Demokratische Legitimation von Strafverfahren: Der Öffentlichkeitsgrundsatz gemäß § 169 GVG nach dem EMöGG [1 ed.] 9783428554706, 9783428154708

Strafrechtliche Hauptverhandlungen sind in mannigfacher Weise Thema massenmedialer Berichterstattung. Täglich hört und l

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Demokratische Legitimation von Strafverfahren: Der Öffentlichkeitsgrundsatz gemäß § 169 GVG nach dem EMöGG [1 ed.]
 9783428554706, 9783428154708

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Schriften zum Strafrecht Band 327

Demokratische Legitimation von Strafverfahren Der Öffentlichkeitsgrundsatz gemäß § 169 GVG nach dem EMöGG

Von

Katrin Wick

Duncker & Humblot · Berlin

KATRIN WICK

Demokratische Legitimation von Strafverfahren

Schriften zum Strafrecht Band 327

Demokratische Legitimation von Strafverfahren Der Öffentlichkeitsgrundsatz gemäß § 169 GVG nach dem EMöGG

Von

Katrin Wick

Duncker & Humblot · Berlin

Die Juristische Fakultät der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg hat diese Arbeit im Jahre 2017 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

D29 Alle Rechte vorbehalten © 2018 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: L101 Mediengestaltung, Fürstenwalde Druck: CPI buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany ISSN 0558-9126 ISBN 978-3-428-15470-8 (Print) ISBN 978-3-428-55470-6 (E-Book) ISBN 978-3-428-85470-7 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2017 / 2018 vom Fachbereich Rechtswissenschaften der Friedrich-Alexander-Universität ErlangenNürnberg als Dissertation angenommen. Rechtsprechung und Literaturbeiträge konnten bis April 2018 berücksichtigt werden. Herzlichen Dank gebührt an erster Stelle meinem Doktorvater und akademischen Lehrer, Herrn Professor Dr. Christoph Safferling, LL.M. (LSE), für die vielfältige Förderung während meines Studiums an der Philipps-Universität Marburg und meiner Zeit als Doktorandin. Während meiner Studienund Promotionszeit hatte er stets ein offenes Ohr für mich und stand mir uneingeschränkt mit Rat und Tat zur Seite, was ich sehr zu schätzen weiß. Ein großes Dankeschön gilt auch Herrn Professor Dr. Hans Kudlich, der das Zweitgutachten zu dieser Arbeit in phänomenal schneller Zeit anfertigte. Herrn Dr. Frank Bräutigam von der ARD-Rechtsredaktion danke ich für die gewährten praktischen Einblicke aus Sicht eines im journalistischen Bereich tätigen Juristen. Bedanken möchte ich mich zudem bei den Korrekturlesern dieser Arbeit, Herrn Nicolai Bülte und Herrn Sebastian Knell, die mir durch ihre Anregungen und Diskussionen eine wertvolle Hilfe beim Fertigstellen der Arbeit waren. Darüber hinaus möchte ich mich bei Herrn Dr. Johannes Meier und Herrn Nicolai Bülte für ihre Freundschaft, ihre Motivation und die vielen schönen gemeinsamen Abende in Marburg bedanken. Großer Dank gebührt auch meinem lieben Ehemann, Dominik Wick, für sein Verständnis in all der Zeit, in der ich mich gedanklich nur schwer vom Thema dieser Arbeit lösen konnte. Ganz herzlich bedanken möchte ich mich auch bei meinen Eltern, Conny und Bernd Wagener, für ihre unerlässliche und immerwährende Unterstützung sowie ihre stetige Motivation in allen Phasen meines Lebens. Ihnen ist diese Arbeit gewidmet. Gießen, im April 2018

Katrin Wick

Inhaltsverzeichnis 1. Kapitel Einleitung 

15

2. Kapitel

Öffentlichkeit von Strafverfahren 

17

A. Einzelne Aspekte des Öffentlichkeitsgrundsatzes im Strafverfahren . . . . 17 I. Der Kern des Öffentlichkeitsgrundsatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 1. Gang des Strafverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 a) Das Ermittlungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 aa) Der Fall Kachelmann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 bb) Der Fall Edathy . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 cc) Der Fall Tuğçe  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 dd) Reichweite der Öffentlichkeitsarbeit im Ermittlungs­ verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 ee) Berichtssachen bei medienwirksamen Ermittlungsverfahren . 31 ff) Relevanz eines ordnungsgemäß geführten Ermittlungs­ verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 gg) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 b) Das Hauptverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 c) Das Vollstreckungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 2. Die Öffentlichkeit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 a) Die sprachliche Vielfältigkeit des Begriffes „Öffentlichkeit“ – allgemeiner Sprachgebrauch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 b) Die sprachliche Vielfältigkeit des Begriffes „Öffentlichkeit“ – rechtlicher Sprachgebrauch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 aa) Der Begriff „Öffentlichkeit“ im Verfassungsrecht . . . . . . . . . 38 bb) Der Begriff „Öffentlichkeit“ im Strafprozessrecht . . . . . . . . . 38 cc) Der Begriff „Öffentlichkeit“ im Zivilprozessrecht . . . . . . . . . 39 dd) Der Begriff „Öffentlichkeit“ im materiellen Strafrecht . . . . . 40 c) Bereichsspezifische Wertungen der Öffentlichkeit . . . . . . . . . . . . 41 d) Gerichtsöffentlichkeit als Grundlage für die Voraussehbarkeit staatlichen Handelns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 e) Verfassungsnormative Erwartungen an die Öffentlichkeits­ verantwortung der Gerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42

8

Inhaltsverzeichnis aa) Gebotenheit und Reichweite der Öffentlichkeitsarbeit durch Gerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 bb) Strukturwandel der Öffentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 (1) Modelle zum Beschreiben von Öffentlichkeit . . . . . . . . . 44 (a) Das Systemtheoretische Spiegelmodell von Öffentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 (b) Diskursmodell über Öffentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . 45 (2) Öffentlichkeit als Medienöffentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . 45 (3) Begriff der Medien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 (4) Medienwirklichkeit als faktisch wirksame Wirklichkeit . 48 (5) Massenmediale Eigenrationalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 (6) Sonderrolle des öffentlich-rechtlichen Rundfunks  . . . . . 52 cc) Verhältnis zwischen Strafjustiz und Medien . . . . . . . . . . . . . 53 dd) Medialisierung des Strafverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 ee) Unterhaltungsfunktion der Medien durch Gerichtsbericht­ erstattung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 ff) Prangerwirkung durch die Medien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 (1) Prangerstrafe als Ehrenstrafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 (2) Prangerwirkung durch Kriminalberichterstattung . . . . . . 61 (3) Prangerwirkung als poena naturalis . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 gg) Etablierung von Litigation-PR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 hh) Gefahr für die richterliche Unabhängigkeit? . . . . . . . . . . . . . 70 ii) Mögliche Reaktionen der Justiz bei Gefahr einer Beeinflussung durch mediale Berichterstattung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 jj) Sonderbeziehung zwischen Justiz und Medien . . . . . . . . . . . 75 II. Information über Zeit und Ort der Hauptverhandlung . . . . . . . . . . . . . . 77 III. Zutritt zum Gerichtsgebäude . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 IV. Zutritt zum Sitzungssaal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 1. Allgemeiner Zutritt zum Sitzungssaal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 2. Zugangsrecht zum Sitzungssaal für Medienvertreter . . . . . . . . . . . . . 81 3. Beschränkungen des Zutrittsrechts zum Sitzungssaal für Medienvertreter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 4. Beschränkungen von Aufnahmen im Sitzungssaal außerhalb der Hauptverhandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 5. Zuständigkeiten für Beschränkungen des Zutrittsrechts zum Sitzungssaal für Medienvertreter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 6. Sitzplatzreservierungen für Medienvertreter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 V. Öffentlichkeitsgrundsatz während der Augenscheinseinnahme . . . . . . . . 89

B. Historische Entwicklung der Öffentlichkeit des Strafverfahrens . . . . . . . . I. Von der germanischen Zeit bis ins Mittelalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Vom Mittelalter bis zum Zeitalter des Absolutismus . . . . . . . . . . . . . . . . III. Aufklärung, Französische Revolution und Paulskirchenverfassung . . . . IV. Zeit des Nationalsozialismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

94 95 96 97 100



Inhaltsverzeichnis9 V.

Bundesrepublik Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 1. Gerichtsverfahren mit besonderer Bedeutung für den Öffentlichkeitsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 a) Auschwitz-Prozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 b) Contergan-Prozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 c) Honecker-Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 d) NSU-Prozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 aa) Akkreditierungsverfahren im Vorfeld des NSU-Prozesses  . 107 bb) Opferbezogene Öffentlichkeitsbeteiligung . . . . . . . . . . . . . . . 112 e) Loveparade-Verfahren  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 2. Einführung des § 169 S. 2 GVG a. F. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 a) Entstehungsgeschichte des § 169 S. 2 GVG a. F. . . . . . . . . . . . . . 116 aa) Entwicklung der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 bb) Meinungsstand der Berufsinteressenverbände und Gesetzgebungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 b) Verfassungsmäßigkeit des § 169 S. 2 GVG a. F. . . . . . . . . . . . . . . 124 c) Erweiterung des Schutzbereichs des § 169 S. 2 GVG a. F.? . . . . . 126 d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 3. Bedeutung des historischen Gesetzgeberwillens für das heutige Verständnis von Gerichtsöffentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 VI. Zusammenfassung der Entwicklung des Öffentlichkeitsgrundsatzes . . . 129

C. Verfassungsrechtliche Vorgaben und Funktionen des § 169 Abs. 1 S. 1 GVG n. F.  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 I. Ableitung des Öffentlichkeitsgrundsatzes aus dem Demokratieprinzip . 132 II. Ableitung des Öffentlichkeitsgrundsatzes aus dem Rechtsstaatsprinzip . 138 III. Verfahrensöffentlichkeit im System der freiheitlich demokratischen Grundordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 IV. Funktionen des Öffentlichkeitsprinzips und ihr Wandel . . . . . . . . . . . . . 142 1. Kontrollfunktion und Wahrung der richterlichen Unabhängigkeit . . . 143 2. Informationsvermittlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 3. Vertrauensbildung der Allgemeinheit in die Justiz . . . . . . . . . . . . . . . 148 4. Generalprävention  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 5. Funktionswandel des Öffentlichkeitsgrundsatzes?  . . . . . . . . . . . . . . . 151 3. Kapitel

Grenzen des Öffentlichkeitsgrundsatzes 

154

A. Beschränkungen des Öffentlichkeitsgrundsatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 I. Gesetzlich normierte Einschränkungen durch das Gerichtsverfassungsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 1. Ausschluss der Öffentlichkeit nach § 171a GVG . . . . . . . . . . . . . . . . 155 2. Ausschluss der Öffentlichkeit nach § 171b GVG . . . . . . . . . . . . . . . . 156

10

Inhaltsverzeichnis 3. Ausschluss der Öffentlichkeit nach § 172 GVG . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Verhandlungen über den Ausschluss der Öffentlichkeit; ­Schweigepflicht, § 174 GVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Ausschluss einzelner Personen, § 175 Abs. 1 GVG . . . . . . . . . . . . . . 6. Zutritt zu nicht öffentlichen Verhandlungen, § 175 Abs. 2 GVG . . . . II. Der Grundsatz der Öffentlichkeit und die Stellung der Tatopfer . . . . . . III. Einschränkungen der Öffentlichkeit durch § 257c StPO . . . . . . . . . . . . . 1. Verständigungen im Strafprozess – Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 19. März 2013 . . . . 3. Verständigungen im Strafprozess – aktuelle Rechtsprechung . . . . . . 4. Kein Verstoß gegen den Grundsatz der Öffentlichkeit . . . . . . . . . . . . IV. Der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 6 StPO . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Unzulässige Erweiterung der Öffentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verschulden durch das Gericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Reduzierung der formalen Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Verstoß gegen die Mitteilungspflicht des § 243 Abs. 4 StPO  . . . . . . 5. Bedeutung des Öffentlichkeitsgrundsatzes im Rahmen von Verständigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Fehlende Disponibilität des Öffentlichkeitsgrundsatzes und Heilungsmöglichkeiten vor Abschluss der Beweisaufnahme . . . . . . . . . . . . . . . . .

157 158 159 159 160 168 168 173 175 176 177 178 180 180 181 184 184

B. Der Öffentlichkeitsgrundsatz und die Grundrechte der Verfahrens­ beteiligten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 I. Die grundrechtlich geschützten Interessen der Verfahrensbeteiligten, insbesondere des Angeklagten aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 1. Konkretisierung des Persönlichkeitsrechts durch die Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 a) Recht auf informationelle Selbstbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . 188 b) Recht am eigenen Bild; §§ 22 f. KUG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 c) Recht auf Selbstdarstellung in der Öffentlichkeit . . . . . . . . . . . . . 196 d) Recht auf Resozialisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 2. Sphärentheorie des Bundesverfassungsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 II. Die grundrechtlich geschützten Interessen von Journalisten und ­Medienvertretern, Art. 5 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 1. Die in Art. 5 Abs. 1 GG enthaltenen Freiheitsrechte . . . . . . . . . . . . . 201 2. Die Schutzbereiche der in Art. 5 Abs. 1 GG enthaltenen Freiheiten . 202 a) Schutzbereich der Meinungsfreiheit, Art. 5 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 b) Schutzbereich der Informationsfreiheit, Art. 5 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 c) Schutzbereich der Pressefreiheit, Art. 5 Abs. 1 S. 2 Var. 1 GG  . 207 aa) Presserechtlicher Auskunftsanspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209



Inhaltsverzeichnis11 (1) Presserechtlicher Auskunftsanspruch direkt aus Art. 5 Abs. 1 S. 2 Var. 1 GG  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Beschränkungen des presserechtlichen Auskunfts­ anspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Reichweite presserechtlicher Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . d) Schutzbereich der Rundfunkfreiheit, Art. 5 Abs. 1 S. 2 Var. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Grundrechtsfunktionen des Art. 5 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . 4. Eingriff in die Schutzbereiche des Art. 5 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . 5. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Schranken i. S. v. Art. 5 Abs. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) „Allgemeine Gesetze“ i. S. v. Art. 5 Abs. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . c) § 169 GVG als allgemeines Gesetz i. S. v. Art. 5 Abs. 2 GG . . . . III. Verfassungsrechtliches Spannungsverhältnis zwischen dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht und den Meinungs-, Presse-, und Informa­ tionsfreiheiten  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

C. Die divergierenden Ziele der Verfahrensbeteiligten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Unterschiedliche Interessenlage der Beteiligten und tatsächliche Rechtskenntnis juristischer Laien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Unterschiedliches Verständnis rechtlicher und öffentlicher ­Anforderungen an ein Urteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Unterschiedliches Sprachverständnis von Juristen und juristischen Laien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Unterschiedliche Vorstellungen vom Ablauf einer Hauptverhandlung  . V. Auswirkungen auf die Akzeptanz richterlicher Entscheidungen . . . . . . .

211 212 213 213 215 216 218 219 221 223 225 228 228 229 230 231 233

4. Kapitel

Vergleichbare Regelungsmöglichkeiten 

235

A. Sonderregelung von Bild- und Tonaufnahmen in § 17a BVerfGG n. F.  . 235 I. Entwicklung der Bild- und Tonaufnahmen bis 1998 . . . . . . . . . . . . . . . . 236 1. Einstweilige Rahmenbedingungen für Pressevertreter sowie Rundfunk- und Fernsehanstalten von 1993 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 2. § 24a GO-BVerfG von 1995 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 3. Rechtmäßigkeit der Praxis des Bundesverfassungsgerichts hinsichtlich der Bild- und Tonaufnahmen bis 1998 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 II. § 17a BVerfGG a. F. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 III. § 17a BVerfGG n. F. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 B. Der I. II. III.

Öffentlichkeitsgrundsatz im internationalen Vergleich . . . . . . . . . . . . Der Grundsatz der Öffentlichkeit in Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Grundsatz der Öffentlichkeit in den USA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

241 242 243 247

12

Inhaltsverzeichnis 5. Kapitel



Das EMöGG 

248

A. Der Öffentlichkeitsgrundsatz nach dem EMöGG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 I. Antrag der SPD-Bundestagsfraktion vom 11. Juni 2013 . . . . . . . . . . . . . 249 II. Große Strafrechtskommission des Deutschen Richterbundes . . . . . . . . . 249 1. Inhaltliche Zusammenfassung des Gutachtens der Großen Strafrechtskommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 2. Ergebnisse des Gutachtens der Großen Strafrechtskommission . . . . . 254 III. Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Zeitgemäße Neufassung des § 169 GVG“  255 1. Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Zeitgemäße Neufassung des § 169 GVG“ – Zwischenbericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 a) Gutachten der Länder Baden-Württemberg und Hessen . . . . . . . . 258 b) Gutachten des Landes Nordrhein-Westfalen und des Saarlandes . 259 c) Gutachten des Landes Niedersachsen und des Freistaats Bayern . 260 d) Gutachten der Länder Schleswig-Holstein und Thüringen . . . . . . 261 e) Anhörung von Sachverständigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 f) Beschluss der 85. Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister vom 25. und 26. Juni 2014 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 2. Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Zeitgemäße Neufassung des § 169 GVG“ – Abschlussbericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 a) § 169 S. 2 GVG a. F. aus verfassungsrechtlicher Sicht . . . . . . . . . 264 b) § 169 S. 2 GVG a. F. aus journalistischer Sicht  . . . . . . . . . . . . . . 265 c) § 169 S. 2 GVG a. F. aus Sicht der Berufsverbände . . . . . . . . . . . 266 d) Ergebnis der Beratungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 IV. Referentenentwurf des EMöGG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 1. Überblick über die inhaltliche Ausgestaltung des Referenten­ entwurfs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 2. Konkrete Ausgestaltung des Referentenentwurfs . . . . . . . . . . . . . . . . 269 3. Begründung der Gesetzesänderung durch den Referentenentwurf . . . 269 a) Allgemeiner Teil der Begründung – Zielsetzung und Notwendigkeit der Regelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 b) Allgemeiner Teil der Begründung – Wesentlicher Inhalt des Entwurfs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 aa) Medienübertragung von Entscheidungsverkündungen . . . . . . 273 bb) Gerichtsinterne Übertragungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 cc) Audiovisuelle Dokumentation von Verfahren mit heraus­ ragender zeitgeschichtlicher Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 c) Besonderer Teil der Begründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 aa) Medienübertragung von Entscheidungsverkündungen . . . . . . 276 bb) Gerichtsinterne Übertragungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 cc) Audiovisuelle Dokumentation von Verfahren mit heraus­ ragender zeitgeschichtlicher Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . 278



Inhaltsverzeichnis13 V.

Stellungnahmen der Berufsinteressenverbände zum Referentenentwurf  . 279 1. Deutscher Anwaltverein e. V. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 2. Bundesrechtsanwaltskammer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 3. Deutscher Richterbund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 4. Bund Deutscher Sozialrichter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 5. Bund Deutscher Verwaltungsrichter und Verwaltungsrichterinnen  . . 286 6. Verband Privater Rundfunk und Telemedien e. V. . . . . . . . . . . . . . . . . 286 7. Justizpressekonferenz Karlsruhe e. V. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 8. Gemeinsame Stellungnahme BDZV, DJV, Deutscher Presserat, VDZ, dju in ver.di . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 9. Stellungnahme von Frank Bräutigam, ARD-Rechtsredaktion des SWR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 VI. Gutachten C zum 71. Deutschen Juristentag  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 1. Information und Zugang zur Hauptverhandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 2. Bild- und Tonaufnahmen außerhalb der Hauptverhandlung . . . . . . . . 296 3. Bild- und Tonaufnahmen innerhalb der Hauptverhandlung . . . . . . . . 297 a) Verfassungsrechtliche Rechtfertigung des § 169 S. 2 GVG a. F. . 297 b) Rechtspolitischer Änderungsbedarf  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 c) Änderungsvorschläge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 VII. Diskussionsstand und wesentliche Beschlüsse des 71. Deutschen Juristentages . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 1. Thesen der Referenten zum Gutachten C: Transparenz und Schutz der Verfahrensbeteiligten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 a) Thesen von Karsten Altenhain . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 b) Thesen von Heribert Prantl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 c) Thesen von Gerhard Strate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 2. Wesentliche Beschlüsse des 71. Deutschen Juristentages . . . . . . . . . 303 a) Beschlüsse hinsichtlich der Übertragung von Entscheidungs­ verkündungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 b) Beschlüsse hinsichtlich der Übertragung in einen Nebenraum . . . 304 c) Beschlüsse hinsichtlich Dokumentation und Transparenz der Strafjustiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304 VIII. Gesetzesentwurf des EMöGG der Bundesregierung  . . . . . . . . . . . . . . . 305 1. Konkrete Ausgestaltung des Gesetzesentwurfs . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 2. Wesentlicher Inhalt des Gesetzesentwurfs  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 a) § 169 Abs. 1 S. 3 Reg-E GVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 b) § 169 Abs. 2 Reg-E GVG  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 c) § 169 Abs. 3 Reg-E GVG  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309 d) § 169 Abs. 4 Reg-E GVG  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 3. Kosten der Gesetzesänderung des § 169 GVG a. F. . . . . . . . . . . . . . . 310 IX. Stellungnahme des Bundesrates zum Gesetzesentwurf der Bundes­ regierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 X. Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz: Beschlussempfehlung und Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314

14

Inhaltsverzeichnis 1. Stellungnahme Deutscher Richterbund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 2. Stellungnahme Frank Bräutigam . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 3. Stellungnahme Andreas Mosbacher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 4. Stellungnahme Heiner Alwart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 5. Beschlussempfehlung Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz  . 319 XI. Gesetzesbeschluss durch Bundestag und Bundesrat; Verkündung im Bundesgesetzblatt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320

B. Reaktionen auf das Reformvorhaben in der Fachliteratur . . . . . . . . . . . . I. Kritische Stimmen zur Gesetzesreform durch das EMöGG . . . . . . . . . . 1. (Ton-)Übertragung in einen Medienarbeitsraum . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Übertragung von Entscheidungsverkündungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Aufzeichnung zeitgeschichtlich bedeutsamer Verfahren zu wissenschaftlichen Zwecken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Befürworter der Gesetzesreform des § 169 GVG a. F. . . . . . . . . . . . . . . 1. (Ton-)übertragung in einen Medienarbeitsraum . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Übertragung von Entscheidungsverkündungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Aufzeichnung zeitgeschichtlich bedeutsamer Verfahren für wissenschaftliche Zwecke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

320 322 325 328

C. Eigene Bewertung des EMöGG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Tonübertragung in einen Medienarbeitsraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Übertragung der Entscheidungsverkündung des Bundesgerichtshofs . . . III. Tonaufzeichnung zeitgeschichtlich bedeutsamer Verfahren für wissenschaftliche Zwecke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

338 341 346

331 331 333 335 337

350

6. Kapitel Ergebnis 

362

A. Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 362 B. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 364 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 368 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 408

„Die wohledle Dame Justitia braucht das Licht der Öffentlichkeit. Sie soll nicht in irgendwelchen Dunkelkammern Kabinettsjustiz treiben. Sie braucht das Licht der Öffentlichkeit für ihr Leben. Aber das Licht der Jupiterlampen ist zu kraß. Durch Film und Rundfunk kann der Strafprozeß sehr leicht zum Schauprozeß gemacht werden. Schauprozesse sollten aber nicht in einer freiheitlichen, rechtsstaatlichen Ordnung ihre Heimat haben; die haben ihre Heimat in totalitären Staaten und in revolu­ tionären Zeiten.“1

1. Kapitel

Einleitung Strafrechtliche Hauptverhandlungen sind in mannigfacher Weise Thema massenmedialer Berichterstattung. Täglich hört und liest man über begangene Straftaten und Strafverfahren, in denen diese Taten rechtlich aufgearbeitet werden. Gerichtsberichterstattung fasziniert die Bevölkerung, weckt Emotionen und ruft Betroffenheit hervor. Das Interesse an Strafprozessen wächst, sobald es sich um prominente Angeklagte, um ein besonders grausames Verbrechen oder um ein Verbrechen handelt, bei dem viele Opfer zu verzeichnen sind. Sensationelle Strafprozesse rufen ein zum Teil irrationales Interesse hervor, mit dem oftmals das Verlangen nach einer Berichterstattung mittels Kameras aus dem Gerichtssaal heraus einhergeht. Dieses Verhältnis von Strafprozess und massenmedialer Berichterstattung hierüber ist ein sehr komplexes. In normativer Hinsicht ist der Strafprozess auf Öffentlichkeit angewiesen, um das Prädikat eines rechtsstaatichen Verfahrens tragen zu dürfen. In praktischer Hinsicht besteht bei einem zu extensiven Betreiben dieser Öffentlichkeit jedoch die Gefahr einer Beeinträchtigung der normativen Werte und Ziele des Strafverfahrens. Darunter fallen etwa die Findung der prozessualen Wahrheit, der Schutz der Persönlichkeitsrechte der Verfahrensbeteiligten, insbesondere der des Angeklagten, die Unvoreingenommenheit des gesetzlichen Richters sowie der Anspruch des Angeklagten auf ein faires Strafverfahren. Um diesen Schutz zu gewährleisten wurde 1964 das Verbot der Fertigung von Ton- und Fernsehrundfunkaufnahmen sowie der Ton- und Filmaufnahmen zum Zwecke der öffentlichen Vorführung aus der Gerichtsverhandlung in § 169 S. 2 GVG statuiert. Hintergrund dieser Einführung des Satz  2 in § 169 GVG war der Wandel der Normsituation aufgrund des rasanten Aufkommens der neuen Medien wie Rundfunk und Fernsehen 1  Abgeordneter Kanka, Verhandlungen des Deutsches Bundestags, 3. Wahlperiode, 128. Sitzung, 21.11.1960, Stenographische Berichte Bd. 47, S. 7411.

16

1. Kap.: Einleitung

und dem dadurch gestiegenen Schutzbedürfnis besagter Werte und Ziele des Strafverfahrens. Die Weiterentwicklung der technischen Möglichkeiten seit 1964 stellt in Anbetracht der nunmehr enormen Bedeutung von Onlinemedien, Blogs und diversen Kommunikationsplattformen einen erneuten Wandel der Normsituation dar, weshalb als logische Reaktion auf die damit einhergehenden, neuerlichen Gefahren für das rechtsstaatliche und demokratische Strafverfahren eine noch weitergehende Einschränkung der Vorschrift über den Grundsatz der Öffentlichkeit zu erwarten gewesen wäre. Im Zuge verschiedener Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zur Zulässigkeit von Fernsehund Rundfunkaufnahmen aus Gerichtssälen, der Einführung des § 17a BVerfGG sowie zuletzt der Probleme im Zusammenhang mit dem Start des NSU-Prozesses wurden allerdings Forderungen nach einer Erweiterung des in § 169 S. 2 GVG normierten absoluten Verbots laut. Im Zuge dieser Forderungen ist hinsichtlich des Umfangs sowie der unterschiedlichen Voraussetzungen eines erweiterten Verständnisses von Gerichtsöffentlichkeit zu berücksichtigen, dass in anderen Staaten ein teilweise deutlich liberalerer Umgang mit massenmedialer Gerichtsberichterstattung geführt wird. Da es vor dem zuletzt genannten Hintergrund sowie aufgrund der zahlreichen technischen Möglichkeiten eine Unmenge möglicher Herangehensweisen an die Erweiterung der Saalöffentlichkeit gibt, muss diese Thematik begrenzt werden, weshalb sich in der Arbeit am konkreten Gesetzgebungsverfahren und der in Bezug darauf vorgetragenen Kritik orientiert wird. So wird etwa auf die Möglichkeit einer vollständigen Übertragung der Hauptverhandlung nicht eingegangen, da diese zu keinem Zeitpunkt im Rahmen der Entstehung des neuen § 169 GVG thematisiert und gefordert wurde und im Übrigen auch nicht wünschenswert ist. Auch eine zeitversetzte oder ausschnittweise Übertragung der Hauptverhandlung bleibt bei der Betrachtung aus denselben Gründen außen vor. Trotz aller Einwände der Reformgegner in der auf rechtspolitisch und verfassungsrechtlich geführten Diskussion kam es jüngst mit Einführung des „Gesetzes zur Erweiterung der Medienöffentlichkeit in Gerichtsverfahren und zur Verbesserung der Kommunikationshilfen für Menschen mit Sprachund Hörbehinderungen (EMöGG)“ zu einer moderaten Lockerung der Vorschriften über den Öffentlichkeitsgrundsatz. Um diese Neuerungen auf ihre Notwendigkeit und  – da diese nunmehr Gesetz geworden sind  – auf ihre Praxistauglichkeit hin zu untersuchen, werden neben der Darstellung des Ablaufs des Gesetzgebungsverfahrens auch verstärkt die während dieses Prozesses in der juristischen Literatur vorgetragenen Argumentationslinien aufgezeigt und diese schließlich mit der beschlossenen Neufassung des § 169 GVG verglichen. Die Arbeit schließt mit einer eigenen Bewertung des EMöGG und zeigt Verbesserungsbedarf auf.

2. Kapitel

Öffentlichkeit von Strafverfahren A. Einzelne Aspekte des Öffentlichkeitsgrundsatzes im Strafverfahren Nach allgemeiner Definition gilt der Grundsatz der Öffentlichkeit einer Gerichtsverhandlung als gewahrt, wenn jedermann die Möglichkeit hat, sich ohne besondere Schwierigkeiten von Ort, Datum und Uhrzeit einer mündlichen Verhandlung Kenntnis zu verschaffen, sowie wenn der Zutritt zum Gerichtssaal gewährt wird.1 So simpel und eindeutig diese Definition beim ersten Lesen klingen mag, so umfangreicher  – wenn auch teilweise sehr einseitig und häufig nur von oberflächlicher Natur – sind die um sie geführten Diskussionen um eine Erweiterung der öffentlichen Verhandlung hin zu einer Erlaubnis für Kamerateams der Fernsehsender, während des laufenden Strafverfahrens Filmaufnahmen tätigen zu dürfen auf der einen und die Diskussionen der Befürworter der gesetzlichen Regelung des § 169 GVG  a. F.2 auf der anderen Seite. Ziel dieser Arbeit ist, wie einleitend ausgeführt, eine Untersuchung des Öffentlichkeitsgrundsatzes in Bezug auf Strafverfahren. Die Besonderheit des Strafverfahrens in Abgrenzung zu anderen Verfahrensarten liegt in der Verletzung der Gesamtheit des gemeinen Wesens durch ein von einem Mitglied dieser Gemeinschaft begangene strafbare Handlung, was für den Strafprozess und davon abgeleitet für den Grundsatz der Öffentlichkeit eine besondere Relevanz hat. Die Konsequenz dieser Feststellung ist, dass der Gegenstand des Strafverfahrens selbst schon eine unmittelbare Betroffenheit der Allgemeinheit mit sich bringt. Dies hat dann wiederum zur Folge, dass die 1  BGHSt 5, 75, 83; 21, 72, 73; 28, 341, 343; BVerfG NJW  2002, 814; MeyerGoßner/Schmitt-Schmitt, GVG, § 169, Rn. 4; Thomas/Putzo/Hüßtege, GVG, § 169, Rn. 1. 2  Inhaltlich ergeben sich durch die Einführung des EMöGG zwischen § 169 S. 1 GVG a. F. und § 169 Abs. 1 S. 1 GVG n. F. sowie § 169 S. 2 GVG a. F. und § 169 Abs. 1 S. 2 GVG n. F. keine Änderungen, da die alte Fassung des § 169 GVG wortgleich in der neuen Fassung aufgenommen wurde. Obwohl die neue Fassung noch nicht in Kraft getreten ist, wird mit ihr gearbeitet, sofern es nicht entscheidend auf diese ankommt. Der besseren Leserlichkeit halber wird auch der jeweilige Zusatz „a. F.“ bzw. „n. F.“ angehängt.

18

2. Kap.: Öffentlichkeit von Strafverfahren

allgemeine Öffentlichkeit sodann nicht lediglich eine beobachtende Rolle innehat, sondern in einer gewissen Weise ihrerseits eine durch das begangene Unrecht verletzte Einheit darstellt.3 So hat bereits Feuerbach4 in seinen Schriften die besondere Bedeutung des Kriminalunrechts gesehen, indem er in einem begangenen Verbrechen nicht bloß einen Angriff auf die Güter des Opfers, sondern überhaupt eine Rechtsverletzung gesehen hat, welche bei ihm immer das staatliche Recht als solches betrifft.5 Über die Ansicht Feuerbachs hinaus ist mit der Rechtslehre Hegels der Zusammenhang zwischen Verbrechen und Strafe sowie der jeweilige Berührungspunkt zur Rechtsallgemeinheit noch deutlicher hervorgehoben worden und wurde überdies als gedanklich notwendig angesehen.6 Dieser Zusammenhang zwischen Verbrechen und Strafe soll im Folgenden in der gebotenen Kürze dargestellt werden, um Schlüsse auf die Ausgestaltung des Strafprozesses und speziell auf den Grundsatz der Öffentlichkeit ziehen zu können:7 Nach der Ansicht Hegels8 stellt Recht das Medium allgemeiner Freiheitsrealisation, das Dasein von Freiheit, dar (§ 30 Grundlinien der Philosophie des Rechts,9 im Folgenden: „GPhR“). Hier erfolgt eine Unterteilung in interpersonale Rechts- und Gleichheitsverhältnisse, welche innerhalb der rechtlichen Gemeinschaft nach gewissen Prinzipien strukturiert werden und insgesamt auf eine allgemeine Anerkenntnis stoßen. In Gesetzesform gegossen, machte sich das so verstandene Recht nach Hegel als ein allgemeines Recht gültig, welches im jeweiligen Einzelfall durch die Gerichte Anwendung fand (§ 219 GPhR). An diesen freiheitlichen Rechtsbegriff setzt der Begriff des Unrechts und speziell der des Verbrechens unmittelbar an und definiert ein Verbrechen als die Negation des Rechts. Mit dieser Negation des Rechts als Recht sind zwei wesentliche Ebenen einer dem Verbrechen immanenten Rechtsverletzung enthalten. Zum einen handelt es sich um einen Bruch des interpersonalen Rechtsverhältnisses, das nach Hegel durch den gegenseitigen Respekt einer jeweils fremden Rechtspersönlichkeit charakteri3  Gierhake,

JZ 2013, 1030, 1035. zu Feuerbach und Gerichtsöffentlichkeit Metzger, in: FS HeintschelHeinegg (2015), S. 301 ff. 5  Feuerbach, Lehrbuch des gemeinen in Deutschland geltenden peinlichen Rechts, §§ 26, 28, 41. 6  Seelmann, JuS 1979, 687 ff.; Gierhake, JZ 2013, 1030, 1035; Köhler, Der Begriff der Strafe, passim. 7  Siehe dazu auch die umfassenden Ausführungen bei Gierhake, JZ  2013, 1030, 1035. 8  Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, S. 373. 9  Das zitierte Werk Hegels sollte ursprünglich als begleitendes Lehrbuch zu seiner Vorlesung zur Rechtsphilosophie an der Berliner Universität dienen und gilt als die zentrale Darstellung von Hegels Philosophie des objektiven Geistes. 4  Ausführlich



A. Einzelne Aspekte des Öffentlichkeitsgrundsatzes im Strafverfahren 19

siert ist (§ 36 GPhR), zum anderen liegt eine Verletzung des allgemeinen Rechts vor, resultierend in einer Anmaßung in der Form, dass man sich selbst von der allgemeinen Geltung des Rechts freispricht, was einen Widerspruch zur Rechtsgeltung überhaupt bedeutet. Eine durch ein Mitglied der Gesellschaft verübte Straftat wendet sich somit gegen die Verwirklichung des Prinzips der Freiheit. Ein Verbrechen, ein Kriminalunrecht steht einer allgemeinen Freiheitsverletzung gleich, was wiederum den Bezug zur Rechtsgemeinschaft insgesamt herstellt. Die auf begangenes Unrecht verhängte Strafe führt nach Auffassung Hegels zu einer Aufhebung des Verbrechens, das ohne eine Bestrafung sonst gelten würde (§ 99 GPhR). Zusätzlich zu diesem Aspekt der unmittelbaren Betroffenheit der Rechtsgemeinschaft durch das begangene Unrecht kommt hinzu, dass eine Geltungsrestitution nur dann erfolgreich sein kann, wenn sie an die Allgemeinheit gerichtet ist. Dies kann nur in öffentlicher Weise geschehen. Bei der Verhängung einer Strafe geht es auch um das mit dem Ausgleich des missachteten Rechts zusammenhängende Signal, dass die Rechtsgemeinschaft gegen das verwirklichte Unrecht am allgemein gültigen Recht festhält. Wesentlich dafür ist, dass die Öffentlichkeit den Prozess der Verbrechensaufklärung, der rechtlichen Würdigung durch das Gericht, sowie der Urteilsfindung verfolgen und nachvollziehen kann.10 Daher ist der Grundsatz der Öffentlichkeit für das Strafverfahren in besonderer Weise durch seinen Gegenstand gefordert, denn „die Öffentlichkeit ist hier nicht nur Zaungast, sondern in komplexer Weise Mitbetroffene.“11

I. Der Kern des Öffentlichkeitsgrundsatzes Die Öffentlichkeit des Gerichtsverfahrens ist einer der wichtigsten Prozessgrundsätze überhaupt und gleichzeitig einer der ältesten, obwohl verfassungsrechtlich nicht direkt normiert.12 Der Öffentlichkeitsgrundsatz stellt dabei die Verbindung zwischen der Allgemeinheit und der rechtsprechenden Gewalt her und ist einfachgesetzlich in § 169 GVG i. V. m. § 2 EGGVG sowie in Art. 6 Abs. 1 S. 1, 2 EMRK13 für alle Hauptverhandlungen der ordent10  Gierhake,

JZ 2013, 1030, 1035. JZ 2013, 1030, 1036. 12  BVerfGE 4, 74, 94; anders als beispielsweise in Art. 90 der Verfassung des Freistaates Bayern oder in internationalen Rechtsordnungen wie etwa in Art. 30 Abs. 3 Schweizer Bundesverfassung oder Art. 24.2 spanische Verfassung. 13  Speziell zur Öffentlichkeit des Verfahrens nach Art. 6 Abs. 1 EMRK siehe Safferling, Internationales Strafrecht, S. 567 ff.; Tubis, NJW 2010, 415 ff.; Kreicker, ZIS 2017, 85, 92; zur Entstehungsgeschichte der EMRK vgl. u. a. Wagener, MLR 2013, 83 m. w. N.; Zehetgruber, ZJS 2016, 52 f. 11  Gierhake,

20

2. Kap.: Öffentlichkeit von Strafverfahren

lichen Gerichtsbarkeit gewährleistet;14 überdies findet er sich in Art. 14 Abs. 1 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte (im Folgenden: „IPBPR“)15 wieder, der ebenfalls als einfaches Bundesrecht unmittelbare Geltung beansprucht.16 Er wurde maßgeblich geprägt durch Cesare Beccaria,17 der als einer der bedeutendsten Anreger der Aufklärung auf diesem Gebiet gilt und für die Einführung öffentlicher Gerichtsverfahren plädierte: „Wer kann sich gegen eine Verleumdung verteidigen, wenn diese mit dem stärksten Schild der Tyrannei, dem Geheimnis, gerüstet ist.“18

Beccaria forderte, die zur damaligen Zeit nicht zugänglichen Inquisitionsprozesse mittels der Zugänglichkeit für die Bevölkerung entsprechend einer Kontrolle durch die Allgemeinheit zu unterwerfen. Die auch aus der Souveränität des Volkes abgeleitete Öffentlichkeit der Verhandlung wurde als unabdingbare Garantie für ein objektives und rechtmäßig geführtes Verfahren gesehen.19 Diese hohe Relevanz des Öffentlichkeitsprinzips hat nicht nur bis in die heutige Zeit überlebt, sondern prägt den Strafprozess sogar maßgeblich. Zudem lässt sich anhand der systematischen Stellung des § 169 GVG am Anfang des vierzehnten Abschnitts des Gerichtsverfassungsgesetzes dessen proklamatorische Funktion erkennen. Ferner spricht § 173 Abs. 1  GVG von der öffentlichen Urteilsverkündung, und § 174 Abs. 1 GVG normiert das grundsätzlich öffentliche Indizverfahren, woraus sich der Grundsatz der Öffentlichkeit unabhängig von der ausdrücklichen Regelung des § 169 Abs. 1 S. 1 GVG  n. F. ableiten lässt, da selbst bei Ausschluss der Öffentlichkeit während der Verhandlung die Urteilsverkündung „in jedem Falle öffentlich“ zu erfolgen hat, § 173 Abs. 1 GVG.20 Eine gesetzliche Ausnahme der unmittelbaren Öffentlichkeit gerichtlicher Strafverfahren findet sich in § 247a  StPO, wonach bei dringender Gefahr 14  Kudlich,

JA 2000, 970, 971. Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 19.11.1966, BGBl. II 1973, S. 1534. 16  Löwe/Rosenberg/Wickern, Bd. 10, StPO/GVG, Vor § 169, Rn. 7; Kreicker, ZIS 2017, 85, 92. 17  Neben Beccaria kamen wesentliche Impulse zur strafrechtlichen Aufklärung von Montesquieu, Voltaire, Rousseau, Pagano und Filangieri, vgl. Vormbaum, Einführung in die moderne Strafrechtsgeschichte, S. 27; Schlosser, Neuere Europ. Rechtsgeschichte, S. 182, Rn. 72 ff.; Hohmann, Jura 1991, 121. 18  Beccaria, Von den Verbrechen und von den Strafen, S. 114; ders., Über Verbrechen und Strafen, S. 80; zitiert nach: Naucke, Beccaria, Strafrechtskritiker und Strafrechtsverstärker, S. X.; vgl. auch Alff, Zur Einführung in Beccarias Leben und Denken, S. 20. 19  Laue, Öffentlichkeit, S. 135, 137. 20  Britz, Fernsehaufnahmen im Gerichtssaal, S. 80. 15  Internationaler



A. Einzelne Aspekte des Öffentlichkeitsgrundsatzes im Strafverfahren 21

eines schwerwiegenden Nachteils für das Wohl eines Zeugen dessen Vernehmung an einem anderen Ort als dem Sitzungssaal erfolgen kann. Diese Vernehmung ist zeitgleich in Wort und Bild in das Sitzungszimmer zu übertragen und kann aufgezeichnet werden, sofern der Zeuge in einer weiteren Hauptverhandlung nicht vernommen werden kann und die Aufzeichnung zur Erforschung der Wahrheit erforderlich ist. 1. Gang des Strafverfahrens Das Strafverfahren wird in verschiedene Abschnitte untergliedert. Es beginnt mit dem Ermittlungsverfahren, welches bei Vorliegen des hinreichenden Tatverdachts in das Zwischenverfahren mündet. Dem Zwischenverfahren folgt das Hauptverfahren, an welches sich bei einer Verurteilung das Vollstreckungsverfahren anschließt.21 Fraglich ist nun, zu welchem Zeitpunkt des Strafverfahrens der Grundsatz der Öffentlichkeit gilt und was mit Verhandlung vor dem erkennenden Gericht im Sinne des § 169 Abs. 1 S. 1 GVG n. F. gemeint ist. a) Das Ermittlungsverfahren Hinsichtlich des Ermittlungsverfahrens gilt die Besonderheit, dass dem historischen Gesetzgeber von 1877 dieser Verfahrensabschnitt, der heute in den §§ 151–177 StPO geregelt ist, noch unbekannt war und lediglich als ein vorbereitendes Verfahren verstanden wurde. Dadurch erklärt sich die dem Ermittlungsverfahren zugeschriebene untergeordnete Rolle zu damaliger Zeit im Vergleich zum Hauptverfahren. Deutlich wird dies insbesondere durch die damals nur marginale Bedeutung der Rechte des Beschuldigten in diesem Verfahrensabschnitt (etwa die Belehrung, das Recht auf Hinzuziehung eines Verteidigers, Akteneinsicht u.s.w.) im Vergleich zur gegenwärtigen Rechtslage in Deutschland.22 Im Rahmen der Einführung der Öffentlichkeitsmaxime durch den historischen Gesetzgeber war umstritten, ob auch die Ermittlungstätigkeiten öffentlich geführt werden sollen. Insbesondere wurde von Feuerbach23 die Ausgestaltung des Ermittlungsverfahrens als der Allgemeinheit zugänglich mit dem Argument gefordert, dass einmal zugefügte Qualen nicht mehr rückgängig 21  Kühne, Strafprozessrecht, S. 2 ff.; Kindhäuser, Strafprozessrecht, S. 39 ff.; Kramer, Strafverfahrensrecht, S. 257, 269 ff.; Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, S. 26. 22  Fischer, Medienöffentlichkeit im Ermittlungsverfahren, S. 51; Kettner, Ermittlungsverfahren, S. 5. 23  Feuerbach, Heidelberger Jahrbücher der Literatur (Nr. 11) 1822, S. 171 f.

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2. Kap.: Öffentlichkeit von Strafverfahren

gemacht werden könnten und der Beschuldigte gerade in diesem Verfahrensabschnitt eines großen Schutzes vor der Obrigkeit bedürfe.24 So wurde im Jahr 1873 während des 11. Deutschen Juristentags die Erweiterung des Geltungsbereichs des Öffentlichkeitsgrundsatzes auch für das vorläufige Verfahren beschlossen, konnte sich aber  – wie die geschichtliche Entwicklung erkennen lässt – nie behaupten.25 Der Grundsatz der nicht-öffentlichen Ermittlungen schlug sich sodann auch in der Verabschiedung der Reichsjustizgesetze nieder. Aufgrund der strikten Regelung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes und durch ein weitgehendes Verbot der Reproduktion von Ergebnissen des geheimen Ermittlungsverfahrens im Hauptverfahren sollte jedoch sichergestellt werden, dass die Entscheidungsfindung des Gerichts weitgehend öffentlicher Kontrolle unterlag. Zu diesem Zeitpunkt existierte historisch noch das Bewusstsein, dass die Funktionsfähigkeit öffentlicher Kontrolle ganz wesentlich vom Gegenstand der Öffentlichkeit abhängt. Dieses Verständnis hat sich in der Folgezeit gewandelt, das Negativbeispiel des öffentlichen endlichen Rechtstags, der die Ergebnisse des geheimen und formlosen Ermittlungsverfahrens im Urteil besiegelte, gerieten ebenso wie die öffentlichen Schauprozesse26 in Vergessenheit.27 Das im geheimen geführte Ermittlungsverfahren ist bis in die heutige Zeit Gesetz,28 was durch das Bundesverfassungsgericht 198329 bestätigt wurde. Als Grund dafür wird primär die Gewährleistung der Unbefangenheit der am jeweiligen (Ermittlungs-)Verfahren beteiligten Personen neben dem mittelbaren Schutz der Interessen des Beschuldigten gesehen,30 weshalb das Ermittlungsverfahren ein in den „Akten geführtes Verfahren“ darstellt.31 Das Ermittlungsverfahren beginnt, wenn die Staatsanwaltschaft zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Straftat hat, den sogenannten 24  Fischer, Medienöffentlichkeit im Ermittlungsverfahren, S. 52; Neuling, Inquisition durch Information, S. 110. 25  Alber, Öffentlichkeit, S. 150. 26  Ausführlich Heger, in: FS Beulke (2015), S. 759, 762 f. 27  SK-StPO/Velten, GVG, Vor § 169, Rn. 4. 28  Die Nichtöffentlichkeit des Ermittlungsverfahrens ergibt sich außerdem aus den §§ 147, 406e, 475 StPO, die die Möglichkeit der Einsichtnahme in die Ermittlungsakten von bestimmten Voraussetzungen abhängig machen und dieses auf bestimmte Personengruppen limitieren. Ausführlich dazu und zu einem möglichen Wandel des Ermittlungsverfahrens im heutigen Zeitalter Fischer, Medienöffentlichkeit im Ermittlungsverfahren, S. 54 ff. m. w. N.; siehe auch die Ausführungen von Altenhain, Öffentlichkeit im Strafverfahren, S. C10 ff. m. w. N. 29  BVerfG, NJW 1984, 1451 ff. 30  OLG Braunschweig, NJW 1975, 651 ff.; ausführlich Fischer, Medienöffentlichkeit im Ermittlungsverfahren, S. 53. 31  Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 39, Rn. 29; Franke, NJW  2016, 2618.



A. Einzelne Aspekte des Öffentlichkeitsgrundsatzes im Strafverfahren 23

Anfangsverdacht nach § 152 Abs. 2 StPO, und es endet mit einer Abschlussverfügung der Staatsanwaltschaft, in der sie entweder öffentliche Klage durch Einreichen einer Anklageschrift beim zuständigen Gericht erhebt mit dem Antrag, das Hauptverfahren zu eröffnen, § 170 Abs. 1 StPO, oder die Ermittlungen und somit das Verfahren einstellt, § 170 Abs. 2 StPO. Dennoch haben die Staatsanwaltschaften  – wie viele andere Behörden  – Pressestellen,32 die über laufende Ermittlungsverfahren nach dem jeweiligen Landespressegesetz33 die Medien unterrichten müssen, wenn an dem Ermittlungsverfahren ein öffentliches Informationsinteresse besteht.34 Abgewogen werden, im Sinne der Bildung einer praktischen Konkordanz,35 muss hier zwischen dem aus Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG abgeleiteten Informationsanspruch der Medien und dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Beschuldigten aus Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG, wobei der Staatsanwaltschaft hinsichtlich Ob und Wie der Presseerklärung eine Einschätzungsprärogative36 zukommt. Schwierig ist die Abwägung beider Grundrechte immer dann, wenn der Beschuldigte aufgrund der Erklärung der Pressestelle identifiziert werden kann, selbst wenn sein Name durch den jeweiligen Pressesprecher nicht explizit genannt wird.37 Dies führt in vielen Fällen zu einer Stigmatisierung des Betroffenen,38 insbesondere, wenn sich der erste Verdacht gegen ihn 32  Ausführlich zur Entstehungsgeschichte und Entwicklung von Pressestellen Wassermann, Justiz und Medien, S. 145 ff.; siehe auch Becker-Toussaint, Bedeutung der Medien, S. 43 ff. 33  Grundlage für das Deutsche Presserecht bildet das Reichsgesetz über die Presse vom 07.05.1874, RGBl.  I  1874, S. 56, welchem aufgrund der Erfahrungen aus dem Nationalsozialismus nach der Einführung des GG kein weiterer Bestand im Bundesrecht zugebilligt wurde und seither auf der Länderebene geregelt wird. Genannt seien hier etwa die Regelungen des Art. 4 BayPrG für Bayern und des § 3 HPresseG für Hessen. 34  Fischer, Medienöffentlichkeit im Ermittlungsverfahren, S. 59 ff. m. w. N.; Gounalakis, NJW 2012, 1473. 35  Dreier-Schulze-Fielitz: GG, Bd. I, Art. 2 II, Rn. 54 m. w. N.; Art. 5 I, II, Rn. 152 m. w. N. 36  Raschke, ZJS 2011, 38, 45, der auch die rechtliche Überprüfbarkeit von Presseerklärungen der Staatsanwaltschaft nach § 40 Abs. 1 VwGO (so die Ansicht des BVerwG) bzw. nach §§ 23 ff. EGGVG (so die überwiegende Meinung in der Literatur und die Rechtsprechung der ordentlichen Gerichte) erläutert. 37  Das Recht des Beschuldigten auf Anonymität geht zurück auf Neumann-Duesberg, JZ 1970, 564 ff. 38  Berichterstattung über ein laufendes Ermittlungsverfahren darf keine Vorverurteilungen enthalten, mithin nicht den Anschein erwecken, dass der Beschuldigte bereits überführt sei, vgl. nur BGHZ  143, 199, 203; OLG Celle, NJW-RR  2001, 335. Dafür ist es insbesondere wichtig, dass Tatverdächtige nicht als „Schuldige“ o. ä. bezeichnet werden dürfen, außerdem darf der zu diesem Zeitpunkt noch bestehende bloße Verdacht nicht als feststehende Tatsache erscheinen, Peters, NJW  1997, 1334, 1338; siehe auch Grave, NJW 1981, 209 ff.; Ulbrich/Frey, ZUM 2017, 31, 36.

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2. Kap.: Öffentlichkeit von Strafverfahren

nicht erhärtet und er in einem späteren Verfahren, falls überhaupt Anklage erhoben wird,39 freigesprochen wird.40 Der Grundsatz der Unschuldsvermutung,41 welcher sich aus dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG sowie der Menschenwürde nach Art. 1 Abs. 1 GG ergibt42 und in Art. 6 Abs. 2 EMRK positiv normiert ist, wird dabei von den Medienvertretern des Öfteren vergessen. Darüber hinaus wird die Unschuldsvermutung aus dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht der Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG abgeleitet, wodurch sichergestellt werden soll, dass der Beschuldigte nicht zum Gegenstand einer unzulässigen Vorverurteilung gemacht wird,43 da die Unschuldsvermutung im Ermittlungsverfahren besonders relevant ist.44 Eine solche Vorverurteilung zeigt sich insbesondere bei prominenten Beschuldigten45 sehr häufig. Mit Beginn des Ermittlungsverfahrens und dem erstmaligen Bekanntwerden eines solchen liegt ein besonderes Spotlight auf dem Verfahren und führt zu eigenen, ungeschriebenen Gesetzen, denen es ab diesem Zeitpunkt folgt. Während die Ermittlungsbehörden das Ermittlungsverfahren bei nichtprominenten Beschuldigten meistens in Ruhe und ohne mediale Einflüsse führen können, dringt das Licht der Öffentlichkeit bei Ermittlungsverfahren gegen Prominente schon viel früher in die Akten, wodurch oftmals eine enorme Drucksituation auf die Ermittlungsbehörden entsteht und diese sich für jeden unterlassenen oder begangenen Verfahrensabschnitt rechtfertigen müssen. Dabei bedeutet der Beginn von Ermittlungen gegen Prominente,46 insbesondere gegen Politiker, oftmals bereits das Ende der Karriere  – selbst 39  So im Fall des zu Unrecht verdächtigten 17-jährigen Schülers aus Emden, der zunächst wegen des Verdachts der Ermordung einer Elfjährigen in Untersuchungshaft saß, seine Unschuld aber nach wenigen Tagen bestätigt wurde. Aufgrund sehr detaillierter Informationen durch die Pressestelle hinsichtlich seiner Person wurde der zunächst Verdächtige Opfer einer medialen Hetzjagd, dazu Lehr, Der falsche Verdacht, Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 01.04.2012, online abrufbar unter http://www.faz. net/aktuell/gesellschaft/mordfall-lena-der-falsche-verdacht-11704994.html (zuletzt am 04.04.2018). 40  Kunz, in: GS Heine (2016), S. 261, 262 f. 41  Ausführlich bei Frister, Schuldprinzip, S. 89 f.; Herrmann, StraFo  2016, 89 ff.; Safferling, Vorsatz und Schuld, S. 15 f., 49 ff., 212 ff. 42  Vgl. nur BVerfGE 19, 342, 347; 22, 254, 265; 24, 336, 338. 43  Fischer, Medienöffentlichkeit im Ermittlungsverfahren, S. 202; andere verorten die Unschuldsvermutung im Verhältnismäßigkeitsprinzip oder im Schuldprinzip, vgl. Stuckenberg, Unschuldsvermutung, S. 50 ff. 44  Fröhling, Der moderne Pranger, S. 240 f. m. w. N.; Britz, jM 2017, 1 ff. 45  Für die Fälle Nadia Benaissa und Jörg Tauss ausführlich Raabe, Medienöffentlichkeit, S. 10 ff.; Bentele, Litigation-PR, S. 88 ff., 93 ff.; siehe auch Ulbrich/Frey, ZUM 2017, 31, 35 f. 46  Kreuzer, in: GS Heine (2016), S. 237, 248.



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bei einer späteren Einstellung des Ermittlungsverfahrens.47 Dieser beschriebene „Prominenten-Malus“ lässt sich nur so zugunsten der in der Öffentlichkeit stehenden Person entschärfen, indem Medienvertreter in einem ausreichenden Umfang erklären, dass ein Anfangsverdacht, der den Beginn eines Ermittlungsverfahrens markiert, gerade nicht mit einer Verurteilung gleichzusetzen ist. Und die Öffentlichkeit muss lernen, dies auch so zu verstehen.48 Dass diese Vorstellung in der Praxis oftmals nur ein Wunschdenken ist und eine mediale Vorverurteilung eine zum Teil  enorme Prangerwirkung49 aufweisen kann, zeigen die folgenden Beispiele. aa) Der Fall Kachelmann Genannt sei für eine solche mediale Vorverurteilung50 bereits während des Ermittlungsverfahrens51 exemplarisch52 der Fall des Wettermoderators Jörg Kachelmann, der wegen Vergewaltigung an seiner langjährigen Lebensgefährtin zunächst angeklagt war, dessen Strafverfahren aber schließlich mit einem Freispruch endete,53 obwohl die Indizien hinsichtlich des Vorwurfes der Vergewaltigung bei Kachelmann zunächst erdrückend erschienen. Dieser Verfahrensverlauf54 zeigt, dass selbst bei einer (scheinbar) eindeutigen Beweislage oder gar bei Vorliegen eines Geständnisses eine vorschnelle Vorverurteilung tunlichst vermieden werden muss, da der Grundsatz der Unschuldsvermutung bis zur rechtskräftigen Verurteilung aufgrund der positiven Fest-

47  Dies lässt sich anschaulich am Beispiel Christian Wulffs belegen, da die Einleitung von Ermittlungsmaßnahmen nur den Beginn der juristischen Aufarbeitung des Geschehens markieren sollte, aber gleichzeitig das Ende seiner Bundespräsidentschaft eingeläutet hat. Der Beginn eines Ermittlungsverfahrens gegen Politiker findet immer Einzug in die Öffentlichkeit, was bei Abgeordneten etwa dadurch begünstigt wird, dass das Parlament über die Aufhebung der Immunität entscheiden muss, obwohl dies  eigentlich eine Schutzfunktion des Abgeordneten darstellen soll, vgl. Tacke, DRiZ 2015, 422. 48  Tacke, DRiZ 2015, 422. 49  Dazu ausführlich in Kap. 2, A. I. 2. e) ff). 50  Gierhake, JZ  2013, 1030, 1034; Hassemer, NJW  1985, 1921 ff.; Friedrichsen/ Gerhardt, ZRP 2015, 187, 189. 51  Höcker/Dierkes/Engel, IPRB 2011, 156. 52  Weitere Fälle, in denen im laufenden Ermittlungsverfahren über Details des Tatvorwurfs berichtet wurde sowie eine ausführliche Auseinandersetzung mit der Abwägung der betroffenen Grundrechte in den jeweiligen Einzelfällen bei Gounalakis, NJW 2012, 1473, 1474 ff. 53  LG Mannheim, Urt. v. 31.05.2011, Az.: 5 KLs 404 Js 3608/10. 54  Ausführlich dargestellt bei Raabe, Medienöffentlichkeit, S. 3 ff.; Eglinski, Bildberichterstattung im 21. Jahrhundert, S. 129 ff.

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2. Kap.: Öffentlichkeit von Strafverfahren

stellung der Schuld allein durch den Richter gilt.55 In Anbetracht der aus Art. 20 Abs. 3 GG resultierenden Bindung nicht nur der Judikative, sondern auch der Exekutive und somit der Staatsanwaltschaft an Gesetz und Recht,56 hat auch diese den Grundsatz der Unschuldsvermutung (gerade im noch frühen Stadium des Ermittlungsverfahrens)57 zu beachten und zu wahren. Auch aus dem Grundsatz der Gewaltenteilung ergibt sich ein Verbot der Beihilfe (im untechnischen Sinne) zur Vorverurteilung durch gezielte Auskünfte der Staatsanwaltschaft. Die Causa Kachelmann ist deshalb von Relevanz, da bereits eine Woche nach der Verhaftung Kachelmanns das Magazin Focus präzise Ermittlungsergebnisse, die einzig aus der Ermittlungsakte selbst stammen konnten, veröffentlichte. Durch diese detaillierte Berichterstattung aufgrund der publik gewordenen Ermittlungsergebnisse der Staatsanwaltschaft58 wurde Kachelmann  – unabhängig von dem später erfolgten Freispruch  – in nicht wieder gut zu machender Weise stigmatisiert.59 Insbesondere hoben einige Medien nach der späteren Urteilsverkündung den „In-dubio-pro-reoFreispruch“60 hervor,61 um womöglich nicht gänzlich von ihrer zuvor öffentlich geäußerten Vorverurteilung Abstand nehmen zu müssen.62 Eine derartige Berichterstattung63 läuft jedoch der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung in der Form zuwider, als bei einer solchen über den Verdacht einer Straftat in einem derart frühen Verfahrensstadium, in dem weder die Hauptverhandlung eröffnet ist noch überhaupt eine Anklageschrift eingereicht wurde, eine besondere Zurückhaltung geboten ist.64 Diese Gebotenheit einer zurückhaltenden Berichterstattung ergibt sich zudem aus den §§ 243 Abs. 3 S. 1 StPO, 353d  Nr. 2 StGB, da erst in der Hauptverhandlung der Anklagesatz verlesen wird und amtliche Schriftstücke vor deren Erörterung in der öffentlichen Hauptverhandlung bzw. vor Abschluss 55  Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention, § 24, Rn. 121; Marxen, GA 1980, 365, 374; Müller, AnwBl. 2016, 656, 657. 56  Lilie, in: FS Mehle (2009), S. 359; Raschke, ZJS 2011, 38, 41. 57  Höcker/Dierkes/Engel, IPRB 2011, 156, 157. 58  Kritisch dazu Rückert, StV 2012, 378 ff. 59  Höcker/Dierkes/Engel, IPRB  2011, 156, 157 f.; siehe auch Gierhake, JZ  2013, 1030, 1034. Zu den strafrechtlichen Reaktionsmöglichkeiten auf staatsanwaltliche Litigation-PR ausführlich Bentele, Litigation-PR, S. 183 ff. 60  Klaubert, „In dubio pro Kachelmann“, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 31.05.2011, online abrufbar unter: http://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/kriminalitaet/freispruch-in-dubio-pro-kachelmann-1636482.html (zuletzt am 04.04.2018). 61  Allgemein zu diesem Problem Montenbruck, In dubio pro reo, S. 62, 90, 189; Zopfs, Der Grundsatz „in dubio pro reo“, S. 351 ff. 62  Kritisch dazu Jung, JZ 2012, 303 ff. 63  Bentele, Litigation-PR, S. 96 f. 64  BVerfG, ZUM 2009, 216 ff.



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des Verfahrens nicht wortwörtlich weitergegeben und veröffentlicht werden dürfen. Bei einer dennoch erfolgten detaillierten Weitergabe von Ermittlungsergebnissen aus der Ermittlungsakte liegt eine Verletzung der durch Art. 103 Abs. 1 GG, Art. 6 Abs. 2 EMRK garantierten Unschuldsvermutung vor.65 Der Bundesgerichtshof steht in Bezug auf diese Problematik zwar auf dem Standpunkt, dass das Informationsinteresse der Allgemeinheit durch die prominente Stellung des Beschuldigten erhöht werde und ein gestiegenes Informationsinteresse an dessen Alltagsleben begründen könne, selbst wenn sich dessen Verhalten weder in skandalöser noch in rechtlich oder sittlich zu beanstandender Weise äußert.66 Es ist jedoch nur schwerlich nachvollziehbar, auf welche Tatsachengrundlagen der Bundesgerichtshof diese Annahme gründet.67 Die Behauptung, dass wegen der Prominenz einer Person dessen Verhalten68 die Belange der Gesellschaft noch stärker tangiere, wenn der Vorwurf der Begehung einer Straftat im Raum steht, als dies bei einer zuvor nicht in der Öffentlichkeit stehenden Person der Fall ist, ist nicht plausibel dargelegt worden und vermag nicht zu überzeugen. bb) Der Fall Edathy Lehrreich ist in diesem Zusammenhang auch der Fall des ehemaligen Bundestagsabgeordneten Sebastian Edathy. Nachweislich hatte sich Edathy über einen kanadischen Anbieter, der auch kinderpornographisches Material vertrieb, 31 Bilder und Filme nackter Jungen zwischen neun und 14 Jahren liefern lassen. Wie Presseberichten unter Berufung auf das Bundeskriminalamt zu entnehmen war, handelte es sich nach dem damaligen Kenntnisstand der Ermittler – und dieser soll Grundlage der nachfolgenden, prinzipiellen Überlegungen zum Anfangsverdacht sein69 – bei den Bestellungen Edathys jedoch um ausnahmslos legale Filme, die vom Straftatbestand des § 184b StGB nicht erfasst waren.70 Gleichwohl wurde durch die Staatsanwaltschaft Han65  Höcker/Dierkes/Engel, IPRB  2011, 156, 157 m. w. N.; Bentele, Litigation-PR, S. 156 ff. 66  BGH, NJW 2013, 1681 mit Verweis auf BVerfGE 120, 180, 203 f. 67  So auch Müller, AnwBl. 2016, 656, 657. 68  Zur Problematik eines Angeklagten Prominenten siehe Meinecke, Prominentenstrafrecht, passim. 69  Da die Staatsanwaltschaft keine zusätzlichen Gründe für die Einleitung ihrer Ermittlungen genannt hat, ist von einem Anfangsverdacht auf Basis ausschließlich legaler Bilder auszugehen, vgl. ausführlich Hoven, NStZ 2014, 361. 70  Hoven, NStZ 2014, 361; Schulz, Kriminalberichterstattung und Stigmatisierung, S. 67 f.

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nover ein Ermittlungsverfahren gegen Edathy eingeleitet und in der Folge ein Durchsuchungsbeschluss für dessen Privatwohnung erwirkt. Medienberichten71 zufolge schloss die Staatsanwaltschaft aus dem Erwerb der pornographischen Filme auf eine pädophile Neigung des damaligen Bundestagsabgeordneten.72 Unter Berufung auf „kriminalistischer Erfahrung“ sei davon auszugehen, dass ein Besteller derartiger Filme auch illegales Material besitze. Daraufhin erhob Edathy Verfassungsbeschwerde73 gegen Durchsuchung und Dienstaufsichtsbeschwerde gegen den Behördenleiter. In einem Schreiben an das Justizministerium in Hannover kritisiert sein Anwalt die Einleitung des Strafverfahrens als Verletzung der Persönlichkeitsrechte Edathys mit den Worten: „aus einem legalen Verhalten kann auch nicht auf ein illegales geschlossen werden“.74 Mit Veröffentlichung des Verdachts einer Straftat75 greifen Justiz und Medien in das Persönlichkeitsrecht des Beschuldigten ein.76 Der Eingriff in dieses Grundrecht wiegt schon an sich schwer, denn es muss für den Betroffenen bis zum rechtskräftigen Abschluss des gerichtlichen Verfahrens die Unschuldsvermutung gelten. Er darf deshalb nicht an den „Medienpranger“ gestellt werden.77 Pressemitteilungen der Staatsanwaltschaft, die nach ihrer objektiven Zielrichtung nicht (nur) der Öffentlichkeitsinformation dienen, sondern etwa zum Zwecke einer prozesstaktischen „Stimmungsmache“ oder als Druckmittel eingesetzt werden sollen, mangelt es danach an einer Legitimation. Dies gilt in besonderer Weise für öffentliche Erklärungen, mit denen die Staatsanwaltschaft ganz intentional oder billigend eine Prangerwirkung78 erzeugen will (sogenannte „gezielte Öffentlichkeit“) und auf diese Weise eine anklageersetzende oder -ergänzende „Bestrafung“ des Verdächtigen zu erreichen versucht, wie dies zuletzt im hier beschriebenen Fall Edathy geschehen ist.79 Die dort erfolgte öffentliche Preisgabe von nicht strafbarem 71  Zu den Konsequenzen für das Verhalten der Medien am Fallbeispiel Edathy siehe Ulbrich/Frey, ZUM 2017, 31, 37 f. 72  Dazu auch Schulz, Kriminalberichterstattung und Stigmatisierung, S. 55 ff. 73  BVerfG, NJW 2014, 3085, 3086. 74  Hoven, NStZ 2014, 361 m. w. N. 75  Zur Verdachtsberichterstattung siehe etwa Müller, NJW 2007, 1617 ff.; Rinsche, AfP 2013, 1, 4; Oetzel, Berichterstattung über Straftaten, S. 35, 37. 76  Kreuzer, in: GS Heine (2016), S. 237, 248. 77  Gounalakis, NJW 2016, 737, 741. 78  Im Fall Christopher Jahns  – dem Präsidenten der European Business School (EBS), gegen den Anklage wegen Untreue nach § 266 Abs. 1 StGB erhoben wurde – stufte das LG Wiesbaden gleich ein ganzes Bündel von Äußerungen der Staatsanwaltschaft gegenüber der Presse als unzulässige Vorverurteilung ein, vgl. LG Wiesbaden, NJW 2015, 2975, 2979; dazu Huff, NJW 2015, 1985. 79  MüKo-StPO/Kölbl, § 160, Rn. 46.



A. Einzelne Aspekte des Öffentlichkeitsgrundsatzes im Strafverfahren 29

Sexualverhalten des Beschuldigten war, da den abwägungsresistenten Intimbereich betreffend, klar unzulässig.80 cc) Der Fall Tuğçe Ein weiteres Negativbeispiel massenmedialer Berichterstattung bereits während des Ermittlungsverfahrens ist der Fall  Tuğçe. Am 15.  November 2014 schlug der 18 Jahre alte Sanel M. auf einem Parkplatz in Offenbach der türkischstämmigen Tuğçe A. nach einer Auseinandersetzung ins Gesicht. Tuğçe kippte um, schlug mit dem Kopf auf dem Boden auf und wurde bewusstlos. Durch den Aufprall erlitt sie ein Schädelhirntrauma sowie Brüche des Schädelknochens und fiel ins Koma. Eine Überwachungskamera zeichnete das Tatgeschehen auf, der Verdächtige gestand später bei der Befragung durch die Polizei, zugeschlagen zu haben. Sanel M. wurde wegen Körperverletzung mit Todesfolge angeklagt und schließlich in dem späteren Strafverfahren vor dem Landgericht Darmstadt zu einer Jugendstrafe von drei Jahren verurteilt. In der Urteilsbegründung beklagte jedoch der Vorsitzende Richter Aßling, dass sämtliche Zeugenaussagen aufgrund der extensiven und bewusst gegen den damals nur Beschuldigten Sanel M. geführten massenmedialen Berichterstattung „vergiftet“ gewesen seien. Die damaligen Begleiterinnen von Tuğçe hatten ihre Aussagen wohl abgesprochen, die Freunde von Sanel M. hätten viel Unsinn erzählt. Alle seien beeinflusst gewesen von besagtem Überwachungsvideo,81 das unmittelbar nach der Tat und somit während des Ermittlungsverfahrens an die Öffentlichkeit gelangt war und sich über das Internet rasend schnell verbreitete.82 dd) Reichweite der Öffentlichkeitsarbeit im Ermittlungsverfahren Die Ermittlungsbehörden sind verpflichtet, den Medienvertretern auf Anfrage unter Wahrung der Rechte des Beschuldigten Auskunft über das Ermittlungsverfahren zu geben.83 Dieser Aufgabe kommen die Staatsanwaltschaften 80  Fischer,

Medienöffentlichkeit im Ermittlungsverfahren, S. 224 ff. Video ist noch immer über den youtube-Kanal der „BILD-Reporter“ abrufbar: https://www.youtube.com/watch?v=4myNojg03F8 (zuletzt am 04.04.2018). 82  Kelnberger, „Vergiftete Zeugenaussagen“, in: Süddeutsche Zeitung v. 16.06. 2015, online abrufbar unter: http://www.sueddeutsche.de/panorama/urteilsbegruen dung-im-fall-tue-vergiftete-zeugenaussagen-1.2524002 (zuletzt am 04.04.2018); siehe auch Kreuzer, in: GS Heine (2016), S. 237, 248. 83  A. A. Kühne zur Pressestelle der Staatsanwaltschaft: „Hier werden Informationen über Verfahrensbeteiligte der Presse, und damit der Öffentlichkeit, zugänglich gemacht. Die Praxis dieser Arbeit, bei der in der Regel bei jedem Aufsehen erregenden Fall – wie auch immer dies definiert wird – Beschuldigte und Tatvorwurf preis81  Das

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2. Kap.: Öffentlichkeit von Strafverfahren

regelmäßig durch den Einsatz von Pressesprechern84 nach, die Informationen über den konkreten Tatvorwurf oder andere äußere Umstände bekannt geben.85 Unbedingt zu berücksichtigen ist dabei das Neutralitätsgebot, ausweislich dessen sachlich und zurückhaltend und nur über objektive Umstände informiert werden darf.86 Neben der Einschränkung der Öffentlichkeitsarbeit der Ermittlungsbehörden aufgrund der zu wahrenden Persönlichkeitsrechte der Verfahrensbeteiligten87 gilt es auch diejenigen rechtlichen und faktischen Grenzen justizieller Öffentlichkeitsarbeit88 auszuloten, die nicht auf den Individualrechten Betroffener beruhen. Zu denken ist an dieser Stelle an die Vorschriften der Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren (im Folgenden: „RiStBV“), welche zwar kein formelles Recht, sondern lediglich Verwaltungsvorschriften und damit bloße Handlungsanweisungen und vornehmlich für die Staatsanwaltschaft bestimmt sind.89 Nach Nr. 23 Abs. 1 RiStBV ist im Zuge der Unterrichtung der Öffentlichkeit mit Presse, Hörfunk und Fernsehen unter Berücksichtigung ihrer besonderen Aufgaben und ihrer Bedeutung für die öffentliche Meinungsbildung zusammenzuarbeiten. Diese Unterrichtung darf weder den Untersuchungszweck gefährden noch dem Ergebnis der Hauptverhandlung vorgreifen; der Anspruch des Beschuldigten auf ein faires Verfahren darf nicht beeinträchtigt werden. Auch ist im Einzelfall zu prüfen, ob das Interesse der Öffentlichkeit an einer vollständigen Berichterstattung90 gegenüber den Persönlichkeitsrechten des Beschuldigten oder anderer Beteiligter, insbesondere auch des Verletzgegeben werden, ist jedoch in weitem Maße rechtswidrig. Weder die RiStBV noch presserechtliche Bestimmungen rechtfertigen die Verletzung von § 203 Abs. 2 Nr. 1 StGB.“, vgl. ders., Strafprozessrecht, S. 99. 84  Entscheidend für den nunmehr wohl „flächendeckenden“ Einsatz von Pressesprechern gilt die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Jahr  1997 (BVerwG, NJW 1997, 2694 ff.), in der auf die grundrechtliche Gebotenheit justizieller Öffentlichkeitsarbeit erkannt wurde. Diese folge aus dem Rechtsstaatsprinzip, dem Demokratieprinzip, der Justizgewährungspflicht und dem Grundsatz der Gewaltenteilung. Daraus resultiere die Pflicht der Gerichte zur Veröffentlichung von Gerichtsentscheidungen sowie die allgemeine Gebotenheit einer Öffentlichkeitsarbeit durch die Gerichte. 85  Kühne, Strafprozessrecht, S. 99; Becker-Toussaint, Bedeutung der Medien, S. 43. 86  Meinecke, Prominentenstrafrecht, S. 286 f.; ähnlich Becker-Toussaint, Bedeutung der Medien, S. 43, 56. 87  Kreuzer, in: GS Heine (2016), S. 237, 248. 88  Dazu Conrad/Brost, StraFo 2018, 45 ff. 89  BeckOK StPO/Graf, RiStBV, Einf., Rn. 8. 90  Dabei ist die Veröffentlichung von Bildern sehr restriktiv zu handhaben. Eine Veröffentlichung von Bildern, auf denen der Beschuldigte zu sehen ist, kommt grundsätzlich nicht in Betracht, Graf/Gertler, RiStBV, Nr. 23, Rn. 41.



A. Einzelne Aspekte des Öffentlichkeitsgrundsatzes im Strafverfahren 31

ten, überwiegt. Eine unnötige Bloßstellung91 dieser Person ist zu vermeiden. Dem allgemeinen Informationsinteresse der Öffentlichkeit wird in der Regel ohne Namensnennung92 entsprochen werden können. Zu diesem Ergebnis kam kürzlich auch der VGH Mannheim,93 der in seiner Entscheidung betonte, dass die Nennung des Namens durch die Staatsanwaltschaft grundsätzlich nur in Fällen schwerer Krimininalität oder bei Straftaten, die die Öffentlichkeit in besonderer Art betreffen, erfolgen darf.94 Nach Nr. 23 Abs. 2 RiStBV darf über die Anklageerhebung sowie Einzelheiten der Anklage die Öffentlichkeit grundsätzlich erst unterrichtet werden, nachdem die Anklageschrift dem Beschuldigten zugestellt oder sonst bekanntgemacht worden ist. ee) Berichtssachen bei medienwirksamen Ermittlungsverfahren Bei Ermittlungsverfahren etwa gegen prominente Persönlichkeiten kann das Medieninteresse an dem jeweiligen Verfahren solche Ausmaße annehmen, dass es zu einer Behinderung der regulären Arbeit der Ermittlungsbehörden kommt. In solchen Verfahren wird mitunter die Erteilung von Auskünften gegenüber der Presse dem einzelnen Dezernenten durch die Generalstaatsanwaltschaft untersagt und formelle Presseerklärungen ausschließlich durch diese erteilt.95 Zudem regeln spezielle landesrechtliche Normen die Berichtspflichten der Staatsanwaltschaften. Beispielsweise gilt als „Schlüssel zum Weisungsrecht“96 für Hessen97 die Anordnung über Berichtspflichten in Strafsachen und Bußgeldsachen, für Bayern98 gelten die Berichtspflichten in  Strafsachen. Durch die dort normierten Berichtspflichten werden der ­Generalstaatsanwalt und der Justizminister auf dem Laufenden gehalten, die sodann ihr Weisungsrecht99 ausüben können. Dieses Weisungs91  Zudem müssen bestimmte Arten von Informationen wie etwa die Nennung der Herkunft oder des ethnischen Hintergrunds eines Beteiligten nicht in der Weise erfolgen, die geeignet ist, eine Stigmatisierung gewisser Volksgruppen vorzunehmen, sofern diese Informationen objektiv nicht erforderlich sind, Graf/Gertler, RiStBV, Nr. 23, Rn. 30. 92  Je exponierter ein Verfahrensbeteiligter in der Öffentlichkeit ist, desto eher dürfen personenbezogene Daten, insbesondere hinsichtlich seines Namens, veröffentlicht werden, Graf/Gertler, RiStBV, Nr. 23, Rn. 15. 93  VGH Mannheim, NJW 2018, 90 ff. 94  Conrad/Brost, StraFo 2018, 45, 46; dazu auch Rodenbeck, StV 2018, 255 f. 95  Becker-Toussaint, Die Bedeutung der Medien, S. 43, 54. 96  Lanzenauer, DRiZ 1991, 133. 97  JMBl. Hessen 2016, S. 425. 98  JMBl. Bayern 2008, S. 2. 99  Rechtfertigung findet das Weisungsrecht allgemein in der Kontrolle des Staatsanwalts insbesondere im Hinblick auf dessen Einstellungsentscheidung, die nicht

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2. Kap.: Öffentlichkeit von Strafverfahren

recht (§§ 145 f.  GVG) wird vor dem Hintergrund des Legalitätsprinzips kritisch betrachtet, da der Justizminister extern ein Ermittlungsverfahren beeinflussen kann.100 Gerade bei Ermittlungsverfahren gegen Prominente ist nicht auszuschließen, dass eine solche Verfahrensentscheidung vor dem Hintergrund einer politischen Motivation getroffen werden könnte: Es bestehen zum einen die regelmäßigen Berichtspflichten an Generalstaatsanwaltschaft und Justizministerium, zum anderen besteht häufig ein derartiges Medien­ interesse, sodass Generalstaatsanwaltschaft und Justizministerium zu erteilten Weisungen Stellung zu nehmen haben. Die Massenmedien können auf diese Weise ihre elementar wichtige Funktion einer Kontrolle der Machtausübung ausüben, welche ihre extensiven, verfassungsrechtlich normierten Freiheiten jedenfalls ein Stück weit legitimiert.101 ff) Relevanz eines ordnungsgemäß geführten Ermittlungsverfahrens Die aufgeführten Beispiele zeugen von der großen Relevanz eines ordnungsgemäß geführten Ermittlungsverfahrens durch die Ermittlungsbehörden und erfordern – auch oder gerade wenn es um prominente Betroffene geht – eine zurückhaltende und professionelle Zusammenarbeit102 mit den Medien. Einmal (ob versehentlich oder mit voller Absicht) herausgegebene Ermittlungsergebnisse oder eine bewusste diffamierende Aussage durch einen Angehörigen der Ermittlungsbehörden können zu einem unwiderruflichen Reputationsverlust103 aufgrund der oftmals vorhandenen medialen Prangerwirkung104 und letztlich zu Stigmatisierungen105 bei dem Betroffenen bis hin zum Verlust der Arbeitsstelle (wie die Beispiele Kachelmann und Edathy zeigen) und gesellschaftlicher Ausgrenzung führen.106 Ein einmal in die Welt gesetzter Tatverdacht wird durch die Bevölkerung, oftmals unterstützt durch korrigiert werden kann, vgl. Gössel, GA 1980, 325 ff.; Sträter, DRiZ 1965, 60; Kühne, Strafprozessrecht, S. 109; Hüls, Polizeiliche und staatsanwaltliche Ermittlungstätigkeit, S. 173 ff. 100  Meinecke, Prominentenstrafrecht, S. 290 f. 101  Meinecke, Prominentenstrafrecht, S. 291 m. w. N. 102  Keil, Verdachtsberichterstattung, S. 284 ff.; Schulz, Kriminalberichterstattung und Stigmatisierung, S. 48. 103  Allgemein dazu Conrad/Brost, StraFo 2018, 45 ff. 104  Ausführlich unter Kap. 2, A. I. 2. e) ff). 105  Zur Stigmatisierung von „Abweichlern“ als ein „menschliches Urbedürfnis“ im „System der Gesellschaft“ siehe auch Schulz, Kriminalberichterstattung und Stigmatisierung, S. 53. 106  Bei Verstößen gegen den Grundsatz der restriktiven Berichterstattung ist Rechtsschutz über den Verwaltungsrechtsweg möglich, vgl. dazu aktuell die Entscheidung des BGH, BeckRS 2017, 120643.



A. Einzelne Aspekte des Öffentlichkeitsgrundsatzes im Strafverfahren 33

die konkrete Form der massenmedialen Berichterstattung, häufig als ein Schuldspruch verstanden.107 Es nicht ausgeschlossen, dass eine mediale Vorverurteilung108 und ihre Folgen während des Ermittlungsverfahrens bis in das Hauptverfahren fortwirken und sich Medien und Gesellschaft mit Erhebung der öffentlichen Anklage in ihrem „Rechtsgefühl“ nur bestätigt fühlen, frei nach dem Motto: „Ich habe ja gleich gesagt, der hat Dreck am Stecken …“109 Dies wird auch vor dem Hintergrund der Berichterstattung über die jüngsten Ausschreitungen anlässlich des G20-Gipfels in Hamburg am 7. und 8. Juli 2017 deutlich. Die BILD-Zeitung veröffentlichte Fotos von 18 Personen und schrieb diese „in Wild-West-Manier zur Fahndung aus“. Die Fotos waren stark vergrößert und spezifische Merkmale der „gesuchten“ Personen wurden genannt. Die Lage aus strafrechtlicher Sicht („Wer kennt diese G20Verbrecher?“) schien für die BILD bereits geklärt,110 die vermeintlichen „Täter“ bereits massenmedial vorverurteilt,111 obwohl man sich erst im prozessualen Stadium des Ermittlungsverfahrens befand.

107  Mit großer Skepsis sind vor diesem Hintergrund auch die reflexartigen Äußerungen von Politikern zu betrachten, die sich häufig dann zu Wort melden, wenn ein schreckliches Verbrechen bekannt wird. Sie fordern öffentlich eine Sanktionierung des Täters im Bereich des oberen Strafrahmens der einschlägigen Norm, ohne auch nur ein Blatt der Ermittlungsakte zu kennen. Dadurch schüren sie die ohnehin latent vorhandene Neigung der Bevölkerung in Bezug auf Vorverurteilungen, weil die wissen, dass derartig populistische Äußerungen auf fruchtbaren Boden fallen, vgl. Friedrichsen, Strafjustiz und Medien, S. 75, 80. Ähnlich fielen auch die Äußerungen u. a. von Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz unmittelbar nach den bereits erwähnten Ausschreitungen im Zuge des G-20 Gipfels aus, welche mit dem ersten Urteil im Strafprozess gegen einen nicht vorbestraften Niederländer wegen Verwirklichung der §§ 113, 114, 125, 125a  StGB zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sieben Monaten, offenbar gehört wurden. Verletzt wurde durch die Tat des Niederländers niemand und sogar die Staatsanwaltschaft plädierte auf eine Freiheitsstrafe von „nur“ einem Jahr und neun Monaten, siehe dazu bspw. Müller, in: LTO  v.  01.09.2017, online abrufbar unter: https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/g20-urteil-amtsgerichthamburg-kommentar-strafzumessung-keine-verlaesslichen-kriterien/2/ (zuletzt am 04.04.2018). 108  Zu Persönlichkeitsrechtsverletzungen durch Abgabe einer amtlichen Pressemitteilung im Ermittlungsverfahren auch OVG NRW, ZUM-RD 2018, 190. 109  So auch Conrad/Brost, StraFo 2018, 45, 46. 110  Ausführlich Haberkamm, in: LTO v. 14.07.2017, online abrufbar unter: http:// www.lto.de/recht/hintergruende/h/bild-veroeffentlichung-fotos-personen-g20-ham burg-fahndungsaufruf-gewaltmonopol-persoenlichkeitsrechte/ (zuletzt am 04.04.2018). 111  So konstatiert auch Hamm, dass Medien grausamer sein können, als es die Justiz je dürfte, ders., Strafverteidigung, S. 59, 70.

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2. Kap.: Öffentlichkeit von Strafverfahren

gg) Zwischenergebnis Die Ausführungen zeigen, dass die Einflussfaktoren insbesondere auf den Beschuldigten bereits während des Ermittlungsverfahrens subtil und vielgestaltig sind, was bei prominenten Beschuldigten aufgrund der oftmals sehr hohen Medienpräsenz noch verstärkt wirkt. Diesem massenmedialen Zwang können sich die Beschuldigten regelmäßig nicht entziehen.112 Seitens der Ermittlungsbehörden ist die Wahrung des Neutralitätsgebots zwingend zu beachten. Abgesehen von einem Auskunftsanspruch der Medienvertreter gegenüber den Ermittlungsbehörden spielt jedoch auch der gezielte Einsatz der Massenmedien durch die Ermittlungsbehörden eine zunehmend stärker werdende Rolle in der Form, dass die Massenmedien gezielt für Fahndungsmaßnahmen eingesetzt werden. Der Grundsatz der effektiven Strafverfolgung,113 der in einem solchen Fall dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Beschuldigten (anstelle des Informationsinteresses der Öffentlichkeit) gegenübersteht, überwiegt dabei regelmäßig. Gesetzliche Grundlage für eine solche Öffentlichkeitsfahndung sind die §§ 131 ff. StPO,114 die die Voraussetzungen der Rechtfertigung eines solchen Eingriffs in das Allgemeine Persönlichkeitsrecht normieren.115 b) Das Hauptverfahren In allen zuvor beschriebenen Fällen hat die Staatsanwaltschaft nach § 170 Abs. 1 StPO öffentliche Klage erhoben und die Eröffnung des Hauptverfahrens116 beantragt. Das Hauptverfahren ist in den §§ 213–295 StPO gesetzlich geregelt und besteht aus zwei Teilen: Der Vorbereitung der Hauptverhandlung, die hauptsächlich organisatorischen Fragen dient, und der Hauptverhandlung als dem eigentlichen Kernstück des Hauptverfahrens. Für das Verständnis des Öffentlichkeitsgrundsatzes ist neben der systematischen Auslegung des § 169 Abs. 1 S. 1 GVG  n. F. von elementarer Bedeutung, sich mit der genauen Analyse des Wortlautes auseinanderzusetzen. 112  Meinecke, Prominentenstrafrecht, S. 296; Schulz, Kriminalberichterstattung und Stigmatisierung, S. 54 ff. 113  BVerfGE 77, 65, 76. 114  BeckOK StPO/Niesler, § 131, Rn. 5 ff.; MüKo-StPO/Gerhold, § 131, Rn. 11 ff. 115  Ausführlich auch Fröhling, Der moderne Pranger, S. 265 ff. 116  Das Zwischenverfahren, § 199 StPO, hat eine weitere Schutzfunktion gegenüber dem Beschuldigten, bei der hier anstehenden Untersuchung jedoch keine weitergehende Bedeutung, weshalb an dieser Stelle auf weitere Ausführungen verzichtet wird.



A. Einzelne Aspekte des Öffentlichkeitsgrundsatzes im Strafverfahren 35

Maßgebliche Bedeutung kommt dabei vor allen den Begriffen Verhandlung und öffentlich zu. Der in § 169 Abs. 1 S. 1 GVG n. F. verortete Grundsatz der Verfahrensöffentlichkeit gilt für die Verhandlung vor dem erkennenden Gericht und somit in Strafsachen für die Hauptverhandlung.117 Bei der Bestimmung der exakten Reichweite des Öffentlichkeitsgrundsatzes ist die Verhandlung von der Sitzung abzugrenzen. Letztere ist mit dem Öffnen der Türen zum Gerichtssaal bis zum Verlassen desselbigen deutlich weiter gefasst ist als die reine Verhandlung, da von den Sitzungen auch die Verhandlungspausen und -unterbrechungen erfasst werden.118 Von Relevanz bei dem Gebrauch des Terminus der Hauptverhandlung ist ferner, dass gerade im Strafprozess den Begriffen Verhandlung und Hauptverhandlung jeweils unterschiedliche Bedeutungen zukommen. Die Hauptverhandlung nach §§ 226 ff. StPO reicht vom Aufruf der Sache (§ 243 Abs. 1 S. 1 StPO) bis zur Urteilsverkündung119 (§ 268 Abs. 2 StPO).120 Im Strafprozess können aber auch außerhalb der Hauptverhandlung mündliche Verhandlungen stattfinden, vgl. dazu etwa die §§ 118 Abs. 1, 138d Abs. 1, 441 Abs. 3 S. 1 StPO. Die Verhandlung im engeren Sinne beginnt erst nach Verlesung des Anklagesatzes durch den Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft,121 § 243 Abs. 3 StPO und endet vor der Urteilsverkündung, mithin zu dem Zeitpunkt, in dem das Gericht sich zur nicht öffentlichen Beratung (§ 193 GVG)122 in das Richterzimmer zurückzieht,123 § 260 Abs. 1 StPO.124 Die Verhandlung im weiteren Sinne ist nach dem klaren Wortlaut des § 169 Abs. 1 S. 1 GVG  n. F. in Strafsachen die Hauptverhandlung als Einheit, so wie sie tatsächlich stattfindet. Alles, was im Rahmen dieser Verhandlung vorgetragen wird, unterliegt somit dem Grundsatz der Öffentlichkeit.125

117  Löwe-Rosenberg/Wickern,

GVG, § 169, Rn. 6. NJW 1996, 310. 119  Im Zivilprozess muss die Verkündung des Urteils nicht unmittelbar im Anschluss an die Hauptverhandlung ergehen, vgl. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, § 310, Rn. 7. 120  Dölling/Duttge/Rössner-Temming, StPO, § 226, Rn. 8; Meyer-Goßner/SchmittMeyer-Goßner, StPO, § 226, Rn. 2; SK-StPO/Velten, GVG, § 169, Rn. 5; Kissel/ Mayer, GVG, § 169, Rn. 8. 121  KK/Schneider, StPO, § 243, Rn. 21; Meyer-Goßner/Schmitt-Schmitt, StPO, § 143, Rn. 13. 122  BeckOK StPO/Graf, GVG, § 193, Rn. 1 ff. 123  Meyer-Goßner/Schmitt-Meyer-Goßner, StPO, § 260, Rn. 3. 124  Dazu Meyer-Goßner/Schmitt-Meyer-Goßner, StPO, Vor § 226, Rn. 2. 125  SK-StPO/Velten, GVG, § 169, Rn. 6. 118  BVerfG,

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2. Kap.: Öffentlichkeit von Strafverfahren

c) Das Vollstreckungsverfahren Das Vollstreckungsverfahren liegt wiederum im Zuständigkeitsbereich der Staatsanwaltschaft und ist nicht öffentlich ausgestaltet, auch wenn sich in Anbetracht der massenmedial regelmäßig und sehr detailliert berichteten Unterbringung Uli Hoeneß’ in der Justizvollzugsanstalt Landsberg etwas anderes aufdrängen mag. Diese Form der Berichterstattung betrifft jedoch nicht den Grundsatz der Verfahrensöffentlichkeit, weshalb insofern keine weiteren Ausführungen zu diesem Themengebiet gemacht werden. 2. Die Öffentlichkeit Um mit dem Begriff der Öffentlichkeit exakt operieren zu können, ist es unabdingbar, dessen Herkunft und Bedeutung zu ermitteln, weshalb zunächst eine allgemeine sprachwissenschaftliche Ableitung dieses Begriffes vorgenommen wird. Erst im Anschluss daran soll am eigentlichen Wortsinn der hier zu untersuchenden Prozessmaxime angesetzt werden, indem auf die unterschiedlichen gesetzlichen Verwendungen im Einzelnen und somit auf den besonderen Sprachgebrauch dieses Begriffs eingegangen wird.126 a) Die sprachliche Vielfältigkeit des Begriffes „Öffentlichkeit“ – allgemeiner Sprachgebrauch Der Terminus Öffentlichkeit hat erstmals 1777 Einzug in ein Lexikon gefunden, mit der damaligen Bedeutung einer Sache, die geschieht.127 Die Öffentlichkeit wurde zu diesem Zeitpunkt allerdings noch nicht mit juristischen Geschehensabläufen in Verbindung gebracht. So wurde zunächst alles unter öffentlich verstanden, was für eine Mehrheit von Personen zugänglich oder erkennbar war.128 Ende des 18. Jahrhunderts wurde der Begriff öffentlich mit dem Begriff gemein in Verbindung gebracht und somit in seinem Bedeutungsgehalt erweitert, da von nun an auch die Termini gemeinschaftlich sowie allgemein zugänglich unter öffentlich zu verstehen waren.129 Seit Mitte des 19. Jahrhunderts fasste man unter Öffentlichkeit auch den Terminus Publikum, wodurch der Bedeutungsgehalt um eine politisch-soziale Komponente erneut erweitert wurde, da man unter Publizität das „Sichtbarmachen von Maximen und auch Kuß, Öffentlichkeitsmaxime, S. 33 ff. Öffentlichkeit, S. 4. 128  Vgl. u. a. Martens, Öffentlich als Rechtsbegriff, S. 24 m. w. N. 129  Wettstein, Öffentlichkeitsgrundsatz, S. 68 f.; Rohde, Öffentlichkeit, S. 5; Hünig, Massenmedien, S. 18 f. 126  So

127  Witzler,



A. Einzelne Aspekte des Öffentlichkeitsgrundsatzes im Strafverfahren 37

Taten des politischen Handelns“ verstand.130 Seit Mitte des 20. Jahrhunderts wurde unter diesen Begriff zudem das transparente Handeln als politisches Schlagwort subsumiert und die Durchschaubarkeit von Entscheidungsprozessen, jedoch nicht ausschließlich gerichtlicher Natur, verstanden. Für die Wahrung des demokratischen Systems war die Transparenz der staatlichen Entscheidungen sowohl im juristischen als auch im politischen Bereich ein sehr wichtiges Standbein um die Akzeptanz der Bevölkerung zu sichern und stellte zudem den entscheidenden Faktor für die Kontrolle der Bürger über staatliche Entscheidungsprozesse dar.131 Die erste lexikalische Erwähnung des Begriffs Öffentlichkeit wies somit noch keine Bezüge zu juristischen Wertungen auf. Im Ergebnis ist es nicht ausreichend, die Möglichkeit der Wahrnehmung genügen zu lassen, um einen Vorgang öffentlich zu machen. Übertragen auf gerichtliche Entscheidungen bedeutet dies, dass sich die Justiz nicht in eine originäre Fachsprache hüllen darf, die für juristische Laien nicht oder nur unter sehr erschwerten Bedingungen verständlich ist. Ebenso genügt es im Kontext dieser Transparenzkomponente nicht, lediglich die gerichtliche Entscheidung nach deren Ergehen zu publizieren. Vielmehr muss die getroffene Entscheidung mit einer  – auch für Nichtjuristen möglichst verständlichen  – Begründung versehen werden und ihr damit die Möglichkeit gegeben werden, diese Entscheidung nachvollziehen zu können.132 b) Die sprachliche Vielfältigkeit des Begriffes „Öffentlichkeit“ – rechtlicher Sprachgebrauch Der allgemeine Sprachgebrauch lässt eine Vielzahl unterschiedlicher Verständnismöglichkeiten für den Terminus „Öffentlichkeit“ zu. Die Frage, was nun aber unter „Öffentlichkeit“ im Sinne der zentralen Norm über den Öffentlichkeitsgrundsatz, § 169 Abs. 1 S. 1 GVG  n. F., zu verstehen ist, ist damit noch nicht beantwortet. Auch eine Legaldefinition hat der Gesetzgeber an keiner Stelle eingefügt und selbst die Europäische Menschenrechtskonvention, die in ihrem Art. 6  Abs. 1  S. 1 den Anspruch eines jeden auf eine öffentliche Verhandlung statuiert, schweigt hinsichtlich einer exakten Bestimmung dieses Begriffes. Daher ist es nicht weiterführend, allein den Wortlaut des § 169Abs. 1 S. 1 GVG n. F. zu interpretieren, sodass zunächst weitere Vorschriften betreffend die Öffentlichkeit herangezogen werden sollen.133 nach Witzler, Öffentlichkeit, S. 10. Gerichtsöffentlichkeit, S. 2 ff.; Walther, NStZ  2015, 383; gegen die Transparenzkomponente im Terminus der „Öffentlichkeit“ Witzler, Öffentlichkeit, S. 10 f. 132  Kuß, Öffentlichkeitsmaxime, S. 35. 133  Kuß, Öffentlichkeitsmaxime, S. 37 ff. m. w. N. 130  Zitiert

131  Scherer,

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2. Kap.: Öffentlichkeit von Strafverfahren

aa) Der Begriff „Öffentlichkeit“ im Verfassungsrecht Die Prozessmaxime des Öffentlichkeitsgrundsatzes ist dem Grundgesetz nicht immanent,134 weshalb auch der Begriff der „Öffentlichkeit“ nur punktuell verwendet wurde.135 Art. 21 Abs. 1 S. 4 GG bestimmt, dass Parteien über die Herkunft ihrer finanziellen Mittel öffentlich Auskunft geben müssen.136 Der Begriff „öffentlich“ wird hier, wie in den Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG, 52 Abs. 3 S. 3 GG und 44 Abs. 1 S. 1 GG, wonach Bundestag, Bundesrat sowie Untersuchungsausschüsse öffentlich verhandeln,137 in sprachtechnischer Sicht ebenso wie in § 169 Abs. 1 S. 1 GVG n. F. verwendet.138 Anders ist dies jedoch in Art. 33 Abs. 2 GG, der jedem Deutschen das gleiche Recht auf Zugang zu einem öffentlichen Amt gewährleistet. Dort wird „öffentlich“ im Sinne von „staatlich“ verstanden und richtet sich nicht an alle in der Bedeutung von einer Jedermanns-Öffentlichkeit, sondern ausschließlich an Deutsche139 und somit um eine vorher abgegrenzte Öffentlichkeit.140 bb) Der Begriff „Öffentlichkeit“ im Strafprozessrecht In Bezug auf den Strafprozess normiert § 153 StPO, dass sofern kein „öffentliches Interesse“ an der Verfolgung einer Tat besteht, von einer Verfolgung abgesehen werden kann. § 153a StPO erweitert diesen Grundfall, indem das bestehende öffentliche Interesse durch Auflagen und Weisungen befriedigt werden muss, um von der Verfolgung einer Tat abzusehen. Sowohl bei § 153 StPO141 als auch bei § 153a StPO142 wird das Tatbestandsmerkmal des 134  Ausführlich

in Kap. 2, C. I. bis III. denjenigen Normen des Grundgesetzes, die ohne eine ausdrückliche Nennung von einem Prinzip der Öffentlichkeit geprägt sind, siehe die Ausführungen bei Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, S. 364 f. 136  Sachs/Ipsen, GG, Art. 21, Rn, 97 f. 137  Sachs/Magiera, GG, Art. 42, Rn. 2 ff.; Art. 44, Rn. 18 f.; Sachs/Robbers, GG, Art. 52, Rn. 15. 138  Dazu auch Hamm, AfP 2014, 202. 139  Das Recht auf gleichen Zugang steht jedem Deutschen i. S. v. Art. 116 GG zu. Die Art. 45 ff. AEUV, 15  Abs. 2 EU-GRCharta vermitteln den Schutz durch Art. 33 Abs. 2 GG auch für Unionsbürger, deren Rechtsstellung nach § 7 Abs. 1 Nr. 1a BeamtStG, § 4 Abs. 1 Nr. 1 BBG Deutschen grundsätzlich gleich steht, vgl. Jarass/ Pieroth, GG, Art. 33, Rn. 11; Sachs/Battis, GG, Art. 33, Rn. 23. 140  Kuß, Öffentlichkeitsmaxime, S. 38. 141  KK-StPO/Diemer, StPO, § 153, Rn. 1 ff.; BeckOK StPO/Beukelmann, § 153, Rn. 1 ff.; Graf/Beukelmann, StPO, § 153, Rn. 1, 20. 142  KK-StPO/Diemer, StPO, § 153a, Rn. 1 ff.; BeckOK StPO/Beukelmann, § 153a, Rn. 1 ff.; Graf/Beukelmann, StPO, § 153, Rn. 16 f. 135  Zu



A. Einzelne Aspekte des Öffentlichkeitsgrundsatzes im Strafverfahren 39

öffentlichen Interesses im Verhältnis zu der zugrundeliegenden Tat gesetzt und somit entsprechend ausgelegt.143 So zeigt Kuß anhand dieser Normen das Vorliegen eines allgemeinen Stufenverhältnisses auf. Danach muss sich eine Tat zunächst durch eine gewisse Schwere auszeichnen, damit überhaupt ein öffentliches Interesse an ihrer Verfolgung besteht. Diese Wertung liegt auch den §§ 374, 376 StPO zugrunde, wonach öffentliche Klage der in § 374 StPO beschriebenen Katalogtaten nur dann erhoben wird, wenn dies im öffentlichen Interesse liegt.144 Auf der zweiten Stufe dieses Modells verdeutlicht § 153a StPO, dass das bestehende öffentliche Interesse durch eine Leistung des Betroffenen kompensiert werden kann und mit dem Erbringen dieser Leistung das öffentliche Interesse an einer Verfolgung der Tat entfällt.145 Dieses Stufenmodell setzt sich sodann im Strafbefehlsverfahren (§§ 407 ff. StPO)146 fort, wo zwar ein öffentliches Interesse an einer Strafverfolgung besteht, dieses Interesse aber aufgrund des geringeren Unrechtsgehalts bei Vergehen im Vergleich zu Verbrechen (§ 12 StGB) nicht zwangsläufig mit einem Interesse an einer öffentlichen Hauptverhandlung gleichzusetzen ist. Die letzte Stufe bildet sodann die Verhandlung der angeklagten Tat unter Einbeziehung der Öffentlichkeit, § 169 Abs. 1 S. 1 GVG  n. F. Der Strafrichter entscheidet über den Strafanspruch des Staates gegenüber demjenigen, der die Tat begangen hat (und der zugleich Teil und Mitglied der Öffentlichkeit ist) im Namen der gesamten Öffentlichkeit. Die Öffentlichkeit im Strafprozessrecht wird somit bei leichterer und mittlerer Kriminalität zur Disposition gestellt.147 cc) Der Begriff „Öffentlichkeit“ im Zivilprozessrecht In Abgrenzung zum Strafprozess wird im Zivilverfahrensrecht aufgrund der Möglichkeiten der §§ 128 Abs. 2, 137 Abs. 3 und 197 Abs. 2 ZPO die Öffentlichkeit in die Hände der Verfahrensbeteiligten gelegt und somit Transparenz und Nachvollziehbarkeit für nicht am Verfahren beteiligte Dritte nicht unbedingt gewährleistet. Dies zeigt, dass im Zivilverfahren die Öffentlichkeit primär dem Schutz des Einzelnen gegen den Staat dienen soll, der einzelne Bürger jedoch hierauf auch wirksam verzichten kann.

143  Kuß,

Öffentlichkeitsmaxime, S. 38. StPO, § 374, Rn. 1 f.; Graf/Valerius, StPO, § 374, Rn. 1. 145  Zum Normzweck des § 153a StPO siehe KK-StPO/Diemer, StPO, § 153a, Rn. 1 ff. 146  BeckOK StPO/Temming, § 407, Rn. 1 ff. 147  Kuß, Öffentlichkeitsmaxime, S. 39. 144  KK-StPO/Senge,

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2. Kap.: Öffentlichkeit von Strafverfahren

dd) Der Begriff „Öffentlichkeit“ im materiellen Strafrecht Auch im Bereich des materiellen Strafrechts148 wird vom Gesetzgeber das Substantiv „Öffentlichkeit“ und das Adjektiv „öffentlich“ in verschiedenen Zusammenhängen verwendet.149 Diese unterschiedlichen Normen werden im Folgenden in verschiedene Kategorien einsortiert, um weitere gesetzgeberische Prinzipien aufzuzeigen, die bei der Beantwortung der Frage um das Verständnis des Begriffes Öffentlichkeit in § 169 Abs. 1 S. 1 GVG  n. F. behilflich sein können. Eine Kategorie der Straftatbestände sind diejenigen, die das Ansehen des einzelnen Bürgers in der Öffentlichkeit schützen sollen, namentlich die §§ 164, 186, 187 StGB.150 Eine unrechtmäßige Herabwürdigung eines Individuums hat neben der strafrechtlichen Sanktion eine Kompensationsmöglichkeit zur Wiederherstellung des Rufs in der Öffentlichkeit zur Folge, denn wurde die Straftat öffentlich151 begangen, kann der Geschädigte die Veröffentlichung der Verurteilung in der Art und Weise verlangen, wie der Verurteilte die Straftat zu Lasten des Geschädigten begangen hat (§§ 165, 200 StGB i. V. m. § 463c StPO).152 Eine weitere Kategorie stellen die §§ 80a, 86a Abs. 1 Nr. 1, 90, 90a, 90b, 111 StGB dar, die sich durch das gemeinsame Merkmal hinsichtlich der Tatmodalität „öffentlich, in einer Versammlung oder durch das Verbreiten von Schriften“ auszeichnen. Hier wendet sich der Täter an die Öffentlichkeit als seinen Adressatenkreis, um diese zu einer bestimmten Handlung oder Gesinnung zu bewegen. Öffentlichkeit wird bei Straftatbeständen so verstanden, dass die Aufforderungen von nicht im Vorfeld definierbaren, mithin nicht durch persönliche Beziehungen mit dem Täter verbundenen, Personenkreis153 wahrgenommen werden soll. § 124 StGB betont die Gefährlichkeit, die von der „Öffentlichkeit“ für die hier relevanten schutzbedürftigen Rechtsgüter, das Hausrecht sowie die öffentliche Sicherheit und Ordnung154 ausgehen kann.155 148  Zur Verwendung dieses Begriffes im materiellen Strafrecht während der NSZeit siehe etwa Pauli, Die Rechtsprechung des Reichsgerichts in Strafsachen, S. 109 ff. 149  Siehe auch Martens, Öffentlich als Rechtsbegriff, S. 42 f.; Franke, Bildberichterstattung über den Angeklagten, S. 23. 150  Fischer, StGB, § 164, Rn. 10; § 186, Rn. 4. 151  BeckOK StGB/Valerius, § 164 Rn. 14 m. w. N. 152  Kuß, Öffentlichkeitsmaxime, S. 41. 153  BGH, NStZ 1998, 403, 404. 154  MüKo-StGB/Schäfer, Bd. III, § 124 Rn. 2; Fischer, StGB, § 124, Rn. 5 f. 155  Kuß, Öffentlichkeitsmaxime, S. 40 f.



A. Einzelne Aspekte des Öffentlichkeitsgrundsatzes im Strafverfahren 41

c) Bereichsspezifische Wertungen der Öffentlichkeit Die unterschiedliche Verwendung des Terminus „Öffentlichkeit“ im allgemeinen Sprachgebrauch sowie in den aufgezeigten unterschiedlichen Normen des materiellen und des prozessualen Rechts zeigt, dass die Öffentlichkeit ihren spezifischen Bedeutungsgehalt erst durch „bereichsspezifische Wertungen“156 erfährt,157 die diesen Terminus zeitgemäß im Kontext der semantischen Bedeutung bestimmen. Anhand der verschiedenen Kategorien, in denen Öffentlichkeit eine Rolle spielt, kann zwar noch nicht auf eine exakte Bestimmung dieses Begriffes im Zusammenhang mit § 169 Abs. 1 S. 1 GVG  n. F. geschlossen werden. Es konnten jedoch die äußeren Grenzen der Interpretationsmöglichkeiten von „Öffentlichkeit“ abgesteckt werden. Einerseits gilt für die Gerichtsöffentlichkeit in einer Mediengesellschaft, dass diese vor allem medienöffentlich sein muss.158 Nur mittels des Einsatzes von Massenmedien kann gewährleistet werden, dass die Ziele einer gerichtlichen Öffentlichkeit, wie etwa die Steigerung der Verfahrensgerechtigkeit, überhaupt erreicht werden können.159 Auf der anderen Seite wird die Ambivalenz, die durch gerichtliche Öffentlichkeit ohnehin schon besteht, verstärkt. Im Ziel der Verfahrensgerechtigkeit findet der Öffentlichkeitsgrundsatz somit nicht nur seinen Grund, sondern auch seine Grenze.160 Sowohl die Aussage, dass ein Zuviel an Öffentlichkeit gerade das heraufbeschwöre, was durch die Gewährung von Öffentlichkeit verhindert werden solle,161 ist ebenso zutreffend wie die Feststellung, dass „Verfahren in der, aber nicht für die Öffentlich­ keit“162 stattfinden.163 Betreffend die weitere Konkretisierung dieses Begriffes ist eine funktionsbezogene Betrachtungsweise vor dem Hintergrund einer teleologischen Auslegung sowie der Analyse der rechtlichen Herleitung des Grundsatzes der Verfahrensöffentlichkeit164 erforderlich.165

156  Kuß,

Öffentlichkeitsmaxime, S. 42. Öffentlich als Rechtsbegriff, S. 42; Wettstein, Öffentlichkeitsgrund-

157  Martens,

satz, S. 37. 158  Scherer, Gerichtsöffentlichkeit, S. 4. 159  Eberle, NJW 1994, 1637, 1638. 160  von Coelln, AfP 2014, 193 m. w. N. 161  Roxin, in: FS Peters (1974), S. 393, 403. 162  BVerfGE 103, 44, 64. 163  von Coelln, AfP 2014, 193. 164  Dazu sogleich in Kap. 2, C. I., II. 165  Siehe auch Kuß, Öffentlichkeitsmaxime, S. 42.

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2. Kap.: Öffentlichkeit von Strafverfahren

d) Gerichtsöffentlichkeit als Grundlage für die Voraussehbarkeit staatlichen Handelns Die Messbarkeit und Vorhersehbarkeit justiziellen Handelns hängt wesentlich von der Kenntnis gerichtlicher Entscheidungen ab. Nach Art. 82 Abs. 1  S. 1 GG166 wird für das Inkrafttreten eines Gesetzes die Verkündung im Bundesgesetzblatt vorausgesetzt. Diese Publikationspflicht des Gesetzgebers stellt eine Ausprägung des Rechtsstaatsgedankens dar sowie eine Ergänzung des ebenfalls aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleiteten Grundsatzes der Bindung von Exekutive und Judikative an Recht und Gesetz. Elementare Grundlage der Öffentlichkeit ist die mit ihr kumulierende Transparenz staatlichen Handelns,167 weshalb Messbarkeit und Vorhersehbarkeit grundlegende Elemente des Rechtsstaates sind. Diese Bindung der Verwaltung an das Gesetz führt jedoch für den Bürger noch nicht alleine zu einer Berechenbarkeit justizieller Entscheidungsfindung, denn gesetzliche Regelungen können einen rechtlich relevanten Vorgang nur als einen abstrakten, generellen Tatbestand normieren. Die Subsumtion des jeweiligen Lebensvorganges unter die entsprechende Norm, insbesondere die Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe sowie die Ermessensausübung, obliegt allein dem Richter. Für die Kenntnisnahme eben dieser Entscheidungen ist grundsätzlich die Veröffentlichung ausreichend, die Kenntnisnahme der Entscheidungsfindung ist jedoch nur mittels Gerichtsöffentlichkeit möglich. Gerichtsöffentlichkeit ist somit Voraussetzung für die rechtsstaatlich geforderte Information des Bürgers über die Tätigkeit der Gerichte.168 e) Verfassungsnormative Erwartungen an die Öffentlichkeitsverantwortung der Gerichte Anknüpfend an die zuvor ermittelten äußeren Grenzen der Interpretationsmöglichkeit von „Öffentlichkeit“ sollen im Folgenden diese Grenzen konkretisiert werden. Dazu sind die Rahmenbedingungen einer zeitangemessenen Konkretisierung der verfassungsnormativen Erwartungen an die Öffentlichkeitsverantwortung der Gerichte zu ermitteln. Diese Bestandsaufnahme hat sich am „Realbereich“169 auszurichten, um die faktischen Entwicklungen 166  BeckOK GG/Pieper, Art. 82, Rn. 1 ff.; Maunz/Dürig-Butzer, GG, Art. 82  GG, Rn. 1 ff. 167  Zuck, DRiZ 1997, 23, 26. 168  Sorth, Rundfunkberichterstattung, S. 35. 169  Von einem „normativ gefilterten Realbereich spricht etwa Hoffmann-Riem, Gewährleistungsbereiche, S. 26.



A. Einzelne Aspekte des Öffentlichkeitsgrundsatzes im Strafverfahren 43

beobachtend nachvollziehen zu können. Definiert werden kann dieser Realbereich als der von der Anordnung des Verfassungsrechts betroffene Ausschnitt der Sach- und Lebenswirklichkeit, der „mit dem Normprogramm in einer Bezogenheit steht“, was die notwendige Grundlage bildet, um diese verfassungsnormativen Erwartungen verwirklichen zu können.170 Der soziale Wandel wird erst dann relevant und darf Berücksichtigung finden, wenn sich bei einer konstant bleibenden Interpretation von Verfassungsrecht dessen originäres Normziel nicht mehr in optimaler Weise erreichen ließe. Aufgegriffen und beachtet werden können dabei nur derartige Wissensstände, die sich zu einer gemeinnützigen Annahme verdichtet haben und nicht lediglich eine „intellektuelle Mode“ ausdrücken. Es geht somit um die „Rezeption gefestigter Aussagen mittlerer Abstraktionshöhe“, wozu primär empirische Daten und Zusammenhänge heranzuziehen sind.171 aa) Gebotenheit und Reichweite der Öffentlichkeitsarbeit durch Gerichte Die Gerichte sind verpflichtet, den Medienvertretern auf Anfrage unter Wahrung der Rechte des Angeklagten Auskunft über das Strafverfahren zu geben, § 475 StPO. Unbedingt zu berücksichtigen ist auch hier das Neutralitätsgebot.172 Rechtliche und faktische Grenzen justizieller Öffentlichkeitsarbeit, die nicht auf den Individualrechten Betroffener beruhen, ergeben sich auch hier aus der RiStBV, deren Richtlinien zwar vornehmlich für den Staatsanwalt bestimmt sind, einige Hinweise wenden sich aber auch an den Richter. Nach Nr. 129 Abs. 1 RiStBV, der die Hauptverhandlung betrifft, dürfen Presse, Hörfunk und Fernsehen in ihrer Berichterstattung nicht mehr beschränkt werden, als das Gesetz und der Zweck der Hauptverhandlung es gebieten. Die Erforschung der Wahrheit als Aufgabe des Gerichts, die Wahrheit zu erforschen, darf nicht vereitelt oder erschwert, das Recht des Angeklagten, sich ungehindert zu verteidigen, nicht beeinträchtigt werden. Zudem sind die Persönlichkeitsrechte des Angeklagten und anderer Beteiligter, insbesondere auch des Verletzten, zu berücksichtigen, was sich aus den Mahnungen der Nr. 129 Abs. 1 und Abs. 5 RiStBV ergibt. Im Kern geht es bei dieser Vorschrift um die Unterrichtung der Presse über das laufende Strafverfahren, worauf ein presserechtlicher Anspruch besteht.173 Die Absätze 2 bis 4

170  Gostomzyk, Öffentlichkeitsverantwortung, S. 122 mit Verweis auf Böckenförde, Der Staat 42 (2003), 165, 187. 171  Gostomzyk, Öffentlichkeitsverantwortung, S. 122 m. w. N. 172  Dazu oben in Kap. 2, A. I. 1. a) gg). 173  Graf/Temming, RiStBV, Nr. 129, Rn. 1.

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2. Kap.: Öffentlichkeit von Strafverfahren

wiederholen im Wesentlichen die zu § 169 S. 2 GVG  a. F.174 entwickelten Grundsätze.175 bb) Strukturwandel der Öffentlichkeit Von der „Öffentlichkeit“176 lässt sich schon lange nicht mehr im Singular sprechen, vielmehr ist unter diesem Begriff ein grundsätzlich frei zugängliches Kommunikationsfeld zu verstehen, das sich in eine Vielzahl flexibler Foren und Ebenen unterteilen lässt.177 Öffentlichkeit umfasst ein Netzwerk von Teilöffentlichkeiten, in welchem Inhalte und Stellungnahmen gefiltert, synthetisiert und verdichtet werden.178 Zu diesen Teilöffentlichkeiten gehören etwa persönliche Begegnungen als einfache Gesprächssituation, die Versammlungsöffentlichkeit sowie die Medienöffentlichkeit.179 Als Akteure sind Sprecher, Publikum und Kommunikationsvermittler zu unterscheiden, wobei „Öffentlichkeit“ dynamisch geprägt ist und von Fall zu Fall, von Thema zu Thema individuell hergestellt wird. Allein ihre Funktionen – wie das Herstellen von Transparenz, das Validieren von Themen und Meinungen sowie die Ermöglichung einer Orientierung – bleiben konstant.180 (1) Modelle zum Beschreiben von Öffentlichkeit Als Vorstellung von Öffentlichkeit wurden schwerpunktmäßig zwei Modelle181 herausgearbeitet: das „Systemtheoretische Spiegelmodell von Öffentlichkeit“ und das „Diskursmodell über Öffentlichkeit“. Die beiden Modelle unterscheiden sich hauptsächlich durch ihre jeweilige Erwartung an eine funktionierende Öffentlichkeit. 174  So ergibt sich etwa aus Nr. 129 RiStBV, dass der Vorsitzende zwar grundsätzlich über die Zulässigkeit von Film- und Bildaufnahmen etwa vor Aufruf der Sache zu entscheiden hat, vor dem Hintergrund des Informationsinteresses der Öffentlichkeit ein vollumfängliches Verbot von Aufnahmen aus dem Sitzungssaal aber unverhältnismäßig ist und die Verletzung von Persönlichkeitsrechten vielmehr ausreichend durch eine Pixelungsanordnung erreicht werden kann, vgl. auch Graf/Temming, RiStBV, Nr. 129 Rn. 7 m. w. N. 175  Graf/Temming, RiStBV, Nr. 129 Einl. 176  Zur semantischen Herleitung von „Öffentlichkeit“ siehe oben in Kap. 2, A. I. 2. a). 177  Jarren, AfP 1994, 191 ff. m. w. N.; siehe auch Wassermann, Justiz und Medien, S. 20. 178  Habermas, Faktizität und Geltung, S. 436. 179  Imhof, Die seismographische Qualität der Öffentlichkeit, S. 17 ff. 180  Gostomzyk, Öffentlichkeitsverantwortung, S. 123 f. m. w. N. 181  Grundlegend dazu auch Castendyk, Rechtliche Begründungen in der Öffentlichkeit, S. 34 ff.



A. Einzelne Aspekte des Öffentlichkeitsgrundsatzes im Strafverfahren 45

(a) Das Systemtheoretische Spiegelmodell von Öffentlichkeit Das Systemtheoretische Spiegelmodell von Öffentlichkeit geht zurück auf Luhmann.182 Danach gilt die Aufgabe der Öffentlichkeit als erfüllt, wenn Transparenz gewährleistet ist und die Öffentlichkeit zum Spiegel von und für gesellschaftliche Kommunikation werden kann.183 Die Leistung der Öffentlichkeit liegt hauptsächlich im Sichtbarmachen und Fokussieren von Aufmerksamkeit, welche ihre Grenzen aber im Generieren von Themen und Meinungen findet. Öffentlichkeit liegt danach in der Beobachtung der Gesellschaft durch die Gesellschaft selbst – diese Selbstspiegelung ist zugleich auch eine Funktion medialer Kommunikation.184 (b) Diskursmodell über Öffentlichkeit In dem wohl vorherrschenden und auf Habermas zurückzuführenden Diskursmodell über Öffentlichkeit wird Öffentlichkeit als Synonym für politische Öffentlichkeit in einem demokratischen Staat beschrieben. Allein durch dieses Charakteristikum ist das Diskursmodell normativ geprägt. In seinem Zentrum befinden sich die drei Staatsgewalten, Exekutive, Legislative und Judikative als Funktionsträger, wohingegen die Peripherie aus individuellen (der einzelne Bürger) und kollektiven (Zivilgesellschaft und Partikularinteressen vertretende Gruppierungen) Akteuren besteht. Öffentlichkeit bildet den Raum zwischen dem Zentrum und der Peripherie als Symbol einer von außen nach innen verlaufenden demokratischen Meinungs- und Willensbildung, wobei das Diskursmodell normative Anforderungen an die Öffentlichkeit und das „Wie“ des Kommunizierens stellt.185 Dieses normative Modell wirkt sich auf die Einschätzung der realen Verhältnisse aus.186 (2) Öffentlichkeit als Medienöffentlichkeit In der alltäglichen Gerichtsöffentlichkeit kommt der Präsenzöffentlichkeit in Gerichtssälen häufig nur eine untergeordnete Rolle zu; vorrangig wird die Gerichtsöffentlichkeit über die Medienöffentlichkeit hergestellt. Dies wird 182  Luhmann,

181 f.

Gesellschaftliche Komplexität und öffentliche Meinung, S. 170,

183  Zur Weiterentwicklung dieses Modells siehe Baecker, Oszillierende Öffentlichkeit, S. 89 ff. 184  Gostomzyk, Öffentlichkeitsverantwortung, S. 124 f.; Neidhardt, Öffentlichkeit, S. 7, 9. 185  Neidhardt, Öffentlichkeit, S. 7, 9. 186  Gostomzyk, Öffentlichkeitsverantwortung, S. 125 f.

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2. Kap.: Öffentlichkeit von Strafverfahren

auch anhand der Reichweite und der täglichen Nutzung von Massenmedien durch die Bevölkerung deutlich, weshalb die Massenmedien oftmals nicht nur die wesentliche, sondern sogar die einzige Informationsquelle über Gerichtsverfahren und deren Ausgang darstellen.187 Dies zeigt, dass die Justiz auf die Medien angewiesen ist, um überhaupt gehört zu werden und zwar im heutigen Zeitalter der Massenmedien noch viel stärker als noch vor ein paar Jahrzehnten.188 Durch die Medien als einzige Informationsquelle erscheint für den Bürger nicht das als Recht, was an Recht gesprochen wird, sondern vielmehr das, was an Recht in den Massenmedien thematisiert wird.189 Der Bürger ist genau auf diese Informationsquelle angewiesen, denn er wäre überfordert, würde er versuchen, die Vielzahl von Ereignissen, Themen und Sichtweisen persönlich aufzunehmen.190 Im sozialen Kontext kommt den Massenmedien somit die Funktion der Selektion zu.191 Ferner wird dem einzelnen Bürger ermöglicht, seinen Bezug zum Gemeinschaftsleben zu aktualisieren und so die Anschlusskommunikation zu den übrigen Mitgliedern der Gesellschaft aufrechtzuerhalten. Denn das Gros der Bevölkerung konsumiert die gleichen oder ähnlichen Unterhaltungs- und Informationsangebote, die letztlich den Gesprächsstoff im Alltagsleben bieten und darüber hinaus als Orientierungsund Handlungsmuster aufwarten.192 So ist man durch empirische Untersuchungen zu dem Ergebnis gekommen, dass die Nutzung der zahlreichen193 auf dem freien Markt vorhandenen Medienangebote durch das individuelle Nutzungsverhalten oftmals auf einige wenige Optionen beschränkt wird.194 Aufgrund dessen ist die völlige Fragmentierung der Mediennutzung trotz des gestiegenen Medienangebots auf der einen Seite und der nur limitierten Kapazität zur Verarbeitung dieser Informationen durch den Bürger auf der anderen Seite bisher ausgeblieben.

187  Bresser,

in: FS Jauch (1990), S. 7, 9. Medien im Bundesverfassungsgericht, S. 13, 23. 189  Gostomzyk, Öffentlichkeitsverantwortung, S. 126 mit zusätzlichen Ausführungen zur geschichtlichen Entwicklung des Wandels der Öffentlichkeit und zur Entstehung der neuen Medien; ausführlich zu empirischen Betrachtungen zur Massenkommunikation siehe Jäckel, Wahlfreiheit in der Fernsehnutzung, S. 105 ff.; Giraud, Übertragung von Gerichtsverhandlungen in Strafsachen, S. 169, 175. 190  BVerfGE 103, 44, 74 (Minderheitenvotum). 191  Bier, APuZ 40/2015, 48, 49 m. w. N. 192  Gostomzyk, Öffentlichkeitsverantwortung, S. 129 f. m. w. N. 193  Dies zeigt immer mehr, dass die Aufmerksamkeit eines jeden Einzelnen begrenzt ist und an kognitive, zeitliche und energetische Grenzen stößt, vgl. Franck, Ökonomie der Aufmerksamkeit, S. 49 f. 194  Jäckel, Wahlfreiheit in der Fernsehnutzung, S. 25 ff., 167 ff., 185 ff. 188  Hassemer,



A. Einzelne Aspekte des Öffentlichkeitsgrundsatzes im Strafverfahren 47

(3) Begriff der Medien Medien spielen in der Geschichte der Menschheit seit jeher eine enorme Rolle; der Austausch von Informationen über eine gewisse Distanz gehört zu den Urbedürfnissen des Menschen.195 Doch weder in der Rechtsprechung noch in der Literatur lässt sich eine überzeugende Definition der „Medien“ finden, allenfalls grobe Beschreibungen oder Annäherungen sind vorhanden. In einem allgemeinen Sinn haben Medien zunächst eine Vermittlerposition,196 was sich bereits aus der sprachlichen Herleitung dieses Begriffes ergibt. Etymologisch stellt das Wort „Medium“ eine substantivierte Ableitung des lateinischen Adjektiv medius dar, was so viel heißt wie „mittlerer; in der Mitte befindlicher“. Heute steht die Vermittlung von geistigen, optischen und akustischen Inhalten im Fokus.197 Herkömmlicherweise unterteilt man die Medien in Massenmedien198 und Medien, die der Individualkommunikation dienlich sind. Während sich die Massenkommunikationsmittel an eine breite Öffentlichkeit richten, spielt sich die Individualkommunikation zwischen zwei oder mehreren bestimmten Menschen ab.199 So wird zum Teil von Medien gesprochen, wenn es sich um „organisierte, leistungsfähige Kommunikationskanäle handelt, die einem unbegrenzten Publikum zugänglich sind“.200 Mit ein wenig mehr Präzision, wenngleich auch nicht unbedingt aussagekräftiger, wird auch wie folgt definiert: „Der Oberbegriff der Massenmedien ist kein Rechtsbegriff, sondern eine Sammelbezeichnung für die sich an die breite Masse wendenden Mittel zur Verbreitung und Wiedergabe von Geistesgut.“201 Diese Ausführungen zeigen, dass der Terminus „Medien“ kein originär juristischer, sondern vielmehr ein gesellschaftlicher ist. Die Informationsund / oder Kommunikationsmittel der Medien sind einem fortwährenden Wandel unterzogen und haben zugleich Einfluss auf alle Gesellschaftsbereiche und damit auch auf sämtliche Rechtsgebiete.202 Die Kommunikationsmittel der Medien sind Presse, Rundfunk, Film sowie die neuen Medien203 195  Fechner,

Medienrecht, S. 1; dazu auch Ulbrich/Frey, ZUM 2017, 31 ff. Medien in Deutschland, S. 9. 197  Fechner, Medienrecht, S. 3, Rn. 1 f. 198  Zur Geschichte der Massenmedien ausführlich Pürer, Medien in Deutschland, S. 18 m. w. N. 199  Fechner, Medienrecht, S. 4, Rn. 3. 200  Studer/Mayr von Baldegg, Medienrecht, S. 14; so auch Stern/Becker-Fechner, GG Art. 5, Rn. 134 in Bezug auf die Medienformen des Grundrechts der Medienfreiheit. 201  Freiherr v. Gamm, Persönlichkeits- und Ehrverletzungen durch die Massenmedien, S. 1 Rn. 1. 202  Strebel, Grenzen medialer Öffentlichkeitsarbeit, S. 8 f. 203  Strebel, Grenzen medialer Öffentlichkeitsarbeit, S. 10 ff. m. w. N. 196  Pürer,

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2. Kap.: Öffentlichkeit von Strafverfahren

wie Internetzeitschriften, Foren, soziale Netzwerke, Blogs, Twitter. Im Gegenzug zu den „neuen Medien“ und „Multimedia“ sind die Begriffe der „Presse“, des „Rundfunks“ und des „Films“ Rechtsbegriffe; sie finden sich sowohl im Grundgesetz als auch in den einschlägigen einfachgesetzlichen Regelungen wieder.204 (4) Medienwirklichkeit als faktisch wirksame Wirklichkeit Hinzu kommt, dass die durch die Massenmedien vermittelte Wirklichkeit zu der faktisch wirksamen Wirklichkeit in unserem Alltag wird und wir immer mehr von dem, was die kollektiv getragenen Vorstellungen der Realität205 ausmachen, nicht aus eigener Erfahrung und eigener Anschauung kennen. Wir kennen dies vielmehr aus den Darstellungen und Berichten aus Presse, Hör- und Rundfunk sowie aus dem Internet.206 So konstatierte bereits Luhmann, dass alles, „was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, […] wir durch die Massenmedien“ erfahren haben.207 In einer Welt, in der die Massenmedien eine so relevante erfahrungsgenerative Rolle spielen,208 scheint ein Ereignis erst dann tatsächlich stattgefunden zu haben, wenn und das dann oftmals auch nur in der Art, wie darüber durch die Medienvertreter berichtet wurde.209 Massenmedien präsentieren nicht das, was wirklich ist, sondern sie konstruieren ein Bild der Realität.210 Themen und Geschehnisse werden nicht nur gesammelt, aufbereitet und der Allgemeinheit zur Verfügung gestellt, sondern es werden (und müssen!) Relevanzen zugesprochen, Berichte lanciert und dadurch Aufmerksamkeiten erzeugt.211 Die Bedeutung einer Nachricht ergibt sich zum einen durch die Tragweite eines Ereignisses und zum anderen durch das Thema selbiger. Inwiefern die Tragweite einer Nachricht aus dem Bereich der Rechtsprechung von Relevanz ist, lässt sich am Beispiel der Berichterstattung über ein Sondervotum des Bundesverfassungsgerichts verdeutlichen:

204  Fechner,

Medienrecht, S. 5, Rn. 10. Realitätsvermittlung durch Massenmedien, S. 21 ff. 206  Danziger, Medialisierung des Strafprozesses, S. 266 mit Verweis auf Willems, Inszenierungsgesellschaft?, S. 23, 64; Gostomzyk, AfP 2005, 437, 437 f. 207  Luhmann, Realität der Massenmedien, S. 9. 208  Willems, Inszenierungsgesellschaft?, S. 23, 30; ähnlich Leutheusser-Schnarrenberger, Macht der Medien, S. 7, 8. 209  Kritisch dazu Reichertz, Die Macht der Worte und der Medien, S. 17. 210  Hoffmann-Riem, Der Staat 2003, 193, 202 f.; ähnlich auch Bott, Medienprivilegien im Strafprozess, S. 34 f.; Sorth, Rundfunkberichterstattung, S. 51; Reichertz, Die Macht der Worte und der Medien, S. 23. 211  Gostomzyk, AfP 2005, 437, 438. 205  Früh,



A. Einzelne Aspekte des Öffentlichkeitsgrundsatzes im Strafverfahren 49 „Erkennbar ist, dass sich die Rezeption der Sondervoten durch die Medien dogmatischen Einteilungskategorien entzieht. Die Berichterstattung orientiert sich unmittelbar am Erwartungshorizont und Betroffenheitsgrad des Publikums. Damit ergaben sich Kriterien, die nicht von Juristen, sondern von Journalisten kreiert worden waren – nach Prioritäten, die sie gesetzt hatten.“212 „So fielen etwa unter den Oberbegriff Schutz von Leib und Leben zwangsläufig alle Entscheidungen und Sondervoten, die sich mit den Existenzängsten der Bürger auseinandersetzten  – mit der Furcht vor den unsichtbaren Immissionen der Atomenergie, vor der Bedrohung durch Atomraketen und vor der Lagerung von Giftgas und Chemiewaffen in unmittelbarer Nähe.“213

Erscheint etwas unter Zuhilfenahme von Bildern in den Medien, assoziiert man damit die übermittelte Information als wirklich und darüber hinaus als relevant, was dazu führen kann, dass die Medien zu Anbietern von nicht mehr hinterfragbaren oder zumindest nicht mehr zu hinterfragenden Wirklichkeitsentwürfen werden.214 (5) Massenmediale Eigenrationalität Die Massenmedien zeichnen sich durch weitgehend bedingte Eigengesetzlichkeiten aus, die sowohl für die Kommunikatoren bei der Herstellung der Medieninhalte als auch für die Rezipienten bei der Rezeption dieser Inhalte von Bedeutung sind.215 Die erste Gruppe muss diese spezifische Besonderheit, die Möglichkeit und die Grenzen der Massenmedien, kennen, weil die Auswahl der Inhalte sowie die Art und Weise ihrer Aufarbeitung und Wiedergabe von den Eigengesetzlichkeiten des jeweiligen Mediums abhängig ist. Das ausschließlich visuelle Medium Zeitung verlangt nach einer anderen „Dramaturgie“ bei der Aufbereitung der Inhalte als beispielsweise das rein auditive Medium des Hörfunks und dieses wiederum eine andere als das audiovisuelle Medium des Fernsehens.216 Für die Rezipienten als Medienkonsumenten werden die Art und Weise der Wahrnehmung des jeweiligen Mediums (visuell, auditiv, audiovisuell, multimedial) von den Eigengesetzlichkeiten eben dieser Medien geleitet. Hinzu kommen Aspekte der Verhaltensfreiheit und der Verhaltensbindung massenmedialer Nutzung. Druckmedien kann man grundsätzlich lesen wann und wo man möchte, weshalb in der Kommunikationswissenschaft von sogenannten „disponiblen Medien“ gesprochen wird.217 Anders verhält es sich hingegen für die Nutzer von Hör212  Gostomzyk,

AfP 2005, 437, 438. NJW 2001, 2942, 2945. 214  Ausführlich Danziger, Medialisierung des Strafprozesses, S. 266. 215  Pürer, Medien in Deutschland, S. 37. 216  Pürer, Grundsätze der Mediensprache, S. 224. 217  Pürer, Medien in Deutschland, S. 37. 213  Lamprecht,

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2. Kap.: Öffentlichkeit von Strafverfahren

funk und Fernsehen,218 da für deren Rezipienten die Programmstruktur sowie der Programm- und Sendeablauf fest vorgegeben sind, sogenannte „lineare Medien“.219 Dagegen zeichnen sich reine Onlinemedien durch ein sehr individuelles Nutzerverhalten aus und integrieren nicht nur die Eigenschaften von Funk- und Printmedien, sondern generieren neue Eigenschaften wie Aktualität, Globalität und Hypertextualität.220 Das Interesse der Medien an der Berichterstattung über Strafverfahren resultiert aus den folgenden zwei Gründen: Zunächst handelt es sich um eine gesellschaftlich bedeutsame Ausübung staatlicher Gewalt, über welche die Medien die allgemeine Öffentlichkeit schon aufgrund ihres verfassungsrechtlichen Leistungsauftrags zu informieren haben. Überdies sind die wirtschaftlichen Interessen des jeweiligen Mediums nicht zu vernachlässigen. Medienunternehmen müssen Gewinne anstreben um auf Dauer überlebens- und konkurrenzfähig zu sein. Auch aus diesem Grunde sind sie daran interessiert, vermarktungsfähige Themen in ihre Berichterstattung mit aufzunehmen, was bei Veröffentlichungen über Gerichtsverhandlungen, speziell über Straf­ verfahren,221 offensichtlich in einem hohen Maße der Fall ist.222 Der dadurch gewährleistete publizistische Wettbewerb223 ist neben der Sicherung der Meinungsvielfalt und des öffentlichen Dialogs die unabdingbare Basis für das Funktionieren einer freiheitlich-demokratischen Massengesellschaft,224 entsprechende Strukturen werden durch das Verfassungsrecht zwingend vorgegeben.225 Soll eine breite Bevölkerungsschicht über das Agieren der Justiz, über stattfindende und abgeschlossene Gerichtsprozesse informiert werden, kann dies nur unter Zuhilfenahme der Massenmedien geschehen, weshalb eine Verbindung zu diesen und ihren Eigenrationalitäten herzustellen ist. Dazu gehört etwa die systemische Geschlossenheit der Medien in der Ausprägung einer Bündelung der durch die Adressaten bereitgestellten Aufmerksamkeit. 218  Wobei auch hier mittlerweile fast der gesamte Programmverlauf (jedenfalls bei den öffentlich-rechtlichen Sendern) kostenlos und über einen gewissen Zeitraum in den Online-Mediatheken verfügbar ist. 219  Pürer, Medien in Deutschland, S. 38, 40. 220  Pürer, Medien in Deutschland, S. 40 f. m. w. N. 221  Dabei ist der Grad des öffentlichen Interesses einzelfallabhängig, vgl. Kujath, Laienjournalismus im Internet, S. 165, 171; siehe auch Kaufmann/Tappert/Vetter, DRiZ 2017, 154, 157. 222  Strebel, Grenzen medialer Öffentlichkeitsarbeit, S. 27 f.; Walter, Über Medien als Kriminalpolitiker, S. 27, 30; Friedrichsen, Strafjustiz und Medien, S. 75, 76 f. 223  Beater, Medienrecht, S. 311, Rn. 782 ff.; Walter, Über Medien als Kriminalpolitiker, S. 27, 34. 224  BVerfGE 57, 295, 323. 225  Beater, Medienrecht, S. 214, Rn. 535 m. w. N.



A. Einzelne Aspekte des Öffentlichkeitsgrundsatzes im Strafverfahren 51

Neben der für den Konsumenten erforderlichen Selektion der Informationsvielzahl ist ein weiteres Charakteristikum der Medien die laienverständliche Aufbereitung unter Verwendung einer Bildersprache,226 die sich gerade als Blickfang oder Ablenkung zur Erweckung von Emotionen verwenden lässt.227 Medien zeichnen sich ferner durch ein großes Maß an Autonomie aus und sind hauptsächlich durch medieninterne Kriterien gesteuert, was ein Einflusshindernis für extern formulierte normative Richtlinien bedeutet. Diese mediale Verselbstständigung hat zu einer Loslösung von den herkömmlichen gesellschaftlichen Akteuren wie Verbänden, Verlegerfamilien usw. geführt.228 Paradoxerweise besteht dennoch ein Abhängigkeitsverhältnis der privatkommerziellen Massenmedien229 von Werbeeinnahmen,230 weshalb sich die Medien an den Bedürfnissen ihrer Konsumenten231 zu orientieren haben.232 Übertragen auf die Berichterstattung über Gerichtsverfahren und insbesondere über Strafverfahren bedeutet dies, dass man mit fiktiven und inszenierten Gerichtsshows erfahrungsgemäß höhere Einschaltquoten erzielen kann als mit einer Berichterstattung über ein reales, insbesondere für juristische Laien wenig spektakuläres und somit „langweiliges“ Gerichtsverfahren.233 Dies zeigt sich auch bei Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, konkret, ob und wie über ein Minderheitenvotum einer Entscheidung in den Medien berichtet wird. So verdeutlicht Gostomzyk234 in seinen Ausführungen mittels eines Zitats von Lamprecht, dass die tatsächliche oder emotionale Betroffenheit der Bürger über eine solche Bekanntgabe der abweichenden Meinung berichtet wird: 226  Dass Bilder von aktuellen Geschehnissen von großer Bedeutung sind, zeigt sich auch daran, dass 1965, ein Jahr nach Einführung des § 169 S. 2 GVG  a. F., Gerichtszeichnungen zur Bebilderung von Fernsehberichten über (Straf-)Verfahren entdeckt wurden, siehe Töpper, Vorwort, in: Wie würden Sie entscheiden? 227  Gostomzyk, Öffentlichkeitsverantwortung, S. 130, 142 m. w. N. 228  Jarren, AfP 1994, 191, 193 ff. 229  Zu den Organisationsformen der Massenmedien ausführlich Pürer, Medien in Deutschland, S. 42 ff. 230  Dies zeigt die Intensivierung des Aufmerksamkeitsstrebens jedes einzelnen Informationsanbieters als Ausdruck des Wettbewerbs auf einem sowohl übersättigten als auch sich im Umbruch befindlichen Markt an Medien. 231  Zur Finanzierung der Medien allgemein Pürer, Medien in Deutschland, S. 165 ff. m. w. N.; zur Finanzierung des privaten Rundfunks ders., Medien in Deutschland, S. 191 ff.; zur Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks umfassend Röß, Neuordnung der Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, S. 23 ff. 232  Rotsch, Schutz der journalistischen Recherche, S. 39; Walter, Über Medien als Kriminalpolitiker, S. 27, 34. 233  Gostomzyk, Öffentlichkeitsverantwortung, S. 131. 234  Gostomzyk, Öffentlichkeitsverantwortung, S. 135.

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2. Kap.: Öffentlichkeit von Strafverfahren

„Erkennbar ist, dass sich die Rezeption der Sondervoten durch die Medien dogmatischen Einteilungskategorien entzieht. Die Berichterstattung orientierte sich unübersehbar am Erwartungshorizont und Betroffenheitsgrad des Publikums. Damit ergaben sich Kriterien, die nicht von Juristen, sondern von Journalisten kreiert worden waren – nach Prioritäten, die sie gesetzt hatten […]“235

Ähnlich kritisch führte das Bundesverfassungsgericht in seiner n-tv-Entscheidung aus: „Die Medien pflegen ohnehin nur über Ereignisse zu berichten, an denen ein hinreichend großes Publikumsinteresse besteht. Gerichtsverhandlungen gehören regelmäßig nicht dazu.“236

Doch ist zumindest ein Stück der Selektion und Reduktion unvermeidbar, da sich der Verständnishorizont des Konsumentenkreises im Vorfeld nur schwerlich bestimmen lässt. Den Massenmedien bleibt nichts anderes übrig, als ihre Berichterstattung auf die Kernaussagen zu reduzieren, was selbstverständlich auch für die Berichterstattung über Gerichtsprozesse gilt. Ferner muss man sich bei der Betrachtung des Konsumentenkreises (was von großer Relevanz für das „Wie“ der journalistischen Aufarbeitung und Bearbeitung der etwa über das Geschehen in einem Gerichtssaal gesammelten Information ist) vergegenwärtigen, dass Nachrichtensendungen wie die Tagesschau zwar von sehr vielen Bürgern konsumiert, kognitiv jedoch nicht von allen vollständig erfasst werden.237 (6) Sonderrolle des öffentlich-rechtlichen Rundfunks In der Abgrenzung zum privaten Rundfunk steht den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten als Ausfluss ihrer besonderen Stellung auch eine besondere Funktion bei der Rundfunkberichterstattung zu.238 Als originäre Grundaufgabe kommt ihnen die Gewährleistung und Sicherung der politischen Ausgewogenheit, der inhaltlichen Vielfalt sowie der flächendeckenden Versorgung zu. Durch die ihnen übertragene Integrationsfunktion sollen sie den gesellschaftlichen Zusammenhalt fördern. Im Wege ihrer Forumsfunktion sollen sie alle unterschiedlichen Stimmen innerhalb der Gesellschaft zu Wort kommen lassen. Wegen dieser Vorbildfunktion sollen diejenigen Sendungen gezeigt werden, die im gesellschaftlichen Interesse stehen und bei singulärer Betrachtung der ökonomischen Seite nicht gesendet worden wären und ­zudem Qualitätsstandards setzen.239 Diese drei Funktionen werden auch als 235  Lamprecht,

Kooperation und Konfrontation, S. 12. 103, 45, 66. 237  Gostomzyk, Öffentlichkeitsverantwortung, S. 141 m. w. N. 238  Fink, Bild- und Tonaufnahmen, S. 52. 239  Bullinger, in: FS Leisner (1999), S. 884, 885 f. 236  BVerfGE



A. Einzelne Aspekte des Öffentlichkeitsgrundsatzes im Strafverfahren 53

Grundversorgungsaufgabe bezeichnet,240 die sich aus den einzelnen Rund­ funk­­gesetzen,241 Staatsverträgen und Satzungen ergibt.242 Aufgrund des ökonomischen Drucks243 ist es den privaten Rundfunksendern im Gegensatz zu den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, die unter anderem durch Rundfunkgebühren finanziert werden,244 auch nicht zumutbar, diese beschriebene Aufgabentrias245 in gleichem Umfang zu erfüllen. Trotzdem tragen auch die Privaten zur Grundversorgung bei.246 cc) Verhältnis zwischen Strafjustiz und Medien Jede Einflussnahme auf den Strafprozess von außen, die zu einer „Störung des Entscheidungsflusses“ geeignet ist oder „ihn über die Ufer der prozessrechtlich eingefassten Beweiswürdigung hinausschwappen lässt“ ist zugleich eine Beeinträchtigung der Arbeitsbedingungen des Gerichts und stellt die Verletzung eines Tabus dar, das erforderlich ist, um staatliches Strafen überhaupt noch zu rechtfertigen.247 Eine solche Einflussnahme von außen kann durch die massenmediale Berichterstattung geschehen und spielte auch im Zuge der Einführung des § 169 S. 2 GVG  a. F.248 eine erhebliche Rolle. Man reagierte mittels dieser Verbotsnorm auf die neuen, direkten Aufnahmeund Übertragungsmöglichkeiten vor dem Hintergrund eines möglichen Störfaktors für das spezifisch strafprozessuale Erkenntnis- und Entscheidungsverfahren. Mit der Beantwortung der Frage des Verhältnisses zwischen Justiz und Medien sowie der Gefahr einer Einflussnahme durch massenmediale Berichterstattung hängt das Wahrnehmungsbild der Justiz durch die Presse zusam240  BVerfGE

73, 297, 325 f. lautet exemplarisch der Programmauftrag des Westdeutschen Rundfunks in § 4 Abs. 2 WDRG: „Der WDR hat in seinen Angeboten einen umfassenden Überblick über das internationale, europäische, nationale und regionale Geschehen in allen wesentlichen Lebensbereichen zu geben. Die Angebote haben der Information, Bildung, Beratung und Unterhaltung zu dienen. Der WDR hat Beiträge zur Kultur und Kunst anzubieten. Das Programm soll das friedliche und gleichberechtigte Miteinander der Menschen unterschiedlicher Kulturen und Sprachen im Land fördern und diese Vielfalt in konstruktiver Form abbilden.“ 242  Fink, Bild- und Tonaufnahmen, S. 53; Libertus, Grundversorgungsauftrag und Funktionsgarantie, S. 28 ff.; Niepalla, Grundversorgung durch die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, S. 33 ff. 243  Rüping, in: FS Dünnebier (1982), S. 391, 392 f. 244  Badura, Rundfunkfreiheit und Finanzökonomie, S. 7 ff. 245  Libertus, Grundversorgungsauftrag und Funktionsgarantie, S. 90 ff. 246  Fink, Bild- und Tonaufnahmen, S. 53; Niepalla, Grundversorgung, S. 89. 247  Hamm, AfP 2014, 202, 205. 248  Ausführlich in Kap. 2, B. V. 2. 241  So

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2. Kap.: Öffentlichkeit von Strafverfahren

men. So wurde bereits im Jahr 1966 zwischen drei Gruppen der Journalisten differenziert. Zunächst die Gruppe der „scharf berichtenden und voreingenommen Medienvertreter“, die keinerlei Rücksicht auf den privaten Lebensbereich, auf den Namen und das Recht am eigenen Bild eines Menschen und erst recht nicht eines Angeklagten nehmen. Diese Kategorie der Journalisten kämpft unter dem Deckmantel der Unterrichtung um den „Knüller und um knallharte Bilder“.249 Auf der anderen Seite gibt es die „fairen Medienvertreter“, der von Natur aus neugierig ist, der es zugleich amüsierend findet, sich über das als berufliche Eigenart betrachtete Bestreben der Juristen, aus einem bunten Lebenssachverhalt die interessanten und menschlichen Aspekte zu entfernen, die anschließend versuchen, das zurückgebliebene Gerippe mit passenden Paragraphen aufzufüllen. Diese „fairen Journalisten“ sind durchaus in der Lage, zum Schutze der Beteiligten auf eine brisante Story oder eine Urteilskritik zu verzichten, wenn es dafür nicht genügend Anhaltspunkte gibt. Schließlich gibt es noch den „vollblütigen Journalisten“, der der Ansicht ist, dass die Justiz zu besserem Arbeiten gewissermaßen gezwungen werden könne, indem Schwachstellen in Pressemitteilungen der Gerichte und Entscheidungsverkündungen der Richter durch die Berichterstattung aufgegriffen würden.250 Daran anknüpfend wird auf rechtspolitischer Ebene diskutiert, ob die Unabhängig der Justiz bei einer Beeinträchtigung durch eine gezielte massenmediale Berichterstattung eines besonderen strafrechtlich ausgestalteten Schutzes,251 ähnlich des im anglo-amerikanischen Rechtskreis verbreiteten Contempt of Court252 bedürfe.253 Nach diesen Rechtssätzen steht es in der Macht des Gerichts, bei einer beabsichtigten Störung oder Beeinflussung des Gerichts durch öffentliche Äußerungen oder Handlungen eine Ordnungsstrafe zu verhängen. Unter einer solch störenden Verhaltensweise werden z. B. Würdigungen des Beweismaterials, die Veröffentlichungen mit einer abschließenden Stellungnahme in Bezug auf eine gewisse Streitfrage, aber auch 249  Bührke,

Öffentlichkeit, S. 23, 27. Öffentlichkeit, S. 23, 27 f., der in Bezug auf die Gruppe der „vollblütigen Journalisten“ deren Kontrollfunktion gegenüber der Justiz kritisiert, da die Medienvertreter selbst keiner Kontrolle unterliegen und die Selbstkontrolle durch den Deutschen Presserat lediglich von moralischer Bedeutung sei. 251  Die Beeinflussung der Rechtspflege durch Presseberichte, Stellungnahmen in der Öffentlichkeit etc. vor Abschluss eines gerichtlichen Verfahrens ist nach geltendem Recht nicht strafbar. Mit Strafe bedroht ist lediglich das Veröffentlichen einer Anklageschrift oder anderer amtlicher Strafprozessunterlagen, § 353d StGB. 252  Zur Darstellung und Würdigung dieser Rechtsfigur siehe Teplitzky, Criminal Contempt of Court, passim; siehe auch Rüping, in: FS Dünnebier (1982), S. 391, 395. 253  Scherer, JuS  1979, 470; Stürner, JZ  1978, 161, ders., JZ 1980, 1; Huber, StV 2005, 181, 185; Keil, Verdachtsberichterstattung, S. 259 ff. 250  Bührke,



A. Einzelne Aspekte des Öffentlichkeitsgrundsatzes im Strafverfahren 55

der Tatbestand des Scandalising the Court, also einer das Gericht herabwürdigenden, öffentlich geäußerten Kritik gefasst.254 Damit vergleichbare gesetzgeberische Vorstöße hat es bereits mehrmals gegeben. So diskutierte man während der NS-Herrschaft im Jahr  1935 über die Einführung von Straftatbeständen, die es pönalisieren sollten, wenn die deutsche Rechtspflege verächtlich gemacht oder der Versuch einer Einschüchterung der Verfahrensbeteiligten unternommen wurde,255 um öffentliche Kritik an der Rechtsprechung unter nationalsozialistischer Fahne bereits im Keim zu ersticken. Ähnliche Straftatbestände sah ein Entwurf eines Strafgesetzbuches von 1950 vor.256 Trotz der Bemühungen des von einer Strafrechtskommission nach jahrelanger Arbeit unterbreiteten Vorschlags, einen Straftatbestand unter der Überschrift der „Störung der Strafrechtspflege“ in § 452 E-StGB für Contempt of Court zu schaffen (§ 452 E-StGB), zeigen sich die Ängste in Bezug auf das Verhältnis zwischen Strafjustiz und Medien:257 § 452 E-StGB sollte wie folgt lauten: „Wer öffentlich während eines Strafverfahrens vor dem Urteil des ersten Rechtszuges in Druckschriften, in einer Versammlung oder in Darstellungen des Ton- oder Fernseh-Rundfunks oder des Films 1.  den künftigen Ausgang des Verfahrens oder den Wert eines Beweismittels in einer Weise erörtert, die der amtlichen Entscheidung in diesem Verfahren vorgreift, oder 2.  über das Ergebnis nichtamtlicher Ermittlungen, die sich auf die Sache beziehen, eine Mitteilung macht, die geeignet ist, die Unbefangenheit der Mitglieder des Gerichts, der Zeugen oder der Sachverständigen oder sonst die Findung der Wahrheit oder einer gerechten Entscheidung zu beeinträchtigen, wird mit Gefängnis bis zu einem Jahr, mit Strafhaft oder mit Geldstrafe bestraft. Dies gilt nicht für eine Erörterung, die sich auf die Fragen des anzuwendenden Rechts beschränkt.“258

Begründet wurde dieser Gesetzesvorschlag der Störung der Strafrechtspflege259 durch eine der richterlichen Entscheidung vorwegnehmenden Berichterstattung mittels folgender Ausführungen: „Das Gesetz kann nicht unberücksichtigt lassen, dass das hochentwickelte Nachrichtenwesen und die Massenpublikationsmittel der Presse, des Funks und des 254  SK-StPO/Velten, GVG, Vor  § 169, Rn. 33; Keil, Verdachtsberichterstattung, S. 260 f. 255  Scherer, JuS 1979, 470; Stürner, JZ 1978, 161. 256  SK-StPO/Velten, GVG, Vor § 169, Rn. 34. 257  Siehe auch von Coelln, AfP 2014, 193 ff. 258  Entwurf eines Strafgesetzbuches, „E 1962“, BT-Drs. IV/650, S. 86. 259  Rubens-Laarmann, Gerichtsberichterstattung, S. XXVII ff.

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2. Kap.: Öffentlichkeit von Strafverfahren

Films Möglichkeiten eröffnen, auf die öffentliche Meinung und damit mittelbar auch auf die Rechtspflege in einem Umfang bestimmend einzuwirken, wie das früher ausgeschlossen war. […] Gerade bei Strafverfahren von allgemeiner Bedeutung bringen […] mit bestimmten Ziel geführte Erörterungen rechtsfremde und parteiische Gesichtspunkte […] zur Geltung, die den Richtern […] ihre Unbefangenheit nimmt […].“260

Zwar konnte sich dieser Straftatbestand wie auch die insgesamt angestrebte Reform des gesamten Strafgesetzbuches („E-1962“) letztlich nicht durchsetzen, was auch aus rechtspolitischer Sicht überzeugend ist. Zwar kann nicht gänzlich ausgeschlossen werden, dass in einzelnen Fällen durch eine exzessive Berichterstattung über ein Strafverfahren die richterliche Unabhängigkeit beeinflusst wird, doch findet diese Berichterstattung ihre Grenzen in den vorhandenen Ehrdelikten und Nötigungstatbeständen.261 Dennoch zeigt sich an der späteren Einführung des § 353d Nr. 3 StGB262 und den aktuellen Überlegungen in Bezug auf einen derartigen Straftatbestand, dass die Furcht vor massenmedialer Einflussnahme auf den Strafprozess nach wie vor, zumindest in latenter Form, vorhanden ist.263 Dieses Anliegen einer Verhinderung besonders suggestiver Vorverurteilung des Angeklagten oder der Abwertungen einer durch Zeugen getätigten Aussage verliert gerade nicht durch den hohen Stellenwert der Massenmedien in der Informationsgesellschaft an Bedeutung.264 Gerade vor dem Hintergrund der bestehenden Kontrollfunktion durch die Öffentlichkeit der Verhandlung gibt es allerdings keine rechtspolitische Notwendigkeit zur Einführung solcher Vorschriften.265 Auch wenn man im Zuge der Betrachtung der als „scharf beschriebenen Journalisten“ zu der Annahme kommen könnte, dass Justiz und Medien in einem Spannungsverhältnis zueinander stehen, liegt bei genauerer Untersuchung die Erkenntnis nahe, dass Justiz und Presse „auf einem Pferd reiten“ und gewissermaßen in einer „Zwangsehe“ mit Potential zum Ausbau einer „Neigungsehe“ leben.266 Hassemer etwa beschreibt die Medien sogar als „das zentrale Sprachrohr der Justiz“.267

260  Entwurf

eines Strafgesetzbuches, „E 1962“, BT-Drs. IV/650, S. 639. GVG, Vor  § 169, Rn. 34; Scherer, Gerichtsöffentlichkeit,

261  SK-StPO/Velten,

S. 160 ff. 262  BeckOK StGB/Heuchemer, § 353d Rn. 7 m. w. N. 263  Hamm, AfP 2014, 202, 205. 264  Hamm, AfP 2014, 202, 205; siehe auch Hufen, Grundrechte, § 27, Rn. 17. 265  SK-StPO/Velten, GVG, Vor § 169, Rn. 34 m. w. N. 266  Damrow, Öffentlichkeit, S. 43, 48 m. w. N. 267  Hassemer, Medien im Bundesverfassungsgericht, S. 13, 14.



A. Einzelne Aspekte des Öffentlichkeitsgrundsatzes im Strafverfahren 57

dd) Medialisierung des Strafverfahrens Im Kontext der Untersuchung der verfassungsnormativen Erwartungen an die Öffentlichkeitsverantwortung der Gerichte gilt es neben der Analyse des Strukturwandels der Öffentlichkeit auch, das Verhältnis von Strafverfahren und Medien als einen Medialisierungsprozess zu betrachten. Gravierend etwa wirkt sich das mehr und mehr veränderte Rezeptionsverhalten auf das Recht in der Form aus, als Medienprodukte verstärkt auf visuelle Reize in ihrer Präsentations- und Berichterstattungsfunktion setzen. Eine verstärkte Visualisierung geht häufig zulasten von Argumentationen und abstrakter Denkweisen. Die Visualisierung des Rechts kann in Zukunft dazu führen, dass rechtlicher Argumentation zum „Geschichtenerzählen“ wird, was auch mit einer ­zunehmenden Personalisierung gerichtlicher Entscheidungen268 zusammenhängt.269 So konstatierte etwa das Bundesverfassungsgericht, dass Personalisierung „ein wichtiges Mittel zur Erregung von Aufmerksamkeit ist“,270 denn nur dadurch entstehe der Eindruck von Lebendigkeit und Authentizität.271 „Strafgerichte sind populär. Das wussten schon die Herausgeber der ersten Zeitungen, die regelmäßig Berichte über Strafsachen auf ihre knappen Seiten setzten. Nicht nur Geschichten über Mord und Totschlag interessierten das Publikum, es lockte auch die Verhandlung selbst, je nachdem warum es gerade geht.“272

Untersucht man den Diskussionsverlauf um eine Erweiterung des Öffentlichkeitsgrundsatzes von der Einführung des § 169 S. 2 GVG a. F. bis hin zur aktuellen Reformdiskussion, so erscheint es häufig als ein Versuch, zwei vollkommen autonome Bereiche  – die Justiz und die Medien  – miteinander in Verbindung zu bringen. Dabei werden die Medien regelmäßig in die Rolle eines externen Beobachters gedrängt, die das im Gerichtssaal Geschehene kommentieren, bewerten und unter Umständen auch zu beeinflussen vermögen. Jedoch bleibt gerade dieses Verständnis von Medien sowohl hinter der tatsächlichen Realität als auch hinter den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen betreffend die Rolle und Wirkungsweise der Medien innerhalb des gesellschaftlichen Alltags weit zurück. Dies zeigt sich anschaulich an gesellschaftlichen Ereignissen aus den Bereichen der Politik273 oder des 268  „Es ist nicht mehr nur das Landgericht Mainz oder Koblenz, sondern der Richter Mayer oder Müller mit Vornamen in der Zeitung“, Caesar, RuP 1996, 144, 145. 269  Gostomzyk, AfP  2005, 437, 441; siehe auch Sorth, Rundfunkberichterstattung, S. 82. 270  BVerfGE 101, 361, 390. 271  Gostomzyk, AfP  2005, 437, 438; ähnlich bereits von Laroche, Öffentlichkeit, S. 63 f. 272  Seibert, in: Stürmer/Meier: Recht Populär, S. 125. 273  Der Einfluss der Medien auf kommunikatives Handeln zeigt sich insbesondere im Bereich der Politik. Da Politik in einem demokratischen System zustimmungsbe-

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2. Kap.: Öffentlichkeit von Strafverfahren

Sports, die eine mediale Aufmerksamkeit erregen. Die Medien sind bei derartigen Ereignissen immer ein Teil  des sozialen Geschehensablaufs und gerade kein externer Einflussfaktor. Anhand solcher gesellschaftlichen Ereignisse wird deutlich, dass es sich gerade nicht um eine Verbindung zweier separater Phänomene handelt, sondern vielmehr um ein wechselseitiges Durchdringen der einen in die jeweils andere Disziplin.274 Übertragen auf das Strafverfahren zeigt sich das beschriebene Phänomen zunächst an der Veränderung der äußeren Rahmenbedingungen der Hauptverhandlung, die der Ermöglichung des medialen Zugriffs auf das Verfahren geschuldet sind. Betrachtet man Strafverfahren mit einem großen medialen Interesse, sieht man etwa, dass diese grundsätzlich im größten Raum des betroffenen Gerichtsgebäudes stattfinden, damit idealerweise ausreichend Platz für Zuschauer und Medienvertreter vorhanden ist. Dies erscheint vor dem Hintergrund der hohen Bedeutung der Medien innerhalb der Gesellschaft und des grundsätzlichen Bemühens der Gerichte, ein (öffentliches) Strafverfahren möglichst allen Interessierten zugänglich zu machen, nur folgerichtig. Doch darf sich die Justiz bei ihrer Entscheidung darüber, welches Verfahren in welchem Verhandlungssaal stattzufinden hat, nicht ausschließlich nach dem massenmedialen Interesse leiten lassen.275 Einen besonders krassen Fall der Veränderung äußerer Rahmenbedingungen kann es etwa darstellen, wenn die mediale Fokussierung auf einen Strafprozess sich in der Beeinflussung der gerichtlichen Zuständigkeit widerspiegelt. Dies kann vor dem Hintergrund des § 24 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 Var. 3 GVG geschehen,276 wenn der anstehende Prozess aufgrund der medialen Berichterstattung eine „besondere Bedeutung“ erlangt277 und damit anstelle des eigentlich zuständigen Amtsgerichts die Zuständigkeit des Landgerichts begründet wird.278 Von besonderer Bedeutung ist eine Sache, die sich aus tatdürftig ist, sind die Akteure in diesem Bereich ununterbrochen dazu gezwungen, innerhalb der Bevölkerung um Zustimmung zu werben. Dass die Massenmedien die Art und Weise der politischen Kommunikation zum Zwecke der Darstellung mittlerweile nahezu vollständig beherrschen, ist nachgewiesen. Die Politiker richten ihre Selbstdarstellung und ihre Kommunikationsstrategien von Anfang an auf die medienspezifischen Formate aus. Dadurch betreiben sie ein mediengerechtes Ereignismanagement, indem sie sich der Eigengesetzlichkeiten der Massenmedien bewusst bedienen, siehe ausführlich Danziger, Medialisierung des Strafprozesses, S. 270 ff. 274  Danziger, Medialisierung des Strafprozesses, S. 19. 275  Danziger, Medialisierung des Strafprozesses, S. 312. 276  Meyer-Goßner/Schmitt-Schmitt, GVG, § 24, Rn. 8. 277  BGHSt 44, 34, 37; BeckOK StPO/Graf, GVG, § 24, Rn. 16 ff.; kritisch zu dieser Vorschrift jüngst Godendorff, StV 2017, 626 ff. 278  von Berg, Die besondere Bedeutung des Falles durch § 24 Abs. 1 Nr. 3 Var.  3 GVG, S. 86 ff.



A. Einzelne Aspekte des Öffentlichkeitsgrundsatzes im Strafverfahren 59

sächlichen oder rechtlichen Gründen aus der Masse der durchschnittlichen Strafsachen heraushebt, wobei die Berwertung im Einzelfall entscheidend ist.279 Die besondere Bedeutung eines Falles soll bei § 24 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 Var. 3 GVG angenommen werden, wenn ein aus dem besonderen, über das regionale Aufsehen hinausgehendes280 Interesse der allgemeinen Öffentlichkeit an dem Fall in überregionalen Medien vorliegt.281 Erfolgt eine solche Zuständigkeitsverschiebung als Folge einer extensiven Berichterstattung, kommt es zu einer Bestimmung des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG) durch die Massenmedien.282 Ferner kann daraus ein Eingriff in die Unabhängigkeit der Gerichte resultieren. ee) Unterhaltungsfunktion der Medien durch Gerichtsberichterstattung Die moderne Gerichtsberichterstattung vermischt Elemente der Information mit denen der Unterhaltung, wodurch Gerichtsberichterstattung dem sogenannten Infotainment (ein Wortspiel aus den englischen Begriffen „Information“, also Informationen, und „Entertainment“, also Unterhaltung), der unterhaltenden Informationsvermittlung, zugeordnet wird. Gerade die Fokussierung der Fernseh- und Hörfunkanbieter auf spektakuläre, außergewöhnliche und umfangreiche Strafverfahren bedienen dieses Informations-, Unterhaltungs- und Sensationsinteresse283 der Bevölkerung.284 Zur Illustration der eigentlichen massenmedialen Berichterstattung werden Bild und Ton aus dem Verhandlungssaal verwendet.285 Diese Unterhaltungsfunktion der medialen Strafgerichtsberichterstattung kann zwar ein wichtiger Faktor für die breite Bevölkerung sein, jedoch wiegt im Vergleich dazu das Informationsinteresse286 der Bevölkerung mehr als das reine Unterhaltungsinteresse. Damit ist die Unterhaltungsfunktion als ein Bonus der Gerichtsberichterstattung zu sehen. Durch sie kann jedoch niemals ein Eingriff in die Persönlichkeitsrechte des Angeklagten und der übrigen Verfahrensbeteiligten gerechtfertigt werden.287 279  BGHSt

47, 16, 19; OLG Jena NStZ 2016, 375. Karlsruhe, NStZ-RR 2000, 60, 62. 281  BGHSt 44, 34, 36 f.; BGH, JR  2012, 467, 468; OLG Jena, NStZ  2016, 375; BeckOK StPO/Eschelbach, § 24, Rn. 17; a. A. Bettermann, AöR 1969, 263, 295; SKStPO/Degener, § 24, Rn 29. 282  Kritisch Bockelmann, GA  1957, 357, 362; siehe auch Marxen, JZ  2000, 294, 295. 283  Haug, Bildberichterstattung über Prominente, S. 118 ff. m. w. N. 284  Rüping, in: FS Dünnebier (1982), S. 391, 397. 285  Friedrichsen, Strafjustiz und Medien, S. 75, 77. 286  Dazu unten in Kap. 2, C. IV. 2. 287  Fink, Bild- und Tonaufnahmen, S. 341 f. 280  OLG

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2. Kap.: Öffentlichkeit von Strafverfahren

Interessant ist an dieser Stelle, dass Mitte der 1920er Jahre über ein Steuerprojekt spekuliert und diskutiert wurde, welches eine Art Sensationsprozesssteuer vorsah, da bereits damals die Unterhaltungsfunktion eine erhebliche Rolle gespielt haben muss. An diese Überlegung erinnerte man sich Ende der 1960er  Jahre und es wurde konstatiert, dass durch sensationelle Kriminalfälle und deren Berichterstattung in den Printmedien die Absatzmöglichkeit der Zeitungen gesteigert würde und nicht nur die Medien von dieser Entwicklung profitieren sollten.288 ff) Prangerwirkung durch die Medien Für jeden Beschuldigten und Angeklagten besteht die Gefahr, dass entweder über seine Person, die (vermeintlich) durch ihn begangene Tat oder über beides in Kumulation in den Medien (damit sind im Folgenden sowohl die Printmedien als auch der Hör- und Fernsehrundfunk, aber auch und insbesondere die modernen Massenmedien des Internets gemeint) berichtet wird. Eine derartige Berichterstattung wird auch als „moderne Prangerstrafe des heutigen Rechtslebens“289 oder der „Prangerwirkung der medialen Bericht­ erstattung“290 bezeichnet. Auffällig ist dabei, dass Untersuchungen zur Medienöffentlichkeit von Strafverfahren diesen Terminus oftmals als existent und zudem bekannt voraussetzen.291 Bevor man jedoch von einer „Prangerwirkung“ durch die heutigen Medien im Zuge einer massenmedialen Berichterstattung sprechen kann, sollte man diesen Begriff, der nicht dem rechtlichen, sondern dem sozialen Sanktionssystem immanent ist, in seiner ursprünglichen und heutigen Bedeutung analysieren, um sodann korrekt mit ihm im Kontext des Strafverfahrens operieren zu können. (1) Prangerstrafe als Ehrenstrafe Unter der „Prangerstrafe“ war ursprünglich die öffentliche Bloßstellung von Beschuldigten im Mittelalter zu verstehen. Die Prangerstrafe292 gehörte zu den sogenannten „Ehrenstrafen“, die sich dadurch kennzeichnen lassen, 288  Vgl. dazu den Nachdruck des mit „H.F.A.“ gekennzeichneten Beitrags bei Nadler, JZ 1968, 310. 289  So bereits im Jahr 1901 Quanter, Schand- und Ehrenstrafen, S. 108. 290  Beispielsweise Hübner-Raddatz, Fernsehöffentlichkeit, S. 82. 291  Eine Ausnahme aus der jüngeren Zeit ist die Abhandlung von Fröhling: „Der moderne Pranger – Von den Ehrenstrafen des Mittelalters bis zur Prangerwirkung der medialen Berichterstattung im heutigen Strafverfahren“ aus dem Jahr 2014. 292  Ursprünglich diente der Pranger als ein Mittel zu Folter und damit der Wahrheitsfindung, erst später entwickelte er sich zu einem Strafmittel, vgl. ausführlich Fröhling, Der moderne Pranger, S. 48 ff. m. w. N.



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dass der Vollzug bestimmter Strafarten an für die allgemeine Öffentlichkeit zugänglichen Orten stattfand, was als ein besonderes Übel empfunden wurde. Die Öffentlichkeit wurde zum einen als eine Verstärkung der eigentlichen Strafe (etwa einer Leibes- oder Todesstrafe) betrachtet, zum anderen aber konnte die Bloßstellung in der Öffentlichkeit selbst die Strafe darstellen.293 So entwickelte sich die Ausstellung am „Schandpfahl“294 im Mittelalter295 zu einer selbstständigen Strafart.296 Der Pranger stellte nicht nur ein Instrument dar, die verhängte Strafe zu vollziehen, sondern er galt darüber hinaus als ein Ort, der mit Unehrlichkeit behaftet war. Von ehrbaren Bürgern wurde ein solcher Platz gemieden, da bereits das Anfassen des Prangers zu einer Verminderung der eigenen Ehre führen konnte. Die Berührung war lediglich dem Scharfrichter gestattet, dem ohnehin die bürgerliche Ehre fehlte.297 Betrachtet man die Ehrenstrafen aus der vergangenen Zeit wird deutlich, dass sie in das heutige Sanktionssystem nicht hineinpassen, was auch die Betrachtung des Strafgesetzbuches zeigt, das derart soziale Strafen – abgesehen von den §§ 45 ff. StGB  – nicht (mehr) kennt. Diese Rolle des sozialen Strafens wurde jedoch nicht gänzlich aus der Gesellschaft verbannt, sondern unter anderem und in einem gewissen Maße von der heutigen Medienwelt übernommen.298 (2) Prangerwirkung durch Kriminalberichterstattung Das Interesse an Kriminalität und ihrer Aufarbeitung in der Öffentlichkeit ist enorm299 und wird mittels der Massenmedien befriedigt, wodurch die an Fröhling, Der moderne Pranger, S. 31 ff., 47 ff. den sogenannten „Schandstrafen“ gehörte neben dem Schandpfahl auch das eiserne Halsband und der Stock; bei derartigen Schandstrafen hatte die damalige Obrigkeit nur die Bloßstellung der Übeltäter zu Schimpf, Schande und Hohn bezweckt, es somit der Öffentlichkeit als dem Publikum überlassen, die Strafe durch Belustigungen aller Art zu vermehren und den Bestraften öffentlich lächerlich zu machen, vgl. Fröhling, Der moderne Pranger, S. 45; Quanter, Schand- und Ehrenstrafen, S. 187. 295  Die Sanktion der Ehrenstrafe beschränkt sich jedoch nicht auf die Zeit des Mittelalters, dort liegt lediglich der Ursprung dieser Strafart. Die Prangerstrafe verbreitete sich auch im 15. und 16. Jahrhundert, bedingt durch die Bestrebungen zur Vereinheitlichung des deutschen Rechts, immer weiter, vgl. ausführlich Fröhling, Der moderne Pranger, S. 58. 296  Fröhling, Der moderne Pranger, S. 39. 297  Fröhling, Der moderne Pranger, S. 55 m. w. N., die ferner beschreibt, dass Handwerker, die die Errichtung des Prangers zur Aufgabe hatten, durch eine besondere Verordnung vor der Ehrlosigkeit geschützt wurden, Art. 215 Constitutio Criminalis Carolina. 298  Ausführlich Fröhling, Der moderne Pranger, S. 159. 299  Ausführlich Reinartz, Öffentlichkeitsarbeit, S. 6 ff. m. w. N. 293  Treffend 294  Zu

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2. Kap.: Öffentlichkeit von Strafverfahren

der strafrechtlichen Aufarbeitung eines Geschehens beteiligten Personen (freiwillig300 oder unfreiwillig) in den Fokus der Berichterstattung rücken. Konfliktfälle zwischen dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht dieser Betroffenen und der Medienfreiheit sowie dem Informationsinteresse der Allgemeinheit sind charakteristisch für derartige Konstellationen.301 In diesem Zusammenhang wurde der Begriff der „modernen Prangerwirkung“ geprägt: „Wir haben die Humanität mit Löffeln genossen und wenden uns von jenen Zeiten mit Grausen; dabei sind wir aber inhuman genug, mit Vergnügen über vernichtete Existenzen zu schreiten, wenn wir nur etwas Sensationelles in der Zeitung finden.“302

Im Kontext der hier untersuchten Prangerwirkung spielt auch das Internet eine zunehmend an Bedeutung gewinnende Rolle, da der Wandel von einem redaktionell ausgestalteten und aus Sicht der Nutzer passiven Informationsangebot hin zu einer zunehmenden Zahl an Nutzern in einer Doppelrolle gewandelt hat. Die Nutzer beteiligen sich aktiv mit eigenen Inhalten oder über Tweets und Reposts von Artikeln und Nachrichtenmeldungen in sozialen Netzwerken, anderen Diensten oder nutzen die Möglichkeit von Kommentierungsfunktionen, die am Ende einer Vielzahl von Online-Artikeln verfügbar sind.303 Dies führt zu einem Verschwimmen der bisher bekannten Grenzen von Massen- und Individualkommunikation, weil auch Privatpersonen zu massenmedialer Kommunikation ohne großen Aufwand in der Lage sind.304 Als weiteres Novum tritt die Möglichkeit zur Anonymisierung der eigenen Beiträge hinzu, was im Zeitalter der Printmedien nicht ohne Weiteres möglich war.305 Diese Publikationsmöglichkeit ohne Preisgabe der jeweiligen Identität birgt jedoch auch Gefahren,306 da auf diese Weise Inhalte publiziert 300  Haug,

Bildberichterstattung über Prominente, S. 149 ff. Der moderne Pranger, S. 205; siehe auch Sorth, Rundfunkberichterstattung, S. 79. 302  Quanter, Schand- und Ehrenstrafen, S. 203. 303  Fröhling, Der moderne Pranger, S. 214. 304  Spindler, Persönlichkeitsschutz im Internet, S. F11; Fierdag, Persönlichkeitsrechte in Zeiten des Web 2.0, S. 51, 52 f. 305  Spindler, Persönlichkeitsschutz im Internet, S. F12. 306  Leitmeier äußert hiergegen erhebliche Bedenken, indem er feststellt, dass diese aktive (und anonyme) Partizipationsmöglichkeit der Gesellschaft ein gravierendes Ausmaß bis hin zu einer Einmischung in einen laufenden Strafprozess annehmen kann. Beispiele für eine solche Einmischung, vornehmlich durch juristische Laien, seien der bereits dargestellte Fall Edathy und der Fall Lohfink. Ein Richter kämpfte mit dem jeweiligen, im Fokus der Medien stehenden Strafverfahren, das durch Inte­ ressenpolitik von außen erschwert werde und müsse am Ende das Urteil verantworten. Die Justiz lebe jedoch gerade von dem Vertrauen, das ihr durch die Bürger ent301  Fröhling,



A. Einzelne Aspekte des Öffentlichkeitsgrundsatzes im Strafverfahren 63

und Artikel geteilt und weiterverbreitet werden können, die man unter Angabe des eigenen Namens in dieser Form nicht veröffentlicht hätte.307 Somit kann grundsätzlich jeder, der Informationen über eine Straftat oder ein Strafverfahren erlangt hat und aus welchen Motiven auch immer für mitteilungsbedürftig hält, dies in unkontrollierbarer Weise über das Internet tun und zwar ohne die Richtlinien eines Pressekodex zu berücksichtigen.308 Ferner führt die Nutzung des Internets auch im Rahmen der Kriminalberichterstattung dazu, dass der Verbreitungskreis einer neuen Nachricht deutlich größer ist, da von überall auf der Welt ein Zugriff auf Online-Nachrichtenmagazine möglich und mit einer nahezu unbegrenzten Speicherungsmöglichkeit (digitale Archivierung) versehen ist.309 (3) Prangerwirkung als poena naturalis Daran schließt sich die Frage an, ob einer derart medialen Prangerwirkung zugleich auch eine natürliche Straffunktion immanent ist. Umso mehr verwungegengebracht werde. Selbstverständlich dürfe jeder seine Interessen vertreten und sich auch jeder zu laufenden Verfahren äußern, die Urteile der Justiz kritisieren. Wer das aber unter Zuhilfenahme der Instrumentalisierung eines konkreten Verfahrens mache, beschädige die Justiz. Daher solle man die Rechtsprechung den zuständigen Richtern überlassen, da es schon schwierig genug sei, einen Fall angemessen zu lösen; einen Fall gänzlich ohne Aktenkenntnis und von außen zu lösen, sei unmöglich!, vgl. ders., „Einmischung in Strafverfahren: Keine Ahnung haben, aber empört sein“, in: LTO v. 26.08.2016, online abrufbar unter: http://www.lto.de/recht/hintergruende/h/ laien-prozess-empoerung-einmischung-meinung-laufende-verfahren-ohne-aktenkennt nis-sachverstand/ (zuletzt am 04.04.2018). 307  Zu diesen Gefahren zählt auch die derzeit populäre und im Zusammenhang mit dem US-Präsidentschaftswahlkampf in die Schlagzeilen geratenen „Fake News“, die insbesondere in sozialen Netzwerken verbreitet sind und die mitunter auch von Journalisten aufgegriffen werden. Dazu etwa Weberling, NJ  2017, 407 f.; Nolte, ZUM 2017, 552 ff. 308  Siehe dazu jüngst die Einführung des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes (BGBl. I 2017, S. 3352): Um die sozialen Netzwerke zu einer zügigeren und umfassenderen Bearbeitung von Beschwerden insbesondere von Nutzerinnen und Nutzer über Hasskriminalität und andere strafbare Inhalte anzuhalten, werden durch das NetzDG gesetzliche Compliance-Regeln für soziale Netzwerke eingeführt. Exemplarisch genannt seien etwa eine gesetzliche Berichtspflicht für soziale Netzwerke über den Umgang mit Hasskriminalität und anderen strafbaren Inhalten, ein wirksames Beschwerdemanagement. Verstöße gegen diese Pflichten können mit Bußgeldern gegen das Unternehmen und die Aufsichtspflichtigen geahndet werden. Außerdem wird Opfern von Persönlichkeitsrechtsverletzungen im Netz ermöglicht, aufgrund gerichtlicher Anordnung die Bestandsdaten der Verletzer von Dienstanbietern zu erhalten. Unter Hinweis auf die Bedrohung der freien Meinungsbildung und einer Zensurwirkung aus verfassungs- und europarechtlicher Sicht kritisch Spindler, K&R 2017, 533 ff. m. w. N. 309  Fröhling, Der moderne Pranger, S. 214 f.; Spindler, Persönlichkeitsschutz im Internet, S. F35.

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2. Kap.: Öffentlichkeit von Strafverfahren

dert es, dass nicht nur in der Literatur, sondern auch in gerichtlichen Entscheidungen310 das Vorliegen einer Prangerwirkung medialer Berichterstattung oftmals angenommen oder abgelehnt wird, jedoch ohne explizit darzulegen und zu definieren, welche Umstände für eine solche Prangerwirkung erfüllt sein müssen. Einzig in einem Urteil des Bundesgerichtshofs aus dem Jahr 1960 findet sich eine Passage in der es heißt, dass Fernsehaufnahmen eines Betroffenen unter der gleichzeitigen Nennung seines Namens und der Mitteilung der Wohnanschrift und unter einer negativen Qualifizierung nicht zulässig seien, da dies eine derart „starke soziale Prangerwirkung“ aufweise, die „auch ein früherer Schwerverbrecher nicht zu dulden brauchte“.311 Das Bundesverfassungsgericht befasste sich in der Lebach-I-Entscheidung im Jahr 1973312 erstmals mit den Auswirkungen einer öffentlichen Berichterstattung über eine begangene Straftat unter Nennung des Namens und Abbildungen oder Darstellungen des Täters und entschied, dass das Persönlichkeitsrecht erheblich beeinträchtigt ist, wenn durch eine detaillierte Berichterstattung das strafbare Verhalten öffentlich bekannt gemacht wurde und die betroffene Person in den Augen der Adressaten von vornherein negativ qualifiziert wird. Im Rahmen einer Fernsehberichterstattung sei diese Wirkung auf den Zuschauer weitaus nachhaltiger als bei einer Berichterstattung durch die Printmedien, was auch damit zusammenhänge, dass die Zuschauer dem präsentierten Ereignis weitaus weniger kritisch gegenüberstünden, da diese Form der Darstellung oftmals realistischer erscheine. So sei bei dem Zuschauer die Möglichkeit einer Verwechslung des Gezeigten mit der Interpretation des Geschehens durch den Dokumentarfilm als richtige und objektive Bewertung nicht ausgeschlossen. Diese „geschilderte Prangerwirkung“313 disqualifizierender Darstellungen würde wegen der Machtstellung der Fernsehsendungen den Betroffenen nach deren gerichtlicher Verurteilung eine „erneute soziale Sanktion“ bedeuten, durch die die „vorhandene allgemeine Abwehrhaltung gegenüber Strafentlassenen verstärkt“ werde. Auch die im „Strafvollzug vielleicht mühsam erreichte innere Stabilisierung“ könne so tangiert oder gar zerstört werden. Diese Entscheidung zeigt deutlich die Differenzierung bei der Verwendung des Begriffs der Prangerwirkung durch das Bundesverfassungsgericht auf. Unterschieden wird zum einen zwischen den Auswirkungen einer negativen Berichterstattung auf den Verurteilten und dessen Selbstbild, zum anderen auf die Reaktionen, welche durch die massenmediale Berichterstattung im Umfeld des Betroffenen von dessen Mit310  Exemplarisch

BVerfGE 35, 202, 233; BVerfG, GRUR 2010, 544 ff. NJW 1966, 2335 (Hervorhebung durch die Verfasserin); a. A.  Arndt, NJW 1967, 1845, 1846. 312  BVerfGE 35, 202 ff. 313  Hervorhebung durch die Verfasserin. 311  BGH,



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menschen ausgehen. Es wird differenziert zwischen der inneren und äußeren Ehre sowie den Einwirkungsmöglichkeiten auf diese.314 Bemerkenswert ist anknüpfend an diese Ausführungen, dass nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts allein die Feststellung des Vorliegens einer Prangerwirkung durch die massenmediale Berichterstattung nicht geeignet ist, eine solche Berichterstattung zu untersagen.315 Vielmehr ist nach Ansicht des höchsten deutschen Gerichts gegen die Feststellung einer Prangerwirkung von Verfassungs wegen grundsätzlich nichts einzuwenden.316 Trotz der großen Bedeutung des Fernsehens für das Informationsbedürfnis der Bevölkerung kam das Bundesverfassungsgericht im Jahr 2001317 zu dem Ergebnis, dass Filmaufnahmen während eines Strafverfahrens nicht zulässig sein sollten, da sich jeder Angeklagte in einer emotional angespannten Situation befinde, die „auf Grund der Prangerwirkung318 der öffentlichen Darstellung des Verhaltens vor Gericht oder wegen der nachhaltigen Erinnerung eines großen Teils der Öffentlichkeit an das Verfahren“ erhebliche Folgen bewirken könne. In seiner Gerichtsfernsehen-Entscheidung aus dem Jahr  2002 führte das Bundesverfassungsgericht abweichend zu früheren Entscheidungen aus, dass Äußerungen betreffend die Sozialsphäre nur im Fall „schwerwiegender Auswirkungen auf das Persönlichkeitsrecht mit negativen Sanktionen“ verknüpft werden dürfen, „etwa bei Stigmatisierung oder sozialer Ausgrenzung sowie bei Eintreten einer Prangerwirkung“.319 In dieser Entscheidung greift das Bundesverfassungsgericht erstmalig den Terminus der Prangerwirkung als Grenze einer unzulässigen Berichterstattung auf.320 In Bezug auf die (hier relevante) Berichterstattung über Strafverfahren kam das Bundesverfassungsgericht zu dem Ergebnis, dass bis zu einem Schuldspruch in erster Instanz bei Fernsehberichterstattungen „oftmals das Gewicht des Persönlichkeitsrechts gegenüber der Freiheit der Berichterstattung überwiegt“.321 Interessant ist ferner, dass obwohl die Bewertung einer unzulässigen Berichterstattung und die damit im Zusammenhang stehende Prangerwirkung in der (exemplarisch dargestellten) zivilrechtlichen Rechtsprechung hauptsächlich im Kontext von massenmedialer Berichterstattung über Strafverfahren erfolgt, dieser Begriff (soweit ersichtlich) bisher keinen Einzug in die straf314  Fröhling,

Der moderne Pranger, S. 315 ff. 97, 391 ff.; so auch in BVerfG, NJW 1999, 2358. 316  BVerfGE 97, 391 ff. 317  BVerfGE 103, 44 ff. 318  Hervorhebung durch die Verfasserin. 319  BVerfG, NJW 2003, 1109 (Hervorhebung durch die Verfasserin). 320  Fröhling, Der moderne Pranger, S. 320 f. 321  BVerfG, NJW 2009, 350; siehe auch BVerfG, NJW 2009, 2117. 315  BVerfGE

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2. Kap.: Öffentlichkeit von Strafverfahren

rechtliche Rechtsprechung gefunden hat,322 obwohl die Berichterstattung über Strafverfahren in vielen Fällen Auswirkungen auf das Strafverfahren selbst und dessen Belange hat.323 Strafverfahren, denen eine massenmediale Aufmerksamkeit zuteil wird, werden häufig umfangreicher von den Verfahrensbeteiligten vorbereitet als andere Verfahren, was sich allein schon aus den Berichtspflichten gegenüber den Vorgesetzen und vor allem gegenüber dem Pressesprecher ergibt.324 Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass Medien Einfluss auf die Einleitung von Ermittlungsverfahren, auf den Gang der Ermittlungen bis hin zum Abschluss des Ermittlungsverfahrens nehmen.325 Auch in der Literatur regen sich Zweifel an einer von den Medien gänzlich unbeeinflussten Rechtsanwendung zumindest bei den Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft,326 bei Zeugen und Sachverständigen327 sowie bei Laienrichtern.328 Auch bei Berufsrichtern329 wird dies teilweise angenommen.330 Eine solche Berichterstattung – auch in gerichtskritischer Form – und eine (jedenfalls nicht auszuschließende Beeinflussung) von Ermittlungsbehörden und Gerichten bedeutet nicht automatisch, dass eine Verletzung des Grundsatzes des fairen Verfahrens gegeben ist, sondern im Gegenteil  – eine derartige Auseinandersetzung kann zu sorgfältigeren Ermittlungen oder einer überlegteren Entscheidungsfindung führen.331 Letztlich sind auch Richter nur Menschen und gehören als solche zum Adressatenkreis der massenmedialen Berichterstattung. In Bezug auf den Beschuldigten oder Angeklagten ist es nicht auszuschließen, dass eine (auch neutrale) massenmediale Berichterstattung über eine Straftat und ein Strafverfahren immer mit einer negativen Wirkung für das Ansehen des Betroffenen verbunden ist,332 selbst wenn empirische Nachweise für diese These nicht vorliegen. Die Nichterweislichkeit im Rahmen 322  Fröhling,

Der moderne Pranger, S. 326. Pressefreiheit, S. 207 ff., dessen Ergebnis jedoch nicht überzeugend

323  Bornkamm,

ist.

324  Altermann,

Medienöffentliche Vorverurteilung, S. 36. StV 2005, 175; Becker-Toussaint, Bedeutung der Medien, S. 43, 46. 326  Hohmann, NJW 2009, 881; Wehnert, StV 2005, 178. 327  Stürner, JZ 1978, 161, 164; Altermann, Medienöffentliche Vorverurteilung, S. 38; Bornkamm, Pressefreiheit, S. 285; Neuling, Inquisition durch Information, S. 167. 328  Grave, NJW 1981, 209, 211; Benz, Zur Rolle der Laienrichter im Strafprozeß, S. 152 ff.; Bornkamm, Pressefreiheit, S. 215; Marczak, SraFo 2004, 373, 377; Rüping, in: FS Dünnebier (1982), S. 391, 396 f.; Volk, in: FS Dünnebier (1982), S. 373 ff. 329  Hirsch, ZRP 2000, 536; Trüg, NJW 2011, 1040, 1045. 330  Fröhling, Der moderne Pranger, S. 327. 331  Fröhling, Der moderne Pranger, S. 328. 332  Ständige Rechtsprechung, exemplarisch BGHZ  161, 266; 178, 213; BVerfGE 35, 202, 230; 97, 391; 103, 44. 325  Tilmann,



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einer empirischen Studie liegt darin begründet, dass Medieninhalte anhand der eigenen subjektiven Erwartungen, dem eigenen Normverständnis auch vor dem Hintergrund der eigenen (Aus-)Bildung interpretiert werden.333 Zudem beeinflusst das durch die Massenmedien vermittelte Wissen selbst das Agieren in den Praxisfeldern und strukturiert die hier gewonnenen Erfahrungen, Stichwort: selektive Wahrnehmung.334 Insofern bleibt an dieser Stelle festzuhalten, dass die durch eine massenmediale Berichterstattung über ein (Ermittlungs- oder) Strafverfahren einhergehende Prangerwirkung trotz des teilweise massiven Eingriffs in die Persönlichkeitsrechte des (Beschuldigten) Angeklagten, verbunden mit sozialer und gesellschaftlicher Stigmatisierung335 und der damit verbundenen Folge der Ausgrenzung und dem möglichen Erschwernis der Resozialisierung, keine Straffunktion nach dem herkömmlichen Sanktionsverständnis darstellt. Dies resultiert zum einen daraus, dass das Strafmonopol einzig dem Staat und somit den staatlichen Gerichten zusteht. Ferner zielt die massenmediale Berichterstattung nicht per se auf eine Übelzufügung als Reaktion auf das begangene Unrecht. Dennoch ist bei dem Vorliegen einer medialen Prangerwirkung eine faktische Übelzufügung nicht von der Hand zu weisen und stellt eine zusätzlich zu der gerichtlich auferlegten Sanktion eine soziale Sanktion, eine poena naturalis,336 dar. Die poena naturalis zeichnet sich dadurch aus, dass sie die Schuld des Täters unberührt lässt, sie beschreibt vielmehr die Konstellation, in der der Täter durch die von ihm begangene Tat bereits Nachteile in Form einer Strafwirkung erfahren hat.337 Eine durch neutrale oder negative Berichterstattung hervorgerufene Prangerwirkung bedient dabei nicht nur den Sühnegedanken, sondern noch weitere Strafzwecke,338 da die mit einer Prangerwirkung verbundenen Folgen als noch gravierender empfunden werden können als die durch den gesetzlichen Richter verhängte Sanktion. Betroffen von dieser Prangerwirkung ist neben dem Täter selbst (negative Spezialprävention) auch die durch die Massenmedien informierte Öffentlichkeit (negative Generalprävention). Auch kann durch eine breite Medienberichterstattung, wie sie exemplarisch im NSU-Prozess339 erfolgt, das Vertrauen der 333  Fröhling,

Der moderne Pranger, S. 330. Massenmedien, S. 360, 362 f. 335  „Wer medial hingerichtet, aber prozessual freigesprochen worden ist, hat in der Regel keine Chance mehr.“, vgl. Jahn/Gerhardt, ZRP 2016, 155, 156. 336  Der Begriff der poena naturalis geht zurück auf Immanuel Kant, Die Metaphysik der Sitten. 337  Fröhling, Der moderne Pranger, S. 340 f., die dieses Problem anschaulich beschreibt. 338  Dazu die Ausführungen in Kap. 2, C. IV. 4. 339  Ausführlich in Kap. 2, C. V. 1. d). 334  Noelle-Neumann,

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2. Kap.: Öffentlichkeit von Strafverfahren

Allgemeinheit in die Judikative gestärkt werden (positive Generalprävention). Selbst wenn der Täter die Prangerwirkung durch die Medien als Teil  der durch seine begangene Straftat resultierenden Folgen zu tragen hat, kann es im Einzelfall zu einer Erhöhung der gesetzlich normierten negativen Wirkung einer Verteilung kommen.340 gg) Etablierung von Litigation-PR Die Hauptkriterien, ob über ein Strafverfahren durch die Massenmedien öffentlichkeitswirksam berichtet wird, sind oftmals die Schwere der Tat oder die Prominenz der Verfahrensbeteiligten. Schlichtweg, wenn sich aus einer Gerichtsverhandlung Unterhaltungsstoff gewinnen lässt, dann beginnen die Medien, darüber zu berichten, zu kommentieren und zu kritisieren. Der Schwerpunkt der Medien wird sehr häufig auf eine erfolgversprechende Quote, auf Auflage und Emotionen der Bevölkerung gelegt,341 wobei die erlangten Informationen sodann „nach den Regeln der Unterhaltungsbranche verarbeitet“ werden. Die agierenden Personen als Individuum oder etwaige Fehlentwicklungen spielen in der Regel kaum eine Rolle mehr und werden nur noch am Rande wahrgenommen.342 Provokant könnte man an dieser Stelle behaupten, dass die Urteile nicht nur im Gerichtssaal gesprochen werden, sondern dass bereits vor der eigentlichen Verkündung des Urteils feststeht, ob der Angeklagte schuldig ist oder nicht. Lediglich über das Strafmaß, das – folgt man dem allgemeinen Rechtsempfinden – angemessen hoch sein müsse,343 wird in den Medien noch diskutiert; Resozialisierungsgedanken werden dabei kaum aufgeworfen. Durch diese Art der Berichterstattung sollen bei der mittelbaren Öffentlichkeit bewusst Emotionen geweckt oder deren Drang danach befriedigt werden. Daher kommt hier der Wahrung der Würde des Angeklagten und dessen Betrachtung als Mensch eine besonders tragende Rolle zu.344 Dahs beschreibt zutreffend die allzeit bekannten Bilder, bei denen die Angeklagten mit verschiedensten Methoden versuchen, ihr Gesicht unter Zuhilfenahme von Akten oder Jacken zu verdecken,345 um das Gesicht, „ihr persönlichstes 340  Fröhling,

Der moderne Pranger, S. 341. ZStW  122 (2010), 87, 88; siehe auch Friedrichsen/Gerhardt, ZRP 2015, 187, 188; Schmitt, ZRP 2011, 220, 221. 342  Zitiert nach Friedrichsen, ZRP 2007, 133. 343  Vgl. auch Redeker, Individualschuld und Mitverantwortung von Staat und Gesellschaft, S. C 45; so auch bereits Bührke, Öffentlichkeit, S. 23 ff. 344  Der Aspekt der Menschenwürde wird ausführlich erörtert bei Kübler, JZ 1984, 541, 544 f. 345  Treffend auch Schäfer, JR 2014, 494. 341  Safferling,



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äußeres Erscheinungsbild vor einer gierigen, mitleidlosen elektronischen Öffentlichkeit“ zu verbergen.346 Dieses Phänomen medialer Prozessführung347 haben sich seit einiger Zeit vor allem Rechtsanwälte,348 aber auch Staatsanwälte349 zu eigen gemacht,350 indem sie das Ergebnis der juristischen Auseinandersetzung mit Hilfe der Öffentlichkeit versuchen zu beeinflussen.351 Strafprozessführung über Medien, die sogenannte Litigation-PR, lebt davon, die Massenmedien in den Dienst der jeweils eigenen Interessen352 zu stellen.353 So konnte Wagner 1987 in einer Studie nachweisen, dass die Praxis der Litigation-PR auch in Deutschland verbreitet ist.354 Hamm nahm diesen Aspekt in einer Vorlesungsreihe Mitte der neunziger Jahre erneut auf und ergänzte ihn unter anderem um eigene,355 als renommierter und zugleich mediengewandter Strafverteidiger, gesammelte Erfahrungen aus der Praxis. Der Litigation-PR ist dabei eine zirkuläre Struktur immanent, denn indem die Medien zunächst versucht werden, in den prozessualen Geschehensablauf miteinbezogen zu werden, werden dadurch auf Seiten der Medien immer weitere Reaktionen provoziert, bis daraus eine selbstständige, über die Massenmedien geführte Auseinandersetzung um prozessrelevante Fragen wird, die es sodann wieder für die jeweiligen prozesstaktischen Ziele zu nutzen gilt.356 Damit ist sowohl die Grundbedingung als auch die logische Folge einer Strafprozessführung über 346  Dahs, Neugestaltung der Vorschriften über die Öffentlichkeit in Strafverfahren, S. K 7, K 13; siehe auch Huff, in: FS Landau (2016), S. 369, 374. 347  Zu den klassischen Kommunikationsinstrumenten in der Litigation-PR siehe Bentele, Litigation-PR, S. 29 ff. 348  Friedrichsen/Gerhardt, ZRP 2015, 187, 189; Bentele, Litigation-PR, S. 58 ff. m. w. N. 349  Dadurch entfernt sich die Staatsanwaltschaft von Ihrer Rolle als „objektivste Behörde der Welt“. Ausführlich auch Bentele, Litigation-PR, S. 65 ff. 350  Boehme-Neßler, Die Öffentlichkeit als Richter, S. 20; ders., AfP  2010, 539; Friedrichsen/Gerhardt, ZRP  2015, 187, 189; Gostomzyk, AfP  2005, 437, 439 f.; Raabe, Medienöffentlichkeit, S. 114 f. 351  Boehme-Neßler, ZRP 2009, 228 ff.; ders., AfP 2010, 539; Hohmann, NJW 2009, 881 ff. 352  Reinartz, Öffentlichkeitsarbeit, S. 32 ff. im Hinblick auf die Öffentlichkeitsarbeit der Verfahrensbeteiligten. 353  Holziger/Wolff, Im Namen der Öffentlichkeit, S. 18; Bruggmayer/Möller, K&R 2011, 234, 235; Jahn/Gerhardt, ZRP 2016, 155, 156; Raabe, Medienöffentlichkeit, S. 114; Friedrichsen/Gerhardt, ZRP  2015, 187, 189; mit Bezugnahme zum Kachelmann-Prozess auch Quoirin, DRiZ 2012, 87. 354  Wagner, Strafprozeßführung über Medien, S. 81 ff.; Friedrichsen/Gerhardt, ZRP 2015, 187, 189. 355  Hamm, Strafprozesse, passim. 356  Danziger, Medialisierung des Strafprozesses, S. 315; Boehme-Neßler, Die Öffentlichkeit als Richter, S. 20 ff.

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Medien die Etablierung und die Aufrechterhaltung eines „medialen Parallelforums“. In diesem Parallelforum hat die mittelbare Gerichtsöffentlichkeit die Gelegenheit, bereits vor Beginn der Hauptverhandlung den Beschuldigten, sowie Zeugen und weitere Beweismittel vor deren Thematisierung durch das Gericht kennenzulernen.357 hh) Gefahr für die richterliche Unabhängigkeit? Durch den gezielten Einsatz von Litigation-PR wird versucht, öffentlich Einfluss auf die Gerichte und somit auf die richterlichen Entscheidungen zu nehmen.358 Damit einhergehen kann ein Druck von außen auf die Richter, der auf deren richterliche Unabhängigkeit359 abzielt. Über die richterliche Unabhängigkeit hinaus fordert das Bundesverfassungsgericht360 auch die Unabhängigkeit des Richters von Einwirkungen und Einflüssen aus der gesellschaftlichen Sphäre.361 Die Vorstellung einer neutralen Amtsführung ist mit den Termini Richter und Gericht untrennbar verbunden,362 die Rechtsordnung schützt die Unabhängigkeit der Gerichte durch den in Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG verorteten Grundsatz der Gewaltenteilung und die sachliche Unabhängigkeit der Richter über Art. 97 Abs. 1 GG, § 25 DRiG.363 Die richterliche Unabhängigkeit ist ein Ideal, das durch den Rechtsstaat gefordert wird und ist zudem eine Frage der persönlichen Souveränität364 eines jeden einzelnen Richters. Diese persönliche Souveränität wird bei medienwirksamen Strafverfahren immer wieder auf die Probe gestellt.365 Ihre Wahrung wird schwieriger, wenn Richter zu prominenten Gesichtern und Individuen auf einer öffentlichen Bühne werden und somit (auch) in den Fokus der Öffentlichkeit rücken.366 Kepplinger / Zerback untermalen dies am Beispiel der 357  Danziger, Medialisierung des Strafprozesses, S. 316; vgl. auch Koppenhöfer, StV 2005, Beil. Medien und Strafjustiz, 172 f. 358  SK-StPO/Velten, GVG, Vor § 169, Rn. 6. 359  Maunz/Dürig-Grzeszick, GG, Art. 20, Rn 236. 360  BVerfGE 60, 253, 296. 361  Meinecke, Prominentenstrafrecht, S. 244. 362  BVerfGE 133, 168, 202; Landau, in: FS Rössner (2015), S. 829, 830. 363  A. A. Franke, Bildberichterstattung über den Angeklagten, S. 54 m. w. N., der die Regelung des Abs. 1 GG nur als deklaratorische Wiederholung dessen ansieht, was in Art. 20 Abs. 2 GG normativ geregelt ist. 364  Dass Richter nicht unfehlbar sind zeigt sich etwa am Beispiel des als „Richter Gnadenlos“ weit über seinen Gerichtsbezirk hinaus medial bekannt gewordenen (ehemaligen) Richter Ronald B. Schill, der 2014 eine Autobiographie unter dem Titel „Der Provokateur“ veröffentlichte. 365  Boehme-Neßler, AfP  2010, 539; Sorth, Rundfunkberichterstattung, S. 52 f.; Krieger/Schneider/Jahn, Handbuch Managerhaftung, Rn. 42.9 ff. 366  Jahn/Gerhardt, ZRP 2016, 155, 156.



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Schadensersatzklage des wegen Mordes an einem elfjährigen Jungen verurteilten Magnus Gäfgen: „ ‚Einfach widerlich nannte die Bild-Zeitung die Klage des Täters, bildete ihn unter Namensnennung auf der Titelseite ab, und zeigte, ebenfalls mit vollem Namen, den mit seinem Anspruch befassten Richter. In großen Lettern fordert das Boulevardblatt: ‚Herr Richter, verhindern Sie das!‘ Das Gericht entschied allerdings anders und sprach Gäfgen ein Schmerzensgeld in Höhe von EUR 3000 zu, ein ‚Schandurteil‘, titelte die Bild am folgenden Tag.“367

Hätte Gäfgen unter anderen Umständen mit seiner Klage mehr erreicht? Lässt es einen Richter unbeeindruckt, auf der Titelseite einer der auflagenstärkster Zeitung zu erscheinen und mit massiven Forderungen an seine Urteilsfindung konfrontiert zu werden?368 Richter spüren die Erwartungen anderer und es ist wohl unwahrscheinlich, dass sie die öffentliche Meinung ignorieren können, denn auch Richter sind Bestandteil der Gesellschaft, sie sollen gerade nicht in einem Elfenbeinturm sitzen.369 Selbstverständlich sollen die Richter umgekehrt auch nicht das rekapitulieren oder exekutieren, was eine bestimmte öffentliche Meinung ihnen nahelegt. Vielmehr müssen sie sich bewusst sein, welche Auswirkungen die durch sie getroffenen Entscheidungen haben wird, damit sie ihrer originären Aufgabe, der Verteidigung der Rechtsordnung in der Gesellschaft, gerecht werden können. Dies bedeutet, dass die Richter die öffentliche Meinung bewusst zur Kenntnis nehmen sollen, um vor diesem Hintergrund ihre eigene Meinung zu hinterfragen und kritisch zu reflektieren.370 Mit Hilfe der Theorie der reziproken Effekte wird deutlich, dass die Protagonisten eines Geschehens von massenmedialen Berichten über dieses Geschehen stärker betroffen sind als Unbeteiligte und entsprechend auch leichter zu beeinflussen. Durch eine intensive Berichterstattung über ein Strafverfahren wächst das Interesse des Richters an selbiger, gleichzeitig wird dadurch aber automatisch die „Mediendosis“ erhöht, der Betroffene versucht in der Regel, alle Berichte über „sein Verfahren“ zur Kenntnis zu nehmen, was eine vollkommen legitime Verhaltensweise darstellt. Zugleich wird durch diese erhöhte Medienaufmerksamkeit aber das Einfallstor für die Medien auf die richterliche Unabhängigkeit geöffnet.371 Daher fordern einige, die Justiz 367  Kepplinger/Zerback,

Einfluss der Medien, S. 153 m. w. N. Einfluss der Medien, S. 153. 369  Hirsch, ZRP 2000, 536. 370  So schon Neidhard, DRiZ  1969, 316, 318; Hirsch, ZRP  2000, 536; Sorth, Rundfunkberichterstattung, S. 52; ähnlich bereits Damrow, Öffentlichkeit, S. 43, 45; Wassermann, Justiz und Medien, S. 30 f. 371  Boehme-Neßler, AfP  2010, 539, 541; Kepplinger/Zerback, Einfluss der Medien, S. 162 f.; Sorth, Rundfunkberichterstattung, S. 54. 368  Kepplinger/Zerback,

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2. Kap.: Öffentlichkeit von Strafverfahren

müsse selbst aktiver werden, indem sie sich die Möglichkeiten, die die modernen Massenmedien bieten, für die eigene Öffentlichkeitsarbeit zu Nutze macht,372 Litigation-PR in eigener Sache betreibt. In diesem Kontext wird teilweise vertreten, dass die Justizkritik373 durch die Presse, etwa wie die oben dargestellte Bezeichnung des Urteils im Schadensersatzprozess Gäfgens als „Schandurteil“, mit dem verfassungsrechtlichen Schutz der Unabhängigkeit des Richters nicht zu vereinbaren sei.374 Dieser Auffassung ist entscheidend entgegenzutreten, da es gerade der Struktur der gewaltenteilenden Demokratie entspricht, die zur Beschränkung und Verteilung der Macht ein System geschaffen hat, in dem auch die Richter nicht ohne Korrektiv bleiben. Denn die Richter wachen zwar über den Rechtsstaat, doch wer überwacht die Wächter  – Qui custodit custodem? Diese Kontrollfunktion kommt der Öffentlichkeit zu. Wie Größe, so hat auch Macht ihren Preis, den derjenige zu bezahlen hat, der sie besitzt und ausübt. Wer staatliche Macht innehat, muss es ertragen, auch im Scheinwerferlicht öffentlicher Kritik375 zu agieren, die in alle Ecken hineinleuchtet.376 Vor dem Hintergrund dieser teilweise sehr problematischen Gradwanderung zwischen begrüßenswerter (kritischer) und diffamierender Berichterstattung sieht etwa Art. 10 Abs. 2 EMRK vor, dass die Ausübung der Freiheit der Meinungsäußerung mit gewissen Pflichten und Verantwortung verbunden ist.377 Sie kann Formvorschriften, Bedingungen, Einschränkungen oder Strafdrohungen unterworfen werden, die gesetzlich vorgesehen und in einer ­demokratischen Gesellschaft notwendig sind für die Aufrechterhaltung der Ordnung oder zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit oder der Moral, zum Schutz des guten Rufes oder der Rechte anderer, zur Verhinderung der Verbreitung vertraulicher Informationen oder die zur Wahrung von Autorität und Unparteilichkeit der Rechtsprechung378 unterliegen. Ob die Berichterstattung über ein gewisses Strafverfahren mit der Auferlegung solcher Pflichten einherzugehen hat, prüft der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im Wege einer Verhältnismäßigkeitsprüfung, wobei grundsätzlich strenge Maßstäbe an die Beschränkung der Berichterstattung auf372  Hübner-Raddatz, Fernsehberichterstattung, S. 80; Wassermann, Justiz und Medien, S. 145, 149. 373  Fischer, DRiZ  1992, 445, 453; Schmitt, ZRP  2011, 220, 221; Metzger, in: FS Heintschel-Heinegg (2015), S. 301, 308. 374  Siehe die Ausführungen bei Wassermann, Justiz und Medien, S. 31. 375  So auch Hassemer über die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, ders., Medien im Bundesverfassungsgericht, S. 13, 25. 376  Wassermann, Justiz und Medien, S. 30 ff.; so auch Meinecke, Prominentenstrafrecht, S. 244. 377  Ausführlich Lépinard, iRiSplus, 2/2014, S. 35, 39. 378  Kierzkowski, Die Unparteilichkeit des Richters im Strafverfahren, S. 23 ff.



A. Einzelne Aspekte des Öffentlichkeitsgrundsatzes im Strafverfahren 73

grund der hohen Bedeutung der Meinungsfreiheit in demokratischen Rechtsordnungen anzulegen sind: „Restrictions on freedom of expression permitted by the second paragraph of Article 10 ‚for maintaining the authority and impartiality of the judiciary‘ do not entitle States to restrict all forms of public discussion on matters pending before the courts. There is general recognition of the fact that the courts cannot operate in a vacuum. Whilst the courts are the forum for the determination of a person’s guilt or innocence on a criminal charge (see paragraph 40 above), this does not mean that there can be no prior or contemporaneous discussion of the subject matter of criminal trials elsewhere, be it in specialised journals, in the general press or amongst the public at large.“379

ii) Mögliche Reaktionen der Justiz bei Gefahr einer Beeinflussung durch mediale Berichterstattung Als eine Folge von medialer Prangerwirkung und Litigation-PR scheint es in der Vergangenheit zunehmenden kritisch aufgeladene Urteilsbegründungen an deutschen Gerichten zu geben. Es wird beobachtet, dass Richter nach einem spektakulären Strafprozess die Urteilsbegründung teilweise nutzen, um „Dampf abzulassen“. Am Ende eines solchen Verfahrens beklagen Richter häufig eine massenmediale Vorverurteilung oder die Verherrlichung eines Opfers, oder  – was auf das gleiche Ergebnis hinausläuft  – die Diffamierung des Angeklagten. „Dampf ablassen“ über das Verhalten von Journalisten und die Medienöffentlichkeit, aber auch über gezielte Interventionen der Verteidigung unter Zuhilfenahme der Presse, das kann ein Richter nicht während des Verfahren, da er anderenfalls postwendend mit einem Befangenheitsantrag konfrontiert würde. Die Richter richten somit nicht nur über den Angeklagten, sie nutzen die Urteilsbegründung teilweise auch, um über das öffentliche Klima, in dem das Verfahren stattgefunden hat, zu reflektieren.380 Als Beispiel ist hier der  – bereits oben erwähnte  – „Tuğçe-Prozess“ zu nennen. Der Vorsitzende Richter Aßling sprach nicht nur ein Urteil über den Angeklagten Sanel M., sondern durch die Glasscheibe hindurch die deutsche Öffentlichkeit schuldig: „Am Anfang stand eine Kampagne“, so Aßling. „Ein 18-jähriger Täter, der sich nicht wehren kann“ und „einer großen Zeitung“ ausgeliefert gewesen war. Ungepixelt im Bild gezeigt, als „Killer“ und „Komaschläger“ sein Leben lang gebrandmarkt. Nicht nur andere Zeitungen, sondern sogar Politiker sind auf den Zug aufgesprungen. Für ein Gericht, ein staatliches Organ, ist es schwierig, wenn sich hohe Repräsentanten eben dieses Staates vorher äußern und Schuldzuweisungen anstellen. Von einem 379  EGMR, 380  Prantl,

Worm ./. Österreich, Urt. v. 29.08.1997 – 22714/93, Rn. 50. DRiZ 2016, 298.

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2. Kap.: Öffentlichkeit von Strafverfahren

„brutalen Verbrechen“ war die Rede und damit saß sogar der ehemalige Bundespräsident Gauck auf der Anklagebank. Er hatte in einem Kondolenzbrief an die Familie des Opfers jenen Begriff verwendet, hatte Tuğçe als Muster an Zivilcourage gerühmt. Das alles durch eine nicht belegte Annahme, die Studentin sei gestorben, weil sie sich schützend vor zwei junge Mädchen gestellt habe. Mittels des vorhandenen Überwachungsvideos381 ließ sich der Geschehensablauf plausibel rekonstruieren: Die beiden Gruppen waren zufällig in dem Schnellrestaurant aufeinandergetroffen. Der Streit ging zwar von den jungen Männern aus, aber die Frauen haben ihnen in ihrer Wortwahl wohl in nichts nachgestanden. Und Tuğçe ist vermutlich nicht gestorben, weil sie auf der Toilette zwei minderjährige Mädchen vor Sanel M. in Schutz genommen hatte. Es ließ sich nicht einmal klären, ob die Mädchen überhaupt Schutz gebraucht hatten.382 In der Strafprozessordnung steht über die zuvor beschriebene Problematik nichts geschrieben. Es steht dort aber auch nicht geschrieben, wie ein Gericht auf eine medial veränderte Realität, in der die Medienvertreter die Zeugen befragen, in der Exklusivinterviews von Opfern an den Meistbietenden verkauft werden, in der seitens der Ermittlungsbehörden während des Ermittlungsverfahrens Inhalte aus der Akte an die Öffentlichkeit gelangen und den Betroffenen bis hin zu seiner Verurteilung und darüber hinaus begleiten,383 reagieren soll. So stellt  – wie Prantl es beschreibt  – die Urteilsverkündung mitunter ein „pfeifendes Ventil“ als eine Art Notwehr gegen Missachtung oder Behinderung des Gerichts dar, was durchaus legitim ist. Diese Möglichkeit des „Luft Machens“ dürfe nur nicht zu einem „Pfeifkonzert“ ausarten.384 Der Grund für diese, zum Teil  als überempfindliches Verhalten der Richter klassifizierten, Reaktionen könnten mit dem Berufsbild und der Stellung der Richterschaft zusammenhängen. Ein von Verfassungs wegen unabhängiger Richter kennt keinen ihn kontrollierenden Vorgesetzten, der inhaltliche Kritik an seiner Arbeit äußert.385 Seine Aufgabe ist es, nach Recht und Gesetz zu handeln und ein möglichst für alle Beteiligten gerechtes Urteil zu sprechen. Eine kritische Berichterstattung über ein abgeschlossenes Verfahren könnte ein Gefühl der Empörung bei den an der Entscheidung beteiligten Richtern hervorrufen, was überdies mit dem Gefühl des Ausgeliefertseins an die massenmediale Übermacht einhergehen könne.386 381  Dazu

bereits oben in Kap. 2, A. I. 1. a) cc). Vergiftete Zeugenaussagen, in: Süddeutsche Zeitung v. 16.06.2015, online abrufbar unter: http://www.sueddeutsche.de/panorama/urteilsbegruendung-imfall-tue-vergiftete-zeugenaussagen-1.2524002 (zuletzt am 04.04.2018). 383  Siehe dazu die Fälle Edathy und Kachelmann unter B. I. 1. a) aa), bb). 384  Prantl, DRiZ 2016, 298. 385  Wassermann, Justiz und Medien, S. 30 f. 386  So jedenfalls Schmitt, ZRP 2011, 220, 221. 382  Kelnberger,



A. Einzelne Aspekte des Öffentlichkeitsgrundsatzes im Strafverfahren 75

Wird eine mediale Kampagne gegen einen Tatverdächtigen aus purer Sensationslust387 oder aufgrund wirtschaftlicher oder politischer Interessen in Gang gesetzt, kann dies zur Folge haben, dass in der allgemeinen Öffentlichkeit eine derart schwerwiegende Vorverurteilung stattfindet, dass sich auch die Prozessbeteiligten dieser Meinung nicht entziehen können und im gravierendsten Fall ihre Unvoreingenommenheit einbüßen mit der Folge ­einer Beeinträchtigung des rechtsstaatlichen und fairen Strafverfahrens. Liegt eine in diesem Sinne erfolgte massenmediale Vorverurteilung388 vor, wird teilweise die Notwendigkeit der Annahme eines Verfahrenshindernisses von Verfassungs wegen gesehen.389 Diese Auffassung ist schlicht vor dem Hintergrund abzulehnen, als ein Tatverdächtiger, der über die notwendigen finanziellen Mittel verfügt, eine unsachliche Berichterstattung anzetteln und ein zu seinen Gunsten wirkendes Strafverfahrenshindernis selbst kreieren könnte.390 Andere fordern statt der Annahme eines Strafverfahrenshindernisses die Berücksichtigung einer schwerwiegenden Vorverurteilung auf Strafzumessungsebene.391 Problematisch ist diese Überlegung aber immer dann, wenn sich in der Hauptverhandlung die Unschuld des Angeklagten herausstellt und es deshalb zu einem Freispruch kommt.392 Dennoch erscheint es im Falle einer Verurteilung gerecht, eine im Vorfeld erfolgte schwerwiegende Vorverurteilung durch die Massenmedien im Rahmen der Strafzumessung zu berücksichtigen.393 jj) Sonderbeziehung zwischen Justiz und Medien Als Zwischenergebnis bleibt festzuhalten, dass das Verhältnis von Strafprozess und Medienöffentlichkeit zwar in mancherlei Hinsicht eine vergleichbare Wirkung entfaltet wie das Verhältnis zwischen Massenmedien und anderen gesellschaftlichen Bereichen wie Sport oder Politik. Allerdings stellt insbesondere das Verhältnis von Strafprozess und Medienöffentlichkeit ein sehr spezielles dar, das sich im Vergleich zu den anderen gesellschaftlichen Bereichen von diesen stark unterscheidet.394 In einem strafgerichtlichen Ver387  Rüping,

in: FS Dünnebier (1982), S. 391 ff. auch Xiong, Massenmedien und Strafurteil, S. 76 ff., die auf den S. 40 ff. ausführlich die vom deutschen Recht abweichende Rechtslage in China erörtert. 389  Hillenkamp, NJW 1989, 2841, 2844. 390  Keil, Verdachtsberichterstattung, S. 264 f. m. w. N. 391  Weiler, ZRP 1995, 130, 135. 392  Roxin, NStZ 1991, 153, 154. 393  Weiler, ZRP  1995, 130, 135; Keil, Verdachtsberichterstattung, S. 266; Hassemer, in: FS Sarstedt (1981), S. 65, 67. 394  Die Öffentlichkeitsfunktion parlamentarischer Prozesse hat mit Kommunikation und Rückkoppelung der Abgeordneten mit ihren Wählern als Bestandteil ihrer 388  Dazu

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2. Kap.: Öffentlichkeit von Strafverfahren

fahren geht es  – anders als im politischen Alltag  – gerade nicht darum, die Bevölkerung aktiv in den Prozess der Meinungsbildung miteinzubeziehen und somit nicht um das zur Verfügung stellen einer medienöffentlichkeitsvermittelnden Partizipationsmöglichkeit. Vielmehr ist der Gerichtsöffentlichkeit – ob in unmittelbarer oder mittelbarer Ausprägung – eine passive Rolle395 in Form einer reinen Publikumsrolle zugedacht.396 Aus dieser passiven Publikumsrolle der Öffentlichkeit eines Strafverfahrens kann jedoch nicht zwingend geschlussfolgert werden, dass das gerichtliche Verfahren absolut ohne jegliche Beeinflussung seitens der Medien bleibt, auch wenn dies möglicherweise der juristischen Idealvorstellung entspräche. Das zeigt sich etwa daran, dass oftmals nur von einer Interventionswirkung der Judikative über die massenmediale Öffentlichkeit in die Alltagswelt hinein gesprochen397 und der umgekehrte Fall bei dieser Betrachtungsweise ausgeklammert wird. Dennoch ist es eine der Grundlagen der modernen Strafprozessrechtsidee, dass die Rechtgemeinschaft in den Ablauf des Strafprozesses zumindest partiell miteinbezogen wird, was dadurch zum Ausdruck kommt, dass mit Blick auf die Zuschauer argumentiert und plädiert wird und die Öffentlichkeit – wenn auch, wie so oft physisch nicht vorhanden, zumindest fiktiv  – stets existent ist. Diese Einbeziehung der Öffentlichkeit ist Ausdruck des Mündlichkeitsprinzips und verlangt von Verfahrensbeteiligten ein nachvollziehbares und überzeugendes Agieren,398 was sich auch daraus ergibt, dass der Grundsatz der Gerichtsöffentlichkeit ursprünglich mit dem Verfahrensziel der prozessualen Wahrheitserforschung, verankert in § 244 Abs. 2 StPO, nach dem gesetzgeberischen Konzept in enger Verbindung stand. Denn nur wenn die Sprache des Strafverfahrens eine auch für juristische Laien verständliche

demokratischen Legitimation zu tun. Daher kann in diesem Zusammenhang die auch durch die Massenmedien vermittelte Öffentlichkeit überhaupt nicht groß genug sein. Damit nicht zu vergleichen ist jedoch die Situation bei einem Strafverfahren, da sich weder die Staatsanwälte noch die Richter hierzulande vor der Bevölkerung für ihre Handlungsweisen und getroffenen Entscheidungen rechtfertigen müssen. Im Gegenzug zu Parlamentsabgeordneten müssen sie nicht mit einer Abwahl in der nächsten Legislaturperiode rechnen. Anderenfalls müsste die Richterschaft ihre Entscheidungen in einem populistischen und somit einem verzerrten Sinne „im Namen des Volkes“ sprechen. Dies widerspreche den Wesensmerkmalen der modernen Demokratie und des Rechtsstaats, vgl. Hamm, AfP 2014, 202, 207. 395  Zur Funktionsweise der Öffentlichkeit im Prozess ausführlich SK-StPO/Velten, GVG, Vor § 169, Rn. 24. 396  Hamm, AfP  2014, 202, 207; Danziger, Medialisierung des Strafprozesses, S. 342; Bommer, in: FS Trechsel (2002), S. 671, 675. 397  Meyer-Goßner/Schmitt-Schmitt, GVG, § 169, Rn. 1: „Das Informationsinteresse schließt mittelbar den Zweck ein, dass die Rechtsprechung in die Rechtsgemeinschaft hineinwirkt und das Recht lebendig erhält.“ 398  So auch Danziger, Medialisierung des Strafprozesses, S. 343.



A. Einzelne Aspekte des Öffentlichkeitsgrundsatzes im Strafverfahren 77

oder zumindest verstehbare ist, kann die Kontrollfunktion399 durch die Öffentlichkeit gewährleistet werden.400 Durch die bestmögliche Erforschung der prozessualen Wahrheit soll die geschehene Wirklichkeit so gut es geht rekonstruiert werden, um begangenes Unrecht aus dem Verborgenen in das Licht der Öffentlichkeit zu bringen. Und genau in diesem Punkt lässt sich ein gewisser Gleichlauf zwischen strafprozessualer und medialer Wirklichkeits(re)konstruktion erkennen, da es auch Aufgabe der Medien ist, ein bisher nicht oder nur rudimentär bekanntes Geschehen in der Bevölkerung publik zu machen. Überdies pflegen Justiz und Medien ein korrespondierendes Verhältnis zur Wirklichkeit, da sie ihrer Arbeit den gleichen Wahrheitsbegriff zugrunde legen. Sie operieren in ihren Aussagen über die Wirklichkeit auf der Basis eines kritischen Realismus401 der davon ausgeht, dass es eine objektive, eine neutrale Welt ohne jegliche subjektive Prägung gibt, die prinzipiell erkannt und ermittelt werden kann. Dies selbst dann, wenn durch die Begrenztheit rechtlicher bzw. medialer Ressourcen und Erkenntnismöglichkeiten eine gewisse Verzerrung in der Wahrnehmung sich nicht immer gänzlich vermeiden lassen kann.402

II. Information über Zeit und Ort der Hauptverhandlung Um dem Grundsatz der Öffentlichkeit Rechnung zu tragen, muss die Möglichkeit bestehen, dass sich jedermann Kenntnis von Zeit und Ort der anberaumten Hauptverhandlung verschaffen kann.403 Dies soll in der Praxis durch einen entsprechenden Aushang am Ort der Hauptverhandlung garantiert werden.404 Wird die Hauptverhandlung etwa in einen anderen Raum innerhalb desselben Gerichtsgebäudes (zum Beispiel aufgrund der veränderten Anzahl der zu erwartenden Besucher) oder an einen Ort außerhalb des Gebäudes (etwa an einen Tatort zwecks Augenscheinseinnahme, dazu in Kap. 2, A.V.) verlegt, muss sichergestellt sein, dass sämtlichen Personen, auch unbeteiligten Dritten  – mithin der gesamten Öffentlichkeit  – die Möglichkeit der 399  Zu

den Funktionen des Öffentlichkeitsgrundsatzes ausführlich unter D. IV. 133, 168, 214. 401  Die Denkweise des kritischen Realismus entspricht auch dem aristotelischen Wahrheitsbegriff, wonach es für die Wahrheit einer Aussage über die Wirklichkeit darauf ankommt, dass die in ihr zum Ausdruck gebrachte Vorstellung von der Wirklichkeit mit dieser übereinstimmt, vgl. Danziger, Medialisierung des Strafprozesses, S. 347. 402  Siehe dazu auch Danziger, Medialisierung des Strafprozesses, S. 346 f. 403  BVerfG, NJW-RR  2006, 1653; OLG Zweibrücken, NJW  1995, 3333; OLG Hamm, NStZ 2013, 64. 404  Siehe dazu OLG Zweibrücken, NJW  1995, 3333; SK-StPO/Velten, GVG, § 169, Rn. 32. 400  BVerfGE

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Kenntnisnahme von dieser Änderung gegeben wird und diese sich rechtzeitig über Zeit und Ort der Weiterverhandlung informieren können.405 Dazu ist es notwendig, bei einer Raumänderung sowohl am neuen als auch am ursprünglichen406 Sitzungssaal im Vorfeld der Verhandlung einen Aushang407 mit den entsprechenden Informationen über Zeit und Ort anzubringen. Bei einer Fortsetzung der Hauptverhandlung außerhalb des Gerichtsgebäudes soll es hingegen genügen, wenn in der letzten öffentlichen Sitzung über die Änderungen hinsichtlich Zeit und Ort408 informiert wurde und dort nicht anwesenden Interessenten über die Änderungen Auskunft erteilt wird.409 Ein Verstoß gegen den Grundsatz der Öffentlichkeit kann ferner darin liegen, dass eine Hauptverhandlung außerhalb der auf einem am Gerichtsgebäude angebrachten Hinweisschild mit den allgemeinen Gerichtsöffnungs­ zeiten anberaumt wird. Ein Hinweis derart, dass das Gericht freitags ab 13:00  Uhr geschlossen hat,410 kann dazu führen, dass an der Verhandlung Interessierte davon abgehalten werden, dieser beizuwohnen, wenn eine Hauptverhandlung für einen Freitag nach 13:00  Uhr terminiert ist. Dies kommt einem faktischen Ausschluss der Öffentlichkeit gleich.411

III. Zutritt zum Gerichtsgebäude Der Zutritt zum Gerichtsgebäude kann sowohl für die Zuschauer als auch für die Medienvertreter durch Einlasskontrollen, die aus Gründen der Sicherheit angeordnet werden, reguliert werden.412 Für die Medienvertreter können sich weitergehende Beschränkungen dadurch ergeben, dass ihnen das Mitführen von Tonaufnahmegeräten, Filmkameras und Fotoapparaten auch außerhalb des Sitzungssaals untersagt wird.413 Dies geschieht häufig dann, wenn aufgrund der Vielzahl von Medienvertretern sowie der  – oftmals vorzufindenden  – beengten räumlichen Verhältnisse mit Beeinträchtigungen 405  BGH,

NStZ 1984, 470. Dresden, StV 2009, 682; Fromm, NJOZ 2015, 1193, 1194. 407  Ausnahmen hiervon können bei sehr kleinen und dadurch leicht überschaubaren Gerichtsgebäuden bestehen, sofern interessierte Zuschauer ohne besondere Schwierigkeiten und ohne weiteres Nachfragen von Zeit und Ort der Hauptverhandlung Kenntnis nehmen können, vgl. Lesch, StraFo 2014, 353, 356 m. w. N. 408  Nicht ausreichend ist dabei aber die Information über die Fortsetzung der Verhandlung „an der Tatörtlichkeit“ ohne nähere Angaben dazu, vgl. OLG Hamm, StV 2002, 474; OLG Celle, NZV 2006, 443; OLG Saarbrücken, NStZ-RR 2008, 50. 409  BayObLG NStZ-RR 2001, 49; BeckOK StPO/Walther, GVG, § 169, Rn. 5. 410  OLG Zweibrücken, NJW 1995, 3333. 411  Lesch, StraFo 2014, 353, 357. 412  Kissel/Mayer, GVG, § 176, Rn. 47. 413  Bock, jM 2014, 123, 124. 406  OLG



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etwa der wartenden Zeugen oder des übrigen Geschäftsbetriebes im Hinblick auf parallel stattfindende Verfahren zu rechnen ist. Jedoch muss gerade dann vor dem Hintergrund des Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG sorgfältig geprüft werden, ob nicht ein milderes Mittel als das des Totalverbots zur Verfügung steht. Als solche milderen Mittel kommen etwa die sogenannte Poollösung414 oder die  – sofern aufgrund der baulichen Gegebenheiten möglich  – Einrichtung von sogenannten „Pressenischen“ in Betracht, worunter reservierte Bereiche für Pressevertreter und deren Kamerateams zu verstehen sind. Ferner müssen Überlegungen dahingehend angestellt werden, ob den durch eine Vielzahl von Medienvertretern gestörten Zeugen ein eigener Raum zur Verfügung gestellt werden kann, in dem sie sich bis zu ihrer Aussage (gegebenenfalls unter Aufsicht) aufhalten können.415 Umstritten ist hingegen, ob eine rein tatsächliche Zutrittsbehinderung durch eine präventive Kontrolle zulässig ist. Während dies für eine Durchsuchung nach gefährlichen Gegenständen oder anderen unerlaubten Mitteln aufgrund der sitzungspolizeilichen Befugnisse des Vorsitzenden für zulässig erachtet wird, erscheint dies jedenfalls in Bezug auf präventive Kontrollen, etwa durch einbehalten von Personalausweisen der Besucher oder ähnlichen Maßnahmen weitaus problematischer, da hier rein faktisch die Möglichkeit einer gruppenspezifischen Selektion nicht ausgeschlossen werden kann. Es wird allerdings durch die Rechtsprechung zu Recht angenommen, dass zumindest bei einer nur unwesentlichen Erschwernis des Zugangs (Abgabe der Personalausweise gegen Zuteilung einer Eintrittskarte), die präventive Sicherung der Ordnung vor dem Hintergrund einer störungsfreien Durchführung der Hauptverhandlung rechtfertigend wirken kann.416

IV. Zutritt zum Sitzungssaal Interessierten Prozessbesuchern muss erkennbar der Zutritt zum Gerichtssaal gewährt werden.417 Im Fall Riepan gegen Österreich konstatierte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, dass ein „Verfahren nur dann das Erfordernis der Öffentlichkeit (erfüllt), wenn es möglich ist, Informationen über seinen Ort und die Zeit zu erfahren, und der Ort, an dem es stattfindet, leicht zugänglich ist.“418 Vor diesem Hintergrund werden im Folgenden verschiedene Modalitäten des Zutritts aufgezeigt und erörtert. 414  Bock,

jM 2014, 123, 125; von Coelln, AfP 2014, 193, 196. auch Bock, jM 2014, 123, 125. 416  Bosch, Jura 2016, 45, 48 m. w. N. 417  BGHSt 5, 75; 21, 72; 22, 297; 28, 341; BGH, JR 2006, 389. 418  EGMR, Riepan ./. Österreich, Urt. v. 14.02.2001 – 35115/97, Rn. 29. 415  Siehe

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1. Allgemeiner Zutritt zum Sitzungssaal Zunächst stellt sich jedoch die Frage, woraus sich das Recht der Allgemeinheit419 auf Zugang zu öffentlichen Gerichtsverhandlungen in rechtlicher Hinsicht ergibt. Das Bundesverfassungsgericht hat unter vereinzelter Zustimmung in der Literatur die Informationsfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 GG entgegen seiner früheren Rechtsprechung in der nt-v-Entscheidung420 dahingehend interpretiert, dass sich ein gegen den Staat gerichteter Anspruch auf Zugang zu einer im staatlichen Bereich liegende Informationsquelle dann ergebe, wenn rechtliche Vorgaben eine allgemeine Zugänglichmachung normieren. Eine solche Bestimmung einer Zugänglichkeit für die Allgemeinheit in Bezug auf Gerichtsverhandlungen ist der in § 169 Abs. 1 S. 1 GVG  n. F. normierte Grundsatz der Öffentlichkeit. Daher leitet das Bundesverfassungsgericht den Zugangsanspruch der Allgemeinheit zu einer Gerichtsverhandlung aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 GG i. V. m. § 169 S. 1 GVG a. F. ab.421 Dies erfordert zunächst, dass während der Hauptverhandlung die Zugangsmöglichkeit zum Zuschauerraum des Sitzungssaals tatsächlich möglich ist und nicht etwa durch verschlossene Türen behindert wird. Ausreichend ist es, dass zumindest eine, als Zugang erkennbare Türe, während der gesamten Verhandlungsdauer unverschlossen ist.422 Wird das Gerichtsgebäude nach dem Ende der üblichen Dienstzeit aus Gründen der Sicherheit verschlossen und die durchzuführenden Hauptverhandlung dauert noch an, muss den Prozessbesuchern weiterhin die Möglichkeit des Zugangs zum Sitzungssaal eingeräumt werden. Dies kann etwa durch eine mit einem entsprechenden Hinweis beschriftete Klingel oder durch einen nicht verschlossenen Nebeneingang gewährleistet werden. Ausschlaggebend hierbei ist die tatsächliche Zutrittsmöglichkeit.423 Daher sollen Identitätsprüfungen im Wege einer generellen Einlasskontrolle den Charakter einer öffentlichen Gerichtsverhandlung ebenso wenig berühren wie die Untersagung gegenüber Zuhörern hinsichtlich des Tragens von Bekleidungsgegenständen im Gerichtsgebäude insgesamt und speziell im Verhandlungssaal, die damit die Zugehörig419  Zurecht ist der Zutritt zu strafrechtlichen Hauptverhandlungen nicht auf deutsche Staatsbürger beschränkt, die Öffentlichkeit ist auch nicht auf die Bevölkerung des Bundesgebietes begrenzt, vgl. Gärditz, in: FS  Paeffgen (2015), S. 439, 455 m. w. N. 420  BVerfG 103, 44, s. o. 421  Kujath, Laienjournalismus im Internet, S. 172 m. w. N., die die allgemeine Zugänglichkeit und der daran anknüpfende Schutz durch die Informationsfreiheit nach er objektiven Tatsachenlage bestimmen will. 422  Löwe-Rosenberg/Wickern, GVG, § 169, Rn. 11; ausführlich Lesch, StraFo 2014, 353, 357. 423  Löwe-Rosenberg/Wickern, GVG, § 169, Rn. 11; Lesch, StraFo 2014, 353, 356.



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keit zu einer bestimmten Gruppe oder zu dem Angeklagten deutlich machen wollen.424 2. Zugangsrecht zum Sitzungssaal für Medienvertreter Eine der Grundvoraussetzungen jeder Medienöffentlichkeit in einem (strafrechtlichen) Gerichtsverfahren ist der Zugang der Medienvertreter.425 Zu diesem Anspruch der Medienvertreter gehört zum einen das Betreten des Gerichtssaals im gleichen Umfang wie das Zugangsrecht einfacher Zuschauer, zum anderen  – als eine besondere Art des Betretens  – der Eintritt unter Beisichführen von entsprechenden Aufnahme- und Speichermedien.426 An dieser Stelle muss streng zwischen dem Recht, diese technischen Geräte in den Sitzungssaal mitzunehmen und der Befugnis des tatsächlichen Gebrauchs differenziert werden. Aufgrund dessen, dass die Medien einen wesentlichen Beitrag zur Information und somit zur Meinungsbildung der Allgemeinheit leisten, nehmen sie eine öffentliche Aufgabe wahr, die auch die Information über den Ablauf und den Abschluss eines Strafverfahrens betrifft. Der Schutz der einzelnen Medienvertreter in der Hauptverhandlung eines Strafverfahrens ist mithin spiegelbildlich mit dem Informationsinteresse der Allgemeinheit an einer solchen Verhandlung auszulegen.427 Ferner fällt auch die Reservierung eines bestimmten Platzkontingents für Medienvertreter428 systematisch in den Bereich des Zugangs zum Sitzungssaal, da sie die Möglichkeit des Zutritts zu der Hauptverhandlung betrifft. Derartige Sitzplatzreservierungen zugunsten einer bestimmten Gruppe sind jedoch nur dann zulässig, wenn ein den Grundsatz der Öffentlichkeit nicht tangierender sachlicher Grund vorliegt, der eine solche Reservierung rechtfertigt.429 Ein sachlicher Grund für die Sitzplatzreservierung für Medienvertreter resultiert aus deren Informationsauftrag aus Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG, was sich insbesondere am Beispiel des Strafverfahrens zeigt. Ein großer Teil  der Bevölkerung informiert sich über Strafverfahren ausschließlich über die Medien anstatt selbst einen Gerichtssaal aufzusuchen. Die Reservierung eines Platzes für einen Medienvertreter dient somit nicht nur dem persönlichen Interesse desjenigen an der strafrechtlichen Hauptverhandlung, sondern pri424  Fromm,

NJOZ 2015, 1193, 1194 m. w. N. 91, 125, 134; 103, 44, 59; siehe auch von Coelln, DÖV 2006, 804. 426  von Coelln, AfP 2014, 193, 194; Kujath, Laienjournalismus im Internet, S. 176 f., 186. 427  Kujath, Laienjournalismus im Internet, S. 186 m. w. N. 428  Hamm, AfP 2014, 202, 203. 429  von Coelln, Zur Medienöffentlichkeit der dritten Gewalt, S. 262 ff.; ders., DÖV 2006, 804 ff. 425  BVerfGE

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mär der Informa­tionsbeschaffung für die Allgemeinheit aufgrund der Multiplikatorfunktion der Massenmedien, weshalb dadurch der Grundsatz der Öffentlichkeit nicht tangiert ist. Aufgrund dieses besonderen Charakters des Zugangs der Medienvertreter zu einer öffentlichen Hauptverhandlung ist die Reservierung eines bestimmten Kontingents an Sitzplätzen für diese Gruppe primär durch Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG gerechtfertigt.430 Würde man an dieser Stelle die Ansicht des Bundesverfassungsgerichts seit dem Jahr  2001431 teilen und die Anwesenheit von Medienvertretern in der Verhandlung lediglich der allgemeinen Informationsfreiheit zuordnen, müsste man auch diesen Punkt anders bewerten. Demnach könne ein Eingriff in die Informationsfreiheit des zuerst erscheinenden Zuschauers nicht mit der Informationsfreiheit eines später erscheinenden Zuschauers gerechtfertigt werden, selbst dann nicht, wenn es sich bei dem später erscheinenden um einen Medienvertreter handelt.432 Deren Funktion als Multiplikatoren des Geschehens im Gerichtssaal lässt sich im Rahmen der Informationsfreiheit nicht Rechnung tragen. Dies hätte zur Folge, dass vom Standpunkt eines Schutzes nur durch Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG433 eine Zulässigkeit spezieller Medienplätze nicht erklärbar wäre. Gleiches müsste sodann für die gezielte Vergabe von Medienplätzen gelten, da Teilkontingente unzulässig wären.434 Paradox erscheint insofern, dass das Bundesverfassungsgericht diese Konsequenz seiner ohnehin aus einem anderen Anlass begründeten Konzeption nie gezogen hat. Vielmehr hat das Bundesverfassungsgericht  2002435 dieses dogmatische Konstrukt in einem Verfahren um die Verteilung von Plätzen für Medienvertreter sowie die Festsetzung entsprechender Kontingente bekräftigt, jedoch ohne die Berechtigung zur Einrichtung solcher Plätze überhaupt nur zu thematisieren.436 Nicht überzeugend und daher kritikwürdig aus dogmatischer Sicht erscheint dabei jedoch bereits der Ansatz dieser Auffassung, da es an einem Argument dafür fehlt, die Anwesenheit eines Medienvertreters aus dem Schutzbereich der Medienfreiheiten herauszunehmen. Vor dem Hintergrund, dass auch die Recherchetätigkeit eines Medienvertreters vom Schutzbereich der Medienfreiheiten umfasst ist und sich dieser sogar auf nicht allgemein zugängliche Quellen erstreckt, kann dies für das Gerichtsverfahren als allgemein zugängliche Quelle nicht überzeugen. Auf Konkurrenz­ 430  BGH, JR 2006, 389, 390 f.; SK-StPO/Velten, GVG, § 169, Rn. 19; von Coelln, DÖV 2006, 804, 807; ders., AfP 2014, 193, 194; Foth, DRiZ 1980, 103. 431  BVerfGE 103, 44, 59; 119, 309, 318. 432  So aber vertreten von Mitsch, ZRP 2014, 137, 138. 433  Dazu ausführlich unter F. II. 2. a), b). 434  von Coelln, AfP 2014, 193, 194. 435  BVerfG, NJW 2003, 500 f. 436  von Coelln, AfP 2014, 193, 194.



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ebene verdrängen die speziellen Medienfreiheiten die allgemeine Informa­ tionsfreiheit eines jeden Bürgers und nicht anders herum.437 Diese Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe der Medien und das in dem Zugang des Medienvertreters zum Gerichtssaal verkörperte Informationsinteresse der Bevölkerung sind gegenüber dem Interesse des Einzelnen, zu dessen Ungunsten die Platzreservierung stattfand, als erstrangig zu klassifizieren.438 Grundsätzlich gilt daher, dass je größer das Informationsinteresse auf der einen Seite ist, desto weitreichender sollte die Zulässigkeit der Medienvertreter in Bezug auf die Teilnahme an Strafverfahren auf der andere Seite sein.439 Das Einnehmen eines Sitzplatzes im Gerichtssaal durch einen Medienvertreter ist somit eine allgemein-informatorische Handlung, die sich von dem Einnehmen des Sitzplatzes eines normalen Zuschauers nicht unterscheidet. Das Recht einer Person, einen Sitzplatz in einem Verhandlungssaal einzunehmen ist somit durch die Informationsfreiheit geschützt und betrifft das Ob des Zutritts. Ob eine Person nun aber als normaler Zuschauer oder als Medienvertreter auf einem eigens für diesen reservierten Platz im Verhandlungssaal anwesend ist, betrifft hingegen nicht das Ob, sondern das Wie. Denn auch wenn nicht genügend reservierte Plätze zur Verfügung stehen, steht es den Medienvertretern frei, auf einem normalen Sitzplatz Platz zu nehmen. Durch die Reservierung von Plätzen für Medienvertreter wird innerhalb der für die Allgemeinheit eröffneten Informationsquelle ein besonderes Privileg, nämlich einen Platz zu bekommen und für diesen nicht lange anstehen zu müssen, gewährleistet.440 3. Beschränkungen des Zutrittsrechts zum Sitzungssaal für Medienvertreter Zwecks Erfüllung der verfassungsrechtlichen Aufgaben sind die Medien auch auf die Informationsvermittlung unter Zuhilfenahme von Bildern und den dadurch bedingten Illustrations- und Unterhaltungswert angewiesen.441 Fernsehen und Internet können durch die Übertragung von bewegten Bildern eine unmittelbare und sehr authentische Information über das Gerichtsverfahren herstellen.442 Dies ist von großer Bedeutung, da der optische Ein437  von

Coelln, AfP 2014, 193, 194 m. w. N. Laienjournalismus im Internet, S. 188 mit Verweis auf von Coelln, DÖV 2006, 804, 807 f. 439  Brosius-Gersdorf, TKMR 2002, 356, 358; Kujath, Laienjournalismus im Internet, S. 177. 440  Kujath, Laienjournalismus im Internet, S. 189. 441  Bamberger, ZUM 2001, 373, 378; Brosius-Gersdorf, TKMR 2002, 356, 358. 442  BVerfGE 104, 44, 67. 438  Kujath,

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2. Kap.: Öffentlichkeit von Strafverfahren

druck, vergleichbar mit einer richterlichen Augenscheinseinnahme, von nicht zu unterschätzender Bedeutung für die Glaubwürdigkeit der am Verfahren Beteiligten ist und damit dem Grundsatz der Öffentlichkeit dient. Bilder lassen sich in den wenigsten Fällen mit gleichbleibender Wirkung durch die reine Sprache ersetzen.443 Daher ist auch durch das Bundesverfassungsgericht anerkannt, dass den Medienvertretern ein Anspruch auf Fertigen von audiovisuellen Aufnahmen aus dem Umfeld einer strafrechtlichen Hauptverhandlung zukommt, sofern es sich um ein das besondere Informationsinteresse der Allgemeinheit erweckendes Strafverfahren handelt.444 Somit ist vom Zugangsrecht der Medienvertreter grundsätzlich auch die Mitnahme von entsprechenden Aufnahmegräten umfasst,445 und somit als medienspezifisch-informatorische Handlung durch Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG geschützt.446 Ein pauschales Verbot der Mitnahme von Aufnahme- und Übertragungsgeräten ist somit verfassungsrechtlich unzulässig. Auf der anderen Seite kann von der Mitnahme unbegrenzt vieler Geräte auch eine nicht zu unterschätzende Gefahr für die Aufrechterhaltung der Ordnung der Hauptverhandlung einhergehen, weshalb kein unbegrenzter Anspruch auf die Mitnahme besteht447 und Einschränkungen von den Medienvertretern hinzunehmen sind.448 Hinsichtlich der Beschränkungen des Zutrittsrechts zum Sitzungssaal für Medienvertreter in Form des Verbots des Mitführens von Kameras und sonstigen Aufzeichnungsgeräten gilt es zunächst zu klären, ob sich dieses Verbot bereits unmittelbar aus § 169 Abs. 1 S. 2 GVG  n. F. ergibt.449 Dies hätte zur Folge, dass eine unmittelbare Anordnung des Vorsitzenden nicht erforderlich wäre. Dagegen spricht, dass das in § 169 Abs. 1 S. 2 GVG  n.F statuierte Verbot nicht vor Beginn der Hauptverhandlung und auch nicht mehr nach deren Beendigung sowie in den Sitzungspausen gilt. Für diese Annahme spricht ferner, dass körperliche Durchsuchungen auf derartige Gegenstände nicht von § 169 Abs. 1 S. 2 GVG n.F gedeckt sind. Erforderlich ist vielmehr eine explizite Anordnung des Vorsitzenden,450 dass im Sitzungssaal das Bei443  Beater, AfP 2005, 133, 134; Franke, Bildberichterstattung über den Angeklagten, S. 77. 444  BVerfGE 91, 125, 138; 119, 309, 318 f. 445  BVerfGE 91, 125, 134 ff. 446  Kujath, Laienjournalismus im Internet, S. 196 f. 447  BVerfG, NJW-RR 2008, 1069, 1070. 448  Kujath, Laienjournalismus im Internet, S. 197. 449  Bock, jM 2014, 123, 125. 450  Derartige, ausdrückliche Anordnungen durch den Vorsitzenden werden regelmäßig nur in „öffentlichkeitswirksamen“ Strafverfahren getroffen. Bei allen übrigen Verfahren wird sich oftmals beim Betreten des Gerichtsgebäudes oder unmittelbar vor dem Sitzungssaal ein Hinweisschild diesbezüglich finden lassen.



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sichführen von Handys, Laptops und weiteren elektronischen Aufnahmegeräten nicht gestattet ist.451 4. Beschränkungen von Aufnahmen im Sitzungssaal außerhalb der Hauptverhandlung Zwar untersagt § 169 Abs. 1 S. 2 GVG n. F. Aufnahmen während der Verhandlung zu tätigen. Daraus lässt sich jedoch nicht der Umkehrschluss ziehen, dass Aufnahmen vor und in dem Sitzungssaal außerhalb der Verhandlung uneingeschränkt getätigt werden dürften, auch wenn dies für einigen Teile der Medien und der Öffentlichkeit heute wie selbstverständlich erscheint.452 In öffentlichkeitswirksamen Verfahren – die für derartige Aufnahmen besonders interessant sind – erfolgen solche Beschränkungen oftmals aufgrund des Persönlichkeitsrechts der am Verfahren Beteiligten sowie zur Aufrechterhaltung der Ordnung im und vor dem Sitzungssaal über § 176 GVG.453 Für besagte öffentlichkeitswirksame Verfahren wird daher oftmals die sogenannte Pool­ lösung angewandt, die auch bei Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht praktiziert und von den Medienvertretern anerkannt wird.454 Dies bedeutet konkret, dass häufig zwei Fernsehteams (aus Gründen der Gleichberechtigung je ein Team eines öffentlich-rechtlichen und eines privaten Senders) und zwei oder drei Fotografen (etwa einer Nachrichtenagentur und einer Zeitung) die Befugnis haben, entsprechende Aufnahmen vor Beginn, nach dem Ende und in den Sitzungspausen der Hauptverhandlung anzufertigen. Diese ausgewählten Medien müssen sodann ohne relevante zeitliche Verzögerung die vollständigen Aufnahmen den übrigen Sendern und Agenturen unentgeltlich zur Verfügung stellen.455 Des Weiteren ordnet der Vorsitzende zwar nicht nur, aber vor allem bei medienwirksamen Verfahren häufig an, dass Bilder, auf denen insbesondere der Angeklagte zu sehen ist, nur in verpixelter Form456 veröffentlicht werden dürfen.457 Fehler – etwa bei der Auswahl der Medien – haben dabei aufgrund dessen, dass es nicht um die Öffentlichkeit der Hauptverhandlung geht, keine revisionsrechtlichen Folgen. 451  Bock,

jM 2014, 123, 125. in: FS Landau (2016), S. 369. 453  SK-StPO/Velten, GVG, Vor § 169, Rn. 37. 454  Bock, jM 2014, 123, 125; von Coelln, AfP 2014, 193, 196. 455  Bock, jM 2014, 123, 126. 456  Die Zulässigkeit solcher Beschränkungen der Bildberichterstattung zum Schutze des Angeklagten wurde auch jüngst durch den EGMR, Axel Springer SE und RTL Television GmbH ./. Deutschland, Urt. v. 21.09.2017, Nr. 51405/12 bestätigt. 457  Huff, in: FS Landau (2016), S. 369, 372 f., der die Problematik um die Pixelungsanordnungen sowie deren mögliche Aushebelungsversuche durch die Medien ausführlich unter Bezugnahme aktueller Rechtsprechung darlegt. 452  Huff,

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5. Zuständigkeiten für Beschränkungen des Zutrittsrechts zum Sitzungssaal für Medienvertreter Beschränkungen für Medienvertreter kommen, wie dargelegt, sowohl hinsichtlich des Zutritts zum Gerichtsgebäude als auch hinsichtlich des Zutrittsrechts zum Sitzungssaal in Betracht. Eine Differenzierung zwischen diesen beiden Beschränkungsmöglichkeiten hat vor dem Hintergrund der Zuständigkeit zu erfolgen. Je nachdem für welchen Bereich des Gerichtsgebäudes die Zutrittsbeschränkung erfolgen soll, ist entweder der Vorsitzende aufgrund seiner Ermächtigung in § 176 GVG458 oder der Präsident des Gerichts aufgrund des ihm zustehenden Hausrechts befugt, eine derartige Beschränkung anzuordnen.459 Die Abgrenzung zwischen den verschiedenen Zuständigkeitsbereichen ist jedoch fließend.460 Es ist allgemein anerkannt, dass das Hausrecht des Gerichtspräsidenten hinter der sitzungspolizeilichen Gewalt des Vorsitzenden zurücktritt und der damit im Zusammenhang stehenden Frage der Wahrung der Öffentlichkeitsmaxime aus § 169 GVG.461 Die §§ 176–182 GVG normieren die Ausübung sitzungspolizeilicher Befugnisse. Diese sind immer am Grundsatz der Öffentlichkeit zu messen, da sich Ordnungsmaßnahmen häufig auch als faktische Beschränkungen der öffentlichen Hauptverhandlung darstellen. Ferner begrenzen die §§ 169 ff. GVG in ihrer Gesamtheit in systematischer Auslegung den Norminhalt der §§ 176 ff. GVG.462 Weitestgehend unumstritten463 ist auch, dass sich die sitzungspolizeilichen Befugnisse des Vorsitzenden nicht nur auf die tatsächliche Sitzungsdauer und den räumlich abgrenzbaren Sitzungssaal beschränkt.464 Wie weit die sitzungspolizeilichen Befugnisse über den Sitzungssaal hinaus reichen, ist allerdings nicht eindeutig geklärt, obwohl das Bundesverfassungsgericht ent458  Zum Rechtsschutz gegen sitzungspolizeiliche Anordnungen Barczak, NJ 2015, 360 ff.; Spaniol, in: GS Heine (2016), S. 323, 326 ff. 459  von Coelln, AfP  2014, 193, 196; siehe auch Kujath, Laienjournalismus im Internet, S. 302 ff.; Exner, Jura 2017, 770, 774. 460  Hauth, Sitzungspolizei und Medienöffentlichkeit, S. 45 ff. 461  Löwe-Rosenberg/Wickern, GVG, § 176, Rn. 3 m. w. N. 462  Ausführlich SK-StPO/Velten, GVG, Vor § 169, Rn. 35. 463  A. A. soweit ersichtlich nur Kissel/Mayer, GVG, § 176, Rn. 10, denen zufolge es einer klaren, eindeutigen Abgrenzung zwischen der Reichweite der Sitzungspolizei einerseits und dem Hausrecht andererseits bedarf, sowohl im Interesse schneller Reaktion als auch wegen der Folgen der Missachtung bereits ergangener Anordnungen, wenn auch nicht zu verkennen ist, dass mit der Ausübung des Hausrechts in die Befugnisse des Vorsitzenden eingegriffen werden kann, z. B. bzgl. der Sicherungsmaßnahmen gegenüber Zuhörern. Als Lösung dieses Widerstreits wird ein einvernehm­ liches Vorgehen des Vorsitzenden und des Hausrechtsinhabers vorgeschlagen. 464  BGHSt 44, 23; Meyer-Goßner/Schmitt-Schmitt, GVG, § 169, Rn. 1; SK-StPO/ Velten, GVG, Vor § 169, Rn. 37; Graf/Walther, StPO, § 176 GVG, Rn. 1. m. w. N.



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schieden hat, dass die sitzungspolizeilichen Befugnisse auch in den dem Sitzungssaal unmittelbar vorgelagerten Räumlichkeiten  – in der Regel dem Gerichtsflur – gelten.465 Aufgrund der vielfältigen baulichen Unterschiede in den jeweiligen Gerichten ist diese Abgrenzung jedoch nur bedingt nützlich. Auch wenn dieses Problem auf den ersten Blick rein formalen Charakter haben mag,466 ist die Abgrenzung hinsichtlich der Zuständigkeit immer dann von Relevanz, wenn sich Medienvertreter gegen die getroffene Entscheidung wehren möchten.467 Bei Beschränkungen durch den Vorsitzen gemäß § 176 GVG kann Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht erhoben werden, sofern dadurch in Grundrechte eingegriffen wurde.468 Ferner können sitzungspolizeiliche Anordnungen, die nicht der sofortigen Beschwerde des § 181 GVG unterliegen, über § 304 StPO angegriffen werden. Eine solche Beschwerde ist allerdings nicht statthaft, wenn die entsprechende Verfügung von einem Vorsitzenden eines Oberlandesgerichts erlassen wurde. Bei Staatsschutzverfahren, die erstinstanzlich bei einem Oberlandesgericht verhandelt werden und die für die Öffentlichkeit von großer Relevanz sind, können sitzungspolizeiliche Maßnahmen des Vorsitzenden somit nicht angefochten werden.469 Anders stellt sich die Situation bei Beschränkungen durch den Gerichtspräsidenten dar, für die regelmäßig der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten eröffnet ist.470 Auch aus revisionsrechtlicher Sicht besteht durch eine Zuständigkeitsübertragung auf den Vorsitzenden die Gefahr, dass im Falle einer fehlerhaften Anordnung betreffend des Zugangs zum Gerichtsgebäude und dadurch auch zum konkreten Sitzungssaal, ein Verschulden des Vorsitzenden i. S. d. § 338 Nr. 6 StPO vorliegt und es zur Aufhebung des Urteils kommt.471 Daher wäre eine klarstellende Regelung in § 176  GVG etwa dahingehend wünschenswert, dass sämtliche (unmittelbare und mittelbare) Maßnahmen, die im Zusammenhang mit dem ordnungsgemäßen Ablauf der Hauptverhandlung stehen, allein in den Zuständigkeitsbereich des Vorsitzenden fallen.472

465  BVerfG,

NJW 1996, 310; BVerfG, NJW 2006, 1500. jM 2014, 123, 124. 467  Löwe-Rosenberg/Wickern, GVG, § 176, Rn. 49. 468  So das OLG Hamburg, NStZ 1992, 509 ff., das klarstellt, dass es gegen sitzungspolizeiliche Maßnahmen keine Rechtsbehelfe gibt; siehe auch BVerfG, NJW 2002, 2890 ff.; Lehr, NStZ 2001, 63, 66; Spaniol, in: GS Heine (2016), S. 323, 325. 469  Spaniol, in: GS Heine (2016), S. 323, 337. 470  Löwe-Rosenberg/Böttcher, EGGVG, § 23, Rn. 32 m. w. N. 471  Löwe-Rosenberg/Franke, StPO, § 338, Rn. 113 f. 472  So auch Bock, jM 2014, 123, 124; Eisenberg, StraFo  2007, 286; von Coelln, AfP 2014, 193, 194. 466  Bock,

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2. Kap.: Öffentlichkeit von Strafverfahren

6. Sitzplatzreservierungen für Medienvertreter Übersteigt bei einem öffentlichkeitswirksamen Strafverfahren das Zuschauerinteresse das zur Verfügung stehende Platzkontingent des Sitzungssaals, ist es allgemein anerkannt, dass Teile des Zuschauerraums für Medienvertreter reserviert werden können. Hinsichtlich der Anzahl der zu reservierenden Plätze im Verhältnis zur gesamten Bestuhlung des Zuschauerraums kommt dem Vorsitzenden ein Ermessensspielraum zu, wobei er lediglich darauf bedacht sein muss, dass sowohl der unmittelbaren als auch der durch die Medien hergestellten mittelbaren Öffentlichkeit ausreichend Rechnung getragen werden muss. Dabei sind Reservierungen für Pressevertreter von mehr als der Hälfte der zur Verfügung stehenden Plätze trotz der gesellschaftlich hohen Bedeutung der Medien wohl nur in absoluten Ausnahmefällen hinnehmbar. Hinsichtlich der Auswahl des Verfahrens473 zur Sitzplatzvergabe steht dem Vorsitzenden ein weiter Ermessensspielraum zu;474 lediglich eine objektive Chancengleichheit gilt es zu berücksichtigen.475 Davon abgesehen steht es den Medienvertretern jedoch frei, sich wie jeder andere Zuschauer auch einen Sitzplatz außerhalb der reservierten Plätze zu sichern. Einen Revisionsgrund könnte es allenfalls dann darstellen, wenn ein Medienvertreter ohne Grund bei dem Vergabeverfahren trotz korrekter Antragstellung nicht berücksichtigt wurde. Es stellt sich die Frage, ob diesem Journalisten in gesetzeswidriger Weise der Zutritt zum Gerichtssaal versagt wurde mit der Folge einer möglichen Revision nach § 338  Nr. 6  StPO, denn die Versagung des Zugangs beruht auf dem Fehlen freier Sitzplätze. Jedoch hat das fehlerhafte Vergabeverfahren in dieser Situation nur eine mittelbare Auswirkung und überdies ist es keinesfalls sicher, dass besagter Pressevertreter im Zuge eines ordnungsgemäß durchgeführten Losverfahrens einen Platz erhalten hätte.476 Daher liegt im Ergebnis aufgrund eines fehlerhaft durchgeführten Vergabeverfahrens wohl kein Verstoß gegen den Grundsatz der Öffentlichkeit aus § 169 Abs. 1 S. 1 GVG  n. F. und somit kein absoluter Revisionsgrund vor. Eine über die Sitzplatzreservierung hinausgehende bevorzugte Behandlung genießen Medienvertreter auch dann, wenn ihnen nach § 175 Abs. 2 GVG oder nach § 48 Abs. 2 S. 3 JGG die Teilnahme an einer für die „normalen“ Zuschauer nicht öffentlichen Verhandlung gewährt wird.477 473  Anerkannt und praktiziert werden etwa das reine Prioritätsverfahren, das reine Losverfahren, das Topfverfahren oder die Kombination aus zweien dieser Verfahren, vgl. Bock, jM 2014, 123, 125 mit weiteren Ausführungen. 474  BVerfG, Nichtannahmebeschl., NJW 2003, 500; BVerfG, NJW 2013, 1293. 475  BVerfG, NJW 2013, 1293. 476  Bock, jM 2014, 123, 127.



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V. Öffentlichkeitsgrundsatz während der Augenscheinseinnahme Ein weiteres und bisher in der Literatur oft nur rudimentär thematisiertes Problem im Rahmen der Öffentlichkeit der Hauptverhandlung kann sich bei der Augenscheinseinnahme am Tatort ergeben. Die Augenscheinseinnahme ist eines der insgesamt fünf Beweismittel478 im Rahmen des für die Beweisaufnahme nach der Strafprozessordnung geltenden Strengbeweisverfahrens479 und gesetzlich in § 86 StPO für den Fall geregelt, dass sie außerhalb der Hauptverhandlung geschieht.480 Sie entspricht dem Verfahrensgrundsatz der Unmittelbarkeit481 in geradezu idealer Weise.482 Die Einnahme des Augenscheins bedeutet eine Feststellung der gegenständlichen Existenz oder Beschaffenheit einer Sache oder einer Sachgesamtheit.483 Er dient der Überwindung einer faktischen Mittelbarkeit der Beweisaufnahme, in der die Auskunftspersonen dem Gericht über die Beschaffenheit prozessrelevanter Personen, Vorgänge und Gegenstände berichten.484 Erachtet das Gericht nach pflichtgemäßem Ermessen den Augenschein außerhalb des Gerichtssaals für erforderlich, so handelt es sich dabei um einen Teil  der Hauptverhandlung, für den die gesetzlichen Regelungen über die Hauptverhandlung grundsätzlich im vollem Umfang Anwendung finden und die Augenscheinseinnahme damit vor allem § 169 Abs. 1 S. 1 GVG  n. F. unterliegt.485 Als Teil  der 477  Eine Pflicht zur Zulassung zu einer nichtöffentlichen Sitzung aus Art. 10 EMRK besteht hingegen nicht, vgl. EGMR, Axel Springer AG ./. Deutschland, Entsch. v. 29.03.2012 – Nr. 44585/10. 478  Neben der Augenscheinseinnahme stehen als Beweismittel der Zeugenbeweis, das Sachverständigengutachten, der Urkundenbeweis und die Einlassung des Angeklagten zur Verfügung. 479  Eisenberg, Beweisrecht der StPO, S. 13 f.; Kindhäuser, Strafprozessrecht, S. 235, Rn. 3; Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 24, Rn. 2; Schroeder/Verrel, Strafprozessrecht, § 29, Rn. 257; Putzke/Scheinfeld, Strafprozessrecht, S. 158, Rn. 667. 480  Das nach § 86 StPO anzufertigende Protokoll ist gem. § 249 Abs. 1 S. 2 Alt. 4 StPO im Wege des Urkundenbeweises zu verlesen und muss alle für das spätere Urteil relevanten Gesichtspunkte aufführen, wobei sich die Errichtung des Protokolls nach den §§ 168, 168a StPO richtet. Die zu Beweiszwecken vorgenommene Augenscheinseinnahme ist eine für die Hauptverhandlung wesentliche Förmlichkeit, §§ 273, 274 StPO, die nur durch das Protokoll bewiesen werden kann. 481  Klesczewski, Strafprozessrecht, Rn. 51; Schroeder/Verrel, Strafprozessrecht, § 8, Rn. 47; Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 46, Rn. 3 ff. 482  Siehe dazu Robert, Der Augenschein im Strafprozess, S. 29 ff.; Roß, Lehre vom Augenschein, passim. 483  Eisenberg, Beweisrecht der StPO, S. 933. 484  Kühne, Strafprozessrecht, S. 564. 485  Schmidt, JuS 1995, 110, 112.

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Hauptverhandlung müssen somit auch die der Verhandlung beiwohnenden Zuschauer sowie die Vertreter der Medien die Möglichkeit haben, sich vor Ort ein eigenes Bild von den Gegebenheiten zu machen.486 Problematisch ist dies immer dann, wenn das Recht der Zuschauer und der Pressevertreter mit Rechten eines anderen kollidiert. Genannt sei ein Beispiel, in dem sich das Gericht aufgrund unterschiedlicher und sich widersprechender Zeugenaussagen ein Bild von der Wohnung des Tatopfers machen will, der Wohnungseigentümer sich jedoch auf sein Hausrecht487 beruft und Teile der erschienenen Öffentlichkeit oder diese als Ganze während der gerichtlichen Augenscheinseinnahme nicht in der Wohnung duldet.488 Es stellt sich die Frage, ob in solchen Fallkonstellationen der Öffentlichkeitsgrundsatz hinter dem Hausrecht489 des Eigentümers zurücktreten muss. Überwiegend wird angenommen, dass eine Beschränkung des Zuschauerkreises durch den Hausrechtsinhaber zulässig sein soll,490 auch wenn es auf Unbehagen stößt, dass diese Beschränkung der Öffentlichkeit von einem Dritten auf unkalkulierbare Weise beeinflusst werden kann. Begründet und scheinbar kaum ernsthaft hinterfragt wird dies allein damit, dass der Zutritt zur Hauptverhandlung schließlich nur unter den tatsächlichen Gegebenheiten möglich sei.491 Tatsächliche Gegebenheiten stellen in diesem Kontext etwa ein beschränktes Platzkontingent dar, wovon man auch bei einer Augenscheinseinnahme in einer privaten Wohnung ausgehen kann.492 Nach allgemeiner Ansicht liegt in einer Beschränkung der Zugangsmöglichkeiten aufgrund begrenzter räumlicher Gegebenheiten immer dann keine unzulässige Beschränkung des Öffentlichkeitsgrundsatzes, wenn auch nur ein noch so kleiner, jedoch ohne eine vorherige Auswahl anhand bestimmter Kriterien getroffener, Personenkreis der Verhandlung beiwohnen kann,493 was als natürliche Grenze des Grundsatzes der Öffentlichkeit bezeichnet wird.494 Das Gericht ist bei einem hohen Zuschaueraufkommen nicht verpflichtet, für

486  Ranft, Jura 1995, 573, 575; Foth, JR 1979, 262; Mitsch, Medienstrafrecht, S. 122; Kujath, Laienjournalismus im Internet, S. 173 f. 487  Graf/Wiedner, StPO, § 338, Rn. 145. 488  Diesen Beispielsfall verwendet auch Lilie, NStZ 1993, 121. 489  Das Hausrecht erstreckt sich auch auf Geschäfts- und Betriebsräume, vgl. BVerfGE 32, 54, 68 ff. 490  Kissel/Mayer, GVG, § 169 GVG, Rn. 36. 491  BGH, JR 1979, 261; Foth, JR 1979, 262. 492  Lilie, NStZ 1993, 121, 121 f.; Schmidt, JuS 1995, 110, 112. 493  Kindhäuser, Strafprozessrecht, S. 209, Rn. 36 ff. 494  RGSt 47, 322; 52, 137; BGHSt 21, 72, 73; 27, 13, 14; Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 47, Rn. 7; Lilie, NStZ 1993, 121, 122 m. w. N.



A. Einzelne Aspekte des Öffentlichkeitsgrundsatzes im Strafverfahren 91

Verhandlungen in einen größeren Raum außerhalb des Gerichtsgebäudes auszuweichen.495 Geht man nun mit der weit überwiegenden Ansicht davon aus, dass eine Beschränkung des Öffentlichkeitsgrundsatzes im Rahmen einer Ortsbesichtigung zulässig ist, stellt sich nun die Frage, wie man vor Ort zwischen denjenigen selektiert, die der Augenscheinseinnahme durch das Gericht beiwohnen dürfen und denjenigen, denen der Zutritt zur Wohnung in Ermangelung des Platzkontingents verwehrt bleibt, denn neben den Einschränkungen des Öffentlichkeitsgrundsatzes im Wege der Augenscheinseinnahme in tatsächlicher Hinsicht kommt auch eine Einschränkung in rechtlicher Hinsicht in Betracht. Für Medienvertreter gibt es grundsätzlich diesbezüglich keine Sonderregelungen, weshalb sie ihr Interesse an unmittelbarer Informationsgewinnung nur auf der Grundlage von § 169 S. 1 GVG  a. F. und im Rahmen der durch Gesetz oder Recht begrenzten Möglichkeiten wahrnehmen können.496 In der gebotenen einzelfallbezogenen Betrachtungsweise kann sich aber unter Umständen aus Art. 5 Abs. 1 GG die Notwendigkeit einer Bevorzugung von Medienvertretern ergeben,497 da die Informationen aufgrund der Multiplikatorfunktion der Medien auf diese Weise auch an die übrigen Zuschauer herangetragen werden können. Problematisch wird dies wiederum in einer von Lilie beschriebenen Situation, in der mehrere Pressevertreter zum Ortstermin erschienen sind, der Hausrechtsinhaber jedoch nur den Vertreter einer bestimmten Presseagentur in die Wohnung lassen möchte und den übrigen Pressevertretern den Zutritt verweigert, etwa aufgrund eines zuvor geschlossenen Exklusivvertrages.498 Ließe das Gericht in dieser Situation die ausgeschlossenen Pressevertreter entgegen dem Willen des Hausrechtsinhabers an der Augenscheinseinnahme teilhaben, würde die Kollision zwischen dem Grundsatz der Öffentlichkeit aus § 169 Abs. 1 S. 1 GVG  n. F. und dem in Art. 13  Abs. 1 GG niedergeschriebenen Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung deutlich. Bei einer Abwägung dieser kollidierenden Rechte vermag auf den ersten Blick das Wohnungsrecht gegenüber der Öffentlichkeitsmaxime des Strafverfahrens überwiegen. In dieser Konfliktlage wird teilweise der Terminus des Wohnungsrechts aus § 123 Abs. 1 StGB abgeleitet und in diesem Sinne verstanden. Dadurch kommt es jedoch zu einer Vermischung bzw. parallelen An495  Schroeder/Verrel, Strafprozessrecht, § 28, Rn. 222; weitergehend Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 47, Rn. 4, die eine derartige Öffentlichkeitserweiterung als unzulässig ansehen. 496  Bornkamm, NStZ 1983, 102, 105; Ranft, Jura  1995, 573, 576; Weiler, ZRP 1995, 130, 132. 497  Mitsch, Medienstrafrecht, S. 122; BGH, NStZ-RR 2007, 55. 498  Lilie, NStZ 1993, 121, 122.

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2. Kap.: Öffentlichkeit von Strafverfahren

wendung der einfachgesetzlichen Norm des § 123 Abs. 1 StGB und dem Art. 13 Abs. 1 GG als Verfassungsrecht, was vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Schutzrichtungen beider Normen zwingend vermieden werden sollte. Art. 13 Abs. 1 GG schützt als Grundrecht den Bürger vor staatlichen Eingriffen, fungiert somit als negatorisches Abwehrrecht499 zum Schutz vor Eingriffen in die räumliche Privatsphäre, wobei eine Drittwirkung etwa gegen Privatpersonen nicht entfaltet wird. Die Schutzrichtung des § 123  StGB ist dabei eine ganz andere, denn geschützt wird der Eingriff in das Wohnungsrecht von nichtstaatlicher Seite, mithin von Privatpersonen.500 Neben der unterschiedlichen Schutzrichtung der beiden Normen stellt sich zudem die Frage, ob das geschützte Objekt identisch ist. Das Tatbestandsmerkmal der Wohnung wird sowohl bei § 123 Abs. 1 StGB als auch bei Art. 13 Abs. 1 GG weit ausgelegt und umfasst alle zum Aufenthalt und menschlichen Wirken bestimmte Räumlichkeiten.501 Jedoch wird von Art. 13 Abs. 1 GG nicht das durch § 123 StGB geschützte befriedete Besitztum umfasst, weshalb der Straftatbestand des § 123 StGB weiter geht als der Schutzbereich von Art. 13 Abs. 1 GG. Dieses Ergebnis gilt es jetzt, auf die eingangs dargestellte Konstellation mit den Reportern der verschiedenen Presseagenturen anzuwenden. Ordnet das Gericht im Rahmen der Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung eine Augenscheinseinnahme in einer privaten Wohnung an, ist es direkt an Art. 13 Abs. 1 GG gebunden, da die Inanspruchnahme der verfassungsrechtlich geschützten räumlichen Privatsphäre im Rahmen der strafprozessualen Wahrheitsfindung im Fokus steht.502 Ein Anspruch auf Öffentlichkeit und somit auf Zutritt zur Wohnung unter Beschränkung des Wohnungsrechts des Betroffenen kann nur dann bestehen, wenn eine der grundrechtsimmanenten Schranken griffe. Art. 13 Abs. 2 GG normiert einen Richtervorbehalt für die Fälle von Wohnungsdurchsuchungen und gerade nicht die Fälle einer richterlich angeordneten Augenscheinseinnahme. Dennoch ist nach Ansicht mancher die Situation eine vergleichbare, denn aufgrund einer richterlichen Entscheidung solle gegen den Willen des Berechtigten der Zutritt zu einer Wohnung verschafft werden. Dabei stelle die Augenscheinseinnahme einen deutlich geringfügigeren Eingriff in das Hausrecht dar als eine Durchsuchung. Auch Art. 13 Abs. 3 GG sei hier nicht direkt einschlägig, denn es handelt sich nicht um eine gefahrenverhütende oder gefahrenabwehrende Maßnahme. Zusätzlich zu den positiv normierten 499  Dreier-Hermes,

GG, Bd. I, Art. 13, Rn. 29 ff. StGB, § 123, Rn. 2 f.; Lackner/Kühl-Heger, StGB, § 123, Rn. 1 f. 501  Fischer, StGB, § 123, Rn. 6; Dreier-Hermes, GG, Bd. I, Art. 13, Rn. 16 ff. 502  BVerfGE 75, 318, 327 f.; ausführlich auch bei Lilie, NStZ  1993, 121, 124; Schmidt, JuS 1995, 110, 112. 500  Fischer,



A. Einzelne Aspekte des Öffentlichkeitsgrundsatzes im Strafverfahren 93

Möglichkeiten der Einschränkung des Wohnungsrechts gäbe es noch weitere, ungeschriebene Ermächtigungen für staatliches Handeln, worunter auch der Beschluss des Gerichts zur Augenscheinseinnahme in einer Wohnung gehöre.503 Ein Eingriff in Art. 13 Abs. 1 GG bedarf nach Art. 13 Abs. 2, 3 GG jedoch einer gesetzlichen Grundlage,504 die in einem solchen Fall nicht vorhanden ist. Die §§ 94 ff., 103 StPO sind nicht einschlägig und § 86 StPO enthält keine solche Grundlage. Der Beschluss eines Gerichts zur Augenscheinseinnahme umfasst nach einer teilweise im Schrifttum vertretenen Ansicht505 auch ein Recht der Öffentlichkeit und insbesondere der Pressevertreter auf Teilnahme an dieser Augenscheinseinnahme, da er Teil  der institutionalisierten Öffentlichkeit sei und somit die Befugnis bestehen müsse, die Wohnung zu betreten. Das Hausrecht werde nach dieser Ansicht nicht in einer unzulässigen Weise beschränkt. Der durch Art. 13 Abs. 1 GG gewährleistete Grundrechtsschutz steht unter einem qualifizierten Gesetzesvorbehalt, wonach Eingriffe und Beschränkungen nur zulässig sind, soweit ein förmliches Gesetz, welches unter anderem dem Zitiergebot aus Art. 19 Abs. 1 S. 2 GG entsprechen muss, solche zur Verhütung dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung gestattet. In diesem Kontext stelle der Öffentlichkeitsgrundsatz zwar eine sehr relevante Prozessmaxime der deutschen Rechtsordnung dar, erfülle aber gerade nicht die Voraussetzungen eines zulässigen Eingriffs in Art. 13 Abs. 1 GG.506 Daher sei das Gericht für das Betreten der Wohnung an sich sowie für die Zulassung von Publikum auf das Einverständnis des Hausrechtsinhabers angewiesen. Der Vorsitzende ist aufgrund seiner Wahrheitserforschungspflicht im Strafprozess dazu autorisiert, eine Ortsbesichtigung unter Ausschluss der gesamten Öffentlichkeit507 durchzuführen, auch wenn solche Maßnahmen auf das notwendige Minimum zu reduzieren sind.508 Findet die Augenscheinseinnahme ohne die Öffentlichkeit statt, sind die gewonnenen Erkenntnisse bei der im Anschluss an die Augenscheinseinnahme fortzusetzenden Hauptverhandlung zu erörtern.509 Auf die Teilnahme von Personen, deren Anwesenheit 503  Dagtoglou,

JuS 1975, 753, 756; Lilie, NStZ 1993, 121, 124. 32, 54, 68 ff. 505  Lilie, NStZ 1993, 121 ff.; Schmidt, JuS 1995, 110, 112. 506  BGH, NJW 1994, 2773 f.; Tag, Öffentlichkeit, S. 37 f.; Foth, JR  1979, 262 f.; Ranft, Jura 1995, 573, 575 f.; a. A. Lilie, NStZ 1993, 121 ff. 507  Gleiches gilt, wenn der Vorstand einer JVA keine Zuschauer im Rahmen einer Zeugenbefragung, die aufgrund von Transportunfähigkeit nicht außerhalb der Haftanstalt stattfinden kann, einlassen möchte, vgl. BGH, JR 1979, 261. 508  BGHSt 40, 191; SK-StPO/Velten, GVG, § 169, Rn. 29 ff.; Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 47, Rn. 8. 509  Tag, Öffentlichkeit, S. 39. 504  BVerfGE

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2. Kap.: Öffentlichkeit von Strafverfahren

das Gesetz für uneinschränkbar hält, kann allerdings unter keinen Umständen verzichtet werden, auch nicht im Rahmen einer Augenscheinseinnahme außerhalb des Gerichtsgebäudes.510 Stattdessen muss etwa das Haus, sofern es selbst als Beweismittel in Frage kommt, nach § 94 StPO beschlagnahmt oder auf eine Augenscheinseinnahme verzichtet werden.511 Eine Einschränkung des Grundsatzes der Öffentlichkeit aufgrund rechtlicher Gegebenheiten wurde durch das OLG Köln512 angenommen. Das Amtsgericht hatte eine Augenscheinseinnahme auf dem Standstreifen einer Autobahn durchgeführt und für diesen Zeitraum die Öffentlichkeit ausgeschlossen, da nach § 18 Abs. 9 S. 1 StVO Fußgängern das Betreten von Autobahnen verboten ist. Anschließend an die Augenscheinseinnahme wurde die einfache Hauptverhandlung an gleicher Stelle fortgesetzt und auch das Urteil gleich dort verkündet. Darin sah das OLG Köln einen Verstoß gegen den Grundsatz der Öffentlichkeit und bejahte das Vorliegen eines absoluten Revisionsgrundes nach § 338 Nr. 6 StPO, da die nach § 18 Abs. 9 S. 1 StVO gegebene Beschränkung des Zugangs für Fußgänger zwar bei der Augenscheinseinnahme, nicht aber bei der Fortsetzung der Hauptverhandlung und der Urteilsverkündung513 hinzunehmen ist.

B. Historische Entwicklung der Öffentlichkeit des Strafverfahrens Im ersten Moment mag die Begründung des Grundsatzes der Öffentlichkeit zum Zeitpunkt seiner Entstehung, der Durchsetzung und seiner Entwicklung für die im Vorfeld der Einführung des EMöGG geführten Diskussionen um eine Lockerung des § 169 S. 2 GVG  a. F. ohne Relevanz sein, jedoch verdeutlicht gerade die historische Entwicklung die dieser Prozessmaxime entgegengebrachte traditionelle Wertschätzung.514 Um beurteilen zu können, ob es im Hinblick auf die Bedeutung des Grundsatzes der Öffentlichkeit von Gerichtsverfahren einen Funktionswandel gibt und im Falle einer Annahme eines solchen, wie dieser ausgestaltet ist 510  Zu

einem ähnlich gelagerten Fall siehe OLG Hamburg, JR 1987, 78. Strafprozessrecht, § 28, Rn. 230. 512  OLG Köln, NJW 1976, 637. 513  Um eine mögliche Beeinträchtigung des Öffentlichkeitsgrundsatzes in dieser Situation zu vermeiden, hätte man nach Auffassung Schmidts an eine Ausnahmegenehmigung nach § 46 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 StVO denken können ders., JuS  1995, 110, 112. Warum man einen derartigen Aufwand betreiben statt die Verhandlung mit anschließender Urteilsverkündung nicht einfach wieder im Gerichtssaal weiterführen sollte, erschließt sich jedoch nicht. 514  Britz, Fernsehaufnahmen im Gerichtssaal, S. 189. 511  Schroeder/Verrel,



B. Historische Entwicklung der Öffentlichkeit des Strafverfahrens 95

und ob dadurch die Notwendigkeit der Gesetzesreform durch das EMöGG begründet wird, ist es unabdingbar, sich zunächst mit der geschichtlichen Entwicklung dieses Prozessgrundsatzes vertraut zu machen. Zudem gehört die historische Interpretation einer zu untersuchenden Norm neben Wortlaut, Telos, Systematik zum üblichen Kanon neben der Auslegungsmethoden.515

I. Von der germanischen Zeit bis ins Mittelalter Der Grundsatz der Öffentlichkeit hat seine Wurzeln in der germanischen Zeit. Aus der Epoche bis 500 n. Chr. sind allerdings kaum zuverlässige Quellen überliefert, anhand derer man entsprechende Untersuchungen anstellen könnte. Vom Recht aus der germanischen Frühzeit weiß man eigentlich nur, was Tacticus in seinen stark von römischen Anschauungen geprägten Schriften berichtet.516 Das Recht stellte für die Menschen in dieser Zeit etwas Vorgegebenes, Ungesetztes und Ungeschriebenes dar. Recht konnte nur gefunden werden, wenn es im „Rechtsgefühl der Volksgemeinde oder ihrer Vertrauensmänner“ geschah. Die Findung des Rechts setzte somit die Teilnahme und die Einbeziehung des Volkes voraus. Der Rechtsgang war öffentlich. Nach der sogenannten Dingpflicht517 mussten alle freien und waffenberechtigten Volksgenossen der jeweiligen Landesgemeinde bei der Versammlung, dem Ding, anwesend sein, weshalb es sich um eine unmittelbare Öffentlichkeit handelte. Dabei wurden neben Fragen, die das staatliche Leben betrafen, auch sämtliche Rechtsfragen erörtert und geregelt. Die Gerichtsversammlungen tagten unter freiem Himmel und regelmäßig an erhöhten und somit weit sichtbaren Orten.518 Diese Art der Gerichtsöffentlichkeit war aktiv und notwendig, es fand keine direkte Trennung zwischen Gericht und Öffentlichkeit statt, die Gemeinde fällte gemeinsam mittels Abstimmungen aus ihrer Mitte heraus ein Urteil.519 Der moderne Begriff der Öffentlichkeit der Gerichtsverfahren differenziert hingegen zwischen Gericht und Publikum; die Rolle der Öffentlichkeit hat sich demnach zu einer passiven und fakultativen entwickelt.520 515  Larenz,

Methodenlehre, S. 328; Reimer, Juristische Methodenlehre, S. 136, 168. Dt. Rechtsgeschichte, Bd. I, S. 19; ders., Germ. Recht als Forschungsproblem, S. 3, 5. 517  SK-StPO/Velten, GVG, Vor § 169, Rn. 2. 518  Schuckert, Der Grundsatz der Volksöffentlichkeit, S. 5 m. w. N. 519  Alber, Die Geschichte der Öffentlichkeit im deutschen Strafverfahren, Kap. 1, S. 13; siehe auch Laue, Öffentlichkeit, S. 135; Schuckert, Der Grundsatz der Volks­ öffentlichkeit, S. 6. 520  Alber, Die Geschichte der Öffentlichkeit im deutschen Strafverfahren, Kap. 1, S. 12; Schuckert, Der Grundsatz der Volksöffentlichkeit, S. 3; Riepl, Informationelle Selbstbestimmung, S. 35 ff. 516  Kroeschell,

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2. Kap.: Öffentlichkeit von Strafverfahren

II. Vom Mittelalter bis zum Zeitalter des Absolutismus Durch die Errichtung von vielen kleineren Gerichten – als nicht abschließende Liste an Beispielen seien Hof-, Zins-, Dorfgerichte521 genannt – wurden auch neue Regelungen bzgl. der Öffentlichkeit der Verfahren eingeführt, wonach nunmehr nur eigenen Gruppenangehörigen ein Zutrittsrecht zur Verhandlung gewährt wurde, was zu einer qualitativen und quantitativen Beschränkung der Öffentlichkeit führte. Diese Veränderung resultierte aus einer neu eingeführten Sozialverfassung, die eine komplexe ständische Gliederung mit sich brachte und sich nicht nur gravierend auf die Rechtspflege auswirkte. Die Beschränkung der Verfahrensöffentlichkeit wurde durch die Verlagerung der Verhandlungen von den oben beschriebenen Dorfwiesen in Rat- oder Dinghäuser erst ermöglicht. Auch wenn zunächst die Fenster und Türen der Gebäude offen blieben, war es doch ein gravierender Einschnitt in die öffentliche Verfahrenspraxis.522 Zur Zeit des ausgehenden Mittelalters und dem Beginn der Neuzeit entwickelte sich eine Gegenbewegung zur Volksöffentlichkeit des Gerichtsverfahrens, die dazu führte, dass das Interesse der Bevölkerung an den stattfindenden Strafverfahren mehr und mehr verloren ging.523 Die Bevölkerung hatte kein Verständnis mehr für das sich neu entwickelnde Recht, da sie seit der Einführung der Schöffengerichtsbarkeit524 kein direktes Mitspracherecht bei juristischen Entscheidungsfindungsprozessen mehr hatte.525 Gefördert durch die Einsetzung von Schöffen, begann sich – auch aufgrund der rasch anwachsenden Kriminalität gerade in den ländlichen Regionen – der Inquisitionsprozess herauszubilden. Die entscheidenden Ermittlungen in einem strafrechtlich gelagerten Fall wurden von nun an in geheimen, teilweise ausschließlich schriftlichen Verfahren, in Gefängnissen oder verschlossenen Amtstuben geführt. Unter Androhung von Folter und Anwendung von Foltertechniken526 wurden rasche Geständnisse erwirkt, was aufgrund der hohen Anzahl an Beschuldig521  Weitere Gerichtsformen sind aufgeführt bei Kern, Recht und Verfassung im Mittelalter, S. 7. 522  Alber, Die Geschichte der Öffentlichkeit im deutschen Strafverfahren, Kap. 1, S. 14. 523  Lediglich die Durchsetzung der Strafe, insbesondere die einer Ehrenstrafe, wurde noch von einem regen Publikumsinteresse begleitet, vgl. dazu Fröhling, Der moderne Pranger, S. 47 ff. 524  Benz, Zur Rolle der Laienrichter im Strafprozeß, S. 52 ff.; siehe auch Kern, in: FS Sauer (1949), S. 71 ff. 525  Vgl. dazu Alber, Die Geschichte der Öffentlichkeit im deutschen Strafverfahren, Kap. 1, S. 14; Schuckert, Der Grundsatz der Volksöffentlichkeit, S. 7. 526  Dazu ausführlich Zagolla, Im Namen der Wahrheit, S. 21 ff. m. w. N.



B. Historische Entwicklung der Öffentlichkeit des Strafverfahrens 97

ten die Effektivität der Rechtspflege sichern sollte.527 Die Öffentlichkeit wurde lediglich bei der Urteilsverkündung zugelassen, was vor allem bei den Bauern und Arbeitern der Bevölkerung auf enormen Widerwillen stieß. Die absolutistische Machtausübung insgesamt war gekennzeichnet durch die Praxis der Staatsgeheimnisse, den arcana rei publicae.528 Diese Gegenbewegung konnte jedoch über mehrere Jahre hinweg keinen durchschlagenden Erfolg verbuchen, was sich letztlich darin widerspiegelte, dass durch den Erlass der Bamberger Halsgerichtsordnung von 1507529 das gerichtliche Verfahren unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattzufinden hatte.530 Dieser sich stetig weiterentwickelnde Prozess der Bürokratisierung der Rechtspflege in Strafsachen fand seinen Höhepunkt zur Zeit des politischen Absolutismus, was sich auch daran zeigt, dass die Rolle der Schöffen mehr und mehr an Bedeutung verlor, bis die Schöffen schließlich vollends aus dem Gerichtsverfahren verbannt wurden.531

III. Aufklärung, Französische Revolution und Paulskirchenverfassung Im 17. und 18. Jahrhundert dominierte die Epoche der Aufklärung; das Bestreben, durch den Erwerb neuen Wissens alte Unklarheiten zu beseitigen. Man wollte den Bürgern ihre politische, geistige und soziale Unterdrückung bewusst machen und erhob den menschlichen Verstand zum Maßstab aller Dinge, um den geistigen Emanzipationsprozess des Einzelnen wie auch der Gesellschaft als Ganzes zu fördern.532 Mit dieser, sich nach und nach innerhalb der Bevölkerung ausbreitenden Grundüberzeugung533 war schließlich 527  So auch Hohmann, Jura 1991, 121, 125 f.; zum Inquisitionsprozess ausführlich Ignor, Geschichte des Strafprozesses, S. 41  ff.; vgl. auch Luef-Kölbl, Der Beschuldigte, S. 10 ff. 528  Pernice, Medienöffentlichkeit, S. 15. 529  Der Wortlaut der in der Bamberger Halsgerichtsordnung niedergeschriebenen Normen wurde nahezu identisch in die Constitutio Criminalis Carolina (CCC) von 1532 aufgenommen, vgl. Eisenhardt, Dt. Rechtsgeschichte, § 10, Rn. 445 ff. Die CCC gilt als Musterbeispiel einer gelungenen Übernahme im Hinblick auf die Kodifizierung des inquisitorischen Prozessrechts. Bemerkenswert ist auch die lange Geltungsdauer der CCC, da sie als einziges Strafgesetzbuch des Heiligen Röm. Reiches bis 1806 gültig war, vgl. Schlosser, Neuere Europ. Rechtsgeschichte, S. 12, Rn. 31; Ignor, Geschichte des Strafprozesses, S. 41 ff. 530  Stutz, Zurückdrängung des Öffentlichkeitsprinzips zugunsten der Privatsphäre, S. 2. 531  Alber, Die Geschichte der Öffentlichkeit im deutschen Strafverfahren, Kap. 1, S. 16. 532  Kant, Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?, S. 5, Z. 01–03. 533  Witzler, Öffentlichkeit, S. 7; auch Stutz, Zurückdrängung des Öffentlichkeitsprinzips zugunsten der Privatsphäre, S. 4.

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2. Kap.: Öffentlichkeit von Strafverfahren

auch der heimlich stattfindende Inquisitionsprozess nicht mehr vereinbar. Es wurde die Forderung laut, die Verfahren transparent auszugestalten, um so der richterlichen Willkür entgegentreten zu können.534 Ferner wurde gefordert, zwischen Ermittlung und Hauptverhandlung zu differenzieren und entsprechend der Mitwirkung durch die Öffentlichkeit zugänglich zu machen und zusätzlich eine institutionelle Trennung zwischen Ankläger und urteilendem Gericht vorzunehmen. Ferner sollten erneut juristische Laien als Schöffen eingesetzt werden, die vor willkürlichen Entscheidungen durch den / die Richter schützen sollten.535 Dem Argument der Forderungen nach Gerichtsöffentlichkeit, nämlich die Kontrolle der Gerichte, wurde die Frage entgegen gehalten, ob eine Kontrolle durch juristisch Ungebildete überhaupt möglich sei, da diese aufgrund ihrer allgemein fehlenden Rechtskenntnisse überhaupt nicht in der Lage seien, den Inhalt und Bedeutungsgehalt der gerichtlichen Entscheidungen korrekt zu erfassen.536 Ferner wurde von manchen Autoren eingewandt, dass durch die Möglichkeit, an Strafverhandlungen teilzunehmen, ein Nachahmungseffekt entstünde und die Zuhörer dazu verleitet werden könnten, selbst Straftaten zu begehen und die Taten der Beschuldigten als Vorlage oder Anreiz dafür zu nehmen. Diese Argumente gegen den Grundsatz der Öffentlichkeit wurden mit den Vorzügen dieses Grundsatzes abgewogen, mit dem Ergebnis, dass die Probleme des Öffentlichkeitsgrundsatzes als verschwindend gering im Vergleich zu dem hohen Nutzen der öffentlichen Verfahren eingestuft wurden.537 Die nun herrschende liberale Denkweise und ihre Maximen wirkten sich elementar auf den Öffentlichkeitsgrundsatz im Strafprozess aus, dessen Befürworter spätestens unter dem Einfluss der Französischen Revolution ab 1789 immer mehr überzeugen konnten: „Das grosse Losungswort, das jetzt ein jeder kräht, vor dem in ihren Staatsperücken, sich selbst des Volkes Häupter bücken, Horch auf! Es heisst: Publizität!“ (Gottlieb Bürde).538

Nach weiteren langwierigen Verhandlungen konnten die Anhänger des Öffentlichkeitsgrundsatzes endlich einen revolutionären Erfolg für sich verbuchen, als 1848 der Grundsatz des öffentlichen Gerichtsverfahrens in der Paulskirchenverfassung niedergeschrieben539 wurde und schließlich erstmals 534  Ranft,

Jura 1995, 573; Hillermeier, DRiZ 1982, 281. Öffentlichkeitsmaxime, S. 25. 536  Wettstein, Öffentlichkeitsgrundsatz, S. 41. 537  Stutz, Zurückdrängung des Öffentlichkeitsprinzips zugunsten der Privatsphäre, S. 11 m. w. N. 538  Zitiert nach Alber, Die Geschichte der Öffentlichkeit im deutschen Strafverfahren, Kap. 2, S. 22. 539  Dem Öffentlichkeitsgrundsatz wurde, bevor er gesetzlich normiert war, die größte Bedeutung beigemessen, somit hätte er in der Paulskirchenverfassung nun535  Kuß,



B. Historische Entwicklung der Öffentlichkeit des Strafverfahrens 99

Einzug in das Gerichtsverfassungsgesetz fand,540 welches am 2.  Juli  1877 veröffentlicht541 und schließlich am 1.  Oktober  1879 gemeinsam mit den anderen Reichsjustizgesetzen (Straf- und Zivilprozessordnung, Rechtsanwaltsordnung, Konkursordnung) in Kraft trat.542 Im GVG war von Beginn an die Öffentlichkeit der Gerichtsverhandlung sowie die öffentliche Verkündung der Urteile festgeschrieben; der Grundsatz der Öffentlichkeit fand sich damals noch in § 170 GVG,543 war jedoch identisch mit der heutigen Regelung in § 169 Abs. 1 S. 1 GVG  n. F.544 Allerdings wurde im damaligen Diskurs der Grundsatz der Verfahrensöffentlichkeit noch anders verstanden als im heutigen Sinne: Die Forderung Feuerbachs545, die in der württembergischen546 und badischen547 Strafprozessordnung weitgehend aufgingen, statuierten ein Zutrittsverbot für Frauen und beschränkten den Kreis der Zuschauer auf „achtbare Ehrenmänner“, denen zugleich die Funktion von Gerichtszeugen zugedacht war.548 Der Grundsatz der Öffentlichkeit der Gerichtsverhandlungen blieb auch nach dem Ende des Kaiserreichs 1918 und nach Erlass der Weimarer Reichsverfassung erhalten. 1926 entschied das Reichsverfassungsgericht bezüglich der öffentlichen Verkündung des Urteils sowie der Urteilsgründe, dass eine Verkündung unter Ausschluss der Öffentlichkeit als absoluter Ausnahmefall anzusehen und ein gesonderter Beschluss von Nöten sei, der erst nach dem Ende der Beweisaufnahme erlassen werden dürfe.549 mehr Verfassungsrang bekommen. Die Paulskirchenverfassung ist jedoch nie geltendes Recht geworden. In der 1871 erlassenen Reichsverfassung kam dem Öffentlichkeitsgrundsatz schließlich – ebenso wie im heutigen GG – kein Verfassungsrang mehr zu, Stutz, Zurückdrängung des Öffentlichkeitsprinzips zugunsten der Privatsphäre, S. 12. 540  Stutz, Zurückdrängung des Öffentlichkeitsprinzips zugunsten der Privatsphäre, S. 2. 541  RGBl. I 1877, S- 41. 542  Vertiefend zur Entstehungsgeschichte: Kissel/Mayer, GVG, Einl., Rn. 50; siehe auch Heger, in: FS Beulke (2015), S. 759 ff. 543  RGBl. I 1877, S. 41, 72. 544  Baumann, NJW  1982, 1558; Kuß, Öffentlichkeitsmaxime, S. 26; Britz, Fernsehaufnahmen im Gerichtssaal, S. 27; Zipf, Gutachten C zum 54. DJT 1982, S. C13 f. 545  Feuerbach, Oeffentlichkeit und Mündlichkeit Bd. I, S. 179: „Die Gesetzgebung verletzt die öffentliche Sittlichkeit, wenn sie dem Weibe gestattet, aus dem heiligen Kreise seiner weiblichen Bestimmungen herauszutreten […]“. 546  Art. 279 der württembergischen Strafprozessordnung aus dem Jahr 1843. 547  Art. 224 der badischen Strafprozessordnung aus dem Jahr 1945. 548  Tag, Öffentlichkeit, S. 4 m. w. N. 549  RGSt 60, 279, 280. Bei dem vorinstanzlichen Gericht handelte es sich um ein Militärgericht, das nach dem Militärstrafgesetzbuch verhandelte. Doch galten auch für Militärgerichte StPO und GVG.

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2. Kap.: Öffentlichkeit von Strafverfahren

IV. Zeit des Nationalsozialismus Im Grunde erfolgte auch während der Diktatur der Nationalsozialisten keine grundlegende Änderung des Öffentlichkeitsgrundsatzes von seinem Wortlaut her. Änderungen ergaben sich lediglich im Verständnis dieser Vorschriften, da sich die Ratio dieses Grundsatzes stark wandelte.550 Grund für die Einhaltung des Öffentlichkeitsgrundsatzes war nicht mehr die Kontrolle des Gerichts551 durch die Zuschauer oder der Schutz des Angeklagten vor richterlicher Willkür. Die Legitimation des Öffentlichkeitsgrundsatzes wurde vielmehr schlicht damit begründet, dass er durch die historischen Gegebenheiten gerechtfertigt sei. Dabei wurde von den NS-Funktionären auf die Zeit des germanischen Reichs abgestellt, womit gleichzeitig auch die Existenz des nationalsozialistischen Gedankenguts und deren Anschauung von einem großdeutschen Reich legitimiert werden sollte.552 Damit einhergehend fand ein Wandel der höchstrichterlichen Rechtsprechung statt. Im Dezember  1935 wurde durch das Reichsgericht festgelegt, dass die völlige Missachtung des Öffentlichkeitsgrundsatzes nun keinen absoluten Revisionsgrund mehr darstelle. So heißt es in den Ausführungen des Senats: „Ebenso zweifellos legt aber die gegenwärtige Rechtsordnung den Vorschriften über das Verfahren, in dem die richterliche Entscheidung über die Ausschließung der Öffentlichkeit ergeht, nicht mehr die überragende Bedeutung bei, dass ihre Verletzung in jeden Fall einen zwingenden Revisionsgrund abgeben müsste.“553

Von enormer Relevanz im Kontext der Untersuchung des Öffentlichkeitsgrundsatzes während des NS-Unrechtsregimes ist zudem, dass es nur Mitgliedern der Volksgemeinschaft offen stand, stattfindenden Gerichtsverhandlungen beizuwohnen und damit die Rechtsgleichheit offiziell aufgehoben wurde.554 Ausländern und „Nichtariern“ war der Zutritt untersagt; sie konnten lediglich im Ausnahmefall und nur durch ausdrückliche Zustimmung der je550  Ergänzt wurde die Vorschrift über den Öffentlichkeitsgrundsatz allerdings durch die Notverordnung des Reichspräsidenten vom 9.3.1932, wodurch die Öffentlichkeit nun auch bei der Urteilsverkündung ausgeschlossen werden konnte, wenn zu schützende Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse Gegenstand der Verhandlung waren, vgl. Britz, Fernsehaufnahmen im Gerichtssaal, S. 28. 551  Zur Laiengerichtsbarkeit im Nationalsozialismus Benz, Zur Rolle der Laienrichter im Strafprozeß, S. 57 ff. 552  So jedenfalls Stutz, Öffentlichkeitsprinzip, S. 43. 553  RGSt 69, 401, 403. 554  Schneider, Die SS und „das Recht“, S. 57 f., 62, wo zudem die Rolle der Juden und dem ihnen zugewiesenen weitaus niedrigeren Rechtsstatus ausführlich thematisiert wird.



B. Historische Entwicklung der Öffentlichkeit des Strafverfahrens 101

weiligen Justizverwaltung an gerichtlichen Verhandlungen teilnehmen. Dies war jedoch eine reine Ermessensentscheidung. Begründet wurde dies damit, dass der ursprüngliche Zweck dieser Maxime – die Kontrolle des Gerichts – seit der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten nicht mehr nötig sei.555 Es kann somit erstmals in der geschichtlichen Entwicklung des Öffentlichkeitsgrundsatzes von einer qualifizierten Öffentlichkeit gesprochen werden, die auch – wenn auch in einer anderen Form – heutzutage erneut eine Rolle spielt, worauf ich später noch zurückkommen werde. Konkret kann festgehalten werden, dass der Grundsatz der Öffentlichkeit immer dann eingehalten wurde, wenn der Verhandlungsgegenstand dem Regime von Nutzen war, so beispielsweise beim Prozess um den Reichstagsbrand. Dort wurde erstmalig sogar die Rundfunkübertragung aus dem Gerichtssaal erlaubt, damit jeder, der auf deutschem Boden lebte, ob Arier oder nicht, in Echtzeit mitbekam, was mit Tätern geschah, die sich gegen das NS-Regime wendeten.556 Die Übertragung dieses Verfahrens sollte somit die Bevölkerung davon abhalten, ähnliche Taten zu begehen, mithin eine abschreckende Wirkung entfalten, womit auch hier erneut präventive Aspekte eine Rolle spielten, und die negative Generalprävention (s. o.) als Begründung der Strafe herangezogen wurde. Außerdem kam es unter der NS-Herrschaft zur Errichtung von sogenannten Sondergerichten, bei denen die Einbeziehung der Öffentlichkeit erst gar nicht zur Debatte stand.557 An diesem Beispiel der Entwicklung des Öffentlichkeitsgrundsatzes während der NS-Herrschaft wird die Relevanz der historischen Auslegung deutlich. Die Auslegung einer Norm ist ohne einen gewissen Interpretationsspielraum kaum möglich. Dieser Interpretationsspielraum wurde wie oben beschrieben, durch die Nationalsozialisten pervertiert, womit der einst so bedeutsame Grundsatz der Öffentlichkeit des Gerichtsverfahrens und die damit einhergehende Kontrolle der Gerichte zu einem stumpfen Schwert degradiert wurde.

V. Bundesrepublik Deutschland Mit Beendigung der NS-Herrschaft ist in der Begründung des Grundsatzes der Öffentlichkeit eine Verschiebung zugunsten des Informationsinteresses 555  Britz, Fernsehaufnahmen im Gerichtssaal, S. 29, der auf Beese, Der Grundsatz der Öffentlichkeit im deutschen Strafprozeß, S. 23, verweist. 556  Stutz, Zurückdrängung des Öffentlichkeitsprinzips zugunsten der Privatsphäre, S. 45. 557  Zu den NS-Sondergerichten ausführlich Schwarz, Rechtsprechung durch Sondergerichte.

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2. Kap.: Öffentlichkeit von Strafverfahren

der Allgemeinheit über den Ablauf des Geschehens sowie die Resultate der (strafrechtlichen) Jurisdiktion erkennbar.558 Der heutige § 169 Abs. 1 S. 1 GVG  n. F. wurde von seinem Wortlaut her nahezu identisch von der Gesetzgebung in der neu gegründeten Bundesrepublik übernommen. Er wurde 1964 um Satz 2559 erweitert und dadurch inhaltlich eingeschränkt. In der Zeit vor 1964 war es durchaus üblich, gerade bei Strafprozessen größeren Ausmaßes, dass während der Verhandlung Tonbandmitschnitte sowie Kameraaufnahmen angefertigt wurden, mit dem Ziel, diese im Anschluss an die Verhandlung zum Zwecke der Information der Bevölkerung zu veröffentlichen. Durch die Einführung des EMöGG wurde unter grundsätzlicher Beibehaltung des § 169 S. 2 GVG a. F. die Vorschrift um den Öffentlichkeitsgrundsatz wieder moderat erweitert. 1. Gerichtsverfahren mit besonderer Bedeutung für den Öffentlichkeitsgrundsatz Zum Zwecke der Veranschaulichung der Problematik um einen zu kleinen Zuschauerraum bei medienwirksamen (Groß-)verfahren,560 sollen im Folgenden ausgewählte Prozesse in der gebotenen Kürze dargestellt werden. Daran anschließend sollen die anhand dieser Verfahren gesammelten Ereignisse als eine der Grundlagen für die Beantwortung der Frage um die Reformbedürftigkeit des § 169 S. 2 GVG a. F. herangezogen werden. a) Auschwitz-Prozess Ein lehrreiches Beispiel in vielerlei Hinsicht, insbesondere im Hinblick auf den Grundsatz der Öffentlichkeit, ist der sogenannte Auschwitz-Prozess, der von 1963–1965561 in Frankfurt am Main an 183 Tagen verhandelt wurde. Angeklagt waren 22 ehemalige Funktionäre des Konzentrationslager Auschwitz. Dieser Prozess sollte ein Präzedenzfall der strafrechtlichen Verantwortlichkeit für die Teilnahme am NS-Massenmord darstellen.562 Charakteristisch für die558  Schmidthals, Wert und Grenzen der Verfahrensöffentlichkeit im Strafprozess, passim; Tag, Öffentlichkeit, S. 5. 559  BGBl. I 1964, S. 1067. 560  Zu den prozessualen Besonderheiten in strafrechtlichen Großverfahren im Allgemein ausführlich Fromm, StraFo 2017, 146 ff. 561  Insgesamt gab es drei Auschwitz-Prozesse, die von 1963–1965, von 1965–1966 sowie von 1967–1968 stattfanden. Ist von dem Auschwitz-Prozess die Rede, so ist damit immer der erste der drei Prozesse gemeint. 562  Safferling, Verfolgung der Täter durch Täter? Vom Versagen der Politik und der Justiz bei der Strafverfolgung, S. 19, 31 m. w. N.



B. Historische Entwicklung der Öffentlichkeit des Strafverfahrens 103

sen Prozess ist, dass unter ihnen nicht nur leitende Offiziere, sondern auch Männer mit niedrigem Rang waren, wie beispielsweise derjenige, der für die Kleiderausgabe in Auschwitz zuständig war. Generalstaatsanwalt Fritz Bauer, der den Auschwitz-Prozess maßgeblich förderte, stellte als zentrale These für dieses Verfahren auf, dass die jeweiligen Angeklagten nicht anhand ihrer Einzeltaten verurteilt werden müssten, sondern dass man ihre Funktion im gesamten Vernichtungsapparat betrachten solle.563 Dies sah das Gericht jedoch anders und nahm für die Vollstrecker des Holocaust keine spezielle Form der strafrechtlichen Zurechnung an. Die Massentötungen wurden entgegen der Auffassung Bauers nicht als eine einheitliche Tat bewertet; das Gericht bestand vielmehr auf einen individuellen Tatnachweis für jede einzelne Tötungshandlung, was der 2. Senat des Bundesgerichtshofs schließlich bestätigte.564 Auch wenn besagter Offizier an der Kleiderausgabe letztlich freigesprochen wurde, änderte dies nichts daran, dass Fritz Bauer mit seiner Strategie ein Zeichen setzte und zum Nachdenken anregte.565 Und noch etwas lag Bauer sehr am Herzen  – nämlich, dass möglichst viele Zuschauer diesen Mammutprozess566 verfolgen konnten. Bauer bemühte sich daher „um eine denkbar große Bühne“;567 er versuchte eine Messehalle in Frankfurt eigens für diesen Prozess zu mieten, was ihm jedoch verwehrt wurde. Schließlich bekam Bauer jedoch die Erlaubnis, das Bürgerhaus Gallus und übergangsweise den Plenarsaal des Frankfurter Rathauses in einen Gerichtssaal umzuwandeln. Er setzte sogar durch, dass der vorsitzende Richter ihm die Erlaubnis erteilte, bei Prozessauftakt einige Minuten durch Kamerateams aus verschiedenen Ländern aufnehmen zu lassen. Die Kameraaufnahmen aus der laufenden Verhandlung waren unter rechtlichen Gesichtspunkten möglich, da 563  Bauer,

JZ 1967, 625, 627. Verfolgung der Täter durch Täter? Vom Versagen der Politik und der Justiz bei der Strafverfolgung, S. 19, 31 m. w. N.; Eidam, Der Organisationsgedanke im Strafrecht, S. 346 ff.; Kurz, ZIS 2013, 122, 123 ff. 565  Steinke, Fritz Bauer oder Auschwitz vor Gericht, S. 202, 205 f.; lesenswert ist zudem der Nachruf von Schmidt über Bauer, in dem von Bauers „Intensiver Humanität“ zu lesen ist, wenngleich auch der Auschwitz-Prozess in diesem Nachruf nicht erwähnt wird, vgl. Schmidt, JZ 1968, 535. 566  Zur strafprozessualen Bewältigung von Großverfahren allgemein Rebmann, NStZ 1984, 241 ff. 567  Kritisch Hofmeyer, der vor der Durchführung solcher Mammutprozesse warnt und dies u. a. damit begründet, dass die psychische Belastung der Zeugen dadurch hoch sei und gerade ausländische Zeugen vielfach nicht mehr gewillt seien, sich den Vernehmungen am Gerichtsort in Deutschland zu unterziehen, ders., Prozessrechtliche Probleme und praktische Schwierigkeiten bei der Durchführung der Prozesse, S. C 38, C 39 f.; auch Friesenhahn, Verfolgung und Ahndung von NS-Gewaltverbrechen, S. C12, C30, der trotz vorbildlicher Durchführung des Auschwitz-Prozesses derartige Großprozesse ablehnt. Zur Überforderung der Justiz bei Mammutverfahren allgemein auch Fromm, StraFo 2017, 146, 150. 564  Safferling,

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2. Kap.: Öffentlichkeit von Strafverfahren

§ 169 S. 2 GVG a. F. erst nach Prozessbeginn am 20. Dezember 1963 eingeführt wurde. Der Auschwitz-Prozess war somit in vielerlei Hinsicht einzigartig: „Er zwang eine Gesellschaft zum Hinsehen, die weithin nicht willens war, ihre doch so offensichtlich gegenwärtige Vergangenheit in ihre Selbstbeschreibung einzuweben.“568 Auch wenn große Teile der damaligen Bevölkerung Deutschlands wenig Interesse an dem Prozess hatten569 – sei es aus dem Grund, dass sie unter das Kapitel des Nationalsozialismus endlich einen Schlussstrich ziehen wollten, oder aber, weil etliche ehemalige NS-Funktionäre, die in der Bundesrepublik führende Posten in Politik und Wirtschaft trotz ihrer nationalsozialistischen Vergangenheit innehatten,570 um Entdeckung fürchteten,571 wurde dieser Prozess zu einem großen Medienspektakel. Insgesamt etwa 200 Journalisten, unter ihnen viele ausländische, reisten dafür eigens nach Frankfurt.572 Ein solcher Besucheransturm war von den Verantwortlichen beabsichtigt gewesen. b) Contergan-Prozess Als Vergleichsmaßstab, soll ein weiterer Gerichtsprozess mit einem ebenfalls sehr hohen Öffentlichkeitsinteresse herangezogen werden  – der sogenannte Contergan-Prozess. Contergan, mit dem Wirkstoff Thalidomid, war ein in den 1960er Jahren von Schwangeren häufig genommenes Medikament, das die Beschwerden bei morgendlicher Übelkeit in den ersten Schwangerschaftsmonaten lindern und abends beim Einschlafen helfen sollte. Es galt als besonders risikoarm bezüglich möglicher Nebenwirkungen. Infolge der Einnahme dieses Medikaments kamen 2400 geschädigte Kinder zur Welt, die unter erheblichen Fehlbildungen litten und leiden. Als 1968 die „Chefetage“ des herstellenden Pharmakonzerns vor dem Landgericht Aachen angeklagt und schließlich der Prozess eröffnet wurde, erwartete man einen enormen Ansturm an Zuschauern und Journalisten, weshalb vorsorglich ein größerer Saal außerhalb des eigentlichen Gerichtsgebäudes573 angemietet wurde, ein Raum im Casino Anna.574 568  Voßkuhle,

Vorwort in: Steinke, Fritz Bauer oder Auschwitz vor Gericht, S. 9. „Irrationales Widerstreben“ gegen die Prozesse?, S. C59, C60; Friesenhahn, Probleme der Verfolgung und Ahndung von nationalsozialistischen Gewaltverbrechen, S. C12. 570  Dazu die jüngsten Untersuchungen von Görtemaker/Safferling, Die Akte Rosenburg: Das Bundesministerium der Justiz und die NS-Zeit. 571  Frei, Jugendrevolte und globaler Protest, S. 80, der auf Aussagen von Hannah Arendt verweist. 572  Vgl. Steinke, Fritz Bauer oder Auschwitz vor Gericht, S. 195. 573  Dazu grundlegend Finger/Baumanns, JA 2005, 717, 719 f. 574  Seibert, NJW 1970, 1535, 1536. 569  Lackner,



B. Historische Entwicklung der Öffentlichkeit des Strafverfahrens 105

c) Honecker-Verfahren Das Strafverfahren575 gegen Erich Honecker, Erich Mielke, Willi Stoph, Heinz Keßler, Fritz Streletz und Hans Albrecht, die wegen der strafrechtlichen Verantwortlichkeit für die Todesschüsse von Grenzsoldaten an der innerdeutschen Grenze 1992 vor dem Landgericht Berlin angeklagt waren, wurde ebenfalls von einem großen medialen Interesse begleitet. Öffentlichrechtliche und privatrechtliche Fernsehsender wollten vor Beginn und nach dem Ende der Verhandlung sowie in den Verhandlungspausen zwecks Berichterstattung Filmaufnahmen tätigen. Dem Vorsitzenden der Strafkammer wurde durch das ZDF nach Absprache mit weiteren Sendern der Vorschlag einer Poollösung unterbreitet. Nicht nur dieser Vorschlag, sondern filmische Aufnahmen außerhalb der Hauptverhandlung insgesamt wurden durch den Vorsitzenden gänzlich abgelehnt. Dies hätte zur Folge gehabt, dass nach dem ersten Verhandlungstag Fernsehaufnahmen von den Angeklagten aufgrund der örtlichen Gegebenheiten faktisch kaum mehr möglich gewesen wären, da die Angeklagten durch einen Tunnel direkt in den Verhandlungssaal geführt werden sollten.576 Gegen diese Anordnung wurde seitens des ZDF Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht erhoben, gerügt wurde ein Verstoß gegen Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG. Das Bundesverfassungsgericht kam zu dem Ergebnis, dass der Geltungsbereich des § 169 S. 2 GVG a. F. nicht über die reine Verhandlungszeit hinaus reicht und damit für die Zeit vor oder nach der Gerichtsverhandlung oder in den Pausen keine Gültigkeit erfährt.577 Diese Art von Informationszugang könne lediglich durch Maßnahmen der Sitzungspolizei durch das Schrankengesetz des § 176  GVG ausgeschlossen werden.578 Dabei ist § 176  GVG als allgemeines Gesetz im Lichte der Rundfunkfreiheit auszulegen.579 Das Bundesverfassungsgericht stellte ausdrücklich fest, dass die getroffene Anordnung des Vorsitzenden, die Fernsehaufnahmen580 während der Sitzung aber außerhalb der Hauptverhandlung zu untersagen, einen Eingriff in das Grund-

575  BVerfGE

87, 334 ff.; 91, 125 ff. Fernsehöffentlichkeit von Gerichtsverhandlungen, S. 17; Ranft, Jura 1995, 573, 580; Wolf, NJW 1994, 681. 577  BVerfGE 91, 125, 136. 578  BVerfGE 91, 125, 136 ff. 579  BVerfG, JuS 2001, 1018, 1019. 580  Das BVerfG stellte sich damit gegen eine u. a. von Dahs vertretene Auffassung, dass der Schutzbereich der Rundfunkfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG auf eine der wahrheitsgemäßen Information der Öffentlichkeit dienenden Berichterstattung begrenzt sei, wovon die Fernsehberichterstattung jedoch gerade aufgrund des Zusammenschneidens die Wahrheit verfälsche, vgl. ders., NJW 1961, 1755, 1756. 576  Olbertz,

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2. Kap.: Öffentlichkeit von Strafverfahren

recht der Rundfunkfreiheit bedeutet.581 Ein vollständiges Verbot zur Tätigung von Filmaufnahmen auch außerhalb der Hauptverhandlung sei wegen des besonderen Interesses der Öffentlichkeit unangemessen. Dieses Verfahren, welches eine überragende politische und historische Dimension im Vergleich zu anderen Strafverfahren erreicht habe, sei mittels moderner Kommunikationstechnik auch optisch zu übermitteln, da das Informationsbedürfnis der Bevölkerung als ein anerkennenswertes Interesse gegenüber den durch die Filmaufnahmen hervorgerufenen, verbleibenden Gefahren überwiege.582 Diese Entscheidung im Zusammenhang mit dem Honecker-Verfahren ist deshalb von enormer und nachhaltiger Relevanz, weil das Bundesverfassungsgericht den Schutzbereich der Rundfunkfreiheit im Kontext der Prozessberichterstattung auf die ihm eigentümlichen Formen der Berichterstattung und der Verwendung der dazu erforderlichen technischen Vorkehrungen erstreckt.583 d) NSU-Prozess Von elementarer Bedeutung, obwohl noch nicht abgeschlossen, ist bereits jetzt das sogenannte NSU-Verfahren. Die Ausgangslage lässt sich wie folgt zusammenfassen: Fast 14 Jahre lang hat der sogenannte „Nationalsozialistische Untergrund (NSU)“ und dessen mutmaßliche Hauptakteure Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt Deutschland mit einer Serie schwerer Straftaten überzogen. Dabei hatten die Behörden systematisch versagt, die Taten zu verhindern und sich nach Ansicht mancher bei den Ermittlungen von Vorurteilen leiten lassen. Nach Aufdeckung des NSU im November 2011 begann eine Serie an Aufarbeitungsmaßnahmen, Teil davon ist das Strafverfahren vor dem OLG  München.584 Gegenstand der Anklage sind insbesondere Straftaten (angeklagt sind die Täterschaft und Teilnahme an zehn Morden, die Herbeiführung von zwei Sprengstoffexplosionen, vierzehn Raubüberfälle, die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und weitere Straftatbestände)585 zum Nachteil türkischer Staatsangehöriger und türkischstämmiger Bürger.586

581  BVerfGE

91, 125, 135. 91, 125, 138. 583  Braun, Medienberichterstattung, S. 271. 584  OLG München, laufendes Strafverfahren – 6 St 3/12. 585  Daimagüla/Pyka, ZRP 2014, 143; siehe auch Zöller, ZIS 2014, 402. 586  Muckel, JA 2013, 476 ff. 582  BVerfGE



B. Historische Entwicklung der Öffentlichkeit des Strafverfahrens 107

aa) Akkreditierungsverfahren im Vorfeld des NSU-Prozesses Aufgrund eines zu geringen Platzkontingents587 konnten nicht ausreichend Plätze für alle interessierten Medienvertreter bereitgestellt werden, weshalb einige Anfragen von Journalisten im Akkreditierungsverfahren abgelehnt werden mussten. Die Vergabe der reservierten Journalistenplätze wurde nach Eingang der Anfragen vergeben, was der üblichen Praxis entspricht. Am 4. März 2013 erließ das Oberlandesgericht daher nach § 176 GVG die später mittels der Verfassungsbeschwerde angegriffene Verfügung zur Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung in der Hauptverhandlung, die in Bezug auf die Medienberichterstattung unter anderem das Akkreditierungsverfahren für alle ­Medienvertreter vorsah. Die Akkreditierungsgesuche sollten danach in der Reihenfolge des Eingangs vergeben werden; über die tatsächliche Zulassung entscheidet der Vorsitzende. Besagte Verfügung wurde sodann am Folgetag um 08:56 Uhr über den Email-Verteiler des OLG München versandt, aufgrund einer Fehlermeldung mussten manche Email-Adressen erst wieder aus dem Verteiler genommen werden, bevor die E-Mail erneut versendet werden konnte. Dieses Problem führte dazu, dass manchen die E-Mail erst um 09:15 Uhr zuging, obwohl die ersten Akkreditierungsgesuche das Oberlandesgericht bereits um 08:58 Uhr erreichten. Aufgrund der hohen Zahl an Akkreditierungsgesuchen erließ der Vorsitzende am 22. März 2013 eine Ergänzung zur Verfügung vom 4. März 2013, die eine Obergrenze von 50 zu reservierenden Sitzplätzen für Medienvertreter vorsah, wobei das 50. Akkreditierungs­ gesuch am 5. März 2013 um 11:42 Uhr einging. Unter den zugelassenen Akkreditierungsgesuchen befanden sich ausschließlich Vertreter deutscher Me­ dien.588 Die Opfer des NSU waren jedoch hauptsächlich türkischstämmige Migranten, weshalb auch die Vertreter türkischer Medien speziell für sie reservierte Plätze forderten: Die dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu Grunde liegende Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht betraf das Akkreditierungsverfahren und die Vergabe fester Sitzplätze für Medienvertreter. Die Beschwerdeführer, eine Verlegerin der in türkischer Sprache erscheinenden Ausgabe der Zeitung S., die nach eigenen Angaben in Deutschland von etwa einem Fünftel der türkischstämmigen Bevölkerung gelesen werde, und ihr Stellvertretender Chefredakteur begehrten in der Hauptsache die Aufhebung der zu Grunde liegenden Verfügungen des OLG München und beantragten, ihre Vollziehung im Wege einer einstweiligen Anordnung bis zur 587  Die Strafkammer zog eine Verlegung des Verfahrens in ein anderes Gebäude aus Sicherheitsgründen nicht in Betracht, vgl. Muckel, JA 2013, 476 f. 588  Ausführlich Muckel, JA 2013, 476 f.; Zusammenfassung bei Kühne, StV 2013, 417, 418.

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2. Kap.: Öffentlichkeit von Strafverfahren

Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde auszusetzen. Mit der dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu Grunde liegenden Verfassungsbeschwerde rügten die Beschwerdeführer insbesondere eine Verletzung in ihren Grundrechten aus Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 3 Abs. 1, 3 GG. Dabei war offenkundig, dass nicht alle Bewerber zeitgleichen Zugang zum Akkreditierungsverfahren hatten. Die Bedeutung dieses Akkreditierungsverfahren wurde erst im Nachhinein deutlich, da das OLG München erst nach Eingang der Bewerbungen die genaue Platzzahl bekannt gegeben hatte.589 Der angerufene Senat des Bundesverfassungsgerichts entschied zunächst, dass die Verfassungsbeschwerden weder von vornherein unzulässig noch offensichtlich unbegründet waren und gab dem Oberlandesgericht auf, eine für türkische Medien vorteilhaftere Regelung im Akkreditierungsverfahren zu finden. Dies ist in dogmatischer Hinsicht über § 32 Abs. 1 BVerfGG590 möglich, wonach dem Bundesverfassungsgericht die Kompetenz zusteht, im Wege einer einstweiligen Anordnung einen Zustand vorläufig zu regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Dabei kommt es auf eine Abwägung in der Hinsicht an, ob die Nachteile weniger gravierend sind, wenn eine einstweilige Anordnung erlassen wird, deren Inhalt der Rechtslage in der Hauptsache letztlich nicht entspricht oder ob die Nachteile weniger gravierender sind, wenn die einstweilige Anordnung unterbleibt, deren Erlass dieser Rechtslage entsprechen würde. Ob der angegriffene Hoheitsakt, hier in Form der auf § 176 GVG gestützten Verfügung des Vorsitzenden, tatsächlich verfassungswidrig gewesen ist, wurde durch das Bundesverfassungsgericht nicht entschieden und hätte auch nur dann Relevanz, wenn eine eingelegte Verfassungsbeschwerde von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet gewesen wären.591 Das Bundesverfassungsgericht stellte fest, dass die Vergabe von Medienplätzen durch das Prioritätsprinzip592 grundsätzlich zulässig ist, jedoch müsse die Chancengleichheit vor dem Hintergrund des Art. 3 Abs. 1 GG593 realitätsnah gewährleistet werden.594 Die Kammer entschied letztlich, dass den Vertretern ausländischer Medien zumindest drei der 50 zu reservierenden Sitzplätzen zur Verfügung gestellt werden müssen, was jedoch auch im Wege von drei zusätzlichen Medienplätzen möglich sei.595 589  Zuck,

NJW 2013, 1295 f.; siehe auch Hassemer, ZRP 2013, 149. BVerfGG/Walter § 32 Rn. 1 ff. m. w. N. 591  Muckel, JA 2013, 476, 477. 592  BVerfG, NJW 2003, 500. 593  BeckOK GG/Kischel Art. 3 Rn. 1 ff. m. w. N. 594  Zuck, NJW 2013, 1295, 1296. 595  BVerfG, NJW 2013, 1293 ff. 590  BeckOK



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Aber auch nach der Neuvergabe der Presseplätze an ausländische Medien sind nachdrückliche Bedenken dagegen vorgebracht worden, ob das OLG München die Plätze für Medienvertreter verfassungsrechtlich korrekt vergeben habe, weil etwa Vertreter der Zeitschriften Frankfurter Allgemeine Zeitung, Die Welt und Die Zeit keine Plätze erhielten. Mit Rücksicht auf die Mordopfer verzichteten diese Zeitungen aber darauf, das Bundesverfassungsgericht (erneut) anzurufen.596 Durch die Problematik im Vorfeld des NSU-Prozesses wird die  – jedenfalls anfänglich bestehende  – Diskrepanz zwischen dem durch die Massenmedien verkörperten Informationsinteresse der Allgemeinheit und den Medienvertretern tatsächlich zur Verfügung stehenden Möglichkeiten der Informationsbeschaffung deutlich.597 Doch auch der Andrang von Zuschauern mit nicht journalistischem Hintergrund war (jedenfalls zu Beginn des Prozesses) enorm,598 weshalb die elektronische Übertragung der Verhandlung zumindest in einen Raum innerhalb des Gerichtsgebäudes des OLG München gefordert wurde. Diesem Begehren wurde zwar seitens des Senats nicht nachgegeben,599 war aber einer der Auslöser für die Aufnahme einer Neugestaltung der Gerichtsöffentlichkeit600 auf die politische Agenda.601 So wird in diesem Kontext teilweise konstatiert, dass die Rechtsentwicklung an einem Scheideweg stehe und es im Interesse der Rechtskultur einer sinnvollen Begrenzung der Medienöffentlichkeit in deutschen Gerichtsälen mehr denn je bedürfe.602 Alwart beschreibt im Zuge dieser Diskussion um die richtige Handhabung der Situation bei solch medienwirksamen Prozessen den Beginn eines jeden Sitzungstags603 im NSU-Prozess: Immer wenn 596  Muckel,

JA 2013, 476, 478 m. w. N. Coelln, AfP 2014, 193. 598  Bietet in einem solchen Fall der Zuschauerraum des Gerichtssaals nicht ausreichend Platz für alle willigen Zuschauer, so erfolgt der Einlass zum Gerichtssaal in der Reihenfolge des Erscheinens, wozu das Gericht auch die Vergabe von Einlasskarten als Maßnahme für eine entsprechende Vergabepraxis heranziehen kann, vgl. dazu Löwe-Rosenberg/Wickern, GVG, § 169, Rn. 10, 13 ff.; Graf/Wiedner, StPO, § 338, Rn. 143.2. Dabei dürfen die einlassbegehrenden Personen nicht nach bestimmten Kriterien selektiert werden, KK/Gericke, StPO, § 338, Rn. 85; Meyer-Goßner/SchmittSchmitt, GVG, § 169, Rn. 4. sondern üblicherweise nach der Reihenfolge ihres Erscheinens. 599  Dazu auch Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, S. 409 f. 600  Ausführlich unter K. I. 601  Alwart, JZ 2014, 1091; siehe auch Schlothauer, StV 2015, 665, 668; Geuther, DRiZ 2013, 166. 602  Alwart, JZ 2014, 1091, 1092. 603  Eine derartige Praxis der permanenten Anprangerung trete den Grundsatz der Unschuldsvermutung mit Füßen, vgl. Alwart, JZ 2014, 1091, 1095; Schlothauer, StV 2015, 665, 666. 597  von

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­ schäpe604 den Sitzungssaal ohne Handschellen und ohne Fußfesseln betritt Z und ihren Platz erreicht hat, wird sie aufrecht stehend von ihren Rechtsanwälten abgeschirmt um dem aufflammenden Blitzlichtgewitter ein Stück weit entgehen zu können. „Darin verkörpert sich für ein Publikum, das nach den Thesen des Bundesverfassungsgerichts vor allem Bilder und Geräusche braucht, dieses besondere Strafverfahren.“605 Auch Schlothauer konstatiert, dass die Angeklagten aufgrund dieser ausgeübten Praxis damit nicht nur ihren Richtern im Sinne der Strafprozessordnung, sondern auch den Medienvertretern zum Zwecke der „Begaffung vorgeführt“ würden, was eine Prangerwirkung auslöse, die durch den Einsatz moderner Kommunikationsmittel noch verstärkt werde.606 Im Anschluss an dieses regelmäßig wiederkehrende Szenario, so Schlothauer, verließen die Kameraleute den Sitzungssaal und erst dann ziehe der Senat ein.607 Danach werde ein Projektor eingeschaltet, der die frontale Videoaufnahme von der Zuschauertribüne sowie der darunter liegenden Sitzreihe der Nebenkläger in zweifacher Ausfertigung an eine gegenüberliegende Wand projiziere, „als ob suggeriert werden solle, dass es genau jetzt losgehe: ‚Vorhang auf‘.“608 „Der Münchener Prozess ist zwar kein mittelalterlich anmutendes Welttheater des Schreckens. […] Er zeigt uns demgegenüber eher ein Beispiel für postmoderne Beliebigkeit, nämlich ein schreckliches Theater in folgendem Sinne: Man nimmt anscheinend einen hermeneutischen Taumel in Kauf, der einer mündigen Gesellschaft abträglich ist. Dennoch sollte es nicht mehr gelingen, die Justiz und deren ureigene Motive von Wahrheitsermittlung, Gerechtigkeitsstreben und Versöhnung gegenüber anderen Bedürfnissen und Einflüssen, namentlich den Interessen der Massenmedien, zu bewahren, dann mögen die heiligen Hallen zwar immer noch den Namen eines ‚Oberlandesgerichts‘ oder eines ‚Justizzentrums‘ führen, die dort ausgeübte Funktion aber wäre eine ganz andere geworden; dann würde zwar weiterhin von ‚Schuld‘ und ‚Strafe‘ geredet und ‚Recht‘ gesprochen werden, aber die schönen Begriffe wären bereits zu Worthülsen entleert, mit denen keinerlei ernsthafte Bedeutung mehr verbunden werden könnte. Strafrecht und Justiz hätten sich im Kern fast unmerklich selbst abgeschafft und blieben gleichwohl als Kulisse für von außen herangetragene, bestenfalls ironische Spiegelfechtereien erhalten.“609

604  In den Medien als „Nazibraut“ bekannt geworden, vgl. Zöller, ZIS 2014, 402; Bier, APuZ 40/2015, 48. 605  Alwart, JZ 2014, 1091, 1092 m. w. N. 606  Schlothauer, StV 2015, 665, 666. 607  Neumann, DRiZ 2013, 167. 608  Alwart, JZ 2014, 1091, 1092. 609  Alwart, JZ 2014, 1091, 1093, der diesen Verlust von Recht und Gerechtigkeit wie folgt beschreibt: „Wären wir Fische, so würden wir immer noch glauben, im klaren Wasser der europäischen Aufklärung zu schwimmen, während wir tatsächlich schon längst auf dem Trockenen lägen und verzweifelt nach Luft schnappten“.



B. Historische Entwicklung der Öffentlichkeit des Strafverfahrens 111

Es ist zwar unbestreitbar, dass ein unabhängiger Journalismus eine wichtige Säule der Demokratie ist, wie alles andere hat der Journalismus aber auch eine zu beachtende Kehrseite, die sich besonders im Rahmen des NSUProzesses zeigt. Medienvertreter denken häufig an sich selbst, an Einschaltquoten und hohe Auflagenzahlen.610 Neben den Taten stehen vor allem die Täter(in) im Fokus der bisherigen Berichterstattung, im Zuge dessen sie oftmals dramatisierend, unreflektiert, emotionalisierend oder stereotypisierend als eine „verrohte, animalische Gruppe“ im Kontrast zu den „normalen“ Menschen dargestellt werden.611 Diese Schattenseite des Journalismus  – so Alwart  – trete besonders deutlich in den teilweise stark reformbedürftigen Formaten des Fernsehens auf, konkret am NSU-Prozess zeige sich dies daran, dass Fotografen und Kameraleute eine Szene in das allgemeine Bewusstsein eingebrannt hätten, mit der die Zuschauer aus der weiten Ferne den Verlauf dieses Prozesses mittlerweile identifizieren würden. Dieses oberflächlich Geschehene ist jedoch für die Erfassung dessen, worum es im Recht und in der Rechtsprechung und eben auch in diesem politischen Strafverfahren tatsächlich geht, nicht zielführend.612 Alwart spart ferner nicht an Kritik613 indem er weiter ausführt, dass die „Münchener Inszenierung“ einer „juristischen Gratwanderung“ gleichkomme und das Verfahren insgesamt möglicherweise schon gescheitert, der „Vorhang unbemerkt schon längst gefallen“ sei. Durch das permanente Fotografieren und Filmen der Angeklagten im Gerichtssaal sei der Grundsatz der Öffentlichkeit in einer eklatanten Weise verletzt, was eine Aufhebung des zukünftig gesprochenen Urteils im (wahrscheinlichen) Falle einer Revision bedeuten werde.614

610  Dies zeige das „doppelte Gesicht“ der Presse, die zum eine publizistische Aufgabe innehat, aber eben auch als ein Erwerbsunternehmen geführt wird. Daher solle ein Pressevertreter nicht von der Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe sprechen, wenn er eine gewonnene Nachricht zunächst alleine bringen will, sondern von der Steigerung seiner Auflagenzahl, von Einschaltquoten und Klicks, vgl. bereits die Ausführungen bei Bührke, Öffentlichkeit, S. 23, 29. 611  Bier, APuZ 40/2015, 48, 49 m. w. N. 612  Alwart, JZ 2014, 1091, 1093 f., der ferner feststellt, dass sich der Fernsehübertragung ja immerhin noch entnehmen lasse, dass die Bundesanwaltschaft im Unterschied zu den übrigen juristischen Verfahrensbeteiligten in „eindrucksvollen roten Roben auftritt“ und sich fragt, ob dies ein wichtiges Detail oder nur eine nette Kleinigkeit am Rande sei. 613  Gemäßigtere Kritik bei Zöller, ZIS 2014, 402 und Neumann, DRiZ 2013, 167, die den NSU-Prozess als ein „gelegentlich bizarr anmutendes Schauspiel“ bzw. als „ein bisweilen bizarres Schauspiel“ beschreiben. 614  Alwart, JZ 2014, 1091, 1095.

112

2. Kap.: Öffentlichkeit von Strafverfahren

bb) Opferbezogene Öffentlichkeitsbeteiligung Die vorangegangenen Ausführungen hinsichtlich des Akkreditierungsverfahrens für Medienvertreter im Vorfeld des NSU-Prozesses dürften hinreichend deutlich gemacht haben, dass bei begrenzter Teilnahmekapazität die Auswahl der Besucher einer Hauptverhandlung nach Zufallsgesichtspunkten gerade das charakteristische, den Kerngehalt des Öffentlichkeitsgrundsatzes prägende, Element darstellt. Problematisch ist daher eine von Bosch beschriebene „opferbezogene Öffentlichkeitsbeteiligung“.615 Das Bundesverfassungsgericht hat den Medienvertretern ausdrücklich nur ein subjektives Recht auf gleiche Teilhabe an den Berichterstattungsmöglichkeiten zugebilligt und im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes zumindest noch offengelassen, ob in Anbetracht der ursprünglichen Herkunft der Opfer ausnahmsweise ein zwingender Sachgrund für eine Differenzierung zwischen verschiedenen Medien erforderlich ist. Letztlich hat das Bundesverfassungsgericht aber zur Abwendung von im Hauptsacheverfahren nicht wiedergutzumachenden Nachteilen dem Gericht aufgegeben, die auf eine türkische Leserschaft ausgerichteten Medien durch eine Quotenlösung bei der Platzvergabe zu berücksichtigen. Unter dem Blickwinkel des Öffentlichkeitsgrundsatzes überzeugt diese Lösung trotz des Umstandes nicht, dass zahlreiche Opfer der angeklagten Taten türkischer Herkunft waren und deshalb auch ein entsprechend großes Informationsbedürfnis in der türkischstämmigen Bevölkerung Deutschlands und in der Türkei bestand. „Die dem Öffentlichkeitsgrundsatz immanente Zufälligkeit und Neutralität der Platzreservierungen ohne Ansehen ob es sich um regionale oder überregionale Medien handelt, garantiert eine von politischen Partikularinteressen losgelöste öffentliche Kontrolle der Gerichtsverhandlung.“616

Wer hier anderes vertreten will, nimmt in Kauf, dass gerade auf dem Weg einer Vorauswahl des an der Hauptverhandlung interessierten Publikums eine Beeinflussung sämtlicher am jeweiligen Verfahren Beteiligter die Konsequenz sein kann.617 e) Loveparade-Verfahren Bei der „Loveparade“ in Duisburg kam es am 24. Juli 2010 an einer Engstelle zu einem tödlichen Gedränge. Zwischen 16:30 und 17:15 Uhr drängten sich auf kleinem Raum mehrere zehntausend Menschen. An einigen Stellen wurde der Druck so groß, dass 21 Menschen bei dem Technofestival starben, 615  Bosch,

Jura 2016, 45, 54. Jura 2016, 45, 56. 617  Bosch, Jura 2016, 45, 56. 616  Bosch,



B. Historische Entwicklung der Öffentlichkeit des Strafverfahrens 113

mindestens 652 wurden verletzt, einige von ihnen schwer. Die Getöteten kamen aus Deutschland, Australien, den Niederlanden, Spanien, Italien und China. Den beschuldigten Mitarbeitern des Veranstalters legte die Staatsanwaltschaft Duisburg zur Last, ein ungeeignetes Zu- und Abgangssystem für die Veranstaltung geplant zu haben, die auf dem Gelände des ehemaligen Duisburger Güterbahnhofs stattfand. Die Besucher sollten vor allem über eine einzige Rampe auf das Gelände geführt werden und über diese auch wieder runter.618 Angeklagt sind nun sechs Mitarbeiter der Stadt Duisburg und vier Mitarbeiter des Veranstalters. Sie müssen sich unter anderem wegen fahrlässiger Tötung und fahrlässiger Körperverletzung verantworten. Die zehn Beschuldigten haben alle mehrere Verteidiger, hinzu kommen derzeit 60  Nebenkläger619 mit ihren Anwälten. Vor diesem Hintergrund und weil das Strafverfahren sowohl national und wegen der ausländischen Todesopfer auch international auf ein breites öffentliches Zuschauerinteresse stoßen wird, soll nicht in den Räumlichkeiten des Landgerichts, sondern in der Düsseldorfer Messe verhandelt werden. Das Gericht hat diese Räumlichkeiten in Düsseldorf in vorausschauender Weise bereits seit Jahren reserviert. Der Messesaal „Congress Center Düsseldorf (CCD-Ost)“, in dem sonst Jahreshauptversammlungen und Kongresse stattfinden, bietet Platz für rund 500 Menschen.620 Der Vorsitzende der 6.  Großen Strafkammer hatte mit Verfügung vom 4.  Juli 2017 den 8.  Dezember  2017 als Beginn der Hauptverhandlung im Loveparade-Strafverfahren festgelegt sowie die ersten Verhandlungstage terminiert.621 Mit Verfügung vom 28.  Juli  2017 wurden weitere 88  Hauptverhandlungstermine für die Zeit vom 5.  März  2018 bis 20.  Dezember  2018 bestimmt. Damit sind für das Loveparade-Strafverfahren bis Ende des Jahres  2018 insgesamt 111  Verhandlungstage terminiert, davon 105 im Kalenderjahr 2018.622 Das Akkreditierungsverfahren für die Medienvertreter begann am 6. November 2017, und es wurden 85 akkreditierte Medien zugelas618  https://www.lto.de/recht/nachrichten/n/lg-duisburg-loveparade-katastrophekein-hauptverfahren-strafrecht-anklage-abgewiesen/ (zuletzt abgerufen am 04.04. 2018). 619  Für die Einführung der prozessualen Ermöglichung von Gruppenvertretungen der Nebenklage ausführlich Pues, StV 2014, 304 ff. 620  https://www.lto.de/recht/nachrichten/n/lg-duisburg-loveparade-prozess-ge richtssaal-messegelaende-duesseldorf/ (zuletzt abgerufen am 04.04.2018). 621  Pressemitteilung des LG Duisburg vom 04.07.2017, online abrufbar unter: http://www.lg-duisburg.nrw.de/behoerde/loveparade/zt_pe/20170704-PE-29-TermineHV.pdf (zuletzt am 04.04.2018). 622  Pressemitteilung des LG Duisburg vom 03.08.2017, online abrufbar unter: http://www.lg-duisburg.nrw.de/behoerde/loveparade/zt_pe/20170731-Weitere-Ter mine-HV.pdf (zuletzt am 04.04.2018).

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2. Kap.: Öffentlichkeit von Strafverfahren

sen.623 Ebenso wie im NSU-Prozess spielt auch hier die „opferbezogene ­Öffentlichkeitsbeteiligung“ eine wesentliche Rolle, sollen von den insgesamt 85 Medienplätzen doch allein 18 für ausländische Medienvertreter reserviert werden.624 2. Einführung des § 169 S. 2 GVG a. F. Vor der Einführung des § 169 S. 2 GVG  a. F. wurde teilweise direkt aus dem Gerichtssaal mittels Ton- und Filmaufnahmen übertragen, so auch noch im bereits angesprochenen Auschwitz-Prozess. Unter dem Titel „Menschen und Paragraphen“ sendete der Sender Freies Berlin von 1955 bis 1956 wöchentlich direkt aus Berliner Gerichtssälen,625 was jedoch bereits zu Beginn der Ausstrahlung dieses Sendeformats auf Kritik stieß.626 Auch Dahs sparte im Jahr 1959 nicht mit Kritik indem er formulierte: „Die Würde des Gerichts wird auf die Bild(zeitungs)-Ebene degradiert. Der Tempel der Justitia wird geschändet.“627

Hinter dieser Kritik stehen letztlich die durch Bild- und Rundfunkaufnahmen direkt aus dem Gerichtssaal resultierenden Gefahren, die sich sowohl aus der Anfertigung der Aufnahmen als auch aus der eigentlichen Verbreitung selbiger ergeben.628 Diese Gefahren blieben auch dem Gesetzgeber629 nicht verborgen, schließlich waren es aber die höchstrichterlichen Entscheidungen630 sowie die Forderungen in der Literatur,631 die die Einführung des § 169 S. 2 GVG a. F. herbeigeführt haben.632 Die Einschränkung des Öffentlichkeitsgrundsatzes durch das totale Verbot des § 169 S. 2 GVG a. F. war zu Beginn dieses Gesetzgebungsvorhabens allerdings noch nicht erkennbar, da zunächst lediglich Fernseh- und Rundfunkaufnahmen aus Strafverfahren untersagt werden sollten. Trotz dieser Einschränkung sollte es dem Vorsitzenden ursprünglich ermöglicht werden, Aufnahmen der Urteilsverkündung bei 623  Zu den weiteren Voraussetzungen siehe die sitzungspolizeiliche Anordnung vom 12.10.2017, online abrufbar unter: http://www.lg-duisburg.nrw.de/behoerde/love parade/20171012-sitzungspolizeiliche-Anordnung.pdf (zuletzt am 04.04.2018). 624  LG Duisburg, sitzungspolizeiliche Anordnung vom 12.10.2017, S. 12. 625  Sarstedt, JR 1956, 121; Hamm, NJW 1995, 760. 626  Schmidt, JZ 1956, 206 ff.; Sarstedt, JR 1956, 121 f. 627  Dahs, AnwBl. 1959, 171, 181. 628  Fink, Bild- und Tonaufnahmen, S. 132. 629  BT-Drs. IV/178, S. 45. 630  BGHSt 10, 202 ff.; 16, 111 ff.; 19, 193 ff. 631  Exemplarisch Bockelmann, NJW 1960, 217, 220; Schmidt, JZ 1956, 206, 210; Sarstedt, JR 1956, 121, 126. 632  Fink, Bild- und Tonaufnahmen, S. 137.



B. Historische Entwicklung der Öffentlichkeit des Strafverfahrens 115

Vorliegen eines wichtigen Grundes zu gestatten.633 Von dieser Einschränkung des Anwendungsbereichs des § 169 S. 2 GVG a. F. wurde jedoch gegen Ende des Gesetzgebungsverfahrens abgesehen.634 Neben dem neu einzuführenden Verbot der Fernseh- und Rundfunkaufnahmen aus der Hauptverhandlung war es in Anbetracht der Erweiterung der Zuhörerkapazitäten nicht gestattet, die Türen zum Gerichtssaal dauerhaft geöffnet zu lassen oder mittels Lautsprecher das während der Verhandlung Gesprochene in den Flur oder einen angrenzenden Raum zu übertragen.635 Das Gericht muss zu jedem Zeitpunkt der Verhandlung die Ordnung im Gerichtssaal aufrecht erhalten können und im Stande sein, die Wahrheit ungestört von äußeren Einflüssen636 zu finden.637 Denn durch den Grundsatz der Öffentlichkeit kann eben diese Wahrheitsfindung, die als primäres Ziel des Gerichtsverfahrens gilt,638 gefährdet werden. Materielle Wahrheit kann nur in einer „Atmosphäre der Sachlichkeit“ gefunden werden, weshalb es auch für die Zuschauer zu beachtende Regeln gibt: Die Zuschauer dürfen weder auf die am Verfahren beteiligten Personen einwirken, noch Zustimmungs- oder Missfallenskundgebungen von sich geben, wodurch sie in ihrem Grundrecht auf freie Meinungsäußerung eingeschränkt werden. Dieses Grundrecht wird auch nicht durch die Kontroll- und Kommunikationsfunktion des § 169 GVG entsprechend erweitert.639 Ferner darf der Richter sein Urteil allein aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung bilden und muss eine potentielle Voreingenommenheit durch mediale Berichterstattung hinter diesem Grundsatz zurücktreten lassen. Aus prozessrechtlicher Sicht hat der Berufsrichter keine Probleme mit einer solchen Berichterstattung, wenn er vor und während der Verhandlung „präjudizierender Publizität ausgesetzt ist“.640 Problematisch ist diese öffentliche Vorverurtei633  BT-Drs.

III/2037, S. 44; BT-Drs. IV/178, S. 45 f. IV/1020, S. 34. 635  Löwe-Rosenberg/Wickern, GVG, § 169, Rn. 10. 636  Weil jedoch nicht in jedem Strafprozess die tatsächliche, objektive Wahrheit ermittelt werden kann, so ist an dieser Stelle die Wahrheitsermittlung von Amts wegen bzw. die Instruktionsmaxime gemeint. Der Richter muss alle zur Verfügung stehenden Beweismittel erschöpfen, bei mehreren Beweismitteln ist stets das sachnächste Beweismittel heranzuziehen, vgl. BGH, StV  2003, 385; allgemein zur Instruktionsmaxime, Schroeder/Verrel, Strafprozessrecht, § 29, Rn. 234; ausführlicher noch Volk/ Engländer, § 3, Rn. 2, die das Defizit der Wahrheitsermittlung bei einer Verständigung im Verfahren erläutern. 637  Löwe-Rosenberg/Wickern, GVG, § 169, Rn. 10; Kissel/Mayer, GVG, § 169, Rn. 16, 27. 638  BGHSt 9, 280, 281. 639  Weidemann, DRiZ 1970, 114, 115. 640  Zitiert nach Bornkamm, Pressefreiheit, S. 213. 634  BT-Drs.

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2. Kap.: Öffentlichkeit von Strafverfahren

lung641 dennoch, da auch der erfahrenste Richter bei spektakulären Strafprozessen dazu geneigt sein könnte, sich genauer mit der Berichterstattung der Medien auseinanderzusetzen, was zu einem Unbehagen und zu Überlegungen führen könnte. Diese Überlegungen können dabei zweierlei Natur sein: Zum einen könnte er möglicherweise dazu neigen, sein Urteil in Richtung der öffentlich diskutierten Meinung zu lenken, um entsprechender Kritik an seiner Arbeitsweise und seiner Person zu vermeiden. Zum anderen könnte er möglicherweise darüber nachdenken, seine Entscheidung über Schuld und Unschuld und über die Höhe einer potentiellen Strafe gerade entgegengesetzt zu der öffentlichen Diskussion zu treffen, wodurch der Eindruck vermieden werden soll, dass die getroffene Entscheidung von den Medien und deren Berichterstattung diktiert642 worden sei. Festzuhalten ist an dieser Stelle, dass durch verfahrensvorgreifende Tendenzen643 eine Gefahr der Richter durch eine solche Beeinflussung644 jedenfalls besteht, was bei einer Erweiterung dieses Grundsatzes (auch nach dem EMöGG) berücksichtigt werden muss, da eine Übertragung aus der Verhandlung, und sei es nur während der Urteilsverkündung, eine noch viel größere Gefahr für alle Verfahrensbeteiligten645 beherbergen kann. a) Entstehungsgeschichte des § 169 S. 2 GVG a. F. Vor dem Hintergrund der Reformüberlegungen im Vorfeld der Verabschiedung des EMöGG ist es unabdingbar, sich neben der geschichtlichen Entwicklung des Öffentlichkeitsgrundsatzes im Allgemeinen, mit der Entstehungsgeschichte derjenigen Verbotsnorm, namentlich des § 169 S. 2 GVG  a. F., auseinanderzusetzen, die durch eine Gesetzesreform ergänzt wurde. Dabei stellen die einzelnen Diskussionspositionen646 im Kontext des EMöGG bei genauerer Betrachtung kein Novum dar, wurden doch zum Teil identische, zum Teil ähnliche Argumente bereits im Zuge der Diskussion um eine Einführung des § 169 S. 2 GVG a. F. vorgetragen.647 Vor der Einführung dieser Verbotsnorm existierte keine gesetzliche Regelung betreffend die ausführlich Hassemer, NJW 1995, 1921 ff. Pressefreiheit, S. 213 f. m. w. N., der ebenfalls darauf hinweist, dass es dazu keine empirischen Untersuchungen gibt und man daher lediglich von abstrakten Vermutungen bzgl. einer Beeinflussung durch verhandlungsexterne Umstände sprechen kann. 643  Danziger, Medialisierung des Strafprozesses, S. 5 m. w. N. 644  Jegliche Behandlung des Prozessstoffes außerhalb der Verhandlung kann zu einer Beeinflussung aller Verfahrensbeteiligten führen, vgl. Kotz, NStZ 1982, 14, 16. 645  Dahs, NJW 1961, 1755, 1756; Siegert, NJW 1963, 1953, 1955. 646  Siehe dazu Kap. 5, B. I., II. 647  Kreicker, ZIS 2017, 85, 103. 641  Dazu

642  Bornkamm,



B. Historische Entwicklung der Öffentlichkeit des Strafverfahrens 117

Zulässigkeit der Anfertigung zum Zwecke der Verbreitung von massenmedialen Aufnahmen aus der Gerichtsverhandlung, weshalb der Vorsitzende im Rahmen seines pflichtgemäßen Ermessens aus seiner sitzungspolizeilichen Zuständigkeit aus § 176 GVG eine einzelfallbezogene Entscheidung zu treffen hatte.648 Diese Diskussion649 fand damals unter dem Stichwort der „mittelbaren Öffentlichkeit“650 statt und die Kernfrage lautete, ob vom Grundsatz der Öffentlichkeit lediglich die „Saalöffentlichkeit“ umfasst ist, oder ob dazu auch die durch die Medienberichterstattung hergestellte „mittelbare Öffentlichkeit“ zählt.651 aa) Entwicklung der Rechtsprechung Dabei setzte die eigentliche Debatte, trotz der in der juristischen Fachliteratur schon vereinzelt geführten Diskussionen,652 schwerpunktmäßig erst in den 1950er Jahren ein.653 Auslöser654 dafür waren zum einen je eine Entscheidung655 des Bayerischen Obersten Landesgerichts656 sowie des sich auf den gleichen Sachverhalt beziehenden Bundesgerichtshofs657 betreffend die Zulässigkeit von Tonbandaufnahmen des Rundfunks in der Hauptverhandlung: In der Hauptverhandlung hatte der Vorsitzende des Schwurgerichts dem Rundfunk erlaubt, Tonbandaufzeichnungen zum Zwecke der Veröffentlichung anzufertigen, woraufhin es der Verteidiger ablehnte, vor eingeschalteten Aufzeichnungsgeräten zu plädieren. Daraufhin setzte das Gericht das Verfahren aus, da ein Fall notwendiger Verteidigung vorlag; die durch diese Aussetzung entstandenen Kosten wurden dem Verteidiger auferlegt. Im Fortgang des Verfahrens wurde der Antrag des Verteidigers, den Medienvertretern die An648  Kohlhaas,

DRiZ 1956, 2; Sarstedt, JR 1956, 121, 125. ferner Bockelmann, NJW  1960, 217 ff.; Dahs, AnwBl.  1959, 171 ff.; Sarstedt, JR 1956, 121 ff.; Schorn, Der Strafrichter, S. 202 ff. 650  Schneider, JuS 1963, 346. 651  Britz, Fernsehaufnahmen im Gerichtssaal, S. 99. 652  Siehe etwa Kirschbaum, Über die Zulässigkeit von Rundfunkübertragungen, S. 3 ff.; Heidelberg, Justizreportage, S. 52 ff.; Gerland, ZStW 55 (1936), 704, 705. 653  Auf entsprechende Nachweise dieser rechtspolitischen und juristischen Diskussion verweist ferner Hamm, der zudem festhält, dass diese Entscheidung für das Verbot der direkten medialen Übertragung aus dem Gerichtssaal lange Zeit akzeptiert wurde, Hamm, Strafprozesse, S. 22. 654  Siehe auch Ranft, Jura 1995, 573, 578. 655  BayObLG, NJW 1956, 390 f. 656  Das Bayerische Oberste Landesgericht war ein Gericht des Freistaates Bayern und wurde nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs als bundesweit einziges Gericht aufgrund der vorbehaltlichen Errichtungsvorschriften für die Länder in § 8–10 EGGVG mit Sitz in München wiedererrichtet, im Juni 2006 allerdings aufgelöst. 657  BGHSt 10, 202. 649  Siehe

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2. Kap.: Öffentlichkeit von Strafverfahren

fertigung von Rundfunkaufnahmen zu versagen, jedoch abgelehnt mit der Folge, dass der Verteidiger sein Schlussplädoyer nun doch vor laufenden Aufzeichnungsgeräten halten musste. Sodann hatte das Bayerische Oberste Landesgericht über die zulasten des Verteidigers ergangene Kostenentscheidung zu befinden, wobei es die Frage zu beantworten galt, ob die Ablehnung des Verteidigers, vor eingeschalteten Aufzeichnungsgeräten zu sprechen, zu Recht keine Zustimmung durch das Schwurgericht fand.658 Bei der Beantwortung dieser Frage zog das Bayerische Oberste Landesgericht eine Hilfestellung aus den Richtlinien für das Strafverfahren (im Folgenden „RiStV“) vom 1. August  1953659 heran, in dessen Richtlinie Nr. 110660 Absatz  3 folgende Regelung normiert war: „Nur den Presse- und Rundfunkberichterstattern soll gestattet werden, im Gerichtssaal zu zeichnen, zu fotografieren oder eine Übertragung der Verhandlung für den Rundfunk aufzunehmen. Die Entscheidung trifft der Vorsitzende (§ 176 GVG). Ihm wird empfohlen, folgende Gesichtspunkte gegeneinander abzuwägen: Presse und Rundfunk dienen der Strafrechtspflege durch eine wahrheitsgetreue Berichterstattung, da sie die Tätigkeit von Richtern und Staatsanwälten der Öffentlichkeit näherbringen. Sie dürfen in ihrer Berichtserstattung nicht mehr beschränkt werden, als es der Zweck der Hauptverhandlung gebietet. Die Aufgabe des Gerichts, die Wahrheit zu erforschen, darf aber nicht vereitelt oder erschwert, das Recht des Angeklagten, sich ungehindert zu verteidigen, nicht beeinträchtigt werden. Bild- und Tonaufnahmen können zur Folge haben, daß Angeklagte und Zeugen von der Hauptverhandlung abgelenkt und in ihrer Unbefangenheit beeinträchtigt werden. Daher empfiehlt es sich nicht, Bild- und Tonaufnahmen während der Vernehmung des Angeklagten und während der Beweisaufnahme zuzulassen. Auch im Übrigen wird der Vorsitzende berechtigte Wünsche der Beteiligten berücksichtigen. Bei Bildaufnahmen sind außerdem die §§ 22, 23 des Gesetzes betreffend das Urheberrecht an Werken und bildenden Künste und der Photographie vom 2.1.1907 (RGBl. S. 7) i. d. F. des Gesetzes vom 22.05.1910 (RGBl.  S. 793) zu berücksichtigen.“

Diese der RiStV immanente – einzelfallbezogene – Abwägungslösung hebt die Bedeutung des Rundfunks und der Presse hervor. Die grundsätzlich unbeschränkt geltende Freiheit der Berichterstattung findet ihre Grenze in den prozessualen Grundsätzen der Wahrheitserforschung sowie dem Recht des Angeklagten auf eine effektive Strafverteidigung.661 Unter Beachtung dieser 658  Britz,

Fernsehaufnahmen im Gerichtssaal, S. 103. RiStV vom 01.08.1953 sind abgedruckt bei Schwarz, StPO, 16. Aufl. 1953, Anhang III, Nr. 18. 660  Richtlinie Nr. 110 behandelt die Wahrung der Ordnung in der Hauptverhandlung. 661  Bemerkenswert ist an dieser Stelle, dass weder durch die RiStV noch im Zuge der Diskussion innerhalb der Literatur ein verstärktes Augenmerk auf das Allgemeine Persönlichkeitsrecht gelegt wurde, wenn man den knappen Hinweis auf die §§ 22, 23 KUG außer Betracht lässt. 659  Die



B. Historische Entwicklung der Öffentlichkeit des Strafverfahrens 119

Abwägungslösung vertrat das Bayerische Oberste Landesgericht die Auffassung, dass eine Genehmigung von Rundfunkaufnahmen im konkreten Einzelfall davon abhänge, ob das demokratisch begründete Informationsinteresse der Öffentlichkeit oder die grundsätzlich höher zu bewertenden verfahrensspezifischen Belange überwiegen. Dabei ging das Gericht von der These aus, dass eine gewisse Beeinträchtigung der Wahrheitserforschung hinzunehmen sei. Zu diesen nachteiligen Auswirkungen zähle etwa die psychische Hemmung der Verfahrensbeteiligten z. B. mittels durch den Rundfunk gefertigten Tonbandaufnahmen. Im Ergebnis wurde festgestellt, dass sich der Verteidiger zu Unrecht geweigert hatte, sein Plädoyer vor laufenden Aufzeichnungsgeräten zu halten, auch wenn es die Kostenentscheidung unter dem Hinweis auf die in der Literatur nicht einheitlich geklärte Rechtsfrage aufhob. Begründet wurde diese Entscheidung662 unter anderem mit einer nicht vorhandenen Beeinträchtigung der Würde des Gerichts sowie einer Verletzung aus den Art. 1, 2 GG.663 In dem Verfahren über die Revision des Angeklagten wegen einer Verletzung des Grundsatzes der Öffentlichkeit hatte der Bundesgerichtshof entschieden, dass jeder Verfahrensbeteiligte wegen des ihm zustehenden Allgemeinen Persönlichkeitsrechts die Mitwirkung an einer Tonaufzeichnung verweigern könne.664 Dieser Entscheidung stünden weder Art 5 Abs. 1 GG noch der Öffentlichkeitsgrundsatz entgegen, da unter letzterem nur die unmittelbare Öffentlichkeit zu verstehen sei. Der Gesetzgeber habe bei der Positivierung dieser Prozessmaxime lediglich die aus der Saalöffentlichkeit resultierenden Auswirkungen auf die Unbefangenheit der Verfahrensbeteiligten berücksichtigt.665 Durch diese höchstrichterliche Entscheidung666 wurde der aus Nr. 110 RiStV abgeleiteten Abwägungslehre erstmalig eine Absage erteilt, da nunmehr eine Erlaubnis zur Fertigung von Tonaufzeichnungen lediglich bei einer Zustimmung aller Verfahrensbeteiligten möglich war. Dieser Wandel in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs von einer Ermessensentscheidung des Vorsitzenden hin zu der Dispositionsbefugnis der Verfahrensbeteiligten zeichnete sich bald auch in der RiStV ab, deren Nr. 110 mit Wirkung ab dem 1. Januar 1958 um den Passus „[…] zum Zwecke der Verbrei662  BayObLG,

NJW 1956, 390, 391. Fernsehaufnahmen im Gerichtssaal, S. 102 ff. 664  Siehe dazu Sarstedt, JR 1956, 121, 125; im Ergebnis ebenso Schmidt, JZ 1956, 206, 209 ff. 665  Britz, Fernsehaufnahmen im Gerichtssaal, S. 104. 666  Dennoch blieb die nach §§ 338 Nr. 6 StPO, 169 GVG eingelegte Revision des Angeklagten ohne Erfolg, da der BGH bei einer unzulässigen Erweiterung des Öffentlichkeitsgrundsatzes einen relativen anstelle des hier geltend gemachten absoluten Revisionsgrundes annahm; siehe zu dieser Problematik ausführlich und die Auffassung des BGH im Ergebnis ablehnend in Kap. 3 A. IV. 1. 663  Britz,

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2. Kap.: Öffentlichkeit von Strafverfahren

tung im Rundfunk darf das gesprochene Wort eines Prozeßbeteiligten nur mit dessen Zustimmung aufgenommen werden.“667 Damit wurde das weite Verständnis der Verfahrensöffentlichkeit zwar einer Restriktion unterzogen, jedoch ging diese Restriktion nicht so weit wie das derzeitig bestehende Verbot in § 169 S. 2 GVG  a. F., da Aufnahmen zum Zwecke der Veröffentlichung bei allseitigem Einverständnis der am Verfahren Beteiligten grundsätzlich noch möglich waren.668 Als weiterer Anlass für die aufgezeigte Entwicklung wird das Verfahren gegen den späteren EWG-Kommissionspräsidenten Walter Hallstein erachtet, der zwar letztendlich freigesprochen wurde, wegen des Missbrauchs von Mercedes-Testwagen für den privaten Gebrauch jedoch zunächst vor dem Landgericht Bonn angeklagt war. In dem 1959 stattfindenden Prozess hatte der vorsitzende Richter Bild- und Tonaufnahmen ausdrücklich zugelassen, was Hallstein später stark kritisierte. Diese Kritik an der Erlaubnis von Fernseh- und Tonaufnahmen aus der Verhandlung war im Schrifttum ebenfalls präsent.669 Mit der Zulässigkeit von Fernsehaufnahmen aus der laufenden Verhandlungen befasste sich der Bundesgerichtshof erstmalig in einer Entscheidung im Jahr  1961,670 der folgender Sachverhalt zugrunde lag: Der Vorsitzende eins Schwurgerichts hatte die Aufnahme der Urteilsverkündung mittels einer Fernsehkamera erlaubt, wobei es jedoch entgegen der üblichen Praxis vor der endgültigen Verkündung der Entscheidung erneut in die Verhandlung eintrat. Anschließend erfolgten erneut die Schlussanträge der Staatsanwaltschaft und der Verteidigung sowie das letzte Wort des Angeklagten, was alles mittels der bereits installierten Kameras aufgezeichnet wurde. Nach der Verkündung des Urteils legte der Angeklagte gegen diese Entscheidung das Rechtsmittel der Revision ein, da er die Fernsehaufnahmen für unzulässig erachtete. Der Bundesgerichtshof gab der Revision statt und begründete seine Entscheidung damit, dass Fernsehkameras das Aussageverhalten des Angeklagten beeinflussen und dadurch zum einen die Wahrheitsfindung als originäre Aufgabe des Gericht und zum anderen die Verteidigungsfähigkeit des Angeklagten beeinträchtigt671 werden könnten.672 Vor dem Hintergrund auch dieser Entscheidung, die mit der vorherigen Rechtsprechung des Bundesgebei Schwarz, StPO, 21. Aufl. 1959, Anhang III, Nr. 18. Britz, Fernsehaufnahmen im Gerichtssaal, S. 105. 669  Vismann, Medien in der Rechtsprechung, S. 299 m. w. N.; siehe auch von Coelln, AfP 2014, 193, 199. 670  BGHSt 16, 111 ff. mit Anmerkung von Schmidt, JZ 1962, 220. 671  Auf das Allgemeine Persönlichkeitsrecht der übrigen Verfahrensbeteiligten ging der BGH – nicht einmal flankierend – ein. 672  BGHSt 16, 111 ff. 667  Abgedruckt

668  Ausführlich



B. Historische Entwicklung der Öffentlichkeit des Strafverfahrens 121

richtshofs im Einklang steht, war der Weg hin zu einem generellen Verbot von Rundfunk- und Fernsehaufnahmen aus dem Hauptverfahren weiter geebnet, auch wenn Übertragungen aus der Verhandlung weiterhin nicht per se verboten waren,673 was aus dem amtlichen Leitsatz dieser Entscheidung deutlich wird: „Vorgänge in der Hauptverhandlung, auf die sich die Überzeugungsbildung des Gerichts stützen kann, dürfen nicht durch das Fernsehen übertragen werden“.674 Im Zuge der Lektüre der vorangestellten Entscheidungen wird zum einen die sich mehr und mehr entwickelnde restriktive Handhabung der Rechtsprechung mit der Erlaubnis einer Rundfunk- oder Fernsehübertragung aus einem Strafverfahren deutlich. Zum anderen drängt es sich geradezu auf, dass die Argumente der herrschenden Literatur nahezu identisch und ergebnisorientiert in den Entscheidungen aufgeführt wurden, wobei auf Beeinträchtigungen etwa des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts nur rudimentär eingegangen wurde. bb) Meinungsstand der Berufsinteressenverbände und Gesetzgebungsverfahren Diese Entwicklung in der Rechtsprechung sowie die Diskussion in der Literatur wurden begleitet von Stellungnahmen der Berufsinteressenverbände. So beschäftigte sich 1959 der 30. Deutsche Anwaltstag unter anderem mit dem Verhältnis zwischen Justiz und Presse, im Rahmen dessen sich Dahs federführend für ein Verbot von Rundfunk- und Fernsehberichterstattung in Gerichtsälen aussprach.675 Der Deutsche Richterbund676 teilte diese Auffassung größtenteils, führte als weiteres Argument allerdings noch die nicht zur Disposition stehende Würde des Gerichts an.677 Vor dem Hintergrund der Entwicklung in Form eines mehr und mehr restriktiven Verständnisses von Medienöffentlichkeit und der empfundenen Schutzbedürftigkeit der übrigen Verfahrensbelange ließ auch die entsprechende Reaktion des Gesetzgebers nicht lange auf sich warten. Im Zuge einer als erforderlich erachteten Teilreform des Strafprozessrechts stellte sich erstmalig die Frage nach der Notwendigkeit678 einer Novellierung des § 169 673  Britz,

Fernsehaufnahmen im Gerichtssaal, S. 106. 16, 111 (Hervorhebung durch die Verfasserin). 675  Dahs, AnwBl. 1959, 171, 181. 676  Siehe dazu die Mitteilungen in DRiZ 1960, 196. 677  Ausführlich Britz, Fernsehaufnahmen im Gerichtssaal, S. 107 m. w. N.; Kuß, Öffentlichkeitsmaxime, S. 126 ff. 678  Gegen die Einführung eines Totalverbotes von audiovisuellen Aufnahmen aus der Gerichtsverhandlung sprachen sich etwa Arndt, NJW  1960, 423, 424; Becker, DRiZ 1960, 218; Schneider, JuS 1963, 350 aus. 674  BGHSt

122

2. Kap.: Öffentlichkeit von Strafverfahren

GVG  a. F. Diese Überlegungen wurden konkretisiert durch einen Gesetzesvorschlag der Bundesregierung der 3.  Wahlperiode im August 1960 eingebracht,679 aus Zeitgründen fanden während dieser Wahlperiode über die vorgeschlagene Änderungen durch das Gesetzes zur Änderung der Strafprozessordnung und des Gerichtsverfassungsgesetzes (im Folgenden: „StPÄG“) allerdings keine Verhandlungen mehr statt.680 Ein diesem Vorschlag der Bundesregierung identischen Gesetzesentwurf wurde in der 4. Wahlperiode durch die Fraktionen CDU / CSU, SPD und FDP im Dezember 1961681 eingebracht und war mit dem Drängen zu einer zügigen Bearbeitung aufgrund der empfundenen Dringlichkeit dieses Reformvorhabens verbunden.682 Zur Begründung der erforderlichen Änderung des § 169 GVG a. F. heißt es im damaligen Gesetzesentwurf: „Rundfunk- und Filmaufnahmen im Gerichtssaal gehen über die in § 169 GVG gewährleistete Öffentlichkeit der Hauptverhandlung weit hinaus und gefährden nicht nur die Wahrheitsfindung im Strafverfahren, sondern beeinträchtigen auch die Verteidigung des Angeklagten. Sie lenken den Angeklagten und die Zeugen von der Hauptverhandlung ab; sie hindern unter Umständen den Angeklagten und den Verteidiger wegen der Scheu vor einem unbeschrankten, unübersehbaren und unsichtbaren Zuhörer- oder Zuschauerkreis, ihre Aussagen und Erklärungen so zu gestalten, wie es das Verteidigungsinteresse erfordert. Sie vereiteln den Zweck des § 243 Abs. 2 StPO, wonach die Zeugen bei der Vernehmung des Angeklagten nicht zugegen sein dürfen, und ermöglichen es späteren Zeugen zu hören, was früher vernommene Zeugen ausgesagt haben. Sie legen auch den Zeugen und Sachverständigen Hemmungen bei ihren Aussagen auf und beeinträchtigen ihre Unbefangenheit. Den noch nicht verurteilten Angeklagten zerren sie in einer oft unerträglichen Weise in das Scheinwerferlicht einer weiten Öffentlichkeit.“683

Vorgeschlagen684 wurde zunächst eine Ergänzung des § 169 GVG  a. F. durch zwei weitere Absätze: „(2)  Während des Ganges der Hauptverhandlung sind die Rundfunk- und Fernsehaufnahmen unzulässig. Für die Verkündung des Urteils kann der Vorsitzende aus wichtigen Gründen Ausnahmen zulassen. Die Entscheidung ist nicht anfechtbar.

679  BT-Drs.

III/2037. IV/178, S. 15; Bericht des BT-Abgeordneten Kanka zu BTDrs. IV/1020, S. 1; Britz, Fernsehaufnahmen im Gerichtssaal, S. 108. 681  BT-Drs. IV/63. 682  Bericht des BT-Abgeordneten Kanka zu BT-Drs. IV/1020, S. 1. 683  BT-Drs. IV/178, S. 45. 684  Hinsichtlich der Begründung des Entwurfs (BT-Drs. IV/178, S. 45) wurde zunächst auf BGHSt 10, 202 verwiesen, ab deren Vorliegen wurde sodann auch BGHSt 16, 111 miteinbezogen, lediglich die Gefahr einer Prangerwirkung wurde als zusätzliches Argument neu hinzugefügt, s. ausführlich auch Britz, Fernsehaufnahmen im Gerichtssaal, S. 109 f. 680  BT-Drs.



B. Historische Entwicklung der Öffentlichkeit des Strafverfahrens 123 (3)  Für Filmaufnahmen gilt Absatz 2 entsprechend, wenn es sich nicht um Aufnahmen durch das Gericht handelt.“685

Beide Entwürfe wurden dem Rechtsausschuss des Bundestages zur Beratung überwiesen, der sodann nach dem Abschluss der Beratungen dem Bundestag mit der Empfehlung einer Ergänzung des § 169 GVG  a. F. durch den (heutigen) Satz  2 vorgelegt wurde.686 Dabei berücksichtigte der Rechtsausschuss einen Einwand E. Schmidts zu dieser Problematik: „[…] Und sodann  – und das ist noch viel schlimmer  – werden Rundfunk- und Fernsehaufnahmen zwar während der eigentlichen Verhandlung nicht zugelassen; aber ausgerechnet für die Urteilsverkündung, also den Augenblick höchster seelischer Erregung, ja vielleicht eines völligen Zusammenbruchs, wird dem Vorsitzenden in einer ihm alle Verantwortung aufbürdenden „Kann“-Vorschrift die Möglichkeit gegeben, ‚aus wichtigen Gründen‘ von Fall zu Fall Rundfunk- und Fernsehaufnahmen zuzulassen. Schlimmer kann die Sache der Justiz nicht preisgegeben werden.“687

Der Rechtsausschuss stimmte dieser erweiterten Formulierung zu: „Die große Mehrheit des Ausschusses hat sich bei dieser Entscheidung von der Erwägung leiten lassen, daß die Zulassung einer durch die genannte Mittel erweiterten Öffentlichkeit in unguter Weise manipuliert werden, daß sie auch sonst auf eine Verletzung der Menschenwürde hinauskommen, ja daß sie sogar die Wahrheitsfindung beeinträchtigen kann.“688

Nachdem der Bundestag689 diesen Vorschlag akzeptiert hatte, wurde das Ver­ bot des § 169 S. 2 GVG a. F.,690 welches einfache Bildaufnahmen nicht erfasst,691 685  BT-Drs. III/2037, S. 12; BT-Drs.  IV/63, S. 12; zum Entwurf der Bundesregierung BT-Drs. IV/178, S. 12. 686  BT-Drs. IV/1020, S. 34. 687  Schmidt, JZ 1962, 220, 221; zustimmend Schmidt-Leichner, AnwBl. 1961, 26, 35 f. 688  BT-Drs. IV/1020, S. 7. 689  Federführend bei der gesetzlichen Neuregelung ist der BT-Abgeordnete Kanka (CDU/CSU) gewesen, siehe etwa die stenographischen Protokolle der 39. Sitzung des Rechtsausschusses vom 11.01.1963, S. 24 ff. 690  Nicht umfasst von § 169 S. 2 GVG sind gerichtliche Ton- und Filmaufnahmen für justizinterne Zwecke sowie für Zwecke der Verteidigung des Angeklagten, MeyerGoßner/Schmitt-Schmitt, GVG, § 169, Rn. 11 f.; Beulke, Strafprozessrecht, § 19, Rn. 379; Rottländer, NStZ 2014, 138. 691  BGH, MDR  1971, 188; für einfache Bildaufnahmen gilt § 23 Abs. 1, Abs. 2 KUG, wonach relative Personen der Zeitgeschichte, mithin solche, die erst durch das Strafverfahren oder die in einem solchen untersuchte Tat bekannt werden, grundsätzlich abgebildet werden dürfen. Abbildungen sind immer dann rechtmäßig, wenn der Gegenstand des Verfahrens über das Alltägliche und häufig Wiederkehrende hinausgeht und deshalb für die Öffentlichkeit etwas Besonderes darstellt oder wenn es zwar um den Vorwurf einer alltäglichen Straftat geht, die Sache jedoch durch die Person des Angeklagten diesem alltäglichen Bereich weit entrückt wird und durch diese Be-

124

2. Kap.: Öffentlichkeit von Strafverfahren

letztlich durch Art. 11 Nr. 5 StPÄG vom 19. Dezember 1964692 eingeführt und trat am 1. April 1965 in Kraft:693 „Damit sind die Scheinwerfer als Instrumente zur Beleidigung der Menschenwürde des Angeklagten, als Gefährdung der Wahrheitserforschung und als Medium sensationeller Publicity im Gerichtssaal endgültig ausgelöscht.“694

Anhand dieser aufgezeigten Entstehungsgeschichte wird deutlich, dass als Hauptargument für die Einführung des § 169 S. 2 GVG  a. F. das Ziel der Wahrheitsfindung angeführt wurde. Als weiterer Schutzgedanke wurde die Notwendigkeit einer ungestörten Verteidigungsmöglichkeit genannt. Auffällig ist, dass die Diskussion um die Einführung dieser Norm nahezu ausschließlich auf die spezifischen Eigenschaften des Strafverfahrens gestützt wurde, denn nur dort bestand Regelungsbedarf. b) Verfassungsmäßigkeit des § 169 S. 2 GVG a. F. Über die Verfassungsmäßigkeit oder Verfassungswidrigkeit des § 169 S. 2 GVG a. F.695 wird seit der Einführung dieser Norm immer wieder und in aller Ausführlichkeit diskutiert.696 In seiner n-tv-Entscheidung697 hatte das Bundesverfassungsgericht über diese Frage zu entscheiden und konstatierte in der Mehrheitsentscheidung, dass § 169 S. 2 GVG  a. F. nicht gegen die Verfassung verstoße. Doch damit fand die Diskussion um § 169 S. 2 GVG  a. F. noch längst kein Ende, sondern wurde durch die abweichenden Voten der drei dissentierenden Richter Kühling, Hohmann-Dennhardt und HoffmannRiem698 weiter angeheizt,699 die gerade aufgrund der abwägungsresistenten sonderheit für die Öffentlichkeit interessant wird, vgl. dazu auch Meyer-Goßner/ Schmitt-Schmitt, GVG, § 169, Rn. 10. 692  BGBl. I 1964, S. 1067. 693  Kissel/Mayer, GVG, § 169, Rn. 62; Britz, Fernsehaufnahmen im Gerichtssaal, S. 110 f.; Gerhardt, ZRP 1993, 377, 378 m. w. N.; Wolf, ZRP 1994, 187 ff.; zusammenfassend Kuß, Öffentlichkeitsmaxime, S. 126 ff. 694  Dahs, NJW 1965, 81, 86. 695  Eine verfassungskonforme Auslegung des § 169 S. 2 GVG  a. F. ist angesichts des eindeutigen Wortlauts nicht möglich, weshalb diese Norm entweder verfassungsgemäß oder verfassungswidrig sein muss, vgl. auch Ernst, ZUM  1996, 187, 188; Wolf, NJW  1994, 681, 685; Pernice, Medienöffentlichkeit, S. 144; a. A. Zuck, NJW 1995, 2082. 696  Bockelmann, NJW 1960, 217 ff.; Beulke, Strafprozessrecht, § 19, Rn. 379; Fröhling, Der moderne Pranger, S. 228. 697  BVerfGE 103, 44. 698  BVerfGE 103, 44 ff., 72 ff. 699  Zu dieser Entscheidung und dem Minderheitsvotum siehe auch Dieckmann, NJW 2001, 2451; Huff, NJW 2001, 1622; Siebrasse, StV 2001, 661; Stürner, JZ 2001, 699.



B. Historische Entwicklung der Öffentlichkeit des Strafverfahrens 125

und ausnahmslosen Geltung des § 169 S. 2 GVG  a. F. der Ansicht waren, dass diese Norm verfassungswidrig700 sei.701 Das Bundesverfassungsgericht hatte in seiner Entscheidung zunächst in dogmatischer Hinsicht die Frage zu klären, ob die sitzungspolizeiliche Anordnung zum Ausschluss von Kamerateams in einem Strafverfahren das Grundrecht der Rundfunkfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG) oder das Grundrecht der Informationsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG) tangiere, denn da der Öffentlichkeitsgrundsatz nicht von Verfassungsrang702 ist, konnte dieser keinen Prüfungsmaßstab darstellen. Nach Auffassung des Ersten Senats sei vom Schutzbereich der Rundfunkfreiheit lediglich die rundfunkspezifische Aufnahmetechnik umfasst. Die Informationsfreiheit betreffe demgegenüber die Teilhabe an allgemein zugänglichen Informationen. Ein Recht auf Eröffnung einer Informationsquelle werde nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts dadurch jedoch gerade nicht eröffnet, denn darüber habe allein der Gesetzgeber zu bestimmen. Dies bedeutet übertragen auf das Strafverfahren, dass § 169 S. 2 GVG  a. F. als die Eröffnung einer Informationsquelle (Gerichtsverhandlung) durch den parlamentarischen Gesetzgeber zu klassifizieren ist. Durch den in dieser Norm statuierten Öffentlichkeitsgrundsatz werden Gerichtsverhandlungen der Allgemeinheit in Form der mittelbaren Öffentlichkeit zugänglich gemacht.703 Sodann stellte der Erste Senat im Rahmen der anzustellenden Güterabwägung fest, dass der Zweck des Öffentlichkeitsgrundsatzes nicht darin bestehe, der Allgemeinheit unbegrenzt Informationen bereit zu stellen, sondern vielmehr im Interesse aller Verfahrensbeteiligten zu Verfahrensgerechtigkeit beizutragen.704 Gegen die Medienöffentlichkeit der strafrechtlichen Hauptverhandlung spreche neben den beeinträchtigten Persönlichkeitsrechten der Verfahrensbeteiligten speziell in Bezug auf den Angeklagten das Resozialisierungsinteresse.705 Außerdem stehe bei der Anwesenheit von Kameras eine mögliche Beeinflussung706 der Verfahrensbeteiligten im Raum sowie die Gefahr einer Vorwegnahme der gerichtlichen Entscheidung durch die Me-

auch von Coelln, Zur Medienöffentlichkeit der dritten Gewalt, S. 392 ff. dazu auch Hamm, AfP 2014, 202, 204. 702  Im Verständigungsurteil wird dem Öffentlichkeitsgrundsatz jedoch ein enormer Stellenwert eingeräumt, vgl. BVerfGE 133, 168, 214. 703  Kaulbach, JR 2011, 51, 52; dies., ZRP 2009, 236, 237 m. w. N. 704  BVerfGE 103, 44, 64. 705  Siebrasse, StV 2001, 661 f.; Kortz, AfP 1997, 443, 447. 706  Bockelmann, NJW 1960, 217, 220; Siebrasse, StV  2001, 661 ff.; Huff, NJW 2001, 1622 f. 700  So

701  Siehe

126

2. Kap.: Öffentlichkeit von Strafverfahren

dien; auch spiele eine mögliche verzerrte, weil verkürzte, Wiedergabe707 der Gerichtsentscheidung eine nicht zu unterschätzende Rolle.708 Die dissentierenden Richter des Ersten Senats schlossen sich der Mehrheitsentscheidung insofern an, als die angeführten Argumente bei einer uneingeschränkten Medienöffentlichkeit der gesamten Hauptverhandlung gegen eine solche sprächen; allerdings gelte dies weder für alle Verfahrensarten noch für alle Abschnitte eines (Straf-)Verfahrens gleichermaßen.709 Auch könne der Aspekt, dass eine zwischen den unterschiedlichen Verfahrensarten und -abschnitten differenzierende gesetzliche Regelung zu kompliziert, unübersichtlich und damit nicht praktikabel sei, nicht überzeugen, da der Grundsatz der Öffentlichkeit von zu großer Bedeutung für das Strafverfahren insgesamt sei, um diesen aus Praktikabilitätsgründen einzuschränken.710 Insgesamt war die gesetzliche Ausgestaltung in § 169 S. 2 GVG a. F. nach dieser Auffassung verfassungswidrig.711 Dieser Ansicht ist im Ergebnis nicht zuzustimmen, da die Vorschrift nicht die Berichterstattung  – auch nicht eine wirkungsvolle Fernsehberichterstattung  – aus der Verhandlung verhindert werden soll, zumal § 169 S. 2 GVG  a. F. die nur durch sitzungspolizeiliche Anordnung zu beschränkende Möglichkeit von Ton- und Bewegtbildaufnahmen vor dem Beginn, in den Pausen und nach dem Ende einer Verhandlung nicht betrifft. Die Medienöffentlichkeit stellt gegenüber der reinen Saalöffentlichkeit ein aliud dar und ist geeignet, das Aussageverhalten zu beeinflussen und den äußeren Ablauf der Gerichtsverhandlung zu stören.712 Auch wenn auf der einen Seite die Möglichkeit entfällt, den Eindruck der Authentizität und das Gefühl des Live-Dabeiseins zu spüren, trägt das Verbot des Satzes  2 auf der anderen Seite den Belangen des Persönlichkeitsschutzes der Verfahrensbeteiligten sowie den Erfordernissen an ein faires Verfahren und der Wahrheits- und Rechtsfindung Rechnung. c) Erweiterung des Schutzbereichs des § 169 S. 2 GVG a. F.? Erwähnenswert, wenn auch im Ergebnis nicht überzeugend, ist ferner die Forderung E.  Schmidts im Jahr 1969, dass Fotoaufnahmen vor Beginn oder 707  Kaulbach,

JR 2011, 51, 52; dies., ZRP 2009, 236, 237 m. w. N. Kaulbach, JR 2011, 51, 52. 709  Sondervotum BVerfGE 103, 44, 72. 710  BVerfGE 103, 44, 80. 711  BVerfGE 103, 49; Dieckmann, NJW 2001, 2451; ausführlich Kaulbach, JR 2011, 51, 53, 54. 712  Statt vieler Kissel/Mayer, GVG, § 169, Rn. 65 f. m. w. N. 708  Ausführlich



B. Historische Entwicklung der Öffentlichkeit des Strafverfahrens 127

nach dem Ende einer Hauptverhandlung aus dem Gerichtssaal, auf denen der Angeklagte zu erkennen ist, ebenfalls vom Schutzbereich des § 169 S. 2 GVG a. F. umfasst seien und der Bundesgerichtshof somit dahingehend seine Rechtsprechung ändern solle, dass dem Schutz der Identität des Angeklagten wesentlich mehr Bedeutung beigemessen werden soll um eben einer Vernachlässigung der Persönlichkeitsrechte entgegenzuwirken. Um diese These zu untermauern zitiert er einen Artikel aus der „Neuen Züricher Zeitung“ vom 17. April 1969, in dem von einem Mordprozess auf schweizerischem Staatsgebiet berichtet und kritisch angemerkt wird, dass „vor der Türe zum Saal ein Blitzlichtgewitter der Photographen entflammte, als der Angeklagte in den Raum geführt wurde“.713 Eine solche Szene ist zunächst für unsere heutige als auch für die damalige Zeit bei weitem nicht ungewöhnlich, stellte vielmehr bei aufsehenerregenden Prozessen die Regel dar, weshalb man sich fragen könnte, warum dies hier eine explizite Erwähnung erfährt. Dies zeigt sich, sobald man den Absatz in E. Schmidts Aufsatz zu Ende liest, denn die Berichterstattung des schweizerischen Autors wird wie folgt weiter kommentiert: „… geht anscheinend schon so weit, dass im Gerichtsgebäude selbst photographiert werden darf, womit wir uns bedenklich deutschen Zuständen nähern, die zu Recht immer wieder an den Pranger gestellt werden“.714

d) Zwischenergebnis Anhand der aufgezeigten Entstehungsgeschichte des § 169 S. 2 GVG a. F., der absolut gilt und nicht zur Disposition der Verfahrensbeteiligten steht, wird deutlich, dass der Anlass zu einer Einführung dieser Norm in das GVG zunächst nur für den Strafprozess und aufgrund eines vermeintlich fehlenden Regelungsbedürfnisses gerade nicht für das Zivilverfahren und andere Gerichtsbarkeiten gedacht war.715 Daher verwundert es nicht, dass die Beratungen des Rechtsausschusses und anschließend des Bundestags auch schwerpunktmäßig die strafprozessuale Hauptverhandlung zum Gegenstand hatten; lediglich am Ende der Verhandlungen wurde noch darauf hingewiesen, dass diese Neuregelung für alle Verfahrensarten gelte.716

713  Schmidt,

DRiZ 1969, 145. nach Schmidt, DRiZ 1969, 145. 715  Schwarz, AfP 1995, 353, 354; Kuß, Öffentlichkeitsmaxime, S. 131. 716  Kuß, Öffentlichkeitsmaxime, S. 131 m. w. N. 714  Zitiert

128

2. Kap.: Öffentlichkeit von Strafverfahren

3. Bedeutung des historischen Gesetzgeberwillens für das heutige Verständnis von Gerichtsöffentlichkeit Wie wichtig die Entstehungsgeschichte eines Gesetzes für eine aktuelle Reformdiskussion ist und inwiefern die Resultate einer solchen Entstehungsgeschichte für den weiteren Gang der Untersuchung von Relevanz sind, hängt zum einen vom Alter des jeweils zu untersuchenden Gesetzes ab. Ferner spielen bereichsspezifische Veränderungen des tatsächlichen Regelungsbereichs dieser Norm seit ihrem Inkrafttreten eine große Rolle.717 Die Bedeutung der Rundfunkfreiheit für eine freie und individuelle Meinungsbildung der Bevölkerung sowie der objektiv-rechtliche Gehalt des Art. 5 Abs. 1 GG waren zum Zeitpunkt der Einführung des Satz  2 in § 169 GVG  a. F. im Jahr  1964 noch längst nicht in dem Umfang herausgearbeitet wie es in der heutigen Zeit der Fall ist. Der Rundfunk hatte im Vergleich zu den Printmedien noch keinen vergleichbaren oder gar herausgehobenen Stellenwert, was unter anderem dadurch bedingt war, dass es Mitte der sechziger Jahre lediglich zwei Fernsehprogramme gab, die nur in einem zeitlich begrenzten Umfang sendeten.718 Durch die enorme und noch immer nicht abgeschlossene Weiterentwicklung719 des Rundfunks bis in die heutige Zeit sowie der zunehmenden Bedeutung des Fernsehens als Informationsquelle und die gesteigerte Relevanz der Gerichtsberichterstattung ist der Begriff der Rundfunkfreiheit dynamisch und entwicklungsoffen720 zu verstehen, zeitbezogen auszulegen und zu interpretieren.721 Neben und aufgrund des technischen Fortschritts auf der einen Seite ist seit der Einführung des § 169 S. 2 GVG a. F. auf der anderen Seite aber auch der Bedeutungsgehalt der Persönlichkeitsrechte der am Gerichtsverfahren Beteiligten gestiegen und erfuhr eine spezialgesetzliche Regelung in den Vorschriften über die Gerichtsöffentlichkeit. Der Ausschluss der (Saal-)Öffentlichkeit zum Schutz der Verfahrensbeteiligten durch den im Jahr 1975 eingeführten § 172 Nr. 2 GVG und den 1987 eingeführten § 171b GVG722 belegen diesen Entwicklungstrend. Letztlich bedarf es der Klärung, ob die dargelegte Abwägung der Rechtsgüter des Informationsbedürfnisses der Allgemeinheit auf der einen Seite und der Schutz der Verfahrensbeteiligten auf der anderen Seite im heutigen – massenmedialen – Zeitalter noch zeitgemäß 717  Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 312 ff.; Reimer, Juristische Methodenlehre, S. 136 ff. 718  Kunig, Jura 1995, 589, 590. 719  Von einem Expansionsprozess, der sich auch in Zukunft weiter fortsetzen wird, sprach bereits Jarren, AfP 1994, 191, 192. 720  Kunig, Jura 1995, 589, 591; Eberle, CR 1996, 193, 194. 721  Kuß, Öffentlichkeitsmaxime, S. 133 m. w. N. 722  Siehe zu den §§ 170 ff. GVG ausführlich in Kap. 3, A. I.



B. Historische Entwicklung der Öffentlichkeit des Strafverfahrens 129

ist oder ob ein Wandel hin zu einem Mehr an Öffentlichkeit auch in strafrechtlichen Hauptverhandlungen angemessen wäre. Dafür müssen die verfassungsrechtlichen Vorgaben, die letztlich den Handlungsspielraum des Gesetzgebers bestimmen, vor dem Hintergrund einer Lockerung oder gar der Aufhebung des in § 169 S. 2 GVG a. F. statuierten Totalverbots analysiert werden. Unbedingt abzugrenzen ist diese Untersuchung allerdings davon, ob die Reform der Vorschriften über die Öffentlichkeit rechtspolitisch tatsächlich wünschenswert gewesen ist. Die Entscheidung über die Notwendigkeit einer Gesetzesreform obliegt einzig dem Gesetzgeber.723

VI. Zusammenfassung der Entwicklung des Öffentlichkeitsgrundsatzes Rückblickend zeigt sich eine – wie Kuß724 es zutreffend formuliert – „wellenförmige Entwicklung des Öffentlichkeitsprinzips“: Nach anfänglich öffentlichen Gerichtsverhandlungen kam das Zeitalter der geheimen und unter Ausschluss jeglicher Öffentlichkeit stattfindenden Inquisitionsprozesse. Durch die Epoche des Liberalismus kam es zu einer Wiedereinführung öffentlicher Verhandlungen, zunächst ohne jegliche Einschränkung, was für einen kurzen Zeitraum (von 1793–1795) dazu führte, dass selbst die Beratungen nach dem Abschluss der Hauptverhandlung öffentlich geführt wurden.725 Während der sich an diesen „Höhepunkt der Entwicklung des Öffentlich­ keitsprinzips“726 anschließenden nationalsozialistischen Herrschaft wurde der für eine demokratische Rechtsordnung so wichtige Grundsatz der Öffentlichkeit rechtsmissbräuchlich instrumentalisiert und pervertiert.727 Die Erfahrungen des Nationalsozialismus zeigen in besonderem Maße die Abhängigkeit des Verständnisses von Verfahrensöffentlichkeit vom Verhältnis des Staates zu seinen Bürgern im Gesamten sowie zum Individuum. Daher ist es auch für diese Untersuchung des heutigen Verständnisses vom Grundsatz der Öffentlichkeit unerlässlich, sich mit der verfassungsrechtlichen Ausgestaltung auseinanderzusetzen, um die Rahmenbedingungen des oben beschriebenen elementaren Verhältnisses korrekt abzustecken.728 Die Entwicklungen in der jungen Bundesrepublik, namentlich die Einführung des § 169 S. 2 GVG a. F. 723  Kuß,

Öffentlichkeitsmaxime, S. 133 f. m. w. N. Öffentlichkeitsmaxime, S. 31. 725  Kern/Wolf, Gerichtsverfassungsrecht, S. 302. 726  Stutz, Zurückdrängung des Öffentlichkeitsprinzips zugunsten der Privatsphäre, S. 115; Kuß, Öffentlichkeitsmaxime und das Verbot von Fernsehaufnahmen im Gerichtssaal, S. 31; Witzler, Öffentlichkeit, S. 63. 727  Statt vieler Hamm, NJW 1995, 760 f. 728  Kuß, Öffentlichkeitsmaxime, S. 31 f. 724  Kuß,

130

2. Kap.: Öffentlichkeit von Strafverfahren

im Jahr  1964, zeigen die Einschränkung des Öffentlichkeitsgrundsatzes zugunsten von Individualinteressen der Verfahrensbeteiligten, der Wahrheitsfindung im Strafprozess und damit zugunsten eines fairen Verfahrens und somit wieder einer Einschränkung von der zwischenzeitlich absoluten Verfahrens­ öffentlichkeit. Durch die sich in den letzten Jahrzehnten immer stärker entwickelnden Massenmedien kann zwar auf der einen Seite eine umfassende Kontrolle der Justiz durch die Allgemeinheit gewährleistet werden, auf der anderen Seite geht mit einer immer intensiveren und detaillierten Berichterstattung aber auch eine nicht zu unterschätzende Gefahr einer Beeinträchtigung der einzelnen Individuen sowie die Gefahr eines gezielten Missbrauchs einher.729 Auch die Reformüberlegungen zu § 169 GVG a. F. im Vorfeld des EMöGG zeigen, dass  – bedingt durch den technischen Fortschritt der Massenmedien und des damit verbundenen, sich im stetigen Wandel befindlichen, Nutzungsverhaltens der Öffentlichkeit – die Tendenz in der juristischen Literatur hin zu einer partiellen Lockerung des heutigen Verständnisses von Verfahrensöffentlichkeit geht und für gewisse Verfahrenskonstellationen Ausnahmeregelungen geschaffen werden sollen. Diese Diskussion um die Gesetzeseform durch das EMöGG und die „Zeitgemäßheit“ der derzeitigen gesetzlichen Ausgestaltung fügt sich somit wieder in die eingangs beschriebene „wellenförmige Entwicklung“ des Öffentlichkeitsgrundsatzes ein und verdeutlicht, dass sich dieser stetig im Fluss befindet und auch durch die Reform des § 169 GVG  a. F. im Rahmen des EMöGG voraussichtlich nicht in Stein gemeißelt sein wird.

C. Verfassungsrechtliche Vorgaben und Funktionen des § 169 Abs. 1 S. 1 GVG n. F. Der Grundsatz der Öffentlichkeit ist einfachgesetzlich in § 169 Abs. 1 S. 1 GVG n. F. normiert und anders als etwa die Parlamentsöffentlichkeit (Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG)730 nicht explizit im Grundgesetz731 niedergeschrieben. Daher wird zum Teil gefolgert, dass der Grundsatz der Öffentlichkeit direkt aus der Verfassung nicht ableitbar sei und folglich auch keinen Verfassungsrang 729  Witzler,

Öffentlichkeit, S. 63; Kuß, Öffentlichkeitsmaxime, S. 32. GG, Art. 42, Rn. 5 ff. 731  Anders ist dies lediglich in Art. 90 S. 1 BayVerf, wo die Verfahrensöffentlichkeit aller ausdrücklich genannt ist. Damit weicht der Wortlaut dieser landesverfassungsrechtlichen Vorschrift von dem des § 169 S. 1 GVG („… vor dem erkennenden Gericht …“) ab, mit der Konsequenz einer Normenkollision. Anhand der Rechtsprechung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs will Art. 90 BayVerf lediglich an einen bestehenden Grundsatz anknüpfen, diesen in der Bayerischen Verfassung verankern und gerade keinen neuen Rechtssatz begründen, vgl. auch von Coelln, Zur Medienöffentlichkeit der dritten Gewalt, S. 93. 730  Maunz/Dürig-Klein,



C. Verfassungrechtliche Vorgaben des § 169 Abs. 1 S. 1 GVG n. F.131

besitze.732 Zitiert wird an dieser Stelle häufig die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. In einer Entscheidung aus dem Jahr  1963 wurde durch dieses ausgeführt, dass es sich weder bei dem Mündlich- noch dem Öffentlichkeitsgrundsatz um Verfassungsgrundsätze, sondern lediglich um Prozessmaximen, die bestimmte Verfahrensarten beherrschten, handele.733 Übersehen wird dabei allerdings, dass Gegenstand dieser Entscheidung nicht ausdrücklich der Öffentlichkeitsgrundsatz und die Frage nach dessen verfassungsrechtlichem Hintergrund war. Vor dem Hintergrund einer möglichen Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG wurde die erwähnte Aussage wohl eher unbewusst getroffen, weshalb diese Entscheidung bei der Frage, ob es sich bei dem Öffentlichkeitsgrundsatz um Verfassungsrecht handele, nicht weiterführend ist und zum Zwecke einer gegenteiligen Begründung nicht herangezogen werden kann.734 Die überwiegende Auffassung735 leitet den Grundsatz der Öffentlichkeit aus dem Demokratie- und dem Rechtsstaatsprinzip ab,736 die verfassungsrechtlich verankert sind. Ob dadurch jedoch automatisch ein Verfassungsrang des Öffentlichkeitsgrundsatzes begründet wird, ist wiederum umstritten und bedarf somit einer genaueren Betrachtung.737 Grundsätzlich gegen die Einordnung des Öffentlichkeitsgrundsatzes als Verfassungsprinzip könnte eingewendet werden, dass bei einer Annahme dessen dem einfachen Gesetzgeber jegliche Gestaltungsmöglichkeit genommen würde, mithin die Möglichkeit, ohne einen Verstoß gegen die Verfassung nichtöffentliche Verfahrensabschnitte oder Verfahrensgänge oder partielle 732  Meyer-Goßner/Schmitt-Schmitt, GVG, § 169, Rn. 1; Kleinknecht, in: FS Schmidt-Leichner (1977), S. 111, 112; Martens, Öffentlichkeit als Rechtsbegriff, S. 74 ff.; Franke, Bildberichterstattung über den Angeklagten, S. 38 ff.; 48 f.; Endemann, in: FS Zeidler (1987), S. 409, 415; Siolek, DRiZ 1989, 321, 328. 733  BVerfGE 15, 303, 307. 734  So auch Britz, Fernsehaufnahmen im Gerichtssaal, S. 209. 735  Exemplarisch genannt seien: Bäumler, JR 1978, 317, 320; Stürner, JZ 1980, 1, 6; ders., in: FS Baur (1981), S. 647, 660; Arndt, NJW 1960, 423; Schneider, JuS 1963, 346, 350; Rohde, Öffentlichkeit, S. 168; 176; Wettstein, Öffentlichkeitsgrundsatz, S. 64; Scherer, Gerichtsöffentlichkeit, S. 63, 72; Olbertz, Fernsehöffentlichkeit von Gerichtsverfahren, S. 113. 736  Daraus folgt nach Ansicht mancher, dass die Öffentlichkeit von Erkenntnisverfahren nicht grund- und vor allem nicht ersatzlos gestrichen werden könne. Es bedürfe zumindest eines funktionalen Äquivalents, das öffentliche Kontrolle in ähnlicher Weise wie die Gerichtsöffentlichkeit garantiere; Gleiches gelte für die Einschränkung der Öffentlichkeit. Auch in diesen Fällen müsse die Kontrollfunktion der Maxime durch alternative Vorkehrungen gesichert sein, vgl. SK-StPO/Velten, GVG, Vor § 169, Rn. 8 m. w. N.; a. A. exemplarisch BVerfGE 4, 74, 94; 15, 303, 307; Kissel/ Mayer, GVG, § 169, Rn. 4; Lesch, StraFo 2014, 353, 355. 737  Kuß, Öffentlichkeitsmaxime, S. 44; siehe auch Burbulla, Fernsehöffentlichkeit, S. 35 f.

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2. Kap.: Öffentlichkeit von Strafverfahren

Ausschlussgründe zu definieren. Übersehen wird bei dieser Argumentation jedoch, dass eine Differenzierung zwischen dem Öffentlichkeitsprinzip auf der einen Seite und dessen exakter Ausgestaltung auf der anderen Seite zwingend ist. Notwendig ist es, das kollidierende Verfassungsrecht der am Verfahren Beteiligten und die verfahrensspezifischen Erfordernisse zum Ausgleich zu bringen, was allein in den Zuständigkeitsbereich des einfachen Gesetzgebers fällt. Gegen die Annahme, es handele sich bei der Öffentlichkeitsmaxime nicht um ein Prinzip mit Verfassungsrang spricht zudem, dass lediglich eine verfassungsrechtliche Ansehung einen ausreichenden Schutz gegen die Abschaffung738 dieses Grundsatzes bietet.739

I. Ableitung des Öffentlichkeitsgrundsatzes aus dem Demokratieprinzip Jegliche Ausübung von Hoheitsgewalt ist legitimationspflichtig.740 Öffentlichkeit ist ein demokratisches Gebot741 und stellt die für die demokratische Legitimation erforderliche Verantwortlichkeit der Staatsorgane für ihre Tätigkeit her.742 Nach Art. 20 Abs. 2 GG ist das Volk der Träger aller Staatsgewalt.743 Zugleich wird die konkrete Ausübung dieser Gewalt den Staatsorganen übertragen.744 Demokratie erschöpft sich nicht in der Zeitweiligkeit der Herrschaft von Personen, die das Vertrauen der Mehrheit besitzen, sondern verlangt die Rückbindung745 der Herrschaft an das Volk.746 Ob auch der Strafprozess demokratisch legitimiert sein muss, hängt von der Auslegung des Begriffs der Staatsgewalt i. S. v. Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG ab. Dieser ist weit zu verstehen und umfasst jegliches staatliche Handeln mit Entscheidungscharakter, mithin auch die Judikative.747 Da Strafgerichte748 staatliche Institutionen sind, durch die verbindliche Entscheidungen getroffen werden, 738  Kaiser,

in: FS Rehberg (1996), S. 183. Fernsehaufnahmen im Gerichtssaal, S. 209 f. 740  Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, § 24, Rn. 12 f. 741  Maunz/Dürig-Grzeszick, GG, Art. 20, Rn  34 m. w. N.; Bäumler, JR  1978, 317, 319 f. 742  SK-StPO/Velten, GVG, Vor § 169, Rn. 11. 743  Maunz/Dürig-Grzeszick, GG, Art. 20, Rn. 59 ff. m. w. N. 744  Tschentscher, Demokratische Legitimation, S. 17. 745  BVerfGE 47, 253, 272; 83, 60, 71; 93, 37, 66; 107, 59, 86 f. 746  Velten, Transparenz staatlichen Handelns und Demokratie, S. 49 ff.; SK-StPO/ Velten, GVG, Vor § 169, Rn. 11. 747  BVerfGE 47, 253, 273; 83, 60, 73; 93, 37 (Ls. 1 und 68 ff.). 748  Zur Rechtsprechung des BVerfG ausführlich, Schreier, Demokratische Legitimation, passim. 739  Britz,



C. Verfassungrechtliche Vorgaben des § 169 Abs. 1 S. 1 GVG n. F.133

muss auch deren Tätigkeit grundsätzlich auf den Willen des Volkes rückführbar und somit demokratisch legitimiert sein.749 In überwiegender Übereinstimmung wurde durch das Bundesverfassungsgericht und die Literatur eine Demokratiedogmatik des Grundgesetzes herausgearbeitet, die als organisatorisch-formales Modell demokratischer Legitimation750 treffend bezeichnet wird.751 Was genau unter demokratischer Legitimation zu verstehen ist, wird durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vorgegeben. Diese Rechtsprechung dient als Quelle für den „demokratiedogmatischen Diskurs in Deutschland“.752 Zur konkreten Gestaltung demokratischer Legitimation von Strafverfahren findet sich hingegen keinerlei Judikatur, weshalb weshalb an dieser Stelle deduktiv vorgegangen werden muss. Dies geschieht in der Form, dass anhand der generellen und allgemein gehaltenen Äußerungen der Rechtsprechung zur dogmatischen Bedeutung des Demokratieprinzips im Grundgesetz die Konsequenzen für die gerichtliche Hoheitsausübung abgeleitet werden müssen. Diese Methode ist vor dem Hintergrund von Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG auch zulässig, da die Einheitlichkeit dieses Gebots in die drei Gewalten gegliedert wird. Bei näherer Betrachtung besagter Rechtsprechung zum Demokratisprinzip lassen sich drei Stränge erkennen, die als „Konsolidierung, Akzentuierung und Relativierung des Demokratieverständnisses“ beschrieben werden können.753 Dabei ist vorwegzunehmen, dass sich hinsichtlich der demokratischen Entscheidungspraxis des Bundesverfassungsgerichts nicht zwischen den beiden Senaten differenzieren lässt, sondern in den unterschiedlichen zeitlichen Abschnitten sowohl auf den Ersten754 als auch den Zweiten755 Senat zurückgehen: Konsolidiert wurde nach Ende des Zweiten Weltkriegs das repräsentativ-demokratische Element der Demokratie, durch das sich die im Grundgesetz niedergelegte freiheitlich-demokratische Grundordnung von anderen Demokratieverständnissen distanziert. In diese Nachkriegsphase fallen insbesondere die Parteiverbotsverfahren. Zu einem späteren Zeitpunkt kam es zu einer Akzentuierung durch die Beschreibung des Legitimationskettenmodells, gefolgt von einer Relativierung dieses formalen Modells durch die Etablierung einer Flexibilisierung desselben.756 749  Schreier,

Demokratische Legitimation, S. 99. Bezeichnung wurde erstmals durch Schulze-Fielitz, in: FS  BVerfG (2001), S. 385, 397 verwendet. 751  Tschentscher, Demokratische Legitimation, S. 17 m. w. N., 51 ff. 752  Tschentscher, Demokratische Legitimation, S. 28. 753  Ausführlich Tschentscher, Demokratische Legitimation, S. 28 ff. 754  BVerfGE 2, 1, 9 ff.; 5, 85, 87 ff.; 33, 125, 152 ff.; 69, 315, 342 ff. 755  BVerfGE 9, 268, 277 ff.; 20, 56, 96 ff.; 44, 125, 138 ff.; 47, 253, 268 ff.; 49, 89, 124 ff.; 83, 37, 50 ff.; 83, 60, 70 ff.; 89, 155, 181 ff.; 93, 37, 65 ff.; 97, 350, 368 ff. 756  Tschentscher, Demokratische Legitimation, S. 29. 750  Diese

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2. Kap.: Öffentlichkeit von Strafverfahren

Abstrakt betrachtet setzt demokratische Legitimation als strukturelle Elemente zunächst die Hoheitsgewalt als zu legitimierend, das Volk als Legitimationssubjekt und einen Zurechnungszusammenhang zwischen Volk und Hoheitsgewalt als Legitimationsmittel voraus. Erforderlich ist zudem, dass die einzelnen Individuen des Volkes ihren Volkswillen äußern können. Eingeschränkt wird diese Äußerung des Volkswillens wiederum durch Repräsentation und Etablierung eines Mehrheitsprinzips.757 Konkret in Bezug auf die hier zu untersuchende Thematik bedeutet dies, dass eine strafgerichtliche Entscheidung dann demokratisch legitim ist, wenn sie der Inhaltskontrolle sowohl der durch sie Betroffenen als auch der Allgemeinheit unterliegt. Dabei umfasst die Inhaltskontrolle neben einer gegenwärtigen Mitgestaltung auch die nachträgliche Revisionsbefugnis und auch jede zeitlich früher angesetzte Einflussnahme. Die Inhaltskontrolle als Legitimationsfaktor kann somit korrigierende Wirkung für die Zukunft haben, wenn sie nach dem Abschluss eines Strafverfahrens einsetzt, oder zu einer Vorwirkung richterlichen Agierens führen, wenn sie vor oder im Entscheidungszeitpunkt ansetzt. Selbstverständlich kann es dabei nur um einer potentielle, nicht um eine aktuelle Kontrolle durch Einflussnahme geben.758 Unabdingbare Voraussetzung für eine derartige Inhaltskontrolle ist die Transparenz759 staatlichen Handelns.760 Ohne ein transparentes Handeln und die enge Bindung als notwendige Basis des demokratischen Verfassungssystems761 wäre es dem Bürger überhaupt nicht möglich, das Parlament effektiv zu kontrollieren und zu lenken.762 Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass staatliches Agieren ohne die Wahrung der erforderlichen Transparenz und der damit verbundenen, fehlenden Öffentlichkeit nicht den Anspruch einer demokratischen Legitimation haben kann; ohne Kenntnis über gewisse Vorgänge kann die Öffentlichkeit ihrer Kontrollfunktion nicht gerecht werden.763 Nur über Öffentlichkeit und Transparenz gelangt das Volk als Träger der Staatsgewalt zu den notwendigen Informationen über die öffentlichen Angelegenheiten. Das Zur-Verfügung-Stellen von Informationen ist somit notwendige 757  Tschentscher, Demokratische Legitimation, S. 63 ff.; Schreier, Demokratische Legitimation, S. 98. 758  Ausführlich Tschentscher, Demokratische Legitimation, S. 126 ff. m. w. N. 759  BVerfGE 40, 237, 249; 40, 296, 327; 70, 324, 355; 89, 155, 185; 97, 350, 369; 103, 44, 63; siehe auch BVerwG, ZUM 1998, 78 ff. 760  Vassilaki, CR 1997, 90 ff.; Zuck, DRiZ  1997, 23, 26; Sorth, Rundfunkberichterstattung, S. 38; Gärditz, in: FS Paeffgen (2015), S. 439, 456. 761  BVerfG, NJW 1970, 235 ff.; Prinz, in: FS Engelschall (1996), S. 243, 247. 762  Bäumler, JR 1978, 317, 319; Schmidthals, Wert und Grenzen der Verfahrensöffentlichkeit im Strafprozess, S. 245. 763  Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, S. 366 f.; Gärditz, in: FS  Paeffgen (2015), S. 439, 456.



C. Verfassungrechtliche Vorgaben des § 169 Abs. 1 S. 1 GVG n. F.135

Voraussetzung für die gesellschaftliche Meinungs- und Willensbildung, die sogenannte öffentliche Meinung,764 weshalb diese auch als ein Mechanismus der Verfassungssicherung qualifiziert wird.765 Ob die Übertragung der Staatsgewalt auf den Richter766 auf dem Prinzip der repräsentativen Demokratie767 beruht und inwiefern die Beantwortung dieser Frage relevant dafür ist, ob dem Öffentlichkeitsprinzip Verfassungsrang zukommt, ist umstritten: Zum Teil  wird dies in Ermangelung einer demokratischen Wahl des Richters abgelehnt, da Richter auf Lebenszeit ernannt768 und nicht wie Politiker für eine begrenzte Dauer in ihr Amt gewählt werden.769 Für diese Auffassung wird ferner ins Feld geführt, dass aus dem „Demokratiepostulat der ‚öffentlichen Meinungsbildung‘ ein Zugangsrecht zu gerichtlichen Verpflichtungen“770 nicht herzuleiten sei, da seitens des Staates nur die Pflicht zur Publizitätsbereitschaft bestehe.771 Dieser Ansatz überzeugt indes nicht, da die gesamte Judikative vom Erfordernis der demokratischen Legitimation befreit würde mit der Konsequenz eines unhaltbaren Verlustes demokratischer Rückbindung der Staatsgewalt.772 Das Demokratieprinzip würde zur Bedeutungslosigkeit verdammt.773 Ferner widerspricht diese Ansicht dem Prinzip der praktischen Konkordanz, welches bei der Kollision zweier Verfassungsprinzipien eine Abwägung mit dem Ziel weitestmöglicher Verwirklichung beider Verfassungsprinzipien verlangt.774 764  Der öffentlichen Meinung kommt aus staatstheoretischer Sicht eine wichtige Funktion zu, da das Volk durch Wahlen und Abstimmung an der Willensbildung des Staates beteiligt ist. Der Bereich der öffentlichen Meinung steht außerhalb der staatsorganschaftlichen Sphäre, und die Staatsorgane dürfen auf diesen Bereich grundsätzlich keinen Einfluss ausüben, vgl. ausführlich Britz, Fernsehaufnahmen im Gerichtssaal, S. 215. 765  Britz, Fernsehaufnahmen im Gerichtssaal, S. 216 m. w. N. 766  Umfassend Tschentscher, Demokratische Legitimation, S. 17. 767  Maunz/Dürig-Grzeszick, GG, Art. 20, Rn 235. 768  Dies wird durch die verfassungsrechtlich garantierte Unabhängigkeit der Dritten Gewalt untermauert, vgl. Art. 97 GG. Eine Ausnahme dazu stellt jedoch die Wahl der höchsten deutschen Judikativorgane dar, vgl. Art. 94 Abs. 1 S. 2, und 95 Abs. 2 GG. 769  Martens, Öffentlich als Rechtsbegriff, S. 74 f.; Britz, Fernsehaufnahmen im Gerichtssaal, S. 216 f.; Sorth, Rundfunkberichterstattung, S. 38. 770  Kuß, Öffentlichkeitsmaxime, S. 47. 771  Martens, Öffentlich als Rechtsbegriff, S. 64; ferner auch Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, S. 367; Kuß, Öffentlichkeitsmaxime, S. 47. 772  Schreier, Demokratische Legitimation, S. 102. 773  Tschentscher, Demokratische Legitimation, S. 110; Schreier, Demokratische Legitimation, S. 102. 774  Tschentscher, Demokratische Legitimation, S. 109 f.; Schreier, Demokratische Legitimation, S. 102.

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2. Kap.: Öffentlichkeit von Strafverfahren

Nach einen anderen Ansatz ist es ausreichend, dass eine lückenlose Rückführbarkeit des Mandats auf das Volk genüge, was bei der Übertragung der richterlichen Gewalt der Fall sei, da eine Amtsberufung durch den jeweils zuständigen Justizminister erfolge, dessen Amtseinsetzung wiederum demokratisch legitimiert sei.775 Ob sich die zu stellende Frage mittels dieses sehr extensiven Ansatzes begründen lässt und wie sich dieses Verständnis etwa auf die nicht durch die jeweiligen Justizminister einzusetzenden Schöffen verhält, kann insofern dahinstehen, als die Organe der Judikative an die Parlamentsgesetze strikt gebunden sind, vgl. Art. 20 Abs. 3 Hs.  2 GG, Art. 1 Abs. 3 GG und Art. 97 Abs. 1 Hs.  2 GG.776 Diese Parlamentsgesetze sind von den demokratisch gewählten Repräsentanten des Volkes verabschiedet worden.777 Dieser umfassenden Gesetzesbindung als Element sachlicher Steuerung durch abstrakt-genrelle Gesetze kommt die Aufgabe zu, die weitgehende Unabhängigkeit der Richter zu kompensieren.778 Die materielle Legitimation der Strafgerichte ist folglich als hinreichend anzusehen. Die personell-organisatorische Legitimation erfordert eine ununterbrochene Legitimationskette eines jeden Strafrichters bis hin zum Legitimationssubjekt Volk.779 Aufgrund der Legitimation der einzelnen Strafrichter werden simultan die Strafgerichte legitimiert.780 Erfolgt – wie bei der Ernennung von Strafrichtern  – die demokratische Legitimation nicht unmittelbar durch eine Volkswahl, muss als Ausgleich dafür die vermittelnde Instanz grundsätzlich selbst demokratisch legitimiert sein. Demokratische Legitimation kann somit über mehrere Ebenen vermittelt werden, sofern diese Legitimationskette über das Parlament als das am besten demokratisch legitimierte Organ führt.781 Überdies wird häufig argumentiert, dass sich die aus dem Willen des Volkes ableitende Staatsgewalt des Richters durch die in § 268 Abs. 1 StPO782 niedergelegte Formel „Im Namen des Volkes“ verdeutliche.783 Diese Formel 775  Schmidthals, Wert und Grenzen der Verfahrensöffentlichkeit im Strafprozess, S. 247 f. 776  Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, § 24, Rn. 22, 24. 777  Kuß, Öffentlichkeitsmaxime, S. 47. 778  Schreier, Demokratische Legitimation, S. 104. 779  BVerfGE 47, 253, 275; 52, 95, 130; 77, 1, 40; 83, 60, 72; 107, 59, 87. 780  Dazu auch Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, § 24, Rn. 16. 781  Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, § 24, Rn. 16; Schreier, Demokratische Legitimation, S. 105 m. w. N. 782  Für den Zivilprozess siehe § 311 Abs. 1 ZPO, für das verwaltungsgerichtliche Verfahren siehe § 117 Abs. 1 S. 1 VwGO. 783  BeckOK StPO/Peglau, § 268, Rn. 1; Gärditz, in: FS  Paeffgen (2015), S. 439, 461; Sorth, Rundfunkberichterstattung, S. 38; Jerschke, Öffentlichkeitspflicht der Exekutive, S. 77.



C. Verfassungrechtliche Vorgaben des § 169 Abs. 1 S. 1 GVG n. F.137

stellt eine Ritualisierung durch Zitat des demokratischen Legitimationszusammenhangs dar. Dies zeigt sich auch daran, dass ein Verstoß gegen dieses symbolische „Ritual“ ein Urteil nicht angreifbar macht. Symbole im Recht wirken nicht normativ über Rechtsfolgen, sondern über die faktische Bedeutung in bestimmten sozialen Kontexten.784 Ferner weisen Britz785 und Franke786 zutreffend daraufhin, dass an dieser Stelle die Gefahr eines Zirkelschlusses bestehe, da aus dieser verfahrensrechtlichen Norm die demokratische Legitimation der richterlichen Entscheidung abgeleitet wird, dadurch nicht die Übertragung des demokratischen Publizitätsgebots auf die Justiz begründet werden kann. Hinzu kommt, dass § 268 Abs. 1 StPO nur die öffentliche Urteilsverkündung vorschreibt, dadurch jedoch nicht geschlussfolgert werden kann, dass auch die Hauptverhandlung oder sonstige Verfahrensabschnitte öffentlich sein müssten.787 Die Formel „Im Namen des Volkes“ stellt im Ergebnis eine einfachgesetzliche Ausprägung des übergeordneten Demokratieprinzips dar.788 Ob sich die Rechtsprechung darüber hinaus bei der Anwendung des durch das Volk legitimierten Gesetzesbestandes an der jeweils vorherrschenden Auffassung der Allgemeinheit zu orientieren hat, wird ebenfalls nicht einheitlich gesehen. Nach einer Ansicht habe sich die Judikative an den Vorstellungen des repräsentativen Volkes zu orientieren,789 nach anderer Ansicht sei der Gefahr, dass sich richterliche Entscheidungen zu sehr durch plebiszitäre Elemente der allgemeinen Meinungsbildung beeinflussen lassen, entsprechend vorzubeugen.790 Im Ergebnis überzeugt einzig die Auffassung, dass auch die rechtsprechende Gewalt, ebenso wie die beiden anderen Staatsgewalten,791 der öffentlichen Diskussion zur Meinungsbildung willens und in der Lage ist. Nur durch eine öffentlich geführte Diskussion können die Wertevorstellungen des Volkes überhaupt in die Anwendung des Rechts gelangen. Maßgebend für die Auslegung der durch den Gesetzgeber vorgegebenen Normen sind gerade nicht die jeweilige persönliche Wertungsperspektive, sondern die in der Bevölkerung vorherrschenden Gerechtigkeitsbegriffe, was sich ausdrücklich immer dort 784  Gärditz,

in: FS Paeffgen (2015), S. 439, 460 f. m. w. N. Fernsehaufnahmen im Gerichtssaal, S. 218. 786  Franke, Bildberichterstattung über den Angeklagten, S. 40. 787  Britz, Fernsehaufnahmen im Gerichtssaal, S. 218 f.; Franke, Bildberichterstattung über den Angeklagten, S. 40. 788  Grundlegend MüKo-StPO/Moldenhauer, § 268, Rn. 5; Britz, Fernsehaufnahmen im Gerichtssaal, S. 219. 789  Schmidthals, Wert und Grenzen der Verfahrensöffentlichkeit im Strafprozess, S. 248 f. 790  Bockelmann, NJW 1960, 217, 219. 791  Zu den anderen beiden Staatsgewalten Pernice, Medienöffentlichkeit, passim. 785  Britz,

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2. Kap.: Öffentlichkeit von Strafverfahren

zeigt, wo der Gesetzgeber unbestimmte und somit normausfüllende bzw. auslegungsbedürftige Begriffe verwendet.792 Die Rechtsprechung spielt aufgrund ihrer Kontroll- und Selektionsfunktion, jedenfalls im Verhältnis Staat / Bürger, eine besondere Rolle, da durch die Rechtsprechung die neuralgischen Fälle selektiert werden. Daher sind an die Ausübung der Staatsgewalt besondere Anforderungen zu stellen in der Form, dass die Rechtsprechung einer öffentlichen Kontrolle in einem besonderen Maße bedarf. Zum einen ist die Judikative wegen der ihr immanenten Unabhängigkeit in einem geringeren Umfang demokratisch legitimiert als es etwa die Exekutive ist. Zum anderen spielt die Wahrnehmbarkeit793 der Judikative im Hinblick darauf, „dass hier die kranken Fälle kumulieren, für die demokratische Kontrolle der gesamten Staatsgewalt eine Sonderrolle“, weshalb Rechtsprechung in der Öffentlichkeit durchgeführt werden muss.794 Im Ergebnis umfasst das Grundgesetz ein allgemeines Öffentlichkeitsgebot, durch welches alle drei staatlichen Gewalten und mithin auch die Judikative zu einem transparenten Handeln verpflichtet werden. Ausdruck des Demokratieprinzips795 ist somit unter anderem die Öffentlichkeit796 (straf-) gerichtlicher Verhandlungen.797

II. Ableitung des Öffentlichkeitsgrundsatzes aus dem Rechtsstaatsprinzip Überdies könnte sich die Verpflichtung zur grundsätzlichen Öffentlichkeit gerichtlicher Verfahren aus dem Rechtsstaatsprinzip ergeben. Das Rechtstaatsprinzip wird in Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG798 sowie in Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG799 ausdrücklich benannt, ist grundsätzlich in Art. 20 Abs. 3 GG800 ange792  Zippelius,

Wertungsprobleme, S. 131 ff.; Kuß, Öffentlichkeitsmaxime, S. 48. ZRP 2011, 61, 62; Lamp, ZRP 2010, 237. 794  SK-StPO/Velten, GVG, Vor § 169, Rn. 11 m. w. N.; Gärditz, in: FS  Paeffgen (2015), S. 439, 459. 795  Allgemein dazu Maunz/Dürig-Scholz, GG, Art. 23 GG, Rn. 73 ff. 796  BGHSt 2, 56, 57: „Die Öffentlichkeit der Verhandlung ist eine alte demokratische Forderung.“ 797  Kuß, Öffentlichkeitsmaxime, S. 50; siehe auch Pieroth, JuS 1981, 625, 62; Olbertz, Fernsehöffentlichkeit, S. 113; Müller, AnwBl.  2016, 656, 657; Sorth, Rundfunkberichterstattung, S. 38. AnwBl.  2016, 656, 657; Sorth, Rundfunkberichterstattung, S. 38. 798  BeckOK GG/Heintschel von Heinegg, Art. 23, Rn. 3 f.; Maunz/Dürig-Scholz, GG, Art. 23 GG, Rn. 76 f. 799  BeckOK GG/Hellermann, Art. 28, Rn. 7 ff.; Maunz/Dürig-Mehde, GG, Art. 28 GG, Rn. 79 ff. 800  BeckOK GG/Huster/Rux, Art. 20, Rn. 138 ff.; Maunz/Dürig-Grzeszick, GG, Art. 20 GG, Rn. 2. 793  Grimm,



C. Verfassungrechtliche Vorgaben des § 169 Abs. 1 S. 1 GVG n. F.139

legt und verbindet in der Sache die Prinzipien des formalen und materialen Rechtsstaats. Während der formale Rechtsstaat die Staatsgewalt durch Kompetenzzuweisungen, Verfahrensregelungen und Organisationsprinzipien bindet, sieht es sich durch den materialen Rechtsstaat – vor allem vor dem Hintergrund der historischen Erfahrungen des Nationalsozialismus  – auf inhaltliche Rechtswerte verpflichtet, zu denen Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit zählen.801 Dem Rechtsstaatsprinzip immanent und für die Arbeit relevant sind die Teilaspekte der Voraussehbarkeit und Berechenbarkeit staatlichen Handelns sowie die Kontrolle staatlicher Machtausübung.802 Durch ersteres soll Rechtsklarheit und Rechtssicherheit für den einzelnen Bürger geschaffen und gewährleistet werden.803 Darunter fällt etwa die Pflicht zur Veröffentlichung neu erlassener Gesetze (Art. 82 Abs. 1 GG),804 da die Gesetze die Grundlage für das spätere Urteil darstellen und der Bürger sich nur dann rechtstreu verhalten kann, wenn er die gesetzlichen Grenzen erlaubten Handelns kennt.805 Ferner muss die konkrete Umsetzung der staatlich geschaffenen, abstrakten Norm durch die rechtsprechende Gewalt vorhersehbar sein.806 Gerade vor dem Hintergrund der unbestimmten Merkmale auf der Tatbestandsebene oder bei Blankettnormen807 und Generalklauseln808 ist die abstrakte Kenntnis der Gesetze809 nicht ausreichend.810 Vielmehr muss für das Erfordernis der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit auch die Judikative durch ihre praktische Anwendung dieser Regelungen auf den Einzelfall publik gemacht werden.811 801  Maunz/Dürig-Kersten,

GG, Art. 102 GG, Rn. 28. GG, Art. 20 GG, Rn. 1 f. 803  Jerschke, Öffentlichkeitspflicht der Exekutive, S. 81 f. 804  BeckOK GG/Pieper, Art. 82, Rn. 1 ff.; Maunz/Dürig-Butzer, GG, Art. 82 GG, Rn. 1 ff. 805  Siehe etwa BVerfGE 65, 283, 291. 806  Zur Pflicht der Veröffentlichung von Gerichtsurteilen gegenüber Verfahrensunbeteiligten auf Anfrage siehe BVerwG, ZUM 1998, 78, 80. 807  Zu Blankettnormen und normativen Tatbestandsmerkmalen Bülte, JuS  2015, 769 ff. 808  Rechtsprechung ist aufgrund der erforderlichen Akte der Wertungen als eine rechtsschöpferische Tätigkeit zu verstehen, vgl. Hassemer, Rechtssystem und Kodifikation, S. 249, 266. 809  Martens, Öffentlich als Rechtsbegriff, S. 75 ff. 810  Vor diesem Hintergrund ist es möglich, die in der Rechtsanwendung liegende Verdeutlichung des Normgehalts in Verlängerung des in der Regelung des Art. 82 Abs. 1 S. 1 GG immanenten Gedankens als rechtsstaatliche Aufgabe der Rechtsprechung zu begreifen. Zu der Frage eines Anspruchs auf Veröffentlichung von Gerichtsurteilen siehe BVerwG, NJW 1997, 2694. 811  Kuß, Öffentlichkeitsmaxime, S. 52 m. w. N.; siehe auch Britz, Fernsehaufnahmen im Gerichtssaal, S. 222 f. 802  Maunz/Dürig-Grzeszick,

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2. Kap.: Öffentlichkeit von Strafverfahren

Neben der grundsätzlichen812 Vorhersehbarkeit gerichtlichen Agierens ist die Kontrollfunktion ein weiterer Ausfluss des Rechtsstaatsprinzips. Zwar gilt das Rechtsstaatsprinzip als das elementare Organisationsprinzip (Grundsatz der Gewaltenteilung) durch Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG i. V. m. Art. 79 Abs. 3 GG (Ewigkeitsgarantie) unabänderlich,813 dennoch soll eine absolute Trennung der Gewalten nicht erfolgen. Vielmehr muss eine gegenseitige Kontrolle und dadurch eine Hemmung der jeweiligen Gewalt konstitutiv für den modernen Rechtsstaat und garantiert sein.814 Dabei obliegt die Kontrolle nicht ausschließlich staatlichen Institutionen, sondern die Bevölkerung nimmt in ihrer Gesamtheit die Rolle des obersten Kontrollorgans ein.815 Um eine solche Kontrollmöglichkeit durch die Öffentlichkeit effektiv zu gewährleisten, muss nicht nur die Öffentlichkeit der einzelnen Verhandlung, sondern die grundsätzliche Offenlegung jeglichen justiziellen Handelns gewährleistet sein.816 Die Kontrollfunktion des Öffentlichkeitsgrundsatzes als Ausfluss des Rechtsstaatsprinzips und somit als rechtsstaatliches Anliegen wird auch in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs verdeutlicht.817 Dennoch wird aufgrund der Einschränkungsmöglichkeiten des § 169 S. 1 GVG  a. F. und des wortgleichen § 169 Abs. 1 S. 1 GVG  n. F. durch die §§ 170 ff. GVG durch den Bundesgerichtshof ein Verfassungsrang des Grundsatzes der Öffentlichkeit abgelehnt.818 Diese Argumentation819 ist jedoch im Ergebnis nicht überzeugend, da keines der Verfassungsprinzipien unbeschränkt gewährleistet werden kann. Der Grundsatz der Öffentlichkeit wird nur dann eingeschränkt, wenn andere Verfassungsgüter in der konkreten Ausgestaltung schutzbedürftiger erscheinen, weshalb resümierend der Verfassungsrang des Öffentlichkeitsprinzips bejaht wird.820 Das Öffentlichkeitsprinzip ist in Ermangelung einer konkreten verfassungsrechtlichen Ausgestaltung als verfassungsrechtlicher Auftrag an den Gesetzgeber zu verstehen. Auch im Hells-Angels-Kutten-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2012821 wurde ausdrücklich offengelassen, inwiefern Beschrän812  Dass die einzelne Entscheidung nicht bis in jedes Detail vorhersehbar sein kann, ändert an dem zuvor Gesagten jedoch nichts, vgl. Franke, Bildberichterstattung über den Angeklagten, S. 51. 813  BeckOK GG/Dietlein, Art. 79, Rn. 42 f. 814  Prinz, in: FS Engelschall (1996), S. 243, 246. 815  Prinz, in: FS Engelschall (1996), S. 243, 246. 816  Pieroth, JuS 1981, 625, 626; Kuß, Öffentlichkeitsmaxime, S. 54. 817  BGHSt 9, 280, 281; 21, 72, 73; 23, 176, 178. 818  BGHSt 21, 72, 73. 819  Siehe auch Kortz, AfP 1997, 443, 447. 820  Kuß, Öffentlichkeitsmaxime, S. 54 f. m. w. N. 821  BVerfG, NJW 2012, 1863, 1864.



C. Verfassungrechtliche Vorgaben des § 169 Abs. 1 S. 1 GVG n. F.141

kungen des Öffentlichkeitsgrundsatzes den Angeklagten in seinem Recht auf ein faires Verfahren verletzen können. Grundsätzlich wurde durch die Rechtsprechung im Fall der Kollision der unterschiedlichen Verfassungsnormen ein unverbindlicher Umgang mit dem Grundsatz der Öffentlichkeit vorgegeben.822 Durch die Kammerentscheidung des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts wurde die Rechtmäßigkeit einer Sicherungsverfügung im Lichte der Anforderungen des Art. 6  EMRK, der dem Grundsatz der Öffentlichkeit die Bedeutung zuweise, das Vertrauen in die Gerichtsbarkeit zu stärken,823 bestätigt.824 Dieser Schutz des Vertrauens in die Funktionstüchtigkeit der Rechtspflege, nunmehr auch als verfassungsrechtliche Wertung implementierter Aspekt, ist sonst lediglich aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte825 bekannt. Ausweislich dieser Rechtsprechung826 wird dem Öffentlichkeitsgrundsatz insbesondere die Funktion zugeschrieben, die Vertrauenswürdigkeit des Strafprozesses aufrechtzuerhalten und zu erhöhen.827 Dadurch, dass das Bundesverfassungsgericht die Europäische Menschenrechtskonvention als Auslegungshilfe heranzieht,828 kann davon ausgegangen werden, dass das Bundesverfassungsgericht auch diesen Aspekt als Ausfluss des Rechtsstaatsprinzips betrachtet.829

III. Verfahrensöffentlichkeit im System der freiheitlich demokratischen Grundordnung Der Grundsatz der Öffentlichkeit ist in das System des freiheitlich-demokratischen Rechtsstaats eingebettet, und in gleicher Wiese wie das Rechtsstaats- und Demokratieprinzip als Elemente der freiheitlich demokratischen Grundordnung830 miteinander verwoben sind, lässt sich die Forderung nach 822  Rabe,

Das Verständigungsurteil des Bundesverfassungsgerichts, S. 111. 2, 56, 57; BVerfG, NJW 2012, 1863, 1865. 824  Rabe, Das Verständigungsurteil des Bundesverfassungsgerichts, S. 111. 825  EGMR, Riepan ./. Österreich, Urt. v. 14.02.2001, Nr. 35115/97. 826  Siehe dazu EGMR, Welke u. Bialek ./. Polen, Urt. v. 01.03.2011, Nr. 15924/05: „This public character protects litigants against the administration of justice without public scruting; it is also one of the means whereby people’s confidence in the courts can be maintained. By rendering the administration of justice transparent, publicity contributes to he achievement of the aim of Art. 6 § 1, namely a fair trial, the guarantee of which is one of the principles of any democratic society“, Rn. 73. 827  Rabe, Das Verständigungsurteil des Bundesverfassungsgerichts, S. 111; siehe auch LR-StPO/Esser, Art. 6 EMRK, Rn. 377; LR-StPO/Wickern, § 169 GVG, Rn. 2; Tubis, NJW 2010, 415. 828  BVerfGE 111, 307, 317. 829  Rabe, Das Verständigungsurteil des Bundesverfassungsgerichts, S. 111 m. w. N. 830  Maunz/Dürig-Dürig/Klein, GG, Art. 18 GG, Rn. 55 ff. 823  BGHSt

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2. Kap.: Öffentlichkeit von Strafverfahren

Öffentlichkeit nicht zum Bestandteil lediglich eines Verfassungsprinzips reduzieren. Die Staatszielbestimmung der Demokratie und des Rechtsstaats generieren als verfassungsrechtliche Wurzeln auch Öffentlichkeit.831 Wenngleich sich bei der Ableitung des Öffentlichkeitsgrundsatzes aus der Verfassung ein Schwerpunkt dahingehend ausmachen lässt, dass Öffentlichkeit begriffsnotwendig vor allem für das Demokratieprinzip von Bedeutung ist, so ist die Öffentlichkeit dennoch condicio sine qua non für den Rechtsstaat, insbesondere für die Meinungsfreiheit und das Recht auf Information.832 Die Verfahrensöffentlichkeit (wie auch die Öffentlichkeit sämtlichen staatlichen Handelns) ist somit eine notwendige Komplementärerscheinung des freiheitlich demokratischen Systems und ein Gebot der demokratischen Staatsform. Die Justiz ist funktionsbezogen öffentlich.833

IV. Funktionen des Öffentlichkeitsprinzips und ihr Wandel Der für uns heute selbstverständliche Grundsatz der Öffentlichkeit als einer der Grundpfeiler der modernen Rechtspflege sorgt für eine transparente richterliche Entscheidungsfindung, schafft damit die Basis für die Akzeptanz der Rechtsprechung834 und verdeutlicht zugleich, dass die Judikative dem für alle Teile der Bevölkerung gleichermaßen geltendem Recht verpflichtet ist.835 Diese aus der Verfassung abzuleitende grundsätzliche Pflicht zur Öffentlichkeit einer Gerichtsverhandlung ist auch bei der Funktionsbestimmung836 des Öffentlichkeitsprinzips einzubeziehen. Dabei kommt dem Öffentlichkeitsprinzip ein über die dargestellten Zwecke und Ziele der Rechtsprechung weitergehender, eigener Bedeutungsgehalt zu,837 denn die Verfahrensöffentlichkeit kann nicht nur mit der Erforderlichkeit für das einzelne Verfahren und der Verwirklichung der Funktionstüchtigkeit der Judikative begründet werden. Zur Legitimation des Öffentlichkeitsgrundsatzes im gegenwärtigen Gerichtsverfahren und zur Funktionsbestimmung des selbigen werden nach wie vor durch die überwiegende Auffassung838 die historisch für die Etablierung dieses Verfahrensprinzips839 maßgeblichen klassischen Funktionen benannt: 831  Zuck,

DRiZ 1997, 23, 26. Rundfunkberichterstattung, S. 39. 833  Sorth, Rundfunkberichterstattung, S. 40. 834  Hassemer, Medien im Bundesverfassungsgericht, S. 13, 17. 835  Tag, Öffentlichkeit, S. 1; Enders, NJW 1996, 2712. 836  Gärditz, in: FS Paeffgen (2015), S. 439, 444 ff. 837  Bäumler, JR 1978, 317, 320; Rohde, Öffentlichkeit, S. 172 ff. 838  Ranft, Jura  1995, 573, 574; Endemann, in: FS  Zeidler (1987), S. 409, 417 f.; Stürner, in: FS  Baur (1981), S. 647, 659; Klein, Grundsätze der Öffentlichkeit, S. 16 ff. 839  Zur historischen Entwicklung ausführlich in Kap. 2, C. I. bis IV. 832  Sorth,



C. Verfassungrechtliche Vorgaben des § 169 Abs. 1 S. 1 GVG n. F.143

1. Kontrollfunktion und Wahrung der richterlichen Unabhängigkeit In normativer Hinsicht ist die Hauptfunktion des Öffentlichkeitsgrundsatzes die Kontrolle der Strafjustiz,840 die im Interesse und zum Schutz des Angeklagten vor der eingreifenden Staatsgewalt, zugleich aber auch im öffentlichen Interesse zwecks Sicherung der Gleichheit841 justizieller Entscheidungen liegt.842 Aus dem Rechtsstaats- und Demokratieprinzip843 resultiert, dass die Gesetzlichkeit eingreifender Staatstätigkeit einer wirksamen Kon­ trolle bedarf.844 Der Angeklagte muss die Macht haben, die Berücksichtigung seiner berechtigten Argumente zu erzwingen, wobei es sich um eine staatsfremde Kontrolle845 handeln muss. Die Gegenmacht der staatlichen Macht­ ausübung ist die Öffentlichkeit,846 weshalb die Öffentlichkeit grundsätzlich geeignet ist, die Wirksamkeit von Kontradiktorietät zu erzwingen. Sie erfüllt damit gleichzeitig innerhalb der Hauptverhandlung eine präventive Funktion und begründet auf Seiten des Gerichts den Zwang, so zu entscheiden, dass die Entscheidung in der Öffentlichkeit vertretbar ist.847 Dem wird nicht ­bereits genüge getan, wenn das Strafverfahren überhaupt öffentlich geführt wird, es muss vielmehr die Bedingung der Kontrollierbarkeit bestehen.848 Ein reiner Schauprozess kann durch die Öffentlichkeit aufgrund der unvollständigen Erkenntnisgrundlage die Tragfähigkeit des gesprochenen Urteils nicht nachvollzogen werden, obwohl der Grundsatz der Öffentlichkeit gewahrt wird. Der Öffentlichkeit kommt innerhalb des Hauptverfahrens keine aktive Rolle zu, weshalb zugleich die Kontradiktorietät gewährleistet werden Lesch, StraFo 2014, 353, 354. muss sich den geltenden Rechtsvorschriften unterwerfen und sich im Falle eines Normbruchs dafür verantworten, unabhängig davon, welcher sozialen Schicht er angehört, vgl. Gärditz, in: FS Paeffgen (2015), S. 439, 469; so auch Leyendecker, StV  2005, 179: „Im Gerichtssaal begegnet sich die Gesellschaft: Arbeitslose und Millionäre, Kriminelle aus guten und schlechten Elternhäusern, Täter und Opfer …“. 842  SK-StPO/Velten, GVG, Vor § 169, Rn. 17. 843  Dazu ausführlich Kap. 2, D. III. 844  Velten, Befugnisse der Ermittlungsbehörden, S. 118 ff., 160 ff. 845  Auch den Schöffen wird eine, der Öffentlichkeit analoge, Kontrollfunktion zugeschrieben. Ferner zwingt die Einbindung von Laienrichtern ebenfalls dazu, die Kommunikation in der Hauptverhandlung (und der Beratung) gegenüber Nichtjuristen anschlussfähig zu halten, vgl. dazu auch Gärditz, in: FS Paeffgen (2015), S. 439, 477 m. w. N. 846  Feuerbach, Oeffentlichkeit und Mündlichkeit, Bd. I, S. 159 ff. 847  SK-StPO/Velten, GVG, Vor  § 169, Rn. 9; zur disziplinierenden Wirkung der Kontrollmöglichkeit Voßkuhle/Sydow, JZ 2002, 673, 680. 848  A. A. Lesch, StraFo 2014, 353, 356. 840  A. A.

841  Jeder

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2. Kap.: Öffentlichkeit von Strafverfahren

muss. Als zusätzliche flankierende Bedingungen sind eine staatsfreie Presse und die Garantie einer freien Meinungsäußerung sowie die Existenz einer juristischen Fachpresse notwendig.849 Ausgehend von der historischen Entwicklung des Öffentlichkeitsgrundsatzes  – der Abschaffung des geheimen unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfindenden Verfahrens  – und der dadurch deutlich werdenden Kontrolle der Richter durch den quivis ex populo soll insbesondere eine politische oder sonstige Einflussnahme auf die gerichtliche Entscheidung verhindert werden.850 § 169 GVG enthält demnach ein Selektionsverbot was den Kreis der Zuschauer angeht.851 Zugleich dient die Kontrollfunktion aber auch der Sicherung der richterlichen Unabhängigkeit852 sowohl seitens staatlicher als auch seitens (massen-)medialer Einflussnahme. Speziell durch die Medienöffentlichkeit kann massiver Druck auf das Gericht ausgeübt853 und es damit in seiner Entscheidungsfindung negativ beeinflusst werden.854 Daher gilt die Kontrollfunktion als eine den Öffentlichkeitsgrundsatz tragende Säule,855 was auch durch die Rechtsprechung seit langem deutlich wird.856 Legitim ist an dieser Stelle dennoch die Frage, ob eine Kontrolle der Rechtsprechung durch die Öffentlichkeit überhaupt möglich ist, da die inhaltliche Überprüfbarkeit einer gerichtlichen Entscheidung durch den juristischen Laien nicht realistisch857 und auch nicht erstrebenswert ist.858 Berechtigterweise wird darauf hingewiesen, dass der Sachverstand der Allgemeinheit nicht zur Disposition gestellt werden könne, da eine Differenzierung zwischen den Individuen nach Bildung, Wissen und Auffassungsgabe mit dem Prinzip einer demokratischen Kontrolle ebenso wie bei den Wahlen der 849  SK-StPO/Velten,

GVG, Vor § 169, Rn. 9. DRiZ 1979, 82; Hamm, NJW  1995, 761; Kargl/Sinner, Jura  1998, 231, 232; Kortz, AfP  1997, 443, 447; Rheinstein, JuS  1974, 409, 412; Schneider, JuS 1963, 350; SK-StPO/Velten, GVG, § 169, Rn. 13. 851  SK-StPO/Velten, GVG, § 169, Rn. 13; Roxin, in: FS Peters (1974), S. 393, 396. 852  Burbulla, Fernsehöffentlichkeit, S. 28 m. w. N.; Hillermeier, DRiZ  1982, 281, 282; Franzki, DRiZ 1979, 82; Bäumler, JR 1978, 317, 320. 853  Sorth, Rundfunkberichterstattung, S. 52. 854  Britz, Fernsehaufnahmen im Gerichtssaal, S. 200; Dahs, AnwBl.  1959, 171, 180; Seibert, NJW 1959, 514; Ranft, Jura 1995, 573, 576. 855  BGHSt 27, 13; Kissel/Mayer, GVG, § 169, Rn. 3; Schmidt, JuS 1995, 110, 111; Kühne, StV 2013, 417, 418; Sorth, Rundfunkberichterstattung, S. 41. 856  RGSt 70, 109, 112; BGHSt 3, 387, 388; 27, 13. 857  Martens, Öffentlich als Rechtsbegriff, S. 74 f.; Franke, Bildberichterstattung über den Angeklagten, S. 54; Bockelmann, NJW 1960, 217; Gärditz, in: FS Paeffgen (2015), S. 439, 470. 858  Ranft, Jura 1995, 573, 574; Fögen, Der Kampf um Gerichtsöffentlichkeit, S. 25. 850  Franzki,



C. Verfassungrechtliche Vorgaben des § 169 Abs. 1 S. 1 GVG n. F.145

politischen Vertreter des Volkes nicht vereinbar ist.859 Daneben fehlt es sowohl dem Publikum als auch der übrigen Öffentlichkeit die für eine unmittelbare Kontrolle erforderlichen verfahrensrechtlichen Interventionsmöglichkeiten.860 Entscheidend kommt es jedoch darauf an, ob eine inhaltliche Kontrolle überhaupt erforderlich ist, oder ob die Kontrollfunktion vielmehr abstrakt als Ganzes betrachtet werden muss. Diese Möglichkeit der jederzeitigen Kontrollierbarkeit der Rechtsprechung, mithin die präventive Bedeutung öffentlicher Beobachtung verbunden mit möglicher öffentlicher Kritik861 stellt das entscheidende Kriterium dar, was auch vor dem Hintergrund der Gerichtsrealität und der überwiegend vor leeren oder kaum besuchten Zuschauerräumen862 stattfindenden Gerichtsverfahren deutlich wird.863 Die Kontrollfunktion des Öffentlichkeitsgrundsatzes zeigt sich in Form von öffentlich artikulierter oder überhaupt nicht geäußerter Kritik.864 Ziel dieser Kontrolle ist in erster Linie die Sicherung einer materiell richtigen Entscheidung durch die Kontrolle der freien richterlichen Beweiswürdigung865 sowie die Sicherstellung der Diskursivität des Verfahrens, was nur bei einer vollständigen Entscheidungsgrundlage866 möglich ist.867 Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hält in ständiger Rechtsprechung an der Funktion der „öffentlichen Kontrolle“ des Öffentlichkeitsgrundsatzes fest: „Die Öffentlichkeit des Verfahrens der Rechtsprechungsorgane gemäß Art. 6 Abs. 1 schützt die Rechtsunterworfenen vor einer der Kontrolle der Öffentlichkeit ent­ zogenen Geheimjustiz; sie bildet ferner eines der Mittel zur Wahrung des Vertrauens in die Gerichte. Durch die Transparenz die sie der Rechtspflege gibt, trägt sie dazu bei, das Ziel von Art. 6 Abs. 1 zu erreichen: das faire Verfahren, dessen Ga859  Bäumler,

JR 1978, 317, 320; siehe auch Rohde, Öffentlichkeit, S. 176. Fernsehaufnahmen im Gerichtssaal, S. 198; Wettstein, Öffentlichkeitsgrundsatz, S. 41; siehe auch Müller, AnwBl. 2016, 656, 659; Sorth, Rundfunkberichterstattung, S. 61 f. 861  SK-StPO/Velten, GVG, Vor § 169, Rn. 19. 862  Trotz der häufig nur spärlich oder überhaupt nicht besetzten Zuschauerbänke kann nicht auf ein mangelndes, generelles Interesse geschlossen werden, vgl. Feldmann, GA 2017, 20, 26. 863  Bosch, Jura 2016, 45, 47. 864  Burbulla, Fernsehöffentlichkeit, S. 29 f. m. w. N.; Vietmeyer, Fernsehöffentlichkeit, S. 239 f. 865  Die schriftlich abgefassten Urteilsgründe lassen eine echte Kontrolle der Beweiswürdigung wegen deren intuitiver Struktur nicht zu, weshalb die Kontrolle auch in der Revisionsintanz unvollständig bleibt. 866  Diese Funktion geht ins Leere, wenn die Prozessbeteiligten konsensual die Aufklärung verkürzen, wie es bei verfahrensbeendenden Absprachen der Fall ist, vgl. BVerfGE 103, 44 ff. 867  SK-StPO/Velten, GVG, Vor § 169, Rn. 19. 860  Britz,

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2. Kap.: Öffentlichkeit von Strafverfahren

rantie zu den Grundlagen der demokratischen Gesellschaft im Sinne der Konvention zählt.“868

Durch das Festhalten an der Kontrollfunktion geht es mithin weniger um eine tatsächliche Kontrolle869 mit herkömmlichen rechtlichen Sanktionen durch Einlegung eines Rechtsmittels, sondern hauptsächlich um eine Selbstkontrolle im Sinne einer psychologischen Mutmaßung, da das Agieren vor den fremden Augen der Öffentlichkeit die Scheu vor einem Regelbruch steigern soll.870 So stellte auch Feuerbach fest: „Wo der Amtsgenosse nur Seinesgleichen zu scheuen hat, ist jeder geneigt, dem anderen die Nachsicht zu gewähren, welcher er vielleicht irgendeinmal auch von sich selber in Anspruch zu nehmen hat.“871 Eine Verwaltung der Gerechtigkeit unter der „verbergenden Hülle, die das Versteck des Bösen ist“, stehe im Widerspruch mit dem Zweck ihres Daseins.872 Savigny sah die Zuhörer einer Verhandlung in der Zeugenfunktion, durch die das Gericht ermahnt werde, sich an die gesetzlich vorgegebenen Schranken zu halten.873 2. Informationsvermittlung Auch dem bestehenden Interesse an einer umfassenden Information der Allgemeinheit dient der Grundsatz der Öffentlichkeit.874 Dem Informationsinteresse kommt dabei im Verhältnis zur Kontrollfunktion eine dienende Aufgabe zu, da die Information über das Geschehen Voraussetzung für die Ausübung der Kontrolle ist.875 Eine gar nicht oder nur schlecht informierte Öffentlichkeit kann keine wirksame Kontrolle über richterliche Entscheidungen ausüben, weshalb die notwendige Transparenz gerichtlichen Agierens durch eine Berichterstattung in den Medien erreicht werden muss.876 Vor 868  EGMR, Sutter ./. Schweiz, Urt. v. 22.02.1984, Nr. 8209/78, Rn. 26; vgl. auch EGMR, Pretto u. a. ./. Italien, Urt. v. 08.12.1983, Nr. 7984/77, Rn. 21; EGMR, Martinie ./. Frankreich, Urt. v. 12.04.2006, Nr. 58675/00, Rn. 39. 869  So konstatierte bereits Mittermaier im Jahr 1845: „Niemand kann im Ernste glauben, dass eine durch Zufall gebildete, vielleicht aus wenig urteilsfähigen Menschen bestehende, oft kleine Anzahl von Zuhörern eine Controlle über die Rechtspflege wirksam ausüben kann.“, vgl. Mittermaier, Die Mündlichkeit, das Anklageprinzip, die Öffentlichkeit und das Geschworenengericht, S. 338. 870  Norouzi, StV 2016, 590, 591; Sorth, Rundfunkberichterstattung, S. 62. 871  Feuerbach, Oeffentlichkeit und Mündlichkeit, Bd. I, S. 113. 872  Sorth, Rundfunkberichterstattung, S. 65 m. w. N. 873  Savigny, Die Prinzipienfragen, S. 27 ff. 874  BVerfGE 35, 202, 231 f.; Hillermeier, DRiZ 1982, 281, 282; Kissel, NJW 1979, 1953, 1958; Ulbrich/Frey, ZUM 2017, 31, 34. 875  BVerfGE 103, 44, 63 f.; siehe auch Feldmann, GA 2017, 20, 24. 876  A. A. SK-StPO/Velten, GVG, Vor § 169, Rn. 18, die der Informationsfunktion lediglich eine Nebenfunktion zuspricht, da die Informationsfunktion in der Ausgestal-



C. Verfassungrechtliche Vorgaben des § 169 Abs. 1 S. 1 GVG n. F.147

dem Hintergrund der Informationsvermittlung877 findet eine Verlagerung des Öffentlichkeitsprinzips vom individuellen Recht auf Teilnahme an der Verhandlung hin zum Zutrittsrecht der Medienvertreter zur Information der Allgemeinheit statt,878 um die allgemeine kritische Begleitung der Rechtsprechungstätigkeit als Teil  des gesellschaftlichen Lebens und Interessenausgleichs wie auch der gesellschaftlichen Entwicklung zu ermöglichen.879 Die Auffassung E.  Schmidts, dass sich nur der tatsächlich Interessierte im Gerichtssaal zum Zwecke der Verfolgung der Verhandlung einfinde und diejenigen, die sich nicht die Zeit nehmen, der Verhandlung beizuwohnen, nicht erwarten könnten, dass sie anderweitig über die Geschehnisse informiert werden,880 ist veraltet und nicht mehr vertretbar.881 Die passive, konsumkulturelle Einstellung der Bürger ist das Resultat einer sich mehr und mehr aufsplitternden Gesellschaft, die für den Einzelnen immer schwerer zu überschauen ist, weshalb der Bürger zwingend auf die Vermittlerfunktion der Massenmedien angewiesen ist.882 Dabei kommt der öffentlichen Hauptverhandlung in Strafsachen eine herausragende Bedeutung zu, da sie zum einen dem allgemeinen, latent vorhandenen Interesse der Allgemeinheit an Kriminalfällen883 und zum anderen wegen des gesetzlich vorgeschriebenen formalen Ablaufs einer Hauptverhandlung (§§ 243, 244 Abs. 1, 257 ff. StPO), der festgeschriebenen Rollenzuweisung und des Mündlichkeitsprinzips  – auch für am Verfahren nicht Beteiligte – entgegenkommt.884

tung, dass sie der Allgemeinheit die materiellen Strafnormen näherbringen soll, bereits durch die Öffentlichkeit nur der Urteilsverkündung auskommen würde. 877  Dazu Edersick, NJW 1960, 1048, 1049; Kübler, DRiZ 1969, 382. 878  Burbulla, Fernsehöffentlichkeit, S. 32. 879  Kissel/Mayer, GVG, § 169, Rn. 1; so auch Kleinknecht, in: FS Schmidt-Leichner (1977), S. 111, 113; Erdsiek, NJW  1960, 1048; Kübler, DRiZ  1969, 397, 382; Walther, JZ 1998, 1145, 1148; Weidemann, DRiZ 1970, 114. 880  Schmidt, JZ 1956, 206, 210. 881  So auch Kuß, Öffentlichkeitsmaxime, S. 61 f. 882  Britz, Fernsehaufnahmen im Gerichtssaal, S. 204 f.; Bäumler, JR  1978, 317, 320. 883  Friedrichsen/Gerhardt, ZRP 2015, 187, 189. 884  Britz, Fernsehaufnahmen im Gerichtssaal, S. 205 f.

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2. Kap.: Öffentlichkeit von Strafverfahren

3. Vertrauensbildung der Allgemeinheit in die Justiz Ferner dient der Grundsatz der Öffentlichkeit der Schaffung und Aufrechterhaltung885 des Vertrauens886 der Allgemeinheit in die Rechtsprechung.887 Rechtsakzeptanz,888 Rechtsvertrauen889 und Institutionenvertrauen890 sind im modernen Verfassungsstaat brüchig geworden und lassen sich nicht immer vorbehaltlos unterstellen. Daher gilt es umso mehr, die gestiegenen Rechtfertigungs- und Legitimationsansprüche auch mit den Mitteln der Kommunikation zu bedienen.891 Angesichts der zunehmenden Komplexität insbesondere von Wirtschaftsstrafverfahren ist die Ausübung einer wirklich effektiven Kontrolle von der großen Mehrzahl der Zuschauer faktisch nicht zu erwarten. Für diese Zuschauer stellt das Strafverfahren vielmehr eine ausgewählte und vorbereitete Darstellung der Herbeiführung einer Entscheidung dar.892 Durch eine öffentliche Verhandlung und damit einhergehend der Möglichkeit, an dieser teilzunehmen, wird die durch das Gericht getroffene Entscheidung legitimiert, und die justizielle Selbstrechtfertigung893 veranlasst die Allgemeinheit dazu, auf das Resultat der Gerichtsverhandlung zu vertrauen.894 Denn auch die bei der 885  Siehe auch bereits die Rechtsprechung des BGH in BGHSt  2, 56, 57, wo die Öffentlichkeitsmaxime mit der Funktion ausgestattet wurde, das Vertrauen der Allgemeinheit in die Rechtsprechung der Gerichte zu stärken. 886  Nicht positiv als Vertrauensbildung, sondern negativ als zur Vermeidung von Misstrauen formuliert bei Engels, AnwBl. 1983, 100, 103. 887  RGSt 70, 109, 112; BGHSt 3, 378, 387; Ranft, Jura 1995, 573, 574. 888  Rechtsakzeptanz ist die freiwillige Zustimmung zu bestehenden rechtlichen Vorgaben, vgl. Roellecke, JZ 1997, 577 ff. 889  Bei einem durchschnittlich gebildeten Bürger können fundierte Rechtskenntnisse selbstverständlich nicht vorausgesetzt werden, weshalb der Rechtsakzeptanz und dem Rechtsvertrauen eine enorme Bedeutung zukommt. 890  Die Grenze des Institutionenvertrauens, hier speziell im Bezug auf die Gerichtsbarkeit von Bund und Ländern, ist dann erreicht, wenn Regeln und Verfahren, die das Aktionsfeld der jeweiligen Institution strukturieren und kontrollieren, langfristig nicht mehr effizient sind. So sind zwar einzelne Entscheidungen etwa des BVerfG teilweile heftiger Kritik ausgesetzt (z. B. die Reaktion auf die „Soldaten-sind-Mörder“Entscheidung, BVerfGE 93, 266 ff. oder der „Kruzifix“-Beschluss, BVerfGE 93, 1 ff.), was zu einer punktuellen Legitimationsabnahme geführt hat, jedoch wurde das Vertrauen in das höchste deutsche Gericht weder mittel- noch langfristig geschädigt, siehe Gostomzyk, Öffentlichkeitsverantwortung, S. 157; Schultze-Fielitz, Öffentliche Meinung, S. 111 ff. 891  Gostomzyk, Öffentlichkeitsverantwortung, S. 150. 892  Riepl, Informationelle Selbstbestimmung, S. 49. 893  Hassemer, JuS 1989, 497, 498 m. w. N. 894  Burbulla, Fernsehöffentlichkeit, S. 32 f.



C. Verfassungrechtliche Vorgaben des § 169 Abs. 1 S. 1 GVG n. F.149

Rechtsanwendung grundsätzlich eigenständige Justiz ist auf das Vertrauen der Allgemeinheit895 und die Akzeptanz ihrer Entscheidungen durch diese angewiesen.896 4. Generalprävention Als weitere Funktion des Öffentlichkeitsgrundsatzes wird die Präventivwirkung genannt,897 die Bedeutung jedoch nur für den Strafprozess aufweist. Das Öffentlichkeitsprinzip im Sinne von § 169 Abs. 1 S. 1  GVG  n. F. gilt aber nicht ausschließlich für den Strafprozess, weshalb eine präventive Wirkung allenfalls eine Begleiterscheinung des Öffentlichkeitsgrundsatzes darstellen kann. Auch können in der Aufrechterhaltung eines Gefühls der allgemeinen Sicherheit und die Rehabilitierung898 des unschuldig Angeklagten nur als eine Nebenerscheinung gesehen werden, da sich dies ebenfalls ausschließlich auf den Bereich des Strafverfahrens erstreckt.899 Dennoch sollen derartige „Begleiterscheinungen“ an dieser Stelle nicht unberücksichtigt bleiben, denn wie Hassemer es formulierte, „muss sich eine präventionsorientierte Justiz öffnen und sich nach außen hin verständlich machen“. Generalprävention gelingt oder scheitert somit auch mit den Überzeugungen der Allgemeinheit bzgl. der Rechtlichkeit und Effizienz der Strafjustiz.900 Dass gerichtliche Verfahren nicht hinter verschlossenen Türen stattzufinden haben ist eine der relevantesten Errungenschaften unserer derzeitigen Rechtsordnung, der nicht nur eine rechtsethische Vorstellung personaler Gerechtigkeit901 zu Grunde liegt, sondern auch eine präventive Wirkung902 auf die informierte Öffentlichkeit haben kann.903 Betrachtet man den Aspekt der präventiven Wirkung von Strafverfahren, knüpft sich daran die Frage an, was der Zweck der Strafe ist,904 woher der Staat also das Recht nimmt, seine Bürger 895  Kritisch 896  Kaiser,

Friedrichsen, Strafjustiz und Medien, S. 75, 80. in: FS  Rehberg (1996), S. 184 ff.; Wettstein, Öffentlichkeitsgrundsatz,

S. 57 ff., 100. 897  Hassemer, ZRP 2013, 149, 150; Hillermeier, DRiZ 1982, 281, 282 f. 898  Umfassend dazu Krack, Die Rehabilitierung des Beschuldigten im Strafverfahren, S. 21 ff. 899  Burbulla, Fernsehöffentlichkeit, S. 34 m. w. N. 900  Hassemer, ZRP 2013, 149, 150. 901  Hassemer, Warum Strafe sein muss, S. 20 ff. 902  Byrd/Hruschka, JZ 2007, 957, 959; Wettstein, Öffentlichkeitsgrundsatz, S. 52. 903  Ignor, Geschichte des Strafprozesses, S. 242  f.; Luef-Kölbl, Der Beschuldigte, S. 44. 904  Hörnle, Straftheorien, passim.

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2. Kap.: Öffentlichkeit von Strafverfahren

für ihr normwidriges und sozialschädliches Verhalten zu sanktionieren,905 denn Strafe darf nur als ultima ratio906 angewendet werden. Die Beantwortung der Frage nach dem Strafzweck wird seit einigen Jahrhunderten „im Grundsatz wie im Detail unterschiedlich“907 gehandhabt. Differenziert werden muss zwischen absoluten und relativen Straftheorien, wovon hier jedoch lediglich die relativen Straftheorien berücksichtigt werden, da sie den Sinn des Sanktionierens auf den präventiven Zweck der Verhütung künftiger Straftaten legen. Innerhalb dieser wird wiederum zwischen Spezial- und Generalprävention unterschieden, wobei die Spezialprävention908 sich an den Täter wendet909 und die Generalprävention910 die Allgemeinheit – mithin die Öffentlichkeit – als Adressaten versteht,911 was die Generalprävention, zumindest für die vorliegende Untersuchung, zu dem bedeutendsten Strafzweck macht. Durch die öffentliche Gerichtsverhandlung wird der Öffentlichkeit aufgezeigt, was mit einem Individuum geschieht, das durch sein Verhalten einen Straftatbestand erfüllt hat. Dadurch geht zum einen die Sanktion gegenüber dem Täter eine Abschreckungsfunktion912 für die Öffentlichkeit einher (negative Generalprävention). Zum anderen bringt die Sanktionierung des Täters aber auch eine Erhaltung und Stärkung des Vertrauens der Allgemeinheit in die Bestands- und Durchsetzungskraft der Rechtsordnung mit sich (positive Generalprävention).913 Die negative Generalprävention, die unter anderem zurückgeht auf Anselm von Feuerbach,914 dessen Ziel es war, das Kriminalitätsaufkommen einzudämmen915 in dem man den Menschen „an die vergeistigte Kette lege“,916 passt jedoch nicht mehr so recht in unsere heutige Zeit. Sie kann die Menschenwürde tangieren, indem das sanktionierte Individuum 905  Vgl.

dazu BVerfGE 96, 245, 249; BGH, NJW 2000, 1427. Strafrecht AT, § 2, Rn. 8; Schünemann, NStZ  1986, 439; kritisch Kreuzer, in: GS Heine (2016), S. 237, 246. 907  Kindhäuser, Strafrecht AT, § 2, Rn. 8 m. w. N. 908  Hörnle, Straftheorien, S. 22 ff. 909  Muss sich der Täter in einer öffentlichen Verhandlung verantworten, so kann dies seinem Entschluss dienen, in Zukunft keine Straftaten mehr zu begehen, vgl. Hillermeier, DRiZ 1982, 281, 283. 910  Jescheck, ZStW 71 (1959), 1, 6; Hassemer, Strafen im Rechtsstaat, S. 199 ff.; Hörnle, Straftheorien, S. 26 ff.; Wettstein, Öffentlichkeitsgrundsatz, S. 50, 92. 911  Dölling/Duttge/Rössner/ders, Vor § 1, Rn. 31; Schönke/Schröder/Stree/Kinzig, Vor §§ 38, Rn. 2 f. 912  Hoerster, GA 1970, 272 f. 913  Laue, Öffentlichkeit, S. 135, 137, 145 f.; vgl. auch Trüg, NJW 2011, 1040. 914  Auch Beccaria schrieb in seinem 1764 erschienen Werk bereits vom Strafzweck der Abschreckung und machte dies zum Gegenstand rechtspolitischer Diskussionen, Hohmann, Jura 1991, 121, 122. 915  Ignor, Geschichte des Strafprozesses, S. 228 f. m. w. N. 916  Laue, Öffentlichkeit, S. 135, 145. 906  Kindhäuser,



C. Verfassungrechtliche Vorgaben des § 169 Abs. 1 S. 1 GVG n. F.151

nicht zur Beförderung des allgemeinen Wohls diene, sondern den Einzelnen zu einem „Funktionselement innerhalb des Systems degradiere“, wodurch eine Wirkung entfaltet würde, als „erhebe man einen Stock gegen einen Hund“.917 Die positive Generalprävention setzt nicht auf Angst und Schrecken vor der Bestrafung durch den Staat bei den „verbrechensgeneigten Bürgern“, sondern auf ein Vertrauen der gesamten Bevölkerung in die „Unverzichtbarkeit der strafrechtlichen Normen und die Ernsthaftigkeit ihres Schutzes gegen Verletzungen“.918 Doch kann man die juristische Laienbevölkerung schwer von deren Auffassung abbringen, dass das staatliche Strafsystem nicht ausschließlich der Erhöhung ihrer Sicherheit, dem Gemeinwohl,919 diene, sondern dass es zur „kontrafaktischen Stabilisierung ihres Normvertrauens erfolgen soll“.920 Zusammenfassen kann man an dieser Stelle, dass der Öffentlichkeitsgrundsatz der Gerichtsverhandlung und seine generalpräventive Wirkung als Strafzweck unweigerlich zusammengehören. 5. Funktionswandel des Öffentlichkeitsgrundsatzes? Bei der Ermittlung der klassischen Funktionen des Öffentlichkeitsgrundsatzes tritt der rechtspolitische Gehalt dieser Prozessmaxime am deutlichsten hervor. Es geht hauptsächlich darum zu bestimmen, welche Aufgaben die Verfahrensöffentlichkeit erfüllen soll und weit weniger darum, ob diese Aufgaben auch tatsächlich realisiert und erfüllt werden können. So kommt der Verfahrensöffentlichkeit ein enormer symbolischer Wert zu, den es nicht zu unterschätzen gilt.921 Die Gewährleistung von Öffentlichkeit ist für sich genommen noch kein Zeugnis eines rechtsstaatlichen und demokratischen Gemeinwesens.922 Jedoch kann umgekehrt der demokratische Rechtsstaat des Grundgesetzes nach seinem Selbstverständnis auch nicht auf die Öffentlich917  Hassemer, Variationen der positiven Generalprävention, S. 29, 34 m. w. N.; siehe auch Kahlo, Die Weisheit der absoluten Theorien, S. 383. 918  Hassemer, Variationen der positiven Generalprävention, 29, 36, f., 40; vgl. auch Wolff, ZStW  97 (1985), 786, 800  ff, Vormbaum, Einführung in die moderne Strafrechtsgeschichte, S. 100. 919  Ignor, Geschichte des Strafprozesses in Deutschland, S. 202 f. 920  Neumann, Generalprävention, S. 147 m. w. N. 921  Britz, Fernsehaufnahmen im Gerichtssaal, S. 188. 922  Die vielfach zitierte Passage aus einem Urteil des Reichsgerichts (RGSt  70, 109, 112), wonach der Öffentlichkeitsgrundsatz vermeiden solle, dass „die gesamte Tätigkeit des Gerichts hinter verschlossenen Türen in ein Dunkel gehüllt und dadurch Mißdeutungen und Argwohn ausgesetzt“ ist, stammt aus dem Jahr  1936 und mithin aus einer Zeit, zu der sich der Staat der RStPO bereits selbst „in ein Dunkel gehüllt“ hatte.

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2. Kap.: Öffentlichkeit von Strafverfahren

keit der Hauptverhandlung verzichten.923 Das hoheitliche Handeln des Staates soll sich nicht nur, aber vor allem im Strafverfahren in transparenter Weise vollziehen, weil dort über existentielle Grundrechtseingriffe entschieden wird.924 Ob diese historisch begründeten Funktionen des Öffentlichkeitsgrundsatzes in den vergangenen Jahren einem Wandel unterlagen und diese somit an Bedeutung verloren haben,925 gilt es nun zu bewerten. Nach Ansicht mancher habe eine Funktionsverlagerung in der Art stattgefunden, als sich die Öffentlichkeit von einer repräsentativen hin zu einer kollektiven verändert habe und „nicht mehr der einzelne interessierte Zuhörer im Gerichtssaal als sektoraler Repräsentant einer abstrakten Öffentlichkeit der Inbegriff sei, sondern im Regelfall weit mehr der Berichterstatter, der für und durch die Medien die Allgemeinheit informiere“.926 Im Vordergrund stehe demnach nicht mehr die Saal- sondern hauptsächlich die Massenmedienöffentlichkeit.927 Ein moderner Ansatz versteht die Verfahrensöffentlichkeit zudem im Lichte eines hauptsächlich auf Prävention928 gepolten Strafrechts. Prävention setzt Aufklärung voraus und aufgeklärt werden kann nur durch Informationsvermittlung. Nur ein Strafverfahren, das sich für das Publikum öffnet, das sich durch professionelle Erklärer und Informationsvermittler deuten und auch für juristische Laien verstehen lässt, kann am Präventionszweck und  – ziel des Rechts teilhaben.929 Dadurch entsteht eine neue, zusätzliche Funktion des Öffentlichkeitsgrundsatzes.930 Die klassischen Funktionen des Öffentlichkeitsgrundsatzes bleiben somit summa summarum erhalten und haben auch nicht wesentlich an Bedeutung verloren, vielmehr werden diese Funktionen erst durch die Beteiligung der gesamten Öffentlichkeit mittels Vermittlung der Informationen durch die Massenmedien verwirklicht. Diese Erkenntnis, dass sich die Verfahrens­ 923  BVerfGE

103, 44, 63; 119, 309, 319 f. StV 2016, 590, 591. 925  Dazu Kissel/Mayer, GVG, § 169, Rn. 1; Kleinknecht, in: FS Schmidt-Leichner (1977), S. 111 ff. 926  Kuß, Öffentlichkeitsmaxime, S. 61 m. w. N.; im Ergebnis auch Ulbrich/Frey, ZUM 2017, 31, 34. 927  Scherer, Gerichtsöffentlichkeit, S. 2 ff.; Hassemer, Medien im Bundesverfassungsgericht, S. 13, 18; Ulbrich/Frey, ZUM 2017, 31, 34 f. 928  Hassemer, StV 2005, 167; ders., ZRP 2013, 149. 929  Norouzi, StV 2016, 590, 591. 930  „Konnte eine vergeltungsorientierte Justiz ihre Arbeit ungestört von dritter Intervention und Kommunikation verrichten, so muss eine präventionsorientierte Justiz sich öffnen und sich nach außen hin verständlich machen.“, vgl. Hassemer, ZRP 2013, 149. 924  Norouzi,



C. Verfassungrechtliche Vorgaben des § 169 Abs. 1 S. 1 GVG n. F.153

öffentlichkeit weit über die Saalöffentlichkeit hinaus an die gesamte (Medien-)Öffentlichkeit richtet, ist wiederum ein Anknüpfungspunkt an die Ableitung des Öffentlichkeitsprinzips aus dem Rechtsstaats- und Demokratieprinzip und somit aus der Verfassung selbst.931

931  So auch Kuß, Öffentlichkeitsmaxime, S. 63; Feldmann, GA  2017, 20, 24 m. w. N.

3. Kapitel

Grenzen des Öffentlichkeitsgrundsatzes A. Beschränkungen des Öffentlichkeitsgrundsatzes Neben den bereits beschriebenen faktischen Beschränkungen des Öffentlichkeitsgrundsatzes aufgrund des bestehenden Platzkontingents in den Gerichtssälen, das zu einer quantitativen Begrenzung des Saalpublikums führt, wird der Grundsatz der Öffentlichkeit gerichtlicher Verfahren auch durch verschiedene einfachgesetzliche Regelungen begrenzt. Im Folgenden wird zwischen den gesetzlich normierten Einschränkungen durch das Gerichtverfassungsgesetz und der Einschränkung des Öffentlichkeitsgrundsatzes durch § 257c StPO unterschieden. Neben den gesetzlichen Einschränkungen ist eine Erosion des Prinzips der Öffentlichkeit in der Bedeutungszunahme des Vorverfahrens zu sehen. Je mehr die Beweisaufnahme in das Ermittlungsverfahren verlagert wird, desto größer wird die Bedeutung der Kontrolle durch die am Verfahren Beteiligten statt der Kontrolle unter Mithilfe der Öffentlichkeit.1 Auch durch das strafersetzende Verfahren des Täter-Opfer-Ausgleichs2 kommt es zu einer teilweisen Verlagerung des Erkenntnisprozesses in ein nichtöffentliches Verfahren mit der Möglichkeit eines Strafverzichts. Dies gilt ebenfalls für die Ausweitung des Anwendungsbereichs des Strafbefehlsverfahrens3 auf die Möglichkeit der Verhängung einer Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr unter Aussetzung dieser zur Bewährung, von diesem in der Praxis regelmäßig Gebrauch gemacht wird. Daneben spielt die Aufwertung der Schriftlichkeit durch die Einführung des Selbstleseverfahrens nach den §§ 249 Abs. 2, 257a StPO eine Rolle.4 Aufgrund dieser einfachgesetzlichen Beschränkungen sowie denjenigen in den §§ 48, 109 Abs. 1 S. 4 JGG und Art. 38 Abs. 2 des NATO-Truppenstatut1  SK-StPO/Velten,

GVG, Vor § 169, Rn. 5. StGB wurde durch das Verbrechensbekämpfungsgesetz vom 28.10.1994, BGBl. I 1994, S. 3186 eingeführt. Siehe dazu auch Herrmann, ZIS 2010, 236, 243 f.; Stöckel, in: FS  v.  Heintschel-Heinegg (2015), S. 411, 414; Kreuzer, in: GS  Heine (2016), S. 237, 240 f. 3  Das Strafbefehlsverfahren, §§ 407 ff. StPO, wurde eingeführt durch das Gesetz zur Vereinfachung der Strafrechtspflege vom 21.10.1917, RGBl. I 1917, S. 1037. 4  SK-StPO/Velten, GVG, Vor § 169, Rn. 5, 28. 2  § 46a



A. Beschränkungen des Öffentlichkeitsgrundsatzes155

Zusatzabkommens (ZA-NTS), auf die jedoch nicht weiter eingegangen wird, ist ein Rückgriff auf das Verfassungsrecht zur Einschränkung des Öffentlichkeitsprinzips nicht notwendig. Eine Ausnahme dazu ergibt sich lediglich aus Art. 13  GG5 und dem darin niedergeschriebenen Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung im Wege einer gerichtlichen Augenscheinseinnahme. Auch in der rechtspolitischen Diskussion ist teilweise eine Erosion6 des Öffentlichkeitsgrundsatzes auszumachen, da zunehmend über ein Zuviel an Öffentlichkeit geklagt wird. Persönlichere und mithin informellere Vorgehensweisen ohne Einblick der Öffentlichkeit sollen eine Prangerwirkung durch ein in der Öffentlichkeit geführtes Verfahren sowie ein Hineindrängen in eine vor dem Hintergrund der Resozialisierung des Täters ungünstige Konfrontation7 vermeiden.8

I. Gesetzlich normierte Einschränkungen durch das Gerichtsverfassungsgesetz Dass der Grundsatz der Öffentlichkeit nicht ausnahmslos gelten kann, erklärt sich von selbst. In den §§ 171a-174 GVG werden die (nicht enumerativ aufgezählten) Ausnahmen des Öffentlichkeitsgrundsatzes normiert und es wird differenziert zwischen dem partiellen und dem gesamten Ausschluss der Öffentlichkeit. Aufgrund dieser detaillierten und differenzierten Regelungen, die gerade auch auf einer Abwägung zwischen den Belangen der Rechts- und Wahrheitsfindung sowie der Wahrung der Persönlichkeitsrechte basiert, kommt dem Tatbestand des Art. 6 Abs. 2 EMRK als Allgemeinformulierung keine weitergehende Bedeutung zu.9 Es ist anerkannt, dass mit der EMRK übereinstimmendes nationales Recht durch diese nicht abgelöst, sondern lediglich gefestigt wird.10 1. Ausschluss der Öffentlichkeit nach § 171a GVG Nach § 171a GVG ist die Intimsphäre des Angeklagten immer dann schutzwürdig und rechtfertigt einen Ausschluss der Öffentlichkeit, wenn das Verfahren die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt (allein oder neben der Strafe) 5  Dazu

bereits oben unter Kap. 2, A. V. in: GS Kaufmann (1986), S. 891, 892. 7  Kritisch dazu Engels/Frister, ZRP 1981, 111 ff. 8  SK-StPO/Velten, GVG, Vor § 169, Rn. 6. 9  Kissel/Mayer, GVG, § 169, Rn. 82 ff. 10  Meyer-Goßner/Schmitt-Schmitt, GVG, EMRK, Vor Art. 1, Rn. 4. 6  Jung,

156

3. Kap.: Grenzen des Öffentlichkeitsgrundsatzes

zum Gegenstand hat, was sowohl im Strafverfahren als auch im Sicherungsverfahren gemäß den §§ 413 ff. StPO möglich ist. Auch für einen Teil  der Hauptverhandlung, etwa für die Dauer von Erörterungen oder Beweiserhebungen über die Unterbringungsfrage, kann die Öffentlichkeit ausgeschlossen werden, wobei Anordnung und Umfang des Ausschlusses nach § 171a GVG im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts stehen.11 Ein Verstoß gegen § 171a GVG durch Ablehnung eines beantragten Ausschlusses der Öffentlichkeit kann jedoch höchstens als ein relativer Revisionsgrund gewertet12 und nur über eine Aufklärungsrüge geltend gemacht werden.13 2. Ausschluss der Öffentlichkeit nach § 171b GVG Gemäß § 171b GVG ist die Öffentlichkeit von der Verhandlung auszuschließen, wenn Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung (§§ 174 bis 184g StGB), gegen das Leben (§§ 211, 212 StGB), wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen (§ 225 StGB) oder wegen Straftaten gegen die persönliche Freiheit (§§ 232 bis 233a StGB) Gegenstand der Anklage sind und ein Zeuge unter 18 Jahren aussagen soll. § 171b GVG wurde – wie die Intention dieses Ausschlussgrundes14 belegt  – durch das Opferschutzgesetz von 1986 in das Gerichtsverfassungsgesetz eingeführt.15 Für einen Ausschluss nach § 171b Abs. 1 S. 1 GVG ist die Thematisierung von Umständen aus dem persönlichen Lebensbereich eines Prozessbeteiligten, Zeugen oder durch eine rechtswidrige Tat (§ 11 Abs. 1 Nr. 5 StGB) Verletzten erforderlich, durch deren öffentliche Erörterung schutzwürdige Interessen verletzt würden. Der Begriff „persönlicher Lebensbereich“ entspricht dabei demjenigen des § 68a Abs. 1 StPO. Darunter fallen Informationen, nach denen üblicherweise im Sozialleben nicht gefragt zu werden pflegt und die auch nicht spontan oder unbefangen mitgeteilt werden.16 Dies sind insbesondere Tatsachen des Innenlebens einer Persönlichkeit, die religiöse Überzeugung und Weltanschauung, Tatsachen aus dem persönlichen Leben, wozu auch das Familienleben17 zählt, der geistige und körperliche Gesundheitszustand und das Sexualleben.18 „Zeuge“ 11  KK-StPO/Diemer, GVG, § 171a, Rn. 1 m. w. N.; Kissel/Mayer, GVG, § 171a, Rn. 3. 12  BGH, NStZ 1998, 586 m. w. N.; SK-StPO/Velten, GVG, § 171a, Rn. 2. 13  KK-StPO/Diemer, GVG, § 171a, Rn. 3. 14  BT-Drs. 10/5305, S. 22 f. 15  Kissel/Mayer, GVG, § 171b, Rn. 2; siehe zum Schutze des Beschuldigten bereits Meyer-Goßner, ZRP  1982, 237; kritisch zu dieser Norm Arnoldi, NStZ  2016, 181. 16  Rieß/Hilger, NStZ 1987, 145; BeckOK StPO/Allgayer, § 171b GVG, Rn. 1. 17  BGHSt 30, 212. 18  KK-StPO/Diemer, GVG, § 171b, Rn. 3; Kissel/Mayer, GVG, § 171b, Rn. 3.



A. Beschränkungen des Öffentlichkeitsgrundsatzes157

ist jede Person, die im Verfahren als Zeuge in Betracht kommen könnte oder in Betracht gekommen wäre,19 wobei es nicht darauf ankommt, ob diese Person im Ermittlungs- oder Hauptverfahren vernommen oder förmlich geladen wurde.20 Ob durch eine öffentliche Erörterung schutzwürdige Interessen des Betroffenen verletzt werden, ist nach objektiven Maßstäben und nicht nach den Wertvorstellungen des Betroffenen zu beurteilen.21 Die Tendenz hin zu einer restriktiven Handhabung des Öffentlichkeitsgrundsatzes hat sich jüngst in der Änderung des § 171b Abs. 3 S. 2 GVG niedergeschlagen, wonach nunmehr unter den dort genannten Voraussetzungen die Öffentlichkeit (zwingend) auch während der Schlussanträge auszuschließen ist, ohne dass es eines hierauf gerichteten Antrags bedarf.22 3. Ausschluss der Öffentlichkeit nach § 172 GVG Liegt hingegen eine Gefährdung der Staatssicherheit, der öffentlichen Ordnung oder der Sittlichkeit, eine Gefährdung von Leib, Leben oder Freiheit eines Zeugen oder einer anderen Person vor oder ist ein wichtiges Geschäfts-, Betriebs- Erfindungs- oder Steuergeheimnis Gegenstand der Verhandlung, durch dessen öffentliche Erörterung dem Grundsatz der Öffentlichkeit überwiegende schutzwürdige Interessen verletzt würden, oder wird ein privates Geheimnis thematisiert, dessen unbefugte Offenbarung durch den Zeugen oder Sachverständigen pönalisiert ist, kann ein Ausschluss von Prozesszuschauern nach § 172 GVG vorzunehmen sein. Auch bei einer Zeugenvernehmung eines noch nicht Volljährigen ist eine Beschränkung des Öffentlichkeitsgrundsatzes über § 172 GVG möglich. Die Öffentlichkeit der Verhandlung kann nach dem pflichtmäßigen Ermessen des Gerichts von Amts wegen ausgeschlossen werden.23 Das Ermessen kann sich jedoch im Hinblick auf § 244 Abs. 2 StPO auf Null reduzieren, wenn ein Zeuge aus den Gründen des § 172 Abs. 1 Nr. 1a GVG nur bei einem Ausschluss der Öffentlichkeit zur Aussage24 bereit ist.25 Dabei kann die Öffentlichkeit sowohl für die Dauer der gesamten Verhandlung als auch nur für bestimmte Teile ausgeschlossen werden. Ist die Öffentlichkeit für die ganze Dauer der Verhandlung oder „bis auf weiteres“ ausgeschlossen, so bedarf es für ihre Wiederherstellung eines Sieg, NJW 1980, 379. NJW 1980, 2687; BeckOK StPO/Allgayer, § 171b GVG, Rn. 1 f. 21  BeckOK StPO/Allgayer, § 171b GVG, Rn. 3; Kissel/Mayer, GVG, § 171b, Rn. 5. 22  Siehe dazu Walther, NStZ 2015, 383, 386. 23  BGH, GA 1978, 13; BGH, DRiZ  1981, 193; Kissel/Mayer, GVG, § 172, Rn. 1 f. 24  BGH, NStZ 1993, 350. 25  KK-StPO/Diemer, GVG, § 172, Rn. 1. 19  A. A.

20  Mertens

158

3. Kap.: Grenzen des Öffentlichkeitsgrundsatzes

ausdrücklichen Gerichtsbeschlusses,26 zur Urteilsverkündung wird die Öffentlichkeit allerdings ohne ausdrückliche Anordnung wieder hergestellt, § 173  GVG.27 Das von einem Ausschließungsbeschluss nicht gedeckte Verhandeln unter Beibehaltung des Ausschlusses der Öffentlichkeit bildet, ebenso wie absichtliches oder versehentliches nichtöffentliches Weiterverhandeln nach dem Ende des Verhandlungsabschnittes, für den die Öffentlichkeit ausgeschlossen wurde, einen absoluten Revisionsgrund nach § 338 Nr. 6 StPO.28 Die Wiederherstellung der Öffentlichkeit ist nach § 272 Nr. 5 StPO29 im Protokoll zu vermerken.30 4. Verhandlungen über den Ausschluss der Öffentlichkeit; Schweigepflicht, § 174 GVG Über den Ausschluss der Öffentlichkeit entscheidet das Gericht durch Beschluss, § 174 Abs. 1 S. 2 GVG, wobei die Verhandlung über den Ausschluss der Öffentlichkeit grundsätzlich öffentlich ist,31 es sei denn, ein Beteiligter beantragt die Ausschließung der Öffentlichkeit in nicht öffentlicher Sitzung zu verhandeln, wofür es eines gesonderten Gerichtsbeschlusses bedarf, der zu begründen und in öffentlicher Sitzung zu verkünden ist.32 In diesen Fällen ist die nicht öffentliche Verhandlung nach dem Wortlaut des § 174 Abs. 1 S. 1 GVG zwingend und es bedarf bei antragsgemäßem, nicht öffentlichem Verhandeln daher keiner weiteren Begründung.33 Die Beteiligten müssen vor dem Ausschluss der Öffentlichkeit die Gelegenheit zur Äußerung haben, vgl. § 33 StPO. Der Beschluss hinsichtlich des Ausschlusses der Öffentlichkeit ist öffentlich zu verkünden, auch wenn nichtöffentlich über den Ausschluss verhandelt wurde.34 Verstöße gegen die Verfahrensvorschriften des § 174 Abs. 1 GVG führen regelmäßig zum absoluten Revisionsgrund im Sinne des § 338 Abs. 6 StPO.35 Wird hingegen die Öffentlichkeit ausgeschlossen, ohne dass über den Ausschluss verhandelt 26  BGH,

NStZ 1992, 431. GVG, § 172, Rn. 2; Graf/Walther, StPO, § 174 GVG,

27  KK-StPO/Diemer,

Rn. 12. 28  Siehe nur BGHSt 7, 218; Graf/Walther, StPO, § 174 GVG, Rn. 14. 29  BeckOK StPO/Peglau, § 272, Rn. 8. 30  Dazu BGHSt 4, 279; BGH, StV 1994, 471. 31  BeckOK StPO/Walther, GVG, § 174, Rn. 2; Graf/Walther, StPO, § 174 GVG, Rn. 2. 32  Graf/Walther, StPO, § 174 GVG, Rn. 2. 33  BGH, NStZ 1986, 179; Gössel, NStZ 1982, 141, 143. 34  RGSt 70, 109, 111 f.; BGH, MDR 1971, 926; NJW 1980, 2088 m. w. N. 35  BeckOK StPO/Allgayer, § 174 GVG, Rn. 17.



A. Beschränkungen des Öffentlichkeitsgrundsatzes159

wurde, so ist nach herrschender Meinung nur ein relativer Revisionsgrund36 unter dem Gesichtspunkt der Versagung des rechtlichen Gehörs gegeben.37 Das Verbot der Berichterstattung nach § 174 Abs. 2 GVG greift anders als nach § 174 Abs. 3 GVG ohne eine gesonderte Anordnung ein, sobald die Öffentlichkeit gemäß § 172 Abs. 1 Alt.  1 GVG ausgeschlossen wird;38 Verstöße dagegen sind strafbar gemäß § 353d Nr. 1 StGB, wobei die Einzelheiten sehr umstritten39 sind. 5. Ausschluss einzelner Personen, § 175 Abs. 1 GVG Die Versagung des Zutritts gem. § 175 Abs. 1 GVG ist eine Maßnahme der Sitzungspolizei, weshalb allein der Vorsitzende für diese Entscheidung zuständig ist, vgl. § 176  GVG. Die Vorschrift ist zwar neben den §§ 176 ff. GVG anwendbar, bezieht sich jedoch ausschließlich auf die Zuhörer der Verhandlung. „Unerwachsen“ im Sinne der Vorschrift sind unter 18 Jahre alte Personen, die noch nicht die für die Teilnahme an einer Gerichtsverhandlung erforderliche Reife besitzen,40 wobei eine individuelle Prüfung nicht erforderlich ist.41 Nicht in einer der „Würde des Gerichts“ in entsprechenden Weise erscheinen Personen42 etwa dann, wenn sie durch ihr äußeres Erscheinungsbild43 bewusst provozieren,44 betrunken oder verwahrlost sind.45 6. Zutritt zu nicht öffentlichen Verhandlungen, § 175 Abs. 2 GVG § 175  Abs. 2  GVG normiert entgegen dem bisher Gesagten für einzelne Personen unter strengen Voraussetzungen ein Zugangsrecht auch bei nichtöf36  Der Fehler kann nur von demjenigen Verfahrensbeteiligten gerügt werden, der von diesem Fehler selbst betroffen ist, siehe BGHSt 10, 119. 37  BGH, GA 1963, 102; BGH, MDR 1975, 199; BGH, NJW  1979, 276; KKStPO/Diemer, GVG, § 174, Rn. 1; BeckOK StPO/Wiedner, § 338 StPO, Rn. 131, 133. 38  BeckOK StPO/Allgayer, § 174 GVG, Rn. 15; Graf/Walther, StPO, § 174 GVG, Rn. 15. 39  Siehe nur Fischer, StGB, § 353d, Rn. 3 f. 40  RGSt 47, 374; OLG Hamm NJW 1967, 1289 ff. 41  BGH, NStZ 2006, 652; Graf/Walther, StPO, § 175 GVG, Rn. 1. 42  So ist es etwa mit der Stellung eines Verteidigers nicht vereinbar, wenn dieser lediglich in weißem T-Shirt statt Hemd und Krawatte unter der offenen Robe vor einer Strafkammer auftritt, vgl. OLG München, NJW 2006, 3079. 43  Siehe etwa Roxin, JR 1976, 385, 387. 44  Etwa bei einer übergroßen Sonnenbrille und einem schwarzen Hut: BGH, StV 1982, 409. 45  BeckOK StPO/Allgayer, § 175 GVG, Rn. 1; a. A.  SK-StPO/Velten, GVG, § 175, Rn. 5.

160

3. Kap.: Grenzen des Öffentlichkeitsgrundsatzes

fentlichen Strafverfahren. Über die Zulassung bestimmter Personen zu einer nichtöffentlichen Verhandlung entscheidet das Gericht nach pflichtmäßigem Ermessen durch Beschluss, § 238 Abs. 2 StPO, wobei die Zulassung nicht ausdrücklich ausgesprochen werden muss.46 Nach dem durch das Opferschutzgesetz eingefügten § 175 Abs  2 S. 2 GVG soll dem durch die Straftat Verletzten der Zutritt zu der Verhandlung gestattet werden,47 ein Anspruch darauf besteht jedoch nicht.48

II. Der Grundsatz der Öffentlichkeit und die Stellung der Tatopfer Anhand der geschichtlichen Entwicklung des Öffentlichkeitsgrundsatzes lässt sich ferner erkennen, dass sich nicht nur der Grundsatz in seiner Gesamtheit weiterentwickelt hat, sondern dass gerade auch die Rechte der Opfer49 immer weiter in den Vordergrund gerückt sind50 und das Augenmerk nicht mehr alleine auf dem Angeklagten und der von ihm begangenen Tat liegt.51 Seit den 1970er Jahren ist die wichtige Figur neben dem Angeklagten das Verbrechensopfer,52 ihm gilt regelmäßig das Mitgefühl der gesamten Öffentlichkeit.53 Dass der Opferschutz54 in Strafverfahren ausbaufähig war, 46  Kissel/Mayer, GVG, § 175, Rn. 16; Meyer-Goßner/Schmitt-Schmitt, GVG, § 175, Rn. 4. 47  KK-StPO/Diemer, GVG, § 175, Rn. 3. 48  Graf/Walther, StPO, § 175 GVG, Rn. 2. 49  Die Redeweise vom „Opfer“ ist im strafprozessualen Kontext missverständlich, da es aufgrund der Unschuldsvermutung erst ein „Opfer“ geben kann, wenn der Angeklagte als Täter tatsächlich rechtskräftig verurteilt wurde, vgl. Schünemann, Opferstellung, S. 687, 688; die StPO spricht vom „Verletzten“, Safferling, ZStW 122 (2010), 87, 92. Kritisiert wird auch in der jüngsten Literatur, dass es nach wie vor an einer Legaldefinition von „Opfer“ oder „Verletzter“ mangelt, vgl. Haverkamp, ZRP 2015, 53, 54; Neuhaus, StV 2017, 55, 57; Kett-Straub, ZIS 2017, 341. 50  Als bedeutendste Errungenschaft im Zuge der Stärkung der Opferrechte wird die Einführung der Nebenklage gesehen, Kett-Straub, ZIS 2017, 341, 344 m. w. N. Zugleich stellt das Institut der Nebenklage aber auch die Grenze dessen dar, was das Strafverfahren einem Opfer zugestehen kann, ohne dass der bereits jetzt z. T. diagnostizierte Paradigmenwechsel eintritt, vgl. Neuhaus, StV 2017, 55. 51  Schroth, NJW  2009, 2916; Schädler, Opferschutz, S. 51 ff.; Heger, in: FS Beulke (2015), S. 759, 764 f. 52  Zum Opferschutz und der Opferhilfe in der Arbeit des Staatsanwalts des Opferschutzes Stöckel, in: FS v. Heintschel-Heinegg (2015), S. 411, 416. 53  Bommer, in: FS  Trechsel (2002), S. 671, 676; Reinartz, Öffentlichkeitsarbeit, S. 24 ff. 54  Zur Entwicklung des Opferschutzes Stöckel, in: FS  v.  Heintschel-Heinegg (2015), S. 411 ff.; Kreuzer, in: GS  Heine (2016), S. 237, 238 ff.; für den schweizer Strafprozess Pieth, in: FS Trechsel (2002), S. 415, 420.



A. Beschränkungen des Öffentlichkeitsgrundsatzes161

zeigt auch hier wieder der Blick auf den Frankfurter Auschwitz-Prozess. Die Überlebenden aus dem Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau mussten während des Verfahrens ihren Peinigern im Gerichtssaal begegnen, ihnen gegenüberstehen, vom deutschen Staat alleine gelassen. Einzig einer privaten Initiative war es zu verdanken, dass den Opfern während ihrer Zeit in Frankfurt beigestanden wurde.55 Mittlerweile betrachten auch die Medienvertreter Empathie als einen Schlüssel zur Steigerung der Aufmerksamkeit des Publikums, zur Steigerung von Einschaltquote und Klickzahl, weshalb das aus journalistischer Sicht ideale Opfer kindlich, weiblich und deutsch ist.56 In der Welt der Medien ist das Tatopfer ahnungslos und wird durch die Tat völlig überrascht, es ist passiv und provoziert den Täter fast nie.57 Das Opfer hat aufgrund der Personalisierung der Rechtsgutsverletzung in seiner Person berechtigte und anerkennenswerte Interessen im Strafverfahren und nicht nur deshalb, weil die Ermittlungsbehörden oftmals auf die aktive Mitwirkung der Opfer bei der Aufklärung von Straftaten angewiesen sind. Darüber hinaus wollen Opfer oftmals mit ihren Verletzungen wahrgenommen werden58 und verlangen entsprechende Wiedergutmachungen, die sich nicht nur auf finanzielle Aspekte beziehen. Die Umsetzung des staatlichen Strafanspruchs entspricht oft nicht dem, was sich das einzelne Opfer von dem durchgeführten Strafverfahren verspricht. Im Falle eines getöteten Opfers erhoffen sich die Angehörigen im Rahmen ihres Auftretens als Nebenkläger häufig eine exakte Aufklärung und Aufarbeitung des Geschehens in tatsächlicher Hinsicht, etwa um den Verlust des Angehörigen besser verarbeiten zu können. Deutlich wurde dies jüngst bei Michael Buback, der Details über die Umstände im Zuge der Ermordung seines Vaters Siegfried Buback durch die Rote Armee Fraktion im Jahr  1977 begehrte, diese jedoch nicht erhielt, da nach wie vor ungeklärt ist, wer letztlich der Todesschütze war.59 Diese hohen Erwartungen der Opfer bzw. der Angehörigen der Opfer an das Strafverfahren werden auch im Zuge des NSU-Verfahrens deutlich. Mehr als 60 Nebenkläger erwarten gewissermaßen, dass das Strafverfahren gegen Zschäpe u. a. die Aufgabe eines Untersuchungsausschusses übernimmt und neben der exakten Aufarbeitung des Geschehens der Mitglieder des NSU zugleich auch das behördliche Fehlversagen dokumentiert. Für die Nebenkläger muss es nahezu unerträglich sein, dass es bei etlichen Verhandlungstagen einzig über das Vorleben und die Gefühlslage Zschäpes geht und die Ge55  Kett-Straub,

ZIS 2017, 341, 344 m. w. N. Gewalt an Kindern, S. 65, 70. 57  Oetzel, Berichterstattung über Straftaten, S. 35, 45 m. w. N. 58  Hanloser, Das Recht des Opfers auf Gehör im Strafverfahren, S. 66 ff. 59  Kett-Straub, ZIS 2017, 341, 345. 56  Hestermann,

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3. Kap.: Grenzen des Öffentlichkeitsgrundsatzes

schichte der eigentlichen Opfer aus Sicht der Nebenkläger deutlich zu kurz kommt.60 Vor diesem Hintergrund sind gerade Opfer ein beliebtes Zielobjekt für die Medienvertreter, auch weil viele Opfer bewusst die Medienöffentlichkeit suchen; Opfer bringen Informationen in den kargen Gerichtssaal.61 Teilweise wenden sich die Opfer vereinzelt sogar bevorzugt an die Presse, weil sie hoffen, dass sie bei den Medien die nötige Aufmerksamkeit für ihr Schicksal finden – ein Umstand, der ihnen im Strafprozess häufig verwehrt bleibt. Das Ausbleiben einer entsprechenden Berichterstattung werde von manchen ­sogar als verletzendes Desinteresse gewertet.62 Ein solches Opferverhalten kommt natürlich auch den Vertretern der Presse zugute, die davon profitieren, dass man aus den Lebens und Leidensgeschichten der Opfer häufig eine gewinnbringende Story machen kann, die dann entsprechend vermarktet wird. Doch so interessiert die Medien den Opfern entgegentreten, so schnell werden sie für die Medien in der Regel auch wieder uninteressant.63 Ferner birgt das gestiegene Interesse an den Opfern auch die Gefahr, dass dies zu Lasten des Angeklagten geht, der damit mehr und mehr in den Hintergrund der Berichterstattung und somit auch des öffentlichen Interesses gedrängt wird und nicht mehr als ein Individuum mit einer eigenen Geschichte sondern häufig nur noch als ein auf die ihm vorgeworfenen Taten herabgesetztes Subjekt reduziert wird.64 Der mediale Täter wird auf diese Weise zu einem Menschen ohne Gesicht, ohne Vergangenheit und ohne Zukunft. Ein veröffentlichtes Bild des (vermeintlichen) Täters zeigt keine wohl ausgeleuchtete Aufnahme eines lächelnden, sympathischen Menschen, sondern eher ungünstige Schnappschüsse.65 Das gestiegene Interesse der Medien an den Opfern beruht auch auf dem gestiegenen Interesse der Opfer an „ihrem“ jeweiligen Prozess. Dadurch, dass die Opfer heutzutage häufig die Rolle des Neben­ klägers66 einnehmen, agieren sie als Verfahrensbeteiligte.67 Doch wodurch erklärt sich das gestiegene Interesse der Opfer am Strafprozess bzw. der Öffentlichkeit an den Schicksalen der Opfer? Wenn man sich mit der Nachkriegsgeschichte befasst und dort nach spektakulären Strafpro60  Kett-Straub,

ZIS 2017, 341, 345. ZRP 2015, 187, 189. 62  Weigend, NJW 1987, 1170, 1173, m. w. N. 63  Friedrichsen, Strafjustiz und Medien, S. 75. 64  So jedenfalls Gerichtsreporterin Giesela Friedrichsen, ZRP  2007, 133, 134; Friedrichsen/Gerhardt, ZRP 2015, 187, 189. 65  Danziger, Medialisierung des Strafprozesses, S. 245; Oetzel, Berichterstattung über Straftaten, S. 35, 45. 66  Dazu auch Herrmann, ZIS  2010, 236, 241 m. w. N.; Heger, in: FS  Beulke (2015), S. 759, 767. 67  Schädler, Opferschutz, S. 51 ff. 61  Friedrichsen/Gerhardt,



A. Beschränkungen des Öffentlichkeitsgrundsatzes163

zessen sucht, kommt man auch hier nicht umhin, sich erneut mit dem bereits erwähnten Auschwitz-Prozess auseinanderzusetzen. Damals wollten viele Überlebende des Holocaust nicht einfach nur das Geschehene vergessen, im Gegenteil. Viele Opfer suchten Gehör, wollten mit ihrem Schicksal, mit ihren Geschichten an die Öffentlichkeit. Sie suchten jemanden, der ihnen die nötige Aufmerksamkeit schenkte und fanden: die Presse.68 So ist auch heute das Phänomen zu beobachten, dass manche Opfer das ihnen zugefügte Leid mittels Massenmedien journalistisch und redaktionell aufarbeiten lassen, um sodann ausführlich Berichte über ihr jeweiliges Schicksal entweder als Buchform herauszugeben oder in verschiedenen Talkshows exklusiv davon zu berichten. Dieser Prozess kann für das Opfer eine Art Traumabewältigung für das ihm zugefügte Leid darstellen.69 Beispiele dafür sind die Entführung von Jan-Philipp Reemtsma70 und der Fall der ­Natascha Kampusch71. Bei beiden begann der Leidensweg mit einer Entführung, Reemtsma wurde nach 30 Tagen freigelassen, Kampusch hingegen gelang erst nach Jahren die Flucht. Beide veröffentlichten Einzelheiten über ihr Schicksal in Buchform, und Millionen Menschen kauften sie. Kampusch verbreitete ihre Geschichte überdies durch einen Kinofilm mit dem Titel „3096 Tage“.72 Bei der Vermarktung solcher Berichte73 aus der Perspektive der Opfer kommt erneut die Sensationslust74 großer Teile der Bevölkerung zum Tragen, was von den Verlagshäusern entsprechend einkalkuliert wird. Diese Interessen der Medien haben sich seit der Privatisierung von Funk und Fernsehen verstärkt von der Sachberichterstattung ab- und der moralisierenden, Betroffenheit inszenierenden durch Skandale suchenden Darstellung zugewandt, sogenannte „Intimisierung des Öffentlichen“ oder „Marktdiktatur des Intimen“.75 Dadurch wird das Verhältnis von Informationsauftrag und die Schutzbedürftigkeit von Privatpersonen prekärer als es ursprünglich gewesen ist.76 68  Steinke, Fritz Bauer oder Auschwitz vor Gericht, S. 184; ähnlich Friedrichsen, Strafjustiz und Medien, S. 75, 77. 69  Hanloser, Das Recht des Opfers auf Gehör im Strafverfahren, S. 79. 70  BGH, NJW 1995, 3507; Hassemer/Reemtsma, Verbrechensopfer, passim. 71  Dazu Safferling, ZStW 122 (2010), 87, 88. 72  Über mögliche finanzielle Motive kann nur spekuliert werden. 73  Der beschriebene Richtungswechsel weg vom (vermeintlichen) Täter, hin zum Opfer, geht einher mit der unheimlichen Macht der Bilder, die jeden Zweifel beseitigen und keine Widersprüche zulassen, vgl. Friedrichsen, Strafjustiz und Medien, S. 75, 77. 74  Keil, Verdachtsberichterstattung, S. 263. 75  SK-StPO/Velten, GVG, Vor § 169, Rn. 6 m. w. N. 76  Ausführlich Imhof, Die Krise der Öffentlichkeit, S. 143 ff.

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3. Kap.: Grenzen des Öffentlichkeitsgrundsatzes

Andere kaufen sich diese Art von Literatur, weil sie vom Schicksal der Einzelperson aufrichtig betroffen sind.77 Denn erst bei einer Individualisierung des Opfers statt einer anonymen Berichterstattung über „irgendein“ Verbrechen beginnt auch die Öffentlichkeit, sich mit dem Opfer zu identifizieren und sogleich sich mehr und mehr für den jeweiligen Strafprozess gegen den Täter zu interessieren.78 Diese Identifikation mit dem als ein Individuum betrachtetes Opfer steht auch in Zusammenhang mit dessen Austauschbarkeit, sofern es sich um ein vom Täter willkürlich ausgewähltes Opfer handelt,79 wie beispielsweise eine Joggerin in einem Park, die „zur falschen Zeit am falschen Ort war“, und nicht um eine vom Opfer mit verschuldete Tat. So wird ausgeführt, dass es bei einer Identifikation mit dem Opfer und einer damit einhergehenden, das Maß an unmittelbarer Betroffenheit übersteigernden Betroffenheit, Solidarisierung mit der geschädigten Person stattfindet. Als Beispiel wird verwiesen auf die Erschaffung verschiedener staatlicher und nichtstaatlicher Institutionen, die speziell für den Opferschutz eingerichtet wurden.80 In einer solchen Konstellation steht die Verletzung einer Person im Vordergrund, wohingegen die konkrete Normund Rechtsgutsverletzung in den Hintergrund rückt.81 Somit wirkt sich die Rolle des Opfers unmittelbar auf das öffentliche Interesse aus und deutet den anfangs beschriebenen Wandel an, dass die Öffentlichkeit der Gerichtsverhandlung und das damit einhergehende Informationsinteresse der Bevölkerung heutzutage gegenüber der ursprünglichen Kontrollfunktion des Gerichts überwiegen könnte.82 Ferner kann festgehalten werden, dass bis in die 1970er Jahre die Resozialisierung des Straftäters83 als Ziel des Strafverfahrens und als Hauptaugenmerk des öffentlichen Interesses angesehen wurde,84 wohingegen heutzutage die Gerechtigkeit für die Opfer eine immer stärker werdende Rolle einnimmt, was jedenfalls das Interessenbild der Öffentlichkeit widerzuspiegeln scheint.85 77  Zur Faszination der Opferrolle und der Tendenz zur viktimären Gesellschaft Reinartz, Öffentlichkeitsarbeit, S. 24 ff. 78  Branahl, Justizberichterstattung, S. 19; Ohls, Quotenjagd statt Qualitätsjournalismus?, S. 87; Oetzel, Berichterstattung über Straftaten, S. 35, 40. 79  Dazu ausführlich Neumann, Stellung des Opfers, S. 225, 236 f. 80  Neumann, Stellung des Opfers, S. 225, 237. 81  Neumann, Stellung des Opfers, S. 225, 252. 82  Ähnlich auch Trüg, NJW 2011, 1040, 1041. 83  Zum „Recht auf Resozialisierung“ ausführlich Fischer, Medienöffentlichkeit im Ermittlungsverfahren, S. 178 ff. 84  Heger, in: FS Beulke (2015), S. 759, 765 m. w. N. 85  Safferling, ZStW 122 (2010), 87, 88 m. w. N.; vgl. auch Tenter/Schleifenbaum, NJW  1988, 1766; Hammerstein, S. L  7; L  8.; Heger, in: FS  Beulke (2015), S. 759, 764.



A. Beschränkungen des Öffentlichkeitsgrundsatzes165

Dieser Gedanke, dass das Opfer weit mehr als nur eine passive Rolle im gerichtlichen Verfahren spielt und sich damit kaum von den übrigen Zeugen abhebt und lediglich das Verfahren durch die Erstattung der Strafanzeige selbst in Gang bringen kann, zeigt sich zu Beginn der 1970er  Jahre in einigen Aufsätzen, die die verschiedenen Möglichkeiten der Opferpartizipation am Strafverfahren näher beleuchten und die Verfahrensinstitute der Nebenklage nach § 395  StPO oder der Privatklage, § 374  StPO diskutieren.86 Durch Erlass des Opferschutzgesetzes vom 18.  Dezember  1986,87 welches am 1.  April  1987 in Kraft getreten ist, die verfahrensmäßigen Rechte der Opfer verbesserte und ihnen eine privilegierte Stellung einräumte,88 wurde § 171b GVG eingeführt, wodurch man den Persönlichkeitsrechten der Verfahrensbeteiligten eine höhere Schutzbereitschaft zusprach.89 Durch diese Vorschrift wird die Ausschließung der Öffentlichkeit aus dem Gerichtsaal ermöglicht. Dieser Ausschlusstatbestand hat freilich keine abschließende Wirkung, da die Ausschlussgründe des § 172  GVG neben denen des § 171b  GVG bestehen bleiben.90 So konstatierte Hammerschmidt, dass eine Veränderung der Abwägungsklausel in § 172 Abs. 1 Ziff.  2  GVG dahingehend erfolgen solle, dass die „schutzwürdigen Umstände, derentwegen der Ausschluss der Öffentlichkeit erfolgen soll, schwerer wiegen müssten als das Interesse der Öffentlichkeit an der Verhandlung, sondern umgekehrt sollte das Interesse an der öffentlichen Verhandlung schwerer wiegen müssen als das Interesse an der nichtöffentlichen Erörterung privater Lebensumstände“.91 Die gesetzlichen Möglichkeiten der §§ 171a ff. GVG zu einer Beschränkung der Öffentlichkeit des Strafprozesses gehören ebenfalls zu den Mitteln, eine übermäßige Medialisierung der Hauptverhandlung zu verhindern.92 Das Opferschutzgesetz wurde seit seiner Einführung immer wieder den aktuellen Gegebenheiten angepasst und entsprechend modifiziert, zuletzt am 26.  Juni 2013 durch das Gesetz zur Stärkung der Rechte von Opfern sexuellen Miss86  Maiwald, GA 1970, 33, 44; Schroth, NJW  2009, 2916; zur Nebenklage, die nach Erlass des Opferschutzgesetzes von der Privatklage gelöst wurde Rieß, NStZ  1987, 145, 154; zu den prozessualen Möglichkeiten des Verletzten generell Neumann, Stellung des Opfers, S. 225, 243 ff. 87  BGBl. I 1986, S. 2496; zur historischen Entwicklung der Opferrechte informativ Widmaier/Kauder, MAH Strafverteidigung, § 53, Rn. 2 ff.; Schroth, Strafprozess, S. 1 ff. 88  Weigend, NJW 1987, 1170, 1174; Hammerstein, S. L 7, L 8. 89  Britz, Fernsehaufnahmen im Gerichtssaal, S. 30, 36; Jung, JuS  1987, 157, 159. 90  KK/Diehmer, GVG, § 172, Rn. 7; Katholnigg, JR 1993, 297, 298. 91  Hammerstein, S. L 7, L 21 f.; der ferner festhält, dass bei einer Interessenabwägung das Interesse des Angeklagten dem Interesse des Verletzten vorgehen muss. 92  Ausführlich Danziger, Medialisierung des Strafprozesses, S. 405.

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3. Kap.: Grenzen des Öffentlichkeitsgrundsatzes

brauchs93 (StORMG). Betrachtet man die Einführung des Opferschutzgesetzes von 1986, so ist eine rechtspolitische Trendwende hin zu einer vermehrten Integration des Verletzten in den Prozess sichtbar. Dies wird auch dadurch deutlich, dass das Opferschutzgesetz als ein eigenständiges Gesetz verabschiedet und nicht in das Strafverfahrensänderungsgesetz vom 27.  Januar  198794 integriert wurde.95 Ferner ist an dieser Stelle zu beachten, dass auch wenn sich die Ausführungen im Rahmen dieser Arbeit hauptsächlich auf den Strafprozess konzentrieren, die Neukonzeption des § 171b GVG durch die Einführung des Opferschutzgesetzes weit über die reinen Opferinteressen96 hinausgeht, da das GVG seinen Geltungsbereich auf alle Verfahrensarten erstreckt.97 Zudem zeigt sich die herausragende Stellung des Opfers seit Einführung von § 175 Abs. 2 S. 2  GVG, wodurch dem Opfer auch bei Ausschluss der Öffentlichkeit die Möglichkeit zur Anwesenheit während der Verhandlung einräumt.98 Dabei wurde diese Norm bewusst als Sollvorschrift konzipiert, dennoch ist eine Versagung des Anwesenheitsrechts gegenüber dem Verletzten nur in begründeten Ausnahmefällen zulässig. Von Bedeutung ist, dass diese Beteiligungsmöglichkeiten nur fakultativ sind und auf die Verletzten in keiner Weise eine Art Zwang ausüben dürfen, um am Verfahren aktiv zu partizipieren.99 Nachdem festgestellt wurde, dass die stärkere Integration der Opfer in den Strafprozess und damit einhergehend die Stärkung ihrer Rechte sich gerade auf die Rehabilitation der Opfer positiv auswirkt, gilt es jedoch, auch die kritischen Stimmen dieses Entwicklungsprozesses aufzuzeigen. So habe nach Auffassung mancher Autoren die verbesserte Stellung der Opfer zu einer Ruinierung der Zeugenfunktion dieser Opfer geführt, was mit dem Ziel der prozessualen Wahrheitsfindung100 kollidiere. Diese These wird dadurch fundiert, dass die Funktion des staatlichen Strafanspruches gerade darin begründet ist, dass der staatliche Strafanspruch das subjektive Recht des Opfers auf Bestrafung des Täters relativiere.101 Bei einem häufig nicht zu vermeidenden 93  BGBl. I

2013, S. 1805. 1987, S. 475. 95  Rieß, NStZ 1987, 145. 96  Ausführlich zu Opferinteressen Neumann, Stellung des Opfers, S. 225, 241 ff. 97  Lesenswert dazu Rieß, NStZ 1987, 204, 207. 98  BT-Drs. 10/5305, S. 25. 99  Hammerstein, S. L 7; Odersky, S. L 29, L 32 m. w. N. 100  Durch Opferanwälte ist eine gezielte Vorbereitung auf die Vernehmung in der Hauptverhandlung möglich, wodurch die Spontaneität der Aussage verloren geht, die ein Kriterium der Glaubwürdigkeit der Aussage darstellt, Schünemann, Opferstellung, S. 687, 693. 101  Schroth, NJW 2009, 2916, 2918, der auf Schünemann, Opferstellung, S. 687, 690 f. verweist; Schünemann, StV 1998, 391, 392. 94  BGBl. I



A. Beschränkungen des Öffentlichkeitsgrundsatzes167

Interessenkonflikt zwischen Angeklagten- und Opferinteressen102 kann weder die eine Partei zulasten der anderen noch umgekehrt bevorzugt werden, da Täter und Opfer noch gar nicht eindeutig feststehen; mit dem Verlauf des Verfahrens kann sich die Unschuld herausstellen, weshalb die Opferinteressen in diesem Stadium des Prozesses nicht die Vorzugswürdigeren sein können.103 Berücksichtigt werden muss zudem aus Opferschutzgesichtspunkten, dass durch die Durchführung eines Strafverfahrens die psychischen Belastungen für das oder die Opfer steigen, was durch eine medienwirksame Verhandlung noch verstärkt wird. Durch den Beginn der Hauptverhandlung, spätestens mit der Vernehmung des Opfers als Zeugen, wird eine Neuauflage des Geschehens erwirkt und dadurch der Verarbeitungsprozess des Opfers mit dem Tatgeschehen möglicherweise unterbrochen.104 Diesen psychischen Belastungen auf Seiten der Tatopfer versucht das Ende 2015 verabschiedete 3. Opferrechtsreformgesetz105 Rechnung zu tragen. Dabei liegt das Hauptaugenmerk auf dem mit dieser Reform einhergehenden Gesetz über die psychosoziale Prozessbegleitung im Strafverfahren, das seit dem 1.  Januar  2017  gilt. Verletzte können sich seitdem im Strafverfahren von einem sozialpädagogisch oder psychologisch ausgebildeten Experten unterstützen lassen. In bestimmten Fällen ist ein solcher auf Antrag des Opfers verpflichtend und auf Staatskosten beizuordnen, vgl. § 406g StPO.106 Insgesamt ist festzustellen, dass den Bedürfnissen der Opfer durch etliche Reformgesetze ausreichend Geltung zugekommen ist, was als originäre Verpflichtung des Staates auch durchaus erforderlich war. Trotz aller Schutzbedürftigkeit der Opfer dürfen aber die Rechte des Angeklagten und dessen Verteidigers nicht außer Acht bleiben, da eine Gefährdung der Wahrheitsfindung107 damit einhergehen könnte. Dies ist immer dann nicht unproblematisch, wenn persönliche oder materielle Interessen für das Opfer von Relevanz sind. Strafrechtspflege sollte selbstredend opferfreundlich, aber eben nicht opferorientiert sein.108

102  Zur Gefährdung der Rechte des Angeklagten ausführlich: Safferling, ZStW 122 (2010), 87, 98; vgl. auch Kett-Straub, ZIS 2017, 341 ff. 103  Schroth, NJW 2009, 2916, 2918. 104  Kaiser, Strafverfahren, S. 169 ff.; Raschke, ZJS 2011, 38, 43. 105  BGBl. I 2015, S. 2525; das 3. Opferrechtsreformgesetz dient u. a. der Umsetzung der EU-Richtlinie 2012/29/EU mit der ein einheitlicher Mindeststandard für den Opferschutz geschaffen werden soll. 106  Ausführlich dazu Kett-Straub, ZIS 2017, 341 ff. 107  Dahs, NJW 1961, 1755, 1756; Siegert, NJW 1963, 1953, 1955. 108  Kett-Straub, ZIS 2017, 341, 345.

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3. Kap.: Grenzen des Öffentlichkeitsgrundsatzes

III. Einschränkungen der Öffentlichkeit durch § 257c StPO Gesetzlich eingeschränkt wird der Grundsatz der Verfahrensöffentlichkeit weiterhin durch die Möglichkeit des § 257c StPO, der normiert, dass sich das Gericht in geeigneten Fällen mit den Verfahrensbeteiligten über den weiteren Fortgang und das Ergebnis des Verfahrens verständigen kann. 1. Verständigungen im Strafprozess – Einführung Verständigungen im Strafprozess i. S. d. § 257c StPO, in der Bevölkerung umgangssprachlich auch als sogenannte „Deals“ oder „Absprachen“ bezeichnet,109 sind heutzutage aus dem Alltag der Strafrechtspraxis110 nicht mehr wegzudenken.111 Juristische Literatur zu diesem Thema ist zahlreich vorhanden und die Absprachepraxis könnte als „Dauerbrenner unter den im Strafprozessrecht geführten Kontroversen“ deklariert werden.112 Urteilsabsprachen haben sich seit der 1970er  Jahre des vergangenen Jahrhunderts als Instrument zur Bewältigung von Strafverfahren etabliert,113 ohne dass es zunächst dafür eine gesetzliche Grundlage gab.114 Die Verständigung im Strafprozess – im Gesetz nicht näher definiert – beschreibt das bindende115 Aushandeln eines Verfahrensergebnisses durch die am Strafverfahren Beteiligten, nämlich dem Gericht, dem Vertreter der Staatsanwaltschaft sowie dem Angeklagten mit seinem Verteidiger. Ist der Angeklagte zu der Ablegung eines Geständnisses116 bereit, sagt das Gericht unter Zustimmung der Staatsanwaltschaft dem Angeklagten für den Fall einer erfolgreichen Verständigung einen bestimmten Strafrahmen bzw. eine Strafobergrenze zu.117 Plakativ bedeutet dies, dass im Rahmen eines verständigen Strafverfahrens wie „an einem Börsenplatz, an dem die Tageskurse 109  Kritisch

dazu SK-StPO/Paeffgen, § 202a, Rn. 5. Entwicklung der Absprachen in den letzten Jahrzehnten Landau, NStZ 2014, 425 f. 111  Kindhäuser, Strafprozessrecht, § 19, Rn. 1; Weider alias Detlef Deal, StV 1982, 545; Müller, AnwBl. 2016, 656, 658; Hamm, ZRP 2016, 59 ff. 112  Beulke/Stoffer, JZ 2013, 662 m. w. N.; Landau, NStZ  2014, 425; ähnlich Kudlich, NJW-Beil. 2010, 86, 87. 113  Landau/Eschelbach, NJW 1999, 321; Krause, Verständigungen, S. 9 ff. m. w. N. 114  Landau, in: FS Rössner (2015), S. 829, 831. 115  Zur Bindungswirkung der Verständigung BGH, NStZ 2017, 373 ff. 116  Herzog, GA 2014, 688, 690, der von dem „alte(n) paternalistische(n) Bild des Richters (‚Papa Gnädig‘)“ spricht, „den das Geständnis milde stimmt“. 117  Beulke, Strafprozessrecht, § 19, Rn. 394; Jahn, JuS 2013, 659; s. auch Herzog, GA 2014, 688, 690; Schneider, NStZ 2015, 53, 54; Becker, JA 2017, 641, 643. 110  Zur



A. Beschränkungen des Öffentlichkeitsgrundsatzes169

von Gerechtigkeit im ungeregelten Freiverkehr ausgehandelt werden“ nach einer Absprache gesucht wird, die das Strafverfahren nach möglichst allseitiger Zufriedenheit frühzeitig beendet.118 Nicht zur Disposition der Beteiligten steht allerdings der Schuldspruch sowie die Maßnahmen der Besserung und Sicherung.119 Ersteres ergibt sich bereits aus der Bindung des Gerichts an Gesetz und Recht, vgl. Art. 20 Abs. 3 GG. Dabei drängt sich allerdings die Frage auf, ob diese Verständigungen einen Verstoß gegen Verfahrensrecht,120 insbesondere auch gegen den Grundsatz der Öffentlichkeit der Gerichtsverhandlung, darstellen oder lediglich eine zulässige und zu begrüßende Prozesspraxis zu Vereinfachung komplexer und unüberschaubarer Sachverhalte im Rahmen eines Strafprozesses sind. Auch eine unliebsame Medienöffentlichkeit kann ein Motiv für die Anregung einer Absprache sein.121 Charakteristisch für eine Verständigung ist, dass diese gerade nicht in dem für die Öffentlichkeit frei zugänglichem Gerichtssaal stattfindet, sondern überwiegend im Richterzimmer oder einem anderen Ort außerhalb des Gerichtssaals und somit unter Ausschluss der Öffentlichkeit.122 Durch diese Absprachenpraxis wird der Grundsatz der Öffentlichkeit des Gerichtsverfahrens erheblich tangiert, weshalb es zunächst als problematisch erscheinen mag, dass solche Verständigungen, welche vor oder außerhalb der Hauptverhandlung durchgeführt werden, nicht per se verboten sind.123 Dass die Praxis der Absprachen im Strafprozess mit dem Grundsatz der Öffentlichkeit kaum vereinbar ist, war bereits bei Einführung ersterer offensichtlich,124 ist es doch gerade originärer Ausdruck einer Verständigung, dass diese nicht im Lichte der Öffentlichkeit stattfindet.125 Nachdem der Bundesgerichtshof zunächst eine ablehnende Haltung bezüglich solcher Absprachen einnahm,126 haben der 4. Strafsenat127 und dann 118  Herzog,

GA 2014, 688, 689 m. w. N. StraFo 2010, 96, 97. 120  Zum Schuldprinzip Rabe, Verständigungsurteil, S. 127 ff. 121  Landau/Eschelbach, NJW 1999, 321, 324. 122  Beulke, Strafprozessrecht, § 19, Rn. 394a. 123  KK-StPO/Diemer, GVG, § 169, Rn. 2. 124  Schmidt-Hieber, NJW 1982, 1017, 1021; Baumann, NStZ  1987, 157, 158; siehe auch Ziegler, in:  FS  v.  Heintschel-Heinegg (2015), S. 521, 528; Krause, Verständigungen, S. 97 ff.; Moldenhauer, Absprachen, S. 67 ff.; Müller, Absprachen, S. 131 ff. 125  Murmann, ZIS 2009, 526, 533; Rabe, Verständigungsurteil, S  106; Landau, NStZ 2014, 425, 428; Schneider, NStZ 2014, 192, 197. 126  BGHSt 37, 298, 304 f; 42, 46, 48. 127  BGHSt 43, 195. 119  Kirsch,

170

3. Kap.: Grenzen des Öffentlichkeitsgrundsatzes

der Große Senat128 Verständigungen in der Hauptverhandlung grundsätzlich gebilligt.129 Mit dem Gesetz zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren (im Folgenden: „Verständigungsgesetz“) vom 29.  Juli  2009130 wurde der § 257c in die deutsche Strafprozessordnung eingeführt.131 Damit ist der Gesetzgeber den Forderungen des Großen Senats nach einer gesetzlichen Klarstellung nachgekommen.132 Von diesem Zeitpunkt an wurden Vorgespräche „hinter den Kulissen“ zugelassen, gleichzeitig wurde das Gericht aber auch verpflichtet, die wesentlichen Abläufe und Ergebnisse „auf der Bühne“133 zu verkünden, unabhängig, ob es zu einer Einigung gekommen ist oder ob der Versuch der Verständigung erfolglos gescheitert ist, vgl. § 243 Abs. 4 StPO. Beschränkt wird die Möglichkeit der Absprache über das Strafmaß ferner durch umfassende Protokollpflichten134 seitens des Gerichts, denn sämtliche getroffene Verständigungen, ob erfolgreich durchgeführt oder nicht, müssen aktenkundig gemacht werden, vgl. die §§ 160b, 202a, 212  StPO.135 Mit großer Skepsis betrachtet wurde diese offensichtliche Kompromisslösung bzw. „Minimalforderung“ vor allem vor dem Hintergrund einer Vereinbarung dieser Regelung mit dem Öffentlichkeitsgrundsatz.136 Eine verfassungsrechtliche Aufarbeitung dieser neu eingeführten Norm dahingehend erfolgte zu diesem Zeitpunkt nicht.137 Nachdem die anfängliche Unklarheit138 hinsichtlich der Verankerung des Öffentlichkeitsgrundsatzes im Rechtsstaats128  BGHSt

50, 40. in: FS Rössner (2015), S. 829, 833. 130  Vgl. BGBl. I 2009, S. 2353. 131  Ausführlich und bezugnehmend auf die weiteren Prozessgrundsätze Rabe, Verständigungsurteil, S. 1 ff.; 106 ff.; siehe auch Jahn, StV  2011, 497 ff.; Kirsch, StraFo 2010, 96, 97 f. 132  Landau, in: FS Rössner (2015), S. 829, 833; Hauer, Geständnis und Absprache, S. 72. 133  Hettinger, JZ 2011, 292, 298. 134  Landau, NStZ 2014, 425, 428; Schneider, NStZ  2014, 192, 197; s.  auch Meyer, NJW 2013, 1850, 1851. 135  Ziegler, in: FS v. Heintschel-Heinegg (2015), S. 521, 528. 136  Altenhain/Haimerl, JZ  2010, 327, 335; Hettinger, JZ  2011, 292, 298; Schünemann, ZRP 2009, 104, 106, der formuliert, dass der Grundsatz der Öffentlichkeit nur scheinbar gewahrt werde. 137  Rabe, Verständigungsurteil, S. 107. 138  Aufgrund dieser Unklarheit bestanden Unsicherheiten in der geführten Diskussion um die Rolle des Öffentlichkeitsgrundsatzes für das Recht der Verständigungen nicht nur in der grundsätzlichen Verbindlichkeit dieses Prinzips an sich. Vielmehr war auch die Frage von großer Bedeutung, inwiefern speziell für den Verständigungsvorgang eine Verlagerung in die Hauptverhandlung verfassungsrechtlich zwingend geboten war. 129  Landau,



A. Beschränkungen des Öffentlichkeitsgrundsatzes171

und Demokratieprinzip139 auch durch das Bundesverfassungsgericht beseitigt und dieser Prozessgrundsatz in verfassungsrechtlichem Terrain verortet wurde, bestand bislang nur selten die Gelegenheit für eine profunde verfassungsrechtliche Entwicklung in Rechtsprechung und Lehre.140 Anknüpfend an die Diskussion um die verfassungsrechtliche Verortung des Öffentlichkeitsgrundsatzes stellte sich für die Gerichtspraxis die relevante Frage, inwiefern für den konkreten Verständigungsvorgang eine Verlagerung von außerhalb in die Hauptverhandlung verfassungsrechtlich zwingend erforderlich ist. Das Bundesverfassungsgericht wertete es im Jahr  1987141 als unproblematisch, dass die in diesem Beschluss zu behandelnde Verständigung außerhalb der Hauptverhandlung stattfand. Die Grundsätze des fairen und rechtsstaatlichen Verfahrens seien gerade nicht tangiert, wenn „außerhalb der Hauptverhandlung eine Verständigung zwischen Gericht und Verfahrensbeteiligten über Stand und Aussichten der Verhandlung“142 herbeigeführt wird.143 Diese sehr liberale Handhabung durch das Bundesverfassungsgericht wurde in der Fachliteratur hauptsächlich als Problem des Gerichts bewertet, „ob und in welcher Form und in welchem Umfange die Öffentlichkeit in der Hauptverhandlung über Kontakte der Verfahrensbeteiligten unterrichtet wird. Es gibt viele Richter, die einen Rechtsanspruch der Öffentlichkeit (Medien) auf eine derartige Unterrichtung verneinen, andere wiederum machen es geradezu zur Bedingung, daß jedenfalls die Tatsache der Verfahrensabsprache in öffentlicher Sitzung bekanntgegeben wird. Es handelt sich hier aber mehr um die Frage des richterlichen Stils, die für den Verteidiger in der Regel nicht im Vordergrund der Verfahrens-Vereinbarung steht.“144

Dieser uneinheitlichen Verfahrenspraxis wurde durch eine Leitentscheidung des Bundesgerichtshofs entgegengewirkt, indem dieser die Anforderungen an die Kontrolle durch die Öffentlichkeit präzisierte und klarstellte, sodass Verständigungen nur dann legitim seien, wenn die Allgemeinheit Einblick in die wesentlichen Verfahrensabläufe habe, die zum Urteil führen.145 Beruhe ein Urteil einzig auf einer außerhalb der Hauptverhandlung getroffenen Verständigung bestehe die Gefahr, dass die Hauptverhandlung zur „bloßen Fassade, die jeglichen Einblick in die Öffentlichkeit in der die dem

139  Dazu

oben unter Kap. 2, C. I., II. Verständigungsurteil, S. 108. 141  BVerfG, NJW 1987, 2662 ff. 142  BVerfG, NJW 1987, 2662, 2663. 143  Rabe, Verständigungsurteil, S. 108. 144  Zitiert nach Dahs, NStZ 1988, 153, 159. 145  BGHSt 43, 195, 205. 140  Rabe,

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3. Kap.: Grenzen des Öffentlichkeitsgrundsatzes

Urteil zugrundeliegenden Umstände verschleiert“146 degeneriere.147 Der Bundesgerichtshof setzte sich in dieser Entscheidung mit dem Grundsatz der Öffentlichkeit allein unter dem Blickwinkel des § 169 GVG a. F. auseinander. Inwiefern seine Ansichten unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten unbedingt notwendig waren, geht aus der Entscheidung selbst nicht hervor. Eine verfassungsrechtliche Gebotenheit wäre wohl ohnehin widersprüchlich zu der bis im Jahr 2001 gültigen Aussage des Bundesverfassungsgerichts, dass der Grundsatz der Öffentlichkeit lediglich einfachgesetzlicher Natur sei.148 Aufgrund dieser dargestellten Unsicherheiten kam der Frage, ob und wie der Gesetzgeber die Relevanz des verfassungsrechtlich verankerten Öffentlichkeitsgrundsatzes für die Praxis der Verständigungen gesetzlich normieren würde, eine besondere Bedeutung zu. Hatte doch der Gesetzgeber des Verständigungsgesetzes die Thematik um den Grundsatz der Öffentlichkeit nicht erwähnt, lediglich die Anforderungen des Bundesgerichtshofs149 in eine gesetzlich normierte Regelung übersetzt. Ob dies aus verfassungsrechtlich zwingenden Gründen zu erfolgen habe oder lediglich aus § 169 GVG resultiere, wurde in der Gesetzesbegründung nicht weiter angesprochen.150 Nach dem Inkrafttreten des Verständigungsgesetzes war es logische Konsequenz, dass die bis dato überwiegend heimlich geführte Absprachenpraxis nicht auf direktem Wege den Einzug in die Hauptverhandlung fand und sich der Bundesgerichtshof vor allem mit der Revisibilität der geschaffenen Transparenz- und Dokumentationspflichten auseinanderzusetzen hatte.151 Der Bundesgerichtshof152 urteilte, dass bei einem Verstoß gegen besagte Pflichten ein absoluter Revisionsgrund nach § 338 Nr. 6 StPO ausgeschlossen sei und verneinte im Rahmen von § 337 Abs. 1 StPO regelmäßig das erforderliche Beruhen des Urteils auf Verstößen gegen die Mitteilungspflicht.153

146  BGHSt

43, 195, 205. Verständigungsurteil, S. 112. 148  Rabe, Verständigungsurteil, S. 112. 149  BGHSt 43, 195 ff. 150  Es wurde durch den Gesetzgeber lediglich geschrieben, dass „weiterhin die Grundsätze des Strafverfahrens namentlich […] nicht zuletzt auch die Transparenz der Hauptverhandlung und die Unterrichtung der Öffentlichkeit in der Hauptverhandlung, gewahrt sein müssen“, vgl. BT-Drs. 16/12310, S. 8, 12. 151  Walther, NStZ 2015, 383, 385. 152  Siehe etwa BGH, StV 2011, 202. 153  Dazu sogleich unter E. III. 3. 147  Rabe,



A. Beschränkungen des Öffentlichkeitsgrundsatzes173

2. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 19. März 2013 In seinem Urteil vom 19. März 2013 hat der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts154 die derzeitige gesetzliche Regelung noch als verfassungsgemäß erachtet, jedoch treffe den Gesetzgeber eine strenge Beobachtungspflicht.155 Es handelt sich dabei um eine sogenannte „Appellentscheidung“, im Rahmen derer das geprüfte Gesetz intensiv verfassungskonform ausgelegt wurde.156 Sollten sich die Defizite hinsichtlich der Beachtung des Schuldprinzips,157 der neutralen Rolle des Gerichts sowie dessen Pflicht zur bestmöglichen Ermittlung158 der materiellen Wahrheit159 weiter vertiefen, ist der Gesetzgeber gehalten, zum Schutze der Verfassung entweder die Absprachen vollständig zu untersagen oder ein gänzlich neues Regelungskonzept vorzulegen.160 Vor dem Hintergrund des zu untersuchenden Grundsatzes der Öffentlichkeit wurden in besagtem Urteil lediglich allgemeingültig formulierte Ausführungen im abstrakten Teil zur präzisierenden Gesetzesauslegung gemacht:161 „Die mit der Möglichkeit einer Beobachtung der Hauptverhandlung durch die Allgemeinheit verbundene Kontrolle der Justiz, die historisch als unverzichtbares Institut zur Verhinderung obrigkeitlicher Willkür eingeführt wurde […], erhält als demokratisches Gebot durch die gesetzliche Zulassung der in eine vertrauliche Atmosphäre drängenden Verständigungen zusätzliches Gewicht. Dem hat der Gesetzgeber durch die Mitteilungspflicht in § 243 Abs. 4 StPO Rechnung getragen. […] Nur so bleibt der gerichtliche Entscheidungsprozess transparent und die Rechtsprechung auch in Verständigungsfällen für die Allgemeinheit durchschaubar.“162

Diese Ausführungen zeigen, dass das Bundesverfassungsgericht aus seiner präzisierenden Auslegung schließt, dass die rechtsstaatlichen und demokratischen Anforderungen der Öffentlichkeitsmaxime im Zusammenhang 154  BVerfGE

133, 168 ff. BVerfGE 88, 203, 269; 123, 186, 266; 130, 263, 302. 156  Globke, JR 2014, 9; siehe auch Kudlich, ZRP  2013, 162; Stuckenberg, ZJS 2013, 212 ff. 157  Landau, NStZ 2014, 425, 427. 158  Dies umfasst die exakte Prüfung des Gerichts hinsichtlich der Glaubwürdigkeit des im Rahmen einer Verständigung abgelegten Geständnisses sowie der Überzeugung des Gerichts vom festgestellten Sachverhalt, wobei es grundsätzlich nicht genügt, wenn der Tatrichter das Geständnis mit dem ihm vorliegenden Akteninhalt abgleicht und dabei zu dem Ergebnis kommt, dass es sich friktionslos in das Ergebnis der Ermittlungen der Staatsanwaltschaft einfügt, vgl. Schneider, NStZ  2014, 192, 193 f.; Pfister, StraFo 2016, 187; Hauer, Geständnis und Absprache, S. 81 ff. 159  Landau, in: FS Rössner (2015), S. 829, 833. 160  BVerfGE 133, 168, 236; Landau, in: FS Rössner (2015), S. 829, 836. 161  Ausführlich Rabe, Verständigungsurteil, S. 114. 162  BVerfGE 133, 168, 217 BVerfG (Hervorhebungen durch die Verfasserin). 155  Vgl.

174

3. Kap.: Grenzen des Öffentlichkeitsgrundsatzes

mit Verständigungen im Strafverfahren ausreichend Berücksichtigung gefunden haben. Dies kommt auch dadurch zum Ausdruck, dass lediglich der wesentliche Inhalt der Verständigung der Öffentlichkeit mitzuteilen ist.163 Im Ergebnis spricht der Zweite Senat der öffentlichen Hauptverhandlung für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit von Verständigungen eine gewisse Dominanz zu.164 Gerade vor diesem Hintergrund ist es erstaunlich, dass sich das Bundesverfassungsgericht in keiner Weise zur Verankerung des Öffentlichkeitsgrundsatzes in der Verfassung äußert. Dies demonstriert wiederum die Tücke, die sich aus dem kreativen Konzept der präzisierenden Auslegung ergibt. Von einer verfassungsrechtlichen Gebotenheit der Öffentlichkeitsmaxime ist im Zuge von Verständigungen im Strafprozess keine explizite Rede.165 Diese viel beachtete Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts166 führt außerdem vor dem Hintergrund der richterlichen Beweiswürdigung aus, dass die Öffentlichkeit der Hauptverhandlung gerade dem Zweck dienen solle, „deren Funktion als alleinige Grundlage richterlicher Überzeugungsbildung zu wahren“.167 Ferner heißt es an selbiger Stelle: „In der Konzeption des Gesetzgebers kommt der Öffentlichkeit der Hauptverhandlung eine zentrale Bedeutung zu. Mit dem Gebot, die mit einer Verständigung verbundenen Vorgänge umfassend in die Hauptverhandlung einzubeziehen, gewährleistet der Gesetzgeber nicht nur vollständige Transparenz; er legt zugleich besonderes Gewicht auf die Kontrollfunktion der Öffentlichkeit der Hauptverhandlung und bekräftigt damit, dass auch im Fall der Verständigung der Inbegriff der Hauptverhandlung die Grundlage der richterlichen Überzeugungsbildung bleibt (§ 261 StPO).“168

In verständigungsbasierten Strafverfahren soll der Kontrolle der Justiz durch die Öffentlichkeit zum Zweck der Verhinderung obrigkeitlicher Willkür aufgrund der „in eine vertrauliche Atmosphäre drängenden“ Verhandlungssituation im Vergleich zu den sonst gültigen Grundsätzen ein zusätzliches Gewicht zukommen.169 Der Tatrichter muss die allgemeine Öffentlichkeit derart umfassend über die wesentlichen Gesprächsinhalte informieren, 163  Rabe,

Verständigungsurteil, S. 114. NStZ 2014, 425, 426, 428. 165  Treffend Rabe, Verständigungsurteil, S. 115. 166  Kempf, StraFo 2014, 105 beschreibt etwa die Situation nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts v. 19.03.2013 mit Goethes Worten in Wilhelm Meisters Wanderjahren: „Alles Gescheite ist schon gedacht worden, man muss nur versuchen, es noch einmal zu denken“; siehe auch Spaniol, StraFo  2014, 366: „Nach BVerfGE ist vor BVerfGE“. 167  BVerfGE 133, 168; Hamm, AfP 2014, 202, 205. 168  BVerfGE 133, 168 (Hervorhebungen durch die Verfasserin). 169  BVerfGE 133, 168, 218. 164  Landau,



A. Beschränkungen des Öffentlichkeitsgrundsatzes175

dass diese die Angemessenheit der Verständigung nachvollziehen und so die ihr immanente Kontrollfunktion ausüben kann.170 Die auf diese Weise sichergestellte Transparenz171 des gerichtlichen Entscheidungsprozesses dient hauptsächlich der Stärkung des öffentlichen Vertrauens in die Fähigkeiten des Staates, mittels einer funktionstüchtigen Rechtspflege die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu erhalten.172 Als ein abstrakter Verfahrensgrundsatz wird reflexartig auch der Angeklagte vor einer undurchschaubaren und willkürlichen Geheimjustiz geschützt.173 3. Verständigungen im Strafprozess – aktuelle Rechtsprechung Seit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 19. März 2013 ist der Streit um § 257c StPO nicht beigelegt,174 vielmehr wurde auch in der Folgezeit das Bundesverfassungsgericht immer wieder angerufen. Grob zusammengefasst betrifft dies die Frage, inwiefern bei einem Verstoß gegen die verständigungsbezogenen Transparenzpflichten eine Beruhensprüfung i. S. d. § 337 StPO um normative Gesichtspunkte175 zu ergänzen ist.176 So hatte sich der 2. Senat im Januar  2015177 mit einer Verfassungsbeschwerde gegen einen Beschluss des Bundesgerichtshofs178 auseinanderzusetzen, in der ein Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens als Ausdruck des Öffentlichkeitsgrundsatzes gerügt wurde.179 Der Bundesgerichtshof führte in seiner durch den Beschwerdeführer angegriffenen Entscheidung unter Bezugnahme auf die Entscheidung im Verständigungsurteil von 2013 aus, dass nach wie vor keine verfassungsrechtlich zwingende Notwendigkeit bestehe, einen Verstoß gegen § 243 Abs. 4 StPO als absoluten Revisionsgrund i. S. v. § 338 Nr. 6 StPO einzustufen. Ein relativer Revisions170  Walther,

841.

NStZ 2015, 383, 384; Landau, in: FS  Rössner (2015), S. 829, 838,

171  Zum Wiederaufleben der Transparenzvorschriften ausführlich Pfister, StraFo 2016, 187 ff. 172  BVerfGE 133, 168, 218; Landau, in: FS Rössner (2015), S. 829, 841. 173  BVerfG, NStZ 2015, 170, 172 ff.; Walther, NStZ  2015, 383, 384 m. w. N.; Kirsch, StraFo 2010, 96, 98 f. 174  Zur Neubewertung alter Urteilsabsprachen siehe Eschelbach, in: FS  Paeffgen (2015), S. 637, 648. 175  Strate, NJW 2016, 450, 452, der anmerkt, dass normative Gesichtspunkte einer Beruhensprüfung immer immanent seien. 176  Becker, JA 2017, 641, 646. 177  BVerfG, NStZ 2015, 172. 178  BGH, NStZ-RR 2014, 86 und somit zeitlich nach dem Verständigungsurteil. 179  BVerfG, NStZ 2015, 172.

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3. Kap.: Grenzen des Öffentlichkeitsgrundsatzes

grund sei aufgrund des fehlenden Beruhens gemäß § 337  StPO ebenfalls zu verneinen.180 Auch wenn die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen wurde, wurde der Beschluss des 1. Strafsenats des Bundesgerichtshofs dennoch durch das Bundesverfassungsgericht korrigiert indem es ausführte, dass die Bedeutung und Tragweite des fair-trial-Prinzips (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG) nicht in ausreichender Weise gewürdigt worden sei. Der 1. Strafsenat habe bei der Begründung des Nichtberuhens des Urteils auf einem möglichen Verstoß gegen § 243 Abs. 4 StPO lediglich unter dem Prüfungspunkt der „Einwirkung auf das Aussageverhalten des Angeklagten“ erörtert. Dagegen könne auch nicht eingewandt werden, dass eine Verletzung der §§ 169 ff. GVG vom Gesetzgeber gerade deshalb als absoluter Revisionsgrund ausgestaltet worden sei, weil ein Beruhen im Sinne eines echten Kausalzusammenhangs wohl nur in den seltensten Fällen festzustellen wäre. Dies würde den in § 243 Abs. 4 StPO immanenten Aspekt der Öffentlichkeit entwerten, wenn zum einen ein Verstoß gegen die Mitteilungspflicht nicht als absoluter Revisionsgrund angesehen werde, zugleich jedoch in Bezugnahme auf die vorhandene Kausalitätsproblematik die Möglichkeit des Beruhens des Urteils auf der durch den Verstoß eingeschränkten Kontrolle durch die Öffentlichkeit per se verneint würde.181 Eine derartige Auffassung degradiere § 243 Abs. 4 StPO zu einer reinen Ordnungsvorschrift.182 Der Senat hat letztlich für diesen Bereich einen verständigungsbasierten „quasi-absoluten Revisionsgrund“183 kreiert. Dem ist der 3.  Strafsenat des Bundesgerichtshofs wiederum entgegengetreten indem er die Befugnis der Kammer zur Vornahme der derart weitgehenden Auslegung des § 337  StPO verneint. Begründet wurde dies unter Bezugnahme auf seine Zuständigkeit betreffend die Auslegung des einfachen Rechts184 und somit auch des § 93c Abs. 1 S. 1 BVerfGG,185 weil dem keine vorangehende Senatsentscheidung zugrunde gelegen habe.186 4. Kein Verstoß gegen den Grundsatz der Öffentlichkeit Der Beschluss der Zweiten Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom Januar 2015187 hat zu den Transparenzvorschriften des 180  BGH,

NStZ-RR 2014, 86. NStZ 2015, 172. 182  Ausführlich Rabe, Verständigungsurteil, S. 117, 118. 183  Stuckenberg, ZIS 2013, 212, 215. 184  Kritisch Strate, NJW 2016, 450 ff. 185  Becker, JA 2017, 641, 646. 186  Vgl. dazu BVerfG, NJW 2016, 513. 187  BVerfG, NStZ 2015, 172 ff. 181  BVerfG,



A. Beschränkungen des Öffentlichkeitsgrundsatzes177

Verständigungsgesetzes die zwei wesentlichen Aspekte der Öffentlichkeitsmaxime in Erinnerung gerufen: Zum einen dient die Gerichtsöffentlichkeit in der Gestalt einer Verfahrensgarantie dem Schutz der an der Verhandlung Beteiligten gegen einer der öffentlichen Kontrolle entzogenen Geheimjustiz. Zum anderen ist die Gerichtsöffentlichkeit eine „Rechtsposition des Volkes“, die es ermöglicht von den Abläufen einer Hauptverhandlung Kenntnis zu nehmen und die durch die Gerichte handelnde Staatsgewalt einer Kontrolle in Form des Einblicks der Öffentlichkeit zu unterziehen.188 Resümierend lässt sich festhalten, dass die Bedeutung der Öffentlichkeitsmaxime im Zusammenhang mit Verständigungen im Strafverfahren durch den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts aus Januar 2015 eine „beachtliche und nicht stets aus der Verfassung begründbare Renaissance erfahren hat“. In summa hat das anwesende Publikum zwar keinen direkten Einblick in die erfolgte Abspracheverhandlung, kann ferner die durch die verschiedenen Verfahrensbeteiligten vorgebrachten Argumente nicht im Detail erfahren, wird jedoch bei ordnungsgemäßer Durchführung und entsprechender Protokollierung189 jedenfalls in den Grundzügen über sämtliche relevante Vorgänge unterrichtet werden,190 war es doch Anliegen des Gesetzgebers, die Verständigungen aus den Richterzimmern in das Licht der Öffentlichkeit zu ziehen.191 Ein Verstoß gegen den Grundsatz der Öffentlichkeit liegt somit im Ergebnis nicht vor.192

IV. Der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 6 StPO Nach § 338 Nr. 6 StPO gilt ein Urteil als stets auf einer Verletzung des Gesetzes beruhend, wenn es aufgrund einer mündlichen Verhandlung ergangen ist, bei der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt wurden. Nach dem unbefangenen Lesen des Wortlauts des § 338 Nr. 6 StPO sanktioniert das Gesetz jeden Verstoß gegen den Öffentlichkeitsgrundsatz mit der Aufhebung des gesamten Urteils. Der Öffentlichkeitsgrundsatz scheint „mit unverbrüchlichen revisionsrechtlichen Weihen versehen“ zu sein, doch der Schein trügt.193

188  BVerfG, StV 2015, 269, 270; siehe auch Schlothauer, StV  2015, 665; Leitmeier, NJW 2015, 647, 648. 189  Kritisch SK-StPO/Velten, GVG, § 169, Rn. 9. 190  Landau, NStZ 2014, 425, 428; Schneider, NStZ 2014, 192, 197. 191  BVerfGE 133, 168; Landau, NStZ 2014, 425, 431; Schneider, NStZ  2014, 192, 197. 192  A. A. Gierhake, JZ 2013, 1030, 1038; Marxen, GA 2013, 99, 104. 193  Norouzi, StV 2016, 590, 592.

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3. Kap.: Grenzen des Öffentlichkeitsgrundsatzes

1. Unzulässige Erweiterung der Öffentlichkeit Ein interessantes Beispiel vor dem Hintergrund der in Kap. 2, A.  V. beschriebenen Problematik um die Augenscheinseinnahme sind die folgenden Konstellationen: In einem landgerichtlichen Strafverfahren fanden an mehreren Orten Augenscheinseinnahmen durch das Gericht statt, bei denen durch einen Fernsehsender audiovisuelle Aufzeichnungen von den Örtlichkeiten getätigt wurden,194 oder wenn entgegen des gesetzlichen Verbots direkt aus der laufenden Hauptverhandlung gefilmt und übertragen wird. Fraglich ist, ob hier ein Verstoß gegen den Grundsatz der Öffentlichkeit vorliegt, da es nicht zu einer Einschränkung, sondern zu einer unzulässigen Ausdehnung der Öffentlichkeit gekommen ist. Wie diese unzulässige Erweiterung des Öffentlichkeitsgrundsatzes in revisionsrechtlicher Hinsicht zu bewerten ist, ist umstritten. Nach Ansicht der Rechtsprechung und einem Teil  der Literatur liegt bei einer unzulässigen Erweiterung der Verfahrensöffentlichkeit lediglich ein relativer Revisionsgrund195 nach § 337 Abs. 1 StPO vor.196 Begründet wird dies damit, dass weder die Art. 1, 2 GG noch Art. 6 Abs. 1 S. 2 EMRK dem Angeklagten einen Anspruch auf Ausschluss der Öffentlichkeit geben, weshalb eine unzulässige Erweiterung nur dann gerügt werden könne, wenn ein Beruhen i. S. v. § 337 StPO anzunehmen sei. Ferner sei § 338 StPO und somit auch dessen Nummer  6 auf den Schutz grundlegender Verfahrensprinzipien, hier des Öffentlichkeitsgrundsatzes, ausgelegt, weshalb nur besonders schwerwiegende Verstöße umfasst sein sollen. Außerdem müssten § 169 S. 1 GVG  a. F.197 und § 169 S. 2 GVG  a. F. im Kontext des § 338  StPO unter194  BGHSt 36, 119; Fezer, StV 1989, 290; krit. zu dieser Entscheidung Meurer, JR 1990, 389 ff.; Roxin, NStZ 1989, 576 ff. 195  Orientiert wird sich bei dieser Argumentation an der Schwere des Verstoßes in einer objektiv-teleologischen Hinsicht und an dem Gedanken, dass der Telos des Öffentlichkeitsgrundsatzes primär der Vermeidung einer geheimen Kabinettsjustiz sei und einzig dieser Aspekt bedeutend genug für die Annahme eines absoluten Revisionsgrundes sei, vgl. Kudlich, in: FS  Fezer (2008), S. 435, 446 mit Verweis auf RGSt 77, 186, 187; Kretzschmar, DStZ 1992, 625. 196  RGSt 3, 295, 297; BHGSt  10, 202, 206; 23, 82, 85; BGHSt  36, 119; BGH, NStZ  2015, 172; KK-StPO/Diemer, GVG, § 169, Rn. 13; Löwe-Rosenberg-Hanack, StPO, § 338, Rn. 107 f.; Meyer-Goßner/Schmitt-Meyer-Goßner, StPO, § 338, Rn. 47; Dölling/Duttge/Rössner-Böttcher, GVG, § 169, Rn. 6; SK-StPO/Velten, GVG, § 169, Rn. 39; Graf/Wiedner, StPO, § 338, Rn. 140, 142; BeckOK StPO/Allgayer, GVG, § 169, Rn. 17 (jedoch ohne weitere Begründung); Bosch, Jura  2016, 45, 52; Exner, Jura  2017, 770, 774; Fromm, NJOZ  2015, 1193, 1996; Rössner/Safferling, Strafprozessrecht, S. 151. 197  Die Begründung, warum § 169 S. 1 GVG ein absoluter Revisionsgrund ist, ändert sich durch Einführung des EMöGG nicht; die getroffenen Wertungen sind daher ohne Weiteres auf die neue Rechtslage übertragbar.



A. Beschränkungen des Öffentlichkeitsgrundsatzes179

schiedlich behandelt werden, da die normativen Bezugspunkte beider Sätze unterschiedlich seien. Dies zeige sich daran, dass § 169 S. 1 GVG  a. F. die Rechtsstaatlichkeit des Verfahrens sichern solle und gegebenenfalls auch die Beeinträchtigung der Wahrheitsfindung durch die Öffentlichkeit hinnehme, während § 169 S. 2 GVG  a. F. eine derartige Beeinträchtigung der Wahrheitsfindung durch ein Zuviel an Öffentlichkeit verhindern solle.198 Aufgrund der Wertung der unzulässigen Erweiterung der Öffentlichkeit als einen relativen Revisionsgrund solle allerdings ebenso verfahren werden wie bei § 24 StPO, wo im Hinblick auf die Befangenheit des Richters ein großzügiger Maßstab für die Möglichkeit des Beruhens angelegt werde.199 Akzeptiert man diese Argumentation, so dürfte sich insoweit keine andere Beurteilung durch die Einführung des § 169 Abs. 1 S. 3 GVG n. F. ergeben. Dieser steckt lediglich die der Öffentlichkeit durch § 169 S. 2 GVG a. F. gezogenen Grenzen neu und kann daher nichts über die Folgen der Überschreitung dieser Grenzen sagen. Nach dieser Ansicht dürfte ein Verstoß gegen § 169 Abs. 1 S. 3 GVG  n. F. ebenfalls einen relativen Revisionsgrund darstellen. Nach einer anderen Ansicht innerhalb der Literatur liegt auch bei einer unzulässigen Erweiterung des § 169 S. 2 GVG  a. F. ein absoluter Revisionsgrund im Sinne von § 338 Nr. 6 StPO vor.200 Für die Annahme eines absoluten Revisionsgrundes spricht zunächst die historische Auslegung, denn nach den Motiven des historischen Gesetzgebers der Reichsjustizgesetze sollte sowohl die unzulässige Erweiterung als auch die rechtswidrige Einschränkung einen absoluten Revisionsgrund darstellen,201 auch wenn es die gesetzlich zwingenden Ausschlusstatbestände des § 169 S. 2 GVG  a. F. und des § 48  JGG zu diesem Zeitpunkt noch nicht gab. Diese historische Interpretation wird durch die teleologische Auslegung der Norm bekräftigt, da der Gedanke der unbeeinflussten Wahrheitsfindung sowohl § 169 Abs. 1 S. 1 GVG  n.F. als auch § 169 Abs. 1 S. 2 GVG  n. F. immanent ist.202 Normative Bezugspunkte beider Sätze des § 169  GVG sind jeweils die Verhinderung einer Beeinflussung des Gerichts. Ferner muss man sich vergegenwärtigen, 198  Rössner/Safferling,

Strafprozessrecht, S. 149 f. Jura 2016, 45, 48. 200  Kissel/Mayer, GVG, § 169, Rn. 60; Meurer, JR  1990, 389, 391; Ranft, Jura 1995, 573, 579; Roxin, NStZ 1989, 376 f.; ders., JZ 1968, 804; ders., in: FS Peters (1974), S. 393, 400; ders./Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 47, Rn. 26; Kudlich, in: FS Fezer (2008), S. 435, 446; Beulke, Strafprozessrecht, § 19, Rn. 379; Zipf, JuS 1973, 350; Hamm, AfP 2014, 202, 209. 201  Die gesamten Materialien zu den Reichs-Justizgesetzen, Bd. 2, Materialien zur Civilprozeßordnung; Hahn, Die gesamten Materialien zu den Reichs-Justizgesetzen, Bd. 3, Materialien zur Strafprozeßordnung § 300; Roxin, NStZ 1989, 376 f. 202  Tag, Öffentlichkeit, S. 50 f.; Witzler, Öffentlichkeit, S. 157 f.; Sorth, Rundfunkberichterstattung, S. 43 ff.; Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 47, Rn. 26. 199  Bosch,

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3. Kap.: Grenzen des Öffentlichkeitsgrundsatzes

dass es vor dem Hintergrund der medialen Prangerwirkung für den einzelnen Angeklagten weitaus gravierendere Folgen haben kann, wenn eine unzulässige Erweiterung des Öffentlichkeitsgrundsatzes durch eine audiovisuelle Berichtserstattung stattfindet. Der rechtswidrige Ausschluss einzelner Personen ist im Vergleich dazu mit einem geringeren Gefahrenpotential behaftet.203 Im Ergebnis lässt auch der Wortlaut des § 338 Nr. 6 StPO (obwohl eine entsprechende Klarstellung durch den Gesetzgeber ohne Weiteres möglich gewesen wäre) die durch die höchstrichterliche Rechtsprechung durchgeführte Herabstufung des Verstoßes gegen das absolut geltende Aufnahmeverbot auf einen relativen Revisionsgrund nicht zu.204 2. Verschulden durch das Gericht Anknüpfend an die Ausführungen betreffend das Zutrittsrecht zum Sitzungssaal in Kap. 2, A. V. tritt eine weitere Relativierung des Öffentlichkeitsgrundsatzes im Kontext der Revisionsvorschriften deutlich hervor. Faktische Zugangshindernisse wie verschlossene Türen, fehlende oder falsche Aushänge über Zeit, Ort und Gegenstand der Verhandlung u.s.w. fallen nicht per se in den Anwendungsbereich des § 338 Nr. 6 StPO. Vielmehr wird von der Rechtsprechung einschränkend gefordert, dass dieser Verstoß gegen den Grundsatz der Verfahrensöffentlichkeit dem Gericht zuzurechnen sein muss, bevor der absolute Revisionsgrund nach § 338 Nr. 6 StPO angenommen werden könne.205 In der Praxis erfolgen derartige Zugangshindernisse meist durch eine Unaufmerksamkeit eines Gerichtswachtmeisters bei der Öffnung der Räumlichkeiten oder der Bekanntgabe der Sitzungstermine.206 Das Fehlverhalten des Gerichtswachtmeisters wird dem Gericht jedoch regelmäßig zugerechnet werden müssen.207 Dass diese Einschränkung der Wortlautaus­ legung des § 338 Nr. 6 StPO zuwider läuft, scheint keine weitere Berücksichtigung durch die Gerichte zu finden. 3. Reduzierung der formalen Anforderungen Auch die in § 174 GVG verorteten formalen Anforderungen an einen Ausschluss der Öffentlichkeit haben seit dessen Einführung mehr und mehr ab-

Tag, Öffentlichkeit, S. 51. AfP 2014, 202, 209; Kudlich, in: FS Fezer (2008), S. 435, 446. 205  Meyer-Goßner/Schmitt-Meyer-Goßner, StPO, § 338, Rn. 49. 206  Kissel/Mayer, GVG, § 169, Rn. 55 m. w. N. 207  BGHSt 22, 297, 300 ff.; BGH, NStZ  2012, 173; differenzierter Graf/Wiedner, StPO, § 338, Rn. 147 f. 203  Zutreffend 204  Hamm,



A. Beschränkungen des Öffentlichkeitsgrundsatzes

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genommen.208 Nach der Rechtsprechung des Reichsgerichts führte ein Verstoß gegen die in § 174 GVG normierten Anforderungen automatisch zur Rechtswidrigkeit des Ausschlusses der Öffentlichkeit.209 Nach der sich fortentwickelnden Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs wird bereits nicht jeder formelle Verstoß gegen § 174 GVG den absoluten Revisionsgrund des § 338 Nr. 6 StPO auslösen.210 Es soll vielmehr genügen, dass die Entscheidung trotz der Missachtung der Anforderungen des § 174 GVG im Ergebnis ausreichend sei211 oder der Grund für den Ausschluss der Öffentlichkeit nach dem Verfassungsgegenstand sowie dem Verfahrensablauf „auf der Hand“212 liegen müsse.213 4. Verstoß gegen die Mitteilungspflicht des § 243 Abs. 4 StPO Auch nach Ergehen des Verständigungsurteils214 ebbte die geführte Diskussion um die Revisibilität von Verstößen gegen die Vorschriften über die Verständigung nicht ab. Es stellt sich vielmehr nach wie vor die Frage, wie jenseits des in § 338 Nr. 6 StPO normierten absoluten Revisionsgrundes im Falle einer Verständigung Verstöße gegen den Öffentlichkeitsgrundsatz gerügt werden können. In seinem Urteil aus dem Jahr  2013 hielt der Bundesgerichtshof215 an seiner strengen Auffassung hinsichtlich Rügen von Verstößen gegen die in § 243 Abs. 4 StPO statuierte Mitteilungspflicht, entgegen den Ausführungen im Verständigungsurteil zu § 257c  StPO, fest. Es sei zu beachten, so der 1. Strafsenat, dass es sich bei der Vorschrift des § 243 Abs. 4 StPO nicht um eine solche über die Öffentlichkeit i. S. v. § 338 Nr. 6 StPO handele.216 Trotz der Aussagen im Verständigungsurteil könne man auf das Beruhenserfordernis nicht verzichten. Mit der Öffentlichkeit in § 338 Nr. 6 StPO sei einzig die unmittelbare Öffentlichkeit i. S. d. § 169 S. 1GVG  a. F. gemeint und gerade nicht die hier zu untersuchende Möglichkeit einer Teilnahme an einer strafrechtlichen Hauptverhandlung.217 208  Widmaier,

StraFo 2010, 310, 313. 70, 109, 112. 210  BGHSt 30, 298; 45, 117. 211  BGHSt 45, 117. 212  BGH, NStZ-RR 2004, 235. 213  Norouzi, StV 2016, 590, 592 f. m. w. N. 214  Dazu bereits oben unter Kap. 3, A. III. 2. 215  BGH, NStZ 2013, 724. 216  BGH, NStZ 2013, 724 mit Verweis auf seine vorherige Rechtsprechung, BGH, NStZ 2011, 592. 217  Rabe, Verständigungsurteil, S. 116. 209  RGSt

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3. Kap.: Grenzen des Öffentlichkeitsgrundsatzes

Durch seinen Beschluss im Januar 2015 hat das Bundesverfassungsgericht die von sich selbst herausgearbeitete Prärogative des Gesetzgebers bei der Ausgestaltung des Grundsatzes der Öffentlichkeit unberücksichtigt gelassen. Allgemein wird aus diesem Beschluss gefolgert, das Bundesverfassungsgericht habe nur die Vorgaben der verfassungsrechtlich verankerten Öffentlichkeitsmaxime umgesetzt.218 So konstatiert Rabe,219 dass das Bundesverfassungsgericht mit einer erstaunlichen Offenheit zugegeben habe, dass ein einfachgesetzlicher Anhaltspunkt für die vorgenommene, enorm weite Dehnung des Wortlauts des § 338 Nr. 6 StPO nicht besteht. Die These der regelmäßigen Revisibilität von Verstößen gegen § 243 Abs. 4 StPO wird einzig damit begründet, dass es unverständlich sei, wenn der Gesetzgeber die ihm zugesagte Bedeutung des durch die Pflicht zur Mitteilung über Verständigungen dem darin enthaltenen Öffentlichkeitsgrundsatz nicht auch mit dem Siegel der Revisibilität versehen hätte. Mit dieser Annahme übergeht das Bundesverfassungsgericht allerdings die Ausgestaltungsprärogative des Gesetzgebers, die es selbst in eigener Rechtsprechung statuiert hat. Auch die Gesetzbegründung220 ist bei dieser Problematik nicht weiterführend, weshalb es jedenfalls nicht von vornherein ausgeschlossen scheint, dass die eingeschränkte Revisibilität nach § 337 Abs. 1 StPO durch den Gesetzgeber unberücksichtigt geblieben ist. Doch dann hätte das Bundesverfassungsgericht seine eigene Auffassung von der Verfassungsgemäßheit des Verständigungsgesetzes nachträglich revidieren müssen. Um diese Frage exakt beantworten zu können, wäre eine Aufarbeitung des gesetzgeberischen Willens221 durch das Bundesverfassungsgericht nicht nur wünschenswert, sondern sogar notwendig gewesen.222 Der Bundesgerichtshof folgt in seinem Beschluss vom 15. Januar 2015223 hingegen dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 19.  März  2013,224 konkretisiert die essentialia der Verständigungsgespräche, die das Gericht in der Hauptverhandlung öffentlich mitteilen muss und sorgt mit dieser Entscheidung zugleich dafür, dass die „Transparenz-Offensive aus Karlsruhe“ anhält und der Strafprozess weiter aus dem Richterzimmer in den Verhand218  Knauer/Pretsch,

NStZ 2015, 174. Verständigungsurteil, S. 125 f. 220  BT-Drs. 16/12310. 221  Dazu allgemein und grundlegend Reimer, Methodenlehre, S. 127 ff. 222  Rabe, Verständigungsurteil, S. 126, die ferner ausführt, dass vor dem Hintergrund des § 338 Nr. 6 StPO vor allem Fälle des untersagten Zugangs zur Hauptverhandlung subsumiert werden, nicht hingegen Verstöße gegen Mitteilungspflichten innerhalb der Hauptverhandlung. 223  BGH, NJW 2015, 645 ff. 224  BVerfGE 133, 168. 219  Rabe,



A. Beschränkungen des Öffentlichkeitsgrundsatzes

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lungssaal geholt wird.225 Damit fügt sich auch dieser Beschluss in die Judikatur des Bundesverfassungsgerichts226 nach Erlass des Verständigungsurteils ein, wonach der wesentliche Gesprächsinhalt in der allein maßgeblichen Hauptverhandlung mitgeteilt werden muss. Wird gegen diese Mitteilungspflicht verstoßen,227 hat dies in der Regel revisionsrechtliche Folgen.228 „Ein Beruhen des Urteils auf einem Verstoß gegen die Mitteilungspflicht wird grundsätzlich dann nie ausgeschlossen werden können, wenn zu besorgen ist, das Urteil könne auf gesetzwidrige informelle Absprachen oder diesbezüglicher Gesprächsbemühungen zurückgehen (BVerfGE 133, 168, 223).“229

Auch wenn das Beruhenserfordernis als Voraussetzung für § 337 Abs. 1 StPO bei einem Verstoß gegen die Mitteilungspflicht vorliegen muss, darf das gesetzliche Schutzkonzept der §§ 243 Abs. 4, 273 Abs. 1a, 257c  StPO nicht unterlaufen werden, sodass das Beruhen des Urteils auf dem Verstoß gegen die Mitteilungspflichten nur ausnahmsweise ausgeschlossen230 werden kann.231 Diese weite Auslegung des Beruhenserfordernisses ist nur konsequent, denn wer Verständigungsgespräche einer strengen Form unterwirft, der kann die Verstöße dagegen nicht auf revisionsrechtlicher Ebene ignorieren.232 Damit kommt dem Gesetzesverstoß eine „quasi-absolute“ Wirkung zu.233 Ein solcher Revisionsgrund von Verfassungs wegen liegt jedoch an der Grenze zulässiger richterlicher Rechtsfortbildung,234 da im Ergebnis faktisch ein zusätzlicher absoluter Revisionsgrund geschaffen worden ist.235 Der Gedanke, durch Transparenz und durch Informationen der Saalöffentlichkeit die Beachtung des Gesetzes sicherzustellen, zeigt einmal mehr die Steuerungsmacht, welcher der Öffentlichkeit als normativer Idee auch heute noch zugemessen wird. Um dies zu gewährleisten, muss jedoch jeder Verstoß 225  Leitmeier,

NJW 2015, 647. dazu BVerfG, NStZ 2014, 592; BVerfG, NJW 2014, 3504. 227  Die Zahl der Fälle informationeller Absprachen, die in die Revisionsinstanz gelangen, ist noch immer sehr gering, obwohl ein angefochtenes Urteil, das auf einer informellen Absprache beruht, kaum Aussicht auf Bestand hat, dazu ausführlich Eschelbach, in: FS Paeffgen (2015), S. 637, 644. 228  Leitmeier, NJW 2015, 647, 648. 229  BGH, NJW 2015, 645, 646. 230  Vgl. Landau, NStZ 2014, 425, 430. 231  BGH, NJW 2015, 645, 646 mit Verweis auf BVerfGE  133, 168, 223 und BVerfG, NStZ 2014, 592, 594. 232  Leitmeier, NJW 2015, 647, 648. 233  MüKo-StPO/Kudlich/Jahn, § 257c, Rn. 29 f. m. w. N. 234  MüKo-StPO/Kudlich/Jahn, § 257c, Rn. 30, Beulke/Stoffer, JZ 2013, 662, 669. 235  MüKo-StPO/Kudlich/Jahn, § 257c, Rn. 30 mit Verweis auf OLG  Nürnberg, StV 2015, 282, 283. 226  Siehe

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3. Kap.: Grenzen des Öffentlichkeitsgrundsatzes

gegen diesen Grundsatz mit einer effektiven Sanktionierung durch das Revisionsrecht gerügt werden können.236 5. Bedeutung des Öffentlichkeitsgrundsatzes im Rahmen von Verständigungen Die vorangestellten Ausführungen zeigen, dass der Pathos, mit dem der Öffentlichkeitsgrundsatz teilweise beschworen wurde, nicht mehr der Bedeutung entspricht, die er in der Rechtsprechung der Revisionsgerichte erfährt, was im Ergebnis einer Relativierung des Öffentlichkeitsgrundsatzes gleichkommt.237 Diese Relativierungstendenz durch die Rechtsprechung macht jedoch hinsichtlich der Aufwertung des relativen Revisionsgrundes bei einem Verstoß gegen die Mitteilungspflichten im Zuge von Verständigungen eine Ausnahme und erschafft einen faktisch absoluten Revisionsgrund im Mantel eines relativen Revisionsgrundes. Für diese Situation wird etwa vorgeschlagen, einen neuen absoluten Revisionsgrund nahe der Vorschrift des § 338 Nr. 6 StPO (z. B. in § 338 Nr. 6a StPO-E) einzuführen,238 um Unklarheiten bei den in der Praxis sehr häufig erfolgten Verständigungen entgegenzutreten.

V. Fehlende Disponibilität des Öffentlichkeitsgrundsatzes und Heilungsmöglichkeiten vor Abschluss der Beweisaufnahme Die bereits mehrfach erwähnte, besondere Relevanz des Öffentlichkeitsgrundsatzes zeigt sich auch daran, dass die Öffentlichkeit des Verfahrens nicht disponibel ist.239 Zur Disposition können zunächst nur Normen stehen, die lediglich Individualrechtsgüter betreffen, bei dem Grundsatz der Verfahrens­ öffentlichkeit handelt es sich allerdings um ein Recht der Allgemeinheit, das über die individuellen Schutzinteressen des Angeklagten vornehmlich eine demokratische Kontrolle des Gerichtsverfahrens ermöglichen soll. Zudem lässt sich aus der einfachgesetzlichen Regelung des § 171b Abs. 1 S. 1 GVG ableiten, dass die schutzbedürftigen Interessen des Angeklagten an einer in der Öffentlichkeit stattfindenden Erörterung des Geschehens nicht nur gegenüberstehen, sondern jene im Falle eines Überwiegens sogar verdrängt werden.240 236  Norouzi,

StV 2016, 590, 593. StV 2016, 590, 593. 238  MüKo-StPO/Kudlich/Jahn, § 257c, Rn. 30 m. w. N. 239  Kissel/Mayer, GVG, § 169, Rn. 19, 58. 240  SK-StPO/Velten, GVG, § 169, Rn. 36. 237  Norouzi,



A. Beschränkungen des Öffentlichkeitsgrundsatzes

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Das Verbot der Anfertigung von Ton- und Fernseh-Rundfunkaufnahmen sowie Ton- und Filmaufnahmen zum Zwecke der öffentlichen Vorführung oder Veröffentlichung ihres Inhalts ist vom Vorsitzenden im Rahmen seiner Befugnisse durchzusetzen, § 176 GVG, § 238 StPO. Eine heimlich getätigte verbotene Aufnahme stellt eine Ungebühr im Sinne des § 178 GVG dar, die mit dem Ausschluss aus dem Sitzungssaal für den Zuwiderhandelnden enden kann. Das Aufnahmegerät sowie die bereits aufgenommen Verfahrensmitschnitte können bis zum Schluss der Sitzung sichergestellt werden, um weitere verbotene Aufzeichnungen zu unterbinden.241 Nicht angeordnet und durchgeführt werden kann im Wege der Sitzungspolizei hingegen die Vernichtung verbotswidrig angefertigter Aufnahmen. Da es sich bei diesem Verbot um eine Ordnung der Verhandlung zuzurechende Regelungen handelt, ist eine Sicherstellung über das Ende der Sitzung hinaus bis zu dem Zeitpunkt der Beantragung einer einstweiligen Verfügung der Betroffenen gerichtet auf ein Sende- oder Verwertungsverbot nicht zulässig. Nicht verwehrt ist es dem Vorsitzenden jedoch, auf eine polizeiliche Beschlagnahme der verbotenen Aufnahmen hinzuwirken.242 Problematisch ist die folgende Konstellation, in der ein Verstoß gegen den Grundsatz der Öffentlichkeit vorliegt, der Fehler jedoch vor Beendigung der Beweisaufnahme entdeckt wurde. In diesem Zusammenhang geht die Rechtsprechung davon aus, dass es grundsätzlich möglich ist, einen solchen Verstoß durch die Wiederholung des betroffenen Verfahrensabschnitts zu heilen.243 Umstritten ist jedoch, ob eine Wiederholung des gesamten betroffenen Verfahrensabschnittes erforderlich244 ist, oder ob lediglich die als wesentlich erkannten Teile245 des betroffenen Abschnittes einer Wiederholung bedürfen.246 Richtigerweise kommt eine Wiederholung von nicht-öffentlich geführten Teilen der Hauptverhandlung ohnehin nur in Betracht, wenn durch die Wiederholung die tatsächliche Funktion des Öffentlichkeitsgrundsatzes nicht beeinträchtigt wird. Dies ist etwa bei Zeugenaussagen nicht der Fall, da bei einer erneuten Aussage der erste Eindruck und die Spontaneität der Aussage verloren gehen. Beides ist nicht nur für die Würdigung der Aussage aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung durch das Gericht, sondern insbesondere auch durch die Öffentlichkeit notwendig. Eine Heilung eines Verstoßes 241  Maul,

MDR 1970, 286, 288. GVG, § 169, Rn. 70. 243  RGSt 35, 353; 62, 198; BGH, NStZ 1998, 586. 244  Kissel/Mayer, GVG, § 169, Rn. 60. 245  BGHSt 9, 243; 21, 332; BGH, NJW  2000, 1289; Meyer-Goßner/SchmittMeyer-Goßner, StPO, § 338, Rn. 3. 246  Die Bekanntgabe des bisherigen Verfahrensverlaufs durch den Vorsitzenden genügt nicht, BGHSt 30, 74, 76. 242  Kissel/Mayer,

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3. Kap.: Grenzen des Öffentlichkeitsgrundsatzes

gegen den Öffentlichkeitsgrundsatz kann somit nur bei formalen Teilen der Hauptverhandlung in Betracht gezogen werden.247

B. Der Öffentlichkeitsgrundsatz und die Grundrechte der Verfahrensbeteiligten Im Folgenden soll der grundrechtlichen Rahmen von Gerichtsverfahren dargestellt werden, da zwischen den Medien und den Verfahrensbeteiligten konfligierende Rechtspositionen bestehen. Anschaulich beschrieben werden diese konfligierenden Rechtspositionen durch das Bild der „janusköpfigen Gerichtsöffentlichkeit“,248 die „freundlich lächelt, wenn sie Kabinettsjustiz verhindert, jedoch frech grinst, wenn sie Massenjustiz zulässt“.249 Die Besonderheit des Strafverfahrens liegt zum einen in der Notwendigkeit, den Strafzweck der Resozialisierung zu berücksichtigen.250 Zum anderen ist das Allgemeine Persönlichkeitsrecht der Verfahrensbeteiligten und besonders des Angeklagten in einem Strafverfahren ungleich stärker beeinträchtigt, als das der Beteiligten in anderen Verfahrensarten. Damit konzentriert sich die Frage nach einer möglichen Erweiterung der Vorschriften über die Verfahrensöffentlichkeit auf eine Abwägung der widerstreitenden Interessen der Persönlichkeitsrechte und der Presse- und Rundfunkfreiheit.251 Im Folgenden werden zunächst diejenigen verfassungsrechtlich verbürgten Rechte der Verfahrensbeteiligten dargestellt, bevor auf die Presse- und Rundfunkfreiheit von Journalisten und Medienvertretern eingegangen wird. Aus der Darstellung und Analyse der verschiedenen Grundrechte wird deutlich werden, dass es sich um widerstreitende Interessenpositionen zwischen den Medienvertretern auf der einen und den Verfahrensbeteiligten mit dem durch die Medien gelegten Fokus auf den Angeklagten auf der anderen Seite handelt, zwischen denen der Gesetzgeber einen Ausgleich zu finden hat. Dieser Verpflichtung ist er mit der Einführung der grundsätzlich öffentlichen Verhandlung und der seit dem Jahr  1964 vorhandenen Einschränkung des Öffentlichkeitsgrundsatzes durch ein Verbot von Ton-, Rundfunk- und Filmaufnahmen zum Zwecke der öffentlichen Vorführung nachgekommen. Da die § 169 S. 1 und S. 2 GVG  a. F. vollständig in § 169 Abs. 1 GVG  n. F. aufgegangen sind, wird zudem zu untersuchen sein, inwiefern sich die moderate Erweiterung durch die Möglichkeit der Einrichtung eines Medienarbeitsrau247  Zutreffend

SK-StPO/Velten, GVG, § 169, Rn. 36. in: FS Trechsel (2002), S. 671, 672. 249  Alwart, JZ 1990, 883, 884. 250  Jung, in: GS Kaufmann (1986), S. 891, 892; Müller, JZ 1977, 385. 251  Sorth, Rundfunkberichterstattung, S. 111. 248  Bommer,



B. Öffentlichkeitsgrundsatz und Grundrechte der Verfahrensbeteiligten

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mes252 nach § 169 Abs. 1 S. 3 GVG  n. F. zugunsten der Presse- und Rundfunkfreiheit auf die Persönlichkeitsrechte der Verfahrensbeteiligten auswirken wird.

I. Die grundrechtlich geschützten Interessen der Verfahrensbeteiligten, insbesondere des Angeklagten aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG Neben der Menschenwürde, Art. 1 Abs. 1 GG,253 steht an erster Stelle der gerichtsverfassungsrechtlich relevanten Grundrechte das Recht auf Persönlichkeit, Art. 2 Abs. 1 GG. Bei der Bestimmung seines Schutzumfangs ist jedoch Art  1 Abs. 1 GG heranzuziehen, der insoweit als „Interpretationsdirektive und Schutzverstärkung für Art. 2 Abs. 1 GG“254 wirkt.255 Aus der Kombination dieser beiden Normen (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1  GG) ergibt sich das Allgemeine Persönlichkeitsrecht.256 Es gewährleistet die engere persönliche Lebenssphäre und die Erhaltung ihrer Grundbedingungen.257 Dazu zählt unter anderem die persönliche Ehre eines jeden Menschen.258 Vom Bundesgerichtshof wurde das Allgemeine Persönlichkeitsrecht in positiv-rechtlicher Ausprägung erstmalig im Urteil vom 25.  Mai  1954259 als ein sonstiges Recht im Sinne von § 823 Abs. 1 BGB anerkannt, obwohl es zuvor in einer Entscheidung des Reichsgerichts260 aufgrund der fehlenden gesetzlichen Bestimmung abgelehnt wurde. Nach dem heutigen Verständnis wird das Allgemeine Persönlichkeitsrecht als ein Rahmenrecht verstanden,261 was daraus folgt, dass der Persönlichkeitsschutz weder abschließend gesetzlich geregelt, noch anhand feststehender Tatbestandsmerkmale eindeutig zu bestimmen ist.262 Somit kommt dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht die 252  Zur Möglichkeit der Einrichtung eines Medienarbeitsraumes sowie der weiteren, durch das EMöGG eingeführten Neuerungen des § 169  GVG ausführlich unter Kap. 5, B. I. 1, II. 1; C. I. 253  Zur Problematik des Art. 1 Abs. 1 GG und dessen utilitaristischer Auslegung Stöcker, JZ 1968, 685 ff. 254  Sodan/Ziekow, Grundkurs Öffentliches Recht, § 27, Rn. 6 m. w. N. 255  v. Mangoldt/Klein/Starck-Starck, GG Bd. I, Art. 2 Abs. 1, Rn. 10; Stern/BeckerHorn, GG, Art. 2, Rn. 77 f. 256  BVerfGE 54, 148, 153; 72, 155, 170. 257  BVerfGE 114, 339, 346; 120, 180, 197. 258  BVerfGE 93, 266, 290; Kahl/Ohlendorf, JuS 2008, 682, 684. 259  BGHZ 13, 334, 338. 260  RGZ 79, 397, 398; 107, 277, 281. 261  BGHZ 13, 334 ff.; Larenz, NJW 1955, 521, 525. 262  Ausführlich v. Mangoldt/Klein/Starck-Starck, GG Bd. I, Art. 2 Abs. 1, Rn. 8 ff.; siehe auch Fischer, Medienöffentlichkeit im Ermittlungsverfahren, S. 173 m. w. N.

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3. Kap.: Grenzen des Öffentlichkeitsgrundsatzes

wichtige Funktion zu, vorhandene Lücken im Bereich des Persönlichkeitsschutzes zu füllen, weshalb der Schutzumfang für jeden Einzelfall anhand der konkreten Umstände neu ermittelt und abgegrenzt werden muss.263 Als eine weitere Besonderheit der Zuordnung zu den Rahmenrechten muss die Rechtswidrigkeit des Eingriffs positiv festgestellt werden und wird nicht durch die Tatbestandsmäßigkeit indiziert.264 1. Konkretisierung des Persönlichkeitsrechts durch die Rechtsprechung In der zum Allgemeinen Persönlichkeitsrecht umfangreich ergangenen Judikatur des Bundesverfassungsgerichts265 sind verschiedene geschützte Komplexe erkennbar. So hat jeder Grundrechtsträger das Recht, das Ob und Wie der Selbstdarstellung in der Öffentlichkeit zu bestimmen. Dazu zählen im Einzelnen das Recht am eigenen Bild,266 das Recht am eigenen Wort,267 das Recht auf Gegendarstellung in einem angemessenen Umfang,268 der Schutz vor jeglichem Zwang zur Selbstbezichtigung269 sowie der Schutz der persönlichen Ehre,270 worunter ein sozialer Geltungsanspruch fällt, der durch die Schädigung des Rufes beeinträchtigt wird.271 a) Recht auf informationelle Selbstbestimmung Das Allgemeine Persönlichkeitsrecht wird im gerichtsverfassungsrechtlichen Bereich hauptsächlich in dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung, welches seit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Volkszählungsurteil  1983272 anerkannt ist, gekennzeichnet. Die Anmerkungen dazu weisen einhellig auf die grundlegende und weitreichende Bedeutung dieser Entscheidung hin: Mit der verfassungsrechtlichen Festlegung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung sei die Frage nach einer ver263  BVerfGE

27, 344, 352 ff.; 34, 238, 250; 35, 202, 221. BGB/Hager, § 823, C 15. 265  Dazu Degenhart, JuS 1992, 361, 363 f. 266  BVerfGE 34, 238, 246; 35, 202, 220; 87, 334, 340; 97, 228, 268; 101, 361, 381; 120, 180, 198. 267  BVerfGE 34, 238, 246; 54, 148, 155, 54, 208, 217. 268  BVerfGE 63, 131, 142 f. 269  BVerfGE 95, 220, 241. 270  BVerfGE 54, 148, 154; 114, 339, 346. 271  Tettinger, Die Ehre, S. 16; Glaser, NVwZ 2012, 1432. 272  BVerfGE 65, 1 ff.; vgl. dazu auch Riepl, Informationelle Selbstbestimmung, S. 6 ff. 264  Staudinger



B. Öffentlichkeitsgrundsatz und Grundrechte der Verfahrensbeteiligten

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fassungsrechtlichen Grundlage des Datenschutzes positiv beantwortet wor­ den,273 andere gingen davon aus, es sei ein Grundrecht auf Datenschutz geboren274 oder gar der philosophische Unterbau des Datenschutzes geliefert275 worden.276 Es handelt sich bei dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung entgegen des ersten Anscheins allerdings nicht um ein eigenständiges Grundrecht auf Datenschutz, auch wenn das Bundesverfassungsgericht teilweise von „grundrechtlichem Datenschutz“277 spricht. Der Terminus der informationellen Selbstbestimmung ist aus sich heraus auf den ersten Blick nicht unbedingt verständlich. Gemeint ist nicht das Recht auf eine freie Information, sondern ein Selbstbestimmungsrecht über die Information.278 Der Begriff der Selbstbestimmung wurde ursprünglich ohne den Zusammenhang mit der „Information“279 gebraucht und aus dem Recht auf Privatsphäre und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht entwickelt. Das Selbstbestimmungsrecht war mithin das individuelle Recht, über höchstpersönliche Güter zu entscheiden. Durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts280 wurde der Begriff schließlich auf das Recht der Darstellung ausgeweitet.281 Danach kann der Betroffene grundsätzlich selbst darüber entscheiden, ob, wann und wie seine persönlichen Lebenssachverhalte offenbart werden.282 In Anbetracht der durch die moderne Informationstechnik begründeten neuartigen Gefährdungen der Persönlichkeit, die auch im hier zu untersuchenden Kontext der Berichterstattung über Strafverfahren eine bedeutsame Rolle spielt, kreierte das Bundesverfassungsgericht283 auch ein Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme als eine spezifische Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts.284 Dieses Grundrecht greift, sofern der Persönlichkeitsschutz nicht durch andere Grundrechte ausreichend gewährleitet ist, ihm 273  Benda,

DuD 1984, 86, 89; Simitis, NJW 1984, 398, 399. JR 1984, 362. 275  Wronka, DSB 2/1984, 16 ff. 276  Ausführlich dazu Vogelgesang, Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung?, S. 18 ff. 277  BVerfGE 84, 239, 279. 278  Schneider, DÖV  1984, 161, 162; Riepl, Informationelle Selbstbestimmung, S. 20 ff. 279  Zur Umschreibung dieses Informationsbegriffes Vogelgesang, Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung?, S. 24 m. w. N. 280  BVerfGE 54, 148, 155. 281  Vogelgesang, Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung?, S. 23. 282  BVerfGE 65, 1, 41; 113, 29, 46; 115, 320, 341; 117, 202, 228; 118, 168, 184; 120, 351, 359 ff. 283  BVerfGE 120, 274, 302 f. (Hervorhebungen durch Verfasserin). 284  Stern/Becker-Horn, GG, Art. 2, Rn. 51; Ipsen, Grundrechte, Rn. 325a. 274  Bäumler,

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3. Kap.: Grenzen des Öffentlichkeitsgrundsatzes

kommt mithin eine Auffangfunktion zu, weshalb der Schutzbereich weit zu fassen ist.285 Informationstechnische Systeme müssen nach Auffassung der Rechtsprechung dazu geeignet sein, personenbezogene Daten in signifikantem Umfang zu enthalten.286 Neben Speichermedien wird auch das Internet als solches erfasst. Die Konsequenz dieses eigenständigen neuen Grundrechts liegt hauptsächlich in den besonders hohen Anforderungen an die Rechtfertigung entsprechender Eingriffe.287 Es gelten etwa erhöhte Anforderungen an die Bestimmtheit der gesetzlichen Grundlage sowie an das Zitiergebot; für die Fälle heimlicher Eingriffe hat das Bundesverfassungsgericht zudem einen Quasi-Richtervorbehalt kreiert. In materieller Hinsicht wird für eine Rechtfertigung des Eingriffs vorausgesetzt, dass Eingriffe auf eine höchstwahrscheinliche Gefährdung überragend wichtiger Rechtsgüter beschränkt werden.288 Problematisch bleibt allerdings die Abgrenzung des Grundrechts auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme zum Recht auf informationelle Selbstbestimmung.289 So sind etwa Eingriffe in informationstechnische Systeme zugleich auch Eingriffe in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung.290 Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung wird hauptsächlich über Art. 1 und Art. 2  GG geprüft, doch enthalten auch die Spezialfreiheitsrechte eine Reihe von individuellen Schutzgütern, die ebenfalls das Bestimmungsrecht über persönliche Angelegenheiten und personenbezogene Daten zum Gegenstand haben.291 Relevant ist für diese Arbeit die in Art. 5 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 GG verortete Meinungsfreiheit, denn das Recht des einzelnen Bürgers, seine Meinung frei zu äußern und zu verbreiten, was auch im Kontext der Berichterstattung über Strafverfahren von Bedeutung ist, enthält zugleich viele Elemente des Datenschutzes. Die Meinungsfreiheit in ihrer positiven Ausprägung will die freie Weitergabe von Informationen sicherstellen. Darin ist ein Element der informationellen Selbstbestimmung enthalten, da gewährleistet werden soll, dass der Bürger prinzipiell ebenso frei über Gegenstand und Inhalt seiner Äußerungen entscheiden kann, wie es die Person des Empfängers dieser Äußerungen tut. Darunter fallen alle Äußerungen gleich welchen Inhalts, auch solche mit wertendem Charakter. Das Recht der Selbstdarstellung, mit dem der einzelne das Bild über seine Persönlichkeit in der Öf285  Michael/Morlok,

Grundrechte, Rn. 427. 120, 274, 313 ff. 287  BVerfGE 120, 274, 327 f. 288  Michael/Morlok, Grundrechte, Rn. 429; Ipsen, Grundrechte, Rn. 325b. 289  Sodan/Ziekow, Grundkurs Öffentliches Recht, § 27, Rn. 6; Britz, DÖV  2008, 411, 413; Gurlit, NJW 2010, 1035, 1037. 290  Michael/Morlok, Grundrechte, Rn. 429. 291  Vogelgesang, Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung?, S. 89. 286  BVerfGE



B. Öffentlichkeitsgrundsatz und Grundrechte der Verfahrensbeteiligten191

fentlichkeit prägen kann, kann selbstredend nicht uneingeschränkt gelten, denn sobald ein Individuum bewusst und gewollt seine Anonymität zugunsten einer Meinungsäußerung in der Öffentlichkeit aufgegeben hat, muss es entsprechende Reaktionen gegen sich gelten lassen und das Recht der anderen auf freien Informationszugang (Art. 5 Abs. 1 Alt.  2 GG).292 Hierher gehört auch die Selbstbelastungsfreiheit im Strafprozess als verfahrensrechtliche Konsequenz des Persönlichkeitsrechts.293 Wie andere Grundrechte hat auch die Meinungsfreiheit neben der positiven eine negative Komponente in der Form, dass der Staat den Bürger nicht zwingen darf, eine bestimmte Meinungsäußerung zu tätigen bzw. einen bestimmten Kommunikationspartner auszuwählen, wodurch sogleich die allgemeine Handlungsfreiheit gewährleistet wird.294 Aus dieser negativen Komponente wird teilweise ein informationelles Selbstbestimmungsrecht konstruiert. Die negative Meinungsfreiheit garantiere die Freiheit eines jeden, seinen informationellen Beitrag im staatlichen Umfeld hinsichtlich des Adressaten selbst zu bestimmen,295 weshalb daraus ein vollständiger Schutz vor staatlicher Ermittlung, Speicherung und Weitergabe der Informationen abgeleitet werde könne.296 Diese Auffassung ist allerdings deutlich zu weitgehend, denn dem Bürger soll gerade nicht das Recht gegenüber dem Staat entstehen, sich jeglicher Informationssammlung zu enthalten, die nicht durch den Willen des Betroffenen gedeckt ist mit der Konsequenz, dass dieser allein über die Informationen bestimmen kann. Das Recht auf Meinungsfreiheit ist aber ein klassisches Abwehrrecht297 und begründet weder einen Leistungsanspruch gegenüber dem Staat noch gegenüber Dritten.298 b) Recht am eigenen Bild; §§ 22 f. KUG Im Zuge der Gerichtsberichtserstattung ist zudem häufig das Recht am eigenen Bild,299 das in den §§ 22 f. Kunsturhebergesetz (im Folgenden: KUG) eine spezialgesetzliche Ausprägung erfahren hat, betroffen.300 Es ist immer dann 292  Vogelgesang,

Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung?, S. 94 f. 56, 37, 43; BVerfG-K, NStZ 2000, 96 ff. 294  Vogelgesang, Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung?, S. 95 m. w. N. 295  Eberle, DÖV 1977, 306, 310. 296  Eberle, DÖV 1977, 306, 308. 297  Dazu grundlegend Michael/Morlok, Grundrechte, S. 250 ff.; Hoffmann-Riem, Kommunikationsfreiheiten, S. 188 ff. 298  Ipsen, Grundrechte, Rn. 321. 299  BVerfGE 34, 238, 246; 35, 202, 220, 223; 101, 361, 381; 120, 180, 198; BGHZ 20, 345, 347. 300  Stern/Becker-Horn, GG, Art. 2, Rn. 49; Eglinski, Bildberichterstattung im 21. Jahrhundert, S. 27 ff. 293  BVerfGE

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3. Kap.: Grenzen des Öffentlichkeitsgrundsatzes

verletzt, wenn Bildnisse von Personen ohne deren Einwilligung verbreitet werden, es sei denn, eine Ausnahmenregelung des § 23  KUG ist einschlägig.301 Nach § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG dürfen Bildnisse aus dem Bereich der Zeitgeschichte302 auch ohne Einwilligung des Betroffenen veröffentlicht werden, sofern nicht im Einzelfall berechtigte Interessen entgegenstehen, § 23 Abs. 2 KUG. Zur Zeitgeschichte im Sinne dieser Norm zählen alle Erscheinungen im Leben und in der Gegenwart, die von der Öffentlichkeit beachtet werden, bei ihr Aufmerksamkeit finden und Gegenstand der Teilnahme oder Wissbegier weiter Kreise sind.303 Als eine Faustformel für eine Bewertung des schutzwürdigen Publikationsinteresses der Allgemeinheit bot sich die Unterscheidung zwischen relativen und absoluten Personen der Zeitgeschichte an.304 Unter den Begriff der Zeitgeschichte sollte jede Abbildung oder Darstellung einer Person fallen, die ständig oder nur vorübergehend im Blickfeld wenigstens eines Teils der Öffentlichkeit steht und an der die Allgemeinheit ein legitimes Informationsinteresse hat.305 Im weitesten Sinne wurde das gesamte politische, soziale, wirtschaftliche und kulturelle Leben erfasst.306 Dazu gehörten grundsätzlich auch Unfälle, Kriegshandlungen und Verbrechen. Ein dauerhaftes Interesse stellte keine Voraussetzung dar.307 Zum Zeitgeschehen zählte jedoch nicht die Berichterstattung als solche.308 Nach und nach hatte sich die Grenze zwischen legitimem Informations­ bedürfnis und reinen Sensationswert, der keinen Eingriff in das Bildnisrecht rechtfertigt, zunehmend zugunsten des Informationsbedürfnisses verschoben.309 Die durch den Bundesgerichtshof310 und das Bundesverfassungs­ gericht311 vorgenommenen Korrekturen zugunsten des Schutzes der Pri­ vatsphäre von prominenten Persönlichkeiten rügte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im Lichte von Art. 8 EMRK als nicht ausrei­

301  Ausführlich

Möhring/Nicolini-Engels, UrhR, § 23 KUG, Rn. 1. exakten Bestimmung des Tatbestandsmerkmals der Zeitgeschichte siehe Dreier/Schulze-Specht, UrhG, § 23 KUG, Rn. 3 m. w. N. 303  Löffler/Wenzel/Sedelmeier-Steffen, Presserecht, § 6 LPG, Rn. 130; Becker, Straftäter in den Massenmedien, S. 158; Eglinski, Bildberichterstattung im 21. Jahrhundert, S. 64 ff.; Rüping, in: FS Dünnebier (1982), S. 391, 402. 304  Neumann-Duesberg, JZ 1960, 114 ff.; kritisch dazu Prinz, NJW  1995, 817, 820; ausführlich auch Eglinski, Bildberichterstattung im 21. Jahrhundert, S. 70 ff. 305  BVerfG, GRUR 2000, 446, 452. 306  Möhring/Nicolini-Engels, UrhR, § 23 KUG, Rn. 2. 307  Dreier/Schulze-Specht, UrhG, § 23 KUG, Rn. 3. 308  BVerfG, ZUM 2001, 578, 584. 309  Dreier/Schulze-Specht, UrhG, § 23 KUG, Rn. 3. 310  BGH, GRUR 1996, 923. 311  BVerfG, GRUR 2000, 446. 302  Zur



B. Öffentlichkeitsgrundsatz und Grundrechte der Verfahrensbeteiligten193

chend,312 was zu einer umfassenden Rechtsprechungsänderung führte und dazu, dass die Abgrenzung zwischen absoluten und relativen Personen der Zeitgeschichte aufgegeben wurde.313 Gleichwohl geht der Bundesgerichtshof314 davon aus, dass trotz der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte auch auf die bisherige Rechtsprechung von Bundesverfassungsgericht und Bundesgerichtshof zurückgegriffen werden kann.315 Daher sollen im Folgenden dennoch die Grundzüge der Abgrenzungskriterien von relativen und absoluten Personen der Zeitgeschichte  – auch vor dem Hintegrund der Ausführungen unten in Kap. 5, C. III. – überblicksartig dargestellt werden. Zu den absoluten Personen der Zeitgeschichte gehören solche, die kraft politischer oder gesellschaftlicher Stellung oder kraft außergewöhnlicher, individueller Leistung aus der Masse der Menschen hervorragen und deshalb im Blickpunkt der Öffentlichkeit stehen.316 Relative Personen der Zeitgeschichte zeichnen sich nicht durch die eigene Stellung in der Gesellschaft aus, sie sind vielmehr erst in Kombination mit einem Ereignis der Zeitgeschichte zum Gegenstand eines öffentlichen Interesses geworden.317 Diese sind nur in sachlichem Zusammenhang mit dem konkreten zeitgeschichtlichen Ereignis Bestandteil des öffentlichen Interesses und dürfen nur in Kumulation mit diesem Ereignis fotografiert und abgebildet werden.318 Regelmäßig ist diese Ausnahmeregelung bei Gerichtsverfahren, auch wenn diese auf ein breites Interesse in der Öffentlichkeit stoßen, nicht einschlägig. Aufgrund besagter Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte wurden etliche Einzelfälle zwecks Entscheidung an den Bundesgerichtshof herangetragen. In diesen Urteilen319 wurde sodann weitgehend Abschied von der Beurteilung des zeitgeschichtlichen Ereignisses anhand des Kriteriums der Person der Zeitgeschichte genommen. Ausschlaggebend ist nunmehr das Resultat einer einzelfallbezogenen Abwägung der konkurrierenden Grundrechte von Menschenwürde, der Handlungsfreiheit sowie der Achtung der Privatsphäre aus Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG, Art. 8  EMRK einerseits und der Pressefreiheit aus Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG, Art. 10 EMRK an312  EGMR, GRUR 2004, 1051; siehe auch Eglinski, Bildberichterstattung im 21. Jahrhundert, S. 78 ff. 313  Ausführlich bei Dreier/Schulze-Specht, UrhG, § 23 KUG, Rn. 3. 314  BGH, GRUR 2007, 53, 526, sogenannte abgestuftes Schutzkonzept. 315  Möhring/Nicolini-Engels, UrhR, § 23 KUG, Rn. 2. 316  Dreier/Schulze-Specht, UrhG, § 23 KUG, Rn. 5. 317  Dreier/Schulze-Specht, UrhG, § 23 KUG, Rn. 6. 318  Soehring, Presserecht, S. 183 ff.; Ernst, ZUM 1996, 187, 189. 319  BGH, GRUR 2007, 523; GRUR 2007, 902; bestätigt durch BVerfG, AfP 2008, 163, 169.

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3. Kap.: Grenzen des Öffentlichkeitsgrundsatzes

dererseits. Zugrunde zu legen ist dabei ein normativer Maßstab.320 Ein Ereignis der Zeitgeschichte liegt demnach nur vor, wenn die Pressefreiheit bei dieser Einzelfallabwägung das Recht am eigenen Bild überwiegt. Ist eine absolute Person der Zeitgeschichte in ein Gerichtsverfahren verwickelt, wird eine Bildberichterstattung321 in den Massenmedien in der Regel zulässig sein, dies gilt insbesondere für das Strafverfahren und dort auch für die Berichterstattung über Bagatelldelikte.322 Relevant ist hier die Frage, ob ein bisher Unbekannter einzig durch seine Verwicklung in ein Strafverfahren zu einer relativen Person der Zeitgeschichte wird. Vor der Einführung der Differenzierung zwischen absoluten und relativen Personen der Zeitgeschichte wurde dies überwiegend abgelehnt.323 Dies änderte sich jedoch im Laufe der Jahrzehnte, sodass bis zu besagter Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte Straftäter324 und Angeklagte vor allem bei schweren Delikten,325 aber auch Untersuchungsgefangene,326 vorübergehend als relative Personen der Zeitgeschichte angesehen wurden, sofern es sich um schwere und aufsehenerregende Straftaten handelte.327 Häufig, jedoch nicht immer, wurde damit zugleich ein Interesse der Öffentlichkeit an vollständig identifizierender Berichterstattung angenommen.328 Auch unter Zugrundelegung des neuen abgestuften Schutzkonzepts329 ist eine identifizierende Berichterstattung über bereits verurteilte Straftäter ohne deren Einwilligung aufgrund der Regelung in § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG grundsätzlich möglich, da Straftaten zum Zeitgeschehen gehören und den Medien die Aufgabe der Vermittlung eben jenes Zeitgeschehens zukommt.330 Vor diesem Hintergrund kann sich ein Angeklagter auch nicht gegen eine laufende Prozessberichterstattung wehren und zwar selbst dann nicht, wenn etwa intime Details des Angeklagten massenmedial verbreitet werden, sofern diese in der öffentlichen Hauptverhandlung bekannt geworden sind.331 Wer 320  BGH,

GRUR 2007, 523, 527; NJW 2009, 757, 758; GRUR 2010, 549, 553. auch umfassend Haug, Bildberichterstattung über Prominente, S. 15 ff. 322  Bornkamm, Pressefreiheit, S. 249; siehe auch Zielemann, Der Tatverdächtige als Person der Zeitgeschichte, passim; Riepl, Informationelle Selbstbestimmung, S. 70 ff. 323  Siehe etwa KG Berlin, JW 1924, 1780. 324  Kühle, AfP 1973, 356, 357. 325  OLG Frankfurt, NJW 1971, 47, 48; OLG Frankfurt, GRUR 1990, 1056. 326  OLG Frankfurt, JZ 1971, 331, 333. 327  Möhring/Nicolini-Engels, UrhR, § 23 KUG, Rn. 8. 328  Siehe etwa OLG Hamburg, NJW-RR 1994, 1439, 1440 f. 329  Dazu auch Rüping, in: FS Dünnebier (1982), S. 391, 401 f.; Haug, Bildberichterstattung über Prominente, S. 100 ff. 330  Möhring/Nicolini-Engels, UrhR, § 23 KUG, Rn. 8. 331  BGH, NJW 2013, 1681. 321  Dazu



B. Öffentlichkeitsgrundsatz und Grundrechte der Verfahrensbeteiligten195

den Rechtsfrieden durch die Begehung einer Straftat bricht, muss nicht nur die verhängten strafrechtlichen Sanktionen akzeptieren, sondern es grundsätzlich auch dulden, dass das durch ihn selbst begründete Informationsinteresse der Öffentlichkeit auf dem dafür üblichen Weg befriedigt wird.332 Für die Beurteilung, ob das konkrete Strafverfahren einen zeitgeschichtlichen Charakter aufweist,333 ist stets eine Abwägung im Einzelfall unter Berücksichtigung der oben genannten Gesichtspunkte unter gleichzeitiger Beachtung des Resozialisierungsinteresses334 des Angeklagten notwendig. Dafür spielen neben der Art und Weise der Darstellung sowie der Person des Angeklagten auch Natur und Schwere der Tat eine Rolle.335 Zudem ist der Bekanntheitsgrad des Angeklagten im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen. Ist dieser bereits eine Person des öffentlichen Interesses, darf über dessen Strafverfahren in einem extensiveren Umfang berichtet werden.336 Anerkannt ist jedoch auch, dass ein an sich geringes Interesse der Öffentlichkeit an Informationen über leichte Verfehlungen durch in der Person des Angeklagten liegenden Besonderheiten aufgewogen wird und somit eine Berichterstattung über Straftaten unterhalb der Schwelle der Schwerstkriminalität auch in großem Umfang zulässig sein kann.337 Dieser heutzutage gängigen Handhabung wird teilweise entgegengehalten, dass dadurch der Grundsatz der Unschuldsvermutung übermäßig tangiert werde, weshalb der Angeklagte eines noch nicht abgeschlossenen Verfahrens keine relative Person der Zeitgeschichte darstelle und man daher Bilder des Betroffenen grundsätzlich erst nach einer erfolgten erstinstanzlichen Verurteilung zulassen sollte.338 Diese Ansicht verkennt jedoch, dass jeder Eröffnung eines Hauptverfahrens eine Prüfung des hinreichenden Tatverdachts vorausgeht.339 Ist ein hinreichender Tatverdacht nach eingehender Prüfung bejaht worden und kommt dem Prozess ein zeitgeschichtliches Interesse zu, so besteht automatisch auch ein Interesse der Öffentlichkeit an der Verfolgung des Prozesses, was (auch) durch die Bildberichterstattung bedient wird.340 Zum Schutz des Angeklagten ergeht bei bebilderter Berichterstattung über erstinstanzliche Strafverfahren regelmäßig eine Anonymisierungsanord332  Möhring/Nicolini-Engels, 333  Hübner-Raddatz,

UrhR, § 23 KUG, Rn. 8 m. w. N. Fernsehöffentlichkeit, S. 150 f.; Becker, Straftäter in den

Massenmedien, S. 185. 334  BVerfGE 35, 202, 220, 223. 335  BGH, GRUR 2009, 150 f. 336  BGH, GRUR 2009, 150 f.; Möhring/Nicolini-Engels, UrhR, § 23 KUG, Rn. 8. 337  BVerfG, NJW 2006, 2835. 338  Bornkamm, Pressefreiheit, S. 261. 339  OLG München, NJW 1963, 658, 659. 340  Hübner-Raddatz, Fernsehöffentlichkeit, S. 151.

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3. Kap.: Grenzen des Öffentlichkeitsgrundsatzes

nung.341 Nach dem Abschluss des Strafverfahrens und der Befriedigung des Informationsinteresses der Öffentlichkeit gewinnt mit zeitlicher Distanz zur abgeurteilten Tat das Interesse des Verurteilten, vor dem Hintergrund der Resozialisierung,342 von einer erneuten Berichterstattung über die von ihm begangene Tat verschont zu bleiben an Bedeutung.343 Die Tätigkeit von anderen Personen als dem Angeklagten, wie Richter, Staatsanwälte, den Verteidiger oder auch Zeugen344 begründet in der Regel kein Berichterstattungsinteresse.345 Auch die Vertretung eines Prominenten durch einen Rechtsanwalt begründet kein zeitgeschichtliches Ereignis,346 selbst wenn das Strafverfahren an sich ein solches der Zeitgeschichte ist.347 c) Recht auf Selbstdarstellung in der Öffentlichkeit Das Recht auf Namensanonymität korrespondiert mit dem Schutz der Selbstdarstellung348 und wirkt in dieser Ausprägung als Schutz des Selbstbestimmungsrecht über die Darstellung des persönlichen Lebens- und Charakterbildes.349 Wann und in welchem Umfang der Beschuldigte über die ihm vorgeworfene Straftaten berichten möchte oder auch nicht,350 obliegt somit allein ihm selbst.351 Die erhöhte Sensibilität bezüglich der Wahrung des Persönlichkeitsschutzes des Angeklagten und auch der Zeugen ist darin begründet, dass zur Ermittlung des genauen Sachverhaltes sowie zur sachgerechten Sanktionsbemessung durch das Gericht eine Erforschung der Täterpersönlichkeit eine erhebliche Rolle spielt. Im Kontext der Berichterstattung bis hin zu einer parallel zur Gerichtsverhandlung stattfindenden medi341  BVerfG 2009, 2117; BGH, GRUR  2013, 965; zur Befugnis zum Erlass einer Anonymisierungsanordnung ausführlich Hauth, Sitzungspolizei und Medienöffentlichkeit, S. 43 ff. m. w. N. 342  Zusätzlich zu dem Resozialisierungsinteresse des Täters sind im Rahmen einer Gesamtabwägung allerdings im Einzelfall noch weitere Kriterien zu berücksichtigen, wie etwa ein überregionales historisches Interesse an der Berichterstattung über RAF-Terroristen bei bevorstehender Haftentlassung unter Verwendung eines archivierten Fotos, KG, AfP  2007, 376; oder nach bereits erfolgter Haftentlassung, LG Berlin, Urt. v. 12.02.2009, Az.: 27 O 30/09. 343  Dreier/Schulze-Specht, UrhG, § 23 KUG, Rn. 16 m. w. N. 344  Dazu KG, AfP 2011, 269. 345  OLG Celle, ZUM 2011, 341, 342. 346  LG Berlin, AfP 2007, 164. 347  Ausführlich Dreier/Schulze-Specht, UrhG, § 23 KUG, Rn. 19. 348  Stern/Becker-Horn, GG, Art. 2, Rn. 49. 349  BVerfGE 35, 202, 220 ff. 350  BVerfGE 96, 171, 181. 351  BVerfGE 63, 131, 142; Trüg, NJW 2011, 1040, 1041.



B. Öffentlichkeitsgrundsatz und Grundrechte der Verfahrensbeteiligten197

alen Ermittlung dieses Sachverhalts wird häufig angeführt, dass durch ein solches Verhalten die Unschuldsvermutung tangiert werde. Diese These ist jedoch nur auf den ersten Blick stichhaltig, da eine massenmediale Vorverurteilung in der Öffentlichkeit den aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitenden und über Art. 6 Abs. 2 EMRK positivierten Grundsatz der Unschuldsvermutung nicht direkt betreffen kann. Der Grundsatz der Unschuldsvermutung bestimmt, dass der Angeklagte bis zum Nachweis seiner Schuld in der dafür vorgesehenen Form als unschuldig zu gelten hat.352 Die Unschuldsvermutung gebietet es, dass der Angeklagte trotz der in der Realität bestehenden Schuldwahrscheinlichkeit von staatlicher Seite dennoch als unschuldig betrachtet wird. Somit richtet sich der Grundsatz der Unschuldsver­ mutung ausschließlich an die Richter und die anderen am Prozess beteiligten staatlichen Organe.353 Eine massenmediale Vorverurteilung geht aber gerade nicht von staatlicher Seite aus, weshalb durch eine solche auch nicht der Grundsatz der Unschuldsvermutung tangiert oder verletzt werden kann.354 d) Recht auf Resozialisierung Auch das dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht immanente Recht auf Resozialisierung355 von Strafgefangenen, das auf eine Wiedereingliederung des Straftäters in die Gesellschaft abzielt, wird durch das Verbot von Ton-, Rundfunk- und Filmaufnahmen zum Zwecke der öffentlichen Vorführung geschützt. Eine vollständige Immunisierung vor der ungewollten Darstellung persönlichkeitsrelevanter Geschehnisse ist damit jedoch nicht gemeint.356 Das Allgemeine Persönlichkeitsrecht vermittelt dem Betroffenen keinen uneingeschränkten Anspruch darauf, in der Öffentlichkeit überhaupt nicht mehr mit seiner Verfehlung konfrontiert zu werden.357 Fernsehaufnahmen, die nach der Entlassung des Betroffenen aus der Justizvollzugsanstalt immer wieder aus den Online-Archiven358 der Sender aufgerufen werden können, führen zu einer nachträglichen Prangerwirkung359 und somit zu einer lebenslangen Stigmatisierung mit der Folge einer nahezu ausgeschlossenen Wieder352  BVerfGE

19, 342, 347. 10/4608. 354  Pernice, Medienöffentlichkeit, S. 141 f.; Hamm, Strafverteidigung, S. 59, 70. 355  BVerfGE 35, 202, 220, 223. 356  BVerfGE 35, 202, 233; BVerfG, AfP 2009, 365; BGH, VersR 2013, 115, 116. 357  BGH, VersR 2012, 994 m. w. N.; VersR 2013, 63; VersR 2013, 114, 116. 358  Zur Zukunft der Menschenwürde im Informationszeitalter ausführlich Gstrein, Recht auf Vergessenwerden als Menschenrecht, S. 18 ff. 359  Zum Begriff der Prangerwirkung ausführlich bereits in Kap. 3, B. I. 2. e) ff). 353  BT-Drs.

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3. Kap.: Grenzen des Öffentlichkeitsgrundsatzes

eingliederung in die Gesellschaft.360 Selbst aus der Verbüßung einer Straftat resultiert nicht, dass ein Täter den uneingeschränkten Anspruch erwirbt, mit der Tat „allein gelassen zu werden“. Maßgeblich ist vielmehr stets, in welchem Ausmaß das Persönlichkeitsrecht einschließlich des Resozialisierungsinteresses des Straftäters von der Berichterstattung unter den konkreten Umständen des Einzelfalls beeinträchtigt wird.361 Für die Intensität der Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts kommt es auch auf die Art und Weise der Darstellung, insbesondere auf den Grad der Verbreitung des Mediums an.362 So zieht der Bundesgerichtshof als ein maßgebliches Kriterium heran, ob der Strafprozess seinerzeit ein bedeutendes zeitgeschichtliches Ereignis darstellte. Hatte dieser etwa ein spektakuläres Kapitalverbrechen zum Gegenstand, das untrennbar mit der Person und dem Namen des Täters verbunden ist, ist ein zeitgeschichtliches Ereignis anzunehmen. Viele aufsehenerregende Kriminalfälle der Strafrechtsgeschichte werden unter dem Namen der Täter geführt. Ein generelles Verbot der Einsehbarkeit und Recherchierbarkeit von Originalberichten bzw. ein generelles Gebot der Löschung aller früheren, den Straftäter identifizierenden Darstellungen in Onlinearchiven würde dazu führen, dass Geschichte getilgt und der Straftäter vollständig immunisiert würde.363 Darauf hat der Täter keinen Anspruch.364 2. Sphärentheorie des Bundesverfassungsgerichts Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Rechtsprechung für das Allgemeine Persönlichkeitsrecht als besonderen Verhältnismäßigkeitsmaßstab als Grenze der Einschränkbarkeit die sogenannte Sphärentheorie entwickelt.365 Mit Hilfe dieser Theorie366 soll die unterschiedliche Schutzbedürftigkeit menschlicher Lebensvorgänge in diesen drei Bereichen367 eingefangen werden.368 Da360  Dreier/Schulze-Specht, UrhG, § 23 KUG, Rn. 16 m. w. N.; Kortz, AfP  1997, 443, 447; Pernice, Medienöffentlichkeit, S. 141. 361  BVerfG, NJW 2000, 1859, 1860. 362  BGH, VersR 2010, 673; VersR 2013, 114, 116. 363  BGHZ 183, 353. 364  BVerfG, NJW 2000, 1859, 1860; BGH, VersR 2013, 114, 116. 365  Statt vieler Stern/Becker-Enders, GG, Art. 1, Rn. 50. 366  Kritisch aus strafprozessualer Sicht Hauck, Heimliche Strafverfolgung und Schutz der Privatheit, S. 287 ff. 367  Dabei betrachtet das BVerfG seine Unterscheidung verschiedener Sphären selbst nicht als eine schematische Stufenordnung, sondern nur als Anhaltspunkt für die Intensität der Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts, s. BVerfGE 119, 1, 29 f. 368  Michael/Morlok, Grundrechte, Rn. 422.



B. Öffentlichkeitsgrundsatz und Grundrechte der Verfahrensbeteiligten199

nach ist die Intimsphäre369 als ein „letzter unantastbarer Bereich menschlicher Freiheit“370 dem Zugriff staatlicher Gewalt vollständig entzogen, weshalb eine Abwägung nach dem Verhältnismäßigkeitsprinzip hier nicht stattfindet. In die Privatsphäre, also in den Bereich privater und gerade der Öffentlichkeit entzogener Lebensgestaltung, darf nur unter strikter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsprinzips zugunsten überwiegender Interessen der Allgemeinheit oder im Hinblick auf grundrechtlich geschützte Interessen Dritter eingegriffen werden.371 Die verstärkten Rechtfertigungsanforderungen tragen der Schutzverstärkung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch Art. 1 Abs. 1 GG Rechnung.372 Eingriffe in die Sozialsphäre, in der sich das Individuum bewusst in der Öffentlichkeit bewegt, können aber nach den allgemeinen Kriterien wie Eingriffe in die allgemeine Handlungsfreiheit gerechtfertigt sein.373 Für Eingriffe in die informationelle Selbstbestimmung verlangt das Bundesverfassungsgericht eine bereichsspezifische Rechtsgrundlage374 aus der sich die Voraussetzungen und der Umfang der Beschränkungen klar und für den Bürger erkennbar ergeben und die damit dem rechtsstaatlichen Gebot der Normenklarheit entspricht.375 Relevant wird diese Interessenabwägung376 grundsätzlich dann, wenn es um die Weitergabe der im Ermittlungs- oder im späteren Gerichtsverfahren publik gewordenen personenbezogenen Daten377 des Beschuldigten geht.378 Zu beachten ist an dieser Stelle, dass das generelle Interesse an der Aufklärung von Straftaten keinen hinreichenden Rechtfertigungsgrund darstellt.379 Das Bundesverfassungsgericht nimmt den Maßstab der Schwere der Tat und den Verdachtsgrad als Abwägungskriterien,380 was jedoch nicht unproblematisch und mithin nicht unumstritten ist. Daher wird teilweise argumentiert,

369  Baumann, NJW  1982, 1558, 1559; zur Schutzwürdigkeit der Privatsphäre des Angeklagten während der gutachterlichen Berichterstattung von Ärzten und Psychologen siehe Herbst, NJW 1969, 546, 547; Kühne, NJW 1971, 224, 227. 370  BVerfGE 6, 32, 41 (Hervorhebungen durch Verfasserin). 371  BVerfGE 27, 334, 351; 34, 238, 246; 80, 367, 375; 96, 56, 61; 115, 320, 345; 120, 224, 239. 372  Sodan/Ziekow, Grundkurs Öffentliches Recht, § 27, Rn. 18 m. w. N. 373  BVerfGE 35, 202, 220; 80, 367, 373. 374  Duttge, Der Staat 1997, 281, 282. 375  Sodan/Ziekow, Grundkurs Öffentliches Recht, § 27, Rn. 18 f. 376  Siehe auch Trüg, NJW 2011, 1040, 1042. 377  In Bezug auf die Rechte von Zeugen ausführlich Gleß, in: FS Paeffgen (2015), S. 703, 704 f. 378  Kissel/Mayer, GVG, Einleitung, Rn. 189 ff. 379  BVerfGE 44, 353, 378. 380  BVerfGE 80, 367, 379 f.

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3. Kap.: Grenzen des Öffentlichkeitsgrundsatzes

dass gerade aus der Unschuldsvermutung381 folge, dass die Schwere der Tat gerade kein Kriterium im Wege dieses Abwägungsprozesses sein könne.382

II. Die grundrechtlich geschützten Interessen von Journalisten und Medienvertretern, Art. 5 Abs. 1 GG Die aus Art. 5 Abs. 1 GG resultierenden Meinungs-, Presse-, und Informationsfreiheiten gehören zu den wesentlichen Gewährleistungen des modernen Rechtsstaates,383 denn sie weisen einen unverkennbaren Öffentlichkeits- und Demokratiebezug auf.384 Die Meinungs-, Presse-, und Informationsfreiheiten sind charakteristisch für die westlichen Demokratien, da sich die Bürger (im Rahmen der verfassungsrechtlichen Grenzen anderer grundrechtlich geschützter Interessen) frei über das politische und gesellschaftliche Geschehen sowie sämtliche, frei zugänglichen, Vorgänge mit öffentlichem Interesse ungehindert und ohne staatlich Zensur385 unterrichten können. Ferner können die Bürger zu all diesen Geschehnissen und politischen Entscheidungen öffentlich Stellung beziehen und ihre Meinung386 äußern, ohne Repressalien befürchten zu müssen. Im Sinne eines pluralistischen Staatsverständnisses ist es allgemein anerkannt, dass die Meinungs-, Presse-, und Informationsfreiheit zur Willensbildung des Souveräns den entscheidenden Beitrag leisten und so der Stabilisierung des Staatsgefüges dienen.387 Über das Grundgesetz hinaus sind die Meinungs-, Presse-, und Informationsfreiheiten völkerrechtlich anerkannt und in Art. 10 EMRK als Menschenrechte388 garantiert.389

auch Hauth, Sitzungspolizei und Medienöffentlichkeit, S. 189 ff. NJW 2011, 1040, 1043 m. w. N. 383  Zur Entwicklung der Meinungs- und Medienfreiheit in der Informationsgesellschaft Hoffmann-Riem, Kommunikationsfreiheiten, S. 44 ff. 384  BeckOK GG/Schemmer, Art. 5 Einl. 385  Die „Zensurfreiheit“ i. S. v. Art. 5 Abs. 3 GG stellt kein eigenständiges Grundrecht dar; sie schützt die Medien gegen eine Vorlagepflicht an staatliche Stellen im Vorfeld von Veröffentlichungen (Vorzensur) und stellt daher eine Schranke für den das Grundrecht beschränkenden Gesetzgeber dar (Schranken-Schranke), vgl. Stern/ Becker-Fechner, GG, Art. 5, Rn. 60; Hufen, Grundrechte, § 27, Rn. 12. 386  Der Begriff der „Meinung“ lässt sich jedoch nicht exakt bestimmen, auch die Umschreibungsversuche durch das BVerfG bleiben letztlich ungenau. Einigkeit besteht aber hinsichtlich der extensiven Auslegung dieses Begriffes, vgl. Stern/BeckerFechner, GG, Art. 5, Rn. 80; Ipsen, Grundrechte, Rn. 413 ff. 387  Benz, Der moderne Staat, Grundlagen der politologischen Analyse, S. 115 ff. 388  Dreier-Schulze-Fielitz, GG, Bd. I, Art. 5 I, II Rn. 1, 34 m. w. N. 389  Sie dazu insgesamt auch Meinecke, Prominentenstrafrecht, S. 195 f. m. w. N. 381  Dazu

382  Trüg,



B. Öffentlichkeitsgrundsatz und Grundrechte der Verfahrensbeteiligten201

1. Die in Art. 5 Abs. 1 GG enthaltenen Freiheitsrechte Art. 5 Abs. 1 GG beinhaltet insgesamt fünf Freiheitsrechte, die sogenannten Kommunikationsgrundrechte, die darauf zielen, eine freie, individuelle und öffentliche Meinungsbildung390 zu gewährleisten.391 Die Kommunika­ tionsgrundrechte lassen sich in die Meinungs- und Informationsfreiheit einerseits und in die Medienfreiheiten andererseits gliedern. Die Meinungs- und Informationsfreiheit in Art. 5 Abs. 1 S. 1 Hs.  1 und Hs.  2 GG unterliegen einheitlichen Schranken und stehen zueinander in einem Komplementaritätsverhältnis: Die Meinungsäußerungsfreiheit schützt Freiheit und Autonomie des Kommunikationsvorgangs auf der Seite des Äußernden, die Informationsfreiheit jene auf der Seite des Rezipienten.392 Wesentlich heterogener sind hingegen die Medienfreiheiten.393 Die Pressefreiheit nach Art. 5 Abs. 1 S. 2 Var. 1 GG und die Rundfunkfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 S. 2 Var. 2 GG unterliegen nicht nur unterschiedlichen Schranken, auch eine Reihe von grundrechtsdogmatischen Fragen, wie etwa die der Grundrechtsberechtigung, sind unterschiedlich zu beantworten. Hinzu tritt eine weitläufige Durchdringung und Ausgestaltung der Grundrechtsgehalte durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Die Freiheit der Filmberichterstattung in Art. 5 Abs. 1 S. 2 Var. 3 GG fristet im Vergleich dazu in praktischer wie in rechtswissenschaftlicher Perspektive ein Schattendasein und ist in Strafverfahren in der Regel nicht in ihrem Schutzbereich394 betroffen,395 weshalb auch hier auf sie nicht weiter eingegangen wird. Deutlich mehr an Bedeutung im Kontext eines Strafverfahrens gewinnt hingegen die Rundfunkfreiheit, da deren Schutzbereich immer dann betroffen ist, wenn die traditionell berechtigten öffentlichen396 und privaten397 Rundfunkanstalten über Verlauf und Aus-

390  Eine „Freiheit der Meinungsäußerung“ ist zwar in Art. 5 Abs. 1 GG nicht ausdrücklich genannt, nach Ansicht des BVerfG aber ratio legis aller kommunikationsgrundrechtlichen Einzelverbürgungen, siehe BVerfGE  57, 295, 318 f., seitdem ständige Rechtsprechung, BVerfGE 73, 118, 152; 83, 238, 195 ff.; 90, 60, 87. 391  Hufen, Grundrechte, § 24, Rn. 1 f.; grundlegend Hoffmann-Riem, Kommunikationsfreiheiten, S. 29 ff., 90 ff., 175; dazu auch Gostomzyk, Öffentlichkeitsverantwortung, S. 115. 392  Maunz/Dürig-Grabenwarter, GG, Art. 5, Rn. 1 f. m. w. N. 393  Stern/Becker-Fechner, GG, Art. 5, Rn. 134. 394  Bethge, DÖV 2002, 673, 674; Meinecke, Prominentenstrafrecht, S. 198; wer filmt, kann sich zudem auch auf die weiter als die Filmfreiheit reichende Kunstfreiheit berufen, dazu Jarass/Pieroth, GG, Art. 5, Rn. 48 f. 395  Maunz/Dürig-Grabenwarter, GG, Art. 5, Rn. 3 f. 396  Kingreen/Poscher, Grundrechte, Rn. 575. 397  BVerfGE 95, 220, 234; 97, 298, 311: unabhängig von der Ausgestaltung als öffentlich-rechtliche oder privatrechtliche Rechtsform sind alle im Rundfunkwesen

202

3. Kap.: Grenzen des Öffentlichkeitsgrundsatzes

gang eines Strafprozesses berichten.398 Trotz dieser spezifischen Ausprägungen in Art. 5 Abs. 1 GG bezwecken diese allesamt eine freie Kommunikation als Voraussetzung für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sowie Persönlichkeitsbildung und Persönlichkeitsentwicklung.399 Die Gewährleistung der Rundfunkfreiheit von ihrem Umfang her ist in vergleichbarer Weise wie der Umfang der Pressefreiheit von der Informationsbeschaffung400 bis hin zur Verbreitung der gewonnenen Informationen sowie der subjektiven Meinung hierüber erstreckt und sich überdies auch keine Unterschiede im Hinblick auf die Grundrechtsberechtigung ergeben,401 werden die jeweiligen Besonderheiten zusammen mit der Pressefreiheit erläutert. Obwohl dem Internet im heutigen Zeitalter eine enorme Bedeutung zukommt und wegen der ebenso hohen Missbrauchsgefahr nicht nur die Rechtsordnung vor besondere Herausforderungen stellt, ist die Nutzung des Internets402 nicht als eine sechste Kommunikationsfreiheit zu klassifizie­ ren;403 sie geht vielmehr in den Schutzbereichen der klassischen Kommunikationsfreiheiten differenziert auf.404 2. Die Schutzbereiche der in Art. 5 Abs. 1 GG enthaltenen Freiheiten Im Folgenden gilt es deshalb, durch eine Auseinandersetzung mit den Schutzbereichen der einzelnen Grundrechte zu eruieren, in welche der in Art. 5 Abs. 1 GG niedergelegten Einzelverbürgungen möglicherweise durch das Verbot der Ton- und Fernseh-Rundfunkaufnahmen sowie der Ton- und Filmaufnahmen zum Zwecke der öffentlichen Vorführung eingegriffen wird. Relevant  – insbesondere für die im Rahmen der Gerichtsberichterstattung kollidierenden Persönlichkeitsrechte des Angeklagten und der übrigen Verfahrensbeteiligten mit den in Art. 5 Abs. 1 GG enthaltenen Rechten – ist die Bedeutung des zwar nicht ausdrücklich in Art. 5 Abs. 1 GG genannten, aber Agierenden vom Schutzbereich der Rundfunkfreiheit umfasst, was bis dahin äußerst umstritten war. 398  Ausführlich Meinecke, Prominentenstrafrecht, S. 198 f. 399  BVerfGE 7, 198, 208; 12, 205, 259 ff.; 35, 202, 221 ff.; 52, 283, 296 ff.; 57, 295, 319 ff.; 73, 118, 152 ff.; 90, 60, 87. 400  Zur Medienfreiheit und Strafverfolgung ausführlich Schaefer, in: FS  zu Ehren des Strafrechtsausschusses der Bundesrechtsanwaltskammer (2006), S. 447 ff. 401  Klaes, ZUM 2009, 135 ff. 402  Grundlegend hierzu bereits Degenhart, ZUM 1998, 333 ff. 403  A. A. Mecklenburg, ZUM 1997, 525 ff., der die Internetfreiheit als Kommunikationsfreiheit sui generis bewertet. 404  Meinecke, Prominentenstrafrecht, S. 199.



B. Öffentlichkeitsgrundsatz und Grundrechte der Verfahrensbeteiligten203

in vielen medienrechtlichen Fällen bei der Grundrechtsabwägung angeführten, Informationsinteresses. Das Informationsinteresse wird grundsätzlich wie ein ausformuliertes Grundrecht behandelt, dabei der Presse- oder Rundfunkfreiheit an die Seite gestellt und meist gegenüber dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht zur Abwägung gebracht. Es beschreibt die Befugnis der Öffentlichkeit, über alle wichtigen politischen, gesellschaftlichen und anderen Ereignisse von zeitgeschichtlicher Bedeutung zu informieren.405 Problematisch erscheint es, dass die dogmatische Verankerung des Informationsinteresses der Allgemeinheit aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht klar hervorgeht. Da es nicht ausschließlich im Zusammenhang mit Presse oder Rundfunk Wirkung entfaltet, stellt eine Zuordnung zu einer dieser Freiheiten von vornherein eine unzulässige Verkürzung dieses Rechtsinstituts dar. De facto stellt das Informationsinteresse kein Recht der Medien, sondern ein Recht, das dem Schutz der Öffentlichkeit dient, dar, auch wenn es die Medienfreiheit ergänzt und regelmäßig von den Medien ins Feld geführt wird. Daher scheint eine Zuordnung des Informationsinteresses der Allgemeinheit zur Informationsfreiheit aus dogmatischer Sicht passender. Das Informationsinteresse ist die kollektive Form der Informationsfreiheit,406 da es das Recht des einzelnen Bürgers, sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten, ebenso wie das Recht der Allgemeinheit, über wichtige Vorgänge informiert zu werden, verkörpert. Selbstredend können auch die Medienvertreter das Informationsinteresse der Allgemeinheit geltend machen, dass insoweit die Medienfreiheiten in grundrechtlichen Abwägungsvorgängen verstärkt. Der Inhalt des Informationsinteresses der Allgemeinheit umfasst alle Arten von Informationen, unabhängig von Qualität und Inhalt.407 In besonders gelagerten Fällen kann das Informationsinteresse der Allgemeinheit gegenüber dem Mediengrundrecht sogar eine Eigenständigkeit erfahren und unabhängig von Presse- oder Rundfunkfreiheit zur Anwendung gelangen. Denkbar ist dies etwa bei Meinungsäußerungen im Internet durch „Laienjournalisten“,408 wenn durch diese ein gewisser Sachverhalt publik gemacht wird und sich dadurch gegenüber Behörden ein Anspruch auf Veröffentlichung dazugehöriger Akten oder Informationen ergibt, sofern durch die Publikation (ohne Beteiligung der Medien) ein erhebliches Informationsinteresse der Allgemeinheit besteht.409 405  Stern/Becker-Fechner,

GG, Art. 5, Rn. 115 f. diesem Ansatz grundlegend Fechner/Popp, AfP 2006, 213. 407  Stern/Becker-Fechner, GG, Art. 5, Rn. 117 f. 408  Kujath, Laienjournalismus im Internet als Teil  der Medienöffentlichkeit im Strafverfahren, passim. 409  Stern/Becker-Fechner, GG, Art. 5, Rn. 120. 406  Zu

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3. Kap.: Grenzen des Öffentlichkeitsgrundsatzes

a) Schutzbereich der Meinungsfreiheit, Art. 5 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 GG Das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung ist „eines der vornehmsten Menschenrechte überhaupt“, seine Bedeutung für die freiheitlich-demokratische Grundordnung ist „schlechthin konstituierend“.410 Der Begriff der Meinung in Art. 5 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 GG ist grundsätzlich weit zu verstehen. Meinungen sind durch das Element der Stellungnahme, des Dafürhaltens, der Beurteilung geprägt.411 Jeder soll frei sagen können, was er denkt, auch wenn er keine nachprüfbaren Gründe für sein Urteil angibt oder angeben kann.412 Es ist die persönliche Auffassung des sich Äußernden, die in diesen Schutzbereich fällt. Zugleich ist es der Sinn von Meinungsäußerungen, geistige Wirkung auf die Umwelt ausgehen zu lassen, meinungsbildend und überzeugend zu wirken. Deshalb sind Werturteile, die immer eine geistige Wirkung erzielen, nämlich andere überzeugen wollen, vom Grundrecht des Art. 5 Abs. 1 S. 1 Hs.  1 GG geschützt. Unerheblich ist, ob eine Äußerung wertvoll oder wertlos, richtig oder falsch, emotional oder rational begründet ist.413 Auch hängt grundrechtlicher Meinungsschutz nicht davon ab, ob die Äußerung Rechtsgüter Dritter oder der Allgemeinheit verletzt. Die Meinungsfreiheit ist als individuelles Freiheitsrecht auch um ihrer Privatnützigkeit willen gewährleistet.414 Der Schutz des Art. 5 Abs. 1 S. 1  Hs.  1 GG erstreckt sich auf kommerzielle Meinungsäußerungen sowie auf reine Wirtschaftswerbung,415 die einen wertenden, meinungsbildenden Inhalt416 hat.417 Dabei ist zwischen Tatsachen und Meinungen zu unterscheiden: Tatsachen können anders als Meinungen wahr oder unwahr sein. Der Unterschied liegt in der Beziehung zwischen der Äußerung und der Realität.418 Der Wahrheitsgehalt der Äußerung steht im Vordergrund. Hierüber kann im Wege einer Beweisaufnahme erkannt werden. Meinungen können hingegen nicht wahr oder unwahr sein, sondern zum Beispiel wahrhaftig oder unaufrichtig, überlegt oder unbedacht.419 410  Sodan/Ziekow,

Grundkurs Öffentliches Recht, § 32, Rn. 1. 61, 1, 8. 412  BVerfGE 42, 163, 170. 413  BVerfGE 61, 1, 7. 414  BVerfG, NVwZ 2016, 761, 762. 415  Zur sogenannte „gefühlsbetonten Werbung“ Hufen, Grundrechte, § 25, Rn. 54 m. w. N. 416  BVerfGE 71, 162, 175. 417  BeckOK GG/Schemmer, Art. 5, Rn. 4; Dreier-Schulze-Fielitz, GG, Bd. I, Art. 5, Rn. 62; Stern/Becker-Fechner, GG, Art. 5, Rn. 91 f. 418  BVerfGE 90, 241, 247. 419  BVerfGE 33, 1, 14; BeckOK GG/Schemmer, Art. 5, Rn. 5; Stern/BeckerFechner, GG, Art. 5, Rn. 81. 411  BVerfGE



B. Öffentlichkeitsgrundsatz und Grundrechte der Verfahrensbeteiligten205

Geht man vom reinen Wortlaut des Art. 5 Abs. 1 S. 1 Hs.  1 GG aus, so wird hier der Äußerung von Tatsachen der grundrechtliche Schutz versagt, jedoch hat das Bundesverfassungsgericht anders entschieden: Da Tatsachen regelmäßig Voraussetzung der Bildung von Meinungen sind,420 besteht Meinungsfreiheitsschutz auch für solche Tatsachen, die meinungsbezogen sind und damit zur Meinungsbildung beitragen.421 Kennt der sich zu etwas Äußernde die Unwahrheit seiner Aussage, lügt er also bewusst, oder ist die Unwahrheit der Tatsache im Zeitpunkt der Äußerung erwiesen, entfällt grundrechtlicher Schutz, denn diese Äußerungen sind nicht einmal vom Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 S. 1 Hs.  1 GG erfasst.422 Alle anderen Tatsachenbehauptungen sind, auch wenn sie aus der Luft gegriffen oder völlig haltlos sind, bei Meinungsbezug von Art. 5 Abs. 1 S. 1 Hs.  1 GG geschützt.423 Allerdings brauchen unwahre, aber vom Schutz der Meinungsfreiheit umfasste ehrverletzende oder sonst wie schädigende Tatsachenbehauptungen nicht hingenommen zu werden,424 Persönlichkeits- und Ehrenschutz genießen regelmäßig Vorrang.425 Art. 5 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 GG schützt die Meinungsäußerung und -verbreitung in einem umfassenden Sinne der Informationsweitergabe.426 Geschützt ist die Wahl des Ortes und der Zeit einer Äußerung.427 Der sich Äußernde darf diejenigen Umstände wählen, von denen er sich die größte Verbreitung oder die stärkste Wirkung seiner Meinungskundgabe verspricht.428 Die Meinungsfreiheit gewährleistet nicht nur die Möglichkeit sich zu äußern, sondern auch, dass die Meinung empfangen werden kann.429 Wenn der Empfänger durch einen staatlichen Akt der Empfangsverhinderung belastet ist, wird der Übersender selbst in seinem Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 GG verletzt. Nicht in den Schutzbereich der Meinungsfreiheit fällt allerdings das rechtswidrige Beschaffen von Informationen, wohingegen das Verbreiten einer rechtswidrig erlangten Information430 den Schutz der Meinungsfreiheit genießt.431 420  BVerfGE

85, 1, 15. 61, 1, 8; weitergehend Dreier-Schulze-Fielitz, GG, Bd. I, Art. 5 Abs. 1, 2, Rn. 65. 422  BVerfGE 99, 185, 197. 423  BVerfGE 99, 185, 197. 424  BVerfGE 61, 1, 8. 425  BeckOK GG/Schemmer, Art. 5, Rn. 6 f. 426  BeckOK GG/Schemmer, Art. 5, Rn. 9; Dreier-Schulze-Fielitz, GG, Bd. I, Art. 5, Rn. 69. 427  Stern/Becker-Fechner, GG, Art. 5, Rn. 85. 428  BVerfGE 93, 266, 289. 429  Jarass/Pieroth, GG, Art. 5, Rn. 6. 430  BVerfGE 66, 116, 137. 431  BeckOK GG/Schemmer, Art. 5, Rn. 11 f. 421  BVerfGE

206

3. Kap.: Grenzen des Öffentlichkeitsgrundsatzes

b) Schutzbereich der Informationsfreiheit, Art. 5 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 GG Die Gewährleistung der Informationsfreiheit ist die Reaktion auf die Erfahrungen mit den Informationssperren im nationalsozialistischen Regime,432 dabei steht die Informationsfreiheit in der grundgesetzlichen Ordnung gleichwertig neben den anderen Kommunikationsfreiheiten des Art. 5 Abs. 1 GG. Durch die Informationsfreiheit wird das Recht garantiert, sich selbst zu informieren. Somit bildet dieses Freiheitsrecht die Voraussetzung der Meinungsäußerung vorausgehenden notwendigen Meinungsbildung.433 Der Wortlaut der Informationsfreiheit enthält keine nähere Beschreibung des Merkmals „Quellen“. Als Quellen sind nach allgemeiner Meinung alle Träger und Absender von Informationen einzustufen, wobei die Art der ­Information keine Rolle spielt.434 Allgemein zugänglich sind solche Infor­ mationsquellen, die geeignet und bestimmt sind, der Allgemeinheit, also ­einem individuell nicht bestimmbaren Personenkreis, Informationen zu verschaffen,435 wobei zu den allgemein zugänglichen Informationsquellen unter anderem die Massenkommunikationsmittel der Presse, des Rundfunks und Films sowie das Internet zählen.436 Auch Gerichtsverhandlungen und somit die in dieser Arbeit relevanten Strafverfahren sind taugliche Informationsquellen.437 Über ihre öffentliche Zugänglichkeit entscheidet aber der Gesetzgeber im Rahmen seiner Befugnis zur Ausgestaltung des Gerichtsverfahrens.438 Gerichtsverhandlungen sind wegen des Grundsatzes der Öffentlichkeit grundsätzlich für jedermann zugänglich.439 Die der Informationsfreiheit zugehörigen geschützten Verhaltensweisen umfassen quasi spiegelbildlich diejenigen Tätigkeiten, welche auf der Seite des Empfängers der durch die Presse-, Rundfunk- und Filmfreiheit gewährleisteten Tätigkeiten entsprechen.440 Der Meinungsfreiheit käme keine grundlegende Gewährleistung zu, wenn etwa die Preisgabe einer Meinung ungehindert möglich wäre, deren Entgegennahme jedoch Einschränkungen unterläge.441 Somit ist der Einzelne sowohl in der Entgegennahme von Informationen geschützt als auch beim 432  BVerfGE

27, 71, 80. 20, 162, 174; BeckOK GG/Schemmer, Art. 5, Rn. 23 m. w. N. 434  BeckOK GG/Schemmer, Art. 5, Rn. 23; Dreier-Schulze-Fielitz, GG, Bd. I, Art. 5, Rn. 77. 435  BVerfGE 27, 71, 83. 436  BeckOK GG/Schemmer, Art. 5, Rn. 26; Sachs-Bethge, GG, Art. 5, Rn. 54. 437  Epping/Hillgruber-Schemmer, GG, Art. 5, Rn. 27. 438  BVerfGE 103, 44, 60 f.; 119, 309 ff. 439  BeckOK GG/Schemmer, Art. 5, Rn. 27. 440  Siehe dazu auch Meinecke, Prominentenstrafrecht, S. 207. 441  BVerfGE 57, 295, 319 f. 433  BVerfGE



B. Öffentlichkeitsgrundsatz und Grundrechte der Verfahrensbeteiligten207

aktiven Einholen, Aufbereiten und Speichern von Informationen,442 wobei er in der Wahl seiner Quelle443 grundsätzlich frei ist.444 c) Schutzbereich der Pressefreiheit, Art. 5 Abs. 1 S. 2 Var. 1 GG Die Pressefreiheit geht zurück bis ins Jahr  1450, als Johannes Gutenberg die Buchdruckerkunst erfunden hat, da es seit diesem Zeitpunkt möglich ist, mit einem vertretbaren Aufwand eine Vielzahl von Menschen gleichzeitig mit Informationen zu erreichen.445 Auch während der Geltungszeit des Grundgesetzes hat die Pressefreiheit nichts von ihrer ursprünglichen Bedeutung verloren,446 sie ist ein unentbehrliches Medium und wesentlicher Faktor der öffentlichen Meinungsbildung.447 Aufgabe der Presse ist es, umfassende Informationen für jedermann zu ermöglichen, die Vielfalt der bestehenden Meinungen wiederzugeben, aber auch selbst Meinungen zu bilden und zu vertreten. Das setzt die Existenz einer relativ großen Zahl selbständiger, vom Staat unabhängiger und nach ihrer Tendenz, politischen Färbung oder weltanschaulichen Grundhaltung miteinander konkurrierender Presseerzeugnisse448 voraus.449 Dabei ist der Terminus der Presse weit, formal450 und entwicklungsoffen zu verstehen.451 Das Bundesverfassungsgericht452 hat den Schutz der Pressefreiheit explizit nicht von den besonderen Eigenschaften der Publikation abhängig gemacht, solange diese nur in gedruckter und zur Verbreitung geeigneter und bestimmter Form am Kommunikationsprozess teilnehmen. Maßgeblich ist die Herstellungs- und Vervielfältigungsmethode, so dass der Schutz unabhängig vom Inhalt des Druckerzeugnisses (etwa Bücher, Zeitungen und Zeitschriften) besteht.453 Entscheidend ist letztlich, dass ein körperliches454 Trägermedium vorliegt.455 Handelt es sich hingegen um 442  Jarass/Pieroth,

GG, Art. 5, Rn. 25. 90, 27, 38. 444  Meinecke, Prominentenstrafrecht, S. 207. 445  Umfassend zur geschichtlichen Entwicklung Hufen, Grundrechte, § 27, Rn. 1. 446  Hufen, Grundrechte, § 27, Rn. 3. 447  BVerfGE 12, 205, 260. 448  BVerfGE 12, 205, 206. 449  BeckOK GG/Schemmer, Art. 5, Rn. 37 m. w. N. 450  BVerfGE 66, 116, 134. 451  Sachs-Bethge, GG, Art. 5, Rn. 68. 452  BVerfGE 25, 296, 307. 453  BeckOK GG/Schemmer, Art. 5, Rn. 42; Stern/Becker-Fechner, GG, Art. 5, Rn. 123. 454  Dies ist letztlich auch das Abgrenzungsmerkmal zur Rundfunkfreiheit, die immer dann betroffen ist, wenn es sich um einen unverkörperten, an die Allgemeinheit gerichteten, geistigen Inhalt handelt, vgl. Stern/Becker-Fechner, GG, Art. 5, Rn. 123. 455  Jarass/Pieroth, GG, Art. 5, Rn. 25. 443  BVerfGE

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3. Kap.: Grenzen des Öffentlichkeitsgrundsatzes

ein Onlinemedium, dessen Wesensmerkmal im Versenden über das Internet ohne das Erfordernis eines Trägermediums liegt, unterfällt dies der Pressefreiheit aus Art. 5 Abs. 1 S. 2 Var. 1 GG nicht.456 Charakteristisch für die Pressefreiheit ist auch die Freiheit der Gründung und Gestaltung (sowohl in inhaltlicher als auch in formaler Hinsicht) von Presseerzeugnissen. Im Rahmen der inhaltlichen Gestaltungsfreiheit entscheidet die Presse in den Grenzen des geltenden Rechts selbst, ob und wie sie über ein bestimmtes Thema berichtet.457 Vom Schutzbereich umfasst sind auch die Informationsquellen.458 Hinsichtlich der formalen Gestaltungsfreiheit obliegt der Presse die Entscheidung darüber, wie sie die Beiträge darbieten will und wie die Platzierung der Beiträge innerhalb der Ausgabe aussehen soll.459 Geschützt ist damit auch die negative Pressefreiheit, also das Ablehnen von Anzeigen oder verfassten Texten.460 Der Schutz der Pressefreiheit erstreckt sich dabei auch auf die bildliche Darstellung von Personen. Die Abbildung von Prominenten im öffentlichen Raum durch die Presse war jüngst Gegenstand einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts:461 „Im Zentrum der grundrechtlichen Gewährsleistung der Pressefreiheit steht das Recht, Art und Ausrichtung sowie Inhalt und Form des Publikationsorgans frei zu bestimmen. Dazu zählt auch die Entscheidung, ob und wie ein Pressezeugnis bebildert wird.“

Dieser Entscheidung lag der bereits in Kap. 2, A.  I.  1.  a)  aa) dargestellte Fall Kachelmann zugrunde. Die Beschwerdeführerin begleitete das Strafverfahren im Zuge ihres Betreibens eines journalistischen Internetangebots von Beginn an und illustrierte schließlich die Berichterstattung hinsichtlich der Schlussvorträge mit einer bildlichen Aufnahme Kachelmanns, die diesen nahe des Eingangs der Büroräume seiner Verteidigerin zeigte. Daraufhin klagte Kachelmanns vor den Zivilgerichten auf Unterlassung einer solchen Berichterstattung und hatte Erfolg. Das Bundesverfassungsgericht überprüfte in seiner Entscheidung, ob der grundgesetzliche Einfluss auf die Auslegung zivilrechtlicher Normen sowie auf die Abwägung gegenläufiger Verfassungsgüter hinreichend beachtet wurde. Bei der vorzunehmenden Abwägung des Informationsinteresses der Bevölkerung im Verhältnis zu den damit kollidierenden Persönlichkeitsrechten ist dem Gegenstand der Berichterstattung eine 456  BeckOK

GG/Schemmer, Art. 5, Rn. 43. NJW 2014, 3711, 3712. 458  BVerfGE 20, 162, 176, 187; 36, 193, 204; 50, 234, 240; 66, 134. 459  BVerfGE 97, 125, 144. 460  BeckOK GG/Schemmer, Art. 5, Rn. 51 m. w. N. 461  BVerfG, NJW 2017, 1376 f. 457  BVerfG,



B. Öffentlichkeitsgrundsatz und Grundrechte der Verfahrensbeteiligten209

maßgebliche Bedeutung beizumessen, wie etwa die Frage, ob es zu einer Ausbreitung rein privater Angelegenheiten kommt, die ausschließlich der Befriedigung einer allgemeinen Neugier dienen. In diese Abwägung ist mit einzubeziehen, dass Kachelmann sich in einem öffentlichen Raum in einer alltäglichen Situation befand und noch dazu einen Prominentenstatus aufweist. Aufgrund der Gesamtumstände des noch laufenden Strafprozesses gegen ihn lag es zudem nicht außerhalb jeglicher Wahrscheinlichkeiten, dass er auf dem Weg zum Gerichtssaal wahrgenommen wird.462 aa) Presserechtlicher Auskunftsanspruch Ohne Informationen fällt die Bildung von Meinungen und Presseerzeugnissen schwer, weshalb Art. 5 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 GG vor staatlichen Eingriffen in den Vorgang der Informationsbeschaffung schützt.463 Das Recht von Journalisten, Fragen stellen zu dürfen, ist aber immer nur so viel wert wie die Pflicht der Gefragten, antworten zu müssen. Der presserechtliche Auskunftsanspruch464 ist deshalb eine der zentralen Normen im Presserecht465 und bedarf gerade keiner Legitimation aus der öffentlichen Aufgabe der Presse.466 Seine Ausgestaltung in § 4 der jeweiligen Landespressegesetze ist nahezu identisch.467 Der Umfang des presserechtlichen Auskunftsanspruchs468 kann sich auf mündliche, aber auch auf schriftliche Informationen erstrecken; das Wie der preiszugebenden Informationen liegt grundsätzlich im Ermessen der jeweiligen Behörde.469 Beantragt der Auskunftsberechtigte hingegen ausdrücklich eine schriftliche Auskunft, so kann die Behörde nur in Ausnahmefällen auf eine mündliche Auskunft ausweichen. Charakteristisch für das Informationsinteresse der Öffentlichkeit und somit von großer Relevanz auch im Hinblick 462  Eifert,

Jura 2017, 875. NJW 2013, 728. 464  Dazu auch Rodenbeck, StV 2018, 255, 256 f. 465  BVerfG, BVerfGE 20, 162; grundlegend auch Köhler, NJW 2005, 2337. 466  Partsch, NJW 2013, 2858; a. A. Köhler, NJW 2005, 2337. 467  Lediglich § 4 Abs. 1 S. 2 BayPresseG ist genauer und spricht von „Redakteuren oder anderen von ihnen genügend ausgewiesenen Mitarbeitern von Zeitungen oder Zeitschriften“ statt allgemein von „Presse“. 468  Da sich der presserechtliche Auskunftsanspruch gegen die öffentliche Hand richtet, ist in prozessualer Hinsicht der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten eröffnet; statthafte Klageart ist die Leistungsklage nach § 43 Abs. 2 VwGO. 469  Der Auskunftsanspruch richtet sich immer gegen Behörden, siehe dazu die Legaldefinition in § 1 Abs. 4 VwVfG, wobei in verfassungskonformer Weise der Behördenbegriff sehr weit auszulegen und funktionell-teleologisch statt organisatorischverwaltungstechnisch zu verstehen ist, BGH, NJW 2005, 1720. 463  Lehr,

210

3. Kap.: Grenzen des Öffentlichkeitsgrundsatzes

der Auskunftserteilung durch die Presse ist die Aktualität der Information,470 weshalb die auskunftsverpflichtete Behörde dem Auskunftsersuchenden nicht mit einer bewussten Verzögerung der Informationspreisgabe begegnen darf. Relevant ist das Verständnis von Reichweite und Ausgestaltung des presserechtlichen Auskunftsanspruchs im Kontext von laufenden Ermittlungsverfahren im Zuge der Verdachtsberichterstattung, was vor dem Hintergrund der auch dort geltenden Unschuldsvermutung von Bedeutung ist. Die Grenzen des presserechtlichen Auskunftsanspruchs speziell gegenüber Justizbehörden lassen sich exemplarisch anhand des Urteils des OLG  Düsseldorf im Fall des aufsehenerregenden Wirtschaftsstrafverfahrens Mannensmann / Vodafone aus dem Jahr  2005 aufzeigen. Gegenstand des Verfahrens waren Prämienzahlungen im Zusammenhang mit der Übernahme von Mannesmann durch Vodafone im Jahr 2000. Insbesondere die Höhe der gezahlten Prämien, die Prominenz einiger Angeklagter und die zu entscheidende, zum damaligen Zeitpunkt noch ungeklärte Rechtsfrage, ob es zulässig ist, Angestellten Prämien zu gewähren, auf die sie nach ihrem Dienstvertrag keinen Anspruch haben, verschafften dem Prozess große Aufmerksamkeit in Medien und Öffentlichkeit.471 Das OLG  Düsseldorf nahm in diesem Fall eine schwere Verletzung der Persönlichkeitsrechte des von Äußerungen durch die Staatsanwaltschaft betroffenen Vorstands an, weil dieser durch den öffentlich formulierten Vorwurf der „Käuflichkeit“ und des „erkauften Sinneswandels“ weit über den eigentlichen Vorwurf der Anklage hinaus in Misskredit gebracht wurde. Die Staatsanwaltschaft hätte sich in ihren Äußerungen damit genügen müssen, dass der Anklage der Vorwurf der Untreue zugrunde lag.472 Auch wenn das OLG Düsseldorf in seiner Entscheidung nicht explizit auf die presserechtlichen Voraussetzungen der Verdachtsberichterstattung eingegangen ist, kommen diese Kriterien in besagter Entscheidung allerdings zur Anwendung.473 Die an diesem Urteil geäußerte Kritik, diese Form der Rechtsprechung würde zu einer massiven Zurückhaltung in der Informationsarbeit der Justiz oder im schlimmsten Fall sogar zu ganzen Informationssperren führen,474 ist allerdings unbegründet. Auch hier geht es nicht um das Ob einer öffentlichen Informationspolitik, sondern vielmehr um das Wie.475

Münster, DÖV 2013, 281; Partsch, NJW 2013, 2858, 2862. Düsseldorf, NJW 2005, 1791 ff. 472  Lehr, NJW 2013, 728, 731. 473  OLG Düsseldorf, NJW 2005, 1791, 1807. 474  Lorz, NJW 2005, 2657, 2658. 475  Lehr, NJW 2013, 728, 731 f. 470  OVG 471  OLG



B. Öffentlichkeitsgrundsatz und Grundrechte der Verfahrensbeteiligten211

(1) Presserechtlicher Auskunftsanspruch direkt aus Art. 5 Abs. 1 S. 2 Var. 1 GG Ob man darüber hinaus jedoch einen Anspruch der Presse476 auf Informationen unmittelbar aus Art. 5 Abs. 1 S. 2 Var. 1 GG ableiten kann, war lange umstritten.477 So hat etwa das Bundesverwaltungsgericht einen solchen Anspruch über einen langen Zeitraum abgelehnt,478 später wurde ein verfassungsrechtlicher Auskunftsanspruch für Journalisten nicht mehr strikt verneint, sondern explizit offengelassen.479 Jüngst hat das Bundesverwaltungsgericht einen Auskunftsanspruch der Presse auf ein Mindestmaß480 an Informationen481 erkannt, der sich bei einem Fehlen von Gesetzesgrundlagen durchaus aus Art. 5 Abs. 1 S. 2 Var.  1 GG ergeben kann.482 Ohne weitere Berücksichtigung in der Rechtsprechung deutscher Gerichte483 hatte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte484 bereits zuvor mehrmals entschieden, dass der Presse ein Auskunfts- und Einsichtsrecht zukommen muss.485 Auch das Bundesverfassungsgericht hat dazu bislang noch keine Stellung bezogen, sondern das Bestehen eines Auskunftsanspruchs ebenfalls offen gelassen.486 Kritiker wenden hiergegen ein, dass die verfassungsrechtliche Weite aufgrund der ungewissen Grenzen eines derartigen Auskunftsanspruchs zu unbestimmt sei. Dem ist entgegenzuhalten, dass durch die einfachgesetzliche Konkretisierung in den Landespressegesetzen, die vom Gesetzgeber bewusst offen formuliert sind um den Umständen des Einzelfalls gerecht werden zu können, die Grenzen des presserechtlichen Auskunftsanspruchs aus Art. 5 Abs. 1 S. 2 Var. 1 GG hinreichend bestimmt sind.487 den Anspruchsberechtigten Partsch, NJW 2013, 2858. K&R 2013, 145; ausführlich auch Keil, Verdachtsberichterstattung, S. 56 ff. m. w. N. 478  BVerwG, NJW 1983, 2954; so auch das BVerfG, BVerfGE 103, 44; 119, 309. 479  BVerwGE 70, 310, 313. 480  Kritisch zu dieser Einschränkung Partsch, NJW 2013, 2858, 2861. 481  So etwa Jarass/Pieroth, GG, Art. 5, Rn. 41, allerdings ohne dieses „Mindestmaß“ näher zu konkretisieren. 482  BVerwGE 146, 56; BVerwG, NVwZ  2015, 1383; NVwZ  2015, 1388; im Ergebnis zustimmend auch Schnabel, NJW  2016, 1692, 1696, der jedoch die Begründung des BVerwG nicht überzeugend findet; kritisch und im Ergebnis einen Informationsanspruch resultierend aus Art. 5 Abs. 1 S. 2 Var.  1 GG ablehnend Blome, NVwZ 2016, 1211, 1216. 483  BVerwG, NVwZ 2013, 1006; VG Berlin, NJW 2013, 1464. 484  Vgl. nur EGMR, Tarsasag a Szabadsagjogokert ./. Ungarn, Urt. v. 14.04.1009, Nr. 37374/05; Youth Initiative for Human Rights ./. Serbien, Urt. v.  25.06.2013, Nr. 48135/06. 485  Partsch, NJW 2013, 2858 ff. 486  BVerfG, NVwZ 2016, 50, 51. 487  Meinecke, Prominentenstrafrecht, S. 212. 476  Zu

477  Partsch,

212

3. Kap.: Grenzen des Öffentlichkeitsgrundsatzes

Problematisch ist bei der Betrachtungsweise des Bundesverwaltungsgerichts in Bezug auf den Auskunftsanspruch aus Art. 5 Abs. 1 S. 2 Var. 1 GG jedoch, dass vom Terminus der Presse nur alle zur Verbreitung geeigneten und bestimmten Druckerzeugnisse umfasst sind.488 Im Internet veröffentlichte Texte erscheinen allerdings ohne jegliche Verkörperung und damit nicht als Druckerzeugnisse,489 weshalb sie regelmäßig nicht der Pressefreiheit, sondern der Rundfunkfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 S. 2 Var.  2 GG zuzuordnen sein werden.490 Die Verfasser von elektronischen Texten könnten demzufolge keinen Auskunftsanspruch aus Art. 5 Abs. 1 S. 2 Var. 1 GG geltend machen. Enthält ein Zeitungsartikel Elemente wertender Stellungnahme, ordnet ihn die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts der Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 GG zu, es sei denn, dass die über einzelne Meinungsäußerungen hinausreichende Bedeutung der Presse für die individuelle und öffentliche Meinungsbildung in Rede steht.491 Auch dann bestünde kein Auskunftsanspruch aus Art. 5 Abs. 1 S. 2 Var.  1 GG. Daher muss das Bundesverwaltungsgericht künftig auch aus der Meinungsfreiheit und der Rundfunkfreiheit entsprechende Auskunftsansprüche konstruieren, um elektronische Presse und wertende Stellungnahmen nicht sachwidrig zu benachteiligen.492 (2) Beschränkungen des presserechtlichen Auskunftsanspruchs Der presserechtliche Auskunftsanspruch gilt selbstredend nicht grenzenlos und besteht etwa dann nicht, wenn und soweit durch die Auskunft die sachgemäße Ausführung eines laufenden Ermittlungsverfahrens oder eines noch nicht abgeschlossenen Strafverfahrens vereitelt, erschwert oder verzögert würde oder wenn geheimhaltungsbedürftige öffentliche oder private Interessen dem Auskunftsanspruch entgegenstehen. Weitere Beschränkungen des presserechtlichen Auskunftsanspruchs sind erforderlich, wenn der Umfang der Auskunft das zumutbare Maß überschreiten würde. Überdies wird – auch durch die Rechtsprechung493  – immer wieder versucht, die durch die Landespressegesetze vorgegeben Beschränkungen des presserechtlichen Auskunftsanspruchs durch zusätzliche Kriterien weiter einzuschränken. Darüber hinaus wird zum Teil gefordert, dass die Presse im Rahmen ihres Auskunftsanspruchs lediglich solche Informationen verlangen dürfe, die sie zur Erfül488  Siehe

oben Kap. 3, B. II. 2. c). NVwZ 2016, 1211, 1216. 490  OLG Köln, NJOZ 2010, 729, 730. 491  Blome, NVwZ 2016, 1211, 1216. 492  Alexander, ZUM 2013, 614, 619; Blome, NVwZ 2016, 1211, 1216. 493  BVerwG, NVwZ 2013, 1006. 489  Blome,



B. Öffentlichkeitsgrundsatz und Grundrechte der Verfahrensbeteiligten213

lung ihrer öffentlichen Aufgabe benötige und somit eine „Zweckbindung des Auskunftsanspruchs“ bestehe.494 Dieser Auffassung ist jedoch eine klare Absage zu erteilen, da das Erfordernis einer derartigen Zweckbindung einer unzulässigen Zensur der Presse gleichkommen würde.495 Der auskunftsverpflichteten Behörde steht es nicht zu, über die Sinnhaftigkeit der Recherche­ arbeit durch die Presse zu urteilen und überdies ist die Presse der Behörde auch nicht zur Rechenschaft verpflichtet, aus welchen Gründen sie speziell die angefragten Informationen benötigt. Sprechen keine offensichtlichen und gut begründeten Argumente gegen ein hinter dem Auskunftsbegehren der Presse stehendes öffentliches Interesse, ist von einem solchen grundsätzlich auszugehen.496 bb) Reichweite presserechtlicher Regelungen Die Auslegung der presserechtlichen Regelungen hat sich an den Grundrechten der Presse- und Informationsfreiheit sowie an dem in Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG verankerten Demokratieprinzip zu orientieren. Darüber hinaus sind diese Normen auch unter Berücksichtigung der Regelungen der Europäischen Menschenrechtskonvention, insbesondere deren Art. 10 Abs. 1 S. 2 EMRK – welcher der Presse die Funktion eines public watchdog zuspricht – auszulegen.497 d) Schutzbereich der Rundfunkfreiheit, Art. 5 Abs. 1 S. 2 Var. 2 GG Rundfunk i. S. d. Rundfunkfreiheit ist jede an eine unbestimmte Vielzahl von Personen einseitig gerichtete, drahtlose oder drahtgebundene, Übermittlung von Gedankeninhalten mit Hilfe elektrischer Schwingungen.498 Traditionell gehören dazu Hörfunk und Fernsehen.499 Auch Online-Medien können der Rundfunkfreiheit zugeordnet werden.500 An die Allgemeinheit werden von der Rundfunkfreiheit geschützte Informationen immer dann verbreitet, wenn sie einem unbestimmten Adressatenkreis zugänglich gemacht wer494  Köhler,

NJW 2005, 2337, 2339. NJW 2001, 503. 496  Partsch, NJW 2013, 2858, 2861. 497  Müller, NJW 2007, 1617, 1619; Partsch, NJW 2013, 2858. 498  Dreier-Schulze-Fielitz, GG, Bd. I, Art. 5 I, II Rn. 99; Stern/Becker-Fechner, GG, Art. 5, Rn. 128. 499  BVerfGE 12, 205, 226; umfasst sind auch Videotexte und Pay-TV, BVerfGE 74, 297, 350 f. 500  BeckOK GG/Schemmer, Art. 5, Rn. 67. 495  BVerfG,

214

3. Kap.: Grenzen des Öffentlichkeitsgrundsatzes

den.501 Dies ist bei nahezu allen digitalen Medien der Fall, wobei es auf die tatsächliche Größe des Empfängerkreises502 nicht ankommt.503 Das Bundesverfassungsgericht hebt das Charakteristikum des Rundfunks auf Aktualität, Breitenwirkung und Suggestivkraft der bewegten Bilder ab.504 Trotz des Wortlauts schützt die Rundfunkfreiheit nicht nur die Berichterstattung im eigentlichen Sinne,505 sondern jede Vermittlung506 von Information und Meinung,507 wobei jedoch eine redaktionelle Aufarbeitung508 vorliegen muss. Ein besonderer Schutz kann der Berichterstattung durch Rundfunk − bei einer umfassenden und wahrheitsgemäßen Information − zukommen, insbesondere wenn eine die Öffentlichkeit wesentlich berührende Frage im Raum steht, was z. B. bei der Veröffentlichung einer Anklageschrift509 der Fall sein kann.510 Die Rundfunkfreiheit gewährleistet, dass der Rundfunk frei von externer und insbesondere staatlicher Einflussnahme entscheiden kann, wie er seine publizistische Aufgabe erfüllt.511 Der Gewährleistungsbereich der Rundfunkfreiheit ist so weit gefasst wie der Gewährleistungsbereich der Pressefreiheit.512 Sie eröffnet allerdings kein Recht auf eine Informationsquelle.513 Deshalb besteht gemäß der verfassungsgemäßen Bestimmung des § 169 Abs. 1 S. 2 GVG  n. F. kein Recht auf Fernsehaufnahmen während einer Gerichtsverhandlung.514 Von der Rundfunkfreiheit umfasst wird das Recht der beim Rundfunk tätigen Personen, sich über ­Vorgänge in einer öffentlichen Gerichtsverhandlung zu informieren und 501  Stern/Becker-Fechner,

GG, Art. 5, Rn. 128 f. Rundfunk i. S. d. Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG, S. 129 ff. 503  Meinecke, Prominentenstrafrecht, S. 205. 504  Stern/Becker-Fechner, GG, Art. 5, Rn. 129; Klaes, ZUM  2009, 135, 141; Schütz, MMR 2009, 228, 230 f. 505  BVerfGE 35, 202, 222. 506  Das Funktionieren einer Kommunikationsordnung ist sicherzustellen, da nur so eine freiheitliche Kommunikation ermöglicht werden kann. Dieser Gewährleistungsanspruch richtet sich an alle Staatsgewalten (Art. 1 Abs. 3 GG) und mithin auch an die Judikative. Dem entspricht auch die programmatische Maßstabsformel, dass den Medien eine öffentliche Aufgabe zugetragen wurde (BVerfGE  12, 205, 244 ff.; 20, 162, 175). Sie verdeutlicht die Einbindung der Medienbetätigung in die Staatszielbestimmungen Demokratie, Rechts-, Sozial-, und Kulturstaatlichkeit, vgl. auch Gostomzyk, Öffentlichkeitsverantwortung, S. 120 f. 507  BVerfGE 57, 295, 319; 60, 53, 63. 508  Jarass, AfP 1998, 133, 135. 509  BVerfGE 71, 206, 220. 510  BeckOK GG/Schemmer, Art. 5, Rn. 69. 511  BVerfGE 59, 231, 258. 512  BVerfGE 91, 125, 134. 513  BVerfGE 103, 44, 59 f. 514  BVerfGE 91, 125, 137 ff. 502  Brand,



B. Öffentlichkeitsgrundsatz und Grundrechte der Verfahrensbeteiligten215

­ ierüber zu berichten. Der Ausschluss eines Rundfunkmitarbeiters von einer h Gerichtsverhandlung und seine Verweisung aus dem Gerichtssaal ohne einen bestimmten Grund sind als Eingriff in das Grundrecht der Rundfunkfreiheit zu werten.515 Das Informationsinteresse der Öffentlichkeit ist bei Strafverfahren nicht allein auf den Angeklagten und die ihm zur Last gelegten Taten, sondern auch auf diejenigen Personen gerichtet, die in dem der besonderen Aufmerksamkeit unterliegenden Fall als Mitglieder des Spruchkörpers, als Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft oder als zur Mitwirkung an der Verhandlung berufener Rechtsanwalt an der Rechtsfindung mitwirken.516 Grundrechtsträger sind jedenfalls alle natürlichen und (inländischen) juristischen Personen, die eigenverantwortlich Rundfunk betreiben.517 Dies sind die privaten Rundfunkveranstalter, aber auch die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten. Juristische Personen des öffentlichen Rechts können zwar grundsätzlich kein Grundrechtsträger sein. Dies gilt jedoch nicht, wenn und soweit juristische Personen des öffentlichen Rechts „unmittelbar dem durch die Grundrechte geschützten Lebensbereich zuzuordnen“ sind.518 Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten sind daher gleichzeitig Grundrechtsberechtigte und als Exekutivorgane gemäß Art. 1 Abs. 3 GG Grundrechtsverpflichtete.519 3. Die Grundrechtsfunktionen des Art. 5 Abs. 1 GG Bei allen Freiheitsrechtsgrundrechten und somit auch bei dem hier dargelegten Art. 5 Abs. 1 GG sticht die negative Funktion (status negativus) als Abwehrrecht als historisch bedeutsame Funktion hervor, die staatsrechtlich allgemein anerkannt ist (Lehre von der Grundrechtsfunktion).520 Dieser status negativus ist durch ein subjektives öffentliches Recht des Einzelnen gewährleistet, wonach jedes Individuum gegenüber dem Staat verlangen kann, verfassungswidrige Eingriffe in seine Rechte  – hier aus Art. 5 Abs. 1 GG  – zu unterlassen.521 515  Ausführlich

und m. w. N. BeckOK GG/Schemmer, Art. 5, Rn. 75.1. 119, 309, 322; BeckOK GG/Schemmer, Art. 5, Rn. 75.1. 517  BVerfGE 97, 298, 310. 518  BVerfGE 31, 314, 322. 519  Sodan/Ziekow, Grundkurs Öffentliches Recht, § 22, Rn 21. 520  Statt vieler BVerfGE 50, 290, 337. 521  Dieser Grundgedanke, dass jeder Bürger unveräußerliche Rechte speziell gegenüber dem Staat hat, ist ein historisches Resultat der politisch-philosophischen Lehren Thomas Hobbes und John Lockes, vgl. Sodan/Ziekow, Grundkurs Öffent­liches Recht, § 22, Rn. 3 ff. m. w. N. 516  BVerfGE

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3. Kap.: Grenzen des Öffentlichkeitsgrundsatzes

Demgegenüber liegt der objektive Grundrechtsgehalt des Art. 5 Abs. 1 GG darin, dass eine vielfältige Medienlandschaft gesichert werden muss, die sich durch pluralistische Strukturen auszeichnet und gerade nicht das Entstehen eines „Meinungsmonopolismus“ fördert.522 Dieser objektive Grundrechtsgehalt523 prägt nicht nur „die Auslegung der einfachgesetzlichen Rechtsordnung, sondern enthält einen programmatischen Auftrag an den Gesetzgeber, die Freiheiten des Art. 5 Abs. 1 GG aktiv zu schützen, zu sichern und zu festigen“.524 Gemeint sind damit materielle, organisatorische und Verfahrensregelungen, die an der Aufgabe der Rundfunkfreiheit orientiert sind und deshalb das aufweisen, was Art. 5 Abs. 1 GG gewährleisten will.525 Vor diesem Hintergrund kristallisiert sich die besondere Bedeutung der Konstruktion der Rundfunkfreiheit526 als ein Individualgrundrecht heraus. Denn mit dem status negativus einher geht eine subjektive Anspruchsbemächtigung jeden einzelnen Bürgers. Auch das Bundesverfassungsgericht527 sieht die originäre Funktion der Rundfunkfreiheit stärker als bei den übrigen Kommunikationsgrundrechten in seiner dienenden Funktion, was insbesondere für die Einschränkbarkeit528 dieses Grundrechts von Bedeutung ist. Eine Unterscheidung wird in diesem Kontext für die Massenmedien wegen deren enormer Breitenwirkung für die öffentliche Meinungsbildung zu treffen sein: Gesetze, die die Zuordnung der pluralistischen Interessen der Medienteilnehmer untereinander regelnd betreffen und das Funktionieren der Medienordnung sichern sollen, sind nicht am Schrankenvorbehalt des Art. 5 Abs. 2 GG529 zu messen. Dagegen sind alle übrigen „allgemeinen Gesetze“ aufgrund des Eingreifens in den oben dargestellten Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG an Art. 5 Abs. 2 GG zu messen.530 4. Eingriff in die Schutzbereiche des Art. 5 Abs. 1 GG Beeinträchtigungen des Schutzbereichs erfolgen in den meisten Fällen durch „klassische Grundrechtseingriffe“, die in Ge- oder Verboten bestehen, welche den Betroffenen staatlicherseits zielgerichtet und mit unmittelbarer 522  BVerfGE

20, 162, 176. Grundkurs Öffentliches Recht, § 22, Rn. 21. 524  Dreier-Schulze-Fielitz, GG, Bd. I, Art. 5 I, II Rn. 213. 525  BVerfGE 57, 295, 320. 526  Das BVerfG hat die Rundfunkfreiheit als subjektives Recht des Individuums erst im Jahr 1961 anerkannt, BVerfGE 12, 205, 206. 527  BVerfGE 57, 295, 319. 528  Zu den Schranken des Art. 5 Abs. 1 GG ausführlich in Kap. 3, F. II. 5. 529  BVerfGE 73, 118, 166. 530  Meinecke, Prominentenstrafrecht, S. 209 m. w. N. 523  Sodan/Ziekow,



B. Öffentlichkeitsgrundsatz und Grundrechte der Verfahrensbeteiligten217

Wirkung auferlegt werden.531 In diesem Sinne versteht das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss aus dem Jahr  2002 unter einem Grundrechtseingriff im Allgemeinen „einen rechtsförmigen Vorgang, der unmittelbar und gezielt (final) durch ein vom Staat verfügtes, erforderlichenfalls zwangsweise durchzusetzendes Ge- oder Verbot, also imperativ, zu einer Verkürzung grundrechtlicher Freiheiten führt“.532 Die unmittelbare Beeinträchtigung ist dadurch gekennzeichnet, dass eine beeinträchtigende Wirkung ohne Hinzutreten weiterer Faktoren bereits im Verhalten öffentlicher Gewalt selbst liegt. Eine mittelbare Beeinträchtigung liegt hingegen vor, wenn ein bestimmtes Verhalten öffentlicher Gewalt eine  von mehreren Ursachen setzt, deren Zusammenwirken den gegenüber dem Bürger nachteiligen Effekt auslöst. Versteht man unter faktischen Beeinträchtigungen diejenigen Eingriffe, denen mindestens eines der beiden Elemente „Finalität“ und „Unmittelbarkeit“ fehlt,533 unterscheidet sich der Anwendungsbereich der faktischen Beeinträchtigungen von demjenigen der mittelbaren insofern, als zu den faktischen auch solche Beeinträchtigungen gehören, die nicht final, aber doch in unmittelbarer Weise erfolgen. Bei den faktischen Beeinträchtigungen können die nachteiligen Wirkungen für den Betroffenen in Folgeerscheinungen einer jeweils rechtlich bindenden Anordnung oder in einer tatsächlichen Betroffenheit aufgrund nicht regelnden Verhaltens öffentlicher Gewalt liegen.534 In Bezug auf bloß faktische, mittelbare Beeinträchtigungen bedarf es der sorgfältigen Prüfung, ob das sachlich einschlägige Grundrecht nach seinem Schutzzweck und damit seiner Funktion darauf gerichtet ist, auch eine Beeinträchtigung dieser Qualität abzuwehren.535 In Bezug auf Strafverfahren wird das zuvor Dargelegte etwa dann relevant, wenn Medienmitarbeiter als Grundrechtsberechtigte von einem laufenden Ermittlungsverfahren oder einem anstehenden Strafverfahren Kenntnis nehmen und aufgrund des daraus resultierenden Informationsinteresses weitere Recherchen durchgeführt werden sollen. Der Schwerpunkt einer medialen Begleitung strafrechtlich relevanter Vorgänge liegt im Vorfeld der Anklageerhebung, die das öffentliche Strafverfahren der Hauptverhandlung vor dem Strafgericht erst einleitet.536 Hierzu wenden sich die Journalisten regelmäßig 531  Detterbeck,

Öffentliches Recht, Rn. 282 ff.; Hufen, Grundrechte, § 8, Rn. 5. 105, 279, 300. 533  So Zechlin, NJW 1985, 585, 588 (dargestellt am Beispiel des Art. 9 Abs. 3 GG). 534  Sodan/Ziekow, Grundkurs Öffentliches Recht, § 24, Rn. 7; Hufen, Grundrechte, § 8, Rn. 10. 535  Sodan/Ziekow, Grundkurs Öffentliches Recht, § 24, Rn. 7 m. w. N.; Detterbeck, Öffentliches Recht, Rn. 283 ff. 536  Lehr, NJW 2013, 728. 532  BVerfGE

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3. Kap.: Grenzen des Öffentlichkeitsgrundsatzes

an die jeweilige Pressestelle (soweit eine solche vorhanden ist) und erbitten um eine detailliertere Auskunft oder stellen im Rahmen von behördlich organisierten Pressekonferenzen entsprechende Fragen. Dabei liegt ein denkbarer Eingriff in die Pressefreiheit durch Staatsanwaltschaft oder Gericht dann vor, wenn einzelne Pressevertreter von einer solchen Pressekonferenz537 oder von der Teilnahme an einer Hauptverhandlung538 ausgeschlossen sind.539 In die Pressefreiheit ist auch immer dann eingegriffen, wenn durch das Gericht ein sitzungspolizeiliches Verbot erlassen wurde, aufgrund dessen auch außerhalb des Gerichtssaals vor und nach der laufenden Hauptverhandlung nicht gefilmt werden darf.540 Wegen des weit zu verstehenden Eingriffsbegriffs des Art. 5 Abs. 1 GG stellt auch das Nichtgewähren von Informationen über ein Strafverfahren einen Eingriff in den Schutzbereich der Pressefreiheit dar, so z. B. wenn Journalisten gegenüber der zuständigen Behörde um Auskunft über die Verdachtslage gegen eine prominente Persönlichkeit fragen und ihnen diese verwehrt wird.541 Gleichzeitig geht mit der Preisgabe der von den Pressevertretern gewünschten Informationen durch die zuständige Behörde ein Eingriff in das durch Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG geschützte Allgemeine Persönlichkeitsrecht542 desjenigen dar, über den die Auskunft erteilt wurde. Dieses Spannungsverhältnis ist sodann durch eine Abwägung der widerstreitenden Interessen im Wege der Bildung einer praktischen Konkordanz für den jeweiligen Einzelfall zu lösen.543 5. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung Führt die Prüfung eines Verhaltens zu dem Resultat, dass ein Eingriff in den Schutzbereich eines der in Art. 5 Abs. 1 GG verankerten Kommunikationsgrundrechte vorliegt, bedeutet dies nicht automatisch, dass das Grundrecht auch tatsächlich verletzt ist. Eine Grundrechtsverletzung ist erst dann gegeben, wenn der Eingriff in unzulässiger Weise erfolgt ist. Wegen einer Grundrechtsschranke kann der Eingriff verfassungsrechtlich gerechtfertigt und somit zulässig sein.544 537  BVerfGE

50, 234, 241 ff.; 87, 334, 339. 50, 234, 241 ff.; 87, 334, 339. 539  Meinecke, Prominentenstrafrecht, S. 214. 540  BVerfGE 91, 125, 135. 541  Ausführlich Meinecke, Prominentenstrafrecht, S. 214. 542  Siehe dazu die Ausführungen unter Kap. 3, B. I. 543  Dazu unten unter Kap. 3, B. III. 544  Hufen, Grundrechte, § 9, Rn. 1 ff.; Sodan/Ziekow, Grundkurs Öffentliches Recht, § 32, Rn. 25; Detterbeck, Öffentliches Recht, Rn. 293 ff. 538  BVerfGE



B. Öffentlichkeitsgrundsatz und Grundrechte der Verfahrensbeteiligten219

a) Schranken i. S. v. Art. 5 Abs. 2 GG Nach Art. 5 Abs. 2 GG findet das Recht der Kommunikationsfreiheiten seine Schranken in den allgemeinen Gesetzen, den Gesetzen zum Schutze der Jugend und im Recht der persönlichen Ehre (sogenannte Schrankentrias), wobei die Gesetze zum Schutze der Jugend für die Berichterstattung über Strafverfahren kaum eine Rolle spielen und deshalb im Folgenden nicht weiter behandelt werden sollen. Deutlich bedeutsamer für die vorliegende Untersuchung und gleichzeitig umstritten sind die allgemeinen Gesetze.545 Der Begriff der allgemeinen Gesetze ist schon von jeher umstritten. Das Bundesverfassungsgericht verlangt, dass zwei Voraussetzungen erfüllt sein müssen: Zum einen darf sich das Gesetz nicht gegen die Äußerung einer bestimmten Meinung oder gegen die Meinungsfreiheit als solche richten. Es gilt der Grundsatz der Meinungsneutralität. Zum anderen müssen Gesetze, die – ohne Sonderrecht zu sein – dennoch die Meinungsfreiheit einschränken oder Eingriffe in die Meinungsfreiheit zulassen, dem Schutz zumindest eines Rechtsguts dienen, das in der Rechtsordnung allgemein geschützt ist.546 Sondergesetze (Sonderrecht) erfüllen diese Voraussetzungen nicht. Nach der Sonderrechtslehre547 liegt ein Sondergesetz und damit kein allgemeines Gesetz nach Art. 5  Abs. 2  GG vor, wenn es sich gegen eine bestimmte Meinung bzw. gegen die Meinungsfreiheit als solche richtet.548 Der Abwägungslehre zufolge ist ein Gesetz dann allgemein, wenn es dem Schutz eines gegenüber dem beschränkten Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 GG höherrangigen Rechtsgutes dient. Das Bundesverfassungsgericht hat sich bereits frühzeitig für die Kombination beider Lehren entschieden und festgelegt, dass allgemeine Gesetze diejenigen Normen sind, die „nicht eine Meinung als solche verbieten, die sich nicht gegen die Äußerung der Meinung als solche richten“, „die vielmehr […] dem Schutze eines Gemeinschaftswerts, der gegenüber der Betätigung der Meinungsfreiheit den Vorrang hat“, dienen.549 Dadurch wird eine unterschiedliche Gewichtung der im Einzelfall konfligierenden Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG und dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht ermöglicht; entsprechendes gilt für die übrigen in Art. 5 Abs. 1 GG gewährleisteten Kommunikationsgrundrechte.550 545  Bettermann,

JZ 1964, 601 ff. BVerfGE 7, 198, 209 f.; seitdem ständige Rechtsprechung, etwa BVerfGE 111, 147, 155; 113, 63, 78; 124, 300, 321; Detterbeck, Öffentliches Recht, Rn. 396. 547  Detterbeck, Öffentliches Recht, Rn. 396 ff.; 904 ff.; Michael/Morlok, Grundrechte, § 23, Rn. 649. 548  Bettermann, JZ 1964, 601, 603. 549  BVerfGE 7, 198, 209. 550  BVerfGE 120, 180, 200. 546  Grundlegend

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3. Kap.: Grenzen des Öffentlichkeitsgrundsatzes

Bedeutung im Zusammenhang mit der Berichterstattung über Strafverfahren durch moderne Massenmedien erfährt die Schranke in Form der Gesetze zum Schutze der persönlichen Ehre.551 Diese Grundrechtsschranke erfordert nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts ebenfalls ein allgemeines Gesetz,552 weshalb dieser Differenzierung zwischen den allgemeinen Gesetzen und den Gesetzen zum Schutze der persönlichen Ehre kaum praktische Bedeutung zukommt.553 Verfassungsrechtlich ist der Schutz der persönlichen Ehre im Allgemeinen Persönlichkeitsrecht, Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG, verortet. Umfasst ist auf der Innenseite der Mensch als Träger sittlicher und geistiger Werte und auf der Außenseite der Anspruch auf soziale Achtung554 desselben.555 Dieser Anspruch auf soziale Achtung kann im Wege der medialen Berichterstattung über den Beschuldigten im Ermittlungsverfahren oder den Angeklagten in einem Strafverfahren in Gefahr geraten. Dies droht immer dann, wenn die Berichterstattung sensationsorientiert556 ausgestaltet ist und einzelne Personen (regelmäßig der vermeintliche Täter) in den Fokus der öffentlichen Berichterstattung gezerrt werden, statt „nüchtern“ über die Fakten des Anklagevorwurfs und dem Gang der Hauptverhandlung zu berichten. Ob neben den in Art. 5 Abs. 2 GG ausdrücklich genannten Schranken auch ein Eingriffsvorbehalt zum Schutz kollidierender Verfassungsgüter (praktische Konkordanz)557 besteht, ist umstritten. Die h. M. erkennt dies mit dem Argument an, dass für die Kommunikationsgrundrechte aus Art. 5 Abs. 1 GG in diesem Zusammenhang nichts anderes gelten könne als für Grundrechte ohne jeglichen Schrankenvorbehalt.558 Jedenfalls sind zur Vermeidung einer Umgehung der Schrankentrias eine restriktive Handhabung und eine formellgesetzliche Konkretisierung der Begrenzung geboten.559 Sollten sich wie etwa im oben genannten Beispiel zwei konfligierende Verfassungsgüter gegenüber stehen, kommt die Bildung einer praktischen Konkordanz erst dann 551  Zum grundrechtlichen Schutz der Ehre im Informationszeitalter Glaser, NVwZ 2012, 1432 ff. 552  BVerfGE 124, 300, 326. 553  Dreier-Schulze-Fielitz, GG, Bd. I, Art. 5 I, II Rn. 151; Maunz/Dürig-Grabenwarter, GG, Art. 5, Rn. 197 ff. 554  Ausführlich Maunz/Dürig-Herdegen, GG, Art. 1, Rn. 117 ff. m. w. N. 555  Glaser, NVwZ 2012, 1432; Meinecke, Prominentenstrafrecht, S. 216. 556  Rüping, in: FS Dünnebier, S. 391. 557  Grundlegend Sodan/Ziekow, Grundkurs Öffentliches Recht, § 2, Rn. 11; Schladebach, Der Staat 2014, Bd. 53, 263 ff. 558  BVerfGE 66, 116, 136; Dreier-Schulze-Fielitz, GG, Bd. I, Art. 5 I, II Rn. 152; a. A. Sachs-Bethge, GG, Art. 5, Rn. 176. 559  Jarass/Pieroth, GG, Art. 5, Rn. 79; Sodan/Ziekow, Grundkurs Öffentliches Recht, § 32, Rn. 28.



B. Öffentlichkeitsgrundsatz und Grundrechte der Verfahrensbeteiligten221

in Betracht, wenn der Schrankenvorbehalt gewahrt wurde.560 Dabei ist die Abwägung zwischen den grundrechtlich geschützten Interessen der Verfahrensbeteiligten im Prüfungspunkt der Verhältnismäßigkeit verortet. Problematisch ist ferner die Frage, ob dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht unmittelbar aus den Kommunikationsfreiheiten erwachsendes Verfassungsrecht gegenübersteht. Eine Ansicht verneint dies vor dem Hintergrund der bereits durch die Ausgestaltung des Art. 5 Abs. 2 GG entschiedenen Frage. Eine andere Ansicht561 konstatiert, dass der Ehrschutz in Art. 5 Abs. 2 GG zwar kein originäres Grundrecht sei, wegen dessen besonderer Stellung innerhalb des Art. 5  GG aber im Kollisionsfall nach den Grundsätzen der praktischen Konkordanz mit den Kommunikationsfreiheiten des Art. 5 Abs. 1 GG  – letztlich durch die Vornahme einer Güterabwägung562  – in Ausgleich zu bringen sei.563 b) „Allgemeine Gesetze“ i. S. v. Art. 5 Abs. 2 GG Die Interpretation des Begriffs der allgemeinen Gesetze war bereits zu Weimarer Zeiten unter der Geltung des Art. 118 Abs. 1 S. 1 Weimarer Reichsverfassung umstritten564 und wurde als „jahrzehntelange Crux des deutschen Strafrechts“565 sowie als „besonders problematische Begrenzung der Meinungsfreiheit“566 charakterisiert. Die Diskussion über die inhaltliche Bedeutung dieser Grundrechtsschranke wurde bereits im 19. Jahrhundert hinsichtlich der Pressefreiheit geführt und erfuhr im Zusammenhang mit den Kommunikationsfreiheiten des Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG neue Bedeutung.567 Die entscheidende Neuerung erfolgte durch die vom Bundesverfassungsgericht im Lüth-Urteil568 entwickelten Grundsätze. Ausgehend von den zu Weimarer Zeit entwickelten Lehren wurden in dieser Entscheidung weitere Interpretationsgrundsätze aufgestellt, 560  BVerfGE

52, 283, 298. JuS 1988, 274, 278. 562  BVerfGE 7, 198, 210. 563  BeckOK InfoMedienR/Kühling, Art. 5 GG, Rn. 125 ff.; Meinecke, Prominentenstrafrecht, S. 217 m. w. N. 564  Siehe dazu BeckOK InfoMedienR/Kühling, Art. 5 GG, Rn. 105. 565  Bethge, AfP 1980, 13, 16. 566  Frowein, AöR 1980, 169, 180. 567  Ausführlich zu den Inhaltsbestimmungen der Weimarer Zeit, dem Begriff „allgemein“ als Redaktionsversehen, der Abwägungslehre und der Lehre von der sachlichen Allgemeinheit bei Mohr, Fernsehberichterstattung aus der Hauptverhandlung, S. 27 ff. m. w. N. 568  BVerfGE 7, 198 ff. 561  Gornig,

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3. Kap.: Grenzen des Öffentlichkeitsgrundsatzes

durch die der Terminus der „allgemeinen Gesetze“ einer weiteren Konkretisierung unterzogen wurde. Festgelegt wurde eine zweistufige Prüfungsfolge, wonach das grundrechtsbeschränkende Gesetz zunächst im Hinblick auf den jeweiligen Adressaten als auch auf den Inhalt allgemein ausgerichtet sein muss (Wechselwirkungslehre569).570 Das Gesetz darf dabei weder gegen einen bestimmten Meinungsträger571 noch gegen eine bestimmte Meinung als solche572 richten. Übertragen auf die Medien darf ein Gesetz insbesondere kein Sonderrecht gegen Presse oder Rundfunk enthalten, sondern es muss „dem Schutz eines schlechthin ohne Rücksicht auf bestimmte Informationen oder Meinungen zu schützenden Rechtsguts dienen, das dem Grundrechtsschutz der Medien in nichts nachsteht“.573 Sind diese Voraussetzungen erfüllt, muss das grundrechtsbeschränkende Gesetz im Lichte des eingeschränkten Grundrechts ausgelegt werden, damit der wertsetzenden Bedeutung des Grundrechts auch auf der Rechtsanwendungsebene Rechnung getragen wird. Bei der Wechselwirkungslehre handelt sich also um eine spezielle Variante des Verhältnismäßigkeitsprinzips.574 Durch das Bundesverfassungsgericht wurden all jene einfachgesetzlichen Normen als allgemeine Gesetze und somit als taugliche Schrankengesetze i. S. v. Art. 5 Abs. 2 GG charakterisiert, die eine bestimmte Meinungsäußerung verbieten, wobei den §§ 185 ff. StGB575 dabei eine besonders praktische Relevanz576 zukommt. Die zur Einschränkbarkeit der Meinungsfreiheit durch den Ehrschutz als Ausfluss des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts ergangene Rechtsprechung ist geeignet, die Reichweite der Meinungsfreiheit im Verhältnis zum Allgemeinen Persönlichkeitsrecht zu bestimmen und in Bezug zu den in Strafverfahren Angeklagten ausreichend zu konkretisieren.577

569  Nach der vom BVerfG entwickelten Wechselwirkungslehre findet zwischen dem Grundrecht und dem allgemeinen Gesetz eine „Wechselwirkung in dem Sinne statt, dass die allgemeinen Gesetze zwar dem Wortlaut nach dem Grundrecht Schranken setzen, ihrerseits aber aus der Erkenntnis der wertsetzenden Bedeutung dieses Grundrechts […] selbst wieder eingeschränkt werden müssen“, vgl. BVerfGE 7, 198, 209, aus der jüngsten Vergangenheit BVerfG, NJW 2015, 2022. 570  BeckOK InfoMedienR/Kühling, Art. 5  GG, Rn. 106; Detterbeck, Öffentliches Recht, Rn. 398. 571  BVerfGE 91, 125, 135. 572  BVerfGE 7, 198, 209; 57, 250, 268; 62, 230, 243. 573  BVerfGE 91, 125, 135. 574  Statt vieler BVerfGE 124, 300, 331. 575  Weitere in Betracht kommende Normen sind die §§ 89, 90a Abs. 1, 99 Abs. 1 Nr. 1, 100e, 103, 130 Abs. 1 Nr. 1, 131, 184, 353b, 353d Nr. 3 StGB. 576  BVerfGE 93, 266, 290 f. 577  Meinecke, Prominentenstrafrecht, S. 218.



B. Öffentlichkeitsgrundsatz und Grundrechte der Verfahrensbeteiligten223

c) § 169 GVG als allgemeines Gesetz i. S. v. Art. 5 Abs. 2 GG Die praktisch wichtigste sowie theoretisch meistdiskutierte Schranke innerhalb der Schrankentrias des Art. 5 Abs. 2 GG und damit zugleich die bedeutendste Grundlage zur Rechtfertigung von Eingriffen in die Freiheiten des Art. 5 Abs. 1 GG ist die Schranke der allgemeinen Gesetze.578 Für diese Arbeit von zentraler Bedeutung sind die §§ 169 ff. GVG und die Frage, ob auch sie, speziell der hier zu untersuchende § 169 S. 2 GVG  a. F. bzw. der wortgleiche § 169 Abs. 1 S. 2 GVG n. F., als ein allgemeines Gesetz i. S. v. Art. 5 Abs. 2 GG anerkannt sind. Das Bundesverfassungsgericht betrachtete über einen langen Zeitraum in ständiger Rechtsprechung die gesamten Vorschriften des Gerichtsverfassungsgesetzes über die Öffentlichkeit und die Sitzungspolizei als allgemeine Gesetze,579 da sie grundsätzlich jedermann betreffen können.580 Dieses Verständnis wird jedoch im jüngeren Schrifttum unter Verweis auf die verschiedenen Begründungsversuche zu § 169  GVG bezweifelt.581 Es wird die Vermutung geäußert, dass es sich bei dem Aufnahmeverbot des Satz  2 um ein speziell gegen den Rundfunk gerichtetes Gesetz handelt mit der Folge, dass es nach der oben genannten Definition nicht mehr unter ein allgemeines Gesetz i. S. v. Art. 5 Abs. 2 GG subsumiert werden könne, mithin als ein Sondergesetz zu klassifizieren sei. Auch das Bundesverfassungsgericht geht in seiner jüngeren Rechtsprechung davon aus, dass es sich bei § 169 S. 2 GVG  a. F.  – entgegen seiner bisherigen Rechtsprechung  – nicht um ein Schrankengesetz i. S. v. Art. 5 Abs. 2 GG handele.582 Begründet wird dies damit, dass der Zugang der Medien zu einer für jedermann geöffneten Informationsquelle durch die in Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG normierte Informationsfreiheit geschützt werde. Zu dessen Schutzbereich583 gehöre jedoch gerade nicht das Recht auf Eröffnung einer Informationsquelle, vielmehr sei nur das Recht umfasst, sich ungehindert aus einer schon für die allgemeine Zugänglichkeit bestimmten Quelle zu unterrichten. Eine Gerichtsverhandlung stelle eine Informationsquelle dar, über deren Zugänglichkeit derjenige ent578  Dreier-Schulze-Fielitz, GG, Bd. I, Art. 5 I, II Rn. 136; Jarass/Pieroth, GG, Art. 5, Rn. 55; Gosche, Spannungsverhältnis zwischen Meinungsfreiheit und Ehrenschutz, S. 37. 579  So auch Olbertz, Fernsehöffentlichkeit von Gerichtsverfahren, S. 48; Mohr, Fernsehberichterstattung aus der Hauptverhandlung, S. 32 ff.; Ernst, ZUM 1996, 187, 188; Scholz, NStZ 1995, 42, 43. 580  BVerfGE 50, 234, 241; 91, 125, 136; 103, 44, 61 ff. 581  Federführend Schwarz, AfP 1994, 353, 355 in seinem Gutachten für den Fernsehsender n-tv; siehe auch Enders, NJW 1996, 2712, 2713. 582  BVerfG, NJW 2001, 1633, 1634. 583  Ausführlich in Kap. 3, B. II. 2.

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3. Kap.: Grenzen des Öffentlichkeitsgrundsatzes

scheidungsbefugt sei, der nach der Rechtsordnung über ein entsprechendes Bestimmungsrecht verfüge. Die Ausübung dieses Rechts solle für Dritte keine Beschränkung i. S. v. Art. 5 Abs. 2 GG darstellen. Konkret zu § 169 S. 2 GVG  a. F. wird ausgeführt, dass diese Norm von vornherein nur eine eingeschränkte Öffnung der Gerichtsverhandlung als Informationsquelle vorsehe. Der historische Gesetzgeber habe 1964 als Bestimmungsberechtigter über die Art der Zugänglichkeit von Gerichtsverhandlungen als staatliche Vorgänge das Ausmaß der Öffnung dieser Informationsquelle derart festgelegt, dass der allgemeine Zugang nur für diejenigen eröffnet sei, die der Gerichtsverhandlung in dem dafür vorgesehenen Sitzungssaal folgen wollen. Werde die Gerichtsverhandlung als Informationsquelle mit der Einschränkung eines rundfunkbegrenzenden Zugangs eröffnet, so hänge die Verfassungsmäßigkeit der einschränkenden Norm davon ab, ob eine solche Beschränkung vom Recht zur Bestimmung des Zugangs gedeckt ist und zwar ohne dass sie sich zusätzlich an Art. 5 Abs. 2 GG messen lassen muss. Folge demnach aus dem Verfassungsrecht, dass der Zugang zu einer Gerichtsverhandlung in einem weiteren Umfang oder gar unbeschränkt hätte gewährt werden müssen, könne dies vom Träger des Grundrechts geltend gemacht werden. Nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts584 sei der Gesetzgeber von Verfassungs wegen nicht verpflichtet gewesen, eine Ausnahmeregelung zu schaffen.585 Begründet wird diese Ansicht durch Bezugnahme auf das Rechtsstaats- und Demokratieprinzip,586 da bei der Ausgestaltung dieser Verfassungsgrundsätze und der Modalitäten der Gerichtsöffentlichkeit der Gesetzgeber deren Funktion sowie die unterschiedlichen Interessenlagen zu berücksichtigen habe. Ausgehend von dem Grundsatz, dass Strafverfahren in aber nicht für die Öffentlichkeit stattfinden, führe das Gericht eine Abwägung zwischen den Persönlichkeitsrechten der Verfahrensbeteiligten, dem Recht des Angeklagten auf ein faires Verfahren sowie der funktionstüchtigen Rechtspflege auf der einen und der unbegrenzten (Medien-)Öffentlichkeit auf der anderen Seite durch. Dem ist im Ergebnis jedoch nicht zuzustimmen. Die §§ 169 ff. GVG und somit auch das hier zu untersuchende Verbot von Bild- und Tonübertragungen aus der Gerichtsverhandlung sind nicht gegen die Beschaffung publizis584  Das Minderheitenvotum (des Richters Kühling, der Richterin Hohmann-Dennhardt und des Richters Hoffmann-Riem) vertrat jedoch die Auffassung, dass der Gesetzgeber kraft objektiven Verfassungsrechts verpflichtet gewesen sei, eine über die reine Saalöffentlichkeit hinausgehende Medienöffentlichkeit zu ermöglichen, sofern dem keine gegenläufigen Belange entgegenstünden, vgl. BVerfG, NJW  2001, 1633, 1637. 585  BVerfG, NJW 2001, 1633 ff. 586  Zur Herleitung des Öffentlichkeitsgrundsatzes aus dem Rechtsstaats- und Demokratieprinzip siehe ausführlich unter Kap. 2, C. III.



B. Öffentlichkeitsgrundsatz und Grundrechte der Verfahrensbeteiligten225

tischer Informationen und deren Verwertung als solche gerichtet. Sie dienen dem Schutz vorrangiger Individual- und Gemeinschaftsgüter, hinter denen das publizistische Informations- und Verbreitungsinteresse insoweit zurücktreten muss.587 Das in § 169 Abs. 1 S. 2 GVG n. F. statuierte Verbot ist folglich ein allgemeines Gesetz i. S. v. Art. 5 Abs. 2 GG.588 Deutlich wird dies auch durch die Einführung der im Bedarfsfall nunmehr möglichen Tonübertragung der Verhandlung in einen Medienarbeitsraum, vgl. § 169 Abs. 1 S. 3 GVG  n. F.589 Durch diese Möglichkeit für Medienvertreter, bei nicht ausreichendem Platzkontingent der Verhandlung in einem eigens für sie eingerichteten Arbeitsraum zu folgen, wird die Beschaffung von Informationen unter einer minimalen Beeinträchtigung der Persönlichkeitsrechte der Verfahrensbeteiligten sogar ermöglicht. Auch im Wege der zweiten moderaten Lockerung des strikten Aufnahmeverbots in Form der möglichen Übertragung der Urteilsverkündung des Bundesgerichtshofs nach § 169 Abs. 3 GVG n. F. zeigt sich, dass den Medien eine weitere Informationsquelle für ihre Berichterstattung eröffnet wird, ohne dass dies die Beeinträchtigung von Individual- oder Gemeinschaftsinteressen zur Folge hat.

III. Verfassungsrechtliches Spannungsverhältnis zwischen dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht und den Meinungs-, Presse-, und Informationsfreiheiten Die Meinungs-, Presse-, und Informationsfreiheiten, die durch eine moderne rechtsstaatliche Verfassung garantiert werden und das über Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG geschützte Allgemeine Persönlichkeitsrecht stellen  – wie bereits ausgeführt  – einen geradezu paradigmatischen Fall konkurrierender Grundrechtspositionen dar.590 Immer dort, wo zugunsten des Einzelnen gewisse Freiheiten gewährt werden, kommen diese naturgemäß mit den Freiheiten anderer in Berührung, sodass ein verfassungsrechtliches Spannungsverhältnis entsteht. Dies zeigt sich in der hier zu untersuchenden Fallkonstellation besonders deutlich bei der Berichterstattung über Strafverfahren durch moderne Massenmedien: Ist der Bürger frei in der Unterrichtung von Vorgängen und der Kundgabe seiner eigenen Meinung dazu, muss sich zwangsläufig mit der Frage der Reichweite im Verhältnis zu den schutzwürdigen Interessen eines anderen Individuums, über 587  Mohr,

Fernsehberichterstattung aus der Hauptverhandlung, S. 32. auch zu § 169 S. 2 GVG a. F. von Coelln, Zur Medienöffentlichkeit der dritten Gewalt, S. 406 f.; Ernst, ZUM 1996, 187, 188. 589  Dazu ausführlich unten in Kap. 5, C. I. 590  Hager, Jura 1995, 566; Keil, Verdachtsberichterstattung, S. 31. 588  So

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3. Kap.: Grenzen des Öffentlichkeitsgrundsatzes

den durch die Medien berichtet wird, auseinandergesetzt werden. Das Recht auf unbeschränkte Informationsvermittlung und uneingeschränkte Kundgabe der eigenen Denkweise hierzu findet seine Grenze dort, wo derjenige, über den medial berichtet wird, diese Berichterstattung nicht mehr tolerieren muss. Diese Grenzziehung hat zu erfolgen, wo das Allgemeine Persönlichkeitsrecht in unverhältnismäßig starker Weise und über das „normale Maß“ an Berichterstattung hinaus beeinträchtigt ist. Dieses Spannungsverhältnis der Meinungs-, Presse-, und Informationsfreiheiten im Vergleich zum Allgemeinen Persönlichkeitsrecht591 wird durch die in technischer Hinsicht sich immer weiterentwickelnden Massenmedien im heutigen Zeitalter deutlich mehr intensiviert als dies noch vor ein bis zwei Jahrzehnten der Fall war.592 Die modernen Massenmedien sind aufgrund ihrer „immanenten Funktionslogik“ nämlich auf die zeitnahe und möglichst regional extensive Verbreitung der erlangten aktuellen Informationen (insbesondere über das Internet) nicht nur ausgerichtet, sondern in Anbetracht der großen Dichte des massenmedialen Sektors593 und des daraus resultierenden Konkurrenzdrucks sogar angewiesen.594 Eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts der am Verfahren beteiligten Personen durch den Einsatz von Aufnahme- und Übertragungsgeräten in Form des Rechts am eigenen Bild und am eigenen Wort liegt immer dann vor, wenn nicht ein Fall des § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG vorliegt.595 Dabei ist eine mögliche physische wie psychische Beeinträchtigung durch die getätigten Aufnahmen zu berücksichtigen, ebenso die Verletzung des Achtungsanspruchs des Betroffenen durch eine ihn bedrängende große Anzahl von Medienvertretern. Berücksichtigt werden muss auch der Schutz einer geordneten Rechtspflege, zu der die Rechts- und Wahrheitsfindung als vorrangige Rechtsgüter der Allgemeinheit zählen.596 Grundsätzlich sind im Rahmen der Abwägung Beeinträchtigungen des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts im räumlichen und zeitlichen Zusammenhang mit dem Ablauf der Verhandlung dann als geringer zu veranschlagen, wenn die Aufnahmen vor dem Beginn, in den Pausen oder nach dem Ende der Hauptverhandlung angefertigt werden als bei Aufnahmen in der Verhandlung selbst.597 Bei einem aufgrund der angeklagten Person oder der Schwere der Tat aufsehenerregenden Prozess 591  Müller,

NJW 2007, 1617. Prominentenstrafrecht, S. 196 m. w. N. 593  Grundlegend Kujath, Laienjournalismus im Internet als Teil der Medienöffentlichkeit im Strafverfahren, passim. 594  Meinecke, Prominentenstrafrecht, S. 197; ähnlich auch Keil, Verdachtsberichterstattung, S. 301. 595  BVerfGE 87, 334. 596  BVerfGE 91, 125. 597  BVerfG, NJW 1996, 581; Kissel/Mayer, GVG, § 169, Rn. 92. 592  Meinecke,



B. Öffentlichkeitsgrundsatz und Grundrechte der Verfahrensbeteiligten227

kann jedoch im Einzelfall eine Beeinträchtigung in der vorzunehmenden Abwägung gänzlich zurückbleiben.598 Von Richtern (einschließlich der Schöffen) wird verlangt, dass sie Beeinträchtigungen des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch die erfolgte massenmediale Berichterstattung, sofern diese nicht das übliche Maß eklatant überschreitet, grundsätzlich hinnehmen müssen.599 Eine Abwägung unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes600 ist in jedem Fall vorzunehmen, vorformulierte Verbote in beide Richtungen sind unzulässig.601 Die hohe Bedeutung, die den Freiheitsrechten des Art. 5 Abs. 1 GG beigemessen wird, zeigt sich exemplarisch auch an einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr  2012602 hinsichtlich der verfassungswidrigen Untersagung der Wortberichterstattung über Verfehlungen jugendlicher Prominenter. Die Beschwerdeführerin (ein Tochterunternehmen der Verlegerin der Tageszeitung „Sächsische Zeitung“) rügte die nicht gerechtfertigte Verletzung ihrer Meinungsfreiheit. Kläger des Ausgangsverfahrens waren die zum Zeitpunkt des Vorfalls noch jugendlichen Söhne des Schauspielers Ochsenknecht, die selbst durch diverse Filmrollen und öffentlichen Auftritte medienbekannt sind. In der sogenannte „Freinacht“ im Mai 2008 waren sie mit anderen Jugendlichen in München unterwegs und randalierten auf ihrem nächtlichen „Streifzug“. Nach der Feststellung ihrer Personalien auf dem Polizeirevier wurden alle Jugendlichen entlassen und gegen keinen der beiden Ochsenknecht-Söhne ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Die Beschwerdeführerin berichtete über besagten Vorfall unter Nennung der Namen der Betroffenen. Mit ihren Unterlassungsklagen gegen diese Form der Berichterstattung hatten die Ochsenknechts in beiden Instanzen zunächst Erfolg, das Bundesverfassungsgericht hat diese Entscheidungen jedoch aufgehoben und zur erneuten Entscheidung an das zuständige Landgericht verwiesen. Das Bundesverfassungsgericht stellte fest, dass bei der Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit einerseits und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht andererseits zu berücksichtigen sei, dass die Medien zwecks Erfüllung ihrer originären Aufgaben nicht grundsätzlich zu einer anonymisierten Berichterstattung verpflichtet werden könnten. Verfehlungen auch konkreter Personen aufzuzeigen, gehöre zu den legitimen Aufgaben der Presse. Dabei hänge die Abwägung zwischen den beiden kollidierenden Grundrechten bei einer Tatsachenberichterstattung vom Wahrheitsgehalt der jeweiligen Aussage ab, da wahre Aussagen grundsätzlich hingenommen werden müssten. 598  BVerfGE

119, 309. 119, 309; Kissel/Mayer, GVG, § 169, Rn. 92. 600  BVerfG, NJW 2014, 2013. 601  Kissel/Mayer, GVG, § 169, Rn. 92; Lehr, NStZ 2001, 63. 602  BVerfG, NJW 2012, 1500 ff. 599  BVerfGE

228

3. Kap.: Grenzen des Öffentlichkeitsgrundsatzes

Im geschilderten Fall muss bei der Abwägung zusätzlich zu den herkömmlichen Kriterien die Jugendlichkeit der Betroffenen berücksichtigt werden. Allerdings genügt es nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts nicht den verfassungsrechtlichen Vorgaben des Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG, eine Regelvermutung dahingehend aufzustellen, dass aufgrund der gesetzlichen Wertung im Jugendgerichtsgesetz jedes Informationsinteresse hinter dem Interesse auf Anonymisierung zurückzustehen habe.603

C. Die divergierenden Ziele der Verfahrensbeteiligten Gründe für diese anhand der jeweiligen Grundrechtsfunktion der Beteiligten herausgearbeiteten divergierenden Ziele der Verfahrensbeteiligten sind vielfältiger Natur und sollen im Folgenden anhand von vier „Themenkomplexen“ zwecks eines besseren Verständnisses der hier geführten Diskussion aufgezeigt werden.

I. Unterschiedliche Interessenlage der Beteiligten und tatsächliche Rechtskenntnis juristischer Laien Ausgangspunkt für zu Beginn dieses Abschnitts angedeuteten Konflikte zwischen Medienvertretern und Verfahrensbeteiligten, insbesondere des Angeklagten, und die daraus möglicherweise entstehenden Frustrationen im Kontext des Strafverfahrens, sind die in der großen Mehrzahl der Fälle divergierenden Interessenlagen und verfolgten Ziele. So geht es für den Angeklagten in erster Linie darum, das strafgerichtliche Verfahren möglichst erfolgreich zum Abschluss zu bringen, mithin einen Freispruch zu erwirken oder zumindest zu einer möglichst geringen Strafe verurteilt zu werden. Gerade für den Angeklagten, der sich aufgrund des Vorwurfs der Staatsanwaltschaft und der gegen ihn eröffneten Hauptverhandlung in einer sozialen wie emotionalen Sondersituation befindet, steht sehr viel auf dem Spiel: seine Reputation604 sowie je nach Art der ihm vorgeworfenen Tat auch sein Vermögen und im schlimmsten Fall sogar seine Freiheit.605 Dieses von Verfassungs wegen heraufbeschworene Spannungsverhältnis606 zwischen dem Allgemei603  BVerfG,

NJW 2012, 1500 f. Bedeutung des Reputationsverlusts zeigt sich nicht nur bei Verfahren gegen „Prominente“ wie Ulrich  Hoeneß, Jörg Kachelmann, Christian Wulff, Josef Ackermann, Sebastian Edathy usw., sondern ist auch bei „Normalbürgern“ nicht zu unterschätzen. 605  Meier, in: Stürmer/Meier: Recht Populär, S. 146, 148 f. 606  Müller, NJW 2007, 1617. 604  Die



C. Die divergierenden Ziele der Verfahrensbeteiligten229

nen Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG (insbesondere des Beschuldigten) und den aus Art. 5  Abs. 1  GG resultierenden Kommunikationsfreiheiten der einzelnen Bürger sowie des presserechtlichen Auskunftsanspruchs, wird durch die stetige Entwicklung der modernen Massenmedien noch intensiviert. Was die tatsächliche Rechtskenntnis der juristischen Laienbevölkerung angeht, wurde empirisch nachgewiesen, dass eine erschreckende Unkenntnis in Bezug auf rechtliche Themen besteht, obwohl die Bürger ihre eigenen Kenntnisse oftmals deutlich besser einschätzen als sie de facto sind.607

II. Unterschiedliches Verständnis rechtlicher und öffentlicher Anforderungen an ein Urteil Neben den unterschiedlichen Interessen der Verfahrensbeteiligten im Rahmen eines Ermittlungs- oder Hauptverfahrens spielt auch das unterschiedliche Verständnis von rechtlichen und öffentlichen Anforderungen an das Urteil eine bedeutende Rolle. Maßgeblich hierbei sind die verschiedenen Verständnisse von Gerechtigkeit zwischen Juristen und juristischen Laien, was zu Spannungen bis hin zu Frustrationen führt. Während die allgemeine Öffentlichkeit von einem gesprochenen Urteil erwartet, dass es gerecht ausfällt, kommt aus juristischer Perspektive dem Richter lediglich die Aufgabe zuteil, Recht zu sprechen. Dies ist umso problematischer, als dass es sich bei dem Begriff der Gerechtigkeit um einen normativen und somit interpretationsbedürftigen Begriff handelt, der von unterschiedlichen Menschen in unterschiedlichen sozialen Schichten in einer unterschiedlichen Weise verstanden wird. Dies zeigt sich besonders im Rahmen eines durchzuführenden Ermittlungsverfahrens oder einer öffentlich stattfindenden Hauptverhandlung, da etwa der Beschuldigte ein anderes Verständnis von einem Urteil hat als das Opfer und somit ein unterschiedliches Verständnis von einem gerechten Urteil fast immer als eine logische Konsequenz gesehen werden kann. Trotz des in der allgemeinen Öffentlichkeit in den groben Zügen einheitlichen Verständnisses von Gerechtigkeit stecken die unterschiedlichen Ansichten im Detail. Diese Details sind es, die oftmals streitentscheidend sind. An dieser Stelle ist es die Aufgabe des demokratisch legitimierten Gesetzgebers,608 abstrakt und losgelöst vom Einzelfall im Grundsatz festzulegen,609 was Gesetz ist und somit als gerecht gilt. Diese abstrakten Regelungen werden als originäre Aufgabe der Gerichte durch diese auf den jeweils zu entscheiden607  Rehbinder,

Rechtssoziologie, S. 94. zum Verhältnis zwischen gesetzgeberischer Tätigkeit und Einzelfallgerechtigkeit Herzog, NJ 1998, 617 ff. 609  BVerfGE 98, 218, 251; 108, 282, 312. 608  Ausführlich

230

3. Kap.: Grenzen des Öffentlichkeitsgrundsatzes

den Einzelfall angewendet,610 wodurch Recht gesprochen wird. Würde man hingegen von den Richtern eine gerechte Entscheidung verlangen, wäre aufgrund des unterschiedlichen Gerechtigkeitsmaßstabs sowie aufgrund weiterer subjektiver Aspekte wie Sympathie und Antipathie einer willkürlichen Rechtsprechung Tür und Tor geöffnet und dies mit den demokratischen Grundsätzen unseres Rechtsstaats nicht mehr vereinbar.611 Quelle weiterer Missverständnisse resultierend aus einem gesprochenen Urteil sind die verschiedenen Adressatenkreise von Presse und Gerichten, da Urteile in erster Linie nicht für die Prozessbeteiligten, die Presse oder die allgemeine Öffentlichkeit gesprochen werden, sondern überwiegend für die übergeordnete Instanz oder die juristische Öffentlichkeit.612 Daher kommt es nicht selten vor, dass durch das Gericht Aspekte hervorgehoben und betont werden, die von der öffentlichen Wahrnehmung als kaum bis gar nicht relevant eingestuft werden.613 Für eine mögliche rechtliche Nachprüfung sind diese Details aber gerade von großer Bedeutung und oftmals entscheidend.614

III. Unterschiedliches Sprachverständnis von Juristen und juristischen Laien Ausweislich des § 184  GVG ist die Gerichtssprache deutsch, jedoch steht die rechtswissenschaftliche Fachsprache einem einfachen Erfassen der gesprochenen und insbesondere der schriftlich abgesetzten Urteile oftmals entgegen, weshalb auch das vom normalen Sprachverständnis abweichende juristische Sprachverständnis615 die divergierenden Ziele sämtlicher Verfahrensbeteiligten beschreibt.616 In jeder wissenschaftlichen Disziplin werden spezifische und für Laien nur schwer verständliche Termini verwendet, weshalb eine juristische Fachsprache im Zuge eines Straf- oder Bußgeldverfahrens nichts Ungewöhnliches ist. Besonders ist an der juristischen Fachsprache etwa im Gegensatz zu der der Mediziner, Pharmazeuten oder Ingenieure, dass sie auf den ersten Blick nicht immer eindeutig als eine fachspezifische 610  Dreier-Schulze-Fielitz,

GG, Bd. I, Art. 20 Rn. 133 ff. Meier, in: Stürmer/Meier: Recht Populär, S. 146, 156. 612  BVerwG, NJW 1998, 3290. 613  So etwa die umfangreichen Auseinandersetzungen zum Vorliegen des bedingten Vorsatzes im Fall des im Jahr  2009 durch Jugendliche an einer Münchener SBahn-Station getöteten Dominik Brunner, siehe dazu BGH, NJW 2012, 1524. 614  Meier, in: Stürmer/Meier: Recht Populär, S. 146, 157 f. 615  Siehe allgemein zur Bedeutung der Sprache für einen Juristen Haft, Recht und Sprache, S. 269 ff.; siehe auch die Ausführungen bei Kühne, Strafprozessrecht, S. 460 ff. m. w. N. 616  Siehe auch Rittig, NJ 2016, 265, 268. 611  Umfassend



C. Die divergierenden Ziele der Verfahrensbeteiligten231

Sprachweise erkannt wird.617 Häufig werden Begriffe aus der Alltagssprache verwendet, deren Bedeutung innerhalb des Fachdiskurses eine ganz andere ist.618 Dies erkennt jedoch nur der juristisch geschulte Bürger, wohingegen juristische Laien diese Begriffe irrtümlich wie in der Alltagssprache verstehen.619 Typisch für die „Juristensprache“ sind stilistische Eigenarten wie der häufige Gebrauch von Substantivierungen und Passivkonstruktionen sowie Sprachverdichtungen.620 Dadurch sind Missverständnisse621 vorprogrammiert und wohl auch teilweise unumgänglich.622 Zum anderen setzt Rechtsverstehen eine gewisse Rechtskenntnis voraus.623 Eine weitere juristische Eigenart im Rahmen der schriftlichen Darstellung von Urteilen ist die fehlende Behandlung gewisser Aspekte sowie die Nichtbeantwortung mancher Fragestellungen. Dass dies für einen Juristen, gerade bei bereits entschiedenen Fragen, regelmäßig vorkommt und völlig wertneutral ist, mit dem bewussten Offenlassen von Fragen insbesondere keine Zweifel begründet werden, sondern der Entlastung der urteilenden Richter dienen, führt nicht selten zu Missverständnissen bei juristischen Laien.624

IV. Unterschiedliche Vorstellungen vom Ablauf einer Hauptverhandlung Unterschiedliche Erwartungen an den Ablauf einer vor deutschen Gerichten stattfindenden Hauptverhandlungen werden häufig durch Fehlvorstellungen625 resultierend aus dem regemäßigen Schauen oder zumindest Kennen626 617  Neumann,

Juristische Fachsprache, S. 111. „Juristendeutsch“ siehe Schnapp, JZ  2004, 473 ff.; Gostomzyk, Öffentlichkeitsverantwortung, S. 147. 619  Besser, Justiz und Öffentlichkeit, S. 11, 12 f.; Kühne, Strafprozessrecht, S. 460; Meyer, Juristische Fremdwörter, passim; Weyreuther, DÖV 1997, 177. 620  Franzen, Anwaltskunst, S. 345 ff. 621  Umso mehr ist das Erfordernis einer soliden Pressearbeit von Staatsanwaltschaften und Gerichten in Erinnerung zu rufen, die die Sprache der Justiz für den Bürger verständlich machen muss, so auch Hassemer, Medien im Bundesverfassungsgericht, S. 13, 22, 24, der als Musterbeispiel die Arbeit der Justizpressekonferenz in Karlsruhe nennt. 622  Meier, in: Stürmer/Meier: Recht Populär, S. 146, 158; Rittig, NJ  2016, 265, 268. 623  Gostomzyk, Öffentlichkeitsverantwortung, S. 147. 624  Meier, in: Stürmer/Meier: Recht Populär, S. 146, 159 m. w. N. 625  Gostomzyk, AfP 2005, 437, 440; Loubal/Hofmann, MMR 2016, 669, 670. 626  Interessant zur „Faszination literarisch oder filmisch verarbeiteter Rechtsfälle aus anthropologisch-psychologischer Perspektive“ Besier, in: Stürmer/Meier: Recht Populär, S. 216 ff. 618  Zum

232

3. Kap.: Grenzen des Öffentlichkeitsgrundsatzes

von Fernseh-Gerichtsshows627 wie „Richter Alexander Hold“, „Richterin Barbara Salesch“ oder „Ich kämpfe für Ihr Recht“ hervorgerufen. Solche Gerichtsshows bewegen sich im Spannungsfeld zwischen Unterhaltung und Information, Fiktion und Wirklichkeit, sind aber gerade nicht geeignet, ein realistisches und zutreffendes Bild über den Ablauf und die Durchführung einer Hauptverhandlung zu geben. Gerade auch amerikanische oder englische Serien wie „Law  &  Order“ und „Boston  Legal“ oder Filme wie „Die  Jury“ tragen zu einem falschen Verständnis vom Ablauf eines deutschen Strafprozesses bei, was schon aus den Unterschieden zwischen angloamerikanischen und kontinental-europäischen Rechtssystemen resultiert. So sind anglo-amerikanische Strafverfahren geprägt vom Parteivorbringen vor einer Geschworenen-Jury, welche schließlich auch das „Jury-Urteil“ im Sinne von „schuldig“ oder „nicht schuldig“ spricht. Dagegen gilt im deutschen Strafverfahren der Amtsermittlungsgrundsatz, zudem wird das Urteil gerade nicht durch eine Jury gesprochen. Überdies wird aufgrund der Kenntnis dieser inszenierten, fiktionalen Darstellungen von juristischen Laien die Bedeutung des Zeugenbeweises überschätzt, obwohl dieser unter Juristen aufgrund dessen Fehleranfälligkeit als das schwächste Beweismittel gilt.628 Aus diesem Grund und weil die Resultate des Ermittlungsverfahrens eine weitaus größere Rolle spielen als dies im anglo-amerikanischen Recht der Fall ist, entwickelt sich die Hauptverhandlung aus Sicht der Laien oftmals als unspektakulär, da es lediglich darum geht, eine Bewertung der im Vorfeld bekannten Beweismittel vorzunehmen.629 Auch kommt es für die das Verfahren beobachtende Öffentlichkeit und die Pressevertreter in der Regel auf die mündlich vorgetragenen Urteilsgründe an, da sie das oftmals erst Wochen später schriftlich abgesetzte Urteil nicht mehr zu Kenntnis nehmen und auch wie soeben dargestellt, dieses aufgrund der juristischen Fachsprache häufig nicht korrekt verstehen würden. Insbesondere von der Presse kann nicht erwartet werden, den Zeitraum bis zum abgesetzten Urteil abzuwarten, da eine Gerichtsentscheidung nur dann für eine Schlagzeile zu gebrauchen ist, wenn sie am Tag der Entscheidung oder spätestens am Folgetag verbreitet wird. Aus juristischer Sicht sind jedoch einzig die schriftlich abgefassten Urteilsgründe von Bedeutung,630 die insbe627  Ausführlich Hartwich, Realität und Fiktion, S. 67 ff.; zu den „kulturellen Repräsentationen von Recht und Justiz im seriellen Erzählen“ Kupper, in: Stürmer/ Meier: Recht Populär, S. 191 ff. 628  Eisenberg, JZ 1984, 912 ff.; Kühne, NStZ 1985, 252 ff. 629  Meier, in: Stürmer/Meier: Recht Populär, S. 146, 160 ff.; Hartwich, Realität und Fiktion, S. 67, 77. 630  BVerfGE 28, 151, 161; BGHSt 7, 363, 370; 15, 263, 264 f.



C. Die divergierenden Ziele der Verfahrensbeteiligten233

sondere in ihren (rechtlich entscheidenden) Details oftmals von den mündlich vorgetragenen Begründungen abweichen.631 Derartige Fehlvorstellungen vom Ablauf einer strafrechtlichen Hauptverhandlung innerhalb der Bevölkerung wurden möglicherweise durch das bis zur Gesetzesreform durch das EMöGG ausnahmslos geltenden Verbot des § 169 S. 2 GVG a. F. noch weiter bestärkt.632

V. Auswirkungen auf die Akzeptanz richterlicher Entscheidungen All diese divergierenden Ziele der Verfahrensbeteiligten zeigen die Ursachen für die „wechselseitigen Verstimmungen“,633 die aus Sicht der allgemeinen Öffentlichkeit hauptsächlich an einer anderen Auffassung von Gerechtigkeit, einem falschen Verständnis der juristischen Fachsprache sowie einer durch Gerichtsshows falsch vermittelten Erwartungshaltung an die Hauptverhandlung liegen. Aus Sicht der Presse wird die nur unzureichende Arbeit der behördlichen Pressestellen und die nicht ausreichend bereitgestellten Informationen zu gewissen Themenbereichen bemängelt, da Journalisten häufig Generalisten sind und sich nicht tagtäglich mit der Berichterstattung über Ermittlungs- und Hauptverfahren beschäftigen; auch sie haben mit den rechtswissenschaftlichen Fachtermini häufig zu kämpfen. Aus Sicht der Juristen wird in medialen Berichterstattungen der Gang der Verhandlung oder die Begründung des Urteils häufig lückenhaft oder gar fehlerhaft dargestellt, was vor dem Hintergrund des auch wirtschaftlich denkenden und entsprechend agierenden Journalisten möglicherweise sogar beabsichtigt sein könnte. Um hier ein für alle Seiten befriedigenderes Ergebnis zu erzielen und etwaige Missverständnisse und Unzufriedenheiten zu beseitigen, muss die Kommunikation zwischen Presse auf der einen Seite sowie Staatsanwaltschaften und Gerichten auf der anderen Seite verbessert werden. So fordern einige aus dem Kreise der Juristen, dass über Gerichtsverfahren vermehrt bis ausschließlich nur solche Journalisten berichten sollten, die über gewisse juristische Kenntnisse verfügen und aufgrund ihrer Qualifikation zu einer objektiven und vollständigen Berichterstattung willens und in der Lage sind. Das dies seitens der Verlage nur in den seltensten Fällen634 wirtschaftlich rentabel ist, wird bei dieser Forderung häufig nicht berücksichtigt.635 Es sollte 631  Meier,

in: Stürmer/Meier: Recht Populär, S. 146, 162. jedenfalls Loubal/Hofmann, MMR 2016, 669 670 m. w. N. 633  Meier, in: Stürmer/Meier: Recht Populär, S. 146, 162. 634  Reine und fachlich qualifizierte Gerichtsreporter stellen in Deutschland eher die Ausnahme dar. 635  Bier, APuZ 40/2015, 48, 49 f. m. w. N. 632  So

234

3. Kap.: Grenzen des Öffentlichkeitsgrundsatzes

vielmehr Aufgabe der jeweiligen Pressestelle sein, die juristisch relevanten Informationen sowie die ergangenen Urteile für einen Laien verständlich zu kommunizieren.636 Darüber hinaus müssen sich aber auch die Strafrichter, Kammern und Senate vergegenwärtigen, dass für die allgemeine Öffentlichkeit allein die Wahrnehmungen aus der Hauptverhandlungen inklusive der mündlichen Urteilsbegründung maßgeblich sind. Ungenauigkeiten oder missverständliche Formulierungen können zwar aus juristischer Sicht unproblematisch in der schriftlichen Begründung korrigiert werden,637 was jedoch  –  wie dargelegt  –  für die massenmediale Berichterstattung zu spät kommt. Jeder Zuschauer der Hauptverhandlung und insbesondere der mündlichen Urteilsbegründung hat eine potentielle Medienwirkung und sollte vorab entsprechend kritisch geprüft werden. Allerdings sind die Gerichte in unserem demokratischen Verständnis auch unabhängige Spruchkörper, weshalb eine zu weitgehende Anpassung an die Vorstellungen und Wünsche von Presse und Öffentlichkeit der originär juristischen Arbeit zuwiderläuft und weder erwartet werden kann noch erwünscht ist. Um den dargestellten Missverständnissen, die struktureller Natur sind, in Zukunft – zumindest ein Stück weit – vorzubeugen, kann aber auch die Presse durch die Entsendung besser geschulten Personals zu einer für alle Seiten zufriedenstellenden Berichterstattung beitragen und so die Arbeit für beide Seiten einfacher und angenehmer gestalten.638

bereits Damrow, Öffentlichkeit, S. 43, 49. 28, 151, 161; BGHSt 7, 363, 370; 15, 263, 264 f. 638  Meier, in: Stürmer/Meier: Recht Populär, S. 146, 164; Keil, Verdachtsberichterstattung, S. 245; ähnlich Besser, Öffentlichkeit, S. 11, 14. 636  So

637  BVerfGE

4. Kapitel

Vergleichbare Regelungsmöglichkeiten A. Sonderregelung von Bild- und Tonaufnahmen in § 17a BVerfGG n. F. § 17a BVerfGG n. F. stellt eine bereichsspezifische und partielle Ausnahme vom Verbot des § 169 Abs. 1 S. 2 GVG  n. F. dar und ermöglicht eine beschränkte Rundfunköffentlichkeit in den Verhandlungen des Bundesverfassungsgerichts.1 Diese Annahme resultiert daraus, dass die Tätigkeit des Bundesverfassungsgerichts aufgrund seiner Stellung als Verfassungsorgan (§ 1 Abs. 1 BVerfGG), das trotz seiner Gerichtsqualität zugleich auch einen Faktor des politischen Lebens darstellt2 und das außerdem einen begrenzten Anteil an der obersten Staatsleitung hat sowie staatliche Repräsentationsaufgaben wahrnimmt,3 einen besonderen Öffentlichkeitsbezug aufweist.4 Seine Öffentlichkeit ist unmittelbar von der Öffentlichkeit der Verfassung vorgegeben, was nicht nur durch die Verfahrensordnung des Bundesverfassungsgerichts durch die Zulassung von Sondervoten (§ 30 Abs. 2 BVerfGG)5 zum Ausdruck kommt.6 Das Bundesverfassungsgericht hat die Relevanz allgemeinverständlicher Urteile, welche neben dem Fachpublikum auch die juristischen Laien ansprechen sollen7 sowie die Bedeutung der massenmedialen Verbreitung seiner Entscheidungen früh erkannt.8

Coelln, BVerfGG, § 17a, Rn. 1. Verfassungsprozessrecht, Rn. 9; 103 ff. 3  Schulze-Fielitz, in: FS BVerfG (2001), Bd. I, S. 385, 409. 4  Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge-von Coelln, BVerfGG, § 17a, Rn. 16 m. w. N. 5  BeckOK BVerfGG/Grünewald, § 30, Rn. 17 ff.; Lenz/Hansel, BVerfGG, § 30, Rn. 21 ff. 6  Schulze-Fielitz, Bundesverfassungsgericht, S. 111, 122. 7  Schulze-Fielitz, in: FS BVerfG (2001), Bd. I, S. 385, 409. 8  Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge-von Coelln, BVerfGG, § 17a, Rn. 16. 1  Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge-von 2  Benda/Klein/Klein,

236

4. Kap.: Vergleichbare Regelungen

I. Entwicklung der Bild- und Tonaufnahmen bis 1998 Entgegen der gesetzlichen Regelung in § 17 BVerfGG i. V. m. § 169 S. 2 GVG a. F. war es beim Bundesverfassungsgericht etwa ab der 1990er- Jahre gängige Praxis,9 Fernsehaufnahmen jedenfalls aus den ersten Minuten einer mündlichen Verhandlung10 sowie der Urteilsverkündung zuzulassen. Eine spezielle Rechtsgrundlage gab es dafür allerdings nicht,11 es handelte sich vielmehr um eine faktische Zulassung, die anfänglich trotz des Verstoßes gegen § 17 BVerfGG i. V. m. § 169 S. 2 GVG a. F. praktiziert und auch durch das Schrifttum nicht weiter kritisiert wurde.12 1. Einstweilige Rahmenbedingungen für Pressevertreter sowie Rundfunk- und Fernsehanstalten von 1993 Eingeleitet wurde diese Entwicklung weg von dem im GVG normierten Totalverbot von Fernseh- und Rundfunkaufnahmen hin zu einer Lockerung desselbigen durch die AWACS-Entscheidung13 über den Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Beteiligung deutscher Soldaten an Luftüberwachungseinsätzen über dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawien. Vor dem Hintergrund einer intensiven Kontroverse um die verfassungsrechtliche Zulässigkeit des ersten Auslandseinsatzes der Bundeswehr außerhalb des NATO-Gebiets („outof-area“-Einsatz) stieß diese Eilentscheidung auf ein enormes öffentliches Interesse.14 Dabei hatte das Bundesverfassungsgericht für die Verkündung des Urteilstenors, nicht aber für die Verlesung der Entscheidungsgründe die Anfertigung von Fernsehaufnahmen gebilligt. Allerdings hielt sich der privatrechtliche Sender n-tv nicht an diese Einschränkung, sondern übertrug die gesamte Entscheidungsverkündung live im Fernsehen, indem durch die den Sitzungssaal begrenzende Glasscheibe Filmaufnahmen getätigt wurden, was auf massive Kritik stieß.15 Wegen dieser Geschehnisse erließ der Präsidialrat (§ 12 GO-BVerfG) des Bundesverfassungsgerichts 1993 sogenannte „Einstweilige Rahmenbedingungen für Pressevertreter sowie Rundfunk- und Fernseh­anstal­ 9  Wolf,

NJW 1994, 681. NJW 1999, 1524 f. 11  Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge-von Coelln, BVerfGG, § 17a, Rn. 19 m. w. N. 12  Wolf, NJW 1994, 681; Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge-von Coelln, BVerfGG, § 17a, Rn. 19. 13  BVerfGE 88, 173 ff. 14  Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge-von Coelln, BVerfGG, § 17a, Rn. 20 m. w. N.; siehe auch Lechner/Zuck, BVerfGG, § 17a, Rn. 1. 15  Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge-von Coelln, BVerfGG, § 17a, Rn. 20. 10  Benda,



A. Sonderregelung von Bild-/Tonaufnahmen in § 17a BVerfGG n. F.237

ten“,16 die 13 Fernsehanstalten von Amts wegen zugeleitet wurden und ausweislich derer die Verlesung des Tenors in Bild und Ton aufgenommen werden durfte. Ferner wurde den Fernsehsendern das weitergehende Recht eingeräumt, die Verkündung der Entscheidung in voller Länge aufzunehmen, jedoch nur zeitversetzt zu übertragen.17 Diese Rahmenbedingungen warfen abgesehen von ihrer unklaren Rechtsnatur auch inhaltliche Fragen auf. So war es zum einen problematisch, dass die Anfertigung von Fotos der pauschalen Regelung des Präsidialrats unterworfen waren, obwohl die Entscheidung über die Zulassung oder das Verbot von Fotoaufnahmen während der Sitzung als Teil der Sitzungspolizei allein durch den Vorsitzenden und von Einzelfall zu Einzelfall zu entscheiden ist (§ 17 BVerfGG i. V. m. § 176 GVG). Der zentrale Kritikpunkt an diesen Rahmenbedingungen war jedoch die Zulassung von Rundfunkaufnahmen, die gegen das Verbot aus § 17 BVerfGG i. V. m. § 169 S. 2 GVG verstießen.18 2. § 24a GO-BVerfG von 1995 Am 17.  Juli  1995 beschloss das Plenum, bestehend aus den beiden Senaten des Bundesverfassungsgerichts, eine  – bis heute nicht publizierte19 Ergänzung  – der Geschäftsordnung vorzunehmen und einen neuen § 24a  GOBVerfG einzuführen. Dieser sollte in Absatz  1 Bild- und Tonaufnahmen in der mündlichen Verhandlung sowie bei Urteilsverkündung gemäß § 17 BVerfGG i. V. m. § 169 S. 2 GVG erlauben. Absatz 2 Satz 1 ließ Aufnahmen und Übertragungen des Rundfunks in mündlichen Verhandlungen bis zur Feststellung der Anwesenheit der Verfahrensbeteiligten zu, und ausweislich des Absatz 2 Satz 2 war es gestattet, Urteilsverkündungen in vollem Umfang zu übertragen. Absatz 3 normierte weitergehende Beschränkungen bis hin zu einem vollständigen Aufnahmeverbot zum Schutze wichtiger Belange20 von Verfahrensbeteiligten oder Dritten, und Absatz  4 übertrug dem jeweiligen Senat die nähere Ausgestaltung von Regelungen diesbezüglich.21 Betrachtet man diese Ausgestaltung in § 24a  GO-BVerfG genauer, tritt der potentielle Konflikt mit der damaligen, formellgesetzlichen Ebene deutlich hervor, da die Bild- und Tonaufnahmen gemäß § 17 BVerfGG i. V. m. § 169 S. 2 GVG a. F. zulässig sein sollten, obwohl derartige Bild- und Tonaufnahmen wäh16  Wolf,

NJW 1994, 681, 682. Medienberichterstattung, S. 273. 18  Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge-von Coelln, BVerfGG, § 17a, Rn. 23 f. 19  Dazu sogleich in diesem Kapitel ausführlich. 20  Hofmann, ZRP 1996, 399, 401. 21  Ausführlich Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge-von Coelln, BVerfGG, § 17a, Rn. 26; Hofmann, ZRP 1996, 399, 401. 17  Braun,

238

4. Kap.: Vergleichbare Regelungen

rend der Verhandlung durch die Verbotsnorm des § 169 S. 2 GVG  a. F. ausdrücklich untersagt waren. Ferner kam es zu einer Kollision von § 24a Abs. 1 GO-BVerfG mit der durch § 17 BVerfGG i. V. m. § 176 GVG normierten Einzelfallentscheidung als Teil der Sitzungspolizei durch den Vorsitzenden.22 Bemerkenswert ist an dieser Stelle ferner, dass der Beschluss vom Juli 1995 ungeachtet einer Ankündigung durch das Bundesverfassungsgericht in der Presse und unter Verstoß gegen § 69 GO-BVerfG als ein solcher nie im Bundesgesetzblatt publiziert wurde,23 da das Bundesministerium der Justiz Bedenken gegen die geplante Neuregelung hegte. Diese Bedenken waren vermutlich in der Abweichung vom gesetzlichen Verbot der § 17 BVerfGG i. V. m. § 169 S. 2 GVG a. F. begründet.24 Auf diese Reaktion des Justizministeriums hat das Plenum des Bundesverfassungsgerichts den Beschluss am 18.  Dezember  1995 in Bezug auf § 24a GO-BVerfG rückgängig gemacht.25 Dieser erneute Beschluss wurde jedoch ebenfalls nicht publiziert.26 Die Vorgehensweise des Bundesverfassungsgerichts ist nicht zu rechtfertigen, weshalb nach wie vor die Pflicht zur Veröffentlichung beider Beschlüsse fortbesteht.27 3. Rechtmäßigkeit der Praxis des Bundesverfassungsgerichts hinsichtlich der Bild- und Tonaufnahmen bis 1998 Nach diesen Ausführungen zu den Regelungen in Bezug auf Ton- und Bildaufnahmen der Verhandlungen oder Ausschnitten hiervon bis zur gesetzlichen Normierung dieser Ausnahme bei bundesverfassungsgerichtlichen Verfahren 1998 bleibt festzuhalten, dass die Rechtmäßigkeit dieser Ausnahmepraxis des Bundesverfassungsgerichts mehr als zweifelhaft erscheint. Die Frage betreffend die Rechtmäßigkeit derartiger Aufnahmen bis 1998 ist zwar aktuell nicht mehr von maßgeblicher Bedeutung, allerdings bleibt sie mittelbar relevant für die aktuelle Beurteilung der Rechtmäßigkeit möglicher Aufnahmen vor anderen Gerichten.28

Coelln, BVerfGG, § 17a, Rn. 26 f. NJW 1996, 571, 572. 24  Hofmann, ZRP 1996, 399, 402; Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge-von Coelln, BVerfGG, § 17a, Rn. 28; Lechner/Zuck, BVerfGG, § 17a, Rn. 1. 25  Wolf, JR 1997, 441, 442. 26  Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge-von Coelln, BVerfGG, § 17a, Rn. 28; Wolf, JR 1997, 441, 442. 27  Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge-von Coelln, BVerfGG, § 17a, Rn. 29 m. w. N.; von Coelln, Zur Medienöffentlichkeit der Dritten Gewalt, S. 343 ff. 28  Ausführlich Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge-von Coelln, BVerfGG, § 17a, Rn. 30 f. 22  Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge-von 23  Huff,



A. Sonderregelung von Bild-/Tonaufnahmen in § 17a BVerfGG n. F.239

II. § 17a BVerfGG a. F. Trotz oder gerade wegen der zwar zwischenzeitlich abgeflachten aber nie vollständig abgeschlossenen Diskussion um die Zulassung von Fernsehaufnahmen der Hauptverhandlung hat das Bundesverfassungsgericht selbst das damals noch in § 169 S. 2 GVG a. F. statuierte Verbot aufgeweicht und letztlich in systematischer Hinsicht eine bereichsspezifische Ausnahme in Form einer Sonderreglung geschaffen. Durch Verabschiedung des Gesetzes zur Änderung des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes (im Folgenden: BVerfGGÄndG) vom 16. Juli 199829 wurde die Einführung von § 17a BVerfGG a. F.30 normiert und bestimmt, dass Hörfunk-, Fernseh- und Filmaufnahmen31 von Verhandlungen des Bundesverfassungsgerichts in beschränktem Umfang möglich sind  – entgegen des § 169 S. 2 GVG  a. F. Jedoch handelte es sich dabei um eine Ausnahme explizit für bundesverfassungsgerichtliche Verfahren; für alle übrigen Verfahren galt der Ausschluss von Rundfunk- und Fernsehaufnahmen ausnahmslos weiter. Begründet wurde diese Novelle dadurch, dass ein potentieller Eingriff in Persönlichkeitsrechte der Verfahrensbetei­ ligten nicht so gravierend sei wie bei fachgerichtlichen Verfahren. Ferner betreffen entsprechende Verhandlungen des Bundesverfassungsgerichts häufig ­Verfassungsfragen von erheblicher politischer Relevanz, die sowieso in der öffentlichen Diskussion stünden.32 Zudem ergebe sich die Öffentlichkeit derartiger Verfahren aufgrund des normsetzenden Charakters vieler verfassungsgerichtlicher Entscheidungen eine Parallele zur Öffentlichkeit parlamentarischer Sitzungen.33 Verfassungsgerichtsbarkeit sei naturgemäß immer auch Teil  der politischen Willensbildung und Willensvollstreckung, die nicht nur der Legislative und der Exekutive vorbehalten seien.34 29  BGBl. I

1998, S. 1823. Einführung des § 17a BVerfGG war das Aufnahmeverbot des § 169 S. 2 GVG Bezugsobjekt der Verweisung in § 17 BVerfGG, der nach wie vor in seiner ursprünglichen Fassung von 1951 gilt. Würde es sich bei dieser Verweisung um eine statische handeln, würde sie sich ausschließlich auf § 169 S. 1 GVG beziehen, da § 169 S. 2 GVG erst 1964 in Kraft getreten ist. Dies hätte zur Konsequenz, dass § 169 S. 2 GVG für das Bundesverfassungsgericht nie gegolten hätte. Zurecht wird aber die Verweisungsnorm des § 17 BVerfGG als eine dynamische verstanden mit der Folge, dass sich die Verweisungsvorschrift auf die jeweils gültige Fassung des § 169  GVG insgesamt bezieht, vgl. Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge-von Coelln, BVerfGG, § 17a, Rn. 32; Burbulla, Fernsehöffentlichkeit, S. 93. 31  Die umständliche Formulierung des Wortlautes ist dem Aufgreifen der Terminologie des § 169 S. 2 GVG geschuldet, vgl. Begründungen der Bundesregierung in BT-Drs. 13/7673, S. 9 (Gesetzesentwurf). 32  Gündisch/Dany NJW 1999, 256; Wolf, JR 1997, 441. 33  Schwarz, AfP 1995, 353. 34  Wyss, EuGRZ 1996, 1, 15; Sorth, Rundfunkberichterstattung, S. 166. 30  Vor

240

4. Kap.: Vergleichbare Regelungen

Praktisch bedeutsam war nach der alten Rechtslage, dass § 17a Abs. 1 BVerfGG  a. F. als Ausnahme zu § 169 S. 2 GVG  a. F. entgegen seinem weiten Wortlaut nur für Urteilsverkündungen galt.35 Die Regelung des § 17a BVerfGG  a. F. ergänzend kann das Bundesverfassungsgericht nach § 24 Abs. 1 S. 2 GO-BVerfG Bestimmungen für die Urteilsverkündung erlassen und somit das Akkreditierungsverfahren für die Medienvertreter und deren Aufenthaltsbereich bestimmen.36

III. § 17a BVerfGG n. F. Aufgrund der moderaten Erweiterung der Vorschriften über den Grundsatz der Öffentlichkeit durch das EMöGG sollen an dieser Stelle  – ohne sich in konkreten Einzelheiten zu verlieren – die mit der Neufassung des § 169 GVG im Zusammenhang stehende Änderung des § 17a BVerfGG n. F.37 knapp dargestellt werden. In § 17a Abs. 1 S. 1 BVerfGG n. F. ist nunmehr ausdrücklich niedergeschrieben, dass Verhandlungen und Entscheidungsverkündungen des Bundesverfassungsgerichts öffentlich sind, was zuvor lediglich aus der Verweisung des § 17 BVerfGG  a. F. auf den 14.  Abschnitt des Gerichtsverfassungsgesetzes resultierte. Audiovisuelle Aufnahmen sind auch weiterhin zu Beginn und am Ende einer mündlichen Verhandlung möglich, die Formulierung dieser Ausnahme vom grundsätzlich auch hier weiterhin bestehenden Aufnahmeverbot fällt jedoch strenger aus, da nach der Neufassung Aufnahmen „nur“ in den beschriebenen Zeiträumen zulässig sind. Diese Einschränkung sah die alte Fassung nicht vor. Über die Tonübertragung in einen Medienarbeitsraum entscheidet nach § 17a Abs. 1 S. 3 BVerfGG n. F. der Vorsitzende Richter, wohingegen in der ordentlichen Gerichtsbarkeit der gesamte Spruchkörper entscheiden muss. Die Neufassung sieht ferner für § 17a Abs. 2 BVerfGG  n. F. die im Vergleich zur jetzigen Gesetzeslage im Wesentlichen unveränderte Regelung zur Wahrung schutzwürdiger Interessen vor, jedoch wird die bereits zuvor bestehende Möglichkeit, Aufnahmen zu untersagen oder von der Einhaltung von Auflagen abhängig zu machen, auf die Übertragung in den Medienarbeitsraum ausgeweitet. In § 17a Abs. 3 S. 1 BVerfGG  n. F. wird an die in § 169 Abs. 2 S. 1 GVG  n. F. normierte Möglichkeit der Tonaufzeichnung von Verfahren mit zeitgeschichtlicher Bedeutung für die Bundesrepublik angeknüpft, wobei jedoch hinsichtlich der über § 169 Abs. 4 GVG n. F. statuierten Unanfechtbarkeit der Entscheidung des Vorsitzenden nach § 17a Abs. 4 BVerfGG n. F. der 35  Begründungen

der Bundesregierung in BT-Drs. 13/7673, S. 9 (Gesetzesentwurf). NJ 2016, 265, 267. 37  BGBl. I 2017, S. 3546 f. 36  Rittig,



B. Der Öffentlichkeitsgrundsatz im internationalen Vergleich241

Senat angerufen werden kann und gerade keine Unanfechtbarkeit vorliegt. In § 17a Abs. 3 S. 2 bis S. 5 BVerfGG n. F. wird normiert, dass Einschränkungsmöglichkeiten und Archivregelungen nach Maßgabe des § 169 Abs. 2  GVG n. F. auch für die Verfahrensaufzeichnungen des Bundesverfassungsgerichts gelten. § 17a Abs. 3 S. 6 BVerfGG n. F. verdeutlicht darüber hinaus, dass von dieser Regelung Vorschrift über die Zulässigkeit von Tonbandaufnahmen für Protokollzwecke nach § 25a S. 2 BVerfGG nicht berührt wird.

B. Der Öffentlichkeitsgrundsatz im internationalen Vergleich Bevor im folgenden Abschnitt auf die Neufassung des § 169 GVG durch das EMöGG ausführlich eingegangen wird, ist es zunächst hilfreich, sich einen  – zumindest groben  – Überblick über die Regelungen für die Zulässigkeit von Bild- und Tonübertragung aus einer (straf-)gerichtlichen Verhandlung im Ausland zu verschaffen. Zwar ist eine Vergleichbarkeit ausländischer Vorschriften mit der deutschen Rechtsordnung nur sehr eingeschränkt, teilweise auch gar nicht gegeben. Dennoch kann ein solcher Vergleich Erkenntnisse und Ideenimpulse in Bezug auf neue Möglichkeiten erbringen, die bei einer Gesetzesreform sodann entweder Berücksichtigung finden oder aber zur Begründung einer Nichtberücksichtigung herangezogen werden können. Dabei soll sich der Vergleich auf die Verfahrensordnung38 von Frankreich, weil dort bereits eine mit § 169 Abs. 3 GVG  n. F. vergleichbare Regelung existiert, sowie auf eine kurze Einführung hinsichtlich des Verständnisses von Gerichtsöffentlichkeit in den USA beschränken.

38  Eine Darstellung der Regelungen über den Grundsatz der Öffentlichkeit in Belgien, Estland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Irland, Italien, Kroatien, Litauen, Luxemburg, Malta, den Niederlanden, Österreich, Polen, Portugal, Schweden, Spanien, Tschechien, Ungarn, dem Vereinigten Königreich, Norwegen und der Schweiz ist nachzulesen im Gutachten der Großen Strafrechtskommission des Deutschen Richterbundes, S. 34 ff., online abrufbar unter: http://www.bmjv.de/SharedDocs/ Downloads/DE/StudienUntersuchungenFachbuecher/Gutachten_Strafrechtskommission Richterbund_§169.pdf?__blob=publicationFile&v=3 (zuletzt am 04.04.2018). Ausweislich der Ausführungen auf S. 36 des Gutachtens fußen die Aussagen bezüglich der ausländischen Verfahrensordnung auf den Antworten ausländischer Richter, an die im Vorfeld ein entsprechender Fragebogen versandt wurde. Wünschenswert und meiner Ansicht nach auch erforderlich wäre allerdings gewesen, eine zahlenmäßige Angabe hinsichtlich der Anzahl der befragten Richter und eine Anzahl derjenigen, die den Fragebogen tatsächlich beantwortet haben, anzugeben.

242

4. Kap.: Vergleichbare Regelungen

I. Der Grundsatz der Öffentlichkeit in Frankreich In Frankreich39 besteht ein grundsätzliches Verbot der Verwendung von Aufnahmegeräten in staatlichen Gerichtssälen, vgl. Art. 38  ter des Gesetzes vom 29.  Juli  1881 über die Pressefreiheit und Art. 308 Abs. 1  Code de procédure pénale.40 Eine Ausnahmeregelung wurde allerdings durch das Gesetz Nr. 85-699 vom 11. Juli 1985 zum Zwecke der Schaffung audiovisueller Archive der Justiz (heute Art. L221-1 ff. Code du patrimoine) geschaffen, wodurch eine vollständige Filmaufnahme zwecks der Archivierung von Gerichtsverfahren,41 die für eine solche von Interesse sind, zugelassen wurde.42 Wesentliche Voraussetzung für die Zulässigkeit einer audiovisuellen Aufnahme ist das Vorliegen eines geschichtlichen Interesses (intéret historique). Ein solches ist gegeben lediglich bei außergewöhnlichen und aufsehenerregenden Prozessen (procès de caractère exceptionnel), die als solche wegen des verhandelten Sachverhalts oder wegen der beteiligten Personen von dauerhaftem Interesse sind, oder bei solchen Verfahren, die der zukünftigen Generation einen allgemeinen Einblick in die Arbeitsweise der Justiz einer bestimmten Epoche vermitteln können.43 Nach dem Abschluss eines vor diesem Hintergrund aufgezeichneten Verfahrens sind die Aufnahmen zu historischen oder wissenschaftlichen Zwecken nach Art. L222-2 Code du patrimoine zugänglich. Dabei wird in der gesetzlichen Regelung differenziert zwischen Einsichts- und Verwertungsrechten, was in unterschiedlicher Ausformung insgesamt vom zeitlichen Abstand zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens abhängt. Während der ersten 20  Jahre nach Prozessende darf das Filmmaterial nach erfolgter Antragstellung nur mit Genehmigung des Justiz- und des Kulturministers aus geschichtlichem oder wissenschaftlichem Interesse eingesehen werden. Über die Gründe, die für oder gegen die Erteilung einer beantragten Genehmigung sprechen, schweigen sowohl das Gesetz als auch das dazugehörige Ausführungsdekret. Da diese Regelung lediglich die Einsicht in die Aufzeichnungen ermöglicht, ist die Vervielfältigung und Publizierung dieses Bild- und Tonmaterials ausgeschlossen.44 In den darauffolgenden 30  Jahren bedarf es für 39  Gutachten der Großen Strafrechtskommission des Deutschen Richterbundes, S. 38 f. 40  Giraud, Übertragung von Gerichtsverhandlungen in Strafsachen, S. 169, 170. 41  Da § 169 GVG  n. F. eine vergleichbare Regelung enthält, soll die Ausgestaltung dieser Archivierungsmöglichkeit nach französischen Gesetz detailliert dargestellt werden. 42  Giraud, Übertragung von Gerichtsverhandlungen in Strafsachen, S. 169, 189. 43  Ausführlich und m. w. N. Britz, Fernsehaufnahmen im Gerichtssaal, S. 163. 44  Eine Ausnahmemöglichkeit besteht indes für Strafverfahren wegen des Vorwurfs eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit. Liegt ein derartiger Fall vor, kann die Auf-



B. Der Öffentlichkeitsgrundsatz im internationalen Vergleich243

die Einsichtnahme in die Aufzeichnungen keiner expliziten Genehmigung, weshalb das Ansehen der Aufnahmen ohne Weiteres und für jedermann möglich ist. Die teilweise oder auch vollständige Verwertung der Aufnahmen zum Zwecke der Veröffentlichung ist indessen ausschließlich mit einer Genehmigung des Präsidenten des Tribunal de grande instance in Paris (welches vergleichbar mit einem deutschen Landgericht ist) und unter Anhörung der betroffenen Personen möglich. Die alleinige Zuständigkeit des Tribunal  de  grande  instance soll der Gewährung einer einheitlichen Rechtsprechung Rechnung tragen.45 Nach dem Ablauf von 50  Jahren ab Rechtskraft des Urteils ist eine Übertragung dieser Aufzeichnungen für alle frei, vgl. Art. L222-1 Abs. 3 Code du patrimoine.46

II. Der Grundsatz der Öffentlichkeit in den USA Das US-amerikanische Prozessrecht kennt den Grundsatz der Öffentlichkeit ebenso wie das deutsche Recht, wenn auch mit dem Unterschied, dass dieser sogar im 6. Zusatzartikel (im Folgenden: „Amendment“) der amerikanischen Bundesverfassung verortet ist: „In all criminal prosecutions, the accused shall enjoy the right to a speedy and public trial.“47

Aus dieser Norm ergibt sich allerdings kein eigenständiger Anspruch des Publikums auf Zugang der Gerichtsverhandlung,48 vielmehr handelt es sich um ein Vorrecht des Angeklagten, das ein faires Verfahren garantieren soll. Ähnlich wie das deutsche Recht wird auch in den USA das Persönlichkeitsrecht (Right to Privacy) geschützt, indem es  – da nicht explizit normiert  – aus dem 1., 4., 5. und 9. Amendment hergeleitet wird. Im Gegensatz zu ­seinem deutschen Pendant findet es aber nur im Zusammenhang mit dem due-process-Recht des 14. Amendments Anwendung, war jedoch bislang nie alleinige Grundlage eines Ausschlusses der Massenmedien von einer Gerichtsverhandlung Dies hängt mit der traditionellen Anschauung in den Vereinigten Staaten zusammen, dass es bei öffentlichen Angelegenheiten wie einem Strafverfahren kein Recht auf Privatheit geben könne.49 zeichnung ganz oder teilweise vervielfältig oder verbreitet werden, sobald die gericht­ liche Entscheidung in Rechtkraft erwachsen ist, vgl. Britz, Fernsehaufnahmen, S. 168. 45  Britz, Fernsehaufnahmen im Gerichtssaal, S. 167. 46  Giraud, Übertragung von Gerichtsverhandlungen in Strafsachen, S. 169, 189 f.; Britz, Fernsehaufnahmen im Gerichtssaal, S. 158 ff. 47  Hervorhebung durch die Verfasserin. 48  Britz, Fernsehaufnahmen im Gerichtssaal, S. 140. 49  Hübner-Raddatz, Fernsehöffentlichkeit, S. 45 f.; Britz, Fernsehaufnahmen im Gerichtssaal, S. 136 f.

244

4. Kap.: Vergleichbare Regelungen

Das erste Verfahren in den USA, das wegen des mit der Durchführung desselben verbundenen Medienspektakels zu einer traurigen Bekanntheit wurde, war das Verfahren gegen Bruno Richard Hauptmann, ein angeklagter deutscher Einwanderer, der den Sohn des Fliegers Charles Lindbergh entführt und getötet haben sollte. Der Prozess fand 1935 statt, zu einer Zeit, in der die ersten Wochenschauen ausgestrahlt wurden. Die Popularität solcher Sendungen führte dazu, dass das Gericht es zuließ, dass Fernsehsender vor und nach der Verhandlung sowie in den Verhandlungspausen filmen durften (was in etwa der deutschen Regelung de lege lata entsprach). Bekannt für diesen Prozess war jedoch die durch das enorme Medieninteresse bedingten Missachtungen der gerichtlichen Anordnung, auch was das Filmen während der laufenden Verhandlung anging. Dies führte letztlich zu chaotischen Rahmenbedingungen für die Dauer des gesamten Verfahrens führte.50 Nach Beendigung des Prozesses stellte sich heraus, dass Aufnahmen nahezu von dem gesamten Prozess vorhanden waren, insbesondere der relevanten Aussagen des Angeklagten. Teile des Filmmaterials wurden im bereits zur damaligen Zeit hart umkämpften Markt aufgrund der begehrten Exklusivstellung noch vor dem rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens ausgestrahlt.51 Die Konsequenzen dieses Prozesses zeigten sich in der Verabschiedung des Canon 35 als Teil  der Canons of judicial ethics durch die Vereinigung der amerikanischen Anwaltschaft (American Bar Association) im Jahr  1937, wonach Kameras und Mikrophone fortan in gerichtlichen Verfahren verboten waren. Später wurde Canon 35 durch Canon 3A(7) ersetzt, der Fernsehaufnahmen in allen Gerichtverfahren außer denen der Strafgerichtsbarkeit nur unter ganz engen Voraussetzungen erlaubte. In den Folgejahren hatte der Supreme Court zweimal die Gelegenheit, sich mit Fernseh-Live-Übertragungen aus gerichtlichen Verfahren auseinanderzusetzen: Die erste Entscheidung stammte aus dem Jahr 1965 aus dem Verfahren Estes vs. Texas, in dem Billie Sol Estes wegen Betrugs angeklagt war. Aufgrund der beruflichen Stellung und der einflussreichen politischen Verbindungen des Angeklagten stand dieser Prozess in großem medialen Interesse; etliche Kameraleute drängten in den viel zu kleinen Gerichtssaal und störten dadurch den Gang des Verfahrens erheblich. Trotz des darauf gerichteten Widerspruchs des Angeklagten untersagte das Gericht das Medienspektakel nicht, sondern trug im Gegensatz dazu bei, dass das Verfahren als Roman Circus in die Geschichte der Fernsehübertragungen aus dem Gerichtssaal einging. Das wegen Beeinträchtigung eines fairen Verfahrens eingelegte Rechtsmittel des Angeklagten hatte erst in letzter Instanz Erfolg, in der der Supreme Court das 50  Kronenwetter, Free Press vs. Fair Trial, S. 36 ff.; Vietmeyer, Fernsehöffentlichkeit, S. 134; Hübner-Raddatz, Fernsehöffentlichkeit, S. 48. 51  Kronenwetter, Free Press vs. Fair Trial, S. 40 f.; Vietmeyer, Fernsehöffentlichkeit, S. 135.



B. Der Öffentlichkeitsgrundsatz im internationalen Vergleich245

Urteil aufhob.52 Etwa 15  Jahre später stellte der Supreme Court im Verfahren Noel Chandler vs. Florida fest, dass die Entscheidung Estes vs. Texas nicht dahingehend verstanden werden könne, dass Fernsehöffentlichkeit aus Gerichtssälen generell verfassungswidrig sei.53 In beiden Entscheidungen standen die Rechte der Fernsehsender und das Recht auf ein faires Verfahren im Zentrum der Argumentationen. Auffällig ist, dass im Gegensatz zur deutschen Diskussion um Fernsehöffentlichkeit die Persönlichkeitsrechte der Verfahrensbeteiligten, insbesondere der Angeklagten, völlig vernachlässigt wurden.54 Mittlerweile lassen fast alle amerikanischen Bundesstaaten Fernsehaufnahmen aus dem Gerichtssaal zu. Da das Prozessrecht einzelstaatlich und unabhängig voneinander geregelt ist, sind die Einzelheiten hinsichtlich der Übertragungsmöglichkeiten unterschiedlich. Die Richtlinien der meisten Staaten sehen vor, dass der Richter über die Erlaubnis zur Anfertigung von Filmaufnahmen aus der Verhandlung zu entscheiden hat. Manche Staaten fordern darüber hinaus noch die Zustimmung der Verfahrensbeteiligten, andere das Einverständnis der Zeugen. Auch bezüglich der Verfahrensabschnitte finden sich in den unterschiedlichen Staaten unterschiedliche Regelungen. Strikt verboten sind Fernsehaufnahmen allerdings in den Bundesgerichten, vgl. die Federal Rule of Criminal Procedure 53, auch wenn der Angeklagte eine massenmediale Übertragung ausdrücklich wünscht. Zudem existieren bisher keine Aufnahme aus dem Supreme Court, obwohl gerade dort das Recht auf ein faires Verfahren sowie die Persönlichkeitsrechte der Verfahrensbeteiligten aufgrund der Besonderheit in der Ausgestaltung des Verfahrens kaum tangiert würden.55 Insgesamt hat man mit der Fernsehöffentlichkeit in den USA gute Erfahrungen gemacht, auch wenn als Negativbeispiel häufig der Prozess gegen den Football-Star O.J. Simpson angeführt wird. Dieser Prozess wird, wie seine gängige Bezeichnung Trial of the Century bereits verdeutlicht, als ein Ausnahmeereignis angesehen, das zwar zunächst ein Überdenken der gängigen Praxis des Filmens in amerikanischen Gerichten auslöste, jedoch niemals zu einer Kehrtwende führte.56 Hinzugefügt werden muss allerdings, dass sich nur wenige Autoren in den USA mit der Frage einer erweiterten Öffentlichkeit fundiert auseinandergesetzt haben, da es die oberflächliche und gängige 52  Estes

vs. Texas, 381 U.S. 535, 559 ff. vs. Florida, 449 U.S. 560, 66 L. Ed. 2d 740. 54  Vietmeyer, Fernsehöffentlichkeit, S. 137; Hübner-Raddatz, Fernsehöffentlichkeit, S. 55 f.; Britz, Fernsehaufnahmen im Gerichtssaal, S. 133 ff. 55  Vietmeyer, Fernsehöffentlichkeit, S. 139 m. w. N.; Hübner-Raddatz, Fernsehöffentlichkeit, S. 48 ff. m. w. N. 56  Vietmeyer, Fernsehöffentlichkeit, S. 140. 53  Chandler

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4. Kap.: Vergleichbare Regelungen

Betrachtung eines im Fernsehen übertragenen Prozesses nahelegt, dass es gerade die Kameras während der laufenden Verhandlung sind, die das Verfolgen des Prozesses derart attraktiv machen und das öffentliche Interesse erzeugen. Unberücksichtigt bleibt dabei allerdings, dass die meisten Prozesse, die derzeit medial übertragen werden, bereits lange bevor die Gerichtsverhandlungen beginnen, Gegenstand der medialen Berichterstattung sind. Ein Prozessgeschehen wird nicht zwangsläufig alleine durch den Beginn der Verhandlung zu einem Medienspektakel, sondern häufig bereits zu dem Zeitpunkt, in dem sich die Tat abgespielt hat. Konkret löste bereits die Ermordung von Nicole Brown Simpson ein enormes Medieninteresse aus und nicht erst der Prozessbeginn gegen O.J. Simpson selbst. Dennoch wurden die Live-Übertragung aus dem Gerichtssaal heraus für die weitere Entwicklung des Prozessgeschehens verantwortlich gemacht, obwohl in diesem, wie auch in den meisten anderen Prozessen, die durch ihre Fernsehübertragung berühmt wurden, im etwa in dem gleichen Umfang berichtet worden wäre, wenn keine Live-Sendung, sondern lediglich die Erlaubnis zu filmen vor und nach dem jeweiligen Verhandlungstag vorgelegen hätte.57 Zudem richtete sich die Hauptkritik betreffend den Simpson-Prozess erstaunlicherweise nicht gegen die Mediengesellschaften, sondern hauptsächlich gegen die durch die Übertragung sichtbar gewordenen Schwächen des US-amerikanischen Strafrechtssystems.58 Allerdings zeigt der Blick in die USA und auf die Einrichtung des TV-Senders TruTV (ehemals Court TV),59 der nunmehr seit 1991 existiert und im Jahr 2015 von 89,7 Mio. Haushalten empfangen wurde (was 77 % aller dortigen Haushalte mit Fernsehanschlüssen betrifft),60 dass Fernsehöffentlichkeit auch eine gesteigerte Aufmerksamkeit für weniger spektakuläre Verfahren bedeutet. Aus der Einrichtung eines reinen Justizsenders,61 der 24 Stunden am Stück auf Sendung ist, folgt, dass auch Verfahren in das Licht der Öffentlichkeit gerückt werden, die ohne Gerichtsfernsehen vermutlich über die regionalen Grenzen hinweg nicht oder kaum beachtet worden wären.62 57  Vietmeyer, Fernsehöffentlichkeit, S. 148; ähnlich Hübner-Raddatz, Fernsehöffentlichkeit, S. 95. 58  Hübner-Raddatz, Fernsehöffentlichkeit, S. 60 f. 59  http://www.trutv.com/index.html (zuletzt abgerufen am 04.04.2018). 60  Siehe http://tvbythenumbers.zap2it.com/reference/list-of-how-many-homes-eachcable-network-is-in-as-of-february-2015/366230/ (zuletzt abgerufen am 04.04.2018). 61  Erschreckend sind in diesem Zusammenhang die zum Teil  aufgekommenen Forderungen einiger Sender in Kalifornien, neben Gerichtsverfahren auch Hinrichtungen live im Fernsehen übertragen zu dürfen, dazu Hübner-Raddatz, Fernsehöffentlichkeit, S. 61. 62  Vietmeyer, Fernsehöffentlichkeit, S. 151, die aber auch daraufhin weißt, dass nicht rund um die Uhr aus echten Verhandlungen übertragen wird, sondern aufgrund



B. Der Öffentlichkeitsgrundsatz im internationalen Vergleich247

III. Zwischenergebnis Der überblicksartige Vergleich zwischen den Vorschriften und deren Handhabung mit der tatsächlichen Ausgestaltung des Grundsatzes der Öffentlichkeit in Frankreich und den USA zeigt die vorhandenen divergierenden Tendenzen in Bezug auf selbigen. Bei diesem Vergleich und der Frage einer möglichen Vorbildwirkung für die deutschen Reformüberlegungen gilt es jedoch immer zu beachten, dass es sich hierbei auch um unterschiedliche Verfahrensordnungen handelt, in denen diese Regelungen eingebettet und diese einem direkten Vergleich nicht zugänglich sind. Kritisch an der gängigen Praxis der Berichterstattung live aus dem Gerichtsaal wird zudem gesehen, dass der durchschnittliche Fernsehzuschauer den Bildern aus dem Gerichtssaal selbst deutlich mehr Bedeutung zuerkannt wird, als dem eigentlich dort verhandeltem Geschehen. So wie es nach Fußball-Länderspielen eine Menge schlauer „Bundestrainer“ gebe,63 erzeuge vor allem das TruTV Heerscharen an von selbsternannten Hobby-Richtern, die sich gegen die mit Gerichtsfernsehen verbundene Manipulationsgefahr nicht wehren können.

eines Wandels im Programm in den letzten Jahren auch vermehrt fiktive Gerichtsverhandlungen oder Filme und Serien mit gerichtlichem Bezug in das Programm aufgenommen wurden. Ob dies als Resultat eines gesunkenen Interesses der Bevölkerung an realen (und weniger spektakulären) Verfahren lag, kann nur vermutet werden. 63  Oetzel, Berichterstattung über Straftaten, S. 35, 53.

5. Kapitel

Das EMöGG A. Der Öffentlichkeitsgrundsatz nach dem EMöGG Im Mai  2013 begann vor dem Staatsschutzsenat des OLG  München mit einer Verspätung von drei Wochen wegen Unstimmigkeiten in Bezug auf das Akkreditierungsverfahren1 der „NSU-Prozess“ gegen Unterstützer und Mitglieder der rechtsradikal-terroristischen Gruppierung Nationalsozialistischer Untergrund. Dieser Prozess stand bereits vor dem offiziellen Prozessbeginn im medialen Rampenlicht, was durch nicht ausreichende Raumkapazitäten des Sitzungssaals in der Nymphenburger Straße sowie das enorme mediale Interesse, national wie international, bedingt war. Diese Kontroversen sorgten für den Beginn einer sowohl unter Juristen als auch in der allgemeinen Öffentlichkeit lebhaft geführten und noch immer nicht abgeschlossenen Diskussion um eine mögliche Erweiterung des Grundsatzes der Öffentlichkeit im Strafverfahren. Eine Diskussion darüber, ob eine einmal getroffene Regelung auch Jahrzehnte nach ihrer Einführung zukünftig noch sinnvoll und notwendig ist, ist grundsätzlich stets wünschenswert, da sich die Gewichtungen der verschiedenen Faktoren wandeln können, ebenso die Umstände, auf die sich die Gewichtungen stützen.2 Um das gesamte Spektrum der hierauf einsetzenden Diskussion zu erschließen, die verschiedenen Argumentationsmuster offenzulegen und anhand dieser die Begründungslinien für die Gesetzesreform durch das EMöGG darzustellen, sollen die zu dieser Thematik ergangenen Veröffentlichungen, namentlich der Antrag der SPD-Bundestagsfraktion, das Gutachten der Großen Strafrechtskommission des Deutschen Richterbundes, die Beschlüsse der eingesetzten Bund-Länder-Arbeitsgruppe, das Gutachten zum 71.  Deutschen Juristentag, der Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz, die dazu veröffentlichten Stellungnahmen3 der verschiedenen Berufsverbände in chronologischer Reihenfolge sowie der Gesetzesentwurf der Bundesregierung und die Stellung1  Detailliert

dazu bereits in Kap. 2, B. V. 1. d). ZRP 2011, 61. 3  Hiervon ausgenommen sind diejenigen Stellungnahmen, die sich primär auf die Verbesserung der Kommunikationshilfen für Sprach- und Hörbehinderte beziehen. 2  Grimm,



A. Der Öffentlichkeitsgrundsatz nach dem EMöGG249

nahme des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz dargestellt und erläutert werden.

I. Antrag der SPD-Bundestagsfraktion vom 11. Juni 2013 Im Zuge der Ereignisse um den NSU-Prozess hat die SPD-Bundestagsfraktion mit einem Antrag vom 11.  Juni  20134 die Vorlage eines Gesetzesentwurfs der Bundesregierung hinsichtlich einer Videoübertragung öffentlicher Gerichtsverhandlungen in einen Nebenraum zum Zwecke einer „virtuellen Erweiterung“ des dem Zuschauerandrang nicht gerecht werdenden Gerichtssaals beantragt. Dabei handele es sich ausweislich der Antragstellung der SPD-Bundestagsfraktion nicht um eine unzulässige Videoaufnahme zwecks öffentlicher Vorführung, es solle lediglich „die Tür des Gerichtssaals geöffnet“ werden mittels technischer Übertragung. Das GVG treffe keine Aussage über die Zulässigkeit einer solchen Videoübertragung in einen Nebenraum, weshalb eine gesetzliche Klarstellung erforderlich sei.5 Der auf eine dementsprechende Beschlussfassung des Bundestags gerichtete Antrag ist in der Plenarsitzung vom 13. Juni 2013 an den Rechtsausschuss des Bundestages verwiesen worden, wurde dort aber während der 17.  Wahlperiode nicht weiter verfolgt. Aufgrund der Bundestagswahl am 22. September 2013 und dem damit verbundenen Ende der 17. Wahlperiode fiel der Antrag dem Grundsatz der Diskontinuität anheim.

II. Große Strafrechtskommission des Deutschen Richterbundes Mit einem Schreiben vom 10.  Juli  2013 hat das Bundesministerium der Justiz den Vorsitzenden des Deutschen Richterbundes gebeten, ein Gutachten zu der Frage: „Ist das 1964 geschaffene Verbot von Bild- und Tonübertragungen aus Gerichtsverhandlungen noch zeitgemäß?“ zu erstatten. Daraufhin wurde die Große Strafrechtskommission des Deutschen Richterbundes beauftragt, sich mit dieser Frage auseinanderzusetzen sowie sie aus Sicht der Praxis zu beantworten.6 Ratio dieses Gutachtens ist die spezifisch verfahrensrechtliche Sichtweise bei der Beantwortung der Frage um eine mögliche Öffnung des § 169 S. 2 GVG a. F. und den damit verbundenen Folgen.7 4  BT-Drs. 17/13891,

S. 1. S. 2. 6  Gutachten der Großen Strafrechtskommission des Deutschen Richterbundes, Ergebnisse der Sitzung vom 21. bis 26. Oktober 2013, S. 10. 7  Zwischenbericht der Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Zeitgemäße Neufassung des § 169 GVG“, S. 8. 5  BT-Drs. 17/13891,

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5. Kap.: Das EMöGG

1. Inhaltliche Zusammenfassung des Gutachtens der Großen Strafrechtskommission Das von der Großen Strafrechtskommission vorgelegte Gutachten stellt zunächst die historische Entwicklung der einfachgesetzlichen Vorschriften über die Öffentlichkeit der Gerichtsverhandlungen dar und beschreibt, dass die Diskussion über den Öffentlichkeitsgrundsatz und dessen Bedeutung für den Strafprozess mit dem Inkrafttreten des GVG8 im Jahr  1879 seinen Abschluss gefunden habe. Weiter wird hervorgehoben, dass die Öffentlichkeit der Hauptverhandlung in Strafsachen als eine der bedeutendsten Neuerungen des reformierten Strafprozesses bei der Entwicklung weg vom geheimen, auf aktenmäßiger Grundlage ablaufenden Inquisitionsverfahren gelte.9 Sodann wird auf die historische Entwicklung der Öffentlichkeit in den Bestimmungen des GVG eingegangen, wobei festgehalten wird, dass der Begriff der öffentlichen Gerichtsverhandlung ursprünglich im Sinne einer Saalöffentlichkeit zu verstehen gewesen sei. Im Rahmen der zeitgenössischen Diskussion um den Öffentlichkeitsgrundsatz hätten Formen wie die mittelbare Öffentlichkeit in den heute verschiedentlich diskutierten Ausprägungen keinerlei Rolle gespielt. Ferner wird konstatiert, dass der Grundsatz der öffentlichen Gerichtsverhandlung zu keinem Zeitpunkt uneingeschränkt gegolten habe, sondern Beschränkungsmöglichkeiten bereits in den §§ 173, 176 GVG a. F. vorhanden gewesen seien. Als weitere Entwicklung des Öffentlichkeitsgrundsatzes lässt sich ausweislich des erstatteten Gutachtens eine „Geschichte der zunehmenden Einschränkungen als Gesamttendenz dieses Prinzips“ verstehen.10 Sodann wird die im Laufe der technischen Entwicklung immer mehr in den Vordergrund rückende mittelbare Öffentlichkeit definiert, worunter zum einen die durch die Medien unterrichteten Personen, zum anderen aber auch die Berichterstattung über die Verhandlung vor dem Gericht und die Medien selbst zu verstehen seien.11 Eine einfachgesetzliche Regelung, die die mittelbare Öffentlichkeit im beschriebenen Sinne meint, ist in § 169 S. 2 GVG  a. F. enthalten. Mit diesem Verbot der Ton- und FernsehRundfunkaufnahmen sowie der Ton- und Filmaufnahmen zum Zwecke der öffentlichen Vorführung gehe jedoch nicht das Verbot jeglicher mittelbarer Öffentlichkeit einher, sondern lediglich diejenige auf eine bestimmte Art und Weise.12 8  § 170

GVG a. F.; RGBl. I 1877, S. 41, 72. der Großen Strafrechtskommission des Deutschen Richterbundes, Ergebnisse der Sitzung vom 21. bis 26. Oktober 2013, S. 17 f. 10  Gutachten der Großen Strafrechtskommission des Deutschen Richterbundes, Ergebnisse der Sitzung vom 21. bis 26. Oktober 2013, S. 20. 11  Gutachten der Großen Strafrechtskommission des Deutschen Richterbundes, Ergebnisse der Sitzung vom 21. bis 26. Oktober 2013, S. 21. 9  Gutachten



A. Der Öffentlichkeitsgrundsatz nach dem EMöGG251

Im Anschluss daran wird im Gutachten der Großen Strafrechtskommission die historische Entwicklung der Medienlandschaft dargestellt, insbesondere die sich ab 1984 entwickelnde private Hörfunk- und Fernsehvielfalt aufgezeigt.13 Daran anschließend werden der Berufsstand des Journalisten sowie dessen herausragende Stellung im Kontext des Art. 5  GG und der Möglichkeit des Zeugnisverweigerungsrechts aufgrund des Quellenschutzes erläutert. Zu den Trends in der journalistischen Praxis wird resümierend festgehalten, dass insgesamt der Arbeitsdruck in den Redaktionen zunehme, während die Zahl der fest angestellten Journalisten zurückgehe. Parallel dazu wachse die Zahl der freien Journalisten, obwohl die Honorare abnähmen. Daher stellten insbesondere bei der Berichtserstattung über Strafverfahren der „Machtmissbrauch und die Sensationsgier“ eine ernst zu nehmende Gefahr dar und brächten den Journalismus als Ganzes immer wieder in die Kritik.14 In Abschnitt drei des Gutachtens wird die Handhabung der Medienöffentlichkeit in ausgewählten europäischen Staaten15 sowie des Internationalen Strafgerichtshofs und des Internationalen Strafgerichtshofs für das frühere Jugoslawien16 erläutert. Hinsichtlich der gesetzlichen Ausgestaltung des Öffentlichkeitsgrundsatzes in den jeweiligen Staaten könne  – auch aufgrund der unterschiedlichen Strafprozessordnungen  – keine einheitliche Linie gezogen werden. Vergleichbare Regelungen mit dem deutschen Verständnis des Öffentlichkeitsgrundsatzes ließen sich in Österreich und in der Schweiz finden. Hinsichtlich einer audiovisuellen Übertragung in den Nebenraum  –  wie dies die SPD-Bundestagsfraktion in ihrem Antrag im Jahr  2013 formulierte17  –  habe der internationale Vergleich gezeigt, dass es fast in allen Staaten zulässig sei, zum Zwecke der Erweiterung der Saalöffentlichkeit die Hauptverhandlung in einen anderen Saal des Gerichtsgebäudes zu übertragen.18 12  Gutachten der Großen Strafrechtskommission des Deutschen Richterbundes, Ergebnisse der Sitzung vom 21. bis 26. Oktober 2013, S. 23. 13  Gutachten der Großen Strafrechtskommission des Deutschen Richterbundes, Ergebnisse der Sitzung vom 21. bis 26. Oktober 2013, S. 26 ff. 14  Gutachten der Großen Strafrechtskommission des Deutschen Richterbundes, Ergebnisse der Sitzung vom 21. bis 26. Oktober 2013, S. 33. 15  Auf die detaillierte Wiedergabe der Ausführungen wird an dieser Stelle verzichtet, die Ergebnisse sind nachzulesen im Gutachten der Großen Strafrechtskommission des Deutschen Richterbundes, Ergebnisse der Sitzung vom 21. bis 26. Oktober 2013, S. 36–58. 16  Gutachten der Großen Strafrechtskommission des Deutschen Richterbundes, Ergebnisse der Sitzung vom 21. bis 26. Oktober 2013, S. 58 f. 17  BT-Drs. 17/13891, S. 1 f. 18  Gutachten der Großen Strafrechtskommission des Deutschen Richterbundes, Ergebnisse der Sitzung vom 21. bis 26. Oktober 2013, S. 63.

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5. Kap.: Das EMöGG

Im vierten Abschnitt wird sodann von Mitgliedern der Großen Strafrechtskommission die Pressearbeit zu in einigen Bundesländern stattgefundenen, aufsehenerregenden Strafverfahren beleuchtet.19 Abschließend werden im Rahmen des Gutachtens die Akkreditierungsbedingungen,20 die derzeit beim Bundesverfassungsgericht zur Anwendung gelangen, aufgezeigt, wobei dabei jedoch die ausschließlich für das Bundesverfassungsgericht geltende Vorschrift des § 17a BVerfGG a. F.21 berücksichtigt werden müsse.22 Der nächste, sehr umfangreiche, Abschnitt des Gutachtens behandelt die Vorgaben des Grundgesetzes und der Europäischen Menschenrechtskonvention für die einfachgesetzliche Gestaltung der unmittelbaren und mittelbaren Öffentlichkeit in der strafgerichtlichen Hauptverhandlung. Das Gutachten kommt an dieser Stelle zu dem Ergebnis, dass das in § 169 S. 2 GVG  a. F. normierte Verbot sowohl mit dem Grundgesetz als auch mit der Euro­ päischen  Menschenrechtskonvention in Einklang stehe. Umgekehrt bestehe aber weder aus verfassungsrechtlicher noch aus konventionsrechtlicher Per­ spektive ein grundsätzliches Verbot einer gesetzlichen Neuregelung des § 169 GVG.23 Im siebten Abschnitt werden sodann Überlegungen zu § 169 GVG  a. F., insbesondere zum grundsätzlichen Verbot der Fertigung von Ton- und Fernseh-Rundfunkaufnahmen sowie zur Zulässigkeit der Erweiterung der Saalöffentlichkeit durch eine Übertragung der Hauptverhandlung in einen anderen Saal des Gerichts und zur Zulässigkeit von Bild- und Tonaufnahmen außerhalb der strafrechtlichen Hauptverhandlung, angestellt. Dies erfolgt unter Berücksichtigung der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung, weiterer Rechtsprechung der ordentlichen Gerichte sowie der Überlegungen in der einschlägigen Fachliteratur.24 Daran anschließend werden Ausführungen zur geplanten Neureglung des § 169 GVG, im Besonderen zur Zulassung von Ton- und Fernseh-Rundfunkaufnahmen sowie Ton- und Filmaufnahmen zum Zwecke der öffentlichen 19  Auf die detaillierte Wiedergabe der Ausführungen wird an dieser Stelle verzichtet, die Ergebnisse sind nachzulesen im Gutachten der Großen Strafrechtskommission des Deutschen Richterbundes, Ergebnisse der Sitzung vom 21. bis 26. Oktober 2013, S. 64–80. 20  BVerfG, Pressemitteilung Nr. 62/2913, 1  BvF  1/11; 1  BvF  4/11 und Pressemitteilung Nr. 19/2014, 1 BvF 1/11; 1 BvF 4/11. 21  Dazu ausführlich in Kap. 4, A. I. II. 22  Gutachten der Großen Strafrechtskommission des Deutschen Richterbundes, Ergebnisse der Sitzung vom 21. bis 26. Oktober 2013, S. 81. 23  Gutachten der Großen Strafrechtskommission des Deutschen Richterbundes, Ergebnisse der Sitzung vom 21. bis 26. Oktober 2013, S. 106. 24  Gutachten der Großen Strafrechtskommission des Deutschen Richterbundes, Ergebnisse der Sitzung vom 21. bis 26. Oktober 2013, S. 108 ff.



A. Der Öffentlichkeitsgrundsatz nach dem EMöGG253

Vorführung oder Veröffentlichung ihres Inhalts aus der strafrechtlichen Hauptverhandlung und der Frage eines tatsächlichen Bedarfs einer entsprechenden Gesetzesänderung gemacht. Hinsichtlich der Folgen und Probleme, die mit einer Lockerung oder gar einer Aufhebung des § 169 S. 2 GVG a. F. verbunden sind, seien die Argumente, die gegen eine derartige Gesetzesänderung sprechen, aufgrund der Schutzbedürftigkeit des Angeklagten sowie der übrigen Verfahrensbeteiligten durch die Weiterentwicklung der Medienlandschaft, eher größer geworden.25 Im neunten Abschnitt wird der Frage nachgegangen, ob die Pressearbeit der Justiz noch zeitgemäß ist, da durch die grundlegende Veränderung der Medienwelt in den vergangenen Jahren die Verfahrensbeteiligten mit dem Umgang und der Zusammenarbeit mit den Medien vor immer neue Herausforderungen gestellt würden. So gäbe es nicht mehr den klassischen Redaktionsschluss in der Form, dass etwa bis 22:00  Uhr sämtliche Artikel für die folgende Printausgabe einer Zeitung vorliegen müssen, sondern Informationen werden wegen der stetigen Informationsplattform des Internets immer rascher benötigt. Gleichzeitig seien die Informationen auch kaum mehr kontrollierbar, sollten sie erst einmal durch die Medien verbreitet worden sein („Stichwort: Das ewige Gedächtnis des Internets“). Hierzu wird ferner im Gutachten in Erinnerung gerufen, dass bereits im Jahr  2002 der Deutsche Richterbund in einer Stellungnahme zu den Empfehlungen des Europarats „Berichterstattung über Strafprozesse“26 unter anderem festgestellt habe, dass die „Berichterstattung über Strafprozesse durch die Medien nicht nur das berechtigte Interesse der Bürger an Informationen darüber, wie Justiz Straftaten ahndet“ bediene, sondern ihr „darüber hinaus eine große Bedeutung für die Akzeptanz der Strafjustiz durch die Bevölkerung“ zukomme. Ihrer Aufgabe könnten Journalistinnen und Journalisten nur dann gerecht werden, wenn sie ihrerseits durch die Pressestellen der Staatsanwaltschaften und der Gerichte kompetent, korrekt und umfassend informiert werden. Daher stellt die Große Strafrechtskommission in ihrem Gutachten einstimmig fest, dass die Pressearbeit der Justiz zunehmend an Bedeutung gewinne und die daraus resultierende notwendige Professionalisierung auf Seiten der Justiz mit den gegenwärtigen sachlichen und personellen Mitteln nicht mehr zu leisten sei. Ferner vertritt die Kommission die Auffassung, dass sich die Justiz verstärkt um einen zeitgemäßen Umgang mit Journalistinnen und Jour-

25  Gutachten der Großen Strafrechtskommission des Deutschen Richterbundes, Ergebnisse der Sitzung vom 21. bis 26. Oktober 2013, S. 119 ff., 122. 26  Die Stellungnahme des DRB zu den Empfehlungen des Europarats „Berichterstattung über Strafprozesse“ ist online abrufbar unter: http://www.drb.de/stellung nahmen/2002/stellungnahme-des-deutschen-richterbundes-zu-den-empfehlungen-deseuroparates-berichterstattung-ueber-strafprozesse.html (zuletzt am 04.04.2018).

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5. Kap.: Das EMöGG

nalisten kümmern solle, was ohne eine gewisse Schulung der Pressesprecher durch regelmäßige Fortbildungen nicht möglich sei.27 2. Ergebnisse des Gutachtens der Großen Strafrechtskommission Die Kommission kommt in ihrem 175  Seiten starken Gutachten zu dem Resultat, dass das in § 169 S. 2 GVG  a. F. statuierte Verbot von Bild- und Tonübertragungen aus Gerichtsverhandlungen noch zeitgemäß und angesichts der derzeitigen Möglichkeiten der allgemeinen Weitergabe von Informationen für jedermann und nicht nur für die Vertreter der Medien wahrscheinlich noch wichtiger sei als bei Einführung des § 169 S. 2 GVG a. F. im Jahr 1964. Mit den Befürwortern einer Lockerung dieser Vorschrift sei zwar festzuhalten, dass sich die Medienlandschaft rasant weiterentwickelt habe und ein jeder angesichts der Fülle an zur Verfügung stehenden Informationen auf Massenmedien angewiesen sei. Dennoch hat sich nach der Auffassung der Großen Strafrechtskommission an den Gründen, die einst für die Einführung des § 169 S. 2 GVG  a. F. sprachen, bis heute nichts Wesentliches geändert. Nicht weniger wichtig als 1964 seien etwa die Persönlichkeitsrechte der Verfahrensbeteiligten, die Wahrheitsfindung und die Gewährleistung eines möglichst ungestörten Verfahrensablaufs. Auch an dieser Stelle zitiert die Große Strafrechtskommission den im Kontext dieser Diskussion um eine Reform des § 169  GVG häufig wiedergegebenen Satz des Bundesverfassungsgerichts, „dass die Hauptverhandlung in der, aber nicht für die Öffentlichkeit stattfindet“. Trotz aller Bedenken hat sich die Große Strafrechtskommission mehrheitlich dazu durchgerungen, im Falle von Platzmangel aufgrund zu starken Zuschauerandranges die bloße Tonübertragung in einen Nebenraum, der ausschließlich Vertretern der Presse vorbehalten sein soll, zu befürworten. Dabei solle es sich ausdrücklich nicht um eine Erweiterung der Saalöffentlichkeit handeln. Gleichzeitig werden jedoch auch Bedenken laut, ob eine solche Ausnahmevorschrift für die wenigen in Betracht kommenden Gerichtsverfahren und die wenigen in Betracht kommenden Verhandlungstage mit tatsächlichem Platzmangel wirklich erforderlich sei. Die Beantwortung dieser Frage komme ausschließlich dem Gesetzgeber zu. Überdies wird konstatiert, dass im Rahmen der justiziellen Pressearbeit ein Handlungsbedarf bestehe und man den Medienvertretern entgegenkommen könne, indem man den aktuellen Prozessstoff von den behördlichen Presse27  Gutachten der Großen Strafrechtskommission des Deutschen Richterbundes, Ergebnisse der Sitzung vom 21. bis 26. Oktober 2013, S. 169 ff.



A. Der Öffentlichkeitsgrundsatz nach dem EMöGG255

sprechern erläutern lasse, was jedoch nur dann möglich und realisierbar sei, wenn man den Pressesprechern der Gerichte und Staatsanwaltschaften zeitgemäße Arbeitsräume und ein auf die Arbeit mit Medienvertretern ausgerichtetes Schulungsprogramm sowie Weiterbildungsmöglichkeiten auf diesem für einen Juristen untypischen Fachgebiet zur Verfügung stelle.28

III. Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Zeitgemäße Neufassung des § 169 GVG“ Die 84.  Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister setzte im Juni  2013 eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur „Zeitgemäßen Neufassung des Paragrafen 169  GVG“ ein. Ausgangspunkt dieser erneuten Diskussion um die Zeitgemäßheit des § 169 GVG a. F. war neben der sogenannten n-tvEntscheidung des Bundesverfassungsgerichts29 mit deren knappen Ergebnis von 5:3 mit dem abweichenden Sondervotum der Richter Kühling, HohmannDennhardt und Hoffmann-Riem30 die im Zusammenhang mit dem missglückten Start des NSU-Prozesses stehenden öffentlichen Proteste gegen die gesetzliche Regelung des § 169 GVG  a. F. Auch jüngste Entwicklungen im europäischen Ausland sowie gute Erfahrungen mit einem weiteren Verständnis von Gerichtsöffentlichkeit als es derzeit in Deutschland der Fall ist, haben bei der Diskussion um eine möglicherweise anstehende Reform des Öffentlichkeitsgrundsatzes eine Rolle gespielt.31 In Übereinstimmung damit hat es sich die Regierungskoalition in ihrem Koalitionsvertrag für die 18. Legislaturperiode32 auf die Agenda gesetzt, zu prüfen, inwieweit dem Interesse der Allgemeinheit an einem Gerichtsverfahren durch eine erweiterte Saalöffentlichkeit Rechnung getragen wird.33

28  Gutachten der Großen Strafrechtskommission des Deutschen Richterbundes, Ergebnisse der Sitzung vom 21. bis 26. Oktober 2013, S. 186 f. 29  BVerfGE 103, 44 ff. 30  BVerfGE 103, 44, 74 (Minderheitenvotum). 31  Zwischenbericht der Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Zeitgemäße Neufassung des § 169 GVG“, S. 5, online abrufbar unter: http://www.bmjv.de/SharedDocs/Down loads/DE/PDF/Zwischenbericht_Bund_Laender_Arbeitsgruppe_169GVG.pdf?__blob= publicationFile&v=1 (zuletzt am 04.04.2018). 32  Der Koalitionsvertrag ist im Wortlaut online abrufbar unter: http://www.focus. de/politik/deutschland/bundestagswahl-2013/der-koalitionsvertrag-im-wortlaut-5-1moderner-staat-innere-sicherheit-und-buergerrechte-freiheit-und-sicherheit_id_34358 62.html (zuletzt am 04.04.2018). 33  Zwischenbericht der Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Zeitgemäße Neufassung des § 169 GVG“, S. 6.

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5. Kap.: Das EMöGG

1. Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Zeitgemäße Neufassung des § 169 GVG“ – Zwischenbericht Ein erster Zwischenbericht wurde im Rahmen der 85.  Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister am 25. und 26.  Juni  201434 unter der Berichterstattung des Saarlandes und des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz vorgestellt. Für die Untersuchung führte die eingesetzte Bund-Länder-Arbeitsgruppe eine Länderumfrage durch und erstellte zu einzelnen Themenkomplexen Gutachten (dazu sogleich), außerdem wurden psychologische Sachverständige und Gerichtssprecher angehört. Während der Beratungen der Arbeitsgruppe wurden die von jeweils zwei teilnehmenden Bundesländern erarbeiteten Gutachten vorgestellt, diskutiert und aufgearbeitet. Aufbauend auf diesen Erkenntnissen eruierte man, welche Empfehlungen gegenüber der Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister in Bezug auf eine zeitgemäße Neufassung der gesetzlichen Regelungen zur Öffentlichkeit von Gerichtsverfahren abgegeben werden sollen. Dabei wurden folgende Themenkomplexe beschlossen: – Medienübertragung: Diskussion von Verfahrensarten und Verfahrensabschnitten, die für eine Übertragung in Betracht kommen könnten, und Prüfung der jeweils zur Wahrung der Persönlichkeitsrechte und der Verfahrensziele erforderlichen Schutzmaßnahmen; – Gerichtsinterne Übertragung: Auswirkungen der Übertragung in einen anderen Saal auf den Ablauf des Verfahrens und mögliche verfahrensrechtliche Sicherungen sowie alternativ oder kumulativ Einrichtung von Medienarbeitsräumen für Pressevertreter mit Ton- und / oder Bildüberragung; – Dokumentation: Voraussetzungen, Verwendungsregelungen, verfahrensrechtliche und persönlichkeitsrechtliche Auswirkungen bei einer audiovisuellen Dokumentation zeitgeschichtlich besonders bedeutsamer Gerichtsverfahren.35 Als Rahmenbedingungen für die Bund-Länder-Arbeitsgruppe wurde bestimmt, dass neben dem Ob auch das Wie einer Öffnung des § 169 S. 2 GVG  a. F. ergebnisoffen geprüft werden solle. Lediglich eine vollständige Öffnung des Gerichtsverfahrens für audiovisuelle Medien, also die Übertragung von Gerichtsverhandlungen in ihrer ganzen Länge einschließlich der Beweisaufnahme in Internet, Fernsehen oder Radio wurde von vornherein

34  Der Volltext des Beschlusses ist online abrufbar unter: https://www.justiz.bay ern.de/media/pdf/jumiko_2014/fruehjahr/top_ii_5.pdf (zuletzt am 04.04.2018). 35  Wörtlich zitiert von S. 4 des Zwischenberichts der Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Zeitgemäße Neufassung des § 169 GVG, Tagesordnungspunkt II.5.



A. Der Öffentlichkeitsgrundsatz nach dem EMöGG257

ausgeschlossen. Die Prüfung sollte sich nicht auf die ordentlichen Gerichte beschränken, sondern auch die Fachgerichtsbarkeit mit einbeziehen. Die Ergebnisse der Überlegungen des Saarlandes und des Freistaates Bayern gehen übereinstimmend dahin, unter bestimmten Voraussetzungen eine Übertragung der Gerichtsverhandlung in einen anderen Raum innerhalb des Gerichtsgebäudes zu ermöglichen. Dabei wird seitens des Saarlandes eine Übertragung für die gesamte Öffentlichkeit befürwortet, der Freistaat Bayern bevorzugt hingegen eine Übertragung in einen Arbeitsraum, der lediglich für Medienvertreter zugänglich sein soll. Die extensivere Haltung des Saarlandes in Bezug auf eine Erweiterung des Öffentlichkeitsprinzips zeigt sich auch an dem Vorschlag, dass eine Medienübertragung von Teilen gerichtlicher Verhandlungen, insbesondere von der Urteilsverkündung, zugelassen werden könne. Darüber hinaus schlägt die Beschlussalternative des Saarlandes in Anlehnung an das französische Recht eine Aufzeichnung von Gerichtsverfahren mit einer besonderen zeitgeschichtlichen Bedeutung zum Zwecke der dauerhaften Dokumentation vor.36 Nach der Darstellung der Vorgeschichte des § 169 S. 2 GVG  a. F.37 im Rahmen des Zwischenberichts38 wird sodann auf die verfassungsrechtliche Einordnung eingegangen und konstatiert, dass in Deutschland  – anders als etwa in den USA  – kein eigener, ausformulierter Verfassungssatz bestehe, aber nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts das Öffentlichkeitsprinzip Ausdruck des Rechtsstaatsprinzips und des allgemeinen Öffentlichkeitsprinzips der Demokratie sei39 und es deshalb für den Grundsatz der Öffentlichkeit keiner eigenen gesetzlichen Ausgestaltung bedürfe. Vielmehr habe der Gesetzgeber ein Bestimmungsrecht über den Zugang der Öffentlichkeit zu einem Gerichtsverfahren. Im Zuge der n-tv-Entscheidung40 habe das Bundesverfassungsgericht 2001 von diesem Bestimmungsrecht in verfassungsgemäßer Weise Gebrauch gemacht, indem ein ausnahmsloses Verbot öffentlicher Bild- und Tonübertragungen geschaffen worden sei. Eine verfassungsrechtliche Verpflichtung, die Medienöffentlichkeit in einem Gerichtsverfahren ausnahmslos zu unterbinden, habe jedoch nicht bestanden. Aufgrund der folgenden Überlegungen erachtete das Bundesverfassungsgericht das in § 169 S. 2 GVG  a. F. statuierte Verbot der Bild- und Tonübertragung 36  Zwischenbericht der Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Zeitgemäße des § 169 GVG“, S. 7. 37  Siehe dazu ausführlich Kap. 2, B.  V.  2.  a) zu Beginn der Arbeit, dieser Stelle nicht weiter auf die geschichtliche Darstellung eingegangen 38  Zwischenbericht der Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Zeitgemäße des § 169 GVG“, S. 9. 39  Dazu bereits umfassend in Kap. 2, C. III. 40  BVerfGE 103, 44 ff.

Neufassung weshalb an wird. Neufassung

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5. Kap.: Das EMöGG

zum Zwecke der öffentlichen Vorführung als zulässig: Persönlichkeitsrechte der Verfahrensbeteiligten, das Recht auf ein faires Verfahren sowie die Funktionstüchtigkeit der Rechtspflege seien hochrangige Interessen und die Saalöffentlichkeit genüge dem rechtsstaatlichen Kontrollgebot. Ferner sei die Berichterstattung nicht vollständig ausgeschlossen, sondern lediglich eingeschränkt, da Filmaufnahmen vor Beginn und nach dem Ende der Hauptverhandlung sowie während der Sitzungspausen möglich seien.41 a) Gutachten der Länder Baden-Württemberg und Hessen An diese Feststellungen anschließend werden im Zwischenbericht der Bund-Länder-Arbeitsgruppe die erstatteten Ländergutachten ausführlich dargestellt. Zunächst werden die von den Ländern Baden-Württemberg und Hessen erarbeiteten Ergebnisse erläutert, die sich mit den möglichen Vorkehrungen befassen, um einem großen Medieninteresse mit den Mitteln des Rechts de lege lata zu begegnen. Ausgangspunkt der Erwägungen waren dabei die Möglichkeiten und Grenzen der Medienberichterstattung, die sich direkt aus dem Öffentlichkeitsgrundsatz ergeben. Die Öffentlichkeit der Verhandlung in § 169 S. 1 GVG  a. F. sei als reine Saalöffentlichkeit zu verstehen, weshalb sich bereits daraus eine wesentliche Begrenzung eines zu großen Medieninteresses ergebe. Die räumliche Beschränkung finde ihre Legitimation darin, dass zum Schutze der Persönlichkeitsrechte der Verfahrensbeteiligten, insbesondere der des Angeklagten, eine Prangerwirkung vermieden und den und Gefahren für die Wahrheitsermittlung begegnet werden solle. Daran anknüpfend wird festgestellt, dass sich organisatorische Maßnahmen, um einem großen Medieninteresse mit den Mitteln des geltenden Rechts zu begegnen, wesentlich auf den Begriff der Saalöffentlichkeit zu beziehen haben, wozu folgende Möglichkeiten erörtert wurden: – Nach dem Ländergutachten von Baden-Württemberg und Hessen könne eine hinreichende Öffentlichkeit mittels einer räumlichen Erweiterung der Saalöffentlichkeit erfolgen. In Ausnahmefällen könne demnach sogar die Wahl auf einen Sitzungssaal außerhalb des Gerichtsgebäudes fallen, jedoch müsse in einem solchen Fall zwingend verhindert werden, dass die Gerichtsverhandlung zu einem Spektakel ausarte, weshalb es auf die jeweilige Einzelfallentscheidung ankomme und an dieser Stelle keine pauschalen Vorgaben gemacht werden könnten. Als Richtlinie könne etwa die Durchsetzung der sitzungspolizeilichen Befugnisse des Vorsitzenden dienen. 41  Zwischenbericht der Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Zeitgemäße Neufassung des § 169 GVG“, S. 10 f.



A. Der Öffentlichkeitsgrundsatz nach dem EMöGG259

– Entscheidungen über Zugangsregelungen gegenüber der allgemeinen Öffentlichkeit zum Sitzungssaal sowie insbesondere gegenüber den Medienvertretern seien als Teil  der sitzungspolizeilichen Erlaubnisse nach § 176  GVG denkbar. Dabei dürfe jedoch nicht nach willkürlichen und subjektiven Kriterien differenziert werden. Vielmehr gelte es, das Recht auf Gleichbehandlung im publizistischen Wettbewerb und den daraus resultierenden Anspruch auf eine gleichberechtigte Teilhabe an den Berichterstattungsmöglichkeiten zu Gerichtsverfahren zu beachten. – Abschließend wird im Rahmen des erstatteten Gutachtens auf die Möglichkeiten und Grenzen von Ton- und Bildberichterstattung außerhalb der Hauptverhandlung eingegangen. Untersagungen und Beschränkungen vor Beginn, nach dem Ende oder während der Sitzungspausen aus dem Gerichtssaal zu übertragen, seien per se als ein Eingriff in Art. 5 Abs. 1 S. 2 Var.  2 GG42 zu bewerten. Derartige Ermessensentscheidungen des vorsitzenden Richters bedürften immer einer Abwägung der widerstreitenden Interessen unter der strikten Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsprinzips.43 b) Gutachten des Landes Nordrhein-Westfalen und des Saarlandes Mit einer denkbaren Differenzierung nach den verschiedenen Verfahrensarten und  Verfahrensabschnitten bei einer möglichen Lockerung des Verbots von Ton- und Bildaufnahmen zum Zwecke der Übertragung befassten sich die gutachterlichen Ausführungen der Länder Nordrhein-Westfalen und Saarland. Dabei untersuchte das Saarland die ordentliche Gerichtsbarkeit, während sich Nordrhein-Westfalen mit der öffentlich-rechtlichen Fachgerichtsbarkeit auseinandersetzte.44 Von vornherein von einer möglichen Erweiterung des Öffentlichkeitsgrundsatzes ausgeschlossen waren dabei Verfahrensarten und -abschnitte, die von Gesetzes wegen oder durch gerichtliche Entscheidung ohnehin unter Ausschluss der Saalöffentlichkeit stattfinden. Im Folgenden werden einschränkend nur diejenigen Überlegungen dargestellt, welche für eine Medienübertragung für das Strafverfahren45 angestrengt wurden: 42  Der Zwischenbericht spricht an dieser Stelle fälschlicherweise von einem Eingriff in die „Rundfunkfreiheit nach Art. 5 Abs. 2 S. 2 GG“, siehe Zwischenbericht der Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Zeitgemäße Neufassung des § 169 GVG“, S. 14. 43  Zwischenbericht der Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Zeitgemäße Neufassung des § 169 GVG“, S. 13 f. 44  Zwischenbericht der Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Zeitgemäße Neufassung des § 169 GVG“, S. 14 ff. 45  Die Ausführungen über die Zivilgerichtsbarkeit und die öffentlich-rechtliche Fachgerichtsbarkeit sind nachzulesen im Zwischenbericht der Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Zeitgemäße Neufassung des § 169 GVG“, S. 16 ff.

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5. Kap.: Das EMöGG

Um Gefahren für den Schutz der Persönlichkeitsrechte und für die Qualität der Wahrheitsfindung abzuwenden, seien einzelne Verfahrensabschnitte, namentlich die Belehrung des Angeklagten sowie dessen Vernehmung zur Sache und Feststellungen zu etwaigen Vorstrafen, aber auch die gesamte Beweisaufnahme, für eine Lockerung des § 169 S. 2 GVG  a. F. nicht geeignet. Andere Verfahrensabschnitte hingegen, wie etwa die Vernehmung des Angeklagten über seine persönlichen Verhältnisse, die Verlesung des Anklagesatzes oder die Abschlussplädoyers der Vertreter der Staatsanwaltschaft, (sofern vorhanden) der Nebenklage und der Verteidigung sowie das letzte Wort des Angeklagten seien eventuell und unter Einholung des ausdrücklichen Einverständnisses der Verfahrensbeteiligten für eine Erweiterung des Öffentlichkeitsgrundsatzes geeignet,46 wobei die gewichtigen Einwände (Schutz der Persönlichkeitsrechte, Gefahr der medialen Prangerwirkung, Risiken verzerrter Wahrnehmung des Verfahrensablaufs aufgrund des Verwendens von einzelnen, herausgeschnittenen Verfahrenssequenzen usw.) Berücksichtigung finden müssten. Demgegenüber gebe es aber auch Verfahrensabschnitte wie etwa den Aufruf zur Sache und die Präsenzfeststellung zu Beginn der Hauptverhandlung, Mitteilungen des Vorsitzenden Richters zu Erörterungen gemäß den §§ 202a, 212 StPO sowie die Urteilsverkündung, die für eine Lockerung des in § 169 S. 2 GVG a. F. normierten Verbots der Rundfunk- und Filmübertragung grundsätzlich in Betracht zu ziehen seien.47 Hinsichtlich gerichtsinterner Übertragungen eines Strafverfahrens hält das erstellte Gutachten eine derartige Differenzierung zwischen den unterschiedlichen Abschnitten der Hauptverhandlung für nicht sachgemäß; vielmehr solle eine einheitliche gesetzliche Regelung bzgl. der Anordnungsvoraussetzungen und der Zugangsberechtigung zum Nebensaal getroffen werden. Gefordert wird außerdem, dass gerichtsinterne Übertragungen nicht dem Revisionsrecht unterliegen sollen.48 c) Gutachten des Landes Niedersachsen und des Freistaats Bayern Das Land Niedersachsen und der Freistaat Bayern haben sich in ihren Gutachten mit den Persönlichkeitsrechten sowie den möglichen Schutzmechanismen bei der gerichtsinternen Übertragung und der Medienübertragung auseinandergesetzt. Ausgangspunkt dieses Gutachtens ist die Feststellung, dass das 46  So auch Britz, jM 2015, 127, 130 unter Bezugnahme auf den Zwischenbericht der Bund-Länder-Arbeitsgruppe. 47  Zwischenbericht der Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Zeitgemäße Neufassung des § 169 GVG“, S. 15. 48  Zwischenbericht der Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Zeitgemäße Neufassung des § 169 GVG“, S. 17.



A. Der Öffentlichkeitsgrundsatz nach dem EMöGG261

Allgemeine Persönlichkeitsrecht (insbesondere das Recht am eigenen Bild und am eigenen Wort sowie das Recht auf informationelle Selbstbestimmung) der Verfahrensbeteiligten für die Frage der Verfassungskonformität einer gesetzlichen Neuerung zu § 169 GVG a. F. eine zentrale Rolle spielt. Dabei sei aufgrund der unterschiedlichen Eingriffsintensität auch an dieser Stelle strikt zwischen einer gerichtsinternen und einer Medienübertragung zu differenzieren. Im Folgenden werden die Möglichkeiten der Rechtfertigung eines solchen Eingriffs analysiert und dabei als legitimer Zweck der Erlaubnis von Bildaufnahmen im Gerichtssaal zum Zwecke der Medienübertragung die Stärkung der Öffentlichkeit genannt. Diese Stärkung der Öffentlichkeit des gerichtlichen Verfahrens diene vermehrt auch dem Informationsinteresse der Allgemeinheit. Sofern es die Intention des Gesetzgebers sei, zukünftig den Begriff der Öffentlichkeit i. S. d. § 169 S. 1 GVG a. F. zu erweitern, erweise sich die Regelung hinsichtlich einer gerichtsinternen Übertragung als erforderlich. Solle darüber hinaus eine Stärkung der Öffentlichkeit auch durch eine Erweiterung des Zugangs zu gerichtlichen Verhandlungen in ihrer Ausprägung als allgemein zugängliche Informationsquelle erfolgen, stelle eine Öffnung der gesetzlichen Regelungen auch für Medienübertragungen die logische Konsequenz dar.49 d) Gutachten der Länder Schleswig-Holstein und Thüringen Gegenstand des Gutachtens der Länder Schleswig-Holstein und Thüringen ist die Ausübung und Ausgestaltung sitzungspolizeilicher Befugnisse sowie des Hausrechts bei gerichtsinternen Übertragungen oder Medienübertragungen. Dazu werden zunächst das dem Behördenleiter zustehende Hausrecht im Gerichtsgebäude sowie Inhalt, Zweck und Grenzen der Sitzungspolizei, deren Ausübung grundsätzlich dem Vorsitzenden des Gerichts obliegt, erläutert.50 Anschließend wird in Bezug auf die denkbare Medienübertragung konstatiert, dass eine Katalogisierung sitzungspolizeilicher Maßnahmen als nicht durchführbar erachtet werde und es vielmehr auf die Umstände des jeweiligen Einzelfalls ankomme. In Bezug auf die rein gerichtsinterne Übertragung werden im Gutachten die folgenden Fragen aufgeworfen: Ist die Ausübung sitzungspolizeilicher Befugnisse im Übertragungsraum möglich? Erstreckt sich die Sitzungspolizeigewalt des Vorsitzenden auch auf den Übertragungsraum? Ist es zulässig, sitzungspolizeiliche Befugnisse zu delegieren?51 49  Zwischenbericht der Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Zeitgemäße Neufassung des § 169 GVG“, S. 18 f. 50  Zwischenbericht der Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Zeitgemäße Neufassung des § 169 GVG“, S. 20. 51  Zwischenbericht der Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Zeitgemäße Neufassung des § 169 GVG“, S. 22.

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5. Kap.: Das EMöGG

e) Anhörung von Sachverständigen Ferner hat die Bund-Länder-Arbeitsgruppe Sachverständige, Psychologen und Justizsprecher als Experten angehört. Dabei wurde aus psychologischer Sicht hervorgehoben, dass zum Themenkomplex „Psychologische Wirkungen von Übertragungen aus Gerichtsverfahren“ bis dato kaum Forschungsergebnisse zur Verfügung stünden, weshalb die Professoren Köhnken52 und Greuel53 vorschlugen, vor einer Gesetzesänderung die Ergebnisse einer umfassenden Forschung abzuwarten. Sodann wurden die möglichen Auswirkungen des Kameraeinsatzes generell als auch für die beiden Fallgruppen der gerichtsinternen Übertragung und der Medienübertragung (auch der gesamten Verhandlung) im Speziellen erläutert. Dies geschah unter anderem auf der Grundlage von Untersuchungsergebnissen und Erfahrungswerten aus dem Ausland unter Berücksichtigung des allgegenwärtigen Risikos der Fehlwahrnehmungen von Übertragungen.54 Im Rahmen der Anhörung der Pressesprecher wurden als Experten Odörfer (Pressesprecher des Bundesverfassungsgerichts), Steltner (Sprecher der Berliner Staatsanwaltschaft) und Kaehne (Sprecher der Berliner Strafgerichte) zu ihren Eindrücken aus der aktuellen Verfahrenspraxis vor dem Hintergrund einer möglichen Erweiterung des Öffentlichkeitsgrundsatzes befragt. Der Pressesprecher des Bundesverfassungsgerichts berichtete dabei hauptsächlich von den Erfahrungswerten der beim höchsten deutschen Gericht praktizierten internen Tonübertragung in einen Medienarbeitsraum. Die beiden Pressesprecher der Berliner Staatsanwaltschaft und der Strafgerichte stellten zunächst ihren Arbeitsalltag vor. Sodann erläuterten sie, dass nach ihren Erfahrungen eine gerichtsinterne Übertragung aus Kapazitätsgründen nicht notwendig sei und man mit Pool-Bildungen bisher immer gute Resultate erzielt habe. Ferner berichteten beide Pressesprecher von der großen Skepsis der Richter- und Staatsanwaltschaft gegenüber einer Medienübertragung.55

52  Prof. em. Dr. Köhnken war ordentlicher Professor an der Christian-AlbrechtsUniversität zu Kiel; weitere Informationen unter http://www.koehnken.psychologie. uni-kiel.de. 53  Prof. Dr. Greuel ist ordentliche Professorin und Rektorin an der Hochschule für öffentliche Verwaltung Bremen; weitere Informationen unter: http://www.hfoev. bremen.de/sixcms/detail.php?gsid=bremen154.c.3653.de. 54  Zwischenbericht der Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Zeitgemäße Neufassung des § 169 GVG“, S. 23 f. 55  Zwischenbericht der Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Zeitgemäße Neufassung des § 169 GVG“, S. 26 f.



A. Der Öffentlichkeitsgrundsatz nach dem EMöGG263

f) Beschluss der 85. Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister vom 25. und 26. Juni 2014 Als Resultat der 85. Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister vom 25. und 26.  Juni  2014 baten die Justizministerinnen und Justizminister den Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz, die Beratungen in der Bund-Länder-Arbeitsgruppe auf der Grundlage des oben zusammenfassend dargestellten Zwischenberichts fortzusetzen und dabei das ebenfalls in den wesentlichen Punkten wiedergegebene Gutachten der Großen Strafrechtskommission des Deutschen Richterbundes sowie rechtsvergleichende Erkenntnisse europäischer Staaten zu berücksichtigen. Außerdem sollten die Berufsverbände der Richter und der Staatsanwälte, der Rechtsanwälte sowie Vertreter der Medienpraxis und -wissenschaft angehört werden und deren Ergebnisse bei den Überlegungen um eine Reform des Öffentlichkeitsgrundsatzes miteinbezogen werden.56 Dabei bat die 85.  Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister die eingangs bereits wiedergegebenen weil bereits zu Beginn der Untersuchung als relevant erachteten Gesichtspunkte in die weiteren Überlegungen vertiefend einzubeziehen: Medienübertragung, gerichtsinterne Übertragung (sowohl in einen allgemein zugänglichen Nebenraum als auch in einen reinen Medienarbeitsraum) und Dokumentation zeithistorisch bedeutsamer Verfahren.57 2. Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Zeitgemäße Neufassung des § 169 GVG“ – Abschlussbericht Die Arbeiten und Beratungen in der Bund-Länder-Arbeitsgruppe seit dem Vorliegen des Zwischenberichts wurden im Rahmen der bereits 2014 festgelegten Struktur der Unterarbeitsgruppe fortgesetzt. Diese Unterarbeitsgruppe besteht aus Vertreterinnen und Vertretern der Länder Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Niedersachen, Nordrhein-Westfalen, Saarland, SchleswigHolstein und Thüringen. Die Unterarbeitsgruppe traf sich bis zur abschließenden Sitzung in dieser Konstellation vier Mal, an der Abschlusssitzung nahmen zusätzlich Vertreterinnen und Vertreter der Länder Berlin, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen teil. In diese Beratungen der Unterarbeitsgruppe, die unter der Leitung des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz stattfanden, wurden die Ergebnisse des oben dargestellten Gutachtens der Großen Strafrechtskommission des Deutschen Rich56  Beschluss GVG“ vom 25. 57  Beschluss GVG“ vom 25.

der Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Zeitgemäße Neufassung des § 169 und 26. Juni 2014, S. 1. der Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Zeitgemäße Neufassung des § 169 und 26. Juni 2014, S. 1 f.

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5. Kap.: Das EMöGG

terbundes rechtsvergleichende Überlegungen aus den europäischen Nachbarstaaten, sowie verfassungsrechtliche Aspekte einer möglichen Medienübertragung aus der mündlichen Verhandlung miteinbezogen.58 a) § 169 S. 2 GVG a. F. aus verfassungsrechtlicher Sicht Die relevanten verfassungsrechtlichen Aspekte des § 169 S. 2 GVG  a. F. vor dem Hintergrund einer möglichen Neufassung oder gar einer Abschaffung dieser Norm beleuchtete von Coelln59 und thematisierte dabei die Verfassungsmäßigkeit sowie die inhaltliche Reichweite der zu untersuchenden Norm. Gegenstand der Analyse von Coellns und somit auch Gegenstand der Beratungen in der Arbeitsgruppe waren die Einzelfragen um die Reichweite und historische Bedeutung des Öffentlichkeitsgrundsatzes, die historische Begründung des bestehenden Übertragungs- und Verarbeitungsverbots, die rechtliche Einordnung einer denkbaren Übertragung in einen Nebenraum sowie die Verfassungsmäßigkeit des in § 169 S. 2 GVG a. F. normierten Verbots. Während der Diskussionen wurden rechtspolitische Argumente dargestellt, die einem strikten Verbot der Übertragung von Gerichtsverhandlungen entgegenstehen könnten und bei sämtlichen Überlegungen um eine Reform des Öffentlichkeitsgrundsatzes Berücksichtigung finden müssen. Dazu gehören die allgemeine Bedeutung von Fernsehaufnahmen, die dadurch einhergehende Förderung der Informationsverbreitung, ein besseres Verständnis für das Rechtssystem und den Ablauf eines gerichtlichen Verfahrens im All­ gemeinen und damit verbunden die Akzeptanz der Rechtsprechung durch die Bevölkerung sowie die Verbreitung von Wissen über Strafprozesse und ­Strafen im Speziellen. Über all diesen Reformüberlegungen schwebe jedoch die besondere Relevanz des Persönlichkeitsrechts der Verfahrensbeteiligten, insbesondere das des Angeklagten. Als funktionierendes Paradebeispiel für  eine derartige „Kompromissnorm“ wurde durch von Coelln auf § 17a BVerfGG a. F. verwiesen. Interessant ist an dieser Stelle, dass sich von ­Coelln in seinem Sachverständigengutachten tendenziell für eine erste Lockerung des in § 169 S. 2 GVG a. F. verankerten Verbots in Bezug auf andere Verfahrensarten und Gerichtszweige als den Strafprozess aussprach. Der Strafprozess solle indes von einer Erweiterung des § 169  GVG ausgenommen werden, um eben dieses hohe Gut des Persönlichkeitsschutzes nicht mehr als 58  Abschlussbericht der Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Zeitgemäße Neufassung des § 169 GVG“ vom 17. und 18.  Juni 2015, S. 8; online abrufbar unter: http://www. bmjv.de/SharedDocs/Downloads/DE/PDF/Abschlussbericht_Bund_Laender_Arbeits gruppe_169GVG.pdf?__blob=publicationFile&v=1 (zuletzt am 04.04.2018). 59  Prof. Dr. Christian von Coelln ist ordentlicher Professor an der Universität zu Köln; weitere Informationen unter: http://www.coelln.uni-koeln.de/3211.html?&L=0.



A. Der Öffentlichkeitsgrundsatz nach dem EMöGG265

unbedingt erforderlich zu beeinträchtigen. In sämtlichen anderen Verfahrensarten seien die Persönlichkeitsrechte bei weitem nicht so stark gefährdet wie dies in Strafprozessen der Fall sei.60 b) § 169 S. 2 GVG a. F. aus journalistischer Sicht Ferner wurden die Meinungen von Vertreterinnen und Vertretern des Deutschen Presserates, der Printmedien61 sowie der öffentlichen und privaten Rundfunksender zur Medienöffentlichkeit in Gerichtsverhandlungen eingeholt und bei der Beschlussfassung berücksichtigt. Trotz der bestehenden Bedenken befürworteten die Medienvertreterinnen und Medienvertreter eine Erweiterung des Öffentlichkeitsgrundsatzes vor dem Hintergrund des Grundgedankens der Pressefreiheit62 und der nur marginalen Missbrauchsgefahr, welche unter anderem durch die positiven Erfahrungen mit der Regelung des § 17a BVerfGG a. F. belegbar sei. Zudem seien Journalisten durchaus Willens und in der Lage, mit den unterschiedlichen und sich oftmals widersprechenden Interessen professionell umzugehen. Es fände eine Regulierung in der Ausprägung einer freiwilligen Selbstkontrolle durch den Verhaltenskodex des Presserates statt. Nach dem Vorbild des Bundesverfassungsgerichts befürworteten sie eine entsprechende gesetzliche Ausgestaltung für die Urteilsverkündungen der obersten Bundesgerichte sowie die Einrichtung eines Medienarbeitsraumes, zumindest mit einer Audioübertragung der Verhandlung. Überdies stellten sie auf die enorme Bedeutung des Beginns der Hauptverhandlung für das Informationsinteresse der Bevölkerung ab. Die Vorstellung der Verfahrensbeteiligten sowie die Angaben zur Person seien in der Lage, das Bild der Öffentlichkeit von Verfahrensbeteiligten in positiver Weise zu prägen. Diese Überlegungen gelten laut den Vertreterinnen und Vertretern der Presse nicht nur für Strafverfahren, sondern explizit auch für Zivilverfahren und die Fachgerichtsbarkeit, da auch dort ein hohes mediales Interesse bestehen könne. Zudem plädierten sie für eine audiovisuelle Aufzeichnung historisch bedeutsamer Verfahren zum Zwecke der Archivierung.63

60  Abschlussbericht der Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Zeitgemäße Neufassung des § 169 GVG“ vom 17. und 18.06.2015, S. 11. 61  Dazu zählten Vertreterinnen und Vertreter von ARD, Der Spiegel, TAZ, Verband der privaten Rundfunk und Telemedien e. V., Deutscher Presserat. 62  Dazu ausführlich oben Kap. 3, B. II 2. c). 63  Abschlussbericht der Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Zeitgemäße Neufassung des § 169 GVG“ vom 17. und 18.06.2015, S. 12 f.

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5. Kap.: Das EMöGG

c) § 169 S. 2 GVG a. F. aus Sicht der Berufsverbände Die Vertretungen der juristischen Berufsverbände,64 deren Auffassungen ebenfalls in die Befragungen und Diskussionen miteinbezogen wurden, stellen im Kontext der aktuellen Reformüberlegungen – anders als die Vertreterinnen und Vertreter der Medien  – auf die herausragende Bedeutung der Strafverfahren im Vergleich zu den übrigen Verfahren der ordentlichen Gerichtsbarkeit sowie der Fachgerichtsbarkeit ab. Insgesamt seien die Persönlichkeitsrechte, die gerade im Strafverfahren einer besonderen Gefahr ausgesetzt sind, in besonderer Weise zu berücksichtigen. Dies sei nicht nur, aber vor allem bei einer immer wieder diskutierten Medienübertragung unmittelbar aus der Hauptverhandlung der Fall. Bei all der Diskussion um eine Erweiterung des Öffentlichkeitsgrundsatzes dürfe man nach Ansicht der Berufsverbände das Ziel eines gerichtlichen Verfahrens nicht außer Acht lassen, bevor man über eine Öffnung des Gerichtssaals für Medienvertreterinnen und -vertreter nachdenke. Ureigenes Ziel des (straf-)gerichtlichen Verfahrens sei es, ein korrektes und faires Verfahren durchzuführen und zu gewährleisten, in dem man zu einem gerechten Ergebnis für alle Verfahrensbeteiligten komme. Es müsse jeglicher Gefahr einer Anfechtbarkeit entgegengetreten werden, um Verfahrensfehler zu vermeiden und die Gerechtigkeit des Verfahrens zu sichern. Als Argument gegen eine Medienübertragung der gesamten Gerichtsverhandlung und als Beispiel der Gefahr einer verzerrten Darstellung des Geschehens und damit der Gefährdung des Verfahrenserfolges werden die allgegenwärtigen, durch die Medien verbreiteten Bilder von Angeklagten angeführt, die sich hinter Aktenordnern oder unter Kapuzenpullovern verstecken. Dies würde sich bei einer Medienübertragung zu Beginn oder während der gesamten Hauptverhandlung in derselben Weise fortsetzen und einem geregelten Verfahrensablauf und somit einem fairen Verfahren zuwiderlaufen. Im Ergebnis sei die Pressearbeit wichtig, doch dürfe sie in ihrer Ausgestaltung den Verfahrenszweck nicht beeinträchtigen.65 Bezüglich der Einrichtung eines Medienarbeitsraumes konstatierte die Vertretung der Berufsverbände, dass dadurch die eigentliche Raumproblematik wohl kaum gelöst würde. Die Erfahrung aus der gerichtlichen Praxis belege vielmehr, dass die meisten Journalisten vermutlich versuchen würden, trotz des Vorhandenseins eines Medienarbeitsraumes einen Platz im eigentlichen Gerichtssaal zu bekommen und sich nicht mit einem Platz im Nebenraum (in den unter Umständen lediglich ein Audiosignal übertragen werden dürfe) 64  Dazu gehören die Bundesrechtsanwaltskammer, der Deutsche Richterbund, der Deutsche Anwaltverein und die Neue Richtervereinigung. 65  Abschlussbericht der Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Zeitgemäße Neufassung des § 169 GVG“ vom 17. und 18.06.2015, S. 13.



A. Der Öffentlichkeitsgrundsatz nach dem EMöGG267

zufriedengeben würden. Hinsichtlich der Aufzeichnung zeithistorisch bedeutsamer Verfahren sehen die Vertreterinnen und Vertreter der Berufsverbände allerdings deutlich weniger Probleme, diese sei mit den Interessen der Verfahrensbeteiligten grundsätzlich vereinbar.66 d) Ergebnis der Beratungen Die Justizministerinnen und Justizminister haben im Rahmen ihrer Frühjahrskonferenz am 17. und 18.  Juni  2015 in Stuttgart diesen von der BundLänder-Arbeitsgruppe erarbeiteten Abschlussbericht zustimmend zur Kenntnis genommen. Die Justizministerinnen und Justizminister vertraten die Auffassung, dass das umfassende Verbot des § 169 S. 2 GVG a. F. dem aktuellen Informationsbedürfnis der Allgemeinheit an der Tätigkeit der deutschen Justiz vor dem Hintergrund der Veränderungen der Medienlandschaft nicht mehr vollständig Rechnung trage. Daher wurde beschlossen, dass eine Lockerung des Öffentlichkeitsgrundsatzes mittels der folgenden Maßnahmen vorgenommen werden solle: „Entscheidungsverkündungen oberster Gerichtshöfe des Bundes sollen grundsätzlich von Medien übertragen werden können. Die Einrichtung von Arbeitsräumen für Medienvertreterinnen und -vertreter mit Tonübertragung soll für Verfahren mit einem erheblichen Medieninteresse gesetzlich geregelt werden. Eine audio-visuelle Dokumentation von Gerichtsverfahren von herausragender zeitgeschichtlicher Bedeutung soll bei näherer Bestimmung der Voraussetzungen und der Festlegung von Regelungen über eine begrenzte Verwendung ermöglicht werden.“67

Die Ministerinnen und Minister bitten in ihrem Beschluss den Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz, einen Gesetzesentwurf zu einer „zeitgemäßen Neufassung des § 169 GVG“ vorzulegen.

IV. Referentenentwurf des EMöGG Der durch das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz am 27.  Mai  2016 vorgelegte Referentenentwurf68 eines Gesetzes zur Erwei66  Abschlussbericht der Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Zeitgemäße Neufassung des § 169 GVG“ vom 17. und 18.06.2015, S. 14. 67  Der Beschluss des Abschlussberichts der Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Zeitgemäße Neufassung des § 169 GVG“ vom 17. und 18.06.2015 ist online abrufbar unter: http://www.jum.baden-wuerttemberg.de/pb/site/jum2/get/documents/jum1/JuM/Justizministerium %20NEU/JuMiKo/Beschlüsse/2015 %20Frühjahr/TOP %20II.16 %20-% 20Abschlussbericht %20der %20AG %20Zeitgemäße %20Neufassung %20des %20§% 20169 %20GVG %20 %28oA %29.pdf (zuletzt am 04.04.2018). 68  Der Referentenentwurf des BMJV ist online abrufbar unter: http://www. bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RefE_Erweiterung_Me

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5. Kap.: Das EMöGG

terung der Medienöffentlichkeit in Gerichtsverfahren und zur Verbesserung der Kommunikationshilfen für Sprach- und Hörbehinderte (im Folgenden „Referentenentwurf“ / „Ref-E GVG“) sah vor, das seit 1964 bestehende Verbot von Ton- und Fernseh-Rundfunkaufnahmen zum Zweck der öffentlichen Vorführung oder Veröffentlichung in § 169 S. 2 GVG  a. F. moderat zu lockern. Das gewandelte Medienverständnis und der Umgang mit modernen Kommunikationsformen ließen ein generelles Verbot als nicht mehr zeitgemäß erscheinen. Künftig sollen Gerichte die Möglichkeit erhalten, in bestimmten Fällen Aufzeichnungen beziehungsweise Übertragungen zu gestatten. Damit griff der Referentenentwurf den in Kap. 5, A. III. 2. d) dargelegten Beschluss der 86.  Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister vom 17. und 18. Juni 2015 hinsichtlich einer Ergänzung des § 169 GVG a. F. auf.69 1. Überblick über die inhaltliche Ausgestaltung des Referentenentwurfs Der Schwerpunkt des Referentenentwurfs70 lag inhaltlich auf einer Ergänzung und im Ergebnis einer moderaten Erweiterung der Vorschrift des § 169 GVG  a. F. betreffend die Medienöffentlichkeit des öffentlichen Teils der Hauptverhandlung sowie der Urteilsverkündung.71 Im Konkreten sollte eine Zulassung der Tonübertragung der mündlichen Verhandlung und der Urteilsverkündung in einen Nebenraum für Medienvertreter in § 169 Abs. 1 S. 3 bis S. 5 Ref-E GVG geregelt werden. In § 169 Abs. 2 Ref-E GVG sollte die Zulassung einer audiovisuellen Dokumentation von Gerichtsverfahren von herausragender zeitgeschichtlicher Bedeutung (Archivaufzeichnungen) normiert werden. Die Eröffnung der Möglichkeit für die obersten Gerichtshöfe des Bundes, die Verkündung ihrer Entscheidungen künftig von Medien übertragen zu lassen, sollte in einem ebenfalls neu zu schaffenden § 169 Abs. 3 Ref-E GVG geregelt werden.

dienoeffentlichkeit_Gerichtsverfahren.pdf?__blob=publicationFile&v=2 (zuletzt am 04.04.2018). 69  Neben der moderaten Lockerung des in § 169 S. 2 GVG statuierten Verbots beabsichtigt der Referentenentwurf eine Verbesserung der Kommunikationshilfen für hör- und sprachbehinderten Personen im Gerichtsverfahren durch eine Änderung des § 186 GVG vorzunehmen. Diese mögliche Änderung des § 186 GVG wird im Folgenden jedoch nicht weiter berücksichtigt, da sie für die hier geführte Diskussion um eine Neufassung des § 169 GVG ohne Relevanz ist. 70  Die im Referentenentwurf vorgeschlagenen Änderungen des § 169 GVG sind im Folgenden mit der Gesetzesbezeichnung „RefE-GVG“ gekennzeichnet. 71  Überblickartig zusammengefasst bei Rebehn, DRiZ 2016, 204 f.



A. Der Öffentlichkeitsgrundsatz nach dem EMöGG269

2. Konkrete Ausgestaltung des Referentenentwurfs Der Referentenentwurf zum EMöGG sah eine Änderung des § 169  GVG a. F. wie folgt vor: Artikel 1: Änderung des § 169 des Gerichtsverfassungsgesetzes: Der Wortlaut des § 169 Abs. 1 GVG wird um die folgenden Sätze erweitert: „Die Tonübertragung in einen Nebenraum für Personen, die für die Presse, Rundfunk, Fernsehen oder für andere Medien berichten, kann durch die Anordnung des Vorsitzenden zugelassen werden. Die Entscheidung ist unanfechtbar. Im Übrigen gilt für die Tonübertragung in den Nebenraum Satz 2 entsprechend.“ Die folgenden Absätze 2 und 3 werden dem erweiterten Absatz 1 angefügt: „(2)  Ton- und Filmaufnahmen der Verhandlung vor dem erkennenden Gericht einschließlich der Verkündung der Urteile und Beschlüsse können zu wissenschaftlichen und historischen Zwecken durch Anordnung des Vorsitzenden zugelassen werden, wenn es sich um ein Verfahren von herausragender zeitgeschichtlicher Bedeutung handelt. Die Entscheidung ist unanfechtbar. Zur Wahrung schutzwürdiger Interessen der Beteiligten oder Dritter sowie zur Wahrung eines ordnungsgemäßen Ablaufs des Verfahrens können die Aufnahmen teilweise ausgeschlossen werden. Die Aufnahmen sind nicht zur Akte zu nehmen. Sie sind vom Gericht demjenigen zuständigen Bundes- oder Landesarchiv zur Übernahme anzubieten, das nach dem Bundesarchivgesetz oder einen Landesarchivgesetz festzustellen hat, ob den Aufnahmen ein bleibender Wert zukommt. Nimmt das Bundesarchiv oder das jeweilige Landesarchiv die Aufnahmen nicht an, sind die Aufnahmen vom Gericht zu löschen. (3)  Abweichend von Absatz  1 Satz 2 können Ton- und Fernseh-Rundfunkaufnahmen sowie Ton- und Filmaufnahmen zum Zwecke der öffentlichen Vorführung oder der Veröffentlichung ihres Inhalts bei der Verkündung von Entscheidungen des Bundesgerichtshofs durch Anordnung des Vorsitzenden zugelassen werden. Zur Wahrung schutzwürdiger Interessen der Beteiligten oder Dritter sowie eines ordnungsgemäßen Ablaufs des Verfahrens können die Aufnahmen oder deren Übertragung von der Einhaltung von Auflagen abhängig gemacht werden. Die Entscheidung ist unanfechtbar.“

3. Begründung der Gesetzesänderung durch den Referentenentwurf Die Begründung der Gesetzesänderung durch den Referentenentwurf gliederte sich auf in einen allgemeinen Teil  betreffend die Zielsetzung und die Notwendigkeit der Neuregelung sowie einen besonderen Teil, der den wesentlichen Inhalt des Referentenentwurfs wiedergab. An dieser Unterteilung wird sich die folgende, zusammenfassende Darstellung orientieren.

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5. Kap.: Das EMöGG

a) Allgemeiner Teil der Begründung – Zielsetzung und Notwendigkeit der Regelung Im Allgemeinen Teil  der Begründung des Referentenentwurfs72 werden zunächst die Zielsetzung und die Notwendigkeit der moderaten Lockerung des in § 169 S. 2 GVG a. F. normierten Verbots von Ton- und Fernseh-Rundfunkaufnahmen während der Verhandlungen einschließlich der Entscheidungsverkündungen des Gerichts dargestellt. Hinsichtlich der Erweiterung der Medienöffentlichkeit wird nach einer kurzen Darlegung der gültigen Rechtslage auf die zu diesem Zeitpunkt aktuellen Kommentierungen in ­Kissel / Mayer; Meyer-Goßner; KK-Diemer; MüKo-Zimmermann verwiesen, ausweislich derer das in § 169 S. 2 GVG  a. F. statuierte Verbot jede Art der öffentlichen Ton- und Bildübertragung betrifft. Vom Verbot umfasst sei danach jede Art der Übertragung, gleichgültig ob zeitgleich oder zeitversetzt, vollständig oder ausschnittsweise. Als Paradebeispiel werde in der Literatur oftmals die Lautsprecherübertragung aus dem Verhandlungsraum auf die umliegenden Flure genannt. Begründet wird dieses totale Verbot unter anderem damit, dass Erweiterungen der Öffentlichkeit über den Gerichtssaal hinaus den Angeklagten zu einem Schauobjekt degradieren könnten, was der Menschenwürde des Angeklagten sowie dem Grundsatz des fairen Strafverfahrens zuwiderliefe. Ferner könne mit einer Übertragung auch nur mittels Lautsprecher auf den Flur vor dem Gerichtssaal ein Kontrollverlust des Gerichts in der Form einhergehen, als dass das Gericht das Geschehen im Umfeld des Sitzungsverlaufs nicht mehr ausreichend überwachen könne. Des Weiteren wird im Wege der Begründung des Referentenentwurfs darauf hingewiesen, dass die gängigen Kommentierungen auf die Entstehungszeit des § 169 S. 2 GVG  a. F. zurückgingen und aus diesem Grund die technischen Entwicklungen seit 1964 und somit die Möglichkeiten der Parallelübertragungen in einen anderen Sitzungssaal nicht in den Blick haben nehmen können. Dies werde auch durch den gegenwärtig geführten Diskurs in der juristischen Literatur bestätigt. Dort werde entweder eine extensivere Auslegung der gesetzlichen Vorschriften für notwendig erachtet73 oder die Forderung nach einer gesetzlichen Neuregelung laut, durch welche die Übertragung aus der gerichtlichen Verhandlung74 erlaubt werden solle.75 Sämtliche dieser Vorschläge seien jedoch durch das Bundesverfas72  Zu den allgemeinen Empfehlungen für das Formulieren von Rechtsvorschriften siehe Handbuch der Rechtsförmlichkeiten, Teil D. 73  In der Begründung des Referentenentwurfs unter A.I.1. wird verwiesen auf von Coelln, AfP 2014, 193. 74  In der Begründung des Referentenentwurfs unter A.I.1. wird verwiesen auf Merk, DRiZ 2013, 234; Kutschaty, ZRP 2013, 219. 75  Referentenentwurf des BMJV (Bearbeitungsstand: 25.04.2016, 14:05 Uhr), S. 7.



A. Der Öffentlichkeitsgrundsatz nach dem EMöGG271

sungsgericht76 abgelehnt worden, als der Erste Senat 2001 klargestellt habe, dass es einzig in die Zuständigkeit des Gesetzgebers falle, das in § 169 S. 2 GVG a. F. statuierte Verbot zu lockern oder aufzuheben. Im Rahmen der Ausführungen zu der Erforderlichkeit der Neuregelung wird auf Art. 11  Nr. 5 des ursprünglich durch die Bundesregierung eingebrachten Entwurfs zu § 169 S. 2 GVG  a. F. eingegangen und die Tatsache, dass die Einführung des Satzes  2 in § 169  GVG damals nicht unumstritten gewesen sei.77 Ferner wird erörtert, dass sich die im Jahr  1964 geführten Diskussionen aufgrund der damals im Vergleich zu heute stark eingeschränkten technischen Möglichkeiten weder auf die gerichtsinterne Echtzeitübertragung noch die anderen zahlreichen Kommunikationswege im Bereich der modernen Medien habe erstrecken können. Auch seit der n-tv-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts hätten sich die technischen Möglichkeiten und das Nutzerverhalten im Internet rasant weiterentwickelt. Liveblogs und Livestreams von Veranstaltungen und Festivitäten erfreuten sich großer Beliebtheit und seien kein Novum mehr, stellten vielmehr eine wichtige Informationsplattform für die Bürgerinnen und Bürger dar. Durch die so nahezu zeitgleiche Verbreitung von Ereignissen sei auch im Hinblick auf Gerichtsverhandlungen eine Differenzierung zwischen der Saalöffentlichkeit und der durch die Medien übertragenen (mittelbaren) Öffentlichkeit immer weniger trennscharf einzuhalten. Zudem trügen fiktive Gerichtssendungen bei einem Großteil der Bevölkerung zu Fehlvorstellungen über die Arbeit der (Straf-) Justiz und den Ablauf eines Gerichtsprozesses bei, was durch Serien aus dem anglo-amerikanischen Rechtsraum oftmals noch verstärkt werde. Eine bildliche Darstellung aus echten Gerichtsverhandlungen trete diesem falschen Verständnis eines großen Teils der Bevölkerung vermutlich entgegen,78 was letztlich zu einem besseren Verständnis und somit zu einer höheren Akzeptanz gerichtlicher Entscheidungen führen solle.79 Angesprochen wird außerdem die Entwicklung im europäischen Ausland hin zu einem offeneren Verständnis von Gerichtsöffentlichkeit unter Zulassung von zumindest partieller Medienöffentlichkeit, die als „allgemeiner Trend hin zu mehr mittelbarer Informationsübermittlung“ betrachtet wird.80 76  BVerfGE

103, 44–81. des BMJV (Bearbeitungsstand: 25.04.2016, 14:05 Uhr), S. 8; siehe dazu ausführlich die Ausführungen in Kap. 2, B.  V.  2. weshalb an dieser Stelle auf eine Wiedergabe der relevanten Stellen aus den Gesetzgebungsmaterialien verzichtet wird. 78  In der Begründung des Referentenentwurfs unter A.I.1. wird verwiesen auf ­Voßkuhle, in: FS Möller (2010), S. 10, 13. 79  Referentenentwurf des BMJV (Bearbeitungsstand: 25.04.2016, 14:05 Uhr), S. 8 f. 80  Referentenentwurf des BMJV (Bearbeitungsstand: 25.04.2016, 14:05 Uhr), S. 10. 77  Referentenentwurf

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5. Kap.: Das EMöGG

Sodann erfolgt die Begründung der Gesetzesänderung im Referentenentwurf unter Zuhilfenahme der Vorkommisse im Vorfeld und während des bereits mehrfach erwähnten NSU-Prozesses. Die anlässlich dieses Prozesses in der Öffentlichkeit breit geführte Diskussion über die Angemessenheit der Regelung in § 169 S. 2 GVG a. F. sei letztlich der Auslöser für die auch auf juristischer Ebene intensiv geführte Debatte um die Zeitgemäßheit der Beschränkung des Öffentlichkeitsgrundsatzes gewesen. Im Zuge des vom OLG  München im Vorfeld des NSU-Prozesses durchgeführten Akkreditierungsverfahrens für Journalisten und der Erweiterung der Öffentlichkeit sowie den damit verbundenen Anträgen auf einstweilige Anordnung befasste sich auch das Bundesverfassungsgericht81 mit der Norm des § 169 GVG a. F. Dies zeige, dass ein Bedürfnis für eine Lockerung des in § 169 S. 2 GVG a. F. ausgestalteten Verbots bestehe, eine vollständige Abschaffung dieser Verbotsnorm jedoch aufgrund der entgegenstehenden Interessen der Verfahrensbeteiligten nicht in Betracht komme. Daher sei eine Anpassung der Rechtslage an die Veränderungen im technischen Bereich und die Weiterentwicklung der Massenmedien notwendig.82 b) Allgemeiner Teil der Begründung – Wesentlicher Inhalt des Entwurfs Der Referentenentwurf hatte sich zum Ziel gesetzt, den Veränderungen in der Medienlandschaft gerecht zu werden und durch eine Reform der Vorschrift über den Öffentlichkeitsgrundsatz und dessen Einschränkungsmöglichkeit gleichzeitig dem zunehmenden Informationsbedürfnis der Allgemeinheit Rechnung zu tragen, da Informationen über gerichtliche Entscheidungen von besonderem Interesse für die Allgemeinheit seien. Dieses Informationsinteresse werde heutzutage überwiegend nicht mehr durch die unmittelbare Saalöffentlichkeit, sondern durch die mittelbare Öffentlichkeit und somit hauptsächlich durch die Arbeit der Journalisten befriedigt. Der für eine solche Berichterstattung notwendige Zugang zu Informationen, welcher relevant für eine individuelle und öffentliche Meinungsbildung der Bevölkerung ist, sei grundrechtlich durch Art. 5 Abs. 1 GG abgesichert.83 Als Grenze diesem durch das Grundgesetz geschützten Zugang zu Informationen seien die Persönlichkeitsrechte des Angeklagten und der übrigen Verfahrensbeteiligten zu berücksichtigen, die durch eine (massen-) mediale Berichterstattung über Gerichtsverhandlungen in der Regel nicht unberührt blieben. In extremen Fällen der medialen Berichterstattung könnten sogar das Recht des 81  Siehe

dazu ausführlich die Ausführungen in Kap. 2, B. V. 1. d) aa).

83  Siehe

dazu ausführlich die Ausführungen in Kap. 2, B. II.

82  Referentenentwurf des BMJV (Bearbeitungsstand: 25.04.2016, 14:05 Uhr), S. 10.



A. Der Öffentlichkeitsgrundsatz nach dem EMöGG273

Angeklagten auf ein faires Verfahren aus Art. 1 GG i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG sowie Art. 6 Abs. 1  EMRK und die Funktionstüchtigkeit der Rechtspflege betroffen sein. Zudem bestehe ein generelles Informationsinteresse der Öffentlichkeit an gerichtlichen Verfahren, umgekehrt sollten die gerichtlichen Entscheidungen von der allgemeinen Öffentlichkeit nachvollzogen und idealerweise akzeptiert werden. Dies sei nur dann möglich, wenn eine Verhandlung im Wesentlichen auch von juristischen Laien nachvollzogen werden könne. Ferner wird ausführlich auf Ziffer  8 des „Pressekodex“ des Deutschen Presserats und die darin enthaltenen Leitlinien zum Umgang mit Persönlichkeitsrechten eingegangen und erläutert, dass sich auch die Medien der beschriebenen Konfliktsituation und der unterschiedlichen Interessen sämtlicher Beteiligter an einem Gerichtsverfahren durchaus bewusst seien. Unter Ziffer 13 des Pressekodex sei die Unschuldsvermutung, die gerade im Strafverfahren Geltung entfalte, normiert. Ergänzt werde der Pressekodex durch die „Richtlinien für die publizistische Arbeit“, die seit 1973 gälten und regelmäßig aktualisiert würden.84 Diese Leitlinien zum Umgang mit Persönlichkeitsrechten sowie das allgemein veränderte Medienverhalten sprechen ausweislich der Begründung des Referentenentwurfs für eine Lockerung des strikten Verbots der Fertigung von Ton- und Fernsehaufzeichnungen sowie Ton- und Filmaufnahmen zum Zwecke der öffentlichen Vorführung.85 Im Folgenden wird in den Begründungen des Referentenentwurfs zwischen der Medienübertragung von Entscheidungsverkündungen, gerichtsinternen Übertragungen und der audiovisuellen Dokumentation von Verfahren mit herausragender zeitgeschichtlicher Bedeutung differenziert und die darauf bezogenen gesetzlichen Änderungen jeweils separat begründet. aa) Medienübertragung von Entscheidungsverkündungen Wie der bereits wiedergegebene Wortlaut des § 169 Abs. 3 Ref-E  GVG zeigt, sollten nach einer entsprechenden Anordnung des Vorsitzenden Tonund Fernsehaufzeichnungen sowie Ton- und Filmaufnahmen zum Zwecke der öffentlichen Vorführung oder der Veröffentlichung ihres Inhalts bei der öffentlichen Verkündung von Entscheidungen der obersten Gerichtshöfe des Bundes zugelassen werden, wobei es sich um eine Ermessensentscheidung des Vorsitzenden handelt. Ausgangspunkt für die Medienübertragung der von § 169 Abs. 3 Ref-E GVG umfassten Erweiterung der Öffentlichkeit über den 84  Referentenentwurf des BMJV (Bearbeitungsstand: 25.04.2016, 14:05  Uhr), S. 12 ff. 85  Referentenentwurf des BMJV (Bearbeitungsstand: 25.04.2016, 14:05 Uhr), S. 14.

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5. Kap.: Das EMöGG

Gerichtssaal hinaus sei die bereits mehrfach angesprochene Veränderung der Medienlandschaft sowie die Wahrnehmung von Medien durch die allgemeine Öffentlichkeit. Zudem stoße die audiovisuelle Übertragung der Urteilsverkündungen des Bundesverfassungsgerichts auf ein reges Interesse auch bei dem nichtjuristischen Teil der Bevölkerung, was im Umkehrschluss zu einem hohen Ansehen des höchsten deutschen Gerichts führe. Laut Aussage von Medienvertreterinnen und Medienvertretern habe die mediale Verbreitung von Urteilen mit Originalton und Originalbild eine deutlich bessere Wirkkraft als die Berichterstattung über ein Urteil durch Dritte. Dies könne einen positiven Effekt für die Printmedien bedeuten, da diese in letzter Zeit verstärkt mit Originalzitaten arbeiten würden. Idealerweise solle man in Erwägung ziehen, neben dem Tenor des Urteils auch die das Urteil tragenden Gründe von der Übertragungserlaubnis zu umfassen, so wie es sich beim Bundesverfassungsgericht etabliert habe.86 Eine Abwägung hinsichtlich der unterschiedlichen Verfahrensarten für die Neuregelung des § 169 GVG  a. F. sei zudem nicht weiterführend, vielmehr solle die Möglichkeit einer Entscheidung im konkreten Einzelfall bestehen. Eine weitere gesetzliche Öffnung der übrigen Abschnitte einer Gerichtsverhandlung wird ausdrücklich nicht befürwortet. Besonders betont wird die Geringfügigkeit der Lockerung des in § 169 S. 2 GVG a. F. normierten Verbots, da die Medienübertragung von Gerichtsentscheidungen auf die obersten Gerichte des Bundes beschränkt sei. Argumentiert wird, dass die obersten Bundesgerichte aufgrund der besonderen Qualifikation und Erfahrung der Richterinnen und Richter am ehesten geeignet seien, eine Medienübertragung der Urteilsverkündung zu bewerkstelligen. Zudem komme diesen Entscheidungen aufgrund der häufig rechtsgrundsätzlichen Bedeutung oftmals eine enorme Breitenwirkung zu, weshalb eine medial verbreitete Urteilsverkündung grundsätzlich auch im Interesse der obersten Bundesgerichte selbst sei.87 bb) Gerichtsinterne Übertragungen Nach § 169 Abs. 1 S. 3 Ref-E GVG sollte die Möglichkeit bestehen, einen Medienarbeitsraum einzurichten, in welchen bei Bedarf eine (reine) Tonübertragung stattfinden und der nur für Personen zugänglich sein solle, die in Presse, Rundfunk, Fernsehen oder anderen Medien über das Gerichtsverfahren berichten. Eine derartige gesetzliche Regelung sei zwingend erforderlich, da es umstritten sei, ob die gerichtsinterne Tonübertragung in einen Medien86  Referentenentwurf des BMJV (Bearbeitungsstand: 25.04.2016, 14:05 Uhr), S. 14.

87  Referentenentwurf des BMJV (Bearbeitungsstand: 25.04.2016, 14:05  Uhr), S. 14 f.



A. Der Öffentlichkeitsgrundsatz nach dem EMöGG275

arbeitsraum zulässig sei oder ob eine solche unter das Verbot des § 169 Abs. 1 S. 2 Ref-E GVG falle. Begründet wurde diese geplante Lockerung des bisherigen Verständnisses von Öffentlichkeit i. S. d. § 169  GVG zum einen mit der sehr geringen Eingriffsintensität durch die reine Audioübertragung im Vergleich zu einer ­audiovisuellen Übertragung. Dabei wurde betont, dass eine grundsätzliche Verpflichtung der Gerichte zu einer anlassunabhängigen Einrichtung von Medienarbeitsräumen mit dieser gesetzlichen Klarstellung der Zulässigkeit einer solchen Maßnahme nicht verbunden sei. Den Gerichten solle dadurch lediglich ermöglicht werden, bei Verfahren mit einem überdurchschnittlich hohen Zuschauerandrang und nicht ausreichend zur Verfügung stehenden Räumlichkeiten, ihre Handlungsoptionen sinnvoll zu erweitern. Dies werde auch dadurch deutlich, dass die Regelung ausdrücklich als Ermessensentscheidung ausgestaltet worden sei. In diese Ermessensentscheidung seien somit auch sämtliche Abwägungen hinsichtlich etwaiger Beeinträchtigungen von Persönlichkeitsrechten der Verfahrensbeteiligten miteinzubeziehen.88 cc) Audiovisuelle Dokumentation von Verfahren mit herausragender zeitgeschichtlicher Bedeutung Nach § 169 Abs. 2 Ref-E  GVG sollte eine audiovisuelle Dokumentation von Gerichtsverhandlungen ausschließlich für wissenschaftliche und historische Zwecke bei einer herausragenden zeitgeschichtlichen Bedeutung des betroffenen Verfahrens ermöglicht werden. Auch diese Entscheidung sollte in das Ermessen des Gerichts gestellt werden. Begründet wurde das Erfordernis einer derartigen Regelung mit bereits in der Vergangenheit durchgeführten Verfahren von zeitgeschichtlich bedeutsamem Wert sowie mit einem nach wie vor hohen öffentlichen Interesse am NSU-Prozess. Als Beispiele werden die Auschwitz-Prozesse, die 1963 vor dem LG  Frankfurt begonnen haben, genannt, bei welchen große Teile der Verhandlung mittels eines Tonbandgeräts aufgezeichnet wurden. Diese Aufzeichnungen sollten ursprünglich nur für gerichtsinterne Zwecke benutzt werden und waren nicht für die Öffentlichkeit bestimmt. Wiederentdeckt wurden die Tonbandmitschnitte 1990 im Rahmen von journalistischen Recherchetätigkeiten und sodann mittels eines Dokumentationsfilms publik gemacht. Mit dem Auschwitz-Prozess vergleichbare, zeitgeschichtlich relevante Gerichtsverfahren aufgrund von Straftaten mit terroristischen oder politischen Motiven, bei denen die im Prozess detailliert aufgearbeiteten Geschehnisse für die Nachwelt als bedeutsam erachtet wurden, seien seitdem immer wie88  Referentenentwurf des BMJV (Bearbeitungsstand: 25.04.2016, 14:05 Uhr), S. 16.

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5. Kap.: Das EMöGG

der einmal geführt worden. In derartigen Fällen solle eine audiovisuelle Aufzeichnung zu Archivzwecken grundsätzlich rechtlich möglich sein. Vorbehalten sein sollten diese Aufzeichnungen aber für einen bestimmten Kreis an  Interessierten und nicht per se für die allgemeine Öffentlichkeit, wobei der Kreis der Interessierten erst in der Zukunft und nicht bereits zum Zeitpunkt der Aufzeichnungen feststehen könne.89 In der Begründung zu § 169 Abs. 2 Ref-E GVG wurde daran anschließend auf die archivarische Zugänglichmachung der angefertigten audiovisuellen Aufzeichnungen eingegangen und erörtert, dass eine Zugänglichmachung durch ein Recht auf Nutzung der Verfahrensaufzeichnungen bereits dreißig Jahre nach dem Ereignis nach § 5 Abs. 1 des Gesetzes über die Sicherung des Archivgutes des Bundes (BArchG) oder der vergleichbaren Regelungen der Landesarchivgesetze nicht in Betracht komme, da es sich um besonders sensible Persönlichkeitsrechte handele. Für diese seien die besonderen Schutzfristen für Archivgut natürlicher Personen gemäß § 5 Abs. 2 BArchG und vergleichbarer Landesgesetze einschlägig. In § 5 Abs. 2 BArchG sei normiert, dass es der Einhaltung einer Schutzfrist von 30 Jahren ab dem Tod der betroffenen Person bedürfe oder, wenn der exakte Todeszeitpunkt nicht zu ermitteln sei, von 110  Jahren nach der Geburt. Abweichend von dieser bundesgesetzlichen Regelung sei in den meisten Landesarchivgesetzen eine Schutzfrist für personenbezogenes Archivgut von zehn Jahren nach dem Tod der betroffenen Person vorgesehen. Erläutert wurden allerdings auch gewisse Möglichkeiten zur Verkürzung der dargestellten gesetzlich festgelegten Schutzfristen, etwa nach § 5 Abs. 5 BArchG.90 c) Besonderer Teil der Begründung Auch der Besondere Teil der Begründung des Referentenentwurfs differenzierte zwischen den drei vorgeschlagenen Änderungen des § 169 GVG a. F. aa) Medienübertragung von Entscheidungsverkündungen Die Regelung des § 169 Abs. 3 Ref-E  GVG als eine Ausnahme zu § 169 S. 2 GVG a. F. sollte die Möglichkeit eröffnen, Ton- und Filmaufnahmen bei den Verkündungen von Urteilen des Bundesgerichtshofs anzufertigen.91 In 89  Referentenentwurf des BMJV (Bearbeitungsstand: 25.04.2016, 14:05 Uhr), S. 17.

90  Referentenentwurf des BMJV (Bearbeitungsstand: 25.04.2016, 14:05  Uhr), S. 17 f. 91  Warum an dieser Stelle der Begründungen zu § 169 Abs. 3 GVG-E ausschließlich vom Bundesgerichtshof die Rede ist und nicht auf alle Gerichte des Bundes eingegangen wird, vermag nicht zu überzeugen.



A. Der Öffentlichkeitsgrundsatz nach dem EMöGG277

Abweichung von der Vorbildregelung in § 17a Abs. 1 Nr. 2 BVerfGG  a. F. habe man die Medienübertragung besagter Urteile allerdings bewusst nicht als Regelfall ausgestaltet, sondern nur auf ausdrückliche Anordnung des Vorsitzenden zugelassen. Bei dieser handele es sich um eine richterliche Verfügung, die der Prozessleitung dienlich sei, weshalb sie in die „Kategorie der Maßnahmen, die auf den Ablauf des Verfahrens und das Verhalten der Verfahrensbeteiligten einwirken, wie z. B. Belehrungen, Hinweise, Ermahnungen, Fragen, Vorhalte“92 einzusortieren sei und im Rahmen der Sitzungsanordnungen zu erfolgen habe.93 Als Kriterien für den Abwägungsprozess in dieser als Ermessensentscheidung ausgestalteten Möglichkeit für eine Medienübertragung der Urteilsverkündung seien bei Strafsachen unbedingt die Persönlichkeitsrechte des Angeklagten zu berücksichtigen. Zudem spiele der Aspekt der Sicherheit des Angeklagten sowie dessen Resozialisierung eine bedeutende Rolle.94 Zum Schutze der Verfahrensbeteiligten solle das Gericht die Aufnahme sowie die Medienübertragung von zusätzlichen Auflagen abhängig machen können.95 bb) Gerichtsinterne Übertragungen Hinsichtlich der dem Vorsitzenden zustehenden Ermessensentscheidung (§ 169 Abs. 1 S. 3  bis S. 5 Ref-E  GVG) wurde erneut verdeutlicht, dass das Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit mit den Persönlichkeitsrechten der Verfahrensbeteiligten und deren Anspruch auf ein faires Verfahren sowie der Funktionstüchtigkeit der Rechtspflege unbedingt gegeneinander abzuwägen seien. Ein Richtwert für die Gewichtung des Informationsinteresses der Öffentlichkeit könne etwa sein, ob die Entscheidung des betreffenden Rechtsstreits „über den Einzelfall hinaus für eine Vielzahl vergleichbarer Fallgestaltungen von Bedeutung“ sei. Dabei gelte es besonders bei Strafverfahren, im Rahmen der Ermessensprüfung hinsichtlich der medialen Aufmerksamkeit zu unterscheiden zwischen dem natürlichen Informationsinteresse der Allgemeinheit und der bloßen Neugier und Sensationslust eines Teils der Bevölkerung. Des Weiteren seien Aspekte zur Sicherstellung eines geordneten Verfahrensablaufs bei der Ermessensentscheidung des Vorsitzenden zu berücksichtigen.96 Durch die ausschließliche Berechtigung der Pressevertreter, den Gerichtsverhandlungen im Medienarbeitsraum mittels der Audioübertragung 92  Referentenentwurf des BMJV (Bearbeitungsstand: 25.04.2016, 14:05 Uhr), S. 28, wo an dieser Stelle verwiesen wird auf BGH, NStZ 1996, 348. 93  Referentenentwurf des BMJV (Bearbeitungsstand: 25.04.2016, 14:05 Uhr), S. 28. 94  Referentenentwurf des BMJV (Bearbeitungsstand: 25.04.2016, 14:05 Uhr), S. 29. 95  Referentenentwurf des BMJV (Bearbeitungsstand: 25.04.2016, 14:05 Uhr), S. 30. 96  Referentenentwurf des BMJV (Bearbeitungsstand: 25.04.2016, 14:05 Uhr), S. 25.

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5. Kap.: Das EMöGG

zu verfolgen, solle zum einen sichergestellt werden, dass „der Zweck des § 243 Abs. 2 StPO, wonach die Zeugen bei der Vernehmung des Angeklagten nicht zugegen sein dürfen […] nicht vereitelt“ werde. Zum anderen solle dadurch klargestellt werden, „dass es sich um eine gerichtsinterne Übertragung in einen Nebenraum handelt, die nicht zu einer Erweiterung der allgemeinen Saalöffentlichkeit“ führen solle. Durch den Verweis in § 169 Abs. 1 S. 5 Ref-E GVG auf § 169 Abs. 1 S. 2 GVG a. F. habe man gewährleisten wollen, dass das dort normierte Verbot für den Medienarbeitsraum ebenfalls Gültigkeit erfahre und zwingend beachtet werden müsse. Durch die nur moderate Erweiterung der Medienöffentlichkeit wolle man sicherstellen, dass den Persönlichkeitsrechten der Verfahrensbeteiligten, insbesondere denen des Angeklagten, ausreichend Rechnung getragen werde und unzulässige Schauprozesse vermieden werden könnten. Mit der bloßen Tonübertragung fände für die Zuhörer im Nebenraum eine Konzentration auf das in der Verhandlung gesprochene Wort statt.97 Ferner seien die §§ 175–179  GVG entsprechend auf den Medienarbeitsraum als einen erweiterten Sitzungssaal anzuwenden, um einen störungsfreien Verfahrensablauf sicherzustellen. Im Rahmen der Ausweitung der sitzungspolizeilichen Maßnahmen könnten diese durch das Gericht unter Zuhilfenahme eines Gerichtswachtmeisters durchgesetzt werden, obwohl ein unmittelbarer Zugriff auf den Medienarbeitsraum nicht möglich sei.98 cc) Audiovisuelle Dokumentation von Verfahren mit herausragender zeitgeschichtlicher Bedeutung Ergänzend zum allgemeinen Teil  der Begründung zu § 169 Abs. 2 ­ ef-E  GVG wurde erörtert, dass, falls eine nachträgliche Prüfung des AufR zeichnungsinhalts durch die Archive zum Ergebnis einer fehlenden Grundlage für eine dauerhafte Archivierung komme, diese Aufnahmen unabhängig von der Ausgangsentscheidung des Vorsitzenden zu vernichten seien. Die Rechtmäßigkeit dieser Ausgangsentscheidung könne nachträglich nicht angezweifelt werden und solle zu keinem Zeitpunkt des Verfahrens anfechtbar sein. Als Ratio der Unanfechtbarkeit wurde die Verhinderung einer Verfahrensverzögerung genannt. Dadurch werde die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG nicht beeinträchtigt. Hinsichtlich der durch das Bundesarchiv oder die Landesarchive getroffenen Entscheidung bezüglich des bleibenden Werts der Aufzeichnungen stehe den Betroffenen der Verwaltungsrechtsweg offen. Unmittelbar nach der Beendigung des Verfahrens seien die 97  Referentenentwurf des BMJV (Bearbeitungsstand: 25.04.2016, 14:05 Uhr), S. 25 f. 98  Referentenentwurf des BMJV (Bearbeitungsstand: 25.04.2016, 14:05 Uhr), S. 26.



A. Der Öffentlichkeitsgrundsatz nach dem EMöGG279

Aufzeichnungen verbunden mit einem Angebot zur Archivierung an das jeweilige Archiv zu übersenden, um eine revisionsrechtliche Bedeutung der Aufzeichnungen sowie das Nehmen der Aufzeichnungen zur Akte auszuschließen. Sollte seitens des zuständigen Archivs kein Interesse an einer ­Archivierung bestehen, sollten die Aufnahmen durch das Gericht unverzüglich und endgültig gelöscht werden.99

V. Stellungnahmen der Berufsinteressenverbände zum Referentenentwurf Der Aufforderung des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz an die interessierten Berufsinteressenverbände, eine schriftliche Stellungnahme zum Referentenentwurf des EMöGG abzugeben, sind (soweit ersichtlich) zwölf Interessenverbände sowie der Leiter der ARD-Rechtsredaktion nachgekommen. Namentlich sind dies der Deutsche Anwaltverein e. V., die Bundesrechtsanwaltskammer, der Deutsche Richterbund, der Bund Deutscher Sozialrichter, der Bund Deutscher Verwaltungsrichter und Verwaltungsrichterinnen, die Justizpressekonferenz Karlsruhe e. V., der Verband Privater Rundfunk und Telemedien e. V. und in einer gemeinsamen Erklärung – BDZV, DJV, der Deutsche Presserat, VDZ, dju in ver.di, sowie Frank Bräutigam von der ARD-Rechtsredaktion. Im Folgenden werden die wesentlichen Ergebnisse dieser Stellungnahmen der Berufsinteressenverbände dargestellt und miteinander verglichen. 1. Deutscher Anwaltverein e. V. Ausweislich der Stellungnahme des Deutschen Anwaltvereins Nr. 38 / 2016 durch den Ausschuss für Strafrecht vom Juni  2016 stehe einer behutsamen Erweiterung der Möglichkeiten der Medien, aus Gerichtsverfahren zu berichten, nichts im Wege. Skepsis bestand seitens des Deutschen Anwaltvereins hinsichtlich der Frage, ob der Referentenentwurf die schutzbedürftigen Belange der Verfahrensbeteiligten ausreichend berücksichtige. Neben der positiven Wirkung einer transparenten Justiz durch medienöffentlichkeitswirksame (Straf-)Verfahren und einer möglichen Präventionswirkung im Strafrecht100 gelte es jedoch, die Persönlichkeitsrechte der Verfahrensbeteiligten sowie den ungestörten Ablauf des Verfahrens vor Beeinträchtigungen von 99  Referentenentwurf des BMJV (Bearbeitungsstand: 25.04.2016, 14:05 Uhr), S. 27 f. 100  An dieser Stelle wird in der Stellungnahme des Deutschen Anwaltvereins auf Hassemer, ZRP 2013, 149; ders., StV 2005, 167 als weiterführende Literatur verwiesen.

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5. Kap.: Das EMöGG

außen zu schützen. Beispielhaft aufgeführt wurden an dieser Stelle die allseits bekannten und „wenig würdevollen Szenen aus deutschen Gerichtssälen von Angeklagten, die ihr Gesicht unmittelbar vor der Hauptverhandlung hinter Aktendeckeln verstecken“ und einer damit möglicherweise einhergehenden Beeinträchtigung der konzentrierten Vorbereitung der Verteidigung auf die Hauptverhandlung.101 Hinsichtlich § 169 Abs. 1 S. 3 GVG-E wurde zunächst die nur geringe Bedeutung dieser geplanten Neuregelung erläutert, da es wohl nur wenige Verfahren geben werde, in denen die Platzkapazitäten im Gerichtssaal nicht ausreichten und bei denen deshalb die Einrichtung eines Medienarbeitsraumes erforderlich erscheine. Es wurde darauf hingewiesen, dass ein Missbrauch eines Medienarbeitsraumes, etwa durch noch nicht vernommene Zeugen, unbedingt vermieden werden müsse. Kritisiert wurde, dass der Referentenentwurf zwar vorsehe, dass der Vorsitzende bei Verstößen hiergegen oder bei der unerlaubten Anfertigung von Mitschnitten der Übertragung, durch den Gerichtswachtmeister informiert werde. Dies erschien aber aus Sicht des Deutschen Anwaltvereins als rechtlich fragwürdig, da die Sitzungspolizei nur schwerlich delegierbar sei. Die Neuregelung solle daher derart formuliert werden, dass die Zulassung der Tonübertragung in einen Arbeitsraum für Medienvertreter jederzeit und unanfechtbar widerrufen werden könne.102 § 169 Abs. 2 GVG-E wurde  – auch aufgrund der positiven Erfahrungen mit § 17a BVerfGG a. F. – unter der Prämisse zugestimmt, dass bei der Entscheidungsverkündung allein das Gericht aufgenommen werde und andere Verfahrensbeteiligte, insbesondere der Angeklagte nicht gefilmt werden dürfen. Zudem müsse die Erlaubnis der Übertragung widerrufen werden, wenn das Gericht im Zuge der Urteilsverkündung „auf die Feststellungen des landgerichtlichen Urteils, bei welchem das Fernsehverbot nach wie vor gilt“ näher eingehe.103 Zuletzt sprach das Gutachten des Deutschen Anwaltsvereins die von den Präsidenten der obersten Bundesgerichte in einem Schreiben an das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz kundgetane Ablehnung der geplanten Reform des § 169 GVG a. F. an, die aus Sicht der Anwaltschaft zwar nachvollziehbar, jedoch nicht ausreichend begründet sei, da sich „die Vorbehalte der Bundesrichter und Senatsvorsitzenden auf ein inneres Störgefühl und ein Unbehagen beziehen“.104 101  Stellungnahme des Deutschen Anwaltvereins Nr. 38/2016 vom Juni  2016, S. 4, online abrufbar unter: https://anwaltverein.de/de/newsroom/sn-38-16-erweite rung-der-medienoeffentlichkeit-in-gerichtsverfahren-169-gvg (zuletzt am 04.04.2018). 102  Stellungnahme des Deutschen Anwaltvereins Nr. 38/2016, S. 5 f. 103  Stellungnahme des Deutschen Anwaltvereins Nr. 38/2016, S. 6. 104  Stellungnahme des Deutschen Anwaltvereins Nr. 38/2016, S. 7.



A. Der Öffentlichkeitsgrundsatz nach dem EMöGG

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2. Bundesrechtsanwaltskammer In der Stellungnahme Nr. 18 / 2016 der Bundesrechtsanwaltskammer vom Juli  2016 wurde die geplante Reform des § 169  GVG  a. F. gänzlich abgelehnt.105 Stattdessen wurde dringend dazu geraten, die eigene Pressearbeit der Gerichte und anderen Verfahrensbeteiligten zu verbessern sowie die Pressestellen personell besser auszustatten, da es in deren Hand liege, die zunehmend komplexen sachlichen und rechtlichen Zusammenhänge von Gerichtsverfahren gegenüber den Vertretern der Medien laienverständlich aufzuarbeiten und zu erläutern.106 Ausweislich dieser Stellungnahme bestehe weder ein Anlass noch eine Notwendigkeit der Einführung einer gesetzlichen Neuregelung. Weder im Minderheitenvotum der n-tv-Entscheidung,107 noch im Referentenentwurf selbst werde eine konkrete Begründung für die Notwendigkeit einer Gesetzesreform des § 169 GVG a. F. geliefert. Der Referentenwurf beschränke sich auf die Feststellung, dass das in § 169 S. 2 GVG a. F. statuierte Verbot nicht mehr „zeitgemäß“ und Livestreams öffentlicher Veranstaltungen weit verbreitet seien. Durch Internet-Blogs und eine zeitgleiche Internetberichterstattung sei die Trennung zwischen Saal- und Medienöffentlichkeit nahezu aufgehoben. Ferner gehe auch in ausländischen Rechtsordnungen108 der Trend zu mehr Medienöffentlichkeit.109 Neben der Begründung der notwendigen Reform mit dem abstrakten Informationsinteresse der Allgemeinheit im Rahmen der allgemeinen Pressefreiheit werde noch im Referentenentwurf der Zweck hervorgehoben, gerichtliche Entscheidungen verständlich darzustellen und somit mehr Akzeptanz in der Bevölkerung hervorzurufen. Dabei übersehe der Referentenentwurf aber, dass die wesentlichen Abschnitte eines Gerichtsverfahrens schriftlich abliefen. Zudem sei das mediale Interesse in der Regel darauf gerichtet, Informationen schlagartig und in Kürze zu veröffentlichen, statt ausführlich auf Einzelheiten und Hintergründe einzugehen. Zur Verdeutlichung wird in der Stellungnahme der Bundesrechtsanwaltskammer der Fall gegen Ackermann und dessen Foto mit dem Victory-Zeichen 105  So bereits die Stellungnahme der Bundesrechtsanwaltskammer Nr. 45/2014, online abrufbar unter: http://www.brak.de/zur-rechtspolitik/stellungnahmen-pdf/stel lungnahmen-deutschland/2014/november/stellungnahme-der-brak-2014-45.pdf (zuletzt am 04.04.2018). 106  Stellungnahme der Bundesrechtsanwaltskammer Nr. 18/2016, S. 8, online abrufbar unter: http://www.brak.de/zur-rechtspolitik/stellungnahmen-pdf/stellungnahmendeutschland/2016/juli/stellungnahme-der-brak-2016-18.pdf (zuletzt am 04.04.2018). 107  BVerfG 103, 44, 90 ff. 108  Beispiele aus anderen Rechtsordnungen werden nicht genannt, es wird lediglich auf S. 1 des Referentenentwurfs verwiesen. 109  Stellungnahme der Bundesrechtsanwaltskammer Nr. 18/2016, S. 3.

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herangezogen und anhand dessen konstatiert, dass dieses Foto wohl noch den meisten Leuten in Erinnerung geblieben sei, Einzelheiten über den Tatvorwurf und den Ausgang des Verfahrens jedoch nicht mehr präsent seien. Dieses Beispiel zeige, dass ein „komplexer Vorgang, wie es ein Gerichtsverfahren darstellt, […] sich nun einmal nicht kurz und schlaglichtartig darstellen“ lasse. Daher werde die Notwendigkeit einer gesetzlichen Neuregelung stark bezweifelt.110 Hinsichtlich der geplanten Ausweitung der Saalöffentlichkeit in Form der Tonübertragung in einen Nebenraum wurde auf die Stellungnahme  45 / 2014 der Bundesrechtsanwaltskammer111 verwiesen. Hingewiesen wurde darin auf denkbare Probleme bezüglich des Gleichbehandlungsgrundsatzes, da es keine tragfähige Begründung bezüglich der Bevorzugung von Medienvertretern gegenüber der allgemeinen Öffentlichkeit gebe und es so zu Abgrenzungsproblemen führe, was auch einer fehlenden Definition des Begriffs „Journalisten“ geschuldet sei.112 Zwar sei die Entscheidung des Vorsitzenden, einen Medienarbeitsraum im Falle eines Platzmangels im Gerichtssaal zu erlauben, unanfechtbar. Nicht weiter berücksichtigt werde im Referentenentwurf jedoch, dass angesichts des „regelmäßig involvierten Grundrechts der Pressefreiheit“ eine Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht dennoch möglich sei. Herangezogen werden von der Bundesrechtsanwaltskammer an dieser Stelle Eilanträge im Vorfeld des NSU-Prozesses.113 Insgesamt führe die geplante Neuregelung somit nicht zu einer Verbesserung der Berichterstattung über (Straf-)Verfahren.114 Auch der Ausnahmeregelung in Form von Archivaufnahmen zu historischen und wissenschaftlichen Zwecken trat die Bundesrechtsanwaltskammer in ihrer Stellungnahme zum EMöGG entgegen. Begründet wird dies zunächst damit, dass es durchaus zweifelhaft sei, ob sich die Verfahrensbeteiligten nur deshalb nicht in ihrem Aussageverhalten beeinflussen ließen, weil die Aufnahmen erst nach einigen Jahren von Historikern oder Wissenschaftlern angesehen und analysiert würden. In Verfahren von zeitgeschichtlicher Bedeutung agierten oftmals auch Personen, denen ihr eigenes zeithistorisches Bild besonders am Herzen liege, wodurch eine Beeinflussung nicht ausgeschlos110  Stellungnahme

der Bundesrechtsanwaltskammer Nr. 18/2016, S. 4. der Bundesrechtsanwaltskammer 45/2014, online abrufbar unter: http://www.brak.de/zur-rechtspolitik/stellungnahmen-pdf/stellungnahmen-deutsch land/2014/november/stellungnahme-der-brak-2014-45.pdf (zuletzt am 04.04.2018). 112  Stellungnahme der Bundesrechtsanwaltskammer Nr. 18/2016, S. 5; Stellungnahme der Bundesrechtsanwaltskammer 45/2014, S. 5. 113  Siehe den Beschluss des BVerfG v. 01.05.2013 – 1 BvO 13/13. 114  Stellungnahme der Bundesrechtsanwaltskammer 18/2016, S. 6. 111  Stellungnahme



A. Der Öffentlichkeitsgrundsatz nach dem EMöGG

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sen werden könne. Zudem wude konstatiert, dass ein Mehrwert durch eine Aufzeichnung des gesamten Verfahrens im Vergleich zu den auch nach der damaligen Gesetzeslage zugänglichen Verfahrensakten nicht zwingend vorhanden sei. Überdies werde im Referentenentwurf zur Begründung dieser Ausnahmeregelung kein Beispiel für eine wissenschaftliche oder historische Auswertung eines aufgezeichneten Verfahrens genannt, sondern lediglich die „Erstellung eines Dokumentationsfilms zum Auschwitz-Prozess, also eine Verwertung der Aufnahmen gerade nicht zu historischen oder wissenschaftlichen Zwecken“.115 Trotz der in § 169 Abs. 2 S. 1, 2 GVG-E normierten Unanfechtbarkeit der Entscheidung zur Anordnung der Anfertigung von Tonund Filmaufnahmen in einem zeithistorisch bedeutsamen Verfahren bedeute dies nicht, dass das Endurteil nicht der Revision unterliege. Zwar sei die unanfechtbare Vorentscheidung zur Zulassung der Aufzeichnung zeithistorischer Verfahren nicht revisibel, die mit dem Rechtsmittel der Revision angefochtene Sachentscheidung sei aber durchaus auf etwaige Auswirkungen dieser Vorentscheidung hin überprüfbar.116 Außerdem sei durch die Zulassung von Archivaufnahmen ein Eingriff in die Grundrechte der Verfahrensbeteiligten gegeben, was den Betroffenen auch hier die Geltendmachung ihrer Rechte im Wege der Verfassungsbeschwerde ermögliche. Dies führe letztlich zu einer Überprüfung der Voraussetzungen des § 169 Abs. 2 GVG-E durch das Bundesverfassungsgericht. Abschließend wird darauf hingewiesen, dass die dreißigjährige Schutzfrist über § 5 Abs. 5 S. 3 BArchG umgangen werden könne.117 In Bezug auf die Urteilsverkündung oberster Bundesgerichte wurden außerdem Bedenken der Art geäußert, dass auch die obersten Bundesgerichte oftmals Stuhlurteile fällten und im Zeitpunkt der Urteilsverkündung die Gründe der Entscheidung noch nicht in ausformulierter Fassung vorlägen. Dies führe nach Ansicht der Bundesrechtsanwaltskammer zu gesonderten Verkündungsterminen zum Zwecke der Übertragung der Urteile. Aus Sicht der Rechtsanwälte sei dies nicht nur eine zeitliche, sondern auch eine finanzielle Mehrbelastung, da ein gesonderter Verkündungstermin gebührenrechtlich nicht angerechnet werden könne.118

115  Stellungnahme der Bundesrechtsanwaltskammer 45/2014, S. 6 (Hervorhebung durch die Verfasserin). 116  Stellungnahme der Bundesrechtsanwaltskammer 45/2014, S. 7 mit Verweis auf BVerfGE 110, 40; BGH, NJW 1993, 1391. 117  Stellungnahme der Bundesrechtsanwaltskammer 45/2014, S. 7. 118  Stellungnahme der Bundesrechtsanwaltskammer 45/2014, S. 8.

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5. Kap.: Das EMöGG

3. Deutscher Richterbund Der Tenor der Stellungnahme des Deutschen Richterbundes Nr. 12 / 16 vom Juli  2016119 betreffend den Referentenentwurf orientierte sich an der Reihenfolge der geplanten gesetzlichen Neuregelung in § 169  GVG-E und befürwortete das Ziel des Referentenentwurfs grundsätzlich. Das „gestiegene Informationsinteresse der Allgemeinheit an der Arbeit der Justiz“ sei „durch eine punktuelle Öffnung des Gerichtsverfahrens für Medienübertragung zu berücksichtigen“. Hinsichtlich der Verkündung von Entscheidungen und der Zulassung von Ton- und Filmaufnahmen oberster Bundesgerichte hatte der Deutsche Richterbund bei der Gewährung eines ungestörten Verfahrensablaufs keine Einwände gegen die geplante Neuregelung, wenn die entsprechende technische Ausstattung der Gerichtssäle durch die Bundesregierung federführend übernommen werde. Die Stellungnahme des Deutschen Richterbundes nahm sodann Bezug auf das im Vorfeld des EMöGG erstellte Gutachten der Großen Strafrechtskommission des Deutschen Richterbundes und das dort aufgeführte Folgeproblem des § 169  GVG-E in der Form Bezug, als durch die geplante Reform „die Türen für weitergehende Forderungen“ geöffnet werden könnten.120 So bestünde die Gefahr, dass die Medien unter Verweis auf Art. 5 Abs. 3 GG versuchen würden, die Übertragung relevanter Entscheidungen nicht nur der obersten Bundesgerichte, sondern auch der Oberlandesgerichte oder der Schwurgerichte zu ermöglichen. Problematisch könne außerdem werden, dass bezüglich der Ermessensentscheidungen des Senatsvorsitzenden über die Zulassung einer medial übertragenen Entscheidungsverkündung Verfassungsbeschwerden eingereicht werden könnten. Trotz dieser Bedenken stand nach Ansicht des Deutschen Richterbundes aufgrund der überwiegend positiven Wirkung einer medialen Entscheidungsverkündung der geplanten gesetzlichen Neuregelung nichts entgegen. Durchgreifende Bedenken bestehen ausweislich der Stellungnahme auch nicht in Bezug auf eine Tonübertragung in einen Medienarbeitsraum, sofern die Justizverwaltung die benötigten technischen Mittel zur Verfügung stelle.121 Ablehnend gegenüber stand der Deutsche Richterbund aber einer Ausweitung der Medienöffentlichkeit in der mündlichen Verhandlung in Form von 119  Stellungnahme des Deutschen Richterbundes, online abrufbar unter: http:// www.drb.de/fileadmin/docs/Stellungnahmen/2016/DRB_160708_Stn_Nr_12_Medien öffentlichkeit_in_Gerichtsverfahren.pdf (zuletzt am 04.04.2018); Anmerkung der Verfasserin: Die Stellungnahme enthält keine Seitenzahlen, weshalb sich die im Folgenden verwendete Seitenangabe auf die Druckseite bezieht. 120  Stellungnahme des Deutschen Richterbundes, S. 5. 121  Stellungnahme des Deutschen Richterbundes, S. 2.



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Aufzeichnungen in Ton und Bild zum Zwecke einer zeitgeschichtlichen Dokumentation, § 169 Abs. 2 GVG-E. Obwohl die Aufzeichnungen zu wissenschaftlichen Zwecken bestimmt werden sollten, lasse sich eine derartige Trennung in der Praxis nicht realisieren, und es sei die Gefahr vorhanden, dass die Aufzeichnungen über Beweisanträge letztlich dennoch zu Beweismitteln werden könnten. Dies könne etwa mittels der Behauptung geschehen, dass „ein Zeuge anders ausgesagt habe, als die Strafkammer es nun unterstelle und zur Glaubhaftmachung […] auf die Aufzeichnungen Bezug genommen“ werde.122 Auch wurden Bedenken rechtsstaatlicher Natur angeführt, da mit einem möglichen Hinzuziehen von Aufnahmen als Beweismittel eine Auseinanderentwicklung von Beweismöglichkeiten einhergehen könne. In zeitgeschichtlich relevanten Verfahren könnten die getätigten Aufnahmen zum Zwecke der Überprüfung hinzugezogen werden, in anderen hingegen nicht. Dadurch könne möglicherweise der Gleichheitsgrundsatz tangiert sein. Unabhängig von diesen Bedenken und vor dem Hintergrund einer eventuell durchgreifenden gesetzlichen Klarstellung hinsichtlich der Verwendung der Aufzeichnungen als Beweismittel, spreche allein schon die Anwesenheit von Kameras im Gerichtssaal und die damit wahrscheinliche verbundene negative Beeinflussung der Verfahrensbeteiligten gegen die Einführung des § 169 Abs. 2 GVG-E.123 Abschließend wurde darauf hingewiesen, dass das Ziel des EMöGG, das Ansehen der Bundesgerichte in der Öffentlichkeit zu verbessern, nur dann erreicht werden könne, wenn der „Personalschlüssel für die Pressestellen der Bundesgerichte deutlich“ verbessert würde.124 4. Bund Deutscher Sozialrichter In seiner Stellungnahme 03 / 16 vom Juli 2016 schloss sich der Bund Deutscher Sozialrichter125 inhaltlich im Wesentlichen den Ausführungen des Deutschen Richterbundes an. Es wurde jedoch darauf hingewiesen, dass sich der Gesetzesentwurf in einem „sensiblen Spannungsfeld zwischen der in Art. 5  GG garantierten Presse- und Berichterstattungsfreiheit auf der einen und den Gesichtspunkten der Wahrheitsfindung, des Persönlichkeitsrechts […] und des Grundsatzes des fairen Verfahrens auf der anderen Seite“ befinde. Vor diesem Hintergrund wurde dringend davor gewarnt, eine über den 122  Stellungnahme

des Deutschen Richterbundes, S. 3. des Deutschen Richterbundes, S. 4. 124  Stellungnahme des Deutschen Richterbundes, S. 4. 125  Stellungnahme des Bundes Deutscher Sozialrichter, online abrufbar unter: http://bunddeutschersozialrichter.de/download.php?cat=18_Verbandsarbeit&file=03_ 16_BDS.pdf (zuletzt am 04.04.2018). 123  Stellungnahme

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5. Kap.: Das EMöGG

Referentenentwurf hinausgehende Erweiterung des Öffentlichkeitsgrundsatzes durch nachfolgende weitere Eingriffe des Gesetzgebers einzuleiten.126 5. Bund Deutscher Verwaltungsrichter und Verwaltungsrichterinnen Unter dem Titel „Effektiven Rechtsschutz sichern  – Medienöffentlichkeit in bestehendem Umfang gewährleisten“ lehnte der Bund Deutscher Verwaltungsrichter und Verwaltungsrichterinnen eine Reform des § 169  GVG  a. F. im Ergebnis ab. Die Bundesverwaltungsrichter waren nicht davon überzeugt, dass Veränderungen in der Medienlandschaft als Begründung für eine Erweiterung des Öffentlichkeitsgrundsatzes ausreichend seien. Dass aufgrund einer fehlenden Modernität das Ansehen der Gerichtsbarkeit leide, ändere nichts daran, dass diese Regelung uneingeschränkt die Realität eines Gerichtsverfahrens wiederspiegele.127 Die audiovisuelle Aufzeichnung zeithistorisch bedeutsamer Verfahren berge erhebliche Gefahren für die Wahrheits- und Rechtsfindung in der Form, dass Verfahrensbeteiligte aufgrund der Aufzeichnung eine nicht angemessene Zurückhaltung üben oder aber in übersteigerter Weise exponieren würden. Betont wurde, dass das Interesse der Wissenschaft an einer Verfahrensdokumentation zeithistorisch bedeutsamer Verfahren es nicht rechtfertige, eine damit verbundene „Beeinträchtigung der Gerichte bei der Wahrnehmung ihrer Kernaufgabe, Recht zu sprechen“, hinzunehmen. Ferner könne ein übersteigertes Interesse der Bevölkerung an Entscheidungen der obersten Bundesgerichte nicht erkannt werden, vielmehr seien Beiträge über Gerichtsverfahren erfahrungsgemäß nicht oder nur zeitlich knapp ausgestaltet in der Fernsehberichterstattung zu finden. Eine audiovisuelle Aufzeichnung einer Entscheidungsverkündung würde somit den zeitlichen Rahmen einer Nachrichtensendung regelmäßig übersteigen.128 6. Verband Privater Rundfunk und Telemedien e. V. Im Positionspapier vom Juli 2016 sprach sich der Verband Privater Rundfunk und Telemedien e. V. ausdrücklich für eine Lockerung des seit 1964 bestehenden Verbots von Ton- und Bildaufnahmen in der Gerichtsverhand126  Stellungnahme

des Bundes Deutscher Sozialrichter, passim. des Bundes Deutscher Verwaltungsrichter und Verwaltungsrichterinnen, online abrufbar unter: http://www.bdvr.de/index.php/id-20162017-131.html (zuletzt am 04.04.2018). 128  Stellungnahme des Bundes Deutscher Verwaltungsrichter und Verwaltungsrichterinnen, S. 2. 127  Stellungnahme



A. Der Öffentlichkeitsgrundsatz nach dem EMöGG

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lung aus. Gerade in Zeiten konvergierender Medien bestehe ein enormes Bedürfnis der Allgemeinheit an einer möglichst zeitnahen Informationsgewinnung.129 Auf wenig Verständnis treffe daher die ablehnende Haltung der (Bundes-)Richter, zumal sich der Eindruck aufdränge, dass dies weniger aus Sorge um das Verfahren oder die Persönlichkeitsrechte der Verfahrensbeteiligten, sondern vielmehr um der Richter selbst Willen geschehe. Es sei kritisch zu hinterfragen, ob die im Referentenentwurf geplanten Reformen des § 169 GVG a. F. ausreichend seien, das gestiegene Medien- und Bürgerinteresse an Gerichtsverfahren zu befriedigen. Der Referentenentwurf sei an den relevanten Stellen der Interessenabwägung noch zu konservativ, was im Ergebnis nachteilig für die mediale Öffentlichkeit sei.130 Um die gebotene Liberalisierung im Kontext der Erweiterung der Medienöffentlichkeit herzustellen, müsse zunächst die mediale Übertragung der Entscheidungsverkündung der Bundesgerichte nicht als Ausnahme, sondern als Regelfall ausgestaltet sein, ähnlich der Regelung des § 17a BVerfGG a. F. (sogenannter „Opt-Out“-Ansatz). Warum der Referentenentwurf an dieser Stelle von der Regelung im Bundesverfassungsgerichtsgesetz abweicht, sei nicht ausreichend begründet und im Ergebnis nicht nachvollziehbar. Im Referentenentwurf sei lediglich die Rede von „spezifischen Anforderungen“ an die Entscheidungsverkündung bei den obersten Bundesgerichten. Zudem werde angeführt, dass eine mediale Urteilsverkündung vor dem Hintergrund der großen Fallmasse mit den praktischen Gegebenheiten nicht in Einklang zu bringen sei.131 Allein die Befürchtung einer höheren Arbeitsbelastung der Richter an den Bundesgerichten rechtfertige die Ausgestaltung als gesondert anzuordnende Ausnahmeregelung nach Ansicht des Verbandes Privater Rundfunk- und Telemedien jedoch nicht, „denn erst die Wahl eines ‚OptOut‘-Ansatzes stellt das notwendige Korrektiv dar, um die Unanfechtbarkeit der Ermessensentscheidung, dann aktiv gegen eine Erweiterung der Medienöffentlichkeit gerichtet, auch trag- und konsensfähig zu machen“. In Bezug auf die Beschränkung auf Entscheidungsverkündungen der Bundesgerichte stellte das Positionspapier zur Diskussion, eine mediale Entscheidungsverkündung auch auf Ebene der Oberlandesgerichte und teilweise auch auf landund amtsgerichtlicher Ebene als Ermessensentscheidung zuzulassen.132 Ferner müsse die geplante Neuregelung der Medienübertragung in einen Medienarbeitsraum bei einem mangelnden Platzkontingent im eigentlichen 129  Positionspapier des Verbandes Privater Rundfunk und Telemedien, online abrufbar unter: http://www.vprt.de/verband/positionen/content/vprt-stellungnahme-zum-re ferentenentwurf-eines-gesetzes-zur-erweiterung-d?c=4 (zuletzt am 04.04.2018), S. 1. 130  Positionspapier des Verbandes Privater Rundfunk und Telemedien, S. 2. 131  Positionspapier des Verbandes Privater Rundfunk und Telemedien, S. 3. 132  Positionspapier des Verbandes Privater Rundfunk und Telemedien, S. 4.

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5. Kap.: Das EMöGG

Gerichtssaal zwingend um die Videosignalübertragung anstelle der reinen Tonübertragung erweitert werden. Dies sei im Rahmen der praktischen Konkordanz notwendig, da die erweiterte Öffentlichkeit im Medienarbeitsraum die gleichen Wahrnehmungsmöglichkeiten haben solle wie die im Saal anwesende Öffentlichkeit; anderenfalls entstehe eine „Zwei-Klassen-Öffentlichkeit“ zulasten der Medienvertreter. Auch das Argument der Entstehung unverhältnismäßiger Kosten bei einer audiovisuellen Übertragung in einen Arbeitsraum für Medien oder der Beeinflussung der Verfahrensbeteiligten in ihrem Aussageverhalten überzeuge beim heutigen Stand der Technik nicht.133 Entgegen der unverbindlichen Formulierung in der Begründung des Referentenentwurfs in Bezug auf Evaluierungsmaßnahmen der gesetzlichen Neuregelung solle eine Evaluierungsfrist von fünf Jahren gesetzlich normiert werden. Dadurch werde der fortschreitenden Technik und dem wandelnden Medienkonsum der Bevölkerung Rechnung getragen.134 7. Justizpressekonferenz Karlsruhe e. V. Die Justizpressekonferenz Karlsruhe  e. V. befürwortete in ihrer Stellungnahme zur Reform des § 169 GVG  a. F. den Referentenentwurf, wünschte sich an der ein oder anderen Stelle jedoch eine noch weitgehendere mediale Öffnung der Justiz: Zunächst wurde konstatiert, dass Bewegtbilder für die Medienwirklichkeit von enormer Relevanz in einer demokratischen Gesellschaft seien und dass die Justiz unbedingt stärker wahrgenommen werden solle. Zu diesem Zwecke würden Übertragungen der Akzeptanz der Rechtsprechung dienlich sein und realitätsferne Vorstellungen über die Justiz korrigieren können. Fernsehberichterstattung erfolge auf der derzeitigen gesetzlichen Grundlage lediglich mittels Behelfsbildern, die allerdings nicht denselben Informationswert wie Originalbilder während der Urteilsverkündung hätten. Sodann wurde § 169 S. 2 GVG a. F. als ein rechtfertigungsbedürftiges Verbot dargestellt und auf die n-tv-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom Januar  2001 sowie das zu dieser Entscheidung veröffentlichte Minderheitenvotum verwiesen. Hervorgehoben wurde, dass selbst die das Urteil tragende Mehrheit prinzipiell für denkbar hielt, dass „Ausnahmemöglichkeiten für den Einzelfall zu schaffen“ sein könnten.135 Daher sei der Gesetzge133  Positionspapier

des Verbandes Privater Rundfunk und Telemedien, S. 5 f. des Verbandes Privater Rundfunk und Telemedien, S. 6. 135  Stellungnahme der Justizpressekonferenz Karlsruhe e. V., online abrufbar unter: http://www.justizpressekonferenz.de/downloads/EMöGG.pdf (zuletzt am 04.04.2018), II. 1 und II. 2. 134  Positionspapier



A. Der Öffentlichkeitsgrundsatz nach dem EMöGG

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ber auch nach der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts frei, gesetzliche Ausnahmen vom Verbot des § 169 S. 2 GVG a. F. zu schaffen. Argumentiert wurde, dass gerade in den letzten Jahren seit der n-tv-Entscheidung im Jahr 2001 die Bedeutung von Bewegtbildern durch deren Verwendung in der Online-Berichterstattung deutlich zugenommen habe. Diese zunehmende Bedeutung der Bewegtbilder sei sogar durch das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil zur Fußball-Berichterstattung ausdrücklich anerkannt worden: „Der Verweis auf die bloße Meldung oder Einblendung von Fotos über Veranstaltungen, die auf breites Interesse stoßen, vermag die fernsehspezifische Berichterstattung daher nicht zu ersetzen“.136 Übertrage man dies auf die Berichterstattung aus deutschen Gerichtssälen, vermag auch das Einblenden von Urteilstexten, ein Interview der Verfahrensbeteiligten oder die Berichterstattung des Reporters vor Ort die fernsehspezifische Berichterstattung nicht ausgleichen.137 Zitiert wurde ferner von Coelln mit den Worten: „Fernsehaufnahmen aus der Verhandlung wären ein wichtiges Instrument der Information der Allgemeinheit. […] Es würde so eine Verhandlungsöffentlichkeit geschaffen, die den heutigen Vorstellungen und Realitäten einer in besonderer Weise auf das Fernsehen gestützten öffentlichen Meinungsbildung entspricht. Übertragungen könnten zur Akzeptanz der Rechtsprechung beitragen und das Rechtsverständnis fördern. Vor allem könnten sich Zuschauer ein eigenes Bild machen.“138

De facto sei die Justiz unpersönlich oder zumindest inaktiv und der Zuschauer könne nicht erkennen, dass der Richter Recht spreche. Dies liege daran, dass der Richter in den Verhandlungssaal gehe, sich hinsetze, den Arm auf den Tisch lege und gegebenenfalls noch ein Gespräch auf der Richterbank inszeniere, Rechtsprechung im Wortsinne jedoch gerade nicht zu sehen sei. Die Justizpressekonferenz konstatierte an dieser Stelle, dass es „eigentlich schon widersinnig, man könnte sogar wortspielerisch sagen, rechtswidrig [sei], bei Berichten über Rechtsprechung ausgerechnet (oder jedenfalls auch) die Übertragung des Richterspruchs auszuschließen“. Nur eine zumindest begrenzte Öffnung der Justiz zum Zwecke der elektronischen Berichterstattung erlaube es auch dem Fernsehen, den „anderweitig existierenden Zerrbildern und Lügenparolen ein Abbild der Wirklichkeit entgegenzusetzen“.139 Das Bestehen auf ein Totalverbot durch die Richterschaft140 sei auch vor dem Hintergrund der bereits bestehenden Ausnahmevorschrift des § 17a 136  Stellungnahme der Justizpressekonferenz Karlsruhe e. V., II.  2.  2.1 mit Verweis auf BVerfG – 1 BvF 1/91. 137  Stellungnahme der Justizpressekonferenz Karlsruhe e. V., II. 2. 2.1. 138  Stellungnahme der Justizpressekonferenz Karlsruhe e. V., II.  2.  2.2 mit Zitat aus von Coelln, AfP 2004, 193, 200. 139  Stellungnahme der Justizpressekonferenz Karlsruhe e. V., II. 2. 2.2. 140  Stellungnahme der Justizpressekonferenz Karlsruhe e. V., II. 1. m. w. N.

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5. Kap.: Das EMöGG

BVerfGG a. F. auf Dauer nicht zu halten. Sodann wurde die Bedeutung von Kameras und Mikrofonen im Gerichtssaal eruiert mit dem Ergebnis, dass das Ziel der öffentlichen Kontrolle der Rechtsprechung nur dann erreicht werden könne, wenn die Verhandlungen einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht würden als ausschließlich der im Gerichtssaal anwesenden.141 Hinsichtlich der Urteilsverkündung vor obersten Bundesgerichten sei es aus Sicht der Justizpressekonferenz ohne weiteres vorstellbar, die Ton- und Filmaufzeichnung und deren öffentliche Übertragung auch in der mündlichen Verhandlung zu erlauben, bis das Gericht die Anwesenheit der Beteiligten festgestellt habe. Anders als in der entsprechenden Regelung in § 17a Abs. 1 Nr. 1 BVerfGG a. F. solle dies jedoch als Ermessensentscheidung des Vorsitzenden ausgestaltet werden.142 Herangezogen wurde auch der internationale Vergleich sowie andere nationale (Straf-)Gerichte. Bei der Darstellung der ausländischen Rechtsordnung konnte auf die Ausführungen des Gutachtens der Großen Strafrechtskommission des Deutschen Richterbundes143 verwiesen werden. Von der Erweiterung der Saalöffentlichkeit sei auch im Ausland insbesondere bei spektakulären Strafverfahren immer wieder Gebrauch gemacht worden. Exemplarisch nannte die Stellungnahme der Justizpressekonferenz Karlsruhe e. V. hier den Dutroux-Prozess in Belgien, das Lockerbie-Verfahren in den Niederlanden und den Breivik-Prozess in Norwegen.144 Tonübertragungen in einen Nebenraum seien für die Presseberichterstattung dringend erforderlich, auch vor dem Hintergrund, dass sich ein Medienarbeitsraum beim Bundesverfassungsgericht grundsätzlich bewährt habe. Jedoch sei über die im Referentenentwurf normierte Tonübertragung der Verhandlung in einen Medienarbeitsraum hinaus eine visuelle Übertragung zum Zwecke einer detailreicheren Berichterstattung wünschenswert. Zur Untermauerung dieses Wunsches wurden die guten Erfahrungen mit der Herangehensweise auf europäischer Ebene beim europäischen Gerichtshof und dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte angeführt.145 Damit könne man den aus dem und über den Prozess berichtenden Journalisten die Möglichkeit geben, professionell zu arbeiten, ohne den laufenden Prozess etwa durch Tippgeräusche am Laptop oder Verlassen des Gerichtssaals zur Abstimmung mit der Redaktion oder mit Kollegen zu stören. Angeführt wurde zudem, dass gerade die Mitglieder der Justizpressekonferenz diesbe141  Stellungnahme

der Justizpressekonferenz der Justizpressekonferenz 143  Oben unter Kap. 5, A. II. 2. 144  Stellungnahme der Justizpressekonferenz 145  Stellungnahme der Justizpressekonferenz 142  Stellungnahme

Karlsruhe e. V., II. 2. 2.1. Karlsruhe e. V., II. 4. 4.2. Karlsruhe e. V., II. 3. 3.1 und 3.2. Karlsruhe e. V., II. 4.



A. Der Öffentlichkeitsgrundsatz nach dem EMöGG291

züglich „über eine einzigartige Expertise“ verfügten, „kommen sie doch seit Jahren in den Genuss einer entsprechenden Praxis beim Bundesverfassungs­ gericht“.146 Ferner sei es dringend erforderlich, historisch bedeutsame Verfahren aufzuzeichnen, da derartige Aufnahmen nicht nur für Wissenschaftler, sondern auch für die zeit- oder rechtsgeschichtliche journalistische Berichterstattung von enormer Relevanz seien. Zumal es zulässig sei, Wortprotokolle einer Verhandlung anzufertigen. Die nach dem Bundesarchivgesetz und den Landesarchivgesetzen dreißigjährigen Sperrfristen solle man zumindest hinsichtlich Tonbandaufzeichnungen gemäß § 169 Abs. 2 GVG-E über die Möglichkeit des § 5 Abs. 5 BArchG hinaus verkürzen und explizit auf die journalistische Berichterstattung ausdehnen.147 8. Gemeinsame Stellungnahme BDZV, DJV, Deutscher Presserat, VDZ, dju in ver.di Auch der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (BDZV), der Deutsche Journalisten-Verband (DJV), der Deutsche Presserat, der Verband Deutscher Zeitschriftenverleger (VDZ) und die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (dju in ver.di) reagierten in einer gemeinsamen Stellungnahme148 vom 8. August  2016 auf den Referentenentwurf. Darin wurde einleitend vorweggenommen, dass das seit 1964 bestehende ausnahmslose Verbot von Rundfunk- und Fernsehaufnahmen aus der Hauptverhandlung angesichts des technischen Wandels, der Konvergenz der Medien im Zeitalter des Internets, des Bedeutungszuwachses von audiovisuellen Medien für die Rezeption allgemein sowie die Meinungsbildung der Bürger im Speziellen für nicht mehr praktikabel erachtet werde. Die Notwendigkeit einer zeitgemäßen Überarbeitung dieser Verbotsnorm wird hervorgehoben.149 Um dies zu begründen, wurden zunächst generelle Argumente für eine Lockerung des § 169 S. 2 GVG  a. F. aufgeführt, wo es etwa heißt, dass die Selbstverpflichtung und Selbstkontrolle der journalistischen Berichterstattung sich gerade in den letzten Jahren deutlich verbessert und intensiviert habe. Dies zeige, dass der 146  Stellungnahme

der Justizpressekonferenz Karlsruhe e. V., II. 4. 4.1. der Justizpressekonferenz Karlsruhe e. V., II. 4. 4.3. 148  Gemeinsame Stellungnahme von BDZV, DJV, Deutscher Presserat, VDZ und dju in ver.di vom 08.07.2016, online abrufbar unter: https://www.bmjv.de/Shared Docs/Gesetzgebungsverfahren/Stellungnahmen/2016/Downloads/07212016_Stellung nahme_Verbaende_RefE_EMoeGG.pdf?__blob=publicationFile&v=2 (zuletzt am 04.04.2018). 149  Gemeinsame Stellungnahme von BDZV, DJV, Deutscher Presserat, VDZ und dju in ver.di, S. 1. 147  Stellungnahme

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5. Kap.: Das EMöGG

Persönlichkeitsschutz der am Verfahren Beteiligten auch wirksam durch die Presse selbst berücksichtigt werde.150 Problematisch hinsichtlich zu geringer Platzkontingente in den unterschiedlichen Gerichtsverfahren sei, dass oftmals nur der oder die ersten Prozesstage sowie die abschließenden Plädoyers von Staatsanwaltschaft und Verteidigung und die sich daran anschließende Urteilsverkündung betroffen seien. Während dieser Verfahrensabschnitte sei das mediale Interesse besonders hoch, weshalb zumindest für diese wenigen Prozesstage ein separater Medienraum wünschenswert sei. Ferner solle das Gericht für Medienvertreter und das normale Publikum getrennte Eingangsbereiche zur Verfügung stellen sowie die Mitnahme von Laptops und Handys im Offline-Betrieb (für Medienvertreter) erlaubt werden. Als weiterer Punkt wurde die Projizierung von Dokumenten auf eine Leinwand aufgeführt, da die bisher noch häufig praktizierte Augenscheinseinnahme am Richtertisch einem faktischen Ausschluss der Öffentlichkeit gleichkomme.151 In Bezug auf die bereits erwähnte Bereitstellung eines Medienarbeitsraumes greife jedoch die Begründung der Beschränkung auf die reine Tonübertragung im Referentenentwurf (§ 169 Abs. 1 S. 3 GVG-Ref-E) zu kurz, da optische Eindrücke mindestens so bedeutend seien wie akustische.152 Kritisiert wurde vor diesem Hintergrund, dass die Beschränkung auf eine Tonübertragung den organisatorischen Aufwand im Vergleich zu einer audiovisuellen Übertragung minimiere. Dies stelle nach Ansicht der Verfasser der gemeinsamen Stellungnahme lediglich einen vorgeschobenen Grund dar. In Wahrheit gehe es ausschließlich um fiskalische Aspekte, weshalb eine Bildübertragung ausgenommen worden sei.153 9. Stellungnahme von Frank Bräutigam, ARD-Rechtsredaktion des SWR Unter dem Titel „Die Reform von § 169  GVG  – Eine Chance für Justiz und Bürger“154 steht die Stellungnahme des Leiters der ARD-Rechtsredaktion 150  Gemeinsame Stellungnahme von BDZV, DJV, Deutscher Presserat, VDZ und dju in ver.di, S. 2. 151  Gemeinsame Stellungnahme von BDZV, DJV, Deutscher Presserat, VDZ und dju in ver.di, S. 2, 3. 152  Gemeinsame Stellungnahme von BDZV, DJV, Deutscher Presserat, VDZ und dju in ver.di. S. 5. 153  Gemeinsame Stellungnahme von BDZV, DJV, Deutscher Presserat, VDZ und dju in ver.di, S. 6. 154  Stellungnahme Bräutigam, ARD-Rechtsredaktion des SWR, online abrufbar unter: https://www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Stellungnahmen/ 2016/Downloads/06162016_Stellungnahme_ARD_RefE_EMoeGG.pdf?__blob=publi cationFile&v=3 (zuletzt am 04.04.2018).



A. Der Öffentlichkeitsgrundsatz nach dem EMöGG293

des SWR, Frank Bräutigam, der zu Beginn den beruflichen und fachlichen Hintergrund der ARD-Rechtsredaktion vorstellt. Er beschrieb die Qualifikation und Ausbildung der neun dort tätigen Volljuristen, die zusätzlich zu ihren Rechtskenntnissen über eine journalistische Ausbildung verfügen. Die ARDRechtsredaktion berichte regelmäßig für Fernsehen, Hörfunk und Internet vor allem über die hohen Gerichte in Karlsruhe, die Bundesanwaltschaft sowie die europäischen Gerichte in Luxemburg und Straßburg. Somit sei die ARD-Rechtsredaktion (einer der) Hauptnutzer des § 17a BVerfGG  a. F. Im Zentrum der Arbeit stehe die erklärende Einordnung des Urteils durch die Journalisten für das Publikum. Bräutigam begrüßte die partielle Öffnung des § 169 S. 2 GVG  a. F. ausdrücklich und nannte als positiven Effekt, dass die Justiz stärker im öffentlichen Bewusstsein verankert werde. Dies sei ein wichtiger Wert, gerade in Zeiten, in denen sämtliche staatlichen Institutionen immer mehr in Frage gestellt würden. Er verdeutlichte, dass die Seriosität der Gerichte nicht angetastet, sondern vielmehr gestärkt würde, denn es sei Aufgabe einer Fachredaktion, die gewonnenen Aufnahmen für den juristischen Laien verständlich aufzuarbeiten.155 Um die Vorteile einer Erlaubnis zur Übertragung von Urteilsverkündungen aufzuzeigen, verwendete er das folgende Beispiel: „ ‚Das Pechstein-Urteil – Welche Zukunft hat die Sport-Schiedsgerichtsbarkeit?‘ Moderation: Frank Bräutigam, am Set mit einem oder mehreren Gesprächspartnern. Vor dem Urteil: Einspielfilm Chronologie der Ereignisse und des Rechtsstreits; Erklär-Film und / oder Gespräch ‚Die rechtlichen Knackpunkte‘. Urteilsverkündung aus dem Saal (Off-Kommentar des Moderators möglich, um Publikum an die Hand zu nehmen und zu erklären, was passiert). Zusammenfassung und erste Einordnung des Moderators, Gesprächspartner zur weiteren Einordnung; falls möglich und sinnvoll erste Reaktionen. Statt einer Live-Übertragung wäre auch eine zeitversetzte Ausstrahlung des geschilderten Formates möglich. In den klassischen Nachrichtenbeiträgen z. B. in der ‚Tagesschau‘ um 20 Uhr würden wir dann Ausschnitte der Urteilsverkündung als O-Ton in den Beitrag einbauen.“156

Bräutigam führte weiter aus, dass seiner Ansicht nach immer wieder mit Argumenten gegen die Erweiterung des § 169 S. 2 GVG a. F. gekämpft werde, die nicht zu der konkret geplanten Änderung durch das EMöGG passen. Das Argument des Schutzes der ungestörten Wahrheitsfindung greife bei der reinen Übertragung der Urteilsverkündung zu kurz, da der Wahrheitsfindungsprozess zu diesem Zeitpunkt bereits abgeschlossen sei. Auch der Schutz der 155  Stellungnahme 156  Stellungnahme

Bräutigam, ARD-Rechtsredaktion des SWR, S. 1. Bräutigam, ARD-Rechtsredaktion des SWR, S. 2.

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5. Kap.: Das EMöGG

Persönlichkeitsrechte überzeuge vor dem Hintergrund nicht, dass Revisionsverhandlungen vor dem Bundesgerichtshof in der Regel ohne den Angeklagten stattfänden. Außerdem würden bereits jetzt Teile der Urteilsverkündung wörtlich zitiert, da das Anfertigen von Wortprotokollen durch Zuschauer und Medienvertreter nicht verboten sei.157 Bräutigam nahm Bezug auf weitere, von Reformgegnern häufig vorgebrachte Punkte, wie etwa die Argumentation, dass die Urteilsverkündungen des Bundesverfassungsgerichts mit denen oberster Bundesgerichte nicht vergleichbar seien. Auch beim Bundesverfassungsgericht würden  – so Bräutigam  – nicht ausschließlich Grundsatzentscheidungen getroffen, sondern auch Einzelfälle entschieden. Umgekehrt sei es eine der Aufgaben des Bundesgerichtshofs, Rechtseinheit für über den konkreten Fall hinausgehende Fälle zu schaffen, womit die Situation an beiden Gerichten durchaus vergleichbar sei. Zum anderen werde immer wieder ins Feld geführt, dass die juristische Laienbevölkerung die Urteilsverkündung sowieso nicht verstehe, was auch stimme. Doch sei es ja gerade Aufgabe der Journalisten einer Rechtsredaktion, die Urteile laiengerecht aufzubereiten und wie im Beispielsfall mit Hilfe von Erklärungsfilmen vorab und Erläuterungen im Anschluss an das Urteil für die Bevölkerung verständlich zu machen.158 Grundlage dafür sei aber auch eine gut ausgearbeitete Urteilsbegründung seitens der Gerichte. Auch dass eine Verkürzung des Urteils automatisch eine Verfälschung darstelle, könne nicht überzeugen, da dann jeder Tagesschaubeitrag eine Verfälschung darstellen würde.159 Die Sorgen der Richterschaft bzgl. einer möglichen Verwertung der Aufnahmen für Youtube oder die Heute Show seien ebenfalls unbegründet, da es in den Jahren seit der Einführung des § 17a BVerfGG a. F. keine derartige Zweckentfremdung gegeben habe.160 Betont wurde auch der deutliche Mehraufwand, der durch die geplante Gesetzesänderung vor allem auf die Pressesprecher der Gerichte zukomme, da diese die Übertragungen in Absprache mit den Sendern zu koordinieren hätten. Es sei ratsam, die Bundesgerichte mit hauptamtlichen und in Vollzeit arbeiteten Pressesprechern auszustatten, um Überlastungsproblemen entgegenwirken zu können.161 Zuletzt wurde eine Übertragung in einen Medienarbeitsraum mittels eines Audiosignals gefordert. In diesem Kontext hätten Vertreter der Landesjustiz den Einwand vorgebracht, dass es einen dementsprechenden Bedarf nur in sehr wenigen Fällen gebe und geben werde. Genau diese wenigen Fälle seien 157  Stellungnahme 158  Stellungnahme

Bräutigam, ARD-Rechtsredaktion des SWR, S. 3. Bräutigam, ARD-Rechtsredaktion des SWR, S. 4 mit weiteren

Beispielen. 159  Stellungnahme Bräutigam, ARD-Rechtsredaktion des SWR, S. 6. 160  Stellungnahme Bräutigam, ARD-Rechtsredaktion des SWR, S. 7. 161  Stellungnahme Bräutigam, ARD-Rechtsredaktion des SWR, S. 8.



A. Der Öffentlichkeitsgrundsatz nach dem EMöGG295

es aber, die das Ansehen der Justiz vor einem Schaden aufgrund eines zu geringen Kontingents an Presseplätzen bewahren würden. Auch greife hier das Argument der Beeinflussung der Verfahrensbeteiligten durch die im Saal anwesenden Kameras nicht, da auf der anderen Seite eine audiovisuelle Aufzeichnung bei zeithistorisch bedeutsamen Verfahren erlaubt werden solle.162

VI. Gutachten C zum 71. Deutschen Juristentag Auch die strafrechtliche Abteilung des 71. Deutschen Juristentags befasste sich im September  2016 zum vierten Mal in seiner Geschichte, nach 1873, 1982 und 1990,163 mit dem Thema „Öffentlichkeit im Strafverfahren – Transparenz und Schutz der Verfahrensbeteiligten“. Zur Begründung verwiesen die Veranstalter des Deutschen Juristentags auf die zunehmende Medialisierung aller Vorgänge von öffentlichem Interesse, die schon seit Langem auch die Justiz erfasst habe und vor dem Hintergrund einer Reihe spektakulärer Strafprozesse der jüngsten Vergangenheit gerade für das Strafverfahren von höchster Aktualität sei. Der Deutsche Juristentag ist eine anerkannte Institution und es besteht die Chance, dass die Reform des § 169 GVG a. F. durch Diskussionen und Abstimmung des 71.  Deutschen Juristentages Gehör gefunden ha­ ben,164 weshalb dahingehende Ausführungen auch hier nicht fehlen sollen. Das von Altenhain erstellte, gleichnamige Gutachten  C165 untersucht neben der Öffentlichkeit im Hauptverfahren166 auch die Öffentlichkeit im Ermitt­ lungsverfahren,167 auf letzteres soll hier jedoch nicht weiter eingegangen werden. Öffentlichkeit, so konstatiert Altenhain zu Beginn seiner Untersuchung, sei in erster Linie Medienöffentlichkeit.168 Auch im Zusammenhang mit der Teilnahme der Medien an der Hauptverhandlung seien noch viele Fragen offen: Beginnend bei der Information über die Hauptverhandlung, über den Zugang und die Reservierung von Plätzen, die Zulässigkeit von Bild- und Tonaufzeichnungen und die Nutzung dazu geeigneter tragbarer Computer bis hin zur Mitteilung der Entscheidungsgründe.169 Bräutigam, ARD-Rechtsredaktion des SWR, S. 9. bei SK-StPO/Velten, GVG, Vor § 169, Rn. 7. 164  So jedenfalls Norouzi, StV  2016, 590; zur Bedeutung der Diskussionen und Beschlüsse des Deutschen Juristentags siehe auch die Kommentierung bei SK-StPO/ Velten, GVG, Vor § 169, Rn. 7. 165  Eine Zusammenfassung des Gutachtens ist abgedruckt bei Altenhain, NJWBeil. 2016, 37 ff. 166  Altenhain, Öffentlichkeit im Strafverfahren, S. C61 ff. 167  Altenhain, Öffentlichkeit im Strafverfahren, S. C11 ff. 168  Altenhain, Öffentlichkeit im Strafverfahren, S. C9; ders., NJW-Beil. 2016, 37. 169  Altenhain, Öffentlichkeit im Strafverfahren, S. C9; ders., NJW-Beil. 2016, 37. 162  Stellungnahme 163  Detailliert

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5. Kap.: Das EMöGG

1. Information und Zugang zur Hauptverhandlung Aus dem Grundsatz der Öffentlichkeit folge neben der Pflicht zur Information über eine anstehende Hauptverhandlung auch, dass jeder im Rahmen der tatsächlichen Gegebenheiten als Zuschauer an einer Hauptverhandlung teilnehmen dürfe. Am NSU-Verfahren habe sich die Frage entzündet, ob und gegebenenfalls nach welchem Verfahren Medienplätze zu reservieren seien. Bei der Verteilung der Medienplätze, die aufgrund ihrer Multiplikatorfunktion ein Recht auf Bevorzugung hätten, stehe dem Vorsitzenden ein weiter Ermessensspielraum zu (Prioritätsprinzip oder Losverfahren, Bildung von Kontingenten). Das Bundesverfassungsgericht habe anlässlich des NSU-Verfahrens lediglich festgelegt, dass das Prioritätsprinzip einer Ausgestaltung bedarf, die eine Chancengleichheit unter den Medienvertretern realitätsnah gewährleistet kann.170 2. Bild- und Tonaufnahmen außerhalb der Hauptverhandlung Im Umfeld der Hauptverhandlung gelte das Verbot von Bild- und Tonaufnahmen des § 169 S. 2 GVG  a. F. nicht, weshalb die gelegentlich erhobene Forderung, ein pauschales Aufnahmeverbot im Gerichtsgebäude durchzu­ setzen,171 im Widerspruch zur ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts stehe. Vielmehr müsse das Gericht  – zumindest bei Verfahren von hohem öffentlichem Interesse – den Medienvertretern eine angemessene Gelegenheit zur Anfertigung von Foto-, Film- und Tonaufnahmen geben. Die professionellen Verfahrensbeteiligten dürfen sich bei derartigen Verfahren ihrer Aufnahme grundsätzlich nicht entziehen, während der Schutz des Angeklagten bis zum erstinstanzlichen Schuldspruch grundsätzlich durch eine Anonymisierungsanordnung zu gewährleisten sei. Letztlich komme es auf eine Abwägung der Medienfreiheiten auf der einen Seite und der Persönlichkeitsrechte der Verfahrensbeteiligten sowie auf die Aufrechterhaltung des ordnungsgemäßen Verfahrensablaufs an, wozu das Bundesverfassungsgericht eine umfangreiche Rechtsprechung entwickelt habe.172

170  Altenhain, Öffentlichkeit im Strafverfahren, S. C9, C61 ff.; ders., NJW-Beil. 2016, 37, 39. 171  Hier nimmt Altenhain Bezug auf das Gutachten der Großen Strafrechtskommission des Deutschen Richterbundes (S. 115 ff.). 172  Altenhain, Öffentlichkeit im Strafverfahren, S. C70 ff. m. w. N.; ders., NJWBeil. 2016, 37, 39 m. w. N.



A. Der Öffentlichkeitsgrundsatz nach dem EMöGG297

3. Bild- und Tonaufnahmen innerhalb der Hauptverhandlung Altenhain stellte zunächst vorweg, dass Bild- und Tonaufnahmen innerhalb der Verhandlung gem. § 169 S. 2 GVG  a. F. verboten seien, dass jedoch die Entscheidung, mit der das Bundesverfassungsgericht die Norm für verfassungsgemäß erklärt habe, bis heute teils heftiger Kritik ausgesetzt sei. Im Anschluss daran untersuchte Altenhain die verfassungsrechtliche Rechtfertigung genauer untersucht und konstatiert, dass zunächst zwischen zwei Anknüpfungspunkten differenziert werden müsse: Zum einen könne das mögliche Anfertigen von Ton- und Bildaufnahmen aus der Hauptverhandlung vom Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG173 erfasst sein, zum anderen könne der Öffentlichkeitsgrundsatz für die mündliche Verhandlung an objektiven Verfassungsprinzipien, namentlich dem Rechtsstaats- und Demokratieprinzip, festzumachen sein: Zusammengefasst174 bedeute dies, dass Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG vor seinem historischen Hintergrund gerade kein Grundrecht auf Information gegen den Staat enthalte, zur Vermeidung von Widersprüchen sollte man dies bei Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG  – auch vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in den Honecker- und n-tvEntscheidungen  – fortwirken lassen. Durch den Zugang zur Hauptverhandlung sei bereits der „Minimalstandard“ an Information, den die Institutsgarantie des Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG erfordere, ausreichend gewährleistet. Daher stelle sich auch die Frage nicht, ob § 169 S. 2 GVG a. F. ein Schutzgesetz im Sinne von Art. 5 Abs. 2 GG sei.175 a) Verfassungsrechtliche Rechtfertigung des § 169 S. 2 GVG a. F. Ausschlaggebend sei, inwiefern der Grundsatz der Öffentlichkeit objektiv eine verfassungsrechtliche Natur aufweise und ob sich aus diesen Grundsätzen einer über die Saalöffentlichkeit hinausgehende massenmediale Erweiterung des Öffentlichkeitsgrundsatzes ergebe, die eine gesetzliche Änderung in Form einer Lockerung des strikten Verbots des § 169 S. 2 GVG  a. F. erforderlich mache. Sowohl vor dem Hintergrund des Rechtsstaats- als auch des Demokratieprinzips (Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 20 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 GG) sei die Gewährleistung der Information über anstehende Gerichtsverhandlungen für die politische Willensbildung erforderlich und begründe das notwendige Vertrauen der Bürger in die Justiz. Aus der Verankerung des Öffentlichkeitsgrundsatzes im Demokratieprinzip folge aber nicht, dass die Öffentlichkeit der Gerichtsverhandlung schrankenlos zu gewährleisten sei. Außerdem 173  Siehe

dazu ausführlich Kap. 3, B. II. 2. d). Altenhain, Öffentlichkeit im Strafverfahren, S. C77 ff. 175  Altenhain, NJW-Beil. 2016, 37, 39 f. m. w. N. 174  Ausführlich

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5. Kap.: Das EMöGG

sei die gerichtliche Verhandlung nicht öffentlich, um über die konkrete Tat zu berichten, vielmehr solle über die Tätigkeit der Justiz informiert werden. Einschränkungen dieser Prozessmaxime zum Schutz der Wahrheitsfindung im Strafverfahren sowie vor dem Hintergrund schutzbedürftiger Grundrechte der Verfahrensbeteiligten seien notwendig. Diese vermögen nach Altenhain jedoch nicht, „die Verwirklichung des allgemeinen Öffentlichkeitsprinzips der Demokratie in der Judikative vollständig zurückzudrängen mit der Folge, dass die Öffentlichkeit der Verhandlung mit dem Ziel der Information der Allgemeinheit illegitim wäre“.176 Bevor es zu einer Abwägung der vermeintlich widerstreitenden Interessen kommen könne, müsse die Frage beantwortet werden, welchen Anforderungen der Grundsatz der Verfahrensöffentlichkeit zu genügen habe, um der aus dem Demokratieprinzip resultierenden Informationsfunktion gerecht zu werden. Altenhain hebt an dieser Stelle hervor, dass die Einschätzung über das Interesse der Allgemeinheit an gewissen Gerichtsverhandlungen wegen der in Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG niedergelegten Programmfreiheit ausschließlich durch die Medien selbst getroffen werden könne. Anhand publizistischer Kriterien beurteilten alleine sie, ob sich eine Gerichtsverhandlung für eine Berichterstattung eigne oder nicht. Darüber hinaus steht es dem individuellen Nutzer frei, ob er die durch Medien aufbereitete und verbreitete Information über das jeweilige gerichtliche Verfahren auch tatsächlich nutzen möchte. Die „Gefahr einer wirklichkeitsverzerrenden Berichterstattung“ könne nicht „von vornherein den Zugang der Medien zu einer Information oder die Nutzung ihrer medialen Darstellungsmöglichkeit ausschließen“.177 Insofern sieht Altenhain einen Regelungsauftrag, der dem Gesetzgeber zugleich auch ein Ausübungsermessen einräumt. Sei eine solche Ermessensentscheidung wie hier vor mehr als fünfzig Jahren getroffen worden, so obliege die Einschätzung, ob veränderte Umstände eine Gesetzesänderung erforderlich machen, primär dem Gesetzgeber. Diesem Prüfauftrag sei der Staat mit dem Einsetzen der Bund-Länder-Arbeitsgruppe178 nachgekommen. Ob er daraufhin auch tatsächlich gesetzgeberisch tätig werde, entscheide er anhand eines (weiteren) Entscheidungsspielraums. Nur wenn das ursprünglich rechtmäßige Gesetz aufgrund gravierender Veränderungen verfassungsrechtlich untragbar werde, könne ein Verfassungsverstoß bejaht werden.179 Eine evidente Untragbarkeit des § 169 S. 2 GVG a. F. sei derzeit jedoch nicht ersichtlich.180 176  Altenhain,

Öffentlichkeit im Strafverfahren, S. C84. Öffentlichkeit im Strafverfahren, S. C85. 178  Dazu in Kap. 5, A. III. 179  Altenhain, Öffentlichkeit im Strafverfahren, S. C86 f. m. w. N. 180  Altenhain, Öffentlichkeit im Strafverfahren, S. C87; ders., NJW-Beil.  2016, 37, 39 f. jeweils m. w. N. 177  Altenhain,



A. Der Öffentlichkeitsgrundsatz nach dem EMöGG299

b) Rechtspolitischer Änderungsbedarf Die Diskussion um eine Lockerung des § 169 S. 2 GVG a. F. sei daher auf rechtspolitischer Ebene zu führen. Altenhain konstatiert, dass die möglichen Gefahren durch Film- und Tonaufnahmen aus der Verhandlung häufig Übertreibungen ausgesetzt sei. Die Gefahr einer verzerrenden Darstellung bestehe nämlich auch, und vielleicht sogar stärker, bei der Presse. Denn auch der geschriebenen Reportage über einen Gerichtsprozess liege die subjektive Perspektive des jeweiligen Reportes zugrunde, die zu Verzerrungen des tatsächlich Geschehen führen könne.181 Die Annahme, die Anwesenheit von Kameras könnte das Verhalten der Verfahrensbeteiligten vor dem Hintergrund der Wahrheits- und Rechtsfindung negativ beeinflussen, entbehre jeglicher empirischen Grundlage. Jedenfalls aber beruhe diese Gefahr auf der Anwesenheit von Publikum und Presse insgesamt. Für ein etwaiges Fehlverhalten (z. B. durch den Versuch der Selbstinszenierung) der professionellen Verfahrensbeteiligten bestünden prozessuale Reaktionsmöglichkeiten. Das Problem einer möglichen Beeinflussung der Richter (und vor allem der Schöffen) durch tendenziöse Berichte sei ebenfalls ein allgemeines Problem der Gerichtsberichterstattung. Als zentrales Argument der Befürworter der jeweiligen Regelung in § 169 S. 2 GVG a. F. werde die Beeinträchtigung der Wahrheits- und Rechtsfindung herangezogen: Es sei die Gefahr einer Beeinflussung der Zeugen durch eine Umgehung der §§ 58 Abs. 1, 243 Abs. 2 S. 1 StPO vorhanden. Abhilfe schaffen könne hier die Anordnung zu einer zeitversetzten Ausstrahlung des Aufgenommenen.182 Im Umkehrschluss könne man aus dem „Gefühl des Beobachtetseins“ auch durchaus positive Aspekte, wie etwa eine bewusste Tätigung der Zeugenaussage gerade weil die Verhandlung nicht unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfindet, mithin durchaus förderlich für die materielle Wahrheitsfindung sei.183 Trotz der Bedenken gegen ein Aufnahmeverbot solle dieses nach Ansicht Altenhains für die strafrechtliche Beweisaufnahme aufgrund der besonderen Sensibilität selbiger, bestehen bleiben. Für alle anderen Verfahrensstadien sei aber zu erwägen, die Zulassung von Aufnahmen zumindest in das Ermessen des Vorsitzenden zu stellen. Bei Einwilligung aller Beteiligten erscheine die Zulassung von Filmaufnahmen sogar zwingend.184

181  Altenhain,

Öffentlichkeit im Strafverfahren, S. C88. Öffentlichkeit im Strafverfahren, S. C90 m. w. N. 183  Altenhain, Öffentlichkeit im Strafverfahren, S. C91, C93. 184  Altenhain, NJW-Beil. 2016, 37, 40. 182  Altenhain,

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5. Kap.: Das EMöGG

c) Änderungsvorschläge Im Folgenden nimmt Altenhain Bezug auf das damalige Gesetzesvorhaben ausgehend von den Untersuchungen der Bund-Länder-Arbeitsgruppe,185 in der unter anderem die Zulassung der Übertragung von Entscheidungsverkündungen der obersten Bundesgerichte vorgesehen sei. Die geplante die Regelung bezüglich der Entscheidungsverkündung solle auf alle Gerichte ausgeweitet und nicht bloß auf die obersten Gerichte des Bundes beschränkt werden. Die vorgebrachten Unterschiede im Hinblick auf diese Differenzierung seien nicht überzeugend.186 Hinsichtlich einer denkbaren Einrichtung eines Medienarbeitsraums ist Altenhain der Ansicht, eine Übertragung sei bereits de lege lata möglich, denn die Aufnahme erfolge nicht zum „Zwecke der öffentlichen Vorführung“ und auch die Sitzungspolizei im Nebenraum könne durch den Vorsitzenden sichergestellt werden. Dennoch sei eine klarstellende Regelung zu befürworten. Zurückzuweisen seien allerdings Vorschläge, die nur eine Tonübertragung187 zulassen sollen oder die postulieren, dass der Nebenraum nicht zur Saalöffentlichkeit gehöre.188

VII. Diskussionsstand und wesentliche Beschlüsse des 71. Deutschen Juristentages Die Diskussion sowie die anschließende Beschlussfassung während des 71.  Deutschen Juristentages im September  2016 basierte auf den Vorträgen der Referenten sowie deren vorab zur Verfügung gestellten, thesenartig formulierten, zentralen Aspekten des jeweiligen Referats. Im Folgenden sollen die für diese Arbeit wesentlichen Thesen189 sowie die dazugehörigen Abstimmungsergebnisse dargestellt und anhand dieser – teils sehr eindeutigen, aber auch erstaunlichen  – Ergebnisse das Meinungsspektrum des sehr breit gefächerten Fachpublikums190 der strafrechtlichen Abteilung des Deutschen Ju185  Dazu

in Kap. 5, A. III. Altenhain, Öffentlichkeit im Strafverfahren, S. C95 f. 187  Ausführlich Altenhain, Öffentlichkeit im Strafverfahren, S. C98 f. 188  Altenhain, Öffentlichkeit im Strafverfahren, S. C87 ff. m. w. N.; ders., NJWBeil. 2016, 37, 40. 189  Von einer genaueren Betrachtung ausgenommen werden hier die Thesen sowie die Abstimmungsergebnisse Thesen zum Referat Holznagels anlässlich des 71. Deutschen Juristentages zum Thema „Pressearbeit der Staatsanwaltschaften im Ermittlungsverfahren“, nachzulesen in: Verhandlungen des 71. Deutschen Juristentages Essen 2016, Bd. II/1, S. M23 ff. 190  Über die tatsächliche Zusammensetzung der anwesenden abstimmungsberechtigten Mitglieder liegen keine Nachweise vor. 186  Ausführlich



A. Der Öffentlichkeitsgrundsatz nach dem EMöGG301

ristentags aufgezeigt werden. Die auf diese Weise erarbeitete „Bestandsaufnahme“ wird zum Teil bei den in Kap. 5, B. I., II. folgenden Reaktionen auf das konkrete Gesetzgebungsvorhaben punktuell erneut aufgegriffen. 1. Thesen der Referenten zum Gutachten C: Transparenz und Schutz der Verfahrensbeteiligten Zunächst werden die für diese Arbeit relevanten Thesen des Gutachters Altenhain anknüpfend an die bereits aufgezeigten Untersuchungen in dessen Gutachten sowie der Referenten Heribert Prantl und Gerhard Strate in Kürze dargestellt. Ausgenommen sind die Thesen zum Referat von Ina Holznagel, die sich ausschließlich mit dem Ermittlungsverfahren beschäftigt.191 a) Thesen von Karsten Altenhain Altenhain stellt am Ende seines Gutachtens die folgenden Thesen auf: In den 14.  Titel des GVG sollte eine Regelung aufgenommen werden, die es dem Vorsitzenden erlaube, Medienplätze in der Hauptverhandlung zu reservieren und Kontingente für bestimmte Medien zu bilden, und die für die Verteilung der Plätze das Losverfahren vorsieht. Zudem müsse das Verbot des § 169 S. 2 GVG  a. F. für die Beweisaufnahme und die Vernehmung des Angeklagten unbedingt erhalten bleiben.  In anderen Stadien der Hauptverhandlung, in denen es nicht um die indisponible Wahrheitsfindung gehe, müssen hingegen bei Einwilligung aller Beteiligten Film- und Tonaufnahmen zugelassen werden. Es sollte ferner eine an § 17a Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 BVerfGG a. F. angelehnte Regelung für die Entscheidungsverkündungen aller Gerichte eingeführt werden. Eine Film-Ton-Übertragung der Hauptverhandlung in einen Medienraum sei zwar bereits zulässig. Trotzdem sollte § 169 GVG a. F. um eine entsprechende klarstellende Regelung ergänzt werden. Die rechtswidrige Herstellung und Veröffentlichung von Bild- und Tonaufnahmen der Hauptverhandlung solle unter Strafe gestellt werden.192 b) Thesen von Heribert Prantl Prantl konstatiert, dass die Strafjustiz deutlich mehr Dokumentation und Transparenz brauche, denn die Öffentlichkeit sei weder Feind noch Störer. 191  Die Thesen zu den Referaten der Abteilung Strafrecht sind abgedruckt in: Verhandlungen des 71. Deutschen Juristentages Essen 2016, Bd. II/1, S. M23 ff. 192  Altenhain, Öffentlichkeit im Strafverfahren, S. C111 f.; ebenso abgedruckt in NJW-Beil. 2016, 37, 40 f.

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5. Kap.: Das EMöGG

Die Öffentlichkeit sei Teil  des Rechtsstaats und des Fair-Trial-Prinzips, was im Zeitalter neuer Medien Konsequenzen habe, die von der Justiz noch nicht gezogen worden seien. Insofern bestehe Anpassungsbedarf, was bereits bei der Protokollierung einer Hauptverhandlung beginne. Anstelle des rudimentären Formalprotokolls müsse eine audiovisuelle Aufzeichnung treten, die sowohl dem Gericht als auch den Verfahrensbeteiligten diene und Wissenschaftlern und Journalisten nach dem rechtskräftigen Abschluss des Strafverfahrens zur Verfügung zu stellen sei. Ferner sei bei einem zu kleinen Sitzungssaal die Verhandlung in Bild und Ton in einen oder mehrere Zuschauerräume zu übertragen, denn die Verhandlungen seien ausweislich des § 169 S. 1 GVG  a. F. öffentlich und es stehe dort gerade nicht, wie öffentlich sie sein müssen. Zudem müsse sich die Justiz ihre Legitimation auch über die Öffentlichkeit immer wieder neu erarbeiten, weshalb an den Bundesgerichten der Beginn einer Verhandlung sowie die Urteilsverkündung massenmedial übertragen werden solle. Das Ansehen der Justiz werde nicht durch einen nicht auszuschließenden Missbrauch der Aufzeichnungen, sondern durch die Weigerung der Richter, sich auch nur in einem so minimalen Umfang der Medienöffentlichkeit zu stellen, gefährdet und beeinträchtigt. Überdies könne man es in Erwägung ziehen, eine (zeitversetzte) Übertragung der Verhandlungen an den obersten Bundesgerichten über das Internet zur Verfügung zu stellen. Einschränkend weißt Prantl jedoch darauf hin, dass unter „Journalisten“ nur diejenigen zu verstehen seien, die diese Funktion hauptberuflich ausüben und solche, die durch eine Redaktion für ihre journalistische Tätigkeit beauftragt werden.193 c) Thesen von Gerhard Strate Auch Strate betont die Entwicklung der Informations- und Mediengesellschaft, die es gebiete, Gerichtssäle für die interessierte Öffentlichkeit zu mittels moderner Massenmedien partiell, jedenfalls weiter als bisher, zu öffnen. Diejenigen Personen, die keine Gelegenheit haben um der Verhandlung beizuwohnen, seien von vornherein darauf beschränkt, mit einer Berichterstattung aus zweiter Hand zu leben. Jedoch habe das Niveau dieser Berichterstattung in den vergangenen Jahren massiv an Qualität verloren. Dies liege unter anderem daran, dass sich die Printmedien dem schnelllebigen Erzählstil der audiovisuellen Medien angepasst hätten, worunter auch die qualifizierte Gerichtsreportage leide. Die große Mehrzahl derjenigen Medienvertreter, die über Gerichtsverfahren berichten, hätten kein Verständnis vom Ablauf und von den strukturellen Eigenheiten des deutschen Rechtswesens und könnte 193  Thesen zum Referat Prantls anlässlich des 71.  Deutschen Juristentages, vgl. Verhandlungen des 71. Deutschen Juristentages Essen 2016, Bd. II/1, S. M39 ff.



A. Der Öffentlichkeitsgrundsatz nach dem EMöGG303

aufgrund der unqualifizierten Berichterstattung das Vertrauen der Bürger in das Funktionieren des Rechtsstaates nicht fördern.194 2. Wesentliche Beschlüsse des 71. Deutschen Juristentages An dieser Stelle sollen ausgewählte, für diese Untersuchung wesentliche Beschlüsse des 71. Deutschen Juristentages dargestellt werden, die den aktuellen Diskussionsverlauf repräsentieren und vom Abstimmungsergebnis her am aufschlussreichsten für die Bewertung der angestellten Reformüberlegungen sind.195 a) Beschlüsse hinsichtlich der Übertragung von Entscheidungsverkündungen Die aufgestellte These, dass Ton- und Filmaufnahmen der gesamten öffentlichen Hauptverhandlung aller Gerichte des Bundes und der Länder zum Zwecke der öffentlichen Vorführung oder der Veröffentlichung ihres Inhaltes zulässig sein sollten, wurde mit drei Ja-Stimmen, 109  Nein-Stimmen und zwei Enthaltungen eindeutig abgelehnt. Auch eine Totalübertragung aller Hauptverhandlungen, wenn die Herstellung und Verbreitung der getätigten audiovisuellen Aufnahmen in der alleinigen Verantwortung der Gerichte liegt, wurde eindeutig mit zehn Ja-Stimmen, 97 Nein-Stimmen bei vier Enthaltungen abgelehnt. Einer zeitgleichen oder zeitversetzten Übertragung von Verhandlungen der obersten Bundesgerichte wurde zwar nicht derart eindeutig, aber immerhin mit 25  Ja-Stimmen, 69  Nein-Stimmen und zehn Enthaltungen entgegengetreten. Ein ähnliches Resultat wurde bei der Frage, ob Ton- und Filmaufnahmen der Entscheidungsverkündungen an allen Gerichten der Länder zum Zwecke der öffentlichen Vorführung oder der Veröffentlichung ihres Inhaltes zulässig sein sollten, mit 26  Ja-Stimmen, 84  Nein-Stimmen und zwei Enthaltungen erzielt. Auf Zustimmung mit 54 Ja-Stimmen, 26 Nein-Stimmen bei 27 Enthaltungen stieß hingegen die These, dass für Hauptverhandlungen an den obersten Gerichten des Bundes eine Vorschrift entsprechend des § 17a  BVerfGG  a. F. 194  Thesen zum Referat Strates anlässlich des 71.  Deutschen Juristentages, vgl. Verhandlungen des 71. Deutschen Juristentages Essen 2016, Bd. II/1, S. M53. 195  Beschlüsse des 71. Deutschen Juristentages, vgl. Verhandlungen des 71. Deutschen Juristentages Essen 2016, Bd. II/1, S. M55 ff.

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5. Kap.: Das EMöGG

eingeführt werden sollte, die Bild- und Tonaufnahmen sowie deren Veröffentlichung vom Beginn der Hauptverhandlung und von der Urteilsverkündung einschließlich der mündlichen Urteilsbegründung ermöglicht. b) Beschlüsse hinsichtlich der Übertragung in einen Nebenraum Auf Ablehnung stieß die These, eine Videoübertragung der Hauptverhandlung aus einem zu kleinen Sitzungssaal in einen oder mehrere Nebenräume für die allgemeine Saalöffentlichkeit bei einem zu geringen Platzkontingent im eigentlichen Verhandlungssaal zu ermöglichen (21 Ja-Stimmen, 80 NeinStimmen und 12 Enthaltungen). Vor dem Hintergrund des aktuellen Diskussionsstandes ist es verwunderlich, dass auch eine Übertragung in einen Medienraum nicht auf Zustimmung der abstimmungsberechtigten Teilnehmer des Deutschen Juristentags stieß, sondern mit 40  Ja-Stimmen, 67  Nein-Stimmen bei fünf Enthaltungen abgelehnt wurde.196 c) Beschlüsse hinsichtlich Dokumentation und Transparenz der Strafjustiz Die These, man solle das bisherige Hauptverhandlungsprotokoll durch eine audiovisuelle Aufzeichnung der Hauptverhandlung ersetzen und dieses nach dem rechtskräftigen Abschluss des Strafverfahrens Wissenschaftlern und Journalisten zugänglich machen, wurde klar mit einer Ja-Stimme, 106 Nein-Stimmen und sieben Enthaltungen abgelehnt. Mit eindeutigem Ergebnis von 74  Ja-Stimmen, 19  Nein-Stimmen bei 18  Enthaltungen wurde die These, dass eine rechtswidrige Herstellung von Bild- und Tonaufnahmen in der Hauptverhandlung und deren Veröffentlichung unter Strafe gestellt werden sollte. Mit 99  Ja-Stimmen, 3  Nein-Stimmen und 10  Enthaltungen wurde beschlossen, dass § 176  GVG dahingehend erweitert werden sollte, dass der Vorsitzende innerhalb seiner sitzungspolizeilichen Befugnisse hinsichtlich außerhalb der Verhandlung im Gerichtssaal angefertigter Bild- und Tonaufnahmen die Anonymisierung anordnen kann. Bei unbefugt getätigten Aufnahmen im Sitzungssaal während der Hauptverhandlung kann er deren Beschlagnahme und Löschung beantragen.

196  Insbesondere in Anbetracht dieses überraschenden Ergebnisses wäre eine Teilnehmerliste der an der Abstimmung mitwirkenden Mitglieder des Deutschen Juristentags interessant gewesen.



A. Der Öffentlichkeitsgrundsatz nach dem EMöGG305

VIII. Gesetzesentwurf des EMöGG der Bundesregierung Am 31.  August  2016 wurde der Gesetzesentwurf der Bundesregierung zum EMöGG veröffentlicht, der als Bundestags-Drucksache  18 / 10144 gemäß § 77 GO-BT in den Bundestag eingebracht wurde. Diesen hat der Bundestag am 15. Dezember 2016 zur federführenden Beratung an den Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz überwiesen.197 Bei der Erstellung des Gesetzesentwurfs wurden die Ausführungen des Referentenentwurfs des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz im Wesentlichen aufgegriffen. 1. Konkrete Ausgestaltung des Gesetzesentwurfs Der Gesetzesentwurf der Bundesregierung (im Folgenden „Reg-E  GVG“) zum EMöGG sieht in Artikel 1 eine Änderung des § 169 GVG a. F. wie folgt vor: § 169 wird wie folgt geändert: a)  Der Wortlaut wird Absatz 1 und die folgenden Sätze werden angefügt: „Die Tonübertragung in einen Arbeitsraum für Personen, die für Presse, Hörfunk, Fernsehen oder für andere Medien berichten, kann von dem Gericht zugelassen werden. Die Tonübertragung kann zur Wahrung schutzwürdiger Interessen der Beteiligten oder Dritter oder zur Wahrung eines ordnungsgemäßen Ablaufs des Verfahrens teilweise untersagt werden. Im Übrigen gilt für den in den Arbeitsraum übertragenen Ton Satz 2 entsprechend.“ b)  Die folgenden Absätze 2 bis 4 werden angefügt: „(2)  Ton- und Filmaufnahmen der Verhandlung einschließlich der Verkündung der Urteile und Beschlüsse können zu wissenschaftlichen und historischen Zwecken von dem Gericht zugelassen werden, wenn es sich um ein Verfahren von herausragender zeitgeschichtlicher Bedeutung für die Bundesrepublik Deutschland handelt. Zur Wahrung schutzwürdiger Interessen der Beteiligten oder Dritter oder zur Wahrung eines ordnungsgemäßen Ablaufs des Verfahrens können die Aufnahmen teilweise untersagt werden. Die Aufnahmen sind nicht zur Akte zu nehmen und dürfen nicht herausgegeben oder zu Verfahrenszwecken genutzt werden. Sie sind vom Gericht nach Abschluss des Verfahrens demjenigen zuständigen Bundes- oder Landesarchiv zur Übernahme anzubieten, das nach dem Bundesarchivgesetz oder einem Landesarchivgesetz festzustellen hat, ob den Aufnahmen ein bleibender Wert zukommt. Nimmt das Bundesarchiv oder das jeweilige Landesarchiv die Aufnahmen nicht an, sind die Aufnahmen durch das Gericht zu löschen.

197  https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2016/kw50-de-medien-ge richtsverfahren/484010 (zuletzt am 04.04.2018).

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5. Kap.: Das EMöGG

(3)  Abweichend von Absatz  1 Satz  2 kann das Gericht für die Verkündung von Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in besonderen Fällen Ton- und FernsehRundfunkaufnahmen sowie Ton- und Filmaufnahmen zum Zweck der öffentlichen Vorführung oder der Veröffentlichung ihres Inhalts zulassen. Zur Wahrung schutzwürdiger Interessen der Beteiligten oder Dritter sowie eines ordnungsgemäßen Ablaufs des Verfahrens können die Aufnahmen oder deren Übertragung teilweise untersagt oder von der Einhaltung von Auflagen abhängig gemacht werden. (4)  Die Beschlüsse des Gerichts nach den Absätzen 1 bis 3 sind unanfechtbar.“198

2. Wesentlicher Inhalt des Gesetzesentwurfs Der Gesetzesentwurf der Bundesregierung beabsichtigte, der veränderten Medienlandschaft und dem zunehmenden Informationsbedürfnis der Allgemeinheit gerecht zu werden, da gerichtliche Verfahren für das besagte Informationsbedürfnis von erheblichem Interesse seien. Dieses Informationsbedürfnis werde heutzutage überwiegend durch die mittelbare Öffentlichkeit, die vornehmlich durch Journalisten hergestellt wird, sichergestellt. Der Grundsatz der Zugänglichkeit von Informationen, die für die individuelle und öffentliche Meinungsbildung von Bedeutung sind, sei im Demokratieprinzip verankert. Zudem schütze Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG das Grundrecht auf freie Information aus allgemein zugänglichen Quellen und Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG die Rundfunk- und Pressefreiheit. Andererseits sei aber zu berücksichtigen, dass eine mediale Berichterstattung über ein Gerichtsverfahren zu enormen Eingriffen in das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG sowohl des Angeklagten als auch von Opfern, weiteren Zeugen und sonstigen Beteiligten sowie von Parteien in Gerichtsverfahren führen kann. Eine unangemessene oder gar reißerische Berichterstattung könne selbst bei einer späteren Verurteilung des Angeklagten dazu beitragen, dass dessen Resozialisierung erschwert werde. Eine Berichterstattung mit Bild des Angeklagten und Nennung des Namens, die das mutmaßliche Tatgeschehen mit dem Angeklagten in Verbindung bringt, sei zudem geeignet, eine Vorverurteilung zu erzeugen, die insbesondere dann zu erheblichen Beeinträchtigungen führe, wenn der Angeklagte später von den Tatvorwürfen ganz oder zum Teil  freigesprochen werde. Die Gefahr eines Eingriffs in die Rechte dieser Verfahrensbeteiligten verstärke sich im Fall einer uneingeschränkten Berichterstattung in den Medien selbst dann, wenn diese wahrheitsgemäß das wiedergeben, was sich in der mündlichen Verhandlung zuträgt oder zugetragen hat.199 198  Gesetzesentwurf 199  Gesetzesentwurf

der Bundesregierung vom 23.08.2016, S. 4 f. der Bundesregierung vom 23.08.2016, S. 13 f.



A. Der Öffentlichkeitsgrundsatz nach dem EMöGG307

Hinsichtlich der weiteren Begründung sind die Ausführungen des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung weitestgehend identisch mit denen zur Begründung des Referentenentwurfs.200 Es wurde aber explizit darauf hingewiesen, dass andere Teile der Gerichtsverhandlung unter keinen Umständen für eine Medienübertragung geöffnet werden sollen. Bild- und Tonaufnahmen, die zum Zweck einer zeitgleichen oder zeitversetzten Medienübertragung von Gerichtsverfahren gefertigt würden, könnten nicht nur wegen ihrer potentiell unbegrenzten Verbreitungsmöglichkeiten, sondern auch wegen der Schwierigkeit der Kontrolle ihrer späteren Nutzung und Verwertung vor dem Hintergrund der Persönlichkeitsrechte der Verfahrensbeteiligten erhebliche, derzeit nicht beherrschbare Risiken bergen. Zwar sei durch die Medienvertreter auf die Möglichkeiten der Selbstregulierung hingewiesen worden, mittels derer eine missbräuchliche Verwendung von Ton- und Bilddokumenten geahndet werden könne. Zudem seien organisatorische, technische und gesetzliche Schutzmechanismen denkbar, die derartige Risiken abmildern könnten. Allerdings können Medienübertragungen aus der mündlichen Verhandlung gerade aufgrund der möglichen Weiter- und Nachnutzung sowohl den Verfahrensablauf erheblich stören als auch die Interessen der Beteiligten beeinträchtigen.201 a) § 169 Abs. 1 S. 3 Reg-E GVG Der Gesetzesentwurf der Bundesregierung sah vor, eine Tonübertragung in einen Medienarbeitsraum zuzulassen, um bei Kapazitätsengpässen innerhalb des Verhandlungssaales den Medienvertretern die Möglichkeit einzuräumen, den Gang der mündlichen Verhandlung dennoch zu verfolgen. Eine Übertragung von Bildern aus dem Verhandlungssaal ist auch im Gesetzesentwurf nicht vorgesehen. Als Grund dafür wurde der geringere Eingriff in die Persönlichkeitsrechte der Verfahrensbeteiligten genannt. Diese gesetzliche Regelung sei angezeigt, weil es derzeit in gerichtlicher Praxis und juristischer Wissenschaft umstritten sei, ob eine Tonübertragung in einen Medienarbeitsraum nicht bereits zulässig ist. Die reine Tonübertragung sei aber gleichzeitig ausreichend, da eine gerichtsinterne Audio-Übertragung deutlich weniger intensiv in die Persönlichkeitsrechte der Verfahrensbeteiligten eingreife als jede Form der Bildübertragung.202 Dadurch, dass der Arbeitsraum nur für Personen, die für Presse, Hörfunk, Fernsehen oder für andere Medien berichten, zugänglich sein soll, könne man gewährleisten, dass der Zweck des § 243 Abs. 2 StPO, wonach die Zeugen bei der Vernehmung des Angeklagten 200  Dazu

oben in Kap. 5, A. IV. 3. der Bundesregierung vom 23.08.2016, S. 17. 202  Gesetzesentwurf der Bundesregierung vom 23.08.2016, S. 18 f. 201  Gesetzesentwurf

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5. Kap.: Das EMöGG

nicht zugegen sein dürfen, nicht vereitelt wird. Zum anderen werde klargestellt, dass es sich um eine rein gerichtsinterne Übertragung in einen Arbeitsraum handele, die nicht zu einer Erweiterung der allgemeinen Saalöffentlichkeit führe.203 Die Ermächtigung zur Übertragung der Verhandlung in einen Medienarbeitsraum erstrecke sich nicht auf eine Aufzeichnung oder Speicherung des Tonmaterials.204 Auch § 169 Abs. 1 S. 3 Reg-E  GVG wurde als Ermessensentscheidung ausgestaltet, bei der das Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit, der Schutz der allgemeinen Persönlichkeitsrechte der Beteiligten, deren Anspruch auf ein faires Verfahren sowie die Funktionstüchtigkeit der Rechtspflege zu berücksichtigen sei. In Bezug auf strafrechtliche Verfahren sei im Rahmen des Ermessens kritisch zu prüfen, ob die besondere mediale Aufmerksamkeit einem besonderen, über bloße die Neugier und Sensationslust hinausgehenden, öffentlichen Interesse geschuldet ist, welches mit den persönlichen Belangen des Angeklagten in Einklang zu bringen sei. Ferner kann zu berücksichtigen sein, für wie viele Medienvertreter der Verhandlungssaal bereits Platz bietet, wie viele weitere Plätze in dem Medienarbeitsraum zur Verfügung stehen und ob die Summe der damit zur Verfügung stehenden Plätze angesichts der Bedeutung des Verfahrens für die Öffentlichkeit angemessen erscheine.205 b) § 169 Abs. 2 Reg-E GVG § 169 Abs. 2 Reg-E GVG lässt Ton- und Filmaufnahmen von Gerichtsverhandlungen einschließlich der Verkündung der Urteile und Beschlüsse für wissenschaftliche und historische Zwecke zu. Diese Abweichung von dem in § 169 Abs. 1 S. 2 Reg-E  GVG verorteten Verbot soll im Ermessen des zuständigen Gerichtes stehen. Ein Anspruch auf Zulassung von Film- und Tonaufnahmen zu wissenschaftlichen und historischen Zwecken wurde allerdings nicht vorgesehen. Die Frage, ob es sich um ein Verfahren von herausragender, zeitgeschichtlicher Bedeutung handelt, richte sich einzig nach den im Zeitpunkt der jeweiligen Entscheidung vorliegenden Umständen des Verfahrens. Sie sei für jede Instanz gesondert durch das jeweils zuständige Gericht zu prüfen und zu beantworten. Infolgedessen könne beispielsweise bei Verfahren mit terroristischem oder politischem Hintergrund oder solchen, die Werteentscheidungen von gesamtgesellschaftlicher Bedeutung berühren, Anlass zur Aufzeichnung bestehen. Insbesondere dann, wenn sich hierzu bereits ein besonders großes und überregionales öffentliches Interesse zeige, welches sich erwartungsgemäß auch 203  Gesetzesentwurf

der Bundesregierung vom 23.08.2016, S. 28. der Bundesregierung vom 23.08.2016, S. 29. 205  Gesetzesentwurf der Bundesregierung vom 23.08.2016, S. 28. 204  Gesetzesentwurf



A. Der Öffentlichkeitsgrundsatz nach dem EMöGG309

noch auf künftige Generationen erstrecken oder die Aufklärung gerade der Nachwelt über Einzelheiten von gerichtlich aufgearbeiteten Geschehnissen für bedeutsam gehalten werde, sei ein solches anzunehmen. Gleichzeitig muss es sich um Verfahren handeln, die für die gesamte Bundesrepublik Deutschland von Bedeutung sind. Bei der Beurteilung werde es auf die Sachund Rechtsfragen ankommen, welche Gegenstand des Verfahrens sind. So werde nicht zwingend jedes Verfahren, das eine absolute oder relative Person der Zeitgeschichte betrifft, bereits aus diesem Grunde herausragende zeitgeschichtliche Bedeutung beizumessen sein.206 c) § 169 Abs. 3 Reg-E GVG § 169 Abs. 3 Reg-E GVG stellt eine Ausnahme von § 169 Abs. 1 S. 2 RegE GVG dar und bestimmt, dass Ton- und Filmaufnahmen bei der öffentlichen Verkündung von Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in besonderen Fällen zugelassen werden können. Die Formulierung berücksichtigt die spezifischen Anforderungen der obersten Bundesgerichte, bei denen eine Medien­ übertragung von Urteilsverkündungen nicht den Regelfall darstellen soll. Das Gericht soll in besonderen Fällen ausnahmsweise die Medien­übertragung von Urteilsverkündungen zulassen können. Hinsichtlich der Entscheidungs­ verkündungen soll eine moderate Lockerung des Grundsatzes der Öffentlichkeit nur auf die obersten Bundesgerichte beschränkt bleiben, da sie aufgrund der besonderen Qualifikation und Erfahrung der Bundesrichter am ehesten geeignet seien, Medienübertragung durchzuführen. Anders als den Entscheidungen der Instanzgerichte komme den Entscheidungen der obersten Bundesgerichte wegen ihrer rechtsgrundsätzlichen Bedeutung häufig eine erhebliche Breitenwirkung zu.207 Im Einzelnen können besondere Fälle, bei denen eine Übertragung erfolgen soll, Fallgestaltungen sein, in denen die obersten Bundesgerichte derzeit Presseerklärungen herausgeben. Davon dürfte aber wiederum nur ein geringer Teil dieser Urteilsverkündungen für die überregionale Presse von Interesse sein. Nicht jedes Verfahren, das durch eine Presseerklärung begleitet wird, dürfte sich aber zugleich für eine Übertragung durch die Hörfunk- und Fernsehanstalten eignen. In Strafsachen vor dem Bundesgerichtshof kann als Kriterium hinzukommen, inwieweit sich eine Medienübertragung der Urteilsverkündung auf die Belange des Angeklagten auswirken wird. Hier ist neben dem Persönlichkeitsschutz auf die Sicherheit des Angeklagten sowie dessen Resozialisierungsinteresse abzustellen. Vor allem in Haftsachen wird die Zulassung der Medienübertragung nicht in Betracht kommen, wenn dies zu einer unangemessenen Verfahrensverzögerung 206  Gesetzesentwurf 207  Gesetzesentwurf

der Bundesregierung vom 23.08.2016, S. 29. der Bundesregierung vom 23.08.2016, S. 18.

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5. Kap.: Das EMöGG

führen würde. Genehmigt das Gericht die Aufnahmen nach § 169 Abs. 3 Reg-E  GVG, so gewährt es, anders im Bereich der Regelungen in § 169 Abs. 2, 3 Reg-E  GVG, außenstehenden Personen die Möglichkeit, selbst Aufnahmen im Saal zu fertigen. Um die Kontrolle hierüber nicht aus der Hand zu geben und um die Persönlichkeitsrechte der Verfahrensbeteiligten effektiv zu schützen, soll das Gericht die Aufnahme oder Übertragung der Entscheidungsverkündung nicht nur teilweise untersagen, sondern überdies von Auflagen abhängig machen können.208 d) § 169 Abs. 4 Reg-E GVG Nach § 169 Abs. 4 Reg-E  GVG sollten die Beschlüsse des Gerichts nicht anfechtbar sein, damit kein Grund für nachträgliche Rügen geschaffen und der Verfahrensablauf nicht beeinträchtigt und verzögert werde. Die Unanfechtbarkeit der Entscheidung beeinträchtige nicht die Rechtsschutzgarantie aus Art. 19 Abs. 4 GG. Damit komme es bei der geplanten Regelung des § 169 Abs. 4 Reg-E GVG im Vergleich zu der bisherigen Regelung in § 17a Abs. 4 Reg-E  BVerfGG zu einer Abweichung, die die Möglichkeit eröffnet, gegen die im neugefassten § 17a  BVerfGG  a. F. vorgesehenen Anordnungen des oder der Vorsitzenden zur Medienöffentlichkeit im Verfahren den Senat anzurufen.209 3. Kosten der Gesetzesänderung des § 169 GVG a. F. Die Kosten für eine Tonübertragung in den Medienarbeitsraum wurden grundsätzlich als gering eingeschätzt. Grundlage für diese Berechnung sei die Annahme, dass an den Gerichten bereits Mikrofontechnik und Telefon­ anlagen vorhanden seien. Diese können ohne die Anschaffung weiterer technischer Einrichtungen für eine einfache Tonübertragung in einen Arbeitsraum genutzt werden. Die Kosten für die einmalige technische Ausstattung  – soweit noch nicht vorhanden  – dürften sich im Rahmen von EUR  500,00 bewegen. Für die Archivaufzeichnungen müssten geeignete Mikrofone und Kameras vorhanden sein, die gegebenenfalls angeschafft werden müssen. Dafür sei ein einmaliger Aufwand in Höhe von maximal EUR 10.000,00 anzusetzen. Ferner käme Personaleinsatz für die Überwachung der Technik je nach Stunden208  Gesetzesentwurf

der Bundesregierung vom 23.08.2016, S. 33. der Bundesregierung vom 23.08.2016, S. 30, 34; kritisch zur konkreten Ausgestaltung des § 169 Abs. 4 Reg-E GVG Loubal/Hofmann, MMR 2016, 669, 672 f. 209  Gesetzesentwurf



A. Der Öffentlichkeitsgrundsatz nach dem EMöGG311

zahl der Verhandlungen in Betracht. Gehe man bei einem Großverfahren von etwa 100 Verhandlungstagen à fünf Stunden aus, seien Personalkosten für eine Person von 500 Stunden anzusetzen. Berechne man pro Stunde ca. EUR 27,10 (Stundenlohn eines Beamten des mittleren Dienstes der Länder), so sei ein Betrag in Höhe von ca. EUR  13.550,00 aufzuwenden. Es könne ferner angenommen werden, dass Verfahren mit zeitgeschichtlicher Bedeutung nur etwa alle fünf Jahre vorkommen.210 Bei jährlichen Mehrkosten ohne Einmalaufwand in Höhe von ca. EUR 13.550,00 für ein Verfahren, seien dies durchschnittlich EUR 2.710,00 pro Jahr.211 Da für die Übertragungsqualität von Hörfunk- und Fernsehaufnahmen stets Mikrofone und Kameras erforderlich sein werden, gehe man – entsprechend der bisherigen Praxis bei Presseterminen – davon aus, dass die obersten Bundesgerichte diese Einrichtungen nicht selbst anschaffen, sondern die interessierten Hörfunk- und Fernsehsender die erforderliche Technik selbst zur Verfügung stellen. Zur Vereinfachung könne auch hier eine Poollösung gewählt werden. Der Mehraufwand werde sich also darauf beschränken, die zu installierenden Geräte von Sicherheitspersonal zu überprüfen und den Aufbau von zu überwachen. Gehe man großzügig geschätzt von 50 Entscheidungsverkündungen aus, die in den Medien übertragen werden sollen, so wären dies für alle Bundesgerichte zusammen Mehrkosten in Höhe von EUR 4.385,00 pro Jahr.212

IX. Stellungnahme des Bundesrates zum Gesetzesentwurf der Bundesregierung Der Bundesrat hat in seiner 949.  Sitzung am 14.  Oktober  2016 beschlossen, zu dem Entwurf eines Gesetzes zur Erweiterung der Medienöffentlichkeit in Gerichtsverfahren und zur Verbesserung der Kommunikationshilfen für Menschen mit Sprach- und Hörbehinderung (EMöGG) gemäß Art. 76 Abs. 2 GG Stellung zu nehmen.213 Im Folgenden wird sich die Wiedergabe des Inhalts der Stellungnahme auf die für die ordentliche Gerichtsbarkeit respektive die für die Strafjustiz relevanten Aussagen und Anmerkungen beschränken. § 169 Abs. 1 S. 3 Reg-E  GVG statuiere keinerlei Voraussetzungen für die Zulassung der Übertragung in einen Medienarbeitsraum, vielmehr werde die 210  Wie man dies ohne empirische Nachweise belegen kann, ist fraglich. Tendenziell steigt die Anzahl derartiger Verfahren. 211  Gesetzesentwurf der Bundesregierung vom 23.08.2016, S. 25. 212  Gesetzesentwurf der Bundesregierung vom 23.08.2016, S. 26 mit einer weitergehenden Kostenaufschlüsselung. 213  BR-Drs. 492/16.

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5. Kap.: Das EMöGG

Anordnung ausschließlich in das Ermessen des Gerichts gestellt. Daher sei in § 169 Abs. 1 S. 3 Reg-E  GVG der Punkt am Ende durch ein Komma zu ersetzen und die Wörter „wenn zu erwarten ist, dass die für sie im Sitzungszimmer zur Verfügung stehenden Plätze nicht ausreichen“, anzufügen. Gerichtsinterne Übertragung sollen vor dem Hintergrund der Belastungen der Verfahrensbeteiligten, aber auch der Justizverwaltung nicht anlasslos zugelassen werden können. Eine gerichtsinterne Übertragung habe vielmehr nur in den seltenen Fällen, in denen zu erwarten ist, dass Medienvertreter aufgrund des außergewöhnlich hohen Andrangs im Sitzungssaal selbst keinen Platz erhalten, stattzufinden.214 Sowohl die Empfehlungen der Bund-LänderArbeitsgruppe215 als auch der Beschluss der Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister216 sowie die Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung sprechen an zahlreichen Stellen von dem Erfordernis eines erheblichen Medieninteresses respektive vorhandener Kapazitätsengpässe innerhalb des Sitzungssaals. Durch die Aufnahme dieser einschränkenden Voraussetzungen in den Wortlaut der geplanten gesetzlichen Neuregelung werde zugleich ein etwaiges Missverständnis dahingehend, dass Gerichte flächendeckend seitens der Justizverwaltungen mit Medienarbeitsräumen auszustatten seien, vorgebeugt. Gleichzeitig komme durch die Ergänzung des Wortlauts das Regel-Ausnahme-Verhältnis deutlicher zur Geltung.217 Es wurde außerdem empfohlen, in § 169 Abs. 1 S. 4 Reg-E GVG sowie in § 169 Abs. 2 S. 2 Reg-E  GVG und entsprechend in § 17a Abs. 3 S. 2 RegE BVerfGG die Wörter „teilweise untersagt“ durch „ganz oder teilweise untersagt oder von der Einhaltung von Auflagen abhängig gemacht“ zu ersetzen. In § 169 Abs. 3 S. 2 Reg-E GVG sollten nach dem Wort „Übertragung“ die Wörter „ganz oder“ eingefügt werden. Begründet wurde dies damit, dass die Änderung auf einen Gleichlauf der gesetzlichen Regelungen zu den Beendigungs- und Einschränkungsmöglichkeiten von Übertragungen und Aufnahmen abstellen. Bislang wurde jedoch im Gesetzesentwurf zwischen drei verschiedenen Ausgestaltungen differenziert, was sich von einer Befugnis zur teilweisen Untersagung (§ 169 Abs. 1 S. 4, Abs. 2 S. 2 Reg-E  GVG, § 17a Reg-E  BVerfGG) über eine solche zur teilweisen Untersagung und Anordnung von Auflagen (§ 169 Abs. 3 S. 3 Reg-E  GVG) bis hin zur vollständigen und teilweisen Untersagung sowie zur Anordnung von Auflagen (§ 17a Abs. 2 Reg-E  BVerfGG). Ein sachlicher Grund für diese Unterscheidung war nach Ansicht des Bundesrates nicht ersichtlich. Es sollte vielmehr bei allen drei geplanten Regelungskomplexen die Notwendigkeit einer Be214  BR-Drs.

492/16, S. 1. die Ausführungen in Kap. 5, A. III. 2. 216  Siehe die Ausführungen in Kap. 5, A. III. 1 h). 217  BR-Drs. 492/16, S. 2. 215  Siehe



A. Der Öffentlichkeitsgrundsatz nach dem EMöGG313

fugnis bestehen, die Übertragung bzw. die Aufnahmen für den weiteren Verfahrensgang zu beenden (ganz zu untersagen), einzelne Teile auszunehmen (teilweise zu untersagen) oder die Fortsetzung der Übertragung oder die Fertigstellung der Aufnahmen von Auflagen abhängig zu machen. Dadurch könnte bereits im Einzelfall mittels einer Anordnung von Auflagen und somit einem im Vergleich zur vollständigen Untersagung milderen Mittel den schutzwürdigen Interessen von Beteiligten oder Dritten und dem ordnungsgemäßen Ablauf des Verfahrens hinreichend Rechnung getragen werden.218 Als letzter, für die vorliegende Untersuchung relevanter Gesichtspunkt, war die Bitte des Bundesrates zu sehen, im weiteren Gesetzgebungsvorhaben zu prüfen, inwiefern der Zugriff auf die Ton- und Filmaufnahmen zu anderen als historischen und wissenschaftlichen Zwecken verhindert werden könne. Es sollte geprüft werden, inwieweit die Zugänglichkeit zu diesen Aufnahmen vor dem Ablauf der großzügig ausgestalteten Sperrfristen bundeseinheitlich ausgeschlossen werden könne, § 169 Abs. 2 S. 4, 5 Reg-E  GVG. Als Prämisse für die geplante Neuregelung einer audiovisuellen Dokumentation von Gerichtsverfahren müsse nach Ansicht des Bundesrats sein, dass das jeweilige Archiv, dem die angefertigten Aufnahmen zur Verfügung gestellt werden, vor dem Ablauf jahrzehntelanger Schutzfristen, „stählern“ gegenüber Zugriff begehren (auch zu anderen als wissenschaftlichen oder historischen Zwecken) ausgestaltet sind. Denn nur unter derartig engen Voraussetzungen werden die Eingriffe in die Persönlichkeitsrechte der Verfahrensbeteiligten auf ein verträgliches Minimum reduziert. Gleichzeitig werde die Gefahr einer beeinträchtigten Wahrheitserforschung aufgrund eines vor der Kamera veränderten Zeugenverhaltens auf ein akzeptables Maß reduziert. Diese Gewährleistung des unbedingten Einhaltens der Sperrfristen sei durch den Gesetzgeber bundeseinheitlich sicherzustellen. Die bisherige Ausgestaltung des Regierungsentwurfs überantworte die Zugänglichmachung der Aufnahmen jedoch einzig den jeweils zuständigen Bundes- und Landesarchivgesetzen, was der Tragweite dieser Norm nicht gerecht werde. So könnte man etwa in § 169 Abs. 2 Reg-E  GVG eine feststehende Schutzfrist von 30  Jahren nach dem Tod des Betroffenen festschreiben und zugleich die Befugnis eines Zugriffs auf wissenschaftliche und historische Zwecke begrenzen. Kraft Sachzusammenhangs könnte für die Regelung nicht abdingbarer Schutzvorschriften zugunsten der Persönlichkeitsrechte der Verfahrensbeteiligten sowie vor dem Hintergrund der bestmöglichen Wahrheitserforschung auf Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG zurückgegriffen werden.219

218  BR-Drs. 219  BR-Drs.

492/16, S. 3. 492/16, S. 3 f.

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5. Kap.: Das EMöGG

X. Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz: Beschlussempfehlung und Bericht Der Deutsche Bundestag beriet die Vorlage auf Drucksache 18 / 10144 in seiner 209. Sitzung am 15. Dezember 2016 und an den Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz zur federführenden Beratung sowie an den Ausschuss für Kultur und Medien und den Ausschuss Digitale Agenda zur Mitberatung überwiesen. Der Ausschuss für Kultur und Medien beriet die Vorlage auf Drucksache 18 / 10144 in seiner 84.  Sitzung und der Ausschuss Digitale Agenda in seiner 89. Sitzung, jeweils am 31. Mai 2017. Bevor die tatsächliche Beschlussempfehlung des federführenden Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz220 dargestellt wird, soll auf die durch den Ausschuss angehörten Sachverständigen und – sofern diese vorliegen  – auf deren schriftliche Stellungnahmen, die der Beschlussempfehlung als Anlage beigefügt sind, eingegangen werden. 1. Stellungnahme Deutscher Richterbund Der Deutsche Richterbund sprach sich in seiner Stellungnahme zum Regierungsentwurf vom März  2017221 gegen eine Änderung der Vorschriften über den Öffentlichkeitsgrundsatz aus, sofern diese die Regelung in § 169 Abs. 2 Reg-E  GVG betreffen. Wesentlicher Grundsatz des deutschen Strafprozesses ist das Schuldprinzip. Mit dem Gesetzentwurf werde nun ein dem Strafprozess wesensfremder, neuer Verfahrenszweck begründet, nämlich die wissenschaftliche und historische Forschung, wodurch es zu einer Überlagerung der individuellen Schuldfeststellung kommen könne. Dadurch könne die Prozessführung wesentlich beeinträchtigt werden. In vielen Gerichtsverfahren der jüngeren Vergangenheit sei es vorgekommen, dass Verfahrensbeteiligte durch eine Vielzahl von gestellten Anträgen abseits der eigentlichen Prozessmaterie versucht hätten, den jeweiligen Prozess in eine andere Richtung zu lenken. Mit der geplanten Änderung des § 169  GVG  a. F. stehe zu befürchten, dass sich derartige Anträge häufen werden. Das werde die Prozessführung, die insbesondere in vermehrt stattfindenden Großverfahren ohnehin am Rande der Justiziabilität sei, weiter erschweren und sei vor dem Hintergrund der großen Relevanz der betroffenen Verfahren nicht akzeptabel. Ein derart neuer Verfahrenszweck sei zudem überhaupt nicht notwendig, da 220  Die Beschlussempfehlung mit Bericht nebst den dazugehörenden Anlagen ist online abrufbar unter: http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/125/1812591.pdf (zuletzt am 04.04.2018). 221  Abgedruckt als Anlage zur Beschlussempfehlung mit Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz, S. 69–72.



A. Der Öffentlichkeitsgrundsatz nach dem EMöGG315

am Verfahren Interessierte die für sie relevanten Verhandlungstage oder das Verfahren in seiner Gesamtheit bereits besuchen und wortgetreue Mitschriften von Aussagen der Verfahrensbeteiligten anfertigen könnten.222 Haben Historiker oder andere Wissenschaftler das Bedürfnis, authentische Zeitzeugen zu hören, so stehe es ihnen frei, auf diese Personen zuzugehen und sie für den Fall ihres Einverständnisses individuell zu befragen. Dadurch komme man auch in keine Konfliktsituation mit dem Recht der Verfahrensbeteiligten am eigenen Bild, welches bei einer audiovisuellen Aufzeichnung eines Verfahrens unweigerlich tangiert werden würde.223 Nach Ansicht des Deutschen Richterbundes sei ferner zu befürchten, dass Verfahrensbeteiligte  – insbesondere Angeklagte  – deren Tat politisch oder terroristisch motiviert war, den als zeithistorisch bedeutsamen Prozess als eine Plattform nutzen könnten, um ihre politische Botschaft für die Nachwelt zu erhalten.224 Moniert wurde zudem, dass die im Gesetzesentwurf der Bundesregierung angestellte Kostenrechnung zu gering bemessen und dadurch verfehlt sei. Es werde in der Begründung des Gesetzesentwurfs davon ausgegangen, dass im Schnitt alle fünf Jahre mit einem Verfahren von zeitgeschichtlich bedeutsamen Wert zu rechnen sei. Entgegen dieser Annahme seien tendenziell mehrere Verfahren zu erwarten, die unter diese Regelung fallen könnten.225 2. Stellungnahme Frank Bräutigam Die Stellungnahme Bräutigams für den „Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz“ des Deutschen Bundestages vom 22.  März  2017226 beinhaltete im Wesentlichen diejenigen Thesen, die Bräutigam bereits in seiner Stellungnahme zum Referentenentwurf des EMöGG227 vertraten. Bräutigam stellte zu Beginn seiner Ausführungen klar, dass die ARD-Rechtsredaktion des SWR einer der Hauptnutzer in Bezug auf die Übertragung von Entscheidungsverkündungen der obersten Bundesgerichte wäre. Aufgrund dessen be222  Beschlussempfehlung mit Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz, S. 70. 223  Beschlussempfehlung mit Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz, S. 72. 224  Beschlussempfehlung mit Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz, S. 71. 225  Beschlussempfehlung mit Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz, S. 72. 226  Abgedruckt als Anlage zur Beschlussempfehlung mit Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz, S. 46–61. 227  Siehe die Ausführungen in Kap. 5, A. IV. 9.

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5. Kap.: Das EMöGG

zieht sich die Stellungnahme inhaltlich hauptsächlich auf diesen Aspekt der geplanten Gesetzesänderung, weshalb Bräutigam zunächst die konkrete Ausgestaltung der Nutzung des neuen Gesetzes anhand des „BGH-Urteils zur Kündigung von Bausparverträgen“ darlegte. Sodann wurde konstatiert, dass häufiger als eine solche Live-Übertragung die Entscheidungsverkündung mittels der Aufzeichnung durch Fernsehkameras erfolgen werde.228 Unter Verwertung solcher Originaltöne und -bilder erreiche man aufgrund der höheren Authentizität im Vergleich zu herkömmlichen Berichterstattungen definitiv ein großes Publikum.229 Die Gesetzesänderung sei primär eine große Chance für die Medien, die aber zugleich große Chancen für die Justiz und deren Ansehen in der Bevölkerung, vor allem in Zeiten, in denen die staat­ lichen Institutionen immer mehr in Frage gestellt würden.230 Anknüpfend an die Darstellung der Umsetzung des Reformvorhabens hinsichtlich der Entscheidungsverkündungen folgten Informationen betreffend den technischen Aufwand. Für den Bundesgerichtshof bedeute dies nach Ansicht Bräutigams einen größeren Bedarf an Umbauten in den einzelnen Verhandlungssälen in Gestalt von besseren Tonanlagen, besseren Lichtverhältnissen und einem guten Mobilfunksignal für eine Übertragung der Bilder ohne große Technik. Dies seien bei weitem keine „Luxusausstattungen“, sondern die nötigsten Dinge, um angemessene Aufnahmen zu tätigen. Daran anknüpfend empfehle es sich aus Sicht des Leiters der ARD-Rechtsredaktion, nach dem Vorbild des Bundesverfassungsgerichts auch die obersten Bundesgerichte mit hauptamtlichen Pressesprechern in Vollzeit auszustatten.231 Hinsichtlich der Einrichtung eines Medienarbeitsraumes plädierte Bräutigam auch in dieser Stellungnahme neben der Ton- auch für eine Bildübertragung, um die Chancengleichheit zwischen denjenigen Journalisten, die direkt im Verhandlungssaal Platz gefunden haben und denjenigen, die den Medienarbeitsraum nutzen, gewährleisten zu können. Die Bildübertragung sei zen­ tral für jeden Journalisten, auch vor dem Hintergrund einer eindeutigen ­Zuordnung der jeweiligen Redebeiträge der Verfahrensbeteiligten. Ohne die Möglichkeit einer Bildübertragung werde der Zweck des Gesetzes nicht vollständig erreicht.232 228  Beschlussempfehlung cherschutz, S. 49. 229  Beschlussempfehlung cherschutz, S. 51. 230  Beschlussempfehlung cherschutz, S. 52. 231  Beschlussempfehlung cherschutz, S. 58 f. 232  Beschlussempfehlung cherschutz, S. 60.

mit Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraumit Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraumit Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraumit Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraumit Bericht des Ausschusses für Recht und Verbrau-



A. Der Öffentlichkeitsgrundsatz nach dem EMöGG317

Im Ergebnis, so Bräutigam, müsse sich die Justiz nicht jedem Zeitgeist anpassen; es müsse auf der anderen Seite aber auch nicht alles so bleiben, wie es seit Jahrzehnten ist.233 3. Stellungnahme Andreas Mosbacher Entgegen der Auffassung einiger seiner Kollegen des Bundesgerichtshofs und der übrigen obersten Bundesgerichte bestanden nach Ansicht Mos­bachers gegen den Regierungsentwurf des EMöGGs keine durchgreifenden recht­ lichen Bedenken. In seiner Stellungnahme zur öffentlichen Anhörung im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages vom 16.  März  2017234 formuliert er in Bezug auf die Übertragung von Entscheidungsverkündungen, dass eine mündliche Begründung der das Urteil tragenden Gründe, für einen Vorsitzenden Richter keine unlösbare Aufgabe sei. Es sei nicht zu erwarten, dass der Vorsitzende in einer solchen Situation mündlich das Urteil wesentlich anders begründe als es zuvor im Senat besprochen wurde. Geäußerte Bedenken dahingehend, dass bei massenmedialer Präsenz die Entscheidung eines Strafsenats, ob mündliche verhandelt oder im Beschlusswege entschieden werde, einer negativen Beeinflussung ausgesetzt sei, könne man zwar nicht endgültig ausräumen. Nach den Erfahrungen Mosbachers hänge eine solche Entscheidung eher von der Antragstellung der Bundesanwaltschaft ab als von Überlegungen betreffend die Verfahrensöffentlichkeit.235 Rechtlicher Verbesserungsbedarf bestehe allerdings hinsichtlich § 169 Abs. 2 GVG  n. F. Dazu habe auch der Bundesrat in seiner Stellungnahme hingewiesen, dass es an einer generellen Regelung für eine bundeseinheit­ liche Durchsetzung dieser Zweckbestimmung fehle. Anhand der bisherigen Formulierung lasse es sich nicht zweifelsfrei erkennen, ob die Aufnahmen eines zeitgeschichtlich bedeutsamen Verfahrens in anderen Verfahren verwendet werden dürfen. Daher solle man eine einheitliche Nutzungs- und Verwendungsbeschränkung in die gesetzliche Neuregelung aufnehmen, die wie folgt formuliert werden könne: „Die Aufnahmen sind nicht zu den Akten zu nehmen und dürfen weder herausgegeben noch für Zwecke dieses oder eines anderen Verfahrens genutzt werden; als Beweismittel sind die unverwertbar.“236 233  Beschlussempfehlung mit Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz, S. 61. 234  Abgedruckt als Anlage zur Beschlussempfehlung mit Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz, S. 73–76. 235  Beschlussempfehlung mit Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz, S. 74. 236  Beschlussempfehlung mit Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz, S. 75.

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5. Kap.: Das EMöGG

Die bisherige Regelung in § 169 Abs. 3 S. 1 Reg-E  GVG solle vor dem Hintergrund, dass die Gerichte möglicherweise selbst die Entscheidungsverkündung aufzeichnen wollen, etwa um sie über deren Homepage oder die Pressestelle zugänglich zu machen, folgendermaßen erweitert werden: „Abweichend von Absatz  1 S. 2 kann das Gericht für die Verkündung von Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in besonderen Fällen Ton- und FernsehRundfunkaufnahmen sowie Ton- und Filmaufnahmen zum Zwecke der öffentlichen Vorführung oder der Veröffentlichung ihres Inhalts, auch durch das Gericht selbst, zulassen.“237

4. Stellungnahme Heiner Alwart Alwart kam in seiner Stellungnahme zum EMöGG im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages vom 27. März 2017238 zu dem Ergebnis, dass die geplanten Änderungen allesamt von Grund auf verfehlt seien. Der Gesetzesentwurf gebe die Sache der Justiz banalen Bedürfnissen preis und sei in sich nicht ausgereift. Es werde „primitiver Unterhaltungslust und Sensationsgier Vorschub geleistet“, statt Überlegungen dahingehend anzustellen, wie sich moderne Rechtskultur innerhalb des „Bürgerhorizontes“ besser als bisher verankern ließe. Es werde durch die konkrete Ausgestaltung des Gesetzesentwurfs versäumt, das „aufklärerische Potential einer demokratischen Öffentlichkeit abzurufen und dadurch für staatliches Agieren fruchtbar zu machen“.239 Alwart fand deutliche Worte, wenn er formuliert, dass der Gesetzesentwurf geeignet sei, „die gegenwärtige Justiz-, Medien- und Demokratiekrise zu verschärfen“. Ausgerechnet das höchste deutsche Gericht stehe für eine Übertragung von Bild und Ton aus den Gerichtssälen.240 Hinter diesen Forderungen verberge sich ein „hermeneutisch leerer Informationsbegriff“, der zur Konsequenz habe, dass die „Hauptverhandlung an der Strafprozessordnung vorbei um mediale Erniedrigungsrituale erweitert“ worden sei. Dabei seien nicht wenige Angeklagte einem „unfairen und stigmatisierenden Fotoshooting“ ausgesetzt, was einen „(menschen-)rechtsfeindlichen Charakter“ aufweise.241 Zudem hegte er die Befürchtung, dass sich insbesondere die 237  Beschlussempfehlung mit Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz, S. 76. 238  Abgedruckt als Anlage zur Beschlussempfehlung mit Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz, S. 38–45. 239  Beschlussempfehlung mit Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz, S. 38. 240  Mit Bezugnahme zu BVerfGE 199, 309, 320. 241  Beschlussempfehlung mit Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz, S. 39, 42.



A. Der Öffentlichkeitsgrundsatz nach dem EMöGG319

Journalisten mit der geplanten moderaten Erweiterung der Gerichtsöffentlichkeit nicht dauerhaft zufrieden stellen würden.242 Alwart konstatierte ferner, dass die aktuelle Reformdiskussion hinsichtlich des Öffentlichkeitsgrundsatzes insgesamt deshalb verfehlt sei, da so getan werde, als handele es sich um ein „graduelles, quantitatives Problem“ statt um eine „qualitativ und strukturelle Frage“ um die richtige Form der Öffentlichkeit gerichtlicher Verhandlungen.243 „Eine Reform der Gerichtsöffentlichkeit, die ihren Namen verdient, hätte also viel weiter ausholen müssen, als es in dem vorliegenden und zu verwerfenden Entwurf geschieht. Es sollte unbedingt komplett, ohne viel Aufhebens davon zu machen, in einer Schublade verschwinden.“244

Angebracht sei es vielmehr, die Notwendigkeit einer Reform der Vorschriften über die Nebenklage zu machen, da die Platznot in manchen gerichtlichen Verfahren auf den sich permanent erweiterten Opferrechten fuße. Die geplante Einrichtung eines Medienarbeitsraumes, die diesem Problem entgegen wirken soll, führe allerdings zu einer „seltsam gespaltenen Öffentlichkeit“.245 5. Beschlussempfehlung Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz beschloss am 31. Mai 2017, den Gesetzentwurf auf Drucksache 18 / 10144 mit folgender Maßgabe, im Übrigen unverändert anzunehmen: 1. Artikel 1 Nummer 1 Buchstabe b Absatz 2 wird wie folgt geändert: a) In Satz  1 werden die Wörter „Ton- und Filmaufnahmen“ durch das Wort „Tonaufnahmen“ ersetzt. b) Satz  3 wird wie folgt gefasst: „Die Aufnahmen sind nicht zu den Akten zu nehmen und dürfen weder herausgegeben noch für Zwecke des aufgenommenen oder eines anderen Verfahrens genutzt oder verwertet werden.“ 2. Artikel 2 Absatz 3 wird wie folgt geändert: a) In Satz  1 werden die Wörter „Ton- und Filmaufnahmen“ durch das Wort „Tonaufnahmen“ ersetzt. 242  Beschlussempfehlung cherschutz, S. 39. 243  Beschlussempfehlung cherschutz, S. 40. 244  Beschlussempfehlung cherschutz, S. 39. 245  Beschlussempfehlung cherschutz, S. 41.

mit Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraumit Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraumit Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraumit Bericht des Ausschusses für Recht und Verbrau-

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5. Kap.: Das EMöGG b) Satz  3 wird wie folgt gefasst: „Die Aufnahmen sind nicht zu den Akten zu nehmen und dürfen weder herausgegeben noch für Zwecke des aufgenommenen oder eines anderen Verfahrens genutzt oder verwertet werden.“246

XI. Gesetzesbeschluss durch Bundestag und Bundesrat; Verkündung im Bundesgesetzblatt Am 22.  Juni  2017 hat der Deutsche Bundestag den Gesetzesentwurf zum EMöGG auf der Grundlage der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz in zweiter und dritter Lesung in der Ausschussfassung angenommen.247 Über diesen Gesetzesbeschluss wurde der Deutsche Bundesrat am 1. September 2017 informiert.248 Am 22. September 2017 beschloss der Deutsche Bundesrat sodann, keinen Antrag auf Einberufung des Vermittlungsausschusses zu stellen.249 Am 18.  Oktober  2017 wurde sodann als Abschluss der Gesetzesänderung das EMöGG im Bundesgesetzblatt verkündet,250 welches am 19. April  2018 in Kraft getreten ist. § 169 Abs. 2 GVG  n. F. findet wegen der Regelung in § 43  EGGVG  n. F. keine Anwendung auf Verfahren, die am 18. April 2018 bereits anhängig waren.251

B. Reaktionen auf das Reformvorhaben in der Fachliteratur Die dargestellte Reformdiskussion, die im nunmehr verkündeten EMöGG252 einen (zumindest vorläufigen) Abschluss gefunden hat,253 wurde in der juristischen Literatur seit dem Wiederaufleben der Diskussionen um § 169 GVG  a. F. vor Beginn des NSU-Prozesses ebenfalls mit enormer Intensität geführt. So beschreibt Hassemer 2013, dass die anlässlich des NSU-Verfahrens „urplötzlich aufflammende Erregung“ der Allgemeinheit und die daran anknüpfende verfahrensrechtliche Auseinandersetzung unter 246  Beschlussempfehlung mit Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz, S. 3. 247  BT-Plenarprotokoll 18/240, S. 2435D-24636A. 248  BR-Drs. 606/17. 249  BR-Drs. 606/17 (Beschluss). 250  BGBl. I 2017, S. 3546 ff. 251  BGBl. I 2017, S. 3547. 252  Zur Vereinbarkeit der Neuregelungen (in der Ausgestaltung der Fassung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung) mit den Regelungen der EMRK ausführlich Kreicker, ZIS 2017, 85, 92 ff. 253  Demgegenüber war sich etwa Hartwich 2016 noch sicher, dass eine Änderung des § 169 GVG nicht erkennbar sei und wohl auch in zukünftig nicht erfolgen würde, vgl. dies., Realität und Fiktion, S. 67, 80.



B. Reaktionen auf das Reformvorhaben in der Fachliteratur321

Juristen über das Zugangsrecht zu einem Strafverfahren deutlich gemacht habe, dass die Normen der §§ 169 ff. GVG nicht so behäbig regulierten wie es auf den ersten Blick scheine: „Sie sind fundamental und in ständiger Bewegung; sie sind nicht weniger als ein Maßstab einer rechtsstaatlichen und zugleich modernen Rechtspflege.“254 Hassemer formuliert ferner, dass man im Zuge dieser Diskussion zwei „Lager“ unterscheiden könne. Das eine Lager, insbesondere die verfahrensnahen Gerichtspersonen, seien auf eine klare und restriktive Handhabung vor allem des § 169 S. 2 GVG a. F. bedacht, um so der komplexen höchstrichterlichen Rechtsprechung zu genügen und keinen Anlass für einen absoluten Revisionsgrund i. S. d. § 338 Nr. 6 StPO zu geben. Ein größerer als der ausgewählte Verhandlungssaal für den NSUProzess nicht gefunden werden können, und eine Übertragung mittels der modernen Technik in einen weiteren Verhandlungssaal sei durch dieses „restriktive Lager“ als eine „verbotene Vorführung“ charakterisiert worden. Das andere Lager, angeführt durch die Vertreter der Medien, bezeichneten diese Einstellung zu den Möglichkeiten der modernen Technik als „typisch juristisch“, genauer als lebensfern, ungerecht und ohne Gespür für die politischen und sozialen Folgen einer solchen Entscheidung. Nachdem die Diskussion einmal entfacht war, kristallisierte es sich schnell heraus, dass die Vertreter der jeweiligen Ansicht weit voneinander entfernt agierten: „Verknöcherte Juristen versus idealistische Traumtänzer  – sie hatten nicht nur unterschiedliche Vorstellungen vom Sinn einer Gerichtsöffentlichkeit, sondern schon verschiedene Maßstäbe, um diesen Sinn entdecken zu können. Das ist ein Befund der beunruhigt: Eine Gerichtsbarkeit, die sich den Medien nicht verständlich machen kann, wird alsbald Probleme haben und auch Probleme machen. Dabei ist der Sinn der Gerichtsöffentlichkeit in einer modernen Mediengesellschaft keineswegs unzugänglich, widersprüchlich oder überkomplex.“255

Dieser beschriebene und „ziemlich unoriginelle Frontenverlauf“ habe seine Ursache darin, dass „zwei Institutionen in eigener Sache argumentieren, ihre Parteilichkeit aber nicht reflektiert haben“. Auf Seiten der Medienvertreter werde Arbeitsmaterial gefordert, auf Seiten der Justiz wolle man hingegen alles unterbinden, was die eigene Arbeitsgewohnheit stören könne.256 Um  – salopp formuliert  – bei der Verteilung der Siegpunkte mitreden zu können, soll im Folgenden zunächst die Seite der „verknöcherten Juristen“ als die Gegner einer Gesetzesreform dargestellt werden, bevor anschließend auf die Argumente eingegangen werden soll, die für eine Reform der Vorschriften über die Öffentlichkeit der Gerichtsverfahren ins Feld geführt werden. Dabei soll vor allem im Anschluss an die Darstellung der Argumentationslinie der Reformgegner aufgezeigt werden, dass sich deren Begründung in einigen 254  Hassemer,

ZRP 2013, 149. ZRP 2013, 149. 256  Janisch, DRiZ 2016, 136. 255  Hassemer,

322

5. Kap.: Das EMöGG

Fällen nicht an den im Referentenentwurf und im späteren Regierungsentwurf konkret formulierten Änderungsvorschlägen (moderate Erweiterung der Öffentlichkeitsvorschriften) orientiert, sondern von einer totalen Öffnung der Gerichtsöffentlichkeit zugunsten der Massenmedien ausgeht und sich daher die Frage stellt, ob der „Kampf“ tatsächlich so erbittert geführt wird, wie es auf den ersten Blick erscheint.

I. Kritische Stimmen zur Gesetzesreform durch das EMöGG Fernsehbilder aus Gerichtsverhandlungen stellen nach Ansicht der Reformgegner ein Einfallstor für Court TV nach amerikanischem Vorbild dar; es wird ein Dammbruch befürchtet, auch wenn es zunächst nur um die Übertragung der Entscheidungsverkündung der obersten Bundesgerichte gehe. Fakt sei jedoch, dass das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz bereits vor dem Inkrafttreten der Neuregelungen angekündigt hat, dass diese Vorschriften nach fünf Jahren einer Evaluation unterzogen werden sollen.257 Ferner sei durch die moderate Lockerung der Vorschriften über die Verfahrensöffentlichkeit kein Mehrwert im Vergleich zur jetzigen Rechtslage zu generieren.258 Diejenigen, die einer (auch nur moderaten) Erweiterung des Öffentlichkeitsgrundsatzes in der strafrechtlichen Hauptverhandlung kritisch gegenüberstehen, führen überwiegend die Verletzung der Persönlichkeitsrechte des Angeklagten und der übrigen Verfahrensbeteiligten durch eine mediale Prangerwirkung259 an sowie die Besorgnis, das Strafverfahren werde zu einer Showbühne umfunktioniert.260 Herangezogen werden Vergleiche mit den Rechtsordnungen vorwiegend aus dem anglo-amerikanischen Rechtsraum, es wird der viel zitierte Prozess gegen O. J. Simpson261 dargestellt und die amerikanische Möglichkeit des TruTV262 bei der Argumentation gegen eine Lockerung der Vorschriften über die Öffentlichkeit de lege lata. Ferner wird angeführt, dass es quasi schon in der Natur des Menschen liege, bei der Anwesenheit von Medien sein Aussageverhalten zu verändern, etwa um sich 257  Altenhain, DRiZ 2016, 304, 305 mit Verweis auf den Referentenentwurf zum EMöGG. 258  Poseck, NJW-aktuell 2016, 17. 259  Zur Prangerwirkung durch Onlineveröffentlichungen Wienen, ITRB  2012, 160 ff.; Poseck, NJW-aktuell 2016, 17. 260  Siehe etwa Beck, in: FS Graßhof (1998), S. 129, 137 f.; Schlothauer, StV 2015, 665, 666. 261  Herz, NJW  1997, 1138 ff.; Stürner, JZ  2001, 699; Widmaier, NJW  2004, 407; die Einschaltquoten des TV-Senders CNN stiegen damals schlagartig um 40 %, vgl. Lohrmann, DRiZ 1995, 247. 262  Dazu oben in Kap. 4, B. II.



B. Reaktionen auf das Reformvorhaben in der Fachliteratur323

als Person bewusst zu inszenieren.263 Demgegenüber ließen sich andere einschüchtern durch die vor ihnen stehenden Kameras und seien in ihrem Aussageverhalten gehemmt. Beides führe dazu, dass die Wahrheitsfindung als eines der Ziele des Strafprozesses beeinträchtigt werden könne.264 Des Weiteren seien die Akzeptanzwerte der Justiz trotz oder gerade wegen der derzeitigen gesetzlichen Ausgestaltung des § 169 S. 2 GVG a. F. erfreulich hoch.265 So beschreibt Schlothauer am Beispiel des NSU-Prozesses, dass die in Haft befindlichen Angeklagten während der ersten 185 Verhandlungstage jeweils etwa 15–20 Minuten vor Beginn der Verhandlung in den Sitzungssaal verbracht worden seien, um den dort anwesenden Medienvertretern während des Wartezeitraums Gelegenheit zu geben, von den Angeklagten audiovisuelle Aufnahmen zu fertigen. Die damit verbundene Prangerwirkung werde durch die zur Verfügung stehende Informationstechnologie verstärkt mit der Folge, dass der Angeklagte nicht nur das Objekt einer einmaligen Berichterstattung werde, sondern sich einer permanenten Dokumentation ausgesetzt sehe.266 Der Vorsitzende Richter im NSU-Prozess hat (auf den Antrag der Verteidigung hin) auch aufgrund der von der hohen Medienpräsenz ausgehenden gesundheitlichen Belastung mit einer Verfügung angeordnet, dass audiovisuelle Aufnahmen im Sitzungssaal auf zwei Verhandlungstage pro Monat einzugrenzen sind.267 Allein dieses Beispiel zeigt, dass eine hohe Medienpräsenz nicht nur stark in die Persönlichkeitsrechte des Angeklagten eingreifen und damit zu einer Stigmatisierung des Angeklagten führen kann. Zugleich kann dies die Unschuldsvermutung beeinträchtigen und ein faires und rechtsstaatliches Verfahren in Frage stellen. Sei etwa der Angeklagte zu einer Aussage bereit, bedürfe es für eine Aussage regelmäßig einer besonderen Konzentration. Diese aufzubringen, falle vielen Angeklagten schwer, da es in einem Strafverfahren oftmals um „alles oder nichts“ gehe. Allerdings entschied das Bundesverfassungsgericht 2007, dass der Vorsitzende Richter bei sitzungspolizeilichen Anordnungen nach § 176  GVG eine Verunsicherung des Angeklagten, ausgelöst durch Bildaufzeichnungen des Geschehens im Gerichtssaal außerhalb der Hauptverhandlung, nicht schematisch annehmen dürfe.268 Die Entscheidung stieß aufgrund der vermeintlichen Verkennung 263  Soweit ersichtlich, liegen für diese These bisher keine empirischen Untersuchungen vor. 264  BVerfGE 103, 44, 68 f. 265  Poseck, NJW-aktuell 2016, 17. 266  Schlothauer, StV 2015, 665, 666. 267  Verfügung gem. § 176 GVG des Vorsitzenden Richters vom 02.03.2015  – 6 St 3/12; dazu auch Barczak, NJ 2015, 360, 361. 268  BVerfGE 119, 309, 328.

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5. Kap.: Das EMöGG

der Nöte des Angeklagten teilweise auf heftige Kritik.269 Beeinträchtigungen der Verteidigungsfähigkeit durch zu aufdringliche Medienvertreter gelte es dringend zu vermeiden, denn „das Strafverfahren dürfe nicht zu einer Medieninszenierung verkommen, unter der seine rechtsstaatliche Funktion Schaden nehmen würde“.270 Ähnlich äußerte sich auch die Präsidentin und Vorsitzende des Ersten Senats des Bundesarbeitsgerichts, Ingrid Schmidt, im Mai  2016 postwendend auf die von Heiko Maas geplante moderate Lockerung der Vorschriften über die Öffentlichkeit: „[…] denn schon bald werden neue Forderungen an die Politik gestellt werden. Dann wird es heißen, es geht nicht ohne Übertragung der Hauptverhandlung. Das Gesetz wird ein Türöffner sein, um im nächsten Schritt ein TV-Spektakel aus dem Gericht zu machen. Das ist das eigentliche Problem. Rechtsfindung und Glamour vertragen sich eben nicht.“271

Die Bedenken hinsichtlich einer Übertragung dieser „Verhältnisse“ in die deutsche Rechtsordnung haben ihre absolute Berechtigung und verdienen vollste Zustimmung. Allerdings führen derartige Diskussionen um das Für und Wider einer vollständigen Live-Übertragung oder einer zumindest zeitversetzten Übertragung der gesamten Hauptverhandlung, wie es etwa auch am Internationalen Strafgerichtshof oder am Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien praktiziert wird, an dieser Stelle nicht weiter. Eine vollständige Aufgabe des § 169 S. 2 GVG  a. F. und eine damit einhergehende vollständige Öffnung der Hauptverhandlung steht in der aktuellen Diskussion überhaupt nicht zur Debatte. Auf eine umfassende Darstellung der Argumente gegen eine ersatzlose Streichung des § 169 S. 2 GVG  a. F. wird an dieser Stelle verzichtet und stattdessen verstärkt auf die Kritik gegen die drei wesentlichen Reformvorschläge des Gesetzgebungsvorhabens, namentlich die Tonübertragung der Verhandlung in einen Medienarbeitsraum, die Übertragung der Entscheidungsverkündung an den obersten Bundes­ gerichten sowie die Aufzeichnung zeithistorisch bedeutsamer Verfahren für wissenschaftliche Zwecke eingegangen. Im Hinblick auf die Intention des Gesetzgebers wird noch angeführt, dass es sich um eine Wunschvorstellung handele, dass eine Erweiterung der Vorschriften über die Öffentlichkeit zu einem besseren Verständnis der Justiz in der Allgemeinheit beitragen könne. Eine Öffnung des § 169 S. 2 GVG  a. F. 269  Schäfer,

JR 2008, 119. StV 2015, 665, 666, 668. 271  Interview von Ingrid Schmidt, „Rechtsfindung und Glamour vertragen sich nicht“, in: Süddeutsche Zeitung vom 01.05.2016, online abrufbar unter: http://www. sueddeutsche.de/politik/2.220/gesetzentwurf-rechtsfindung-und-glamour-vertragensichnicht-1.2975145 (zuletzt am 04.04.2018). 270  Schlothauer,



B. Reaktionen auf das Reformvorhaben in der Fachliteratur325

könne die wesentlichen faktischen Hindernisse, nämlich die Sprache und Denkweise der Juristen, nicht beseitigen. Selbst wenn der Vorsitzende die Hauptverhandlung transparent führe, lebe diese dennoch von dem Vorverständnis, welches die (professionellen) Verfahrensbeteiligten hinsichtlich der Sach- und Rechtslage mit sich bringen. Genau dieses Vorverständnis aber fehle den Zuschauern einer strafrechtlichen Hauptverhandlung regelmäßig. Es sei dem Vorsitzenden nicht zuzumuten, diese fehlenden Grundlagen während der laufenden Hauptverhandlung zu vermitteln272 und eine Art „Einführung in die Strafprozessordnung“ zu geben. 1. (Ton-)Übertragung in einen Medienarbeitsraum Für „praktisch undurchführbar und juristisch fragwürdig“ erachtet Schumann die (Video-)Übertragung in einen für Medienvertreter bereitgestellten Nebenraum des Verhandlungssaals, da auf die Gerichtsvorsitzenden neuartige Aufgaben und Kompetenzen zukommen würden. So müsse schließlich bereits vor Beginn der Verhandlung entschieden werden, ob ein zusätzlicher Raum benötigt werde und ob ein solcher überhaupt zur Verfügung stehe. Zwar könnte der Vorsitzende nach pflichtgemäßem Ermessen273 entscheiden, doch würde der Pflichtenkreis des Vorsitzenden durch eine solche Übertragungsmöglichkeit im Falle von Platzmangel im Gerichtssaal erheblich erweitert: „Man kann leicht seine große Sympathie für Medien bekunden, wenn man anderen die Pflicht auferlegt, die Entscheidung zu treffen, ob Medien begünstigt werden sollen.“274 Darüber hinaus habe man sich mit der Frage zu beschäftigen, was im Falle eines so enormen Andrangs von Zuschauern und Journalisten geschehen solle, und sogar die Plätze im Nebenraum für die Medienvertreter nicht ausreichen. Es wird moniert, dass der Reformvorschlag in einer solchen Konstellation nicht eindeutig zu verstehen sei. Es bedürfe einer Klarstellung, ob bei Platzmangel trotz eingerichtetem Medienarbeitsraum ein zweiter Medienarbeitsraum zur Verfügung gestellt werden müsse. Diese Problematik zeige, dass die Frage nach einer Erweiterung der Vorschriften über die Öffentlichkeit in Form der Übertragung in einen Medienarbeitsraum oder gar mehrere Medienarbeitsräume lediglich eine quantitative Lösung darstelle und sich im Ergebnis als praxisfern erweise.275 272  Bock,

jM 2014, 123, 129. hinsichtlich der Auswahl des Sitzungssaals für das NSU-Verfahren und Videoübertragung der Hauptverhandlung in andere Räumlichkeiten noch BVerfG, AfP 2013, 236. 274  Schumann, DRiZ 2013, 254. 275  Schumann, DRiZ 2013, 254, 255. 273  Ablehnend

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5. Kap.: Das EMöGG

Falsch sei zudem die Auffassung der Gesetzesbegründung, die Möglichkeit der Einrichtung eines Medienarbeitsraumes habe lediglich klarstellende Bedeutung, da lediglich eine gerichtsinterne und somit die Saalöffentlichkeit nicht erweiternde Übertragung vorliege. Macht das Gericht von dieser Übertragungsmöglichkeit Gebrauch, gestatte es unzweifelhaft Tonaufnahmen der Verhandlung mit dem Ziel, diese für eine zeitgleiche Vorführung vor einem unbestimmten Personenkreis zu verwenden.276 Zudem wurden vor dem Bekanntwerden des Referentenentwurfs in Bezug auf die Einrichtung eines Medienarbeitsraumes die fehlende Möglichkeit zur Ausübung der Sitzungspolizeigewalt durch den Vorsitzenden (§ 176  GVG) kritisiert. Man müsse, um das Geschehen im Übertragungsraum zu verfolgen, eine Rückübertragung in den eigentlichen Sitzungssaal einrichten („interaktives Fernsehen“). Dies würde vom eigentlichen Prozessgeschehen ablenken und zu einer Beeinflussung der Verfahrensbeteiligten in ihrer Konzentration auf die Verhandlung führen.277 Bedenken werden auch hinsichtlich der Gefahr eines Hackings des Intranets des Gerichts geäußert, wodurch der Livestream der Verhandlung möglicherweise durch Dritte abgefangen und aufgezeichnet werden könne.278 Soweit die Reform des § 169 GVG  a. F. den Zutritt zu einem Medienarbeitsraum ausschließlich Medienvertretern vorbehalten will, stelle sich die Frage nach einer notwendigen Gleichbehandlung der Medienvertreter mit den restlichen Zuschauern: „Wiegt das Interesse von Wissenschaftlern, Studenten, Referendaren, Politikern […] weniger?“279 Andere hegen Bedenken hinsichtlich der geplanten Nutzung zu rein medialen und damit justizfernen Zwecken, da der Eindruck entstehen könne, dass die Verhandlungen zwar nicht ausschließlich, aber zumindest auch für die Öffentlichkeit stattfinden würden.280 Kritisiert wird außerdem in Bezug auf die Einrichtung eines Arbeitsraumes für Medienvertreter, dass zunächst offen bleibe, wie der Nachweis tatsächlicher journalistischer Tätigkeit etwa im Hinblick auf die neuen Medien zu führen sei.281 In diesem Kontext werde der bis dato unbekannte Begriff der „Medienöffentlichkeit“ eingeführt, ohne dass eine exakte Definition dieses Begriffes erfolge und ohne dass aus der Begründung des Gesetzesentwurfs hervorgehe, dass sich der Gesetzgeber sich dessen bewusst sei. Der Geset276  Kissel/Mayer,

GVG, § 169, Rn. 86a. DRiZ 2013, 254, 256. 278  Heger, in: FS Beulke (2015), S. 759, 767. 279  Schumann, DRiZ 2013, 254, 257. 280  Rittig, NJ 2016, 265, 268. 281  Altenhain, NJW-Beil. 2016, 37, 39; BeckOK StPO/Walther, GVG, § 169, Rn. 26. 277  Schumann,



B. Reaktionen auf das Reformvorhaben in der Fachliteratur327

zesentwurf ermögliche vielmehr ein Sonderrecht für die Medien, deren Recht zur Bevorzugung einfach vorausgesetzt werde.282 Ferner seien bei der Erarbeitung des Gesetzesentwurfs wichtige prozessrechtliche Vorschriften unberücksichtigt geblieben. Nach § 243 Abs. 2 S. 1 StPO haben Zeugen den Sitzungssaal zu verlassen und sind jeweils in der Abwesenheit der später zu hörenden Zeugen zu vernehmen, vgl. § 58 Abs. 1 StPO.283 Werde nun aber aus dem extra eingerichteten Medienarbeitsraum über einen Live-Ticker vom Prozessgeschehen berichtet,284 hätten auch noch zu vernehmende Zeugen die Möglichkeit, Kenntnis über die Aussagen der zuvor vernommenen Zeugen zu erhalten.285 Dass durch eine derartige Kenntnisnahme vom Inhalt der Aussagen vorheriger Zeugen die Wahrheitsfindung als eines der Ziele des Strafprozesses leiden kann, zeigt das von Rosenthal beschriebene Beispiel aus dem Tuğçe-Prozess: Der Richter fragte vor Beginn der Vernehmung eine als Zeugin geladene Freundin von Tuğçe, ob sie vor ihrer Aussage im Zuschauerraum gesessen habe oder mit anderen über den Prozessverlauf gesprochen habe. Sie antwortete: „Musste ich nicht, Focus Online hat einen tollen Live-Ticker.“286 Außerdem ließe sich die unmittelbare Verhandlungsatmosphäre nur im eigentlichen Sitzungssaal erleben, weshalb die Medienvertreter bei einem eigens für sie eingerichteten Arbeitsraums dennoch versuchen würden, einen Platz direkt im Sitzungssaal zu erhalten. Durch die Schaffung eines Medienarbeitsraumes werde das Erfordernis eines Akkreditierungsverfahrens somit kaum beeinflusst.287 Dies hänge auch damit zusammen, dass die Medienvertreter auf persönliche Stellungnahmen der Verfahrensbeteiligten angewiesen seien, die sie zeitnah und unmittelbar nur im Sitzungssaal bekommen.288 Überdies sei infolge des Gesetzesentwurfs unklar, wie in einer Situation zu verfahren sei, in der sich ein Prozessbeteiligter weigere, in das Mikrofon zu sprechen und man ihn deshalb im Nebenraum nicht oder nur sehr schlecht hören könne.289 Ob besagter Verfahrensbeteiligter durch den Vorsitzenden zur Aussage in das Mikrofon gezwungen werden könne,290 erscheine fraglich. Daran schließt sich die Frage nach der Revisibilität einer zwar im 282  Franke,

NJW 2016, 2618, 2620. dazu auch Venn, StraFo 2018, 50, 52. 284  Zu den Befugnissen der Öffentlichkeit ausführlich SK-StPO/Velten, GVG, § 169, Rn. 12. 285  Franke, NJW 2016, 2618, 2620; BeckOK StPO/Walther, GVG, § 169, Rn. 25. 286  Rosenthal, AnwBl. 2016, 654, 655 m. w. N. 287  BeckOK StPO/Walther, GVG, § 169, Rn. 24. 288  Bock, jM 2014, 123, 128; Kreicker, ZIS 2017, 85, 103. 289  Hoeren, NJW 2017, 3339, 3340. 290  Dazu BGHSt 10, 202. 283  Allgemein

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5. Kap.: Das EMöGG

Grunde gewährten Saalöffentlichkeit, aber einer nur teilweise gewahrten ­Öffentlichkeit im Medienarbeitsraum an, konkret, ob ein Verstoß gegen die Öffentlichkeit i. S. d. § 338 Nr. 6 StPO gegeben ist.291 2. Übertragung von Entscheidungsverkündungen Auffällig insbesondere in Bezug auf die Übertragung der Entscheidungsverkündungen an den obersten Bundesgerichten292 ist, dass sich viele Gegenargumente nicht auf die konkrete Gesetzesänderung beziehen, sondern ein generelles Gerichtsfernsehen in Form einer vollständigen Übertragung der Hauptverhandlung als Argumentationsmaßstab genommen wird.293 Im Folgenden sollen daher nur diejenigen Argumente gegen die Möglichkeit einer Übertragung der Entscheidungsverkündung dargestellt und bewertet werden, die die konkrete Gesetzesreform als Bezugspunkt nehmen. Eine Übertragung von Entscheidungsverkündungen der obersten Bundesgerichte stößt nicht nur wegen der damit verbundenen organisatorischen und praktischen Bedenken auf Widerstand.294 Während das Bundesverfassungsgericht pro Jahr durchschnittlich drei bis elf Urteile verkünde und ansonsten im schriftlichen Verfahren entscheide, kämen beim Bundesgerichtshof rund 800  Urteilsverkündungen jährlich zusammen.295 Der damit verbundene Mehraufwand spiegele sich auch in der medialen Übertragung der Urteilsverkündung wider, die inhaltlich präzise vorbereitet und in sprachlicher Hinsicht vorbildlich ausgearbeitet werden müssten.296 Es wird ferner kritisiert, dass der Gesetzesvorschlag das durch die Strafprozessordnung sorgfältig austarierte Verhältnis zwischen dem schriftlich abgefassten Urteil auf der einen Seite und der mündlichen Bekanntgabe der Urteilsgründe auf der anderen Seite durcheinander bringe.297 Nach § 268 Abs. 2 StPO (Verkündung der Urteile in Strafsachen) wird ein Urteil durch Verlesen der Urteilsformel sowie der Eröffnung der Urteilsgründe verkündet. Die Eröffnung der Urteilsgründe erfolgt mittels Verlesung oder durch eine mündliche Mitteilung ihres wesentlichen Inhalts. Zu der Urteilsverkündung zählt neben dem Verlesen 291  Norouzi,

StV 2016, 590, 594. Beginn des Gesetzgebungsverfahrens war die Übertragung von Entscheidungsverkündungen noch nicht auf Urteile des Bundesgerichtshofs beschränkt, weshalb an dieser Stelle noch von den obersten Bundesgerichten die Rede ist. 293  Treffend auch Bräutigam, DRiZ 2017, 164. 294  Franke, NJW 2016, 2618, 2620. 295  Limperg/Gerhardt, ZRP 2016, 124, 125. 296  Rittig, NJ 2016, 265, 268. 297  BeckOK StPO/Walther, GVG, § 169, Rn. 22. 292  Zu



B. Reaktionen auf das Reformvorhaben in der Fachliteratur329

der Urteilsformel auch die Bekanntgabe der Urteilsgründe.298 Trotz dessen stellt die mündliche Urteilsverkündung nur eine vorläufige Unterrichtung der Verfahrensbeteiligten dar; die Eröffnung der Urteilsgründe ist  – anders als das Verlesen der Urteilsformel  – weder eine wesentliche Voraussetzung für die Existenz eines Urteils noch ein wesentlicher Teil der Hauptverhandlung. Die Gründe, auf denen die durch das Gericht getroffene Entscheidung beruht, werden nur durch die von allen Richtern unterzeichnete und schriftlich abgefasste Urteilsbegründung nachgewiesen und gerade nicht durch die vom Vorsitzenden eröffneten mündlichen Urteilsgründe.299 So formuliert Franke etwa, dass „mit der Aufzeichnung und Übertragung der Urteilsverkündung […] daher gerade bei obersten Bundesgerichten eine bedenkliche, vom Verfahrensrecht so nicht vorgesehene Gewichtsverschiebung [stattfinde], die auch auf den Beratungsbedarf innerhalb des jeweils betroffenen Spruchkörpers nicht ohne Einfluss bleiben dürfte“.

Daher komme es bereits aus Rechtsgründen zu einem Überwiegen der Nachteile gegenüber den behaupteten Vorteilen.300 Problematisch werde eine Übertragung der Entscheidung eines obersten Bundesgerichts etwa dann, wenn im Rahmen eines strafrechtlichen Revisionsverfahrens mit einem sachlich-rechtlichen Schwerpunkt zunächst die wesentlichen Feststellungen des tatgerichtlichen Urteils erläutert werden müssen. Dadurch könnten, auch wenn der Betroffene bei der Revisionsverhandlung nicht anwesend sein muss, schutzwürdige Interessen betroffen sein und zwar unabhängig vom Ausgang der revisionsgerichtlichen Entscheidung.301 Auch das Argument, dass man die schriftliche Entscheidungsbegründung ohnehin zu einem späteren Zeitpunkt im Internet abrufen könne, überzeuge nicht. Die schriftliche Fassung sei nämlich vor dem Hintergrund des zeitlichen Aspekts nicht mit der unmittelbaren Wirkmacht einer Entscheidungsbekanntgabe in Bild und Ton vergleichbar. So ist es nach Auffassung der Reformbefürworter gerade die Authentizität einer Fernsehübertragung, die als Rechtfertigung für die Notwendigkeit der Gesetzesreform angeführt werde.302 An der gesetzlichen Ausgestaltung des § 169 GVG a. F. werde immer wieder kritisiert, dass die obersten Bundesrichter mehr „Gesicht zeigen“ müssten,303 was durch die geplante Bild- und Tonübertragung der Urteilsver298  BeckOK

StPO/Walther, GVG, § 169, Rn. 22. NJW 2016, 2618, 2620 m. w. N. 300  Franke, NJW 2016, 2618, 2620. 301  Ähnlich auch noch Kutschaty/Gehardt, ZRP  2013, 219; Kutschaty ging zum damaligen Zeitpunkt jedoch noch von einer Ausweitung der Übertragungsmöglichkeit auch in der Tatsacheninstanz aus. 302  Norouzi, StV 2016, 590, 594. 303  Janisch, DRiZ 2016, 136. 299  Franke,

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5. Kap.: Das EMöGG

kündung zu geschehen habe. Unberücksichtigt bleibe jedoch, dass aufgrund der angesprochenen Gewichtsverschiebung und entgegen dem Grundgedanken des Prozessrechts zu befürchten sei, dass die nicht nur in öffentlichen Angelegenheiten verstärkt um sich greifende Verquickung von Sachen und Personen im Sinne einer immer intensiveren Personalisierung auch an dieser Stelle Einzug erhalten werde. Dies bedeute konkret auf das geplante Reformvorhaben gerichtet, dass die Flüchtigkeit des gesprochenen Wortes einer Person, hier des Richters, letztlich das in den schriftlichen Urteilsgründen abgefasste, rechtliche und ausführlich beratene Argument des gesamten Spruchkörpers überlagere.304 Ferner begründeten die „Gesetze des Fernsehens“ die Gefahr einer Fokussierung auf die Person des einzelnen Richters, was vor dem Hintergrund dessen unvoreingenommener Rolle gerade auch in zukünftigen Gerichtsverfahren mit dessen Beteiligung nicht wünschenswert sein könne.305 Zwar möge die Übertragung einer Entscheidungsverkündung an einem der obersten Bundesgerichte den Zuschauern zu Hause das Gefühl geben, bei einer wichtigen Gerichtsentscheidung dabei gewesen zu sein. Es sei aber fraglich, ob die der Entscheidung zugrundeliegenden schwierigen Sachverhalte, um die es bei bundesgerichtlichen Entscheidungen regelmäßig gehe, bei der Laienbevölkerung tatsächlich auf ein breites Interesse stießen. Derzeit beherrsche der Boulevard das Bild der Justiz in der Öffentlichkeit, woran auch Urteilsverkündungen des Bundesgerichtshofs nichts ändern würden.306 Dieser unheilvolle Einfluss des Boulevards zeige sich in Bezug auf Strafverfahren insbesondere daran, dass die Justiz in etlichen Fällen ausschließlich auf ihre Schlagzeilentauglichkeit, mithin auf ihren kurzfristigen Sensationswert, reduziert und teilweise auch bewusst degradiert werde.307 Zudem könne der Eindruck entstehen, dass die Urteilsverkündung eher für als in der Öffentlichkeit erfolge, weshalb sich Zweifel an der Unabhängigkeit des Gerichts ergeben könnten.308 Mittels einer professionellen Pressearbeit der Justiz, die auf Offenheit und Verständlichkeit ausgelegt sei, könne dem berechtigten Informationsbedürfnis der Allgemeinheit in gleich effektiver Weise entsprochen werden, wie es durch bewegte Bilder von der Urteilsverkündung geschehen möge.309

304  Franke,

NJW 2016, 2618, 2620; Limperg/Gerhardt, ZRP 2016, 124, 125. NJW-aktuell 2016, 17. 306  Friedrichsen/Gerhardt, ZRP  2015, 187, 188; Hoeren, NJW  2017, 3339, 3340; ähnlich Schmitt, ZRP 2011, 220. 307  Schmitt, ZRP 2011, 220, 222. 308  Rittig, NJ 2016, 265, 268. 309  Poseck, NJW-aktuell 2016, 17. 305  Poseck,



B. Reaktionen auf das Reformvorhaben in der Fachliteratur331

3. Aufzeichnung zeitgeschichtlich bedeutsamer Verfahren zu wissenschaftlichen Zwecken Ein Einwand gegen die Aufzeichnung zeitgeschichtlich bedeutsamer Verfahren stellt das Vorhandsein von Kameras und Mikrofonen im Gerichtssaal dar, da jedenfalls nicht mit absoluter Sicherheit auszuschließen sei, dass sich das Aussageverhalten der Verfahrensbeteiligten merklich verändern werde und es somit zu einer Beeinträchtigung der Wahrheitsfindung kommen könne.310 Hinzu komme die Gefahr einer Selbstdarstellung der Verfahrensbeteiligten, welche zu Schauspielern würden und sich weniger auf die Sache als auf sich selbst zu konzentrieren versuchen.311 Gegen eine gesetzliche Erlaubnis zur Aufzeichnung zeitgeschichtlich bedeutsamer Verfahren zum Zwecke der wissenschaftlichen Aufarbeitung wird ins Feld geführt, dass der Justizpraxis diese neue und komplexe Abgrenzungsfrage, welche Verfahren im Einzelfall als „zeitgeschichtlich bedeutsam“ zu bewerten seien, erspart bleiben solle.312

II. Befürworter der Gesetzesreform des § 169 GVG a. F. Die Befürworter der Gesetzesreform des § 169 GVG  a. F. stützten ihre Ansicht darauf, dass der rasante Fortschritt der Kommunikationstechnologie in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten sowie der Wandel der Gewohnheiten im Umgang mit den (modernen) Massenmedien so manche gesetzliche Regelung313 als antiquiert, nicht mehr zeitgemäß und überholt erscheinen lasse, da der Gesetzgeber es an einigen Stellen versäumt habe, erforderliche Anpassungen des geltenden Rechts an die Wirklichkeit vorzunehmen.314 Dies treffe nach Auffassung der Reformbefürworter insbesondere auf das Verhältnis von Strafjustiz und Massenmedien in vielfältigen Beziehungen zu.315 So hänge die Akzeptanz der deutschen Justiz316 entscheidend von de310  Norouzi,

StV 2016, 590, 594; Friedrichsen/Gerhardt, ZRP 2015, 187, 188. ZRP 2015, 187, 188. 312  Poseck, NJW-aktuell 2016, 17. 313  Exemplarisch für das Zivilrecht die Diskussion um die „Digitale Wirtschaft – Analoges Recht – Braucht das BGB ein Update?“, vgl. Titel des Gutachtens von Florian Faust, 71. Deutscher Juristentag, Essen 2016. 314  Kutschaty, NJW-aktuell 2016, 17. 315  So Mitsch, ZRP 2014, 137, 140; zustimmend Morsch, ZRP 2014, 254 ff. 316  Dass die gegenseitige Einschätzung von Öffentlichkeit und Justiz nicht immer positiv ausfällt, wurde bereits 1966 von Damrow in: Öffentlichkeit, S. 43, 46 aufgezeigt, die wiederum auf ein Zitat Bockelmanns verweist: „Das Urteil der Welt über die Juristen ist im Allgemeinen nicht günstig und das Urteil der Juristen über die Welt 311  Friedrichsen/Gerhardt,

332

5. Kap.: Das EMöGG

ren Sicht- und Hörbarkeit ab, und zwar insbesondere über die Türen des Gerichtssaals hinaus.317 Der Auftakt des NSU-Prozesses habe gezeigt, dass ein beschränkter Zugang zu Gerichtsverfahren in der Öffentlichkeit auf Unverständnis stoße und somit das Ansehen der gesamten Justiz beeinträchtigen könne.318 Des Weiteren zeige sich anhand der Häufigkeit, mit der sich Obergerichte mit den geltenden Verstößen gegen den Grundsatz der Öffentlichkeit befassen müssen, die Fehleranfälligkeit dieser Materie.319 Die generelle Reformbedürftigkeit des § 169 GVG  a. F. zeige sich ferner anhand der in letzter Zeit vermehrt durchzuführenden Großverfahren. Im Winnenden-Prozess etwa musste aufgrund der hohen Anzahl der Verfahrensbeteiligten ein Gerichtssaal eigens für diesen Prozess umgebaut werden, die Justiz Baden-Württembergs forderte sogar den Bau eines neuen Gerichtsgebäudes eigens für die Durchführung von Großverfahren.320 Im Zuge des sich konkretisierenden Reformvorhabens machte auch der damalige Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz, Heiko Maas, deutlich: „Wir wollen aus dem Gerichtssaal auch in Zukunft keine Showbühne machen. Die Rechte von allen Verfahrensbeteiligten müssen gewahrt bleiben. Aber was von den obersten Gerichten an Recht gesprochen wird, das wirkt sich auch auf das Zusammenleben unserer Gesellschaft aus. Deshalb sollten Interessierte die Möglichkeit haben, sich solche Urteilsverkündungen auch anzuschauen. Und wer im Namen des Volkes entscheidet, der sollte keine Angst davor haben, dass ihm das Volk dabei zusehen kann. Die Vorsitzenden Richterinnen und Richter an den Bundesgerichten  – das sind die Spitzen unserer Justiz. Ich bin überzeugt, jeder und jede von Ihnen ist in der Lage, das ebenso gut zu machen wie die Kollegen des Verfassungsgerichts. Unsere Justiz kann dadurch an Sichtbarkeit gewinnen, und das wird das Bewusstsein für den hohen Wert unserer Institutionen weiter schärfen.“321

Auch wenn Reformen gerade bei der Justiz häufig „übergroß gemalten Bedenken“ gegenüberstehen, solle man sich einer modernen Entwicklung nicht per se verschließen. Denn „wenn alles im Fluss ist (Heraklit), ist Beharren nicht immer der richtige Weg“.322 nicht wohlwollend.“ Von dieser These ausgehend, ist die Förderung der Akzeptanz der gesprochenen Urteile innerhalb der Bevölkerung ein wesentlicher Aspekt. 317  Morsch, ZRP 2014, 254; Mosbacher, DRiZ 2016, 299. 318  Kutschaty, NJW-aktuell 2016, 17; Loubal/Hofmann, MMR 2016, 669, 672. 319  Fromm, NJOZ 2015, 1193. 320  Fromm, NJOZ 2015, 1193, 1195. 321  Bundesjustizminister Heiko Maas bei der Bundesvertreterversammlung des Deutschen Richterbundes am 29.04.2016, online abrufbar unter: http://www.bmjv.de/ SharedDocs/Reden/DE/2016/04292016_Bundesversammlung_DRB.html. (zuletzt am 04.04.2018). 322  Mosbacher, DRiZ 2016, 299.



B. Reaktionen auf das Reformvorhaben in der Fachliteratur333

1. (Ton-)übertragung in einen Medienarbeitsraum Vor Beginn des NSU-Prozesses, der als jüngster Auslöser für die Diskussion um eine Reform des § 169 GVG  a. F. gilt, wurde gefühlt mehr über Plätze für Medienvertreter im Sitzungssaal diskutiert als über die rechtsextremistische Mordserie, die es dort juristisch auszuarbeiten gilt: „Vertauschte Rollen vor Beginn des sogenannten NSU-Prozesses: Angeklagt wird das Gericht. Zu wenig Sitzplätze für Journalisten, lautet im Kern der Vorwurf. Der Gewaltenteilungsgrundsatz fliegt über Bord. Der Senat bekommt ordentlich Schläge – auch in Form von Ratschlägen. Videoübertragung des Prozesses in einen Nebenraum, lautet einer davon.“323

Eine derartige Übertragung (nicht Aufzeichnung!) in einen Medienarbeitsraum wurde von einigen Autoren324 bereits nach der alten Rechtslage als zulässig erachtet, die gerichtliche Praxis zeigt allerdings, dass eine Übertragung in einen Medienarbeitsraum in der Regel durch die Gerichte nicht angeordnet wird, was vor dem revisionsrechtlichen Hintergrund325 auch durchaus plausibel ist. Schließlich will kein Gericht, das einen medienwirksamen und in der breiten Öffentlichkeit stehenden und etliche Verhandlungstage umfassenden Strafprozess führt, das Risiko einer Aufhebung des Urteils wegen eines Verfahrensfehlers eingehen. Wenn Richter Revisionsfreiheit anstreben, seien sie nicht automatisch „kühle Paragrafenreiter“,326 sie beachten vielmehr die Grundsätze des Rechtsstaates, da Angeklagte, Opfer, aber auch die Öffentlichkeit vor jahrelang andauernden Rechtsstreitigkeiten  – wenn möglich – geschützt werden müssen, auch wenn sich ein „Fehler“ manchmal erst dann erkennen lässt, wenn die nächst höhere Instanz darüber geurteilt hat.327 Gerade aus diesem Grund seien derart öffentlichkeitswirksame Großverfahren nicht geeignet, diese umstrittene Rechtsfrage anhand des eigenen Prozesses zu klären.328 In kleineren, weniger im massenmedialen Fokus stehenden, Strafverfahren stelle sich diese Frage nach der Notwendigkeit einer Verhandlungsübertragung in einen Nebenraum erst gar nicht.329 Dass 323  Merk,

DRiZ 2013, 234. mit Bezugnahme auf den NSU-Prozess Huff, in: LTO vom 06.03.2013, online abrufbar unter: http://www.lto.de/recht/hintergruende/h/nsu-prozess-zu-wenigplaetze-presse-uebertragung-medienraum/ (zuletzt am 04.04.2018). 325  Geuther, DRiZ 2013, 166, die jedoch nicht von einer reinen Tonübertragung wie es der aktuelle Gesetzesentwurf vorsieht spricht, sondern auch von der Übertragung von Audiosignalen in einen Nebenraum. 326  Geuther, DRiZ 2013, 166. 327  Prietzel-Funk, DRiZ 2013, 204, 205. 328  So auch Neumann, DRiZ 2013, 167; Jahn, DRiZ 2015, 379. 329  Kreicker, ZIS 2017, 85, 90. 324  Konkret

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5. Kap.: Das EMöGG

eine gesetzliche Klarstellung an dieser Stelle erforderlich sei, habe sich in der jüngsten Vergangenheit allen voran am NSU-Verfahren gezeigt, jedoch seien auch andere Strafverfahren mit nicht ausreichendem Platzkontingent für Zuschauer und Medienvertreter von dieser rechtlichen Unklarheit betroffen gewesen.330 Denn wenn eine große Anzahl der Medienvertreter ihre Informationen vor der Tür des Verhandlungssaals aus zweiter Hand bekomme, führe dies zu einer Beeinträchtigung einer kundigen Berichterstattung über besagtes Verfahren.331 Im Hinblick auf die konkrete Ausgestaltung der Möglichkeit der Einrichtung eines Medienarbeitsraums wird hervorgehoben, dass diese keine Erweiterung der Saalöffentlichkeit darstelle und damit das Geschehen im Medienarbeitsraum auch nicht der sitzungspolizeilichen Gewalt des Vorsitzenden nach § 176 GVG unterliege. Ihm werde somit nicht die unzumutbare Pflicht aufgebürdet, neben der Verhandlungsführung im Sitzungssaal auch noch für die Aufrechterhaltung der Ordnung im Medienarbeitsraum zu sorgen. Dieser unterliege auch bei einer Tonübertragung des Hauptverhandlungsgeschehens dem Hausrecht des Präsidenten oder Direktors des jeweiligen Gerichts.332 Verbesserungsbedarf bestehe hinsichtlich der bisherigen restriktiven Variante der reinen Tonübertragung. Diese Beschränkung sei mit dem Alltag in modernen Gerichtssälen, in denen etwa Videos von Tatortkameras auf Wandbildschirmen abgespielt werden, nicht vereinbar. Als eine Kompromisslösung für dieses Problem könne man in der Neuregelung neben einer Tonauch eine Ton-Bild-Übertragung zulassen und die tatsächliche Ausgestaltung in das Ermessen des Vorsitzen stellen.333 Durch eine audiovisuelle Übertragung der Verhandlung in den Medienarbeitsraum beispielsweise aus einer totalen Kameraperspektive aus Richtung der Zuschauer würden für dieje­ nigen Medienvertreter, die lediglich im Nebenraum einen Platz gefunden haben, weitestgehend gleiche und somit diskriminierungsfreie Arbeitsbe­ dingungen geschaffen. Damit würde zugleich einer „Zwei-Klassen-Berichterstattung“ entgegengewirkt, und eine gesteigerte Gefährdung der Persönlichkeitsinteressen der Verfahrensbeteiligten im Vergleich zur direkten Anwesenheit von Medienvertretern im Zuschauerraum läge ebenfalls nicht vor.334 Außerdem zeige der Blick auf die amerikanische Praxis, die bei Sensationsprozessen ebenfalls einen Medienarbeitsraum zulasse, dass Kameras und Mikrofone den Ablauf der Verhandlung wohl weniger stören würden als 330  Merk, DRiZ 2013, 234, 325, die ebenfalls von einer Videoübertragung spricht; Neumann, DRiZ 2013, 167. 331  Jahn, DRiZ 2015, 379; ähnlich schon Kutschaty/Gerhardt, ZRP 2013, 219. 332  Kreicker, ZIS 2017, 85, 90. 333  Altenhain, DRiZ 2016, 304, 307. 334  Loubal/Hofmann, MMR 2016, 699, 672.



B. Reaktionen auf das Reformvorhaben in der Fachliteratur335

die eine hohe Präsenz an Medienvertretern im Rahmen der herkömmlichen Saalöffentlichkeit.335 2. Übertragung von Entscheidungsverkündungen Die Befürworter einer moderaten Lockerung des § 169 S. 2 GVG a. F. argumentieren hinsichtlich der Übertragung von Entscheidungsverkündungen der obersten Gerichtshöfe des Bundes, dass es dort in der Regel nicht primär um Einzelschicksale sondern um die gesamte Öffentlichkeit betreffende Grundsatzentscheidungen gehe.336 Durch die nunmehr geschaffene Möglichkeit von Übertragungen der Urteilsverkündungen werde die Arbeit der Justiz transparenter und die abstrakte Rechtsanwendung bekomme ein Gesicht,337 die Bundejustiz könne selbst zu den Bürgern sprechen und damit eine größere Rolle im öffentlichen Bewusstsein spielen.338 Die Befürchtung der Reformgegner, dass durch die installierten Kameras das Verhalten der Verfahrensbeteiligten beeinflusst werde oder zumindest werden könnte, überzeuge vor dem Hintergrund der konkreten Ausgestaltung des Gesetzesentwurfs nicht. Bei Urteilsverkündungen sei der wirklichkeitsverändernde Einfluss auf die Verfahrensbeteiligten deutlich geringer, denn der Vorsitzende verlese vor der Kamera einen bereits vorformulierten Text. Wozu sollten die Kameras ihn in einer solchen Situation drängen, außer vielleicht zu einer „besseren Performance“?339 Dennoch stellt sich nach Ansicht mancher die Frage, ob sich durch das Wissen um die Anwesenheit der Kameras der Druck oder der Einfluss der Massenmedien auf die Richter im Vorfeld der Entscheidungsverkündung erhöhen kann. Janisch konstatiert hierzu, dass die Justiz der Diskussion um dieses mögliche Problem gerne ausweiche, da der Mythos, die Richter seien gänzlich unbeeinflussbar von der medialen Berichterstattung, aufrechterhalten werden solle. Doch unbeeinflussbar seien Richter, wie jeder andere auch, gerade nicht; Richter seien „soziale Wesen“ und Teil  der Gesellschaft. Doch im Unterschied zu anderen Mitgliedern unserer Gesellschaft sollten Richter gelernt haben, mit den massenmedialen Einflüssen reflektiert und professionell umzugehen.340 Auch das Argument, dass eine Urteilsverkündung in den Nachrichten in den wenigsten Fällen in vollständiger Länge gezeigt würde, und aufgrund der zeitlichen Beschränkung eines Nachrichtenbeitrags lediglich einzelne 335  Vietmeyer,

Fernsehöffentlichkeit, S. 254. NJW-aktuell 2016, 17; Kreicker, ZIS 2017, 85, 104. 337  Mosbacher, DRiZ 2016, 299. 338  Bernzen/Bräutigam, K&R 2017, 555, 559. 339  Janisch, DRiZ 2016, 136. 340  Janisch, DRiZ 2016, 136. 336  Kutschaty,

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5. Kap.: Das EMöGG

Ausschnitte verwendet werden können, sei zwar richtig. Jedoch liege dadurch keine selektive Berichterstattung und im Ergebnis keine Verfälschung des Inhalts vor. Die journalistische Sorgfaltspflicht setzt es geradezu voraus, dass trotz der zeitlichen Beschränkung des Nachrichtenbeitrags das gesamte Thema abgedeckt werde, und zwar im Kontext mit den Reaktionen aller Beteiligten. Zudem gehöre es seit jeher zu den wesentlichen Merkmalen des journalistischen Arbeitens, auszuwählen, zu gewichten und dem jeweiligen Thema dennoch gerecht zu werden.341 Es gehe aber nicht nur um Vorteile auf Seiten der Journalisten, auch die Justiz würde von dieser Möglichkeit profitieren, wenn das Gericht in den Nachrichten sein Urteil in den wesentlichen Passagen selbst sprechen würde. Die exakte Einordnung und die genaue Erklärung der Zusammenhänge sei dann wiederum von den Medien zu leisten.342 Auch die Bedenken hinsichtlich des fehlenden Interesses der Bevölkerung an derartigen Urteilen sind nach Ansicht Bräutigams unbegründet: „Warum stellt die Justiz eigentlich ihr Licht so unter den Scheffel? Ein Urteil zum Nachtflugverbot aus Leipzig, zu Rentenbeträgen für Familien aus Kassel, zum Streikrecht aus Erfurt und zur Pendlerpauschale aus München, das ist nah dran an den Bürgerinnen und Bürgern. Und um die geht es.“343

Es wurde gefordert, dass eine Justiz, die in der Öffentlichkeit überzeugen will, eben auch Gesicht zeigen muss.344 Als problematisch an dem diskutierten Entwurf des EMöGG erscheint die Ausgestaltung hinsichtlich der Entscheidung des „Ob“ der Übertragung einer Urteilsverkündung. Kritisiert wird, dass diese alleinige Entscheidung darüber in das Ermessen des Vorsitzenden fallen solle und sich die Medien gegen eine ablehnende Entscheidung wohl in den meisten Fällen im Wege einer einstweiligen Anordnung beim Bundesverfassungsgericht wehren würden.345 Prantl geht in seinen Ausführungen zum diskutierten Reformvorhaben sogar noch weiter, indem er befürwortet, eine alte, in Deutschland jedoch nie offiziell Gesetz gewordene Idee346 wieder aufleben zu lassen: „Die Zweiteilung der Hauptverhandlung in das Erkenntnisverfahren und das Bestrafungsverfahren. Im Erkenntnisverfahren wird dann, sehr öffentlich, über Schuld und Unschuld Beweis erhoben und mit Zwischenurteil, dem Interlokut, entschieden. Im zweiten Teil  der Verhandlung, dem Bestrafungsverfahren, werden  – unter weitgehendem Ausschluss der Öffentlichkeit  – die persönlichen Verhältnisse des 341  Bräutigam,

DRiZ 2015, 378; ähnlich bereits Schmitt, ZRP 2011, 220, 221. K&R 2017, 555, 559. 343  Bräutigam, DRiZ 2015, 378. 344  Janisch, DRiZ 2016, 136; Mosbacher, DRiZ 2016, 299. 345  Mosbacher, DRiZ 2016, 299; Bernzen/Bräutigam, K&R 2017, 555, 556. 346  Zur Zweiteilung der Hauptverhandlungs im Lichte des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung Riepl, Informationelle Selbstbestimmung, S. 162 ff. 342  Bernzen/Bräutigam,



B. Reaktionen auf das Reformvorhaben in der Fachliteratur337 Angeklagten ausgelotet und erörtert, als Grundlage für die Strafzumessung. Details aus dem Privatleben gelangen dann, anders als heute, nicht mehr zwingend in die Öffentlichkeit. So eine Zweiteilung der Hauptverhandlung beendet nicht die Probleme zwischen Strafjustiz und Öffentlichkeit, kann aber neue Sensibilitäten schaffen.“347

Die Schaffung solch neuer Sensibilitäten sei für das künftige Verhältnis sowohl seitens der Justiz als auch seitens der Medien notwendig, um das derzeit bestehenden Spannungsverhältnis zwischen Strafjustiz und Medienöffentlichkeit wieder zu relativieren.348 3. Aufzeichnung zeitgeschichtlich bedeutsamer Verfahren für wissenschaftliche Zwecke Betreffend die Aufzeichnung zeitgeschichtlich bedeutsamer Verfahren wurde 2014 eine „Archivlösung“ nach französischem Vorbild349 vorgeschlagen, die im Rahmen des NSU-Prozesses von Bedeutung gewesen wäre. Welch großen Wert eine derartige Dokumentation auch nach einem halben Jahrhundert noch haben könne, zeige sich an den Aufzeichnungen des ersten Frankfurter Auschwitz-Prozesses.350 Auch wer die durch Zufall wiederentdeckten Tonbandmitschnitte des Stammheim-Prozesses kenne, wisse, dass Strafverfahren, die in einem politischen Zusammenhang stehen, einen einzigartigen und „nicht durch Buchwissen vermittelbaren Einblick in das Klima ihrer Zeit geben“ könne.351 Mit den Rechten des einzelnen Angeklagten sei eben auch die Pflicht zur Erinnerung abzuwägen.352 Bei der Aufzeichnung zeithistorisch bedeutsamer Verfahren für die Bundesrepublik gehe es um für die gesamte Gesellschaft und ihre Entwicklung außerordentlich bedeutsame Verfahren, bei denen ein gewichtiges Interesse an einer umfassenden, die Möglichkeiten der Technik nutzenden Dokumentation für zukünftige Forschungen ohne weiteres bejaht werden kann. Bei der audio ­(-visuellen) Dokumentation solcher Verfahren gehe es nicht um die Befriedigung aktueller Neugier oder Sensationslust, sondern darum, Verfahren, die voraussichtlich über Jahrzehnte hinweg große politische und gesellschaftliche Bedeutung behalten, und die in ihnen gewonnenen Erkenntnisse für nachfol347  Prantl,

DRiZ 2016, 298. DRiZ 2016, 298. 349  Dazu in Kap. 4, B. I. 350  Morsch, ZRP 2014, 254; Giraud, Übertragung von Gerichtsverhandlungen in Strafsachen, S. 169, 190; Kreicker, ZIS 2017, 85, 103. 351  Norouzi, StV 2016, 590, 594; ähnlich auch Rittig, NJ 2016, 265, 268. 352  Giraud, Übertragung von Gerichtsverhandlungen in Strafsachen, S. 169, 190 f. m. w. N. 348  Prantl,

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5. Kap.: Das EMöGG

gende Generationen und zukünftige historische Forschungen zu dokumentieren.353 Ausbaufähig sei diese Regelung jedoch im Hinblick auf die Ausgestaltung der Schutzfristen, die sich ausschließlich nach den Bestimmungen des jeweils einschlägigen Archivgesetzes richten. Hier wird eine eigenständige Regelung gefordert, insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Landesgesetzgeber durch eine Änderung des Landesarchivgesetzes jederzeit den Archivschutz der Aufzeichnungen verringern könne und somit auch mittelbar Einfluss auf die Aufnahmen eines laufenden Prozesses nehmen könnte.354 Für die Möglichkeit einer Aufzeichnung zeitgeschichtlich bedeutsamer Verfahren hat sich auch der Deutsche Presserat explizit ausgesprochen. Dessen Plenum hatte sich zuvor mit dem Beschluss der Bundesregierung zum Gesetzentwurf zum EMöGG befasst. Allerdings dürfe die Entscheidung darüber, welche Verfahren von zeithistorischer Bedeutung seien, nach Ansicht des Deutschen Presserates nicht den Gerichten allein überlassen werden, vielmehr seien auch die Einschätzungen von Journalisten355 unbedingt erforderlich.356

C. Eigene Bewertung des EMöGG Durch das EMöGG357 wurden die Rahmenbedingungen der massenmedialen Berichterstattung aus deutschen Gerichtssälen sowie die Tonaufzeichnung für wissenschaftliche Zwecke verändert. In Ergänzung zu diesen Änderungen wurden durch das EMöGG die Vorschriften jener Prozessordnungen angepasst, die auf § 169 GVG  a. F. verweisen oder dieser Norm entsprechen.358 Bevor auf die Bewertung der einzelnen Änderungen sowie auf die jeweiligen Argumente pro und contra eingegangen werden soll, stellt sich die Frage, ob nicht ein Verstoß gegen das Verbot der Einzelfallgesetzgebung (Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG) vorliegt. Zwar ist die Diskussion um die Ausgestaltung des Öffentlichkeitsgrundsatzes bereits vor der Einführung des § 169 S. 2 GVG  a. F. im Jahr  1964 geführt und im Laufe der vergangenen Jahrzehnte nie gänzlich abgeklungen, doch hat die aktuelle Auseinandersetzung 353  Kreicker,

ZIS 2017, 85, 103. Kreicker, ZIS 2017, 85, 104. 355  Die Frage, nach welchen Kriterien diese Journalisten ausgewählt werden sollen oder warum man dazu nicht kumulativ Historiker befragen sollte, wird durch den Deutschen Presserat jedoch nicht beantwortet. 356  Siehe dazu die Pressemitteilung des Deutschen Presserates, online abrufbar unter: http://www.presserat.de/presserat/news/pressemitteilungen/ (zuletzt am 04.04. 2018). 357  BGBl. I 2017, S. 3546. 358  BGBl. I 2017, S. 3546–3548. 354  Ausführlich



C. Eigene Bewertung des EMöGG339

mit den Vor- und Nachteilen von mehr Medienöffentlichkeit in deutschen Gerichtssälen durch das nunmehr abgeschlossene Gesetzgebungsverfahren an Brisanz gewonnen. Als Auslöser für besagte Änderung ist der unglücklich verlaufene Start des NSU-Prozesses vor dem OLG  München im Jahr  2013 und die daraufhin erfolgte – teils massive – Kritik sowohl seitens der Juristen als auch der allgemeinen Bevölkerung, national wie international, auszumachen. Da die einschränkende Regelung des § 169 S. 2 GVG a. F. nicht gegen das Grundgesetz verstößt,359 bestand unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten jedenfalls keine Notwendigkeit für die durchgeführten Änderungen durch das EMöGG. Die beschlossene Neufassung ist somit ausschließlich rechtspolitischer Natur und folgte als „Initiative auf eine massenmedial provozierte (und teils auch suggerierte) Empörung hin, die sich auf einen aufgedeckten […] Missstand“ bezog.360 Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG verbietet grundrechtseinschränkende Gesetze, die nicht allgemein, sondern nur für den Einzelfall gelten. Die Anforderung, dass ein Gesetz allgemein zu sein hat, ist immer dann erfüllt, wenn sich wegen der abstrakten Fassung der gesetzlichen Tatbestände nicht absehen lässt, auf wie viele und welche konkreten Fälle das Gesetz Anwendung findet,361 wenn also nicht nur ein einmaliger Eintritt der vorgesehenen Rechtsfolgen denkbar ist.362 Dass der Gesetzgeber eine Anzahl konkreter Fälle vor Augen hat, die er zum Anlass seiner Regelung nimmt, verleiht dieser nicht den Charakter eines Einzelfallgesetzes, wenn sie nach der Art der in Betracht kommenden Sachverhalte geeignet ist, unbestimmt viele, weitere Fälle zu regeln.363 So sind auf einen konkreten Sachverhalt abstellende Maßnahmegesetze „weder unzulässig noch unterliegen sie einer strengeren verfassungsrechtlichen Prüfung als andere Gesetze. Der Begriff der Maßnahmegesetze ist also verfassungsrechtlich irrelevant.“364 Unerheblich ist somit auch, ob ein Einzelfall den Anlass zu einer gesetzlichen Regelung gegeben hat,365 sogenanntes An359  BVerfGE

103, 44; ausführlich oben in Kap. 2, B. V. 2. d). in: FS Heintschel-Heinegg (2015), S. 275, 276. 361  Seit BVerfGE 10, 234, 242 ständige Rechtsprechung. 362  BVerfGE 25, 371, 396. 363  BVerfGE 99, 367, 400. 364  BVerfGE 25, 371, 396; vgl. auch BVerfGE 10, 89, 108; 12, 126, 146 f.; 24, 33, 52. 365  Dies hat auch das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil zur MontanMitbestimmung festgestellt: „Nach diesen Grundsätzen ist § 3 Abs. 2 i. V. m. § 16 Abs. 1 Nr. 2 MitbestErgG a. F. kein Einzelfallgesetz. Es handelt sich vielmehr um ein ‚Anlaßgesetz‘ im vorgenannten Sinn. Anlaß zu einer Regelung gaben dem Gesetzgeber zwar konkrete Fälle, in denen ihm das bevorstehende Ausscheiden bestimmter Konzernobergesellschaften aus der Montan-Mitbestimmung vor Augen stand. Die Regelung ist aber abstrakt formuliert und auf eine im Zeitpunkt ihres Erlasses nicht abschließend bestimmte Zahl von Unternehmen bezogen.“, BVerfGE 99, 367, 400. 360  Kudlich/Oğlakcıoğlu,

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5. Kap.: Das EMöGG

lassgesetz.366 Einen Anlass zu Neuregelung des § 169  GVG  a. F. durch das EMöGG war der NSU-Prozess und somit ein konkreter Fall, was vor dem Hintergrund des Art. 19 Abs. 1 S. 1 GG jedoch unbedenklich ist. Ferner ist auch kein, aus verfassungsrechtlicher Sicht problematisches, verdecktes Einzelfallgesetz gegeben. Voraussetzung dafür wäre, dass künftige Anwendungsfälle des geplanten Gesetzes von vornherein ausgeschlossen sind.367 Teilweise wird  – unter Zugrundelegung eines unspezifischen „Fallbegriffs“ – ausdrücklich gefordert, dass der Eintritt der gesetzlichen Rechtsfolge nicht nur einmal möglich sein dürfe.368 Andererseits steht jedoch auch fest, dass sich „das Gesetz von den Fesseln des Art. 19 Abs. 1 S. 1 GG nicht schon durch eine bloß abstrakte Formulierung befreien kann“.369 Die Änderungen des § 169 GVG a. F. schließen die Anwendung der Vorschriften über den Öffentlichkeitsgrundsatz für zukünftige Fälle nicht aus, zumal ein konkreter Fall in absehbarer Zeit als Voraussetzung nicht erforderlich ist.370 Die Regelungen des § 169  GVG  n. F. sind abstrakt formuliert und auf eine im Zeitpunkt ihres Erlasses nicht abschließend bestimmte Zahl vergleichbarer Fallkonstellationen bezogen. Der NSU-Prozess stellt allein aufgrund des Tatgeschehens, der Anzahl der Nebenkläger sowie des national wie auch international enormen Medieninteresses ein Novum dar, doch es ist nicht undenkbar, dass es auch zukünftig Strafverfahren geben wird, die ein ähnliches Tatgeschehen und eine ähnliche Aufmerksamkeit nach sich ziehen werden. Zu denken ist dabei an Verfahren wegen terroristisch motivierter Straftaten, die sich oftmals durch eine hohe Anzahl an Opfern auszeichnen in Kumulation mit einer (im untechnischen Sinne) grausamen Begehungsweise. Im Ergebnis geht die Neufassung des § 169  GVG zwar zurück auf den NSU-Prozess, der auch überwiegend als zentraler Argumentationsansatz und Musterbeispiel für die Erforderlichkeit gesetzgeberischen Tätigwerdens herangezogen wird. § 169 GVG n. F. ist letztlich verfassungsrechtlich jedoch nicht zu beanstanden, insbesondere nicht vor dem Hintergrund des Art. 19 Abs. 1 S. 1 GG. Betrachtet man nun die vorstehende sehr ausführliche, größtenteils engagierte und zum Teil  auch recht emotional geführte Diskussion um die Neufassung des § 169  GVG  a. F. zunächst in ihrer Gesamtheit, wird deutlich, dass die maßgeblichen Argumentationspunkte bezüglich der drei Erweiterungen der Vorschrift über den Öffentlichkeitsgrundsatz jedenfalls in aller Aus366  BVerfGE 7, 129, 150 f.; 13, 225, 228 f.; 24, 33, 52; 25, 371, 396; siehe auch Dreier-Ders., GG, Bd. I, Art. 19, Rn. 13. 367  BVerfGE 99, 367, 400. 368  BVerfGE 25, 371, 396. 369  Dreier-Ders., GG, Bd. I, Art. 19, Rn. 13 m. w. N. 370  So auch BVerfGE 99, 367, 400; ähnlich auch BVerfGE 121, 30, 49.



C. Eigene Bewertung des EMöGG341

führlichkeit diskutiert wurden. Anhand der aufgeführten Ansichten für und wider, der Befürchtungen auf der einen und der Drang zur Modernisierung auf der anderen Seite, wird deutlich, dass für beide Positionen starke Argumente sprechen, selbst wenn an mancher Stelle erkennbar zu ergebnisorientiert vorgegangen wurde. Ob sich die existenten bzw. befürchteten Risiken, die die jeweiligen Ansichten stützen und mit besagter Gesetzesreform einhergehen, realisieren werden, wird die zukünftige Gerichtspraxis zeigen. Nachdem der nunmehr beschlossenen Neuregelung im Zuge des EMöGG in der Gesamtbetrachtung keine verfassungsrechtlichen Bedenken entgegenstehen, gilt es nun, die drei wesentlichen Änderungen, namentlich die Möglichkeit der Einrichtung eines Medienarbeitsraumes, die Übertragung von Entscheidungsverkündungen am Bundesgerichtshof sowie die Tonaufzeichnung historisch bedeutsamer Verfahren, aus strafrechtlicher Perspektive auf ihre (Praxis-)Tauglichkeit hin zu untersuchen.

I. Tonübertragung in einen Medienarbeitsraum Hinsichtlich der in § 169 Abs. 1 S. 3 GVG n. F. verorteten Möglichkeit der Übertragung der Verhandlung in einen Medienarbeitsraum im Falle eines nicht ausreichenden Platzkontingents, ist diesem Teil  des Reformvorhabens insofern zuzustimmen, als dass dieser zum Zwecke der Beseitigung herrschender Rechtsunsicherheit, ob eine gerichtsinterne Übertragung bereits nach § 169  GVG  a. F. zulässig war, dienlich ist. Der Gesetzgeber ist der Auffassung, dass einer Zulässigkeit der Übertragung keine rechtlichen Bedenken entgegenstehen und es vor dem Hintergrund der im vorherigen Kapitel dargestellten Diskussionen hierum einer gesetzlichen Klarstellung bedürfe, was grundsätzlich begrüßenswert ist. Die tatsächliche Ausgestaltung des § 169 Abs. 1 S. 3 GVG n. F. betreffend die reine Tonübertragung stellt jedoch eine nur unzureichende und im Ergebnis halbherzige Regelung dar. So ist es zum einen in Anbetracht der weit fortgeschrittenen technischen Möglichkeiten schlicht nicht mehr zeitgemäß (um den Terminus der Reformbefürworter zu verwenden), auf eine Bildübertragung zu verzichten. Zu Beginn der Diskussion um die Neufassung des Öffentlichkeitsgrundsatzes zog man neben der Audio- auch die visuelle Übertragung in einen Medienarbeitsraum in Erwägung. Unter Berücksichtigung des von den Gegnern dieser gesetzlichen Änderung angeführten Einwandes einer zu starken Beeinträchtigung von Persönlichkeitsrechten der Verfahrensbeteiligten beschränkte sich bereits der Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz auf eine reine Tonübertragung. Bei einer ausschließlichen Tonübertragung besteht die Gefahr, dass Redebeiträge nicht korrekt zugeordnet werden können und es bedingt

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5. Kap.: Das EMöGG

dadurch im schlimmsten Fall zu einer inhaltlich falschen Berichterstattung kommen kann.371 Um diesem Risiko vorzubeugen, hätte der Gesetzgeber Mut beweisen und anstelle dieser nunmehr Gesetz gewordenen Kompromisslösung die Möglichkeit einer vollständigen Übertragung der Hauptverhandlung in einen Medienarbeitsraum normieren müssen. Zudem kann die mit dieser Kompromisslösung einhergehenden Benachteiligung derjenigen Medienvertreter, die bei mangelnden Platzkontingent im Sitzungssaal im Medienarbeitsraum Platz zu nehmen haben, vor dem Hintergrund der Regelung des in Art. 3 Abs. 1 GG verorteten Gleichheitssatzes problematisch sein, da gerade die visuellen Eindrücke von den Verfahrensbeteiligten bei der späteren Berichterstattung nicht unerheblich sind. Hinsichtlich der Ausgestaltung des § 169 Abs. 1 S. 3 GVG n. F. besteht insoweit noch gesetzgeberischer Nachholbedarf in der Form, dass eine audiovisuelle Übertragung in den Medienarbeitsraum zu ermöglichen ist. Problematisch in Bezug auf die generelle Ausgestaltung des § 169 Abs. 1 S. 3 GVG  n. F. ist ferner das Bestimmen, wer exakt zu denjenigen Personen gehören soll, die „für Presse, Hörfunk, Fernsehen oder für andere Medien berichten“, was durch die Begründung des Gesetzes aufgrund fehlender Ausführungen nicht deutlich beantwortet wird. Für eine extensive Auslegung dieses privilegierten Personenkreises spricht zunächst der Wortlaut, der sich nicht auf die klassischen Medien der Presse, des Hör- und des Rundfunks festlegt, sondern ausdrücklich auch „andere Medien“ aufnimmt. Zu diesen anderen Medien zählen überwiegend Herausgeber oder Verfasser von BlogBeiträgen, die als Teilnehmer der „Blogosphäre“ ihre Beiträge häufig zu anderen Blogs verlinken, um eine große Leserzahl zu erreichen. Über die Notwendigkeit einer gewissen Regelmäßigkeit der Berichterstattungen als eines der in der vorgenannten Diskussion hauptsächlich von bekannten Journalisten großer Sender und Verlagshäuser als ein Eingrenzungskriterium gefordertes Merkmal schweigt die Gesetzesbegründung. Gegen eine extensive Auslegung des Wortlauts spricht, dass es sich bei der Einrichtung eines Medienarbeitsraumes ausdrücklich (so die Gesetzesbegründung auf S. 18) nicht um eine Erweiterung der Saalöffentlichkeit handele, sondern ausschließlich den Medienvertretern eine zusätzliche Möglichkeit eingeräumt werden soll, das Verhandlungsgeschehen zu verfolgen. Der Verhinderung einer Erweiterung eben jener Saalöffentlichkeit kann aber nur die restriktivere 371  Wenig überzeugend ist das an dieser Stelle von Hoeren vorgebrachte Argunent, dass nunmehr „die Stunde der Stenographen wiedergekommen“ sei, vgl. ders., NJW  2017, 3339, 3340. Denn die Art der Berichterstattung aus dem Medienarbeitsraum unterscheidet sich insofern nicht von derjenigen direkt aus dem Gerichtssaal, da Aufzeichnungen der Verhandlung weder in dem einen noch in dem anderen Saal gemacht werden dürfen.



C. Eigene Bewertung des EMöGG343

Wortlautauslegung gerecht werden, da anderenfalls jeder Zuschauer, der aufgrund eines zu geringen Platzkontingents keinen Zutritt zum Gerichtssaal erhalten hat, unter dem Vorwand, im Internet über den Prozess zu berichten, dennoch der Verhandlung beiwohnen könnte. Über diese Problematik wurde auch während des 71.  Deutschen Juristentags im September  2016 diskutiert, beraten und schließlich wie folgt abgestimmt: Abgelehnt wurde der Vorschlag, dass von besagtem Personenkreis nur diejenigen Personen umfasst sein sollen, die Inhaber eines gültigen Presseausweises sind, jedoch fiel dieses Ergebnis denkbar knapp mit 37 JaStimmen, 42 Nein-Stimmen bei 29 Enthaltungen aus. Angenommen wurde hingegen der Vorschlag, dass alle regelmäßig publizierenden Personen, die in einem Redaktions- oder sonstigen Verantwortungszusammenhang für ihre journalistische Tätigkeit beauftragt wurden, umfasst sein sollen. Dieses Ergebnis fiel ebenfalls vergleichsweise knapp aus mit 40 Ja-Stimmen, 37 NeinStimmen und 32 Enthaltungen.372 Diese beispielhaft aufgeführten Abstimmungsresultate zeigen die Schwierigkeiten auf, die bei dem Versuch der Bestimmung einer solchen Begriffsdefinition zu Tage treten, weshalb man meines Erachtens und entgegen dem erstgenannten Beschluss im Rahmen der DJT-Abstimmung auf das Vorhandensein eines gültigen Presseausweises abstellen sollte. Dies ist insbesondere aus praktischen Gesichtspunkten zu empfehlen, da der den Zutritt zum Medienraum beaufsichtigende Gerichtswachtmeister aus zeitlichen Gründen unmöglich jeden Einzelfall auf das Vorhandensein regelmäßiger Publikationen oder die Beauftragung der besagten Person prüfen kann. Blogger, die die Voraussetzung der Erteilung eines Presseausweises nicht erfüllen, könnten eine Genehmigung zur Nutzungsberechtigung des Medienarbeitsraumes durch das Gericht beantragen. Problematisch dabei ist jedoch, dass es aus verfassungsrechtlichen Gründen zwischen 2008 und 2018 keinen bundeseinheitlichen Presseausweis gab, was auf ein Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf373 zurückzuführen ist. Durch dieses Urteil wurde die bis dahin übliche Praxis hinsichtlich der Vergabe der Presseausweise neu geregelt. Bis zur Entscheidung der Düsseldorfer Richter besaßen lediglich die fünf großen Journalisten- und Verlegerverbände nach Rücksprache mit den Innenministerien der Länder in eigener Verantwortung die Befugnis zur Vergabe von Presseausweisen. Eines der zu erfüllenden Merkmale um einen solchen Presseausweis zu erlangen war die hauptberufliche Ausübung der journalistischen Tätigkeit. Dadurch sollte ein gewisser Qualitätsstandard gewahrt werden. In besagter Entscheidung wurde festgestellt, dass dem Presseausweis der fünf großen, zur Vergabe befugten Verbände keine „öffentlich-rechtliche Tatbestandswirkung“ zukomme und 372  Beschlüsse 373  VG

des 71. Deutschen Juristentages, S. 14. Düsseldorf, NJW-RR 2005, 1353.

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5. Kap.: Das EMöGG

somit auch andere Verbände zur Vergabe von Presseausweisen befugt sein müssten. Rechtlicher Hintergrund dieser Entscheidung ist die verfassungsrechtlich verankerte Pressefreiheit: Der Staat dürfe keinen Einfluss auf die Entscheidung nehmen, wer ein Journalist mit einem gültigen Presseausweis sein dürfe und wer nicht. 2016 haben die Innenministerkonferenz und der Deutsche Presserat die Unterzeichnung einer Vereinbarung zur Wiedereinführung des bundeseinheitlichen Presseausweises ab dem Jahr  2018 beschlossen. Für die Vergabe ist eine „Ständige Kommission“ zuständig, die beim Deutschen Presserat angesiedelt ist.374 Bei der Beantwortung der Frage, wer genau unter die eingangs beschriebenen Personen fällt, die „für Presse, Hörfunk, Fernsehen oder für andere Medien berichten“ kann und sollte man somit seit Januar 2018 auf das Vorliegen des neuen bundeseinheitlichen Presse­ausweises abstellen. Einen gewissen Qualitätsstandard möchte auch Prantl sichern, indem er in den Thesen zu seinem Referat während des 71.  Deutschen Juristentags fordert, dass „Journalisten“ im Sinne der im Ermittlungs- und Strafverfahren geltenden Regeln für die Beteiligung der Öffentlichkeit ausschließlich hauptberuflich tätige Journalisten sein sollen und solche, die von einer Redaktion ausdrücklich für ihre journalistische Tätigkeit beauftragt wurden.375 Diese Forderung kongruiert mit derjenigen zur Einführung eines bundeseinheitlichen Presseausweises und stimmt auch mit dem Bild eines Journalisten überein, welches Bräutigam in seiner Stellungnahme zum Referentenentwurf des EMöGG beschreibt.376 Verbunden mit der Forderung eines bundesweit einheitlichen Qualitätsmerkmals für Journalisten generell, ist konkret in Bezug auf die Berichterstattung über Strafverfahren das Verfügen zumindest über juristische Grundkenntnisse seitens des Journalisten. Unter Einhaltung dieser Voraussetzungen einer qualitativ hochwertigen Bericht­ erstattung durch geschulte Medienvertreter kann grundsätzlich von einem positiven Effekt, von einem Mehrwert für allgemeine Öffentlichkeit, ausgegangen werden. Dass die Diskussion im Zuge der Entstehungsgeschichte zum EMöGG schlichtweg zu ergebnisorientiert geführt wurde, zeigt sich an § 169 Abs. 1 S. 3 GVG  n. F. Soweit ersichtlich, wurde zu keiner Zeit im Gesetzgebungsprozess die Frage aufgeworfen (oder gar beantwortet), was bei einem Versagen oder einem (versehentlichen) Abschalten der Tonübertragungstechnik im 374  Kahl, LTO v. 06.03.2013, S. 2/2, online abrufbar unter: http://www.lto.de/ recht/hintergruende/h/bundeseinheitlicher-presseausweis-innenministerkonferenz-ver gabe-gremium-journalismus-hauptberuf/ (zuletzt am 04.04.2018). 375  Thesen zum Referat von Prantl, abgedruckt in: Thesen der Gutachter und Referenten, 71. Deutscher Juristentag, S. 29. 376  Stellungnahme Bräutigam, ARD-Rechtsredaktion des SWR, S. 1.



C. Eigene Bewertung des EMöGG345

Medienarbeitsraum geschieht. Denkbar ist etwa die Konstellation, in der nach einer Sitzungspause die Hauptverhandlung wieder begonnen hat, die Tonübertragung jedoch noch nicht wieder eingeschaltet wurde, die Medienvertreter aber pausenbedingt von einem noch nicht erfolgten Wiederbeginn der Verhandlung ausgehen und auf diese Weise einige Minuten der Hauptverhandlung nicht verfolgen konnten. Die Hauptverhandlung fand somit unter Ausschluss eines Teils der Öffentlichkeit statt. Fraglich ist, ob dadurch ein absoluter Revisionsgrund nach § 338 Nr. 6 StPO vorliegt.377 Voraussetzung dafür ist, dass der Verfahrensmangel bis zur gerichtlichen Entscheidung fortgewirkt haben muss.378 Wird der Verfahrensmangel rechtzeitig bemerkt, kann dieser abhängig von seiner Art dadurch geheilt werden, dass der betroffene Verhandlungsteil prozessordnungsgemäß wiederholt wird.379 Wird demzufolge in dem oben beschriebenen Beispiel die Zeit nach dem Wiederbeginn der Hauptverhandlung, währenddessen die Tonübertragung in den Medienarbeitsraum noch nicht wieder eingeschaltet war, nicht nachgeholt, ist ein absoluter Revisionsgrund nach § 338 Nr. 6 StPO gegeben. Das Vorliegen eines absoluten Revisionsgrunds wird auch dadurch nicht tangiert, dass es sich bei den Medienvertretern im Medienarbeitsraum nicht um eine erweiterte Saalöffentlichkeit handelt. Dadurch ist gerade nicht gemeint, dass es sich bei den im Medienarbeitsraum Anwesenden nicht um die durch den Öffentlichkeitsgrundsatz umfasste Öffentlichkeit handelt. Selbstredend gehören auch die im Medienarbeitsraum Anwesenden zur Saalöffentlichkeit. Durch diese Feststellung, dass es sich dabei nicht um eine erweiterte Saalöffentlichkeit handelt, soll lediglich ausgeschlossen werden, dass auch „normale“ Zuschauer des Prozesses im Falle von mangelndem Platzkontingent in den Medienarbeitsraum ausweichen. Dem Vorliegen eines absoluten Revisionsgrundes nach § 338 Nr. 6 StPO steht auch nicht entgegen, dass mit dem Medienarbeitsraum nur ein Teil der Saalöffentlichkeit ausgeschlossen wurde, da – auch das wurde im Gesetzgebungsverfahren immer wieder betont – diejenigen Personen, die der Verhandlung im Medienarbeitsraum folgen, keinen qualitativen Unterschied im Vergleich zu den unmittelbar im Sitzungssaal anwesenden Zuschauern aufweisen. Dies insbesondere vor dem Hintergrund nicht, dass es sich bei den im Medienarbeitsraum Anwesenden gerade um Pressevertreter handelt, die aufgrund der ihnen zukommenden Multiplikatorfunktion dafür Sorge zu tragen 377  Zum absoluten Revisionsgrund nach § 338 Nr. 6 StPO siehe bereits die Ausführungen unter Kap. 3, A. IV. 378  RGSt 44, 16; BGHSt 33, 99. 379  RGSt 70, 109, 110; BGHSt 9, 243, 244; OLG Köln, StV 2001, 330.

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5. Kap.: Das EMöGG

haben, dass ihre Berichterstattung vollständig und möglichst fehlerfrei ist, was aber nur dann gewährleistet werden kann, wenn diese der Hauptverhandlung in voller Länge folgen konnten.

II. Übertragung der Entscheidungsverkündung des Bundesgerichtshofs Was die Möglichkeit der Übertragung von Entscheidungsverkündungen des Bundesgerichtshofs in § 169 Abs. 3 GVG n. F. anbelangt, spricht zunächst viel für die Einführung einer solchen Möglichkeit, da anders als den Entscheidungen der Instanzgerichte den Entscheidungen der obersten Bundesgerichte aufgrund ihrer häufig rechtsgrundsätzlichen Bedeutung oftmals eine erhebliche Breitenwirkung zukommt und sie sich vielfach in besonderer Weise auf das gesellschaftliche und politische Leben auswirken. Zudem kann die Übertragung einer Entscheidungsverkündung, angelehnt an § 17a Abs. 2 BVerfGG, zur Wahrung schutzwürdiger Interessen der Beteiligten oder Dritter sowie eines ordnungsgemäßen Ablaufs des Verfahrens teilweise untersagt oder von Auflagen abhängig gemacht werden. Dabei hätte man statt einer zunächst erteilten Genehmigung der Übertragung und der sich daran wiederum anschließenden Einschränkung von vornherein die auch nur teilweise Zulassung einer Übertragung gesetzlich normieren können.380 Nicht überzeugend ist jedoch die Differenzierung zwischen dem Bundesgerichtshof und den obersten Landesgerichten in letzter Instanz. Aufgrund der vergleichbaren Situation als Rechtsmittelgericht und der  – zumindest partiellen  – Breitenwirkung von Entscheidungen auch der Oberlandesgerichte, hat sich die geplante Möglichkeit der Übertragung von Entscheidungsverkündungen auch auf diese letztinstanzliche Zuständigkeit zu erstrecken.381 Zwar wird auf Seite  18 der Begründung des Gesetzesentwurfs in Bezug auf § 169 Abs. 3 GVG  n. F. angeführt, dass der Bundesgerichtshof auch Feldmann, GA 2017, 20, 22. überzeugend ist hingegen die Forderung einer Übertragungsmöglichkeit der Entscheidungsverkündungen sämtlicher Instanzgerichte aller Rechtszweige mit Ausnahme des Strafverfahrens, da man aufgrund der besonderen Sensibilität letzteren audiovisuelle Aufnahmen weiterhin verbieten sollte. Dies aber fordert Kaulbach und meint, der Gesetzgeber habe einen Ausnahmetatbestand von diesem Verbot zu schaffen, der eine Übertragung der Urteilsverkündung zulässt, sofern ein besonderes öffentliches Interesse daran bestehe. Für Art und Umfang der Übertragung könne man die durch die Rechtsprechung entwickelten Grundsätze der Verdachtsberichtserstattung heranziehen, wonach eine Übertragung dann zulässig sein solle, wenn die Nennung des Namens des Angeklagten bereits im Vorfeld erfolgt sei, da in solchen Fällen die Beeinträchtigung der Persönlichkeitsrechte weniger gravierend sei, vgl. Kaulbach, ZRP 2009, 236, 238. 380  So

381  Nicht



C. Eigene Bewertung des EMöGG347

aufgrund der besonderen Qualifikation und Erfahrung seiner Bundesrichterinnen und -richter am ehesten geeignet sei, solche Medienübertragungen zu ermöglichen. Doch sind allein die besondere Qualifikation und Erfahrung keine Alleinstellungsmerkmale, die eine derartige Differenzierung rechtfertigen können, zumal es nicht zu der originären Qualifikation eines Bundesrichters gehört, wortgewandt vor Fernsehkameras zu agieren, zumal diese Aufgabe ohnehin in der Regel dem Pressesprecher zukommt. Unterstellt man diese Fähigkeit, überzeugt es hingegen nicht, den Richter an den Oberlandesgerichten diese Qualifikation abzusprechen, denn auch diese sind qualifiziert und verfügen nicht selten über ähnliche Erfahrungen wie ihre Kollegen auf Bundesebene. Der Einwand, dass es bei den letztinstanzlichen Entscheidungen der Oberlandesgerichte regelmäßig nicht um bundesweite Rechtsfragen gehe und man mit der Beschränkung auf die Übertragung der Entscheidungsverkündungen des Bundesgerichtshofs deren überragende Bedeutung hervorhebt, mit der letztlich ja auch die Reform in Bezug auf diesen Teilaspekt begründet wurde, überzeugt indes nicht. Gerade für die lokale Bevölkerung und somit auch für Lokalsender wie WDR, NDR, BR, HR, SWR und MDR können solche Entscheidungen durchaus von überragendem Interesse sein. Als ein Beispiel dafür, dass auch letztinstanzliche Entscheidungen der Oberlandesgerichte bundesweit Aufmerksamkeit erregen und eine Grundsatzdebatte auslösen können, ist ein Fall, der im November 2017 vor dem AG  Gießen382 verhandelt wurde, anzuführen. Angeklagt war eine Gießener Allgemeinmedizinerin, die wegen unerlaubter Werbung für Schwangerschaftsabbrüche gemäß § 219a StGB zu einer Geldstrafe verurteilt wurde. Vor dem Amtsgericht demonstrierten Hunderte für die Abschaffung des „nicht mehr zeitgemäßen § 219a StGB“ und für die Straffreiheit der Ärztin. Nach Verkündung des Urteils gab es Protestmärsche unter anderem in Gießen, Marburg, Frankfurt und Köln. Auch Linke, SPD, FDP und Grüne vertreten in dieser Diskussion den Standpunkt, dass Ärzte in ihrer Aufklärungspflicht nicht eingeschränkt oder eingeschüchtert werden dürften. Parallel haben die Länder Hessen, Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg und Thüringen im Bundesrat eine Gesetzesinitiative zur Streichung des § 219a StGB eingebracht. Dieser wird derzeit in den Ausschüssen beraten. Die Verteidigung hat gegen dieses Urteil Revision zum OLG  Frankfurt eingelegt. Die Entscheidung wird mit Spannung erwartet – und das nicht nur in Mittelhessen. Letztlich liegt es jedenfalls an den Fernsehsendern, ob sie von der Möglichkeit einer Übertragung der Entscheidung eines Oberlandesgerichts in 382  AG

Gießen, Urt. v. 24.11.2017 – 501 Js 15031/15.

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5. Kap.: Das EMöGG

letzter Instanz Gebrauch machen möchten oder nicht. Man sollte ihnen diese Möglichkeit jedenfalls nicht per se verwehren, zumal es an stichfesten Argumenten für eine derartige Differenzierung mangelt. Fraglich ist jedoch, ob die Neuregelung des § 169 Abs. 3 GVG  n. F. auch tatsächlich erforderlich ist. Die reine Übertragung einer mündlichen Entscheidungsverkündung ist für das juristische Fachpublikum ohne großen Mehrwert, da maßgeblich allein die schriftlich abgesetzten Entscheidungsgründe sind. Ebenso fehlt es an einem Mehrwert für die allgemeine Öffentlichkeit, da die reine Verkündung des Tenors und der sich daran anschließenden Begründung ohne Hintergrundwissen unverständlich sein wird und es allein dadurch sicherlich nicht zu einer größeren Akzeptanz gerichtlicher Entscheidungen oder der Institution als Ganzes kommt. Im Zuge der Reformdiskussionen stellten die Aspekte der Transparenz und Akzeptanz jedoch die wichtigsten Pfeiler dar, auf die sich die Reformbefürworter stützten. Überzeugend ist dies im Hinblick auf die praktische Ausgestaltung allerdings nicht. Die Übertragung einer Entscheidungsverkündung muss, um daraus einen allgemeinen Mehrwert zu generieren, laienverständlich erklärt werden. Dabei ist es aber gerade nicht Aufgabe des Vorsitzenden Richters, die Entscheidungsverkündung laiengerecht aufzuarbeiten und zu präsentieren. Dies betrifft vielmehr das Tätigkeitsfeld der Medienvertreter, die kraft ihres Berufsbildes dafür Sorge zu tragen haben, dass – wie es Bräutigam u. a. in seiner Stellungnahme zum Referentenentwurf383 anschaulich beschreibt  – die gewonnenen Informationen in nachvollziehbarer Weise bei ihren Rezipienten ankommen. Ohne eine thematische Einbettung unter Zuhilfenahme von Einspielfilmen und Erklärvideos wird eine Übertragung einer Entscheidungsverkündung keinerlei Mehrwert haben. Daher ist in Bezug auf § 169 Abs. 3 GVG  n. F. und deren tatsächlicher Praktikabilität hauptsächlich die Einsatzbereitschaft der Medien gefragt. Geht man jedoch einen gedanklichen Schritt zurück und lässt die konkrete Ausgestaltung der Neuregelung zunächst außen vor, so stellt sich die Frage einer überhaupt vorhandenen bzw. begründbaren Notwendigkeit der Übertragungen von Entscheidungsverkündungen in Ton und Bild. Limperg in ihrer Funktion als Präsidentin des Bundesgerichtshofs hält es jedenfalls für ausreichend, anstelle der medialen Übertragung von Entscheidungsverkündungen die Pressesprecher der Gerichte für Aussagen über das jeweiligen Verfahren in ausreichendem Maße zur Verfügung zu stellen.384 Alwart385 formulierte in 383  Dazu

oben in Kap. 5, A. V. 9. dazu Kaufmann/Tappert/Vetter, DRiZ 2017, 154, 157. 385  Zu dessen schriftlicher Stellungnahme im Vorfeld der mündlichen Anhörung im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz des Bundestages oben in Kap. 5, A. X. 4. 384  Siehe



C. Eigene Bewertung des EMöGG349

der mündlichen Anhörung im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz am 29. März 2017 sogar: „Wo ist denn der Bedarf für zusätzliche Bilder in der Berichterstattung? Ich vermag das nicht zu erkennen. Im Gegenteil! Die Selektivität, das ist das Stichwort. […] es ist auch selektiv, was hier vorgetragen wird von vielen Sachverständigen was die Gesamtproblematik der Medienöffentlichkeit anbelangt. Es wird so getan, als wenn alles vermieden werden könnte an Verletzungen und Eingriffen, was wir doch alle schon Tag für Tag sehen. Ist Gegenstand des Gesetzesvorhabens denn die ARDRechtsredaktion? Oder geht es um die Medienöffentlichkeit insgesamt?“386

Der Kritik an der gesetzlichen Neuregelung lässt sich entgegenhalten, dass seit 1998 die Entscheidungsverkündungen am Bundesverfassungsgericht gefilmt werden dürfen und diese Möglichkeit auch regelmäßig wahrgenommen wird. Praktisch ausgestaltet geschieht dies von im Vorfeld festgelegten, festen Kamerapositionen aus, während die Verfassungsrichter in den Sitzungssaal einziehen, das Urteil verlesen und sodann wieder gemeinsam ausziehen.387 Vor dem Hintergrund der Persönlichkeitsrechte der Verfahrensbeteiligten, insbesondere der Richterinnen und Richter, gab es bislang in der nunmehr fast 20-jährigen Gerichtspraxis  – soweit ersichtlich  – keinerlei Probleme, Peinlichkeiten oder gar aufsehenerregende, medial ausgeschlachtete Skandale, die das Bild der Richterschaft oder des Gerichts selbst negativ beeinflusst haben. Verwunderlich ist vor diesem Hintergrund die Aussage des ehemaligen Richters am Bundesverfassungsgericht Landau: Im Mittelpunkt eines Strafverfahrens stehe der Mensch und seine Würde, es gehe um materielle Gerechtigkeit, die durch ein Mehr an Medienöffentlichkeit gerade nicht erreicht werde. Vielmehr bestehe die Gefahr einer populistischen Vereinfachung.388 Oftmals  – wie auch von Alwart  – wird als ein Gegenargument angeführt, dass einer der Hauptnutznießer dieser Teiländerung des § 169  GVG  n. F. ausschließlich die ARD-Rechtsredaktion sei. Ganz falsch ist dies natürlich nicht, decken ARD und ZDF gemeinsam laut Aussage Bräutigams389 doch rund 90  Prozent der Berichtserstattung über Gerichtsverfahren ab. Durch diese neu geschaffene Möglichkeit der filmischen Übertragung einer Urteilsverkündung sollen rechtliche Themen noch stärker im Sendeprogramm verankert werden.390 Wenn sich dieses Vorhaben zukünftig bewahrheiten wird und dadurch die allgemeine Öffentlichkeit auch umstrittene Urteile tatsäch386  Sachverständiger Alwart, 18.  Wahlperiode, Deutscher Bundestag, Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz, Wortprotokoll der 140. Sitzung, S. 29. 387  Bräutigam, DRiZ 2017, 164. 388  So die Ausführungen bei Kaufmann/Tappert/Vetter, DRiZ 2017, 154, 157. 389  Bräutigam, DRiZ 2017, 164. 390  Bräutigam, DRiZ 2017, 164; Bernzen/Bräutigam, K&R 2017, 555, 559.

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5. Kap.: Das EMöGG

lich eher akzeptieren wird, dann ist dies ein ausreichender Grund zur Befürwortung der Gesetzesänderung. Sollte dies nicht gelingen, was letztlich nicht primär der Richterschaft, sondern vielmehr den Fernsehjournalisten anzulasten wäre, hätte man mit der Einführung des § 169 Abs. 3 GVG n. F. de facto nichts „verloren“, sondern allenfalls keinen Mehrwert im Vergleich zur alten Gesetzeslage erlangt. Im Falle eines Gelingens, vergleichbar mit der Übertragungspraxis am Bundesverfassungsgericht, wird vor allem die nicht-juristische Öffentlichkeit von der Gesetzesänderung profitieren können. Nicht außer Acht gelassen werden darf dabei aber, dass sich die Möglichkeit der Übertragung von Urteilsverkündungen nicht bruchlos in die Systematik der StPO einfügt und somit zu einer falschen Gewichtung selbiger führen kann. Mit der Regelung in § 268 Abs. 2 StPO hat der Gesetzgeber zum Ausdruck gebracht, dass die mündliche Eröffnung der Urteilsgründe lediglich der vorläufigen Unterrichtung von Öffentllichkeit und Verfahrensbeteiligten dienen soll. Deren massenmediale Übertragung kann, insbesondere bei umfangreichen und komplexen Strafverfahren, zu einer verkürzten Wahrnehmung oder einem falschen Verständnis der Entscheidungsgründe führen.391

III. Tonaufzeichnung zeitgeschichtlich bedeutsamer Verfahren für wissenschaftliche Zwecke Hinsichtlich der Möglichkeit, Verfahren von zeitgeschichtlicher Bedeutung für wissenschaftliche und historische Zwecke aufzuzeichnen (§ 169 Abs. 2 S. 1 GVG n. F.), weicht die gesetzliche Neuregelung aufgrund der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz vom 31. Mai 2017 vom ursprünglichen Gesetzesentwurf der Bundesregierung insofern ab, als nunmehr nur noch die Möglichkeit einer Tonaufzeichnung statt einer vollumfänglichen audiovisuellen Aufzeichnung besteht. Diese Änderung soll die mit der Neuregelung des § 169  GVG  a. F. verbundene Erweiterung der Vorschrift über den Öffentlichkeitsgrundsatz vor dem Hintergrund der schutzbedürftigen Rechte der Verfahrensbeteiligten, insbesondere des Angeklagten, eingrenzen. Derartige Tonaufzeichnungen können ausweislich der Begründung der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses für eine spätere historische Aufarbeitung einzelner Verfahren von besonderem Wert sein, was am Beispiel der heute vorliegenden Tondokumente zu den im Jahr 1963 vor dem Landgericht Frankfurt am Main begonnenen Verfahren der Auschwitz-Prozesse illustriert werde.392 391  So

auch BeckOK StPO/Walther, GVG, § 169, Rn. 22. mit Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz, S. 5. 392  Beschlussempfehlung



C. Eigene Bewertung des EMöGG351

Auffällig an der gesamten Reformdiskussion in Bezug auf die Aufzeichnung zeitgeschichtlich bedeutsamer Verfahren für wissenschaftliche Zwecke ist, dass Autoren diese Teilneuerung entweder gänzlich abweisen oder absolut befürworten; ein Mittelweg, wie etwa die letztlich beschlossene Beschränkung auf bloße Tonaufzeichnungen, wurde (soweit ersichtlich) kaum diskutiert. Auch erstaunt es, wie oberflächlich, weil nicht am exakten Wortlaut des Normvorschlags orientiert, besagte Ausführungen teilweise sind. So wird etwa geschrieben, dass „die angestrebte Erweiterung der Berichterstattung gesamter Prozessverläufe historisch bedeutsamer Verfahren nicht angezeigt [ist], da sich namentlich angesichts des erkennbaren Rückgangs der Medienberichterstattung im oben genannten NSUVerfahren unschwer ablesen lässt, dass die Allgemeinheit über die Befriedigung kurzfristiger Interessen hinaus an der Wahrnehmung des Prozessverlaufs als solchem regelmäßig tatsächlich kein Interesse mehr hat. […] Zu weit und an den tatsächlichen Bedürfnissen vorbei geht indes der Reformvorschlag, die Übertragung gesamter Prozessverläufe historisch bedeutsamer Verfahren in den Medien für zulässig zu erklären.“393

Die Aussage, dass das Interesse mit fortschreitendem Verfahrensgang merklich nachlässt und erst gegen Ende des Prozesses, etwa zur Verlesung der Plädoyers und zur sich daran anschließenden Urteilsverkündung wieder zunimmt, ist für sich genommen absolut richtig. In dem hier diskutierten Kontext ist diese Aussage aber ohne Mehrwert und im Ergebnis sogar fehl am Platz, da die Neuregelung um die Aufzeichnung zeitgeschichtlich bedeutsamer Verfahren gerade nicht auf die im obigen Zitat beschriebene Allgemeinheit abzielt, sondern eine nachträgliche, unter Berücksichtigung der einzuhaltenden Sperrfrist des jeweiligen Archivgesetzes, Analyse des Verfahrens zu wissenschaftlichen und historischen Zwecken ermöglichen soll. Auch die zweite Aussage, dass die „Übertragung gesamter Prozessverläufe historisch bedeutsamer Verfahren in den Medien“ verfehlt sei, ist schlicht falsch, da die aufgezeichneten Verfahren mit zeitgeschichtlicher Bedeutung gerade nicht mittels moderner Medien übertragen werden sollen, sondern einzig der wissenschaftlichen und historischen Auswertung vorbehalten sind. Die auf den ersten Blick und unter Bezugnahme auf das Auschwitz-Verfahren und die Stammheim-Prozesse durchaus vorhandene Nachvollziehbarkeit der beschlossenen Änderung in § 169 Abs. 2 GVG n. F. wirft jedoch bei genauerer Betrachtung vor dem Hintergrund der Praktikabilität dieser Norm erhebliche Zweifel auf. Nachdem die durch den Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz bestimmten Sachverständigen in der 140.  Sitzung am 29. März 2017 ihre – teilweise schon der Anhörung vorausgegangene schrift393  Exner,

Jura 2017, 770, 776.

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5. Kap.: Das EMöGG

liche394  – Auffassung mündlich dargestellt hatten, stellte der Abgeordnete Detlef Seif die in Bezug auf die Aufzeichnung zeitgeschichtlich bedeutsamer Verfahren alles entscheidende Frage: „Verfahren von herausragender zeitgeschichtlicher Bedeutung  – das ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, und dessen Interpretation wird dem Gericht übertragen. Wäre […] es nicht sinnvoll, dass eine Stelle, die sich mit Geschichte und zeithistorischer Bedeutung befasst, im ersten Aufschlag die Mitteilung dem Gericht machen sollte, damit man überhaupt entsprechende Aufnahmen zulässt?“395

Die Frage nach einer tauglichen Definition des unbestimmten Tatbestandsmerkmals der „zeitgeschichtlich bedeutsamen Verfahren“ zum Zwecke der Handhabbarkeit der Norm wurde während der gesamten Reformdiskussion um § 169 Abs. 2 GVG n. F. nahezu überhaupt nicht aufgeworfen. Denn bevor dieser unbestimmte Rechtsbegriff nicht jedenfalls ein Stück weit konkretisiert wurde, ist die Ausgestaltung der Norm  – unabhängig davon, wie diese Art der moderaten Lockerung des Öffentlichkeitsgrundsatzes generell zu bewerten ist396  – nicht gelungen. Auch trägt der Versuch einer Beantwortung dieser Frage durch Gnisa nicht zur Klärung bei, vielmehr werden weitere Fragen aufgeworfen: „Wo holen die Richter eigentlich ihre Kompetenz her, darüber zu entscheiden, was historisch bedeutsam ist? Ja gut, es gibt Verfahren, bei denen man das vorher sicherlich weiß. Wir befinden uns beispielsweise in einer Phase, in der es die letzten Prozesse gegen Straftäter aus der Nazi-Zeit gibt. Ich denke, da wird man das als Vorsitzender Richter bejahen wollen. Aber es ist schon richtig: Ein Richter hat eine juristische, keine historische Ausbildung. Er kann sicherlich den Sachverstand einer Universität oder eines Historikers hinzuziehen. Aber das ist alles Prognose, Abschätzung, sehr dunkel.“397

Ein Richter könnte sich sicherlich den Sachverstand398 einer Universität einholen, doch nach welchen Kriterien wird etwa „der Experte“ oder „die Universität“ ausgewählt? Hat der Richter pauschal alle Verfahren im Vorfeld prüfen zu lassen oder lediglich diejenigen, bei denen er das Gefühl hat, es könne sich um eines mit zeithistorischer Bedeutung handeln und wäre dies nicht wiederum zu subjektiv? Ist er verpflichtet, sich seinen Sachverstand bei 394  Dargestellt

in Kap. 5, A. X. Seif, 18.  Wahlperiode, Deutscher Bundestag, Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz, Wortprotokoll der 140. Sitzung, S. 24, online abrufbar unter: https://www.bundestag.de/blob/508530/0ec7b962654cf871ca477c21f55bb370/ wortprotokoll-data.pdf (zuletzt am 04.04.2018). 396  Dazu sogleich in diesem Abschnitt. 397  Sachverständiger Gnisa, 18.  Wahlperiode, Deutscher Bundestag, Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz, Wortprotokoll der 140. Sitzung, S. 28. 398  Auch finanzielle Aspekte spielen dabei eine nicht unwichtige Rolle und fallen zusätzlich zu den Aufnahme- und Archivierungskosten an. 395  Abgeordneter



C. Eigene Bewertung des EMöGG353

einem externen Dritten holen? Anhand welcher konkreten Kategorien sollte man Verfahren mit zeithistorischem Wert klassifizieren? Wie unterschiedlich die subjektive Wahrnehmung in Bezug auf „zeithistorisch bedeutsame Verfahren“ im Vergleich zu den obigen Ausführungen durch den Sachverständigen Gnisa ist, zeigen ferner die Ausführungen des Sachverständigen Reinhard Müller bezüglich des Versuchs einer Kategorisierung: „Und zu den letzten NS-Fällen: Seit ungefähr fünfzehn Jahren werden Medienmitteilungen über NS-Prozesse mit den Formulierungen eingeleitet: ‚Der letzte große NS-Prozess.‘ ‚Einer der letzten SS-Männer.‘ Es kamen immer noch welche dazu und ich garantiere Ihnen, es wird weiterhin NS-Prozesse geben, und wo ist der Mehrwert, wo ist das Bedürfnis, einen Fall über NS-Auschwitz-Sanitäter als Strafverfahren zu archivieren? Ich sehe nicht die zwingende Notwendigkeit. Ist es notwendig für meine Arbeit […]? Nein. Man muss eben hinfahren. Man kann sich den Prozess auch so anhören.“399

Allein dieser Auszug aus der Schlussdiskussion im Rechtsausschuss zeigt deutlich auf, dass die Erarbeitung einer tauglichen Definition von „zeithistorisch bedeutsam“ den Kern der gesamten, seit etwa 2013 in der Literatur geführten Diskussion hinsichtlich der Einführung eines § 169 Abs. 2 GVG n. F. durch das EMöGG hätte ausmachen müssen. Stattdessen ist besagte, für die Praktikabilität der neu geschaffenen Norm elementare, Diskussion erst gegen Ende der Reformdiskussion auf gezielte Nachfrage eines Abgeordneten während der Debatte im Rechtsausschuss oberflächlich in Gang gekommen und letztlich ergebnislos geblieben. In Anbetracht dessen, dass § 169 Abs. 2 GVG  n. F. wie dargestellt beschlossen und verkündet wurde, muss im Nachhinein versucht werden, die Norm für die Praxis handhabbar zu machen. Dabei stellt sich jedoch zunächst die Frage, ob der Terminus eines zeitgeschichtlich bedeutsamen Verfahrens aufgrund seiner Vagheit vor dem Hintergrund des Bestimmtheitsgrundsatzes nicht sogar verfassungswidrig ist. Das Tatbestandsmerkmal eines Verfahrens von „herausragender zeitgeschichtlicher Bedeutung“ ist ein unbestimmter Rechtsbegriff,400 der einer näheren Konkretisierung im Wege der Auslegung401 bedarf. Der Gesetzgeber darf solche unbestimmten Rechtsbegriffe trotz des Bestimmtheitsgebots grundsätzlich gebrauchen, da komplexe und dynamische Sachverhalte, deren genaue Erscheinungsformen sich nicht im Detail prognostizieren lassen, anderenfalls nicht erfasst werden könnten.402 399  Sachverständiger Müller, 18. Wahlperiode, Deutscher Bundestag, Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz, Wortprotokoll der 140. Sitzung, S. 34. 400  Allgemein dazu Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 7, Rn. 26 ff. 401  Reimer, Juristische Methodenlehre, S. 219 ff. 402  BVerfGE 56, 1, 12; 59, 104, 114.

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5. Kap.: Das EMöGG

In Bezug auf den konkreten Einzelfall findet die Anwendung eines unbestimmten Rechtsbegriffs durch eine wertende Prognoseentscheidung statt, in die sämtliche für diesen Fall relevante Faktoren durch eine unterschiedliche Gewichtung miteinbezogen werden müssen.403 Im Zuge der Auslegung sind die Entstehungsgeschichte der Norm, die Gesetzessystematik sowie der Normzweck zu berücksichtigen.404 Es gibt nicht selten (juristische) Wortbildungen, die logisch und philologisch unbefriedigend sind und sich dennoch aufdrängen.405 Der Terminus „Zeitgeschichte“ ist eine solche Wortbildung und vereint die Worte „Zeit“ und „Geschichte“. Das Wort „Zeitgeschichte“ wurde nicht eigens im Zuge des Gesetzgebungsverfahrens des EMöGG geprägt, es existiert bereits seit den neunziger Jahren des 18. Jahrhunderts und wurde im Zusammenhang mit den revolutionären Ereignissen in Frankreich häufig verwendet. Die Entstehung dieser Wortbildung geht also zunächst mit einem spezifischen Betroffensein durch die Geschichte einher.406 Gegen die Verwendung des Terminus „Zeitgeschichte“ kann generell eingewendet werden, dass Zeitgeschichte nicht geschichtsreif sein kann, da es etwa an notwendigen historischen Unterlagen und Dokumenten fehlen könnte. „Geschichte“ bedeutet in der Geschichtswissenschaft nach Droysen: „Das Gegebene für die historische Forschung sind nicht die Vergangenheiten, denn diese sind vergangen, sondern das von ihnen in dem Jetzt und Hier noch Unvergangene, mögen es Erinnerungen von dem, was war und geschah, oder Überreste des Gewesenen und Geschehenen sein.“407

Außerdem – und das ist wohl der entscheidende Punkt – fehlt es bei einer „zeitgeschichtlichen“ Betrachtung am nötigen zeitlichen Abstand zu dem als zeithistorisch bedeutsam bewerteten Ereignis.408 Letzterem wird teilweise entgegengehalten, dass der Aspekt der mangelnden Distanz durchaus zwiegesichtig sein könne. Es bestehe zwar die Gefahr einer eilfertigen Aktualisierung, es dürfe aber auch nicht unberücksichtigt bleiben, dass es zu den Voraussetzungen des historischen Verständnisses notwendig sei, sich in die Lage der Handelnden und Leidenden hineinzuversetzen, was durch die Situation des Miterlebens erheblich erleichtert werde.409 403  Maurer,

Allgemeines Verwaltungsrecht, § 7, Rn. 29. Juristische Methodenlehre, S. 156 ff. 405  Rothfels, Zeitgeschichte als Aufgabe, S. 1. 406  Rothfels, Zeitgeschichte als Aufgabe, S. 2. 407  Droysen, Grundriss der Historik, S. 8 (Hervorhebungen durch die Verfasserin). 408  Rothfels, Zeitgeschichte als Aufgabe, S. 5. 409  Rothfels, Zeitgeschichte als Aufgabe, S. 6. 404  Reimer,



C. Eigene Bewertung des EMöGG355

So versucht auch Vormbaum im Zuge einer allgemeinen Begriffsbestimmung von „Zeitgeschichte“ eine Antwort auf die Fragen zu finden, ob ein Betrachter der „Zeitgeschichte“ dieser noch angehören und ob das, was gestern in der Zeitung stand, heute schon „Zeitgeschichte“ sein kann.410 Analog zur Bestimmung des Zeitpunkts, wann „Zeitgeschichte“ beginnt, muss zum Zwecke der Eingrenzung dieses Zeitraums auch die Frage beantwortet werden, wann diese in der Vergangenheit aufhört, wann die „normale Geschichte“ beginnt. Eine Beantwortung dieser Fragen soll zunächst unter Heranziehung eines subjektiven und eines objektiven Ansatzes versucht werden. Der subjektive Ansatz stützt sich darauf, dass Ausgangspunkt der Begriffsbestimmung von „Zeitgeschichte“ nicht objektive historische Geschehnisse sind, sondern die „persönliche Zeitgenossenschaft ohne Rücksicht auf Eigenschaften und Besonderheiten jener Geschehnisse“. So würde etwa mit dem Tod des letzten Menschen, der beispielsweise den Zweiten Weltkrieg miterlebte, dieser aus der Kategorie der Zeitgeschichte herausfallen. Logische Konsequenz wäre somit hinsichtlich des zeitlichen Geltungsbereichs, dass dieser, vergleichbar mit einem „Zollstock“ von etwa 80 Jahren Länge betrachtet werden könne, der „auf der Zeitgeschichte der Weltgeschichte Tag für Tag weitergeschoben“ werde. Mit dem Erschließen täglich neuer Forschungsthemen von vorne, fallen demnach nach gleichzeitig nach hinten Themen weg, der Zeitraum ist jedoch immer klar eingrenzbar. Ein weiterer Vorteil dieser rein subjektiven Betrachtungsweise ist die Forschungsmöglichkeit der Zeit­ zeugenbefragung,411 was immerhin mit der Informationserlangung aus erster Hand verbunden ist.412 Der objektive Ansatz stellt demgegenüber auf objektive Gegebenheiten in Form von Strukturen ab. Eine Strukturgegebenheit, mit der historische Gegenstände in zeitlicher Hinsicht eingegrenzt werden, wird allgemeinhin als Epoche bezeichnet. Eine Epoche stellt einen Zeitabschnitt dar, der aufgrund übereinstimmender dominanter Eigenschaften etwa in Politik, Sozial- oder Wirtschaftsleben eine Einheit bildet. Zeitgeschichte ist demnach die Geschichte einer gegenwärtigen Epoche. Dabei gilt es zu berücksichtigten, dass sich unterschiedliche Epochen nicht trennscharf anhand von gewissen Einschnitten voneinander abgrenzen lassen, sondern zwischen ihnen „Sattelzeiten“ liegen,413 in denen sich gewisse Vorgänge mehren, die letztlich zu einer 410  Vormbaum,

Einführung in die moderne Strafrechtsgeschichte, S. 6. Methode der „Oral History“ ist in den Geschichtswissenschaften jedoch durchaus umstritten. Mittlerweile existieren in diesem Feld klare analytische Standards, die sich v. a. auf die kritische Distanz zur Quelle sowie deren Überprüfung beziehen, vgl. etwa Geppert, GWU 45 (1994), 303 ff. 412  Vormbaum, Einführung in die moderne Strafrechtsgeschichte, S. 6 f. 413  Geprägt wurde der Begriff der „Sattelzeit“ von Koselleck im Kontext der „Begriffsgeschichte“, einem der bedeutendsten deutschsprachigen Ansätze der Kontextu411  Die

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5. Kap.: Das EMöGG

historischen Situation führen. Dabei sind spektakuläre Ereignisse geeignet, diesen Umschlag von der einen in die nächste Epoche besonders manifest zum Ausdruck zu bringen.414 Relevant für die Begriffsbestimmung der „Zeitgeschichte“ im Sinne des EMöGG ist jedoch nicht die allgemeine Zeitgeschichte, sondern vielmehr die juristische Zeitgeschichte, die aufgrund ihrer Spartenbezogenheit mitunter von der allgemeinen Zeitgeschichte abweichen kann. Betrachtet man Zeitgeschichte vor dem oben gesagten als Geschichte der gegenwärtigen Epoche und überträgt man diese Erkenntnis auf die juristische Zeitgeschichte, ist diese die Geschichte der gegenwärtigen Rechtsepoche. Als Beginn der gegenwärtigen Rechtsepoche wird die Sattelzeit am Ausgang des 18. Jahrhunderts verstanden.415 Dabei ist juristische Zeitgeschichte zugleich auch Aspektgeschichte, da sie die allgemeingeschichtlichen und sozialgeschichtlichen Entwicklungen in ihre Betrachtung stets einbezieht und die Rechtsentwicklung (auch) anhand juristischer Maßstäbe interpretiert.416 Weitaus problematischer ist es jedoch festzulegen, wann Ereignisse nicht mehr Teile juristischer Zeitgeschichte sind. Nach der anerkannten und oben dargestellten Auffassung Droysens führt erst die gewisse Art, das Geschehene erneut zu betrachten, aus einem gegenwärtigen Vorgang zu Geschichte. Legt man aber davon losgelöst in Bezug auf die juristische Zeitgeschichte die Auffassung zugrunde, dass es deren Aufgabe ist, an der Rechtsentwicklung Kritik zu üben, kann auch ein derzeit stattfindender Vorgang ein Kriterium für die Bestätigung oder Widerlegung der analytischen Entwicklung sein. Dies spricht für die Einbeziehung auch gegenwärtiger Vorgänge in die juristische Zeitgeschichte. Zum selben Ergebnis gelangt man, wenn man den oben bereits erläuterten Begriff der Zeitgeschichte im Sinne des § 23 Abs. 1 KUG zugrunde legt. Danach zählen zur Zeitgeschichte alle Erscheinungen im Leben und in der Gegenwart, die von der Öffentlichkeit beachtet werden, bei ihr Aufmerksamkeit finden und Gegenstand der Teilnahme oder Wissbegier weiter Kreise sind,417 wozu auch Strafverfahren zählen. Insgesamt bleibt festzuhalten, dass eine Beurteilung, ob sich ein Vorgang in der Gegenwart als historisch bedeutsam erweisen wird, immer mit nicht alisierung von Ideen. Nicht mehr Ideen, sondern Begriffe werden dabei als historische Analyseeinheiten zugrunde gelegt, vgl. Koselleck, in: Brunner/Conze/ders., Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, Bd. 1, Einleitung, S. XIII–XXIII; ders., Begriffsgeschichten, passim. 414  Vormbaum, Einführung in die moderne Strafrechtsgeschichte, S. 8. 415  Ausführlich Vormbaum, Einführung in die moderne Strafrechtsgeschichte, S. 16 ff. 416  Vormbaum, Einführung in die moderne Strafrechtsgeschichte, S. 21. 417  Dreier/Schulze-Specht, UrhG, § 23 KUG, Rn. 3; Möhring/Nicolini-Engels, UrhR, § 23 KUG, Rn. 2.



C. Eigene Bewertung des EMöGG357

nur unerheblichen Schwierigkeiten verbunden ist, die sich selbst beim Vorliegen konkreter Eingrenzungsmerkmale nie ganz beheben lassen werden. Diese Schwierigkeiten einer Einordnung treten in Bezug auf das EMöGG noch deutlicher hervor, da bereits im Vorfeld einer anstehenden Hauptverhandlung418 für die Zukunft prognostiziert werden muss, ob sich das Verfahren in seiner Gesamtheit als historisch bedeutsam erweisen wird, da nach Abschluss des Prozesses eine Anordnung der Aufzeichnung des selbigen selbstredend nicht mehr möglich ist. Vor diesem Hintergrund kann man zumindest in sprachlicher Hinsicht versuchen, die aufgezeigten Schwierigkeiten durch die Bezeichnung „Zeitgeschehen“ statt „Zeitgeschichte“ zu begegnen.419 Um die Unbestimmtheit und die damit einhergehende Unpraktikabilität des nunmehr existenten § 169 Abs. 2 GVG n. F. zu beseitigen zu versuchen – was insbesondere vor dem Hintergrund der Ausgestaltung dieser als Ermessensvorschrift relevant ist – soll der Versuch unternommen werden, eine Art Kriterienkatalog zu entwickeln. Liegen beispielsweise vor Beginn der Hauptverhandlung zwei dieser Kriterien in Kumulation vor, könnten für den Richter ausreichend Anhaltspunkte bestehen, die Anwendung des § 169 Abs. 2 GVG  n. F. in Betracht zu ziehen und sich gegebenenfalls den sachkundigen Rat eines „Experten“ für die eigenständige Beantwortung dieser Frage, ob das eigene Verfahren von zeitgeschichtlicher Bedeutung ist, einzuholen. Indizien für das Vorliegen eines zeithistorisch bedeutsamen Verfahrens können etwa die juristische Relevanz des konkret zu entscheidenden Strafverfahrens und dessen Präsenz in den Medien sein. Als Beispiel dafür sei der Fall des Kannibalen von Rothenburg420 in Bezug auf die Verwirklichung des Straftatbestandes des Mordes, § 211 StGB, zu nennen. Ein weiteres Merkmal kann die Prominenz eines Verfahrensbeteiligten, insbesondere des Angeklagten, sein. Will man dieses Kriterium der Prominenz heranziehen, stellt sich jedoch die Folgefrage, wann ein Prominenter ausreichend prominent ist und anhand welcher Kriterien man wiederum diesen Begriff bestimmen zu versucht. Orientiert man sich an den aus dem Verfassungsrecht bekannten Termini der „absoluten und relativen Personen der Zeitgeschichte“,421 wird man zu dem Ergebnis kommen, dass allenfalls absolute Personen der Zeitgeschichte422 das Vorliegen eines Verfahrens mit „herausragender zeitge418  Inwiefern eine Änderung der §§ 212 ff. StPO angezeigt ist, wurde im Zuge des Gesetzgebungsverfahrens nicht erörtert. Meines Erachtens müssen diese Vorschriften jedoch ebenfalls an die gesetzliche Neuregelung angepasst werden, sofern dies die Audioaufzeichnung des Hauptverfahrens betrifft. 419  Vormbaum, Einführung in die moderne Strafrechtsgeschichte, S. 23 m. w. N. 420  BGHSt 50, 80 ff. 421  Dazu bereits oben in Kap. 3, B. I. 1. b) ausführlich. 422  Zu den absoluten Personen der Zeitgeschichte gehören solche, die kraft politischer oder gesellschaftlicher Stellung oder kraft außergewöhnlicher, individueller

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5. Kap.: Das EMöGG

schichtlicher Bedeutung“ begründen können. Ein Verfahren aus der jüngeren Vergangenheit gegen eine relative Person423 der Zeitgeschichte ist etwa der Prozess gegen U. Hoeneß vor dem Landegericht München wegen Steuerhinterziehung, der zwar – begründet in der Person des Angeklagten – ein enormes öffentliches Interesse nach sich zog, aus rein juristischer Sicht jedoch ein Prozess „wie jeder andere“ war. Für die Einzelheiten dieses Prozesses wird sich zukünftig (welchen Zeitraum dies auch betreffen mag) wohl kaum jemand interessieren, sodass in diesem Fall die Voraussetzungen des § 169 Abs. 2 GVG  n. F. nicht erfüllt sein dürften. Dass eine Differenzierung zwischen absoluten und relativen Personen der Zeitgeschichte nicht weiterführend ist, zeigt sich am Bespiel des NSU-Prozesses, der allgemein als ein Musterbeispiel für ein Verfahren mit zeithistorischer Bedeutung betrachtet wird. Die Angeklagte Zschäpe wurde erst durch die ihr zur Last gelegten Verbrechen in der Öffentlichkeit bekannt und ist somit ebenfalls eine relative Person der Zeitgeschichte. Ein weiteres Indiz für die Annahme eines Verfahrens von zeitgeschichtlicher Bedeutung könnte eine hohe Anzahl an Opfern sein, wobei man allerdings differenzieren sollte, ob die Opferzahl durch eine Handlung ein großes Ausmaß angenommen hat, wie etwa im Zuge des auch in strafrechtlicher Hinsicht aufzuarbeitenden Love-Parade-Falles oder ob es beispielsweise zu systematischen Tötungen über einen längeren Zeitraum gekommen ist, wie es im NSU-Prozess der Fall ist. Gegen dieses Merkmal als ein taugliches Eingrenzungskriterium ist aber einzuwenden, dass es insbesondere bei Wirtschafts- oder Internetkriminalität häufig eine Vielzahl von Geschädigten gibt, diese Strafprozesse juristisch regelmäßig keine Besonderheiten aufweisen und somit nicht von herausragender zeitgeschichtlicher Bedeutung sind. Dagegen könnten politisch motivierte oder gesellschaftsgefährdende Straftaten ein solches Indiz darstellen. Als Beispiel neben dem NSU-Prozess könnte man hier Strafverfahren gegen ehemalige NS-Funktionäre anführen, etwa jenes, das der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 20.  September 2016424 zugrunde lag und in dem es um die Frage der Beihilfe zum Mord durch Dienst im Konzentrationslager Auschwitz ging. Derartige StrafverfahLeistung aus der Masse der Menschen hervorragen und deshalb im Blickpunkt der Öffentlichkeit stehen, vgl. Dreier/Schulze-Specht, UrhG, § 23 KUG, Rn. 5. 423  Relative Personen der Zeitgeschichte zeichnen sich nicht durch die eigene Stellung in der Gesellschaft aus, sondern sind erst in Kombination mit einem Ereignis der Zeitgeschichte zum Gegenstand eines öffentlichen Interesses geworden, vgl. Dreier/Schulze-Specht, UrhG, § 23 KUG, Rn. 6. 424  BGH vom 20.09.2016 – 3 StR 49/16 mit Anmerkung von Safferling, JZ 2017, 255 ff.; dazu ausführlich auch Nestler, Warum erst jetzt?  – Ein Versuch zu erklären, warum es nach dem großen Frankfurter Auschwitzprozess ein halbes Jahrhundert gedauert hat, bis Oskar Gröning verurteilt wurde, S. 41 ff.



C. Eigene Bewertung des EMöGG359

ren sind gerade dann von besonderer Bedeutung, wenn man den ­Gesamtkontext solcher Verfahren betrachtet, da nach Kriegsende in den ­Anfangszeiten der Bundesrepublik neben dem Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher des Dritten Reiches425 und den Nürnberger Nachfolgeprozessen426 kaum eine strafrechtliche Aufarbeitung der NS-Verbrechen stattfand.427 Erst im Zuge des Generationenwechsels begann man, zunächst scheinbar „unter den Tisch gefallene“ Straftaten aktiv zu verfolgen. Hinzu kommt, dass es von derartigen Verfahren zukünftig nur noch sehr wenige geben wird,428 da die Täter von damals, sofern sie noch nicht verstorben sind, ein sehr hohes Alter erreicht haben und dadurch immer die Gefahr einer gesundheitlich bedingten Verhandlungsunfähigkeit besteht. Da solche Verfahren sich mit Straftaten befassen, die in einer für die Bundesrepublik sehr prägenden Zeitspanne geschehen sind, spricht bei diesen Verfahren einiges dafür, das Merkmal der zeitgeschichtlichen Bedeutsamkeit zu bejahen. Die vorstehenden Ausführungen zeigen, dass es nicht ungewöhnlich ist, dass Strafprozesse große Aufmerksamkeit erregen. Doch nur sehr wenige dieser Prozesse vermögen die Öffentlichkeit über einen längeren Zeitraum zu beschäftigen, da die meisten spektakulären Verfahren das Schicksal aller Phänomene der Massenkultur teilen: Sie sind über einen meist kurzen Zeitraum in aller Munde, geraten dann jedoch rasch in Vergessenheit. Strafprozesse, die auch lange nach deren rechtskräftigen Abschluss im öffentlichen Gedächtnis bleiben und auf politisches und vor allem wissenschaftliches Interesse stoßen, sind von besonderer Art.429 Hariman nennt derartige Vefahren „populäre Prozesse“, wozu diejenigen Strafverfahren zählen, die über kontroverse öffentliche Diskurse urteilen, indem sie an die eher diffusen öffent­ 425  Görtemaker/Safferling, Die Akte Rosenburg, S. 36 ff.; Safferling, JZ  2015, 1061 ff.; ders., Verfolgung der Täter durch Täter? Vom Versagen der Politik und der Justiz bei der Strafverfolgung, S. 19, 24 m. w. N. 426  Safferling, Aufarbeitung von NS-Unrecht durch die deutsche Nachkriegsjustiz, S. 9, 11 f.; ders., Verfolgung der Täter durch Täter? Vom Versagen der Politik und der Justiz bei der Strafverfolgung, S. 19, 27 m. w. N. 427  Safferling, Aufarbeitung von NS-Unrecht durch die deutsche Nachkriegsjustiz, S. 9, 35 ff. m. w. N. 428  Ein mögliches Strafverfahren könnte demnächst vor dem Landgericht Frankfurt/Main beginnen. Die Staatsanwaltschaft hat am 20.10.2017 Anklage gegen einen 96-jährigen ehemaligen Wachmann des Konzentrationslagers Lublin-Majdanek wegen Beihilfe zum Mord erhoben; laut eines eingeholten Gutachtens ist der Angeschuldigte auch verhandlungsfähig, vgl. die Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft Frankfurt, online abrufbar unter: https://sta-frankfurt-justiz.hessen.de/irj/STA_Frankfurt_am_ Main_Internet?rid=HMdJ_15/STA_Frankfurt_am_Main_Internet/sub/b57/b5755771eaa2-f517-9cda-a2ae8bad5480,,,11111111-2222-3333-4444-100000005003%26 overview=true.htm (zuletzt am 04.04.2018). 429  Pendas, Der 1. Frankfurter Auschwitz-Prozess, S. 55.

360

5. Kap.: Das EMöGG

lichen Debatten gewisse allgemein-juristische Maßstäbe anlegen.430 In diesen populären Prozessen kristallisieren sich gesellschaftliche Konflikte, die in juristischen Begriffen artikuliert und der nichtjuristischen Öffentlichkeit in klarer Form vorgeführt werden. Ihnen kommt eine Spiegelbildfunktion zu, die die Gesellschaft ihre Meinungsverschiedenheiten in aller Deutlichkeit erkennen lässt. Solche Prozesse entfalten ihre nachhaltigste Wirkung, wenn sie „lange schwelende gesellschaftliche Konflikte zum Gegenstand haben“.431 Neben dem Auschwitz-Verfahren lässt sich unter diese Beschreibung populärer Prozesse neben den Stammheim-Prozessen auch der NSU-Prozess subsumieren. Strafverfahren etwa gegen die letzten NS-Funktionäre fallen aufgrund der wohl nur kurzzeitig bestehenden Aufmerksamkeitsspanne und mangels langwieriger Verankerung im öffentlichen Gedächtnis wohl nicht in die Kategorie der populären Prozesse, obwohl sie für die wissenschaftliche Aufarbeitung nicht uninteressant sein dürften. Festzuhalten bleibt insgesamt, dass zwecks Eingrenzung bzw. Definierbarkeit eines Verfahrens von besonderer zeitgeschichtlicher Bedeutung auch die Erstellung eines „Indizienkatalogs“ nur bedingt gelungen ist und somit die Beantwortung der Frage, wann ein Verfahren i. S. v. § 169 Abs. 2 GVG  n. F. vorliegt, es sich letztlich um eine wertenden Betrachtung der Umstände des konkret zu untersuchenden Einzelfalls handelt, die sich einer abstrakten Kategorisierung weitgehend entzieht. Bei dieser anlassbezogenen Prüfung ohne Möglichkeit einer Zuhilfenahme vorgegebener Kriterien durch den Gesetzgeber sind Schwierigkeiten vorprogrammiert. Hinzu kommt, dass auch § 169 Abs. 2 GVG  n. F. als Ermessensvorschrift ausgestaltet ist, weshalb abzuwarten sein wird, wann zum ersten Mal von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht und anhand welcher Kriterien das Merkmal des Verfahrens mit zeitgeschichtlicher Bedeutung angenommen werden wird. Kritiker der Neufassung des § 169 GVG argumentierten, dass es durch die Einführung u. a. des Absatz  2 in § 169  GVG zu Verfahrensverzögerungen kommen könnte, die es im Geltungszeitraum des § 169 GVG a. F. nicht gab. Dieser Prognose ist zwar zunächst entgegen zu halten, dass die Beschlüsse des Gerichts nach den Absätzen  1 bis 3 unanfechtbar sind (§ 169 Abs. 4 GVG n. F.). Doch liegt es nicht außerhalb jeglicher Wahrscheinlichkeit, dass gegen den Vorsitzenden ein Befangenheitsantrag gestellt wird, wenn er im Rahmen seines Ermessens trotz eindeutiger Indizien, die für ein Verfahren von herausragender zeitgeschichtlicher Bedeutung sprechen, zu einer gegen430  Hariman, Perform the Laws: Popular Trials and Social Knowledge, S. 17, 18: „First, popular trials constitute a major genre of public discourse; second, the function of this genre is primarily to adjudicate discourses; and third, the genre fulfills this function by applying specific generic constraints to more diffuse public debates […]“. 431  Pendas, Der 1. Frankfurter Auschwitz-Prozess, S. 55.



C. Eigene Bewertung des EMöGG361

teiligen, ermessensfehlerhaften Entscheidung kommt. Nach § 24 Abs. 2 StPO findet die Ablehnung wegen Befangenheit statt, sofern ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen und das Ablehnungsgesuch nicht offensichtlich der Verschleppung des Verfahrens dient (§ 26a Abs. 1 Nr. 3 StPO). Würde demnach der Vorsitzende im zuvor erwähnten Fall gegen den 96-jährigen mutmaßlichen SS-Wachmann (sofern die Anklage der Staatsanwaltschaft Frankfurt zugelassen wird und die Anwendbarkeit von § 169 Abs. 2 GVG unterstellt) es unterlassen, den Anwendungsbereich des § 169 Abs. 2 GVG n. F. überhaupt nur zu prüfen, ist es durchaus denkbar, dass gegen ihn ein Ablehnungsgesuch eingereicht wird. Wahrscheinlich sind im Zusammenhang mit § 169 Abs. 2 GVG  n. F. stehende Ablehnungsgesuche vor dem Beginn der Hauptverhandlung, die sodann neben einer Verzögerung des Verfahrensbeginns auch bewusst dazu instrumentalisiert werden könnten, das erste, prägende Bild des anstehenden Strafverfahrens in der Öffentlichkeit durch Ablehnung der beteiligten Richter zu dominieren.432 Auch bleibt von dieser Regelung die Möglichkeit einer Verfassungsbeschwerde sowie des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung von § 169 Abs. 4 GVG n. F. unberührt, was wiederum zu einer Verfahrensverzögerung führen kann.

432  So auch Meyer-Goßner/Schmitt-Schmitt, StPO, § 29, Rn. 8 in Bezug auf die sogenannte „5  vor  9 Ablehnungen“ der Verteidigung vor dem Beginn des NSU-Verfahrens.

6. Kapitel

Ergebnis A. Ausblick Wesentlich für ein rechtsstaatliches und demokratisches Strafverfahren ist der Öffentlichkeitsgrundsatz. Zur Diskussion stand die Anpassung eben jenes Grundsatzes an veränderte Realitäten und Rahmenbedingungen1 in Richtung einer erweiterten Medienöffentlichkeit, die ihren Abschluss im nunmehr beschlossenen und verkündeten EMöGG gefunden hat. Einer möglichen, über die derzeitige Neuregelung des Öffentlichkeitsgrundsatzes durch das EMöGG hinausgehenden, Öffnung des § 169  GVG  n. F. etwa dahingehend, dass nicht nur die Urteilsverkündung, sondern die gesamte Hauptverhandlung inklusive der Beweisaufnahme einer audiovisuellen Übertragung zugänglich sein soll,2 ist entschieden entgegenzutreten. Ein solch vermeintliches Erfordernis einer Übertragung der gesamten Hauptverhandlung wird teilweise mit der Kontrollfunktion des Öffentlichkeitsgrundsatzes begründet. Der Fokus dieser Kontrolle liege dabei schließlich nicht einzig auf der Urteilsverkündung, sondern betreffe vielmehr die Hauptverhandlung als Ganzes. So zeige insbesondere die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur verfahrensbeendenden Verständigung nach § 257c  StPO,3 dass das Hauptaugenmerk auf dem eigentlichen Entscheidungsprozess (in der konkreten Entscheidung dem Verständigungsgeschehen)4 liege. Diese Annahme wird auf die allgegenwärtige Forderung nach mehr Transparenz gerichtlicher Entscheidungen übertragen und dahingehend ausgelegt, dass nicht mehr nur das Ergebnis eines (Straf-)Verfahrens, sondern hauptsächlich der Weg dorthin ausschlaggebend sei.5 Damit verbunden ist die Vorstellung einer vollständigen Übertragung der gesamten Hauptverhandlung durch moderne Medien, wie es etwa bereits seit einiger Zeit in den USA möglich ist. 1  Jachmann,

jM 2015, 89. aber Feldmann, GA 2017, 20, 35. 3  Dazu oben in Kap. 3, A III. 4  BVerfG, NJW 2015, 1235, 1236. 5  Feldmann, GA 2017, 20, 25 f., die als Beispiel für den Verwaltungsbereich öffentliche Scoping-Termine nach § 19 Abs. 2 S. 3 und § 20 Abs. 4 S. 3 bwUVwG oder die öffentliche Antragskonferenz gemäß § 20 NABEG anführt. 2  So



A. Ausblick363

Es ist unbestritten, dass in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten die massenmediale Technik enormen Fortschritten unterlag und auch künftig noch unterliegen wird. Es ist auch unbestritten, dass sich das mediale Konsumverhalten der Bevölkerung deutlich verändert hat und man in einem gänzlich anderen „Technik-Zeitalter“ lebt als noch der Gesetzgeber von 1964. Die Normsituation hat sich gewandelt. Vor diesem Hintergrund wäre es an dem heutigen Gesetzgeber gewesen, die beschriebene Entwicklung der vergangenen Jahrzehnte aufzugreifen und einen vollständig neuen und vom klassischen Verständnis losgelösten Begriff der Öffentlichkeit zu entwickeln und zu definieren. Stattdessen wurde aufgrund des bereits vor dessen Beginn heftig in der inländischen wie ausländischen Kritik stehenden NSU-Prozesses lediglich an einzelnen „Stellschrauben“ der Regelung des § 169  GVG  a. F. gedreht. Diese Vorgehensweise dient einzig der Beruhigung des (rechts-)politische Gewissens der Verantwortlichen, ist in der Sache jedoch summa summarum nicht weiterführend, sondern wirft vielmehr neue Probleme und Fragestellungen auf. Ähnlich kommt auch Alwart in seiner Sachverständigenanhörung im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz auf die Nachfrage eines Abgeordneten zu dem Ergebnis: „Dann die Selektivität der Gesetzgebung. Ich verstehe überhaupt nicht, dass das Ministerium einen Gesetzesentwurf macht, ohne auf die Anfangssituation im Gerichtssaal einzugehen und glaubt, sich hinter der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zurückziehen zu können.“6

In Bezug auf die reine Differenzierung zwischen Saal- und Medienöffentlichkeit geht die gesetzliche Neuregelung insofern fehl, als dass diese auf die revisionsrechtlichen Folgen eines Verstoßes gegen die geplanten Vorschriften überhaupt nicht eingeht. Die verfahrensrechtliche Konsequenz einer Regelverletzung bestimmt allerdings in der gerichtlichen Wirklichkeit die praktische Wirksamkeit einer Regelung. Das zeigt bei gleichbleibenden Gesetzeswortlaut des § 243 Abs. 4 StPO die seit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in BVerfGE  133, 168 ff.7 auf den Kopf gestellte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in aller Deutlichkeit.8 Hinzukommt, dass die Neuregelungen durch das EMöGG als Ermessensentscheidungen ausgestaltet sind und es sich vor diesem Hintergrund zeigen wird, inwiefern insbesondere die Bundesrichter von der Übertragung der eigenen Urteilsverkündung Gebrauch machen werden. Sind es doch eben diese Bundesrichter, die sich während des andauernden Gesetzgebungsverfahrens 6  Sachverständiger Alwart, 18.  Wahlperiode, Deutscher Bundestag, Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz, Wortprotokoll der 140. Sitzung, S. 29. 7  Dazu oben Kap. 3, A III. 2. 8  Norouzi, StV 2016, 590, 595.

364

6. Kap.: Ergebnis

gegen eine moderate Erweiterung des § 169 S. 2 GVG  a. F. federführend wehrten. Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz konnte mit seiner Argumentation für eine Lockerung besagter Vorschrift diese Personengruppe, die davon am meisten betroffen ist, im Ergebnis nicht von der Notwendigkeit einer Gesetzesreform überzeugen. Wie in der gerichtlichen Praxis mit den allesamt als Ermessensvorschriften ausgestalteten Neuerungen umgegangen werden wird, wird sich zeigen.

B. Zusammenfassung Josef  K. wird am Morgen seines 30. Geburtstages verhaftet, den Grund dafür erfährt er nicht. Zunächst glaubt er an einen Scherz, bis er tatsächlich zum Zwecke einer Untersuchung vorgeladen wird und nur unter großer Anstrengung gelingt es ihm, den Verhandlungssaal im Hinterzimmer einer Mietswohnung zu finden. Er fordert sogleich die „öffentliche Besprechung eines öffentlichen Missstandes“, denn er hält sich für unschuldig. Josef  K. wird jedoch niemals die Gelegenheit bekommen, die genauen Umstände der Anklage zu erfahren oder wie er sich gegen die scheinbar haltlosen Anschuldigungen angemessen verteidigen kann.9 Dass sich ein solches Drama, wie das dieser fiktiven Erzählung Franz Kafkas in der heutigen Zeit in der Bundesrepublik abspielen könnte, ist wohl ausgeschlossen. Dennoch zeigt sich daran plakativ die zwingende Erforderlichkeit des Öffentlichkeitsgrundsatzes in Strafverfahren, denn das von Kafka Beschriebene fand unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Nachdem vor dem Hintergrund der historischen Entwicklung und der Untersuchung des Grundsatzes der Öffentlichkeit unter funktionalen Gesichtspunkten erläutert wurde, welch große Relevanz diese Prozessmaxime für die Rechtsstaatlichkeit des Strafverfahrens und für das Rechtsstaats- und Demokratieprinzip im Allgemeinen hat, gilt es nun, diese Errungenschaften im Lichte des heute geltenden Rechts und der aktuellen Rechtsprechung sowie der gesellschaftlichen Entwicklung zu bewerten. Festzuhalten ist zunächst, dass die öffentliche Meinung durch Fernsehen, Rundfunk und Presse repräsentiert wird und Öffentlichkeit im Sinne von § 169 S. 1 GVG a. F. bzw. wortgleich von § 169 Abs. 1 S. 1 GVG n. F. grundsätzlich nicht nur Saalöffentlichkeit bedeutet, sondern ein Wandel von der ursprünglichen Gerichtsöffentlichkeit hin zur Medienöffentlichkeit stattgefunden hat. Diese Medienöffentlichkeit kann selbstredend nicht schrankenlos gewährleistet werden, da es anderenfalls zu einer Beeinträchtigung der verschiedenen verfahrensspezifischen Belange, wie dem Ziel der bestmöglichen materiellen Wahrheitsfin9  Kafka,

Der Prozess, passim.



B. Zusammenfassung365

dung, der Gewährleistung der richterlichen Unabhängigkeit sowie den Persönlichkeitsrechten der Verfahrensbeteiligten kommen würde. Auf verfassungsrechtlicher Ebene kollidieren die verfassungsrechtlich verbürgten Individualfreiheitsrechte in Gestalt des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG mit dem Verfahrensgrundsatz der Gerichtsöffentlichkeit und den Rechten aus Art. 5 Abs. 1 GG. Diese beiden Positionen sind grundsätzlich gleichwertig, weshalb es verfassungstheoretisch ausgeschlossen ist, etwa das Persönlichkeitsrecht der am Verfahren Beteiligten, insbesondere das des Angeklagten, stets zulasten der Medienöffentlichkeit zu bevorzugen. Umgekehrt überwiegen die Rechte aus Art. 5 Abs. 1 GG nicht automatisch gegenüber dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht der Beteiligten. Vielmehr gilt es, einen normativen Kompromiss zu finden, was nur mittels einer Abwägung der sich entgegenstehenden Belange unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls möglich ist. Diese Abwägung stellt sich aus jeder Perspektive unterschiedlich dar, da aus Sicht des Angeklagten zu fragen ist, wie viel Öffentlichkeit erforderlich ist, damit seine durch den Öffentlichkeitsgrundsatz zu sichernden Rechte gewahrt werden können. Auf der anderen Seite stellt sich die Frage, wie viel Öffentlichkeit notwendig ist, um den Prozess nicht zu einem Spektakel ausarten zu lassen mit der Folge einer (medialen) Prangerwirkung und einer damit einhergehenden, möglicherweise dauerhaften Stigmatisierung, die zu einer erheblichen Erschwerung der Resozialisierung10 führen kann. Aus der Perspektive der Medien und vor dem Hintergrund des allgemeinen Informationsinteresses der Bevölkerung ist wiederum die Frage zu beantworten, welche Beschränkungen zum Schutz der gegenläufigen Interessen des Angeklagten notwendig und gerechtfertigt sind. Mit der Verfahrens- und speziell der Medienöffentlichkeit einher geht die massenmediale Berichterstattung über öffentlichkeitswirksame Strafverfahren, was wiederum neben der neutralen Berichterstattung auch geäußerte Kritik an einem Verfahren bedeuten kann. Eine solche Kritik muss der Richter aushalten können. Kritische oder über das „normale Maß“ hinausgehende, extensive mediale Berichterstattung über einen einzelnen Strafprozess führt jedoch unweigerlich zu Spannungen zwischen Justiz und Öffentlichkeit, die sich auch vermutlich nie vollständig beheben lassen. Durch eine professionelle Pressearbeit der Justiz auf der einen Seite und einem entsprechend professionellen Verhalten durch – idealerweise juristisch geschulte – Journalisten auf der anderen Seite kann sich das vorhandene Spannungsverhältnis aber minimieren, wovon letztlich beide Seiten profitieren würden. 10  Vor dem Hintergrund der Resozialisierung unterliegen Einträge im Bundeszentralregister bestimmten Tilgunsfristen. Den Medien, insbesondere den OnlineMedien, ist dieses Prinzip fremd, da Veröffentlichungen über das Internet auch Jahrzente später noch frei zugänglich und einsehbar sind.

366

6. Kap.: Ergebnis

Die ausführlich dargestellte, besprochene und bewertete Gesetzesänderung durch das Gesetz über die Erweiterung der Medienöffentlichkeit in Gerichtsverfahren geht grundsätzlich vor dem Hintergrund des Wandels der Normsituation des § 169 GVG in die richtige Richtung.11 Jedoch hätte man anstelle der drei nunmehr geltenden Teiländerungen, die gewisse Probleme, welche sich im Vorfeld und im Zuge des NSU-Prozesses ergeben haben, punktuell aufgreifen und zur Lösung des vermeintlichen Gesamtproblems im Ergebnis nicht weiterführenden sind, die Vorschrift des § 169 GVG  a. F. in ihrer Gesamtheit reformieren sollen. Dazu hätte der Gesetzgeber einen an die heutigen gesellschaftlichen und technischen Verhältnisse angepassten Begriff der Öffentlichkeit entwickeln und definieren und sodann von diesem neuen Verständnis der Öffentlichkeit aus die Regelungen über den Grundsatz der Verfahrensöffentlichkeit reformieren sollen. Konkret ist die Simultantonübertragung der Hauptverhandlung in einen Medienarbeitsraum sowie die Übertragung der Entscheidungsverkündungen am Bundesgerichtshof meines Erachtens nicht zwingend erforderlich gewesen, sondern allenfalls „nice to have“. Der notwendige Verbesserungsbedarf wurde aufgezeigt. Abzulehnen ist unter den ebenfalls ausführlich dargelegten Gründen die Tonaufzeichnung zeithistorisch bedeutsamer Verfahren. Mit „sensationellen“, die breite Öffentlichkeit erschütternden Straftaten und den sich daran anschließender Gerichtsverfahren geht häufig ein immenser Druck auf die Politik einher, die sich sogleich zum Handeln gezwungen sieht. Dies lässt sich häufig auch anhand von Situationen erkennen, die überhaupt keine weitergehenden Eingriffe benötigen, wie das Beispiel des EMöGG zeigt. Um der Empörung der allgemeinen Öffentlichkeit entgegenzuwirken, werden häufig aus einer solchen ad-hoc-Situation heraus Vorschläge unterbreitet, die deutlich zu anlassbezogen sind und sich zu stark am konkreten Einzelfall orientieren.12 Dieses Phänomen zeigt sich deutlich anhand des jahrelang unter den Augen des Verfassungsschutzes ungestört agierenden NSU-Trios, welches nach deren Entdeckung durch „sensationelle Straftaten“, verbreitet mittels moderner Massenmedien, in aller Munde war – national wie international. In Kombination mit dem misslungenen Start des sich an die Entdeckung der durch den NSU begangenen Straftaten anschließenden Strafverfahrens vor dem OLG  München sowie der fehlerhaften Akkreditierung der Pressevertreter, der Neuvergabe der für die Medienvertreter reservierten Plätze sowie die Diskussion um eine Simultanübertragung des Verhandlungsgeschehens in einen Nebenraum in Ermangelung ausreichenden Platzkontingents im Zuschauerraum, sah man sich in der Politik zum Han11  Zur 12  So

eigenen Bewertung des EMöGG Kap. 5, C. bereits Walter, Über Medien als Kriminalpolitiker, S. 27, 35.



B. Zusammenfassung367

deln gezwungen. Möglicherweise wurde der „Hype“ um die Neugestaltung des § 169  GVG  a. F. auch dazu genutzt, um dem Bürger aufzuzeigen, dass das staatliche Versagen bei der Aufklärung der Verbrechen eben jenes NSUTrios zwar nicht zu entschuldigen ist, nunmehr aber alles „Menschenmögliche“ getan werde, um eine größtmöglichen Transparenz bei der gerichtlichen Aburteilung jener Verbrechen zu gewährleisten. Solche Reaktionen auf konkrete Einzelfälle machen die Gesetzgebung oftmals zumindest fehleranfällig, da die zu enge Orientierung an dem jeweiligen Einzelfall „einen Widerspruch zur wesensnotwendigen abstrakt-generellen Regelung in einem Gesetz“ darstellt.13 In Bezug auf das EMöGG bleibt im Ergebnis festzuhalten: „Der Zeitgeist und spektakuläre Einzelfälle sind schlechte Ratgeber für Reformen in der Justiz.“14

13  Kudlich / Oğlakcıoğlu, 14  Poseck,

in: FS Heintschel-Heinegg (2015), S. 275, 288. NJW-aktuell 2016, 17.

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Stichwortverzeichnis Akkreditierungsverfahren  107 ff., 112, 240, 248, 252, 272, 327, 366 allgemeines Gesetz  105, 219 f., 222 f. Allgemeines Persönlichkeitsrecht  34, 118, 120, 186 ff., 197 f., 218, 225 f., 261, 306 Augenscheinseinnnahme  89 ff. Auschwitz-Prozess  102, 114, 161, 163, 275, 283, 337, 350 f., 353, 359 f. Bildberichterstattung  194 ff. Bildübertragung  270, 292, 307, 316, 341 Contempt of Court  54 f. Demokratieprinzip  16, 30, 37, 50, 72 f., 111, 119, 129, 131 ff., 135 ff., 138, 141 ff., 171, 173, 184, 200 ff., 213, 224, 230, 234, 257, 288, 297 f., 306, 318, 362, 364 Demokratische Legitimation  37, 76, 132 ff., 135 ff., 138, 229, 234, 362 Ermittlungsverfahren –– allgemein  21 ff., 28 ff., 31 ff., 66, 74, 154, 217, 220, 229, 232, 295, 301 –– Medienwirksamkeit  29, 31 ff., 74, 210, 212 –– prominente Beschuldigte  25, 28, 227 –– Reichweite  29 ff., 74 Fair-Trial-Prinzip, 15, 30, 66, 75, 126, 130, 141, 145, 171, 175 f., 224 243 ff., 258, 266, 270, 273, 277, 285, 302, 308, 323 Generalprävention –– negative  67, 101, 149 f. –– positive  68, 149 f., 151

Gerichtsöffentlichkeit siehe Saalöffentlichkeit Hauptverhandlung  15 f., 19, 21, 26, 30, 34 f., 39, 43, 58, 70, 75, 77 ff., 84 ff., 89 ff., 94, 98, 105 ff., 112, ff., 117 f., 121 ff., 126 ff., 137, 143, 147, 152, 156 ff., 166 ff., 173 ff., 177 ff., 182 ff., 194, 217 ff., 228 f., 231 ff., 250 ff., 260, 265 ff., 280, 291, 295 ff., 301 ff., 318, 322 ff., 337, 342, 345, 357, 362, 366 Historische Entwicklung –– des Öffentlichkeitsprinzips 94 ff., 128 f. –– Einführung des § 169 S. 2 GVG a. F.  114 ff., 124 ff., 128 Honecker-Verfahren  105 ff., 297 Informationsfreiheit  80, 82 f., 125, 200 ff., 206, 213, 223, 225 f. Informationsfunktion siehe Informa­ tionsvermittlung Informationsvermittlung  146, 151, 298 Kontrollfunktion  77, 98, 100 f., 112, 115, 130, 134, 138 ff., 143 ff., 154, 164, 171, 173 ff., 184, 258, 362 Litigation-PR  68 ff. Love-Parade-Verfahren  112 ff., 358 Medialisierung des Strafverfahrens  57, 73 Medien  23, 26, 31, 33, 46 f., 49 f., 52, 57, 59 ff., 68, 71, 77, 83, 108, 128, 146, 152, 162 f., 186, 194, 214, 216, 220, 253 f., 301 ff., 325 ff., 333 ff., 341 ff.



Stichwortverzeichnis409

Medienarbeitsraum  187, 225, 240, 256, 262 ff., 274 ff., 280, 282, 284, 287 ff., 294, 300, 307 ff., 316, 319, 324 ff., 333 f., 341 ff., 366 Medienöffentlichkeit  16, 44 ff., 60, 73, 75 f., 81, 109, 121, 125 f., 144, 152, 162, 169, 251, 257, 265, 268, 270 f., 278 ff., 284, 286 f., 295, 302, 310 f., 326, 337, 349, 362 ff. Meinungsfreiheit  73, 142, 190 f., 204 ff., 212, 219, 221 f., 227 NSU-Prozess  16, 67, 106 ff., 112, 161, 248 f., 255, 272, 275, 282, 296, 320 ff., 337, 339 f., 351, 358 ff., 363, 366 ff. nt-v-Entscheidung  52, 124, 223, 236, 257, 281, 288 f., 297 Öffentlichkeit –– allgemeiner Sprachgebrauch  36, 41, 230 f. –– rechtlicher Sprachgebrauch  37 ff., 230 f. –– Vorhersehbarkeit staatlichen Handelns  42, 139 f. Öffentlichkeitsarbeit –– der Gerichte  42 f. –– der Staatsanwaltschaften  29, 31 –– Opferbezogenheit  112 Öffentlichkeitsgrundsatz –– Ausschluss  155 ff., 168 ff. –– Einschränkungen  155 ff., 168 ff. –– Funktionswandel  151 Opfer  15, 18, 63, 73 f., 90, 107, 109, 112 ff., 154, 156, 160 ff., 229, 306, 319, 333, 340, 358 Personen der Zeitgeschichte  123, 192 ff., 309 Prangerwirkung  25, 28, 32, 60 ff., 73, 109 f., 122, 155, 180, 197, 258, 260, 322 f., 365 Presseausweis  343 f. Pressefreiheit  193 f., 201 f., 207 f., 212, 214, 218, 221, 242, 265, 281 f., 306, 344

Pressekonferenz / Pressemitteilung  28, 33, 54, 113, 218, 252, 338, 359 Presserechtlicher Auskunftsanspruch  209 ff., 213, 229 prominenter Beschuldigter / Angeklagter  15, 24 f., 27, 31 f., 34, 192, 194 ff., 208 f., 218, 227, 357 Recht am eigenen Bild  54, 188, 191 ff., 194, 261 Recht auf informationelle Selbstbestimmung  188 ff., 196, 199, 261 Rechtsstaatsprinzip  15 f., 24, 30, 42, 70, 72, 75, 131, 138 ff., 141 ff., 151, 153, 170 ff., 179, 199 ff., 224 f., 230, 257 f., 285, 297, 302 f., 321 ff., 333, 362, 364 Resozialisierung  67 f., 125, 155, 164, 186, 195 ff., 277, 306, 309, 365 Revision –– absoluter Revisionsgrund  87 f., 94, 100, 119 f., 158, 176 ff., 181, 183 f. –– nach dem EMöGG  260, 279, 283, 321, 329, 333, 345, 363 –– relativer  156, 159, 172, 175, 183 Richterliche Unabhängigkeit  56, 59, 70 ff., 135 f., 143 f., 365 Rundfunkfreiheit  105 f., 125, 128, 186 f., 201 ff., 212 ff. Saalöffentlichkeit  117, 119, 126, 153, 183, 224, 250 ff., 254, 258 ff., 271, 278, 282, 290, 297, 300, 304, 308, 326, 328, 334 ff., 342 ff. Schauprozess  15, 22, 143, 278 Schuldprinzip  173, 314 Sphärentheorie  198 ff., 225 ff. Strukturwandel –– Diskursmodell  45 –– systemtheoretisches Spiegelmodell   45 Tonübertragung  225, 240 f., 249, 254, 257, 262, 267 ff., 274, 278, 280, 282, 284, 288, 290 ff., 305 ff., 310, 324, 329, 334, 341 ff., 366

410

Stichwortverzeichnis

Übertragung siehe Bildübertragung, Tonübertragung Unschuldsvermutung  24 ff., 27 f., 75, 109, 160, 167, 195, 197, 200, 210, 273, 323 Verfahrensbeendende Verständigungen  168 ff., 184 ff. Verteidiger  21, 69, 113, 117 ff., 167 f., 196

Zeitgeschichte     192 f., 196, 354 ff., 357 f. zeithistorisch bedeutsame Verfahren  263, 267, 283, 286, 295, 315, 324, 337, 353 ff., 366 Zeugenvernehmung  21, 103, 157, 167, 327 Zutrittsrecht zum Sitzungssaal –– allgemein  80, 87 –– Beschränkungen  83, 86, 88, 90 –– Medienvertreter  81, 84