokratische Legitimation, 2009, S. 129. 321 S. Böckenförde, Verfassungsfragen der Richterwahl, 1974, S. 75; ders., HStR II, 3. Auflage 2004, § 24 Rn. 17. 318

138

§ 3 Demokratische Legitimation von Verwaltungsakten

2. Stellung des Amtes im Legitimationskonzept Das Wesen des Amtes erhellt seine Stellung im Legitimationskonzept. Das Amt trifft eine Zuständigkeitszuordnung und vermittelt die Entscheidungsbefugnis für den Zuständigkeitsbereich. Die Entscheidungsbefugnis eines Amtswalters ist an den Stellen relevant, an welchen das Rechtsanwendungsergebnis nicht schon aus den Vorgaben der Parlamentsgesetze zwingend vorgegeben ist oder der Umsetzung bedarf, also jedenfalls immer dann, wenn eine noch durch die Verwaltung zu vollziehende abstrakt-​generelle Ermächtigungsnorm zum Erlass eines Verwaltungsaktes vorliegt. Nur soweit die Entscheidung inhaltlich auch tatsächlich sachlich gesteuert ist, ist sie bereits legitimiert, weil sie im parlamentarischen Willens­ bildungsprozess vorweggenommen wurde. Im Übrigen bedarf es eines eigenen, neuen Legitimationszusammenhangs für die von der Steuerung nicht erfassten Bereiche des Verwaltungshandelns sowie für ihre Konkretisierung im Einzelfall. Dieser Zusammenhang muss notwendigerweise erneut an eine Befugnis anknüpfen, die ihrerseits zur sachlichen Bindung ermächtigt. Das bedeutet nicht, dass die personelle Legitimation der sachlich-​inhaltlichen Legitimation übergeordnet oder untergeordnet ist. Lediglich die Wechselbezüglichkeit der Komponenten wird so deutlich.322 In der Entscheidungsbefugnis der Verwaltung im Rahmen der Steuerung des Parlamentsgesetzes liegt damit ein „freier“ Teil staatlicher Machtausübung und Souveränität. Je nach der Steuerungsintensität sachlich-​inhaltlicher Vorgaben im Einzelfall ist dieser Anteil eigener Entscheidungsleistung der Verwaltung sehr groß oder aber sehr gering.323 An die Eigenschaft als entscheidungsbefugter Amtswalter knüpft das Gesetz bestimmte Dienst-​und Treuepflichten, Art. 33 Abs. 4 GG, die die verantwortliche Wahrnehmung von Entscheidungsbefugnissen absichern. Jedenfalls bedarf auch dieser Teil des Verwaltungshandelns der Legitimation, weil er zur Ausübung von Staatsgewalt in ihrer konkreten Form beiträgt. Er steuert die staatliche Herrschaft durch Transformations-​und Konkretisierungsleistung der Verwaltung ebenso wie sachlich-​inhaltliche Vorgaben des Parlaments, lediglich in üblicherweise geringerem Ausmaß.324 Der Einsetzungsakt in das Amt verknüpft die persönliche Entscheidungsbefugnis und -zuständigkeit des Amtswalters mit dem Volk und stellt damit den Legitimationszusammenhang her.

322

S. dazu Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 281 f. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 283; BVerfGE 83, 60 (74). 324 S. dazu BVerfGE 83, 60 (73). 323

D. Legitimationsmodi

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3. Entscheidungsträgerschaft eines Amtswalters Die organisatorisch-​personelle Legitimation fordert die Rückführung des Entscheidungsträgers auf den Wahlakt des Volkes. Die Entscheidungsträgerschaft muss folglich bei einem demokratisch legitimierten Amtswalter liegen.325 Ihm allein ist die Entscheidungsträgerschaft verliehen, sodass er allein zur Rechtsanwendung berufen ist.326 Üblicherweise ist der Entscheidungsvorgang in ein Organisationsgeflecht der Verwaltung einbezogen, sodass unterschiedliche Faktoren neben dem Amtswalter die Entscheidung ebenso lenken und viele Personen an der Entscheidung mitwirken. Deshalb stellt sich die Frage, bis zu welcher Grenze die organisatorisch-​personelle Legitimation der Entscheidung gegeben ist und ab wann eine Entscheidung mangels Entscheidungsträgerschaft eines legitimierten Amtswalters als unterlegitimiert gilt. a) Gremienentscheidungen Entscheidungen werden im Verwaltungsbereich häufig nicht von einer Person, sondern in zusammengesetzten Gremien getroffen. Gremien sind horizontal koordiniert und ihre Mitglieder gleichgeordnet.327 Insbesondere in einem komplexen Bereich wie dem der Verwaltungsautomatisierung ist besonderer Sachverstand bei der Entscheidungsfindung gefordert und es besteht ein Bedürfnis, Experten unmittelbar in die Entscheidungsfindung einzubeziehen.328 Deshalb stellt sich die Frage, auf wen sich die organisatorisch-​personelle Legitimation beziehen muss, wenn das Gremium Entscheidungsbefugnisse wahrnimmt, also institutionalisiert für den Staat tätig wird.329 Hier geht es nicht um die Grenzen der legitimations­ bedürftigen Tätigkeit eines Gremiums,330 sondern um die Frage, wann eine steuernde Mitwirkung nichtlegitimierter Mitglieder eines Gremiums an einer Maßnahme oder aber die vom Gremium vollständig getroffene Maßnahme als im Sinne des Kettenmodells organisatorisch-​personell hinreichend legitimiert gilt. Ob die nichtlegitimierten Mitglieder des Gremiums Private, Sachverständige oder Angestellte sind sowie die Bezeichnung des Gremiums sind unbeachtlich.331 325

Böckenförde, in: HStR II, 3. Auflage 2004, § 24 Rn. 20. S. BVerfGE 83, 60 (74). 327 Groß, Das Kollegialprinzip in der Verwaltungsorganisation, 1999, S. 45 ff. 328 Aktuelle Beispiele für Expertengremien und in anderer Weise beteiligte Experten im Bereich der Verwaltungsautomatisierung finden sich bei Guckelberger, VVDStRL Bd. 78 (2019), 235 (258 ff.). Zur Problematik umfassend Martini, Grundlinien eines Kontrollsystems für algorithmenbasierte Entscheidungsprozesse, 2019, S. 56 ff. 329 Allgemein Groß, Das Kollegialprinzip in der Verwaltungsorganisation, 1999, S. 48; spezifisch hierzu Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 264; Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 215. 330 S. o. § 3 C. IV. 331 S. zu unterschiedlichen Bezeichnungen Groß, das Kollegialprinzip in der Verwaltungsorganisation, 1999, S. 45 f. 326

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§ 3 Demokratische Legitimation von Verwaltungsakten

aa) Abstrakte Legitimation der Entscheidung Der strengsten Auffassung nach müsste jede am Entscheidungsverfahren beteiligte Person dem organisatorisch-​personellen Legitimationserfordernis unterliegen.332 Weil jede Person mit Abstimmungsbefugnissen über „ständige virtuelle Voll-​entscheidungs-​, nicht nur Mit-​entscheidungsgewalt“333 verfüge, sobald es zu einem Stichentscheid komme,334 müsse auch jede Person organisatorisch-​personell legitimiert sein.335 Diese Auffassung stellt abstrakt darauf ab, dass jede einzelne Stimme das Zünglein an der Waage sein kann,336 das die Entscheidung in ihrer Gestalt letztlich bestimmt, und folgert aus diesem abstrakten Befund das Erfordernis umfassender, also auf jedes einzelne Gremiumsmitglied bezogener organisatorisch-​personeller Legitimation. bb) Konkrete Legitimation der Entscheidung Andere halten es für ausreichend, wenn im Einzelfall die Durchsetzung organisatorisch-​personell legitimierter Personen gewahrt ist, sodass letztlich die Mehrheit des Gremiums organisatorisch-​personell legitimiert sein muss.337 Grund des Abstellens auf die Mehrheit des Gremiums ist, dass nicht die Tätigkeit des Gremi­ ums an sich legitimationsbedürftig ist, sondern nur die Tätigkeit, die sich in einer konkreten Entscheidungsleistung niederschlägt, also steuernd im Hinblick auf die im Einzelfall getroffene Maßnahme ist oder gar selbst den Erlass einer legitimationsbedürftigen Maßnahme darstellt.338 Die Frage nach der Legitimation des Gremiums folgt also der Frage nach der Legitimationsbedürftigkeit des Entscheidungsbeitrags. Dieser selbst kann aber bereits durch die Mehrheit der abstimmenden Mitglieder des Gremiums zustande gebracht werden, sodass es genüge, darauf abzustellen. Diese Ansicht wird unter Berücksichtigung der Legitimation der „Entscheidung“ genauer gefasst, wenn darauf abgestellt wird, dass sich die Mehrheit der organisatorisch-​personell legitimierten Personen auch im Einzelfall durchgesetzt haben muss (Prinzip der doppelten Mehrheit).339 Das Bundesverfassungs 332

Leisner, Mitbestimmung im öffentlichen Dienst, 1970, S. 57, Oebbecke, Weisungs-​und unterrichtungsfreie Räume, 1986, S. 92; Püttner, DÖV 1988, 357 (359); BVerfGE 38, 258 (271). 333 Leisner, Mitbestimmung im öffentlichen Dienst, 1970, S. 40; zitiert auch von Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 377. 334 Oebbecke, Weisungs-​und unterrichtungsfreie Räume, 1986, S. 92. 335 Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 377. 336 Oebbecke, Weisungs-​und unterrichtungsfreie Räume, 1986, S. 92. 337 Böckenförde, Verfassungsfragen der Richterwahl, 1974, S. 75; ders., HStR II, 3. Auflage 2004, § 24 Rn. 19; nur darstellend Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000, S. 181; Bieback, Die Mitwirkung Privater an der öffentlichen Verwaltung, 1983, S. 45 f. 338 S. o. § 3 C. IV.; So auch Böckenförde, Verfassungsfragen der Richterwahl, 1974, S. 75; Offener ders. in HStR II, 3. Auflage 2004, § 24 Rn. 19. 339 Erwogen bei Böckenförde, HStR II, 3. Auflage 2004, § 24 Rn. 19; dazu Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 378.

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gericht stellt in der Entscheidung zum Mitbestimmungsgesetz Schleswig-​Holstein auf eine in diesem Sinne doppelte Mehrheit ab.340 cc) Konkrete Legitimation der Entscheidung und Vetorecht Darüber hinaus könnte eine Vetoposition der Mehrheit des Gremiums erforderlich sein. Nicht nur müsse die Mehrheit des Gremiums organisatorisch-​personell legitimiert sein, auch müsse gewährleistet sein, dass keine Entscheidung gegen den Willen der organisatorisch-​personell legitimierten Mehrheit getroffen werden könne.341 dd) Stellungnahme Die Ansichten schließen sich nicht vollständig aus, sondern betrachten die Gremienentscheidung von unterschiedlichen Stand-​und Zeitpunkten aus. Die abstrakte Betrachtung stellt auf eine abstrakte Entscheidungssituation ab. Abstrahiert kann jeder Stimmberechtigte im Gremium diejenige Stimme abgeben, die zur Annahme oder Ablehnung einer Entscheidung führt. Abstrakt betrachtet ist die Legitimation jeder entscheidungsbefugten Person die notwendige Konsequenz. Betrachtet man die Entscheidungssituation jedoch nicht abstrakt und ex-​ante, lässt sich ex-​post für den Einzelfall immer angeben, ob die Mehrheit der Personen im Gremium organisatorisch-​personell demokratisch legitimiert war (1. Mehrheit), was jedenfalls bei einer Beschlussfassung durch wiederum mehrheitlich organisatorisch-​personell legitimierte Mitglieder (2. Mehrheit) auch zur Legitimation des getroffenen Entscheidungsinhalts führte. Die doppelte Mehrheit nach der konkreten Betrachtungsweise ist aber nicht zwingend gleichzusetzen mit der Mehrheit der organisatorisch-​personell legitimierten Mitglieder nach der abstrakten Ansicht.342 Die Ansichten decken sich nur, wenn alle Mitglieder abstimmen, es also keine Enthaltungen in der Abstimmung gibt. Jedenfalls nicht genügen kann es, wenn das Gremium nur abstrakt mehrheitlich organisatorisch-​personell legitimiert ist. Abstrakt ist dann jede Stimme entscheidungsbefugt, auch die nicht organisatorisch-​personell legitimierte Stimme. Sobald es Enthaltungen der organisatorisch-​personell legitimierten Mitglieder gibt, kann die Entscheidung gegen die legitimierten Mitglieder fallen. Das würde aber dazu 340

BVerfGE 93, 37 (72); Krit. Tschentscher, Demokratische Legitimation der dritten Gewalt, 2006, S. 42; Inhaltlich gleiche Kritik bei Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 378: Die doppelte Mehrheit hebe sich selbst auf. 341 Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 329. 342 So aber Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 378; ebenso und mit Rechenbeispiel Tschentscher, Demokratische Legitimation der dritten Gewalt, 2006, S. 42.

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§ 3 Demokratische Legitimation von Verwaltungsakten

führen, dass der konkrete Entscheidungsbeitrag unterlegitimiert zustande kommen kann.343 Nur in ihrer konkreten Ausgestaltung als Erfordernis doppelter, also konkret entscheidungsbegründender Mehrheit, überzeugt die Ansicht.344 Bezüglich der übrigen Ansichten kommt es darauf an, welcher Betrachtungswinkel der für die Untersuchung maßgebliche ist. Geht es abstrakt um die Einrichtung eines Gremiums, wird man abstrakt für erforderlich halten müssen, dass alle Mitglieder organisatorisch-​personell demokratisch legitimiert sind, sobald sie Mitentscheidungsbefugnisse haben, also nicht nur rechtsunerheblich an der Entscheidung mitwirken. Geht es allerdings um die Betrachtung der Legitimation einer konkreten Maßnahme, innerhalb derer ein Gremium beispielsweise darüber entschieden hat, wie ein tatbestandliches Merkmal auszulegen ist, wird man es für ausreichend erachten müssen, wenn der Beschluss mit doppelter Mehrheit zustande kam, weil sich dann die Entscheidungsbefugnis der übrigen, nichtlegitimierten Mitglieder faktisch nicht ausgewirkt hat, diese also die Entscheidung nicht tragen. Im Rahmen der organisatorisch-​personellen Legitimation können grundsätzlich beide Betrachtungswinkel eingenommen werden, weil man die organisatorisch-​ personelle Legitimation einmal abstrakt als Legitimation eines Entscheidungsträgers überhaupt untersuchen, jedoch auch konkret für eine von einem Entscheidungsträger getroffene Entscheidung untersuchen kann. Geht es allerdings um die Ermittlung des Legitimationsniveaus einer konkreten Entscheidung, ist die konkrete Betrachtungsweise zwingend. Für den Betrachtungsgegenstand eines Verwaltungsakts als behördliche Maßnahme kommt es damit darauf an, ob die entscheidungsbestimmenden Mitglieder des Gremiums organisatorisch-​personell legitimiert waren (doppelte Mehrheit). b) Mitwirkung im Vorfeld oder Nachgang der Entscheidung Die Problematik der Mitwirkung mehrerer Personen stellt sich auch bei der Inanspruchnahme von Beratungs-​, Vorschlags-​, Veto-​und Letztentscheidungsfunktionen.345 Während es im Rahmen der vorherigen Erörterung346 darauf ankam, wann eine Handlung selbst legitimatorische Relevanz besitzt, kommt es an diesem Punkt darauf an, wann eine legitimatorisch relevante Unterstützungshandlung organisatorisch-​personell legitimiert ist. Handelt es sich um eine bloß beratende, nicht mitentscheidende Tätigkeit, ist sie schon nicht selbst zu legitimieren, weil sie 343 In dieser Weise erschließt sich die These von Emde, Demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 329. 344 So auch Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 278. 345 Böckenförde, Verfassungsfragen der Richterwahl, 1974, S. 77 f.; ders., in: HStR II, 3. Auflage 2004, § 24 Rn. 20; Krit. hinsichtlich seiner Konzeption Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 377. 346 S. § 3 C. IV.

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die hoheitliche Maßnahme in ihrer Gestalt nicht steuert.347 Handelt es sich um die Wahrnehmung von Entscheidungsbefugnissen, bedarf diese der organisatorisch-​ personellen Legitimation. aa) Abgrenzung zu Gremienentscheidungen Scheiden Unterstützungshandlungen und rechtsunerhebliche Beratungen im Vorfeld bereits aus, könnten die Grundsätze für Gremienentscheidungen übertragbar sein, weil es sich hier ebenfalls um eine Mitentscheidung mehrerer Personen handelte.348 Ein Unterschied besteht jedoch darin, dass ein Gremium gleichgeordnet durch Abstimmung eine Entscheidung trifft, die Entscheidung also in einem Zeitpunkt fällt. Anders stellt es sich dar, wenn Personen nicht gleichgeordnet, sondern vor-​und nachgeordnet mitwirken, die Entscheidung also nicht in einem Zeitpunkt fällt, sondern beispielsweise verbindliche Teilentscheidungen an unterschiedlichen Stellen getroffen werden. So könnten beispielsweise technische Fragen wie Standardisierungen oder konkrete Implementierungsvorgaben im Entscheidungsverfahren an Experten ausgelagert und danach in den behördlichen Regelungsprozess zurückgeführt werden.349 Es stellt sich bei mehreren nacheinander teilhabenden Personen letztlich nur die Frage, auf wessen Entscheidungsbefugnis abzustellen ist: Trifft ein legitimiertes Organ die Entscheidung allein, kommt nur seine Entscheidungsbefugnis in Betracht. Wird ein verbindliches Vorschlagsrecht durch ein nichtlegitimiertes Organ ausgeübt, dem der organisatorisch-​personell legitimierte Amtsträger von Rechts wegen zustimmen muss, stellt sich die Frage, auf welche der Personen es ankommt. bb) Entscheidungsbefugnis und „Letztentscheidungsrecht“ Weil die organisatorisch-​personelle Legitimation die Entscheidungsträgerschaft an das Volk rückbindet, kommt es darauf an, wem die Entscheidungsträgerschaft im Einzelfall zukommt. Besteht beispielsweise eine Bindung des organisatorisch-​ personell legitimierten Amtswalters an einen Vorschlag einer nicht organisatorisch-​personell legitimierten Person, verliert der legitimierte Amtswalter seine Entscheidungsträgerschaft, weil er keine rechtliche Abweichungsmöglichkeit vom Vorschlag hat.350 Letztlich ist dann nicht der organisatorisch-​personell legitimierte

347

Z. B. BVerfGE 83, 60 (74). So Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 377 f. 349 Dieses Bedürfnis sieht auch – mit derselben verfassungsrechtlichen Würdigung – Martini, Grundlinien eines Kontrollsystems für algorithmenbasierte Entscheidungsprozesse, 2019, S. 57 ff. 350 Böckenförde, Verfassungsfragen der Richterwahl, 1974, S. 78; ders., in: HStR II, 3. Auflage 2004, § 24 Rn. 20. 348

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§ 3 Demokratische Legitimation von Verwaltungsakten

Amtsträger derjenige, der die Entscheidung trifft, sondern derjenige, der das Vorschlagsrecht ausübt. Diesem kommt die rechtliche Entscheidungsträgerschaft zu, sein Handeln steuert die Herrschaftsausübung. Sein Handeln ist Anknüpfungspunkt des organisatorisch-​personellen Legitimationserfordernisses. Es kommt also darauf an, wem die Entscheidung zuzurechnen ist und wo man die Grenze für eine Zurechnung ansiedelt. Die Entscheidungsträgerschaft verbleibt beim Amtswalter, wenn dieser jederzeit von einem Vorschlag abweichen kann, also selbst die Herrschaft darüber hat, ob und wie eine Entscheidung getroffen wird. Dann hat der Vorschlag keine Steuerungswirkung für das Handeln des Hoheitsträgers, sodass es auf die Legitimation des Vorschlags nicht ankommt. Wird der Amtswalter hingegen rechtlich verpflichtet, einem Vorschlag zu folgen, verliert er seine Entscheidungsträgerschaft. Veto-​und Zustimmungsrechte begründen, soweit sie die Entscheidung eines organisatorisch-​personell legitimierten Amtsträgers rechtswirksam verhindern können, ebenfalls die Verlagerung der Entscheidungsträgerschaft, sodass es auf die Legitimation des vetoeinlegenden oder nicht­zustimmenden Organs ankommt. Wenn insoweit von einem „Letztentscheidungsrecht“ gesprochen wird, das beim organisatorisch-​personell legitimierten Amtswalter verbleiben müsse, ist das jedenfalls ungenau, solange nicht expliziert wird, dass es sich bei der Letztentscheidung um das Verbindlichkeit erzeugende Moment handeln muss351, also gerade das steuernde Element – auch was Teilentscheidungen angeht. Die rechtlich zwingende Zustimmung zu einer bereits abgeschlossenen (Teil-​)Entscheidung genügt gerade nicht, weil die Zustimmung die Entscheidung in ihrer rechtlichen Gestalt zwar auch, aber nicht hauptsächlich steuert, weil sie nur die Rechts­ verbindlichkeit selbst betrifft, auf den Inhalt der rechtsverbindlichen Anordnung aber keinen Einfluss hat. Letztlich muss damit jeder steuernde Entscheidungsteil organisatorisch-​personell demokratisch legitimiert werden. Über ein verbindliches Letztentscheidungsrecht kann die faktische Entscheidungslast und der Entscheidungsprozess ausgelagert werden, die rechtliche Verantwortung und rechtliche Entscheidungsträgerschaft sowie Steuerungsleistung verbleibt jedoch bei legitimierten Amtswaltern. cc) Relevanz faktischer Entscheidungsverlagerung Ein praktisches Problem kann es darstellen, wenn rechtlich ein Amtswalter die Entscheidung trifft, sich jedoch faktisch und strukturell vollständig auf vorformulierte Vorschläge verlässt, beispielsweise aus Gründen der Medienwirksamkeit, des Lobbyismus oder politischer Opportunität,352 oder aber aufgrund von mangelnder

351 352

So auch Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 375. Dazu Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, 2004, S. 262.

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eigener Sachkompetenz353 oder „Technikvertrauen“354. Gerade die letzten beiden Punkte liegen nahe, soweit es um Programmierungsfragen oder automatisiert erstellte Entscheidungsvorschläge geht. Gleichzeitig ist eine „faktische Befugnis“ nicht denkbar, sodass es zwingend darauf ankommt, wem rechtlich die Herrschaft über die Entscheidung verbleibt. Deren Effektivität ist jedoch für die demokratische Legitimation ebenfalls von Relevanz, sodass möglichst Lösungen zu finden sind, die eine faktische Entscheidungsverlagerung vermeiden. dd) Beachtlichkeit eines Mitwirkungszwecks In der Entscheidung zur Mitbestimmung der Personalräte in Schleswig-​Holstein hat das Bundesverfassungsgericht sich zum Problem der Mitbestimmung nicht­ legitimierter, aber dem Gegenstandsbereich nahestehender Organe geäußert.355 Es liefert einen Maßstab für die Beteiligung eines Personalrats, anhand dessen eine zulässige Mitbestimmung ermittelt werden kann. Das Gericht stellt hierbei auf eine Schutzzweckgrenze und eine Verantwortungsgrenze ab.356 Der Zweck der Mitbestimmung kann danach im Einzelfall relevant für das Maß an zulässiger Mitbestimmung sein. Die Einzelheiten sind für die weitere Erörterung von untergeordneter Relevanz, sodass eine weitere Differenzierung an dieser Stelle unterbleibt. c) Fazit Die organisatorisch-​personelle Legitimation dient der Rückführung des Entscheidungsträgers auf das Volk. Die Legitimation, selbst entscheidend tätig zu werden, wird durch eine Verlängerung des Wahlakts in individuellen Berufungsakten weitergegeben. Jeder in die hierarchische Ministerialverwaltung eingegliederte Amtswalter bezieht seine Legitimation personell aus dem individuellen Berufungsakt und organisatorisch für einen bestimmten Zuständigkeitsbereich. Trifft ein Gremium eine legitimationsbedürftige Entscheidung, kommt es darauf an, ob die Mehrheit der Mitglieder des Gremiums organisatorisch-​personell legitimiert ist und die Entscheidung in ihrer konkreten Gestalt von mehrheitlich demokratisch legitimierten Mitgliedern getragen wird (Prinzip der doppelten Mehrheit). Dasselbe Ergebnis wird erreicht, wenn von vornherein jedes zur Abstimmung berechtigte Mitglied im Gremium organisatorisch-​personell legitimiert ist. Dass die

353

Classen, Demokratische Legitimation im offenen Rechtsstaat, 2009, S. 53. S. hierzu Hill, in: Auf dem Weg zum Digitalen Staat, 2015, 267 (269). 355 BVerfGE 93, 37 (37 ff.). 356 BVerfGE 93, 37 (70 ff.). 354

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Mehrheit der Gremiumsmitglieder organisatorisch-​personell legitimiert ist, diese Mehrheit die Entscheidung aber nicht trägt, genügt nicht. Wird eine Entscheidung nicht von einem Gremium durch Abstimmung getroffen, sondern von nichtlegitimierten Personen oder Organen vorbereitet, nachträglich beeinflusst oder anderweitig von nichtlegitimierten Personen mitentschieden, kommt es darauf an, welche der Personen rechtlich als Entscheidungsträger zu werten ist. Dieser ist zu legitimieren. Bei geteilter Entscheidungsträgerschaft sind im Grundsatz beide zu legitimieren.357 Liegt die Entscheidungsträgerschaft bei einem Gremium, gelten die obigen Grundsätze. 4. Kritik Auch der organisatorisch-​personelle Legitimationsstrang wird in seiner Leistungsfähigkeit differenziert beurteilt. Die Kritik bezieht sich im Unterschied zur Kritik an der sachlich-​inhaltlichen Legitimation nicht nur auf die Wirksamkeit dieses Modus, sondern auch auf seine Geltung. a) Fiktion des Volkswillens Das Kettenbild, das im organisatorisch-​personellen Legitimationsmodus besonders deutlich wird, wird als in gewisser Hinsicht fiktiv angesehen.358 Eine Rückführung der Ausübung von Staatsgewalt auf einen „Volkswillen“ sei empirisch unmöglich, die Forderungen der Kettentheorie seien damit rein deklaratorischer Natur.359 Erneut rückt damit das „Maschinenbild“ der Verwaltung in den Blickpunkt, diesmal allerdings von dem Standpunkt aus, dass das zu vollziehende Substrat – der Volkswille – in Wirklichkeit nicht existiere.360 Dass ein „Volkswille“ weder empirisch gemessen noch über Ketten in der hierarchischen Verwaltungsorganisation entlanggereicht werden kann, überzeugt. Das macht eine vollumfängliche Rückbindung der Ausübung von Staatsgewalt an das Volk gleichwohl nicht entbehrlich.361 Weil die sachlich-​inhaltliche Legitimation 357 Freilich kann in Fällen, in welchen das Legitimationsniveau tief liegt, auf die lückenlose organisatorisch-​personelle Legitimation aller Entscheider verzichtet werden. 358 Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000, S. 504; ähnlich Dederer, NVwZ 2000, 403 (404); Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, 2004, S. 293. 359 Blanke, KJ 1998, 452 (458). 360 Anschaulich Groß, Das Kollegialprinzip in der Verwaltungsorganisation, 1999, S. 169, 175; Blanke, KJ 1998, 452 (458); Bryde, StWStP 1994, 305 (316). 361 Treffend insoweit Seiler, Auslegung als Normkonkretisierung, 2000, S. 42: „Das Bewusstsein, von einer Fiktion auszugehen, schärft den Sinn für den Auftrag der Methodik, eine Brücke zwischen Normtext und Norminhalt zu schlagen“.

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durch Bindung an das Parlamentsgesetz jedoch nur den legislativ determinierten Teil des Verwaltungshandelns erfasst, besteht im Grundsatz jedenfalls das Bedürfnis nach einer auch personellen Rückkopplung.362 Die Metapher des „Volkswillens“ darf deshalb nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Erfordernis personeller Legitimation selbst dann besteht, wenn man vom Bild des „Volkswillens“ Abstand nimmt: Die Ausübung von Staatsgewalt muss, unabhängig von einem konkret messbaren Willen, auf das Volk rückgeführt werden. Auch die Rechtsanwendung im Einzelfall sowie Rechtskonkretisierungsleistungen müssen deshalb auf das Volk rückgeführt werden. Ob man dies damit umschreibt, dass der Amtswalter auch in nicht legislativ determinierten Bereichen den „Volkswillen“ vollziehe, weil er seinen Einsetzungsakt letztlich auf den Wahlakt rückführt, oder lediglich feststellt, dass nichtgesteuerte Bereiche des Verwaltungshandelns einer Rückführung auf das Volk bedürfen, ist im Ergebnis irrelevant.363 Beides führt zwingend zum Erfordernis personeller Legitimation, die freilich selbst sachlich-​inhaltliche Legitimationskraft für untergeordnetes Handeln zu erwirken imstande ist, wenn hierfür effektive Steuerungs-​und Kontrollmittel bestehen. Auch in komplexen Entscheidungssituationen sind es letztlich Personen, die die Entscheidungen im Einzelfall treffen, sodass die Komplexität einer Verwaltungsentscheidung im Grundsatz nichts daran ändert, dass sie an das Volk rückzubinden ist; die personelle Legitimation muss dann für komplexe Entscheidungsprozesse ausdifferenziert werden, nicht von ihr Abstand genommen werden. Art. 20 Abs. 2 GG schreibt den Wahlakt als Ausübungsmechanismus von Staatsgewalt vor, sodass es im Grundsatz überzeugt, das Parlament als erste Vermittlungsstufe eines Legitimationsmodus anzusehen. Weil die Berufungsakte in der unmittelbaren Staatsverwaltung der Volkswahl strukturell ähnlich sind – nach bestimmten Kriterien wird eine Person als Individuum ausgewählt, Entscheidungen zu treffen – spricht nichts dagegen, diesen Auswahlmechanismus als Verlängerung der Wahl anzusehen, insbesondere weil die Verwaltung an jeder Stelle ihres Tätigwerdens unmittelbar vom Parlament getroffenen materiellen Bindungen untersteht. Dass eine personelle „Weiterleitung eines Volkswillens“ konstruiert wirkt, spricht nicht gegen eine Herleitung personeller Legitimationswirkung aus hierarchisch koordinierten individuellen Auswahlentscheidungen. Letztlich müsste sich das Modell nur gegenüber anderen Arten der personellen Legitimation beweisen.364 Bestehen gleich wirksame oder gar effektivere Alternativen der personellen Rückbindung des Entscheidungsträgers an das Volk, die dogmatisch überzeugen,

362

So auch Bryde, FS Thieme, 1993, 9 (19); Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, 2004, S. 295. 363 Ähnlich Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 376. 364 S. Bryde, FS Thieme, 9 (17 f.).

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müssten sie freilich anerkannt werden365, jedenfalls, wenn sie dasselbe Maß an Rückkopplungsintensität erreichen oder eine verminderte Legitimation der Maßnahme aufgrund eines geringeren Legitimationsniveaus ebenfalls zulässig ist. b) Amt und Ernennung auf Lebenszeit In dieselbe Kerbe schlägt der Hinweis, dass sich der Einfluss des Volkes mit zunehmender Länge der Kette immer weiter verflüchtige: Erstens wäre, unter Annahme der Metapher des „Volkswillens“, die Auswahl nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung gem. Art 33 Abs. 2 GG nicht zu erklären. Die Ernennung ziele damit gar nicht auf eine Willensübereinstimmung ab.366 Zweitens, und dies gilt auch für die Außerachtlassung der Metapher des „Volkswillens“, werden Beamte im Grundsatz367 gemäß den Grundsätzen des Berufsbeamtentums in Art. 33 Abs. 5 GG auf Lebenszeit ernannt, sodass dasjenige Volk, auf das sich der Kreationsakt letztlich stützt, ein anderes ist als das, das von der Verwaltungsentscheidung betroffen ist.368 Die Rückbindung sei deshalb nur abstrakt auf Ämter bezogen, und damit wiederum fiktiv, nicht aber effektiv.369 Die Auswahlkriterien des Art. 33 Abs. 2 GG dienen der Neutralität der Verwaltung, dem entpolitisierten Vollzug.370 Das Amtsprinzip verdeutlicht gerade den in der Funktionengliederung angelegten Unterschied des politisch verantwortlichen Parlaments zur rechtlich verantwortlichen Verwaltung. Die Neutralität dient damit letztlich der gewaltengegliederten Demokratie mit spezifischen Anforderungen nach dem jeweiligen Funktionsbereich. Aus diesem Grunde ist es auch unbeachtlich, dass das Volk seine Zusammensetzung ändert, der Verwaltungsstab jedoch nicht. Als entpolitisiertes Organ muss die Verwaltung die Vorgaben der Regierung beachten, die wiederum vom aktuellen Parlament und damit vom Volk abhängig ist. Darüber kann die Verantwortung der Regierung immer aktuell konstruiert werden. Insoweit ist die Tätigkeit der Verwaltung, gerade weil Neutralitätspflichten bestehen, dem demokratischen Legitimationsgefüge dienlich. Das Rückkopp 365

Es ist im Ergebnis unbeachtlich, ob man von vorne herein die „Personelle Legitimation“ als Oberbegriff für unterschiedliche Legitimationsarten der Entscheidungsträgerschaft wählt, oder aber einen kompensationsfähigen Alternativmodus anerkennt. S. dazu krit. Bryde, FS Thieme, 1993, 9 (19); ders., StWStP 1994, 305 (320). 366 Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000, S. 505; Classen, Demokratische Legitimation im offenen Rechtsstaat, 2009, S. 11; in diese Richtung auch Fisahn, in: Demokratie und Grundgesetz, 2000, 71 (87). 367 Kommunale Wahlbeamten bilden die Ausnahme, Köller, Funktionale Selbstverwaltung und ihre demokratische Legitimation, 2009, S. 133 m. w. N. 368 Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000, S. 505; Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, 2004, S. 293 ff. 369 Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, 2004, S. 293; Dederer, NVwZ 2000, 403 (404). 370 S. Isensee, in: Aktuelle Herausforderungen der repräsentativen Demokratie, 1985, 43 (49).

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lungsgefüge ist freilich abstrakt, die durch es vermittelten Vorgaben der konkreten politischen Führung sind es jedoch nicht. c) Abnahme der Legitimation mit Länge der Kette Ob die Länge der organisatorisch-​personellen Legitimationskette Aufschluss über die durch sie vermittelte Intensität der Legitimation zu geben vermag, wird unterschiedlich beurteilt.371 Wegen des größeren Abstandes zum Volk wird teilweise angeführt, dass die personelle Legitimation mit steigender Anzahl zwischengeschalteter Ernennungsakte faktisch abnehmen müsse.372 Letztlich ist das jedoch das Ergebnis eines zu engen Fokus auf den einzelnen Amtswalter: Übt ein vom Parlament durch zahlreiche zwischengeschaltete Ernennungsakte entfernter Amtswalter Staatsgewalt aus, ist üblicherweise das Niveau sachlich-​inhaltlicher Bindung proportional stärker ausgeprägt sowie jedenfalls der die Befugnis zur Entscheidung begrenzende Organisationsbereich des Amtswalters kleiner, sodass mit dem „weniger“ an Rückbindungsintensität auch ein „weniger“ an Entscheidungsbefugnis einhergeht373, freilich nur im hierarchischen Ministerialmodell. Weil aber letztlich jede sachlich-​inhaltliche Legitimation aus einer personellen Legitimation gewonnen wird, nimmt die organisatorisch-​personelle Legitimation „nach unten hin“ gar nicht ab, sie wird lediglich in Schichten „verdinglicht“374 und besteht als sachlich-​inhaltlicher Rahmen fort. Ein geringerer Anteil der auf Ebene des handelnden Amtswalters organisatorisch-​personell zu legitimierenden Teile der Rechtsanwendung ist also keine Schwäche des Systems, sondern vielmehr notwendige Konsequenz eines Systems derart wechselbezüglicher Legitimationsmodi. Die Länge der Kette führt somit nicht zu einer geringeren Legitimationswirkung, sondern nur zu einem anderen Zusammenspiel der Legitimationsmodi.

371

Dagegen Schmidt-​Aßmann, AöR Bd. 116 (1991), 329 (360); unklar Böckenförde, in: HStR II, 3. Auflage 2004, § 24 Rn. 16; wohl gegen eine abnehmende Legitimationswirkung Köller, Funktionale Selbstverwaltung und ihre demokratische Legitimation, 2009, S. 135. 372 Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000, S. 504 „schon die Idee, die Legitimation könne sich über eine so lange Distanz erstrecken, [erscheint] einigermaßen überzogen.“. 373 So auch Köller, Funktionale Selbstverwaltung und ihre demokratische Legitimation, 2009, S. 135. 374 Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 275; Seiler, Auslegung als Normkonkretisierung, 2000, S. 50.

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d) Dogmatisierung Schließlich wird in der personellen Legitimation nach dem Kettenmodell die Gefahr gesehen, „wissenschaftliche Konkretisierungen als Quasi-​Verfassungssätze zu verselbständigen“375. Die mangelnde Flexibilität dieses Legitimationsmodus führe zur Verfassungswidrigkeit selbst von Verwaltungsorganisationen, die in der Verfassung selbst angelegt sind, beispielsweise von Trägern funktionaler Selbstverwaltung.376 Letztlich ist das jedoch nur der Fall, wenn man das Legitimationsmodell auf die funktionale Selbstverwaltung überträgt, ohne Modifikationen auf Ebene der Legitimationsmodi oder des Legitimationsniveaus zuzulassen. Das wird von den Vertretern des klassischen Modells überwiegend als möglich angesehen, ohne dass darin eine Abkehr vom klassischen Legitimationsmodell läge.377 Ein „Legitimationskettenfetischismus“378 kann weiterhin nicht Charakteristikum eines Modells sein, sondern lediglich seiner Anwender. Insoweit ist die Gefahr der Dogmatisierung kein Argument gegen das Legitimationskonzept, sondern regt zu einer differenzierten Handhabung und iterativen Überprüfung von dogmatischen Figuren auf Grundlage der Verfassung an. 5. Ergebnis Die Kritikpunkte am organisatorisch-​personellen Legitimationsmodus sind gewichtig und anzuerkennen. Insbesondere der hohe Konstruktionsaufwand der Kettentheorie muss im Hinblick auf andere Wege der personellen Legitimation kritisch hinterfragt werden. Es ist im Grundsatz nicht ausgeschlossen, dass ein anderer Weg personeller Rückbindung an das Volk bestehen könnte, der damit dem Kettenmodell gleichrangig oder überlegen wäre. Eine Entbehrlichkeit personeller Legitimation als Komplementärmodus der sachlich-​inhaltlichen Legitimation vermag die Kritik gleichwohl nicht zu begründen. Eine Wirkungslosigkeit im Hinblick auf das Legitimationskonzept vermag sie ebenfalls nicht zu begründen.

VI. Weitere Legitimationsmodi und Bereichsausnahmen Die aus der Kritik an der Legitimationskettentheorie entstandenen Alternativmodelle demokratischer Legitimation sind vielgestaltig und in ihrer Anzahl unüberschaubar. Grob schematisierend lassen sich Modelle identifizieren, die Ver 375

Bryde, FS Thieme (1993), 9 (18); ähnlich ders., StWStP 1994, 305 (315). Bryde, StWStP 1994, 305 (317). 377 Böckenförde, in: HStR II, 3. Auflage 2004, § 24 Rn. 25; Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 372 f.; Köller, Funktionale Selbstverwaltung und ihre demokratische Legitimation, 2009, S. 322; Grzeszick, GS Brugger, 2013, 601 (617); dagegen Bryde, StWStP 1994, 305 (320). 378 Bryde, StWStP 1994, 305 (324). 376

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waltungsstrukturen aus den Anforderungen der demokratischen Legitimation nach dem Ministerialmodell herausnehmen, also argumentieren, dass der dort vorgegebene Rahmen unter bestimmten Voraussetzungen nicht gilt. Andere wiederum schlagen alternativ oder kumulativ andere Modi neben dem sachlich-​inhaltlichen und organisatorisch-​personellen Legitimationsmodus nach dem Kettenmodell vor, die sich im Einzelnen teilweise als spezielle Ausprägungen dieser, teilweise als neuartige Modi begreifen lassen, sodass im Ergebnis dasselbe Legitimationsniveau auf teilweise anderem Weg erzielt werden kann. 1. Zusammenhang von Verwaltungsorganisation und Legitimationsmodell Die Konzepte wurden zum Großteil für von der Ministerialverwaltung ab­ weichende Verwaltungsstrukturen und Träger hoheitlicher Gewalt entwickelt. Das bedeutet, dass die Anforderungen nach dem geschilderten Legitimationsmodell für die Ministerialverwaltung zumeist nicht erfüllt werden konnten, sodass andere Modelle zwingend erforderlich waren, um plurale Verwaltungsstrukturen überhaupt in ihrer Eigenart erfassen zu können. Relevant ist auch, dass sich die abweichenden Modelle nur auf das Erfordernis uneingeschränkter organisatorisch-​ personeller Legitimation sowie die exekutiven Steuerungs-​und Kontrollelemente beziehen können, nicht jedoch auf die Rechtsaufsicht und legislative Kontrollelemente, Art. 20 Abs. 3 GG.379 Im Kern ist deshalb mit den weiteren Legitimationsmodi die Frage aufgeworfen, ob die organisatorisch-​personelle Legitimation erforderlich ist oder ob möglicherweise an ihrer Stelle andere Legitimationsmodi gelten könnten. Weil am organisatorisch-​personellen Legitimationsstrang auch die Weisungsbefugnis verläuft, hat ein alternativer personeller Legitimationsmodus auch Auswirkung auf das erreichbare Maß sachlich-​inhaltlicher Legitimation. Eine empirische Betrachtung pluraler Verwaltungsstrukturen mag die Möglichkeit weiterer Legitimationsmodi nahelegen. Maßgeblich bleibt deren dogmatische Überzeugungskraft. 2. Bereichsausnahmen Teilweise wird angenommen, dass die Ministerialverwaltung nur dann als Regeltypus der Verwaltung anzusehen ist, wenn keine Vorschrift in der Verfassung eine andere Verwaltungsorganisation ermöglicht und damit gleichzeitig eine Bereichsausnahme der Legitimationsanforderungen eröffnet. Die kommunale 379 Eine Ausnahme bildet die Verzichtstheorie, die sich in letzter Konsequenz mit Art. 20 Abs. 3 GG nicht vereinbaren lässt, s. sogl. § 3 D. VI. 2. b) aa).

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§ 3 Demokratische Legitimation von Verwaltungsakten

Selbstverwaltung des Art. 28 Abs. 2 GG wird hierzu nicht gezählt, weil diese als gewissermaßen kleineres Abbild der Legitimation durch das Staatsvolk auf Gemeindeebene anzusehen ist.380 Daneben wird vertreten, dass dem Gesetzgeber die Dispositionsbefugnis darüber zukomme, mittels einfachen Gesetzes über die Geltung oder Nichtgeltung der Anforderungen der Ministerialverwaltung als Regeltypus der Verwaltungsorganisation zu entscheiden. a) Verfassungsmäßige Ausnahmen vom Regelfall der Ministerialverwaltung In den Art. 87 Abs. 3 S. 1 Alt. 2, 87 Abs. 2, 86, 130 Abs. 2 GG werden Körperschaften des öffentlichen Rechts in Bezug genommen, sodass in diesen Vorschriften von der Verfassung angelegte Ausnahmen zur Ministerialverwaltung gesehen werden könnten.381 Auch die Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 WRV, 114 Abs. 2 GG und Art. 88 sähen einen besonderen verfassungsrechtlichen Status vor, der ein Abweichen von den klassischen Legitimationsanforderungen ermögliche.382 Einzelne Träger funktionaler Selbstverwaltung seien „historisch gewachsen“383 und in diesen Vorschriften implizit anerkannt.384 Aus den Grundrechten könnte sich ebenfalls eine verfassungsrechtlich anerkannte Abweichungsmöglichkeit von den klassischen Legitimationsanforderungen ergeben, die beispielsweise bei der Bestellung der entscheidenden Organe einer Filmförderungsanstalt Relevanz hätte.385 Letztlich wird für all diese Verwaltungsträger vertreten, dass eine verminderte Legitimation ausreiche, weil die Regelanforderung der Ministerialverwaltung nicht gelte. Andererseits kann über den Modus der autonomen Legitimation im Ergebnis auch bei Selbstverwaltungsträgern dasselbe Legitimationsniveau erreicht werden, das auch in der Ministerialverwaltung erzielt werden kann. Überwiegend wird jedenfalls die verfassungsrechtlich fundierte Abweichungsmöglichkeit vom Regelfall

380

S. o. § 3 B. III. sowie Böckenförde, in: HStR II, 3. Auflage 2004, § 24 Rn. 25; s. auch BVerfGE 107, 59 (88). 381 Böckenförde, in: HStR II, 3. Auflage 2004, § 24 Rn. 25; Umfassend Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 364 ff.; Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 544; A. A. aber für verfassungsrechtliche Bereichsausnahme Köller, Funktionale Selbstverwaltung und ihre demokratische Legitimation, 2009, S. 258 ff., 285. 382 Grzeszick, GS Brugger, 2013, 601 (609). 383 BVerfGE 107, 59 (90). 384 Historischer Rückblick bei Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 369 ff.; BVerfGE 107, 59 (90). 385 Schreyer, Pluralistische Entscheidungsgremien im Bereich sozialer und kultureller Staatsaufgaben, 1982, S. 135 ff., 149; Böckenförde, in: HStR II, 3. Auflage 2004, § 24 Rn. 22; krit. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 562 ff.

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der Ministerialverwaltung akzeptiert.386 Ob man dies mit einer verfassungsrechtlich fundierten Absenkung des Legitimationsniveaus begründen kann, oder einen weiteren Legitimationsmodus zulässt, sodass im Ergebnis dasselbe Legitimationsniveau wie in der Ministerialverwaltung erzielt wird, bleibt zu klären.387 b) Einfachgesetzliche Ausnahmen vom Regelfall der Ministerialverwaltung Darüber hinaus wird angenommen, dass über verfassungsrechtliche Sondervorschriften hinaus der Gesetzgeber in Form einfachen Gesetzes über die Verwaltungsorganisation disponieren und damit auch die Legitimationsanforderungen absenken könne.388 Eine derartige Dispositionsfreiheit des Gesetzgebers könne den Widerspruch des Legitimationskettenmodells lösen, dass zwar das Hierarchieprinzip den Einfluss des Parlaments auf das Verwaltungshandeln sicherstellen soll, dieser Einfluss aber weitgehend beschnitten wird, wenn dem Gesetzgeber bezüglich der Einrichtung abweichender Verwaltungsorganisationsformen die Hände gebunden sind.389 Dabei sind zwei Konzepte auseinanderzuhalten: Einmal die Konstruktion über einen Verzicht des Parlaments auf seine Kontrollbefugnisse, andererseits gewissermaßen der entgegengesetzte Weg über eine höhere Steuerungsdichte durch institutionelle Vorgaben, die mittelbar die Legitimationsanforderungen beeinflussen, indem der verbleibende Entscheidungsanteil der Exekutive verringert wird. aa) Verzichtsthese Die strengste Version einer Dispositionsthese wird als „Verzichtstheorie“390 bezeichnet. Ministerialfreie Räume führten zu einem Kontrollverlust des Parlaments, welcher jedoch unbeachtlich wäre, wenn der Gesetzgeber einfachgesetzlich durch die Schaffung eines ministerialfreien Raums auf diese Kontrolle verzichten könnte.391 Die Kontrollfunktion des Parlaments sei nicht fremdnützig, weil die Einheit von Volk und Parlament fingiert werden müsse, sodass eine Kontrollpflicht des

386

Böckenförde, in: HStR II, 3. Auflage 2004, § 24 Rn. 22; Köller, Funktionale Selbstverwaltung und ihre demokratische Legitimation, 2009, S. 285; teilweise überholt insoweit die Kritik von Bryde, StWStP 1994, 305 (320). 387 S. § 3 E. II. 2. 388 Bryde, FS Thieme, 1993, 9 (19); Groß, Das Kollegialprinzip in der Verwaltungsorganisation, 1999, S. 235; Klein, Problematik des ministerialfreien Raums, 1974, S. 190. 389 Blanke, KJ 1998, 452 (470); Groß, Das Kollegialprinzip in der Verwaltungsorganisation, 1999, spricht auf S. 236 milder von einem „Paradoxon der monistischen Demokratietheorie“; s. auch Bryde, FS Thieme, 1993, 9 (19 f.). 390 Entwickelt von Klein, Problematik des ministerialfreien Raums, 1974, S. 190–218; dafür Bryde, FS Thieme, 1993, 9 (19). 391 Klein, Problematik des ministerialfreien Raums, 1974, S. 190.

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§ 3 Demokratische Legitimation von Verwaltungsakten

Parlaments nicht bestünde und es daher auf die Kontrolle des Verwaltungshandelns verzichten könne.392 Die Verzichtstheorie wird heute überwiegend abgelehnt, weil sie letztlich zu einer vollständigen Freistellung der Verantwortung des Parlaments führt.393 Die Gleichsetzung von Volk und Parlament verkenne den Repräsentationsgrundsatz, der in Art. 20 Abs. 2 GG i. V. m 38 GG niedergelegt ist.394 Die formale Gleichheit als Anforderung des Demokratieprinzips werde auch und gerade in der Kreation des Parlaments relevant, sodass der Willensbildungsprozess des Volkes nicht außer Acht gelassen werden könne.395 bb) Kontrollwahrungsthese Demgegenüber hat das BVerfG die Dispositionsbefugnis des Gesetzgebers seit der Lippeverbandsentscheidung in anderer Weise gestärkt: Das Demokratieprinzip „erlaubt deshalb, durch Gesetz – also einen Akt des vom Volk gewählten und daher klassisch demokratisch legitimierten parlamentarischen Gesetzgebers – für abgegrenzte Bereiche der Erledigung öffentlicher Aufgaben besondere Organisationsformen der Selbstverwaltung zu schaffen.“396 Die Anforderungen an ein­ fachgesetzliche Ausnahmen werden in der späteren Judikatur ausdifferenziert und darauf hingewiesen, die institutionellen Vorkehrungen müssten „eine nicht Einzelinteressen gleichheitswidrig begünstigende, sondern gemeinwohlorientierte und von Gleichachtung der Betroffenen geprägte Aufgabenwahrnehmung ermöglichen und gewährleisten“397. Im Falle einer Lockerung des klassischen Legitimationszusammenhangs „müssen zudem die Möglichkeit parlamentarischer Beobachtung und Kontrolle der Aufgabenwahrnehmung unbeeinträchtigt bleiben“398. Der Gesetzgeber darf dieser Ansicht nach also Verwaltungsorganisationen aus den An 392

Klein, Problematik des ministerialfreien Raums, 1974, S. 199. Umfassende Kritik bei Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 350 ff.; Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 309 ff.; Waechter, Geminderte demokratische Legitimation, 1994, S. 26 ff; Böckenförde, in: HStR II, 3. Auflage 2004, § 24 Rn. 24; Brosius- ​Gersdorf, Deutsche Bundesbank und Demokratieprinzip, 1997, s. 117 ff.; Minkner, Gerichtsverwaltung, 2015, S. 73 Fn. 272; Köller, Funktionale Selbstverwaltung und ihre demokratische Legitimation, 2009, S. 255 f.; Dreier, in: Dreier, GG, 3. Auflage 2015, Art. 20 (Demokratie), Rn. 123. 394 Minkner, Gerichtsverwaltung, 2015, S. 73; Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 352; Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 309. 395 So auch Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 352 f.; Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 309. 396 BVerfGE 107, 59 (92). 397 BVerfGE 135, 155 (223) mit Verweis auf die Grundlagen in BVerfGE 107, 59 (93); BVerfGE 136, 194 (263); BVerfGE 146, 164 (210). 398 BVerfGE 135, 155 (233) mit Verweis auf BVerfGE 130, 76 (123) für den Fall der Beleihung; weiter BVerfGE 136, 194 (263); BVerfGE 146, 164 (211). 393

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forderungen der Ministerialverwaltung auslagern, aber jedenfalls nicht auf seine Kontrollbefugnisse verzichten. Letztlich könne in dieser Weise auch bei teilweise verselbständigten Verwaltungsorganisationen eine Rückkopplung an das Volk durch parlamentarische Kontrolle gewährleistet werden.399 cc) Stellungnahme Eine Ausgliederung aus dem Regelfall der Ministerialverwaltung bedeutet jedenfalls einen „Einheitsverlust“400 der Verwaltung, der gleichsam aufgrund zunehmender Komplexität der Verwaltungsaufgaben alternativlos scheint. Einer, wenngleich nur fiktiven, Gleichsetzung von Volk und Parlament im Sinne der Verzichtsthese ist entgegenzuhalten, dass der Wahlakt des Volkes nicht ein zu vernachlässigender Ausdruck der „Duplizität der personellen Existenz“401 ist, sondern maßgeblicher Modus der Ausübung von Staatsgewalt durch das Volk, das durch die Anordnung in Art. 20 Abs. 2 GG i. V. m. 38 GG selbst Rechtsträger ist.402 Das Volk wird vom Parlament repräsentiert, nicht ersetzt. Aus dem Wesentlichkeitsgrundsatz folgt konträr zur Verzichtsthese, dass das Parlament seine Steuerungs-​und damit auch Kontrollmacht in bestimmten Fällen gerade nicht aufgeben darf. Das lässt sich bereits ohne den Zwischenschritt der Wesentlichkeitslehre aus dem Gesetzesvorbehalt, Bestimmtheitsgebot sowie den verfassungsrechtlichen Regelungspflichten des Gesetzgebers aus Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG schließen.403 Die Auffassung, dass das Parlament sich nach einem einmaligen Einsetzungsakt der Kontrolle einer Verwaltungsstruktur entledigen könne, ist damit abzulehnen. Wird der institutionelle Gesetzesvorbehalt jedoch mit der Vorgabe verbunden, dass sowohl der Aufgabenbereich als auch die Art der Aufgabenwahrnehmung besonders geregelt werden müssen, führt das notwendigerweise zu einer höheren legislativen Regelungsdichte, was wiederum unmittelbar die sachlich-​inhaltliche Bindung der Verwaltung und damit auch die sachlich-​inhaltliche Legitimation ihres Handelns erhöht.404 Die Lösung über ein abgesenktes Legitimationsniveau im Sinne der Verzichtstheorie ist deshalb gar nicht nötig, und nach obigen Erwägungen auch nicht wünschenswert. Dass jedoch der Gesetzgeber, entsprechend der Erhöhung sachlich-​inhaltlicher Bindung der Verwaltung, mittelbar das erforderliche

399 Dreier, Hierarchische Verwaltung im demokratischen Staat, 1991, S. 285  f; Classen, Demo­k ratische Legitimation im offenen Rechtsstaat, 2009, S. 48 ff. 400 Dreier, Hierarchische Verwaltung im demokratischen Staat, 1991, S. 284. 401 So aber explizit Klein, Problematik des ministerialfreien Raumes, 1974, S. 198. 402 So auch Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 309; Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 351. 403 Waechter, Geminderte demokratische Legitimation, 1994, S. 26. 404 So auch Kahl, AöR Bd. 130 (2005), 225 (238); Dederer, NVwZ 2000, 403 (404).

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Maß organisatorisch-​personeller Legitimation auf Verwaltungsseite vermindern kann, ergibt sich schon aus dem klassischen Zusammenspiel der Legitimationsmodi und zeigt, wie flexibel das Konzept auch für von der Ministerialverwaltung abweichende Verwaltungsorganisationen sein kann. Die Verantwortung des Parlaments muss über die Gesetzesbindung der ausgegliederten Verwaltungsorganisation sowie diesbezüglicher Kontrollmechanismen aufrechterhalten werden. Die Zulassung einer Verwaltungsorganisation durch einfaches Gesetz stellt von diesen Erfordernissen nicht frei. Mit der erhöhten Regelungsdichte durch institutionelle Vorgaben geht jedoch eine erhöhte Kontrollmöglichkeit einher. Ein institutioneller Gesetzesvorbehalt ist deshalb zu befürworten und fügt sich als Stärkung des sachlich-​inhaltlichen Legitimationsstrangs in die vorherstehenden Erwägungen im Rahmen des klassischen Legitimationskonzepts ein. Er vermag gleichwohl keine geringeren Legitimationsanforderungen zu eröffnen. Ein Verzicht auf parlamentarische Steuerungs-​und Kontrollbefugnisse ist jedenfalls unzulässig. 3. Weitere Legitimationsmodi Zur Vermittlung des Legitimationszusammenhangs werden zunehmend weitere Faktoren neben der sachlich-​inhaltlichen und organisatorisch-​personellen Legitimation vorgeschlagen, die ebenfalls zur Legitimation des Verwaltungshandelns führen könnten. Ihre Anzahl hängt vom betrachteten Untersuchungsgegenstand ab. Hier soll auf diejenigen Legitimationsfaktoren eingegangen werden, die für die weitere Untersuchung besonders relevant sein können. Einerseits ist dies aufgrund seiner Rezeption in der jüngeren Rechtsprechung des BVerfG der Alternativmodus der „autonomen Legitimation“, der insbesondere für Selbstverwaltungsträger vorgeschlagen wird. Für Automationssysteme relevant ist die Frage nach der Effizienz als Legitimationsfaktor oder Bereichsausnahme. Knapp soll auf die Frage nach der Berücksichtigung einer Output-​Legitimation eingegangen werden, soweit sie den Automationssystemeinsatz betrifft. a) Autonome Legitimation der Selbstverwaltung Selbst wenn man aufgrund einer verfassungsrechtlichen Ausnahmebestimmung einen gelockerten Legitimationszusammenhang für Selbstverwaltungsträger annimmt, stellt sich die Frage, wie die Tätigkeit der Selbstverwaltungsträger über ihre Gesetzesbindung und parlamentarische Beobachtung hinaus legitimiert werden kann. Es bedarf also jedenfalls konzeptionell noch der Legitimation der Entscheidungsträgerschaft von Trägern der Selbstverwaltung. Diese gehen in ihrer Zusammensetzung zumeist auf in ihren Grundrechten oder in einem Sachbereich

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betroffene Interessengruppen zurück,405 sodass sich die Frage stellt, ob Interessen­ gruppen Legitimation vermitteln können. Zunächst wurde eine Lösung über die Umdeutung des Volksbegriffs nach pluralistischer Lesart erwogen. Mit den Entscheidungen des BVerfG seit der Lippeverbandsentscheidung hat sich der alternative Weg über eine Verortung der Selbstverwaltung im Demokratieprinzip selbst durchgesetzt. aa) Lösung über offenen Volksbegriff Eine Lösung wurzelt in der Auslegung des Volksbegriffs aus Art. 20 Abs. 2 GG als auf Individuen bezogen, was die Anknüpfung an kleinere Einheiten innerhalb des Staatsvolks zuließe.406 Die Entscheidungen des BVerfG zum Wahlrecht gemäß Art. 38 Abs. 1 GG,407 die die subjektivrechtliche Ausprägung des Demokratieprinzips herausgestellt haben, mögen auf den ersten Blick eine solche Deutung möglich erscheinen lassen.408 Die Repräsentation des Volkes sei nicht auf das Volk als verfasste Einheit bezogen, sondern auf eine heterogene Vielzahl an in ihrer Selbstbestimmung und Würde anzuerkennenden Individuen, die im Begriff „Volk“ zu integrieren seien.409 Der Volksbegriff sei damit offen für Definitionen, die nicht an der Nationszugehörigkeit ansetzen, sondern an anderen, in der Selbstbestimmung der Individuen wurzelnden Eigenschaften, beispielsweise der Betroffenheit als Interessengruppe.410 Demokratische Gleichheit wird angesehen als relative Gleichheit im Sinne einer graduellen Abstufung von Betroffenheit, nicht im Sinne einer schematischen, formalen Gleichheit im Sinne einer politisch absolut gleichen Mitwirkungsfreiheit.411 Dem Gesetzgeber als oberster Volksvertreter komme die Entscheidung zu, bei sachlicher Rechtfertigung den vom Gesamtvolk abweichenden Betroffenenkreis zu definieren.412 Freilich dürften keine Einflussmöglichkeiten eingeräumt werden, die gleichheitswidrig sind.413 405 Zu den unterschiedlichen Typen von Selbstverwaltungsträgern sowie Klassifikationsmöglichkeiten Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 30 ff. 406 Huber, AöR Bd. 126 (2001), 165 (178 ff.). 407 BVerfGE 89, 155 (171 f.); 129, 124 (169). 408 Schon auf BVerfGE 5, 85 (205) gründend Huber, AöR Bd. 126 (2001), 165 (178 f.); dagegen Köller, Funktionale Selbstverwaltung und ihre demokratische Legitimation, 2009, S. 119 ff., 122. Die Urteile sind insbesondere für die Legitimation der EU relevant, die hier nicht weiter interessiert, s. dazu Dreier, in: Dreier, GG, 3. Auflage 2015, Art. 20 (Demokratie), Rn. 81. 409 S. Schliesky, in: Herausforderung e-​Government, 2009, 11 (33); Huber, AöR Bd. 126 (2001), 165 (178); dazu Unger, Das Verfassungsprinzip der Demokratie, 2008, S. 77; darstellend auch Trute, in: GVwR I, § 6 Rn. 19; prägnant Bryde, StWStP 1994, 305 (322): „Volk ist vielmehr lediglich eine Kurzformel für Menschen.“. 410 Trute, in: GVwR I, § 6 Rn. 24. 411 Dazu Köller, Funktionale Selbstverwaltung und ihre demokratische Legitimation, 2009, S. 52 f. 412 Huber, AöR Bd. 126 (2001), 165 (180 f.); dazu Trute, in: GVwR I, 2. Auflage 2012, § 6 Rn. 25; dazu auch Bryde, FS Thieme, 1993, 9 (19); Blanke, KJ 1998, 452 (470). 413 Trute, in: GVwR I, 2. Auflage 2012, § 6 Rn. 25.

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Die Systematik spricht eher für ein Verständnis des Volks im Sinne der Gesamtheit der Staatsbürger, s. die Art. 146, 33 Abs. 1 und 2, 56 und 64 Abs. 2 GG.414 Die historische Auslegung legt dasselbe Ergebnis nahe. Gleichzeitig wird der Verfassunggeber sich über die Bedeutung des Wortes „Volk“ in Art. 20 Abs. 2 GG als „deutschem Volk“ oder „offen zu definierendem Volk“ keine Gedanken gemacht haben.415 Ein der historischen Auslegung genügendes Modell wird von den Vertretern eines pluralistischen Demokratiekonzepts nicht entworfen, es geht vielmehr um die Anpassung des Demokratieprinzips an veränderte reale Gegebenheiten.416 Nicht zuletzt im Hinblick auf den gem. Art. 79 Abs. 3 GG unverfügbaren Gehalt des Art. 20 Abs. 2 GG kann eine grundsätzliche Wandelbarkeit des Demokratieverständnisses nicht bezweifelt werden.417 Aus dem subjektivrechtlichen Gehalt des demokratischen Prinzips folgt gleichsam nicht unmittelbar die pluralistische Lesart des Volksbegriffs.418 Historie und Telos des Art. 20 Abs. 2 GG sind deshalb gleichermaßen zentral wie uneindeutig für die Auslegung des Volksbegriffs. Die klare Systematik kann den Ausschlag zugunsten eines durch die Staatsbürgerschaft definierten Volksbegriffs geben, soweit die teleologischen Erwägungen nicht als höherrangig eingestuft werden. bb) Lösung über Offenheit des Demokratieprinzips Das BVerfG hat mit der Lippeverbandsentscheidung den Gedanken der Selbstverwaltung und Autonomie im Demokratieprinzip verortet.419 Es favorisiert damit nicht die Lösung über eine offene Auslegung des Volksbegriffs,420 sondern denjenigen über die autonome Legitimation.421 Anstelle der organisatorisch-​personellen Legitimation über das Staatsvolk sei auch eine Beteiligung der sachnahen Betroffenen an Entscheidungen der funktionalen Selbstverwaltung denkbar.422 Wichtig sei in diesem Fall, dass gesetzliche Steuerungselemente sowie eine Rechtsaufsicht hinzutreten, um den Zurechnungszusammenhang zum Volk zu wahren.423 Im Er 414 So auch Lee, Demokratische Legitimation, 2017, S. 39; Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993; Köller, Funktionale Selbstverwaltung und ihre demokratische Legitimation, 2009, S. 62. 415 So auch Köller, Funktionale Selbstverwaltung und ihre demokratische Legitimation, 2009, S. 59. 416 Umfassend Bryde, StWStP 1994, 305 (307 ff.). 417 So auch BVerfGE 107, 59 (91). 418 Kube, GS Brugger, 2013, 571 (586). 419 BVerfGE 107, 59 (92). 420 Vielmehr hält es ausdrücklich an der Definition des Volkes als „Bundes-​oder Landesstaatsvolk“, BVerfGE 107, 59 (87) bzw. neuer der Gesamtheit der Bürgerinnen und Bürger fest, 135, 155 (222); 136, 194 (261); 146, 164 (209). 421 Vorgeschlagen von Emde, Funktionale Selbstverwaltung und ihre demokratische Legitimation, 1991, den BVerfGE 107, 59 (92) dementsprechend referenziert. 422 BVerfGE 107, 59 (92); Die exakte dogmatische Verortung ist umstritten, s. knapp darstellend Kahl, AöR Bd. 130 (2005), 225 (238), und wird hier nicht vertieft. 423 Schmidt-​Aßmann, AöR Bd. 116 (1991), 329 (377).

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gebnis wirkt die autonome Legitimation wie ein Alternativmodus personeller Legitimation mit gleichzeitiger Möglichkeit einer Lockerung des Weisungsrechts durch gleichzeitiges zur Geltung bringen des Gedankens der Selbstverwaltung und Autonomie.424 Später wurde auch der Fokus auf die funktionale Selbstverwaltung aufgegeben, allerdings nur in Verbindung mit erhöhten institutionellen Vorkehrungen, die letztlich die sachlich-​inhaltliche Legitimation erhöhen, sodass dieser Fall wiederum anders zu werten ist als der der Selbstverwaltung.425 cc) Stellungnahme Eine pluralistische Lesart des Volksbegriff aus Art. 20 Abs. 2 GG erscheint aufgrund teleologischer Erwägungen möglich, unter Berücksichtigung der Historie und Systematik des Grundgesetzes aber jedenfalls schwerer vertretbar als die Lösung über eine Verortung des Gedankens der Selbstverwaltung und Autonomie im Demokratieprinzip selbst.426 Deshalb wird hier die pluralistische Lesart des Volksbegriffs nicht zugrunde gelegt. Für eine Verortung der Selbstverwaltung im Demokratieprinzip selbst spricht einerseits die historische Betrachtung, andererseits ihre verfassungsrechtliche Fundierung, die eine derartige Abweichung der Legitimationszusammensetzung im Verhältnis zum Ministerialmodell dogmatisch begründen kann.427 „Die jüngere Judikatur ermöglicht es, die konstruktiv-​rationalen Elemente des heuristisch wertvollen Konzepts demokratischer Legitimation festzuhalten, ohne die notwendige Flexibilität für die Beurteilung unterschiedlichster Fallgestaltungen zu verlieren“428. Dem ist im Sinne einer Akzeptanz der autonomen Legitimation für die vielgestaltigen Träger der Selbstverwaltung beizupflichten.429 Eine legislative Steuerung und Beaufsichtigung ist auch bei Selbstverwaltungsträgern unverzichtbar.430 Insoweit wirkt die autonome Legitimation als Substitut der organisatorisch-​ personellen Legitimation nach dem Kettenmodell und vermag die aus einem Feh-

424

Vgl. BVerfGE 107, 59 (91 f.); 135, 155 (222 f.); 136, 194 (262 f.); 146, 164 (210); s. insoweit die Kritik am Kettenmodell von Classen, der gerade diese Ersatzfunktion der autonomen Legitimation außer Betracht lässt, ders., Demokratische Legitimation im offenen Rechtsstaat, 2009, S. 12. 425 S. o. D. VI. 2. b) cc) und mit gleicher Einschätzung Dreier, in: Dreier, GG, 3. Auflage 2015, Art. 20 (Demokratie), Rn. 114 a. E. und Fn. 438 a. a. O. 426 Dreier, in: Dreier, GG, 3. Auflage 2015, Art. 20 (Demokratie), Rn. 93 Fn. 359 m. w. N.; knappe Darstellung bei Kahl, AöR Bd. 130 (2005), 225 (238). 427 Genauso Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 382. 428 Dreier, in: Dreier, GG, 3. Auflage 2015, Art. 20 (Demokratie), Rn. 115. 429 Noch weitergehend aber nunmehr Dreier, in: Dreier, GG, 3. Auflage 2015, Art. 20 (Demokratie), Rn. 114 f. 430 Kahl, AöR Bd. 130 (2005), 225 (260).

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len organisatorisch-​personeller Rückbindung erwachsenden Legitimationsdefizite im Bereich der funktionalen Selbstverwaltung vollständig auszugleichen. b) Effizienz Nicht zuletzt aus Effizienzgesichtspunkten431 hat sich der Gesetzgeber für den Einsatz von Automationssystemen und die Einführung vollautomatisierter Verwaltungsverfahren entschieden. Deshalb muss geklärt werden, ob von effizientem Verwaltungshandeln eine erhöhte Legitimationswirkung ausgeht, sodass dies bei der Einordnung der Automationssysteme im Hinblick auf die demokratischen Legitimationsanforderungen zu berücksichtigen wäre.432 Auch wäre denkbar, dass es sich bei der Effizienz um einen konkurrierenden Verfassungsrechtssatz handelte, sodass er als Bereichsausnahme geringere Legitimationsanforderungen eröffnen könnte. aa) Begriffsbestimmung Teilweise wird der Begriff der Effizienz mit dem der Effektivität gleichgesetzt oder jedenfalls beides in engem Zusammenhang genannt und ohne inhaltliche Abgrenzung behandelt,433 was aus mehreren Gründen nicht überzeugt:434 Erstens hat die effektive Aufgabenerfüllung bereits einen Platz im Legitimationskonzept, abweichende Organisationsformen wie solche der funktionalen Selbstverwaltung dienen üblicherweise einer effektiveren Aufgabenwahrnehmung.435 Deshalb sieht auch das BVerfG die Möglichkeit abweichender Legitimationsanforderungen nur dann vor, wenn dies „im Interesse sachgerechter, effektiver Aufgabenwahr­ nehmung“ erfolgt.436 Weiter ist Effektivität von grundsätzlicher Bedeutung für die praktische Wirksamkeit437 der Legitimationszusammenhänge, sodass in Verbin-

431

In Plenarprotokoll 18/170, S. 16779 (B) wird einerseits die Bürgerfreundlichkeit, andererseits die Entlastung der Verwaltung von Routineaufgaben hervorgehoben. 432 Zur grundsätzlichen Problematik derartiger Prognosen Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000, S. 393. 433 Kahl, AöR Bd. 130 (2005), 225 (243); unklar Leisner, Effizienz als Rechtsprinzip, 1971, S. 6 (gleichsetzend) aber S. 12 f.; Schliesky, in: Herausforderung e-​Government, 2009, 11 (33). 434 Dazu auch Köller, Funktionale Selbstverwaltung und ihre demokratische Legitimation, 2009, S. 287 f. 435 Insoweit meint effektiv „sachgerecht“ oder „zweckrational“, s. Trute, in: GVwR I, 2. Auflage 2012, § 6 Rn. 53; Groß, Das Kollegialprinzip in der Verwaltungsorganisation, 1999, S. 203. 436 BVerfGE 135, 155 (223); 136, 194 (263); 146, 164 (210). 437 Lederer, Open Data, 2015, S. 336 spricht von „informeller Legitimation“ und verdeutlicht damit das Erfordernis einerseits formaler Legitimationszusammenhänge, die aber andererseits auch erfahrbar sein müssen.

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dung mit dem Legitimationsniveau darauf verwiesen wird, dass nicht die Form der Legitimation entscheidend sei, sondern ihre Effektivität.438 Bei Effizienz geht es nicht um die Entscheidungsrichtigkeit im Sinne einer Zweckrationalität, sondern im Sinne einer Mittelrationalität. Effektivitätsanalysen geben Antwort auf die Frage, inwieweit eine Aufgabenerfüllung durch die Verwaltung dem Zweck oder Ziel ihres Handelns entspricht.439 Effizienzanalysen beantworten demgegenüber die Frage, wie der Mittelaufwand sich zum Ergebnis verhält, fragt also nach der Wirtschaftlichkeit eines Verwaltungshandelns.440 Eine effiziente Aufgabenwahrnehmung bedeutet, dass „nicht mit geringerem Aufwand der gleiche Nutzen oder mit gleichem Aufwand ein höherer Nutzen erzielt werden kann“441. bb) Stellung der Effizienz im Legitimationskonzept Zunächst soll erhellt werden, in welcher Weise Effizienzgesichtspunkte in das Legitimationskonzept Eingang finden könnten. Es bestehen hierfür drei Möglichkeiten. Entweder kann Effizienz die sachlich-​inhaltliche Legitimation des Ver­ waltungshandelns verstärken, oder es handelt sich bei der Effizienz um ein Substitut personeller Legitimation ähnlich der autonomen Legitimation, oder aber um einen konkurrierenden Verfassungsrechtssatz, der ein geringeres Legitimationsniveau begründen könnte. Die Optionen werden nacheinander überprüft. (1) Stärkung der sachlich-​inhaltlichen Legitimation Oberstes Gebot des Verwaltungshandelns stellt die Bindung an das Parlamentsgesetz gemäß Art. 20 Abs. 3 GG dar, die sachlich-​inhaltliche Legitimationskraft vermittelt. Deshalb ist eine Substitution des sachlich-​inhaltlichen Legitimationsstrangs aus Effizienzgesichtspunkten nicht denkbar. Darauf wird aus aktuellem Anlass noch einzugehen sein.442 Es ist zwar im Grundsatz der Gesetzgeber, dem das Steuerungsrecht zukommt. Insoweit kann er Gesichtspunkte der Effizienz in der Gesetzgebung berücksich 438 BVerfGE 83, 60 (72); 93, 37 (66 f.); 107, 59 (87); 130, 76, (124); 135, 155 (222); 136, 194 (262); 146, 164 (209). 439 Köller, Funktionale Selbstverwaltung und ihre demokratische Legitimation, 2009, S. 288; Trute, in: GVwR I, 2. Auflage 2012, § 6 Rn. 53. 440 So auch Köller, Funktionale Selbstverwaltung und ihre demokratische Legitimation, 2009, S. 288; Leisner, Effizienz als Rechtsprinzip, 1971, S. 7. 441 Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000, S. 391 mit Verweis auf den Prüfungsauftrag der „Wirtschaftlichkeit“ des Bundesrechnungshofs, der nach dieser Formel gehandhabt wird; schon Leisner, Effizienz als Rechtsprinzip, 1971, S. 7. 442 § 4 B. II.

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§ 3 Demokratische Legitimation von Verwaltungsakten

tigen und die Verwaltung an diese Aufgabenerfüllung binden.443 Dann geht aber die Effizienzfrage über die sachlich-​inhaltliche Bindung und damit die bereits konzeptionell berücksichtigte sachlich-​inhaltliche Legitimationswirkung auch nicht hinaus, stärkt also die sachlich-​inhaltliche Legitimation nicht.444 Denkbar wäre aber, dass innerhalb der Grenzen, die das parlamentarische Gesetz setzt, von mehreren Auswahlmöglichkeiten der Verwaltung die effizienteste auszuwählen ist, und das wiederum die sachlich-​inhaltliche Legitimation stärke. Wiederum ergibt sich dies jedoch nicht grundsätzlich aus einem allgemeinen Effizienzgrundsatz des Verwaltungshandelns, sondern nur aus einer ausdrücklichen verwaltungsseitigen Zielanordnung.445 Effizienz zeitigt so wiederum keine gesonderte Legitimationswirkung über die exekutiven Steuerungsmittel hinaus. (2) Substitut personeller Legitimation Die Möglichkeit einer Substitution der organisatorisch-​personellen Legitimation durch eine autonome Legitimation wurde befürwortet,446 sodass es sich auch bei der Effizienz um ein derartiges Substitut handeln könnte. Der personellen Legitimation geht es jedoch um die Legitimation des entscheidenden Amtswalters. Sie ist untrennbar mit einem Träger hoheitlicher Gewalt verbunden. Dass ein Hoheitsträger effizient handelt, legitimiert nicht seine Machtausübung als solche. Die Entscheidungsträgerschaft muss sich vielmehr, demokratische Legitimation vermittelnd, auf das Volk zurückführen lassen. Dabei ist der Zusammenhang aus Wahlen und Abstimmungen des Volkes zu konstruieren. Effizienzgesichtspunkte weisen keinerlei Bezugspunkt zum Volk als Legitimationssubjekt auf. Zwar kann angenommen werden, dass effizientes Verwaltungshandeln implizit zur Akzeptanz von Herrschaft im Allgemeinen beiträgt.447 Das verleiht aber gleichwohl keine Befugnis, Staatsgewalt auszuüben. Damit kann Effizienz auch nicht als alternativer personeller Legitimationsmodus fruchtbar gemacht werden.

443 Dazu umfassend, auch unter Berücksichtigung der Legitimationsfrage Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, 2015, S. 414 ff; i. E. auch Leisner, Effizienz als Rechtsprinzip, 1971, S. 29; zur faktischen Überspielung dieser Kompetenz Schliesky, in: Herausforderung e-​Government, 2009, 11 (30); Eine derartige Berücksichtigung von Effizienzgesichtspunkten ist in der Verankerung eines Wirtschaftlichkeitsgrundsatzes in § 88 Abs. 2 S. 2 AO im Zuge des StModG versucht worden, dazu Seer, StuW 2015, 315 (319). 444 Zu diesem Befund krit. Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000, S. 387. 445 Dazu Leisner, Effizienz als Rechtsprinzip, 1971, S. 38. 446 S. o. § 3 D. VI. 3. a). 447 Das ist auch die Ansicht des Gesetzgebers, Plenarprotokoll 18/170, S. 16779 (B); Dederer, Korporative Staatsgewalt, 2004, S. 167.

D. Legitimationsmodi

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(3) Konkurrierender Verfassungsrechtssatz Ein Grundsatz der Wirtschaftlichkeit ergibt sich nicht aus der Verfassung.448 Aus dem Rechtsstaatsprinzip ergibt sich zunächst nur das Gebot der Rechtmäßigkeit, das aus Effizienzgesichtspunkten nicht konterkariert werden darf.449 Schwieriger gestaltet sich das Problem, wenn die Gesetzesbindung des Verwaltungs­ handelns durch faktische Vollzugsdefizite in weiten Bereichen strukturell so ineffektiv wahrgenommen werden kann, dass letztlich nur durch Berücksichtigung von Effizienzgesichtspunkten ein Ausweg zur Lösung des Vollzugsdefizits besteht.450 Letztlich ist das eine Dilemma-​Situation, weil sich die Verwaltung über ihre Gesetzesbindung hinwegsetzt, um ihre Gesetzesbindung zumindest teilweise effektiv wahrnehmen zu können.451 Auch in diesen Fällen wird man jedoch keine Pflicht der Verwaltung annehmen können, sich aus Effizienzgründen über die Gesetzesbindung hinwegzusetzen. Der Ausweg wäre vielmehr in parlaments­ gesetzlichen Typisierungen zu suchen, die Effizienz durch Technikeinsatz gewissermaßen implizit ermöglichen.452 Schließlich spricht die Gewaltengliederung, der Verfassungsrang zukommt, eher gegen eine gesonderte Legitimationswirkung von Effizienzgesichtspunkten: Dass die Verwaltung im Grundsatz, wenn der parlamentarische Gesetzgeber also nichts anderes vorschreibt, selbst über die Modalitäten ihrer Rechtsanwendung entscheidet und im Grundsatz auch ineffiziente, aber dafür besonders sachgerechte Verfahren wählen darf, ergibt sich schon aus der Ablehnung eines Totalvorbehalts. Letztlich obliegt es damit der Verwaltung, Effizienzgesichtspunkte zu berücksichtigen oder nicht. Effizienzgesichtspunkte fließen dann über die allgemeinen Steuerungsmittel, beispielsweise verwaltungsvorschriftsmäßige Typisierungen, in die sachlich-​inhaltliche Legitimation mit ein, erhöhen aber die Legitimationswirkung nicht. Im Übrigen kann Effizienz nicht allgemein, sondern nur in Bezug auf ein Ziel gemessen werden.453

448

So auch Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, 2015, S. 443; Leisner, Effizienz als Rechtsprinzip, 1971, S. 24; Köller, Funktionale Selbstverwaltung und ihre demokratische Legitimation, 2009, S. 290 m. w. N. 449 Dazu Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000, S. 392 m. w. N.; Leisner, Effizienz als Rechtsprinzip, 1971, S. 27, 58; Seer, StuW 2015, 315 (320). 450 Das mag der Grund für die Einführung von RMS in der Steuerverwaltung gewesen sein, s. zum Problem um den neuen § 88 AO Seer, StuW 2015, 315 (317). 451 S. § 4 B. II. 452 S. dazu auch Kirchhof, in: FS BFH, 2018, Band I, 361 (367 f.). 453 Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000, S. 392; Köller, Funktionale Selbstverwaltung und ihre demokratische Legitimation, 2009, S. 292.

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§ 3 Demokratische Legitimation von Verwaltungsakten

cc) Fazit Die Effizienz des Verwaltungshandelns ist kein eigenständiger Legitimationsfaktor. Sie kann auch nicht als konkurrierender Verfassungsrechtssatz den Geltungsbereich der Legitimationsanforderungen beschränken. Damit können Effizienzsteigerungen durch den Automationssystemeinsatz in den Legitimationsanforderungen nicht eigenständig berücksichtigt werden, sondern nur, soweit Effizienz einen legislativ oder exekutiv vorgegebenen Maßstab an das Verwaltungshandeln darstellt.454 c) Partizipation außerhalb der Selbstverwaltung Auch die Bürgerbeteiligung455 außerhalb der Selbstverwaltung könnte für die Legitimation einer Verwaltungsentscheidung relevant sein. Beispielsweise wird durch die formularmäßige Erfassung von Daten zur Erstellung vollautomatisierter Verwaltungsakte zumeist direkt oder indirekt auf Bürgerbeteiligung gesetzt, um Hoheitsakte zu erlassen. Eine Umdeutung des Legitimationssubjekts kommt nicht in Betracht und eine autonome Legitimation scheidet aus, soweit es um die unmittelbare Staatsverwaltung geht. Damit kann Bürgerbeteiligung außerhalb der Selbstverwaltung im Grundsatz nicht als Legitimationsfaktor berücksichtigt werden. Allerdings findet die Bürgerbeteiligung über das Legitimationsniveau wieder Eingang ins Legitimationskonzept: Zunächst ist die Abgrenzung der Mitwirkung zur Mitentscheidung relevant. Solange es sich also um eine nichtsteuernde oder unverbindliche Bürgerbeteiligung handelt, unterliegt sie nach dem klassischen Konzept bereits keinen Beschränkungen. Die Grenze für eine Bürgerbeteiligung liegt erst bei der Mitentscheidung. Auch hier ist jedoch eine Beteiligung, beispielsweise in Gremien, nicht von vornherein ausgeschlossen, solange die erforderlichen Mehrheiten erreicht werden. Eine weitergehende Bürgerbeteiligung scheidet jedoch aus.456 Damit können Funktionen der Bürgerbeteiligung auch nach dem klassischen Legitimationskonzept umfassend berücksichtigt werden. Eine gesonderte Legitimationswirkung geht von einer Bürgerbeteiligung jedoch nicht aus.

454

So auch Dederer, Korporative Staatsgewalt, 2004, S. 167. Begriffsbestimmung bei Tischer, Bürgerbeteiligung und demokratische Legitimation, 2017, S. 17 ff. 456 Eine Berücksichtigung weitergehender technikgestützter Mitentscheidungsformen wie „Liquid Democracy“ scheidet damit von vorne herein aus. Dazu Schliesky, in: Auf dem Weg zum Digitalen Staat, 2015, 9 (20). 455

D. Legitimationsmodi

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d) Output-​L egitimation Die Output-​Legitimation ist der Politikwissenschaft entlehnt und fragt nach den Ergebnissen des staatlichen Handelns.457 Insoweit bestehen grundsätzliche Spannungen dieser Kategorie mit der verfassungsrechtlichen demokratischen Legitimationsfrage, welchen an ausgewählten Einzelausprägungen der output-​Legitimation nachgegangen werden soll. aa) Entscheidungsqualität In Art. 97 GG ist die Unabhängigkeit der dritten Gewalt verbürgt. Die Legitimation der dritten Gewalt wird deshalb teilweise vertretener Ansicht nach aus der besonderen Professionalität sowie dem Sachverstand gewonnen, der den Richtern zukommt.458 Eine in dieser Weise erhöhte Entscheidungsqualität, die auch durch den Einbezug externen Sachverstands oder bestimmte aufgabenadäquate Verfahren erzielt werden könne, trage zur Legitimation der Entscheidung bei.459 Letztlich handelt es sich hierbei um eine Effektivierung des sachlich-​inhaltlichen Legitimationsstrangs, weil eine erhöhte Entscheidungsqualität im Sinne der Entscheidungsrichtigkeit460 notwendigerweise am Maßstab der Entscheidungsfindung, dem Gesetz, anknüpft. Es wird also an das „Gebot rechtsstaatlicher Rationalität“461 Legitimationswirkung geknüpft. Letztlich hieße das, dass die Effektivität der sachlich-​inhaltlichen Legitimation einen eigenen Legitimationsmodus darstellen könnte. Das würde jedoch den sachlich-​inhaltlichen Legitimationsstrang vom Ergebnis zum Modell anreichern und damit konzeptionell verhältnismäßig überbetonen. Die personelle und sachlich-​inhaltliche Legitimation sind im Grundsatz verschieden und gleichrangig sowie gleich leistungsfähig. Die besonders effektive Gewährleistung der gesetzesgebundenen Aufgabenerfüllung hat ihren Platz im Legitimationskonzept, allerdings nicht über den sachlich-​inhaltlichen Legitimationsstrang hinaus. Die besondere Entscheidungsqualität erhöht damit im Einzelfall das Maß der erzielten sachlich-​inhaltlichen Legitimation, ist aber nicht konzeptionell ein eigener Legitimationsmodus. Die Entscheidungsrichtigkeit als solche ist Frage des Rechtsstaats-​, gerade nicht des Demokratieprinzips.

457

Mehde, in: Herausforderung e-​Government, 2009, 213 (213). Minkner, Gerichtsverwaltung, 2015, S. 88 m. w. N. 459 Classen, Demokratische Legitimation im offenen Rechtsstaat, 2009, S. 40; Trute, in: ­GVwR I, 2. Auflage 2012, § 6 Rn. 53; Mehde, in: Herausforderung e-​Government, 2009, 213 (243). 460 Classen, Demokratische Legitimation im offenen Rechtsstaat, 2009, S. 40. 461 Groß, Das Kollegialprinzip in der Verwaltungsorganisation, 1999, S. 203. 458

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§ 3 Demokratische Legitimation von Verwaltungsakten

bb) Akzeptanz Die Akzeptanz durch die Herrschaftsunterworfenen führt unbestrittenermaßen zur Legitimität einer staatlichen Ordnung,462 woraus für die demokratische Legitimation einer bestimmten hoheitlichen Maßnahme noch nichts folgt. „Akzeptanz umfasst die Spannbreite des Bewertens von Verwaltungsentscheidungen von richtig bis noch anerkennenswürdig“463. Damit ist angesprochen, dass Akzeptanz einerseits ein schwer messbares, graduelles Kriterium darstellt. Andererseits kann Akzeptanz nicht nur aus der Bewertung einer konkreten Entscheidung folgen, sondern auch aus der Bewertung eines politischen Gesamtsystems. Akzeptanz ist also auch theoretisch nicht für die Entscheidung im Einzelnen messbar. Sieht man darüber hinweg, blickt sie dennoch auf die Entscheidung zurück, während die verfassungsrechtliche demokratische Legitimation input-​zentriert ist, also die Herleitung betrifft.464 Bildlich gesprochen meint Akzeptanz die Einwilligung, Legitimation fragt aber nach dem Einfluss.465 Art. 20 Abs. 2 GG bietet damit bereits einen konkreten Anknüpfungspunkt für den Einfluss von Akzeptanzüberlegungen, namentlich den Wahlakt. Soweit das Volk also Repräsentanten akzeptiert oder nicht akzeptiert, kann es sie wählen oder nicht mehr wählen. Darüber hinaus fehlt einer Berücksichtigung von Akzeptanz der konkrete normative Anknüpfungspunkt. Eine demokratische Legitimationswirkung geht von abstrakter oder konkreter Akzeptanz nicht aus.466 Ob der zunehmende Einsatz von Automationssystemen zum Erlass von Hoheitsakten überhaupt zu Akzeptanzsteigerungen führt, lässt sich nicht prognostizieren. cc) Fazit Eine Output-​Legitimation nach den hier aufgegriffenen Ausprägungen hat keine eigenständige Relevanz für das Legitimationskonzept. 4. Ergebnis zu weiteren Legitimationsmodi Die Untersuchung hat ergeben, dass die funktionale Selbstverwaltung aufgrund verfassungsrechtlicher Ausnahmebestimmungen als von den Anforderungen des Ministerialmodells ausgenommener Verwaltungsbereich angesehen werden kann. 462

Herzog, Allgemeine Staatslehre, 1971, S. 175 f.; Trute, in: GVwR I, 2. Auflage 2012, § 6 Rn. 2. Schmidt-​Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 2. Auflage 2004, S. 102; zit. auch von Dederer, Korporative Staatsgewalt, 2004, S. 167. 464 Dederer, Korporative Staatsgewalt, 2004, S. 168. 465 Dederer, Korporative Staatsgewalt, 2004, S. 168. 466 Trute, in: GVwR I, 2. Auflage 2012, § 6 Rn. 53; Köller, Funktionale Selbstverwaltung und ihre demokratische Legitimation, 2009, S. 233. Dederer, Korporative Staatsgewalt, 2004, S. 168; krit. Mehde, in: Herausforderung e-​Government, 2009, 213 (215). 463

D. Legitimationsmodi

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Ein einfachgesetzlicher institutioneller Gesetzesvorbehalt impliziert eine Stärkung des sachlich-​inhaltlichen Legitimationsstrangs, kann folglich schon vom klassischen Legitimationskonzept erfasst werden und dem Gesetzgeber flexible Gestaltungsoptionen an die Hand geben, die in zunehmend komplexen Verwaltungsstrukturen zwingend erforderlich sind. Ein Verzicht auf parlamentarische Steuerungs-​und Kontrollmöglichkeiten durch einfaches Gesetz ist nicht möglich. Über eine autonome Legitimation kann die funktionale Selbstverwaltung ihren Eigenarten entsprechend selbst im Demokratieprinzip verortet werden. Es besteht also ein Modus personeller Legitimation, der der organisatorisch-​personellen Legitimation im Grundsatz gleichwertig ist, auch wenn Weisungszusammenhänge wie in der Ministerialverwaltung nicht bestehen. Demgegenüber lässt sich die vom Automationssystemeinsatz versprochene Effizienzsteigerung nicht zum Legitimationsmodus erheben. Erwägungen der Wirtschaftlichkeit können, soweit entweder der Gesetzgeber oder die Verwaltung sie in ihren Normen setzen, berücksichtigt werden. Deshalb erweist sich der hier gewonnene Maßstab demokratischer Legitimation nicht notwendigerweise als Fessel für den Automationssystemeinsatz.467 Weitere Legitimationsfaktoren, die für den Automationssystemeinsatz relevant sind, wie Bürgerbeteiligung, Entscheidungsqualität und Akzeptanz, stellen keine eigenständigen Legitimationsfaktoren dar. Sie können gleichwohl im Legitimationsmodell berücksichtigt werden, sodass die Fundamentalkritik am klassischen Legitimationsmodell in der Gesamtschau jedenfalls nicht mehr überzeugt.468

VII. Zusammenfassendes Fazit Die funktionelle und institutionelle Legitimation erzeugt keine Legitimationswirkung für das Verwaltungshandeln im Einzelfall. Eine Maßnahme wie ein Verwaltungsakt wird damit vorrangig sachlich-​inhaltlich und organisatorisch-​personell legitimiert. Der sachlich-​inhaltliche Legitimationsmodus speist sich aus der Gesetzesbindung der Verwaltung, die effektiv gewahrt werden muss, was über

467 S. die Anmerkung von Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000, S. 395 f. zu den in Teilen gleichen Ergebnissen bezüglich des Neuen Steuerungsmodells. Er geht auf dieser Grundlage von der Erforderlichkeit eines neuen Legitimationskonzepts aus. In dieser Untersuchung werden demgegenüber Wege gesucht, die Anforderungen des Legitimationskonzepts in die Entwicklungsphase von Automationssystemen miteinzubeziehen, sodass die Legitimationsanforderungen jedenfalls gewahrt werden können und das Erfordernis eines alternativen Legitimationskonzepts schon nicht entsteht. Das ist die Frage nach der Modernisierung der Input-​Steuerung, dazu eher krit. Mehde, in: Herausforderung e-​Government, 2009, 213 (213); zu ihrer Erforderlichkeit Scherzberg / ​Meyer, in: Herausforderung e-​Government, 2009, 253 (260). 468 So auch Dreier, in: Dreier, GG, 3. Auflage 2015, Art. 20 (Demokratie), Rn. 115.

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§ 3 Demokratische Legitimation von Verwaltungsakten

parlamentarische Kontrollbefugnisse abgesichert ist. Darüber hinaus bestehen exekutive Steuerungs-​und Kontrollmöglichkeiten, die das unterrangige Verwaltungs­ handeln zu steuern nur imstande sind, sofern ihren Trägern in personeller Hinsicht die Befugnis übertragen wurde, derartig an der Ausübung von Staats­gewalt beteiligt zu sein. Diese personelle Legitimation wird im Bereich der unmittelbaren Staatsverwaltung über individuelle Einsetzungsakte und die Zuweisung eines Zuständigkeitsbereichs vermittelt. Die Einsetzungsakte ermöglichen durch ihren hierarchischen Aufbau gleichzeitig eine Überprüfung des Verwaltungshandelns über exekutive Kontrollinstrumente, die letztlich über die parlamentarische Kontrolle der Regierung an das Volk zurückgebunden werden. Die unmittelbare Staatsverwaltung stellt gleichwohl nur den Regelfall der Verwaltungstätigkeit dar. Im Bereich der funktionalen Selbstverwaltung gilt dieser Maßstab überwiegend aufgrund verfassungsrechtlicher Ausnahmevorschriften nicht, sodass hier bereichs­ spezifische Anforderungen an die Legitimation des Verwaltungshandelns gestellt werden können. Durch den der personellen Legitimation gleichwertigen Modus der autonomen Legitimation kann auch hier eine Rückbindung des zuständigen Organs an das Volk sichergestellt werden. Die Kontrolle der Gesetzesbindung durch das Parlament bleibt ebenfalls unberührt. Dem Gesetzgeber kommt die Dispositionsfreiheit zu, eine abweichende Aufgabenerfüllung durch einfaches Gesetz auch dann vorzusehen, wenn kein verfassungsrechtlicher Ausnahmetitel besteht. Er muss dann jedoch selbst dafür Rechnung tragen, dass der Verwaltungsträger partizipatorische Elemente gemeinwohlorientiert berücksichtigt und nicht Einzelinteressen gleichheitswidrig begünstigt, indem er entsprechende Vorkehrungen einfachgesetzlich festsetzt. Eine einfachgesetzliche Ausnahmevorschrift vermag keine Absenkungen der Legitimationsanforderungen insgesamt zu tragen. Durch eine erhöhte legislative Steuerungsdichte kann jedoch die sachlich-​inhaltliche Legitimation des Verwaltungshandelns gestärkt werden. Letztlich kann durch den institutionellen Gesetzesvorbehalt der Anteil sachlich-​inhaltlicher Legitimation und damit mittelbar das Erfordernis personeller Legitimation beeinflusst werden, nicht jedoch das zu erzielende Legitimationsniveau. Die höhere Steuerungsdichte korreliert mit weiter­ reichenden Beobachtungs-​und Kontrollbefugnissen des Parlaments, die unbeeinträchtigt bleiben müssen. Der Legitimationsmodus der autonomen Legitimation gilt nur für die Selbstverwaltung. Dennoch können auch nach dem klassischen Legitimationskonzept Bürger an der Entscheidungsfindung beteiligt werden. Auch Effizienzgesichtspunkte können berücksichtigt werden, jedoch nicht als eigenständiger Legitimationsmodus, sondern nur als sachlich-​inhaltliche Steuerungsvorgabe. Der Output einer Entscheidung, beispielsweise die Entscheidungsqualität oder die hervorgerufenen Akzeptanzverhältnisse, werden nicht berücksichtigt.

E. Legitimationsniveau

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Das Legitimationskonzept erweist sich in diesen Ausprägungen als hinreichend flexibel, auch Veränderungen in der Verwaltungsorganisation zu erfassen und zu integrieren. Die klassischen Legitimationsmodi der sachlich-​inhaltlichen und organisatorisch-​personellen Legitimation, mit Ausnahme für die Selbstverwaltung, sind damit hinreichend flexibel, um der weiteren Untersuchung als Basis zugrunde gelegt zu werden.

E. Legitimationsniveau Nach der Legitimationskettenkonzeption in ihrer klassischen sowie in ihrer durch die autonome Legitimation erweiterten Form wirken die sachlich-​inhaltliche und personell-​organisatorische Legitimation zur Legitimation der Entscheidung zusammen. Erforderlich ist nicht eine bestimmte Art der Legitimation, sondern deren Effektivität im Sinne des Erreichens eines hinreichenden Legitimations­ niveaus.469 Letztlich öffnet sich das klassische Modell hier jedenfalls ein Stück weit für alternative Legitimationsfaktoren, weil einerseits das erforderliche Legitimationsniveau so niedrig sein kann, dass es auch in von der Ministerialverwaltung abweichenden Verwaltungsstrukturen unter Außerachtlassung alternativer Legitimationsmöglichkeiten noch gewahrt ist.470 Andererseits wäre eine Übertragung der Lehre vom Legitimationsniveau auch auf pluralistische Legitimationskonzepte möglich. In diesem Fall werden weitere Faktoren zur Erreichung des Niveaus zugelassen, während seine Bestimmung denselben Kriterien folgen kann. Die Frage nach der Substitutionsmöglichkeit der Stränge betrifft implizit das Legitimationsniveau, weil eine Substitutionsmöglichkeit voraussetzt, dass nur ein Strang die Verwaltungsentscheidung legitimieren kann, was beispielsweise im Falle des Ablehnens einer autonomen Legitimation zum teilweisen Gleichlauf der Ergebnisse führen könnte. Dementsprechend wird zuerst auf die Substitutionsmöglichkeit eingegangen und sodann auf die Bestimmung des Legitimationsniveaus im Einzelnen.

I. Substitutionsmöglichkeit der Stränge Das Meinungsbild bezüglich einer vollständigen Substitutionsmöglichkeit der Legitimationsstränge ist uneinheitlich. Die jeweilige Ansicht wird häufig mit einer Vorrangstellung des einen oder anderen Legitimationsmodus begründet.471 469

BVerfGE 83, 60 (71 f.) m. w. N.; 93, 37 (67); 107, 59 (87); 146, 164 (210) m. w. N. S. Grzeszick, GS Brugger, 2013, 601 (610). 471 Exemplarisch Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 46 für einen Vorrang der sachlich-​inhaltlichen Legitimation; Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 358 f. für einen Vorrang der organisatorisch-​personellen Legitimation. 470

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§ 3 Demokratische Legitimation von Verwaltungsakten

1. Möglichkeit der Totalsubstitution Vertreter der Substitutionsmöglichkeit nehmen an, dass beispielsweise der organisatorisch-​personelle Legitimationsstrang vollständig durch den sachlich-​ inhalt­lichen Legitimationsstrang ersetzt werden könne.472 Der Gesetzgeber könne die Regelungspflicht, die ihm nach den Grundsätzen des Parlamentsvorbehalts bzw. der Wesentlichkeitstheorie zukomme, durch eine Inanspruchnahme seines Regelungsrechts mit inhaltlich und verfahrensmäßig detaillierten Ausführungs­ bestimmungen so weit übertreffen, dass Defizite im personellen Legitimationsstrang vollständig ausgeglichen werden könnten.473 Die Totalsubstitution bleibe freilich der Ausnahmefall.474 2. Keine Totalsubstitution Demgegenüber wird von den Begründern des klassischen Legitimationskonzepts überwiegend davon ausgegangen, dass eine teilweise Substitution zwar möglich sei, eine vollständige Ersetzung aber nicht.475 Dem Gesetzgeber und der Exekutive komme eine Gestaltungsbefugnis zu, sodass einerseits sachlich unabhängige Organe entsprechend organisatorisch-​personell legitimiert sein müssten, strikt inhaltlich determiniertes Verwaltungshandeln mit entsprechenden Aufsichtsbefugnissen legitimierter Organe jedoch auch die Beteiligung nichtlegitimierter Personen ermögliche.476 3. Stellungnahme Zunächst kommt es bei der Frage nach einer Totalsubstitution darauf an, welche der drei Gewalten untersucht wird.477 Es kommt weiterhin auf die Ebene an, von welcher aus nach dem Bestehen einer Totalsubstitution gefragt wird. Die Legislative ist personell legitimiert, weil sie vom Volk gewählt wird. Sachlich-​inhaltliche demokratische Legitimation nach den obigen Kriterien kommt ihren Handlungen nicht zu: Sie unterliegt zwar sachlichen Bindungen, diese gehen allerdings auf den 472

Grzeszick, GS Brugger, 2013, 601 (609); Classen, Demokratische Legitimation im offenen Rechtsstaat, 2009, S. 52; Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 367; unklar Dederer, Korporative Staatsgewalt, 2004, S. 156. 473 Grzeszick, GS Brugger, 2013, 601 (609). 474 Kahl, AöR Bd. 130 (2005), 225 (237); im Anschluss Dreier, in: Dreier, GG, 3. Auflage 2015, Art. 20 (Demokratie), Rn. 113. 475 Böckenförde, in: HStR II, 2. Auflage 2012, § 24 Rn. 23; Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 327–336; Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 284. 476 Böckenförde, in: HStR II, 2. Auflage 2012, § 24 Rn. 23. 477 So auch Lederer, Open Data, 2015, S. 331.

E. Legitimationsniveau

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pouvoir constituant zurück und sind damit auf einer anderen Ebene angesiedelt als die sachlich-​inhaltlichen Bindungen der Verwaltung.478 Die einzige unmittelbar volksverbundene Legitimationsform ist die personelle Legitimation, die aus dem Wahlakt erwächst.479 Dementsprechend könnte man eine „Vorrangstellung“ der personellen Legitimation annehmen, was aber für die Beurteilung des Legitimationsniveaus einer Verwaltungshandlung ohne Belang wäre. Im Bereich der Verwaltung bestehen beide Modi im Grundsatz nebeneinander. Ihr Verhältnis lässt sich nicht abstrakt erschließen, sondern nur im Hinblick auf den jeweiligen Gegenstand, den der Gesetzgeber geregelt hat, und auf die Ebene, die betrachtet wird: Ermächtigt der Gesetzgeber die Verwaltung zum Erlass eines Verwaltungsakts, liegt die Befugnis zum Erlass des Verwaltungsakts bei der Verwal­tung, sodass diese Befugnis auch von einem organisatorisch-​personell legitimierten Organ wahrgenommen werden muss. Eine Substitution der Stränge ist auf dieser Ebene nicht möglich, weil ansonsten Teile der Entscheidung nicht rückgebunden wären.480 Auch Kontrollbefugnisse der Legislative ändern daran nichts. Die personelle Legitimation des Parlaments für die Bindung der Verwaltung an inhaltliche Vorgaben muss ebenfalls weiterhin bestehen. Bezogen auf den Inhalt der Maßnahme, der zusätzlich betrachtet werden muss, kommt es auf das Vorliegen einer Steuerungsbefugnis der Verwaltung an. Ermächtigt der Gesetzgeber die Verwaltung, Spielräume auszufüllen, muss ihre Ausfüllung wiederum organisatorisch-​personell legitimiert werden.481 Bestehen keine Spielräume, liegt nach dem Willen des Gesetzgebers eine Totalsubstitution der Stränge auf Ebene der Verwaltung vor.482 Mit Blick auf diese eingrenzende Funktion legislativer Steuerung könnte für die Verwaltung eine Art Vorrang der sachlich-​inhaltlichen Legitimation begründet werden483, was wiederum für das konkrete Legitimationsniveau ohne Belang wäre.

478 S. dazu auch Emde, Demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 44 f; Grzeszick, GS Brugger, 2013, 601 (606); Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 361. 479 Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 359. 480 S. dazu oben § 3 D. V. 1. 481 So auch Classen, Demokratische Legitimation im offenen Rechtsstaat, 2009, S. 52. 482 I. E. wohl auch Köller, Funktionale Selbstverwaltung und ihre demokratische Legitimation, 2009, S. 184, die allerdings bei „bloßer Subsumtion“ unmittelbar davon ausgeht, dass kein Spielraum vorliege. Hier wird im Rahmen der Anwendung des Normprogramms als Subsumtion im weiteren Sinne unterschieden, welche Teile einer Rechtsnorm nach dem Willen des Gesetzgebers Spielraum eröffnen, und welche nicht; Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 284 geht konsequent davon aus, dass bei einer Totalsubstitution schon keine legitimationsbedürftige Entscheidung vorliege. Das ist oben ausführlich diskutiert worden. Die Entscheidungsleistung ist als solche der Legislative personell legitimationsbedürftig, auf Seiten der Exekutive setzt sie sich fort als sachlich-​inhaltliche Bindung, die die Verwaltung beachten muss; auf ihre eigene Entscheidungsleistung kommt es hinsichtlich der erforderlichen Legitimationsmechanismen, nicht für das Vorliegen von Staatsgewalt an. 483 So Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 46.

172

§ 3 Demokratische Legitimation von Verwaltungsakten

Wenn insoweit darauf hingewiesen wird, dass nach rechtsmethodischen Erkenntnissen eine vollständige Bindung der Verwaltung nicht erzielt werden kann,484 ist das zwar zutreffend, es muss aber weiter differenziert werden: Einerseits dürften die Fälle ohne rechtlichen Spielraum deutlich häufiger auftreten als Fälle ohne faktische Spielräume der Verwaltung. Faktische Spielräume bestehen praktisch immer, allein aufgrund unterschiedlicher methodischer Prämissen bei der Rechtsanwendung. Hier entfalten Kontrollbefugnisse der Rechtsaufsicht aber freilich ihre Wirksamkeit und sind auch erforderlich, um die sachlich-​inhaltliche Legitimation zu effektivieren. Für die Legitimation der Entscheidungsbefugnis interessieren wiederum die rechtlichen Spielräume der Verwaltung, also Spielräume, die nicht die Methodenlehre notwendigerweise einräumt, sondern der Gesetzgeber der Verwaltung zur Rechtskonkretisierung überlassen hat. Deshalb kommt es für die Frage nach der Totalsubstitution auf die Art und Gestaltung des legislativen Normprogramms an. Eine Totalsubstitution in rechtlicher Hinsicht auf Ebene der Verwaltung ist möglich, durch die Gestaltung des legislativen Normprogramms, für welches es wiederum der personellen Legitimation des Parlaments bedarf, ist die Frage nach der Totalsubstitution aber immer bereits in die eine oder andere Richtung beantwortet. Besteht in rechtlicher Hinsicht eine Totalsubstitution, muss durch Kontrollelemente auch faktisch dafür gesorgt werden, dass keine Spielräume wahrgenommen werden, wo keine bestehen.

II. Bestimmung des Legitimationsniveaus Die abstrakte Aussage, die Legitimationsstränge hätten Bedeutung nur in ihrem Zusammenwirken, betrifft im Grundsatz nicht das Legitimationsniveau, sondern die Steuerungsintensität der sachlich-​inhaltlichen Vorgaben für die Verwaltung. Sie lässt noch keine Rückschlüsse zu, wie hoch die Legitimation für das Verwaltungshandeln sein muss, um als effektive Rückkopplung an das Volk zu gelten. Mit dem Legitimationsniveau ist damit die Frage aufgeworfen, wie streng die Legitimationsvorgaben insgesamt für einen Akt der Verwaltung sind. Diese können im Einzelfall durch unterschiedliche Legitimationsmodi erreicht werden. Das eine ist weiterhin die Frage nach dem im Einzelfall erzielten Legitimationsniveau, das andere ist die Frage, wie hoch die „Soll-​Höhe“485 demokratischer Legitimation für eine wahrgenommene Aufgabe ist. Letzterem soll an dieser Stelle in abstrakter Maßstabsbildung mit erneutem Hinweis auf die Beschränkung auf die Verwaltung nachgegangen werden,486 ersteres ist notwendigerweise eine Einzelfallfrage und deshalb nicht abstrakt zu beantworten. 484

Classen, Demokratische Legitimation im offenen Rechtsstaat, 2009, S. 10. Begriff von Dederer, Korporative Staatsgewalt, 2004, S. 162. 486 Dass für jede der drei Gewalten ein anderes Regelniveau gilt, wurde bereits mit dem Verhältnis der personellen zur sachlich-​inhaltlichen und ihren Anteilen bei der Rechtfertigung 485

E. Legitimationsniveau

173

Verschiedene Kriterien zur Bestimmung des Legitimationsniveaus für das Verwaltungshandeln wurden in Literatur und Rechtsprechung entwickelt487 und sollen im Folgenden gewürdigt werden. 1. Keine Abstufung Die gewissermaßen einfachste, gleichsam die Möglichkeit der Bezeichnung als „Niveau“ aufhebende488 „Abstufung“ wäre darin zu sehen, für jede Entscheidung ungeachtet irgendwelcher Kriterien dasselbe Legitimationsniveau zu fordern. Das würde praktisch bedeuten, dass es einerseits der nach obigen Kriterien dargestellten sachlich-​inhaltlichen Legitimation bedürfe, und ebenfalls einer organisatorisch-​personellen Legitimation jedes Beteiligten an jeder Art von hoheitlichen Handlung oder Maßnahme. Es würde keinen Unterschied machen, ob die Verwaltung eine grundrechtsintensive Maßnahme erlässt, informell tätig wird, einen Vertrag mit einem Unternehmen schließt u. s. w. Das würde angesichts der Vielfalt hoheitlichen Tätigwerdens gewissermaßen einen Idealzustand ohne Abweichungsmöglichkeit einfordern.489 2. Abstufung nach Verwaltungsträgern Denkbar wäre auch, das Legitimationsniveau entsprechend dem handelnden Verwaltungsträger abzustufen. Maßnahmen der Selbstverwaltung könnten als weniger legitimationsbedürftig eingestuft werden als Maßnahmen der unmittelbaren Staatsverwaltung. Auch die Verzichtstheorie ginge in diese Richtung,490 indem sie für eine einfachgesetzlich errichtete Verwaltungseinheit den Verzicht auf Steuerungs-​und Kontrollmöglichkeiten nicht beanstandete, insoweit also ein niedrigeres Sollniveau der Legitimation für diese Einheiten anerkennt, unabhängig von der Entscheidung, die getroffen wird. In dieser Pauschalität wirft die Abstufung aber die Frage auf, warum geringere Legitimationsanforderungen gelten sollten, nur weil an Stelle der Ministerialverwaltung ein Selbstverwaltungsträger eingerichtet wird.491 Die verfassungsrecht-

eines Hoheitsaktes bei den verschiedenen Gewalten thematisiert und wird insoweit nicht weiter vertieft. 487 Im Überblick Minkner, Gerichtsverwaltung, 2015, S. 75 ff. 488 So auch Köller, Funktionale Selbstverwaltung und ihre demokratische Legitimation, 2009, S. 171. 489 So aber im Ergebnis Köller, Funktionale Selbstverwaltung und ihre demokratische Legitimation, 2009, S. 183; krit. Dreier, in: Dreier, GG, 3. Auflage 2015, Art. 20 (Demokratie), Rn. 114 f. 490 S. o. § 3 D. VI. 2. b) aa). 491 Classen, Demokratische Legitimation im offenen Rechtsstaat, 2009, S. 12.

174

§ 3 Demokratische Legitimation von Verwaltungsakten

liche Fundierung der Selbstverwaltung rechtfertigt das zumindest nicht unmittelbar. Letztlich hätte es in diesem Fall einer Verortung der Selbstverwaltung im Demokratieprinzip selbst gar nicht bedurft. Dies diente dazu, einen der organisatorisch-​personellen Legitimation gleichwertigen Legitimationsmodus, der den Grundsatz der Autonomie zur Geltung bringt, zu fundieren. Damit werden aber die Legitimationsanforderungen im Ergebnis nicht abgesenkt, es wird vielmehr ein anderer Legitimationsmodus zugelassen, gerade um die Legitimationsanforderungen erfüllen zu können. Eine Abstufung allein nach dem tätigen Verwaltungsträger greift damit zu kurz. 3. Abstufung nach der Art der wahrgenommenen Aufgabe Eine Abschichtung könnte nach der Art des Funktionsbereichs und zusätzlich nach der Art der wahrgenommenen Aufgabe vorgenommen werden. So muss nach dem BVerfG zunächst zwischen Aufgaben der Regierung und Aufgaben der Verwaltung unterschieden werden.492 Danach wird maßgeblich nach der Art der zu legitimierenden Entscheidungstätigkeit abgestuft.493 Beispielsweise könnten Aufgaben mit „besonders geringem Entscheidungsgehalt“ zu einer Entbehrlichkeit einzelner Legitimationselemente führen.494 Das bedeutet, dass nach Ansicht des BVerfG zunächst das erforderliche Legitimationsniveau der Verwaltung ein anderes sei als dasjenige der Regierung. Für die hier maßgebliche Verwaltungstätigkeit ließe sich wiederum nach der Art der wahrgenommenen Aufgabe differenzieren. Denkbar wäre demnach, dass ein „Verwaltungsakt“ als eine bestimmte Art von hoheitlicher Handlung angesehen wird – beispielsweise außenwirksame, rechtsverbindliche Entscheidungstätigkeit – und deshalb hierfür ein anderes Legitimationsniveau gilt als für informelles Verwaltungshandeln oder die Wahrnehmung von Mitentscheidungsbefugnissen. Das erneute Auftreten des Begriffs des „geringen Entscheidungsgehalts“ bedingt die bislang unklare dogmatische Verortung eines „Bagatellvorbehalts“ und ähnlicher Vorbehalte in der Judikatur des BVerfG.495 Weil eine derartige wertungsmäßige Herausnahme bestimmter Entscheidungstätigkeiten aus dem Legitimationserfordernis abgelehnt wurde, könnten die Formulierungen des Gerichts im Rahmen des Legitimationsniveaus nur insoweit fruchtbar gemacht werden, als zwar alle Entscheidungen, egal wie weitreichend oder „unwichtig“, dem Legitimationserfordernis unterliegen, aber die unterschiedlichen Arten hoheitlichen Tätigwerdens auch ein unterschiedliches Legitimationsniveau

492

BVerfGE 83, 60 (72); 93, 37 (67); im Anschluss Trute, in: GVwR I, 2. Auflage 2012, § 6 Rn. 57. 493 BVerfGE 135, 155 (222); 136, 194 (262). 494 BVerfGE 83, 60 (74); so auch Grzeszick, GS Brugger, 2013, 601 (608). 495 So auch Köller, Funktionale Selbstverwaltung und ihre demokratische Legitimation, 2009, S. 176 ff.

E. Legitimationsniveau

175

zu begründen vermögen. Eine derartige Abstufung wird vom BVerfG anhand der Grundrechtsbetroffenheit vorgenommen.496 4. Abstufung der demokratischen Stringenz Derart nach der Art der wahrgenommenen Aufgabe differenzierend ist die von Tettinger systematisierte Theorie der abgestuften Stringenz des Gebots demokratischer Legitimation.497 Dieser nimmt die damalige Judikatur des BVerfG sowie Aussagen von Böckenförde zum Anlass, nach den Aufgabendimensionen der Verwaltung zu differenzieren und entwickelt ein abgestruftes Stringenzgebot anhand dieser Aufgabendimensionen.498 Er unterscheidet zunächst nach der Aufgabenkategorie, Staatsnähe und spezifischen Eigenart der Aufgabenstellung.499 Hieran wird deutlich, dass beispielsweise der Frage nach der Legitimation der Wahrnehmung von Selbstverwaltungsaufgaben, die Tettinger unter dem Klassifizierungsmerkmal „Staatsnähe“ genauer untersucht, vollständig innerhalb des Legitimationsniveaus nachgegangen werden kann. Gegen diese Theorie wird eingewandt, dass sie ihrem Ergebnis nach einem Bagatellvorbehalt ähnlich sei500 und keine Stütze in der Verfassung finde.501 5. Abstufung nach Grundrechtsberührung Zunehmend wird die Bestimmung des erforderlichen Legitimationsniveaus anhand der „Wesentlichkeit“ vorgenommen, wobei diese nicht immer unmittelbar auf die Wesentlichkeitslehre des BVerfG bezogen wird.502 Das BVerfG selbst differenziert im Bereich des Legitimationsniveaus ausdrücklich danach, wie intensiv eine Entscheidung Grundrechte berührt. Je höher die Grundrechtsintensität, desto höher das erforderliche Legitimationsniveau.503 Das könnte letztlich zu einer 496

Sogl. Punkt 5 in diesem Unterabschnitt. S. Tettinger, Mitbestimmung in der Sparkasse und verfassungsrechtliches Demokratiegebot, 1986, S. 31 ff; dazu Köller, Funktionale Selbstverwaltung und ihre demokratische Legitimation, 2009, S. 182 ff.; Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 230 ff.; Grzeszick, GS Brugger, 2013, 601 (608). 498 Tettinger, Mitbestimmung in der Sparkasse und verfassungsrechtliches Demokratiegebot, 1986, S. 31 ff. 499 Tettinger, Mitbestimmung in der Sparkasse und verfassungsrechtliches Demokratiegebot, 1986, S. 32 ff. 500 Jestaedt, Der Staat Bd. 32 (1993), 29 (37). 501 Köller, Funktionale Selbstverwaltung und ihre demokratische Legitimation (2009), S. 183; s. auch Minkner, Gerichtsverwaltung (2015), S. 76 f. 502 So Dederer, Korporative Staatsgewalt (2004), S. 162; Kluth, Funktionale Selbstverwaltung (1997), S. 360; unklar Grzeszick, GS Brugger (2013) 601 (608); krit. Jestaedt, Der Staat Bd. 32, (1993), 29 (38 f.). 503 BVerfGE 130, 76 (124); 135, 155 (222); 136, 194 (262); 146, 164 (210). 497

176

§ 3 Demokratische Legitimation von Verwaltungsakten

Art „grundrechtlichem Bagatellvorbehalt“ führen, der wiederum teilweise abgelehnt wird.504 6. Stellungnahme Gegen die unbedingte Geltung der Anforderungen des Ministerialmodells könnte die im Hinblick auf die Selbstverwaltung mangelnde Begründbarkeit dieses Vorrangs sprechen. Durch den Legitimationsmodus der autonomen Legitimation wird allerdings auch im Bereich der Selbstverwaltung ein der Ministerialverwaltung gleichwertiges Legitimationsniveau erreicht, sodass jedenfalls mit auf der Selbstverwaltung fußender Argumentation ein nach Verwaltungsträgern abgestuftes Legitimationsniveau nicht angenommen werden kann. Andererseits besteht bei der Annahme eines einheitlichen Legitimationsniveaus stets die Gefahr der Schematisierung, die der Legitimationskettentheorie in der Vergangenheit wohl berechtigte Kritik eingebracht hat. Es ist nach wie vor nicht gelungen, sich auf eine Theorie zur Bestimmung des Legitimationsniveaus zu einigen.505 Das folgt nicht zuletzt daraus, dass sich die Figur des Legitimationsniveaus jedenfalls nicht unmittelbar aus der Verfassung ergibt. Eine Abstufung nach der Grundrechtsintensität einer Entscheidung scheint vorzugswürdiges, weil flexibles und gleichzeitig die Tragweite von Entscheidungen für jeden Verwaltungsträger gleich miteinbeziehendes Abgrenzungskriterium zu sein. Berechtigt ist die Anmerkung, dass nicht erst eine Grundrechtsbeeinträchtigung das Legitimationserfordernis auslöst. Die Frage des erforderlichen Legitimationsniveaus impliziert aber bereits, dass ein Legitimationserfordernis besteht. Eine Abgrenzung nach Grundrechtsintensität dient also nur der Bestimmung der Soll-​Intensität der Rückbindung. Im Zusammenhang damit, dass bei Grundrechtswesentlichkeit eine erhöhte legislative Steuerungsdichte zu fordern ist, ist die insgesamte Anhebung der Legitimationsanforderungen schlüssig. Für intensive Grundrechtsbeeinträchtigungen wird dann die volle demokratische Legitimation in jeweils stärkster Ausprägung des sachlich-​inhaltlichen Legitimationsmodus (intensive Steuerung, intensive Kontrolle)  und des organisatorisch-​personellen Legitimationsstrangs (Legitimation jedes die Endentscheidung mitprägenden Entscheidungsanteils sowie der Endentscheidung) gefordert. Demgegenüber können die Anforderungen bei geringerer Grundrechtsberührung tiefer liegen. Freilich besteht im Bereich der Verwaltung die Gesetzesbindung in jedem Fall, sodass bei Gewährleistung entsprechender Kontrolltätigkeiten jedenfalls die sachlich-​inhalt-

504

S. Jestaedt, Der Staat Bd. 32 (1993), 29 (38 f.). So auch der Befund von Trute, in: GVwR I, 2. Auflage 2012, § 6 Rn. 57; krit. deswegen Minkner, Gerichtsverwaltung, 2015, S. 75.

505

F. Gesamtergebnis

177

liche Rückbindung nicht entfällt. Im Ergebnis wird also keine Tätigkeit aus dem Erfordernis der Legitimation herausgenommen, es werden lediglich die Anforderungen flexibilisiert.

III. Zusammenfassendes Fazit Die organisatorisch-​personelle und sachlich-​inhaltliche Legitimation wirken grundsätzlich zur Legitimation der Entscheidung zusammen. Eine konzeptionelle Ersetzung des einen durch den anderen Legitimationsstrang ist nicht möglich. Allerdings kann im Einzelfall die Legitimation einer Handlung nur durch einen Legitimationsstrang in ausreichender Intensität gewährleistet sein. Darüber geben das legislative Normprogramm und das erforderliche Legitimationsniveau Aufschluss. Das erforderliche Legitimationsniveau kann anhand der Wesentlichkeit der Grundrechtsberührung einer hoheitlichen Handlung bestimmt werden.

F. Gesamtergebnis Die voranstehende Maßstabsbildung hat die Grundlagen der weiteren Untersuchung gelegt: Verallgemeinernd gesprochen wird dem monistischen Legitima­ tionskonzept gefolgt, sodass die Untersuchung auf den sachlich-​inhaltlichen und personellen Legitimationsmodus eingehen wird. Aufgrund der je nach Verwaltungsträger unterschiedlichen einzubeziehenden Legitimationsmodi wird sich im Folgenden auf die unmittelbare Staatsverwaltung konzentriert, sodass die personelle Legitimation in ihrer Gestalt als organisatorisch-​personelle Legitimation im Sinne des Kettenmodells zutage tritt. Die unmittelbare Staatsverwaltung kann modellhaft als Ausgangspunkt für Differenzierungen insbesondere im Bereich der personellen Legitimation herangezogen werden und bietet damit das höchste Potenzial, grundlegende Erkenntnisse über die demokratische Legitimation automatisierte erlassener Verwaltungsakte zu gewinnen. Die demokratische Legitimation im Sinne der Input-​Legitimation einer Verwaltungsentscheidung besteht aus zwei Elementen: Das eine Element, die sachlich-​inhaltliche Legitimation, fragt in abstraktem Sinn nach dem Nachvollzug einer Entscheidung des Gesetzgebers durch die Verwaltung. Es geht ihr um die Wahrung und Sicherstellung der Gesetzesbindung des Verwaltungshandelns aus Art. 20 Abs. 3 GG. Es wird davon ausgegangen, dass der Gesetzgeber das Verwaltungshandeln durch abstrakt-​generelle Normen steuert. Diese Steuerung wird durch parlamentarische und exekutive Kontrollmöglichkeiten abgesichert. Für die folgende Erörterung stellt sich die Frage, ob und wie weit die legislative Steuerung in Code abgebildet werden kann, wie also die Gesetzesbindung der Verwaltung gewahrt werden kann, wenn Automationssysteme zur Rechtsanwendung eingesetzt werden.

178

§ 3 Demokratische Legitimation von Verwaltungsakten

Das zweite Element der demokratischen Legitimation ist die organisatorisch-​ personelle Legitimation. Ihr geht es um die Rückbindung des Entscheiders an das Volk, erfordert also die Entscheidungsträgerschaft eines legitimierten Amtswalters. Es ist also trotz der legislativen Steuerung und gerade aufgrund ihrer Lückenhaftigkeit und möglicherweise Ergänzungsbedürftigkeit durch die Verwaltung nicht irrelevant, wer Verwaltungsentscheidungen trifft. Es muss sich vielmehr um einen demokratisch legitimierten Amtswalter handeln. Die Fragen, die sich im Hinblick auf den Einsatz von Automationssystemen stellen, lauten demnach: Wie kann die Entscheidungsträgerschaft eines legitimierten Amtswalters im Einzelfall sichergestellt werden, wenn Automationssysteme eingesetzt werden und mög­ licherweise gar keine Person mehr am Verwaltungsverfahren mitwirkt? Bedarf es zwingend des Tätigwerdens eines Amtswalters im Einzelfall, oder kann auch ein Automationssystem, das von der Verwaltung eingesetzt wurde, organisatorisch-​ personell legitimierte Entscheidungen hervorbringen?

G. Zusammenfassung Die Anforderungen demokratischer Legitimation ergeben sich aus einer rechtsdogmatischen Aufarbeitung des Gehalts des Art. 20 Abs. 2 GG. Das Legitimationssubjekt ist das „Volk“, mit welchem das deutsche Staatsvolk, also die Gesamtheit der die deutsche Staatsangehörigkeit besitzenden Bürgerinnen und Bürger gemeint ist. Der Begriff ist grundsätzlich nicht offen für alternative Definitionen, die beispiels­ weise an der Betroffenheit einer bestimmten Gruppe von Individuen anknüpfen. Legitimationsobjekt ist die „Ausübung von Staatsgewalt“, die als Wahrnehmung hoheitlicher Funktionen definiert wird. Nicht allein das Organ, das eine bestimmte Handlung oder Entscheidung vornimmt, sondern auch die Handlung oder Entscheidung als solche in der Gestalt, in der sie Geltung gegenüber dem Volk beansprucht, ist zu legitimieren. Der Begriff der „Entscheidung“ meint eine hoheitliche Handlung, die Geltung gegenüber dem Volk beansprucht. Damit eine Handlung legitimationsbedürftig ist, muss sie dem Staat zurechenbar sein. Ein Willenszusammenhang gibt innerhalb des bestehenden Legitimationserfordernisses Aufschluss darüber, welchem staatlichen Funktionsorgan die Handlung zuzuordnen ist. Hilfsmittel bei der Entscheidungsfindung sind dann als Teil einer Handlung zu legitimieren, wenn sie hierfür steuernde Kraft entfalten können. Ansonsten entfalten sie keinen Geltungsanspruch gegenüber dem Volk und sind damit nicht als Teil der Maßnahme der Legitimation bedürftig. Bagatellvorbehalte und sonstige Vorbehalte, die den Inhalt des Begriffs der Staatsgewalt aus Wertungsgründen einschränken, sind unzulässig. Die Legitimationsmodi sind Rückkopplungsmechanismen zur Bewirkung eines effektiven Legitimationszusammenhangs. Die funktionelle und institutionelle Legitimation ist eine abstrakte Legitimation funktionengegliederter Aufgabenwahrnehmung und damit der konkreten Entscheidungslegitimation vorgelagert. Sie ist

G. Zusammenfassung

179

notwendiger Bestandteil des Legitimationskonzepts, trifft jedoch keine Aussage über die Legitimation im Einzelfall. Die Legitimation der Entscheidung im Einzelfall wird aus einem Zusammenspiel sachlich-​inhaltlicher und organisatorisch-​ personeller Legitimation bewirkt. Die sachlich-​inhaltliche Legitimation des Verwaltungshandelns wird über die Bindung der Verwaltung an die Parlamentsgesetze als Steuerungsmittel sowie über Kontrollbefugnisse des Parlaments gegenüber der Regierung hergestellt. Sie wird verstärkt durch exekutive Steuerungs-​und Kontrollrechte, welche die Willensübereinstimmung der Regierung mit der Verwaltung und der übergeordneten mit der untergeordneten Verwaltung sicherstellen. Die personelle Legitimation des Parlaments begründet sein Recht und seine nach Kriterien der Wesentlichkeit bestehende Pflicht zur inhaltlichen Steuerung der Verwaltung. Sie wird, zur sachlich-​inhaltlichen Legitimation hinzutretend, als organisatorisch-​personelle Legitimation der Verwaltungsträger, die die inhaltlichen Entscheidungen des Parlaments nachvollziehen und konkretisieren, über eine Kette aus individuellen Einsetzungsakten in die nach Zuständigkeitsbereichen geordnete Verwaltung abgeleitet. Weil bei der Rechtsanwendung der Verwaltung Spielräume bestehen, ist zusätzlich zur personellen Legitimation des Parlaments eine organisatorisch-​personelle Legitimation der rechtsanwendenden Amtswalter erforderlich. Auf seine Steuerungs-​und Kontrollbefugnisse darf das Parlament nicht verzichten. Durch Verdichtung institutioneller Vorgaben für eine von der Ministerial­ verwaltung abweichende Verwaltungsorganisation kann es jedoch das Zusammenspiel der Legitimationsmodi graduell bestimmen und damit auch eine von Ministerialmodell abweichende Verwaltungsorganisation ermöglichen. Im Bereich der funktionalen Selbstverwaltung kann die organisatorisch-​personelle Legitimation mit einer autonomen Legitimation des Selbstverwaltungsträgers aufgewogen werden. Daneben bestehen für den Bereich der unmittelbaren Staatsverwaltung keine weiteren gleichrangigen Legitimationsmodi neben der sachlich-​ inhaltlichen und organisatorisch-​personellen Legitimation. Eine Substitution der Legitimationsstränge im Abstrakten ist nicht möglich, sie bestehen im Grundsatz nebeneinander. Allerdings kann das konkrete Zusammenspiel der Legitimationsmodi entsprechend der Dichte der Legislativvorgaben in Verbindung mit dem erforderlichen Legitimationsniveau so ausgestaltet sein, dass im Einzelfall nur ein Legitimationsmodus für die Legitimation der Entscheidung genügt. Das erforderliche Legitimationsniveau kann anhand der Grundrechtsintensität einer Entscheidung bestimmt werden.

§ 4 Legitimationsanforderungen an automatisiert erlassene Verwaltungsakte Nachdem im ersten Teil der Untersuchung auf die technischen Möglichkeiten eines automatisierten Erlasses von Verwaltungsakten eingegangen wurde und im zweiten Teil die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die demokratische Legitimation eines Verwaltungsakts entfaltet wurden, soll es in diesem Teil der Untersuchung um eine Konkretisierung der Anforderungen demokratischer Legitimation an automatisiert erlassene Verwaltungsakte unterschiedlicher technischer Gestaltung gehen.

A. Automatisiert erlassene Verwaltungsakte – Staatsgewalt i. S. v. Art. 20 Abs. 2 GG? Bei der Verwendung von Automationssystemen zum Erlass von Verwaltungsakten muss es sich um ein „Ausüben von Staatsgewalt“ handeln, Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG. Für die Legitimationsbedürftigkeit eines hoheitlichen Aktes ist allein die Zurechnung zum Staat, für die eines automatisiert erlassenen Verwaltungsaktes die Zurechnung gerade zur Verwaltung erforderlich.1 Auch stellt sich die Frage, ob bestimmte Programmgestaltungen mangels Steuerungswirkung aus der Betrachtung ausscheiden.2

I. Zurechnung zur Verwaltung Kann eine Zurechnung zur Verwaltung nicht bewirkt werden, entfällt die Legitimationsbedürftigkeit des automatisierten Vorgangs nach den für den Verwaltungsakt geltenden Anforderungen.3 Legitimationsbedürftig bliebe jedenfalls das einprogrammierte abstrakt-​generelle Gesetz; eine Legitimationsbedürftigkeit nach den Anforderungen für Akte der Legislative wäre die Folge.4 Es entfiele gleich 1

S. § 3 C. III. 4. S. § 3 C. IV. 2. 3 Den Zusammenhang der allgemeinen Zurechnungsdiskussion zur demokratischen Legitimation thematisieren Ziekow, NVwZ 2018, 1169 (1170 f.) und Polomski, Der automatisierte Verwaltungsakt, 1993, S. 75 m. w. N. 4 S. bereits § 3 C. III. 3. c).; auf die Frage hinweisend, ob es sich bei einer Übersetzung des Normtexts in Programmcode damit um Rechtsetzung handelt – mit der notwendigen Konsequenz, dass deren Legitimationsanforderungen gelten – Zeidler, DVBl. 1961, 493 (494); explizites Aufwerfen der Legitimationsfrage von Goebel / ​Schmalz, CR 1986, 510 (515, These 6). 2

A. Automatisiert erlassene Verwaltungsakte 

181

sam die Verwaltungsaktqualität der Maßnahme.5 Im Folgenden wird untersucht, ob eine Zurechenbarkeit zur Verwaltung bei der Verwendung der verschiedenen Systemtechnologien zum automatisierten Verwaltungsakterlass gegeben ist. Dafür wird zunächst an das Zurechnungskriterium erinnert und dieses auf die verschiedenen Systemtechnologien angewendet. 1. Kriterium: Willenszusammenhang Für eine Legitimationsbedürftigkeit des automatisierten Vorgangs nach den für die Verwaltung geltenden Anforderungen ist ein Willenszusammenhang zur Verwaltung erforderlich.6 Es ist nicht erforderlich, dass der Wille der Verwaltung die konkreten Folgen ihres Handelns umfasst, weil der Wille nicht legitimationsbedürftiges Moment ist, sondern das Handeln.7 Ein Willenszusammenhang dient nur dem Auslösen des Legitimationserfordernisses nach funktionsspezifischen Anforderungen.8 Liegt also ein Willenszusammenhang zur Verwaltung vor, richtet sich das Legitimationserfordernis nach den für die Verwaltung geltenden Anforderungen der Legitimation. Liegt er nicht vor, liegt gleichwohl eine legitimationsbedürftige Tätigkeit des Staates vor, diese lässt sich jedoch nur dann der Verwaltung zuordnen, wenn diese an irgendeiner Stelle dazu Anlass gegeben hat, indem sie selbst, und nicht ein anderes Funktionsorgan des Staates, hoheitlich tätig wurde. 2. Regelbasierte Systeme Regelbasierte Systeme wurden als solche verstanden, die deduktiv in händischer Abstraktion von Programmierern erstellt werden.9 Deshalb wird für regelbasierte Systemtechnologien vertreten, dass jeder Schritt des Programms „vorgedacht“, das 5 So die Konsequenz der These von Zeidler, Technisierung der Verwaltung, 1959, S. 14 ff.; das im Hinblick auf das Legitimationserfordernis untersuchend Bull, Verwaltung durch Maschinen, 2. Auflage 1964, S. 64. 6 S. § 3 C. III. 4.; so schon Degrandi, Die automatisierte Verwaltungsverfügung, 1977, S. 11; Bull, Verwaltung durch Maschinen, 2. Auflage 1964, S. 62 ff., freilich den technischen Entwicklungen zu dieser Zeit entsprechend nur für regelbasierte, wenig komplexe Systeme ohne lernende Komponente (nachvollziehbar bei Bull, Verwaltung durch Maschinen, 2. Auflage 1964, S. 69 – gerade der dort als (noch) nicht beachtenswert eingestufte Entwicklungsstand ist eingetreten, sodass die Zurechnungsmöglichkeit auch für diese Automationssysteme zu klären ist. 7 S. § 3 C. III. 3. a) bis c).; ähnlich Bull, Verwaltung durch Maschinen, 2. Auflage 1964, S. 67: „Der Staatsakt muss in dem eben erläuterten Sinne auf den (…) Willen (…) der öffent­ lichen Verwaltung zurückgehen, aber der Wille ist nicht rechtserzeugende Tatsache“, Hervorh. d. Verf.; ähnlich Stelkens, in: Stelkens / ​Bonk / ​Sachs, VwVfG, 9. Auflage 2018, § 35 a Rn. 28 und Polomski, Der automatisierte Verwaltungsakt, 1993, S. 90. 8 S. § 3 C. III. 3. c). 9 § 2 A. IV. 4. a), zu den Gestaltungsoptionen § 2 C. II.

182

§ 4 Legitimationsanforderungen an automatisiert erlassene Verwaltungsakte 

Problemlösungskonzept des Einzelfalls also antizipiert sei, und die Rechtsanwendung im Einzelfall entsprechend vollständig determiniert sei.10 a) Zeidlers These vom Verwaltungsfabrikat Nach der frühen These von Zeidler genügt die „sklavisch genaue“11 Programmie­ rung des Problemlösungskonzepts durch die Verwaltung12 nicht, um eine Zu­ rechnung zur Verwaltung zu bewirken.13 Aufgrund der verbleibenden Fehleranfälligkeit der Automationssysteme14 liege nicht notwendigerweise ein Gleichlauf mit dem Willen der Verwaltung vor. Zeidler geht also davon aus, dass für die Bewirkung der Zurechnung der Wille der Behörde das konkrete Rechtsanwendungsergebnis erfassen muss,15 weil ansonsten unbeachtlich wäre, ob das Automationssystem als Rechtsanwendungsergebnis ein fehlerhaftes, nicht vom Willen der Behörde getragenes Ergebnis erzielen kann. Weiterhin geht Zeidler davon aus, dass nur mensch­liche Handlungen überhaupt auf ihre Rechtmäßigkeit hin überprüft werden können.16 Der automatisiert erlassene Verwaltungsakt sei damit kein Verwaltungsakt, sondern ein rechtlich unerheblicher technischer Vorgang.17 Zeidler käme vergleichbar mit Jestaedt zu dem Ergebnis, dass ein automatisiert erlassener Verwaltungsakt keine Ausübung von Staatsgewalt durch die Verwaltung darstelle.18 Das Gesetz, das der Programmierung zugrunde liegt, wäre als auf einen Willensakt der Legislative zurückgehendes Moment jedoch legitimationsbedürftig.19

10

Braun Binder, NVwZ 2016, 960 (963); Polomski, Der automatisierte Verwaltungsakt, 1993, S. 79; Bull, Verwaltung durch Maschinen, 2. Auflage 1964, S. 69; Haft, Elektronische Datenverarbeitung im Recht, 1970, S. 65. 11 Bull, Verwaltung durch Maschinen, 2. Auflage 1964, S. 69. 12 Auf die Verschärfung des Problems bei der Erstellung des Codes durch Privatfirmen weist Zeidler in DVBl. 1961, 493 (493, Entgegnungspunkt 2), nur unter Anderem hin, die übrigen Entgegnungspunkte gelten also auch für von der Verwaltung selbst erstellte Programmcodes. 13 Zeidler, Technisierung der Verwaltung, 1959, S. 15 ff.; auf S. 16 nennt Zeidler als Beispiel Lichtzeichenanlagen, die zu dieser Zeit jedenfalls durch regelbasierte Programmierung vorgegeben war, und bezeichnet die Automatisierung gleichwohl als „vom Willen des in der Verwaltung tätigen Menschen unabhängig“. Er geht davon aus, dass deshalb kein Verwaltungsakt im konventionellen Sinn vorliege. 14 Zeidler, DVBl. 1961, 493 (493). 15 Selbe Einschätzung bei Bull, Verwaltung durch Maschinen, 2. Auflage 1964, S. 67. 16 Zeidler, Technisierung der Verwaltung, 1959, S. 6 und 24. 17 „Verwaltungsfabrikat“, s. Zeidler, Technisierung der Verwaltung, 1959, S. 18 und 24; dazu Bull, Verwaltung durch Maschinen, 2. Auflage 1964, S. 64; zu den Folgen dieser Auffassung Stegmüller, NVwZ 2018, 353 (355). 18 S. die Formulierung bei Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 285 f., s. dazu bereits § 3 C. III. 3. a) ff.; sowie Zeidler, Technisierung der Verwaltung, 1959, S. 16 und 24; ders., DVBl. 1961, 493 (493). 19 Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 259.

A. Automatisiert erlassene Verwaltungsakte 

183

b) Kritik Zeidlers These wird heute überwiegend abgelehnt.20 Das Abstellen auf eine Willensbetätigung im Einzelfall wird als für das öffentliche Recht unpassende Übertragung der zivilrechtlichen Willenstheorie gewertet.21 Die Zurechnung könne aufgrund der vollständigen Antizipation der Problemlösung in der Programmierung auf den Zeitpunkt der Programmierung vorverlagert werden.22 Nicht das Ergebnis der maschinellen Tätigkeit müsse zugerechnet werden, sondern lediglich die Programmerstellung als das Rechtsanwendungsergebnis eindeutig determinierende Handlung. Schließlich könne die Maschine „bei fehlerfreiem Betrieb nur „richtig“ rechnen“23. Andere wiederum stellen auf den abstrakten Verwendungswillen der Behörde ab.24 c) Stellungnahme Zeidler vermischt Zurechnungs-​mit Rechtsstaatlichkeits-​und Legitimationsfragen.25 Die Zurechnung antwortet auf die Frage, ob eine legitimationsbedürftige Tätigkeit der Verwaltung vorliegt, womit die Frage nach der Legitimation nicht beantwortet, sondern eröffnet ist. Auch ist mit der Frage der Zurechenbarkeit nicht die Frage der Rechtmäßigkeit beantwortet.26 Das wird aber letztlich impliziert, wenn die möglicherweise fehlerhafte Rechentätigkeit in einem regelbasierten, also den Gesetzeswortlaut abbildenden Programm, als Problem der Zurechnung aufgefasst wird. 20

S. bereits die Kritik bei Bull, Verwaltung durch Maschinen, 2. Auflage 1964, S. 63 ff.; Luhmann, Recht und Automation in der öffentlichen Verwaltung, 1966, S. 30 ff. m. w. N.; Polom­ski, Der automatisierte Verwaltungsakt, 1993, S. 76 m. w. N., der auf S. 82 aber die Aktualität des Streits aufgrund technologischen Fortschritts annimmt; in Zeidlers Richtung wiederum aktuell Ziekow, NVwZ 2018, 1169 (1171). 21 So Bull, DVBl. 2017, 409 (415); Stegmüller, NVwZ 2018, 353 (355); so auch der ansonsten krit. Ziekow, NVwZ 2018, 1169 (1171); implizit Stelkens, in: Stelkens / ​Bonk / ​Sachs, VwVfG, 9. Auflage 2018, § 35  a Rn. 28, der an den im öffentlichen Recht geltenden Grundsatz der Selbstorganschaft erinnert; krit. Luhmann, Recht und Automation in der öffentlichen Verwaltung, 1966, S. 32 f. 22 Braun Binder, NVwZ 2016, 960 (963, Fn. 56 m. w. N.); Polomski, Der automatisierte Verwaltungsakt, 1993, S. 78 f. m. w. N.; Bull, Verwaltung durch Maschinen, 2. Auflage 1964, S. 70; Seer, StuW 2015, 325 (323); Auffassung des Gesetzgebers in BTDrucks. 18/8434, S. 120 (zu § 31 a SGB X) und S. 122 (wortgleich zu § 35 a VwVfG). 23 Bull, Verwaltung durch Maschinen, 2. Auflage 1964, S. 68; Degrandi, Die automatisierte Verwaltungsverfügung, 1977, S. 74. 24 Degrandi, Die automatisierte Verwaltungsverfügung, 1977, S. 74; Stegmüller, NVwZ 2018, 353 (355). 25 So auch Stelkens, in: Stelkens / ​Bonk / ​Sachs, VwVfG, 9. Auflage 2018, § 35 a Rn. 26; Bull, DVBl. 2018, 409 (415); ähnlich: Polomski, Der automatisierte Verwaltungsakt, 1993, S. 90 f. 26 So auch Stelkens, in: Stelkens / ​Bonk / ​Sachs, VwVfG, 9. Auflage 2018, § 35  a Rn. 28; ­Polomski, Der automatisierte Verwaltungsakt, 1993, S. 90; Bull, DVBl. 2017, 409 (415); Ritgen, in: Bauer et al., VwVfG und E-Government, 2. Auflage 2014, § 35 Rn. 56.

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§ 4 Legitimationsanforderungen an automatisiert erlassene Verwaltungsakte 

aa) Rechenfehler kein Zurechnungshindernis Es handelt sich bei einem Rechenfehler im Rahmen eines regelbasierten Systems um ein Problem der adäquaten Abbildung des Gesetzeswortlauts. Fehlerhafte maschinelle Rechtsanwendungsergebnisse sind nicht allein in technischer Hinsicht problematisch, sondern indizieren einen Programmierfehler der Behörde.27 Die (bei regelbasierten Systemen von Menschenhand vorgenommene) Programmierung kann jedenfalls auf ihre Rechtmäßigkeit überprüft werden.28 Rechtswidrige Programmierungen lassen aber nicht die Zurechnung entfallen,29 sonst wäre die Frage nach der Rechtmäßigkeit des hoheitlichen Handelns von vornherein obsolet, weil keine hoheitliche Tätigkeit mehr vorläge. Wird nicht auf den nach außen erkennbaren Willen der Behörde, sich ein maschinelles Rechtsanwendungsergebnis zurechnen zu lassen, abgestellt, würde in der Praxis der angefochtene automatisiert erlassene Verwaltungsakt als nicht zurechenbar verworfen. In allen übrigen Fällen würde er faktisch Geltung beanspruchen.30 Die Behörde hätte aber rechtlich nicht einmal die Möglichkeit, Automationssysteme einzusetzen, wenn sie ein in jeder Hinsicht rechtmäßiges Programm entworfen hätte, weil Rechenfehler trotzdem noch auftreten könnten31. Das Vorliegen von Staatsgewalt und ihre Legitimation sowie Gesetzmäßigkeit sind deshalb zu trennen. Es muss auch nicht auf die konkrete Programmierungshandlung abgestellt werden, die wiederum Aufschluss über die Gesetzeskonformität eines Programms, nicht die Zurechenbarkeit gibt. bb) Willenszusammenhänge Die Zurechnung einer regelbasiert automatisiert erlassenen Maßnahme zur Verwaltung kann einerseits konstruiert werden, indem auf die Programmierungshandlung der Verwaltung abgestellt wird, also auf den nach außen erkennbaren Willen der Verwaltung, Einzelfälle nach dem im Entwurf befindlichen antizipierten Problemlösungskonzept zu bearbeiten. Andererseits kann an die (abstraktere) Verwendungsabsicht eines bereits entworfenen Systems angeknüpft werden, also an den nach außen erkennbaren Willen der Behörde, ein Automationssystem zur Lösung von Einzelfällen im Rahmen ihrer Verwaltungstätigkeit einzusetzen –

27

Ähnliche Einschätzung bei Polomski, Der automatisierte Verwaltungsakt, 1993, S. 52. Zu den Grenzen der Überprüfbarkeit unten § 4 B. II. 3. b) – das ist aber letztlich eine nachgelagerte Frage. 29 In diese Richtung aber Guckelberger, VVDStRL Bd. 78 (2019), 253 (267 f.). 30 Ein ähnlicher Gedankengang findet sich bei Stegmüller, NVwZ 2018, 353 (355). 31 Das ist gerade die These von Zeidler, DVBl. 1961, 493 (493, Entgegnung 1); dass das die Automatisierung im Verwaltungsbereich erheblich behindern würde sieht Bull, Verwaltung durch Maschinen, 2. Auflage 1964, S. 64; selber Gedanke bei Polomski, Der automatisierte Verwaltungsakt, 1993, S. 81. 28

A. Automatisiert erlassene Verwaltungsakte 

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ohne willentlichen Bezug auf das Problemlösungskonzept.32 Beides erzeugt einen Willenszusammenhang gerade zur Verwaltung und löst ein Legitimationserfordernis des automatisiert erlassenen Verwaltungsakts im Einzelfall als Maßnahme der Verwaltung aus. 3. Fallbasierte Systeme Fallbasierte Systeme wurden als Automationssysteme verstanden, die ihr Problemlösungskonzept nicht aus händischer Abstraktion gewinnen, sondern durch statistische Auswertung von Fallmaterial in maschineller Abstraktion selbst erstellen.33 Folglich lässt sich hier mangels „gewillkürter“ Systemgestaltung nicht auf die Programmierungshandlung abstellen. a) Programmierungshandlung unbeachtlich Nach der vorstehenden Untersuchung bedarf es eines Abstellens auf die Programmierungshandlung nicht: Es geht an diesem Punkt allein um die Zurechnung eines Programms zur Verwaltung, nicht die Rechtmäßigkeit der Programmierung. Deshalb geht es noch nicht um die Frage des adäquaten, also die Gesetzesbindung der Verwaltung wahrenden Normvollzugs, sondern nur um die Frage, ob eine Wahrnehmung verwaltender Funktionen vorliegt. Es muss also nur ein irgendwie gearteter Willenszusammenhang zur Verwaltung bestehen, damit eine Maßnahme der Verwaltung vorliegt, kein Willenszusammenhang, der das konkrete Rechtsanwendungsergebnis betrifft.34 b) Willenszusammenhänge Auch bei fallbasierten Automationssystemen kann an den Verwendungswillen angeknüpft werden, also auf den Willen der Verwaltung, ein fallbasiertes System zur Erfüllung ihrer Funktion einzusetzen. Auf die einzelnen Problemlösungsschritte bezieht sich der behördliche Wille freilich nicht.35 Das ist auch nicht erforderlich. Die Verwendung eines Automationssystems durch die Verwaltung ist unabhängig vom technischen Problemlösungskonzept in ihrem Ursprung rück 32

Wird ein Programm nicht vom Gesetzgeber, sondern von einem nichtlegitimierten Organ und gänzlich ohne Beteiligung der Verwaltung entworfen und von ihr eingesetzt, kann das jedoch einen Mangel der legitimierten Entscheidungsträgerschaft begründen, was die organisatorisch-​personelle Legitimation des Verwaltungsakts entfallen ließe – dazu § 4 C. III. 1. b) bb). 33 S. § 2 A. IV. 4. b) und C. III. 34 S. o. § 4 A. I. 1. Und 2. b) und c). 35 Ähnlich: Polomski, Der automatisierte Verwaltungsakt, 1993, S. 90 f.

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§ 4 Legitimationsanforderungen an automatisiert erlassene Verwaltungsakte 

führbar auf die Verwaltung.36 Zusätzlich kann auf eine behördliche Auswahl des Datenmaterials abgestellt werden, also auf den abstrakten Willen der Verwaltung, aus den ausgewählten Textdokumenten o.Ä. ein Problemlösungskonzept zu erstellen, mit welchem Folgefälle bearbeitet werden. Daneben kann auf eine behördliche Auswahl des verwendeten Klassifizierungsverfahrens abgestellt werden. c) Sonderfall lernende Systeme? Wird dem fallbasierten System eine aktiv lernende Komponente beigefügt, sodass sich der Algorithmus mit der Zeit veränderten Umständen anpasst, wird der Zurechnungszusammenhang „(noch) weniger eindeutig und mittelbarer“37. Das ändert jedoch nichts an der Zurechenbarkeit des Systems über den nach außen erkennbaren Verwendungswillen der Verwaltung, weil es auf einen Willenszusammenhang zu den konkreten Problemlösungsschritten oder zu ihrem Zustandekommen nicht ankommt.38 4. Hybride Systeme Für hybride Systeme, welche also regelbasiertes mit fallbasiertem Schließen verbinden, gilt nichts anderes. Der erforderliche Willenszusammenhang ist über einen Verwendungswillen der Verwaltung jedenfalls vorhanden.39 Weitere qualitative Merkmale sind im Rahmen der Zurechnung zur Eröffnung des Legitimations­ erfordernisses nach den für die Verwaltung geltenden Anforderungen nicht zu berücksichtigen. 5. Ergebnis Ungeachtet der Problemlösungsstruktur eines Automationssystems kann der Zurechnungszusammenhang zur Verwaltung, der ein verwaltungsspezifisches Legitimationserfordernis auslöst, über den Verwendungswillen der jeweiligen Verwaltungsbehörde konstruiert werden. Daneben bestehen je nach Systemarchitektur und Beteiligung der Behörde bei der Programmierung weitere mögliche Anknüp 36

So auch Bull, DVBl. 2017, 409 (410); Stegmüller, NVwZ 2018, 353 (355); Wischmeyer, AöR Bd. 143 (2018), 1 (38); Polomski, Der automatisierte Verwaltungsakt, 1993, S. 87 f. 37 Wischmeyer, AöR Bd. 143 (2018), 1 (36); jedenfalls „andere“ Zurechnungsfragen sieht Ernst, JZ 2017, 1026 (1027). 38 A. A. Polomski, Der automatisierte Verwaltungsakt, 1993, S. 101, der letztlich aufgrund mangelnder Steuerungs-​und Kontrollmöglichkeiten auf die Zurechnung rückschließt. 39 Polomski, Der automatisierte Verwaltungsakt, 1993, S. 89 f., der sich auf wissensbasierte Expertensysteme mit statistischen und lernenden Problemlösungskomponenten bezieht; das wurde in dieser Untersuchung unter den Begriff des hybriden Systems gefasst.

A. Automatisiert erlassene Verwaltungsakte 

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fungspunkte für Willenszusammenhänge, die eine Zurechnung des automatisiert erstellten Bescheids gerade zur Verwaltung bewirken. Ob regelbasierte, fallbasierte oder hybride Systemtechnologien eingesetzt werden, ist für die Zurechnungsfrage und damit das Legitimationserfordernis nach den für die Verwaltung geltenden Anforderungen ebenso unbeachtlich wie die Frage, ob ein selbstlernendes System vorliegt. Jedes Automationssystem, das willentlich von der Verwaltung zum automatisierten Erlass eines Verwaltungsakts eingesetzt wird, unterliegt den für die Verwaltung geltenden Anforderungen an die demokratische Legitimation ihres Handelns. Auf eine Willensbildung der Verwaltung im Einzelfall kommt es nicht an, es genügt ein abstrakter Willenszusammenhang zur Verwaltung, der beispielsweise im nach außen erkennbaren Willen zur Verwendung eines Automationssystems zum Ausdruck kommen kann. Besteht kein Willenszusammenhang zur Verwaltung, entfällt nicht die Legitimationsbedürftigkeit als solche – das Legitimationserfordernis besteht in diesem Fall nach den für die Legislative geltenden Anforderungen der Legitimation und erfordert den Entwurf des Programms durch das Parlament.40

II. Umfang des Legitimationserfordernisses Die Ausübung von Staatsgewalt bedarf in der Form der Legitimation, in der sie Geltung gegenüber dem Volk beansprucht, also Regelungswirkung entfaltet.41 Entfaltet eine der Verwaltung zurechenbare Handlung Regelungswirkung als Verwaltungsakt, ist sie nach den Anforderungen für Verwaltungsakte zu legitimieren. Entfaltet sie darüber hinaus auch anderweitig Regelungswirkung, ist diese wiederum nach eigenen Anforderungen zu legitimieren. Hier geht es allein um die Anforderungen an automatisiert erlassene Verwaltungsakte. Weil bestimmte Entscheidungsunterstützungshandlungen und -systeme deshalb aus dem Legitimationserfordernis gerade für die Handlungsform des Verwaltungsakts ausscheiden könnten,42 muss abgegrenzt werden, ab wann der Einsatz eines Automationssystems zum Erlass eines Verwaltungsakts nach seinen Anforderungen legitimationsbedürftig ist und wann es sich um eine Mitwirkung handelt, die nicht als Teil des Verwaltungsakts, sondern nach spezifisch für diese abweichende Handlungsform geltenden Anforderungen legitimiert werden muss.

40 Der Einsatz eines gesetzesvollziehenden Programms durch die Legislative könnte einen Verstoß gegen den Grundsatz der Gewaltenteilung durch Verletzung des verwaltungseigenen Kernbereichs begründen. Ein Legitimationsproblem ergäbe sich freilich nicht. 41 S. § 3 C. III. 4. 42 Siehe § 3 C. IV.

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§ 4 Legitimationsanforderungen an automatisiert erlassene Verwaltungsakte 

1. Kriterium: Steuerungswirkung Die automatisierte Bearbeitung ist nur nach den Anforderungen für die jeweilige Entscheidungsform legitimationsbedürftig, soweit sie das konkrete Entscheidungsergebnis steuert.43 Es kann also auch technische Funktionsweisen geben, die nicht in das Legitimationsbedürfnis des Verwaltungsakts miteinbezogen werden, weil die Herrschaftsausübung als Verwaltungsakt durch sie nicht (mit)gesteuert wird. Sobald ein maschineller Vorgang die Ausübung von Herrschaftsbefugnissen „inhaltlich präjudiziert“44 und so Steuerungswirkung für das spezifische Verwaltungshandeln entfaltet, muss er als Teil dieses Handelns legitimiert werden. Drucker entfalten beispielsweise keine inhaltliche Steuerungswirkung im Hinblick auf den ausgedruckten Bescheid, sodass ihre Tätigkeit nicht Teil der Maßnahme wird und deren Legitimationserfordernis unterliegt.45 Freilich müsste gegebenenfalls die Entscheidung über den Einsatz des Druckers, soweit sie an irgendeinem Punkt mittelbar oder unmittelbar Geltung gegenüber dem Betroffenen beansprucht, legitimiert werden, dann aber unter spezifischen Legitimationsanforderungen, also insbesondere mit möglicherweise anderem Soll-​Niveau der Legitimation als im Bereich eines Verwaltungsakts. 2. Ausscheiden von hilfsweise automatisierenden Systemen? Jedenfalls die bislang üblichen Formen der Automatisierung könnten nicht dem Legitimationserfordernis für Verwaltungsakte unterliegen, weil es sich lediglich um rechtlich unerhebliche Hilfsfunktionen ähnlich Druckern oder Faxgeräten handeln könnte.46 Regelbasierte Systeme, die nur Arithmetik-​und Syntaxprogrammierung enthalten und im Übrigen auf die Einspeisung der Wahrheitswerte durch Menschen angewiesen sind, könnten letztlich so behandelt werden wie ein Drucker, der lediglich die bereits getroffene Entscheidung nachvollzieht, dessen Tätigkeit also über das Legitimationserfordernis der die Entscheidung inhaltlich prägenden Steuerungsmittel bereits abgedeckt ist. Dass „teilautomatisierende“ Systeme nur „Hilfsfunktionen“ wahrnehmen, wird letztlich durch die Subsumtion dieser Systeme unter die Begrifflichkeit „mit Hilfe automatischer Einrichtungen erlassen“ nahegelegt.47

43

Siehe § 3 C. IV. 2. Dederer, Korporative Staatsgewalt, 2004, S. 23; s. auch § 3 C. IV. 2. 45 So wohl auch Böckenförde, in: HStR II, 3. Auflage 2004, § 24 Rn. 13 für „technisch-​instrumentelle Verrichtungen“; deutlich Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 261. 46 § 3 C IV. 2. 47 S. dazu Stelkens, in: Stelkens / ​Bonk / ​Sachs, VwVfG, 9. Auflage 2018, § 35 a Rn. 19; unter Hinweis auf die Gesetzgebungsmaterialien, die auch die automatisierte Subsumtion als erfasst ansehen Polomski, Der automatisierte Verwaltungsakt, 1993, S. 131; im Einzelnen § 5 B. I. 1. 44

A. Automatisiert erlassene Verwaltungsakte 

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a) Elektronischer vs. automatisierter hilfsweiser Technikeinsatz Zunächst muss untersucht werden, ob die Unterscheidung in „elektronische“ und „mit Hilfe automatischer Einrichtungen erlassene“ Verwaltungsakte Rückschlüsse auf die Steuerungswirkung des hilfsweisen Technikeinsatzes zulässt. aa) Elektronische, kommunikative Hilfsmittel Drucker, Faxgeräte und ähnliche technische Vorrichtungen, die als Hilfsmittel zur Verwaltungsaktbekanntgabe, also zu Kommunikationszwecken eingesetzt werden, können unter dem Begriff der „elektronischen“ Hilfsmittel zusammengefasst werden. Sie sind von der Funktionsweise des Nachvollzugs des analogen Verwaltungsakterlasses gekennzeichnet.48 Auch ein händisch abgefasster, eingescannter und auf einem Datenträger abgespeicherter Bescheid, der sodann elektronisch bekannt gegeben wird, erfüllt dieses Kriterium.49 Der Einsatz von Technik betrifft in diesem Fall nicht den Inhalt des Verwaltungsakts, sondern unterstützt die Kommunikation seines Inhalts. Er entfaltet keine Steuerungswirkung für die Herrschaftsausübung, sondern betrifft den Zeitpunkt, in welchem die Herrschaftsausübung bereits inhaltlich abgeschlossen ist und ihr Ergebnis kommuniziert wird. bb) Automatisierende Hilfsmittel Automatisierung im Bereich des Erlasses eines Verwaltungsakts meint nun aber die Ersetzung menschlicher Tätigkeit bei der Erstellung des Inhalts des Verwaltungsakts, nicht allein bei der Kommunikation seines Inhalts.50 Diese Ersetzung menschlicher Rechtsanwendung kann unterschiedliche Gestalt und Intensität annehmen. Ob ein automatisierter Verwaltungsakterlass, im Gegensatz zur elektronischen Bekanntgabe, Steuerungswirkung entfaltet, lässt sich deshalb nicht im Wege einer Qualifizierung des Systems als „Hilfsfunktion“ beantworten, weil es sich bei der kommunikativen im Gegensatz zur automatisierten Hilfsfunktion um Unterstützung unterschiedlicher Qualität handelt.51 Vielmehr müssen die einzelnen Automatisierungsgrade und technischen Gestaltungsmöglichkeiten auf ihre Steuerungswirkung für die Herrschaftsausübung untersucht werden. 48

In Bezug auf die Aktenführung genauso Hohmann, in: Rechtsfragen digitaler Transformationen, 2018, 857 (861 ff., 869); ähnlich Prell, NVwZ 2018, 1255 (1257). 49 So auch Luthe, SGb 2017, 250 (252); Polomski, Der automatisierte Verwaltungsakt, 1993, S. 187 f. 50 S. § 2 A. sowie Polomski, Der automatisierte Verwaltungsakt, 1993, S. 23 f. 51 S. in diesem Zusammenhang schon die frühen Überlegungen von Zeidler zur „Verwaltungsintensität“ einer Automatisierung, der „elektronische“ und „automatisierte“ Hilfsfunktionen nach dem Kriterium der „Nähe zur Entscheidung“ beurteilt: ders., Technisierung der Verwaltung, 1959, S. 12.

190

§ 4 Legitimationsanforderungen an automatisiert erlassene Verwaltungsakte 

b) Ergebnis Die Einteilung in „elektronische“ und „mit Hilfe automatischer Einrichtungen erlassene“ Verwaltungsakte lässt bedingt Rückschlüsse auf eine Steuerungswirkung zu: Elektronische Hilfsfunktionen dienen Kommunikationszwecken und sind damit dem Steuerungsvorgang nachgelagert. Automatisierungen müssen in ihrer Steuerungswirkung differenziert betrachtet werden, je nachdem, welcher Teil des Verwaltungsakterlasses automatisiert wird. 3. Steuerungswirkung von Syntax-​und Arithmetikprogrammierung Zunächst sollen Automationssysteme untersucht werden, die auf eine händische oder datenbankgestützte Wahrheitswert-​oder Zahlenzuordnung angewiesen sind, das Programm dagegen nur die syntaktischen Verknüpfungen oder Berechnungsmodi vorgibt. a) Automatisierung auf Steuerung angelegt Automatisierende Systeme, die syntaktische oder arithmetische Zeichen auf händisch eingespeiste Wahrheitswerte oder Zahlen anwenden, entfalten unmittelbare Steuerungswirkung für die Herrschaftsausübung: Die Einspeisung der einzelnen Werte bezieht sich nicht darauf, wie mit ihnen umzugehen ist. Das ergibt sich erst und unmittelbar aus dem Programm, das auf die Werte angewendet wird und aus ihnen eine Maßnahme mit Regelungswirkung erstellt. Das Entscheidungsergebnis wird deshalb auch von einem System der Syntax-​und Arithmetikprogrammierung inhaltlich präjudiziert, weil die einzelne Maßnahme in ihrem Inhalt ohne das Programm nicht entstünde. Der Inhalt des Verwaltungsakts ergibt sich erst aus der programmatischen Verknüpfung der relevanten Werte, die die Rechtsfolge ergeben. Würde der Nutzer Daten in ein Automationssystem einspeisen, ohne dass hinter der Eingabemaske ein Programm stünde, das die eingespeisten Daten in einer bestimmten Weise verarbeitet, käme keine Verfügung zustande. Je nachdem, welche Verarbeitungsschritte programmiert sind, verändert sich auch die Datenverarbeitung, die letztlich das Ausüben hoheitlicher Funktionen darstellt. Auch Syntaxprogrammierung oder Arithmetik entfalten damit Steuerungswirkung. Die Systeme sind gewissermaßen auf eine Steuerungswirkung gerade angelegt, indem sie die Verarbeitung der eingespeisten Daten zur Verfügung bezwecken.

A. Automatisiert erlassene Verwaltungsakte 

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b) Programm und Legislativvorgabe nicht deckungsgleich Die Steuerungswirkung könnte allerdings im Hinblick darauf vernachlässigt werden, dass sich die Steuerungswirkung bereits vollständig aus dem Gesetz ergebe, der technische Nachvollzug also unbeachtlich sei.52 Das führt aber nicht weiter: Zunächst ist auch das Gesetz legitimationsbedürftig, sodass das Legitimationserfordernis ohnehin nicht entfiele, sondern sich auf die Legislative verlagerte. Maßgeblich ist aber, dass das Programm – jedenfalls im hier betrachteten Fall, in welchem ein Willenszusammenhang zur Verwaltung gegeben ist – gerade nicht identisch mit dem natürlichsprachlich formulierten Gesetz ist, sondern ein mehr oder weniger gelungenes formales Abbild der Rechtsnorm, zugleich und darüber hinaus aber auch eine „formale Arbeitsanweisung“53 der Verwaltung darstellt. Im Vollzug des Gesetzes wird teilweise eine Konkretisierungsleistung erbracht, die über das Gesetz hinausgeht.54 Das bedeutet, dass die Synonymisierung von Programm und Gesetz schon voraussetzt, dass das Gesetz richtig implementiert wurde und den konkret-​individuellen Sachverhalt umfassend regelt. Das ist aber eine Frage, auf die erst die Prüfung der Programmierung im Hinblick auf das zu programmierende Gesetz Aufschluss geben kann. Die Steuerungswirkung von vornherein zu verneinen, hieße die Identität von Programm und Gesetz voraussetzen, bevor sie festgestellt wurde. c) Fazit Teilweise Automatisierungen zur Normanwendung durch Programmierung von Syntax-​und Berechnungsmodi entfalten Steuerungswirkung für die Herrschaftsausübung und sind damit als Teil des Verwaltungshandelns in Form des Verwaltungsakts legitimationsbedürftig. 4. Steuerungswirkung bei automatisierter Merkmalserschließung Werden Merkmale eines Sachverhalts automatisiert festgestellt und die übrige Rechtsanwendung, also die Verknüpfung der geprüften Merkmale zur Rechtsfolge, händisch vorgenommen, kommt es darauf an, ob die automatisierte Feststellung des Merkmals selbst Steuerungswirkung bezüglich der Herrschaftsausübung aufweist oder nur faktischen Charakter hat. Die automatisierte Prüfung auslegungsbedürftiger, also nicht unmittelbar wahrheitsfähiger Rechtsbegriffe 52

S. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 259. Haft, Elektronische Datenverarbeitung im Recht, 1970, S. 66. 54 Diese über das Gesetz hinausgehende Konkretisierungsleistung ist aber nicht notwendigerweise ein „eigenständiges Willensbildungselement“, das Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 259 für erforderlich hält – s. dazu umfassend § 3 C. III. 3. 53

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§ 4 Legitimationsanforderungen an automatisiert erlassene Verwaltungsakte 

weist Steuerungswirkung auf, weil sie wiederum das das Entscheidungsergebnis präjudizierende Moment ist. Die Steuerungswirkung des Programms zu vernachlässigen, hieße wiederum zu implizieren, dass die maschinelle Auslegung gesetzes-​und methodenkonform ist und deshalb über die angewendeten Gesetze bereits vollständig legitimiert ist. Ebenso zeitigt die händische Prüfung eines auslegungsbedürftigen Merkmals Steuerungswirkung für die Herrschaftsausübung. Wird also beispielsweise die behördliche Entscheidungstätigkeit „vorbereitet“, indem alle auslegungsbedürftigen Merkmale bereits vorab geprüft werden, werden maßgebliche Entscheidungsteile vorab getroffen, sodass diese Vorentscheidung ebenfalls dem Legitimationserfordernis unterliegt, weil sie das – formal erst später durch Verknüpfung der Teilentscheidungen getroffene – Entscheidungsergebnis teilweise vorwegnimmt und damit steuert. Im Falle wahrheitsfähiger Merkmale wird mit einem von zwei Wahrheitswerten operiert. Die Herrschaftsausübung wird hier nicht von einem Programm gesteuert, sondern von der Faktenlage, die von einem Programm nicht verändert werden kann. Letztlich ist hier die Kommunikationsebene betroffen, nicht die Steuerungsebene. Die Faktenlage präjudiziert damit unabhängig von einem Programm und aus sich heraus das Entscheidungsergebnis, nicht aber die Herrschaftsausübung. Eine Steuerungswirkung liegt nicht vor. Bei automatisierter Merkmalserschließung kommt es folglich darauf an, ob das zu erschließende Merkmal auslegungsbedürftig oder von der Faktenlage bereits präjudiziert und damit vom maschinellen Vorgang nur wiedergegeben, nicht aber rechtlich transformiert wird. 5. Steuerungswirkung bei automatisierter Bearbeitung nach menschlicher Freischaltung Bei Systemen, die sowohl den Umgang mit Merkmalen als auch die Erfassung und Auslegung von Merkmalen automatisieren, ist der Anteil der inhaltlichen Präjudizierung gegenüber beispielsweise reiner Syntaxprogrammierung graduell erhöht.55 Bei einer Wahrheitswertzuordnung durch Datenbankzugriff verhält es sich ähnlich. Es wird also nicht nur vom Programm vorgegeben, wie mit einem Wahrheitswert zugeordneten Merkmalen umzugehen ist, sondern auch die Bewertung, ob ein Merkmal gegeben ist, automatisiert vorgenommen. In diesem Fall schlägt das Programm die konkretisierende Brücke zwischen Gesetz und Einzelfallregelung selbst, indem es algorithmische Regeln anwendet. Das Programm ist in diesem Fall das einzige Moment, das die staatliche Herrschafts-

55

So auch Schmitz / ​Prell, NVwZ 2016, 1273 (1274): „Der Übergang (…) ist fließend.“; ebenso Lazaratos, Rechtliche Auswirkungen der Verwaltungsautomation, 1990, S. 33; vgl. auch Bull, DVBl. 2017, 409 (410).

A. Automatisiert erlassene Verwaltungsakte 

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ausübung steuert. Auch hier liegt damit eine Steuerungswirkung des Verwaltungshandelns vor. 6. Keine Steuerungswirkung von Entscheidungsunterstützungssystemen Werden Automationssysteme nicht zum Zwecke des automatisierten Verwal­ tungsakterlasses eingesetzt, sondern beispielsweise zur Erstellung von Entscheidungsvorschlägen, die behördlichen Sachbearbeitern zur Verfügung gestellt werden, verändert sich das Ergebnis. Ein Unterstützungssystem, das teil-​oder vollautomatisiert einen Fall bearbeitet und eine Rechtsfolge empfiehlt, entfaltet Steuerungswirkung hinsichtlich der Empfehlung einer Maßnahme, nicht hinsichtlich der Maßnahme selbst. Der automatisierte Vorgang mag faktisch die Herrschaftsausübung betreffen, indem bestimmte Ergebnisse der Herrschaftsausübung in der Empfehlung favorisiert werden, er entfaltet aber keine rechtliche Steuerungswirkung im Sinne einer Präjudizierung der Herrschaftsausübung.56 An den automatisierten Vorgang wird keine Regelungswirkung geknüpft. Damit verlagert sich das Legitimationserfordernis auf denjenigen, der durch „menschlichen Knopfdruck“ die Regelungswirkung der Maßnahme bewirkt. Damit sind beispielsweise Entscheidungsunterstützungssysteme wie JURIS aus Gesichtspunkten der demokratischen Legitimation des Verwaltungsakts unproblematisch. Sie entfalten keine rechtliche57 Steuerungswirkung für den Verwaltungsakt, werden damit nicht Teil dieser Form staatlicher Machtausübung und unterliegen auch nicht dem Legitimationserfordernis des Verwaltungsakts. Dasselbe gilt für den Einsatz von Taschenrechnern: Das Berechnungsergebnis wird nicht un­ mittelbar Teil der Maßnahme, sondern erst über die Übernahme des „Berechnungsvorschlags“ des Taschenrechners durch einen Amtswalter. An diesem Beispiel wird freilich deutlich, welche Bedeutung auch rechtlich unerhebliche „Entscheidungsunterstützungen“ in der Realität haben können: Außer in Fällen offensichtlicher Fehlerhaftigkeit der Berechnung wird selten vom Berechnungsergebnis eines Taschenrechners abgewichen werden. Vielmehr wird üblicherweise vorausgesetzt, dass ein Berechnungsergebnis richtig ist, wenn keine Fehlermeldung erfolgt. Die Sachlage ist vergleichbar in Fällen, in welchen noch ein „menschlicher Knopfdruck“ im Einzelfall erforderlich ist, um einem maschinellen Rechtsanwendungsergebnis rechtliche Wirksamkeit zu verschaffen, sofern Dispositionsfreiheit besteht, ob der Knopf betätigt wird oder nicht. Das „Letztentscheidungsrecht“ 56 Deshalb Unterstützungssysteme aus der Betrachtung des automatisiert erstellten Verwaltungsakts ausscheidend: Polomski, Der automatisierte Verwaltungsakt, 1993, S. 63. 57 Das Problem der faktischen Entscheidungsbeeinflussung bleibt – dazu schon § 3 D. V. 3. b) cc) und Fadavian, in: (Un)berechenbar? Algorithmen und Automatisierung in Staat und Gesellschaft, 2018, 294 (303).

194

§ 4 Legitimationsanforderungen an automatisiert erlassene Verwaltungsakte 

eines Amtswalters ist damit ausschlaggebend dafür, ob ein Automationssystem Steuerungswirkung entfaltet, und damit als Teil der Handlung zu legitimieren ist. Gerade das Letztentscheidungsrecht eines Amtswalters führt zu einer Verortung der Entscheidungsträgerschaft (nur) beim Amtswalter,58 der wiederum willensfähig ist und damit auch von einem Entscheidungsvorschlag abweichen kann. Ob seine Abweichung von einem Vorschlag rechtmäßig ist, ist eine nachgelagerte Frage. 7. Ergebnis Bereits teilweise, wenig komplexe Automatisierungen, beispielsweise Syntax-​ und Arithmetikprogrammierungen, entfalten Steuerungswirkung bezüglich der Herrschaftsausübung und sind damit als Teil der konkreten Maßnahme legitimationsbedürftig. Entscheidend ist, dass ihnen nicht rein unterstützender, unverbindlicher Charakter zukommt. Komplexere Systeme wie Ontologien oder fallbasierte Systeme zur Merkmalserschließung unter Anwendung von Rechtsregeln entfalten ebenfalls Steuerungswirkung, weil sie die menschliche Würdigung eines Merkmals durch eine automatisierte Würdigung ersetzen und damit Teil der inhaltlichen Gestalt des Verwaltungsakts werden. Im Falle vollständiger Automatisierungen ist das Automationssystem das einzig vorhandene Moment im Rechtsanwendungsprozess, sodass sogar nur das Programm Steuerungswirkung zeitigen würde. Keine Steuerungswirkung entfalten Entscheidungsunterstützungssysteme. Sobald ein maschineller Entscheidungsvorschlag aus sich heraus keine verbindliche Wirkung zeitigt, sondern noch vom Willen eines Amtswalters abhängig ist, verlagert sich das Legitimationserfordernis auf das steuernde Moment, die Handlung des Amtswalters. Jedes Automationssystem, das eingesetzt wird, um Verwaltungsakte automatisiert zu erlassen, also nicht lediglich elektronisch die inhaltlich vollständig getroffene Entscheidung nachzuvollziehen, den Entscheidungsprozess zu unterstützen oder die Faktenlage unverändert wiederzugeben, ist in seiner Tätigkeit als Teil des Verwaltungsaktes zu legitimieren. Es steuert die Herrschaftsausübung, entfaltet damit unmittelbar Regelungswirkung und muss auf das Volk zurückgeführt werden.

III. Zusammenfassendes Fazit Der automatisiert erlassene Verwaltungsakt unterliegt nach den gleichen Kriterien dem Legitimationserfordernis wie der herkömmliche Verwaltungsakt. Der Unterschied beider Verfahrensorganisationen besteht darin, dass bei automatisierter Bearbeitung das ein Legitimationserfordernis nach spezifischen Anforderungen auslösende Moment (Willenszusammenhang) mit dem zu legitimierenden 58

S. § 3 D. V. 3. b) aa) und bb).

B. Sachlich-inhaltliche Legitimation 

195

Moment (Maßnahme) auseinanderfällt, während es bei menschlicher Bearbeitung theoretisch in der Willensbetätigung eines Amtswalters zusammenfällt. Der automatisiert erlassene Verwaltungsakt unterliegt unabhängig von seinem Zustandekommen durch regelbasierte, fallbasierte oder hybride Programmierung dem Legitimationserfordernis nach den verwaltungsspezifischen Legitimationsanforderungen, wenn ein Willenszusammenhang zur Verwaltung konstruiert werden kann. Ein derartiger Willenszusammenhang besteht jedenfalls im nach außen erkennbaren Verwendungswillen der jeweiligen Behörde, auch im Falle des Einsatzes selbstlernender Systeme. Es kommt nicht darauf an, ob ein teil-​oder vollautomatisierendes System eingesetzt wird. Das Kriterium der Steuerungswirkung bestimmt, inwieweit die Tätigkeit des Automationssystems zu legitimieren ist. Automationssysteme, die auf Syntax-​und Arithmetikprogrammierung mit händischer, formularmäßiger oder datenbankgestützter Wahrheitswert-​und Zahleneinspeisung aufbauen, unterliegen ebenso dem Legitimationserfordernis wie Automationssysteme, die Auslegungsergebnisse durch maschinelle Methoden selbst treffen. Keine Steuerungswirkung entfalten kommunikationstechnische Hilfsmittel, die der Erfassung und Kommunikation der Wirklichkeit oder des Entscheidungsergebnisses dienen, sowie Entscheidungsunterstützungs​systeme.

B. Sachlich-​inhaltliche Legitimation automatisierter Verwaltungsakte Die sachlich-​inhaltliche Legitimation eines Verwaltungsakts ergibt sich aus der Gesetzesbindung der Verwaltung bei seinem Erlass, Art. 20 Abs. 3 GG.59 Sie findet Ausprägung in der Steuerung durch Parlamentsgesetze, ihrer steuernden Verstärkung durch von legitimierten Amtswaltern erlassenen, das Parlamentsgesetz konkretisierenden Sachsteuerungen sowie jeweils korrespondierenden Kontrollmöglichkeiten.60

I. Reichweite der Legitimation durch parlamentsgesetzliche Zulassung Im Falle parlamentsgesetzlicher Zulassung könnte von einer unmittelbaren Legitimation automatisiert erlassener Verwaltungsakte auszugehen sein, weil der Gesetzgeber als dem Volk näherstehendes Organ befugt ist, für die Verwaltung verbindliche Sachentscheidungen, also auch die Entscheidung über die Einführung automatisierter Verfahren, zu treffen. 59 60

S. § 3 D. IV. 1. S. § 3 D. IV. 3. d).

196

§ 4 Legitimationsanforderungen an automatisiert erlassene Verwaltungsakte 

Zunächst soll darauf eingegangen werden, ob über eine Steuerungsbefugnis hinaus eine Pflicht des Gesetzgebers besteht, den automatisierten Verwaltungsakt­ erlass parlamentsgesetzlich zu regeln. Sodann werden die Auswirkungen parlamentsgesetzlicher Zulassung für die Legitimation des Verwaltungsakts konturiert. 1. Parlamentsvorbehalt Dass es einer Ermächtigungsnorm jedenfalls für belastende Verwaltungsakte bedarf, ergibt sich bereits aus dem Vorbehalt des Gesetzes. Es kann aber auch eine Regelungspflicht des Gesetzgebers hinsichtlich des „Wie“ einer Maßnahme nach dem Kriterium der Wesentlichkeit bestehen.61 Deshalb stellt sich die Frage, ob der automatisierte Verwaltungsakterlass als von händischer Bearbeitung abweichende Weise der Verwaltungsakterstellung grundsätzlich „wesentlich“ im Sinne der Wesentlichkeitslehre ist und damit eine eigenständige Steuerungspflicht des Parlaments begründet. Es könnte also aus der Wesentlichkeitslehre ein über einen Rechtssatzvorbehalt hinausgehender Parlamentsvorbehalt gerade für den automatisierten Erlass von Verwaltungsakten zu folgern sein. Erste Anforderung an ein Automationssystem im Bereich der öffentlichen Verwaltung wäre dann seine Zulassung durch ein Parlamentsgesetz.62 Ob aus der Wesentlichkeitslehre ein Parlamentsvorbehalt für automatisierte Verwaltungsverfahren folgt, wurde bereits in Teilen untersucht.63 Knapp soll erneut auf die Frage eingegangen werden. a) Automatisierte Bearbeitung nicht grundsätzlich wesentlich Jedes automatisierte Verfahren zum Erlass eines Verwaltungsakts könnte der parlamentsgesetzlichen Grundlage bedürfen, weil gerade der automatisierte Verwaltungsakterlass eine wesentliche Abweichung von der händischen Bearbeitung darstellen könnte. Es käme also darauf an, ob ein Automationssystem Recht in wesentlich anderer Weise anwendet als ein Mensch. Das lässt sich abstrakt nicht beurteilen, sondern nur im Hinblick auf die jeweilige konkrete Gestaltung und 61

S. § 3 D. IV. 3. a) bb) und cc). Die Gestalt des Rechtssatzvorbehalts in seiner Verdichtung als Parlamentsvorbehalt ist deshalb relevant, weil die Verwaltung, die ein Automationssystem einsetzen möchte, jederzeit einen Rechtssatz über seinen Einsatz erlassen kann – ist jedoch ein formelles Gesetz erforderlich, ist der Einsatz des Automationssystems von einer anderen Gewalt sowie einem aufwändigen Gesetzgebungsverfahren abhängig, sodass dies im Planungs-​und Implementationsprozess berücksichtigt werden muss. 63 Befürwortend, aber nicht im Einzelnen prüfend Polomski, Der automatisierte Verwaltungsakt, 1993, S. 98; implizit offengelassen von Degrandi, Die automatisierte Verwaltungsverfügung, 1977, S. 91 und Luthe, SGb 2017, 250 (251); für juristische Expertensysteme Tönsmeyer-​Uzuner, Expertensysteme in der öffentlichen Verwaltung, 2000, S. 114 ff. 62

B. Sachlich-inhaltliche Legitimation 

197

den Einsatzbereich eines Automationssystems. Es könnte auch einen Unterschied machen, ob es sich um Teil-​oder Vollautomatisierung handelt.64 Jedenfalls lässt sich die Wesentlichkeit nicht pauschal für Automatisierungen beurteilen. Vielmehr kommt es auf die Funktionsweise des Systems und damit zusammenhängend insbesondere auf denkbare konkret betroffene Grundrechtspositionen, den Einsatzbereich des Systems sowie seine Steuerungswirkung an. b) Anknüpfungspunkte einer Wesentlichkeit Hauptsächlich wird die Wesentlichkeit im Hinblick auf das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, das eine Folgerung aus dem allgemeinen Persönlich­ keitsrecht des Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG darstellt, in Betracht gezogen.65 Deutet ein Programm fallbasiert beispielsweise über ML unbestimmte Rechtsbegriffe unter besonderer Berücksichtigung individueller Fallmerkmale aus, wäre aufgrund der statistischen Auswertung des Falles und des Vergleichs mit Vorgängerfällen an eine Grundrechtswesentlichkeit im Sinne des Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG aufgrund der Verwendung personenbezogener Daten zu denken.66 Allerdings lässt sich nicht für alle Fälle beantworten, ob gerade die automatisierte Verarbeitung zur Verwendung personenbezogener Daten führt. Die Wahrscheinlichkeit wird mit steigendem Umfang und steigender Komplexität der Datenverarbeitung zumindest erhöht.67 Für regelbasierte Systeme dürfte die Wesentlichkeit weniger wahrscheinlich sein, jedenfalls solange das Programm die gesetzlichen Anforderungen ordnungsgemäß umsetzt. Dann ergibt sich kein Unterschied gegenüber dem menschlichen Bearbeitungsverhalten.68 Im Falle von Lichtzeichenanlagen wird die Erforderlichkeit der Zulassung durch Rechtsvorschrift und damit erst recht ein Parlamentsvorbehalt beispielsweise abgelehnt.69 Im Falle antragsbezogener Verwaltungsakte übermittelt der Nutzer regelmäßig alle verwendeten Daten selbst, sodass auch hier 64

Diesen Unterschied machen Tönsmeyer-​Uzuner, Expertensysteme in der öffentlichen Verwaltung, 2000, S. 124; Polomski, Der automatisierte Verwaltungsakt, 1993, S. 96 ff.; Kube, VVDStRL Bd. 78 (2019), 289 (322). 65 Polomski, Der automatisierte Verwaltungsakt, 1993, S. 97 f. m. w. N. 66 Vgl. Tönsmeyer-​Uzuner, Expertensysteme in der öffentlichen Verwaltung, 2000, S. 129; ähnlich Stiemerling, CR 2015, 762 (764). 67 Stiemerling, CR 2015, 762 (764). 68 Mit diesem Gedanken wohl auch Stegmüller, NVwZ 2018, 353 (356) und schon Degrandi, Die automatisierte Verwaltungsverfügung, 1977, S. 91; offengelassen bei Polomski, Der automatisierte Verwaltungsakt, 1993, S. 96. Das erfordert freilich auch, dass die automatisierte Bearbeitung für den Betroffenen gleich verständlich ist und die verwaltungsseitige Rechtsaufsicht und Gerichte sie gleich gut kontrollieren können – so auch G. Kirchhof, in: FS BFH, 2018, Band I, 361 (365). Bis zu welchem Grad an Komplexität der Verarbeitung das gewahrt werden kann, wird unter § 4 B. II. 3. und 4. untersucht. 69 Stegmüller, NVwZ 2018, 353 (356).

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§ 4 Legitimationsanforderungen an automatisiert erlassene Verwaltungsakte 

nicht von einer Wesentlichkeit aufgrund eines Personenbezuges auszugehen ist. Andersherum könnte in anderen Verwaltungsbereichen je nach Einsatzgebiet des Systems die Wesentlichkeit bezüglich der Verwirklichung anderer Grundrechte denkbar sein.70 Sobald ein System eine gewisse Komplexitätsschwelle überschreitet, ergeben sich im Regelfall, auch bei regelbasierten Systemen, Probleme bei der Nachprüfbarkeit, sodass aufgrund der Möglichkeit des Entfaltens eigenständiger Regelungswirkung eine parlamentsgesetzliche Ermächtigung erforderlich ist.71 Es kann also ab einem gewissen Komplexitätsgrad üblicherweise nicht sicher angegeben werden, ob der Gesetzeswortlaut tatsächlich in jeder Hinsicht „richtig“ implementiert wurde. Dann besteht latent die Möglichkeit, dass das Automationssystem durch eine verzerrende Umsetzung des Gesetzes rechtswidrige Entscheidungen in einer Vielzahl von Fällen trifft,72 was eine Wesentlichkeit aufgrund der besonderen Bedeutung der Automatisierung für die Allgemeinheit begründet. Vor allem in Fällen der vollständigen Automatisierung könnte auch eine wesentliche Veränderung des Staat-​Bürger-​Verhältnisses anzunehmen sein,73 beispielsweise wenn die Kommunikation zu Behörden erschwert wird, weil nicht ausreichend personelle Ressourcen bereitgestellt werden, oder weil bei formularmäßiger Verarbeitung erforderliche Freitextfelder maschinell fehlerhaft oder unzureichend bearbeitet werden. Wiederum kommt es auf die konkrete Systemarchitektur an. Automatisierungen im Bereich des Verwaltungsakterlasses können bei entsprechender Gestaltung auch zu einer Verbesserung der Kommunikation von Staat und Bürger führen.74 c) Ergebnis Grundsätzlich besteht keine Steuerungspflicht des Gesetzgebers hinsichtlich des automatisierten Verwaltungsakterlasses aus Gründen der Wesentlichkeit. Es bedarf deshalb nicht grundsätzlich einer parlamentsgesetzlichen Grundlage für jede Art der Automatisierung des Erlasses von Verwaltungsakten.75 Häufig wird bei der Verwendung fallbasierter und auf Fallbasis aufsetzender hybrider Systeme allerdings eine Verwendung personenbezogener Daten und damit die Grund 70 So auch Tönsmeyer-​Uzuner, Expertensysteme in der öffentlichen Verwaltung, 2000, S. 127; Braun Binder, DÖV 2016, 891 (893). 71 Ähnlich Kube, VVDStRL Bd. 78 (2019), 289 (322); Ziekow, NVwZ 2018, 1169 (1171). 72 S. die Sachverständigenauskunft von Neumann, in: Einsatz von RMS im Vollzug des Steuerrechts, 2016, S. 3. 73 Dazu Detterbeck, Allgemeines Verwaltungsrecht, 17. Auflage 2019, § 7 Rn. 268. 74 So BTDrucks. 18/8434, S. 1 (Punkt B. 2.); Plenarprotokoll 18/170, S. 16779 (B). 75 So auch Stegmüller, NVwZ 2018, 353 (356); Degrandi, Die automatisierte Verwaltungsverfügung, 1977, S. 89 f.; Ehlers, Jura 1991, 337 (340); unklar Luthe, SGb 2017, 250 (251); Polomski, Der automatisierte Verwaltungsakt, 1993, S. 96.

B. Sachlich-inhaltliche Legitimation 

199

rechtswesentlichkeit im Hinblick auf Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG anzunehmen sein. Die Beurteilung hängt stets von den berührten Grundrechten, der Grundrechtsintensität des Verwaltungsakts und vor allem vom konkreten Problemlösungskonzept des Automationssystems, insbesondere dem Grad der Automatisierung, ab. Bei einer vollständigen Automatisierung der Einzelfallbearbeitung ist die parlamentsgesetzliche Fundierung im Regelfall erforderlich, weil sich die Wahrscheinlichkeit einer Grundrechtswesentlichkeit mangels menschlicher Überprüfung der maschinellen Bearbeitung in einer Vielzahl von Fällen sowie aufgrund der notwendigerweise höheren Komplexität des Systems faktisch erhöht. 2. Stellung von Zulassungsvorschriften im Legitimationsgefüge Schließlich stellt sich die Frage, ob einfachgesetzliche Zulassungsvorschriften für automatisierte Verfahren an der Reichweite der Legitimation des automatisiert erlassenen Verwaltungsakts von vornherein etwas zu ändern vermögen. a) Verzichtstheorie: Kontrolle entbehrlich Deutet man Zulassungsvorschriften für automatisiert erlassene Verwaltungsakte im Sinne der Verzichtstheorie76, ließe sich vertreten, der Gesetzgeber dürfe sich durch die Verankerung der Möglichkeit eines selbständigen automatisierten Verwaltungsakterlasses in einem Parlamentsgesetz seiner Kontrolle entledigen. Er dürfe also einfachgesetzlich eine verselbständigte Verwaltungseinheit des auto­ matisierten Verfahrens schaffen. Weil er sich seiner Kontrollrechte durch die Zulassungsvorschrift entledigt, ist der Einsatz von Automationssystemen als hinreichend demokratisch legitimiert anzusehen, ohne dass es beispielsweise darauf ankäme, ob die Verwaltungseinheit auch ihre Gesetzesbindung aus Art. 20 Abs. 3 GG wahrnimmt. Eine Rechtsaufsicht fände nicht statt. Weist nun das automatisierte Verfahren rechtliche Defizite im Bereich der Steuerungs-​und Kontrollmöglichkeiten auf, kann nach der Verzichtstheorie der automatisierte Verwaltungsakterlass als vom Gesetzgeber aus der Ministerialstruktur herausgenommener Organisationsmodus angesehen werden. Die einfachgesetzliche Zulassung würde dann trotz defizitärer Kontrollmöglichkeiten ausreichen, um den Legitimationszusammenhang herzustellen. Die Verzichtstheorie wurde ihrer Konstruktion nach abgelehnt.77 Aus demokratischen Gründen besteht nicht nur ein Kontrollrecht, sondern auch eine Kon 76 77

S. dazu bereits § 3 D. VI. 2. b) aa) bis cc). Zur Argumentation § 3 D. VI. 2. b) cc).

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§ 4 Legitimationsanforderungen an automatisiert erlassene Verwaltungsakte 

trollpflicht des Parlaments gegenüber dem Volk, weil gerade keine Identität von Parlament und Volk besteht. Das Parlament kann sich damit nicht durch einfachgesetzliche Zulassung seiner Kontrollpflicht entledigen. Vielmehr muss auch das automatisierte Verfahren einer umfassenden Rechtsaufsicht unterliegen. Enthält die Zulassungsvorschrift keine ausdrückliche Verankerung der Unabhängigkeit der automatisierten Verwaltungsorganisation, lässt sich auch keine Entbehrlichkeit der Regierungskontrolle begründen. Es gelten dann dieselben Anforderungen, die in der übrigen Ministerialverwaltung gelten. b) Zulassungsvorschriften als Erhöhung sachlich-​inhaltlicher Legitimation Weil von Gesetzes wegen materielle, insbesondere rechtsstaatlich fundierte Vorgaben an den Erlass von Verwaltungsakten bestehen, können Spezialregelungen des automatisierten Verwaltungsverfahrens nur der Wahrung dieser bestehenden gesetzlichen Bindungen dienen. Beispielsweise müssen Anhörungsrechte gewahrt werden, sodass eine Regelung, die diese Anhörungsrechte für das automatisierte Verfahren besonders ausgestaltet oder in Bezug auf konkrete Systemgestaltungen sichert, der Einhaltung dieser Vorgaben dient. Eine derartige, auf das automatisierte Verfahren besonders zugeschnittene Regelung dient damit der Gesetzesbindung und erhöht folglich das Maß sachlich-​inhaltlicher Legitimation des Verwaltungsakterlasses. Inhaltlich detaillierte Vorgaben des Gesetzgebers zum automatisierten Verwaltungsverfahren, die implizit deren Zulassung enthalten, können über ihre Steuerungswirkung damit das Maß sachlich-​inhaltlicher Legitimation des automatisierten Erlasses eines Verwaltungsakts erhöhen und insoweit zur Legitimation beitragen.78 Eine Zulassungsvorschrift allein reicht jedoch nicht aus, um den automatisierten Erlass eines Verwaltungsakts vollständig zu legitimieren. 3. Ergebnis Es besteht nicht grundsätzlich ein Parlamentsvorbehalt für den automatisierten Erlass eines Verwaltungsakts. Bei einer Verarbeitung personenbezogener Daten ist die Tätigkeit des Automationssystems im Regelfall grundrechtswesentlich, sodass es dann der Zulassung der Automatisierung durch eine parlamentsgesetzliche Vorschrift bedarf. Eine Grundrechtswesentlichkeit ist weiter bei Automatisierungen anzunehmen, deren Ergebnisse im Einzelfall nicht mehr überprüft werden. Jedenfalls hier ist eine parlamentsgesetzliche Fundierung mangels menschlicher Kontrolle der Rechtmäßigkeit im Regelfall erforderlich. 78

Dazu bereits § 3 D. VI. 2. b) cc).

B. Sachlich-inhaltliche Legitimation 

201

Die parlamentsgesetzliche Zulassung des automatisierten Verwaltungsverfahrens führt nicht zu einer Entbehrlichkeit parlamentarischer Kontrolle. Auch dann, wenn automatisiert erlassene Verwaltungsakte ausdrücklich vom Gesetzgeber zugelassen sind, muss die Gesetzesbindung der Verwaltung im Wege der Rechts­ aufsicht überprüft werden können.

II. Anforderungen sachlich-​inhaltlicher Legitimation Der automatisiert erlassene Verwaltungsakt kann nur sachlich-​inhaltlich legitimiert sein, wenn das Programm, aufgrund dessen er zustande kommt, die Steuerungswirkung des Gesetzes kontrollierbar abbildet. Es muss herauskristallisiert werden, welche Technologien sich als „Interpretationshelfer“79 eignen und welche faktisch einen „Computer​vorbehalt“80 der Rechtsanwendung bewirken, der mit der Gesetzesbindung der Verwaltung nicht vereinbar ist und damit dem Verwaltungsakt keine sachlich-​inhaltliche Legitimation vermitteln könnte. Es geht nicht um eine umfassende Prüfung der Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen eines automatisiert erlassenen Verwaltungsakts81 oder um spezifische materielle Vorgaben, die das automatisierte Verfahren beachten muss,82 sondern um die Frage, welche Systemtechnologien abstrakt geeignet sind, überhaupt zur kontrollierbaren Abbildung des natürlichsprachlichen Gesetzes verwendet zu werden. Nur insoweit dienen Aspekte der Rechtsstaatlichkeit gleichsam der demokratischen Legitimation des Verwaltungshandelns.83 1. Maßstab für staatliche Machtausübung Auch durch institutionelle Rahmenvorgaben für einen automatisierten Erlass von Verwaltungsakten kann der Gesetzgeber die Verwaltung nicht von ihrer Gesetzesbindung aus Art. 20 Abs. 3 GG freistellen. Auf eine Kontrolle der Einhaltung der Gesetzesbindung kann ebenfalls nicht verzichtet werden.84 Vielmehr muss die Verwaltung auch dann, wenn der automatisierte Verwaltungsakterlass durch Legislativvorgabe für zulässig erklärt wurde, im Übrigen für Parlament, Regierung und Gerichte kontrollierbar ihre Gesetzesbindung wahrnehmen.85 79

G. Kirchhof, in: FS BFH, 2018, Band I, 361 (377). P. Kirchhof, DStR 2018, 497 (498); inhaltsgleich Ahrendt, NJW 2017, 537 (540). 81 Umfassende Untersuchung dessen bei Polomski, Der automatisierte Verwaltungsakt, 1993, S. 92–223. 82 Dazu Martini, JZ 2017, 1017 (1019 f.); Ernst, JZ 2017, 1026 (1029), beide bezüglich nichtstaatlicher Algorithmen; Wischmeyer, AöR Bd. 143 (2018), 1 (18 ff.) für selbstlernende Systeme. 83 S. § 3 D. IV. 2. b). 84 Ähnlich: Polomski, Der automatisierte Verwaltungsakt, 1993, S. 99; Martini / ​Nink, DVBl. 2018, 1128 (1134). 85 Etwas vage, aber zustimmend Bieker / ​Bremert / ​Hansen, DuD 2018, 608 (611); schon Gruber, Verwaltungsentscheidungen vom Computer, 1971, S. 17 ff., 21. 80

202

§ 4 Legitimationsanforderungen an automatisiert erlassene Verwaltungsakte 

Diese Bindung aus Art. 20 Abs. 3 GG und die unmittelbare Grundrechtsbindung aus Art. 1 Abs. 3 GG unterscheiden den staatlichen Algorithmeneinsatz maßgeblich vom Algorithmeneinsatz im privaten Bereich.86 Für den Einsatz von Automationssystemen durch die Verwaltung gelten damit spezifische Anforderungen,87 die sich in der erforderlichen Steuerungs-​und Kontrollintensität notwendigerweise niederschlagen. Durch die Automatisierung jedoch „scheint das materielle Gesetz seine Steuerungswirkung zu verlieren; an dessen Stelle treten den Entscheidungsvorgang steuernde Computerprogramme“88. Sie entfalteten „quasi-​gesetzliche Normativität“89, ein „Eigenleben jenseits des Gesetzes“90. Gerade im Hinblick auf die Einführung vollautomatisierter Verwaltungsverfahren wird dieser Steuerungsverlust des Gesetzes und seine Ersetzung durch „code law“ besonders betont.91 2. Konditional-​und Finalprogramme Seit Beginn rechtsinformatischer Untersuchungen ist die Unterscheidung von Konditional-​und Finalprogrammen üblich.92 Eine derartige Einteilung könnte Aufschluss darüber geben, ob eine Übersetzung der Norm in Programmcode zulässig ist, sodass die Gesetzesbindung auch bei dem Einsatz des Programms als gewahrt anzusehen wäre.

86

Deutlich Prell, NVwZ 2018, 1255 (1255); so auch Ernst, JZ 2017, 1026 (1026); Wischmeyer, AöR Bd. 143 (2018), 1 (20) für selbstlernende Systeme. 87 Ähnlich Wischmeyer, AöR Bd. 143 (2018), 1 (7 f.) für selbstlernende Systeme. 88 Britz, in: GVwR II, 2. Auflage 2012, § 26 Rn. 59 mit Verweis auf den vorsichtigeren, aber dies bestätigenden Schliesky, in: Herausforderung e-​Government, 2009, S. 12; mit praktischem Beispiel und eingehend Ahrendt, NJW 2017, 537 (540); P. Kirchhof, DStR 2018, 497 (498): „Das Steuerrecht lockert den Gesetzesvorbehalt und unterwirft sich dem Computervorbehalt“; Kube, VVDStRL Bd. 78 (2019), 289 (317). 89 Kube, VVDStRL Bd. 78 (2019), 289 (308). 90 Martini / ​Nink, DVBl. 2018, 1128 (1134). 91 Ahrendt, NJW 2017, 537 (537 f.); P. Kirchhof, DStR 2018, 497 (498); Maier, JZ 2017, 614 (618). 92 Aus dem umfangreichen Schrifttum exemplarisch Luhmann, Recht und Automation in der öffentlichen Verwaltung, 1966, S. 36; Gruber, BayVBl. 1970, 434 (436); Degrandi, Die automatisierte Verwaltungsverfügung, 1977, S. 39; Eberle, Die Verwaltung 1987, 459 (462 f.); aus dem neueren Schrifttum z. B. Britz, in: GVwR II, 2. Auflage 2012, § 26 Rn. 59; Schmitz  / ​ Prell, NVwZ 2016, 1273 (1274); außerhalb des Automatisierungsdiskurses z. B. Seiler, Auslegung als Normkonkretisierung, 2000, S. 47.

B. Sachlich-inhaltliche Legitimation 

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a) Definitionsansätze in der Literatur Einerseits kann man die Begriffe der Konditional-​und Zweckprogramme in technischer Weise verstehen.93 Ein Konditionalschema liegt nach diesem Begriffsverständnis vor, wenn jeder Schritt des Programms wohldefiniert, also eindeutig ist. Ein Finalprogramm liegt demgegenüber vor, wenn nur das Ziel definiert ist, nicht der Weg, sodass sich zur Erreichung des Ziels vor allem statistische, wahrscheinlichkeitsbasierte Methoden anbieten,94 anstatt konditional definierte Methoden. Die Unterscheidung trifft also letztlich nur eine Aussage über die Art der Datenverarbeitung, indem sie den äußeren Informationsbedarf eines Systems determiniert.95 Andererseits werden die Begriffe auf die Rechtsebene übertragen: Gebundene Entscheidungen seien Konditionalprogramme,96 Finalprogramme bezeichneten demgegenüber zweckgebundene Entscheidungen97 wie Ermessensentscheidungen, Planungsentscheidungen und solche Entscheidungen, die Beurteilungsspielräume eröffnen. Weil die rechtliche Zulässigkeit einer automatisierten Ausfüllung von Ermessensspielräumen umstritten ist,98 lässt sich die zweite Ansicht überspitzt umformulieren in die These, Konditionalprogramme seien solche, die ohne Weiteres zulässigerweise automatisiert werden dürfen, Finalprogramme hingegen dürften nicht ohne Weiteres automatisiert werden.99 b) Stellungnahme Versteht man die Begriffe Konditional-​und Zweckprogramm rein technisch, lässt sich aus der Einordnung einer Rechtsnorm kein Zulässigkeitsurteil über ihre Automatisierung ableiten, sodass eine Einteilung nur darstellerischen Charakter hat und deshalb nicht erforderlich ist.100 Weiter lässt sich der Programmtypus nach der technischen Betrachtungsweise nicht unmittelbar überhaupt auf die recht-

93

Eberle, Die Verwaltung 1987, 459 (462); Gruber, BayVBl. 1972, 434 (436); Reisinger, Rechtsinformatik, 1977, S. 99 f.; Steinmüller, JA-Sonderheft 6, 1976, S. 68; wohl auch: Polomski, Der automatisierte Verwaltungsakt, 1993, S. 55; Gesellschaft für Informatik, Technische und rechtliche Betrachtungen algorithmischer Entscheidungsverfahren, 2018, S. 139. 94 Gruber, BayVBl.1972, 434 (436). 95 So schon Reisinger, Rechtsinformatik, 1977, S. 100. 96 Degrandi, Die automatisierte Verwaltungsverfügung, 1977, S. 39. 97 Britz, in: GVwR II, 2. Auflage 2012, § 26 Rn. 59; Degrandi, Die automatisierte Verwaltungsverfügung, 1977, S. 39; von Oertzen, DVBl. 1969, 61 (63). 98 Überblick bei Polomski, Der automatisierte Verwaltungsakt, 1993, S. 56 ff. und sogl. § 4 B. II. 3. a) dd). 99 So Britz, in: GVwR II, 2. Auflage 2012, § 26 Rn. 59. 100 Gruber, BayVBl. 1972, 434 (436); ders., Verwaltungsentscheidungen vom Computer, 1971, S. 51.

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§ 4 Legitimationsanforderungen an automatisiert erlassene Verwaltungsakte 

liche Ebene übertragen. Rechtsnormen können Elemente beider Programmtypen aufweisen.101 Schreibt man den Begriffen eine rechtliche Bedeutung zu, folgt entweder eine tautologische oder eine zirkuläre Argumentation: Soll das Konditionalprogramm die gebundene Entscheidung bezeichnen, das Finalprogramm alle zweckgebundenen Entscheidungen wie Ermessensentscheidungen, kann ohne Weiteres auf die juristischen Begrifflichkeiten abgestellt werden. Unklarheiten bezüglich der Deutung der Begriffe „Konditionalprogramm“ und „Zweckprogramm“ als technisch oder rechtlich werden so vermieden.102 Soll mit den Begriffen über die Zuweisung bestimmter Arten von Normen noch etwas Weiteres ausgesagt werden, beispielsweise eine Aussage über die Formalisier-​und Automatisierbarkeit, schließt man letztlich wiederum von der Möglichkeit einer Automatisierung auf ihre Zulässigkeit. Die besseren Gründe sprechen damit dafür, nicht zwischen Konditional-​und Finalprogrammen zu unterscheiden,103 sondern die Frage der zulässigen Automatisierung von Verwaltungsakten unter direktem Verweis auf seine Bestandteile zu erörtern. c) Ergebnis Der Klassifizierung einer Norm als Konditional-​oder Finalprogramm folgt kein unmittelbares Zulässigkeitsurteil. Eine Einteilung in diese Kategorien gibt damit keinen Aufschluss darüber, ob das Programm eines Automationssystems den Gesetzeswortlaut adäquat abbildet. Deshalb muss für die einzelnen Automationssysteme getrennt untersucht werden, ob sie geeignet sind, die Steuerungsfunktion des Parlamentsgesetzes und die Verstärkung durch exekutive Steuerungsmittel zu wahren und ob dies auch kontrollierbar ist.

101

So auch Reisinger, Rechtsinformatik, 1977, S. 100; Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000, S. 477. 102 So wird in der neueren Literatur zunehmend – möglicherweise bewusst – nicht mehr auf diese Unterscheidung abgestellt, z. B. Braun Binder, NVwZ 2016, 960 (963); dies., DÖV 2016, 891 (894); Stegmüller, NVwZ 2018, 535 (537); Stelkens, in: Stelkens / ​Bonk / ​Sachs, VwVfG, 9. Auflage 2018, § 35 a Rn. 40; Bull, DVBl. 2017, 409 (412). 103 So auch Reisinger, Automatisierte Normanalyse und Normanwendung, 1972, S. 4; Steinmüller, JA-Sonderheft 6, 1976, S. 69; Tönsmeyer-​Uzuner, Expertensysteme in der öffentlichen Verwaltung, 2000, S. 86.

B. Sachlich-inhaltliche Legitimation 

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3. Steuerung und Kontrolle regelbasierter Systeme Nicht zuletzt aus rechtsstaatlichen und demokratischen Gesichtspunkten entspringt grundsätzlich dem Gesetz Geltungskraft und Steuerungswirkung, nicht dem Programmcode eines Automationssystems.104 Die vermeintliche „Objektivität“ eines Programmcodes wird nur erzielt, weil die – subjektiv vom Programmierer in kreativer Gestaltung entworfene – Programmierung durch Programmanwendung verfestigt und zum objektiven Maßstab erklärt wird. In der parlamentarischen Demokratie ist jedoch die ebenfalls subjektive, aber auch normative Wirkung entfaltende Ansicht des parlamentarischen Gesetzgebers die maßstabsbildende Ansicht. Erst innerhalb dieses Maßstabs sind es die demokratisch mittelbar legitimierten Amtswalter der Verwaltung, die zur Sachsteuerung, gegebenenfalls durch Programme, befugt sind. Um die Steuerungswirkung der Gesetze gem. Art. 20 Abs. 3 GG für das Verwaltungshandeln mithilfe von und durch Automationssysteme sicherzustellen, bedarf es deshalb einer unverfälschten Abbildung der legislativen und exekutiven Steuerungsmittel in Programmcode.105 Diese Abbildung muss auch am Maßstab des Parlamentsgesetzes überprüfbar und kontrollierbar sein. a) Abbildung legislativer und exekutiver Steuerungsmittel in Programmcode Zunächst werden die in § 2 im Hinblick auf ihre technische Algorithmisierbarkeit unterschiedenen Elemente auf ihre zulässige Abbildbarkeit in Programmiersprachen untersucht. Es geht in diesem Teil der Untersuchung um die Frage, ob die Algorithmisierung der einzelnen Elemente auch zulässig, nicht allein technisch realisierbar ist. Allerdings bestehen auch hier Wechselwirkungen. Mit erweiterten technischen Möglichkeiten steigt die Wahrscheinlichkeit, adäquate Programme zur Abbildung des Gesetzes entwerfen zu können, an. Teilweise wird geltend gemacht, unterschiedliche legislative Steuerungsintensitäten ließen sich dem Normprogramm nicht entnehmen.106 Es ließen sich nicht einmal graduelle Abstufungen der Steuerungsintensität vornehmen,107 sodass im Ergebnis kein Element einer Norm in zwingenden, formalen Code übersetzt werden dürfte. Freilich stellt sich die Rechtsanwendung als ein komplexes Geflecht aus „Organisation, Verfahren, Programm und Programmanwendung“108 dar. Gleichsam müssen für die Programmanwendung selbst Leitlinien angegeben wer 104

Kube, VVDStRL Bd. 78 (2019), 289 (315, 329 These 14). So auch Bull, DVBl. 2017, 409 (415); Polomski, Der automatisierte Verwaltungsakt, 1993, S. 94; Guckelberger, VVDStRL Bd. 78 (2019), 235 (264). 106 Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000, S. 476 f. 107 Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000, S. 477 f. 108 Schuppert, in: Reform des allgemeinen Verwaltungsrechts I, 1993, S. 65 (83); im Anschluss Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000, S. 477. 105

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§ 4 Legitimationsanforderungen an automatisiert erlassene Verwaltungsakte 

den können,109 weil ansonsten schon die Maßstabsqualität des Parlamentsgesetzes überhaupt infrage stünde. Diese ist aber rechtlich vorgegeben, Art. 20 Abs. 3 GG. Der Grundsatzfrage, ob der Verwaltung gegenüber dem Gesetzgeber die Möglichkeit genommen werden darf, gegen Normen zu verstoßen, soll hier nicht nachgegangen werden.110 Freilich wird ein Einfluss subjektiver Momente bei der Rechtsanwendung implizit dort ausgeschlossen, wo eine vollständige Algorithmisierbarkeit für zulässig erklärt wird. Wo jedoch subjektive Momente bei der Rechtsanwendung gerade gewollt, nicht nur rechtssoziologisch betrachtet bei menschlicher Bearbeitung vorhanden sind,111 sodass sie die Algorithmisierbarkeit von Rechts wegen ausschließen, soll die Untersuchung herauskristallisieren. Sie liefert damit die Grenzziehung, die in § 2 als notwendig erachtet wurde.112 aa) Syntax und Arithmetik Als erstes soll die Frage aufgeworfen werden, ob die Algorithmisierung von Syntax und Arithmetik und deren Überführung in ein regelbasiertes System zur Rechtsanwendung zulässig sein kann. Dann ist auch die automatisierte Verarbeitung dieser Bestandteile einer Rechtsnorm als Wahrung der Gesetzesbindung der Verwaltung anzusehen. Der Befund, natürlichsprachliche und damit auch rechtssprachliche Syntax sowie Berechnungen ließen sich technisch in logische Operatoren und arithmetische Symbole übertragen, geht an dieser Stelle freilich fehl. Die Algorithmisierbarkeit in technischer Hinsicht gibt gerade keinen Aufschluss über ihre Zulässigkeit.

109 Erneut sei der Fokus auf die Regelsteuerung herausgestellt, vgl. Schuppert, in: Reform des allgemeinen Verwaltungsrechts I, 1993, 63 (76). 110 Zum Problem Degrandi, Die automatisierte Verwaltungsverfügung, 1971, S. 77, der die Frage unter „Einzelfallermessen“ subsumiert aber damit wohl nicht rechtsfolgenseitiges Ermessen meint, sondern faktische Spielräume bei der Rechtsanwendung. Für die Legitimationsfrage ist gerade die positive Möglichkeit einer Steuerung des Verwaltungshandelns durch Normen relevant; faktische Abweichungsmöglichkeiten der Verwaltung sind also rechtlich und insbesondere aus Legitimationsgesichtspunkten nicht der Idealfall. Der „Vollzugsautomat“ ist gewissermaßen das Idealbild der Legitimationskettentheorie, dazu Dreier, Hierarchische Verwaltung im demokratischen Staat, 1991, S. 103; dieses wird durch den Einsatz von Automationssystemen eher begünstigt. Ein anderes Legitimationsmodell – das beispielsweise an einen Demokratiebegriff anknüpft, der nicht als Zentralfigur den Parlamentarismus setzt und die Verwaltung an die Gesetze bindet wie Art 20 Abs. 3 GG – mag freilich zu einem anderen Ergebnis kommen. Die deutsche Verfassung zeichnet ein „Maschinenmodell“ gewissermaßen vor, womit noch nicht beantwortet ist, ob dieses Maschinenmodell auch formallogisch abbildbar ist. Ebenso ist nicht die Frage beantwortet, bis zu welcher Grenze eine Determinierung des Verwaltungshandelns gewollt ist. 111 Vgl. Bull, DVBl. 2017, 409 (415). 112 S. § 2 E.

B. Sachlich-inhaltliche Legitimation 

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(1) Arithmetik Gibt der Gesetzgeber im Normprogramm Rechnungen an, sind diese in der Regel eindeutig.113 Üblicherweise ist mit der natürlichsprachlichen Angabe einer Rechnung das Pendant in der Arithmetik gemeint. Setzt der Gesetzgeber beispielsweise eine Berechnungsmethode für die Zahlung eines Geldbetrags an, darf die Verwaltung üblicherweise nicht – auch nicht aus Wertungsgründen oder aufgrund einer Konkretisierungsleistung – von dieser Vorgabe abweichen, weil es sich nicht um einen auslegungsbedürftigen Begriff handelt. Es handelt sich vielmehr um die Angabe von etwas Berechenbarem, auf das also die Regeln der Arithmetik und nicht die der natürlichen Sprache und juristischen Auslegungstechnik Anwendung finden. Die Verwaltung ist bezüglich des Verständnisses der Zeichen vollständig gesteuert, ihr kommt kein eigener Deutungsspielraum zu. Würde sie Deutungsspielräume wahrnehmen, würde sie vielmehr gegen ihre Gesetzesbindung aus Art. 20 Abs. 3 GG verstoßen. Freilich kann sich aus dem legislativen Normprogramm ergeben, dass sie von einer Berechnungsvorgabe abweichen darf, etwa, wenn mehrere Berechnungsmethoden denkbar sind. Dann ist der Verwaltung wiederum ein Spielraum zuerkannt. Lässt sich dem Gesetzeswortlaut aber entnehmen, dass dort angeordnete Berechnungsmodi zwingend sind, und dass mit den Angaben auch die arithmetischen Bedeutungsgehalte der entsprechenden Zeichen gemeint sind,114 macht es keinen Unterschied, ob ein Mensch oder eine Maschine diese im Einzelfall umsetzt.115 Freilich muss die Berechnung korrekt in das System implementiert werden. Weil regelbasierte Systeme aber auf dem Prinzip der händischen Abstraktion beruhen, kann die Berechnung entsprechend dem Gesetzeswortlaut implementiert werden. Eine Algorithmisierung ist damit in der Regel zulässig. In der Regel wahrt die Verwaltung auch bei der Überführung von arithmetischen Berechnungen in ein Automationssystem ihre Gesetzesbindung aus Art. 20 Abs. 3 GG. Dementsprechend haben der BFH und im Anschluss das BVerfG festgestellt, dass der Erlass eines Verwaltungsakts, der auf händischer Dateneinspeisung und

113 Deshalb unmittelbar für die Zulässigkeit einer Algorithmisierung Degrandi, Die automatisierte Verwaltungsverfügung (1977), S. 34. 114 Üblicherweise wird das der Fall sein. Üblicherweise ist mit der Angabe einer Zahl nicht ein bedeutungsverschiedenes Wort mit dem Namen der Zahl, sondern das arithmetische Zeichen selbst gemeint. Dasselbe gilt für Berechnungsmodi. 115 A. A. mglw. Degrandi, Die automatisierte Verwaltungsverfügung, 1977, S. 78, der hier eine „echte Entscheidung“ sieht. Letztlich ist hiermit wiederum der faktische Spielraum der Verwaltung angesprochen, der rechtlich gerade nicht gewollt ist; Vielmehr soll der Gesetzgeber den Verwaltungsapparat und der übergeordnete Amtswalter die ihm untergeordneten gerade aufgrund seiner höheren Legitimation sachlich binden können, weil er dem Volk näher steht und damit die Entscheidung antizipiert zu treffen befugt ist, s. dazu § 3 D. IV. 3. a); wie hier die Einschätzung der Gesellschaft für Informatik, Technische und rechtliche Betrachtungen algorithmischer Entscheidungsverfahren, 2018, S. 139.

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§ 4 Legitimationsanforderungen an automatisiert erlassene Verwaltungsakte 

einer darauf aufbauenden arithmetischen Berechnung basiert, verfassungsrechtlich zulässig ist.116 (2) Syntax Eine Übersetzung der Syntax des legislativen Normprogramms in Code ist jedenfalls zulässig, wenn der Gesetzgeber im Wege einer automationsfreundlichen Gesetzgebung sein legislatives Normprogramm von vornherein teilweise oder vollständig durch logische Operatoren ausdrückt, die unmittelbar in Computer­ programme eingespeist werden können. Dann gibt der Gesetzgeber der Verwaltung über ihre Gesetzesbindung aus Art. 20 Abs. 3 GG den automatisierten Vollzug geradezu an die Hand: Die syntaktischen Zeichen können ohne Veränderung des Norminhalts algorithmisiert werden, da der Gesetzgeber gerade algorithmisch darstellbare Zeichen verwendet, und daher nur Regeln Anwendung finden, die computertechnisch abbildbar sind. Dann macht es keinen Unterschied, wer das Zeichen anwendet, da sich das vollziehende Organ über die wohldefinierte Syntax nicht hinwegsetzen darf. Üblicherweise wird der Gesetzgeber aber aus gutem Grund117 die Form der natürlichen Sprache wählen und damit auch natürlichsprachliche Syntax bei der Normgebung verwenden, auf die nicht ohne Weiteres die Regeln der formalen Logik Anwendung finden. Es stellt sich also die Frage, ob die Übersetzung natürlichsprachlicher Syntax in formallogische Syntax zulässig ist, soweit es um den Erlass eines Verwaltungsakts geht. Das wird sich nicht pauschal für jedes syntaktische Zeichen in jeder Ermächtigungsnorm beantworten lassen. In der Tendenz dürfte der Gesetzgeber aber eher keine syntaktischen Zeichen in einer Weise verwenden, die mit ihrer formal­ logischen Funktion unvereinbar sind. Syntaktische Mehrdeutigkeiten sind üblicherweise ungewollt.118 Üblicherweise wird der Gesetzgeber, wenn er beispielsweise zwei Merkmale mit einem syntaktischen „und“ verknüpft, auch den Operator „und“ gemeint haben. Das ist schon aus Gründen der Bestimmtheit einer Norm zu fordern. Er wird also der Verwaltung gerade keinen Spielraum darüber einräumen wollen, ob sie statt einem „und“ ein „oder“ anwendet. Üblicherweise wird der Gesetzgeber, wenn er beispielsweise die syntaktische Form der gebundenen Entscheidung wählt, nicht tatsächlich eine Ermessensentscheidung gemeint haben.119 Es lässt sich nicht für jeden Fall ausschließen, sodass im Einzelfall bei der Algorithmisierung genau untersucht werden muss, ob die Syntax der Norm eindeutig 116 BFHE 133, 250 (252); im Anschluss BVerfG, Kammerbeschluss vom 8.12.1992 – 1 BvR 326/89. 117 S. dazu Kube, VVDStRL Bd. 78 (2019), 289 (308 f.). 118 S. bereits § 2 B. IV. 1. 119 Freilich kann innerhalb der Syntax der gebundenen Entscheidung gleichwohl ein Merkmal erhöhter Unschärfe gesetzt werden – beispielsweise, wenn unbestimmte Rechtsbegriffe verwendet werden. Das schließt die formallogische Abbildbarkeit der Syntax aber nicht aus.

B. Sachlich-inhaltliche Legitimation 

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ist. Das zu beurteilen ist Aufgabe der Verwaltung.120 Gegebenenfalls müssen dann komplexere Programmgestaltungen gewählt werden, um dem gesetzgeberischen Willen gerecht zu werden.121 Der Regelfall dürfte jedoch die eindeutige, formallogisch ohne Bedeutungsverschiebung abbildbare Syntax sein. Deshalb ist davon auszugehen, dass die Übersetzung der in der Rechtsnorm gesetzten Syntax in ein regelbasiertes System, das formallogische Syntax verwendet, zulässig ist. Die Rechtsgemeinschaft teilt implizit diese Auffassung: Wird die vollständige Algorithmisierung von gebundenen Entscheidungen für zulässig erklärt, geht das immer mit der Aussage einher, die Formalisierung der Normsyntax sei zulässig.122 Ohne Syntax kann die gebundene Entscheidung nicht abgebildet werden, sie existiert nicht ohne Syntax. Eine Begründung, warum formalisierte Syntax zulässig ist, ersetzt das freilich nicht. Der Grund für diese Auffassung dürfte darin liegen, dass syntaktische Mehrdeutigkeit den Ausnahmefall darstellt, in der Regel also die natürlichsprachliche Syntax mit der formallogischen Syntax korreliert und deshalb eine Algorithmisierung zulässig ist.123 bb) Wahrheitsfähige Begriffe Die Bezeichnung „deskriptiver Begriff“ wird verwendet, um ein tatbestand­ liches Merkmal zu umschreiben, das keine rechtliche Wertung erfordert.124 Ob auf die Möglichkeit unmittelbarer sinnlicher Wahrnehmbarkeit oder auf die Wahrheitsfähigkeit einer Aussage über das Merkmal abgestellt werden muss, ist umstritten.125 Hier soll die Bezeichnung im Sinne des wahrheitsfähigen Begriffs verstanden werden. Ein solcher ist ein Begriff, der keine Auslegung erfordert, sondern durch 120

S. u. Zur Entscheidungsträgerschaft eines legitimierten Amtswalters § 4 C. III. 1. a) und b). An einem einfachen Beispiel verdeutlicht: Setzt der Gesetzgeber in natürlichsprachliches „und“, meint aber erkennbar und / ​oder, darf nicht der Operator UND implementiert werden. Es muss sowohl die Operation UND als auch die Operation ENTWEDER-ODER implementiert werden, wobei das Erfüllen einer der Alternativen genügt. Regelmäßig wird die gewählte Programmiersprache bereits eine komplexere Syntax bereitstellen, in welcher sich allerdings vergleichbare Probleme stellen werden. 122 Implizit § 35 a VwVfG, der die Automatisierung nur ausschließt, wenn Ermessens-​oder Beurteilungsspielräume bestehen; ergo ist im Übrigen die Automatisierung zulässig, damit ist jedenfalls die Syntaxprogrammierung zulässig, wenn alle übrigen inhaltlichen Merkmale ausgesteuert werden. Das entspricht der aktuell praktizierten formularmäßigen Erstellung von Verwaltungsakten, die als zulässig angesehen wird. Diese Auffassung teilt die Literatur, z. B. Degrandi, Die automatisierte Verwaltungsverfügung, 1971, S. 43 f.; Fiedler, JuS 1070, 552 (552); Polomski, Der automatisierte Verwaltungsakt, 1993, S. 55; a. A. Kotsoglou, JZ 2014, 451 (453). 123 So schon die Gesetzesbegründung zu den teilautomatisierten, also „mit Hilfe automa­ tischer Einrichtungen“ erlassenen Verwaltungsakten: BTDrucks. 7/910, S. 59. 124 Engisch, Einführung in das juristische Denken, 12. Auflage 2018, S. 85; Puppe, Kleine Schule des juristischen Denkens, 3. Auflage 2014, S. 34 f. 125 Puppe, Kleine Schule des juristischen Denkens, 3. Auflage 2014, S. 34 f. 121

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§ 4 Legitimationsanforderungen an automatisiert erlassene Verwaltungsakte 

Berechnung, dann ist der Begriff eine Zahl, oder Messung erschlossen werden kann, also neben Zahlen auch Begriffe wie „ionisierende Strahlen“126 oder „Jahresbruttoeinkommen“, aber auch Begriffe wie „Kraftfahrzeug“ oder „Fläche“, welche mit Methoden der maschinellen Bilderkennung erschlossen werden können.127 Gemeint sind also all jene Begriffe, die einer Wahrheitswertzuordnung zugänglich sind, ohne dass es der Hinzuziehung von Rechtswissen bedarf. Hier kommt der Verwaltung kein Spielraum zu, festzulegen, ob das Merkmal vorliegt oder nicht. Die Verwaltung hat also keinen Spielraum bei der Frage, ob ein wahrheitsfähiger Begriff vorliegt, wenn sie den Fall untersucht, sondern nur einen Spielraum bezüglich der Frage, ob oder wieweit sie den Fall untersucht. Schwierig dürfte es sein, klar festzulegen, ob eine Norm einen wahrheitsfähigen oder einen auslegungsbedürftigen Begriff enthält. Interpretationen unterschiedlicher Rechtsanwender können uneindeutig oder widersprüchlich sein. Für einen Rechtsexperten könnte beispielsweise ein einfach gelagerter Fall eines auslegungsbedürftigen Begriffs wirken wie ein wahrheitsfähiger Begriff, sodass der versehentliche Einsatz eines Automationssystems zur Ausdeutung ein rechtliches Kontrolldefizit begründen könnte. Auf der Ebene der Normanwendung, also nach der Einordnung eines Begriffs als einer Wahrheitswertzuordnung zugänglich, ist die Verwaltung gebunden, sie darf aus Wertungsgründen ihr Feststellungsergebnis (liegt vor / ​liegt nicht vor) nicht verändern. Damit liegt es wie im Falle von Syntax und Zahlen mit dem Unterschied des Wirklichkeitsbezugs. Auf der Ebene der Normanwendung jedenfalls ist nur eine Bedeutung des Begriffs denkbar, entweder ist er gegeben oder nicht.128 Deshalb kommt es nicht darauf an, ob ein Automationssystem mit dem Wahrheitswert arbeitet, oder ein Mensch. Die Eingabe in ein Automationssystem kann die Rechtsanwendung hier ein Stück weit objektiver machen,129 weil das Programm von der Wahrheitswertzuweisung nicht selbst abweichen wird, was ein Mensch hingegen könnte.130

126

Beispiel von Puppe, Kleine Schule des juristischen Denkens, 3. Auflage 2014, S. 34. Freilich kann bei nicht ausreichendem Training des Bilderkennungssystems das Pro­blem entstehen, dass ein Automationssystem nicht so klassifiziert, wie es ein Mensch würde. Letztlich entsteht hier ein haftungsrelevanter Bereich, der nichts an der Charakterisierung der Begriffe als messbar im Gegensatz zu wertungsabhängig oder auslegungsbedürftig ändert. 128 I. E. wie Puppe, Kleine Schule des juristischen Denkens, 3. Auflage 2014, S. 34 f. 129 Ähnlich Kube, VVDStRL Bd. 78 (2019), 289 (314 a. E. f.); Kirchhof, DStR 2018, 497 (498). 130 Das ist gewissermaßen Segen und Fluch – das Programm „duldet keinen Widerspruch“, G. Kirchhof, in: FS BFH, 2018, Band I, 361 (365); wortgleich P. Kirchhof, DStR 2018, 497 (497), sodass klar definiert werden muss, bezüglich welcher Merkmale diese alternativlose Bindung gewollt ist. 127

B. Sachlich-inhaltliche Legitimation 

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cc) Auslegungsbedürftige Begriffe auf Tatbestandsseite ohne Beurteilungsspielraum Auslegungsbedürftige Begriffe auf Tatbestandsseite ohne Beurteilungsspielraum131 sind zunächst durch Legislativvorgaben nur rahmend umschrieben, da ihre Anwendung im Einzelfall noch der Auslegung durch die Verwaltung bedarf. Entweder ergibt sich aus anderen legislativen Vorgaben eine Definition des Begriffs, die die Auslegungsmöglichkeiten beschränkt,132 oder die Auslegung wird insgesamt der Exekutive zugewiesen. (1) Bedeutungsverschiebung bei Komplexität Eine Wahrung der Gesetzesbindung der Verwaltung läge jedenfalls dann vor, wenn der Gesetzgeber zur Ausdeutung eines Begriffs eine in Programmier­sprachen abgefasste, anwendungsreife Ontologie angibt, die seinen Willen abbildet. Das wird selten der Fall sein und ist gerade aus demokratischem Blickwinkel nicht wünschenswert.133 Üblicherweise wird der Gesetzgeber Begriffe natürlichsprachlich definieren oder auf eine natürlichsprachliche Verwendung verweisen.134 Liegt eine natürlichsprachliche Legaldefinition des Gesetzgebers vor, kommt es auf die Zulässigkeit einer Formalisierung dieser Definition an. Mit steigender Komplexität der rechtlichen Vorgaben zur Auslegung eines Begriffs dürften die Unterschiede zwischen einer natürlichsprachlichen und formallogischen Modellierung eines Begriffs graduell zunehmen.135 Wenn die formallogische Modellierung aber die angewendete ist, wird die Rechtsanwendung von 131 Diese Begriffe mit Ermessens-​und Beurteilungsspielräumen gleichsetzend Polomski, Der automatisierte Verwaltungsakt, 1993, S. 56. Ein Unterschied der Merkmale besteht freilich im Spielraum, der der Verwaltung bei der Ausdeutung eines Begriffs zukommt; das sieht Luthe, SGb 2017, 250 (254). 132 Mit Beispiel Engisch, Einführung in das juristische Denken, 12. Auflage 2018, S. 85. 133 Kube, VVDStRL Bd. 78 (2019), 289 (314 ff.). 134 Dabei kann sich der Gesetzgeber wiederum unterschiedlicher Sprachstile, beispielsweise der Rechtssprache oder Allgemeinsprache, bedienen – s. dazu Seiler, Auslegung als Normkonkretisierung, 2000, S. 26; P. Kirchhof, Die Bestimmtheit und Offenheit der Rechtssprache, 1987, S. 6 ff., 19 ff. 135 Nur auf die „Komplexität der Entscheidungslage“ stellt deshalb Luthe, SGb 2017, 250 (254) ab. Eine ähnliche Einschätzung findet sich bei Schmitz / ​Prell, NVwZ 2016, 1273 (1276). In letzter Konsequenz ist die Unzulässigkeit einer Automatisierung bei erhöhter Komplexität jedoch den faktischen Unterschieden zwischen formalen Sprachen und der natürlichen Sprache geschuldet. Könnte, was praktisch undenkbar, aber theoretisch möglich ist, die natürliche Sprache vollständig formalisiert werden, stellte die Komplexität kein Problem mehr dar. Das Komplexitätsproblem ist aber unabhängig von der Frage, ob von Rechts wegen bestimmte Merkmale einer Norm nur individuell geprüft werden dürfen. Dann änderte auch die Formalisierbarkeit der natürlichen Sprache nichts an der Unzulässigkeit einer Automatisierung der Rechtsanwendung dieser Merkmale.

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§ 4 Legitimationsanforderungen an automatisiert erlassene Verwaltungsakte 

der Gestalt des Programms geprägt, anstatt von der Gestalt des Gesetzes.136 Weil Ontologien sich im Grundsatz eher für kleine, klar abgegrenzte Domains eignen, ist der Einsatzbereich auch technisch von vorne herein beschränkt.137 Eine Automatisierung von Begriffen mit hoher Unbestimmtheit dürfte bereits technisch schwierig werden. Hier stellte sich auch das rechtliche Problem der Bedeutungsverschiebung in besonderem Maße, weil gerade wertungsabhängige Aspekte schwer vollständig zu explizieren sind. Die Grenze dürfte aber üblicherweise nicht erst bei für Juristen ohne weiteres erkennbar unbestimmten Begriffen (z. B. Begriffe wie „gute Sitten“) liegen. Bei nahezu formalisierbaren Angaben des Gesetzgebers, beispielsweise wenn dieser das Vorliegen eines Merkmals zum großen Teil auf Berechnungen stützt138 oder selbst eine abschließende Typisierung von Fallgruppen eines Begriffs liefert, die ihrerseits abschließend typisiert sind139, würde auch eine arithmetische oder ontologische Abbildung des Begriffs in einem Automationssystem die Gesetzesbindung der Verwaltung wahren, weil sich der natürlichsprachliche und damit vom Gesetzgeber bezweckte Sinn und der formallogisch abbildbare Sinn des Begriffs decken. Auch Teilautomatisierungen sind denkbar, die nur diejenigen Teile automatisieren, die formallogisch ohne Sinnverschiebung abbildbar sind.140 Es wäre beispielsweise denkbar, dass ein Begriff an die Unzuverlässigkeit einer Person anknüpft, wobei eine legaldefinierte Fallgruppe eine zahlenmäßig bestimmte Schuldenhöhe der Person ist. Dann dürfte eine Instanz einer Fallgruppe auch automatisiert zugeordnet werden, weil sich die Prüfung der Zugehörigkeit zur Fallgruppe auf eine arithmetische Operation beschränkt. Die übrigen Fallgruppen müssten händisch geprüft werden. Dass die erhöhte Komplexität schon beim Aufbau einer Ontologie üblicherweise dazu führen wird, dass ein Einsatz aus wirtschaftlichen Gründen nicht in Betracht kommt, ist für die Zulässigkeit einerlei. Letztlich muss also für jeden Begriff geklärt werden, ob eine ontologische Abbildung in einem regelbasierten System der natürlichsprachlichen Konzeptbildung gleicht.141 Mit steigender natürlichsprachlicher Komplexität, insbesondere der Vagheit von Teilbegriffen, wird das zunehmend unwahrscheinlich.

136 Dazu auch Kube, VVDStRL Bd. 78 (2019), 289 (312); Kirchhof, DStR 2018, 497 (498); Ahrendt, NJW 2017, 537 (540). 137 S. dazu bereits § 2 C. II. 3. d). 138 Ein Beispiel hierfür wäre der Begriff der „Zahlungsunfähigkeit“ i. S. d. § 17 InsO. Zur Algorithmisierbarkeit Plagens / ​Hartmann, in: DStR 2018, 2161 (2161 ff.). 139 Im Steuerrecht werden derartige Typisierungen zu Automatisierungszwecken besonders vorangetrieben, s. G. Kirchhof, in: FS BFH, 2018, Band I, 361 (365). 140 Ähnlich Burr, BB 2018, 476 (477). 141 G. Kirchhof, in: FS BFH, 2018, Band I, 361 (366) fordert insoweit, dass „Steuergesetze (…) typisieren und auch pauschalieren“ müssen, damit die Übertragung in Code besser gelingt. Grenze derartiger Typisierung muss die Sachgerechtigkeit der parlamentsgesetzlichen Typisierung bleiben, s. auch Kube, VVDStRL Bd. 78 (2019), 289 (308 f.).

B. Sachlich-inhaltliche Legitimation 

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(2) Fixierung auf klar definierte Begriffsgrenzen Eine Teilautomatisierung bietet sich an, um nicht spezifizierte Gesichtspunkte in die Auslegung miteinfließen zu lassen: Ontologien sind im Grundsatz geschlossene Spezifizierungen. Der Einsatz einer Ontologie zur Vollautomatisierung legt sich damit auf konkrete Grenzen der Auslegung eines Begriffs fest.142 Meist sind diese starren Grenzen jedoch vom Gesetzgeber nicht intendiert, sondern sollen im Hinblick auf geänderte Umstände neu definiert werden können. Eine Engführung auf spezifizierte Begriffsinhalte kann vermieden werden, indem entweder der auslegungsbedürftige Begriff nur teilweise automatisiert wird und ein Amtswalter zusätzlich prüft, ob eine andere Auslegung als die des Systems denkbar wäre, oder das System insgesamt nur als Unterstützungssystem eingesetzt wird. Die Entscheidung über die Übernahme des Systemvorschlags und die Auslegung werden dann einem Amtswalter überlassen. (3) Erleichterung durch automatisierbare Verwaltungsvorschriften Gleiches gilt im Grundsatz für eine Ausdeutung eines auslegungsbedürftigen Begriffs auf Tatbestandsseite ohne Beurteilungsspielraum, wenn die Auslegung der Verwaltung überlassen wird. Freilich sind die Voraussetzungen für die Wahrung der Gesetzesbindung der Verwaltung im Falle der Automatisierung hier geringer, weil die Verwaltung beispielsweise norminterpretierende Verwaltungsvorschriften143 ändern kann.144 Deshalb kommt es nicht notwendigerweise immer auf die Formalisierbarkeit einer norminterpretierenden Verwaltungsvorschrift an. Die Verwaltung kann eine Automatisierung begünstigen, indem sie Vorschriften automationsfreundlich anpasst. Beispielsweise könnte eine Begriffsbestimmung unmittelbar in Programmcode erlassen werden. Hauptaugenmerk liegt dann auf der Überprüfbarkeit der Vorschrift an rechtlichen Maßstäben, weil der Verwaltung kein unüberprüfbarer Spielraum zukommen soll.145 Auch hier bietet sich zur Vermeidung mangelnder Offenheit für neue Fallgestaltungen die Teilautomatisierung eher an als die Vollautomatisierung.

142

S. dazu bereits § 2 A. IV. 3. Siehe zu norminterpretierenden Verwaltungsvorschriften als Steuerungsmittel § 3 D. IV. 3. b) cc) (2). 144 Dass die Bindung untergeordneter Verwaltungsbeamter durch Verwaltungsvorschriften „nichts neues“ ist, aber im Falle automatisierter Verwaltungsvorschriften insbesondere bei Nichtformalisierbarkeit und Ermessen problematisch wird, thematisiert schon Degrandi, Die automatisierte Verwaltungsverfügung, 1977, S. 77; neuer Bull, DVBl. 2017, 409 (412). 145 S. sogl. zu den Kontrollmöglichkeiten § 4 B. II. 3. b). 143

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§ 4 Legitimationsanforderungen an automatisiert erlassene Verwaltungsakte 

(4) Ergebnis Letztlich lässt sich die Frage, ob die Verwaltung bei Verwendung eines regelbasierten Systems zur Auslegung von Rechtsbegriffen ihre Gesetzesbindung aus Art. 20 Abs. 3 GG zur Vermittlung sachlich-​inhaltlicher Legitimation ihres Handelns wahren kann, nur im Einzelfall beantworten, indem das entworfene Programm auf seine Vereinbarkeit mit dem Gesetzeswortlaut untersucht wird. Die Automatisierung ist rechtlich nicht ausgeschlossen und kann insbesondere durch die Anpassung norminterpretierender Verwaltungsvorschriften begünstigt werden. Zur Vermeidung einer Fixierung auf klar definierte Begriffsgrenzen, was der sprachlichen Offenheit des Rechts widersprechen kann, bietet sich die teilweise Automatisierung oder Entscheidungsunterstützung bei der Ausdeutung von Begriffen eher an als die vollständig automationsgestützte Ausdeutung. Rechtliche Probleme der mangelnden Wahrung der Gesetzesbindung der Verwaltung bestehen jedenfalls dann, wenn aufgrund erhöhter Komplexität des Merkmals das automatisierte Problemlösungskonzept vom normierten Problemlösungskonzept abweicht. Mangels vollständigen Abbildens auch beispielsweise juristischen Allgemeinwissens liegt dann einerseits die mangelnde Spezifizierung relevanter rechtlicher Gesichtspunkte nahe, andererseits das Entstehen „quasi-​gesetzlich normativer“146 Verknüpfungen, die keinen rechtlichen Erwägungen entspringen, aber eine vergleichbare Steuerungswirkung entfalten. dd) Ermessen Die Frage, ob die Verwaltung gegen ihre Gesetzesbindung aus Art. 20 Abs. 3 GG verstößt, wenn sie Ermessen automatisiert, ist umstritten.147 Sieht man die automatisierte Ermessensausübung aus Gründen der Einzelfallgerechtigkeit nach Art. 20 Abs. 3 GG als unzulässig an, verstößt die Verwaltung gegen ihre Gesetzesbindung, wenn sie Ermessensentscheidungen automationsgestützt trifft.148 Eine automatisierte Ermessensbetätigung einer Behörde wäre dann mangels Möglichkeit der Wahrung der Gesetzesbindung der Verwaltung sachlich-​inhaltlich unterlegitimiert. 146

Begriff von Kube, VVDStRL Bd. 78 (2019), 289 (308). Zum früheren Diskurs exemplarisch Haft, Elektronische Datenverarbeitung im Recht, 1970, S. 68 f.; Gruber, BayVBl. 1972, 434 (437 f.); ders., Verwaltungsentscheidungen vom Computer, 1971, S. 54 ff.; Degrandi, Die automatisierte Verwaltungsverfügung, 1977, S. 79 ff.; Polomski, Der automatisierte Verwaltungsakt, 1993, S. 56 ff.; Tönsmeyer-​Uzuner, Expertensysteme in der öffentlichen Verwaltung, 2000, S. 112 ff. M.w.N.; aktuell Stelkens, in: Stelkens / ​ Bonk / ​Sachs, VwVfG, 9. Auflage 2018, § 35 a Rn. 40 ff.; Braun Binder, DStZ 2016, 526 (529); dies., DÖV 2016, 891 (894); Stegmüller, NVwZ 2018, 353 (537); knapp auch Bull, DVBl. 2017, 409 (412); Helbich, DStR 2017, 574 (576); von Graevenitz, ZRP 2018, 238 (240); praktisch kein Problem sehend Britz, GVwR II, 2. Auflage 2012, § 26 Rn. 60; ähnlich Luthe, SGb 2017, 250 (264) und Schmitz / ​Prell, NVwZ 2016, 1273 (1276). 148 So auch Tönsmeyer-​Uzuner, Expertensysteme in der öffentlichen Verwaltung, 2000, S. 112; G. Kirchhof, in: FS BFH, 2018, Band I, 361 (379). 147

B. Sachlich-inhaltliche Legitimation 

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(1) Automatisierung als ermessenslenkende Verwaltungsvorschrift? In der Praxis werden Ermessensspielräume der Verwaltung häufig durch typisierende Verwaltungsvorschriften im Vorhinein verengt oder eliminiert.149 Regelbasierter Programmcode ohne maschinelle Lernkomponente150 könnte mit einer Verwaltungsvorschrift verglichen werden.151 Es könnte die Parallele gezogen werden, dass die automatisierte Ermessensausübung im Grundsatz zulässig sein müsse, weil auch die vollständige Eliminierung von Ermessensspielräumen durch Verwaltungsvorschriften zulässig sei.152 Bei regelbasiertem, händisch erstelltem Programmcode handelt es sich inhaltlich um ein abstraktes Problemlösungskonzept, wie es auch eine Verwaltungsvorschrift darstellt. Freilich stellen sich im Gegensatz zur Verwaltungsvorschrift abweichende Probleme, beispielsweise der Zuständigkeit und der Überprüfbarkeit.153 Die Automatisierung von Ermessen scheidet jedenfalls aus, wenn Kontroll-​und Rechtsschutzmöglichkeiten nur bedingt zur Verfügung stehen, beispielsweise wenn das Programm schwer oder nicht überprüfbar ist. Ist die Überprüfbarkeit aber gewährleistet, bleibt die Frage nach der Zulässigkeit der generellen Ermessensausübung, ob in Form des Erlasses einer Verwaltungsvorschrift oder in Form der Automatisierung des Ermessens, gleichwohl bestehen: Die Verwaltung kann mit Verwaltungsvorschriften Spielräume nur verengen oder eliminieren, wenn das nicht gegen die Grenzen verstößt, die ihr vom Gesetzgeber gezogen worden sind. Allein die Parallele der Automatisierung zur Steuerung durch Verwaltungsvorschriften beantwortet damit nicht die Frage, ob die antizipierte Ermessens­ ausübung im Einzelfall zulässig ist.

149

Stegmüller, NVwZ 2018, 353 (357). Erörterung bei Tönsmeyer-​Uzuner, Expertensysteme in der öffentlichen Verwaltung, 2000, S. 72 ff., die aufgrund einer Lernkomponente eines Expertensystems die Qualifizierung als Verwaltungsvorschrift ablehnt, S. 82; vergleichbare Argumentation: Braun Binder, DÖV 2016, 891 (894); im Ergebnis auch Guckelberger, VVDStRL Bd. 78 (2019), 253 (271). 151 Ziekow, NVwZ 2018, 1169 (1171); Hoffmann-​Riem, in: GVwR I, 2. Auflage 2012, § 10 Rn. 60; Stelkens, in: Stelkens / ​Bonk / ​Sachs, VwVfG, 9. Auflage 2018, § 35 a Rn. 19 m. w. N.; implizit auch die nur für Lernkomponenten krit. Tönsmeyer-​Uzuner, Expertensysteme in der öffentlichen Verwaltung, 2000, S. 82 und Braun Binder, DÖV 2016, 891 (894); letztlich ist die genaue Einordnung nicht zwingend notwendig, weil es sich jedenfalls um eine Form der exekutiven Selbstprogrammierung handelt, s. dazu Hill / ​Martini, in: GVwR II, 2. Auflage 2012, § 34 Rn. 4. 152 Ähnlicher Gedankengang bei Ritgen, in: Bauer et al., VwVfG und E-Government, 2. Auflage 2014, § 35 Rn. 57. 153 Braun Binder, DÖV 2016, 891 (894). 150

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§ 4 Legitimationsanforderungen an automatisiert erlassene Verwaltungsakte 

(2) Ermessensautomatisierung bei Selbstbindung der Verwaltung Andere nehmen in Fällen der Selbstbindung der Verwaltung aus Art. 3 GG die Zulässigkeit einer „Totalexaktifizierung“154 des Ermessens an. Zumindest in Fällen des durch ständige Praxis verengten Ermessens sei die norm-​und insbesondere codemäßige vollständige Ausdeutung eines Ermessensspielraums der Verwaltung zulässig.155 Weil die Verwaltung gleiche Fälle gleich behandeln muss, kann aus ihrer ständigen Praxis eine normähnliche Bindungswirkung für die Verwaltung entstehen. Soweit die Verwaltung sich durch ständige Praxis gebunden habe, dürfe diese Bindung also auch in Programmcode übertragen werden.156 Die übrigen Fälle müssten zur manuellen Bearbeitung ausgesteuert werden,157 weil Art. 3 GG gebietet, dass ungleiche Fälle ungleich behandelt werden müssen. Zunächst stellt sich für einen Teil der Automationssysteme die Frage, wie man zur Aussteuerung der „übrigen“ Fälle kommt: Die Verwaltung kann bei vollständiger Automatisierung der Einzelfallbearbeitung nicht prüfen, ob ein ungleicher Fall vorliegen könnte, weil sie im Regelfall keine Kenntnis von der Einzelfallbearbeitung erlangt. Auch die technische Implementierung eines „Freitextfeldes“ hilft darüber nur bedingt hinweg:158 Zwar könnte die Verlagerung einer Tatsachen­ feststellung auf den Nutzer noch akzeptiert werden. Bei der Frage, ob ein ungleicher Fall vorliegt, handelt es sich aber nicht um eine Tatsachenfeststellung, sondern um eine Rechtsfrage, deren Verlagerung schon aus Gründen mangelnder behördlicher Entscheidungsträgerschaft im Regelfall unzulässig sein wird.159 Bei händischer Bearbeitung würde die Frage, ob ein atypischer Fall vorliegt, geprüft werden, weil die Verwaltung von der Geltung der Selbstbindung nur für typische Fälle Kenntnis hat, der Nutzer des Systems hingegen nicht. Weil ein ungleicher Fall also vorliegen kann, ohne dass das Freitextfeld genutzt wird, kann eine Selbstbindung der Verwaltung nicht unmittelbar zur Zulässigkeit der Vollautomatisierung, sondern unmittelbar nur zur Zulässigkeit der Teilautomatisierung, soweit die Selbstbindung reicht, führen. Die Frage, ob die Verwaltung in jedem Einzelfall prüfen muss, ob ein ungleicher Fall vorliegt, oder ob die Übertragung der Selbstbindung in Code schon als vollwertige Ermessensausübung im Einzelfall zählt, bleibt bestehen. 154

Begriffsprägung von Polomski, Der automatisierte Verwaltungsakt, 1993, S. 94. Gruber, Verwaltungsentscheidungen vom Computer, 1971, S. 72; von Berg, Automationsgerechte Rechts-​und Verwaltungsvorschriften, 1968, S. 28; Polomski, Der automatisierte Verwaltungsakt, 1993, S. 56 m. w. N.; einschränkend zustimmend Tönsmeyer-​Uzuner, Expertensysteme in der öffentlichen Verwaltung, 2000, S. 113; Stelkens, in: Stelkens / ​Bonk / ​Sachs, VwVfG, 9. Auflage 2018, § 35 a Rn. 40; Martini / ​Nink, DVBl. 2018, 1128 (1129 f.). 156 Polomski, Der automatisierte Verwaltungsakt, 1993, S. 56 m. w. N. 157 Polomski, Der automatisierte Verwaltungsakt, 1993, S. 56; im Anschluss Tönsmeyer-​ Uzuner, Expertensysteme in der öffentlichen Verwaltung, 2000, S. 114; Stelkens, in: Stelkens / ​ Bonk / ​Sachs, VwVfG, 9. Auflage 2018, § 35 a Rn. 41. 158 A. A. Stelkens, in: Stelkens / ​Bonk / ​Sachs, VwVfG, 9. Auflage 2018, § 35 a Rn. 41. 159 S. sogl. § 4 C. III. 2. sowie Polomski, Der automatisierte Verwaltungsakt, 1993, S. 119. 155

B. Sachlich-inhaltliche Legitimation 

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(3) Zulässigkeit antizipierter Ermessensausübung Keine der beiden Lösungsmöglichkeiten beantwortet damit die Frage, ob die Verwaltung im Einzelfall auf ihr Ermessen verzichten und es antizipiert nach allgemeinen Kriterien ausüben darf.160 Zwar kann der Wortlaut einer Norm hierüber möglicherweise Aufschluss geben;161 es bleibt aber die Frage, wie mit Ermessensspielräumen umzugehen ist, wenn nicht festgestellt werden kann, ob der Gesetzgeber die antizipierte Ermessensausübung erlauben wollte. Die Lösung der Frage hängt dann maßgeblich davon ab, ob man das der Verwaltung eingeräumte Ermessen (nur) als Kompetenzregel auffasst oder als individuelle Rechtskonkretisierungspflicht. (a) Kompetenzverlagerung auf Verwaltungsebene Einerseits könnte Verwaltungsermessen im Zweifel als Kompetenzbereich der Exekutive ohne besondere qualitative Voraussetzungen aufgefasst werden.162 Es wäre dann Sache der Verwaltung, zu entscheiden, ob sie Ermessen automatisiert ausfüllen will oder nicht.163 Weil die Befugnis zur Ausübung des Ermessens allein der Verwaltung zukomme, stünde ihr diese Entscheidung im Grundsatz frei. Die Verwaltung könnte dann den vom Gesetzgeber übertragenen Spielraum im Bereich des Ermessens vollständig antizipiert ausfüllen.164 Sie könnte ermessensausfüllende Verwaltungsvorschriften erlassen, die in Code übersetzbar sind, oder unmittelbar ermessensausfüllenden Code erlassen, vorausgesetzt, er ist ebenso überprüfbar wie eine Verwaltungsvorschrift.165 Ebenso könnte eine ständige Übung in Code übersetzt werden oder eine ständige Übung durch Code entstehen. Der Ermessensprüfung ginge der Einzelfallbezug verloren, da anstatt der Rechtskonkretisierung im Einzelfall ein abstraktes Problemlösungskonzept angewendet würde. Sieht man in der Einräumung von Ermessen durch den Gesetzgeber das Einräumen der Letztkonkretisierungsbefugnis im Einzelfall ohne Pflicht zur individuellen Rechtskonkretisierung, wäre auch die automatisierte Ermessensausübung nicht grundsätzlich ein Verstoß gegen die Gesetzesbindung der Verwaltung aus Art 20 Abs. 3 GG. Es läge lediglich möglicherweise ein „einfacher“ Ermessensfehler

160 Deutlich aufgeworfen wurde die Frage schon bei Haft, Elektronische Datenverarbeitung im Recht, 1970, S. 68; aktuell mit Bezug auf § 35a VwVfG Stegmüller, NVwZ 2018, 353 (357); krit. diesbezüglich auch G. Kirchhof, in: FS BFH, 2018, 361 (380). 161 So Degrandi, Die automatisierte Verwaltungsverfügung, 1971, S. 79. 162 S. zu diesem Gedanken Seiler, Auslegung als Normkonkretisierung, 2000, S. 41. 163 So Stegmüller, NVwZ 2018, 353 (357); die Möglichkeit des Einsatzes selbstlernender Systeme sieht Ziekow, NVwZ 2018, 1169 (1171). 164 S. dazu die Anmerkungen von Stelkens, in: Stelkens / ​Bonk / ​Sachs, VwVfG (9. Auflage 2018), § 35 a Rn. 40; Stegmüller, NVwZ 2018, 353 (357). 165 Ziekow, NVwZ 2018, 1169 (1171).

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§ 4 Legitimationsanforderungen an automatisiert erlassene Verwaltungsakte 

im Einzelfall vor166, wenn das Automationssystem rechtlich relevante individuelle Merkmale des Falls nicht berücksichtigt, was aufgrund des rückblickenden Charakters der Systeme nicht ausgeschlossen werden kann. Nicht in jedem Fall bestünde notwendigerweise ein Ermessensfehler, weil Fälle bei veränderter Tatsachenlage gleichwohl rechtlich identisch gewertet werden können. In Fällen, in welchen der Erlass einer typisierenden Verwaltungsvorschrift oder die Ausbildung einer ständigen Praxis der Verwaltung in Betracht kommt, ist es wahrscheinlich, dass ein in dieser Weise abstrakt regelbarer Fall vorliegt, sonst erübrigte sich die Typisierung oder Herausbildung eines Regelfalls. (b) Individuelle Rechtskonkretisierungspflicht Hebt man den Aspekt der Einzelfallgerechtigkeit, dem die Ermessenseinräumung durch den Gesetzgeber Rechnung tragen soll, hervor, lässt sich die grundsätzliche Zulässigkeit genereller Ermessensausübung schwer vertreten.167 Sieht man also in der Einräumung von Ermessen im Zweifel die Auferlegung einer Pflicht zur individuellen Rechtskonkretisierung durch die Verwaltung, muss die Verwaltung dies aufgrund ihrer Gesetzesbindung aus Art. 20 Abs. 3 GG beachten und darf Ermessensspielräume gerade nicht antizipiert ausfüllen. Die antizipierte Ermessensausübung bedeutet nach dieser Sichtweise gleichzeitig und unmittelbar einen Ermessensausfall, weil Ermessenserwägungen, die rechtlich geboten sind, namentlich die Abwägung individueller Fallmerkmale, nicht angestellt werden. Letztlich stellt sich das Problem dann auch bei ermessenseliminierenden Verwaltungsvorschriften. Zwar können faktische Spielräume bei der Rechtsanwendung nicht eliminiert werden, sodass die Verwaltungsvorschrift eher als vergleichbar mit einem Unterstützungssystem anzusehen sein könnte.168 Weil aber von Rechts wegen auch an ermessenseliminierende Verwaltungsvorschriften eine strenge Bindung besteht, wäre das automatisierte Ermessen mit dem durch Verwaltungsvorschrift „totalexaktifizierten“ Ermessen rechtlich gleichzusetzen.169

166

Einen strukturellen Ermessensausfall sieht Stegmüller, NVwZ 2018, 353 (357). So z. B. Braun Binder, NVwZ2016, 960 (963); dies., DStZ 2016, 526 (529); dies., DÖV 2016, 891 (894); Polomski, Der automatisierte Verwaltungsakt, 1993, S. 58; a. A. Stegmüller, NVwZ 2018, 353 (357). 168 Diesen Unterschied hebt Ritgen, in: Bauer et al., VwVfG und E-Government, 2. Auflage 2014, § 35 Rn. 57 hervor. In diese Richtung auch Haft, Elektronische Datenverarbeitung im Recht, 1970, S. 68. 169 A. A. Wegen der mangelnden Nachprüfbarkeit G. Kirchhof, in: FS BFH, 2018, Band I, 361 (379). Der Nachprüfbarkeit wird sich hier an einem späteren Punkt gewidmet, s. § 4 B. II. 3. b). 167

B. Sachlich-inhaltliche Legitimation 

219

(c) Stellungnahme Dass bei der Ermessensausübung grundsätzlich Einzelfallaspekten höheres Gewicht beizumessen ist als Zweckmäßigkeitsaspekten, ist gesetzlich nicht geregelt. Vielmehr ist auf den Zweck der jeweiligen Ermächtigung abzustellen, vgl. § 40 VwVfG. Besteht der Zweck einer Ermächtigung nicht darin, den Einzelfall durch einen mit dem Rechtsfall besonders vertrauten Amtswalter individuell zu würdigen, sondern darin, der Verwaltung im Rahmen der Gesetze freie Hand zu lassen, ist auch die generelle und damit auch die automatisierte Ermessens­ausübung zulässig. Ist nicht ohne weiteres aus der Norm ersichtlich, welchen Zweck die Ermessensregelung hat, sind rechtliche Wertungen entscheidend. Wertungsmäßig erscheint das Problem allerdings schwer lösbar: Einerseits sprechen Rationalisierungsgründe bisweilen für die Programmierbarkeit und damit Automatisierbarkeit von Ermessen im Verwaltungsbereich, andererseits ist die Verlagerung einer Berücksichtigung von Einzelfallaspekten auf die Rechtsschutzebene ebenso kritisch zu beurteilen, insbesondere aufgrund des reduzierten gerichtlichen Prüfungsmaßstabs im Ermessensbereich. Dem das Ermessen programmierenden Amtswalter, der also Sachsteuerungsbefugnis für die Ermessensnorm besitzt, kommt im Regelfall höhere organisatorisch-​personelle Legitimation zu, als dem im Einzelfall tätigen Amtswalter. Der untergeordnete Amtswalter hat jedoch im Regelfall bessere Kenntnis vom konkret zu lösenden Fall, und kann damit Einzelfallgesichtspunkten eher gerecht werden, deren Beachtung das Rechtsstaatsprinzip als gleichrangiges Staatsstrukturprinzip einfordert. Weil der Gesetzgeber letztlich durch seine Normgestaltung darüber entscheiden kann, ob die Verwaltung aus Effizienzgründen ihr Ermessen antizipiert ausüben können soll, ist vorsorglich von der Unzulässigkeit der antizipierten Ermessens­ ausübung auszugehen, wenn der Gesetzgeber es nicht explizit oder nach dem Zweck der Regelung erlaubt hat. Die Unzulässigkeit ergibt sich nicht daraus, dass im Falle der Automatisierung der Ermessensausübung grundsätzlich ein Ermessensausfall vorliegt. Ein solcher liegt nur vor, wenn keine Ermessenserwägungen angestellt wurden, die Behörde also verkannt hat, dass sie einen Spielraum hat.170 Bei antizipierter Ermessensausübung werden Ermessenserwägungen angestellt und lediglich generell und im Vorhinein darüber entschieden, wie sie zu gewichten sind.171 Es liegt auch nicht notwendigerweise ein Ermessensfehlgebrauch durch eine Fehlgewichtung relevanter Belange172 vor: Zwar führt eine automatisierte Ermessensausübung dann, wenn nichtprogrammierte Einzelfallaspekte rechtlich relevant sind, notwendiger 170

Maurer / ​Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, 19. Auflage 2018, § 7 Rn. 21. Für die Zulässigkeit dieser generellen Ermessensausübung Maurer / ​Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, 19. Auflage 2018, § 7 Rn. 14 f. 172 Hierzu Maurer / ​Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, 19. Auflage 2018, § 7 Rn. 22. 171

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§ 4 Legitimationsanforderungen an automatisiert erlassene Verwaltungsakte 

weise dazu, dass die in das Ermessen einfließenden Gesichtspunkte fehlgewichtet wurden – dem nichtprogrammierten Aspekt wird kein Gewicht beigemessen. Allerdings liegt nicht in jedem Fall eine derartige Fehlgewichtung vor, weil Fälle auch in rechtlich unerheblichen Punkten voneinander abweichen können. Die automatisierte Ermessensausübung verursacht also nicht notwendigerweise einen Ermessensfehler. Es muss vielmehr vor allem mit Blick auf den aktuellen Entwicklungsstand der Systeme der Weg über die Entscheidungsunterstützung oder teilweise Auto­ matisierung gegangen werden: Eine Vollautomatisierung, die rechtsmethodische Standards beachtet, ist im Bereich des Ermessens schwer zu realisieren und jedenfalls nicht verallgemeinerbar für die Fülle an denkbaren Ermessensspielräumen.173 Häufig werden sich nur defizitäre Kontrollmöglichkeiten bieten, weil die automatisierte Ermessensentscheidung in nicht aufschlüsselbar anderer Weise komplex ist als die menschliche Entscheidung, die im Bereich des Ermessens aufgrund der Begründungspflicht im Regelfall nachvollziehbar sein dürfte. Selbst wenn dieser Befund sich ändert, sprechen die besseren Gründe gegen die vollständige Programmierung des Ermessens. Durch Teilautomatisierungen oder eine maschinelle Entscheidungsunterstützung des jeweiligen Amtswalters können die positiven Effekte des Technikeinsatzes, insbesondere das Aufdecken ungewollter Subjektivität174 und die Gleichmäßigkeit der Rechtsanwendung sowie Rechtsanwendungsgenauigkeit, erzielt werden, ohne dass die negativen Effekte, insbesondere die Möglichkeit der Nichtberücksichtigung rechtlich erheblicher Merkmale, zum Tragen kommen.175 Es sind auch keine hohen Effizienzeinbußen im Verwaltungsvollzug zu erwarten. Bereits die Algorithmisierung von Syntax und Zahlen mit händischer Wahrheitswertzuordnung soll dazu führen, dass die Automatisierungsquote erheblich angehoben wird.176 Wird dieser Ansatz verfolgt, bleiben jedenfalls ausreichende personelle Ressourcen, um Ermessensspielräume individuell, gegebenenfalls mit automatisiertem Entscheidungsvorschlag und Prozentangabe, wie sicher sich das Automationssystem mit der gegebenen Prognose ist, auszufüllen. Eine Entscheidungsunterstützung durch Automationssysteme könnte sich sogar positiv auf 173

S. zu technischen und rechtsmethodischen Aspekten der automatisierten Ermessensausübung durch fallbasierte Systeme mit ML Herold, in: Rechtsfragen digitaler Transformationen, 2018, 453 (461 f.). 174 Insbesondere könnten fallbasierte Entscheidungsunterstützungssysteme beispielsweise Diskriminierungstendenzen bei der Rechtsanwendung offenlegen. Das sieht auch Ernst, JZ 2017, 1026 (1028). 175 So auch Degrandi, Die automatisierte Verwaltungsverfügung, 1971, S. 81: durch Teilautomation würde das Problem des Ermessensverzichts „weitgehend umgangen“. 176 In Plenarprotokoll 18/170, S. 16779 (B), findet sich die Angabe einer Erhöhung der Automatisierungsquote von 3 auf 50 %. Krit. aber die Stellungnahme der Deutschen Steuer-​Gewerkschaft, s. dies., Öffentliche Anhörung zu BTDrucks. 18/7457, S. 2, die anmerkt, dass dies nur in Umgehung des materiellen Steuerrechts möglich sei.

B. Sachlich-inhaltliche Legitimation 

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die Entscheidungsqualität auswirken, wenn auf die maschinelle Entscheidungsunterstützung bezogene Begründungspflichten eingeführt werden: Beispielsweise könnte zusätzlich zur Begründung einer Ermessensentscheidung jedenfalls zu Dokumentationszwecken eine Begründung des prüfenden Amtswalters abgefragt werden, warum vom Systemvorschlag abgewichen wurde, oder warum bei geänderter Tatsachenlage nicht abgewichen wurde. Insbesondere letzteres könnte einer „Technikblindheit“ effektiv entgegenwirken, indem der prüfende Amtswalter gezwungen wird, sich mit dem Vorschlag des Systems inhaltlich und einzelfall­ bezogen auseinanderzusetzen. (4) Ergebnis Der Gesetzgeber entscheidet mit seiner Zwecksetzung, vgl. § 40 VwVfG, darüber, ob Ermessensspielräume der Verwaltung vollständig automatisiert ausgefüllt werden dürfen oder nicht. Automatisiertes Ermessen ist nicht im Grundsatz unzulässig, sondern nur dann, wenn nach dem Zweck der Ermächtigung ersichtlich ist, dass das Ermessen gerade zur besonderen Berücksichtigung individueller Fallmerkmale eingeräumt wurde. Ist der Zweck des Ermessens nicht eindeutig, ist im Zweifel von der automatisierten Ermessensausübung abzusehen. Eine maschinelle Entscheidungsunterstützung sowie die Teilautomatisierung des Ermessens sind in jedem Fall zulässig. ee) Auslegungsbedürftige Begriffe auf Tatbestandsseite mit Beurteilungsspielraum Ein ähnliches Problem stellt sich in Bezug auf Beurteilungsspielräume der Verwaltung.177 Auch in diesen Fällen ist es gängige Praxis, dass die Verwaltung die Ausübung ihres Beurteilungsspielraums antizipiert in Form einer Verwaltungsvorschrift ausübt.178 Eine regelbasierte Automatisierung der Ausfüllung eines Beurteilungsspielraums ohne aktive Lernkomponente ist damit grundsätzlich, jedenfalls was die rechtliche Bindungsintensität angeht, vergleichbar. Ließe man die Automatisierung in diesen Fällen zu, würde der Einzelfallbezug der Rechtsanwendung strukturell und notwendigerweise entfallen. Nimmt man Beurteilungsspielräume von vornherein aus den vollständig programmierbaren Gegenständen heraus, ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass Einzelfallgesichtspunkte berücksichtigt wer-

177 Üblicherweise werden ob des höheren Maßes an Parallelität denn Unterschiedlichkeit in Prüfungsmaßstab und Zweck beider Merkmale das Ermessen und der Beurteilungsspielraum gemeinsam untersucht. Auch in dieser Untersuchung wurde bislang beides gemeinsam dargestellt, vgl. § 2 C. 178 BVerwGE 107, 338 (341).

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§ 4 Legitimationsanforderungen an automatisiert erlassene Verwaltungsakte 

den, allerdings werden die Rechtsanwendungsgleichheit, -genauigkeit und Effizienz des Verwaltungshandelns vermindert. Grundsätzlich entscheidet auch hier der Gesetzgeber darüber, ob der Verwaltung eine einzelfallbezogene Rechtskonkretisierungspflicht auferlegt wird oder ob sie den Beurteilungsspielraum antizipiert durch Programmierung ausfüllen darf, beispielsweise aus Effizienzgründen. In Fällen, in welchen der Wille des Gesetzgebers uneindeutig ist, muss der Weg über die Entscheidungsunterstützung oder Teilautomatisierung gegangen werden. Ungeachtet etwaiger Probleme auf der Kontrollebene ist bei einer vollständig automatisierten Ausfüllung von Beurteilungsspielräumen zu erwarten, dass die negativen Aspekte der Nichtberücksichtigung des Einzelfalls und der Schematisierung den positiven Aspekt der gleichmäßigeren Rechtsanwendung überwiegen. Deshalb bietet sich ungeachtet etwaiger Probleme auf der Kontrollebene für Beurteilungsspielräume die vollständige Automatisierung nicht an, sofern der Wille des Gesetzgebers nicht nahelegt, dass die Verwaltung ihre Beurteilungsspielräume antizipiert ausüben darf. Eine Teilautomatisierung kann die positiven Aspekte, die auch von normkonkretisierenden Verwaltungsvorschriften in diesem Bereich bezweckt werden, aufrechterhalten. Ob eine schematisierte Anwendung sachlicher Vorgaben auch im Einzelfall sachgerecht ist, muss im Zweifel in jedem Einzelfall festgestellt werden. ff) Ergebnis Im Grundsatz bestehen vertretbare Möglichkeiten zur adäquaten Abbildung der legislativen und exekutiven Steuerungselemente in regelbasierten Programmcode. Kein Problem stellt beispielsweise regelmäßig die Automatisierung von Normsyntax und arithmetischen Operationen dar, sodass maschinelle Rechentätigkeiten im Regelfall zulässig sind. Im Übrigen ist ab einem gewissen Komplexitätsgrad jedoch zu erwarten, dass das Programm rechtlichen Wertungen zuwiderläuft. Zwar dürfte sich eine Übersetzung natürlichsprachlicher Syntax in Programmiersprachen in der Regel nicht auf das Rechtsanwendungsergebnis auswirken. Die Prüfung dessen, welcher Operator das sinngemäße Pendant zum natürlichsprachlichen Operator ist, dürfte in der Regel gelingen. Ab einem gewissen Komplexitätsgrad ist aber zu erwarten, dass beispielsweise bei der Abbildung von Rechtsbegriffen oder von Normketten Verknüpfungen vergessen werden,179 sodass sich die Syntaxprogrammierung nur bei wenig komplexen Verfahren als zulässige Abbildung des gesetzlichen Wortlauts darstellt. 179 S. insb. die Ausführungen zur idealen Entscheidungsnorm. Wird ein Aspekt bei der Programmierung vergessen, wird das Rechtsanwendungsergebnis im Hinblick auf das nicht programmierte Element verfälscht, § 2 B. IV. 3.

B. Sachlich-inhaltliche Legitimation 

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Bezüglich einer Wahrheitswertzuordnung zugänglicher Begriffe besteht ebenfalls im Grundsatz kein Problem mit einer Automatisierung. Messungen und Berechnungen können uneingeschränkt von Automationssystemen durchgeführt werden. Probleme ergeben sich aber auf der Ebene der Feststellung, ob ein Begriff messbar oder auslegungsbedürftig ist. Auslegungsbedürftige Begriffe sind im Grundsatz ebenfalls automatisierbar. Allerdings wird nur in seltenen, wenig komplexen Fällen die unmittelbare Übertragung der für die Auslegung relevanten Gesichtspunkte in regelbasierte Systemgestaltungen gelingen. Es ist eher zu erwarten, dass relevante Gesichtspunkte nicht spezifiziert werden können, sodass nur der Weg über die Teilautomatisierung oder Entscheidungsunterstützung gangbar ist, um nicht rechtlich relevante Gesichtspunkte im maschinellen Verfahren auszusparen und damit gegen die Gesetzesbindung zu verstoßen. Bezüglich Ermessens-​und Beurteilungsspielräumen tritt zum Problem der Bedeutungsverschiebung bei Komplexität das Problem der mangelnden Berücksichtigung des Einzelfalls hinzu. Eine Automatisierung ist nur zulässig, wenn nach dem Zweck der Regelung der Einzelfall nicht nach individuellen Kriterien beurteilt werden muss, sondern auch nach generellen Kriterien gewürdigt werden darf. Entscheidungsunterstützungssysteme können, auch und gerade in Bereichen mit besonderem Einzelfallbezug, kohärenzorientierte Vorschläge liefern, die die Objektivität und Gleichmäßigkeit der Rechtsanwendung begünstigen. Eine vollständige Automatisierung von Ermessen und Beurteilungsspielräumen hieße, die Stabilitäts-​und Effizienzgewinne durch Automatisierung im Verhältnis zur mangelnden Möglichkeit der individuellen Würdigung des Einzelfalles proportional überzubewerten, was sich aus der Verfassung nicht unmittelbar rechtfertigen lässt und insbesondere angesichts des Stands der Technik aktuell abzulehnen ist. b) Kontrollmöglichkeiten Regelbasierte Automationssysteme müssen anhand des Gesetzes überprüft werden können. Im Bereich der demokratischen Legitimation der Verwaltung stellt sich insbesondere die Frage nach legislativen und exekutiven Kontrollmöglichkeiten.180 Diese sind im automatisierten Verwaltungs-​verfahren besonders wichtig, weil Programmierfehler strukturelle Fehler sind, die potenziell eine Vielzahl von Verwaltungsakten gleichzeitig betreffen können.181 Kontrollverfahren für Automationssysteme und algorithmische staatliche Entscheidungen sind bislang legislativ nicht normiert, sodass hier aus der Anforderung demokratischer Legitimation 180

Auch die judikative Überprüfung des Verwaltungsakts ist im Gesamtgefüge der Gewalten relevant. Auf die daraus folgenden Anforderungen wird nicht gesondert eingegangen, weil sie sich letztlich konzeptionell mit den Möglichkeiten der Rechtsaufsicht decken. 181 Polomski, Der automatisierte Verwaltungsakt, 1993, S. 229.

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§ 4 Legitimationsanforderungen an automatisiert erlassene Verwaltungsakte 

Leitlinien entwickelt werden sollen. Sie könnten beispielsweise in Normierungen des Gesetzgebers oder der Verwaltung Berücksichtigung finden. aa) Leitlinien für legislative Kontrolle: Informationsrechte Einige parlamentarische Kontrollbefugnisse werden durch den Automationssystemeinsatz wenig bis gar nicht berührt, beispielsweise die Möglichkeit eines konstruktiven Misstrauensvotums nach Art. 67 Abs. 1 GG. Soweit es aber um Informations-​und Auskunftsrechte des Parlaments geht, ergeben sich Leitlinien für den Einsatz von Programmcode zur Rechtsanwendung. (1) Möglichkeit öffentlicher Diskussion Die Informationsrechte des Parlaments dürfen nicht durch Geheimhaltungen beschnitten werden, weil ansonsten der Legitimationszusammenhang unterbrochen werden könnte.182 Vielmehr ist der Informationsanspruch auf Öffentlichkeit angelegt. Parlament und Wähler müssen so über die Abläufe informiert sein, dass sie diese beurteilen können.183 Das setzt voraus, dass die Regierung diese Informationen bereitstellen kann. Dafür müssen das Programm, seine Entwicklung am Gesetzeswortlaut sowie Änderungen am Programm und Gründe hierfür dokumentiert werden, beispielsweise in regelmäßigen Statusberichten. Es müssen Zugriffsrechte des Parlaments und der Regierung auf den Träger der Dokumentation des Programms bestehen, jedenfalls Weiterleitungspflichten der Regierung. Die Aufschlüsselung des Programms muss zwecks Diskussionsmöglichkeit für Regierung und Parlament, aber auch für den Wähler verständlich möglich sein, bestenfalls ohne die Hinzuziehung externen Sachverstands. Berichte über die Funktionsweise des Systems und die Auswirkungen seines Einsatzes sind folglich in einer für die Öffentlichkeit verständlichen Weise zu verfassen und zu veröffentlichen. Letztlich sind also die Mindestanforderungen im Hinblick auf demokratische Informationspflichten die Erklärbarkeit und Nachvollziehbarkeit des Problemlösungs­ konzepts, parlamentarische Zugriffsmöglichkeiten auf das Problemlösungskonzept zur Überprüfung seiner Funktionsweise sowie die interne und öffentliche Dokumentation der Funktionsweise der Systeme.

182 183

BVerfGE 147, 50 (128 m. w. N.). BVerfGE 147, 50 (128 f.).

B. Sachlich-inhaltliche Legitimation 

225

(2) Privatisierung ändert nichts Die Vorgaben gelten auch für öffentliche Unternehmen in Privatrechtsform.184 Nur Beschränkungen, die ihren Grund im Verfassungsrecht haben, sind zulässig.185 Die Verwaltung darf sich deshalb beispielsweise nicht auf vertragliche Klauseln einlassen, die im Ergebnis das Informationsrecht des Parlaments einschränken könnten.186 (3) Ergebnis Informationsrechte des Parlaments dienen der Sicherstellung der demokratischen Verantwortlichkeit des Parlaments gegenüber dem Wähler.187 Das Legitimationsgefüge kann also aus dem Gleichgewicht geraten, wenn Parlament und Regierung nicht über die Funktionsweise von Automationssystemen Bescheid wissen oder sich nicht mit zumutbarem Aufwand darüber informieren können. Regelmäßige Berichte über den Entwicklungsstand der Systeme können hier hilfreich sein. Auch weist der Zweck des Informationsrechts auf zwingende Komplexitätsgrenzen regelbasierter Systeme hin. Was von Parlament, Regierung und Wähler nicht zumindest in seinen wesentlichen Funktionsmechanismen und Auswirkungen verstanden und auch gesellschaftlich sinnvoll diskutiert werden kann, darf nicht eingesetzt werden. bb) Leitlinien für exekutive Kontrolle Herkömmliche exekutive Kontrollmittel sind die Weisung sowie die Rechts-​und Fachaufsicht. Die Kontrolldichte ist höher als diejenige des Parlaments gegenüber der Regierung. Letztlich wird eine Willenskongruenz von Verwaltungsspitze und untergeordneten Amtswaltern, also der individuellen Rechtkonkretisierung im Einzelfall, angestrebt. Das muss die Architektur eines Automationssystems nachvollziehen.

184

BVerfGE 147, 50 (50, Ls. 3). BVerfGE 147, 50 (50, Ls. 2). 186 In eine vergleichbare Richtung geht der Befund des BVerwG, Urt. V. 26.11.2009 – 7C 20/08 = NVwZ 2010, 522 (525), die Plausibilitätsprüfung einer Excel-​Tabelle, die Berechnungs­ ergebnisse eines Herstellers bereits vorwegnehme, genüge den Anforderungen eines rechtsstaatlichen Verfahrens nicht. Zwar bestehe ein verfassungsrechtlich geschütztes Interesse an der Geheimhaltung von Betriebsgeheimnissen, dieses sei aber gegenüber dem Gebot effektiven Rechtsschutzes, das eine Nachprüfbarkeit der konkreten Berechnung erfordert, abzuwägen. 187 BVerfGE 147, 50 (128 f.). 185

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§ 4 Legitimationsanforderungen an automatisiert erlassene Verwaltungsakte 

(1) Abänderbarkeit von Programmcode Weisungs-​und Selbsteintrittsrechte, aber auch Verwaltungsvorschriften sind darauf angelegt, im Einzelfall eine Art Durchgriff der Verwaltungsspitze gegenüber untergeordneten Amtswaltern zu bewirken.188 Das Rechtsanwendungsverhalten darf also vom übergeordneten, demokratisch stärker legitimierten Amtswalter beeinflusst werden, um eine Willensübereinstimmung zu erzielen.189 Übertragen auf Automationssysteme bedeutet das, das ein Programmcode von der Verwaltungsspitze bzw. von demjenigen Organ, das jeweils zur verbindlichen Sachsteuerung befugt ist, abänderbar sein muss.190 Weiterhin muss jederzeit durch höherrangige Amtswalter eingegriffen werden können und jederzeit die Möglichkeit der Ersetzung des maschinellen Vorgangs durch händische Bearbeitung bestehen. Weil die Weisungsmöglichkeit Information voraussetzt, ist auch im Binnenverhältnis der Verwaltung eine nachvollziehbare Dokumentation der Vorgänge zu fordern, beispielsweise über Statusberichte und Berichte bei Änderungen des Systems. Es müssen Zugriffsrechte weisungsbefugter Amtswalter auf die Dokumentation und Erklärung des Programms sowie das Programm selbst bestehen. (2) Trennung von legislativer und exekutiver Programmebene Weil die Verwaltung nur diejenigen Vorgaben ändern darf, die sie befugt ist, verbindlich zu setzen191 – den Inhalt von Rechtsverordnungen, Verwaltungsvor­ schriften, Weisungen o.Ä.  – muss ein Automationssystem grundsätzlich das Legislativprogramm vom Exekutivprogramm trennen. Veränderungen des Exekutivprogramms, beispielsweise die Änderung implementierter Verwaltungsvorschriften, dürfen sich nicht auf die Systemarchitektur auswirken, die die Legislativsteuerung durch Parlamentsgesetze in Code abbildet. Ansonsten bestünde die Gefahr, dass sich die Verwaltung über zwingende Vorgaben der Parlamentsgesetze hinwegsetzt und damit gegen ihre Gesetzesbindung nach Art. 20 Abs. 3 GG mit der Vorgabe verstößt, exekutive Sachsteuerung nur innerhalb des Rahmens der Legislativsteuerung zu erzeugen. Letztlich muss also sichergestellt werden, dass im verwaltungsinternen Bereich die Möglichkeit zur Abänderung von rechtskonkretisierendem Programmcode besteht, dass aber nicht Vorgaben, die Parlamentsgesetzen entspringen, abgeändert werden können. Bei Gesetzesänderungen durch die Legislative freilich muss die legislative Programmebene ebenfalls entsprechend abgeändert werden können. Das schließt die Überprüfbarkeit des Zusammenspiels

188 Weisungen sind freilich am „durchgriffsintensivsten“, Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000, S. 189. 189 Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000, S. 189; Köller, Funktionale Selbstverwaltung und ihre demokratische Legitimation, 2009, S. 152. 190 Für die Abänderbarkeit auch Kube, VVDStRL Bd. 78 (2019), 289 (320). 191 Das Problem wird auch von Kube, VVDStRL Bd. 78 (2019), 289 (311) aufgeworfen.

B. Sachlich-inhaltliche Legitimation 

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der Regelungen und eventuelle Auswirkungen dieser Änderungen auf die Funktionsweise des Gesamtsystems mit ein. (3) Transparenz und Zugriffsmöglichkeiten Auch im Binnenbereich der Verwaltung ist Transparenz zu fordern, also die jederzeitige Möglichkeit der Einsicht zuständiger Organe in die Funktionsweise des Systems und in Dokumentationsträger. Hierfür sind gegebenenfalls Zugriffsmöglichkeiten und -rechte zu schaffen. Neben der Transparenz der Systeme ist auch und vor allem erforderlich, dass die Funktionsweise des Systems erklärbar und nachvollziehbar ist. Ansonsten kann die Möglichkeit der Weisung nicht sinnvoll erwogen werden und es besteht kein Anknüpfungspunkt für die Rechts-​und Fachaufsicht. (4) Rechtliche Erklärbarkeit Maßstab der Rechtsaufsicht ist das Parlamentsgesetz. Kernpunkt einer Kontrollarchitektur für regelbasierte Automationssysteme muss deshalb ihre Überprüf­ barkeit am Gesetzeswortlaut sein. Ansonsten droht ein „Beherrschungsdefizit, das der Rechtsstaat nicht duldet“192. Eine umfassende Überprüfbarkeit muss einzelnen Amtswaltern193 und der Verwaltungsspitze ermöglicht werden. (a) Notwendigkeit von Kontrollstandards Um algorithmische Problemlösungskonzepte am Gesetz überprüfen zu können, bedarf es organisatorischer und inhaltlicher Rahmenvorgaben für eine Kontrolle. Diese müssen in wesentlichen Bereichen vom Gesetzgeber standardisiert festgelegt werden und ansonsten von der Verwaltung formuliert werden. Je nach Sachbereich sollten weiterhin konkretisierende, sachbereichsspezifische Standards entwickelt werden. Grundsätzlich und sachbereichsunabhängig sollten die Systeme vor ihrem Einsatz umfassend auf ihre Vereinbarkeit mit geltendem Recht geprüft und auch während ihres Einsatzes fortlaufend kontrolliert werden. Daneben muss die nachträgliche Überprüfungsmöglichkeit sowohl im Hinblick auf die allgemeine Funktionsweise des Systems als auch im Hinblick auf getroffene Entscheidungen umfassend gewährleistet sein.

192 193

G. Kirchhof, in: FS BFH (2018), Band I, 361 (365). Kube, VVDStRL Bd. 78 (2019), 289 (317).

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§ 4 Legitimationsanforderungen an automatisiert erlassene Verwaltungsakte 

(b) Interdisziplinäre Rechtsaufsicht Je nach Gestaltung des Automationssystems müsste ein konzeptionelles Umdenken in der Rechtsaufsicht stattfinden, wenn die Auslegung eines Begriffs abstrakt über eine Ontologie repräsentiert wird, nicht im Einzelfall über eine Begründung mit Verweisen. Es muss dann der Ontologie entnommen werden können, dass sie gerade dem Recht entspringende Zusammenhänge expliziert. Im Regelfall wird eine Ontologie und ihr Einsatz zur Rechtsanwendung zu komplex für eine rechtsaufsichtsmäßige Überprüfung sein, insbesondere aufgrund des von menschlicher Assoziation abweichenden Textauswertungsverhaltens, das im Einzelfall schwer nachvollziehbar sein kann. Wird ein fehlerhaftes Rechtsanwendungsverhalten aufgedeckt, könnte es ein Problem sein, herauszukristallisieren, welches Wissen der Ontologie konkret gefehlt hat und was expliziert werden muss, damit der Fehler für Folgefälle und verwandte Fälle behoben wird. Grundsätzlich wird der Mensch sein Problemlösungsverhalten, unter Berücksichtigung auch von Weltwissen, Erfahrungswissen, rechtsdogmatischem Wissen und Kenntnis seiner Rangstellung beispielsweise gegenüber Fallwissen, sowie „Fingerspitzengefühl“ als Maßstab heranziehen, was problematisch sein kann, wenn sein Problemlösungsverhalten im Ergebnis so weit vom maschinellen Problemlösungsverhalten entfernt ist, dass sich nicht genau sagen lässt, in welcher dieser Sphären überhaupt ein konkret benennbarer „Fehler“ im Programm liegt. Genauso wäre eine automatisiere Ausfüllung von Ermessens-​und Beurteilungsspielräumen schwer in eine nicht von Experten entwickelte und überwachte Kontrollarchitektur einzubinden. Neben der Rückführbarkeit der Repräsentation des Programmcodes auf gesetzliche Wertungen müsste im Wege der Rechtsaufsicht erklärt werden können, wie und warum es zum Rechtsanwendungsergebnis im Einzelfall kam. Eine derartige Aufschlüsselung dürfte im Grundsatz zu komplex für die Organe der Rechtsaufsicht sein, wobei das insbesondere von der Qualifikation der Mitglieder und organisatorischen Ausgestaltung der Prüfungsinstanz abhängt, die bis zu einem gewissen Grad beeinflusst werden kann. Grundsätzlich stellt sich deshalb die Frage, ob die Rechtsaufsicht auch im Falle des Einsatzes von Automationssystemen wie bisher durch technisch nicht versierte Personen wahrgenommen werden kann.194 Soll die Rechtsaufsicht nicht gänzlich ausgelagert werden, was eigene Probleme der Überprüfbarkeit schafft195, beschneidet das das Maß an zulässiger Komplexität eines Automationssystems. Das Programm muss auch für Gesetzeskundige, aber technisch nicht versierte Personen eine verständliche Abbildung des gesetzlichen Wortlauts darstellen. Änderungen zuständiger Amtswalter am Programm müssen in Bezug auf ihre Rechtmäßigkeit überprüft werden können. Das wird entweder Anforderungen an die Repräsentation des Programms stellen oder die möglichen Programmiersprachen auf solche 194 195

S. Polomski, Der automatisierte Verwaltungsakt, 1993, S. 226. S. dazu Kube, VVDStRL Bd. 78 (2019), 289 (312 f.).

B. Sachlich-inhaltliche Legitimation 

229

reduzieren, die der natürlichen Sprache entlehnt sind und deshalb einen einfachen Transfer ermöglichen. Gleichzeitig wäre eine Unterstützung der Rechtsaufsicht durch technische Experten sinnvoll.196 Interdisziplinär ausgerichtete Verfahren könnten auch komplexere automatisierte Rechtsanwendungsmethoden kontrollierbar machen. (5) Ergebnis In der Reflektion der Möglichkeiten parlamentarischer und exekutiver Überprüfung zeigen sich die Komplexitätsgrenzen automatisierter Rechtsanwendung noch deutlicher als auf der Steuerungsebene. Während also die Übersetzung natürlicher Sprache in Code nach einer juristischen Aufarbeitung des Parlamentsgesetzes teilweise geleistet werden kann, dürfte die Rückübersetzung zu Informations-​und Kontrollzwecken ohne die Hinzuziehung technischen Sachverstands schwierig sein. Die Informationsrechte des Parlaments gegenüber der Regierung stellen ein wichtiges Instrument der Verantwortungsvermittlung dar, die durch intransparente Systemgestaltungen und hohe Komplexität der Systeme in ihrer Effektivität gefährdet werden kann. Es ist außerdem zu erwarten, dass selbst bei reiner Syntax-​und Zahlenprogrammierung die Rechtsaufsicht systematisch an ihre Grenzen stoßen könnte, wenn das Programm eine gewisse Komplexitätsschwelle überschreitet.197 Möglicherweise kann eine Aufteilung in kleinere, wenig komplexe automatisierte Einheiten sowie eine Unterstützung durch technische Experten eine bessere Überprüfbarkeit gewährleisten. Jedenfalls zu komplex für eine rechtsaufsichtsmäßige Überprüfung erscheinen Explikationen für Rechtsbegriffe, wenn über Typisierungen hinaus spezielles rechtsdogmatisches Wissen, geschichtliches Wissen oder ähnliche komplexe Zusammenhänge berücksichtigt werden müssen, die in ihrer Repräsentation so weit von der Ursprungsform abweichen, dass eine Aufschlüsselung technisches Fachwissen und erhebliche Transferleistungen auf die juristische Ebene erfordert. Ob die Gesetzesbindung dann noch gewahrt ist, kann ohne eine Unterstützung durch technische Experten nicht überprüft werden. Einfache Modelle mit wenigen Verknüpfungen wie klar typisierten Fallgruppen können eingesetzt werden, weil eine Kontrolle am Gesetzeswortlaut hier realistisch erscheint. 196

Für eine organisatorisch eigenständige Unterstützungseinheit Martini, Grundlinien eines Kontrollsystems für algorithmenbasierte Entscheidungsprozesse, 2019, S. 32. 197 S. insoweit die berechtigte Anmerkung von Kube, VVDStRL Bd. 78 (2019), 289 (310): „das beschwichtigende Festhalten an der holzschnittartigen Unterscheidung zwischen Algorithmen, die vermeintlich harmlose Wenn-​Dann-​Verknüpfungen vornehmen, und gefährlichen selbstlernenden Systemen verkennt die Breite der Problematik.“.

230

§ 4 Legitimationsanforderungen an automatisiert erlassene Verwaltungsakte 

Eine händische Bearbeitung mit maschineller Entscheidungsunterstützung oder wenig komplexer Teilautomatisierung bietet sich ebenfalls an und ist ab einer erhöhten rechtlichen und technischen Problemkomplexität alternativlos. Daneben müssen allgemeine und sachbereichsspezifische interdisziplinäre Kontrollstrukturen für regelbasierte Automationssysteme entwickelt werden. c) Ergebnis Eine regelbasierte Automatisierung von Berechnungen und Syntax ist im Regelfall geeignet, den Gesetzeswortlaut abzubilden, und damit eine teilautomatisierte Rechtsanwendung in zulässiger Weise zu ermöglichen. Die sachlich-​inhaltliche Legitimation des Verwaltungshandelns wird durch den Einsatz von derartigen Automationssystemen zur Rechtsanwendung nicht vermindert. Wahrheitswerte messbarer Begriffe können im Regelfall von Automationssystemen ermittelt und verarbeitet werden, ohne dass ein Verstoß gegen die Gesetzesbindung der Verwaltung vorliegt. Auch für auslegungsbedürftige Begriffe geringer Komplexität bietet sich die Automatisierung noch an, insbesondere wenn bestehende Typisierungen implementiert werden. Hier können sowohl Informationsrechte als auch eine Rechtsaufsicht noch wirksam wahrgenommen werden, sodass die sachlich-​inhaltliche Legitimation gewahrt bleibt. Bei erhöhter Komplexität des Problemlösungskonzepts zur Rechtsanwendung eines auslegungsbedürftigen Begriffs liegt ein Auseinanderfallen des natürlichsprachlichen Konzepts mit einem regelbasierten Problemkonzept in formalen Logiksprachen zunehmend nahe. Das bedeutet, dass ein Verstoß gegen die Ge­ setzesbindung der Verwaltung ebenfalls näher liegt. Weil Informations-​und Kon­ trollmechanismen mangels fehlerfreier Transfermöglichkeiten des Programmcodes in natürliche Sprache des Gesetzes leerzulaufen drohen, sollte hier der Weg über einfache Teilautomatisierungen und maschinelle Entscheidungsunterstützung gegangen werden, um dem Erfordernis sachlich-​inhaltlicher Legitimation des Verwaltungshandelns gerecht zu werden. Eine Automatisierung von Ermessens-​und Beurteilungsspielräumen ist ungeachtet praktischer Hürden der Konzeption und Überprüfbarkeit nicht zu empfehlen. Der Vorteil einer gleichmäßigeren Rechtsanwendung relativiert sich im Hinblick auf die verbleibenden Risiken einer systematischen Außerachtlassung von Einzelfallaspekten, wobei die Verwaltung zur Wahrung ihrer Gesetzesbindung grundsätzlich beides zu berücksichtigen hat. Eine maschinelle Entscheidungsunterstützung kann, gegebenenfalls mit einer Verfeinerung der Begründungspflichten, die Vorteile der Automatisierung nutzen und gleichzeitig eine Einzelfallbetrachtung durch Amtsträger ermöglichen. So kann die sachlich-​inhaltliche Legitimation auch beim Einsatz von regelbasierten Automationssystemen gewahrt werden.

B. Sachlich-inhaltliche Legitimation 

231

Organisatorische und inhaltliche Rahmenvorgaben für eine Rechtskontrolle regelbasierter Automationssysteme sollten einheitlich festgesetzt werden, bestenfalls und bei erhöhter Wesentlichkeit zwingend durch den Gesetzgeber. Das kann eine Ausdifferenzierung sachbereichsspezifischer Kontrollverfahren in der Zukunft erleichtern. Weiterhin sollte erwogen werden, die Rechtsaufsicht von Automationssystemen interdisziplinär auszugestalten.

4. Steuerung und Kontrolle fallbasierter Systeme Werden fallbasierte Systeme nicht nur als Unterstützungssysteme eingesetzt, entfalten sie Steuerungswirkung für die Herrschaftsausübung. Sie müssen dann die hergebrachten legislativen und exekutiven Steuerungsmittel kontrollierbar abbilden, um dem Verwaltungshandeln sachlich-​inhaltliche Legitimation vermitteln zu können.

a) Abbildung legislativer und exekutiver Steuerungsmittel in Statistik? Fallbasierten Systemen liegt ein statistikbasiertes, fallvergleichendes Konzept zugrunde, sodass das Problemlösungskonzept eine Repräsentation der statistisch relevanten Fallmerkmale darstellt. Deshalb stellt sich zunächst die Frage, ob und inwieweit sich fallbasierte Systeme für eine Abbildung der legislativen und exekutiven Regelsteuerung eignen, die aufgrund der Gesetzesbindung der Verwaltung aus Art. 20 Abs. 3 GG und dem hierarchisch aufgebauten Legitimationskonzept von Programmen gewahrt werden muss.

aa) Verschiebung des Problemschwerpunkts auf die Kontrollebene Bei regelbasierten Systemen kann die Steuerungswirkung des Gesetzes gewahrt werden, indem der Gesetzeswortlaut implementiert wird, was bis zu einer gewissen Komplexitätsschwelle möglich ist. Die Kontrolle des Systems dient im Grunde der zusätzlichen Absicherung. Bei fallbasierten Systemen, die beispielsweise mit ML ein Problemlösungskonzept generieren, ist der Problemschwerpunkt verschoben. Fallbasierte Systeme gewinnen ihr Problemlösungskonzept nicht aus einer Übersetzung natürlichsprachlich verfasster Normen in Programmcode, sondern aus statistischer Fallauswertung im Hinblick auf ein zu erreichendes Ergebnis, das der Rechtsfolge entspricht. Deshalb kann ein Automationssystem auf Fallbasis in seinem Problemlösungsverhalten fernab von dem liegen, was die den Fall regelnden Rechtsnormen anordnen. Weil bei rein fallbasierten Systemen kein oder nicht ausschließlich Hintergrundwissen

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§ 4 Legitimationsanforderungen an automatisiert erlassene Verwaltungsakte 

bezüglich rechtlich relevanter Gesichtspunkte der Problemlösung implementiert ist, richtet sich die Systemarchitektur im Grundsatz nicht nur an rechtlichen Aspekten der Problemlösung aus, sondern gerade an statistisch relevanten Aspekten. Das bedeutet, dass das System bei der Problemlösung nicht zwischen statistischer Korrelation und rechtlicher Signifikanz von Merkmalen unterscheidet,198 sondern alle Daten verwertet, die faktisch Einfluss auf das Entscheidungsergebnis haben. Die Steuerung des Problemlösungskonzepts des Automationssystems durch Normen ist folglich bei fallbasierten Systemen von vornherein zu weiten Teilen nur auf der Kontrollebene möglich. Es kann also im Regelfall nur eine Über­prüfung der statistischen Zusammenhänge am Gesetzeswortlaut angestrebt werden, weil der Entwurf des Systems in unmittelbarer Berücksichtigung des Gesetzeswortlauts der Architektur fallbasierter statistischer Systeme im Grundsatz widerspricht. Das stellt hohe Anforderungen an die Kontrolle eines Systems, bevor es überhaupt eingesetzt werden darf – die Kontrolle dient im Regelfall nicht allein der Absicherung der Wahrung des Gesetzes, sondern unmittelbar der Erzielung einer Übereinstimmung des Systems mit dem Gesetzeswortlaut. Das spricht nicht von vornherein gegen die Zulässigkeit eines fallbasierten Systems. Schließlich kann auch dem menschlichen Bearbeiter nicht „in den Kopf“ gesehen werden,199 der Anknüpfungspunkt ist vielmehr die rechtliche Begründ-​und Kontrollierbarkeit der Entscheidung, die das Gesetz nachzuvollziehen hat. Die Gesetzesbindung der Verwaltung aus Art. 20 Abs. 3 GG muss deshalb bei fallbasierten Systemen nicht durch das Programm abgebildet werden; ihre Einhaltung muss aber so kontrolliert werden können,200 dass im Ergebnis dieselbe Bindungsintensität besteht. Sonst verstößt der Einsatz eines fallbasierten Systems gegen die Gesetzesbindung der Verwaltung. bb) Gesetzeskonformität fallbasierter Systeme auf Steuerungsebene Zunächst soll darauf eingegangen werden, in welchen Fällen der Gesetzeswortlaut schon auf der Steuerungsebene abgebildet werden könnte, obgleich ein fallbasiertes System verwendet wird. (1) Abbildung von Ermächtigungsnorm schwierig Üblicherweise wird ein System, das beispielsweise die Rechtsfolge, die es in Form eines Verwaltungsakts anzuordnen gilt, durch statistische Fallauswertung bishe 198

Mit Beispiel Martini, JZ 2017, 1017 (1018). Ähnlich Wischmeyer, AöR Bd. 143 (2018), 1 (8) für selbstlernende Systeme: „Auch Menschen, die entscheiden, sind für andere Menschen oft black boxes. Wichtiger als die Erklärbarkeit (…) eine hinreichend dichte Begründungs-​und Kontrollarchitektur“. 200 Hier wird also die Rechtmäßigkeit nicht „by design“ hergestellt, sondern erst auf Kontrollebene, vgl. § 2 A. IV. 2. 199

B. Sachlich-inhaltliche Legitimation 

233

riger Verwaltungsakterlasse ermittelt, sich nicht oder nur zufällig und teilweise an die Vorgaben der jeweiligen Ermächtigungsnorm halten. Hauptsächlich wird die Problemlösung auf statistischen Korrelationen aufbauen, die keinen Bezug zu rechtlichen Gesichtspunkten haben müssen. Die Rechtsfolge wird also angeordnet, weil der Fall – üblicherweise auch nur in seiner textlichen Gestalt, was wiederum Verzerrungen bewirken kann – anderen Fällen ähnlich ist, nicht weil die Rechtslage nach rechtlichen Gesichtspunkten vergleichbar ist. Derartige rein kohärenzorientierte Entscheidungen kommen also nicht originär durch die Anwendung rechtlicher Merkmale einer Ermächtigungsnorm zustande. Letztlich handelt es sich beim durch Fallvergleich generierten Programmcode, der rein statistisch oder nur teilweise mit rechtlichen Annotationen aufgrund statistischer Relevanz zustande kommt, um ein Problemlösungskonzept, das das Normprogramm im Grundsatz nicht abbildet, sondern mit „quasi-​gesetzlich normativen“201 algorithmischen Regeln überlagert. Das Problem stellt sich ab einem gewissen Komplexitätsgrad bei regelbasierten Systemen genauso,202 bei fallbasierten Systemen ist es in der Systemarchitektur angelegt.203 Normierte Rechtsregeln werden durch anderslautende algorithmische Regeln ersetzt.204 Natürlichsprachlich verfasste Normen werden sich deshalb auf der Steuerungsebene des Programms nicht wiederfinden. Erst eine entsprechende Kontrollarchitektur kann die Übereinstimmung mit dem Gesetz und damit die Wahrung der Gesetzesbindung der Verwaltung ermöglichen. (2) Fallvergleich zur Ausdeutung von Rechtsbegriffen möglich Anders kann es sich darstellen, wenn das System nur zur Ausdeutung eines Begriffs innerhalb einer Norm angewendet wird. (a) Anwendungsfelder: Messbar typisierte Begriffe Soll ein fallbasiertes Automationssystem teil-​oder vollautomatisiert rechtliche Begriffe anwenden, kommt es auf eine Repräsentation des gesetzlichen Wortlauts an, die das System liefern muss.

201

Begriff von Kube, VVDStRL Bd. 78 (2019), 289 (308). So auch Kube, VVDStRL Bd. 78 (2019), 289 (310). 203 Ähnlich zu diesem Problembereich unter Hinweis auf die Jurisdiktionen, in welchen die jeweiligen Systeme entwickelt wurden: Gesellschaft für Informatik, Technische und rechtliche Betrachtungen algorithmischer Entscheidungsverfahren, 2018, S. 21. 204 Zum Problem schon Kube, VVDStRL Bd. 78 (2019), 289 (309 ff.); Kirchhof, DStR 2018, 497 (498); Ahrendt, NJW 2017, 537 (540). 202

234

§ 4 Legitimationsanforderungen an automatisiert erlassene Verwaltungsakte 

Fallbasierte Systeme könnten dann unmittelbar hilfreich sein, wenn ein fallvergleichendes Problemlösungskonzept selbst Niederschlag in der rechtlichen Begriffsbildung gefunden hat. Wird ein Rechtsbegriff durch Typisierungen definiert, kommt eine Zuordnung zu einem Typ durch Fallvergleich in Betracht. Das fallbasierte System berücksichtigt dann bereits auf der Steuerungsebene den Norminhalt. Es kommt freilich immer darauf an, ob die Zuordnung zu einer typisierten Klasse durch Textauswertung überhaupt möglich ist. (b) Grenzen: auslegungsbedürftige, wertungsabhängige und unbestimmte Begriffe Ergibt sich eine Typisierung erst aus einer komplexen rechtlichen Prüfung, kann das ein fallvergleichendes System ohne Zusatzwissen nicht leisten und die Verwaltung verstieße gegen ihre Gesetzesbindung, wenn sie ihre Auslegung anstatt an rechtlich normierten Vorgaben am Fallvergleich ausrichtete, ohne das System zusätzlich umfassend zu kontrollieren, noch bevor sie es einsetzt. In Bereichen der Rechtsanwendung, in welchen es auf rechtliche, nicht statistische Aussagen wie die Zugehörigkeit zu einer messbar typisierten Gruppe ankommt, ist deshalb für eine Wahrung der Gesetzesbindung zwingend die vorherige Kontrolle des Systems am Gesetzeswortlaut erforderlich. Darüber hinaus stellt sich bei fallbasierten Systemen ebenso wie bei den regelbasierten Systemen das Problem des rückblickenden Charakters der Problemlösung. Auch der Einsatz eines lernenden fallbasierten Systems ändert nichts, da nur an vergangenen Fällen gelernt werden kann.205 Eine vollständige Automatisierung von Ermessen und Beurteilungsspielräumen durch fallbasierte Systeme ist deshalb ungeachtet bestehender Kontrollmöglichkeiten abzulehnen, wenn der Gesetzgeber es nicht ausdrücklich erlaubt. Eine Entscheidungsunterstützung oder Automatisierung geeigneter Teile bleibt allerdings möglich.206 cc) Ergebnis Beim Einsatz fallbasierter Systeme findet eine rechtliche Steuerung von vornherein hauptsächlich auf der Kontrollebene statt. Der fallbasierte Charakter der 205

Ab einem gewissen Komplexitätsgrad (in Richtung einer starken KI) wäre eine individuelle Beurteilung des Einzelfalls ähnlich einer menschlichen Entscheidung durch Transferleistungen aus Gelerntem denkbar, das sieht auch Prell, in: Bader / ​Ronellenfitsch, VwVfG, 43. Edition 2019, § 35 a Rn. 14. Das würde jedoch das Lernen nicht nur rechtlicher Sachverhalte, sondern vermutlich Lernen von Weltwissen etc. voraussetzen. Ein Einsatz derartiger Systeme dürfte sich aus Gründen der Nachvollziehbarkeit und Überprüfbarkeit der Ableitungszusammenhänge jedoch verbieten. 206 Umfassende Beurteilung der Eignung fallbasierter Systeme für ein algorithmisiertes Ermessen: Herold, in: Rechtsfragen digitaler Transformationen, 2018, 453 (456 ff.).

B. Sachlich-inhaltliche Legitimation 

235

Systeme führt dazu, dass sich nur in wenigen Fällen die Steuerungswirkung des Gesetzes unmittelbar im Problemlösungskonzept niederschlägt. Nur bei messbar typisierten Begriffen ist das denkbar. Im Übrigen kann nur eine Kontrolle des Systems Aufschluss über seine Gesetzmäßigkeit geben. Die Kontrolle am Gesetzeswortlaut hat für fallbasierte Systeme denselben Stellenwert, den die gesetzesgetreue Programmierung für regelbasierte Systeme hat. Sie ist maßgebliches Instrument zur Herstellung sachlich-​inhaltlicher Legitimation des Verwaltungshandelns. Ob die Verwaltung fallbasierte Systeme zur Rechtsanwendung einsetzen darf, bemisst sich folglich noch stärker als bei regelbasierten Automationssystemen an der Möglichkeit, die Systeme umfassend im Hinblick auf ihre Rechtmäßigkeit zu kontrollieren. b) Kontrollmöglichkeiten Die Kontrolle eines fallbasierten Systems ist mangels unmittelbarer Abbildungsmöglichkeit des Gesetzes im Programm elementar. Wiederum ist als Mindestanforderung die Transparenz und Erklärbarkeit des fallbasierten Systems wichtig.207 Was nicht sichtbar gemacht, verstanden und nachvollzogen werden kann, kann auch nicht kontrolliert werden. Sowohl das Parlament als auch übergeordnete Behörden, einzelne Amtswalter, Gerichte und nicht zuletzt der Wähler müssen die Funktionsweise und Auswirkungen des Automationssystems verstehen und sinnvoll diskutieren können. Die Erklärbarkeit und damit auch die demokratische Kontrollierbarkeit fallbasierter Falllösungsmodelle unterscheidet sich je nach der Systemarchitektur, insbesondere je nach der Komplexität des Systems. aa) Reduziertes rechtliches Kontrollerfordernis bei messbaren Begriffen Grundsätzlich ist die Kontrolle von Fallvergleichssystemen vor allem dann rechtlich problematisch, wenn auch rechtliche Aspekte, nicht allein Tatsachen überprüft werden. Deshalb ist ein Einsatz von fallvergleichenden Systemen eher denkbar, wenn diese nicht zur Prüfung auslegungsbedürftiger, also normativ und methodisch eingehegter Begriffe eingesetzt werden. Es ist beispielsweise denkbar und teilweise Praxis, dass messbare Begriffe durch Methoden der Bilderkennung erschlossen werden. Hier stellen sich vor dem Einsatz eines solchen Systems ebenfalls Fragen der Nachprüfbarkeit. Ein Bilderkennungssystem müsste auf seine korrekte Funktionsweise überprüft werden, bevor es eingesetzt werden darf; die Nachprüfbarkeit beschränkt sich aber auf die technische Ebene. Es bedarf darüber 207

So auch: Neumann, Einsatz von RMS im Vollzug des Steuerrechts, 2016, S. 8; Herold, in: Rechtsfragen digitaler Transformationen, 2018, 453 (461 f.).

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§ 4 Legitimationsanforderungen an automatisiert erlassene Verwaltungsakte 

hinaus keiner rechtlichen Begründung bezüglich der konkreten Funktionsweise des Systems im Hinblick auf rechtliche Normen. Deshalb ist hier über nicht lernende fallbasierte Systeme hinaus auch der Einsatz aktiv lernender Systeme zulässig. Der Einsatzbereich ist auf messbare Begriffe begrenzt. Ein technisch unüberwachter Einsatz der Systeme verbietet sich jedenfalls. Ansonsten wäre denkbar, dass fehlerhafte Einordnungen getroffen werden. Die Frage der Fehlerhaftigkeit stellt sich aber nicht im Hinblick auf rechtliche Normen. bb) Notwendigkeit von Kontrollstandards Einheitliche Kontrollstandards für Automationssysteme haben sich noch nicht herausgebildet, werden aber zunehmend gefordert.208 Der Gesetzgeber kann auch die Kontrolle von fallbasierten Systemen vereinheitlichen und anleiten, indem er Kontrollstandards setzt. Insbesondere könnte er sachbereichsspezifisch einsetzbare Qualitäts-​und Fairnessmaße festlegen und sachbereichsspezifische Schwellenwerte normieren, die verbindlich angeben, wie gut ein Automationssystem nach dem jeweiligen Qualitätsmaß funktionieren muss, bevor es einsetzbar ist. Solche Normierungen vereinfachen letztlich auch das Ausüben von Informationsrechten des Parlaments und können die Kontrolle des Parlaments und der Verwaltung intensivieren. Sie können dem Wähler die Beurteilung der Systeme erleichtern. Auch organisatorische Vorgaben zur Ausgestaltung der Kontrollverfahren wären sinnvoll, beispielsweise die Angabe von Mindestinhalten in Statusberichten, der erforderlichen Frequenz von Berichten, und die Angabe oder Errichtung der verantwortlichen Prüfstellen209 sowie Vorgaben zur fachlichen Qualifikation der zu beteiligenden Experten. Je detaillierter die Standardisierung durch den Gesetzgeber ausfällt, umso mehr wird auch der Verwaltung die Rechtsaufsicht und Gerichten die Überprüfung der Systeme vereinfacht. Gleichzeitig muss der Verwaltung im Rahmen ihrer Konkretisierungsbefugnis ein gewisser Gestaltungsspielraum verbleiben.

208

Gesellschaft für Informatik, Technische und rechtliche Betrachtungen algorithmischer Entscheidungsverfahren, 2018, S. 8; Martini, JZ 2017, 1017 (1021); ders., Grundlinien eines Kontrollsystems für algorithmenbasierte Entscheidungsprozesse, 2019; im Hinblick auf Predictive Policing: Singelnstein, NStZ 2018, 1 (7); im Gesetzgebungsverfahren des StModG wurde thematisiert, ob der Gesetzgeber die Kontrolle der Exekutive überlassen dürfe: Plenarprotokoll 18/170, S. 16781 (B). 209 Vgl. die Überlegungen Martinis zur organisatorischen Ausgestaltung der Rechtsaufsicht für algorithmische Entscheidungsverfahren: Martini, Grundlinien eines Kontrollsystems für algorithmenbasierte Entscheidungsprozesse, 2019, S. 30 ff.

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cc) Leitlinien der Kontrolle am Gesetz Neben diesen Standardisierungsfragen besteht auch das Bedürfnis nach einer inhaltlich umfassenden Rechtskontrolle der Systeme und der von ihnen getroffenen Entscheidungen. Für die Kontrolle des Parlaments, die sich insbesondere in der Ausübung von Informationsrechten manifestiert, sind dieselben Aspekte zu berücksichtigen wie bei regelbasierten Systemen, insbesondere die Transparenz, Dokumentation, Zugriffsmöglichkeit und Aussetzbarkeit des Systems sowie seine Erklärbarkeit. Die verwaltungsinterne Kontrolle, insbesondere die Rechtsaufsicht, muss teilweise weitere Aspekte berücksichtigen, die sich aus dem spezifischen Problemlösungskonzept fallbasierter Systeme ergeben. Sie sollen im Folgenden inhaltlich konturiert werden. Organisatorisch könnten diese Leitlinien beispielsweise in Berichten der Verwaltung Berücksichtigung finden, die vor dem Einsatz eines Automations­ systems und während seinem Betrieb angefertigt werden könnten. Sie könnten auch den Erlass einer Verwaltungsvorschrift anregen, sofern nicht der Gesetzgeber im jeweiligen Fachbereich aus Gründen der Wesentlichkeit selbst derartige Vorgaben machen muss. (1) Kontrollebenen Jedenfalls darf die Verwaltung Automationssysteme nicht allein ex-​post in Form der automatisierten Entscheidung kontrollieren,210 weil dann möglicherweise ein System angewendet würde, das von vornherein mit dem Gesetzeswortlaut oder bestimmten rechtlichen Merkmalen unvereinbar war. Bevor ein fallbasiertes System zum automatisierten, nicht nur die Verwaltung unterstützenden Erlass eines Verwaltungsakts eingesetzt wird, muss die Vereinbarkeit mit dem Gesetzeswortlaut umfassend geprüft und getestet worden sein, sonst verstößt die Verwaltung mit dem Einsatz des Systems gegen ihre Gesetzesbindung und ihrem Handeln kann keine sachlich-​inhaltliche Legitimation zukommen. Die ex-​ante Kontrolle fallbasierter Systeme ist besonders wichtig. Daneben sollten die Systeme während ihres Betriebs fortlaufend geprüft werden und auch nachträgliche Überprüfungen jederzeit möglich sein. (2) Kontrollziele Die Kontrolle des Automationssystems ist nur effektiv, wenn klar definiert werden kann, bezüglich welcher rechtlichen Aspekte eine Prüfung stattfinden soll. Die 210

Für Algorithmen in der Privatwirtschaft vorsichtiger Martini, JZ 2017, 1017 (1019); ders., Grundlinien eines Kontrollsystems für algorithmenbasierte Entscheidungsprozesse, 2019, S. 18 ff.

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§ 4 Legitimationsanforderungen an automatisiert erlassene Verwaltungsakte 

separate Erklärung von Prozess, Modell und konkretem Fall bietet sich technisch gesehen an: Es macht einen Unterschied, ob das Modell in seiner Funktionsweise erklärt werden soll oder seine konkrete Anwendung in einem Fall.211 Dies muss berücksichtigt werden, wenn ein Programm ex-​ante oder ex-​post auf seine Rechtmäßigkeit überprüft werden soll. (a) Überprüfung der Zuständigkeit Geht es um die Frage, ob ein zuständiges Organ das System entworfen und eingesetzt hat, gibt eine Betrachtung des Prozesslevels hierauf Aufschluss. Das Prozesslevel betrachtet den groben Ablauf der Entwicklung eines Systems und die Prozessstufen, beispielsweise die Sammlung von Datenmaterial, die Aufbereitung, und die Anwendung des Modells.212 So kann für die einzelnen Ebenen überprüft werden, ob die Zuständigkeitsregelungen gewahrt sind. Freilich wird die Frage der Zuständigkeit nur in der ex-​post erfolgenden Kontrolle relevant, ex-​ante kann die Zuständigkeit unmittelbar dem Recht entnommen werden. Sie muss dann durch die Prozessgestaltung so abgebildet werden, dass sich die Zuständigkeitsverteilung durch den Einsatz des Automationssystems nicht ändert. (b) Überprüfung der Eignung für Rechtskontrolle Über das Maß der Überprüfbarkeit an materiellrechtlichen Normen, was ex-​ante und ex-​post aufschlussreich sein kann, dürfte das Modelllevel Aufschluss geben. Hier geht es um die Frage, welcher Klassifizierer eingesetzt wurde und wie er funktioniert. Weil sich beispielsweise Entscheidungsbäume oder lineare Regressionen besser für die rechtliche Erklärbarkeit eignen dürften als künstliche neuronale Netze oder Support Vector Machines213, kann aus einer Betrachtung des Modells üblicherweise schon eine Aussage getroffen werden, ob das System insgesamt eher erklärbar ist oder nicht.214 Auch hier kommt es auf die Komplexität des Modells im Einzelfall an. ML-generierte Entscheidungsbäume sind beispiels 211

Waltl / ​Vogl, DuD 2018, 613 (613); Gesellschaft für Informatik, Technische und rechtliche Betrachtungen algorithmischer Entscheidungsverfahren, 2018, S. 44. 212 Grafische Aufbereitung und für Juristen gut verständliche Darstellung bei Waltl / ​Vogl, DuD 2018, 613 (614, Abb. 1) und Gesellschaft für Informatik, Technische und rechtliche Betrachtungen algorithmischer Entscheidungsverfahren, 2018, S. 45. 213 Beides eignet sich mutmaßlich aufgrund der Komplexität schlechter: künstliche neuronale Netze müssten im Grundsatz Schicht für Schicht erklärt und die gelernten Verbindungen in natürliche Sprache übersetzt werden. Diese Übersetzung müsste in Einklang mit juristischem Problemlösungsverhalten zu bringen sein. Dass das realisiert werden kann, ist sehr unwahrscheinlich. Support Vector Machines transformieren Datenmaterial und bilden es auf unterschiedlichen Dimensionen ab, sodass die Problemlösung sich ebenfalls schwer in natürlichsprachliche Problemlösungsschritte übersetzen lassen dürfte. 214 So auch Waltl / ​Vogl DuD 2018, 613 (614).

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weise im Grundsatz besser erklärbar als künstliche neuronale Netze. Liegt allerdings im Einzelfall nicht ein Entscheidungsbaum, sondern ein „random forest“ aus einer Vielzahl von Entscheidungsbäumen vor, ist die Erklärbarkeit wiederum problematisch.215 Gleichwohl könnte eine eingrenzende Normierung, welche Klassifizierungsmethoden in welchem Sachbereich eher geeignet sind, die Kontrolle der Systeme erleichtern. (c) Überprüfung an materiellen Rechtsnormen Für eine Rechtskontrolle im Einzelfall, beispielsweise durch Gerichte oder im Rahmen einer stichprobenartigen rechtsaufsichtlichen Maßnahme, aber auch für grundsätzliche Eignungstests eines Systems dürfte das Klassifizierungslevel relevant werden. Hier kann es um die Frage gehen, warum im Einzelfall die Entscheidung des Systems so und nicht anders ausgefallen ist.216 Es kann auch ex-​ante das Verhalten im Hinblick auf bestimmte Eingabedaten geprüft werden.217 Geht es um eine Rechtskontrolle im Hinblick auf ein bestimmtes rechtswidriges Verhalten eines Systems, beispielsweise strukturelle Diskriminierungen, bieten sich Verfahren an, in welchen das Verhalten eines Systems insgesamt analysiert werden kann.218 Beispielsweise kann der Code des Systems in Code-​Audits vollständig aufgeschlüsselt werden.219 Hat der Gesetzgeber oder die Verwaltung hier sachbereichsspezifische Standards gesetzt, erleichtert das die Rechtskontrolle. Problematisch bleibt, einen maschinellen Vorgang umfassend im Hinblick auf komplexe Rechtsprobleme zu überprüfen. Während beispielsweise ein diskriminierendes Klassifizierungsverhalten eines Automationssystems erkannt und möglicherweise sachbereichsspezifisch behoben werden könnte,220 was im privatwirtschaftlichen Bereich aufgrund der nur mittelbaren Grundrechtsbindung teilweise genügen könnte, gilt es im hoheitlichen Bereich jedenfalls, daneben auch andere 215 So auch: Gesellschaft für Informatik, Technische und rechtliche Betrachtungen algorithmischer Entscheidungsverfahren, 2018, S. 33. 216 S. Waltl / ​Vogl, DuD 2018, 613 (614). 217 Gesellschaft für Informatik, Technische und rechtliche Betrachtungen algorithmischer Entscheidungsverfahren, 2018, S. 59. 218 Waltl / ​Vogl, DuD 2018, 613 (615). 219 Waltl / ​Vogl, DuD 2018, 613 (614 f.) auch zu weiteren Auditmethoden; s. auch Gesellschaft für Informatik, Technische und rechtliche Betrachtungen algorithmischer Entscheidungsverfahren, 2018, S. 65 ff., 141 ff. 220 Das Beheben des klar benennbaren Diskriminierungsproblems durch Algorithmen ist in der Praxis schwierig, s. Gesellschaft für Informatik, Technische und rechtliche Betrachtungen algorithmischer Entscheidungsverfahren, 2018, S. 7 sowie § 2 C. III. 3. d). Es gibt eine Vielzahl unterschiedlicher Fairnessmaße, die jeweils nur eine bestimmte Art der Diskriminierung verhindern, sodass das „Beheben“ der Diskriminierung letztlich immer nur in Bezug auf das gewählte Fairnessmaß gilt. Gelten in einem Rechtsbereich beide Maßstäbe, lässt sich eine Diskriminierungsfreiheit nicht erzielen, s. auch Zweig / ​Krafft, in: (Un)berechenbar? Algorithmen und Automatisierung in Staat und Gesellschaft, 2018, 204 (204).

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rechtliche Wertungen zu berücksichtigen, die nicht alle sachbereichsunabhängig antizipiert werden können. Kontrollstandards müssen deshalb sachbereichsspezifisch und unter besonderer Berücksichtigung des jeweils automatisierten Prozesses entwickelt werden. Eine Rechtsprüfung erscheint dann bezüglich konkret benennbarer, operationalisierbar präzisierter Einzelprobleme möglich. Es bleibt die Frage bestehen, wie man eine technische Erklärung eines Ergebnisses so in juristische Sprache umformulieren könnte,221 dass man die Änderungsvorschläge wiederum von juristischen Erwägungen in die Sprache der Informatik übersetzen könnte. Interdisziplinär ausgestaltete Verfahren könnten hierfür von Vorteil sein, es dürfte sich allerdings ebenso anbieten, sachbereichsspezifische Grenzen für den Einsatz bestimmter Automatisierungen zu ziehen, weil eine umfassende Rechtskontrolle sich auch unter Hinzuziehung technischen Sachverstands aufgrund der Problemkomplexität nicht realisieren lässt. (3) Ergebnis Statistische Auswertungen auf Basis von ML bilden üblicherweise komplexe Problemlösungsstrukturen aus, deren Übersetzung in die Rechtssprache zu Überprüfungszwecken schwer möglich ist. Das bedeutet, dass in denjenigen Bereichen, in welchen ML bessere Erfolge verspricht als beispielsweise die formularmäßige Auswertung von Fällen, also insbesondere in komplexen oder unstrukturierten Rechtsbereichen, die Nachprüfbarkeit der Systeme im Grundsatz ein Problem darstellt. Selbst wenn das Programm technisch transparent gemacht werden kann, was üblicherweise nur Experten möglich ist222, korreliert das noch nicht mit der Möglichkeit, das Programm auch rechtlich zu erklären. Weil aber die Steuerung durch Parlamentsgesetze bei fallbasierten Systemen von vornherein auf der Kontrollebene stattfinden muss, wird im Regelfall ein komplexes fallbasiertes Automationssystem zur Rechtsanwendung mit der Gesetzesbindung aus Art. 20 Abs. 3 GG nicht vereinbar sein. Die Kontrollierbarkeit gerade durch Organe der Verwaltung dürfte ab einem gewissen Komplexitätsgrad, dessen Beurteilung wiederum von den bestehenden Kontrollmechanismen und -standards abhängt, eingeschränkt sein, sodass der Einsatz fallbasierter Systeme iterativ in Anbetracht der Kontrollmöglichkeiten und auch stets im Hinblick auf den jeweils betroffenen Sachbereich beurteilt werden muss. Jedenfalls die Entscheidungsunterstützung und teilweise Automatisierung derjenigen Teile, die umfassend kontrolliert werden können, bleibt möglich.223 Eine Unterstützung der Rechtskontrolle durch technische Experten kann zur besseren Kontrollierbarkeit fallbasierter Systeme im Rechtsbereich beitragen. 221

Dazu bereits Herold, in: Rechtsfragen digitaler Transformationen, 2018, 453 (461 f.). Dazu auch Prell, NVwZ 2018, 1255 (1259). 223 Vgl. Herold, in: Rechtsfragen digitaler Transformationen, 2018, 453 (463). 222

B. Sachlich-inhaltliche Legitimation 

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dd) Ergebnis Kontrollstrukturen und -standards für fallbasierte Systeme sind für den Rechtsbereich noch nicht umfassend oder sachbereichsspezifisch entwickelt, sodass nicht mehr als eine Momentaufnahme bestehender Kontrolloptionen geliefert werden kann. Hier steckt Entwicklungspotenzial, das nur interdisziplinär wahrgenommen werden kann und in wesentlichen Bereichen vom Gesetzgeber wahrgenommen werden muss. Für die Verwaltung bleibt zu berücksichtigen, dass erst die Kontrollierbarkeit eines fallbasierten Systems durch Organe der Verwaltung seine Einsetzbarkeit in der automatisierten Rechtsanwendung, nicht nur als unterstützende maschinelle Hilfstätigkeit ermöglicht. Eine Überprüfung dürfte aktuell nur für klar abgegrenzte, wohldefinierte Aspekte der Rechtmäßigkeit möglich sein. Das bedeutet, dass die Systeme nur dort eingesetzt werden dürfen, wo nur das überprüfbare Rechtsproblem (beispielsweise eine eindeutig spezifizierte Form der Diskriminierung) relevant werden kann. Den vollständigen Erlass eines Verwaltungsakts mithilfe eines fallbasierten Systems schließt das jedenfalls aus. Es bedarf erst einer entsprechenden Kontroll-​und Begründungsarchitektur. Auch die maschinelle Ausdeutung von einzelnen Rechtsproblemen kann nur dann das Verwaltungshandeln sachlich-​inhaltlich legitimieren, wenn das System umfassend auf seine Rechtmäßigkeit überprüft und diese positiv festgestellt wurde. Standardisierungen und organisatorische Rahmen für eine Kontrolle der Systeme können Problemfelder abgrenzbar machen und Komplexität reduzieren, sodass ein Fokus auf der Ausbildung entsprechender eingrenzender Vorgaben liegen sollte.224 Bei erhöhter Wesentlichkeit der konkreten Automatisierung ist der Gesetzgeber für die Normierung verantwortlich; auch bei geringer Wesentlichkeit wäre eine legislative Standardisierung, die ausreichend Raum für sachbereichs­ spezifische Konkretisierungen durch die Verwaltung lässt, sinnvoll. Eine Normierung sollte jedenfalls die Fragen umfassen, in welchem organisatorischen Rahmen eine Kontrolle stattfindet – ob also neue Stellen geschaffen werden oder die Kontrolle in bisherigen Strukturen unter Hinzuziehung technischen Sachverstands stattfindet –, und welche formalen Mindestanforderungen an Kontrollverfahren gestellt werden, beispielsweise in welcher Frequenz Berichterstattungen erforderlich sind und welche (bestenfalls ihrerseits standardisierte und damit vergleichbare) Tests vorher durchlaufen sein müssen. Sachbereichsspezifisch, insbesondere entsprechend der Wesentlichkeit der Automatisierung in einem bestimmten Bereich, sollten darüber hinaus inhaltliche Kontrollstandards festgesetzt werden, beispielsweise verbindliche qualitative Mindestanforderungen an ein System, die erfüllt werden müssen, bevor das System eingesetzt wird, sowie Grenzen einer Automatisierung im jeweiligen Sachbereich mangels Kontrollmöglichkeit. 224 Umfassend hierzu Martini, Grundlinien eines Kontrollsystems für algorithmenbasierte Entscheidungsprozesse, 2019, insb. S. 18 ff.

242

§ 4 Legitimationsanforderungen an automatisiert erlassene Verwaltungsakte 

c) Sonderfall lernende Systeme Ein Sonderproblem stellen lernende Systeme im Hinblick auf Kontrollmöglichkeiten deshalb dar, weil sich das Problemlösungskonzept der Algorithmen mit der Zeit verändert.225 Das bedeutet, dass eine Kontrolle im Grundsatz nur punktuell Aussagekraft besitzt und nach jeder Änderung des Algorithmus neu durchgeführt werden müsste, weil sich die Entscheidungsparameter verändert haben können.226 Die Entscheidungsparameter wirken genauso normativ wie am Gesetzeswortlaut entworfene Verknüpfungen, mit dem Unterschied, dass sich das Gesetz im Gegensatz zum Programm nicht stetig verändert. Es genügt also keine einmalige Überprüfung der Übereinstimmung mit dem Gesetz. Der Algorithmus müsste nach jedem Lernen dokumentiert werden, damit das tatsächlich im Einzelfall zugrunde gelegte Programm überprüft werden kann.227 Jede Überprüfung müsste erneut die Gesetzeskonformität des Programms bestätigen, bevor die Änderungen angewendet werden. Ansonsten besteht die Gefahr, dass „blinde Flecken“ im Überprüfungsprozess entstehen228. Ein Abspeichern der Veränderungen des Algorithmus ist möglich, aber ressourcenintensiv.229 Die Veränderungen selbst sind wiederum je nach der Komplexität des Modells zeit-​und ressourcenintensiv in ihrer Erklärung. Das dürfte den Einsatz, ungeachtet der ohnehin erschwerten Kontrollmöglichkeiten bei fallvergleichenden Problemlösungskonzepten, weiter limitieren. d) Ergebnis Fallbasierte Methoden der Rechtsanwendung sind aktuell in ihrer Zulässigkeit stark beschränkt, insbesondere weil noch keine hinreichenden Kontroll-​und Begründungsmechanismen ausgebildet sind insbesondere keine Standards für eine Kontrolle der Systeme in Bezug auf rechtliche Materien existieren. Für den Nachvollzug einer Rechtsnorm insgesamt eignen sich fallbasierte Systeme schlechter als regelbasierte Systeme, weil eine Kontrolle am gesetzlichen Wortlaut bereits so komplex sein kann, dass die Rechtmäßigkeit des Programms nicht feststellbar ist. Nur in Fällen, in welchen das System tatsächlich daraufhin überprüft werden kann, ob es das Normprogramm adäquat abbildet, ist die fallbasierte Normanwendung möglich. Für die Ausdeutung von Begriffen ist zu differenzieren: Zulässig ist ein Einsatz dann, wenn die Rechtsanwendung eine Fallgruppenzuordnung zu messbar typisierten Begriffen erfordert. Dann erfolgt die maschinelle Rechts 225

So auch: Martini, JZ 2017, 1017 (1018 f.). Ähnlich: Martini, JZ 2017, 1017 (1021), ders. / ​Nink, DVBl. 2018, 1128 (1134); ders., Grundlinien eines Kontrollsystems für algorithmenbasierte Entscheidungssysteme, 2019, S. 28. 227 Ähnlich Martini, Grundlinien eines Kontrollsystems für algorithmenbasierte Entscheidungssysteme, 2019, S. 29. 228 Neumann, Einsatz von RMS im Vollzug des Steuerrechts, 2016, S. 6. 229 Gesellschaft für Informatik, Technische und rechtliche Betrachtungen algorithmischer Entscheidungsverfahren, 2018, S. 61. 226

B. Sachlich-inhaltliche Legitimation 

243

anwendung identisch mit der händischen Bearbeitung, wobei sich aus Überprüfungszwecken und aus Rechtsfortbildungsgesichtspunkten die Teilautomatisierung besser eignet. Eine Anwendung auslegungsbedürftiger Rechtsbegriffe durch fallbasierte Systeme ist nicht ausgeschlossen, erzeugt aber ein erhöhtes Kontrollerfordernis. Die Erklärbarkeit der Systeme ist entwicklungsbedürftig. Bei hochkomplexen Algorithmen und lernenden Systemen insgesamt besteht aktuell keine realistische Chance auf eine rechtliche Erklärbarkeit, die dem umfassenden Kontrollerfordernis genügen würde. Ein automatisiertes Ausfüllen von Beurteilungs-​und Ermessensspielräumen ist über das Problem der reduzierten Kontrollmöglichkeit hinaus ebenfalls aufgrund mangelnder Berücksichtigung von Einzelfallgesichtspunkten unzulässig, soweit der Gesetzgeber nicht angeordnet hat, dass Einzelfallgesichtspunkte auch schematisiert berücksichtigt werden dürfen. Folglich ist das Potenzial fallbasierter Systeme, durch Nachvollzug der Gesetzesbindung der Verwaltung nach Art. 20 Abs. 3 GG den Verwaltungsakt sachlich-​ inhaltlich zu legitimieren, aktuell stark limitiert, aber ebenso stark von den zukünftigen Entwicklungen abhängig. Nur im Bereich messbarer Typisierungen sind die Systeme bereits aktuell geeignet, das erforderliche Maß sachlich-​inhaltlicher Legitimation zu erzeugen, indem die Gesetzesbindung der Verwaltung gewahrt wird. 5. Steuerung und Kontrolle hybrider Systeme Die Bewertung eines hybriden Systems speist sich aus einer Zusammenstellung der obigen Ausführungen zu den regelbasierten und fallbasierten Systemen, je nachdem, wie das System konkret konzipiert ist. Der Einsatz eines Programms wie AGATHA230 würde sich mangels rechtlicher Begründbarkeit im selben Maße verbieten wie der Einsatz rein fallbasierter Systeme. Programme wie VJAP231 bieten durch die Auswahl rechtlicher Argumente, die die Entscheidung fundieren, bessere Anknüpfungspunkte für eine Rechtskontrolle. Problematisch bleibt, dass das Vorliegen eines Arguments für das Entscheidungsergebnis noch nicht bedeutet, dass die Gesetzesbindung in allen anderen Punkten gewahrt ist. Der Einsatz ist deshalb auf kleine Domains beschränkt. Der rückblickende Charakter verbietet den Einsatz in Bereichen des Ermessens und der Beurteilungsspielräume, soweit der Gesetzgeber nichts anderes anordnet.

230

Zum Konzept des Programms AGATHA Chorley  / ​Bench- ​Capon, AIL 2006, 9 (9 ff.) sowie § 2 C. IV. 2. 231 Zum Konzept des Programms VJAP Grabmair, Modeling Purposive Legal Argumentation, 2016, und § 2 C. IV. 3.

244

§ 4 Legitimationsanforderungen an automatisiert erlassene Verwaltungsakte 

Potenzial haben hybride Systeme, die auf einer Regelbasis aufbauen, die den gesetzlichen Normtext repräsentiert, beispielsweise durch logische Operatoren, die der Syntax des Normprogramms entsprechen. Innerhalb der Tatbestandsmerkmale könnte je nach Eignung des Begriffs ein Fallvergleich stattfinden. Das würde einen höheren Automatisierungsgrad ermöglichen als die Syntaxprogrammierung und Wahrheitswertzuordnung und würde gleichzeitig die Kontrolle, Transparenz und Veränderlichkeit des Programms ermöglichen, die aufgrund der Gesetzesbindung der Verwaltung erforderlich ist.

III. Zusammenfassendes Fazit Für die Beurteilung, ob ein rechtsanwendendes Automationssystem die Gesetzesbindung der Verwaltung nach Art. 20 Abs. 3 GG wahren kann, sind ungeachtet der Problemlösungsstruktur zwei Faktoren von übergeordneter Bedeutung: Einerseits die Komplexität des Systems, andererseits die Relevanz der Einzelfallbetrachtung für die Rechtsanwendung. Regelbasierte Systeme sind in Grenzen in der Lage, die Gesetzesbindung der Verwaltung zu wahren und damit dem Verwaltungshandeln sachlich-​inhaltliche Legitimation zu vermitteln. Die Grenze des Einsatzes aus Gründen der Einzelfallgerechtigkeit ist bei Beurteilungs-​und Ermessensspielräumen zu ziehen. Die Grenze des Einsatzes aus Gründen der komplexitätsbedingten Bedeutungsverschiebung muss häufig bereits bei auslegungsbedürftigen Begriffen gezogen werden. Eine Rechtskontrolle kann hier ab einer gewissen Komplexitätsschwelle nicht sinnvoll stattfinden. Eine automatisierte Entscheidungsunterstützung oder überwachte Teilautomatisierung bietet sich an. Fallbasierte Systeme wahren nur dann die Gesetzesbindung der Verwaltung, wenn eine umfassende ex-​ante Kontrolle des Problemlösungskonzepts einen Gleichlauf mit den Anforderungen des Rechts feststellt. Der Einsatz eines fallbasierten Systems ohne eine vorherige umfassende Rechtskontrolle ist damit unzulässig. Eine Teilautomatisierung von Normen ist denkbar, beispielsweise, wenn fallbasierte Systeme eingesetzt werden, um Fälle zu messbar typisierten Fallgruppen zuzuordnen. Im Übrigen variiert die Kontrollmöglichkeit fallbasierter Systeme stark. Die Grenze aus Gründen der Einzelfallgerechtigkeit ist wiederum bei Beurteilungsspielräumen und Ermessen zu ziehen. In beiden Fällen ist die Ausprägung organisatorischer Rahmen und inhaltlicher Mindestanforderungen für rechtliche Kontrollverfahren erforderlich. Hybride Systeme können nur differenziert beurteilt werden; es gelten für ihre Teilfunktionen die jeweils einschlägigen Grenzen. In den genannten Zulässigkeitsgrenzen sind Automationssysteme geeignet, sachlich-​inhaltliche Legitimation zu erzeugen. Wahrt ein Automationssystem aus

C. Organisatorisch-personelle Legitimation 

245

den genannten Gründen die Gesetzesbindung der Verwaltung gem. Art. 20 Abs. 3 GG nicht, ist der automatisiert erlassene Verwaltungsakt rechtswidrig und sachlich-​​ inhaltlich unterlegitimiert.

C. Organisatorisch-​personelle Legitimation automatisierter Verwaltungsakte Wirken nur teilweise Amtswalter an einem Erlass von Verwaltungsakten mit, stellt sich die Frage, ob und wie der organisatorisch-​personelle Legitimationszusammenhang gewahrt werden kann.

I. Entscheidungsträgerschaft eines legitimierten Amtswalters Die organisatorisch-​personelle Legitimation erfordert die Entscheidungsträgerschaft eines legitimierten Amtswalters.232 Derjenige, der die Entscheidung rechtsverbindlich trifft, muss seine Befugnis, steuernd auf den Bürger einzuwirken, auf den Wahlakt des Volkes rückbeziehen. Im Kettenmodell wird dieser Rückbezug über eine Kette aus individuellen Ernennungsakten erreicht. Die erforderliche organisatorisch-​personelle Legitimation besitzt danach, wer seine Ernennung über eine Kette aus Ernennungsakten der ihm Übergeordneten letztlich bis auf den Wahlakt des Volkes rückverfolgen kann.233 Im Hinblick auf Automationssysteme stellt sich die Frage, wie gewährleistet werden kann, dass die Entscheidungsträgerschaft bei demokratisch legitimierten Amtswaltern verbleibt, selbst dann, wenn im Einzelfall kein Amtswalter mehr am Erlass eines Verwaltungsakts mitwirkt. Unterschiedliche Kriterien haben sich zur Abgrenzung herausgebildet, je nachdem, ob es sich um eine gleichzeitige Mitwirkung nichtlegitimierter und legitimierter Personen beim verbindlichen Beschluss einer Entscheidung handelt (insb. Gremienentscheidungen)234, oder ob vor-​oder nachgelagert nichtlegitimierte Personen rechtlich verbindlich an der Entscheidung teilhaben (insb. Mitwirkung von Experten)235.

232

S. § 3 D. V. 3. c). S. § 3 D. III. 3. a). und D. V. 234 S. § 3 D. V. 3. a). 235 S. § 3 D. IV. 3. b). 233

246

§ 4 Legitimationsanforderungen an automatisiert erlassene Verwaltungsakte 

1. Kriterium bei Gremien: doppelte Mehrheit Wirken mehrere Personen im Zeitpunkt des Zustandekommens der Entscheidung zusammen, kommt es abstrakt darauf an, ob das Gremium mehrheitlich aus legitimierten Personen besteht. Das Gremium kann dann abstrakt, also losgelöst von der Betrachtung einer konkreten Entscheidung, grundsätzlich hinreichend legitimierte Entscheidungen treffen. In Anbetracht einer konkret getroffenen Entscheidung ist auch zu fordern, dass eine Mehrheit demokratisch legitimierter Personen die konkrete Entscheidung trägt („doppelte Mehrheit“)236. 2. Kriterien bei vor-​und nachgelagerter Mitentscheidung: Verbindlichkeit und Letztentscheidungsrecht Wirken mehrere Personen zeitlich und kompetenziell „abgeschichtet“ an der Entscheidungsfindung mit, erfolgt die Prüfung zweistufig: Erstens kann es sich um eine bloß unverbindliche Mitwirkung oder Beratung im Vorfeld handeln. Dann entfällt mangels Steuerungswirkung die Legitimationsbedürftigkeit der Mitwirkung nach den für die Entscheidung geltenden Anforderungen.237 Liegt tatsächlich eine verbindliche Mitentscheidung vor, kommt es darauf an, wem am Ende die verbindliche rechtliche Entscheidungsbefugnis für die Übernahme der Teilentscheidung in die umfassende Endentscheidung zukommt. Der Legitimationszusammenhang ist auch bei der Verlagerung von Teilentscheidungen auf nichtlegitimierte Personen gewahrt, wenn ein legitimiertes Organ, das auch ein Gremium sein kann, ein verbindliches Letztentscheidungsrecht über Inhalt und Zustandekommen der Entscheidung hat, also letztlich allein für das Zustandekommen der Entscheidung in ihrem Inhalt und all ihren Teilaspekten verantwortlich gemacht werden kann. Wird eine Teilentscheidung getroffen, die nicht mehr verändert oder abgelehnt werden kann, muss auch der Teilentscheider seinerseits organisatorisch-​personell demokratisch legitimiert sein. 3. Regelfall: Übernahme von Programmen durch die Verwaltung Beide Kriterien können für den Einsatz von Automationssystemen relevant sein. Beispielsweise könnte der Programmcode für ein Automationssystem in einem interdisziplinären Gremium entwickelt werden, sodass es für den Beschluss zum Einsatz des Programms auf das Kriterium der doppelten Mehrheit ankäme. Häufiger dürfte es jedoch vorkommen, dass Programmierer, zumeist aus dem Bereich der privatwirtschaftlichen Unternehmen, Programme im Vorfeld des Ein 236 237

S. § 3 D. V. 3. a) dd). S. § 3 D. V. 3. b).

C. Organisatorisch-personelle Legitimation 

247

satzes entwickeln, eine Verwaltungsbehörde Lizenzen für den Einsatz der Programme kauft und die Programme sodann zur Rechtsanwendung einsetzt. Hier gelten also nicht die Kriterien für Gremien, sondern diejenigen für die Mitwirkung und Mitentscheidung im Vorfeld der behördlichen Entscheidung. Auf diese Fälle soll im Folgenden genauer eingegangen werden. Dabei wird zunächst aus Gründen der Vollständigkeit auf technische Unterstützungssysteme eingegangen, danach werden teil-​und vollautomati​sierende Systeme der Rechtsanwendung untersucht.

II. Entscheidungsträgerschaft bei Unterstützungssystemen Unterstützungssysteme bereiten behördliche Entscheidungen vor, indem sie Sachverhalte teilweise oder ganz vorstrukturieren, rechtlich einordnen, und einen Entscheidungsvorschlag abgeben. Letztlich sind Unterstützungssysteme vergleichbar mit Expertengremien, die im Vorfeld der Entscheidung aufgrund erhöhter Sachkunde Beratungsleistungen an Amtswalter erbringen.238 1. Unterstützung ist unverbindliche Mitwirkung Der Vorschlag eines Unterstützungssystems entfaltet keine rechtliche Bindungswirkung für den Amtswalter und keine Steuerungswirkung für die Maßnahme. Der legitimierte Amtswalter kann einen Vorschlag annehmen, verändern oder gänzlich ablehnen. Das „Letztentscheidungsrecht“ verbleibt damit jedenfalls beim Amtswalter. Es kommt letztlich nur darauf an, ob derjenige, der das Unterstützungssystem nutzt und den Verwaltungsakt im Einzelfall verbindlich erlässt, organisatorisch-​personell demokratisch legitimiert ist.239 Hier handelt es sich also nicht um einen Fall der „Mitentscheidung“, sondern der „Mitwirkung“, mithin um eine faktische, nicht rechtliche Beeinflussung der Entscheidungsfindung, die im alleinigen Verantwortungsbereich desjenigen liegt, der sich der Beeinflussung durch Nutzung des Systems aussetzt. Ist der Entscheidungsträger, der sich des Unterstützungssystems bedient, demokratisch legitimiert, ist es auch die Entscheidung unter Mitwirkung eines technischen Unterstützungssystems.

238

S. hierzu bereits § 3 D. V. 3 b). S. bereits oben § 4 A. II. 6. Mangels Steuerungswirkung unterliegt das Entscheidungsunterstützungssystem nicht dem Legitimationserfordernis nach den Anforderungen für Verwaltungsakte. Dieses bezieht sich vielmehr auf die menschlich getroffene Entscheidung, die vom maschinellen Vorschlag faktisch beeinflusst oder unbeeinflusst sein kann.

239

248

§ 4 Legitimationsanforderungen an automatisiert erlassene Verwaltungsakte 

2. „Knopfdruck“ durch Amtswalter im Einzelfall Gleiches gilt für rechtsanwendende Automationssysteme, wenn die Verbindlichkeit des automatisierten Rechtsanwendungsergebnisses von einem „Knopfdruck“ eines Amtswalters im Einzelfall abhängt. Bedarf es also im Einzelfall noch eines die Rechtsverbindlichkeit erst erzeugenden „Knopfdrucks“ eines Amtswalters, handelt es sich rechtlich um eine Entscheidungsunterstützung, schließlich kann der Amtswalter jederzeit ganz oder in Teilen von der automatisierten Rechtsanwendung abweichen, indem er den Verwaltungsakt nicht durch Knopfdruck zustande bringt, sondern ihn stattdessen selbst ganz oder in Teilen ohne Zuhilfenahme des Systems erlässt. Dieser Fall ist also, was die organisatorisch-​personelle Legitimation des Verwaltungsakts angeht, unproblematisch. Für die Effektivität der Legitimation kommt es freilich darauf an, dass ein „Knopfdruck“ des Amtswalters nicht im Sinne eines blinden Technikvertrauens als bloßer Formalismus angesehen wird.

III. Entscheidungsträgerschaft bei Syntax-​und Arithmetikprogrammierung Bedient sich die Behörde eines Automationssystems, in welchem das Vorliegen der tatbestandlichen Merkmale eines Verwaltungsakts im Einzelfall durch Wahrheitswertzuordnung des Nutzers oder der Behörde festgestellt werden müssen, die Syntax der Merkmale sowie die Operationen arithmetischer Berechnungen aber bereits als Programm vorliegen, das zwingend angewendet wird, stellt sich zunächst die Frage, wer bei dieser Art des Verwaltungsakterlasses der Entscheidungsträger ist und sodann, wie die Entscheidungsträgerschaft eines legitimierten Amtswalters sichergestellt werden kann. 1. Behördliche Wahrheitswertzuordnung Zunächst soll der Fall betrachtet werden, in welchem die Behörde selbst inhaltlich den Sachverhalt prüft und einspeist und lediglich die spezifische Verknüpfung der Merkmale sowie Berechnungen automationsgestützt durchgeführt werden. a) Entscheidungsträgerschaft ist geteilt Bei einer teilweisen Automatisierung des Verwaltungsakterlasses entfaltet das Programm Steuerungswirkung für die Maßnahme. Legitimationsbedürftig sind also auch die spezifischen Verknüpfungen von Merkmalen, die ihrerseits erst noch der Feststellung bedürfen.240 Sie sind jedoch nicht bereits umfassend dadurch 240

S. o. § 4 A. II. 3.

C. Organisatorisch-personelle Legitimation 

249

legitimiert, dass sie sich aus dem Gesetz ergeben, weil üblicherweise die natürlichsprachliche Syntax nicht mit programmierter Syntax identisch, sondern nur im Grundsatz deckungsgleich ist.241 Weil gerade derjenige, der die Entscheidung in ihrer Gestalt trifft, zu legitimieren ist, genügt es auch nicht, die automatisierten Teile deshalb aus der Betrachtung auszuscheiden, weil die restliche Bearbeitung händisch erfolgt. Auch automa­ tisierte Syntax und Zahlen entfalten Steuerungswirkung im Einzelfall und müssen folglich als die Entscheidung inhaltlich präjudizierende Teile legitimiert werden. Durch die Programmierung entsteht ein abstrakter Entscheidungsteil – die Programmebene, die Teile der Entscheidung im Einzelfall bereits vorwegnimmt – und ein konkreter Entscheidungsteil, die Einspeisung der Merkmale im Einzelfall.242 aa) Entscheidungsträgerschaft des Programmierers Behält man vor Augen, dass syntaktische Zeichen einen eindeutigen Operator bezeichnen, Berechnungen ein ebenso eindeutiges Zeichen, und dass sich die Zeichen selbst und ihre Stellung im Problemlösungskonzept bei regelbasierten, nichtlernenden Systemen nicht ändern, kommt das Automationssystem selbst als Entscheidungsträger nicht in Betracht, weil es selbst keine Entscheidung trifft.243 Es kommt nur derjenige als Entscheidungsträger in Betracht, der die Zeichen in eigener Entscheidungsleistung als Übersetzung der natürlichsprachlichen Norm gesetzt hat: der Programmierer.244 Damit handelt es sich um eine antizipierte, also mit der Programmierung einmalig ausgeübte und sich im Einzelfall vervielfältigt hervorbringende teilweise Entscheidungsträgerschaft des Programmierers an der Verwaltungsentscheidung.

241

S. o. § 4 B. II. 3. a) aa). Ähnlich Polomski, der automatisierte Verwaltungsakt, 1993, S. 73. S. bereits Haft, Elek­ tronische Datenverarbeitung im Recht, 1970, S. 66: „In der veränderten Arbeits-​und Entscheidungsorganisation (…) liegt das umwälzend Neue, das mit den Computern gekommen ist.“; ähnlich im Hinblick auf Formulare: Gantner, Theorie juristischer Formulare, 2010, S. 141. 243 Dazu bereits Bull, Verwaltung durch Maschinen, 2. Auflage 1964, S. 68; Einschränkung auf nach hier vertretenem Verständnis regelbasierte Systeme auf S. 69; ähnlich Haft, Elektronische Datenverarbeitung im Recht, 1970, S. 66. 244 Das sieht bereits Zeidler, Technisierung der Verwaltung, 1959, S. 17; ähnlich aktuell Ahrendt, NJW 2017, 537 (540) und Degrandi, Die automatisierte Verwaltungsverfügung, 1971, S. 86, der ein Auseinanderfallen der fachlichen und technischen Ebene attestiert; s. auch Ernst, JZ 2017, 1026 (1026); Fadavian, in: (Un)berechenbar? Algorithmen und Automatisierung in Staat und Gesellschaft, 2018, 294 (305) sowie Kube, VVDStRL Bd. 78 (2019), 289 (309). 242

250

§ 4 Legitimationsanforderungen an automatisiert erlassene Verwaltungsakte 

bb) Entscheidungsträgerschaft der Behörde Hinsichtlich der Einspeisung der Merkmale im Einzelfall verbleibt die Entscheidungsträgerschaft beim Amtswalter, der die Merkmale eingibt und damit über das Vorliegen der tatbestandlichen Merkmale im Einzelfall entscheidet. b) Erforderlichkeit (auch) antizipierter Legitimation Zwei Entscheidungsträger wirken rechtlich verbindlich an der Entscheidung mit: Der Programmierer, der über die Programmierung antizipiert darüber entscheidet, was passiert, wenn bestimmte Merkmale eingegeben werden, und der Amtswalter, der darüber entscheidet, ob die Merkmale im Einzelfall vorliegen. Beide entscheiden nur über den ihnen zugewiesenen Teil, beide können nicht in den jeweils anderen Teil übergreifen – der Programmierer nicht auf die Wahr­ heitswertzuordnung im Einzelfall, der Amtswalter nicht auf die Programmgestaltung. Beide erzeugen damit rechtsverbindliche Teilentscheidungen. In der Folge müssen beide Teilentscheidungen organisatorisch-​personell demokratisch legitimiert sein. Problematisch ist bei behördlicher Wahrheitswertzuordnung nur die Legitimation des Programmierers. aa) Unproblematisch: Programmierer ist Amtswalter Kein Problem ergibt sich, wenn der Programmierer, der antizipiert über die Behandlung der Einzelfälle entscheidet, selbst ein zur Sachsteuerung befugter demokratisch legitimierter Amtswalter ist. Die Programmierung stellt dann, wie beispielsweise auch eine Verwaltungsvorschrift, die Ausübung der Sachsteuerungsbefugnis durch einen demokratisch legitimierten Amtswalter dar. bb) Programmierer meist Privatperson oder Unternehmen Ist der Programmierer selbst kein Amtswalter, was der Regelfall sein dürfte, wirkt eine demokratisch nicht legitimierte Person an allen Einzelentscheidungen, die mithilfe des Programms getroffen werden, maßgeblich mit. Das kann unproblematisch sein, wenn das Legitimationsniveau so tief liegt oder die Legitimation sachlich-​inhaltlich aufgewogen wird, dass vom Erfordernis lückenloser personeller Legitimation abgewichen werden kann.245 Im Grundsatz entsteht hier jedoch

245

S. dazu BVerfGE 135, 155 (223).

C. Organisatorisch-personelle Legitimation 

251

die Gefahr, strukturell demokratisch defizitär legitimierte Entscheidungen zu institutionalisieren.246 Um die organisatorisch-​personelle Legitimation zu wahren, kann das Kriterium des „Letztentscheidungsrechts“ auf den Programmierungsprozess übertragen werden. (1) Zulässigkeitsgrenze: Letztentscheidungsrecht Erforderlich ist in rechtlicher Hinsicht ein Letztentscheidungsrecht eines organi­ satorisch-​personell legitimierten und zur Sachsteuerung befugten Amtswalters. Ein legitimierter Amtswalter muss das zu antizipierende Problemlösungskonzept entweder eindeutig vorgeben, sodass ein Programmierer nur noch technische Übersetzungshilfe leistet, oder sich zumindest selbst von der Tauglichkeit der Programmierung überzeugen und damit die Verantwortung für die Programmierung übernehmen können.247 Über das Letztentscheidungsrecht muss dem legitimierten Amtswalter die Befugnis darüber verbleiben, das Programm auf untergeordneten Verwaltungsebenen einzusetzen, zu verändern oder auszusetzen. Bei dieser Beurteilung ist er an Art. 20 Abs. 3 GG sowie Dienst-​und Treuepflichten gegenüber dem Staat nach Art. 33 Abs. 4 GG gebunden und trägt insbesondere die persönliche Verantwortung für die Rechtmäßigkeit des Programms.248 (2) Gefahr der nur formalen Letztentscheidung Weil Programme zumindest ab einem gewissen Komplexitätsgrad nicht mehr verstanden oder erklärt werden können, besteht die Gefahr, dass Letztentscheidungsrechte aus „Technikvertrauen“ oder Effizienzdruck nicht effektiv wahrgenommen werden könnten. Kontrollierbarkeitserfordernisse bewirken zwar dann, wenn sie auch tatsächlich eingehalten werden, die Möglichkeit der Verantwortungsübernahme für die Programme. Andersherum wirkt aber die mangelnde Überprüfbarkeit komplexer Programme auch auf die Entscheidungsträgerschaft zurück, weil die Verantwortungsübernahme durch unverständlichen Programmcode erschwert oder sogar unmöglich gemacht wird.249 Gerade die Überprüfbarkeit und Steuerungsmöglichkeit unterge 246 Vorsichtiger: Martini / ​Nink, DVBl. 2018, 1128 (1134): „kann (…) den durchlaufenden demokratischen Zurechnungszusammenhang (…) unterbrechen.“. 247 Polomski, der automatisierte Verwaltungsakt, 1993, S. 99: „Verantwortung baut (…) auf Kontrolle auf. Nur wer Einfluss auf die Entstehung einer Entscheidung hat, muss für ihre Folgen einstehen.“. 248 Vgl. § 36 I BeamtStG. 249 Denselben Gedanken formuliert Polomski, Der automatisierte Verwaltungsakt, 1993, S. 99.

252

§ 4 Legitimationsanforderungen an automatisiert erlassene Verwaltungsakte 

ordneten Verwaltungshandelns begründet aber die „Verantwortungshochzonung“ im Wege des Legitimationsketten​modells.250 Letztlich dient das Letztentscheidungsrecht der Bewirkung einer Zurechnung der persönlichen Entscheidungsträgerschaft in komplexen Sachbereichen, die durch Amtswalter allein nicht zu lösen sind, gleichwohl aber selbst und allein verantwortlich für die Entscheidung sind. Im Grundsatz hat auch die Programmierung damit nur dienende Funktion für hoheitliche Entscheidungen, woran auch das für eine Automatisierung notwendige Expertenwissen nichts ändert. Tatsächlich begibt sich die Verwaltung jedoch zunehmend in ein Abhängigkeitsverhältnis gegenüber verwaltungsfremden Dienstleistern251, die dem Bürger gegenüber nicht verantwortlich sind, vgl. Art. 20 Abs. 3, 1 Abs. 3 GG. Eine nur formale Letztentscheidungsmöglichkeit, die nicht effektiv ausgeübt wird, erwiese sich als erhebliche Störung des Legitimationsgefüges. Sie bedeutete gleichsam einen „Rückzug aus der Letztentscheidungsverantwortung“252 und eine „Verantwortungsauflösung“253 des Staates. c) Ergebnis Im Falle der Automatisierung von Normsyntax und Berechnungen ist die Entscheidung der Verwaltung in einen abstrakten und einen konkreten Entscheidungsteil aufgespalten. Üblicherweise wird der abstrakte Entscheidungsteil vom Programmierer antizipiert getroffen. Auch dieser Entscheidungsteil bedarf der organisatorisch-​personellen Legitimation, sodass es zur Wahrung des Legitimationszusammenhangs auf das verbindliche Letztentscheidungsrecht eines legitimierten Amtswalters ankommt. Ein solches muss auch effektiv im Sinne einer Verantwortungsübernahme ausgestaltet sein, was die Verständlichkeit und Abänderbarkeit von und Spiegelung des Gesetzeswortlauts durch Programmcode erforderlich macht. 2. Wahrheitswertzuordnung durch Bürger Automatisierte Verwaltungsverfahren sind aktuell üblicherweise auf die Wahrheitswertzuordnung oder Ausfüllung von Eingabefeldern durch Nutzer, also den Bürger und Adressaten des Verwaltungsakts, angewiesen.254 Technisch liegt hier 250

Zum Zusammenhang von Legitimationskettenmodell und persönlicher Verantwortung Fadavian, in: (Un)berechenbar? Algorithmen und Automatisierung in Staat und Gesellschaft, 2018, 294 (306 f.). 251 Prell, NVwZ 2018, 1255 (1258); Kube, VVDStRL Bd. 78 (2019), 289 (312). 252 Polomski, Der automatisierte Verwaltungsakt, 1993, S. 99. 253 Fadavian, in: (Un)berechenbar? Algorithmen und Automatisierung in Staat und Gesellschaft, 2018, 294 (307). 254 Braun Binder, NVwZ 2016, 960 (960); zum Problem umfassend Gantner, Theorie der juristischen Formulare, 2010, S. 4 ff.

C. Organisatorisch-personelle Legitimation 

253

die Problemlage mit dem Einspeisen der Merkmale durch die Behörde identisch, allein der Medienbruch fällt weg255 beziehungsweise verlagert sich auf die Ebene der Einspeisung von Daten durch den Bürger. Ein Sonderproblem könnte sich allerdings im Hinblick auf die Entscheidungsträgerschaft ergeben, weil kein Amtswalter mehr mitwirkt, sondern an seiner Stelle ein Bürger. a) Abstrakter Entscheidungsanteil unverändert Der abstrakte Entscheidungsanteil, die Programmierung, bleibt unverändert. Sie wird üblicherweise vom Programmierer vorgegeben, sodass für den Programmierungsprozess die Anforderung der effektiven Ausgestaltung eines Letztentscheidungsrechts eines demokratisch organisatorisch-​personell legitimierten Amtswalters gilt (s. o.). b) Konkreter Entscheidungsanteil auf Bürger verlagert Der konkrete Entscheidungsanteil, die Einspeisung von Daten, wird nicht mehr von der Behörde vorgenommen, sondern vom Bürger selbst. Letztlich ist in diesen Fällen also die Entscheidungsträgerschaft zwischen Programmierer und Bürger aufgeteilt. Ein Amtswalter wirkt an der Rechtsanwendung nicht mehr mit, obwohl ihm aus Gründen der demokratischen Legitimation die Entscheidungsträgerschaft zukommen muss. c) Grenze: Letztentscheidungsrecht Auch hier bedarf es des Letztentscheidungsrechts eines demokratisch legitimierten Amtswalters. Es müsste also einem Amtswalter jederzeit möglich sein, in das Verfahren einzugreifen und es an sich zu ziehen.256 Das ist nur gewährleistet, wenn die durch den Bürger eingespeisten Angaben überhaupt unter Einräumung eines Letztentscheidungsrechts zur Überprüfung der Angaben von einem Amtswalter zur Kenntnis genommen werden. Letztlich müsste zur Wahrung des Letztentscheidungsrechts also eine irgendwie geartete Aussteuerung oder Sichtbarmachung stattfinden, die die Behörde von den Entscheidungen, die sie trifft, in Kenntnis setzt, sodass ihr die Entscheidungsträgerschaft zugerechnet werden könnte. Das schließt eine Vollautomatisierung ohne zeitgleiches Monitoring aus.

255 256

Das sieht auch Bull, DVBl. 2017, 409 (411). S. dazu bereits Degrandi, Die automatisierte Verwaltungsverfügung, 1971, S. 74.

254

§ 4 Legitimationsanforderungen an automatisiert erlassene Verwaltungsakte 

Allerdings ist die durch vollautomatisierende technische Systeme erzielte „Verlagerung von Verwaltungsaufwand auf den Bürger“257 gerade darauf angelegt, dass im Einzelfall nicht mehr eingegriffen wird und auch keine personellen Ressourcen eingesetzt werden, um jeden Fall einzeln zu würdigen. Die Behörde ist am automatisierten Verwaltungsakterlass nicht mehr beteiligt, sodass ein Letztentscheidungsrecht rechtlich bestehen mag, faktisch aber jedenfalls nicht sinnvoll ausgeübt werden kann, da die Behörde gar nicht wissen kann, ob es einen Grund zum Einschreiten gibt. Ob eingegriffen wird, wird in der Praxis vielmehr von einem automatisierten Risikomanagementsystem oder einer Zufallsauswahl abhängig gemacht – beides objektivierte technische Verfahren, die die Gleichmäßigkeit der ausgesteuerten Auswahl gewährleisten mögen,258 aber an der grundsätzlich ineffektiven Ausgestaltung des behördlichen Letztentscheidungsrechts nichts ändern. d) Relativierung durch verlagerte Entscheidungsteile und Legitimationsniveau Einschränkend ist anzunehmen, dass eine Verlagerung von Sachverhaltsprüfungen und Verwaltungsaufwand auf den Bürger nur insoweit in Betracht kommt, wie der Bürger in der Lage ist, das Geschehen adäquat zu bewerten. Das wird nur bis zur Grenze der auslegungsbedürftigen Begriffe der Fall sein, weil Laien die Rechtslage nicht beurteilen können. Die Feststellung von Tatsachen entfaltet aber keine Steuerungswirkung für das hoheitliche Handeln.259 Faktisch kann es einen Unterschied machen, wer Tatsachenangaben einspeist, weil der Bürger faktisch falsche Angaben machen könnte, wenn es für ihn günstig ist. Das ist aber für die Entscheidungsträgerschaft unerheblich, weil die Entscheidungsträgerschaft sich nur auf die die Herrschaftsausübung steuernden Teile beziehen muss, nicht auf die Wirklichkeit. Üblicherweise dürfte deshalb gerade kein rechtlich erheblicher Entscheidungsanteil auf den Bürger verlagert werden, sodass sich die Entscheidungsträgerschaft im Regelfall vollständig auf die Programmierungsebene verlagert. Die Einhaltung der für diese Entscheidungsebene entwickelten Vorgaben ist in Fällen des vollautomatisierten Verwaltungsakterlasses unter Mitwirkung des Bürgers daher umso wichtiger. Andersherum ist die absolute Grenze der Mitwirkung des Bürgers bei dem Erlass eines Verwaltungsakts bei der Einspeisung von Angaben zu ziehen, die eine rechtliche Würdigung erfordern.260 257

Polomski, Der automatisierte Verwaltungsakt, 1993, S. 49 m. w. N.; Bull, Verwaltung durch Maschinen, 2. Auflage 1964, S. 128; von Berg, Automationsgerechte Rechts-​und Verwaltungsvorschriften, 1968, S. 58; Fiedler / ​Barthel / ​Voogd, Untersuchungen zur Formalisierung im Recht, 1984, S. 25; ähnlich Gantner, Theorie der juristischen Formulare, 2010, S. 4. 258 Neumann, Einsatz von RMS im Vollzug des Steuerrechts, 2016, S. 8. 259 S. o. § 4 A. II. 4. 260 Ähnlich: Polomski, Der automatisierte Verwaltungsakt, 1993, S. 119.

C. Organisatorisch-personelle Legitimation 

255

Eine weitere Relativierung ergibt sich aus dem Kriterium des Legitimationsniveaus. Werden beispielsweise Verwaltungsakte mit geringer Grundrechtsintensität automatisiert, kann ein das Regelniveau demokratischer Legitimation unterschreitendes Legitimationsniveau angenommen werden. Dann kann vom Erfordernis lückenloser organisatorisch-​personeller Legitimation abgesehen werden, sodass die antizipierte Legitimation des Programms für die Legitimation des Verwaltungsakts bereits ausreichen kann, um den Verwaltungsakt ausreichend an das Volk rückzubinden. 3. Ergebnis Die Entscheidungsträgerschaft ist beim Einsatz von Automationssystemen mit regelbasierter Syntax-​und Arithmetikprogrammierung in eine abstrakte Entscheidungsleistung und eine Entscheidungsleistung im Einzelfall aufgeteilt. Bei entsprechender Steuerungswirkung besteht grundsätzlich bezüglich beider Teile das Erfordernis organisatorisch-​personeller Legitimation. Die abstrakte Entscheidungsleistung wird üblicherweise vom Programmierer erbracht, sodass ihm die Entscheidungsträgerschaft zukommt. Zur Wahrung des demokratischen Legitimationszusammenhangs ist ein Letztentscheidungsrecht mit inhaltlicher Abänderungsmöglichkeit eines demokratisch legitimierten Amtswalters zu fordern. Bestenfalls sind Automationssysteme interdisziplinär zu entwickeln, um den Verantwortungszusammenhang zu intensivieren. Die Entscheidungsleistung im Einzelfall wird entweder von einem Amtswalter erbracht, sodass die üblichen Grundsätze gelten, oder von einem Bürger, der das Automationssystem nutzt. Bei einer Verlagerung von Entscheidungsteilen auf den Bürger, beispielsweise durch formularmäßige Verwaltungsakterstellung, droht grundsätzlich eine Unterbrechung des organisatorisch-​personellen Legitimationszusammenhangs, weil die Entscheidungsträgerschaft zwischen Programmierer und Nutzer aufgeteilt ist, der zur Entscheidung berufene Amtswalter jedoch nicht mitwirkt. Allerdings beschränkt sich die Verlagerung von Verwaltungsarbeit auf den Bürger im Regelfall auf messbare Begriffe, sodass sich die Entscheidungsträgerschaft mangels Steuerungswirkung der Herrschaftsausübung durch die Ausdeutung der Begriffe nicht auf diese Entscheidungsteile beziehen muss. Auch führte eine verminderte organisatorisch-​personelle Rückbindung, beispielsweise durch Verlagerung der Ausdeutung von Rechtsbegriffen auf Bürger, nicht notwendigerweise zu einem Legitimationsdefizit. Vielmehr kann das erforderliche Soll-​Niveau der Legitimation im Einzelfall tiefer liegen als das Regelniveau, sodass auf das Erfordernis lückenloser organisatorisch-​personeller Rückbindung verzichtet werden kann.

256

§ 4 Legitimationsanforderungen an automatisiert erlassene Verwaltungsakte 

IV. Entscheidungsträgerschaft bei automatisierter Merkmalserschließung Eine automatisierte Merkmalserschließung bei ansonsten händischer Bearbeitung bewirkt ebenfalls eine gemischt abstrakt-​konkrete Rechtsanwendung, sodass wiederum die organisatorisch-​personelle Legitimation bezüglich individueller Rechtsanwendung und Programmierung zu fordern ist. Je nach verwendeter Technologie ist die Art und Weise, Merkmale auszudeuten, unterschiedlich konstruiert. Das wird schon am unterschiedlichen Problemlösungsverhalten regelbasierter und fallbasierter Systeme deutlich. Auch innerhalb dessen sind unterschiedliche Gestaltungen möglich, bei fallbasierten Systemen etwa unterschiedliche Auswertungs-​und Klassifizierungsmethoden. „In jeder Technologie spiegeln sich Wertentscheidungen aus dem Konstruktionsprozess“261, sodass legitimierte Amtswalter im Wege eines Letztentscheidungsrechts am jeweiligen Programmierungsprozess beteiligt sein müssen. Je nach Systemgestaltung muss dieses Letztentscheidungsrecht sich auf unterschiedliche Gegenstände beziehen,262 was im Folgenden dargelegt werden soll. 1. Regelbasierte Systeme: Verlagerung auf Designebene Soll eine regelbasierte Spezifizierung beispielsweise für die teil-​oder vollautomatisierte Anwendung wenig komplexer, messbar typisierter Fallgruppen eines auslegungsbedürftigen Begriffs verwendet werden, muss die Spezifizierung wiederum auf ein organisatorisch-​personell legitimiertes Organ zurückgehen. Das erfordert die Verantwortungsübernahme und verbindliche Entscheidung des Amtswalters über den Einsatz des jeweiligen Problemlösungskonzepts. Das ist wiederum nur gewährleistet, wenn der Amtswalter Einfluss auf die Implementierung hat und an der Gestaltung selbst maßgeblich mitwirkt, indem er beispielsweise klar vorgibt, welche Fallgruppen oder Merkmale in welcher Weise automationsgestützt abzubilden sind. In wenig komplexen Fällen kann die Entwicklung des Programms ausgelagert werden, solange der organisatorisch-​personell legitimierte und zur Sachsteuerung befugte Amtswalter letztverbindlich über den Einsatz des Programms entscheidet und die konkrete Funktionsweise für ihn nachvollziehbar und gegebenenfalls abänderbar die Abbildung des Gesetzeswortlauts darstellt. Erforderlich ist also ein Letztentscheidungsrecht des zur Sachsteuerung befug­ ten, organisatorisch-​personell legitimierten Amtswalters bezüglich der Formalisierung der abzubildenden Rechtsnormen und Programmierung des Systems.

261 262

Wischmeyer, AöR Bd. 143 (2018), 1 (20), im Hinblick auf selbstlernende Systeme. Vgl. Martini, JZ 2017, 1017 (1018).

C. Organisatorisch-personelle Legitimation 

257

2. Fallbasierte Systeme: Verlagerung auf Datensammlung, -aufbereitung, -klassifizierung und -evaluierung Werden fallbasierte Systeme mit statistischen Auswertungsmethoden wie ML eingesetzt, muss ein organisatorisch-​personell legitimierter und zur Sachsteuerung befugter Amtswalter auf Ebene der Datensammlung beteiligt werden. Er muss also entweder verbindlich vorgeben oder jedenfalls letztverbindlich darüber entscheiden, welches Fallmaterial Trainings-​und Testgrundlage des Systems wird. Auf die daneben bestehende Notwendigkeit einer ex-​ante Rechtskontrolle des fallbasierten Systems wurde bereits hingewiesen. Die Kontrollergebnisse müssen vor dem Einsatz des Systems demjenigen vorliegen, der über den Einsatz des Systems entscheidet. Wird das ausgewählte Datenmaterial verändernd aufbereitet, muss wiederum ein organisatorisch-​personell legitimierter Amtswalter die Verantwortung hierfür übernehmen. Wird beispielsweise händisch annotiert, muss bestenfalls ein demokratisch legitimierter Amtswalter selbst annotieren und damit selbst die Daten liefern, die zusätzlich in die Auswertung miteinbezogen werden. Jedenfalls muss ihm ein Letztentscheidungsrecht bezüglich der Annotation verbleiben, was wiederum impliziert, dass er das Prinzip der Annotation und die annotierten Daten selbst versteht. Auch der verwendete Klassifizierer als spezifisches Systemdesign263 muss unabhängig von der Datengrundlage im Wege eines Letztentscheidungsrechts mit Abänderungsmöglichkeit eines demokratisch legitimierten Amtswalters an den Wahlakt des Volkes rückgekoppelt werden. Es muss also ein legitimierter Amtswalter darüber entscheiden, ob sich ein anderer Klassifizierer besser für die Zwecke des Systems eignen könnte, was beispielsweise durch aufbereitete Vergleichsstudien zur Performance unterschiedlicher Klassifizierer im Hinblick auf ein bestimmtes Einsatzgebiet erleichtert werden könnte. Dasselbe gilt für die verwendeten Qualitäts-​und Fairnessmaße und die Frage, ab welchem Schwellenwert der Qualitäts-​und Fairnesskontrolle ein Automations­ system als einsetzbar gilt. Soweit der Gesetzgeber keine Vorgaben gemacht hat, muss die Verwaltung die Verantwortung für die verwendeten Qualitäts-​und Fairnessmaße übernehmen, indem sie unterschiedliche Optionen miteinander vergleicht und eine sachbereichsspezifische Auswahl trifft. Der Einsatz fallbasierter Systeme erfordert damit ein Letztentscheidungsrecht des zur Sachsteuerung befugten, organisatorisch-​personell legitimierten Amts­ walters, was die Auswahl und Aufbereitung des Datenmaterials sowie die Klassi­ fizierungs-​und Evaluierungsmethode und das Verhalten des Systems im Gesamten angeht.

263

Wischmeyer, AöR Bd. 143 (2018), 1 (21) im Hinblick auf lernende Systeme.

258

§ 4 Legitimationsanforderungen an automatisiert erlassene Verwaltungsakte 

3. Hybride Systeme: Verlagerung auf Datengrundlage und Design Hybride Systeme erbringen Rechtsanwendungsleistungen unterschiedlicher Qualität, sodass sich je nach der konkreten Gestaltung des Systems unterschiedliche Anforderungen ergeben. Arbeitet das System teilweise mit einem aus Fallmaterial gewonnenen Programm, müssen die Auswahl der Datengrundlage, ihre Aufbereitung sowie die Klassifizierung der Daten und die Evaluierungsmaßstäbe des Systems legitimiert sein. Arbeitet es teilweise regelbasiert, müssen die Regeln selbst legitimiert sein, indem sie nach der Prüfung eines die Verantwortung für die Gestaltung übernehmenden Amtswalters eine Abbildung des Gesetzes darstellen.

V. Entscheidungsträgerschaft bei automatisierter Bearbeitung nach menschlicher Freischaltung Die Entscheidung eines Automationssystems, das ohne händische oder formularmäßige Wahrheitswertzuordnung operiert,264 wird gänzlich ohne menschliche Entscheidungsleistung im Einzelfall getroffen. Hier sei also „der Entscheidungsträger ein formaler Algorithmus“265. Damit verlagert sich das Legitimationserfordernis vollständig auf die Programmebene als einzige Entscheidungsebene. Es ist also bezüglich aller rechtsanwendenden Merkmale eine antizipierte Legitimation der Programmierung zu fordern. Hier gelten die obigen Ausführungen. Freilich wird bereits das Kontrollerfordernis den Einsatz derartige Systeme bis auf Weiteres versperren; die zweite Hürde läge in der Möglichkeit der Verantwortungsübernahme zur Vermittlung der Entscheidungsträgerschaft der Verwaltung, die die inhaltliche Beurteilung des Problemlösungskonzepts durch die Verwaltung erfordert.

VI. Entscheidungsträgerschaft bei lernenden Systemen Die Einsatzgebiete für lernende Systeme im Bereich der hoheitlichen Rechtsanwendung sind durch defizitäre Kontrollmöglichkeiten von vorne herein stark beschränkt. Die Entscheidungsträgerschaft eines legitimierten Amtswalters könnte ebenfalls problematisch sein, weil die antizipierte Legitimation aufgrund antizipiert ausgeübter Entscheidungsteile nicht gelingt: 264 Nach Bull, DVBl. 2017, 409 (410) würde selbst hier noch eine Teilautomatisierung aufgrund der menschlichen Freischaltung des Programms vorliegen. Nach der h. Lit. handelt es sich hierbei um eine Vollautomatisierung, weil diese bereits beim geringeren Automatisierungsgrad der Nutzereinspeisung angenommen wird, z. B. Braun Binder, NVwZ 2016, 960 (960). S. hierzu umfassend § 5 B. I. 265 Gesellschaft für Informatik, Technische und rechtliche Betrachtungen algorithmischer Entscheidungsverfahren, 2018, S. 11.

C. Organisatorisch-personelle Legitimation 

259

Die Entscheidungsträgerschaft kann nur dann antizipiert werden, wenn sich der Modus der Entscheidungsfindung – die Steuerung der hoheitlichen Machtausübung – nicht verändert. Ansonsten liegt eine neue Entscheidung und damit eine neue Steuerungswirkung vor, die wiederum eigenständig legitimiert werden muss. Dementsprechend müsste nach jeder Lernphase, die das Programm inhaltlich verändert, vor dem weiteren Einsatz die Letztentscheidung eines legitimierten Amtswalters eingeholt werden266 oder zumindest ein Abänderungsrecht, also zumindest die Möglichkeit des Eingreifens bestehen. Letztlich wäre nur ein Einsatz mit zeitgleichem Monitoring des Systems durch den zur Sachsteuerung befugten Amtswalter denkbar, der jederzeit die Möglichkeit zum Eingreifen und Aussetzen oder Abändern des Programms haben müsste. Aufgrund defizitärer Transparenz lernender Programme liefe ein derartiges Letztentscheidungsrecht aber von vornherein leer und wäre überdies nicht praktikabel. ML ist gerade auf stetige Optimierung durch Lernen aus Erkenntnissen ausgelegt. Ohne Kenntnis und rechtliche Einordnungsmöglichkeit der Lernprozesse kann ein Letztentscheidungsrecht nicht effektiv wahrgenommen werden. Aufgrund defizitärer organisatorisch-​personeller Legitimation wäre die vom selbstlernenden System getroffene Einzelfallentscheidung nach dem aktuellen Entwicklungsstand insbesondere der Kontrolle der Systeme unterlegitimiert. Der Einsatz selbstlernender Systeme kommt deshalb nur in Betracht, wenn das zu erreichende Legitimationsniveau aufgrund geringer Grundrechtsintensität niedrig liegt, sodass vom Erfordernis lückenloser organisatorisch-​personeller Legitimation abgewichen werden kann. Es genügt jedenfalls nicht, nur die Auswahl des Klassifizierers zu legitimieren, weil sich die Entscheidungsparameter ungeachtet des verwendeten Klassifizierers ändern. Schon aufgrund der Eigenschaft als fallbasiertes System müssen freilich auch die Datengrundlage und das Systemdesign sowie die Evaluierungsmaßstäbe eines fallbasierten selbstlernenden Systems267 legitimiert werden. Bestehen allerdings geeignete Kontroll-​und Überwachungsstrukturen für ML, könnten auch lernende Systeme fortwährend auf ihre Gesetzesbindung überprüft werden. Dann wäre ein Einsatz lernender Systeme vertretbar.268

266

Ähnlich Stelkens, in: Stelkens / ​Bonk / ​Sachs, VwVfG, 19. Auflage 2018, § 35 a Rn. 47. Vgl. Wischmeyer, AöR Bd. 143 (2018), 1 (21). Herberger, NJW 2018, 2825 (2827) schlägt eine „Organisationsverantwortung“ für lernende Systeme vor, die freilich nur eine Verantwor­ tung für den Klassifizierer konstruiert, nicht für das angewendete Normprogramm, und damit im Bereich der öffentlichen Verwaltung zu kurz greift, weil die Verwaltung gerade ein vorgegebenes Normprogramm anwenden muss, Art. 20 Abs. 3 GG. 268 Ähnlich: Martini / ​Nink, DVBl. 2018, 1128 (1134). 267

260

§ 4 Legitimationsanforderungen an automatisiert erlassene Verwaltungsakte 

VII. Zusammenfassendes Fazit Die zur Wahrung organisatorisch-​personeller Legitimation erforderliche Entscheidungsträgerschaft eines legitimierten Amtswalters auch für antizipiert getroffene Teile der Entscheidung erfordert die Verantwortungsübernahme und Letztentscheidung über die Verwendung eines Automationssystems in seiner konkreten Gestalt. Unterste zulässige Grenze ist die Erarbeitung eines Programmvorschlags durch nichtlegitimierte Programmierer oder Programmiererteams. Über die Übernahme des Programms oder notwendige Veränderungen am Programmcode muss ein legitimierter Amtswalter entscheiden. Eine effektive Wahrnehmung dieser Entscheidungsmacht erfordert die Verständlichkeit des Programms und die Zuordenbarkeit einzelner Programmteile zu gesetzlichen Vorgaben, die sie abbilden. Das Programm muss sich im Ergebnis als Antizipationsleistung des legitimierten Amtswalters unter technischer Hilfestellung und Unterstützung darstellen, nicht als unverantwortbares, weil unverständliches Werk eines Programmierers. Weil schon das bestehende Kontrollerfordernis den zulässigen Rahmen für den Einsatz von Automationssystemen beschränkt, stellt das Erfordernis organisatorisch-​personeller Legitimation keine unerreichbar hohen Anforderungen an den Einsatz von Automationssystemen. Es verdeutlicht vielmehr erneut die Relevanz der inhaltlichen und persönlichen Verantwortungsübernahme für von der Verwaltung eingesetzte Rechtsanwendungsprogramme.

D. Gesamtergebnis und Zusammenfassung Art. 20 Abs. 2 GG lassen sich Anforderungen an die Zulässigkeit automatisierter Verwaltungsakte entnehmen. Es bedarf zunächst der Zurechenbarkeit der automatisierten Maßnahme zur Verwaltung, wofür ein abstrakter Willenszusammenhang zur Verwaltung ausreicht. Automatisiert erlassene Verwaltungsakte sind der Verwaltung zurechenbar, wenn sich der Einsatz des Systems auf einen abstrakten Verwendungswillen der Verwaltung zurückführen lässt. Auf die Systemarchitektur oder Lernfähigkeit des Systems kommt es nicht an. Einfachgesetzliche Zulassungsvorschriften des parlamentarischen Gesetzgebers sind nicht geeignet, die Legitimationsanforderungen abzusenken. Auch bei einfachgesetzlicher Zulassung automatisierter Verwaltungsakte kommt es damit im Einzelfall auf das erreichte Niveau sachlich-​inhaltlicher und organisatorisch-​personeller Legitimation an, das am zu erzielenden Legitimationsniveau zu messen ist. Die sachlich-​inhaltliche Legitimation erfordert die Steuerung und Kontrolle des Verwaltungshandelns und erstreckt sich auch auf automatisiertes Verwaltungshandeln. Die Steuerungswirkung des Parlamentsgesetzes muss deshalb im Programmcode eines Automationssystems abgebildet sein. Das natürlichsprachliche Gesetz eignet sich nur begrenzt für eine derartige Abbildung. Die Grenze der Zu-

D. Gesamtergebnis und Zusammenfassung

261

lässigkeit einer Automatisierung richtet sich einerseits nach der durch Komplexität verursachten Bedeutungsverschiebung, andererseits nach der Relevanz von Einzelfallgesichtspunkten bei der Rechtsanwendung. Jedenfalls die Automatisierung von Ermessens-​und Beurteilungsspielräumen ist als bis auf Weiteres unzulässig anzusehen. Die Komplexitätsschwelle, die mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit der Bedeutungsverschiebung algorithmischer Darstellung sowie verminderter Kontroll­möglichkeit einhergeht, dürfte in der Regel bereits bei auslegungsbedürftigen Begriffen zu ziehen sein. Die organisatorisch-​personelle Legitimation erfordert auch für automatisiertes Verwaltungshandeln die Entscheidungsträgerschaft eines legitimierten Amtswalters. Automatisiertes Verwaltungshandeln ist durch ein Auseinanderfallen der Rechtsanwendung in abstrakte und konkrete Rechtsanwendungsteile gekenn­ zeichnet. Beide sind legitimationsbedürftig. Daher muss sich die Entscheidungsträgerschaft eines legitimierten Organs auch auf die Programmierung eines Automationssystems beziehen, was durch ein Letztentscheidungsrecht bei der Programmierung, das je nach Systemarchitektur unterschiedlich auszugestalten ist, gewährleistet werden kann. Insgesamt stellt das Erfordernis demokratischer Legitimation des Verwaltungshandelns damit qualitative Anforderungen an den parlamentsgesetzlichen Normierungsprozess sowie die verwaltungsseitige Implementierung und Kontrolle von Automationssystemen.

§ 5 Bewertung der Automatisierungsstrategie des StModG Die Anforderungen der demokratischen Legitimation des Verwaltungshandelns aus Art. 20 Abs. 2 GG ergeben Leitlinien für den Einsatz von Automationssystemen unterschiedlicher technischer Gestaltung zum Erlass von Verwaltungsakten. Aufgabe des einfachen Gesetzgebers ist es, die verfassungsrechtlichen Anforderungen ordnungsgemäß umzusetzen und sinnvoll auszugestalten. Das Gesetz zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens (StModG)1 ist ein aktuelles Beispiel für eine einfachgesetzlich umgesetzte Automatisierungsstrategie, die der Verwaltung durch Technikeinsatz bei der Rechtsanwendung Effizienzvorteile verschaffen soll. Im Folgenden werden die Vorschriften einer Würdigung im Hinblick auf die Anforderungen demokratischer Legitimation unterzogen. Es geht nicht um eine umfassende Klärung der Verfassungsmäßigkeit der Reformvorschriften, sondern um eine Bewertung derjenigen neueingefügten oder veränderten Bestimmungen, die den Problembereich der demokratischen Legitimation des Verwaltungshandelns im Besonderen betreffen.

A. Die wichtigsten Neuregelungen des StModG im Überblick Die Bestimmungen des StModG vom 18. Juli 2016 traten überwiegend zum 1.1.2017 in Kraft2 und verfolgen das Ziel3 der zunehmenden Einführung vollauto­matisierter, also gänzlich ohne menschliche Mitwirkung ablaufender, Verwaltungs­verfahren. Obgleich das StModG nach seinem schwerpunktmäßigen Anwendungsbereich, dem Steuerrecht, benannt ist, sind auch das allgemeine Verwaltungsverfahrensrecht sowie das Sozialrecht von der Modernisierung umfasst.

1

BGBl. I 2016, S. 1679. BGBl. I 2016, S. 1709. 3 Zu weiteren Motiven des Gesetzgebers Preißer / ​Wind, Modernisierung des Besteuerungsverfahrens, 2017, S. 14 f. 2

A. Die wichtigsten Neuregelungen des StModG im Überblick 

263

I. Regelungen im VwVfG und SGB X § 35a VwVfG: „Ein Verwaltungsakt kann vollständig durch automatische Einrichtungen erlassen werden, sofern dies durch Rechtsvorschrift zugelassen ist und weder ein Ermessen noch ein Beurteilungsspielraum besteht.“

§ 35a VwVfG erlaubt den vollständig automationsgestützten Erlass eines Verwaltungsakts nur dann, wenn dies explizit durch eine Rechtsvorschrift4 angeordnet wurde. Unzulässig ist der vollständig automatisierte Erlass eines Verwaltungsakts weiterhin dann, wenn Ermessens-​oder Beurteilungsspielräume bestehen. § 31a SGB X: „Ein Verwaltungsakt kann vollständig durch automatische Einrichtungen erlassen werden, sofern kein Anlass besteht, den Einzelfall durch Amtsträger zu bearbeiten. Setzt die Behörde automatische Einrichtungen zum Erlass von Verwaltungsakten ein, muss sie für den Einzelfall bedeutsame tatsächliche Angaben des Beteiligten berücksichtigen, die im automatischen Verfahren nicht ermittelt würden.“

§ 31a SGB X ist etwas ausführlicher formuliert als § 35a VwVfG. Er setzt für den vollständig automationsgestützten Erlass eines Verwaltungsaktes voraus, dass kein Anlass bestehen darf, den Fall durch einen Amtsträger zu bearbeiten. Weiterhin dürfen keine tatsächlichen Angaben unberücksichtigt bleiben, nur weil der Verwaltungsakt vollständig automationsgestützt erlassen wird. Die Behörde ist also ungeachtet der konkreten Gestaltung der eingesetzten Software dafür verantwortlich, dass alle erheblichen Angaben ermittelt werden.

II. Regelungen in der AO § 155 Abs. 4 AO (Auszug): „Die Finanzbehörden können Steuerfestsetzungen (…) auf der Grundlage der ihnen vorliegenden Informationen und der Angaben des Steuerpflichtigen ausschließlich automationsgestützt vornehmen (…), soweit kein Anlass dazu besteht, den Einzelfall durch Amtsträger zu bearbeiten. (…) Ein Anlass zur Bearbeitung durch Amtsträger liegt insbesondere vor, soweit der Steuerpflichtige in einem dafür vorgesehenen Abschnitt oder Datenfeld der Steuererklärung Angaben im Sinne des § 150 Abs. 7 gemacht hat. 4

Ob dieser Rechtssatzvorbehalt gleichzeitig einen Parlamentsvorbehalt darstellt, ist umstritten. Dafür Kube, VVDStRL Bd. 78 (2019), 289 (304) und die hier vertretene Auffassung, s. § 4 B. I. 1. c); dagegen Stegmüller, NVwZ 2018, 353 (355), der die Entscheidung über die Automatisierung im Kernbereich der Verwaltung ansiedelt. Ist eine parlamentsgesetzliche Ermächtigung der Verwaltung, die Vollzugsoption der Automatisierung zu wählen, erforderlich, tastet das den exekutiven Kernbereich nicht an, der der Verwaltung die Entscheidung überlässt, von der Ermächtigung Gebrauch zu machen und sie inhaltlich und sie darüber hinaus sachbereichsspezifisch – beispielsweise durch das Erstellen von gegenüber der Ermächtigung speziellerem Programmcode – zu konkretisieren.

264

§ 5 Bewertung der Automatisierungsstrategie des StModG 

Bei vollständig automationsgestütztem Erlass eines Verwaltungsakts gilt die Willensbildung über seinen Erlass und über seine Bekanntgabe im Zeitpunkt des Abschlusses der maschinellen Verarbeitung als abgeschlossen.“ § 150 Abs. 7 AO (Auszug): „Können Steuererklärungen (…) nach § 155 Abs. 4 S. 1 zu einer ausschließlich automationsgestützten Steuerfestsetzung führen, ist es dem Steuerpflichtigen zu ermöglichen, Angaben, die nach seiner Auffassung Anlass für eine Bearbeitung durch Amtsträger sind, in einem dafür vorgesehenen Abschnitt oder Datenfeld der Steuererklärung zu machen. (…)“ § 88 AO (Auszug): (1) Die Finanzbehörde ermittelt den Sachverhalt von Amts wegen. Dabei hat sie alle für den Einzelfall bedeutsamen, auch die für die Beteiligten günstigen Umstände zu berücksichtigen. (2) Die Finanzbehörde bestimmt Art und Umfang der Ermittlungen nach den Umständen des Einzelfalls sowie nach den Grundsätzen der Gleichmäßigkeit, Gesetzmäßigkeit und Verhältnismäßigkeit (…). Bei der Entscheidung über Art und Umfang der Ermittlungen können allgemeine Erfahrungen der Finanzbehörden sowie Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit berücksichtigt werden. (5) Die Finanzbehörden können zur Beurteilung der Notwendigkeit weiterer Ermittlungen und Prüfungen für eine gleichmäßige und gesetzmäßige Festsetzung von Steuern (…) automationsgestützte Systeme einsetzen (Risikomanagementsysteme). Dabei soll auch der Grundsatz der Wirtschaftlichkeit der Verwaltung berücksichtigt werden. Das Risiko-​managementsystem muss mindestens folgende Anforderungen erfüllen: 1. die Gewährleistung, dass durch Zufallsauswahl eine hinreichende Anzahl von Fällen zur umfassenden Prüfung durch Amtsträger ausgewählt wird, 2. die Prüfung der als prüfungsbedürftig ausgesteuerten Sachverhalte durch Amtsträger, 3. die Gewährleistung, dass Amtsträger Fälle für eine umfassende Prüfung auswählen können, 4. die regelmäßige Überprüfung der Risikomanagementsysteme auf ihre Zielerfüllung. Einzelheiten der Risikomanagementsysteme dürfen nicht veröffentlicht werden, soweit dies die Gleichmäßigkeit und Gesetzmäßigkeit der Besteuerung gefährden könnte. Auf dem Gebiet der von den Landesfinanzbehörden im Auftrag des Bundes verwalteten Steuern legen die obersten Finanzbehörden der Länder die Einzelheiten der Risikomanagementsysteme zur Gewährleistung eines bundeseinheitlichen Vollzugs der Steuergesetze im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Finanzen fest. § 87c AO (Auszug): (1) Sind nicht amtliche Programme dazu bestimmt, für das Besteuerungsverfahren erforderliche Daten zu verarbeiten, so müssen sie im Rahmen des in der Programmbeschreibung angegebenen Programm​umfangs die richtige und vollständige Verarbeitung dieser Daten gewährleisten. (2) Auf den Programmumfang sowie auf Fallgestaltungen, in denen eine richtige und vollständige Verarbeitung ausnahmsweise nicht möglich sind, ist in der Programmbeschreibung an hervorgehobener Stelle hinzuweisen. (…)

A. Die wichtigsten Neuregelungen des StModG im Überblick 

265

(4) Die Finanzbehörden sind berechtigt, die Programme (…) zu überprüfen. (…) Die Finanz­ behörden sind nicht verpflichtet, die Programme zu prüfen.

Die Regelungen in der AO sind im Vergleich detaillierter und stärker auf die kon­ krete Anwendung zugeschnitten, als die Parallelregelungen im VwVfG und SGB X. Zunächst erlaubt § 155 Abs. 4 S. 1 AO den vollautomatisierten Erlass von Verwaltungsakten, sofern kein Anlass besteht, den Fall durch einen Amtsträger zu bearbeiten. Wann ein derartiger Anlass besteht, spezifiziert § 155 Abs. 4 S. 3 AO i. V. m. § 150 Abs. 7 AO nicht abschließend („insbesondere“). Danach ist der vollautomatisierte Erlass des Steuerbescheids ausgeschlossen, wenn der Betroffene Angaben in einem Datenfeld gemacht hat. Entgegen der Regelungen in § 31a S. 2 SGB X und § 24 Abs. 1 S. 3 VwVfG, die gesondert darauf hinweisen, dass alle für den Einzelfall erheblichen Angaben von der Behörde zu ermitteln sind, regelt § 88 Abs. 2 AO, dass die Finanzbehörde die Art und den Umfang ihrer Ermittlungen selbst bestimmen darf und dabei insbesondere Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkte berücksichtigt werden dürfen. Dies wiederum ist Einfallstor für § 88 Abs. 5 S. 1 AO, der die Entscheidung über die Notwendigkeit weiterer Ermittlungen auf ein Automationssystem auslagert. Dieses Automationssystem prüft selbständig das Risiko, dass der Behörde unrichtige Angaben vorliegen, und wird daher als Risikomanagementsystem bezeichnet. Das Risikomanagementsystem muss qualitative Mindestanforderungen erfüllen, die in § 88 Abs. 5 S. 3 aufgezählt sind.5 Die Regelungen in der AO gehen folglich weiter als die Regelungen im VwVfG und SGB X, indem auch das Ermittlungsverfahren automatisiert werden darf. Vollständig automatisiert erlassene Verwaltungsakte im Sinne der AO liegen folglich nur dann vor, wenn weder der Steuerpflichtige Angaben in einem Datenfeld gemacht noch eine Aussteuerung durch ein Risikomanagementsystem stattgefunden oder ein Amtswalter den Fall zur händischen Prüfung ausgewählt hat. § 87c AO regelt schließlich die Frage, wie mit nicht amtlichen Datenverarbeitungsprogrammen umzugehen ist. Er statuiert einerseits die Pflicht der Entwickler oder Vertreiber des Programms, eine richtige und vollständige Datenverarbeitung zu gewährleisten und bei mangelnder Gewährleistungsmöglichkeit explizit darauf hinzuweisen, andererseits das Recht der Behörden, die Programme zu prüfen. Das Prüfungsrecht der Behörden ist explizit nicht als Pflicht ausgestaltet.

5

Diese Vorschrift ist ein Beispiel für eine sachbereichsspezifische Standardisierung der Funktionsweise eines Automationssystems durch den Gesetzgeber. Im Hinblick auf Kontrollstandards, deren Normierung als besonders notwendig erachtet wurde, vgl. § 4 B. II. 3. c) sowie § 4 B. II. 4. b) bb), ist das Gesetz wiederum wenig aufschlussreich.

266

§ 5 Bewertung der Automatisierungsstrategie des StModG 

B. Einführung in die Automatisierungsstrategie nach dem StModG Die Vorschriften, die mit dem StModG eingeführt wurden, sind jedenfalls im Bereich des Steuerrechts Reflex der Steuerrechtspraxis. Was die Vorschriften bedeuten, erschließt sich folglich, wenn die dahinterstehende Automatisierungsstrategie in den Blick genommen wird.

I. „Vollautomatisierung“ im Sinne des StModG Zunächst ist zu klären, was mit „vollständig durch automatische Einrichtungen“ (§§ 35a VwVfG, 31a SGB X) beziehungsweise „ausschließlich automationsgestützt“ (§ 155 Abs. 4 AO) erlassenen Verwaltungsakten6 technisch und rechtlich gemeint ist. Ein Bezug lässt sich zu den Vorschriften der §§ 28 Abs. 2 Nr. 4, 37 Abs. 5, 39 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG, 35 Abs. 2 Nr. 3 SGB X herstellen, die den Erlass von Verwaltungsakten „mit Hilfe automatischer Einrichtungen“ betreffen.7 Das vollautomatisierte Verwaltungsverfahren bezeichnet damit rechtlich etwas anderes als den Erlass eines Verwaltungsaktes mithilfe automatischer Einrichtungen. 1. „mit Hilfe automatischer Einrichtungen“ – Entscheidungsunterstützung oder Teilautomatisierung? Um die Strategie des StModG zur „Vollautomatisierung“ einzuordnen, wird zunächst der vormals praktizierte Verwaltungsakterlass „mithilfe automatischer Einrichtungen“ betrachtet. „Mit Hilfe automatischer Einrichtungen“ bezeichnet einerseits die Automatisierung von Entscheidungsteilen, die vormals ein Mensch getroffen hat, also beispielsweise die automatisierte Subsumtion8, dem Stand der Technik zufolge insbesondere die Anwendung automatisierter Syntax und Arithmetik.9 Erfasst sind also Fälle, in welchen „die Regelung als solche“ bereits automationsgestützt zustande kommt.10 Ein teilweise automatisierter Erlass von Ver 6 Beide Begrifflichkeiten meinen dasselbe, so auch Stelkens, in: Stelkens / ​Bonk / ​Sachs, VwVfG, 9. Auflage 2018, § 35 a Rn. 12; Braun Binder, DÖV 2016, 891 (892 f.); Schmitz / ​Prell, NVwZ 2016, 1273 (1275). 7 Schmitz / ​Prell, NVwZ 2016, 1273 (1275); Stelkens, in: Stelkens / ​Bonk / ​Sachs, VwVfG, 9. Auflage 2018, § 35 a Rn. 13; Braun Binder, NVwZ 2016, 960 (963); dies., DÖV 2016, 891 (895); Siegel, DVBl. 2017, 24 (25). 8 Polomski, Der automatisierte Verwaltungsakt, 1993, S. 131 m. w. N.; BT-Drucks. 7/910, S. 59; neuer Stelkens, in: Stelkens / ​Bonk / ​Sachs, VwVfG, 9. Auflage 2018, § 35 a Rn. 20. 9 Vgl. BTDrucks. 7/910, S. 59 „wenn aufgrund bestimmter Daten, die von einem Bediensteten verantwortlich ermittelt und geprüft werden, der darauf zu erlassende Verwaltungsakt nur einen Inhalt haben kann“ sowie die Untersuchung in § 4 B. II. 3. a) aa) und bb). 10 Stuhlfauth, in: Obermayer / ​Funke-​Kaiser, VwVfG, 5. Auflage 2018, § 37 Rn. 32; Ramsauer, in: Kopp / ​Ramsauer, VwVfG, 19. Auflage 2018, § 37 Rn. 39; BTDrucks. 7/910, S. 59.

B. Einführung in die Automatisierungsstrategie 

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waltungsakten liegt damit insbesondere bei Erlass eines Verwaltungsakts durch händische Einspeisung von Zahlen und Wahrheitswerten mit darauf aufbauender technischer Verarbeitung dieser Zahlen und Wahrheitswerte vor. Umstritten ist, ob bereits die bloße Vervielfältigung der bereits erstellten Verfügung mithilfe technischer Einrichtungen gemeint ist, also beispielsweise das Ausdrucken eines Verwaltungsakts.11 Es wird davon ausgegangen, dass bei „mit Hilfe automatischer Einrichtungen“ erlassenen Verwaltungsakten zumeist über den automatisierten Vorgang hinaus, gewissermaßen zusätzlich, der „Knopfdruck“ eines Amtswalters im Einzelfall unterstellt wurde, obgleich ein solcher konkret nicht festgestellt worden sei.12 Das würde nach der in dieser Untersuchung getroffenen Unterscheidung nach der Steuerungswirkung eines Programms13 dazu führen, dass „mit Hilfe automati­ scher Einrichtungen“ zustande gekommene Verwaltungsakte solche bezeichnen, die unter der Verwendung von technischen Entscheidungsunterstützungssystemen zustande kommen, aber gerade nicht teilweise automatisiert erlassen wurden: Wird tatsächlich im Einzelfall ein „Knopfdruck“ unterstellt, über dessen Betätigung Dispositionsfreiheit des Amtswalters besteht,14 sind die Änderungen im Verwaltungsverfahren aus Legitimationsgesichtspunkten unbeachtlich, weil nicht das Automationssystem – auch nicht teilweise – die Entscheidung trifft, sondern die Entscheidung in ihrem Inhalt maßgeblich noch von einem Letztentscheidungsrecht eines Amtswalters abhängt, der die Daten entweder einspeisen oder dies unterlassen kann, sich dem maschinellen Vorschlag anschließen oder aber ihn ablehnen kann. Das wird insbesondere vom Ergebnis einer Rechtmäßigkeitskontrolle abhängen. Ähnlich gingen der BFH und das BVerfG im Hinblick auf § 119 Abs. 4 AO 1977, der die Begrifflichkeit des „mit Hilfe automatischer Einrichtungen erlassenen“ Verwaltungsakts enthielt, davon aus, der entscheidende Beamte übernehme durch Abzeichnung des Eingabewertbogens die Verantwortung für den Inhalt des Bescheids.15 Nur aufgrund dieser Abzeichnung des Eingabewertbogens sei die Automatisierung verfassungsrechtlich unproblematisch.16 Wird an die Abzeichnung aber rechtlich die Verantwortungsübernahme geknüpft, muss der Amtswalter im Einzelfall auch von einer Abzeichnung absehen können, insbesondere wenn er 11 So Polomski, Der automatisierte Verwaltungsakt, 1993, S. 132; BTDrucks, 7/910, S. 59; a. A. Ramsauer, in: Kopp / ​Ramsauer, VwVfG, 19. Auflage 2018, § 37 Rn. 39; Stelkens, in: Stelkens / ​Bonk / ​Sachs, VwVfG, 9. Auflage 2018, § 35 a Rn. 17 m. w. N. 12 Ramsauer, in: Kopp / ​Ramsauer, VwVfG, 19. Auflage 2018, § 35 a Rn. 1; ähnlich: Stelkens, in: Stelkens / ​Bonk / ​Sachs, VwVfG, 9. Auflage 2018, § 35 a Rn. 19; Maier, JZ 2017, 614 (614). 13 S. § 4 A. II. 1., 2., 6. 14 Zur Relevanz gerade dieser Dispositionsfreiheit schon Degrandi, Die automatisierte Verwaltungsverfügung, 1977, S. 74; dazu, dass diese bislang vorlag Maier, JZ 2017, 614 (614). 15 BFHE 133, 250 (252); im Anschluss BVerfG, Kammerbeschluss vom 8.12.1992 – 1 BvR 326/89. Der Gedanke findet sich schon bei Zeidler, Technisierung der Verwaltung, 1959, S. 15: „Durch die Unterschrift identifiziert sich der Beamte mit der Berechnung.“. 16 BFHE 133, 250 (252); im Anschluss BVerfG, Kammerbeschluss vom 8.12.1992 – 1 BvR 326/89.

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davon ausgeht, dass der Bescheid nach der automatisierten Bearbeitung fehlerhaft sein könnte, weil das Programm die eingespeisten Daten nicht ordnungsgemäß verarbeiten könnte. „Mit Hilfe automatischer Einrichtungen zustande gekommene“ Verwaltungsakte bezeichnen damit solche, die unter Verwendung von Entscheidungsunter­ stützungssystemen erstellt werden,17 aber im Einzelfall noch umfassend, also auch was die maschinell ersetzten Teile der Rechtsanwendung angeht, vom Willen des jeweils zuständigen Amtswalters getragen sind. Dieser trägt die alleinige Verantwortung für den Inhalt des Verwaltungsakts, indem er darüber entscheidet, ob der Fall automatisiert bearbeitet wird oder nicht. Die Formulierung „mithilfe automatischer Einrichtungen erlassen“ bezeichnet damit nicht eine „Teilautomatisierung“ im Sinne der teilweisen Ersetzung menschlicher Rechtsanwendung durch automatisierte Prozesse,18 sondern eine „Teilautomatisierung“ im Sinne einer auf Teile oder den gesamten Erstellungsprozess des Verwaltungsakts bezogenen automatisierten Entscheidungsunterstützung.19 Diese verursacht selbst keine Rechtswirkungen, sondern wird erst durch den bestätigenden Willen eines Amtswalters im Einzelfall, beispielsweise durch Einspeisen der Daten in das Programm, rechtswirksam.20 2. „vollständig durch automatische Einrichtungen“ – Teilautomatisierung oder Vollautomatisierung? Automationssysteme sollen bei einer vollständigen Automatisierung im Sinne des StModG nicht mehr als Hilfsmittel eingesetzt werden, sondern den Verwaltungsakt vollständig ohne menschliches Zutun hervorbringen.21 Nach überwiegender Ansicht sind „vollständig durch automatische Einrichtungen erlassene“ Verwaltungsakte gleichzeitig „vollautomatisierte Verwaltungsakte“.22 Demgegen 17

Genauso: Stelkens, in: Stelkens / ​Bonk / ​Sachs, VwVfG, 9. Auflage 2018, § 35 a Rn. 19. Gewissermaßen die eher technisch orientierte Definition der Teilautomatisierung, so in dieser Arbeit zugrunde gelegt, so auch Polomski, Der automatisierte Verwaltungsakt, 1993, S. 23 f. 19 Deutlich Maier, JZ 2017, 614 (614). 20 Dieses eher untechnische Verständnis legen beispielsweise Braun Binder, NVwZ 2016, 960 (963) und Etscheid, in: (Un)berechenbar? Algorithmen und Automatisierung in Staat und Gesellschaft, 2018, 126 (129) zugrunde; die weiteste Auffassung – nach der jede aktuell denkbare Automatisierung eine Teilautomatisierung ist, weil die Behörde das Programm willentlich einsetzt – vertritt Bull, DVBl. 2017, 409 (410). 21 Stelkens, in: Stelkens / ​Bonk / ​Sachs, VwVfG, 9. Auflage 2018, § 35 a Rn. 20 f.; Braun Binder, NVwZ 2016, 960 (964 f.); Schmitz / ​Prell, NVwZ 2016, 1273 (1273); Siegel, DVBl. 2017, 24 (25); Ramsauer, in: Kopp / ​Ramsauer, VwVfG, 19. Auflage 2018, § 35 a Rn. 2. 22 Braun Binder, NVwZ 2016, 960 (960); Schmitz / ​Prell, NVwZ 2016, 1273 (1273); Siegel, DVBl. 2017, 24 (25); Gläser / ​Schöllhorn, DStR 2016, 1577 (1577); Ziekow, NVwZ 2018, 1169 (1170); Stegmüller, NVwZ 2018, 353 (354); a. A. Bull, DVBl. 2017, 409 (410). 18

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über wird teilweise angemerkt, eine Vollautomatisierung liege niemals vor, sodass auch „vollständig durch automatische Einrichtungen erlassenen“ Verwaltungsakten keine Vollautomatisierung im technischen Sinn zugrunde liege.23 a) Bisherige Praxis der Vollautomatisierung Hauptsächliches Anwendungsfeld einer „Vollautomatisierung“ ist aktuell das Besteuerungsverfahren.24 Dieses basiert auf einer formularmäßigen Abfrage der relevanten Daten, die entweder vom Nutzer elektronisch oder durch Datenbankzugriff übermittelt werden.25 In beiden Fällen handelt es sich häufig nur um die Übermittlung von Zahlen und Begriffen, die einer Wahrheitswertzuordnung zugänglich sind. Die maschinelle Bearbeitung kann also weiterhin zum großen Teil auf Syntax-​und Arithmetikprogrammierung und Wahrheits-​sowie Zahlenwerten beruhen. Das technische Verfahren des Verwaltungsakterlasses ist damit identisch mit dem bislang praktizierten Verfahren „mithilfe automatischer Einrichtungen“. Allein der Medienbruch entfällt und der Nutzer speist seine Daten ein, nicht die Behörde26. Aufgrund der im Vergleich zur vorherigen, händischen Einspeisung nur graduell erhöhten Komplexität der Datenverarbeitung konnte die Vollautomatisierung technisch schon praktiziert werden, bevor das StModG dies nachträglich regelte – freilich nur in einfach gelagerten Fällen, die keine umfassende Rechtsprüfung oder Wertung erfordern.27 Dadurch allerdings, dass der Nutzer seine Daten selbst einspeist, zeichnet die Behörde den Verwaltungsakt im Einzelfall auch nicht mehr ab. Damit entfällt ihre Letztentscheidung im Einzelfall. Das führt nun dazu, dass das automatisierte Verfahren Steuerungswirkung für die Herrschaftsausübung entfaltet;28 der maschinelle Zwischenschritt der elektronischen Übermittlung von Daten bewirkt aber keine technisch erheblich abweichende Art des Verwaltungsakterlasses.29 23

Bull, DVBl. 2017, 409 (410). Martini / ​Nink, DVBl. 2018, 1128 (1128). 25 Braun Binder, NVwZ 2016, 960 (960). 26 Vgl. BTDrucks. 7/910, S. 59 zu „mithilfe automatischer Einrichtungen erlassenen“ Verwaltungsakten: „Daten, die von einem Bediensteten verantwortlich ermittelt oder geprüft werden“; vs. BTDrucks. 18/8434, S. 121 zu vollautomatisiert erlassenen Verwaltungsakten: „keine Einzelentscheidung eines Sachbearbeiters der Behörde“. 27 Deutsche Steuer- ​Gewerschaft, Öffentliche Anhörung zu BTDrucks. 18 /7457, S. 1 f.; Stelkens, in: Stelkens / ​Bonk / ​Sachs, VwVfG, 9. Auflage 2018, § 35 a Rn. 22; Ähnlich Bull, DVBl. 2018, 409 (411); Heintzen, DÖV 2015, 780 (784); deshalb krit. bzgl. des StModG Stegmüller, NVwZ 2018, 353 (356). 28 S. die Abgrenzung in § 4 A. II. 6. 29 Ähnlich: Bull, DVBl. 2017, 409 (411): „Der Unterschied zur bisherigen Situation liegt bei dieser Betrachtungsweise nicht primär in der Automatisierung der verwaltungsinternen Vorgänge; insoweit ist keine Veränderung gegeben. Signifikant anders ist die Ausgangssituation jedoch wegen der Vernetzung, also der Technisierung der Staat / ​Bürger-​Kommunikation.“. S. auch Stelkens, in: Stelkens / ​Bonk / ​Sachs, 9. Auflage 2018, § 35 a Rn. 22. 24

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§ 5 Bewertung der Automatisierungsstrategie des StModG 

Letztlich ist das Verfahren der „Vollautomatisierung“ in den aktuellen Einsatzgebieten in technischer Hinsicht identisch mit dem des teilweise automatisierten Erlasses eines Verwaltungsakts. „Vollautomatisierung“ meint nach den bisherigen Anwendungsgebieten nicht etwa eine automationsgestützte Auslegung, sondern die Operation mit Syntax und Arithmetik aufgrund händischer, aber maschinell vermittelter Wahrheitswertzuordnung. Der fehlende „menschliche Knopfdruck“ gerade eines Amtswalters und damit die mangelnde Dispositionsfreiheit des Amtswalters bezüglich der Steuerungswirkung des Programms für sein Handeln ist die Neuerung, die die „Vollautomatisierung“ mit sich bringt. b) Technikoffenheit des Begriffs der „Vollautomatisierung“ Eine „vollautomatisierende“ Automatisierungsstrategie im Sinne einer automatisierten Auslegung von Rechtsbegriffen wird aktuell nicht verfolgt. Erste Ansätze der Möglichkeit einer automationsgestützten Merkmalserschließung beispielsweise über ML zeigen sich im Risikomanagement, nicht aber im eigentlichen Verfahren des Erlasses eines Verwaltungsakts. Angesichts der methodischen und technischen Probleme, die eine Programmierung über Syntax und Arithmetik hinaus verursachen würde, ist das nachvollziehbar. Grundsätzlich sind die neuen Vorschriften aber bis an die Grenze der Ermessens-​und Beurteilungsspielräume technikoffen,30 sodass auch eine automationsgestützte Merkmalserschließung in Betracht käme. 3. Ergebnis Ein „vollständig automationsgestützter Erlass“ von Verwaltungsakten, wie ihn das StModG normiert, ist nicht notwendigerweise mit einer höheren Komplexität der Datenverarbeitung gegenüber „mithilfe automatischer Einrichtungen“ zustande gekommener Verwaltungsakte gleichzusetzen. Insbesondere ist nach der aktuellen Verwaltungspraxis nicht die Rechtsanwendung in komplizierten Sachbereichen durch Technologien der künstlichen Intelligenz o. Ä. gemeint, sondern vielmehr ein Ausbau der schon üblichen Formen wenig komplexer Datenverarbeitung, die in den Grundsätzen schon seit Jahrzehnten praktiziert wird. Ein erheblicher rechtlicher Unterschied beider Automatisierungsstrategien besteht deshalb, weil der Technikeinsatz bei „mit Hilfe automatischer Einrichtungen“ erlassenen Verwaltungsakten durch Unterstellen eines menschlichen Knopfdrucks im Einzelfall faktisch als maschinelle Entscheidungsunterstützung des Amtswalters und damit als rechtlich unerheblicher Technikeinsatz anzusehen ist. Das „vollständig auto 30

So auch Stelkens, in: Stelkens / ​Bonk / ​Sachs, VwVfG, 9. Auflage 2018, § 35 a Rn. 16; Prell, in: Bader / ​Ronellenfitsch, VwVfG, 43. Edition 2019, § 35 a Rn. 5; Martini / ​Nink, NVwZ Extra 10/2017, 1 (2).

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mationsgestützt“ ablaufende Verwaltungsverfahren dürfte aktuell technisch ganz ähnlich aussehen. Maßgeblicher Unterschied ist das Entfallen des „menschlichen Knopfdrucks“ eines Amtswalters im Einzelfall, das dem automatisierten Vorgang zwingende Steuerungswirkung für die Herrschaftsausübung verleiht.31 Das führt dazu, dass das Programm als Teil des Verwaltungsakts zu legitimieren ist. Das Programm muss sachlich-​inhaltliche Legitimation vermitteln und es muss die Entscheidungsträgerschaft eines legitimierten Amtswalters sichergestellt werden. Vormals war dies nicht erforderlich, weil rechtlich der Amtswalter die Entscheidung mit maschineller Entscheidungsunterstützung traf, selbst wenn der Amtswalter sich faktisch nach Eingabe der Merkmale vollständig auf die maschinelle Bearbeitung verlassen haben dürfte. Über diesen rechtlich unterschiedlichen Stellenwert der Automatisierung für die Herrschaftsausübung hinaus weist der Begriff des „vollständig automationsgestützt“ erlassenen Verwaltungsakts in die Zukunft: Seit dem Erlass des StModG ist auch eine automationsgestützte Merkmalserschließung, beispielsweise die automatisierte Auslegung typisierter Begriffe, denkbar.

II. Einführung von Risikomanagementsystemen im Steuerverfahren Neben der Verankerung der Möglichkeit einer Vollautomatisierung von Verwaltungsakten ist maßgebliche Neuerung des StModG die gesetzliche Kodifizierung32 von Risikomanagementsystemen (RMS) im Steuerverfahren, § 88 Abs. 5 AO. Es handelt sich hierbei um Automationssysteme, die dem eigentlichen Verwaltungsakterlass vorgelagert sind. Ihr Ziel ist es, zu ermitteln, welche Verwaltungsakte händisch überprüft und erlassen werden müssen und hinsichtlich welcher Verwaltungsakte ein schematisierender automatisierter Erlass über Syntax-​und Arithmetikprogrammierung möglich ist, vgl. § 88 Abs. 5 S. 3 Nr. 1–3 AO. Letztlich handelt es sich bei RMS also um „Vorprüfungssysteme“, die Fälle, in welchen beispielsweise das Risiko des Betrugs durch falsche Dateneingabe durch den Nutzer hoch ist, abfangen und an Amtswalter aussteuern. RMS sollen „eine Konzentration der personellen Ressourcen auf die wirklich prüfungsbedürftigen Fälle“33 bewirken. Steuert das RMS einen Fall an einen Amtswalter aus, wird die Richtigkeit der eingespeisten Daten überprüft und der Verwaltungsakt entweder vollständig per Hand erlassen, mit Hilfe automatischer Einrichtungen erlassen oder in die Vollautomatisierung zurückgeführt. Steuert das RMS nicht aus, erfolgt der 31 Hieran wird erneut das Problem der „faktischen Entscheidungsverlagerung“ auf Entscheidungsunterstützungssysteme deutlich. 32 Der Einsatz von RMS war schon vorher gängige Praxis, s. Preißer / ​Wind, Modernisierung des Besteuerungsverfahrens, 2017, S. 54. 33 BTDrucks, 18/7457, S. 48.

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Erlass des Verwaltungsakts auf Grundlage der eingespeisten Daten. Die Richtigkeit der gemachten Angaben wird nicht mehr überprüft, ungeachtet dessen, ob dies für den Bürger günstig oder ungünstig ist.34 Konzeptionell betrifft die Tätigkeit eines RMS nicht den Verwaltungsakterlass als solchen,35 sondern die Tatsachenebene, indem das RMS die Plausibilität der Angaben prüft und festlegt, ob die vom Bürger eingespeisten Daten als wahr unterstellt und Grundlage des Datenverarbeitungsprozesses werden.

III. Zusammenfassendes Fazit Die Automatisierungsstrategie nach dem StModG basiert bislang insbesondere auf arithmetischen Programmierungen im Steuerrecht sowie dem logischen Schließen aus syntaktischen Verknüpfungen von einer Wahrheitswertzuordnung zugänglichen Merkmalen. „Vollautomatisierung“ einiger Verwaltungsverfahren bedeutet damit nicht, dass komplexe Rechtsanwendungsbefugnisse ausgelagert werden, sondern lediglich Teile des Normprogramms computertechnisch verarbeitbar abgebildet werden, während die Erfassung und insbesondere Auslegung der Wirklichkeit dem Nutzer des Systems bzw. der Behörde überlassen bleibt. Technisch handelt es sich also um eine nur teilweise Automatisierung des Rechts, wobei im Grunde auch nur rechtlich unproblematische Normbestandteile automatisiert werden. RMS entscheiden darüber, ob die vom Nutzer eingespeisten Daten als wahr unterstellt werden oder ob der Verwaltungsakt erst nach einer behördlichen Tatsachenüberprüfung erlassen werden darf. Eine weitergehende Automatisierung ist nach der einfachgesetzlichen Rechtslage bis an die Grenze der Ermessens-​und Beurteilungsspielräume möglich, wobei die Grenzziehung im StModG uneinheitlich ist.36

C. Würdigung der Neuregelungen im Hinblick auf die demokratische Legitimation des Verwaltungshandelns Die Bestimmungen des StModG betreffen implizit einige Problemkreise der demokratischen Legitimation. Nachdem die Rechtslage im Hinblick auf die verfassungsrechtlichen Anforderungen demokratischer Legitimation an das Ver 34 Beispiel einer für den Bürger ungünstigen Konstellation bei Preißer / ​Wind, Modernisierung des Besteuerungsverfahrens, 2017, S. 54. 35 Setzt das RMS selbst bestimmte gesetzliche Vorgaben nicht ordnungsgemäß um, werden automatisiert bearbeitete Fälle freilich rechtlich anders behandelt als händisch bearbeitete Fälle – auf dieses Risiko weist u. A. Ahrendt, NJW 2017, 537 (539) hin. 36 S. dazu sogl. § 5 C. III.

C. Würdigung der Neuregelungen

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waltungshandeln herausgestellt wurden, muss untersucht werden, wie sich das StModG zu diesen Problemkreisen verhält.

I. Einfachgesetzliche Entschärfung der Zurechnungsfrage durch das StModG Die Frage der Zurechenbarkeit automatisierter Verwaltungsakte wird einfachgesetzlich in den §§ 35a VwVfG, 31a SGB X und 155 Abs. 4 S. 1 und 4 AO reflektiert. § 155 Abs. 4 S. 4 AO fingiert eine behördliche Willensbildung und erklärt diese als im Zeitpunkt des Abschlusses der Datenverarbeitung als abgeschlossen. Spätestens über diese Fiktion wäre, ähnlich einer Genehmigungsfiktion, die Verwaltungsaktqualität auch bei vollständig automatisierten Verfahren anzuerkennen37, die auch in S. 1 implizit anerkannt wird. § 35a VwVfG und § 31a SGB X qualifizieren den automatisiert erlassenen Verwaltungsakt als Verwaltungsakt und setzen damit ebenfalls implizit auch bei automatisiertem Erlass das Vorliegen einer hoheitlichen Tätigkeit voraus, sodass der Streit um die Erforderlichkeit eines einzelfallbezüglichen Willensaktes jedenfalls auf einfachgesetzlicher Ebene obsolet wird.38 Die dogmatische Klärung des Zurechnungsproblems ist durch die Formulierungen im StModG freilich nicht erfolgt.39 Die verfassungsrechtliche Untersuchung anhand des Maßstabs demokratischer Legitimation hat ergeben, dass ein automatisierter Verwaltungsakt dann eine „Ausübung von Staatsgewalt“ durch die Verwaltung im Sinne des Art. 20 Abs. 2 GG darstellt, wenn ein Willenszusammenhang zur Verwaltung besteht, wobei sich der Wille nicht auf das konkrete Rechtsanwendungsergebnis zu beziehen braucht.40 Ein solcher ist im Verwendungswillen der Verwaltung vorhanden. Einer Fiktion der einzelfallbezogenen Willensbildung, wie sie § 155 Abs. 4 S. 4 AO vorsieht, bedarf es demnach aus Gründen des Art. 20 Abs. 2 GG nicht.41 Dass automatisiert erlassene Verwaltungsakte auch dann, wenn sie im Sinne des StModG vollautomatisiert erlassen werden, Maßnahmen der Verwaltung darstellen, wurde vom Gesetzgeber folglich verfassungskonform normiert. 37

Vgl. Stegmüller, NVwZ 2018, 353 (354); dagegen Ziekow, NVwZ 2018, 1169 (1170). So auch Luthe, SGb 2017, 250 (252); Schmitz / ​Prell, NVwZ 2016, 1275 (1275); Prell, in: Bader / ​Ronellenfitsch, VwVfG, 43. Edition 2019, § 35 a Rn. 7; Stelkens, in: Stelkens / ​Bonk / ​ Sachs, VwVfG, 9. Auflage 2018, § 35 a Rn. 26–28. 39 So auch Prell, in: Bader / ​Ronellenfitsch, VwVfG, 43. Edition 2019, § 35 a Rn. 7; ähnlich Ziekow, NVwZ 2018, 1169 (1170). 40 S. § 4 A. I.; so auch Stelkens, in: Stelkens / ​Bonk / ​Sachs, VwVfG, 9. Auflage 2018, § 35 a Rn. 28. 41 Der Zeitpunkt der Willensbildung kann allerdings in anderem Zusammenhang relevant werden, beispielsweise für die Definition eines „nachträglichen“ Bekanntwerdens von Tat­ sachen i. S. d. § 173 Abs. 1 AO, so Braun Binder, DStZ 2016, 526 (528); für das VwVfG dies., NVwZ 2016, 960 (964); dazu auch Seer, StuW 2015, 315 (323). 38

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II. Parlamentsgesetzliche Zulassung der „Vollautomatisierung“ Die §§ 35a VwVfG, 31a SGB X sowie § 155 Abs. 4 AO stellen parlamentsgesetz­ liche Zulassungsvorschriften für vollständig automatisierte Verwaltungsverfahren dar. 1. Anforderungen der Wesentlichkeit Der Erlass eines Verwaltungsakts mithilfe automatischer Einrichtungen ist bereits seit längerer Zeit gesetzlich verankert, z. B. §§ 28 Abs. 2 Nr. 4, 37 Abs. 4, 39 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG, 35 Abs. 5 S. 1 SGB X („mit Hilfe automatischer Einrichtungen erlassen“). Diese Art des Verwaltungsakterlasses genügt den grundsätzlichen Anforderungen des Vorbehalts des Gesetzes und der Wesentlichkeit.42 Mit dem StModG wurde auch der vollautomatisierte Erlass von Verwaltungsakten in die jeweilige Verfahrensordnung aufgenommen und damit die Billigung vollautomatisierter Verfahren durch den Gesetzgeber zum Ausdruck gebracht. Die parlamentsgesetzliche Zulassung dient nach Ansicht des Gesetzgebers aber nicht der Wahrung eines etwaigen Parlamentsvorbehalts, sondern der Absicherung, dass die Verwaltung ihrerseits nur geeignete Verfahren für die automatisierte Bearbeitung zulässt.43 Ein Parlamentsvorbehalt für jede Art der Automatisierung ist nach hiesiger Untersuchung nicht erforderlich, besteht aber jedenfalls bei erhöhter Komplexität sowie mangelnder Nachprüfbarkeit und Kontrolle des Systems, also üblicherweise in Fällen des vollständig automatisierten Erlasses von Verwaltungsakten. Das gilt auch in Fällen reiner Syntax-​und Arithmetikprogrammierung.44 Die parlamentsgesetzliche Fundierung des vollständig automationsgestützten Verwaltungsakterlasses war damit erforderlich. Der Gesetzgeber ist darüber hinaus verpflichtet, das automatisierte Verfahren bei erhöhter Wesentlichkeit sachbereichsspezifisch zuzulassen und gegebenenfalls auch darüber hinaus inhaltlich abhängig vom Grad der Wesentlichkeit konkret zu regeln. § 31a SGB X sieht keinen Rechtssatzvorbehalt vor. Im Falle der Wesentlichkeit des automatisierten Verwaltungsakterlasses müsste jedoch auch hier der parlamen­ tarische Gesetzgeber mit der Wesentlichkeit korrelierend konkrete inhaltliche Verfahrensregelungen treffen.

42

So auch Polomski, Der automatisierte Verwaltungsakt, 1993, S. 96. BTDrucks. 18/8434, S. 122 (zu § 35 a VwVfG); so auch Stelkens, in: Stelkens / ​Bonk / ​Sachs, VwVfG, 9. Auflage 2018, § 35 a Rn. 33 und 38. 44 S. § 4 B. I 1 c). 43

C. Würdigung der Neuregelungen

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2. Auswirkungen auf das Kontrollbedürfnis? Einfachgesetzliche Zulassungsvorschriften können mittelbar Auswirkungen auf das Legitimationsgefüge haben:45 Sie können ein Ausscheiden automatisierter Verwaltungsverfahren aus der Ministerialstruktur begründen oder sogar, im Sinne der Verzichtstheorie, eine Freistellung von der parlamentarischen Kontrolle bewirken. Dass der Gesetzgeber mit den einfachgesetzlichen Zulassungsvorschriften nicht die geringere Kontrolldichte automatisierter Verfahren im Sinne der Verzichtstheorie bezweckt hat, lässt sich den Gesetzgebungsmaterialien entnehmen.46 Vielmehr wurde auf die Notwendigkeit der Einräumung effektiver parlamentarischer Kontrollmechanismen zur Einhaltung des materiellen Rechts gesondert hingewiesen.47 Die Untersuchung hat ergeben, dass die Verzichtstheorie auch konzeptionell abzulehnen ist, sodass selbst bei entsprechender Intention des Gesetzgebers ein Verzicht auf die parlamentarische Kontrolle rechtlich unmöglich wäre.48 Keinesfalls kann die parlamentsgesetzliche Fundierung damit ein nicht rechtmäßig ausgestaltetes automatisiertes Verwaltungsverfahren legitimieren. Weiterhin enthalten die Zulassungsvorschriften keinen Hinweis auf eine Unabhängigkeit oder Selbständigkeit automatisierter Verwaltungseinheiten. Damit richtet sich das automatisierte Verwaltungsverfahren nach denjenigen Anforderungen, die für das jeweilige nichtautomatisierte Verwaltungsverfahren gelten. Im Grundsatz gelten die Anforderungen der Ministerialverwaltung, sodass auch die Regierungskontrolle erforderlich ist. 3. Fazit Die Zulassungsvorschriften des StModG sind zu begrüßen, weil eine Wesentlichkeit in Fällen der Vollautomatisierung aufgrund der Komplexität der Systeme durch Verbindung mit intransparenten RMS sowie mangels Nachprüfung der Ergebnisse im Einzelfall gegeben ist. Mit den Zulassungsvorschriften werden die Legitimationsanforderungen für automatisiert erlassene Verwaltungsakte gegenüber dem ursprünglich händischen oder technikunterstützten Verwaltungsakt­erlass nicht verändert.

45

S. § 4 B. I. 2. BTDrucks. 18/8434, S. 99. 47 Plenarprotokoll 18/159, S. 15718 (C); Beirat VwVfR, NVwZ 2015, 1114 (1116). 48 Vgl. § 4 B. I. 2. 46

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§ 5 Bewertung der Automatisierungsstrategie des StModG 

III. Grenze der zulässigen Automatisierung Das StModG liefert in den Bestimmungen der §§ 35a VwVfG, 31a SGB X und 155 Abs. 4 AO verschieden lautende Grenzen für den automatisierte Erlass eines Verwaltungsakts, die mit den verfassungsrechtlichen Grenzen korrelieren müssen. 1. Grenze in § 35a VwVfG: Ermessens-​und Beurteilungsspielräume Von der grundsätzlichen Zulässigkeit einer Automatisierung geht § 35a VwVfG aus, der nur Ermessens-​und Beurteilungsspielräume als nicht automatisierbar ansieht, die automatisierte Auslegung von Normen ohne diese Merkmale also für zulässig erachtet. Mit dem Rechtssatzvorbehalt in § 35a VwVfG war die Zulassung nur „geeigneter“ Verfahren bezweckt,49 was angesichts der umgesetzten Automatisierungsstrategie mutmaßlich auf technische Grenzen des automatisierten Verwaltungsakterlasses hinweist.50 Die Untersuchung der Möglichkeiten, die Gesetzesbindung der Verwaltung durch Automationssysteme zu wahren, hat zwei maßgebliche Schranken für eine Automatisierung identifiziert: Einerseits die gewissermaßen harte rechtliche Grenze der Ermessens-​und Beurteilungsspielräume, die – soweit der Gesetzgeber nichts Gegenteiliges anordnet – aufgrund ihres Einzelfallbezugs eine vollautomatisierte Bearbeitung auch bei fortschreitender Technik ausschließen, wobei Raum für eine maschinelle Entscheidungsunterstützung oder teilweise Automatisierung bleibt51, andererseits die eher technische, bis zu einem gewissen Punkt variable Grenze der ohne Bedeutungsverschiebung formallogischen Abbildbarkeit sowie der Kontrollierbarkeit, die heuristisch mit dem Begriff der handhabbaren Komplexität ausgedrückt werden kann.52 Die in § 35a VwVfG genannten Grenzen setzen die verfassungsrechtlichen Grenzen ordnungsgemäß um: Die Grenze der Ermessens-​und Beurteilungsspielräume ist explizit genannt und unter Berücksichtigung sowohl technischer als auch verfassungsrechtlicher Gesichtspunkte sinnvoll. Die technische Grenze der Komplexität ist mit dem Rechtssatzvorbehalt mutmaßlich intendiert, aber nicht klar genannt. Aus Klarstellungsgründen wäre eine konkretere Formulierung sinnvoll, wobei nicht auf den ebenso konkretisierungsbedürftigen Begriff des „Stands der Technik“ ausgewichen werden sollte. Vielmehr könnten die Grenzen der ohne Bedeutungsverschiebung möglichen Abbildbarkeit oder Formalisierbarkeit sowie der Kontrollierbarkeit durch Hoheitsträger, Öffentlichkeit und Gerichte genannt 49

BTDrucks. 18/8434, S. 122 (zu § 35 a VwVfG). Ebenfalls diesen Schluss ziehend Guckelberger, VVDStRL Bd. 78 (2019), 235 (265). 51 S. § 4 B. II. 3. a) dd) (3) (c) und ee). 52 S. § 4 B. II. 3. a) cc) (1) und b) bb) (4). 50

C. Würdigung der Neuregelungen

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werden. Das würde letztlich dem Regelungsziel des Rechtssatzvorbehalts entsprechen, der die Verwaltung zur Zulassung nur geeigneter Verfahren motivieren soll.53 Mit einer konkreteren Formulierung könnte der Gesetzgeber Leitlinien für die Geeignetheit selbst formulieren. Wünschenswert wäre auch die klare Trennung variabler und absoluter Grenzen, also die Konkretisierung, ob der Gesetzgeber die Automatisierung von Ermessens-​und Beurteilungsspielräumen ungeachtet technischer Möglichkeiten in der Zukunft verbieten möchte, oder ob die rechtliche Grenze möglicherweise in der technischen Grenze aufgehen soll. 2. Grenze in den §§ 31a SGB X und 155 Abs. 4 AO: Anlass, durch Amtsträger zu bearbeiten Die §§ 31a SGB X und 155 Abs. 4 AO, die einen Anlass voraussetzen, den Fall durch einen Amtsträger zu bearbeiten, sind in ihrer Grenzziehung undeutlicher als § 35a VwVfG. a) „Anlass“ im Sinne des § 155 Abs. 4 AO Ein Beispiel für einen „Anlass“ im Sinne der AO liefert § 155 Abs. 4 S. 3 AO. Danach liegt ein „Anlass“ für eine Bearbeitung durch einen Amtsträger insbesondere vor, wenn der Steuerpflichtige Angaben in einem Freitextfeld gemacht hat, die nach seiner Auffassung Anlass für eine Bearbeitung durch einen Amtsträger geben. Bewirkt werden soll also jedenfalls die „erzwungene“ teilweise händische Bearbeitung („insoweit“) derjenigen Angaben, die im Freitextfeld angegeben sind. Als Grund hierfür wird angesehen, dass nicht jeder Fall sich für eine automatisierte Bearbeitung eignet, weil aufgrund der Schematisierung der Anspruch auf rechtliches Gehör gefährdet sein könnte.54 Letztlich ist damit also zunächst eine technische Grenze der aktuellen, stark schematisierenden Automatisierungsstrategie angesprochen, die individuelle natürlichsprachliche Angaben nicht automatisiert berücksichtigen und verarbeiten kann. Ein „Anlass, den Fall durch einen Amtsträger zu bearbeiten“, liegt damit jedenfalls bei mangelnder technischer Eignung des Programms vor, das Normprogramm, das auch den Anspruch auf rechtliches Gehör umfasst, vollumfänglich abzubilden, und betrifft damit insbesondere die Grenze der technischen Abbildbarkeit. In Bezug auf § 31a SGB X ist der Gesetzesbegründung zu entnehmen, dass ein „Anlass“ auch bei Ermessens-​und Beurteilungsspielräumen vorliege.55 Für § 155

53

BTDrucks. 18/8434, S. 122 (zu § 35 a VwVfG). Die Formulierung in § 155 Abs. 4 S. 3 geht zurück auf den Vorschlag von Baldauf, DStR 2016, 833 (835), die diese Formulierung mit dem Anspruch auf rechtliches Gehör begründete. 55 BTDrucks. 18/8434, S. 121. 54

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§ 5 Bewertung der Automatisierungsstrategie des StModG 

Abs. 4 AO ergibt sich das nicht aus der Gesetzesbegründung.56 Vielmehr hat der Gesetzgeber teilweise automatisierte Verfahren auch in Ermessensfällen erlaubt.57 Es ist deshalb nicht ganz klar, ob der Gesetzgeber in allen drei Verfahrensordnungen die Automatisierung von Ermessensspielräumen verbieten wollte und eine Regelung in der AO vergessen hat,58 oder die drei Verfahrensordnungen unterschiedliche Grenzen der zulässigen Automatisierbarkeit ziehen. Es liegt vermutlich näher, dass der Gesetzgeber in der AO nur eine technische Grenzziehung anordnet, die allerdings implizit die Automatisierung von wertungsabhängigen Ermessens-​und Beurteilungsspielräumen ebenfalls verbietet, weil deren Automatisierung technisch hochkomplex und aktuell aufgrund der technischen Möglichkeiten insbesondere der Kontrollierbarkeit weitgehend ausgeschlossen ist. Ein Unterschied zu § 35 a VwVfG ergäbe sich damit nur, wenn die technischen Möglichkeiten sowie deren Erklär-​und insbesondere rechtliche Kontrollierbarkeit eine Automatisierung ermöglichen würden, was bislang in weiten Bereichen unwahrscheinlich ist. Letztlich ist damit in § 155 Abs. 4 AO jedenfalls die Grenze der Komplexität angesprochen. Die Entscheidung darüber, ob eine weitere rechtliche Grenzziehung wünschenswert ist, ist Sache des Gesetzgebers. Die in der Untersuchung gewonnenen verfassungsrechtlichen Grenzen der Automatisierung wurden auch in der AO adäquat reflektiert. b) „Anlass“ im Sinne des § 31 a SGB X In § 31a S. 1 SGB X ist eine überwiegend vergleichbare Formulierung gewählt wie in § 155 Abs. 4 S. 1 AO. § 31a S. 2 SGB X zieht dabei eine ähnliche Grenze wie § 155 Abs. 4 S. 3 AO – die Grenze der technischen Abbildbarkeit wird referenziert, was die Gesetzesbegründung bestätigt59. Aus der Gesetzesbegründung ergibt sich weiterhin eine Beschränkung auf Entscheidungen, die weder Ermessens-​noch Beurteilungsspielräume eröffnen.60 Damit ist im SGB X die zweigleisige Grenzziehung erfolgt, die auch in dieser Untersuchung vorgeschlagen wurde; auch hier 56 Braun Binder, DStZ 2016, 526 (529) verweist insoweit auf BTDrucks. 18/7457, S. 83. Tatsächlich sind hier auch Ermessensfälle unter den „Anlass“ gefasst. Im selben Abschnitt wird aber die Automatisierung für Ermessensfälle bejaht, in welchen die Parameter der Ermessensausübung von obersten Finanzbehörden allgemein angeordnet worden sind. Letztlich wird hier also die Möglichkeit der Ermessensprogrammierung durch die Verwaltung bejaht und damit die Grenze der Automatisierbarkeit gerade nicht bei Ermessensfällen, sondern bei der technischen Abbildbarkeit des Ermessens gezogen. 57 S. dazu Helbich, DStR 2017, 574 (574 f.). 58 So Braun Binder, DStZ 2016, 526 (529). 59 BTDrucks. 18/8434, S. 121 „Bearbeitung durch einen Amtsträger (…) zwingend, (…) wenn die Subsumtion unter einen konkreten Tatbestand nicht durch automatische Einrichtungen erfolgen kann“, Hervorh. d. Verf. 60 BTDrucks. 18/8434, S. 121.

C. Würdigung der Neuregelungen

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wäre eine Klarstellung, was variable und was absolute Grenzen der Automatisierung sind, zu befürworten. 3. Ergebnis Die §§ 31a SGB X und 155 Abs. 4 AO können als Vorschriften angesehen werden, die die aktuellen technischen Möglichkeiten der Automatisierung in den Blick nehmen. Sie weisen Fälle, in welchen ein Automationssystem technisch nicht geeignet ist, die gemachten Angaben adäquat – also rechtsmethodisch richtig und kontrollierbar – zu verarbeiten, einem Amtswalter zu. Implizit sind damit nach dem aktuellen Stand der Technik auch Fälle erfasst, in welchen Einzelfallgesichtspunkte besonders berücksichtigt werden müssen, sodass das Verbot der Automatisierung von Ermessens-​und Beurteilungsspielräumen in den Vorschriften enthalten ist. § 35a VwVfG trifft demgegenüber eine Grenzziehung, die an dem Stellenwert der Einzelfallbeurteilung in der Rechtsanwendung anknüpft. Die Norm thematisiert also nur diejenigen rechtlichen Schranken, die es ungeachtet eines Stands der Technik nach Ansicht des Bundesgesetzgebers zu beachten gilt. Erst über die Begründung des Rechtssatzvorbehalts in § 35a VwVfG finden technische Gesichtspunkte Eingang in die normierte Grenze der zulässigen Vollautomatisierung. Die Vorschriften in den drei Verfahrensordnungen entsprechen damit zusammengenommen denjenigen Kriterien für eine zulässige Automatisierung, die auch die vorliegende Untersuchung geliefert hat. Jede der Verfahrensordnungen nennt jedoch nur eine beider Grenzziehungen explizit. Eine eindeutigere Formulierung, welche Regelung welche Grenzziehung bezweckt, hätte weitergeholfen.61 Insbesondere hätte es sich angeboten, beide Grenzziehungen in jeder der Normen zu treffen, bestenfalls mit identischem Wortlaut. Der Gesetzgeber hätte also einerseits die technische Geeignetheit voraussetzen können (mit der Formulierung des „Anlasses“ oder den obigen konkreteren Formulierungen), aber gleichzeitig die rechtlich absolute Grenze markieren können (beispielsweise bei Ermessens-​und Beurteilungsspielräumen, soweit diese Grenze bezweckt ist).

61 Die unklare Formulierung der Grenzziehung im StModG kritisiert mit weiteren denkbaren Auslegungsmöglichkeiten auch Bull, DVBl. 2017, 409 (411 f.).

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§ 5 Bewertung der Automatisierungsstrategie des StModG 

IV. Untersuchungsgrundsatz Weil die Behörde nach der Neufassung des § 88 AO Art und Umfang ihrer Ermittlungen an Wirtschaftlichkeits-​und Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten ausrichten darf, wird eine Spannung zum Untersuchungsgrundsatz angenommen.62 Jedenfalls konzeptioniert § 88 AO die Reichweite des Untersuchungsgrundsatzes neu.63 1. Inhalt der Neuregelung Nach alter und neuer Fassung der AO ist die Behörde von Amts wegen zur Sachverhaltsaufklärung verpflichtet und an das Vorbringen und die Beweisanträge nicht gebunden, § 88 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1 AO. Gleichwohl durften auch bislang Gesichtspunkte der Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit in die Entscheidung der Finanzbehörden über Art und Umfang der Ermittlungen miteinfließen.64 Der mit dem StModG eingefügte § 88 Abs. 2 S. 2 AO besagt nunmehr explizit, dass Wirtschaftlichkeits-​und Zweckmäßigkeitskriterien bei der Entscheidung über Art und Umfang der Ermittlungen berücksichtigt werden dürfen. 2. Verbindung von anlassbezogener Untersuchung und RMS Die Verortung der Möglichkeit des Berücksichtigens von Wirtschaftlichkeits-​ und Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten durch die Verwaltung in Verbindung mit der Einführung eines vollautomatisierten Steuerverfahrens führt dazu, dass Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkte faktisch teilweise Vorrang vor Erwägungen der Gesetzmäßigkeit haben könnten.65 Im vollständig automatisierten Verfahren hat die Behörde zumeist keine Kenntnis von der Tatsachenlage im Einzelfall.66 Nur ausnahmsweise, also bei Aussteuerung durch ein RMS aufgrund der Zufallsauswahl, aufgrund der gewillkürten Aussteuerung durch den Bürger durch Nutzung des Freitextfeldes oder aufgrund der Aussteuerung kraft positiver Risikofallprognose wird der Fall von der Be-

62

Braun Binder, DStZ 2016, 526 (530); dies., NVwZ 2016, 960 (964); Ziekow, NVwZ 2018, 1169 (1171 f.); a. A. Stegmüller, NVwZ 2018, 353 (357 f.); wie hier Polomski, Der automatisierte Verwaltungsakt, 1993, S. 118 f.; im Hinblick auf Formulare thematisiert dieses Problem bereits Gantner, Theorie der juristischen Formulare, 2010, S. 143. 63 So auch Gläser / ​Schöllhorn, DStR 2016, 1577 (1577); Ahrendt, NJW 2017, 537 (537). 64 BVerfGE 35, 283 (293 f.). 65 Ähnlich: Preißer / ​Wind, Modernisierung des Besteuerungsverfahrens, 2017, S. 53; Braun Binder, DStZ 2016, 526 (530); Seer, StuW 2015, 315 (319); deutlich Deutsche Steuer- ​Gewerkschaft, Öffentliche Anhörung zu BTDrucks 18/7457, S. 4. 66 Deshalb ist § 88 Abs. 5 S. 3 Nr. 3 faktisch obsolet, so auch Braun Binder, DStZ 2016, 526 (531).

C. Würdigung der Neuregelungen

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hörde gewürdigt und der Sachverhalt tatsächlich von der Behörde ermittelt.67 Im Übrigen bleibt es bei der Plausibilitätsprüfung. Der Bürger ermittelt also anstelle der Behörde den Sachverhalt und entscheidet damit darüber, welche Tatsachen im Zuge der rechtlichen Würdigung durch die Behörde als wahr unterstellt werden. Der Untersuchungsgrundsatz besagt damit nach neuer Fassung, dass die Behörde nicht in jedem Fall selbst umfassend die Tatsachenlage ermittelt, sondern nur noch in bestimmten Fällen. Durch die Einführung von RMS stellt sich die Ermittlungstätigkeit der Behörden maßgeblich als anlassbezogene Nachprüfungstätigkeit dar.68 3. Sachlich-​inhaltliche Legitimation beinhaltet nun Effizienz Im Kern handelt es sich um eine Frage der Rechtsstaatlichkeit, wenn der Einzelfall zunehmend zwecks effektiven Gesetzesvollzugs aus dem Blick gerät – die demokratische Legitimation fragt nach der Herleitung der Herrschaftsausübung69, wobei das Gesetz im Bereich der Verwaltung die Grenzen des Herleitbaren absteckt. Um sachliche Richtigkeit geht es der demokratischen Legitimation freilich nicht. Ob die Einräumung der Berücksichtigungsmöglichkeit von Effizienzgesichtspunkten durch den Gesetzgeber verfassungsmäßig war, ist damit nicht Frage der demokratischen Legitimation, sondern der inhaltlichen Reichweite des Rechtsstaats­ prinzips,70 sodass eine Untersuchung dieses Problems an dieser Stelle unterbleibt. Allerdings kann es auch aus Gründen der sachlich-​inhaltlichen Legitimation problematisch sein, wenn die Verwaltung sich über ihre Gesetzesbindung hinwegsetzt, um effektiv handeln zu können. Dann wird das Gesetz als demokratisch vermittelter Maßstab der Rechtmäßigkeit nicht angewendet. Die Verortung von Effizienzgesichtspunkten durch den parlamentarischen Gesetzgeber in § 88 Abs. 2 S. 2 AO führt jedoch dazu, dass die Effizienz ein legislativ erlaubter Zweck im exekutiven Gesetzesvollzug ist. Damit verstößt die Verwaltung nicht gegen ihre Gesetzesbindung, wenn sie im automatisierten Verfahren Effizienzgesichtspunkte berücksichtigt.

67 S. auch Preißer / ​Wind, Modernisierung des Besteuerungsverfahrens, 2017, S. 53; Ziekow, NVwZ 2018, 1169 (1171). 68 Ähnlich Maier, JZ 2017, 614 (616). 69 S. § 3 D. IV. 2. sowie Böckenförde, in: HStR II, 3. Auflage 2004, § 24 Rn. 83. 70 So auch der Deutsche Finanzgerichtstag e. V., Stellungnahme zu BTDrucks. 18/7457 (2016), S. 3; Seer, StuW 2015, 315 (317 f.). Die Deutsche Steuer- ​Gewerkschaft, Öffentliche Anhörung zu BT-Drucks. 18/7457, S. 5 hält § 88 Abs. 2 AO deshalb für möglicherweise verfassungswidrig.

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§ 5 Bewertung der Automatisierungsstrategie des StModG 

4. Tatsachen von Regel zu trennen Verlagert die Verwaltung ihre Sachverhaltsermittlung faktisch auf den Bürger, betrifft das nicht grundsätzlich die Steuerungsebene, die für die demokratische Legitimation relevant ist, jedenfalls solange die Verwaltung die absolute Grenze der Verlagerung von Rechtsbegriffen71 beachtet. Die Regeln, nach welchen die Verwaltung ihre hoheitlichen Befugnisse auf Basis der Tatsachenlage ausübt, ändern sich bei veränderter Tatsachenlage konzeptionell nicht.72 Deshalb wird bei einer Verlagerung der Tatsachenfeststellung auf den Bürger nicht die Steuerungsebene betroffen, die legitimatorisch relevant ist. Ein Problem würde sich nur dann ergeben, wenn die Verwaltung im automatisierten Verfahren andere Regeln anwendet als im manuellen Verfahren.73 Aufgrund der Reduzierung der anzuwendenden Regeln auf Berechnungen dürfte das nicht notwendigerweise anzunehmen sein.74 Vielmehr dient das in § 155 Abs. 4 S. 3 i. V. m. 150 Abs. 7 AO vorgesehene Freitextfeld gerade dem Zweck, auch dann die Gesetzesbindung zu gewährleisten und nichtverarbeitbare Angaben zu berücksichtigen, wenn das automatisierte Verfahren diese nicht berücksichtigen kann und folglich ein Verstoß gegen die Gesetzesbindung der Verwaltung droht. Letztlich dient auch die neben der Aussteuerung bei positiver Risikoprognose vorgesehene Zufallsauswahl dem Zweck, die Gesetzmäßigkeit des Steuervollzugs zu gewährleisten.75 In komplexeren Verfahren dürfte sich jedoch das Problem ergeben, dass die rechtliche Würdigung mit der Herstellung des Sachverhalts teilweise zusammenfällt. Jedenfalls in Ermessensfällen und bei unbestimmten Rechtsbegriffen ist dies notwendigerweise der Fall, weil gerade individuelle Kriterien hohe rechtliche Bedeutung haben. Dann kann es dem Bürger nicht auferlegt werden, die Tatsachen umfassend selbst zu ermitteln, weil die Tatsachen schon im Hinblick auf komplexe rechtliche Gesichtspunkte ermittelt werden. Weiterhin ergibt sich das Problem, dass ein Freitextfeld nicht notwendigerweise genutzt wird. Dann erlangt die Behörde möglicherweise keine Kenntnis von rechtserheblichen Faktoren und bearbeitet den Fall, ohne ihre Gesetzesbindung umfassend zu wahren.

71

S. § 4 C. III. 2. d) sowie Polomski, Der automatisierte Verwaltungsakt, 1993, S. 118. Ähnlich: Stegmüller, NVwZ 2018, 353 (358). 73 Zu dieser Gefahr Ahrendt, NJW 2017, 537 (539); Maier, JZ 2017, 614 (616 f.) und die Deutsche Steuer- ​Gewerkschaft, Öffentliche Anhörung zu BTDrucks. 18/7457, S. 2. 74 Ähnlich: Seer, StuW 2015, 315 (322). 75 BTDrucks. 18/8434, S. 99. Die Zufallsauswahl kann gleichzeitig den Bürger dazu anhalten, wahrheitsgemäße Angaben zu machen – so Braun Binder, DÖV 2016, 891 (896). 72

C. Würdigung der Neuregelungen

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5. Ergebnis Ob der Gesetzgeber der Verwaltung die Möglichkeit einräumen durfte, ihre Ermittlungen an Effizienzgesichtspunkten auszurichten, ist keine Frage der demokratischen Legitimation, sondern des Rechtsstaatsprinzips. Zwar ist die Effizienz des Verwaltungshandelns kein eigenständiger Legitimationsfaktor; eine legislativ erlaubte Berücksichtigungsmöglichkeit von Effizienzgesichtspunkten führt jedoch dazu, dass die Verwaltung ihrem Handeln auch dann sachlich-​inhaltliche Legitimation vermitteln kann, wenn sie von dieser legislativ angeordneten Möglichkeit Gebrauch macht. Allerdings darf die Verwaltung nicht aus Gründen der Effizienz ihre Regel­ anwendung verändern – bei der Beurteilung der an sie übermittelten Tatsachen ist sie an die Gesetze gebunden, sodass das aus Effizienzgründen vollständig automatisierte Verfahren die Steuergesetze in gesetzeskonformer Weise auf die Tatsachen anwenden muss. Das wiederum setzt die adäquate Abbildung der Steuergesetze in Code voraus oder aber die bislang praktizierte Aussteuerung an einen mensch­lichen Bearbeiter, sobald eine Wahrung der Gesetzesbindung durch das Programm nicht gewährleistet ist. Das ist nicht nur dann der Fall, wenn der Bürger einzelfallrelevante Angaben macht, sondern auch dann, wenn die rechtliche Würdigung des Falls so komplex ist, dass die Sachverhaltsermittlung Kenntnis des anzuwendenden Rechts voraussetzt. Die neben der Aussteuerung bei Risikoprognose bestehende Zufallsauswahl kann die Gleichmäßigkeit des Gesetzesvollzugs unterstützen. Eine Quotenregelung (mindestens 25–50 % der Fälle) wäre jedoch wünschenswert.76

V. Parlamentarische und exekutive Kontrolle Die Kontrolle von Algorithmen ist im Grundsatz relevant, insbesondere aus rechtsstaatlichen Gründen. Bezogen auf die demokratische Legitimation des Verwaltungshandelns finden Kontrollmöglichkeiten insbesondere Ausprägung in parlamentarischen und exekutiven Kontrollmöglichkeiten, die eine Übereinstimmung des übergeordneten mit untergeordnetem Verwaltungshandeln bezwecken und der Einhaltung der Gesetzesbindung dienen. 76

Für die Festlegung einer Quote kommt es darauf an, inwieweit das RMS selbst die Gesetzmäßigkeit des Steuervollzugs unterstützt. Sind nahezu nur Gesichtspunkte der Wirtschaftlichkeit berücksichtigt worden, bedarf es einer hohen Quote für die Zufallsauswahl, um die Gleichmäßigkeit des Steuervollzugs zu gewährleisten. Ist das RMS umfassend im Hinblick auf risikobehaftete Eingaben oder Eingabekombinationen – auch in wirtschaftlich nicht lohnenden Fällen – programmiert, genügt möglicherweise eine niedrigere Quote. Solange nicht bekannt ist, wie das RMS konkret aussieht, sollte eine hohe Zufallsquote angesetzt werden. Vgl. die Empfehlung von Neumann, Einsatz von RMS im Vollzug des Steuerrechts, 2016, S. 8.

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§ 5 Bewertung der Automatisierungsstrategie des StModG 

1. Intransparente RMS und Kontrolle durch das Parlament Dass Informationsrechte des Parlaments beim Einsatz von Automations­systemen gefährdet sein könnten, zeigt sich am automatisierten Risikomanagement nach § 88 Abs. 5 S. 1 AO.77 Einzelheiten der Systeme dürfen nicht veröffentlicht werden, § 88 Abs. 5 S. 4 AO, sofern dies die Gleichmäßigkeit und Gesetzmäßigkeit der Besteuerung gefährden könnte. Letztlich nennt die Vorschrift damit zwar einen verfassungsrechtlichen Rechtfertigungsgrund, allerdings müsste die Gesetzmäßigkeit der Parameter des Systems zunächst festgestellt werden können,78 bevor die Gefährdung der Gesetzmäßigkeit des Vollzugs festgestellt werden könnte. Die Parameter wären aber nicht einsehbar, sodass Parlament und Öffentlichkeit sie nicht beurteilen könnten.79 Zwar wurden generelle Informationen über die verwendete Technologie von RMS bereitgestellt – von 2011 bis 2016 wurden möglicherweise künstliche neuronale Netze eingesetzt80, wobei die Richtigkeit dieser Information angezweifelt wird,81 seit 2016 jedenfalls liegt der Einsatz regelbasierter Systeme näher82 – Aufschluss über die konkrete Funktionsweise der Systeme gab es aber nicht. Dass gem. § 88 Abs. 5 S. 5 AO die Einzelheiten im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Finanzen festgelegt werden sollen, lässt keine Rückschlüsse dahingehend zu, ob diese Einzelheiten für die Erfüllung der Informationspflicht der Regierung gegenüber Parlament und Öffentlichkeit genügen. 2. Rechtmäßigkeitskontrolle von RMS Im Hinblick auf die Gewährleistung und Effektivität der sachlich-​inhaltlichen Legitimation ist die Implementierung gesetzlicher Vorgaben in die RMS und die regelmäßige Überprüfung und grundsätzliche Kontrollierbarkeit der Funktionsweise der Systeme zu gewährleisten, was die Dokumentation, Erklärbarkeit und Überprüfbarkeit des Problemlösungskonzepts voraussetzt. Der Einsatz selbst­ 77

Dazu auch Braun Binder, DStZ 2016, 526 (533). Neumann, Einsatz von RMS im Vollzug des Steuerrechts, 2016, S. 3, folgert daher – dem Gesetzeswortlaut widersprechend – dass aus dem Gebot der Gleichmäßigkeit der Besteuerung gerade ein Anspruch auf Erklärbarkeit aus Rechtsschutzgründen, nicht ein Geheimhaltungsinteresse folgt; ähnlich Deutscher Finanzgerichtstag e. V., Stellungnahme zu BTDrucks. 18/7457 (2016), S. 6. 79 Plenarprotokoll 18/170, S. 16778 (D); dazu auch Baldauf, DStR 2016, 833 (836). 80 LTDrucks. 15/1047, S. 19. 81 Maier, JZ 2017, 614 (615). Die Einsetzbarkeit maschineller Lernverfahren hängt zuvörderst davon ab, ob ausreichende Datenmengen vorhanden sind. Das sei selbst in Massenverfahren wie der Besteuerung eher anzuzweifeln. 82 Maier, JZ 2017, 614 (616); am wahrscheinlichsten ist wohl die regelbasierte Programmierung von Grenzwerten, vgl. Neumann, Einsatz von RMS im Vollzug des Steuerrechts, 2016, S. 5. Dass diese nicht notwendigerweise mit dem Gesetz übereinstimmen, legt Ahrendt, NJW 2017, 537 (540) dar; ähnlich Deutsche Steuer- ​Gewerkschaft, Öffentliche Anhörung zu BTDrucks. 18/7457, S. 2: „Durchwink-​Parameter“. 78

C. Würdigung der Neuregelungen

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lernender Systeme im Risikomanagement ohne geeignete Kontrollstrukturen sowie einheitliche Kontrollstandards ist damit jedenfalls nicht zu vereinbaren. Es verbietet sich aber ebenso die Gewinnung eines a-​priori Risikobeurteilungskonzepts über komplexe Methoden des maschinellen Lernens, beispielsweise über künstliche neuronale Netze, wenn diese nicht entsprechend dem parlamentarischen Informationsrecht erklärt werden können. Zwar wurde in der Gesetzesbegründung darauf hingewiesen, dass der Bundesrechnungshof sowie die Rechnungsprüfungsbehörden der Länder im Wege der Rechtsaufsicht auch die RMS prüften und dem Parlament hiervon berichten würden.83 Das wirft aber jedenfalls bezüglich der angeblich zeitweise genutzten ML-Technologie mit dem besonders intransparenten Lernverfahren des neuronalen Netzes Fragen auf84 – hier sind Kontrollstandards noch nicht entwickelt und eine Kontrolle hochkomplex, Untersuchungsergebnisse also dementsprechend schwer erläuterbar und auch nur schwer diskutierbar. Dass die Parameter der RMS im Einzelnen geheim gehalten werden müssen, um einen Missbrauch der Systeme zu verhindern, steht dem nicht entgegen. Für eine effektive Wahrnehmung demokratischer Kontrolle dürfte im Regelfall irrelevant sein, welche Höhe ein konkreter Schwellenwert hat, der zur Aussteuerung eines Falls führt; es ist jedoch notwendig, zu wissen, dass ein Automationssystem mit Schwellenwerten arbeitet, um seine Gesetzmäßigkeit zu beurteilen. Aus dieser Kenntnis ergibt sich auch kein Missbrauchspotenzial. Informationen über die Funktionsweise eines Automationssystems an sich sowie beispielsweise verwendete Klassifizierer und verwendete Qualitätsmaße geben ebenfalls keinen Aufschluss über das Verhalten des Systems im Hinblick auf konkrete Eingabedaten, da dieses immer vom verwendeten Datenmaterial abhängt. Deshalb muss jedenfalls bekannt sein, welcher Technologie sich ein RMS bedient, welche Art von Daten es verwendet und mit welchen Verfahren und von wem es kontrolliert wird. 3. Entscheidung über den Einsatz von RMS ist legitimationsbedürftig Die Tätigkeit eines RMS wäre in die Legitimationsbedürftigkeit des automatisiert erlassenen Verwaltungsakts einbezogen, wenn seine Tätigkeit Steuerungswirkung für den Erlass des Verwaltungsakts entfaltet. Das RMS gibt aber konzeptionell nur eine Einordnung dahingehend ab, ob gemachte Angaben als wahr unterstellt werden und betrifft damit die Feststellungsebene, nicht die Regelungs 83

BTDrucks. 18/8434, S. 99. Die Bundesregierung weist in der Antwort auf eine kleine Anfrage, BTDrucks. 19/1982, S. 14 darauf hin, dass die Nachvollziehbarkeit der Ergebnisse von Methoden der Künstlichen Intelligenz, die nach ihrer Definition sowohl regelbasierte Expertensysteme als auch fallbasiertes maschinelles Lernen umfasst (vgl. S. 3) ein Problem darstellt, und Entscheidungen deshalb nicht allein auf Basis von KI getroffen werden sollten. 84

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§ 5 Bewertung der Automatisierungsstrategie des StModG 

ebene. Die Herrschaftsausübung selbst in Bezug auf den Verwaltungsakt, also die Regel, nach der besteuert wird, ändert das RMS nicht. Ansonsten widerspräche die automatisierte Bearbeitung der Gesetzesbindung der Verwaltung.85 Allerdings unterliegt die Entscheidung über den Einsatz von RMS als eigenständige Ausübung von Staatsgewalt dem Erfordernis demokratischer Legitimation nach den Anforderungen für Akte der Verwaltung mit spezifischem Legitimationsniveau,86 weil die Entscheidung über den Einsatz von RMS selbst und ungeachtet eines auf der Risikoprognose erlassenen Verwaltungsakts in der Weise gegenüber dem Volk Geltung beansprucht, dass ausgesteuerte Fälle anders behandelt werden als nichtausgesteuerte Fälle, indem erstere nochmals überprüft werden. Das erforderliche Soll-​Niveau der Legitimation richtet sich insbesondere nach der Grundrechtswesentlichkeit der Entscheidung über den Einsatz von RMS.87 Eine Grundrechtswesentlichkeit ist jedenfalls bei der Verwendung komplexer Programme anzunehmen.88 Die Grundrechtswesentlichkeit ist weiterhin anzunehmen, wenn die Einführung von RMS zu rechtswidrigen Steuerbescheiden führen kann.89 In diesen Fällen ist neben der sachlich-​inhaltlich erhöhten Steuerungspflicht des Gesetzgebers, der er mit § 88 Abs. 5 S. 2 AO nachgekommen ist,90 die lückenlose organisatorisch-​personelle Legitimation erforderlich. Über die Inkaufnahme der konkreten Auswirkungen des Einsatzes der eingesetzten Technologie muss also ein legitimierter Amtswalter entscheiden, was in § 88 Abs. 5 S. 5 AO einfachgesetzlich angeordnet wurde. Zu beachten ist bei der Anwendung dieser die verfassungsrechtlichen Anforderungen adäquat umsetzenden Vorschrift, dass das Festlegen der Parameter nach § 88 Abs. 5 S. 5 AO tatsächlich von den obersten Behörden zu verantworten ist, was erfordert, dass sie das Programm verstehen, sich von seiner Gesetzmäßigkeit überzeugen und eventuell Abänderungswünsche äußern und umsetzen lassen können.

85

Rechtlich ist das ein unverrückbares Postulat, vgl. auch Stegmüller, NVwZ 2018, 353 (358) – gerade das ist aber im Falle des Einsatzes von RMS faktisch problematisch, s. Ahrendt, NJW 2017, 537 (538); Ziekow, NVwZ 2018, 1169 (1171 f.); Deutsche Steuer- ​Gewerkschaft, Öffentliche Anhörung zu BTDrucks. 18/7457, S. 4 f. 86 S. zu dieser Unterscheidung bereits § 4 A. II. 1. 87 S. § 3 E. II. 6. 88 S. § 4 B. I. 1. b). 89 So die Deutsche Steuer- G ​ ewerkschaft, Öffentliche Anhörung zu BTDrucks. 18/7457, S. 5. Bei lebensnaher Betrachtungsweise liegt das nahe. Allerdings sollen die RMS konzeptionell nur die Vorprüfung, wer den Sachverhalt feststellt, treffen. Die Regelungsebene ist hiervon konzeptionell nicht betroffen. Wiederum kommt es auf die gesetzmäßige Umsetzung in der Praxis an. 90 Ähnlich Deutsche Steuer- ​Gewerkschaft, Öffentliche Anhörung zu BTDrucks. 18/7457, S. 5.

C. Würdigung der Neuregelungen

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4. Kontrolle von Automationssystemen und § 87c AO § 87c AO regelt den Einsatz nichtamtlicher Datenverarbeitungsprogramme im automatisierten Besteuerungsverfahren. Weil der Entwurf von Rechtsanwendungsprogrammen durch nicht demokratisch legitimierte, privatwirtschaftlich tätige Programmierer im Grundsatz problematisch ist,91 war eine Regelung erforderlich, die insbesondere die Rechtmäßigkeit der Programmierung sowie die Entscheidungsträgerschaft legitimierter Personen für automatisiert getroffene Entscheidungen sicherstellt. § 87c Abs. 1 AO normiert, dass nichtamtliche Datenverarbeitungsprogramme die richtige und vollständige Verarbeitung der Daten sicherstellen müssen. Anderenfalls muss nach Abs. 2 gesondert auf diejenigen Fallgruppen, in welchen dies nicht gewährleistet ist, hingewiesen werden. § 87c Abs. 3 S. 1 AO bestimmt, dass vor der Freigabe des Programms sowie nach jeder Veränderung eine Überprüfung im Sinne des Abs. 1 stattfinden muss. § 87c Abs. 3 S. 1, 3 und 4 AO bestimmen, dass die Finanzbehörden die Programme überprüfen dürfen und eine Nachbesserung sowie das Aussetzen des Systems veranlassen dürfen. S. 5 normiert, dass die Finanzbehörden gleichwohl nicht verpflichtet sind, die Programme zu überprüfen. Setzt die Verwaltung Automationssysteme zur Wahrnehmung ihrer hoheit­lichen Funktionen ein, ist sie an die Gesetze gebunden, Art. 20 Abs. 3 GG. Deshalb ist sie, wenn sie vollständig automatisiert Verwaltungsakte erlässt, verantwortlich für die gesetzmäßige Gestaltung des Rechtsanwendungsprogramms, um die Gefahr rechtswidriger Entscheidungen zu vermeiden.92 Das erfordert ein Letztentscheidungsrecht eines demokratisch legitimierten und zur Sachsteuerung befugten Amtswalters bezüglich der konkreten Gestaltung des Programms und setzt voraus, dass dieser für die Gesetzmäßigkeit der Programmierung die Verantwortung übernimmt.93 Die Zurechenbarkeit der durch das nichtamtliche System hervorgebrachten Maßnahme zur Verwaltung genügt nicht.94 Dementsprechend setzt die gesonderte Feststellung, die Behörden seien zur Prüfung der eingesetzten Systeme und damit zur Ausübung ihres Letztentscheidungsrechts berechtigt, nicht aber verpflichtet, falsche Akzente, jedenfalls im Hinblick auf die Technikoffenheit der Vorschriften und der gleichzeitigen Einführung vollautomatisierter Verfahren im Steuerrecht. Setzt die Verwaltung Automationssysteme ein, die im Einzelfall verbindliche Rechtswirkungen anordnen, deren Ergebnisse sie jedoch im Einzelfall nicht im Hinblick auf ihre Rechtmäßigkeit prüft,95 deren generelle Funktionsweise 91

S. dazu § 4 C. I. 3.  und § 4 C. III. 1. b). So auch: Polomski, Der automatisierte Verwaltungsakt, 1993, S. 99. 93 S. § 4 C. III. 1. b) bb). 94 So auch: Polomski, Der automatisierte Verwaltungsakt, 1993, S. 99. 95 Polomski, Der automatisierte Verwaltungsakt, 1993, S. 99 weist zutreffend darauf hin, dass eine Verlagerung der Rechtmäßigkeitsprüfung auf die Rechtsschutzebene schon deshalb problematisch ist, weil nicht in jedem Fall der Bürger gegen den rechtswidrigen maschinellen Bescheid vorgehen wird. 92

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§ 5 Bewertung der Automatisierungsstrategie des StModG 

sie vor einem Einsatz ebenfalls nicht prüft und die sie möglicherweise aufgrund erhöhter Komplexität auch nicht überprüfen kann, steht neben der latenten Möglichkeit, in einer Vielzahl von Fällen rechtswidrige Entscheidungen durch „Wegsehen“ zu treffen, die sachlich-​inhaltliche Legitimation ihres Handelns in Frage. Systeme, die nur Kommunikationszwecken dienen oder nicht an der inhaltlichen Verwaltungsakterstellung teilhaben, sind von diesen Anforderungen mangels Steuerungswirkung für die Herrschaftsausübung in Form des Verwaltungsakts freigestellt. Je nachdem, ob die Datenverarbeitung Geltung gegenüber dem Volk beansprucht, ist jedoch die Legitimation des Programms nach spezifischen Anforderungen erforderlich. 5. Ergebnis Die Regelung des Einsatzes von RMS in § 88 Abs. 5 AO setzt die verfassungsrechtlichen Anforderungen demokratischer Legitimation ordnungsgemäß um. Von besonderer Relevanz für die Effektivität der Legitimation wird die Umsetzung dieser Vorschriften in der Praxis sein. Insbesondere der Entwicklung von RMS und automatisierten Verfahren unter Wahrung der Anforderungen der Gesetzmäßigkeit, die regelmäßige Überprüfung von RMS auf Wahrung der gesetzlichen Vorgaben durch demokratisch legitimierte Prüfungsinstanzen auf Verwaltungsebene sowie die Information des Parlaments und der Öffentlichkeit bezüglich der verwendeten Parameter und Funktionsweise der RMS sollte besondere Beachtung zukommen. Eine Verwendung der ML-Technologie im Risikomanagement ist demnach zwar grundsätzlich möglich, erfordert aber eine regelmäßige effektive Kontrolle der RMS, insbesondere im Hinblick auf naheliegende Diskriminierungstendenzen, sowie die Verwendung von Klassifizierungsmethoden, die einer Erklärung zumindest bezüglich rechtlich relevanter Kriterien zugänglich sind. Bis derartige Kontrollstrukturen sich herausgebildet haben, ist nur der Einsatz regelbasierter RMS, beispielsweise durch Implementierung bestimmter, gesetzlich angeordneter Schwellenwerte, zulässig. Der Einsatz jedenfalls hochkomplexer maschineller Lernverfahren zur Gewinnung eines Risikobeurteilungskonzepts, beispielsweise durch künstliche neuronale Netze, ist mangels geeigneter Kontrollmöglichkeiten aktuell unzulässig und zunächst die Entwicklung geeigneter Kontrollstrukturen erforderlich. Die Entscheidung über den Einsatz von RMS bedarf der demokratischen Legitimation. Aufgrund der Grundrechtswesentlichkeit ist über die erforderliche legislative Zulassung hinaus die konkrete Funktionsweise des RMS organisatorisch-​­personell durch zur Sachsteuerung befugte Amtswalter zu legitimieren. Die Vorgaben des § 88 Abs. 5 S. 5 AO sind damit ernst zu nehmen. Die Prüfparameter von RMS müssen jedenfalls in effektiver Wahrnehmung eines Letztentscheidungsrechts mit inhaltlicher Abänderungsmöglichkeit demokratisch legitimierter oberster Verwaltungsbehörden und im Rahmen der Gesetze festgelegt werden.

D. Gesamtergebnis und Zusammenfassung

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Auch das automatisierte Verfahren abseits der Risikobeurteilung durch RMS muss die Gesetzesbindung der Verwaltung bei der Rechtsanwendung wahren, sodass die Kontrollanforderungen insbesondere von nichtamtlichen Datenverarbeitungsprogrammen in § 87c Abs. 4 AO einer Verschärfung bedürfen, um den sachlich-​inhaltlichen Legitimationsanforderungen für vollständig automationsgestützt erlassene Verwaltungsakte gerecht zu werden.

D. Gesamtergebnis und Zusammenfassung Das StModG setzt die Zulässigkeitsanforderungen für automatisiert erlassene Verwaltungsakte nach dem Maßstab demokratischer Legitimation hauptsächlich ordnungsgemäß um. Insbesondere wurden die Grenzen der technischen Möglichkeit sowie rechtlichen Zulässigkeit einer Automatisierung von Verwaltungsakten berücksichtigt. Einheitliche Formulierungen in den §§ 35a VwVfG, 31a SGB X und 155 Abs. 4 AO wären jedoch wünschenswert. Besondere Aufmerksamkeit muss der Ausbildung und dem effektiven Einsatz geeigneter Kontrollstrukturen für unterschiedliche Arten von Automationssystemen wie RMS, aber auch dem vollautomatisierten Verwaltungsverfahren insgesamt zukommen, um die Gesetzmäßigkeit des Verwaltungsvollzugs auch in der Praxis zu wahren.

§ 6 Zusammenfassung in Thesen A. Technische Möglichkeiten und Grenzen einer Automatisierung des Rechts: Thesen Der automatisierte Erlass von Verwaltungsakten bedarf konzeptioneller Vorarbeit bezüglich des rechtstheoretischen Ausgangspunkts sowie der konkreten Modellierung. Regelbasierte Ansätze stehen Jurisdiktionen des Gesetzesrechts näher als fallbasierte Ansätze. Faktisch findet eine zunehmende Verwebung regelbasierter und fallbasierter Methoden der Rechtsanwendung statt.1 Eine Syntax-​und Arithmetikprogrammierung ist technisch unproblematisch und führt dazu, dass Rechtsgebiete, die eine hohe Zahlen-​und Berechnungsdichte aufweisen und formallogisch aufgebaut sind, technisch einfach algorithmisiert werden können. Verbunden mit einer händischen oder formularmäßigen Wahrheitswertzuordnung bietet diese Automatisierungsstrategie erhebliche Effizienzvorteile im Gesetzesvollzug.2 Die Algorithmisierung auslegungsbedürftiger Begriffe unterschiedlicher rechtlicher Dimensionen ist programmiertechnisch schwierig. Regelbasierte Ansätze wie Ontologien erfordern eine umfassende Spezifikation des für die Rechtsanwendung relevanten Wissens und eignen sich damit nur für kleine Domains, in welchen kein implizites Wissen vorausgesetzt wird. Fallbasierte Modelle erleben durch die Verknüpfung mit Methoden des maschinellen Lernens (ML) in Zeiten von Big Data Aufschwung. Die ML-Technologie eignet sich jedoch nur für die Auswertung großer Datenmengen und die Gewinnung statistischer Korrelationen und darauf aufbauender kohärenzbasierter Prognosen. Hybride Systeme sind aufwendig in der Konzeption und erfordern ein hohes Maß an Interdisziplinarität, können dann aber flexibel gestaltet werden und komplexe Rechtsanwendungsprozesse abbilden.3 Ob und wie weit eine Algorithmisierung des Rechts vertretbar ist, hängt vom rechtstheoretischen Vorverständnis des Rechts ab. Dass eine eigene Konkretisierungsleistung des Rechtsanwenders in die Auslegung miteinfließt, steht einer Algorithmisierung von Teilen des Rechts nicht entgegen. Es bedarf einer Grenz­ ziehung, welche Merkmale einer Norm algorithmisiert werden dürfen und bei welchen Merkmalen sich eine Algorithmisierung verbietet.4 1

Vgl. § 2 A. IV. Vgl. § 2 B. V. 3 Vgl. § 2 C. 4 Vgl. § 2 D. 2

B. Demokratische Legitimation von Verwaltungsakten 

291

B. Demokratische Legitimation von Verwaltungsakten: Thesen Das Objekt demokratischer Legitimation gem. Art. 20 Abs. 2 GG ist die Ausübung von Staatsgewalt im Sinne einer konkreten, gegenüber dem Volk Geltung beanspruchenden Handlung, wie beispielsweise dem Erlass eines Verwaltungsakts. Legitimationsbedürftig ist nicht allein die abstrakte hoheitliche Befugnis, rechtsverbindlich zu handeln, sondern auch die Ausübung hoheitlicher Befugnisse selbst.5 Der Begriff der Entscheidung ist nicht gleichbedeutend mit einem Willensakt. Ein Willenszusammenhang zu einem Funktionsorgan des Staates ist nur erforderlich, um die Zurechnung zu einem bestimmten Funktionsorgan des Staates bewirken zu können und damit spezifische Legitimationsanforderungen zu eröffnen.6 Technische Hilfsfunktionen scheiden nicht grundsätzlich aus dem Legitimationserfordernis aus. Maßgeblich ist die Steuerungswirkung einer Automatisierung für die Herrschaftsausübung.7 Die demokratische Legitimation des Verwaltungshandelns erfordert die Wahrung der Gesetzesbindung der Verwaltung sowie die Entscheidungsträgerschaft eines legitimierten Amtswalters. Sachlich-​inhaltliche Legitimation erfährt das Verwaltungshandeln durch Wahrung der Gesetzesbindung aus Art. 20 Abs. 3 GG. In der hierarchischen Verwaltungsorganisation kann die Gesetzesbindung über konkretisierende Sachsteuerungen der Verwaltung effektiviert werden. Kontrollrechte des Parlaments und der Regierung dienen der Gesetzesbindung des Verwaltungshandelns und damit der sachlich-​inhaltlichen Legitimation des Verwaltungshandelns.8 Die organisatorisch-​personelle Legitimation eines Amtswalters verleiht ihm die Befugnis zur Sachsteuerung und ist grundsätzlich neben der sachlich-​inhaltlichen Legitimation erforderlich, um eine Verwaltungsentscheidung demokratisch zu legitimieren. In der hierarchischen Verwaltungsorganisation kann sie vom Wahlakt des Volkes zur vom Parlament gestellten Regierung und über deren hierarchisch absteigende Einsetzungsakte an jeden ordnungsgemäß bestellten Amtswalter vermittelt werden. Eine Verwaltungsentscheidung ist organisatorisch-​personell demokratisch legitimiert, wenn einem derartig legitimierten Amtswalter die Entscheidungsträgerschaft zukommt. Das erfordert die doppelte Mehrheit legitimierter Amtswalter bei Gremienentscheidungen und ein umfassendes Letztentscheidungsrecht eines

5

Vgl. § 3 C. II. Vgl. § 3 C. III. 3. 7 Vgl. § 3 C. IV. 8 Vgl. § 3 D. IV. 6

292

§ 6 Zusammenfassung in Thesen

legitimierten Amtswalters bei Mitentscheidungen im Vorfeld oder Nachgang der Entscheidung.9 Die Pluralität moderner Verwaltungsorganisationen, insbesondere die Selbstverwaltung, erfordert die Flexibilität des Legitimationsmodells für abweichende Modi der personellen Legitimation. Keine eigenständigen Legitimationsmodi im Hierarchiemodell sind Effizienz, Partizipation, die Entscheidungsqualität sowie die Akzeptanz der Entscheidung.10 Das erforderliche Legitimationsniveau bemisst sich nach der Grundrechtswesentlichkeit der Entscheidung.11

C. Legitimationsanforderungen an automatisiert erlassene Verwaltungsakte: Thesen Automatisiert erlassene Verwaltungsakte sind ungeachtet der eingesetzten Technologie sowie ungeachtet des Grades der Automatisierung als Ausübung von Staatsgewalt im Sinne des Art. 20 Abs. 2 GG zu qualifizieren. Maßgebliches Kriterium für die Zurechenbarkeit als Verwaltungsakt ist das Bestehen eines Willenszusammenhangs zur Verwaltung. Der Willenszusammenhang muss das konkrete Rechtsanwendungsergebnis nicht umfassen, sodass der nach außen erkennbare Wille der Behörde, ein technisches System zum teilweise oder vollständig automationsgestützten Verwaltungsakterlass einzusetzen, dem Erfordernis eines Willenszusammenhangs genügt.12 Ob die Tätigkeit eines Automationssystems nach den spezifischen Legitimationsanforderungen für Verwaltungsakte zu bewerten ist, richtet sich danach, ob die Automatisierung Steuerungswirkung für den Erlass des Verwaltungsakts entfaltet. Entscheidungsunterstützungssysteme entfalten keine rechtliche Steuerungswirkung für den Erlass des Verwaltungsakts, sodass sie nicht als Teil des Verwaltungsakts zu legitimieren sind. Teilweise und vollständige Automatisierungen, die den händische Verwaltungsakterlass ersetzen, nicht lediglich unterstützen, entfalten demgegenüber Steuerungswirkung bezüglich des Erlasses des Verwaltungsakts und sind folglich als Teil des Verwaltungsakts nach den für ihn geltenden Anforderungen zu legitimieren. Legitimationsbedürftig nach den Anforderungen für Verwaltungsakte sind damit Automationssysteme der Syntax-​und Arithmetikprogrammierung, der automatisierten Merkmalserschließung, sowie Automationssysteme, die sowohl Merkmale automationsgestützt ausfüllen als auch die Merkmale automationsgestützt zu einer Rechtsfolge verarbeiten.13 9

Vgl. § 3 D. V. Vgl. § 3 D. VI. 11 Vgl. § 3 E. 12 Vgl. § 4 A. I. 13 Vgl. § 4 A. II. 10

C. Legitimationsanforderungen 

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Der automatisierte Erlass von Verwaltungsakten unterliegt nicht in jedem Fall einem Parlamentsvorbehalt. Bei fallbasierten und auf Fallbasis aufsetzenden hybriden Systemen ist jedoch regelmäßig von der Grundrechtswesentlichkeit im Hinblick auf Art. 2 Abs. 1 i. V. m. 1 Abs. 1 GG auszugehen, die einen Parlamentsvorbehalt begründet. Aufgrund der faktischen Erhöhung der Wahrscheinlichkeit der Grundrechtswesentlichkeit ist bei komplexen automatisierten Rechtsanwendungssystemen sowie in Fällen, in welchen das Ergebnis des Systems im Einzelfall nicht mehr überprüft wird, regelmäßig eine parlamentsgesetzliche Fundierung notwendig.14 Die einfachgesetzliche Zulassung automatisierter Verwaltungsverfahren ändert nichts an der Reichweite der Legitimationsbedürftigkeit des automatisiert erlassenen Verwaltungsakts. Auf eine parlamentarische Kontrolle des automatisierten Verfahrens kann auch im Falle seiner einfachgesetzlichen Zulassung nicht verzichtet werden. Die kontrollierbare Wahrung parlamentsgesetzlicher Vorgaben erhöht jedoch die sachlich-​inhaltliche Legitimation des automatisiert erlassenen Verwaltungsakts.15 Die Unterscheidung von Konditional-​und Finalprogrammen gibt für die Beurteilung der Zulässigkeit der Automatisierung einer Rechtsnorm nichts her.16 Die Übertragung von Berechnungen in ein regelbasiertes Programm ist im Regelfall mit der Gesetzesbindung der Verwaltung aus Art. 20 Abs. 3 GG vereinbar, sodass auch der Einsatz eines Programms sachlich-​inhaltliche Legitimation vermitteln kann. Ebenso ist die Übertragung natürlichsprachlicher Syntax in logische Operatoren üblicherweise mit der Gesetzesbindung der Verwaltung vereinbar und eine Formalisierung und Algorithmisierung dieser Normbestandteile zulässig. Die Verarbeitung messbarer Begriffe durch ein regelbasiertes System ist im Regelfall zulässig. Eine Algorithmisierung von auslegungsbedürftigen Begriffen ohne Beurteilungsspielräume ist zulässig, wenn die Formalisierung nicht zu einer Bedeutungsverschiebung führt, was beispielsweise im Falle messbar typisierter Begriffe der Fall ist. Bei erhöhter Komplexität des rechtlichen Begriffskonzepts einerseits sowie der formalisierten Abbildung andererseits ist die Wahrscheinlichkeit einer Bedeutungsverschiebung oder Nichtspezifizierbarkeit relevanter Gesichtspunkte erhöht, sodass sich die Automatisierung auf Teilautomatisierungen und Entscheidungsunterstützungen beschränken muss, um den sachlich-​inhaltlichen Legitimationszusammenhang nicht zu gefährden.17 Ob Ermessensspielräume vollständig automatisiert ausgefüllt werden dürfen, hängt davon ab, ob der Gesetzgeber mit der Ermessenseinräumung lediglich eine Kompetenzverlagerung auf die Verwaltungsebene oder die Anordnung einer indi 14

Vgl. § 4 B. I. 1. Vgl. § 4 B. I. 2. 16 Vgl. § 4 B. II. 2. 17 Vgl. § 4 B. II. 3. 15

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§ 6 Zusammenfassung in Thesen

viduellen Rechtskonkretisierungspflicht bezweckt hat. Eine vollständig automatisierte Ermessensausübung ist damit nicht im Grundsatz unzulässig. Ist der Zweck der Ermessenseinräumung allerdings nicht klar ersichtlich, sollte die Verwaltung im Zweifel von der Anordnung einer individuellen Rechtskonkretisierungspflicht ausgehen, die eine vollständig automationsgestützte Ermessensausübung verbietet. Auch bei legislativer Zulassung ist von einer vollständigen Automatisierung von Ermessensspielräumen aufgrund mangelnder Berücksichtigungsmöglichkeit von Einzelfallaspekten abzuraten. Potenzial bieten in beiden Fällen Entscheidungsunterstützungssysteme und teilweise Automatisierungen, die die gleichmäßige Rechtsanwendung fördern können, aber gleichwohl von der letztverbindlichen Beurteilung eines legitimierten Amtswalters abhängig sind. Gleiches gilt für Beurteilungsspielräume.18 Die sachlich-​inhaltliche Legitimation erfordert die effektive Kontrollmöglichkeit regelbasierter Systeme durch Parlament, Öffentlichkeit und Regierung. Das setzt voraus, dass der Programmcode eines Automationssystems dokumentiert und Kontrollorganen zugänglich gemacht wird, transparent und erklärbar sowie abänderbar ist. Parlament, Öffentlichkeit und Verwaltung müssen in der Lage sein, das Programm auf seine Gesetzmäßigkeit überprüfen zu können. Das beschränkt den Einsatz von Automationssystemen auf solche Programme, die nicht aufgrund ihrer Komplexität oder anderweitig intransparenten Gestaltung unerklärbar und nicht diskutierbar sind.19 Fallbasierte Rechtsanwendungssysteme bilden statistische Korrelationen, nicht das legislative Normprogramm ab. Nach der Systemarchitektur findet bei fallbasierten Systemen die Steuerung durch Gesetze schwerpunktmäßig auf der Kontrollebene statt, was der Kontrolle eine herausgehobene Stellung in der Beurteilung der Wahrung der Gesetzesbindung eines Systems und damit seiner Fähigkeit, dem Verwaltungshandeln sachlich-​inhaltliche Legitimation zu vermitteln, zuweist.20 Die Komplexität des Automationssystems bestimmt implizit über seine Einsatzmöglichkeiten, da Kontrollmöglichkeiten mit steigender Komplexität weniger umfassend gewährleistet sind. Insbesondere im Hinblick auf fallbasierte Systeme mit ML müssen derartige Kontrollstrukturen und entsprechende rechtliche Kontroll­ standards erst noch allgemein und sachbereichsspezifisch ausdifferenziert werden.21 Der Einsatz selbstlernender Systeme in der Rechtsanwendung durch die Verwaltung – mit Ausnahme des Einsatzes zur Erschließung messbarer Begriffe sowie zur unverbindlichen Entscheidungsunterstützung – ist aus Gründen der häufig defizitären rechtlichen Kontrollmöglichkeiten problematisch. Kontrollstandards

18

Vgl. § 4 B. II. 3. a) dd) und ee). Vgl. § 4 B. II. 3. c). 20 Vgl. § 4 B. II. 4. a). 21 Vgl. § 4 B. II. 4. a) und b). 19

D. Bewertung der Automatisierungsstrategie des StModG 

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und -verfahren müssen für lernende Systeme konkretisiert werden, bevor ein Einsatz vertretbar ist.22 Die demokratische Legitimation des Verwaltungshandelns erfordert die Entscheidungsträgerschaft eines legitimierten Amtswalters. Weil die Entscheidung bei der Verwendung von Automationssystemen in einen abstrakten und einen konkreten Entscheidungsteil aufgespalten ist, bedarf es der antizipierten Legitimation der Rechtsanwendung durch Legitimation des Programms sowie der Legitimation der Rechtsanwendung im Einzelfall.23 Für die Wahrung der Legitimationsanforderungen ist ein Letztentscheidungsrecht eines legitimierten Amtswalters erforderlich, das effektiv im Sinne einer umfassenden Verantwortungsübernahme wahrzunehmen ist. Die Verwaltung darf deshalb keine Programme für den Erlass von Verwaltungsakten einsetzen, für welche nicht ein zur Sachsteuerung befugter Amtswalter die Verantwortung übernommen hat, indem er sich von der Tauglichkeit und Gesetzmäßigkeit des Programms überzeugt und gegebenenfalls Änderungen des Programms zur Herstellung der Gesetzmäßigkeit veranlasst hat.24 Je nach Systemgestaltung ist der zur Sachsteuerung befugte Amtswalter auf Ebene der Datensammlung und -aufbereitung, des Designs sowie der Implementierung und Evaluierung des Systems effektiv zu beteiligen. Seine Entscheidung über das verwendete Datenmaterial, das Design, die Implementierung und die Evaluierung muss die rechtlich und effektiv einzig maßgebliche sein.25 Beim Einsatz selbstlernender Systeme ist die Entscheidungsträgerschaft eines legitimierten Amtswalters im Regelfall aufgrund erhöhter Komplexität schwer zu realisieren. Der Einsatz bietet sich bis zur Ausprägung geeigneter Kontrollstrukturen nur in Bereichen an, in welchen das erforderliche Legitimationsniveau so tief liegt, dass vom Erfordernis einer lückenlosen personellen Legitimation abgewichen werden kann.26

D. Bewertung der Automatisierungsstrategie des StModG: Thesen Der vollständig automatisierte Erlass eines Verwaltungsakts, der mit den §§ 35a VwVfG, 31a SGB X und 155 Abs. 4 AO normativ umfangen wurde, ist nicht notwendigerweise technisch anspruchsvoller als der vorherige Verwaltungsakterlass mithilfe automatischer Einrichtungen. Maßgeblicher Unterschied ist das Entfallen 22

Vgl. § 4 B. II. 4. c). Vgl. § 4 C. III. 1. b). 24 Vgl. § 4 C. III. 1 b) bb). 25 Vgl. § 4 C. IV. 26 Vgl. § 4 C. VI. 23

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§ 6 Zusammenfassung in Thesen

eines „menschlichen Knopfdrucks“ im Einzelfall. Die vollständige Automatisierung entfaltet – entgegen der vorher praktizierten maschinellen Entscheidungsunterstützung  – Steuerungswirkung für den Verwaltungsakt, sodass es für die demokratische Legitimation des Verwaltungsakts nun auch auf die rechtmäßige Programmierung und Entscheidungsträgerschaft legitimierter Amtswalter bezüglich der Programmierung ankommt.27 Das StModG klärt die Frage, ob automatisiert erlassene Verwaltungsakte trotz fehlender Willensbetätigung im Einzelfall der Verwaltung zurechenbar sind. Dies schafft Rechtssicherheit und ist im Hinblick auf die Anforderungen demokratischer Legitimation verfassungsgemäß.28 Die parlamentsgesetzliche Zulassung der Vollautomatisierung ist zu begrüßen, weil von der Wesentlichkeit der automatisierten Bearbeitung auszugehen ist.29 Die Grenzziehung dessen, was technisch möglich und zulässigerweise automatisierbar ist, erfolgt im StModG nur undeutlich. Der Gesetzgeber sollte hier Klarheit schaffen oder jedenfalls einheitliche Formulierungen wählen, die einen Abgleich der einfachgesetzlichen Vorschriften mit verfassungsrechtlichen Anforderungen erleichtern.30 Die Neufassung des Untersuchungsgrundsatzes in § 88 AO ist im Hinblick auf die demokratische Legitimation des Verwaltungshandelns unproblematisch, soweit das automatisierte Verfahren und der Einsatz von RMS nicht mit sonstigen Anforderungen der Gesetzmäßigkeit kollidieren. Ob die legislativ angeordnete Berücksichtigungsmöglichkeit von Wirtschaftlichkeits-​und Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten daneben auch rechtsstaatlichen Anforderungen genügt, bleibt zu untersuchen.31 Nicht nur das automatisierte Verfahren, sondern auch das Risikomanagement im Steuerverfahren erfordern die Ausbildung geeigneter Kontrollstrukturen für Parlament, Öffentlichkeit und Regierung.32 Das gilt insbesondere, wenn sich die Verwaltung der ML-Technologie bedienen möchte, deren häufig defizitäre Erklärbarkeit und Intransparenz eine Kontrolle erschwert. Der Einsatz von RMS bedarf der organisatorisch-​personell legitimierenden Verantwortungsübernahme durch die obersten Verwaltungsbehörden.33

27

Vgl. § 5 B. I. Vgl. § 5 C. I. 29 Vgl. § 5 C. II. 30 Vgl. § 5 C. III 3. 31 § 5 C. IV. 1–4. 32 § 5 C. V. 1, 2, 4. 33 § 5 B. V. 3. 28

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Sachwortverzeichnis Akzeptanz  162, 166 f., 292 Algorithmische Diskriminierung 66 f., 239, 241 Algorithmisierung siehe Automatisierung Algorithmus  33 ff. Annotation  64, 67, 74, 257 Automation siehe Automatisierung Automationssysteme 29, 34, 42, 47, 60 ff., 70 ff., 156 ff., 177 ff., 184 ff., 204 ff., 245 ff., 287 ff. Automatisierung  31 ff., 45, 60, 74 ff., 188 ff., 198 ff., 213 ff., 230, 234, 240 f., 248, 252, 261, 266 ff. –– Teilweise  31 f., 82, 213, 216 ff., 243 f., 266 ff. –– Vollständige  27, 31 f., 197, 213, 216, 220, 268 Beurteilungsspielräume  49, 203, 221 f., 243, 263, 270 ff., 294 Code  27, 37, 41, 43, 81, 124, 177, 202, 205, 208, 216 f., 226, 239, 283

Entscheidungsunterstützungssysteme siehe Un­ terstützungssysteme Ermessen 124 –– Automatisiertes  214 ff. Evaluierung  66, 71, 257, 295 Expertensysteme  49 ff., 70 ff., 81 Fallbasierte Entscheidungssysteme  37 ff., 60, 70 f., 75, 82, 185 ff., 231 ff., 257 ff., 290 ff. Fallvergleich  60 f., 67, 82, 223 f., 244 Finalprogramm  40, 203 ff. Gesetz zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens  262 ff. Gesetzesbindung der Verwaltung  115, 128 ff., 167, 177, 185, 195  ff., 214 ff., 243  ff., 276 ff., 291 ff. Gremien  139, 164, 246 f. Hybride Entscheidungssysteme  39, 71 ff., 82, 186 ff., 244, 258, 290 Information  36, 49 ff., 51

Daten 58 ff., 164, 190 ff., 232, 253, 257 ff., 267 ff. –– Personenbezogene  198 ff. Datenmaterial  41, 60 ff., 238, 257, 285, 295 Demokratische Verantwortung  128, 133 ff., 251, 257 ff., 267 ff., 287, 295 Design  76, 78, 258, 295 Diskriminierung siehe algorithmische Diskriminierung Effektivität  84, 117, 126 f., 135, 145, 160 ff., 229, 248, 284, 288 Effizienz  156, 160 ff., 222,281 ff. Einzelfallgerechtigkeit  75 ff., 214 ff., 244 Entscheidung  27, 68 ff., 90 ff., 111 ff., 213 ff. Entscheidungsbaum  65, 239 Entscheidungsträgerschaft  139 ff., 162, 178, 194, 216, 245 ff., 287, 291

Justizsyllogismus  37, 52 ff. Klassifizierung  65, 239, 257 f., 288 Klassifizierungsmethoden siehe Klassifizierung Konditionalprogramm  40, 202 ff., 293 Kontrolle 126 ff., 134 ff., 153 ff., 168, 176, 199 ff., 205 ff., 231 ff., 243 ff., 259 ff., 274 ff., 283 ff. Künstliche Intelligenz  25, 61 Künstliches neuronales Netz 65, 69, 238 f., 284 f. Legal Tech  50 ff., 81 Legitimation –– Autonome  156 ff. –– Demokratische  83 ff. –– Funktionelle und institutionelle  107 ff.

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Sachwortverzeichnis

–– Organisatorisch-personelle  110 ff., 136 ff., 245 ff. –– Sachlich-inhaltliche  110 ff., 114 ff., 195 ff. Legitimationskettenmodell siehe Legitimationskettentheorie Legitimationskettentheorie  110 ff., 114, 133, 150, 176 Legitimationsmodi siehe Legitimation Legitimationsniveau  87, 105, 113, 132, 151 ff., 169 ff. Legitimität  86 ff., 115, 133, 166 Lernende Systeme 62, 96, 186, 236, 242, 258 ff., 295 Letztentscheidungsrecht 143 ff., 194, 246, 287 ff. Logik –– Aussagen-  40, 81 –– Deontische  37, 59 –– Prädikaten- 59

Semantik  55, 58, 67, 77 ff., 90 Staatsgewalt  83 ff., 137 f., 146 ff., 162, 168, 178, 180 ff. Statistikbasierte Entscheidungssysteme siehe fallbasierte Entscheidungssysteme Steuerung 102 ff., 112 ff., 171, 176 ff., 190, 195, 205, 215, 231 ff., 260, 294 Steuerverwaltung 26 StModG siehe Gesetz zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens Syntax 37, 39 ff., 78 ff., 131, 188, 190 ff., 206 ff., 220 ff., 290 ff.

Machine Learning  50 ff., 61 ff., Maschinelles Lernen siehe Machine Learning Methodenlehre  34, 59, 172

Verantwortung siehe demokratische Verantwortung Verwaltungsakt  26 ff., 31 ff., 47, 81, 100 ff., 119, 167 ff., 180 ff., 201, 243 ff., 263 ff., 286, 292 ff. Verwaltungsentscheidung  45, 93, 108 f., 133, 136, 147 f., 164, 169, 177, 249, 291 Vorhersage siehe Prognose

Natürliche Sprache  82, 191, 211, 231 ff. Ontologie  54 ff., 79, 82, 211 ff., 228 Parlamentsvorbehalt  107, 196 ff., 274 Prognose  63 f., 66, 68, 70, 220, 290 Programmierer  37, 205, 246 ff., 287

Tokenisierung  64, 67 Transparenz  227, 235 ff., 244, 259 Unterstützungssysteme  214, 220 ff., 230 ff., 244, 248, 266 ff., 296

Rechtsinformatik 28 Regelbasiert  37 ff., 148 ff., 181 ff., 207, 221 ff., 242 ff., 256 ff. Regelbasierte Entscheidungssysteme  37, 41, 52, 60, 74, 181, 188, 195 ff., 207, 221 ff., 230 ff., 242 ff., 256, 290 Risikomanagementsysteme  46, 264 ff., 271 ff., 280 ff.

Wahrheitswertzuordnung  46 ff., 81, 192, 210, 220, 223, 244, 248 ff. –– Datenbankgestützte 47 –– Formularmäßige 47 –– Händische 46 Wesentlichkeitstheorie  119, 175 ff., 196 ff., 231, 237, 241, 274 f., 296 Willenszusammenhang  99 ff., 178 ff., 260, 273, 291 Wissen  39, 43, 49 ff., 228 ff., 290 Wissensakquisition  58 f., 70

Selbstlernende Systeme siehe lernende Systeme

Zurechnung  27, 88, 93 ff., 144, 180 ff., 252, 291